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German Pages 351 [374] Year 1898
p. Rirmß
predigten.
predigten in der
Neuen Airche zu Berlin gehalten von
Lic. Dr. p. Rirmß, Pfarrer.
Berlin.
Verlag von Georg Reimer. 1898.
Der
Gemeinde der Neuen Airche zu Berlin in
Dankbarkeit und Treue gewidmet.
Inhaltsverzeichnis
1. 1.
Aus der Festzeit.
Evang. Joh. 8, 12.
Das Licht der Welt.
2. Laßt uns nach Bethlehem gehen.
Luc. 2, 15—20.
3. Die Sünde wider denheiligen Geist.
4.
Enges Gewissen und weites Herz.
gpite
(Advent).............................. (Weihnachten) .
1
10
.
Matth. 12, 31......................................19
Luc. 11, 23 und Marc. 9, 40 .
.
26
5. Die geistige Kraft Jesu. Joh. 12, 20—26. (Passionszeit)..........................35 6. Der Tod Jesu. Marc. 15, 33—41. (Charfreitag) ....... 44 7. Die Auferstehung Jesu.
Ap.-Gesch. 2, 32.
(Ostern)..................................... 53
Ev. Joh. 21, 15—17................................................63
8. Die Liebe zu Christus.
9. Jugend und Alter. Ev. Joh. 21, 18. 19 ............................................. 71 10. Die Hütte Gottes bei den Wrenschen. Offenb. 21, 3. (Pfingsten) . . 80
2.
Die zehn Gebote.
2. Mos. 20, 2. 3..........................................................88
11. Der Glaube an Gott.
12. Der Name Gottes. 2. Mos. 20, 7..................................................................... 96 13. Der Tag Gottes. 2. Mos. 20, 8................................................................... 104 14. Eltern und Kinder.
2. Mos. 20, 12............................................................. 113
15. Die Heiligkeit des Lebens.
2. Mos. 20,13..................................................... 120
16. Die Heiligkeit desHauses und des Herzens.
2. Mos. 20, 14
.
.
.
128
17. Der irdische Besitz.
2. Mos. 20, 15............................................................... 137
18. Der gute Name.
2. Mos. 20, 16................................................................. 146
19. Der Quell der Sünde; Strafe und Lohn.
2. Mos. 20, 17. 5. 6.
(Am
Buß- und Bettag).....................................................................................................154 3.
20. Die geistlich Armen. 21. Die Leidtragenden.
Die Seligpreisungen.
Matth. 5, 3.................................................................... 164 Matth. 5, 4.
(Todtensonntag)........................................ 171
22.
Die Sanftmüthigen. Matth. 5, 5.................................................................... 179 23. Die Hungernden und die Verfolgten.Matth. 5, 6.10. (Reformationsfest) 188 24. Die Barmherzigen. 25. Die reinen Herzen. 26. Die Friedfertigen.
Matth. 5, 7. (Erntedankfest)......................................... 196 Matth. 5, 8......................................................................... 204
Matth. 5, 9......................................................................... 211
VIII
Jnhaltsverzeichniß. 4.
Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.
27. Die Wanderung in die Fremde. 28. Die Heimkehr.
29. Die Aufnahme im Vaterhaus. 5.
Luc. 15, 11—16.......................................218
Luc. 15, 17—21........................................................................ 228 Luc. 15, 22—32
..................................
237
Aus dem Leben Jesu.
30. Das Auftreten Jesu in Galiläa.
31. Die Berufung der Jünger.
Luc. 4, 14. 15.............................. 246
Matth. 9, 9—13....................................255
32. Ein Tag und ein Abend aus bem Leben Jesu.
33. Das Messiasbekenntniß.
Matth. 14, 22. 23
.
264
Matth. 16, 13—20 .............................................
272
34. Der Gang Jesu nach Jerusalem. Matth. 20, 18—19 ....................... 281 35. Der Gang der Jünger mit Jesus. Joh. 11, 16.............................. 289 36. Der Kampf Gottes mit den Menschen.
37. Die letzte Entscheidung. 6.
Matth. 23, 34—39....
Matth. 27, 15-26 .............................................
299 309
Prote st antische Helden.
38. Martin Luther. 1. Joh. 5, 4.......................................................................... 317 39. Gustav Adolf. Psalm 129, 1—4 326 40. Kaiser Wilhelm I.
Offenb. Joh. 2, 10........................................................335
1.
Das Licht der Welt. (Advent.) Ev. Joh. 8, 12.
nicht
wird
Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, der
wandeln in Finsterniß,
sondern
wird
das Licht
des
Lebens haben.
was das Sonnenlicht in der sichtbaren
Welt ist, das ist
das geistige Licht, das von Jesus ausgeht, für unsere innere Welt. Das Licht ist eine der Hauptbedingungen des Lebens.
Gott schuf
zuerst das Licht, dann erst ordneten sich die Elemente, Himmel und
Erde, Land und Wasser schieden sich von einander, die Pflanzen
wuchsen, und Thiere und Menschen belebten die Erde. heute.
noch
So ist es
Wenn die Sonne aufgeht, erwacht das Leben.
Die
Thiere kommen aus ihren Höhlen, die Vögel singen, der Mensch
geht an seine Arbeit.
Wo Licht ist, da ist Leben.
Deshalb sehnt sich alle Creatur nach dem Lichte. ihre Augen nach Osten,
kommt das Leben.
begrüßt mit dem
den
müden Körper
nach Sonnenaufgang.
bricht,
daß
Sie wendet vom Lichte
Wer die Nacht in Kummer schlaflos zugebracht,
dämmernden Morgenlicht neues Leben.
Durch
des Kranken zieht es wie ein neues Lebens
gefühl, wenn in seinem Zimmer Wand spielt.
Denn
Wenn sich
ein heller Sonnenstrahl
an der
heute der Grundsatz immer mehr Bahn
man die Wohnungen der
Menschen und
die
engen
Straßen der Städte dem Lichte möglichst zugänglich machen müßte, so liegt diesem Bestreben die Erkenntniß zu Grunde, daß das Licht eine Grundbedingung des Lebens ist.
Wenn am Morgen das Licht
kommt, schließen sich die Augen auf.
Wenn das Licht am Abend
verschwunden ist, schließen
sich die Augen zu.
Wo Licht ist, da
ist Leben.
Wo
geistiges
Licht ist,
da ist
auch
geistiges Leben.
empören uns über Menschen, welche Freunde Kirmß, Predigten.
Wir
der Finsterniß sind 1
Das Licht der Welt.
2
und danach streben, daß die Menschen alle in der Finsterniß, im Wahn,
im Aberglauben bleiben möchten; und wir verehren die Menschen, die für das Licht kämpfen in Kirche und Welt, in Glaube und Wissenschaft, die im Stande wären, ihr Blut einzusetzen,
damit es um sie her
in den Köpfen und Herzen der Menschen etwas heller werde.
betrachten jene
Feinde
des Lichtes
Wir
als die Diener des geistigen
Todes, der sich thatsächlich unter ihrer Herrschaft auf ganze Länder
gelegt hat.
Wir betrachten die Boten des Lichts als die Bringer Denn Licht ist Leben.
des Lebens.
Es giebt eine Sehnsucht nach Licht, welche in allen Ländern,
in allen Völkern wohnt;
draußen bei den Heiden,
Blut von Menschenopfern
fließt, wo trotz
des
wo noch das
heißen Welttheils
der Mensch noch in den kühlen Schatten des Todes sitzt; aber auch
bei uns an mancher dunkeln Stätte, wo der Mensch Gott verloren hat und doch noch ein edleres Gefühl nach etwas Höherem sucht,
und
in manchem dunkeln Kämmerlein, wo eine Menschenseele mit
ihrem Schicksal ringt. All dieser Sehnsucht nach Licht, die sich ausbreitet
über die weite Erde, ruft Jesus zu: „Ich bin das Licht der Welt." Das laßt heute unsere Betrachtung sein: Jesus das Licht der Welt.
1.
Was das heißt.
Welt brauchen.
1.
3.
2.
Wie nöthig wir dieses Licht der
Wie es uns zu Theil wird.
Es liegt ein tiefer Sinn in den freundlichen Bildern und
Erzählungen,
welche die Geburtsstunde des Herrn umgeben.
Klarheit des Herrn
umleuchtet
die Menschen.
fließen aus dem geöffneten Himmel zur Erde herab.
gestalten der Engel schweben zur Erde nieder.
Die
Ströme von Licht
Die Licht
Am Himmel geht
der Stern auf, der den Menschen in weiter Ferne die Geburt des
Weltheilands anzeigt und sie führt bis nach Bethlehem.
Erzählungen drücken den Einen Gedanken aus: ist gekommen.
An Jesus ist Alles Licht.
Seine Rede ist klar wie
der Thautropfen, der vom Himmel gefallen ist.
rein wie das Licht der Sonne.
Alle diese
Das Licht der Welt
Sein Wandel ist
Sein Herz ist rein, wie der klare
Wasserspiegel, in welchem sich bei Tage der blaue Himmel und des
Nachts das gestirnte Firmament spiegelt.
Und wenn wir fragen,
worin dieses Licht bestehe, so können wir darauf keine andere Ant
wort geben, als die allbekannte:
Gottes Treue, Gottes väterliches
3
DaS Licht der Welt.
Erbarmen, die suchende Sünderliebe Gottes und die erlösende Wahr heit, welche in Gott wohnt, — alle diese heiligen Kräfte Gottes treten uns in dem Menschenleben Jesu in menschlicher Form nahe,
ganz nahe, mitten unter uns.
Deshalb weil Gott in Christo war,
deshalb ist er das Licht der ganzen Welt.
Welch ein Licht geht von ihm aus! dunkel unser Ausgang.
Dunkel ist unser Ursprung,
Jesus hat uns diese dunkeln Fragen gelöst
durch die einfachste Antwort:
Wir kommen von Gott und gehen zu
Gott. Dunkel ist uns der Ursprung dieser Welt, und keine Wissenschaft, auch wenn sie in den Tiefen des Meeres wandelt und die Höhen des Himmels durchforscht, ist im Stande, uns zu sagen, wie das
Alles entstanden sei.
Jesus giebt uns die Antwort, daß das Alles
nicht aus einer blinden Naturkraft hervorgegangen ist, um sich bald wieder zu verzehren int Kreislauf der Dinge, sondern hinter diesem
Naturleben, hinter diesem Spiel natürlicher Kräfte wohnt der Vater des Lichts,
und in dem wildeit Kampf der Weltkräfte sehen wir
Gottes ewige Gedanken, die durch Kampf und Sturm, ihrer Ver wirklichung entgegengehen.
Dunkel ist uns die Macht des Geschicks;
oft möchten wir stehen bleiben auf unserm Lebensweg, möchten sinnen
und fragen:
Warum sind die Wege der Menschen so wunderbar?
Jesus zeigt uns da, wo unsere Augen nur das eherne Gesetz des Geschicks oder
einen blinden Zufall sehen, die ewige Treue, welche
auch die Haare auf unserem Haupte gezählt hat, die gewaltige Hand,
welche uns führte, wie der Hirt das verirrte Schaf, bis wir dahin gelangen, daß wir sprechen: Er hat Alles wohl gemacht.
Dunkel
ist uns unser eigenes Innere, diese räthselvolle Welt, in welcher
Gedanken, Entschlüsse, Hoffnungen, Furcht, Liebe, Abscheu, Freund schaft, Haß, in welcher alle diese Kräfte aufsteigen und durch ein ander wogen und uns hin- und herziehen,
woher sie kommen und wohin sie gehen.
und wir wissen nicht,
Jesus zeigt uns in diesem
Gewirr und Gewoge unseres inneren Lebens den festen Mittelpunkt, und deutet uns das tiefste Bedürfen unserer Seele, ihre Sehnsucht
hinauf zu Gott, zur Gnade Gottes, welche Sünden vergiebt, nach
dem Reiche Gottes,
welches Jesus
bringt,
nach
dem
lebendigen
Wasser, nach dessen Genuß uns nicht mehr dürstet, nach dem Wein, der nicht ausgeht, wie der Wein dieser Erde.
Hell werden uns die
Wege der Erde, auch die Wege durchs dunkle Thal der Trübsal.
1*
4
DaS Licht der Welt.
Denn seitdem er ihn gegangen ist, ist ein Schein des Lichtes auf
demselben zurückgeblieben.
Hell sind uns geworden die Scheide
wege, wo Menschen sich trennen; denn durch Jesus sehen wir über uns die himmlischen Höhen, wo diese Wege wieder zusammenkommen. Hell ist auch der Todesweg geworden, denn er führt zum Vater.
„Ich bin das Licht der Welt." Hell ist uns der Himmel geworden;
denn
dort wohnt der
Vater im ewigen Lichte, der seine Kinder um sich sammelt.
uns unser Inneres geworden.
Hell ist
Denn in uns wohnt ein Kind Gottes,
das geschaffen ist für eine Welt des Lichts.
Hell ist uns die Welt
um uns her geworden, ein Vaterhaus, in welchem überall der Vater
bei uns ist, und um uns her Brüder und Schwestern. „Ich bin das Licht der Welt." Sterne gegen dieses Licht!
sich für uns
hingegeben
Was sind Sonne, Mond und
Dieses Gotteskind, der Gottessohn, der
hat, um uns
von Sünde und Tod
erlösen, ist herrlicher als alles irdische Licht.
zu
Als Jesus am Kreuze
starb, verlor die Sonne am Himmel ihren Schein.
Denn was ist
ihr Glanz gegen diese Herrlichkeit des sterbenden Christus!
Er ist
das Licht der Welt, das wahre, wirkliche Licht, der Mittelpunkt und
Ausgangspunkt alles wahren Lichtes.
Gewiß freuen wir uns auch an dem Lichte der Wissenschaft. Wer es vergeht für uns.
Schuld auf deiner Seele,
Drückt dich ein Kummer, hast du eine klopft der Tod an dein Haus,
so hilft
dir alle Wissenschaft nichts; du wendest dich zu dem, der spricht: „Ich bin das Licht der Welt."
auch für die Welt.
Das Licht der Wissenschaft vergeht
Was die Menschen einst in der wissenschaft
lichen Forschung als Licht und Wahrheit bewundert haben, ist für
unsere Zeitgenossen überwunden, veraltet, ist Finsterniß geworden;
alles was wir als Licht
preisen,
als höchste Blüthe menschlicher
Forschung und Erkenntniß, wird einst für die Menschen Finsterniß
sein.
Aber wenn alle Weisheit der Weisen, wenn alle Sprüche der
Dichter und Denker vergangen sein werden, dann bleibt Jesus das Licht der Welt. 2. WirbrauchendiesesLicht. In unserem Text heißt es: „Wer
mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsterniß." Ohne das Licht Christi aber ist viel Finsterniß in der Welt.
wir Beweise dafür?
Brauchen
Laßt euch nur auf einige Beispiele Hinweisen.
6
Das Licht der Welt.
Es ist für uns etwas Selbstverständliches, daß die menschliche Gesellschaft sich der Kranken ganz besonders annimmt; unsere Zeit ist groß in neuen Einrichtungen, welche der Pflege der Kranken zu
gute kommen. Haltet ihr es für möglich, daß im Alterthum, auch im jüdischen Volke arme Kranke, Aussätzige, oder sogenannte Besessene, fallsüchtige, tobsüchtige Menschen aus der Gemeinschaft der Menschen ausgestoßen wurden hinaus in die Wildniß? Ist das nicht Finster
Es ist uns etwas Selbstverständliches, daß uns unsere Kinder das Theuerste auf Erden sind, und die Eltern würden uns unnatür
niß?
lich, entmenscht, ihres Elternamtes unwerth erscheinen, welche, auch wenn sie eine noch so große Mühe aufbieten müßten, um eine zahl reiche Familie zu ernähren, auch nur ein einziges ihrer Kinder missen möchten. Können wir es uns denken, daß es in dieser unserer Zeit noch Völker giebt, wie z. B. die Chinesen, bei denen es als etwas Erlaubtes gilt, daß Eltern, wenn es ihnen Mühe macht, ein Kind zu ernähren, es aussetzen? Ist das nicht Finsterniß? Uns ist es selbstverständlich, daß man dem Ewigen durch Liebe zu den Menschen dient; ist es euch da glaublich, daß es Völker giebt, welche ihre Götter durch Menschenopfer zu ehren glauben? Und doch giebt es solche. Ist das nicht Finsterniß? Wir meinen, Religion mache den fröhlich, muthig, zuversichtlich. Könnt ihr euch da denken, daß es Völker giebt, deren ganze Religion ein Quell steter Furcht und Angst ist, weil sie nichts wissen von einer gütigen Macht,
Menschen
sondern
nur von einem zahllosen Heer von Teufeln, welche die
Menschen ängstigen und quälen?
Ist das nicht Finsterniß?
Oder
denkt an Zeiten im christlichen Europa, in denen man meinte, Christum dadurch zu ehren, daß man die Ketzer verfolgte, ihre Städte und Dörfer zerstörte, daß man Hexen verbrannte! Denkt an die Blut ströme, die der Fanatismus in den Religionskriegen vergossen hat.
Ist das nicht Finsterniß? Doch wir brauchen gar nicht so weit zu gehen.
Auch in
unserem Leben ist Finsterniß. Wir denken dabei nicht an äußere Trübsal. Wenn man in der Noth einen Zugang zu Gott hat, wenn man durch dunkle Zeiten
geht
im Vertrauen zu Gott, in Er
gebung, mit dem Gebet um seinen Frieden, da sind Trübsalszeiten keine finsteren Zeiten. Leidtragende können selig sein, innerlich viel
froher und reicher, als Menschen im Glanze des Glücks, die in sich
6
DaS Licht der Welt.
Gott nicht haben.
Wandeln in Finsterniß, das ist etwas Anderes.
Du wanderst dann in Finsterniß, wenn du Gott nicht mehr hast.
Dein Glaube ist gestorben.
Es ist dir zu Muthe, als wäre Gott
Er lebt nicht mehr für dich.
gestorben.
von seiner beseligenden Nähe.
Glaube
an
gestorben.
dich,
Du fühlst nichts- mehr
Mit dem Glauben an Gott ist der
an deine Bestimmung,
an deinen hohen Beruf
Du fühlst dich wie ein welker Halm, dessen Wurzeln ab
gestorben sind, so daß ihm weder Regen noch Thau noch Sonnen schein mehr etwas nützt.
Dann stirbt auch so leicht die Liebe.
fühlst dich losgelöst von den Menschen. viele sogar zuwider.
Du
Sie sind dir gleichgilttg,
Ob sie gut oder schlecht sind, ist dir einerlei;
du bettachtest menschliche Güte und Größe und
inenschliche Ver
worfenheit und Gemeinheit mit demselben abgestumpften Sinne.
Ob
dein Volk vorwärts schreitet oder zurückgeht, dich kümmert es nicht. Das göttliche Licht im Menschen ist dir erloschen, die ganze Menschen
welt jämmerlich, das ganze Menschenleben ein sinnloses Treiben. Dann stirbt auch die Hoffnung. Die Zukunft liegt vor dir wie die öde Haide,
über der die Nebel wallen. Du siehst in der Zukunft nur den Tod und sehnst dich nach ihm, nicht als nach dem Engel Gottes, der dich zum
Frieden Gottes trägt, sondern nur nach dem Tode, der dir ein Grab
gräbt, in dem du schlafen willst den Schlaf der Vernichtung fern vom
Lande der Lebendigen. Guten.
Dann stirbt in dir auch der Wille zum
Du hast nicht nur keine Kraft zum Guten, du hast auch
keinen Willen zum Guten.
Kraftlos versinkst du im Strudel eines
äußerlichen Genußlebens, willst in der Betäubung dich selbst ver gessen, und findest doch dich selbst immer wieder, dein leeres ödes
Selbst.
Am schlimmsten ist es aber doch bei denen, die in Finsterniß
wallen und wissen es nicht, die durch ein Leben gehen, das äußer
lich scheinbar lauter Sonnenschein ist, aber in ihnen Finsterniß, und
sie wissen es nicht.
Sie sind nach dem Worte Jesu wie die über
tünchten Gräber, nach außen schön, glatt, aber im Innern der Tod.
Reisende erzählen von einer großen Höhle unter der Erde, da ist ein See, und in dem See Fische. Nie ist ein Lichtstrahl hinabgedrungen in diese ewige Finsterniß.
Diese Fische haben kein Sehvermögen,
sie wissen nicht, was sehen heißt, was Licht ist.
So giebt es Menschen,
die wandeln in der Finsterniß und wissen es nicht.
Licht ist, ist Leben.
Wir sahen: Wo
Wir sehen hier, wo Finsterniß ist, da ist Tod.
7
Das Licht der Welt.
Wir
3.
haben das Licht nöthig.
in der Finsterniß.
Sonst enden unsere Wege
Wie, können wir das Licht uns aneignen?
Das Licht Jesu ist heute unter uns in seinem Wort, vor allem aber auch in seinen Zeugen, in den Menschen, die von ihm erfüllt, durch
ihr ganzes Leben Zeugniß geben von ihm.
Dieses Licht Jesu zieht
Wie das Licht der Erde die Keime aus der Erde
uns mächtig an.
zieht, die Blumen anzieht, daß sie ihre Kelche dem Lichte zuwenden,
wie unwillkürlich der Mensch mit seinen Augen immer wieder das Licht sucht, so übt das Licht Jesu eine wuilderbare Anziehungskraft auf den Menschen aus, eine Anziehungskraft, die so weit reicht, wie
Menschen wohnen.
Wenn
ein Wanderer
sich Nachts
im Walde
verirrt hat und er sieht auf einmal in der Ferne ein Licht, wenn ein Schiffer des Nachts die Richtung verloren hat und er sieht in
der Ferne das Licht des rettenden Hafens, wie jubelt da seine Seele auf!
So hat es Gott uns Menschen bereitet, die wir in der Finster Wir sehen ein Licht, wir hören eine Stimme
niß der Erde wandern. mächtig
klingen
durch
die Nacht der Zeiten:
Ich bin das Licht
der Welt.
Wenn der Verirrte ein Licht sieht, dann denkt er nicht darüber nach:
Wie mag dieses Licht entstanden sein?
das Licht zu. wir nicht
Sondern er eilt auf
Wenn wir das Licht Jesu Christi sehen, so sollen
darüber grübeln,
wie ist es entstanden?
Sondern wir
müssen etwas thun, hingehen, Jesus dem Lichtträger nachfolgen.
Dann können wir sein Licht empfangen.
Folge ihm nach!
Das
klingt leicht, und fordert doch unsere gmrze Kraft, unsere ganze Zeit,
den ganzen Menschen, nicht nur einzelne Sonntagsstunden, sondern vor allem die Werkeltage, nicht nur Empfindungen, fromme Gefühle,
sondern auch den Willen.
Die Nachfolge Jesu ist eine Arbeit, die
wir thun müssen, wo wir auch sein mögen, wie auch unsere Lage
sei.
Und ferner:
Die Nachfolge Jesu ist eine Arbeit im Kleinen.
So groß Jesus im Geiste war, Himmel und Erde umspannend, so
sehr er auch ins Große gearbeitet hat, die ganze Menschheit hinauf zuheben zu Gott und
zu einem Bruderbund
Nachfolge ist doch Arbeit im Kleinen.
zu machen — seine
Denn wir leben nun ein
mal auf Erden, jeder an einem engumgrenzten Platz, mit kleinen Pflichten
und
Aufgaben.
Ein
Stück
Brod,
einem
Hungernden
gegeben, ein fiischer Trunk, mit dem ein Dürstender erquickt wird.
8
Das Licht der Welt.
ein vergebendes Wort, das zu dem Beleidiger gesprochen wird, die
Sammlung der Kraft zu der Erfüllung einer ganz kleinen Pflicht — das sind die Dinge, aus denen sich die Nachfolge Jesu zusammen setzt. Und weiter: Die Nachfolge Jesu verlangt unbedingtes Ver trauen. Denke dir, es tritt ein Mensch zu dir und sagt dir: folge mir nach, und du folgst ihm. Immer schmaler, steiler und beschwer
licher wird der Weg. Du möchtest gern manchmal ausruhen, sitzen, träumen, Umschau halten. Aber der Führer sagt: Komm, geh weiter, weiter den Weg der Pflicht Schritt für Schritt. Auf einmal thut sich ein Abgrund vor dir auf, neben dem ein ganz schmaler Pfad hinführt, der noch dazu öfters von Felsen versperrt ist. Dein Führer fragt dich: Willst du mir auch hier nachfolgen? Du antwortest: Auch hier. Denn ich vertraue dir. Dann führt der Weg wieder ganz steil hinab in eine dunkle Schlucht, so dunkel, daß du nicht siehst, wohin du kommst, und unter dir rauschen unsichtbar wilde Wasser. Und dein Führer fragt: Willst du auch hier mir folgen? Und du antwortest: Auch hier; denn ich vertraue dir! Das heißt: Jesu nachfolgen. Dazu gehört der ganze Mensch, jeder Augen blick, das ganze Vertrauen. So sollst du das Licht des Lebens haben. Thue, was er sagt; gehe den Weg, den er vorangeht, Schritt für Schritt; lebe dein Leben, wie er sein Leben dir vorgelebt hat; dann wird es hell
Zwinge dich in seinen Dienst. Tritt aus dir selbst heraus, öffne dein Herz den Menschen, deiner Gemeinde, deinem Volk und Vaterland, dem Reiche Gottes auf Erden. Dann wird es dir sein, als wenn du im Frühling nach langer Mnterhaft das Fenster öffnetest, daß Frühlingsluft und Frühlingslicht in deine Woh nung strömt. So weit und hell wird dir dein Herz werden. Vervor dir werden.
gieb den Menschen, wie Jesus es dir zeigt, nicht nur einmal, son dern laß die Stimmung und Gesinnung des Vergebens in dir blei bend sein. Dann treibt dich dein Herz zur vergebenden Gnade Gottes hin und es wird dir immer leicht werden, diesen Weg zu gehen, und es wird hell in dir werden vom Frieden Gottes. Tritt ein in den neuen Bund, den Jesus zwischen den Menschen und Gott
geschlossen hat; werde Gottes Kind, wie Jesus Gottes Sohn war,
und gieb dein Leben, deine Zukunft, deine Sorgen und Freuden, dein Haus und die Deinen in Gottes Hand. Du wirst sehen, wie
9
DaS Licht der Welt.
hell es in dir wird von Vertrauen und Zuversicht.
Sei dankbar
Wie hell wird da deine Vergangen heit, trotz manches sauren Ganges; und wie friedevoll siehst du gegen Gott, wie es Jesus war.
dann hinaus in die Zukunft. Lebe in Glauben, in Liebe und Treue, lebe ewiges, wirkliches Leben, dann wird auch die Finster niß des Todes aus deinem Leben weichen und aus dem geöff neten Himmel strömt das Licht des ewigen Lebens in deine Seele.
„Wer
wandeln." Noch mehr:
mir
nachfolgt,
wird
nicht
im
Finstern
Du wirst auch das Licht des Lebens in dir
haben. Du nimmst es überall mit hin. Je dunkler es um dich her ist, um so heller wird es in dir; je schwerer deine Last, um so stärker die Kraft der Ergebung; je ermüdender die Aufgaben, um so fester die Geduld; je mehr du Haß erfährst, um so treuer wird deine Liebe; je mehr du von der Welt verlassen wirst, um so näher
kommst du Gott. Du hast das Licht des Lebens in dir. Du hast es in dir im Glück. Das Glück, das von außen kommt, wird dir innerliches Glück, du singst und spielst Gott in deinem Herzen.
Du hast das Licht des Lebens in dir, auch wenn das Licht des Lebens um dich her immer trüber wird, wenn du alt wirst.
Sonst geschieht es leicht, daß im Alter sich die Seele verdunkelt, mürrischer Sinn und Mißtrauen sich einschleicht, der Glaube verkümmert und die Liebe verwelkt. Folgst du aber Jesu nach, so wird es in dir
immer heller, je mehr die Welt um dich her stirbt. Näher und näher kommst du Gott. Mehr und mehr wird der Friede dein Theil. Je trüber die Augen des Leibes werden, um so heller die Augen der Seele für die Ewigkeit.
Je mehr der Menschen um dich
her Abschied nehmen, um so stiller wird der Friede, welcher das Gedächtniß deiner Entschlafenen in dir umweht. Du hast in dir das Licht des Lebens. Und wie Jesus dir ein Lichtträger geworden ist, so wirst du für andere Menschen ein Lichtträger. Du bringst ihnen Licht in die Dunkelheit, Trost in die Traurigkeit, Friede in den Streit, Kraft in die Schwachheit.
Du kennst gewiß einen Menschen, dessen ganze
Persönlichkeit tröstend, beruhigend, ermuthigend, bessernd auf dich wirkt. Das ist ein Mensch, der das Licht des Lebens in sich hat.
Möchtest du nicht auch so sein?
10
Laßt uns nach Bethlehem gehen.
So wollen wir das Licht Jesu Christi in uns aufnehmen, und
dann von ihm, dem großen Lichtträger, ausgehend auch wieder als Lichtträger unter die Menschen ziehen, daß die Erde voll wollen
werde von der Klarheit des Herrn. Amen.
2.
Laßt «ns nach Bethlehem gehen. (Weihnachten.) Luc. 2, 15—20. sprachen
die
Und
als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren,
Hirten unter
einander:
Laßt
nun
uns
gehen
gen
Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgethan hat.
Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria
und Joseph, dazu das Kind in der Krippe liegend.
Da sie es aber
gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war.
Und Alle, vor die es kam, wunderten sich
der Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten.
Maria aber behielt
alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.
Und die Hirten
kehrten wieder um, Priesen und lobten Gott um Alles, das sie gehört
und gesehen halten, wie denn zu ihnen gesagt war.
Easset uns nach Bethlehem gehen — dieses Wort soll heute
unsere Festbetrachtung leiten. Bethlehem ist eine kleine Stadt. Einst haben dort Hirten gewohnt. Unter ihnen auch Jsai, der Vater Davids. Wo uns die evangelische Erzählung die Hirten auf dem Felde zeigt, da hat einst David seine Herde geweidet. Nach diesem
kleinen Hirtendorf wallfahren wir heute. Mancher zieht wohl heutzutage im Bethlehem.
eigentlichen
Er kann das in tiefer Andacht thun.
gewiß einen inneren Gewinn davon haben.
Sinn nach
Dann wird er
Thut er es mit ober
flächlichem Sinn, dann nützt ihm Bethlehem nichts. Ja überhaupt: Das räumliche Bethlehem dort, das nützt uns nichts. Denn wer weiß uns mit Sicherheit die Stätte anzugeben, wo dort einst die Krippe Jesu gestanden hat!
Und wenn wir sie fänden, was nützt
10
Laßt uns nach Bethlehem gehen.
So wollen wir das Licht Jesu Christi in uns aufnehmen, und
dann von ihm, dem großen Lichtträger, ausgehend auch wieder als Lichtträger unter die Menschen ziehen, daß die Erde voll wollen
werde von der Klarheit des Herrn. Amen.
2.
Laßt «ns nach Bethlehem gehen. (Weihnachten.) Luc. 2, 15—20. sprachen
die
Und
als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren,
Hirten unter
einander:
Laßt
nun
uns
gehen
gen
Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgethan hat.
Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria
und Joseph, dazu das Kind in der Krippe liegend.
Da sie es aber
gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war.
Und Alle, vor die es kam, wunderten sich
der Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten.
Maria aber behielt
alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.
Und die Hirten
kehrten wieder um, Priesen und lobten Gott um Alles, das sie gehört
und gesehen halten, wie denn zu ihnen gesagt war.
Easset uns nach Bethlehem gehen — dieses Wort soll heute
unsere Festbetrachtung leiten. Bethlehem ist eine kleine Stadt. Einst haben dort Hirten gewohnt. Unter ihnen auch Jsai, der Vater Davids. Wo uns die evangelische Erzählung die Hirten auf dem Felde zeigt, da hat einst David seine Herde geweidet. Nach diesem
kleinen Hirtendorf wallfahren wir heute. Mancher zieht wohl heutzutage im Bethlehem.
eigentlichen
Er kann das in tiefer Andacht thun.
gewiß einen inneren Gewinn davon haben.
Sinn nach
Dann wird er
Thut er es mit ober
flächlichem Sinn, dann nützt ihm Bethlehem nichts. Ja überhaupt: Das räumliche Bethlehem dort, das nützt uns nichts. Denn wer weiß uns mit Sicherheit die Stätte anzugeben, wo dort einst die Krippe Jesu gestanden hat!
Und wenn wir sie fänden, was nützt
Laßt uns nach Bethlehem gehen. es uns?
11
Wenn wir heute nach dem Worte der Hirten handeln, so
thun wir's auf ganz andere Weise. Wir besteigen kein Schiff, son dern fromme Gedanken tragen in einem Augenblick unsere Seele dorthin. Wir suchen dort auch nicht eine bestimmte Stätte. Laßt die Gelehrten sich darum
streiten, wo Jesus geboren sei.
Wir
suchen dort andere Dinge. Wo die Gnade Gottes unsere arme Erde heimsuchte, daß die Finsterniß Licht wurde und die von Schuld befleckte Welt eine Stätte göttlichen Friedens, da ist unser Bethlehem.
Und das meinen wir, wenn wir unter einander sagen, wie die Hirten: Laßt uns hingehen gen Bethlehem! 1. Die Geschichte der Menschheit ist ein Gang nach Bethlehem, vom Heidenthum zum Christenthum, aus dem Dunkel zum Licht, aus der Knechtschaft zur Freiheit des Christen thums; der Menschcnsohn und Gottessohn, der in Bethlehem Ge borene, ist das Ziel, welches der Menschheit von Gott in die Seele geschrieben ist. Sie kann gar nicht anders, sie muß der unbewußten Sehnsucht ihres Herzens folgen, sie muß zu Christus, nach Bethlehem
gehen. Denn dazu ist sie von Gott bestimmt. der Geschichte des Weihnachtsfestes sehen.
Laßt uns das an Auch das ist ein
Gang nach Bethlehem, vom Heidenthum zum Christenthum. Es erscheint uns undenkbar, daß es einst in der Christenheit kein Weihnachtsfest gegeben hat. Und doch ist es so. Es herrschte bei den Christen der ersten Jahrhunderte eine tiefe Abneigung gegen jede Geburtstagsfeier. Man sah darin etwas Heidnisches. Alte
Kirchenlehrer spotteten über die Heiden, weil diese die Geburtstage ihrer Götter feierten. So feierte man in der christlichen Gemeinde nur den Tod und die Auferstehung des Herrn, Charfreitag und Ostern. Man freute sich nur an der Krone des Baumes, fragte aber nicht nach der Wurzel. In einer Zeit, in welcher es vor allem
ankam auf die Erlösung von der Sittenlosigkeit des Heidenthums, in einer ruhelossn Zeit, in welcher der Mensch die ganze Nichtigkeit
des Vergänglichen erkannte, an seine Brust schlug und vyr allem
suchte nach Vergebung seiner Schuld, da klammerte sich die Menschen seele vor allem an den sterbenden Christus, der die Schuld der Welt getragen und uns die Versöhnung mit Gott gebracht hat. Und ferner, in einer Zeit, wo das Christenthum mit dem Heiden-
12
Laßt uns nach Bethlehem gehen.
thum auf Tod und Leben kämpfte, da brauchte die christliche Ge meinde die Hoffnung
auf
den Sieg,
von
die Ueberzeugung
Unüberwindlichkeit des christlichen Glaubens.
der
Die festeste Bürgschaft
dieser Hoffnung aber fand sie in der Auferstehung des Herrn, im An
blick des Ueberwinders, der gekrönt ist mit ewiger Herrlichkeit.
So
feierte man lediglich die beiden Feste des sterbenden und auferstan denen Herrn.
Das Weihnachtsfest mit dem heiligen Kind in der
Krippe, den friedlichen Hirten, den anbetenden Weisen, das Weih nachtsfest mit feinem Paradies auf Erden, seinem Frieden und seiner Freude, hätte in der sturmbewegten Zeit kein Verständniß gefunden,
und alle die Weihnachtslieder von der Mutter und ihrem Kind, von den Engeln und den Hirten, sie waren noch stumm. Das Weihnachtsfest ist heidnischen Ursprungs.
Im freundlichen
Süden, vor allem aber im trüben Norden feierten die heidnischen
Völker am 25. Dezember eiu Winterfest, ein Naturfest, die Weih
nacht, oder wie es bei den Römern hieß, das Fest der unbesiegten Sonne,
den Tag,
der der kürzeste ist im Laufe des Jahres, von
dem ab die Sonne wieder höher steigt und die Tage länger werden,
und das Licht, welches in den letzten Monaten von der Finsterniß zurückgedrängt war, nun wieder emporsteigt und im siegreichen Kampf die Finsterniß vertreibt.
Dieses Fest wurde bei unseren heidnischen
Vorfahren theilweise mit rauhen Gebräuchen gefeiert.
schallte
sang
Bergen.
durch die Nacht
an den
Wilder Ge
lohenden Feuern auf den
Die Waffen klirrten und das Opferblut floß.
Das war
die Weihnacht unserer heidnischen Eltern.
Dieses Fest fanden die christlichen Missionare vor, welche das ewige Licht in die
dunkeln Wälder trugen.
Und mit feiner Er
ziehungskunst knüpften sie ihre Predigt vom Licht an nische Lichtfest an.
dieses heid
Sie sagten ungefähr Folgendes zu den Leuten:
„Ihr feiert das Fest des Lichtes.
Wir wissen euch aber zu erzählen
von einem andern Licht, das einst aufgegangen ist nach Gottes Rath, um Leben, Wärme, Liebe zu den Menschen zu bringen, von einem
ewigen Lichte, welches der Nacht der Sünde und des Todes auf Erden
ein Ende macht.
Kinder des Lichtes!"
Dieses Licht bringen wir euch:
Werdet
Im Gefolge dieser christlichen Predigt zogen
nun die freundlichen Weihnachtsgeschichten von der Krippe im Stalle
zu Bethlehem, von dem Gotteskind und den Engeln bei den Heiden
13
Laßt uns nach Bethlehem gehen.
Diese Geschichten wollten sich freilich anfangs unter dem rauhen
ein.
Geschlecht jener Zeit nicht recht heimisch fühlen.
wurden
doch die Herzen durch sie warm
Aber allmählich
und gingen auf für die
frohe Botschaft von der Liebe Gottes, von der Freude, die allem
Volke widerfahren ist, und die heidnische Götterwelt sank vor dem Gott, der in Christus als Geist und Liebe offenbar geworden ist. die
Aber
Gebräuche
heidnischen
blieben,
besonders
unser
lieber
der nie verwelkende und nie verlöschende, der
Weihnachtsbaum,
jedes Jahr wieder grünt und leuchtet, wie vor zweitausend Jahren in
den alten deutschen Wäldern, und der
uns Christen der heuttgen
Zeit verbindet mit unseren alten heidnischen Eltern.
So stellt
sich uns in der Geschichte des Weihnachtsfestes die
Entwicklung der Menschheit dar vom Heidenthum zum Christenthum. Das heidnische Weihnachtsfest ist nach Bethlehem gegangen und hat
dort seinen christlichen Inhalt gefunden.
2.
Was aber im Großen geschieht in der Welt, das soll auch Auch wir wollen dem Zug
im Kleinen und Einzelnen geschehn.
in der Menschheit nach Bethlehem hin folgen. etwas
sein,
was
Es muß doch dort
mächüge Anziehungskraft
eine
auf uns ausübt.
Was ist es denn?
Da ist denn nun das, was wir dort sehen, unendlich einfach. Wir
finden dort eine Familie.
keine fürstliche Familie,
von der
Das ist etwas
sehr alltägliches,
etwa in der damaligen Zeit viel
gesprochen worden wäre, sondern einfache Leute; auch nicht in einer wunderbaren Umgebung,
sonst
nicht
einmal
bewohnt wurde.
geschehen.
sondern an einer bescheidenen Stätte, die
von Menschen,
sondern
von
den Hausthieren
Wir sehen dort auch keine Zeichen und Wunder
Aber gerade diese schlichte einfache Menschlichkeit, die
wir dort finden, hat ihre Bedeutung. Willen in der Welt
Gott bedient sich, um seinen
auszurichten, nicht
außergewöhnlicher Mittel,
sondern der einfach menschlichen Ordnungen, die er gegeben hat.
Er
ruft die Menschen nicht zusammen an irgend einen berühmten Ort
und
sagt zu ihnen:
Nun
will ich ein Wunder
thun
vor euren
Augen, sondern aus dem Schoß einer einfachen Familie läßt er den Erlöser kommen und in einem unbedeutenden Winkel der Erde das
Licht der Welt schauen.
Wenn wir uns immer wieder erbauen an
dem Bilde, welches uns so oft von Künstlerhand
dargestellt wird.
14
Laßt uns nach Bethlehem gehen.
Vater, Mutter und Kind in der Hütte zu Bethlehem, so ist das, was uns daran erfreut, doch nichts Anderes, als der Adel, die Weihe, die himmlische Würde, welche Gott der Familie überhaupt gegeben hat. Sie ist das Ackerfeld, auf welchem Gottes edelste Saat wächst, die heilige Gottesordnung, aus welcher gesundes Leben, neue Kräfte kommen, die Stätte, an welcher die göttlichen Pflanzen der Menschen-«
seelen heranreifen sollen Gott zur Ehre, den Menschen zum Wohl gefallen. Wir nennen jene Familie zu Bethlehem die heilige Familie. Jede rechte Familie ist etwas Heiliges. Wo Gatten ein ander treu lieben, und Kinder hervorwachsen in Reinheit und Zucht, da ist heiliges Land. Vater, Mutter und Kind ist die heilige menschliche Dreieinigkeit. Das zeigt uns das Weihnachtsbild: Die Heiligung der Familie. Es zeigt uns weiter: Die Heiligung der Kindheit. „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben." Ein Kind, das hilfloseste, ohnmächttgste Wesen, das man sich denken kann, kein
Engel, kein wunderbares, vom Himmel herabschwebendes Wesen, sondern ein Kind im Arm seiner Mutter, ein Kind, wie eure Kinder
waren, ihr Mütter, als ihr sie zum ersten Male in eurem Arm hieltet, ein Kind, das auf Sttoh in einer harten Krippe liegt, — das ist das Mittel, durch welches Gott seine ewige Liebe offenbart. Ja, es ist doch etwas Großes, daß wir nicht nur, wie die Christen der ersten Jahrhunderte, Passion und Ostern feiern, sondern auch Weihnachten, nicht nur des reifen Mannes, des leidenden und siegenden Christus gedenken, sondern daß wir uns sammeln um das Kind, in welchem noch die ganze große Zukunft eingehüllt ist. Das ist es,
was uns an dieser Weihnachtsgeschichte so wunderbar ergreift, der Gegensatz: Das Kind und seine Zukunft. Hier liegt es hilflos; aber es wird einst ein Helfer werden in allem Schmerz, den kein Mensch heilen kann, in aller Schuld, die kein Mensch vergeben kann.
Hier liegt es ohnmächtig; aber seine Geistesmacht wird einst die Welt beherrschen, daß die Gewalttgen sich vor ihm beugen und die ttotzigen Herzen weich werden.
Jetzt ist es unbekannt;
aber sein
Name wird genannt werden, bis daß Himmel und Erde vergehen. Jetzt ist es gefährdet, Mörderhände strecken sich nach ihm aus; aber einst wird es ein Retter der Verloreren werden. Jetzt schläft es
„in himmlischer Ruh"; aber wenn es einst aufwachen wird, da wird
15
Laßt uns nach Bethlehem gehen.
von seinem Ruf die Welt aus dem Schlaf aufgeweckt werden.
In
diesem Kinde schlummert der Menschensohn, dessen tiefstes Wesen niemals ganz verstanden werden wird, unser Bruder, der unerreichbar über uns steht, und doch das Vorbild und Abbild des ewig Mensch ist, wie es
lichen
in Gott
lebt.
Gottessohn, der mit Gott Eins seinem Willen,
diesem Kinde
In
in seinem Glauben und
Wesen in Gott wurzelt.
schläft
der
sein wird in seinem Geist und Wirken,
dessen
geistiges
In diesem Kinde schlummert der Held,
der den Kampf der Menschheit endgiltig auskämpfen wird, der auch dem Tod den Fuß auf den Nacken setzen wird.
hier eingeschlossen in der Brust eines Kindes.
der Kindheit
der
in
Geburt Jesu.
Wenn
Und alles dies ist
Das ist die Heiligung auch sonst kein
nun
Menschenkind von ferne mit diesem Kind verglichen werden kann, —
der Heiligenschein, der es umleuchtet, fällt auf die Kinder überhaupt. In jedem Kind ist etwas Heiliges, etwas Himmlisches, ein Gottes
gedanke, eine Gotteskraft, eine Zukunft, die über den Tod hinaus Das ist die Heiligung der Kindheit in der Geburt des
reicht.
Herrn.
Eine Familie, ein Kind sehen wir in Bethlehem. das Dritte zusammen, was wir sehen:
geschehen
Es ist
ist."
Damit hängt
„Laßt uns sehen, was dort
hier eine Geschichte
geschehen und es
beginnt hier eine große Geschichte. Kein blasser Gedanke, keine trockene Lehre, keine schwer verständliche Philosophie tritt hier in die Welt
ein,
sondern eine lebendige Geschichte, die Jeder sieht und Jeder
begreift.
Eine gewaltige Geschichte.
welch eine Geschichte! Jahre.
Von der Krippe bis zum Kreuz,
Ein kurzes Leben, kaum länger als dreißig
In einem Alter, in welchem sonst für einen Menschen die
eigentliche Zeit
der Reife und
des Schaffens beginnt,
ist Jesus
untergegangen in einem schmachvollen Tod, von seinem Volke ver
lassen und verstoßen.
Aber durch dieses Leben hat die Welt einen
neuen Geist und ein neues Gepräge empfangen.
Dieses kurze Leben
wirkt für dich bis an dein Ende, bis in dein Jenseits, deine Ewig keit hinein.
Diese Geschichte Jesu ist eingegraben in diese Welt, und
nie können diese Schriftzüge verwischt werden von den Wellen der
Geschichte, vergraben von dem Schutt der Zeiten.
Gedanken ver
wehen, aber diese Geschichte steht fest als ein ewiger Fels.
heiten unterliegen
den
wandelbaren Urtheilen
Wahr
der Menschen und
Laßt uns nach Bethlehem gehen.
16
aber diese Geschichte, dieses Leben, das Jesus gelebt hat,
Zeiten,
wird, so lange die Erde steht, die Menschen ergreifen und erlösen,
Friede
ihnen
und
bringen.
Freiheit
Lehren
werden
von
dem
Ungelehrten nicht verstanden; aber diese Geschichte von Fleisch und
Blut, dieses Leben voll frischer Lebensfarbe versteht Jeder. Das ist es, was uns hinzieht nach Bethlehem, gerade diese
einfache, menschliche, anschauliche Form, in welcher das Christenthum eintritt in die Welt, eine Familie, ein Kind, ein Menschenleben,
das allen Menschen Leben bringt. Was sollen wir nun dort thun?
3.
Das laßt uns sehen
an den Menschen, welche uns dort begegnen.
Da sind zunächst die Hirten. um, preiseten und lobten Gott."
Von ihnen heißt es: „Sie kehrten
Wenn wir von einem Fest kommen
und wieder eintreten in das alltägliche Leben, so ist das jedesmal
ein Umkehren.
Denn beim Fest sind unsere Blicke nach innen gerichtet;
nun blicken wir wieder nach außen.
geblickt,
oben
Beim Fest haben wir nach
der Festglanz uns entgegenleuchtete;
von wo
nun
wenden wir unsere Augen wieder der praktischen Wirklichkeit mit ihren Bedürfnissen, Mühen und Sorgen zu.
Wir kehren um.
Aber
das ist doch nicht so zu verstehen, als ob nun Alles, was das Fest brachte, der Vergangenheit angehörte.
Denn wenn wir am Abend
unsere Augen erhoben haben zu den Sternen und dann unsere Augen wieder auf den Weg richten, den wir zu gehen haben, so sehen wir
unmittelbar von den Sternen nichts mehr, aber ihr Schein fällt auf
den Weg.
So soll auch uns, wenn wir uns nun dem alltäglichen
Leben wieder zuwenden, der Festglanz unsern Weg beleuchten.
Das
wird vor allem dann der Fall sein, wenn wir etwas von diesem Festglanz in uns tragen, wenn es durch das Fest in uns hell und licht
geworden, Friede und Freude bei uns eingezogen ist, wir milder gegen
die Menschen, geduldiger gegen ihre Schwächen, stärker im Tragen unserer Last, treuer und eifriger in der Erfüllung unserer Pflicht ge worden sind.
leben.
Auf diese Weise tragt den Festglanz in das Alltags
Seid nun
eurem Dulden,
stiller in
Handeln, fteudiger in
eurem
größer in eurem Glauben.
Die Hirten breiteten
Hoffen,
kraftvoller in eurem
wärmer in
eurem Geben,
So kehret um vom Fest in das Leben. das
Sie waren die ersten Apostel.
Wort
von
dem Kinde
aus.
Wer das gesehen hat, was dort
Laßt uns nach Bethlehem gehen.
17
geschehen ist, wer es wirklich gesehen hat, so daß ihm das Herz dabei warm geworden ist, der muß auch das Wort ausbreiten.
fühlten,
Viele haben
Alle die Menschen, die Jesum sahen und hörten, die
es gethan. wie
ihn in ihnen ein neues Leben begann, jene
durch
Menschen, die von ihm ausgingen und den Andern verkündigten: „Wir haben den Messias gesehen," jene Kinder, die Palmen streuten
und Hosianna riefen, jener Hauptmann, der unter dem Kreuze sprach:
„Wahrlich, Märtyrer,
dieser
Gottes
ist
die noch
Sohn
gewesen,"
dem Scheiterhaufen
auf
dann später
seinen Namen
die
ver
kündigten, die Sänger der Lieder auf ihn, welche auf Engelsflügeln die Botschaft von ihm in die Welt trugen, die Kinder, die in der Schule
singen:
die in den Häusern singen:
„O du fröh
gnadenbringende Weihnachtszeit,"
sie Alle sind
„Stille Nacht,"
liche, o du selige
Nachfolger der Hirten von Bethlehem, welche die Worte ausbreiteten von diesem Kinde.
In den 1900 Jahren, welche seitdem vergangen
sind, sind in der Welt viele Lieder entstanden und vergangen; Sprachen,
welche damals den Erdkreis beherrschten, sind gestorben.
Aber heute
noch wird wie damals die Botschaft von diesem Kinde verbreitet. Wollen wir uns nicht Alle an diese Schaaren anschließen?
Es ruht
auf den Menschen der heutigen Zeit oft ein verlegenes Schweigen über das, was sie glauben.
Die Einen schweigen davon, weil sie
fürchten, bei den Gläubigen anzustoßen, die Andern, weil sie fürchten, bei
den Ungläubigen
anzustoßen.
Man
behandelt die persönliche
Ueberzeugung, den persönlichen Glauben als ein an".
Warum schweigt ihr?
„Rühr mich nicht
Sagt, was ihr glaubt!
keine Priesterkirche, sondern eine Laienkirche.
Wir haben
Deshalb muß auch
das Laienwort im gewöhnlichen Leben, im täglichen Verkehr, das
einfache, schlichte Laienwort eine Macht unter uns sein.
Sagt es ohne
Salbung, ohne viel Worte, sagt den Trostlosen, was euch aufrechthält,
den Irrenden, was euch auf den rechten Weg geführt, den Schwachen,
was euch stärkt, den vom Tode Verwundeten, was euch Hoffnung giebt.
Breitet das Wort aus von diesem Kinde!
Soll man aber von diesen Dingen reden, dann muß man sie vor Allem in sich tragen. Erz, wenn
Der größte Redner ist nur ein tönendes
er nicht Selbsterlebtes,
Selbstempfundenes ausspricht.
Nichts nimmt den Menschen das Vertrauen zur Religion so, als angeblich frommes Gerede, hinter dem keine fromme Gesinnung steht. Kirmß, Predigten.
2
18
Laßt uns nach Bethlehem gehen.
Deshalb seid wie Maria!
in eurem Herzen.
Behaltet, was ihr hört zu Weihnachten,
Behalten diese Botschaft von der erlösenden,
tröstenden Liebe Gottes, auch wenn alle Erfahrungen eures Lebens, alle Geschicke widersprechen, auch wenn euch die Menschen sagen: Diese Kunde aus dem Morgenlande bestehe aus morgenländischen
Märchen, Träumen, Phantasien; behalten, auch wenn die liebsten
Hoffnungen deines Lebens vor deinen Füßen hingeweht werden, wie welke Blätter, und deine Wünsche zerschmelzen wie die Schneeflocken auf. der nassen Erde; behalten, wenn menschliche Liebe zerreißt, Gelübde nicht gehalten werden, die Sterne verbleichen, verliert;
die Sonne ihren Schein
behalten, auch wenn der Tod Alles raubt, und all dein
Leben nur
bestimmt scheint,
im
Grabe unterzugehen ohne Auf
erstehung, behalten, behalten bis zum letzten Augenblick! diesem Behalten,
Und neben
der Beständigkeit im Glauben und in der Treue
das Bewegen, das Ergreifen dessen, was man behält, mit dem Gewissen,
mit dem Herzen,
daß es Leben wird.
Du mußt
deinen Glauben bewegen wie einen Edelstein, daß immer neue Farben
aus ihm sprühen, immer neue Strahlen ihm entlockt werden.
Bald
laß deinen Glauben im Gebet emporsteigen, ausruhen am Vater
herzen Gottes, daß er dann neugestärkt wieder niedersteigt zur Erde; bald laß deinen Glauben zur Buße werden, zum Kampf gegen dich selbst; bald wende ihn auf das Leben an, daß er dir den rechten Weg zeigt in der Verwirrung des Daseins; bald wieder denke über
deinen Glauben nach, prüfe, was echt ist, und was abfallen kann, daß dein Glaube immer mehr Gewissenssache werde;
laß
deinen
Glauben bald in Sehnsucht emporfahren zum Himmel, bald wieder auf Erden in schlichtem Thun seine Treue bewähren, bald zurück
eilen in die Vergangenheit, um sich dort zu stärken, dort, wo in der heiligen Schrift, in Christus,
den Aposteln und Propheten seine
Quelle fließt, bald wieder in die Zukunft ziehen, um dort zu schauen
die ewigen Ziele Gottes mit dir und dem Menschengeschlecht. soll die ganze Fülle religiöser und sittlicher Kräfte, sind, in deinem Leben sich bethäügen und darstellen.
Kommt, kommt, laßt uns nach Bethlehem gehen! Amen.
So
die in Jesus
Die Sünde wider den heiligen Geist.
19
3.
Die Sünde wider den heiligen Geist. (In der Epiphanienzeit.) Matth. 12, 31. geben,
Alle Sünde und Lästerung
wird den Menschen ver
aber die Lästerung wider den Geist wird den Menschen nicht
vergeben.
IDenn man dieses Wort einmal gehört hat, so läßt es Einen
innerlich
nicht wieder los.
Eine Menge von Fragen stellt es an
unsern Geist, Fragen, die eine Beantwortung verlangen.
sind es die beiden Fragen:
heiligen Geist? und dann: nicht vergeben werden?
Was ist das,
Vor allem
die Sünde wider den
Warum kann gerade diese Eine Sünde
Glaubt nicht, daß diese Fragen und ihre
Betrachtung mit unserem Leben nichts zn thun haben.
Denn sowohl
die ernste Zeit, der wir jetzt in unserem kirchlichen Leben entgegen gehen, die Leidenszeit Jesu Christi, als auch gewisse Ereignisse in
unseren Tagen, welche die Aufmerksamkeit der Menschen in hohem
Grade beschäftigen — Alles dies giebt gerade diesem Worte Jesu eine
besondere Bedeutung
betrachten,
für uns.
So wollen wir dieses Wort
oder vielmehr wir wollen uns von ihm innerlich fest
halten und beschäftigen lassen.
Wir suchen uns die beiden Fragen wider den
beantworten:
1.
Worin
heiligen Geist?
2.
Warum kann sie nicht vergeben werden?
zu
1.
besteht
die
Sünde
Wie wir um uns her in der Natur den schöpferischen Geist
Gottes walten sehen in seinen wunderbaren Werken, im Lauf der
Gestirne Felsen
wie in dem feinen Bau grünt
des kleinsten Mooses,
oder in der farbenprächtigen Zeichnung
das
am
der Flügel
eines Schmetterlings, so sehen wir in der Menschenwelt, sowohl auf den Höhen der Geschichte wie in den kleinen Dingen des alltäglichen
Lebens den heiligen Geist walten.
Die heilige Schrift erzählt, er sei
mit dem ersten Menschen auf die Erde gekommen; denn Gott blies
chm einen lebendigen Odem ein, nämlich seinen Geist.
Auf den ver
schiedenen Stufen in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit sehen
wir ihn walten, in sehr verschiedenen Formen, aber immer derselbe 2*
20
Die Sünde wider den heiligen Geist.
Geist.
In Davids Psalmen rauscht er wie in Luthers und P. Ger
hardts Liedern, in den Schriften der Propheten wie in denen der
Apostel, im Gesetze Mosis wie in den Seligpreisungen Christi, in Abraham, der hoffend in die Zukunft sah, wie in Simeon, der in
dem Jesuskind die Erfüllung seiner Sehnsucht schaute — überall in Aber alle
sehr verschiedenen Offenbarungen immer der Eine Geist.
seine Kraft und Fülle hat sich zusammengefaßt in Jesus Christus,
dem Sohne, der in sich selbst den ganzen Reichthum der Liebe Gottes und des ewigen Lebens trug, daß der Geist wie Sturm und Feuer von ihm ausging auf seine Jünger.
So
waltet er in der Geschichte,
aber
auch
um uns
her in
Durch ihn wachsen Kinder heran in Reinheit und
unserem Leben.
Wahrheit wie die Schößlinge am Oelbaum, durch ihn sterben Greise in Frieden, wie ein Kind einschläft im Schooße seiner Mutter.
In
Gottvertrauen und Geduld tragen Menschen ihre Last bis ans Ende. Mitten in einer schuldbefleckten Welt, selbst von Sünde angesteckt,
sind doch die, welche von ihm ergriffen sind, selig in der Gewißheit der Vergebung ihrer Schuld.
In der Kraft
des heiligen Geistes
sammelt sich die christliche Gemeinde zur Anbetung Gottes, und in
manchem Herzen glüht sein heiliges Feuer.
Durch ihn bewährt sich
das Wort Gottes als der Hammer, welcher Felsen zerschmeißt, als der fruchtbare Regen, als das milde Oel, welches die Wunden der Herzen
heilt.
Geistes.
So sehen wir um uns her die Werke des heiligen
In ihnen, in seinen Wirkungen wird er sichtbar.
Wie kann es nun geschehen, daß Jemand gegen diesen
heiligen
Geist
sündigt?
Es hat ein Mensch diese Wirkungen
des heiligen Geistes gesehen, selbst an sich empfunden, er hat an alles
Ewige und Göttliche, an Heil und Seligkeit, an alle guten Gaben
und Kräfte dieses Geistes geglaubt, und es hat ihn mächtig hin gezogen zu
diesen
großen Dingen.
Aber da
kamen andere Ein
flüsse von außen her; andere Stimmen klangen in seine Seele; eine andere Hand klopfte an seine Thür als die Hand Gottes, und die
Welt schmeichelte sich ein mit ihrem leichtfertigen Wesen, und alle jene heiligen Dinge
verschwanden vor seinen Augen;
innerungen wurden übertönt von dem Lärm des Lebens.
fromme Er Das Band
ist zerschnitten, welches seine Seele knüpfte an die Welt des heiligen
Geistes.
21
Die Sünde wider den heiligen Geist.
Das ist der Anfang, aus welchem die Sünde wider den heiligen Geist werden stehen.
kann.
Viele Menschen
bleiben bei diesem Anfang
Doch der Weg kann auch weiter führen.
Der
Geist wirkt
von neuem
auf
den
Menschen
ein.
Ein
frommes Wort, welches früher seine Seele bewegt hat, macht ihm das Herz weich,
erweckt in ihm wieder die Sehnsucht nach Gott.
Ein altes Lied, das er als Kind gewußt, damals mit lieben Menschen
gesungen hat, ergreift ihn, und die alten lieben Klänge schweben wie
Engel um seine Seele, mahnend, werbend, aus der kalten Fremde
nach der warmen Heimath lockend.
Er sieht Andere zusammenhängen
in einer Liebe, die stärker ist als alle Trennung, er fühlt selbst in
einer großinüthigen That, die an ihm gethan wird, die Größe der Liebe.
Er sieht, wie Menschen uni des Gewissens, um einer guten
Sache willen Verfolgungen und Kreuz tragen.
Dabei umgiebt Gott
ihn mit seiner Liebe, häuft in seinem Haus Segeu auf Segen, Ge
lingen auf Gelingen, wendet menschliches Irren zuin Guten, läßt aus
Fehlgriffen Erfolge werden.
So arbeitet Gott
durch seinen Geist
an der Seele des Menschen, will sie erwärmen,
beleben,
und es
kommen Augenblicke, wo es den Menschen mächtig hinzieht zu Gott und seinem Reich, zu Christus und seiner Gemeinde. Aber das sind
nur flüchtige Bewegungen.
Bald erhebt sich der Trotz und in diesem
Trotz weist der Mensch mit aller Absicht diese heiligen Einflüsse von sich.
Alles Große und Göttliche, das seine Seele bewegte, bezeichnet
er als Schein.
Täuschung sind ihm die hohen Ziele, von denen die
Menschen reden,
leere Redensarten alle edeln Grundsätze.
ist Wahrheit?" so höhnt er mit Pilatus. heit.
„Was
Es giebt gar keine Wahr
Wahrheit ist mir, was mir gefüllt, was mich ergötzt, was mich
eine Weile unterhält.
herzigkeit?
Was ist Liebe, Gerechtigkeit, Treue, Barm
Leere Worte, mit denen sich die Menschen selbst belügen.
Weiter wird der Mensch getrieben. Er sagt: Was ist Gott? Er redet sich ein: Gott ist ein Name ohne Wirklichkeit, ein Wort ohne Leben, ein über
lieferter Begriff, den man den heutigen Menschen verkündigt, weil es nun einmal so sein soll, an den aber im Grunde Niemand mehr glaubt.
Gewalt, Lüge und Schlauheit regieren die Welt. — Und je mehr der Geist auf die Seele eindringt, je mehr sich in ihm die Ueber
zeugung regt:
Es giebt einen Gott, Christus ist doch die Wahrheit,
Glaube, Liebe und Treue sind nicht nur Wahn,
sondern heilige
Die Sünde wider den heiligen Geist.
22
Wirklichkeit, um so heftiger, höhnischer wird der Widerspruch des Menschen, um so ftevelndcr die Spottrede. Je mehr der Geist auf ihn eindringt, um so tiefer läßt er sich in das Böse hineintreiben. Verhöhnt wird Gott, obwohl man weiß, daß Gott lebt, verhöhnt die Frömmigkeit, die Wahrheit, die Liebe, obwohl man sie erkennt. Seht, das ist die Lästerung wider den heiligen Geist. Und aus der Lästerung kann die That werden. Der Mensch lästert nicht nur den Geist, er sucht ihn auch zu tödten. Er lästert
nicht nur die Wahrheit, sondern er will sie nun auch niederdrücken durch die Lüge, er fühlt an sich den Segen treuer Liebe, aber er stößt sie zurück durch Haß. Er kennt das Recht, aber durch Gewalt sucht er es zu vernichten. Er kennt Gott, aber er kämpft gegen Gott, er sündigt, wie die heilige Schrift sagt, Gott ins Angesicht. Und das Alles nicht aus Unverstand, nicht aus Irrthum, der ja nun einmal menschlich ist, sondern mit klarer Erkenntniß, mit klarem bestimmtem Willen. Er will die Wahrheit tödten, weil es die Wahrheit ist, und die Gerechtigkeit, weil es die Gerechttgkeit ist. Der Mensch lästert Gott, weil er weiß, daß Gott heilige Barm herzigkeit ist; er lästert Christus, weil er ihn als den Heiland der Welt erkannt hat. Eine furchtbare Umwandlung ist in ihm vor sich gegangen. Sein Gewissen ist verkehrt. Der gute Geist ist in ihm begraben, der böse an seine Stelle getreten. Das Böse ist für ihn gut, das Gute für ihn böse geworden. Der letzte Strahl des Gött lichen ist in ihm erloschen. Er freut sich, Böses zu thun; er freut sich zu sehen, wie das Böse in der Welt ttiumphirt. Er liebt das Böse, weil es böse ist, er thut es, weil es böse ist. That gegen den heiligen Geist.
2.
Das ist die
Warum kann die Sünde wider den heiligen Geist
nicht vergeben werden? Ein furchtbarer Ernst liegt in diesem Wort des Herrn. Merkt euch, was das heißt: Eine Sünde mit sich schleppen bis zum letzten Augenblick, bis zum Grabe, sie mit hinüber nehmen in die Ewigkeit, sie durch bte Ewigkeit tragen, sie nie los werden können, so, daß auch Gottes ewige Gnade in Christi Tod nichts über diese Schuld vermag. — Doch ehe wir diesem Gedanken weiter nachgehen, laßt uns zunächst den fteundlichen Trost bettachten,
welchen Jesus neben die ernste Warnung legt: „Alle Sünden können den Menschen vergeben werden." Erst wenn wir
Die Sünde wider den heiligen Geist.
23
dieses Wort verstehen, können wir das andere verstehen, daß die wider
Sünde
den
dem Menschen
Geist
heiligen
nicht
vergeben
werden kann. Wir erkennen hier, wie tief unser Erlöser hinein gesehen hat in die Gnade Gottes,
daß er mit unbedingter Gewißheit sagt:
der uns
diese Verheißung
giebt,
„Alle
Da sehen wir ihn,
Sünden können den Menschen vergeben werden."
wie am Kreuze
sein Haupt sich
neigt, und wie er mit dem Blick unendlichen Erbarmens zu uns niederschaut und hören sein Wort:
So gewiß ich für euch gestorben
bin, so gewiß sollt ihr glauben: „Alle Sünden können den Menschen vergeben werden."
Und über dem Kreuze Jesu sehen wir den Himmel
sich aufthun und sehen die ewige Gnade Gottes, groß, weit und tief
wie
die Ewigkeit selbst,
und
aus
diesem geöffneten Himmel der
Gnade Gottes tönt zu uns die steundliche Botschaft herab:
Sünden
können den Menschen vergeben werden."
„Alle
Und wir sehen
die ganze Reihe menschlicher Sünden an uns vorüber ziehen, die
einen,
welche in unseren Gedanken entstehen,
sich auch in unseren
Gedanken vollziehen, die anderen, die zur That werden und über
den Kreis unseres Lebens hinaus in das Lebell Anderer eingreifen, die Wortsünden, alle die kränkenden, unwahren, verletzenden Worte, die unserem Mund entfliehen, alle die Thatsünden gegen uns und
Andere, die verborgenen und die offenen — und wenn diese Sünden blutroth wären, alle Sünden können den Menschen vergeben werden. Das ist der Wille des gnädigen Gottes.
Die Sünde soll nicht
das Grab sein, in welchem eine unsterbliche Menschenseele untergeht, nicht das Gefängniß, in welchem ein Menschenherz gefangen bleibt
für immer, nicht das Letzte sein für den Menschen, nicht das Ende.
Sondern wie unser Grab nicht nur einen Eingang hat, sondern auch einen Ausgang, so hat auch die Schuld nicht nur einen Eingang,
sondern
auch
einen Ausgang.
Es giebt für
den Menschen
eine
Macht, die viel größer ist als die Sünde, das ist die göttliche Gnade.
Sie hat — es mag wunderbar klingen — auch die Sünde mit aus genommen in ihren Heilsplan.
Der Fall soll zum Auferstehen führen,
die Verirrung zur Heimkehr, die Sünde zur Gnade,
gefühl zum Frieden.
das Schuld
Der verlorene Sohn, der heimkehrt ins Vater
haus, steht nun höher als der, der es nie verließ.
Der Mensch,
der durch Reue und Buße zu Gott zurückgekehrt ist, steht bei Gott
24
Die Sünde wider den heiligen Geist.
höher als der,
der nie die Unseligkeit
empfunden hat.
Deshalb soll Freude durch den Himmel gehen über
des Schuldgefühls an sich
einen Sünder, der Buße thut, vor neunundneunzig Gerechten, die der Buße nicht bedürfen.
geben werden.
Alle Sünden sollen den Menschen ver
So steht es auf der Seite Gottes fest.
Seine Arme
sind ausgebreitet für Alle, die heimkehren wollen; sein Friedenshaus
steht
für Alle
offen.
Und
durch
die Verkündigung
schallt seine Stimme über die Erde:
sollen den Menschen vergeben werden." darum:
Wie steht es auf
Nun handelt es sich aber
Wendet sich
der Seite des Menschen?
von seiner Sünde
der Mensch
seiner Boten
„Kehret wieder; alle Sünden
ab, mit aller Kraft, um sich los
zumachen von seiner sündigen Vergangenheit, thut er in sehnsüchtigem,
gläubigem Vertrauen seine Seele der Botschaft von der Gnade Gottes auf, dann hört er selbst in sich den rechtfertigenden Gnadenspruch
Gottes: Gehe hin; deine Sünden sind dir vergeben, und die Schuld sinkt zurück in die Vergangenheit, und der Friede und die Hoffnung
eines neuen Lebens ziehen in seine Seele ein, in der vorher die an klagenden Gedanken gewohnt hatten.
So ist es Gottes Wille.
Alle
Sünden können den Menschen vergeben werden.
Aber eben damit kommen wir an dem Punkte an, wo es klar werden muß, daß die Sünde wider den heiligen Geist nicht vergeben
werden kann.
Die Gnade Gottes, die Allen vergeben, will, kommt
an einer Grenze an, über die sie nicht schreiten kann, will sie nicht ungerecht werden, das ist der Wille des Menschen. des Menschen,
sonst so schwach, so ohnmächtig,
Dieser Wille
kann der Gnade
Gottes einen unüberwindlichen Widerstand entgegensetzen.
wenn der Mensch
Denn wie,
keine Vergebung will, wenn er das Herz ver
schließt gegen die Gnade Gottes und sein Ohr gegen Gottes freund
liche Stimme, wenn er den lästert, der am Kreuze für die Sünder gestorben ist, und auf die Verkündigung der Gnade Gottes lästernd antwortet:
„Ich will keinen gnädigen Gott haben", wenn er
der Reue und Buße nicht mehr fähig ist, wenn der Glaube,
das
Vertrauen zu Gott in ihm mit der Wurzel ausgerissen ist, wie kann
ihm da Vergebung werden? Sie könnte ihm doch nur aufgezwungen
werden, und geschähe das, so würde sie der Mensch gar nicht ver stehen, sich gar nicht aneignen können.
Wollten Eltern ihrem Kinde,
das sich trotzig gegen alle Verzeihung verschließt, sagen:
„Wir ver-
25
Die Sünde wider den heiligen Geist.
geben dir deine Schuld," das wäre keine Liebe, sondern ungerechte, unwahrhaftige Schwachheit.
Gott
kann aber
und das Heiligthum nicht den Hunden geben. da sein,
kann nur
ungerecht
nicht
und
Er will die Perlen nicht vor die Säue werfen
unwahrhaftig sein.
Vergebung der Sünden
wo Buße und Glaube ist.
Deshalb kann die
Sünde wider den heiligen Geist nicht vergeben werden. Versetzt euch auf die Schnee- und Eisfelder,
Nordpolfahrer gewandert sind.
über welche die
Dort ist keine Spur von Leben.
Tod hat sein Leichentuch über Alles ausgebreitet.
Der
So ist es bestellt
in der Seele des Menschen, der die Sünde wider den heiligen Geist bei sich hat einziehen lassen.
Alles ist kalt und todt, wie unter dem
eisigen Nordwind dort oben, der auch den letzten Rest des Lebens Und nun denkt euch,
tödtet.
man nähme den kostbarsten Samen,
den der ewige Schöpfer auf unseren Fluren wachsen läßt, und trüge ihn dort hinauf und säte ihn aus auf jene Gefilde des Todes, so fehlte jede Möglichkeit einer Verbindung zwischen diesem Samen und
dem Eis und Schnee.
Der starre Tod, der dort herrscht, zöge den
lebendigen Samen alsbald in sein kaltes, dunkles Reich.
So kann
auch der edle Same der Gnade Gottes, den Jesus Christus aus
gestreut hat auf Erden, unmöglich Wurzel schlagen in einem Menschen
gemüth, in welchem unter der Sünde wider den heiligen Geist Alles erstorben ist.
Hier sind getrennte Welten.
Auf der einen Seite die
Sünde wider den heiligen Geist, das Böse um des Bösen willen, auf
der
andern
die Gnade Gottes.
Sie
können nie
zusammen
kommen. Das ist nicht Gottes Schuld und nicht Christi Schuld, sondern
Schuld des Menschen, der keine Gnade will. Und nun:
unmöglich, doch:
Was sollen wir thun?
Wir sagen wohl:
daß wir in diese unvergebbare Sünde verfallen.
Wer da steht, der sehe zu, daß er nicht falle.
Es ist Und
Eine einzige
Sünde gegen die Wahrheit, eine trotzige, verstockte Abweisung treuer menschlicher Liebe kann uns schließlich in die Schlingen des Bösen verstricken, daß wir nicht wieder herauskommen, und da thut sich uns
der Weg auf,
Jesus bezeichnet
der uns
schließlich in die Finsterniß führt, welche
als Sünde wider den heiligen Geist.
Nur dann
können wir sicher sein, daß wir dieser Sünde nicht verfallen können, wenn wir nicht aufhören zu wachen und zu beten,
Gott zu bitten
Eng«S Gewissen und weites Herz.
26
um das Höchste, was er uns giebt, das er aber auch ganz gewiß denen giebt, die ihn darum bitten, nämlich seinen heiligen Geist. Wo er ist, da ist Kampf gegen die Sünde, da ist Reue und Buße, steht immer die Thür
da ist Glaube, und da
offen zur Gnade
Da kann auch zuletzt der Mensch, wenn er am Ende seines
Gottes.
Lebens sich selbst Rechenschaft ablegt,
Trost hin:
in Frieden sterben auf
den
Alle Sünden können den Menschen vergeben werden. Amen.
4.
Enges Gewissen und weites Herz. Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich; und wer nicht
Luc. 11, 23.
mit mir sammelt, der zerstreuet. Marc. 9, 14. Wer nicht wider uns ist, der ist für uns.
9iese beiden Worte Jesu scheinen in scharfem Widerspruch mit
einander zu stehen;
auf.
Und
doch
fast könnte man meinen, eins hebe das andere
können wir uns das nicht denken.
Worte kommen aus demselben Munde, und
Beide Worte stammen aus demselben Geiste
niemals widersprochen.
und
diesem Geiste wohnte
in
Mittelpunkt aus,
Denn beide
dieser Mund hat sich
die
ewige Wahrheit.
Von
einem
von dem Glauben an die Vaterliebe Gottes aus
übersah er die ganze Welt und das ganze Menschenleben.
Deshalb
ist seine Anschauung von Welt und Leben aus Einem Gusse. können sich keine Widersprüche darin finden.
Es
Wir werden vielmehr
sehen, daß beide Worte zu einander gehören, sich gegenseitig ergänzen,
und
daß
gerade
in der Verbindung beider
ein tiefer Sinn liegt.
Wenn man zwei harte Steine gegen einander schlägt, so sprühen die Funken.
scheinen,
Funken
stammen.
Wenn man diese beiden Worte, die harte Gegensätze zu sein in Berührung
des
Geistes,
mit einander bringt, so sprühen auch die
des
großen heiligen Geistes,
aus
dem
sie
Eng«S Gewissen und weites Herz.
26
um das Höchste, was er uns giebt, das er aber auch ganz gewiß denen giebt, die ihn darum bitten, nämlich seinen heiligen Geist. Wo er ist, da ist Kampf gegen die Sünde, da ist Reue und Buße, steht immer die Thür
da ist Glaube, und da
offen zur Gnade
Da kann auch zuletzt der Mensch, wenn er am Ende seines
Gottes.
Lebens sich selbst Rechenschaft ablegt,
Trost hin:
in Frieden sterben auf
den
Alle Sünden können den Menschen vergeben werden. Amen.
4.
Enges Gewissen und weites Herz. Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich; und wer nicht
Luc. 11, 23.
mit mir sammelt, der zerstreuet. Marc. 9, 14. Wer nicht wider uns ist, der ist für uns.
9iese beiden Worte Jesu scheinen in scharfem Widerspruch mit
einander zu stehen;
auf.
Und
doch
fast könnte man meinen, eins hebe das andere
können wir uns das nicht denken.
Worte kommen aus demselben Munde, und
Beide Worte stammen aus demselben Geiste
niemals widersprochen.
und
diesem Geiste wohnte
in
Mittelpunkt aus,
Denn beide
dieser Mund hat sich
die
ewige Wahrheit.
Von
einem
von dem Glauben an die Vaterliebe Gottes aus
übersah er die ganze Welt und das ganze Menschenleben.
Deshalb
ist seine Anschauung von Welt und Leben aus Einem Gusse. können sich keine Widersprüche darin finden.
Es
Wir werden vielmehr
sehen, daß beide Worte zu einander gehören, sich gegenseitig ergänzen,
und
daß
gerade
in der Verbindung beider
ein tiefer Sinn liegt.
Wenn man zwei harte Steine gegen einander schlägt, so sprühen die Funken.
scheinen,
Funken
stammen.
Wenn man diese beiden Worte, die harte Gegensätze zu sein in Berührung
des
Geistes,
mit einander bringt, so sprühen auch die
des
großen heiligen Geistes,
aus
dem
sie
Enges Gewissen und weites Herz. In
dem
ersten Worte
verlangt Jesus
27
von den Seinen Ent
Ihr müßt
schiedenheit: „Wer nicht für mich ist, der ist wider mich."
mir unbedingt angehören, sonst seid ihr gegen mich, so sehr ihr euch
auch mit dem Scheine umgebt, als ob ihr zu mir gehörtet.
In dem
zweiten Worte verlangt Jesus von den Seinen Duldsamkeit.:
„Wer
Ihr habt kein Recht, einen
nicht wider uns ist, der ist für uns."
Menschen von meiner Gemeinschaft auszuschließen, wo ihr nicht aus
gesprochene Feindschaft gegen mich wahrnehmt.
So laßt uns zuerst von der gewissenhaften Entschiedenheit reden, dann von der weitherzigen Duldsamkeit; wir können es auch so ausdrücken:
Wir sollen ein enges Gewissen haben, aber
auch ein weites Herz.
1.
Entschieden ist ein Mensch, der sich entschieden hat über
die Grundftagen seines Lebens:
Was soll mir in meinem Leben das
Höchste sein, mein Gewissen oder mein Vortheil, die Ehre vor Gott
und die Achtung vor mir selbst oder die Ehre vor der Welt, die Gerechtigkeit oder der äußere Gewinu, die Wahrheit oder die Knecht schaft unter den wechselnden Meinungen der Menschen, Worte:
mit einem
Willst du die Welt gewinnen oder Gott gewinnen?
An ihm nehmen wir die Ent
Da tritt Jesus vor dich hin. schiedenheit im höchsten Sinne wahr.
Er kennt nur Eins, was noth
ist: die Menschen zu Gott zu bringen, daß sie in ihm erneuert frei,
selig, Gottes Kinder werden, und andererseits was dazu nöthig ist:
Gott den Menschen nahe zu bringen als beseligende und erlösende Macht, daß in dieser Gemeinschaft der Menschen mit Gott und der Menschen unter einander das Reich Gottes auf Erden sei.
Einen hat er Alles geopfert.
natürlichen Bande
Diesem
Er hat seine Heimath verlassen.
des Lebens halten ihn nicht.
Die
Aus dem stillen
Nazareth reißt es ihn hinaus in den Sturm seiner üefbewegten Zeit, in die Mitte des gährenden Volkslebens. seines Volkes:
Stelle
dich
Zu ihm dringt der Ruf
an unsere Spitze, mache aus Armuth
Reichthum, aus Knechtschaft Freiheit,
aus Mangel Ueberfluß, aus
Steinen Brod,
Es winken ihm Triumphe, die Messiaskrone, der
Messiaschron.
Seine Jünger fragen ihn immer dringender, immer
stürmischer: Wann wirst du das Reich Israel aufrichten?
Alles für das Eine, was noth ist. König machen; er entzieht sich ihnen.
Er opfert
Die Menschen wollen ihn zum Ueberwältigt von seiner Rede
Enges Gewissen und weites Herz.
28
und seiner Erscheinung wollen sie ihn festhälten an Einem Ort; er aber geht weiter, denn er muß auch Anderen seine frohe Botschaft
Er verzichtet auf die Zuneigung der Menschen, die nicht
bringen.
sein ruheloses Leben mit ihm theilen wollen.
Viele, die nur Wunder
und Zeichen sehen wollen, wenden sich ohne Verständniß von ihm Er zieht den Haß der Volksführer auf sich.
ab.
Das Volk verläßt
ihn, die Gluth, die er in die Volksseele geworfen, erkaltet.
Jünger begreifen ihn nicht;
selben sieht er den Tod am Kreuz.
Seine
Am Ende des
sein Weg ist einsam.
Er sieht — das ist der tiefste
Schmerz seiner Seele — daß sein Tod den Untergang seines heiß
geliebten Volkes,
dem er Heil bringen will, nach sich ziehen wird.
Aber er achtet das Alles nicht.
das Eine Ziel.
Seine Augen sind nur gerichtet auf
Alles, was diesem Zwecke dient, erscheint ihm groß.
Alles,
was
klein.
Und als er am Kreuze sprach:
diesem Zwecke widerstreitet,
erscheint ihm
gering und
Es ist vollbracht!
so heißt
Er hat sein ganzes Leben, sein Herzblut, jedes Wort, jeden
das:
Gedanken, jede That bis zuletzt nur dem Einen Zweck seines Lebens
geopfert, und so ist sein Werk in göttlicher Reinheit vollbracht.
Das
ist die Entschiedenheit Jesu.
Deshalb nun,
weil er sein ganzes Leben, seine ganze heilige
Persönlichkeit als Opfer dargebracht hat für die Menschen, deshalb
hat er ein Recht, uns nun auch ganz für sich in Anspruch zu nehmen, von uns zu verlangen, daß wir uns ganz für ihn entscheiden.
Wohl
magst du einen Augenblick staunen, wenn du diese Forderung Jesu
hörst:
Du mußt mir ganz gehören, mit deiner Seele, deinem Ge
müth,
deinem Geist,
deinem Willen und Charakter.
Forderung stellt sonst Niemand außer Gott.
Denn diese
Würde sie sonst von
irgend einem Menschen an euch gestellt, so würdet ihr sie als An maßung zurückweisen. hat,
Nur Jesus, der sich ganz für uns hingegeben
hat das Recht zu sagen:
scheiden.
Du mußt dich ganz
für mich ent
Mir soll deine Liebe gehören, ich will sie heiligen; mir
dein Glück, ich will es weihen;
mir dein Leiden, ich will es sanft
machen; mir deine Arbeit, ich will sie groß machen, sie einfügen in den großen Haushalt des Gottesreichs auf Erden.
Mir soll dein
Herz gehören, damit du darin Gott schaust; mir dein Geist, daß er
ein Tempel
meines Vaters
gehören in Kirche und Welt,
werde.
Dein
ganzes Leben soll mir
auf der Straße und im Heiligthum.
Enges Gewissen und weites Herz. ruft er uns so oft zu:
Deshalb
2S
Entscheide dich.
Wer mir nach
folgen will, der verleugne sich selbst, der sehe nichts als mich.
sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es finden.
es
dem Menschen,
so
er
Schaden an seiner Seele.
ist, der ist wider mich.
die ganze Welt
gewänne,
Und hier sagt er:
Wer
Was hülfe
und
nähme
Wer nicht mit mir
Entscheide dich!
Es ist schlimm bestellt um einen Menschen, der niemals zu einer
Entscheidung kommen kann.
Wenn du einen folgenschweren Entschluß
fassen sollst, beide Wagschalen sind fast gleich, und du schwankst nun hin und her zwischen beiden, und kannst nicht zu einer Entscheidung kommen, so
das ein unseliger Zustand.
ist
Deshalb sind unent
schiedene Menschen ruhelose Menschen, und ihr Inneres ist wie ein Pendel, das hin und her geht. Tag und Nacht keine Ruhe hat.
Und
nichts ermüdet so sehr und braucht unsere Kräfte so schnell auf, als
diese Unentschiedenheit.
Denkt euch, wie rasch ein Mensch ermüdet,
der nicht weiß, welchen von zwei Wegen er wählen soll. den einen eine Strecke,
dann erkennt er,
Er geht
daß dieser falsch ist, er
geht den andern und wird auch da zweifelhaft.
kehrt um,
ermüdet so sehr,
aufgebraucht
gabung
ist
zwischen
verschiedenen Zielen.
zwecklos
worden
So ist's
auch
Nichts
Manche große Be
als solche Unentschiedenheit.
in
dem
Schwanken
im geistigen Leben.
Du lebst bald nach innen, hälft Dich an deine Grundsätze, hörst auf die Stimme deines Gewissens,
deines Glaubens;
bald wieder ver
gissest du den inwendigen Menschen, hörst nur nach außen, auf die
Meinung der Menschen, siehst nur aus deinen Vortheil.
Eine stete
Unruhe treibt dich bald nach innen zu Gott, bald wieder nach außen, in die Welt.
In diesem unentschiedenen Hin und Her wird die beste
Kraft verzehrt, der beste Theil des Lebens. Wie stark und frei dagegen fühlst du dich, wenn du dich ent
schieden hast.
Schon im gewöhnlichen Leben, wenn du endlich nach
langem Schwanken zu einem festen Entschluß gekommen bist, gehst du ruhig und gewiß der Zukunft entgegen.
Und nun erst, wenn
du den einen großen Entschluß gefaßt hast, den Jesus von dir ver
langt.
Sich für Jesus entscheiden heißt ja nicht ins Kloster gehen,
mit saurer Miene alles Große und Gute zurückweisen, was die Welt
darbietet,
und dem Leben ein ganz absonderlich heiliges Gewand
anlegen; denn das Christenthum ist nicht wider die Natur, sondern
Enges Gewissen und weites Herz.
30
es ist Heiligung und Verklärung der Natur.
An Jesus ist nichts
Unnatürliches, Angenommenes, Gemachtes, sondern Alles so natürlich, gerade gewachsen, wie eine Tanne auf dem Berge, festgewurzelt in
der Erde, das Haupt aber gen Himmel gerichtet.
So soll auch an
dir Alles natürlich sein, herausgewachsen aus deinem innersten Wesen,
deshalb auch wahr und echt.
Sich für Jesus entscheiden heißt auch
nicht, sich für eine Partei entscheiden, für eine Richtung.
In jeder
Partei kannst du dich für Jesus entscheiden und Niemand kann dir
dieses Recht nehmen.
Sondern für Jesus sich entscheiden d. h. seine
Gesinnung haben, immer nur das Eine im Auge haben, die Unverletztheit des Geistes, die Freiheit des Herzens in Gott; den Frieden mit Gott haben, Gottes Sache vertreten, so schwer es auch sein mag, immer und überall, auch in den alltäglichen Dingen, sich nur und
mit ganzem Herzen für die Wahrheit entscheiden, wo die Menschen auf beiden Seiten hinken, sich für das Recht entscheiden, wo die Menschen auch nur unmerklich das Recht beugen; wo eine Liebes
pflicht an uns herantritt, seine ganze Kraft in die Erfüllung dieser Pflicht hineinlegen; die Seele rein halten, auch wenn man die ganze Welt dabei verlöre; in aller Sülle, in Reue und Buße, in Gebet
und Glauben das Wesen Jesu hineinbilden in unser Wesen, mitten in der rastlosen Arbeit nach außen ebenso rastlos arbeiten an dem inneren Menschen, daß er immer schöner, immer gottähnlicher werde — das heißt es: Sich für Jesus entscheiden, mit ihm sein.
Entscheidung macht uns wirklich frei.
Diese
Warum sind denn die großen
Männer des christlichen Glaubens, wie Paulus und Luther, warum
sind sie so frei, so furchtlos gewesen vor der ganzen Welt?
Weil
sie die größte Entscheidung mit aller Entschiedenheit getroffen hatten, und weil sie sich nun um nichts mehr kümmerten,
als um ihren
inwendigen Menschen, das Heil ihrer Seele, und sie dieses geborgen
wußten in ihrer Gemeinschaft mit Gott.
Gewiß, solche Leute können
sehr unbequem werden mit ihrer Gewissenhaftigkeit und Entschiedenheit. Aber das sollen sie auch.
Sie sollen das scharfe Salz sein unter
den Menschen, die Menschen auftütteln aus ihrer Feigheit und Unent schiedenheit durch die Frage: Was ist Wahrheit, was ist recht, was ist gut? Ohne diese Entschiedenheit, ohne diese innerste Gesinnungs- und
Gewissensgemeinschaft mit Jesus nützt euch der Christenname und alles
EngeS Gewissen und weites Herz.
31
Bekennen und Singen und Beten, alles äußere fromme Wesen nichts. Gerade diesem äußeren Wesen gegenüber, dem Gewohnheits-, Namen-
und Schein-Christenthum gegenüber gilt das Wort: „Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich."
Jesus
hat
einst in schmerzlichster
Bewegung den Menschen zugerufen: „Warum nennet ihr mich Herr Herr und thut nicht, was ich euch sage?"
Träte er heute unter
seine Gemeinde, so würde er diese Frage wiederholen, würde sagen: „Ihr nennt euch Christen und seid keine Christen." Ihr redet davon,
daß das Christenthum die herrschende Macht in unserem Volke sein müsse, und seid so träge, so lau und gleichgiltig in den Dingen eures
Glaubens, so zurückhaltend im Bekennen, so lässig im Thun.
Ihr
betet, zeigt aber nicht in eurem Leben, daß euer Gebet eine Macht
in euch ist.
Ihr redet von Liebe und übt so wenig Liebe.
schmückt Christus mit den höchsten Namen und Ehren,
Ihr
daß die
Menschen ihn, wie er einst auf Erden gewandelt ist, kaum noch kennen; und ihr vernachlässigt die einfachsten Pflichten, die er euch vorschreibt.
Ihr sprecht das Wort, welches ein wirklich frommer Herrscher einst gesagt hat, gedankenlos nach, daß dem Volke die Religion müsse
erhalten werden, aber ihr wollt selbst nicht fromm sein, sondern die Religion nur als ein Mittel haben, das Volk zu regieren.
Ihr
schwelgt in frommen Gefühlen und geht hin und läßt sie verfliegen
wie Weihrauchwolken.
Ihr habt eure Freude an prächtigen Gottes
häusern und hochragenden Thürmen, aber ihr baut keine lebendigen
Gemeinden auf.
„Was nennt ihr mich Herr Herr und thut nicht,
was ich euch sage?" Dieses Schein- und Wort-Christenthum, das mit Jesus zu sein
scheint, und es doch nicht ist, meint der Herr, wenn er sagt: „Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich."
Es schadet seinem Namen
und dem Ansehen seiner Kirche viel mehr als offener Unglaube.
Warum wenden sich heute so viele Menschen von der Kirche ab? Nicht
um des
Christenthums willen,
das ist unser fester
Glaube, ganz gewiß nicht um des Christenthums willen, sondern um
des Anstoßes willen, den sie an denen nehmen, welche Herr sagen
und nicht thun, was Jesus sagt, den sie an dem frommen Schein ohne frommes Wesen,
an den
frommen Werken
ohne
fromme
Thaten nehmen.
Wer nicht mit mir ist — in seiner Gesinnung und in seinem
Enges Gewissen und weites Herz.
32
Leben — der ist wider mich, und wer nicht mit mir sammelt, der
zerstreut.
2. Dieses Wort Jesu von der Entschiedenheit findet seine Er
gänzung in dem Worte von der weitherzigen Duldsamkeit.
In
dem ersten Wort zieht Jesus den Kreis derer sehr weit, die wider ihn sind, in dem zweiten Wort den Kreis derer, die für ihn sind.
Und doch muß zwischen beiden Worten eine innere Uebereinstimmung stattfinden.
Bei näherem Zusehen finden wir, daß mit der rechten
Entschiedenheit sich die Duldsamkeit verbinden muß. Wahre Duldsamkeit hat ihre Wurzel in wahrer religiöser Ent
schiedenheit.
Ich sage: Wahre Duldsamkeit, d. h. nicht solche Duld
samkeit, welcher aller Glaube überhaupt gleichgiltig ist, sondern die
Duldsamkeit, welche jeden ehrlichen Glauben, jede aufrichtige religiöse
Ueberzeugung achtet.
Wer selbst einen Glauben hat, eine persönliche
Ueberzeugung, einen Gewissensglauben, dem ist dieser Glaube das
Heiligste, und er ist empfindlich gegen jede Entweihung, Verletzung dieses seines Heiligthums durch Andere.
Das aber,
was er be
ansprucht für seinen Glauben, das — weiß er — werden auch Andere für ihren Glauben beanspruchen.
Ich habe Achtung vor meinem
Glauben, deshalb habe ich auch Achtung vor dem Glauben Anderer.
Das ist wahre Duldsamkeit:
Achtung vor dem ehrlichen Glauben
Anderer, die Achtung, welche beruht auf der Achtung vor meinem Glauben, d. h. auf der religiösen Entschiedenheit.
Diese ächte Duld
samkeit kann nur unduldsam sein gegen Eins, nämlich gegen die Unduldsamkeit und was damit verbunden ist, die religiöse Unwahrhafügkeit, die Heuchelei.
Wo aufrichüge religiöse Ueberzeugung ist, da ist wahre Duld
samkeit. gewesen.
Beide Worte Jesu gehören zusammen.
So ist Jesus duldsam
Von der heiligen Höhe seiner unauflöslichen Gemeinschaft
mit seinem Vater sieht er auf die Menschen herab und in die Menschen
hinein, nicht nur mitleidig, sondern mit einem von Liebe und Achtung
erfüllten Verständniß für jedes wenn auch noch so unvollkommene ehrliche Wollen, für alles aufrichüge Suchen nach Gott, für jede
edele Regung, die unter dem Schutt einer äußerlichen Frömmigkeit oder einer schuldbeladenen Vergangenheit noch lebt, für jede Regung des Sündenbewußtseins und der Reue, für jede auftichüge Sehnsucht
nach Versöhnung.
Ja er ist herzenskundig, deshalb ist er der Herzens-
Enges Gewissen und weites Herz. kündiger.
33
kauanäischen Weibe,
das nichts von
Rechtgläubigkeit und jüdischer Gesetzlichkeit wußte:
„O Weib, dein
Er sagt zu dem
Glaube ist groß, dir geschehe, wie du geglaubet hast", und von dem
heidnischen Hauptmann, der sich ihm vertrauensvoll naht: „Solchen Glauben habe ich in Israel noch nicht gefunden."
er die Barmherzigkeit des Samariters,
Deshalb preist
als ob dieser
ein streng
gläubiger Israelit wäre, und seine Jünger, die in fanatischem Eifer
Feuer
wollen vom Himmel regnen lassen auf eine samaritanische
Stadt, straft er:
„Wisset ihr nicht, wes Geistes Kinder ihr seid?"
Deshalb verkehrt er mit den Sündern und Zöllnern, und als ihm seine Jünger erzählen, daß Einer in seinem Namen Teufel austreibe, ohne
ihm nachzufolgen, da spricht er:
für uns."
„Wer nicht wider uns ist, der ist
Am Kreuz segnet er noch den Schächer und betet für
seine Feinde, weil sie nicht wissen, was sie thun. . So schweift sein
Blick weithin über das Ackerfeld Gottes, und neben den hohen reifen
Aehren achtet er auch die niedrig stehende Saat, neben dem klaren
Vertrauen und dem aufgeschlossenen Verständniß auch das ahnende Verlangen nach Wahrheit und Erlösung. Wie ist es bei uns?
Wir müssen leider unter uns vielfach
die Achtung vor fremder Glaubensüberzeugung vermissen.
Vielmehr
auf der einen Seite die Gleichgiltigkeit, für die überhaupt Glauben
ein unverständliches Ding ist und die deshalb auch keine Achtung vor dem Glauben Anderer hat, auf der andern Seite der blinde Eifer gegen Jeden, der sich seinen eigenen Weg sucht zum Himmel und
zu Gott.
Wir sehen bei unseren Glaubensgenossen oft jedes Ver
ständniß dafür fehlen, wie einem heutigen Menschen, der nach Wahr heit und Klarheit
in seinem Glauben sucht, in dem Gewirr der
Meinungen, im Kampfe der Konfessionen zu Muthe sein muß, und so wird oft von beiden Seiten, von den Gläubigen und von den
Ungläubigen über ein ehrliches, auftichtiges Suchen nach religiöser Erkenntniß Hohn und Spott ausgeschüttet.
Man hat's doch zu sehr
in der Christenheit vergessen, daß unser großer Meister das zerstoßene
Recht nicht zerknickt und den glimmenden Docht nicht ausgelöscht hat.
Wo wir außerhalb unserer Kirche wirklich religiöses Leben
sich regen sehen, da sollten wir uns freuen und nicht verdammen.
Der Hochmuth, der mit heuchlerischem Mitleid auf Andersdenkende
herabsieht, äußerlich sie bedauert, aber innerlich sie verdammt, die Kirmß, Predigten.
3
Enges Gewissen und weites Herz.
34
Aufdringlichkeit,
die mit ihrem Bekehrungseifer
>nehr schadet
als
nützt, jenes Pharisäerthum, das immer wieder aufersteht, das vorgiebt,
für Gott zu streiten, sich jedoch nur von seiner engherzigen Herrsch
sucht leiten läßt, — das alles ist ein Hohn Meisters:
auf das Wort des
„Wer nicht wider uns ist, der ist für uns."
So groß
war der Meister; o wie klein sind die Jünger! Es giebt Gott sei Dank unter denen, die dem Christenthum kühl
gegenüberstehen, stets Menschen, von welchen dieses weite milde Wort Jesu gilt, Menschen, die das Gute wollen, nach Wahrheit suchen, sich
abquälen um eine Anschauung vom Menschenleben, die ihnen Frieden brächte.
Warum bekennen sie sich nicht freudig zu Jesus Christus?
Nicht sie allein tragen die Schuld.
Es hat sich leider an das Christen
thum viel Menschliches, Allzumenschliches angeheftet, viele Mißbräuche,
viel Entartung, und alle diese Dinge machen sich so aufdringlich breit in unserem Leben, daß es eines scharfen Blickes bedarf, um dahinter noch das Christenthum in seiner einfachen Größe zu erkennen.
So
kommt es, daß viele Menschen in der heutigen Zeit traurig sagen: Wir können nicht glauben! und gar Manchen mit tiefem Gemüth,
mit ernstem Gewissen, mit edelem sittlichen Streben.
Unsere Kirche
müßte Trauerkleider tragen, daß nicht ohne ihre eigene Schuld Biele der
Besten ihr den Rücken kehren.
Wenn diese Menschen, die sich ungläubig
nennen und von Anderen so genannt werden, wirklich Jesum erkennten,den
Mann, der in der Liebe unterging, der in der Treue für uns sein Leben ließ, der die Menschen so hoch geachtet hat, wie sie nie wieder geachtet
worden sind, den Mann, dessen Leben ewige Wahrheit, dessen Geist
ewiges Licht ist, der Gott und die Menschen umspannt, um sie zu einem ewigen Friedensbund zusammenzubringen — ich sage:
Wenn
jene Menschen Jesum so sähen, als ihren Freund und Bruder, so
wie er wirklich war, und ihr fragtet sie nun:
Seid ihr wirklich
wider ihn? so würden Viele antworten: Er ist ganz anders, wie
wir uns ihn vorgestellt hatten, als die Menschen ihn uns geschildert haben, nein, gegen Den sind wir nicht und Jesus würde zu ihnen sagen: „Kommet zu mir, daß ihr Ruhe findet für eure Seelen! Denn wer
nicht wider mich ist, der ist für mich."
Wenn unter euch solche sind,
von denen das gilt, so mögen sie sich rathen lassen: Vergeßt einmal Alles, was ihr von Menschen über Jesus und seine Nachfolge gehört
habt, nehmt das neue Testament zur Hand und leset die Evangelien,
Die geistige Kraft Jesu.
35
besonders die Bergpredigt, die Gleichnisse,
hört das heilige Herz
schlagen, das darin schlägt, seht die Augen heiliger Liebe auf euch
gerichtet, mit denen Jesus am Kreuze hinschaut über dieses suchende,
dann werdet ihrs, dann müßt ihrs
kämpfende Menschengeschlecht,
empfinden: Es giebt für uns Menschen doch eine Erfüllnng, es giebt
eine Erlösung, es giebt eine Wahrheit, die nie trügt, eine Liebe, die uns nie verläßt, und ihr werdet erkennen:
Wir sind nie wider ihn
gewesen, sondern im Grunde immer für ihn!
Wenn dieser Geist einzöge in unsere Kirche, wie herrlich würde sie sein, ein Hort der Wahrheit, ein Haus des Friedens für alles
Volk.
Herr Jesu, komme bald, erscheine wieder den Menschen in
deiner Herrlichkeit.
Mache
uns fest und
in unserm
entschieden
Glauben an dich; denn wer nicht für dich ist, der ist wider dich. Mach unsere Herzen weit für Alle, die dich suchen; denn, wer nicht wider dich ist, der ist für dich.
Amen.
5.
Die geistige Kraft Jesu. (Passion.) Joh. 12, 20—26.
Es waren
aber
etliche Griechen unter denen,
hinauf gekommen waren, daß sie anbeteten auf das Fest.
zu Philippo,
sprachen:
der von Bethsaida aus Galiläa war,
Herr, wir wollten Jesum gerne sehen.
die
Die traten
baten ihn,
und
Philippus kommt
und sagt es Andreas, und Philippus und Andreas sagten es weiter
Jesu.
Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Zeit ist ge
kommen, daß des Menschen Sohn verkläret werde. ich
sage euch:
Es sei denn,
und ersterbe, so bleibt es allein;
viele Früchte.
wo es aber erstirbt, so bringt es
Wer sein Leben lieb hat, der wird es verlieren; und
wer sein Leben auf dieser Welt
ewigen Leben.
Wahrlich, wahrlich,
daß das Weizenkorn in die Erde falle
haffet,
der wird es erhalten zum
Wer mir dienen will, der folge mir nach;
ich bin, da soll mein Diener auch sein.
und wo
Und wer mir dienen wird,
den wird mein Vater ehren.
Es kann nicht oft genug betont werden, daß die Hauptsache
am Christenthum nicht die Lehre Jesu ist, sondern sein Leben, seine
Persönlichkeit.
Der Glaube, den er uns verkündigt, wird uns erst
3*
Die geistige Kraft Jesu.
35
besonders die Bergpredigt, die Gleichnisse,
hört das heilige Herz
schlagen, das darin schlägt, seht die Augen heiliger Liebe auf euch
gerichtet, mit denen Jesus am Kreuze hinschaut über dieses suchende,
dann werdet ihrs, dann müßt ihrs
kämpfende Menschengeschlecht,
empfinden: Es giebt für uns Menschen doch eine Erfüllnng, es giebt
eine Erlösung, es giebt eine Wahrheit, die nie trügt, eine Liebe, die uns nie verläßt, und ihr werdet erkennen:
Wir sind nie wider ihn
gewesen, sondern im Grunde immer für ihn!
Wenn dieser Geist einzöge in unsere Kirche, wie herrlich würde sie sein, ein Hort der Wahrheit, ein Haus des Friedens für alles
Volk.
Herr Jesu, komme bald, erscheine wieder den Menschen in
deiner Herrlichkeit.
Mache
uns fest und
in unserm
entschieden
Glauben an dich; denn wer nicht für dich ist, der ist wider dich. Mach unsere Herzen weit für Alle, die dich suchen; denn, wer nicht wider dich ist, der ist für dich.
Amen.
5.
Die geistige Kraft Jesu. (Passion.) Joh. 12, 20—26.
Es waren
aber
etliche Griechen unter denen,
hinauf gekommen waren, daß sie anbeteten auf das Fest.
zu Philippo,
sprachen:
der von Bethsaida aus Galiläa war,
Herr, wir wollten Jesum gerne sehen.
die
Die traten
baten ihn,
und
Philippus kommt
und sagt es Andreas, und Philippus und Andreas sagten es weiter
Jesu.
Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Zeit ist ge
kommen, daß des Menschen Sohn verkläret werde. ich
sage euch:
Es sei denn,
und ersterbe, so bleibt es allein;
viele Früchte.
wo es aber erstirbt, so bringt es
Wer sein Leben lieb hat, der wird es verlieren; und
wer sein Leben auf dieser Welt
ewigen Leben.
Wahrlich, wahrlich,
daß das Weizenkorn in die Erde falle
haffet,
der wird es erhalten zum
Wer mir dienen will, der folge mir nach;
ich bin, da soll mein Diener auch sein.
und wo
Und wer mir dienen wird,
den wird mein Vater ehren.
Es kann nicht oft genug betont werden, daß die Hauptsache
am Christenthum nicht die Lehre Jesu ist, sondern sein Leben, seine
Persönlichkeit.
Der Glaube, den er uns verkündigt, wird uns erst
3*
Die geistige Kraft Jesu.
36
durch sein Leben
verbürgt.
Leben Fleisch und Blut.
Seine Gedanken bekommen durch sein
Was uns seine Lehre so überzeugend macht,
das ist seine Gestalt, sein Lebensbild.
Was uns zu Christen gemacht
das sind nicht einige Lehren, die er vorgetragen hat, sondern
hat,
das ist er selbst.
Daher kommt es, was uns sonst unerklärlich wäre,
daß er bei all seiner Demuth in seinen Reden häufig von sich selbst spricht, von sich selbst als dem Meister, dem Messias, dem Gottes
und Menschensohn, dem guten Hirten, dem Licht der Welt u. s. w. Darum hat unser Christenleben seinen Nerv und seine Lebenskraft in
unserem Verhältniß zu Christus selbst.
Es ist deshalb nur natürlich,
daß hier im Gottesdienst gerade davon häufig die Rede ist.
in unserer
heutigen
Erzählung
steht Jesus
die da auftreten, suchen ihn,
Griechen,
Auch
Die
im Mittelpunkt.
möchten ihn sehen.
Das
Weizenkorn, von dem er in seiner Antwort an sie spricht, ist er selbst. Und zuletzt verlangt er von den Menschen, daß sie ihm nachfolgen
sollen.
Wir sehen hier
die 1.
Er zieht
möchten.
2.
zum Leben
Kraft Jesu.
geistige
die
Menschen
an,
daß
sie
ihn
sehen
Er zeigt sich ihnen als der, der durch Tod
3.
hindurchgedrungen ist.
Er zieht
sie zu
sich, daß sie ihm nachfolgen müssen.
1.
Die Griechen kommen nicht etwa aus Neugierde, um einen
Mann zu sehen, von dem viel gesprochen worden ist.
Sondern sie
ahnen, daß hinter der äußeren Erscheinung Jesu viel verborgen sein muß, was sie gern besitzen möchten: Heil, Erlösung, Wahrheit, Liebe,
Friede.
Das ist es, was sie zu ihm zieht.
Es ist die Sehnsucht
der Heiden nach Christus, welche uns hier dargestellt wird.
Griechen, welche Jesum stalten, wie
gern sehen möchten,
sind
die Weisen aus dem Morgenlande,
ähnliche
die von
Die Ge
fernher
kommen, um Jesum zu sehen, wie das kananäische Weib, welches ihm
nachläuft und ihn um Hülfe anruft,
wie der Samariter,
der mit
neun Anderen vom Aussatz geheilt
allein umkehrt und Jesu dankt.
Eine wunderbare Anziehungskraft,
welche
von Jesus ausgegangen
sein muß.
Wenn die
die
alten Propheten
Hoffnung Israels
den
erfüllen sollte,
erwarteten, in welchem sich,
die Zeit,
wo die Himmel
Gerechtigkeit träufeln würden — diesen Weissagungen
und Hoff-
37
Die geistige Kraft Jesu.
nungen lag
auch
das Verlangen zu Grunde:
Wir wollten
gerne
Jesum sehen. Diese Anziehungskraft, welche Jesus auf die Menschen ausübte,
Wenn immer von Zeit zu Zeit in der Kirche
hat niemals geruht.
die Erwartung erwachte, daß Christus bald in sichtbarer Herrlichkeit wieder kommen werde,
die Bösen zn richten, die Guten zu
um
belohnen, die Hoffnungen der Gläubigen zu erfüllen, die Sünde zu
dämpfen,
die Gerechtigkeit zu erhöhen,
die Weinenden zu trösten,
diese bisweilen schwärmerischen Hoffnungen auf die baldige sichtbare
Wiederkunft des Herrn entstanden aus der Sehnsucht: Wir möchten
gerne Jesum sehen.
Die mittelalterliche Kirche hatte den Menschen
Jesum gezeigt als den Himmelskönig,
vor dem das Weltall zittert,
vor dem die Geschlechter der Menschen ihr Antlitz verhüllen müssen,
vor
dem
zuletzt Alles in Staub
und Asche vergehen
erwachte in den Menschen der Widerspruch.
der rechte Christus sein.
nicht
nahmen
entgegen
mit
Da
„Wir möchten Jesum sehen."
das Neue Testament zur Hand,
ihnen Jesus
wird.
Sie sagten: Das kann suchten
darin;
Sie
da trat
voll Erbarmen, mit den
dem Herzen
segnenden Händen, mit dem majestätischen und doch so milden Blicke. Es war den Menschen wie eine neue Offenbarung, als ihnen in der Reformationszeit Jesus wieder als der Heiland entgegentrat. heute regt es sich immer mächtiger in den Menschen:
auch
möchten Jesum sehen." uns
keine Lehre
selbst,
die innere
„Wir
Die Menschen erkennen immer deutlicher, daß
über Jesus,
heiligen Ueberlieferung
Und
stammte,
und wenn sie aus einer noch so uns etwas hilft, sondern nur er
geistige Verbindung
mit ihm,
Leben in unser geistiges Leben überleitet.
die sein geistiges
Wir wollen ihn deshalb
sehen so, wie er wirklich gewesen, gedacht, gefühlt, gewollt hat.
Aus
dem unruhigen Suchen der heutigen Zeit in religiösen Dingen, aus
dieser auffallenden Erscheinung, daß bald hier bald da immer neue
religiöse Bewegungen hervortreten, bisweilen sich selbst sehr unklar, aber doch von einem tiefen Verlangen getrieben, klingt der Ruf her
vor:
Wir möchten Jesum gerne sehen, so wie er wirklich war.
Möchtest auch du ihn sehen?
Wenn du ihn wirklich innerlich
siehst, d. h. verstehst in seinem geistigen Wesen, in seiner göttlichen
Sendung, in seiner rettenden Kraft, da fällt ein neues Licht in deine Seele, und ein neues Leben erfüllt dich, und du wirst seiner Selig-
38
Die geistige Kraft Jesu.
fett gewiß, wirst dessen gewiß, daß du einen Heiland hast, der dich
von jeder Sünde, sie sei noch so mächtig, von jeder Schuld, sie sei
noch so groß,
von jedem Schmerz,
er sei noch so bitter,
erretten
samt, einen Erlöser, dessen Macht bis in die Ewigkeit reicht.
halb zieht es die Menschen so zu ihm hin.
Des
Sie möchten ihn sehen.
Ein Fehltritt, eine trübe Erfahrung, ein schwerer Schicksalsschlag hat dich ganz
daß du dich
aus der Fassung gebracht,
gar nicht mehr
zurecht finden kannst, daß du unsicher wirst darüber, was recht und gut ist und ob es sich überhaupt wirklich lohnt, Liebe und Treue zu halten,
Augenblicken
anzustrengen,
In
solcher inneren Verwirrung möchtest du Jesum sehen,
daß er mit seiner ruhigen Klarheit, Tod dich
sich
an den Menschen etwas zu thun.
verzweifeln möchtest,
Menschen ganz
damit er, der von den Menschen
bis an bin
mit seiner Treue
brächte.
wieder auf den rechten Weg
Wenn du an den
so verlangst du ihn zu sehen,
doch bis zum letzten
verworfen,
Athemzug an die Menschen geglaubt hat, dich wieder an sie glauben Wenn du an Gott irre geworden bist, so verlangst du Jesum
lehre.
zu sehen,
der durch alles Schwere sich nur um so enger mit Gott
verbinden
ließ,
daß er auch dich wieder zu deinem Vater brächte.
Brüste dich noch so sehr mit deiner Kraft, Bildung,
Hand,
deiner Tugend und Gerechttgkeit,
die dich hält,
diesen Heiland,
deiner aufgeklärten
du brauchst doch diese
der dich heilt.
Die geistige
Anziehungskraft Jesu erweckt in allen Menschen das bewußte oder
unbewußte Verlangen: 2.
Wir möchten gerne Jesum sehen.
Als die Griechen nach Jesus fragten, da offenbarte er ihnen
„Es sei denn, daß das Weizenkorn
das Geheimniß seines Lebens.
sterbe, so bleibt es allein; so es aber stirbt, bringt es viele Frucht." Ein
geheimnißvolles Wort.
Halten wir uns, um
dieses Wort zu
verstehen, zunächst streng an das Gleichniß vom Weizenkorn.
Jesus vergleicht sich selbst mit dem Weizenkorn. Ein Weizenkorn
hat sehr wenig Werth.
Merkwürdig:
Fällt bei der Ernte eins
daneben, so wird sich wohl kaum Jemand bücken, um es aufzuheben.
Die Persönlichkeit Jesu dagegen ist das Größte und Herrlichste, was
es auf Erden geringen
giebt.
Weizenkorn.
Gleichwohl Und
in
vergleicht sich Jesus
der
That ist
Weizenkornes auch die Geschichte seines Lebens. Weizenkornes ist dir verborgen.
mit einem
die Geschichte
des
Der Inhalt eines
Auch wenn du es gewaltsam öffnest.
39
Die geistig« Kraft Jesu.
Die Krümchen Mehl, welche
wirst du seinen Inhalt nicht entdecken.
dir entgegenfallen,
sind noch
nicht
sein Inhalt.
Willst du diesen
sehen, so mußt du es von dir thun, in die Erde legen, so daß du nichts niehr
siehst.
ihm
von
Es scheint
eine Zeit, da wächst aus
Aber es kommt
Erde muß es sterben.
Denn in der
verloren.
dem Korn ein Halm hervor, und aus dem Halm bildet sich eine Aehre,
und wiegt sich in der warmen Sommerluft.
Seht,
der eigentliche Inhalt des Weizenkornes gewesen. selbst
in der Erde
dadurch
gestorben ist,
diese Aehre ist
Dadurch, daß es
ist sein Inhalt offenbar
geworden. In dieser Geschichte des Weizenkornes sieht Jesus die Geschichte
Und nicht nur das, sondern er will diese Geschichte
seines Lebens.
zur Geschichte seines Lebens machen.
Wie in dem Weizenkorn die
Keimkraft liegt, so lag in Jesus die Kraft der Liebe und des Lebens, Wie aber das Weizenkorn, wenn es nicht in
das von oben kommt.
die Erde gelegt wird, allein bleibt, ohne Frucht, so wäre auch die Kraft in Jesus
ohne Frucht geblieben,
wenn er sich nicht in den
Tod gegeben hätte, wenn er vor Jerusalem umgekehrt, nach Naza
reth in die Stille
Durch den Tod mußte die
zurückgekehrt wäre.
niedere Hülle seines Lebens gesprengt werden, damit der Inhalt sich segnend
entfalten,
über die Erde
damit
durch
ergösse.
Im Tode
sanfte Gewalt
diese
mußte seine Liebe sich die Macht der Gott
entfremdung unter den Menschen gebrochen würde und die Menschen wieder hingezogen 'würden zu Gott. Im Tode mußte Jesus sein
Panier entfalten, damit sich die um ihn sammelten, welche hungerte
und dürstete
nach der Gerechtigkeit.
Er mußte
sterben,
um
viele
Frucht zu bringen.
Das ist also die Antwort, welche Jesus den Griechen giebt, die
ihn sehen wollten.
korn.
Er sagt: Jetzt bin ich ein unansehnliches Weizen
An mir ist nichts zu sehen, kein Ruhm, kein äußerer Glanz,
keine Berühmtheit in menschlichem Sinne. Griechen mich sehen?
unscheinbares Weizenkorn.
so müssen sie warten.
Weizenkorn in die Erde fallen und sterben,
Aehre sein Innerstes entfalten. ewiges Leben
wollen
diese
Ich bin wie ein
Wollen sie mich sehen, so wie ich wirklich
bin, das, was in mir ist,
als sein
Warum
An mir ist nichts zu sehen.
sich
Erst muß das
dann wird sich in der
Erst da war er wahrhaftig zu sehen, unter
den
Menschen
entfaltete,
als
Die geistige Kraft Jesu.
40
Menschen, von ihm ergriffen, aufstanden zu einem neuen Leben, die
Kinder der Sünde und des Todes Gottes Kinder wurden, als sie sich zusammenschlossen durch seinen Geist in einer Liebe, wie sie die
Welt noch nie gesehen hat, als sie um seines Namens willen in den
Tod gingen, als die Heere des römischen Weltreiches vor ihm ihre Waffen niederlegten, als die Großen der Erde von seiner schlichten Majestät überwunden vor ihm
ihre Kniee beugten,
als ein neuer
Völkerfrühling über die Erde zog, als durch die Kraft Jesu sich das Leben der Menschen erneuerte, ein neues Familienleben sich gestaltete,
Mann und Frau und Kinder als die Genossen derselben Verheißung sich in dienender Liebe
mit einander verbanden,
als Sklavenketten
brachen, eine neue Menschenwelt sich bildete — in dieser Entfaltung
der Kraft Jesu Christi
Jesu gesehen, wie Aehre.
sie
haben die Menschen das Wesen
das eigentliche Wesen
des Weizenkornes sehen in der
Die neue christliche Welt, das ist die Aehre, welche hervor
gewachsen ist aus jenem edlen Weizenkorn, das in
die Erde fiel
und starb. Gehören nicht auch tragen,
wir,
d. h. das Beste, was wir in uns
die Gewißheit der Gnade Gottes, die Lebenskraft in uns,
welche durch alle Schicksale nicht gebrochen werden kann, — gehören
nicht auch wir zu den Früchten, welche
dem Tode Jesu?
Jesus hat gesagt, man
pheten an ihren Früchten erkennen.
hervorgewachsen sind aus
wird die falschen Pro
Auch Jesus will erkannt werden
an seinen Früchten, vor allen Dingen auch an seinen Früchten, die
in uns reifen.
Niederlage
Habt ihr in euch christlichen Glauben, der aus jeder
sich wieder hindurch arbeitet zu Gott,
christliche Liebe,
welche auch da treu bleibt, wo sie keine Dankbarkeit findet, christliche Geduld, welche stärker ist, als jede Prüfung, christliche Hoffnung, die sich durch nichts überwinden läßt, habt ihr in euch etwas von dem ewigen Leben, das-im Tode nicht untergeht — seht, das sind
Früchte, die hervorgewachsen sind aus Christus,
dem Weizenkorn,
welches gestorben ist, um in uns Früchte zu tragen.
An diesen
Früchten erkennt ihr die innere Herrlichkeit, die in Jesus gewesen ist. Durch Grübeln und Streiten über Glaubenssätze, über die göttliche
und menschliche Natur Jesu werdet ihr ihn niemals erkennen; son
dern:
„Christum erkennen," sagt Melanchthon, „heißt seine Wohl
thaten erkennen, nicht sich über seine beiden Naturen streiten."
Die geistige Kraft Jesu. 3.
41
Weizenkörner aber haben die Bestimmung, den Menschen zu
nützen, entweder dadurch, daß sie wieder als Aussaat benutzt werden,
oder
dadurch,
sie den Menschen zur Nahrung
daß
dienen.
So
haben die Menschen, deren inneres Leben als Frucht aus Christus hervorgewachsen ist, die Bestimmung, den Menschen zu nützen und
zu dienen.
Deshalb
sagt Jesus:
„Wer
sein Leben lieb hat, der
wird es verlieren; wer aber sein Leben haßt, der wird es erhalten
zum ewigen Leben." Das ist scheinbar ein widersinniges Wort, thatsächlich aber ein
Wort von fast unergründlichem Tiefsinn, dessen Wahrheit mit Worten vielleicht nie ganz ausgedrückt werden kann, sondern erst dann Einem verständlich
wird,
wenn man sie selbst an sich erlebt.
Wer das
Leben oberflächlich nimmt, meint: Der werde vom Leben am meisten haben, der sein Leben lieb hat, nur an sich denkt, sich selbst der Nächste ist, sich keinen Genuß entgehen läßt, seinem Leben jede Be quemlichkeit
giebt,
die
ihm zugänglich ist,
die Menschen nur zu
seinen Zwecken benutzt, und sich sein Leben durch den Anblick fremder
Noth nicht stören läßt, nur Eine Liebe kennt, nämlich die Liebe zu sich selbst.
Mit Verwunderung und hochmüthigem Spott blicken sie
hin auf die Menschen, die nach ihrer Ansicht thöricht genug sind, nicht nach
dieser Lebensweisheit
der Selbstliebe
thatsächlich sind sie selbst die Betrogenen.
Aber
zu leben.
Trauernd sehen sie jeden
Tag davoneilen, jedes Jahr untergehn; denn sie haben ihr Leben
so lieb.
Sie hassen jede Anstrengung, die ihre Kraft verzehrt, jedes
Leid, das am Marke des Lebens nagt, jeden Menschen, der ihnen
Aufregung verursacht; denn sie haben ihr Leben, ihre Neigungen,
ihre Ruhe so lieb.
