Predigten in der Neuen Kirche zu Berlin [Reprint 2021 ed.] 9783112395707, 9783112395691


226 35 24MB

German Pages 351 [374] Year 1898

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Predigten in der Neuen Kirche zu Berlin [Reprint 2021 ed.]
 9783112395707, 9783112395691

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

p. Rirmß

predigten.

predigten in der

Neuen Airche zu Berlin gehalten von

Lic. Dr. p. Rirmß, Pfarrer.

Berlin.

Verlag von Georg Reimer. 1898.

Der

Gemeinde der Neuen Airche zu Berlin in

Dankbarkeit und Treue gewidmet.

Inhaltsverzeichnis

1. 1.

Aus der Festzeit.

Evang. Joh. 8, 12.

Das Licht der Welt.

2. Laßt uns nach Bethlehem gehen.

Luc. 2, 15—20.

3. Die Sünde wider denheiligen Geist.

4.

Enges Gewissen und weites Herz.

gpite

(Advent).............................. (Weihnachten) .

1

10

.

Matth. 12, 31......................................19

Luc. 11, 23 und Marc. 9, 40 .

.

26

5. Die geistige Kraft Jesu. Joh. 12, 20—26. (Passionszeit)..........................35 6. Der Tod Jesu. Marc. 15, 33—41. (Charfreitag) ....... 44 7. Die Auferstehung Jesu.

Ap.-Gesch. 2, 32.

(Ostern)..................................... 53

Ev. Joh. 21, 15—17................................................63

8. Die Liebe zu Christus.

9. Jugend und Alter. Ev. Joh. 21, 18. 19 ............................................. 71 10. Die Hütte Gottes bei den Wrenschen. Offenb. 21, 3. (Pfingsten) . . 80

2.

Die zehn Gebote.

2. Mos. 20, 2. 3..........................................................88

11. Der Glaube an Gott.

12. Der Name Gottes. 2. Mos. 20, 7..................................................................... 96 13. Der Tag Gottes. 2. Mos. 20, 8................................................................... 104 14. Eltern und Kinder.

2. Mos. 20, 12............................................................. 113

15. Die Heiligkeit des Lebens.

2. Mos. 20,13..................................................... 120

16. Die Heiligkeit desHauses und des Herzens.

2. Mos. 20, 14

.

.

.

128

17. Der irdische Besitz.

2. Mos. 20, 15............................................................... 137

18. Der gute Name.

2. Mos. 20, 16................................................................. 146

19. Der Quell der Sünde; Strafe und Lohn.

2. Mos. 20, 17. 5. 6.

(Am

Buß- und Bettag).....................................................................................................154 3.

20. Die geistlich Armen. 21. Die Leidtragenden.

Die Seligpreisungen.

Matth. 5, 3.................................................................... 164 Matth. 5, 4.

(Todtensonntag)........................................ 171

22.

Die Sanftmüthigen. Matth. 5, 5.................................................................... 179 23. Die Hungernden und die Verfolgten.Matth. 5, 6.10. (Reformationsfest) 188 24. Die Barmherzigen. 25. Die reinen Herzen. 26. Die Friedfertigen.

Matth. 5, 7. (Erntedankfest)......................................... 196 Matth. 5, 8......................................................................... 204

Matth. 5, 9......................................................................... 211

VIII

Jnhaltsverzeichniß. 4.

Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.

27. Die Wanderung in die Fremde. 28. Die Heimkehr.

29. Die Aufnahme im Vaterhaus. 5.

Luc. 15, 11—16.......................................218

Luc. 15, 17—21........................................................................ 228 Luc. 15, 22—32

..................................

237

Aus dem Leben Jesu.

30. Das Auftreten Jesu in Galiläa.

31. Die Berufung der Jünger.

Luc. 4, 14. 15.............................. 246

Matth. 9, 9—13....................................255

32. Ein Tag und ein Abend aus bem Leben Jesu.

33. Das Messiasbekenntniß.

Matth. 14, 22. 23

.

264

Matth. 16, 13—20 .............................................

272

34. Der Gang Jesu nach Jerusalem. Matth. 20, 18—19 ....................... 281 35. Der Gang der Jünger mit Jesus. Joh. 11, 16.............................. 289 36. Der Kampf Gottes mit den Menschen.

37. Die letzte Entscheidung. 6.

Matth. 23, 34—39....

Matth. 27, 15-26 .............................................

299 309

Prote st antische Helden.

38. Martin Luther. 1. Joh. 5, 4.......................................................................... 317 39. Gustav Adolf. Psalm 129, 1—4 326 40. Kaiser Wilhelm I.

Offenb. Joh. 2, 10........................................................335

1.

Das Licht der Welt. (Advent.) Ev. Joh. 8, 12.

nicht

wird

Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, der

wandeln in Finsterniß,

sondern

wird

das Licht

des

Lebens haben.

was das Sonnenlicht in der sichtbaren

Welt ist, das ist

das geistige Licht, das von Jesus ausgeht, für unsere innere Welt. Das Licht ist eine der Hauptbedingungen des Lebens.

Gott schuf

zuerst das Licht, dann erst ordneten sich die Elemente, Himmel und

Erde, Land und Wasser schieden sich von einander, die Pflanzen

wuchsen, und Thiere und Menschen belebten die Erde. heute.

noch

So ist es

Wenn die Sonne aufgeht, erwacht das Leben.

Die

Thiere kommen aus ihren Höhlen, die Vögel singen, der Mensch

geht an seine Arbeit.

Wo Licht ist, da ist Leben.

Deshalb sehnt sich alle Creatur nach dem Lichte. ihre Augen nach Osten,

kommt das Leben.

begrüßt mit dem

den

müden Körper

nach Sonnenaufgang.

bricht,

daß

Sie wendet vom Lichte

Wer die Nacht in Kummer schlaflos zugebracht,

dämmernden Morgenlicht neues Leben.

Durch

des Kranken zieht es wie ein neues Lebens­

gefühl, wenn in seinem Zimmer Wand spielt.

Denn

Wenn sich

ein heller Sonnenstrahl

an der

heute der Grundsatz immer mehr Bahn

man die Wohnungen der

Menschen und

die

engen

Straßen der Städte dem Lichte möglichst zugänglich machen müßte, so liegt diesem Bestreben die Erkenntniß zu Grunde, daß das Licht eine Grundbedingung des Lebens ist.

Wenn am Morgen das Licht

kommt, schließen sich die Augen auf.

Wenn das Licht am Abend

verschwunden ist, schließen

sich die Augen zu.

Wo Licht ist, da

ist Leben.

Wo

geistiges

Licht ist,

da ist

auch

geistiges Leben.

empören uns über Menschen, welche Freunde Kirmß, Predigten.

Wir

der Finsterniß sind 1

Das Licht der Welt.

2

und danach streben, daß die Menschen alle in der Finsterniß, im Wahn,

im Aberglauben bleiben möchten; und wir verehren die Menschen, die für das Licht kämpfen in Kirche und Welt, in Glaube und Wissenschaft, die im Stande wären, ihr Blut einzusetzen,

damit es um sie her

in den Köpfen und Herzen der Menschen etwas heller werde.

betrachten jene

Feinde

des Lichtes

Wir

als die Diener des geistigen

Todes, der sich thatsächlich unter ihrer Herrschaft auf ganze Länder

gelegt hat.

Wir betrachten die Boten des Lichts als die Bringer Denn Licht ist Leben.

des Lebens.

Es giebt eine Sehnsucht nach Licht, welche in allen Ländern,

in allen Völkern wohnt;

draußen bei den Heiden,

Blut von Menschenopfern

fließt, wo trotz

des

wo noch das

heißen Welttheils

der Mensch noch in den kühlen Schatten des Todes sitzt; aber auch

bei uns an mancher dunkeln Stätte, wo der Mensch Gott verloren hat und doch noch ein edleres Gefühl nach etwas Höherem sucht,

und

in manchem dunkeln Kämmerlein, wo eine Menschenseele mit

ihrem Schicksal ringt. All dieser Sehnsucht nach Licht, die sich ausbreitet

über die weite Erde, ruft Jesus zu: „Ich bin das Licht der Welt." Das laßt heute unsere Betrachtung sein: Jesus das Licht der Welt.

1.

Was das heißt.

Welt brauchen.

1.

3.

2.

Wie nöthig wir dieses Licht der

Wie es uns zu Theil wird.

Es liegt ein tiefer Sinn in den freundlichen Bildern und

Erzählungen,

welche die Geburtsstunde des Herrn umgeben.

Klarheit des Herrn

umleuchtet

die Menschen.

fließen aus dem geöffneten Himmel zur Erde herab.

gestalten der Engel schweben zur Erde nieder.

Die

Ströme von Licht

Die Licht­

Am Himmel geht

der Stern auf, der den Menschen in weiter Ferne die Geburt des

Weltheilands anzeigt und sie führt bis nach Bethlehem.

Erzählungen drücken den Einen Gedanken aus: ist gekommen.

An Jesus ist Alles Licht.

Seine Rede ist klar wie

der Thautropfen, der vom Himmel gefallen ist.

rein wie das Licht der Sonne.

Alle diese

Das Licht der Welt

Sein Wandel ist

Sein Herz ist rein, wie der klare

Wasserspiegel, in welchem sich bei Tage der blaue Himmel und des

Nachts das gestirnte Firmament spiegelt.

Und wenn wir fragen,

worin dieses Licht bestehe, so können wir darauf keine andere Ant­

wort geben, als die allbekannte:

Gottes Treue, Gottes väterliches

3

DaS Licht der Welt.

Erbarmen, die suchende Sünderliebe Gottes und die erlösende Wahr­ heit, welche in Gott wohnt, — alle diese heiligen Kräfte Gottes treten uns in dem Menschenleben Jesu in menschlicher Form nahe,

ganz nahe, mitten unter uns.

Deshalb weil Gott in Christo war,

deshalb ist er das Licht der ganzen Welt.

Welch ein Licht geht von ihm aus! dunkel unser Ausgang.

Dunkel ist unser Ursprung,

Jesus hat uns diese dunkeln Fragen gelöst

durch die einfachste Antwort:

Wir kommen von Gott und gehen zu

Gott. Dunkel ist uns der Ursprung dieser Welt, und keine Wissenschaft, auch wenn sie in den Tiefen des Meeres wandelt und die Höhen des Himmels durchforscht, ist im Stande, uns zu sagen, wie das

Alles entstanden sei.

Jesus giebt uns die Antwort, daß das Alles

nicht aus einer blinden Naturkraft hervorgegangen ist, um sich bald wieder zu verzehren int Kreislauf der Dinge, sondern hinter diesem

Naturleben, hinter diesem Spiel natürlicher Kräfte wohnt der Vater des Lichts,

und in dem wildeit Kampf der Weltkräfte sehen wir

Gottes ewige Gedanken, die durch Kampf und Sturm, ihrer Ver­ wirklichung entgegengehen.

Dunkel ist uns die Macht des Geschicks;

oft möchten wir stehen bleiben auf unserm Lebensweg, möchten sinnen

und fragen:

Warum sind die Wege der Menschen so wunderbar?

Jesus zeigt uns da, wo unsere Augen nur das eherne Gesetz des Geschicks oder

einen blinden Zufall sehen, die ewige Treue, welche

auch die Haare auf unserem Haupte gezählt hat, die gewaltige Hand,

welche uns führte, wie der Hirt das verirrte Schaf, bis wir dahin gelangen, daß wir sprechen: Er hat Alles wohl gemacht.

Dunkel

ist uns unser eigenes Innere, diese räthselvolle Welt, in welcher

Gedanken, Entschlüsse, Hoffnungen, Furcht, Liebe, Abscheu, Freund­ schaft, Haß, in welcher alle diese Kräfte aufsteigen und durch ein­ ander wogen und uns hin- und herziehen,

woher sie kommen und wohin sie gehen.

und wir wissen nicht,

Jesus zeigt uns in diesem

Gewirr und Gewoge unseres inneren Lebens den festen Mittelpunkt, und deutet uns das tiefste Bedürfen unserer Seele, ihre Sehnsucht

hinauf zu Gott, zur Gnade Gottes, welche Sünden vergiebt, nach

dem Reiche Gottes,

welches Jesus

bringt,

nach

dem

lebendigen

Wasser, nach dessen Genuß uns nicht mehr dürstet, nach dem Wein, der nicht ausgeht, wie der Wein dieser Erde.

Hell werden uns die

Wege der Erde, auch die Wege durchs dunkle Thal der Trübsal.

1*

4

DaS Licht der Welt.

Denn seitdem er ihn gegangen ist, ist ein Schein des Lichtes auf

demselben zurückgeblieben.

Hell sind uns geworden die Scheide­

wege, wo Menschen sich trennen; denn durch Jesus sehen wir über uns die himmlischen Höhen, wo diese Wege wieder zusammenkommen. Hell ist auch der Todesweg geworden, denn er führt zum Vater.

„Ich bin das Licht der Welt." Hell ist uns der Himmel geworden;

denn

dort wohnt der

Vater im ewigen Lichte, der seine Kinder um sich sammelt.

uns unser Inneres geworden.

Hell ist

Denn in uns wohnt ein Kind Gottes,

das geschaffen ist für eine Welt des Lichts.

Hell ist uns die Welt

um uns her geworden, ein Vaterhaus, in welchem überall der Vater

bei uns ist, und um uns her Brüder und Schwestern. „Ich bin das Licht der Welt." Sterne gegen dieses Licht!

sich für uns

hingegeben

Was sind Sonne, Mond und

Dieses Gotteskind, der Gottessohn, der

hat, um uns

von Sünde und Tod

erlösen, ist herrlicher als alles irdische Licht.

zu

Als Jesus am Kreuze

starb, verlor die Sonne am Himmel ihren Schein.

Denn was ist

ihr Glanz gegen diese Herrlichkeit des sterbenden Christus!

Er ist

das Licht der Welt, das wahre, wirkliche Licht, der Mittelpunkt und

Ausgangspunkt alles wahren Lichtes.

Gewiß freuen wir uns auch an dem Lichte der Wissenschaft. Wer es vergeht für uns.

Schuld auf deiner Seele,

Drückt dich ein Kummer, hast du eine klopft der Tod an dein Haus,

so hilft

dir alle Wissenschaft nichts; du wendest dich zu dem, der spricht: „Ich bin das Licht der Welt."

auch für die Welt.

Das Licht der Wissenschaft vergeht

Was die Menschen einst in der wissenschaft­

lichen Forschung als Licht und Wahrheit bewundert haben, ist für

unsere Zeitgenossen überwunden, veraltet, ist Finsterniß geworden;

alles was wir als Licht

preisen,

als höchste Blüthe menschlicher

Forschung und Erkenntniß, wird einst für die Menschen Finsterniß

sein.

Aber wenn alle Weisheit der Weisen, wenn alle Sprüche der

Dichter und Denker vergangen sein werden, dann bleibt Jesus das Licht der Welt. 2. WirbrauchendiesesLicht. In unserem Text heißt es: „Wer

mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsterniß." Ohne das Licht Christi aber ist viel Finsterniß in der Welt.

wir Beweise dafür?

Brauchen

Laßt euch nur auf einige Beispiele Hinweisen.

6

Das Licht der Welt.

Es ist für uns etwas Selbstverständliches, daß die menschliche Gesellschaft sich der Kranken ganz besonders annimmt; unsere Zeit ist groß in neuen Einrichtungen, welche der Pflege der Kranken zu

gute kommen. Haltet ihr es für möglich, daß im Alterthum, auch im jüdischen Volke arme Kranke, Aussätzige, oder sogenannte Besessene, fallsüchtige, tobsüchtige Menschen aus der Gemeinschaft der Menschen ausgestoßen wurden hinaus in die Wildniß? Ist das nicht Finster­

Es ist uns etwas Selbstverständliches, daß uns unsere Kinder das Theuerste auf Erden sind, und die Eltern würden uns unnatür­

niß?

lich, entmenscht, ihres Elternamtes unwerth erscheinen, welche, auch wenn sie eine noch so große Mühe aufbieten müßten, um eine zahl­ reiche Familie zu ernähren, auch nur ein einziges ihrer Kinder missen möchten. Können wir es uns denken, daß es in dieser unserer Zeit noch Völker giebt, wie z. B. die Chinesen, bei denen es als etwas Erlaubtes gilt, daß Eltern, wenn es ihnen Mühe macht, ein Kind zu ernähren, es aussetzen? Ist das nicht Finsterniß? Uns ist es selbstverständlich, daß man dem Ewigen durch Liebe zu den Menschen dient; ist es euch da glaublich, daß es Völker giebt, welche ihre Götter durch Menschenopfer zu ehren glauben? Und doch giebt es solche. Ist das nicht Finsterniß? Wir meinen, Religion mache den fröhlich, muthig, zuversichtlich. Könnt ihr euch da denken, daß es Völker giebt, deren ganze Religion ein Quell steter Furcht und Angst ist, weil sie nichts wissen von einer gütigen Macht,

Menschen

sondern

nur von einem zahllosen Heer von Teufeln, welche die

Menschen ängstigen und quälen?

Ist das nicht Finsterniß?

Oder

denkt an Zeiten im christlichen Europa, in denen man meinte, Christum dadurch zu ehren, daß man die Ketzer verfolgte, ihre Städte und Dörfer zerstörte, daß man Hexen verbrannte! Denkt an die Blut­ ströme, die der Fanatismus in den Religionskriegen vergossen hat.

Ist das nicht Finsterniß? Doch wir brauchen gar nicht so weit zu gehen.

Auch in

unserem Leben ist Finsterniß. Wir denken dabei nicht an äußere Trübsal. Wenn man in der Noth einen Zugang zu Gott hat, wenn man durch dunkle Zeiten

geht

im Vertrauen zu Gott, in Er­

gebung, mit dem Gebet um seinen Frieden, da sind Trübsalszeiten keine finsteren Zeiten. Leidtragende können selig sein, innerlich viel

froher und reicher, als Menschen im Glanze des Glücks, die in sich

6

DaS Licht der Welt.

Gott nicht haben.

Wandeln in Finsterniß, das ist etwas Anderes.

Du wanderst dann in Finsterniß, wenn du Gott nicht mehr hast.

Dein Glaube ist gestorben.

Es ist dir zu Muthe, als wäre Gott

Er lebt nicht mehr für dich.

gestorben.

von seiner beseligenden Nähe.

Glaube

an

gestorben.

dich,

Du fühlst nichts- mehr

Mit dem Glauben an Gott ist der

an deine Bestimmung,

an deinen hohen Beruf

Du fühlst dich wie ein welker Halm, dessen Wurzeln ab­

gestorben sind, so daß ihm weder Regen noch Thau noch Sonnen­ schein mehr etwas nützt.

Dann stirbt auch so leicht die Liebe.

fühlst dich losgelöst von den Menschen. viele sogar zuwider.

Du

Sie sind dir gleichgilttg,

Ob sie gut oder schlecht sind, ist dir einerlei;

du bettachtest menschliche Güte und Größe und

inenschliche Ver­

worfenheit und Gemeinheit mit demselben abgestumpften Sinne.

Ob

dein Volk vorwärts schreitet oder zurückgeht, dich kümmert es nicht. Das göttliche Licht im Menschen ist dir erloschen, die ganze Menschen­

welt jämmerlich, das ganze Menschenleben ein sinnloses Treiben. Dann stirbt auch die Hoffnung. Die Zukunft liegt vor dir wie die öde Haide,

über der die Nebel wallen. Du siehst in der Zukunft nur den Tod und sehnst dich nach ihm, nicht als nach dem Engel Gottes, der dich zum

Frieden Gottes trägt, sondern nur nach dem Tode, der dir ein Grab

gräbt, in dem du schlafen willst den Schlaf der Vernichtung fern vom

Lande der Lebendigen. Guten.

Dann stirbt in dir auch der Wille zum

Du hast nicht nur keine Kraft zum Guten, du hast auch

keinen Willen zum Guten.

Kraftlos versinkst du im Strudel eines

äußerlichen Genußlebens, willst in der Betäubung dich selbst ver­ gessen, und findest doch dich selbst immer wieder, dein leeres ödes

Selbst.

Am schlimmsten ist es aber doch bei denen, die in Finsterniß

wallen und wissen es nicht, die durch ein Leben gehen, das äußer­

lich scheinbar lauter Sonnenschein ist, aber in ihnen Finsterniß, und

sie wissen es nicht.

Sie sind nach dem Worte Jesu wie die über­

tünchten Gräber, nach außen schön, glatt, aber im Innern der Tod.

Reisende erzählen von einer großen Höhle unter der Erde, da ist ein See, und in dem See Fische. Nie ist ein Lichtstrahl hinabgedrungen in diese ewige Finsterniß.

Diese Fische haben kein Sehvermögen,

sie wissen nicht, was sehen heißt, was Licht ist.

So giebt es Menschen,

die wandeln in der Finsterniß und wissen es nicht.

Licht ist, ist Leben.

Wir sahen: Wo

Wir sehen hier, wo Finsterniß ist, da ist Tod.

7

Das Licht der Welt.

Wir

3.

haben das Licht nöthig.

in der Finsterniß.

Sonst enden unsere Wege

Wie, können wir das Licht uns aneignen?

Das Licht Jesu ist heute unter uns in seinem Wort, vor allem aber auch in seinen Zeugen, in den Menschen, die von ihm erfüllt, durch

ihr ganzes Leben Zeugniß geben von ihm.

Dieses Licht Jesu zieht

Wie das Licht der Erde die Keime aus der Erde

uns mächtig an.

zieht, die Blumen anzieht, daß sie ihre Kelche dem Lichte zuwenden,

wie unwillkürlich der Mensch mit seinen Augen immer wieder das Licht sucht, so übt das Licht Jesu eine wuilderbare Anziehungskraft auf den Menschen aus, eine Anziehungskraft, die so weit reicht, wie

Menschen wohnen.

Wenn

ein Wanderer

sich Nachts

im Walde

verirrt hat und er sieht auf einmal in der Ferne ein Licht, wenn ein Schiffer des Nachts die Richtung verloren hat und er sieht in

der Ferne das Licht des rettenden Hafens, wie jubelt da seine Seele auf!

So hat es Gott uns Menschen bereitet, die wir in der Finster­ Wir sehen ein Licht, wir hören eine Stimme

niß der Erde wandern. mächtig

klingen

durch

die Nacht der Zeiten:

Ich bin das Licht

der Welt.

Wenn der Verirrte ein Licht sieht, dann denkt er nicht darüber nach:

Wie mag dieses Licht entstanden sein?

das Licht zu. wir nicht

Sondern er eilt auf

Wenn wir das Licht Jesu Christi sehen, so sollen

darüber grübeln,

wie ist es entstanden?

Sondern wir

müssen etwas thun, hingehen, Jesus dem Lichtträger nachfolgen.

Dann können wir sein Licht empfangen.

Folge ihm nach!

Das

klingt leicht, und fordert doch unsere gmrze Kraft, unsere ganze Zeit,

den ganzen Menschen, nicht nur einzelne Sonntagsstunden, sondern vor allem die Werkeltage, nicht nur Empfindungen, fromme Gefühle,

sondern auch den Willen.

Die Nachfolge Jesu ist eine Arbeit, die

wir thun müssen, wo wir auch sein mögen, wie auch unsere Lage

sei.

Und ferner:

Die Nachfolge Jesu ist eine Arbeit im Kleinen.

So groß Jesus im Geiste war, Himmel und Erde umspannend, so

sehr er auch ins Große gearbeitet hat, die ganze Menschheit hinauf­ zuheben zu Gott und

zu einem Bruderbund

Nachfolge ist doch Arbeit im Kleinen.

zu machen — seine

Denn wir leben nun ein­

mal auf Erden, jeder an einem engumgrenzten Platz, mit kleinen Pflichten

und

Aufgaben.

Ein

Stück

Brod,

einem

Hungernden

gegeben, ein fiischer Trunk, mit dem ein Dürstender erquickt wird.

8

Das Licht der Welt.

ein vergebendes Wort, das zu dem Beleidiger gesprochen wird, die

Sammlung der Kraft zu der Erfüllung einer ganz kleinen Pflicht — das sind die Dinge, aus denen sich die Nachfolge Jesu zusammen­ setzt. Und weiter: Die Nachfolge Jesu verlangt unbedingtes Ver­ trauen. Denke dir, es tritt ein Mensch zu dir und sagt dir: folge mir nach, und du folgst ihm. Immer schmaler, steiler und beschwer­

licher wird der Weg. Du möchtest gern manchmal ausruhen, sitzen, träumen, Umschau halten. Aber der Führer sagt: Komm, geh weiter, weiter den Weg der Pflicht Schritt für Schritt. Auf einmal thut sich ein Abgrund vor dir auf, neben dem ein ganz schmaler Pfad hinführt, der noch dazu öfters von Felsen versperrt ist. Dein Führer fragt dich: Willst du mir auch hier nachfolgen? Du antwortest: Auch hier. Denn ich vertraue dir. Dann führt der Weg wieder ganz steil hinab in eine dunkle Schlucht, so dunkel, daß du nicht siehst, wohin du kommst, und unter dir rauschen unsichtbar wilde Wasser. Und dein Führer fragt: Willst du auch hier mir folgen? Und du antwortest: Auch hier; denn ich vertraue dir! Das heißt: Jesu nachfolgen. Dazu gehört der ganze Mensch, jeder Augen­ blick, das ganze Vertrauen. So sollst du das Licht des Lebens haben. Thue, was er sagt; gehe den Weg, den er vorangeht, Schritt für Schritt; lebe dein Leben, wie er sein Leben dir vorgelebt hat; dann wird es hell

Zwinge dich in seinen Dienst. Tritt aus dir selbst heraus, öffne dein Herz den Menschen, deiner Gemeinde, deinem Volk und Vaterland, dem Reiche Gottes auf Erden. Dann wird es dir sein, als wenn du im Frühling nach langer Mnterhaft das Fenster öffnetest, daß Frühlingsluft und Frühlingslicht in deine Woh­ nung strömt. So weit und hell wird dir dein Herz werden. Vervor dir werden.

gieb den Menschen, wie Jesus es dir zeigt, nicht nur einmal, son­ dern laß die Stimmung und Gesinnung des Vergebens in dir blei­ bend sein. Dann treibt dich dein Herz zur vergebenden Gnade Gottes hin und es wird dir immer leicht werden, diesen Weg zu gehen, und es wird hell in dir werden vom Frieden Gottes. Tritt ein in den neuen Bund, den Jesus zwischen den Menschen und Gott

geschlossen hat; werde Gottes Kind, wie Jesus Gottes Sohn war,

und gieb dein Leben, deine Zukunft, deine Sorgen und Freuden, dein Haus und die Deinen in Gottes Hand. Du wirst sehen, wie

9

DaS Licht der Welt.

hell es in dir wird von Vertrauen und Zuversicht.

Sei dankbar

Wie hell wird da deine Vergangen­ heit, trotz manches sauren Ganges; und wie friedevoll siehst du gegen Gott, wie es Jesus war.

dann hinaus in die Zukunft. Lebe in Glauben, in Liebe und Treue, lebe ewiges, wirkliches Leben, dann wird auch die Finster­ niß des Todes aus deinem Leben weichen und aus dem geöff­ neten Himmel strömt das Licht des ewigen Lebens in deine Seele.

„Wer

wandeln." Noch mehr:

mir

nachfolgt,

wird

nicht

im

Finstern

Du wirst auch das Licht des Lebens in dir

haben. Du nimmst es überall mit hin. Je dunkler es um dich her ist, um so heller wird es in dir; je schwerer deine Last, um so stärker die Kraft der Ergebung; je ermüdender die Aufgaben, um so fester die Geduld; je mehr du Haß erfährst, um so treuer wird deine Liebe; je mehr du von der Welt verlassen wirst, um so näher

kommst du Gott. Du hast das Licht des Lebens in dir. Du hast es in dir im Glück. Das Glück, das von außen kommt, wird dir innerliches Glück, du singst und spielst Gott in deinem Herzen.

Du hast das Licht des Lebens in dir, auch wenn das Licht des Lebens um dich her immer trüber wird, wenn du alt wirst.

Sonst geschieht es leicht, daß im Alter sich die Seele verdunkelt, mürrischer Sinn und Mißtrauen sich einschleicht, der Glaube verkümmert und die Liebe verwelkt. Folgst du aber Jesu nach, so wird es in dir

immer heller, je mehr die Welt um dich her stirbt. Näher und näher kommst du Gott. Mehr und mehr wird der Friede dein Theil. Je trüber die Augen des Leibes werden, um so heller die Augen der Seele für die Ewigkeit.

Je mehr der Menschen um dich

her Abschied nehmen, um so stiller wird der Friede, welcher das Gedächtniß deiner Entschlafenen in dir umweht. Du hast in dir das Licht des Lebens. Und wie Jesus dir ein Lichtträger geworden ist, so wirst du für andere Menschen ein Lichtträger. Du bringst ihnen Licht in die Dunkelheit, Trost in die Traurigkeit, Friede in den Streit, Kraft in die Schwachheit.

Du kennst gewiß einen Menschen, dessen ganze

Persönlichkeit tröstend, beruhigend, ermuthigend, bessernd auf dich wirkt. Das ist ein Mensch, der das Licht des Lebens in sich hat.

Möchtest du nicht auch so sein?

10

Laßt uns nach Bethlehem gehen.

So wollen wir das Licht Jesu Christi in uns aufnehmen, und

dann von ihm, dem großen Lichtträger, ausgehend auch wieder als Lichtträger unter die Menschen ziehen, daß die Erde voll wollen

werde von der Klarheit des Herrn. Amen.

2.

Laßt «ns nach Bethlehem gehen. (Weihnachten.) Luc. 2, 15—20. sprachen

die

Und

als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren,

Hirten unter

einander:

Laßt

nun

uns

gehen

gen

Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgethan hat.

Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria

und Joseph, dazu das Kind in der Krippe liegend.

Da sie es aber

gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war.

Und Alle, vor die es kam, wunderten sich

der Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten.

Maria aber behielt

alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.

Und die Hirten

kehrten wieder um, Priesen und lobten Gott um Alles, das sie gehört

und gesehen halten, wie denn zu ihnen gesagt war.

Easset uns nach Bethlehem gehen — dieses Wort soll heute

unsere Festbetrachtung leiten. Bethlehem ist eine kleine Stadt. Einst haben dort Hirten gewohnt. Unter ihnen auch Jsai, der Vater Davids. Wo uns die evangelische Erzählung die Hirten auf dem Felde zeigt, da hat einst David seine Herde geweidet. Nach diesem

kleinen Hirtendorf wallfahren wir heute. Mancher zieht wohl heutzutage im Bethlehem.

eigentlichen

Er kann das in tiefer Andacht thun.

gewiß einen inneren Gewinn davon haben.

Sinn nach

Dann wird er

Thut er es mit ober­

flächlichem Sinn, dann nützt ihm Bethlehem nichts. Ja überhaupt: Das räumliche Bethlehem dort, das nützt uns nichts. Denn wer weiß uns mit Sicherheit die Stätte anzugeben, wo dort einst die Krippe Jesu gestanden hat!

Und wenn wir sie fänden, was nützt

10

Laßt uns nach Bethlehem gehen.

So wollen wir das Licht Jesu Christi in uns aufnehmen, und

dann von ihm, dem großen Lichtträger, ausgehend auch wieder als Lichtträger unter die Menschen ziehen, daß die Erde voll wollen

werde von der Klarheit des Herrn. Amen.

2.

Laßt «ns nach Bethlehem gehen. (Weihnachten.) Luc. 2, 15—20. sprachen

die

Und

als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren,

Hirten unter

einander:

Laßt

nun

uns

gehen

gen

Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgethan hat.

Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria

und Joseph, dazu das Kind in der Krippe liegend.

Da sie es aber

gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war.

Und Alle, vor die es kam, wunderten sich

der Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten.

Maria aber behielt

alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.

Und die Hirten

kehrten wieder um, Priesen und lobten Gott um Alles, das sie gehört

und gesehen halten, wie denn zu ihnen gesagt war.

Easset uns nach Bethlehem gehen — dieses Wort soll heute

unsere Festbetrachtung leiten. Bethlehem ist eine kleine Stadt. Einst haben dort Hirten gewohnt. Unter ihnen auch Jsai, der Vater Davids. Wo uns die evangelische Erzählung die Hirten auf dem Felde zeigt, da hat einst David seine Herde geweidet. Nach diesem

kleinen Hirtendorf wallfahren wir heute. Mancher zieht wohl heutzutage im Bethlehem.

eigentlichen

Er kann das in tiefer Andacht thun.

gewiß einen inneren Gewinn davon haben.

Sinn nach

Dann wird er

Thut er es mit ober­

flächlichem Sinn, dann nützt ihm Bethlehem nichts. Ja überhaupt: Das räumliche Bethlehem dort, das nützt uns nichts. Denn wer weiß uns mit Sicherheit die Stätte anzugeben, wo dort einst die Krippe Jesu gestanden hat!

Und wenn wir sie fänden, was nützt

Laßt uns nach Bethlehem gehen. es uns?

11

Wenn wir heute nach dem Worte der Hirten handeln, so

thun wir's auf ganz andere Weise. Wir besteigen kein Schiff, son­ dern fromme Gedanken tragen in einem Augenblick unsere Seele dorthin. Wir suchen dort auch nicht eine bestimmte Stätte. Laßt die Gelehrten sich darum

streiten, wo Jesus geboren sei.

Wir

suchen dort andere Dinge. Wo die Gnade Gottes unsere arme Erde heimsuchte, daß die Finsterniß Licht wurde und die von Schuld befleckte Welt eine Stätte göttlichen Friedens, da ist unser Bethlehem.

Und das meinen wir, wenn wir unter einander sagen, wie die Hirten: Laßt uns hingehen gen Bethlehem! 1. Die Geschichte der Menschheit ist ein Gang nach Bethlehem, vom Heidenthum zum Christenthum, aus dem Dunkel zum Licht, aus der Knechtschaft zur Freiheit des Christen­ thums; der Menschcnsohn und Gottessohn, der in Bethlehem Ge­ borene, ist das Ziel, welches der Menschheit von Gott in die Seele geschrieben ist. Sie kann gar nicht anders, sie muß der unbewußten Sehnsucht ihres Herzens folgen, sie muß zu Christus, nach Bethlehem

gehen. Denn dazu ist sie von Gott bestimmt. der Geschichte des Weihnachtsfestes sehen.

Laßt uns das an Auch das ist ein

Gang nach Bethlehem, vom Heidenthum zum Christenthum. Es erscheint uns undenkbar, daß es einst in der Christenheit kein Weihnachtsfest gegeben hat. Und doch ist es so. Es herrschte bei den Christen der ersten Jahrhunderte eine tiefe Abneigung gegen jede Geburtstagsfeier. Man sah darin etwas Heidnisches. Alte

Kirchenlehrer spotteten über die Heiden, weil diese die Geburtstage ihrer Götter feierten. So feierte man in der christlichen Gemeinde nur den Tod und die Auferstehung des Herrn, Charfreitag und Ostern. Man freute sich nur an der Krone des Baumes, fragte aber nicht nach der Wurzel. In einer Zeit, in welcher es vor allem

ankam auf die Erlösung von der Sittenlosigkeit des Heidenthums, in einer ruhelossn Zeit, in welcher der Mensch die ganze Nichtigkeit

des Vergänglichen erkannte, an seine Brust schlug und vyr allem

suchte nach Vergebung seiner Schuld, da klammerte sich die Menschen­ seele vor allem an den sterbenden Christus, der die Schuld der Welt getragen und uns die Versöhnung mit Gott gebracht hat. Und ferner, in einer Zeit, wo das Christenthum mit dem Heiden-

12

Laßt uns nach Bethlehem gehen.

thum auf Tod und Leben kämpfte, da brauchte die christliche Ge­ meinde die Hoffnung

auf

den Sieg,

von

die Ueberzeugung

Unüberwindlichkeit des christlichen Glaubens.

der

Die festeste Bürgschaft

dieser Hoffnung aber fand sie in der Auferstehung des Herrn, im An­

blick des Ueberwinders, der gekrönt ist mit ewiger Herrlichkeit.

So

feierte man lediglich die beiden Feste des sterbenden und auferstan­ denen Herrn.

Das Weihnachtsfest mit dem heiligen Kind in der

Krippe, den friedlichen Hirten, den anbetenden Weisen, das Weih­ nachtsfest mit feinem Paradies auf Erden, seinem Frieden und seiner Freude, hätte in der sturmbewegten Zeit kein Verständniß gefunden,

und alle die Weihnachtslieder von der Mutter und ihrem Kind, von den Engeln und den Hirten, sie waren noch stumm. Das Weihnachtsfest ist heidnischen Ursprungs.

Im freundlichen

Süden, vor allem aber im trüben Norden feierten die heidnischen

Völker am 25. Dezember eiu Winterfest, ein Naturfest, die Weih­

nacht, oder wie es bei den Römern hieß, das Fest der unbesiegten Sonne,

den Tag,

der der kürzeste ist im Laufe des Jahres, von

dem ab die Sonne wieder höher steigt und die Tage länger werden,

und das Licht, welches in den letzten Monaten von der Finsterniß zurückgedrängt war, nun wieder emporsteigt und im siegreichen Kampf die Finsterniß vertreibt.

Dieses Fest wurde bei unseren heidnischen

Vorfahren theilweise mit rauhen Gebräuchen gefeiert.

schallte

sang

Bergen.

durch die Nacht

an den

Wilder Ge­

lohenden Feuern auf den

Die Waffen klirrten und das Opferblut floß.

Das war

die Weihnacht unserer heidnischen Eltern.

Dieses Fest fanden die christlichen Missionare vor, welche das ewige Licht in die

dunkeln Wälder trugen.

Und mit feiner Er­

ziehungskunst knüpften sie ihre Predigt vom Licht an nische Lichtfest an.

dieses heid­

Sie sagten ungefähr Folgendes zu den Leuten:

„Ihr feiert das Fest des Lichtes.

Wir wissen euch aber zu erzählen

von einem andern Licht, das einst aufgegangen ist nach Gottes Rath, um Leben, Wärme, Liebe zu den Menschen zu bringen, von einem

ewigen Lichte, welches der Nacht der Sünde und des Todes auf Erden

ein Ende macht.

Kinder des Lichtes!"

Dieses Licht bringen wir euch:

Werdet

Im Gefolge dieser christlichen Predigt zogen

nun die freundlichen Weihnachtsgeschichten von der Krippe im Stalle

zu Bethlehem, von dem Gotteskind und den Engeln bei den Heiden

13

Laßt uns nach Bethlehem gehen.

Diese Geschichten wollten sich freilich anfangs unter dem rauhen

ein.

Geschlecht jener Zeit nicht recht heimisch fühlen.

wurden

doch die Herzen durch sie warm

Aber allmählich

und gingen auf für die

frohe Botschaft von der Liebe Gottes, von der Freude, die allem

Volke widerfahren ist, und die heidnische Götterwelt sank vor dem Gott, der in Christus als Geist und Liebe offenbar geworden ist. die

Aber

Gebräuche

heidnischen

blieben,

besonders

unser

lieber

der nie verwelkende und nie verlöschende, der

Weihnachtsbaum,

jedes Jahr wieder grünt und leuchtet, wie vor zweitausend Jahren in

den alten deutschen Wäldern, und der

uns Christen der heuttgen

Zeit verbindet mit unseren alten heidnischen Eltern.

So stellt

sich uns in der Geschichte des Weihnachtsfestes die

Entwicklung der Menschheit dar vom Heidenthum zum Christenthum. Das heidnische Weihnachtsfest ist nach Bethlehem gegangen und hat

dort seinen christlichen Inhalt gefunden.

2.

Was aber im Großen geschieht in der Welt, das soll auch Auch wir wollen dem Zug

im Kleinen und Einzelnen geschehn.

in der Menschheit nach Bethlehem hin folgen. etwas

sein,

was

Es muß doch dort

mächüge Anziehungskraft

eine

auf uns ausübt.

Was ist es denn?

Da ist denn nun das, was wir dort sehen, unendlich einfach. Wir

finden dort eine Familie.

keine fürstliche Familie,

von der

Das ist etwas

sehr alltägliches,

etwa in der damaligen Zeit viel

gesprochen worden wäre, sondern einfache Leute; auch nicht in einer wunderbaren Umgebung,

sonst

nicht

einmal

bewohnt wurde.

geschehen.

sondern an einer bescheidenen Stätte, die

von Menschen,

sondern

von

den Hausthieren

Wir sehen dort auch keine Zeichen und Wunder

Aber gerade diese schlichte einfache Menschlichkeit, die

wir dort finden, hat ihre Bedeutung. Willen in der Welt

Gott bedient sich, um seinen

auszurichten, nicht

außergewöhnlicher Mittel,

sondern der einfach menschlichen Ordnungen, die er gegeben hat.

Er

ruft die Menschen nicht zusammen an irgend einen berühmten Ort

und

sagt zu ihnen:

Nun

will ich ein Wunder

thun

vor euren

Augen, sondern aus dem Schoß einer einfachen Familie läßt er den Erlöser kommen und in einem unbedeutenden Winkel der Erde das

Licht der Welt schauen.

Wenn wir uns immer wieder erbauen an

dem Bilde, welches uns so oft von Künstlerhand

dargestellt wird.

14

Laßt uns nach Bethlehem gehen.

Vater, Mutter und Kind in der Hütte zu Bethlehem, so ist das, was uns daran erfreut, doch nichts Anderes, als der Adel, die Weihe, die himmlische Würde, welche Gott der Familie überhaupt gegeben hat. Sie ist das Ackerfeld, auf welchem Gottes edelste Saat wächst, die heilige Gottesordnung, aus welcher gesundes Leben, neue Kräfte kommen, die Stätte, an welcher die göttlichen Pflanzen der Menschen-«

seelen heranreifen sollen Gott zur Ehre, den Menschen zum Wohl­ gefallen. Wir nennen jene Familie zu Bethlehem die heilige Familie. Jede rechte Familie ist etwas Heiliges. Wo Gatten ein­ ander treu lieben, und Kinder hervorwachsen in Reinheit und Zucht, da ist heiliges Land. Vater, Mutter und Kind ist die heilige menschliche Dreieinigkeit. Das zeigt uns das Weihnachtsbild: Die Heiligung der Familie. Es zeigt uns weiter: Die Heiligung der Kindheit. „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben." Ein Kind, das hilfloseste, ohnmächttgste Wesen, das man sich denken kann, kein

Engel, kein wunderbares, vom Himmel herabschwebendes Wesen, sondern ein Kind im Arm seiner Mutter, ein Kind, wie eure Kinder

waren, ihr Mütter, als ihr sie zum ersten Male in eurem Arm hieltet, ein Kind, das auf Sttoh in einer harten Krippe liegt, — das ist das Mittel, durch welches Gott seine ewige Liebe offenbart. Ja, es ist doch etwas Großes, daß wir nicht nur, wie die Christen der ersten Jahrhunderte, Passion und Ostern feiern, sondern auch Weihnachten, nicht nur des reifen Mannes, des leidenden und siegenden Christus gedenken, sondern daß wir uns sammeln um das Kind, in welchem noch die ganze große Zukunft eingehüllt ist. Das ist es,

was uns an dieser Weihnachtsgeschichte so wunderbar ergreift, der Gegensatz: Das Kind und seine Zukunft. Hier liegt es hilflos; aber es wird einst ein Helfer werden in allem Schmerz, den kein Mensch heilen kann, in aller Schuld, die kein Mensch vergeben kann.

Hier liegt es ohnmächtig; aber seine Geistesmacht wird einst die Welt beherrschen, daß die Gewalttgen sich vor ihm beugen und die ttotzigen Herzen weich werden.

Jetzt ist es unbekannt;

aber sein

Name wird genannt werden, bis daß Himmel und Erde vergehen. Jetzt ist es gefährdet, Mörderhände strecken sich nach ihm aus; aber einst wird es ein Retter der Verloreren werden. Jetzt schläft es

„in himmlischer Ruh"; aber wenn es einst aufwachen wird, da wird

15

Laßt uns nach Bethlehem gehen.

von seinem Ruf die Welt aus dem Schlaf aufgeweckt werden.

In

diesem Kinde schlummert der Menschensohn, dessen tiefstes Wesen niemals ganz verstanden werden wird, unser Bruder, der unerreichbar über uns steht, und doch das Vorbild und Abbild des ewig Mensch­ ist, wie es

lichen

in Gott

lebt.

Gottessohn, der mit Gott Eins seinem Willen,

diesem Kinde

In

in seinem Glauben und

Wesen in Gott wurzelt.

schläft

der

sein wird in seinem Geist und Wirken,

dessen

geistiges

In diesem Kinde schlummert der Held,

der den Kampf der Menschheit endgiltig auskämpfen wird, der auch dem Tod den Fuß auf den Nacken setzen wird.

hier eingeschlossen in der Brust eines Kindes.

der Kindheit

der

in

Geburt Jesu.

Wenn

Und alles dies ist

Das ist die Heiligung auch sonst kein

nun

Menschenkind von ferne mit diesem Kind verglichen werden kann, —

der Heiligenschein, der es umleuchtet, fällt auf die Kinder überhaupt. In jedem Kind ist etwas Heiliges, etwas Himmlisches, ein Gottes­

gedanke, eine Gotteskraft, eine Zukunft, die über den Tod hinaus Das ist die Heiligung der Kindheit in der Geburt des

reicht.

Herrn.

Eine Familie, ein Kind sehen wir in Bethlehem. das Dritte zusammen, was wir sehen:

geschehen

Es ist

ist."

Damit hängt

„Laßt uns sehen, was dort

hier eine Geschichte

geschehen und es

beginnt hier eine große Geschichte. Kein blasser Gedanke, keine trockene Lehre, keine schwer verständliche Philosophie tritt hier in die Welt

ein,

sondern eine lebendige Geschichte, die Jeder sieht und Jeder

begreift.

Eine gewaltige Geschichte.

welch eine Geschichte! Jahre.

Von der Krippe bis zum Kreuz,

Ein kurzes Leben, kaum länger als dreißig

In einem Alter, in welchem sonst für einen Menschen die

eigentliche Zeit

der Reife und

des Schaffens beginnt,

ist Jesus

untergegangen in einem schmachvollen Tod, von seinem Volke ver­

lassen und verstoßen.

Aber durch dieses Leben hat die Welt einen

neuen Geist und ein neues Gepräge empfangen.

Dieses kurze Leben

wirkt für dich bis an dein Ende, bis in dein Jenseits, deine Ewig­ keit hinein.

Diese Geschichte Jesu ist eingegraben in diese Welt, und

nie können diese Schriftzüge verwischt werden von den Wellen der

Geschichte, vergraben von dem Schutt der Zeiten.

Gedanken ver­

wehen, aber diese Geschichte steht fest als ein ewiger Fels.

heiten unterliegen

den

wandelbaren Urtheilen

Wahr­

der Menschen und

Laßt uns nach Bethlehem gehen.

16

aber diese Geschichte, dieses Leben, das Jesus gelebt hat,

Zeiten,

wird, so lange die Erde steht, die Menschen ergreifen und erlösen,

Friede

ihnen

und

bringen.

Freiheit

Lehren

werden

von

dem

Ungelehrten nicht verstanden; aber diese Geschichte von Fleisch und

Blut, dieses Leben voll frischer Lebensfarbe versteht Jeder. Das ist es, was uns hinzieht nach Bethlehem, gerade diese

einfache, menschliche, anschauliche Form, in welcher das Christenthum eintritt in die Welt, eine Familie, ein Kind, ein Menschenleben,

das allen Menschen Leben bringt. Was sollen wir nun dort thun?

3.

Das laßt uns sehen

an den Menschen, welche uns dort begegnen.

Da sind zunächst die Hirten. um, preiseten und lobten Gott."

Von ihnen heißt es: „Sie kehrten

Wenn wir von einem Fest kommen

und wieder eintreten in das alltägliche Leben, so ist das jedesmal

ein Umkehren.

Denn beim Fest sind unsere Blicke nach innen gerichtet;

nun blicken wir wieder nach außen.

geblickt,

oben

Beim Fest haben wir nach

der Festglanz uns entgegenleuchtete;

von wo

nun

wenden wir unsere Augen wieder der praktischen Wirklichkeit mit ihren Bedürfnissen, Mühen und Sorgen zu.

Wir kehren um.

Aber

das ist doch nicht so zu verstehen, als ob nun Alles, was das Fest brachte, der Vergangenheit angehörte.

Denn wenn wir am Abend

unsere Augen erhoben haben zu den Sternen und dann unsere Augen wieder auf den Weg richten, den wir zu gehen haben, so sehen wir

unmittelbar von den Sternen nichts mehr, aber ihr Schein fällt auf

den Weg.

So soll auch uns, wenn wir uns nun dem alltäglichen

Leben wieder zuwenden, der Festglanz unsern Weg beleuchten.

Das

wird vor allem dann der Fall sein, wenn wir etwas von diesem Festglanz in uns tragen, wenn es durch das Fest in uns hell und licht

geworden, Friede und Freude bei uns eingezogen ist, wir milder gegen

die Menschen, geduldiger gegen ihre Schwächen, stärker im Tragen unserer Last, treuer und eifriger in der Erfüllung unserer Pflicht ge­ worden sind.

leben.

Auf diese Weise tragt den Festglanz in das Alltags­

Seid nun

eurem Dulden,

stiller in

Handeln, fteudiger in

eurem

größer in eurem Glauben.

Die Hirten breiteten

Hoffen,

kraftvoller in eurem

wärmer in

eurem Geben,

So kehret um vom Fest in das Leben. das

Sie waren die ersten Apostel.

Wort

von

dem Kinde

aus.

Wer das gesehen hat, was dort

Laßt uns nach Bethlehem gehen.

17

geschehen ist, wer es wirklich gesehen hat, so daß ihm das Herz dabei warm geworden ist, der muß auch das Wort ausbreiten.

fühlten,

Viele haben

Alle die Menschen, die Jesum sahen und hörten, die

es gethan. wie

ihn in ihnen ein neues Leben begann, jene

durch

Menschen, die von ihm ausgingen und den Andern verkündigten: „Wir haben den Messias gesehen," jene Kinder, die Palmen streuten

und Hosianna riefen, jener Hauptmann, der unter dem Kreuze sprach:

„Wahrlich, Märtyrer,

dieser

Gottes

ist

die noch

Sohn

gewesen,"

dem Scheiterhaufen

auf

dann später

seinen Namen

die

ver­

kündigten, die Sänger der Lieder auf ihn, welche auf Engelsflügeln die Botschaft von ihm in die Welt trugen, die Kinder, die in der Schule

singen:

die in den Häusern singen:

„O du fröh­

gnadenbringende Weihnachtszeit,"

sie Alle sind

„Stille Nacht,"

liche, o du selige

Nachfolger der Hirten von Bethlehem, welche die Worte ausbreiteten von diesem Kinde.

In den 1900 Jahren, welche seitdem vergangen

sind, sind in der Welt viele Lieder entstanden und vergangen; Sprachen,

welche damals den Erdkreis beherrschten, sind gestorben.

Aber heute

noch wird wie damals die Botschaft von diesem Kinde verbreitet. Wollen wir uns nicht Alle an diese Schaaren anschließen?

Es ruht

auf den Menschen der heutigen Zeit oft ein verlegenes Schweigen über das, was sie glauben.

Die Einen schweigen davon, weil sie

fürchten, bei den Gläubigen anzustoßen, die Andern, weil sie fürchten, bei

den Ungläubigen

anzustoßen.

Man

behandelt die persönliche

Ueberzeugung, den persönlichen Glauben als ein an".

Warum schweigt ihr?

„Rühr mich nicht

Sagt, was ihr glaubt!

keine Priesterkirche, sondern eine Laienkirche.

Wir haben

Deshalb muß auch

das Laienwort im gewöhnlichen Leben, im täglichen Verkehr, das

einfache, schlichte Laienwort eine Macht unter uns sein.

Sagt es ohne

Salbung, ohne viel Worte, sagt den Trostlosen, was euch aufrechthält,

den Irrenden, was euch auf den rechten Weg geführt, den Schwachen,

was euch stärkt, den vom Tode Verwundeten, was euch Hoffnung giebt.

Breitet das Wort aus von diesem Kinde!

Soll man aber von diesen Dingen reden, dann muß man sie vor Allem in sich tragen. Erz, wenn

Der größte Redner ist nur ein tönendes

er nicht Selbsterlebtes,

Selbstempfundenes ausspricht.

Nichts nimmt den Menschen das Vertrauen zur Religion so, als angeblich frommes Gerede, hinter dem keine fromme Gesinnung steht. Kirmß, Predigten.

2

18

Laßt uns nach Bethlehem gehen.

Deshalb seid wie Maria!

in eurem Herzen.

Behaltet, was ihr hört zu Weihnachten,

Behalten diese Botschaft von der erlösenden,

tröstenden Liebe Gottes, auch wenn alle Erfahrungen eures Lebens, alle Geschicke widersprechen, auch wenn euch die Menschen sagen: Diese Kunde aus dem Morgenlande bestehe aus morgenländischen

Märchen, Träumen, Phantasien; behalten, auch wenn die liebsten

Hoffnungen deines Lebens vor deinen Füßen hingeweht werden, wie welke Blätter, und deine Wünsche zerschmelzen wie die Schneeflocken auf. der nassen Erde; behalten, wenn menschliche Liebe zerreißt, Gelübde nicht gehalten werden, die Sterne verbleichen, verliert;

die Sonne ihren Schein

behalten, auch wenn der Tod Alles raubt, und all dein

Leben nur

bestimmt scheint,

im

Grabe unterzugehen ohne Auf­

erstehung, behalten, behalten bis zum letzten Augenblick! diesem Behalten,

Und neben

der Beständigkeit im Glauben und in der Treue

das Bewegen, das Ergreifen dessen, was man behält, mit dem Gewissen,

mit dem Herzen,

daß es Leben wird.

Du mußt

deinen Glauben bewegen wie einen Edelstein, daß immer neue Farben

aus ihm sprühen, immer neue Strahlen ihm entlockt werden.

Bald

laß deinen Glauben im Gebet emporsteigen, ausruhen am Vater­

herzen Gottes, daß er dann neugestärkt wieder niedersteigt zur Erde; bald laß deinen Glauben zur Buße werden, zum Kampf gegen dich selbst; bald wende ihn auf das Leben an, daß er dir den rechten Weg zeigt in der Verwirrung des Daseins; bald wieder denke über

deinen Glauben nach, prüfe, was echt ist, und was abfallen kann, daß dein Glaube immer mehr Gewissenssache werde;

laß

deinen

Glauben bald in Sehnsucht emporfahren zum Himmel, bald wieder auf Erden in schlichtem Thun seine Treue bewähren, bald zurück­

eilen in die Vergangenheit, um sich dort zu stärken, dort, wo in der heiligen Schrift, in Christus,

den Aposteln und Propheten seine

Quelle fließt, bald wieder in die Zukunft ziehen, um dort zu schauen

die ewigen Ziele Gottes mit dir und dem Menschengeschlecht. soll die ganze Fülle religiöser und sittlicher Kräfte, sind, in deinem Leben sich bethäügen und darstellen.

Kommt, kommt, laßt uns nach Bethlehem gehen! Amen.

So

die in Jesus

Die Sünde wider den heiligen Geist.

19

3.

Die Sünde wider den heiligen Geist. (In der Epiphanienzeit.) Matth. 12, 31. geben,

Alle Sünde und Lästerung

wird den Menschen ver­

aber die Lästerung wider den Geist wird den Menschen nicht

vergeben.

IDenn man dieses Wort einmal gehört hat, so läßt es Einen

innerlich

nicht wieder los.

Eine Menge von Fragen stellt es an

unsern Geist, Fragen, die eine Beantwortung verlangen.

sind es die beiden Fragen:

heiligen Geist? und dann: nicht vergeben werden?

Was ist das,

Vor allem

die Sünde wider den

Warum kann gerade diese Eine Sünde

Glaubt nicht, daß diese Fragen und ihre

Betrachtung mit unserem Leben nichts zn thun haben.

Denn sowohl

die ernste Zeit, der wir jetzt in unserem kirchlichen Leben entgegen­ gehen, die Leidenszeit Jesu Christi, als auch gewisse Ereignisse in

unseren Tagen, welche die Aufmerksamkeit der Menschen in hohem

Grade beschäftigen — Alles dies giebt gerade diesem Worte Jesu eine

besondere Bedeutung

betrachten,

für uns.

So wollen wir dieses Wort

oder vielmehr wir wollen uns von ihm innerlich fest­

halten und beschäftigen lassen.

Wir suchen uns die beiden Fragen wider den

beantworten:

1.

Worin

heiligen Geist?

2.

Warum kann sie nicht vergeben werden?

zu

1.

besteht

die

Sünde

Wie wir um uns her in der Natur den schöpferischen Geist

Gottes walten sehen in seinen wunderbaren Werken, im Lauf der

Gestirne Felsen

wie in dem feinen Bau grünt

des kleinsten Mooses,

oder in der farbenprächtigen Zeichnung

das

am

der Flügel

eines Schmetterlings, so sehen wir in der Menschenwelt, sowohl auf den Höhen der Geschichte wie in den kleinen Dingen des alltäglichen

Lebens den heiligen Geist walten.

Die heilige Schrift erzählt, er sei

mit dem ersten Menschen auf die Erde gekommen; denn Gott blies

chm einen lebendigen Odem ein, nämlich seinen Geist.

Auf den ver­

schiedenen Stufen in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit sehen

wir ihn walten, in sehr verschiedenen Formen, aber immer derselbe 2*

20

Die Sünde wider den heiligen Geist.

Geist.

In Davids Psalmen rauscht er wie in Luthers und P. Ger­

hardts Liedern, in den Schriften der Propheten wie in denen der

Apostel, im Gesetze Mosis wie in den Seligpreisungen Christi, in Abraham, der hoffend in die Zukunft sah, wie in Simeon, der in

dem Jesuskind die Erfüllung seiner Sehnsucht schaute — überall in Aber alle

sehr verschiedenen Offenbarungen immer der Eine Geist.

seine Kraft und Fülle hat sich zusammengefaßt in Jesus Christus,

dem Sohne, der in sich selbst den ganzen Reichthum der Liebe Gottes und des ewigen Lebens trug, daß der Geist wie Sturm und Feuer von ihm ausging auf seine Jünger.

So

waltet er in der Geschichte,

aber

auch

um uns

her in

Durch ihn wachsen Kinder heran in Reinheit und

unserem Leben.

Wahrheit wie die Schößlinge am Oelbaum, durch ihn sterben Greise in Frieden, wie ein Kind einschläft im Schooße seiner Mutter.

In

Gottvertrauen und Geduld tragen Menschen ihre Last bis ans Ende. Mitten in einer schuldbefleckten Welt, selbst von Sünde angesteckt,

sind doch die, welche von ihm ergriffen sind, selig in der Gewißheit der Vergebung ihrer Schuld.

In der Kraft

des heiligen Geistes

sammelt sich die christliche Gemeinde zur Anbetung Gottes, und in

manchem Herzen glüht sein heiliges Feuer.

Durch ihn bewährt sich

das Wort Gottes als der Hammer, welcher Felsen zerschmeißt, als der fruchtbare Regen, als das milde Oel, welches die Wunden der Herzen

heilt.

Geistes.

So sehen wir um uns her die Werke des heiligen

In ihnen, in seinen Wirkungen wird er sichtbar.

Wie kann es nun geschehen, daß Jemand gegen diesen

heiligen

Geist

sündigt?

Es hat ein Mensch diese Wirkungen

des heiligen Geistes gesehen, selbst an sich empfunden, er hat an alles

Ewige und Göttliche, an Heil und Seligkeit, an alle guten Gaben

und Kräfte dieses Geistes geglaubt, und es hat ihn mächtig hin­ gezogen zu

diesen

großen Dingen.

Aber da

kamen andere Ein­

flüsse von außen her; andere Stimmen klangen in seine Seele; eine andere Hand klopfte an seine Thür als die Hand Gottes, und die

Welt schmeichelte sich ein mit ihrem leichtfertigen Wesen, und alle jene heiligen Dinge

verschwanden vor seinen Augen;

innerungen wurden übertönt von dem Lärm des Lebens.

fromme Er­ Das Band

ist zerschnitten, welches seine Seele knüpfte an die Welt des heiligen

Geistes.

21

Die Sünde wider den heiligen Geist.

Das ist der Anfang, aus welchem die Sünde wider den heiligen Geist werden stehen.

kann.

Viele Menschen

bleiben bei diesem Anfang

Doch der Weg kann auch weiter führen.

Der

Geist wirkt

von neuem

auf

den

Menschen

ein.

Ein

frommes Wort, welches früher seine Seele bewegt hat, macht ihm das Herz weich,

erweckt in ihm wieder die Sehnsucht nach Gott.

Ein altes Lied, das er als Kind gewußt, damals mit lieben Menschen

gesungen hat, ergreift ihn, und die alten lieben Klänge schweben wie

Engel um seine Seele, mahnend, werbend, aus der kalten Fremde

nach der warmen Heimath lockend.

Er sieht Andere zusammenhängen

in einer Liebe, die stärker ist als alle Trennung, er fühlt selbst in

einer großinüthigen That, die an ihm gethan wird, die Größe der Liebe.

Er sieht, wie Menschen uni des Gewissens, um einer guten

Sache willen Verfolgungen und Kreuz tragen.

Dabei umgiebt Gott

ihn mit seiner Liebe, häuft in seinem Haus Segeu auf Segen, Ge­

lingen auf Gelingen, wendet menschliches Irren zuin Guten, läßt aus

Fehlgriffen Erfolge werden.

So arbeitet Gott

durch seinen Geist

an der Seele des Menschen, will sie erwärmen,

beleben,

und es

kommen Augenblicke, wo es den Menschen mächtig hinzieht zu Gott und seinem Reich, zu Christus und seiner Gemeinde. Aber das sind

nur flüchtige Bewegungen.

Bald erhebt sich der Trotz und in diesem

Trotz weist der Mensch mit aller Absicht diese heiligen Einflüsse von sich.

Alles Große und Göttliche, das seine Seele bewegte, bezeichnet

er als Schein.

Täuschung sind ihm die hohen Ziele, von denen die

Menschen reden,

leere Redensarten alle edeln Grundsätze.

ist Wahrheit?" so höhnt er mit Pilatus. heit.

„Was

Es giebt gar keine Wahr­

Wahrheit ist mir, was mir gefüllt, was mich ergötzt, was mich

eine Weile unterhält.

herzigkeit?

Was ist Liebe, Gerechtigkeit, Treue, Barm­

Leere Worte, mit denen sich die Menschen selbst belügen.

Weiter wird der Mensch getrieben. Er sagt: Was ist Gott? Er redet sich ein: Gott ist ein Name ohne Wirklichkeit, ein Wort ohne Leben, ein über­

lieferter Begriff, den man den heutigen Menschen verkündigt, weil es nun einmal so sein soll, an den aber im Grunde Niemand mehr glaubt.

Gewalt, Lüge und Schlauheit regieren die Welt. — Und je mehr der Geist auf die Seele eindringt, je mehr sich in ihm die Ueber­

zeugung regt:

Es giebt einen Gott, Christus ist doch die Wahrheit,

Glaube, Liebe und Treue sind nicht nur Wahn,

sondern heilige

Die Sünde wider den heiligen Geist.

22

Wirklichkeit, um so heftiger, höhnischer wird der Widerspruch des Menschen, um so ftevelndcr die Spottrede. Je mehr der Geist auf ihn eindringt, um so tiefer läßt er sich in das Böse hineintreiben. Verhöhnt wird Gott, obwohl man weiß, daß Gott lebt, verhöhnt die Frömmigkeit, die Wahrheit, die Liebe, obwohl man sie erkennt. Seht, das ist die Lästerung wider den heiligen Geist. Und aus der Lästerung kann die That werden. Der Mensch lästert nicht nur den Geist, er sucht ihn auch zu tödten. Er lästert

nicht nur die Wahrheit, sondern er will sie nun auch niederdrücken durch die Lüge, er fühlt an sich den Segen treuer Liebe, aber er stößt sie zurück durch Haß. Er kennt das Recht, aber durch Gewalt sucht er es zu vernichten. Er kennt Gott, aber er kämpft gegen Gott, er sündigt, wie die heilige Schrift sagt, Gott ins Angesicht. Und das Alles nicht aus Unverstand, nicht aus Irrthum, der ja nun einmal menschlich ist, sondern mit klarer Erkenntniß, mit klarem bestimmtem Willen. Er will die Wahrheit tödten, weil es die Wahrheit ist, und die Gerechtigkeit, weil es die Gerechttgkeit ist. Der Mensch lästert Gott, weil er weiß, daß Gott heilige Barm­ herzigkeit ist; er lästert Christus, weil er ihn als den Heiland der Welt erkannt hat. Eine furchtbare Umwandlung ist in ihm vor sich gegangen. Sein Gewissen ist verkehrt. Der gute Geist ist in ihm begraben, der böse an seine Stelle getreten. Das Böse ist für ihn gut, das Gute für ihn böse geworden. Der letzte Strahl des Gött­ lichen ist in ihm erloschen. Er freut sich, Böses zu thun; er freut sich zu sehen, wie das Böse in der Welt ttiumphirt. Er liebt das Böse, weil es böse ist, er thut es, weil es böse ist. That gegen den heiligen Geist.

2.

Das ist die

Warum kann die Sünde wider den heiligen Geist

nicht vergeben werden? Ein furchtbarer Ernst liegt in diesem Wort des Herrn. Merkt euch, was das heißt: Eine Sünde mit sich schleppen bis zum letzten Augenblick, bis zum Grabe, sie mit hinüber nehmen in die Ewigkeit, sie durch bte Ewigkeit tragen, sie nie los werden können, so, daß auch Gottes ewige Gnade in Christi Tod nichts über diese Schuld vermag. — Doch ehe wir diesem Gedanken weiter nachgehen, laßt uns zunächst den fteundlichen Trost bettachten,

welchen Jesus neben die ernste Warnung legt: „Alle Sünden können den Menschen vergeben werden." Erst wenn wir

Die Sünde wider den heiligen Geist.

23

dieses Wort verstehen, können wir das andere verstehen, daß die wider

Sünde

den

dem Menschen

Geist

heiligen

nicht

vergeben

werden kann. Wir erkennen hier, wie tief unser Erlöser hinein gesehen hat in die Gnade Gottes,

daß er mit unbedingter Gewißheit sagt:

der uns

diese Verheißung

giebt,

„Alle

Da sehen wir ihn,

Sünden können den Menschen vergeben werden."

wie am Kreuze

sein Haupt sich

neigt, und wie er mit dem Blick unendlichen Erbarmens zu uns niederschaut und hören sein Wort:

So gewiß ich für euch gestorben

bin, so gewiß sollt ihr glauben: „Alle Sünden können den Menschen vergeben werden."

Und über dem Kreuze Jesu sehen wir den Himmel

sich aufthun und sehen die ewige Gnade Gottes, groß, weit und tief

wie

die Ewigkeit selbst,

und

aus

diesem geöffneten Himmel der

Gnade Gottes tönt zu uns die steundliche Botschaft herab:

Sünden

können den Menschen vergeben werden."

„Alle

Und wir sehen

die ganze Reihe menschlicher Sünden an uns vorüber ziehen, die

einen,

welche in unseren Gedanken entstehen,

sich auch in unseren

Gedanken vollziehen, die anderen, die zur That werden und über

den Kreis unseres Lebens hinaus in das Lebell Anderer eingreifen, die Wortsünden, alle die kränkenden, unwahren, verletzenden Worte, die unserem Mund entfliehen, alle die Thatsünden gegen uns und

Andere, die verborgenen und die offenen — und wenn diese Sünden blutroth wären, alle Sünden können den Menschen vergeben werden. Das ist der Wille des gnädigen Gottes.

Die Sünde soll nicht

das Grab sein, in welchem eine unsterbliche Menschenseele untergeht, nicht das Gefängniß, in welchem ein Menschenherz gefangen bleibt

für immer, nicht das Letzte sein für den Menschen, nicht das Ende.

Sondern wie unser Grab nicht nur einen Eingang hat, sondern auch einen Ausgang, so hat auch die Schuld nicht nur einen Eingang,

sondern

auch

einen Ausgang.

Es giebt für

den Menschen

eine

Macht, die viel größer ist als die Sünde, das ist die göttliche Gnade.

Sie hat — es mag wunderbar klingen — auch die Sünde mit aus­ genommen in ihren Heilsplan.

Der Fall soll zum Auferstehen führen,

die Verirrung zur Heimkehr, die Sünde zur Gnade,

gefühl zum Frieden.

das Schuld­

Der verlorene Sohn, der heimkehrt ins Vater­

haus, steht nun höher als der, der es nie verließ.

Der Mensch,

der durch Reue und Buße zu Gott zurückgekehrt ist, steht bei Gott

24

Die Sünde wider den heiligen Geist.

höher als der,

der nie die Unseligkeit

empfunden hat.

Deshalb soll Freude durch den Himmel gehen über

des Schuldgefühls an sich

einen Sünder, der Buße thut, vor neunundneunzig Gerechten, die der Buße nicht bedürfen.

geben werden.

Alle Sünden sollen den Menschen ver­

So steht es auf der Seite Gottes fest.

Seine Arme

sind ausgebreitet für Alle, die heimkehren wollen; sein Friedenshaus

steht

für Alle

offen.

Und

durch

die Verkündigung

schallt seine Stimme über die Erde:

sollen den Menschen vergeben werden." darum:

Wie steht es auf

Nun handelt es sich aber

Wendet sich

der Seite des Menschen?

von seiner Sünde

der Mensch

seiner Boten

„Kehret wieder; alle Sünden

ab, mit aller Kraft, um sich los­

zumachen von seiner sündigen Vergangenheit, thut er in sehnsüchtigem,

gläubigem Vertrauen seine Seele der Botschaft von der Gnade Gottes auf, dann hört er selbst in sich den rechtfertigenden Gnadenspruch

Gottes: Gehe hin; deine Sünden sind dir vergeben, und die Schuld sinkt zurück in die Vergangenheit, und der Friede und die Hoffnung

eines neuen Lebens ziehen in seine Seele ein, in der vorher die an­ klagenden Gedanken gewohnt hatten.

So ist es Gottes Wille.

Alle

Sünden können den Menschen vergeben werden.

Aber eben damit kommen wir an dem Punkte an, wo es klar werden muß, daß die Sünde wider den heiligen Geist nicht vergeben

werden kann.

Die Gnade Gottes, die Allen vergeben, will, kommt

an einer Grenze an, über die sie nicht schreiten kann, will sie nicht ungerecht werden, das ist der Wille des Menschen. des Menschen,

sonst so schwach, so ohnmächtig,

Dieser Wille

kann der Gnade

Gottes einen unüberwindlichen Widerstand entgegensetzen.

wenn der Mensch

Denn wie,

keine Vergebung will, wenn er das Herz ver­

schließt gegen die Gnade Gottes und sein Ohr gegen Gottes freund­

liche Stimme, wenn er den lästert, der am Kreuze für die Sünder gestorben ist, und auf die Verkündigung der Gnade Gottes lästernd antwortet:

„Ich will keinen gnädigen Gott haben", wenn er

der Reue und Buße nicht mehr fähig ist, wenn der Glaube,

das

Vertrauen zu Gott in ihm mit der Wurzel ausgerissen ist, wie kann

ihm da Vergebung werden? Sie könnte ihm doch nur aufgezwungen

werden, und geschähe das, so würde sie der Mensch gar nicht ver­ stehen, sich gar nicht aneignen können.

Wollten Eltern ihrem Kinde,

das sich trotzig gegen alle Verzeihung verschließt, sagen:

„Wir ver-

25

Die Sünde wider den heiligen Geist.

geben dir deine Schuld," das wäre keine Liebe, sondern ungerechte, unwahrhaftige Schwachheit.

Gott

kann aber

und das Heiligthum nicht den Hunden geben. da sein,

kann nur

ungerecht

nicht

und

Er will die Perlen nicht vor die Säue werfen

unwahrhaftig sein.

Vergebung der Sünden

wo Buße und Glaube ist.

Deshalb kann die

Sünde wider den heiligen Geist nicht vergeben werden. Versetzt euch auf die Schnee- und Eisfelder,

Nordpolfahrer gewandert sind.

über welche die

Dort ist keine Spur von Leben.

Tod hat sein Leichentuch über Alles ausgebreitet.

Der

So ist es bestellt

in der Seele des Menschen, der die Sünde wider den heiligen Geist bei sich hat einziehen lassen.

Alles ist kalt und todt, wie unter dem

eisigen Nordwind dort oben, der auch den letzten Rest des Lebens Und nun denkt euch,

tödtet.

man nähme den kostbarsten Samen,

den der ewige Schöpfer auf unseren Fluren wachsen läßt, und trüge ihn dort hinauf und säte ihn aus auf jene Gefilde des Todes, so fehlte jede Möglichkeit einer Verbindung zwischen diesem Samen und

dem Eis und Schnee.

Der starre Tod, der dort herrscht, zöge den

lebendigen Samen alsbald in sein kaltes, dunkles Reich.

So kann

auch der edle Same der Gnade Gottes, den Jesus Christus aus­

gestreut hat auf Erden, unmöglich Wurzel schlagen in einem Menschen­

gemüth, in welchem unter der Sünde wider den heiligen Geist Alles erstorben ist.

Hier sind getrennte Welten.

Auf der einen Seite die

Sünde wider den heiligen Geist, das Böse um des Bösen willen, auf

der

andern

die Gnade Gottes.

Sie

können nie

zusammen­

kommen. Das ist nicht Gottes Schuld und nicht Christi Schuld, sondern

Schuld des Menschen, der keine Gnade will. Und nun:

unmöglich, doch:

Was sollen wir thun?

Wir sagen wohl:

daß wir in diese unvergebbare Sünde verfallen.

Wer da steht, der sehe zu, daß er nicht falle.

Es ist Und

Eine einzige

Sünde gegen die Wahrheit, eine trotzige, verstockte Abweisung treuer menschlicher Liebe kann uns schließlich in die Schlingen des Bösen verstricken, daß wir nicht wieder herauskommen, und da thut sich uns

der Weg auf,

Jesus bezeichnet

der uns

schließlich in die Finsterniß führt, welche

als Sünde wider den heiligen Geist.

Nur dann

können wir sicher sein, daß wir dieser Sünde nicht verfallen können, wenn wir nicht aufhören zu wachen und zu beten,

Gott zu bitten

Eng«S Gewissen und weites Herz.

26

um das Höchste, was er uns giebt, das er aber auch ganz gewiß denen giebt, die ihn darum bitten, nämlich seinen heiligen Geist. Wo er ist, da ist Kampf gegen die Sünde, da ist Reue und Buße, steht immer die Thür

da ist Glaube, und da

offen zur Gnade

Da kann auch zuletzt der Mensch, wenn er am Ende seines

Gottes.

Lebens sich selbst Rechenschaft ablegt,

Trost hin:

in Frieden sterben auf

den

Alle Sünden können den Menschen vergeben werden. Amen.

4.

Enges Gewissen und weites Herz. Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich; und wer nicht

Luc. 11, 23.

mit mir sammelt, der zerstreuet. Marc. 9, 14. Wer nicht wider uns ist, der ist für uns.

9iese beiden Worte Jesu scheinen in scharfem Widerspruch mit

einander zu stehen;

auf.

Und

doch

fast könnte man meinen, eins hebe das andere

können wir uns das nicht denken.

Worte kommen aus demselben Munde, und

Beide Worte stammen aus demselben Geiste

niemals widersprochen.

und

diesem Geiste wohnte

in

Mittelpunkt aus,

Denn beide

dieser Mund hat sich

die

ewige Wahrheit.

Von

einem

von dem Glauben an die Vaterliebe Gottes aus

übersah er die ganze Welt und das ganze Menschenleben.

Deshalb

ist seine Anschauung von Welt und Leben aus Einem Gusse. können sich keine Widersprüche darin finden.

Es

Wir werden vielmehr

sehen, daß beide Worte zu einander gehören, sich gegenseitig ergänzen,

und

daß

gerade

in der Verbindung beider

ein tiefer Sinn liegt.

Wenn man zwei harte Steine gegen einander schlägt, so sprühen die Funken.

scheinen,

Funken

stammen.

Wenn man diese beiden Worte, die harte Gegensätze zu sein in Berührung

des

Geistes,

mit einander bringt, so sprühen auch die

des

großen heiligen Geistes,

aus

dem

sie

Eng«S Gewissen und weites Herz.

26

um das Höchste, was er uns giebt, das er aber auch ganz gewiß denen giebt, die ihn darum bitten, nämlich seinen heiligen Geist. Wo er ist, da ist Kampf gegen die Sünde, da ist Reue und Buße, steht immer die Thür

da ist Glaube, und da

offen zur Gnade

Da kann auch zuletzt der Mensch, wenn er am Ende seines

Gottes.

Lebens sich selbst Rechenschaft ablegt,

Trost hin:

in Frieden sterben auf

den

Alle Sünden können den Menschen vergeben werden. Amen.

4.

Enges Gewissen und weites Herz. Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich; und wer nicht

Luc. 11, 23.

mit mir sammelt, der zerstreuet. Marc. 9, 14. Wer nicht wider uns ist, der ist für uns.

9iese beiden Worte Jesu scheinen in scharfem Widerspruch mit

einander zu stehen;

auf.

Und

doch

fast könnte man meinen, eins hebe das andere

können wir uns das nicht denken.

Worte kommen aus demselben Munde, und

Beide Worte stammen aus demselben Geiste

niemals widersprochen.

und

diesem Geiste wohnte

in

Mittelpunkt aus,

Denn beide

dieser Mund hat sich

die

ewige Wahrheit.

Von

einem

von dem Glauben an die Vaterliebe Gottes aus

übersah er die ganze Welt und das ganze Menschenleben.

Deshalb

ist seine Anschauung von Welt und Leben aus Einem Gusse. können sich keine Widersprüche darin finden.

Es

Wir werden vielmehr

sehen, daß beide Worte zu einander gehören, sich gegenseitig ergänzen,

und

daß

gerade

in der Verbindung beider

ein tiefer Sinn liegt.

Wenn man zwei harte Steine gegen einander schlägt, so sprühen die Funken.

scheinen,

Funken

stammen.

Wenn man diese beiden Worte, die harte Gegensätze zu sein in Berührung

des

Geistes,

mit einander bringt, so sprühen auch die

des

großen heiligen Geistes,

aus

dem

sie

Enges Gewissen und weites Herz. In

dem

ersten Worte

verlangt Jesus

27

von den Seinen Ent­

Ihr müßt

schiedenheit: „Wer nicht für mich ist, der ist wider mich."

mir unbedingt angehören, sonst seid ihr gegen mich, so sehr ihr euch

auch mit dem Scheine umgebt, als ob ihr zu mir gehörtet.

In dem

zweiten Worte verlangt Jesus von den Seinen Duldsamkeit.:

„Wer

Ihr habt kein Recht, einen

nicht wider uns ist, der ist für uns."

Menschen von meiner Gemeinschaft auszuschließen, wo ihr nicht aus­

gesprochene Feindschaft gegen mich wahrnehmt.

So laßt uns zuerst von der gewissenhaften Entschiedenheit reden, dann von der weitherzigen Duldsamkeit; wir können es auch so ausdrücken:

Wir sollen ein enges Gewissen haben, aber

auch ein weites Herz.

1.

Entschieden ist ein Mensch, der sich entschieden hat über

die Grundftagen seines Lebens:

Was soll mir in meinem Leben das

Höchste sein, mein Gewissen oder mein Vortheil, die Ehre vor Gott

und die Achtung vor mir selbst oder die Ehre vor der Welt, die Gerechtigkeit oder der äußere Gewinu, die Wahrheit oder die Knecht­ schaft unter den wechselnden Meinungen der Menschen, Worte:

mit einem

Willst du die Welt gewinnen oder Gott gewinnen?

An ihm nehmen wir die Ent­

Da tritt Jesus vor dich hin. schiedenheit im höchsten Sinne wahr.

Er kennt nur Eins, was noth

ist: die Menschen zu Gott zu bringen, daß sie in ihm erneuert frei,

selig, Gottes Kinder werden, und andererseits was dazu nöthig ist:

Gott den Menschen nahe zu bringen als beseligende und erlösende Macht, daß in dieser Gemeinschaft der Menschen mit Gott und der Menschen unter einander das Reich Gottes auf Erden sei.

Einen hat er Alles geopfert.

natürlichen Bande

Diesem

Er hat seine Heimath verlassen.

des Lebens halten ihn nicht.

Die

Aus dem stillen

Nazareth reißt es ihn hinaus in den Sturm seiner üefbewegten Zeit, in die Mitte des gährenden Volkslebens. seines Volkes:

Stelle

dich

Zu ihm dringt der Ruf

an unsere Spitze, mache aus Armuth

Reichthum, aus Knechtschaft Freiheit,

aus Mangel Ueberfluß, aus

Steinen Brod,

Es winken ihm Triumphe, die Messiaskrone, der

Messiaschron.

Seine Jünger fragen ihn immer dringender, immer

stürmischer: Wann wirst du das Reich Israel aufrichten?

Alles für das Eine, was noth ist. König machen; er entzieht sich ihnen.

Er opfert

Die Menschen wollen ihn zum Ueberwältigt von seiner Rede

Enges Gewissen und weites Herz.

28

und seiner Erscheinung wollen sie ihn festhälten an Einem Ort; er aber geht weiter, denn er muß auch Anderen seine frohe Botschaft

Er verzichtet auf die Zuneigung der Menschen, die nicht

bringen.

sein ruheloses Leben mit ihm theilen wollen.

Viele, die nur Wunder

und Zeichen sehen wollen, wenden sich ohne Verständniß von ihm Er zieht den Haß der Volksführer auf sich.

ab.

Das Volk verläßt

ihn, die Gluth, die er in die Volksseele geworfen, erkaltet.

Jünger begreifen ihn nicht;

selben sieht er den Tod am Kreuz.

Seine

Am Ende des­

sein Weg ist einsam.

Er sieht — das ist der tiefste

Schmerz seiner Seele — daß sein Tod den Untergang seines heiß­

geliebten Volkes,

dem er Heil bringen will, nach sich ziehen wird.

Aber er achtet das Alles nicht.

das Eine Ziel.

Seine Augen sind nur gerichtet auf

Alles, was diesem Zwecke dient, erscheint ihm groß.

Alles,

was

klein.

Und als er am Kreuze sprach:

diesem Zwecke widerstreitet,

erscheint ihm

gering und

Es ist vollbracht!

so heißt

Er hat sein ganzes Leben, sein Herzblut, jedes Wort, jeden

das:

Gedanken, jede That bis zuletzt nur dem Einen Zweck seines Lebens

geopfert, und so ist sein Werk in göttlicher Reinheit vollbracht.

Das

ist die Entschiedenheit Jesu.

Deshalb nun,

weil er sein ganzes Leben, seine ganze heilige

Persönlichkeit als Opfer dargebracht hat für die Menschen, deshalb

hat er ein Recht, uns nun auch ganz für sich in Anspruch zu nehmen, von uns zu verlangen, daß wir uns ganz für ihn entscheiden.

Wohl

magst du einen Augenblick staunen, wenn du diese Forderung Jesu

hörst:

Du mußt mir ganz gehören, mit deiner Seele, deinem Ge­

müth,

deinem Geist,

deinem Willen und Charakter.

Forderung stellt sonst Niemand außer Gott.

Denn diese

Würde sie sonst von

irgend einem Menschen an euch gestellt, so würdet ihr sie als An­ maßung zurückweisen. hat,

Nur Jesus, der sich ganz für uns hingegeben

hat das Recht zu sagen:

scheiden.

Du mußt dich ganz

für mich ent­

Mir soll deine Liebe gehören, ich will sie heiligen; mir

dein Glück, ich will es weihen;

mir dein Leiden, ich will es sanft

machen; mir deine Arbeit, ich will sie groß machen, sie einfügen in den großen Haushalt des Gottesreichs auf Erden.

Mir soll dein

Herz gehören, damit du darin Gott schaust; mir dein Geist, daß er

ein Tempel

meines Vaters

gehören in Kirche und Welt,

werde.

Dein

ganzes Leben soll mir

auf der Straße und im Heiligthum.

Enges Gewissen und weites Herz. ruft er uns so oft zu:

Deshalb

2S

Entscheide dich.

Wer mir nach­

folgen will, der verleugne sich selbst, der sehe nichts als mich.

sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es finden.

es

dem Menschen,

so

er

Schaden an seiner Seele.

ist, der ist wider mich.

die ganze Welt

gewänne,

Und hier sagt er:

Wer

Was hülfe

und

nähme

Wer nicht mit mir

Entscheide dich!

Es ist schlimm bestellt um einen Menschen, der niemals zu einer

Entscheidung kommen kann.

Wenn du einen folgenschweren Entschluß

fassen sollst, beide Wagschalen sind fast gleich, und du schwankst nun hin und her zwischen beiden, und kannst nicht zu einer Entscheidung kommen, so

das ein unseliger Zustand.

ist

Deshalb sind unent­

schiedene Menschen ruhelose Menschen, und ihr Inneres ist wie ein Pendel, das hin und her geht. Tag und Nacht keine Ruhe hat.

Und

nichts ermüdet so sehr und braucht unsere Kräfte so schnell auf, als

diese Unentschiedenheit.

Denkt euch, wie rasch ein Mensch ermüdet,

der nicht weiß, welchen von zwei Wegen er wählen soll. den einen eine Strecke,

dann erkennt er,

Er geht

daß dieser falsch ist, er

geht den andern und wird auch da zweifelhaft.

kehrt um,

ermüdet so sehr,

aufgebraucht

gabung

ist

zwischen

verschiedenen Zielen.

zwecklos

worden

So ist's

auch

Nichts

Manche große Be­

als solche Unentschiedenheit.

in

dem

Schwanken

im geistigen Leben.

Du lebst bald nach innen, hälft Dich an deine Grundsätze, hörst auf die Stimme deines Gewissens,

deines Glaubens;

bald wieder ver­

gissest du den inwendigen Menschen, hörst nur nach außen, auf die

Meinung der Menschen, siehst nur aus deinen Vortheil.

Eine stete

Unruhe treibt dich bald nach innen zu Gott, bald wieder nach außen, in die Welt.

In diesem unentschiedenen Hin und Her wird die beste

Kraft verzehrt, der beste Theil des Lebens. Wie stark und frei dagegen fühlst du dich, wenn du dich ent­

schieden hast.

Schon im gewöhnlichen Leben, wenn du endlich nach

langem Schwanken zu einem festen Entschluß gekommen bist, gehst du ruhig und gewiß der Zukunft entgegen.

Und nun erst, wenn

du den einen großen Entschluß gefaßt hast, den Jesus von dir ver­

langt.

Sich für Jesus entscheiden heißt ja nicht ins Kloster gehen,

mit saurer Miene alles Große und Gute zurückweisen, was die Welt

darbietet,

und dem Leben ein ganz absonderlich heiliges Gewand

anlegen; denn das Christenthum ist nicht wider die Natur, sondern

Enges Gewissen und weites Herz.

30

es ist Heiligung und Verklärung der Natur.

An Jesus ist nichts

Unnatürliches, Angenommenes, Gemachtes, sondern Alles so natürlich, gerade gewachsen, wie eine Tanne auf dem Berge, festgewurzelt in

der Erde, das Haupt aber gen Himmel gerichtet.

So soll auch an

dir Alles natürlich sein, herausgewachsen aus deinem innersten Wesen,

deshalb auch wahr und echt.

Sich für Jesus entscheiden heißt auch

nicht, sich für eine Partei entscheiden, für eine Richtung.

In jeder

Partei kannst du dich für Jesus entscheiden und Niemand kann dir

dieses Recht nehmen.

Sondern für Jesus sich entscheiden d. h. seine

Gesinnung haben, immer nur das Eine im Auge haben, die Unverletztheit des Geistes, die Freiheit des Herzens in Gott; den Frieden mit Gott haben, Gottes Sache vertreten, so schwer es auch sein mag, immer und überall, auch in den alltäglichen Dingen, sich nur und

mit ganzem Herzen für die Wahrheit entscheiden, wo die Menschen auf beiden Seiten hinken, sich für das Recht entscheiden, wo die Menschen auch nur unmerklich das Recht beugen; wo eine Liebes­

pflicht an uns herantritt, seine ganze Kraft in die Erfüllung dieser Pflicht hineinlegen; die Seele rein halten, auch wenn man die ganze Welt dabei verlöre; in aller Sülle, in Reue und Buße, in Gebet

und Glauben das Wesen Jesu hineinbilden in unser Wesen, mitten in der rastlosen Arbeit nach außen ebenso rastlos arbeiten an dem inneren Menschen, daß er immer schöner, immer gottähnlicher werde — das heißt es: Sich für Jesus entscheiden, mit ihm sein.

Entscheidung macht uns wirklich frei.

Diese

Warum sind denn die großen

Männer des christlichen Glaubens, wie Paulus und Luther, warum

sind sie so frei, so furchtlos gewesen vor der ganzen Welt?

Weil

sie die größte Entscheidung mit aller Entschiedenheit getroffen hatten, und weil sie sich nun um nichts mehr kümmerten,

als um ihren

inwendigen Menschen, das Heil ihrer Seele, und sie dieses geborgen

wußten in ihrer Gemeinschaft mit Gott.

Gewiß, solche Leute können

sehr unbequem werden mit ihrer Gewissenhaftigkeit und Entschiedenheit. Aber das sollen sie auch.

Sie sollen das scharfe Salz sein unter

den Menschen, die Menschen auftütteln aus ihrer Feigheit und Unent­ schiedenheit durch die Frage: Was ist Wahrheit, was ist recht, was ist gut? Ohne diese Entschiedenheit, ohne diese innerste Gesinnungs- und

Gewissensgemeinschaft mit Jesus nützt euch der Christenname und alles

EngeS Gewissen und weites Herz.

31

Bekennen und Singen und Beten, alles äußere fromme Wesen nichts. Gerade diesem äußeren Wesen gegenüber, dem Gewohnheits-, Namen-

und Schein-Christenthum gegenüber gilt das Wort: „Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich."

Jesus

hat

einst in schmerzlichster

Bewegung den Menschen zugerufen: „Warum nennet ihr mich Herr Herr und thut nicht, was ich euch sage?"

Träte er heute unter

seine Gemeinde, so würde er diese Frage wiederholen, würde sagen: „Ihr nennt euch Christen und seid keine Christen." Ihr redet davon,

daß das Christenthum die herrschende Macht in unserem Volke sein müsse, und seid so träge, so lau und gleichgiltig in den Dingen eures

Glaubens, so zurückhaltend im Bekennen, so lässig im Thun.

Ihr

betet, zeigt aber nicht in eurem Leben, daß euer Gebet eine Macht

in euch ist.

Ihr redet von Liebe und übt so wenig Liebe.

schmückt Christus mit den höchsten Namen und Ehren,

Ihr

daß die

Menschen ihn, wie er einst auf Erden gewandelt ist, kaum noch kennen; und ihr vernachlässigt die einfachsten Pflichten, die er euch vorschreibt.

Ihr sprecht das Wort, welches ein wirklich frommer Herrscher einst gesagt hat, gedankenlos nach, daß dem Volke die Religion müsse

erhalten werden, aber ihr wollt selbst nicht fromm sein, sondern die Religion nur als ein Mittel haben, das Volk zu regieren.

Ihr

schwelgt in frommen Gefühlen und geht hin und läßt sie verfliegen

wie Weihrauchwolken.

Ihr habt eure Freude an prächtigen Gottes­

häusern und hochragenden Thürmen, aber ihr baut keine lebendigen

Gemeinden auf.

„Was nennt ihr mich Herr Herr und thut nicht,

was ich euch sage?" Dieses Schein- und Wort-Christenthum, das mit Jesus zu sein

scheint, und es doch nicht ist, meint der Herr, wenn er sagt: „Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich."

Es schadet seinem Namen

und dem Ansehen seiner Kirche viel mehr als offener Unglaube.

Warum wenden sich heute so viele Menschen von der Kirche ab? Nicht

um des

Christenthums willen,

das ist unser fester

Glaube, ganz gewiß nicht um des Christenthums willen, sondern um

des Anstoßes willen, den sie an denen nehmen, welche Herr sagen

und nicht thun, was Jesus sagt, den sie an dem frommen Schein ohne frommes Wesen,

an den

frommen Werken

ohne

fromme

Thaten nehmen.

Wer nicht mit mir ist — in seiner Gesinnung und in seinem

Enges Gewissen und weites Herz.

32

Leben — der ist wider mich, und wer nicht mit mir sammelt, der

zerstreut.

2. Dieses Wort Jesu von der Entschiedenheit findet seine Er­

gänzung in dem Worte von der weitherzigen Duldsamkeit.

In

dem ersten Wort zieht Jesus den Kreis derer sehr weit, die wider ihn sind, in dem zweiten Wort den Kreis derer, die für ihn sind.

Und doch muß zwischen beiden Worten eine innere Uebereinstimmung stattfinden.

Bei näherem Zusehen finden wir, daß mit der rechten

Entschiedenheit sich die Duldsamkeit verbinden muß. Wahre Duldsamkeit hat ihre Wurzel in wahrer religiöser Ent­

schiedenheit.

Ich sage: Wahre Duldsamkeit, d. h. nicht solche Duld­

samkeit, welcher aller Glaube überhaupt gleichgiltig ist, sondern die

Duldsamkeit, welche jeden ehrlichen Glauben, jede aufrichtige religiöse

Ueberzeugung achtet.

Wer selbst einen Glauben hat, eine persönliche

Ueberzeugung, einen Gewissensglauben, dem ist dieser Glaube das

Heiligste, und er ist empfindlich gegen jede Entweihung, Verletzung dieses seines Heiligthums durch Andere.

Das aber,

was er be­

ansprucht für seinen Glauben, das — weiß er — werden auch Andere für ihren Glauben beanspruchen.

Ich habe Achtung vor meinem

Glauben, deshalb habe ich auch Achtung vor dem Glauben Anderer.

Das ist wahre Duldsamkeit:

Achtung vor dem ehrlichen Glauben

Anderer, die Achtung, welche beruht auf der Achtung vor meinem Glauben, d. h. auf der religiösen Entschiedenheit.

Diese ächte Duld­

samkeit kann nur unduldsam sein gegen Eins, nämlich gegen die Unduldsamkeit und was damit verbunden ist, die religiöse Unwahrhafügkeit, die Heuchelei.

Wo aufrichüge religiöse Ueberzeugung ist, da ist wahre Duld­

samkeit. gewesen.

Beide Worte Jesu gehören zusammen.

So ist Jesus duldsam

Von der heiligen Höhe seiner unauflöslichen Gemeinschaft

mit seinem Vater sieht er auf die Menschen herab und in die Menschen

hinein, nicht nur mitleidig, sondern mit einem von Liebe und Achtung

erfüllten Verständniß für jedes wenn auch noch so unvollkommene ehrliche Wollen, für alles aufrichüge Suchen nach Gott, für jede

edele Regung, die unter dem Schutt einer äußerlichen Frömmigkeit oder einer schuldbeladenen Vergangenheit noch lebt, für jede Regung des Sündenbewußtseins und der Reue, für jede auftichüge Sehnsucht

nach Versöhnung.

Ja er ist herzenskundig, deshalb ist er der Herzens-

Enges Gewissen und weites Herz. kündiger.

33

kauanäischen Weibe,

das nichts von

Rechtgläubigkeit und jüdischer Gesetzlichkeit wußte:

„O Weib, dein

Er sagt zu dem

Glaube ist groß, dir geschehe, wie du geglaubet hast", und von dem

heidnischen Hauptmann, der sich ihm vertrauensvoll naht: „Solchen Glauben habe ich in Israel noch nicht gefunden."

er die Barmherzigkeit des Samariters,

Deshalb preist

als ob dieser

ein streng­

gläubiger Israelit wäre, und seine Jünger, die in fanatischem Eifer

Feuer

wollen vom Himmel regnen lassen auf eine samaritanische

Stadt, straft er:

„Wisset ihr nicht, wes Geistes Kinder ihr seid?"

Deshalb verkehrt er mit den Sündern und Zöllnern, und als ihm seine Jünger erzählen, daß Einer in seinem Namen Teufel austreibe, ohne

ihm nachzufolgen, da spricht er:

für uns."

„Wer nicht wider uns ist, der ist

Am Kreuz segnet er noch den Schächer und betet für

seine Feinde, weil sie nicht wissen, was sie thun. . So schweift sein

Blick weithin über das Ackerfeld Gottes, und neben den hohen reifen

Aehren achtet er auch die niedrig stehende Saat, neben dem klaren

Vertrauen und dem aufgeschlossenen Verständniß auch das ahnende Verlangen nach Wahrheit und Erlösung. Wie ist es bei uns?

Wir müssen leider unter uns vielfach

die Achtung vor fremder Glaubensüberzeugung vermissen.

Vielmehr

auf der einen Seite die Gleichgiltigkeit, für die überhaupt Glauben

ein unverständliches Ding ist und die deshalb auch keine Achtung vor dem Glauben Anderer hat, auf der andern Seite der blinde Eifer gegen Jeden, der sich seinen eigenen Weg sucht zum Himmel und

zu Gott.

Wir sehen bei unseren Glaubensgenossen oft jedes Ver­

ständniß dafür fehlen, wie einem heutigen Menschen, der nach Wahr­ heit und Klarheit

in seinem Glauben sucht, in dem Gewirr der

Meinungen, im Kampfe der Konfessionen zu Muthe sein muß, und so wird oft von beiden Seiten, von den Gläubigen und von den

Ungläubigen über ein ehrliches, auftichtiges Suchen nach religiöser Erkenntniß Hohn und Spott ausgeschüttet.

Man hat's doch zu sehr

in der Christenheit vergessen, daß unser großer Meister das zerstoßene

Recht nicht zerknickt und den glimmenden Docht nicht ausgelöscht hat.

Wo wir außerhalb unserer Kirche wirklich religiöses Leben

sich regen sehen, da sollten wir uns freuen und nicht verdammen.

Der Hochmuth, der mit heuchlerischem Mitleid auf Andersdenkende

herabsieht, äußerlich sie bedauert, aber innerlich sie verdammt, die Kirmß, Predigten.

3

Enges Gewissen und weites Herz.

34

Aufdringlichkeit,

die mit ihrem Bekehrungseifer

>nehr schadet

als

nützt, jenes Pharisäerthum, das immer wieder aufersteht, das vorgiebt,

für Gott zu streiten, sich jedoch nur von seiner engherzigen Herrsch­

sucht leiten läßt, — das alles ist ein Hohn Meisters:

auf das Wort des

„Wer nicht wider uns ist, der ist für uns."

So groß

war der Meister; o wie klein sind die Jünger! Es giebt Gott sei Dank unter denen, die dem Christenthum kühl

gegenüberstehen, stets Menschen, von welchen dieses weite milde Wort Jesu gilt, Menschen, die das Gute wollen, nach Wahrheit suchen, sich

abquälen um eine Anschauung vom Menschenleben, die ihnen Frieden brächte.

Warum bekennen sie sich nicht freudig zu Jesus Christus?

Nicht sie allein tragen die Schuld.

Es hat sich leider an das Christen­

thum viel Menschliches, Allzumenschliches angeheftet, viele Mißbräuche,

viel Entartung, und alle diese Dinge machen sich so aufdringlich breit in unserem Leben, daß es eines scharfen Blickes bedarf, um dahinter noch das Christenthum in seiner einfachen Größe zu erkennen.

So

kommt es, daß viele Menschen in der heutigen Zeit traurig sagen: Wir können nicht glauben! und gar Manchen mit tiefem Gemüth,

mit ernstem Gewissen, mit edelem sittlichen Streben.

Unsere Kirche

müßte Trauerkleider tragen, daß nicht ohne ihre eigene Schuld Biele der

Besten ihr den Rücken kehren.

Wenn diese Menschen, die sich ungläubig

nennen und von Anderen so genannt werden, wirklich Jesum erkennten,den

Mann, der in der Liebe unterging, der in der Treue für uns sein Leben ließ, der die Menschen so hoch geachtet hat, wie sie nie wieder geachtet

worden sind, den Mann, dessen Leben ewige Wahrheit, dessen Geist

ewiges Licht ist, der Gott und die Menschen umspannt, um sie zu einem ewigen Friedensbund zusammenzubringen — ich sage:

Wenn

jene Menschen Jesum so sähen, als ihren Freund und Bruder, so

wie er wirklich war, und ihr fragtet sie nun:

Seid ihr wirklich

wider ihn? so würden Viele antworten: Er ist ganz anders, wie

wir uns ihn vorgestellt hatten, als die Menschen ihn uns geschildert haben, nein, gegen Den sind wir nicht und Jesus würde zu ihnen sagen: „Kommet zu mir, daß ihr Ruhe findet für eure Seelen! Denn wer

nicht wider mich ist, der ist für mich."

Wenn unter euch solche sind,

von denen das gilt, so mögen sie sich rathen lassen: Vergeßt einmal Alles, was ihr von Menschen über Jesus und seine Nachfolge gehört

habt, nehmt das neue Testament zur Hand und leset die Evangelien,

Die geistige Kraft Jesu.

35

besonders die Bergpredigt, die Gleichnisse,

hört das heilige Herz

schlagen, das darin schlägt, seht die Augen heiliger Liebe auf euch

gerichtet, mit denen Jesus am Kreuze hinschaut über dieses suchende,

dann werdet ihrs, dann müßt ihrs

kämpfende Menschengeschlecht,

empfinden: Es giebt für uns Menschen doch eine Erfüllnng, es giebt

eine Erlösung, es giebt eine Wahrheit, die nie trügt, eine Liebe, die uns nie verläßt, und ihr werdet erkennen:

Wir sind nie wider ihn

gewesen, sondern im Grunde immer für ihn!

Wenn dieser Geist einzöge in unsere Kirche, wie herrlich würde sie sein, ein Hort der Wahrheit, ein Haus des Friedens für alles

Volk.

Herr Jesu, komme bald, erscheine wieder den Menschen in

deiner Herrlichkeit.

Mache

uns fest und

in unserm

entschieden

Glauben an dich; denn wer nicht für dich ist, der ist wider dich. Mach unsere Herzen weit für Alle, die dich suchen; denn, wer nicht wider dich ist, der ist für dich.

Amen.

5.

Die geistige Kraft Jesu. (Passion.) Joh. 12, 20—26.

Es waren

aber

etliche Griechen unter denen,

hinauf gekommen waren, daß sie anbeteten auf das Fest.

zu Philippo,

sprachen:

der von Bethsaida aus Galiläa war,

Herr, wir wollten Jesum gerne sehen.

die

Die traten

baten ihn,

und

Philippus kommt

und sagt es Andreas, und Philippus und Andreas sagten es weiter

Jesu.

Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Zeit ist ge­

kommen, daß des Menschen Sohn verkläret werde. ich

sage euch:

Es sei denn,

und ersterbe, so bleibt es allein;

viele Früchte.

wo es aber erstirbt, so bringt es

Wer sein Leben lieb hat, der wird es verlieren; und

wer sein Leben auf dieser Welt

ewigen Leben.

Wahrlich, wahrlich,

daß das Weizenkorn in die Erde falle

haffet,

der wird es erhalten zum

Wer mir dienen will, der folge mir nach;

ich bin, da soll mein Diener auch sein.

und wo

Und wer mir dienen wird,

den wird mein Vater ehren.

Es kann nicht oft genug betont werden, daß die Hauptsache

am Christenthum nicht die Lehre Jesu ist, sondern sein Leben, seine

Persönlichkeit.

Der Glaube, den er uns verkündigt, wird uns erst

3*

Die geistige Kraft Jesu.

35

besonders die Bergpredigt, die Gleichnisse,

hört das heilige Herz

schlagen, das darin schlägt, seht die Augen heiliger Liebe auf euch

gerichtet, mit denen Jesus am Kreuze hinschaut über dieses suchende,

dann werdet ihrs, dann müßt ihrs

kämpfende Menschengeschlecht,

empfinden: Es giebt für uns Menschen doch eine Erfüllnng, es giebt

eine Erlösung, es giebt eine Wahrheit, die nie trügt, eine Liebe, die uns nie verläßt, und ihr werdet erkennen:

Wir sind nie wider ihn

gewesen, sondern im Grunde immer für ihn!

Wenn dieser Geist einzöge in unsere Kirche, wie herrlich würde sie sein, ein Hort der Wahrheit, ein Haus des Friedens für alles

Volk.

Herr Jesu, komme bald, erscheine wieder den Menschen in

deiner Herrlichkeit.

Mache

uns fest und

in unserm

entschieden

Glauben an dich; denn wer nicht für dich ist, der ist wider dich. Mach unsere Herzen weit für Alle, die dich suchen; denn, wer nicht wider dich ist, der ist für dich.

Amen.

5.

Die geistige Kraft Jesu. (Passion.) Joh. 12, 20—26.

Es waren

aber

etliche Griechen unter denen,

hinauf gekommen waren, daß sie anbeteten auf das Fest.

zu Philippo,

sprachen:

der von Bethsaida aus Galiläa war,

Herr, wir wollten Jesum gerne sehen.

die

Die traten

baten ihn,

und

Philippus kommt

und sagt es Andreas, und Philippus und Andreas sagten es weiter

Jesu.

Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Zeit ist ge­

kommen, daß des Menschen Sohn verkläret werde. ich

sage euch:

Es sei denn,

und ersterbe, so bleibt es allein;

viele Früchte.

wo es aber erstirbt, so bringt es

Wer sein Leben lieb hat, der wird es verlieren; und

wer sein Leben auf dieser Welt

ewigen Leben.

Wahrlich, wahrlich,

daß das Weizenkorn in die Erde falle

haffet,

der wird es erhalten zum

Wer mir dienen will, der folge mir nach;

ich bin, da soll mein Diener auch sein.

und wo

Und wer mir dienen wird,

den wird mein Vater ehren.

Es kann nicht oft genug betont werden, daß die Hauptsache

am Christenthum nicht die Lehre Jesu ist, sondern sein Leben, seine

Persönlichkeit.

Der Glaube, den er uns verkündigt, wird uns erst

3*

Die geistige Kraft Jesu.

36

durch sein Leben

verbürgt.

Leben Fleisch und Blut.

Seine Gedanken bekommen durch sein

Was uns seine Lehre so überzeugend macht,

das ist seine Gestalt, sein Lebensbild.

Was uns zu Christen gemacht

das sind nicht einige Lehren, die er vorgetragen hat, sondern

hat,

das ist er selbst.

Daher kommt es, was uns sonst unerklärlich wäre,

daß er bei all seiner Demuth in seinen Reden häufig von sich selbst spricht, von sich selbst als dem Meister, dem Messias, dem Gottes­

und Menschensohn, dem guten Hirten, dem Licht der Welt u. s. w. Darum hat unser Christenleben seinen Nerv und seine Lebenskraft in

unserem Verhältniß zu Christus selbst.

Es ist deshalb nur natürlich,

daß hier im Gottesdienst gerade davon häufig die Rede ist.

in unserer

heutigen

Erzählung

steht Jesus

die da auftreten, suchen ihn,

Griechen,

Auch

Die

im Mittelpunkt.

möchten ihn sehen.

Das

Weizenkorn, von dem er in seiner Antwort an sie spricht, ist er selbst. Und zuletzt verlangt er von den Menschen, daß sie ihm nachfolgen

sollen.

Wir sehen hier

die 1.

Er zieht

möchten.

2.

zum Leben

Kraft Jesu.

geistige

die

Menschen

an,

daß

sie

ihn

sehen

Er zeigt sich ihnen als der, der durch Tod

3.

hindurchgedrungen ist.

Er zieht

sie zu

sich, daß sie ihm nachfolgen müssen.

1.

Die Griechen kommen nicht etwa aus Neugierde, um einen

Mann zu sehen, von dem viel gesprochen worden ist.

Sondern sie

ahnen, daß hinter der äußeren Erscheinung Jesu viel verborgen sein muß, was sie gern besitzen möchten: Heil, Erlösung, Wahrheit, Liebe,

Friede.

Das ist es, was sie zu ihm zieht.

Es ist die Sehnsucht

der Heiden nach Christus, welche uns hier dargestellt wird.

Griechen, welche Jesum stalten, wie

gern sehen möchten,

sind

die Weisen aus dem Morgenlande,

ähnliche

die von

Die Ge­

fernher

kommen, um Jesum zu sehen, wie das kananäische Weib, welches ihm

nachläuft und ihn um Hülfe anruft,

wie der Samariter,

der mit

neun Anderen vom Aussatz geheilt

allein umkehrt und Jesu dankt.

Eine wunderbare Anziehungskraft,

welche

von Jesus ausgegangen

sein muß.

Wenn die

die

alten Propheten

Hoffnung Israels

den

erfüllen sollte,

erwarteten, in welchem sich,

die Zeit,

wo die Himmel

Gerechtigkeit träufeln würden — diesen Weissagungen

und Hoff-

37

Die geistige Kraft Jesu.

nungen lag

auch

das Verlangen zu Grunde:

Wir wollten

gerne

Jesum sehen. Diese Anziehungskraft, welche Jesus auf die Menschen ausübte,

Wenn immer von Zeit zu Zeit in der Kirche

hat niemals geruht.

die Erwartung erwachte, daß Christus bald in sichtbarer Herrlichkeit wieder kommen werde,

die Bösen zn richten, die Guten zu

um

belohnen, die Hoffnungen der Gläubigen zu erfüllen, die Sünde zu

dämpfen,

die Gerechtigkeit zu erhöhen,

die Weinenden zu trösten,

diese bisweilen schwärmerischen Hoffnungen auf die baldige sichtbare

Wiederkunft des Herrn entstanden aus der Sehnsucht: Wir möchten

gerne Jesum sehen.

Die mittelalterliche Kirche hatte den Menschen

Jesum gezeigt als den Himmelskönig,

vor dem das Weltall zittert,

vor dem die Geschlechter der Menschen ihr Antlitz verhüllen müssen,

vor

dem

zuletzt Alles in Staub

und Asche vergehen

erwachte in den Menschen der Widerspruch.

der rechte Christus sein.

nicht

nahmen

entgegen

mit

Da

„Wir möchten Jesum sehen."

das Neue Testament zur Hand,

ihnen Jesus

wird.

Sie sagten: Das kann suchten

darin;

Sie

da trat

voll Erbarmen, mit den

dem Herzen

segnenden Händen, mit dem majestätischen und doch so milden Blicke. Es war den Menschen wie eine neue Offenbarung, als ihnen in der Reformationszeit Jesus wieder als der Heiland entgegentrat. heute regt es sich immer mächtiger in den Menschen:

auch

möchten Jesum sehen." uns

keine Lehre

selbst,

die innere

„Wir

Die Menschen erkennen immer deutlicher, daß

über Jesus,

heiligen Ueberlieferung

Und

stammte,

und wenn sie aus einer noch so uns etwas hilft, sondern nur er

geistige Verbindung

mit ihm,

Leben in unser geistiges Leben überleitet.

die sein geistiges

Wir wollen ihn deshalb

sehen so, wie er wirklich gewesen, gedacht, gefühlt, gewollt hat.

Aus

dem unruhigen Suchen der heutigen Zeit in religiösen Dingen, aus

dieser auffallenden Erscheinung, daß bald hier bald da immer neue

religiöse Bewegungen hervortreten, bisweilen sich selbst sehr unklar, aber doch von einem tiefen Verlangen getrieben, klingt der Ruf her­

vor:

Wir möchten Jesum gerne sehen, so wie er wirklich war.

Möchtest auch du ihn sehen?

Wenn du ihn wirklich innerlich

siehst, d. h. verstehst in seinem geistigen Wesen, in seiner göttlichen

Sendung, in seiner rettenden Kraft, da fällt ein neues Licht in deine Seele, und ein neues Leben erfüllt dich, und du wirst seiner Selig-

38

Die geistige Kraft Jesu.

fett gewiß, wirst dessen gewiß, daß du einen Heiland hast, der dich

von jeder Sünde, sie sei noch so mächtig, von jeder Schuld, sie sei

noch so groß,

von jedem Schmerz,

er sei noch so bitter,

erretten

samt, einen Erlöser, dessen Macht bis in die Ewigkeit reicht.

halb zieht es die Menschen so zu ihm hin.

Des­

Sie möchten ihn sehen.

Ein Fehltritt, eine trübe Erfahrung, ein schwerer Schicksalsschlag hat dich ganz

daß du dich

aus der Fassung gebracht,

gar nicht mehr

zurecht finden kannst, daß du unsicher wirst darüber, was recht und gut ist und ob es sich überhaupt wirklich lohnt, Liebe und Treue zu halten,

Augenblicken

anzustrengen,

In

solcher inneren Verwirrung möchtest du Jesum sehen,

daß er mit seiner ruhigen Klarheit, Tod dich

sich

an den Menschen etwas zu thun.

verzweifeln möchtest,

Menschen ganz

damit er, der von den Menschen

bis an bin

mit seiner Treue

brächte.

wieder auf den rechten Weg

Wenn du an den

so verlangst du ihn zu sehen,

doch bis zum letzten

verworfen,

Athemzug an die Menschen geglaubt hat, dich wieder an sie glauben Wenn du an Gott irre geworden bist, so verlangst du Jesum

lehre.

zu sehen,

der durch alles Schwere sich nur um so enger mit Gott

verbinden

ließ,

daß er auch dich wieder zu deinem Vater brächte.

Brüste dich noch so sehr mit deiner Kraft, Bildung,

Hand,

deiner Tugend und Gerechttgkeit,

die dich hält,

diesen Heiland,

deiner aufgeklärten

du brauchst doch diese

der dich heilt.

Die geistige

Anziehungskraft Jesu erweckt in allen Menschen das bewußte oder

unbewußte Verlangen: 2.

Wir möchten gerne Jesum sehen.

Als die Griechen nach Jesus fragten, da offenbarte er ihnen

„Es sei denn, daß das Weizenkorn

das Geheimniß seines Lebens.

sterbe, so bleibt es allein; so es aber stirbt, bringt es viele Frucht." Ein

geheimnißvolles Wort.

Halten wir uns, um

dieses Wort zu

verstehen, zunächst streng an das Gleichniß vom Weizenkorn.

Jesus vergleicht sich selbst mit dem Weizenkorn. Ein Weizenkorn

hat sehr wenig Werth.

Merkwürdig:

Fällt bei der Ernte eins

daneben, so wird sich wohl kaum Jemand bücken, um es aufzuheben.

Die Persönlichkeit Jesu dagegen ist das Größte und Herrlichste, was

es auf Erden geringen

giebt.

Weizenkorn.

Gleichwohl Und

in

vergleicht sich Jesus

der

That ist

Weizenkornes auch die Geschichte seines Lebens. Weizenkornes ist dir verborgen.

mit einem

die Geschichte

des

Der Inhalt eines

Auch wenn du es gewaltsam öffnest.

39

Die geistig« Kraft Jesu.

Die Krümchen Mehl, welche

wirst du seinen Inhalt nicht entdecken.

dir entgegenfallen,

sind noch

nicht

sein Inhalt.

Willst du diesen

sehen, so mußt du es von dir thun, in die Erde legen, so daß du nichts niehr

siehst.

ihm

von

Es scheint

eine Zeit, da wächst aus

Aber es kommt

Erde muß es sterben.

Denn in der

verloren.

dem Korn ein Halm hervor, und aus dem Halm bildet sich eine Aehre,

und wiegt sich in der warmen Sommerluft.

Seht,

der eigentliche Inhalt des Weizenkornes gewesen. selbst

in der Erde

dadurch

gestorben ist,

diese Aehre ist

Dadurch, daß es

ist sein Inhalt offenbar

geworden. In dieser Geschichte des Weizenkornes sieht Jesus die Geschichte

Und nicht nur das, sondern er will diese Geschichte

seines Lebens.

zur Geschichte seines Lebens machen.

Wie in dem Weizenkorn die

Keimkraft liegt, so lag in Jesus die Kraft der Liebe und des Lebens, Wie aber das Weizenkorn, wenn es nicht in

das von oben kommt.

die Erde gelegt wird, allein bleibt, ohne Frucht, so wäre auch die Kraft in Jesus

ohne Frucht geblieben,

wenn er sich nicht in den

Tod gegeben hätte, wenn er vor Jerusalem umgekehrt, nach Naza­

reth in die Stille

Durch den Tod mußte die

zurückgekehrt wäre.

niedere Hülle seines Lebens gesprengt werden, damit der Inhalt sich segnend

entfalten,

über die Erde

damit

durch

ergösse.

Im Tode

sanfte Gewalt

diese

mußte seine Liebe sich die Macht der Gott­

entfremdung unter den Menschen gebrochen würde und die Menschen wieder hingezogen 'würden zu Gott. Im Tode mußte Jesus sein

Panier entfalten, damit sich die um ihn sammelten, welche hungerte

und dürstete

nach der Gerechtigkeit.

Er mußte

sterben,

um

viele

Frucht zu bringen.

Das ist also die Antwort, welche Jesus den Griechen giebt, die

ihn sehen wollten.

korn.

Er sagt: Jetzt bin ich ein unansehnliches Weizen­

An mir ist nichts zu sehen, kein Ruhm, kein äußerer Glanz,

keine Berühmtheit in menschlichem Sinne. Griechen mich sehen?

unscheinbares Weizenkorn.

so müssen sie warten.

Weizenkorn in die Erde fallen und sterben,

Aehre sein Innerstes entfalten. ewiges Leben

wollen

diese

Ich bin wie ein

Wollen sie mich sehen, so wie ich wirklich

bin, das, was in mir ist,

als sein

Warum

An mir ist nichts zu sehen.

sich

Erst muß das

dann wird sich in der

Erst da war er wahrhaftig zu sehen, unter

den

Menschen

entfaltete,

als

Die geistige Kraft Jesu.

40

Menschen, von ihm ergriffen, aufstanden zu einem neuen Leben, die

Kinder der Sünde und des Todes Gottes Kinder wurden, als sie sich zusammenschlossen durch seinen Geist in einer Liebe, wie sie die

Welt noch nie gesehen hat, als sie um seines Namens willen in den

Tod gingen, als die Heere des römischen Weltreiches vor ihm ihre Waffen niederlegten, als die Großen der Erde von seiner schlichten Majestät überwunden vor ihm

ihre Kniee beugten,

als ein neuer

Völkerfrühling über die Erde zog, als durch die Kraft Jesu sich das Leben der Menschen erneuerte, ein neues Familienleben sich gestaltete,

Mann und Frau und Kinder als die Genossen derselben Verheißung sich in dienender Liebe

mit einander verbanden,

als Sklavenketten

brachen, eine neue Menschenwelt sich bildete — in dieser Entfaltung

der Kraft Jesu Christi

Jesu gesehen, wie Aehre.

sie

haben die Menschen das Wesen

das eigentliche Wesen

des Weizenkornes sehen in der

Die neue christliche Welt, das ist die Aehre, welche hervor­

gewachsen ist aus jenem edlen Weizenkorn, das in

die Erde fiel

und starb. Gehören nicht auch tragen,

wir,

d. h. das Beste, was wir in uns

die Gewißheit der Gnade Gottes, die Lebenskraft in uns,

welche durch alle Schicksale nicht gebrochen werden kann, — gehören

nicht auch wir zu den Früchten, welche

dem Tode Jesu?

Jesus hat gesagt, man

pheten an ihren Früchten erkennen.

hervorgewachsen sind aus

wird die falschen Pro­

Auch Jesus will erkannt werden

an seinen Früchten, vor allen Dingen auch an seinen Früchten, die

in uns reifen.

Niederlage

Habt ihr in euch christlichen Glauben, der aus jeder

sich wieder hindurch arbeitet zu Gott,

christliche Liebe,

welche auch da treu bleibt, wo sie keine Dankbarkeit findet, christliche Geduld, welche stärker ist, als jede Prüfung, christliche Hoffnung, die sich durch nichts überwinden läßt, habt ihr in euch etwas von dem ewigen Leben, das-im Tode nicht untergeht — seht, das sind

Früchte, die hervorgewachsen sind aus Christus,

dem Weizenkorn,

welches gestorben ist, um in uns Früchte zu tragen.

An diesen

Früchten erkennt ihr die innere Herrlichkeit, die in Jesus gewesen ist. Durch Grübeln und Streiten über Glaubenssätze, über die göttliche

und menschliche Natur Jesu werdet ihr ihn niemals erkennen; son­

dern:

„Christum erkennen," sagt Melanchthon, „heißt seine Wohl­

thaten erkennen, nicht sich über seine beiden Naturen streiten."

Die geistige Kraft Jesu. 3.

41

Weizenkörner aber haben die Bestimmung, den Menschen zu

nützen, entweder dadurch, daß sie wieder als Aussaat benutzt werden,

oder

dadurch,

sie den Menschen zur Nahrung

daß

dienen.

So

haben die Menschen, deren inneres Leben als Frucht aus Christus hervorgewachsen ist, die Bestimmung, den Menschen zu nützen und

zu dienen.

Deshalb

sagt Jesus:

„Wer

sein Leben lieb hat, der

wird es verlieren; wer aber sein Leben haßt, der wird es erhalten

zum ewigen Leben." Das ist scheinbar ein widersinniges Wort, thatsächlich aber ein

Wort von fast unergründlichem Tiefsinn, dessen Wahrheit mit Worten vielleicht nie ganz ausgedrückt werden kann, sondern erst dann Einem verständlich

wird,

wenn man sie selbst an sich erlebt.

Wer das

Leben oberflächlich nimmt, meint: Der werde vom Leben am meisten haben, der sein Leben lieb hat, nur an sich denkt, sich selbst der Nächste ist, sich keinen Genuß entgehen läßt, seinem Leben jede Be­ quemlichkeit

giebt,

die

ihm zugänglich ist,

die Menschen nur zu

seinen Zwecken benutzt, und sich sein Leben durch den Anblick fremder

Noth nicht stören läßt, nur Eine Liebe kennt, nämlich die Liebe zu sich selbst.

Mit Verwunderung und hochmüthigem Spott blicken sie

hin auf die Menschen, die nach ihrer Ansicht thöricht genug sind, nicht nach

dieser Lebensweisheit

der Selbstliebe

thatsächlich sind sie selbst die Betrogenen.

Aber

zu leben.

Trauernd sehen sie jeden

Tag davoneilen, jedes Jahr untergehn; denn sie haben ihr Leben

so lieb.

Sie hassen jede Anstrengung, die ihre Kraft verzehrt, jedes

Leid, das am Marke des Lebens nagt, jeden Menschen, der ihnen

Aufregung verursacht; denn sie haben ihr Leben, ihre Neigungen,

ihre Ruhe so lieb.

Gewiß, du kannst so leben; es giebt Menschen,

die es aushalten, so zu leben, bis zuletzt, bis aufs Sterbelager, auch zuletzt, wenn sie selbst gar nichts mehr sind, gar nichts mehr vom Leben haben, nur an ihr armseliges Dasein denken.

leben.

Du kannst so

Aber es gilt hier das Wort des Paulus: „Es ist mir Alles

erlaubt, aber es frommt nicht Alles."

Was wirklich Leben heißt,

den eigentlichsten tiefsten Inhalt des Lebens wirst du auf diese Weise

von deinem Leben ausschließen, du wirst nie etwas von der reinsten Freude empfinden, die darin liegt> sich mit Andern zu freuen.

wirst niemals

jene Vertiefung

des Lebens

kennen lernen,

darin liegt, daß man mit andern Menschen leidet.

Du

welche

Du wirst nie

Die geistige Kraft Jesu.

42

jene höchste Befriedigung kennen lernen, welche der fühlt, welcher mit Daransetzung seines Herzens und seiner besten Lebenskraft einem andern Menschen

geholfen

Du wirst nichts kosten von den

hat.

Schätzen wahren Glücks, welche Gott der selbstlosen Liebe zur Ver-

theilung an die Menschenkinder anvertraut hat.

Wie das Weizen­

korn, das nicht in die Erde gelegt wird, bleibt dein Leben allein,

schrumpft in sich selbst zusammen.

Wenn nun zuletzt dieses Leben,

das du allein geliebt hast, entflohen ist, dann kommst du zu der Erkenntniß, daß du das, was wirklich Leben heißt, nie kennen gelernt

Du hast dein Leben verloren.

hast.

Demgegenüber sagt Jesus: „Wer sein Leben haßt, der wird es

erhalten zum ewigen Leben."

Nicht wahr, das ist eine harte Rede,

aber ein Wort von erschütternder Größe, von unwiderstehlichem Ernst. Was?

Du

sollst

dein Leben hassen?

Ja,

deine Selbstsucht,

in

der die kostbaren Tage deines Lebens, die kostbaren Kräfte deines

Herzens fruchtlos untergehen, sollst du hassen.

Dein Fleisch, mit

seinen niedrigen Trieben, seiner Habsucht, seiner Genußsucht, seinem Neid, dieses Bleigewicht, welches deinen nach Licht sich sehnenden

Geist immer wieder zur Erde niederzieht, deine Bequemlichkeit, welche dein Haupt immer wieder zurücksinken läßt auf das Ruhekissen der

Trägheit — kurz Alles, was deine Lebensentfaltung, die Ausnützung deines Lebens zum Besten der Menschen hemmt, das Alles sollst

du an dir hassen.

Es ist nicht genug, seine Selbstsucht und Trägheit

beklagen, vielleicht auch anklagen, mit einem Seufzer und einem Blick zum Himmel die Schwachheit des Fleisches eingestehen.

Es ist auch

nicht genug, Liebe zu den Menschen fühlen, sich für die Abhilfe der

Noth in der Welt interessiren,

mit Anderen darüber reden.

Du

sollst höher steigen, du sollst deine Selbstliebe, die dir so wohl thut, dich so sanft umfängt, wie deinen schlimmsten Feind hassen.

Nicht

wahr, das ist eine harte Rede? Aber so gewiß das Weizenkorn nur dann Frucht bringen kann, wenn es in der Erde stirbt, so gewiß kannst du nur dann wirklich leben, wenn du dein Leben hassest.

Die Selbstsucht muß sterben, soll die Liebe erwachen.

Die Trägheit

muß sterben, soll lebendiges Schaffen, Helfen, Dienen walten. Fleisch muß sterben,

soll der Geist mächtig werden.

einmal durch die That.

Das

Versuch es

Sprenge einmal in einem bestimmten ge­

gebenen Fall die Fesseln deiner Selbstsucht und opfere wirklich ein-

Die geistige Kraft Jesu.

43

mal deine Zeit, deine Kraft einem Menschen, vielleicht einem armen

verlassenen Kinde, einem einsamen Kranken, oder einem Verirrten,

der sich nicht wieder zurechtfinden kann, thue es einmal, dann wird

es dir sein, als wenn du nun erst erkenntest, was Leben heißt, als wärest du dem Winter entflohen und wandeltest durch Frühlings­

felder, um dich neues Leben, in dir neues Leben.

Ihr, die ihr noch

jung seid, das Leben noch vor euch habt, faßt euer Leben im Sinne

des Gleichnisses Jesu vom sterbenden Weizenkorn an, gebt euer Leben,

eure Kraft,

euer Herz hin an Eltern und Geschwister, an Volk,

Kirche und Vaterland, an die großen, ewigen Ziele des Lebens, wie reich wird dann euer Leben werden!

Ihr Familien, lebt nach dem

Vorbild des sterbenden Weizenkornes, lasset Hingebung, Selbstlosigkeit

das Grundgesetz eures Lebens sein, welch ein Leben wird sich dann in euren Häusern entfalten! Wenn dieser Geist des sich selbst Ab­

sterbens in unserem Volke mächtig würde, welch ein Leben würde sich

in unserem Volke entfalten!

Man erwartet immer viel von

allerlei Gesetzen, von Glaubensgesetzen, Staatsgesetzen, volkswirthschaftlichen Gesetzen, von allerhand Neuordnungen.

Was wir vor allem

brauchen, sind Menschen, Persönlichkeiten,

welche im Sinne

Jesu nicht sich selbst, sondern dem Ganzen leben.

Die schönsten Ver­

anstaltungen für Arme, die reichsten Mittel helfen nichts, wo nicht

solche Menschen sind. Gesetze.

Lebendige Menschen sind besser als todte

Und wo solche Menschen gelebt haben, wo eine Mutter

ihren Kindern sich geopfert hat, da erblüht Leben in den Kindern,

die als fromme, tüchtige Menschen das Andenken der Todten ehren,

indem sie in ihrem Geiste leben.

Ein Weizenkorn ist in der Erde

erstorben, deshalb steht nun dort eine so schöne Aehre.

Lasset uns leben, wie es uns Christus zeigt im Gleichniß vom sterbenden Weizenkorn. Erden sein Leben.

Dann leben wir, wie er.

Wir find dann auch, wo er ist.

Wir leben auf Mt ihm sind

wir uns selbst abgestorben, im Tode gewesen; mit ihm werden wir dann auch im ewigen Leben sein beim Vater, herrschen und trium­ phieren.

Denn „wer sein Leben hasset, der wird es erhalten zum

ewigen Leben.

Wo ich bin, da soll mein Jünger auch sein."

Amen.

Der Tod Jesu.

44

6.

Der Tod Jesu. (Charfreitag.) Marc. 15, 33—41.

Und nach der sechsten Stunde ward eine Finsterniß

über das ganze Land, bis um die neunte Stunde.

Und um die

neunte Stunde rief Jesus laut, und sprach: Eli, Eli, lama asabthani?

das ist verdolmetscht, mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Und etliche,

die dabei standen,

sprachen sie: Siehe, er ruft den Elias.

da sie das höreten,

Da lief einer, und füllete

einen Schwamm mit Essig, und steckte ihn auf ein Rohr, und tränkte ihn, und sprach: Halt, laßt sehen, ob Elias komme, und ihn herab nehme.

Aber Jesus schrie laut, und verschied.

Und der Vorhang

im Tempel zerriß in zwei Stücke, von oben an bis unten aus. Der Hauptmann aber, der dabei stand, gegen ihm über, und sahe, daß er mit solchem Geschrei verschied, sprach er: Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen. Und es waren auch Weiber da, die von

ferne solches schaueten, unter welchen war Maria Magdalena, und Maria, des kleinen Jakobi und Joses Mutter, und Salome. Die ihm auch nachgefolget, da er in Galiläa war, und gedienet hatten, und

viele andere,

die mit ihm hinauf gen Jerusalem gegangen

waren.

So sei uns willkommen, du stiller Charfreitag. Mit deinem heiligen

Dunkel mahne uns zur Trauer um unsere Sünde, die einst auch mit­ gewirkt hat beim Tode des Herrn. ausgeht

vom Kreuze Jesu,

Mit dem hellen Lichte, welches

wecke in uns fröhlichen Glauben und

selige Zuversicht, daß Jesus nicht umsonst für uns gestorben ist.

Sei

willkommen, liebe Gemeinde; sammle dich heute um deinen Erlöser; siehe, wie er für dich gelitten hat; siehe, was er für dich vollbracht

hat, und frage dich in ernstlicher Prüfung, was du für ihn gethan hast und thun sollst. Wir wollen heute unsere Gedanken sammeln um das Geheimniß des Todes Jesu, und was die Menschen im Laufe der Zeit

beim Anblick dieses heiligen Zeichens empfunden, geglaubt und gehofft haben, wollen wir in klaren Worten auszudrücken suchen.

Es sind

nicht neue Dinge, welche ihr zu hören bekommt; sondern es ist das­ selbe,

was

euch

von

altersher gepredigt worden ist,

was euren

Vätern gepredigt worden, und was ihr am Charfreitage am liebsten

Der Tod Jesu-

hören

So

wollt.

wollen

wir

45

von

heute

nichts

anderem reden,

als vom

Tode Jesu. 1.

Die tiefe Tydesnoth, in welche er versinkt.

Seligkeit, zu der er uns erhebt.

3.

2. Die hohe

Die große Gemeinde,

die er um sich sammelt. 1.

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich ver­

lassen! — Seht da die tiefe Todesnoth, in welche Jesus versinkt. Von Gott verlassen sein, das ist das Schwerste, was einem Menschen Ein solcher Mensch ist in der weiten Welt nur

widerfahren kann.

ein Stäubchen, welches haltlos vom Sturm weit fortgetrieben wird,

wer weiß wohin; wie ein Kind, das keine Hand mehr hat, die es

leitet, keinen Tisch weiß, an dem ihm ein Platz bereitet ist, kein Zimmer, das sich am Abend beim milden Schein der Lampe ihm aufthut, das in dunkler Nacht ohne Weg und ohne Rath auf der

Haide umherirrt, bald hierin, bald dorthin eilt, schließlich übermüdet niedersinkt und

nur

noch das Wehen des Windes und das leise

Flüstern des Grases hört.

euch jemand

war.

Ich wage nicht zu glauben, daß unter

schon einmal in seinem Leben so von Gott verlassen

Ihr habt schwere Stunden gehabt, wo euch Alles zusammen­

brach, auch das Sicherste, was ihr auf Erden besaßet.

Aber so

schwer diese Stunden auch sein mochten, eins hattet ihr doch immer

noch: Ihr wußtet im fernen Morgenland ein Kreuz, an welchem Einer für euch gestorben ist, in dem euch eine unwandelbare Liebe

entgegentritt.

Wenn euch alle Welt verläßt, dort wußtet ihr euch

immer eine Zuflucht offen.

Für uns ist es nicht schwer, auch das

Schwerste zu tragen, weil wir in Jesus einen Freund haben, der uns tragen hilft.

Ganz anders bei unserem Erlöser.

den er sich stützen konnte.

wollte ihm helfen.

Er hatte gar Niemand, auf

Niemand glaubte mehr an ihn.

Niemand

Die Aufgabe auf der Seele, das Erlösungswerk

zu vollbringen, muß er ganz allein seinen Weg gehen, ganz allein

angewiesen auf sich selbst.

Trotzhem ist er ohne Zagen seinen Weg

gegangen, stark in Gemeinschaft mit seinem Vater.

Ja wir haben

gesehen, daß gerade durch sein Leiden seine Gemeinschaft mit seinem Vater um so inniger und vertrauter geworden ist.

Der Vater ist

bei ihm gewesen in Gethsemane, vor dem Hohenrath, vor PilatuK

46 und

Der Tod Jesu.

Herodes, unter

Kriegsknechte.

den Mißhandlungen und Schmähungen

der

Seine Seele ist an die vertraute Gemeinschaft mit

Gott gewöhnt, wie ein Kind an den Verkehr mit seinen Eltern; und so wären alle Schmerzen des Kreuzestodes nicht im Stande gewesen,

ihn

aus dieser Gemeinschaft mit Gott herauszureißen,

wenn hier

nicht noch eine neue schwerere Last hinzugekommen und sich auf seine

Seele geworfen hätte.

Worin bestand dieselbe?

Es ist nicht schwer,

die eigene Sünde zu tragen, wenn man den Gott kennt, welcher

Sünden vergiebt; aber sehr schwer ist es, die Sünde und Schande

von Menschen, die man liebt, auf seinem Herzen zu tragen.

Es ist

nicht schwer, traurig zu sein, wenn einem der Quell des göttlichen

Trostes offen steht; aber sehr schwer ist es, das ganze Weh

der

Menschheit in seinem Herzen zu empfinden und dabei fern zu sein vom Troste Gottes.

So hat Jesus, der mit seinem Herzen voll

göttlicher Liebe die ganze Menschheit umfaßte, auf seinem Herzen als Gottes Lamm die Sünde der ganzen Welt getragen, wie

eine Mutter die Sünde ihrer Kinder auf ihrem Herzen trägt; und diese Last war ihm um so schwerer, weil er selbst ganz rein war,

weil auch die leiseste Berührung mit der Sünde ihn schmerzte.

So

wirft sich hier diese ganze Schuld der Welt auf seine Seele, und damit die ganze Unseligkeit, die ganze geistige Finsterniß, welche

Wie eine schwarze Wolke,

diese Schuld der Welt im Gefolge hat.

aus der Blitz und Donner kommt, lagert sie sich zwischen dem Sohn, der immer in der Gemeinschaft mit dem Vater gelebt,

Vater.

Die Finsterniß

der

ganzen Welt faßt sich

und dem

zusammen in

seiner reinen Seele, welche nie von einer Sünde getrübt war.

Mit

dieser Last auf dem Herzen hängt er zwischen Himmel und Erde an

„dem Orte, wo die Schädel bleichen".

Für diesen Schmerz können

wir nur Einen Ausdruck finden, es sind die Qualen der Hölle.

Hier

verstehen wir den Satz des 2. Arttkels: Niedergefahren zur Hölle.

Für

diesen Schmerz

konnte Jesus

nur

Einen

Ausdruck

finden,

indem er das Wort des 22. Psalm auf sich anwendet: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Was ihm diesen Ruf

ausgepreßt hat, ist deine Schuld, du Menschengeschlecht, ist deine

Schuld, o Sünder!

Sünder, gehe nicht an diesem Kreuz vorüber!

Deine Schuld hat er getragen, auch um deinetwillen ist er von Gott verlassen gewesen. Das ist die tiefe Todesnoth, in welche Jesus versinkt.

47

Der Tod Jesu.

Die Leute unter dem Kreuz haben diesen Ausruf gedeutet als einen Ruf nach

Man

Menschenhilfe.

glaubt

aus

dem „Eli"

Elias heraus zu hören, den Namen des größten Kämpfers des alten der vom Gekreuzigten zu Hilfe herbeigerufen werde.

Testamentes,

Aber Elias kann ihm nicht helfen; und wenn sich alle großen Männer

Israels um das Kreuz Jesu sammelten, sie könnten ihm nicht helfen. Die Menschen laufen, als Jesus am Kreuze aufschreit aus tiefster Seelennoth, und

bringen einen Schwamm, der mit Essig getränkt Ein saurer Essigtrank, das

ist, und netzen damit seine Lippen.

ist alles, was die Menschen ihm bieten können.

Denn diese düstere

Stunde kommt über Jesus nach Gottes Rath.

Diese Gottverlassen­

heit gehört mit zu seinem Erlösungswerk.

Er mußte versinken in

diese tiefste Noth; denn nur so kann er für uns der Erlöser werden aus

tiefster

Noth.

Er

den tiefsten Schmerz

mußte

schmecken, um uns die neue Gerechtigkeit zu bringen.

der Sünde

Er mußte von

tiefster Finsterniß umgeben sein, damit er für uns würde das Licht

der Welt.

Er mußte von Gott verlassen sein, damit wir auf ewig

mit Gott vereint würden.

2.

Das

welcher

uns

führt uns

weiter

Tempel reißt entzwei.

Die Worte des Evangeliums sind

Geist und Leben.

Der Vorhang,

zerreißt,

alte

thum

Zeit

Israels sinkt zusammen.

nämlich

das

Herz

aufgethan, und

Gottes,

zwar

Seligkeit, zu

hohen

erhebt. — Der Vorhang im

Bleibt hier nicht mit euern Gedanken an

der äußeren Thatsache haften. d. h. die

der

zu

Tod Jesu

der

ist

der das Allerheiligste verdeckt, abgeschlossen,

das

Das Allerheiligste

seine

erbarmende

aufgethan für Alle,

alte Heiligder Religion,

Liebe

ist

nun

und aufgethan für

immer.

Es ist aufgethan.

Der Mensch hat einst Gott gesucht in der

sichtbaren Welt, im Hellen Schein der Sonne, im Wehen des Windes,

im Rauschen des Meeres, und fiel nieder auf sein Angesicht und sprach: Hier ist Gott; und doch war alles, was er für Gott hielt,

nur der Vorhang, der Gott verhüllt. Er hat das Göttliche darzustellen gesucht in Göttergestalten von unvergänglicher Schönheit, und hat

diese Götterbilder aufgestellt in Tempeln mit weiten Säulenhallen,

und

hat angebetet und gesagt in heiligem Schauer: Hier ist Gott;

aber auch alle diese Götterpracht war nur der Vorhang, welcher Gott

48

Der Tod Jesu.

verhüllte.

Der Mensch hat das selbst gefühlt und so hat er zu seinen

schärfsten Gedanken gegriffen, und hat mit den schärfsten Begriffen Gottes Wesen zu bestimmen gesucht.

Wie der Adler zum Himmel

emporsteigt und dort immer weitere und weitere Kreise zieht, so sind die scharfen Gedanken der Menschen emporgestiegen, und haben in

weitem Fluge Gottes Unendlichkeit und die Tiefe seiner Weisheit zu umkreisen gesucht; aber alle diese Weisheit der Weisen war doch nur

der Vorhang, hinter welchem Gott ist.

Und selbst was das alte

Testament von Gott sagt, über seine fleckenlose Heiligkeit und Ge­

rechtigkeit, über sein Gesetz — das war alles nur der Vorhang, der Da kam endlich

Gott verhüllt.

die Stunde der Erfüllung; vom

Kreuze schaut Christus auf uns herab; da ist der Vorhang zerrissen.

Es kann ja hier nur ausgesprochen werden, was schon tausendmal ausgesprochen worden ist, das euch aber, so gut ihr es auch wißt,

nichts nützt,

wenn ihr es euch nicht glaubend aneignet.

das Allerheiligste unseres christlichen Glaubens enthüllt.

Hier ist

Diese Liebe

Jesu, die steiwillig in den Tod geht, ist der Abglanz des innersten Wesens

Gottes, des Allerheiligsten in Gott, der göttlichen

Liebe, welche uns selig machen will nicht um unserer Verdienste willen,

sondern allein durch Gnade.