Gewiß, du kannst so leben; es giebt Menschen,
die es aushalten, so zu leben, bis zuletzt, bis aufs Sterbelager, auch zuletzt, wenn sie selbst gar nichts mehr sind, gar nichts mehr vom Leben haben, nur an ihr armseliges Dasein denken.
leben.
Du kannst so
Aber es gilt hier das Wort des Paulus: „Es ist mir Alles
erlaubt, aber es frommt nicht Alles."
Was wirklich Leben heißt,
den eigentlichsten tiefsten Inhalt des Lebens wirst du auf diese Weise
von deinem Leben ausschließen, du wirst nie etwas von der reinsten Freude empfinden, die darin liegt> sich mit Andern zu freuen.
wirst niemals
jene Vertiefung
des Lebens
kennen lernen,
darin liegt, daß man mit andern Menschen leidet.
Du
welche
Du wirst nie
Die geistige Kraft Jesu.
42
jene höchste Befriedigung kennen lernen, welche der fühlt, welcher mit Daransetzung seines Herzens und seiner besten Lebenskraft einem andern Menschen
geholfen
Du wirst nichts kosten von den
hat.
Schätzen wahren Glücks, welche Gott der selbstlosen Liebe zur Ver-
theilung an die Menschenkinder anvertraut hat.
Wie das Weizen
korn, das nicht in die Erde gelegt wird, bleibt dein Leben allein,
schrumpft in sich selbst zusammen.
Wenn nun zuletzt dieses Leben,
das du allein geliebt hast, entflohen ist, dann kommst du zu der Erkenntniß, daß du das, was wirklich Leben heißt, nie kennen gelernt
Du hast dein Leben verloren.
hast.
Demgegenüber sagt Jesus: „Wer sein Leben haßt, der wird es
erhalten zum ewigen Leben."
Nicht wahr, das ist eine harte Rede,
aber ein Wort von erschütternder Größe, von unwiderstehlichem Ernst. Was?
Du
sollst
dein Leben hassen?
Ja,
deine Selbstsucht,
in
der die kostbaren Tage deines Lebens, die kostbaren Kräfte deines
Herzens fruchtlos untergehen, sollst du hassen.
Dein Fleisch, mit
seinen niedrigen Trieben, seiner Habsucht, seiner Genußsucht, seinem Neid, dieses Bleigewicht, welches deinen nach Licht sich sehnenden
Geist immer wieder zur Erde niederzieht, deine Bequemlichkeit, welche dein Haupt immer wieder zurücksinken läßt auf das Ruhekissen der
Trägheit — kurz Alles, was deine Lebensentfaltung, die Ausnützung deines Lebens zum Besten der Menschen hemmt, das Alles sollst
du an dir hassen.
Es ist nicht genug, seine Selbstsucht und Trägheit
beklagen, vielleicht auch anklagen, mit einem Seufzer und einem Blick zum Himmel die Schwachheit des Fleisches eingestehen.
Es ist auch
nicht genug, Liebe zu den Menschen fühlen, sich für die Abhilfe der
Noth in der Welt interessiren,
mit Anderen darüber reden.
Du
sollst höher steigen, du sollst deine Selbstliebe, die dir so wohl thut, dich so sanft umfängt, wie deinen schlimmsten Feind hassen.
Nicht
wahr, das ist eine harte Rede? Aber so gewiß das Weizenkorn nur dann Frucht bringen kann, wenn es in der Erde stirbt, so gewiß kannst du nur dann wirklich leben, wenn du dein Leben hassest.
Die Selbstsucht muß sterben, soll die Liebe erwachen.
Die Trägheit
muß sterben, soll lebendiges Schaffen, Helfen, Dienen walten. Fleisch muß sterben,
soll der Geist mächtig werden.
einmal durch die That.
Das
Versuch es
Sprenge einmal in einem bestimmten ge
gebenen Fall die Fesseln deiner Selbstsucht und opfere wirklich ein-
Die geistige Kraft Jesu.
43
mal deine Zeit, deine Kraft einem Menschen, vielleicht einem armen
verlassenen Kinde, einem einsamen Kranken, oder einem Verirrten,
der sich nicht wieder zurechtfinden kann, thue es einmal, dann wird
es dir sein, als wenn du nun erst erkenntest, was Leben heißt, als wärest du dem Winter entflohen und wandeltest durch Frühlings
felder, um dich neues Leben, in dir neues Leben.
Ihr, die ihr noch
jung seid, das Leben noch vor euch habt, faßt euer Leben im Sinne
des Gleichnisses Jesu vom sterbenden Weizenkorn an, gebt euer Leben,
eure Kraft,
euer Herz hin an Eltern und Geschwister, an Volk,
Kirche und Vaterland, an die großen, ewigen Ziele des Lebens, wie reich wird dann euer Leben werden!
Ihr Familien, lebt nach dem
Vorbild des sterbenden Weizenkornes, lasset Hingebung, Selbstlosigkeit
das Grundgesetz eures Lebens sein, welch ein Leben wird sich dann in euren Häusern entfalten! Wenn dieser Geist des sich selbst Ab
sterbens in unserem Volke mächtig würde, welch ein Leben würde sich
in unserem Volke entfalten!
Man erwartet immer viel von
allerlei Gesetzen, von Glaubensgesetzen, Staatsgesetzen, volkswirthschaftlichen Gesetzen, von allerhand Neuordnungen.
Was wir vor allem
brauchen, sind Menschen, Persönlichkeiten,
welche im Sinne
Jesu nicht sich selbst, sondern dem Ganzen leben.
Die schönsten Ver
anstaltungen für Arme, die reichsten Mittel helfen nichts, wo nicht
solche Menschen sind. Gesetze.
Lebendige Menschen sind besser als todte
Und wo solche Menschen gelebt haben, wo eine Mutter
ihren Kindern sich geopfert hat, da erblüht Leben in den Kindern,
die als fromme, tüchtige Menschen das Andenken der Todten ehren,
indem sie in ihrem Geiste leben.
Ein Weizenkorn ist in der Erde
erstorben, deshalb steht nun dort eine so schöne Aehre.
Lasset uns leben, wie es uns Christus zeigt im Gleichniß vom sterbenden Weizenkorn. Erden sein Leben.
Dann leben wir, wie er.
Wir find dann auch, wo er ist.
Wir leben auf Mt ihm sind
wir uns selbst abgestorben, im Tode gewesen; mit ihm werden wir dann auch im ewigen Leben sein beim Vater, herrschen und trium phieren.
Denn „wer sein Leben hasset, der wird es erhalten zum
ewigen Leben.
Wo ich bin, da soll mein Jünger auch sein."
Amen.
Der Tod Jesu.
44
6.
Der Tod Jesu. (Charfreitag.) Marc. 15, 33—41.
Und nach der sechsten Stunde ward eine Finsterniß
über das ganze Land, bis um die neunte Stunde.
Und um die
neunte Stunde rief Jesus laut, und sprach: Eli, Eli, lama asabthani?
das ist verdolmetscht, mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Und etliche,
die dabei standen,
sprachen sie: Siehe, er ruft den Elias.
da sie das höreten,
Da lief einer, und füllete
einen Schwamm mit Essig, und steckte ihn auf ein Rohr, und tränkte ihn, und sprach: Halt, laßt sehen, ob Elias komme, und ihn herab nehme.
Aber Jesus schrie laut, und verschied.
Und der Vorhang
im Tempel zerriß in zwei Stücke, von oben an bis unten aus. Der Hauptmann aber, der dabei stand, gegen ihm über, und sahe, daß er mit solchem Geschrei verschied, sprach er: Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen. Und es waren auch Weiber da, die von
ferne solches schaueten, unter welchen war Maria Magdalena, und Maria, des kleinen Jakobi und Joses Mutter, und Salome. Die ihm auch nachgefolget, da er in Galiläa war, und gedienet hatten, und
viele andere,
die mit ihm hinauf gen Jerusalem gegangen
waren.
So sei uns willkommen, du stiller Charfreitag. Mit deinem heiligen
Dunkel mahne uns zur Trauer um unsere Sünde, die einst auch mit gewirkt hat beim Tode des Herrn. ausgeht
vom Kreuze Jesu,
Mit dem hellen Lichte, welches
wecke in uns fröhlichen Glauben und
selige Zuversicht, daß Jesus nicht umsonst für uns gestorben ist.
Sei
willkommen, liebe Gemeinde; sammle dich heute um deinen Erlöser; siehe, wie er für dich gelitten hat; siehe, was er für dich vollbracht
hat, und frage dich in ernstlicher Prüfung, was du für ihn gethan hast und thun sollst. Wir wollen heute unsere Gedanken sammeln um das Geheimniß des Todes Jesu, und was die Menschen im Laufe der Zeit
beim Anblick dieses heiligen Zeichens empfunden, geglaubt und gehofft haben, wollen wir in klaren Worten auszudrücken suchen.
Es sind
nicht neue Dinge, welche ihr zu hören bekommt; sondern es ist das selbe,
was
euch
von
altersher gepredigt worden ist,
was euren
Vätern gepredigt worden, und was ihr am Charfreitage am liebsten
Der Tod Jesu-
hören
So
wollt.
wollen
wir
45
von
heute
nichts
anderem reden,
als vom
Tode Jesu. 1.
Die tiefe Tydesnoth, in welche er versinkt.
Seligkeit, zu der er uns erhebt.
3.
2. Die hohe
Die große Gemeinde,
die er um sich sammelt. 1.
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich ver
lassen! — Seht da die tiefe Todesnoth, in welche Jesus versinkt. Von Gott verlassen sein, das ist das Schwerste, was einem Menschen Ein solcher Mensch ist in der weiten Welt nur
widerfahren kann.
ein Stäubchen, welches haltlos vom Sturm weit fortgetrieben wird,
wer weiß wohin; wie ein Kind, das keine Hand mehr hat, die es
leitet, keinen Tisch weiß, an dem ihm ein Platz bereitet ist, kein Zimmer, das sich am Abend beim milden Schein der Lampe ihm aufthut, das in dunkler Nacht ohne Weg und ohne Rath auf der
Haide umherirrt, bald hierin, bald dorthin eilt, schließlich übermüdet niedersinkt und
nur
noch das Wehen des Windes und das leise
Flüstern des Grases hört.
euch jemand
war.
Ich wage nicht zu glauben, daß unter
schon einmal in seinem Leben so von Gott verlassen
Ihr habt schwere Stunden gehabt, wo euch Alles zusammen
brach, auch das Sicherste, was ihr auf Erden besaßet.
Aber so
schwer diese Stunden auch sein mochten, eins hattet ihr doch immer
noch: Ihr wußtet im fernen Morgenland ein Kreuz, an welchem Einer für euch gestorben ist, in dem euch eine unwandelbare Liebe
entgegentritt.
Wenn euch alle Welt verläßt, dort wußtet ihr euch
immer eine Zuflucht offen.
Für uns ist es nicht schwer, auch das
Schwerste zu tragen, weil wir in Jesus einen Freund haben, der uns tragen hilft.
Ganz anders bei unserem Erlöser.
den er sich stützen konnte.
wollte ihm helfen.
Er hatte gar Niemand, auf
Niemand glaubte mehr an ihn.
Niemand
Die Aufgabe auf der Seele, das Erlösungswerk
zu vollbringen, muß er ganz allein seinen Weg gehen, ganz allein
angewiesen auf sich selbst.
Trotzhem ist er ohne Zagen seinen Weg
gegangen, stark in Gemeinschaft mit seinem Vater.
Ja wir haben
gesehen, daß gerade durch sein Leiden seine Gemeinschaft mit seinem Vater um so inniger und vertrauter geworden ist.
Der Vater ist
bei ihm gewesen in Gethsemane, vor dem Hohenrath, vor PilatuK
46 und
Der Tod Jesu.
Herodes, unter
Kriegsknechte.
den Mißhandlungen und Schmähungen
der
Seine Seele ist an die vertraute Gemeinschaft mit
Gott gewöhnt, wie ein Kind an den Verkehr mit seinen Eltern; und so wären alle Schmerzen des Kreuzestodes nicht im Stande gewesen,
ihn
aus dieser Gemeinschaft mit Gott herauszureißen,
wenn hier
nicht noch eine neue schwerere Last hinzugekommen und sich auf seine
Seele geworfen hätte.
Worin bestand dieselbe?
Es ist nicht schwer,
die eigene Sünde zu tragen, wenn man den Gott kennt, welcher
Sünden vergiebt; aber sehr schwer ist es, die Sünde und Schande
von Menschen, die man liebt, auf seinem Herzen zu tragen.
Es ist
nicht schwer, traurig zu sein, wenn einem der Quell des göttlichen
Trostes offen steht; aber sehr schwer ist es, das ganze Weh
der
Menschheit in seinem Herzen zu empfinden und dabei fern zu sein vom Troste Gottes.
So hat Jesus, der mit seinem Herzen voll
göttlicher Liebe die ganze Menschheit umfaßte, auf seinem Herzen als Gottes Lamm die Sünde der ganzen Welt getragen, wie
eine Mutter die Sünde ihrer Kinder auf ihrem Herzen trägt; und diese Last war ihm um so schwerer, weil er selbst ganz rein war,
weil auch die leiseste Berührung mit der Sünde ihn schmerzte.
So
wirft sich hier diese ganze Schuld der Welt auf seine Seele, und damit die ganze Unseligkeit, die ganze geistige Finsterniß, welche
Wie eine schwarze Wolke,
diese Schuld der Welt im Gefolge hat.
aus der Blitz und Donner kommt, lagert sie sich zwischen dem Sohn, der immer in der Gemeinschaft mit dem Vater gelebt,
Vater.
Die Finsterniß
der
ganzen Welt faßt sich
und dem
zusammen in
seiner reinen Seele, welche nie von einer Sünde getrübt war.
Mit
dieser Last auf dem Herzen hängt er zwischen Himmel und Erde an
„dem Orte, wo die Schädel bleichen".
Für diesen Schmerz können
wir nur Einen Ausdruck finden, es sind die Qualen der Hölle.
Hier
verstehen wir den Satz des 2. Arttkels: Niedergefahren zur Hölle.
Für
diesen Schmerz
konnte Jesus
nur
Einen
Ausdruck
finden,
indem er das Wort des 22. Psalm auf sich anwendet: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Was ihm diesen Ruf
ausgepreßt hat, ist deine Schuld, du Menschengeschlecht, ist deine
Schuld, o Sünder!
Sünder, gehe nicht an diesem Kreuz vorüber!
Deine Schuld hat er getragen, auch um deinetwillen ist er von Gott verlassen gewesen. Das ist die tiefe Todesnoth, in welche Jesus versinkt.
47
Der Tod Jesu.
Die Leute unter dem Kreuz haben diesen Ausruf gedeutet als einen Ruf nach
Man
Menschenhilfe.
glaubt
aus
dem „Eli"
Elias heraus zu hören, den Namen des größten Kämpfers des alten der vom Gekreuzigten zu Hilfe herbeigerufen werde.
Testamentes,
Aber Elias kann ihm nicht helfen; und wenn sich alle großen Männer
Israels um das Kreuz Jesu sammelten, sie könnten ihm nicht helfen. Die Menschen laufen, als Jesus am Kreuze aufschreit aus tiefster Seelennoth, und
bringen einen Schwamm, der mit Essig getränkt Ein saurer Essigtrank, das
ist, und netzen damit seine Lippen.
ist alles, was die Menschen ihm bieten können.
Denn diese düstere
Stunde kommt über Jesus nach Gottes Rath.
Diese Gottverlassen
heit gehört mit zu seinem Erlösungswerk.
Er mußte versinken in
diese tiefste Noth; denn nur so kann er für uns der Erlöser werden aus
tiefster
Noth.
Er
den tiefsten Schmerz
mußte
schmecken, um uns die neue Gerechtigkeit zu bringen.
der Sünde
Er mußte von
tiefster Finsterniß umgeben sein, damit er für uns würde das Licht
der Welt.
Er mußte von Gott verlassen sein, damit wir auf ewig
mit Gott vereint würden.
2.
Das
welcher
uns
führt uns
weiter
Tempel reißt entzwei.
Die Worte des Evangeliums sind
Geist und Leben.
Der Vorhang,
zerreißt,
alte
thum
Zeit
Israels sinkt zusammen.
nämlich
das
Herz
aufgethan, und
Gottes,
zwar
Seligkeit, zu
hohen
erhebt. — Der Vorhang im
Bleibt hier nicht mit euern Gedanken an
der äußeren Thatsache haften. d. h. die
der
zu
Tod Jesu
der
ist
der das Allerheiligste verdeckt, abgeschlossen,
das
Das Allerheiligste
seine
erbarmende
aufgethan für Alle,
alte Heiligder Religion,
Liebe
ist
nun
und aufgethan für
immer.
Es ist aufgethan.
Der Mensch hat einst Gott gesucht in der
sichtbaren Welt, im Hellen Schein der Sonne, im Wehen des Windes,
im Rauschen des Meeres, und fiel nieder auf sein Angesicht und sprach: Hier ist Gott; und doch war alles, was er für Gott hielt,
nur der Vorhang, der Gott verhüllt. Er hat das Göttliche darzustellen gesucht in Göttergestalten von unvergänglicher Schönheit, und hat
diese Götterbilder aufgestellt in Tempeln mit weiten Säulenhallen,
und
hat angebetet und gesagt in heiligem Schauer: Hier ist Gott;
aber auch alle diese Götterpracht war nur der Vorhang, welcher Gott
48
Der Tod Jesu.
verhüllte.
Der Mensch hat das selbst gefühlt und so hat er zu seinen
schärfsten Gedanken gegriffen, und hat mit den schärfsten Begriffen Gottes Wesen zu bestimmen gesucht.
Wie der Adler zum Himmel
emporsteigt und dort immer weitere und weitere Kreise zieht, so sind die scharfen Gedanken der Menschen emporgestiegen, und haben in
weitem Fluge Gottes Unendlichkeit und die Tiefe seiner Weisheit zu umkreisen gesucht; aber alle diese Weisheit der Weisen war doch nur
der Vorhang, hinter welchem Gott ist.
Und selbst was das alte
Testament von Gott sagt, über seine fleckenlose Heiligkeit und Ge
rechtigkeit, über sein Gesetz — das war alles nur der Vorhang, der Da kam endlich
Gott verhüllt.
die Stunde der Erfüllung; vom
Kreuze schaut Christus auf uns herab; da ist der Vorhang zerrissen.
Es kann ja hier nur ausgesprochen werden, was schon tausendmal ausgesprochen worden ist, das euch aber, so gut ihr es auch wißt,
nichts nützt,
wenn ihr es euch nicht glaubend aneignet.
das Allerheiligste unseres christlichen Glaubens enthüllt.
Hier ist
Diese Liebe
Jesu, die steiwillig in den Tod geht, ist der Abglanz des innersten Wesens
Gottes, des Allerheiligsten in Gott, der göttlichen
Liebe, welche uns selig machen will nicht um unserer Verdienste willen,
sondern allein durch Gnade.
Sprecht nicht so gedankenlos hin: „Also
hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab", sondern stellt euch heute unter das Kreuz, seht diesen Mann, der
die Verdammniß der Welt auf seine reine Seele genommen, der um unsertwillen die Qual der Gottverlassenheit erlitten hat, seht seinen Todeskampf, seht sein Haupt sich neigen — das ist das sichtbare
Abbild der ewigen Liebe Gottes.
ist die Liebe Gottes.
So groß und noch viel größer
„Also hat Gott
seinen eingeborenen Sohn gab."
die Welt geliebt, daß er
Wenn du hier nicht glauben lernst
an den Vater, der sich zu seinen Kindern herniederneigt, daß der Sünder nicht sterbe, sondern sich bekehre und lebe, so lernst du es
niemals glauben.
Gehe nicht vorüber, hier wirf deine Schuld nieder,
hier ruhe dich aus, wenn die Welt dich geängstigt hat, hier lege dich nieder in der Todesstunde!
Hierher, mein Erdenpilger, hier halte süße Rast;
Hier wirf dem Sündentilger zu Füßen deine Last.
Dann geh und rühme selig, wie wohl dir dort geschah;
Der Weg zum Paradiese geht über Golgatha.
49
Der Tod Jesu.
Im Kreuze Jesu Christi ist Gottes Offenbarung vollendet.
Gott
ist Liebe, Gnade, Erbarmen. Der Vorhang ist zerrissen. Er ist zerrissen für Alle. Einst durfte nur der Hohepriester das Allerheiligste betreten, um da durch das Opferblut eines Thieres die Versöhnung zwischen Gott und dem Volke herzustellen. Diese Versöhnung konnte nur durch diesen Einen geschehen. Er war der Mittler zwischen Gott und den Menschen. An seine Stelle ist nun Jesus getreten. Er ist der wahre, ewige Hohepriester; denn er hat allein das Opfer gebracht, das vor Gott und für die Menschen Werth hat, nämlich er hat sich selbst geopfert und uns damit ge
zeigt, wie lieb uns Gott hat. Damit hat er uns Allen ohne Unter schied den Weg zur Liebe Gottes geöffnet. Allen ohne Unterschied.
Damit hat er die Vorrechte jeglicher Priesterschaft Beseitigt. Wir brauchen nun nicht mehr und dürfen uns nicht mehr auf Menschen verlassen, damit sie unsern Verkehr mit Gott regeln, sondern wir haben nun alle durch Christus, unsern einigen Mittler und Hohen priester, den Zugang zur Gnade Gottes, und sollen nun selbst ohne menschliche Vermittelung als Priester aus Gottes Hand Gnade, Ver gebung, Frieden empfangen. Hinweg, ihr Priester; hier ist Christus, unser wahrer Hohepriester, und durch ihn sind wir alle, die wir durch den Glauben an ihm theilhaben, Kinder Gottes, Priester des Allerhöchsten geworden. Hinweg, ihr Heiligen, die ihr euch zwischen Gott und die Menschen stellt; hier ist Christus, unser alleiniger Helfer, der uns ohne euer Zuthun zum Vater bringt. Unter dem Kreuz Christi ist die wahre Freiheit von aller menschlichen Autorität
in Glaubenssachen; Christus allein ist unser Meister, der euch Alle Unter dem Kreuze Christi ist die wahre Gleichheit; hier darf kein Mensch, und wenn er einen Kardinals
zum Vater bringen will.
hut oder die päpstliche Krone trüge, zu dem andern sagen: Du kannst nur dann selig werden, wenn du glaubst, was ich glaube,
und thust, was ich dir vorschreibe; sondern hier sind Alle gleich. Alle Brüder; das einzige, was den einen über den andern stellen kann, ist die Kraft des Glaubens, die Innigkeit des Vertrauens, die Hingebung der Bruderliebe; davon abgesehen sind wir Alle gleich, haben Alle das gleiche Recht des Zugangs zum Vater. „Ihr seid das königliche Priesterthum." Der Vorhang ist für Alle
zerrissen. Kirmß, Predigten.
4
Der Tod Jesu.
50
Wann du auch kommen magst,
Und er ist zerrissen für immer.
die Thür zur Gnade Gottes, die Christus aufgethan hat, steht immer offen;
du magst in der Kindheit
kommen, oder im
Lebens, oder in deiner letzten Stunde.
am Kreuz:
Kampf des
Jesus sagt zu dem Schächer
„Heute wirst du mit-mir im Paradiese sein."
Dieses
Heute kann für dich immer sein, so oft du willst, so oft du kommst. Kommst du schuldbeladen mit reuigem Herzen, die Thür steht offen. Brauchst du im Lebenskampf die tragende duldende Liebe, die Thür ist offen, daß du sie findest in der Gemeinschaft mit deinem himm
lischen Vater.
Kommst du in schwerer Noth, die Thür ist offen,
durch welche du aufwärts steigst, bis dir aus dem Heiligthum das
Licht der Gnade Gottes entgegenstrahlt, und die Stimme des Vaters zu dir klingt:
„Ich will dich nicht verlassen."
Kommst du in der
letzten Noth, „wo dir am allerbängsten wird um das Herze sein",
die Thür ist offen,
durch
die du eingehst in des Vaters Haus.
Keine Noth, keine Schuld, auch nicht der bittere Tod vermag dir
diese Thür zuzuschließen. So oft du kommst mit gläubigem Vertrauen, klingt dir vom Kreuze das Wort entgegen: „Heute wirst du mit mir
im Paradiese sein."
Der Vorhang ist für immer zerrissen. — Weise
werden kommen und allerhand tiefsinnige Lehren aufstellen über Gott und
göttliche Dinge, aber das Licht
Tode Jesu wird niemals verblassen.
der Offenbarung Gottes
im
Die Menschen gehen am Kreuze
vorüber, spottend wie damals; aber das Kreuz leuchtet weiter von Jahrhundert zu Jahrhundert, wie die Sonne leuchtet, gleichviel ob
die Menschen den Straßenstaub gegen sie aufwerfen oder nicht.
Es
werden Leute kommen mit dem Anspruch, Stifter neuer Religionen zu sein; aber spart eure Mühe, ihr Neuerer; eure Arbeit ist umsonst;
was hier gethan werden kann, ist gethan; es ist vollbracht.
Offenbarung Gottes ist vollendet. 3. So sammelt sich denn
Die
Der Vorhang ist zerrissen.
um
das Kreuz
eine große
Gemeinde. — Hier beugt sich vor der Majestät des gekreuzigten
Christus die stolze Kraft des Mannes.
Es ist ein Hauptmann,
der mit seinen Soldaten, wie es üblich war bei einer Kreuzigung, Wache gehalten hatte.
Er gehörte zu dem stolzen römischen Heer,
unter dessen Füßen die Erde zitterte; er hatte manchmal dem Tode ins Auge gesehen; er hat schon manchen sterben gesehen auf blutigem
Schlachtfeld; aber so hat er noch keinen sterben gesehen, wie dieser
Der Tod Jesu.
Mann am Kreuz gestorben ist.
51
Da ruft er aus: „Wahrlich, dieser
So spricht dieser Mann das Bekenntniß
ist Gottes Sohn gewesen."
aus, das im Laufe der Zeit in der christlichen Kirche mit sehr ver schiedener Betonung ausgesprochen worden ist und sehr verschieden
gedeutet worden ist, aber immer das Grundbekenntniß der christlichen Gemeinde
Von
gewesen ist.
all den tiefsinnigen Lehren, welche
späterhin die Kirche über die Gottessohnschaft Christi aufgestellt hat, und über welche die Christen sich heute wieder streiten, hat dieser Heide Es sind nur dunkle Empfindungen, welche
jedenfalls nichts gewußt.
ihm diesen Ausruf auf die Lippen treiben, aber Empfindungen, die
ewig wahr sind.
Er sagt sich: Vor der Tapferkeit dieses Gekreuzigten
erblaßt die Tapferkeit der römischen Helden; vor dieser Liebe, die
auch sterbend noch segnet, erbleichen alle Tugenden der heidnischen Welt; vor dieser Kraft, welche
dieser Mann
am Kreuze
auf die
Menschenherzen ausübt, ist die Kraft des römischen Heeres nichts. Er fühlt es, wie von diesem Kreuz ein Zittern ausgeht, das sich
fortpflanzend zum Erdbeben wird, die heidnische Götterwelt ergreift, daß sie zusammenstürzt.
„Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen."
— Vielleicht ist dieser römische Hauptmann ein Germane gewesen. Denn Germanen dienten damals in dem römischen Heere im Morgen lande.
Was sehen wir da! Die Germanen stürmen mit ihrer jugend
lichen Kraft auf den Schauplatz der Weltgeschichte und zertrümmern
das römische Reich.
Auf einmal begegnet ihnen auf ihrem Sieges
zuge das Bild von Golgatha.
Da halten sie inne, stehen sinnend
still, mit ihrem tiefen Dichten und Denken versenken sie sich in dies
Bild, beugen vor ihm ihren starken Nacken: „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen."
Und ihre Kraft, die sich geheiligt hat in
der Verbindung mit dieser
höchsten Kraft
Schöpferin einer nenen Zeit geworden.
des
Kreuzes, ist die
Vor dem Kreuze Christi
beugt sich die stolze Kraft des Mannes.
Hier hat sich das Wort des Jesaia erfüllt: „Ich will ihm die
Starken zum Raube geben."
"duldende Sanftmuth! nur
für Frauen und
O seht in Christus
nicht nur die
Sagt nicht, das Christenthum sei eine Religion
Kinder und stille Dulder,
starke thatkräftige Männer!
aber
nicht
für
Verlangt ihr Charaktergröße zu schauen,
die sich nicht vor Menschen beugt jnoch fürchtet vor der Mißgunst der Welt, wollt ihr Thatkraft sehen, die muthig eingreift in die 4*
52
Der Tod Jesu.
Entwickelung der Zeit, den Hochmuth demüthigt, die Demuth erhöht — fragt
euch
selbst:
Wo findet
ihr diese
Charaktergröße, diese
Tapferkeit und Furchtlosigkeit, diese höchste Kraft, welche die Welt bezwingt, wo findet ihr alles das, wenn nicht in dem Manne am
Kreuz, vor dem der stolze Römer und der starke Germane ihre Kniee gebeugt haben?
Hier ist der Freieste unter den Freien, der
nur Gott Unterthan war, der Tapferste unter den Tapferen, der sich vor Sünde und Tod nicht gefürchtet hat.
Haupt vor diesem Einen:
Neigt, ihr Männer, euer
„Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn ge
wesen."
Unter dem Kreuze sehen wir neben dem römischen Hauptmann
eine Anzahl Frauen.
Wir kennen sie schon von Galiläa her.
Dort
haben sie Jesum gesehen und sein Evangelium gehört und haben
gefühlt, wie von ihm eine wunderbare Kraft ausging, daß sie ihm nachfolgen mußten.
Sie sind ihm nachgefolgt, als er nach Jerusalem
ging, der Stadt des Todes.
Sie sind ihm nachgefolgt,
als die
Jünger flohen, die starken stolzen Männer; sie haben vielleicht mit gestanden unter den Töchtern Jerusalems, die um Jesum weinten, als er sein Kreuz nach Golgatha trug.
Als sie ihn alle schmähten
und ihm fluchten, da sind sie still bei ihm geblieben und haben sich nicht vor der wüthenden Menge gefürchtet, haben keine Angst gehabt,
daß
man zu ihnen sagte,
wie zu Petrus im Palast des Hohen
priesters: Ihr seid auch mit Jesu von Nazareth gewesen.
Sie sind
bei ihm geblieben, auch als Joseph von Arimathia Jesus vom Kreuze nahm, und
als der König aller Könige zu seinem Grab getragen
wurde, da haben sie allein ihm das Geleite gegeben. Seht, ihr Frauen, das sind eure Vorbilder, das ist die Treue
bis an den Tod, welche Jesus in den Herzen der Frauen erzeugt. Das ist die stille Treue, die es nicht gelüstet, eine Rolle in der
Oeffentlichkeit zu spielen, sondern die ihr Glück darin findet, ganz in der Stille, unbeachtet von der Welt in den Ihrigen Gott zu dienen
und ihr ganzes Leben in der Erfüllung der kleinsten Pflichten zu verbringen.
Das ist die Frauentreue, die in der Verborgenheit
des Herzens ihr Reich hat und sich immer wieder nährt durch den
Aufblick zu Christus, der treu war bis an den Tod, die auch an den verlorenen Sohn noch glaubt, wenn der Zorn des Vaters schon längst den Glauben aufgegeben hat, die auch da, wo sie mißachtet
Die Auferstehung Jesu.
53
wird, wo sie trotz aller Geduld geschmäht und gescholten wird, aus hält um Gottes willen. Von diesen Frauen im Evangelium lesen wir sonst nichts; man nennt sie nicht unter den „berühmten" Frauen. Nur diesen einen Ruhm haben sie, daß sie treu gewesen sind bis an Len Tod, daß von ihnen das Wort des Liedes gilt: „Ich will hier
bei dir stehen, verachte mich doch nicht." Trachtet auch ihr, ihr Frauen dieser Zeit, nach diesem Ruhm? Das ist eure wahre Größe.
Die Welt sieht sie nicht, aber Gott; in der Welt bleiben eure Namen
unbekannt; aber Gott schreibt sie ein in das Buch des Lebens. So sammelt sich unter dem Kreuz eine große Gemeinde. Da kommt die stolze Männerkraft und die stille Frauentreue. Wo beides sich vereinigt, da ist die wahre Gemeinde Jesu, das priesterliche Volk der Kinder Gottes, welches erlöst und geheiligt ist durch das Lamm, das erwürget ward. Amen.
7.
Die Auferstehung Jesu. (Ostern.)
Apostelgeschichte 2, 32. Diesen Jesus hat Gott auferwecket, deß sind wir Alle Zeugen. 9ie Nacht ist vergangen, der Tag aber herbeigekommen.
Char-
freitag und Ostern — in diesen beiden Festen stellen sich uns die großen Gegensätze des Lebens dar. Dort die Dunkelheit, die sich zur Erde niederließ, hier das selige Licht, die Ostersonne, die der Erde leuchtet; dort die tiefste Trauer, hier die seligste Freude; dort
die schmachvollste Niederlage, hier der herrlichste Sieg; dort das Trauerlied: „O Haupt voll Blut und Wunden", hier der Triumph gesang: „Ueberwinder, nimm die Palme; Halleluja, Jesus lebt". Dort
die trauernde Gemeinde, welche klagt: „Was du, o Herr, erduldet, ist alles meine Last", hier die jubelnde Gemeinde, welche singt: „Tod, wo ist nun dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg?" So komme, liebe Ostergemeinde, wie du unter dem Kreuz deines Herrn gestanden hast, so sammle dich nun um den Auf-
Die Auferstehung Jesu.
53
wird, wo sie trotz aller Geduld geschmäht und gescholten wird, aus hält um Gottes willen. Von diesen Frauen im Evangelium lesen wir sonst nichts; man nennt sie nicht unter den „berühmten" Frauen. Nur diesen einen Ruhm haben sie, daß sie treu gewesen sind bis an Len Tod, daß von ihnen das Wort des Liedes gilt: „Ich will hier
bei dir stehen, verachte mich doch nicht." Trachtet auch ihr, ihr Frauen dieser Zeit, nach diesem Ruhm? Das ist eure wahre Größe.
Die Welt sieht sie nicht, aber Gott; in der Welt bleiben eure Namen
unbekannt; aber Gott schreibt sie ein in das Buch des Lebens. So sammelt sich unter dem Kreuz eine große Gemeinde. Da kommt die stolze Männerkraft und die stille Frauentreue. Wo beides sich vereinigt, da ist die wahre Gemeinde Jesu, das priesterliche Volk der Kinder Gottes, welches erlöst und geheiligt ist durch das Lamm, das erwürget ward. Amen.
7.
Die Auferstehung Jesu. (Ostern.)
Apostelgeschichte 2, 32. Diesen Jesus hat Gott auferwecket, deß sind wir Alle Zeugen. 9ie Nacht ist vergangen, der Tag aber herbeigekommen.
Char-
freitag und Ostern — in diesen beiden Festen stellen sich uns die großen Gegensätze des Lebens dar. Dort die Dunkelheit, die sich zur Erde niederließ, hier das selige Licht, die Ostersonne, die der Erde leuchtet; dort die tiefste Trauer, hier die seligste Freude; dort
die schmachvollste Niederlage, hier der herrlichste Sieg; dort das Trauerlied: „O Haupt voll Blut und Wunden", hier der Triumph gesang: „Ueberwinder, nimm die Palme; Halleluja, Jesus lebt". Dort
die trauernde Gemeinde, welche klagt: „Was du, o Herr, erduldet, ist alles meine Last", hier die jubelnde Gemeinde, welche singt: „Tod, wo ist nun dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg?" So komme, liebe Ostergemeinde, wie du unter dem Kreuz deines Herrn gestanden hast, so sammle dich nun um den Auf-
54
Die Auferstehung Jesu.
Preise aber nicht nur seinen Sieg, sondern nimm an
erstandenen.
Christus hat die Beute davongetragen, damit er sie
demselben theil.
den Seinen mittheile.
Christus lebt, auf daß wir mit ihm leben.
Er hat gesiegt, damit er uns aus der Nacht der Sünde und des
Er ist auferstanden, auf daß wir
Todes hinaufführe zum Leben.
mit ihm auferstehen.
Er lebt, und wir sollen auch leben.
„Gott hat Jesum auferwecket, deß sind wir
Unser Text sagt: Alle Zeugen."
Jerusalem.
Das ist ein Wort aus einer Predigt des Petrus in
Petrus beweist, daß Jesus der Messias ist, indem er
darauf hinweist,
Gott ihn
daß
hat.
auferwecket
Und
für
das
letztere wieder beruft er sich darauf, daß sie, die Jünger, Zeugen der Auferstehung Jesu seien.
Sie selbst, so sagt Petrus, haben den
Herrn als den Auferstandenen gesehen.
Aber nicht dadurch allein wurden die Jünger Zeugen der Auf Das allein hätte ihnen
erstehung Jesu, daß sie ihn äußerlich sahen. nichts genützt.
Sondern Christus hat als der Lebendige ihre Seelen
ergriffen, sie mächtig emporgeführt aus Verzweiflung und Todesnoth
zu neuem Leben in seiner Gemeinschaft.
Sie
haben seine Auf
erstehungsmacht an ihrer Seele empfunden; sie haben es selbst an
sich erfahren, daß er die Auferstehung und das Leben ist.
geworden
waren neue Menschen
durch
ihn;
Sie
die Nacht war ver
gangen, der Tag herbeigekommen; das alte war dahin, es war alles neu geworden.
So sind die Erzählungen der Evangelien von den Erscheinungen des Herrn
Darstellungen
erstandenen
Christus
der
ausgehen
Wirkungen,
auf die
welche
Seinen.
von dem
auf
Dieselben
sind
sehr verschieden je nach den verschiedenen Bedürfnissen der Jünger;
wir sehen dabei die Jünger trauernd, hoffend, glaubend, zweifelnd,
suchend und verlangend.
Und jedesmal ist auch die Wirkung, welche
der Auferstandene auf sie ausübt, eine andere. Laßt uns heute Ostern feiern, indem wir jene Erzählungen von
der Erscheinung des auferstandenen Christus vor seinen Jüngern be trachten, und daraus ersehen, welche Wirkungen ausgehen von dem
auferstandenen Christus, oder mit anderen Worten:
Wir alle sollen Zeugen der Auferstehung Christi sein.
Die Erscheinungen Jesu begleiten die Jünger von den höchsten Höhen des Lebens bis in das einfachste alltäglichste Leben.
Zuerst
Die Auferstehung Jesu.
55
offenbart er sich ihnen in seiner höchsten Herrlichkeit als der ewige Sieger über Grab und Tod; dann tritt er ihnen immer näher und näher, bis er schließlich auch im alltäglichen Leben der Ihrige wird. In dieser Reihenfolge laßt uns jetzt die Oster-
geschichten betrachten. 1. Denen, die in den Schatten des Todes wandeln, offenbart er sich als der Sieger über Grab und Tod. Da kommen am Ostermorgen, ganz ftüh, als alles noch schläft, die Frauen, die ihn am Charfreitag Abend zur Ruhe geleitet haben, und
suchen ihn im Grabe, aber sie finden ihn nicht. Es sind weich em pfindende Gemüther, die leicht von der Gewalt des Schmerzes ganz hingenommen werden. So sehen sie nichts als dieses Grab, dieses leere Grab, in welchem alle ihre Hoffnung, ihre Liebe und ihr Friede untergegangen ist. Wohin sie blicken, sehen sie dieses Grab, die ganze Welt ist ihnen mit einem Leichentuch verhüllt, überall der Tod, überall die Vergänglichkeit. Auf einmal aber fällt ein Licht in diese Nacht der Traurigkeit. Schon am Grabe haben sie eine Botschaft vernommen, die, obwohl noch nicht verstanden, doch ihnen das Herz tief bewegt hatte: Der, den ihr sucht, lebt. Auf einmal steht er vor ihnen, er grüßt sie, ruft sie bei Namen, mahnt sie, nicht mehr zu weinen, und sagt ihnen: „Ich fahre auf zu meinem Vater und zu euerem Vater, zu meinem Gott und zu euerem Gott," und die eben noch beherrscht waren von den furchtbaren Schrecken des Todes,
sehen nun auf einmal vor sich den starken Helden, der dem Tode den Fuß auf den Nacken setzt, und sie hineinblicken läßt, in die lichte
Ewigkeit als in seine und der Seinen Heimath. So kommen auch über uns bisweilen alle Schrecken des Todes, auch wenn nicht gerade der Tod einmal in unserem Hause Einkehr gehalten hat.
Die Vergänglichkeit, durch die wir wandern, umgiebt
uns bisweilen, wir wissen nicht warum gerade in diesem Augenblick,
mit allen ihren Schatten. Wir fragen uns: Was bist du? Was ist dein Leben, dein Thun und Wesen, deine Liebe und dein Streben?
Alles zerfällt, zerrinnt; du bist nur eine Welle im unendlichen Meere. Und wie dort die Frauen von einer Frühlingswelt umgeben doch lauter Tod um sich sahen, so ergreift uns gerade die Frühlingspracht
mit einer uns unerklärlichen Traurigkeit, und durch all das neue Leben sehen wir den bleichen Tod hindurchblicken.
Die ganze Erde
Die Auferstehung Jesu.
56
erscheint uns wie eine jener großen längst untergegangenen Städte des Morgenlandes:
hier noch einige Ueberreste von einer Säulen
halle, in der sich einst fröhliche Menschen bewegt, dort noch eine Mauer von
einem Hause, in welchem einst Familienglück blühte,
fleißige Hände arbeiteten, ein Künstler sein Kunstwerk schuf, ein Ge
lehrter über dem Räthsel des Daseins sann; jetzt Alles still, todt, im Unser ganzes Leben eine zerrinnende Welle, ein
Sande begraben. fallendes Blatt.
Da tritt uns unser Bruder Jesus Christus entgegen.
Er ist ja
heute noch unter uns, nicht nur in den Lehren, Einrichtungen und
Sitten der Kirche, welche seinen Namen trägt.
Nein!
Wir sehen
mit den Augen unseres Glaubens seine verklärte Gestalt, wir hören
seinen Gruß, und empfinden an uns die Macht seiner Liebe. er redete, war
steilich haben ihn
gemordet; aber
die Menschen
seine Liebe konnten sie nicht tödten. welchem
das
Was
ewiges Leben, was er that, war ewiges Leben;
Gottesreich
sein Leben und
Sein Leben ist der Keim, aus
emporwächst,
eine
neue
Gemeinschaft
zwischen Gott und dem Menschen, ewige Gnade und ewiger Friede. Hier ragt die Ewigkeit herein in die Vergänglichkeit, und unsere
vom Anblick des Todes getrübten Augen erheben sich und sehen eine Welt, in welcher der Tod nicht mehr ist.
des Lebens.
Sinn
führen thatsächlich
Unsere Wege,
aufwärts.
Es enthüllt sich uns der scheinbar
die
abwärts führen,
Das Band, welches uns
mit den
Menschen verband, löst sich, aber die ewige Liebe über uns knüpft
ein neues Band, das sich niemals lösen soll.
Die sterbende Liebe
wird zum Samenkorn, aus dem unvergängliche Gemeinschaft hervor wächst.
Aus der Thränensaat, welche die Glaubenden und Treuen
säen, erblüht die Freudenernte.
Es enthüllt sich uns der Sinn des
Lebens, und erschließt sich uns das Geheimniß des Todes, seine
Schale öffnet sich und der Kern ist ewiges Leben.
2.
Die,
welche
müde
und
verlassen
ziehen, stärkt er mit dem Brode des Lebens. zwei Jünger ihre Straße nach Emmaus.
ihre
Straße
Müde ziehen
Sie haben gehofft und
gehofft, Christus werde Israel erlösen von dem Joch der Knecht
schaft und der Schmach und so den Traum erfüllen, mit dem sich das Volk seit Jahrhunderten getragen. der Schmach
gestorben.
Nun ist er selbst den Tod
Verlassen ziehen sie
ihre Straße.
Sie
57
Die Auferstehung Jesu.
hatten sich so stark gefühlt in der Gemeinschaft mit ihm, stark gegenüber einer ganzen Welt.
weggerissen,
Seite
Nun hat ihn ein furchtbares Geschick von ihrer und
hat sie
er
auf einmal
Aber
verlassen.
wandelt er unerkannt an ihrer Seite und öffnet ihnen die Schrift
und zeigt ihnen, wie ja alles nicht anders habe kommen können, wie ja das eben der Rath Gottes sei, daß Christus durch Leiden mußte
eingehen zur Herrlichkeit. berge
Dann kehrt er mit ihnen ein in die Her
und bricht ihnen das Brod, und die Augen werden ihnen
aufgethan, und sie erkennen ihren Meister.
Müde zieht ihr Wanderer oft eure Straße.
Nicht die Arbeit
hat euch müde gemacht; denn diese macht am wenigsten müde.
Aber
die Hoffnung hat euch müde gemacht, die vor euch Herzog, ohne daß
was euch Liebe schien bei den Menschen
ihr sie jemals erreichtet;
und euch betrog, was euch Freundschaft schien und euch hinterging, das hat euch müde gemacht.
So ist euch nach und nach das Leben
gleichgiltig geworden und ihr schleppt euch hin von Jahr zu Jahr, weil nun einmal das Leben gelebt werden muß.
fühlt ihr
Und verlassen
euch, wenn ihr auch zu Zweien oder Dreien wandert.
Keines kümmert sich mehr recht um das Andere. sich zu thun.
Es hat jedes mit
Aber der hohe Fremdling geht uns da auch zur Seite.
Er öffnet uns die Schrift.
Er zeigt uns die wunderbaren Gedanken
Gottes, wie uns Gott das trügerische Wesen der Welt schmerzlich empfinden läßt,
um dadurch ganz allmählich unsere Seele davon
nbzulösen, sie frei zu machen, sie höher zu sich zu ziehen, damit sie mit Muth und neuer Hoffnung gestärkt werde in seiner Nähe, und nun nicht mehr sich müde und verlassen zu fühlen brauche in seiner
Gemeinschaft.
Wißt ihr nicht, ihr Verlassenen, daß Einer am Kreuz
gestorben ist, um euch dadurch den Beweis zu liefern, daß er mit seinem Trost, mit seinem Leben, mit seiner Kraft euch niemals ver lassen will?
Wisset ihr nicht, ihr Müden, die ihr meint, die Lasten
der Erde seien, euch zu schwer, daß Einer alle Lasten der Erde uns vorangetragen hat, damit unsere Lasten uns leicht werden? 3. Schuld.
Die schwerste Last aber, die wir zu tragen haben, ist unsere Darum laßt uns weiter sehen:
Wie der Auferstandene
die Schuldigen aufweckt zu einem neuen Leben.
die Jünger
versammelt
am See Genezareth.
Wie
Wir sehen
einst in
den
sonnigen Tagen von Galiläa breitet sich wieder vor ihren Augen
58
Die Auferstehung Jesu.
aus seine blaue Fluth.
Der Herr ist unter ihnen.
Nacht von Jerusalem ist vorüber.
Da ist auch Petrus.
erstehungsfrühling.
Die schwarze
Es grünt um sie her der Auf
Für ihn war jene Nacht
besonders dunkel durch seine Schuld, es war die Nacht der Ver
leugnung.
Wagt er es, wieder unter den Jüngern zu erscheinen vor
den Augen Jesu?
Ja, und Jesus blickt ihn an, wie er ihn damals
im Palast des Hohenpriesters angeblickt hatte, und doch ganz anders, als wollte er zu ihm sagen: Nun soll die Schuld vergessen sein, die
dich, mein Jünger, von mir schied.
Du hast mich dreimal ver
leugnet; nun antworte mir dreimal: Simon Johanna, hast du mich
Da antwortet der Jünger dreimal:
lieb?
Du weißt es, Herr, bafj.
Und nun setzt ihn Jesus wieder in seine Jünger
ich dich lieb habe.
rechte ein: „Weide meine Lämmer, weide meine Schafe," und Petrus wandelt in einem neuen Leben.
Der Auferstandene weckt die Schul
digen auf zu einem neuen Leben.
Wer eine Schuld auf seinem Herzen trägt, hat das Bedürfniß,
sie auszusprechen. einem
leichter.
Dadurch, daß man sie ausspricht, wird das Herz
Es
wird
dir schwer,
sie
einem
Menschen
zusprechen, wenn du nicht ganz vertraut mit ihm bist. dich nicht gern vor deinesgleichen.
aus
Du demüthigst
Du fürchtest auch, für deine Em
pfindung nicht das rechte Verständniß zu finden, oder abgewiesen zu werden, oder vielleicht ein hartes liebloses Urtheil zu hören.
du hast einen Bruder, zu dem darfst du immer gehen.
Aber
Schon seit
fast 2000 Jahren wandert er über die Erde und hat immer ein offenes Herz gehabt für die, welche ihre Schuld bekennen.
Er ist
auch dir nahe in seinem Wort, in seinem Sakrament, und er ver
langt von dir keine schweren Bußübungen, sondern nur eins: Liebe zu ihm.
Wie leicht ist sein Joch, wie sanft seine Last! Er verlangt
nichts, als daß du ihn liebst, ihn, der dich zuerst geliebt hat mit unendlicher Liebe, ihn, der das große Opfer für dich gebracht hat,
ihn, der der Schönste ist unter den Menschenkindern. Wenn in dir diese große Liebe zu Jesus Christus erwacht ist, dann erfährst du es an dir, er ist auferstanden, er lebt. eine lebendige Kraft von ihm aus in deine Seele.
Es geht
Die Schuld
zerfällt, die Unruhe, die sie dir gemacht, weicht, der Friede Gottes
kehret bei dir ein, du siehst über dir das fteundliche Angesicht deines
versöhnten Vaters.
Und dann geschieht noch ein zweites:
Du fühlst
59
Die Auferstehung Jesu.
in dir eine Auferstehungskraft, welche dich emporzieht, deinem Leben eine neue Richtung giebt aufwärts nach Gott hin.
Es zieht dich
empor zu einem neuen Leben, zu einem neuen Eifer im Glauben, im Kampfe gegen dich selbst und alle deine Schwächen, zu einer neuen Geduld im Ausharren auf dem Platze, auf welchen Gott dich
gestellt hat, zu neuer Liebe gegen die Deinen und alle die Menschen, gegen die du Pflichten hast.
Mit neuem Muth greifst du das Leben
an,f mit neuer Hoffnung siehst du in die Zukunft, mit neuen Augen siehst du die Welt an; sie ist dir nicht mehr eine Wüste, in der die bösen Geister wohnen, welche dich verderben wollen, sondern eine
Wirkungsstätte deines Gottes, der überall Mittel findet, um dich
deinem Ziele entgegenzuführen. Wenn ihr jetzt eure Häuser aufthut, um die Frühlingsluft bei euch einziehen zu lassen, so thut auch eure Häuser auf, um Jesus,
den Bringer des neuen Lebens, bei euch aufzunehmen, damit er euch neue Liebe zu einander, neue Lust zur Arbeit für einander und mit einander bringe, neue treue Gemeinschaft unter einander.
4. Wie
ihr
aber
von Christus
das
neue Leben empfangt,
so werdet ihrs nun auch Anderen mittheilen. leuchten, die Wolken
müssen regnen.
Die Sonne muß
Und du, dem Christus als
der Lebensfürst erschienen ist, und der du ein neues Leben in dir
hast, mußt es hinaustragen in die Welt. So zeigt uns die evangelische Geschichte weiter: Wie der auf
erstandene Christus die Schwachen aussendet, damit sie Boten des Lebens werden.
Furchtsam und schwach hatten sich die Jünger
versammelt hinter verschlossenen Thüren aus Furcht vor den Juden.
Wie waren die Stolzen auf einmal so verschüchtert!
Sie hatten ge
träumt von den zwölf Stühlen, auf denen sie sitzen und die zwölf
Stämme Israels richten wollten, und nun sitzen sie furchtsam hinter
verschlossenen Thüren. Wo sind aber für Christus den Auferstandenen verschlossene Thüren?
Die Menschen haben ihre Herzen gegen ihn
verschlossen, aber er ist hindurchgedrungen; sie haben ihre Städte
und Dörfer gegen ihn verschlossen, aber er ist hindurchgedrungen. So kommt er auch hier zu der kleinen zagenden Jüngergemeinde, grüßt sie:
„Friede sei mit euch.
Fürchtet euch nicht, ich habe die
Welt überwunden und bleibe nun immer bei euch bis an der Welt
Ende" und
giebt ihnen den heiligen Geist:
„Gleichwie mich der
60
Die Auferstehung Jesu.
Gehet hin in die Welt, bringt
Vater gesandt hat, also sende ich euch.
Werdet Boten des Lebens!"
ihr das neue Leben von mir.
Die Menschen
sich
halten
surchtsam und zaghaft.
hinter verschlossenen
Thüren
Hüte dich, so spricht Einer zu dem Andern,
vor jeder Gefahr, vor jedem Opfer, vor jeder Mühe.
Es ist klug
und weise, das Leben möglichst zu genießen in aller Ruhe und Be quemlichkeit und Stille.
Halte Alles von dir fern, was dich auf
reiben könnte vor der Zeit, wappne dich mit Gleichgültigkeit, damit kein Schmerz dich berühre,
geh jedem Kampfe mit dem Schicksal
aus dem Wege, hege und pflege auch
deine Kinder so, daß alle
ernste Anstrengung möglichst von ihnen ferngehalten werde. So schließe
die Thür zu und zieh dich zurück in dein enges Haus, und laß es Manche Leute behandeln auf diese
in der Welt gehen, wie es geht.
Weise ihre Frömmigkeit.
Die Einen verschließen sie hinter Kloster
thüren, aber auch sehr viele unter uns Evangelischen leben mit ihrer
Frömmigkeit nur hinter verschlossener Thür, und diese Thür theilt ihr Leben in zwei Hälften.
Wenn sie beten, zur Kirche gehen, oder
an kirchlichen Vereinen theilnehmen, da sind sie fromm;
aber ihre
Arbeit in der Welt, ihr Verkehr mit den Menschen, Freude und Lebensgenuß
hat mit der
Frömmigkeit
lassen sie die Frömmigkeit zu Hause.
nichts
zu
thun.
Dabei
Ihre Frömmigkeit ist wie ein
offenes Licht, das, sobald man damit ins Freie geht, verlischt. O bleibt nicht hinter verschlossenen Thüren!
Ihr wißt, welche
Wirkung die Zimmerluft auf alles Leben ausübt, es muß verblassen, verkümmern, dahinwelken.
Jesus, der Osterfürst, tritt in eure Mitte,
und spricht zu euch: „Mein ist die Welt und das Leben, und überall ist
mein Reich; darum sollt ihr Boten des Lebens sein."
Es giebt für
einen ftischen, gesunden Knaben kaum eine größere Freude, als im
Frühjahr hinauseilen ins freie Feld, oder noch besser auf die Berge, und sich dort umwehen lassen von den Frühlingsstürmen. euch als Boten Jesu Christi,
kämpfen müßt.
wenn ihr den Kampf
So freuet des Lebens
Hebt das Haupt hoch, wenn ihr in der Ferne das
Brausen des Sturmes hört, der euch bald schütteln wird, und freut
euch, wenn die Anforderungen des Lebens an euch immer größer werden, die Menschen immer mehr von euch verlangen und ihr seht,
daß ihr ihnen etwas werth seid.
Nehmt theil an dem; was die
Menschen bewegt, freuet euch mit den Fröhlichen, weinet mit den
61
Die Auferstehung Jesu.
Weinenden.
Seid stolz darauf, wenn die Menschen um euch sich
Werdet Boten des Lebens.
auf euch stützen und sich an euch halten.
Saget denen, die da Leid tragen, daß Jesus lebt, bringt den Muthlosen Muth, die Schwachen richtet auf, die sich entzweit haben, bringt
zusammen.
Um so mehr wird Christus der Auferstandene mit euch
und in euch sein.
Hier im Leben, im Kampf mit dem Sturm wachsen
den« Glauben die Flügel, That;
hier wird die Frömmigkeit Leben und
hier wird sie wirklich gesund
und stark,
so daß sie alles
weltliche Leben mit all seinen Versuchungen und Gefahren aushält und durchdringt.
Gehet hin, ihr Jünger Jesu, durch eitern Herrn
Jesus Christus ist Welt und Leben euer, euer der Kamps und der
Friede, euer die Arbeit und die Ruhe, euer die Freude und das Leid, euer das Schicksal, euer Leben und Tod.
aber seid Christi, Christus aber ist Gottes."
„Alles ist euer, ihr
Christus der Lebendige
macht euch zu Boten des Lebens. 5. Aber immer tiefer steigt er zu uns herab.
Es soll gar keine
Lebenswege geben, auf dem er uns nicht zur Seite ginge, und es
soll gar keine Lebensverhältnisse geben, in denen er nicht sein Leben
uns mittheilte.
Das laßt -uns an dem letzten Bilde sehen, welches
wir jetzt betrachten wollen. Es ist wieder am See Genezareth.
Jünger sind wieder bei ihrer Fischerarbeit. Nacht, ohne daß ihnen etwas gelingt. ihnen unerkannt, Jesus am Ufer.
Petrus und die andern
Sie arbeiten die ganze
Da am Morgen steht, von
Er gebietet ihnen, von neuem das
Netz auszuwerfen; sie thuns und siehe, sie können das Netz vor
der Menge der Fische kaum ziehen. erstandene ihre Arbeit.
So segnet Jesus der Auf
Aber weiter!
Sie treten dann aus an
das Land und bereiten dort ein Mahl, und Jesus ißt mit ihnen. Er ist unter ihnen und segnet ihnen Speise und Trank.
So ist der Auferstandene
Arbeit und Lebensgenuß.
auch
unter uns
und
segnet uns
Er steht dir nicht bloß zur Seite in
den großen Stunden des Lebens, sondern er steigt mit dir herab und heiligt mit seinem Geiste deine gewöhnliche Arbeit, dein Tage
werk.
Die Arbeitsstätten der heutigen Zeit sind zumeist ganz anders,
als jene friedlichen, lachenden Ufer des Genezarethsees, wo die Jünger arbeiteten.
Verschlossene Räume, oft ohne rechtes Licht und ohne
rechte Luft, ost voll Ruß und Rauch, und darin sind ihrer so Viele,
62
Die Auferstehung Jesu.
daß Einer dem Andern die Luft wegnimmt. wieder überall das Bild See Genezareth sehen,
Auch ist die Arbeit
Dennoch kann auch heute
heutzutage schwerer, als sie damals war.
Wahrheit werden, Iwelches wir dort am
er ruft die Menschen, wenn sie nur seine
Stimme hören, zur Arbeit: Kommt, wirket und schaffet, so lange es Tag ist.
Er giebt ihnen in die Seele hinein den Geist, der sich
des Strebens und des Erreichens freut. sich vor Schwierigkeiten nicht fürchtet.
Er giebt den Muth, der Er giebt die Ausdauer, die
auch unter drückenden Lasten nicht erlahmt.
Und wo alle diese guten
Geister, die von ihm, dem auserstandenen Meister, kommen,
dem
Menschen bei seiner Arbeit helfen, da ist die Arbeit auch gesegnet und
bringt ihren Ertrag. So ist der Meister unter uns bei unserm Tagewerk.
Und nach dem Tagewerk sammeln sich die Menschen wie die
Jünger am Ufer des Sees zum Mahl, und wo das Christen thun,
da ist wieder der Herr unter ihnen, nicht nur als ein Gast, wie das bekannte Tischgebet sagt, sondern als bester treuster Hausfreund. In seinem Geiste nehmen wir Speise und Trank als eine Gabe aus
Gottes Hand, und Speise und Trank und jeder Genuß sind uns
dann nicht nur ein leiblicher, sondern auch ein geistiger Genuß, denn wir genießen darin die Güte Gottes, die uns segnet, gleichviel, ob
das Mahl reich ist, oder einfach und bescheiden.
Erde wird uns durch Christus Brod des Lebens.
Alles Brod der
Jedes Mahl wird
uns ein Liebesmahl, wie einst für die erste Christengemeinde, ein Liebesmahl, bei
welchem
wir uns
von neuem
als Brüder
und
Schwestern mit einander verbinden.
So sehen wir, wie alle die Bilder aus der Auserstehungs
geschichte Jesu Wahrheit werden in unserm Leben.
Die Gefängnisse
der Erde thun sich auf durch den Ruf des Lebenssürsten, das Gefängniß des Todes, der Traurigkeit, ider Schuld, der Angst, der Arbeit.
Der Auferstandene ruft, und wir wandeln in einem neuen Leben. Und wie es in der evangelischen Geschichte
heißt,
daß der Auf
erstandene seinen Jüngern begegnete auf ihrem Wege und sie grüßte,
so grüßt er uns auf allen unsern Wegen. mehr daran, daß er lebt. in der That.
Dann zweifeln wir nicht
Denn wir haben den Beweis des Lebens
Er lebt mit uns und in uns, alle Tage, bis an der
Welt Ende, bis hinüber in die Ewigkeit.
Auren.
Die Liebe zu Christus.
63
8.
Die Liebe zu Christus. (Nach Ostern.) Ev. Joh. 21, 15—17.
Da sie nun das Mahl gehalten hatten, spricht
Jesus zu Simon Petro: Simon Johanna, hast du mich lieber, denn mich diese haben?
dich lieb habe.
Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, daß ich
Spricht er zu ihm: Weide meine Lämmer.
Spricht
er zum andernmal zu ihm: Simon Johanna, hast du mich lieb?
Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, daß ich dich lieb habe. Spricht er zu ihm: Weide meine Schafe. Spricht er zum dritten mal zu ihm: Simon Johanna, hast du mich lieb?
Petrus ward
traurig, daß er zum drittenmal zu ihm sagte: Hast du mich lieb,
und sprach zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, daß ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe,
was uns hier erzählt wird, können wir im Kleinen auch er leben.
Ein
theurer Mensch
uns
genommen worden.
Kommen
ist
durch
wir nun
den
Tod
von uns
wieder an den Ort,
an
welchem wir einst mit ihm glückliche Zeiten durchlebt haben, so machen
wir eine merkwürdige Erfahrung: uns von dem Heimgegangenen.
träte er
Alles, was wir dort sehen, erzählt
Ueberall ist es uns zu Muthe, als
selbst, seine verklärte Gestalt uns
entgegen.
Auch
die
geistigen Eindrücke, die wir von ihm empfangen, werden in uns wieder lebendig, und der Ertrag unseres einstigen geistigen Verkehrs mit ihm steigt aus den verborgenen Gründen der Seele empor und
tritt wieder in das helle Licht unseres Bewußtseins.
Das haben die Jünger Jesu im Großen erlebt.
Nach Galiläa
waren sie an seinem Grabe gewiesen worden, nach Galiläa, wo sie zuerst den Herrn gesehen hatten, wo sie seine Predigt zuerst gehört, wo sie sich einst unter seine geistige Macht gebeugt und an derselben sich empor
gerichtet hatten zu einem neuen Leben. Da sind
wieder
die Ufer
Sie sind dorthin gegangen.
am Genezarethsee, wo
sie
einst seine
Himmelreichspredigt vernommen hatten, da rauschen wieder die Wellen, wie einst, da sind wieder die Reben am Weinstock, die Lilien des Feldes, die Bäume, die grünende Saat, deren Predigt ihnen der
Herr in seinen Gleichnissen gedeutet hatte.
Da ist ihnen die ganze
Die Liebe zu Christus.
63
8.
Die Liebe zu Christus. (Nach Ostern.) Ev. Joh. 21, 15—17.
Da sie nun das Mahl gehalten hatten, spricht
Jesus zu Simon Petro: Simon Johanna, hast du mich lieber, denn mich diese haben?
dich lieb habe.
Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, daß ich
Spricht er zu ihm: Weide meine Lämmer.
Spricht
er zum andernmal zu ihm: Simon Johanna, hast du mich lieb?
Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, daß ich dich lieb habe. Spricht er zu ihm: Weide meine Schafe. Spricht er zum dritten mal zu ihm: Simon Johanna, hast du mich lieb?
Petrus ward
traurig, daß er zum drittenmal zu ihm sagte: Hast du mich lieb,
und sprach zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, daß ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe,
was uns hier erzählt wird, können wir im Kleinen auch er leben.
Ein
theurer Mensch
uns
genommen worden.
Kommen
ist
durch
wir nun
den
Tod
von uns
wieder an den Ort,
an
welchem wir einst mit ihm glückliche Zeiten durchlebt haben, so machen
wir eine merkwürdige Erfahrung: uns von dem Heimgegangenen.
träte er
Alles, was wir dort sehen, erzählt
Ueberall ist es uns zu Muthe, als
selbst, seine verklärte Gestalt uns
entgegen.
Auch
die
geistigen Eindrücke, die wir von ihm empfangen, werden in uns wieder lebendig, und der Ertrag unseres einstigen geistigen Verkehrs mit ihm steigt aus den verborgenen Gründen der Seele empor und
tritt wieder in das helle Licht unseres Bewußtseins.
Das haben die Jünger Jesu im Großen erlebt.
Nach Galiläa
waren sie an seinem Grabe gewiesen worden, nach Galiläa, wo sie zuerst den Herrn gesehen hatten, wo sie seine Predigt zuerst gehört, wo sie sich einst unter seine geistige Macht gebeugt und an derselben sich empor
gerichtet hatten zu einem neuen Leben. Da sind
wieder
die Ufer
Sie sind dorthin gegangen.
am Genezarethsee, wo
sie
einst seine
Himmelreichspredigt vernommen hatten, da rauschen wieder die Wellen, wie einst, da sind wieder die Reben am Weinstock, die Lilien des Feldes, die Bäume, die grünende Saat, deren Predigt ihnen der
Herr in seinen Gleichnissen gedeutet hatte.
Da ist ihnen die ganze
64
Die Liebe zu Cbristus.
dunkle Todesnacht vergangen. Der Herr ist als der Verklärte, als der Auferstandene mitten unter ihnen. So wird uns hier geschildert die Osterfeier der ersten Christen
gemeinde, die es bei ihren Zusammenkünften, besonders beim heiligen. Abendmahl immer wieder an sich erlebte: Der Tod ist nicht mehr. Er ist bei uns, der dem Tode die Macht genommen und Leben und unvergängliches Wesen an das Licht gebracht hat. Und wie er auferstanden ist, so stehen mit ihm auch seine Jünger auf und richten sich an ihm empor. So nimmt er nun auch den Petrus an und läßt, indem er ihn fragt: „Hast du mich lieb?" und die Antwort bekommt: „Du weißt, Herr, daß ich dich lieb habe", die ganze schwere Schuld der Vergangenheit, die den Jünger von dem Meister getrennt hat, untergehen. Es ist Morgen geworden. Ein neuer Tag ist angebrochen. Nun ist Alles gut. Jesus fragt nur nach dem Einen: „Hast du mich lieb?" Als Petrus diese Frage bejaht, setzt ihn Jesus ein in das apostolische Amt: Weide meine Schafe! Nur das Eine verlangt er: Die Liebe zu ihm. Um ihretwillen nimmt der große Hirte uns an und durch sie macht er uns zu Menschenhütern.
1. Der Glaube des Petrus an Jesus als den weltlichen Messias, seine Hoffnung auf eine glänzende Zukunst auf Erden war unter dem Kreuz auf Golgatha wie ein Traum zerflossen. Aber die Liebe zu
Jesus hat Petrus sich erhalten. An sie hat er sich gehalten. Sie hat seine Reue nur um so schmerzlicher gemacht, seine Sehnsucht
nach Christus um so brennender. Sie hat aber auch die Hoffnung in ihm erweckt, daß eine Vergebung und ein neues Leben für ihn möglich ist. Sie ist jetzt, wo er wieder vor den Herrn tritt, sein Schmuck und sein Reichthnm. Um ihretwillen nimmt ihn Jesus an. Sie decket zu der Sünden Menge. Um ihretwillen wird ihm viel
vergeben. Es ist wenig, was Petrus bringt. Denn sie ist nicht sein Verdienst. Sie ist über ihn gekommen still und mächtig, wie der Frühling jetzt durch den Wald zieht. Er ist ein armer Kämpfer, der noch die Wunden an sich trägt von dem Kampfe mit seiner Sünde; er ist ein armer Sünder, der übel zugerichtet worden ist von seinem schwachen Herzen. Er bringt nichts als seine Liebe zu Christus. Das ist wenig und doch unendlich viel, mehr, als wenn er Israels
65
Die Liebe zu Christus.
Königskrone
brächte und
Roms
nie
bezwungenes
Schwert
und
Griechenlands Kunst und Wissenschaft und die Reichthümer aus dem Lande Ophir. Waruni verlangt Jesus nichts von uns, als Liebe zu ihm? Warum ist sie genug zur Erfüllung unseres Christenberufes?
Weil
die Liebe
Wer
zu ihm die Aehnlichkeit
mit ihm voraussetzt.
Jesum Christum lieb hat, der muß ihm ähnlich sein.
In der Natur
welt werden nur einander verwandte Stoffe zu einander hingezogen. In der Geisterwelt werden nur ähnliche Geister zu einander hinge
Du kannst einen hohen, edlen Geist nur lieben, wenn du
zogen.
ihm innerlich irgendwie ähnlich bist.
Ein beschränkter, engherziger
Sinn kann einen Menschen mit hohem Sinn und hohem Muth nicht
lieben, denn er kann ihn nicht verstehen.
Wer aus der Wahrheit
ist, kann die Finsterniß und die Lüge nicht lieben, denn er kann sie
Lieben kannst du nur den Menschen, den du ver
nicht verstehen.
stehst;
verstehen
ähnlich bist.
kannst du nur den Menschen,
dem du innerlich
Wer Christum liebt, muß ihm ähnlich sein.
Das ist
aber das Höchste, was wir erreichen können, ihm ähnlich werden.
Deshalb
verlangt Jesus
von uns
weiter nichts,
als
die Liebe
zu ihm.
Und weiter: Wer Jesum Christum lieb hat, strebt danach, ihm immer ähnlicher zu werden.
schaft.
Du stehst vor einer schönen Land
Unerschöpflich und unergründlich erscheint dir der Reichthum
an Genuß und Schönheit,' den diese Natur
birgt.
was sie birgt, ruft dir zu: Ich bin da für dich.
Aber Alles,
Und so zieht es
dich hin, sie zu durchwandern, dich zu fteuen an jedem schattigen
Gang, an den Wegen zwischen den Feldern und an dem Halbdunkel des Waldes.
So blickst du hinein in das Leben unseres Erlösers.
Hier sind Höhen der Gotteserkenntniß und Gottesgemeinschaft, die du nur von ferne ahnst, Tiefen himmlischer Weisheit, die kein Ver stand durchdringt, Quellen der Wahrheit, die niemals ausgeschöpft
werden können, Schätze der Liebe, die sich mehren, je mehr davon
gezehrt wird.
Das Alles wird dir dargeboten.
geschrieben: Es ist für dich.
Es steht daran
So zieht es dich dazu hin.
dieses Leben in dich aufnehmen, nachleben.
Du willst
Es soll von Neuem
Wahrheit, Wirklichkeit werden auf sErden durch dich,
Leben.
in deinem
So bekommt durch die Liehe zu Christus dein Leben seine
Kirmß, Predigten.
5
Die Liebe zu Christus.
66
Richtung auf ihn hin, und aus dieser Richtung kann es durch nichts herausgebracht werden, sondern muß vielmehr immer höher steigen
von Licht zu Licht.
Die Liebe zu Christus schließt in sich den auf
richtigen Willen, den Willen Christi zu thun, zu glauben, wie er
geglaubt hat, die Menschen zu lieben, wie er sie geliebt hat, furchtlos zu sein in Kampf und Sturm, wie er es gewesen ist.
wandelt uns
jedes Kreuz in Segen.
Sie
Sie ver
führt uns aus jeder
sittlichen Verirrung wieder in die Heimath, daß keine Anklage des Gesetzes, keine Verurtheilung durch Menschen uns aufhalten kann. Sie ist des Gesetzes Erfüllung.
Sie ist der Schlüssel, welcher jede
Thür aufschließt, sie giebt unserer Seele Flügel, welche sie über jeden
Berg tragen, sie trägt uns hinauf, stellt uns unmittelbar vor Christus hin.
Sie macht uns ihn« immer ähnlicher.
Deshalb fragt Christus
nur das Eine: Hast du mich lieb? Sie allein genügt.
Eine fehlt.
Alles Andere hilft dir nichts, wenn dieses
Und sie genügt allein) sie ist genug, wenn auch alles
Andere fehlt. Sie allein genügt) alles Andere Hilst dir nichts, wenn
dieses Eine fehlt.
Jesus wandelt auch heute noch durch die Welt,
geht still durch die Kirchen, wo prunkende Gottesdienste gehalten werden,
wo die Kunst ihre ganze Sinnenpracht entfaltet.
Er tritt in die stille
Klosterzelle, wo der Mönch durch Kasteiung seine Seligkeit Gott abver dienen möchte.
Er wandert auf den Wallfahrtswegen mit den Pil
gern und spricht zu diesen Allen: das Eine gilt:
Das Alles hilft euch nichts, nur
Hast du mich lieb?
protestantischen Länder.
Jesus wandert auch durch die
Er tritt in
die
stille
Arbcitsstubc
des
protestantischen Gelehrten, der die Geheimnisse des Glaubens studiert
und Gottes Wege in der Geschichte ergründen möchte.
Und er geht
weiter zu den Christen, die sich in ihren Glaubensansichten ganz
genau anschließen an die Formen der Vergangenheit und jeden miß trauisch betrachten, der nicht ebenso wie sie an diesen Formen fest hält.
Jesus geht zu den Menschen, die sich abquälcn in der Arbeit
der Welt, hasten, jagen, sich kein gönnen.
Ausruhen,
keine stille Stunde
Er geht auch durch unsere schlichten Gotteshäuser, durch
die Reihen der Singenden und der Betenden, durch die Reihen der
Abendmahlsgäste, und er spricht zu diesen Allen: Das Alles hilft euch nichts, wenn euch das Eine fehlt: Hast du mich lieb?
Rühine
Die Liebe zu Christus.
67
dich nicht deiner Tugenden; sie sind Blumen ohne Wurzeln, die bald verwelken, wenn du nicht die Liebe zu Christus hast. Rühme dich nicht deiner Kraft, sie ist ein Stab, der bald zerbricht, wenn du nicht die Liebe zu Christus hast. Rühme dich nicht deines Kreuzes, durch dessen Tragen du dir den Himmel zu verdienen meinst; es hilft dir nichts, wenn nicht die Liebe zu Christus dich
stille macht. Rühme dich auch nicht deiner Sehnsucht nach der ewigen Welt; sie hilft dir nichts, wenn nicht ihre Seele die Liebe zu Christus ist. Sie allein genügt; alles Andere hilft dir nichts, wenn dieses Eine fehlt. Sie genügt allein. Sie ist genug, wenn alles Andere fehlt. Da kommen von der einen Seite Menschen, deren Glaubens lehre, wenn sie genau geprüft würde, manche Lücke aufweisen würde,
Menschen, die, indem sie glauben, auch immer denken müssen, die deshalb Manches, was sie nicht verstehen in dem überlieferten Glauben, still bei Seite legen. Da kommen von der andern Seite
Solche, die von ihrem Glauben grundsätzlich alle Verstandesthätigkeit, alle Zweifel der Vernunft fernhalten, die da glauben, wie die Kinder, und in deren Glauben es deshalb mannigfach an innerer Klarheit
und Uebereinstimmung fehlt. Sie Beide, die Einen mit ihrem lücken haften Glauben, die Andern mit ihrem ungeklärten, naiven Glauben, sie bestehen vor Christus, wenn sie zu ihm sprechen können aus aufrichtigem Herzen: Du weißt es, daß ich dich lieb habe.
Da kommen von der einen Seite die geistlich Armen, die ihre Tugenden und ihre Werke ansehen als armseliges Stückwerk, die nur ein zerschlagenes Herz bringen, ein tiefes Verlangen nach Heil
und Frieden. Aber sie haben genug, wenn sie sagen können von Herzen: Du weißt, daß ich dich lieb habe. Da kommen von der andern Seite die großen Sünder mit ihren schweren Fehlern, mit
ihren verhängnißvollen Schwächen. Aber die Liebe zu Jesus Christus ist ihre Auferstehungskraft, die sie aus dem Grabe der Sünde hindurchführt zu einem geistigen Ostermorgen. Sie allein genügt, auch wenn alles Andere fehlt.
Deshalb
sollten die christlichen Kirchen sie als das Band der Vollkommen heit betrachten, welches alle Christen verbindet zu Einer Liebe. So weit wir Menschen jetzt blicken können, wird die Christenheit vielleicht nie zu einer vollständigen Einheit in den Glaubensvorstellungen und
Die Liebe zu Christus.
68
den Glaubenssätzen kommen.
Nur Eins kann sie zu Einer Herde
machen unter Einem Hirten, nämlich die Liebe zu Christus.
könnten Katholiken
und
Protestanten
und
alle
die
Da
verschiedenen
Richtungen des Glaubens sich schaaren um Jesus Christus, und sich
verbinden durch das Eine Bekenntniß, das größer, freier, reicher ist, als alle andern: Du weißt es, Herr, daß ich dich lieb habe. Jesus verlangt von dem gefallenen Petrus nicht mehr.
So
wollen auch wir von den Menschen, die wir als Christen anerkennen sollen, nicht mehr verlangen.
2. Daß das genug ist, ersehen wir daraus, daß Jesus nun dem Petrus feierlich sein apostolisches Amt überträgt. nicht:
Er fragt ihn
„Wirst du, Petrus, reden können mit Menschen- und Engel
zungen und weissagen können und alle Weisheit und alle Erkenntniß
haben?" sondern nur: „Hast du mich lieb?"
Nun, so „weide meine
Alle Menschen gehören ihm, der von Gott zur Erlösung
Schafe".
gesandt ist.
Deshalb treibt die Liebe zu Christus uns dazu, rechte
Menschenhüter zu werden.
hier das Hirtenamt.
Nicht nur dem Petrus überträgt er
Die katholische Kirche sagt, weil Jesus hier
dem Pettus das Hirtenamt überttagen, und weil der Papst der
Nachfolger des Pettus sei, so habe Jesus mit diesem „Weide meine Schafe" das Papstthum eingesetzt. weiter.
Wir evangelischen Christen gehen
Wir sagen: Jeder Prediger, Lehrer und Missionar ist ein
Hirte, der mit seiner Liebe zu Christtls seine Herde weiden soll. Und auch dabei bleiben wir nicht stehen: Wie wir keinen besonderen geistlichen Stand, kein abgesondertes Priesterthum anerkennen, wie
vielmehr nach unserer evangelischen Lehre alle Christen Priester sind, so hat hier nach unserer Meinung Jesus jedem Christen die Pflicht
auferlegt, um Christi willen ein treuer Menschenhüter zu sein. Das liegt so in Gottes Weltordnung. der Hirt der zahllosen Welten.
vorhin vom Chor den 23. Psalm gehört.
ein Hirt gewesen.
Gott, der Ewige, ist
Er ist auch unser Hirt.
Ihr habt
Der Dichter desselben ist
Wohl einmal in stiller Nacht, als er auf dem
Felde bei seiner Herde war, hat er emporgesehen zu dem gestirnten Himmel und hat bei sich gedacht: Wie du hier ein Hirt deiner
Herde bist, so weidet dort oben ein großer Hirt seine Herde aus blauer Himmelsflur.
Und dieser Herr der leuchtenden Heerschaaren
am nächtlichen Himmel sieht auch auf dich armen schwachen Menschen
Die Liebe zu Christus.
liebreich herab:
69
„Der Herr ist mein Hirt, mir wird nichts mangeln."
Dieser große Hirt dort oben hat seine Hirtentreue unserm Erlöser in das Herz gelegt. Als der gute Hirt ist er über die Erde ge gangen, die Seinen kennend, von den Seinen gekannt, sein Leben
lassend für seine Schafe. Und er macht nun wieder die Seinen zu Hirten, so daß die ganze weite Welt, vom Throne des ewigen Gottes bis zu dem ärmsten Menschenkinde herab erfüllt sein soll von
behütender Hirtentreue. Von der Zeit an, in der du, du Mutter, an der Wiege deines Knaben saßest, von der Stunde an, in der du, du Vater, dein Kind zum ersten Male in die Arme nahmst, bis zu dem Augenblick, da Gott euch für diese Zeit von einander scheidet, sollt ihr Hirten sein, die eure Kinder geleiten, behüten vor Gefahren des Leibes und der Seele, in Noth und Verirrung. Ihr sollt Menschenhüter sein, ihr Gebietenden, die ihr Dienende in euren Häusern habt, ihr Lehrend en, die ihr Lernende vorzubereiten habt auf ihren Lebensberuf, ihr, die ihr täglich verkehrt mit Menschen, die für euch arbeiten und mit euch arbeiten, die in eurem Brode stehen. Begnügt euch nicht, eure rechtlichen Verpflichtungen gegen sie zu erfüllen, sondern behütet auch ihren inneren Menschen, so viel ihr könnt, daß sie Vertrauen zu euch haben, und ihr Macht über ihre Seelen gewinnt und sie unter den Einfluß des Guten in euch zwingt. Laßt euch durch
Ihr müßt sehr viel thun, ehe ihr sprechen könnt: „Ich habe genug gethan." Ihr sollt Menschenhüter sein, ihr, denen Gott ein reiches Herz gegeben hat, einen starken Glauben, eine feste Hoffnung, ihr sollt den
Undankbarkeit und Unverstand nicht irre machen.
Schwachen um euch her eine Stütze sein. Ihr sollt Menschenhüter sein, die ihr selbst an euch die Macht der Sünde erfahren
habt, gefallen, aber durch Gottes Gnade auferstanden seid, ihr sollt die leiten und ihnen zurecht helfen, die in der Stunde der Ver suchung gefallen sind. Ihr sollt Menschenhüter sein, ihr, die ihr
selbst ein Kreuz zu tragen habt; ihr wißt, wie es Krenzttägern zu Muthe ist, so sollt ihr die trösten, die übel zugerichtet sind von
Sturm und Wetter. Sagt nicht: Ich habe Schweres durchgemacht und mir hat Niemand geholfen, mögen Andere auch ihren Kampf allein kämpfen.
Sondern verwerthet euere Erfahrungen
welche an eurer Seite kämpfen.
für die,
Ihr sollt Menschenhüter sein, ihr.
70
Die Liebe zu Christus.
die ihr von Gott behütet worden seid vor Schaden an euerer Seele;
behütet, so weit euer Einfluß reicht, die Seelen der Menschen um euch her, besonders die Seelen der Kinder, vor Aergerniß und Ver Sorgt dafür, daß die Luft, die die Menschen athmen, rein
suchung. ist.
Ihr sollt Menschenhüter sein.
Wohl dem Menschen, von dem,
wenn die Erde sich über seinem Grabe wölbt, die Andern sagen: ist mir ein Hüter
gewesen;
habe ich
an ihm
mich
Er
aufgerichtet.
Christus spricht: Weide meine Schafe, weide meine Lämmer! der seine Herde weidet, muß sie vor Allem zu
Der Hirt,
sammenhalten.
Ein Schaf,
muß verschmachten. muß verdorren.
von
das
Eine Rebe,
der Herde getrennt ist,
die vom Weinstock getrennt ist,
Sollen die Menschen behütet werden, so müssen
alle die Einrichtungen gepflegt werden, durch welche die Menschen
gesammelt und zusammengehalten werden. zusammen.
So haltet euere Familien
Erfüllt euere Häuser so mit gutem Geist, daß es alle
Familienglieder ganz von selbst aus der Zerstreuung der Welt hin
zieht zum häuslichen Herd.
Pflegt unter euch den Familiensinn,
die Erinnerung an die Wege, welche Gott die Väter geführt hat, so daß in Allen, in Eltern und Kindern der zusammenhaltende Geist
der Heimath stärker ist, als der trennende, auflösende Geist der Menschen, die auch in der Fremde an ihrer Heimath
fremden Welt.
hängen,
können
Schule.
nie verloren gehen.
Neben dem Haus steht die
Wie gerade in christlichen Völkern die größten Erzieher
erstanden sind, wie es christliche Denker gewesen sind, die sich am meisten vertieft
haben in die Aufgabe, Menschenseelen nach den
ihnen innewohnenden Kräften und der ihnen gegebenen Bestimmung zur.Gottähnlichkeit zu erziehen, so ist die Schule, in welcher sich alle Kinder eines Volkes sammeln, vor Allem eine Schöpfung des
Christenthums; hier sollen sie gesammelt werden, innerlich verbunden
durch Einen Glauben und Bildung.
durch den Einen Geist vaterländischer
Die Schule aber bildet die Vermittelung zwischen dem
Vaterhaus und dem Vaterland.
Sie empfängt die Kinder aus
dem Haus und erzieht sie für das Vaterland.
Wie der Gehorsam
gegen die Obrigkeit eine christliche Pflicht ist, so auch die Liebe zum Vaterland eine Pflicht gegen den Gott, der uns das Vaterland ge geben
hat.
Jeder Christ hat die Aufgabe,
den auflösenden Be
strebungen der heuttgen Zeit entgegenzutreten, das Vaterland höher
71
Jugend und Alter.
zu halten, als die trennenden Parteien, daß alle Kinder sich sammeln um ihre Mutter, das Vaterland, welches geweiht ist durch große Kämpfe und Opfer. Größer aber, weiter als das Vaterland ist die Kirche. Wie ihr euch hier sammelt um Gottes Wort, die Stimme eueres himmlischen Vaters, so führt auch Andere herzu; sagt ihnen,
was ihr daran habt, was sie entbehren, wenn sie es nicht haben.
Sammelt euch hier um das Abendmahl, das Brod des Lebens, das euer Erlöser euch darbietet. Hier führt euere Kinder in der Taufe dem großen Hirten zu. Hier schweift das Auge in die Weite und sieht alle Gotteskinder auf Erden versammelt zu einer Gottes familie unter dem Schutz des Vaters unseres Herrn Jesu Christi. Hier eilen die Gedanken hinauf in die Ewigkeit, und wir fühlen uns verbunden mit denen, die vor uns gewesen sind und mit denen wir einst uns versammeln werden im großen ewigen Vaterhaus. Haus, Schule, Vaterland, Kirche — hier sollen wir uns sammeln lassen, hier sollen wir Menschen sammeln und den Befehl
Christi erfüllen:
Weide meine Schafe, weide meine Lämmer.
Amen.
9.
Jugend und Atter. (Nach Ostern.) Joh. 21, 18 u. 19.
Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Da du jünger
wärest, gürtetest du dich selbst, und wandeltest, wo du hin wolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten, und führen, wo du nicht hin willst.
Da
sagte er aber zu deuten, mit welchem Tode er Gott preisen würde.
Da er aber das gesagt, spricht er zu ihm: Folge mir nach.
Nachdem, wie wir in unserer vorigen Betrachtung gesehen
haben, Jesus den Petrus durch den Auftrag: „Weide meine Schafe, weide meine Lämmer" eingesetzt hat in sein apostolisches Amt,
weist er ihn nun in unserem heutigen Textwort hinaus in die Zu kunft und zeigt ihm, daß er als sein Jünger und Nachfolger nicht ein leichtes bequemes Leben haben werde,
sondern daß ihm ein
71
Jugend und Alter.
zu halten, als die trennenden Parteien, daß alle Kinder sich sammeln um ihre Mutter, das Vaterland, welches geweiht ist durch große Kämpfe und Opfer. Größer aber, weiter als das Vaterland ist die Kirche. Wie ihr euch hier sammelt um Gottes Wort, die Stimme eueres himmlischen Vaters, so führt auch Andere herzu; sagt ihnen,
was ihr daran habt, was sie entbehren, wenn sie es nicht haben.
Sammelt euch hier um das Abendmahl, das Brod des Lebens, das euer Erlöser euch darbietet. Hier führt euere Kinder in der Taufe dem großen Hirten zu. Hier schweift das Auge in die Weite und sieht alle Gotteskinder auf Erden versammelt zu einer Gottes familie unter dem Schutz des Vaters unseres Herrn Jesu Christi. Hier eilen die Gedanken hinauf in die Ewigkeit, und wir fühlen uns verbunden mit denen, die vor uns gewesen sind und mit denen wir einst uns versammeln werden im großen ewigen Vaterhaus. Haus, Schule, Vaterland, Kirche — hier sollen wir uns sammeln lassen, hier sollen wir Menschen sammeln und den Befehl
Christi erfüllen:
Weide meine Schafe, weide meine Lämmer.
Amen.
9.
Jugend und Atter. (Nach Ostern.) Joh. 21, 18 u. 19.
Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Da du jünger
wärest, gürtetest du dich selbst, und wandeltest, wo du hin wolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten, und führen, wo du nicht hin willst.
Da
sagte er aber zu deuten, mit welchem Tode er Gott preisen würde.
Da er aber das gesagt, spricht er zu ihm: Folge mir nach.
Nachdem, wie wir in unserer vorigen Betrachtung gesehen
haben, Jesus den Petrus durch den Auftrag: „Weide meine Schafe, weide meine Lämmer" eingesetzt hat in sein apostolisches Amt,
weist er ihn nun in unserem heutigen Textwort hinaus in die Zu kunft und zeigt ihm, daß er als sein Jünger und Nachfolger nicht ein leichtes bequemes Leben haben werde,
sondern daß ihm ein
72
Jugend und Alter.
schweres Geschick werde auferlegt werden. Wort erfüllen:
An ihm werde sich das
„Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst,
und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir."
Diese Schwere des
zukünftigen Geschickes hebt der Herr um so schärfer hervor dadurch, daß er ihn daneben erinnert an die Freiheit und Ungebundenheit seiner Jugend.
„Da du jünger warst, gürtetest du dich selbst."
Diese Worte an Petrus haben eine allgemein menschliche Be
Die Zeit, da wir uns selbst gürten, ist die Jugend.
deutung.
Die
Zeit, da ein Anderer uns gürtet und uns führt, da wir nicht hin
wollen, ist das Alter.
die Mahnung Jesu:
Für die Jugend aber wie für das Alter gilt „Folge mir nach."
Jugend und Alter in der Nachfolge Jesu.
1.
„Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst,
wohin du wolltest."
Das Wort „sich gürten" ist in doppeltem Sinn
Der Morgenländer pflegte das lange Obergewand mit
zu verstehen.
einem Gürtel aufzuschürzen, wenn er arbeiten, wandern oder kämpfen
wollte; daher sich gürten soviel als sich rüsten.
So der Ruf des
„Lasset euere Lenden umgürtet sein!"
Seid immer fertig
zur Arbeit, denn jeder Tag bringt seine Arbeit.
Seid immer fertig
Paulus:
zum Kampfe, denn jeden Augenblick droht von innen oder außen der Feind.
Seid immer fertig zum Wandern, zum Aufbruch, denn
jeden Augenblick kann Gott dich
abrufen.
In seiner zweiten Be
deutung heißt „gürten" soviel wie binden, in geistigem Sinn „sich
an etwas binden."
Besonders im zweiten Theil des Wortes Jesu:
„Ein Anderer wird dich
gürten" ist es in diesem Sinne zu ver
stehen.
.
So sagt Jesus zu Petrus:
„Weißt du noch, Petrus, wie du
einst dich selbst zum Leben gerüstet hast, als du jung warst, wie du
selbst dein Leben bestimmtest, zwar damals umgeben von den Ver
hältnissen der kleinen Heimathstadt Kapernaum, des engen Eltern
hauses, aber doch warst du so frei und ungebunden; weit lag vor
dir die Welt.
So kam ich zu dir.
Und als du mir nachfolgtest,
thatest du nur, wohin dein Herz dich trieb.
Du gingst, wohin du
wolltest." Kann man nun ohne Weiteres dieses Wort überhaupt auf die
Jugend
anwenden?
Mit Recht
wird
alle
Ungebundenheit
und
73
Jugend und Alter.
Zuchtlosigkeit der Jugend verurtheilt und bekämpft.
Legt nicht die
Zucht im Haus, in der Schule, im Beruf der Jugend
heilsame
der in eilendem Lauf, oft in starken
Wie der Bach,
Zügel an?
Windungen vom Berge kommt, unten im Thal sein Bett findet, seine Ufer, die seinen Lauf regeln, und ihn zwingen, feine Richtung inne zuhalten, wie der kraftvoll emportreibende junge Baum an den Stab
gebunden wird, damit er gerade emporwächst, so wird die Jugend durch Zucht und Gesetz in die rechte Richtung hineingelenkt.
ältere Geschlecht
hat
die Aufgabe,
die Jugend
in
die
Das
lebendige
Ueberlieferung, in den guten Geist der Vergangenheit in Kirche und Staat hineinzuführen.
je
Und
mehr
das in der
rechten
Weise
geschieht, je mehr die werdende Kraft der Jugend mit der edelsten
Kraft der Vergangenheit genährt wird, um so mehr wird sie der Träger einer
gesegneten Zukunft werden.
Deshalb muß sie unter
der heilsamen Zucht der Vergangenheit stehen.
Sonst würde sie sein
wie die Quelle, die nicht gefaßt ist und deshalb im Sande oder im Sumpfe zerrinnt, wie der junge Baunr, der nicht angebunden ist
und deshalb vom ersten Sturm zerknickt wird. — Neben der Zucht der Menschen ist es die Zucht der Verhältnisse, unter der die
Heranwachsende Jugend steht.
Der Kreis, in welchem ein junger
Mensch heranwächst, die Berufsarbeit und die Berufsinteressen, die
er um sich her, besonders im Elternhaus, beobachtet, nehmen ihn
gefangen.
Mancher wird durch die Verhältnisse geradezu in einen
bestimmten Beruf hineingetrieben. Mancher durch ungünstige Ver hältnisse von einem Berufe, zu dem es ihn mächtig hinzieht, fern
gehalten.
Ebenso
wird
auch
die Zukunft
durch
die Begabung
bestimmt.
So steht schon die Jugend unter einem gewissen Zwang des Lebens.
Nicht
ohne Weiteres kann sie „gehen, wohin sie will."
Aber auch in diesem Zwang, dem von innen wie dem von außen, liegt Gottes
Ordnung.
Wenn wir Aelteren zurückschauen auf
unsere Jugend und uns erinnern, wie entscheidend manchmal dieser Zwang in die Entwickelung unseres Lebens eingegriffen hat, wie wir dadurch
sind
abgehalten worden von mancher Thorheit,
getrieben
worden sind zu außergewöhnlicher Kraftanstrengung, so müssen wir sagen: Es war für uns gut und heilsam, daß wir nicht gehen durften,
wohin wir wollten.
74
Jugend und Alter.
Dennoch hat das Wort für die Jugend seine Wahrheit.
Frei
und weit dehnt sich das Leben vor ihren Augen aus, und das Herz schlägt höher bei der Ahnung alles dessen, was die Zukunft enthält. Sie liegt da als der Stoff, der gestaltet werden soll, als das Feld,
Und der heutigen Jugend thut sich die
das bebaut werden soll.
Welt noch viel weiter und freier auf als der Jugend in früheren Zeiten.
Früher suchten die Kinder meist in der Heimath ihre Stätte,
unter den altgewohnten Verhältnissen der Heimath, im Schatten des Elternhauses.
Mehr und mehr hört das auf, auch auf dem Lande.
Der sich immer mehr steigernde Verkehr thut der Jugend, besonders einer kraftvollen Jugend, die Welt auf, zeigt ihr die Ferne, und
Viele folgen der Weisung.
Wo noch vor 10 Jahren Eltern und
Kinder um einen Tisch zusammensaßen, da sind setzt die Eltern allein zurückgeblieben, die Kinder zerstreut, und nur sehr freudige oder sehr traurige Veranlassungen
Elternhaus
zusammen.
wohin sie will.
führen die Zerstreuten wieder einmal im
Die Jugend
Dazu
Eigenwille der Jugend.
gürtet sich
kommt, wie
es
immer
selbst und
geht,
gewesen ist, der
Je geringer ihre Erfahrung, um so mehr
will sie den eigenen Willen durchsetzen, schlägt guten Rath in den
Wind, geht nicht dahin, wohin sie gewiesen wird,
wohin sie will.
sondern dahin,
Dieser Eigenwille kann Eigensinn sein;
dann ist
Es kann aber
oft das Ende bittere Reue, Sterben und Verderben.
auch diesem Eigenwillen ein starker Wille zu Grunde liegen, der das
Recht hat, sich durchzusetzen.
Dann gelangt die Jugend zum ftohen
Staunen derer, die sie mit Sorge ziehen sahen, an schönen Zielen an.
Sie gürtet sich selbst und geht, wohin sie will.
alte Klage, die nicht erst von heute ist:
Es ist eine
„Die heuüge Jugend ist so
ganz anders, als zu der Zeit, da wir jung waren.
Neue Anschau
ungen kommen auf, neue Ziele werden aufgestellt, neue Ideale, neue
Richtungen, neue Bestrebungen, die wir nicht verstehen. zieht andere Straßen, als wir einst zogen.
Aber wir müssen das verstehen. nicht, auch nicht im Kleinen.
Die Jugend
Sie geht, wohin sie will."
Die Weltgeschichte wiederholt sich
Wir sollen deshalb nicht verlangen,
daß die heutige Jugend nur eine Wiederholung dessen sein soll, was wir in den Tagen unserer Jugend waren.
Im Ganzen müßten wir
uns doch freuen, wenn wir eine Jugend heranwachsen sehen, die sich
selbst gürtet und hingeht, wohin sie will, d. h. die sich nicht erst
Jugend und Alter.
75
hierhin und dahin treiben und weisen läßt, sondern die selbständig und kraftvoll das Leben anfaßt, sich selbst ein Ziel steckt, sich einen Plan entwirft, sich durcharbeitet durch die Hindernisse. Glücklich die Eltern, die ihren Kindern nur dann und wann mit leisem Rath, mit leiser Mahnung zur Seite zu gehen brauchen und mit Stolz sehen, wie der junge Adler anfängt die Flügel zu regen. Nur auf Eins kommt es an, daß sie bleibt in der Nachfolge Jesu. Jesus ist auch für die Jugend gekommen. Alles an ihm,
sein Glauben und Lieben, sein Arbeiten und Hoffen, ist ewige Jugend. So soll die Jugend von ihm glauben lernen. Eine Jugend, die nicht glaubt, keine Ideale hat, die schon am Morgen
des Lebens müde ist, die an Allem, was Menschenherzen höher schlagen läßt, kühl zweifelt, die nur daran denkt, wie sie möglichst ohne Anstrengung und möglichst rasch in äußeren Dingen vorwärtskomme, die mit kühler Berechnung diese Erde überblickt, wo am meisten Gewinn zu finden ist, sie ist das Salz, das dumm geworden ist. Wie zu einem rechten Morgen frischer Morgenwind gehört, der den Menschen den Schlaf aus den Augen weht, und zu einem rechten Sonnenaufgang der Thau auf den Blumen, in dem sich die Morgensonne spiegelt, so gehört zu einer rechten Jugend ftöhlicher
muthiger Glaube, Glaube an Gott, der die Menschen vorwärts führt und dadurch geehrt werden will, daß die Menschen an seinem kommenden Reich arbeiten, der Glaube an ewige Güter, die heute noch in jungen Herzen wohnen wollen, wie vor 1000 Jahren, und der Glaube an die Vaterliebe im Himmel, an Liebe und Treue auf Erden, der Glaube, der zum Himmel auffliegt bis an das Herz
Gottes und dann zur Erde zurückkehrt und sie verklärt sieht von
himmlischem Licht. Das ist deine beste Ausrüstung für das Leben, du junges Geschlecht, deine beste Wehr und Waffe. Damit gürte dich für das Leben! Aus dem christlichen Glauben aber kommt die christliche Liebe. „Ueber Alles ziehet an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit."
Ewige Liebe hat dich, du Jugend,
gesegnet durch Menschenhände, blickte dich an aus Menschenaugen,
sie war die Sonne, die dein Herz warm machte.
Sie sei die sanfte
Fessel, die dich bindet, die dich bindet an Vater und Mutter, an Lehrer und Freunde, die dich bindet, daß du in deinem Denken und Handeln keinen anderen Weg gehen kannst, als den, den deine
76
Jugend und Alter.
Führer, die dir Gott gegeben hat, dir gezeigt haben; die dich bindet
an deine Pflichten, welche dir das Leben bringt in Haus, Schule
und Beruf; die dich bindet an deine Aufgabe, im Leben einmal den Deinen, deinem Volke, deiner Kirche etwas Rechtes zu nützen.
Binde
dich selbst mit geheiligter Willenskraft, daß du es gar nicht über dich
gewinnst,
dir
selbst,
deinen Fehlern wehrlos zu
gehorchen,
sondern täglich daran arbeitest mit aller Kraft, heranzuwachsen zu
einem starken Gottesmenschen, wie die junge Tanne, die ihr Haupt zum Himmel emporhebt.
Binde dich innerlich an das Ziel deines
Lebens, in Gottvertrauen, edlem Selbstvertrauen, in Muth und Hoff ersaßt es
Dann
nung.
dich innerlich,
hält dich fest,
zieht dich
vorwärts. So ist der Weg, den du gehen willst, auch der Weg, den du gehen sollst.
Freiheit und
Gesetz sind Eins.
Dein freier
Wille ist erfüllt von dem Willen deines Erlösers, und das Gesetz Gottes ist
dein innerstes Lebensgesetz.
So
gürte, so
binde
dich selbst.
Wenn unsere Söhne und Töchter in diesem Geiste heranwachsen, sich selbst innerlich leitend durch die guten heiligen Kräfte, die von
Jesus Christus ausgehen,
wollen.
dann laßt sie getrost gehen,
wohin sie
Und gingen sie ganz andere Wege in Arbeit und Beruf,
als ihr einmal gedacht habt, und gingen sie hin in fremde Länder, laßt
sie gehen, wohin sie wollen,
sie werden überall auf rechten
Wegen bleiben. Das ist die Jugend, die sich selbst gürtet zur Nachfolge Jesu.
2.
Und nun das Alter.
„Wenn du alt wirst, so wird ein
Anderer dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst." du selbst, sondern ein Anderer.
der Herr redet, kann zweifelhaft erscheinen. sich
selbst.
Er wird
Nicht
Wer dieser Andere sei, von dem
Vielleicht meint er damit
zwar, wenn das eintretcn wird, wovon er
spricht, nicht mehr sichtbar bei den Seinen sein, wohl aber geistig als der Tröster, der ihnen Frieden bringt, als der Geist der Wahr
heit, der in alle Wahrheit leitet, als der Geist der Kraft, der die
Welt überwindet.
Dieser verklärte Christus wird seine Jünger gürten
und binden, sie schwere Wege führen, als Schafe unter die Wölfe, in Verfolgung
und Schmach,
daß
sie zuletzt auch im Tode ihm
ähnlich werden müssen, sterben um seinetwillen, für ihn.
Man kann
77
Jugend und Alter.
auch denken an Schmerz, Leid und Trübsal, welche den Petrus
binden werden, daß er die Wege gehen muß, vor denen jeder Mensch, auch ein Apostel Jesu, eine natürliche Furcht hat.
denken an den Tod, menschliche Feinde,
der
die ihn
ihn
Man kann auch oder an
führen wird ans Kreuz,
Jede
dem Tode überliefern werden.
dieser Deutungen hat ihr gutes Recht. „Wenn du alt wirst, wird ein Anderer dich gürten,"
das Menschengeschick.
von außen her sein Weg beengt und gebunden. Jugend
das ist
Je älter ein Mensch wird, um so mehr wird
viele Wege sich vor Einem aufthun,
Alter diese verschiedenen Wege.
Während in der
verschließen sich im
Selten, daß sich einmal ein Weg
abzweigt von der einmal beschrittenen Bahn, daß sich nach der Seite hin eine Aussicht öffnet.
Du kannst nur den einen Weg gehen.
sich dir ftüher die Möglichkeit:
Bot
„Du könntest hierauf deine Kraft
werfen oder darauf, du könntest hier dein Glück suchen oder dort,"
je älter du wirst, um so mehr schwinden diese Möglichkeiten und du
beschränkst dich auf den eng begrenzten Pflichtenkreis.
Wie an den
Gebirgspfad von beiden Seiten die Felsen-immer näher herantreten und
ihn
verengen,
daß
kaum
Raum
ist
hindurchzukommen,
so
drängen sich die äußeren beengenden Verhältnisse immer mehr an das Alter heran, unübersteiglich, unüberwindlich.
Früher schweiften
deine Wünsche hinaus in die blaue Ferne, und du sähest dort sonnige
Höhen und träumtest davon, wie schön es sein müßte, auf ihnen
Hütten zu bauen; aber nun wirst du immer bescheidener in deinen Wünschen und Hoffnungen für diese Erde, beschränkst sie auf die
Wenn nur
nächstliegenden Dinge, auf dein Haus, deine Familie.
das so bleibt und jener bescheidene Wunsch sich erfüllt, willst du
zufrieden
sein.
Früher
wolltest du deine Arbeit ausdehnen; jetzt
erkennst du, daß nur die Arbeit im Kleinen dauernde Früchte bringt,
und
weil die Sonne sinkt, fassest du deine ganze Kraft in dieser
Arbeit zusammen, damit du einige Spuren deines Wirkens zurücklässest.
Die
Dinge
weniger; ihr Lärm
in der Welt draußen
kümmern
dich
immer
Dein
Gesichtskreis
und
der Kreis deiner Interessen wird immer kleiner.
Du fühlst,
wie
du unter den Lasten immer müder wirst.
verklingt in
der
Ferne.
Zu den Lasten
gesellt sich Krankheit, manche Beschwerde des Alters. als früher denkst du an dich selbst.
Vielmehr
Es stellt sich das ein, was
Jugend und Alter.
78
man die „Selbstsucht des Alters" nennt.
Wenn du alt wirst, wird
dich ein Anderer gürten. Das Leben, das in der Weite begann, endigt in bedrückender
Enge.
Das Leben, das einst voll hoher Ideale war, wird schließ
lich ausgefüllt von dem Kampf mit den kleinen Sorgen und Be
schwerden des Tages.
Der junge Gelehrte, der einst im Geiste hohe
wissenschaftliche Entwürfe bewegte, der junge Dichter oder Künstler, der vom Nachruhm träumte, verzehrt schließlich den Rest seiner Kraft im Kampf mit den Sorgen
der
harten Wirklichkeit.
Der Welt
eroberer, dem einst sein Königreich zu klein war und der sich gürtete,
die Welt zu gewinnen, muß zuletzt zuftieden sein mit 6 Fuß Erde. „Wenn du alt wirst, wird ein Anderer dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst." Heute vor 10 Jahren, am Sonntag Cantate 1888, haben wir denselben Text zusammen betrachtet; damals erschien er uns in ganz
eigenartiger Beleuchtung.
Kaiser Friedrich kämpfte den letzten
schwersten Kampf seines Lebens, den Leidens- und Todeskampf. der
Er,
einst in stolzer Jugendkraft sich selbst gegürtet hatte, um in
seinem geistigen Leben und Streben hohe Ziele für sein Volk zu
verfolgen, er, der dann, als das Heil unseres Volkes im Schwerte ruhte, sich mit dem Schwerte umgürtet hat, er, der Liebling seiner Krieger auf den Schlachtfeldern, der Liebling seines Volkes in stiller
Friedenszeit, er wurde, als er eben erst die Schwelle des Alters betrat, von einem Anderen gegürtet und geführt,
wohin er nicht
wollte, hinein in bitteres Leiden, in bitteren Tod.
Aber in dieser
schweren Zeit hat er ein Buch gehabt, in dem er viel gelesen hat,
das Buch von der „Nachfolge Christi" von Thomas a Kempis, und was er daraus und aus seinem Verkehr mit Gott gelernt hat,
das hat er zusammengefaßt in der Lehre, die er den Seinen hinter
lassen hat:
„Lerne leiden, ohne zu klagen."
an ihm das Wort Jesu zu Petrus erfüllt:
Ganz genau hat sich
Er wurde geführt, wohin
er nicht wollte; aber er folgte Jesu nach. Dadurch aber wird das Gehen, wohin wir nicht wollen, doch
ein innerlich freiwilliges Gehen, in dem freien Gehorsam gegen Gott.
Der äußere Zwang löst sich auf in innere Freiheit. Diese Freiwilligkeit wird auch in unserem Text ausgedrückt
mit den Worten:
„Du wirst deine Hände ausstrecken."
Als
79
Jugend und Alter.
Petrus das gethan hat, da ist ihm Christus zur Seite gewesen und hat zu ihm gesagt:
„Breite nur deine Hände aus und laß dich
gürten, es ist so Gottes Ordnung und Gottes heiliger Wille; nimm
diesen Willen Gottes auf in deinen Willen und gehe frei den Weg, den du geführt wirst."
So geht das Alter in der Nachfolge Jesu innerlich frei seinen
Weg der sinkenden Sonne entgegen.
Der Glaube, der einst in die
Weite schweifte und auch auf Erden große Dinge hoffte, zieht sich
immer mehr zurück auf sein eigentliches Lebensgebiet, auf das Ver
hältniß der Seele zu Gott, faßt sich in Geduld, übt sich im Hoffen und Warten, hält sich an die Verheißung, daß Gott sein Erlösungs werk an uns, die Erlösung von Sünde und Tod, von allem Stück
werk der Vergänglichkeit ganz vollbringen wird.
Viele Hoffnungen
und Wünsche, die an der Oberfläche der Seele gelegen, sind vom
Winde des Geschickes weggeweht.
Aber die Hoffnung, die in der
Tiefe der Seele ihr Heiligthum gehabt, die Hoffnung des Heils in Jesus Christus, ist geblieben.
Das Aeußere ist vergangen; Kraft
und Anmuth sind dahin; langsam werden die Schritte.
Aber der
Gott, dessen Leuchte einst über der sich gürtenden Jugend gestanden, trägt das müde Alter zum Grabe, und geht es auch vielleicht lang
sam, unter vielem Seufzen, Gott trägt es doch.
Auch Manches vom
Innern ist vergangen, stürmisches Wesen der Jugend, die leichte Er
regbarkeit zu Liebe und Haß, der alte Eigenwille, der sich nicht
fügen wollte, hat sich in Geduld verwandelt. ist geblieben, und es ist gewachsen.
Das Innerste aber
Wie bei der leiblichen Ernährung
von jeder Nahrung die Stoffe, die dem Körper heilsam sind, sich in Leben, Blut und Kraft verwandeln, ebenso ist in der Seele, die Jesu nachfolgte, von Allem, was das Leben brachte, von allen Er
fahrungen, Sorgen und Freuden,
etwas zurückgeblieben, was die
Seele genährt hat und stärker gemacht hat in Gott.
Werden die
Lasten schwer, Christus, der still zur Seite geht, macht alle Last leicht.
Brennen die alten Wunder wieder, der Geist Christi heilt
den Schmerz.
Erheben sich
alte Sünden
drohend, richtend und
rächend, der Friede Christi gebietet ihnen, daß sie schweigen und untergehen.
Ist der Weg eng, durch Christus weitet sich der Blick.
Die trüben Augen werden durch ihn wieder scharf; wie die Abend sonne überall ihre Flammenzeichen aufsteckt,
so
leuchten
aus
der
80
Eine Hütte Gottes bei den Menschen.
Vergangenheit die Wohlthaten Gottes hervor, und aus der Zukunft
winken die Gefilde der Seligen.
Die Liebe ist geblieben.
In den
Kammern des Herzens ruhen die stillen Todten in Frieden, und
jeder Lebende, der dem Alter in Treue verbunden bleibt, findet dort seinen Platz.
Und die Liebe umgiebt es, tröstet, hilft tragen.
Es geht seinen Weg, den Weg des Geschickes, aber innerlich frei, hinauf zum Vater.
Die Jugend gürte sich für dieses Leben; das Alter gürte sich für jenes Leben.
„Folge mir nach!"
Aber über beiden schwebt das Gebot des Herrn:
Amen.
10.
Eine Hütte Gottes bei den Menschen. (Pfingsten.) Offenb. 21, 3.
Siehe da, eine Hütte Gottes bei den Menschen; und
er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er
selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein.
Gott wohnt nicht auf diesem oder jenem Berge, so predigt
Jesus der Samariterin am Jakobsbrunnen; denn er soll angebetet
werden im Geist und in der Wahrheit. Tempeln, von Menschenhänden gemacht.
Er wohnt auch nicht in Und bautet ihr den präch
tigsten Dom mit Hallen, so hoch der Himmel ist, Gott kann nicht darin wohnen.
Auch der Himmelsdom vermag ihn nicht zu fassen;
alle Himmel sind
für ihn zu klein.
Und hier ist die Rede von
einer Hütte Gottes unter den Menschen?
Kein Tempel, kein Dom,
sondern eine Hütte für den Ewigen, den Unendlichen?
kein Bau sein
aus (todten Steinen, sondern
lebendigen Steinen bestehen.
er
Das kann
muß wohl
aus
Wo der heilige Geist in den Menschen
und unter den Menschen wirkt, da ist eine Hütte Gottes bei den Menschen.
Von dieser Hütte Gottes bei den Menschen laßt uns mit einander reden.
80
Eine Hütte Gottes bei den Menschen.
Vergangenheit die Wohlthaten Gottes hervor, und aus der Zukunft
winken die Gefilde der Seligen.
Die Liebe ist geblieben.
In den
Kammern des Herzens ruhen die stillen Todten in Frieden, und
jeder Lebende, der dem Alter in Treue verbunden bleibt, findet dort seinen Platz.
Und die Liebe umgiebt es, tröstet, hilft tragen.
Es geht seinen Weg, den Weg des Geschickes, aber innerlich frei, hinauf zum Vater.
Die Jugend gürte sich für dieses Leben; das Alter gürte sich für jenes Leben.
„Folge mir nach!"
Aber über beiden schwebt das Gebot des Herrn:
Amen.
10.
Eine Hütte Gottes bei den Menschen. (Pfingsten.) Offenb. 21, 3.
Siehe da, eine Hütte Gottes bei den Menschen; und
er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er
selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein.
Gott wohnt nicht auf diesem oder jenem Berge, so predigt
Jesus der Samariterin am Jakobsbrunnen; denn er soll angebetet
werden im Geist und in der Wahrheit. Tempeln, von Menschenhänden gemacht.
Er wohnt auch nicht in Und bautet ihr den präch
tigsten Dom mit Hallen, so hoch der Himmel ist, Gott kann nicht darin wohnen.
Auch der Himmelsdom vermag ihn nicht zu fassen;
alle Himmel sind
für ihn zu klein.
Und hier ist die Rede von
einer Hütte Gottes unter den Menschen?
Kein Tempel, kein Dom,
sondern eine Hütte für den Ewigen, den Unendlichen?
kein Bau sein
aus (todten Steinen, sondern
lebendigen Steinen bestehen.
er
Das kann
muß wohl
aus
Wo der heilige Geist in den Menschen
und unter den Menschen wirkt, da ist eine Hütte Gottes bei den Menschen.
Von dieser Hütte Gottes bei den Menschen laßt uns mit einander reden.
Eine Hütte Gottes bei den Menschen.
81
1. Es ist der vollkommene Zustand auf Erden, dem alle Re ligion zustrebt, daß Gott auf Erden wohnen möchte: Gott nicht
mehr in weiter Himmelsferne, mühsam von den Menschen gesucht, sondern nahe wie ein Freund; nicht mehr verborgen, daß man nur
in geheimnißvoller Rede von ihm sprechen kann, sondern sein Herz uns offenbar wie das Herz eines vertrauten Menschen; nicht eine stemde unberechenbare Macht, der man in knechtischer Furcht mit verhülltem Antlitz dient, sondern der steundliche Gott, von dem wir wissen, daß sein Herz uns immer in Treue zugewandt ist; Gott auf Erden als Lebenskraft in der vergänglichen Welt, als der Friede in allen Stürmen, als Gnade, die alle Schuld aufhebt, als Versöhnung, die allen Streit schlichtet, als Liebe, die Alle verbindet.
Was uns hier im letzten Buche der heiligen Schrift als das Endziel der Menschheitsentwickelung geschildert wird, das finden wir am Anfang der heiligen Schrift als Weissagung. In der Schöpfungs geschichte wird uns erzählt: Gott wandelte in der Abendkühle unter den Bäumen des Paradieses. Das ist jetzt schon Wahrheit. Wenn die Sonne am Horizonte sinkt und die Gipfel der Bäume von ihrem
Glanze vergoldet werden und die Ebene eingetaucht ist in die goldene Gluth des scheidenden Tages, wenn die Abendluft über die Erde weht und die heiße Stirn des müden Arbeiters kühlt, und der Abendftiede sich in die Herzen der Menschen senkt nach vollbrachtem Tagewerk, ist es da nicht, als wandelte Gott durch Feld und Wald, über Berg und Thal, und zöge auch durch die Häuser der Menschen?
Gott wandelt auf Erden. Aber in noch ganz anderer Weise hat sich das einst erfüllt in einer kurzen Spanne Zeit, der größten Zeit, welche die alte Erde je durchlebt hat, der seligen Zeit, als Gottes ewiges Licht der Erde aufging. Das war die Zeit Jesu. Seinem Worte fühlten es die Menschen an: Hier redet Gott zu uns und zeigt uns durch diesen seinen Gesandten den Weg, auf dem er uns selig machen will. In diesem Frieden, den er den Menschen
darbietet, wenn er zu ihnen spricht: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch," in dem Licht, das von ihm aus geht und die Menschen innerlich so wunderbar erleuchtet, daß sie über sich einen neuen Himmel und unter sich eine neue Erde sehen, in der Vergebung, die er den Menschen spendet, indem er zu ihnen spricht: „Gehe hin, deine Sünden sind dir vergeben," in der Liebe, K i r m ß, Predigten.
tz
Eine Hütte Gottes bei den Menschen.
82
mit der er die Menschen sucht, sucht auch in der Finsterniß, im
Staube der Erde — in alledem empfinden die Menschen die Nähe Aus
Gottes.
der
ganzen Erscheinung Jesu weht ihnen entgegen
Gottes Geist, ergreift sie Gottes Kraft.
Dieser Eingeborene vom
Vater war gesalbt mit dem heiligen Geiste.
Die Fülle der Gottheit, Gottes
Geist „nicht nach dem Maße". innerstes Wesen,
Er besaß den heiligen
Gottes Gnade und Liebe wohnt in ihm.
Wort ist Fleisch geworden.
Das
Die ewige Wahrheit hat sich eingekleidet
in menschliche Worte, die ewige Liebe in ein menschliches Leben, der
unergründliche Gott in eine menschliche Erscheinung.
heißt
es
im
höchsten
Sinne:
Eine
Hütte
Von Jesus
Gottes
bei
den
Menschen.
Aber Gott wollte nicht nur einige wenige Jahre in Christo auf Erden wohnen.
Wie ein Vater immer bei seinen Kindern sein
will, so will Gott immer bei uns sein. Gottes hat Jesus vollbracht.
seinem Todesgeschick entgegen.
in den bitteren Tod.
Diesen Willen, diesen Rath
Er geht den schweren Weg des Leidens,
Vom Geiste getrieben geht er hinein
Die Hülle muß zerfallen, das Gefäß muß
zerbrochen werden, damit der Inhalt frei werde, damit der Geist, der darin wohnte, sich ergießen könnte in alle Menschen. Jünger sehen die Herrlichkeit des Auferstandenen.
seines ewigen Lebens stehen sie auf zu neuem Leben. Geist, der in Jesus wohnte, sollen sie empfangen.
Pfingsten.
Seine
In der Kraft Denselben
So wird es
In heiliger Erwartung, in heiliger Sehnsucht nach der
Kraft aus der Höhe haben sie sich in Jerusalem versammelt.
Da
kommt es über sie wie das Brausen eines gewaltigen Windes, auf ihren Häuptern, auf ihren Lippen brennt es, wie himmlisches Feuer.
Ohne daß sie sich Rechenschaft geben können, wie es geschieht, ergießt sich der Sttom heiliger Beredtsamkeit von ihren Lippen.
Es ist die
ewige Sprache des heiligen Geistes, welche sie reden, und deshalb
werden sie von Allen verstanden. ergreift die Menschen.
Gemeinde.
Die Kraft, der Geist Jesu Christi
Sie verbinden sich mit einander zu einer
Sie haben eine Liebe zu einander, wie die Welt sie
noch nicht gesehen hat.
In ärmlichen Hütten zu Jerusalem kommen
sie zusammen, brechen das Brod des Lebens, trinken den gesegneten Kelch, feiern den Beginn einer neuen Zeit, den Anbruch eines großen
Gottestages, das Kommen des Gottesreiches.
Ein neuer Glaube,
Eine Hütte Gottes bei den Menschen. ein neues Leben, eine neue Hoffnung!
83
Siehe da, abermals eine
Hütte Gottes bei den Menschen. Nun will Gott nicht mehr von der Erde weichen. Er will auf Erden wohnen. Wo Menschen die Wahrheit suchen, der Wahr heit vertrauen, sich der Wahrheit freuen, wo sie an Gott sich halten und seiner sich getrösten, wo Gottes Friede die hochgehenden Wellen der Trauer in den Menschenseelen zur Ruhe bringt, wo Menschen
geister sich sehnen, dem Vater der Geister, von dem sie ausgegangen sind, immer ähnlicher zu werden, wo Liebe Menschen tröstet. Schwachen hilft, wo Treue ihr Wort hält bis an den Tod, wo Reinheit die Jugend schmückt und Friede das Alter, wo Gerechtig keit das Verhältniß der Menschen zu einander regelt, wo die Menschen daran arbeiten, daß den Mitmenschen die Wege geebnet, die Lasten erleichtert, die Thränen getrocknet werden — da wohnt Gott unter den Menschen, da waltet sein Geist, da ist eine Hütte Gottes bei den Menschen. 2. Das ist das Werk des heiligen Geistes, daß er Gottes Kraft und Liebe, Gottes Gnade und Gottes Segen in uns bringt. Damit wird das Werk der Erlösung an uns und in uns erst voll bracht. Was zu Weihnachten in der Geburt Jesu begonnen hat, am Charfreitag im Tode Jesu und Ostern in der Auferstehung fortgeführt worden ist, das wird nun Pfingsten vollendet, uns an
geeignet, unser geistiger Besitz, daß nun die Erlösung unsere Erlösung, Gottes Gnade unser Eigenthum wird. Der Gott über
uns wird zum Gott in uns. Der Christus für uns wird zum Christus in uns. Gottes und Christi Wesen strömte in unser Herz
ein; Gott steigt herab von seinem ewigen Thron in unser Gewissen. Gottes ewiges Gesetz erfüllt unseren Willen, daß wir das, was wir sollen, thun, weil wir wollen. Gottes Gesetz wird zur Seele, zur Kraft unseres freien Willens. Gottes Liebe ergießt sich in unsere Seele, daß wir an unseren Mitmenschen Liebe üben müssen. Gottes Gnade wird uns innere Gewißheit. Gottes ewiges Leben wird unser Leben. Gottes weiter Himmel leuchtet in unserer Seele. Christus wird in uns geistlich geboren als der Sohn
Gottes, der uns zu Gottes Kindern macht. Er stirbt in uns, und wir sterben mit ihm der Sünde ab. In uns feiert er seine Auf erstehung, und wir stehen mit ihm auf zu einem neuen Leben. 6*
Eine Hütte Gottes bei den Menschen.