Sprecht nicht so gedankenlos hin: „Also

hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab", sondern stellt euch heute unter das Kreuz, seht diesen Mann, der

die Verdammniß der Welt auf seine reine Seele genommen, der um unsertwillen die Qual der Gottverlassenheit erlitten hat, seht seinen Todeskampf, seht sein Haupt sich neigen — das ist das sichtbare

Abbild der ewigen Liebe Gottes.

ist die Liebe Gottes.

So groß und noch viel größer

„Also hat Gott

seinen eingeborenen Sohn gab."

die Welt geliebt, daß er

Wenn du hier nicht glauben lernst

an den Vater, der sich zu seinen Kindern herniederneigt, daß der Sünder nicht sterbe, sondern sich bekehre und lebe, so lernst du es

niemals glauben.

Gehe nicht vorüber, hier wirf deine Schuld nieder,

hier ruhe dich aus, wenn die Welt dich geängstigt hat, hier lege dich nieder in der Todesstunde!

Hierher, mein Erdenpilger, hier halte süße Rast;

Hier wirf dem Sündentilger zu Füßen deine Last.

Dann geh und rühme selig, wie wohl dir dort geschah;

Der Weg zum Paradiese geht über Golgatha.

49

Der Tod Jesu.

Im Kreuze Jesu Christi ist Gottes Offenbarung vollendet.

Gott

ist Liebe, Gnade, Erbarmen. Der Vorhang ist zerrissen. Er ist zerrissen für Alle. Einst durfte nur der Hohepriester das Allerheiligste betreten, um da durch das Opferblut eines Thieres die Versöhnung zwischen Gott und dem Volke herzustellen. Diese Versöhnung konnte nur durch diesen Einen geschehen. Er war der Mittler zwischen Gott und den Menschen. An seine Stelle ist nun Jesus getreten. Er ist der wahre, ewige Hohepriester; denn er hat allein das Opfer gebracht, das vor Gott und für die Menschen Werth hat, nämlich er hat sich selbst geopfert und uns damit ge­

zeigt, wie lieb uns Gott hat. Damit hat er uns Allen ohne Unter­ schied den Weg zur Liebe Gottes geöffnet. Allen ohne Unterschied.

Damit hat er die Vorrechte jeglicher Priesterschaft Beseitigt. Wir brauchen nun nicht mehr und dürfen uns nicht mehr auf Menschen verlassen, damit sie unsern Verkehr mit Gott regeln, sondern wir haben nun alle durch Christus, unsern einigen Mittler und Hohen­ priester, den Zugang zur Gnade Gottes, und sollen nun selbst ohne menschliche Vermittelung als Priester aus Gottes Hand Gnade, Ver­ gebung, Frieden empfangen. Hinweg, ihr Priester; hier ist Christus, unser wahrer Hohepriester, und durch ihn sind wir alle, die wir durch den Glauben an ihm theilhaben, Kinder Gottes, Priester des Allerhöchsten geworden. Hinweg, ihr Heiligen, die ihr euch zwischen Gott und die Menschen stellt; hier ist Christus, unser alleiniger Helfer, der uns ohne euer Zuthun zum Vater bringt. Unter dem Kreuz Christi ist die wahre Freiheit von aller menschlichen Autorität

in Glaubenssachen; Christus allein ist unser Meister, der euch Alle Unter dem Kreuze Christi ist die wahre Gleichheit; hier darf kein Mensch, und wenn er einen Kardinals­

zum Vater bringen will.

hut oder die päpstliche Krone trüge, zu dem andern sagen: Du kannst nur dann selig werden, wenn du glaubst, was ich glaube,

und thust, was ich dir vorschreibe; sondern hier sind Alle gleich. Alle Brüder; das einzige, was den einen über den andern stellen kann, ist die Kraft des Glaubens, die Innigkeit des Vertrauens, die Hingebung der Bruderliebe; davon abgesehen sind wir Alle gleich, haben Alle das gleiche Recht des Zugangs zum Vater. „Ihr seid das königliche Priesterthum." Der Vorhang ist für Alle

zerrissen. Kirmß, Predigten.

4

Der Tod Jesu.

50

Wann du auch kommen magst,

Und er ist zerrissen für immer.

die Thür zur Gnade Gottes, die Christus aufgethan hat, steht immer offen;

du magst in der Kindheit

kommen, oder im

Lebens, oder in deiner letzten Stunde.

am Kreuz:

Kampf des

Jesus sagt zu dem Schächer

„Heute wirst du mit-mir im Paradiese sein."

Dieses

Heute kann für dich immer sein, so oft du willst, so oft du kommst. Kommst du schuldbeladen mit reuigem Herzen, die Thür steht offen. Brauchst du im Lebenskampf die tragende duldende Liebe, die Thür ist offen, daß du sie findest in der Gemeinschaft mit deinem himm­

lischen Vater.

Kommst du in schwerer Noth, die Thür ist offen,

durch welche du aufwärts steigst, bis dir aus dem Heiligthum das

Licht der Gnade Gottes entgegenstrahlt, und die Stimme des Vaters zu dir klingt:

„Ich will dich nicht verlassen."

Kommst du in der

letzten Noth, „wo dir am allerbängsten wird um das Herze sein",

die Thür ist offen,

durch

die du eingehst in des Vaters Haus.

Keine Noth, keine Schuld, auch nicht der bittere Tod vermag dir

diese Thür zuzuschließen. So oft du kommst mit gläubigem Vertrauen, klingt dir vom Kreuze das Wort entgegen: „Heute wirst du mit mir

im Paradiese sein."

Der Vorhang ist für immer zerrissen. — Weise

werden kommen und allerhand tiefsinnige Lehren aufstellen über Gott und

göttliche Dinge, aber das Licht

Tode Jesu wird niemals verblassen.

der Offenbarung Gottes

im

Die Menschen gehen am Kreuze

vorüber, spottend wie damals; aber das Kreuz leuchtet weiter von Jahrhundert zu Jahrhundert, wie die Sonne leuchtet, gleichviel ob

die Menschen den Straßenstaub gegen sie aufwerfen oder nicht.

Es

werden Leute kommen mit dem Anspruch, Stifter neuer Religionen zu sein; aber spart eure Mühe, ihr Neuerer; eure Arbeit ist umsonst;

was hier gethan werden kann, ist gethan; es ist vollbracht.

Offenbarung Gottes ist vollendet. 3. So sammelt sich denn

Die

Der Vorhang ist zerrissen.

um

das Kreuz

eine große

Gemeinde. — Hier beugt sich vor der Majestät des gekreuzigten

Christus die stolze Kraft des Mannes.

Es ist ein Hauptmann,

der mit seinen Soldaten, wie es üblich war bei einer Kreuzigung, Wache gehalten hatte.

Er gehörte zu dem stolzen römischen Heer,

unter dessen Füßen die Erde zitterte; er hatte manchmal dem Tode ins Auge gesehen; er hat schon manchen sterben gesehen auf blutigem

Schlachtfeld; aber so hat er noch keinen sterben gesehen, wie dieser

Der Tod Jesu.

Mann am Kreuz gestorben ist.

51

Da ruft er aus: „Wahrlich, dieser

So spricht dieser Mann das Bekenntniß

ist Gottes Sohn gewesen."

aus, das im Laufe der Zeit in der christlichen Kirche mit sehr ver­ schiedener Betonung ausgesprochen worden ist und sehr verschieden

gedeutet worden ist, aber immer das Grundbekenntniß der christlichen Gemeinde

Von

gewesen ist.

all den tiefsinnigen Lehren, welche

späterhin die Kirche über die Gottessohnschaft Christi aufgestellt hat, und über welche die Christen sich heute wieder streiten, hat dieser Heide Es sind nur dunkle Empfindungen, welche

jedenfalls nichts gewußt.

ihm diesen Ausruf auf die Lippen treiben, aber Empfindungen, die

ewig wahr sind.

Er sagt sich: Vor der Tapferkeit dieses Gekreuzigten

erblaßt die Tapferkeit der römischen Helden; vor dieser Liebe, die

auch sterbend noch segnet, erbleichen alle Tugenden der heidnischen Welt; vor dieser Kraft, welche

dieser Mann

am Kreuze

auf die

Menschenherzen ausübt, ist die Kraft des römischen Heeres nichts. Er fühlt es, wie von diesem Kreuz ein Zittern ausgeht, das sich

fortpflanzend zum Erdbeben wird, die heidnische Götterwelt ergreift, daß sie zusammenstürzt.

„Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen."

— Vielleicht ist dieser römische Hauptmann ein Germane gewesen. Denn Germanen dienten damals in dem römischen Heere im Morgen­ lande.

Was sehen wir da! Die Germanen stürmen mit ihrer jugend­

lichen Kraft auf den Schauplatz der Weltgeschichte und zertrümmern

das römische Reich.

Auf einmal begegnet ihnen auf ihrem Sieges­

zuge das Bild von Golgatha.

Da halten sie inne, stehen sinnend

still, mit ihrem tiefen Dichten und Denken versenken sie sich in dies

Bild, beugen vor ihm ihren starken Nacken: „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen."

Und ihre Kraft, die sich geheiligt hat in

der Verbindung mit dieser

höchsten Kraft

Schöpferin einer nenen Zeit geworden.

des

Kreuzes, ist die

Vor dem Kreuze Christi

beugt sich die stolze Kraft des Mannes.

Hier hat sich das Wort des Jesaia erfüllt: „Ich will ihm die

Starken zum Raube geben."

"duldende Sanftmuth! nur

für Frauen und

O seht in Christus

nicht nur die

Sagt nicht, das Christenthum sei eine Religion

Kinder und stille Dulder,

starke thatkräftige Männer!

aber

nicht

für

Verlangt ihr Charaktergröße zu schauen,

die sich nicht vor Menschen beugt jnoch fürchtet vor der Mißgunst der Welt, wollt ihr Thatkraft sehen, die muthig eingreift in die 4*

52

Der Tod Jesu.

Entwickelung der Zeit, den Hochmuth demüthigt, die Demuth erhöht — fragt

euch

selbst:

Wo findet

ihr diese

Charaktergröße, diese

Tapferkeit und Furchtlosigkeit, diese höchste Kraft, welche die Welt bezwingt, wo findet ihr alles das, wenn nicht in dem Manne am

Kreuz, vor dem der stolze Römer und der starke Germane ihre Kniee gebeugt haben?

Hier ist der Freieste unter den Freien, der

nur Gott Unterthan war, der Tapferste unter den Tapferen, der sich vor Sünde und Tod nicht gefürchtet hat.

Haupt vor diesem Einen:

Neigt, ihr Männer, euer

„Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn ge­

wesen."

Unter dem Kreuze sehen wir neben dem römischen Hauptmann

eine Anzahl Frauen.

Wir kennen sie schon von Galiläa her.

Dort

haben sie Jesum gesehen und sein Evangelium gehört und haben

gefühlt, wie von ihm eine wunderbare Kraft ausging, daß sie ihm nachfolgen mußten.

Sie sind ihm nachgefolgt, als er nach Jerusalem

ging, der Stadt des Todes.

Sie sind ihm nachgefolgt,

als die

Jünger flohen, die starken stolzen Männer; sie haben vielleicht mit gestanden unter den Töchtern Jerusalems, die um Jesum weinten, als er sein Kreuz nach Golgatha trug.

Als sie ihn alle schmähten

und ihm fluchten, da sind sie still bei ihm geblieben und haben sich nicht vor der wüthenden Menge gefürchtet, haben keine Angst gehabt,

daß

man zu ihnen sagte,

wie zu Petrus im Palast des Hohen­

priesters: Ihr seid auch mit Jesu von Nazareth gewesen.

Sie sind

bei ihm geblieben, auch als Joseph von Arimathia Jesus vom Kreuze nahm, und

als der König aller Könige zu seinem Grab getragen

wurde, da haben sie allein ihm das Geleite gegeben. Seht, ihr Frauen, das sind eure Vorbilder, das ist die Treue

bis an den Tod, welche Jesus in den Herzen der Frauen erzeugt. Das ist die stille Treue, die es nicht gelüstet, eine Rolle in der

Oeffentlichkeit zu spielen, sondern die ihr Glück darin findet, ganz in der Stille, unbeachtet von der Welt in den Ihrigen Gott zu dienen

und ihr ganzes Leben in der Erfüllung der kleinsten Pflichten zu verbringen.

Das ist die Frauentreue, die in der Verborgenheit

des Herzens ihr Reich hat und sich immer wieder nährt durch den

Aufblick zu Christus, der treu war bis an den Tod, die auch an den verlorenen Sohn noch glaubt, wenn der Zorn des Vaters schon längst den Glauben aufgegeben hat, die auch da, wo sie mißachtet

Die Auferstehung Jesu.

53

wird, wo sie trotz aller Geduld geschmäht und gescholten wird, aus­ hält um Gottes willen. Von diesen Frauen im Evangelium lesen wir sonst nichts; man nennt sie nicht unter den „berühmten" Frauen. Nur diesen einen Ruhm haben sie, daß sie treu gewesen sind bis an Len Tod, daß von ihnen das Wort des Liedes gilt: „Ich will hier

bei dir stehen, verachte mich doch nicht." Trachtet auch ihr, ihr Frauen dieser Zeit, nach diesem Ruhm? Das ist eure wahre Größe.

Die Welt sieht sie nicht, aber Gott; in der Welt bleiben eure Namen

unbekannt; aber Gott schreibt sie ein in das Buch des Lebens. So sammelt sich unter dem Kreuz eine große Gemeinde. Da kommt die stolze Männerkraft und die stille Frauentreue. Wo beides sich vereinigt, da ist die wahre Gemeinde Jesu, das priesterliche Volk der Kinder Gottes, welches erlöst und geheiligt ist durch das Lamm, das erwürget ward. Amen.

7.

Die Auferstehung Jesu. (Ostern.)

Apostelgeschichte 2, 32. Diesen Jesus hat Gott auferwecket, deß sind wir Alle Zeugen. 9ie Nacht ist vergangen, der Tag aber herbeigekommen.

Char-

freitag und Ostern — in diesen beiden Festen stellen sich uns die großen Gegensätze des Lebens dar. Dort die Dunkelheit, die sich zur Erde niederließ, hier das selige Licht, die Ostersonne, die der Erde leuchtet; dort die tiefste Trauer, hier die seligste Freude; dort

die schmachvollste Niederlage, hier der herrlichste Sieg; dort das Trauerlied: „O Haupt voll Blut und Wunden", hier der Triumph­ gesang: „Ueberwinder, nimm die Palme; Halleluja, Jesus lebt". Dort

die trauernde Gemeinde, welche klagt: „Was du, o Herr, erduldet, ist alles meine Last", hier die jubelnde Gemeinde, welche singt: „Tod, wo ist nun dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg?" So komme, liebe Ostergemeinde, wie du unter dem Kreuz deines Herrn gestanden hast, so sammle dich nun um den Auf-

Die Auferstehung Jesu.

53

wird, wo sie trotz aller Geduld geschmäht und gescholten wird, aus­ hält um Gottes willen. Von diesen Frauen im Evangelium lesen wir sonst nichts; man nennt sie nicht unter den „berühmten" Frauen. Nur diesen einen Ruhm haben sie, daß sie treu gewesen sind bis an Len Tod, daß von ihnen das Wort des Liedes gilt: „Ich will hier

bei dir stehen, verachte mich doch nicht." Trachtet auch ihr, ihr Frauen dieser Zeit, nach diesem Ruhm? Das ist eure wahre Größe.

Die Welt sieht sie nicht, aber Gott; in der Welt bleiben eure Namen

unbekannt; aber Gott schreibt sie ein in das Buch des Lebens. So sammelt sich unter dem Kreuz eine große Gemeinde. Da kommt die stolze Männerkraft und die stille Frauentreue. Wo beides sich vereinigt, da ist die wahre Gemeinde Jesu, das priesterliche Volk der Kinder Gottes, welches erlöst und geheiligt ist durch das Lamm, das erwürget ward. Amen.

7.

Die Auferstehung Jesu. (Ostern.)

Apostelgeschichte 2, 32. Diesen Jesus hat Gott auferwecket, deß sind wir Alle Zeugen. 9ie Nacht ist vergangen, der Tag aber herbeigekommen.

Char-

freitag und Ostern — in diesen beiden Festen stellen sich uns die großen Gegensätze des Lebens dar. Dort die Dunkelheit, die sich zur Erde niederließ, hier das selige Licht, die Ostersonne, die der Erde leuchtet; dort die tiefste Trauer, hier die seligste Freude; dort

die schmachvollste Niederlage, hier der herrlichste Sieg; dort das Trauerlied: „O Haupt voll Blut und Wunden", hier der Triumph­ gesang: „Ueberwinder, nimm die Palme; Halleluja, Jesus lebt". Dort

die trauernde Gemeinde, welche klagt: „Was du, o Herr, erduldet, ist alles meine Last", hier die jubelnde Gemeinde, welche singt: „Tod, wo ist nun dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg?" So komme, liebe Ostergemeinde, wie du unter dem Kreuz deines Herrn gestanden hast, so sammle dich nun um den Auf-

54

Die Auferstehung Jesu.

Preise aber nicht nur seinen Sieg, sondern nimm an

erstandenen.

Christus hat die Beute davongetragen, damit er sie

demselben theil.

den Seinen mittheile.

Christus lebt, auf daß wir mit ihm leben.

Er hat gesiegt, damit er uns aus der Nacht der Sünde und des

Er ist auferstanden, auf daß wir

Todes hinaufführe zum Leben.

mit ihm auferstehen.

Er lebt, und wir sollen auch leben.

„Gott hat Jesum auferwecket, deß sind wir

Unser Text sagt: Alle Zeugen."

Jerusalem.

Das ist ein Wort aus einer Predigt des Petrus in

Petrus beweist, daß Jesus der Messias ist, indem er

darauf hinweist,

Gott ihn

daß

hat.

auferwecket

Und

für

das

letztere wieder beruft er sich darauf, daß sie, die Jünger, Zeugen der Auferstehung Jesu seien.

Sie selbst, so sagt Petrus, haben den

Herrn als den Auferstandenen gesehen.

Aber nicht dadurch allein wurden die Jünger Zeugen der Auf­ Das allein hätte ihnen

erstehung Jesu, daß sie ihn äußerlich sahen. nichts genützt.

Sondern Christus hat als der Lebendige ihre Seelen

ergriffen, sie mächtig emporgeführt aus Verzweiflung und Todesnoth

zu neuem Leben in seiner Gemeinschaft.

Sie

haben seine Auf­

erstehungsmacht an ihrer Seele empfunden; sie haben es selbst an

sich erfahren, daß er die Auferstehung und das Leben ist.

geworden

waren neue Menschen

durch

ihn;

Sie

die Nacht war ver­

gangen, der Tag herbeigekommen; das alte war dahin, es war alles neu geworden.

So sind die Erzählungen der Evangelien von den Erscheinungen des Herrn

Darstellungen

erstandenen

Christus

der

ausgehen

Wirkungen,

auf die

welche

Seinen.

von dem

auf­

Dieselben

sind

sehr verschieden je nach den verschiedenen Bedürfnissen der Jünger;

wir sehen dabei die Jünger trauernd, hoffend, glaubend, zweifelnd,

suchend und verlangend.

Und jedesmal ist auch die Wirkung, welche

der Auferstandene auf sie ausübt, eine andere. Laßt uns heute Ostern feiern, indem wir jene Erzählungen von

der Erscheinung des auferstandenen Christus vor seinen Jüngern be­ trachten, und daraus ersehen, welche Wirkungen ausgehen von dem

auferstandenen Christus, oder mit anderen Worten:

Wir alle sollen Zeugen der Auferstehung Christi sein.

Die Erscheinungen Jesu begleiten die Jünger von den höchsten Höhen des Lebens bis in das einfachste alltäglichste Leben.

Zuerst

Die Auferstehung Jesu.

55

offenbart er sich ihnen in seiner höchsten Herrlichkeit als der ewige Sieger über Grab und Tod; dann tritt er ihnen immer näher und näher, bis er schließlich auch im alltäglichen Leben der Ihrige wird. In dieser Reihenfolge laßt uns jetzt die Oster-

geschichten betrachten. 1. Denen, die in den Schatten des Todes wandeln, offenbart er sich als der Sieger über Grab und Tod. Da kommen am Ostermorgen, ganz ftüh, als alles noch schläft, die Frauen, die ihn am Charfreitag Abend zur Ruhe geleitet haben, und

suchen ihn im Grabe, aber sie finden ihn nicht. Es sind weich em­ pfindende Gemüther, die leicht von der Gewalt des Schmerzes ganz hingenommen werden. So sehen sie nichts als dieses Grab, dieses leere Grab, in welchem alle ihre Hoffnung, ihre Liebe und ihr Friede untergegangen ist. Wohin sie blicken, sehen sie dieses Grab, die ganze Welt ist ihnen mit einem Leichentuch verhüllt, überall der Tod, überall die Vergänglichkeit. Auf einmal aber fällt ein Licht in diese Nacht der Traurigkeit. Schon am Grabe haben sie eine Botschaft vernommen, die, obwohl noch nicht verstanden, doch ihnen das Herz tief bewegt hatte: Der, den ihr sucht, lebt. Auf einmal steht er vor ihnen, er grüßt sie, ruft sie bei Namen, mahnt sie, nicht mehr zu weinen, und sagt ihnen: „Ich fahre auf zu meinem Vater und zu euerem Vater, zu meinem Gott und zu euerem Gott," und die eben noch beherrscht waren von den furchtbaren Schrecken des Todes,

sehen nun auf einmal vor sich den starken Helden, der dem Tode den Fuß auf den Nacken setzt, und sie hineinblicken läßt, in die lichte

Ewigkeit als in seine und der Seinen Heimath. So kommen auch über uns bisweilen alle Schrecken des Todes, auch wenn nicht gerade der Tod einmal in unserem Hause Einkehr gehalten hat.

Die Vergänglichkeit, durch die wir wandern, umgiebt

uns bisweilen, wir wissen nicht warum gerade in diesem Augenblick,

mit allen ihren Schatten. Wir fragen uns: Was bist du? Was ist dein Leben, dein Thun und Wesen, deine Liebe und dein Streben?

Alles zerfällt, zerrinnt; du bist nur eine Welle im unendlichen Meere. Und wie dort die Frauen von einer Frühlingswelt umgeben doch lauter Tod um sich sahen, so ergreift uns gerade die Frühlingspracht

mit einer uns unerklärlichen Traurigkeit, und durch all das neue Leben sehen wir den bleichen Tod hindurchblicken.

Die ganze Erde

Die Auferstehung Jesu.

56

erscheint uns wie eine jener großen längst untergegangenen Städte des Morgenlandes:

hier noch einige Ueberreste von einer Säulen­

halle, in der sich einst fröhliche Menschen bewegt, dort noch eine Mauer von

einem Hause, in welchem einst Familienglück blühte,

fleißige Hände arbeiteten, ein Künstler sein Kunstwerk schuf, ein Ge­

lehrter über dem Räthsel des Daseins sann; jetzt Alles still, todt, im Unser ganzes Leben eine zerrinnende Welle, ein

Sande begraben. fallendes Blatt.

Da tritt uns unser Bruder Jesus Christus entgegen.

Er ist ja

heute noch unter uns, nicht nur in den Lehren, Einrichtungen und

Sitten der Kirche, welche seinen Namen trägt.

Nein!

Wir sehen

mit den Augen unseres Glaubens seine verklärte Gestalt, wir hören

seinen Gruß, und empfinden an uns die Macht seiner Liebe. er redete, war

steilich haben ihn

gemordet; aber

die Menschen

seine Liebe konnten sie nicht tödten. welchem

das

Was

ewiges Leben, was er that, war ewiges Leben;

Gottesreich

sein Leben und

Sein Leben ist der Keim, aus

emporwächst,

eine

neue

Gemeinschaft

zwischen Gott und dem Menschen, ewige Gnade und ewiger Friede. Hier ragt die Ewigkeit herein in die Vergänglichkeit, und unsere

vom Anblick des Todes getrübten Augen erheben sich und sehen eine Welt, in welcher der Tod nicht mehr ist.

des Lebens.

Sinn

führen thatsächlich

Unsere Wege,

aufwärts.

Es enthüllt sich uns der scheinbar

die

abwärts führen,

Das Band, welches uns

mit den

Menschen verband, löst sich, aber die ewige Liebe über uns knüpft

ein neues Band, das sich niemals lösen soll.

Die sterbende Liebe

wird zum Samenkorn, aus dem unvergängliche Gemeinschaft hervor­ wächst.

Aus der Thränensaat, welche die Glaubenden und Treuen

säen, erblüht die Freudenernte.

Es enthüllt sich uns der Sinn des

Lebens, und erschließt sich uns das Geheimniß des Todes, seine

Schale öffnet sich und der Kern ist ewiges Leben.

2.

Die,

welche

müde

und

verlassen

ziehen, stärkt er mit dem Brode des Lebens. zwei Jünger ihre Straße nach Emmaus.

ihre

Straße

Müde ziehen

Sie haben gehofft und

gehofft, Christus werde Israel erlösen von dem Joch der Knecht­

schaft und der Schmach und so den Traum erfüllen, mit dem sich das Volk seit Jahrhunderten getragen. der Schmach

gestorben.

Nun ist er selbst den Tod

Verlassen ziehen sie

ihre Straße.

Sie

57

Die Auferstehung Jesu.

hatten sich so stark gefühlt in der Gemeinschaft mit ihm, stark gegenüber einer ganzen Welt.

weggerissen,

Seite

Nun hat ihn ein furchtbares Geschick von ihrer und

hat sie

er

auf einmal

Aber

verlassen.

wandelt er unerkannt an ihrer Seite und öffnet ihnen die Schrift

und zeigt ihnen, wie ja alles nicht anders habe kommen können, wie ja das eben der Rath Gottes sei, daß Christus durch Leiden mußte

eingehen zur Herrlichkeit. berge

Dann kehrt er mit ihnen ein in die Her­

und bricht ihnen das Brod, und die Augen werden ihnen

aufgethan, und sie erkennen ihren Meister.

Müde zieht ihr Wanderer oft eure Straße.

Nicht die Arbeit

hat euch müde gemacht; denn diese macht am wenigsten müde.

Aber

die Hoffnung hat euch müde gemacht, die vor euch Herzog, ohne daß

was euch Liebe schien bei den Menschen

ihr sie jemals erreichtet;

und euch betrog, was euch Freundschaft schien und euch hinterging, das hat euch müde gemacht.

So ist euch nach und nach das Leben

gleichgiltig geworden und ihr schleppt euch hin von Jahr zu Jahr, weil nun einmal das Leben gelebt werden muß.

fühlt ihr

Und verlassen

euch, wenn ihr auch zu Zweien oder Dreien wandert.

Keines kümmert sich mehr recht um das Andere. sich zu thun.

Es hat jedes mit

Aber der hohe Fremdling geht uns da auch zur Seite.

Er öffnet uns die Schrift.

Er zeigt uns die wunderbaren Gedanken

Gottes, wie uns Gott das trügerische Wesen der Welt schmerzlich empfinden läßt,

um dadurch ganz allmählich unsere Seele davon

nbzulösen, sie frei zu machen, sie höher zu sich zu ziehen, damit sie mit Muth und neuer Hoffnung gestärkt werde in seiner Nähe, und nun nicht mehr sich müde und verlassen zu fühlen brauche in seiner

Gemeinschaft.

Wißt ihr nicht, ihr Verlassenen, daß Einer am Kreuz

gestorben ist, um euch dadurch den Beweis zu liefern, daß er mit seinem Trost, mit seinem Leben, mit seiner Kraft euch niemals ver­ lassen will?

Wisset ihr nicht, ihr Müden, die ihr meint, die Lasten

der Erde seien, euch zu schwer, daß Einer alle Lasten der Erde uns vorangetragen hat, damit unsere Lasten uns leicht werden? 3. Schuld.

Die schwerste Last aber, die wir zu tragen haben, ist unsere Darum laßt uns weiter sehen:

Wie der Auferstandene

die Schuldigen aufweckt zu einem neuen Leben.

die Jünger

versammelt

am See Genezareth.

Wie

Wir sehen

einst in

den

sonnigen Tagen von Galiläa breitet sich wieder vor ihren Augen

58

Die Auferstehung Jesu.

aus seine blaue Fluth.

Der Herr ist unter ihnen.

Nacht von Jerusalem ist vorüber.

Da ist auch Petrus.

erstehungsfrühling.

Die schwarze

Es grünt um sie her der Auf­

Für ihn war jene Nacht

besonders dunkel durch seine Schuld, es war die Nacht der Ver­

leugnung.

Wagt er es, wieder unter den Jüngern zu erscheinen vor

den Augen Jesu?

Ja, und Jesus blickt ihn an, wie er ihn damals

im Palast des Hohenpriesters angeblickt hatte, und doch ganz anders, als wollte er zu ihm sagen: Nun soll die Schuld vergessen sein, die

dich, mein Jünger, von mir schied.

Du hast mich dreimal ver­

leugnet; nun antworte mir dreimal: Simon Johanna, hast du mich

Da antwortet der Jünger dreimal:

lieb?

Du weißt es, Herr, bafj.

Und nun setzt ihn Jesus wieder in seine Jünger­

ich dich lieb habe.

rechte ein: „Weide meine Lämmer, weide meine Schafe," und Petrus wandelt in einem neuen Leben.

Der Auferstandene weckt die Schul­

digen auf zu einem neuen Leben.

Wer eine Schuld auf seinem Herzen trägt, hat das Bedürfniß,

sie auszusprechen. einem

leichter.

Dadurch, daß man sie ausspricht, wird das Herz

Es

wird

dir schwer,

sie

einem

Menschen

zusprechen, wenn du nicht ganz vertraut mit ihm bist. dich nicht gern vor deinesgleichen.

aus­

Du demüthigst

Du fürchtest auch, für deine Em­

pfindung nicht das rechte Verständniß zu finden, oder abgewiesen zu werden, oder vielleicht ein hartes liebloses Urtheil zu hören.

du hast einen Bruder, zu dem darfst du immer gehen.

Aber

Schon seit

fast 2000 Jahren wandert er über die Erde und hat immer ein offenes Herz gehabt für die, welche ihre Schuld bekennen.

Er ist

auch dir nahe in seinem Wort, in seinem Sakrament, und er ver­

langt von dir keine schweren Bußübungen, sondern nur eins: Liebe zu ihm.

Wie leicht ist sein Joch, wie sanft seine Last! Er verlangt

nichts, als daß du ihn liebst, ihn, der dich zuerst geliebt hat mit unendlicher Liebe, ihn, der das große Opfer für dich gebracht hat,

ihn, der der Schönste ist unter den Menschenkindern. Wenn in dir diese große Liebe zu Jesus Christus erwacht ist, dann erfährst du es an dir, er ist auferstanden, er lebt. eine lebendige Kraft von ihm aus in deine Seele.

Es geht

Die Schuld

zerfällt, die Unruhe, die sie dir gemacht, weicht, der Friede Gottes

kehret bei dir ein, du siehst über dir das fteundliche Angesicht deines

versöhnten Vaters.

Und dann geschieht noch ein zweites:

Du fühlst

59

Die Auferstehung Jesu.

in dir eine Auferstehungskraft, welche dich emporzieht, deinem Leben eine neue Richtung giebt aufwärts nach Gott hin.

Es zieht dich

empor zu einem neuen Leben, zu einem neuen Eifer im Glauben, im Kampfe gegen dich selbst und alle deine Schwächen, zu einer neuen Geduld im Ausharren auf dem Platze, auf welchen Gott dich

gestellt hat, zu neuer Liebe gegen die Deinen und alle die Menschen, gegen die du Pflichten hast.

Mit neuem Muth greifst du das Leben

an,f mit neuer Hoffnung siehst du in die Zukunft, mit neuen Augen siehst du die Welt an; sie ist dir nicht mehr eine Wüste, in der die bösen Geister wohnen, welche dich verderben wollen, sondern eine

Wirkungsstätte deines Gottes, der überall Mittel findet, um dich

deinem Ziele entgegenzuführen. Wenn ihr jetzt eure Häuser aufthut, um die Frühlingsluft bei euch einziehen zu lassen, so thut auch eure Häuser auf, um Jesus,

den Bringer des neuen Lebens, bei euch aufzunehmen, damit er euch neue Liebe zu einander, neue Lust zur Arbeit für einander und mit einander bringe, neue treue Gemeinschaft unter einander.

4. Wie

ihr

aber

von Christus

das

neue Leben empfangt,

so werdet ihrs nun auch Anderen mittheilen. leuchten, die Wolken

müssen regnen.

Die Sonne muß

Und du, dem Christus als

der Lebensfürst erschienen ist, und der du ein neues Leben in dir

hast, mußt es hinaustragen in die Welt. So zeigt uns die evangelische Geschichte weiter: Wie der auf­

erstandene Christus die Schwachen aussendet, damit sie Boten des Lebens werden.

Furchtsam und schwach hatten sich die Jünger

versammelt hinter verschlossenen Thüren aus Furcht vor den Juden.

Wie waren die Stolzen auf einmal so verschüchtert!

Sie hatten ge­

träumt von den zwölf Stühlen, auf denen sie sitzen und die zwölf

Stämme Israels richten wollten, und nun sitzen sie furchtsam hinter

verschlossenen Thüren. Wo sind aber für Christus den Auferstandenen verschlossene Thüren?

Die Menschen haben ihre Herzen gegen ihn

verschlossen, aber er ist hindurchgedrungen; sie haben ihre Städte

und Dörfer gegen ihn verschlossen, aber er ist hindurchgedrungen. So kommt er auch hier zu der kleinen zagenden Jüngergemeinde, grüßt sie:

„Friede sei mit euch.

Fürchtet euch nicht, ich habe die

Welt überwunden und bleibe nun immer bei euch bis an der Welt

Ende" und

giebt ihnen den heiligen Geist:

„Gleichwie mich der

60

Die Auferstehung Jesu.

Gehet hin in die Welt, bringt

Vater gesandt hat, also sende ich euch.

Werdet Boten des Lebens!"

ihr das neue Leben von mir.

Die Menschen

sich

halten

surchtsam und zaghaft.

hinter verschlossenen

Thüren

Hüte dich, so spricht Einer zu dem Andern,

vor jeder Gefahr, vor jedem Opfer, vor jeder Mühe.

Es ist klug

und weise, das Leben möglichst zu genießen in aller Ruhe und Be­ quemlichkeit und Stille.

Halte Alles von dir fern, was dich auf­

reiben könnte vor der Zeit, wappne dich mit Gleichgültigkeit, damit kein Schmerz dich berühre,

geh jedem Kampfe mit dem Schicksal

aus dem Wege, hege und pflege auch

deine Kinder so, daß alle

ernste Anstrengung möglichst von ihnen ferngehalten werde. So schließe

die Thür zu und zieh dich zurück in dein enges Haus, und laß es Manche Leute behandeln auf diese

in der Welt gehen, wie es geht.

Weise ihre Frömmigkeit.

Die Einen verschließen sie hinter Kloster­

thüren, aber auch sehr viele unter uns Evangelischen leben mit ihrer

Frömmigkeit nur hinter verschlossener Thür, und diese Thür theilt ihr Leben in zwei Hälften.

Wenn sie beten, zur Kirche gehen, oder

an kirchlichen Vereinen theilnehmen, da sind sie fromm;

aber ihre

Arbeit in der Welt, ihr Verkehr mit den Menschen, Freude und Lebensgenuß

hat mit der

Frömmigkeit

lassen sie die Frömmigkeit zu Hause.

nichts

zu

thun.

Dabei

Ihre Frömmigkeit ist wie ein

offenes Licht, das, sobald man damit ins Freie geht, verlischt. O bleibt nicht hinter verschlossenen Thüren!

Ihr wißt, welche

Wirkung die Zimmerluft auf alles Leben ausübt, es muß verblassen, verkümmern, dahinwelken.

Jesus, der Osterfürst, tritt in eure Mitte,

und spricht zu euch: „Mein ist die Welt und das Leben, und überall ist

mein Reich; darum sollt ihr Boten des Lebens sein."

Es giebt für

einen ftischen, gesunden Knaben kaum eine größere Freude, als im

Frühjahr hinauseilen ins freie Feld, oder noch besser auf die Berge, und sich dort umwehen lassen von den Frühlingsstürmen. euch als Boten Jesu Christi,

kämpfen müßt.

wenn ihr den Kampf

So freuet des Lebens

Hebt das Haupt hoch, wenn ihr in der Ferne das

Brausen des Sturmes hört, der euch bald schütteln wird, und freut

euch, wenn die Anforderungen des Lebens an euch immer größer werden, die Menschen immer mehr von euch verlangen und ihr seht,

daß ihr ihnen etwas werth seid.

Nehmt theil an dem; was die

Menschen bewegt, freuet euch mit den Fröhlichen, weinet mit den

61

Die Auferstehung Jesu.

Weinenden.

Seid stolz darauf, wenn die Menschen um euch sich

Werdet Boten des Lebens.

auf euch stützen und sich an euch halten.

Saget denen, die da Leid tragen, daß Jesus lebt, bringt den Muthlosen Muth, die Schwachen richtet auf, die sich entzweit haben, bringt

zusammen.

Um so mehr wird Christus der Auferstandene mit euch

und in euch sein.

Hier im Leben, im Kampf mit dem Sturm wachsen

den« Glauben die Flügel, That;

hier wird die Frömmigkeit Leben und

hier wird sie wirklich gesund

und stark,

so daß sie alles

weltliche Leben mit all seinen Versuchungen und Gefahren aushält und durchdringt.

Gehet hin, ihr Jünger Jesu, durch eitern Herrn

Jesus Christus ist Welt und Leben euer, euer der Kamps und der

Friede, euer die Arbeit und die Ruhe, euer die Freude und das Leid, euer das Schicksal, euer Leben und Tod.

aber seid Christi, Christus aber ist Gottes."

„Alles ist euer, ihr

Christus der Lebendige

macht euch zu Boten des Lebens. 5. Aber immer tiefer steigt er zu uns herab.

Es soll gar keine

Lebenswege geben, auf dem er uns nicht zur Seite ginge, und es

soll gar keine Lebensverhältnisse geben, in denen er nicht sein Leben

uns mittheilte.

Das laßt -uns an dem letzten Bilde sehen, welches

wir jetzt betrachten wollen. Es ist wieder am See Genezareth.

Jünger sind wieder bei ihrer Fischerarbeit. Nacht, ohne daß ihnen etwas gelingt. ihnen unerkannt, Jesus am Ufer.

Petrus und die andern

Sie arbeiten die ganze

Da am Morgen steht, von

Er gebietet ihnen, von neuem das

Netz auszuwerfen; sie thuns und siehe, sie können das Netz vor

der Menge der Fische kaum ziehen. erstandene ihre Arbeit.

So segnet Jesus der Auf­

Aber weiter!

Sie treten dann aus an

das Land und bereiten dort ein Mahl, und Jesus ißt mit ihnen. Er ist unter ihnen und segnet ihnen Speise und Trank.

So ist der Auferstandene

Arbeit und Lebensgenuß.

auch

unter uns

und

segnet uns

Er steht dir nicht bloß zur Seite in

den großen Stunden des Lebens, sondern er steigt mit dir herab und heiligt mit seinem Geiste deine gewöhnliche Arbeit, dein Tage­

werk.

Die Arbeitsstätten der heutigen Zeit sind zumeist ganz anders,

als jene friedlichen, lachenden Ufer des Genezarethsees, wo die Jünger arbeiteten.

Verschlossene Räume, oft ohne rechtes Licht und ohne

rechte Luft, ost voll Ruß und Rauch, und darin sind ihrer so Viele,

62

Die Auferstehung Jesu.

daß Einer dem Andern die Luft wegnimmt. wieder überall das Bild See Genezareth sehen,

Auch ist die Arbeit

Dennoch kann auch heute

heutzutage schwerer, als sie damals war.

Wahrheit werden, Iwelches wir dort am

er ruft die Menschen, wenn sie nur seine

Stimme hören, zur Arbeit: Kommt, wirket und schaffet, so lange es Tag ist.

Er giebt ihnen in die Seele hinein den Geist, der sich

des Strebens und des Erreichens freut. sich vor Schwierigkeiten nicht fürchtet.

Er giebt den Muth, der Er giebt die Ausdauer, die

auch unter drückenden Lasten nicht erlahmt.

Und wo alle diese guten

Geister, die von ihm, dem auserstandenen Meister, kommen,

dem

Menschen bei seiner Arbeit helfen, da ist die Arbeit auch gesegnet und

bringt ihren Ertrag. So ist der Meister unter uns bei unserm Tagewerk.

Und nach dem Tagewerk sammeln sich die Menschen wie die

Jünger am Ufer des Sees zum Mahl, und wo das Christen thun,

da ist wieder der Herr unter ihnen, nicht nur als ein Gast, wie das bekannte Tischgebet sagt, sondern als bester treuster Hausfreund. In seinem Geiste nehmen wir Speise und Trank als eine Gabe aus

Gottes Hand, und Speise und Trank und jeder Genuß sind uns

dann nicht nur ein leiblicher, sondern auch ein geistiger Genuß, denn wir genießen darin die Güte Gottes, die uns segnet, gleichviel, ob

das Mahl reich ist, oder einfach und bescheiden.

Erde wird uns durch Christus Brod des Lebens.

Alles Brod der

Jedes Mahl wird

uns ein Liebesmahl, wie einst für die erste Christengemeinde, ein Liebesmahl, bei

welchem

wir uns

von neuem

als Brüder

und

Schwestern mit einander verbinden.

So sehen wir, wie alle die Bilder aus der Auserstehungs­

geschichte Jesu Wahrheit werden in unserm Leben.

Die Gefängnisse

der Erde thun sich auf durch den Ruf des Lebenssürsten, das Gefängniß des Todes, der Traurigkeit, ider Schuld, der Angst, der Arbeit.

Der Auferstandene ruft, und wir wandeln in einem neuen Leben. Und wie es in der evangelischen Geschichte

heißt,

daß der Auf­

erstandene seinen Jüngern begegnete auf ihrem Wege und sie grüßte,

so grüßt er uns auf allen unsern Wegen. mehr daran, daß er lebt. in der That.

Dann zweifeln wir nicht

Denn wir haben den Beweis des Lebens

Er lebt mit uns und in uns, alle Tage, bis an der

Welt Ende, bis hinüber in die Ewigkeit.

Auren.

Die Liebe zu Christus.

63

8.

Die Liebe zu Christus. (Nach Ostern.) Ev. Joh. 21, 15—17.

Da sie nun das Mahl gehalten hatten, spricht

Jesus zu Simon Petro: Simon Johanna, hast du mich lieber, denn mich diese haben?

dich lieb habe.

Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, daß ich

Spricht er zu ihm: Weide meine Lämmer.

Spricht

er zum andernmal zu ihm: Simon Johanna, hast du mich lieb?

Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, daß ich dich lieb habe. Spricht er zu ihm: Weide meine Schafe. Spricht er zum dritten­ mal zu ihm: Simon Johanna, hast du mich lieb?

Petrus ward

traurig, daß er zum drittenmal zu ihm sagte: Hast du mich lieb,

und sprach zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, daß ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe,

was uns hier erzählt wird, können wir im Kleinen auch er­ leben.

Ein

theurer Mensch

uns

genommen worden.

Kommen

ist

durch

wir nun

den

Tod

von uns

wieder an den Ort,

an

welchem wir einst mit ihm glückliche Zeiten durchlebt haben, so machen

wir eine merkwürdige Erfahrung: uns von dem Heimgegangenen.

träte er

Alles, was wir dort sehen, erzählt

Ueberall ist es uns zu Muthe, als

selbst, seine verklärte Gestalt uns

entgegen.

Auch

die

geistigen Eindrücke, die wir von ihm empfangen, werden in uns wieder lebendig, und der Ertrag unseres einstigen geistigen Verkehrs mit ihm steigt aus den verborgenen Gründen der Seele empor und

tritt wieder in das helle Licht unseres Bewußtseins.

Das haben die Jünger Jesu im Großen erlebt.

Nach Galiläa

waren sie an seinem Grabe gewiesen worden, nach Galiläa, wo sie zuerst den Herrn gesehen hatten, wo sie seine Predigt zuerst gehört, wo sie sich einst unter seine geistige Macht gebeugt und an derselben sich empor­

gerichtet hatten zu einem neuen Leben. Da sind

wieder

die Ufer

Sie sind dorthin gegangen.

am Genezarethsee, wo

sie

einst seine

Himmelreichspredigt vernommen hatten, da rauschen wieder die Wellen, wie einst, da sind wieder die Reben am Weinstock, die Lilien des Feldes, die Bäume, die grünende Saat, deren Predigt ihnen der

Herr in seinen Gleichnissen gedeutet hatte.

Da ist ihnen die ganze

Die Liebe zu Christus.

63

8.

Die Liebe zu Christus. (Nach Ostern.) Ev. Joh. 21, 15—17.

Da sie nun das Mahl gehalten hatten, spricht

Jesus zu Simon Petro: Simon Johanna, hast du mich lieber, denn mich diese haben?

dich lieb habe.

Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, daß ich

Spricht er zu ihm: Weide meine Lämmer.

Spricht

er zum andernmal zu ihm: Simon Johanna, hast du mich lieb?

Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, daß ich dich lieb habe. Spricht er zu ihm: Weide meine Schafe. Spricht er zum dritten­ mal zu ihm: Simon Johanna, hast du mich lieb?

Petrus ward

traurig, daß er zum drittenmal zu ihm sagte: Hast du mich lieb,

und sprach zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, daß ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe,

was uns hier erzählt wird, können wir im Kleinen auch er­ leben.

Ein

theurer Mensch

uns

genommen worden.

Kommen

ist

durch

wir nun

den

Tod

von uns

wieder an den Ort,

an

welchem wir einst mit ihm glückliche Zeiten durchlebt haben, so machen

wir eine merkwürdige Erfahrung: uns von dem Heimgegangenen.

träte er

Alles, was wir dort sehen, erzählt

Ueberall ist es uns zu Muthe, als

selbst, seine verklärte Gestalt uns

entgegen.

Auch

die

geistigen Eindrücke, die wir von ihm empfangen, werden in uns wieder lebendig, und der Ertrag unseres einstigen geistigen Verkehrs mit ihm steigt aus den verborgenen Gründen der Seele empor und

tritt wieder in das helle Licht unseres Bewußtseins.

Das haben die Jünger Jesu im Großen erlebt.

Nach Galiläa

waren sie an seinem Grabe gewiesen worden, nach Galiläa, wo sie zuerst den Herrn gesehen hatten, wo sie seine Predigt zuerst gehört, wo sie sich einst unter seine geistige Macht gebeugt und an derselben sich empor­

gerichtet hatten zu einem neuen Leben. Da sind

wieder

die Ufer

Sie sind dorthin gegangen.

am Genezarethsee, wo

sie

einst seine

Himmelreichspredigt vernommen hatten, da rauschen wieder die Wellen, wie einst, da sind wieder die Reben am Weinstock, die Lilien des Feldes, die Bäume, die grünende Saat, deren Predigt ihnen der

Herr in seinen Gleichnissen gedeutet hatte.

Da ist ihnen die ganze

64

Die Liebe zu Cbristus.

dunkle Todesnacht vergangen. Der Herr ist als der Verklärte, als der Auferstandene mitten unter ihnen. So wird uns hier geschildert die Osterfeier der ersten Christen­

gemeinde, die es bei ihren Zusammenkünften, besonders beim heiligen. Abendmahl immer wieder an sich erlebte: Der Tod ist nicht mehr. Er ist bei uns, der dem Tode die Macht genommen und Leben und unvergängliches Wesen an das Licht gebracht hat. Und wie er auferstanden ist, so stehen mit ihm auch seine Jünger auf und richten sich an ihm empor. So nimmt er nun auch den Petrus an und läßt, indem er ihn fragt: „Hast du mich lieb?" und die Antwort bekommt: „Du weißt, Herr, daß ich dich lieb habe", die ganze schwere Schuld der Vergangenheit, die den Jünger von dem Meister getrennt hat, untergehen. Es ist Morgen geworden. Ein neuer Tag ist angebrochen. Nun ist Alles gut. Jesus fragt nur nach dem Einen: „Hast du mich lieb?" Als Petrus diese Frage bejaht, setzt ihn Jesus ein in das apostolische Amt: Weide meine Schafe! Nur das Eine verlangt er: Die Liebe zu ihm. Um ihretwillen nimmt der große Hirte uns an und durch sie macht er uns zu Menschenhütern.

1. Der Glaube des Petrus an Jesus als den weltlichen Messias, seine Hoffnung auf eine glänzende Zukunst auf Erden war unter dem Kreuz auf Golgatha wie ein Traum zerflossen. Aber die Liebe zu

Jesus hat Petrus sich erhalten. An sie hat er sich gehalten. Sie hat seine Reue nur um so schmerzlicher gemacht, seine Sehnsucht

nach Christus um so brennender. Sie hat aber auch die Hoffnung in ihm erweckt, daß eine Vergebung und ein neues Leben für ihn möglich ist. Sie ist jetzt, wo er wieder vor den Herrn tritt, sein Schmuck und sein Reichthnm. Um ihretwillen nimmt ihn Jesus an. Sie decket zu der Sünden Menge. Um ihretwillen wird ihm viel

vergeben. Es ist wenig, was Petrus bringt. Denn sie ist nicht sein Verdienst. Sie ist über ihn gekommen still und mächtig, wie der Frühling jetzt durch den Wald zieht. Er ist ein armer Kämpfer, der noch die Wunden an sich trägt von dem Kampfe mit seiner Sünde; er ist ein armer Sünder, der übel zugerichtet worden ist von seinem schwachen Herzen. Er bringt nichts als seine Liebe zu Christus. Das ist wenig und doch unendlich viel, mehr, als wenn er Israels

65

Die Liebe zu Christus.

Königskrone

brächte und

Roms

nie

bezwungenes

Schwert

und

Griechenlands Kunst und Wissenschaft und die Reichthümer aus dem Lande Ophir. Waruni verlangt Jesus nichts von uns, als Liebe zu ihm? Warum ist sie genug zur Erfüllung unseres Christenberufes?

Weil

die Liebe

Wer

zu ihm die Aehnlichkeit

mit ihm voraussetzt.

Jesum Christum lieb hat, der muß ihm ähnlich sein.

In der Natur­

welt werden nur einander verwandte Stoffe zu einander hingezogen. In der Geisterwelt werden nur ähnliche Geister zu einander hinge­

Du kannst einen hohen, edlen Geist nur lieben, wenn du

zogen.

ihm innerlich irgendwie ähnlich bist.

Ein beschränkter, engherziger

Sinn kann einen Menschen mit hohem Sinn und hohem Muth nicht

lieben, denn er kann ihn nicht verstehen.

Wer aus der Wahrheit

ist, kann die Finsterniß und die Lüge nicht lieben, denn er kann sie

Lieben kannst du nur den Menschen, den du ver­

nicht verstehen.

stehst;

verstehen

ähnlich bist.

kannst du nur den Menschen,

dem du innerlich

Wer Christum liebt, muß ihm ähnlich sein.

Das ist

aber das Höchste, was wir erreichen können, ihm ähnlich werden.

Deshalb

verlangt Jesus

von uns

weiter nichts,

als

die Liebe

zu ihm.

Und weiter: Wer Jesum Christum lieb hat, strebt danach, ihm immer ähnlicher zu werden.

schaft.

Du stehst vor einer schönen Land­

Unerschöpflich und unergründlich erscheint dir der Reichthum

an Genuß und Schönheit,' den diese Natur

birgt.

was sie birgt, ruft dir zu: Ich bin da für dich.

Aber Alles,

Und so zieht es

dich hin, sie zu durchwandern, dich zu fteuen an jedem schattigen

Gang, an den Wegen zwischen den Feldern und an dem Halbdunkel des Waldes.

So blickst du hinein in das Leben unseres Erlösers.

Hier sind Höhen der Gotteserkenntniß und Gottesgemeinschaft, die du nur von ferne ahnst, Tiefen himmlischer Weisheit, die kein Ver­ stand durchdringt, Quellen der Wahrheit, die niemals ausgeschöpft

werden können, Schätze der Liebe, die sich mehren, je mehr davon

gezehrt wird.

Das Alles wird dir dargeboten.

geschrieben: Es ist für dich.

Es steht daran

So zieht es dich dazu hin.

dieses Leben in dich aufnehmen, nachleben.

Du willst

Es soll von Neuem

Wahrheit, Wirklichkeit werden auf sErden durch dich,

Leben.

in deinem

So bekommt durch die Liehe zu Christus dein Leben seine

Kirmß, Predigten.

5

Die Liebe zu Christus.

66

Richtung auf ihn hin, und aus dieser Richtung kann es durch nichts herausgebracht werden, sondern muß vielmehr immer höher steigen

von Licht zu Licht.

Die Liebe zu Christus schließt in sich den auf­

richtigen Willen, den Willen Christi zu thun, zu glauben, wie er

geglaubt hat, die Menschen zu lieben, wie er sie geliebt hat, furchtlos zu sein in Kampf und Sturm, wie er es gewesen ist.

wandelt uns

jedes Kreuz in Segen.

Sie

Sie ver­

führt uns aus jeder

sittlichen Verirrung wieder in die Heimath, daß keine Anklage des Gesetzes, keine Verurtheilung durch Menschen uns aufhalten kann. Sie ist des Gesetzes Erfüllung.

Sie ist der Schlüssel, welcher jede

Thür aufschließt, sie giebt unserer Seele Flügel, welche sie über jeden

Berg tragen, sie trägt uns hinauf, stellt uns unmittelbar vor Christus hin.

Sie macht uns ihn« immer ähnlicher.

Deshalb fragt Christus

nur das Eine: Hast du mich lieb? Sie allein genügt.

Eine fehlt.

Alles Andere hilft dir nichts, wenn dieses

Und sie genügt allein) sie ist genug, wenn auch alles

Andere fehlt. Sie allein genügt) alles Andere Hilst dir nichts, wenn

dieses Eine fehlt.

Jesus wandelt auch heute noch durch die Welt,

geht still durch die Kirchen, wo prunkende Gottesdienste gehalten werden,

wo die Kunst ihre ganze Sinnenpracht entfaltet.

Er tritt in die stille

Klosterzelle, wo der Mönch durch Kasteiung seine Seligkeit Gott abver­ dienen möchte.

Er wandert auf den Wallfahrtswegen mit den Pil­

gern und spricht zu diesen Allen: das Eine gilt:

Das Alles hilft euch nichts, nur

Hast du mich lieb?

protestantischen Länder.

Jesus wandert auch durch die

Er tritt in

die

stille

Arbcitsstubc

des

protestantischen Gelehrten, der die Geheimnisse des Glaubens studiert

und Gottes Wege in der Geschichte ergründen möchte.

Und er geht

weiter zu den Christen, die sich in ihren Glaubensansichten ganz

genau anschließen an die Formen der Vergangenheit und jeden miß­ trauisch betrachten, der nicht ebenso wie sie an diesen Formen fest­ hält.

Jesus geht zu den Menschen, die sich abquälcn in der Arbeit

der Welt, hasten, jagen, sich kein gönnen.

Ausruhen,

keine stille Stunde

Er geht auch durch unsere schlichten Gotteshäuser, durch

die Reihen der Singenden und der Betenden, durch die Reihen der

Abendmahlsgäste, und er spricht zu diesen Allen: Das Alles hilft euch nichts, wenn euch das Eine fehlt: Hast du mich lieb?

Rühine

Die Liebe zu Christus.

67

dich nicht deiner Tugenden; sie sind Blumen ohne Wurzeln, die bald verwelken, wenn du nicht die Liebe zu Christus hast. Rühme dich nicht deiner Kraft, sie ist ein Stab, der bald zerbricht, wenn du nicht die Liebe zu Christus hast. Rühme dich nicht deines Kreuzes, durch dessen Tragen du dir den Himmel zu verdienen meinst; es hilft dir nichts, wenn nicht die Liebe zu Christus dich

stille macht. Rühme dich auch nicht deiner Sehnsucht nach der ewigen Welt; sie hilft dir nichts, wenn nicht ihre Seele die Liebe zu Christus ist. Sie allein genügt; alles Andere hilft dir nichts, wenn dieses Eine fehlt. Sie genügt allein. Sie ist genug, wenn alles Andere fehlt. Da kommen von der einen Seite Menschen, deren Glaubens­ lehre, wenn sie genau geprüft würde, manche Lücke aufweisen würde,

Menschen, die, indem sie glauben, auch immer denken müssen, die deshalb Manches, was sie nicht verstehen in dem überlieferten Glauben, still bei Seite legen. Da kommen von der andern Seite

Solche, die von ihrem Glauben grundsätzlich alle Verstandesthätigkeit, alle Zweifel der Vernunft fernhalten, die da glauben, wie die Kinder, und in deren Glauben es deshalb mannigfach an innerer Klarheit

und Uebereinstimmung fehlt. Sie Beide, die Einen mit ihrem lücken­ haften Glauben, die Andern mit ihrem ungeklärten, naiven Glauben, sie bestehen vor Christus, wenn sie zu ihm sprechen können aus aufrichtigem Herzen: Du weißt es, daß ich dich lieb habe.

Da kommen von der einen Seite die geistlich Armen, die ihre Tugenden und ihre Werke ansehen als armseliges Stückwerk, die nur ein zerschlagenes Herz bringen, ein tiefes Verlangen nach Heil

und Frieden. Aber sie haben genug, wenn sie sagen können von Herzen: Du weißt, daß ich dich lieb habe. Da kommen von der andern Seite die großen Sünder mit ihren schweren Fehlern, mit

ihren verhängnißvollen Schwächen. Aber die Liebe zu Jesus Christus ist ihre Auferstehungskraft, die sie aus dem Grabe der Sünde hindurchführt zu einem geistigen Ostermorgen. Sie allein genügt, auch wenn alles Andere fehlt.

Deshalb

sollten die christlichen Kirchen sie als das Band der Vollkommen­ heit betrachten, welches alle Christen verbindet zu Einer Liebe. So weit wir Menschen jetzt blicken können, wird die Christenheit vielleicht nie zu einer vollständigen Einheit in den Glaubensvorstellungen und

Die Liebe zu Christus.

68

den Glaubenssätzen kommen.

Nur Eins kann sie zu Einer Herde

machen unter Einem Hirten, nämlich die Liebe zu Christus.

könnten Katholiken

und

Protestanten

und

alle

die

Da

verschiedenen

Richtungen des Glaubens sich schaaren um Jesus Christus, und sich

verbinden durch das Eine Bekenntniß, das größer, freier, reicher ist, als alle andern: Du weißt es, Herr, daß ich dich lieb habe. Jesus verlangt von dem gefallenen Petrus nicht mehr.

So

wollen auch wir von den Menschen, die wir als Christen anerkennen sollen, nicht mehr verlangen.

2. Daß das genug ist, ersehen wir daraus, daß Jesus nun dem Petrus feierlich sein apostolisches Amt überträgt. nicht:

Er fragt ihn

„Wirst du, Petrus, reden können mit Menschen- und Engel­

zungen und weissagen können und alle Weisheit und alle Erkenntniß

haben?" sondern nur: „Hast du mich lieb?"

Nun, so „weide meine

Alle Menschen gehören ihm, der von Gott zur Erlösung

Schafe".

gesandt ist.

Deshalb treibt die Liebe zu Christus uns dazu, rechte

Menschenhüter zu werden.

hier das Hirtenamt.

Nicht nur dem Petrus überträgt er

Die katholische Kirche sagt, weil Jesus hier

dem Pettus das Hirtenamt überttagen, und weil der Papst der

Nachfolger des Pettus sei, so habe Jesus mit diesem „Weide meine Schafe" das Papstthum eingesetzt. weiter.

Wir evangelischen Christen gehen

Wir sagen: Jeder Prediger, Lehrer und Missionar ist ein

Hirte, der mit seiner Liebe zu Christtls seine Herde weiden soll. Und auch dabei bleiben wir nicht stehen: Wie wir keinen besonderen geistlichen Stand, kein abgesondertes Priesterthum anerkennen, wie

vielmehr nach unserer evangelischen Lehre alle Christen Priester sind, so hat hier nach unserer Meinung Jesus jedem Christen die Pflicht

auferlegt, um Christi willen ein treuer Menschenhüter zu sein. Das liegt so in Gottes Weltordnung. der Hirt der zahllosen Welten.

vorhin vom Chor den 23. Psalm gehört.

ein Hirt gewesen.

Gott, der Ewige, ist

Er ist auch unser Hirt.

Ihr habt

Der Dichter desselben ist

Wohl einmal in stiller Nacht, als er auf dem

Felde bei seiner Herde war, hat er emporgesehen zu dem gestirnten Himmel und hat bei sich gedacht: Wie du hier ein Hirt deiner

Herde bist, so weidet dort oben ein großer Hirt seine Herde aus blauer Himmelsflur.

Und dieser Herr der leuchtenden Heerschaaren

am nächtlichen Himmel sieht auch auf dich armen schwachen Menschen

Die Liebe zu Christus.

liebreich herab:

69

„Der Herr ist mein Hirt, mir wird nichts mangeln."

Dieser große Hirt dort oben hat seine Hirtentreue unserm Erlöser in das Herz gelegt. Als der gute Hirt ist er über die Erde ge­ gangen, die Seinen kennend, von den Seinen gekannt, sein Leben

lassend für seine Schafe. Und er macht nun wieder die Seinen zu Hirten, so daß die ganze weite Welt, vom Throne des ewigen Gottes bis zu dem ärmsten Menschenkinde herab erfüllt sein soll von

behütender Hirtentreue. Von der Zeit an, in der du, du Mutter, an der Wiege deines Knaben saßest, von der Stunde an, in der du, du Vater, dein Kind zum ersten Male in die Arme nahmst, bis zu dem Augenblick, da Gott euch für diese Zeit von einander scheidet, sollt ihr Hirten sein, die eure Kinder geleiten, behüten vor Gefahren des Leibes und der Seele, in Noth und Verirrung. Ihr sollt Menschenhüter sein, ihr Gebietenden, die ihr Dienende in euren Häusern habt, ihr Lehrend en, die ihr Lernende vorzubereiten habt auf ihren Lebensberuf, ihr, die ihr täglich verkehrt mit Menschen, die für euch arbeiten und mit euch arbeiten, die in eurem Brode stehen. Begnügt euch nicht, eure rechtlichen Verpflichtungen gegen sie zu erfüllen, sondern behütet auch ihren inneren Menschen, so viel ihr könnt, daß sie Vertrauen zu euch haben, und ihr Macht über ihre Seelen gewinnt und sie unter den Einfluß des Guten in euch zwingt. Laßt euch durch

Ihr müßt sehr viel thun, ehe ihr sprechen könnt: „Ich habe genug gethan." Ihr sollt Menschenhüter sein, ihr, denen Gott ein reiches Herz gegeben hat, einen starken Glauben, eine feste Hoffnung, ihr sollt den

Undankbarkeit und Unverstand nicht irre machen.

Schwachen um euch her eine Stütze sein. Ihr sollt Menschenhüter sein, die ihr selbst an euch die Macht der Sünde erfahren

habt, gefallen, aber durch Gottes Gnade auferstanden seid, ihr sollt die leiten und ihnen zurecht helfen, die in der Stunde der Ver­ suchung gefallen sind. Ihr sollt Menschenhüter sein, ihr, die ihr

selbst ein Kreuz zu tragen habt; ihr wißt, wie es Krenzttägern zu Muthe ist, so sollt ihr die trösten, die übel zugerichtet sind von

Sturm und Wetter. Sagt nicht: Ich habe Schweres durchgemacht und mir hat Niemand geholfen, mögen Andere auch ihren Kampf allein kämpfen.

Sondern verwerthet euere Erfahrungen

welche an eurer Seite kämpfen.

für die,

Ihr sollt Menschenhüter sein, ihr.

70

Die Liebe zu Christus.

die ihr von Gott behütet worden seid vor Schaden an euerer Seele;

behütet, so weit euer Einfluß reicht, die Seelen der Menschen um euch her, besonders die Seelen der Kinder, vor Aergerniß und Ver­ Sorgt dafür, daß die Luft, die die Menschen athmen, rein

suchung. ist.

Ihr sollt Menschenhüter sein.

Wohl dem Menschen, von dem,

wenn die Erde sich über seinem Grabe wölbt, die Andern sagen: ist mir ein Hüter

gewesen;

habe ich

an ihm

mich

Er

aufgerichtet.

Christus spricht: Weide meine Schafe, weide meine Lämmer! der seine Herde weidet, muß sie vor Allem zu­

Der Hirt,

sammenhalten.

Ein Schaf,

muß verschmachten. muß verdorren.

von

das

Eine Rebe,

der Herde getrennt ist,

die vom Weinstock getrennt ist,

Sollen die Menschen behütet werden, so müssen

alle die Einrichtungen gepflegt werden, durch welche die Menschen

gesammelt und zusammengehalten werden. zusammen.

So haltet euere Familien

Erfüllt euere Häuser so mit gutem Geist, daß es alle

Familienglieder ganz von selbst aus der Zerstreuung der Welt hin­

zieht zum häuslichen Herd.

Pflegt unter euch den Familiensinn,

die Erinnerung an die Wege, welche Gott die Väter geführt hat, so daß in Allen, in Eltern und Kindern der zusammenhaltende Geist

der Heimath stärker ist, als der trennende, auflösende Geist der Menschen, die auch in der Fremde an ihrer Heimath

fremden Welt.

hängen,

können

Schule.

nie verloren gehen.

Neben dem Haus steht die

Wie gerade in christlichen Völkern die größten Erzieher

erstanden sind, wie es christliche Denker gewesen sind, die sich am meisten vertieft

haben in die Aufgabe, Menschenseelen nach den

ihnen innewohnenden Kräften und der ihnen gegebenen Bestimmung zur.Gottähnlichkeit zu erziehen, so ist die Schule, in welcher sich alle Kinder eines Volkes sammeln, vor Allem eine Schöpfung des

Christenthums; hier sollen sie gesammelt werden, innerlich verbunden

durch Einen Glauben und Bildung.

durch den Einen Geist vaterländischer

Die Schule aber bildet die Vermittelung zwischen dem

Vaterhaus und dem Vaterland.

Sie empfängt die Kinder aus

dem Haus und erzieht sie für das Vaterland.

Wie der Gehorsam

gegen die Obrigkeit eine christliche Pflicht ist, so auch die Liebe zum Vaterland eine Pflicht gegen den Gott, der uns das Vaterland ge­ geben

hat.

Jeder Christ hat die Aufgabe,

den auflösenden Be­

strebungen der heuttgen Zeit entgegenzutreten, das Vaterland höher

71

Jugend und Alter.

zu halten, als die trennenden Parteien, daß alle Kinder sich sammeln um ihre Mutter, das Vaterland, welches geweiht ist durch große Kämpfe und Opfer. Größer aber, weiter als das Vaterland ist die Kirche. Wie ihr euch hier sammelt um Gottes Wort, die Stimme eueres himmlischen Vaters, so führt auch Andere herzu; sagt ihnen,

was ihr daran habt, was sie entbehren, wenn sie es nicht haben.

Sammelt euch hier um das Abendmahl, das Brod des Lebens, das euer Erlöser euch darbietet. Hier führt euere Kinder in der Taufe dem großen Hirten zu. Hier schweift das Auge in die Weite und sieht alle Gotteskinder auf Erden versammelt zu einer Gottes­ familie unter dem Schutz des Vaters unseres Herrn Jesu Christi. Hier eilen die Gedanken hinauf in die Ewigkeit, und wir fühlen uns verbunden mit denen, die vor uns gewesen sind und mit denen wir einst uns versammeln werden im großen ewigen Vaterhaus. Haus, Schule, Vaterland, Kirche — hier sollen wir uns sammeln lassen, hier sollen wir Menschen sammeln und den Befehl

Christi erfüllen:

Weide meine Schafe, weide meine Lämmer.

Amen.

9.

Jugend und Atter. (Nach Ostern.) Joh. 21, 18 u. 19.

Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Da du jünger

wärest, gürtetest du dich selbst, und wandeltest, wo du hin wolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten, und führen, wo du nicht hin willst.

Da­

sagte er aber zu deuten, mit welchem Tode er Gott preisen würde.

Da er aber das gesagt, spricht er zu ihm: Folge mir nach.

Nachdem, wie wir in unserer vorigen Betrachtung gesehen

haben, Jesus den Petrus durch den Auftrag: „Weide meine Schafe, weide meine Lämmer" eingesetzt hat in sein apostolisches Amt,

weist er ihn nun in unserem heutigen Textwort hinaus in die Zu­ kunft und zeigt ihm, daß er als sein Jünger und Nachfolger nicht ein leichtes bequemes Leben haben werde,

sondern daß ihm ein

71

Jugend und Alter.

zu halten, als die trennenden Parteien, daß alle Kinder sich sammeln um ihre Mutter, das Vaterland, welches geweiht ist durch große Kämpfe und Opfer. Größer aber, weiter als das Vaterland ist die Kirche. Wie ihr euch hier sammelt um Gottes Wort, die Stimme eueres himmlischen Vaters, so führt auch Andere herzu; sagt ihnen,

was ihr daran habt, was sie entbehren, wenn sie es nicht haben.

Sammelt euch hier um das Abendmahl, das Brod des Lebens, das euer Erlöser euch darbietet. Hier führt euere Kinder in der Taufe dem großen Hirten zu. Hier schweift das Auge in die Weite und sieht alle Gotteskinder auf Erden versammelt zu einer Gottes­ familie unter dem Schutz des Vaters unseres Herrn Jesu Christi. Hier eilen die Gedanken hinauf in die Ewigkeit, und wir fühlen uns verbunden mit denen, die vor uns gewesen sind und mit denen wir einst uns versammeln werden im großen ewigen Vaterhaus. Haus, Schule, Vaterland, Kirche — hier sollen wir uns sammeln lassen, hier sollen wir Menschen sammeln und den Befehl

Christi erfüllen:

Weide meine Schafe, weide meine Lämmer.

Amen.

9.

Jugend und Atter. (Nach Ostern.) Joh. 21, 18 u. 19.

Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Da du jünger

wärest, gürtetest du dich selbst, und wandeltest, wo du hin wolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten, und führen, wo du nicht hin willst.

Da­

sagte er aber zu deuten, mit welchem Tode er Gott preisen würde.

Da er aber das gesagt, spricht er zu ihm: Folge mir nach.

Nachdem, wie wir in unserer vorigen Betrachtung gesehen

haben, Jesus den Petrus durch den Auftrag: „Weide meine Schafe, weide meine Lämmer" eingesetzt hat in sein apostolisches Amt,

weist er ihn nun in unserem heutigen Textwort hinaus in die Zu­ kunft und zeigt ihm, daß er als sein Jünger und Nachfolger nicht ein leichtes bequemes Leben haben werde,

sondern daß ihm ein

72

Jugend und Alter.

schweres Geschick werde auferlegt werden. Wort erfüllen:

An ihm werde sich das

„Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst,

und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir."

Diese Schwere des

zukünftigen Geschickes hebt der Herr um so schärfer hervor dadurch, daß er ihn daneben erinnert an die Freiheit und Ungebundenheit seiner Jugend.

„Da du jünger warst, gürtetest du dich selbst."

Diese Worte an Petrus haben eine allgemein menschliche Be­

Die Zeit, da wir uns selbst gürten, ist die Jugend.

deutung.

Die

Zeit, da ein Anderer uns gürtet und uns führt, da wir nicht hin­

wollen, ist das Alter.

die Mahnung Jesu:

Für die Jugend aber wie für das Alter gilt „Folge mir nach."

Jugend und Alter in der Nachfolge Jesu.

1.

„Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst,

wohin du wolltest."

Das Wort „sich gürten" ist in doppeltem Sinn

Der Morgenländer pflegte das lange Obergewand mit

zu verstehen.

einem Gürtel aufzuschürzen, wenn er arbeiten, wandern oder kämpfen

wollte; daher sich gürten soviel als sich rüsten.

So der Ruf des

„Lasset euere Lenden umgürtet sein!"

Seid immer fertig

zur Arbeit, denn jeder Tag bringt seine Arbeit.

Seid immer fertig

Paulus:

zum Kampfe, denn jeden Augenblick droht von innen oder außen der Feind.

Seid immer fertig zum Wandern, zum Aufbruch, denn

jeden Augenblick kann Gott dich

abrufen.

In seiner zweiten Be­

deutung heißt „gürten" soviel wie binden, in geistigem Sinn „sich

an etwas binden."

Besonders im zweiten Theil des Wortes Jesu:

„Ein Anderer wird dich

gürten" ist es in diesem Sinne zu ver­

stehen.

.

So sagt Jesus zu Petrus:

„Weißt du noch, Petrus, wie du

einst dich selbst zum Leben gerüstet hast, als du jung warst, wie du

selbst dein Leben bestimmtest, zwar damals umgeben von den Ver­

hältnissen der kleinen Heimathstadt Kapernaum, des engen Eltern­

hauses, aber doch warst du so frei und ungebunden; weit lag vor

dir die Welt.

So kam ich zu dir.

Und als du mir nachfolgtest,

thatest du nur, wohin dein Herz dich trieb.

Du gingst, wohin du

wolltest." Kann man nun ohne Weiteres dieses Wort überhaupt auf die

Jugend

anwenden?

Mit Recht

wird

alle

Ungebundenheit

und

73

Jugend und Alter.

Zuchtlosigkeit der Jugend verurtheilt und bekämpft.

Legt nicht die

Zucht im Haus, in der Schule, im Beruf der Jugend

heilsame

der in eilendem Lauf, oft in starken

Wie der Bach,

Zügel an?

Windungen vom Berge kommt, unten im Thal sein Bett findet, seine Ufer, die seinen Lauf regeln, und ihn zwingen, feine Richtung inne­ zuhalten, wie der kraftvoll emportreibende junge Baum an den Stab

gebunden wird, damit er gerade emporwächst, so wird die Jugend durch Zucht und Gesetz in die rechte Richtung hineingelenkt.

ältere Geschlecht

hat

die Aufgabe,

die Jugend

in

die

Das

lebendige

Ueberlieferung, in den guten Geist der Vergangenheit in Kirche und Staat hineinzuführen.

je

Und

mehr

das in der

rechten

Weise

geschieht, je mehr die werdende Kraft der Jugend mit der edelsten

Kraft der Vergangenheit genährt wird, um so mehr wird sie der Träger einer

gesegneten Zukunft werden.

Deshalb muß sie unter

der heilsamen Zucht der Vergangenheit stehen.

Sonst würde sie sein

wie die Quelle, die nicht gefaßt ist und deshalb im Sande oder im Sumpfe zerrinnt, wie der junge Baunr, der nicht angebunden ist

und deshalb vom ersten Sturm zerknickt wird. — Neben der Zucht der Menschen ist es die Zucht der Verhältnisse, unter der die

Heranwachsende Jugend steht.

Der Kreis, in welchem ein junger

Mensch heranwächst, die Berufsarbeit und die Berufsinteressen, die

er um sich her, besonders im Elternhaus, beobachtet, nehmen ihn

gefangen.

Mancher wird durch die Verhältnisse geradezu in einen

bestimmten Beruf hineingetrieben. Mancher durch ungünstige Ver­ hältnisse von einem Berufe, zu dem es ihn mächtig hinzieht, fern

gehalten.

Ebenso

wird

auch

die Zukunft

durch

die Begabung

bestimmt.

So steht schon die Jugend unter einem gewissen Zwang des Lebens.

Nicht

ohne Weiteres kann sie „gehen, wohin sie will."

Aber auch in diesem Zwang, dem von innen wie dem von außen, liegt Gottes

Ordnung.

Wenn wir Aelteren zurückschauen auf

unsere Jugend und uns erinnern, wie entscheidend manchmal dieser Zwang in die Entwickelung unseres Lebens eingegriffen hat, wie wir dadurch

sind

abgehalten worden von mancher Thorheit,

getrieben

worden sind zu außergewöhnlicher Kraftanstrengung, so müssen wir sagen: Es war für uns gut und heilsam, daß wir nicht gehen durften,

wohin wir wollten.

74

Jugend und Alter.

Dennoch hat das Wort für die Jugend seine Wahrheit.

Frei

und weit dehnt sich das Leben vor ihren Augen aus, und das Herz schlägt höher bei der Ahnung alles dessen, was die Zukunft enthält. Sie liegt da als der Stoff, der gestaltet werden soll, als das Feld,

Und der heutigen Jugend thut sich die

das bebaut werden soll.

Welt noch viel weiter und freier auf als der Jugend in früheren Zeiten.

Früher suchten die Kinder meist in der Heimath ihre Stätte,

unter den altgewohnten Verhältnissen der Heimath, im Schatten des Elternhauses.

Mehr und mehr hört das auf, auch auf dem Lande.

Der sich immer mehr steigernde Verkehr thut der Jugend, besonders einer kraftvollen Jugend, die Welt auf, zeigt ihr die Ferne, und

Viele folgen der Weisung.

Wo noch vor 10 Jahren Eltern und

Kinder um einen Tisch zusammensaßen, da sind setzt die Eltern allein zurückgeblieben, die Kinder zerstreut, und nur sehr freudige oder sehr traurige Veranlassungen

Elternhaus

zusammen.

wohin sie will.

führen die Zerstreuten wieder einmal im

Die Jugend

Dazu

Eigenwille der Jugend.

gürtet sich

kommt, wie

es

immer

selbst und

geht,

gewesen ist, der

Je geringer ihre Erfahrung, um so mehr

will sie den eigenen Willen durchsetzen, schlägt guten Rath in den

Wind, geht nicht dahin, wohin sie gewiesen wird,

wohin sie will.

sondern dahin,

Dieser Eigenwille kann Eigensinn sein;

dann ist

Es kann aber

oft das Ende bittere Reue, Sterben und Verderben.

auch diesem Eigenwillen ein starker Wille zu Grunde liegen, der das

Recht hat, sich durchzusetzen.

Dann gelangt die Jugend zum ftohen

Staunen derer, die sie mit Sorge ziehen sahen, an schönen Zielen an.

Sie gürtet sich selbst und geht, wohin sie will.

alte Klage, die nicht erst von heute ist:

Es ist eine

„Die heuüge Jugend ist so

ganz anders, als zu der Zeit, da wir jung waren.

Neue Anschau­

ungen kommen auf, neue Ziele werden aufgestellt, neue Ideale, neue

Richtungen, neue Bestrebungen, die wir nicht verstehen. zieht andere Straßen, als wir einst zogen.

Aber wir müssen das verstehen. nicht, auch nicht im Kleinen.

Die Jugend

Sie geht, wohin sie will."

Die Weltgeschichte wiederholt sich

Wir sollen deshalb nicht verlangen,

daß die heutige Jugend nur eine Wiederholung dessen sein soll, was wir in den Tagen unserer Jugend waren.

Im Ganzen müßten wir

uns doch freuen, wenn wir eine Jugend heranwachsen sehen, die sich

selbst gürtet und hingeht, wohin sie will, d. h. die sich nicht erst

Jugend und Alter.

75

hierhin und dahin treiben und weisen läßt, sondern die selbständig und kraftvoll das Leben anfaßt, sich selbst ein Ziel steckt, sich einen Plan entwirft, sich durcharbeitet durch die Hindernisse. Glücklich die Eltern, die ihren Kindern nur dann und wann mit leisem Rath, mit leiser Mahnung zur Seite zu gehen brauchen und mit Stolz sehen, wie der junge Adler anfängt die Flügel zu regen. Nur auf Eins kommt es an, daß sie bleibt in der Nachfolge Jesu. Jesus ist auch für die Jugend gekommen. Alles an ihm,

sein Glauben und Lieben, sein Arbeiten und Hoffen, ist ewige Jugend. So soll die Jugend von ihm glauben lernen. Eine Jugend, die nicht glaubt, keine Ideale hat, die schon am Morgen

des Lebens müde ist, die an Allem, was Menschenherzen höher schlagen läßt, kühl zweifelt, die nur daran denkt, wie sie möglichst ohne Anstrengung und möglichst rasch in äußeren Dingen vorwärtskomme, die mit kühler Berechnung diese Erde überblickt, wo am meisten Gewinn zu finden ist, sie ist das Salz, das dumm geworden ist. Wie zu einem rechten Morgen frischer Morgenwind gehört, der den Menschen den Schlaf aus den Augen weht, und zu einem rechten Sonnenaufgang der Thau auf den Blumen, in dem sich die Morgensonne spiegelt, so gehört zu einer rechten Jugend ftöhlicher

muthiger Glaube, Glaube an Gott, der die Menschen vorwärts führt und dadurch geehrt werden will, daß die Menschen an seinem kommenden Reich arbeiten, der Glaube an ewige Güter, die heute noch in jungen Herzen wohnen wollen, wie vor 1000 Jahren, und der Glaube an die Vaterliebe im Himmel, an Liebe und Treue auf Erden, der Glaube, der zum Himmel auffliegt bis an das Herz

Gottes und dann zur Erde zurückkehrt und sie verklärt sieht von

himmlischem Licht. Das ist deine beste Ausrüstung für das Leben, du junges Geschlecht, deine beste Wehr und Waffe. Damit gürte dich für das Leben! Aus dem christlichen Glauben aber kommt die christliche Liebe. „Ueber Alles ziehet an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit."

Ewige Liebe hat dich, du Jugend,

gesegnet durch Menschenhände, blickte dich an aus Menschenaugen,

sie war die Sonne, die dein Herz warm machte.

Sie sei die sanfte

Fessel, die dich bindet, die dich bindet an Vater und Mutter, an Lehrer und Freunde, die dich bindet, daß du in deinem Denken und Handeln keinen anderen Weg gehen kannst, als den, den deine

76

Jugend und Alter.

Führer, die dir Gott gegeben hat, dir gezeigt haben; die dich bindet

an deine Pflichten, welche dir das Leben bringt in Haus, Schule

und Beruf; die dich bindet an deine Aufgabe, im Leben einmal den Deinen, deinem Volke, deiner Kirche etwas Rechtes zu nützen.

Binde

dich selbst mit geheiligter Willenskraft, daß du es gar nicht über dich

gewinnst,

dir

selbst,

deinen Fehlern wehrlos zu

gehorchen,

sondern täglich daran arbeitest mit aller Kraft, heranzuwachsen zu

einem starken Gottesmenschen, wie die junge Tanne, die ihr Haupt zum Himmel emporhebt.

Binde dich innerlich an das Ziel deines

Lebens, in Gottvertrauen, edlem Selbstvertrauen, in Muth und Hoff­ ersaßt es

Dann

nung.

dich innerlich,

hält dich fest,

zieht dich

vorwärts. So ist der Weg, den du gehen willst, auch der Weg, den du gehen sollst.

Freiheit und

Gesetz sind Eins.

Dein freier

Wille ist erfüllt von dem Willen deines Erlösers, und das Gesetz Gottes ist

dein innerstes Lebensgesetz.

So

gürte, so

binde

dich selbst.

Wenn unsere Söhne und Töchter in diesem Geiste heranwachsen, sich selbst innerlich leitend durch die guten heiligen Kräfte, die von

Jesus Christus ausgehen,

wollen.

dann laßt sie getrost gehen,

wohin sie

Und gingen sie ganz andere Wege in Arbeit und Beruf,

als ihr einmal gedacht habt, und gingen sie hin in fremde Länder, laßt

sie gehen, wohin sie wollen,

sie werden überall auf rechten

Wegen bleiben. Das ist die Jugend, die sich selbst gürtet zur Nachfolge Jesu.

2.

Und nun das Alter.

„Wenn du alt wirst, so wird ein

Anderer dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst." du selbst, sondern ein Anderer.

der Herr redet, kann zweifelhaft erscheinen. sich

selbst.

Er wird

Nicht

Wer dieser Andere sei, von dem

Vielleicht meint er damit

zwar, wenn das eintretcn wird, wovon er

spricht, nicht mehr sichtbar bei den Seinen sein, wohl aber geistig als der Tröster, der ihnen Frieden bringt, als der Geist der Wahr­

heit, der in alle Wahrheit leitet, als der Geist der Kraft, der die

Welt überwindet.

Dieser verklärte Christus wird seine Jünger gürten

und binden, sie schwere Wege führen, als Schafe unter die Wölfe, in Verfolgung

und Schmach,

daß

sie zuletzt auch im Tode ihm

ähnlich werden müssen, sterben um seinetwillen, für ihn.

Man kann

77

Jugend und Alter.

auch denken an Schmerz, Leid und Trübsal, welche den Petrus

binden werden, daß er die Wege gehen muß, vor denen jeder Mensch, auch ein Apostel Jesu, eine natürliche Furcht hat.

denken an den Tod, menschliche Feinde,

der

die ihn

ihn

Man kann auch oder an

führen wird ans Kreuz,

Jede

dem Tode überliefern werden.

dieser Deutungen hat ihr gutes Recht. „Wenn du alt wirst, wird ein Anderer dich gürten,"

das Menschengeschick.

von außen her sein Weg beengt und gebunden. Jugend

das ist

Je älter ein Mensch wird, um so mehr wird

viele Wege sich vor Einem aufthun,

Alter diese verschiedenen Wege.

Während in der

verschließen sich im

Selten, daß sich einmal ein Weg

abzweigt von der einmal beschrittenen Bahn, daß sich nach der Seite hin eine Aussicht öffnet.

Du kannst nur den einen Weg gehen.

sich dir ftüher die Möglichkeit:

Bot

„Du könntest hierauf deine Kraft

werfen oder darauf, du könntest hier dein Glück suchen oder dort,"

je älter du wirst, um so mehr schwinden diese Möglichkeiten und du

beschränkst dich auf den eng begrenzten Pflichtenkreis.

Wie an den

Gebirgspfad von beiden Seiten die Felsen-immer näher herantreten und

ihn

verengen,

daß

kaum

Raum

ist

hindurchzukommen,

so

drängen sich die äußeren beengenden Verhältnisse immer mehr an das Alter heran, unübersteiglich, unüberwindlich.

Früher schweiften

deine Wünsche hinaus in die blaue Ferne, und du sähest dort sonnige

Höhen und träumtest davon, wie schön es sein müßte, auf ihnen

Hütten zu bauen; aber nun wirst du immer bescheidener in deinen Wünschen und Hoffnungen für diese Erde, beschränkst sie auf die

Wenn nur

nächstliegenden Dinge, auf dein Haus, deine Familie.

das so bleibt und jener bescheidene Wunsch sich erfüllt, willst du

zufrieden

sein.

Früher

wolltest du deine Arbeit ausdehnen; jetzt

erkennst du, daß nur die Arbeit im Kleinen dauernde Früchte bringt,

und

weil die Sonne sinkt, fassest du deine ganze Kraft in dieser

Arbeit zusammen, damit du einige Spuren deines Wirkens zurücklässest.

Die

Dinge

weniger; ihr Lärm

in der Welt draußen

kümmern

dich

immer

Dein

Gesichtskreis

und

der Kreis deiner Interessen wird immer kleiner.

Du fühlst,

wie

du unter den Lasten immer müder wirst.

verklingt in

der

Ferne.

Zu den Lasten

gesellt sich Krankheit, manche Beschwerde des Alters. als früher denkst du an dich selbst.

Vielmehr

Es stellt sich das ein, was

Jugend und Alter.

78

man die „Selbstsucht des Alters" nennt.

Wenn du alt wirst, wird

dich ein Anderer gürten. Das Leben, das in der Weite begann, endigt in bedrückender

Enge.

Das Leben, das einst voll hoher Ideale war, wird schließ­

lich ausgefüllt von dem Kampf mit den kleinen Sorgen und Be­

schwerden des Tages.

Der junge Gelehrte, der einst im Geiste hohe

wissenschaftliche Entwürfe bewegte, der junge Dichter oder Künstler, der vom Nachruhm träumte, verzehrt schließlich den Rest seiner Kraft im Kampf mit den Sorgen

der

harten Wirklichkeit.

Der Welt­

eroberer, dem einst sein Königreich zu klein war und der sich gürtete,

die Welt zu gewinnen, muß zuletzt zuftieden sein mit 6 Fuß Erde. „Wenn du alt wirst, wird ein Anderer dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst." Heute vor 10 Jahren, am Sonntag Cantate 1888, haben wir denselben Text zusammen betrachtet; damals erschien er uns in ganz

eigenartiger Beleuchtung.

Kaiser Friedrich kämpfte den letzten

schwersten Kampf seines Lebens, den Leidens- und Todeskampf. der

Er,

einst in stolzer Jugendkraft sich selbst gegürtet hatte, um in

seinem geistigen Leben und Streben hohe Ziele für sein Volk zu

verfolgen, er, der dann, als das Heil unseres Volkes im Schwerte ruhte, sich mit dem Schwerte umgürtet hat, er, der Liebling seiner Krieger auf den Schlachtfeldern, der Liebling seines Volkes in stiller

Friedenszeit, er wurde, als er eben erst die Schwelle des Alters betrat, von einem Anderen gegürtet und geführt,

wohin er nicht

wollte, hinein in bitteres Leiden, in bitteren Tod.

Aber in dieser

schweren Zeit hat er ein Buch gehabt, in dem er viel gelesen hat,

das Buch von der „Nachfolge Christi" von Thomas a Kempis, und was er daraus und aus seinem Verkehr mit Gott gelernt hat,

das hat er zusammengefaßt in der Lehre, die er den Seinen hinter­

lassen hat:

„Lerne leiden, ohne zu klagen."

an ihm das Wort Jesu zu Petrus erfüllt:

Ganz genau hat sich

Er wurde geführt, wohin

er nicht wollte; aber er folgte Jesu nach. Dadurch aber wird das Gehen, wohin wir nicht wollen, doch

ein innerlich freiwilliges Gehen, in dem freien Gehorsam gegen Gott.

Der äußere Zwang löst sich auf in innere Freiheit. Diese Freiwilligkeit wird auch in unserem Text ausgedrückt

mit den Worten:

„Du wirst deine Hände ausstrecken."

Als

79

Jugend und Alter.

Petrus das gethan hat, da ist ihm Christus zur Seite gewesen und hat zu ihm gesagt:

„Breite nur deine Hände aus und laß dich

gürten, es ist so Gottes Ordnung und Gottes heiliger Wille; nimm

diesen Willen Gottes auf in deinen Willen und gehe frei den Weg, den du geführt wirst."

So geht das Alter in der Nachfolge Jesu innerlich frei seinen

Weg der sinkenden Sonne entgegen.

Der Glaube, der einst in die

Weite schweifte und auch auf Erden große Dinge hoffte, zieht sich

immer mehr zurück auf sein eigentliches Lebensgebiet, auf das Ver­

hältniß der Seele zu Gott, faßt sich in Geduld, übt sich im Hoffen und Warten, hält sich an die Verheißung, daß Gott sein Erlösungs­ werk an uns, die Erlösung von Sünde und Tod, von allem Stück­

werk der Vergänglichkeit ganz vollbringen wird.

Viele Hoffnungen

und Wünsche, die an der Oberfläche der Seele gelegen, sind vom

Winde des Geschickes weggeweht.

Aber die Hoffnung, die in der

Tiefe der Seele ihr Heiligthum gehabt, die Hoffnung des Heils in Jesus Christus, ist geblieben.

Das Aeußere ist vergangen; Kraft

und Anmuth sind dahin; langsam werden die Schritte.

Aber der

Gott, dessen Leuchte einst über der sich gürtenden Jugend gestanden, trägt das müde Alter zum Grabe, und geht es auch vielleicht lang­

sam, unter vielem Seufzen, Gott trägt es doch.

Auch Manches vom

Innern ist vergangen, stürmisches Wesen der Jugend, die leichte Er­

regbarkeit zu Liebe und Haß, der alte Eigenwille, der sich nicht

fügen wollte, hat sich in Geduld verwandelt. ist geblieben, und es ist gewachsen.

Das Innerste aber

Wie bei der leiblichen Ernährung

von jeder Nahrung die Stoffe, die dem Körper heilsam sind, sich in Leben, Blut und Kraft verwandeln, ebenso ist in der Seele, die Jesu nachfolgte, von Allem, was das Leben brachte, von allen Er­

fahrungen, Sorgen und Freuden,

etwas zurückgeblieben, was die

Seele genährt hat und stärker gemacht hat in Gott.

Werden die

Lasten schwer, Christus, der still zur Seite geht, macht alle Last leicht.

Brennen die alten Wunder wieder, der Geist Christi heilt

den Schmerz.

Erheben sich

alte Sünden

drohend, richtend und

rächend, der Friede Christi gebietet ihnen, daß sie schweigen und untergehen.

Ist der Weg eng, durch Christus weitet sich der Blick.

Die trüben Augen werden durch ihn wieder scharf; wie die Abend­ sonne überall ihre Flammenzeichen aufsteckt,

so

leuchten

aus

der

80

Eine Hütte Gottes bei den Menschen.

Vergangenheit die Wohlthaten Gottes hervor, und aus der Zukunft

winken die Gefilde der Seligen.

Die Liebe ist geblieben.

In den

Kammern des Herzens ruhen die stillen Todten in Frieden, und

jeder Lebende, der dem Alter in Treue verbunden bleibt, findet dort seinen Platz.

Und die Liebe umgiebt es, tröstet, hilft tragen.

Es geht seinen Weg, den Weg des Geschickes, aber innerlich frei, hinauf zum Vater.

Die Jugend gürte sich für dieses Leben; das Alter gürte sich für jenes Leben.

„Folge mir nach!"

Aber über beiden schwebt das Gebot des Herrn:

Amen.

10.

Eine Hütte Gottes bei den Menschen. (Pfingsten.) Offenb. 21, 3.

Siehe da, eine Hütte Gottes bei den Menschen; und

er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er

selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein.

Gott wohnt nicht auf diesem oder jenem Berge, so predigt

Jesus der Samariterin am Jakobsbrunnen; denn er soll angebetet

werden im Geist und in der Wahrheit. Tempeln, von Menschenhänden gemacht.

Er wohnt auch nicht in Und bautet ihr den präch­

tigsten Dom mit Hallen, so hoch der Himmel ist, Gott kann nicht darin wohnen.

Auch der Himmelsdom vermag ihn nicht zu fassen;

alle Himmel sind

für ihn zu klein.

Und hier ist die Rede von

einer Hütte Gottes unter den Menschen?

Kein Tempel, kein Dom,

sondern eine Hütte für den Ewigen, den Unendlichen?

kein Bau sein

aus (todten Steinen, sondern

lebendigen Steinen bestehen.

er

Das kann

muß wohl

aus

Wo der heilige Geist in den Menschen

und unter den Menschen wirkt, da ist eine Hütte Gottes bei den Menschen.

Von dieser Hütte Gottes bei den Menschen laßt uns mit einander reden.

80

Eine Hütte Gottes bei den Menschen.

Vergangenheit die Wohlthaten Gottes hervor, und aus der Zukunft

winken die Gefilde der Seligen.

Die Liebe ist geblieben.

In den

Kammern des Herzens ruhen die stillen Todten in Frieden, und

jeder Lebende, der dem Alter in Treue verbunden bleibt, findet dort seinen Platz.

Und die Liebe umgiebt es, tröstet, hilft tragen.

Es geht seinen Weg, den Weg des Geschickes, aber innerlich frei, hinauf zum Vater.

Die Jugend gürte sich für dieses Leben; das Alter gürte sich für jenes Leben.

„Folge mir nach!"

Aber über beiden schwebt das Gebot des Herrn:

Amen.

10.

Eine Hütte Gottes bei den Menschen. (Pfingsten.) Offenb. 21, 3.

Siehe da, eine Hütte Gottes bei den Menschen; und

er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er

selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein.

Gott wohnt nicht auf diesem oder jenem Berge, so predigt

Jesus der Samariterin am Jakobsbrunnen; denn er soll angebetet

werden im Geist und in der Wahrheit. Tempeln, von Menschenhänden gemacht.

Er wohnt auch nicht in Und bautet ihr den präch­

tigsten Dom mit Hallen, so hoch der Himmel ist, Gott kann nicht darin wohnen.

Auch der Himmelsdom vermag ihn nicht zu fassen;

alle Himmel sind

für ihn zu klein.

Und hier ist die Rede von

einer Hütte Gottes unter den Menschen?

Kein Tempel, kein Dom,

sondern eine Hütte für den Ewigen, den Unendlichen?

kein Bau sein

aus (todten Steinen, sondern

lebendigen Steinen bestehen.

er

Das kann

muß wohl

aus

Wo der heilige Geist in den Menschen

und unter den Menschen wirkt, da ist eine Hütte Gottes bei den Menschen.

Von dieser Hütte Gottes bei den Menschen laßt uns mit einander reden.

Eine Hütte Gottes bei den Menschen.

81

1. Es ist der vollkommene Zustand auf Erden, dem alle Re­ ligion zustrebt, daß Gott auf Erden wohnen möchte: Gott nicht

mehr in weiter Himmelsferne, mühsam von den Menschen gesucht, sondern nahe wie ein Freund; nicht mehr verborgen, daß man nur

in geheimnißvoller Rede von ihm sprechen kann, sondern sein Herz uns offenbar wie das Herz eines vertrauten Menschen; nicht eine stemde unberechenbare Macht, der man in knechtischer Furcht mit verhülltem Antlitz dient, sondern der steundliche Gott, von dem wir wissen, daß sein Herz uns immer in Treue zugewandt ist; Gott auf Erden als Lebenskraft in der vergänglichen Welt, als der Friede in allen Stürmen, als Gnade, die alle Schuld aufhebt, als Versöhnung, die allen Streit schlichtet, als Liebe, die Alle verbindet.

Was uns hier im letzten Buche der heiligen Schrift als das Endziel der Menschheitsentwickelung geschildert wird, das finden wir am Anfang der heiligen Schrift als Weissagung. In der Schöpfungs­ geschichte wird uns erzählt: Gott wandelte in der Abendkühle unter den Bäumen des Paradieses. Das ist jetzt schon Wahrheit. Wenn die Sonne am Horizonte sinkt und die Gipfel der Bäume von ihrem

Glanze vergoldet werden und die Ebene eingetaucht ist in die goldene Gluth des scheidenden Tages, wenn die Abendluft über die Erde weht und die heiße Stirn des müden Arbeiters kühlt, und der Abendftiede sich in die Herzen der Menschen senkt nach vollbrachtem Tagewerk, ist es da nicht, als wandelte Gott durch Feld und Wald, über Berg und Thal, und zöge auch durch die Häuser der Menschen?

Gott wandelt auf Erden. Aber in noch ganz anderer Weise hat sich das einst erfüllt in einer kurzen Spanne Zeit, der größten Zeit, welche die alte Erde je durchlebt hat, der seligen Zeit, als Gottes ewiges Licht der Erde aufging. Das war die Zeit Jesu. Seinem Worte fühlten es die Menschen an: Hier redet Gott zu uns und zeigt uns durch diesen seinen Gesandten den Weg, auf dem er uns selig machen will. In diesem Frieden, den er den Menschen

darbietet, wenn er zu ihnen spricht: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch," in dem Licht, das von ihm aus­ geht und die Menschen innerlich so wunderbar erleuchtet, daß sie über sich einen neuen Himmel und unter sich eine neue Erde sehen, in der Vergebung, die er den Menschen spendet, indem er zu ihnen spricht: „Gehe hin, deine Sünden sind dir vergeben," in der Liebe, K i r m ß, Predigten.

tz

Eine Hütte Gottes bei den Menschen.

82

mit der er die Menschen sucht, sucht auch in der Finsterniß, im

Staube der Erde — in alledem empfinden die Menschen die Nähe Aus

Gottes.

der

ganzen Erscheinung Jesu weht ihnen entgegen

Gottes Geist, ergreift sie Gottes Kraft.

Dieser Eingeborene vom

Vater war gesalbt mit dem heiligen Geiste.

Die Fülle der Gottheit, Gottes

Geist „nicht nach dem Maße". innerstes Wesen,

Er besaß den heiligen

Gottes Gnade und Liebe wohnt in ihm.

Wort ist Fleisch geworden.

Das

Die ewige Wahrheit hat sich eingekleidet

in menschliche Worte, die ewige Liebe in ein menschliches Leben, der

unergründliche Gott in eine menschliche Erscheinung.

heißt

es

im

höchsten

Sinne:

Eine

Hütte

Von Jesus

Gottes

bei

den

Menschen.

Aber Gott wollte nicht nur einige wenige Jahre in Christo auf Erden wohnen.

Wie ein Vater immer bei seinen Kindern sein

will, so will Gott immer bei uns sein. Gottes hat Jesus vollbracht.

seinem Todesgeschick entgegen.

in den bitteren Tod.

Diesen Willen, diesen Rath

Er geht den schweren Weg des Leidens,

Vom Geiste getrieben geht er hinein

Die Hülle muß zerfallen, das Gefäß muß

zerbrochen werden, damit der Inhalt frei werde, damit der Geist, der darin wohnte, sich ergießen könnte in alle Menschen. Jünger sehen die Herrlichkeit des Auferstandenen.

seines ewigen Lebens stehen sie auf zu neuem Leben. Geist, der in Jesus wohnte, sollen sie empfangen.

Pfingsten.

Seine

In der Kraft Denselben

So wird es

In heiliger Erwartung, in heiliger Sehnsucht nach der

Kraft aus der Höhe haben sie sich in Jerusalem versammelt.

Da

kommt es über sie wie das Brausen eines gewaltigen Windes, auf ihren Häuptern, auf ihren Lippen brennt es, wie himmlisches Feuer.

Ohne daß sie sich Rechenschaft geben können, wie es geschieht, ergießt sich der Sttom heiliger Beredtsamkeit von ihren Lippen.

Es ist die

ewige Sprache des heiligen Geistes, welche sie reden, und deshalb

werden sie von Allen verstanden. ergreift die Menschen.

Gemeinde.

Die Kraft, der Geist Jesu Christi

Sie verbinden sich mit einander zu einer

Sie haben eine Liebe zu einander, wie die Welt sie

noch nicht gesehen hat.

In ärmlichen Hütten zu Jerusalem kommen

sie zusammen, brechen das Brod des Lebens, trinken den gesegneten Kelch, feiern den Beginn einer neuen Zeit, den Anbruch eines großen

Gottestages, das Kommen des Gottesreiches.

Ein neuer Glaube,

Eine Hütte Gottes bei den Menschen. ein neues Leben, eine neue Hoffnung!

83

Siehe da, abermals eine

Hütte Gottes bei den Menschen. Nun will Gott nicht mehr von der Erde weichen. Er will auf Erden wohnen. Wo Menschen die Wahrheit suchen, der Wahr­ heit vertrauen, sich der Wahrheit freuen, wo sie an Gott sich halten und seiner sich getrösten, wo Gottes Friede die hochgehenden Wellen der Trauer in den Menschenseelen zur Ruhe bringt, wo Menschen­

geister sich sehnen, dem Vater der Geister, von dem sie ausgegangen sind, immer ähnlicher zu werden, wo Liebe Menschen tröstet. Schwachen hilft, wo Treue ihr Wort hält bis an den Tod, wo Reinheit die Jugend schmückt und Friede das Alter, wo Gerechtig­ keit das Verhältniß der Menschen zu einander regelt, wo die Menschen daran arbeiten, daß den Mitmenschen die Wege geebnet, die Lasten erleichtert, die Thränen getrocknet werden — da wohnt Gott unter den Menschen, da waltet sein Geist, da ist eine Hütte Gottes bei den Menschen. 2. Das ist das Werk des heiligen Geistes, daß er Gottes Kraft und Liebe, Gottes Gnade und Gottes Segen in uns bringt. Damit wird das Werk der Erlösung an uns und in uns erst voll­ bracht. Was zu Weihnachten in der Geburt Jesu begonnen hat, am Charfreitag im Tode Jesu und Ostern in der Auferstehung fortgeführt worden ist, das wird nun Pfingsten vollendet, uns an­

geeignet, unser geistiger Besitz, daß nun die Erlösung unsere Erlösung, Gottes Gnade unser Eigenthum wird. Der Gott über

uns wird zum Gott in uns. Der Christus für uns wird zum Christus in uns. Gottes und Christi Wesen strömte in unser Herz

ein; Gott steigt herab von seinem ewigen Thron in unser Gewissen. Gottes ewiges Gesetz erfüllt unseren Willen, daß wir das, was wir sollen, thun, weil wir wollen. Gottes Gesetz wird zur Seele, zur Kraft unseres freien Willens. Gottes Liebe ergießt sich in unsere Seele, daß wir an unseren Mitmenschen Liebe üben müssen. Gottes Gnade wird uns innere Gewißheit. Gottes ewiges Leben wird unser Leben. Gottes weiter Himmel leuchtet in unserer Seele. Christus wird in uns geistlich geboren als der Sohn

Gottes, der uns zu Gottes Kindern macht. Er stirbt in uns, und wir sterben mit ihm der Sünde ab. In uns feiert er seine Auf­ erstehung, und wir stehen mit ihm auf zu einem neuen Leben. 6*

Eine Hütte Gottes bei den Menschen.

84

Gott und Christus wohnen durch den heiligen Geist in uns.

Siehe da, eine Hütte Gottes bei den Menschen.

Gewiß, groß ist

der Gott, der außer und über uns waltet in Natur und Geschichte.

Aber die Menschen grübeln viel zu viel über diesen Gott, über seine

Geheimnisse und seine Eigenschaften.

Viel wichtiger ist es, daß wir

selbst Gottes Tempel werden, daß Gott in uns wohnt.

Wem

das widerfährt, der grübelt nicht mehr und zweifelt nicht mehr an

Gott.

Das

geschieht aber

daß

dadurch,

wir den heiligen Geist

empfangen. Darum

bitte

Das Gebet:

Geist.

Gott

wieder

immer

um

den

heiligen

„O heilger Geist, kehr bei uns ein" ist nicht

nur ein Pfingstgebet, sondern ein Gebet, das man täglich beten soll.

Um den heiligen Geist beten, d. h. Gott bitten, daß er selbst als unser Leben und Licht, als unsere Kraft und unser Führer bei uns einziehen möchte. selbst.

Das ist seine höchste Gabe.

Er giebt darin sich

Und deshalb will er darum gebeten sein.

giebt er auch ohne unser Gebet.

Irdische Gaben

Diese höchste Gabe aber kann Gott

nur denen geben, welche ihre Seele in den rechten Zustand versetzt

haben, ihn aufzunehmen; dieser rechte Zustand ist eben das Gebet. So bitte ihn immer wieder um den heiligen Geist. um so viele nichtige Dinge;

Du bittest Gott

bitte ihn vor Allem um den heiligen

Geist; denn der heilige Geist wird in dir Licht, Kraft, Freiheit; der heilige Geist wird in dir Friede, seliges Genügen, Gerechttgkeit und> Reinheit.

Steht dir ein ernstes Gespräch mit einem Menschen bevor,

den du überzeugen willst von seinem Unrecht, hinführen zum Recht, so bitte Gott um den heiligen Geist.

Und wie Jesus seinen Jüngern

verheißen hat, sie sollen sich keine Sorge machen, was sie sagen

werden vor den Menschen, der heilige Geist werde ihnen das Rechte eingeben, so wird dir Gott auf deine Bitte das rechte überzeugende Wort eingeben.

Mußt du einen schweren Weg gehen, vor dem dir

bange ist, bitte Gott um den heiligen Geist, dann wird dir der schwere Weg zu einem Segen werden.

Ist dein Gewissen unruhig,

klagt es dich an, suche nicht nach Scheingründen, dich zu beruhigen

und zu entschuldigen vor dir und den Menschen, sondern zerreiße den Trug, mit welchem der natürliche Mensch sich selbst bettügm will, und bitte Gott:

„Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und

gieb mir einen neuen gewissen Geist; verwirf mich nicht von deinem

Eine Hütte Gottes bei den Menschen.

85

Angesicht, und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir."

Gott um den heiligen

Bitte

Geist; in dem Maße, als du es herzlich,

innig und aufrichtig thust, wirst du ihn empfangen.

Dann wird

Gott in dir bleiben, nicht nur ein Gast sein, der kommt und geht, sondern dein Herr, der seinen ewigen Thron in dir aufgeschlagen Er wird nicht nur in auserwählten Stunden dich blitzartig

hat.

erleuchten, sondern als ein stilles Licht dein ganzes Leben durch­ leuchten, nicht nur als ein Sturm bisweilen dich innerlich erschüttern

und emporreißen, sondern als ein sanfter Odem deine Seele durch­ wehen.

Du athmest in ihm, wie dein Leib in der Luft dieser Erde.

Denn erst vollendet sichs, was uns die Schöpfungsgeschichte erzählt: Der Mensch, von Erde gemacht. Staub vom Staube, mit dem hin­ fälligen Leib, stüh oder spät der Raub des Todes, hat in sich den lebendigen Odem Gottes, nämlich Gottes heiligen Geist.

eine Hütte Gottes unter

den Menschen.

Siehe da,

Die Hütte zerfällt, die

Fluchen des Todes reißen sie hinweg: aber die Seele, erfüllt von dem Geiste

des Herrn,

ewigen Lichte.

folgt ihrer tiefsten Sehnsucht hinauf zum

Jeder solche Mensch ist eine Hütte Gottes.

Wo solche Menschen sich zu Familien zusammenschließen, auch

da ist eine Hütte Gottes bei den Menschen.

Wie ein Haus auf

freundlicher Höhe, im Schatten hoher Bäume,

unerreichbar

für

die zerstörenden Wasser, auf festem Grund gebaut, — frische Quellen stießen daran vorüber, stische Bergluft weht durch Thür und Fenster hinein, weit und frei ist der Blick hinauf zum Himmel, hinaus über

Berg und Thal, gut ist es dort zu wohnen, auszuruhen nach ge-

thaner Arbeit, und der Streit der Welt dringt nicht in seinen stillen Frieden — so ist ein Haus, in welchem Gott wohnt, in welchem

der

heilige Geist

der Hausgeist ist.

geistigen Banden geheiligt.

Bande des Blutes sind

zu

Nicht nur Verhältnisse, Schicksale ver­

knüpfen die Hausgenossen, sondern der Eine Geist hält die Herzen

zusammen. Alles muß diese Verbindung befestigen. An dem Sünder

arbeiten hier Alle zusammen, und Liebe decket zu der Sünden Menge. Trübsal fügt die Hände fester ineinander, und in einem Geist ver­ einigen sich alle Kräfte, um das Schwere zu tragen.

Segen geht

von solch einem Hause aus, Freude weht allen entgegen, die es be­

treten.

Auch über den Tod, welcher einkehrt, triumphiert die Ge­

wißheit, daß die in der Liebe bleiben, auf ewig vereint bleiben in

Eine Hütte Gottes bei den Menschen.

86 Gott.

Hier wohnt Gott.

Auch wenn sein Name

nicht genannt

wird und das Leben in den alltäglichsten Formen dahingeht, Gott ist das Element, welches Alles durchdringt.

wohnt in den Häusern der Menschen.

Der unendliche Gott

Siehe da, Hütten Gottes

bei den Menschen.

Solche Häuser aber schließt Volksgemeinde.

der heilige Geist

zusammen zur

Wahrer christlicher Geist kann mit echter Vater­

landsliebe nie in Widerspruch treten. Wenn Staat und Religion in

Streit mit einander kommen, ist entweder der Staat auf falschem Wege, will die Gewissen knechten, oder, was Religion zu sein scheint, ist priesterliche Herrschsucht.

Nichts kann einen Staat stärker machen,

als der heilige Geist, der die Menschen zu christlich freien Persön­

lichkeiten macht, daß sie sich alle in Freiheit und Liebe um Thron

und Vaterland schaaren; der die Gesetzgebung durchdringt und sie so gestaltet, daß Jeder sein Recht findet und über Allen gleich der

Stab der Gerechtigkeit waltet; der das Verhältniß der verschiedenen Volksklassen zu einander heiligt, den Stolz der Großen, den Neid der Kleinen und Armen dämpft; der Fürst und Volk in freier Liebe

mit einander verbindet, so daß sie gar nicht anders können, als

für einander leben;

der zufriedene Bürger an die Arbeit, tapfere

Streiter in den Kampf sendet.

Wir wissen wohl, daß unser Volk

noch weit entfernt ist von diesem Bild eines Volkes, in welchem Gott wohnt.

Aber ebenso vertrauen wir darauf, daß in der Seele

unseres Volkes der christliche Geist noch einen festen Platz hat. Wir können deshalb getrost der Zukunft entgegensehen. sich verirren, aber es wird sich wiederfinden.

Unser Volk kann

O möchte es immer

mehr von unserem Volke gelten: Siehe, eine Hütte Gottes bei den

Menschen. Vor Allem aber soll Gottes unter den

bleibend.

die

kirchliche Gemeinde

Menschen sein.

Hier wohnt

eine Hütte

Gott,

dauernd,

Es ist nicht richtig, das Wirken des heiligen Geistes in der

Kirche nur in großen außergewöhnlichen Zeiten zu sehen, wie damals, als er in Sturm und Feuer über die Jünger kam, oder im Mittel­

alter, als eine große Volksmenge unter dem stürmischen Rufe: „Gott will es" sich zum Kreuzzug nach dem heiligen Lande rüstete, oder

im Zeitalter der Reformation, als der Geist des Herrn die leeren Formen des kirchlichen Lebens zerbrach und einen neuen Bau auf-

Eine Hütte Gottes bei den Menschen.

87

führte, oder heutzutage, wenn unter der hinreißenden Macht eines Predigers eine Versammlung von schwärmerischer Begeisterung er­ griffen wird.

Sondern Gott wohnt durch

seinen Geist in der

christlichen Gemeinde. Er ist nie von ihr gewichen und weicht nicht von ihr, auch nicht in den trübsten und dürrsten Zeiten. Und wären es nur ganz kleine Kreise, in denen der Glaube lebendig und die

Liebe thätig ist, er wohnt in der christlichen Gemeinde durch sein Wort, welches das eine Mal mächtig strafend einherfährt, wie ein

Wetter und die Gewissen weckt durch die Predigt des Gesetzes, und dann wieder in der Predigt des Evangeliums ist wie ein warmer Frühlingsregen, der alle schlummernden Keime des Guten im Men­ schen hervorruft, das bald ist wie der Hammer, der den Felsen harter Herzen zerschlügt, dann wieder wie eine milde Kraft, an welcher die zerschlagenen Herzen sich austichten zu neuem Glauben. Gott wohnt in der christlichen Gemeinde im heiligen Abendmahl,

in welchem die Hungernden und Dürstenden ewige Erquickung finden. Gott wohnt hier. Deshalb sollen die Menschen hier auch nur Gott suchen, nicht menschliche Autorität, sondern Gottes heilige Macht, unter welche sich steiwillig die Geister beugen, nicht ertödtende Menschensatzung, sondern lebendige Wahrheit, nicht leere Formen, sondern belebenden Geist, nicht Streit, sondern Frieden, nicht eng­ herzige Vorurtheile, sondern allumfassende Liebe. Hier ist eine Hütte Gottes, niedrig, schmucklos, ohne Pracht und Prunk, ohne weltliche Macht und Herrlichkeit, so wie es für uns Menschen auf dieser armen Erde angemessen ist, aber eine Hütte Gottes, des Ewigen, die alle Zeiten, alle Angriffe der Menschen überdauert, eine Hütte Gottes, welche die Pforten der Hölle nicht überwinden.

Hier ist Gott unser Gott, wir sein Volk, Alle ohne Unterschied zwischen Geistlichen und Laien, Alle vom Geiste Gottes beseelt, geistlichen

Standes, ein königliches Priesterthum. So baut Gott auf Erden seine Hütten; lasset euch von ihm erbauen, damit er in euch wohne. Komm, heiliger Geist, erfülle die Herzen deiner Gläubigen und entzünde

deiner göttlichen Liebe.

Amen.

in ihnen das Feuer

88

Der Glaube an Gott.

11.

Der Glaube an Gott. 2. Moses 20, 2 u. 3.

Ich bin der Herr dein Gott,

der ich dich aus

Egyptenland, aus dem Diensthause geführt habe.

Du sollst keine

anderen Götter neben mir haben.

In dem Menschenherzen, welches, wie die Schrift sagt, das

eine Mal trotzig, das andere Mal verzagt ist, taucht immer wieder die Frage auf: Warum soll ich mich dem Gesetze Gottes unterwerfen? Während aber sonst der Mensch sich in dem unbewußten Drange seiner natürlichen Triebe gegen das Gesetz auflehnte, wie das kleine Kind noch ohne Ueberlegung unbewußt sich auflehnt gegen das Gebot

der Eltern, hat es Zeiten gegeben — und dazu gehört auch die heutige Zeit — in denen man sich mit vollem Bewußtsein die Frage vorlegte: Sind die sittlichen Vorschriften des Gesetzes, der zehn Ge­ bote, wirklich richtig? Warum muß der Mensch diesen Geboten sich unterwerfen, seine Triebe beherrschen, seine Leidenschaften zähmen? Warum darf der Mensch sich nicht selbst sein Gesetz vorschreiben?

Ist denn die Familie, das Leben, das Eigenthum, der gute Name des Menschen wirklich etwas Heiliges und Unantastbares? Kann der Mensch, wie er z. B. Staatsgesetze ändert, alte Gewohnheiten, die schließlich schädlich geworden sind, beseitigt, nicht auch die zehn Gebote ändern? Solche Fragen können nur von Menschen aufgeworfen werden, denen der Glaube an Gott zweifelhaft geworden oder bereits ganz verloren gegangen ist. Wo der Glaube an Gott in den Herzen der

Menschen lebendig ist, da können solche Fragen gar nicht aufgeworfen

werden; da weiß man: So gewiß als Gott ewig ist, so gewiß sind auch die Grundzüge des sittlichen Lebens, wie sie in den zehn Ge­ boten enthalten sind, ewig, unumstößlich, denn sie sind aus Gott. Deshalb heißt es am Eingang der Gebote: Ich bin der Herr, dein Gott. Von ihm sind sie ausgegangen. Sie sind Gesandte Gottes an die Menschenkinder. Gott breitet seine Hände schützend über ihnen

aus, daß sie bleiben müssen für und für, wie auch die Menschen

sich gegen sie erheben.

Allerdings, käme einmal eine Zeit, wo die

Der Glaube an Gott.

89

Bibel verschlossen wäre, nichts mehr von Gott erzählte, von Himmel und Erde, und die Geschichte der Völker uns nichts mehr davon verkündigte, daß Gott ist, wenn auch die Stimme in unserer Brust, das Gewissen und die Sehnsucht nach dem Ewigen in uns schwiege, und wenn so der Gottesglaube als ein großer Irrthum ausgestrichen Wäre aus dem Buche der Menschenwelt, dann würden die Menschen

auch diese 10 Gebote, diese Gesandten Gottes verjagen und tödten können, aber auch erst dann und eher nicht! Wenn wir jetzt in unseren nächsten Betrachtungen die Gebote mit einander besprechen wollen, so wollen wir das unter diesem Ge­ sichtspunkte thun, daß diese Gebote den unwandelbaren Willen Gottes an uns enthalten. Wir treffen wohl den Inhalt des ersten Gebotes am besten,

wenn wir mit einander reden von dem Glauben an Gott als der Grundlage unseres Lebens. 1. Ich bin der Herr dein Gott. Wenn mit diesem Wort die sittlichen Vorschriften für unser Leben eingeleitet werden, so liegt darin die tiefe Wahrheit, daß das sittliche Leben auf die Dauer nicht bestehen kann ohne den Glauben an Gott, daß ein Volk

auf die Dauer nicht gut sein kann, ohne fromm zu sein. Wahr­ haftigkeit, Liebe, Treue, Zucht, Pietät, Gerechtigkeit, alle diese Tugenden, welche ein Volk erhalten, können nicht leben und bleiben in einem Volke, wenn der Glaube an Gott schwindet. Sie sind Kinder Gottes, Pflanzen, von ihm gepflanzt, die deshalb auch aus ihm ihre Nahrung ziehen müssen; können sie das nicht mehr, dann

müssen sie sterben.

So war es im israelitischen Volke.

Die Zeiten,

in denen es abfiel von seinem Gott und sich der Anbetung der heidnischen Götter zuwandte, waren immer auch Zeiten des sitt­ lichen Verfalls und schwerer Heimsuchungen. War aber sein Glaube

lebendig, leuchtete in seiner Seele dieses wunderbare himmlische Licht, das ihm aufgegangen war mitten im Dunkel der

an Gott

Heidenwelt, dann konnten alle Verfolgungen und Niederlagen, alle Stürme der Völkergeschichte, welche über das Land dahinbrausten,

auch die Zeiten der Verbannung und Gefangenschaft es nicht über­ winden. Da galt von ihm das Wort des Psalmisten: „Sie haben mich oft bedränget von meiner Jugend auf; aber sie haben mich nicht Übermacht." Das wird sich in jedem Volke wiederholen. Wo

90 es fraglich wird:

Giebt es einen Gott? da wird es auch fraglich:

Was ist recht, was ist gut, was ist Pflicht?

Wo sich das Band

zwischen der Volksseele und Gott lockert, da lockert sich auch das

Band, welches den Menschen an den Menschen knüpft, welches die

verschiedenen Stände zu einer Volksgemeinde verbindet, da wanken die

Grundlagen

des

Staates

der

und

Gesellschaft.

Man sagt:

Dieses Wort ist insofern richtig, als die

Religion ist Privatsache.

Religion die privateste innerste Gewissensangelegenheit jedes einzelnen Menschen ist.

Aber es ist falsch, wenn man es so versteht, wie es

Die Religion habe mit unserem

thatsächlich vielfach verstanden wird:

öffentlichen Leben in Staat und Gesellschaft nichts zu thun, sondern

sich

auf das Seelenleben des Einzelnen zu beschränken.

Vielmehr

ist die Religion für Staat und Gesellschaft das Wichtigste, was es

Bildet die Lehre vom Recht, die Gesetze des Staates noch

giebt.

so genau aus, richtet noch so viele Schulen ein, in denen die Jugend

in allen möglichen Lehrgegenständen unterwiesen wird, baut die be­ haglichsten

und wohnlichsten Krankenhäuser, trefft die besten Ein­

richtungen zur Versorgung der Armen, findet die wirksamsten Mittel, um

die Arbeit,

Ackerbau,

Handel, Industrie

und Wohlstand zu

heben, — es geht doch Alles nicht ohne den Gottesglauben. giebt erst Leben und Wärme, Halt und Kraft.

Volkslebens.

Er

Er ist das Herz des

Nicht Gesetze sind die Stütze eines Staates, sondern

wirklich

fromme

Mütter,

Männer und Frauen, die deshalb ihr Vaterland lieben,

weil

Menschen,

sittliche

sie Gott im Herzen tragen.

Sittlichkeit ohne Religion.

Persönlichkeiten,

Väter

und

Es giebt auf die Dauer keine

Ihr werdet vielleicht sagen:

Ich kenne

manche Menschen von edelster Gesinnung, von tadelloser Lebens­ führung, die ausgesprochen nichts mit der Religion wollen zu thun

haben.

Gewiß, es giebt solche Menschen.

Aber woher haben sie

ihre edle Gesinnung, ihre edlen sittlichen Grundsätze und die Kräfte,

dieselben zu befolgen? Sie haben sie geschöpft aus der Sittenlehre, die aus dem Gottesglauben stammt, aus der Sittenlehre, an deren

Spitze steht: Ich bin der Herr, dein Gott!

Wenn aber dieser Quell

versiegt, dann wird auch das Geschlecht dieser Menschen, die gut sein wollen ohne Gottesglauben, immer spärlicher werden, bis es ganz aussterben wird.

Religion, so

Es giebt auf die Dauer feine. Moral ohne

ehrenwerth die Menschen fein mögen, welche Moral

Der Glaube an Gott. ohne Religion pflegen wollen.

91

Frage doch dein eigenes Gewissen:

Wer hat denn ein Recht, dir zu gebieten: Du sollst! als Gott? Sind diese Gebote nur menschlichen Ursprungs, warum müssen wir sie halten, warum sind sie für uns verbindlich? Warum können Menschen sie nicht aufheben, wie sie von Menschen gemacht worden sind? Wenn du dagegen hörst, wie aus dem „Du sollst" der Ge­ bote dir die Stimme deines Gottes entgegenklingt, deines Gottes, der dir etwas zu gebieten hat, der heilig ist, dessen Wille unver­

brüchlich ist, der jedem Menschen als einem sittlich verantwortlichen Wesen bestimmte Pflichten auferlegt, der einst Rechenschaft von dir fordert, wie du deine Zeit und deine Kraft auf Erden ausgenutzt hast, — die Stimme deines Gottes, der dich, obwohl du dich dessen oft unwürdig gemacht hast, mit ewiger Liebe geleitet, deine Sünden mit Langmuth getragen, in Christus dir die Erlösung darreicht und durch seine Liebe dich zur Buße reizen und dein Herz zur Gottes­ und Menschenliebe entzünden will — wenn du aus dem „Du sollst" die Stimme dieses heiligen und dieses gnädigen Gottes heraus hörst, — dann klingt dir dieses „Du sollst" einerseits so ernst, so streng, so unbedingt, daß du dich dadurch hingestellt fühlst vor die ewige Majestät deines Gottes, andererseits so freundlich, so lockend und ermuthigend. Handelt danach in eueren Häusern: In den Herzen euerer Kinder wird das Gute erst dadurch rechte Kraft be­ kommen, wenn ihr sie glauben lehrt, Gott spricht: Du sollst.

2. Wir sagen ferner: ,Der Gottesglaube ist die Grundlage unseres Lebens; denn er lehrt uns die Vergangenheit ver­

stehen und an die Zukunft glauben/ „Ich bin der Herr dein Gott, der dich aus Egyptenland geführt hat." Das ist die größte Thatsache in der Geschichte Israels. Mit dieser Befreiung beginnt seine Selbständigkeit. An diese reihen sich

die anderen Thatsachen der israeliüschen Geschichte an; in allen sieht das Volk durch den Gottesglauben Gottes Walten, Gottes Thun, lernt dadurch seine Geschichte, verstehen und lieben, wird

innerlich mit ihr verttaut, lebt sich mit seinem Herzen in dieselbe ein und lernt aus ihr Gottes Willen und Wege. So lehrt uns der Gottesglaube die Geschichte unseres Volkes erst recht verstehen.

Denn wir sehen in ihr Gottes Wege, wie

einst von England aus das Christenthum in die deutschen Wälder

92

Der Glaube an Gott.

-rang, wie die erste Verbindung unseres Volkes mit dem Christemthum nach den Anschauungen der damaligen Zeit unser Volk zugleich an Rom knüpfte, wie diese Verbindung mit Rom für unser Volk zum Knechtshaus wurde, wie dann Luther kam, der Moses d,es deutschen Volkes, der es aus der Gefangenschaft führte, und Gustav Adolf, der Josua, der seine Freiheit mit dem Schwerte ver­

theidigte. Dann sehen wir weiter alle die wunderbaren Wege durch Erniedrigung zur Erhöhung, durch Schmach zur Kraft, durch Zer­

spaltung zur Einigung. Wenn wir so die Geschichte unseres Volkes als ein Werk Gottes überblicken, dann kommt sie uns erst recht

nahe, wird uns verständlich, lieb und theuer, die Gestalten der deutschen Vergangenheit, unsere Väter, an denen Gott Großes gethan hat, werden uns lebendig und vertraut, wie alte Freunde, lehren, mahnen und trösten uns. Warum hat das heutige Geschlecht so wenig Ehrfurcht vor der Vergangenheit, vor den überlieferten Ord­ nungen, Gesetzen und Anschauungen, vor den Sitten der Väter? Weil es vielfach seinen Glauben an Gott verloren hat. Denn der Glaube an Gott lehrt uns die Vergangenheit verstehen.

Auch unsere eigene Vergangenheit. Ist dir dein Leben, wie es sich bisher entwickelt hat, deine Wanderung aus dem Eltern­ haus in das Leben, dein Berufsweg, den du eingeschlagen hast, die Verbindungen, die du geschlossen hast, nur ein Werk des Zufalls und äußerer Verhältnisse, dann ist dir das Ganze gleichgiltig, oder du schaust, wenn es dir schlecht gegangen, mit Bitterkeit darauf zurück, oder wenn du etwas erreicht, mit Stolz und Selbstgerechtig­ keit.

Ist dir dagegen dein Leben ein Werk Gottes, mit wie ganz

anderen Empfindungen siehst du darauf zurück, wie wird dir das Herz warm, wenu du erwägst, was Gott an dir gethan hat, und wie werden dir da alle Erinnerungen Gedanken an Gott.

Die

Menschen, welche dir Liebe erwiesen haben, die dich auf rechten Weg geführt und heilsam auf dein Herz, deinen Charakter eingewirkt haben, sind dir nun Boten, Engel Gottes. Glückliche und schmerz­ liche Ereignisse deines Lebens sind die Fügungen deines himmlischen

Vaters. In dem äußeren Geschehen deines Lebens siehst du das stille Walten der Liebesgedanken Gottes. Ebenso aber lehrt der Glaube an Gott uns zuversichtlich in die

Zukunft blicken.

Weil Israel glaubte:

„Ich bin der Herr dein

9A

Der Glaube an Gott.

deshalb glaubte es

Gott, der dich aus Egyptenland geführt hat,"

an seine Zukunft, auch dann, wenn nach menschlichen Gedanken keine

Hoffnung mehr war. Oder

gehen.

Weshalb glauben wir an die Zukunft unseres

Vertrauen wir

Volkes?

auf die

auf Staatsmänner?

Macht

Sie

kommen nnd

Sie ist zerbrechlich.

der Waffen?

Oder auf die Kraft und den guten Geist unseres Volkes?

Zeiten gegeben, wo sie sich beide nicht bewährten.

Es hat

Oder auf in­

dustrielle Erfolge, auf die Ausbreitung unserer Handelsbeziehungen?

Auch auf dem Weltmarkt herrschen Ebbe und Fluth.

Wer daß es

einen Gott giebt, der uns nicht verlassen, der sich auch unseres niedergeschlagenen, zwar

dunkle

war,

der

Großes

lassen kann, schauen.

Wege

zertretenen Volkes geführt an

uns

hat,

stets erbarmt hat,

dessen

Gang

gethan und

aber

deshalb

der uns

lauter Licht

nicht

von uns

dieser Glaube lehrt uns zuversichtlich in die Zukunft

Gott hat zu viel an uns gewandt, um uns wieder los­

zulassen. Warum glaubst du an deine Zukunft? daran?

Ist dir die Zukunft gleichgilttg?

Zukunft verloschen?

Oder glaubst du nicht

Ist dir das Licht der

Dann bist du wie ein Wanderer in der Nacht,

der vor sich ein Licht sah, und dieses Licht gab ihm Muth und be­

flügelte seinen Schritt.

Aber auf einmal verlosch das Licht und er

tappte auf ziellosem Pfad im Dunkeln.

Nein, du glaubst an die

Zukunft, an Quellen des Heils, die dir noch fließen werden, an ein

Wachsthum deines inneren Lebens, an bleibende Güter, an Friede in deinem Hause, an Liebe und Freundschaft, die dich umgeben werden. Daran glaubst du.

Aber warum?

Weil du bei Anderen ein glück­

liches Leben, ein gesegnetes Mannesalter, ein ftiedliches Greisenalter

siehst?

Aber kennst du nicht andere Menschen, bei denen sich Leid

an Leid, Enttäuschung an Enttäuschung und damit auch Verbitterung an Verbitterung reiht?

Oder

verttaust

du auf

dein Verdienst?

Aber wenn alle Ueberttetungen der Vergangenheit sich rächen, dann

kannst du von der Zukunft nur Leid erwarten. festen Grund der Hoffnung:

Es giebt nur Einen

Ich bin der Herr dein Gott, der dich

erlöst, einen ewigen Bund mit dir geschlossen hat. Mein ist deine Zukunft.

Ich bestimme deine Wege.

Mir gehörst du. Ich verwandle

Leid in Freude, Verlust in Gewinn, Schmerz in Seligkeit.

mehr, als ich nehme,

ich segne mehr,

Ich gebe

als ich niederbeuge.

Ja,

94

Der Glaube an Gott.

Gottes Treue ist der feste Grund deiner Zukunft, der Himmel, der

sich über deinem Leben wölbt in Ewigkeit.

3. er

Der Gottesglaube ist die Grundlage unseres Lebens; denn

giebt unserem

Leben

einen einheitlichen Mittelpunkt.

In ausgezeichneter Weise hat sich das gezeigt am Volke Israel.

Es

wohnte unter fremden Völkern; viele Israeliten fühlten sich zu Zeiten mächsig hingezogen zu dem Glauben und den Sitten der ftemden

Völker.

Es kam die Zeit der Gefangenschaft.

Ganze Theile des

Volkes haben Jahrzehnte lang unter heidnischen Völkern gewohnt.

Aber der Glaube an Gott war immer stärker, als alles Trennende,

und hielt die in der Fremde und die in der Heimath verbunden zu

Einem Volk.

Und

weiter:

Alle Gesetze waren religiöse

Gesetze.

Der Glaube an Gott bestimmte Recht und Gesetz, die Grundsätze in

Handel und Wandel, in Ehe und Familie, gab dem ganzen Volks­ Nun hat diese Beherrschung

leben seine Gestalt und seinen Inhalt.

auch aller äußerer Ordnungen des Lebens durch die Religion auch

ihren Nachtheil

gehabt.

Denn was ursprünglich

aus

lebendiger

Frömmigkeit hervorgegangen, wurde zur starren Satzung, und diese wieder wurde zur Last und Plage.

Aber es war doch ein groß-

arsiger Gedanke, der diesem ganzen Volksleben zu Grunde lag: Gott

der Mittelpunkt des ganzen Volkslebens. Könnte

dieser Gedanke nicht unter Vermeidung jener Fehler

unter uns Wirklichkeit werden?

Parteiungen zerreißen unser Volk.

Meinungen, wie der Staat zu regieren sei, Meinungen darüber, wo Gebundenheit und wo Freiheit sein soll, stoßen heftig zusammen, so

daß

die Streitenden

oft gegenseitig

ihre Sprache nicht verstehen.

Neben den Parteien stehen einander die verschiedenen Stände mit ihren Interessen feindlich gegenüber; jeder meint von der Gesammt­ heit vernachlässigt zu sein, und fordert sein Recht, seinen Vortheil,

ohne sich

um das Recht der Anderen zu kümmern.

Denkt euch,

welch eine einigende versöhnende Macht läge darin, wenn Alle vor

sich aufgethan sähen das Heiligthum des Gottesglaubens, auf dem

heiligen Boden der Religion sich zusammenfänden, in dem Glauben

an den Einen Vater im Himmel einander verständen, sich hier zu­

sammenschlössen, wo der Reiche sich beugt vor dem Ewigen, der Arme sich erhebt zum Ewigen, wenn sich hier vor Gott zusammenfänden

der Landmann, der Regen und Sonnenschein von Gott braucht, der

95

Der Glaube an Gott.

Kaufmann, der Unternehmer, der industrielle Arbeiter, die auch Alle zu ihrer Arbeit Gottes Segen brauchen, wenn Alle sich zusammen­

fänden als Sünder, welche die Gnade Gottes bedürfen, die aber

auch Alle

die Gnade Gottes

empfangen

sollen,

wenn auch

ver­

schiedene Konfessionen, die sich sonst nicht verstehen, sich verständen der seine Sonne aufgehen

in dem Glauben an den Einen Gott,

läßt über alle seine Kinder und sie Alle mit seiner Liebe umspannt! Wenn ein Volk in diesem seinem Gottesglauben, in diesem Mittelpunkt sich

sondern

zusammenfaßt,

innerlich,

auch

dann

ist

und keine

es

nicht nur äußerlich Eins,

Macht

scheiden, was Gott zusammengefügt hat.

der

Erde

vermag

zu

In einem Volke tauchen

Volksgötzen auf, Menschen, die man vergöttert, Ansichten, von denen

man alles Heil erwartet, verführerische Mächte, welche die Menschen in ihren Bannkreis

ziehen,

verführerische Hoffnungen, welche die

Menschen in die Irre leiten.

welches

aus

irrenden

Das ist immer so in einem Volke,

schwachen Menschen besteht.

Aber glücklich

das Volk, das zuletzt immer wieder seine Augen erhebt zu dem Einen

Gott, vor dem die Götzen zerfallen, der sie selbst zerschlägt und zu uns spricht:

„Ich bin der Herr dein Gott; du sollst nicht andere

Götter haben neben mir." Der Gottesglaube giebt auch deinem Leben den einheitlichen Mittelpunkt.

Die Götzen, das Geld und

die Lust der Welt, die

Leidenschaften, die dich binden, die Menschen, die dein Herz gefangen

nehmen, die Herrlichkeiten der Erde, die dich locken, die Schrecken der Erde, die dich ängstigen, sie alle zerstückeln dein Leben, reißen dich hierhin und dorthin, lassen dich zu keiner Ruhe, keiner Klarheit,

keinem Frieden kommen; sie geben deinem Leben einen unsteten ziel­

losen Lauf.

Gott dagegen ist der stille Odem, der dein Schiff zum

Hafen treibt.

Sie knechten dich.

Gott aber macht dich frei.

machen dich unselig, Gott aber macht dich selig. aber Gott führt dich auf rechter Straße.

Sie

Sie verführen dich;

Sie machen dich friedlos;

Gott aber giebt dir Frieden.

Sie saugen dein Leben aus;

Gott giebt dir ewiges Leben.

Wenn du dein Herz an sie hängst,

aber

ziehen sie dich mit hinab in den Tod, und dein Herz wird kalt und leer und stirbt.

Gott allein ist ewig und treu, unser Friede, unser

Leben, unsere Kraft; deshalb sagt er um unseretwillen: Du sollst

nicht andere Götter haben neben mir.

Fürchte dich nicht und klage

Der Name Gottes.

96

nicht, wenn Gott mit seiner gewaltigen Hand in dein Leben greift,

und zerbricht deine Götzen, die dein Herz gefangen hielten und dich fern hielten von Gott.

Siehe, nun wird das Gesichtsfeld über dir

frei, daß du Gott allein siehst als deinen Herrn, daß du ihn allein

fürchtest, wie die starken Männer Gottes ihn allein gefürchtet haben,

und sonst nichts in der ganzen Welt, daß du ihn allein liebst und

die Menschen und

alles Große und Gute in der Welt als seine

Gabe und Offenbarung, und ihm allein vertraust, emporsteigst über

alle Dinge der Erde, die dein Vertrauen täuschen, über die Menschen,

das Glück, die eigene Kraft und Gerechtigkeit, und dich allein gründest auf den ewigen Fels, der da bleibt in allem Wechsel der Zeit. So ist

der Glaube an Gott die Grundlage unseres Lebens.

Er giebt unserem sittlichen Streben den rechten Halt.

Er lehrt uns

die Vergangenheit verstehen und an die Zukunft glauben.

der einheitliche Mittelpunkt unseres Lebens.

Er ist

„Ich bin der Herr dein

Gott, du sollst nicht andere Götter haben neben mir!" Amen.

12.

Der Name Gottes. 2. Mos. 20, 7.

Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht

mißbrauchen; denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen mißbraucht.

von

dem Gottesglauben als der Grundlage unseres Lebens

haben wir in unserer vorigen Betrachtung im Anschluß an das erste

Gebot geredet. So sehr

der Gottesglaube in seiner Reinheit das Heil der

Menschen ist, so verderblich wirkt er unter den Menschen, wenn sich

menschliche Lüge und Leidenschaft mit ihm verbindet.

Die Menschen

haben manchmal diesen Engel aus dem ewigen Licht in einen Engel der Finsterniß verwandelt.

Und wo das einmal geschehen ist, da

giebt es kaum eine Schandthat, ein Verbrechen, welches nicht von Menschen angeblich im Namen der Religion vollbracht worden wäre.

Der Name Gottes.

96

nicht, wenn Gott mit seiner gewaltigen Hand in dein Leben greift,

und zerbricht deine Götzen, die dein Herz gefangen hielten und dich fern hielten von Gott.

Siehe, nun wird das Gesichtsfeld über dir

frei, daß du Gott allein siehst als deinen Herrn, daß du ihn allein

fürchtest, wie die starken Männer Gottes ihn allein gefürchtet haben,

und sonst nichts in der ganzen Welt, daß du ihn allein liebst und

die Menschen und

alles Große und Gute in der Welt als seine

Gabe und Offenbarung, und ihm allein vertraust, emporsteigst über

alle Dinge der Erde, die dein Vertrauen täuschen, über die Menschen,

das Glück, die eigene Kraft und Gerechtigkeit, und dich allein gründest auf den ewigen Fels, der da bleibt in allem Wechsel der Zeit. So ist

der Glaube an Gott die Grundlage unseres Lebens.

Er giebt unserem sittlichen Streben den rechten Halt.

Er lehrt uns

die Vergangenheit verstehen und an die Zukunft glauben.

der einheitliche Mittelpunkt unseres Lebens.

Er ist

„Ich bin der Herr dein

Gott, du sollst nicht andere Götter haben neben mir!" Amen.

12.

Der Name Gottes. 2. Mos. 20, 7.

Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht

mißbrauchen; denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen mißbraucht.

von

dem Gottesglauben als der Grundlage unseres Lebens

haben wir in unserer vorigen Betrachtung im Anschluß an das erste

Gebot geredet. So sehr

der Gottesglaube in seiner Reinheit das Heil der

Menschen ist, so verderblich wirkt er unter den Menschen, wenn sich

menschliche Lüge und Leidenschaft mit ihm verbindet.

Die Menschen

haben manchmal diesen Engel aus dem ewigen Licht in einen Engel der Finsterniß verwandelt.

Und wo das einmal geschehen ist, da

giebt es kaum eine Schandthat, ein Verbrechen, welches nicht von Menschen angeblich im Namen der Religion vollbracht worden wäre.