84
Gott und Christus wohnen durch den heiligen Geist in uns.
Siehe da, eine Hütte Gottes bei den Menschen.
Gewiß, groß ist
der Gott, der außer und über uns waltet in Natur und Geschichte.
Aber die Menschen grübeln viel zu viel über diesen Gott, über seine
Geheimnisse und seine Eigenschaften.
Viel wichtiger ist es, daß wir
selbst Gottes Tempel werden, daß Gott in uns wohnt.
Wem
das widerfährt, der grübelt nicht mehr und zweifelt nicht mehr an
Gott.
Das
geschieht aber
daß
dadurch,
wir den heiligen Geist
empfangen. Darum
bitte
Das Gebet:
Geist.
Gott
wieder
immer
um
den
heiligen
„O heilger Geist, kehr bei uns ein" ist nicht
nur ein Pfingstgebet, sondern ein Gebet, das man täglich beten soll.
Um den heiligen Geist beten, d. h. Gott bitten, daß er selbst als unser Leben und Licht, als unsere Kraft und unser Führer bei uns einziehen möchte. selbst.
Das ist seine höchste Gabe.
Er giebt darin sich
Und deshalb will er darum gebeten sein.
giebt er auch ohne unser Gebet.
Irdische Gaben
Diese höchste Gabe aber kann Gott
nur denen geben, welche ihre Seele in den rechten Zustand versetzt
haben, ihn aufzunehmen; dieser rechte Zustand ist eben das Gebet. So bitte ihn immer wieder um den heiligen Geist. um so viele nichtige Dinge;
Du bittest Gott
bitte ihn vor Allem um den heiligen
Geist; denn der heilige Geist wird in dir Licht, Kraft, Freiheit; der heilige Geist wird in dir Friede, seliges Genügen, Gerechttgkeit und> Reinheit.
Steht dir ein ernstes Gespräch mit einem Menschen bevor,
den du überzeugen willst von seinem Unrecht, hinführen zum Recht, so bitte Gott um den heiligen Geist.
Und wie Jesus seinen Jüngern
verheißen hat, sie sollen sich keine Sorge machen, was sie sagen
werden vor den Menschen, der heilige Geist werde ihnen das Rechte eingeben, so wird dir Gott auf deine Bitte das rechte überzeugende Wort eingeben.
Mußt du einen schweren Weg gehen, vor dem dir
bange ist, bitte Gott um den heiligen Geist, dann wird dir der schwere Weg zu einem Segen werden.
Ist dein Gewissen unruhig,
klagt es dich an, suche nicht nach Scheingründen, dich zu beruhigen
und zu entschuldigen vor dir und den Menschen, sondern zerreiße den Trug, mit welchem der natürliche Mensch sich selbst bettügm will, und bitte Gott:
„Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und
gieb mir einen neuen gewissen Geist; verwirf mich nicht von deinem
Eine Hütte Gottes bei den Menschen.
85
Angesicht, und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir."
Gott um den heiligen
Bitte
Geist; in dem Maße, als du es herzlich,
innig und aufrichtig thust, wirst du ihn empfangen.
Dann wird
Gott in dir bleiben, nicht nur ein Gast sein, der kommt und geht, sondern dein Herr, der seinen ewigen Thron in dir aufgeschlagen Er wird nicht nur in auserwählten Stunden dich blitzartig
hat.
erleuchten, sondern als ein stilles Licht dein ganzes Leben durch leuchten, nicht nur als ein Sturm bisweilen dich innerlich erschüttern
und emporreißen, sondern als ein sanfter Odem deine Seele durch wehen.
Du athmest in ihm, wie dein Leib in der Luft dieser Erde.
Denn erst vollendet sichs, was uns die Schöpfungsgeschichte erzählt: Der Mensch, von Erde gemacht. Staub vom Staube, mit dem hin fälligen Leib, stüh oder spät der Raub des Todes, hat in sich den lebendigen Odem Gottes, nämlich Gottes heiligen Geist.
eine Hütte Gottes unter
den Menschen.
Siehe da,
Die Hütte zerfällt, die
Fluchen des Todes reißen sie hinweg: aber die Seele, erfüllt von dem Geiste
des Herrn,
ewigen Lichte.
folgt ihrer tiefsten Sehnsucht hinauf zum
Jeder solche Mensch ist eine Hütte Gottes.
Wo solche Menschen sich zu Familien zusammenschließen, auch
da ist eine Hütte Gottes bei den Menschen.
Wie ein Haus auf
freundlicher Höhe, im Schatten hoher Bäume,
unerreichbar
für
die zerstörenden Wasser, auf festem Grund gebaut, — frische Quellen stießen daran vorüber, stische Bergluft weht durch Thür und Fenster hinein, weit und frei ist der Blick hinauf zum Himmel, hinaus über
Berg und Thal, gut ist es dort zu wohnen, auszuruhen nach ge-
thaner Arbeit, und der Streit der Welt dringt nicht in seinen stillen Frieden — so ist ein Haus, in welchem Gott wohnt, in welchem
der
heilige Geist
der Hausgeist ist.
geistigen Banden geheiligt.
Bande des Blutes sind
zu
Nicht nur Verhältnisse, Schicksale ver
knüpfen die Hausgenossen, sondern der Eine Geist hält die Herzen
zusammen. Alles muß diese Verbindung befestigen. An dem Sünder
arbeiten hier Alle zusammen, und Liebe decket zu der Sünden Menge. Trübsal fügt die Hände fester ineinander, und in einem Geist ver einigen sich alle Kräfte, um das Schwere zu tragen.
Segen geht
von solch einem Hause aus, Freude weht allen entgegen, die es be
treten.
Auch über den Tod, welcher einkehrt, triumphiert die Ge
wißheit, daß die in der Liebe bleiben, auf ewig vereint bleiben in
Eine Hütte Gottes bei den Menschen.
86 Gott.
Hier wohnt Gott.
Auch wenn sein Name
nicht genannt
wird und das Leben in den alltäglichsten Formen dahingeht, Gott ist das Element, welches Alles durchdringt.
wohnt in den Häusern der Menschen.
Der unendliche Gott
Siehe da, Hütten Gottes
bei den Menschen.
Solche Häuser aber schließt Volksgemeinde.
der heilige Geist
zusammen zur
Wahrer christlicher Geist kann mit echter Vater
landsliebe nie in Widerspruch treten. Wenn Staat und Religion in
Streit mit einander kommen, ist entweder der Staat auf falschem Wege, will die Gewissen knechten, oder, was Religion zu sein scheint, ist priesterliche Herrschsucht.
Nichts kann einen Staat stärker machen,
als der heilige Geist, der die Menschen zu christlich freien Persön
lichkeiten macht, daß sie sich alle in Freiheit und Liebe um Thron
und Vaterland schaaren; der die Gesetzgebung durchdringt und sie so gestaltet, daß Jeder sein Recht findet und über Allen gleich der
Stab der Gerechtigkeit waltet; der das Verhältniß der verschiedenen Volksklassen zu einander heiligt, den Stolz der Großen, den Neid der Kleinen und Armen dämpft; der Fürst und Volk in freier Liebe
mit einander verbindet, so daß sie gar nicht anders können, als
für einander leben;
der zufriedene Bürger an die Arbeit, tapfere
Streiter in den Kampf sendet.
Wir wissen wohl, daß unser Volk
noch weit entfernt ist von diesem Bild eines Volkes, in welchem Gott wohnt.
Aber ebenso vertrauen wir darauf, daß in der Seele
unseres Volkes der christliche Geist noch einen festen Platz hat. Wir können deshalb getrost der Zukunft entgegensehen. sich verirren, aber es wird sich wiederfinden.
Unser Volk kann
O möchte es immer
mehr von unserem Volke gelten: Siehe, eine Hütte Gottes bei den
Menschen. Vor Allem aber soll Gottes unter den
bleibend.
die
kirchliche Gemeinde
Menschen sein.
Hier wohnt
eine Hütte
Gott,
dauernd,
Es ist nicht richtig, das Wirken des heiligen Geistes in der
Kirche nur in großen außergewöhnlichen Zeiten zu sehen, wie damals, als er in Sturm und Feuer über die Jünger kam, oder im Mittel
alter, als eine große Volksmenge unter dem stürmischen Rufe: „Gott will es" sich zum Kreuzzug nach dem heiligen Lande rüstete, oder
im Zeitalter der Reformation, als der Geist des Herrn die leeren Formen des kirchlichen Lebens zerbrach und einen neuen Bau auf-
Eine Hütte Gottes bei den Menschen.
87
führte, oder heutzutage, wenn unter der hinreißenden Macht eines Predigers eine Versammlung von schwärmerischer Begeisterung er griffen wird.
Sondern Gott wohnt durch
seinen Geist in der
christlichen Gemeinde. Er ist nie von ihr gewichen und weicht nicht von ihr, auch nicht in den trübsten und dürrsten Zeiten. Und wären es nur ganz kleine Kreise, in denen der Glaube lebendig und die
Liebe thätig ist, er wohnt in der christlichen Gemeinde durch sein Wort, welches das eine Mal mächtig strafend einherfährt, wie ein
Wetter und die Gewissen weckt durch die Predigt des Gesetzes, und dann wieder in der Predigt des Evangeliums ist wie ein warmer Frühlingsregen, der alle schlummernden Keime des Guten im Men schen hervorruft, das bald ist wie der Hammer, der den Felsen harter Herzen zerschlügt, dann wieder wie eine milde Kraft, an welcher die zerschlagenen Herzen sich austichten zu neuem Glauben. Gott wohnt in der christlichen Gemeinde im heiligen Abendmahl,
in welchem die Hungernden und Dürstenden ewige Erquickung finden. Gott wohnt hier. Deshalb sollen die Menschen hier auch nur Gott suchen, nicht menschliche Autorität, sondern Gottes heilige Macht, unter welche sich steiwillig die Geister beugen, nicht ertödtende Menschensatzung, sondern lebendige Wahrheit, nicht leere Formen, sondern belebenden Geist, nicht Streit, sondern Frieden, nicht eng herzige Vorurtheile, sondern allumfassende Liebe. Hier ist eine Hütte Gottes, niedrig, schmucklos, ohne Pracht und Prunk, ohne weltliche Macht und Herrlichkeit, so wie es für uns Menschen auf dieser armen Erde angemessen ist, aber eine Hütte Gottes, des Ewigen, die alle Zeiten, alle Angriffe der Menschen überdauert, eine Hütte Gottes, welche die Pforten der Hölle nicht überwinden.
Hier ist Gott unser Gott, wir sein Volk, Alle ohne Unterschied zwischen Geistlichen und Laien, Alle vom Geiste Gottes beseelt, geistlichen
Standes, ein königliches Priesterthum. So baut Gott auf Erden seine Hütten; lasset euch von ihm erbauen, damit er in euch wohne. Komm, heiliger Geist, erfülle die Herzen deiner Gläubigen und entzünde
deiner göttlichen Liebe.
Amen.
in ihnen das Feuer
88
Der Glaube an Gott.
11.
Der Glaube an Gott. 2. Moses 20, 2 u. 3.
Ich bin der Herr dein Gott,
der ich dich aus
Egyptenland, aus dem Diensthause geführt habe.
Du sollst keine
anderen Götter neben mir haben.
In dem Menschenherzen, welches, wie die Schrift sagt, das
eine Mal trotzig, das andere Mal verzagt ist, taucht immer wieder die Frage auf: Warum soll ich mich dem Gesetze Gottes unterwerfen? Während aber sonst der Mensch sich in dem unbewußten Drange seiner natürlichen Triebe gegen das Gesetz auflehnte, wie das kleine Kind noch ohne Ueberlegung unbewußt sich auflehnt gegen das Gebot
der Eltern, hat es Zeiten gegeben — und dazu gehört auch die heutige Zeit — in denen man sich mit vollem Bewußtsein die Frage vorlegte: Sind die sittlichen Vorschriften des Gesetzes, der zehn Ge bote, wirklich richtig? Warum muß der Mensch diesen Geboten sich unterwerfen, seine Triebe beherrschen, seine Leidenschaften zähmen? Warum darf der Mensch sich nicht selbst sein Gesetz vorschreiben?
Ist denn die Familie, das Leben, das Eigenthum, der gute Name des Menschen wirklich etwas Heiliges und Unantastbares? Kann der Mensch, wie er z. B. Staatsgesetze ändert, alte Gewohnheiten, die schließlich schädlich geworden sind, beseitigt, nicht auch die zehn Gebote ändern? Solche Fragen können nur von Menschen aufgeworfen werden, denen der Glaube an Gott zweifelhaft geworden oder bereits ganz verloren gegangen ist. Wo der Glaube an Gott in den Herzen der
Menschen lebendig ist, da können solche Fragen gar nicht aufgeworfen
werden; da weiß man: So gewiß als Gott ewig ist, so gewiß sind auch die Grundzüge des sittlichen Lebens, wie sie in den zehn Ge boten enthalten sind, ewig, unumstößlich, denn sie sind aus Gott. Deshalb heißt es am Eingang der Gebote: Ich bin der Herr, dein Gott. Von ihm sind sie ausgegangen. Sie sind Gesandte Gottes an die Menschenkinder. Gott breitet seine Hände schützend über ihnen
aus, daß sie bleiben müssen für und für, wie auch die Menschen
sich gegen sie erheben.
Allerdings, käme einmal eine Zeit, wo die
Der Glaube an Gott.
89
Bibel verschlossen wäre, nichts mehr von Gott erzählte, von Himmel und Erde, und die Geschichte der Völker uns nichts mehr davon verkündigte, daß Gott ist, wenn auch die Stimme in unserer Brust, das Gewissen und die Sehnsucht nach dem Ewigen in uns schwiege, und wenn so der Gottesglaube als ein großer Irrthum ausgestrichen Wäre aus dem Buche der Menschenwelt, dann würden die Menschen
auch diese 10 Gebote, diese Gesandten Gottes verjagen und tödten können, aber auch erst dann und eher nicht! Wenn wir jetzt in unseren nächsten Betrachtungen die Gebote mit einander besprechen wollen, so wollen wir das unter diesem Ge sichtspunkte thun, daß diese Gebote den unwandelbaren Willen Gottes an uns enthalten. Wir treffen wohl den Inhalt des ersten Gebotes am besten,
wenn wir mit einander reden von dem Glauben an Gott als der Grundlage unseres Lebens. 1. Ich bin der Herr dein Gott. Wenn mit diesem Wort die sittlichen Vorschriften für unser Leben eingeleitet werden, so liegt darin die tiefe Wahrheit, daß das sittliche Leben auf die Dauer nicht bestehen kann ohne den Glauben an Gott, daß ein Volk
auf die Dauer nicht gut sein kann, ohne fromm zu sein. Wahr haftigkeit, Liebe, Treue, Zucht, Pietät, Gerechtigkeit, alle diese Tugenden, welche ein Volk erhalten, können nicht leben und bleiben in einem Volke, wenn der Glaube an Gott schwindet. Sie sind Kinder Gottes, Pflanzen, von ihm gepflanzt, die deshalb auch aus ihm ihre Nahrung ziehen müssen; können sie das nicht mehr, dann
müssen sie sterben.
So war es im israelitischen Volke.
Die Zeiten,
in denen es abfiel von seinem Gott und sich der Anbetung der heidnischen Götter zuwandte, waren immer auch Zeiten des sitt lichen Verfalls und schwerer Heimsuchungen. War aber sein Glaube
lebendig, leuchtete in seiner Seele dieses wunderbare himmlische Licht, das ihm aufgegangen war mitten im Dunkel der
an Gott
Heidenwelt, dann konnten alle Verfolgungen und Niederlagen, alle Stürme der Völkergeschichte, welche über das Land dahinbrausten,
auch die Zeiten der Verbannung und Gefangenschaft es nicht über winden. Da galt von ihm das Wort des Psalmisten: „Sie haben mich oft bedränget von meiner Jugend auf; aber sie haben mich nicht Übermacht." Das wird sich in jedem Volke wiederholen. Wo
90 es fraglich wird:
Giebt es einen Gott? da wird es auch fraglich:
Was ist recht, was ist gut, was ist Pflicht?
Wo sich das Band
zwischen der Volksseele und Gott lockert, da lockert sich auch das
Band, welches den Menschen an den Menschen knüpft, welches die
verschiedenen Stände zu einer Volksgemeinde verbindet, da wanken die
Grundlagen
des
Staates
der
und
Gesellschaft.
Man sagt:
Dieses Wort ist insofern richtig, als die
Religion ist Privatsache.
Religion die privateste innerste Gewissensangelegenheit jedes einzelnen Menschen ist.
Aber es ist falsch, wenn man es so versteht, wie es
Die Religion habe mit unserem
thatsächlich vielfach verstanden wird:
öffentlichen Leben in Staat und Gesellschaft nichts zu thun, sondern
sich
auf das Seelenleben des Einzelnen zu beschränken.
Vielmehr
ist die Religion für Staat und Gesellschaft das Wichtigste, was es
Bildet die Lehre vom Recht, die Gesetze des Staates noch
giebt.
so genau aus, richtet noch so viele Schulen ein, in denen die Jugend
in allen möglichen Lehrgegenständen unterwiesen wird, baut die be haglichsten
und wohnlichsten Krankenhäuser, trefft die besten Ein
richtungen zur Versorgung der Armen, findet die wirksamsten Mittel, um
die Arbeit,
Ackerbau,
Handel, Industrie
und Wohlstand zu
heben, — es geht doch Alles nicht ohne den Gottesglauben. giebt erst Leben und Wärme, Halt und Kraft.
Volkslebens.
Er
Er ist das Herz des
Nicht Gesetze sind die Stütze eines Staates, sondern
wirklich
fromme
Mütter,
Männer und Frauen, die deshalb ihr Vaterland lieben,
weil
Menschen,
sittliche
sie Gott im Herzen tragen.
Sittlichkeit ohne Religion.
Persönlichkeiten,
Väter
und
Es giebt auf die Dauer keine
Ihr werdet vielleicht sagen:
Ich kenne
manche Menschen von edelster Gesinnung, von tadelloser Lebens führung, die ausgesprochen nichts mit der Religion wollen zu thun
haben.
Gewiß, es giebt solche Menschen.
Aber woher haben sie
ihre edle Gesinnung, ihre edlen sittlichen Grundsätze und die Kräfte,
dieselben zu befolgen? Sie haben sie geschöpft aus der Sittenlehre, die aus dem Gottesglauben stammt, aus der Sittenlehre, an deren
Spitze steht: Ich bin der Herr, dein Gott!
Wenn aber dieser Quell
versiegt, dann wird auch das Geschlecht dieser Menschen, die gut sein wollen ohne Gottesglauben, immer spärlicher werden, bis es ganz aussterben wird.
Religion, so
Es giebt auf die Dauer feine. Moral ohne
ehrenwerth die Menschen fein mögen, welche Moral
Der Glaube an Gott. ohne Religion pflegen wollen.
91
Frage doch dein eigenes Gewissen:
Wer hat denn ein Recht, dir zu gebieten: Du sollst! als Gott? Sind diese Gebote nur menschlichen Ursprungs, warum müssen wir sie halten, warum sind sie für uns verbindlich? Warum können Menschen sie nicht aufheben, wie sie von Menschen gemacht worden sind? Wenn du dagegen hörst, wie aus dem „Du sollst" der Ge bote dir die Stimme deines Gottes entgegenklingt, deines Gottes, der dir etwas zu gebieten hat, der heilig ist, dessen Wille unver
brüchlich ist, der jedem Menschen als einem sittlich verantwortlichen Wesen bestimmte Pflichten auferlegt, der einst Rechenschaft von dir fordert, wie du deine Zeit und deine Kraft auf Erden ausgenutzt hast, — die Stimme deines Gottes, der dich, obwohl du dich dessen oft unwürdig gemacht hast, mit ewiger Liebe geleitet, deine Sünden mit Langmuth getragen, in Christus dir die Erlösung darreicht und durch seine Liebe dich zur Buße reizen und dein Herz zur Gottes und Menschenliebe entzünden will — wenn du aus dem „Du sollst" die Stimme dieses heiligen und dieses gnädigen Gottes heraus hörst, — dann klingt dir dieses „Du sollst" einerseits so ernst, so streng, so unbedingt, daß du dich dadurch hingestellt fühlst vor die ewige Majestät deines Gottes, andererseits so freundlich, so lockend und ermuthigend. Handelt danach in eueren Häusern: In den Herzen euerer Kinder wird das Gute erst dadurch rechte Kraft be kommen, wenn ihr sie glauben lehrt, Gott spricht: Du sollst.
2. Wir sagen ferner: ,Der Gottesglaube ist die Grundlage unseres Lebens; denn er lehrt uns die Vergangenheit ver
stehen und an die Zukunft glauben/ „Ich bin der Herr dein Gott, der dich aus Egyptenland geführt hat." Das ist die größte Thatsache in der Geschichte Israels. Mit dieser Befreiung beginnt seine Selbständigkeit. An diese reihen sich
die anderen Thatsachen der israeliüschen Geschichte an; in allen sieht das Volk durch den Gottesglauben Gottes Walten, Gottes Thun, lernt dadurch seine Geschichte, verstehen und lieben, wird
innerlich mit ihr verttaut, lebt sich mit seinem Herzen in dieselbe ein und lernt aus ihr Gottes Willen und Wege. So lehrt uns der Gottesglaube die Geschichte unseres Volkes erst recht verstehen.
Denn wir sehen in ihr Gottes Wege, wie
einst von England aus das Christenthum in die deutschen Wälder
92
Der Glaube an Gott.
-rang, wie die erste Verbindung unseres Volkes mit dem Christemthum nach den Anschauungen der damaligen Zeit unser Volk zugleich an Rom knüpfte, wie diese Verbindung mit Rom für unser Volk zum Knechtshaus wurde, wie dann Luther kam, der Moses d,es deutschen Volkes, der es aus der Gefangenschaft führte, und Gustav Adolf, der Josua, der seine Freiheit mit dem Schwerte ver
theidigte. Dann sehen wir weiter alle die wunderbaren Wege durch Erniedrigung zur Erhöhung, durch Schmach zur Kraft, durch Zer
spaltung zur Einigung. Wenn wir so die Geschichte unseres Volkes als ein Werk Gottes überblicken, dann kommt sie uns erst recht
nahe, wird uns verständlich, lieb und theuer, die Gestalten der deutschen Vergangenheit, unsere Väter, an denen Gott Großes gethan hat, werden uns lebendig und vertraut, wie alte Freunde, lehren, mahnen und trösten uns. Warum hat das heutige Geschlecht so wenig Ehrfurcht vor der Vergangenheit, vor den überlieferten Ord nungen, Gesetzen und Anschauungen, vor den Sitten der Väter? Weil es vielfach seinen Glauben an Gott verloren hat. Denn der Glaube an Gott lehrt uns die Vergangenheit verstehen.
Auch unsere eigene Vergangenheit. Ist dir dein Leben, wie es sich bisher entwickelt hat, deine Wanderung aus dem Eltern haus in das Leben, dein Berufsweg, den du eingeschlagen hast, die Verbindungen, die du geschlossen hast, nur ein Werk des Zufalls und äußerer Verhältnisse, dann ist dir das Ganze gleichgiltig, oder du schaust, wenn es dir schlecht gegangen, mit Bitterkeit darauf zurück, oder wenn du etwas erreicht, mit Stolz und Selbstgerechtig keit.
Ist dir dagegen dein Leben ein Werk Gottes, mit wie ganz
anderen Empfindungen siehst du darauf zurück, wie wird dir das Herz warm, wenu du erwägst, was Gott an dir gethan hat, und wie werden dir da alle Erinnerungen Gedanken an Gott.
Die
Menschen, welche dir Liebe erwiesen haben, die dich auf rechten Weg geführt und heilsam auf dein Herz, deinen Charakter eingewirkt haben, sind dir nun Boten, Engel Gottes. Glückliche und schmerz liche Ereignisse deines Lebens sind die Fügungen deines himmlischen
Vaters. In dem äußeren Geschehen deines Lebens siehst du das stille Walten der Liebesgedanken Gottes. Ebenso aber lehrt der Glaube an Gott uns zuversichtlich in die
Zukunft blicken.
Weil Israel glaubte:
„Ich bin der Herr dein
9A
Der Glaube an Gott.
deshalb glaubte es
Gott, der dich aus Egyptenland geführt hat,"
an seine Zukunft, auch dann, wenn nach menschlichen Gedanken keine
Hoffnung mehr war. Oder
gehen.
Weshalb glauben wir an die Zukunft unseres
Vertrauen wir
Volkes?
auf die
auf Staatsmänner?
Macht
Sie
kommen nnd
Sie ist zerbrechlich.
der Waffen?
Oder auf die Kraft und den guten Geist unseres Volkes?
Zeiten gegeben, wo sie sich beide nicht bewährten.
Es hat
Oder auf in
dustrielle Erfolge, auf die Ausbreitung unserer Handelsbeziehungen?
Auch auf dem Weltmarkt herrschen Ebbe und Fluth.
Wer daß es
einen Gott giebt, der uns nicht verlassen, der sich auch unseres niedergeschlagenen, zwar
dunkle
war,
der
Großes
lassen kann, schauen.
Wege
zertretenen Volkes geführt an
uns
hat,
stets erbarmt hat,
dessen
Gang
gethan und
aber
deshalb
der uns
lauter Licht
nicht
von uns
dieser Glaube lehrt uns zuversichtlich in die Zukunft
Gott hat zu viel an uns gewandt, um uns wieder los
zulassen. Warum glaubst du an deine Zukunft? daran?
Ist dir die Zukunft gleichgilttg?
Zukunft verloschen?
Oder glaubst du nicht
Ist dir das Licht der
Dann bist du wie ein Wanderer in der Nacht,
der vor sich ein Licht sah, und dieses Licht gab ihm Muth und be
flügelte seinen Schritt.
Aber auf einmal verlosch das Licht und er
tappte auf ziellosem Pfad im Dunkeln.
Nein, du glaubst an die
Zukunft, an Quellen des Heils, die dir noch fließen werden, an ein
Wachsthum deines inneren Lebens, an bleibende Güter, an Friede in deinem Hause, an Liebe und Freundschaft, die dich umgeben werden. Daran glaubst du.
Aber warum?
Weil du bei Anderen ein glück
liches Leben, ein gesegnetes Mannesalter, ein ftiedliches Greisenalter
siehst?
Aber kennst du nicht andere Menschen, bei denen sich Leid
an Leid, Enttäuschung an Enttäuschung und damit auch Verbitterung an Verbitterung reiht?
Oder
verttaust
du auf
dein Verdienst?
Aber wenn alle Ueberttetungen der Vergangenheit sich rächen, dann
kannst du von der Zukunft nur Leid erwarten. festen Grund der Hoffnung:
Es giebt nur Einen
Ich bin der Herr dein Gott, der dich
erlöst, einen ewigen Bund mit dir geschlossen hat. Mein ist deine Zukunft.
Ich bestimme deine Wege.
Mir gehörst du. Ich verwandle
Leid in Freude, Verlust in Gewinn, Schmerz in Seligkeit.
mehr, als ich nehme,
ich segne mehr,
Ich gebe
als ich niederbeuge.
Ja,
94
Der Glaube an Gott.
Gottes Treue ist der feste Grund deiner Zukunft, der Himmel, der
sich über deinem Leben wölbt in Ewigkeit.
3. er
Der Gottesglaube ist die Grundlage unseres Lebens; denn
giebt unserem
Leben
einen einheitlichen Mittelpunkt.
In ausgezeichneter Weise hat sich das gezeigt am Volke Israel.
Es
wohnte unter fremden Völkern; viele Israeliten fühlten sich zu Zeiten mächsig hingezogen zu dem Glauben und den Sitten der ftemden
Völker.
Es kam die Zeit der Gefangenschaft.
Ganze Theile des
Volkes haben Jahrzehnte lang unter heidnischen Völkern gewohnt.
Aber der Glaube an Gott war immer stärker, als alles Trennende,
und hielt die in der Fremde und die in der Heimath verbunden zu
Einem Volk.
Und
weiter:
Alle Gesetze waren religiöse
Gesetze.
Der Glaube an Gott bestimmte Recht und Gesetz, die Grundsätze in
Handel und Wandel, in Ehe und Familie, gab dem ganzen Volks Nun hat diese Beherrschung
leben seine Gestalt und seinen Inhalt.
auch aller äußerer Ordnungen des Lebens durch die Religion auch
ihren Nachtheil
gehabt.
Denn was ursprünglich
aus
lebendiger
Frömmigkeit hervorgegangen, wurde zur starren Satzung, und diese wieder wurde zur Last und Plage.
Aber es war doch ein groß-
arsiger Gedanke, der diesem ganzen Volksleben zu Grunde lag: Gott
der Mittelpunkt des ganzen Volkslebens. Könnte
dieser Gedanke nicht unter Vermeidung jener Fehler
unter uns Wirklichkeit werden?
Parteiungen zerreißen unser Volk.
Meinungen, wie der Staat zu regieren sei, Meinungen darüber, wo Gebundenheit und wo Freiheit sein soll, stoßen heftig zusammen, so
daß
die Streitenden
oft gegenseitig
ihre Sprache nicht verstehen.
Neben den Parteien stehen einander die verschiedenen Stände mit ihren Interessen feindlich gegenüber; jeder meint von der Gesammt heit vernachlässigt zu sein, und fordert sein Recht, seinen Vortheil,
ohne sich
um das Recht der Anderen zu kümmern.
Denkt euch,
welch eine einigende versöhnende Macht läge darin, wenn Alle vor
sich aufgethan sähen das Heiligthum des Gottesglaubens, auf dem
heiligen Boden der Religion sich zusammenfänden, in dem Glauben
an den Einen Vater im Himmel einander verständen, sich hier zu
sammenschlössen, wo der Reiche sich beugt vor dem Ewigen, der Arme sich erhebt zum Ewigen, wenn sich hier vor Gott zusammenfänden
der Landmann, der Regen und Sonnenschein von Gott braucht, der
95
Der Glaube an Gott.
Kaufmann, der Unternehmer, der industrielle Arbeiter, die auch Alle zu ihrer Arbeit Gottes Segen brauchen, wenn Alle sich zusammen
fänden als Sünder, welche die Gnade Gottes bedürfen, die aber
auch Alle
die Gnade Gottes
empfangen
sollen,
wenn auch
ver
schiedene Konfessionen, die sich sonst nicht verstehen, sich verständen der seine Sonne aufgehen
in dem Glauben an den Einen Gott,
läßt über alle seine Kinder und sie Alle mit seiner Liebe umspannt! Wenn ein Volk in diesem seinem Gottesglauben, in diesem Mittelpunkt sich
sondern
zusammenfaßt,
innerlich,
auch
dann
ist
und keine
es
nicht nur äußerlich Eins,
Macht
scheiden, was Gott zusammengefügt hat.
der
Erde
vermag
zu
In einem Volke tauchen
Volksgötzen auf, Menschen, die man vergöttert, Ansichten, von denen
man alles Heil erwartet, verführerische Mächte, welche die Menschen in ihren Bannkreis
ziehen,
verführerische Hoffnungen, welche die
Menschen in die Irre leiten.
welches
aus
irrenden
Das ist immer so in einem Volke,
schwachen Menschen besteht.
Aber glücklich
das Volk, das zuletzt immer wieder seine Augen erhebt zu dem Einen
Gott, vor dem die Götzen zerfallen, der sie selbst zerschlägt und zu uns spricht:
„Ich bin der Herr dein Gott; du sollst nicht andere
Götter haben neben mir." Der Gottesglaube giebt auch deinem Leben den einheitlichen Mittelpunkt.
Die Götzen, das Geld und
die Lust der Welt, die
Leidenschaften, die dich binden, die Menschen, die dein Herz gefangen
nehmen, die Herrlichkeiten der Erde, die dich locken, die Schrecken der Erde, die dich ängstigen, sie alle zerstückeln dein Leben, reißen dich hierhin und dorthin, lassen dich zu keiner Ruhe, keiner Klarheit,
keinem Frieden kommen; sie geben deinem Leben einen unsteten ziel
losen Lauf.
Gott dagegen ist der stille Odem, der dein Schiff zum
Hafen treibt.
Sie knechten dich.
Gott aber macht dich frei.
machen dich unselig, Gott aber macht dich selig. aber Gott führt dich auf rechter Straße.
Sie
Sie verführen dich;
Sie machen dich friedlos;
Gott aber giebt dir Frieden.
Sie saugen dein Leben aus;
Gott giebt dir ewiges Leben.
Wenn du dein Herz an sie hängst,
aber
ziehen sie dich mit hinab in den Tod, und dein Herz wird kalt und leer und stirbt.
Gott allein ist ewig und treu, unser Friede, unser
Leben, unsere Kraft; deshalb sagt er um unseretwillen: Du sollst
nicht andere Götter haben neben mir.
Fürchte dich nicht und klage
Der Name Gottes.
96
nicht, wenn Gott mit seiner gewaltigen Hand in dein Leben greift,
und zerbricht deine Götzen, die dein Herz gefangen hielten und dich fern hielten von Gott.
Siehe, nun wird das Gesichtsfeld über dir
frei, daß du Gott allein siehst als deinen Herrn, daß du ihn allein
fürchtest, wie die starken Männer Gottes ihn allein gefürchtet haben,
und sonst nichts in der ganzen Welt, daß du ihn allein liebst und
die Menschen und
alles Große und Gute in der Welt als seine
Gabe und Offenbarung, und ihm allein vertraust, emporsteigst über
alle Dinge der Erde, die dein Vertrauen täuschen, über die Menschen,
das Glück, die eigene Kraft und Gerechtigkeit, und dich allein gründest auf den ewigen Fels, der da bleibt in allem Wechsel der Zeit. So ist
der Glaube an Gott die Grundlage unseres Lebens.
Er giebt unserem sittlichen Streben den rechten Halt.
Er lehrt uns
die Vergangenheit verstehen und an die Zukunft glauben.
der einheitliche Mittelpunkt unseres Lebens.
Er ist
„Ich bin der Herr dein
Gott, du sollst nicht andere Götter haben neben mir!" Amen.
12.
Der Name Gottes. 2. Mos. 20, 7.
Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht
mißbrauchen; denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen mißbraucht.
von
dem Gottesglauben als der Grundlage unseres Lebens
haben wir in unserer vorigen Betrachtung im Anschluß an das erste
Gebot geredet. So sehr
der Gottesglaube in seiner Reinheit das Heil der
Menschen ist, so verderblich wirkt er unter den Menschen, wenn sich
menschliche Lüge und Leidenschaft mit ihm verbindet.
Die Menschen
haben manchmal diesen Engel aus dem ewigen Licht in einen Engel der Finsterniß verwandelt.
Und wo das einmal geschehen ist, da
giebt es kaum eine Schandthat, ein Verbrechen, welches nicht von Menschen angeblich im Namen der Religion vollbracht worden wäre.
Der Name Gottes.
96
nicht, wenn Gott mit seiner gewaltigen Hand in dein Leben greift,
und zerbricht deine Götzen, die dein Herz gefangen hielten und dich fern hielten von Gott.
Siehe, nun wird das Gesichtsfeld über dir
frei, daß du Gott allein siehst als deinen Herrn, daß du ihn allein
fürchtest, wie die starken Männer Gottes ihn allein gefürchtet haben,
und sonst nichts in der ganzen Welt, daß du ihn allein liebst und
die Menschen und
alles Große und Gute in der Welt als seine
Gabe und Offenbarung, und ihm allein vertraust, emporsteigst über
alle Dinge der Erde, die dein Vertrauen täuschen, über die Menschen,
das Glück, die eigene Kraft und Gerechtigkeit, und dich allein gründest auf den ewigen Fels, der da bleibt in allem Wechsel der Zeit. So ist
der Glaube an Gott die Grundlage unseres Lebens.
Er giebt unserem sittlichen Streben den rechten Halt.
Er lehrt uns
die Vergangenheit verstehen und an die Zukunft glauben.
der einheitliche Mittelpunkt unseres Lebens.
Er ist
„Ich bin der Herr dein
Gott, du sollst nicht andere Götter haben neben mir!" Amen.
12.
Der Name Gottes. 2. Mos. 20, 7.
Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht
mißbrauchen; denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen mißbraucht.
von
dem Gottesglauben als der Grundlage unseres Lebens
haben wir in unserer vorigen Betrachtung im Anschluß an das erste
Gebot geredet. So sehr
der Gottesglaube in seiner Reinheit das Heil der
Menschen ist, so verderblich wirkt er unter den Menschen, wenn sich
menschliche Lüge und Leidenschaft mit ihm verbindet.
Die Menschen
haben manchmal diesen Engel aus dem ewigen Licht in einen Engel der Finsterniß verwandelt.
Und wo das einmal geschehen ist, da
giebt es kaum eine Schandthat, ein Verbrechen, welches nicht von Menschen angeblich im Namen der Religion vollbracht worden wäre.
97
Der Name Gottes.
An nichts haben sich die Menschen so schwer versündigt, wie am
Gottesglauben,
stärksten Feind der Sünde.
diesem
Er,
der
die
Sünde tobten soll, ist von den Menschen zum Mittel der Sünde
gemacht worden.
muß immer an der Reformation der
Deshalb
Die Kirche muß in einer steten Selbst-
Kirche gearbeitet werden.
erneuerung begriffen sein und die unreinen Stoffe, welche aus der
Welt in sie eindringen, ausscheiden.
So unentbehrlich uns die Frömmigkeit ist, so unentbehrlich ist der Frömmigkeit die Lauterkeit.
Davon wollen wir jetzt im Anschluß an das zweite Gebot
reden,
zuerst vom Mißbrauch des göttlichen Namens,
dann
vom rechten Gebrauch desselben.
1.
Der Name
„Schall und
Gottes ist nicht nur
sondern Gott selbst wohnt in seinem Namen.
Wohnung, welche
Tempel Gottes,
menschliche
die
dem
von
es
Gott gebaut hat, ein
Sprache
freilich
Rauch",
Gottes Name ist die
auch
gilt,
was
von allen
Tempeln Gottes gilt, nämlich, daß er viel zu eng ist, um Gottes
Es hat auch in dieser Tempelbau
unendliches Wesen zu umfassen.
kunst ein stetiger Fortschritt stattgefunden.
Je klarer die Menschen
Gott erkannten, und je deutlicher sich Gott ihnen offenbarte, um so weiter und schöner sind auch diese Tempel, diese Namen Gottes ge worden.
Einst sah man Gott nur im Himmel, in der Sonne, dem
Mond und
den Sternen,
im Sturm
und im Frühling, in den
schaffenden und in den zerstörenden Kräften der Natur. die
menschliche Sprache
für
jede
dieser
Da hat
einzelnen Erscheinungen
Gottes einen besonderen Namen erfunden; man sprach von einem
Gott des Himmels,
der Sonne,
Meeres, des Sturmes.
an
des Mondes,
der Sterne,
des
Da stieg im Herzen Israels der Glaube
den Einen Gott auf;
allmählich verschwanden die Götter der
Heiden, und ihre Namen wurden leere Hüllen, ohne Leben, ohne
Inhalt.
Aber für den Einen großen Gott bilden sich neue Namen.
Er ist Jehova, der Lebendige, der Inbegriff und Ausgangspuntt
alles Lebens, der Allmächttge, vor dem die Erde Staub ist, der Gerechte, der jedem Volk und jedem Menschen giebt nach Verdienst
und Würdigkeit, der aber ebenso auch barmherzig und langmüthig ist.
Aber auch bei diesem Namen sollte es nicht bleiben.
Jesus
Christus, der in seinem Herzen und Leben, in seinem Glauben und Kirmß, Predigten.
7
98
Der Name Gottes.
das innerste Wesen Gottes umfaßte,
Lieben
hat Gott noch einen
weiteren, größeren Namen gegeben, einen Namen, über den hinaus
es niemals einen herrlicheren geben wird.
Er sprach: „Mein Vater,
unser Vater." Das ist nur ein Wort, und doch nicht nur ein Wort.
eine Gewalt liegt in
diesem Namen Gottes!
Welch
Derselbe weckte in
unseren Kinderherzen die ersten seligen Regungen frommen Ahnens. Er
schwebte über uns,
Er klingt über
als wir getauft wurden.
unserem Grabe, wenn wir begraben werden.
Die heiligsten Vor
gänge unseres inneren Lebens werden von ihm in uns
gerufen.
hervor
Er beugt uns nieder im Gefühl der Schuld, er getröstet
uns dessen, daß Gott unsere Uebertretungen will fern von uns sein lassen, wie der Morgen fern ist vom Abend.
Irrthum zurück Frieden.
zur Heimath
der Seele,
Er zieht uns aus dem zur Reinheit und
zum
Er sagt uns, daß es in der tiefsten Noth eine Hülfe giebt.
Er birgt in sich eine Fülle des Trostes, gegen die alles Leid ohn
mächtig ist.
Alles Große, Gute, Heilige und Ewige, alle helfenden,
tröstenden Kräfte unseres Lebens fassen sich in diesem Namen zu
sammen.
Bei dem Klange dieses Namens schließt sich uns auf die
ewige Welt der erbarmenden Liebe, da regen sich in uns die Triebe der Menschenliebe, zu vergeben, zu helfen.
Dieser Name übertönt
die Stürme in unserer Brust und glättet die hochgehenden Wellen der Leidenschaften.
Dieser
Name
birgt in sich
die
höchste und
seligste Macht, unser Heil und unsere Hülfe, unsere Hoffnung und unseren Trost im Leben und im Sterben.
Bringt es menschliche Sünde wirklich fertig, diesen Namen zu
mißbrauchen?
Müßte nicht, so oft wir ihn gebrauchen, unser Wesen
lauter Ernst und Andacht sein?
Und doch ist der Mißbrauch des
göttlichen Namens unendlich weit verbreitet unter Nichtftommen und unter Frommen, unter Gläubigen und Ungläubigen.
Den Einen ist
Gott keine Wirklichkeit mehr; wie sie im Weltall keinen Raum für ihn
finden,
so haben sie in ihrem Herzen keinen Raum für ihn.
Aber es fehlt ihnen die Kraft und Folgerichtigkeit, nun auch das
Wort „Gott" aus ihrer Sprache zu streichen.
Sie sind nun einmal
an das Wort gewöhnt von Kindheit auf; und von alten Gewohn
heiten, auch wenn sie keinen Sinn mehr haben, macht man sich schwer los.
Der Name Gottes ist ihnen wie ein altes Bild, das sie von
99
Der Name Gottes.
-en ehrwürdigen Vorfahren ererbt haben, deshalb in irgend einem Zimmer noch aufheben, freilich ohne seine Bedeutung zu kennen. Der Name Gottes ist ihnen ein Tempel, der außen noch ehr
würdiges Gemäuer mit heiligen Zeichen aufweist, aber inwendig ist er leer, überall Staub und Moder, ein Zeichen, daß sich hier keine andächtige lebendige Gemeinde mehr versammelt. Wenn ihr solchen Menschen begegnet, die noch Gottes Namen im Munde führen, ohne an Gott zu glauben, so sagt zu ihnen: Warum nennt ihr Gott noch, wenn ihr nicht mehr an ihn glaubt? Warum schleppt ihr euch mit dieser dürren leeren Hülle des Namens Gottes, wenn für euch Gott nicht mehr lebt? Warum treibt ihr dieses Spiel mit heiligen Worten? Warum seid ihr so unwahr? Aber noch
schlimmer ist es, wenn Menschen, die an Gott glauben, Gottes Namen mißbrauchen. Ihr, die ihr fromm sein wollt, hütet euch doppelt vor aller religiösen Unwahrhaftigkeit! Sprecht keine frommen Worte ohne fromme Gedanken! Gebraucht keine frommen Ge bärden ohne fromme Empfindungen! Erscheint den Leuten lieber unfromm und seid ehrlich, anstatt daß ihr ihnen fromm erscheint und seid unehrlich. Wenn sich Jemand eine Redensart angewöhnt hat, macht er sich damit leicht lächerlich. Wer aber Gottes Namen zur Redensart macht, der wird von den Menschen mit Mißtrauen
und Widerwillen betrachtet. Hier gilt vor allem das Wort des Apostel Paulus: „Alles, was nicht aus dem Glauben kommt, ist Sünde." Alles äußere fromme Wesen, hinter dem keine fromme Gesinnung ist, ist Sünde. Gebraucht den Namen Gottes mit aller Keuschheit, mit allem Ernst, wenn ihr etwas zu sagen habt, was des göttlichen Namens würdig ist. Aber zieht ihn nicht herab in das gedankenlose Geschwätz des Tages!
Aber es giebt noch einen schwereren Mißbrauch des göttlichen Namens. Du hast einen Freund in hoher Stellung, der einen weit hin geachteten guten Namen hat, und du hast dich auf diesen Namen manchmal berufen dürfen, um unter den Menschen etwas Gutes durchzusetzen, wofür du deinen Freund gewonnen hattest. Nun
handelt es sich einmal für dich um etwas, wobei dein Neid, deine Habsucht und Selbstsucht mit im Spiele ist, vielleicht auch deine Feindschaft gegen andere Menschen, und auch diesmal berufst du dich
.auf jenen geachteten Namen, obwohl der Träger desselben, wie du 7*
100
Der Name Gottes.
wohl wissen könntest, mit deiner Handlungsweise nicht einverstanden ist.
Das heißt, du mißbrauchst den guten Namen deines Freundes. mißbrauchen die
So den
mit
Worten:
trügen. Flucht nicht!
oft
Menschen
Zwecken, die gegen Gott sind.
Fluchen,
den
Namen
Gottes
zu
Luther schildert diesen Mißbrauch schwören, zaubern, lügen oder
Denn es ist etwas Entsetzliches, einen Menschen
zu verfluchen im Namen des Gottes, der uns geboten hat, nicht zu
fluchen, sondern zu segnen, und am schlimmsten ist solch ein Fluch, wenn er von hoher kirchlicher Stelle ausgeht.
Flucht nicht!
Denn
es ist ein trauriges Zeichen innerlich zuchtlosen Wesens, im Zustand leidenschaftlichster Erregung durch einen Fluch den Namen Gottes herabzuziehen in die trübe Fluth unreiner Leidenschaften.
Eid
Haltet den
Ja, es ist etwas Heiliges, wenn jemand an rechter
heilig!
Stelle Gott zum Zeugen der Wahrheit anruft durch einen Eid, um
die
dadurch
Wahrheit
zum Sieg zu
führen.
Wehe
aber
dem
Menschen, der die Lüge in das heilige Gewand des Eides kleidet, dem Betrüger, der Gott betrügen möchte und sich damit von dem
Ewigen losreißt, so daß er nun wie ein welkes Blatt ist, das vom gejagt wird
die Erde
Winde über
und
keine Stätte mehr hat.
Rottet in euch und in Anderen den Aberglauben aus!
Denn das
ist es in der heuügen Zeit, was Luther mit dem Wort „Zaubern"
bezeichnet.
Spielt nicht mit diesem finsteren Geist, lächelt auch nicht
über ihn, sondern treibt ihn aus mit aller Kraft.
Wer
eures Glaubens.
Tod
da
meint,
Denn er ist der
sein Leben und Geschick
hänge von Zahlen und Stunden und Zeichen ab, der sagt sich damit los
von
Haupte
dem Gott,
fällt.
Wer,
ohne
wie
dessen Willen
kein Haar von unserem
es der heutige Spiritismus will,
mit
verwegener Hand den Schleier des Jenseits lüften möchte, der sagt sich los von dem Gott, der nach seiner heiligen Ordnung die obere Welt unserem Auge verschlossen hat. des Glaubens.
allem
aber
Darum
Der Aberglaube ist der Tod
rottet ihn aus mit aller Kraft! — Vor
hütet euch vor der Heuchelei,
Trügen beim Namen Gottes.
das Mark seines Wesens.
vor dem Lügen und
Ein Heuchler ist sittlich krank bis in
Der Betrug, der Mißbrauch des gött
lichen Namens ist ihm zur anderen Natur geworden. sein Element.
Die Lüge ist
Jesus, der auch über eine Ehebrecherin seine Hand
Der Name Gottes.
schützend
101
gebreitet und mit den Sündern und Zöllnern zu Tische
gesessen hat, hat für die Heuchler nur ein Wehe.
Gott wird den nich-t ungestraft lassen, der seinen Namen Denkt dabei nicht nur an die äußeren Strafen, durch
mißbraucht.
welche Gott das Lügengebäude des Heuchlers zusammenschlägt und den Meineidigen der irdischen Gerechtigkeit überliefert und den Aber
gläubischen mit seiner eigenen Sünde heimsucht. die Strafe,
Viel schwerer ist
die darin besteht, daß der Friede Gottes, sein Trost,
seine vergebende Gnade, daß m. e. W. Gott selbst das Herz still verläßt, in welchem mit seinem Namen ein unehrliches Spiel getrieben wird.
Von Gott verlassen werden, gottlos sein, das ist die schwerste Strafe
für den Mißbrauch des göttlichen Namens. „Du sollst den Namen Gottes nicht mißbrauchen."
Der Mensch,
der nicht an Gott glaubt und deshalb den Namen Gottes aus seiner
Sprache ausgestrichen hat, ist bedauernswerth, aber er ist wenigstens
ein ehrlicher Mensch.
Ein Mensch
aber,
der Gottes Namen im
Munde führt, ohne an Gott zu glauben, ist ein verächtlicher Mensch; denn er ist ein Heuchler und ein Lügner.
2.
Und nun wollen wir diese traurigen Bilder verlassen und
sehen, wie man den Namen Gottes recht gebraucht.
Luther sagt:
Gott in allen Nöthen anrufen, beten, loben und danken. Unlautere Frömmigkeit hat keine Widerstandskraft in der Noth.
Sie bricht zusammen, wie ein Kartenhaus, an das ein Kind stößt.
Dann stammelt sie wohl die altgewohnten frommen Worte und klagt
Gott und die Menschen an; aber sie kann Gott nicht anrufen; was
sie beten nennt, ist wie ein Ruf in den heulenden Sturm hinaus, der sofort jeden Ton verschlingt.
Gott ist ihr so fern, so fremd,
und macht sie sich ja eine Vorstellung von ihm, so sieht sie immer
nur das zürnende Angesicht des Gottes, den zu bettügen sie versucht
hat, und vor dem sie nun in ihrem ganzen Elend steht.
Wo aber
die Frömmigkeit lauter ist, da müssen die Nöthe, kaum daß sie ins Haus
getreten
sind,
heilige
Dinge
thun.
Sie
wecken in
dem
frommen Menschen schlummernde Gebete; diese werden für dich jetzt erst recht lebendig, du verstehst ihre Kräfte, schmeckst den Gottes
frieden, der in ihnen ruht.
Und weiter nehmen dich die Nöthe bei
der Hand, führen dich zu Gott, geben dir den Muth in die Seele, Gott anzurufen, wie
ein Kind
seinen Vater anrust.
Und dieses
102
Der Name Gottes.
Anrufen ist für dich nicht etwa ein Zaubermittel, durch welches nun auf einmal wunderbare Hülfe herbeigeholt wird; sondern es ist das
aus der Tiefe kommende Verlangen:
Laß mich nicht verzweifeln und
verderben, halte mich austecht, erhalte mir das Licht des Glaubens. Je mehr du in diesem Sinne Gott anrufst, um so näher kommt dir Gott, um so mehr verklärt sich sein Angesicht vor deinen Augen,
um so tröstender klingen dir alle Namen Gottes, die er wegen seiner Gnade und Barmherzigkeit unter den Menschen hat.
Noch mehr aber als dieses Anrufen ist das Beten.
Im Gebet
tragen wir Gott die Bitten vor um die Güter, die wir brauchen,
um reich zu sein in ihm.
Denn das muß doch zuletzt das höchste
Ziel alles rechten Betens sein, nicht die Erfüllung dieses oder jenes
Wunsches,
das Eintreten
dieses
oder jenes Glückes, sondern die
ewigen Güter des Friedens und der Gerechtigkeit, die für uns be stimmt in Gott ruhen, herabziehen in unsere Brust.
So bleib mit
deinem Gebet nicht in der Enge deiner kleinen Wünsche,
gehe mit ihm in die Weite.
sondern
Bitte Gott, daß er dein Herz klar und
rein erhält, daß er dir Kraft gebe,
dein Auge immer auf ihn zu
richten, und wenn eine Schuld dich befleckt, daß er dir immer den Zugang zu seiner Gnade offen halte, den er durch Christus auf
geschlossen hat.
Bitte ihn,
daß er deine Liebe zu den Menschen
nicht sterben lasse, auch wenn sie hindurchgehen muß durch manche
Enttäuschung, daß er dich willig mache, zu vergeben, damit auch du Gottes Vergebung empfängst.
Bitte ihn, daß er sein Reich kommen
lasse je mehr und mehr in der Welt, daß die Armen getröstet, die
daß
er die Irrenden zur Wahrheit
führe, die Friedlosen zum Frieden.
Bitte ihn um die sich stets er
Darbenden
gesättigt werden,
neuernde Gewißheit, daß der Tod nicht tödtet, daß er nichts Anderes ist, als ein Sichhineinwerfen in den Strom der ewigen Liebe, daß
die Gemeinschaft in Gott bleibt.
Das ist lautere Frömmigkeit.
Aus dem Beten aber kommt das Loben.
In der Erhörung
des Gebetes schließt uns Gott sein Herz auf und läßt uns seine
Gnade erfahren. lobt.
Und der Mensch antwortet darauf, indem er Gott
Gott loben in guten Tagen, wenn man sich umgeben sieht
von blühendem Leben und strahlendem Glück, wenn wir von der Höhe
aus unsere Blicke hinschweifen lassen über die Gefilde unseres Lebens, so weit das Auge reicht, und sehen die Felder, die reif zur Ernte
Der Name Gottes.
103
sind, das ist gewiß recht und gut; denn durch das Lob Gottes wird das Glück geweiht zu einer Gabe Gottes.
Aber darin erweist sich
noch nicht die wirklich lautere Frömmigkeit.
Denn leicht mischt sich
in dieses Lob Gottes etwas von Selbstsucht und Selbstgefälligkeit.
Aber auch dann, wenn Gottes Gedanken andere als unsere Gedanken sind,
unsere Augen erheben hoch über die Trübsal,
die uns um-
giebt, und über den Schmerz, der uns niederdrückt, zu den ewigen
Wegen und Gedanken Gottes, wissen, daß dort oben Gnade und Treue waltet, die unseren Lebensplan gemacht und ihn nun auf ihre
Weise in unerforschlicher Weisheit durchführt, sich loslösen von den
eigenen Plänen und Hoffnungen, so sehr sie uns ans Herz gewachsen sind, und auf Gottes Wege sehen, so Gott loben, das ist lautere Frömmigkeit.
weichen,
Gott lohen dafür, daß, wenn aus- Erden die Berge
er uns
mächtiger ist,
doch
nicht fallen läßt,
als die Noth,
daß seine Liebe in uns
daß er durch Jesum Christum uns
Macht gegeben hat, jedes Kreuz zu tragen, und daß er alle Noth
als Mittel gebraucht, uns zu sich emporzuziehen, so Gott loben nicht nur mit den Liedern der Lippen, sondern ihm singen und spielen im
Herzen, daß er alles so herrlich regieret — das ist lautere Frömmigkeit. Aber am stärksten bewährt sie sich im Danken, wenn cs das rechte Danken ist.
Es beginnt im Herzen, das der Liebe Gottes
gewiß ist, und geht über die Lippen, die Gott danken müssen, weil
das Herz des Dankes voll ist, und von den Lippen geht der Dank in die Hände, und da erst vollendet sich die Dankbarkeit. dir:
Du sagst
Gott hat so viel an mir gethan, auch in der Noth und durch
die Noth, daß ich gar nicht anders kann, ich muß das, was er an
mir gethan hat, weiter geben und so gleichsam ein Mittler werden
zwischen dem segnenden Gott und den Menschen.
Habt ihr nicht
von Menschen gelesen oder selbst solche gekannt, die durch unendlich viele Enttäuschungen und Verluste hindurch gegangen sind und die sich
dadurch haben zur Liebe erziehen lassen, so daß sie nun ihr Leben ganz ihren Mitmenschen weihen?
Das ist lautere Frömmigkeit im Danken.
Sehen wir um uns her vielfach den Mißbrauch des göttlichen Namens, laßt uns durch das Leben, durch die That, durch lautere Frömmigkeit Gottes Namen verklären, daß die Menschen unsere guten
Werke sehen und den Vater im Himmel preisen.
Amen.
Der Tag Gottes.
104
13.
Der Tag Gottes. 2. Mos. 20, 8. Gedenke deS Sabbathtages, daß du ihn heiligest. Vom Tage Gottes wollen wir heute mit einander reden.
sind ja alle Tage Tage Gottes.
Es
Die Tage steigen alle, einer wie
der andere, im Glanz der Morgenröthe von Gott zur Erde nieder,
und jeder hat für uns einen Auftrag Gottes im Munde und seine Gaben in der Hand.
Da ist kein Unterschied.
Aber wenn wir diese
sieben Tage näher betrachten, so finden wir doch einen Unterschied in ihrem Aussehen.
Sechs von ihnen tragen ein Arbeitskleid und
demgemäß rufen sie den Menschen zur Arbeit.
Einer aber trägt ein
Feierkleid; er ruft die Menschen von der Arbeit zur Freude.
weg
Ruhe,
zur
Er trägt einen himmlischen Segen in seiner Hand und
giebt von diesem seinen Brüdern, welche an die Arbeit gehen, etwas mit, etwas von der Ewigkeit. keit.
Der Sonntag ist
Ja er knüpft die Zeit an die Ewig
der Sonnenschein im Menschenleben,
Gruß des lieben Gottes; wohl dem, der diesen Gruß versteht.
ein Wer
einen rechten Sonntag zu feiern weiß, dessen Leben kann unmöglich arm sein, und wenn er noch so schwer zu arbeiten und noch so viel
Kummer zu tragen hat.
Und wer keinen Sonntag hat,
hat ein
armseliges Leben, auch wenn er jeden Tag zum Sonntag, d. h. zu
einem Tag ohne Arbeit machen könnte.
Ob du aber einen rechten
Sonntag hast oder nicht, das hängt vor allem von dir selbst ab. In einem Menschenleben, welches 60 Jahre währt, giebt es
mehr als 3000 Sonntage.
Welch ein Segen, welch eine Fülle von
Glück, Friede und Freude könnte darin liegen, 3000 Sonntage, von jenen unbeschreiblichen Sonntagen der Kindheit, an denen es Einem
wirklich zu Muthe war, wie es in dem bekannten Lied vom „Tag
des Herrn" heißt, als wollte der Himmel sich über uns öffnen, bis zu den Sonntagen des späten Lebens, an denen der allmählich er
müdende Mensch einen Augenblick ruht, Athem schöpft, um dann
weiter zu wandern.
Wie viel Segen diese Sonntage uns bringen.
Der Tag Gottes.
hängt von uns selbst ab.
105
Möchte deshalb diese unsere Betrachtung
dazu beitragen, uns ein wenig die Augen zu öffnen für den Segen, den der Sonntag für uns haben könnte.
Gedenke des Sabbathtages, daß du ihn heiligest. Laßt uns zuerst das „Du" betonen: Es ist deine Sache, ihn
Dann laßt uns sehen, wie wir ihn heiligen sollen, nämlich indem wir ihn dazu benutzen, wozu Gott ihn gegeben hat, als einen Tag der Ruhe, der Freude und der Gemeinschaft. zu heiligen.
1. Wenn einmal in einem Volke der Segen, der in einer rechten Sonntagsfeier liegt, erkannt worden ist, liegt es nahe, diesen Segen gegen menschliche Willkür zu sichern, ihn mit Sonntags gesetzen und Verordnungen kirchlicher oder weltlicher Natur zu um geben. So war es im jüdischen Volke. Aehnliche Bestrebungen treten bei uns zu Tage. Das ist verständlich, und wer wollte es bestreiten, daß es auch gut und gerecht ist, wenn jedem Menschen,
auch dem, der von Anderen abhängig ist, seine Sonntagsruhe geschützt wird. Etwas ganz Anderes ist es dagegen mit der Sonn Sonntagsgesetze können manche Versuchung zur Sonntagsentheiligung und manches Hinderniß der Sonntagsheiligung beseitigen. Aber sie können Sonntagsheiligung nicht schaffen. tagsheiligung.
Sonntagsruhe kann durch Gesetze erzwungen werden, aber Sonntags heiligung ganz gewiß nicht. Denn dadurch wird der Sonntag doch gewiß nicht heilig, daß an der einen Stelle Vergnügungen zurück gedrängt werden, während sie aus der unreinen Lust des Menschen an einer anderen Stelle, wohin die Gewalt des Gesetzes nicht reicht, mit doppelter Gewalt hervorbrechen, daß dem Menschen die freie
Sonntagszeit gegeben wird, während er doch innerlich so arm, so leer ist, daß er mit dieser freien Zeit nichts Heilsames anzufangen weiß. Was hilft die äußere Ruhe, wenn der Mensch den Sinn für die innere Ruhe verloren und den Weg, der zu ihr führt, ver gessen hat. Die Sonntagsheiligung muß der Mensch sich selbst schaffen, dadurch, daß er in seine Sonntagsruhe einen heiligen Sinn
legt. Es ist deshalb irreführend, die äußerlich herbeigeführte Sonn tagsruhe als Sonntagsheiligung zu bezeichnen. Dadurch wird die Aufmerksamkeit von der Hauptsache abgelenkt. Das ist die Hauptsache: Du sollst den Feiertag heiligen.
Du sollst den Sonntag, der im Glanze der Morgensonne zu dir kommt
106
Der Tag Gottes.
und dir eine Reihe von Stunden bringt, in denen du nicht zu
arbeiten brauchst und nicht arbeiten sollst, durch die Art und Weise, wie du ihn verlebst, für dich zu einem heiligen Tage machen. Von dir hängt das ab.
Durch dich kann er dir zum Segen werden,
durch dich kann er dir zum Fluch werden. Du kannst am Sonntag deine Seele von Neuem mit dem Frieden Gottes fußen; du kannst auch den Sonntag zu Dingen mißbrauchen, die dir auf lange Zeit hinaus den Frieden deiner Seele rauben. Durch dich können dir die Sonntage deines Lebens Stationen werden auf deiner Wande rung nach oben, so daß jeder Sonntag dich Gott um einen Schritt näher bringt. Durch dich kann dir auch, wie es schon manchem jungen Menschenkind gegangen ist, ein übel verlebter Sonntag der Anfang eines Weges werden, der dich abwärts führt, immer Wetter abwärts bis zum sittlichen Untergang.
Gott legt jeden Sonntag in deine Hände. Du mußt ihn heiligen; sonst kann er für dich nicht heilig werden. Der Feiertag ist wie der Mensch, der ihn feiert. Ist der Mensch unrein, ist der Feiertag auch unrein. Ist der Mensch rein, so ist auch der Feiertag rein. 2. Wie aber sollen wir den Sonntag heiligen? Wir werden ihn heiligen, wenn wir ihn dazu benutzen, wozu Gott ihn uns ge geben hat, zuerst zur Ruhe. Es liegt doch ein tiefer Sinn in der bildlichen Erzählung des Alten Testamentes, daß Gott am siebenten Tage von seiner Arbeit geruht habe. In ihr ist das ausgedrückt, daß die Abwechslung von Arbeit und Ruhe eine heilige Ordnung Gottes ist. Daß der Mensch von seiner Arbeit ruhen muß, ist nicht nur ein Zeichen seiner Schwachheit und Hinfälligkeit, ein Mangel in seinem Dasein, die
Ruhe eine ttaurige Nothwendigkeit, ein nothwendiges Uebel, so daß es doch eigentlich besser wäre, wenn der Mensch immer arbeiten könnte. Sondern die Ruhe nach der Arbeit ist etwas von Gott Gewolltes, etwas, was in Gottes Ordnung begründet liegt, so daß wir uns der Ruhe nach der Arbeit mit voller Freude hingeben dürfen und sollen, weil Gott es so gewollt hat.
wissem Sinn hat Gott auch seine Ruhezeiten.
Denn in ge
Wenn die Schneedecke
des Winters sich über die Erde breitet, die schaffenden Kräfte in der Natur, das Leben in Wald und Feld, in Fluß und See schläft, ist
das nicht gleichsam eine Ruhezeit Gottes?
Oder ähnlich in der
107
Der Tag Gottes.
Geschichte.
Wenn nach Zeiten, in denen unter heißen Kämpfen und
Schmerzen in dem Völkerleben sich Neues gestaltet, in denen fast jedes Jahr neue Gestaltungen der menschlichen Dinge bringt, — wenn
nach solchen Zeiten andere kommen, in denen die Menschen des Er
worbenen sich freuen, einmal ausruhen, und das Gemüth, das in
den Zeiten raschen Fortschrittes oft zurückgedrängt wird, sich wieder einmal aufthun kann, wie die Blumen im Sonnenschein, Zeiten des
Friedens, in denen Kunst und Wissenschaft und die Arbeiten des Geistes blühen — ist
da nicht auch gleichsam ein Ruhetag,
ein
Sabbath Gottes?
So
soll nun unser Leben in seiner Abwechslung von Arbeit
und Ruhe ein Abbild des Lebens Gottes sein. der Ruhe haben nach der Arbeit.
Du sollst einen Tag
Und je anstrengender und auf
reibender heutzutage die Arbeit ist, um so mehr sollst du auf deinen Ruhetag halten, und um so wohlthuender wird dir seine Ruhe sein.
Wie du aber auf deine Ruhe hältst am Sonntag, so sollst du auch halten auf die Ruhe der Deinen, den Dienstboten, den Leuten, die bei dir im Brode stehen, die Ruhe geben, nicht gezwungen, sondern
gern, fteudig, herzlich, und dich selbst an ihrer Ruhe freuen.
Wie
Gott uns Menschen die Sonntagsruhe giebt, so sollst du wieder den Deinen ihre Sonntagsruhe geben.
Im Briefe an die Hebräer wird
die ewige Ruhe, zu welcher das Volk Gottes einst eingehen soll, in
Verbindung gebracht mit der Sabbathruhe.
soll
ein
Abbild
nicht nur der
ewigen Ruhe in Gott sein.
Unsere Sonntagsruhe
Ruhe Gottes,
sondern
auch
der
Wie dort die Lasten abgenommen
sind, so sollen hier am Sonntag die Lasten uns abgenommen sein
von den Schultern und von den Herzen.
unserer Wanderschaft über Lebens
die Erde
Wie wir als Christen auf
unter
den Beschwerden des
manchmal unsere Augen sehnsüchtig erheben zu der Ruhe,
die noch vorhanden ist dem Volke Gottes, so giebt uns der Gedanke
an die Sonntagsruhe, wenn die Last der Wochenarbeit schwer auf
uns liegt, neuen Muth und neue Kräfte, daß wir zu uns sagen: Halte nur aus!
Für euch, ihr müden Glieder, für dich, du müder
Geist, kommt bald die Sonntagsruhe.
Wie uns dort oben die reine
Lust der Ewigkeit umweht, so soll uns am Sonntag reine Luft um wehen.
Die Luft am Sonntag ist rein, sowohl im äußeren eigent
lichen Sinn, rein vom Staub und vom Ruß der Werkeltage, als auch
108
Der Tag Gottes.
im geistigen Sinne; denn in einen rechten Sonntag weht die Luft
der Ewigkeit hinein, göttlichen Friedens und reiner Freude, so daß sichs am Sonntag leicht und frei athmet. Und wie wir dort oben einst Gott schauen werden, so blicken wir auf Erden in stillen Sonn tagsstunden, wo die Menschenseele sich selbst und Gott findet, hinein in Gottes unendliche Liebe, die uns durch Christus offenbar geworden, sehen die Wege, die er uns geführt, die Güter, mit denen er uns
beschenkt, die Treue, mit der er uns geleitet hat, und wissen, daß er auch in Zukunft mit uns sein wird, fühlen uns geistig einmal wieder zu Hause, feiern einmal eine Ruhestunde in der ewigen Heimath, und wissen, daß die alte Liebe Gottes doch immer wieder neu wird, so sehr auch das Leben stürmt und die Lasten drücken. So heiligt der Mensch von innen heraus den Sonntag als einen Tag der Ruhe. 3. Du sollst den Feiertag heiligen. — Nach Gottes Ordnung soll er dir ferner Freude bringen. Er ist dazu da, damit im Menschenleben der Freude ihr Recht gewährt werde. Wenn es keinen Sonntag gäbe, würden die Menschen in Sorge und Kummer, Aber der Sonntag spricht zu euch: Ihr sollt euch freuen. Das hört ihr, schon ehe er da ist. Große und Kleine, Erwachsene und Kinder freuen sich auf den Sonntag die ganze Woche über, so daß auf dem nüchternen Einerlei der Werkeltage schon der verklärende Schein des Sonntags ruht. Und in Arbeit und Habsucht untergehen.
wieder:
Wenn du einen rechten Sonntag gefeiert hast, so zehrst du
daran die ganze nachfolgende Woche, auch unbewußt, wenn du nicht daran denkst. Der Segen des Sonntags hilft dir arbeiten und geht
still in die Werke deiner Wochenarbeit ein.
Du weißt, wie diese Freude sein muß, durch welche der Sonn tag geheiligt wird. Es ist ein Jammer, wenn manche Leute, und
zwar nicht nur arme, auch am Sonntag nicht aus dem Staub und der Unsauberkeit der Woche herauskommen und daß so oft der Sonntag, der die Menschen nicht durch den Arbeitszwang von
einander fern hält, sondern sie im Hause zusammenführt, ganz be sonders reich an häuslichem Hader ist. Sie sagen wohl, Armuth und schwere Arbeit lasse sie nicht dazu kommen, ihr Haus sonntäglich znzurüsten. Aber, wer die Woche richtig anwendet, findet auch für den Sonntag die rechte Zeit, und eine Hausfrau, die in der Woche
Der Tag Gottes.
109
Ordnung hält, wird auch leicht ihrem Hause das sonntägliche Aus sehen geben können, welches den Hausgenossen zuruft:
heute einen guten Sonntag feiern!
Wir wollen
Und wer unser Volk liebt, dem
möchte sich das Herz umwenden, wenn man liest, sieht und hört, welche Vergnügungen und Schaustellungen sich unser Volt am Sonn
tag darbieten läßt und wie sich die Menschen ihren Sonntag durch die Geldgier Anderer in den Schmutz herabziehen lassen.
Auf der
anderen Seite aber kann einem auch das Herz aufgehen, wenn man
in so manchem Hause sieht, wie mit den einfachsten äußeren Mitteln ein froher Sonntag gefeiert wird und wie den Leuten bei ihrer ein
fachen weltlichen Sonntagsfreude gleichsam der liebe Gott zur Seite geht, so glücklich und fröhlich sind sie.
Ja es kann einem das Herz
aufgehen, wenn man in der Umgebung unserer Stadt, im freien Feld
oder im Wald Eltern und Kinder harmlos sich freuen sieht, dem
Lärm und dem Staub der Stadt entrückt, und es ist, als sähe Gott vom blauen Himmel herab und hätte an diesen harmlos fröhlichen
Menschen sein Wohlgefallen.
großer
Unterschied.
Es
Zwischen Freude und Freude ist ein
haben Zwei nach ihrer Meinung
fröhlichen Sonntag gefeiert.
einen
Aber am Montag geht der Eine mit
einem guten Gewissen, der Andere mit einem unruhigen Gewissen an seine Arbeit,
Andere
der Eine mit neuer Lust und neuer Kraft,
mit Unlust und Widerwillen.
Sonntag bringt, das hängt von dir ab.
Was
für Freude
der
dir der
Deshalb gelingt dir's auch
das eine Mal besser als das andere Mal, einen ftohen Sonntag zu
Das eine Mal ist der Sonntag gekommen, ihr wußtet nicht
feiern.
wie, und hat euch erfaßt und in seine heiligen Bannkreise gezogen
und die Sonntagsstunden eilten dahin, jede schöner, reicher wie die
andere, und am Abend sagtet ihr verwundert: hin?
Ist der Tag schon
Und ein ander Mal schleicht er langsam über euch hin wie
ein träger Wochentag und es gelingt euch nicht, seinen Segen zu erfassen.
Es kommt eben darauf an, daß du den Feiertag heiligst.
Von dir hängt es ab.
Wir feiern nicht mehr den siebenten Tag der Woche wie Israel, sondern den ersten Tag, weil dieser der Auferstehungstag Jesu ist.
Seht, was darin liegt.
Alle die großen Gedanken, Hoffnungen
und Kräfte, welche im Auferstehungsglauben liegen, knüpfen sich uns an den wöchentlich wiederkehrenden Feiertag an.
Stehe auf am
110
Der Tag Gottes.
Sonntage von der Plage der Woche, und fühle dich als ein freier
Mensch Gottes, der nicht ein Lastthier ist, sondern Heimathsrecht hat im Vaterhause.
Stehe auf von deinen Sorgen in dem Glauben,
daß Gott lebt, der Alles zum Besten wendet. Sonntage gilt für uns das Wort Jesu:
Ganz besonders am
„Sorget nicht für den
andern Morgen;" schlag dich am Sonntage nicht mit Sorgen herum,
welche die kommende Woche vielleicht bringt, sondern geh mit deiner Seele auf in dem Vertrauen zu Gott, der für dich sorgt.
Stehe
auf von deinen Fehlern, mach einen neuen Anfang am Sonntag durch die Macht, die dir Gott giebt über dich selbst, und stehe auf von deinem Schuldgefühl durch seine Gnade, die er dir leuchten läßt von seinem
Angesicht. Auferstehen am Sonntag, und in der Sonntagsstille seine Augen hinüberschweifen lassen zu dem großen Sonntag der Ewigkeit,
wo der Glaube zum Schauen wird — so sollst du den Feiertag
heiligen, daß du ihn zu einem Tag rechter Freude machst. 4. Zur Freude aber gehört der Verkehr mit den Menschen.
So sollst du den Feiertag heiligen dadurch, daß du dich durch ihn von Neuem mit den Menschen verbinden lässest.
einander,
an
Gemeinschaft
Menschen nicht.
einander
mit
fehlt
An Verkehr unter es
den
heutigen
Die Einen werden zufammengeführt durch gemein
sames Wirken in weltlichen Angelegenheiten, in der Erfüllung frei willig übernommener
Pflichten,
Andere verbinden sich in So
sind
in
gemeinnützigen
gemeinsamen
Vereine über Vereine
Bestrebungen;
Gesinnungen und
entstanden.
Zielen.
Aber in Vereinen
zusammengeführt, werden die Menschen auf der andern Seite wieder getrennt,
besonders
das
Familienleben
gelockert, so daß
manche
Leute vor lauter Interessen der Menschenliebe, des gemeinnützigen Strebens bei sich selbst nicht zu Hause sind und in ihrem eigenen Hause nicht warm werden.
Ebenso ist es auch mit der Arbeit.
Während früher z. B. der Handwerker für sich arbeitete in seiner
Wohnung, seiner Werkstätte, arbeiten jetzt Hunderte und Tausende
zusammen, lernen da einander kennen, tauschen ihre Ansichten mit
einander aus, nehmen wohl auch gegenseitig an ihren Schicksalen
theil.
Aber diese Arbeit, die einerseits die Menschen mit einander
verbindet, lockert auf der andern Seite die natürlichsten Bande, ent zieht den Mann, Sohn,
vielleicht auch die Mutter der Familie,
führt die erwachsenen Kinder auseinander, so daß die Woche über
111
Der Tag Gottes.
die Augenblicke zu zählen sind, in denen Alle einmal vereinigt sind. Da liegt die Gefahr vor, daß Jedes sich einseitig in seine Ansichten,
Interessen einlebt, und die anderen Hausgenossen nicht mehr ver Die Macht unserer Zeit, welche die
steht.
Menschen zu großen
Massen zusammenführt, löst leicht die vertrautesten Verbindungen,
die häusliche Gemeinschaft auf.
Je größer diese Gefahr ist, um so mehr haltet auf euren Sonn Denn eine rechte Sonntagsfeier vor allem kann jene Gefahr
tag.
beseitigen.
Der Sonntag führt die in der Woche zerstreuten Familien
glieder zusammen, nicht nur auf kurze Augenblicke, sondern der ganze Sonntag kann in den Dienst des Familienverkehrs gestellt werden,
durch gemeinsame Mahlzeit, gesellige Unterhaltung, gemeinsame Freude. Da können die Herzen einander wieder näher kommen, gelockerte Bande
wieder enger geknüpft werden, Mißverständnisse, die in der Woche
wie Schatten aufgetaucht waren, verschwinden unter dem Schein der Feiertagssonne, die Familienglieder lernen einander die Herzen sich aufthun, einander wieder verstehen und lieben, und der Sonntag sagt zu ihnen immer wieder:
So verschieden eure Wege, Arbeiten
und Ansichten sein mögen, ihr gehört doch zusammen, wie Gott euch
verbunden hat. Dann führt euch der Sonntag noch zu einer andern Gemein
schaft, aus dem engen Haus in die weite Kirche, in welcher sich Väter
und Mütter
und Kinder und Geschwister und Arme und
Reiche alle zu der gottesdienstlichen Gemeinde versammeln. Ihr bildet hier eine Gemeinde, die nicht nur durch die Räume dieses Gottes hauses zusammengehalten wird, oder durch die Person dessen, der
hier mit armen menschlichen Worten das Evangelium verkündigt, sondern eine Gemeinde, deren einzelne Glieder durch den Glauben
an den Einen Vater und Erlöser, durch Einen Geist, durch Eine Lebensrichtung und durch brüderliche Liebe verbunden sind.
Ihr
kommt hier als Menschen zusammen, die trotz aller Unterschiede und Gegensätze im Leben denselben Feind bekämpfen, dieselbe Last tragen,
aber auch derselben Verheißung sich trösten, von demselben Lebens
brod und Lebenswasser sich nähren, und sich gegenseitig helfen im Lebenskampf.
Hier offenbart sich der Geist des Sonntags in seiner
königlichen Gewalt, schmückt nicht nur die einzelnen Häuser und Herzen,
sondern schmückt sein Volk, entzündet in ihm ein heiliges Feuer,
Der Tag Gottes.
112 Welches
von
einem Herzen zum
anderen geht.
Habt ihr je im
Gottesdienste inneren Segen empfangen, so werbt für euere Gottes
dienste, werdet Apostel und Propheten des Sonntags, die den Men schen sagen, daß sie sich diesen Segen nicht entgehen lassen.
Bringt
Menschen mit hierher, daß sie sich mit euch freuen und ihr mit ihnen.
Hier wird im höchsten Sinne der Sonntag der Tag der Ge
meinschaft. Habt ihr aber Gott hier gefunden, dann wird euch der Sonn tag wirklich der Tag des Herrn.
Der liebe Gott begleitet euch
dann den ganzen Sonntag; draußen seht ihr, wie durch Gott die Blumen blühen auf der Flur und die Blätter sich bewegen in den Wäldern und die Halme auf den Wiesen.
Gott geht mit euch durch
eure Freuden, die euch der Sonntag bringt, seien sie auch weltlicher Art,
hält
euer Herz
eure Freude zu einer rechten
rein, macht
Stärkung für Geist und Gemüth.
Oder wenn euch füll zu Hause
der häusliche Kreis vereinigt, und die Herzen thun sich auf und die
alte Liebe und Treue
Zimmer.
erwacht in euch, da geht Gott durch das
Da seid ihr dann überall im Hause des Herrn, auch wenn
der Sonntag scheidet, auch wenn die Werkeltage mit ihrem Arbeits kleide kommen, und die Lasten wieder drücken, und die Sorgen euch
wieder umschweben, ihr seid überall im Hause des Herrn.
Der Sonntag
ist in
euere Hand
Segen, laßt ihn euch nicht nehmen,
gelegt mit seinem ganzen
weder durch Menschen noch
durch die Sinnenlust, noch durch Sorgen und Plagen. ihn haben, ganz für euch haben.
Ihr sollt
Du sollst den Feiertag heiligen.
Amen.
Eltern und Kinder.
113
14.
Ettern und Kinder. 2. Mos. 20, 12.
Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf
daß du lange lebest im Lande, das dir der Herr, dein Gott, giebt.
In unserer Betrachtung der zehn Gebote kommen wir heute zu Möge dieses Gebot heute, wo neukonfirmierte
diesem vierten Gebot.
junge Christen
zum
ersten Male mit den Eltern zum Tische des
Herrn gehen, bei euch ganz besonders aufmerksames Gehör finden. Zunächst eine kurze geschichtliche Erklärung des Gebotes.
ist ursprünglich an das ganze israelitische Volk gerichtet.
Es
Damit
erklärt sich die Verheißung: Auf daß dir's wohl gehe und du lange
lebest in dem Lande,
das dir der Herr dein Gott giebt.
Mit
Die Zucht im Hause wird hier als die Grundlage
anderen Worten:
des Glückes und der Wohlfahrt des israelitischen Volkes bezeichnet. Das
Familienleben ist
die Grundlage
des
Volkslebens.
Ein
Volk, in welchem die Kinder Vater und Mutter ehren, wird stark
sein und lange leben in dem Laude, das ihm Gott gegeben hat.
Ein
geordnetes frommes Familienleben kann durch nichts, durch gar nichts ersetzt werden.
Die Schule sagt:
Wir brauchen bei der Erziehung
der Kinder die Unterstützung des Hauses.
Die Kirche sagt:
Was
hilft uns alles Predigen und Lehren, wenn die von mir gepflanzten Keime der Frömmigkeit nicht im Hause gepflegt werden.
sagt:
Der Staat
Was hilft alle Gewalt, die mir gegeben ist, wenn nicht aus
den Häusern Söhne und Töchter hervorgehen, welche einst Gesetzes treue und Vaterlandsliebe im Herzen tragen.
Und alle Einrichtungen
und Veranstaltungen zur Pflege, Bewahrung
und Erziehung von
Kindern außerhalb der Familie sind, so nothwendig und heilsam sie
sein mögen, doch immer nur ein Nothbehelf da, wo das Familien leben nicht so ist wie es sein sollte, oder wo die Familie wegen sozialer Mißstände nicht im Stande ist, ihre Pflicht zu erfüllen.
So ist das Gebot ursprünglich als ein Gebot für das ganze
Volk zu verstehen.
Wir aber sind von Kindheit auf gewöhnt , es
als ein Gebot für den Einzelnen zu betrachten. Kirmß, Predigten.
Das liegt uns heute g
114
Eltern und Kinder.
ganz besonders am Herzen.
Wir wollen aber dabei nicht nur von
den Pflichten der Kinder gegen die Eltern reden, sondern auch
von den Pflichten der Eltern gegen die Kinder, und zwar von den letzteren zuerst; denn sie gehen jenen voraus.
1.
Die erste Pflicht der Eltern besteht darin, daß sie ihre Kinder
im rechten Geiste ansehen, nämlich nicht als eine Last, die ihnen auf
erlegt ist, sondern als eine Gabe, die ihnen geschenkt, und als eine Aufgabe, die ihnen gestellt ist.
Wie viel ist euch, ihr Eltern, in
eueren Kindern anvertraut, wenn ihr nur an die irdische Zukunft In der Hand der Kinder ruht die Zukunft euerer Familie,
denkt.
die Ehre eueres Namens, der ganze irdische Ertrag, euerer Lebens
arbeit.
Euere Kinder können einst den Menschen
Ja mehr noch:
ein Segen werden,
bildend
und
veredelnd
auf ihre Umgebung
einwirken, euerem Namen einen Klang geben, daß Anderen dabei das Herz höher schlägt.
Sie können aber ebenso einst ihren Mitmenschen
ein Verderben werden, sie mit sich hinabziehen. an das innere Leben.
Und denkt weiter
In ihren Seelen ruht Gottes Odem.
Ihre
Seelen sind Funken von dem ewigen Feuer des Geistes, welches in
Gott brennt.
Jede ihrer Seelen ist ein Gedanke Gottes, ist nach
Gottes Urtheil mehr werth, als die ganze Welt, und hat vor sich eine unendliche Entwickelung, eine Ewigkeit.
Seht, ihr Eltern, wie
viel euch in eueren Kindern anvertraut ist.
So sollt ihr an ihnen Stellvertreter Gottes sein, d. h. wie in eueren Kindern Seelen aus Gott leben, so sollt ihr in dem Geiste
und in der Art Gottes diese Menschenseelen leiten; ihr sollt sie er
ziehen, so wie Gott das Menschengeschlecht erzieht. geschichte
Die Erziehungs
des einzelnen Menschen soll im Kleinen die Erziehungs
geschichte der ganzen Menschheit darstellen.
Gott hat die Menschheit
zuerst erzogen durch das Gesetz, das dem noch sittlich unselbständigen
und unmündigen, der Leitung und Bevormundung bedürftigen Menschen
auferlegt war und unbedingten Gehorsam forderte im Namen des Gottes, der der Herr ist, der Macht hat über Segen und Fluch,
über Leben und Tod. zuerst durch das Gesetz,
Ebenso erziehen
auch Eltern ihre Kinder
durch das „du sollst", dadurch, daß sie
ihren Willen klar und bestimmt aussprechen und auf die Befolgung desselben
dringen.
Wohl muß das Kind durch das Befehlen die
warme Elternliebe hindurchfühlen, aber ebenso muß es fühlen, daß
115
Eltern und Kinder.
der Wille der Eltern unbedingt gilt.
Auf diese Weise entsteht zu
nächst das Pflichtgefühl, das Gefühl, daß die Pflicht eine strenge Herrin ist, auf deren Ruf man ohne Zögern hören muß, das Gefühl,
daß die Pflicht der feste Mittelpunkt ist, um den sich das ganze
Leben dreht.
Aber der Mensch wächst allmählich über das von außen
zwingende Gesetz hinaus, und dann muß die Bevormundung durch
dasselbe aufhören, sonst wird das Gesetz zur Satzung, wie in der pharisäischen Gerechtigkeit des jüdischen Volkes, von der kein Leben und Segen mehr ausging.
Deshalb kam nach dem Erziehungsplan
Gottes nach dem Gesetz das Evangelium, nach Moses Christus.
Er erweckte durch die Offenbarung der Liebe Gottes in den Herzen der Menschen die Gottes- und Menschenliebe, welche „die Erfüllung
des
Gesetzes
ist", welche
als Triebkraft
von innen
heraus
den
Menschen treibt, Gottes Willen zu thun; hier ist der Mensch nicht
mehr der Knecht unter dem Joch des Gesetzes, sondern das Kind
Gottes, welches, getrieben von Gottes Liebe, Gott frei dient. Mensch ist sittlich mündig, sittlich selbständig geworden. in der Geschichte der Menschheit.
Der
So war es
Ebenso aber kommt auch für den
einzelnen Menschen eine Zeit, wo er dem Gesetz entwächst, wo die
äußere Bevormundung, noch
länger
ausgeübt,
ihm
entweder ein
Hemmschuh wird, durch welchen seine Entwickelung gewaltsam auf
gehalten wird, oder eine Fessel, die der Mensch gewaltsam zerreißt,
um nun zügellos ins Leben zu stürmen.
Da thut den Eltern die
Erkenntniß Noth, so schwer ihnen diese auch werden mag, daß ihre
Kinder keine Kinder mehr sind, die noch bevormundet werden müßten
in allen Stücken.
Gewiß ist es ost eine sehr treue und besorgte
Elternliebe,
auch erwachsene Kinder noch in allen Stücken
welche
bevormunden möchte.
Aber es ist doch verkehrte Elternliebe.
Denn
sie vermag ihre Kinder nicht zu selbständigen, dem Lebenskampf ge wachsenen Menschen zu erziehen.
Dagegen kann wahre Elternliebe
keine schönere Frucht ernten,
als wenn eine leise Mahnung oder
ein in der Form
eines steundschaftlichen Rathes aus
Warnung,
gesprochenes Wort genügt, die Kinder von einem falschen Weg auf den rechten zu bringen.
Und schließlich kann sie die Kinder hinaus
entlassen in das Leben, nun ihren eigenen Weg zu gehen und ihren eigenen Entschließungen zu folgen, und sie kann davon überzeugt sein: Sie werden nie schlechte Wege gehen; und in der scharfen Luft der
Eltern und Kinder.
116
Freiheit wird ihr Charakter sich nur stärken.
Elternhaus
vom
Häuslichkeiten
die
der
Dann zweigen sich
Kinder
ab,
in
denen
wohl, weil es eine andere Zeit ist, auch manches anders ist, als daheim, aber doch im Grunde derselbe Geist und dieselbe Ehrfurcht
und derselbe Gehorsam.
Und zwischen Vater und Sohn, zwischen
Mutter und Tochter bildet sich eine Freundschaft, so innig und zart, so voll gegenseitigen Verständnisses und Vertrauens, wie kaum je in der Welt.
Wie Gott die Menschen durch Christus zur freien Gotteskindschast erzieht, daß sie das Gute thun, nicht mehr weil sie sollen,
sondern weil sie wollen, so sollen Eltern ihre Kinder erziehen zu
sittlich selbständigen Menschen, die wissen, was sie im Leben sollen und die das, was sie sollen, auch wollen. 2.
Unter
der Pflege solcher Elternliebe wächst die rechte
Kindesliebe heran.
Unter Kindern verstehen wir hier nicht nur
die, welche jung an Jahren sind, sondern Alle, auch die, welche ein
Vater- und Mutterauge nur noch mit dem Auge des Geistes sehen. Elternliebe hat euch einst die Heimath bereitet, in welcher euer Leben sicher geborgen heranreifen konnte.
Elternliebe war das erste
Gute, was ihr saht und empfandet in der weiten Welt.
Wer von
uns wäre hinaus über das, was er seinen Eltern verdankt, zehrte nicht mehr von dem, was einst seine Eltern Gutes in sein Leben
hineingelegt haben?
Deshalb ist die Pflicht der Kindesliebe, wie sie
der Zeit nach die erste war, die an uns herantrat, auch die erste
wichtigste Pflicht gegen die Menschen unser Leben lang.
Undank
und Untreue gegen Eltern nimmt allen Vorzügen eines Menschen ihre Krone.
Denkt euch einen großen Mann, zu dem ihr stets mit Ehr
furcht emporgesehen habt.
Da hört ihr, daß er sich seiner in ärmlichen
Verhältnissen lebenden Eltern schämt.
Augen seine Größe dahin.
Wie schwindet da vor euren
Denkt euch einen unglücklichen Menschen,
der durch eine verhängnißvolle Verkettung von Umständen verkommen, vielleicht zum Verbrecher geworden ist.
Da seht ihr, daß dieser Mensch
mit einer rührenden Treue an seiner Mutter hängt.
Wie bedeckt doch
diese kindliche Liebe seine Fehltritte und die Menge seiner Sünden!
Kindesliebe soll mit den Jahren wachsen, immer reifer und stärker werden.
So lange wir den Jahren nach Kinder, waren, ganz auf
das Elternhaus angewiesen, von den Eltern Nahrung und Kleidung.
117
Eltern und Kinder.
empfingen, da verstand sich's eigentlich von selbst: Du sollst deinen
Vater und deine Mutter ehren, und es war euch leicht, die gütigen Hände zu ehren, die euch Tag für Tag pflegten. Diese Ehrfurcht war damals mehr unbewußt, einem Trieb der Natur entspringend, als einem freien sittlichen Entschluß. Anders aber, wenn der Sohn, die Tochter heranwächst, wenn sich die Verbindung mit dem Eltern
haus äußerlich lockert, wenn sie dem Elternhaus gegenüber allmählich immer selbständiger werden, wie wohl Manches unter euch, liebe Konfirmierte, nun bald zum Theil wenigstens seinen Lebensunterhalt
selbst erwirbt. Da beginnt nun eure Kindespflicht erst recht. Je mehr die Kinder äußerlich unabhängig werden vom Elternhaus, um so mehr sollen sie innerlich sich an dasselbe anschließen, und ihr Ge horsam und ihre Ehrfurcht gegen die Eltern ist nun die freie Gabe, welche sie den Eltern in kindlicher Liebe darbringen. Und je weniger die Stiem sie noch auf Schritt und Tritt leiten und überwachen können, je mehr sie allmählich sich selbst überlassen bleiben, um so mehr sollen sie auch da das Gebot von Vater und Mutter ehren, wo Vater und Mutter sie nicht sehen, so daß sie sich sagen: Du darfst das nicht thun; denn Vater und Mutter wollen es nicht. Und je älter die Eltern werden, je mehr ihre Anschauungen abweichen von den Anschauungen einer neuen Zeit, um so ernster spricht zu
euch, ihr Kinder, das Gebot Gottes: Du sollst Vater und Mutter ehren! Und je schwerer es dir wird, je unmöglicher es dir erscheint, je mehr der natürliche Mensch in dir spricht: Jetzt hast du dich lange genug gebeugt und Geduld gehabt, um so lauter heißt es für dich:
Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren!
Und wenn
deine eigene Liebe und dein Pflichtgefühl nicht mehr ausreicht, um dich dazu zu treiben, so mußt du dich einfach an Gottes Gebot
halten: Gott will es so, du sollst Vater und Mutter ehren! Und dann vergiß auch nie: Deine Liebe ist ihr höchstes Gut auf Erden. Als sie im Schweiße ihres Angesichts den Acker ihres Lebens be stellten, da haben sie für euch gearbeit in der Hoffnung, daß sie
einst eure Liebe und Dankbarkeit ernten würden.
So begeht nicht
den schweren Raub, daß ihr ihnen diese Ernte ihres Lebens nehmt.
Es ist eine traurige Verkehrung von Gottes Ordnung, wenn die Glieder einer Familie, anstatt durch das Leben immer enger ver bunden zu werden, vielmehr durch dasselbe von einander getrennt
Eltern und Kinder.
118
Wie herrlich dagegen ist ein Lebensabend, wenn um das
werden.
ehrwürdige Haupt einer Familie sich die erwachsenen Kinder sammeln,
und diese Stunden des Zusammenseins als ihre besten Erholungs
stunden betrachten. Auch wenn die Eltern ihre Augen im Tode schließen, höret die Kindespflicht nicht auf.
Gräber zu pflegen ist nur die äußere Form
der Kindespflicht, die über das Grab hinaus dauert.
geschehen.
mehr
Als ihr
eure Eltern noch
hattet,
Es soll viel habt ihr sie
manchmal nicht verstanden, und ihren Willen, ihre Ansichten als
eine unnöthige Last empfunden, vielleicht sogar als eine Wunderlich
keit des zunehmenden Alters.
Jetzt aber, wo sie im Lebenskampf
nicht mehr für euch einstehen, sondern ihr selbst in der ersten Reihe
der Kämpfenden steht und die Verantwortung selbst zu tragen habt, da kommt
euch
manchmal der Gedanke:
Jetzt verstehe ich meine
Eltern erst recht, verstehe, warum sie es so und so gewollt haben, erkenne, daß sie Recht gehabt haben. euch
So schließt sich ihr Wesen
auf, ihr Leben geht in euer Leben ein, ihr lebt mit ihnen
innerlich zusammen, ihr wißt in schwierigen Lagen, was Vater und
Mutter da gethan haben würden, und unwillkürlich handelt ihr so, und im Geiste sammelt ihr euch immer noch um ihre Häupter, die
in Ehren weiß geworden waren.
Macht ihr bittere Erfahrungen, so
stehen sie vor euch und sprechen:
„Ging es uns besser, als euch?"
Und ist euer Herz voll Glück und Freude, so bekommt euer Glück die beste Würze, wenn ihr bei euch denkt:
„Wie würden Vater und
Mutter sich freuen, wenn sie das noch erlebt hätten."
So hat das
vierte Gebot für euch seine Geltung bis zum letzten Athemzug. 3.
Und
heißung:
nun die Krone,
die dieses Gebot trägt, die Ver
„Auf daß dir's wohl gehe und du lange lebest in dem
Lande, das dir der Herr, dein Gott, giebt." wohl
geschrieben,
aber
Ihr sagt: Das steht
das Leben schreibt eine
andere
Schrift.
Sinken nicht manchmal treffliche Söhne, liebevolle Töchter in ein
frühes Grab?
Werden nicht bisweilen gerade die besten unter den
Kindern ftühzeitig vom Tode hinweggerafft?
Und doch glaubt ihr
daran, daß der Segen bestehen bleibt, den Gott auf das vierte Gebot gelegt hat.
Ihr glaubt daran, daß der Segen der Eltern den Kindern
Häuser baut und der Mutter Fluch sie niederreißt.
Man muß nur
Segen und Fluch recht verstehen und am rechten Orte suchen.
Eltern und Kinder.
Ihr
sagt von
einem
tüchtigen
119
Menschen,
dem
Sohn eines
tüchtigen Vaters, der in den Fußstapfen des Vaters wandelt und
dem Vieles gelingt:
Auf ihm ruht der Segen seines Vaters.
sagt von einem jungen Ehepaar,
Ihr
das sich in Treue anschließt an
den Geist in den Häusern der Eltern, und dessen Haus blüht und
Auf diesem Hause ruht der Segen der Eltern.
gedeiht:
nicht eine bloße Redensart. zu Grunde.
Das ist
Es liegt vielmehr eine tiefe Wahrheit
Wer mit gutem Gewissen sein Elternhaus verläßt und
wem sich da segnende Vater- und Mutterhände aufs Haupt gelegt
„Du wirst nichts
haben, wen das Vertrauen seiner Eltern begleitet:
Schlechtes thun" — der nimmt innerlich sein Elternhaus mit in die Der Gedanke an die Heimath läßt ihn froh an seine Arbeit
Welt.
gehen, verdoppelt seine Kraft. Eltern zu
besitzen,
Das frohe Gefühl, den Segen seiner
giebt ihm Freude zu rüstigem Streben.
Bei
Allem, was er thut, knüpft er an an das, was er zu Hause gelernt hat,
und
es umschwebt ihn bei Allem der Geist seiner Heimath,
hält ihn auf rechtem Wege, umgiebt wie eine Schutzwehr sein Herz. Wird das Leben stürmisch und trübe, so wandert er im Geiste nach
seiner Heimath und ruht aus in ihrem Frieden, wie er einst als Kind mit seinen kleinen Kümmernissen Trost bei seiner Mutter suchte.
Wer so sein Elternhaus in sich trägt,
der wird überall heimisch,
wohin Gott ihn führt, und schlägt daselbst Wurzeln und grünt und blüht, wie der Baum, der an Wasserbächen gepflanzt ist, während dagegen der, der den Zusammenhang mit dem Elternhaus durch schnitten hat, dasselbe hinter sich lassen muß, und wie ein Rohr ist,
das jeder Sturm zerknickt. Als Christen haben wir aber noch einen größeren Segen, der sich an das vierte Gebot anschließt.
Gottes
nicht empfängt
kommen."
als
Jesus sprich:
ein Kindlein, der
„Wer das Reich
wird
nicht hinein
Das heißt gewiß zunächst, daß nur die kindliche Demuth,
Aufrichtigkeit und Dankbarkeit uns das Himmelreich erschließt. das Wort hat auch noch einen anderen Sinn.
Aber
Wer nicht im Verkehr
mit seinen leiblichen Eltern den Kindessinn sich angeeignet, Ver trauen, Gehorsam und Liebe gelernt hat, wie kann er Gott gegen
über zur Kindschast hindurchdringen?
Lernt euren Eltern gegenüber
rechte Kinder sein, dann werdet ihrs auch Gott gegenüber lernen. Im irdischen Vaterhaus schließt sich der Kindessinn auf.
Die Heiligkeit des Lebens.
120
welcher zu Gott sprechen lernt:
„Abba, lieber Vater."
So ist
das vierte Gebot eine Vorschule des Christenthums und die glück lichsten Erinnerungen an deine Kindheit sollen in deinem Leben
höhere Wirklichkeit werden.
Wie einst im Elternhaus keine Furcht,
keine Gefahr dich schreckte unter dem Schutz von Vater und Mutter, wie damals, wenn die Kindesliebe dich in ihrer Reinheit erfüllte, es deine höchste Freude war, deinen Eltern Freude zu machen, wie dich damals Wonne und Friede umgab, so wirst du nun in deinem Leben überall im Vaterhause sein, geborgen im Schutze Gottes, ihm vertrauen mit kindlichem Vertrauen, ihm dienen nicht mehr als Knecht, sondern als freier Sohn, und zuletzt gehts hinauf zu Gott. Die auf Erden rechte Kinder waren, werden droben Kinder Gottes sein, und Freude und Seligkeit wird ihr Erbe sein ewiglich. So verbindet euch Ein Abendmahl mit einander, Eltern und Kinder. Was ihr einander thut, das thut ihr Gott, und so soll euer Zusammenleben ein Gottesdienst sein. Amen.
15.
Die Heiligkeit des Lebens. 2. Mos. 20, 13.
Du sollst nicht tiSbten.
9aß das Neue Testament sich nicht nur in der Glaubenslehre, sondern auch in der Sittenlehre grundsätzlich vom Alten Testament
unterscheidet, daß Jesus uns nicht nur einen neuen Glauben, sondern auch ein neues Leben gebracht hat, das zeigt sich wohl nirgends so scharf und deutlich, als beim fünften Gebot. Wir haben bekanntlich
eine Auslegung, welche Jesus von diesem Gebot gegeben hat, näm
lich in der Bergpredigt, wo es heißt: „Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist: Du sollst nicht tödten; wer aber tödtet, der soll des Gerichts schuldig sein. Ich aber sage euch: Wer mit seinem Bruder zürnet, der ist des Gerichts schuldig." Achtet wohl darauf, daß Jesus in seiner Auslegung des fünften Gebotes das „Du sollst
Die Heiligkeit des Lebens.
120
welcher zu Gott sprechen lernt:
„Abba, lieber Vater."
So ist
das vierte Gebot eine Vorschule des Christenthums und die glück lichsten Erinnerungen an deine Kindheit sollen in deinem Leben
höhere Wirklichkeit werden.
Wie einst im Elternhaus keine Furcht,
keine Gefahr dich schreckte unter dem Schutz von Vater und Mutter, wie damals, wenn die Kindesliebe dich in ihrer Reinheit erfüllte, es deine höchste Freude war, deinen Eltern Freude zu machen, wie dich damals Wonne und Friede umgab, so wirst du nun in deinem Leben überall im Vaterhause sein, geborgen im Schutze Gottes, ihm vertrauen mit kindlichem Vertrauen, ihm dienen nicht mehr als Knecht, sondern als freier Sohn, und zuletzt gehts hinauf zu Gott. Die auf Erden rechte Kinder waren, werden droben Kinder Gottes sein, und Freude und Seligkeit wird ihr Erbe sein ewiglich. So verbindet euch Ein Abendmahl mit einander, Eltern und Kinder. Was ihr einander thut, das thut ihr Gott, und so soll euer Zusammenleben ein Gottesdienst sein. Amen.
15.
Die Heiligkeit des Lebens. 2. Mos. 20, 13.
Du sollst nicht tiSbten.
9aß das Neue Testament sich nicht nur in der Glaubenslehre, sondern auch in der Sittenlehre grundsätzlich vom Alten Testament
unterscheidet, daß Jesus uns nicht nur einen neuen Glauben, sondern auch ein neues Leben gebracht hat, das zeigt sich wohl nirgends so scharf und deutlich, als beim fünften Gebot. Wir haben bekanntlich
eine Auslegung, welche Jesus von diesem Gebot gegeben hat, näm
lich in der Bergpredigt, wo es heißt: „Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist: Du sollst nicht tödten; wer aber tödtet, der soll des Gerichts schuldig sein. Ich aber sage euch: Wer mit seinem Bruder zürnet, der ist des Gerichts schuldig." Achtet wohl darauf, daß Jesus in seiner Auslegung des fünften Gebotes das „Du sollst
Die Heiligkeit des LebenS.
121
nicht todten" gar nicht erwähnt, sondern nur von dem Zürnen, dem Schelten und Beschimpfen redet. Daraus geht hervor, daß er das Tödten als etwas ansieht, was ganz und gar der alten, vergangenen
Zeit angehört, was deshalb für die christliche Gemeinde gar nicht mehr verboten zu werden braucht, weil es etwas ganz selbstverständ liches ist, daß es unter Christen überhaupt kein Tödten mehr giebt. Wie ist es nun aber in Wirklichkeit? Ist es wirklich für die Menschheit, die nun seit 1800 Jahren Christenthums
lebt, nicht mehr nöthig,
unter dem Einfluß des daß das alttestamentliche
Gebot: „Du sollst nicht tödten!" gepredigt werde? Da erkennen wir: Wir können es bei der hohen Auslegung, welche Jesus dem fünften Gebot giebt, nicht bewenden lassen; sondern es muß auch heute noch das alte Gebot: „Du sollst nicht tödten" gepredigt werden. So weit steht die heutige Menschheit noch zurück hinter dem Stand punkt, den Jesus in seiner Auslegung in der Bergpredigt dem Menschen anweist. Wir wollen deshalb in unserer heutigen Be trachtung Beides mit einander vereinigen, und zuerst reden von dem fünften Gebot im alttestamentlichen Sinn und dann im neutestamentlichen Sinn. 1. Aus uralter Zeit, in der es noch keine Geschichte gab, ist
uns die geheimnißvolle Erzählung von dem ersten Morde auf Erden überliefert. Ein Ackersmann Namens Kain habe seinen Bruder, einen Hirten Namens Abel erschlagen. Alsbald habe den Mörder der Fluch Gottes getroffen: „Verflucht seist du auf Erden, die deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen hat. Unstät und flüchtig sollst du sein auf Erden." Und so sei Kain hinaus gezogen in die Welt. Aber Gott habe ihn mit einem Zeichen be
zeichnet, daß ihn Niemand erschlüge, wer ihn fände.
So ist es
geblieben, wie es damals Gottes Wille war. Heute noch ist der Mörder unstät und flüchtig. Das gilt von ihm auch dann, wenn er immer an einem Orte wohnt. Unstät und friedlos ist seine Seele, immer gepeinigt von dem ruhelosen Streben, sich vor Gott und den Menschen zu verbergen. Und auch das Andere trifft heute noch zu: Der Mörder lebt auch heute noch. Und wie viele Mörder schon
gerichtet worden sind, sie sterben nicht aus. Kain, der Mensch, der den Tod bringt, geht auch heute noch unstät und flüchtig über die Erde.
Die Heiligkeit des Lebens.
122
Er nimmt sehr verschiedene Gestalten an.
Es geht von Zeit
zu Zeit ein Schrecken durch die Menschen, wenn sich
die Kunde
verbreitet, daß wieder einmal Menschenblut vergossen worden ist,
durch den Neid, den Haß, die Habgier, die gemeine Sinnenlust, die
Blutgier.
Und es ist nicht nur die Besorgniß um die persönliche
Sicherheit des Einzelnen, was den Schrecken erweckt, sondern es ist
das Furchtbare
der That selbst, und daß eine solche unter uns
Menschen möglich ist, daß die Geschichte von Kain dem Bruder
mörder jetzt noch auf Erden geschieht, und daß jetzt noch das Blut
Erschlagener zum Himmel schreit, jetzt noch, nach Jahrtausenden. Wie aber, stehen diese Mörder ganz allein da, losgelöst von allen Anderen, so daß sie mit den anderen Menschen und diese wieder
mit ihnen gar nichts zu thun haben?
aus der
Finsterniß
ihres Herzens
Ist ihre That ganz allein
geboren worden, und trägt
Niemand sonst die Schuld als sie allein?
Wenn wir die Lebens
geschichte solch eines unglücklichen Menschen im Aeußeren und Inneren
verfolgen, wenn wir sehen könnten, wie er nach und nach zu seiner That gelangt ist, so würden wir auch sehen, daß viele Andere, ja
daß die ganze Gesellschaft, in der er ausgewachsen ist, an seiner Schuld theilnimmt.
Schlechte Beispiele, Verführungen, die am ihn
eingewirkt haben, äußere Verhältnisse, die eine gesunde sittliche Ent
wickelung seines Lebens erschwerten, fast zur Unmöglichkeit machten,
mit anderen Worten:
daß
Die Sünden der Umgebung, in der er aus
haben seine That mit verschuldet.
Da sehen wir,
es uns Allen noch gepredigt werden muß:
Du sollst nicht
gewachsen ist,
tödten. Aber noch in anderer Gestalt tritt uns der Mensch, der den
Tod bringt, entgegen. friedliche Länder.
Er wirst die Brandfackel des Krieges in
Gewiß, es ist eine wunderbare Ordnung Gottes,
daß auch der Krieg mit seinem Blutvergießen, mit seinem namen
losen Elend große Thaten
erzeugt,
große
Tugenden, beispiellose
Opferwilligkeit und Hingebung, ganz besonders da, wo ein Volk
das gute Recht der Vertheidigung auf seiner Seite hat, sein Vater land, seine Freiheit, seine nationalen Güter beschirmt.
unser Volk weiß davon zu erzählen.
Und besonders
Aber das ist das Beschämende,
daß die heutige Menschheit von einer Nothwendigkeit des Krieges sprechen und mit der Nothwendigkeit des Krieges rechnen muß, daß
Die Heiligkeit des Lebens. noch
immer das Menschengeschlecht
123
dieser Erschütterungen,
dieser
Zuchtruthe, dieser Geißel Gottes bedarf, um wenigstens von Zeit
zu Zeit in sich zu gehen und daran erinnert zu werden, daß Gott seiner nicht spotten läßt.
Auch der Krieg ist nicht nur die Schuld
eines Einzelnen, sondern die Schuld der Gesammtheit.
Er würde
nicht zum Ausbruch kommen können, wenn er nicht in den Herzen der Völker schlummerte.
gepredigt werden:
Da sehen wir:
Es muß auch heute noch
Du sollst nicht tobten!
Wieder ein andermal erhebt der Mensch, der den Tod bringt,
seine bewaffnete Hand gegen den Beleidiger oder den Beleidigten
im Zweikampf, unter der Herrschaft eines Wahns, der, so sehr
ihn das einfachste sittliche Empfinden verurtheilt, so sehr das staatliche Gesetz ihn verdammt, sich immer forterbt von Geschlecht zu Geschlecht,
ein blutiger
Götze,
der immer neue Opfer fordert.
Aber auch
hier ist die Sünde des Einzelnen nicht ausschließlich die Schuld des Einzelnen, sondern auch vor Allem die Schuld der Gesammt
heit, welche nicht ernst, nicht stark und entschieden genug ist, jene Borurtheile zu beseitigen, welche nicht im Stande ist, eine so mächtige
öffentliche Meinung zu bilden, daß durch die Fluth derselben jene Vorurtheile weggeschwemmt werden.
Wenn einmal das Blut eines
Erschlagenen gen Himmel schreit, da schrecken wohl Alle auf und sind bestürzt und entrüstet über diese Menschenopfer.
Aber dabei
giebt es doch Viele, welche für jenen Frevel eine geheime Billigung,
ja vielleicht sogar Bewunderung übrig haben. Aber der Mensch, der den Tod bringt, erhebt seine Hand auch
gegen sich selbst, giebt sich selbst den Tod, weil die Menschen
ihn verlassen, weil er keinen Glauben und keine Hoffnung mehr hat, Es ist oft gewiß bei manchem
weil er sich selbst verloren hat.
Menschen Leichtfertigkeit und Unglaube, was ihn in den Tod treibt.
Aber noch
vielmehr als diese Anklage ist die Klage berechtigt
über die Schuld, welche die Gesammtheit an solch einem traurigen
Untergange eines Einzelnen hat.
Wie Mancher ist von den Menschen
in den Tod getrieben worden; er ist von ihnen verführt, dann seiner eigenen Schuld überlassen worden.
Die Menschen haben von ihm
gesagt, wie Kain sprach: „Soll ich meines Bruders Hüter sein"? Das Blut, das da vergossen wird, klagt uns Alle an:
„Ihr haltet nicht
genug zusammen; ihr nehmt nicht genug aneinander Theil; es sind zu
Die Heiligkeit des Lebens.
124 wenig innere
die
Fäden vorhanden,
euch miteinander verbinden.
Es ist zu wenig christliche Bruderliebe unter euch.
Deshalb ge
schieht es so leicht, daß sich ein Glied losreißt aus der Gemeinschaft
der Lebendigen und den Weg des Todes geht.
Darum seid nicht
so unbarmherzig, daß ihr die Schuld, welche Alle tragen, auf die Häupter der Einzelnen häuft, die durch diese Schuld zu Gmnde
gehen." — Und es giebt noch schlimmere Selbstmörder, als die,
trifft;
welche das öffentliche Urtheil
das sind die,
welche durch
tägliche Sünden gegen ihr Leben, ihre Gesundheit wüthen, Jünglinge, die ihre Jugend verderben durch das Gift des Lasters,
Jugendkraft tödten im Dienste
die ihre
einer zügellosen Sinnlichkeit, ihr
Leben, welches sie Gott und den Menschen schulden, in einem kurzen
frevelhaften Spiel dem Götzen der Sünde opfern, und an Jahren
noch jung, doch dem Herzen nach so stüh Greise werden, ohne innere
Spannkraft, ohne Begeisterung, ohne inneres Glück. Seht, das ist der Mensch, der den Tod bringt, in mannich-
salügen Gestalten.
Das eine Mal ist er kaum zu erkennen, so fein
weiß er sein Thun zu verhüllen.
Das andere Mal tritt er uns
mit roher Gewalt, mit blutbefleckten Händen entgegen.
schließlich in jedem Menschen.
Deshalb sind wir noch nicht frei vom fünften Gebot.
desselben.
Ja er lebt
Wir Alle haben mit ihm zu kämpfen. Wir bedürfen
Du sollst nicht tödten!
Wohl hat Gott dem Menschen Macht gegeben über alle Creaturen, daß die Pflanzen und Thiere ihm dienen, ihn nähren.
Gott hat
dem Menschen das Recht gegeben, sie hinwegzuräumen, wo sie seinen
höheren Zwecken entgegenstehen.
Aber er hat ihm nicht das Recht
gegeben, irgend ein Leben ftevelhaft, zwecklos zu vernichten.
Der
Mensch, der ein fühlendes Herz in der Brust trägt, soll auch mit dem Thier Erbarmen haben und seine Freude haben an dem blühenden
Leben der Pflanzen, und seine Hand, die dazu geschaffen ist, diese Erde zu bebauen, ist auch dazu da, alles Leben auf Erden zu be schützen und zu pflegen.
Ein Herr ist nicht nur dazu da, um zu
herrschen, sondern er ist auch da, um zu beschirmen.
Mensch der Schirmherr aller Creaturen sein.
So soll der
Nur Gott, von
dem alles Leben ausgegangen ist, wie das Licht von der Sonne
ausgeht, nur Gott hat das Recht zu tödten.
Wenn er seinen
Schöpferodem, wie es jetzt geschieht, allmählich zurückzieht aus der
Die Heiligkeit des Lebens.
125
Welt, wenn die Blätter fallen und die Blüthen verwelken, wenn er Stürme sendet, welche Bäume, die Jahrhunderte lang ihre Häupter zum Himmel emporgerichtet haben, fällen, wenn Gott blühende Gefilde
durch die Dürre zu Wüsten verwandelt, wenn er Wasserfluthen sendet, welche die fiuchttragenden Felder zerstören, da soll der Mensch ehr
furchtsvoll sein Haupt neigen und sprechen: „Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen, der Name des Herrn sei gelobt!" Gott hat das Recht zu tobten. Wenn er das zarte Kind wegnimmt aus den Armen der Eltern und die blühende Jugend sterben läßt, wenn er den
Mann abruft aus dem Mittag seines Lebens und dem Dulder die stille Stunde der Erlösung sendet, da müssen wir sagen: „Gott hats gethan." Er hat das Recht zu tobten. Aber wehe dem Menschen, der eingreift in dieses Recht des Höchsten, und das Heiligthum des Lebens zerstört, welches Gott gehört. Gott hat dem Tode Macht über uns gegeben. Wehe dem, der den Tod zu seinem Diener macht! 2. Während uns in Kaiil der Mensch entgegentritt, der den Tod bringt, tritt uns in Jesus der Mensch entgegen, der das Leben bringt. Jesus will das Tödten nicht nur verbieten, sondern überhaupt
dem Menschen innerlich unmöglich machen. Wenn ein Gärtner Giftpflanzen aus seinem Garten beseitigen will, so nimmt er nicht die Früchte derselben weg, sondern er gräbt die Wurzel aus. Deshalb sagt Jesus zu dem Menschen anstatt: Du sollst nicht tödten: Du sollst nicht zürnen! Er verschärft damit nicht etwa nur die Forderung, sondern er verpflanzt das ganze fünfte Gebot auf ein ganz anderes Gebiet, nämlich in die Gesinnung. Denn vor Gott gilt nicht die äußere That, sondern die Gesinnung, das Herz, aus dem die That kommt. Jesus verlangt von dem Menschen eine solche Gesinnung, daß ihm die Uebertretung des fünften Gebotes
überhaupt unmöglich ist. Du sollst nicht zürnen!
Es giebt einen Zorn, dessen Quell die
Liebe ist, und einen Zorn, dessen Quell der Haß ist. Der erstere ist gut. Jesus hat ihn empfunden, vielleicht tiefer, als er je auf Erden empfunden worden ist.
Es hat vielleicht nie ein Mensch so
gewaltig gezürnt, wie Jesus über die Pharisäer. Vater über seinen ungerathenen Sohn zürnen.
Ebenso kann ein Ueber bewußte
Die Heiligkeit des Lebens.
126
Bosheit, Gemeinheit, Frechheit und Heuchelei zürnen ist christlich,
und wer dieses Zornes nicht fähig ist, der ist kein Christ. anders der Zorn,
der aus dem Haß kommt.
Ganz
Von ihm spricht
Jesus, wenn er sagt: „Wer seinem Bruder zürnet, der ist des Ge
richts schuldig."
Während im israelitischen Volk der, welcher einen
Mord begangen, vor das Gericht der Aeltesten der Gemeinde gestellt
wurde, soll nach dem Worte Jesu schon der Zürnende es werth sein, vor dieses Gericht gestellt zu werden.
Während im israelitischen
Volke der, welcher Gott beschimpfte, vor den Hohenrath
gestellt
wurde, soll nach dem Wort Jesu schon der, der seinen Bruder be
schimpft, zu ihm Racha! Thor! sagt, des Hohenrathes schuldig sein. So hoch stellt Jesus den Menschen, daß er die Lästerung
eines Menschen gleichstellt der Lästerung Gottes.
So ist
in den Augen Jesu das Zürnen, das aus dem Haß kommt, soviel
wie Tödten.
Denn dieser Zorn tödtet die Liebe.
Liebe in dir und in dem, dem du zürnst.
Herz, sie werden kalt, als wären sie todt.
ander gestorben, ja noch schlimmer.
Er tödtet die
Dein Herz und sein
Ihr seid beide für ein
Du kannst einen Menschen,
der dir gestorben ist, lieben mit deiner ganzen Liebe, in dankbarer Erinnerung ihn im Herzen tragen, daß er dir geistig näher ist, als
der ist dir
ein Lebender.
Aber der,
unendlich fern.
Eine undurchdringliche, kalte, dunkle Nacht, wie die
dem du zürnest im Haß,
Nacht eines ewigen Todes, liegt zwischen dir und ihm.
Im Haß
Der Zorn ist der Tod.
Es stirbt
zürnen ist soviel wie tödten.
in dir durch den Zorn nicht nur die Liebe, sondern auch die Ge
rechtigkeit — der Zürnende ist ungerecht — auch der Glaube — -er Zürnende glaubt nicht mehr an Gott und die Menschen.
Ja
noch mehr! Ein Mensch, der mit seinem Haß einen Andern verfolgt,
aus jeder Begegnung mit ihm neuen Haß schöpft, ist schlimmer als der, der im Rausch der Leidenschaft wirklich Blut vergießt — hassen,
zürnen ist soviel wie tödten. dem Richterstuhle Christi?
Wer von uns ist da unschuldig vor Nehmen wir doch immer wieder
unsere Kraft zusammen, um uns
alle
einzuleben in den Geist Jesu.
Blicken wir immer wieder empor zu dem Gekreuzigten, damit, wie einst die von den Schlangen gebissenen Israeliten durch den Auf
blick zu der ehernen Schlange
gesund wurden,
auch wir gesund
werden vom Gift des Hasses durch den Aufblick zu dem, der für
127
Die Heiligkeit des Lebens. seine Feinde in den Tod gegangen ist.
Indem Jesus den Zorn,
den Haß unter den Menschen überwindet, bringt er das Leben.
Ja er bekämpft Alles, was den Tod bringt. des Todes ist die Krankheit. zu dem Kranken gesagt:
Der Vorbote
Jesus hat Kranke geheilt.
Er hat
Sei getrost, stehe auf und wandle!
seiner starken Liebe haben sich die Kranken emporgerichtet.
An Von
ihm entfacht ist der Kampf der Menschheit gegen Krankheit und Tod immer gewaltiger geworden.