97

Der Name Gottes.

An nichts haben sich die Menschen so schwer versündigt, wie am

Gottesglauben,

stärksten Feind der Sünde.

diesem

Er,

der

die

Sünde tobten soll, ist von den Menschen zum Mittel der Sünde

gemacht worden.

muß immer an der Reformation der

Deshalb

Die Kirche muß in einer steten Selbst-

Kirche gearbeitet werden.

erneuerung begriffen sein und die unreinen Stoffe, welche aus der

Welt in sie eindringen, ausscheiden.

So unentbehrlich uns die Frömmigkeit ist, so unentbehrlich ist der Frömmigkeit die Lauterkeit.

Davon wollen wir jetzt im Anschluß an das zweite Gebot

reden,

zuerst vom Mißbrauch des göttlichen Namens,

dann

vom rechten Gebrauch desselben.

1.

Der Name

„Schall und

Gottes ist nicht nur

sondern Gott selbst wohnt in seinem Namen.

Wohnung, welche

Tempel Gottes,

menschliche

die

dem

von

es

Gott gebaut hat, ein

Sprache

freilich

Rauch",

Gottes Name ist die

auch

gilt,

was

von allen

Tempeln Gottes gilt, nämlich, daß er viel zu eng ist, um Gottes

Es hat auch in dieser Tempelbau­

unendliches Wesen zu umfassen.

kunst ein stetiger Fortschritt stattgefunden.

Je klarer die Menschen

Gott erkannten, und je deutlicher sich Gott ihnen offenbarte, um so weiter und schöner sind auch diese Tempel, diese Namen Gottes ge­ worden.

Einst sah man Gott nur im Himmel, in der Sonne, dem

Mond und

den Sternen,

im Sturm

und im Frühling, in den

schaffenden und in den zerstörenden Kräften der Natur. die

menschliche Sprache

für

jede

dieser

Da hat

einzelnen Erscheinungen

Gottes einen besonderen Namen erfunden; man sprach von einem

Gott des Himmels,

der Sonne,

Meeres, des Sturmes.

an

des Mondes,

der Sterne,

des

Da stieg im Herzen Israels der Glaube

den Einen Gott auf;

allmählich verschwanden die Götter der

Heiden, und ihre Namen wurden leere Hüllen, ohne Leben, ohne

Inhalt.

Aber für den Einen großen Gott bilden sich neue Namen.

Er ist Jehova, der Lebendige, der Inbegriff und Ausgangspuntt

alles Lebens, der Allmächttge, vor dem die Erde Staub ist, der Gerechte, der jedem Volk und jedem Menschen giebt nach Verdienst

und Würdigkeit, der aber ebenso auch barmherzig und langmüthig ist.

Aber auch bei diesem Namen sollte es nicht bleiben.

Jesus

Christus, der in seinem Herzen und Leben, in seinem Glauben und Kirmß, Predigten.

7

98

Der Name Gottes.

das innerste Wesen Gottes umfaßte,

Lieben

hat Gott noch einen

weiteren, größeren Namen gegeben, einen Namen, über den hinaus

es niemals einen herrlicheren geben wird.

Er sprach: „Mein Vater,

unser Vater." Das ist nur ein Wort, und doch nicht nur ein Wort.

eine Gewalt liegt in

diesem Namen Gottes!

Welch

Derselbe weckte in

unseren Kinderherzen die ersten seligen Regungen frommen Ahnens. Er

schwebte über uns,

Er klingt über

als wir getauft wurden.

unserem Grabe, wenn wir begraben werden.

Die heiligsten Vor­

gänge unseres inneren Lebens werden von ihm in uns

gerufen.

hervor­

Er beugt uns nieder im Gefühl der Schuld, er getröstet

uns dessen, daß Gott unsere Uebertretungen will fern von uns sein lassen, wie der Morgen fern ist vom Abend.

Irrthum zurück Frieden.

zur Heimath

der Seele,

Er zieht uns aus dem zur Reinheit und

zum

Er sagt uns, daß es in der tiefsten Noth eine Hülfe giebt.

Er birgt in sich eine Fülle des Trostes, gegen die alles Leid ohn­

mächtig ist.

Alles Große, Gute, Heilige und Ewige, alle helfenden,

tröstenden Kräfte unseres Lebens fassen sich in diesem Namen zu­

sammen.

Bei dem Klange dieses Namens schließt sich uns auf die

ewige Welt der erbarmenden Liebe, da regen sich in uns die Triebe der Menschenliebe, zu vergeben, zu helfen.

Dieser Name übertönt

die Stürme in unserer Brust und glättet die hochgehenden Wellen der Leidenschaften.

Dieser

Name

birgt in sich

die

höchste und

seligste Macht, unser Heil und unsere Hülfe, unsere Hoffnung und unseren Trost im Leben und im Sterben.

Bringt es menschliche Sünde wirklich fertig, diesen Namen zu

mißbrauchen?

Müßte nicht, so oft wir ihn gebrauchen, unser Wesen

lauter Ernst und Andacht sein?

Und doch ist der Mißbrauch des

göttlichen Namens unendlich weit verbreitet unter Nichtftommen und unter Frommen, unter Gläubigen und Ungläubigen.

Den Einen ist

Gott keine Wirklichkeit mehr; wie sie im Weltall keinen Raum für ihn

finden,

so haben sie in ihrem Herzen keinen Raum für ihn.

Aber es fehlt ihnen die Kraft und Folgerichtigkeit, nun auch das

Wort „Gott" aus ihrer Sprache zu streichen.

Sie sind nun einmal

an das Wort gewöhnt von Kindheit auf; und von alten Gewohn­

heiten, auch wenn sie keinen Sinn mehr haben, macht man sich schwer los.

Der Name Gottes ist ihnen wie ein altes Bild, das sie von

99

Der Name Gottes.

-en ehrwürdigen Vorfahren ererbt haben, deshalb in irgend einem Zimmer noch aufheben, freilich ohne seine Bedeutung zu kennen. Der Name Gottes ist ihnen ein Tempel, der außen noch ehr­

würdiges Gemäuer mit heiligen Zeichen aufweist, aber inwendig ist er leer, überall Staub und Moder, ein Zeichen, daß sich hier keine andächtige lebendige Gemeinde mehr versammelt. Wenn ihr solchen Menschen begegnet, die noch Gottes Namen im Munde führen, ohne an Gott zu glauben, so sagt zu ihnen: Warum nennt ihr Gott noch, wenn ihr nicht mehr an ihn glaubt? Warum schleppt ihr euch mit dieser dürren leeren Hülle des Namens Gottes, wenn für euch Gott nicht mehr lebt? Warum treibt ihr dieses Spiel mit heiligen Worten? Warum seid ihr so unwahr? Aber noch

schlimmer ist es, wenn Menschen, die an Gott glauben, Gottes Namen mißbrauchen. Ihr, die ihr fromm sein wollt, hütet euch doppelt vor aller religiösen Unwahrhaftigkeit! Sprecht keine frommen Worte ohne fromme Gedanken! Gebraucht keine frommen Ge­ bärden ohne fromme Empfindungen! Erscheint den Leuten lieber unfromm und seid ehrlich, anstatt daß ihr ihnen fromm erscheint und seid unehrlich. Wenn sich Jemand eine Redensart angewöhnt hat, macht er sich damit leicht lächerlich. Wer aber Gottes Namen zur Redensart macht, der wird von den Menschen mit Mißtrauen

und Widerwillen betrachtet. Hier gilt vor allem das Wort des Apostel Paulus: „Alles, was nicht aus dem Glauben kommt, ist Sünde." Alles äußere fromme Wesen, hinter dem keine fromme Gesinnung ist, ist Sünde. Gebraucht den Namen Gottes mit aller Keuschheit, mit allem Ernst, wenn ihr etwas zu sagen habt, was des göttlichen Namens würdig ist. Aber zieht ihn nicht herab in das gedankenlose Geschwätz des Tages!

Aber es giebt noch einen schwereren Mißbrauch des göttlichen Namens. Du hast einen Freund in hoher Stellung, der einen weit­ hin geachteten guten Namen hat, und du hast dich auf diesen Namen manchmal berufen dürfen, um unter den Menschen etwas Gutes durchzusetzen, wofür du deinen Freund gewonnen hattest. Nun

handelt es sich einmal für dich um etwas, wobei dein Neid, deine Habsucht und Selbstsucht mit im Spiele ist, vielleicht auch deine Feindschaft gegen andere Menschen, und auch diesmal berufst du dich

.auf jenen geachteten Namen, obwohl der Träger desselben, wie du 7*

100

Der Name Gottes.

wohl wissen könntest, mit deiner Handlungsweise nicht einverstanden ist.

Das heißt, du mißbrauchst den guten Namen deines Freundes. mißbrauchen die

So den

mit

Worten:

trügen. Flucht nicht!

oft

Menschen

Zwecken, die gegen Gott sind.

Fluchen,

den

Namen

Gottes

zu

Luther schildert diesen Mißbrauch schwören, zaubern, lügen oder

Denn es ist etwas Entsetzliches, einen Menschen

zu verfluchen im Namen des Gottes, der uns geboten hat, nicht zu

fluchen, sondern zu segnen, und am schlimmsten ist solch ein Fluch, wenn er von hoher kirchlicher Stelle ausgeht.

Flucht nicht!

Denn

es ist ein trauriges Zeichen innerlich zuchtlosen Wesens, im Zustand leidenschaftlichster Erregung durch einen Fluch den Namen Gottes herabzuziehen in die trübe Fluth unreiner Leidenschaften.

Eid

Haltet den

Ja, es ist etwas Heiliges, wenn jemand an rechter

heilig!

Stelle Gott zum Zeugen der Wahrheit anruft durch einen Eid, um

die

dadurch

Wahrheit

zum Sieg zu

führen.

Wehe

aber

dem

Menschen, der die Lüge in das heilige Gewand des Eides kleidet, dem Betrüger, der Gott betrügen möchte und sich damit von dem

Ewigen losreißt, so daß er nun wie ein welkes Blatt ist, das vom gejagt wird

die Erde

Winde über

und

keine Stätte mehr hat.

Rottet in euch und in Anderen den Aberglauben aus!

Denn das

ist es in der heuügen Zeit, was Luther mit dem Wort „Zaubern"

bezeichnet.

Spielt nicht mit diesem finsteren Geist, lächelt auch nicht

über ihn, sondern treibt ihn aus mit aller Kraft.

Wer

eures Glaubens.

Tod

da

meint,

Denn er ist der

sein Leben und Geschick

hänge von Zahlen und Stunden und Zeichen ab, der sagt sich damit los

von

Haupte

dem Gott,

fällt.

Wer,

ohne

wie

dessen Willen

kein Haar von unserem

es der heutige Spiritismus will,

mit

verwegener Hand den Schleier des Jenseits lüften möchte, der sagt sich los von dem Gott, der nach seiner heiligen Ordnung die obere Welt unserem Auge verschlossen hat. des Glaubens.

allem

aber

Darum

Der Aberglaube ist der Tod

rottet ihn aus mit aller Kraft! — Vor

hütet euch vor der Heuchelei,

Trügen beim Namen Gottes.

das Mark seines Wesens.

vor dem Lügen und

Ein Heuchler ist sittlich krank bis in

Der Betrug, der Mißbrauch des gött­

lichen Namens ist ihm zur anderen Natur geworden. sein Element.

Die Lüge ist

Jesus, der auch über eine Ehebrecherin seine Hand

Der Name Gottes.

schützend

101

gebreitet und mit den Sündern und Zöllnern zu Tische

gesessen hat, hat für die Heuchler nur ein Wehe.

Gott wird den nich-t ungestraft lassen, der seinen Namen Denkt dabei nicht nur an die äußeren Strafen, durch

mißbraucht.

welche Gott das Lügengebäude des Heuchlers zusammenschlägt und den Meineidigen der irdischen Gerechtigkeit überliefert und den Aber­

gläubischen mit seiner eigenen Sünde heimsucht. die Strafe,

Viel schwerer ist

die darin besteht, daß der Friede Gottes, sein Trost,

seine vergebende Gnade, daß m. e. W. Gott selbst das Herz still verläßt, in welchem mit seinem Namen ein unehrliches Spiel getrieben wird.

Von Gott verlassen werden, gottlos sein, das ist die schwerste Strafe

für den Mißbrauch des göttlichen Namens. „Du sollst den Namen Gottes nicht mißbrauchen."

Der Mensch,

der nicht an Gott glaubt und deshalb den Namen Gottes aus seiner

Sprache ausgestrichen hat, ist bedauernswerth, aber er ist wenigstens

ein ehrlicher Mensch.

Ein Mensch

aber,

der Gottes Namen im

Munde führt, ohne an Gott zu glauben, ist ein verächtlicher Mensch; denn er ist ein Heuchler und ein Lügner.

2.

Und nun wollen wir diese traurigen Bilder verlassen und

sehen, wie man den Namen Gottes recht gebraucht.

Luther sagt:

Gott in allen Nöthen anrufen, beten, loben und danken. Unlautere Frömmigkeit hat keine Widerstandskraft in der Noth.

Sie bricht zusammen, wie ein Kartenhaus, an das ein Kind stößt.

Dann stammelt sie wohl die altgewohnten frommen Worte und klagt

Gott und die Menschen an; aber sie kann Gott nicht anrufen; was

sie beten nennt, ist wie ein Ruf in den heulenden Sturm hinaus, der sofort jeden Ton verschlingt.

Gott ist ihr so fern, so fremd,

und macht sie sich ja eine Vorstellung von ihm, so sieht sie immer

nur das zürnende Angesicht des Gottes, den zu bettügen sie versucht

hat, und vor dem sie nun in ihrem ganzen Elend steht.

Wo aber

die Frömmigkeit lauter ist, da müssen die Nöthe, kaum daß sie ins Haus

getreten

sind,

heilige

Dinge

thun.

Sie

wecken in

dem

frommen Menschen schlummernde Gebete; diese werden für dich jetzt erst recht lebendig, du verstehst ihre Kräfte, schmeckst den Gottes­

frieden, der in ihnen ruht.

Und weiter nehmen dich die Nöthe bei

der Hand, führen dich zu Gott, geben dir den Muth in die Seele, Gott anzurufen, wie

ein Kind

seinen Vater anrust.

Und dieses

102

Der Name Gottes.

Anrufen ist für dich nicht etwa ein Zaubermittel, durch welches nun auf einmal wunderbare Hülfe herbeigeholt wird; sondern es ist das

aus der Tiefe kommende Verlangen:

Laß mich nicht verzweifeln und

verderben, halte mich austecht, erhalte mir das Licht des Glaubens. Je mehr du in diesem Sinne Gott anrufst, um so näher kommt dir Gott, um so mehr verklärt sich sein Angesicht vor deinen Augen,

um so tröstender klingen dir alle Namen Gottes, die er wegen seiner Gnade und Barmherzigkeit unter den Menschen hat.

Noch mehr aber als dieses Anrufen ist das Beten.

Im Gebet

tragen wir Gott die Bitten vor um die Güter, die wir brauchen,

um reich zu sein in ihm.

Denn das muß doch zuletzt das höchste

Ziel alles rechten Betens sein, nicht die Erfüllung dieses oder jenes

Wunsches,

das Eintreten

dieses

oder jenes Glückes, sondern die

ewigen Güter des Friedens und der Gerechtigkeit, die für uns be­ stimmt in Gott ruhen, herabziehen in unsere Brust.

So bleib mit

deinem Gebet nicht in der Enge deiner kleinen Wünsche,

gehe mit ihm in die Weite.

sondern

Bitte Gott, daß er dein Herz klar und

rein erhält, daß er dir Kraft gebe,

dein Auge immer auf ihn zu

richten, und wenn eine Schuld dich befleckt, daß er dir immer den Zugang zu seiner Gnade offen halte, den er durch Christus auf­

geschlossen hat.

Bitte ihn,

daß er deine Liebe zu den Menschen

nicht sterben lasse, auch wenn sie hindurchgehen muß durch manche

Enttäuschung, daß er dich willig mache, zu vergeben, damit auch du Gottes Vergebung empfängst.

Bitte ihn, daß er sein Reich kommen

lasse je mehr und mehr in der Welt, daß die Armen getröstet, die

daß

er die Irrenden zur Wahrheit

führe, die Friedlosen zum Frieden.

Bitte ihn um die sich stets er­

Darbenden

gesättigt werden,

neuernde Gewißheit, daß der Tod nicht tödtet, daß er nichts Anderes ist, als ein Sichhineinwerfen in den Strom der ewigen Liebe, daß

die Gemeinschaft in Gott bleibt.

Das ist lautere Frömmigkeit.

Aus dem Beten aber kommt das Loben.

In der Erhörung

des Gebetes schließt uns Gott sein Herz auf und läßt uns seine

Gnade erfahren. lobt.

Und der Mensch antwortet darauf, indem er Gott

Gott loben in guten Tagen, wenn man sich umgeben sieht

von blühendem Leben und strahlendem Glück, wenn wir von der Höhe

aus unsere Blicke hinschweifen lassen über die Gefilde unseres Lebens, so weit das Auge reicht, und sehen die Felder, die reif zur Ernte

Der Name Gottes.

103

sind, das ist gewiß recht und gut; denn durch das Lob Gottes wird das Glück geweiht zu einer Gabe Gottes.

Aber darin erweist sich

noch nicht die wirklich lautere Frömmigkeit.

Denn leicht mischt sich

in dieses Lob Gottes etwas von Selbstsucht und Selbstgefälligkeit.

Aber auch dann, wenn Gottes Gedanken andere als unsere Gedanken sind,

unsere Augen erheben hoch über die Trübsal,

die uns um-

giebt, und über den Schmerz, der uns niederdrückt, zu den ewigen

Wegen und Gedanken Gottes, wissen, daß dort oben Gnade und Treue waltet, die unseren Lebensplan gemacht und ihn nun auf ihre

Weise in unerforschlicher Weisheit durchführt, sich loslösen von den

eigenen Plänen und Hoffnungen, so sehr sie uns ans Herz gewachsen sind, und auf Gottes Wege sehen, so Gott loben, das ist lautere Frömmigkeit.

weichen,

Gott lohen dafür, daß, wenn aus- Erden die Berge

er uns

mächtiger ist,

doch

nicht fallen läßt,

als die Noth,

daß seine Liebe in uns

daß er durch Jesum Christum uns

Macht gegeben hat, jedes Kreuz zu tragen, und daß er alle Noth

als Mittel gebraucht, uns zu sich emporzuziehen, so Gott loben nicht nur mit den Liedern der Lippen, sondern ihm singen und spielen im

Herzen, daß er alles so herrlich regieret — das ist lautere Frömmigkeit. Aber am stärksten bewährt sie sich im Danken, wenn cs das rechte Danken ist.

Es beginnt im Herzen, das der Liebe Gottes

gewiß ist, und geht über die Lippen, die Gott danken müssen, weil

das Herz des Dankes voll ist, und von den Lippen geht der Dank in die Hände, und da erst vollendet sich die Dankbarkeit. dir:

Du sagst

Gott hat so viel an mir gethan, auch in der Noth und durch

die Noth, daß ich gar nicht anders kann, ich muß das, was er an

mir gethan hat, weiter geben und so gleichsam ein Mittler werden

zwischen dem segnenden Gott und den Menschen.

Habt ihr nicht

von Menschen gelesen oder selbst solche gekannt, die durch unendlich viele Enttäuschungen und Verluste hindurch gegangen sind und die sich

dadurch haben zur Liebe erziehen lassen, so daß sie nun ihr Leben ganz ihren Mitmenschen weihen?

Das ist lautere Frömmigkeit im Danken.

Sehen wir um uns her vielfach den Mißbrauch des göttlichen Namens, laßt uns durch das Leben, durch die That, durch lautere Frömmigkeit Gottes Namen verklären, daß die Menschen unsere guten

Werke sehen und den Vater im Himmel preisen.

Amen.

Der Tag Gottes.

104

13.

Der Tag Gottes. 2. Mos. 20, 8. Gedenke deS Sabbathtages, daß du ihn heiligest. Vom Tage Gottes wollen wir heute mit einander reden.

sind ja alle Tage Tage Gottes.

Es

Die Tage steigen alle, einer wie

der andere, im Glanz der Morgenröthe von Gott zur Erde nieder,

und jeder hat für uns einen Auftrag Gottes im Munde und seine Gaben in der Hand.

Da ist kein Unterschied.

Aber wenn wir diese

sieben Tage näher betrachten, so finden wir doch einen Unterschied in ihrem Aussehen.

Sechs von ihnen tragen ein Arbeitskleid und

demgemäß rufen sie den Menschen zur Arbeit.

Einer aber trägt ein

Feierkleid; er ruft die Menschen von der Arbeit zur Freude.

weg

Ruhe,

zur

Er trägt einen himmlischen Segen in seiner Hand und

giebt von diesem seinen Brüdern, welche an die Arbeit gehen, etwas mit, etwas von der Ewigkeit. keit.

Der Sonntag ist

Ja er knüpft die Zeit an die Ewig­

der Sonnenschein im Menschenleben,

Gruß des lieben Gottes; wohl dem, der diesen Gruß versteht.

ein Wer

einen rechten Sonntag zu feiern weiß, dessen Leben kann unmöglich arm sein, und wenn er noch so schwer zu arbeiten und noch so viel

Kummer zu tragen hat.

Und wer keinen Sonntag hat,

hat ein

armseliges Leben, auch wenn er jeden Tag zum Sonntag, d. h. zu

einem Tag ohne Arbeit machen könnte.

Ob du aber einen rechten

Sonntag hast oder nicht, das hängt vor allem von dir selbst ab. In einem Menschenleben, welches 60 Jahre währt, giebt es

mehr als 3000 Sonntage.

Welch ein Segen, welch eine Fülle von

Glück, Friede und Freude könnte darin liegen, 3000 Sonntage, von jenen unbeschreiblichen Sonntagen der Kindheit, an denen es Einem

wirklich zu Muthe war, wie es in dem bekannten Lied vom „Tag

des Herrn" heißt, als wollte der Himmel sich über uns öffnen, bis zu den Sonntagen des späten Lebens, an denen der allmählich er­

müdende Mensch einen Augenblick ruht, Athem schöpft, um dann

weiter zu wandern.

Wie viel Segen diese Sonntage uns bringen.

Der Tag Gottes.

hängt von uns selbst ab.

105

Möchte deshalb diese unsere Betrachtung

dazu beitragen, uns ein wenig die Augen zu öffnen für den Segen, den der Sonntag für uns haben könnte.

Gedenke des Sabbathtages, daß du ihn heiligest. Laßt uns zuerst das „Du" betonen: Es ist deine Sache, ihn

Dann laßt uns sehen, wie wir ihn heiligen sollen, nämlich indem wir ihn dazu benutzen, wozu Gott ihn gegeben hat, als einen Tag der Ruhe, der Freude und der Gemeinschaft. zu heiligen.

1. Wenn einmal in einem Volke der Segen, der in einer rechten Sonntagsfeier liegt, erkannt worden ist, liegt es nahe, diesen Segen gegen menschliche Willkür zu sichern, ihn mit Sonntags­ gesetzen und Verordnungen kirchlicher oder weltlicher Natur zu um­ geben. So war es im jüdischen Volke. Aehnliche Bestrebungen treten bei uns zu Tage. Das ist verständlich, und wer wollte es bestreiten, daß es auch gut und gerecht ist, wenn jedem Menschen,

auch dem, der von Anderen abhängig ist, seine Sonntagsruhe geschützt wird. Etwas ganz Anderes ist es dagegen mit der Sonn­ Sonntagsgesetze können manche Versuchung zur Sonntagsentheiligung und manches Hinderniß der Sonntagsheiligung beseitigen. Aber sie können Sonntagsheiligung nicht schaffen. tagsheiligung.

Sonntagsruhe kann durch Gesetze erzwungen werden, aber Sonntags­ heiligung ganz gewiß nicht. Denn dadurch wird der Sonntag doch gewiß nicht heilig, daß an der einen Stelle Vergnügungen zurück­ gedrängt werden, während sie aus der unreinen Lust des Menschen an einer anderen Stelle, wohin die Gewalt des Gesetzes nicht reicht, mit doppelter Gewalt hervorbrechen, daß dem Menschen die freie

Sonntagszeit gegeben wird, während er doch innerlich so arm, so leer ist, daß er mit dieser freien Zeit nichts Heilsames anzufangen weiß. Was hilft die äußere Ruhe, wenn der Mensch den Sinn für die innere Ruhe verloren und den Weg, der zu ihr führt, ver­ gessen hat. Die Sonntagsheiligung muß der Mensch sich selbst schaffen, dadurch, daß er in seine Sonntagsruhe einen heiligen Sinn

legt. Es ist deshalb irreführend, die äußerlich herbeigeführte Sonn­ tagsruhe als Sonntagsheiligung zu bezeichnen. Dadurch wird die Aufmerksamkeit von der Hauptsache abgelenkt. Das ist die Hauptsache: Du sollst den Feiertag heiligen.

Du sollst den Sonntag, der im Glanze der Morgensonne zu dir kommt

106

Der Tag Gottes.

und dir eine Reihe von Stunden bringt, in denen du nicht zu

arbeiten brauchst und nicht arbeiten sollst, durch die Art und Weise, wie du ihn verlebst, für dich zu einem heiligen Tage machen. Von dir hängt das ab.

Durch dich kann er dir zum Segen werden,

durch dich kann er dir zum Fluch werden. Du kannst am Sonntag deine Seele von Neuem mit dem Frieden Gottes fußen; du kannst auch den Sonntag zu Dingen mißbrauchen, die dir auf lange Zeit hinaus den Frieden deiner Seele rauben. Durch dich können dir die Sonntage deines Lebens Stationen werden auf deiner Wande­ rung nach oben, so daß jeder Sonntag dich Gott um einen Schritt näher bringt. Durch dich kann dir auch, wie es schon manchem jungen Menschenkind gegangen ist, ein übel verlebter Sonntag der Anfang eines Weges werden, der dich abwärts führt, immer Wetter abwärts bis zum sittlichen Untergang.

Gott legt jeden Sonntag in deine Hände. Du mußt ihn heiligen; sonst kann er für dich nicht heilig werden. Der Feiertag ist wie der Mensch, der ihn feiert. Ist der Mensch unrein, ist der Feiertag auch unrein. Ist der Mensch rein, so ist auch der Feiertag rein. 2. Wie aber sollen wir den Sonntag heiligen? Wir werden ihn heiligen, wenn wir ihn dazu benutzen, wozu Gott ihn uns ge­ geben hat, zuerst zur Ruhe. Es liegt doch ein tiefer Sinn in der bildlichen Erzählung des Alten Testamentes, daß Gott am siebenten Tage von seiner Arbeit geruht habe. In ihr ist das ausgedrückt, daß die Abwechslung von Arbeit und Ruhe eine heilige Ordnung Gottes ist. Daß der Mensch von seiner Arbeit ruhen muß, ist nicht nur ein Zeichen seiner Schwachheit und Hinfälligkeit, ein Mangel in seinem Dasein, die

Ruhe eine ttaurige Nothwendigkeit, ein nothwendiges Uebel, so daß es doch eigentlich besser wäre, wenn der Mensch immer arbeiten könnte. Sondern die Ruhe nach der Arbeit ist etwas von Gott Gewolltes, etwas, was in Gottes Ordnung begründet liegt, so daß wir uns der Ruhe nach der Arbeit mit voller Freude hingeben dürfen und sollen, weil Gott es so gewollt hat.

wissem Sinn hat Gott auch seine Ruhezeiten.

Denn in ge­

Wenn die Schneedecke

des Winters sich über die Erde breitet, die schaffenden Kräfte in der Natur, das Leben in Wald und Feld, in Fluß und See schläft, ist

das nicht gleichsam eine Ruhezeit Gottes?

Oder ähnlich in der

107

Der Tag Gottes.

Geschichte.

Wenn nach Zeiten, in denen unter heißen Kämpfen und

Schmerzen in dem Völkerleben sich Neues gestaltet, in denen fast jedes Jahr neue Gestaltungen der menschlichen Dinge bringt, — wenn

nach solchen Zeiten andere kommen, in denen die Menschen des Er­

worbenen sich freuen, einmal ausruhen, und das Gemüth, das in

den Zeiten raschen Fortschrittes oft zurückgedrängt wird, sich wieder einmal aufthun kann, wie die Blumen im Sonnenschein, Zeiten des

Friedens, in denen Kunst und Wissenschaft und die Arbeiten des Geistes blühen — ist

da nicht auch gleichsam ein Ruhetag,

ein

Sabbath Gottes?

So

soll nun unser Leben in seiner Abwechslung von Arbeit

und Ruhe ein Abbild des Lebens Gottes sein. der Ruhe haben nach der Arbeit.

Du sollst einen Tag

Und je anstrengender und auf­

reibender heutzutage die Arbeit ist, um so mehr sollst du auf deinen Ruhetag halten, und um so wohlthuender wird dir seine Ruhe sein.

Wie du aber auf deine Ruhe hältst am Sonntag, so sollst du auch halten auf die Ruhe der Deinen, den Dienstboten, den Leuten, die bei dir im Brode stehen, die Ruhe geben, nicht gezwungen, sondern

gern, fteudig, herzlich, und dich selbst an ihrer Ruhe freuen.

Wie

Gott uns Menschen die Sonntagsruhe giebt, so sollst du wieder den Deinen ihre Sonntagsruhe geben.

Im Briefe an die Hebräer wird

die ewige Ruhe, zu welcher das Volk Gottes einst eingehen soll, in

Verbindung gebracht mit der Sabbathruhe.

soll

ein

Abbild

nicht nur der

ewigen Ruhe in Gott sein.

Unsere Sonntagsruhe

Ruhe Gottes,

sondern

auch

der

Wie dort die Lasten abgenommen

sind, so sollen hier am Sonntag die Lasten uns abgenommen sein

von den Schultern und von den Herzen.

unserer Wanderschaft über Lebens

die Erde

Wie wir als Christen auf

unter

den Beschwerden des

manchmal unsere Augen sehnsüchtig erheben zu der Ruhe,

die noch vorhanden ist dem Volke Gottes, so giebt uns der Gedanke

an die Sonntagsruhe, wenn die Last der Wochenarbeit schwer auf

uns liegt, neuen Muth und neue Kräfte, daß wir zu uns sagen: Halte nur aus!

Für euch, ihr müden Glieder, für dich, du müder

Geist, kommt bald die Sonntagsruhe.

Wie uns dort oben die reine

Lust der Ewigkeit umweht, so soll uns am Sonntag reine Luft um­ wehen.

Die Luft am Sonntag ist rein, sowohl im äußeren eigent­

lichen Sinn, rein vom Staub und vom Ruß der Werkeltage, als auch

108

Der Tag Gottes.

im geistigen Sinne; denn in einen rechten Sonntag weht die Luft

der Ewigkeit hinein, göttlichen Friedens und reiner Freude, so daß sichs am Sonntag leicht und frei athmet. Und wie wir dort oben einst Gott schauen werden, so blicken wir auf Erden in stillen Sonn­ tagsstunden, wo die Menschenseele sich selbst und Gott findet, hinein in Gottes unendliche Liebe, die uns durch Christus offenbar geworden, sehen die Wege, die er uns geführt, die Güter, mit denen er uns

beschenkt, die Treue, mit der er uns geleitet hat, und wissen, daß er auch in Zukunft mit uns sein wird, fühlen uns geistig einmal wieder zu Hause, feiern einmal eine Ruhestunde in der ewigen Heimath, und wissen, daß die alte Liebe Gottes doch immer wieder neu wird, so sehr auch das Leben stürmt und die Lasten drücken. So heiligt der Mensch von innen heraus den Sonntag als einen Tag der Ruhe. 3. Du sollst den Feiertag heiligen. — Nach Gottes Ordnung soll er dir ferner Freude bringen. Er ist dazu da, damit im Menschenleben der Freude ihr Recht gewährt werde. Wenn es keinen Sonntag gäbe, würden die Menschen in Sorge und Kummer, Aber der Sonntag spricht zu euch: Ihr sollt euch freuen. Das hört ihr, schon ehe er da ist. Große und Kleine, Erwachsene und Kinder freuen sich auf den Sonntag die ganze Woche über, so daß auf dem nüchternen Einerlei der Werkeltage schon der verklärende Schein des Sonntags ruht. Und in Arbeit und Habsucht untergehen.

wieder:

Wenn du einen rechten Sonntag gefeiert hast, so zehrst du

daran die ganze nachfolgende Woche, auch unbewußt, wenn du nicht daran denkst. Der Segen des Sonntags hilft dir arbeiten und geht

still in die Werke deiner Wochenarbeit ein.

Du weißt, wie diese Freude sein muß, durch welche der Sonn­ tag geheiligt wird. Es ist ein Jammer, wenn manche Leute, und

zwar nicht nur arme, auch am Sonntag nicht aus dem Staub und der Unsauberkeit der Woche herauskommen und daß so oft der Sonntag, der die Menschen nicht durch den Arbeitszwang von

einander fern hält, sondern sie im Hause zusammenführt, ganz be­ sonders reich an häuslichem Hader ist. Sie sagen wohl, Armuth und schwere Arbeit lasse sie nicht dazu kommen, ihr Haus sonntäglich znzurüsten. Aber, wer die Woche richtig anwendet, findet auch für den Sonntag die rechte Zeit, und eine Hausfrau, die in der Woche

Der Tag Gottes.

109

Ordnung hält, wird auch leicht ihrem Hause das sonntägliche Aus­ sehen geben können, welches den Hausgenossen zuruft:

heute einen guten Sonntag feiern!

Wir wollen

Und wer unser Volk liebt, dem

möchte sich das Herz umwenden, wenn man liest, sieht und hört, welche Vergnügungen und Schaustellungen sich unser Volt am Sonn­

tag darbieten läßt und wie sich die Menschen ihren Sonntag durch die Geldgier Anderer in den Schmutz herabziehen lassen.

Auf der

anderen Seite aber kann einem auch das Herz aufgehen, wenn man

in so manchem Hause sieht, wie mit den einfachsten äußeren Mitteln ein froher Sonntag gefeiert wird und wie den Leuten bei ihrer ein­

fachen weltlichen Sonntagsfreude gleichsam der liebe Gott zur Seite geht, so glücklich und fröhlich sind sie.

Ja es kann einem das Herz

aufgehen, wenn man in der Umgebung unserer Stadt, im freien Feld

oder im Wald Eltern und Kinder harmlos sich freuen sieht, dem

Lärm und dem Staub der Stadt entrückt, und es ist, als sähe Gott vom blauen Himmel herab und hätte an diesen harmlos fröhlichen

Menschen sein Wohlgefallen.

großer

Unterschied.

Es

Zwischen Freude und Freude ist ein

haben Zwei nach ihrer Meinung

fröhlichen Sonntag gefeiert.

einen

Aber am Montag geht der Eine mit

einem guten Gewissen, der Andere mit einem unruhigen Gewissen an seine Arbeit,

Andere

der Eine mit neuer Lust und neuer Kraft,

mit Unlust und Widerwillen.

Sonntag bringt, das hängt von dir ab.

Was

für Freude

der

dir der

Deshalb gelingt dir's auch

das eine Mal besser als das andere Mal, einen ftohen Sonntag zu

Das eine Mal ist der Sonntag gekommen, ihr wußtet nicht

feiern.

wie, und hat euch erfaßt und in seine heiligen Bannkreise gezogen

und die Sonntagsstunden eilten dahin, jede schöner, reicher wie die

andere, und am Abend sagtet ihr verwundert: hin?

Ist der Tag schon

Und ein ander Mal schleicht er langsam über euch hin wie

ein träger Wochentag und es gelingt euch nicht, seinen Segen zu erfassen.

Es kommt eben darauf an, daß du den Feiertag heiligst.

Von dir hängt es ab.

Wir feiern nicht mehr den siebenten Tag der Woche wie Israel, sondern den ersten Tag, weil dieser der Auferstehungstag Jesu ist.

Seht, was darin liegt.

Alle die großen Gedanken, Hoffnungen

und Kräfte, welche im Auferstehungsglauben liegen, knüpfen sich uns an den wöchentlich wiederkehrenden Feiertag an.

Stehe auf am

110

Der Tag Gottes.

Sonntage von der Plage der Woche, und fühle dich als ein freier

Mensch Gottes, der nicht ein Lastthier ist, sondern Heimathsrecht hat im Vaterhause.

Stehe auf von deinen Sorgen in dem Glauben,

daß Gott lebt, der Alles zum Besten wendet. Sonntage gilt für uns das Wort Jesu:

Ganz besonders am

„Sorget nicht für den

andern Morgen;" schlag dich am Sonntage nicht mit Sorgen herum,

welche die kommende Woche vielleicht bringt, sondern geh mit deiner Seele auf in dem Vertrauen zu Gott, der für dich sorgt.

Stehe

auf von deinen Fehlern, mach einen neuen Anfang am Sonntag durch die Macht, die dir Gott giebt über dich selbst, und stehe auf von deinem Schuldgefühl durch seine Gnade, die er dir leuchten läßt von seinem

Angesicht. Auferstehen am Sonntag, und in der Sonntagsstille seine Augen hinüberschweifen lassen zu dem großen Sonntag der Ewigkeit,

wo der Glaube zum Schauen wird — so sollst du den Feiertag

heiligen, daß du ihn zu einem Tag rechter Freude machst. 4. Zur Freude aber gehört der Verkehr mit den Menschen.

So sollst du den Feiertag heiligen dadurch, daß du dich durch ihn von Neuem mit den Menschen verbinden lässest.

einander,

an

Gemeinschaft

Menschen nicht.

einander

mit

fehlt

An Verkehr unter­ es

den

heutigen

Die Einen werden zufammengeführt durch gemein­

sames Wirken in weltlichen Angelegenheiten, in der Erfüllung frei­ willig übernommener

Pflichten,

Andere verbinden sich in So

sind

in

gemeinnützigen

gemeinsamen

Vereine über Vereine

Bestrebungen;

Gesinnungen und

entstanden.

Zielen.

Aber in Vereinen

zusammengeführt, werden die Menschen auf der andern Seite wieder getrennt,

besonders

das

Familienleben

gelockert, so daß

manche

Leute vor lauter Interessen der Menschenliebe, des gemeinnützigen Strebens bei sich selbst nicht zu Hause sind und in ihrem eigenen Hause nicht warm werden.

Ebenso ist es auch mit der Arbeit.

Während früher z. B. der Handwerker für sich arbeitete in seiner

Wohnung, seiner Werkstätte, arbeiten jetzt Hunderte und Tausende

zusammen, lernen da einander kennen, tauschen ihre Ansichten mit

einander aus, nehmen wohl auch gegenseitig an ihren Schicksalen

theil.

Aber diese Arbeit, die einerseits die Menschen mit einander

verbindet, lockert auf der andern Seite die natürlichsten Bande, ent­ zieht den Mann, Sohn,

vielleicht auch die Mutter der Familie,

führt die erwachsenen Kinder auseinander, so daß die Woche über

111

Der Tag Gottes.

die Augenblicke zu zählen sind, in denen Alle einmal vereinigt sind. Da liegt die Gefahr vor, daß Jedes sich einseitig in seine Ansichten,

Interessen einlebt, und die anderen Hausgenossen nicht mehr ver­ Die Macht unserer Zeit, welche die

steht.

Menschen zu großen

Massen zusammenführt, löst leicht die vertrautesten Verbindungen,

die häusliche Gemeinschaft auf.

Je größer diese Gefahr ist, um so mehr haltet auf euren Sonn­ Denn eine rechte Sonntagsfeier vor allem kann jene Gefahr

tag.

beseitigen.

Der Sonntag führt die in der Woche zerstreuten Familien­

glieder zusammen, nicht nur auf kurze Augenblicke, sondern der ganze Sonntag kann in den Dienst des Familienverkehrs gestellt werden,

durch gemeinsame Mahlzeit, gesellige Unterhaltung, gemeinsame Freude. Da können die Herzen einander wieder näher kommen, gelockerte Bande

wieder enger geknüpft werden, Mißverständnisse, die in der Woche

wie Schatten aufgetaucht waren, verschwinden unter dem Schein der Feiertagssonne, die Familienglieder lernen einander die Herzen sich aufthun, einander wieder verstehen und lieben, und der Sonntag sagt zu ihnen immer wieder:

So verschieden eure Wege, Arbeiten

und Ansichten sein mögen, ihr gehört doch zusammen, wie Gott euch

verbunden hat. Dann führt euch der Sonntag noch zu einer andern Gemein­

schaft, aus dem engen Haus in die weite Kirche, in welcher sich Väter

und Mütter

und Kinder und Geschwister und Arme und

Reiche alle zu der gottesdienstlichen Gemeinde versammeln. Ihr bildet hier eine Gemeinde, die nicht nur durch die Räume dieses Gottes­ hauses zusammengehalten wird, oder durch die Person dessen, der

hier mit armen menschlichen Worten das Evangelium verkündigt, sondern eine Gemeinde, deren einzelne Glieder durch den Glauben

an den Einen Vater und Erlöser, durch Einen Geist, durch Eine Lebensrichtung und durch brüderliche Liebe verbunden sind.

Ihr

kommt hier als Menschen zusammen, die trotz aller Unterschiede und Gegensätze im Leben denselben Feind bekämpfen, dieselbe Last tragen,

aber auch derselben Verheißung sich trösten, von demselben Lebens­

brod und Lebenswasser sich nähren, und sich gegenseitig helfen im Lebenskampf.

Hier offenbart sich der Geist des Sonntags in seiner

königlichen Gewalt, schmückt nicht nur die einzelnen Häuser und Herzen,

sondern schmückt sein Volk, entzündet in ihm ein heiliges Feuer,

Der Tag Gottes.

112 Welches

von

einem Herzen zum

anderen geht.

Habt ihr je im

Gottesdienste inneren Segen empfangen, so werbt für euere Gottes­

dienste, werdet Apostel und Propheten des Sonntags, die den Men­ schen sagen, daß sie sich diesen Segen nicht entgehen lassen.

Bringt

Menschen mit hierher, daß sie sich mit euch freuen und ihr mit ihnen.

Hier wird im höchsten Sinne der Sonntag der Tag der Ge­

meinschaft. Habt ihr aber Gott hier gefunden, dann wird euch der Sonn­ tag wirklich der Tag des Herrn.

Der liebe Gott begleitet euch

dann den ganzen Sonntag; draußen seht ihr, wie durch Gott die Blumen blühen auf der Flur und die Blätter sich bewegen in den Wäldern und die Halme auf den Wiesen.

Gott geht mit euch durch

eure Freuden, die euch der Sonntag bringt, seien sie auch weltlicher Art,

hält

euer Herz

eure Freude zu einer rechten

rein, macht

Stärkung für Geist und Gemüth.

Oder wenn euch füll zu Hause

der häusliche Kreis vereinigt, und die Herzen thun sich auf und die

alte Liebe und Treue

Zimmer.

erwacht in euch, da geht Gott durch das

Da seid ihr dann überall im Hause des Herrn, auch wenn

der Sonntag scheidet, auch wenn die Werkeltage mit ihrem Arbeits­ kleide kommen, und die Lasten wieder drücken, und die Sorgen euch

wieder umschweben, ihr seid überall im Hause des Herrn.

Der Sonntag

ist in

euere Hand

Segen, laßt ihn euch nicht nehmen,

gelegt mit seinem ganzen

weder durch Menschen noch

durch die Sinnenlust, noch durch Sorgen und Plagen. ihn haben, ganz für euch haben.

Ihr sollt

Du sollst den Feiertag heiligen.

Amen.

Eltern und Kinder.

113

14.

Ettern und Kinder. 2. Mos. 20, 12.

Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf

daß du lange lebest im Lande, das dir der Herr, dein Gott, giebt.

In unserer Betrachtung der zehn Gebote kommen wir heute zu Möge dieses Gebot heute, wo neukonfirmierte

diesem vierten Gebot.

junge Christen

zum

ersten Male mit den Eltern zum Tische des

Herrn gehen, bei euch ganz besonders aufmerksames Gehör finden. Zunächst eine kurze geschichtliche Erklärung des Gebotes.

ist ursprünglich an das ganze israelitische Volk gerichtet.

Es

Damit

erklärt sich die Verheißung: Auf daß dir's wohl gehe und du lange

lebest in dem Lande,

das dir der Herr dein Gott giebt.

Mit

Die Zucht im Hause wird hier als die Grundlage

anderen Worten:

des Glückes und der Wohlfahrt des israelitischen Volkes bezeichnet. Das

Familienleben ist

die Grundlage

des

Volkslebens.

Ein

Volk, in welchem die Kinder Vater und Mutter ehren, wird stark

sein und lange leben in dem Laude, das ihm Gott gegeben hat.

Ein

geordnetes frommes Familienleben kann durch nichts, durch gar nichts ersetzt werden.

Die Schule sagt:

Wir brauchen bei der Erziehung

der Kinder die Unterstützung des Hauses.

Die Kirche sagt:

Was

hilft uns alles Predigen und Lehren, wenn die von mir gepflanzten Keime der Frömmigkeit nicht im Hause gepflegt werden.

sagt:

Der Staat

Was hilft alle Gewalt, die mir gegeben ist, wenn nicht aus

den Häusern Söhne und Töchter hervorgehen, welche einst Gesetzes­ treue und Vaterlandsliebe im Herzen tragen.

Und alle Einrichtungen

und Veranstaltungen zur Pflege, Bewahrung

und Erziehung von

Kindern außerhalb der Familie sind, so nothwendig und heilsam sie

sein mögen, doch immer nur ein Nothbehelf da, wo das Familien­ leben nicht so ist wie es sein sollte, oder wo die Familie wegen sozialer Mißstände nicht im Stande ist, ihre Pflicht zu erfüllen.

So ist das Gebot ursprünglich als ein Gebot für das ganze

Volk zu verstehen.

Wir aber sind von Kindheit auf gewöhnt , es

als ein Gebot für den Einzelnen zu betrachten. Kirmß, Predigten.

Das liegt uns heute g

114

Eltern und Kinder.

ganz besonders am Herzen.

Wir wollen aber dabei nicht nur von

den Pflichten der Kinder gegen die Eltern reden, sondern auch

von den Pflichten der Eltern gegen die Kinder, und zwar von den letzteren zuerst; denn sie gehen jenen voraus.

1.

Die erste Pflicht der Eltern besteht darin, daß sie ihre Kinder

im rechten Geiste ansehen, nämlich nicht als eine Last, die ihnen auf­

erlegt ist, sondern als eine Gabe, die ihnen geschenkt, und als eine Aufgabe, die ihnen gestellt ist.

Wie viel ist euch, ihr Eltern, in

eueren Kindern anvertraut, wenn ihr nur an die irdische Zukunft In der Hand der Kinder ruht die Zukunft euerer Familie,

denkt.

die Ehre eueres Namens, der ganze irdische Ertrag, euerer Lebens­

arbeit.

Euere Kinder können einst den Menschen

Ja mehr noch:

ein Segen werden,

bildend

und

veredelnd

auf ihre Umgebung

einwirken, euerem Namen einen Klang geben, daß Anderen dabei das Herz höher schlägt.

Sie können aber ebenso einst ihren Mitmenschen

ein Verderben werden, sie mit sich hinabziehen. an das innere Leben.

Und denkt weiter

In ihren Seelen ruht Gottes Odem.

Ihre

Seelen sind Funken von dem ewigen Feuer des Geistes, welches in

Gott brennt.

Jede ihrer Seelen ist ein Gedanke Gottes, ist nach

Gottes Urtheil mehr werth, als die ganze Welt, und hat vor sich eine unendliche Entwickelung, eine Ewigkeit.

Seht, ihr Eltern, wie

viel euch in eueren Kindern anvertraut ist.

So sollt ihr an ihnen Stellvertreter Gottes sein, d. h. wie in eueren Kindern Seelen aus Gott leben, so sollt ihr in dem Geiste

und in der Art Gottes diese Menschenseelen leiten; ihr sollt sie er­

ziehen, so wie Gott das Menschengeschlecht erzieht. geschichte

Die Erziehungs­

des einzelnen Menschen soll im Kleinen die Erziehungs­

geschichte der ganzen Menschheit darstellen.

Gott hat die Menschheit

zuerst erzogen durch das Gesetz, das dem noch sittlich unselbständigen

und unmündigen, der Leitung und Bevormundung bedürftigen Menschen

auferlegt war und unbedingten Gehorsam forderte im Namen des Gottes, der der Herr ist, der Macht hat über Segen und Fluch,

über Leben und Tod. zuerst durch das Gesetz,

Ebenso erziehen

auch Eltern ihre Kinder

durch das „du sollst", dadurch, daß sie

ihren Willen klar und bestimmt aussprechen und auf die Befolgung desselben

dringen.

Wohl muß das Kind durch das Befehlen die

warme Elternliebe hindurchfühlen, aber ebenso muß es fühlen, daß

115

Eltern und Kinder.

der Wille der Eltern unbedingt gilt.

Auf diese Weise entsteht zu­

nächst das Pflichtgefühl, das Gefühl, daß die Pflicht eine strenge Herrin ist, auf deren Ruf man ohne Zögern hören muß, das Gefühl,

daß die Pflicht der feste Mittelpunkt ist, um den sich das ganze

Leben dreht.

Aber der Mensch wächst allmählich über das von außen

zwingende Gesetz hinaus, und dann muß die Bevormundung durch

dasselbe aufhören, sonst wird das Gesetz zur Satzung, wie in der pharisäischen Gerechtigkeit des jüdischen Volkes, von der kein Leben und Segen mehr ausging.

Deshalb kam nach dem Erziehungsplan

Gottes nach dem Gesetz das Evangelium, nach Moses Christus.

Er erweckte durch die Offenbarung der Liebe Gottes in den Herzen der Menschen die Gottes- und Menschenliebe, welche „die Erfüllung

des

Gesetzes

ist", welche

als Triebkraft

von innen

heraus

den

Menschen treibt, Gottes Willen zu thun; hier ist der Mensch nicht

mehr der Knecht unter dem Joch des Gesetzes, sondern das Kind

Gottes, welches, getrieben von Gottes Liebe, Gott frei dient. Mensch ist sittlich mündig, sittlich selbständig geworden. in der Geschichte der Menschheit.

Der

So war es

Ebenso aber kommt auch für den

einzelnen Menschen eine Zeit, wo er dem Gesetz entwächst, wo die

äußere Bevormundung, noch

länger

ausgeübt,

ihm

entweder ein

Hemmschuh wird, durch welchen seine Entwickelung gewaltsam auf­

gehalten wird, oder eine Fessel, die der Mensch gewaltsam zerreißt,

um nun zügellos ins Leben zu stürmen.

Da thut den Eltern die

Erkenntniß Noth, so schwer ihnen diese auch werden mag, daß ihre

Kinder keine Kinder mehr sind, die noch bevormundet werden müßten

in allen Stücken.

Gewiß ist es ost eine sehr treue und besorgte

Elternliebe,

auch erwachsene Kinder noch in allen Stücken

welche

bevormunden möchte.

Aber es ist doch verkehrte Elternliebe.

Denn

sie vermag ihre Kinder nicht zu selbständigen, dem Lebenskampf ge­ wachsenen Menschen zu erziehen.

Dagegen kann wahre Elternliebe

keine schönere Frucht ernten,

als wenn eine leise Mahnung oder

ein in der Form

eines steundschaftlichen Rathes aus­

Warnung,

gesprochenes Wort genügt, die Kinder von einem falschen Weg auf den rechten zu bringen.

Und schließlich kann sie die Kinder hinaus

entlassen in das Leben, nun ihren eigenen Weg zu gehen und ihren eigenen Entschließungen zu folgen, und sie kann davon überzeugt sein: Sie werden nie schlechte Wege gehen; und in der scharfen Luft der

Eltern und Kinder.

116

Freiheit wird ihr Charakter sich nur stärken.

Elternhaus

vom

Häuslichkeiten

die

der

Dann zweigen sich

Kinder

ab,

in

denen

wohl, weil es eine andere Zeit ist, auch manches anders ist, als daheim, aber doch im Grunde derselbe Geist und dieselbe Ehrfurcht

und derselbe Gehorsam.

Und zwischen Vater und Sohn, zwischen

Mutter und Tochter bildet sich eine Freundschaft, so innig und zart, so voll gegenseitigen Verständnisses und Vertrauens, wie kaum je in der Welt.

Wie Gott die Menschen durch Christus zur freien Gotteskindschast erzieht, daß sie das Gute thun, nicht mehr weil sie sollen,

sondern weil sie wollen, so sollen Eltern ihre Kinder erziehen zu

sittlich selbständigen Menschen, die wissen, was sie im Leben sollen und die das, was sie sollen, auch wollen. 2.

Unter

der Pflege solcher Elternliebe wächst die rechte

Kindesliebe heran.

Unter Kindern verstehen wir hier nicht nur

die, welche jung an Jahren sind, sondern Alle, auch die, welche ein

Vater- und Mutterauge nur noch mit dem Auge des Geistes sehen. Elternliebe hat euch einst die Heimath bereitet, in welcher euer Leben sicher geborgen heranreifen konnte.

Elternliebe war das erste

Gute, was ihr saht und empfandet in der weiten Welt.

Wer von

uns wäre hinaus über das, was er seinen Eltern verdankt, zehrte nicht mehr von dem, was einst seine Eltern Gutes in sein Leben

hineingelegt haben?

Deshalb ist die Pflicht der Kindesliebe, wie sie

der Zeit nach die erste war, die an uns herantrat, auch die erste

wichtigste Pflicht gegen die Menschen unser Leben lang.

Undank

und Untreue gegen Eltern nimmt allen Vorzügen eines Menschen ihre Krone.

Denkt euch einen großen Mann, zu dem ihr stets mit Ehr­

furcht emporgesehen habt.

Da hört ihr, daß er sich seiner in ärmlichen

Verhältnissen lebenden Eltern schämt.

Augen seine Größe dahin.

Wie schwindet da vor euren

Denkt euch einen unglücklichen Menschen,

der durch eine verhängnißvolle Verkettung von Umständen verkommen, vielleicht zum Verbrecher geworden ist.

Da seht ihr, daß dieser Mensch

mit einer rührenden Treue an seiner Mutter hängt.

Wie bedeckt doch

diese kindliche Liebe seine Fehltritte und die Menge seiner Sünden!

Kindesliebe soll mit den Jahren wachsen, immer reifer und stärker werden.

So lange wir den Jahren nach Kinder, waren, ganz auf

das Elternhaus angewiesen, von den Eltern Nahrung und Kleidung.

117

Eltern und Kinder.

empfingen, da verstand sich's eigentlich von selbst: Du sollst deinen

Vater und deine Mutter ehren, und es war euch leicht, die gütigen Hände zu ehren, die euch Tag für Tag pflegten. Diese Ehrfurcht war damals mehr unbewußt, einem Trieb der Natur entspringend, als einem freien sittlichen Entschluß. Anders aber, wenn der Sohn, die Tochter heranwächst, wenn sich die Verbindung mit dem Eltern­

haus äußerlich lockert, wenn sie dem Elternhaus gegenüber allmählich immer selbständiger werden, wie wohl Manches unter euch, liebe Konfirmierte, nun bald zum Theil wenigstens seinen Lebensunterhalt

selbst erwirbt. Da beginnt nun eure Kindespflicht erst recht. Je mehr die Kinder äußerlich unabhängig werden vom Elternhaus, um so mehr sollen sie innerlich sich an dasselbe anschließen, und ihr Ge­ horsam und ihre Ehrfurcht gegen die Eltern ist nun die freie Gabe, welche sie den Eltern in kindlicher Liebe darbringen. Und je weniger die Stiem sie noch auf Schritt und Tritt leiten und überwachen können, je mehr sie allmählich sich selbst überlassen bleiben, um so mehr sollen sie auch da das Gebot von Vater und Mutter ehren, wo Vater und Mutter sie nicht sehen, so daß sie sich sagen: Du darfst das nicht thun; denn Vater und Mutter wollen es nicht. Und je älter die Eltern werden, je mehr ihre Anschauungen abweichen von den Anschauungen einer neuen Zeit, um so ernster spricht zu

euch, ihr Kinder, das Gebot Gottes: Du sollst Vater und Mutter ehren! Und je schwerer es dir wird, je unmöglicher es dir erscheint, je mehr der natürliche Mensch in dir spricht: Jetzt hast du dich lange genug gebeugt und Geduld gehabt, um so lauter heißt es für dich:

Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren!

Und wenn

deine eigene Liebe und dein Pflichtgefühl nicht mehr ausreicht, um dich dazu zu treiben, so mußt du dich einfach an Gottes Gebot

halten: Gott will es so, du sollst Vater und Mutter ehren! Und dann vergiß auch nie: Deine Liebe ist ihr höchstes Gut auf Erden. Als sie im Schweiße ihres Angesichts den Acker ihres Lebens be­ stellten, da haben sie für euch gearbeit in der Hoffnung, daß sie

einst eure Liebe und Dankbarkeit ernten würden.

So begeht nicht

den schweren Raub, daß ihr ihnen diese Ernte ihres Lebens nehmt.

Es ist eine traurige Verkehrung von Gottes Ordnung, wenn die Glieder einer Familie, anstatt durch das Leben immer enger ver­ bunden zu werden, vielmehr durch dasselbe von einander getrennt

Eltern und Kinder.

118

Wie herrlich dagegen ist ein Lebensabend, wenn um das

werden.

ehrwürdige Haupt einer Familie sich die erwachsenen Kinder sammeln,

und diese Stunden des Zusammenseins als ihre besten Erholungs­

stunden betrachten. Auch wenn die Eltern ihre Augen im Tode schließen, höret die Kindespflicht nicht auf.

Gräber zu pflegen ist nur die äußere Form

der Kindespflicht, die über das Grab hinaus dauert.

geschehen.

mehr

Als ihr

eure Eltern noch

hattet,

Es soll viel habt ihr sie

manchmal nicht verstanden, und ihren Willen, ihre Ansichten als

eine unnöthige Last empfunden, vielleicht sogar als eine Wunderlich­

keit des zunehmenden Alters.

Jetzt aber, wo sie im Lebenskampf

nicht mehr für euch einstehen, sondern ihr selbst in der ersten Reihe

der Kämpfenden steht und die Verantwortung selbst zu tragen habt, da kommt

euch

manchmal der Gedanke:

Jetzt verstehe ich meine

Eltern erst recht, verstehe, warum sie es so und so gewollt haben, erkenne, daß sie Recht gehabt haben. euch

So schließt sich ihr Wesen

auf, ihr Leben geht in euer Leben ein, ihr lebt mit ihnen

innerlich zusammen, ihr wißt in schwierigen Lagen, was Vater und

Mutter da gethan haben würden, und unwillkürlich handelt ihr so, und im Geiste sammelt ihr euch immer noch um ihre Häupter, die

in Ehren weiß geworden waren.

Macht ihr bittere Erfahrungen, so

stehen sie vor euch und sprechen:

„Ging es uns besser, als euch?"

Und ist euer Herz voll Glück und Freude, so bekommt euer Glück die beste Würze, wenn ihr bei euch denkt:

„Wie würden Vater und

Mutter sich freuen, wenn sie das noch erlebt hätten."

So hat das

vierte Gebot für euch seine Geltung bis zum letzten Athemzug. 3.

Und

heißung:

nun die Krone,

die dieses Gebot trägt, die Ver­

„Auf daß dir's wohl gehe und du lange lebest in dem

Lande, das dir der Herr, dein Gott, giebt." wohl

geschrieben,

aber

Ihr sagt: Das steht

das Leben schreibt eine

andere

Schrift.

Sinken nicht manchmal treffliche Söhne, liebevolle Töchter in ein

frühes Grab?

Werden nicht bisweilen gerade die besten unter den

Kindern ftühzeitig vom Tode hinweggerafft?

Und doch glaubt ihr

daran, daß der Segen bestehen bleibt, den Gott auf das vierte Gebot gelegt hat.

Ihr glaubt daran, daß der Segen der Eltern den Kindern

Häuser baut und der Mutter Fluch sie niederreißt.

Man muß nur

Segen und Fluch recht verstehen und am rechten Orte suchen.

Eltern und Kinder.

Ihr

sagt von

einem

tüchtigen

119

Menschen,

dem

Sohn eines

tüchtigen Vaters, der in den Fußstapfen des Vaters wandelt und

dem Vieles gelingt:

Auf ihm ruht der Segen seines Vaters.

sagt von einem jungen Ehepaar,

Ihr

das sich in Treue anschließt an

den Geist in den Häusern der Eltern, und dessen Haus blüht und

Auf diesem Hause ruht der Segen der Eltern.

gedeiht:

nicht eine bloße Redensart. zu Grunde.

Das ist

Es liegt vielmehr eine tiefe Wahrheit

Wer mit gutem Gewissen sein Elternhaus verläßt und

wem sich da segnende Vater- und Mutterhände aufs Haupt gelegt

„Du wirst nichts

haben, wen das Vertrauen seiner Eltern begleitet:

Schlechtes thun" — der nimmt innerlich sein Elternhaus mit in die Der Gedanke an die Heimath läßt ihn froh an seine Arbeit

Welt.

gehen, verdoppelt seine Kraft. Eltern zu

besitzen,

Das frohe Gefühl, den Segen seiner

giebt ihm Freude zu rüstigem Streben.

Bei

Allem, was er thut, knüpft er an an das, was er zu Hause gelernt hat,

und

es umschwebt ihn bei Allem der Geist seiner Heimath,

hält ihn auf rechtem Wege, umgiebt wie eine Schutzwehr sein Herz. Wird das Leben stürmisch und trübe, so wandert er im Geiste nach

seiner Heimath und ruht aus in ihrem Frieden, wie er einst als Kind mit seinen kleinen Kümmernissen Trost bei seiner Mutter suchte.

Wer so sein Elternhaus in sich trägt,

der wird überall heimisch,

wohin Gott ihn führt, und schlägt daselbst Wurzeln und grünt und blüht, wie der Baum, der an Wasserbächen gepflanzt ist, während dagegen der, der den Zusammenhang mit dem Elternhaus durch­ schnitten hat, dasselbe hinter sich lassen muß, und wie ein Rohr ist,

das jeder Sturm zerknickt. Als Christen haben wir aber noch einen größeren Segen, der sich an das vierte Gebot anschließt.

Gottes

nicht empfängt

kommen."

als

Jesus sprich:

ein Kindlein, der

„Wer das Reich

wird

nicht hinein

Das heißt gewiß zunächst, daß nur die kindliche Demuth,

Aufrichtigkeit und Dankbarkeit uns das Himmelreich erschließt. das Wort hat auch noch einen anderen Sinn.

Aber

Wer nicht im Verkehr

mit seinen leiblichen Eltern den Kindessinn sich angeeignet, Ver­ trauen, Gehorsam und Liebe gelernt hat, wie kann er Gott gegen­

über zur Kindschast hindurchdringen?

Lernt euren Eltern gegenüber

rechte Kinder sein, dann werdet ihrs auch Gott gegenüber lernen. Im irdischen Vaterhaus schließt sich der Kindessinn auf.

Die Heiligkeit des Lebens.

120

welcher zu Gott sprechen lernt:

„Abba, lieber Vater."

So ist

das vierte Gebot eine Vorschule des Christenthums und die glück­ lichsten Erinnerungen an deine Kindheit sollen in deinem Leben

höhere Wirklichkeit werden.

Wie einst im Elternhaus keine Furcht,

keine Gefahr dich schreckte unter dem Schutz von Vater und Mutter, wie damals, wenn die Kindesliebe dich in ihrer Reinheit erfüllte, es deine höchste Freude war, deinen Eltern Freude zu machen, wie dich damals Wonne und Friede umgab, so wirst du nun in deinem Leben überall im Vaterhause sein, geborgen im Schutze Gottes, ihm vertrauen mit kindlichem Vertrauen, ihm dienen nicht mehr als Knecht, sondern als freier Sohn, und zuletzt gehts hinauf zu Gott. Die auf Erden rechte Kinder waren, werden droben Kinder Gottes sein, und Freude und Seligkeit wird ihr Erbe sein ewiglich. So verbindet euch Ein Abendmahl mit einander, Eltern und Kinder. Was ihr einander thut, das thut ihr Gott, und so soll euer Zusammenleben ein Gottesdienst sein. Amen.

15.

Die Heiligkeit des Lebens. 2. Mos. 20, 13.

Du sollst nicht tiSbten.

9aß das Neue Testament sich nicht nur in der Glaubenslehre, sondern auch in der Sittenlehre grundsätzlich vom Alten Testament

unterscheidet, daß Jesus uns nicht nur einen neuen Glauben, sondern auch ein neues Leben gebracht hat, das zeigt sich wohl nirgends so scharf und deutlich, als beim fünften Gebot. Wir haben bekanntlich

eine Auslegung, welche Jesus von diesem Gebot gegeben hat, näm­

lich in der Bergpredigt, wo es heißt: „Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist: Du sollst nicht tödten; wer aber tödtet, der soll des Gerichts schuldig sein. Ich aber sage euch: Wer mit seinem Bruder zürnet, der ist des Gerichts schuldig." Achtet wohl darauf, daß Jesus in seiner Auslegung des fünften Gebotes das „Du sollst

Die Heiligkeit des Lebens.

120

welcher zu Gott sprechen lernt:

„Abba, lieber Vater."

So ist

das vierte Gebot eine Vorschule des Christenthums und die glück­ lichsten Erinnerungen an deine Kindheit sollen in deinem Leben

höhere Wirklichkeit werden.

Wie einst im Elternhaus keine Furcht,

keine Gefahr dich schreckte unter dem Schutz von Vater und Mutter, wie damals, wenn die Kindesliebe dich in ihrer Reinheit erfüllte, es deine höchste Freude war, deinen Eltern Freude zu machen, wie dich damals Wonne und Friede umgab, so wirst du nun in deinem Leben überall im Vaterhause sein, geborgen im Schutze Gottes, ihm vertrauen mit kindlichem Vertrauen, ihm dienen nicht mehr als Knecht, sondern als freier Sohn, und zuletzt gehts hinauf zu Gott. Die auf Erden rechte Kinder waren, werden droben Kinder Gottes sein, und Freude und Seligkeit wird ihr Erbe sein ewiglich. So verbindet euch Ein Abendmahl mit einander, Eltern und Kinder. Was ihr einander thut, das thut ihr Gott, und so soll euer Zusammenleben ein Gottesdienst sein. Amen.

15.

Die Heiligkeit des Lebens. 2. Mos. 20, 13.

Du sollst nicht tiSbten.

9aß das Neue Testament sich nicht nur in der Glaubenslehre, sondern auch in der Sittenlehre grundsätzlich vom Alten Testament

unterscheidet, daß Jesus uns nicht nur einen neuen Glauben, sondern auch ein neues Leben gebracht hat, das zeigt sich wohl nirgends so scharf und deutlich, als beim fünften Gebot. Wir haben bekanntlich

eine Auslegung, welche Jesus von diesem Gebot gegeben hat, näm­

lich in der Bergpredigt, wo es heißt: „Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist: Du sollst nicht tödten; wer aber tödtet, der soll des Gerichts schuldig sein. Ich aber sage euch: Wer mit seinem Bruder zürnet, der ist des Gerichts schuldig." Achtet wohl darauf, daß Jesus in seiner Auslegung des fünften Gebotes das „Du sollst

Die Heiligkeit des LebenS.

121

nicht todten" gar nicht erwähnt, sondern nur von dem Zürnen, dem Schelten und Beschimpfen redet. Daraus geht hervor, daß er das Tödten als etwas ansieht, was ganz und gar der alten, vergangenen

Zeit angehört, was deshalb für die christliche Gemeinde gar nicht mehr verboten zu werden braucht, weil es etwas ganz selbstverständ­ liches ist, daß es unter Christen überhaupt kein Tödten mehr giebt. Wie ist es nun aber in Wirklichkeit? Ist es wirklich für die Menschheit, die nun seit 1800 Jahren Christenthums

lebt, nicht mehr nöthig,

unter dem Einfluß des daß das alttestamentliche

Gebot: „Du sollst nicht tödten!" gepredigt werde? Da erkennen wir: Wir können es bei der hohen Auslegung, welche Jesus dem fünften Gebot giebt, nicht bewenden lassen; sondern es muß auch heute noch das alte Gebot: „Du sollst nicht tödten" gepredigt werden. So weit steht die heutige Menschheit noch zurück hinter dem Stand­ punkt, den Jesus in seiner Auslegung in der Bergpredigt dem Menschen anweist. Wir wollen deshalb in unserer heutigen Be­ trachtung Beides mit einander vereinigen, und zuerst reden von dem fünften Gebot im alttestamentlichen Sinn und dann im neutestamentlichen Sinn. 1. Aus uralter Zeit, in der es noch keine Geschichte gab, ist

uns die geheimnißvolle Erzählung von dem ersten Morde auf Erden überliefert. Ein Ackersmann Namens Kain habe seinen Bruder, einen Hirten Namens Abel erschlagen. Alsbald habe den Mörder der Fluch Gottes getroffen: „Verflucht seist du auf Erden, die deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen hat. Unstät und flüchtig sollst du sein auf Erden." Und so sei Kain hinaus­ gezogen in die Welt. Aber Gott habe ihn mit einem Zeichen be­

zeichnet, daß ihn Niemand erschlüge, wer ihn fände.

So ist es

geblieben, wie es damals Gottes Wille war. Heute noch ist der Mörder unstät und flüchtig. Das gilt von ihm auch dann, wenn er immer an einem Orte wohnt. Unstät und friedlos ist seine Seele, immer gepeinigt von dem ruhelosen Streben, sich vor Gott und den Menschen zu verbergen. Und auch das Andere trifft heute noch zu: Der Mörder lebt auch heute noch. Und wie viele Mörder schon

gerichtet worden sind, sie sterben nicht aus. Kain, der Mensch, der den Tod bringt, geht auch heute noch unstät und flüchtig über die Erde.

Die Heiligkeit des Lebens.

122

Er nimmt sehr verschiedene Gestalten an.

Es geht von Zeit

zu Zeit ein Schrecken durch die Menschen, wenn sich

die Kunde

verbreitet, daß wieder einmal Menschenblut vergossen worden ist,

durch den Neid, den Haß, die Habgier, die gemeine Sinnenlust, die

Blutgier.

Und es ist nicht nur die Besorgniß um die persönliche

Sicherheit des Einzelnen, was den Schrecken erweckt, sondern es ist

das Furchtbare

der That selbst, und daß eine solche unter uns

Menschen möglich ist, daß die Geschichte von Kain dem Bruder­

mörder jetzt noch auf Erden geschieht, und daß jetzt noch das Blut

Erschlagener zum Himmel schreit, jetzt noch, nach Jahrtausenden. Wie aber, stehen diese Mörder ganz allein da, losgelöst von allen Anderen, so daß sie mit den anderen Menschen und diese wieder

mit ihnen gar nichts zu thun haben?

aus der

Finsterniß

ihres Herzens

Ist ihre That ganz allein

geboren worden, und trägt

Niemand sonst die Schuld als sie allein?