Es war der christliche Geist, der
die Menschen dazu gebracht hat, die Kranken
nicht mehr achtlos
liegen zu lassen, oder gar, wie es in Israel mit den Aussätzigen
geschah, sie hinauszustoßen in die Wildniß, sondern ihnen Kranken häuser zu bauen, in denen sie Pstege, vielleicht Genesung finden.
Es ist der christliche Geist, der die Menschen antreibt, unermüdlich
an der Vervollkommnung der Krankenpflege zu arbeiten und an der Fortbildung
der Heilkunde.
Es ist christliche Arbeit, wenn der
Gelehrte sinnt und sucht nach den Ursachen der Krankheit, um da durch die Krankheit bekämpfen zu können.
Es ist christliche Arbeit,
wenn der Arzt sich im Kampfe gegen Krankheit und Tod verzehrt.
Und es ist ein christliches Streben, wenn in der heutigen Zeit ein großer Werth darauf gelegt wird, die gesundheitlichen Verhältnisse
unseres Volkslebens zu heben, Elenden, Armen, Verlassenen zu helfen in ihren Leibesnöthen, Brod den Hungernden, eine Unterkunft den
Obdachlosen, Gemeinschaft den Einsamen zu schaffen, Verhältnisse
zu schaffen, unter denen sich jedes Menschenkind frei und gesund entfalten kann.
Welche Kraft ist von dem Einen, von Jesus aus
gegangen, der Krankheit, dem Tode zu wehren, das Leben zu fördern. Seid seine Jünger!
Dienet dem Leben!
Heilig sei euch euer Leben.
Nicht als ob ihr eure Lebenskraft ängstlich schonen solltet.
Gott
will nicht, daß unser ganzes Dasein in der Rücksichtnahme auf unsere
Gesundheit aufgehe, sondern Gott will, daß wir doch mit unserer Kraft den Menschen etwas nützen sollen.
vor Allem
Aber vergeudet
auch euere Lebenskraft nicht, sei es durch das Uebermaß der Arbeit,
sei
es durch das
Leben!
Uebermaß des Genusses.
Tragt Lebenskräfte,
Trost, Glück,
Heilig sei euch das
Freude, Liebe, Alles,
was das Leben fördert, in das Dasein euerer Angehörigen. Kinder, euere Eltern haben einst euer Leben gepflegt.
Ihr
Pflegt ihr
nun das Leben euerer Eltern dadurch, daß ihr Freude und Glück,
Die Heiligkeit d«S Hauses und des Herzens.
128
Alles, was ihr Leben erhöht und verschönt, in ihr Dasein tragt.
So werdet Jünger dessen, der das Leben bringt. Er wehrt allen Mächten, die dem Tode Vorarbeiten.
Er wehrt
dem Kummer, der den Menschen früh zum Grabe führt, dem Schmerz, in welchem sich der Mensch abhärmt um seine Todten, der Sorge,
die dem Menschen raubt, der
Schlaf der Nächte
die Ruhe des Verzweiflung,
Tages und den in welcher
den
Menschen der kalte Hauch des Todes umweht und der Tod als Versucher zu
Ruhe."
dem Unglücklichen
tritt:
„Folge mir, ich gebe dir
Jesus wehrt allen diesen dunklen Todesmächten, indem er
uns verbindet mit dem lebendigen Gott, der stärker ist als aller Jammer und
Noth.
alle
Jesus
wehrt vor
Allem
der stärksten
Dienerin des Todes, der Sünde, indem er uns glauben lehrt an
den Gott, der nicht will den Tod des Sünders, sondern daß er sich bekehre und lebe.
So drängt Jesus, je mehr wir uns ihm
hingeben, in unserem Dasein immer mehr den Tod zurück, trägt
immer mehr Leben, ewiges Leben hinein, nimmt zuletzt dem Tode seine ganze Macht, daß, wenn dieser Kampf zwischen Leben und Tod
auf Erden ausgekämpft ist, uns nichts Anderes bleibt als das Leben, das ewige Leben.
Amen.
16.
Die Heiligkett des Hauses und des Herzens. 2. Mos. 20, 14. Du sollst nicht ehebrechen. All e Gebote sind für alle Menschen bestimmt.
ein Recht zu sagen:
Memand hat
Dieses nnd jenes Gebot geht mich nichts an.
Die 10 Gebote umfassen das ganze Menschenleben; und jedes ein
zelne Menschenleben soll alle Gebote in sich aufnehmen. Das gilt auch von diesem sechsten Gebot.
Man könnte sagen:
Warum braucht einer christlichen Gemeinde, die sich in der Kirche versammelt hat, von dieser schweren Sünde
gepredigt zu werden.
Die Heiligkeit d«S Hauses und des Herzens.
128
Alles, was ihr Leben erhöht und verschönt, in ihr Dasein tragt.
So werdet Jünger dessen, der das Leben bringt. Er wehrt allen Mächten, die dem Tode Vorarbeiten.
Er wehrt
dem Kummer, der den Menschen früh zum Grabe führt, dem Schmerz, in welchem sich der Mensch abhärmt um seine Todten, der Sorge,
die dem Menschen raubt, der
Schlaf der Nächte
die Ruhe des Verzweiflung,
Tages und den in welcher
den
Menschen der kalte Hauch des Todes umweht und der Tod als Versucher zu
Ruhe."
dem Unglücklichen
tritt:
„Folge mir, ich gebe dir
Jesus wehrt allen diesen dunklen Todesmächten, indem er
uns verbindet mit dem lebendigen Gott, der stärker ist als aller Jammer und
Noth.
alle
Jesus
wehrt vor
Allem
der stärksten
Dienerin des Todes, der Sünde, indem er uns glauben lehrt an
den Gott, der nicht will den Tod des Sünders, sondern daß er sich bekehre und lebe.
So drängt Jesus, je mehr wir uns ihm
hingeben, in unserem Dasein immer mehr den Tod zurück, trägt
immer mehr Leben, ewiges Leben hinein, nimmt zuletzt dem Tode seine ganze Macht, daß, wenn dieser Kampf zwischen Leben und Tod
auf Erden ausgekämpft ist, uns nichts Anderes bleibt als das Leben, das ewige Leben.
Amen.
16.
Die Heiligkett des Hauses und des Herzens. 2. Mos. 20, 14. Du sollst nicht ehebrechen. All e Gebote sind für alle Menschen bestimmt.
ein Recht zu sagen:
Memand hat
Dieses nnd jenes Gebot geht mich nichts an.
Die 10 Gebote umfassen das ganze Menschenleben; und jedes ein
zelne Menschenleben soll alle Gebote in sich aufnehmen. Das gilt auch von diesem sechsten Gebot.
Man könnte sagen:
Warum braucht einer christlichen Gemeinde, die sich in der Kirche versammelt hat, von dieser schweren Sünde
gepredigt zu werden.
Die Heiligkeit des Hauses und des Herzens. von der das sechste Gebot handelt?
129
Diese Predigt müßte hinaus
getragen werden in die Häuser derer, die nicht zur Kirche kommen,
Aber warum hier, wo
und an die Stätten, wo das Laster wohnt.
Doch dieses Gebot gilt
sich gottesfürchtige Menschen versammeln? allen Menschen.
Es gilt nicht nur den Gottlosen, sondern auch den
Gottesfürchtigen.
Es
gilt auch der Jugend, die noch mit reinem
blickt, und
Auge in die Welt
dem Alter,
das nur noch wenige
Schritte bis zum Grabe hat, auch dem, den der Tod einsam gemacht
hat, und dem, der immer einsam gewesen ist. Diese weite, umfassende Bedeutung des sechsten Gebotes hat Luther in der Erklärung angedeutet, wenn er sagt: „Wir sollen keusch
und züchtig leben in Worten und Werken." Wir können den ganzen Inhalt des sechsten Gebotes zusammen
fassen in den beiden Sätzen: I. Heilig soll dir dein Haus sein.
2. Und heilig soll dir dein Herz sein. 1.
„Die Ehe ist ein weltlich Ding."
Luther sagt:
Deshalb
ist es Sache der bürgerlichen Obrigkeit, des Staates, die Ehe zu
schließen.
Aber, wenn die Ehe nicht nur ein rechtlicher Vertrag
zwischen zwei Menschen ist, sondern ein Bund der Herzen, eine Ge meinschaft des Geistes und des Lebens, um das Leben gemeinsam zu leben, Gottes Willen gemeinsam zu tragen und zu thun, so wird
es
ein Bedürfniß
eines
christlichen
Brautpaares
sein, im Hause
Gottes um seinen Segen zu bitten, und so die geschlossene Ehe vor
dem Alter zu bestätigen.
Gewiß wird eine Ehe nicht christlich durch
die Form, unter der sie geschlossen wird, sondern nur durch den Geist, in welchem sie geführt wird.
Doch liegt in der kirchlichen
Trauung, wenn sie von dem Brautpaare in dem rechten Sinne be
gehrt wird, ein unendlich reicher Segen.
Eheleute werden dadurch
in dem Glauben bestärkt, daß nicht sie selbst sich willkürlich mit
einander verbunden haben, sondern daß sich in ihrer Ehe eine heilige Ordnung Gottes vollzieht, daß Gott sic verbunden hat, daß Gott
mit ihnen sein wird, so lange sie einander und ihm die Treue halten.
Ihr Bund wird ihnen dadurch heilig, heilig die Pflicht, die Lasten des Lebens zusammen zu tragen, die Kämpfe des Lebens zusammen
zu kämpfen.
Der Mann sieht das Glück seiner Gattin, die Gattin
das Glück ihres Gatten als ein Gut an, welches der ewige Gott ihnen anvertraut hat. Kirmß, Predigten.
Und wenn Brautleute am Altar wirklich von 9
Die Heiligkeit des HauseS und des Herzens.
130
Herzen beten, dann wird Gott ans solches Gebet antworten: „Amen, ja ja, es soll also geschehen."
Und aus dem Gebet nehmen sie
einen Segen mit hinein in ihr Haus.
So soll es schon bei der
Schließung der Ehe offenbar werden: Heilig sei dir dein Haus.
Aber ebenso in der Art, wie Eheleute ihr häusliches Leben gestalten.
Zwei Menschen verlassen das Elternhaus, das ihnen bisher
Alles gewesen ist, verlassen Vater und Mutter, Bruder und Schwester, alle die Ihrigen, die bisher in ihren Herzen die erste Stelle ein
genommen haben, um nun nur einander anzugehören und
mitein
Sie thun eine That des kühnsten Vertrauens,
ander Eins zu sein.
und verlassen Viel, ja Alles, was sie bisher gehabt haben, in der festen Ueberzeugung, unendlich viel mehr zu finden.
Da muß es
denn ein großes, heiliges Werk sein, um dessentwillen Alles dies
verlassen wird.
Es besteht darin,
dienst thun sollen.
daß Ehegatten an einander einen Gottes
Worin soll dieser bestehen?
Das hat uns ein
Mann gesagt, der selbst nie in der Ehe gestanden, der aber über sie das Größte gesagt hat, was wohl überhaupt über sie gesagt
werden kann, nämlich der Apostel Paulus.
Er sagt:
„Ehegatten
sollen einander dienen, wie Christus und seine Gemeinde einander
dienen."
Der größte Gottesdienst, der je auf Erden gethan worden
ist, ist von Christus gethan worden, als er, der wahre Hohepriester, sein Leben für seine Gemeinde hingegeben hat.
So soll der Mann
Gott dienen in seiner Ehe, indem er sein Leben für seine Gattin
hingiebt, indem er sein Leben, seine Kraft ihr weiht, ihrem Leben und ihrem Glück.
Wie Christus in seiner Gemeinde aufgeht, indem
er sie mit seinem Geiste beseelt, so soll der Mann in seiner Gattin aufgehen, indem er sie mit seinem Geiste beseelt.
Und wie nun die
Gemeinde ihrem Haupte Christus in Dank und Liebe um seiner
Hingabe willen dient und ihm lebt, so soll nun auch die Frau in
Gegenliebe und Dankbarkeit ihren Mann lieben und ihm dienen.
So ist die Ehe für beide Theile ein Dienen.
Ein Herrschen, ein
Gewalthaben über das Andere ist hier nur möglich auf Grund dessen,
daß Eins dem Andern dient.
Die Frau wird am meisten Gewalt
haben über die Herzen der Ihrigen, die ihnen am treusten dient
und sich ihre Liebe, ihre Achtung, ihr Vertrauen immer von Neuem wieder verdient.
Und der Mann wird im eigentlichen Sinne das
131
Die Heiligkeit des Hauses und deS Herzens.
Haupt seiner Familie sein, der nicht durch herrisches Befehlen seine
Macht fühlen läßt, sondern durch treue Hingabe an die Seinen. Das ist die Ehe nach göttlicher Ordnung und nach göttlichem Sinn.
Sie ist ihrem innersten Wesen nach unauflöslich, so gewiß,
als Treue niemals aufhören kann.
So mächtig Geschicke sind, so
schwer die Trübsale, so furchtbar die Wogen des Lebens, die über
den Häuptern der Menschen zusammenschlagen, nichts vermag eine solche Ehe zu lösen.
Machtlos
brechen sich die Wogen an solch
einem Hause, das auf dem Felsen gebaut ist.
Machtlos erweisen
sich die düsteren Gewalten des Lebens, die solch einen Bund lösen
möchten.
Gott hat die Herzen miteinander verbunden und Gott ist
mächtiger als Alles.
Darum vermag nichts das zu scheiden, was
Gott zusammengefügt hat.
Ja Alles muß im Gegentheil zur Be
festigung des Bundes dienen.
Im gemeinsamen Lebenskämpfe lernt
Eins von dem Andern, nimmt von der Geduld, Willenskraft und Tapferkeit, von dem Glauben und der Lebensanschauung des Andern etwas in sich auf, theilt ihm wieder von dem Seinen etwas mit. Es entsteht zwischen Beiden ein unmerkliches Geben und Empfangen.
So werden Beide einander immer ähnlicher, eine innere Aehnlichkeit, die sich im Alter sogar bisweilen in äußerer Aehnlichkeit ausdrückt. Das
gemeinsame Geschick,
das gemeinsame Leben und die treue
Liebe zu einander hat sie Beide einander ähnlich gemacht.
kürlich fühlt Jedes, was des Andern Wille sei.
Unwill
Es besteht zwischen
Beiden ein geistiger Verkehr, eine geistige Wechselwirkung auf ein ander auch da, wo sie nicht daran denken, wo kein Wort geredet wird,
nicht einmal ein Wink zu sehen ist.
Und wenn der Tod scheidet,
was im Leben verbunden war, so wird auch nach dem Tode des Einen die geistige Gemeinschaft von dem Ueberlebenden fortgesetzt. —
Das ist es, was von den Menschen aus der Ehe gemacht werden kann.
Eine glückliche Ehe fällt nicht fertig vom Himmel herunter,
sondern die Menschen müssen sie selbst mit Gottes Hilfe schaffen. Sie ist die Frucht täglicher Arbeit beider Gatten an sich selbst, des
Sichineinanderfügens, der Geduld und der Treue.
Wie
aber
das
Eheglück
nur
die
sichtbare
Frucht innerer
Arbeit ist, so ist der Bruch, die Auflösung der Ehe die Wirkung
eines inneren Zustandes.
Ja, wundert euch nicht, wenn ich sage:
In viele Ehen werden sogleich von vornherein
auflösende Kräfte
9*
132
Die Heiligkeit des Hauses und des Herzens.
mit hineingetragen, nämlich da, wo nicht innere Gemeinschaft, treue herzliche Zuneigung zu einander, sondern äußere Verhältnisse, Geld und Gut, Ehre und glänzender Name die Menschen zusammen
führt. Da sind beide Gatten nicht mit einander verbunden, sondern an einander gebunden, und es dauert nicht lange, da empfinden Beide das Band als eine Fessel. Aber es kommt auch vor, daß Beide in dem klaren Bewußtsein inniger Liebe zu einander in den Ehebund eintreten, bald aber leise, dann immer stärker und stärker fühlen, daß sie einander fremd sind und innerlich nicht nahe kommen können. Und während nun bei einer rechten Ehe Alles, was das Leben bringt, zur Befestigung des Bundes dient, so hier
Alles zur inneren Lösung desselben. Schon bei Kleinigkeiten tritt der Gegensatz der Naturen scharf hervor. Um so mehr werden große Dinge sich trennen!) zwischen Beide legen. Aeußeres Glück, das sonst verbindet, erkältet die Herzen noch mehr, macht sie hochmüthiger und selbstsüchüger. Schwere Tage, Mißerfolge und Enttäuschungen, anstatt die Ehegatten anzutteiben, einander zu trösten und zu helfen, entlocken dem Munde nur Vorwürfe und Anklagen gegen einander, und jedes geht murrend und verbittert seinen eigenen Weg. Selbst die Kinder, die ein Band bilden sollten zwischen beiden Gatten, werden die Ursache immer neuer Zerwürfnisse.
Beide hören auf außenstehende Menschen mehr, als auf einander. Die nächsten An gehörigen, wohl auch Freunde und Bekannte mischen sich ein; die Einen in schlimmer Absicht, indem sie unter dem Schein der Freund schaft den Mann oder die Frau aufreden, nur ja sich sein Recht
nicht nehmen zu lassen, nur ja seine Stellung zu wahren; die Andern iu wirklich guter Absicht, indem sie zum Frieden reden. Aber so wohl der gute wie der böse Same geht in dem einmal vergifteten Boden immer nur als das Unkraut der Zwiettacht auf. Doch auch solch eine Ehe, in welcher sich die innere Entfremdung fühlbar macht,
kann beiden Ehegatten zum Heile dienen.
Denn die Ehe soll nach
Gottes Willen eine Schule sein, in welcher die Menschen lernen,
sich selbst zu beherrschen und in Selbstverleugnung das gemeinsame Wohl zu schaffen. So mögest du, wenn du durch diese Schule gehen mußt, in ihr lernen: Gott hat dir diese Last auferlegt, damit dir auch das zum Besten diene. Es giebt für solch einen Schaden nur Eine Heilung: Rede nicht immer von der Schuld des Andern, sondern
Die Heiligkeit des Hauses und des Herzens.
133
In dem Maße, als du selbst besser
denke an deine eigene Schuld.
wirst, wird es in deinem Hause besser werden. — Nun giebt es
auch Ehen, in denen, so sehr auch in dem einen Fall der Mann,
in dem andern die Frau Alles thut, um dem Zerfall zu wehren
und den langersehnten Frieden in das Haus einzuführen, doch die Kälte und die Leichtfertigkeit nicht weichen, und der Friede nicht Das ist ein schweres Märtyrerthum, das den Augen
kommen will.
der Welt verborgen in manchem Hause getragen wird von einein
treuen Herzen, das einst mit dem Traum von zukünftigem Glück in
das Haus eingetreten ist und von diesem Traum nicht lassen kann und nicht aufhört im Gebet mit Gott zu ringen um dieses Glück
und um die Seele, um das Heil des Anderen.
aus!
Dringe durch!
ist nicht schwer.
Da heißt es:
Halte
Treue zu halten, wo man Treue findet, das
Aber Treue zu halten, wo man keine Treue findet,
Treue zu halten, damit, wenn um uns keine Treue mehr ist, wenig
stens in uns Liebe und Treue nicht sterbe, — das ist der herrlichste
Gottesdienst, der in der Ehe gethan werden kann, und das ist der Weg, der wahrhaftig zu einer Krone des Lebens führt.
Heilig sei dir dein Haus. 2.
Aber die Luft, welche das Haus erfüllt in geistigem Sinn,
kommt nicht von
außen,
sondern geht
aus von den Herzen der
Menschen, welche im Hause zusammenwohnen. weiter:
Deshalb heißt es
Heilig sei dir dein Herz.
Du kennst heilige Tage und Orte, heilige Stunden, Zahlen und Zeichen.
Wir richten hie und da in der Welt Zeichen auf, um
grenzen damit ein bestimmtes Gebiet und sagen:
Land."
„Das ist heiliges
Wir sagen: „Heilig soll dir die Ehe und Familie, das Haus,
die Kindheit und Jugend sein." Dinge heilig?
Aber wodurch werden alle diese
Sind die 24 Stunden, welche einen Sonntag aus
machen, wirklich an und für sich heiliger als irgend welche andere
24 Stunden?
Heilig wird uns
etwas erst dadurch, daß wir es
betrachten und erfassen mit einem heiligen Sinn.
In dem Menschen
muß das Licht leuchten, welches die äußeren Dinge und Verhältnisse mit seinem Schein verklärt.
Wo in einem Menschenherzen nichts
mehr von diesem Lichte ist, da ist einem solchen Menschen auch nichts
mehr heilig.
Wie dem Reinen Alles rein ist, so ist dem heiligen
Sinn Alles heilig.
Die Heiligkeit des Hauses und des Herzens.
134
Darum behüte dein Herz mit allem Fleiß, denn da ist die Quelle des Lebens.
Aus dem Herzen kommen arge Gedanken, böse
Lust, Haß und Neid, Zwietracht und Eifersucht, alle diese zerstörenden Mächte, die ein Haus verwüsten und eine Ehe zerstören.
Aus dem
Herzen kommen auch die guten Geister, Treue und Liebe, Geduld
und Nachsicht, Reinheit und Keuschheit und alle die segnenden Mächte
des Lebens, die ein Haus aufbauen und behüten und Glück und Frieden an die stillen Räume fesseln und das Haus zu einem Heilig-
thum machen, zu einer Hütte Gottes unter den Menschenkindern, zu
einer festen Burg, um die die guten Geister des Lebens sich lagern,
wie geharnischte Helden, daß nichts Schlechtes, Gemeines aus der Welt den heiligen Boden des Hauses beflecke.
Lebens Quell.
Wenn ihr darüber klagt:
Das Herz ist des
„O hätten wir doch Glück
und Frieden in unseren Häusern," so sagt euch: „Glück und Friede kann nur kommen von Innen heraus, aus eueren Herzen."
Auch Gott
kann nicht von Außen her wie durch ein Wunder Glück und Frieden
geben;
sie
müssen immer
hindurchgehen durch dein Herz.
Dein
Herz ist für diese guten Geister die einzige Thür, die in dein Haus führt.
Auch die Besserung deiner häuslichen Verhältnisse kann nur
kommen von Innen heraus, von deinem Herzen aus.
Darum halte
dein Herz heilig!
Es ist ein großes Wort des Apostel Paulus in einem seiner „Wisset ihr nicht, daß ihr Gottes
Sendschreiben an die Korinther:
Tempel seid und daß der Geist Gottes in euch wohnt?"
Dadurch
wird dem Menschen eine wunderbare Hoheit und Würde gegeben.
Die Menschen unserer Zeit wieder daran
Tempel seid?
daß sie
haben es vor Allem nöthig,
erinnert werden:
Wisset ihr nicht,
daß ihr Gottes
Paulus schrieb so an die Leute, die damals, um
geben von den Lastern der übercivilisierten heidnischen Welt, in dem
jungen Christenthum ein neues Leben suchten und fanden:
„Fallt
nicht wieder zurück, habt nichts zu thun mit dem Schmutz um euch her, ihr, der ihr der Tempel des heiligen Geistes seid." wieder solch eine Zeit.
Heute ist
Der Geist geht durch unser Volk, gegen den
das sechste Gebot gerichtet ist.
Ueberall dringt er ein, auch durch
verschlossene Thüren und Fenster.
Es giebt Unkraut, dessen Same
schwer auf die Erde fällt, und das deshalb auch immer nur an den selben Stellen wachsen kann.
So hat man gemeint, auch diesen
Die Heiligkeit des Hauses und deS Herzens.
135
bösen Geist einschließen zu können; aber er läßt sich nicht bannen.
Wie es vielmehr auch Unkrautsamen giebt, der beflügelt ist und vom Wind hierhin und dorthin getragen wird, wie nach den Entdeckungen der Wissenschaft unsichtbare Krankheitskeime durch die Luft fliegen, so
dieser böse unreine Geist, gegen den sich das sechste Gebot wendet. Er
in Kinderherzen
dringt
ein.
Während
sorgsame
Eltern ihre
Kinder mit allem Fleiß behüten, hat er Zugang gefunden in das
Herz eines Sohnes, einer Tochter, und wird erst offenbar, wenn der Same aufgeht.
Er vergiftet die Jugend; er nimmt ihr die Reinheit,
die Freude, das unwiederbringliche Glück der Unschuld;
er streift
den duftigen Schmelz von ihr ab, wie eine ungeschickte Hand den farbenprächtigen Staub von dem Flügel eines Schmetterlings.
Wie
viel Jugendkrast, wie viel eheliches Glück durch diesen Geist zerstört wird, läßt sich nicht sagen.
Seine Verderbniß beschränkt sich nicht
nur auf die, die ihm selbst folgen, sondern erbt sich in steigender
Kraft fort bis ins dritte und vierte Glied. und Propheten.
Er hat seine Priester
Die Kunst, die von Gott die Aufgabe empfangen
hat, eine Priesterin des Schönen und Guten zu sein, hat sich viel
fach in den Dienst dieses Geistes gestellt, schmeichelt der Augenlust,
will den
schlechten
Trieben im
Menschen
gefallen.
Propheten
treten auf, welche verkündigen, daß es für den heutigen Menschen
ein überwundener Standpunkt sei, seine Natur im Zaum zu halten, seine Leidenschaften zu zügeln,
daß der Mensch das Recht habe,
seiner Natur freien Lauf zu lassen.
Die Schaubühne,
die den
Menschen in seiner Schönheit, in seiner Größe, in seiner weltüber windenden Kraft zeigen sollte, erniedrigt sich dazu, Menschen Trübern vorzuwerfen.
Es
gilt wieder jenes furchtbare Gerichtswort Jesu:
„Wehe der Welt der Aergerniß halber, wehe dem Menschen, durch
welchen Aergerniß
kommt."
Wehe
Menschenseelen das Laster trägt.
dem Menschen,
der
in reine
„Es wäre ihm besser, daß ihm ein
Mühlstein an den Hals gehängt würde und er ersäuft würde im
Meer, da es am tiefsten ist", d. h. daß er ersäuft würde wie ein
schädliches Thier.
Es giebt gegen diesen Geist nur Ein Mittel. wunden werden nur durch einen stärkeren Geist.
Er kann über
Bisweilen wird ein
Kranker, dem die Lebenskraft schwindet, dadurch geheilt, daß das Blut
eines
gesunden kraftvollen Menschen in seine Adern geleitet
Die Heiligkeit des Hauses und des Herzens.
136
Ja, neues Blut, d. h. ein neuer Geist!
wird.
Geist kann nur der heilige Geist sein. der reine Geist Jesu.
Und dieser neue
Und dieser heilige Geist ist
Er muß hineingeleitet werden als neues Blut
in die Adern unseres Volkes, daß es wieder verstehen lernt, daß Reinheit glücklich macht, Unreinheit unglücklich, daß Selbstbeherrschung die höchste Kraft ist, daß der Mensch dazu geschaffen ist, sich zur
Freiheit hindurchzuringen, daß er seine Krone selbst wegwirft, auf seinen Adel verzichtet, seine eigene Würde mit Füßen tritt, wenn er
ein Sklave seiner Lust wird.
Der reine Geist Jesu ist der Quell
edler Weiblichkeit,
männlicher Kraft nnd
Volkskraft in Gegenwart und Zukunft.
fromm Tempel
und treu.
der Quell aller wahren
Ein keusches Volk ist tapfer,
Ihr sollt Tempel des heiligen Geistes sein.
des heiligen Geistes sind uneinnehmbar, unangreifbar für-
alles Gemeine.
Habt ihr diese guten Geister eueren Kindern ein
gepflanzt, dann könnt ihr sie ruhig hinausziehen lassen in die Welt.
Versuchungen in schlechter Gesellschaft gleiten an ihnen ab. Augenweide hat keine Macht über sie. Gefühl:
Unreine
Sie haben in sich das stolze
Das Alles ist deiner nicht werth.
Wenn sie heimkehren,
blickt ihr ihnen in das Auge, und das Auge ist rein und braucht
euerem fragenden Blicke nicht auszuweichen.
Und kommen sie ein
mal dahin, sich ihr eigenes Haus zu gründen, so werden sie es heilig halten, wie sie ihr Herz heilig gehalten haben, und Kraft und Rein heit wird darin blühen. Das deutsche Volk hat einst die Fremdherrschaft gebrochen.
Es
hat vor 27 Jahren mit unwiderstehlicher Kraft sein Vaterland ge
schützt, daß keines bewaffneten Feindes Fuß den Boden des Vater landes betreten hat.
Das 19. Jahrhundert ist für unser Volk ein
Jahrhundert des Ruhms, der fortstrahlen wird bis in die fernsten
Zeiten.
Soll jetzt am Ende des Jahrhunderts unser Volk zu Grunde
gehen unter der schmachvollen Herrschaft des schlimmsten Tyrannen,
der Unzucht, der Sittenlosigkeit, des Tyrannen, der deine Jugend, du deutsches Volk, hinmordet mehr als einst die Kugeln des Feindes,
der dein Land verwüstet schlimmer als die Kriegsfurie?
Treib ihn
hinaus aus deinen Häusern, deinen Straßen, deinen Städten, deinem
Land!
Er gehört nicht zu dir.
gewachsen. hinaus!
Er ist nicht in deinem Lande
Er ist ein frecher Eindringling.
Darum treibe ihn
Das ist ein heiliger Krieg, ein Krieg für deine Häuser,
137
Der irdische Besitz.
deine Kinder, deine Zukunft. Dann wird die Ehe wieder überall heilig sein, der Jungbrunnen deiner Kraft. Deine Häuser werden wieder heilig sein, der beste Schutz deiner Kinder.
Die Kunst wird
wieder eine heilige Priesterin Gottes und alles Guten sein. Die guten Geister der Väter erwachen wieder und ihre reinen Lieder, die
sie uns überliefert haben. Und männliche Kraft und weibliche Zucht sind und bleiben deine Zierde. Halte dein Haus heilig, halte dein Herz heilig! Amen.
17.
Der irdische Besitz. 2. Mos. 20, 15.
Du sollst nicht stehlen.
Als der Mensch noch im unmittelbaren Verkehr mit der Natur lebte, unmittelbar aus ihrer Hand sein tägliches Brod empfing, als Fischer am See, als Jäger im Wald, als Hirt auf der Weide, da
hat die Frage um Mein und Dein wohl kaum Menschen erregt. Ohne viel Mühe fand Jeder, was er brauchte, und Niemand brauchte mehr, als eben Nahrung und Kleidung und Wohnung. Was wir Reichthum, Wohlstand nennen, d. h. ein Besitz, der über die Be
friedigung der einfachsten Lebensbedürfnisse hinausgeht, hatte für den Menschen weniger Bedeutung als jetzt, vermochte daher auch seine
Begierde nicht in dem Maße zu erregen.
Je mehr aber an Stelle
des einfachen Naturlebens und Naturgenusses das Kulturleben trat, und an Stelle der einfachen Naturordnung künstliche Verhältnisse, je mehr sich der Reichthum häufte, je mehr er deshalb ein Gegen
stand des Wettbewerbes geworden ist, um so schwieriger und ver wickelter wird die Frage um Mein und Dein, um so hitziger der Kampf darum.
Je mehr der Mensch ferner die Kräfte der Natur
sich als Arbeitskräfte dienstbar gemacht, je mehr die Arbeit aus gebildet wird und sich in zahllose verschiedene Zweige zerlegt, je mehr Wege sich aufthun zum Gelderwerb, vielleicht raschem Gelderwerb, um so stärker wird die Herrschaft des Geldes über den Menschen.
137
Der irdische Besitz.
deine Kinder, deine Zukunft. Dann wird die Ehe wieder überall heilig sein, der Jungbrunnen deiner Kraft. Deine Häuser werden wieder heilig sein, der beste Schutz deiner Kinder.
Die Kunst wird
wieder eine heilige Priesterin Gottes und alles Guten sein. Die guten Geister der Väter erwachen wieder und ihre reinen Lieder, die
sie uns überliefert haben. Und männliche Kraft und weibliche Zucht sind und bleiben deine Zierde. Halte dein Haus heilig, halte dein Herz heilig! Amen.
17.
Der irdische Besitz. 2. Mos. 20, 15.
Du sollst nicht stehlen.
Als der Mensch noch im unmittelbaren Verkehr mit der Natur lebte, unmittelbar aus ihrer Hand sein tägliches Brod empfing, als Fischer am See, als Jäger im Wald, als Hirt auf der Weide, da
hat die Frage um Mein und Dein wohl kaum Menschen erregt. Ohne viel Mühe fand Jeder, was er brauchte, und Niemand brauchte mehr, als eben Nahrung und Kleidung und Wohnung. Was wir Reichthum, Wohlstand nennen, d. h. ein Besitz, der über die Be
friedigung der einfachsten Lebensbedürfnisse hinausgeht, hatte für den Menschen weniger Bedeutung als jetzt, vermochte daher auch seine
Begierde nicht in dem Maße zu erregen.
Je mehr aber an Stelle
des einfachen Naturlebens und Naturgenusses das Kulturleben trat, und an Stelle der einfachen Naturordnung künstliche Verhältnisse, je mehr sich der Reichthum häufte, je mehr er deshalb ein Gegen
stand des Wettbewerbes geworden ist, um so schwieriger und ver wickelter wird die Frage um Mein und Dein, um so hitziger der Kampf darum.
Je mehr der Mensch ferner die Kräfte der Natur
sich als Arbeitskräfte dienstbar gemacht, je mehr die Arbeit aus gebildet wird und sich in zahllose verschiedene Zweige zerlegt, je mehr Wege sich aufthun zum Gelderwerb, vielleicht raschem Gelderwerb, um so stärker wird die Herrschaft des Geldes über den Menschen.
138
Der irdische Besitz.
Weltlicher Besitz aber ist zugleich das Mttel zu irdischem Genuß. Das Genußleben steigert sich mit der wachsenden Kultur. Es mehren
sich die Genußmittel. Es mehren sich zugleich die Bedürfnisse. Der Kampf um Geld und Gut wird immer erbitterter, die Reibung unter den Menschen immer stärker, die Gefahr des Uebergriffs des Einen in das Eigenthum des Anderen immer größer. Der Starke reißt
an sich, der Schwache verliert.
Es erfüllt sich in diesem Wettkampf
unserer Kulturwelt um die Güter der Erde das Wort Jesu, das steilich ursprünglich in einem ganz anderen Sinne gemeint ist: „Wer
da hat, dem wird gegeben, daß er die Fülle habe.
Wer nicht hat,
dem wird auch das Wenige genommen, was er hat." Auf der einen Seite häufen sich Reichthümer, auf der anderen Seite die Noth. Es entstehen im Volksleben Spannungen, die schließlich zu heftigen Erschütterungen, zu Revolutionen führen. Geld und Gut ist eine große Macht, eine Macht, die Völker beglücken und verderben kann, eine Macht, die nun einmal da ist und nicht beseitigt werden kann,
so viel Heil sich in unseren Tagen Manche von der Beseitigung ver sprechen. Wir müssen deshalb die rechte Stellung dazu einnehmen. Das wollen wir im Anschluß an das siebente Gebot thun, indem wir mit einander betrachten den irdischen Besitz im Lichte des Christenthums. Dabei sehen wir: 1. Daß das siebente Gebot nicht mit der Hand, sondern mit der Gesinnung erfüllt werden soll. 2. Wir fragen uns ferner, worin diese Ge sinnung besteht und wollen 3. uns aufmachen, diese Ge
sinnung zu bethätigen. 1. Das siebente Gebot muß nicht nur mit der Hand, sondern mit der Gesinnung erfüllt werden. Wenn es sich beim siebenten Gebot nur handelte um Sünden,
welche mit der Hand vollbracht werden, so würde es genügen, daß in Schule und Unterricht in ernster Weise vor dieser Uebertretung gewarnt wird; aber es würde sich kaum verlohnen, darüber zu pre digen. Denn Menschen, die sich mit der Hand am Eigenthum Anderer vergreifen, werden wohl kaum den Gottesdienst besuchen,
und thäten sie es, so würde das Wort, das hier geredet wird, ihnen wahrscheinlich wenig nützen. Aber es handelt sich hier nicht nur um Sünden, die mit der Hand vollbracht werden. Der Dieb, der
Nachts sich in ein fremdes Haus schleicht und dort Geld
und
Der irdische Besitz.
139
Kostbarkeiten stiehlt, der Bauer, der seinem Nachbar die Grenzsteine verrückt, oder wie wir uns sonst in unserem vielgestaltigen Leben die
denken mögen, die mit der Hand gegen das siebente Gebot sündigen,
nicht die
sind
einzigen Uebertreter
des siebenten Gebotes,
brauchen nicht einmal die größten zu sein.
ja sie
Es giebt auch ein Stehlen
unter äußerlich rechtschaffenen Leuten, und das ist bisweilen sittlich
viel schlechter, als das Stehlen der Diebe.
Der schlaue Betrüger,
der unter Aufbietung seines Scharfsinns und seiner ganzen Energie
und mit großem Zeitaufwand das feine Netz zurechtmacht, mit welchem er Andere sängt, der sein ganzes Sinnen und Denken, alle Geistes
gaben, die er von Gott empfangen hat, auf dieses dunkle Werk hin
richtet, so daß schließlich sein ganzes inneres Wesen von diesem Betrug
ergriffen wird und darin aufgeht — ein solcher Betrüger, der viel leicht von keinem menschlichen Gericht bestraft werden kann, ist vor deni Richterstuhl des siebenten Gebotes viel schuldiger,
der, den
als z. B.
die Noth zum Stehleu trieb und der nun vom weltlichen
Gericht als Dieb verurtheilt wird.
Kinder, die durch ftevelhaften
Leichtsinn ihre Eltern an den Bettelstab bringen,
der Sohn,
den Eltern das Erbe seiner Geschwister abpreßt,
Eltern,
Vergnügungssucht und
ihrer
deren
Kinder und seiner
ihrer Liebe zum Luxus
Zukunft vernachlässigen,
der
die um
willen ihre
der Mann,
dem
in
weichlichen kraftlosen Selbstsucht seine eigenen Lebensbedürf
nisse über Alles gehn, dem weder die Liebe zu den Seinen noch die
ernste
Pflicht irgend
abzunöthigen
vermag,
und
ihn tritt und Rechenschaft
einen
der
Verzicht
auf
schließlich,
einen Lebensgenuß
wenn
der
Tod
vor
fordert von seinem Haushalten, seine
Familie schutzlos einer ungewissen Zukunft preisgeben muß, die Frau,
der die Prachtliebe und Genußsucht die Liebe zu den Ihren aus dem Herzen gesogen hat, so daß das Leben der Ihrigen schließlich ein Darben ist, nur damit ihr eigenes Leben Wohlleben sei, der Staats
bürger, der vom Staat und von der Gemeinde Unmögliches fordert,
der sich entrüstet, wenn einmal die Gemeinschaft ihm das nicht leistet, worauf er nach seiner Ansicht ein Recht hat, der aber, soviel er
irgend kann, sich seiner Beitragspflicht, die er der Gemeindschaft gegen über hat, zu entziehen weiß — alle Diese gelten als rechtschaffene
Leute, denen Niemand etwas anhaben kann und doch sind sie vor Gott weit schlimmere Sünder gegen das siebente Gebot, als Mancher,
140
Der irdisch« Besitz.
Der, welcher in einer
der mit der Hand dagegen gesündigt hat.
schwachen Stunde zum Stehlen sich hat verführen lassen, wird vielleicht
im nächsten Augenblick, kaum daß er es gethan hat, von der tiefsten Reue erfaßt und wendet sich innerlich erschrocken und tief beschämt
von seinem Thun ab, während die Anderen eigentliche Reue nicht
kennen und an ihrem fein ersonnenen Betrug, an ihrem Stehlen, das von keiner irdischen Strafe erreicht werden kann, ihre Lust haben.
Dort ist die Hand befleckt und der bürgerliche Ruf hat einen Makel empfangen.
schlecht.
Hier dagegen ist das Herz, die Gesinnung
Hier ist der Charakter von der Habsucht, der Leichtfertigkeit,
der Unehrlichkeit ganz vergiftet.
Hier hat der Wille von Grund
aus eine verkehrte, schlechte Richtung eingeschlagen. Achtung
verschwunden
vor
dem
Eigenthum
Hier ist die
Nebenmenschen.
des
Hier erscheint alles Hab und Gut als herrenloses Gut, das Jeder sich aneignen kann, wenn er nur dem Strafrichter zu entgehen weiß.
Die Habsucht ist der Götze, der alle Kraft des Menschen in seinen
Dienst zwingt.
Das Seelenheil, der Friede
zum Opfer gefallen.
Alles Gute geht unter.
des Heikens ist ihm
Alle Ideale des Lebens
verlieren ihren Glanz vor dem Glanz des Goldes. stürzt ein.
Gott ist nicht mehr.
Der Himinel
Ein solcher Mensch kennt nur noch
zwei Dinge, sich selbst und den Mammon.
Um diese beiden
Punkte dreht sich ihm das ganze Leben, bis der Tod kommt und den Betrüger als einen unglückseligen Betrogenen von seinem Götzen losreißt und dem armseligen Spiel ein Ende macht.
Das siebente Gebot soll nicht nur mit den Händen, sondern
muß mit der Gesinnung erfüllt werden.
2. Worin besteht diese Gesinnung?
Wir wenden uns da
an Den, der auch hier für uns der Weg, die Wahrheit und das Leben ist, an Jesus Christus.
Da finden wir nun freilich Gedanken, welche
uns ganz unannehmbar erscheinen.
Wir hören aus dem Munde
Jesu über den irdischen Besitz entweder verdammende oder verächtliche Urtheile.
Verdammende Urtheile, wenn er z. B. sagt: „Es wird eher
ein Kameel durch ein Nadelöhr gehen, als daß ein Reicher in das Reich Gottes kommt"; oder wenn er sagt zu dem reichen Jüngling:
„Verkaufe, was du hast, und gieb es den Armen"; oder wenn er
ruft: „Selig seid ihr Armen, denn euer ist das Reich Gottes; wehe euch, ihr Reichen, ihr werdet weinen und heulen"; oder verächtliche
Der irdische Besitz. Urtheile, wenn er z. B. sagt:
141
„Sammelt euch nicht Schätze auf
Erden, welche die Motten und der Rost fressen", oder wenn er in
dem Gleichniß von dem reichen Kornbauer, der beim Anblick seiner reichen Ernte zu seiner Seele spricht:
„Iß und trink, liebe Seele,
und sei gutes Muthes", Gott zu diesem Manne sprechen läßt: „Du Narr, in dieser Nacht wird deine Seele von dir genommen werden."
Ohne Zweifel ist Jesus arm, zum Mindesten ganz unbekümmert um irdischen Besitz über die Erde
nachgefolgt.
Seine Jünger sind ihm
gegangen.
Sie haben Alles verlassen.
Sie sind durch die Pracht
der alten Welt gegangen und nie hat sich in ihnen auch nur die
leiseste Sehnsucht nach dieser vergänglichen Herrlichkeit der Erde in
ihrer Brust geregt. lichen
Gemeinde
Und so ist auch jene Einrichtung in der christ
zu Jerusalem,
daß
die
einzelnen
Habe verkauften und den Erlös der Gemeinde diesem Geiste zu erklären, der
Glieder ihre
schenkten, mit aus
sich ganz von dem
irdischen Besitz
abgewandt hatte. Wir
können uns nicht verhehlen,
daß zwischen
diesen An
schauungen und den Anschauungen der heutigen Menschen, auch der
strengsten Christen unter ihnen,
scheint.
ein scharfer Gegensatz zu bestehen
Faßt man diese Worte streng auf, wer lebt nach ihnen in
der heutigen Zeit?
Höchstens die Mönche, welche das Gelübde der
Armuth abgelegt haben, und auch diese kaum.
überhaupt der heuttge Mensch?
Ja kann es denn
Wir mögen wollen oder nicht, der
heutige Mensch muß nach irdischen Besitz streben, er muß erwerben.
Er müßte denn diese Welt verlassen, die Gemeinschaft der Menschen,
und die Einsamkeit aufsuchen.
Denn unsere ganze heuttge Welt mit
ihren Einrichtungen ist mit auf dem Erwerbstrieb der
aufgebaut.
Ohne ihn würde
diese
Menschen
ganze Kulturarbeit nicht sein.
Ohne ihn fehlte die Spannkraft unseres heutigen Lebens.
Ohne den
Reichthum, der sich in einzelnen Händen sammelt, würden sofort viele Tausende
von Hände arbeitslos,
erwerbslos
sein.
Mensch kann gar nicht anders, er muß erwerben. auch nicht anders.
Der
heutige
Und er darf
Gott hat dem Menschen die Erde Unterthan
gemacht mit all ihren Schätzen und Kräften, so soll der Mensch sie
auch gebrauchen.
Der Hausvater, der für eine Familie zu sorgen
hat, soll sammeln, soviel er kann, um für die Zukunft zu sorgen,
er wäre sonst gewissenlos.
Der Kaufmann, der Gewerbtreibende
142
Der irdische Besitz.
soll sein Geschäft zu heben, sein Vermögen zu vergrößern suchen,
er wäre sonst untauglich für seinen Beruf. Doch ist der Gegensatz zwischen den Anschauungen Jesu und denen der heutigen Christen nur scheinbar, liegt mehr in dem Unterschied
zwischen den äußeren Kulturverhältnissen der alten und der neuen Welt, als in dem Wesen.
Die Hauptsache ist, daß Jesus, wie er
selbst in aller Freiheit von irdischen Gütern und stolz auf sie herab
setzend über die Erde gegangen, so auch uns über die Güter der
Erde innerlich erhebt. Das hat er gethan durch sein ganzes Lebens Er hat zu uns geredet von einer ewigen Welt, in welcher
werk.
ewige Wahrheit, ewiges Leben und ewiger Friede wohnt, eine Welt,
die schon auf Erden dem Suchenden sich aufthut. liegen auch deine wahren Güter.
In dieser Welt
Diese Welt liegt über dir, d. h.
sie ist höher, werthvoller, als diese Wett, und wenn du sie im Geiste Jesu suchst und findest, dann ist diese obere Welt in dir: Gerechtig
keit, Friede und Freude im heiligen Geist, oder wie Jesus sagt: „Das Himmelreich, das inwendig in uns ist."
du reich
in Gott.
Bist du reich
Bist du gottselig, so
Hast du das, so bist
in Gott, so bist du gottselig.
bist du genügsam.
hat, der braucht wenig von Außen her.
Wer in sich selbst viel
Wer in sich selbst nichts
hat, hohl, leer ist, arm, der sucht diesen leeren Raum in sich aus zufüllen, wirft von Außen her hinein, so viel er bekommen kann,
immer mehr, und wäre es alles Gold aus den Goldgruben, alle Diamanten von den Diamantfeldern, die innere Leere wird nicht
ausgefüllt.
sind
Wer innerlich viel hat, braucht wenig von Außen.
Das
die wahrhaft freien Menschen, denen ihr Gewissen und die
Güter
der inneren Welt
mehr sind
als die ganze äußere Welt,
Menschen, wie Paulus, der sagte: „Ich kann satt sein und hungrig sein, Ueberfluß haben und Mangel leiden, ich bin zu Allem geschickt
durch den, der mich mächtig macht, Christum." Welt, Geld mache den Menschen unabhängig.
Man sagt in der
Das gilt doch immer
nur von dem, der selbst innerlich vom Geld unabhängig ist.
So stellt uns Jesus über die Güter der Erde; er macht uns
erst recht zu Herren über sie, daß wir sie beherrschen, nicht sie uns.
Denn wer im Geiste die ewigen Ziele gesehen hat, die Jesus
uns zeigt, wer mit seinem Glauben zu Gott emporsteigt und mit dem Gebet sich an ihn hält, wer mit dem Auge der Hoffnung die
Der irdische Besitz.
143
Herrlichkeit sucht, die an uns soll geoffenbaret werden, der hat die Güter der Erde, als hätte er sie nicht; er gebraucht sie, als brauchte er sie nicht, und verlöre er sie, er würde dadurch nicht ärmer werden. Er sieht auf sie herab als eine freundliche Zugabe des Lebens, als
auf einen Schmuck des Lebens, der aber nicht den Werth des Lebens ausmacht.
Du besitzest sie, aber sie besitzen nicht dich.
dir, aber du dienst nicht ihnen.
Sie dienen
Denn du weißt sehr wohl, du wirst
sie einst zurücklassen müssen und arm aus der Welt gehen, wie du arm in dieselbe gekommen bist. Alle Güter der Erde
den
Bäumen.
Nur
Nur die Seele nimmst du mit.
fallen einst die
Seele
die Blätter von
ab, wie jetzt
steigt
empor
zu
schönen
ihrer
Heimath.
So stellt uns Jesus über die Güter der Erde. 3. Daraus ergiebt sich von selbst, wie wir diese Gesinnung zu bewähren haben. Wir haben uns als Gottes Haushalter zu betrachten, denn
was wir besitzen, haben wir von Gott empfangen,^ gleichviel ob wir es ererbt oder erarbeitet haben.
Um dich her giebt es Viele, die
das, was du besitzest, vielleicht mehr verdienen als du.
es nicht von dir selbst, sondern von Gott.
halter.
Darum prahle nicht mit dem, was du hast.
Geister, die das thun.
Du hast
Du bist Gottes Haus Es sind arme
Prahle nicht, sondern sei dankbar.
Bescheidenheit ist der beste Schmuck des Reichthums.
Schlichte
Bist du Gottes
Haushälter, so sei jeden Augenblick bereit, dein Gut hinzugeben, wenn Gott es von dir nimmt.
Es wird damit nicht viel von dir
verlangt, nicht mehr, als wenn eine Mutter von ihrer Tochter einen
Schmuck,
den sie ihr
du
Gottes
Haushalter, so verwalte das Deine. sorgsam, gewissenhaft.
Halte
geschenkt, zurückverlangt.
Bist
dein Haus in Ordnung.' Ordnung im Aeußern ist ein Zeichen von Ordnung im Innern. von Unordnung im Innern.
Deine zusammen!
Unordnung im Aeußern ist ein Zeichen
Bist du ein Haushalter, so halte das
Sei sparsam.
Achte das Kleine nicht klein;
wer im Kleinen treu ist, ist auch im Großen treu.
Die Treue in
den kleinen äußeren Dingen des Lebens ist die Vorschule für die
Treue in den großen Dingen des Gewissens.
Sparsamkeit ist ein
Zeichen innerer Zucht, Verschwendung ein Zeichen der Zuchtlosigkeit. Laß aber auch deine Sparsamkeit nicht zum Geize werden.
Der
Der irdische Besitz.
144
Sparsame hält das Seine zusammen um der Pflicht und Ordnung
willen,
der
widerwillig
Geizige um des Geldes willen. mit im Tode
giebt
Der Geizige
lachenden Erben,
erstarrter Hand
der
Sparsame freut sich, mit warmen Händen dankbaren Menschen geben zu sönnen.
Auf den Schätzen, die der Geizige hinterläßt, liegt der
Fluch des Mammons,
auf dem, was der Sparsame hinterläßt,
der Segen der Treue.
Wir sind Haushalter.
Sind wir Haushalter, dann sollen wir auch danach trachten, unser Gut durch ehrliche Arbeit zu vermehren.
Aber unterscheidet
wohl: Das Geld ist nicht der Zweck der Arbeit, sondern nur das
Ergebniß
der Arbeit.
Wer im Geld
den Zweck sieht,
ist ein
Denkt an die Arbeiter und Arbeiterinnen
Miethling, ein Sklave.
in den Fabriken oder in der Hausindustrie.
Wenn sie diese unendlich
gleichförmige Hantirnng nur ausübten, um eben ihren Lebensunterhalt zu verdienen, so wären sie in der That nicht mehr als die Last
thiere, die ihre Last ziehen und dafür ihr Futter bekommen.
Dasselbe
wird von dem größten Künstler gelten, der im Geld den Zweck der
Arbeit sieht.
Der Zweck, der Lohn ist etwas ganz anderes.
Er
liegt nicht außer der Arbeit, sondern in ihr selbst, einmal darin,
daß du etwas nützest, an deinem bescheidenen Theil auch Gott und
den Menschen dienst,
und dann darin, daß du selbst durch
Arbeit innerlich besser, stärker, gesammelter, zufriedener wirst. geblich ist deine Arbeit nicht,
wenn das Geld
die Ver
ausbleibt, sondern
nur dann, wenn der innere Erfolg ausbleibt. Sind wir Gottes Haushalter, dann sollen wir uns auch unseres
Besitzes freuen.
Wie schon das Kind seine Freude hat an den
ersten paar Groschen, die sein sind, so hat der Mensch seine Freude
daran sein Leben lang, etwas sein eigen zu nennen.
Du freust dich
beim Anblick deines Besitzes der Anstrengung, die du in deine Arbeit gelegt hast, der Entsagung, die du dir auferlegt, der ganzen Selbst erziehung, welche dir deine Arbeit gebracht hat.
Freue dich, wenn
du dir mit dem, was du dir erworben hast, eine edele Freude be
reiten, dein Haus dir traulicher, wohnlicher schmücken kannst.
Freue
dich, wenn du nun deinen Kindern eine bessere Ausbildung kannst
angedeihen lassen.
Freue dich,
Freude bereiten kannst. kannst
und
daß
dein
daß du nun auch Anderen
Freue dich, Wohlstand
daß vielen
eine
du nun Armen helfen Anderen
Arbeit
und
Der irdische Besitz.
Verdienst bietet.
145
Und das Alles ist eine Freude, die du Gott dankst.
Denn du bist Gottes Haushalter.
Bist du Gottes Haushalter, dann sollst du auch das Gut denn auch sie sind Gottes Haushalter.
Anderer achten;
Dann
bist du nicht int Stande, einen einzigen Pfennig zn behalten,
der
dir nicht gehört, und auf den sehr verwickelten Wegen des Handels, wo bisweileit nur eine sehr feine Grenzlinie ehrlichen Erwerb und unehrlichen Gewinn trennt, wird dein Gewissen dir immer den rechten
Weg zeigen. nicht
Achte das Gut Anderer.
des Armen
kärgliche Lage
die
Bist du reich, so verachte
und spotte nicht
über
den
dürftigen Schmuck, mit dein er sein Leben umgiebt, oder über das
unansehnliche Gewand der Armuth! Achte auch den geringste» ehrlichen
denn er beruht auf ehrlicher Arbeit.
Besitz;
siehe
Bist du arm,
nicht gierig nach dem Reichthuin des Reichen; denn du nimmst dir
damit den Frieden und machst dir deine Armuth schwerer als sie
Achte
ist.
durch
des Nächsten Gut.
Hilf es ihm bessern und be
Hilf ihm nicht durch leichtfertig hingeworfene Gaben, sondern
hüten.
treue Theilnahme
und durch Förderung seiner Arbeit.
Es
liegt neuerdings die Meinung in der Stift, als ob alle die gesetzlichen
menschenfreundlichen Bestrebungen, die Lage der unteren Volksklassen zu heben, ein Ansturin gegen unser? Gesellschaftsordnung seien.
Es ist
das einfach christliche Pflicht, dem Nächsten sein Gut und Nah rung helfen bessern und behüten.
So gewiß es eine christliche Pflicht
des Staates ist, in den von Wassersnoth heimgesuchten Gegenden
Fürsorge zu treffen, daß sich solcher Schaden nicht wiederholt, so gewiß es eine christliche Pflicht der Gemeinde ist, die Wohnungen der Menschen vor Feuersgefahr zu behüten, so gewiß ist es Christen
pflicht, werden.
dafür
zu
sorgen,
daß
die Lasten
der Armuth erleichtert
Wir sollen dem Nächsten sein Gut und Nahrung helfen
bessern und behüten.
So
wird
durch
den
christlichen Geist
auch der todte starre
Mammon eine lebendige Kraft im Reiche Gottes.
Amen.
Der gute Name.
146
18.
Der gute Name. Du sollst kein falsch Zeugniß reden wider deinen
2. Mos. 20, 16. Nächsten.
XDie Leben, Familienglück und weltlicher Besitz, so ist auch
der gute Name ein irdisches Gut, freilich kein sichtbares Gut.
Ob
ihn ein Mensch besitzt, kann ich wissen und fühlen, aber nicht sehen.
Es ist denkbar, daß ein Mensch selbst nicht weiß, ob er dieses Gut
besitzt
oder nicht.
Der Eine
hat
einen
guten Namen unter den
Menschen und lebt doch in der fortwährenden Besorgniß, das Urtheil
Der Andere wieder
der Menschen über ihn könnte ungünstig sein. wiegt sich in dem Glauben,
einen guten Namen zu besitzen, und
thatsächlich gehen die schlimmsten Meinungen über ihn von Mund zu Mund.
Der gute Name ist ein unsichtbares Gut.
Zugleich giebt
es unter allen Gütern der Erde keines, das so zart wäre, so em pfindlich, so leicht zu verletzen, so ausgesetzt den Einflüssen von außen
her, wie der gute Name.
Deshalb sind unsere Pflichten gegen den
guten Namen unseres Nächsten ganz besonders ernst.
So wollen wir zuerst sehen, wie werthvoll der gute Name
ist,
und
dann, wie
schwer
sich
der
versündigt,
der
dem
Anderen den guten Namen nimmt. 1.
Vielleicht ist der gute Name unter allen Gütern der Erde
das werthvollste.
Das fünfte Gebot handelt vom Leben.
gute Name ist werthvoller, als das Leben. erzählt uns:
Der
Die griechische Sage
Ein junger Held habe die Wahl gehabt, entweder nur
kurz zu leben, aber großen Ruhm zu hinterlassen, oder lang zu leben, aber ohne Ruhm, und er habe das erste erbeten.
Was hier von dem
Werthe des Nachruhms gesagt wird, gilt noch viel mehr vom guten
Namen.
Was ist
das Leben
ohne
ihn!
Der Verkehr
mit den
Menschen, der unserem Leben neue Nahrung zuführt, Freude, Er quickung, innere Anregung und Bereicherung, der Verkehr mit den
Menschen, der uns Gelegenheit giebt. Anderen zu nützen, ihnen eine Hülfe und ein Segen zu werden, er hört auf, wo der gute Name
147
Der gute Name.
Der Mensch ohne guten Namen findet kein Vertrauen mehr
fehlt.
bei den Menschen, er hat auch kein Vertrauen mehr zu ihnen, er sieht in ihnen mißtrauisch seine Feinde, die ihn verrathen.
Die Fäden
find durchschnitten, welche ihn mit den Menschen verbinden, Seele
mit Seele, Geist mit Geist.
Das Dasein eines Menschen, der in
voller Abgeschiedenheit von Anderen lebt, vielleicht auf einer öden Insel, an welcher nie ein Schiff anlegt, der kein freundliches Menschen
antlitz mehr sieht, den warmen Ton menschlicher Sprache nicht hört,
die Berührung einer Menschenhand nicht fühlt — ein solches Dasein ist kein Leben mehr.
Noch viel schlimmer aber ist es, unter Menschen
zu wohnen, sie sehen, reden hören, mit ihnen äußerlich verkehren
müssen, und dabei fortwährend zu fühlen, daß sie Einen nicht kennen wollen und jede nähere Berührung vermeiden, sich sehnen nach einem
Menschen, der Vertrauen zu uns und Verständniß für uns hat, und keinen finden, sich nach Freundschaft sehnen und überall kühle Ab weisung finden, verschlossene Herzen und Thüren — ist nicht der gute Name werthvoller als das Leben?
Das sechste Gebot handelt von der Heiligkeit der Ehe und der Familie.
Der gute Name ist auch werthvoller als Familienglück.
Es sind Menschen in einer Familie mit einander verbunden, die recht eigentlich für einander geschaffen sind und auch von dem aufrichtigsten
Streben erfüllt sind, einander glücklich zu machen. ihnen Welt.
Haus
auch.
Und es gelingt
Da bekommt der gute Name einen Flecken vor der
Die Freunde wenden sich ab.
Die Achtung, die sonst das
wie eine unsichtbare feste Mauer umgab,
Stoß bekommen.
hat einen starken
Sind die Glieder einer solchen Familie treu, dann
werden sie gewiß um so fester zusammenhalten und sagen:
Wenn
die Welt uns verläßt, so wollen wir um so treuer zusammenstehen. Und doch ist die Last so schwer, daß das alte Glück unter derselben
nicht wiederkommen will.
Wie ein Nachtfrost auf die Blüthen fällt,
so stirbt das reichste Glück, wo der gute Name verloren geht. Das siebente Gebot handelt von Geld und Gut. Name ist mehr werth, als Geld und Gut.
Der gute
Wie arm sind Kinder,
die von ihren Eltern einen befleckten Namen ererben, den sie lange tragen müssen, bis es ihnen schließlich erst nach langer Zeit gelingt, den Flecken zu tilgen.
Wie reich sind Kinder, die von ihren Eltern
nichts ererben, als einen guten Namen.
Damit haben sie das Beste
10*
148 für die Welt.
Der gute Name.
Das ist der Talisman, der überall die Herzen und
Thüren öffnet. Das ist eine Schutzwehr, die vor dem Bösen be hütet, vor Unrecht und Untreue; denn der gute Naine mahnt immer fort: „Halte fest, was du haft. Halte fest deinen guten Namen, den deine Eltern dir hinterlassen haben. Dieser gute Name ist erworben worden durch Mühe und Fleiß, durch Arbeit und Geduld, durch Redlichkeit und Treue deiner Vorfahren." Dieser gute Name ist der Träger, der den guten Familiengeist auf Kinder und Enkel überträgt. Er ist das geistige Band, welches die Enkel mit den Vätern verbindet. Er ist der Reichthum eines Hauses, welcher bleibt, wenn irdischer Reichthum vergeht. Er ist der treue Führer, der Kinder und Enkel dieselben Wege führt, welche die Vorfahren gegangen sind.
Es giebt nur Ein Gut, welches uns über den Verlust des guten Namens hinweghilft, das ist die Gewißheit der Versöhnung mit Gott, der Friede in Gott, das gute Gewissen, das sich nicht vor den Menschen fürchtet. Hast du unter der üblen Nachrede der Menschen zu leiden, so sollst du gewiß Alles thun, um dich vor ihnen zu rechtfertigen. Aber das soll nicht Alles sein. Vor Allem suche im Gebet die Gewißheit: „Ist Gott für mich, wer mag wider mich sein?" Gründe dich in dem Glauben an die Treue Gottes, welche niemals weicht, an die Gerechtigkeit Gottes, die Alles an den Tag bringt, an die Liebe Gottes, die uns reich macht, daß wir nicht zu fragen brauchen nach Himmel und Erde. Wenn die Menschen
deinen Namen schmähen, so ringe dich durch zu dem felsenfesten Vertrauen, daß dein Name im Hßmmel angeschrieben ist, hoch hinausgehoben über der Menschen wechselnde Gunst und Mßgunst, unerreichbar für die Pfeile, welche die Verleumdung aus dem Hinter halt sendet, im Himmel angeschrieben und dort beschützt von dem Schild des ewigen Gottes. Dein guter Name ist doch zuletzt kein
Spielball in den Händen der Menschen, sondern, wie Jesus sagt: „Freuet euch, daß euere Namen im Himmel angeschrieben sind." Wie werthvoll der gute Name ist, laßt uns sehen an dem besten Namen, den wir kennen, dem Namen Jesu Christi. Das ist der Name, der über alle Namen ist. Welch eine Macht hat dieser Name! Wohl dem Menschen, in dessen Herzen dieser Name einen Wohl dem Volke, das neben all den großen Namen, die es besitzt und auf die es stolz ist, vor Allem diesen Namen in guten Klang hat.
149
Der gute Name.
einem treuen Herzen trägt.
Dieser Name klang in deiner Seele, als
du außer Vater und Mutter und Geschwistern kaum einen Menschen namen kanntest, und alles Große und Gute saßte sich dir in ihm zusammen.
Er sagte dir, daß es in der Welt eine Liebe und Treue
giebt, die alle Wunden heilt, alle Schuld vergiebt und in aller Ver
Dieser Name trägt die ewigen Kräfte des Himmels
lassenheit tröstet.
Bei diesem Namen richtet sich der
hernieder auf diese arme Erde.
Gebeugte von Neuem auf, der Muthlose bekommt neuen Muth, der
Bliude ahnt etwas von ewigem Lichte, und dem, der keine Hoffnung Vor diesem
mehr kennt, dämmert wieder etwas wie Hoffnung auf. Nameu legt sich der Sturm menschlicher Leidenschaften.
Der Zorn
wird gedämpft und das Gemeine zieht sich zurück in die Finsterniß,
in
die
es gehört.
Vor diesem Namen haben die Mächtigen sich
gebeugt, die Stolzen sich gedemüthigt, die harten Herzen sind weich
geworden.
Dieser Name treibt heute noch die Menschen, Vaterland
und Freundschaft zu verlassen, um jenseits von Ländern und Meeren den Völkern das Evangelium des Friedens zu predigen.
Welch eine Macht liegt in diesem besten Namen! Macht aber liegt auch in einem guten Namen! die Verheißung:
Welch eine
Abraham erhielt
„In deinem Namen werden alle Geschlechter auf
Erden gesegnet werden", d. h. von deinem Namen wird Segen aus gehen.
Wenn du einst längst nicht mehr auf Erden sein wirst, so
wirst du in deinem Namen noch fortleben den Menschen zum Segen;
bei dem Klang deines Namens werden sich die Menschen erinnern an Gottes Gnade und Treue, werden denken an vergangene Zeiten,
über denen Gott waltete, und werden daran glauben, daß er auch über der Gegenwart waltet.
Der Name eines Paulus ruft den
Menschen, denen die geistige Knechtschaft schöner dünkt, als die Frei heit eines Christenmenschen, zu:
nicht
der Menschen Knechte."
„Ihr seid theuer erkauft, werdet
Der Name Luthers
mahnt euch:
„Es ist nicht gerathen, etwas wider das Gewissen zu thun."
Der
Geist eines ganzen Zeitalters wird von einem einzigen Namen durch
die Zeiten getragen.
Die Namen der Helden unseres Volkes, seiner
Herrscher, seiner Dichter und Denker, seiner Heerführer und Staats männer stärken uns in dem Zusammenhänge mit unserem Volke und
in dem Entschluß, dem Vaterland auch in der Zeit des Abfalls und der Zersplitterung treu zu sein.
Ja, welch eine Macht hat ein guter Name!
150
Der gute Name.
Und wenn dein Name nur von wenigen Menschen gekannt und genannt wird
und
nur in wenigen Herzen fortlebt, vielleicht
im
Herzen eines Freundes, dem du Treue gehalten hast, oder im Herzen eines Armen, dem du einmal in der Noth geholfen hast, eines Kindes,
dem du ein guter Vater, eine treue Mutter gewesen bist, welch ein Segen kann doch ausgehen von deinem guten Namen. die Menschen,
die ihn in Ehren halten:
„Ich
Da sagen
habe einst einen
Menschen besessen, auf den ich mich verlassen konnte, der mir sein Herz zugewandt hatte.
Aus ihm redete zu mir Gerechtigkeit und
Wahrhaftigkeit, durch ihn habe ich an Gott und die Menschen glauben gelernt, er hat mir Muth und Lust zum Guten gegeben, er hat mich
getröstet und zu Gott gewiesen." sagen zu den Menschen,
Dein Name wird reden, wenn du nicht
Mund stumm geworden ist. mehr reden kannst.
Dein Name wird leuchten, wenn dein Lebens
licht verloschen sein wird. mehr wirken kannst.
Das Alles wird einst dein Name
die deiner gedenken werden, wenn dein
Dein Name wird wirken, wenn du nicht
Seht, wie groß ist der Werth und die Macht
eines guten Namens!
Deshalb breitet Gott schützend seine Hand darüber aus und
2. gebietet: Gegen
„Du sollst kein falsch Zeugniß reden wider deinen Nächsten."
wenige
Gebote wird
soviel
gesündigt,
wie
gegen
dieses.
Menschen, die sich schämen zu stehlen, denen es als Schande gilt,
die Ehe zu brechen, die ein Verbrechen darin sehen, zu tödten, fühlen ihr Gewissen nur wenig beschwert durch die Sünde gegen das achte
Gebot.
Denken wir nur daran, wie leicht es viele Menschen nehmen
mit dem Eid, den sie wider einander schwören, wie vielfach der Eid
in den Augen der Menschen nicht nur alle religiöse, sondern auch alle sittliche Bedeutung verloren hat, wie die Frage: ob schwören oder nicht? lediglich eine Frage der Klugheit geworden ist.
Volk hat in diesen Dingen viel zu verlieren gehabt.
Unser
Wenn es ein
Volk auf Erden gegeben hat, in welchem das Wort Jesu Verständniß fand:
„Euere Rede sei Ja Ja, Nein Nein, was darüber ist, das
ist vom Uebel," so ist es das deutsche Volk gewesen.
In unserem
Volk haben die Menschen zu den Menschen vor Allem Vertrauen
gehabt, bevor sie sich zum Mißtrauen gegen einander zwingen ließen. Das ist leider vielfach anders geworden.
Wie viel Leichtfertigkeit,
Bosheit und Rachsucht vereinigen sich oft in dem Zeugniß vor Gericht.
151
Der gute Name.
Halten wir uns nun von solchen schweren Sünden frei, so wollen wir uns damit doch nicht in die sichere Meinung wiegen, als ob wir
damit überhaupt rein seien von den Sünden gegen das achte Gebot. Die Straße, der gesellige Verkehr ist der Ort, an welchem oft noch
viel schlimmer falsch Zeugniß geredet wird, als vor Gericht.
Wie
da der Neid, die Scheelsucht an dem Nächsten das Schlechte hervor
hebt und das Gute verkleinert, wie der kleinliche Sinn auch das
kleinste Vergehen und Versehen als große Uebertretung hinstellt, wie die Selbstgerechtigkeit sich auf den hohen Thron setzt und nach Art des Pharisäers im Evangelium die eigenen Vorzüge in helles Licht zu setzen sucht dadurch, daß sie die Vorzüge Anderer verdunkelt, wie
die Rachsucht aus sicherem Hinterhalt vergiftete Pfeile gegen den Wehr losen aussendet, wie man die Zeit, die man aus geistiger Trägheit nicht mit ernsten Gedanken, mit Arbeit oder guter Rede auszufüllen ver mag, mit
leerem Geschwätz
über die persönlichen Angelegenheiten
Anderer ausfüllt, — an alle diese Dinge brauchen wir nur zu denken, um sofort zu erkennen, daß wir Alle Ursache haben, uns unter das Gericht des achten Gebotes zu stellen.
Tag von uns sagen können:
Möchten wir heute und jeden
„Ich habe mir vorgesetzt, ich will mich
hüten, daß ich nicht sündige mit meiner Zunge."
Im Briefe des Jakobus heißt es: Glied und richtet große Dinge an.
„Die Zunge ist ein kleines
Siehe, ein klein Feuer, welch
einen Wald zündet es an!
Und die Zunge ist auch ein Feuer, eine
Welt voll Ungerechtigkeit."
Der Mensch lenkt starke Rosse, gewaltige
Schiffe lenkt er über den Rücken des Meeres.
Aber so oft vermag
er seine Zunge nicht zu lenken, dieses kleine Glied.
Wie viel Lebens
glück, wie viel häuslicher Friede, wie viel Glaube und Vertrauen
wird vernichtet durch dieses unruhige Uebel, durch diese Welt voll Ungerechtigkeit, durch dieses verzehrende Feuer.
Aber es handelt sich
in dieser Zeit der Oeffentlichkeit nicht nur darum, die Zunge im Zaum zu halten, sondern auch die Feder.
Denn mit der Feder
wird oft schlimmer gesündigt als mit der Zunge, weil ihre Wirkung weiter reicht.
Die Feder verwirrt nicht nur die Lebenskreise Ein
zelner, sondern des ganzen Volkes.
Sie vergiftet den Kampf der
Meinungen.
Menschen werden verdächtigt, weil man ihre Meinung,
nicht theilt.
So scheint es immer mehr dahin zu kommen,
daß,
während es früher als eine Ehrenpflicht galt, hervorzutreten, sich am.
152
Der gute Name.
politischen Leben zu betheiligen, sich die, welche auf ihre Ehre halten, von demselben zurückziehen, weil sie fürchten müssen, daß ihr guter Name mit dem Staub des Parteikampfes befleckt wird. Am schlimmsten aber ist es, wenn solche Kämpfe auf das kirchliche
Gebiet übertragen werden, deshalb, weil hier leicht das Heiligste und die gemeinste Leidenschaft sich mit einander verbinden, weil hier fleischlicher Haß sich in das Kleid der Frömmigkeit hüllt, weil hier Kämpfe sehr unheiliger Art unter der Fahne des heiligen Geistes ausgekämpft werden. Man muß in der christlichen Kirche darüber staunen, mit welcher Leichtfertigkeit man zwischen Gläubigen und Ungläubigen scheidet, mit welcher Sicherheit Einer dem Anderen Glauben und Seligkeit abspricht. Auch für das Verhältniß der kirch
lichen Parteien und der Konfessionen gilt das Gebot: „Du sollst nicht falsch Zeugniß reden wider deinen Nächsten." Und wenn jüngst von kirchlicher Seite die Reformation als ein Gift, Luther als Ausiührer, Gustav Adolf als Mordbrenner bezeichnet worden ist, so steht solches falsches Zeugniß doppelt unter der Verdammniß des achten Gebotes: „Du sollst kein falsch Zeugniß reden wider deinen Nächsten." Die Lüge ist eine furchtbare Sünde. Der Lügner schließt sich
selbst von dem Gott der Wahrheit aus. Er kann mit dem Gott der Wahrheit keine Gemeinschaft haben. Zerschnitten ist für den Lügner das Band des Vertrauens, welches ihn mit seinen Mit
menschen verknüpfte. Aber am verderblichsten ist doch die Lüge, welche darauf ausgeht, dem Nächsten seinen guten Namen zu nehmen. Ein Ohrenbläser ist schlimmer als ein Dieb. Mit der Lüge ver bindet sich die Ungerechtigkeit, welche die Wahrheit gar nicht sehen will, die Leidenschaft, die sich selbst verblendet, der. Haß, der sich selbst steigert, weil er nun einmal im Recht sein will. Bei dem Lügner und Verleumder ist die Besserung am schwersten. Der Dieb
kann von seinem schlimmen Hang befreit werden, der Mörder zur Erkenntniß seiner Schuld gebracht werden, der Wüstling kann dahin
kommen, daß er im Gefühl seines elenden Daseins zusammenbricht und Gott bittet um Kraft zur Besserung. Aber schwer ist es, den, dessen innerstes Wesen einmal von der Lüge ergriffen ist, zur Wahr haftigkeit zu bringen. Laßt vor Allem in eueren Häusern Wahrhaftigkeit wohnen!
Hütet euch um euerer Kinder willen auch vor der
Der gute Name.
153
harmlosesten Unwahrheit! Verbannt aus euerem geselligen Verkehr die heuchlerische Freundlichkeit, die Redensart, hinter der keine Ehr lichkeit ist! Sagt nicht, Ehrlichkeit vertrage sich oft nicht mit Höflich
keit. Nein! Schlichte Ehrlichkeit kann sich sehr wohl verbinden mit schonender Rücksichtirahme. „Euere Rede sei Ja, Ja, Nein, Nein, was darüber ist, das ist vom Uebel."
Ja, das ist wirklich vom
Uebel, das Verderben, der Untergang des Vertrauens. Und nun noch Eins! Wir werden den guten Nameil unseres Nächsten dadurch am besten in Ehren halten, daß wir unseren eigenen guten Namen in Ehren halten. Halte deinen guten Namen werth dadurch, daß du nicht nur gut zu scheinen, sondern gut zu sein
trachtest. Die Ehrenhaftigkeit der Gesinnung, die Wahrhaftigkeit, der das Lügen eine innere Unmöglichkeit ist, die Gerechtigkeit, die jedem Menschen gerecht zu werden strebt, die Arbeit der Heiligung an dem inwendigen Menschen — das ist die beste Schutzwehr eines guten Namens. „Meidet," so sagt die heilige Schrift, „allen bösen Schein." Das bist du deiner Stellung unter den Menschen, deinem Namen schuldig und der Pflicht, Anderen ein gutes Beispiel zu geben. Manches, was du ahnungslos thust, wird für Andere, die dich nicht kennen, ein Grund des Vorwurfs gegen dich. „Meidet ollen bösen Schein!" Wahre deinen guten Namen! Dann wirst du auch den guten Namen Anderer werth halten. Wer selbst an sich arbeitet, eine sittliche Persönlichkeit zu werden, wer sich selbst achtet, der wird auch die Menschen um sich her nicht wie Bettler ansehen, denen jeder Vorübergehende einen verächtlichen Blick unge straft zuwerfen darf, sondern als Kinder Gottes, über die der Vater schützend seine Hände ausbreitet. Wer selbst ein Mensch zu werden strebt nach dem Bilde Gottes, dem ist jeder Mensch ein Heiligthum,
der macht sich zum Vertheidiger, zum Anwalt des Angegriffenen. Er wird „Gutes von ihm reden und Alles zum Besten kehren" und deckt mit seiner Liebe auch der Sünden Menge. Das ist ein edler Kriegsdienst, für einen Angegriffenen einzutreten und von ihm zu sagen:
„Er ist besser, als er scheint, und er hats
nicht böse gemeint." Kämpfe für deinen guten Namen; achte und beschirme den guten
Namen deines Nächsten!
Amen.
154
Der Quell der Sünde; Strafe und Lohn.
19.
Die Quelle der Sünde; Strafe und Loh«. (Am Buß- und Bettag.) 2. Mos. 20, 17, 5 u. 6.
Laß dich nicht gelüsten deines Nächsten Hauses.
Laß dich nicht gelüsten deines Nächsten Weibes, noch seines Knechtes,
noch seiner Magd, noch seines Ochsen, noch seines Esels, noch Alles, was dein Nächster hat. Denn ich,
der Herr,
dein Gott, bin ein eifriger Gott,
der da
heimsuchet der Väter Missethat an den Kindern bis ins dritte und
vierte Glied,
die mich hassen; und thue Barmherzigkeit an vielen
Tausenden, die mich lieb haben und meine Gebote halten.
^eute ist Bußtag.
Da sollst du nicht etwa meinen, dadurch,
daß du einen Tag still verlebst, vor Gott ein gutes Werk zu thun und begangene Sünden zu sühnen.
Auch handelt es sich nicht um
wehmüthige Klage über die menschliche Sündhaftigkeit im Allgemeinen,
wie über die Sünden der Einzelnen im Besonderen. Dieses weinerliche Reden von der menschlichen Verderbniß ist bei den Kindern
der
Welt mit vollem Recht ein Gegenstand der Verachtung
des
Spottes.
und
Vielmehr sollst du heute in deinem inneren Leben etwas
thun, was jeder nur einigermaßen ordnungsliebende Mensch in seinem wirthschastlichen Leben von Zeit zu Zeit ganz von selbst thut, nämlich einen Ueberschlag machen, das Ganze überblicken, die Summe ziehen.
Gehe in aller Stille in dich, ohne viel Aufsehen davon zu machen
und ohne dir etwas darauf einzubilden; dir selbst ein.
kehre in aller Sülle bei
Da wird es dir so wohl und so weh werden, wie
wenn du nach langem Umherirren in der Welt wieder einmal den Boden deiner Heimath betrittst.
Ueberlege dir, was du gefehlt hast
gegen Gott und die Menschen und dich selbst, siehe deinen Sünden und Fehlern klar ins Auge, nicht um darüber zu klagen, sondern um sie mehr und mehr zu überwinden.
Und bleibe nicht bei dir
Gehe im Geist zu Gott.
Im Glauben an Jesum
selbst stehen.
Christum, deinen Versöhner, lege alle deine Sünden, auch die un erkannten, vor Gottes Angesicht nieder. gebung.
Bitte ihn reuig um Ver
Du darfst es thun; denn du bist durch Jesum Christum
Der Quell der Sünde; Strafe und Lohn.
Gottes Kind und Erbe.
155
Bitte ihn um Kraft, weiter zu kämpfen
gegen den Feind in deiner Brust, damit dein Leben immer mehr
ein Quell des Segens werde für dich und für die Deinen. glaube
fteudig
und zuversichtlich,
Dabei
daß dir Alles das mit Gottes
Hülfe gelingen werde, daß es mit dir vorwärts und aufwärts gehen werde.
Und wenn du die Bedeutung dieses Tages in diesem Sinne
auffassest, dann wirst du erkennen, daß er dich nur mit besonderem Nachdruck an das erinnern soll, was
du jeden Tag thun sollst,
nämlich nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich
leben, täglich
känipfen, Gott bitten um Vergebung und um Kraft. Dabei wollen wir uns an die Schriftworte halten, die wir ge
hört haben.
Indem wir diese betrachten, kommen wir heute zum
Schluß unserer Betrachtungen über die heiligen zehn Gebote, die
wir in den letzten Wochen an uns haben vorüberziehen lassen.
Das
„Laß dich nicht gelüsten" weist uns hin auf die tiefste Quelle unserer Sünde.
Das andere Wort aber „Ich, der Herr, dein Gott,
bin ein eifriger Gott" u. s. w. weist uns hin auf die Strafe, die Gott androht denen, die seine Gebote übertreten, und auf den un ermeßlichen Segen, welchen er denen verheißt, die seine Gebote halten.
1. Die tiefste Quelle unserer Sünde ist die böse Lust.
Im
neuen Testament wird gegenüber der Ansicht, daß unsere Sünde das Werk einer außer uns stehenden bösen Macht sei, betont: „Ein Jeglicher wird versucht, wenn er von seiner eigenen Lust gereizet und gelocket wird."
Die Ansicht, als ob der König im Reiche des
Bösen die Ursache unserer Sünde sei, wird den Menschen der heutigen Zeit immer ftemder und unverständlicher. nach anderen Ursachen außer sich selbst.
Um so mehr sucht man Hat ein Mensch gestohlen,
so macht man dafür die Noth verantwortlich, in welcher er gedarbt
habe.
Ist ein armes Menschenkind dem Laster und der Sünde ver
fallen, so sagt man:
„Wie ist das anders möglich in einer Zeit,
in welcher ein Mensch sich durch ehrliche Arbeit kaum das trockene Brod verdienen kann."
Hat sich Jemand am Leben eines Menschen
vergriffen, so sucht man die Schuld darin, daß ja durch die Massen
kriege und ebenso durch die Massenarbeit unter steten Gefahren die Achtung vor dem Menschenleben in der heutigen Menschenwelt außer
ordentlich gesunken sei.
Hat sich Jemand zu einer Verleumdung,
156
Der Quell der Sünde; Strafe und Lohn.
zu einer Beschimpfung des guten Namens hinreißen lassen, so sucht
man die Schuld in der allgemeinen Reizbarkeit unseres Zeitalters.
Diese Art der Beurtheilung mag ein gewisses Recht haben, wenn man über die Sünden Anderer zu urtheilen hat, aber sie ist falsch, wenn wir an unsere eigene Schuld denken und von ihr sprechen. Durch solche Entschuldigung suchen wir uns von der eigenen Ver
antwortung zu befreien.
Hier muß das Wort in seiner ganzen Strenge
gelten: „Laß dich nicht gelüsten!
Ein Jeglicher wird versucht, wenn
er von seiner eigenen Lust gereizet und gelocket wird." ist der Quell deiner Sünde.
Deine Lust
Alle Sünde der Welt, alle die glänzende
Macht der Verführung, alle schmeichelnde Beredtsamkeit der Ver suchung würde keine Macht über dich haben, wenn nicht in dir deine böse Lust wäre.
In dir liegt die Macht, welche von der Versuchung
angezogen wird,
in dir der Betrug, als wäre das Schlechte, das
Gemeine harmlos, entschuldbar.
In dir ist die Blindheit, die von In dir wohnt der Un
deiner göttlichen Würde nichts mehr sieht. glaube, der dir zuflüstert:
„Sollte Gott dir wirklich das verboten
haben; sollte es wirklich eine Vergeltung geben?"
In dir liegt der
Freiheitstrotz, der dir sagt: „Beuge dich nicht unter Gesetze, die dir
von außen her aufgelegt werden; du bist dir selbst Gesetz."
Kurz:
Die Schlange im Paradies, von welcher die heilige Schrift erzählt, ist die böse Lust im Paradies deines Herzens.
gekommen?
Wie ist sie dahin
Warum hat Gott nicht den Cherub vorher vor des
Paradieses Pforte
gestellt,
daß
er diese Schlange
nicht einließ?
Weil er wollte, daß auf Erden Menschen wohnten, die durch Nacht
und Irrthum, durch Kampf und Kreuz, durch Fallen und Auferstehen sich hindurcharbeiten sollen.
Sünde gegeben.
Damit hat Gott die Möglichkeit der
Diese Möglichkeit ist zur Wirklichkeit geworden.
In dem frei geschaffenen Menschen muß die böse Lust wohnen. Dieses Sichgelüstenlassen greift nach
unersättlich,
wie
der
Abgrund
der
allen Seiten hin; es ist
Hölle.
Das
Menschenwesen
ist so eng, so begrenzt, aber in dieser Hinsicht kann es unermeßlich weit werden,
daß
die ganze Welt
es
nicht auszufüllen
vermag.
Dieses Begehren rüttelt an den heiligen Schranken, mit denen uns
Gottes Gesetz umgeben hat, wie ein wildes Thier an den Eisen
stäben seines Kerkers rüttelt, nm sich auf die Menschen zu stürzen. Dieses
Begehren wird
zum Neid,
mit welchem der
Eine
zum
157
Der Quell der Sünde; Strafe und Lohn.
Reichthum des Andern blickt, und der seine Träume hinaussendet
in die Zukunft, wo er auf den Trümmern der gegenwärtigen Ge sellschaftsordnung ein goldenes Zeitalter entstehen sieht, zum Neid,
der unserem Volke seinen Frieden nimmt, es zerreißt, sein öffentliches Leben zu einem Krieg
Aller gegen Alle macht.
Dieses Begehren
offenbart sich in dem wüthenden, rücksichtslosen Konkurrenzkampf
der heutigen Zeit, in welchem der Starke viele Schwache um sich her niedertritt, um den ersehnten Gipfel des Reichthums zu erreichen.
Dieses Begehren wird zur Eitelkeit, zur Selbstgerechtigkeit, welche
vor den Menschen
Anderen den guten Namen nimmt, um selbst zu glänzen.
Es rüttelt an den heiligen Banden des Familien
lebens, an der Ehe, und achtet den Frieden anderer Häuser nicht, es strebt dort einzubrechen, wie ein Dieb in der Nacht.
Es wird
zur vergifteten Phantasie, welche ruhelos durch die Welt schweift, und überall findet sie Versuchung und Begierde.
Dieses Begehren
wird, je weniger ihm Widerstand entgegengesetzt wird, um so stärker;
es überwuchert alles Gute; es zieht den Menschen immer tiefer hinab in die Dunkelheit.
Er wird immer schwächer, immer machtloser.
Manchmal, wenn er noch über sich ein kleines Stück vom blauen
Himmel sieht, oder wenn wie im Traum eine Erinnerung an seine reine Kindheit, an seine schuldlose Jugend durch seine Seele zieht,
da kommt über ihn eine tiefe schmerzliche Sehnsucht nach Reinheit, nach neuem Leben, nach Vergebung.
Aber die eigene Kraft reicht nicht
aus zu einem entscheidenden Entschluß.
von der Luther singt.
Das ist die „tiefe Noth",
Ja, es bleibt in diesem Kampfe für uns Alle
schließlich nichts, als das Vertrauen auf Gottes Gnade, die auch in
die tiefste Finsterniß hinabsteigt, um uns emporzuziehen aus lauter Güte.
Aber dazu wirst du um so eher kommen, je mehr du treu
kämpfst, je mehr du dich an das Gebot hältst: lüsten!"
„Laß dich nicht ge
Bitte Gott um seinen Beistand, ziehe durch das Gebet die
Kraft des Himmels zu dir herab, ergreife die Hand deines starken Bruders Jesus Christus, der dich vorwärts führt, dich emporzieht. Und dazu gehört vor Allem noch Eins.
in der Menschenseele ein unendliches Begehren. an, demselben die rechte Richtung zu geben. sich heraus.
Es liegt nun einmal
So kommt es darauf Der Mensch will aus
Er will erwerben, gewinnen, herrschen.
zum Herrschen geboren.
Denn er ist
Dazu hat Gott ihm die Arbeit gegeben.
158
Der Quell der Sünde; Strafe und Lohn.
durch welche der Mensch sich die Welt unterwerfen soll.
Sie ist
nicht nur ein Nothbehelf, ein nothwendiges Uebel, welches sich nun einmal nicht aus der Welt schaffen läßt, weil der Mensch arbeiten muß, um leben zu können; sondern sie ist Gottes Gebot, die von
Gott gestellte Aufgabe. Denn „im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brod essen." Sie ist das Zeichen des mündigen Menschen. Nur das Kind arbeitet nicht und der noch im Naturzustand lebende Heide. Der mündige Mensch arbeitet. Die Arbeit trägt das schlichte Werktagsgewand, aber sie ist eine große, mächtige Königin; sie verbindet Länder und Meere miteinander und bahnt Straßen durch die hohen Berge. Daß es so ist, daß die Arbeit des Menschen die Welt überwindet und beherrscht, das ist Gottes Wille und Gebot. In dieses Begehren hinaus in die Welt soll der Mensch seine Kraft hineinlegen. Auch der du nur ein ganz kleines Stück Erde zu be bauen hast, lege deinen ganzen Willen, deine ganze gesammelte Kraft in diese Arbeit, um darin für die Menschen etwas Tüchtiges zu leisten, und für dich selbst etwas Tüchtiges zu werden, das sei dein Begehren. Du sollst begehren, die Welt mit deiner Arbeit zu be herrschen, und dann weiter sollst du begehren, die Menschen durch deine Liebe zu gewinnen. Indem du über die Erde gehst, siehst du manches begehrenswerthe Gut, Geld und Pracht, Freude und Genuß, Schätze der Bildung und Erkenntniß, und Alles lockt dich: „Komm, nimm mich mit." Aber das Begehrenswertheste übersiehst du nur gar zu ost. Es begegnen dir Menschen, die sich nach
Freundschaft, nach Treue, nach helfenden Händen sehnen. Deren Herzen begehre zu gewinnen. Laß dir kein Herz fremd bleiben, das dir das Leben zuführt. Bring ihm Liebe und Vertrauen entgegen, wecke in ihm einen Ton der Dankbarkeit. Freue dich mit den Fröhlichen, weine mit den Weinenden. Suche die Last der Müh
seligen zu erleichtern, trockene die Thränen der Traurigen.
Das
sei dein Begehren. Im dunklen Erdtheil giebt es ein Königreich, in
welchem der Blutdurst und die Grausamkeit regieren.
Wenn dort ein
König gestorben ist, so werden einige Hundert Menschen hingemordet, damit der König im Jenseits ein großes Gefolge habe. Wenn du
einst hinübergehst, so sollst du auch ein großes Gefolge haben.
Die
Herzen der Menschen, welche du durch Liebe, Treue und Hingebung
dir gewonnen hast, die folgen dir nach, die gehören dir auch in der
Der Quell der Sünde; Strafe und Lohn.
Ewigkeit.
159
Menschen durch Liebe dir gewinnen, das soll dein Be
gehren sein.
Und das Größte:
Gott mit deinem Glauben umfassen.
Es liegt in deiner Seele ein unendliches Begehren.
Du
findest
in keiner Freude und in keinem Genuß, in keiner Erdenliebe, in keiner
Wissenschaft
und
Kunst,
du findest in
keinem
Anschauen
Du begehrst hinauf.
der Herrlichkeit dieser Erde deine Ruhe.
Du
willst Gott selbst haben, „denn du, o Gott, hast uns geschaffen zu
dir hin; und unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir." Dein Glaube geht aus, wie einst Abraham, verläßt Vaterland und Freundschaft, um in ein Land zu gehen, das Gott ihm zeigt.
Im
Gebete steigst du empor, lässest hinter dir der Erde Lust und Leid,
der Erde glänzende Reichthümer und der Erde Staub, und willst
Gott, Gott selbst haben.
Ja noch mehr!
In der Gemeinschaft mit
Gott willst du werden wie Gott, rein wie er, selig wie er, durch die Liebe willst du werden, wie er.
Welch ein Begehren!
Wir
gebrechlichen, schwachen, sterblichen Menschen, die wir blühen und verwelken wie die Blume des Feldes, wir können es nicht lassen,
Gott hat uns die Sehnsucht in das Herz gelegt, und Christus hat
sie uns zum klaren Bewußtsein gebracht:
Wir wollen Gottes Kinder
werden, ihm gleich sein, ihn schauen, wie er ist.
Du sollst begehren, die Welt durch deine Arbeit zu beherrschen,
die Menschen in Liebe zu gewinnen, Gott im Glauben zu umfassen. Und wenn dieses Begehren dich erfüllt, dann wird das falsche Be gehren, das sündige Gelüsten in dir keinen Raum finden. 2. Laßt uns weiter sehen, wie das falsche Begehren, die Sünde,
schwere Strafe, das rechte Begehren aber unaussprechlichen Segen nach sich zieht.
Gott wird hier ein eifriger Gott genannt, wie ein Aufseher,
der überall seine Augen hat, wie eine sorgfältige Hausfrau, deren
Blicken nichts in ihrem Hause entgeht. Gott, alle Sünde in der Welt.
So sieht Gott, der eifrige
Wenn die Menschen suchen und
suchen nach dem Thäter und immer wieder seine Spur verlieren und
wie vor einem Räthsel stehen, Gott kennt den Thäter; das Auge
Gottes ruht auf ihm, folgt ihm auch übers Meer, auch bis in die fernste Einsamkeit.
Mensch
Gott sieht auch die verborgene Sünde, die kein
gesehen hat.
Sein Flammenauge dringt nicht nur in das
160
Der Quell der Sünde; Strafe und Lohn.
verschwiegene Wände und durch
Dunkel des Waldes oder durch
verschlossene Thüren hindurch, sondern auch durch all den äußeren
Glanz, die glatten Formen, die Scheinheiligkeit, die frommen Mienen bis auf den Grund des Herzens.
„Er prüft Herz und Nieren."
„Er kennt unsere Gedanken von ferne." erkannte Sünde ins Licht
„Er stellt auch unsere un
vor seinem Angesicht."
Auch
unseren
Selbstbetrug, in welchem wir uns vorreden, unsere Absichten, Beweg
gründe seien gut, während sie doch vielleicht thatsächlich aus Be
quemlichkeit und Selbstsucht stammen, auch diesen Selbstbetrug zer
streut er.
In unserem Handeln ist Gutes und Sünde oft vermischt,
so daß wir selbst gar nicht im Stande sind. Beides von einander
Vor Gottes heiligem Auge ist Beides ganz reinlich
zu scheiden.
von einander geschieden.
Wir sind uns oft selbst wie ein Geheimniß,
wie ein verschlossenes Buch, betrachten staunend die Gedanken, die
in unserer Seele aufsteigen, wissen nicht, woher sie kommen, sehen uns verwundert auf Wegen und begreifen nicht, wie wir sie betreten konnten.
Gott versteht uns, wenn wir uns nicht verstehen.
Denn
er ist der große Meister, der auch unser inneres Wesen wunderbar Der Glaube an die Allwissenheit Gottes, das Be
bereitet hat.
wußtsein, auf Schritt und Tritt vor Gottes Angesicht zu sein, ist
uns vielfach
abhanden gekommen.
Man hat früher mehr davon
gepredigt und fester daran geglaubt, als jetzt, und es hat viel Segen darin gelegen. auch
Es liegt in diesem Glauben ein tiefer Ernst, aber
eine heilsame Kraft.
Richterstuhl stellen,
Wenn wir uns jeden Tag vor Gottes
wenn wir uns gewöhnen an den Gedanken,
vor seinem Angesicht zu wandeln, so wird uns das nicht nur einen festen Halt geben, sondern uns auch befreien von der Furcht vor
dem ewigen Gericht. Gott ist ein eifriger Gott. eine Strafe verbunden.
Deshalb hat er mit jeder Sünde
Sünde und Strafe hängen zusammen nach
einem unerbittlichen Gesetz, wie Licht und Schatten. kann willkürlich dem andern «Strafe erlassen;
willkürlicher, sondern ein gerechter Gott.
heilig und gerecht. wenn unsere Seele empfunden hat.
Tage
liegt
und
Ein Mensch
Gott aber ist kein
Auch seine Gnade ist
Auch seine Vergebung kann uns nur trösten,
in der bitteren Reue die Strafe der
Sünde
Weist nicht hin auf Menschen, deren Sünde am
gen
Himmel
schreit,
und
die
doch
scheinbar
Der Quell der Sünde; Strafe und Lohn.
161
Gott ist ein verborgener Gott,
ungestraft in der Welt umhergehen.
deshalb hat er auch die schwersten Strafen in das verborgene
In dir brennt die Hölle.
Leben der Seele gelegt.
Und wenn
allmählich sich das Gewissen abstumpst, und der Mensch, wie man
sagt, schließlich kein Gewissen mehr hat, unempfindlich wird gegen die Strafen des inneren Lebens, wenn er die Achtung vor sich selbst verliert, das Gute nicht mehr wollen kann und das Böse wollen
muß, wenn die Schmerzensschreie der gemißhandelten Seele immer ferner verklingen, wenn er so dem geistlichen Tode verfällt — das ist eben die schwerste Strafe. In unserem Schriftwort wird nun aber noch auf eine besondere
Wirkung der Sünde hingewiesen.
Väter
heimsuchen
vierte
Glied."
an
„Gott will die Sünden der
den Kindern
Das erscheint
bis
dritte
ins
daß
euch undenkbar,
und
Gott un
schuldige Kinder die Sünden ihrer Väter will büßen lassen.
Doch
es ist nun einmal so, daß zwischen den Sünden der Väter und den Leiden der Kinder oft ein Zusammenhang besteht. nun einmal nicht ein einzelnes Wesen
Der Mensch ist
für sich,
sondern er ist
hineingestellt in einen geschichtlichen Zusammenhang, nimmt von
den ihn umgebenden Verhältnissen,
von den Menschen,
die ihn
erzogen haben, ein Erbe mit in das Leben, und ebenso gehen von
ihm Wirkungen aus auf die, welche nach ihm kommen.
Darauf
weist uns unser Schriftwort hin, daß nicht nur dein Heil, dein
Glück abhängt von deinem sittlichen Handeln, sondern auch das Heil,
das Glück derer,
die nach dir kommen.
Deine
Handlungen
begleiten dich nicht nur bis an dein Grab, sondern sie wandern über dein Grab hinaus und machen sich geltend in dem Leben derer, die
deinen Namen tragen,
die dein Wesen, deinen Charakter erben.
Hier offenbart sich uns der furchtbare Ernst der Sünde. barsten wird das in der Geschichte der Völker.
Am offen
Vor Jahrzehnten
gab es eine Zeit, und sie ist jetzt noch nicht vorüber, da galt es als ein besonderes Zeichen der Bildung, sich um Kirche und Religion
nicht zu kümmern.
Gegensätze.
Bildung und Religion galten als unvereinbare
Die Sünden von damals treten in dem heutigen Ge
schlecht zu Tage, in den großen Massen von Menschen, welche nicht nur
die Religion,
sondern
auch
die
sittlichen
Grundlagen
des
Lebens über Bord geworfen haben, und Generattonen werden noch Kirmß, Predigten.
U
162
Der Quell der Sünde; Strafe und Lohn.
dahingehen, ehe dieser Schade einigermaßen gekeilt sein wird.
Es
gab eine Zeit, da die Kirche dastand wie ein unbeweglicher Fels in
der Zeit,
dem Sturme
heutigen Menschen unbeachtet
die tiefen lebendigen Bedürfnisse
der
ließ und den Ruf nach einer Auf
ein
heutiger Mensch
glaube» und verstehen kann, vornehm überhörte.
Die Strafe für
fassung des
christlichen Glaubens, die auch
diese Sünde trägt
das heutige Geschlecht, welches in seiner Ab
wendung von der Kirche sich innerlich so elend, so ruhelos und un
befriedigt fühlt.
seiner Väter
Das Haupt Ludwigs XVI. fiel, weil die Sünden
an ihm heimgesucht wurden.
die Hugenotten
vertrieben;
nicht mehr zur Ruhe.
seitdem
In Frankreich wurden
kommt das
Land
innerlich
In einer Familie sind Kinder herangewachsen
in der Ueppigkeit eines unehrlich erworbenen Reichthums.
Da zer
rinnt das Geld, wie es gewonnen wurde, und die Kinder stehen verwöhnt dem rauhen Leben gegenüber.
Wie manches junge Menschen
leben siecht kümmerlich dahin unter den Sünden der Väter.
Die
Zukunft euerer Familien, eueres Vaterlandes ruht in euerer Hand. Darum wachet, kämpfet.
Denn ihr tragt eine schwere Verantwortung.
Könnten wir nun noch daran zweifeln, daß Gott auch da ge recht ist, wo er die Sünden der Väter heimsucht an den Kindern, so wird dieser Zweifel uns genommen, wenn wir auf das Andere Hinblicken, daß er denen, die seine Gebote halten, Gutes thut bis
ins tausendste Glied.
Ist das nicht ein gerechter Gott, der von
den Händen der Menschen nicht nur Verderben ausgehen läßt, das in der Zukunft fortwirkt, sondern auch Segen, der weiter strömt bis zu fernen Geschlechtern?
sonders gesegnet hat.
Blickt empor zu den Großen, die Gott be Wann hört der Segen auf, der einst von
jenem Teppichweber ausgegangen ist, welcher ruhelos durch die Länder zog, jenem friedlichen Eroberer, der mit seinem Wort mehr Städte
erobert hat als Cäsar
oder Alexander der
Große,
dem
großen
Führer, der, wie Mose Israel aus Egypten führte, so die Menschen
aus dem Knechtshaus des Gesetzes zur Freiheit der Kinder Gottes geführt hat?
Wann hört der Segen auf, den der Bergmanns
sohn aus Thüringen seinem Volke gebracht hat, dieser Segen, der immer größer wird, je mehr den Menschen das Verständniß auf
geht für die Größe dieses Mannes, für seinen unergründlichen Geist,
für seine Kraft, die in Gott gebunden der ganzen Welt trotzte, für
163
Der Quell der Sünde; Strafe und Lohn.
sein Kindesgemüth, das heute noch von den Kindern verstanden wird,
für seinen schlichten Familiensinn, der für alle Zeiten unserem Volke das Bild eines echten deutschen Familienlebens vorgelebt hat.
Wann
wird der Segen aufhören, welcher ausgegangen ist von jenem milden, hohen Herrscherbild, zu dem immer am 22. März unser Volk emporblickt, von diesem treuen Eckardt des deutschen Volkes, diesem Urbild
Schlichtheit,
deutscher
Treue,
Gewissenhaftigkeit.
Welche
Zeiten auch kommen, wie hoch auch die Wogen gehen werden, die
Besten unseres Volkes
werden immer
wieder
aufblicken zu ihm,
und sie werden wieder glauben lernen an die Zukunft.
Und von
der Weltgeschichte tretet in euer Haus und seht da die schlichten
Bilder an den Wänden an, die euch die Alten zeigen, die, zu deren Füßen ihr
einst gesessen, welche euch die ersten
Schritte
gelehrt
haben auf dem Wege des Guten, der Redlichkeit, der Gottesfurcht, und die euch Frömmigkeit und Treue als bestes Erbe mitgegeben haben auf eueren Lebensweg.
Ihr hofft mit aller Bestimmtheit, daß
dieser Segen der Väter auch eueren Kindern zu Theil werden wird.
Gott will ja segnen, die seine Gebote
Glied.
Hört es, ihr Menschen,
halten, bis ins tausendste
wenn ihr Gottes Gebote haltet,
soll von euch ein Segen ausgehen, der da bleibt von Geschlecht auf Spät nach
Geschlecht.
euch werden Menschen
kommen, in einer
ganz neuen Zeit leben, in der das Alte vergangen und Alles neu
geworden ist, und in der euer Name werden wird. er wird
fortströmen unaufhaltsam,
getragen wird zum Strome
wie die Welle im Bach hin
und im Strom zum Meer und im
Meere vom Winde weitergetrieben wird.
Meereswellen.
genannt
längst nicht mehr
Aber euer Segen wird unter den Menschen bleiben,
Welch eine
heilige
Euer Segen soll sein wie
Gerechtigkeit Gottes,
die nicht
nur die Sünden der Väter heimsucht an den Kindern bis ins dritte
und vierte Glied,
auch die, welche seine Gebote
sondern
halten,
Muß nicht diese Verheißung uns
segnet bis ins tausendste Glied!
zur Buße reizen? Blicke in dein Herz
und
Blicke empor zu Gott und
suche
suche
da den Quell
in ihm
der Sünde.
den Quell des Heils.
Blicke in die Zukunft und siehe die Folgen deines Thuns. entscheide dich, heute, jetzt! übergehen!
Amen.
Dann
Laß diesen Tag nicht ungenutzt vor
164
Die geistlich Armen.
20.
Die geistlich Armen. Matth. 5, 3.
Selig find, di« geistlich arm find: denn das Himmelreich
ist ihr.
9as muß ein wunderbarer Gottesdienst gewesen sein, den Jesus
dort mit seiner ersten Gemeinde auf der Höhe eines Berges gehalten hat.
Die Lüfte, die dort oben wehten, haben seine Worte über die
Länder und durch die Zeiten getragen, und immer wieder steigen
die Menschen empor, innerlich empor, um diese Predigt vom Berge zu hören.
So klingen.
möge
sein
erstes
Wort in unsere heutige Versammlung
Es klingt wie ein Räthsel.
Sein Sinn ist tief verborgen.
Aber wenn es uns gelingt, seine Hülle zu lösen und hineinzublicken in seinen Sinn, so erschließen sich uns Quellen der Wahrheit, die sich gar nicht erschöpfen lassen.
Laßt uns mit einander reden von den
geistlich Armen,
und zwar zuerst sehen,
was wir unter diesen geistlich Armen
zu verstehen haben, und dann wie ihnen das Himmelreich gehört.
1.
In etwas anderer Fassung wird unser Textwort von Lucas
berichtet: „Selig seid ihr Armen, denn euer ist das Reich Gottes." Was für Arme sind hier gemeint? Das Gegenstück zu diesem Worte ist das andere:
„Ein Reicher
mag schwerlich in das Reich Gottes kommen," d. h. der ein Sklave seines Reichthums ist und seine Seele von den Sorgen, den Genüssen
und dem Betrug
des Reichthums hat binden lassen und der von
dem schweren kalten Gold seine unsterbliche Seele hinabziehen läßt in den Tod, dem müssen ja nothwendig Wahrheit, Reinheit, Friede
und Freude unverständliche Dinge sein, dem ist auch Gott und das Reich Gottes unverständlich.
Denn
seine Seele
hängt
an ganz
anderen Werthen, als diese Werthe der unsichtbaren Welt sind.
Es
giebt nun Menschen, die reich an irdischen Gütern sind, und doch von diesem trostlosen Zustand nichts wissen.
Und es giebt wieder
Arme, die mit ihrem Durst nach den Genüssen des Reichthums, mit
Die geistlich Armen.
165
ihrem Haß und Neid gegen alle Bessergestellten sich nur dadurch von jenen „Reichen" unterscheiden, daß, während Jene hängen an dem,
was sie besitzen. Diese ihre Seele hängen an das, was sie besitzen
möchten.
Im übrigen stehen sie ebenso Verständnißlos wie Jene den
Gütern des Reiches Gottes gegenüber.
Jesus hat also nicht die Armen überhaupt gemeint,
sondern
bestimmte Arme, nämlich die, welche ihre Armuth im rechten Sinne
auffassen und sie dem Reiche Gottes dienstbar machen. gerade in der Armuth Quellen der Seligkeit fließen.
gefunden.
Es köimen
Jesus hat sie
Denn er ist selbst arm und in der Armuth selig gewesen.
Seine Jünger hat er aus den Armen gewählt; die erste Gemeinde in Jerusalem bestand aus Armen, ebenso die Gemeinden, die Paulus
gründete.
Während die heidnische Welt hingegeben war an die Un
ruhe eiteler Vergänglichkeit — welch eine Freude, welch eine Selig
keit in dieser kleinen Gemeinde der Armen, der Bettler!
stehen wirs aus jener Zeit heraus:
So ver
„Selig seid ihr Armen;
denn
euer ist das Reich Gottes."
Und, bei aller Bitterkeit der Armuth, bei allen Lasten, die sie zu tragen hat, es fließen in ihr auch heute noch, wie zur Zeit Jesu, Quellen der Seligkeit. Heute ist es noch
ebenso,
schon insofern,
als hier die Ver
suchungen des Reichthums fehlen, und seine Genüsse ihre verweich lichenden
und
erschlaffenden Einflüsse nicht geltend machen.
weht eine scharfe, sittlich abhärtende Luft.
Hier
Die Entbehrungen der
Armuth sind eine gute Schule, in der sich tüchtige, selige Menschen bilden.
Arme, welche in ihren fortwährenden Kämpfen mit dem
Leben, unter täglichen Entbehrungen und Sorgen doch ihren Glau ben, ihre innere Würde, ihr Gottvertrauen festhalten, welche gerade
durch ihre äußere Armuth sich treiben lassen, ihren Reichthum in Gott zu suchen, die sprechen:
„Wir haben nichts auf der Welt, aber
wir haben Vieles über der Welt, nämlich einen gütigen treuen Gott
und
eine ewige Heimath,"
Arme, welche sich von ihrer Armuth
dazu erziehen lassen, nicht in dem äußeren Flitter des Lebens, son dern in innerer Tüchtigkeit und Ehrenhaftigkeit den Werth des Menschen zu sehen. Arme, deren Lebensgenüsse sehr bescheiden sind, die aber in diesen einfachen bescheidenen Freuden, z. B. in einem einfachen
Sonntagsgang ins Freie mehr wirklichen inneren Genuß haben, als
166
Die geistlich Armen.
Mancher in auserlesenen Genüssen, Arme, die in einer übersättigten
und in Weltlust sich zersetzenden Welt das der Fäulniß wehrende Salz der Gesellschaft sind. Arme, die ihren Kindern einen ehrlichen
Namen
und die segensreichen Einflüsse
eines in Gottesfurcht und
Arbeit gefestigten Familienlebens als kostbares Erbe hinterlassen — seht, das sind auch heute die Leute, denen es gilt:
Armen.
Selig seid ihr
Und ich glaube, mancher heuttge Mensch, der an seinem
Reichthum mehr Last als Lust hat, stimmt mit leiser Wehmuth ein: Ja, selig seid ihr Armen.
Das sind die Armen,
die Jesus selig
preist.
Wenden wir uns nun aber dem Worte zu, wie es uns hier von
Matthäus berichtet wird:
Selig sind, die geistlich arm sind", so
sehen wir zu der Gemeinde, zu der Jesus redet, noch Viele sich hinzugesellen.
Wer sind nun die „geistlich" Armen?
Das Gegen
theil zu diesen geistlich Armen bilden die geistlich Reichen.
Unter
diesen haben wir nicht etwa die großen Gelehrten zu verstehen, die tiefen Denker, welche Lehrer ihrer Völker und ihrer Zeitalter sind.
Menschliche Wissenschaft schließt nicht vom Himmelreiche
wenig als sie das Himmelreich uns erschließt.
aus, so
Vielmehr sind unter
den geistlich Reichen die Pharisäer zu verstehen, die sich geistlich
reich
dünken.
Jesus hat über keine verkehrte Richtung des reli
giösen Lebens so scharf geurtheilt, wie über dieses Pharisäerthum. Solch ein dünkelhafter selbstgerechter Mensch bewundert sich selbst;
wie kann er glauben an die Liebe Gottes, die den Demüthigen erhöht?
Er kann nicht vergeben; wie kann er glauben an die ver
gebende Gnade Gottes?
Er fühlt sich vollkommen, fertig, satt; er
kennt deshalb kein Stteben mehr, kein Hoffen und Verlangen.
Wie
kann da Jesus, der das Himmelreich bringt, ihm ein Erlöser werden?
Wenn das Erdreich vom Regen gesättigt ist, kann es kein Wasser mehr in sich aufnehmen; vielmehr vernichtet der vom Himmel strö mende Regen die Saat; dann verhärtet sich unter den heißen Sttahlen der Sonne die Oberfläche der Erde zu einer festen Kruste, und das
fruchtbare Feld wird zur Wüste.
So gehts.mit den Menschen, die
sich geistlich reich, fertig, vollkommen fühlen.
Wenn die Sttöme der
segnenden Güte Gottes auf sie niedersttömen, so sagen sie: ich glücklich bin, ist ja selbstverständlich; ich Habs verdient."
„Daß
Und
wenn die Fluthen der göttlichen Heimsuchung auf sie niederstürzen.
Die geistlich Armen.
so sagen sie:
167
„Welch eine Ungerechtigkeit in der Welt; ich Habs
doch nicht verdient!"
In beiden Fällen wird ihr Inneres nur
immer härter und unfruchtbarer.
Hier ist keine Seligkeit mög
lich, deshalb, weil das Herz dagegen verhärtet ist. Sind dies die geistlich Reichen, so wißt ihr nun selbst, was
wir unter den geistlich Armen zu denken haben, nicht etwa die geistig Beschränkten, die arm sind an Kenntnissen und geistiger Bil dung, sondern vielmehr jene im besten Sinne demüthigen und bescheidenen Menschen,'die sich arm fühlen an geistlichen Gütern. Geistliche Armuth ist nicht jene heuchlerische Demuth, die immer in übertriebenen Worten von der Verderbtheit der menschlichen Natur redet und sich dieses demüthige Gebühren als Verdienst anrechnet, sondern die wahre ehrliche Demuth, die nicht viel Worte macht und ebenso ruhig wie würdevoll ihren Weg geht. Auch nicht jene träge Demuth ist gemeint, welche aufhört zu kämpfen und zu streben, weil sie verzweifelt, das Ziel je zu erreichen; sondern jene Demuth, die zugleich Muth ist, die nicht müde wird, an sich zu arbeiten, bis zum letzten Augenblick, bis Gott die Ruhe giebt. Aus dieser geist lichen Armuth steigt das Gebet empor: „Du, Gott, mußt mir helfen; ohne dich kann ich nichts thun; aber du wirst mir auch helfen; des halb will ich nicht müde werden." Die größten und besten Menschen gehören zu diesen geistlich Armen. Denn je ernster ein Mensch nach Heiligung strebt, um so mehr erkennt er seine Unzulänglichkeit; je ernster er nach Wahrheit strebt, um so mehr erkennt er sein Wissen
als Stückwerk. Ein Paulus, der Alle um mehr als Haupteslänge überragte, und der doch seine Seligkeit nicht erwartete von seinem
Verdienst, sondern ganz allein von seinem Erlöser, der ihm Gott als den Vater geoffenbart hat; ein Luther, dieser Riese an sittlicher
Kraft, der die ganze Welt zum Kampfe herausforderte, und doch selig werden wollte nur durch die Gnade Gottes; ein Newton, der große englische Naturforscher, der die großen Gelehrten mit Kindern verglich, die bisweilen eine Perle am Strande des Meeres finden, eine Perle, die doch nichts ist im Vergleich zu den unendlichen Schätzen, die in der Tiefe des Meeres ruhen; ein Kaiser Wilhelm, der alle die beispiellosen Erfolge seines Lebens demüthig als Gabe Gottes hinnahm — so sehen die geistlich Armen aus! Der Reiche,
der da weiß, daß alle seine Reichthümer die tiefe Sehnsucht seines
168
Die geistlich Armen.
Herzens nicht stillen können, sondern daß er, wie alle Andern, einen
gnädigen Gott braucht; der Bielgefeierte, der durch alle Lobsprüche der Menschen still hindurch geht und immer der demüthige beschei dene Mensch bleibt; der tapfere Mann, der Alles, was er voll bracht hat, als etwas Selbstverständliches betrachtet, das nicht des Rühmens werth ist — das sind die geistlich Armen. So sind uns die geistlich Armen, die uns Anfangs fremd erschienen, wohlbekannt, und es regt sich in uns der Wunsch, daß auch wir zu ihrer edelen Gemeinde gehören möchten. 2. Wie können wir das erreichen? Auch hier laßt uns,
um klar zu sehen, an das Wort bei Lucas anknüpfen, daß den Armen das Reich Gottes gehört. Zwei große Gegensätze, Armuth
und ewige Herrlichkeit, werden hier scheinbar widerspruchsvoll mit einander verbunden. Zur Zeit Jesu wurde dieses Wort in einem besonderen Sinne verstanden. Die Israeliten dachten sich unter dem Reiche Gottes ein goldenes Zeitalter auf Erden, wo keine Noth mehr die Menschen bedrückt und keine Armuth sie mehr darben läßt, wo Steine zu Brod werden und die Erde in üppigster Fruchtbarkeit grünt, wo von der Gerechtigkeit Gottes neue Zustände werden geschaffen werden,
Fesseln zerreißen, Gefängnisse fallen, Joche zerbrochen werden, Tyrannen, die mit eisernem Scepter die Völker geschlagen, in den Abgrund geschleudert werden. Dann werden die Armen reich sein, die das Kleid der Dürftigkeit getragen, werden prangen in könig lichem Schmuck; die jetzt weinen, werden lachen; die jetzt hungern, werden gesättigt werden. Solche Anschauungen sind in der Christenheit immer wieder
aufgetaucht. Besonders in Zeiten, in denen schwere Mißstände der menschlichen Gesellschaft hervortraten und die Völker zu leiden hatten unter dem Druck der Ungerechtigkeit, sind Propheten aufgetreten,
welche den Armen znriefen: „Wartet nur, euere Zeit wird kommen, eine neue goldene Zeit, wo ihr entschädigt werden sollt für alle Ent behrungen und für alle Ungerechtigkeit, die ihr jetzt zu tragen habt." Es kommen denn auch heute solche Propheten, welche rufen: „Krieg
den Palästen, Friede den Hütten," welche den Menschen verkündigen, daß das alte Gebäude der menschlichen Gesellschaft bis auf den
Grund abgebrochen werden müsse, um ganz neu aufgebaut zu werden.
Die geistlich Armen.
169
und zwar so, daß die Armuth gar keinen Platz mehr darin fände,
sondern überall Fülle und Behagen sei. Und die Menschen hören begierig auf dieses neue Evangelium und berauschen sich an diesen glän zenden Zukunftsträumen. Der weltliche Messiastraum des jüdischen Volkes ist einst in Blut und Thränen untergegangen. Möge Gott unser Volk gnädig führen, daß nicht auch der Traum, den heute Tausende träumen, dieses Schicksal habe. Nein! So können wir das Wort, daß den Armen das Reich Gottes gehört, unmöglich verstehen. Das Reich Gottes kommt nun einmal nicht mit äußeren Gebehrden. Das müssen wir auch denen entgegenhalten, die im Namen des Christen thums, mit der Liebe Jesu im Herzen eine Umgestaltung der mensch lichen Verhältnisse herbeiführen möchten. Davon ist gewiß Vieles berechtigt. Welcher Christ möchte nicht den Armen hellere Woh nungen, leichtere Arbeit wünschen! Christus ist ein Anwalt der Armen gewesen. Nur soll man sich dabei hüten vor der großen Gefahr, daß Hoffnungen erweckt werden, die sich nicht erfüllen, und daß dann die Noth, die innere Noth um so größer wird. Nur darf man den Namen Jesu nicht mit Bestrebungen verbinden, welche sich nur zu leicht von dem guten Willen ihrer ursprünglichen Führer befreien und so mehr zum Schaden als zum Nutzen werden, so daß dann wieder einmal Jesus unter die Uebelthäter gerechnet wird. Daß die äußeren Verhältnisse besser werden, damit kommt das Reich Gottes nicht. Wohl aber, wenn das Reich Gottes kommt in die Herzen der Menschen, von innen heraus die Reich Gottes ist inwendig herniedersteigt und in dem
der Reichen und der Armen, dann wird Lage der Armen besser werden. Das in euch. Da, wo Gott zn den Menschen Menschen sein Wesen mit ihm hat, ihm
heilige Gedanken eingiebt und zu heiligen Werken treibt) wo er die Menschenseele berührt mit seinem Geiste, daß das Gotteskind wieder
erwacht, das nun unruhig ist auf Erden, bis es Ruhe findet in Gott; wo Gott in eine Menschenseele seine befieiende Wahrheit hineinlegt, indem er sich ihr bezeugt als die ewige Treue, die uns
nicht verlassen will; wo in die Dunkelheit menschlicher Schuld seine Stimme klingt: „Wendet euch zu mir, so werdet ihr selig!" wo sich seine Vaterarme austhun, um den reuig heimkehrenden Sohn aufzu
nehmen; wo Gott die Sünder umkleidet mit Gerechtigkeit und die in den Staub gesunkenen Menschen aufhebt, wie der Gärtner die
Die geistlich Armen.
170 geknickte Blume;
wo
Gott Menschen
bildet
nach seinem Bilde,
Menschen, die ihn im Glauben umfassen, die in der opferwilligen Liebe einen Quell der Seligkeit finden, die mit dem Auge der Hoff
nung hinter hohen Bergen und dunkeln Wolken das Licht der Ewig keit sehen, und Gottes ewiges Leben in sich tragen, und damit schon hier in den Kämpfen der Erde das Bürgerrecht haben in der zu
künftigen Stadt — seht, das ist das Reich Gottes, das Himmelreich. Und dieses Himmelreich, diese innere Herrlichkeit kann nur den geistlich Armen werden, denen, die hungert und dürstet nach himm
lischen Gütern, denen, die demüthig nach Gott verlangen, denen, die
unzufrieden sind mit sich selbst, ruhelos vorwärts streben, in der Sehnsucht, daß von oben Heil komme. Hier ist die Thür offen;
hier zieht das Himmelreich ein. Das dürstende Erdreich tränkt der Regen, die müde Blume wird vom Thau erquickt. Dem deinüthig nach Gott suchenden Geist erschließt das Leben und der Tod Jesu das Himmelreich, und er erkennt darin sein Heil, dem erschließt sich
der Himmel als seine Heimath, in der er ruhen und essen soll am
Tisch des Lebens. Den geistlich Armen gehört das Himmel reich. Nur wo die Seele sich losmacht von Selbstvertrauen und Selbstgerechtigkeit, und weit wird im Verlangen nach Gott, nur da findet Gottes Herrlichkeit Raum.
das Himmelreich.
Den geistlich Armen gehört
Du wolltest im Vertrauen auf deine Kraft
und dein Glück und deine Gerechtigkeit etwas durchsetzen, dem Ge schick abtrotzcn. Aber dein Schiff scheiterte am harten Fels und sein
Steuer, nämlich dein Wille, zerbrach. Gott und
Da kamst du zu dir und zu
erkanntest deine Schwachheit, und in deinen tief ge-
demüthigten Sinn klang Gottes Stimme: „Laß dir an meiner Gnade
genügen", da wurde deine Seele stille und der Friede des Himmel reichs kam über dich. Wenn deine Tugend dahinfällt, dann kannst du glauben an die Rechtfertigung durch die Gnade Gottes.
Wenn
dein Glück verlischt, wie das Sonnenlicht am Abend, dann machst du dich auf und wanderst heimwärts und fuchst und findest deinen Frieden in Gott. Du wurdest auf Erden arm. reich.
Aber du wurdest im Himmel
Selig sind, die geistlich arm sind; denn das Himmelreich ist ihr.
Amen.
Die Leidtragenden.
171
21.
Die Leidtragenden. (Am Todtensonnlag.)
Matth. 5, 4. Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. Lin mächtiger König, welcher Alle, die draußen auf unseren
Kirchhöfen schlafen, zur Ruhe gebracht hat, hat uns, die Lebenden, heute hier zusammengeführt. Kirchenjahres.
Es ist heute der letzte Sonntag des
Es hat sein gutes Recht, daß wir an diesem Tage
der Todten gedenken.
Dieses Gedenken aber, diese Erinnerung, soll ihr
christliches Gepräge tragen.
Wir sind hier versammelt nicht als solche,
die dem Tode wehrlos gegenüberstehen und keine Hoffnung haben.
Der Tod ist heute nicht das Ende unserer Gedanken
oder der
dunkle räthselhafte Mittelpunkt, um den immer nur unsere Gedanken
kreisen. Er
Sondern er ist nur der Ausgangspunkt unserer Gedanken.
weist uns hinauf zu
einem Gott,
Ewigkeit, die unsere Heimath ist.
der uns tröstet, zu einer
Er ist nur die Finsterniß, welche
durch ihren Gegensatz die Helle des ewigen Lichtes und des ewigen Lebens um so schärfer hervortreten läßt.
Wozu feiern wir den heutigen Sonntag?
Er ist zuerst in den
Jahren nach den Freiheitskriegen gefeiert worden zum Andenken an die, welche im Kampfe gefallen waren.
Man feierte ihn nicht, um
sich immer von Neuem wieder dem Schmerze um sie hinzugeben,
sondern um sie zu ehren und über ihren Gräbern Gott zu danken dafür, daß sie nicht umsonst gestorben waren.
Und so wollen wir
auch heute derer gedenken, die im Lebenskampf gefallen sind, nicht
um sie klagen, sondern mit freudiger Dankbarkeit ihrer gedenken,
in dem Glauben,
daß sie Alle ruhen in Gott.
„Selig sind die
Todten, die in dem Herrn sterben von nun an; ja der Geist spricht,
daß sie ruhen von ihrer Arbeit, und ihre Werke folgen ihnen nach." Wir feiern den heutigen Tag nicht, um zu trauern, sondern um
„getröstet zu werden".
Wir wollen hier als eine große Gemeinde
unseren Glauben bekennen, der die Welt und den Tod überwindet.
Die Leidtragenden.
172
und uns des ewigen Lebens getrösten, das uns Gott durch Jesus Christus verheißen hat.
Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.
1. Leidtragende sind wir heute Alle.
Alle die Leidtragenden,
die in dem verflossenen Kirchenjahr irgendwo um ein offenes Grab gestanden haben, sammeln sich heute zu der ernsten Gemeinde des Todtensonntags.
Jeder hat dabei seine eigenen Erinnerungen, Ver
luste, Erlebnisse.
Die Gedanken des Einen ziehen hierhin, die des
Andern dorthin.
Und Mancher unter euch meint, vom Tode am
Hier sagt ein Vater oder
schwersteu verwundet worden zu sein.
eine Mutter:
„Es ist doch nichts so schwer, als ein Kind zu ver
lieren;" da sagt eine Wittwe: ist der schwerste;" Mutter
drückt
„Der Gang zum Grabe des Gatten
am tiefsten nieder."
Unterschiede zurück.
„Der Tod der
dort wieder sagt eine Tochter: Hier
treten
aber
alle
Hier giebt es kein Mehr oder Weniger.
diese Hier
sind wir Alle arme Menschen, unter das Gesetz der Vergänglichkeit und des Todes gestellt, Menschen, die mit Thränen säen müssen,
Menschen, die hier keine bleibende Stadt haben, deren Leben nur
kurze Zeit währt und voller Unruhe ist.
Hier sind wir Alle gleich;
und wenn ihr einander auch nicht kennt, jeder von euch kann sich sagen:
„Der neben dir sitzt, ist dein Schicksalsgenosse."
Leidttagende sind wir Alle. um sichtbare Dinge.
Um was trauern wir?
Zunächst
Dadurch, daß der Tod in euere Mitte trat,
hat sich euer ganzes Leben äußerlich verändert; es ist ttüber geworden.
Hier ist einer Familie nicht nur der Vater, sondern mit dem Vater auch der Ernährer genommen; dort ist mit dem Leben einer Mutter auch die Sonne aus einem Hause geschieden, der warme Mittelpunkt, um den sich Alles in inniger Gemeinschaft schaarte.
Hier ist das
Mld jugendlicher, blühender Anmuth aus dem Kreise des Lebens geschieden;
dort sind Gestalten männlicher Kraft dem Tode zum
Raube gefallen, oder ein ehrwürdiges Haupt, dessen Anblick dir eine
Freude, eine Beruhigung war, hat sich füll im Tode geneigt.
Euer
Leben ist äußerlich ärmer geworden an Lust und Lebensglück.
Aber
ihr tragt doch nicht nur um diese äußeren Verluste Leid; ihr würdet
euere Todten und euch selbst nicht ehren, wenn ihr mit euerer Trauer dabei stehen bliebt.
Wir haben um viel Werthvolleres zu trauern.
17S
Die Leidtragenden. Euere Todten sind euch innerlich viel werth gewesen.
Die Jugend,
die in euerem Hause heranblühte, füllte euere Herzen mit Hoffnungen,
und stellte zwischen euch und der Zukunft eine innige Verbindung
her, sodaß ihr auf die Zukunft vertrautet und euch mit eueren Ge danken gern in ihr ergingt.
Jetzt ist diese Verbindung zerrissen,
und die Zukunft erscheint euch kahl und leer.
Ihr habt Menschen
besessen, die euch ein Halt waren und ein Licht, Leitsterne, die euch die rechte Richtung zeigten und zugleich eueren Lebensweg beschienen mit ihrem sanften Licht, Menschen, denen ihr vertrauen konntet von ganzem Herzen, an die ihr euch wenden konntet in jeder Noth des
äußeren und inneren Lebens, Menschen, die euch mit ihrer ganzen Kraft dienten, für die zu leben euch ein reicher Lebensinhalt war. Sie haben euer Leben gesegnet. und hilflos waren,
ein Glück.
Und
Und selbst wenn sie zuletzt krank
schon ihre Gegenwart, ihr Dasein war euch
wir
Alle trauern heute um Männer,
die wir
vielleicht niemals in unserem Leben gesehen haben, und die uns
dennoch viel werth waren,
Männer des öffentlichen Lebens, der
Wissenschaft und Kunst, des Staates, der Schule und Kirche, die. Jeder an seinem Platz, ein Hort und Halt waren für unser Volk,
und die mehr, als die Meisten es können, gesundes Leben in die Adern unseres Volkes hineingeleitet haben.
Wir haben uns an der
Gluth ihres Herzens erwärmt, an der Kraft ihres Geistes erhoben, und ihre Treue hat uns Muth gemacht, an die Zukunft zu glauben. Und da uns ein Licht nach dem andern verlischt,
scheint uns die
ganze Zeit immer dunkler zu werden. Ihr tragt darum Leid, daß ihr äußerlich und innerlich ärmer
geworden seid. Nun kommt es aber auch darauf an, wie ihr Leid tragt.
Lasten
tragen auf Erden, vom Geschick übel zugerichtet werden und schwerer heimgesucht werden als Andere, ist kein Verdienst.
Die am schwersten
getroffen sind, haben deshalb noch nicht den ersten Anspruch auf
Trost und Seligkeit.
Der Schmerz, der in euere Häuser eingetreten
ist, war überall derselbe, derselbe bleiche, stille, ernste Bote.
Aber
er ist von den Menschen verschieden ausgenommen worden, und seine ernste Rede ist in verschiedenem Sinne verstanden worden.
Seht ihr vielleicht in ihm nur den Boten eines finsteren, blinden
Geschicks, welches eifersüchtig über den Menschen wacht, und wo eiir
174
Die Leidtragenden.
reiches Glück blüht, nun verheerend dazwischen fährt, so werdet ihr niemals einen dumpfen Groll los gegen das böse Geschick, und
dieser Groll wird um so größer, je mehr ihr einseht, daß ihr nichts
gegen dieses Geschick vermögt.
Andere haben die ernste Sprache
des Schmerzes in ihrem leichten Sinn bald wieder vergessen; sie gehen ihm aus dem Wege, wo sie können, vermeiden jeden äußeren Anlaß, der schmerzliche Erinnerungen in ihnen wachrufen könnte,
vermeiden jede Berührung mit dem Tode und mit Allem, was mit Tod und Begräbniß zusammenhängt, und wo ja einmal wieder ihr
Gemüth von solch einer schmerzlichen Erinnerung ergriffen wird, da suchen sie in der Zerstreuung des Lebens Vergessenheit.
verfallen in das Gegentheil.
ihrem Schmerz.
Andere
Sie können sich nicht genug thun in
Sie suchen jede traurige Erinnerung hervor.
jedem Gespräch
In
kommen sie immer wieder auf jene dunkeln Tage
Jeder Versuch Anderer, sie zu trösten, erscheint ihnen
zu sprechen.
wie eine Beleidigung und treibt sie nur tiefer in ihren Schmerz hinein.
Sie wollen sich mit Absicht verbannen aus dem Lande des
Trostes.
Sie suchen etwas darin,
dunkle Thal.
allein zu wandern durch das
Je dunkler es um sie her und in ihnen wird, um so
mehr gefallen sie sich selbst.
Es giebt auch eine Selbstgefälligkeit,
eine Eitelkeit im Trauern. Wer grollend, leichtfertig oder selbstgefällig trauert, der schließt sich selbst von dem Troste aus,
der Leidtragenden ver
heißen ist. Es kommt Alles darauf an, wie man sein Leid trägt.
Seht,
Gottes ewige Liebe hat verschiedene Boten zur Erde niedergesandt,
um die Menschenkinder hinauf zum Vater zu weisen und zu seiner Seligkeit.
Der Eine hat ein lichtes Gewand, das ist das Glück;
er will durch Gottes Güte uns zur Buße reizen und Band der Dankbarkeit uns mit Gott verbinden.
ein dunkles Gewand; das ist der Schmerz.
Aber nicht weniger als
der Andere ist er gesandt von dem Vater des Lichts.
oft viel stärker als der Andere.
durch das
Der Andere hat
Ja er ist
Wo dieser nichts vermag, zieht er
uns mit himmlischer Kraft empor zu Gott.
Wenn dem aber so ist, so werdet ihr dem Schmerz, diesem Gesandten Gottes, nicht furchtsam aus dem Wege gehen, sondern ihn innerlich durchkämpfen und durchempfinden.
Gott will, ihr
175
Die Leidtragenden. sollt ihn in euch verklären und euch von ihm verklären lassen.
So
ist er, wenn ihr ihn recht versteht, etwas Heiliges, ein Geschenk Gottes von rauher, äußerer Form, aber von tiefem Sinn; und in
ihm selbst schon fließt ein Quell des Trostes. In diesem Sinne leidtragen,
das ist etwas Seliges.
Ver
wundet sein vom Leben, aber Gottes heilende Hand fühlen, schwach
gebeugt sein,
sein, aber Gottes Kraft sich nahe fühlen,
Gott aufgerichtet werden, das ist etwas Seliges. tragen führt zu einem Quell des Trostes, kennen.
Durch
erschlossen,
das Leidtragen
wird
aber von
Das rechte Leid
den Andere gar nicht
dir in Gott eine Seligkeit
von der du sonst nichts wissen würdest.
Durch das
Leidtragen wird dir die Tiefe des Lebens erschlossen, in welcher du
Gott als Kraft, als Hülfe an deiner Seele spürst, eine Lebenstiefe, welche dir sonst immer verborgen geblieben wäre.
Wie der Ver
schmachtende von einem stischen Trunk ganz anders erquickt wird, als der, welcher keinen Mangel gelitten, so werden die Leidtragenden einer inneren Stärkung und Tröstung durch Gott theilhaftig, welche
äußerlich glückliche Menschen niemals tragen ist etwas Seliges.
kennen lernen.
Das Leid
Selig sind, die da Leid tragen.
Bringe dich nicht durch Leichtfertigkeit oder finstere Grübelei um den Segen des rechten Leidtragens.
Benutze dazu diesen Tag
und jeden Tag und jede Stunde, wo deine Erinnerung an deine
Todten besonders lebendig vor dich tritt.
In solcher Erinnerung,
in solchem rechten Leidtragen tritt Gott selbst, der tröstende, friede
bringende Gott zu dir.
Selig sind, die da Leid tragen.
2. Worin besteht nun im Besonderen
dieser Trost?
Wenn
Jesus sagt: „Sie sollen getröstet werden," so ist das nicht ein all
gemeines Versprechen, wie man oft zu einem Kranken sagt: wird schon besser werden," oder zu einem Trauernden:
schon wieder einmal glücklich werden,"
„Es
„Du wirst
wobei wir selbst gar keine
Macht haben, dazu irgend etwas zu thun. Sondern es ist eine ganz bestimmte Zusage. Es bleibt dabei nicht dahingestellt, woher dieser Trost kommen werde, sondern dieser Trost wird von ihm kommen.
Er fühlt sich so reich an Kräften des Trostes und
fühlt in sich eine solche Macht über die Menschengemüther, daß er mit aller Bestimmtheit sprechen kann: „Sie sollen getröstet werden." Wie ein reicher Mann an eine arme Familie herantritt und spricht:
176
Die Leidtragenden.
„Euch soll geholfen werden," und wie er das mit aller Bestimmtheit aussprechen kann, weil er sich im Besitz der Mittel weiß, die dazu
nöthig sind, so sagt Jesus: „Sie sollen getröstet werden, ich will es Dazu will er sein Herz den Menschen
thun und ich kann es thun."
offenbaren, sein Leben für sie hingeben, den Tod überwinden, die Menschen verbinden mit dem Gott alles Trostes.
„Sie sollen ge
tröstet werden." So kann es für euch, ihr Leidttagenden, nur einen Weg geben, nämlich den Weg zu ihm.
Keine Weltweisheit, und wenn sie bis
in die höchsten Höhen menschlichen Denkens stiege, keine Kunst, und wenn sie den Tod noch so rührend als Boten des Friedens dar
stellte, keine Zeitdauer, und wenn sie noch so viele Wunden heilte, keine Freude der Welt, und wenn sie noch so viel Vergessenheit brächte, kann euch etwas helfen, sondern nur Der, welcher spricht:
Darum:
„Sie sollen getröstet werden". komme zu mir und
trinke."
Ihr
„Wen da dürstet,
habt sein
Evangelium,
der seine
Trostworte: „Fürchte dich nicht, glaube nur; gehe hin, dein Glaube hat dir geholfen; stehe auf und wandle, weine nicht" — ihr habt diese seine Trostworte
schon tausendmal
gehört;
aber das hilft
euch nicht soviel, wie ein einmaliges festes, vertrauensvolles Erfassen dieser Worte.
Ja glaubt es, wenigstens einmal, jetzt, heute, wo ihr
nach solch einem Trost verlangt!
ewige Leben.
Gott ist die ewige Liebe,
das
Du bist ein Gedanke Gottes, deshalb kann er dich
nicht untergehen lassen.
Du bist ein Licht von seinem Licht, deshalb
kann er dein Leben nicht auslöschen lassen.
Wann und wo du auch
sterben magst, Gott hält dich auch in der Todesstunde und trügt dich hindurch.
Wenn Jesus, der die Wahrheit ist, euer Herr und
Meister, dessen Namen ihr tragt, von dem ihr die Seligkeit erwartet,
das zu euch sagt, so glaubt es, verttaut darauf! ihr diesen Trost nicht nehmen?
damit dieser Trost euch dargereicht würde.
zurückweisen?
Warum wollt
Gott hat den Himmel aufgethan, Warum wollt ihr ihn
Gott hat es über euch Licht werden lassen.
wollt ihr im Finsteren bleiben?
Warum
Gott hat euch hineingeführt in das
Leid, damit dadurch euere Herzen recht zubereitet werden für den Trost seiner Liebe.
Warum wollt ihr diese gnädigen Führungen
Gottes nicht verstehn?
Warum wollt ihr nur den bitteren Kelch
nehmen und nicht auch den Kelch des Heils?
Die Leidtragenden.
177
Aber damit ist das Trostamt Jesu noch nicht erfüllt. uns weiter gehen!
Laßt
Ihr kennt eine Stätte, wo ein Todeskampf statt
gefunden hat, wie nie wieder auf Erden: der kahle Rücken eines Berges, da hängt ein Mensch an einem Kreuz, darunter eine Volks menge, die sich weidet an den Qualen des Sterbenden, ein hartes Sterbebette, wie es nie wieder eins gegeben hat.
Wie ist Jesus
gestorben, der den Leidtragenden den Trost der Liebe Gottes gebracht hat?
Er spricht noch sterbend Worte des ewigen Lebens.
Seine
Hände sind ausgebreitet, um die Menschen zu segnen; von seinen
erbleichenden Lippen kommen Gebetsworte auch für seine Mörder. Hier hat der Tod doch nichts vermocht.
Jesus hat ihn durch
seine Liebe, die aus Gott war, innerlich überwunden. aus Juda hat gesiegt.
Der Löwe
Das ist kein Sterben mehr; das ist ein
Siegen, ein Triumphieren. Jesus hat den Tod sich dienstbar gemacht; er ist durch den Tod zum Vater gegangen.
Und dann ist er durch
die dunkle Nacht des Todes, die mit all ihrer Trauer auf seinen
Jüngern lag, mit der Kraft seiner Liebe, die stärker ist, als der Tod, hindurchgedrungen zu seinen Jüngern, hat ihre Herzen ergriffen, und
sie zu der Gemeinschaft mit Gott, zu Lebens emporgehoben.
der Gewißheit des
ewigen
Ach, hört doch diese Geschichte nicht so an,
als ob sie euch nichts anginge!
Wenn ihr Leid tragt, wenn ihr in
euerer Sehnsucht nach den Todten immer nur sucht und sucht und Finsterniß findet, Fragen, die ihr nicht beantworten könnt, Räthsel,
die ihr nicht lösen könnt, so haltet euch doch an diese That, die Jesus gethan hat, damit ihr getröstet werdet.
Warum soll dieser
Quell des Trostes umsonst im Sande sich verlaufen, während ihr dürstet?
So viel liegt ihm daran, daß ihr getröstet werden möchtet:
Er hat sein Leben für euch gegeben.
Am Kreuz hat er vollbracht,
was er am Anfang seiner Wirksamkeit verheißen hat:
„Selig sind,
die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden."
Von dem Troste Jesu erfüllt tretet an die Gräber der Eueren!
Da heißt es: „Dies Verwesliche mußte anziehen das Unverwesliche,
dies Sterbliche
mußte anziehen die Unsterblichkeit."
Es mußte,
dazu war es von Gott geschaffen worden; es sollte keimen, wachsen,
blühen, daß ihr und Andere euere Freude daran hättet, und dann
mußte es verwelken, damit es anzöge die Unsterblichkeit. Sterben vollzog Kirmß, Predigten.
sich
der
heilige
Gottesrath, nach
In ihrem
welchem 12
das
178
Die Leidtragenden.
Sterbliche, indem es stirbt, anzieht die Unsterblichkeit. Damit hat sie der Schöpfer, der sie einst ins Leben treten ließ, nur auf eine höhere Stufe der Schöpfung erhoben. Sie sind nun verklärt. Im Grabe ruht die leere Hülle, die der Geist zurückgelassen hat. „Was sucht ihr den Lebendigen bei den Todten!" Sie sind verklärt. Was sie auf Erden groß machte, Wissen und Können, Geld und Gut, das ist von ihnen abgefallen; aber das Innerste ihres Wesens, der Kern ihrer Persönlichkeit, das Gute, das hindurchleuchtete durch all ihr Thun und die irdischen Hüllen, das hat sich nun droben viel herr licher entfaltet und geht, geläutert durch Gottes gnädiges Gericht, der Vollendung entgegen. Aber auch was schwach an ihnen war, ihre Fehler, ihre Gebrechen, Krankheiten, Schmerzen, die Zeichen des äußeren Verfalls, Alles das ist von ihnen abgefallen, und der Geist ist wie ein junger Adler zum ewigen Licht emporgestiegen. Sie sind verklärt. Sie trinken aus dem Quell des ewigen Lebens. Der Tod ist nicht mehr. Sie sind verklärt, auch für euch und in euch. Ihre Liebe und Güte, ihre sittliche Kraft und ihr muthiges Streben findet als ihr Vermächtniß eine Stätte des Fortwirkens in euerem Leben, in eueren Herzen. Was sie euch an Aufgaben hinter lassen haben, das setzt ihr fort, um es zu vollenden. Was sie gefehlt haben, laßt ihr euch zur Warnung dienen. Was sie Gutes voll bracht haben, dient euch zum Vorbild. Ihr reicht ihnen jetzt schon
die Hand. Ihr seht ihre Augen auf euch ruhen. Ihre seligen Geister grüßen euch. In euerem Arbeiten, Wandern und Leiden gehen sie euch zur Seite. Sie weisen euch hinauf, wo auch ihr ver klärt werden sollt. Mehr und mehr sinkt die Scheidewand zwischen
Zeit und Ewigkeit, werden sie innerlich euer, ziehen euch empor und die Morgenluft der Ewigkeit umweht euch in der Hitze des irdischen Kampfes, bis die letzte Scheidewand fällt.
Hält Jesus Wort, wenn er sagt, daß die Leidtragenden sollen getröstet werden? Ob ihr darauf mit Ja antwortet, hängt von euch ab. Tragt ihr euer Leid mit Gott, so werdet ihr darin selig sein.
Wollt ihr euch trösten lassen, so werdet ihr getröstet sein.
Amen.
179
Die Sanftmüthigen.
22.
Die Sanftmüthigen.*) Matth. 5, 5.
Selig sind die Sanftmüthigen; denn sie sollen das Erd
reich besitzen.
^esus wird von uns der Weltüberwinder genannt.
Hat er die
Welt überwunden, so muß die Welt im Gegensatz zu ihm gestanden haben.
So ist es auch.
Jesus hat Gedanken ausgesprochen und in
seinem Leben den Menschen vorgelebt, welche der ganzen Richtung und Strömung
der damaligen Zeit durchaus zuwider waren,
deshalb auch als Thorheit erscheinen mußten.
ihr
Daher denn auch
Paulus davon spricht, daß das Kreuz Christi den Einen ein Aerger
niß, den Anderen eine Thorheit sei.
Die alte Welt pries die Reichen
glücklich; Jesus pries die Armen selig. vor den Hohen, Gewaltigen;
Die alte Welt beugte sich
Jesus stellt die, welche sich in den
Dienst Aller stellen, über Alle, und preist die Sanftmüthigen, De
müthigen, die sich selbst erniedrigen, selig.
Jesus ist sich
dieses
scharfen Gegensatzes zwischen seinem Geist und dem Geist der da
maligen
Zeit
klar
bewußt
gewesen
und
bringt
ihn
mit
aller
Deutlichkeit zum Ausdruck, nicht nur in jenem Wort der Bergpredigt: „Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist; ich aber sage euch",
sondern ganz besonders in einer Reihe von Worten, die in ihrer Form widersinnig, aber eben deshalb nach ihrem Inhalt unendlich
tiefsinnig sind. Dieser Gegensatz tritt immer wieder hervor.
Er ist nie ganz
überwunden gewesen und wird, so lange es Kampf auf Erden geben wird, nie ganz überwunden werden.
In unserer Zeit tritt dem
Geiste Jesu nicht nur die stumpfe träge Gleichgiltigkeit entgegen und
die geistlose Weltlust, der es gar nicht um eine bestimmte Ansicht, sondern nur um den sinnlichen Genuß zu thun ist, die sich gar keine Gedanken macht, sondern sich nur von der trüben heißen Leiden
schaft treiben läßt;
sondern es sind
durchdachte
ausgeprägte
An
schauungen, welche den uns in Fleisch und Blut übergegangenen *) Gehalten am 18. October.
180
Die Sanftmüthigen.
christlichen Ansichten entgegentreten. Wir haben immer gemeint, daß Kunst und Dichtung die Aufgabe habe, das Edle, Reine und Schöne
darzustellen. Heute dagegen wird mit aller Ueberlegung und Ent schiedenheit behauptet, daß allein die gemeine Wirklichkeit, auch wenn
sie noch so häßlich ist, abgebildet und beschrieben werden dürfe.
Es
ist uns immer etwas Selbstverständliches gewesen, daß die uneigen nützige selbstlose Liebe für den Menschen das Edelste sei und das höchste Gebot. Heutzutage wird mit aller Entschiedenheit dieser Grundsatz des Christenthums als ein großer Irrthum und die Selbst sucht als die einzig berechtigte Triebkraft des Handelns bezeichnet.
So tauchen alte Gedanken, die längst abgethan schienen, wieder auf und die alte einst von Jesus überwundene Welt fängt wieder an, sich zu erheben. Aber mit derselben Macht klingen heute wie einst die Worte
Jesu durch die Welt, dem oberflächlichen Verstand auch heute noch ein Aergerniß und eine Thorheit, denen aber, die Sinn haben für ewige Wahrheit, göttliche Weisheit und göttliche Kraft. Mag es denn heute eine Weltweisheit geben, welche die Hochmüthigen, die Stolzen, die rücksichtslos die Schwachen niedertreten, als die „Uebermenschen" preist, die an kein Gesetz mehr gebunden sind — wir wollen der Stimme lauschen, die vom See Genezareth her durch Länder, über Meere, durch Jahrhunderte zu uns herüber klingt: Selig sind die Sanftmüthigen, denn sie werden das Erdreich besitzen. 1. Das erscheint allerdings unbegreiflich, fast unmöglich, wie die Welt nun einmal ist. Lehrt doch die Erfahrung: Den Sanft müthigen wird die Erde genommen, sie kommen überall in der Ver-
theilung des Irdischen zu kurz, sie werden überall bei Seite gedrängt. Dagegen die, welche sich nichts gefallen lassen, welche rücksichtslos ohne Barmherzigkeit überall ihren Vortheil im Auge haben, die kommen vorwärts, die werden das Erdreich besitzen.
Lehrt das
nicht die Erfahrung? Laßt uns sehen, was wir unter diesen Sanftmüthigen zu ver stehen haben. Da wollen wir zunächst eine falsche Auffassung ab weisen. Man verwechselt leicht Sanftmuth mit Feigheit. Der
Feigheit ist es zur anderen Natur geworden, überall nachzugeben, auch Unrecht zuzugeben, als wäre es Recht, und diese Feigheit nennt
181
Die Sanftmüthigen.
man dann Sanftmuth.
Denkt euch einen Menschen, der von Kind
heit auf immer körperlich und sittlich gemißhandelt worden ist; sein
Ehrgefühl ist
Charakters
getödtet;
kommen
es hat bei ihm
nicht zur Bildung eines
er weiß deshalb nichts von Selbst
können;
achtung und vom Gefühl der eigenen Würde;
er hat kein Gefühl
für Wahrheit und Recht; er hat nur die Gewalt kennen gelernt und
hat sich daran gewöhnt, sich unter diese Gewalt zu beugen und sich Er ist wie ein Garten
überall in der Welt Herumstoßen zu lassen. ohne Mauer, wie ein Feld,
keinen Herrn hat.
das
Alles
geht
darüber hinweg; die Pflanzen werden niedergetreten, mögen sie noch so edel sein.
den
Hütet euch, der
Ehrentitel
einem armseligen Menschenwesen
solch
Sanftmuth
zu
geben.
Es
ist in
Wahrheit
schwächliche Feigheit, welche euer Mitleid verdient, meist aber ver
spottet und verlacht wird.
Die Sanftmuth, von der Jesus redet, ist etwas ganz Anderes,
zu ihr gehört vor allem Muth.
Ein sanftmüthiger Mensch erträgt
Unrecht wohl auch deshalb, weil er sanften Gemüthes ist, vor allem
aber deshalb, weil er muthig ist.
Menschen
Er nimmt der Welt und den
gegenüber in seiner Gesinnung eine hohe Stellung ein.
Er besitzt eine vornehme Gesinnung, einen kraftvollen Charakter, das ausgeprägte Bewußtsein persönlicher Würde.
Daraus ergiebt
sich das Gefühl der Uebcrlegenheit dem Beleidiger gegenüber.
Dinge,
die
von
anderen Menschen
als
Beleidigungen
werden, werden von ihm nicht als solche empfunden. ihn nicht, sie reichen nicht zu ihm hinauf.
Manche angesehen
Sie berühren
Der unreine Schaum
der Verleumdung benetzt kaum seine Fußsohlen.
Er hat zu wenig
Zeit, um sich für jede Beleidigung, für jedes üble Wort zu rächen, jedes kleinliche Mißverständniß durch ausführliche Darlegung zu be-
seitigen zugehen.
oder jeder Übeln Nachrede bis auf ihren Ursprung nach
Und er hat zu große Aufgaben im Leben, als daß er
sich könnte aufhalten lassen durch alle die kleinen Schlingen, welche
die Menschen um seine Füße legen möchten. der Sanftmuth.
Das ist der Muth in
Mag Muth dazu gehören, eine Beleidigung am
Beleidiger zu rächen, vielleicht sogar mit Blut, so gehört ein viel größerer Muth
dazu, sich darüber hinwegzusetzen,
der kleinlichen
Gehässigkeit, der giftigen Schmähsucht entgegenzustellen den unwandel baren Adel der Gesinnung.
Mag Muth dazu gehören, sich vor den
182
Die Leidtragenden.
Menschen gegen üble Nachrede zu rechtfertigen, so gehört manchmal ein noch größerer Muth dazu, das nicht zu beachten, „was die Leute sagen." Lernet auch darin von Jesus! Denn er sagt: „Lernet von
mir, denn ich bin sanftmüthig." Sehet die stille Größe, mit welcher er schweigt auf die Anklagen der Menschen, die ihn doch nun einmal nicht verstehen. Wenn Knaben den Straßenstaub in die Luft werfen, so können sie damit nie die Sonne beflecken. So war Jesus sanftmüthig gegenüber den Angriffen der Menschen. In seiner
heiligen Größe setzte er sich hinweg über die Anklagen der Zwerge zu seinen Füßen. Lernet von ihm! Nehmt aus seinem Wesen in euer Leben hinüber die hohe Würde, den Geistesadel der Kinder Gottes, deren Ehre geborgen liegt in der Hand Gottes, die deshalb nicht gefährdet werden kann von Seiten der Menschen. Lernet von ihm! Und dabei denket daran, wie langmüthig Gott mit euch sein muß. Dann werdet ihr auch lernen, gegen die Menschen lang müthig zu sein. Denket daran, wie sehr ihr der Vergebung bei Gott und den Menschen bedürft und wie viel Geduld Gott und die Menschen mit euch haben müssen, darum gebet an Gott und die Menschen zurück, was ihr empfangen habt. „Selig sind die Sanftmüthigen." Wo lautes hochfahrendes Wesen ist, da kann keine Seligkeit sein. Aber in der niedrigen einfachen Hütte eines sanstmüthigen Wesens wohnt auf Erden die Seligkeit Gottes. Die Sanftmuth ist der Muth des stillen Ertragens des Un rechts im ruhigen Bewußtsein der eigenen Würde.
Aber es giebt Fälle, wo gerade die Sanftmuth kämpfen, sich wehren muß. Der einzelne Mensch, auch der geringste, kann in die Lage kommen, für seine Person, für sein persönliches Recht
eintreten zu müssen um des Rechtes überhaupt willen. Indem mein Recht gebeugt wird, wird das Recht überhaupt gebeugt. Nicht nur ich werde geschädigt, sondern die Gesammtheit da durch, daß das Recht erschüttert wird. Dann geht die Sache nicht
nur mich an, sondern die Gesammtheit; und ich muß dann mein Recht vertheidigen, weil es das Recht Aller ist. Gegen einen Menschen werden Verleumdungen ausgestreut. Da kann kommen, daß er gar nicht mehr das Recht hat, das still zu thäte er es, so würde die Lüge wuchern und schließlich Schaden Aller werden^ Da muß er dagegen ankämpfen
es soweit ertragen; zu einem mit aller
Die Sanftmüthigen.
183
Kraft, nicht nur um seinetwillen, sondern um der Wahrheit willen,
damit die Wahrheit siege und die Lüge geschlagen werde.
Es kann
Jemand zum Kampf gegen das Unrecht, zum rücksichtslosen Kampf gegen einen Menschen durch die Pflicht der Liebe gezwungen sein.
Du siehst einen Verleumder,
einen Verräther bei dem Werke der
Finsterniß; ließest du ihn dabei ruhig gewähren, so würde er sich immer tiefer in sein Unrecht verstricken und damit immer mehr den Folgen seiner Sünde und dem Gericht derselben verfallen.
Da ist
es eine Pflicht der Liebe, dem Feind seine dunkeln Wege zu ver legen, ihn zu entlarven, um ihn dadurch von seiner Sünde zu be freien.
Das sind einige Beispiele, wie auch
scharfen Kampf gezwungen wird.
die Sanftmuth zum
Aber auch in diesem Kampf bleibt
sie immer dieselbe; sie kämpft nicht gegen Menschen, will sich nicht
rächen, nicht Menschen kränken und
verletzen;
sondern sie kämpft
gegen die bösen Geister, von denen die Menschen geknechtet und ins
Verderben geführt werden. Und diese Sanftmuth wird sich nicht nur gegen die Menschen
bewähren,
sondern
zuletzt und am herrlichsten auch gegen Gott,
Manche Menschen glauben
nämlich im Ertragen des Geschicks.
darin
ihre Kraft zu zeigen, daß sie auch
vom Geschick sich nicht
Alles wollen gefallen lassen, sondern sich recht dagegen aufbäumen, sich ungebehrdig stellen, möglichst laut dagegen schelten und klagen,
wenn das Leben anders geht, als sie gewünscht hatten.
Aber darin
zeigt sich nicht Kraft, sondern im Gegentheil Schwachheit.
Seht,
der schwache kleine Kahn wird von jedem Windstoß ins Schwanken
gebracht und hin und her getrieben. gegen nimmt
Das große starke Schiff da
die Kraft des Windes in seine Segel und läßt sich
von derselben dem Ziele zutreiben.
So läßt sich die Schwachheit
vom Geschick überwinden, daß sie klagend und grollend umhertreibt
auf dem stürmischen Meer des Lebens.
Die Sanftmuth dagegen,
die es mit dem Worte hält:
Di» aber, mein Herze, sei still, fei still, Es fallen die Würfel, wie Gott es will, macht muthig
das Geschick sich dienstbar und läßt sich von ihm
hinauftreiben zu Gott. Sanftmuth ist die Verbindung eines sanften Gemüthes
mit starkem Muth.
184
Die Sanftmüthigen.
2.
Und
heißungen
nun
die
Sonst
Verheißung.
Lohn oder einen inneren Gewinn hin. weltlicher Lohn gezeigt zu werden: reich
weisen
die
Ver
des Neuen Testamentes meist auf einen himmlischen
besitzen."
Eine
wunderbare
Hier dagegen scheint ein
„Denn sie werden das Erd
Viele Menschen
Verheißung.
kommen nie dazu in ihrem ganzen Leben, etwas von dem Erdreich zu
besitzen;
nur ein
kleines Stück Erde ist zuletzt Jedem gewiß.
Aber es giebt noch eine höhere Art, die Erde zu besitzen, als die, ein Stück Erde sein eigen zu neunen, nämlich: sich in den Herzen
der Menschen auf Erden einen Platz zu erringen.
In diesem
Sinne laßt uns diese Seligpreisung verstehen. Jesus hat seine Worte
aus
seinem eigenen Leben geschöpft.
Deshalb ist auch sein Leben das große Buch, in welchem die beste Auslegung seiner Lehre steht.
Während das jüdische Volk erwartete, daß der Messias durch blutige Kämpfe emporsteigen werde zum Messiasthron, sagt Jesus im Gegensatz zu dieser Volkserwartung:
„Selig sind
müthigen; denn sie sollen das Erdreich besitzen."
Sanftmuth die Erde erobert.
die Sanst-
Jesus hat durch
Der Thron des stolzen Kaisers,
den uns die Geburtsgeschichte Jesu im Hintergründe zeigt, dessen Legionen die Völker bis an die äußersten Grenzen der damaligen
Kulturwelt niederhielten, ist gefallen.
Der große Kaiser Augustus
herrscht über keine Menschenseele mehr auf Erden.
Seht dagegen
das Kind armer Leute, welches dort in der Krippe im Stalle von Bethlehem lag, von der hochmüthigen, lärmenden Welt in den arm seligsten Winkel der Herberge gedrängt.
Kind heran, unerkannt.
In der Stille wächst das
Aus dem Jüngling wird ein Mann.
Aus
der engen Heimath treibt es ihn hinaus in das Leben seines Volkes.
Um sein Volk zu Gott zu bringen und dadurch zu retten, offenbart
er ihm sein Herz.
Ein Licht strahlt von ihm aus, wie es die Welt
noch nie gesehen hat.
Geblendet schließt sie dagegen die Augen,
verblendet erhebt sie sich gegen den Heiligen.
Die schwerste Last
legt sie ihm aus, die je ein Mensch getragen hat.
das Kreuz, an das man ihn schlagen wird.
Er sieht vor sich
Aber „er schalt nicht
wieder, da er gescholten ward; er drohte nicht, da er litt." ein Muth in dieser Sanftmuth!
Welch
Welch ein Muth des Glaubens,
daß sein Untergehen Sieg, sein Tod ewige Lebensherrschaft sein
185
Die Sanftmüthigen.
werde!
Ja, dieser Sanftmüthige, der sich zum Kreuz hat führen
lassen wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, und wie
ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, der hat die Welt überwunden.
Vor dieser zugleich sanftmüthigen und muthigen Liebe
haben sich die Völker gebeugt; ihr haben die kriegerischen Legionen
Roms Treue geschworen.
Das Kreuz, ihr Siegeszeichen, ist auf
den römischen Tempeln aufgepflanzt worden.
ist zerfallen; Jesus aber herrscht ewig.
Das römische Reich
Durch jeden Widerstand
wächst seine Macht; durch jeden Angriff wird er zuletzt verherrlicht. In seinem Reich geht die Sonne nicht unter.
Sein Geist ist das
Gericht, an welchem sich die Geschicke der Völker entscheiden.
Wer
sich gegen ihn verstockt, kommt zu Fall durch seine Schuld.
Die
Niedrigen, die sich zu ihm halten, werden durch ihn erhöht.
Die
Glocken, die von Dorf zu Dors und von Land zu Land läuten, verkündigen seine Herrschaft,
und die Lieder, die seine Gemeinde
singt in der Mannigfaltigkeit der Zungen, preisen sein ewiges König
thum.
Er beherrscht die Erde.
Selig die Sanftmüthigen, denn sie
werden das Erdreich besitzen.
Hat seine Kirche nach dieser Verheißung gelebt?
Manchmal ist
ihr Geist verlassen gewesen von dem Geiste Jesu, und sie hat auf andere Weise die Erde besitzen wollen.
Sie hat Heere ausgerüstet,
hat Länder verwüstet, Städte mit Feuer zerstört, hat die Menschen
schaarenweise mit Gewalt zur Taufe getrieben, ein großes eisernes Netz über die Völker geworfen, die Gewissen gefangen, die Geister
gefesselt.
Sie hat
die Flüche
dadurch
der Menschen
auf ihrem
Haupte gesammelt und das Gesetz Gottes auf sich herabbeschworen.
Aber sie hat damit nicht eine einzige Seele gewonnen.
Wohl aber
hat sie die Welt erobert durch die Sanstmuth, die suchende Liebe, die dem Sünder nachgeht, durch die Barmherzigkeit, die dem Elenden Hilst, durch die Langmuth, die an der Rückkehr des Verirrten nicht
verzweifelt, auch wenn es lange dauert, durch die weitherzige Duld samkeit, die da weiß, daß
es verschiedene Arten giebt, Christum
zu erkennen und ihm nachzufolgen. wonnen. zog,
stirbt,
Die Sanstmuth,
mit welcher ein Johannes, die
Kinder
Gottes
sammelte, mit welcher
Dadurch hat sie die Erde ge
mit welcher Paulus
auch
in
durch die Länder
der Apostel der Liebe, einer
die nicht
kalten, untergehenden
jetzt noch
Welt
die wahren Jünger Jesu
Die Sanftmüthigen.
186
die
Wunden
der
Zeit zu
heilen suchen,
sie hat die Welt über
wunden. Der 18. Oktober zeigt uns zwei Bilder, über welche wir dieses
Jesu
Wort
schreiben
könnten.
Heute
vor
83 Jahren brach
bei
Leipzig die Macht des Eroberers zusammen, und Gott hielt über
ihn Gericht.
Er hat einen Riesengeist, eine übermenschliche Kraft
aufgeboten, um die Völker mit dem Schwerte zu überwinden und
Aber seht, der, dem
den eisernen Fuß auf ihren Nacken zu setzeu.
einst viele Millionen gehorcht haben, ist einsam, beladen von den
Flüchen der Völker, in der Verbannung gestorben.
Wohl leuchtet
sein Name in der Geschichte, aber in kaltem Glanze; kein Menschen Der einst große Reiche erobert, hat
herz erwärmt sich daran.
keine Menschenseele für sich gewonnen. Selig sind die Sanftmüthigen;
Es bleibt eben dabei:
denn sie werden das Erdreich
besitzen.
Am 18. Oktober steigt noch ein anderes Bild vor unserer Seele
auf, das Bild des milden, fteundlichen Hohenzollernkaisers.
Auch an seinen Namen knüpfen sich ruhmreiche Kriegsthaten.
Aber
größer, denn als Kriegsheld ist er als der ftiedliche Eroberer, der
durch die Güte seines Wesens die Herzen der Völker bezwang, selbst seine Feinde überwand, der gütige Fürst, der für Jeden ein Herz
hatte, und der nichts so sehr wünschte, als einst in Frieden sein Volk zu regieren.
Und noch größer steht er da als der sanftmüthige
Dulder, der, als ihm eben erst die glänzende Krone auf das Haupt
gesetzt war,
muthig und
ohne zu klagen dem Tode entgegenging.
So hat er sich im Herzen seines Volkes ein Denkmal gebaut, das noch herrlicher und dauerhafter ist als das auf dem Schlachtfelde
bei Wörth.
Und an manchem stillen Krankenlager erscheint vor
dem inneren Augen des Kranken sein fteundliches Bild, und der Kranke spricht zu sich:
ich?"
„Er hat soviel erduldet; warum nicht auch
So lange ein deutsches Volk seine Geschichte in Ehren hält,
wird Kaiser Friedrich zu den Mächtigsten gehören, die in deutschen
Landen die Geister
beherrschen.
Selig sind
die
Sanftmüthigen;
denn sie werden das Erdreich besitzen.
Der Hochmüthige und
Herrschsüchtige
herrschen, aber nicht die Seelen.
kann die Leiber
be
Sein Leben ist auf Sand gebaut.
Wenn die Wasser des Todes den Grund unterspülen, da fällt der
187
Die Sanftmüthigen.
ganze Lebensbau zusammen.
winnen.
Die
einfache
Nur die Sanstmuth kann Herzen ge
Frau, welche
den Ihrigen in selbstloser
Liebe dient und ihr Leben für sie einsetzt,
die,
vielleicht von den
Ihrigen mißverstanden, unter schwierigen Verhältnissen ein zerfallendes
Hauswesen durch die Kraft ihrer Liebe noch zusammenhält, die oft verkannt, beleidigt, zurückgestoßen, doch immer wieder vergiebt, die
immer wieder erduldet, erträgt, was die Ihrigen verschulden, und
gut zu machen sucht, was sie verderben, die zuletzt in dem Leben der Ihrigen unvergängliche Segensspuren zurückläßt, so daß sie von ihnen gar niemals vergessen werden kann, daß bei dem Gedanken
an sie auch die harten Herzen weich werden, und das Gute darin an Macht
gewinnt;
der
sanftmüthige Dulder,
der
durch
sein
Dulden den Menschen die Kraft des Gottvertrauens zeigt, und da
durch ihnen Muth macht, es ihm nachzuthun;
der treue Freund,
der oft getäuscht doch immer wieder an Freundschaft glaubt, und
auch die Schwächen der Menschen geduldig trägt, so daß diese über
sein Grab hinaus von ihm sagen:
„Das war ein guter Mensch;
von dem habe ich gelernt, besser, frömmer, stärker, - geduldiger zu
werden" — „selig sind die Sanftmüthigen."
Ja, Menschenherzen zu
gewinnen für sich und für den, der in uns mächtig ist,
etwas Seliges.
das ist
Jesus freute sich, als er fühlte, daß ihm Macht
über die Geister gegeben war.
Es ist etwas Seliges, so über die
Menschenseelen Gewalt zu haben. Wer aber in den Herzen der Menschen sich einen Platz ge wonnen hat, hat sich damit auch einen Platz gewonnen im Herzen
Gottes.
Die
Sanftmüthigen
sollen
nicht
sondern auch das Himmelreich besitzen.
nur das
Amen.
Erdreich,
188
Die Hungernden und die Verfolgten.
23. Die Hungernden und die Verfolgten. (Am Reformationsfest.) Matth- 5, 6. 10.
Selig find,
die da hungert und dürstet nach der
Gerechtigkeit; denn fie sollen satt werden.
Selig find, die um der
Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn das Himmelreich ist ihr.
Z)eittt euch einen Verfolgten.
Ueberall fühlt er sich unsicher.
Nie hat er eine Stunde, da er in vollem Frieden schlafen kann.
Auch durch die stille Nacht, diese Trösterin der Elenden und Be trübten, hört er den schleichenden Schritt des Verfolgers.
Bogen geht er um jedes Dorf herum.
In weitem
Hunger und Durst quälen
Er weiß, in jenem Dorf fließt ein Brunnen, an dem er seinen
ihn.
löschen könnte;
Durst
dort ist Brod,
an dem er
stillen könnte.
Aber er darf nicht dorthin gehen;
ein Verfolgter.
Und nun hört die Worte Jesu:
seinen Hunger denn er ist ja
Er preist Ver
folgte, Hungernde und Dürstende selig. Er sah in seiner Zeit Menschen im sicheren Besitz hoher Ehren,
von den Menschen gegrüßt auf den Straßen und „Rabbi" genannt, stolz einhergehend in dem sicheren Besitz ihrer Tugend, ihrer Ge
rechtigkeit,
stolz um ihres Gehorsams willen gegen die Satzungen
der Väter, hochmüthig herabblickend auf die Sünder und Zöllner. Diesen
gegenüber sagt Jesus:
„Selig sind,
die da hungert und
dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden; selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden", d. h. selig
sind nicht die Satten, sondern die, welche nach der Vollkommenheit suchen, nicht die Fertigen, sondern die Strebenden, nichc die
auf dem geistigen Besitz der Vergangenheit ausruhen, sondern die
freudig den Blick in die Zukunft lenken. In
diesem
Sinne
gelten unsere
beiden Textworte von den
Reformatoren, die sich losrissen von einer erstarrten Vergangerheit, und
sich
der werdenden Zukunst zuwandten,
und
von der Re
formation, denn sie ist nicht ein fertiges Werk, sondern eine Auf gabe, die uns immer
wieder gestellt wird, und von dem e»an-
189
Die Hungernden und die Verfolgten.
gelischen Christen; denn ein Protestant ist nicht ein gewordener Christ, sondern ein werdender Christ.
So wollen wir heute am Reformationsfeste unsere Gedanken um unsere beiden Textworte sammeln. 1. Man hungert und dürstet nach Speise und Trank,
d. h.
nach Dingen, die unser Körper unbedingt braucht, und die für ihn
So ist auch Gerechtig
geschaffen sind, wie er für sie geschaffen ist.
keit etwas, was unsere Seele braucht, wie der Leib Speise und
Ebenso
Trank, wie das Auge das Licht, wie die Lunge die Luft.
aber wie Speise und Trank trotz aller Arbeit, durch die wir sie erwerben, etwas Gegebenes, auch
Gerechtigkeit nicht
die
können, sondern
werden
gerecht
etwas,
von Gott Empfangenes ist, so ist
etwas, was wir uns selbst erringen
was Gott
nicht durch
aus Gnaden
eigenes Verdienst,
giebt.
Wir
sondern
durch
Gottes Gnade.
Es giebt kaum eine große Wahrheit,
verstanden wird, wie diese. vollen
sittlichen
Stteben
welche so häufig miß
Es liegt etwas darin, was dem kraft des
Menschen
entgegenzutreten
scheint.
Der Stolz des Menschen bäumt sich gegen den Gedanken auf, daß
er nur angewiesen sei auf Gnade.
mation auf diesem Satz.
Und doch beruht die Refor
So muß wohl darin eine große Wahr
heit ruhn.
Zunächst erkennt,
daß damit unser eigenes sittliches Stteben
nicht etwa überflüssig werden soll.
Die Reinheit,
welche du dir
erarbeitest, die Redlichkeit und Rechtschaffenheit deines Charakters,
welche du durch Willensttaft und tteues Stteben dir erringst,
die
Gewissenhaftigkeit, welche du einsetzest in der Erfüllung deines Be
rufs, das alles gilt gewiß etwas vor Gott.
Traue dir nur selbst
etwas zu; kämpfe nur recht gegen dein thörichtes Wünschen, gegen deine Trägheit.
Wie sich ein Lehrer schon über den guten Willen
seines Schülers
freut, so hat Gott sein Wohlgefallen
Kindern, die „strebend sich bemühn".
an seinen
Aber ihr werdet nochwendig
auf diesem Wege der Gesetzeserfüllung an einem Scheideweg ankommen. Entweder ihr werdet über euere Fehler hinwegsehn, euch für voll kommen halten.
Das wäre die Selbstgerechtigkeit.
Oder ihr
erkennt, je ernster euer Stteben ist, um so mehr die Lücken eueres
Wesens, die durch alle
euere Leistungen nicht ausgefüllt werden
190
Die Hungernden und die Verfolgten.
können.
Wie der, der tief in das menschliche Wissen eindringt, die
engen Grenzen des menschlichen Wissens erkennt, so haben sittlich wahrhaft große Menschen, je höher sie stiegen in ihrem sittlichen
Stteben, um so mehr ihre Unvollkommenheit erkannt. das Ergebniß all unseres eigenen Strebens:
Und so ist
Wir stehen vor dem
heiligen Gott der Wahrheit als ungerechte Menschen;
keinen Frieden
mit
Gott.
Da
tritt
nun
dem
wir haben
niedergebeugten
Menschen die Gnade Gottes entgegen, die Jesus predigt und durch sein Leben und Sterben bezeugt.
Sie will uns in ihre seligmachende
Gemeinschaft als Solche aufnehmen, wie wir nach unserem besten
innersten Wollen selbst sein möchten.
Diese unendliche, übermächüge
Gnade Gottes in Jesus ruft in uns den schlummernden Glauben
wach, d. h. das Vertrauen zu dieser Gnade Gottes.
Dadurch
kommen wir zu Gott in die Stellung als Kinder zum Vater, d. h. die rechte Stellung, wir werden vor Gott .gerecht.
Wir
haben Frieden mit ihm durch das kindliche Verttauen auf seine
Gnade.
In uns spricht seine Sttmme:
ruft es zu ihm
empor:
Du bist mein!
Du bist mein!
In uns
So werden wir vor
Gott gerecht allein durch den Glauben, mit welchem wir die
Gnade Gottes ergreifen. Diese Gerechtigkeit hatte die Kirche vor der Reformatton den
Menschen zugesperrt.
Sie sprach:
„Wollt ihr gerecht werden, so
haltet euch an den Priester; er vergiebt euch euere Sünde.
die Werke, die euch die Kirche gebietet."
Thut
Den nach Gott selbst sich
sehnenden Menschen traten die Heiligen und die Jungftau Maria entgegen und sprachen: „Wendet euch an uns; wir sind die Miller
zwischen euch sündigen Menschen und Gott."
So stand
auf der
einen Seite das Hungern und Dürsten der Menschenseele nach der
Gerechttgkeit, auf der andern Seite die Gerechtigkeit, die vor Gott gift, in der Mtte die Scheidewand, welche die Kirche mit ihren Werken und Satzungen aufgebaut hatte.
gerissen.
Luther hat sie nieder
Nicht aus fleischlichem Freiheitsdrang, nicht ans Wider
spruch gegen einige katholische Dogmen, sondern aus der tiefsten
Sehnsucht des Gewissens nach der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, ist
er hindurchgedrungen.
Das Hungern und Dürsten nach
der
Gerechtigkeit hat ihn zuerst in das Kloster und die Selbstpeinigung der Klosterwerke.getrieben, hat ihn in Rom durch alle berühmten
Die, Hungernden und die Verfolgten.
191
Kirchen und Wallfahrtsorte der heiligen Stadt getrieben, bis er auf einmal mitten in der Anstrengung einer frommen Uebung wie mit
Posaunenschall in seiner Seele das Wort hörte: „Der Gerechte wird seines Glaubens leben." Hungernd und dürstend nach der Gerechtigkeit ist er durch die heiligen Ueberlieferungen der Jahr hunderte, durch die scheinbar unüberwindliche Herrschaft der Priester,
durch den Aberglauben der Menge, durch den Wust der Menschen satzungen hindurchgedrungen, bis er Gott gleichsam selbst ins Auge gesehn und ins Herz gesehn durch Jesum Christum. Und als er so die Gerechtigkeit gefunden hatte, die vor Gott gilt, da hat er sich vor nichts mehr gefürchtet, nicht vor dem Bannstrahl des Papstes noch vor der Acht des Kaisers, weder vor der Ungnade der Fürsten noch vor der Mißgunst des Volkes, weder vor dem Gift seiner Feinde noch vor den Ausschreitungen seiner falschen Freunde. Da hat er die ganze Wärme und Gewalt, Gedankentiefe und Volksthümlichkeit seiner Predigt zusammengefaßt in dem Einen Satz: Der Mensch wird gerecht allein durch den Glauben, durch die persönliche Hingabe des Herzens an Gott selbst, durch den Gewissensglauben, durch welchen Gott als Lebensmacht erlösend und erneuernd in dem Menschen wirkt. Da hat er die heilige Schrift dem deutschen Volke auf
geschlossen, damit Jeder selbst ohne menschliche Vermittelung in ihr die Wahrheit finden könne und in der Wahrheit die Gerechtigkeit,
die vor Gott gilt. Deshalb hat er auch den altchristlichen Grundsatz von dem allgemeinen Priesterthum aller Christen verkündigt, damit jeder Christ das Recht bekomme, aber auch die Pflicht über
nehme, selbst mit Gott zu verkehren. So wollen wir als gute Protestanten nicht aufhören zu pro testieren gegen Papst und Priesterherrschaft, aber deshalb, weil Papst und Priesterherrschast uns trennen von Gott, der uns allein selig macht; gegen äußere Werke und kirchliches Formenwesen, aber deshalb, weil der Mensch durch knechtische Unterwerfung unter
dieses äußerliche Wesen sich selbst um seine Seligkeit betrügt; gegen todte Ueberlieferungen und Menschensatzungen sowohl protestantischen wie katholischen Ursprungs, aber deshalb, weil darunter das Leben der Seele in Gott stirbt; gegen eine ein für allemal festgestellte Glaubenslehre, die keiner Fortentwickelung fähig
wäre, aber deshalb, weil dieselbe die freie, lebendige Forschung in
192
Die Hungernden und die Verfolgten.
der heiligen Schrift hindert, aus der doch jedes Zeitalter von neuem in seiner Weise Erkenntniß und Heil schöpfen muß. Diese Gerechtigkeit aus dem Glauben schafft in uns ein neues Leben. Der Glaube stammt aus ferner Vergangenheit, als Jesus auf Erden wandelte, und wurzelt in den Tiefen der Gottheit, da
Niemand zukommen kann; aber er soll in euch gegenwärtiges, wirkliches Leben werden, Seligkeit, die ihr nicht mehr hofft, sondern habt. Nicht mehr träumend seht ihr nach dem Reiche Gottes aus, daß es komme, sondern ihr tragt es in euch als Ge rechtigkeit und Friede und Freude im heiligen Geist, und als Väter und Mütter, als Bürger und Arbeiter arbeitet ihr in euerem Beruf daran, daß es immer mehr zu euch und eueren Mitmenschen komme. Aus dem Glauben kommen gute Werke, nicht Fasten und äußere Andachtsübungen, sondern die wahrhaft guten Werke der Treue und Liebe, die das tägliche Leben in der Welt uns aufgiebt in Haus und Beruf. Ihr verlaßt euch nicht mehr auf Andere, daß sie euch selig machen, sondern ihr selbst macht euch auf, zu Gott zu gehn; denn nur euer eigener Glaube macht euch selig. Ihr seid frei von aller Menschenknechtschaft, aber innerlich gebunden an Gott und damit den Menschen in wahrem Gehorsam Unterthan. Ihr ehrt alte Sitte und alten Brauch; aber ihr sucht in der alten Form den ewig lebendigen Geist. Glückliches Volk, dessen Seele in dieser Gerechtigkeit aus dem Glauben lebt; da steht Jeder als selbständige, ausgeprägte Persönlichkeit neben dem Andern. Alle
frei und doch alle als Glieder Eines Leibes in der Liebe einander dienend. Da ist kein Stillstand möglich, sondern stete Entwickelung
und stetes Wachsthum. 2. Große Schaaren sind gekommen und haben aus dem Quell getrunken, den Luther wieder aufgeschlossen hat. Und diese zugleich
Freien und Frommen sind das Salz der Erde geworden.
Aber sie haben ost dunkle Wege ziehen müssen; sie sind um ihrer Krone, um der Gerechtigkeit willen verfolgt worden. Es ist berechtigt, wenn Menschen verfolgt werden um der Ungerechtigkeit willen. Diesen Gerechten hat Gott das Höchste gegeben, was er geben kann, er hat sie trinken lassen aus dem Quell seiner Wahrheit
und seines Friedens; und eben deshalb sind sie verfolgt worden? Es muß so sein.
Jesus
hat es vorausgesagt mit unbedingter
Die Hungernden und die Verfolgten.
193
Sicherheit. Wie die Propheten verfolgt worden sind, wie er selbst verfolgt worden ist, so müssen die Seinen verfolgt werden um der
Gerechtigkeit willen. Weshalb ist es so gekommen?
An die Stelle Jesu, des geistigen
Hauptes der christlichen Gemeinde, der uns den Geist der Wahrheit sendet, ist in der christlichen Kirche ein Priester getreten, der gesagt hat: „Ich bin die Wahrheit, und wer von mir und der Kirche ab fällt, fällt von Gott ab." Von dieser kalten Höhe eingebildeter Unfehlbarkeit aus ist der böse Geist der Verfolgung gekommen, auch in unsere Reihen, der Geist der Verfolgung wider die, die ohne menschliche Vermittelung durch Christus allein zu Gott gelangen wollen, und die es nicht für gerathen halten, etwas wider das Ge wissen zu thun. Priester haben die verfolgt, die selbst durch Christus Priester Gottes sein wollen auch im Laiengewand. Sklaven, die sich an ihre Ketten gewöhnt haben, schmähen die, welche frei sind in Gott. Die Finsterniß kann das Licht nicht leiden; die geistlich Todten verfolgen die, welche das Leben gefunden haben. So sind die Menschen um der Gerechtigkeit willen verfolgt worden. Konunt, laßt uns den Spuren derer nachgehen, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt worden sind, schlichte Männer und Frauen und doch Helden, Vorkämpfer der Gerechtigkeit, die aus dem Glauben kommt. Während der Schreckenstage von Thorn saß
dort im Gefängniß der Bürgermeister der Stadt, Rösner.
Als
die Jesuiten ihn zur Verleugnung seines Glaubens zu überreden suchten, sprach er zu ihnen: „Begnügt euch mit meinem Kopf; meine
Seele soll Jesus haben." Als sein Kopf gefallen, sprachen andere gefangene Bürger beim Anblick seines Leichnams: „Gottlob, unser unschuldiger Vater hat vollendet; wir werden ihm fröhlich nach
folgen." Oder sehet die wohlbekannten Gestalten der Salzburger Emigranten, die, weil sie ihren Glauben höher hielten als Geld und Gut, aus der Heimath vertrieben wurden und nachdem sie vom nächsten Berge noch einmal zurückgeschaut hatten auf das heimath liche Thal, ihre Häuser, Gärten und Wiesen, ihr Angesicht der Fremde zuwandten, um mit Gottes Hülfe eine neue Heimath zu
suchen. Denkt an die Waldenser, die im strengsten Winter aus ihren Kerkern entlassen wurden unter der Bedingung sofortiger Aus wanderung, hungernde, frierende Menschen, die über die verschneiten Kirmß, Predigten. 13
194
Die Hungernden und die Verfolgten.
Berge zogen, thatsächlich nichts mehr besitzend, als ihr gutes Ge wissen und ihren Gott. Oder geht nach Frankreich und seht dort
die kämpfenden Hugenotten, die Fliehenden, die sich bei Nacht
durch die Wachtposten über die Grenze schlichen, nur um ihrem Glauben nicht untreu zu werden; oder die Zurückgebliebenen, wie sie sich in der Wildniß versammelten als „eine Kirche der Wüste", um unter steter Todesgefahr einmal wieder die Predigt
von der Gerechtigkeit aus dem Glauben zu hören. Im südlichen Frankreich steht jetzt noch ein alter Thurm, in welchem einst die Hugenottenstauen, deren Männer auf die Galeren gebracht worden waren, eingesperrt gehalten wurden. Da steht in einem Kerker hoch oben an der Mauer ein Wort von ungeübter Hand in den Stein eingeritzt, ein kurzes Wort, das uns doch die ganze Größe jener Zeit darstellt. Es lautet „Resistez“ „haltet Stand." Das hat eine einfache Frau geschrieben, die dort gefangen saß, als Mahnung für ihre Genossinnen, die nach ihr dort in der Gefangenschaft sitzen würden: „Haltet Stand." Oder denkt an die Erstürmung von Magdeburg. Als die Häuser brannten und die Schaaren Tillys die Wälle stürmten, da zogen die Schulkinder auf den Marktplatz und sangen das Lied, das wir vorhin gesungen haben: „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort." — Das sind nur einige Züge aus der Geschichte derer, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt worden
sind. Aber ist es nicht genug? „Selig, selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden." Ja, waren die Verfolger selig oder die Verfolgten, die Richter oder die Gerichteten, die Henker der evangelischen Freiheit oder die, die sich haben tobten lassen? Waren nicht diese Verfolgten selig,
als sie sich durch die hineintreiben lassen in haben ihren Glauben, der.Flucht oder dem
Leiden der Verfolgung immer tiefer haben
ihre Seligkeit? Die Alles verloren haben, ihr Gewissen, ihre Seele gerettet, haben auf Schaffot noch Psalmen gesungen. Als die
Salzburger auszogen, da haben sie gesungen: Das zeitlich Gut mag fahren hin, Wenn nur der Himmel mein Gewinn.
Wer Jesum hat, ist reich genug
Auf seinem Exulantenzug.
Wer ist da selig gewesen, die Verfolger oder die Verfolgten?
Die Hüngernden und die Verfolgten.
195
„Selig, selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn das Himmelreich ist ihr." Gott hat ihnen geholfen und die Menschen haben ihnen geholfen, soweit sie konnten, und helfen ihnen heute noch. Dort wo einst diese Verfolgungen waren, da sind heute noch die Ueberreste evangelischer Gemeinden. Lange hat das evangelische Bewußtsein
dort geschlummert wie im Grabe' da ist ein Bote gekommen und mit ihm Christus selbst, und Dieser hat über die Todtengefilde
gerufen: „Ich sage dir, stehe auf." Und da haben die zer streuten verdorrten Glieder sich wieder zusammengesetzt zu lebendigen Gemeinden. Dieser Bote trägt den Namen Gustav Adolfs, des Helden, der einst denen geholfen hat, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt wurden. Die Kirchen und Schulen, welche der Gustav Adolf-Verein in katholischen Ländern baut, sind die Brod Häuser, in denen die Hungernden gespeist werden, die Brunnenstuben, in denen sie getränkt werden, die Herbergen, in denen die um der Gerechtigkeit willen Verfolgten Heimstätten finden im Schatten ihres Glaubens. Die Glocken, die dort läuten, rufen hinaus ins katholische Land: „Das Wort Gottes bleibet in Ewigkeit; das Wort sie sollen lassen stahn." Wir hier in der evangelischen Heimath sind das Heer, unsere Brüder in katholischen
Ländern sind die Vorposten, und das Heer darf nicht dulden, daß die Vorposten gefangen werden. Die evangelische Kirche ist die
Mutter, die Zerstreuten sind die Kinder in der Fremde; und die Mutter darf nicht dulden, daß die Kinder in der Fremde hungern und verloren gehen. Heute bittet euch der Gustav Adolf-Verein um euere Gaben. Laßt diese Bitte nicht vergeblich sein! Wir haben heute viel Geschichte getrieben. In der Geschichte redet Gott zu uns. Was sie uns lehrt, soll in uns Leben werden. So lebet als evangelische Christen, wachsam im Glauben, standhaft
in der Liebe, fest in der Hoffnung: Das Reich muß uns doch bleiben!
Amen.
196
Die Barmherzigen.
24.
Die Barmherzigen. (Zum Erntedankfest.) Matth. 5, 7.
Selig sind
die Barmherzigen,
denn sie sollen Barni-
Herzigkeit erlangen.
^Deshalb feiern wir Erntedankfest und müssen wir es feiern? Einem Menschen zu danken ist nicht nur eine Pflicht der äußeren
Höflichkeit und des Anstandes,
sondern eine tiefe sittliche Pflicht.
Wenn jemand mir etwas Gutes gethan hat, so muß ich dieses Gute
anerkennen;
thäte ich
es nicht,
so würde ich mich als des Guten
unwürdig erweisen und würde an dem Wohlthäter ein Unrecht be
gehn.
Ebenso aber würde ich an mir selbst ein Unrecht
begehn;
ich würde mich um den rechten Genuß dessen bringen, was mir zu
Es wäre für mich verloren.
Theil geworden ist.
Erst durch den
Dank erkenne ich es an, würdige es, halte es für mich fest.
Damit erkennen wir auch die Gründe, welche uns bewegen, Es ist unsere sittliche Pflicht gegen den
Erntedankfest zu feiern.
Geber, den großen Herrn der Ernte, dadurch, daß wir ihm danken,
es ist eine Pflicht
Und
ihn zu ehren.
gegen uns selbst.
Wer
nicht dankt, bringt sich selbst um den rechten Segen dessen, was er empfangen hat.
Durch die Dankbarkeit wird Alles geweiht, verklärt
von einem höheren Lichte. tiefen Sinn.
Durch
Durch sie erhält Alles für uns einen
die Dankbarkeit wird das Empfangene
recht unser Eigenthum,
erst
von uns nicht nur äußerlich sondern
innerlich genossen.
Unser Text weist uns auf eine ganz besondere Art der Dank barkeit hin, eine Dankbarkeit, die nicht nur in Worten und Gefühlen besteht, sondern in der That.
am Erntedankfest:
Selig sind die Barmherzigen, das heißt
Die sind vom Erntesegen am reichsten gesegnet,
welche sich durch ihn antteiben lassen zur Barmherzigkeit,
Die Barmherzigkeit, in der wir das Geerntete verwenden, ist die schönste Frucht der Ernte. Barmherzigen."
oder:
auch für Andere „Selig sind die
Weiter aber: Wie die geerntete Frucht wieder
die Aussaat enthält, aus welcher mit Gottes Hülfe im nächsten
Die Barmherzigen.
197
Jahre eine neue Ernte erblühen wird, so wird durch die Barmherzig keit, die wir üben, uns Gottes Barmherzigkeit zu Theil. Selig
sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit er langen. So machen wir zum Gegenstand unserer Betrachtung: Das Erntedankfest und die Barmherzigkeit. 1. Die Barmherzigkeit ist die werthvollste Frucht, welche
das Erntedankfest uns bringt. 2. Aus unserer Barmherzigkeit erwächst uns die reiche Ernte der göttlichen Barmherzigkeit. 1. Ist es bei dir wirklich so, daß, wenn du den ganzen Ernte segen überblickst, du vor Allem Eine Sttmme hörst: „Weil ich alles das empfangen habe, so will ich nun hingehen und gegen meine Mitmenschen barmherzig sein."? Derselbe Erntesegen wirkt auf verschiedene Menschen ganz ver schieden ein. Der Eine, der viel in sich hat, wird auch durch einen geringeren Erntesegen mit um so größerer Dankbarkeit und Zu friedenheit erfüllt, während dagegen der, welcher nichts in sich hat, auch durch einen reichen Erntesegen nur um so unzufriedener und habgieriger wird. Während der Eine beim Anblick der Ernte zu sich spricht: „Nun iß und trink, liebe Seele, und sei guten Muths!", während er also nur an alle die guten Stunden des Genusses denkt, die er sich nun machen kann, blickt der Andere
mit Dankbarkeit und Stolz zurück auf alle die saueren Stunden, die ihm seine Arbeit gebracht, und bescheiden nimmt er den Segen hin, den Gott auf seine Arbeit gelegt hat. Dem Einen wird der Ernte segen ein Fluch, eine Versuchung zum Leichtsinn, zur Verschwendung, zur Sinnenlust.
Dem Anderen wird er die feste Grundlage, auf
welcher er ein in Gottesfurcht, Zucht und Tüchügkeit sicher zu sammengefügtes und vom Segen Gottes gekröntes Haus auferbaut. Ob du also viel oder wenig erntest, ob der Erntesegen dir wirk
lich ein Segen oder ein Fluch wird, das hängt ganz von dir selbst ab.
Die beste Wirkung aber, die er in dir hervorrufen kann, ist die Barmherzigkeit. Damit das geschehe, mußt du ihn recht be trachten, seine Entstehung bis in die letzten Ursachen. Versucht es einmal! Sehet, wie viele Hände zusammenarbeiten mußten, damit das einfachste Kleid zu Stande kommt, welches ihr trugt. Ganz
198
Die Barmherzigen.
ähnlich ist es hier.
Wie viele Bedingungen mußten zusammenwirken,
damit dir dein Erntesegen zu Theil wurde, und zwar Bedingungen, die
außerhalb
ganz
deines Willens und deines Einflusses liegen.
Hat der Landmann gepflügt und gesät,
mehr
thun.
dann kann er gar nichts
Sein Säen ist im eigentlichen Sinne ein Säen auf
Er muß ruhig zusehen, wie der Winter kommt, wie der
Hoffnung.
Schnee die Felder zudeckt, wie der Frost kommt und eisige Winde über die Felder wehen; er muß warten, bis dann die Sonne höher steigt,
der
Frühling
nahende
seine
warmen Lüfte
voraussendet,
der Schnee schmilzt und dann unter dem Einfluß von Feuchtigkeit
und Wärme in den Samenkörnern die Keimkraft erwacht, und die
Sonne schließlich die Ernte zur Reife bringt.
Er mag noch so oft
hinausgehen an sein Feld und zusehen, wie es steht, thun kann er nichts.
So sehr auch die Werkzeuge, mit denen gesät und geerntet
wird, vervollkommnet werden, es wird immer dabei bleiben, daß
der Mensch warten muß, bis die Ernte reift.
Wie viele Stunden,
wie viele Tage müssen in solchem Warten vergehen, bis dann die Gemeinde in der Dorfkirchc im Angesicht der Erntegaben auf dem
Altar singen kann:
„Nun danket Alle Gott!"
Da sehen wir recht
daß der Hintergrund aller menschlichen Arbeit Gnade,
deutlich,
Barmherzigkeit ist. Nicht
anders ist es bei unserer Arbeit.
nicht so scharf hervor.
Zwar hier tritt es
Wenn der Mann, der in einfachen Verhält
nissen lebt, mit Befriedigung sieht, wie seine Ersparnisse sich mehren, wenn ihm dadurch die Möglichkeit wächst, für die Ausbildung seiner
Kinder
mehr zu thun,
als einst
für seine
Ausbildung
geschehen
konnte, wenn ein Anderer mit Stolz sieht, wie von Jahr zu Jahr
sein Vermögen wächst, so liegt hier die Gefahr sehr nahe, zu sagen:
Das verdankst du ganz allein deiner Tüchtigkeit, deinem Fleiß,
deiner Sparsamkeit, zu solchen Erfolgen
das ist dein Werk.
unermüdliches und
Denn zumeist ist eben
ununterbrochenes Arbeiten
nöthig; jenes geduldige Warten, welches dem Landmann auferlegt
ist, fällt hier weg.
Und doch ist auch hier alles Gnade, freie Gabe
Gottes, des barmherzigen Gottes.
Siehe diesen und jenen deiner
Altersgenossen, den es so mächtig zur Arbeit treibt für sich und die Seinen, und der doch nicht arbeiten kann, weil schwere Krankheit
hn lähmt.
Hast du deine Gesundheit, dieses nothwendigste Hand-
Di« Barmherzigen.
Werkszeug für deine Arbeit, von dir selbst?
199 Hast du nicht vielleicht
Manches gethan, was dieselbe schwächen könnte; und doch besitzest du sie noch unvermindert. Ist das dein Verdienst? Woher hast du deinen Arbeitsmuth? Woher kommt es, daß du manchmal so freudig bist zur Arbeit, manchmal so unlustig, daß du manchmal so fröhlich an Erfolge glaubst, und dann wieder so muthlos ver zweifelst? Erkennst du da nicht, daß auch dein Muth, deine Lust zur Arbeit ein Geschenk Gottes ist, das du dir nicht selbst geben kannst? Woher kommt es, daß dir manchmal wunderbar, wie spie lend auch das Schwerste gelingt, während du ein andermal Tag und Nacht dich mühst, und immer vergeblich? Erkennest du nicht, daß der Erfolg, der Segen von Oben kommt? Und dann, der schönste Erfolg deiner Arbeit ist doch gewiß für dich der, daß dein Familienglück blüht, deine Kinder gedeihen und dir Freude machen. Was nützt dir aller klingender Lohn für deine Mühe, wenn dieser Segen ausbleibt? sUnd ist dieser Segen wirklich dein Werk? Hängt das wirklich ab von deinem Mühen und Laufen? Ist das nicht auch Gnade von Gott?
So ist Gottes Gnade, Gottes Barmherzigkeit der stille Hinter grund all unseres Arbeitens und unseres Gelingens. Was du erarbeitet oder was du ererbt hast von deinen Vätern, was dir
leicht oder mühelos in den Schoß gefallen, oder was du dir ver dient hast im Schweiße deines Angesichts, es ist Alles eine Gabe der freien Gnade Gottes. Es ist deshalb auch alles ein anver trautes Gut; Gott hat dich als Hüter, als Verwalter darüber gesetzt. Es ist dir auf bestimmte Zeit anvertraut, so lange es Gott gefällt; dann mußt du es lassen und kannst es so wenig festhalten, so wenig du es aus eigener Kraft erringen konntest. Du hast deshalb gar
kein Recht, dein Herz daran zu hängen; nur an Gott darfst du es hängen; denn all dein Gut gehört Gott. So erzählt dir der Erntesegen von der Barmherzigkeit, Jedem
unter euch, dem, der viel geerntet hat, auch dem, der wenig geerntet hat, und der doch in Tagen der Noth und des Mangels es an sich erfahren hat und noch immer erfahren wird, daß Gottes Barm herzigkeit nicht aufhört und seine Hand nicht müde wird zu helfen.
Da wird das kalte Gold warm, ein Bote der Liebe Gottes; und der todte Besitz wird lebendig; denn er thut seinen Mund auf und
Die Barmherzigen.
200
erzählt dir von dem Gott, der nicht aufhört zu segnen. Ja noch mehr: Jeder Ertrag deiner Arbeit, weil er von Gott, dem Barm
herzigen, kommt, trägt dir etwas von Gottes Barmherzigkeit in dein Haus und in dein Herz. Jedesmal, wenn du dich mit den Deinen freust an dem, was du hast, wenn ihr in glücklicher Gemeinschaft
mit einander genießt, was Gott euch bescheert hat, da genießt ihr auch innerlich Gottes Güte und schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist. Da ist es ja nicht anders möglich: Wie der Ruf in den Bergen das Echo erweckt, wie der Strahl der Sonne im See wider leuchtet, so muß auch in eueren Herzen die Barmherzigkeit Gottes ein Echo finden und ihre Strahlen müssen von ihnen zurückgeworfen werden, nicht nur in den Dankliedern, die wir hier singen, nicht nur in weichen frommen Empfindungen, sondern in kraftvollen Thaten. Nun danket Alle Gott, nicht nur mit dem Herzen, nicht bloß mit
dem Munde, sondern vor Allem mit den Händen. Ihr, die ihr euch genährt wisset von Gottes Barmherzigkeit, die ihr in reichlicher oder kärglicher Ernte, in großen oder geringen Erfolgen euerer Arbeit die Gaben der göttlichen Barmherzigkeit seht, ihr müßt ja unter diesem Sonnenschein der göttlichen Gnade, unter diesem Thau der göttlichen Barmherzigkeit, in dieser warmen stuchtbaren Lust der göttlichen Güte innerlich diesem Gotte ähnlich, gleichgestaltet werden, d. h. barmherzig werden. Und während sonst Geld und Gut so leicht die Herzen eng macht, müssen euere Herzen weit werden, wie das Herz eueres Vaters, für alle menschliche Noth, die ihr um euch her sehet. So ist die Barmherzigkeit die werthvollste Frucht, welche uns
das Erntefest bringt.
2.
Aus dieser Frucht aber soll euch die reiche Ernte der
göttlichen Barmherzigkeit erwachsen. Ihr könnt die Barmherzigkeit Gottes nur dann erlangen, wenn ihr Mitarbeiter seiner Barmherzigkeit werdet. Wie werde ich der Barmherzigkeit Gottes, der Vergebung meiner Schuld theilhaftig? Das ist die größte Frage, welche je den Menschen bewegt hat. Das ist die eigentlich brennende Frage, die Frage, die dem Menschen im geist beschäftigt, das Menschengemüth
Herzen und im Gewissen brennt.
Denn die Schuld ist das Gift,
201
Die Barmherzigen.
welches das ganze Leben vergiftet, alle Freude vergällt, allen Frieden verscheucht, alle Arbeitskraft lähmt, die Hoffnung niederdrückt, die
Das ist die Last, unter der auch der Stärkste erliegt, die finstere Macht, die sich auch an die Füße des Schnellsten heftet, auch den Eilzug und das Dampfschiff umschwebt. Von dieser Schuld frei zu werden, Versöhnung zu finden, das ist das Heil, das höchste Gut. Deshalb ist die Frage aller Fragen, die Frage, zu deren Lösung Christus gestorben ist, um deren willen Paulus und Luther gekämpft und gearbeitet haben, die Frage: Wie werde ich Barmherzigkeit erlangen? Ich kann sie mir unmöglich verdienen. Man kann sich Barmherzigkeit nicht verdienen. Entweder ich verdiene etwas; dann ist es eben der Lohn, auf den ich Anspruch habe, aber keine Barmherzigkeit. Oder es ist das Geschenk freier Barmherzigkeit, dann kann ichs eben nicht verdienen. Deshalb widerspricht es ebenso der Vernunft wie der heiligen Schrift, wenn die katholische Kirche lehrt, daß man sich Gottes Gnade durch Werke und Leistungen verdienen könne. Und wenn ihr alle frommen Werke und Leistungen, die an allen Orten und zu allen Zeiten jemals vollbracht worden sind, aneinander fügtet, es würde daraus niemals eine Leiter werden, auf der auch nur eine einzige Menschenseele emporgelangen könnte
Liebe tödtet.
zu Gottes Barmherzigkeit. Deshalb haben Paulus und Luther auf jene Frage geant wortet: Allein durch den Glauben. Du mußt dich einerseits in tiefer herzlicher Reue, in strengem Selbstgericht abwenden von deiner Sünde, und auf der anderen Seite vertrauensvoll dich hin
wenden zur Gnade Gottes. Du mußt an diese Gnade Gottes glauben, wie du an die Liebe deines Vaters glaubst, wie du daran glaubst, daß deine Mutter niemals ihr Herz von dir abwenden
kann.
Dieser Glaube, dieses Vertrauen ist die Kraft, durch welche
du die Gnade Gottes ergreifst, sie dir innerlich aneignest, so daß du dich mit Gott versöhnt weißt. Dann wird deine Schuld unter dir versinken und ein neues Leben wird dich von oben her durch
dringen.
Auf der Leiter der Werke
kannst
du niemals
den
Himmel erklimmen: aber mit den Flügeln eines kindlichen, ver trauensvollen Glaubens kannst du ihn erfliegen.
Wie lernen wir aber diesen Glauben an Gottes Barm-
202
Die Barmherzigen.
Herzigkeit? Wieder antwortet uns die christliche Lehre: Gottes Barmherzigkeit hat sich uns in Christus geoffenbart. Er hat sie
uns gelehrt. Er hat sie uns durch sein ganzes Leben, in seiner heiligen Persönlichkeit verkörpert; er hat sie durch seinen Tod be siegelt. So tritt zu ihm heran. Sage dir: „So gewiß dies Alles geschehen ist, so gewiß will dir Gott barmherzig sein." Beziehe Christi Lehre, sein Leben und Sterben auf dich, so wirst bu an Gottes Barmherzigkeit glauben lernen.
Aber das Alles ist noch nicht genug. Jesus zeigt uns noch einen anderen Weg. Und wir brauchen auch noch solch einen anderen Weg. Denn woher kommt es denn, daß Viele am Kreuze Christi vorübergehen, es sehen und doch nicht glauben lernen? Wir finden das, worauf Alles ankommt, ausgesprochen in dem Worte Jesu: „Selig sind die Barmherzigen; denn sie sollen Barmherzigkeit erlangen." Wir können Gott nur dann verstehen, wenn wir Gott ähnlich werden. Wir können nur dann an Gottes Barm herzigkeit glauben, wenn wir selbst barmherzig sind. Wer harten Herzens ist, der hört wohl die Botschaft von Gottes Barmherzigkeit;
aber sie klingt hoch über ihm vorüber, wie das Sausen des Windes hoch oben in den Lüften; sie berührt seine Seele nicht; seine Seele
ist unempfänglich dafür; sie kann diese Botschaft gar nicht ver stehen, so wenig, wie ein Stück Eis von der Sonne erwärmt werden kann. Wer aber an Gottes Barmherzigkeit nicht glauben, d. h. ihr nicht vertrauen kann, der kann auch ihrer nicht theil haftig werden; er kann keine Barmherzigkeit erlangen. Darum sei barmherzig! Laß dich durch alle die Segnungen
der göttlichen Barmherzigkeit, deren du dich heute am Erntedankfest freust, und durch die Offenbarung Gottes in Jesus Christus zur Barmherzigkeit erziehn.
Lerne in dieser Schule wirklich von Herzen
deinem Widersacher vergeben; lerne deine armen Brüder und Schwestern
wirklich lieben und ihnen von Herzen Gutes thun. Dann komme wieder; schaue empor zu Gottes Barmherzigkeit. Wenn du dann selbst Barmherzigkeit übst, wirst du an Gottes Barmherzigkeit glauben und dich ihrer getrösten können.
Selig sind die Barmherzigen;
denn sie sollen Barmherzigkeit erlangen. So bewegen wir was in einem wunderbaren Kreise: Gott erzieht uns durch seine Barm
herzigkeit zur Barmherzigkeit, und wieder durch die Barmherzig-
Die Barmherzigen.
203
feit, die wir so lernen, werden wir der vergebenden Barmherzig keit Gottes gewiß und theilhaftig.
Seid barmherzig.
Gott hat seine Güte ausgeschüttet über die
ganze Erde und ihr Segen ist für alle Menschen bestimmt. Aber er ist ungleich unter den Menschen vertheilt. Das ist immer so
gewesen und wird immer so sein. Wo Leben ist, da muß auch Verschiedenheit sein. Wo Einförmigkeit ist, da ist der Tod. Eine menschliche Gesellschaft, in der Alle gleich wären, auch im Besitz, an Geld und Gut, würde innerlich tobt fein; kein Arbeiten, kein Streben wäre möglich, auch keine helfende und empfangende Liebe. Nur das Nebeneinander von Reichthum und Mangel ist die Grund lage, auf der die Menschen im Geben und Empfangen, im Helfen und Sichhelfenlassen einander als Brüder und Schwestern, als Kinder des Einen Vaters nahe kommen sollen. Euere Sache ist es, ihr Menschen, den Segen, den Gott auf diese Erde gelegt hat, in Liebe und Gerechtigkeit so unter einander zu vertheilen, daß Niemand Mangel leidet. So werdet Mitarbeiter des barmherzigen Gottes. Nicht die Gewalt, welche Alles gleich macht, soll die
ausgleichende Macht auf Erden sein, sondern die freiwillig gebende Barmherzigkeit und die demüthig empfangende Dankbarkeit. Seid barmherzig, das ist Gottes Wille. Seid ihr es nicht, dann macht
ihr euch selbst des Erntesegens unwürdig. Seid barmherzig! Gebt etwas von dem, was Gott euch gegeben, an Gott zurück, indem ihr eueren Brüden: helft. Aus jeder Gabe, mit der ihr helft, fließt Segen auf euch zurück Durch das fleißige Heben der Barmherzig keit wird euch die Barmherzigkeit zur inneren Natur, bildet sich eine innere Gemeinschaft zwischen euch und dem barmherzigen Vater im
Himmel, und ihr werdet innerlich immer reicher gesegnet von der Barmherzigkeit Gottes, die euch euere Sünden vergiebt und euere Gebrechen heilt. Große Ausblicke hat uns das Erntefest eröffnet. Es läßt uns hineinblicken in die Tiefen der göttlichen Barmherzigkeit, aus welchen
unser Erntesegen fließt, und es zeigt uns, wie die rechte Verwendung
dieses Erntesegens uns emporführt zur Barmherzigkeit Gottes. Selig sind die Barmherzigen; denn sie sollen Barmherzigkeit erlangen. Amen.
204
Die reinen Herzen.
25. Die reinen Herzen. (Zum ersten Abendmahl der Konfirmierten.)
Matth. 5, 8. Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen. 9as heilige Abendmahl, welches heute Viele von euch vereinigt,
unter ihnen auch Solche, welche heute zum ersten Male zum Tisch des Herrn gehn, nachdem sie in der vergangenen Woche eingesegnet worden sind, legt es uns nahe, unsere Gedanken zu sammeln um
diese Seligpreisung.
So laßt uns denn nun zunächst sehen, wer
die sind, die reines Herzens sind; und dann, was es heißt, daß sie Gott schauen.
1. Reines Herzens sein — da möchte man vielleicht an solche
Menschen denken, welche sich die kindliche Unschuld in das gereifte Leben hinüber gerettet haben.
Aber erwachsene Menschen von solcher kind
lichen Unschuld giebt es nicht.
Der Weg des Menschen führt nun
einmal vorbei an dem Baume der Erkenntniß, und Jeder, der da
von ißt, lernt Gutes und Böses unterscheiden und muß das Paradies verlassen.
Somit träfe unsere Seligpreisung
haupt nicht
zu,
sondern wäre
für
Engel
auf Menschen über
gesprochen,
die
nicht
sündigen, weil sie nicht sündigen können, nicht aber für Menschen, deren Loos es ist, zu kämpfen und zu streben, und damit auch zu irren und zu sündigen.
Außerdem ist es doch auch sehr zweifelhaft,
ob diese kindliche Unschuld wirklich soviel werth ist, wie man gemein
hin annimmt.
Denn sie ist ein Zustand der Unwissenheit, eine
Unschuld, die im Kampfe noch nicht erprobt ist, eine Reinheit,
die noch nicht berührt worden ist von der unreinen Welt. Diese Reinheit des Herzens, von welcher Jesus spricht, ist nicht der Anfang und Urzustand
des Menschenlebens,
sondern vielmehr
der Preis eines Kampfes, ist die Frucht heißen, ernsten Strebens. So ist es auch bei unserem Erlöser gewesen.
Er hätte unser Heiland
nicht werden können, wenn bei ihm die Möglichkeit des Sündigens
Die reinen Herzen.
völlig ausgeschlossen
205
Denn dann wäre auch eine
gewesen wäre.
Versuchung bei ihm nicht möglich gewesen, sie hätte seine Seele gar nicht berühren, gar nicht in Bewegung setzen können.
Sondern
dadurch ist er uns vorangegangen und hat uns ein Vorbild gelassen, daß er sich durch Kampf hat hindurchringen müssen zum Siege.
So sind
also Menschen
mit reinem
Herzen
nicht
Denn wir haben Alle an der Sünde Theil.
Menschen.
sündlose Nun ist
aber unter den Menschen, die allzumal Sünder sind, doch ein großer
Unterschied.
welche ihren Willen so von der
Es giebt Menschen,
Sünde gefangen nehmen lassen, daß diese der Inhalt ihres Willens wird.
Das
Schlechte ist
eingedrungen
ins Mark,
bis
Fühlen, Streben, das Denken, die Phantasie vergiftet.
hat
das
Bei dem
Neidischen ist der Neid sein Wille geworden; trotz alles Unbehagens, das ihm der Neid bereitet, ist es ihm doch eine geheime Lust, seinem
Neid bitteren Ausdruck zu geben.
des Lasters
Der Knecht
dem Laster dienen, weil sein Wille vom Laster erfüllt ist.
muß Da ist
das Leben von der Sünde zerfressen, wie das Metall vom Rost, und
jeder
Flecken.
sündige
hinterläßt
Gedanke, jede schlechte That
einen
Es giebt dagegen Andere, in deren Wesen zwar auch die
Sünde wohnt; aber ihr Wille bleibt rein, und sie halten ihn sich
frei zum Kampfe gegen ihren alten Menschen. Sünde keinen Flecken, Seele.
Da hinterläßt die
sondern nur ihre Schatten verdunkeln die
Ein großer Philosoph hat einmal gesagt,
das einzig und
wirklich Gute, was es gebe, sei ein guter Wille. welche
guten
Willens
sind,
sind
das
die
Die Menschen, Menschen,
die
reinen Herzens sind.
Es sind die Aufrichtigen,
die Ehrlichen, deren Auge,
ganzes Antlitz eine offene Thür ist,
kann bis in ihr Herz,
deren
durch welche man hineinsehen
die keines Truges fähig sind, deren Worte
aus der Seele kommen, aus dem Gewissen, aus dem Herzen, nicht nur von den Lippen, die deshalb keine leeren Worte machen können,
sondern jedes Wort trägt in sich etwas von ihrem inneren Leben,
von der Wärme ihres inwendigen Menschen.
Ihr habt Menschen
kennen gelernt, zu denen ihr sofort Zutrauen faßtet, von denen ihr
sofort die sichere Ueberzeugung hattet: Sie können gar nicht betrügen; sie können
es
reinem Herzen.
nicht unehrlich
meinen.
Das
sind
Menschen
mit
206
Die reinen Herzen.
Denkt an Menschen, welche wenig sprechen;
aber mit jedein
Worte ist wirklich etwas gesagt, eine wahre, echte Empfindung, ein reifer Gedanke ausgesprochen. Denkt an die anspruchslosen Menschen, welche nichts aus sich machen und wenig für sich begehren, die nicht trachten nach eitler Ehre, die neidlos sich von Anderen überflügelt
sehen, die aber zugleich, weil sie's ehrlich meinen, sich vor den Menschen nicht fürchten, sondern muthig eintreten für das Recht ihrer Ueberzeugung und ihrer Persönlichkeit. Das sind Menschen
mit reinem Herzen. Menschen, deren Herz wie ein reiner Spiegel ist, an welchem
der Hauch der Sünde nicht haftet, sondern rasch wieder abgleiten muß, deren Inneres gegen das Böse so empfindlich ist, wie das Auge gegen ein Stäubchen, von dem es berührt wird, Menschen mit keuschem Herzen, die, ohne es zu wissen, eine ehrfurchtgebietende Würde haben, so daß alle stivole, leichtfertige Rede in ihrer Nähe verstummt, das sind Menschen mit reinem Herzen. Sie haben auch ihre Fehler, vielleicht mächtige Leidenschaften,
von denen sie bisweilen fortgerissen werden; sie tragen selbst tief Leid um diese Fehler, überhaupt darum, daß sie vom Ziele noch weit entfernt sind; deshalb liegt über ihrem Wesen eine stille Weh muth. Aber im Grunde ist ihr Wille rein und gut. Es sind die Menschen mit reinem Sinn und reinem Muth, die aus jedem inneren Kampfe nicht nur unverletzt, sondern gereift und gestärkt hervorgehn. Sie haben die Lockungen der Lüge und der Sinnenlust kennen gelernt; aber sie haben sich durchgekämpft. Es wohnt in ihnen die Wahrhaftigkeit, die mit der Lüge gerungen
und sie überwunden hat, die Keuschheit, welche die böse Lust immer wieder unter die Füße tritt, die Aufrichtigkeit, welche alles Scheinwesen abgethan hat, die Liebe, welche die Selbstsucht ertödtet hat, der Muth, der keine Furcht mehr kennt. So ist ein reines Herz wie ein Schlachtfeld, auf welchem die erschlagenen Feinde liegen, und Gott hat Panier aufgeworfen, und die Siegeslieder klingen. Diese erkämpfte Herzensreinheit ist viel mehr werth, als die
reine Unschuld der Kindheit. Wie können wir zu dieser Herzensreinheit gelangen?
Der
Psalmist betet: „Schaff' in mir, Gott, ein reines Herz und gieb mir
einen neuen gewissen Geist."
Dieses alttestamentliche Gebet kommt
Die reinen Herzen.
207
erst im Christenthum zu seiner wahren Geltung.
Denn in Jesus,
diesem Erstgeborenen unter den Kindern Gottes, in seiner Große,
in seiner heiligen Liebe tritt uns die Macht Gottes, die reine Herzen
schafft, erst recht entgegen.
Wir können deshalb
auf die Frage:
Wie erlangen wir ein reines Herz? keine andere Antwort geben, als
diese: Durch Jesus.
In der Kirche haben verschiedene Vorstellungen
von ihm bestanden und bestehen
Aber welcher von diesen
noch.
Vorstellungen ihr euch auch zuneigen mögt, Schließt euch
wirklich an ihn
an!
darauf kommt es an:
Stellt sein heiliges Bild vor
euere Seele und seht es immer wieder andächtig an!
Laßt euere
ergreifen und euch vou
Seelen von der Macht seiner Erscheinung
ihm fortziehn in seine hohe, heilige Lebensbahn hinein!
Dann bildet
sich allmählich sein Wesen in das euere ein, er gewinnt Gestalt in
euch
und bildet euch als der große Menschenbildner
Bilde.
nach seinen!
Sein Herz ist so unendlich reich, daß es alle Menschenherzen
mit seinen! Leben erfüllen kann.
Ergreift ihn wirklich mit euerem
Glauben, so werdet ihr reines Herzens werden, und lernt von ihm beten.
Legt endlich den alten Wahn ab,
als ob das Beten ein
Ruhekissen wäre für träge Seelen, die nicht kämpfen, arbeiten und streben
wollen.
Ein
wirkliches
Kraftanstrengung des Menschen,
Gebet
ist
vielmehr
die es giebt.
die heiligste
Da richtet sich der
schwache Mensch aus dem Staube der Erde empor, und wendet sein
Angesicht zu Gott und ruft den starken Gott als Kampfgenossen zu Betet, ihr Christen, besonders ihr, meine jungen Freunde,
sich herab.
betet, wenn das Böse einbrechen will in den Garten eueres Herzens;
Gott will dann einen Engel davor stellen,
der die Thür behütet.
Durch das Gebet weckt in euch auf den schwachen Willen;
durch
das Gebet ruft aus der Tiefe der Seele alle die heiligen Gottesworte, die da schlummern.
Im Gebet legt euere Schuld vor Gott nieder,
daß ihr seiner Vergebung gewiß werdet.
In dieser Gewißheit der
Vergebung liegt die Kraft und der Muth zu neuem Kämpfen und Streben.
Im Gebete ringt euch zu Gott empor, dann steigt Gott
zu euch herab
und schafft in euch immer von Neuem wieder
ein
reines Herz. 2. Und ein reines Herz
soll Gott schauen,
Gott verstehn
und dadurch an Gott sich freuen. — Um einen Menschen in seinem Handeln und Streben zu verstehn, muß man ihm innerlich irgend-
208
wie ähnlich sein.
Die reinen Herzen.
Du kannst eine That wirklicher Selbstverleugnung
bei einem Menschen nur verstehn, d. h. begreifen, wie er sie hat thun können, wenn du selbst solcher Selbstverleugnung fähig bist.
Bist du das nicht, dann kannst du nicht verstehn, was er thut, und siehst seine That als Thorheit an. So kann nur der Gott schauen,
der Gott ähnlich, d. h. der reines Herzens ist. Alte Ausleger verglichen das Herz mit einem Spiegel. Ist dieser befleckt oder zerbrochen, so spiegelt sich das Bild in verzerrter Gestalt darin wider. So wird auch in einem unreinen Menschenherzen Gottes Angesicht sich unvollkommen widerspiegeln. Im Alten Testament heißt es: „Dem Verkehrten ist Gott verkehrt." Dem Selbstgerechten ist er ein strenger Richter; dem, der haßt und harten Herzens ist, ist er ein zürnender Gott; dem, der nicht vergeben kann, ist er ein Gott, der keine Vergebung kennt. Wenn arge, finstere Gedanken durch deine Seele ziehn, dann umdüstert sich für dich das Angesicht Gottes. Nur wer Gott ähnlich ist, kann Gott schauen, erkennen, verstehen. Deshalb hat Jesus Gott geschaut. Wie im Spiegel des Sees Genezareth sich am Tage der blaue Himmel spiegelt oder des Nachts das herrlich gestirnte Firmament des Morgenlandes, so spiegelt sich in dem reinen Herzen Jesu das An gesicht Gottes. Weil in ihm die Liebe die treibende Kraft seines Lebens war, deshalb hat er Gott als die Liebe geschaut. Weil er reines Herzens war, deshalb sah er Gottes reine Herrlichkeit. Weil in ihm kindliche Demuth wohnte, Gehorsam und Vertrauen, deshalb hat er Gott als den Vater geschaut. So sollen auch die aufrichtigen, reinen, anspruchslosen Seelen, die, welche, wie Paulus sagt, Kinder sind nicht nach dem Verständniß aber nach der Bosheit, Gott schauen, Gott verstehn. Das ist nicht etwa ein Lohn, welcher
willkürlich denen gegeben wird, die reines Herzens sind, sondern vielmehr die Frucht, welche mit innerer Nothwendigkeit aus dem
reinen Herzen hervorwächst. Wie Ehegatten einander immer mehr verstehn, je mehr sie einander ähnlich werden, so werdet ihr Gott um so mehr verstehn, je mehr ihr ihm durch Christus ähnlich werdet. Seht, was euch verheißen wird:
Wir sollen Gott schauen.
Wir sollen uns nicht begnügen, über Gott etwas zu hören, oder uns nach dem, was uns Andere von ihm erzählen, ein Bild von
Die reinen Herzen.
209
ihm zurechtzumachen, oder das für wahr zu halten, was wir über Gott lesen,
daß er gütig,
gerecht und allweise
sei.
Wollten wir
uns
wirklich damit begnügen, dann würden wir Unmündige bleiben,
die sich in ihrem religiösen Leben auf Andere verlassen müssen,
aber nicht selbst schöpfen können aus dem Quelle Gottes.
Sondern
als Jünger und Jüngerinnen Jesu, als Kinder Gottes müssen wir
selbst Gott schauen.
Das ist ein großer Unterschied; für jene, die
sich damit begnügen,
über Gott etwas zu hören,
ist Gott ein
geschlossen in Bibel, Gesangbuch und Katechismus; für die dagegen, die ihn selbst schauen, ist er lebendig nahe.
Nehmt ein Beispiel:
Ihr habt vor euch ein schönes Gemälde, auf welchem euch der Wald Da seht ihr ganz naturgetreu,
dargestellt wird.
wie die Sonnen
strahlen auf dem Moosgrunde spielen unter den alten Bäumen, die ihr schattiges Dach weit ausbreiten, und dazwischen hin schlängelt
sich der klare Quell über die glatten Steine, vielleicht darüber ge
beugt der majestätische Hirsch, der seinen Durst löscht. wäre es Natur.
Alles, als
Aber dennoch, was ist das ausgezeichnetste Bild
des Waldes gegen den Wald selbst, wenn er euch mit seiner feier lichen könnt.
Stille
umfängt
und wenn ihr seine reine Luft einathmen
Oder denkt euch, es nimmt jemand, der seine Heimath ver
lassen muß, ein Bild derselben mit hinaus in die Fremde.
Wohl
ist es ihm immer eine innere Erquickung, wenn er das Bild ansieht
und von vergangenen schönen Tagen träumt. wird ihm zu Muthe sein,
heimwärts lenkt, und die Heimath Abendsonne und
Aber wie ganz anders
wenn er wirklich wieder seine Schritte
liegt vor ihm im Schein der
umfängt ihn dann mit ihrer alten Kraft.
ein Unterschied ist,
Solch
ob du von Anderen über Gott hörst und für
wahr hältst, was sie dir erzählen, oder ob du selbst Gott schaust. Ihn schauen,
d. h. ihn an sich spüren als Kraft, als Gnade und
Wahrheit, wie die Blume die ausgehende Sonne spürt und ihr An gesicht der Sonne erschließt; es erleben, wie seine Gnade uns Sünden
vergiebt und seine Barmherzigkeit unsere Gebrechen heilt, wie sein starker Wille
unseren schwachen Willen stark macht;
sich von ihm
aufgerichtet, von ihm gehalten, in ihm geborgen fühlen, d. h. Gott
schauen.
Wenn durch dein Gebet
deine Furcht
vor
der Zukunft
sich in Zuversicht verwandelt, die Hartherzigkeit gegen deine Feinde
in vergebende Liebe, und eine Aufgabe, vor der dir bange war, sich Kirmß, Predigten.
Die reinen Herzen.
210
für deine wachsende Kraft wie spielend erledigt, dann hast du Gott in dir erlebt, du hast ihn geschaut. In fast allen vorchristlichen Religionen, auch im Alten Testament,
findet sich die Anschauung, daß der sterben müsse, der Gott schaut. Jesus verkündigt das Gegentheil:
denn er hat das Leben.
Wer Gott schaut, soll selig sein,
Ja selig ist, wer Gott überall schaut.
Gehe durch die Schöpfung und siehe in ihrem Blühen und Ver
welken, in der Morgen- und Abendröthe,
die am Himmel glüht,
in den Sternen, welche die Nacht durchleuchten, deinen Vater, der
das Leben ist, und dessen Gewand das Licht ist,. deinen Vater, in welchem du zuletzt Ruhe finden sollst und Vollendung.
Siehe in
jeder Aufgabe, welche in deinem Haus oder in deinem Beruf an dich herantritt, deinen Gott, der zu dir spricht: „Komm, diene mir,
Siehe im Glück seine Güte über dich aus
damit ich dich segne."
gegossen, seine weise Hand über dich ausgestreckt, in der Nacht der
Trübsal über dir
den Hüter,
der nicht schlummert noch schläft.
Dringe ein in den Sinn, den Gott in jede Wendung deines Lebens hineingelegt hat, und lausche den Gedanken deines Gottes, die darin
leben.
Schaue Gott, wenn der Tod in dein Haus tritt, und siehe
über den dunklen Schatten des Todes sein ewiges Licht, und laß
dich erfüllen von dem Frieden, den der Tod als Gottes Bote in seinem Gefolge hat.
Seht, ihr jungen Christen, in der Liebe euerer
Eltern die Liebe Gottes euch entgegentreten, und ihr, die ihr euch heute im Abendmahl vereinigt, seht in dieser Feier, wie in Jesus Christus, mit dem ihr euch vereint, euer Vater euch entgegenkommt,
um mit euch einen Bund zu schließen, der bleiben soll, bis ihr einst Gott ewig schauen werdet von Angesicht zu Angesicht. Immer und überall, auch wenn unsere Füße vom Staube der
Erde bedeckt werden, auch im Gedränge des Lebens sich bei Gott wissen, durch das Gewirr des Lebens das Angesicht des himmlischen
Vaters arbeitet,
hindurchleuchten kämpft
um
die
sehn,
das
Reinheit
ist
Seligkeit.
eueres Herzens.
Herzens ist, schaut Gott; wer Gott schaut, ist selig.
Darum
betet,
Wer reines Amen.
211
Die Friedfertigen.
26.
Die Friedfertigen. Matth. 5, 9. Selig sind die Friedfertigen; denn sie sollen Gottes Kinder heißen.
Aiese Seligpreisung ist, wie wir es schon bei mehreren der
Seligpreisungen beobachtet haben, Zeit gesprochen.
im Gegensatz zu der damaligen
Es war eine- stürmische Zeit.
Unter der schweren
Last der Fremdherrschaft hatte sich im israelitischen Volke viel ver
haltener Groll angesammelt, nationaler Haß gegen die Bedrücker,
und dieser Haß,
verbunden mit einer heißen Sehnsucht nach Be
freiung, richtete Aller Blicke, Aller Gedanken in die Zukunft, auf den
großen Kampf, in welchem das Volk unter der Führung des Messias sich befreien und das Messiasreich aufrichten würde.
Im Gegensatz
zu diesem Durst nach dem Blut der Feinde ruft Jesus:
die Friedfertigen."
„Selig sind
„Nach euerer
Er sagt damit zu dem Volke:
Vorstellung muß das Volk, das euerem Messias folgt, zu den Waffen greifen;
aber
dadurch
wird
das
Reich Gottes niemals
zu
Vielmehr sind die, welche den Frieden bringen,
kommen.
euch die
rechten Jünger des Messias, sie sind die rechten Kinder des Gottes reichs."
So
tritt
auch
Strömung seiner Zeit.
hier Jesus in scharfen Gegensatz zu der Aber trotzdem, vielleicht eben deshalb ist es
ein Wort für alle Zeiten, eins von den Worten, von denen Jesus gesagt hat:
„Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte
werden nicht vergehen." er damals
Die Seligpreisungen Jesu sind Boten, die
vom Berge aus
hinausgesandt hat in alle Welt; sie
wandern und predigen und werden nicht müde, und die Menschen
werden nicht müde, ihre Botschaft zu hören.
So wollen wir heüte
die Stimme dieses Boten vernehmen, der uns erzählt von den Friedfertigen und ihrem Erbtheil. 1.
haben.
Friedfertige sind zunächst solche, welche selbst Frieden
Wie kommen wir aber zum Frieden?
Wo ist der Friede?
Er ist an keinen Ort, an keinen Raum geknüpft.
Denkt euch ein
Thal, ganz weltabgeschieden, von hohen Bergen umgeben, so daß
14*
Dir Friedfertigen.
212
kein Sturm den Weg dahin findet, und kein Kriegslärm, der sonst
die Länder erfüllt, dorthin dringt.
Und doch wohnt dort vielleicht
der Friede nicht, sondern kleinliches, zänkisches, rechthaberisches Wesen, mit dem sich die Menschen gegenseitig das Leben verbittern.
Und
wieder in unserer großen Stadt in einer Straße, in welcher am Tage der Straßenlärm nie aufhört, kaum in einigen Stunden der Nacht, da
giebt es Manche schlichte, vielleicht ärmliche Wohnung, in welcher der
Friede wohnt.
So ist der Friede an keinen Ort geknüpft.
ebenso wenig an eine Zeit.
Und
Von altersher träumen die Menschen
von einem Reich des Friedens, das einst kommen werde auf Erden. Aber das Kommen desselben hängt nicht von dem Heute oder Morgen ab.
Ob ein Ort dir ein Ort des Friedens ist, ob eine Zeit dir eine
Zeit des Friedens ist, das hängt von dir selbst ab.
Hast du den
Frieden in dir, so ist dir jeder Ort ein Ort des Friedens und jede Zeit eine Zeit des Friedens.
Hast du keinen Frieden in. dir,
so
magst du gen Himmel fahren oder dich in der Tiefe betten oder
Flügel der Morgenröthe nehmen und bleiben am äußersten Meer, du Der Friede ist ein innerer Zustand.
wirst keinen Frieden finden.
Können wir denn aber nichts thun, um ihn zu erlangen?
Sind
die Einen dazu von Gott veranlagt, ihn zu haben, während Andere die ganze Welt durchwandern können, ohne ihn zu finden?
leicht gesagt:
Es ist
Erhebe dich über den Wechsel, die Sorgen und den
Streit der Erde, wenn man nur nicht ermüdet und abgespannt immer wieder zurückfiele in die Unruhe dieser Zeit.
Es ist leicht gesagt:
Stirb deiner Sinnlichkeit ab und vergrab dich hinter Klostermauern,
wenn der Mensch die Unruhe der Welt nur nicht mit hineinnähme Aber wenn wir so suchen nach Frieden,
auch in die tiefste Einsamkeit.
da hören wir eine Stimme: mühselig und beladen seid.
„Kommet her zu mir Alle, die ihr
Den Frieden lasse ich euch."
Im An
schauen Jesu, des Friedefürsten, kommst du zur Gewißheit der Barm
herzigkeit Gottes, welche den Tod des Sünders nicht will, sondern
daß
er sich
bekehre
und
lebe.
Vor dieser
versöhnenden Gnade
Gottes, welche Jesus uns verkündigt und bezeugt,
lege die Last
deiner Sünde und deines Leides nieder; gieb dich ihr vertrauensvoll
hin, und glaube, vertraue, daß alle Stürme des Lebens dich nicht
aus der Hand dieses Gottes reißen können, sondern daß er durch
alle Schickungen und Unruhe dieser Zeit hindurch dich festhält und
Die Friedfertigen.
auf dich
einwirkt.
Es giebt
keinen
213
anderen dauernden Frieden,
als allein das Vertrauen auf unseren Vater im Himmel, den uns
Jesus offenbart hat.
Friedfertige müssen vor Allem diesen Frieden
haben. Die aber Frieden haben, werden auch Frieden halten. nur wer Frieden
hat in sich
mit Gott,
Und
hat Frieden mit den
Jesus hat, um den Frieden zu bringen zwischen den
Menschen.
Menschen und den Menschen, vor Allem Frieden gestiftet zwischen
Wer Frieden hat mit Gott, wird auch
den Menschen und Gott.
Frieden halten mit den Menschen.
Denn hast du selbst Frieden,
so schätzest du ihn als das höchste Gut, als deinen Himmel, als das Sonnenlicht deines Lebens und deines Hauses,
als die stille
tiefe Grundströmung, welche dein Lebensschiff trotz
aller Stürme
doch stetig dem Ziele zutreibt.
Diesem Frieden gegenüber erscheinen
die Zerwürfnisse mit anderen Menschen, ihre oft so winzig kleinen
die Frage,
Ursachen,
auf welcher Seite die Schuld liege — alle
diese Dinge erscheinen dir im Vergleich zu dem Frieden so unendlich klein, daß du Alles rasch zurücktreten lässest und den ersten Schritt Du thust ihn rasch, ehe sich der Zorn in dir
zum Frieden thust.
oder deinem Widersacher festsetzt; im Anfang läßt sich der böse Geist
leicht verscheuchen, später wird die Versöhnung immer schwerer; und wenn solche Friedfertigkeit mit einer Demüthigung verbunden ist, so
wirst du in solcher Demüthigung wahrhaft groß.
Findet aber deine
Friedensliebe bei deinem Widersacher keine Antwort, so schließe doch in dir mit ihm Frieden,
Feinde
spenden,
zu
und halte den Frieden bereit,
sobald
er zu dir
kommt.
deinem
Schließe
dann
ganz Frieden, halte den Haß nicht in einem dunkeln Winkel deines Herzens verborgen wie ein unrechtmäßiges Gut, an dessen Besitz du dich im Stillen ergötzest.
Laß auch Alles begraben sein, daß es
wirklich todt ist und nicht wieder aufersteht.
Nur Ein Gut giebt
es, das mit dem Frieden gleichen Werth hat und deshalb um des Friedens willen nicht aufgegeben werden darf, das ist dein Gewissen, deine heiligste Ueberzeugung.
Sünde.
Um diesen Preis Frieden schließen, ist
Aber liegt denn in der Verschiedenheit von Ueberzeugungen,
religiösen, politischen, socialen Ueberzeugungen, die zwingende Noth
wendigkeit
ja
zum Streit?
Freunde
sein,
auch
Können nicht Menschen
bei
verschiedenen
einander achten,
Ueberzeugungen,
ohne
214
Die Friedfertigen.
daß der Eine vom Anderen das Aufgeben der Ueberzeugung ver langt? Friedfertige aber halten nicht nur Frieden, sondern sie bringen auch Frieden. Das ist der eigentliche Sinn des Wortes, welches Luther mit „friedfertig" übersetzt. Der Gott des Friedens, der in der Stille wohnt, will, daß auf Erden Friede sei. Aber er hat den Menschen in Freiheit geschaffen, daher unendliche Verschiedenheit unter den Menschen, Gegensätze, Leidenschaften, Härten und Ein seitigkeiten. Durch die Kämpfe, die daraus entstehen, soll der Mensch zum Frieden hindurchdringen, daß der Friede auf Erden nicht etwas Erzwungenes ist, sondern etwas frei Gewordenes. Deshalb sendet der Gott des Friedens Menschen aus, daß sie der Welt den Frieden bringen, ihn vom Himmel zur Erde herabbringen und als Gottes Mitarbeiter das Reich des Friedens bauen. Sie sind im eigentlichen Sinn die Friedfertigen, die, von denen der Prophet sagt: „Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Boten, die den Frieden verkündigen." Ihr kennt den König dieses herrlichen Volkes der Fried
fertigen. Er war niedrig und arm und dennoch der Friedefürst. Er hat die Scheidewand zwischen Gott und den Menschen nieder gerissen und die Scheidewand zwischen dem Menschen und dem Menschen. Wie durch ihn Alle zu ihrem Vater gelangen, so kommen durch ihn Alle als Brüder und Schwestern zusammen. Sein Kreuz ist das Friedenszeichen, vor dem die empörten Wogen der Weltgeschichte sich immer wieder legen und das der Menschheit trotz allen Kriegen und trotz allem Streit immer wieder verheißt: „Es ist noch eine Ruh vorhanden dem Volke Gottes." Er ist der König der Friedfertigen. In seinem Namen sind die Apostel ausgezogen, um Juden und Heiden, Römer und Griechen zu Einem Leib in Christo zu verbinden, ein Paulus, der hinausruft in die Welt: „Hier ist
nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Knecht noch Freier;
denn sie sind allzumal Einer in Christo," ein Johannes, der predigt: „Habt euch lieb," ein Petrus, der die Christen
ein Priestervolk nennt. Zu diesen Friedfertigen gehören auch die Nachfolger dieser Apostel, die Heidenboten, welche draußen in der Heidenwelt, wo die Menschen nach Frieden suchen und ein
215
Die Friedfertigen.
Recht
auf diesen Frieden haben, den Frieden Jesu Christi ver
kündigen. Aber es giebt solche Friedfertige, solche Friedensboten mitten in der heutigen Welt, Kinder der heutigen Zeit.
In so manchem
Hause, in welchem oft die Charaktere in heftigem Gegensatz auf einander stoßen,
giebt es
solch einen Friedensstifter, der es immer wieder
versteht, die Getrennten zu versöhnen, der zu reden versteht, wo Rede nöthig ist, und zu schweigen versteht, wo Schweigen nöthig ist, und
mit sicherem Takt des Herzens immer das rechte Wort findet und die rechte Art.
sondern
auch
Und er versteht nicht nur Streitende zu versöhnen, Bekümmerte
aufzurichten und
mit seinem
schlichten
Von solchen Menschen geht, auch wenn sie
Worte Wunder zu thun.
nicht ausdrücklich zum Frieden reden, ein Hauch des Friedens aus,
daß, wo sie eintreten, kleinlicher Streit verstummen muß. solche Friedensboten,
die
selbst nichts davon wissen,
Es giebt
ein Freund,
der durch sein Erscheinen zwischen zwei Streitenden Frieden bringt, oder ein Kind, das unbewußt zwischen seinen Eltern vermittelt, und
ihre Herzen
haben.
einander
nahe bringt,
die einander
nicht verstanden
Friedensboten sind die Reichen, welche ihre Standesgenossen
an die Pflichten des Wohlthuns und der Gerechtigkeit gegen die Friedensboten sind die Arbeiter,
Armen erinnern;
die durch ihr
ernstes ruhiges Wesen unter ihren Genossen den bösen Neid und die
wilden Leidenschaften bekämpfen.
Und von ihnen Allen heißt es:
Selig sind die Friedfertigen,
die Friedensboten, die Gott aussendet in die Welt.
2.
Arbeit und Lohn stehen nach Gottes Ordnung in innerem
Zusammenhang. Wesen
So muß das Erbtheil der Friedfertigen ihrem
entsprechen.
Sie
werden
Frieden
ernten,
sie
werden
Gottes Kinder heißen.
Je mehr man wachsen.
seine Kraft gebraucht,
um so mehr wird sie
Je mehr man den Menschen Frieden bringt, um
so reicher wird man selbst an Frieden werden.
Die Frie
densboten wachsen immer mehr hinein in das Reich des Friedens, das schon auf Erden unsichtbar gegenwärtig ist und werden seine Bürger.
Sie kommen dem Gott des Friedens immer näher, werden
ihm ähnlich, vertraut, verwandt, seine Kinder.
Je mehr sie Frieden
ausströmen lassen auf die Menschen, um so mehr läßt Gott von
216
Die Friedfertigen.
Oben seinen Frieden einströmen in ihre Seelen.
Sie werden Gottes
Kinder heißen. Das sehen wir vor Allem an Jesus. Wenn er am Tage den Menschen Frieden gebracht. Kranken geholfen. Traurige getröstet,
einen von Leidenschaften Gequälten zur Ruhe gebracht hat, so hat er am Abend, wenn er auf dem Berge in stiller Einsamkeit seine Seele Gott öffnete, um so reicheren Gottesstieden empfangen und die Seligkeit der Gotteskindschaft genossen. Der Gottesfriede, der sich in Gethsemane in seine ringende Seele senkte und am Kreuz die Schrecken des Todes von ihm fernhielt, ist das Ergebniß seiner Friedensarbeit auf Erden. Und als er am Kreuz sein Werk voll brachte und auf alle Zeit für die Menschen den Zugang zu dem Heiligthum des göttlichen Friedens aufthat, als er da einen Frieden geschaffen hat, so reich, daß alle Menschen bis an das Ende der Erde und bis an das Ende der Zeiten für alle Nöthe und Schmerzen daran genug haben, — ja als der Friedefürst hat er auch als Gottessohn seine Vollendung gefunden. Deshalb heißt er der Gottessohn, weil er den Frieden bringt; deshalb preisen die Menschen sich selig in seinem Namen, bringen ihm Ruhm und Ehre dar, des halb strahlt sein Name nicht in kaltem Glanze, sondern in warmem Licht, an welchem die Seelen der Menschen sich wärmen in dieser kalten Welt, deshalb, Weiler uns den Frieden gebracht. An ihm hat sich sein Wort im höchsten Sinn verwirklicht: Selig sind die Friedfertigen, denn sie sollen Gottes Kinder heißen. Als der
Friedefürst war er der Gottessohn. Wie aber einst vom Jesuskind gesagt worden ist: „Dieser soll ein Sohn des Allerhöchsten heißen", so heißt es von allen Fried fertigen: Sie sollen Gottes Kinder, oder eigentlich „Gottes Söhne" heißen. „Heißen", aber nicht in dem Sinn, als wäre das nur ein Name, ein Schall, ein Traum, eine Einbildung, sondern das ist
festeste Wirklichkeit. Diesem „Heißen" liegt ein Sein zu Grunde, und zwar das größeste Sein, das es giebt, nämlich die Vaterliebe
Gottes.
Die Sonne geht auf und unter; der Himmel verändert
sein Aussehn; aber die Vaterliebe Gottes steht ewig fest. Ehe du warst, war sie; und wenn die Spuren deiner Füße längst nicht mehr sein werden, wird sie sein von Ewigkeit zu Ewigkeit.
ihrer nur gewiß, dann bist du ein Kind Gottes.
Werde
Ein sicherer
Die Friedfertigen.
217
Weg nun, der zu dieser Gewißheit führt, ist das Friedebringen.