Wenn wir die Lebens­

geschichte solch eines unglücklichen Menschen im Aeußeren und Inneren

verfolgen, wenn wir sehen könnten, wie er nach und nach zu seiner That gelangt ist, so würden wir auch sehen, daß viele Andere, ja

daß die ganze Gesellschaft, in der er ausgewachsen ist, an seiner Schuld theilnimmt.

Schlechte Beispiele, Verführungen, die am ihn

eingewirkt haben, äußere Verhältnisse, die eine gesunde sittliche Ent­

wickelung seines Lebens erschwerten, fast zur Unmöglichkeit machten,

mit anderen Worten:

daß

Die Sünden der Umgebung, in der er aus­

haben seine That mit verschuldet.

Da sehen wir,

es uns Allen noch gepredigt werden muß:

Du sollst nicht

gewachsen ist,

tödten. Aber noch in anderer Gestalt tritt uns der Mensch, der den

Tod bringt, entgegen. friedliche Länder.

Er wirst die Brandfackel des Krieges in

Gewiß, es ist eine wunderbare Ordnung Gottes,

daß auch der Krieg mit seinem Blutvergießen, mit seinem namen­

losen Elend große Thaten

erzeugt,

große

Tugenden, beispiellose

Opferwilligkeit und Hingebung, ganz besonders da, wo ein Volk

das gute Recht der Vertheidigung auf seiner Seite hat, sein Vater­ land, seine Freiheit, seine nationalen Güter beschirmt.

unser Volk weiß davon zu erzählen.

Und besonders

Aber das ist das Beschämende,

daß die heutige Menschheit von einer Nothwendigkeit des Krieges sprechen und mit der Nothwendigkeit des Krieges rechnen muß, daß

Die Heiligkeit des Lebens. noch

immer das Menschengeschlecht

123

dieser Erschütterungen,

dieser

Zuchtruthe, dieser Geißel Gottes bedarf, um wenigstens von Zeit

zu Zeit in sich zu gehen und daran erinnert zu werden, daß Gott seiner nicht spotten läßt.

Auch der Krieg ist nicht nur die Schuld

eines Einzelnen, sondern die Schuld der Gesammtheit.

Er würde

nicht zum Ausbruch kommen können, wenn er nicht in den Herzen der Völker schlummerte.

gepredigt werden:

Da sehen wir:

Es muß auch heute noch

Du sollst nicht tobten!

Wieder ein andermal erhebt der Mensch, der den Tod bringt,

seine bewaffnete Hand gegen den Beleidiger oder den Beleidigten

im Zweikampf, unter der Herrschaft eines Wahns, der, so sehr

ihn das einfachste sittliche Empfinden verurtheilt, so sehr das staatliche Gesetz ihn verdammt, sich immer forterbt von Geschlecht zu Geschlecht,

ein blutiger

Götze,

der immer neue Opfer fordert.

Aber auch

hier ist die Sünde des Einzelnen nicht ausschließlich die Schuld des Einzelnen, sondern auch vor Allem die Schuld der Gesammt­

heit, welche nicht ernst, nicht stark und entschieden genug ist, jene Borurtheile zu beseitigen, welche nicht im Stande ist, eine so mächtige

öffentliche Meinung zu bilden, daß durch die Fluth derselben jene Vorurtheile weggeschwemmt werden.

Wenn einmal das Blut eines

Erschlagenen gen Himmel schreit, da schrecken wohl Alle auf und sind bestürzt und entrüstet über diese Menschenopfer.

Aber dabei

giebt es doch Viele, welche für jenen Frevel eine geheime Billigung,

ja vielleicht sogar Bewunderung übrig haben. Aber der Mensch, der den Tod bringt, erhebt seine Hand auch

gegen sich selbst, giebt sich selbst den Tod, weil die Menschen

ihn verlassen, weil er keinen Glauben und keine Hoffnung mehr hat, Es ist oft gewiß bei manchem

weil er sich selbst verloren hat.

Menschen Leichtfertigkeit und Unglaube, was ihn in den Tod treibt.

Aber noch

vielmehr als diese Anklage ist die Klage berechtigt

über die Schuld, welche die Gesammtheit an solch einem traurigen

Untergange eines Einzelnen hat.

Wie Mancher ist von den Menschen

in den Tod getrieben worden; er ist von ihnen verführt, dann seiner eigenen Schuld überlassen worden.

Die Menschen haben von ihm

gesagt, wie Kain sprach: „Soll ich meines Bruders Hüter sein"? Das Blut, das da vergossen wird, klagt uns Alle an:

„Ihr haltet nicht

genug zusammen; ihr nehmt nicht genug aneinander Theil; es sind zu

Die Heiligkeit des Lebens.

124 wenig innere

die

Fäden vorhanden,

euch miteinander verbinden.

Es ist zu wenig christliche Bruderliebe unter euch.

Deshalb ge­

schieht es so leicht, daß sich ein Glied losreißt aus der Gemeinschaft

der Lebendigen und den Weg des Todes geht.

Darum seid nicht

so unbarmherzig, daß ihr die Schuld, welche Alle tragen, auf die Häupter der Einzelnen häuft, die durch diese Schuld zu Gmnde

gehen." — Und es giebt noch schlimmere Selbstmörder, als die,

trifft;

welche das öffentliche Urtheil

das sind die,

welche durch

tägliche Sünden gegen ihr Leben, ihre Gesundheit wüthen, Jünglinge, die ihre Jugend verderben durch das Gift des Lasters,

Jugendkraft tödten im Dienste

die ihre

einer zügellosen Sinnlichkeit, ihr

Leben, welches sie Gott und den Menschen schulden, in einem kurzen

frevelhaften Spiel dem Götzen der Sünde opfern, und an Jahren

noch jung, doch dem Herzen nach so stüh Greise werden, ohne innere

Spannkraft, ohne Begeisterung, ohne inneres Glück. Seht, das ist der Mensch, der den Tod bringt, in mannich-

salügen Gestalten.

Das eine Mal ist er kaum zu erkennen, so fein

weiß er sein Thun zu verhüllen.

Das andere Mal tritt er uns

mit roher Gewalt, mit blutbefleckten Händen entgegen.

schließlich in jedem Menschen.

Deshalb sind wir noch nicht frei vom fünften Gebot.

desselben.

Ja er lebt

Wir Alle haben mit ihm zu kämpfen. Wir bedürfen

Du sollst nicht tödten!

Wohl hat Gott dem Menschen Macht gegeben über alle Creaturen, daß die Pflanzen und Thiere ihm dienen, ihn nähren.

Gott hat

dem Menschen das Recht gegeben, sie hinwegzuräumen, wo sie seinen

höheren Zwecken entgegenstehen.

Aber er hat ihm nicht das Recht

gegeben, irgend ein Leben ftevelhaft, zwecklos zu vernichten.

Der

Mensch, der ein fühlendes Herz in der Brust trägt, soll auch mit dem Thier Erbarmen haben und seine Freude haben an dem blühenden

Leben der Pflanzen, und seine Hand, die dazu geschaffen ist, diese Erde zu bebauen, ist auch dazu da, alles Leben auf Erden zu be­ schützen und zu pflegen.

Ein Herr ist nicht nur dazu da, um zu

herrschen, sondern er ist auch da, um zu beschirmen.

Mensch der Schirmherr aller Creaturen sein.

So soll der

Nur Gott, von

dem alles Leben ausgegangen ist, wie das Licht von der Sonne

ausgeht, nur Gott hat das Recht zu tödten.

Wenn er seinen

Schöpferodem, wie es jetzt geschieht, allmählich zurückzieht aus der

Die Heiligkeit des Lebens.

125

Welt, wenn die Blätter fallen und die Blüthen verwelken, wenn er Stürme sendet, welche Bäume, die Jahrhunderte lang ihre Häupter zum Himmel emporgerichtet haben, fällen, wenn Gott blühende Gefilde

durch die Dürre zu Wüsten verwandelt, wenn er Wasserfluthen sendet, welche die fiuchttragenden Felder zerstören, da soll der Mensch ehr­

furchtsvoll sein Haupt neigen und sprechen: „Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen, der Name des Herrn sei gelobt!" Gott hat das Recht zu tobten. Wenn er das zarte Kind wegnimmt aus den Armen der Eltern und die blühende Jugend sterben läßt, wenn er den

Mann abruft aus dem Mittag seines Lebens und dem Dulder die stille Stunde der Erlösung sendet, da müssen wir sagen: „Gott hats gethan." Er hat das Recht zu tobten. Aber wehe dem Menschen, der eingreift in dieses Recht des Höchsten, und das Heiligthum des Lebens zerstört, welches Gott gehört. Gott hat dem Tode Macht über uns gegeben. Wehe dem, der den Tod zu seinem Diener macht! 2. Während uns in Kaiil der Mensch entgegentritt, der den Tod bringt, tritt uns in Jesus der Mensch entgegen, der das Leben bringt. Jesus will das Tödten nicht nur verbieten, sondern überhaupt

dem Menschen innerlich unmöglich machen. Wenn ein Gärtner Giftpflanzen aus seinem Garten beseitigen will, so nimmt er nicht die Früchte derselben weg, sondern er gräbt die Wurzel aus. Deshalb sagt Jesus zu dem Menschen anstatt: Du sollst nicht tödten: Du sollst nicht zürnen! Er verschärft damit nicht etwa nur die Forderung, sondern er verpflanzt das ganze fünfte Gebot auf ein ganz anderes Gebiet, nämlich in die Gesinnung. Denn vor Gott gilt nicht die äußere That, sondern die Gesinnung, das Herz, aus dem die That kommt. Jesus verlangt von dem Menschen eine solche Gesinnung, daß ihm die Uebertretung des fünften Gebotes

überhaupt unmöglich ist. Du sollst nicht zürnen!

Es giebt einen Zorn, dessen Quell die

Liebe ist, und einen Zorn, dessen Quell der Haß ist. Der erstere ist gut. Jesus hat ihn empfunden, vielleicht tiefer, als er je auf Erden empfunden worden ist.

Es hat vielleicht nie ein Mensch so

gewaltig gezürnt, wie Jesus über die Pharisäer. Vater über seinen ungerathenen Sohn zürnen.

Ebenso kann ein Ueber bewußte

Die Heiligkeit des Lebens.

126

Bosheit, Gemeinheit, Frechheit und Heuchelei zürnen ist christlich,

und wer dieses Zornes nicht fähig ist, der ist kein Christ. anders der Zorn,

der aus dem Haß kommt.

Ganz

Von ihm spricht

Jesus, wenn er sagt: „Wer seinem Bruder zürnet, der ist des Ge­

richts schuldig."

Während im israelitischen Volk der, welcher einen

Mord begangen, vor das Gericht der Aeltesten der Gemeinde gestellt

wurde, soll nach dem Worte Jesu schon der Zürnende es werth sein, vor dieses Gericht gestellt zu werden.

Während im israelitischen

Volke der, welcher Gott beschimpfte, vor den Hohenrath

gestellt

wurde, soll nach dem Wort Jesu schon der, der seinen Bruder be­

schimpft, zu ihm Racha! Thor! sagt, des Hohenrathes schuldig sein. So hoch stellt Jesus den Menschen, daß er die Lästerung

eines Menschen gleichstellt der Lästerung Gottes.

So ist

in den Augen Jesu das Zürnen, das aus dem Haß kommt, soviel

wie Tödten.

Denn dieser Zorn tödtet die Liebe.

Liebe in dir und in dem, dem du zürnst.

Herz, sie werden kalt, als wären sie todt.

ander gestorben, ja noch schlimmer.

Er tödtet die

Dein Herz und sein

Ihr seid beide für ein­

Du kannst einen Menschen,

der dir gestorben ist, lieben mit deiner ganzen Liebe, in dankbarer Erinnerung ihn im Herzen tragen, daß er dir geistig näher ist, als

der ist dir

ein Lebender.

Aber der,

unendlich fern.

Eine undurchdringliche, kalte, dunkle Nacht, wie die

dem du zürnest im Haß,

Nacht eines ewigen Todes, liegt zwischen dir und ihm.

Im Haß

Der Zorn ist der Tod.

Es stirbt

zürnen ist soviel wie tödten.

in dir durch den Zorn nicht nur die Liebe, sondern auch die Ge­

rechtigkeit — der Zürnende ist ungerecht — auch der Glaube — -er Zürnende glaubt nicht mehr an Gott und die Menschen.

Ja

noch mehr! Ein Mensch, der mit seinem Haß einen Andern verfolgt,

aus jeder Begegnung mit ihm neuen Haß schöpft, ist schlimmer als der, der im Rausch der Leidenschaft wirklich Blut vergießt — hassen,

zürnen ist soviel wie tödten. dem Richterstuhle Christi?

Wer von uns ist da unschuldig vor Nehmen wir doch immer wieder

unsere Kraft zusammen, um uns

alle

einzuleben in den Geist Jesu.

Blicken wir immer wieder empor zu dem Gekreuzigten, damit, wie einst die von den Schlangen gebissenen Israeliten durch den Auf­

blick zu der ehernen Schlange

gesund wurden,

auch wir gesund

werden vom Gift des Hasses durch den Aufblick zu dem, der für

127

Die Heiligkeit des Lebens. seine Feinde in den Tod gegangen ist.

Indem Jesus den Zorn,

den Haß unter den Menschen überwindet, bringt er das Leben.

Ja er bekämpft Alles, was den Tod bringt. des Todes ist die Krankheit. zu dem Kranken gesagt:

Der Vorbote

Jesus hat Kranke geheilt.

Er hat

Sei getrost, stehe auf und wandle!

seiner starken Liebe haben sich die Kranken emporgerichtet.

An Von

ihm entfacht ist der Kampf der Menschheit gegen Krankheit und Tod immer gewaltiger geworden.

Es war der christliche Geist, der

die Menschen dazu gebracht hat, die Kranken

nicht mehr achtlos

liegen zu lassen, oder gar, wie es in Israel mit den Aussätzigen

geschah, sie hinauszustoßen in die Wildniß, sondern ihnen Kranken­ häuser zu bauen, in denen sie Pstege, vielleicht Genesung finden.

Es ist der christliche Geist, der die Menschen antreibt, unermüdlich

an der Vervollkommnung der Krankenpflege zu arbeiten und an der Fortbildung

der Heilkunde.

Es ist christliche Arbeit, wenn der

Gelehrte sinnt und sucht nach den Ursachen der Krankheit, um da­ durch die Krankheit bekämpfen zu können.

Es ist christliche Arbeit,

wenn der Arzt sich im Kampfe gegen Krankheit und Tod verzehrt.

Und es ist ein christliches Streben, wenn in der heutigen Zeit ein großer Werth darauf gelegt wird, die gesundheitlichen Verhältnisse

unseres Volkslebens zu heben, Elenden, Armen, Verlassenen zu helfen in ihren Leibesnöthen, Brod den Hungernden, eine Unterkunft den

Obdachlosen, Gemeinschaft den Einsamen zu schaffen, Verhältnisse

zu schaffen, unter denen sich jedes Menschenkind frei und gesund entfalten kann.

Welche Kraft ist von dem Einen, von Jesus aus­

gegangen, der Krankheit, dem Tode zu wehren, das Leben zu fördern. Seid seine Jünger!

Dienet dem Leben!

Heilig sei euch euer Leben.

Nicht als ob ihr eure Lebenskraft ängstlich schonen solltet.

Gott

will nicht, daß unser ganzes Dasein in der Rücksichtnahme auf unsere

Gesundheit aufgehe, sondern Gott will, daß wir doch mit unserer Kraft den Menschen etwas nützen sollen.

vor Allem

Aber vergeudet

auch euere Lebenskraft nicht, sei es durch das Uebermaß der Arbeit,

sei

es durch das

Leben!

Uebermaß des Genusses.

Tragt Lebenskräfte,

Trost, Glück,

Heilig sei euch das

Freude, Liebe, Alles,

was das Leben fördert, in das Dasein euerer Angehörigen. Kinder, euere Eltern haben einst euer Leben gepflegt.

Ihr

Pflegt ihr

nun das Leben euerer Eltern dadurch, daß ihr Freude und Glück,

Die Heiligkeit d«S Hauses und des Herzens.

128

Alles, was ihr Leben erhöht und verschönt, in ihr Dasein tragt.

So werdet Jünger dessen, der das Leben bringt. Er wehrt allen Mächten, die dem Tode Vorarbeiten.

Er wehrt

dem Kummer, der den Menschen früh zum Grabe führt, dem Schmerz, in welchem sich der Mensch abhärmt um seine Todten, der Sorge,

die dem Menschen raubt, der

Schlaf der Nächte

die Ruhe des Verzweiflung,

Tages und den in welcher

den

Menschen der kalte Hauch des Todes umweht und der Tod als Versucher zu

Ruhe."

dem Unglücklichen

tritt:

„Folge mir, ich gebe dir

Jesus wehrt allen diesen dunklen Todesmächten, indem er

uns verbindet mit dem lebendigen Gott, der stärker ist als aller Jammer und

Noth.

alle

Jesus

wehrt vor

Allem

der stärksten

Dienerin des Todes, der Sünde, indem er uns glauben lehrt an

den Gott, der nicht will den Tod des Sünders, sondern daß er sich bekehre und lebe.

So drängt Jesus, je mehr wir uns ihm

hingeben, in unserem Dasein immer mehr den Tod zurück, trägt

immer mehr Leben, ewiges Leben hinein, nimmt zuletzt dem Tode seine ganze Macht, daß, wenn dieser Kampf zwischen Leben und Tod

auf Erden ausgekämpft ist, uns nichts Anderes bleibt als das Leben, das ewige Leben.

Amen.

16.

Die Heiligkett des Hauses und des Herzens. 2. Mos. 20, 14. Du sollst nicht ehebrechen. All e Gebote sind für alle Menschen bestimmt.

ein Recht zu sagen:

Memand hat

Dieses nnd jenes Gebot geht mich nichts an.

Die 10 Gebote umfassen das ganze Menschenleben; und jedes ein­

zelne Menschenleben soll alle Gebote in sich aufnehmen. Das gilt auch von diesem sechsten Gebot.

Man könnte sagen:

Warum braucht einer christlichen Gemeinde, die sich in der Kirche versammelt hat, von dieser schweren Sünde

gepredigt zu werden.

Die Heiligkeit d«S Hauses und des Herzens.

128

Alles, was ihr Leben erhöht und verschönt, in ihr Dasein tragt.

So werdet Jünger dessen, der das Leben bringt. Er wehrt allen Mächten, die dem Tode Vorarbeiten.

Er wehrt

dem Kummer, der den Menschen früh zum Grabe führt, dem Schmerz, in welchem sich der Mensch abhärmt um seine Todten, der Sorge,

die dem Menschen raubt, der

Schlaf der Nächte

die Ruhe des Verzweiflung,

Tages und den in welcher

den

Menschen der kalte Hauch des Todes umweht und der Tod als Versucher zu

Ruhe."

dem Unglücklichen

tritt:

„Folge mir, ich gebe dir

Jesus wehrt allen diesen dunklen Todesmächten, indem er

uns verbindet mit dem lebendigen Gott, der stärker ist als aller Jammer und

Noth.

alle

Jesus

wehrt vor

Allem

der stärksten

Dienerin des Todes, der Sünde, indem er uns glauben lehrt an

den Gott, der nicht will den Tod des Sünders, sondern daß er sich bekehre und lebe.

So drängt Jesus, je mehr wir uns ihm

hingeben, in unserem Dasein immer mehr den Tod zurück, trägt

immer mehr Leben, ewiges Leben hinein, nimmt zuletzt dem Tode seine ganze Macht, daß, wenn dieser Kampf zwischen Leben und Tod

auf Erden ausgekämpft ist, uns nichts Anderes bleibt als das Leben, das ewige Leben.

Amen.

16.

Die Heiligkett des Hauses und des Herzens. 2. Mos. 20, 14. Du sollst nicht ehebrechen. All e Gebote sind für alle Menschen bestimmt.

ein Recht zu sagen:

Memand hat

Dieses nnd jenes Gebot geht mich nichts an.

Die 10 Gebote umfassen das ganze Menschenleben; und jedes ein­

zelne Menschenleben soll alle Gebote in sich aufnehmen. Das gilt auch von diesem sechsten Gebot.

Man könnte sagen:

Warum braucht einer christlichen Gemeinde, die sich in der Kirche versammelt hat, von dieser schweren Sünde

gepredigt zu werden.

Die Heiligkeit des Hauses und des Herzens. von der das sechste Gebot handelt?

129

Diese Predigt müßte hinaus­

getragen werden in die Häuser derer, die nicht zur Kirche kommen,

Aber warum hier, wo

und an die Stätten, wo das Laster wohnt.

Doch dieses Gebot gilt

sich gottesfürchtige Menschen versammeln? allen Menschen.

Es gilt nicht nur den Gottlosen, sondern auch den

Gottesfürchtigen.

Es

gilt auch der Jugend, die noch mit reinem

blickt, und

Auge in die Welt

dem Alter,

das nur noch wenige

Schritte bis zum Grabe hat, auch dem, den der Tod einsam gemacht

hat, und dem, der immer einsam gewesen ist. Diese weite, umfassende Bedeutung des sechsten Gebotes hat Luther in der Erklärung angedeutet, wenn er sagt: „Wir sollen keusch

und züchtig leben in Worten und Werken." Wir können den ganzen Inhalt des sechsten Gebotes zusammen­

fassen in den beiden Sätzen: I. Heilig soll dir dein Haus sein.

2. Und heilig soll dir dein Herz sein. 1.

„Die Ehe ist ein weltlich Ding."

Luther sagt:

Deshalb

ist es Sache der bürgerlichen Obrigkeit, des Staates, die Ehe zu

schließen.

Aber, wenn die Ehe nicht nur ein rechtlicher Vertrag

zwischen zwei Menschen ist, sondern ein Bund der Herzen, eine Ge­ meinschaft des Geistes und des Lebens, um das Leben gemeinsam zu leben, Gottes Willen gemeinsam zu tragen und zu thun, so wird

es

ein Bedürfniß

eines

christlichen

Brautpaares

sein, im Hause

Gottes um seinen Segen zu bitten, und so die geschlossene Ehe vor

dem Alter zu bestätigen.

Gewiß wird eine Ehe nicht christlich durch

die Form, unter der sie geschlossen wird, sondern nur durch den Geist, in welchem sie geführt wird.

Doch liegt in der kirchlichen

Trauung, wenn sie von dem Brautpaare in dem rechten Sinne be­

gehrt wird, ein unendlich reicher Segen.

Eheleute werden dadurch

in dem Glauben bestärkt, daß nicht sie selbst sich willkürlich mit­

einander verbunden haben, sondern daß sich in ihrer Ehe eine heilige Ordnung Gottes vollzieht, daß Gott sic verbunden hat, daß Gott

mit ihnen sein wird, so lange sie einander und ihm die Treue halten.

Ihr Bund wird ihnen dadurch heilig, heilig die Pflicht, die Lasten des Lebens zusammen zu tragen, die Kämpfe des Lebens zusammen

zu kämpfen.

Der Mann sieht das Glück seiner Gattin, die Gattin

das Glück ihres Gatten als ein Gut an, welches der ewige Gott ihnen anvertraut hat. Kirmß, Predigten.

Und wenn Brautleute am Altar wirklich von 9

Die Heiligkeit des HauseS und des Herzens.

130

Herzen beten, dann wird Gott ans solches Gebet antworten: „Amen, ja ja, es soll also geschehen."

Und aus dem Gebet nehmen sie

einen Segen mit hinein in ihr Haus.

So soll es schon bei der

Schließung der Ehe offenbar werden: Heilig sei dir dein Haus.

Aber ebenso in der Art, wie Eheleute ihr häusliches Leben gestalten.

Zwei Menschen verlassen das Elternhaus, das ihnen bisher

Alles gewesen ist, verlassen Vater und Mutter, Bruder und Schwester, alle die Ihrigen, die bisher in ihren Herzen die erste Stelle ein­

genommen haben, um nun nur einander anzugehören und

mitein­

Sie thun eine That des kühnsten Vertrauens,

ander Eins zu sein.

und verlassen Viel, ja Alles, was sie bisher gehabt haben, in der festen Ueberzeugung, unendlich viel mehr zu finden.

Da muß es

denn ein großes, heiliges Werk sein, um dessentwillen Alles dies

verlassen wird.

Es besteht darin,

dienst thun sollen.

daß Ehegatten an einander einen Gottes­

Worin soll dieser bestehen?

Das hat uns ein

Mann gesagt, der selbst nie in der Ehe gestanden, der aber über sie das Größte gesagt hat, was wohl überhaupt über sie gesagt

werden kann, nämlich der Apostel Paulus.

Er sagt:

„Ehegatten

sollen einander dienen, wie Christus und seine Gemeinde einander

dienen."

Der größte Gottesdienst, der je auf Erden gethan worden

ist, ist von Christus gethan worden, als er, der wahre Hohepriester, sein Leben für seine Gemeinde hingegeben hat.

So soll der Mann

Gott dienen in seiner Ehe, indem er sein Leben für seine Gattin

hingiebt, indem er sein Leben, seine Kraft ihr weiht, ihrem Leben und ihrem Glück.

Wie Christus in seiner Gemeinde aufgeht, indem

er sie mit seinem Geiste beseelt, so soll der Mann in seiner Gattin aufgehen, indem er sie mit seinem Geiste beseelt.

Und wie nun die

Gemeinde ihrem Haupte Christus in Dank und Liebe um seiner

Hingabe willen dient und ihm lebt, so soll nun auch die Frau in

Gegenliebe und Dankbarkeit ihren Mann lieben und ihm dienen.

So ist die Ehe für beide Theile ein Dienen.

Ein Herrschen, ein

Gewalthaben über das Andere ist hier nur möglich auf Grund dessen,

daß Eins dem Andern dient.

Die Frau wird am meisten Gewalt

haben über die Herzen der Ihrigen, die ihnen am treusten dient

und sich ihre Liebe, ihre Achtung, ihr Vertrauen immer von Neuem wieder verdient.

Und der Mann wird im eigentlichen Sinne das

131

Die Heiligkeit des Hauses und deS Herzens.

Haupt seiner Familie sein, der nicht durch herrisches Befehlen seine

Macht fühlen läßt, sondern durch treue Hingabe an die Seinen. Das ist die Ehe nach göttlicher Ordnung und nach göttlichem Sinn.

Sie ist ihrem innersten Wesen nach unauflöslich, so gewiß,

als Treue niemals aufhören kann.

So mächtig Geschicke sind, so

schwer die Trübsale, so furchtbar die Wogen des Lebens, die über

den Häuptern der Menschen zusammenschlagen, nichts vermag eine solche Ehe zu lösen.

Machtlos

brechen sich die Wogen an solch

einem Hause, das auf dem Felsen gebaut ist.

Machtlos erweisen

sich die düsteren Gewalten des Lebens, die solch einen Bund lösen

möchten.

Gott hat die Herzen miteinander verbunden und Gott ist

mächtiger als Alles.

Darum vermag nichts das zu scheiden, was

Gott zusammengefügt hat.

Ja Alles muß im Gegentheil zur Be­

festigung des Bundes dienen.

Im gemeinsamen Lebenskämpfe lernt

Eins von dem Andern, nimmt von der Geduld, Willenskraft und Tapferkeit, von dem Glauben und der Lebensanschauung des Andern etwas in sich auf, theilt ihm wieder von dem Seinen etwas mit. Es entsteht zwischen Beiden ein unmerkliches Geben und Empfangen.

So werden Beide einander immer ähnlicher, eine innere Aehnlichkeit, die sich im Alter sogar bisweilen in äußerer Aehnlichkeit ausdrückt. Das

gemeinsame Geschick,

das gemeinsame Leben und die treue

Liebe zu einander hat sie Beide einander ähnlich gemacht.

kürlich fühlt Jedes, was des Andern Wille sei.

Unwill­

Es besteht zwischen

Beiden ein geistiger Verkehr, eine geistige Wechselwirkung auf ein­ ander auch da, wo sie nicht daran denken, wo kein Wort geredet wird,

nicht einmal ein Wink zu sehen ist.

Und wenn der Tod scheidet,

was im Leben verbunden war, so wird auch nach dem Tode des Einen die geistige Gemeinschaft von dem Ueberlebenden fortgesetzt. —

Das ist es, was von den Menschen aus der Ehe gemacht werden kann.

Eine glückliche Ehe fällt nicht fertig vom Himmel herunter,

sondern die Menschen müssen sie selbst mit Gottes Hilfe schaffen. Sie ist die Frucht täglicher Arbeit beider Gatten an sich selbst, des

Sichineinanderfügens, der Geduld und der Treue.

Wie

aber

das

Eheglück

nur

die

sichtbare

Frucht innerer

Arbeit ist, so ist der Bruch, die Auflösung der Ehe die Wirkung

eines inneren Zustandes.

Ja, wundert euch nicht, wenn ich sage:

In viele Ehen werden sogleich von vornherein

auflösende Kräfte

9*

132

Die Heiligkeit des Hauses und des Herzens.

mit hineingetragen, nämlich da, wo nicht innere Gemeinschaft, treue herzliche Zuneigung zu einander, sondern äußere Verhältnisse, Geld und Gut, Ehre und glänzender Name die Menschen zusammen­

führt. Da sind beide Gatten nicht mit einander verbunden, sondern an einander gebunden, und es dauert nicht lange, da empfinden Beide das Band als eine Fessel. Aber es kommt auch vor, daß Beide in dem klaren Bewußtsein inniger Liebe zu einander in den Ehebund eintreten, bald aber leise, dann immer stärker und stärker fühlen, daß sie einander fremd sind und innerlich nicht nahe kommen können. Und während nun bei einer rechten Ehe Alles, was das Leben bringt, zur Befestigung des Bundes dient, so hier

Alles zur inneren Lösung desselben. Schon bei Kleinigkeiten tritt der Gegensatz der Naturen scharf hervor. Um so mehr werden große Dinge sich trennen!) zwischen Beide legen. Aeußeres Glück, das sonst verbindet, erkältet die Herzen noch mehr, macht sie hochmüthiger und selbstsüchüger. Schwere Tage, Mißerfolge und Enttäuschungen, anstatt die Ehegatten anzutteiben, einander zu trösten und zu helfen, entlocken dem Munde nur Vorwürfe und Anklagen gegen einander, und jedes geht murrend und verbittert seinen eigenen Weg. Selbst die Kinder, die ein Band bilden sollten zwischen beiden Gatten, werden die Ursache immer neuer Zerwürfnisse.

Beide hören auf außenstehende Menschen mehr, als auf einander. Die nächsten An­ gehörigen, wohl auch Freunde und Bekannte mischen sich ein; die Einen in schlimmer Absicht, indem sie unter dem Schein der Freund­ schaft den Mann oder die Frau aufreden, nur ja sich sein Recht

nicht nehmen zu lassen, nur ja seine Stellung zu wahren; die Andern iu wirklich guter Absicht, indem sie zum Frieden reden. Aber so­ wohl der gute wie der böse Same geht in dem einmal vergifteten Boden immer nur als das Unkraut der Zwiettacht auf. Doch auch solch eine Ehe, in welcher sich die innere Entfremdung fühlbar macht,

kann beiden Ehegatten zum Heile dienen.

Denn die Ehe soll nach

Gottes Willen eine Schule sein, in welcher die Menschen lernen,

sich selbst zu beherrschen und in Selbstverleugnung das gemeinsame Wohl zu schaffen. So mögest du, wenn du durch diese Schule gehen mußt, in ihr lernen: Gott hat dir diese Last auferlegt, damit dir auch das zum Besten diene. Es giebt für solch einen Schaden nur Eine Heilung: Rede nicht immer von der Schuld des Andern, sondern

Die Heiligkeit des Hauses und des Herzens.

133

In dem Maße, als du selbst besser

denke an deine eigene Schuld.

wirst, wird es in deinem Hause besser werden. — Nun giebt es

auch Ehen, in denen, so sehr auch in dem einen Fall der Mann,

in dem andern die Frau Alles thut, um dem Zerfall zu wehren

und den langersehnten Frieden in das Haus einzuführen, doch die Kälte und die Leichtfertigkeit nicht weichen, und der Friede nicht Das ist ein schweres Märtyrerthum, das den Augen

kommen will.

der Welt verborgen in manchem Hause getragen wird von einein

treuen Herzen, das einst mit dem Traum von zukünftigem Glück in

das Haus eingetreten ist und von diesem Traum nicht lassen kann und nicht aufhört im Gebet mit Gott zu ringen um dieses Glück

und um die Seele, um das Heil des Anderen.

aus!

Dringe durch!

ist nicht schwer.

Da heißt es:

Halte

Treue zu halten, wo man Treue findet, das

Aber Treue zu halten, wo man keine Treue findet,

Treue zu halten, damit, wenn um uns keine Treue mehr ist, wenig­

stens in uns Liebe und Treue nicht sterbe, — das ist der herrlichste

Gottesdienst, der in der Ehe gethan werden kann, und das ist der Weg, der wahrhaftig zu einer Krone des Lebens führt.

Heilig sei dir dein Haus. 2.

Aber die Luft, welche das Haus erfüllt in geistigem Sinn,

kommt nicht von

außen,

sondern geht

aus von den Herzen der

Menschen, welche im Hause zusammenwohnen. weiter:

Deshalb heißt es

Heilig sei dir dein Herz.

Du kennst heilige Tage und Orte, heilige Stunden, Zahlen und Zeichen.

Wir richten hie und da in der Welt Zeichen auf, um­

grenzen damit ein bestimmtes Gebiet und sagen:

Land."

„Das ist heiliges

Wir sagen: „Heilig soll dir die Ehe und Familie, das Haus,

die Kindheit und Jugend sein." Dinge heilig?

Aber wodurch werden alle diese

Sind die 24 Stunden, welche einen Sonntag aus­

machen, wirklich an und für sich heiliger als irgend welche andere

24 Stunden?

Heilig wird uns

etwas erst dadurch, daß wir es

betrachten und erfassen mit einem heiligen Sinn.

In dem Menschen

muß das Licht leuchten, welches die äußeren Dinge und Verhältnisse mit seinem Schein verklärt.

Wo in einem Menschenherzen nichts

mehr von diesem Lichte ist, da ist einem solchen Menschen auch nichts

mehr heilig.

Wie dem Reinen Alles rein ist, so ist dem heiligen

Sinn Alles heilig.

Die Heiligkeit des Hauses und des Herzens.

134

Darum behüte dein Herz mit allem Fleiß, denn da ist die Quelle des Lebens.

Aus dem Herzen kommen arge Gedanken, böse

Lust, Haß und Neid, Zwietracht und Eifersucht, alle diese zerstörenden Mächte, die ein Haus verwüsten und eine Ehe zerstören.

Aus dem

Herzen kommen auch die guten Geister, Treue und Liebe, Geduld

und Nachsicht, Reinheit und Keuschheit und alle die segnenden Mächte

des Lebens, die ein Haus aufbauen und behüten und Glück und Frieden an die stillen Räume fesseln und das Haus zu einem Heilig-

thum machen, zu einer Hütte Gottes unter den Menschenkindern, zu

einer festen Burg, um die die guten Geister des Lebens sich lagern,

wie geharnischte Helden, daß nichts Schlechtes, Gemeines aus der Welt den heiligen Boden des Hauses beflecke.

Lebens Quell.

Wenn ihr darüber klagt:

Das Herz ist des

„O hätten wir doch Glück

und Frieden in unseren Häusern," so sagt euch: „Glück und Friede kann nur kommen von Innen heraus, aus eueren Herzen."

Auch Gott

kann nicht von Außen her wie durch ein Wunder Glück und Frieden

geben;

sie

müssen immer

hindurchgehen durch dein Herz.

Dein

Herz ist für diese guten Geister die einzige Thür, die in dein Haus führt.

Auch die Besserung deiner häuslichen Verhältnisse kann nur

kommen von Innen heraus, von deinem Herzen aus.

Darum halte

dein Herz heilig!

Es ist ein großes Wort des Apostel Paulus in einem seiner „Wisset ihr nicht, daß ihr Gottes

Sendschreiben an die Korinther:

Tempel seid und daß der Geist Gottes in euch wohnt?"

Dadurch

wird dem Menschen eine wunderbare Hoheit und Würde gegeben.

Die Menschen unserer Zeit wieder daran

Tempel seid?

daß sie

haben es vor Allem nöthig,

erinnert werden:

Wisset ihr nicht,

daß ihr Gottes

Paulus schrieb so an die Leute, die damals, um­

geben von den Lastern der übercivilisierten heidnischen Welt, in dem

jungen Christenthum ein neues Leben suchten und fanden:

„Fallt

nicht wieder zurück, habt nichts zu thun mit dem Schmutz um euch her, ihr, der ihr der Tempel des heiligen Geistes seid." wieder solch eine Zeit.

Heute ist

Der Geist geht durch unser Volk, gegen den

das sechste Gebot gerichtet ist.

Ueberall dringt er ein, auch durch

verschlossene Thüren und Fenster.

Es giebt Unkraut, dessen Same

schwer auf die Erde fällt, und das deshalb auch immer nur an den­ selben Stellen wachsen kann.

So hat man gemeint, auch diesen

Die Heiligkeit des Hauses und deS Herzens.

135

bösen Geist einschließen zu können; aber er läßt sich nicht bannen.

Wie es vielmehr auch Unkrautsamen giebt, der beflügelt ist und vom Wind hierhin und dorthin getragen wird, wie nach den Entdeckungen der Wissenschaft unsichtbare Krankheitskeime durch die Luft fliegen, so

dieser böse unreine Geist, gegen den sich das sechste Gebot wendet. Er

in Kinderherzen

dringt

ein.

Während

sorgsame

Eltern ihre

Kinder mit allem Fleiß behüten, hat er Zugang gefunden in das

Herz eines Sohnes, einer Tochter, und wird erst offenbar, wenn der Same aufgeht.

Er vergiftet die Jugend; er nimmt ihr die Reinheit,

die Freude, das unwiederbringliche Glück der Unschuld;

er streift

den duftigen Schmelz von ihr ab, wie eine ungeschickte Hand den farbenprächtigen Staub von dem Flügel eines Schmetterlings.

Wie

viel Jugendkrast, wie viel eheliches Glück durch diesen Geist zerstört wird, läßt sich nicht sagen.

Seine Verderbniß beschränkt sich nicht

nur auf die, die ihm selbst folgen, sondern erbt sich in steigender

Kraft fort bis ins dritte und vierte Glied. und Propheten.

Er hat seine Priester

Die Kunst, die von Gott die Aufgabe empfangen

hat, eine Priesterin des Schönen und Guten zu sein, hat sich viel­

fach in den Dienst dieses Geistes gestellt, schmeichelt der Augenlust,

will den

schlechten

Trieben im

Menschen

gefallen.

Propheten

treten auf, welche verkündigen, daß es für den heutigen Menschen

ein überwundener Standpunkt sei, seine Natur im Zaum zu halten, seine Leidenschaften zu zügeln,

daß der Mensch das Recht habe,

seiner Natur freien Lauf zu lassen.

Die Schaubühne,

die den

Menschen in seiner Schönheit, in seiner Größe, in seiner weltüber­ windenden Kraft zeigen sollte, erniedrigt sich dazu, Menschen Trübern vorzuwerfen.

Es

gilt wieder jenes furchtbare Gerichtswort Jesu:

„Wehe der Welt der Aergerniß halber, wehe dem Menschen, durch

welchen Aergerniß

kommt."

Wehe

Menschenseelen das Laster trägt.

dem Menschen,

der

in reine

„Es wäre ihm besser, daß ihm ein

Mühlstein an den Hals gehängt würde und er ersäuft würde im

Meer, da es am tiefsten ist", d. h. daß er ersäuft würde wie ein

schädliches Thier.

Es giebt gegen diesen Geist nur Ein Mittel. wunden werden nur durch einen stärkeren Geist.

Er kann über­

Bisweilen wird ein

Kranker, dem die Lebenskraft schwindet, dadurch geheilt, daß das Blut

eines

gesunden kraftvollen Menschen in seine Adern geleitet

Die Heiligkeit des Hauses und des Herzens.

136

Ja, neues Blut, d. h. ein neuer Geist!

wird.

Geist kann nur der heilige Geist sein. der reine Geist Jesu.

Und dieser neue

Und dieser heilige Geist ist

Er muß hineingeleitet werden als neues Blut

in die Adern unseres Volkes, daß es wieder verstehen lernt, daß Reinheit glücklich macht, Unreinheit unglücklich, daß Selbstbeherrschung die höchste Kraft ist, daß der Mensch dazu geschaffen ist, sich zur

Freiheit hindurchzuringen, daß er seine Krone selbst wegwirft, auf seinen Adel verzichtet, seine eigene Würde mit Füßen tritt, wenn er

ein Sklave seiner Lust wird.

Der reine Geist Jesu ist der Quell

edler Weiblichkeit,

männlicher Kraft nnd

Volkskraft in Gegenwart und Zukunft.

fromm Tempel

und treu.

der Quell aller wahren

Ein keusches Volk ist tapfer,

Ihr sollt Tempel des heiligen Geistes sein.

des heiligen Geistes sind uneinnehmbar, unangreifbar für-

alles Gemeine.

Habt ihr diese guten Geister eueren Kindern ein­

gepflanzt, dann könnt ihr sie ruhig hinausziehen lassen in die Welt.

Versuchungen in schlechter Gesellschaft gleiten an ihnen ab. Augenweide hat keine Macht über sie. Gefühl:

Unreine

Sie haben in sich das stolze

Das Alles ist deiner nicht werth.

Wenn sie heimkehren,

blickt ihr ihnen in das Auge, und das Auge ist rein und braucht

euerem fragenden Blicke nicht auszuweichen.

Und kommen sie ein­

mal dahin, sich ihr eigenes Haus zu gründen, so werden sie es heilig halten, wie sie ihr Herz heilig gehalten haben, und Kraft und Rein­ heit wird darin blühen. Das deutsche Volk hat einst die Fremdherrschaft gebrochen.

Es

hat vor 27 Jahren mit unwiderstehlicher Kraft sein Vaterland ge­

schützt, daß keines bewaffneten Feindes Fuß den Boden des Vater­ landes betreten hat.

Das 19. Jahrhundert ist für unser Volk ein

Jahrhundert des Ruhms, der fortstrahlen wird bis in die fernsten

Zeiten.

Soll jetzt am Ende des Jahrhunderts unser Volk zu Grunde

gehen unter der schmachvollen Herrschaft des schlimmsten Tyrannen,

der Unzucht, der Sittenlosigkeit, des Tyrannen, der deine Jugend, du deutsches Volk, hinmordet mehr als einst die Kugeln des Feindes,

der dein Land verwüstet schlimmer als die Kriegsfurie?

Treib ihn

hinaus aus deinen Häusern, deinen Straßen, deinen Städten, deinem

Land!

Er gehört nicht zu dir.

gewachsen. hinaus!

Er ist nicht in deinem Lande

Er ist ein frecher Eindringling.

Darum treibe ihn

Das ist ein heiliger Krieg, ein Krieg für deine Häuser,

137

Der irdische Besitz.

deine Kinder, deine Zukunft. Dann wird die Ehe wieder überall heilig sein, der Jungbrunnen deiner Kraft. Deine Häuser werden wieder heilig sein, der beste Schutz deiner Kinder.

Die Kunst wird

wieder eine heilige Priesterin Gottes und alles Guten sein. Die guten Geister der Väter erwachen wieder und ihre reinen Lieder, die

sie uns überliefert haben. Und männliche Kraft und weibliche Zucht sind und bleiben deine Zierde. Halte dein Haus heilig, halte dein Herz heilig! Amen.

17.

Der irdische Besitz. 2. Mos. 20, 15.

Du sollst nicht stehlen.

Als der Mensch noch im unmittelbaren Verkehr mit der Natur lebte, unmittelbar aus ihrer Hand sein tägliches Brod empfing, als Fischer am See, als Jäger im Wald, als Hirt auf der Weide, da

hat die Frage um Mein und Dein wohl kaum Menschen erregt. Ohne viel Mühe fand Jeder, was er brauchte, und Niemand brauchte mehr, als eben Nahrung und Kleidung und Wohnung. Was wir Reichthum, Wohlstand nennen, d. h. ein Besitz, der über die Be­

friedigung der einfachsten Lebensbedürfnisse hinausgeht, hatte für den Menschen weniger Bedeutung als jetzt, vermochte daher auch seine

Begierde nicht in dem Maße zu erregen.

Je mehr aber an Stelle

des einfachen Naturlebens und Naturgenusses das Kulturleben trat, und an Stelle der einfachen Naturordnung künstliche Verhältnisse, je mehr sich der Reichthum häufte, je mehr er deshalb ein Gegen­

stand des Wettbewerbes geworden ist, um so schwieriger und ver­ wickelter wird die Frage um Mein und Dein, um so hitziger der Kampf darum.

Je mehr der Mensch ferner die Kräfte der Natur

sich als Arbeitskräfte dienstbar gemacht, je mehr die Arbeit aus­ gebildet wird und sich in zahllose verschiedene Zweige zerlegt, je mehr Wege sich aufthun zum Gelderwerb, vielleicht raschem Gelderwerb, um so stärker wird die Herrschaft des Geldes über den Menschen.

137

Der irdische Besitz.

deine Kinder, deine Zukunft. Dann wird die Ehe wieder überall heilig sein, der Jungbrunnen deiner Kraft. Deine Häuser werden wieder heilig sein, der beste Schutz deiner Kinder.

Die Kunst wird

wieder eine heilige Priesterin Gottes und alles Guten sein. Die guten Geister der Väter erwachen wieder und ihre reinen Lieder, die

sie uns überliefert haben. Und männliche Kraft und weibliche Zucht sind und bleiben deine Zierde. Halte dein Haus heilig, halte dein Herz heilig! Amen.

17.

Der irdische Besitz. 2. Mos. 20, 15.

Du sollst nicht stehlen.

Als der Mensch noch im unmittelbaren Verkehr mit der Natur lebte, unmittelbar aus ihrer Hand sein tägliches Brod empfing, als Fischer am See, als Jäger im Wald, als Hirt auf der Weide, da

hat die Frage um Mein und Dein wohl kaum Menschen erregt. Ohne viel Mühe fand Jeder, was er brauchte, und Niemand brauchte mehr, als eben Nahrung und Kleidung und Wohnung. Was wir Reichthum, Wohlstand nennen, d. h. ein Besitz, der über die Be­

friedigung der einfachsten Lebensbedürfnisse hinausgeht, hatte für den Menschen weniger Bedeutung als jetzt, vermochte daher auch seine

Begierde nicht in dem Maße zu erregen.

Je mehr aber an Stelle

des einfachen Naturlebens und Naturgenusses das Kulturleben trat, und an Stelle der einfachen Naturordnung künstliche Verhältnisse, je mehr sich der Reichthum häufte, je mehr er deshalb ein Gegen­

stand des Wettbewerbes geworden ist, um so schwieriger und ver­ wickelter wird die Frage um Mein und Dein, um so hitziger der Kampf darum.

Je mehr der Mensch ferner die Kräfte der Natur

sich als Arbeitskräfte dienstbar gemacht, je mehr die Arbeit aus­ gebildet wird und sich in zahllose verschiedene Zweige zerlegt, je mehr Wege sich aufthun zum Gelderwerb, vielleicht raschem Gelderwerb, um so stärker wird die Herrschaft des Geldes über den Menschen.

138

Der irdische Besitz.

Weltlicher Besitz aber ist zugleich das Mttel zu irdischem Genuß. Das Genußleben steigert sich mit der wachsenden Kultur. Es mehren

sich die Genußmittel. Es mehren sich zugleich die Bedürfnisse. Der Kampf um Geld und Gut wird immer erbitterter, die Reibung unter den Menschen immer stärker, die Gefahr des Uebergriffs des Einen in das Eigenthum des Anderen immer größer. Der Starke reißt

an sich, der Schwache verliert.

Es erfüllt sich in diesem Wettkampf

unserer Kulturwelt um die Güter der Erde das Wort Jesu, das steilich ursprünglich in einem ganz anderen Sinne gemeint ist: „Wer

da hat, dem wird gegeben, daß er die Fülle habe.

Wer nicht hat,

dem wird auch das Wenige genommen, was er hat." Auf der einen Seite häufen sich Reichthümer, auf der anderen Seite die Noth. Es entstehen im Volksleben Spannungen, die schließlich zu heftigen Erschütterungen, zu Revolutionen führen. Geld und Gut ist eine große Macht, eine Macht, die Völker beglücken und verderben kann, eine Macht, die nun einmal da ist und nicht beseitigt werden kann,

so viel Heil sich in unseren Tagen Manche von der Beseitigung ver­ sprechen. Wir müssen deshalb die rechte Stellung dazu einnehmen. Das wollen wir im Anschluß an das siebente Gebot thun, indem wir mit einander betrachten den irdischen Besitz im Lichte des Christenthums. Dabei sehen wir: 1. Daß das siebente Gebot nicht mit der Hand, sondern mit der Gesinnung erfüllt werden soll. 2. Wir fragen uns ferner, worin diese Ge­ sinnung besteht und wollen 3. uns aufmachen, diese Ge­

sinnung zu bethätigen. 1. Das siebente Gebot muß nicht nur mit der Hand, sondern mit der Gesinnung erfüllt werden. Wenn es sich beim siebenten Gebot nur handelte um Sünden,

welche mit der Hand vollbracht werden, so würde es genügen, daß in Schule und Unterricht in ernster Weise vor dieser Uebertretung gewarnt wird; aber es würde sich kaum verlohnen, darüber zu pre­ digen. Denn Menschen, die sich mit der Hand am Eigenthum Anderer vergreifen, werden wohl kaum den Gottesdienst besuchen,

und thäten sie es, so würde das Wort, das hier geredet wird, ihnen wahrscheinlich wenig nützen. Aber es handelt sich hier nicht nur um Sünden, die mit der Hand vollbracht werden. Der Dieb, der

Nachts sich in ein fremdes Haus schleicht und dort Geld

und

Der irdische Besitz.

139

Kostbarkeiten stiehlt, der Bauer, der seinem Nachbar die Grenzsteine verrückt, oder wie wir uns sonst in unserem vielgestaltigen Leben die

denken mögen, die mit der Hand gegen das siebente Gebot sündigen,

nicht die

sind

einzigen Uebertreter

des siebenten Gebotes,

brauchen nicht einmal die größten zu sein.

ja sie

Es giebt auch ein Stehlen

unter äußerlich rechtschaffenen Leuten, und das ist bisweilen sittlich

viel schlechter, als das Stehlen der Diebe.

Der schlaue Betrüger,

der unter Aufbietung seines Scharfsinns und seiner ganzen Energie

und mit großem Zeitaufwand das feine Netz zurechtmacht, mit welchem er Andere sängt, der sein ganzes Sinnen und Denken, alle Geistes­

gaben, die er von Gott empfangen hat, auf dieses dunkle Werk hin­

richtet, so daß schließlich sein ganzes inneres Wesen von diesem Betrug

ergriffen wird und darin aufgeht — ein solcher Betrüger, der viel­ leicht von keinem menschlichen Gericht bestraft werden kann, ist vor deni Richterstuhl des siebenten Gebotes viel schuldiger,

der, den

als z. B.

die Noth zum Stehleu trieb und der nun vom weltlichen

Gericht als Dieb verurtheilt wird.

Kinder, die durch ftevelhaften

Leichtsinn ihre Eltern an den Bettelstab bringen,

der Sohn,

den Eltern das Erbe seiner Geschwister abpreßt,

Eltern,

Vergnügungssucht und

ihrer

deren

Kinder und seiner

ihrer Liebe zum Luxus

Zukunft vernachlässigen,

der

die um

willen ihre

der Mann,

dem

in

weichlichen kraftlosen Selbstsucht seine eigenen Lebensbedürf­

nisse über Alles gehn, dem weder die Liebe zu den Seinen noch die

ernste

Pflicht irgend

abzunöthigen

vermag,

und

ihn tritt und Rechenschaft

einen

der

Verzicht

auf

schließlich,

einen Lebensgenuß

wenn

der

Tod

vor

fordert von seinem Haushalten, seine

Familie schutzlos einer ungewissen Zukunft preisgeben muß, die Frau,

der die Prachtliebe und Genußsucht die Liebe zu den Ihren aus dem Herzen gesogen hat, so daß das Leben der Ihrigen schließlich ein Darben ist, nur damit ihr eigenes Leben Wohlleben sei, der Staats­

bürger, der vom Staat und von der Gemeinde Unmögliches fordert,

der sich entrüstet, wenn einmal die Gemeinschaft ihm das nicht leistet, worauf er nach seiner Ansicht ein Recht hat, der aber, soviel er

irgend kann, sich seiner Beitragspflicht, die er der Gemeindschaft gegen­ über hat, zu entziehen weiß — alle Diese gelten als rechtschaffene

Leute, denen Niemand etwas anhaben kann und doch sind sie vor Gott weit schlimmere Sünder gegen das siebente Gebot, als Mancher,

140

Der irdisch« Besitz.

Der, welcher in einer

der mit der Hand dagegen gesündigt hat.

schwachen Stunde zum Stehlen sich hat verführen lassen, wird vielleicht

im nächsten Augenblick, kaum daß er es gethan hat, von der tiefsten Reue erfaßt und wendet sich innerlich erschrocken und tief beschämt

von seinem Thun ab, während die Anderen eigentliche Reue nicht

kennen und an ihrem fein ersonnenen Betrug, an ihrem Stehlen, das von keiner irdischen Strafe erreicht werden kann, ihre Lust haben.

Dort ist die Hand befleckt und der bürgerliche Ruf hat einen Makel empfangen.

schlecht.

Hier dagegen ist das Herz, die Gesinnung

Hier ist der Charakter von der Habsucht, der Leichtfertigkeit,

der Unehrlichkeit ganz vergiftet.

Hier hat der Wille von Grund

aus eine verkehrte, schlechte Richtung eingeschlagen. Achtung

verschwunden

vor

dem

Eigenthum

Hier ist die

Nebenmenschen.

des

Hier erscheint alles Hab und Gut als herrenloses Gut, das Jeder sich aneignen kann, wenn er nur dem Strafrichter zu entgehen weiß.

Die Habsucht ist der Götze, der alle Kraft des Menschen in seinen

Dienst zwingt.

Das Seelenheil, der Friede

zum Opfer gefallen.

Alles Gute geht unter.

des Heikens ist ihm

Alle Ideale des Lebens

verlieren ihren Glanz vor dem Glanz des Goldes. stürzt ein.

Gott ist nicht mehr.

Der Himinel

Ein solcher Mensch kennt nur noch

zwei Dinge, sich selbst und den Mammon.

Um diese beiden

Punkte dreht sich ihm das ganze Leben, bis der Tod kommt und den Betrüger als einen unglückseligen Betrogenen von seinem Götzen losreißt und dem armseligen Spiel ein Ende macht.

Das siebente Gebot soll nicht nur mit den Händen, sondern

muß mit der Gesinnung erfüllt werden.

2. Worin besteht diese Gesinnung?

Wir wenden uns da

an Den, der auch hier für uns der Weg, die Wahrheit und das Leben ist, an Jesus Christus.

Da finden wir nun freilich Gedanken, welche

uns ganz unannehmbar erscheinen.

Wir hören aus dem Munde

Jesu über den irdischen Besitz entweder verdammende oder verächtliche Urtheile.

Verdammende Urtheile, wenn er z. B. sagt: „Es wird eher

ein Kameel durch ein Nadelöhr gehen, als daß ein Reicher in das Reich Gottes kommt"; oder wenn er sagt zu dem reichen Jüngling:

„Verkaufe, was du hast, und gieb es den Armen"; oder wenn er

ruft: „Selig seid ihr Armen, denn euer ist das Reich Gottes; wehe euch, ihr Reichen, ihr werdet weinen und heulen"; oder verächtliche

Der irdische Besitz. Urtheile, wenn er z. B. sagt:

141

„Sammelt euch nicht Schätze auf

Erden, welche die Motten und der Rost fressen", oder wenn er in

dem Gleichniß von dem reichen Kornbauer, der beim Anblick seiner reichen Ernte zu seiner Seele spricht:

„Iß und trink, liebe Seele,

und sei gutes Muthes", Gott zu diesem Manne sprechen läßt: „Du Narr, in dieser Nacht wird deine Seele von dir genommen werden."

Ohne Zweifel ist Jesus arm, zum Mindesten ganz unbekümmert um irdischen Besitz über die Erde

nachgefolgt.

Seine Jünger sind ihm

gegangen.

Sie haben Alles verlassen.

Sie sind durch die Pracht

der alten Welt gegangen und nie hat sich in ihnen auch nur die

leiseste Sehnsucht nach dieser vergänglichen Herrlichkeit der Erde in

ihrer Brust geregt. lichen

Gemeinde

Und so ist auch jene Einrichtung in der christ­

zu Jerusalem,

daß

die

einzelnen

Habe verkauften und den Erlös der Gemeinde diesem Geiste zu erklären, der

Glieder ihre

schenkten, mit aus

sich ganz von dem

irdischen Besitz

abgewandt hatte. Wir

können uns nicht verhehlen,

daß zwischen

diesen An­

schauungen und den Anschauungen der heutigen Menschen, auch der

strengsten Christen unter ihnen,

scheint.

ein scharfer Gegensatz zu bestehen

Faßt man diese Worte streng auf, wer lebt nach ihnen in

der heutigen Zeit?

Höchstens die Mönche, welche das Gelübde der

Armuth abgelegt haben, und auch diese kaum.

überhaupt der heuttge Mensch?

Ja kann es denn

Wir mögen wollen oder nicht, der

heutige Mensch muß nach irdischen Besitz streben, er muß erwerben.

Er müßte denn diese Welt verlassen, die Gemeinschaft der Menschen,

und die Einsamkeit aufsuchen.

Denn unsere ganze heuttge Welt mit

ihren Einrichtungen ist mit auf dem Erwerbstrieb der

aufgebaut.

Ohne ihn würde

diese

Menschen

ganze Kulturarbeit nicht sein.

Ohne ihn fehlte die Spannkraft unseres heutigen Lebens.

Ohne den

Reichthum, der sich in einzelnen Händen sammelt, würden sofort viele Tausende

von Hände arbeitslos,

erwerbslos

sein.

Mensch kann gar nicht anders, er muß erwerben. auch nicht anders.

Der

heutige

Und er darf

Gott hat dem Menschen die Erde Unterthan

gemacht mit all ihren Schätzen und Kräften, so soll der Mensch sie

auch gebrauchen.

Der Hausvater, der für eine Familie zu sorgen

hat, soll sammeln, soviel er kann, um für die Zukunft zu sorgen,

er wäre sonst gewissenlos.

Der Kaufmann, der Gewerbtreibende

142

Der irdische Besitz.

soll sein Geschäft zu heben, sein Vermögen zu vergrößern suchen,

er wäre sonst untauglich für seinen Beruf. Doch ist der Gegensatz zwischen den Anschauungen Jesu und denen der heutigen Christen nur scheinbar, liegt mehr in dem Unterschied

zwischen den äußeren Kulturverhältnissen der alten und der neuen Welt, als in dem Wesen.

Die Hauptsache ist, daß Jesus, wie er

selbst in aller Freiheit von irdischen Gütern und stolz auf sie herab­

setzend über die Erde gegangen, so auch uns über die Güter der

Erde innerlich erhebt. Das hat er gethan durch sein ganzes Lebens­ Er hat zu uns geredet von einer ewigen Welt, in welcher

werk.

ewige Wahrheit, ewiges Leben und ewiger Friede wohnt, eine Welt,

die schon auf Erden dem Suchenden sich aufthut. liegen auch deine wahren Güter.

In dieser Welt

Diese Welt liegt über dir, d. h.

sie ist höher, werthvoller, als diese Wett, und wenn du sie im Geiste Jesu suchst und findest, dann ist diese obere Welt in dir: Gerechtig­

keit, Friede und Freude im heiligen Geist, oder wie Jesus sagt: „Das Himmelreich, das inwendig in uns ist."

du reich

in Gott.

Bist du reich

Bist du gottselig, so

Hast du das, so bist

in Gott, so bist du gottselig.

bist du genügsam.

hat, der braucht wenig von Außen her.

Wer in sich selbst viel

Wer in sich selbst nichts

hat, hohl, leer ist, arm, der sucht diesen leeren Raum in sich aus­ zufüllen, wirft von Außen her hinein, so viel er bekommen kann,

immer mehr, und wäre es alles Gold aus den Goldgruben, alle Diamanten von den Diamantfeldern, die innere Leere wird nicht

ausgefüllt.

sind

Wer innerlich viel hat, braucht wenig von Außen.

Das

die wahrhaft freien Menschen, denen ihr Gewissen und die

Güter

der inneren Welt

mehr sind

als die ganze äußere Welt,

Menschen, wie Paulus, der sagte: „Ich kann satt sein und hungrig sein, Ueberfluß haben und Mangel leiden, ich bin zu Allem geschickt

durch den, der mich mächtig macht, Christum." Welt, Geld mache den Menschen unabhängig.

Man sagt in der

Das gilt doch immer

nur von dem, der selbst innerlich vom Geld unabhängig ist.

So stellt uns Jesus über die Güter der Erde; er macht uns

erst recht zu Herren über sie, daß wir sie beherrschen, nicht sie uns.

Denn wer im Geiste die ewigen Ziele gesehen hat, die Jesus

uns zeigt, wer mit seinem Glauben zu Gott emporsteigt und mit dem Gebet sich an ihn hält, wer mit dem Auge der Hoffnung die

Der irdische Besitz.

143

Herrlichkeit sucht, die an uns soll geoffenbaret werden, der hat die Güter der Erde, als hätte er sie nicht; er gebraucht sie, als brauchte er sie nicht, und verlöre er sie, er würde dadurch nicht ärmer werden. Er sieht auf sie herab als eine freundliche Zugabe des Lebens, als

auf einen Schmuck des Lebens, der aber nicht den Werth des Lebens ausmacht.

Du besitzest sie, aber sie besitzen nicht dich.

dir, aber du dienst nicht ihnen.

Sie dienen

Denn du weißt sehr wohl, du wirst

sie einst zurücklassen müssen und arm aus der Welt gehen, wie du arm in dieselbe gekommen bist. Alle Güter der Erde

den

Bäumen.

Nur

Nur die Seele nimmst du mit.

fallen einst die

Seele

die Blätter von

ab, wie jetzt

steigt

empor

zu

schönen

ihrer

Heimath.

So stellt uns Jesus über die Güter der Erde. 3. Daraus ergiebt sich von selbst, wie wir diese Gesinnung zu bewähren haben. Wir haben uns als Gottes Haushalter zu betrachten, denn

was wir besitzen, haben wir von Gott empfangen,^ gleichviel ob wir es ererbt oder erarbeitet haben.

Um dich her giebt es Viele, die

das, was du besitzest, vielleicht mehr verdienen als du.

es nicht von dir selbst, sondern von Gott.

halter.

Darum prahle nicht mit dem, was du hast.

Geister, die das thun.

Du hast

Du bist Gottes Haus­ Es sind arme

Prahle nicht, sondern sei dankbar.

Bescheidenheit ist der beste Schmuck des Reichthums.

Schlichte

Bist du Gottes

Haushälter, so sei jeden Augenblick bereit, dein Gut hinzugeben, wenn Gott es von dir nimmt.

Es wird damit nicht viel von dir

verlangt, nicht mehr, als wenn eine Mutter von ihrer Tochter einen

Schmuck,

den sie ihr

du

Gottes

Haushalter, so verwalte das Deine. sorgsam, gewissenhaft.

Halte

geschenkt, zurückverlangt.

Bist

dein Haus in Ordnung.' Ordnung im Aeußern ist ein Zeichen von Ordnung im Innern. von Unordnung im Innern.

Deine zusammen!

Unordnung im Aeußern ist ein Zeichen

Bist du ein Haushalter, so halte das

Sei sparsam.

Achte das Kleine nicht klein;

wer im Kleinen treu ist, ist auch im Großen treu.

Die Treue in

den kleinen äußeren Dingen des Lebens ist die Vorschule für die

Treue in den großen Dingen des Gewissens.

Sparsamkeit ist ein

Zeichen innerer Zucht, Verschwendung ein Zeichen der Zuchtlosigkeit. Laß aber auch deine Sparsamkeit nicht zum Geize werden.

Der

Der irdische Besitz.

144

Sparsame hält das Seine zusammen um der Pflicht und Ordnung

willen,

der

widerwillig

Geizige um des Geldes willen. mit im Tode

giebt

Der Geizige

lachenden Erben,

erstarrter Hand

der

Sparsame freut sich, mit warmen Händen dankbaren Menschen geben zu sönnen.

Auf den Schätzen, die der Geizige hinterläßt, liegt der

Fluch des Mammons,

auf dem, was der Sparsame hinterläßt,

der Segen der Treue.

Wir sind Haushalter.

Sind wir Haushalter, dann sollen wir auch danach trachten, unser Gut durch ehrliche Arbeit zu vermehren.

Aber unterscheidet

wohl: Das Geld ist nicht der Zweck der Arbeit, sondern nur das

Ergebniß

der Arbeit.

Wer im Geld

den Zweck sieht,

ist ein

Denkt an die Arbeiter und Arbeiterinnen

Miethling, ein Sklave.

in den Fabriken oder in der Hausindustrie.

Wenn sie diese unendlich

gleichförmige Hantirnng nur ausübten, um eben ihren Lebensunterhalt zu verdienen, so wären sie in der That nicht mehr als die Last­

thiere, die ihre Last ziehen und dafür ihr Futter bekommen.

Dasselbe

wird von dem größten Künstler gelten, der im Geld den Zweck der

Arbeit sieht.

Der Zweck, der Lohn ist etwas ganz anderes.

Er

liegt nicht außer der Arbeit, sondern in ihr selbst, einmal darin,

daß du etwas nützest, an deinem bescheidenen Theil auch Gott und

den Menschen dienst,

und dann darin, daß du selbst durch

Arbeit innerlich besser, stärker, gesammelter, zufriedener wirst. geblich ist deine Arbeit nicht,

wenn das Geld

die Ver­

ausbleibt, sondern

nur dann, wenn der innere Erfolg ausbleibt. Sind wir Gottes Haushalter, dann sollen wir uns auch unseres

Besitzes freuen.

Wie schon das Kind seine Freude hat an den

ersten paar Groschen, die sein sind, so hat der Mensch seine Freude

daran sein Leben lang, etwas sein eigen zu nennen.

Du freust dich

beim Anblick deines Besitzes der Anstrengung, die du in deine Arbeit gelegt hast, der Entsagung, die du dir auferlegt, der ganzen Selbst­ erziehung, welche dir deine Arbeit gebracht hat.

Freue dich, wenn

du dir mit dem, was du dir erworben hast, eine edele Freude be­

reiten, dein Haus dir traulicher, wohnlicher schmücken kannst.

Freue

dich, wenn du nun deinen Kindern eine bessere Ausbildung kannst

angedeihen lassen.

Freue dich,

Freude bereiten kannst. kannst

und

daß

dein

daß du nun auch Anderen

Freue dich, Wohlstand

daß vielen

eine

du nun Armen helfen Anderen

Arbeit

und

Der irdische Besitz.

Verdienst bietet.

145

Und das Alles ist eine Freude, die du Gott dankst.

Denn du bist Gottes Haushalter.

Bist du Gottes Haushalter, dann sollst du auch das Gut denn auch sie sind Gottes Haushalter.

Anderer achten;

Dann

bist du nicht int Stande, einen einzigen Pfennig zn behalten,

der

dir nicht gehört, und auf den sehr verwickelten Wegen des Handels, wo bisweileit nur eine sehr feine Grenzlinie ehrlichen Erwerb und unehrlichen Gewinn trennt, wird dein Gewissen dir immer den rechten

Weg zeigen. nicht

Achte das Gut Anderer.

des Armen

kärgliche Lage

die

Bist du reich, so verachte

und spotte nicht

über

den

dürftigen Schmuck, mit dein er sein Leben umgiebt, oder über das

unansehnliche Gewand der Armuth! Achte auch den geringste» ehrlichen

denn er beruht auf ehrlicher Arbeit.

Besitz;

siehe

Bist du arm,

nicht gierig nach dem Reichthuin des Reichen; denn du nimmst dir

damit den Frieden und machst dir deine Armuth schwerer als sie

Achte

ist.

durch

des Nächsten Gut.

Hilf es ihm bessern und be­

Hilf ihm nicht durch leichtfertig hingeworfene Gaben, sondern

hüten.

treue Theilnahme

und durch Förderung seiner Arbeit.

Es

liegt neuerdings die Meinung in der Stift, als ob alle die gesetzlichen

menschenfreundlichen Bestrebungen, die Lage der unteren Volksklassen zu heben, ein Ansturin gegen unser? Gesellschaftsordnung seien.

Es ist

das einfach christliche Pflicht, dem Nächsten sein Gut und Nah­ rung helfen bessern und behüten.

So gewiß es eine christliche Pflicht

des Staates ist, in den von Wassersnoth heimgesuchten Gegenden

Fürsorge zu treffen, daß sich solcher Schaden nicht wiederholt, so gewiß es eine christliche Pflicht der Gemeinde ist, die Wohnungen der Menschen vor Feuersgefahr zu behüten, so gewiß ist es Christen­

pflicht, werden.

dafür

zu

sorgen,

daß

die Lasten

der Armuth erleichtert

Wir sollen dem Nächsten sein Gut und Nahrung helfen

bessern und behüten.

So

wird

durch

den

christlichen Geist

auch der todte starre

Mammon eine lebendige Kraft im Reiche Gottes.

Amen.

Der gute Name.

146

18.

Der gute Name. Du sollst kein falsch Zeugniß reden wider deinen

2. Mos. 20, 16. Nächsten.

XDie Leben, Familienglück und weltlicher Besitz, so ist auch

der gute Name ein irdisches Gut, freilich kein sichtbares Gut.

Ob

ihn ein Mensch besitzt, kann ich wissen und fühlen, aber nicht sehen.

Es ist denkbar, daß ein Mensch selbst nicht weiß, ob er dieses Gut

besitzt

oder nicht.

Der Eine

hat

einen

guten Namen unter den

Menschen und lebt doch in der fortwährenden Besorgniß, das Urtheil

Der Andere wieder

der Menschen über ihn könnte ungünstig sein. wiegt sich in dem Glauben,

einen guten Namen zu besitzen, und

thatsächlich gehen die schlimmsten Meinungen über ihn von Mund zu Mund.

Der gute Name ist ein unsichtbares Gut.

Zugleich giebt

es unter allen Gütern der Erde keines, das so zart wäre, so em­ pfindlich, so leicht zu verletzen, so ausgesetzt den Einflüssen von außen

her, wie der gute Name.