Siehst du Menschen, die dir vielleicht nahe stehn, im Streit, so biete deine ganze Kraft auf, deine Liebe zu ihnen wie deine Liebe zum Frieden, um sie zu versöhnen; rede zu ihnen von Gottes Liebe, die mit uns Allen Geduld haben muß, von Gottes Barmherzigkeit, die mit Langmuth unsere Sünde trägt. Je mehr du das thun wirst von ganzem Herzen, um so mehr wirst du das Erbtheil der Friedfertigeu empfangen, und in dir die Stimme Gottes vernehmen: „Du bist mein Kind." Lehre die Menschen vergeben, so wird deine Seele Flügel empfangen, sich im Glauben und Gebet zu Gott zu erheben, der auch dir deine Sünde vergiebt. Menschen, die im Stande sind, durch den Frieden ihres ganzen Wesens die Leiden schaften Anderer zu dämpfen, ihren Haß zu besänftigen, solche in sich ruhige und doch mächtige Menschen werden auch unter allen Angriffen der Welt, unter allen Schlägen des Geschicks den stillen Frieden der Kinder Gottes haben. Gott ist mit ihnen, seinen Mit
arbeitern. Bringt den Menschen Frieden, so wird Gott euch nicht ohne Frieden lassen. Seid den Menschen ein Halt, so wird Gott euch nicht ohne Halt lassen. Steht ihnen im Kampfe mit dem Ge schick bei, so wird Gott euch nicht untergehn lassen im Kampfe mit euerem Geschick. Die Friedfertigen müssen Gottes Kinder sein. Dem Heißen liegt ein Sein zu Grunde; das Sein aber muß
zum Heißen werden.
Die Friedfertigen sollen Gottes Kinder
heißen, vor den Menschen als solche offenbar werden. Der Edel stein soll nicht verborgen bleiben, das Licht nicht unter den Scheffel
gestellt werden, sondern leuchten. Das Friedebringen ist das untrügliche Merkmal der Kinder Gottes. Menschen, die Frieden bringen, erkennt an als Kinder Gottes, selbst wenn sie
andere Glaubensanschauungen haben als ihr.
Kinder des Friedens
sind immer Kinder Gottes. Menschen, welche die Leidenschaften im Volke schüren, können nicht Kinder Gottes sein. Denn sie ver
leugnen durch ihr Thun den Gott des Friedens, den sie ihren Vater nennen.
Ihr sollt Gottes Kinder heißen, als solche offenbar werden durch den versöhnenden Einfluß, den ihr auf die Menschen ausübt. Darin thun wir Alle zu wenig. Wir klagen über den vielen Streit in der Welt, und wir klagen die Streitenden an, aber wir thun zu
218
Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.
wenig, um den Streit zu schlichten.
Wir lieben den Frieden nur
als ein fernes, holdes Bild, das im Himmel ist; aber wir thun zu
wenig, um ihm eine Stätte zu bereiten auf Erden.
Mitleidig lassen
wir die Menschen in ihrer Verbitterung und Unruhe dahingehn; aber wir kümmern uns nicht um sie. Wir sind zufrieden, wenn
wir meinen, Gottes Kinder zu sein, und fragen, wie wir selig werden; aber wir fragen nicht danach, was aus anderen Menschen
wird. Diese geistliche Selbstsucht ist der Krebsschaden unserer heutigen Frömmigkeit. Brechet hervor und werdet als Kinder Gottes offenbar! Redet zu den Friedlosen von dem Frieden, den ihr bei Christus gefunden habt! Sagt den Fassungslosen, woran ihr euch haltet! Zeigt den Menschen das, was euch mächtig macht, und den, der euch mächtig macht! Ich weiß wohl, es besteht eine große Abneigung gegen religiöse Gespräche im gewöhnlicheu Leben. Man offenbart nicht gern sein heiligstes Empfinden. Aber seid ihr wirklich Gottes Kinder, so werdet ihr in solchem religiösen Gespräch so keusch, klar und wahrhaftig sein, daß das rechte Wort am rechten Ort gefunden wird und den rechten Ort findet, und die Menschen dadurch wirklich überzeugt werden, daß ihr Gott als eueren Vater gefunden habt, und erweckt werden, nun auch für sich Gott als ihren Vater zu suchen. Ihr sollt Gottes Kinder heißen! Wer Frieden hat, muß den Menschen Frieden bringen.
Und
je mehr er ihnen Frieden bringt, um so mehr wird er Frieden haben.
Selig sind die Friedfertigen; denn sie sollen Gottes Kinder heißen. Amen.
27.
Das Gleichniß vom verlorenen Sohn. 1.
Wie der Sohn das Vaterhaus verläßt.
Luc. 15, 11—16.
Und er sprach: Ein Mensch hatte zween Söhne; und
der jüngste unter ihnen sprach zum Baler:
Theil der Güter, das mir gehöret.
Gieb mir, Vater, das
Und er theilete ihnen das Gut.
Und nicht lange darnach sammelte der jüngste Sohn Alles zusammen, und zog ferne über Land; und daselbst brachte er sein Gut um mit
218
Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.
wenig, um den Streit zu schlichten.
Wir lieben den Frieden nur
als ein fernes, holdes Bild, das im Himmel ist; aber wir thun zu
wenig, um ihm eine Stätte zu bereiten auf Erden.
Mitleidig lassen
wir die Menschen in ihrer Verbitterung und Unruhe dahingehn; aber wir kümmern uns nicht um sie. Wir sind zufrieden, wenn
wir meinen, Gottes Kinder zu sein, und fragen, wie wir selig werden; aber wir fragen nicht danach, was aus anderen Menschen
wird. Diese geistliche Selbstsucht ist der Krebsschaden unserer heutigen Frömmigkeit. Brechet hervor und werdet als Kinder Gottes offenbar! Redet zu den Friedlosen von dem Frieden, den ihr bei Christus gefunden habt! Sagt den Fassungslosen, woran ihr euch haltet! Zeigt den Menschen das, was euch mächtig macht, und den, der euch mächtig macht! Ich weiß wohl, es besteht eine große Abneigung gegen religiöse Gespräche im gewöhnlicheu Leben. Man offenbart nicht gern sein heiligstes Empfinden. Aber seid ihr wirklich Gottes Kinder, so werdet ihr in solchem religiösen Gespräch so keusch, klar und wahrhaftig sein, daß das rechte Wort am rechten Ort gefunden wird und den rechten Ort findet, und die Menschen dadurch wirklich überzeugt werden, daß ihr Gott als eueren Vater gefunden habt, und erweckt werden, nun auch für sich Gott als ihren Vater zu suchen. Ihr sollt Gottes Kinder heißen! Wer Frieden hat, muß den Menschen Frieden bringen.
Und
je mehr er ihnen Frieden bringt, um so mehr wird er Frieden haben.
Selig sind die Friedfertigen; denn sie sollen Gottes Kinder heißen. Amen.
27.
Das Gleichniß vom verlorenen Sohn. 1.
Wie der Sohn das Vaterhaus verläßt.
Luc. 15, 11—16.
Und er sprach: Ein Mensch hatte zween Söhne; und
der jüngste unter ihnen sprach zum Baler:
Theil der Güter, das mir gehöret.
Gieb mir, Vater, das
Und er theilete ihnen das Gut.
Und nicht lange darnach sammelte der jüngste Sohn Alles zusammen, und zog ferne über Land; und daselbst brachte er sein Gut um mit
Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.
219
Praffen. Da er nun alles das Seine verzehret hatte, ward eine große Theurung durch dasselbige ganze Land, und er fing an zu darben; und ging hin und hängete sich an einen Bürger desselbigen Landes, der schickte ihn auf seinen Acker, die Säue zu hüten. Und er begehrete seinen Bauch zu füllen mit Trabern, die die Säue aßen; und Niemand gab sie ihm. dieses Gleichniß gehört zu den Theilen der heiligen Schrift, deren Inhalt sich niemals erschöpfen läßt, so viel auch darüber nach gedacht, gesprochen und geschrieben wird. So oft man wieder heran tritt, so bieten sich Einem immer wieder neue Seiten der Betrachtung dar. Es ist das innerste Wesen des Christenthums, das uns hier geschildert wird; die tiefsten Fragen der Religion werden beantwortet. Warum hat Gott dem Menschen die Freiheit gegeben? Warum be
nutzt der Eine diese Freiheit und zieht in die Welt, um dann nach verhängnißvollen Irrfahrten wieder heimzukehren in das Vaterhaus, während der Andere im Vaterhaus bleibt? Waruni steht der Sohn, der in der Fremde geweilt, dem Vater nun viel näher, als der Sohn, der dem Vater immer gedient? Warum läßt Gott den Menschen sündigen und fallen? Warum hat er das Sündigen nicht unmöglich gemacht? Wie verhalten sich zu einander göttliche Gnade
nnd menschliche Freiheit?
Diese und noch viele andere Fragen
werden hier beantwortet. Sie, über welche die Gelehrten streiten, über welche Bücher geschrieben werden, sind hier beantwortet in
einer Erzählung, die so schlicht, so lebendig, so anschaulich ist, als wäre sie nur für Kinder erzählt. Es ist die Geschichte des Menschengeschlechts, welche uns hier beschrieben wird; nicht die äußere, sondern die innere, wie die Menschenwelt sich losreißt von der Gemeinschaft mit Gott, wie sie hungernd und dürstend durch Wüsten wandert, bis sie Gott wiederfindet. Es ist die ewige Ge schichte des Menschenherzens, das sich verliert und wiederfindet.
Wir treten ein in das innerste Heiligthum des Evangeliums Jesu.
„Ziehe deine Schuhe von den Füßen: denn der Ort, darauf
du stehst, ist heiliges Land." Komm, du Menschenseele, siehe hier deine Wege, die Gott so wunderbar bestimmt hat!
Aber wir können nicht den ganzen Inhalt des Gleichnisses in einer Betrachtung erschöpfen. Wir wollen vielmehr das Gleichniß auf drei Betrachtungen vertheilen.
Heute laßt uns sehen:
220
Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.
Wie der Sohn das Vaterhaus verläßt.
1. Warum zieht er fort? 3. 1. Es kann ein Elternhaus verläßt. versuche dich in der ihn fortziehn?
2. Warum läßt der Vater
Was erlebt der Sohn in der Fremde? feierlicher Augenblick sein, wenn ein Sohn das Die Eltern selbst sagen zu ihm: „Gehe hin, Welt, siehe dich um, sammle Erfahrungen,
erweitere deinen Gesichtskreis. Lerne in der Fremde die Heimath verstehn und schätzen." Da ist für den Sohn die Welt und die Freiheit in der Welt eine Gelegenheit, seine Kraft zu entfalten, zu lernen und innerlich zu wachsen. Und wie die Gedanken des Sohnes, so offen auch seine Augen sind für alles Neue in der Welt, doch immer wieder nach der Heimath ziehen, so fühlt er sich begleitet von den Wünschen der Seinen daheim. Wenn ein Sohn zu solcher Wanderschaft Abschied nimmt, da sind die Herzen bewegt, wohl auch von einer gewissen Wehmuth, vor Allem aber doch von freudiger Hoffnung. Ganz anders ist der Abschied, der uns hier geschildert wird. In gedrückter Stimmung hat man der Stunde der Trennung entgegen gesehen. Die Hausbewohner weichen einander mit ihren Blicken aus. Es liegt wie ein Alp auf dem Hause. Nicht haben die Eltern ge
sagt: „Ziehe hin, mein Sohn, Gott sei mit dir auf dem Wege." Sondern trotzig hat der Sohn sein Erbtheil und seine Freiheit ver langt.
Schweigend hat er dann die Vorbereitungen zur Abreise
getroffen.
Nun haben Alle das Gefühl, daß sich ein Glied loslöst
von der häuslichen Gemeinschaft. Und er selbst, der hinauszieht, sücht möglichst schnell aus dem Bannkreis des Elternhauses zu kommen. Das Gefühl, so viel Liebe und Segen von sich gestoßen zu haben, treibt ihn zur Eile und flüstert ihm immer zu: was hinter dir liegt."
„Vergiß,
Deuten wir nun das Gleichniß, so ist zweifellos die Welt das Vaterhaus. In ihm sind wir Kinder. All der Segen, mit
welchem Gott das große Haus gefüllt hat, ist für uns Menschen. Für dich fließen die Quellen der Erde, haben die Berge ihre Schätze, schmückt sich die Erde mit ihrer Schönheit, erfüllen die Vögel mit ihrem Gesang die Lüfte; für dich ist die Ernte der Felder, das Reich der Kunst mit seinen unmuthigen Schöpfungen, das Reich der Töne mit seinem Wohlklang.
Alles ist für dich, du Mensch.
Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.
hat:
221
Siehe weiter, was dir der Vater für innere Gaben verliehn Den sinnenden Geist, der in dem Zusammenhang der Dinge,
der Ursachen und Wirkungen, im Gang der Geschichte Gottes Wege
und Gedanken sieht; das Gefühl mit der endlosen Tonleiter der Empfindungen für Freude und Leid, für Schönes und Häßliches; die Phantasie, mit welcher du Leben hineinträgst in die leblose Welt; den Willen, der dein Leben innerlich treibt und dein Handeln nach festen Grundsätzen bestimmt.
Und noch Größeres hat dir der Vater im Vaterhaus gegeben, ein großes Erbe. Wie so manchmal ein kleines Erbe, das ein Vater seinem Sohn hinterläßt, sauer erarbeitet ist, so ist auch das große Erbe, das wir als Kinder Gottes haben, sauer erarbeitet. Welch eine Geschichte schwerer Arbeit und großer Schmerzen ist die Geschichte der Offenbarung der Gedanken Gottes auf Erden, die Leiden, die Verfolgungen, welche die Propheten haben erdulden müssen, die Lebensgeschichte unseres Erlösers, seine schwere Leidens last, sein bitterer Todeskelch. Durch den Glauben an ihn sind wir erst rechte Kinder int Vaterhaus. Nun haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesum Christum. Nun haben wir auf Erden die Liebe, die uns beherrscht als ein neues Gesetz, uns verbindet als ein Band der Vollkommenheit, das freundliche Evangelium, diese un
erschöpfliche Quelle des Muthes und der Zuversicht, der Gewißheit des ewigen Lebens, die uns als ein stilles Licht leuchtet bis zur letzten Stunde, und uns, wenn die Hülle des Leibes bricht, hinüber leuchtet. Wir Haben einen Gott, der da hilft, einen Erlöser, der da bei uns sein will alle Tage bis an der Welt Ende, einen Frieden, der uns nicht genommen werden soll, eine Freude, die nie versiegen
soll.
Wie reich sind wir im Vaterhaus! Das Alles sollen wir verwerthen und genießen im Vaterhaus,
unter den Augen Gottes, nach Gottes Ordnung und Willen. Damit sollen wir unser Heil schaffen, den Menschen dienen, zur Ehre Gottes leben, an seinem Reiche bauen. Das ist das Pfund,
mit dem wir wuchern sollen im Dienste Gottes. Aber der Mensch will alles das nach eigenem Gutdünken gebrauchen. Er begehrt mit seinem Erbe zu schalten und zu walten,
wie er will.
Er zieht nicht räumlich weg vom Vaterhaus.
Denn
Das Gleichnis; vom verlorenen Sohn.
222
wie wäre das möglich?
Aber
der Mensch macht sein Herz von
Gottes Willen, von Gottes Autorität los.
Es ist der alte Ruf, den
wir schon in der Geschichte vom Paradies hören: vom Gebote
Gottes!
Mache dich los
Die Auflehnung gegen die Autorität,
der
Selbständigkeitsdrang ist nicht nur ein Zeichen unserer Tage, er ist
immer gewesen, so lange es Menschen giebt, die aus Fleisch und Geist zusammengesetzt sind und einen freien Willen haben. abzuwenden,
in verschiedenen Zeiten
Dagegen
sein Herz von Gvtt
kann die Art, wie ein Mensch dazu kommt,
verschieden
sein.
Der Eine
erzählt dir, er sei am Gottesglauben irre geworden, weil er an den Menschen, und gerade an solchen,
welche ihm
allzu schlimme Erfahrungen geinacht habe.
gläubig erschienen,
Der Andere ist dem
Gottesglauben entfremdet worden, weil ihm dieser in todten Formen
entgegengetreten ist.
Der Dritte ist durch entsittlichende Einflüsse
Gott entfremdet worden, so daß ihm jeder Gedanke an Gott, jede Wieder ein Anderer meinte
Begegnung mit Gott peinlich wurde.
den christlichen Glauben nicht in Einklang bringen zu können mit dem Wissen unserer Zeit.
Hier waren es die glänzenden Güter der
Erde, die dem Menschen den Blick nahmen für die Güter der inneren Welt; dort war es eine wilde Leidenschaft, die ihn wegtrieb von
dem heiligen Boden der Gebote Gottes.
Es ruft in dem Menschen:
Nur fort aus der Enge, aus den beschränkten Anschauungen einer vergangenen Zeit hinein in die neuen Anschauungen geschrittenen Zeit!
einer
fort?
Nur los von den Sitten der Väter, der alten
Einfachheit und Schlichtheit, der alten Rechtschaffenheit und Gerad
heit; denn man muß doch der neuen Zeit Rechnung tragen.
Da
lösen sich die Bande der Ehe, es löst sich das Band, das Kinder
an Eltern knüpft, und wo das Elternhaus nicht mehr heilig ist, da ist
auch das Vaterland
nicht mehr
heilig.
Es erwacht in dem
Menschen der Trotz, der sich, von Allem losmacht, weil es Andern
heilig ist, der Trotz, der den Menschen, der Gott widersprechen
will.
Ja, die Abwendung des Herzens von Gott,
die tiefste
Ursache solcher Umwandlung
im
Menschen.
das ist Wo ein
Mensch sich wirklich von Gott abgewendet hat, da verlieren die Gebote Gottes ihre göttliche Majestät und Autorität; da flieht alles
Heilige aus dem Leben, und es ist ein Jammer, wie von dem
Menschen jenes reiche Erbe sittlicher und religiöser Güter, das er
223
Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.
im Vaterhaus von Gott empfangen, in kurzer Zeit vergeudet wird. — So verläßt der Sohn das Vaterhaus.
Warum aber läßt ihn der Vater ziehen? — Kraft
2.
seiner väterlichen Gewalt hätte er ihn vielleicht von der Verwirk
Dadurch hätte
lichung seines Freiheitstraumes zurückhalten können.
er ihn behüten können vor all den schlimmen Erfahrungen in der
fremden Gründen.
Welt.
hat
Er
es
nicht
gethan,
und
zwar
aus guten
Denn hätte er es gethan, so wäre der Sohn nur wider
willig geblieben, hätte widerwillig dem Vater gedient, hätte nur
mürrisch, verdrossen seine Arbeit gethan und diese Arbeit als ein
Joch getragen; er hätte nur darauf gesehn, nach Außen seine Pflicht
zu erfüllen, gleichgültig, ob sein Herz dabei wäre. in ihm allmählich
Erstorben wäre
die Liebe zum Vater und zum Vaterhaus,
es
wäre ihm erschienen als ein Knechtshaus und der Vater als ein
Aufseher, kurz er hätte aufgehört, nach seiner Gesinnung ein Sohn zu sein, er wäre zum Knecht herabgesunken.
Noch viel mehr als zur Zeit unserer Väter ist es heutzutage Sitte, daß ein Sohn, wenn er ein bestimmtes Alter erreicht hat, von den Eltern hinausgeschickt wird in die Welt.
Hielten Eltern
ihren Sohn ängstlich zu Hause, so lange sie leben, entließen sie ihn
nie aus dem engen Kreis elterlicher Aufsicht, bestimmten sie für ihn jeden Schritt, jede Arbeit,
auch jedes Vergnügen,
so würde der
Sohn unselbständig bleiben, sein Gesichtskreis beschränkt, seine Kräfte würden nie zur rechten Entfaltung kommen; es bildete sich bei ihm
im besten Fall ein dumpfer Gehorsam, der gewöhnt ist, immer strenge Befehle zu hören, aber unfähig ist, aus eigenem Entschluß etwas zu thun.
Der Sohn wäre ein Knecht, und wenn die Eltern
die Augen schlössen, würde er ein Knecht bleiben,- unselbständig sein Leben
lang.
Lassen sie ihn aber zu seiner Zeit hinausziehen, so
wissen sie zwar recht gut, daß er Gefahren und Versuchungen ent gegengeht; sie müssen auch mit der Möglichkeit rechnen, daß er sich in der Freiheit verirrt.
Aber dieser Gefahr steht die Aussicht gegen
über, daß er sich durchkämpft, auch die Sünde mit ihren Gefahren und ihren Schrecken
kennen
lernt,
sich aber hindurcharbeitet zur
Herrschaft über die Sünde, zur wahren Freiheit eines in Gott ge festigten Charakters, und dann dem Zuge seines Herzens folgend in das Elternhaus zurückkehrt.
Welch ein Festtag, wenn er dann heim-
Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.
224
kehrt, die Wangen gebräunt von der scharfen Luft des Lebens, die breit geworden im Lebenskampf, der Arm
Brust
Muth tapfer,
ein Mensch,
der die Welt
stark und
der
kennt und sie zu über
winden weiß. Deshalb läßt uns Gott aus dem Vaterhaus in die Welt ziehn. Er bindet uns nicht an seine Gebote, d. h. er' zwingt uns nicht,
sie zu erfüllen.
Sondern er stellt sic vor uns hin, und mit ihnen
Segen und Fluch, Gutes und Böses, Heimath und Fremde.
Gott
hätte uns binden können an sein Gesetz, hätte es um uns her auf richten können wie unübersteigliche Mauern, er hätte uns so schaffen
können,
daß wir gar nicht sündigen,
Dann wäre
irren könnten.
wohl der ganze Jammer, den die Sünde in die Welt gebracht, den
Aber wir Menschen blieben dann immer
Menschen erspart geblieben.
Gottes Knechte, ohne Verständniß, ohne Empfänglichkeit für seine
beseligende
Gnade.
Gott will
uns
uns frei geschaffen. damit wir
aber nicht als seine Knechte
und Töchter.
sondern als seine Söhne
haben,
Darum hat er
Darum läßt er uns auch in die Welt ziehen,
die ganze Schwere
des Lebenskampfes und die ganze
Macht der Sünde erfahren und den Fluch der Schuld.
So hat
Gott auch die Sünde in seinem Heilsplan mit ausgenommen. sollen es an uns empfinden,
was es heißt,
Wir
von Gott geschieden
sein, damit in uns das freie Verlangen entstehe, mit ihm vereint zu Wir sollen uns umweht fühlen von dem kalten Hauch
sein.
des
geistlichen Todes, damit in uns die heilige Sehnsucht entstehe nach neuem, ewigem Leben.
Wir sollen das Elend der Fremde tragen,
damit wir erkennen, wie selig es ist, eine Heimath zu besitzen.
Auf
den Irrwegen in der Fremde muß sich in uns auflösen aller Stolz, alle starre Selbstgerechtigkeit, und in uns erwachen
die lebendige,
empfängliche Sehnsucht nach Gottes vergebender und heilender Gnade. Nur durch den Kampf mit der Sünde gehts zur Seligkeit,
durch die Fremde zur Heimath. Deshalb läßt Gott den Sohn ziehen.
horsam Glaube;
hätte
keinen
Werth;
ein
Ein erzwungener Ge
erzwungener Glaube
wäre
kein
eine erzwungene Liebe ist ein Widerspruch in sich selbst;
erzwungenes Gebet ist kein Gebet.
Alles Göttliche und Selige, das
wir empfangen sollen, kann uns nur zu Theil werden, wenn wir es
aus freiem Triebe nehmen.
Nur das ist gut, was aus dem freien
Das Gleichnis; vom verlorenen Sohn. Triebe unseres Herzens kommt.
225
Gott will uns nicht als mürrische
Knechte haben, sondern als seine freien Kinder. „Gott hat," so sagt Paulus,
Wie wunderbar sind Gottes Wege!
„Alles beschlossen unter den Unglauben, auf daß er sich Aller erbarme." 3.
Kehren
Wir
Gang
dem
mußten
des
Gleichnisses
vorauseilen.
wir zurück und sehen wir, wie es dem Sohn in der
Fremde ging. Wie ein süßes Gift strömte das Gefühl der Freiheit durch seine Adern.
„Er brachte sein Gut um mit Prassen."
Dazu hatte er zu verwenden,
verlangt, nicht um es nutzbringend
also sein Erbe
sondern um es zu vergeuden.
Er will leben wie ein König.
harte Joch der Arbeit wirft er von sich;
geherrscht und den Wohlstand
die im Vaterhaus
Das
mit der einfachen Sitte, daselbst gemehrt
Auch sie rechnet er mit zu den alten Vor
hatte, hat er gebrochen.
urtheilen, die man aufgeben müsse. Laßt uns nicht lange dabei verweilen, wie diese Geschichte im
wörtlichsten Sinne Mensch, Erbe
hat
er
vergeudet.
schuldig. Dingen,
auch heute geschieht.
sich
Dieser
sein geistiges
Verschwendung machen wir uns
vergeuden die
Wir
Seht vielmehr, wie der
einmal von Gott losgerissen,
Alle
oft mit nichtigen
kostbare Zeit so
anstatt ihr durch Glaube und Liebe und tüchtige Arbeit
einen rechten Inhalt zu geben, welcher sie an die Ewigkeit knüpft.
Wir vergeuden das göttliche Ebenbild in uns, indem wir es trüben
lassen durch arge Gedanken, die wir ungehindert durch unsere Seele ziehen lassen.
Wir vergeuden die edlen Gottesgaben, die uns dar
geboten worden in Natur und Leben, indem wir so oft müde und
übersätügt unsere Augen verschließen, so daß wir sie nicht erkennen.
Wie viel Freude, wie viel Glück lassen wir an uns vorüberziehen, ohne es zu schmecken!
Wir vergeuden die inneren Gaben, die Gott
uns gegeben hat, schwächen selbst unseren Willen dadurch, daß wir
die Sünde über ihn herrschen lassen,
vergiften
unsere Phantasie,
lassen unser Gefühl in Staub und Schmutz sinken.
Wir vergeuden
die Güter, die Gott uns in Christo spendet, haben Zeiten, wo vor
unseren Zweifeln unser Himmel für uns einstürzt und wir vergessen,
daß es für uns eine Vergebung, eine Versöhnung giebt. unseres Friedens versiegt. Kirmß, Predigten.
Der Quell
O Mensch, wie reich bist du und wie
15
226
Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.
arm kannst du werden durch deine eigene Schuld!
Wie vergeudest
du das Erbe deines himmlischen Vaters!
Aus dieser Vergeudung aber entsteht die Theuerung. Verschwender muß in der Theuerung schmachten.
Sonst wird ein Mensch, je
bare Fluch, der auf der Sünde ruht.
eifriger er seinem Herrn dient, Hier ist es ganz anders.
Der
Das ist der furcht
von diesem um so reicher belohnt.
Je mehr der Mensch der Sünde dient,
um so schrecklicher wird seiu Lohn,
um so enger ziehen sich ihre
Fesseln zusammen, um so bitterer wird ihr Trank, um so dunkler ihr Reich. — Ja,
die Genüsse, welche die Sünde den Menschen
darbietet, scheinen unerschöpflich. erschöpft.
Und schließlich sind sie so bald
Wie bald schwindet die Genußfähigkeit, wie bald wird
der Reiz abgestumpft, wie bald sieht der Mensch mit müden, trüben
Augen alle die Giftblumen der Welt an!
Und nun sucht und sucht
der Sklave der Sünde in der Welt, unruhig läßt er
die Augen
umherschweifen, er sucht und sucht nach Neuem, das den brennenden Durst seiner Genußsucht stillen könnte.
Aber die Welt ist für ihn
leer geworden, sie ist für ihn arm geworden; ihre Quellen sind ver siegt, ihr Gras ist verdorrt, ihre Fruchtbäume sind verwelkt, ihre Schönheit ist verblaßt, und alles das, weil sein Herz leer geworden ist, weil er die Güter, die Gott in sein Herz gelegt hatte, vergeudet
hat.
Sein Herz ist leer, die Welt ist leer, das ist die Theuerung,
die brennende Sehnsucht nach einem neuen Genuß, irgend einer Lust, einer Begierde, nach irgend etwas, das einen Reiz brächte dem über
reizten Menschen.
Die Seele schreit wie ein Thier, das an eine
Kette gelegt vom Hunger gepeinigt wird.
Und nun kommt die Erniedrigung:
Bürger desselbigen Landes."
„Er hing sich an einen
Der früher so hochmüthig herabgesehen
hatte auf die Menschen unter ihm, dem Niemand zum Umgang gut
genug gewesen war, er hängt sich an einen Fremden, drängt sich
ihm auf, bis
dieser ihn aus Erbarmen auf das Feld schickt zum
niedrigsten Dienst.
Hier sehen wir zweierlei.
Einmal: Er ist allein,
klopft vergeblich bei den Menschen an, daß sie ihm helfen möchten. Wohl könnten die Guten ihm Gutes thun; aber seine Seele ist so gesunken, daß sie es nicht verstehen würde.
Wenn ihm in einem
Menschen Tugend und Seelengröße entgegentritt, hat er nur ein
höhnisches Lachen.
Und in der Gesellschaft der Schlechten,
die
Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.
227
ihm wohl offen stünde, sieht er sein eigenes Bild und es erfaßt ihn da ein Ekel vor sich selbst. Er ist allein. Und dann: Er ist ein Sklave. Der sich geweigert, dem großen Gott, seinem Vater im reichen Vaterhaus Unterthan zu sein, wird der Menschen Sklave.
Er läßt sich von ihnen, weil er die Achtung vor sich selbst verloren hat, zum Spielball ihrer Launen, zum Gegenstand ihres Spottes machen. Er verspottet sich selbst mit den Spöttern, die ihn ver spotten. Weil er sich selbst verachtet, macht er sich nichts daraus, daß die Menschen ihn verachten. Er sinkt herab auf die Stufe der Thiere. Er will sich nähren mit der Nahrung der Thiere, und Niemand giebt sie ihm. Denn die Welt hat ihm Alles gegeben, was sie zu geben hat, alles Gift, alles Verderben. Sie hat ihm nun nichts mehr zu geben. „Niemand gab sie ihm." Ganz unverhüllt schildert uns Jesus das Verderben der Sünde. Das ist die Schule, durch welche Gott die Menschen führt, nicht nur Einzelne, sondern Alle; denn etwas von diesem traurigen Loos des Sünders erlebt Jeder an sich, der Eine mehr, der Andere weniger. So muß der Mensch Alles verlieren, was Menschen schmückt, was Menschen ziert. Der letzte Strahl des göttlichen Eben bildes in seiner Seele scheint verloschen. In dieser Tiefe des Elends entsteht die Sehnsucht nach der Heimath. Damit laßt uns heute schließen: Auch für den verlorenen Sohn giebt es noch ein Vater haus und einen Weg, der dahin führt, und eine Thür, die dort
offen steht, und einen Vater, der den Verirrten auch auf seinen fernsten Irrwegen nicht aus den Augen gelassen hat. Wenn die Nacht am dunkelsten ist, da erwacht der Glaube an den Morgen, an die Heimkehr.
Amen.
Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.
228
28.
Das Gleichniß vom verlorenen Sohn. 2.
Die Heimkehr ins Vaterhaus.
Luc. 1.5, 17—21.
Wie viele Tage
Da schlug er in sich und sprach:
löhner hat mein Vater, die Brod die Fülle haben, und ich verderbe im Hunger.
Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen
und zu ihm sagen:
Vater, ich habe gesündiget in den Himmel und
werth,
daß ich dein Sohn
heiße; mache mich als einen deiner Tagelöhner.
Und er machte sich
vor
dir,
und
bin hinfort nicht mehr
auf und kam zu seinem Vater.
Da er aber noch ferne von dannen
war, sahe ihn sein Vater und jammerte ihn, lief und fiel ihm um
seinen Hals und küssete ihn.
Der Sohn aber sprach zu ihm:
Vater,
ich habe gesündiget in den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr werth, daß ich dein Sohn heiße.
Ein Sterbender kämpfte den letzten Kampf. worrene Erinnerungen und er sprach sic
aus
Allerhand ver
aus seinem Leben zogen durch seine Seele in abgerissenen Worten.
In
allen
diesen
Phantasien kehrten zwei Gedanken immer wieder, nämlich die Heimath und Gott.
Er sprach von seiner Heimath, von den Menschen,
die ihn dort umgeben hatten, von den Bergen, den Bäumen und Häusern,
deren Bilder sich unauslöschlich
ein
seiner Erinnerung
geprägt hatten, und er sprach von Gott, der ihn geführt und der
ihn bald
aufnehmen werde.
In
Beides gehört auch zusammen.
unserer Heimath, in ihrer Liebe, die uns pflegte, in ihrem Frieden, der uns umwehte, tritt Gott zuerst dem Menschen entgegen, und eine neue ewige Heimath, die höher ist als diese irdische, wie der Himmel
höher ist als die Erde, finden wir in Gott. In der Geschichte vom verlorenen Sohn, deren zweiten Theil
wir heute betrachten, ist Beides Eins, die Heimath und Gott.
Denn
die Heimath, welcher der verlorene Sohn zustrebt, ist eben nichts Anderes, als Gott. So betrachten wir heute mit einander:
Die Heimkehr des
Menschen zum Vaterhaus, oder die Heimkehr zu Gott.
Zweierlei sehen wir da:
Wie in dem verlorenen Sohn der
Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.
229
Entschluß zur Heimkehr entsteht, und wie er diesen Ent schluß ausführt.
1.
Das Geschick des verlorenen Sohnes ist schwer, aber es ist Mancher Mensch wird noch schwerer ge
noch nicht das schwerste.
straft.
Er
verliert
inneren Elends
unter
der
allen Muth,
schweren
des
Last
alle Hoffnung
äußeren
und
auf ein neues Leben,
alles persönliche Ehrgefühl, sein Gewissen stumpft sich ab, er gewöhnt sich an die Sklaverei des Lasters, an das Leben auf der Stufe der
Thiere, wie das Thier sich an das Joch gewöhnt, unter das man seinen Nacken gewöhnt.
gebeugt
hat, wie
der Vogel
sich an seinen Käfig
Er wehrt sich gar nicht mehr gegen Sünde und Schande.
Er lacht über sich selbst.
Alle Tugend, Gerechtigkeit und Reinheit
ist ihm nur Schein, Lüge und Heuchelei. seinen Augen Wirklichkeit.
Nur das Schlechte ist in
Nur Einen Weg giebt es für ihn, den,
der abwärts führt ins Verderben.
Dieses innere Versinken, dieses
Schlechtwerden ist die schwerste Strafe, die auf der Sünde ruht.
Der verlorene Sohn geht einen anderen Weg.
Alles verloren.
Zwar hat er
Sein Freiheitsdrang hat ihn jammervoll betrogen.
Sein Trotz ist gebrochen.
Sein Stolz,
dem das Loos zu Hause
nicht gut genug war, die Härte des Herzens, die ihn die Liebe im Elternhause nicht empfinden
ließ — das ganze
Selbstbetruges ist zusammengebrochen.
grpße Werk des
Er ist ein Bettler geworden.
Aber er hat doch noch etwas in sich, das mehr werth ist als Alles, was er verloren hat.
In ihm ist noch ein Heiligthum, in welchem
er selbst wohnt, sein wahres Selbst, „der verborgene Mensch des
Herzens", wie die heilige Schrift sagt, der ohne das Gute, der ohne Licht, Wahrheit und Freiheit nicht leben kann, der deshalb, auch wenn der äußere Mensch sich betäubt in Lust und Laster, nicht auf hört zu schreien nach dem lebendigen Gott und nach neuem Leben. Wenn Alles im Menschen steiniger Acker ist, hier ist noch ein kleines Stück fruchtbarer Erde; wenn Alles im Menschen krank ist, hier ist
noch eine gesunde Stelle, von der die Genesung sich ausbreiten kann; wenn Alles dunkel ist, hier ist ein Lichtpunkt.
Hier ist der Punkt,
an welchem sich eine Wendung des inneren Lebens vollziehen kann.
So wird es uns verständlich, wenn es im Evangelium heißt: „Da schlug er in sich", eigentlich:
der richtige Weg: zu sich kommen.
Er kam zu sich.
Das ist
Du bist mit deinen Gedanken
230
Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.
soviel außer dir.
Wenn es dir schlecht geht, schiebst du die Schuld
auf die Welt um dich her, schiltst aus die Menschen, aus die Ver
hältnisse, auf Staat und Gesellschaft, die böse Zeit, und es sammelt
sich so in dir eine Fülle von Bitterkeit gegen die Menschen, von stillen und lauten Anklagen gegen sie.
Unglückes außer dir.
Du suchst die Ursache deines
Denn du lebst so viel außer dir.
Bald läßt
dich deine Leidenschaft, deine Genußsucht lustwandeln unter den Gift
bäumen im Garten der Welt und der betäubende Geruch nimmt dir die Selbstbeherrschung und die klare Besinnung,
bald locken dich
wieder die Wahngebilde, die dir deine ruhelose Phantasie vorspiegelt von einer glücklichen Zukunft, wie das Irrlicht den Wanderer ver
führt, bald wieder lassen dich schlimme Neigungen Gott und Ge
wissen, Familie und Zukunft vergessen. selbst.
Du lebst so viel außer dir
Deshalb bist du so unzufrieden und murrst und machst Vor
würfe und klagst an.
So komme denn zu dir selbst!
„Der ver
borgene Mensch des Herzens" in dir sagt: „Du schmückest den äußeren
Menschen, mich aber hast du vergessen; du hast den äußeren Menschen
gesättigt, mich hast du hungern lassen; den äußeren Menschen hast du in zügellose Freiheit geführt, mich hast du in elender Sklaverei gelassen."
Komme zu dir selbst.
Deine Sünde ist dein Unglück.
Deine Untugenden scheiden dich von Gott.
Deine Gottentsremdung
ist das unruhige Uebel, welches dich erbittert gegen die Welt und die Menschen.
gesündigt.
mußt
Du trägst die Schuld an deinem Elend.
Du hast
Du hast die Heimath des Friedens verlassen; deshalb
du nun das Elend der Fremde tragen.
Weil
dunkel ist, deshalb erscheint dir die Welt so dunkel.
es
in
dir
Weil du dich
innerlich losgemacht hast von Gott, deshalb erscheinen dir alle deine
Schicksale, alle deine Verhältnisse so, als wäre dein Leben von Gott verlassen.
Bei dir mußt du anfangeu mit Anklagen und Richten
und Bessern.
Darum komme zu dir selbst!
Kaum aber ist der Sohn im Evangelium so in sich gegangen, da nehmen seine Gedanken alsbald Er denkt
an seine Heimath.
eine ganz bestimmte Richtung.
Als Gegenbild
zu dem quälenden
Mangel der Fremde erscheint ihm der Ueberfluß, von dem er einst
im Elternhause umgeben gewesen war. ordnung
Die Zerfahrenheit und Un
seines jetzigen Lebens, in welcher das Erbe des Eltern
hauses zu Grunde gegangen ist, erinnert ihn an die festgefügte klare
231
DaS Gleichniß vom verlorenen Sohn.
Ordnung,
welche in seinem Elternhause unter dem Regiment der
Arbeit und
der Gerechtigkeit
herrschte.
Er empfindet den schnei
denden Gegensatz zwischen seinem Leben einst und jetzt.
es einst,
als du noch
Wie war
heiliger Scheu Halt machtest vor den
mit
Schranken, die Gott aufgerichtet hat in seinem Gesetz?
Wie war es
einst, als du dich noch freutest an dem Verkehr mit guten Menschen,
als dich noch Liebe und Freundschaft beglückte, als du noch beten konntest und du noch nicht verzichtet hattest auf den Glauben als
auf das heilige Recht deiner Seele?
Richterstimmen klingen aus
den ftüheren Zeiten deines Lebens, aus der unschuldigen Kindheit,
aus deiner ftöhlichen kraftvollen Jugend, aus dem Glück, das du damals hattest, in deine Seele.
durch deine Schuld.
Das Alles hast du, du verloren
Aber diese Vergangenheit richtet dich nicht
nur, sondern sie lockt dich auch, sie zieht dich zu sich hin:
doch diese Vergangenheit in veränderter Form
werden!
Könnte
wieder Gegenwart
Es zieht den Sohn hin zum Vaterhaus.
Nun kommt der entscheidende Augenblick, der eigentliche Wende punkt im Leben des Menschen.
Er wird in unserem Gleichniß be
zeichnet mit dem Worte:
„Ich will mich aufmachen und zu
meinem Vater gehen."
Beachtet vor Allem das „Ich will."
Bisher hat der Sohn immer unter dem Muß gestanden, so, als er
im Vaterhaus war, als er dort arbeitete, als er den Trieben seines natürlichen Menschen
folgend
in die Fremde
ging,
als er
dort
ftemden Menschen diente und sich sehnte nach der Nahrung der Thiere.
Wie
aber nach der Nacht ein Morgen,
wie nach
dem
Winter ein Frühling, gleichsam eine neue Welt emporsteigt, so steigt in dem Menschen, wenn er aus tiefstem Herzen, mit ganzer Kraft sagt: „Ich will" eine neue Welt empor, die Welt der Freiheit, nicht der falschen Freiheit, die ihn in die Fremde lockte, sondern
der wahren Freiheit, welche spricht:
„Ich will aus der Knechtschaft
heraus." Wo ein Mensch dieses entscheidende Wort zu sich spricht: „Ich will," da ist eine heilige Stätte, da berührt die Ewigkeit die Erde. Sonst
waltet überall in der Welt die Nothwendigkeit, das eherne Ge setz, in dem fallenden Stein und in dem fließenden Wasser, in den
blühenden und verwelkenden Bäumen, überall eherne Nothwendigkeit,
unerbittliches Gesetz.
Aber mitten in dieser Welt der Nothwendigkeit
steht der Mensch, blickt auf sie herab und spricht:
„Ich bin mehr
Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.
232
als du, ich bin von Oben her, nicht Unterthan dein trägen Stoff der
Welt; ich will.
Ich bin stärker als die Leidenschaften und Triebe
in mir; ich will.
Ich bin kein Sklave, sondern ein freier Mensch.
Ich bin kein Atom, das willenlos in diesem Weltall umhergetrieben wird, sondern ich bin beseelt vom Odem Gottes; denn ich will. Ich will mich aufmachen.
Schwer ist es für das träge Fleisch,
sich loszumachen von der Gewohnheit, mit der das Leben verwachsen ist.
Aber ich will los, los von der Vergangenheit, und wenn sie
mich noch so festhält, von meiner Schuld, von meiner Sklaverei, zn der ich mich erniedrigt hatte, los von der Trägheit, der faulen Ge wohnheit, hinaus aus der unreinen Luft, die inich umgiebt.
will
mich
aufmachen.
Ich will zusammenraffen, was
Ich
gut in
mir ist, aufrufen die guten Geister meines Lebens, die einst meine
Kindheit und Jugend umschwebten.
Kommt, helft mir, ihr Guten,
die ihr einst schirmend mich begleitet habt und mit sanften Worten der Liebe mich auf rechter Straße geführt habt, die ihr für mich
gearbeitet, gebetet habt; kommt ihr, die ihr inzwischen heimgegangen seid zu euerem Gott, ihr seligen Geister, helft mir, richtet meine Seele auf!
Kommt, ihr großen Geister, die ihr einst auf hohen
Bahnen der Menschheit vorangegangen seid, ihre Schlachten geschlagen habt gegen Sünde
und Wahn,
kommt ihr Heiligen
Gottes, ihr
Propheten und Apostel, ihr starken Ueberwinder, komm, du mein
Heiland Jesus Christus, der du für mich gelitten und gesiegt hast,
kommt, helft mir:
Ich will los, empor, ich will mich ausmachen!
Wir Christen brauchen nicht zu fragen: Was willst du eigentlich
damit, daß du besser zu werden strebst? wenn du umkehrst?
für einen Zweck?
Wohin willst du eigentlich,
Was hat das Umkehren und das Besserwerden Wir wandern, wenn wir umkehren, nicht in eine
ziellose Ferne, sondern wir haben ein bestimmtes Ziel:
zu meinem Vater gehn.
Ich will
Seht doch, wie leicht es uns Jesns
macht, umzukehren, wenn er uns nicht schilt, nicht verdammt, nicht
allerlei einzelne Regeln zum Besserwerden giebt, sondern viclinehr einfach uns unseren Vater zeigt.
Du hast einen Vater, der dich
nicht verstoßen kann, zu dem dir immer die Zuflucht offen steht, auch wenn dir die ganze Welt verschlossen ist, von dem du aus
gegangen bist, zu dem du gehörst, bei dem du endlich Ruhe findest.
Wie leicht macht es uns Jesus, umzukehren!
233
Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.
Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen. 2. Wie führt nun der verlorene Sohn diesen Entschluß Es wird darüber zunächst wenig erzählt:
aus?
„Er machte sich
auf und kam zu seinem Vater." Reich war er ausgezogen, arm kehrt er wieder. noch einen Wanderstab, auf den er sich stützt.
Er hat nur
Sein Kleid ist arm
Des Nachts schläft er unter dem freien Himmel.
selig.
Er nährt
sich von den milden Gaben, welche die Mildthätigkeit der Menschen
dem armen Wanderer darreicht. Der Wind, der ihn umweht, die Wolken,
die mit ihm ziehen, sind seine einzigen Wandergenossen.
Auch sonst
sind die Jahre in der Fremde nicht spurlos an ihm vorübergegangen. In seinem einst jugendlich blühenden Antlitz haben sich Furchen ein
Die einst so stolze aufrechte Gestalt ist gebeugt.
gegraben.
Augen sind trübe geworden, der Blick unruhig.
Anderer heim, auch innerlich. unerfahrenen Knaben
Was hat er Alles erlebt!
ist ein Mann geworden.
Die
Er kommt als ein Aus dem
Von dem Blühen
und Verwelken menschlichen Glücks, von menschlichem Irren und Büßen, von Schuld und Sühne hat er nicht in geschriebenen Büchern gelesen, sondern unter Thränen in dem Buch seines eigenen Lebens. Er hat das nicht umsonst erlebt.
Wie aus dem Sumpfboden die
schönsten Blumen wachsen, so aus dem Irren des Menschen große, heilige Entschlüsse.
Früher,
von dem Augenblick ab,
da er das Vaterhaus
ver
lassen, ist ihm der Gedanke daran peinlich gewesen, und er ist ihm
aus dem Wege gegangen. nur dorthin gerichtet.
vorauseilenden Gedanken.
hinter dem Berge Manne
liegt
schmerzen nach
Jetzt sind seine Augen, seine Gedanken
So sehr seine Füße eilen, schneller sind die Dort, am Horizont, in jener Richtung die Heimath.
der
Dem sonst so verwöhnten
langen Wanderung
die
Füße nicht.
Seine Kräfte wachsen, je näher er der Heimath kommt, als strömten ihm Kräfte aus der Heimath entgegen.
Nichts hält ihn auf, kein
schattiger Ruheplatz, kein Hinderniß, kein steiler Weg.
Der ganze
Mensch geht auf in dem Streben nach vorwärts.
So geht es dir, wenn du dich von deiner Sünde wegwendest zu Gott.
Dann wirst du es erleben, wie es dich immer mächtiger
hinzieht zu ihm, stärker wird.
dein Glaube immer fr ästiger,
dein Gebet immer
Je näher deine Seele schon auf Erden den ewigen
234
DaS Gleichniß vom verlorenen Sohn.
Gütern kommt, die Gott im Vaterhaus für uns geborgen hat, Ge
rechtigkeit, Friede und Freude, um so größer ist die Anziehungs
kraft, welche sie auf dich fallenden Steines
sich
ausüben.
Wie
die Schnelligkeit
steigert, je näher er der Erde kommt,
des so
steigert sich der Drang der Seele zu allem Göttlichen hin, je näher
sie Gott kommt.
Je mehr der Bergsteiger
sich dem letzten Gipfel
des Berges nähert, um so mehr belebt der Eifer, das Ziel zu
erreichen,
die müden Glieder,
um so öfter suchen die Augen das
hohe Ziel, um endlich in der weiten Rundsicht den Lohn zu ernten.
Wie das Ziel den Wanderer emporzieht, so zieht Gott den Menschen, der sich einmal ihm zugewendet hat, zu sich, wie der Pol den Magnet.
Da erfüllt sich's:
„Siehe, ich habe dich je und je geliebt;
darum
habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte." Jetzt kommt
der Sohn
dem
Elternhause nahe.
alten Bäumen taucht der wohlbekannte Giebel auf.
Hinter den
Hier die Stätten,
wo der Knabe einst gespielt, die Wege, die er Schritt für Schritt
kennt.
Das Vaterhaus ist das alte geblieben, ein Bild dafür, daß
es eine Treue giebt, die unwandelbar bleibt, auch wenn das Ge
schlecht der Menschen
noch so wankelmüthig ist.
sieht nichts von aller Schönheit der Heimath.
sein Auge:
Aber der Sohn
Nur Eines fesselt
Dort vor dem Hause steht sein Vater.
Tag für Tag,
seitdem der Sohn ihn verlassen, ist er eine Strecke des Weges ge gangen, den der Sohn gezogen, und hat die Hand über die Augen gehalten und hat ausgeschaut in die Ferne, ob der Verirrte nicht
heimkehre.
Können, wir die unermeßlich selige Wahrheit fassen, die
in diesem Gleichniß liegt:
Droben in der Ewigkeit wohnt
eine
ewige Liebe, die kein verirrtes Menschenkind vergißt, es mit ihren Augen begleitet im Gewühl der Straße, auf nächtlichem Pfad, in
Noth und Elend, in Einsamkeit und Verlassenheit, in fernen Ländern, am Strand des äußersten Meeres, wenn kein Mensch mehr etwas
von ihm weiß,
wenn es verschollen ist.
Gottes Liebe schaut nach
ihm aus, ob nicht der Sünder stille steht, und umkehrt und heim
kehrt.
Wer sich selbst nach Gott sehnt,
der weiß auch,
daß in
Gottes Herz die Sehnsucht nach uns wohnt, nach seinen Kindern.
Wer sein Leben Gott zugewendet hat im Glauben und Gebet, der fühlt auch,
daß Gottes Liebe ihm entgegenkommt, wie der Vater
dem verlorenen Sohn.
235
Das Gleichniß vom verlorenen Sohn. Und nun welch ein Begegnen! Erbarmen und die tiefe Reue.
Vater und Sohn, das suchende
„Vater, ich habe gesündigt."
Hätte
der Sohn sich nicht schon längst es vorgenommen, so zu sprechen, die Güte des Vaters hätte ihn zu diesem Bekenntniß gezwungen.
Wie es uns Jesus leicht gemacht hat, zu Gott umzukehren, dadurch,
daß er uns den Vater geoffenbart hat, so hat er es uns dadurch leicht
auch
gemacht, unsere Sünden zu bekennen.
Die
Gnade
Gottes erzeugt in uns aufrichtige Buße, das Bekenntniß der Sünden. Aber warum ist es denn so heilsam, seine Sünden bekennen?
Ist
es nicht besser, thatkräftig handeln, vorwärts streben, als jammernd seine Sünden bekennen?
Aber auch mit dieser Forderung: Du sollst
Gott deine Sünden bekennen, ist Jesus der Herzenskündiger, der
rechte Mittler zwischen den Menschen und Gott.
Denn erst dadurch,
daß ich meine Sünden bekenne, sage ich mich vor Gott von meinen Sünden los.
Dadurch, daß ich meine Sünden bekenne, fängt das
Schuldgefühl an zu schwinden, das mich von Gott trennte.
Da
durch, daß ich meine Sünden bekenne, wird mir das Herz leichter.
Und darin, daß ich Gott meine Sünden bekenne, liegt die Bürg
schaft, daß dieses Bekenntniß ächt ist.
Denn vor dem Flammen
auge des Allwissenden kann die heuchlerische Demuth nicht bestehen. So ist
das auftichtige Bekenntniß:
„Ich
habe
gesündigt"
eine
rettende That. Und weiter:
dir."
„Ich habe gesündigt in den Himmel und vor
Ich bekenne meine Sünde, nicht weil sie mir trübe Stunden
bereitet, mir und Anderen Kummer bringt, weil sie mich ins Elend Wenn ich nur aus diesen Gründen meine Sünde be
geführt hat.
kennen wollte, so würde meine Reue nur sein wie der Aerger eines Menschen,
der sich betrogen sieht, wie die Wuth eines Spielers,
der sein Spiel verloren hat.
Sondern ich bekenne meine Sünden,
weil ich gesündigt habe in den Himmel, gegen den Himmel, gegen
Gottes Ordnung, gegen Gott.
Habe ich gesündigt gegen mich selbst
oder gegen die Menschen, gegen ihr Glück oder gegen mein Glück,
immer
habe
ich gesündigt
gegen
Gottes
Gebot und Ordnung.
Verborgene und offenbare Sünden, Thatsünden und Unterlassungs
sünden, Lieblosigkeit, Haß und Zorn — alle diese Sünden sind Sünden gegen den Himmel. in ihrer ganzen
Größe.
Hier erscheinen uns unsere Sünden
Aber solche Trauer ist auch die rechte
236 Trauer.
Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.
Sie prahlt nicht mit demüthiger Miene, mit ihrem Sünden-
bekenntniß, sondern ganz still wandelt sie vor Gott. Aber Gott sieht sie mit Wohlgefallen an. Kräfte sittlicher Erneuerung senken
sich in solch eine trauernde Seele herab.
„Selig sind, die da Leid
tragen; denn sie sollen getröstet werden." Wer nun aber so trauert, dem erscheint die Botschaft des Christenthums, daß wir sollen Gottes Kinder heißen, unglaublich. Er spricht: „Ich bin nicht werth, daß ich dein Sohn heiße, mache mich zu einem deiner Tagelöhner." Von sich selbst aus, auf sich allein angewiesen kann der Mensch immer nur zu dem Wunsche kommen, höchstens ein treuer Knecht Gottes zu werden. Ich will versuchen, deinen Willen, du Ewiger, zu thun, meine Pflicht zu erfüllen, dein Knecht zu sein. Mehr vermag ich nicht. Ich bin nicht werth, daß ich dein Sohn heiße. Das war der Glaube des alten Judenthums, das sich furchtsam von ferne Gott naht: „Ich bin nicht werth, daß ich dein Sohn heiße." Das war der Sinn der katholischen Frömmigkeit des Mittelalters, die in Christus nur den Weltenrichter sah, dessen furchtbaren Zorn man durch gute Werke zu beschwichtigen suchte. „Ich bin nicht werth, daß ich dein Sohn heiße." Das war der Glaube Luthers im Erfurter Kloster, als er rief: „Meine Sünde, meine Sünde."
„Ich bin nicht werth,
daß ich dein Sohn heiße." Das war der Sinn jenes gebildeten Heiden, der, nachdem er ein Christ geworden, aus Dankbarkeit das Neue Testament in die Sprache seines Volkes übersetzte, und als er an die Stelle kam: „Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeiget, daß wir sollen Gottes Kinder heißen", die Feder niederlegte
und sprach:
„Nein,
das kann ich nicht schreiben, das kann ich
nicht glauben; das ist zu viel. Ich will schreiben: „Daß wir den Saum seines Gewandes küssen dürfen." „Ich bin nicht werth, daß ich dein Sohn heiße."
Wo aber diese Demuth ist, da , ist die Thür weit aufgethan für Gottes Gnade, und eine «Stimme von Oben spricht: „Nein, du bist es werth, mein Kind zu heißen. Weil du dich unwerth hältst,
bist du es werth. Wer sich selbst erniedrigt, der soll erhöht werden." Gott giebt über Bitten und Verstehn. Amen.
237
Das Gleich«iß vom verlorenen Sohn.
29.
Das Gleichniß vom verlorenen Sohn. 3.
Die Aufnahme im Vaterhaus.
Luc. 15, 22—32.
Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringet
das beste Kleid hervor und thut ihn an, und gebet ihm einen Finger
reis an seine Hand und Schuhe an seine Füße;
und bringet ein
gemästetes Kalb her und schlachtet es, lasset uns essen und fröhlich sein; denn dieser mein Sohn war todt und ist wieder lebendig ge
worden; er war verloren und ist gefunden worden. fröhlich zu sein.
Und fingen an
Aber der älteste Sohn war auf dem Felde,
unb
als er nahe zum Hause kam, hörete er das Gesänge und den Reigen; Der
und rief zu fich der Knechte einen und fragte, was das wäre.
Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat ein
aber sagte ihm:
gemästetes Kalb geschlachtet, daß er ihn gesund wieder hat. er zornig und wollte nicht hinein gehen.
und bat ihn.
Da warb
Da ging sein Vater heraus
Er antwortete aber und sprach zum Vater:
Siehe,
so viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie über treten; und du hast mir nie einen Bock gegeben, daß ich mit meinen. Freunden fröhlich wäre.
Nun aber dieser dein Sohn gekommen ist,
der sein Gut mit Huren verschlungen hat, hast du ihm ein gemästetes
Kalb
geschlachtet.
Er aber sprach
zu ihm: Mein Sohn,
allezeit bei mir, und alles was mein ist, das ist dein.
du bist
Du solltest
aber fröhlich und gutes Muths sein; denn dieser dein Bruder war
todt und ist wieder
lebendig geworden,
er war verloren und
ist
wieder gesunden.
Es sind sehr verschiedene Eindrücke, welche wir aus diesem Theil
unseres Gleichnisses empfangen. Vergebung, Friede und Freude.
Im ersten Theile Alles Gnade und
Aus dem zweiten Theil dagegen
weht uns ein eisig kalter Hauch entgegen. Dieser ältere Bruder ist ganz lieblose, hartherzige Beschränktheit. Aber gerade dieser letzte
Theil hat eine große, seelsorgerliche Bedeutung.
Wir verstehen sie,
wenn wir auf die Veranlassung blicken, aus welcher das ganze Gleichniß hervorgegangen ist. Es heißt am Anfang des Kapitels: Es naheten aber zu ihm allerlei Zöllner und Sünder, daß sie ihn höreten. fprachen:
Und
die Pharisäer und
Schriftgelehrten
murrten uni>
„Dieser nimmt die Sünder an und ißt mit ihnen."
Das Gleichniß vom verlorenen Sohn-
238
Als Antwort hierauf erzählt Jesus die Gleichnisse voin verlorenen
Schaf, vom verlorenen Groschen und vom verlorenen Sohn.
Daraus
geht hervor, daß Jesus in dem verlorenen Sohn die Zöllner und Sünder schildert, die sich ihin nahten, um ihn zu hören, die Ver irrten, Gefallenen, Verlorenen, welche doch vor Gott soviel werth
sind, daß er sie sucht und sich ihrer Heimkehr freut; während da gegen in dem älteren Bruder die Pharisäer gezeichnet Reuigen
sind.
Also
einerseits,
die
und Schristgelehrteir
zwei Menschenklassen,
Selbstgerechten,
die
die der
Verirrten
Reue
und
nicht
zu
Und das ist nun das Seelsärgerliche
bedürfen meinen, andererseits.
an diesem Gleichniß, daß Jesus am Schluß den Pharisäern einen
Spiegel vorhält:
„Seht, dieser hochmüthige Bruder ist euer Bild."
In diesem letzten Theil
gelangt die Darstellung
in unserem
Gleichniß zu ihrem Höhepunkt, indem sie zwei scharfe Gegensätze einander gegenüberstellt, nämlich die Gnade Gottes in ihrer ganzen unendlichen Größe
und Weite, das weite Herz Gottes, auf der
andern Seite die Engherzigkeit des Menschen.
So wird uns hier gezeigt: Wie der Sohn im Vaterhaus ausgenommen wird
1. von seinem Vater, 2. von seinem Bruder.
1.
An dem Empfang des Sohnes durch den Vater fällt uns
zunächst auf, daß von einer Strafe überhaupt keine Rede ist.
Der
Vater hätte den Heimkehrenden vor der verschlossenen Thüre stehen
lassen können; anstatt dessen geht er ihm entgegen. mit harten Worten schelten können;
Er hätte ihn
anstatt dessen segnet er ihn.
Er hätte ihn zu den Sklaven weisen und ihm sagen können: ist dein Platz, du ungerathener Sohn;" sofort in das alte Sohnesrecht ein.
„Dort
anstatt dessen setzt er ihn
Er hätte ihn strafen können
mit jenem Schweigen, in welchem der schwerste Vorwurf liegt; an
statt dessen kommt er mit der Bezeugung seiner väterlichen Gnade
fast dem Schuldbekenntniß keine Rede.
Weshalb?
des Sohnes
voraus.
Von Strafe ist
Weil der Sohn seine Strafe erduldet hat
in dem äußeren und inneren Darben, das in der Fremde sein Loos gewesen.
Und
diese Strafe ist viel schwerer gewesen als irgend
eine Strafe, die der Vater ihm jetzt hätte auferlegen können.
Deshalb
erwartet ihn nun zu Hause keine Strafe mehr. Gott
hat mit jeder
Sünde
eine
Strafe
verbunden.
Diese
Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.
239
Strafe ist die nothwendige Folge der Sünde, wie das äußere und innere Elend in der Fremde die nothwendige Folge der Wanderung
in die Fremde war.
Sünde und Strafe sind durch ein so festes
Band mit einander verbunden, daß weder menschliche List noch irgend eine Macht der Erde beide trennen kann.
Wird der Wüstling krank,
der Verschwender arm, der Zänkische verlassen, so ist das eine Auf
einanderfolge von Ursache und Wirkung, die mit unerbittlicher Noth wendigkeit eintreten muß. Wer aus dem Becher der Sünde trinkt,
trinkt damit nothwendig auch die Strafe. Es braucht das keine äußere Strafe zu sein. Die inneren Strafen, das Schlechterwerden, das innere Versinken in immer weitere Entfernung von Gott, der
Verlust an innerem sittlichen Werth ist viel schwerer als irgend eine äußere Strafe. Hat nun der Mensch diese seine Strafe, welche die nothwendige Folge seiner Sünde ist, abgebüßt, so läßt es Gott genug sein. Er legt nun dem Heimkehrenden nicht etwa in einem
Unglück, in einem schweren Schicksalsschlag noch eine besondere Strafe auf. Wenn wir Menschen äußere Unglückssälle so gern auf
vergangene Sünden zurückführen, so ist das nicht nach Gottes Sinn. Gott sagt zu dem reuigen Sünder: „Deine Strafe liegt hinter dir. Ich kenne deine Thränen, die Wunden, welche dir deine Sünde
geschlagen hat, die Ernte, die dir erwachsen ist aus deiner bösen
Saat.
Du hast die Strafe, die dir aus deiner Sünde erwuchs,
getragen. Nun ist es genug. nun vorüber, nun ist es hell.
Fürchte dich nicht! Das Wetter ist Hinter dir die Freinde, vor dir das
Vaterhaus. Komm, fürchte dich nicht!" Seht nun, wie die Gnade Gottes, die den Sohn aufnimmt,
geschildert wird. Das zerrissene Gewand muß der Sohn ablegen und ein neues Gewand, das „beste Kleid", das im Hause zu finden ist, muß er anlegen. Eigentlich heißt es wörtlich das „erste" Kleid. Manche Ausleger verstehen darunter das Kleid, welches der Sohn einst vor seiner Fahrt in die Fremde getragen hat. Dieses „erste" Kleid soll ihm eine Bürgschaft dafür sein, daß Alles wieder ist wie einst. Ein Fingerreif wird herbeigebracht, das Zeichen des freien
Mannes, und Sandalen, welche den Freien von dem Sklaven unter schieden, der barfuß ging. So setzt der Vater den Sohn in der schonendsten Weise wieder ein in sein altes Recht, ohne auch nur ein
Wort zu verliere« über des Sohnes Schuld und die eigene Gnade.
240
Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.
Er sagt nicht:
„Ich will dir vergeben,"
hochmüthig
unendlich
und stolz
klingt,
dieses Wort, das
oft so
so eitel und selbstgerecht.
Sondern Kleid und Ring und Sandalen, das sind die stummen und
doch so laut redenden Zeichen, daß Alles vergeben ist. mehr: Ein Freudenfest soll bereitet werden.
Und noch
„Bringet," so heißt es
wörtlich, „das gemästete Kalb," nicht eins von vielen, sondern „das"
gemästete Kalb, das eine, das im Stall steht.
Das Beste soll hin
gegeben werden, um die Heimkehr des Verirrten zu feiern.
Um diese anschauliche Schilderung aus dem Menschenleben nun wirklich auf Gott und seine Gnade gegen den reuigen Sünder zu
übertragen, dazu gehört ein bergeversetzender Glaube.
Wir wären
dieses Glaubens unfähig, wenn nicht der als Gewährsmann vor uns
stünde, der die Wahrheit dieser Botschaft uns durch sein Leben und
Sterben besiegelt hat.
Selig ist es, daran zu glauben.
Aber hütet
euch wohl, diese zarte Himmelsbotschaft leichtfertig auf euch zu
beziehen und euch leichtfertig zu verlassen auf diese vergebende Gnade
Hütet euch auch,
Gottes.
selbstbewußt daraus zu pochen:
„Ich
stehe bei Gott in Gnaden; denn ich habe den rechten Glauben; ich
gehöre
den Auserwählten Gottes."
zu
diese Botschaft ist, um so leichter
Nur der
Je größer und erhabener
kann sie gemißbraucht werden.
darf sich ihrer wirklich von Herzen getrosten,
der es in
„Ich bin nicht werth, daß ich dein Sohn
tiefster Seele empfindet.
heiße," der den unendlich weiten Abstand fühlt von dem, was er
sein sollte, an der eigenen Kraft verzweifelt, hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit,
und
zugleich
mit dem strengen Geist des
Selbstgerichtes verbindet das starke Wollen, das ernste Streben nach Abwendung Hoffnung
voll der sündigen Vergangenheit und die zuversichtliche
auf ein neues Leben aus Gott.
Diese bußfertige Ge
sinnung ist der Zauberschlüssel, der uns die Gnade Gottes auf
schließt.
Daun glaubst du nicht nur an die Gnade Gottes, sondern
dn erlebst sie an dir selbst, erlebst es, wie in der freudigen Gewiß heit der göttlichen Vergebung die sündige Vergangenheit untergeht
und die Gnade Gottes neue Entschlüsse zum Guten und neue Kräfte des Guten in dir erweckt.
Der alte Mensch liegt hinter dir, er ist
gestorben und begraben in der Fremde, und ein neuer Mensch lebt
nun auf im Hause des Vaters. Ihr habt es wohl schon erfahren, daß ihr, wenn ihr wieder einmal
Das Gleichmß vom verlorenen Sohn.
241
nach langer Zeit in euere Heimath kamt, ihr Vieles anders fandet. Die Menschen, die ihr dort einst gesehen, sind heimgegangen, überall
neue Gesichter, neue Verhältnisse.
Auch hier ist Alles anders ge
worden, nur umgekehrt, viel viel besser,
als einst.
Verschwunden
ist der mürrische Sinn, der keine Freude hatte am Gesetz des Guten;
das Gesetz des Guten ist nun zum Leben der Seele geworden.
Die
Hausordnung Gottes, die früher als Last empfunden wurde, ist nun zur Ordnung des inneren Lebens geworden, das Gute zur anderen
Natur; es zieht dich hinein in sein heiliges Reich mit himmlischer Gewalt, und je tiefer du eindringst, um so mächtiger wird es in
dir.
An die Stelle der Freiheit vom Gesetz ist nun die wahre sitt
liche Freiheit getreten, die Freiheit im Gesetz.
Wo du nun auch
sein magst in der Welt, überall bist du im Vaterhaus.
Du bist zu
Hause in deiner Arbeit, in deiner Freude, in deinem Schmerz, denn
überall grüßt dich Gott,
umweht dich Heimathluft.
Der Verkehr
mit den Menschen wird dir ein Verkehr mit Brüdern und Schwestern. Ueberall bist du nun zu Hause.
Beachtet ferner die Freude des Vaters an der Heimkehr des
Sohnes.
Freude kann nur da sein, wo ein Wechsel im Empfin-
dungsleben stattfindet.
Können wir uns denken, daß Gott sich freut?
Und doch, wenn Gott der Allwissende ist, der kein verirrtes Menschen
kind aus den Augen läßt,
wenn er der Allliebende ist,
dem jede
Menschenseele mehr werth ist, als die ganze Welt, so können wirs uns auch gar nicht anders denken:
Es muß in Gott, wenn ein Ver
irrter heimkehrt, etwas sein, was wir ins Himmlische Ewige er
hoben als Freude bezeichnen können.
Sünders.
Gott freut sich des reuigen
Denkt doch, welch ein großes Ereigniß das ist, wenn
eine Menschenseele, die ausgegangen ist von dem ewigen Vater der Geister, die der Vater liebt mit ewiger Liebe, damit allmählich aus
ihr werde ein Tempel des Lichts, um deretwillen der ewige Rath schluß Gottes in Jesus Christus, in seinem Leben und Sterben, sich verwirklicht hat, wenn eine solche Menschenseele, welche ein ewiges
Erbtheil, ein Stück der lichten seligen Ewigkeit in sich trägt, sich
losgerissen hat von der Welt des Lichts und immer tiefer und tiefer in die Finsterniß versunken ist, nun von der Macht der Liebe Gottes angezogen
wieder
heimkehrt,
„todt" war und zum ewigen Leben
zurückkehrt, „verloren" war und sich wieder findet, und wieder einKirmß, Predigten.
Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.
242
gegliedert wird in die Gemeinschaft der Kinder Gottes. doch Freude seiy in der Ewigkeit.
Da muß
Vielleicht vollzieht sich
dieses
große Ereigniß auf Erden ganz in der Sülle; kein Mensch hört und
sieht
aber in der ewigen Welt ist es,
etwas davon;
freuen.
die Menschen
auch
ein
Gott freut sich des reuigen Sünders.
Freudenfest gefeiert würde. Er fordert
als ob
auf, sich mit ihm zu
Wenn tausend Menschen Ein Licht genießen,
Keiner dem Anderen etwas weg.
so nimmt
Jeder macht wohl gern dem An
deren Platz, damit er das Licht voll sehen könne.
Zahllose Schaaren
können sich freuen der Liebe Gottes und Keiner nimmt dem Anderen
etwas weg.
Im Gegentheil: Je größer die Zahl, um so größer die Freuet euch, wenn ein Mensch, von dem es
Freude des Einzelnen.
hieß: „Dem ist nicht zu helfen," umkehrt! Hülfe selbst
Durch
Und habt ihr mit Gottes
etwas dazu beiüagen können, so freuet euch doppelt!
diese
Freude
nehmt
ihr
Theil
an
der
ewigen
Freude
Gottes.
Wohl den Menschen, von denen es heißt, wie im Evangelium:
„Sie fingen an, ftöhlich zu sein." 2.
So sollte es sein.
Da tritt in unsere Erzählung der ältere
Bruder ein und zeigt uns, daß nicht überall Freude ist über den
Sünder, der Buße thut. Er hat immer seinem Vater gewissenhaft gedient.
recht und gut. so
fr rotbärtig
können?
Das ist doch
Was ist es denn, das uns diesen älteren Bruder
erscheinen läßt,
Gewiß,
daß wir
kein Herz
Gottes Gesetz ist heilig.
zu ihm fassen
Aber es ist nicht die
letzte und höchste Offenbarung Gottes; und deshalb ist der Mensch,
der nichts Höheres kennt, als das Gesetz, und dem Gesetz Unterthan Gott als Knecht dient, noch nicht auf der Höhe angelangt, zu der
uns Gott berufen hat.
Höher als das Gesetz ist die Erlösung.
Höher als der Knecht, der unfrei Gott dient, steht der Sohn, der Gott in freiem Gehorsam dient.
die wir ersteigen sollen.
Das ist die letzte höchste Stufe,
Können wir es thun und thun es nicht,
dann muß nothwendig unser inneres Leben verkümmern, wie
der
Baum, der nach seiner' Art und inneren Anlage eine bestimmte Höhe erreichen soll, beim Emporwachsen aber sich an einen überhängenden Felsen stößt,
oder von einem größeren Baum neben ihm nieder
gedrückt, nothwendig verkrüppelt, oder wie ein Mensch, der ein großes
Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.
243
Talent besitzt und sich nicht kann auswirken lassen, innerlich leicht
So muß das innere Leben des Menschen, der unter
verkümmert.
dem Gesetz bleibt, in ihm
verkümmern und
kalte
der
Hochmuth,
vertrocknen, und
die
es
entsteht
Verdammuugssucht,
die
Lohnsucht.
Wir sahen schon, daß Jesus im älteren
Der kalte Hochmuth.
Sohn das Pharisäerthum seiner Zeit schildert, das kalt und starr geworden war unter dem starren Gesetz,
kalt und starr, wie die
steinernen Tafeln, auf denen nach der Ueberlieferung die zehn Gebote ursprünglich geschrieben standen.
Wenn wir aber diese Schilderung
Jesu betrachten, so wollen wir immer daran denken, daß damit nicht
fremde Leute gemeint sind, sondern wir, wir selbst.
irgendwelche Siehe,
du rühmest dich auch,
immer im Vaterhaus, immer dem
Willen Gottes gehorsam geblieben zu sein.
Du bist umgeben gewesen
von Verhältnissen, welche deine sittliche Entwickelung sehr begünstig ten, die es dir leicht gemacht haben, rechtschaffen zu bleiben.
Du
hast außerdem eine Natur ohne tiefere Leidenschaften, so daß eine
wirklich große Versuchung vielleicht nie an dich herangetreten ist.
Du
hast wegen deines rechtschaffenen Wandels Lob geerntet und hast es
dadurch gelernt, dich selbst zu loben.
Ist von einem Fehltritt eines
Menschen die Rede, so sagst du: „Das könnte ich doch nicht thun." Wird von einem Menschen
der zweifellos sittlich hoch
gesprochen,
über dir steht, so suchst du gern seine Fehler hervor und möchtest
ihn von seiner Höhe herabziehen.
Meist aber vergleichst du dich mit
den Menschen, die sittlich unter dir stehen.
All dein Thun ist genau
geregelt nach dem Buchstaben des Gesetzes, dem Herkommen, der Mode,
dem
guten Ton,
der Sitte in deinen Kreisen.
Aber du
fühlst es selbst an dir: Dein Thun ist so selten freudig; dein, Herz
wird nicht warm; du kannst dich für nichts recht begeistern. ist der satte Hochmuth, der sich selbst genug ist.
die Prophetenstimme ihre
Gluth
nur
ein
lediglich
dir
kühles dem
so leicht selbst.
Achselzucken.
Gesetz
an dein Ohr
der Begeisterung
aus Menschenaugen äußerlich
schlägt und
entgegenleuchtet, so
Weil anpaßt,
dein
ganzes
deshalb
Das
Wenn von außen
hast du
Wesen
genügst
sich
du dir
Dein vollkommenes, tadelloses Ich, das ist der
Götze, dem du Opfer bringst. Neben diesem Hochmuth steht die Verdammungssucht. 16*
So
244
Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.
sehr kennst du nur dein vollkommenes Ich, daß du andere Menschen nicht verstehst.
Du fragst nicht, wie ist Dieser und Jener zu seinem
Fehltritt gekommen?
Unter welchen Einflüssen ist er ausgewachsen?
Mit welchen Versuchungen hat er zu kämpfen gehabt? du sein, wenn du iu gleicher Lage wärest?
Wie würdest
Du denkst nicht daran,
daß häufig an dem Fall eines Menschen seine Umgebung viel mehr
Man muß staunen, mit welch leichtem
schuldig ist, als er selbst.
Herzen, ja mit welch lcichtfertigeni Sinn die stolzen „rechtschaffenen"
Leute der heutigen Zeit urtheilen über die großen Massen unseres Volkes, welche ihrem Vaterland und ihrer Kirche mißtrauisch gegen
Keine Frage: „Wo liegen die Schäden, die den Grund
überstehen.
Tragen wir vielleicht nicht selbst mit die
dieser Erscheinung bilden? Schuld?"
Sie sehen in jeder lebhaften Volksbewegung Auftuhr, in
eine schwere Gefahr.
jeder neuen eigenartigen Ansicht
Sie
rufen
nach der Staatsgewalt, welche das, was ihnen nicht gefällt, nieder
drücken, niederschlagen soll. daß sie nicht verhungern.
ja nicht für sie ein.
Sie rufen:
„Gebt den Armen Brod,
Aber gebt ihnen ja nicht euer Herz; tretet
Sperrt die verirrten Glieder der menschlichen
Gesellschaft, die Gefallenen, Verkommenen ein, aber ihnen verständ-
nißvoll entgcgenkommen, ihnen emporhelfen wollen, das ist Thorheit
und vom Uebel."
Das ist der ältere Sohn im Evangelium im Ge
wände der heutigen Zeit. Dazu komnit die Lohnsucht.
Der ältere Bruder erinnert seinen
Vater daran, wie treu er ihm immer gedient, und der Vater habe ihm nie einen besonderen Lohn dafür gegeben. Thun immer nur an den Lohn gedacht.
Pharisäer wohnt in Jedem von uns. in dir seine Stimme vernimmst.
Er hat bei all seinem
Ein solcher lohnsüchtiger
Prüfe dich, ob du nicht oft
Du willst nichts umsonst
thun.
Wenn du betest, in die Kirche gehst; so willst du doch einen Lohn dafür sehen.
Wenn du Almosen giebst, so soll das dir auf irgend
eine Weise wieder zu Gute kommen.
Du betrachtest die Frömmig
keit als einen Acker, den zu bebauen sich lohnt.
Es wohnt in dir
ein kühler Rechner, der überall auf seinen Vortheil bedacht ist.
Aber
von ihm geht ein kalter Hauch aus, der deiner Frömmigkeit den Tod
bringt.
Und dabei fehlt es nicht an den schmerzlichsten Enttäuschungen.
Die ganze Rechnung ist falsch.
Trotz aller eingebildeten Frömmig
keit bleibt der äußere Segen so oft aus.
Dagegen siehst du neben
245
Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.
dir Andere, denen es viel besser geht als dir, obwohl sie nach deiner Ansicht nicht fromm sind.
Du fragst: „Wo bleibt Gottes Gerechtig
Giebt es einen gerechten Gott, so muß er inich segnen und
keit?
Wohl klingt da von Oben
die neben mir leer ausgehen lassen."
die Stimme zu dir herab, die wir in dem Gleichniß von den Ar
beitern im Weinberg vernehmen:
gütig bin?"
„Siehst du darum scheel, daß ich so
Aber du verstehst diese Stimme nicht.
Weil Gott sich
nach deiner Ansicht nicht als der Gerechte offenbart, deshalb verlierst
du den Glauben an Gott überhaupt.
Weil du so lohnsüchtig bist,
deshalb kannst du dich nicht erheben zu dem Glauben an die Gnade
Gottes, vor welcher unsere Tugend ein bestaubtes Kleid, ein unechter
Schmuck ist, die dagegen den reuigen Sünder an ihr Herz zieht, daß er dort erwärme zu einem neuen Leben.
Der Hochmuth, die Verdammungssucht, die Lohnsucht, das ist es, was vor Allem die Menscheil von Gott trennt.
Aus der Tiefe
menschlichen Verderbens führt ein Weg zu Gott empor.
Aber die
innere Kälte des Pharisäers ist durch eine Himmelsferne von Gott
getrennt.
Hier enthüllt sich uns dann auch die schwerste Frage und
die eigentliche Kernfrage unseres Gleichnisses, warum der verlorene Sohn nun dem Vater viel näher steht, als sein älterer Bruder, der
das Vaterhaus nie verlassen hat?
Dieser kennt keine Reue, denn
er meint an sich nichts zu finden, was er bereuen müßte; deshalb kennt er auch keine göttliche Gnade; denn er meint, ihrer nicht zu
bedürfen.
Jener aber ist hindurchgegangen durch alle Tiefen der
Reue, deshalb erlebt er an sich die ganze Fülle der göttlichen Gnade.
Dieser
hat ein hartes Herz,
deshalb weiß er nichts
von Gottes
Barmherzigkeit; Jener dagegen hat ein Herz, das weich geworden ist
unter den Strahlen der göttlichen Gnade.
Dieser steht hochmüthig,
fordernd, von ferne Gott gegenüber; Jener hat sich demüthig in die
Arme der göttlichen Gnade geworfen.
Jener verttaut Gott.
Dieser verttaut sich selbst;
Dieser hat Gott gegenüber den knechtischen
Geist, Jener den kindlichen Geist.
Der verlorene Sohn ist erlöst und
lebt nun Gott; sein älterer Bruder bleibt gebunden in sich selbst und
lebt sich selbst.
Deshalb steht Jener Gott nahe und Dieser steht
Gott fern.
Es begegnen euch diese beiden Brüder im Leben.
Es begegnet
euch bisweilen in den Lumpen der Verkommenheit ein so edler Stolz,
Das Auftreten Jesu in Galiläa.
246
ein so gesundes Empfinden für Gott und die Menschen, daß ihr sagt: „In diesem armen Menschen wohnt ein Gotteskind." Und es
begegnet euch in dem fleckenlosen Gewand äußerer Ehrbarkeit eine solche Niedrigkeit der Gesinnung, daß ihr euch sagt:
Menschen
wohnt
ein
elender Sklave."
Ebenso
„In diesem
findet
ihr
unter
denen, die abgekommen sind von den Bahnen der kirchlichen Ueber
lieferung,
den verlorenen Söhnen der Kirche, oft viel mehr Ver
ständniß für die göttliche Wahrheit und das christliche Leben, als unter denen, die sich immer streng an die Formen der Kirche gehalten haben. —
bei
So laßt uns nun scheiden von diesem Gleichnis;.
Möchten wir
es empfunden haben:
Das ist das
seinem erneuten Anhören
ewige Evangelium, in welchem das Herz des Vaters schlägt,
ewige Erquickung aller Mühseligen.
die
Möchte es auch in uns erweckt
haben die Sehnsucht nach der Heimath, wo die Räthsel der Erde
sich lösen und die Verirrten sich zusammenfinden.
Amen.
30.
Das Auftreten Jesu in Galiläa. Luc. 4, 14.15.
Und Jesus kam wieder in des Geistes Kraft in Galiläa,
und das Gerücht erscholl von ihm in alle umliegenden Oerter.
Und
er lehrete in ihren Schulen und ward von jedermann gepriesen.
9iese Worte versetzen uns mit einein Male aus den Kindheits geschichten,
welche unsere Gedanken in
den
Weihnachtstagen be
schäftigten, nach Galiläa, und zeigen uns das Kind, das wir zu Weihnachten sahen, zum Manne geworden.
Aus den 30 Jahren,
welche dazwischen liegen, kennen wir nur die eine Erzählung, die
ihr vorher vom Altar aus gehör: habt, die Erzählung von dem zwölf jährigen Jesus. alter über.
Diese leitet also von der Kindheit zum Mannes
In ihr sind uns besonders zwei Punkte von Bedeutung,
nämlich das Bekenntniß des Knaben:
„Wisset ihr nicht, daß ich sein
muß in dem, das meines Vaters ist?" und der Schluß der Erzählung:
„Er nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den
Das Auftreten Jesu in Galiläa.
246
ein so gesundes Empfinden für Gott und die Menschen, daß ihr sagt: „In diesem armen Menschen wohnt ein Gotteskind." Und es
begegnet euch in dem fleckenlosen Gewand äußerer Ehrbarkeit eine solche Niedrigkeit der Gesinnung, daß ihr euch sagt:
Menschen
wohnt
ein
elender Sklave."
Ebenso
„In diesem
findet
ihr
unter
denen, die abgekommen sind von den Bahnen der kirchlichen Ueber
lieferung,
den verlorenen Söhnen der Kirche, oft viel mehr Ver
ständniß für die göttliche Wahrheit und das christliche Leben, als unter denen, die sich immer streng an die Formen der Kirche gehalten haben. —
bei
So laßt uns nun scheiden von diesem Gleichnis;.
Möchten wir
es empfunden haben:
Das ist das
seinem erneuten Anhören
ewige Evangelium, in welchem das Herz des Vaters schlägt,
ewige Erquickung aller Mühseligen.
die
Möchte es auch in uns erweckt
haben die Sehnsucht nach der Heimath, wo die Räthsel der Erde
sich lösen und die Verirrten sich zusammenfinden.
Amen.
30.
Das Auftreten Jesu in Galiläa. Luc. 4, 14.15.
Und Jesus kam wieder in des Geistes Kraft in Galiläa,
und das Gerücht erscholl von ihm in alle umliegenden Oerter.
Und
er lehrete in ihren Schulen und ward von jedermann gepriesen.
9iese Worte versetzen uns mit einein Male aus den Kindheits geschichten,
welche unsere Gedanken in
den
Weihnachtstagen be
schäftigten, nach Galiläa, und zeigen uns das Kind, das wir zu Weihnachten sahen, zum Manne geworden.
Aus den 30 Jahren,
welche dazwischen liegen, kennen wir nur die eine Erzählung, die
ihr vorher vom Altar aus gehör: habt, die Erzählung von dem zwölf jährigen Jesus. alter über.
Diese leitet also von der Kindheit zum Mannes
In ihr sind uns besonders zwei Punkte von Bedeutung,
nämlich das Bekenntniß des Knaben:
„Wisset ihr nicht, daß ich sein
muß in dem, das meines Vaters ist?" und der Schluß der Erzählung:
„Er nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den
Das Auftreten Jesu in Galiläa.
Menschen."
Das Erste zeigt uns, daß der Knabe schon
247 etwas
Wunderbares, Außergewöhnliches geworden war, nämlich das Kind Gottes, welches Gott als seinen Vater gefunden hat, und das Zweite zeigt uns, daß Jesus doch immer noch im Werden, in der Ent wicklung begriffen war, beides also, daß Jesus das, was er war, nach den Gesetzen der Entwicklung allmählich geworden ist. Er ist gewesen wie eine bekannte seltene Blume, welche erst lange Zeit wachsen muß, dann auf einmal bricht eine wunderbare Blüthe auf, welche eine kurze Zeit die Menschen durch ihre Schön heit und ihren Duft erfreut. Dreißig Jahre hat Jesus in der Stille gelebt, in der Vorbereitung auf das, was er der Welt werden sollte; drei Jahre höchstens hat er dann unter den Menschen öffent lich gewirkt. Ein langes Wachsthum und eine kurze Blüthezeit. Und auch in dieser Zeit ist er innerlich noch weiter gewachsen, ge stiegen von einer Klarheit zur andern, bis zu seinem Kreuzestod,
bis zu seiner Erhöhung in Gott. Diese Erkenntniß, daß unser Heiland nicht von vornherein fertig in die Welt eingetreten ist, sondern auch allmählich geworden ist, ist uns für unsern christlichen
Glauben und für unser Leben von hoher Bedeutung. Denn daraus sollst du zweierlei entnehmen: Du darfst nie meinen, daß du schon fertig seiest; denn wir sind immer im Werden begriffen. Und eben
so wenig darfst du daran verzweifeln, das zu erreichen, was noch vor dir liegt; denn wir sind immer im Werden begriffen. In unserem heutigen Text sehen wir unseren Erlöser am Ein gang seiner öffentlichen Thätigkeit stehen. Die Zeit der Vorbereitung in der Stille ist vorbei. Die Zeit des öffentlichen Wirkens ist ge kommen. Laßt uns dieses Auftreten Jesu in Galiläa mit ein ander besprechen, wie dasselbe vorbildlich ist auch für unser Leben. 1.
Er kam in des Geistes Kraft nach Galiläa.
So
war zunächst ein kleines Land und in diesem eine bestimmte ab gegrenzte Landschaft, die Umgebung des galiläischen Meeres mit
einigen kleinen Städten und Dörfern, der erste Schauplatz seiner Thätigkeit. Und doch hat er hier gewirkt mit einer Kraft, als wenn Galiläa die ganze Welt wäre. Er hat nicht gedacht: „Was liegt
daran, ob du diese einfachen Leute gewinnst, was liegt an diesen Menschen, an diesen Fischern, welche dich vielleicht nicht einmal ver stehen." Sondern er hat in diesem engen Kreise gewirkt mit der
248
Das Auftreten Jesu in Galiläa.
ganzen Kraft seines Geistes, für den doch die Welt nicht groß genug
war, so daß er auch in den Himmel eindrang bis in die Tiefen der
Gottheit, der auch von der Gegenwart, von dieser ganzen Erdenzeit
nicht gefangen
gehalten werden kann,
die Zukunft
sondern auch
umspannte, in der Himmel und Erde nicht mehr sein werden.
hat die
ganze Kraft
galiläisches
Wirken,
dieses
als
seines
hätte
hineingelegt
Geistes
in
eine Aufgabe,
die
er nur
Menschen seines Heimathlandes das Heil zu bringen.
Er
sein diesen
Dadurch aber,
daß er in diesem kleinen Kreise das ganz war, was er sein sollte Und wollte, ist er für die ganze Welt das geworden, was er ihr
werden sollte. Die Epiphanienzeit, an deren Eingang die Erzählung von den dem Morgenland steht, weist uns auf die Mission
Weisen aus
unter den Heiden hin.
Jesus ist im Laufe der Geschichte noch
in manches Land gekommen jenseits des Meeres,
in Länder, wo
arme Leute wohnen, Wilde, in bisher unbekannte Theile der Erde.
Er ist dorthin gekommen durch seine Sendboten, die Missionare. Da ist auch
nicht
gefragt worden:
„Was
diese
können
armen
Leute für die menschliche Cultur leisten, was liegt daran, ob sie Christen werden
oder
nicht!"
Sondern auch
unter jenen fernen
unbekannten Völkern ist er immer aufgetreten in der vollen Kraft
seines Geistes, mit der ganzen Fülle seiner Liebe,
Lebens, seiner
Gnade, wie
am Anfang,
Menschen wären, zu denen er käme.
als
ob
seines ewigen sie
die
ersten
Wo er in ein Land kommt,
da kommt er immer in des Geistes Kraft. Auch hier hat er uns ein Vorbild gelassen.
Warum hat dich
Gott gerade an deinen Platz gestellt, dich mit besonderen vielleicht ungünstigen Verhältnissen,
mit schwer zu behandelnden Menschen
umgeben, während Der und Jener es viel leichter hat als du?
Dein
Platz erscheint dir sehr klein und eng, wie Galiläa unter den Ländern der Erde.
Da helfen dir alle die Träume der heutigen Menschen
nicht, daß die Welt im Ganzen einmal ganz anders werden und das
Unterste zu oberst gekehrt werden müsse. dich nur um so unmuthiger machen.
der Glaube:
Solche Träume würden
Sondern hier hilft dir nur
„Gott hat mich gerade hierher gestellt."
Und wenn
du deine Umgebung mit ihren besonderen Schwierigkeiten recht genau
ansiehst und dich selbst dann ebenso genau prüfst, dann wirst du
Das Auftreten Jesu in Galiläa.
249
finden, daß in deinen Verhältnissen Vieles liegt, was gerade für
deine Fehler ein Heilmittel in sich birgt und dir Pflichten auserlegt,
welche dich bei deinen Anlagen und Neigungen zur Selbstüberwindung Und so müssen die Sorgen, welche du zu tragen und die
zwingen.
Schwierigkeiten und Verdrießlichkeiten, mit denen du zu kämpfen hast,
Darum gehe
dir dazu helfen, daß du wirst, was du werden sollst.
an deine Pflicht immer wieder in
des Geistes Kraft, in dem
Geiste, den Jesus giebt, dem Geist der Treue, der nicht nach dem Lohn, sondern nach der Pflicht fragt, in dem Geist der Geduld,
der sich schließlich auch mit den schwierigsten Verhältnissen vertraut macht, in dem Geist des Muthes, der nicht verzagt, und der Liebe, welcher die Menschen verständnißvoll nimmt, wie sie sind, und nicht
verlangt, daß sie vollkommen sein sollen, in des Geistes Kraft, durch
welche
du
die Verhältnisse beherrschest und
knechten lässest.
dich nicht von ihnen
Auch wenn dir dein Leben sehr eng und beschränkt
erscheint, bewähre dich darin mit ganzer Kraft. Bist du über Wenigem
getreu, so wirst du über Viel gesetzt werden.
2.
Weiter heißt
es von Jesus:
„Das Gerücht von ihm
erscholl durch alle umliegenden Orte." sich sein Ruf?
Wodurch verbreitete
Ihr denkt da zunächst an seine Wunderthaten, die
ja allerdings auf das wundersüchtige Geschlecht jener Zeit großen
Eindruck machten, obwohl dies gar nicht nach dem Sinne Jesu war,
der wohl wußte, daß diese Wunder und Zeichen nur ein sehr loses und vergängliches Band zwischen dem Volke konnten.
und
ihm
herstellen
Ihr denkt dann wohl auch an die Gewalt seiner Rede,
welche die Aufmerksamkeit der Menschen auf ihn zog. alles ist noch nicht die Hauptsache gewesen.
Epiphanienzeit hin.
Aber das
Auf diese weist
die
Epiphania heißt „Erscheinung" Christi, sein
Hervortreten, sein Wirken, die Offenbarung seiner Persönlichkeit. Was die Menschen zu Jesus zog, das war seine Liebe zu den Geringen und zu den Großen, die nie wechselte in ihrem Wesen,
sondern immer nur in ihren Aeußerungen, die um so größer wurde,
je mehr man ihrer bedurfte, um so Heller leuchtete, je tiefer Jesus Hinabstieg in das Elend der Welt.
Das war ferner seine Ge
rechtigkeit, mit welcher er die Menschen schätzte, nicht nach dem Schein, sondern nach ihrem inneren Werth.
Das war das tiefe Ver
ständniß für die ewigen Bedürfnisse der Menschenseele, sein heiliger
250
Das Auftreten Jesu in Galiläa.
Drang, die Menschen selig zu machen in Gott, sein Friede, welcher
Jeden berührte, der ihm näher trat, die erlösende Macht in seiner
ganzen Erscheinung, welche die Menschen aufrichtete und in eine neue Welt versetzte, mit neuem Leben erfüllte, als wenn der Himmel auf Erden wäre.
Diese innere Herrlichkeit Jesu zog die Menschen
zu ihm hin, daß vor ihm die Thüren der Herzen aufsprangen, wie vor einem Zauberstab, daß sich die Menschen ihm aufschlossen und
anschlossen, weil hier verkörpert vor ihnen stand, was ihre Seele suchte, der eingeborene Sohn Gottes, nach dem der Mensch verlangt als nach seinem Urbild. Diese innere Herrlichkeit sandte ihre Strahlen weithin, wie Boten, welche den Menschen sagten: „Kommt, wandelt im Licht!" Deshalb ist Jesus der Morgenstern, zu dem die Menschen, wenn sie von Dunkelheit umfangen sind, ihre Augen er
heben, als zu dem Boten des großen Morgens, dessen frische Luft sie schon umweht. So erscholl das Gerücht von ihm in die umliegenden Orte, und von diesen Fischerdörfern weiter von Ort zu Ort, von Land zu Land, bis zu den fernsten Gestaden, wo die Welle sich bricht, und wo die Menschen trotz aller Pracht der Creatur, die sie umgiebt, sich doch sehnen nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Von Jedem von uns geht auch ein Gerücht aus; es bildet sich um Jeden her ein Urtheil der Menschen, zum Theil unabhängig von uns, für uns unfaßbar, so daß es uns plötzlich als eine feindliche
Macht entgegentritt, vor der wir erschrecken.
Dieses Urtheil wird
oft bestimmt durch Aeußerlichkeiten, oberflächliche, leichtfertige Be urtheilung. Hast du über solche Beurtheilung zu klagen, so sei größer
als die Richter, laß dich nicht verbittern, gehe still deinen Weg und getroste dich dessen, daß du auch hier in Gottes Hand stehst, und daß der große Gott Himmels und der Erde dein Vertheidiger und
dein Schutzherr ist. Und insbesondere tröste dich dessen, daß in dem Gerücht, welches sich unter den Menschen über dich verbreitet,
das, was du wirklich bist, doch zuletzt siegreich hindurchbrechen wird, daß dein guter Wille doch zuletzt mächtiger sein wird, als der böse Wille der Menschen, die Uebles von dir reden, daß deine Wahr
haftigkeit zuletzt stärker sein wird als ihre Lüge, deine Ehrlichkeit stärker als ihre Hinterlist, deine Liebe stärker als ihr Haß. Das sollen deine Vertheidigungswaffen, deine Schutzwehr sein, so daß
Das Auftreten Jesu in Galiläa.
251
zuletzt die Uebelwollenden verstummen, und die Gerechten, Wohl meinenden das Uebergewicht bekommen, und du in dem Urtheil der Menschen als der erscheinst, der du wirklich bist. Was die Menschen von dir reden, wird doch zuletzt von dem bestimmt, was du in deinem innersten Wesen wirklich bist, so wie es bei Jesus war. 3. Es wird uns weiter erzählt: „Jesus redete in den Schulen." Was Jesus da gepredigt haben mag, das wird uns berichtet in der evangelischen Erzählung von der Predigt Jesu in
seiner Heimathstadt Nazareth. Da heißt es, er habe gepredigt „das angenehme Jahr des Herrn". Das Himmelreich ist da, die Liebe Gottes, die er verkündigt, die Seligkeit in Gott, die er bringt, Ge
rechtigkeit, Friede und Freude im heiligen Geist, ein neues Leben, das im Innern des Menschen beginnt und von da aus auch das äußere Leben umgestaltet, das Alles ist gekommen, gegenwärtig für Jeden, der es sich vertrauensvoll aneignen will. An einer anderen Stelle der evangelischen Erzählung heißt es: „Er predigte gewaltig, und nicht wie die Schriftgelehrten und Pharisäer." Seine Rede war weit wie die Welt, frei wie der Himmel, klar wie die Sonne, ernst wie die Ewigkeit. Unter dem Eindruck seiner Rede machen sich die Menschen los von dem todten Herkommen, von dem sie sich
hatten beherrschen lassen, von der abstumpfenden Gewohnheit, von der alles selbständige frische Leben in ihnen ertödtet worden war, und von dem Elend ihrer Schuld, seit sie hier eine Kraft spürten, die stärker war als ihre sündige Vergangenheit, die in ihnen etwas vollbrachte, was sie für unmöglich gehalten hatten, nämlich einen neuen Menschen in ihnen schuf.
Er predigte gewalüg. Sein Wort war nicht der kunstvoll geformte Ausdruck mühsam ersonnener Ge
danken, sondern eigene innere Erfahrungen, Erlebnisse, Bewegungen des Herzens kommen hier, ohne erst durch nüchterne Erwägung hin
durch gegangen zu sein, ftisch und unmittelbar zum Ausdruck. Er predigte gewalüg. Wie es das göttliche Leben in ihm war, das er ausspricht, so muß das ganze Leben auf Erden ihm predigen helfen.
Er ruft die Aehren auf dem Felde, die Reben am Wein
stocke, den Baum mit seinen weithin schattenden Zweigen, die Fische im Meer, die Vögel unter dem Himmel, den Kaufmann, der
in den Straßen von Kapernaum mit kostbaren Perlen handelt, die
Das Auftreten Jesu in Galiläa.
252
Jungfrauen im Hochzeitszug, die Kinder, die auf der Straße spielen, die stolzen Pharisäer und die verschüchterten Zöllner — er ruft sie Alle herbei, daß sie ihm helfen müssen, Gottes ewige Gedanken zu verkündigen.
Er predigte
gewaltig.
Vor Allem predigte er
sich
selbst, wie er im Verkehr mit seinem Vater allmählich geworden
war; sein innerstes Leben, das aus Gott geflossen, legte er in seine Predigt hinein/sein Herz, sein Gewissen, seine suchende Heilands
liebe, mit einem Worte Gott selbst, wie Gott in ihm lebte, Gott
selbst, den keine Satzung, kein Gesetzesbuchstabe, keine Gewohnheit,
keine Ueberlieferung faßt, der vielmehr ewige Liebe, Leben, Geist, Kraft ist.
So predigte er gewaltig,
und
nicht wie die
Schrift
gelehrten und Pharisäer. Können wir auch gewiß
zunächst
etwas
daraus etwas
für uns entnehmen?
für unseren Gottesdienst.
Ganz
Da soll
sich
immer wieder das wiederholen, was in den Schulen Galiläas ge
schah, als Jesus dort predigte.
Das ist das Herrliche an unserem
evangelischen Gottesdienst, aber auch das Schwere, daß hier nicht nur Ueberliefertes, Hergebrachtes, Angelerntes vorgebracht wird, daß
er also niemals nur auf liturgische Formen beschränkt werden darf, sondern daß sein Mittelpunkt immer die Predigt sein
muß,
in
welcher Selbsterlebtes, Selbsterkanntes, persönliche Ueberzeugung ver
kündigt wird, in Verbindung mit dem reich bewegten Leben unserer Zeit und mit dem, was das Herz der Gemeinde bewegt; in welcher
ein Mensch, der selbst innerlich von Christus ergriffen ist, aus seinem innersten Leben heraus zu Menschen redet.
Wo solch ein Gottes
dienst gefeiert wird, da ist Christus gegenwärtig, wie in den Syna gogen Galiläas, und predigt gewaltig und nicht wie die Schrift
gelehrten und Pharisäer.
Und ebenso gilt das von unseren Schulen.
In einer evangelischen Schule kann der Unterricht in der Religion
nun und nimmer in einer todten Aneignung, in einem mechanischen
Auswendiglernen von Worten und Geschichten bestehen, die dann wie
ein todtes Kapital im Gedächtniß ruhen, werden.
bis
sie ganz
vergessen
Auch hier kommt es darauf an, daß ein Mensch, der von
der Wahrheit Christi ergriffen und von dem Leben Jesu erfüllt ist, zu Menschenkindern redet, zu jungen Gemüthern.
heute noch Jesus gewaltig.
Da predigt auch
Auch du sollst so reden, wenn du auch
weder Prediger noch Lehrer bist.
Wo ein Mensch nicht angelernte
25S
Das Auftreten Jesu in Galiläa.
fromme Worte macht — fromme Redensarten sind die schlimmsten Redensarten —, sondern in der einfachsten Weise seine lebendige
Ueberzeugung ausspricht von der ewigen Wahrheit, die er an sich erlebt hat, wo ein Mensch in einer Gesellschaft von Spöttern aus spricht, daß ihm Gott und Ewigkeit nicht verbrauchte Begriffe sind,
sondern ewige Wirklichkeiten, an welche er sich mit seinem Herzen und Gewissen durch unzerreißbare Ketten gebunden fühlt, oder wo
eine Mutter ihrem Kinde im Herzenstone die Weihnachtsgeschichte erzählt, von der Liebe Gottes und von der Liebe Jesu und von der Herrlichkeit der Gotteskindschaft, zu der wir Alle berufen sind, oder wo im gewöhnlichen Leben ein Mensch durch ein ernstes, aus dem Gewissen kommendes Wort einem anderen Menschen das Gewissen
weckt, — das Alles ist ein Reden, wie Jesus redete in den Syna gogen Galiläas. 4.
So ward Jesus, wie uns zuletzt berichtet wird, „von Jeder-
niann gepreiset."
Späterhin ist es freilich anders geworden, als
es am Anfang seiner Thätigkeit war. der Sonne.
wundern sie.
Später, wenn ihre Strahlen heiß werden, klagen die
Menschen über sie. als
Es ist ihm ergangen, wie
Wenn sie aufgeht, heißen Alle sie willkommen und be
seine Rede
So ist Jesus anfangs gepriesen worden.
immer ernster und strafender
wurde,
Später,
haben die
Menschen ihn getadelt, verleumdet, verflucht, zuletzt ans Kreuz ge
schlagen.
Es konnte auch nicht anders sein.
Menschen gepriesen werden,
Denn immer von allen
das erweckt leicht den Verdacht,
daß.
der Betreffende ohne Festigkeit in seinen Grundsätzen, ohne Ueber zeugungstreue ist.
Auch preisen die Menschen oft, was des Lobes
gar nicht werth ist. Wohl aber ist es ein Lob,
gepriesen zu werden von denen,
welche Einen wirklich kennen und im Stande sind, zu beurtheilen. Solches Lob ist einfach die Folge des Segens,
gegangen ist.
der von dir aus
So muß Jeder, der Jesu nahe getreten ist, ihn preisen.
So vielfältig die Segnungen sind, die von ihm ausgehen, so viel fältig ist das Lob, das ihm ertönt.
Von den Kindern, die er ge
segnet hat, wird er gepriesen als der Kindersteund, von den Sündern, denen er Vergebung gebracht, als der Erlöser, von den Streitenden, die er versöhnt, als der Friedefürst, von den Kämpfenden, die er
stärkt, als der Herzog, von den Duldern, denen er hilft, als der
254
Das Auftreten Jesu in Galiläa. des Leides,
Ueberwinder
von den Trauernden
Tröster.
als der
Jeder Gottesdienst ist ein Lob des Meisters, der hier itttb dort die Seinen um sich sammelt, jede Taufe ein Lob des guten Hirten, der
sich auch des unbekanntesten Menschenkindes annimmt, jedes Abend mahl ein Lob des reichen Königs, der die Hungernden speist und
die Dürstenden tränkt,
und jedes Begräbniß ein Lob dessen,
der
auch uns Macht giebt über den Tod. Und noch mehr werth,
als alles laute Lob,
sind die stillen
Loblieder, die durch die Herzen der Seinen ziehn, jede Regung der
Dankbarkeit, jedes Gefühl der Anhänglichkeit an ihn, jedes Gelübde
der Treue, das irgendwo auf der weiten Erde eine Menschenseele
still ausspricht. kein
leibliches
In der stillen inneren Welt der Menschen, in welche
Auge und
sichs am Herrlichsten:
keine
leibliche
Sehkraft dringt,
erfüllt
„Jedermann — der ihn kennt, mit seiner
Seele schaut und liebt — preiset ihn." Wir müssen darauf verzichten, von allen Menschen gepriesen zu
werden.
Wir müssen hindurchgehn durch manchen Tadel.
Aber
wenn du nur ihm nachfolgst, dir, deinem Gewissen, Gott und den
Menschen Treue hältst, still und recht deinen Weg gehst, und wenn
dieser Weg auch im Verborgenen bleibt, wenn du nur von ganz wenig Menschen gekannt wirst, schließlich sammeln sich auch um dein
Grab einige Menschen, die dich vielleicht nicht laut rühmen, aber
deiner doch in Treue gedenken.
Der Eine sagt sich:
„Mir hat er
treu gedient"; der Andere: „Mich hat er einst durch ein freundliches Wort getröstet, als ich trüben Muthes und an Gott und der Welt verzweifelt
war;"
und
die,
dir
welche
am
nächsten
gestanden,
geben dir das Zeugniß, daß du ihnen mehr gewesen bist, als sie sagen können.
und
Und je stiller dieses Lob ist, je weniger wortreich,
je weniger es von
dir
gesucht
worden ist, um so
werth
voller ist es. Das Lob Jesu tönt von der Erde zum Himmel empor, vom
Himmel zur Erde herab, von den Enden der Erde zu uns herüber,
und diese Lobgesänge pflanzen sich fort von Geschlecht zu Geschlecht.
Dagegen die Menschen, die vielleicht unser Lob verkündigen, müssen sterben, und von uns wird es still auf Erden, und unser Name
verlischt im Lande der Lebendigen. sich
aufthun für uns,
der Mund
Möchte dann nur Ein Mund
der ewigen Wahrheit, unseres
255
Die Berufung der Jünger.
Gottes, und nur das Eine Lob von uns verkündigen: „Du bist über
Wenigem getreu gewesen, ich will dich über Vieles setzen, gehe ein zu deines Herrn Freude!"
Amen.
31.
Die Berufung der Jünger. Matth. 9, 9—13.
Und da Jesus von dannen ging, sahe er einen
Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus, und sprach zu ihm:
Folge mir.
Und er stand auf und folgte ihm.
Und es begab sich,
da er zu Tische saß im Hause; siehe, da kamen viele Zöllner und Sünder, und saßen zu Tische mit Jesu und seinen Jüngern. Da das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum iffet euer Meister mit den Zöllnern und Sündern? Da das Jesus
hörete, sprach er zu ihnen: Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken.
Gehet aber hin und lernet, was das sei: Ich
habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit, und nicht am Opfer.
Ich bin
gekommen die Sünder zur Buße zu rufen, und nicht die Frommen.
Dieser Zöllner, der Jesu nachfolgt, ist uns der Vertreter einer ganzen großen Menschenklasse im damaligen israelitischen Volke,
einer Menschenklasse, die trotz aller Verachtung, die auf ihr lastete, besonders beanlagt war zur Aufnahme des Evangeliums und deshalb für uns vorbildlich ist.
Ihnen gegenüber stehen die Pharisäer,
auch wieder nicht diese einzelnen Menschen, sondern Vertreter einer bestimmten Denkweise,
Gesinnung, welche
dem
Evangelium
gegenüber sich ablehnend verhält, heute ebenso wie einst.
zwischen beiden Gruppen von Menschen Jesus,
Jesu
Und dann
der sich den von
den Menschen Verachteten zuwendet und sich von den Anderen ab
wendet, weil die Kranken des Arztes.bedürfen und nicht die Ge
sunden, weil er gekommen ist, die Sünder zur Buße zu rufen und nicht die Gerechten. Jesus zeigt sich uns hier als Herzenskündiger.
Er blickt durch
das äußere Wesen hindurch bis auf den Grund der Seele; er sieht das tiefe Verlangen nach Heil, wo Menschen nur Verkommenheit sehn, und wiederum wo Andere Frömmigkeit und Gerechtigkeit sehn.
255
Die Berufung der Jünger.
Gottes, und nur das Eine Lob von uns verkündigen: „Du bist über
Wenigem getreu gewesen, ich will dich über Vieles setzen, gehe ein zu deines Herrn Freude!"
Amen.
31.
Die Berufung der Jünger. Matth. 9, 9—13.
Und da Jesus von dannen ging, sahe er einen
Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus, und sprach zu ihm:
Folge mir.
Und er stand auf und folgte ihm.
Und es begab sich,
da er zu Tische saß im Hause; siehe, da kamen viele Zöllner und Sünder, und saßen zu Tische mit Jesu und seinen Jüngern. Da das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum iffet euer Meister mit den Zöllnern und Sündern? Da das Jesus
hörete, sprach er zu ihnen: Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken.
Gehet aber hin und lernet, was das sei: Ich
habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit, und nicht am Opfer.
Ich bin
gekommen die Sünder zur Buße zu rufen, und nicht die Frommen.
Dieser Zöllner, der Jesu nachfolgt, ist uns der Vertreter einer ganzen großen Menschenklasse im damaligen israelitischen Volke,
einer Menschenklasse, die trotz aller Verachtung, die auf ihr lastete, besonders beanlagt war zur Aufnahme des Evangeliums und deshalb für uns vorbildlich ist.
Ihnen gegenüber stehen die Pharisäer,
auch wieder nicht diese einzelnen Menschen, sondern Vertreter einer bestimmten Denkweise,
Gesinnung, welche
dem
Evangelium
gegenüber sich ablehnend verhält, heute ebenso wie einst.
zwischen beiden Gruppen von Menschen Jesus,
Jesu
Und dann
der sich den von
den Menschen Verachteten zuwendet und sich von den Anderen ab
wendet, weil die Kranken des Arztes.bedürfen und nicht die Ge
sunden, weil er gekommen ist, die Sünder zur Buße zu rufen und nicht die Gerechten. Jesus zeigt sich uns hier als Herzenskündiger.
Er blickt durch
das äußere Wesen hindurch bis auf den Grund der Seele; er sieht das tiefe Verlangen nach Heil, wo Menschen nur Verkommenheit sehn, und wiederum wo Andere Frömmigkeit und Gerechtigkeit sehn.
Die Berufung der Jünger.
256
da sieht er nur nichtiges leeres Wesen.
Zugleich zeigt er sich auch
als der Starke, der die Menschen mit sich fortzieht, daß sie Alles verlassen und ihm nachfolgen.
Unsere Erzählung zeigt uns:
Wie die Menschen Jünger Jesu werden.
1. Wodurch werden die Menschen Jünger Jjesu? durch sich selbst,
sondern
durch ihn.
werden
Jesu?
Nicht
Jünger
die
Nicht
2. Welche Menschen Starken,
sondern
die
Schwachen. 1. Der Mann am Zollhaus mag Jesum wohl schon gekannt
und
einen tiefen Eindruck von ihm empfangen haben.
Von dem
reinen Lichte, das von Jesus ausging, von der Heilandsliebe, welche aus seinen Werken redete und sich durch seine Thaten bezeugte, war
der Geist des Zöllners zu ihm hingezogen worden.
Da geht Jesus
vorüber und spricht das entscheidende Wort: „Mach Emst mit dem,
was du willst, und laß dem Wollen die That folgen. nach!"
Folge mir
Er kann gar nicht anders,
Da ist dem Zöllner Alles klar.
es zieht ihn mächtig fort, mächtiger als Alles, was ihn festhalten will, mächtiger als die Vergangenheit, als sein bisheriges Leben mit als alle Bedenken.
seiner Schuld, mächtiger Jesu nachfolgt,
liegt nicht in ihm,
Die Ursache, daß er
sondern in Jesus.
Jesus
zieht ihn mit sich fort.
Die Berufung dieses
Zöllners ist
eine
Illustration zu
dem
Worte, welches Jesus im Evangelium Johannis einmal zu seinen
Jüngern sagt: euch erwählet."
„Ihr habt nicht mich erwählet, sondern ich habe
So ist es.
Jesus trat an dich heran, ehe du ihn
Sein Geist umgab dich in der Luft, in welcher einst in
kanntest.
den Tagen deiner Kindheit deine Seele athmete.
Eltern,
die dich zum Guten wiesen,
Vater im Himmel.
Er lenkte deine
die dich beten lehrten zum
Unter seinem Einfluß sind die sittlichen Grund
sätze entstanden, welche dir eingepflanzt wurden.
In jeder Mahnung
zum Guten, die an dich gerichtet wurde, in jeder Warnung, in jedem Eindruck,
den du in Schule und Unterricht von der Herrlichkeit
Jesu bekamst, in jedem wahrhaft christlich denkenden Menschen, der einen heilsamen Einfluß auf dich ausübte, da kam Jesus zu dir und
sagte: Folge mir nach!
Christlicher Geist war die Heimathluft, in
welcher euere Seelen für das Leben heranreiften.
Ihr habt diese
257
Di« Berufung der Jünger.
Das alles
Heimathluft geathmet, ohne es zu wollen und zu wissen.
kam ohne dein Zuthun.
Jesus hat dich erwählet, nicht du ihn.
Die Erwägung, wie du dazu gekommen bist, ein Christ zu
werden, muß dich immer
stimmen.
zur tiefsten Demuth
Diese
Geschichte wird sich immer kurz dahin zusammenfassen lassen: Jesus stand vor dir und sprach: „Folge mir nach!"
und folgtest ihm nach.
Da standest du auf
Sein Wort war dir zu Herzen gegangen,
daß du deine Seele aufthun mußtest.
Sein göttlich-hohes und zu
gleich menschlich-einfaches Leben zog dich so an, daß du die Gewiß heit hattest:
„Hier redet Gott mit dir."
Seine Liebe erschien dir
so groß, daß du vertrautest: „Auch für mich ist dort Platz." Wandeln in seiner Nachfolge erschien dich ihm
anschließen mußtest. Jesus
dich überwunden.
war stärker als du. Er hat
Daß du an ihm deinen Halt, in ihm deinen
Frieden fandest, das ist seine That, nicht erwählt,
nicht du ihn.
gute, rechte Bahn.
Das
dir so nothwendig, daß du
die deine.
Erhat dich
Er hat dich mit sich fortgezogen auf die
Das sind keine frommen Phantasieen.
Sondern
der Geist Jesu geht wirklich auf Erden umher und zieht die Menschen mit sich fort. Aber hätte der Zöllner nicht den Ruf Jesu überhören können?
Daß er ihn nicht überhörte, war das nicht sein Verdienst?
Daß
du als Kind mit aufmerksamem, empfänglichem Sinn hörtest, was
dir von Jesus erzählt wurde, daß du dem Zug deines Herzens zu ihm hin folgtest, war das nicht deine That, dein Verdienst?
Aber
frage dich doch: Ist es dein Verdienst, daß du deine Augen erhebst, wenn die Morgensonne am Himmel emporsteigt?
Ist es dein Ver
dienst, daß du hinausgehst in die Frühlingswelt,
sich schmückt wie eine Braut?
wenn die Erde
Oder ist es dein Verdienst, daß du
zum Arzt gehst!, wenn du des Arztes bedarfst?
Augen, Jesum zu erkennen als deinen Heiland?
Wer gab dir die
Wer pflanzte in
deine Seele das Verlangen nach Dingen, die nicht von dieser Welt
sind?
Wer hat die große Stunde deines Lebens herbeigeführt, als
Jesus von Gott gesandt vor dir stand und deine Seele sich ihm austhat? weißt.
Hast du es gethan?
Kommt
Er hat viel mehr an dir gethan,
als du
Wer hat das Alles gethan?
nicht Alles von Gott?
Die Verhältnisse, die dich umgeben, der Geist, der in deiner
Erziehung waltete, alle die geistigen und sittlichen Bildungsmittel, Kirmß, Predigten.
17
Die Berufung der Jünger.
258
welche in deinem Unterricht, den du genossen, auf dich einwirkten,
die Menschen, mit denen du zusammenkamst, die Erlebnisse deines inneren Lebens, in der ganzen Welt, welche dich umgiebt, ziehen sich die Einwirkungen Gottes hindurch.
überall
Er ist ganz still,
unsichtbar dir zur Seite gegangen, wie ein selbstloser Freund, der
nicht an sich denkt, sondern nur an dich, hat dich an der Hand ge
halten, deine Seele in Versuchungen behütet, und wenn du einer erlegen,
hat er dich wieder aufgerichtet, und wenn du von einer
Gefahr nichts
ahntest,
hat er seine Hand über dir ausgebreitet.
Daß du Jesu nachfolgen konntest, das hat Gott gethan. laßt uns Eins lernen:
Daraus
Gerade unter Solchen, die sich für fromme
Christen halten, ist der Fehler des Hochmuthes weit verbreitet, des geheimen Hochmuthes, in welchem sie sich ihr Christenthum als ihr Verdienst anrechnen, verächtlich herabsehn auf die, welche von der
erlösenden Macht
des Christenthums nicht ergriffen worden sind,
und stolz darauf, daß Gott sie erwählt habe, nun sprechen: sind doch besser, als Jene."
„Wir
So sind sie erfüllt von eitlem Stolz
auf die Gnade Gottes, die uns doch demüthigen sollte bis in den tiefsten Staub. Christ bin,"
Wer da sagt: „Es ist mein Verdienst, daß ich ein Hier ist gar kein Rühmen
der ist kein Christ.
Platze, auch keine Ueberhebung was Johannes sagt:
über Ungläubige.
Hier
am
gilt nur,
„Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater
erzeiget, daß wir sollen Gottes Kinder heißen."
Hier gilt das Wort
aus unserem Gesangbuch: Er hat uns zu dir gezogen Und du zogst zu ihm uns hin.
So hat Liebe überwogen
Unseres Herzens kalten Sinn.
Daß du Jesu nachfolgst, ist seine That und Gottes Gnade. So bekommt das Wort „Jesu nachfolgen"
Sinn.
Es heißt nicht nur:
einen ganz besonderen
Sein Leben nachahmen;
sondern es
heißt: Von ihm gezogen, geführt, beherrscht werden, von seiner Kraft ergriffen sein Leben ihm nachleben, so daß sein Leben sich wieder
holt in unserem Leben.
Wenn du ihm nachfolgst, so mußt du dich
von ihm hinführen lassen überall dahin,
wohin er gegangen ist.
Er führt dich hinaus; freilich mußt du nicht, wie es die Jünger
wirklich thaten, dein Haus verlassen.
Aber doch mußt du dich inner-
Die Berufung der Jünger.
259
sich losmachen von irdischer Liebe und Sorge, von der Rücksicht auf
das, was die Menschen sagen, Geld nnd Gut, Glück und Freude, Alles
geringer
achten,
christliche Pflicht. zu verlassen.
als
dein
christliches
Gewissen und
deine
Jesus führt dich hinaus und zwingt dich. Alles
Wie er selbst sich für die Menschen hingegeben hat,
so zwingt er dich in den Dienst der Menschen, dich selbst zu vergessen,
-en Deinen zu leben, dir keine Ruhe zu gönnen, sondern zu helfen, daß den Hilfsbedürftigen um dich her geholfen werde.
Wie er selbst
im Gebet emporgestiegen ist zu seinem Vater, so daß er ihm ins Auge sehen konnte, wie ein Kind seinem Vater ins Auge sieht, und
sein Haupt an die Brust des Vaters legte, wie ein Kind mit seinem
Haupte an der Brust seiner Mutter ruht, so führt dich Jesus im
Gebet hinauf über alle Himmel, in unermeßliche Fernen, so daß der ganze Lärm dieser Welt hinter dir wie ein Seufzer verklingt und du nur noch zu deinem Vater sprichst und nur noch seine ttöstende
Stimme hörst.
Jesus fährt mit dir über das erregte Meer
des
Lebens, durch die Stürme hindurch, und umschirmt dich da mit seinem Frieden, daß du dich nicht zu fürchten brauchst.
Er zieht
dich mit hinab in sein Leiden, so daß alle Trübsal dir ein Mittel
innerer Kräftigung und Verklärung wird.
Er zieht dich mit hinab
in seinen Tod und du empfängst alle die Schätze der Versöhnung, welche dort ruhen.
Du suchst
an seiner Seite die Osterherrlichkeit und
empfängst von ihm sein ewiges Leben. empor hinauf ins Vaterhaus.
Zuletzt zieht er dich mit sich
Jesu nachfolgen, das heißt von ihm
ergriffen und beherrscht sein Leben ihm nachleben in seiner Kraft.
Wodurch werden die Menschen Jünger Jesu?
Nicht durch sich
selbst, sondern durch ihn.
2.
Welche Menschen werden Jünger Jesu?
Nicht die
Starken, sondern die Schwachen.
Die Zöllner waren bei den national gesinnten Israeliten sehr
verachtet, weil sie römische Beamte waren, Knechte der Fremd herrschaft; und sie waren bei den sittenstrengen Israeliten verachtet, weil die Versuchung zum Unterschleif in ihrem Beruf vielfach an sie
heranttat und sie dieser Versuchung häufig unterlagen.
So ist der
Verkehr Jesu mit ihnen für die Pharisäer ein schweres Aergerniß. „Er hat die Sabbathgebote übertreten, er hält seine Jünger- nicht zum
Fasten an, er steht der frommen Sitte sehr frei gegenüber, und nun 17*
260
Tie Berufung der Jünger.
läßt er sich sogar von diesen Zöllnern bewirthen oder bewirthet sie." Ja noch mehr:
„Er hat Einen von ihnen unmittelbar vom Zollhaus
weg zu seinem Jünger berufen.
Er giebt sich mit dem Abschaum
Er mag sich nicht wohl fühlen in der Gesellschaft
des Volkes ab.
der wohlanständigen Leute, und so macht er; sich nichts daraus, wenn er bei ihnen Anstoß erregt." Weshalb
macht Jesus die
Zöllner
und
Sünder
zu
seinen
Weil gerade sie ihn brauchen und sich nach ihm sehnen.
Jüngern?
hatte sich um sie bekümmert,
Niemand
Wie viel Zurückweisung hatte
ihnen galt als etwas Befleckendes. ihre Seelen verwundet!
denn die Berührung mit
Sie hatten sich nach Liebe gesehnt und
keine gefunden, nach Verständniß, und überall waren die Thüren Kamen sie zu dem jüdischen Religionswesen,
verschlossen gewesen.
zu den jüdischen Priestern, so hörten sie immer nur: rein sein," und sie waren doch nicht rein,
„Ja ihr müßt
„ihr müßt das Gesetz
halten," und dabei fanden doch ihre Seelen keine Ruhe. sich bei ihnen die Ansicht festgesetzt:
So hatte
„Wir sind Verstoßene und Ver
Und doch lebte in ihnen noch das göttliche Ebenbild, das
lorene."
Gefühl der Würde, chie Gott ihnen gegeben, das Bewußtsein, daß
sie doch
nicht
ein freies
gut und
so schlecht seien, wie die Menschen
unbefangenes Verständniß
edel ist, während
sie hielten,
ja
für das, was wirklich recht,
die Pharisäer unter dem Staub der
Satzungen nur achteten auf das, was nach der überlieferten Ansicht als gut und heilig galt, aber die Ursprünglichkeit des Empfindens verloren
für das, was wirklich
hatten
gut und heilig ist,
Die
Zöllner hatten wenigstens die Sehnsucht, gut zu werden, weil sie wußten, daß sie nicht gut wären, und sie sehnten sich nach Ver
söhnung, weil sie fühlten, daß sie keinen Frieden hätten.
Jesus
zu ihnen,
wie ein vertrauter Freund,
der sie
Da kommt
ganz genau
kennt, und durch alle Verkommenheit hindurch den Gottesfunken in ihrer Brust sieht, die Sehnsucht nach einem neuen Leben.
kommt zu ihnen ganz anders, wie die Anderen.
Jesus
Er schilt nicht und
fordert von ihnen, sondern er redet fteundlich zu ihnen und bringt ihnen etwas, etwas ganz Neues, die Gnade Gottes den Reuigen, die Liebe Gottes den Verlangenden, den Frieden Gottes den Ver
trauenden.
Bei
den Zöllnern
ist
den
sie
Pharisäern ist
offen;
sie
die Thür
brauchen
ihn
verschlossen.
und
sehnen
Bei
sich
Die Berufung der Jünger.
nach ihm.
261
Deshalb tritt er bei ihnen ein und macht sie zu seinen
Jüngern.
Die Pharisäer und Zöllner sind heute noch genau so wie da
mals.
Sie tragen andere Kleider, haben andere Namen und leben
in anderen Verhältnissen.
Aber ihrem innersten Wesen nach sind sie
noch genau dieselben wie damals. Jede Zeit hat ihre Dinge, auf die sie stolz ist.
war stolz auf ihre gesetzliche Gerechtigkeit.
andere
Dinge
stolz.
Die
Pharisäer
Die Zeit Jesu
Die heuüge Zeit ist auf
eines
Zeitalters
sich mit den Dingen, auf welche das Zeitalter stolz ist.
umkleiden Der Eine
ist so eingebildet auf seine Rechtschaffenheit, seine Verdienste und sein
Ansehn bei den Menschen, daß er
die neue Gerechügkeit,
Jesus schafft, gar nicht zu würdigen weiß.
welche
Er stimmt in das all
gemeine Urtheil über die Schlechtigkeit der Welt und der Menschen
im Allgemeinen durchaus ein, fühlt sich aber sehr verletzt, wenn ihm
die Selbsterkenntniß zugemuthet wird, daß er ein Sünder sei.
Ein
Anderer ist geblendet von seinem Glück, daß er kein Auge hat für
die
Seligkeit,
welche Jesus
den Menschen
bringt.
ein
Wieder
Anderer ist so hingenommen von seinem Wissen und seiner Bildung,
daß er nichts weiß von dem Frieden, der höher ist als alle Ver nunft.
So verknöchert der Mensch in sich selbst und verliert die
Fähigkeit, Neues aufzunehmen,
Fortschreitens.
die Fähigkeit
des Wachsens und
Er baut sich in den Niederungen des Lebens seine
kleine Hütte und meint, es gäbe nichts in der Welt als sie, und ver
lernt es,
seine Augen zu erheben zu den Bergen Gottes,
Gipfel von der Ewigkeit
Liebe.
verklärt werden.
Er ist keiner Rührung,
deren
Es stirbt in ihm die
keines Erbarmens mehr fähig;
er
sieht gleichgiltig seine Brüder und Schwestern sterben und verderben,
und wenn Andere gern zu den Verachteten und Verkommenen gehen, um ihnen zu helfen, so ruft der Pharisäer ihnen höhnisch zu:
„Ihr
werdet schon euere Erfahrungen mit diesen Leuten machen."
Das
sind die Starken, welche Jesus nicht zu seinen Jüngern macht, die Pharisäer unserer Zeit.
Hat Jesus nicht auch diese Pharisäer lieb? er nicht
Sehnsucht
auch für sie
gekommen?
Ohne Zweifel.
Ohne Zweifel.
Aber wo
Ist
die
nach Heil und Gerechügkeit gestorben ist, wo in dem
Menschen der Wille zur Versöhnung mit Gott todt ist, da schließt
862
Die Berufung der Jünger.
sich der Mensch selbst von dem Erlöser aus, der Heil und Gerech
tigkeit bringt,
da geht Jesus traurig vorüber, bis Gottes Gnade,
wenn nöthig, durch schwere Gerichte den Willen des Menschen ge
brochen und in seiner Brust das Schreien nach dem lebendigen Gott erweckt hat.
Das innere Bedürfen, die Sehnsucht nach neuem Leben, das ist die Grundlage aller Heilung und alles Heils. Deshalb preist Jesus die geistlich Armen selig. Deshalb sollen, die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, satt werden.
Das innere Bedürfen, die
Sehnsucht nach dem Licht, das ist die innere Kraft, die den Keim
emportreibt, die den inneren Menschen zum Wachsthum treibt hinauf zum Lichte.
Das ist das
wenn
auch
vielleicht
welches den Menschen noch an Gott knüpft.
ganz lose Band,
Wer sich als Sünder
fühlt, steht vor Gott höher, als wer sich gerecht fühlt.
Der ver
kommene Mensch mit seinem traurigen Blick, der verkommene Mensch, in welchem eine gequälte Seele nach Frieden und neuem Leben ruft, steht vor Gott höher, als der stolze Gerechte, der Jenen kalt von
sich weist.
Der Verbrecher, in dem die Reue erwacht, steht vor
Gott höher, als der Pharisäer, der über ihn den Stab bricht.
Unter
den Verachteten ist oft mehr natürliches Verständniß für das Gute,
Durch
als unter denen, die der Buße nicht zu bedürfen meinen.
Reue und Sehnsucht wird das Land gelockert, so daß der Regen der göttlichen Gnade eindringen kann, während derselbe abläust auf
dem steinigen ausgedorrten Boden der Selbstgerechttgkeit.
Deshalb
macht Jesus die Schwachen zu seinen Jüngern und nicht die Starken. Jesus, der vollkommen Reine, der Sündlose sammelt um sich
die, welche von den Menschen verstoßen werden.
lichste, was die Weltgeschichte kennt.
Das ist das Herr
Die himmlische Reinheit ver
bindet sich mit den Unreinen, damit die Unreinen rein werden.
Der
von keiner Sünde weiß, reicht den Sündern die Hand, damit die Sünder Gottes Kinder würden.
Dieses Bild ist so wunderbar, daß
auch jetzt noch, wie in Kapernaum, aus allen Häusern die Zöllner kommen, um mit ihrem großen Anwalt zu Tisch zu sitzen. Auch wir wollen zu ihnen gehören.
komm, tritt vor Gott hin!
Ja, wir wollen.
dich selbst, deine Fehler, deine Schwachheit zu erkennen! deine Selbstgerechttgkeit ab,
So
Bitte ihn um den Geist der Wahrheit,
Lege selbst
ehe Gott über dich kommt und mit
263
Die Berufung der Jünger.
seinem starken Arm sie zerschlägt!
Erkenne, daß du in deinem Glück,
so schön und reich es auch sein mag, niemals die Ruhe deiner Seele
finden kannst, und suche deinen Halt, deinen Reichthum in Gott, da mit du nicht verzweifeln mußt, wenn dein Glück vergeht!
Erkenne,
daß all deine Bildung und dein Wissen die Unruhe deiner Seele nicht füllen kann, sondern daß du dazu den Frieden Gottes brauchst, der höher ist als alle Vernunft.
Wenn deine stolze Gerechtigkeit
sich dir erweist als ein beflecktes Gewand, dein Wissen als Stück
werk, wenn du dich selbst erkennst in deiner Schwachheit und Hilf losigkeit, wenn du nichts anderes mehr kannst als rufen: „Herr, hilf mir, ich verderbe!", da tagt der Morgen, und dein starker Erlöser
kommt zu dir und richtet dich auf und macht dich zu seinem Jünger. Nun bist du stark, aber nicht mehr im Vertrauen auf deine Kraft,
sondern durch Gottes Kraft, die in dir mächttg ist.
Nun stützest du
dich nicht mehr auf deine Gerechttgkeit, sondern auf Gottes Gnade,
nicht mehr auf dein Glück, sondern hast Gottes Frieden.
Nun bist
du stark, unüberwindlich stark; denn du hältst dich an Gott, und Gott hält dich.
Und diese Stärke wird sich besonders in Einem zeigen.
Du
wirst auch darin Jesu nachfolgen, daß du dich derer annimmst, um
die sich sonst Niemand bekümmert. zeichen rechten Christenthums.
Das ist gerade ein Hauptkenn
Eine Gemeinde beweist sich als eine
wirklich christliche nicht durch die Schönheit ihres Gotteshauses und durch den Glanz und Schmuck ihrer Gottesdienste,
so schön das
Alles auch ist, sondern dadurch, daß sie sich derer annimmt, um die sich sonst Niemand kümmert.
gesehene
mit Angesehenen,
Wenn Gebildete mit Gebildeten, An Wohlangesehene mit Angesehenen ver
kehren und einander Gutes erweisen, das ist kein Verdienst.
„So
ihr liebt, die euch lieben," sagt Jesus, „was habt ihr für Lohn da von."
Sondern das rechte Christenthum beginnt erst da, wo man
über alle Rücksichten und trennende Unterschiede hinweg dem gesell schaftlich Geächteten in barmherziger Liebe die Hand reicht.
Und
wenn du das thust, hast du gar nicht die Besorgniß, daß du dir
eyvas vergeben könntest, so wenig als Jesus diese Besorgniß hatte.
Denn du weißt dich auf
seinen Wegen,
auf den Wegen,
die er
geweiht hat. So
macht Jesus
die
Schwachen
zu
seinen
Jüngern.
Die:
Ein Tag und ein Abend aus dem Leben Jesu.
264
Starken, das heißt die sich auf sich selbst verlassen, sind schwach wie das Schilfrohr.
Die schwach sind, das heißt die sich nicht mehr auf
sich verlassen, sondern an Gottes ewige Gnade und Treue halten,
die sind wirklich stark. Gottes Gnade ist in dem Schwachen mächtig.
bin, so bin ich stark.
Wenn ich schwach
Amen.
32.
Ein Tag nnd ein Abend ans dem Leben Jesn. Matth. 14, 22. 23.
Und alsobald trieb Jesus seine Jünger, daß sie in
das Schiff traten und vor ihm herüberfuhren, bis er das Volk von
sich ließe.
Und da er das Volk von sich gelassen hatte, stieg er auf
einen Berg allein,
daß er betete.
Und am Abend war er allein
daselbst.
wir fahren heute Galiläa fort.
in der Betrachtung
des Lebens Jesu in
Wir haben zuerst von seinem Amtsantritt gesprochen,
dann von der Berufung der Jünger,
heute laßt uns einen Tag
und einen Abend aus seinem Leben betrachten.
zum Vorbild
Das soll uns
dienen, wie auch wir unser Tagewerk und unsere
Abendruhe gestalten sollen. 1.
Wie war der Tag im Leben Jesu verlaufen?
In unserem
Text ist davon keine Rede; wir müssen das aus dem Vorhergehenden ergänzen.
Er hat am Morgen dieses Tages eine Nachricht erhalten,
die ihn auf das tiefste erschüttert hat, die Nachricht von der Hin richtung Johannes des Täufers.
Das ist das erste äußere Anzeichen
seines zukünftigen Geschicks; das blutige Haupt des Täufers weissagt
ihm seinen Todestag.
gekommen ist.
Aber er weiß auch, daß seine Zeit noch nicht
Darum weicht er aus dem Lande des Herodes und
fährt über den See,
wo Herodes keine Gewalt mehr hat.
Eine
große Volksmenge sammelt sich dort um ihn, folgt ihm auch in die Einsamkeit. erzählt.
Und hier wird uns die Speisung der fünf Tausend
Ein Tag und ein Abend aus dem Leben Jesu.
264
Starken, das heißt die sich auf sich selbst verlassen, sind schwach wie das Schilfrohr.
Die schwach sind, das heißt die sich nicht mehr auf
sich verlassen, sondern an Gottes ewige Gnade und Treue halten,
die sind wirklich stark. Gottes Gnade ist in dem Schwachen mächtig.
bin, so bin ich stark.
Wenn ich schwach
Amen.
32.
Ein Tag nnd ein Abend ans dem Leben Jesn. Matth. 14, 22. 23.
Und alsobald trieb Jesus seine Jünger, daß sie in
das Schiff traten und vor ihm herüberfuhren, bis er das Volk von
sich ließe.
Und da er das Volk von sich gelassen hatte, stieg er auf
einen Berg allein,
daß er betete.
Und am Abend war er allein
daselbst.
wir fahren heute Galiläa fort.
in der Betrachtung
des Lebens Jesu in
Wir haben zuerst von seinem Amtsantritt gesprochen,
dann von der Berufung der Jünger,
heute laßt uns einen Tag
und einen Abend aus seinem Leben betrachten.
zum Vorbild
Das soll uns
dienen, wie auch wir unser Tagewerk und unsere
Abendruhe gestalten sollen. 1.
Wie war der Tag im Leben Jesu verlaufen?
In unserem
Text ist davon keine Rede; wir müssen das aus dem Vorhergehenden ergänzen.
Er hat am Morgen dieses Tages eine Nachricht erhalten,
die ihn auf das tiefste erschüttert hat, die Nachricht von der Hin richtung Johannes des Täufers.
Das ist das erste äußere Anzeichen
seines zukünftigen Geschicks; das blutige Haupt des Täufers weissagt
ihm seinen Todestag.
gekommen ist.
Aber er weiß auch, daß seine Zeit noch nicht
Darum weicht er aus dem Lande des Herodes und
fährt über den See,
wo Herodes keine Gewalt mehr hat.
Eine
große Volksmenge sammelt sich dort um ihn, folgt ihm auch in die Einsamkeit. erzählt.
Und hier wird uns die Speisung der fünf Tausend
265
Ein Tag und ein Abend aus dem Leben Jesu.
Jesus hat also an diesem Tage, darin hat sein Tagewerk be standen, das Volk gespeist mit dem Brode des Lebens.
Er ist unter
der Volksmenge umhergegangen und hat Jedem gegeben, was dieser braucht, dem, der zerfallen war mit sich selbst, hat er zum Frieden
verhalfen, dem, der nicht Herr werden konnte über sich selbst, hat er Kraft gegeben, sich selbst zu überwinden.
felten aufgerichtet und die Trostlosen
gemacht.
Er hat den Geist
Er hat die Verzwei
der Hilfe von Oben gewiß
der Müden
erfrischt.
Er hat
fünf
Tausend gespeist.
Welch ein Tagewerk!
Es ist ein weites Arbeitsfeld, auf das
er gestellt ist; es ist nicht umgrenzt von den Bergen Galiläas und nicht von den Grenzen irgend eines Landes, sondern soweit Menschen
auf Erden wohnen, soweit reicht sein Arbeitsfeld.
Es ist ein kost
bares Arbeitsmaterial, an dem er arbeitet, edle Menschenseelen, von Gott geschaffen und hineingestellt in den Kampf dieser Welt,
edle Sklaven, von der Sünde gefangen, seufzend unter der Last der
Vergänglichkeit, hungernd und dürstend nach den Gütern einer an deren Welt.
Er soll sie bilden nach Gottes Bild und sie zu freien
Kindern des Lichtes machen.
Erfolg.
Und seine Arbeit hat einen herrlichen
Er zeigt den Menschen einen bestimmten Weg und giebt
ihnen Kraft, darauf sichere Schritte zu thun; er reißt sie heraus aus der Knechtschaft der Tyrannen dieser Erde und sammelt um sich eine
Gemeinde erlöster Menschen.
Und er bekommt dafür einen großen
Lohn; dieser besteht nicht in Gold oder Silber, auch nicht in dem
Dank und den Segenswünschen,
welche die darbringen,
denen er
geholfen hat; vielmehr ist sein herrlichster Lohn das, was er gethan hat, thun zu können und gethan zu haben.
große Arzt, der Allen hilft.
Welch ein Tagewerk!
Nun entläßt er das Volk.
gestärkt vom Brode
Er steht da als der
Nun sind sie Alle satt geworden,
des Lebens.
Sie
können nun wohlgerüstet
hineingehen in den Kampf des Lebens. Worin hat also das Tagewerk Jesu bestanden?
Im Geben.
Er hat den Menschen sich selbst, die heiligsten Kräfte seines Herzens gegeben, damit diese auferstehen in den Herzen der Menschen, und daselbst ein neues Leben schaffen.
Er hat sich selbst entäußert.
Nun ist freilich zwischen einem Tagewerk Jesu und unserem
Tagewerk
ein
sehr
großer Unterschied.
Jesus
arbeitete
in die
266
Ein Tag und ein Abend aus dem Leben Jesu.
Weite; wir dagegen haben es gewöhnlich mit Dingen zu thun, die sich zusammendrängen in einem engen Raum.
Jesus hatte unsterbliche
Menschenseelen zu retten; wir haben es zumeist mit Dingen zu thun,
auf denen vielleicht nicht einmal ein Schimmer des Himmels ruht, so nüchtern und alltäglich sind sie.
Bei Jesus war jeder Tag etwas
Außerordentliches und brachte Außerordentliches, bald That,
welche die Volksmenge
dann wieder
anlockte,
eine große
wunderbare
Worte, die vielleicht ihm selbst unerwartet seinem Munde entströmten, dann wieder neue Seelen, die sich ihm anschlossen, neue Ausblicke in Gegenwart und Zukunft, die sich ihm austhaten, neue Begegnungen
mit Menschen, die entweder von ihm gesegnet wurden, oder ihn heftig
befehdeten.
Jeder Tag seines kurzen Lebens brachte etwas Großes
und Neues.
Ganz anders ist es bei uns.
Wir möchten wohl auch
Großes, Neues erleben, Gelegenheit haben, einmal etwas Großes und Neues zu vollbringen. und
manche Menschen
Diese Sehnsucht ist heute weit verbreitet,
haben die Sucht, um jeden Preis etwas
Neues zu sagen, mag es auch noch so verkehrt sein.
ein gefährliches Warten.
Das ist aber
Wer auf solche große Dinge wartet, ist
in Gefahr, daß die Zeit ihm nutzlos verstreicht, in der er manches
unscheinbare aber gute Werk hätte thun können; nun ist die Zeit vergangen, das Große ist nicht gekommen und das Kleine ist nicht gethan.
Wir müssen uns eben daran gewöhnen, besonders je älter
wir werden, daß wenig Neues kommt, jeder Tag immer nur dieselbe Plage bringt und denselben Verlauf hat.
So ist wohl ein großer
Unterschied zwischen dem Tagewerk Jesu und unserem Tagewerk.
Dennoch soll unser Tagewerk dem seinen ähnlich sein. bei uns soll ein Tagewerk ein Geben
Heraustreten.
Wir
müssen
Kräfte aus unserem Innern
auch
sein,
ein aus sich selbst
unsere Gedanken und
ausgehen
Auch
sittlichen
lassen, damit sie bei den
Dingen seien, mit denen wir es zu thun haben, und zwar dürfen
wir dabei nicht etwa halb in unserer inneren und halb in der äußeren Welt leben, sondern wir müssen ganz bei den Sachen sein, die uns
in Anspruch nehmen, soll unser Tagewerk gerathen.
Der Kaufmann
muß mit seinen Gedanken ganz bei seinem Rechnen und Zählen sein
und der Arbeiter bei seiner mechanischen Arbeit, auch wenn sie ihm durch lange Uebung fast von selbst von der Hand geht, und der Künstler bei seinem Kunstwerk, und der Gelehrte bei seinem Buche,
267
Ein Tag und ein Abend aus dem Leben Jesu.
das er liest oder schreibt, die Hausfrau bei ihrem Hauswesen und
die Kinderwärterin
bei dem Kinde,
das
ihr anvertraut ist.
So
müssen wir unsere Kraft hineinlegen in die Dinge, welche uns be
schäftigen.
Und bei jedem Tagewerk wird ein Theil unserer Lebens
kraft verzehrt und geht mit der sinkenden Sonne am Abend unter.
ein Theil des Sonnenlichtes
Wie jeden Tag
von der Erde
auf
gesogen wird, so wird von jedem Tagewerk ein Theil unserer Kraft aufgebraucht.
Wir müssen sie hingeben als Samenkörner, die ruhig So müssen wir
in der Erde schlummern, bis Gott sie auferweckt.
immer von uns geben; unser Leben muß sich verzehren wie ein Licht.
Aber das soll zugleich unser Trost sein,
daß die Mühe, die wir
aufgewendet haben, nicht untergehn kann, wie die Schaumkrone der
Welle im Meere zerrinnt.
Sondern, was du in ernster Mühe gethan
davon haben irgendwo
hast,
und irgendwie die Menschen
Nutzen, auch wenn sie dich nicht kennen.
samer Hausvater;
wie er dort kein Wort aus dem Munde Jesu so läßt er auch die kleinste treue Arbeit der
verloren gehen läßt,
Menschen nicht verloren gehen.
Er sorgt dafür, daß sie, wenn auch
von Menschen ungesehn, ihren Nutzen bringt. Tagewerk
einen
Gott ist ein guter, spar
ein Geben.
So ist auch unser
Wir geben darin etwas hin an die Welt.
Zum Tagewerk gehört aber auch der Verkehr mit den Menschen.
Besonders für euch, ihr Frauen, ist ein wesentlicher Theil eueres
Tagewerks der Verkehr mit eueren Kindern.
In euere Hand ist
vornehmlich die Erziehung der kleineren Kinder gelegt; wenn sie herangewachsen sind,
aber auch
kommen sie mit ihren Freuden und
Schmerzen immer zuerst zu euch.
Wenn aber irgend etwas, so ist
die Erziehung der Kinder ein fortwährendes Geben.
Wir denken
dabei nicht einmal in erster Linie an die Opfer an Zeit und Mühe,
an Geld und Kraft, welche ihr ihnen fortwährend bringt;
höherem Sinn ist
einem langen Leben
alle Erziehung
ein Geben:
in viel
Was ihr euch in
angeeignet habt an Weisheit und Erfahrung,
das wollt ihr in der Erziehung ihnen mittheilen. Grundsätze, die sich in euch befestigt haben,
Die sittlichen
die wollt ihr in sie
verpflanzen, damit sie an ihnen einen festen Halt finden.
Was ihr
an euerem Glauben, eueren religiösen Ueberzeugungen als besonders
wichttg und nothwendig erkannt habt, das möchtet ihr auch in ihre Seelen
legen.
Die Erfahrungen,
die
ihr im
Verkehr mit den
Ein Tag und ein Abend aus dem Leben Jesu.
268
Menschen gemacht habt,
in der Art, wie man sich vor ihnen zu
hüten habe, und was man wieder von ihnen lernen könne,
wollt ihr als einen wahren Schatz euer Herzblut
ihnen vererben.
das
Ja ihr sollt
für sie geben, d. h. den heiligsten innersten Quell
eueres Lebens überströmen lassen in ihr Leben. Ueberhaupt findet jedes Tagewerk seine schönste Krone darin,
daß wir einem Menschen helfen. Menschen geholfen
Christus hat dort fünf tausend Wir wollen zufiieden
an Einem Tage.
wenn wir Einem Menschen helfen können in unserer Weise.
du die sittliche Kraft deines Wesens
sein,
Wenn
ein
freundliches,
tröstendes Wort vielleicht mitten im Menschengewühl
oder in der
nur
durch
Mühe der Arbeit auf einen anderen Menschen einwirken lässest, oder wenn du mit einem ernsten Wort Jemanden, der irre geworden ist
im Gewirr des Lebens, hinweisest auf den rechten Weg, oder wenn du auch nur mit deinem stillen Vorbild anregend und ermuthigend auf andere Menschen wirkst — das ist das beste Geben, das ge
segnetste Tagewerk. 2. Aber der Mensch
Er kann nicht nur ausathmen, er muß
So tritt neben den Tag, an welchem wir unsere
auch einathmen. Kräfte
er muß auch
kann nicht immer geben;
wieder in sich aufnehmen.
ausgeben,
der
Abend, an welchem
wir neue Kräfte in
uns aufnehmen, wie am Tage die Erde ihre Feuchtigkeit ausathmet, in der Nacht aber neue, die sich Hom Himmel herabsenkt, in sich aufnimmt.
Auch Jesus hat solche Feierabende gebraucht.
Hinter den
Bergen am Genezarethsee ist die Sonne gesunken; am Himmel steht Vom See weht die kühle Abendluft herüber.
das Abendroth.
Die
Vögel des Himmels sind zur Ruhe gegangen, und die Lilien des Feldes
neigen
sich
vom
Da hat Jesus die Volksmenge entlassen.
Die
leise ihr Haupt.
Himmel hernieder.
Die Abendruhe
senkt
Menschen kehren nun nach dem großen Tage, den sie erlebt haben,
zurück in ihre Häuser und nehmen den Glanz hinein in ihre Mühen und Sorgen.
nachdem sie von Jesus reich gesegnet worden ist. auch
die Jünger
an, ihn zu verlassen;
Jünger fahren wieder über
den
dieses Tages
mit
So ist die Menge gegangen,
See.
Nun treibt Jesus
er will allein sein. Jesus
Die
aber steigt in der
Abenddämmerung hinauf auf einen Berg, um dort zu beten.
269
Ein Tag und ein Abend aus dem Leben Jesu. Auf dem Berge ist es ganz still.
Nichts
ist zu hören
vom
Geräusch der Welt, vom Menschengewühl, in welchem die Gedanken
und Kräfte Jesu nach waren.
allen Seiten
Hier ist die Luft
der Erde.
so rein,
hin
in Anspruch
genommen
tief unter ihm ist der Staub
Am Himmel gehen die Sterne auf, und leise umweht
ihn der Abendwind. herabblicken, und
Von den Sternen sieht er die Liebe Gottes
im Abendwind
thut sich seine Seele auf, in sein Herz.
naht sich ihm der Vater.
Da
und Gottes Liebe und Kraft strömt ein
Er sucht Gott und findet ihn und ruht aus in der
Gemeinschaft Gottes.
Das heißt bei ihm beten.
O daß doch auch
wir von ihm beten lernten, daß auch für uns das Beten nicht mehr ein Betteln wäre um irgend eine äußere Gabe, sondern ein Suchen
nach Gott, ein Ruhen in Gott, ein Schöpfen neuer Kraft aus Gott,
So betet Jesus.
ein Sichhalten an Gott.
Am Tage hat ihn der
Jammer des Volkes gedrückt; jetzt ist er bei dem Vater,
Kraft giebt,
der ihm
Hier im Gebet strömt ihm
diesen Jamnier zu stillen.
der Quell, aus dem er dann am Tage die Menschen trinken läßt;
hier bereitet er das Brod,
mit dem er dann die Menschen speist;
hier schöpft er selbst neue Kraft für seinen Beruf.
Im Geiste blickt
er hinüber nach Machärus, der Burg des Herodes, wo das Haupt
Johannes des" Täufers
gefallen war.
Im Geschick des Johannes
sieht er auch sein Geschick vorgebildet.
So bittet er Gott, daß er
ihm nur vor Allem Eins gebe, Treue, nichts als Treue, damit er
durch Leiden und Sterben sein Werk vollende.
Welche Gedanken
alle durch seinen Geist gezogen sind, als er auf dem Berge allein
betete, wer will es sagen?
Nur soviel können wir vermuthen, daß.
er, nachdem er am Tage Kräfte hatte ausgehn lassen, er am Abenb
im Gebet neue in sich ausgenommen hat. Wenn Jesus mit aller Absicht solche stille Stunden gesucht hat,
so geht daraus hervor,
daß auch er sie gebraucht hat,
diese
Stunden der Sammlung, der geistigen Erholung, des Aufathmens-
der Seele in Gott, gerade so wie ein angestrengter Arbeiter dann
und wann einen Augenblick braucht,
wo er die Arme sinken läßt
und tief aufathmend seine Brust dehnt, oder wie der Stubengelehrte einmal eine Stunde braucht, wo er sich in der freien Luft ergeht.
Hat aber Jesus solche Stunden gebraucht, um wie viel mehr brauchen
wir sie.
Und daß wir sie brauchen, empfinden wir in der Sehn-
270
Ein Tag und ein Abend aus dem Leben Jesu.
sucht, die manchmal über uns kommt, nach Einsamkeit.
Wir sollten
unsere Zeit so eintheilen, daß auch dafür in unserem Leben Raum
bliebe.
Wer dieses Verlangen unterdrückt,
ist in Gefahr, zu ver
äußerlichen, oder er beweist, daß er schon veräußerlicht ist.
Menschen,
die nie allein sein wollen, fürchten sich vor sich selbst und fliehen vor sich selbst, entweder vor den argen Gedanken, welche sie in der
Einsamkeit-niederziehen, oder vor den anklagenden Gedanken, welche sie in der Einsamkeit wie finstere Schatten umkreisen, oder vor dem
Nichts, der Leere und Oede in sich selbst, sie wissen nichts mit sich
anzufangen, können sich selbst nichts geben, weil ihr Herz leer ist. Das ist die große Gefahr
des heuügen Lebens,
Stunden im lärmenden Treiben untergehn.
daß die stillen
Was helfen alle lau
schigen Winkel in den modernen Häusern, wenn sich die Menschen
keine Zeit gönnen,
dieser Sülle
sich
einmal zu freuen.
schlimm, wenn der Mensch nie zu sich selbst kommt.
die
eigene
bleibt
nur
Kraft das
Besonderheit
und
glatte,
oberflächliche
des
Charakters,
Wesen
des
Es ist
Da zerfließt und
es
Durchschnitts
menschen.
Sollen solche stille Stunden
rechten Inhalt haben.
gesegnet sein, so müssen sie den
Viel Einsamkeit kann auch schwere Gedanken,
ein verdunkeltes Gemüth, müßiges, trübseliges Grübeln bringen.
Da tritt das Wort in sein Recht: „Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei."
So wollen wir von Jesus lernen, die einsamen, stillen
Stunden mit dem rechten Inhalt zu erfüllen. auf einen Berg. wärts gehn.
Laßt
Jesus ging hinauf
auch uns in stillen Abendstunden auf
Macht euere Gedanken los von dem,
Tage beschäftigt und beunruhigt hat! den der Tag aufgewirbelt hat!
was euch am
Laßt hinter euch den Staub,
Athmet die reine Luft der Höhe!
Da naht sich auch euch in der Abendstille euer Gott; ihr empfindet wieder einmal das Band, das euch mit ihm verbindet, ihr ergreift
die Hand, die mit euch ist, und ihr seht das stille Vaterantlitz, das euch Christus enthüllt hat.
Da wird euch Gott im raschen Laufe
der Zeit der Gott eueres Lebens, euere Zuflucht für und für, euere
stille Heimath, und ihr legt euer Leben wieder einmal ganz hin in seine Hand. — Vom Berge schaut sichs gut herab zur Erde.
seid so hoch und die Dinge der Erde so klein.
Ihr
So schaut auch ihr
von der Gemeinschaft mit Gott, zu der ihr in der Abendstille empor-
Ein Tag und ein Abend aus dem Leben Jesu. steigt, - zur Erde herab,
271
auf der ihr euer Tagewerk gethan.
Wie
klein erscheinen euch die Sorgen, die euch gequält, wie groß dagegen
Gott, der diese Sorgen auf sich nimmt.
Wie klein die Zerwürfnisse
der Erde, wie groß der stille Gottesfriede, der von Oben kommt. Wie klein all der Aerger des Tages, wie groß die Ziele des Lebens,
Wie klar liegt da unser Lebensweg vor uns.
denen wir zustreben.
das wissen wir
Zwar wohin wir auf Erden noch einmal kommen,
nicht; aber das wissen wir: Ueberall wird Gott mit uns sein; und
zuletzt kommen wir ganz zu Gott. Also aufwärts laßt uns in der Abendstille gehn; aber ebenso Unser Inneres schließt sich
auch einwärts.
tritt hervor.
war,
gelungen und mißlungen ist, und du findest,
Gelingens
Fehler,
Was verborgen
auf.
Du denkst nach über das, was dir am Tage
und Mißlingens
daß der Grund des
meist in dir lag.
Du erkennst deine
die Stellen in deinem inneren Wesen, wo du mit deiner
Arbeit einsetzen mußt, wenn du innerlich vorwärts kommen willst. Welch ein Segen liegt in dieser Selbsterkenntniß, und wie oft wird
Die Menschen wissen, wie es im Schooß
dieser Segen übersehn!
der Erde aussieht, wie da das Feuer glüht, und die Erdschichten sich aufeinander thürmen.
Sie wissen,
wie es im ewigen Eis des
Nordpols aussieht und in den Wäldern Afiikas.
Sie kennen die
Berge und Thäler des Mondes und sinnen darüber nach, auf welchen
Sternen vielleicht Menschen wohnen, unsere Brüder.
so wenig, doch
Aber sie wissen
wie es in ihrem eigenen Innern aussieht,
das Wichtigste.
Darum
werdet bei
euch
und das ist
selbst zu Hause!
Lernt euch selbst kennen!
So laßt euch von der Abendstille wärts.
aufwärts führen und ein
Jesus stieg am Abend auf einen Berg allein.
Und als die
Sonne seines Lebens sank, als es Abend wurde, als das Volk treu los von ihm gewichen war, und die Jünger geflohen, als es dunkel
wurde um ihn her, als sichs erfüllte, was das blutende Haupt des Täufers ihm geweissagt hatte, da ging er auch auf einen Berg
ganz allein.
Kein Mensch nahm an seinem Gang Theil, keiner
verstand, weshalb er diesen Weg ging.
Kreuz und die Schmach,
Ganz allein trug er sein
ganz allein hing er auf dem Berg am
Kreuz zwischen Himmel und Erde.
Aber auch da hat er auf dem
Berge allein gebetet, daß Gott seinen Opfertod segne,
und sein
272
Das Messiasbekenntniß.
Leben mache zu einem Lösegeld für die verlorenen Sünder.
Und
mit seinen am Kreuze ausgebreiteten Händen hat er die Menschen
gesegnet.
Das war der Feierabend seines Lebens.
Dort wollen wir uns sammeln, wenn unser letzter Feierabend kommt, und hineinsehen in das stille Antlitz, das sich dort im Tode
neigt, und in das Vaterherz Gottes, das sich uns dort geöffnet hat.
Dann steht über unserem Feierabend
das
Abendroth der Gnade
Gottes, und wir bitten Gott, daß er unser Leben möchte gesegnet
sein lassen für die, welche nach uns kommen, und wir breiten dann Dann gehen wir
aus und segnen die Unsern.
auch unsere Hände
schlafen, nach
der Heimath.
Feierabend!
Amen.
Gott
gebe
uns
einen solchen
33.
Das Messiasbekenntniß. Matth. 16, 13—20.
Da kam Jesus in die Nähe der Stadt Cäsaren
Philippi und fragte seine Jünger und sprach:
daß des Menschen Sohn sei-
Sie sprachen:
Wer sagen die Leute, Etliche sagen, du seist
Johannes der Täufer; die anderen, du seist Elias; etliche, du seist Jeremias,
oder der Propheten einer.
sagt denn Ihr, daß ich sei?
sprach:
Er sprach zu ihnen:
Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn.
antwortete und sprach zu ihm:
Wer
Da antwortete Simon Petrus und Und Jesus
Selig bist du, Simon, Jonas Sohn;
denn Fleisch und. Blut hat dir das nicht geoffenbaret, sondern mein Vater im Himmel.
Und Ich sage dir auch: Du bist Petrus, und
auf diesen Felsen will ich bauen meine Gemeine, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. reichs, Schlüssel geben.
Und ich will dir des Himmel
Alles, was du auf Erden binden wirst, soll
auch, im Himmel gebunden sein; und Alles, was du auf Erden lösen
wirst, soll auch im Himmel los sein.
Da verbot er seinen Jüngern,
daß sie Niemand sagen sollten, daß Er Jesus, der Christ, wäre.
Die galiläische Zeit im Leben Jesu geht ihrem Ende entgegen,
und die Zeichen
der Zeit weisen ihn nach Jerusalem.
des Täufers und das feindliche Auftreten
der Pharisäer,
Der Tod die das
272
Das Messiasbekenntniß.
Leben mache zu einem Lösegeld für die verlorenen Sünder.
Und
mit seinen am Kreuze ausgebreiteten Händen hat er die Menschen
gesegnet.
Das war der Feierabend seines Lebens.
Dort wollen wir uns sammeln, wenn unser letzter Feierabend kommt, und hineinsehen in das stille Antlitz, das sich dort im Tode
neigt, und in das Vaterherz Gottes, das sich uns dort geöffnet hat.
Dann steht über unserem Feierabend
das
Abendroth der Gnade
Gottes, und wir bitten Gott, daß er unser Leben möchte gesegnet
sein lassen für die, welche nach uns kommen, und wir breiten dann Dann gehen wir
aus und segnen die Unsern.
auch unsere Hände
schlafen, nach
der Heimath.
Feierabend!
Amen.
Gott
gebe
uns
einen solchen
33.
Das Messiasbekenntniß. Matth. 16, 13—20.
Da kam Jesus in die Nähe der Stadt Cäsaren
Philippi und fragte seine Jünger und sprach:
daß des Menschen Sohn sei-
Sie sprachen:
Wer sagen die Leute, Etliche sagen, du seist
Johannes der Täufer; die anderen, du seist Elias; etliche, du seist Jeremias,
oder der Propheten einer.
sagt denn Ihr, daß ich sei?
sprach:
Er sprach zu ihnen:
Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn.
antwortete und sprach zu ihm:
Wer
Da antwortete Simon Petrus und Und Jesus
Selig bist du, Simon, Jonas Sohn;
denn Fleisch und. Blut hat dir das nicht geoffenbaret, sondern mein Vater im Himmel.
Und Ich sage dir auch: Du bist Petrus, und
auf diesen Felsen will ich bauen meine Gemeine, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. reichs, Schlüssel geben.
Und ich will dir des Himmel
Alles, was du auf Erden binden wirst, soll
auch, im Himmel gebunden sein; und Alles, was du auf Erden lösen
wirst, soll auch im Himmel los sein.
Da verbot er seinen Jüngern,
daß sie Niemand sagen sollten, daß Er Jesus, der Christ, wäre.
Die galiläische Zeit im Leben Jesu geht ihrem Ende entgegen,
und die Zeichen
der Zeit weisen ihn nach Jerusalem.
des Täufers und das feindliche Auftreten
der Pharisäer,
Der Tod die das
Das Messiasbekenntniß.
273
Volk ihm abwendig machen, deuten hin auf den schweren Kampf, den er wird kämpfen müssen, und zwar in Jerusalem, der Stadt, von der das geistige Leben Israels ausging.
In Jerusalem muß er
hier schlägt das Herz des Volkes,
als Messias auftreten;
hier ist
der Tempel, hier ist der Mittelpunkt der Schriftgelehrsamkeit.
In
Jerusalem, wo sich das Leben Israels entscheidet, will er noch ein
mal auf das Gewissen
des Volkes
einwirken, und dann will er,
wenn es Gottes Wille ist, sterben, um unterliegend zu triumphieren.
So ist die friedliche und freundliche Zeit, in welcher das Herz des fröh
lichen, harmlosen galiläischen Volkes seiner Lehre vom Reiche Gottes entgegenschlug, vorüber; der Sturm erhebt sich und der Himmel umzieht sich mit Wolken.
An den Kämpfen, die ihm bevorstehn, sollen auch seine Jünger mit vollem Bewußtsein theilnehmen.
mit dem
Gedanken,
Kampfgenossen sein.
er ist,
Sie
sollen
vertraut werden
leiden muß,
und so seine
Deshalb muß Jesus sie einweihen in das, was
Damit sie aber dies verstehen, müssen sie wissen,
ihm bevorsteht. wer
daß der Messias
der Messias,
der
nicht mit dem Schwert
und dem
Schlachtruf, sondern mit dem Evangelium und der dienenden Liebe
sein Werk vollbringt.
Für diese Unterredung mit seinen Jüngern
bedarf er der Sülle und der Einsamkeit.
Deshalb verläßt er mit
ihnen Galiläa, wo ihn das Volk umdrängt, und geht bis an die
äußersten Grenzen Israels, bis in die Gegend der Stadt Cäsarea Philippi.
Hier hält er mit seinen Jüngern dieses Gespräch, dessen
Mittelpunkt das Bekenntniß des Petrus ist:
„Du bist Christus."
Petrus spricht das aus im Namen der Jünger.
sind die erste christliche Gemeinde.
Die Jünger aber
So bilden diese Worte
Das erste Bekenntniß der christlichen Gemeinde.
Was
1.
enthält es?
2.
Wie
entsteht
es?
3.
Welche
Bedeutung hat es?
1. Was enthält es?
Jesus hat bei seiner Wirksamkeit auf
alle äußerlichen Mittel, wie sie das Volk beim Messias erwartete,
verzichtet.
Er ist der religiöse Messias, nicht der weltliche,
er
will das Reich Gottes bringen in die Herzen der Menschen, nicht
das weltliche Messiasreich.
gewirkt durch die Predigt. seiner
Absicht Werke
Kirmß, Predigten.
In diesem Sinne
hat- er rein geistig
Auch seine Krankenheilungen sind nach
seiner barmherzigen Liebe,
nicht 1g
etwa die
Die Messiasbekenntniß.
274 äußeren Beweismittel
für sein Messiasthum.
Jetzt soll nun aus
dieser nur mit geistigen Mitteln ausgeübten Wirksamkeit in Galiläa das Ergebniß
gezogen werden.
Jetzt muß es sich zeigen,
ob die
Jünger und das Volk, obwohl an Jesus der erwartete äußere Glanz völlig fehlt, lediglich aus seiner Predigt, aus seiner ganzen Erschei nung den inneren Eindruck gewonnen haben, daß er der von Gott verheißene Messias ist.
So geht Jesus innerlich tief bewegt dieser
entgegen.
Er entfernt sich mit seinen Jüngern immer
Unterredung
weiter und weiter von dem Schauplatz seiner bisherigen Wirksamkeit
Und als er sie endlich um sich sammelt,
hinein in die Einsamkeit.
fragt er sie nicht unmittelbar, was sie selbst von ihm halten, son
dern er fragt sie zunächst nach der Ansicht der Leute.
Da hört er
denn: Das Volk hält ihn nur für einen Propheten, das heißt einen Vorläufer des Messias, nicht aber den Messias selbst.
Nun fragt
er die Jünger selbst: „Wer sagt ihr, daß des Menschen Sohn sei?"
Da antwortete Petrus: gesandte Messias,"
ausdrückt:
„Du bist der Christus selbst, der von Gott
und er fügt das Andere hinzu,
was dasselbe
„Der Sohn des lebendigen Gottes," der König Israels,
der von Gott Begnadigte.
Der Grundgedanke in diesem Bekenntniß
des Petrus ist: „Du bist nicht Einer wie Andere, nicht wie ein Elia, Jeremia oder Johannes der Täufer; sondern der Einzigartige,
der Messias, nicht ein Prophet, der dem suchenden Geist keine
Ruhe giebt, sondern immer nur vorwärts weist auf Den, der noch kommen soll, sondern der Messias, in welchem alles Suchen zum
Finden wird und alle Hoffnung Wirklichkeit. Das enthält
das erste Bekenntniß
der christlichen Gemeinde:
Jesus ist der Christus, der Messias, der Einzige, neben dem es keinen Anderen giebt.
Worin besteht diese Einzigkeit Jesu?
Warum steht er auf
solcher Höhe, daß wir es als etwas Widersinniges empfinden, wenn man auch nur den Versuch macht, irgend einen Menschen mit ihm
zu vergleichen?
Können wir ihn doch in vielen Dingen nicht neben
die Großen unseres Geschlechtes stellen.
Er war
kein kunstvoller
glänzender Redner wie Demosthenes, kein Philosoph wie Plato, kein Staatsmann wie Perikles, kein Dichter wie Sophokles, um
ganz zu schweigen von den Größen, welche unser heutiges Geschlecht bewundert.
Ja wir können ihm nicht einmal als Weisheitslehrer
Das Messiasbekenntniß.
275
eine besondere Stelle anweisen, denn sein Wort ist unendlich einfach; auch nicht als Tugendlehrer, denn Vieles, was er gesagt hat, steht schon im alten Testament.
Seine Einzigkeit besteht nicht darin, daß
er der Weiseste unter den Weisen, der Klügste unter den Klugen ist,
sondern deshalb ist er der schlechthin Einzige, mit dem wir keinen Anderen vergleichen können, weil er uns etwas bietet, was uns sonst Niemand bietet.
aus
uns neue
Er pflanzt in uns ein neues Leben, er macht
Menschen.
Das vermag
sonst Niemand.
Wir
können wohl einem Menschen Gutes erweisen, ihn belehren, daß er
von seinem Irrthum läßt, ihm helfen, daß seine Noth gelindert wird,
ihm beistehen, seine Fehler zu bekämpfen.
ein Bessern an dem alten Bau,
Aber das ist immer nur
ein Begießen des alten Baumes.
Jesus Christus ist der Einzige, der anstatt des alten Baumes einen neuen Baum pflanzt, ein neues Leben schafft.
Dieses neue Leben
offenbart sich uns als Vergebung der Sünden, als Beseitigung
der alten Schuld, die uns drückt, als Friede mit Gott.
Es offen
bart sich uns als Kraft, welche allmählich die Sünden, welche bis dahin die Tyrannen unseres Lebens waren, überwindet und die Liebe
zu Gott und den Menschen erzeugt.
Dieses neue Leben erhebt uns
zur Herrschaft über die Welt, über ihre Schmerzen, welche die Seele
verdunkeln, über ihre Irrthümer, die uns verführen, über ihre Lüste,
die uns niederziehen.
Wir stehen nun
wie auf einem Felsen im
brandenden Meer; alle seine Schrecken hat es für uns verloren und die Sonne spiegelt sich fteundlich wider in seinen blauen Fluthen. In seinem Rauschen hören wir die Stimme unseres Vaters, und
der Geist Gottes schwebt über den Wassern.
Diese Kraft, Erde.
und
Alle
wenn sie
die
Menschen
solches in uns der
Erde
schafft, ist nicht
könnten
Alles zusammenthäten,
sie uns
was sie haben.
diese Kraft, die uns Jesus giebt, ist aus Gott.
von der
nicht geben,
Sondern
Denn er ist der
Ehristus, der mit dem Geiste Gottes Gesalbte, deshalb der Pro
phet, der Hohepriester, der König, der Gottessohn, der Menschen sohn, der Erstgeborene aller Gotteskinder, aller Creaturen, Der, in dem Gottes innerstes Wesen,
durch ihn an ihr theilnehmen.
liebt. beseelt.
Gottes Liebe war,
damit auch wir
Er hat uns geliebt, wie Gott uns
Die Triebe, welche Gott beseelen zu uns, sie haben auch ihn
Auf seinem Angesichte spiegelte sich wider die Herrlichkeit 18*
Das Messiasbekenntniß.
276 des unsichtbaren Gottes.
So ist in ihm Alles beschlossen, was wir
jemals über Gott und unsere Seligkeit wissen können.
Es giebt
keinen Fortschritt über ihn hinaus, sondern immer nur ein Zurück Wir können immer nur aus seiner Fülle schöpfen
kehren zu ihm.
Gnade um Gnade.
In Wissenschaft und Kunst soll das Streben
nach vorwärts nie aufhören; aber was das Heil unserer Seele, die tiefste Frage unseres Lebens anlangt,
das Ende zu seinen Füßen.
da findet all unser Suchen
Er ist für uns in Ewigkeit der einzige
Mittler, der Lebensfürst, in dem wir das ewige Leben haben, der Arzt für unsere Sünden, der Helfer in aller geistlichen und sittlichen
Noth.
Er ist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.
Das
ist das Bekenntniß der ersten christlichen Gemeinde.
2.
Wie entsteht dieses Bekenntniß in uns?
Jesus sagt
zu Petrus — und eine hohe Freude zieht dabei durch seine Seele —:
„Fleisch und Blut hat dir das nicht offenbaret, sondern mein Vater im Himmel." gesagt;
Das heißt, kein Mensch hat es ihm
er hat es nicht von Außen her durch irgend ein äußeres
Zeichen oder eine äußere Botschaft erfahren.
Es gab ja nach dem
Glauben des Volkes eine Reihe von äußeren Zeichen, an denen man den Messias erkennen sollte.
Davids Macht sollte er wieder auf
richten und mit seiner starken Hand Wunder thun und diese Wunder sollten
die Zeichen
seiner messianischen Würde
sein.
Aber
diese
äußeren Zeichen waren an ihm theils gar nicht theils nur in sehr
geringem Maaße
vorhanden.
Der Himmelsglanz um sein Haupt
war seine Liebe, sein Schwert war seine Wahrheit, seine Krone war seine Reinheit.
So war es nichts Aeußerliches, nicht Fleisch und
Blut, woraus Petrus erkannte, daß Jesus der Messias sei, sondern seine geistige Herrlichkeit,
den
seine schlichte innere Größe ergreift
Petrus im Innersten und
erweckt in ihm
das Bekenntniß:
„Alles, was man vom Messias erwartet, fehlt dir, und dennoch bist
du Christus."
Diese Erkenntniß ist ihm von Oben gekommen, wie
ein Blitz, der ihn durchleuchtet, er weiß selbst nicht, wie es gekommen, ein Eindruck, der da war, er wußte nicht, woher er kam, eine plötzliche
Eingebung, eine Gottesoffenbarung in seiner Seele. Da zieht eine hohe Freude durch die Seele Jesu:
Wenigstens Einer, dem sein geistiges
Messiasthum offenbar geworden, wenigstens Einer, der ihn versteht.
Denken wir uns:
Ein Sohn ist als kleines Kind seiner Mutter
Das Messiasbekenntniß. geraubt worden.
Er ist zunl Jüngling herangewachsen und kehrt in
die Heimath zurück. Da ist keine
Die Leute streiten sich, ob er es ist oder nicht? ein Zeichen
oder Mal,
Andere sagen:
„Nein! er
äußere Aehnlichkeit, irgend
welches darauf hindeutet, daß er es ist. ist es nicht;
277
das und das spricht dagegen,
komlnt seine Mutter.
daß er es ist."
Da
Sie braucht ihn: nur ins Auge zu sehen, da
So haben nicht Fleisch
steht es ihr unbedingt fest, daß er es ist.
und Blut, nicht äußere Zeichen den Petrus zu seinem Bekenntniß gebracht, sondern sein innerer Blick, die Stimme seines Herzens,
die wachgerufen war durch die Herrlichkeit Jesu. Nicht Fleisch und Blut können uns zu dem Bekenntniß bringen,
daß Jesus der Christus ist.
Wir haben ja Zeugnisse für ihn, die
sich auf Fleisch und Blut gründen.
Dir haben es deine Lehrer ge
sagt, daß Jesus der Christus ist; diese berufen sich wieder auf die, von denen sie es gelernt haben, und diese wieder berufen sich auf
die Lehrer der Kirche, welche es aus der Schrift, aus der Lehre der
Apostel heraus
Wer wollte nicht
hören
aus die
Stimmen, die herausklingen aus dieser Wolke von Zeugen.
Müssen
wir nicht sagen:
laut bezeugen.
„Weil alle diese Frommen es sagen, darum halte
auch ich daran fest: Jesus ist der Christus?"
Aber dabei darfst du
nicht stehen bleiben; denn es ist immer nur ein Zeugniß, das sich
gründet auf Fleisch und Blut.
Und wenn heute sich in der Kirche
so Viele darauf berufen: „So haben die Menschen vor uns über Christus gelehrt und geglaubt, und deshalb müssen wir auch so lehren und glau ben," so ist das immer nur ein Bekenntniß, das sich stützt auf Fleisch
und Blut.
Selbst wenn du heute mit deinen leiblichen Augen Jesum
sähest auf den Wolken des Himmels, umgeben von ewigem Glanz, und von diesem Glanz geblendet sänkest du auf dein Angesicht nieder und
bekenntest nun
um dieser Erscheinung
willen:
„Du bist der
Christus, der Sohn des lebendigen Gottes," das würde dir immer
noch
nichts
helfen;
es wäre immer nur eine Offenbarung
durch
Fleisch und Blut. Du darfst nicht dabei stehen bleiben, was dir Fleisch und Blut
sagen, sondern du mußt selbst mit ihm innerlich in Berührung
kommen und seine Kraft an dir spüren.
Du darfst dir nicht nur
von Anderen über ihn erzählen lassen, sondern du mußt ihn zu dir selbst reden lassen, als hättest du mit auf dem Berge der Selig-
278
Das MesfiaSbekenntniß.
Preisungen gestanden.
Du darfst
dir
nicht nur
von
Anderen
erzählen lassen, wie sie von ihm erlöst worden sind, sondern du
mußt dich selbst von ihm erlösen lassen.
Du mußt selbst mit allem
Ernst versuchen, ihm nachzufolgen, die Deinen, auch die ärmsten
Menschen, die du siehst, zu lieben, wie er die Seinen geliebt hat bis ans Ende, dich wirklich um Christi willen überwinden, dich nicht
nur mit Scheinwohlthätigkeit begnügen, sondern wirklich von Person
zu Person, von Angesicht zu Angesicht, von Hand zu Hand den Menschen helfen.
Die Gottesherrlichkeit, die in ihm war, der freie
Sohnesgeist, der in ihm war, soll nicht vergraben sein für dich, son dern du mußt diesen Schatz heben, mußt dieses Gold umwechseln in die Münze der heutigen Zeit und in deinem Leben damit wuchern
und dich damit bereichern.
Sein Gehorsam gegen Gott, seine Frei
heit von der Welt, seine Liebe zu den Menschen, sein heiliger Stolz, der sich nicht dieser Welt gleichgestellt hat, sein Muth, der sich nicht
fürchtete vor den Menschen,
seine Demuth, die sich auch zu den
Niedrigsten herabbeugte, seine Treue in der Welt und sein ewiges Leben, das sollen die Kräfte sein, die dein Leben tragen.
Dann
hast du nicht mehr nur das Zeugniß, das sich auf Fleisch und Blut
gründet, sondern du hast in dir das Zeugniß Gottes, daß Jesus
der Christus ist. Dann brauchst du auch kein Bekenntniß mehr, das dir auf gezwungen und aufgedrungen wird, sondern aus innerster Seele, aus
den heiligsten Erfahrungen deines inneren Lebens kommt das Be
kenntniß: „Du bist der Christus. selbst erlebt."
Ich weiß es, ich habe es an mir
Dann brauchst du keine Wunder und Zeichen mehr;
dann könnten alle die großen Zeugnisse der Geschichte über Jesus
verstummen und die ganze Welt könnte von ihm schweigen; und doch würde es immer wieder herausklingen:
aus deinem
„Du bist Christus."
von ihm ergriffenen Herzen
Damit würden wir auch die
rechte ebenso feste wie freie Stellung finden zu den Glaubens
bekenntnissen
der
Vergangenheit,
Menschen so viel streiten.
über welche sich jetzt die
Sie werden dir ehrwürdig sein, sofern
du in ihnen jenes Haupt- und Grundbekenntniß des Petrus findest, ohne daß du doch deshalb auf ihren Buchstaben schwörst.
So entsteht in uns dieses Bekenntniß
dadurch,
daß sich dir
selbst, an deinem Herzen Jesus als der Christus offenbart.
279
Das Messiasbekenntniß.
3. Laßt uns
trachten. ruht.
die Bedeutung
dieses Bekenntnisses be
Es ist der Felsengrund, auf welchem die Gemeinde „Du bist Petrus, und auf
So sagt Jesus zu Petrus:
diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen."
Ihr wißt, welche
Bedeutung dieses Wort in der Geschichte der christlichen Kirche be kommen hat.
Als
das römische Papstthum
bestimmte ge
durch
schichtliche Verhältnisse entstanden war, suchte man nach einer Be gründung dafür in der heiligen Schrift.
Wort Jesu.
Da kam man auf dieses
Hier nennt Jesus den Petrus den Fels der Kirche.
Nun, so folgerte man weiter, war Petrus der erste Bischof von Rom.
Folglich ist der Bischof von Rom der Fels der Kirche.
Nur wenn die Kirche auf diesem Felsen ruht, ist sie die wahre Kirche. Wir evangelische Christen verzichten auf diesen angeblichen Felsen
grund, und es könnte deshalb scheinen, als wären wir schwächer als Rom.
Doch es gilt hier das Wort:
bin ich stark."
„Wenn ich schwach bin, so
Indem wir auf diesen irdischen Felsen verzichten,
gründen wir uns auf einen andern Grund, auf das schlichte Be kenntniß des Petrus zu Jesus als dem Christus, dem Gottessohn,
der uns zu Gottes Kindern macht, dem Erstgeborenen unter vielen
Brüdern.
Unser Felsengrund
ruht nicht in Rom,
Wittenberg und Genf, überhaupt nicht in der
auch nicht in
äußeren Welt,
sondern in der inneren ewigen Welt, in der inneren persönlichen Glaubensgewißheit.
Jesus ist unser Erlöser, der Offenbarer
unseres himmlischen Vaters.
Von ihm singen wir mit E. M. Arndt:
Das ist das Licht der Höhe, das ist mein Jesus Christ,
Der Fels, auf dem ich steh«, der diamanten ist, Der nimmermehr kann wanken, mein Heiland und mein Hort, Die Leuchte der Gedanken, die leuchtet hier und dort.
Im Festhalten an diesem Einen Grund muß die christliche Ge meinde unwandelbar
sein.
Die Einzelbekenntnisse
Konfessionen unterliegen verschiedener Beurtheilung.
eine, bald das andere in den Vordergrund.
der Kirche und Bald tritt das
Es hat auch Zeiten
gegeben, wo sie alle mehr oder weniger zurückgetteten sind.
Ebenso
wechselt auch unter dem Einfluß des menschlichen Denkens die Auf
fassung der einzelnen religiösen Wahrheiten; ja selbst die Auffassung der Person Christi hat im Laufe der Zeit gewechselt; es hat Zeiten gegeben, in denen die Menschen mehr das Göttliche, und solche, in.
Das Messiasbekenntniß.
280
denen sie mehr das Menschliche an ihm betonten.
Aber immer wird
die christliche Gemeinde an diesem Grundbekenntniß festhalten: Jesus ist der Christus.
Und diesen Felsengrund werden die Pforten der
Hölle nicht überwältigen.
Mag von dem, was uns als L hre der
Kirche dargeboten wird, noch so viel fallen.
Was verloren geht,
das kann doch immer nur in Nebensachen bestehn, im Beiwerk; d r
ewige Grund: „Jesus ist der Christus" kann nicht erschüttert werden. Mögen Glaubenssätze der Vergangenheit vom Sturm der Zeit mit genommen werden, wie die welken Blätter vom Herbstwind,
Eine bleibt unbeweglich: „Jesus ist der Christus."
das
Das ist schließlich
auch der Fels des Heils für unser Volk, das Bollwerk gegen allen
Umsturz,
den man jetzt mit papiernen Waffen bekämpfe» möchte. soll gebaut bleiben das Haus
Auf diesem Felsen
unseres Volkes,
so daß
darin Freiheit und Ordnung sich mit einander verbinden,
die Freiheit die Seele der Ordnung der Freiheit ist.
und die Ordnung die Seele
Auf diesem Felsen werden die tobenden Volks
massen dieser Zeit, welche jetzt den Namen Christi verfluchen, noch
einmal ihre Ruhe und ihre wahre Freiheit finden.
Und wenn du
über manche Glaubensfiage zweifelst, oder deine Sünde so groß und
die Geschicke so traurig und der Tod so finster ist, stelle dich fest
auf diesen Grund:
„Jesus ist der Christus";
da steht sichs gut.
In diesem Bekenntniß lösen sich alle Räthsel.
Schlüssel
Welt.
des Himmelreichs.
Hier sind die
Hier löst sich das Räthsel der
Von der Persönlichkeit Jesu aus sehen wir den Vater im
Himmel, der die ganze Welt trägt auch im Wirbelsturm der Elemente, und der auch in dem scheinbar vernunftlosen Geschehn der Geschichte
die Gedanken seiner ewigen Vernunft zur Wirklichkeit werden läßt. Von hier aus lösen sich alle Räthsel deines Lebens, unverstandene
Schickungen, Verluste und trübe Zeiten auf im ewigen Lichte.
Hier
werden die Bande der Sünde gelöst durch die in Christus erschienene Gotteskrast,
die im Schwachen
Schuld durch Gottes Gnade,
mächtig ist, und die Bande der
die alle Schuld vergiebt.
Und ist
dir dies Bekenntniß ins Herz geschrieben, dann sind dir die Schlüssel
des Himmelreichs gegeben.
Da trittst du zum Freunde, der gethan,
was seiner nicht würdig war, und in schwere Schuld gefallen, und schließest ihm das Himmelreich auf und sprichst zu ihm:
„Vertraue
um Christi willen auf Gott, der macht alles gut, was du verbrochen
281
Der Gang Jesu nach Jerusalem.
hast."
Der Vater schließt dem verlorenen Sohn seine Liebe wieder
auf, und macht ihm wieder Muth, an Gottes Liebe und seine Zukunft
Und der barmherzige Samariter
zu glauben.
geht zu denen,
die
gefangen sind von dem glaubenslosen Geist der Zeit, und zeigt ihnen,
daß es noch eine Liebe giebt und läßt sie dadurch wieder an Gottes Liebe glauben.
Ja das höchste Priesterrecht, das es giebt, den
Menschen das Himmelreich aufzuschließen, das soll Jeder haben, der
sein Leben auf das Bekenntniß gründet: „Jesus ist der Christus." Aus den Wirren der Zeit, aus dem Kampfe der Parteien, aus den Zweifeln
des Lebens laßt uns immer wieder zurückkehren zu
dieser einfachen großen Wahrheit, zu diesem, unerschütterlichen Fels. Amen.
34.
Der Gang Jesu nach Jerusalem. Matth. 20, 18. 19.
Siehe, wir ziehen hinauf gen Jerusalem, und des
Menschen Sohn wird den Hohenpriestern und Schriftgelehrten über antwortet werden, und sie werden ihn verdammen zum Tode; und
werden ihn überantworten den Heiden, zu verspotten und zu geißeln und zu kreuzigen; und am dritten Tage wird er wieder auferstehen.
Dieses Wort, mit welchem wir uns heute beschäftigen wollen,
führt uns in der Betrachtung des Lebens Jesu wieder ein bedeut Die Wirksamkeit Jesu in Galiläa geht nun
sames Stück weiter.
zu Ende,
Wolken
ziehen sich am Himmel zusammen.
Jesus will
nun die gesegnete Stätte seines ersten Wirkens hinter sich lassen und
dem schweren Kampf entgegenziehn hinauf nach Jerusalem. Die Passionszeit,
die
jetzt
Wandern hinauf nach Jerusalem.
herannaht,
ist für uns auch ein
Wir wollen in unseren Betrach
tungen ihm im Geiste zur Seite gehn,
uns versenken in die Ge
danken, welche ihn auf diesem schweren Weg bewegten.
sehn, wie er sich rüstet auf die große Entscheidung.
Wie wollen Dann werden
wir ihn in der Davidsstadt einziehen sehen unter dem Jubel des Volkes, während er selbst den Tod vor Augen sieht.
in Gethsemane bei ihm stehn, in Gottes Willen.
Wir wollen
von ihm lernen, wie man sich fügt
Wir wollen ihn begleiten
vor Kaiphas
und
281
Der Gang Jesu nach Jerusalem.
hast."
Der Vater schließt dem verlorenen Sohn seine Liebe wieder
auf, und macht ihm wieder Muth, an Gottes Liebe und seine Zukunft
Und der barmherzige Samariter
zu glauben.
geht zu denen,
die
gefangen sind von dem glaubenslosen Geist der Zeit, und zeigt ihnen,
daß es noch eine Liebe giebt und läßt sie dadurch wieder an Gottes Liebe glauben.
Ja das höchste Priesterrecht, das es giebt, den
Menschen das Himmelreich aufzuschließen, das soll Jeder haben, der
sein Leben auf das Bekenntniß gründet: „Jesus ist der Christus." Aus den Wirren der Zeit, aus dem Kampfe der Parteien, aus den Zweifeln
des Lebens laßt uns immer wieder zurückkehren zu
dieser einfachen großen Wahrheit, zu diesem, unerschütterlichen Fels. Amen.
34.
Der Gang Jesu nach Jerusalem. Matth. 20, 18. 19.
Siehe, wir ziehen hinauf gen Jerusalem, und des
Menschen Sohn wird den Hohenpriestern und Schriftgelehrten über antwortet werden, und sie werden ihn verdammen zum Tode; und
werden ihn überantworten den Heiden, zu verspotten und zu geißeln und zu kreuzigen; und am dritten Tage wird er wieder auferstehen.
Dieses Wort, mit welchem wir uns heute beschäftigen wollen,
führt uns in der Betrachtung des Lebens Jesu wieder ein bedeut Die Wirksamkeit Jesu in Galiläa geht nun
sames Stück weiter.
zu Ende,
Wolken
ziehen sich am Himmel zusammen.
Jesus will
nun die gesegnete Stätte seines ersten Wirkens hinter sich lassen und
dem schweren Kampf entgegenziehn hinauf nach Jerusalem. Die Passionszeit,
die
jetzt
Wandern hinauf nach Jerusalem.
herannaht,
ist für uns auch ein
Wir wollen in unseren Betrach
tungen ihm im Geiste zur Seite gehn,
uns versenken in die Ge
danken, welche ihn auf diesem schweren Weg bewegten.
sehn, wie er sich rüstet auf die große Entscheidung.
Wie wollen Dann werden
wir ihn in der Davidsstadt einziehen sehen unter dem Jubel des Volkes, während er selbst den Tod vor Augen sieht.
in Gethsemane bei ihm stehn, in Gottes Willen.
Wir wollen
von ihm lernen, wie man sich fügt
Wir wollen ihn begleiten
vor Kaiphas
und
282
Der Gang Jesu nach Jerusalem.
Herodes, ihn begleiten, wie er sein Kreuz trägt.
Dann wollen wir
unter seinem Kreuze stehn, anschauen das Wunder seiner Liebe und
hineinschauen in das Vaterherz Gottes, das sich uns hier aufschließt. Ganz besonders mögen die Konfirmanden, welche noch vor dem Osterfeste den Segen empfangen und dann zum ersten Male zum
Tische des Herrn gehen werden, jenes Wort Jesu für sich verwerthen.
Mit rechtem Ernst und mit rechter Sammlung mögen sie sich vor bereiten auf die heilige Stunde, in der sie sich zur Nachfolge Jesu
verpflichten wollen.
Diese Vorbereitung wird dann eine erfolgreiche
sein, wenn sie sich das Bild Jesu recht deutlich vor Augen stellen,
ihn erkennen als den Erlöser, der durch die Hingabe seines Lebens auch ihr Leben und ihre Herzen
sich erkauft hat,
als den treuen
Freund, der sie ermuthigt, stärkt und tröstet auf allen ihren Wegen, als den Helden, der ihnen den Weg gebahnt hat durch den Lebens
kampf.
So wollen wir alle dem Rufe Jesu folgen:
Siehe, wir gehen hinauf nach Jerusalem. Wir gehen hinauf
Jesus litt und starb.
nach
dem Jerusalem, in welchem
Wir gehen hinauf nach dem Jeru
salem, in welchem Jesus herrscht und triumphiert.
1. In dem Leben Jesu vollzieht sich hier eine entscheidende
Wendung, und zwar durch die Aussicht, welche sich vor ihm miss thut, daß er in seinem Volke und durch dasselbe einen gewaltsamen Tod finden werde.
Ob er von vornherein seinen Tod vorausgesehn
hat oder nicht, läßt sich aus der evangelischen Geschichte nicht er
weisen.
Doch ist es wohl möglich, daß er am Anfang seiner öffent
lichen Wirksamkeit an eine ftiedliche Vollendung seines Werkes ge
glaubt hat, wie ja die Leute in Galiläa ihn fteundlich aufnahmen, seine Predigt große Erfolge hatte. her dunkler zu werden.
stellen sich
Jetzt aber fing es an, um ihn
Abgesandte der Pharisäer aus Jerusalem
zu ihm immer feindlicher, und aus ihren drohenden,
feindlichen Blicken,
aus ihren
theils höhnischen, theils gehässigen
Reden erkennt er sein zukünftiges Geschick. Vergangenheit.
Dabei blickt er in die
Vor seinem inneren Auge ziehen vorüber die großen
Propheten Israels, die von der herrschsüchtigen Priesterpartei alle
getödtet worden sind.
Vor seinem Auge steht Jerusalem, welches
das Blut dieser Boten Gottes vergossen hat. im Gefängniß
Um dieselbe Zeit fiel
das Haupt Johannes des Täufers.
Alles dies.
283
Der Gang Jesu nach Jerusalem.
das drohende Auftreten seiner Feinde, der Tod der Propheten, der Tod des Johannes weist ihn hin auf seinen nahen Tod. Man sagt von manchen Menschen, daß sie wie von einer Zauber
macht ihrem Geschick entgegengetrieben werden.
Ein Etwas in ihrer
Brust zieht sie hin, ihrem Untergang zu, wie der Nachtschmetterling
zur Flamme hingezogen wird, in welcher er seinen Untergang findet.
Auch in Jesus lebt solch eine Gewalt, aber eine himmlische, heilige Gewalt, nämlich die Erkenntniß,
daß alle jene irdischen Ursachen,
die seinen Tod herbeiführen werden, begründet sind in dem Willen
Gottes, daß er in Jerusalem sein Leben lassen soll zur Besiegelung seines Evangeliums, zum Heile der Menschen.
Der kindliche Ge
horsam gegen Gott und die Liebe zu den Menschen läßt ihm keine Ruhe mehr, bis er dieses Werk vollbracht hat.
Gottes Wille ist
sein Wille geworden, Gottes Rath sein Entschluß; er geht den Weg dem Tode entgegen, nicht weil es nun einmal sein muß,
weil er selbst will, in voller Freiheit.
sondern
Sein Leiden ist nicht mehr
ein Leiden, sondern seine eigene freie That.
Ob er wohl auf seiner Wanderung nach Jerusalem zurückdenkt an seine erste Wanderung nach der heiligen Stadt, an der Seite
seiner Eltern?
Damals eilten seine Gedanken dem langsamen Fuß
weit voraus, sehnsüchtig hin nach der Stadt Davids, die für sein junges
Gemüth
der
Inbegriff alles
Großen und
Heiligen war.
Jetzt steht sie ganz anders vor seiner Seele, die Priesterstadt, in
welcher schon soviel unschuldiges Blut geflossen ist, und nun auch
er, der als Retter seines Volkes kommt, von seinem Volke verstoßen
sein Blut vergießen wird.
Seine Augen sind gewendet nach Jeru
salem, wo alle Sünde der Welt sich um ihn sammeln wird mit all ihrer Macht, wo der Tod
ihn umgeben wird
mit all seinen
Schrecken, mit seiner dunkelsten Nacht, nach Jerusalem, wo seine Jünger ihn verlassen und verrathen werden. sieht er im Geiste:
Und noch etwas Anderes
Wenn er dort seinen Tod gefunden haben wird,
dann wird das Gericht Gottes über die Stadt hereinbrechen. Blut wird über sie und ihre Kinder kommen.
Sein
Er kommt nach Jeru
ihr zu helfen;
und sein Untergang wird Jerusalems
Untergang nach sich ziehen.
Ahnt ihr da, was Jesus empfand, als
salem,
um
er sprach:
„Seht,
wir gehn hinauf nach Jerusalem"?
Er will
Jerusalem helfen; und um seinetwillen wird Jerusalem untergehn.
284
Der Gang Jesu nach Jerusalem.
Und doch geht er hinauf in voller Freiheit, weil er es soll und weil er es will. Aber noch größere Dinge sieht er dort im Geist.
Dadurch, daß er dort am Kreuze erhöht werden wird, wird das Kreuz die
Bürgschaft seines Evangeliums und damit der Liebe Gottes werden, das Zeichen der Vergebung der Sünden für die ganze Welt, das Zeichen der ewigen Versöhnung zwischen Gott und Menschen welt; die Schädelstätte wird der Wallfahrtsort für alle Elenden und
Traurigen, für die reuigen Sünder, für die zerschlagenen Herzen und geängstigten Geister, für alle Pilger, welche Ruhe suchen, für alle Einsamen, die eine unvergängliche Liebe suchen. Das ist es vor Allem, die Vollendung seines Erlösungswerkes in seinem Tode, das ist es vor Allem, was ihn nach Jerusalem zieht, daß er ruhelos wandert, sein Gesicht nach Jerusalem gewendet, wie ein Feldherr, der seine Streiter zum Kampfe ruft: „Siehe, wir gehen
hinauf nach Jerusalem." Auch für uns kommen Zeiten, wo in unserem Leben eine solche entscheidende Wendung eintritt, wie hier im Leben Jesu. Friedliche Zeiten, wie die Zeit Jesu in Galiläa, gehen für uns zu Ende, Zeiten, da uns Alles gelang, da die Menschen ihre Herzen uns austhaten, Erfolge uns zufielen, überall Quellen uns flössen und Sonnen schein auf unserem Wege lag; und vor uns liegt eine schwere, dunkle Zeit, der wir entgegengehen müssen. Bei Manchem tritt diese
Wendung schon sehr ftüh ein. In die Jugend fällt der Schatten des Schmerzes, am Sarge des Vaters oder der Mutter. Hoffnungen
steigen auf, nur damit die Enttäuschung folgt. So muß Mancher schon frühzeitig den Weg gehen, den Jesus ging, von Galiläa nach Jerusalem. Bei Anderen kommt diese Wendung später. Das Leben
bekommt für uns ein anderes Gesicht; wir sehen die Welt mit anderen Augen an. Wir sehen in der Welt nur Schatten. Es scheint uns, als ob das Wohlwollen der Menge sich in Gleichgültig keit verwandle.
Wie Jesus an die Propheten dachte, die den Todes
weg ziehen mußten, so denken wir an Eltern und Freunde, die auch
den schweren Weg haben gehen müssen.
Wie Jesus durch den Tod
Johannes des Täufers hingewiesen wurde auf sein Geschick, so mahnt ein Schicksalsschlag, der einen Menschen in unserer Nähe trifft, an unser Geschick.
Alles das erzeugt in uns die Vorahnung:
285
Der Gang Jesu nach Jerusalem.
„Du wirst stille und steile Wege
gehn müssen;
du wirst Lasten
tragen müssen; du wirst entsagen müssen und es wird in dir etwas absterben."
Es ist schwer, sich in solch ein neues Leben zu finden.
findet sich überhaupt nicht hinein.
Er hält sich immer
Mancher
für einen
unschuldig Leidenden, für einen von Gott und den Menschen Zurück gesetzten und bleibt ein Fremdling in seinem Leben, sobald es sich
anders gestaltet, als er wünschte.
Es kommt eben darauf an: Wenn
das Leben um uns her anders wird, dann müssen auch wir, sollen wir diesem Leben gewachsen sein, selbst anders werden.
Da suche
jenen einsamen Wanderer nach Jerusalem auf, lies in seinen Augen
und in seiner Seele, richte dich an ihm auf, laß dich von ihm führen, lerne von ihm Geduld,
Gehorsam', Muth.
Siehe,
wie furchtbar
war sein Geschick, dem er entgegenging ganz allein, wie gering da
gegen ist dein Leid, dem du entgegengehst.
Dabei hast du doch
dieselbe Quelle der Kraft, wie er; sein Gott, der ihn stärkte, ist dein
sein Vater, der ihn führte, ist dein Vater.
Gott; Weg
für uns gegangen,
Er ist diesen
damit wir ihn gehen lernen mit ihm.
Wenn unser Leben anders wird, dann müssen wir lernen, an der
Seite Jesu anders zu werden. Lege ab die Ansicht, als ob du etwas Besseres seiest, als andere
Menschen, und ein besseres Loos verdient hättest als sie.
den Wahn,
als ob ein besttmmtes Maaß äußeren Glückes,
ein äußerer Schmuck,
gehöre.
Lege ab
irgend
eine schöne Zuthat, nothwendig zum Leben
Lege ab die Bequemlichkeit und Weichlichkeit, die wir uns
in guten Tagen so leicht angewöhnen, und mache dir die Arme frei
für den Kampf.
Vor Allem aber: Siehe hinter den düsteren Zeichen
deiner Zukunft die ewige Liebe, die unwandelbare Treue Gottes,
der zu dir spricht:
„Ich will dich nicht verlassen noch versäumen."
In herzlichem Verttauen und in nie ablassendem Gebet steige innerlich
empor durch alle dunklen Wolken bis zu deinem himmlischen Vater, bis du in der Wandlung deines Lebens, in dem düsteren Geschick
der Zukunft seinen Willen erkennst, und dein Wille mit dem seinen
zusammentrifft
und du mit ihm Eins wirst.
klar, fteudig, wie Jesus,
Dann wende ruhig,
dein Angesicht der Zukunft zu.
Dann
wird dein Wandern ein „Hinaufziehn" sein, äußerlich geht es abwärts, innerlich kommst du Gott immer näher.
Es wird in dir
Der Gang Jesu nach Jerusalem.
286 immer stiller;
aber diese Stille ist eine Stille zu Gott.
in dir das ruhelose Rechnen auf die Zukunft;
Es stirbt
es lebt in dir auf
das starke Vertrauen auf Gott. Siehe, wir ziehen hinauf nach Jerusalem. 2. Nach Ansicht der Jünger sollte in Jerusalem eine glänzende Zeit beginnen. Jesus sollte dort äußerlich herrschen und triumphieren
auf dem Throne Davids.
Es sollte anders kommen.
Jesus hat
seine Jünger mit sich hindurchgeführt durch seine dunkle Todesnacht,
mit sich hindurchgeführt durch die furchtbaren Schmerzen, in denen unter seinem Kreuz ihr alter Messiasglaube zusammenbrach;
dann
hat er sie emporgeführt, ihre Seelen zu sich gezogen, daß sie wieder
geboren wurden zu dem Glauben,
der die Welt überwindet, daß
sie theilhatten an seinem ewigen Leben, er in ihnen, sie in ihm, er das Haupt, sie die Glieder, er der Weinstock, sie die Reben, er der Lebensfürst,
Da waren sie nun mit
sie die Kinder des Lebens.
ihm in einem andern Jerusalem, nicht mehr in dem, in welchem
das Blut der Propheten geflossen, sondern in der Gottesstadt, in der die Krone winkt, nicht mehr in dem Jerusalem, in dem
die Leidenschaften die Gerechten umtoben, sondern in dem Jerusalem, wo die ewige Liebe die Wunden heilt.
So ruft Jesus ihnen zu:
„Siehe, wir gehen hinauf nach Jerusalem."
Ueber dem Jerusalem, da Jesus litt und starb, giebt es ein Jerusalem, da er herrscht und triumphiert. oder da;
es hat keine Schranke;
seinem Frieden.
Es ist nicht hier
es ist überall, wo Gott ist mit
Es ist soweit, als die Liebe Gottes reicht, und wer
könnte die Grenzen bestimmen, wo diese aufhört?
Es ist dort kein
Tempel, wie auf Zion; denn Gott wohnt dort in Allen, und jedes Menschenherz ist dort ein Tempel Gottes und Alle sind ein priester liches Volk.
Dort fließen Quellen des ewigen Lebens, die nie ver
trocknen, wie die Quellen zwischen den kahlen Höhen Jerusalems,
sondern Quellen, aus denen alle Kinder Gottes trinken können in
Ewigkeit.
Dort hört man nicht mehr das „Kreuzige", sondern nur
das „Hosianna".
Dort ist keine Trauer mehr um den sterbenden
Christus, sondern nur Frohlocken um den triumphierenden.
sehr verschiedene Namen dafür:
Es giebt
Heimath, Vaterland, Vaterhaus,
ewige Hütten, Gottesstadt, himmlisches Jerusalem; aber Namen sind
hier Schall und Rauch, wenn nur das feststeht, daß hinter all diesen
Der Gang Jesu nach Jerusalem.
Namen eine ewige Wirklichkeit liegt.
287
Nicht darauf kommt es
an, daß man sich von dieser himmlischen Heimath diese oder jene Vorstellung macht und sie sich mit der Phantasie ausmalt, sondern auf den Kernpunkt, nämlich daß wir einst sein werden mit Christo in Gott.
Denn Gott ist das ewige Leben.
Man fragt heutzutage, kann man wirklich daran glauben, daß es solch eine Ewigkeit giebt? Mit größerem Recht könnte man die Frage umgekehrt stellen: Ist es möglich, denkbar, daß es keine solche
Ewigkeit giebt? Ist es denkbar, daß das Jerusalem, in welchem Jesus unter Verbrechern starb, in welchem die heiligste Liebe von dem tödtlichsten Haß dem Tod überliefert wurde, daß dieses Jerusalem wirklich für ihn das Letzte war? Ist dann nicht Alles eitel? Ist dann nicht die ganze Welt rettungslos dem Wahn und der Sünde und dem Verderben preisgegeben, alles Leben ein armseliger Traum, alle Erkenntniß elendes Stückwerk, das Tasten eines Blinden, der verurtheilt ist zur Gefangenschaft in ewiger Finsterniß, aller Glaube ein Wahn, alle Liebe dem Tode geweiht, alle Hoffnung eine Täuschung? Wir sind dann Wanderer und haben kein Ziel. Wir sind Kämpfer, und es ist kein Sieg möglich. Wir sind Säeleute, und wissen, es giebt keine Ernte.
Sagt nicht: Dieser Glaube an eine Ewigkeit mache den Menschen unbrauchbar für die Erde; er gehe dann achtlos vorüber an Allem,
was die Erde ihm zu thun giebt.
Es ist umgekehrt.
Was kann
uns mehr Muth geben zu treuem, geduldigem Arbeiten, als der Glaube, daß unser Leben nicht mit dem Tode abbricht, sondern daß
es eine Fortsetzung giebt, welche anknüpft an alle guten Anfänge, die wir in unserem Erdenleben gemacht haben, daß somit alles Gute, auch wenn es hier erfolglos zu verschwinden scheint im Strome der Zeit, doch nicht verloren ist, sondern einst wieder hervorkommen
wird?
Was kann uns mehr wappnen gegen alle Entmuthigungen
und Enttäuschungen dieser Erde als der Glaube, daß die Wage auf dieser Erde noch nicht entscheidet über das, was wir gewollt haben, sonderü daß darüber droben eine andere Wage entscheidet, die mit unbedingter Sicherheit und Gerechsigkeit mißt? Der Glaube an eine große, weite Heimath macht das Herz weit und frei, los von den Kleinigkeiten der Erde, und wo Andere sich ereifern, läßt
der Glaube uns sprechen:
„Es ist nicht der Rede werth!"
Dieser
288
Der Gang Jesu nach Jerusalem.
Glaube giebt dem erschlaffenden Muth neue Spannkraft, er läßt den Wanderer die letzte Kraft zusammennehmen, er verklärt die Liebe der Menschen zu einander mit einem höheren Licht und giebt ihr
einen ewigen Inhalt. So erweisen die Menschen ihren Brüdern einen schlimmen Dienst, welche zu ihnen sprechen: „Es giebt keine ewige Heimath; der in der Nacht des Kummers wohnt, kommt nie zum Lichte, und dem, der sich in Treue und Gehorsam müht, winkt kein Feierabend." Jesus tritt vor uns als der Zeuge und Bürge, auf den wir uns verlassen können, und weist uns hinauf nach dem Jerusalem, in welchem er herrscht und triumphiert. Wenn Jesus uns lehrt, um der Seele, um des Gewissens willen auch die ganze Welt hinzugeben, was nützt uns die reine Seele, das unbefleckte Gewissen, wenn es kein ewiges Licht giebt, in welchem wir einst Gott schauen sollen? Wenn Jesus lehrt, einander in Treue zu dienen, wozu das Alles, wenn ein in uns zerreißendes Blutgefäß oder ein Krankheitskeim, der uns zufliegt, oder ein vom Dache fallender Stein alle diese Arbeit der Treue an einander abbricht und ihr ein Ende macht, daß sie vergeblich war? Wenn Jesus in uns den Glauben erweckt an Gottes Vaterliebe, soll dieser Glaube niemals zum Schauen werden? Wenn er in uns die Hoffnung erweckt auf ein ewiges Heilsgut, soll
diese Hoffnung nie zur Wirklichkeit werden? Wenn uns Jesus durch die Vergebung der Sünde über die Sünde hinaushebt, daß wir uns
nicht mehr vor ihr zu fürchten brauchen, soll er uns da nicht auch dahin führen, daß wir überhaupt nicht mehr sündigen, sondern die Sünde unter uns liegt, wie die Erde unter dem Himmel? Wenn
uns Jesus Seligkeit und Vollkommenheit ahnen läßt, sollen wir sie immer nnr ahnen und niemals besitzen? Wir können nicht von „Es ist noch nicht erschienen,
der Verheißung des Johannes lassen.
was wir sein werden." Durch Alles, was Jesus uns giebt und an uns thut, wird uns das Eine bezeugt: Wir gehen mit ihm hinauf nach Jerusalem. Wenn jene Wendung zum Schlimmen tu unserem Leben eintritt, und wir ziehen in der Erinnerung an all das Glück, welches wir hinter uns lassen, mit traurigem Sinn unsere Straße, dann sollen
wir uns sagen: Es kommt auch wieder eine andere Wendung, da geht es von Unten nach Oben, aus der Tiefe in die Höhe. Wenn
Der Gang der Jünger mit Jesus.
289
sehnen, und es kommt immer neue Unruhe,
wir uns nach Ruhe
immer neue Sorge und neuer Kampf, dann sagt euch: „Es ist noch
eine Ruhe vorhanden."
Jesus steht vor euch und spricht:
gehen hinauf nach Jerusalem."
und
„Wir
Wenn der Weg immer steiler wird
das Leben immer einsamer und der Wandergenossen
immer
weniger, so sagt Jesus zu euch: „Wir gehen hinauf nach Jerusalem."
Wenn Räthsel über Räthsel vor uns aufsteigen und unsere Vernunft ihre Ohnmacht immer mehr einsieht, so tröstet euch damit:
„Wir
gehen hinauf nach Jerusalem, wo wir alle die räthselhaften Wege
unseres Lebens erkennen und sprechen werden: Der Herr hat Alles
wohlgemacht."
Wenn unsere sittliche Arbeit an uns immer unvoll
kommen bleibt, und alte Sünden immer wieder an unserer Seele
nagen, so sagt euch:
„Das Stückwerk wird doch einmal abfallen
und das Vollkommene erscheinen; denn wir ziehen hinauf nach Jeru salem."
Der Friede, der in der Sterbestunde auf der bleichen Stirn
des Sterbenden ruht, spricht zu uns:
„Siehe, wir gehen hinauf
nach Jerusalem."
Gehet muthig mit ihm hinauf nach Jerusalem,
wo er leidet
und stirbt; dann werdet ihr auch ftöhlich mit ihm hinaufgehn nach dem Jerusalem, wo er herrscht und triumphiert.
Amen.
2ö.
Der Gang der Jünger mit Jesus. Joh. 11, 16.
Lastet uns mitziehen, daß wir mit ihm sterben.
Ihr seid aus dem Leben hierhergekommen und Jedem von euch
erscheint das Leben anders, in eigenartiger Gestalt.
Denn Jeder
geht seinen Weg, hat seine Sorge und Arbeit, hat mit seinem Geschick zu kämpfen.
Dem Einen erscheint
das Leben eben jetzt
sonnig und heiter, dem Andern trübe und ernst.
So ist Jeder ganz
erfüllt und hingenommen von dem Eindruck, den sein Leben gerade
auf ihn macht.
Euer Leben ist es, das Euch bewegt.
Und wenn
ihr aus diesem Gottesdienst heimkehren werdet, wenn morgen die Kirmß, Predigten.
19
Der Gang der Jünger mit Jesus.
289
sehnen, und es kommt immer neue Unruhe,
wir uns nach Ruhe
immer neue Sorge und neuer Kampf, dann sagt euch: „Es ist noch
eine Ruhe vorhanden."
Jesus steht vor euch und spricht:
gehen hinauf nach Jerusalem."
und
„Wir
Wenn der Weg immer steiler wird
das Leben immer einsamer und der Wandergenossen
immer
weniger, so sagt Jesus zu euch: „Wir gehen hinauf nach Jerusalem."
Wenn Räthsel über Räthsel vor uns aufsteigen und unsere Vernunft ihre Ohnmacht immer mehr einsieht, so tröstet euch damit:
„Wir
gehen hinauf nach Jerusalem, wo wir alle die räthselhaften Wege
unseres Lebens erkennen und sprechen werden: Der Herr hat Alles
wohlgemacht."
Wenn unsere sittliche Arbeit an uns immer unvoll
kommen bleibt, und alte Sünden immer wieder an unserer Seele
nagen, so sagt euch:
„Das Stückwerk wird doch einmal abfallen
und das Vollkommene erscheinen; denn wir ziehen hinauf nach Jeru salem."
Der Friede, der in der Sterbestunde auf der bleichen Stirn
des Sterbenden ruht, spricht zu uns:
„Siehe, wir gehen hinauf
nach Jerusalem."
Gehet muthig mit ihm hinauf nach Jerusalem,
wo er leidet
und stirbt; dann werdet ihr auch ftöhlich mit ihm hinaufgehn nach dem Jerusalem, wo er herrscht und triumphiert.
Amen.
2ö.
Der Gang der Jünger mit Jesus. Joh. 11, 16.
Lastet uns mitziehen, daß wir mit ihm sterben.
Ihr seid aus dem Leben hierhergekommen und Jedem von euch
erscheint das Leben anders, in eigenartiger Gestalt.
Denn Jeder
geht seinen Weg, hat seine Sorge und Arbeit, hat mit seinem Geschick zu kämpfen.
Dem Einen erscheint
das Leben eben jetzt
sonnig und heiter, dem Andern trübe und ernst.
So ist Jeder ganz
erfüllt und hingenommen von dem Eindruck, den sein Leben gerade
auf ihn macht.
Euer Leben ist es, das Euch bewegt.
Und wenn
ihr aus diesem Gottesdienst heimkehren werdet, wenn morgen die Kirmß, Predigten.
19
Der Gang der Jünger mit Jesus.
290
Arbeitswoche wieder beginnt, so tritt die Wirklichkeit eueres Lebens wieder mit chrer ganzen Macht an euch heran.
Und so seid ihr
gewiß Alle hierhergekommen, um etwas fürs Leben zu empfangen,
Ihr fragt hier mehr nach dem Leben als nach
für euer Leben.
Denn kommt einmal das Sterben, so ist die beste
dem Sterben.
Vorbereitnng darauf ein rechtes Leben. Diesem eueren Bedürfniß scheint unser heutiges Textwort wenig
Thomas, der Jünger Jesu, ruft es den anderen
zu entsprechen.
Es spricht sich darin eine Sehnsucht nach dem Sterben
Jüngern zu.
aus, eine Lust, eine Freude am Sterben.
Das ist gewiß Vielen
von euch etwas Fremdarüges, etwas Unnatürliches, ganz besonders denen, welche jetzt auf der Höhe des Lebens stehen, umdrängt von den
Arbeiten und Aufgaben des Lebens.
Dem hohen Alter liegt die
Todessehnsucht näher, vielleicht auch einer etwas träumerisch angelegten Jugend.
Wer aber so recht im vollen Leben steht, der weiß wohl
kaum etwas von einer Sehnsucht nach
dem Tode.
für uns Alle seinen tiefen Sinn.
dieses Wort
Dennoch hat
Es zeigt uns den
Weg, den wir Alle gehen müssen, wollen wir wirklich leben: Durch Sterben
zum Leben.
Spricht
sich
in unserem Textwort
eine
Sehnsucht nach dem Sterben aus, so beantworten wir uns zunächst
die Frage:
Giebt es eine berechtigte Sehnsucht nach dem
Sterben?
Müssen wir diese Frage bejahen, so fragt cs sich weiter:
Was ist das für ein Sterben, durch welches wir hindurch
gehen müssen?
Und zuletzt: Was ist das für ein Leben, das
aus dem Sterben hervorgeht? 1. Es giebt eine Todessehnsucht, welche nicht berechtigt ist. Da hat ein Mensch sein ganzes Sinnen und Trachten, sein ganzes Herz an diese Erde gehängt
Erde ist.
und auf das
gerichtet, was von der
In den Gütern der Erde, in ihren Freuden und Genüssen
suchte er das Leben.
In den Arbeiten, welche ihm Erfolge
ein
brachten, Geld und Gut, Ehren und Würden, in der Genugthuung, aus dem Wettlauf der Menschen als Sieger hervorzugehn, in der
Jugendkraft, in der Kraft des gereiften Lebens, welche er in seine Arbeit hineinlegte und in welcher er Andere übertraf, darin suchte er das Leben.
lichen Dinge,
Einen anderen Lebensinhalt, als alle diese vergäng hat er nie gekannt.
Staub, verwelkt wie das Laub.
Dieser Lebensinhalt zerfällt in Das Auge wird trübe, freut sich
291
Der Gang der Jünger mit Jesus.
nicht mehr an der Schönheit der Welt, das Herz stumpft sich ab Das Leben wird immer mehr seines
für die Genüsse der Erde.
Inhaltes entleert.
Es ist wie eine Frucht,
aus welcher man den
frischen, süßen Saft ausgepreßt hat, und die man dann wegwirst.
Da sehnt sich der Mensch nach dem Tode, nach dem Tode als nach dem Ende, nach dem Aufhören eines Lebens,
mehr hat.
Hier heißt es:
das keinen Werth
„Wie habt ihr das Eitle so lieb.
Das
Wesen dieser Welt vergeht." — Es ist auffallend, daß diese Todes sehnsucht
gerade
da sich geltend macht, wo sich das Leben
am
üppigsten entfaltet, wo dem Menschen sich Alles darbietet, was er
an Genuß verlangt; da spricht er, vom Genuß übersättigt, von der Lebensfülle ermüdet:
großes Land,
„Alles ist eitel."
Im fernen Ostasien ist ein
in welchem die Natur sich in einer uns ungeahnten
Ueppigkeit und Pracht entfaltet;
dort wohnt ein Volk mit reichem
Geist und mit tiefen Gedanken.
Aber gerade in diesem Volke der
Inder ist die Lehre Buddhas entstanden, daß alles Leben Leiden sei und daß es das Beste sei für den Menschen,
Welt und einzugehn in das selige Nichts.
abzusterben der
Und jetzt in dieser Zeit,
in der die Genußmittel für den Menschen sich immer reicher aufthun,
im finden sich wirklich Menschen, welche dieser Lehre aus dem fernen Osten lauschen, wie einem Evangelium und sprechen: „Was ist das
Leben?
Besser ist es, zu sterben, nicht zu sein, zu verlöschen wie
ein Licht im Winde, zu zergehen wie ein Bläschen in der schäumenden Welle und nicht wiedergeboren zu werden zu neuem Leben." —
Solche Todessehnsucht ist eine Krankheit, ja mehr, eine Sünde, eine Undankbarkeit gegen den großen Schöpfer, der das Leben und uns
gemacht hat. Anders verhält es sich schon, wenn solche Sehnsucht in einem Menschen entsteht in Folge schwerer Schicksalsschläge.
Die Kette
der Enttäuschungen ist so lang, daß auf der Wanderung durch die
Wüste des Lebens Geduld und Hoffnung müde werden, niedersinken, den Menschen nicht weiter begleiten wollen.
Nirgends mehr ein
Baum mit kühlem Schatten, eine Quelle für den Dürstenden.
Vor
den Augen nichts als der endlos und schattenlos sich dehnende Weg, ohne Ziel, ohne Ruhepunkt.
Wir haben gewiß die Pflicht, auch
da unser Vertrauen nicht wegzuwerfen, festzuhalten an dem Glauben,
daß Gott stärker ist als unser Geschick, und daß seine Güte länger 19*
292
Der Gang der Jünger mit Jesus.
währt
als unsere Trübsal.
Der Mensch ist unserer Theilnahme
werth, in dessen Seele da der Wunsch entsteht: Alles aus, der lange Kampf zu Ende."
„Wäre doch erst
Ganz besonders konimen
solche trübe schwere Empfindungen, wenn Jemand ein theures Leben
verloren hat.
Es ist ihm zu Muthe, nachdem zwei Augen sich ge
schlossen haben, als gäbe es überhaupt in der Welt kein Licht mehrt ein dunkler Schatten legt sich über Alles; die Welt ist leer geworden.
Alle Gedanken bewegen sich um ein Grab; die Augen sind wie ge
bannt auf eine leere Stätte, Lebenskreis entstanden ist.
auf eine große, breite Lücke,
die im
Und der Todte übt eine solche Macht
auf den Lebenden aus, daß es in dessen Seele immer wieder ruft: „Laßt uns mitziehn; wozu dieses Leben, dieses Treiben, dieses SichLaßt uns mitziehn, auf daß wir mit ihm sterben."
quälen?
Oder
wenn um das Sterbebett eines lieben Menschen die Angehörigen
versammelt sind, wenn die Schatten des Todes
immer dunkler
werden, und die Zurückbleibenden fühlen, wie mit dem Sterbenden
auch in ihnen etwas stirbt, da klingt es auch leise durch die Seelen:
„Laßt uns mitziehn, auf daß wir mit ihm sterben." Aber
es
giebt noch eine edlere Sehnsucht nach dem Ende,
nämlich dann, wenn es sich darum handelt, für etwas zu sterben, für
etwas Großes
und
Heiliges
Wenn die. Liebe zu seinem Glauben
sein Leben
zu
opfern.
oder zum Vaterland mächtig
über einen Menschen kommt, daß sie stärker ist als die Liebe zum
eigenen Leben, daß dem Menschen der Tod für Glauben und Vater land als das höchste Ziel erscheint, verklärt vom himmlischen Lichte,
daß er gar nicht anders kann, er muß diesem Ziele zueilen, er kann für sein Leben, das Gott ihm gegeben hat, keine höhere Bestimmung
und Verwendung sich denken, als die, es hinzugeben für einen großen Zweck — solche Sehnsucht nach dem Tode ist heilig. auch sie krankhaft werden.
Gewiß kann
In den Zeiten der Christenverfolgung
ist es vorgekommen, daß die Christen sich zum Märtyrertode gedrängt haben.
Aber es kann Zeiten geben, wo Gott selbst zu den Menschen
spricht:
„Jetzt ist es Zeit, Alles hinzugeben, auch das Leben, das
doch noch nicht der Güter höchstes ist, jetzt sollt ihr euere Seelen in euere Hand legen und zu sterben wissen.
Jetzt
sein Leben erhalten will, der wird es verlieren."
heißt es:
Wer
Und in solchen
Zeiten, in denen nicht menschliche Willkür und Laune und trübsinnige
Der Gang der Jünger mit Jesus.
293
Schwärmerei die Menschen zum Tode treibt, sondern eine heilige,
göttliche Nothwendigkeit, da ist es auch recht, wenn die Menschen
sich nach dem Opfertode sehnen und die selig preisen, die gewürdigt werden, ihr Leben als Opfer hinzugeben.
Aber auch diese Todessehnsucht ist noch nicht die höchste. uns ist der Tod nicht ein unendlicher dunkler Abgrund,
eine dunkle Pforte,
die zum Leben führt,
Für
sondern
ein Vorhang,
hinter
welchem unaussprechlich große Dinge verborgen sind, die kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat,
die ihn lieben. das Leben
die Gott offenbaren will denen,
Wir glauben an das Leben,
sich in dem, was wir
d. h. daran,
auf Erden erleben,
daß
nicht er
schöpft hat, sondern daß es noch in sich birgt eine unendliche Fülle,
welche sich dem Menschen nach dem Tode erschließen wird.
Und wir
glauben an Gott, d. h. daran, daß seine Liebe kein Ende hat, auch
an unserem Grab kein Ende findet, sondern daß sie uns noch viel mehr geben will, als wir hier auf Erden nehmen und empfangen
können.
Der du hier auf Erden aus dem Quell der Wahrheit dann
und wann getrunken hast, dir soll einst noch viel reicher der Quell der Wahrheit fließen.
Der du hier seufzest in ehrlichem Kampfe
unter dem Zwiespalt, daß den Geist gelüstet wider das Fleisch und das Fleisch wider den Geist, es soll für dich noch einmal ein herr licher ewiger Sieg kommen.
Der du hier glaubst an eine ewige
Liebe, du sollst sie einst schauen.
Der du hoffest auf eine Vollendung
dessen, was hier in deinem Wesen nur Stückwerk ist, du sollst diese
Vollendung einst schauen.
Muß uns da nicht die Sehnsucht kommen
nach der Verwirklichung der Verheißungen, die uns gegeben sind? Sie braucht uns wahrlich nicht abzuziehen von der treuen Erfüllung
unserer Erdenpflichten.
Der Wanderer kann sehr wohl auf seinen
Weg sehen, wenn er auch dann und wann einmal sein Auge erhebt zu dem seligen Ziel, dem er zustrebt.
Auch ein Paulus hat ge
sagt: „Ich habe Lust abzuscheiden und bei Christo zu sein." 'Dürfen
nicht auch wir uns auf Erden tragen lassen von den Flügeln der Sehnsucht nach Vollendung?
2. Dürfen wir aber nach jenem Leben verlangen, so müssen
wir bedenken, daß ihm noch ein anderes Sterben vorausgehen muß, als das leibliche Sterben.
von dem Wahn,
Wir müssen uns losmachen
als brauche nur der Körper zu sterben,
damit
Der Gang der Jiinger mit Jesus.
294
alsbald die Seele selig sei.
Sondern es ist
kein wahres Leben,
keine wahre Seligkeit möglich, weder dort noch hier, wenn nicht in uns ein geistiges Sterben vorausgegangen ist.
„Lasset uns mitziehn,
Das ist die Mahnung der Passionszeit:
daß wir mit ihm sterben." Jesus ziehen und seine
durchleben.
Lasset uns zunächst
im Geiste
mit
Empfinden
mit
in unserem
Passionszeit
einen dir lieben Menschen in
Wenn du in der Ferne
Leiden und Schmerzen weißt, so durchlebst du trotz der räumlichen Trennung sein Leiden mit ihm.
hängt ihr Beide
Denn innerlich
mit einander zusammen und verkehrt mit einander.
So laßt uns
mit Jesus ziehen im Geiste durch sein Leiden hindurch.
Wir versetzen
uns in die Zeit,
da der Gedanke
seines Leidens immer klarere,
greifbarere Gestalt in ihm annahm, als er ihn als Gottes Wille
und Rath aufnahm in das Gefüge seines Lebens.
Wir sehen da
die göttliche Hoheit, die himmlische Freiheit, mit welcher der Sohn
den schweren Weg geht, den der Vater ihm zeigt. es ihm zu Muthe gewesen sein mag, Jerusalem,
der
Richtstätte
der
Dentt euch, wie
als er auf dem Wege nach
Propheten,
nach
Jerusalem,
der
Mördergrube, sich sehnt nach Freunden, nach Schultern, auf die er sich stützen, nach Herzen, auf die er sich verlassen könnte, und seine
Jünger, die ihm zur Seite gehen, verstehen ihn doch nicht, und so
muß er den Kampf mit seinem Geschick ganz allein durchkämpfen. Gehet
mit ihm nach
Jerusalem,
tretet
mit ihm
ein in seinen
erschütternden Kampf mit seinen Feinden, die er mit Aufbietung der
ganzen Kraft seiner Liebe gewinnen möchte, und die sich doch immer weiter von ihm entfernen.
Gehet mit ihm nach Gethsemane, tretet
ihm zur Seite, da er ringt mit Welt, Sünde und Tod, ganz allein
in der weiten Welt, unter den schlafenden Jüngern,
Hört vor Kaiphas, wie
ganz allein.
fanatische Beschränktheit den König
der
Wahrheit verklagt, dessen Reich nicht von dieser Welt ist, seht, wie die wahnwitzige Volksmenge jubelnd den Barabbas auf die Schultern
hebt und über Christus das „Kreuzige" ruft.
Geht mit ihm den
Weg, auf dem er sein Kreuz trug, ja ihr Kreuzttäger, ihr Schwer belasteten, seht diesen
Einen, der hundertmal mehr getragen hat,
als ihr, und lernet von ihm Geduld haben und Demuth und Ge
horsam, und nehmt euer Kreuz auf euch und folget ihm nach.
hinein in seinen göttlichen Sinn, der auch
Seht
auf diesem schwersten
295
Der Gang der Jünger mit Jesus.
Gange nicht an sich selbst denkt,
sondern an sein Volk, und den
„Ihr Töchter Jerusalems, weinet nicht
weinenden Frauen zuruft:
über mich, sondern weinet über euch selbst und über euere Kinder!"
Denkt euch, was es heißt, die ganze Welt mit göttlicher Liebe um
fassen, und mit reinem Gewissen die Schuld der ganzen Welt auf sich nehmen,
den ganzen Jammer,
das ganze Elend der sündigen
Welt durchempfinden, fühlen die Noth der Verirrten, der Verlorenen. Denkt euch, was es heißt für den Sohn, der immer trinken konnte
aus der Liebesgemeinschaft mit dem Vater, sich von Gott verlassen
zu fühlen, sich ausgestoßen zu fühlen aus dem Lande des Trostes,
und im Geiste umherzuirren und Gott nicht zu finden!
Seht aber
auch, wie er am Kreuz, da ihn alle Schrecken des Todes umlagern, doch den Tod überwindet,
wie sein Sterben gar kein Sterben ist,
sondern ein Siegen und Ueberwinden in Friede und Liebe,
Rückkehr eines Siegers in die Heimath. der Passionszeit innerlich durchleben.
die
Das Alles laßt uns in
So laßt uns mitziehen, daß
wir mit ihm sterben. Dieses innere Mitdurchleben
Sünde.
des Leidens Jesu muß Einfluß
Zunächst auf unsere Beurtheilung der
haben auf unser Leben.
Jesus leidet und stirbt durch die Sünde.
in den Tod getrieben.
Verkehrtheit.
Die höchste Liebe geht unter im Haß der Welt.
Wahrheit wird als Lüge hingerichtet.
einem
Sie hat ihn
Hier offenbart sich ihre Verblendung, ihre
schmachvollen Tod
Das reinste Leben wird von
verschlungen.
ttiumphiert die ruhelose Welt.
Die
Ueber den
Friedefürsten
Das Alles hat die Sünde gethan.
Müssen wir da nicht erschrecken bei dem Gedanken, daß wir dieselbe
Sünde, welche hier den Gesalbten Gottes in den Tod getrieben hat, in uns einlassen, mit ihr spielen, sie an uns entschuldigen?
uns da nicht eine tiefe Abscheu vor ihr ergreifen? Jesu,
Kreuzestod
der
schmachvolle
Kreuzigung des Lebenssürsten,
lammes das furchtbarste Gericht,
worden ist?
Tod
des
die Erwürgung
Muß
Ist nicht der
Ehrenkönigs,
die
des reinen Gottes
das je über die Sünde gehalten
Müssen wir da nicht, wie das Volk unter dem Kreuze
that, an unsere Brust schlagen, unsere Sünde verdammen, den Kampf mit ihr aufnehmen, um sie zu tobten, damit unsere Seele lebe?
Der Tod Jesu soll in uns die Sünde immer mehr zum
Sterben
bringen.
Wir suchen
und finden im Tode Jesu, die
Der Gang der Jünger mit Jesus.
296
Besiegelung der Gnade Gottes, welche uns Jesus durch seine Lehre
und
sein Leben
geoffenbart
hat.
Aber
der Tod
Jesu
soll
in
uns nicht nur das Schuldgefühl aufheben, sondern auch die Sünde
selbst in uns tödten.
Wie die Strahlen der Sonne sich in einem
Brennpunkte zusammenfassen, so faßt sich die Liebe Gottes zusammen
Und von hier strahlt sie mächtig aus,
in dem Tode Jesu.
gießt
ihre Gluth in unsere Herzen hinein, und wo das geschieht, da muß
die Sünde absterben.
Denn es können nicht in deiner Seele zwei
Herrscherthrone neben einander stehn, der der Sünde und der Christi.
Wo Christus herrscht, kann die Sünde nicht herrschen, sondern sie
Der alte Mensch in dir muß sterben, er muß
muß sterben.
sammt Christo gekreuzigt werden. Welt
unterging,
Wie mit dem Tode Jesu die alte
so muß in dir der alte Mensch
sterben, über
wunden, gctödtet von der Liebe Christi, die für dich gestorben ist.
Seine Liebe muß deine Selbstsucht tödten, sein Erbarmen deinen Haß, seine sich selbst opfernde Treue deinen Eigennutz, sein heiliger Sinn
deine
böse Lust,
sein
Gehorsam
deine Verzagtheit,
seine
Ergebung deine Auflehnung gegen Gott, seine göttliche Kraft deine
Leidenschaften und Begierden.
Die Liebe Jesu, die sich in seinem
Tode offenbart, tödtet dein fleischliches Ich, das Selbst, das immer an sich denkt, Paulus:
alles das, was dich von Gott scheidet.
So sagt
„Ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit
Christo in Gott."
Dahin sollst du kommen, daß du durch die Welt
gehst und das Schlechte, Gemeine gar nicht mehr siehst, gar nicht verstehst.
Du bist innerlich dafür abgestorben.
Der Zusammenhang
zwischen deiner Seele nnd dem Bösen hat sich gelöst, seine Wurzeln in deiner Seele sind abgestorben,
du lebst nicht mehr in dieser
Welt der Sünde und des Todes, sondern in der Welt Gottes.
„Ihr seid gestorben, und euer Leben ist mit Christo verborgen in Gott."
Die Todten, die draußen auf den Kirchhöfen ruhen, wissen
auch nichts mehr von dieser Welt, nichts von dem Winter, der seine
Schneeflocken über die Erde treibt, nichts von dem Frühling, der
die Gräber mit Blumen schmückt; denn sie ruhen in Gott. es mit uns sein.
So soll
Wir sollen innerlich sterben der sündigen Welt,
mit Christo leben in Gott, daß die Stürme der Zeit, Trübsal, Noth, Versuchung uns nicht mehr berühren. borgen mit Christo in Gott."
„Unser Leben ist ver
So kann es innerlich mit uns sein.
Der Gang der Jünger mit Jesus.
297
auch wenn wir äußerlich mitten drin stehen in den Arbeiten und Sorgen der Welt. Das ist das Sterben, nach dem wir uns sehnen sollen, durch das wir hindurchgehen müssen. Lasset uns
mit ihm ziehen, daß wir mit ihm sterben. 3. Solches Sterben führt nicht zur Gleichgültigkeit gegen unser Leben, die Menschen, unsere Erdenpflichten, das, was Welt und Zeit bewegt, sondern im Gegentheil zum wahren Leben in der
Welt.
Ohne
dieses Sterben giebt es kein wahres Leben.
Das
Leben im Herbst mußte sterben, damit der Frühling neue Blätter bringt. Sterben müssen die Knospen, damit Blüthen daraus werden. Sterben die Blüthen, damit Früchte daraus werden. Sterben muß das Weizenkorn, damit eine Aehre wird. Hier ist Sterben Um wandlung, Uebergang in eine höhere Lebensform. Der Glaube an dich muß sterben, damit er auferstehe als Glaube an Gott. Der Trotz muß sterben unter den Schlägen des Geschicks und dem inneren Gericht, damit in dir Raum finde die Gnade Gottes, die in den Schwachen mächtig ist. Sterben muß das Vertrauen auf
deine Tugend, damit es auferstehe als Vertrauen zur Gnade Gottes. Sterben muß deine Selbstliebe, damit sie auferstehe als der heilige Eifer, dein innerstes Selbst für die Ewigkeit zu retten. Sterben müssen deine Leidenschaften, mit denen du geeifert hast in fleischlicher Weise, damit sie auferstehen als die heiligen Leidenschaften des Glaubens und der Liebe.
Ohne dieses Sterben giebts kein Leben.
Und wenn deinen alten Menschen Ströme ewigen Lebens umgäben, er könnte nicht daraus trinken, er könnte es nicht schmecken, nicht
verstehen, denn er lebt in einer anderen Welt, die durch eine breite Kluft getrennt ist von der Welt des ewigen Lebens. Ohne Sterben kein Leben. Seht das an den großen Vorbildern unseres Glaubens. Als einst Johannes sich Jesu angeschlossen hatte, war er ein stürmischer Eiferer, der mit seinem glühenden Ehrgeiz den Platz zur Rechten
sich erobern wollte, der auf eine Samariterstadt, welche Jesum und seine Jünger nicht aufnahm, Feuer vom Himmel wollte regnen lassen. Nun seht zuletzt den
Jesu in seinem Messiasreich
greisen Johannes, der seine Gemeinde 'zu Ephesus leitete, himmlischer
Friede auf dem milden Antlitz und auf seinen Lippen immer nur die Eine Predigt: „Kindlein, liebt euch!"
Der Johannes, der Feuer
298
Der Gang der Jünger mit Jesus.
hatte regnen lassen wollen, war gestorben, und ein anderer Johannes war auferstanden. Ohne Sterben kein Leben. Der Paulus,
welcher als Pharisäer durch eigene Gerechtigkeit Gott gefallen wollte und die Christengemeinde verfolgte, ist bei Damaskus gestorben, und
es ist auferstanden der Paulus, der die Gerechtigkeit durch den Glauben predigt und das hohe Lied der Liebe im 13. Kapitel des ersten Korintherbriefes gesungen hat. Der Luther, der durch Möncherei selig werden wollte, mußte sterben, damit der Luther auferstünde, der die Freiheit eines Christenmenschen verkündigte. Nur aus dem Sterben kommt das Leben. Dazu mahnt noch eine Sümme aus einer anderen Welt. Goethe, der sich mit Vorliebe als ein Weltkind bezeichnet, auch er hat erkennen müssen, daß nur durch Sterben der Weg zum Leben geht. Und gerade in seinem Munde ist das Bekenntniß so ergreifend: Und so lang du das nicht hast, Dieses Stirb und Werde, Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunkeln Erde.
Durch Sterben zum Leben. Wo das Sterben aber waltet, da muß es stille sein. Wo einem Menschen die Augen brechen, da muß es stille sein, auch im brandenden Meere, auch im Schlacht getümmel, so still, wie in der Erde, wenn der Leib zu Staub wird,
still wie am Baum, wenn die Blüthen fallen, damit Früchte werden. So laßt uns stille werden, damit wir durch Sterben zum Leben gehen. Laßt uns jeden Tag die innere Sülle suchen, einen stillen Augenblick der Sammlung uns frei Hallen, einen stillen Augenblick
des Gebetes, die Augen nach Innen wenden, unsere Fehler erkennen, Gott bitten um Kraft zum Kampf, Gott bitten um den Sieg. Laßt uns stille werden in dieser Passionszeit, Christi Kreuz in unsere Seele verpflanzen, auf daß mit Christus sterbe unser alter Mensch und mit ihm auferstehe ein neuer Mensch. So werden wir leben, im vollen eigentlichen Sinne leben, d. h. glauben, und durch den Glauben Gottes und Jesu Christi
Leben in uns aufnehmen, die Menschen lieben und dadurch das Leben der Menschen mit ihren Leiden und Freuden in uns auf nehmen und in uns durchleben, hoffen, das Leben der Zukunft in
uns vorausleben und uns der Verheißungen freuen, die Gott uns
299
Der Kampf Gottes mit den Menschen.
gegeben hat,
dulden und im Dulden Gehorsam
lernen, Zucht,
Ergebung und wachsen von Kraft zu Kraft mit Christus zusammen, in Gott hinein, arbeiten, dem
Geiste,
sondern
mit
nicht bloß mit den Händen
dem
ganzen Menschen,
Herzen, um Gott und den Menschen zu dienen.
oder mit
auch mit
dem
Zuletzt werden wir
auch im Sterben leben, hören vom Jenseits her die Ströme des
Lebens rauschen. Sind wir auf Erden mit Christus gezogen, halten wir uns fest im Sterben an ihm, dann ziehen wir mit ihm weiter durch das Todes
thal, und der dunkle Weg führt höher und höher und unser Freund
geht uns treu zur Seite bis ins Vaterland.
daß wir mit ihm sterben.
Lasset uns mitziehen,
Lasset uns
mit ihm sterben, auf daß wir mit ihm ziehen hinüber zum ewigen
Leben.
Amen.
36.
Der Kampf Gottes mit den Menschen. (Palmsonntag.) Darum siehe, ich sende
Matth. 23, 34—39.
zu euch Propheten und
Weise und Schriftgelehrte; und derselbigen werdet ihr etliche tödten
und kreuzigen, und etliche werdet ihr geißeln in euren Schulen, und
werdet sie verfolgen von einer Stadt zu der andern; auf daß über
euch komme alles das gerechte Blut, das vergossen ist auf Erden, von dem Blute
an
des
gerechten
Abels,
bis
aufs Blut
Zacharias,
Barachias Sohn, welchen ihr getödtet habt zwischen dem Tempel und Altar.
Wahrlich, ich sage euch,
Geschlecht kommen.
daß solches alles wird über dies
Jerusalem, Jerusalem, die du tödtest die Pro
pheten, und steinigest, die zu dir gesandt sind!
Wie oft habe ich deine
Kinder versammeln wollen, wie eine Henne versammelt ihre Küchlein unter ihre Flügel; und ihr habt nicht gewollt.
soll euch wüste gelassen werden.
Siehe, euer Haus
Denn ich sage euch: Ihr werdet
mich von jetzt an nicht sehen, bis ihr sprechet:
Gelobet sei, der da
kommt im Namen des Herrn!
3eber Festtag in der christlichen Kirche hat einen bestimmten Gedanken und weckt demnach eine bestimmte Empfindung, Weih-
299
Der Kampf Gottes mit den Menschen.
gegeben hat,
dulden und im Dulden Gehorsam
lernen, Zucht,
Ergebung und wachsen von Kraft zu Kraft mit Christus zusammen, in Gott hinein, arbeiten, dem
Geiste,
sondern
mit
nicht bloß mit den Händen
dem
ganzen Menschen,
Herzen, um Gott und den Menschen zu dienen.
oder mit
auch mit
dem
Zuletzt werden wir
auch im Sterben leben, hören vom Jenseits her die Ströme des
Lebens rauschen. Sind wir auf Erden mit Christus gezogen, halten wir uns fest im Sterben an ihm, dann ziehen wir mit ihm weiter durch das Todes
thal, und der dunkle Weg führt höher und höher und unser Freund
geht uns treu zur Seite bis ins Vaterland.
daß wir mit ihm sterben.
Lasset uns mitziehen,
Lasset uns
mit ihm sterben, auf daß wir mit ihm ziehen hinüber zum ewigen
Leben.
Amen.
36.
Der Kampf Gottes mit den Menschen. (Palmsonntag.) Darum siehe, ich sende
Matth. 23, 34—39.
zu euch Propheten und
Weise und Schriftgelehrte; und derselbigen werdet ihr etliche tödten
und kreuzigen, und etliche werdet ihr geißeln in euren Schulen, und
werdet sie verfolgen von einer Stadt zu der andern; auf daß über
euch komme alles das gerechte Blut, das vergossen ist auf Erden, von dem Blute
an
des
gerechten
Abels,
bis
aufs Blut
Zacharias,
Barachias Sohn, welchen ihr getödtet habt zwischen dem Tempel und Altar.
Wahrlich, ich sage euch,
Geschlecht kommen.
daß solches alles wird über dies
Jerusalem, Jerusalem, die du tödtest die Pro
pheten, und steinigest, die zu dir gesandt sind!
Wie oft habe ich deine
Kinder versammeln wollen, wie eine Henne versammelt ihre Küchlein unter ihre Flügel; und ihr habt nicht gewollt.
soll euch wüste gelassen werden.