Deshalb sind unsere Pflichten gegen den

guten Namen unseres Nächsten ganz besonders ernst.

So wollen wir zuerst sehen, wie werthvoll der gute Name

ist,

und

dann, wie

schwer

sich

der

versündigt,

der

dem

Anderen den guten Namen nimmt. 1.

Vielleicht ist der gute Name unter allen Gütern der Erde

das werthvollste.

Das fünfte Gebot handelt vom Leben.

gute Name ist werthvoller, als das Leben. erzählt uns:

Der

Die griechische Sage

Ein junger Held habe die Wahl gehabt, entweder nur

kurz zu leben, aber großen Ruhm zu hinterlassen, oder lang zu leben, aber ohne Ruhm, und er habe das erste erbeten.

Was hier von dem

Werthe des Nachruhms gesagt wird, gilt noch viel mehr vom guten

Namen.

Was ist

das Leben

ohne

ihn!

Der Verkehr

mit den

Menschen, der unserem Leben neue Nahrung zuführt, Freude, Er­ quickung, innere Anregung und Bereicherung, der Verkehr mit den

Menschen, der uns Gelegenheit giebt. Anderen zu nützen, ihnen eine Hülfe und ein Segen zu werden, er hört auf, wo der gute Name

147

Der gute Name.

Der Mensch ohne guten Namen findet kein Vertrauen mehr

fehlt.

bei den Menschen, er hat auch kein Vertrauen mehr zu ihnen, er sieht in ihnen mißtrauisch seine Feinde, die ihn verrathen.

Die Fäden

find durchschnitten, welche ihn mit den Menschen verbinden, Seele

mit Seele, Geist mit Geist.

Das Dasein eines Menschen, der in

voller Abgeschiedenheit von Anderen lebt, vielleicht auf einer öden Insel, an welcher nie ein Schiff anlegt, der kein freundliches Menschen­

antlitz mehr sieht, den warmen Ton menschlicher Sprache nicht hört,

die Berührung einer Menschenhand nicht fühlt — ein solches Dasein ist kein Leben mehr.

Noch viel schlimmer aber ist es, unter Menschen

zu wohnen, sie sehen, reden hören, mit ihnen äußerlich verkehren

müssen, und dabei fortwährend zu fühlen, daß sie Einen nicht kennen wollen und jede nähere Berührung vermeiden, sich sehnen nach einem

Menschen, der Vertrauen zu uns und Verständniß für uns hat, und keinen finden, sich nach Freundschaft sehnen und überall kühle Ab­ weisung finden, verschlossene Herzen und Thüren — ist nicht der gute Name werthvoller als das Leben?

Das sechste Gebot handelt von der Heiligkeit der Ehe und der Familie.

Der gute Name ist auch werthvoller als Familienglück.

Es sind Menschen in einer Familie mit einander verbunden, die recht eigentlich für einander geschaffen sind und auch von dem aufrichtigsten

Streben erfüllt sind, einander glücklich zu machen. ihnen Welt.

Haus

auch.

Und es gelingt

Da bekommt der gute Name einen Flecken vor der

Die Freunde wenden sich ab.

Die Achtung, die sonst das

wie eine unsichtbare feste Mauer umgab,

Stoß bekommen.

hat einen starken

Sind die Glieder einer solchen Familie treu, dann

werden sie gewiß um so fester zusammenhalten und sagen:

Wenn

die Welt uns verläßt, so wollen wir um so treuer zusammenstehen. Und doch ist die Last so schwer, daß das alte Glück unter derselben

nicht wiederkommen will.

Wie ein Nachtfrost auf die Blüthen fällt,

so stirbt das reichste Glück, wo der gute Name verloren geht. Das siebente Gebot handelt von Geld und Gut. Name ist mehr werth, als Geld und Gut.

Der gute

Wie arm sind Kinder,

die von ihren Eltern einen befleckten Namen ererben, den sie lange tragen müssen, bis es ihnen schließlich erst nach langer Zeit gelingt, den Flecken zu tilgen.

Wie reich sind Kinder, die von ihren Eltern

nichts ererben, als einen guten Namen.

Damit haben sie das Beste

10*

148 für die Welt.

Der gute Name.

Das ist der Talisman, der überall die Herzen und

Thüren öffnet. Das ist eine Schutzwehr, die vor dem Bösen be­ hütet, vor Unrecht und Untreue; denn der gute Naine mahnt immer­ fort: „Halte fest, was du haft. Halte fest deinen guten Namen, den deine Eltern dir hinterlassen haben. Dieser gute Name ist erworben worden durch Mühe und Fleiß, durch Arbeit und Geduld, durch Redlichkeit und Treue deiner Vorfahren." Dieser gute Name ist der Träger, der den guten Familiengeist auf Kinder und Enkel überträgt. Er ist das geistige Band, welches die Enkel mit den Vätern verbindet. Er ist der Reichthum eines Hauses, welcher bleibt, wenn irdischer Reichthum vergeht. Er ist der treue Führer, der Kinder und Enkel dieselben Wege führt, welche die Vorfahren gegangen sind.

Es giebt nur Ein Gut, welches uns über den Verlust des guten Namens hinweghilft, das ist die Gewißheit der Versöhnung mit Gott, der Friede in Gott, das gute Gewissen, das sich nicht vor den Menschen fürchtet. Hast du unter der üblen Nachrede der Menschen zu leiden, so sollst du gewiß Alles thun, um dich vor ihnen zu rechtfertigen. Aber das soll nicht Alles sein. Vor Allem suche im Gebet die Gewißheit: „Ist Gott für mich, wer mag wider mich sein?" Gründe dich in dem Glauben an die Treue Gottes, welche niemals weicht, an die Gerechtigkeit Gottes, die Alles an den Tag bringt, an die Liebe Gottes, die uns reich macht, daß wir nicht zu fragen brauchen nach Himmel und Erde. Wenn die Menschen

deinen Namen schmähen, so ringe dich durch zu dem felsenfesten Vertrauen, daß dein Name im Hßmmel angeschrieben ist, hoch hinausgehoben über der Menschen wechselnde Gunst und Mßgunst, unerreichbar für die Pfeile, welche die Verleumdung aus dem Hinter­ halt sendet, im Himmel angeschrieben und dort beschützt von dem Schild des ewigen Gottes. Dein guter Name ist doch zuletzt kein

Spielball in den Händen der Menschen, sondern, wie Jesus sagt: „Freuet euch, daß euere Namen im Himmel angeschrieben sind." Wie werthvoll der gute Name ist, laßt uns sehen an dem besten Namen, den wir kennen, dem Namen Jesu Christi. Das ist der Name, der über alle Namen ist. Welch eine Macht hat dieser Name! Wohl dem Menschen, in dessen Herzen dieser Name einen Wohl dem Volke, das neben all den großen Namen, die es besitzt und auf die es stolz ist, vor Allem diesen Namen in guten Klang hat.

149

Der gute Name.

einem treuen Herzen trägt.

Dieser Name klang in deiner Seele, als

du außer Vater und Mutter und Geschwistern kaum einen Menschen­ namen kanntest, und alles Große und Gute saßte sich dir in ihm zusammen.

Er sagte dir, daß es in der Welt eine Liebe und Treue

giebt, die alle Wunden heilt, alle Schuld vergiebt und in aller Ver­

Dieser Name trägt die ewigen Kräfte des Himmels

lassenheit tröstet.

Bei diesem Namen richtet sich der

hernieder auf diese arme Erde.

Gebeugte von Neuem auf, der Muthlose bekommt neuen Muth, der

Bliude ahnt etwas von ewigem Lichte, und dem, der keine Hoffnung Vor diesem

mehr kennt, dämmert wieder etwas wie Hoffnung auf. Nameu legt sich der Sturm menschlicher Leidenschaften.

Der Zorn

wird gedämpft und das Gemeine zieht sich zurück in die Finsterniß,

in

die

es gehört.

Vor diesem Namen haben die Mächtigen sich

gebeugt, die Stolzen sich gedemüthigt, die harten Herzen sind weich

geworden.

Dieser Name treibt heute noch die Menschen, Vaterland

und Freundschaft zu verlassen, um jenseits von Ländern und Meeren den Völkern das Evangelium des Friedens zu predigen.

Welch eine Macht liegt in diesem besten Namen! Macht aber liegt auch in einem guten Namen! die Verheißung:

Welch eine

Abraham erhielt

„In deinem Namen werden alle Geschlechter auf

Erden gesegnet werden", d. h. von deinem Namen wird Segen aus­ gehen.

Wenn du einst längst nicht mehr auf Erden sein wirst, so

wirst du in deinem Namen noch fortleben den Menschen zum Segen;

bei dem Klang deines Namens werden sich die Menschen erinnern an Gottes Gnade und Treue, werden denken an vergangene Zeiten,

über denen Gott waltete, und werden daran glauben, daß er auch über der Gegenwart waltet.

Der Name eines Paulus ruft den

Menschen, denen die geistige Knechtschaft schöner dünkt, als die Frei­ heit eines Christenmenschen, zu:

nicht

der Menschen Knechte."

„Ihr seid theuer erkauft, werdet

Der Name Luthers

mahnt euch:

„Es ist nicht gerathen, etwas wider das Gewissen zu thun."

Der

Geist eines ganzen Zeitalters wird von einem einzigen Namen durch

die Zeiten getragen.

Die Namen der Helden unseres Volkes, seiner

Herrscher, seiner Dichter und Denker, seiner Heerführer und Staats­ männer stärken uns in dem Zusammenhänge mit unserem Volke und

in dem Entschluß, dem Vaterland auch in der Zeit des Abfalls und der Zersplitterung treu zu sein.

Ja, welch eine Macht hat ein guter Name!

150

Der gute Name.

Und wenn dein Name nur von wenigen Menschen gekannt und genannt wird

und

nur in wenigen Herzen fortlebt, vielleicht

im

Herzen eines Freundes, dem du Treue gehalten hast, oder im Herzen eines Armen, dem du einmal in der Noth geholfen hast, eines Kindes,

dem du ein guter Vater, eine treue Mutter gewesen bist, welch ein Segen kann doch ausgehen von deinem guten Namen. die Menschen,

die ihn in Ehren halten:

„Ich

Da sagen

habe einst einen

Menschen besessen, auf den ich mich verlassen konnte, der mir sein Herz zugewandt hatte.

Aus ihm redete zu mir Gerechtigkeit und

Wahrhaftigkeit, durch ihn habe ich an Gott und die Menschen glauben gelernt, er hat mir Muth und Lust zum Guten gegeben, er hat mich

getröstet und zu Gott gewiesen." sagen zu den Menschen,

Dein Name wird reden, wenn du nicht

Mund stumm geworden ist. mehr reden kannst.

Dein Name wird leuchten, wenn dein Lebens­

licht verloschen sein wird. mehr wirken kannst.

Das Alles wird einst dein Name

die deiner gedenken werden, wenn dein

Dein Name wird wirken, wenn du nicht

Seht, wie groß ist der Werth und die Macht

eines guten Namens!

Deshalb breitet Gott schützend seine Hand darüber aus und

2. gebietet: Gegen

„Du sollst kein falsch Zeugniß reden wider deinen Nächsten."

wenige

Gebote wird

soviel

gesündigt,

wie

gegen

dieses.

Menschen, die sich schämen zu stehlen, denen es als Schande gilt,

die Ehe zu brechen, die ein Verbrechen darin sehen, zu tödten, fühlen ihr Gewissen nur wenig beschwert durch die Sünde gegen das achte

Gebot.

Denken wir nur daran, wie leicht es viele Menschen nehmen

mit dem Eid, den sie wider einander schwören, wie vielfach der Eid

in den Augen der Menschen nicht nur alle religiöse, sondern auch alle sittliche Bedeutung verloren hat, wie die Frage: ob schwören oder nicht? lediglich eine Frage der Klugheit geworden ist.

Volk hat in diesen Dingen viel zu verlieren gehabt.

Unser

Wenn es ein

Volk auf Erden gegeben hat, in welchem das Wort Jesu Verständniß fand:

„Euere Rede sei Ja Ja, Nein Nein, was darüber ist, das

ist vom Uebel," so ist es das deutsche Volk gewesen.

In unserem

Volk haben die Menschen zu den Menschen vor Allem Vertrauen

gehabt, bevor sie sich zum Mißtrauen gegen einander zwingen ließen. Das ist leider vielfach anders geworden.

Wie viel Leichtfertigkeit,

Bosheit und Rachsucht vereinigen sich oft in dem Zeugniß vor Gericht.

151

Der gute Name.

Halten wir uns nun von solchen schweren Sünden frei, so wollen wir uns damit doch nicht in die sichere Meinung wiegen, als ob wir

damit überhaupt rein seien von den Sünden gegen das achte Gebot. Die Straße, der gesellige Verkehr ist der Ort, an welchem oft noch

viel schlimmer falsch Zeugniß geredet wird, als vor Gericht.

Wie

da der Neid, die Scheelsucht an dem Nächsten das Schlechte hervor­

hebt und das Gute verkleinert, wie der kleinliche Sinn auch das

kleinste Vergehen und Versehen als große Uebertretung hinstellt, wie die Selbstgerechtigkeit sich auf den hohen Thron setzt und nach Art des Pharisäers im Evangelium die eigenen Vorzüge in helles Licht zu setzen sucht dadurch, daß sie die Vorzüge Anderer verdunkelt, wie

die Rachsucht aus sicherem Hinterhalt vergiftete Pfeile gegen den Wehr­ losen aussendet, wie man die Zeit, die man aus geistiger Trägheit nicht mit ernsten Gedanken, mit Arbeit oder guter Rede auszufüllen ver­ mag, mit

leerem Geschwätz

über die persönlichen Angelegenheiten

Anderer ausfüllt, — an alle diese Dinge brauchen wir nur zu denken, um sofort zu erkennen, daß wir Alle Ursache haben, uns unter das Gericht des achten Gebotes zu stellen.

Tag von uns sagen können:

Möchten wir heute und jeden

„Ich habe mir vorgesetzt, ich will mich

hüten, daß ich nicht sündige mit meiner Zunge."

Im Briefe des Jakobus heißt es: Glied und richtet große Dinge an.

„Die Zunge ist ein kleines

Siehe, ein klein Feuer, welch

einen Wald zündet es an!

Und die Zunge ist auch ein Feuer, eine

Welt voll Ungerechtigkeit."

Der Mensch lenkt starke Rosse, gewaltige

Schiffe lenkt er über den Rücken des Meeres.

Aber so oft vermag

er seine Zunge nicht zu lenken, dieses kleine Glied.

Wie viel Lebens­

glück, wie viel häuslicher Friede, wie viel Glaube und Vertrauen

wird vernichtet durch dieses unruhige Uebel, durch diese Welt voll Ungerechtigkeit, durch dieses verzehrende Feuer.

Aber es handelt sich

in dieser Zeit der Oeffentlichkeit nicht nur darum, die Zunge im Zaum zu halten, sondern auch die Feder.

Denn mit der Feder

wird oft schlimmer gesündigt als mit der Zunge, weil ihre Wirkung weiter reicht.

Die Feder verwirrt nicht nur die Lebenskreise Ein­

zelner, sondern des ganzen Volkes.

Sie vergiftet den Kampf der

Meinungen.

Menschen werden verdächtigt, weil man ihre Meinung,

nicht theilt.

So scheint es immer mehr dahin zu kommen,

daß,

während es früher als eine Ehrenpflicht galt, hervorzutreten, sich am.

152

Der gute Name.

politischen Leben zu betheiligen, sich die, welche auf ihre Ehre halten, von demselben zurückziehen, weil sie fürchten müssen, daß ihr guter Name mit dem Staub des Parteikampfes befleckt wird. Am schlimmsten aber ist es, wenn solche Kämpfe auf das kirchliche

Gebiet übertragen werden, deshalb, weil hier leicht das Heiligste und die gemeinste Leidenschaft sich mit einander verbinden, weil hier fleischlicher Haß sich in das Kleid der Frömmigkeit hüllt, weil hier Kämpfe sehr unheiliger Art unter der Fahne des heiligen Geistes ausgekämpft werden. Man muß in der christlichen Kirche darüber staunen, mit welcher Leichtfertigkeit man zwischen Gläubigen und Ungläubigen scheidet, mit welcher Sicherheit Einer dem Anderen Glauben und Seligkeit abspricht. Auch für das Verhältniß der kirch­

lichen Parteien und der Konfessionen gilt das Gebot: „Du sollst nicht falsch Zeugniß reden wider deinen Nächsten." Und wenn jüngst von kirchlicher Seite die Reformation als ein Gift, Luther als Ausiührer, Gustav Adolf als Mordbrenner bezeichnet worden ist, so steht solches falsches Zeugniß doppelt unter der Verdammniß des achten Gebotes: „Du sollst kein falsch Zeugniß reden wider deinen Nächsten." Die Lüge ist eine furchtbare Sünde. Der Lügner schließt sich

selbst von dem Gott der Wahrheit aus. Er kann mit dem Gott der Wahrheit keine Gemeinschaft haben. Zerschnitten ist für den Lügner das Band des Vertrauens, welches ihn mit seinen Mit­

menschen verknüpfte. Aber am verderblichsten ist doch die Lüge, welche darauf ausgeht, dem Nächsten seinen guten Namen zu nehmen. Ein Ohrenbläser ist schlimmer als ein Dieb. Mit der Lüge ver­ bindet sich die Ungerechtigkeit, welche die Wahrheit gar nicht sehen will, die Leidenschaft, die sich selbst verblendet, der. Haß, der sich selbst steigert, weil er nun einmal im Recht sein will. Bei dem Lügner und Verleumder ist die Besserung am schwersten. Der Dieb

kann von seinem schlimmen Hang befreit werden, der Mörder zur Erkenntniß seiner Schuld gebracht werden, der Wüstling kann dahin

kommen, daß er im Gefühl seines elenden Daseins zusammenbricht und Gott bittet um Kraft zur Besserung. Aber schwer ist es, den, dessen innerstes Wesen einmal von der Lüge ergriffen ist, zur Wahr­ haftigkeit zu bringen. Laßt vor Allem in eueren Häusern Wahrhaftigkeit wohnen!

Hütet euch um euerer Kinder willen auch vor der

Der gute Name.

153

harmlosesten Unwahrheit! Verbannt aus euerem geselligen Verkehr die heuchlerische Freundlichkeit, die Redensart, hinter der keine Ehr­ lichkeit ist! Sagt nicht, Ehrlichkeit vertrage sich oft nicht mit Höflich­

keit. Nein! Schlichte Ehrlichkeit kann sich sehr wohl verbinden mit schonender Rücksichtirahme. „Euere Rede sei Ja, Ja, Nein, Nein, was darüber ist, das ist vom Uebel."

Ja, das ist wirklich vom

Uebel, das Verderben, der Untergang des Vertrauens. Und nun noch Eins! Wir werden den guten Nameil unseres Nächsten dadurch am besten in Ehren halten, daß wir unseren eigenen guten Namen in Ehren halten. Halte deinen guten Namen werth dadurch, daß du nicht nur gut zu scheinen, sondern gut zu sein

trachtest. Die Ehrenhaftigkeit der Gesinnung, die Wahrhaftigkeit, der das Lügen eine innere Unmöglichkeit ist, die Gerechtigkeit, die jedem Menschen gerecht zu werden strebt, die Arbeit der Heiligung an dem inwendigen Menschen — das ist die beste Schutzwehr eines guten Namens. „Meidet," so sagt die heilige Schrift, „allen bösen Schein." Das bist du deiner Stellung unter den Menschen, deinem Namen schuldig und der Pflicht, Anderen ein gutes Beispiel zu geben. Manches, was du ahnungslos thust, wird für Andere, die dich nicht kennen, ein Grund des Vorwurfs gegen dich. „Meidet ollen bösen Schein!" Wahre deinen guten Namen! Dann wirst du auch den guten Namen Anderer werth halten. Wer selbst an sich arbeitet, eine sittliche Persönlichkeit zu werden, wer sich selbst achtet, der wird auch die Menschen um sich her nicht wie Bettler ansehen, denen jeder Vorübergehende einen verächtlichen Blick unge­ straft zuwerfen darf, sondern als Kinder Gottes, über die der Vater schützend seine Hände ausbreitet. Wer selbst ein Mensch zu werden strebt nach dem Bilde Gottes, dem ist jeder Mensch ein Heiligthum,

der macht sich zum Vertheidiger, zum Anwalt des Angegriffenen. Er wird „Gutes von ihm reden und Alles zum Besten kehren" und deckt mit seiner Liebe auch der Sünden Menge. Das ist ein edler Kriegsdienst, für einen Angegriffenen einzutreten und von ihm zu sagen:

„Er ist besser, als er scheint, und er hats

nicht böse gemeint." Kämpfe für deinen guten Namen; achte und beschirme den guten

Namen deines Nächsten!

Amen.

154

Der Quell der Sünde; Strafe und Lohn.

19.

Die Quelle der Sünde; Strafe und Loh«. (Am Buß- und Bettag.) 2. Mos. 20, 17, 5 u. 6.

Laß dich nicht gelüsten deines Nächsten Hauses.

Laß dich nicht gelüsten deines Nächsten Weibes, noch seines Knechtes,

noch seiner Magd, noch seines Ochsen, noch seines Esels, noch Alles, was dein Nächster hat. Denn ich,

der Herr,

dein Gott, bin ein eifriger Gott,

der da

heimsuchet der Väter Missethat an den Kindern bis ins dritte und

vierte Glied,

die mich hassen; und thue Barmherzigkeit an vielen

Tausenden, die mich lieb haben und meine Gebote halten.

^eute ist Bußtag.

Da sollst du nicht etwa meinen, dadurch,

daß du einen Tag still verlebst, vor Gott ein gutes Werk zu thun und begangene Sünden zu sühnen.

Auch handelt es sich nicht um

wehmüthige Klage über die menschliche Sündhaftigkeit im Allgemeinen,

wie über die Sünden der Einzelnen im Besonderen. Dieses weinerliche Reden von der menschlichen Verderbniß ist bei den Kindern

der

Welt mit vollem Recht ein Gegenstand der Verachtung

des

Spottes.

und

Vielmehr sollst du heute in deinem inneren Leben etwas

thun, was jeder nur einigermaßen ordnungsliebende Mensch in seinem wirthschastlichen Leben von Zeit zu Zeit ganz von selbst thut, nämlich einen Ueberschlag machen, das Ganze überblicken, die Summe ziehen.

Gehe in aller Stille in dich, ohne viel Aufsehen davon zu machen

und ohne dir etwas darauf einzubilden; dir selbst ein.

kehre in aller Sülle bei

Da wird es dir so wohl und so weh werden, wie

wenn du nach langem Umherirren in der Welt wieder einmal den Boden deiner Heimath betrittst.

Ueberlege dir, was du gefehlt hast

gegen Gott und die Menschen und dich selbst, siehe deinen Sünden und Fehlern klar ins Auge, nicht um darüber zu klagen, sondern um sie mehr und mehr zu überwinden.

Und bleibe nicht bei dir

Gehe im Geist zu Gott.

Im Glauben an Jesum

selbst stehen.

Christum, deinen Versöhner, lege alle deine Sünden, auch die un­ erkannten, vor Gottes Angesicht nieder. gebung.

Bitte ihn reuig um Ver­

Du darfst es thun; denn du bist durch Jesum Christum

Der Quell der Sünde; Strafe und Lohn.

Gottes Kind und Erbe.

155

Bitte ihn um Kraft, weiter zu kämpfen

gegen den Feind in deiner Brust, damit dein Leben immer mehr

ein Quell des Segens werde für dich und für die Deinen. glaube

fteudig

und zuversichtlich,

Dabei

daß dir Alles das mit Gottes

Hülfe gelingen werde, daß es mit dir vorwärts und aufwärts gehen werde.

Und wenn du die Bedeutung dieses Tages in diesem Sinne

auffassest, dann wirst du erkennen, daß er dich nur mit besonderem Nachdruck an das erinnern soll, was

du jeden Tag thun sollst,

nämlich nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich

leben, täglich

känipfen, Gott bitten um Vergebung und um Kraft. Dabei wollen wir uns an die Schriftworte halten, die wir ge­

hört haben.

Indem wir diese betrachten, kommen wir heute zum

Schluß unserer Betrachtungen über die heiligen zehn Gebote, die

wir in den letzten Wochen an uns haben vorüberziehen lassen.

Das

„Laß dich nicht gelüsten" weist uns hin auf die tiefste Quelle unserer Sünde.

Das andere Wort aber „Ich, der Herr, dein Gott,

bin ein eifriger Gott" u. s. w. weist uns hin auf die Strafe, die Gott androht denen, die seine Gebote übertreten, und auf den un­ ermeßlichen Segen, welchen er denen verheißt, die seine Gebote halten.

1. Die tiefste Quelle unserer Sünde ist die böse Lust.

Im

neuen Testament wird gegenüber der Ansicht, daß unsere Sünde das Werk einer außer uns stehenden bösen Macht sei, betont: „Ein Jeglicher wird versucht, wenn er von seiner eigenen Lust gereizet und gelocket wird."

Die Ansicht, als ob der König im Reiche des

Bösen die Ursache unserer Sünde sei, wird den Menschen der heutigen Zeit immer ftemder und unverständlicher. nach anderen Ursachen außer sich selbst.

Um so mehr sucht man Hat ein Mensch gestohlen,

so macht man dafür die Noth verantwortlich, in welcher er gedarbt

habe.

Ist ein armes Menschenkind dem Laster und der Sünde ver­

fallen, so sagt man:

„Wie ist das anders möglich in einer Zeit,

in welcher ein Mensch sich durch ehrliche Arbeit kaum das trockene Brod verdienen kann."

Hat sich Jemand am Leben eines Menschen

vergriffen, so sucht man die Schuld darin, daß ja durch die Massen­

kriege und ebenso durch die Massenarbeit unter steten Gefahren die Achtung vor dem Menschenleben in der heutigen Menschenwelt außer­

ordentlich gesunken sei.

Hat sich Jemand zu einer Verleumdung,

156

Der Quell der Sünde; Strafe und Lohn.

zu einer Beschimpfung des guten Namens hinreißen lassen, so sucht

man die Schuld in der allgemeinen Reizbarkeit unseres Zeitalters.

Diese Art der Beurtheilung mag ein gewisses Recht haben, wenn man über die Sünden Anderer zu urtheilen hat, aber sie ist falsch, wenn wir an unsere eigene Schuld denken und von ihr sprechen. Durch solche Entschuldigung suchen wir uns von der eigenen Ver­

antwortung zu befreien.

Hier muß das Wort in seiner ganzen Strenge

gelten: „Laß dich nicht gelüsten!

Ein Jeglicher wird versucht, wenn

er von seiner eigenen Lust gereizet und gelocket wird." ist der Quell deiner Sünde.

Deine Lust

Alle Sünde der Welt, alle die glänzende

Macht der Verführung, alle schmeichelnde Beredtsamkeit der Ver­ suchung würde keine Macht über dich haben, wenn nicht in dir deine böse Lust wäre.

In dir liegt die Macht, welche von der Versuchung

angezogen wird,

in dir der Betrug, als wäre das Schlechte, das

Gemeine harmlos, entschuldbar.

In dir ist die Blindheit, die von In dir wohnt der Un­

deiner göttlichen Würde nichts mehr sieht. glaube, der dir zuflüstert:

„Sollte Gott dir wirklich das verboten

haben; sollte es wirklich eine Vergeltung geben?"

In dir liegt der

Freiheitstrotz, der dir sagt: „Beuge dich nicht unter Gesetze, die dir

von außen her aufgelegt werden; du bist dir selbst Gesetz."

Kurz:

Die Schlange im Paradies, von welcher die heilige Schrift erzählt, ist die böse Lust im Paradies deines Herzens.

gekommen?

Wie ist sie dahin

Warum hat Gott nicht den Cherub vorher vor des

Paradieses Pforte

gestellt,

daß

er diese Schlange

nicht einließ?

Weil er wollte, daß auf Erden Menschen wohnten, die durch Nacht

und Irrthum, durch Kampf und Kreuz, durch Fallen und Auferstehen sich hindurcharbeiten sollen.

Sünde gegeben.

Damit hat Gott die Möglichkeit der

Diese Möglichkeit ist zur Wirklichkeit geworden.

In dem frei geschaffenen Menschen muß die böse Lust wohnen. Dieses Sichgelüstenlassen greift nach

unersättlich,

wie

der

Abgrund

der

allen Seiten hin; es ist

Hölle.

Das

Menschenwesen

ist so eng, so begrenzt, aber in dieser Hinsicht kann es unermeßlich weit werden,

daß

die ganze Welt

es

nicht auszufüllen

vermag.

Dieses Begehren rüttelt an den heiligen Schranken, mit denen uns

Gottes Gesetz umgeben hat, wie ein wildes Thier an den Eisen­

stäben seines Kerkers rüttelt, nm sich auf die Menschen zu stürzen. Dieses

Begehren wird

zum Neid,

mit welchem der

Eine

zum

157

Der Quell der Sünde; Strafe und Lohn.

Reichthum des Andern blickt, und der seine Träume hinaussendet

in die Zukunft, wo er auf den Trümmern der gegenwärtigen Ge­ sellschaftsordnung ein goldenes Zeitalter entstehen sieht, zum Neid,

der unserem Volke seinen Frieden nimmt, es zerreißt, sein öffentliches Leben zu einem Krieg

Aller gegen Alle macht.

Dieses Begehren

offenbart sich in dem wüthenden, rücksichtslosen Konkurrenzkampf

der heutigen Zeit, in welchem der Starke viele Schwache um sich her niedertritt, um den ersehnten Gipfel des Reichthums zu erreichen.

Dieses Begehren wird zur Eitelkeit, zur Selbstgerechtigkeit, welche

vor den Menschen

Anderen den guten Namen nimmt, um selbst zu glänzen.

Es rüttelt an den heiligen Banden des Familien­

lebens, an der Ehe, und achtet den Frieden anderer Häuser nicht, es strebt dort einzubrechen, wie ein Dieb in der Nacht.

Es wird

zur vergifteten Phantasie, welche ruhelos durch die Welt schweift, und überall findet sie Versuchung und Begierde.

Dieses Begehren

wird, je weniger ihm Widerstand entgegengesetzt wird, um so stärker;

es überwuchert alles Gute; es zieht den Menschen immer tiefer hinab in die Dunkelheit.

Er wird immer schwächer, immer machtloser.

Manchmal, wenn er noch über sich ein kleines Stück vom blauen

Himmel sieht, oder wenn wie im Traum eine Erinnerung an seine reine Kindheit, an seine schuldlose Jugend durch seine Seele zieht,

da kommt über ihn eine tiefe schmerzliche Sehnsucht nach Reinheit, nach neuem Leben, nach Vergebung.

Aber die eigene Kraft reicht nicht

aus zu einem entscheidenden Entschluß.

von der Luther singt.

Das ist die „tiefe Noth",

Ja, es bleibt in diesem Kampfe für uns Alle

schließlich nichts, als das Vertrauen auf Gottes Gnade, die auch in

die tiefste Finsterniß hinabsteigt, um uns emporzuziehen aus lauter Güte.

Aber dazu wirst du um so eher kommen, je mehr du treu

kämpfst, je mehr du dich an das Gebot hältst: lüsten!"

„Laß dich nicht ge­

Bitte Gott um seinen Beistand, ziehe durch das Gebet die

Kraft des Himmels zu dir herab, ergreife die Hand deines starken Bruders Jesus Christus, der dich vorwärts führt, dich emporzieht. Und dazu gehört vor Allem noch Eins.

in der Menschenseele ein unendliches Begehren. an, demselben die rechte Richtung zu geben. sich heraus.

Es liegt nun einmal

So kommt es darauf Der Mensch will aus

Er will erwerben, gewinnen, herrschen.

zum Herrschen geboren.

Denn er ist

Dazu hat Gott ihm die Arbeit gegeben.

158

Der Quell der Sünde; Strafe und Lohn.

durch welche der Mensch sich die Welt unterwerfen soll.

Sie ist

nicht nur ein Nothbehelf, ein nothwendiges Uebel, welches sich nun einmal nicht aus der Welt schaffen läßt, weil der Mensch arbeiten muß, um leben zu können; sondern sie ist Gottes Gebot, die von

Gott gestellte Aufgabe. Denn „im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brod essen." Sie ist das Zeichen des mündigen Menschen. Nur das Kind arbeitet nicht und der noch im Naturzustand lebende Heide. Der mündige Mensch arbeitet. Die Arbeit trägt das schlichte Werktagsgewand, aber sie ist eine große, mächtige Königin; sie verbindet Länder und Meere miteinander und bahnt Straßen durch die hohen Berge. Daß es so ist, daß die Arbeit des Menschen die Welt überwindet und beherrscht, das ist Gottes Wille und Gebot. In dieses Begehren hinaus in die Welt soll der Mensch seine Kraft hineinlegen. Auch der du nur ein ganz kleines Stück Erde zu be­ bauen hast, lege deinen ganzen Willen, deine ganze gesammelte Kraft in diese Arbeit, um darin für die Menschen etwas Tüchtiges zu leisten, und für dich selbst etwas Tüchtiges zu werden, das sei dein Begehren. Du sollst begehren, die Welt mit deiner Arbeit zu be­ herrschen, und dann weiter sollst du begehren, die Menschen durch deine Liebe zu gewinnen. Indem du über die Erde gehst, siehst du manches begehrenswerthe Gut, Geld und Pracht, Freude und Genuß, Schätze der Bildung und Erkenntniß, und Alles lockt dich: „Komm, nimm mich mit." Aber das Begehrenswertheste übersiehst du nur gar zu ost. Es begegnen dir Menschen, die sich nach

Freundschaft, nach Treue, nach helfenden Händen sehnen. Deren Herzen begehre zu gewinnen. Laß dir kein Herz fremd bleiben, das dir das Leben zuführt. Bring ihm Liebe und Vertrauen entgegen, wecke in ihm einen Ton der Dankbarkeit. Freue dich mit den Fröhlichen, weine mit den Weinenden. Suche die Last der Müh­

seligen zu erleichtern, trockene die Thränen der Traurigen.

Das

sei dein Begehren. Im dunklen Erdtheil giebt es ein Königreich, in

welchem der Blutdurst und die Grausamkeit regieren.

Wenn dort ein

König gestorben ist, so werden einige Hundert Menschen hingemordet, damit der König im Jenseits ein großes Gefolge habe. Wenn du

einst hinübergehst, so sollst du auch ein großes Gefolge haben.

Die

Herzen der Menschen, welche du durch Liebe, Treue und Hingebung

dir gewonnen hast, die folgen dir nach, die gehören dir auch in der

Der Quell der Sünde; Strafe und Lohn.

Ewigkeit.

159

Menschen durch Liebe dir gewinnen, das soll dein Be­

gehren sein.

Und das Größte:

Gott mit deinem Glauben umfassen.

Es liegt in deiner Seele ein unendliches Begehren.

Du

findest

in keiner Freude und in keinem Genuß, in keiner Erdenliebe, in keiner

Wissenschaft

und

Kunst,

du findest in

keinem

Anschauen

Du begehrst hinauf.

der Herrlichkeit dieser Erde deine Ruhe.

Du

willst Gott selbst haben, „denn du, o Gott, hast uns geschaffen zu

dir hin; und unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir." Dein Glaube geht aus, wie einst Abraham, verläßt Vaterland und Freundschaft, um in ein Land zu gehen, das Gott ihm zeigt.

Im

Gebete steigst du empor, lässest hinter dir der Erde Lust und Leid,

der Erde glänzende Reichthümer und der Erde Staub, und willst

Gott, Gott selbst haben.

Ja noch mehr!

In der Gemeinschaft mit

Gott willst du werden wie Gott, rein wie er, selig wie er, durch die Liebe willst du werden, wie er.

Welch ein Begehren!

Wir

gebrechlichen, schwachen, sterblichen Menschen, die wir blühen und verwelken wie die Blume des Feldes, wir können es nicht lassen,

Gott hat uns die Sehnsucht in das Herz gelegt, und Christus hat

sie uns zum klaren Bewußtsein gebracht:

Wir wollen Gottes Kinder

werden, ihm gleich sein, ihn schauen, wie er ist.

Du sollst begehren, die Welt durch deine Arbeit zu beherrschen,

die Menschen in Liebe zu gewinnen, Gott im Glauben zu umfassen. Und wenn dieses Begehren dich erfüllt, dann wird das falsche Be­ gehren, das sündige Gelüsten in dir keinen Raum finden. 2. Laßt uns weiter sehen, wie das falsche Begehren, die Sünde,

schwere Strafe, das rechte Begehren aber unaussprechlichen Segen nach sich zieht.

Gott wird hier ein eifriger Gott genannt, wie ein Aufseher,

der überall seine Augen hat, wie eine sorgfältige Hausfrau, deren

Blicken nichts in ihrem Hause entgeht. Gott, alle Sünde in der Welt.

So sieht Gott, der eifrige

Wenn die Menschen suchen und

suchen nach dem Thäter und immer wieder seine Spur verlieren und

wie vor einem Räthsel stehen, Gott kennt den Thäter; das Auge

Gottes ruht auf ihm, folgt ihm auch übers Meer, auch bis in die fernste Einsamkeit.

Mensch

Gott sieht auch die verborgene Sünde, die kein

gesehen hat.

Sein Flammenauge dringt nicht nur in das

160

Der Quell der Sünde; Strafe und Lohn.

verschwiegene Wände und durch

Dunkel des Waldes oder durch

verschlossene Thüren hindurch, sondern auch durch all den äußeren

Glanz, die glatten Formen, die Scheinheiligkeit, die frommen Mienen bis auf den Grund des Herzens.

„Er prüft Herz und Nieren."

„Er kennt unsere Gedanken von ferne." erkannte Sünde ins Licht

„Er stellt auch unsere un­

vor seinem Angesicht."

Auch

unseren

Selbstbetrug, in welchem wir uns vorreden, unsere Absichten, Beweg­

gründe seien gut, während sie doch vielleicht thatsächlich aus Be­

quemlichkeit und Selbstsucht stammen, auch diesen Selbstbetrug zer­

streut er.

In unserem Handeln ist Gutes und Sünde oft vermischt,

so daß wir selbst gar nicht im Stande sind. Beides von einander

Vor Gottes heiligem Auge ist Beides ganz reinlich

zu scheiden.

von einander geschieden.

Wir sind uns oft selbst wie ein Geheimniß,

wie ein verschlossenes Buch, betrachten staunend die Gedanken, die

in unserer Seele aufsteigen, wissen nicht, woher sie kommen, sehen uns verwundert auf Wegen und begreifen nicht, wie wir sie betreten konnten.

Gott versteht uns, wenn wir uns nicht verstehen.

Denn

er ist der große Meister, der auch unser inneres Wesen wunderbar Der Glaube an die Allwissenheit Gottes, das Be­

bereitet hat.

wußtsein, auf Schritt und Tritt vor Gottes Angesicht zu sein, ist

uns vielfach

abhanden gekommen.

Man hat früher mehr davon

gepredigt und fester daran geglaubt, als jetzt, und es hat viel Segen darin gelegen. auch

Es liegt in diesem Glauben ein tiefer Ernst, aber

eine heilsame Kraft.

Richterstuhl stellen,

Wenn wir uns jeden Tag vor Gottes

wenn wir uns gewöhnen an den Gedanken,

vor seinem Angesicht zu wandeln, so wird uns das nicht nur einen festen Halt geben, sondern uns auch befreien von der Furcht vor

dem ewigen Gericht. Gott ist ein eifriger Gott. eine Strafe verbunden.

Deshalb hat er mit jeder Sünde

Sünde und Strafe hängen zusammen nach

einem unerbittlichen Gesetz, wie Licht und Schatten. kann willkürlich dem andern «Strafe erlassen;

willkürlicher, sondern ein gerechter Gott.

heilig und gerecht. wenn unsere Seele empfunden hat.

Tage

liegt

und

Ein Mensch

Gott aber ist kein

Auch seine Gnade ist

Auch seine Vergebung kann uns nur trösten,

in der bitteren Reue die Strafe der

Sünde

Weist nicht hin auf Menschen, deren Sünde am

gen

Himmel

schreit,

und

die

doch

scheinbar

Der Quell der Sünde; Strafe und Lohn.

161

Gott ist ein verborgener Gott,

ungestraft in der Welt umhergehen.

deshalb hat er auch die schwersten Strafen in das verborgene

In dir brennt die Hölle.

Leben der Seele gelegt.

Und wenn

allmählich sich das Gewissen abstumpst, und der Mensch, wie man

sagt, schließlich kein Gewissen mehr hat, unempfindlich wird gegen die Strafen des inneren Lebens, wenn er die Achtung vor sich selbst verliert, das Gute nicht mehr wollen kann und das Böse wollen

muß, wenn die Schmerzensschreie der gemißhandelten Seele immer ferner verklingen, wenn er so dem geistlichen Tode verfällt — das ist eben die schwerste Strafe. In unserem Schriftwort wird nun aber noch auf eine besondere

Wirkung der Sünde hingewiesen.

Väter

heimsuchen

vierte

Glied."

an

„Gott will die Sünden der

den Kindern

Das erscheint

bis

dritte

ins

daß

euch undenkbar,

und

Gott un­

schuldige Kinder die Sünden ihrer Väter will büßen lassen.

Doch

es ist nun einmal so, daß zwischen den Sünden der Väter und den Leiden der Kinder oft ein Zusammenhang besteht. nun einmal nicht ein einzelnes Wesen

Der Mensch ist

für sich,

sondern er ist

hineingestellt in einen geschichtlichen Zusammenhang, nimmt von

den ihn umgebenden Verhältnissen,

von den Menschen,

die ihn

erzogen haben, ein Erbe mit in das Leben, und ebenso gehen von

ihm Wirkungen aus auf die, welche nach ihm kommen.

Darauf

weist uns unser Schriftwort hin, daß nicht nur dein Heil, dein

Glück abhängt von deinem sittlichen Handeln, sondern auch das Heil,

das Glück derer,

die nach dir kommen.

Deine

Handlungen

begleiten dich nicht nur bis an dein Grab, sondern sie wandern über dein Grab hinaus und machen sich geltend in dem Leben derer, die

deinen Namen tragen,

die dein Wesen, deinen Charakter erben.

Hier offenbart sich uns der furchtbare Ernst der Sünde. barsten wird das in der Geschichte der Völker.

Am offen­

Vor Jahrzehnten

gab es eine Zeit, und sie ist jetzt noch nicht vorüber, da galt es als ein besonderes Zeichen der Bildung, sich um Kirche und Religion

nicht zu kümmern.

Gegensätze.

Bildung und Religion galten als unvereinbare

Die Sünden von damals treten in dem heutigen Ge­

schlecht zu Tage, in den großen Massen von Menschen, welche nicht nur

die Religion,

sondern

auch

die

sittlichen

Grundlagen

des

Lebens über Bord geworfen haben, und Generattonen werden noch Kirmß, Predigten.

U

162

Der Quell der Sünde; Strafe und Lohn.

dahingehen, ehe dieser Schade einigermaßen gekeilt sein wird.

Es

gab eine Zeit, da die Kirche dastand wie ein unbeweglicher Fels in

der Zeit,

dem Sturme

heutigen Menschen unbeachtet

die tiefen lebendigen Bedürfnisse

der

ließ und den Ruf nach einer Auf­

ein

heutiger Mensch

glaube» und verstehen kann, vornehm überhörte.

Die Strafe für

fassung des

christlichen Glaubens, die auch

diese Sünde trägt

das heutige Geschlecht, welches in seiner Ab­

wendung von der Kirche sich innerlich so elend, so ruhelos und un­

befriedigt fühlt.

seiner Väter

Das Haupt Ludwigs XVI. fiel, weil die Sünden

an ihm heimgesucht wurden.

die Hugenotten

vertrieben;

nicht mehr zur Ruhe.

seitdem

In Frankreich wurden

kommt das

Land

innerlich

In einer Familie sind Kinder herangewachsen

in der Ueppigkeit eines unehrlich erworbenen Reichthums.

Da zer­

rinnt das Geld, wie es gewonnen wurde, und die Kinder stehen verwöhnt dem rauhen Leben gegenüber.

Wie manches junge Menschen­

leben siecht kümmerlich dahin unter den Sünden der Väter.

Die

Zukunft euerer Familien, eueres Vaterlandes ruht in euerer Hand. Darum wachet, kämpfet.

Denn ihr tragt eine schwere Verantwortung.

Könnten wir nun noch daran zweifeln, daß Gott auch da ge­ recht ist, wo er die Sünden der Väter heimsucht an den Kindern, so wird dieser Zweifel uns genommen, wenn wir auf das Andere Hinblicken, daß er denen, die seine Gebote halten, Gutes thut bis

ins tausendste Glied.

Ist das nicht ein gerechter Gott, der von

den Händen der Menschen nicht nur Verderben ausgehen läßt, das in der Zukunft fortwirkt, sondern auch Segen, der weiter strömt bis zu fernen Geschlechtern?

sonders gesegnet hat.

Blickt empor zu den Großen, die Gott be­ Wann hört der Segen auf, der einst von

jenem Teppichweber ausgegangen ist, welcher ruhelos durch die Länder zog, jenem friedlichen Eroberer, der mit seinem Wort mehr Städte

erobert hat als Cäsar

oder Alexander der

Große,

dem

großen

Führer, der, wie Mose Israel aus Egypten führte, so die Menschen

aus dem Knechtshaus des Gesetzes zur Freiheit der Kinder Gottes geführt hat?

Wann hört der Segen auf, den der Bergmanns­

sohn aus Thüringen seinem Volke gebracht hat, dieser Segen, der immer größer wird, je mehr den Menschen das Verständniß auf­

geht für die Größe dieses Mannes, für seinen unergründlichen Geist,

für seine Kraft, die in Gott gebunden der ganzen Welt trotzte, für

163

Der Quell der Sünde; Strafe und Lohn.

sein Kindesgemüth, das heute noch von den Kindern verstanden wird,

für seinen schlichten Familiensinn, der für alle Zeiten unserem Volke das Bild eines echten deutschen Familienlebens vorgelebt hat.

Wann

wird der Segen aufhören, welcher ausgegangen ist von jenem milden, hohen Herrscherbild, zu dem immer am 22. März unser Volk emporblickt, von diesem treuen Eckardt des deutschen Volkes, diesem Urbild

Schlichtheit,

deutscher

Treue,

Gewissenhaftigkeit.

Welche

Zeiten auch kommen, wie hoch auch die Wogen gehen werden, die

Besten unseres Volkes

werden immer

wieder

aufblicken zu ihm,

und sie werden wieder glauben lernen an die Zukunft.

Und von

der Weltgeschichte tretet in euer Haus und seht da die schlichten

Bilder an den Wänden an, die euch die Alten zeigen, die, zu deren Füßen ihr

einst gesessen, welche euch die ersten

Schritte

gelehrt

haben auf dem Wege des Guten, der Redlichkeit, der Gottesfurcht, und die euch Frömmigkeit und Treue als bestes Erbe mitgegeben haben auf eueren Lebensweg.

Ihr hofft mit aller Bestimmtheit, daß

dieser Segen der Väter auch eueren Kindern zu Theil werden wird.

Gott will ja segnen, die seine Gebote

Glied.

Hört es, ihr Menschen,

halten, bis ins tausendste

wenn ihr Gottes Gebote haltet,

soll von euch ein Segen ausgehen, der da bleibt von Geschlecht auf Spät nach

Geschlecht.

euch werden Menschen

kommen, in einer

ganz neuen Zeit leben, in der das Alte vergangen und Alles neu

geworden ist, und in der euer Name werden wird. er wird

fortströmen unaufhaltsam,

getragen wird zum Strome

wie die Welle im Bach hin­

und im Strom zum Meer und im

Meere vom Winde weitergetrieben wird.

Meereswellen.

genannt

längst nicht mehr

Aber euer Segen wird unter den Menschen bleiben,

Welch eine

heilige

Euer Segen soll sein wie

Gerechtigkeit Gottes,

die nicht

nur die Sünden der Väter heimsucht an den Kindern bis ins dritte

und vierte Glied,

auch die, welche seine Gebote

sondern

halten,

Muß nicht diese Verheißung uns

segnet bis ins tausendste Glied!

zur Buße reizen? Blicke in dein Herz

und

Blicke empor zu Gott und

suche

suche

da den Quell

in ihm

der Sünde.

den Quell des Heils.

Blicke in die Zukunft und siehe die Folgen deines Thuns. entscheide dich, heute, jetzt! übergehen!

Amen.

Dann

Laß diesen Tag nicht ungenutzt vor­

164

Die geistlich Armen.

20.

Die geistlich Armen. Matth. 5, 3.

Selig find, di« geistlich arm find: denn das Himmelreich

ist ihr.

9as muß ein wunderbarer Gottesdienst gewesen sein, den Jesus

dort mit seiner ersten Gemeinde auf der Höhe eines Berges gehalten hat.

Die Lüfte, die dort oben wehten, haben seine Worte über die

Länder und durch die Zeiten getragen, und immer wieder steigen

die Menschen empor, innerlich empor, um diese Predigt vom Berge zu hören.

So klingen.

möge

sein

erstes

Wort in unsere heutige Versammlung

Es klingt wie ein Räthsel.

Sein Sinn ist tief verborgen.

Aber wenn es uns gelingt, seine Hülle zu lösen und hineinzublicken in seinen Sinn, so erschließen sich uns Quellen der Wahrheit, die sich gar nicht erschöpfen lassen.

Laßt uns mit einander reden von den

geistlich Armen,

und zwar zuerst sehen,

was wir unter diesen geistlich Armen

zu verstehen haben, und dann wie ihnen das Himmelreich gehört.

1.

In etwas anderer Fassung wird unser Textwort von Lucas

berichtet: „Selig seid ihr Armen, denn euer ist das Reich Gottes." Was für Arme sind hier gemeint? Das Gegenstück zu diesem Worte ist das andere:

„Ein Reicher

mag schwerlich in das Reich Gottes kommen," d. h. der ein Sklave seines Reichthums ist und seine Seele von den Sorgen, den Genüssen

und dem Betrug

des Reichthums hat binden lassen und der von

dem schweren kalten Gold seine unsterbliche Seele hinabziehen läßt in den Tod, dem müssen ja nothwendig Wahrheit, Reinheit, Friede

und Freude unverständliche Dinge sein, dem ist auch Gott und das Reich Gottes unverständlich.

Denn

seine Seele

hängt

an ganz

anderen Werthen, als diese Werthe der unsichtbaren Welt sind.

Es

giebt nun Menschen, die reich an irdischen Gütern sind, und doch von diesem trostlosen Zustand nichts wissen.

Und es giebt wieder

Arme, die mit ihrem Durst nach den Genüssen des Reichthums, mit

Die geistlich Armen.

165

ihrem Haß und Neid gegen alle Bessergestellten sich nur dadurch von jenen „Reichen" unterscheiden, daß, während Jene hängen an dem,

was sie besitzen. Diese ihre Seele hängen an das, was sie besitzen

möchten.

Im übrigen stehen sie ebenso Verständnißlos wie Jene den

Gütern des Reiches Gottes gegenüber.

Jesus hat also nicht die Armen überhaupt gemeint,

sondern

bestimmte Arme, nämlich die, welche ihre Armuth im rechten Sinne

auffassen und sie dem Reiche Gottes dienstbar machen. gerade in der Armuth Quellen der Seligkeit fließen.

gefunden.

Es köimen

Jesus hat sie

Denn er ist selbst arm und in der Armuth selig gewesen.

Seine Jünger hat er aus den Armen gewählt; die erste Gemeinde in Jerusalem bestand aus Armen, ebenso die Gemeinden, die Paulus

gründete.

Während die heidnische Welt hingegeben war an die Un­

ruhe eiteler Vergänglichkeit — welch eine Freude, welch eine Selig­

keit in dieser kleinen Gemeinde der Armen, der Bettler!

stehen wirs aus jener Zeit heraus:

So ver­

„Selig seid ihr Armen;

denn

euer ist das Reich Gottes."

Und, bei aller Bitterkeit der Armuth, bei allen Lasten, die sie zu tragen hat, es fließen in ihr auch heute noch, wie zur Zeit Jesu, Quellen der Seligkeit. Heute ist es noch

ebenso,

schon insofern,

als hier die Ver­

suchungen des Reichthums fehlen, und seine Genüsse ihre verweich­ lichenden

und

erschlaffenden Einflüsse nicht geltend machen.

weht eine scharfe, sittlich abhärtende Luft.

Hier

Die Entbehrungen der

Armuth sind eine gute Schule, in der sich tüchtige, selige Menschen bilden.

Arme, welche in ihren fortwährenden Kämpfen mit dem

Leben, unter täglichen Entbehrungen und Sorgen doch ihren Glau­ ben, ihre innere Würde, ihr Gottvertrauen festhalten, welche gerade

durch ihre äußere Armuth sich treiben lassen, ihren Reichthum in Gott zu suchen, die sprechen:

„Wir haben nichts auf der Welt, aber

wir haben Vieles über der Welt, nämlich einen gütigen treuen Gott

und

eine ewige Heimath,"

Arme, welche sich von ihrer Armuth

dazu erziehen lassen, nicht in dem äußeren Flitter des Lebens, son­ dern in innerer Tüchtigkeit und Ehrenhaftigkeit den Werth des Menschen zu sehen. Arme, deren Lebensgenüsse sehr bescheiden sind, die aber in diesen einfachen bescheidenen Freuden, z. B. in einem einfachen

Sonntagsgang ins Freie mehr wirklichen inneren Genuß haben, als

166

Die geistlich Armen.

Mancher in auserlesenen Genüssen, Arme, die in einer übersättigten

und in Weltlust sich zersetzenden Welt das der Fäulniß wehrende Salz der Gesellschaft sind. Arme, die ihren Kindern einen ehrlichen

Namen

und die segensreichen Einflüsse

eines in Gottesfurcht und

Arbeit gefestigten Familienlebens als kostbares Erbe hinterlassen — seht, das sind auch heute die Leute, denen es gilt:

Armen.

Selig seid ihr

Und ich glaube, mancher heuttge Mensch, der an seinem

Reichthum mehr Last als Lust hat, stimmt mit leiser Wehmuth ein: Ja, selig seid ihr Armen.

Das sind die Armen,

die Jesus selig

preist.

Wenden wir uns nun aber dem Worte zu, wie es uns hier von

Matthäus berichtet wird:

Selig sind, die geistlich arm sind", so

sehen wir zu der Gemeinde, zu der Jesus redet, noch Viele sich hinzugesellen.

Wer sind nun die „geistlich" Armen?

Das Gegen­

theil zu diesen geistlich Armen bilden die geistlich Reichen.

Unter

diesen haben wir nicht etwa die großen Gelehrten zu verstehen, die tiefen Denker, welche Lehrer ihrer Völker und ihrer Zeitalter sind.

Menschliche Wissenschaft schließt nicht vom Himmelreiche

wenig als sie das Himmelreich uns erschließt.

aus, so

Vielmehr sind unter

den geistlich Reichen die Pharisäer zu verstehen, die sich geistlich

reich

dünken.

Jesus hat über keine verkehrte Richtung des reli­

giösen Lebens so scharf geurtheilt, wie über dieses Pharisäerthum. Solch ein dünkelhafter selbstgerechter Mensch bewundert sich selbst;

wie kann er glauben an die Liebe Gottes, die den Demüthigen erhöht?

Er kann nicht vergeben; wie kann er glauben an die ver­

gebende Gnade Gottes?

Er fühlt sich vollkommen, fertig, satt; er

kennt deshalb kein Stteben mehr, kein Hoffen und Verlangen.

Wie

kann da Jesus, der das Himmelreich bringt, ihm ein Erlöser werden?

Wenn das Erdreich vom Regen gesättigt ist, kann es kein Wasser mehr in sich aufnehmen; vielmehr vernichtet der vom Himmel strö­ mende Regen die Saat; dann verhärtet sich unter den heißen Sttahlen der Sonne die Oberfläche der Erde zu einer festen Kruste, und das

fruchtbare Feld wird zur Wüste.

So gehts.mit den Menschen, die

sich geistlich reich, fertig, vollkommen fühlen.

Wenn die Sttöme der

segnenden Güte Gottes auf sie niedersttömen, so sagen sie: ich glücklich bin, ist ja selbstverständlich; ich Habs verdient."

„Daß

Und

wenn die Fluthen der göttlichen Heimsuchung auf sie niederstürzen.

Die geistlich Armen.

so sagen sie:

167

„Welch eine Ungerechtigkeit in der Welt; ich Habs

doch nicht verdient!"

In beiden Fällen wird ihr Inneres nur

immer härter und unfruchtbarer.

Hier ist keine Seligkeit mög­

lich, deshalb, weil das Herz dagegen verhärtet ist. Sind dies die geistlich Reichen, so wißt ihr nun selbst, was

wir unter den geistlich Armen zu denken haben, nicht etwa die geistig Beschränkten, die arm sind an Kenntnissen und geistiger Bil­ dung, sondern vielmehr jene im besten Sinne demüthigen und bescheidenen Menschen,'die sich arm fühlen an geistlichen Gütern. Geistliche Armuth ist nicht jene heuchlerische Demuth, die immer in übertriebenen Worten von der Verderbtheit der menschlichen Natur redet und sich dieses demüthige Gebühren als Verdienst anrechnet, sondern die wahre ehrliche Demuth, die nicht viel Worte macht und ebenso ruhig wie würdevoll ihren Weg geht. Auch nicht jene träge Demuth ist gemeint, welche aufhört zu kämpfen und zu streben, weil sie verzweifelt, das Ziel je zu erreichen; sondern jene Demuth, die zugleich Muth ist, die nicht müde wird, an sich zu arbeiten, bis zum letzten Augenblick, bis Gott die Ruhe giebt. Aus dieser geist­ lichen Armuth steigt das Gebet empor: „Du, Gott, mußt mir helfen; ohne dich kann ich nichts thun; aber du wirst mir auch helfen; des­ halb will ich nicht müde werden." Die größten und besten Menschen gehören zu diesen geistlich Armen. Denn je ernster ein Mensch nach Heiligung strebt, um so mehr erkennt er seine Unzulänglichkeit; je ernster er nach Wahrheit strebt, um so mehr erkennt er sein Wissen

als Stückwerk. Ein Paulus, der Alle um mehr als Haupteslänge überragte, und der doch seine Seligkeit nicht erwartete von seinem

Verdienst, sondern ganz allein von seinem Erlöser, der ihm Gott als den Vater geoffenbart hat; ein Luther, dieser Riese an sittlicher

Kraft, der die ganze Welt zum Kampfe herausforderte, und doch selig werden wollte nur durch die Gnade Gottes; ein Newton, der große englische Naturforscher, der die großen Gelehrten mit Kindern verglich, die bisweilen eine Perle am Strande des Meeres finden, eine Perle, die doch nichts ist im Vergleich zu den unendlichen Schätzen, die in der Tiefe des Meeres ruhen; ein Kaiser Wilhelm, der alle die beispiellosen Erfolge seines Lebens demüthig als Gabe Gottes hinnahm — so sehen die geistlich Armen aus! Der Reiche,

der da weiß, daß alle seine Reichthümer die tiefe Sehnsucht seines

168

Die geistlich Armen.

Herzens nicht stillen können, sondern daß er, wie alle Andern, einen

gnädigen Gott braucht; der Bielgefeierte, der durch alle Lobsprüche der Menschen still hindurch geht und immer der demüthige beschei­ dene Mensch bleibt; der tapfere Mann, der Alles, was er voll­ bracht hat, als etwas Selbstverständliches betrachtet, das nicht des Rühmens werth ist — das sind die geistlich Armen. So sind uns die geistlich Armen, die uns Anfangs fremd erschienen, wohlbekannt, und es regt sich in uns der Wunsch, daß auch wir zu ihrer edelen Gemeinde gehören möchten. 2. Wie können wir das erreichen? Auch hier laßt uns,

um klar zu sehen, an das Wort bei Lucas anknüpfen, daß den Armen das Reich Gottes gehört. Zwei große Gegensätze, Armuth

und ewige Herrlichkeit, werden hier scheinbar widerspruchsvoll mit einander verbunden. Zur Zeit Jesu wurde dieses Wort in einem besonderen Sinne verstanden. Die Israeliten dachten sich unter dem Reiche Gottes ein goldenes Zeitalter auf Erden, wo keine Noth mehr die Menschen bedrückt und keine Armuth sie mehr darben läßt, wo Steine zu Brod werden und die Erde in üppigster Fruchtbarkeit grünt, wo von der Gerechtigkeit Gottes neue Zustände werden geschaffen werden,

Fesseln zerreißen, Gefängnisse fallen, Joche zerbrochen werden, Tyrannen, die mit eisernem Scepter die Völker geschlagen, in den Abgrund geschleudert werden. Dann werden die Armen reich sein, die das Kleid der Dürftigkeit getragen, werden prangen in könig­ lichem Schmuck; die jetzt weinen, werden lachen; die jetzt hungern, werden gesättigt werden. Solche Anschauungen sind in der Christenheit immer wieder

aufgetaucht. Besonders in Zeiten, in denen schwere Mißstände der menschlichen Gesellschaft hervortraten und die Völker zu leiden hatten unter dem Druck der Ungerechtigkeit, sind Propheten aufgetreten,

welche den Armen znriefen: „Wartet nur, euere Zeit wird kommen, eine neue goldene Zeit, wo ihr entschädigt werden sollt für alle Ent­ behrungen und für alle Ungerechtigkeit, die ihr jetzt zu tragen habt." Es kommen denn auch heute solche Propheten, welche rufen: „Krieg

den Palästen, Friede den Hütten," welche den Menschen verkündigen, daß das alte Gebäude der menschlichen Gesellschaft bis auf den

Grund abgebrochen werden müsse, um ganz neu aufgebaut zu werden.

Die geistlich Armen.

169

und zwar so, daß die Armuth gar keinen Platz mehr darin fände,

sondern überall Fülle und Behagen sei. Und die Menschen hören begierig auf dieses neue Evangelium und berauschen sich an diesen glän­ zenden Zukunftsträumen. Der weltliche Messiastraum des jüdischen Volkes ist einst in Blut und Thränen untergegangen. Möge Gott unser Volk gnädig führen, daß nicht auch der Traum, den heute Tausende träumen, dieses Schicksal habe. Nein! So können wir das Wort, daß den Armen das Reich Gottes gehört, unmöglich verstehen. Das Reich Gottes kommt nun einmal nicht mit äußeren Gebehrden. Das müssen wir auch denen entgegenhalten, die im Namen des Christen­ thums, mit der Liebe Jesu im Herzen eine Umgestaltung der mensch­ lichen Verhältnisse herbeiführen möchten. Davon ist gewiß Vieles berechtigt. Welcher Christ möchte nicht den Armen hellere Woh­ nungen, leichtere Arbeit wünschen! Christus ist ein Anwalt der Armen gewesen. Nur soll man sich dabei hüten vor der großen Gefahr, daß Hoffnungen erweckt werden, die sich nicht erfüllen, und daß dann die Noth, die innere Noth um so größer wird. Nur darf man den Namen Jesu nicht mit Bestrebungen verbinden, welche sich nur zu leicht von dem guten Willen ihrer ursprünglichen Führer befreien und so mehr zum Schaden als zum Nutzen werden, so daß dann wieder einmal Jesus unter die Uebelthäter gerechnet wird. Daß die äußeren Verhältnisse besser werden, damit kommt das Reich Gottes nicht. Wohl aber, wenn das Reich Gottes kommt in die Herzen der Menschen, von innen heraus die Reich Gottes ist inwendig herniedersteigt und in dem

der Reichen und der Armen, dann wird Lage der Armen besser werden. Das in euch. Da, wo Gott zn den Menschen Menschen sein Wesen mit ihm hat, ihm

heilige Gedanken eingiebt und zu heiligen Werken treibt) wo er die Menschenseele berührt mit seinem Geiste, daß das Gotteskind wieder

erwacht, das nun unruhig ist auf Erden, bis es Ruhe findet in Gott; wo Gott in eine Menschenseele seine befieiende Wahrheit hineinlegt, indem er sich ihr bezeugt als die ewige Treue, die uns

nicht verlassen will; wo in die Dunkelheit menschlicher Schuld seine Stimme klingt: „Wendet euch zu mir, so werdet ihr selig!" wo sich seine Vaterarme austhun, um den reuig heimkehrenden Sohn aufzu­

nehmen; wo Gott die Sünder umkleidet mit Gerechtigkeit und die in den Staub gesunkenen Menschen aufhebt, wie der Gärtner die

Die geistlich Armen.

170 geknickte Blume;

wo

Gott Menschen

bildet

nach seinem Bilde,

Menschen, die ihn im Glauben umfassen, die in der opferwilligen Liebe einen Quell der Seligkeit finden, die mit dem Auge der Hoff­

nung hinter hohen Bergen und dunkeln Wolken das Licht der Ewig­ keit sehen, und Gottes ewiges Leben in sich tragen, und damit schon hier in den Kämpfen der Erde das Bürgerrecht haben in der zu­

künftigen Stadt — seht, das ist das Reich Gottes, das Himmelreich. Und dieses Himmelreich, diese innere Herrlichkeit kann nur den geistlich Armen werden, denen, die hungert und dürstet nach himm­

lischen Gütern, denen, die demüthig nach Gott verlangen, denen, die

unzufrieden sind mit sich selbst, ruhelos vorwärts streben, in der Sehnsucht, daß von oben Heil komme. Hier ist die Thür offen;

hier zieht das Himmelreich ein. Das dürstende Erdreich tränkt der Regen, die müde Blume wird vom Thau erquickt. Dem deinüthig nach Gott suchenden Geist erschließt das Leben und der Tod Jesu das Himmelreich, und er erkennt darin sein Heil, dem erschließt sich

der Himmel als seine Heimath, in der er ruhen und essen soll am

Tisch des Lebens. Den geistlich Armen gehört das Himmel­ reich. Nur wo die Seele sich losmacht von Selbstvertrauen und Selbstgerechtigkeit, und weit wird im Verlangen nach Gott, nur da findet Gottes Herrlichkeit Raum.

das Himmelreich.

Den geistlich Armen gehört

Du wolltest im Vertrauen auf deine Kraft

und dein Glück und deine Gerechtigkeit etwas durchsetzen, dem Ge­ schick abtrotzcn. Aber dein Schiff scheiterte am harten Fels und sein

Steuer, nämlich dein Wille, zerbrach. Gott und

Da kamst du zu dir und zu

erkanntest deine Schwachheit, und in deinen tief ge-

demüthigten Sinn klang Gottes Stimme: „Laß dir an meiner Gnade

genügen", da wurde deine Seele stille und der Friede des Himmel­ reichs kam über dich. Wenn deine Tugend dahinfällt, dann kannst du glauben an die Rechtfertigung durch die Gnade Gottes.

Wenn

dein Glück verlischt, wie das Sonnenlicht am Abend, dann machst du dich auf und wanderst heimwärts und fuchst und findest deinen Frieden in Gott. Du wurdest auf Erden arm. reich.

Aber du wurdest im Himmel

Selig sind, die geistlich arm sind; denn das Himmelreich ist ihr.

Amen.

Die Leidtragenden.

171

21.

Die Leidtragenden. (Am Todtensonnlag.)

Matth. 5, 4. Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. Lin mächtiger König, welcher Alle, die draußen auf unseren

Kirchhöfen schlafen, zur Ruhe gebracht hat, hat uns, die Lebenden, heute hier zusammengeführt. Kirchenjahres.

Es ist heute der letzte Sonntag des

Es hat sein gutes Recht, daß wir an diesem Tage

der Todten gedenken.

Dieses Gedenken aber, diese Erinnerung, soll ihr

christliches Gepräge tragen.

Wir sind hier versammelt nicht als solche,

die dem Tode wehrlos gegenüberstehen und keine Hoffnung haben.

Der Tod ist heute nicht das Ende unserer Gedanken

oder der

dunkle räthselhafte Mittelpunkt, um den immer nur unsere Gedanken

kreisen. Er

Sondern er ist nur der Ausgangspunkt unserer Gedanken.

weist uns hinauf zu

einem Gott,

Ewigkeit, die unsere Heimath ist.

der uns tröstet, zu einer

Er ist nur die Finsterniß, welche

durch ihren Gegensatz die Helle des ewigen Lichtes und des ewigen Lebens um so schärfer hervortreten läßt.

Wozu feiern wir den heutigen Sonntag?

Er ist zuerst in den

Jahren nach den Freiheitskriegen gefeiert worden zum Andenken an die, welche im Kampfe gefallen waren.

Man feierte ihn nicht, um

sich immer von Neuem wieder dem Schmerze um sie hinzugeben,

sondern um sie zu ehren und über ihren Gräbern Gott zu danken dafür, daß sie nicht umsonst gestorben waren.

Und so wollen wir

auch heute derer gedenken, die im Lebenskampf gefallen sind, nicht

um sie klagen, sondern mit freudiger Dankbarkeit ihrer gedenken,

in dem Glauben,

daß sie Alle ruhen in Gott.

„Selig sind die

Todten, die in dem Herrn sterben von nun an; ja der Geist spricht,

daß sie ruhen von ihrer Arbeit, und ihre Werke folgen ihnen nach." Wir feiern den heutigen Tag nicht, um zu trauern, sondern um

„getröstet zu werden".

Wir wollen hier als eine große Gemeinde

unseren Glauben bekennen, der die Welt und den Tod überwindet.

Die Leidtragenden.

172

und uns des ewigen Lebens getrösten, das uns Gott durch Jesus Christus verheißen hat.

Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.

1. Leidtragende sind wir heute Alle.

Alle die Leidtragenden,

die in dem verflossenen Kirchenjahr irgendwo um ein offenes Grab gestanden haben, sammeln sich heute zu der ernsten Gemeinde des Todtensonntags.

Jeder hat dabei seine eigenen Erinnerungen, Ver­

luste, Erlebnisse.

Die Gedanken des Einen ziehen hierhin, die des

Andern dorthin.

Und Mancher unter euch meint, vom Tode am

Hier sagt ein Vater oder

schwersteu verwundet worden zu sein.

eine Mutter:

„Es ist doch nichts so schwer, als ein Kind zu ver­

lieren;" da sagt eine Wittwe: ist der schwerste;" Mutter

drückt

„Der Gang zum Grabe des Gatten

am tiefsten nieder."

Unterschiede zurück.

„Der Tod der

dort wieder sagt eine Tochter: Hier

treten

aber

alle

Hier giebt es kein Mehr oder Weniger.

diese Hier

sind wir Alle arme Menschen, unter das Gesetz der Vergänglichkeit und des Todes gestellt, Menschen, die mit Thränen säen müssen,

Menschen, die hier keine bleibende Stadt haben, deren Leben nur

kurze Zeit währt und voller Unruhe ist.

Hier sind wir Alle gleich;

und wenn ihr einander auch nicht kennt, jeder von euch kann sich sagen:

„Der neben dir sitzt, ist dein Schicksalsgenosse."