Siehe, euer Haus
Denn ich sage euch: Ihr werdet
mich von jetzt an nicht sehen, bis ihr sprechet:
Gelobet sei, der da
kommt im Namen des Herrn!
3eber Festtag in der christlichen Kirche hat einen bestimmten Gedanken und weckt demnach eine bestimmte Empfindung, Weih-
300
Der Kampf Gottes mit den Menschen.
nachten frohe Dankbarkeit für die Gabe Gottes in Jesus Christus, Ostern den starken Glauben an die Ueberwindung von Welt und
Tod durch Christus, Pfingsten heilige Begeisterung, Charfieitag Buße
und Trauer. Nur am Palmsonntag mischen sich in uns verschie dene Gefühle. Er ist einerseits ein Frühlingssonntag, der uns erinnert an die Palmen des heiligen Landes, deren Zweige den Weg Jesu schmückten beim Einzug in die Stadt, und wir hören das fröhliche Rufen der Volksmenge, deren Herz höher schlägt, weil sie die Erfüllung großer Hoffnungen nahen glaubt; wir sehen die festlich bewegte Stadt, die ihren König empfängt, den Bräutigam, der zur
Tochter Zion kommt. Aber dieser Tag ist zugleich der erste Tag der stillen Woche; im Herzen des Volkes schlummert die Untreue, im Herzen der Jünger der Verrath oder die feige Furcht, und Jesus trägt den Tod im Herzen. Gott bietet den Menschen noch einmal seine ganze Liebe dar, und die Menschen stoßen die Hand zurück, wie die Hand eines Feindes. „Ich habe euch sammeln wollen, wie eine Henne ihre Küchlein sammelt unter ihre Flügel; aber ihr habt nicht gewollt." Mit diesem Wort wird so recht die ernste Palmsonntagsstimmung wiedergegeben: Die Liebe Gottes, die von Oben bei uns ein
zieht, auf Erden aber Untreue und Verstocktheit, welche dawider streiten: Der Kampf Gottes mit den Menschen. 1. In der Sendung der Propheten. 2. In der Sen dung Christi.
3.
Der Ausgang dieses Kampfes.
1. „Siehe, ich sende zu euch Propheten." Diese waren treue Berather des Volks, die von Gott beseelt dem Volke auf seinen
Irrwegen den Willen Gottes predigten, den heiligen Gotteswillen, der die Sünde straft, aber auch den gnädigen Gotteswillen, der will, daß der Sünder sich bekehre und lebe. Sie predigten die Treue Gottes, welche Israel je und je geliebt hat und es zu sich
zieht aus lauter Güte, welche bei ihm bleiben will, ob auch die Berge weichen und die Hügel hinfallen. So wollten die Propheten
das Volk aus den Verirrungen des Heidenthums zurückführen zu dem lebendigen Gott. Aber ebenso wollten sie auch das Volk aus dem in Formeln und Satzungen erstarrten Judenthum, aus dem Knechtshaus, in
301
Der Kampf Gottes mit den Menschen.
welchem die Priesterschaft
das Volk hielt, herausführen
zn den
Wassern eines lebendigen geistigen Gottesglaubens, zu Gott selbst, damit Israel Gottes Volk werde.
Sie wollten
das Volk führen
von den todten Worten zu frommer Gesinnung, von dem Fasten zum
Hungern und Dürsten nach der Gerechtigkeit, von den äußerlichen
Opfern zu den geistlichen Opfern eines frommen Herzens.
Sie liebten
Gott und sie liebten das Volk und deshalb wollten sie beide zu
sammenbringen. Sie kamen mit dem Feuer der Liebe im Herzen, mit dem Feuer der Wahrheit auf den Lippen.
Sie baten, redeten, mahnten, drohten.
Es lebte in ihnen etwas von der Gottesliebe, welche unruhig ist in sich selbst, wenn sie ihre Kinder auf falschen Wegen sieht und ihnen
nachgehen muß, um sie zurückzuführen. Was
haben diese Männer für ein Geschick
Israel
gehabt?
hätte sich freuen müssen und Gott danken müssen für diese
seine
besten Männer, aus denen Gottes Stimme und sein eigenes Gewissen
zu ihm redete.
An einen Wanderer, der sich in der Nacht verirrt
hat, tritt ein steundlicher Führer heran, der sich erbietet, ihm den rechten Weg
zu zeigen.
Aber der Wanderer
hört nicht
auf ihn,
und als der Führer immer eindringlicher zu ihm redet, stößt er ihn
zurück, und als sie an einem Abgrund vorüber kommen, stürzt der Verirrte den, der ihn zurecht führen will, hinab. seine treuen Führer gesteinigt, getödtet.
So hat Israel
Ein Elias, dieser gewal
tige Gotteskämpfer, der Israel losreißen wollte aus den Banden deK Baalsdienstes, sinkt ermüdet von der Gleichgültigkeit und dem Haß seines Volkes nieder und betet:
„So nimm nun, Herr, meine Seele
von mir; ich bin nicht mehr, denn meine Väter."
Jesaia uni>
Jeremia erleiden den Märtyrertod; Johannes wird im Gefängnist hingerichtet.
Besonders thut sich das Volk von Jerusalem in der
Verfolgung der iskopheten hervor.
Denn hier haben die Hüter der
starren Ueberlieferung, die Hohenpriester und Pharisäer, gegenüber
diesen freien Gottesmännern ihre Hauptmacht.
werden die Männer Gottes hingerichtet. Propheten.
In der Stadt Gottes
Hier sind die Gräber der
Jesus sagt, daß es nicht angehe, daß ein Prophet sterbe
außerhalb Jerusalems. In der Hauptstadt war die öffentliche Meinung,
am leichtesten zu erregen.
Furchtbare Zusammenstellung: Propheten,
die das Heil bringen, tobten, die von Gott gesandt sind, steinigen.
302
Der Kampf Gottes mit den Menschen. Dieser Kampf ist ein Kampf Gottes mit den Menschen: Gott
will das Volk mit Gnade und Wahrheit überwinden; aber das Volk
bäumt sich dagegen auf und erschlägt die Botschafter Gottes. Wo ein Mann gekommen ist mit warmem Herzem,
großen
Gedanken, beredtem Munde, da hat es auch nie in der Geschichte an der Volksmenge
gefehlt, die
ihn
angestaunt, dann ver
erst
lassen, zuletzt gegen ihn gewüthet hat.
Woher kommt denn dieser
Gegensatz, dieser Kampf Gottes mit den Menschen, der in der Ge
schichte immer wiederkehrt?
Scheiden sich denn die Menschen in
zwei Heerlager, die Einen für die Wahrheit, die Andern für die
Lüge?
Waren jene Feinde der Propheten nicht erfüllt von Be
geisterung für die Ehre Jehovas und ihres Volkes? auch wohlmeinende Leute unter ihnen?
Waren nicht
Denkt doch an jenen Bauer,
der sein Holzscheit herbeischleppte zum Scheiterhaufen von Joh. Huß,
und von dem dieser Blutzeuge sagte: „O heilige Einfalt!"?
Nein!
Diese Leute wollen die Wahrheit, sie wollen fromm sein, sie wollen
Gott dienen, aber sie wollen das Alles nur anerkennen in der Form der starren Ueberlieferung, der Gewohnheit.
Unter dem Schutz
derselben wächst die Trägheit, die sich nicht gern stören läßt, und der
Eigennutz,
Und
der seinen Vortheil findet.
wenn
nun
die
Propheten kommen, die sich nicht begnügen mit dem, was die Ueber lieferung als wahr hinstellt, sondern die, wie ein schweizer Prediger
einmal gesagt hat, Wahrheit
„im Frühroth hinaufsteigen, wo der Quell der
entspringt, und
dort
aus der
hohlen Hand
ttinken,"
die selbst ihren Gott finden, in ihrer Sprache zu ihm beten, die Schlafenden auftütteln, damit sie mit ihnen vorwärts und aufwärts ziehen — da kommt die Menge, umdrängt sie, staunt sie an, ahnt,
daß etwas Besonderes in ihnen sei, wird dann, wenn sie die ernsten Forderungen hört, bald gleichgülüg und steinigt sie, sobald das
Losungswort
ausgegeben ist, als
Abttünnige, als
Gotteslästerer.
Es funkeln die Augen, und die Herzen glühn, und die Hände ballen
sich,
als gälte es der besten Sache, und es ist doch weiter nichts
als die alte Geschichte von den Propheten,
„Siehe,
ich sende zu euch Propheten."
von dem das gilt,
das solche Männer
die gesteinigt werden.
Glücklich das Volk,
hat, in welchen sich das
Wesen, das Gewissen des Volks zusammenfaßt, und welche die er kannte Wahrheit ohne Rücksicht auf Gunst und Mißgunst aussprechen,
Der Kampf Gottes mit den Menschen.
303
die aus der staubigen Ebene die Augen emporlenken zu ewigen Zielen. Es brauchen nicht Schriftgelehrte zu sein, Männer der Kanzel; die Propheten Israels waren auch Staatsmänner; auch durch
Staatsmänner, durch Gelehrte, durch Dichter und Denker kann Gott zu einem Volke reden.
Denn die höchste Offenbarung Gottes ist
die Offenbarung durch Menschen, die von seinem Geiste erfüllt sind. In ihrem heißen Denken, durch welches sie die Wahrheit, die ihnen aufging, ausgestalteten, in ihren feurigen Worten, mit denen sie dieselbe verkündigt, in ihren Kämpfen mit dem Unverstand der Menge, in dem Schmerz der Enttäuschung, des Nichtverstanden-,
des Verkanntwerdens, sehet darin ein Ringen Gottes, der durch solche Menschen redet, mit den Menschen, die ihn nicht verstehn. 2. Aber noch viel heftiger als in der Sendung der Propheten ist der Kampf zwischen Gott und den Menschen in der Sendung Jesu Christi gewesen. Ein wunderbarer Kampf! Und es ist nur eine Waffe gewesen, welche Gott in diesem Kampfe geführt hat, nämlich seine unendliche Liebe, wie sie uns aus dem Leben und Sterben Christi entgegentritt. „Wie oft habe ich deine Kinder sammeln wollen." Wie oft! Hier weist Jesus nicht nur darauf hin, daß er oft
seine Stimme hat ertönen lassen, sondern auch darauf, daß er seiner Stimme sehr verschiedenen Klang, seinem Ruf sehr ver schiedenen Inhalt gegeben hat, um durchzudringen zu den Herzen, damit, wenn es auf die eine Weise nicht gelänge, es vielleicht ge länge auf die andere. Seine Rede ist nicht eintönig, sondern alle Töne, die im Menschenherzen klingen, schlägt er an. Wie ein
Hausvater Altes und Neues hervorträgt aus seinem Schatz, so ist die Predigt Jesu, auch wenn sie alte Wahrheiten verkündigt, immer wieder neu.
In Gleichnissen redet er zu den Unmündigen und
ohne Gleichnisse zu den Wissenden,
den Vertrauten.
Neben den
freundlichen Verheißungen erklingen die ernsten Drohungen. Die Stolzen ruft er zur Selbsterkenntniß, indem er ihnen in Gleichnissen ihr eigenes Bild vorhält, und an den Kranken vollbringt er Be weise des Geistes und der Kraft.
Er knüpft seine Worte an an
die Rede des alten Testaments ebenso wie an die unmittelbare
Gegenwart. So ist seine Predigt vieltönig, wie die Predigt in der Natur, in der Welt, welche uns die Ehre Gottes verkündigt,
Der Kampf Gottes mit den Menschen.
304
das eine Mal in milden Frühlingslüsten, das andere Mal in Herbst
stürmen,
im Rauschen des Quells,
wie im Brausen des Meeres,
in milden Menschenstimmen wie in den Donnern aus der Höhe!
Wie mannigfaltig sind die Rufe Gottes, die an uns ergehn!
Gott
die Glocken und durch das Wort Gottes,
durch
ruft uns durch
menschliche Noth, die Vergänglichkeit der Welt, den Sonnenschein der Freude, das Hinsinken unseres Glücks, durch Nacht und Trübsal,
durch menschliche Rede, durch die Stimme unseres Gewissens.
Jede
Prüfung, jede Aufgabe, jede Verbindung mit anderen Menschen,
die Geschichte der Vergangenheit wie die Verwickelungen der Gegen wart — Alles sind Mahnungen, Lockrufe der Liebe Gottes, durch welche er uns sammeln möchte.
Wie oft, wie oft habe ich euch
sammeln wollen! Ja sammeln!
Die Welt hat Einen Gott,
die Menschheit
Ein Haupt, die Menschen haben alle denselben Hunger und Durst der Seele;
dasselbe Heil ist für uns bereitet.
Deshalb gehören
alle Menschen zusammen, und sind sie zerstreut, so müssen sie ver derben, wie das Kind, das sich von seiner Familie trennt, die beste
wie das Schaf verschmachtet, das sich von seiner
Kraft verliert, Heerde
getrennt hat.
Mit vielen Brüdern vereinigt
sein in der
Liebe Gottes und im Wandel vor Gottes Angesicht, das ist unsere
Heimath,
die Quelle unserer Kraft.
Wer seine eigenen Wege geht
in Selbstsucht und Eigenliebe, dessen Herz verhärtet, und sein Leben verödet; allein auf sich angewiesen, allen Gefahren und Versuchungen
preisgegeben,
muß er verderben;
er hat auf seinen Wegen keine
treue Hand, kein Vaterherz, keinen Himmel; er ist verlassen, wie jene Ermordete, die neulich gefunden worden ist, die Memand kennt, nach der Niemand fragt, um die Niemand weint.
Deshalb will uns die
Liebe Gottes sammeln, aus der Welttust zum Gottesfrieden, aus
dem Mangel zur Sättigung, aus dem Tode zur Auferstehung. Die Liebe Gottes will uns sammeln, wie eine Henne ihre
Küchlein
sammelt unter ihre Flügel.
Das thut die Henne,
wenn der Geier in der Lust schwebt, oder wenn ein Gewitter droht.
So sieht Jesus über Israel den Geier des Gerichts, dunkle Wolken. Hätte Israel
sich von ihm sammeln
vorübergezogen.
Die
lassen, so wäre das Gericht
gesammelt sind von der Liebe Gottes, die
sind auch unter dem Schutz der Liebe Gottes.
Ihnen kann wohl
Der Kampf Gottes mit den Menschen.
305
auch Leid widerfahren, aber sie wissen überall eine Hütte des Friedens, die ihnen offen steht, und ein Haus, da sie hingehören, und einen Vater, der sie aufnimmt, und alle Trübsale sind nicht mehr Gerichte, sondern Segnungen Gottes. Das Gesetz mit seinen Drohungen, das Geschick mit seinen Stürmen und die Welt mit
ihrem veränderlichen Wesen kann da kein Verderben mehr anrichten, und die Scheidestunden der Erde können nicht mehr scheiden. Denn die Liebe Gottes hat sie gesammelt, wie eine Henne ihre Küchlein
sammelt unter ihre Flügel. Das will Gott mit uns thun. hat er uns Christum gesandt.
Darum
Seht nun, wie diese Liebe Gottes in Christo kämpft, um das zu erreichen. Zuerst kämpft sie wie die Sonne mit dem Wanderer, damit er den Mantel ablege. Aus fteundlichen Kinderaugen blickt sie zu Bethlehem die Welt an und das holde Antlitz eines Jünglings macht sie zu ihrem Spiegel, damit die Welt sie schaue. In goldener Frühlingszeit unter grünen Palmen zieht sie ein in die heilige
Stadt Jerusalem. Aber als die Welt ihr Widerstand entgegensetzt, da wird ihre Miene ernst. Jesus weint über Jerusalem und holt aus der Waffenkammer seines Inneren neue Waffen, das Schwert
der Wahrheit, das er gegen die Hohenpriester und Pharisäer schwingt, um sie zur Selbsterkenntniß zu bringen, und den Schild der Ge
duld, der Langmuth, des Gehorsams. In demselben Verhältniß, in welchem der Widerstand der Welt wächst, wächst seine Treue. Immer stiller wird er, indem er die Schuld der Welt trägt. Sein innerliches Ringen und Beten, seine Selbstverleugnung, seine schwei gende Geduld, die er allen Lästerungen entgegenstellt — seht den Kampf der Liebe Gottes mit den Menschen. Sie will die Menschen
sammeln. Aber die Menschen wollen nicht. „Ihr habt nicht gewollt." Das ist die Waffe, mit welcher die Menschen gegen diese Liebe Gottes streiten. Gott ist so mächtig; er setzt Himmel und Erde in Bewegung, um die Menschen zu überwinden und zu sich zu
ziehn; und der Wille der Menschen ist sonst so schwach, und dennoch vermag die Liebe des allmächtigen Gottes nichts, wenn es heißt:
„Ihr habt nicht gewollt." Dieser menschliche Wille ist in dem weiten Weltall .der kleine Punkt, an welchem die Liebe Gottes,
welche tief und weit ist, wie das Meer der Ewigkeit, scheitert. Kirmß, Predigten. 20
Gott
Der Kampf Gottes mit den Menschen.
306
kann den Menschen nicht selig machen, wenn der Mensch nicht selig
„Ihr habt nicht gewollt,"
werden will.
das ist die Lösung des
dunklen Räthsels, warum trotz aller Liebe Gottes so wenig Seligkeit
„Ihr habt nicht gewollt," das ist die traurige Ge
auf Erden ist.
schichte
von verlorenem Erdenglück,
die verdorben
von Menschen,
„Ihr habt nicht gewollt,"
und gestorben sind in Gottverlassenheit.
das ist der Grund aller Unruhe und aller Unzufriedenheit auf Erden. Gott kann ein Meer von Licht über dein Leben ausgießen; wenn du nicht willst, dir die Fülle
dann bleibt dein Leben dunkel.
aber
Gott kann
seiner Vergebung darbieten, wenn du nicht willst,
bleibst du in deiner Schuld.
Gott
kann dir deine Wohnung an
weisen auf den Inseln des ewigen Lebens; bleibst du todt.
wenn du nicht willst,
Wenn du willst, hast du das Himmelreich; willst
du nicht, so nützt dir das Himmelreich nichts.
3. Welches ist der Ausgang dieses Kampfes?
uns dargestellt in der ferneren Geschichte Israels.
Er wird
Weil Israel
nicht gewollt hat, deshalb ist „sein Haus wüste geworden". Wie wunderbar
sind
Gottes Wege!
Der Strom
der göttlichen
Gnade sollte sich ergießen über die Fluren Israels; aber das Volk, das nicht wollte, baute einen Damm dagegen;
da hat sich dieser
Sttom andere Wege gesucht und hat furchtbare Verheerungen über Israel gebracht.
Jesus sagt es im ü.efsten Schmerz:
soll euch wüste gelassen werden."
„Euer Haus
Denn wodurch wird das geschehn?
Wird es nicht geschehen um seinetwillen?
Denn wäre er nicht
gekommen,
so hätte Israel keine Veranlassung gehabt, wider Gott
zu streiten.
So aber, weil es in ihm diese Veranlassung gefunden,
muß es untergehn.
Welch ein Verhängniß!
Er, der Heiland der
Welt, der große Hirte, der Israel zur rechten Weide führen will, er, dessen Herz sich erbarmte über das niedrigste Kind seines Volks, er wird
die Ursache
Heil nicht will.
des Verderbens
seines Volkes, welches
das
Segnende Wolken zogen über Israel herauf; aber
weil das Volk den Segen nicht will, verwandeln sie sich in Gewitter wolken, die
sich in Blitz
Israels in Asche legen.
und Donner
entladen,
und
nun in Verdammniß, Heil und Leben in Untergang. zusammentrifft,
das Haus
Die verheißene Seligkeit verwandelt sich Wo Beides
auf der einen Seite die Liebe Gottes, welche uns
sammeln will wie eine Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel, und
Der Kampf Gottes mit den Menschen. auf der andern Seite das:
„Ihr habt nicht gewollt",
und das „Selig, selig"
Stätte der Thränen,
307 da ist eine
verwandelt sich in
„Wehe, wehe!"
„Ihr werdet mich von jetzt an
Deshalb schließt Jesus:
nicht sehen, bis daß ihr sagt:
hat ihnen gethan,
was er thun
Nun muß er sie ihrem Schicksal überlassen.
Und es wird
im Namen konnte.
Gelobt sei, der da kommt
kommen.
des Herrn."
Sein Blut
wird
Er
kommen über dies Volk.
Wenn die
Heere der Römer heranziehen werden, und eine Wagenburg um die Stadt schlagen und sie ängstigen werden, wenn die Volksmenge, die sich aus dem Lande nach Jerusalem geflüchtet haben wird,
den engen Straßen
zusammendrängen
wird
sich in
eine Schafherde
wie
im brennenden Stall, wenn die Reiter der Hungersnoth, der Pestilenz
und des Todes durch die Straßen jagen werden, wenn der römische Feldherr dem Volk,
das die Barmherzigkeit Gottes zurückgestoßen
hat, nur noch die einzige Barmherzigkeit erweisen kann, daß er, um der Noth ein Ende zu machen,
die Mauern stürmen läßt und ein
furchtbares Blutbad anrichtet — dieses Gericht wird eine Wieder
kunft
des
Menschensohnes sein.
In
den
Wolken,
die
über
Jerusalem sich lagern werden, werden sie dann ihn sehen, und um
ihn her die Propheten, die ihm die Bahn bereitet haben, und durch das Angstgeschrei der Menge wird das „Wehe, Wehe" klingen, mit
dem sie einst von ihrem Volk
geschieden sind.
So gehts überall,
wo die Gottesliebe zu einem Volke gekommen ist, und es geheißen hat: „Ihr habt nicht gewollt."
Die Schuld, die ein Volk auf sich
geladen gegen seine besten Söhne, gegen seine Gottgesandten, kommt über die Kinder.
Die Israeliten rühmten sich,
Abrahams Kinder
zu sein, und doch kam das Gottesgericht über sie. sich kein Volk seiner Größe und seiner Macht;
Darum rühme
denn das Gericht
kommt über jedes, das nicht gewollt.
Das Menschen.
ist der Ausgang
des Kampfes zwischen Gott und den
Aber ist es der einzige, Gericht, Verderben, Untergang?
Das kann nicht sein.
Es giebt noch einen anderen Ausgang.
auch für diesen liegt die Entscheidung in unserem Wollen.
Aber Wollet
ihr, so breitet sich die Liebe Gottes über euch aus wie der Frühlings
himmel.
Wollet ihr,
des Gottesfriedens,
so wird kein Gut der Seligkeit,
kein Hauch
kein Tropfen des ewigen Lebens im Himmel
20*
308
Der Kampf Gottes mit den Menschen.
bleiben, es wird Alles euer werden.
Wollet!
Laßt euch überwinden!
Laßt euch überwinden nicht von seiner Macht und seinem Zorn,
sondern von seiner unendlichen Liebe! Laßt euch überwinden, die ihr zerstreut seid und in Selbstsucht, Hoffart, Eigensinn als trübe Erdenpilger einsame Wege zieht! Laßt euch überwinden, ihr Trauernden, von der Liebe, die euch bergen will unter ihren Fittichen, ihr Hadernden, von der Liebe, die alle Sünden dem Reuigen vergiebt, ihr, die ihr hingegeben seid an die wilden Triebe
eueres Fleisches, ihr Zweifelnden — laßt euch überwinden! Geht dem Helden der Passionszeit entgegen und sagt zu ihm: „Was du ge than, soll nicht vergeblich für mich gewesen sein." Gehet ihm ent gegen, ihr Abendmahlsgäste dieser heiligen Zeit, nehmt ihn auf mit reuigem, verttauendem Herzen! Selig seid ihr, wenn es für euch heißt: „Ich habe euch sammeln wollen, und ihr habt gewollt. Ihr seid mein." Das möge in euch der Ausgang sein des alten und doch ewig neuen Kampfes zwischen Gott und den Menschen!
Amen.
309
Die letzte Entscheidung.
37.
Die letzte Entscheidung. Matth. 27, 15—26.
Auf das Fest aber hatte der Landpfleger die Ge
wohnheit, dem Volk Einen Gefangenen loszugeben, welchen sie wollten. Er hatte aber zu der Zeit einen Gefangenen, einen sonderlichen vor
anderen, der hieß Barabbas.
Und da sie versammelt- waren, sprach
los
gebe?
Barabbam oder Jesum, von dem gesagt wird, er sei Christus?
Denn
Pilatus
zu ihnen:
er wußte wohl,
sagen:
ich
Und
schickte sein Weib zu ihm und ließ
Habe du nichts zu schaffen mit diesem Gerechten;
habe heute viel erlitten im Traum von seinetwegen. priester und Aeltesten überredeten
das Volk,
Landpfleger und sprach zu ihnen: den ich
ich
Aber die Hohen
daß sie um Barabbas
Da antwortete nun der
bitten sollten, und Jesum umbrächten. zween,
euch
daß sie ihn aus Neid überantwortet hatten.
da er auf dem Richtstuhl saß, ihm
daß
Welchen wollt ihr,
Welchen wollt ihr unter diesen
euch soll los geben?
Sie sprachen:
Barabbam.
Pilatus sprach zu ihnen: Was soll ich denn machen mit Jesu, von
dem gesagt wird, er sei Christus? zigen.
Der Landpfleger sagte:
Sie sprachen alle: Laß ihn kreu
Was hat er denn Uebels gethan?
Sie schrieen aber noch mehr und sprachen:
Laß ihn kreuzigen.
Da
aber Pilatus sahe, daß er nichts schaffte, sondern daß viel ein größer
Getümmel ward, nahm er Wasser und wusch die Hände vor dem Volk und sprach: Ich bin unschuldig an dem Blut dieses Gerechten; sehet Ihr zu.
Da antwortete das ganze Volk und sprach:
Blut komme über uns und über unsere Kinder.
Sein
Da gab er ihnen
Barabbam los; aber Jesum ließ er geißeln und überantwortete ihn, daß er gekreuziget würde.
H)ie Gott in der Sendung Christi und der Propheten mit
den Menschen kämpft, wie seine suchende Liebe an dem „Ihr habt nicht gewollt" sich verwandeln wird in verheerendes Gericht über Israel, das haben wir in unserer letzten Betrachtung gesehen.
heutiger Text stellt uns die letzte Entscheidung dar.
Unser
Noch einmal
wird den Gegnern Jesu die Gelegenheit geboten, zu erkennen, was
zu ihrem Frieden dienet.
Aber auch hier ist das Ende:
„Ihr habt
nicht gewollt." Jedes Volk, jedes Zeitalter, in gewissem Sinne auch jeder ein zelne Mensch wird vor die große Entscheidung gestellt:
Die letzte Entscheidung.
310
1.
Aufruhr
oder
Erlösung?
2.
Charakterlosigkeit
oder Charakterfestigkeit? 3. Lärmender Streit um Jesus oder stiller Glaube an ihn?
1. Barabbas oder Jesus — Aufruhr oder Erlösung? Wir wissen von Barabbas nichts, als was uns hier erzählt wird. Sein Name bedeutet: „Sohn des Vaters."
Es wird erzählt, daß er noch den Namen „Jesus" geführt habe. Vielleicht können wir uns mit ziemlicher Sicherheit ein Bild von der Vergangenheit des
Barabbas machen. Es war damals eine aufgeregte Zeit in Israel. Das Gefühl, unter Roms Herrschaft zu stehen, ließ das Volk nicht zur Ruhe kommen und rief von Zeit zu Zeit kleine Aufstände her vor. An einem solchen mag Barabbas betheiligt gewesen sein, viel leicht sogar als Anführer. Es war zum Zusammenstoß mit den
römischen Soldaten gekommen und er war gefangen genommen worden. So müssen wir uns ihn als einen Menschen denken mit heißem Römerhaß, und das erklärt es uns auch wenigstens einiger maßen, daß die patriotisch tief erregte Volksmenge ihn frei bat. Das Volk entscheidet sich für ihn, für den Aufruhr, die fleisch liche Freiheit, für den Mann des Schwertes, für den wilden Kampf gegen Rom und geht an Jesus vorüber, der ihm eine ganz andere
Freiheit, eine ganz andere Zukunft bringen wollte. Jesus sieht der Entscheidung schweigend zu. Er kann sie nicht aufhalten und er hat sie längst vorausgesehen, schon damals als er auf dem Oelberg über Jerusalem weinte. Diese Entscheidung hat nun über das Volk eine furchtbare Macht. Israel wurde diesen Barabbas, nachdem es ihn fteigebeten, nicht los. Denn nach ungefähr vierzig Jahren ist er wiedergekommen. Das Volk stand auf gegen die Römer. Die Flamme des Aufruhrs wüthete durch das Land, und das römische Heer kam und schlug um Jerusalem her eine Wagenburg auf und ängstigte die Stadt und zerstörte dann ihre Mauern und tödtete ihre Kinder und verbrannte ihren Tempel. Als Israel Jesum verstieß, den Erlöser, den Friedefürsten, hat es Barabbas frei gebeten, den
Mann des Aufruhrs, der es zum Verderben geführt hat. Auch unser Volk steht jetzt vor solch einer Entscheidung, wie die Völker schon manchmal zu wählen gehabt haben zwischen Barabbas
und Jesus. Wenn es Jesus nicht wählt, so ist sehr zu fürchten, daß Barabbas frei wird. Es liegt jetzt auf vielen Gemüthern die
Die letzte Entscheidung.
Ahnung, daß wir
311
schweren Erschütterungen
Eine
entgegengehen.
Menge von unklaren Gedanken und Hoffnungen, Träumen voll heißer Leidenschaftlichkeit lebt in der Seele unseres Volkes, genau so wie
damals in Israel, als Alles vorwärts drängte, nur heraus aus dem
gegenwärtigen Zustand, einer neuen Zeit entgegen, was sie auch bringen möge, und wäre es Tod und Verderben: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder." scheidung hin.
Ja es drängt Alles nach einer Ent
Es ist in unserem Volke etwas von der Verblendung,
welche den Zusammenbruch,
den man ahnt,
herbei sehnt.
Wird
unser Volk die Kraft haben, aus dieser schweren unruhigen Uebergangszeit sich hindurch zu arbeiten zur Ordnung und Ruhe, oder
wird Barabbas frei kommen?
Dann würde er als der Geist des
Auftuhrs herabsteigen unter das Volk und zu den Menschen sagen: „Es gilt kein menschliches Recht mehr, darum zerbrecht es, und es
Je hei
gilt kein göttliches Recht mehr, darum werft es von euch!"
liger die sittlich-religiösen Güter unseres Volkes sind, um so größer
wird die Wuth sein,
mit der man sie in den Staub treten wird.
Je größer die Opfer waren, mit denen wir unsere nationale Einig
keit und Wohlfahrt erkämpft haben, mit um so frevelhafterer Lust Im Lärm einer wüsten Leidenschaft wird
wird man sie verhöhnen.
die Ehre unseres Volkes zu Grunde
Menschen verbinden, werden mehr heilig sein.
die Eltern
sein und Eltern
Keine
gehen.
Bande,
die
Kinder werden gegen
Und
gegen ihre Kinder.
nach
dem
Taumel wilder Leidenschaft wird lautes Wehklagen durch das Land Das ist das Schicksal eines Volkes, welches Barabbas frei-
ziehen.
bittet, den Geist des Auftuhrs.
Daß
es
so
komme,
davor
behüte uns Gott.
Losung unseres Volkes sein: Gebt Jesus frei! wie dort in der Zeit seiner Passion. gebunden, sondern die Mächte der Zeit. Vorurtheilen
muß:
der Menschen.
So
soll die
Er ist gebunden,
Nicht Menschen haben ihn Er ist gebunden von den
Es ist trostlos,
daß
man es sagen
Unser Volk will ein christliches Volk sein, und die Meisten
wissen nicht, wer Jesus war. aber nicht verstanden.
blieben.
Sie haben etwas von ihm gehört,
Die Lehren über ihn sind ihnen ftemd ge
Sie haben nie wirklich etwas gefühlt vom Pulsschlag seines
Herzens, haben ihm nie ins Auge gesehen, sind nie in ein eigenes persönliches Verhältniß zu ihm gekommen.
Sie kennen ihn nicht.
Die letzte Entscheidung.
312
So ist sein Heil, seine Seligkeit, seine Liebe, die uns helfen will und kann, gefesselt, kann sich nicht auswirken.
Dazu die Unvollkommen
heiten unserer Kirche, die Unwürdigkeit derer, die sich oft am lau
testen rühmen, Jesu Jünger zu sein, die Parteikämpfe in der Kirche,
die Beschränktheit der Menschen, die sein Reich bald hier bald da, bald in dieser bald in jener Form suchen — Jesus ist gefangen.
Das ist seine Passion in unserer Zeit.
Es zieht ihn hinaus in die
Noth der Zeit, um zu helfen, aber er ist gebunden.
Noth unserer Zeit,
da die Menschen
Die religiöse
glauben möchten und nicht
glauben können, die sittliche Noth unserer Zeit, da es den Menschen an Kraft fehlt im schweren Kampf des Daseins, die leibliche Noth
unserer
Zeit — Alles
Gebt Jesus frei!
faßt
sich zusammen
dem Einen Ruf:
in
Dann würde er als der frei erwählte König
unter den Menschen wandeln, um alles Menschliche zu segnen und zu weihen, wenn er zu den Menschen träte, die im Schweiße ihres
Angesichts arbeiten, um ihnen ihre Last leicht zu machen, wenn er das bescheidene Mahl des Armen würzte durch die Genügsamkeit, welche die Frucht der Gottseligkeit ist, wenn er den Verachteten und
Armen den heiligen Stolz in die Seele gäbe:
„Ich bin ein Kind
Gottes so gut, wie die Anderen," wenn er die verschiedenen Gesell schaftsklassen so mit einander verbände, daß es zwar auch noch Reiche
und Arme gäbe, aber daß Jeder bei redlichem Streben sein menschen würdiges Dasein hätte, wenn er — was die Hauptsache ist — der
Sünde die Macht und dem Tode seine Schrecken nähme! Unser Volk steht jetzt vor einer Entscheidung.
Wenn das nicht
geschieht, daß es Jesum frei bittet, dann geschieht das Andere, daß
Barabbas frei kommt, und dann hieße es: „Ihr Berge, fallet über uns, ihr Hügel, decket uns," das heißt: suchet Schutz vor dem Ge
richte, welches Gott vollzieht! 2.
weiter:
Barabbas oder Jesus — Aufruhr oder Erlösung.
Pilatus
oder
Jesus
—
Charakterlosigkeit
Und oder
Charakterfestigkeit? Pilatus steht zu der Volksmenge in einem scharfen Gegensatz.
Bei dem Volke ist Alles Leidenschaft, ein Sturm, der alle Einzelnen mit sich reißt, ein Rausch, der Alle ergreift.
Bei Pilatus ist da
gegen das Eigenthümliche das Fehlen jeglicher Leidenschaft; er kennt weder eine Leidenschaft der Liebe noch des Hasses, weder des Un-
313
Die letzte Entscheidung.
Er kann sich weder für etwas be
glaubens noch des Glaubens.
geistern noch über etwas empören.
Bei ihm ist alles Vorsicht, Klug
heit, kühle berechnende Erwägung, wie er sich wohl am besten aus
der Angelegenheit ziehe, ohne auf der einen oder andern Seite an zustoßen.
Er glaubt nicht nur nicht an Gott und Ewigkeit, er glaubt
auch nicht an Wahrheit, Liebe, Gewissen, und er kann sich auch nicht
denken, daß es Menschen giebt, die an Wahrheit und Liebe glauben,
daher seine spöttische Frage an Jesus:
„Was ist Wahrheit?"
Es
giebt viele solche Menschen, wie Pilatus, diese glatten, schwächlichen, charakter- und überzeugungslosen Menschen,
äußerer
Cultur
übersättigten,
an
die Kinder
Idealen
einer
armen Zeit.
an
Ihnen
erscheint Charakter und Ueberzeugung nicht nur als etwas Unnöthiges, sondern als ein Hemmniß, ein Bleigewicht, das am irdischen Empor
kommen
hindert.
Nach
geistigen Fähigkeiten
allen Seiten Rücksichten
soweit ausbilden,
als
nehmen,
seine
zum Fortkommen
es
nöthig ist, durch ein gesellschaftlich glattes Wesen sich die Gunst der Menschen gewinnen, klug berechnen, auf welche Weise Einem das
Leben gegen möglichst geringe Leistungen möglichst Vieles biete — dieses glatte, wankelmüthige, nach allen Seiten hin abgeschliffene
Wesen vertritt bei ihnen die Stelle des Charakters, der Grundsätze. Bei der Volksmenge, welche sich für Barabbas entscheidet, ist das
Gewissen
in die Irre geführt durch Leidenschaften;
hier bei den
Menschen nach Art des Pilatus ist es eingeschläfert durch die kühle
Berechnung einer weichlichen Selbstsucht.
„Was dieser Leute.
soll ich
mit Jesus machen?"
Das ist die Frage
Glaube ich an ihn, wie die Väter an ihn geglaubt
haben, so hält man mich für einen Frömmler; glaube ich nicht an
ihn, so hält man mich
für einen Gottesleugner.
Bilde ich mir
meine eigene Ansicht über ihn, trete ich in ein persönliches Verhält
niß zu ihm, wie es sich mir nach meiner Eigenart ergiebt, so stoße ich auf der einen oder andern Seite, rechts oder links an. ist es
das beste,
Deshalb
in solchen Glaubens- und Gewissensfragen
gar
keine Stellung einzunehmen, um sich nach keiner Seite hin zu bin den und, wenn es nöthig sein sollte, Stellung zu nehmen je nach
den gegebenen Verhältnissen.
Was soll ich mit Jesus machen?
Das
ist so manchmal die Frage der Staatsweisheit; „er ist nun einmal
eine Macht im öffentlichen Leben; entbehren können wir ihn nicht;
314
Die letzte Entscheidung.
aber nur ja nicht durch ein entschiedenes Bekenntniß irgendwo an
stoßen!"
„Was soll ich mit Jesus machen?" so fragen kluge stolze
Leute, die gern über das Volk herrschen, und dazu auch die Reli
gion benutzen, damit diese das Volk unterthänig und gefügig mache,
während sie für sich selbst über allen Glauben hinaus sind — diese
schändliche Heuchelei, die viel mehr schadet, als die offene Gott losigkeit.
Was soll ich mit Jesus machen?
Auf dieser Charakterlosigkeit
liegt ein furchtbarer Fluch.
Das ist der Sinn einer Sage, die sich
an das Leben des Pilatus
geknüpft hat: Pilatus habe sich später,
nachdem er seines Amtes entsetzt war, das Leben genommen.
Man
habe seinen Leichnam in die Tiber geworfen; da sei der Fluß aus
Man habe sie dann in die Rhone geworfen,
seinen Ufern getreten.
da sei ein heftiger Sturm entstanden; schließlich habe man ihn in den Alpen auf dem seitdem sogenannten Pilatusberg in einen tiefen
Brunnen
versenkt;
welchem Ungewitter
an
der Stelle sei
entstanden,
ein Teich
emporsteigen, sobald
etwas
man
aus
hineinwirft.
Diese Sage stellt den Fluch dar, der auf der Charakterlosigkeit ruht.
Ueber
sie wird
von der ewigen Gerechtigkeit das Urtheil gefällt:
„Gewogen und zu leicht befunden."
Von ihr gilt das scharfe Wort
Jesu: „Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich."
Mit der offen
baren Bosheit wird ein tüchtiges Volk fertig, aber an der Charakter
Die entschiedene Gottlosigkeit kann sich
losigkeit geht es zu Grunde.
verwandeln in einen ebenso entschiedenen Gottesglauben, die Cha rakterlosigkeit bleibt immer im Schwanken zwischen Ja und Nein. Die sagen: Was soll ich mit Jesus machen? sind schlimmer als die, welche rufen: Kreuzige ihn!
Da gilt das Wort der Offenbarung:
„Weil du lau bist und weder kalt noch warm, deshalb habe ich dich
ausgespieen aus meinem Munde."
Was
soll
ich mit Jesus
machen?
Mache mit ihm
das,
wozu Gott ihn dir gemacht hat, nämlich zur Gerechtigkeit und
zur Erlösung.
Er verlangt dich ganz, dein ganzes Herz; er will der
Mittelpunkt, die Seele, die Kraft deines Wesens, deines Charakters sein.
Es ist das Beste, was du dir selbst thun kannst, wenn er
ganz
allein steht,
ganz
allein ohne
alles Auffehn still
Seite zu treten, ohne dich dessen zu rühmen. wenn du
auf die
Seite
der
an seine
Du ehrst dich selbst,
Wenigen trittst,
bei
denen Recht,
Die letzte Enlscheidung.
Gewissen und Wahrheit ist.
Gehe zu ihm.
315 Wenn du stirbst, kann
dir die ganze Welt nicht helfen; darum frage auch jetzt, wo es sich um dein Heil handelt, nicht nach der Welt, sondern nur nach ihm.
Wenn du in Schuld fällst, kann dir die Welt keine Vergebung ver schaffen; darum frage auch nicht nach ihr, sondern nur nach ihm.
Nimm sein Wort auf, wie Maria, damit deine Seele zur Gotteskindschaft erwache; nimm ihn auf in dein Haus, wie Zachäus, da
mit deinem Hause Heil widerfahre.
Trage sein Kreuz, wie Simon
von Kyrene; denn durch Kreuz gehts zur Krone.
Laß dir vom
Kreuz herab Versöhnung reichen, aus der Fülle seines Lebens Auf
erstehung und Leben.
Das ist die rechte Entschiedenheit, die in
Gott und in sich selbst gefestigt ist, die nichts sucht, als die Klarheit
eines mit Gott versöhnten Gewissens, die nicht nach Rechts noch nach Links sieht, sondern nur auf das Eine, was noth ist, das aber auch ganz ergreift.
Das ist der gerade Weg, der nach Oben führt.
„Wer mich bekennt vor den Menschen, den will ich bekennen vor meinem himmlischen Vater."
Damit finden wir auch die rechte Lösung unserer dritten
3.
Frage:
Lärmender Streit um
Jesus
oder stiller Glaube
an ihn?
Als Jesus in Jerusalem
einzog,
jubelnde Volk, welches ihn umgab.
sah er still herab auf das
Als hier die Menge das „Kreu
zige" rief, schaute er ebenso still auf diese lärmende Menge herab. Sie kann ihm nichts geben und nichts nehmen; denn seine Ehre ist bei Gott.
Und sie hat selbst nichts von diesem Lärmen — ein Streit,
der keine Frucht hat, Worte, welche verklingen, Aufregungen, welche
verschäumen.
Wie widersinnig ist es, sich um Jesus zu streiten.
Er
ist es werth, daß der Mensch seine ganze Kraft aufbiete, um ihn zu verstehn, um wenigstens etwas von seinem Wesen sich anzueignen,
um wenigstens einigermaßen in seinem Geist zu leben.
anstatt
Und nun,
einzudringen in sein Herz, streiten sich die Menschen um
seine Namen!
Während so um ihn die Volksmenge wogt, erscheint in unserer
Erzählung von ferne eine neue Gestalt; wir sehen sie nicht, aber wir
hören ihre Botschaft.
Es ist die Gattin des Pilatus,
Claudia ist ihr Name. Evangelium erzählt.
Procula
Wir wissen von ihr nichts, als was das
Hinter ihrer Botschaft: „Habe nichts zu schaffen
Die letzte Entscheidung.
316
mit diesem Gerechten; ich habe heute viel gelitten im Traum um
seinetwegen" verbirgt sich ein bewegtes inneres Leben.
Eine gebil
dete Römerin hat sie wohl ihren Geist an Allem genährt, was die Cultur der alten Welt ihr därbot.
Aber bei allem Reichthum, der
sie umgab, konnte ihr reiches Gemüth keine rechte Ruhe finden. fehlte ihr etwas, und sie wußte nicht, was?
Es
Da hatte sie in jenen
Tagen zu Jerusalem auch gehört von dem Galiläer, von dem ganz
Sie
Jerusalem sprach, hatte ihn vielleicht selbst gesehen und gehört.
konnte den Eindruck, den er auf sie gemacht, nicht verwinden, mußte sich immer wieder im Geist damit beschäftigen.
der Nacht
vor dem Gerichtstag
Daraus entstand in
ein banger Traum,
als ob von
diesem Mann die Entscheidung der Zukunft abhinge, Heil und
Gericht, Leben und Tod.
Und als sie nun sieht, wie ihr Gemahl
vor dem Palast den Richterstuhl besteigt, und als der bleiche ge fesselte Mann herbeigeführt wird, da läßt ihr der angstvolle Traum keine Ruhe und sie schickt ihrem Gatten die warnende Botschaft.
Aus dieser Botschaft klingt nicht nur weibliches Mitgefühl, son dern vor allem die bange Vorahnung der furchtbaren Schuld, welche
die Menschheit durch die Kreuzigung Jesu auf sich laden sollte. es lag noch mehr
betritt.
Der Traum
Und
dieser Römerin war der
Morgentraum der heidnischen Welt, daß in diesem Gerechten
die Erlösung nahe.
So reiht sie sich in die Zahl der Frauen ein,
welche fast die einzigen Lichtgestalten in der Leidensgeschichte Jesu
sind.
Neben Maria, die den Worten Jesu lauschte, und Martha,
die ihm diente, neben dem Weib, das sein Haupt salbte, und den galiläischen Frauen, die ihm nachfolgten bis unter das Kreuz, soll auch diese heidnische Frau einen bescheidenen Platz finden.
Mitten
in einer Welt, die von Finsterniß umfangen Jesum verrieth, hat sie wenigstens eine Ahnung gehabt von dem ewigen Licht, das in ihm
erschien. Folgt ihr nach, besonders ihr, ihr Frauen.
Wenn sie draußen
um den Namen Jesu streiten, — ein Streit, der so wenig Sinn
hat, wie das Würfeln der Kriegsknechte um den Rock Jesu — lernt füll
an ihn
glauben und
in der Sülle ihm nachfolgen.
Wenn
draußen Leidenschaftlichkeit und Charakterlosigkeit den Namen Jesu
in weltliche Händel herabzieht, so thut euere Seelen auf für die Welt des Glaubens und der Liebe, die Jesus euch aufschließt.
In
317
Martin Luther.
dieser reinen Luft nährt sich der wahrhaft weibliche Sinn, „der ver borgene Mensch des Herzens, unverrückt, mit sanftem und stillem Geist,"
die Liebe, die Alles glaubt. Alles hofft und Alles duldet und niemals aufhört, die Geduld, die im Gehorsam Gottes Alles erträgt, der Glaube,
der euch sprechen lehrt:
„Wenn ich nur dich habe,
so
frage ich nicht nach Himmel und Erde," die Gewissenhaftigkeit,
die im Kleinen groß ist, der Heldenmuth, der im dunkeln Thal des Leidens immer
die Krone
Gottes Herrlichkeit sieht,
Nacht ist.
des Lebens
vor
Augen
hat und
auch wenn für das leibliche Auge überall
Dann bleibt es in euerem Leben nicht nur bei frommen
Träumen, sondern der Geist und das Leben Jesu wird in euerem Leben zur That, und Jesus kann von euch sagen:
gutes Werk an mir gethan."
„Sie hat ein
Amen.
38.
Martin Luther. (Am Sonntag nach der Enthüllung des Lutherdenkmals in Berlin.) 1. Joh. 5, 4.
Denn Alles, was von Gott geboren ist, überwindet die
Welt; und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.
Am Stadt
vorigen Dienstag wurde das Standbild Luthers in unserer
enthüllt.
An der Feier selbst haben nur verhältnißmäßig
Wenige theilnehmeu können. Deshalb wollen wir heute als evangelische
Gemeinde eine Nachfeier halten.
Bedeutsam genug ist das Ereigniß.
Ein Lutherdenkmal in Berlin erweckt in uns Gedanken,
nach einem Ausdruck suchen.
dort gewesen, um es sinnend zu betrachten.
thun.
die
Manche von euch sind gewiß schon Andere werden es noch
Da soll denn diese Feier in unserer Kirche den Zweck haben,
unseren Gedanken die rechte Richtung zu geben.
So wollen wir uns sammeln um unser Lutherdenkmal, in unseren Herzen das Wort
des Johannes
unserer Betrachtung vorangestellt haben.
bewegend, welches wir
317
Martin Luther.
dieser reinen Luft nährt sich der wahrhaft weibliche Sinn, „der ver borgene Mensch des Herzens, unverrückt, mit sanftem und stillem Geist,"
die Liebe, die Alles glaubt. Alles hofft und Alles duldet und niemals aufhört, die Geduld, die im Gehorsam Gottes Alles erträgt, der Glaube,
der euch sprechen lehrt:
„Wenn ich nur dich habe,
so
frage ich nicht nach Himmel und Erde," die Gewissenhaftigkeit,
die im Kleinen groß ist, der Heldenmuth, der im dunkeln Thal des Leidens immer
die Krone
Gottes Herrlichkeit sieht,
Nacht ist.
des Lebens
vor
Augen
hat und
auch wenn für das leibliche Auge überall
Dann bleibt es in euerem Leben nicht nur bei frommen
Träumen, sondern der Geist und das Leben Jesu wird in euerem Leben zur That, und Jesus kann von euch sagen:
gutes Werk an mir gethan."
„Sie hat ein
Amen.
38.
Martin Luther. (Am Sonntag nach der Enthüllung des Lutherdenkmals in Berlin.) 1. Joh. 5, 4.
Denn Alles, was von Gott geboren ist, überwindet die
Welt; und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.
Am Stadt
vorigen Dienstag wurde das Standbild Luthers in unserer
enthüllt.
An der Feier selbst haben nur verhältnißmäßig
Wenige theilnehmeu können. Deshalb wollen wir heute als evangelische
Gemeinde eine Nachfeier halten.
Bedeutsam genug ist das Ereigniß.
Ein Lutherdenkmal in Berlin erweckt in uns Gedanken,
nach einem Ausdruck suchen.
dort gewesen, um es sinnend zu betrachten.
thun.
die
Manche von euch sind gewiß schon Andere werden es noch
Da soll denn diese Feier in unserer Kirche den Zweck haben,
unseren Gedanken die rechte Richtung zu geben.
So wollen wir uns sammeln um unser Lutherdenkmal, in unseren Herzen das Wort
des Johannes
unserer Betrachtung vorangestellt haben.
bewegend, welches wir
Martin Luther.
318
Zunächst fragen wir, weshalb es errichtet ist? — Es
1.
Vielleicht eines der ältesten
giebt in Deutschland viele Lutherbilder.
in Erz gegossen befindet sich in der Stadtkirche zu Jena.
Es war
von einem sächsischen Fürsten für Luthers Grab in Wittenberg
bestimmt, gelangte aber in den Unruhen des schmalkaldischen Krieges
nicht an den Ort seiner Bestimmung und wurde deshalb jener Kirche
geschenkt.
steht neben dem trotzigen Vers,
Auf diesem Bild
den
Luther während des Reichstages zu Augsburg auf der Feste Coburg
an die Wand geschrieben hat:
„Lebend war ich dir, o Papst, eine
Pest; im Tode werde ich dein Tod sein," neben diesem Vers steht die Widmung, daß dieses Bild in der Kirche aufgestellt sei nicht zur In der damaligen evange
Anbetung, sondern zum Gedächtniß.
lischen Kirche, die sich eben erst von Rom losgerissen hatte, lebte
noch die Besorgniß, durch Aufstellung des Bildes eines Menschen in der Kirche die Leute wieder zur Bilderverehrung zu verführen.
Für uns ist diese Gefahr geschwunden; die Gefahr liegt dagegen immer noch nahe, einen großen Menschen zu vergöttern, d. h. ihn
so zu verehren, daß man Gott über ihm vergißt, sich berauscht in der Bewunderung einer heroischen That und dabei die Demuth ver
lernt, die Gott allein die Ehre giebt.
Und gerade bei Luther müssen
wir uns vor dieser Gefahr in Acht nehmen, einmal weil seine Be
deutung für unsere christliche Erkenntniß und das ganze Leben unseres Volkes
uns
leicht
vergessen läßt,
daß
er auch
ein
schwacher,
sündiger Mensch war, und ferner weil wir uns durch nichts so sehr
von Luthers Geist entfernen würden, als durch solch eine Vergötterung. Zürnend würde sein Geist
vor uns treten und uns zurufen,
daß
nicht Luther für uns gekreuzigt sei, sondern Christus allein, und daß an seiner Person nichts gelegen sei, da es Gott ein Leichtes sei, jeden Tag zehn Dokwr Martinus zu schaffen.
Vielmehr soll unser Lutherbild ein Zeichen treuer Dankbarkeit
sein.
Jahrhunderte sind seit seinem großen Leben vergangen; mehr
als eine große Umwälzung hat seitdem die Menschenwelt bis in
ihre Tiefen aufgerüttelt.
Aber seine Persönlichkeit und seine That
erweisen sich in allen Umwälzungen der Zeit immer wieder als das kostbarste Erbe deutscher Vergangenheit.
So ist in der Begeisterung
des Lutherjahres 1883 der Gedanke entstanden, dem größten Deutschen
in der Hauptstadt des deutschen Reiches ein Denkmal zu errichten.
319
Martin Luther.
Jetzt ist es vollendet, ein Zeichen treuer Dankbarkeit.
Und unsere
Dankbarkeit bleibt nicht bei dem Menschen Luther stehn, sie geht
weiter, hinauf zu Gott, der sich seine Werkzeuge wählt, wie er will, und mit ihnen ausrichtet, was er will. Wenn irgend Einer, so hat Luther gewußt, daß er durch Gottes Gnade war, was er war.
Gott hat ihn aus niederem aber kraftvollem Geschlecht zur Hochschule geführt, aus dem hellen Lichte der Wissenschaft in das stille Halb dunkel des Klosters, dann durch seinen heißen Gewissenskampf hindurch zu Christus. Gott hat seinen Sohn in ihm geoffenbart. Gott hat ihn stark gemacht, zur rechten Zeit die Gedanken, welche er in der Stille gehört, von den Dächern zu predigen. Gott hat ihm das rechte Wort auf die Lippen gelegt. Gott hat das Herz eines weisen Fürsten ihm zugewendet, treue Freunde und Rathgeber ihm zur Seite gestellt. So hat Gott durch ihn das ewige Evangelium wieder auf den Leuchter gestellt und hat uns wieder zu sich gerufen, daß wir als freie Kinder durch Christus wieder unmittelbar mit ihm verkehren dürfen. Luthers Werk war aus Gott geboren. „Alles aber, was von Gott geboren ist, überwindet die Welt." So mahnt uns das Standbild, Gott zu danken für Alles, was er durch Luther für Herz und Gewissen, in Staat und Gesellschaft, in Schule und Kirche für uns gethan hat.
Zugleich aber soll es uns immer mahnen, zu halten, was wir haben. Wie Luthers Bild soll auch Luthers Geist unter uns bleiben. Möge nie das Gericht über uns kommen, mit welchem
Jesus Christus die Pharisäer und Schristgelehrten richtet: „Wehe euch. Schriftgelehrte und Pharisäer, die ihr der Propheten
Gräber bauet und schmücket der Gerechten Gräber!" Wohl ehrten sie die großen Todten, indem sie sagten, wenn sie damals gelebt hätten, würden sie Jene nicht verfolgt haben, wie die Väter gethan, sondern würden sie verstanden und geehrt haben. Nun wollen sie wieder gut machen, was die Väter an den Propheten ge
sündigt, und so schmücken sie die Gräber der Ermordeten und bauen ihnen Denkmäler. Und doch ist diese ihre Dankbarkeit nichts als Heuchelei; denn sie sind von demselben beschränften Fanatismus be
seelt, in welchem ihre Väter die Propheten ermordet haben.
Möchte
unter uns nie eine Zeit kommen, in der man trotz aller Stand bilder, die man Luther errichtet, den Geist verfolgt, den er ver-
Martin Luther.
320
kündigt hat, den Geist des Glaubens, der vom Menschenjoch frei sich allein gebunden weiß in Gott.
Wie sein Bild unter uns ist,
so möge auch sein Geist unter uns bleiben. 2.
Luthers Standbild hat aber in unserer Stadt noch eine
besondere
ganz
Bedeutung.
Berlin
hat
eine
große
Geschichte.
Ursprünglich ein Fischerdorf, ist es mit der Geschichte unseres Volkes
eng verknüpft zur großen Stadt und schließlich durch die Ereignisse
von 1870 zur Weltstadt herangewachsen. Siege
haben
Deutschland
deutschen Reiches gemacht.
einig und
Aber nicht nur politische
Berlin zur
Hauptstadt
des
Sondern auch hier heißt es: „Der Geist
ist es, der lebendig machte das Fleisch ist kein nütze," der Geist, der damals die Herzen entflammte und Männer und Jünglinge in den
Kampf trieb, daß sie mit dem Siegcsruf auf den Lippen in den Tod gingen, der Geist, der die Einigung Deutschlands als eine geschichtliche Nothwendigkeit
erkannte und wenn auch oft enttäuscht und zurück
geworfen doch mit ruhiger Sicherheit und felsenfestem Glauben diesem
Ziele entgegenging.
Fragt ihr, woher dieser Geist stammt, durch welchen das deutsche Reich gebaut und Berlin zur Hauptstadt desselben erhoben worden ist, so geht hin an die Marienkirche:
Der Mann, dessen Bild ihr
dort seht, ist der größte Prophet dieses nationalen Geistes ge wesen.
Als er in Eisleben gestorben war und seine Leiche nach
Wittenberg gebracht wurde, da läuteten überall, wohin der Leichen
zug kam, die Glocken, und das Volk drängte sich weinend an den Sarg Luthers, weil es wußte, daß es vielleicht nie auf Erden so
geliebt worden ist, wie von diesem jetzt stillen Mann.
Er ist mit
seinem Fühlen und Denken, mit seinem Wesen und Sein aus dem
Marke unseres Volkes herausgewachsen; der deutsche Charakter mit
seiner Tapferkeit, seiner Gemüthstiefe und seinem sinnenden Wesen, auch mit seinen Leidenschaften, Fehlern und Schwächen faßte sich in
diesem Manne zusammen.
Tief empört sah er, wie die edle deutsche
Nation von Rom ausgesogen wurde.
Eine der mächtigsten Trieb
federn seines Handelns war das Gefühl gedrückter deutscher Ehre. „Sie haben," so schreibt er,
„alle Zeit unsere Hinfälligkeit gemiß
braucht zu ihrem Uebermuth und Tyrannei und nennen uns tolle Deutsche, die sich äffen und narren lassen, wie sie wollen."
„Wir
haben des Reiches Namen, aber der Papst hat unsere Ehre, Leib,
Martin Luther.
321
Leben, Seele, und Alles, was wir haben; so ist der Papst der Kern, so spielen wir mit der ledigen Schale." So ruft er das
nationale Selbstbewußtsein wach, er verlangt, daß ein deutsches Reich erstehe, das nicht von Außen regiert werde, sondern un abhängig von Außen ruhe in seiner eigenen Macht. Von ihm vor Allem
ist das heiße, schmerzliche Ringen unseres Volkes nach Selbständigkeit und Einigkeit ausgegangen, dieses Ringen, das man so oft mit blutiger Gewalt niederzuschlagen versucht hat, das aber doch zuletzt unter Führung Preußens zum Ziele gelangt ist. Alle die Männer, die um dieses Zieles willen gekämpft und gelitten haben, haben aus dem Quell getrunken, den Luther aufgethan hat, sind getrieben worden von dem Geiste, der von ihm ausgegangen ist. Und auch das wollen wir nicht vergessen, wie er in der deutschen Sprache, die er in der Bibelübersetzung unserem Volke gegeben hat, eine innere Verbindung zwischen den deutschen Stämmen geschaffen hat, die Grundlage, auf der unsere Denker und Dichter die deutsche Nationallitteratur schaffen konnten. Der Protestanüsmus hat Preu ßen äußerlich mächtig und innerlich stark gemacht. Ihm verdankt es Alles. Unter Allen, welche vorgearbeitet haben an der Einigung Deutschlands, giebt es keinen Größeren als Luther. Darin hat sich Gottes Wille vollzogen. Lange hats gedauert, ehe er durchgedrungen. Was mußte erst noch Alles geschehen, ehe das verwirklicht wurde, was Luther einst mit seinem Seherauge geschaut hat. Gottes Mühlen mahlen langsam. Aber „was er sich vorgenommen und was er haben will, das muß doch endlich kommen zu seinem Zweck und Ziel." ist, überwindet die Welt."
Denn „Alles, was von Gott geboren
So hat es seinen guten Grund, daß Luthers Standbild in der Hauptstadt des deuffchen Reiches steht. Es ist errichtet dem Erneuerer des deutschen Volksthums.
3.
Aber auch das hat seine Bedeutung, daß sein Standbild
in einem der verkehrsreichsten Theile unserer Stadt steht. — Man könnte fragen, was hat Luther mit dem Getriebe in einer
heutigen großen Stadt zu thun? Sein Leben liegt fernab davon. Er ging aus einer Bauernfamilie hervor. Dann lebte er in der Stille des Klosters, dann in seinem einfachen Familienhaus, in seinem Studierzimmer, wo er seine gewaltigen Schriften schrieb, in Kirmß, Predigten.
21
Martin Luther.
322 der Kirche,
in der Universität, wo er lehrte.
wo er predigte,
Und wie sein äußeres Leben, so liegt doch auch seine Gedankenwelt, dieses Ringen seines Geistes um die lebendige Gemeinschaft mit
Gott, das Eindringen in die Welt der Geheimnisse Gottes, es liegt dem heutigen praktischen Leben so fern.
Deshalb sollte sein Stand
bild vielleicht in der Vorhalle einer evangelischen Kirche oder in einem stillen Schulhof oder in einem Lehrsaal der Universität
aufgestellt werden, aber doch nicht mitten im Getriebe eines welt-
städtischen Lebens.
Und
doch gehört
es gerade dorthin.
Er hat das Treiben,
Hasten und Arbeiten der Menschen wohl gekannt und verstanden. Wie er selbst in seiner Jugend darin gestanden hat, so hat er wie Keiner ein Herz gehabt für die Mühen und Plagen eines fleißigen
Volkes.
Wie er selbst die Fesseln des Klosters für sich gesprengt
hat, so hat er die Menschen aus der wellflüchtigen Einsamkeit, in welche die katholische Kirche die Frömmigkeit bannen wollte, wieder
hineingeführt in die Welt, und hat uns den eigentlichen Quell auf
geschlossen, aus welchem alle wahre Arbeit fließen muß, das strenge Pflichtgefühl, durch welches sich der Christ an Gott gebunden und in Gottes Dienst weiß, der Gehorsam, welcher in den alltäglichsten
Aufgaben des Lebens Gebote des allgegenwärtigen Gottes sieht, die stählerne Gewissenhaftigkeit, für welche die Pflicht des Berufes eine gestrenge Herrin ist, welche nicht mit sich markten und feilschen läßt,
sondern den ganzen Menschen mit all seinem Wissen und seinen Gaben und all seiner Zeit für ihren Dienst verlangt, kindliche Gehorsam in
der Nachfolge Jesu,
aber auch der freie
dem
es eine Freude,
eine Lust ist, überall Gottes Willen zu thun und ihm zu dienen
auch mit der niedrigsten Arbeit unserer Hände.
Luther hat das
Feuer entzündet, welches die Maschine der weltlichen Arbeit heizt.
So hat er den Geist
heraufgerufen,
durch welchen alles
Arbeiten im Alltagsleben seinen Werth bekommt, seine rechte Richtung,
seine innere Lebendigkeit, durch welche die Arbeit nicht mehr eine schwere Last ist, sondern eine Lust, den Geist, durch welchen der Mensch
dieses Mühen und Arbeiten beherrscht und zu einem Gottesdienst macht, den Geist, vermöge dessen sich der Mensch von den Gütern der Erde, die er sich erarbeitet, nicht beherrschen läßt, sondern sie beherrscht mit freiem Sinn.
Wo dieser Geist ist, da sind alle Werke
Martin Luther.
323
des Alltagslebens gute Werke, da ist die bürgerliche Tüchtig
keit, der es ebenso ein unabweisbares Bedürfniß wie eine Ehrenpflicht ist, der Welt, dem Gemeinwesen und damit Gott etwas zu leisten,
da ist
die werkthätige
Werken Gott dient.
der
die
in
allen irdischen
Wir Protestanten haben keine Heiligen.
wir aber solche hätten, heiligen
Frömmigkeit,
weltlichen
Arbeit
Wenn
als den Schutz
so könnten wir Luther
Deshalb
bezeichnen.
steht
Luthers Standbild mitten im Verkehr des Lebens am rechten Ort. Es ist eine ungeheure Arbeit,
die tagtäglich in unserer Stadt
geleistet wird, von der Arbeit des Staatsmannes, des Gelehrten, -es Künstlers, des Dichters bis herab zur Arbeit des Steinträgers
und der geringsten Magd.
Aber nehmt aus ihr die Seele heraus,
das an Gott gebundene Pflichtgefühl,
die werktägige Frömmigkeit,
den Gewissensernst, so ist sie werthlos.
Wissenschaft
Da wird die Arbeit
ein blendendes Gcdankenspiel,
■eine klingende Schelle;
der
ein tönendes Erz und
da ist die Arbeit des Beamten ein Lohn
dienst, die Arbeit des Arbeiters das Dahinschleppen einer schweren ohne Zweck und Ziel.
Last,
steht, jedem Vorübergehenden
Staatsmann:
der dort im Bilde
So hat Luther, etwas
zu sagen.
Er sagt zu dem
„Mit dem, was du in deinem Amte thust, bist du
nicht nur dem Kaiser und Könige und dem Volke verantwortlich,
sondern dem Könige aller Könige." nach der nahen Universität geht:
die Wahrheit;
Er sagt zu dem Gelehrten, der
„Suche die Wahrheit, nichts als Er spricht zu dem
denn Gott ist die Wahrheit."
Lehrer, der in seine Schule geht: „Was du an den Kindern thust,
das thust du Gott; du an Gott."
was du an ihnen unterlässest, das unterlässest
Er spricht zu dem Arbeiter,
der an seine Arbeit
„So gering auch deine Arbeit sein mag, du sollst darin ein
geht: Knecht
Gottes sein."
Er
spricht
zu
der Hausfrau:
„Schaffe
deinem Gatten und deinen Kindern eine fromme Häuslichkeit, damit
thust du ein heiliges Werk, wie keine Nonne."
Er spricht zu dem
Kaufmann: „Gehe in Ehren deiner Arbeit nach; aber laß dein Herz
nicht gefangen nehmen von den Gütern der Erde." ^u:
Er ruft Allen
„Dienet dem Herrn als feine freien Kinder; dienet dem Herrn
mit Freuden!
So werdet ihr die Welt überwinden."
Das Lutherdenkmal ist werktägigen Arbeit.
errichtet
dem
Schutzheiligen
der
Martin Luther.
324
4. Aber das Wesen, das sich in einer großen Stadt breit macht,
ist so vielfach glänzender Schein ohne lebendigen Inhalt.
Da ist
es doppelt nöthig, daß der Mensch daran erinnert werde, für seine
Seele zu sorgen, damit sie nicht verschmachte in aller Pracht Erde.
der
Und bei aller Pracht und Vielgestaltigkeit des Lebens gilt
gerade hier das Wort:
„Das Wesen dieser Welt vergeht."
du erwirbst an äußeren Gütern, Händen.
Was
zerfließt wie Schaum in deinen
So soll Luther, der Mann des Glaubens, uns von Außen
nach Innen weisen, von Unten nach Oben. „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat." Luther hat den Glauben nicht geschaffen.
Es giebt im eigentlichen
Sinn keine Lehre Luthers; sondern er hat den von der Kirche ver gessenen christlichen Glauben wieder an das Licht gebracht, und ge lehrt, was Christus und die Apostel lehren.
Standbild.
Das zeigt uns sein
Er hält auf seinem Arm die Bibel, nicht mehr die
von der die Gemeinde ferngehalten wurde,
verschlossene Bibel,
sondern die aufgeschlagene Bibel, in der Jeder lesen kann, und
seine rechte Hand hat er auf diese aufgeschlagene Bibel gelegt, als spräche er:
„Seht, hier steht es geschrieben."
Am 4. Mai d. I.,
an dem Tage, an welchem Luther einst auf die Wartburg kam, ist
das Lutherdenkmal in Eisenach enthüllt worden.
großes Werk begonnen,
die Bibel für das Volk
Dort hat er sein aufgeschlagen,
aufgeschlossen, indem er sie ins Deutsche übertrug, so daß nun
Jeder aus dem Quell des Heils, der darin fließt, trinken kann. hat dabei treue Helfer gehabt.
Er
Sie umstehn ihn auf unserm Stand
bild, der milde Melanchthson, sein treuer Philippus, der große Gelehrte mit dem Johannesgemüth, der Lehrer Deutschlands, aus
der andern Seite Bugenhagen, der Pfarrer zu Wittenberg, der es besonders verstand,
auf dem neuen Grund
des
evangelischen
Glaubens das Leben der Gemeinde einzurichten; dann weiter Justus Jonas und Cruciger, zwei treue Schüler und Mitarbeiter Luthers
bei der Verdeutschung der Bibel; auf der andern Seite Reuchlin, der
Sprachgelehrte,
mittelbar mitgeholfen
der
durch
seine
Sprachforschung
hat an der Verdeutschung
wenigstens
der Bibel, und
rechts und links am Eingang Franz von Sickingen und Ulrich von Hutten, Beide bereit, die Helden des Geistes und des Wortes
mit dem Schwerte zu schützen.
Alle zusammen ein Gesammtbild
Martin Luther.
325
-essen, wie jene große Zeit sich abgemüht hat, dem deutschen Volke die reine christliche Wahrheit in der Bibel darzubieten. Und nun rufen sie Alle den Menschen zu, welche durch die Straße eilen, so bedrückt von den Sorgen des Diesseits, innerlich so athemlos, so
ruhelos: „Kommt, ihr Christen, steigt hinab zu diesem aufgeschlossenen Quell der Wahrheit. Ihr Ruhelosen, sucht hier euere Ruhe, ihr Mühseligen, sucht hier euere Erquickung, ihr, die ihr nach dem Eiteln jagt, sucht das, was bleibt. Ihr, die ihr euch streitet um das, was ihr glaubt, sammelt euch um den Einen Hirten und Bischof euerer Seelen!" Soll ihr Rufen umsonst sein? Gehören diese Männer der Schriftforschung nicht mehr hinein in diese moderne Zeit? Bei der Enthüllung des Lutherdenkmals wurde unter anderm auch das Wort gesprochen: „Das Wort Gottes bleibet in Ewigkeit." Wir brauchen es heute so nothwendig wie einst. Denn die Sünde mit ihren Folgen ist heute noch mächtig wie einst und dörrt die Menschenseele aus, daß sie schreit nach dem lebendigen Gott. Und der Tod ist noch mächtig wie einst und die Sehnsucht der Menschen aus seinem finstern Reich zu dem lebendigen Gott. Und so kommt auch heute
noch wie einst aus der Schrift der Glaube, der Welt, Sünde und Tod überwindet, der Glaube, nicht ein Wahn, nicht ein Meinen,
sondern eine lebendige Kraft, die uns rechtfertigt vor Gott und in das richtige Verhältniß der Kindschaft zu Gott bringt, daß wir bei ihm Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit finden durch
Christus; der persönliche Glaube, nicht ein Beiwerk des Lebens, das wir dann und wann zur Hand nehmen, wenn wir es einmal zufällig brauchen, sondern das ewige Leben unserer Seele, das Licht, welches uns von Innen heraus Alles beleuchtet, in jeder dunkeln Stunde, in
jeder schweren Prüfung, in jedem Glück; der Gewissensglaube, nicht eine todte Ueberlieferung, sondern so verwachsen mit meinem innersten Leben, daß meine Seele sich selbst aufgeben müßte, wenn
sie diesen Glauben ließe; der Lutherglaube, der den Himmel stürmt und die Welt überwindet. So ist das Lutherdenkmal errichtet Gott zur Ehre, es ist
errichtet dem Erneuerer des deutschen Volksthums, dem Schutzheiligen der werktägigen Arbeit, dem Helden des evangelischen Glaubens.
Und wenn auch Stein und Erz einst
vergehen
müssen,
in Ewigkeit;
das Wort Gottes bleibet
unser
Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. Amen.
39.
Gustav Adolf. (Zur dreihundertjährigen Wiederkehr seines Geburtstages am 9. Dezember 1894.) Psalm 129, 1—4. auf,
so
sage
Jugend auf;
Sie haben mich oft gedränget
Israel,
sie
haben
aber sie haben
mich
mich nicht
oft
von meiner Jugend
gedränget
Übermacht.
von meiner Die Pflüger
haben auf meinem Rücken geackert und ihre Furchen lang gezogen. Der Herr, der gerecht ist, hat der Gottlosen Seile abgehauen.
Alle Offenbarung Gottes ist Geschichte.
Wir bezeichnen ja
besonders die heilige Geschichte, wie sie uns im alten und neuen Testament erzählt wird, als Gottes Offenbarung. Hier redet zu uns seine Gerechtigkeit, welche das Wahre und Gute nicht untergehen läßt trotz aller feindlichen Gewalten, seine Treue, welche, mag die Noth noch so groß sein, von seiner Sache nicht läßt und sie auch aus Schmach und Staub wieder zum Siege erhebt. Hier redet zu uns auch seine unendlich reiche Liebe, welche sich niemals erschöpft,
sondern in immer neuen Wendungen und Gestaltungen an das Licht tritt.
Alle Offenbarung Gottes ist Geschichte. Und alle Geschichte ist Offenbarung Gottes, alle Geschichte,
auch die weltliche. In dem Auf- und Niedergang des Völkerlebens, in den Zeiten, in denen sich das Gute füll entwickelt, das Schlechte,
Unbrauchbare allmählich überwunden wird, wie in denen, in welchen Gott auf den Schlachtfeldern Gericht hält und die Throne der Gewaltigen umgestürzt werden — in der Geschichte der Menschenwelt offenbart sich Gottes Wille und Gottes Rath. Und wieder vollzieht sich der Wille Gottes in der Geschichte immer durch bestimmte Persönlichkeiten. Alles, was Gott zu Stand und Wesen bringen will in dieser Welt, das läßt er in ein zelnen Menschen persönlich und damit machtvoll in der Menschen-
vergehen
müssen,
in Ewigkeit;
das Wort Gottes bleibet
unser
Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. Amen.
39.
Gustav Adolf. (Zur dreihundertjährigen Wiederkehr seines Geburtstages am 9. Dezember 1894.) Psalm 129, 1—4. auf,
so
sage
Jugend auf;
Sie haben mich oft gedränget
Israel,
sie
haben
aber sie haben
mich
mich nicht
oft
von meiner Jugend
gedränget
Übermacht.
von meiner Die Pflüger
haben auf meinem Rücken geackert und ihre Furchen lang gezogen. Der Herr, der gerecht ist, hat der Gottlosen Seile abgehauen.
Alle Offenbarung Gottes ist Geschichte.
Wir bezeichnen ja
besonders die heilige Geschichte, wie sie uns im alten und neuen Testament erzählt wird, als Gottes Offenbarung. Hier redet zu uns seine Gerechtigkeit, welche das Wahre und Gute nicht untergehen läßt trotz aller feindlichen Gewalten, seine Treue, welche, mag die Noth noch so groß sein, von seiner Sache nicht läßt und sie auch aus Schmach und Staub wieder zum Siege erhebt. Hier redet zu uns auch seine unendlich reiche Liebe, welche sich niemals erschöpft,
sondern in immer neuen Wendungen und Gestaltungen an das Licht tritt.
Alle Offenbarung Gottes ist Geschichte. Und alle Geschichte ist Offenbarung Gottes, alle Geschichte,
auch die weltliche. In dem Auf- und Niedergang des Völkerlebens, in den Zeiten, in denen sich das Gute füll entwickelt, das Schlechte,
Unbrauchbare allmählich überwunden wird, wie in denen, in welchen Gott auf den Schlachtfeldern Gericht hält und die Throne der Gewaltigen umgestürzt werden — in der Geschichte der Menschenwelt offenbart sich Gottes Wille und Gottes Rath. Und wieder vollzieht sich der Wille Gottes in der Geschichte immer durch bestimmte Persönlichkeiten. Alles, was Gott zu Stand und Wesen bringen will in dieser Welt, das läßt er in ein zelnen Menschen persönlich und damit machtvoll in der Menschen-
Gustav Adolf.
327
Deshalb ist nichts so im eigentlichen Sinn erbaulich,
Welt werden.
als Gottes Walten zu sehen in den Helden der Geschichte, und es
ist weise von der katholischen Kirche, daß sie in den Lebensbeschrei bungen ihrer Heiligen ihren Anhängern das Walten des göttlichen
Geistes in der Geschichte der Kirche zeigt.
Nun, wir Evangelischen haben keine Heiligen.
Wohl aber
haben wir Menschen, die, obwohl sündig und irrend, doch stark in Gott seinen Rath in der Welt vollbracht haben. Einer unter ihnen tritt heute vor unsere Augen, der königliche
Held, dessen dreihundertster Geburtstag heute in der evangelische»
Welt gefeiert wird.
stalt.
Aus weiter Ferne
grüßt uns seine hohe Ge
Eine neue Welt ist in diesen 300 Jahren entstanden.
deutsche Volk, damals von Schmach
bedeckt,
Das
steht heute groß da
unter den Völkern der Erde und ruht fest nach Außen hin in der Aber was jener Held für seine Zeit gethan hat,
eigenen Kraft.
das hat er auch für uns gethan.
Unseren Glauben hat er gehabt,
für unseren Glauben hat er gekämpft, sein Herzblut hat die deutsche Darum gedenken wir heute mit dem Schwedenvolk
Erde benetzt.
des großen Königs.
Aber eine christliche Gemeinde soll Gott allein die Ehre geben. Und so wollen wir auch
heute Gott die Ehre geben, der wie in
aller Geschichte, so auch in der Geschichte Gustav Adolfs sich uns
geoffenbaret hat.
Seht, was der heutige Tag uns zeigt.
1. 3.
1.
Einen gepflügten Acker.
2.
Er zeigt uns:
Eine edele Aussaat.
Eine reiche Ernte.
Uns Spätgeborenen ist es unverständlich, daß es einst eine
Zeit gegeben hat,
in der unser Volk klagen konnte:
„Die Pflüger
haben auf meinem Rücken geackert und ihre Furchen lang gezogen."
Es war nicht nur die Zeit des dreißigjährigen Krieges, sondern auch die vorhergehende Zeit.
Es ist traurig, daß wir sagen müssen: Sie
hat begonnen, als das deutsche Volk in Berührung kam mit der rö
mischen Kirche.
Als Bonifazius die deutschen christlichen Gemeinden
dem römischen Stuhl unterstellte, hat er das gewiß im Geiste seiner
Zeit und in gutem Glauben gethan.
Aber eine lange Reihe schwerer
Kämpfe ist daraus hervorgegangen.
Denn es wurden damals zwei
Mächte
mit
einander
verbunden, die
einander innerlich auf das
328
Gustav Adolf.
heftigste widerstrebten, auf der einen Seite die Kirche, welche alle Völker ihrer einheitlichen äußeren Macht unterwerfen wollte und sie zusammenfügen zu einem kirchlichen Staat, in welchem keine freie Mannichfaltigkeit möglich ist, auf der anderen Seite das deutsche Volk mit seinem eigenen Gewissen, mit seinem Suchen nach selb ständig erkannter religiöser Wahrheit, mit seinem Freiheitsbedürfniß auch in religiösen Dingen. Diese beiden Mächte, an einander ge kettet, mußten nothwendig in den heftigsten Kampf mit einander kommen. So wurde der Kampf zwischen Rom und den Ger manen das Thema der europäischen Geschichte. Seinen Höhe punkt hat derselbe erreicht, als der Wittenberger Mönch zu der Ueber zeugung kam, daß das Heil des deutschen Volkes in der Losung liege: „Ganz los von Rom," und als er mit mächtigem Rucke das Band zerriß, das Bonifazius in gutem Glauben geschürzt hatte. Aber durch Luthers That wurde dieser Kampf noch lange nicht beendigt. Als Luther in Worms war, sagte der päpstliche Gesandte Ale and er: „Wenn die Deutschen los wollten von Rom, dann würde man von Rom aus Kriege über Deutschland bringen, daß die Deutschen in ihrem eigenen Blut ersticken sollten."
Und so ist es gekommen. Deutschland wurde das Schlacht feld, auf welchem die europäischen Völker ihre Schlachten schlugen. Der langjährige Besitz des Landmannes wurde vernichtet, Dörfer eingeäschert, Städte zerstört, der Wohlstand des Bürgers vernichtet. Wo früher fleißige Hände sich geregt hatten, da wurde Alles still.
Die kräftigen Söhne waren erschlagen oder schlossen sich an plün dernde Schaaren an. Die Zurückgebliebenen hatten keinen Muth zur Arbeit, weil keine Arbeit Frucht brachte. Das deutsche Volk war kein lebendiger Leib mehr, sondern nur ein Haufen zerrissener
zuckender Glieder.
Das deutsche Land wurde aufgewühlt mit der
Pflugschar des Krieges. Blutige Saat wurde gesät, blutige Ernte wurde eingebracht; Thränen wurden gesät, Thränen geerntet. Wo waren die großen Hoffnungen geblieben, mit denen einst unser
Volk den Morgen der Reformation begrüßt hatte? Das evangelische Bekenntniß war zum Schweigen gebracht; fast konnte man sagen, die evangelische Kirche existierte nicht mehr. „Sie haben mich oft gedränget von meiner Jugend auf; die Pflüger haben auf meinem Rücken ihre Furchen lang gezogen" — so konnte Deutschland klagen.
Gustav Adolf.
329
Aber dieses niedergetretene schmachbedeckte Volk hatte Eins nicht verloren, sein Gewissen, seinen Glauben, den die Väter einst in
großen Gefahren bekannt hatten. Es war äußerlich von Schmach zerknickt, aber innerlich besaß es noch seine Ehre und seine Krone. Selten ist in der Geschichte Beides so zusammengetroffen, äußere Schande und innere Herrlichkeit, wie beim deutschen Volk im dreißig jährigen Krieg. Es hat damals eine große Gemeinde gegeben, welche ihren evangelischen Glauben mit doppelter Innigkeit umfaßt und bekannt hat. Die innere Herrlichkeit leuchtete hindurch durch die
äußere Schmach. Ein solches Volk konnte nicht untergehn, es mußte gerettet werden, wenn es einen gerechten Gott im Himmel giebt. Und wo ein Mensch oder ein ganzes Volk der Hülfe werth ist, da kommt nach Gottes Ordnung auch die Hülfe, und sollte Gott sie
herbeiholen aus der Ferne, wohin kein Hülferuf dringt. So war das deutsche Volk ein Acker, aufgerissen von der Pflug schar des Krieges. 2. In die Furchen mußte ein edeler Same gestreut wer den. — Es rauschte über die Ostsee herüber. Von den Flügeln des Windes getragen kam die schwedische Flotte, im vordersten Schiff Gustav Adolf. Und als er ans Land steigt, da zieht ihn seine geschichtliche Sendung auf die Kniee nieder und er bittet Gott um Gnade und Segen, da er sein Unternehmen zur Ehre Gottes und zur Vertheidigung der bedrängten Kirche angefangen habe. Gott hatte ihn gerufen, ihn herübergeführt. Freilich, Gustav Adolf hatte keine Stimme aus den Wolken gehört: Gehe hinüber
und hilf. Solche Wunder sind da nicht geschehen. Und doch sagen wir mit gutem Recht: Gott hat ihn'gerufen. Im evangelischen Glauben ausgewachsen, von seiner Wahrheit tief durchdrungen, ausgerüstet mit
einem weitblickenden Geiste, erfüllt von der heiligen Verantwortung, für die höchsten Güter und die Sicherheit seines Volkes zu sorgen — so sieht er die Macht des römischen Kaisers immer weiter nach
Norden vorwärts dringen. Stralsund, von Wallenstein belagert, soll der Stützpunkt für weitere Kriegsfahrten nach Norden werden. Er sieht den Protestantismus von der Uebermacht überwunden fast wehrlos am Boden liegen. Da gestaltet sich vor seinen Augen ein großer Plan: Er will den Kaiser zurückdrängen, Deutschland befreien, dann alle protestantischen Staaten des europäischen Nordens in
330
Gustav Adolf. großen
einem
zu
Protestantenbund
einer
gebietenden
Achtung
Macht zusammenschließen zu stetem Schutz und Trutz.
Seine evan
gelische Ueberzeugung ebenso wie das Geftihl seiner Kraft treibt ihn,
ans Werk zu gehen.
So hat ihn Gott gerufen durch die Noth der
Zeit und durch die Gaben, die er ihm verliehen hatte. überhaupt die Art, wie Gott die Menschen ruft.
Das ist
Vielleicht ist es
auch bei Gustav Adolf gegangen, wie es dem Paulus ging, welcher
im Traum zu Troas in Kleinasien einen macedonischen Mann sah, der ihm winkte: „Komm herüber und hilf uns."
So stand vor der
Seele Gustav Adolfs die Gestalt des deutschen Protestantismus und winkte ihm zu: „Willst du mich verderben lassen? über und hilf!"
Komm her
So zog er von Gott gerufen über das Meer.
Gott findet immer den rechten Mann, er findet ihn da, wo Als es sich um die religiöse Be-
kein Mensch ihn gesucht hätte.
fteiung unseres Volkes
handelte,
fand er den rechten Mann da,
wo man ihn am wenigsten vermuthen durfte, an der Stätte geistiger
Knechtschaft, im Kloster, einen armen verschüchterten blassen Mönch,
dessen Wiege
in
eines Bergmannes
niedern Hütte
der
gestanden
hatte, der nun aber gerade so wie er war, in der urwüchsigen Kraft des Volkes, gestählt in heißen Seelenkämpfen, rücksichtslos sein Leben
in die Schanze
schlug.
Und
die Zeit
als
ein gutes und reines
Schwert brauchte, um ihre Fesseln zu zerhauen, da rief Gott den
König eines Volkes,
das bisher nur selten in die Entwicklung der
Geschichte entscheidend eingegriffen hatte.
Die Feinde witzelten über
ihn, aber es zeigte sich bald, daß Gott den rechten Mann gefunden hatte.
Nicht das war das Größte an ihm, daß er ein großer Feld herr war, den die Kriegsgeschichte als den Schöpfer der leicht be weglichen heutigen Schlachtordnung rühmt,
enggeschlossenen
schwerfälligen
Schaaren
mit der er damals die
Feinde
der
Sondern das Größte an ihm war sein Glaube.
zersprengte.
An Gustav Adolf
sieht man, wie groß ein Mensch wird dadurch, daß er glaubt. glaubte an seinen Glauben, untergehn könne
durch
daran,
Er
daß dieser Glauben unmöglich
menschliche Gewalt.
Er glaubte
an seine
Sendung, daß, wenn er wahrhaft große Dinge beginne im Aufblick
zu Gott, es ihm auch gelingen müsse. trotz der Kleinheit seiner Mittel.
Er glaubte an die Zukunft
Er glaubte, daß ein kleines Heer,
331
Gustav Adolf.
durch Zucht und Ordnung sein müsse,
stärker
zügellos
nur
mühsam
sammengehalten Als sich
gebunden
an Gottes Gesetz, schließlich
als ein äußerlich noch so mächtiges Heer, das
durch die äußeren Bande der Disciplin zu des Krieges an seine Fersen
alle Furien
ihm Schwierigkeiten
entgegenthürmten,
heftete.
die jeden Andern
zurückgeschreckt und entmuthigt hätten, da glaubte er, und sein Glaube
hat Berge versetzt.
Der Glaube war der Quell seiner Thaten.
So
läßt ihn damals das Volkslied sprechen: Di« Ursach meiner Kriege
Allein ist Gottes Wort. Das giebt mit auch die Siege
Und Glück an allem Ort.
Für die göttlichen Rechte Will ich bis an mein End'
Ritterlich allzeit fechten:
Davon mich nichts abwendt.
Durch diesen Glauben hat er nicht nur das Mißtrauen, den
Neid und die Eifersucht unschädlich gemacht, mit der die deutschen dem Frenldling begegneten,
Fürsten
einige Zeit
wenigstens für
sondern auch
den unseligen Zwist zwischen Lutheranern und Refor
mierten zum Schweigen gebracht, über den im dreißigjährigen Krieg
ein so furchtbares Gottesgericht hereinbrach. er mit seinem Heere — eine
wunderbare Erscheinung in der Ge
der Kriege — betend und singend in die Schlacht gezogen
schichte
gegen
In diesem Glauben ist
den
unbesiegten
Tilly.
Durch
diesen
weltüberwindenden
Glauben ist er ein Bote Gottes an unser Volk geworden,
aus der Verzweiflung wieder zum Glauben erhob.
der es
Mit unbeschreib
licher Begeisterung jubelte ihm das Volk entgegen, als er nach der Schlacht
bei Breitenfeld
durch Thüringen zog.
Es pries ihn
als den „Nordstern", der uns ausgegangen in dunkler Nacht; es
nannte ihn den „Gideon."
Ein Volkslied aus jener Zeit singt:
Gott Lob, es ist erwachet
Der Leu von Mitternacht. Der Anfang ist gemachet.
Glück zu. Glück zu dem königlichen Blut.
Es muß noch werden gut.
Und dann, als die letzte Entscheidung kam am Morgen von Lützen, da brachte man ihm seinen Harnisch, auf daß er seine Brust
Gustav Adolf.
332
damit bewehrte; er aber legte sein Lederwamms an, indem er sprach: Dann betete er und stimmte mit seinen
„Gott ist mein Harnisch."
Schaaren an: „Verzage nicht, du Häuflein klein," und dann stürzte er sich in die Schlacht.
Und als er getroffen vom Pferde
sank,
als sein Pferd, das über das Schlachtfeld raste, den Schweden den
Fall ihres Königs verkündigte, als er in den Armen seines treuen
Pagen August von Leufelfingen, der mit seinem jungen Leib den sterbenden König deckte, seinen Geist aufgab — hat ihn da sein Glaube getäuscht?
Es ist vielleicht nie auf einem Schlachtfeld edleres
Blut geflossen, als an jener Stelle bei Lützen, wo jetzt der Schweden
Wenn aber für eine Sache ein edles Opfer gebracht
stein steht.
wird, dann kann sie nicht untergehn.
Lösegeld
gewesen für
Gustav Adolfs Blut ist das
den Protestantismus,
eine
edle
Saat.
Auf der Kirche zu Riddersholm, in der Gustav Adolfs Grab ist, steht oben auf dem Thurm unter dem Kreuz das Bild eines Pelikans,
der sein Herzblut für seine Jungen giebt.
3.
Eine
reiche
Krone des Lebens,
Ernte.
Da
Eine edele Aussaat. gedenken
wir
zuerst
der
welche Gott denen verheißen hat, die ihr
Leben nicht lieb haben bis an den Tod, und die auch ihm zu Theil geworden ist.
Christus hat gesagt:
wird es erhalten,"
„Wer sein Leben verliert, der
und die Offenbarung spricht:
Todten, die in dem Herrn sterben."
„Selig sind die
Auf dem Schlachtfeld für eine
große Sache siegend sterben, sterbend siegen, auf der sonnigen Höhe des Lebens, wo das Herz voll ist von Gott, sein Herzblut hingeben als eine Saat für die Zukunft — was heißt es „in dem Herrn
Gegen solch ein Menschenleben hilft
sterben", wenn nicht das?
kein Stechen, Hauen und Schießen, da bringt die Todeskugel keinen
Tod, sondern das Leben.
Und wenn solch ein Held hundertmal
getödtet werden könnte, hundertmal würde er durch Tod emporsteigen
zum ewigen Sieg.
„Sie haben mich
ost gedränget von meiner
Jugend an, aber sie haben mich nicht Übermacht."
Es giebt aber auch schon auf Erdeu eine Siegeskrone.
Ich
meine damit nicht den kalten Nachruhm — das ist eine zwar glänzende aber doch leblose Krone — sondern ich meine das Fortleben in dem
Herzen eines dankbaren Volks.
Das ist eine Krone, die geflochten
ist aus dem unverwelklichen Immergrün des Lebens.
Und wo heute
eine evangelische Gemeinde, sei es in einer hölzernen Dorfkirche
333
Gustav Adolf.
zwischen den hohen Bergen Schwedens oder in irgend einem hohen Dom, ihres tapferen Vorkämpfers gedenkt, da windet sie einen neuen grünen Zweig in die Lebenskrone, die sich um die Stirn des Siegers
schlingt. Ja du Leu aus Mitternacht, Ew'gen Ruhm hast du zum Lohne; Ueber Tod und Grabesnacht Leuchtet deine Siegerkrone.
Als die Leiche Gustav Adolfs durch Deutschland nach Schweden
gebracht wurde, da hat sie auf der weiten Reise Rast gemacht in Wittenberg, und ist dort des Nachts aufgebahrt worden in der Schloßkirche auf Martin Luthers Grab. Ein kürzlich Heimgegangener
Dichter, der uns ein unvergängliches Bild Gustav Adolfs gezeichnet hat, läßt mit Bezug darauf den Hofprediger Gustav Adolfs, Fabricius an der Leiche des Königs sprechen: In Wittenberg auf Luthers Grab
Stellt man des Königs Bahre ab. Die Leichen ruhn in Einem Haus Dom gleichem Kampf um» Höchste aus.
Was drunten der in der Gruft gelehrt.
Das schützt der droben mit seinem Schwert.
Die Nachwelt wird sie nimmer trennen, Der Glaube muß sie vereint bekennen.
Sie gehören auch Beide in der Verklärung zusammen.
Wir
sehen sie Beide nebeneinander stehn umgeben vom Glanze der Herr
lichkeit, den Helden des Wortes und den Helden des Schwertes.
Wunderbar, wie Gott die Menschen zusammenführt, der deutsche Bauernsohn und der schwedische König, der sinnende Lehrer
des Glaubens und der unwiderstehliche Held der Schlachten — sie
stehen nebeneinander in der Ruhmeshalle der Geschichte, die unbesieg baren Helden,
die uns voranziehn, so lange
Geisteskämpfe giebt.
es
in
Deutschland
Und so lange unser Volk diesen Führern folgte
wird es immer sagen können:
„Sie haben mich oft gedränget von
meiner Jugend auf; aber sie haben mich nicht Übermacht."
Eine
herrliche Ernte.
Als nach dem Buche der Könige Elia im feurigen Wagen
gen Himmel fuhr, da rief ihm Elisa nach:
Vater, Wagen Israels und seine Reiter."
„Mein Vater, mein
Er wollte damit sagen.
334
Gustav Adolf.
daß Israel in diesem einen Mann soviel verliere, wie ein ganzes gewappnetes Heer mit Streitwagen und Reitern.
So verlor auch die evangelische Sache in Gustav Adolf ein ganzes Heer. Doch sein Name und Gedächtniß hat neue Heere erweckt. Nach 200 Jahren vereinigten sich am Schwedenstein die deutschen Protestanten, um die Gaben der helfenden Liebe hinauszutragen zu den zerstreuten Glaubensbrüdern. Friedliche Boten ziehen immerfort durch das evangelische Land und bitten die Evangelischen: „Vergeßt euere Brüder nicht!" Friedliche Bauleute bauen in katholischen Ländern evangelische Kirchen, in denen sich die Zerstreuten sammeln, und ziehen Glocken empor auf die Thürme, die zum Gottesdienst rufen, und bauen Orgeln, die den evangelischen Gemeindegesang begleiten, und Kanzeln, auf denen das reine Evangelium verkündigt wird, und Schulen, in denen der evangelische Glaube gelehrt wird. Der Gustav Adolf-Verein ist Gustav Adolfs friedliches Heer. Das ist auch eine herrliche Ernte. Bei Breitenfeld steht ein Denkmal, das an den Sieg Gustav Adolfs über Tilly erinnert. An demselben stehen die Worte: Gustav Adolf, Christ und Held, Rettete bei Breitenfeld
Glaubensfreiheit für die Welt.
Das ist die herrlichste Ernte, welche für uns aus Gustav Adolfs Kämpfen und Sterben erwachsen ist, er hat uns Glaubens freiheit erstritten. Das Netz ist zerrissen, mit dem man die protestantischen Völker wieder fangen wollte. „Der Herr, der
der Gottlosen Seile abgehauen." Ihr Evangelischen, die ihr euch eueres seligmachenden Glaubens freut, gerecht ist,
hat
der euch ohne menschliche Mittler durch das Vertrauen auf Christus allein mit euerem himmlischen Vater verbindet, ihr Protestanten,
die ihr das Recht empfangen habt, daß ihr in Glaubenssachen keinen Meister habt als Christus allein, ihr Gelehrten, die ihr euch der Freiheit euerer Wissenschaft freut, ihr Bürger, die ihr ein freies
Vaterland habt — alle ihr Menschen der protestantischen Welt, wie sie sich in Kirche, Schule, Staat, Kunst und Wissenschaft entfaltet hat, vergeßt heute, was euch scheidet, reicht einander die Hand und preist im dankbaren Aufblick zu Gott den Mann, der uns durch sein Kämpfen und Sterben die heiligsten Güter unseres Volkes ge-
335
Kaiser Wilhelm I.
rettet hat vor dem alten bösen Feind. dem erhabenen Bau,
der
eingeweiht
unter der
Ja, eine herrliche Ernte.
So frohlocke, du ganzes deutsches Volk: gedränget von meiner Jugend auf,
„Sie haben mich oft
so sage Israel,
oft gedränget von meiner Jugend auf; Übermacht.
Woche
die Einheit Deutschlands
worden ist, in welchem sich
Kaiserkrone darstellt.*)
Er hat auch mit gearbeitet an
verflossenen
der
in
sie haben mich
aber sie haben mich nicht
Die Pflüger haben auf meinem Rücken geackert, und
ihre Furchen lang gezogen.
Der Herr,
Gottlosen Seile abgehauen."
Amen.
der gerecht ist,
hat der
40.
Kaiser Wilhelm L (Zur Hundertjahrfeier.) Offenbarung Joh. 2, 10.
Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir
die Krone des Lebens geben.
Aolch ein Fest, wie das, welches wir mit diesem Gottesdienst
beginnen, ist ein Geschenk Gottes.
Ein Geschenk Gottes aber soll
man recht gebrauchen und genießen.
Deshalb wollen wir dieses Fest
uns durch nichts verkümmern lassen, weder durch die äußeren Wirren, noch durch peinliche Erscheinungen im Inneren unseres Volkslebens,
weder
durch
Klagen über die Gegenwart, noch
Sorgen um die Zukunft.
durch
ängstliche
Sondern dieses Fest soll dazu dienen,
daß sich unser Volk wieder einmal sammele und sich auf sich selbst und auf seine Mission besinne.
Diesen Zweck werden wir aber am besten erreichen, wenn wir in dem Wesen des verklärten Kaisers den eigentlichen Kernpunkt
zu finden suchen, das, was das Geheimniß seiner Erfolge war und ihn zu einem ausgezeichneten Herrscher
gemacht hat.
Stellt ihn
euch vor, wie ihr ihn gesehen habt in den großen Augenblicken
*) Das neue Reichstagsgebäude.
335
Kaiser Wilhelm I.
rettet hat vor dem alten bösen Feind. dem erhabenen Bau,
der
eingeweiht
unter der
Ja, eine herrliche Ernte.
So frohlocke, du ganzes deutsches Volk: gedränget von meiner Jugend auf,
„Sie haben mich oft
so sage Israel,
oft gedränget von meiner Jugend auf; Übermacht.
Woche
die Einheit Deutschlands
worden ist, in welchem sich
Kaiserkrone darstellt.*)
Er hat auch mit gearbeitet an
verflossenen
der
in
sie haben mich
aber sie haben mich nicht
Die Pflüger haben auf meinem Rücken geackert, und
ihre Furchen lang gezogen.
Der Herr,
Gottlosen Seile abgehauen."
Amen.
der gerecht ist,
hat der
40.
Kaiser Wilhelm L (Zur Hundertjahrfeier.) Offenbarung Joh. 2, 10.
Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir
die Krone des Lebens geben.
Aolch ein Fest, wie das, welches wir mit diesem Gottesdienst
beginnen, ist ein Geschenk Gottes.
Ein Geschenk Gottes aber soll
man recht gebrauchen und genießen.
Deshalb wollen wir dieses Fest
uns durch nichts verkümmern lassen, weder durch die äußeren Wirren, noch durch peinliche Erscheinungen im Inneren unseres Volkslebens,
weder
durch
Klagen über die Gegenwart, noch
Sorgen um die Zukunft.
durch
ängstliche
Sondern dieses Fest soll dazu dienen,
daß sich unser Volk wieder einmal sammele und sich auf sich selbst und auf seine Mission besinne.
Diesen Zweck werden wir aber am besten erreichen, wenn wir in dem Wesen des verklärten Kaisers den eigentlichen Kernpunkt
zu finden suchen, das, was das Geheimniß seiner Erfolge war und ihn zu einem ausgezeichneten Herrscher
gemacht hat.
Stellt ihn
euch vor, wie ihr ihn gesehen habt in den großen Augenblicken
*) Das neue Reichstagsgebäude.
336
Kaiser Wilhelm I.
seines Lebens, als er auszog, um mit Gott Thaten zu thun, oder
heimkehrte mit demüthigem Dank im Herzen als sieggekrönter Held, oder wie ihr ihn im Alltagsleben in den Straßen unserer Stadt
gesehen habt — so haften euere Blicke immer wieder vor Allem
auf einem Zuge in dem jedem Kinde so wohlbekannten Antlitz, nämlich seiner Treue, in welcher er demüthig Gott und seinem
Volke welche
der Menschen
die ihn groß gemacht hat,
gewonnen
erlangt hat,
er eine Krone
Kaiserkrone.
herzen.
Sie war es,
hat.
gedient
ihm die Herzen
die
sie war es, durch
hat;
die noch schöner ist als seine
Solche Treue aber ist das Werk Gottes im Menschen
bekommt unser Fest
Dadurch
das rechte Maaß.
keine Menschenvergötterung, sondern ein Fest
des Dankes
Es ist
gegen
Gott, der durch unseren ersten Kaiser so Großes an unserem Volke
gethan hat.
So wollen wir das Andenken Kaiser Wilhelms ehren,
indem wir unsere Gedanken um das Schriftwort sammeln:
Sei getreu bis an
den Tod,
so will ich
dir die Krone
des Lebens geben. Laßt uns betrachten die Treue, die ihn geleitet hat, und
die Krone, die er erlangt hat. 1.
Der hundertjährige Geburtstag
Jugendzeit des Kaisers zurück.
führt uns zunächst in die
Diese fiel in schwere Zeiten,
wie ja so oft nach Gottes Willen schwere Zeiten für solche Menschen,
denen in der Zukunft
gaben anvertraut werden sollen.
die Schule sind
ganz besondere Auf
Diese schwere Zeit des Zusammen
bruchs der preußischen Macht hat in dem Herzen des Knaben die
Keime der Tugenden und Kräfte entwickelt, welche den Charakter des Mannes,
des Greises
ziemlich Alles
verloren.
war geschlagen,
ausmachten.
Ein Heer,
Seine
Eltern
hatten so
das für unüberwindlich galt,
der preußische Staat, der Staat Friedrichs des
Großen, war vernichtet, und Viele hielten die Hoffnung auf seine
Wiederherstellung für einen wahnwitzigen Traum. Da setzten Friedrich Wilhelm III. und seine unvergeßliche Gemahlin, dieser Schutzengel des preußischen Volks in jener dunkeln Zeit, ihre Hoffnung auf Gott.
Hier finden wir die Quelle des unerschütterlichen, demüthigen
Gottvertrauens, mit welchem der Sohn dieser Eltern späterhin den
schwersten Entscheidungen entgegengesehn, in den heftigsten Stürmen
festgestanden
hat,
wenn
Alles
zusammenzubrechen
schien,
dieses
Kaiser Wilhelm I
337
Gottvertrauen, das seinem ganzen Wesen den ruhigen Ernst gab, die innere Sammlung,
dieses Gottvertrauen,
das ihn behütet hat
ebenso vor Uebermuth wie vor Niedergeschlagenheit. — Auf der Flucht nach Memel und während des dortigen Aufenthaltes waltete in dem
Leben der Königlichen Familie die allergrößte Einfachheit; Luxus,
aller
wie er in der früheren weichlichen Zeit aufgeschossen war,
war verbannt, und je weniger das äußere Leben zerstreuende Genüsse
brachte, uin so mehr sammelten sich alle Kräfte im inneren, sittlichen Leben.
Diese Einfachheit finden wir wieder in der Schlichtheit
des Kaisers, die wir immer ganz besonders an ihm verehrt haben,
diese Schlichtheit und Entsagungsfähigkeit, die er nicht nur als der greise Heerführer im Felde gezeigt und vielleicht mit größerer Ruhe
ausgeübt hat, als der einfache Feldsoldat, sondern die er auch zu Hause in seiner bürgerlich einfachen Lebensführung an den Tag gelegt hat. — Der Aufenthalt in Memel brachte die Prinzen in unmittelbare Berührung mit dem Volke, welches sich dort in rührender Treue
um seine Königsfamilie
schaarte.
schauen in des Volkes Herz,
Dort
lernte der Knabe
lernte das Gold erkennen,
im Herzen des Bauern und des Tagelöhners ruht.
hinein
das auch
Da sehen wir
schon vorgebildet das tiefe natürliche Verständniß, welches unser
Kaiser für des Volk gehabt hat, und Geringen
sich der Armen
und sein pflichttreues Bemühen,
anzunehmen.
Deshalb ist er nicht
am Volke verzweifelt, auch wo das Volk an ihm irre wurde. — In
jener Zeit, wo gerade die höheren Stände des preußischen Volkes ihre ganze sittliche Kraft verloren zu haben schienen, wo der Verrath die Thore der Festungen öffnete und die Feigheit die Waffen weg
warf, ehe noch der letzte Kampf gekämpft war, geschah etwas ganz Wunderbares.
Um den König
schaarte sich auf einmal, wie im
Augenblick aus der altpreußischen Erde hervorgewachsen, eine Reihe von mächtigen Charakteren, Männer von unüberwindlichem Glauben
an die Zukunft, von einem Gedankenreichthum, den die Noth der
Zeit in ihnen schuf, von einem stählernen Pflichtgefühl, von einer
alle Rücksichten verachtenden Hingebung an das arme zerschlagene Vaterland.
Sehen wir da nicht die Geburtsstätte der Pflichttreue,
welche unseren Kaiser begleitet hat durch sein ganzes Leben, der Pflicht treue, welche eigentlich seine Größe ausmacht, nicht das, was man
gewöhnlich
unter
Kirmß, Predigten.
Größe
versteht,
sondeni
die
sittliche
22
Größe,
Kaiser Wilhelm I.
338
welche allen äußerlich glänzenden Thaten erst ihren inneren sittlichen
Werth giebt?
So war jene schwere Zeit die Schule,
in
welcher
sich der
Charakter und der Wille des Knaben bildete, in welcher der Retter
der Zukunft
sich vorbereitete
das große Werk,
auf
das er nach
60 Jahren vollbringen sollte.
Lange Jahre hat er diese Kräfte in bescheidener Zurückhaltung, in ernster Arbeit an sich selbst gepflegt und fortgebildet.
In einem
Alter, wo sonst in dem Manne sich die erste Sehnsucht nach Ruhe regt, bestieg er den Thron seiner Väter.
Da begann die Arbeit,
da begann ein Leben, das wie ein Adlerflug war.
Und wie es bei
seinem Vater war, so standen um ihn, wie aus der Erde gewachsen, die großen Männer da, jeder an seinem Platz,
so daß man den
Eindruck hatte: Dieser Platz ist gerade für diesen Mann, und dieser
Mann ist gerade für diesen Platz, jeder an seinem Platz, der ritter liche Kronprinz, der tapfere Friedrich Karl, der kühl erwägende Moltkc, der energische Roon, und unter Allen der Mächtigste, der Staatsmann, der unser Staatsschiff sicher hindurchgesteuert hat durch eine ganze Reihe von Stürmen, von denen jeder einzelne stark genug
war, viele Andere zum Scheitern zu bringen.
Es war der stille
mächtige Einfluß Kaiser Wilhelms, daß alle diese Männer, jeder ein
Mann für sich, sich einmüthig mit rührender Verehrung um ihren Herrn schaarten und sich in ihrer Arbeit verzehrten. große Jahr der Entscheidung.
Da kam das
Selten hat ein Monarch mit solch
einem tiefen Gefühl der Verantwortung zum Schwert gegriffen, wie er,
zugleich aber auch fest entschlossen, diesen Krieg zum Heil des Vater landes durchzuführen.
Seine Treue war es, welche im deutschen
Volke von der Meeresküste bis zu den Bergen des Südens die alte
deutsche Treue wachrief, daß Alle, auch die bisher Getrennten, auf seinen Ruf tarnen.
Seine Treue war es, die das ganze Heer erfüllte
vom Feldherrn bis zu dem gemeinen Soldaten, auf schweren Märschen,
in den Schrecken der Schlacht, oder auf Posten in Schnee und Eis
während der stillen Wintcrnacht.
Unser Kaiser hat um sich her im
Felde wie im Frieden Viele gesehen, welche treu gewesen sind bis
in den Tod.
Es ist nicht zum wenigsten sein Wesen gewesen, was
unbewußt die Menschen durchdrang.
Hier sehen wir, was ein einziger
Mann vermag allein durch den unbewußten Einfluß seiner Person-
Kaiser Wilhelm I.
lichtest.
339
Das war seine eigentliche Herrschermacht, daß er nicht nur
von Außen regierte,
sondern daß er die Menschen innerlich leitete
und sie mit seiner eigenen Pflichttreue erfüllte.
Er war nicht nur
ein Herrscher, sondern auch ein Erzieher seines Volkes. als dann
die Frucht
reifte
und
Und
die deutschen Fürsten und das
deutsche Volk ihm im Herzen des feindlichen Landes im Angesicht anboten — denkt man
der belagerten Riesenstadt die Kaiserkrone
heute daran, so erscheint Einem Alles wie eine alte Heldensage — da war es wieder seine Treue, seine Treue gegen die altpreußische
Vergangenheit, die ihn nur zögenrd seine Hand ausstrecken ließ
nach dem von allen Deutschen heiß ersehnten Preise des blutigen
Kampfes.
Er
hat
auch
das einfach
als seine Pflicht
betrachtet.
Und als er dann über den deutschen Rhein zurückkehrte in das neue
Reich, und mit ihm der Friede, als ihm von Gott die Gnade zu
Theil ward, nach schweren Kriegsjahren sein Volk noch 17 Jahre in Frieden zu regieren — da sind wohl auch noch schwere Zeiten
gekommen.
Aber es war uns zu Muthe,
als ob, so lange dieses
ehrwürdige Haupt auf uns herniederschaute, unserem Vaterland nichts
Uebles widerfahren könne.
Und als der Tod mt ihn herantrat, als
er zum letzten Mal mit zitternder Hand seinen Namen schrieb, da
hat er das Sterben, das Scheiden als seine letzte Pflicht betrachtet, als seine Pflicht, in sich gesammelt, ernst, gewissenhaft, treu, als ein
erprobter Held in den Tod zu gehn.
Welch
eine Entwickelung,
welch
ein Steigen, ja,
welch ein
Adlerflug, vom Knaben, der einst mit seinen Eltern vor dem franzö
sischen Kaiser Versailles
flüchtete, bis hinauf zu
der Stunde, wo
ihm in
die deutsche Kaiserkrone auf das Haupt gesetzt wurde!
Durch welche Wandlungen der Zeiten ist er hindurchgegangen!
Er
hat aus allen Schicksalen seines Hauses und seines Volkes gelernt, hat in die Zeit sich geschickt, wie es die Pflicht gebot, ist mit der Zeit fortgeschritten- wo es ihm heilsam schien.
Wechsel der Zeiten ist er doch immer das nennt man Treue.
derselbe
Und in all diesem
geblieben.
Seht,
Die alte deutsche Treue, die von
den anderen Völkern so oft niedergetreten,
geknebelt worden ist,
hat in ihm unter dem Jubel des deutschen Volkes den Kaiserthron
bestiegen.
So klar, so ehrlich,
folgerichtig und konsequent, ehrwürdige 22*
340
Kaiser Wilhelm I.
Majestät mit menschlicher Schlichtheit gepaart, Rahe mit Entschlossen
das Gefühl von der Größe seiner Aufgabe und die Demuth,
heit,
weiter Blick und Sinn für das Einzelne, Naheliegende,
Adel der
Gesinnung und freundliche Leutseligkeit mit einander verbunden, ein
christlicher Herrscher, in dem wir das Wort
ächt
des Dichters
erfüllt sehen: Religion des Kreuzes, nur du vereinigst in Einem Kranze der Demuth und Kraft doppelte Palme zugleich.
Er hat nun eine Krone des Lebens empfangen.
2.
Menschen bringen sie ihm dar.
Schon
Unwillkürlich denken wir in diesen
festlichen Tagen an die schweren Märztage vor neun Jahren, als er
Ihr wißt, wie
heimging.
die Menschen unter den Linden sich
in langen großen Zügen
drängten,
sich langsam hin und her be
wegend, immer wieder hinblickend nach dem Fenster, von dein aus er so manchmal Volk gegrüßt
mit seinem
ehrwürdigen freundlichen Gesicht das
die Grüße des Volkes
und
entgegengenommen hat.
Es fain damals über unser Volk eine ähnliche Stimmung, wie im Kriegsjahr 1870.
Alle ohne Unterschied des Standes fühlten sich
mit einander verbunden
durch dieselben Empfindungen, Reiche und
Arme, Hohe und Niedere.
bindungen
knüpften sich
Eines Volkes.
Man
Mann eingedrungen
Verschlossene Herzen thaten sich auf, Ver
zwischen
konnte recht
Wesen
unter
als den Kindern
deutlich sehen, wie tief
war in das Herz
Macht er über die Gemüther hatte. Liebe zusammen,
den Menschen
dieser
seines Volkes, welch
eine
In jener Trauer faßte sich alle
die er sich mit seinem tapferen, schlichten, treuen
den Menschen erworben hatte.
Hauptstadt war, so
im ganzen Reich
bis ins
Und wie es in der
kleinste Dorf.
Ja
man kann sagen, daß auch die anderen Völker, die uns um diesen
Monarchen beneidet
hatten,
nun auch mit uns um ihn trauerten.
schon hat unser Volk
Damals
ihm trauernd
einen Kranz
des
Lebens auf das Haupt gesetzt.
Und
wie ist es nun heute?
Wenn unser jetziger Kaiser für
dieses Fest besondere Anordnungen getroffen und damit seinen Willen
an den Tag
gelegt
hat,
daß
es ein rechtes Volksfest werde,
so
stimmt dieser Wille durchaus überein mit dem Willen unseres Volkes
selbst.
In dieses Fest legt unser Volk wirklich sein dankbares Herz.
Die Kinder in den Schulen heben ihre Augen
empor zu dem ver-
Kaiser Wilhelm I. klärten Bilde des Mannes, sehen haben,
341
den sie vielleicht nie von Angesicht ge
der ihnen aber doch so vertraut ist,
als wäre er ihr
Die Glocken der Kirchen läuten durch die deutschen Länder,
Vater.
vom Norden bis zum Süden, und wenn auch jetzt Passionszeit ist, in welcher sonst alle Gedanken sich sammeln um den König der Kö
nige mit der Dornenkrone, heute können wir doch Alle nicht anders, als Hinblicken
der auch ein treuer Jünger des
auf unseren Kaiser,
Gekreuzigten gewesen ist.
Die Menschen aller Confessionen vereinigen
sich in der Erinnerung an den Monarchen, der so fest und entschieden
Die deutschen Fürsten kommen zu
in seinem Glauben gewesen ist.
sammen und huldigeri dem Andenken ihres Patriarchen, der wie selten
dem monarchischen Gedanken Gewalt und Kraft gegeben
ein Fürst
Im Anblick der alten Fahnen, die unser Kaiser von Sieg zu
hat.
Sieg geführt hat, feiert unser Heer das Andenken des alten tapferen Wissenschaft und Kunst, Handel und Gewerbe vereinigen
Helden.
sich in dem Andenken des Herrschers, der ihnen Allen Segen gebracht
hat.
Wo Deutsche wohnen
auf der weiten Erde, da wird dieses
Fest gefeiert, unter den Palmen Afrikas, in den Riesenstädten Ame
rikas bis in die einsame Farm im fernsten Westen.
von Neuem,
was wir besitzen an dem großen
welches wir ihm verdanken.
So reicht ihm
Wir Alle fühlen
geeinten Vaterland,
unser Volk heute von
Neuem die Krone des Lebens dar.
So
wird
es sein,
so lange es Deutsche giebt.
schreiber werden seine großen Thaten
beschreiben.
singen, Künstler sein Bild der Nachwelt zeigen.
Geschichts
Dichter ihn be
Das Denkmal, das
tnorgen enthüllt werden soll, wird den kommenden Geschlechtern er zählen
von der großen Zeit unter Kaiser Wilhelm I.
Aber herr
licher als alle diese Denkmäler ist das Denkmal, welches unser Kaiser
besitzt in der Liebe seines Volkes.
Kriegsthaten verblassen allmählich
in der Erinnerung der Menschen.
An den Denkmälern, welche an
die Schlachten Kaiser Wilhelms erinnern, werden vielleicht einst die Menschen vorübergehen ohne die Empfindungen, welche Geschlecht
der Gegenwart bewegen.
Aber daß
das ältere
unser alter Kaiser
unserem Volke Treue entgegengebracht und gehalten hat, das
wird nicht vergessen werden, so lange Liebe und Treue in Deutsch land
nicht
ausgestorben sind.
Unser Volk
Lebens auf das Haupt seines ersten Kaisers.
setzt eine Krone des
Kaiser Wilhelm I.
342 Und Gott hat ihm
eine Krone des Lebens
gegeben.
Denn
Gott hat ihn, wie unser heutiger Psalm*) sagt, zum Segen gesetzt. Es ist kein kalter Ruhm, der sein Haupt umgiebt, sondern ein heller
warmer Schein
geht von ihm
aus, der die Herzen der Menschen
Sein Leben war nicht nur
durchdringt.
wie ein helles Licht,
das
von den Menschen angestaunt eine Weile leuchtet, dann aber verlischt,
so daß Niemand mehr
danach frägt und nur noch die Geschichts
bücher davon erzählen; sondern sein Name leuchtet hell und freund lich weiter in dein Herzen des Volkes.
Er ist nicht nur ein berühmter
Mann gewesen, dessen Wirkung aufhört mit dem Ende seiner Epoche; sondern in ihm tritt das rein Menschliche und Christliche, allen Zeiten gilt,
dächtniß gesetzt.
sein Zeitalter weit überdauert.
Gott hat ihn zum Segen
Er hat ihm die Krone des Lebens gegeben.
Als ein Mahner
Zeiten.
das zu
so hell hervor, daß sein segnend wirkendes Ge
steht er vor unserem Volke für kommende
Um sein Denkmal liegen mächtige Löwen, welche Feldzeichen
festhalten, daß sie der Feind nicht entreiße.
Der alte Held mahnt
für alle Zeiten: „Halte fest, du deutsches Volk, nicht nur deine Feld
zeichen, deinen Kriegsruhm, die theuer erkauften Reichslande mit ihren Festungen, die uns nach Westen schützen,
sondern halte vor Allem
fest das theuere Gut des geeinten Vaterlandes. tracht nicht wieder die Oberhand gewinnen."
Laß die alte Zwie
Alle deutschen Stämme,
jeder in seiner Eigenart, sollen zusammen arbeiten an deutscher Cul tur und Gesittung.
Ueber allen Unterschieden von Nord und Süd,
über allen Unterschieden der Parteien steht die Treue zu Kaiser und
Reich.
Halten, festhalten, das ist zum Mindesten ebenso schwer, als
Zum Erobern gehört Muth und Tapferkeit, zum Festhalten
erobern.
gehört Treue und Geduld.
halte fest.
helfen.
Was du hast, du deutsches Volk, das
Dabei wird dir das Gedächtniß Kaiser Wilhelms mit
Ja,
wenn gute
glückliche Zeiten für unser Volk kommen
werden, dann wird es zu seinem verklärten Bild aufschauen als zu seinem guten Geist;
wenn schwere Zeiten kommen, wird es zu ihm
aufblicken als zu seinem Schutzgeist.
Durch die dunkeln Wolken der
inneren Verwirrungen, der kräftigen Irrthümer, mit denen unser Volk zu kämpfen hat, wird immer wieder sein freundliches Bild hindurch-
*) Psalm 21.
Kaiser Wilhelm I.
leuchten.
343
Zu ihm werden die deutschen Knaben emporblicken,
daß
sie von ihm lernen, ihr großes deutsches Vaterland zu lieben, daß sie von ihm lernen, wie süß es ist, für das Vaterland zu leben und zu sterben, und schlicht und treu deutsche Art zu wahren.
Zu ihm
werden die deutschen Männer emporsehen und lernen, Gott vertrauen, kraftvoll und demüthig zugleich sich in den Dienst ihrer Pflicht zu stellen.
Zu ihm werden die deutschen Frauen emporsehen und lernen,
daß Schlichtheit und Einfachheit und werkthätige Frömmigkeit des
deutschen Hauses schönste Zierde ist, und werden ihren Kindern er zählen vom Kaiser Wilhelm und seinen Helden.
Und sollte unser
Volk wieder einmal, was Gott verhüte, zum Schwerte greifen müssen,
dann wird den Kämpfern sein, als zöge ihnen der Geist des alten
Kaisers voran.
Ja Gott hat ihn zum Segen gesetzt und hat ihm
langes Leben gegeben, weit
hinaus über die 91 Jahre seines
Alters, ein Leben in dem Herzen seines Volkes. Gott segne dich,
deutsches Reich!
du deutsches Volk.
Gott schütze
dich,
du
Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die
Krone des Lebens geben.
Amen.
Druck von E. Buchbinder in Neu-Ruppin.