Leidttagende sind wir Alle. um sichtbare Dinge.

Um was trauern wir?

Zunächst

Dadurch, daß der Tod in euere Mitte trat,

hat sich euer ganzes Leben äußerlich verändert; es ist ttüber geworden.

Hier ist einer Familie nicht nur der Vater, sondern mit dem Vater auch der Ernährer genommen; dort ist mit dem Leben einer Mutter auch die Sonne aus einem Hause geschieden, der warme Mittelpunkt, um den sich Alles in inniger Gemeinschaft schaarte.

Hier ist das

Mld jugendlicher, blühender Anmuth aus dem Kreise des Lebens geschieden;

dort sind Gestalten männlicher Kraft dem Tode zum

Raube gefallen, oder ein ehrwürdiges Haupt, dessen Anblick dir eine

Freude, eine Beruhigung war, hat sich füll im Tode geneigt.

Euer

Leben ist äußerlich ärmer geworden an Lust und Lebensglück.

Aber

ihr tragt doch nicht nur um diese äußeren Verluste Leid; ihr würdet

euere Todten und euch selbst nicht ehren, wenn ihr mit euerer Trauer dabei stehen bliebt.

Wir haben um viel Werthvolleres zu trauern.

17S

Die Leidtragenden. Euere Todten sind euch innerlich viel werth gewesen.

Die Jugend,

die in euerem Hause heranblühte, füllte euere Herzen mit Hoffnungen,

und stellte zwischen euch und der Zukunft eine innige Verbindung

her, sodaß ihr auf die Zukunft vertrautet und euch mit eueren Ge­ danken gern in ihr ergingt.

Jetzt ist diese Verbindung zerrissen,

und die Zukunft erscheint euch kahl und leer.

Ihr habt Menschen

besessen, die euch ein Halt waren und ein Licht, Leitsterne, die euch die rechte Richtung zeigten und zugleich eueren Lebensweg beschienen mit ihrem sanften Licht, Menschen, denen ihr vertrauen konntet von ganzem Herzen, an die ihr euch wenden konntet in jeder Noth des

äußeren und inneren Lebens, Menschen, die euch mit ihrer ganzen Kraft dienten, für die zu leben euch ein reicher Lebensinhalt war. Sie haben euer Leben gesegnet. und hilflos waren,

ein Glück.

Und

Und selbst wenn sie zuletzt krank

schon ihre Gegenwart, ihr Dasein war euch

wir

Alle trauern heute um Männer,

die wir

vielleicht niemals in unserem Leben gesehen haben, und die uns

dennoch viel werth waren,

Männer des öffentlichen Lebens, der

Wissenschaft und Kunst, des Staates, der Schule und Kirche, die. Jeder an seinem Platz, ein Hort und Halt waren für unser Volk,

und die mehr, als die Meisten es können, gesundes Leben in die Adern unseres Volkes hineingeleitet haben.

Wir haben uns an der

Gluth ihres Herzens erwärmt, an der Kraft ihres Geistes erhoben, und ihre Treue hat uns Muth gemacht, an die Zukunft zu glauben. Und da uns ein Licht nach dem andern verlischt,

scheint uns die

ganze Zeit immer dunkler zu werden. Ihr tragt darum Leid, daß ihr äußerlich und innerlich ärmer

geworden seid. Nun kommt es aber auch darauf an, wie ihr Leid tragt.

Lasten

tragen auf Erden, vom Geschick übel zugerichtet werden und schwerer heimgesucht werden als Andere, ist kein Verdienst.

Die am schwersten

getroffen sind, haben deshalb noch nicht den ersten Anspruch auf

Trost und Seligkeit.

Der Schmerz, der in euere Häuser eingetreten

ist, war überall derselbe, derselbe bleiche, stille, ernste Bote.

Aber

er ist von den Menschen verschieden ausgenommen worden, und seine ernste Rede ist in verschiedenem Sinne verstanden worden.

Seht ihr vielleicht in ihm nur den Boten eines finsteren, blinden

Geschicks, welches eifersüchtig über den Menschen wacht, und wo eiir

174

Die Leidtragenden.

reiches Glück blüht, nun verheerend dazwischen fährt, so werdet ihr niemals einen dumpfen Groll los gegen das böse Geschick, und

dieser Groll wird um so größer, je mehr ihr einseht, daß ihr nichts

gegen dieses Geschick vermögt.

Andere haben die ernste Sprache

des Schmerzes in ihrem leichten Sinn bald wieder vergessen; sie gehen ihm aus dem Wege, wo sie können, vermeiden jeden äußeren Anlaß, der schmerzliche Erinnerungen in ihnen wachrufen könnte,

vermeiden jede Berührung mit dem Tode und mit Allem, was mit Tod und Begräbniß zusammenhängt, und wo ja einmal wieder ihr

Gemüth von solch einer schmerzlichen Erinnerung ergriffen wird, da suchen sie in der Zerstreuung des Lebens Vergessenheit.

verfallen in das Gegentheil.

ihrem Schmerz.

Andere

Sie können sich nicht genug thun in

Sie suchen jede traurige Erinnerung hervor.

jedem Gespräch

In

kommen sie immer wieder auf jene dunkeln Tage

Jeder Versuch Anderer, sie zu trösten, erscheint ihnen

zu sprechen.

wie eine Beleidigung und treibt sie nur tiefer in ihren Schmerz hinein.

Sie wollen sich mit Absicht verbannen aus dem Lande des

Trostes.

Sie suchen etwas darin,

dunkle Thal.

allein zu wandern durch das

Je dunkler es um sie her und in ihnen wird, um so

mehr gefallen sie sich selbst.

Es giebt auch eine Selbstgefälligkeit,

eine Eitelkeit im Trauern. Wer grollend, leichtfertig oder selbstgefällig trauert, der schließt sich selbst von dem Troste aus,

der Leidtragenden ver­

heißen ist. Es kommt Alles darauf an, wie man sein Leid trägt.

Seht,

Gottes ewige Liebe hat verschiedene Boten zur Erde niedergesandt,

um die Menschenkinder hinauf zum Vater zu weisen und zu seiner Seligkeit.

Der Eine hat ein lichtes Gewand, das ist das Glück;

er will durch Gottes Güte uns zur Buße reizen und Band der Dankbarkeit uns mit Gott verbinden.

ein dunkles Gewand; das ist der Schmerz.

Aber nicht weniger als

der Andere ist er gesandt von dem Vater des Lichts.

oft viel stärker als der Andere.

durch das

Der Andere hat

Ja er ist

Wo dieser nichts vermag, zieht er

uns mit himmlischer Kraft empor zu Gott.

Wenn dem aber so ist, so werdet ihr dem Schmerz, diesem Gesandten Gottes, nicht furchtsam aus dem Wege gehen, sondern ihn innerlich durchkämpfen und durchempfinden.

Gott will, ihr

175

Die Leidtragenden. sollt ihn in euch verklären und euch von ihm verklären lassen.

So

ist er, wenn ihr ihn recht versteht, etwas Heiliges, ein Geschenk Gottes von rauher, äußerer Form, aber von tiefem Sinn; und in

ihm selbst schon fließt ein Quell des Trostes. In diesem Sinne leidtragen,

das ist etwas Seliges.

Ver­

wundet sein vom Leben, aber Gottes heilende Hand fühlen, schwach

gebeugt sein,

sein, aber Gottes Kraft sich nahe fühlen,

Gott aufgerichtet werden, das ist etwas Seliges. tragen führt zu einem Quell des Trostes, kennen.

Durch

erschlossen,

das Leidtragen

wird

aber von

Das rechte Leid­

den Andere gar nicht

dir in Gott eine Seligkeit

von der du sonst nichts wissen würdest.

Durch das

Leidtragen wird dir die Tiefe des Lebens erschlossen, in welcher du

Gott als Kraft, als Hülfe an deiner Seele spürst, eine Lebenstiefe, welche dir sonst immer verborgen geblieben wäre.

Wie der Ver­

schmachtende von einem stischen Trunk ganz anders erquickt wird, als der, welcher keinen Mangel gelitten, so werden die Leidtragenden einer inneren Stärkung und Tröstung durch Gott theilhaftig, welche

äußerlich glückliche Menschen niemals tragen ist etwas Seliges.

kennen lernen.

Das Leid­

Selig sind, die da Leid tragen.

Bringe dich nicht durch Leichtfertigkeit oder finstere Grübelei um den Segen des rechten Leidtragens.

Benutze dazu diesen Tag

und jeden Tag und jede Stunde, wo deine Erinnerung an deine

Todten besonders lebendig vor dich tritt.

In solcher Erinnerung,

in solchem rechten Leidtragen tritt Gott selbst, der tröstende, friede­

bringende Gott zu dir.

Selig sind, die da Leid tragen.

2. Worin besteht nun im Besonderen

dieser Trost?

Wenn

Jesus sagt: „Sie sollen getröstet werden," so ist das nicht ein all­

gemeines Versprechen, wie man oft zu einem Kranken sagt: wird schon besser werden," oder zu einem Trauernden:

schon wieder einmal glücklich werden,"

„Es

„Du wirst

wobei wir selbst gar keine

Macht haben, dazu irgend etwas zu thun. Sondern es ist eine ganz bestimmte Zusage. Es bleibt dabei nicht dahingestellt, woher dieser Trost kommen werde, sondern dieser Trost wird von ihm kommen.

Er fühlt sich so reich an Kräften des Trostes und

fühlt in sich eine solche Macht über die Menschengemüther, daß er mit aller Bestimmtheit sprechen kann: „Sie sollen getröstet werden." Wie ein reicher Mann an eine arme Familie herantritt und spricht:

176

Die Leidtragenden.

„Euch soll geholfen werden," und wie er das mit aller Bestimmtheit aussprechen kann, weil er sich im Besitz der Mittel weiß, die dazu

nöthig sind, so sagt Jesus: „Sie sollen getröstet werden, ich will es Dazu will er sein Herz den Menschen

thun und ich kann es thun."

offenbaren, sein Leben für sie hingeben, den Tod überwinden, die Menschen verbinden mit dem Gott alles Trostes.

„Sie sollen ge­

tröstet werden." So kann es für euch, ihr Leidttagenden, nur einen Weg geben, nämlich den Weg zu ihm.

Keine Weltweisheit, und wenn sie bis

in die höchsten Höhen menschlichen Denkens stiege, keine Kunst, und wenn sie den Tod noch so rührend als Boten des Friedens dar­

stellte, keine Zeitdauer, und wenn sie noch so viele Wunden heilte, keine Freude der Welt, und wenn sie noch so viel Vergessenheit brächte, kann euch etwas helfen, sondern nur Der, welcher spricht:

Darum:

„Sie sollen getröstet werden". komme zu mir und

trinke."

Ihr

„Wen da dürstet,

habt sein

Evangelium,

der seine

Trostworte: „Fürchte dich nicht, glaube nur; gehe hin, dein Glaube hat dir geholfen; stehe auf und wandle, weine nicht" — ihr habt diese seine Trostworte

schon tausendmal

gehört;

aber das hilft

euch nicht soviel, wie ein einmaliges festes, vertrauensvolles Erfassen dieser Worte.

Ja glaubt es, wenigstens einmal, jetzt, heute, wo ihr

nach solch einem Trost verlangt!

ewige Leben.

Gott ist die ewige Liebe,

das

Du bist ein Gedanke Gottes, deshalb kann er dich

nicht untergehen lassen.

Du bist ein Licht von seinem Licht, deshalb

kann er dein Leben nicht auslöschen lassen.

Wann und wo du auch

sterben magst, Gott hält dich auch in der Todesstunde und trügt dich hindurch.

Wenn Jesus, der die Wahrheit ist, euer Herr und

Meister, dessen Namen ihr tragt, von dem ihr die Seligkeit erwartet,

das zu euch sagt, so glaubt es, verttaut darauf! ihr diesen Trost nicht nehmen?

damit dieser Trost euch dargereicht würde.

zurückweisen?

Warum wollt

Gott hat den Himmel aufgethan, Warum wollt ihr ihn

Gott hat es über euch Licht werden lassen.

wollt ihr im Finsteren bleiben?

Warum

Gott hat euch hineingeführt in das

Leid, damit dadurch euere Herzen recht zubereitet werden für den Trost seiner Liebe.

Warum wollt ihr diese gnädigen Führungen

Gottes nicht verstehn?

Warum wollt ihr nur den bitteren Kelch

nehmen und nicht auch den Kelch des Heils?

Die Leidtragenden.

177

Aber damit ist das Trostamt Jesu noch nicht erfüllt. uns weiter gehen!

Laßt

Ihr kennt eine Stätte, wo ein Todeskampf statt­

gefunden hat, wie nie wieder auf Erden: der kahle Rücken eines Berges, da hängt ein Mensch an einem Kreuz, darunter eine Volks­ menge, die sich weidet an den Qualen des Sterbenden, ein hartes Sterbebette, wie es nie wieder eins gegeben hat.

Wie ist Jesus

gestorben, der den Leidtragenden den Trost der Liebe Gottes gebracht hat?

Er spricht noch sterbend Worte des ewigen Lebens.

Seine

Hände sind ausgebreitet, um die Menschen zu segnen; von seinen

erbleichenden Lippen kommen Gebetsworte auch für seine Mörder. Hier hat der Tod doch nichts vermocht.

Jesus hat ihn durch

seine Liebe, die aus Gott war, innerlich überwunden. aus Juda hat gesiegt.

Der Löwe

Das ist kein Sterben mehr; das ist ein

Siegen, ein Triumphieren. Jesus hat den Tod sich dienstbar gemacht; er ist durch den Tod zum Vater gegangen.

Und dann ist er durch

die dunkle Nacht des Todes, die mit all ihrer Trauer auf seinen

Jüngern lag, mit der Kraft seiner Liebe, die stärker ist, als der Tod, hindurchgedrungen zu seinen Jüngern, hat ihre Herzen ergriffen, und

sie zu der Gemeinschaft mit Gott, zu Lebens emporgehoben.

der Gewißheit des

ewigen

Ach, hört doch diese Geschichte nicht so an,

als ob sie euch nichts anginge!

Wenn ihr Leid tragt, wenn ihr in

euerer Sehnsucht nach den Todten immer nur sucht und sucht und Finsterniß findet, Fragen, die ihr nicht beantworten könnt, Räthsel,

die ihr nicht lösen könnt, so haltet euch doch an diese That, die Jesus gethan hat, damit ihr getröstet werdet.

Warum soll dieser

Quell des Trostes umsonst im Sande sich verlaufen, während ihr dürstet?

So viel liegt ihm daran, daß ihr getröstet werden möchtet:

Er hat sein Leben für euch gegeben.

Am Kreuz hat er vollbracht,

was er am Anfang seiner Wirksamkeit verheißen hat:

„Selig sind,

die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden."

Von dem Troste Jesu erfüllt tretet an die Gräber der Eueren!

Da heißt es: „Dies Verwesliche mußte anziehen das Unverwesliche,

dies Sterbliche

mußte anziehen die Unsterblichkeit."

Es mußte,

dazu war es von Gott geschaffen worden; es sollte keimen, wachsen,

blühen, daß ihr und Andere euere Freude daran hättet, und dann

mußte es verwelken, damit es anzöge die Unsterblichkeit. Sterben vollzog Kirmß, Predigten.

sich

der

heilige

Gottesrath, nach

In ihrem

welchem 12

das

178

Die Leidtragenden.

Sterbliche, indem es stirbt, anzieht die Unsterblichkeit. Damit hat sie der Schöpfer, der sie einst ins Leben treten ließ, nur auf eine höhere Stufe der Schöpfung erhoben. Sie sind nun verklärt. Im Grabe ruht die leere Hülle, die der Geist zurückgelassen hat. „Was sucht ihr den Lebendigen bei den Todten!" Sie sind verklärt. Was sie auf Erden groß machte, Wissen und Können, Geld und Gut, das ist von ihnen abgefallen; aber das Innerste ihres Wesens, der Kern ihrer Persönlichkeit, das Gute, das hindurchleuchtete durch all ihr Thun und die irdischen Hüllen, das hat sich nun droben viel herr­ licher entfaltet und geht, geläutert durch Gottes gnädiges Gericht, der Vollendung entgegen. Aber auch was schwach an ihnen war, ihre Fehler, ihre Gebrechen, Krankheiten, Schmerzen, die Zeichen des äußeren Verfalls, Alles das ist von ihnen abgefallen, und der Geist ist wie ein junger Adler zum ewigen Licht emporgestiegen. Sie sind verklärt. Sie trinken aus dem Quell des ewigen Lebens. Der Tod ist nicht mehr. Sie sind verklärt, auch für euch und in euch. Ihre Liebe und Güte, ihre sittliche Kraft und ihr muthiges Streben findet als ihr Vermächtniß eine Stätte des Fortwirkens in euerem Leben, in eueren Herzen. Was sie euch an Aufgaben hinter­ lassen haben, das setzt ihr fort, um es zu vollenden. Was sie gefehlt haben, laßt ihr euch zur Warnung dienen. Was sie Gutes voll­ bracht haben, dient euch zum Vorbild. Ihr reicht ihnen jetzt schon

die Hand. Ihr seht ihre Augen auf euch ruhen. Ihre seligen Geister grüßen euch. In euerem Arbeiten, Wandern und Leiden gehen sie euch zur Seite. Sie weisen euch hinauf, wo auch ihr ver­ klärt werden sollt. Mehr und mehr sinkt die Scheidewand zwischen

Zeit und Ewigkeit, werden sie innerlich euer, ziehen euch empor und die Morgenluft der Ewigkeit umweht euch in der Hitze des irdischen Kampfes, bis die letzte Scheidewand fällt.

Hält Jesus Wort, wenn er sagt, daß die Leidtragenden sollen getröstet werden? Ob ihr darauf mit Ja antwortet, hängt von euch ab. Tragt ihr euer Leid mit Gott, so werdet ihr darin selig sein.

Wollt ihr euch trösten lassen, so werdet ihr getröstet sein.

Amen.

179

Die Sanftmüthigen.

22.

Die Sanftmüthigen.*) Matth. 5, 5.

Selig sind die Sanftmüthigen; denn sie sollen das Erd­

reich besitzen.

^esus wird von uns der Weltüberwinder genannt.

Hat er die

Welt überwunden, so muß die Welt im Gegensatz zu ihm gestanden haben.

So ist es auch.

Jesus hat Gedanken ausgesprochen und in

seinem Leben den Menschen vorgelebt, welche der ganzen Richtung und Strömung

der damaligen Zeit durchaus zuwider waren,

deshalb auch als Thorheit erscheinen mußten.

ihr

Daher denn auch

Paulus davon spricht, daß das Kreuz Christi den Einen ein Aerger­

niß, den Anderen eine Thorheit sei.

Die alte Welt pries die Reichen

glücklich; Jesus pries die Armen selig. vor den Hohen, Gewaltigen;

Die alte Welt beugte sich

Jesus stellt die, welche sich in den

Dienst Aller stellen, über Alle, und preist die Sanftmüthigen, De­

müthigen, die sich selbst erniedrigen, selig.

Jesus ist sich

dieses

scharfen Gegensatzes zwischen seinem Geist und dem Geist der da­

maligen

Zeit

klar

bewußt

gewesen

und

bringt

ihn

mit

aller

Deutlichkeit zum Ausdruck, nicht nur in jenem Wort der Bergpredigt: „Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist; ich aber sage euch",

sondern ganz besonders in einer Reihe von Worten, die in ihrer Form widersinnig, aber eben deshalb nach ihrem Inhalt unendlich

tiefsinnig sind. Dieser Gegensatz tritt immer wieder hervor.

Er ist nie ganz

überwunden gewesen und wird, so lange es Kampf auf Erden geben wird, nie ganz überwunden werden.

In unserer Zeit tritt dem

Geiste Jesu nicht nur die stumpfe träge Gleichgiltigkeit entgegen und

die geistlose Weltlust, der es gar nicht um eine bestimmte Ansicht, sondern nur um den sinnlichen Genuß zu thun ist, die sich gar keine Gedanken macht, sondern sich nur von der trüben heißen Leiden­

schaft treiben läßt;

sondern es sind

durchdachte

ausgeprägte

An­

schauungen, welche den uns in Fleisch und Blut übergegangenen *) Gehalten am 18. October.

180

Die Sanftmüthigen.

christlichen Ansichten entgegentreten. Wir haben immer gemeint, daß Kunst und Dichtung die Aufgabe habe, das Edle, Reine und Schöne

darzustellen. Heute dagegen wird mit aller Ueberlegung und Ent­ schiedenheit behauptet, daß allein die gemeine Wirklichkeit, auch wenn

sie noch so häßlich ist, abgebildet und beschrieben werden dürfe.

Es

ist uns immer etwas Selbstverständliches gewesen, daß die uneigen­ nützige selbstlose Liebe für den Menschen das Edelste sei und das höchste Gebot. Heutzutage wird mit aller Entschiedenheit dieser Grundsatz des Christenthums als ein großer Irrthum und die Selbst­ sucht als die einzig berechtigte Triebkraft des Handelns bezeichnet.

So tauchen alte Gedanken, die längst abgethan schienen, wieder auf und die alte einst von Jesus überwundene Welt fängt wieder an, sich zu erheben. Aber mit derselben Macht klingen heute wie einst die Worte

Jesu durch die Welt, dem oberflächlichen Verstand auch heute noch ein Aergerniß und eine Thorheit, denen aber, die Sinn haben für ewige Wahrheit, göttliche Weisheit und göttliche Kraft. Mag es denn heute eine Weltweisheit geben, welche die Hochmüthigen, die Stolzen, die rücksichtslos die Schwachen niedertreten, als die „Uebermenschen" preist, die an kein Gesetz mehr gebunden sind — wir wollen der Stimme lauschen, die vom See Genezareth her durch Länder, über Meere, durch Jahrhunderte zu uns herüber klingt: Selig sind die Sanftmüthigen, denn sie werden das Erdreich besitzen. 1. Das erscheint allerdings unbegreiflich, fast unmöglich, wie die Welt nun einmal ist. Lehrt doch die Erfahrung: Den Sanft­ müthigen wird die Erde genommen, sie kommen überall in der Ver-

theilung des Irdischen zu kurz, sie werden überall bei Seite gedrängt. Dagegen die, welche sich nichts gefallen lassen, welche rücksichtslos ohne Barmherzigkeit überall ihren Vortheil im Auge haben, die kommen vorwärts, die werden das Erdreich besitzen.

Lehrt das

nicht die Erfahrung? Laßt uns sehen, was wir unter diesen Sanftmüthigen zu ver­ stehen haben. Da wollen wir zunächst eine falsche Auffassung ab­ weisen. Man verwechselt leicht Sanftmuth mit Feigheit. Der

Feigheit ist es zur anderen Natur geworden, überall nachzugeben, auch Unrecht zuzugeben, als wäre es Recht, und diese Feigheit nennt

181

Die Sanftmüthigen.

man dann Sanftmuth.

Denkt euch einen Menschen, der von Kind­

heit auf immer körperlich und sittlich gemißhandelt worden ist; sein

Ehrgefühl ist

Charakters

getödtet;

kommen

es hat bei ihm

nicht zur Bildung eines

er weiß deshalb nichts von Selbst­

können;

achtung und vom Gefühl der eigenen Würde;

er hat kein Gefühl

für Wahrheit und Recht; er hat nur die Gewalt kennen gelernt und

hat sich daran gewöhnt, sich unter diese Gewalt zu beugen und sich Er ist wie ein Garten

überall in der Welt Herumstoßen zu lassen. ohne Mauer, wie ein Feld,

keinen Herrn hat.

das

Alles

geht

darüber hinweg; die Pflanzen werden niedergetreten, mögen sie noch so edel sein.

den

Hütet euch, der

Ehrentitel

einem armseligen Menschenwesen

solch

Sanftmuth

zu

geben.

Es

ist in

Wahrheit

schwächliche Feigheit, welche euer Mitleid verdient, meist aber ver­

spottet und verlacht wird.

Die Sanftmuth, von der Jesus redet, ist etwas ganz Anderes,

zu ihr gehört vor allem Muth.

Ein sanftmüthiger Mensch erträgt

Unrecht wohl auch deshalb, weil er sanften Gemüthes ist, vor allem

aber deshalb, weil er muthig ist.

Menschen

Er nimmt der Welt und den

gegenüber in seiner Gesinnung eine hohe Stellung ein.

Er besitzt eine vornehme Gesinnung, einen kraftvollen Charakter, das ausgeprägte Bewußtsein persönlicher Würde.

Daraus ergiebt

sich das Gefühl der Uebcrlegenheit dem Beleidiger gegenüber.

Dinge,

die

von

anderen Menschen

als

Beleidigungen

werden, werden von ihm nicht als solche empfunden. ihn nicht, sie reichen nicht zu ihm hinauf.

Manche angesehen

Sie berühren

Der unreine Schaum

der Verleumdung benetzt kaum seine Fußsohlen.

Er hat zu wenig

Zeit, um sich für jede Beleidigung, für jedes üble Wort zu rächen, jedes kleinliche Mißverständniß durch ausführliche Darlegung zu be-

seitigen zugehen.

oder jeder Übeln Nachrede bis auf ihren Ursprung nach­

Und er hat zu große Aufgaben im Leben, als daß er

sich könnte aufhalten lassen durch alle die kleinen Schlingen, welche

die Menschen um seine Füße legen möchten. der Sanftmuth.

Das ist der Muth in

Mag Muth dazu gehören, eine Beleidigung am

Beleidiger zu rächen, vielleicht sogar mit Blut, so gehört ein viel größerer Muth

dazu, sich darüber hinwegzusetzen,

der kleinlichen

Gehässigkeit, der giftigen Schmähsucht entgegenzustellen den unwandel­ baren Adel der Gesinnung.

Mag Muth dazu gehören, sich vor den

182

Die Leidtragenden.

Menschen gegen üble Nachrede zu rechtfertigen, so gehört manchmal ein noch größerer Muth dazu, das nicht zu beachten, „was die Leute sagen." Lernet auch darin von Jesus! Denn er sagt: „Lernet von

mir, denn ich bin sanftmüthig." Sehet die stille Größe, mit welcher er schweigt auf die Anklagen der Menschen, die ihn doch nun einmal nicht verstehen. Wenn Knaben den Straßenstaub in die Luft werfen, so können sie damit nie die Sonne beflecken. So war Jesus sanftmüthig gegenüber den Angriffen der Menschen. In seiner

heiligen Größe setzte er sich hinweg über die Anklagen der Zwerge zu seinen Füßen. Lernet von ihm! Nehmt aus seinem Wesen in euer Leben hinüber die hohe Würde, den Geistesadel der Kinder Gottes, deren Ehre geborgen liegt in der Hand Gottes, die deshalb nicht gefährdet werden kann von Seiten der Menschen. Lernet von ihm! Und dabei denket daran, wie langmüthig Gott mit euch sein muß. Dann werdet ihr auch lernen, gegen die Menschen lang­ müthig zu sein. Denket daran, wie sehr ihr der Vergebung bei Gott und den Menschen bedürft und wie viel Geduld Gott und die Menschen mit euch haben müssen, darum gebet an Gott und die Menschen zurück, was ihr empfangen habt. „Selig sind die Sanftmüthigen." Wo lautes hochfahrendes Wesen ist, da kann keine Seligkeit sein. Aber in der niedrigen einfachen Hütte eines sanstmüthigen Wesens wohnt auf Erden die Seligkeit Gottes. Die Sanftmuth ist der Muth des stillen Ertragens des Un­ rechts im ruhigen Bewußtsein der eigenen Würde.

Aber es giebt Fälle, wo gerade die Sanftmuth kämpfen, sich wehren muß. Der einzelne Mensch, auch der geringste, kann in die Lage kommen, für seine Person, für sein persönliches Recht

eintreten zu müssen um des Rechtes überhaupt willen. Indem mein Recht gebeugt wird, wird das Recht überhaupt gebeugt. Nicht nur ich werde geschädigt, sondern die Gesammtheit da­ durch, daß das Recht erschüttert wird. Dann geht die Sache nicht

nur mich an, sondern die Gesammtheit; und ich muß dann mein Recht vertheidigen, weil es das Recht Aller ist. Gegen einen Menschen werden Verleumdungen ausgestreut. Da kann kommen, daß er gar nicht mehr das Recht hat, das still zu thäte er es, so würde die Lüge wuchern und schließlich Schaden Aller werden^ Da muß er dagegen ankämpfen

es soweit ertragen; zu einem mit aller

Die Sanftmüthigen.

183

Kraft, nicht nur um seinetwillen, sondern um der Wahrheit willen,

damit die Wahrheit siege und die Lüge geschlagen werde.

Es kann

Jemand zum Kampf gegen das Unrecht, zum rücksichtslosen Kampf gegen einen Menschen durch die Pflicht der Liebe gezwungen sein.

Du siehst einen Verleumder,

einen Verräther bei dem Werke der

Finsterniß; ließest du ihn dabei ruhig gewähren, so würde er sich immer tiefer in sein Unrecht verstricken und damit immer mehr den Folgen seiner Sünde und dem Gericht derselben verfallen.

Da ist

es eine Pflicht der Liebe, dem Feind seine dunkeln Wege zu ver­ legen, ihn zu entlarven, um ihn dadurch von seiner Sünde zu be­ freien.

Das sind einige Beispiele, wie auch

scharfen Kampf gezwungen wird.

die Sanftmuth zum

Aber auch in diesem Kampf bleibt

sie immer dieselbe; sie kämpft nicht gegen Menschen, will sich nicht

rächen, nicht Menschen kränken und

verletzen;

sondern sie kämpft

gegen die bösen Geister, von denen die Menschen geknechtet und ins

Verderben geführt werden. Und diese Sanftmuth wird sich nicht nur gegen die Menschen

bewähren,

sondern

zuletzt und am herrlichsten auch gegen Gott,

Manche Menschen glauben

nämlich im Ertragen des Geschicks.

darin

ihre Kraft zu zeigen, daß sie auch

vom Geschick sich nicht

Alles wollen gefallen lassen, sondern sich recht dagegen aufbäumen, sich ungebehrdig stellen, möglichst laut dagegen schelten und klagen,

wenn das Leben anders geht, als sie gewünscht hatten.

Aber darin

zeigt sich nicht Kraft, sondern im Gegentheil Schwachheit.

Seht,

der schwache kleine Kahn wird von jedem Windstoß ins Schwanken

gebracht und hin und her getrieben. gegen nimmt

Das große starke Schiff da­

die Kraft des Windes in seine Segel und läßt sich

von derselben dem Ziele zutreiben.

So läßt sich die Schwachheit

vom Geschick überwinden, daß sie klagend und grollend umhertreibt

auf dem stürmischen Meer des Lebens.

Die Sanftmuth dagegen,

die es mit dem Worte hält:

Di» aber, mein Herze, sei still, fei still, Es fallen die Würfel, wie Gott es will, macht muthig

das Geschick sich dienstbar und läßt sich von ihm

hinauftreiben zu Gott. Sanftmuth ist die Verbindung eines sanften Gemüthes

mit starkem Muth.

184

Die Sanftmüthigen.

2.

Und

heißungen

nun

die

Sonst

Verheißung.

Lohn oder einen inneren Gewinn hin. weltlicher Lohn gezeigt zu werden: reich

weisen

die

Ver­

des Neuen Testamentes meist auf einen himmlischen

besitzen."

Eine

wunderbare

Hier dagegen scheint ein

„Denn sie werden das Erd­

Viele Menschen

Verheißung.

kommen nie dazu in ihrem ganzen Leben, etwas von dem Erdreich zu

besitzen;

nur ein

kleines Stück Erde ist zuletzt Jedem gewiß.

Aber es giebt noch eine höhere Art, die Erde zu besitzen, als die, ein Stück Erde sein eigen zu neunen, nämlich: sich in den Herzen

der Menschen auf Erden einen Platz zu erringen.

In diesem

Sinne laßt uns diese Seligpreisung verstehen. Jesus hat seine Worte

aus

seinem eigenen Leben geschöpft.

Deshalb ist auch sein Leben das große Buch, in welchem die beste Auslegung seiner Lehre steht.

Während das jüdische Volk erwartete, daß der Messias durch blutige Kämpfe emporsteigen werde zum Messiasthron, sagt Jesus im Gegensatz zu dieser Volkserwartung:

„Selig sind

müthigen; denn sie sollen das Erdreich besitzen."

Sanftmuth die Erde erobert.

die Sanst-

Jesus hat durch

Der Thron des stolzen Kaisers,

den uns die Geburtsgeschichte Jesu im Hintergründe zeigt, dessen Legionen die Völker bis an die äußersten Grenzen der damaligen

Kulturwelt niederhielten, ist gefallen.

Der große Kaiser Augustus

herrscht über keine Menschenseele mehr auf Erden.

Seht dagegen

das Kind armer Leute, welches dort in der Krippe im Stalle von Bethlehem lag, von der hochmüthigen, lärmenden Welt in den arm­ seligsten Winkel der Herberge gedrängt.

Kind heran, unerkannt.

In der Stille wächst das

Aus dem Jüngling wird ein Mann.

Aus

der engen Heimath treibt es ihn hinaus in das Leben seines Volkes.

Um sein Volk zu Gott zu bringen und dadurch zu retten, offenbart

er ihm sein Herz.

Ein Licht strahlt von ihm aus, wie es die Welt

noch nie gesehen hat.

Geblendet schließt sie dagegen die Augen,

verblendet erhebt sie sich gegen den Heiligen.

Die schwerste Last

legt sie ihm aus, die je ein Mensch getragen hat.

das Kreuz, an das man ihn schlagen wird.

Er sieht vor sich

Aber „er schalt nicht

wieder, da er gescholten ward; er drohte nicht, da er litt." ein Muth in dieser Sanftmuth!

Welch

Welch ein Muth des Glaubens,

daß sein Untergehen Sieg, sein Tod ewige Lebensherrschaft sein

185

Die Sanftmüthigen.

werde!

Ja, dieser Sanftmüthige, der sich zum Kreuz hat führen

lassen wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, und wie

ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, der hat die Welt überwunden.

Vor dieser zugleich sanftmüthigen und muthigen Liebe

haben sich die Völker gebeugt; ihr haben die kriegerischen Legionen

Roms Treue geschworen.

Das Kreuz, ihr Siegeszeichen, ist auf

den römischen Tempeln aufgepflanzt worden.

ist zerfallen; Jesus aber herrscht ewig.

Das römische Reich

Durch jeden Widerstand

wächst seine Macht; durch jeden Angriff wird er zuletzt verherrlicht. In seinem Reich geht die Sonne nicht unter.

Sein Geist ist das

Gericht, an welchem sich die Geschicke der Völker entscheiden.

Wer

sich gegen ihn verstockt, kommt zu Fall durch seine Schuld.

Die

Niedrigen, die sich zu ihm halten, werden durch ihn erhöht.

Die

Glocken, die von Dorf zu Dors und von Land zu Land läuten, verkündigen seine Herrschaft,

und die Lieder, die seine Gemeinde

singt in der Mannigfaltigkeit der Zungen, preisen sein ewiges König­

thum.

Er beherrscht die Erde.

Selig die Sanftmüthigen, denn sie

werden das Erdreich besitzen.

Hat seine Kirche nach dieser Verheißung gelebt?

Manchmal ist

ihr Geist verlassen gewesen von dem Geiste Jesu, und sie hat auf andere Weise die Erde besitzen wollen.

Sie hat Heere ausgerüstet,

hat Länder verwüstet, Städte mit Feuer zerstört, hat die Menschen

schaarenweise mit Gewalt zur Taufe getrieben, ein großes eisernes Netz über die Völker geworfen, die Gewissen gefangen, die Geister

gefesselt.

Sie hat

die Flüche

dadurch

der Menschen

auf ihrem

Haupte gesammelt und das Gesetz Gottes auf sich herabbeschworen.

Aber sie hat damit nicht eine einzige Seele gewonnen.

Wohl aber

hat sie die Welt erobert durch die Sanstmuth, die suchende Liebe, die dem Sünder nachgeht, durch die Barmherzigkeit, die dem Elenden Hilst, durch die Langmuth, die an der Rückkehr des Verirrten nicht

verzweifelt, auch wenn es lange dauert, durch die weitherzige Duld­ samkeit, die da weiß, daß

es verschiedene Arten giebt, Christum

zu erkennen und ihm nachzufolgen. wonnen. zog,

stirbt,

Die Sanstmuth,

mit welcher ein Johannes, die

Kinder

Gottes

sammelte, mit welcher

Dadurch hat sie die Erde ge­

mit welcher Paulus

auch

in

durch die Länder

der Apostel der Liebe, einer

die nicht

kalten, untergehenden

jetzt noch

Welt

die wahren Jünger Jesu

Die Sanftmüthigen.

186

die

Wunden

der

Zeit zu

heilen suchen,

sie hat die Welt über­

wunden. Der 18. Oktober zeigt uns zwei Bilder, über welche wir dieses

Jesu

Wort

schreiben

könnten.

Heute

vor

83 Jahren brach

bei

Leipzig die Macht des Eroberers zusammen, und Gott hielt über

ihn Gericht.

Er hat einen Riesengeist, eine übermenschliche Kraft

aufgeboten, um die Völker mit dem Schwerte zu überwinden und

Aber seht, der, dem

den eisernen Fuß auf ihren Nacken zu setzeu.

einst viele Millionen gehorcht haben, ist einsam, beladen von den

Flüchen der Völker, in der Verbannung gestorben.

Wohl leuchtet

sein Name in der Geschichte, aber in kaltem Glanze; kein Menschen­ Der einst große Reiche erobert, hat

herz erwärmt sich daran.

keine Menschenseele für sich gewonnen. Selig sind die Sanftmüthigen;

Es bleibt eben dabei:

denn sie werden das Erdreich

besitzen.

Am 18. Oktober steigt noch ein anderes Bild vor unserer Seele

auf, das Bild des milden, fteundlichen Hohenzollernkaisers.

Auch an seinen Namen knüpfen sich ruhmreiche Kriegsthaten.

Aber

größer, denn als Kriegsheld ist er als der ftiedliche Eroberer, der

durch die Güte seines Wesens die Herzen der Völker bezwang, selbst seine Feinde überwand, der gütige Fürst, der für Jeden ein Herz

hatte, und der nichts so sehr wünschte, als einst in Frieden sein Volk zu regieren.

Und noch größer steht er da als der sanftmüthige

Dulder, der, als ihm eben erst die glänzende Krone auf das Haupt

gesetzt war,

muthig und

ohne zu klagen dem Tode entgegenging.

So hat er sich im Herzen seines Volkes ein Denkmal gebaut, das noch herrlicher und dauerhafter ist als das auf dem Schlachtfelde

bei Wörth.

Und an manchem stillen Krankenlager erscheint vor

dem inneren Augen des Kranken sein fteundliches Bild, und der Kranke spricht zu sich:

ich?"

„Er hat soviel erduldet; warum nicht auch

So lange ein deutsches Volk seine Geschichte in Ehren hält,

wird Kaiser Friedrich zu den Mächtigsten gehören, die in deutschen

Landen die Geister

beherrschen.

Selig sind

die

Sanftmüthigen;

denn sie werden das Erdreich besitzen.

Der Hochmüthige und

Herrschsüchtige

herrschen, aber nicht die Seelen.

kann die Leiber

be­

Sein Leben ist auf Sand gebaut.

Wenn die Wasser des Todes den Grund unterspülen, da fällt der

187

Die Sanftmüthigen.

ganze Lebensbau zusammen.

winnen.

Die

einfache

Nur die Sanstmuth kann Herzen ge­

Frau, welche

den Ihrigen in selbstloser

Liebe dient und ihr Leben für sie einsetzt,

die,

vielleicht von den

Ihrigen mißverstanden, unter schwierigen Verhältnissen ein zerfallendes

Hauswesen durch die Kraft ihrer Liebe noch zusammenhält, die oft verkannt, beleidigt, zurückgestoßen, doch immer wieder vergiebt, die

immer wieder erduldet, erträgt, was die Ihrigen verschulden, und

gut zu machen sucht, was sie verderben, die zuletzt in dem Leben der Ihrigen unvergängliche Segensspuren zurückläßt, so daß sie von ihnen gar niemals vergessen werden kann, daß bei dem Gedanken

an sie auch die harten Herzen weich werden, und das Gute darin an Macht

gewinnt;

der

sanftmüthige Dulder,

der

durch

sein

Dulden den Menschen die Kraft des Gottvertrauens zeigt, und da­

durch ihnen Muth macht, es ihm nachzuthun;

der treue Freund,

der oft getäuscht doch immer wieder an Freundschaft glaubt, und

auch die Schwächen der Menschen geduldig trägt, so daß diese über

sein Grab hinaus von ihm sagen:

„Das war ein guter Mensch;

von dem habe ich gelernt, besser, frömmer, stärker, - geduldiger zu

werden" — „selig sind die Sanftmüthigen."

Ja, Menschenherzen zu

gewinnen für sich und für den, der in uns mächtig ist,

etwas Seliges.

das ist

Jesus freute sich, als er fühlte, daß ihm Macht

über die Geister gegeben war.

Es ist etwas Seliges, so über die

Menschenseelen Gewalt zu haben. Wer aber in den Herzen der Menschen sich einen Platz ge­ wonnen hat, hat sich damit auch einen Platz gewonnen im Herzen

Gottes.

Die

Sanftmüthigen

sollen

nicht

sondern auch das Himmelreich besitzen.

nur das

Amen.

Erdreich,

188

Die Hungernden und die Verfolgten.

23. Die Hungernden und die Verfolgten. (Am Reformationsfest.) Matth- 5, 6. 10.

Selig find,

die da hungert und dürstet nach der

Gerechtigkeit; denn fie sollen satt werden.

Selig find, die um der

Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn das Himmelreich ist ihr.

Z)eittt euch einen Verfolgten.

Ueberall fühlt er sich unsicher.

Nie hat er eine Stunde, da er in vollem Frieden schlafen kann.

Auch durch die stille Nacht, diese Trösterin der Elenden und Be­ trübten, hört er den schleichenden Schritt des Verfolgers.

Bogen geht er um jedes Dorf herum.

In weitem

Hunger und Durst quälen

Er weiß, in jenem Dorf fließt ein Brunnen, an dem er seinen

ihn.

löschen könnte;

Durst

dort ist Brod,

an dem er

stillen könnte.

Aber er darf nicht dorthin gehen;

ein Verfolgter.

Und nun hört die Worte Jesu:

seinen Hunger denn er ist ja

Er preist Ver­

folgte, Hungernde und Dürstende selig. Er sah in seiner Zeit Menschen im sicheren Besitz hoher Ehren,

von den Menschen gegrüßt auf den Straßen und „Rabbi" genannt, stolz einhergehend in dem sicheren Besitz ihrer Tugend, ihrer Ge­

rechtigkeit,

stolz um ihres Gehorsams willen gegen die Satzungen

der Väter, hochmüthig herabblickend auf die Sünder und Zöllner. Diesen

gegenüber sagt Jesus:

„Selig sind,

die da hungert und

dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden; selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden", d. h. selig

sind nicht die Satten, sondern die, welche nach der Vollkommenheit suchen, nicht die Fertigen, sondern die Strebenden, nichc die

auf dem geistigen Besitz der Vergangenheit ausruhen, sondern die

freudig den Blick in die Zukunft lenken. In

diesem

Sinne

gelten unsere

beiden Textworte von den

Reformatoren, die sich losrissen von einer erstarrten Vergangerheit, und

sich

der werdenden Zukunst zuwandten,

und

von der Re­

formation, denn sie ist nicht ein fertiges Werk, sondern eine Auf­ gabe, die uns immer

wieder gestellt wird, und von dem e»an-

189

Die Hungernden und die Verfolgten.

gelischen Christen; denn ein Protestant ist nicht ein gewordener Christ, sondern ein werdender Christ.

So wollen wir heute am Reformationsfeste unsere Gedanken um unsere beiden Textworte sammeln. 1. Man hungert und dürstet nach Speise und Trank,

d. h.

nach Dingen, die unser Körper unbedingt braucht, und die für ihn

So ist auch Gerechtig­

geschaffen sind, wie er für sie geschaffen ist.

keit etwas, was unsere Seele braucht, wie der Leib Speise und

Ebenso

Trank, wie das Auge das Licht, wie die Lunge die Luft.

aber wie Speise und Trank trotz aller Arbeit, durch die wir sie erwerben, etwas Gegebenes, auch

Gerechtigkeit nicht

die

können, sondern

werden

gerecht

etwas,

von Gott Empfangenes ist, so ist

etwas, was wir uns selbst erringen

was Gott

nicht durch

aus Gnaden

eigenes Verdienst,

giebt.

Wir

sondern

durch

Gottes Gnade.

Es giebt kaum eine große Wahrheit,

verstanden wird, wie diese. vollen

sittlichen

Stteben

welche so häufig miß­

Es liegt etwas darin, was dem kraft­ des

Menschen

entgegenzutreten

scheint.

Der Stolz des Menschen bäumt sich gegen den Gedanken auf, daß

er nur angewiesen sei auf Gnade.

mation auf diesem Satz.

Und doch beruht die Refor­

So muß wohl darin eine große Wahr­

heit ruhn.

Zunächst erkennt,

daß damit unser eigenes sittliches Stteben

nicht etwa überflüssig werden soll.

Die Reinheit,

welche du dir

erarbeitest, die Redlichkeit und Rechtschaffenheit deines Charakters,

welche du durch Willensttaft und tteues Stteben dir erringst,

die

Gewissenhaftigkeit, welche du einsetzest in der Erfüllung deines Be­

rufs, das alles gilt gewiß etwas vor Gott.

Traue dir nur selbst

etwas zu; kämpfe nur recht gegen dein thörichtes Wünschen, gegen deine Trägheit.

Wie sich ein Lehrer schon über den guten Willen

seines Schülers

freut, so hat Gott sein Wohlgefallen

Kindern, die „strebend sich bemühn".

an seinen

Aber ihr werdet nochwendig

auf diesem Wege der Gesetzeserfüllung an einem Scheideweg ankommen. Entweder ihr werdet über euere Fehler hinwegsehn, euch für voll­ kommen halten.

Das wäre die Selbstgerechtigkeit.

Oder ihr

erkennt, je ernster euer Stteben ist, um so mehr die Lücken eueres

Wesens, die durch alle

euere Leistungen nicht ausgefüllt werden

190

Die Hungernden und die Verfolgten.

können.

Wie der, der tief in das menschliche Wissen eindringt, die

engen Grenzen des menschlichen Wissens erkennt, so haben sittlich wahrhaft große Menschen, je höher sie stiegen in ihrem sittlichen

Stteben, um so mehr ihre Unvollkommenheit erkannt. das Ergebniß all unseres eigenen Strebens:

Und so ist

Wir stehen vor dem

heiligen Gott der Wahrheit als ungerechte Menschen;

keinen Frieden

mit

Gott.

Da

tritt

nun

dem

wir haben

niedergebeugten

Menschen die Gnade Gottes entgegen, die Jesus predigt und durch sein Leben und Sterben bezeugt.

Sie will uns in ihre seligmachende

Gemeinschaft als Solche aufnehmen, wie wir nach unserem besten

innersten Wollen selbst sein möchten.

Diese unendliche, übermächüge

Gnade Gottes in Jesus ruft in uns den schlummernden Glauben

wach, d. h. das Vertrauen zu dieser Gnade Gottes.

Dadurch

kommen wir zu Gott in die Stellung als Kinder zum Vater, d. h. die rechte Stellung, wir werden vor Gott .gerecht.

Wir

haben Frieden mit ihm durch das kindliche Verttauen auf seine

Gnade.

In uns spricht seine Sttmme:

ruft es zu ihm

empor:

Du bist mein!

Du bist mein!

In uns

So werden wir vor

Gott gerecht allein durch den Glauben, mit welchem wir die

Gnade Gottes ergreifen. Diese Gerechtigkeit hatte die Kirche vor der Reformatton den

Menschen zugesperrt.

Sie sprach:

„Wollt ihr gerecht werden, so

haltet euch an den Priester; er vergiebt euch euere Sünde.

die Werke, die euch die Kirche gebietet."

Thut

Den nach Gott selbst sich

sehnenden Menschen traten die Heiligen und die Jungftau Maria entgegen und sprachen: „Wendet euch an uns; wir sind die Miller

zwischen euch sündigen Menschen und Gott."

So stand

auf der

einen Seite das Hungern und Dürsten der Menschenseele nach der

Gerechttgkeit, auf der andern Seite die Gerechtigkeit, die vor Gott gift, in der Mtte die Scheidewand, welche die Kirche mit ihren Werken und Satzungen aufgebaut hatte.

gerissen.

Luther hat sie nieder­

Nicht aus fleischlichem Freiheitsdrang, nicht ans Wider­

spruch gegen einige katholische Dogmen, sondern aus der tiefsten

Sehnsucht des Gewissens nach der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, ist

er hindurchgedrungen.

Das Hungern und Dürsten nach

der

Gerechtigkeit hat ihn zuerst in das Kloster und die Selbstpeinigung der Klosterwerke.getrieben, hat ihn in Rom durch alle berühmten

Die, Hungernden und die Verfolgten.

191

Kirchen und Wallfahrtsorte der heiligen Stadt getrieben, bis er auf einmal mitten in der Anstrengung einer frommen Uebung wie mit

Posaunenschall in seiner Seele das Wort hörte: „Der Gerechte wird seines Glaubens leben." Hungernd und dürstend nach der Gerechtigkeit ist er durch die heiligen Ueberlieferungen der Jahr­ hunderte, durch die scheinbar unüberwindliche Herrschaft der Priester,

durch den Aberglauben der Menge, durch den Wust der Menschen­ satzungen hindurchgedrungen, bis er Gott gleichsam selbst ins Auge gesehn und ins Herz gesehn durch Jesum Christum. Und als er so die Gerechtigkeit gefunden hatte, die vor Gott gilt, da hat er sich vor nichts mehr gefürchtet, nicht vor dem Bannstrahl des Papstes noch vor der Acht des Kaisers, weder vor der Ungnade der Fürsten noch vor der Mißgunst des Volkes, weder vor dem Gift seiner Feinde noch vor den Ausschreitungen seiner falschen Freunde. Da hat er die ganze Wärme und Gewalt, Gedankentiefe und Volksthümlichkeit seiner Predigt zusammengefaßt in dem Einen Satz: Der Mensch wird gerecht allein durch den Glauben, durch die persönliche Hingabe des Herzens an Gott selbst, durch den Gewissensglauben, durch welchen Gott als Lebensmacht erlösend und erneuernd in dem Menschen wirkt. Da hat er die heilige Schrift dem deutschen Volke auf­

geschlossen, damit Jeder selbst ohne menschliche Vermittelung in ihr die Wahrheit finden könne und in der Wahrheit die Gerechtigkeit,

die vor Gott gilt. Deshalb hat er auch den altchristlichen Grundsatz von dem allgemeinen Priesterthum aller Christen verkündigt, damit jeder Christ das Recht bekomme, aber auch die Pflicht über­

nehme, selbst mit Gott zu verkehren. So wollen wir als gute Protestanten nicht aufhören zu pro­ testieren gegen Papst und Priesterherrschaft, aber deshalb, weil Papst und Priesterherrschast uns trennen von Gott, der uns allein selig macht; gegen äußere Werke und kirchliches Formenwesen, aber deshalb, weil der Mensch durch knechtische Unterwerfung unter

dieses äußerliche Wesen sich selbst um seine Seligkeit betrügt; gegen todte Ueberlieferungen und Menschensatzungen sowohl protestantischen wie katholischen Ursprungs, aber deshalb, weil darunter das Leben der Seele in Gott stirbt; gegen eine ein für allemal festgestellte Glaubenslehre, die keiner Fortentwickelung fähig

wäre, aber deshalb, weil dieselbe die freie, lebendige Forschung in

192

Die Hungernden und die Verfolgten.

der heiligen Schrift hindert, aus der doch jedes Zeitalter von neuem in seiner Weise Erkenntniß und Heil schöpfen muß. Diese Gerechtigkeit aus dem Glauben schafft in uns ein neues Leben. Der Glaube stammt aus ferner Vergangenheit, als Jesus auf Erden wandelte, und wurzelt in den Tiefen der Gottheit, da

Niemand zukommen kann; aber er soll in euch gegenwärtiges, wirkliches Leben werden, Seligkeit, die ihr nicht mehr hofft, sondern habt. Nicht mehr träumend seht ihr nach dem Reiche Gottes aus, daß es komme, sondern ihr tragt es in euch als Ge­ rechtigkeit und Friede und Freude im heiligen Geist, und als Väter und Mütter, als Bürger und Arbeiter arbeitet ihr in euerem Beruf daran, daß es immer mehr zu euch und eueren Mitmenschen komme. Aus dem Glauben kommen gute Werke, nicht Fasten und äußere Andachtsübungen, sondern die wahrhaft guten Werke der Treue und Liebe, die das tägliche Leben in der Welt uns aufgiebt in Haus und Beruf. Ihr verlaßt euch nicht mehr auf Andere, daß sie euch selig machen, sondern ihr selbst macht euch auf, zu Gott zu gehn; denn nur euer eigener Glaube macht euch selig. Ihr seid frei von aller Menschenknechtschaft, aber innerlich gebunden an Gott und damit den Menschen in wahrem Gehorsam Unterthan. Ihr ehrt alte Sitte und alten Brauch; aber ihr sucht in der alten Form den ewig lebendigen Geist. Glückliches Volk, dessen Seele in dieser Gerechtigkeit aus dem Glauben lebt; da steht Jeder als selbständige, ausgeprägte Persönlichkeit neben dem Andern. Alle

frei und doch alle als Glieder Eines Leibes in der Liebe einander dienend. Da ist kein Stillstand möglich, sondern stete Entwickelung

und stetes Wachsthum. 2. Große Schaaren sind gekommen und haben aus dem Quell getrunken, den Luther wieder aufgeschlossen hat. Und diese zugleich

Freien und Frommen sind das Salz der Erde geworden.

Aber sie haben ost dunkle Wege ziehen müssen; sie sind um ihrer Krone, um der Gerechtigkeit willen verfolgt worden. Es ist berechtigt, wenn Menschen verfolgt werden um der Ungerechtigkeit willen. Diesen Gerechten hat Gott das Höchste gegeben, was er geben kann, er hat sie trinken lassen aus dem Quell seiner Wahrheit

und seines Friedens; und eben deshalb sind sie verfolgt worden? Es muß so sein.

Jesus

hat es vorausgesagt mit unbedingter

Die Hungernden und die Verfolgten.

193

Sicherheit. Wie die Propheten verfolgt worden sind, wie er selbst verfolgt worden ist, so müssen die Seinen verfolgt werden um der

Gerechtigkeit willen. Weshalb ist es so gekommen?

An die Stelle Jesu, des geistigen

Hauptes der christlichen Gemeinde, der uns den Geist der Wahrheit sendet, ist in der christlichen Kirche ein Priester getreten, der gesagt hat: „Ich bin die Wahrheit, und wer von mir und der Kirche ab­ fällt, fällt von Gott ab." Von dieser kalten Höhe eingebildeter Unfehlbarkeit aus ist der böse Geist der Verfolgung gekommen, auch in unsere Reihen, der Geist der Verfolgung wider die, die ohne menschliche Vermittelung durch Christus allein zu Gott gelangen wollen, und die es nicht für gerathen halten, etwas wider das Ge­ wissen zu thun. Priester haben die verfolgt, die selbst durch Christus Priester Gottes sein wollen auch im Laiengewand. Sklaven, die sich an ihre Ketten gewöhnt haben, schmähen die, welche frei sind in Gott. Die Finsterniß kann das Licht nicht leiden; die geistlich Todten verfolgen die, welche das Leben gefunden haben. So sind die Menschen um der Gerechtigkeit willen verfolgt worden. Konunt, laßt uns den Spuren derer nachgehen, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt worden sind, schlichte Männer und Frauen und doch Helden, Vorkämpfer der Gerechtigkeit, die aus dem Glauben kommt. Während der Schreckenstage von Thorn saß

dort im Gefängniß der Bürgermeister der Stadt, Rösner.

Als

die Jesuiten ihn zur Verleugnung seines Glaubens zu überreden suchten, sprach er zu ihnen: „Begnügt euch mit meinem Kopf; meine

Seele soll Jesus haben." Als sein Kopf gefallen, sprachen andere gefangene Bürger beim Anblick seines Leichnams: „Gottlob, unser unschuldiger Vater hat vollendet; wir werden ihm fröhlich nach­

folgen." Oder sehet die wohlbekannten Gestalten der Salzburger Emigranten, die, weil sie ihren Glauben höher hielten als Geld und Gut, aus der Heimath vertrieben wurden und nachdem sie vom nächsten Berge noch einmal zurückgeschaut hatten auf das heimath­ liche Thal, ihre Häuser, Gärten und Wiesen, ihr Angesicht der Fremde zuwandten, um mit Gottes Hülfe eine neue Heimath zu

suchen. Denkt an die Waldenser, die im strengsten Winter aus ihren Kerkern entlassen wurden unter der Bedingung sofortiger Aus­ wanderung, hungernde, frierende Menschen, die über die verschneiten Kirmß, Predigten. 13

194

Die Hungernden und die Verfolgten.

Berge zogen, thatsächlich nichts mehr besitzend, als ihr gutes Ge­ wissen und ihren Gott. Oder geht nach Frankreich und seht dort

die kämpfenden Hugenotten, die Fliehenden, die sich bei Nacht

durch die Wachtposten über die Grenze schlichen, nur um ihrem Glauben nicht untreu zu werden; oder die Zurückgebliebenen, wie sie sich in der Wildniß versammelten als „eine Kirche der Wüste", um unter steter Todesgefahr einmal wieder die Predigt

von der Gerechtigkeit aus dem Glauben zu hören. Im südlichen Frankreich steht jetzt noch ein alter Thurm, in welchem einst die Hugenottenstauen, deren Männer auf die Galeren gebracht worden waren, eingesperrt gehalten wurden. Da steht in einem Kerker hoch oben an der Mauer ein Wort von ungeübter Hand in den Stein eingeritzt, ein kurzes Wort, das uns doch die ganze Größe jener Zeit darstellt. Es lautet „Resistez“ „haltet Stand." Das hat eine einfache Frau geschrieben, die dort gefangen saß, als Mahnung für ihre Genossinnen, die nach ihr dort in der Gefangenschaft sitzen würden: „Haltet Stand." Oder denkt an die Erstürmung von Magdeburg. Als die Häuser brannten und die Schaaren Tillys die Wälle stürmten, da zogen die Schulkinder auf den Marktplatz und sangen das Lied, das wir vorhin gesungen haben: „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort." — Das sind nur einige Züge aus der Geschichte derer, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt worden

sind. Aber ist es nicht genug? „Selig, selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden." Ja, waren die Verfolger selig oder die Verfolgten, die Richter oder die Gerichteten, die Henker der evangelischen Freiheit oder die, die sich haben tobten lassen? Waren nicht diese Verfolgten selig,

als sie sich durch die hineintreiben lassen in haben ihren Glauben, der.Flucht oder dem

Leiden der Verfolgung immer tiefer haben

ihre Seligkeit? Die Alles verloren haben, ihr Gewissen, ihre Seele gerettet, haben auf Schaffot noch Psalmen gesungen. Als die

Salzburger auszogen, da haben sie gesungen: Das zeitlich Gut mag fahren hin, Wenn nur der Himmel mein Gewinn.

Wer Jesum hat, ist reich genug

Auf seinem Exulantenzug.

Wer ist da selig gewesen, die Verfolger oder die Verfolgten?

Die Hüngernden und die Verfolgten.

195

„Selig, selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn das Himmelreich ist ihr." Gott hat ihnen geholfen und die Menschen haben ihnen geholfen, soweit sie konnten, und helfen ihnen heute noch. Dort wo einst diese Verfolgungen waren, da sind heute noch die Ueberreste evangelischer Gemeinden. Lange hat das evangelische Bewußtsein

dort geschlummert wie im Grabe' da ist ein Bote gekommen und mit ihm Christus selbst, und Dieser hat über die Todtengefilde

gerufen: „Ich sage dir, stehe auf." Und da haben die zer­ streuten verdorrten Glieder sich wieder zusammengesetzt zu lebendigen Gemeinden. Dieser Bote trägt den Namen Gustav Adolfs, des Helden, der einst denen geholfen hat, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt wurden. Die Kirchen und Schulen, welche der Gustav Adolf-Verein in katholischen Ländern baut, sind die Brod Häuser, in denen die Hungernden gespeist werden, die Brunnenstuben, in denen sie getränkt werden, die Herbergen, in denen die um der Gerechtigkeit willen Verfolgten Heimstätten finden im Schatten ihres Glaubens. Die Glocken, die dort läuten, rufen hinaus ins katholische Land: „Das Wort Gottes bleibet in Ewigkeit; das Wort sie sollen lassen stahn." Wir hier in der evangelischen Heimath sind das Heer, unsere Brüder in katholischen

Ländern sind die Vorposten, und das Heer darf nicht dulden, daß die Vorposten gefangen werden. Die evangelische Kirche ist die

Mutter, die Zerstreuten sind die Kinder in der Fremde; und die Mutter darf nicht dulden, daß die Kinder in der Fremde hungern und verloren gehen. Heute bittet euch der Gustav Adolf-Verein um euere Gaben. Laßt diese Bitte nicht vergeblich sein! Wir haben heute viel Geschichte getrieben. In der Geschichte redet Gott zu uns. Was sie uns lehrt, soll in uns Leben werden. So lebet als evangelische Christen, wachsam im Glauben, standhaft

in der Liebe, fest in der Hoffnung: Das Reich muß uns doch bleiben!

Amen.

196

Die Barmherzigen.

24.

Die Barmherzigen. (Zum Erntedankfest.) Matth. 5, 7.

Selig sind

die Barmherzigen,

denn sie sollen Barni-

Herzigkeit erlangen.

^Deshalb feiern wir Erntedankfest und müssen wir es feiern? Einem Menschen zu danken ist nicht nur eine Pflicht der äußeren

Höflichkeit und des Anstandes,

sondern eine tiefe sittliche Pflicht.

Wenn jemand mir etwas Gutes gethan hat, so muß ich dieses Gute

anerkennen;

thäte ich

es nicht,

so würde ich mich als des Guten

unwürdig erweisen und würde an dem Wohlthäter ein Unrecht be­

gehn.

Ebenso aber würde ich an mir selbst ein Unrecht

begehn;

ich würde mich um den rechten Genuß dessen bringen, was mir zu

Es wäre für mich verloren.

Theil geworden ist.

Erst durch den

Dank erkenne ich es an, würdige es, halte es für mich fest.

Damit erkennen wir auch die Gründe, welche uns bewegen, Es ist unsere sittliche Pflicht gegen den

Erntedankfest zu feiern.

Geber, den großen Herrn der Ernte, dadurch, daß wir ihm danken,

es ist eine Pflicht

Und

ihn zu ehren.

gegen uns selbst.

Wer

nicht dankt, bringt sich selbst um den rechten Segen dessen, was er empfangen hat.

Durch die Dankbarkeit wird Alles geweiht, verklärt

von einem höheren Lichte. tiefen Sinn.

Durch

Durch sie erhält Alles für uns einen

die Dankbarkeit wird das Empfangene

recht unser Eigenthum,

erst

von uns nicht nur äußerlich sondern

innerlich genossen.

Unser Text weist uns auf eine ganz besondere Art der Dank­ barkeit hin, eine Dankbarkeit, die nicht nur in Worten und Gefühlen besteht, sondern in der That.

am Erntedankfest:

Selig sind die Barmherzigen, das heißt

Die sind vom Erntesegen am reichsten gesegnet,

welche sich durch ihn antteiben lassen zur Barmherzigkeit,

Die Barmherzigkeit, in der wir das Geerntete verwenden, ist die schönste Frucht der Ernte. Barmherzigen."

oder:

auch für Andere „Selig sind die

Weiter aber: Wie die geerntete Frucht wieder

die Aussaat enthält, aus welcher mit Gottes Hülfe im nächsten

Die Barmherzigen.

197

Jahre eine neue Ernte erblühen wird, so wird durch die Barmherzig­ keit, die wir üben, uns Gottes Barmherzigkeit zu Theil. Selig

sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit er­ langen. So machen wir zum Gegenstand unserer Betrachtung: Das Erntedankfest und die Barmherzigkeit. 1. Die Barmherzigkeit ist die werthvollste Frucht, welche

das Erntedankfest uns bringt. 2. Aus unserer Barmherzigkeit erwächst uns die reiche Ernte der göttlichen Barmherzigkeit. 1. Ist es bei dir wirklich so, daß, wenn du den ganzen Ernte­ segen überblickst, du vor Allem Eine Sttmme hörst: „Weil ich alles das empfangen habe, so will ich nun hingehen und gegen meine Mitmenschen barmherzig sein."? Derselbe Erntesegen wirkt auf verschiedene Menschen ganz ver­ schieden ein. Der Eine, der viel in sich hat, wird auch durch einen geringeren Erntesegen mit um so größerer Dankbarkeit und Zu­ friedenheit erfüllt, während dagegen der, welcher nichts in sich hat, auch durch einen reichen Erntesegen nur um so unzufriedener und habgieriger wird. Während der Eine beim Anblick der Ernte zu sich spricht: „Nun iß und trink, liebe Seele, und sei guten Muths!", während er also nur an alle die guten Stunden des Genusses denkt, die er sich nun machen kann, blickt der Andere

mit Dankbarkeit und Stolz zurück auf alle die saueren Stunden, die ihm seine Arbeit gebracht, und bescheiden nimmt er den Segen hin, den Gott auf seine Arbeit gelegt hat. Dem Einen wird der Ernte­ segen ein Fluch, eine Versuchung zum Leichtsinn, zur Verschwendung, zur Sinnenlust.

Dem Anderen wird er die feste Grundlage, auf

welcher er ein in Gottesfurcht, Zucht und Tüchügkeit sicher zu­ sammengefügtes und vom Segen Gottes gekröntes Haus auferbaut. Ob du also viel oder wenig erntest, ob der Erntesegen dir wirk­

lich ein Segen oder ein Fluch wird, das hängt ganz von dir selbst ab.

Die beste Wirkung aber, die er in dir hervorrufen kann, ist die Barmherzigkeit. Damit das geschehe, mußt du ihn recht be­ trachten, seine Entstehung bis in die letzten Ursachen. Versucht es einmal! Sehet, wie viele Hände zusammenarbeiten mußten, damit das einfachste Kleid zu Stande kommt, welches ihr trugt. Ganz

198

Die Barmherzigen.

ähnlich ist es hier.

Wie viele Bedingungen mußten zusammenwirken,

damit dir dein Erntesegen zu Theil wurde, und zwar Bedingungen, die

außerhalb

ganz

deines Willens und deines Einflusses liegen.

Hat der Landmann gepflügt und gesät,

mehr

thun.

dann kann er gar nichts

Sein Säen ist im eigentlichen Sinne ein Säen auf

Er muß ruhig zusehen, wie der Winter kommt, wie der

Hoffnung.

Schnee die Felder zudeckt, wie der Frost kommt und eisige Winde über die Felder wehen; er muß warten, bis dann die Sonne höher steigt,

der

Frühling

nahende

seine

warmen Lüfte

voraussendet,

der Schnee schmilzt und dann unter dem Einfluß von Feuchtigkeit

und Wärme in den Samenkörnern die Keimkraft erwacht, und die

Sonne schließlich die Ernte zur Reife bringt.

Er mag noch so oft

hinausgehen an sein Feld und zusehen, wie es steht, thun kann er nichts.

So sehr auch die Werkzeuge, mit denen gesät und geerntet

wird, vervollkommnet werden, es wird immer dabei bleiben, daß

der Mensch warten muß, bis die Ernte reift.

Wie viele Stunden,

wie viele Tage müssen in solchem Warten vergehen, bis dann die Gemeinde in der Dorfkirchc im Angesicht der Erntegaben auf dem

Altar singen kann:

„Nun danket Alle Gott!"

Da sehen wir recht

daß der Hintergrund aller menschlichen Arbeit Gnade,

deutlich,

Barmherzigkeit ist. Nicht

anders ist es bei unserer Arbeit.

nicht so scharf hervor.

Zwar hier tritt es

Wenn der Mann, der in einfachen Verhält­

nissen lebt, mit Befriedigung sieht, wie seine Ersparnisse sich mehren, wenn ihm dadurch die Möglichkeit wächst, für die Ausbildung seiner

Kinder

mehr zu thun,

als einst

für seine

Ausbildung

geschehen

konnte, wenn ein Anderer mit Stolz sieht, wie von Jahr zu Jahr

sein Vermögen wächst, so liegt hier die Gefahr sehr nahe, zu sagen:

Das verdankst du ganz allein deiner Tüchtigkeit, deinem Fleiß,

deiner Sparsamkeit, zu solchen Erfolgen

das ist dein Werk.

unermüdliches und

Denn zumeist ist eben

ununterbrochenes Arbeiten

nöthig; jenes geduldige Warten, welches dem Landmann auferlegt

ist, fällt hier weg.

Und doch ist auch hier alles Gnade, freie Gabe

Gottes, des barmherzigen Gottes.

Siehe diesen und jenen deiner

Altersgenossen, den es so mächtig zur Arbeit treibt für sich und die Seinen, und der doch nicht arbeiten kann, weil schwere Krankheit

hn lähmt.

Hast du deine Gesundheit, dieses nothwendigste Hand-

Di« Barmherzigen.

Werkszeug für deine Arbeit, von dir selbst?

199 Hast du nicht vielleicht

Manches gethan, was dieselbe schwächen könnte; und doch besitzest du sie noch unvermindert. Ist das dein Verdienst? Woher hast du deinen Arbeitsmuth? Woher kommt es, daß du manchmal so freudig bist zur Arbeit, manchmal so unlustig, daß du manchmal so fröhlich an Erfolge glaubst, und dann wieder so muthlos ver­ zweifelst? Erkennst du da nicht, daß auch dein Muth, deine Lust zur Arbeit ein Geschenk Gottes ist, das du dir nicht selbst geben kannst? Woher kommt es, daß dir manchmal wunderbar, wie spie­ lend auch das Schwerste gelingt, während du ein andermal Tag und Nacht dich mühst, und immer vergeblich? Erkennest du nicht, daß der Erfolg, der Segen von Oben kommt? Und dann, der schönste Erfolg deiner Arbeit ist doch gewiß für dich der, daß dein Familienglück blüht, deine Kinder gedeihen und dir Freude machen. Was nützt dir aller klingender Lohn für deine Mühe, wenn dieser Segen ausbleibt? sUnd ist dieser Segen wirklich dein Werk? Hängt das wirklich ab von deinem Mühen und Laufen? Ist das nicht auch Gnade von Gott?

So ist Gottes Gnade, Gottes Barmherzigkeit der stille Hinter­ grund all unseres Arbeitens und unseres Gelingens. Was du erarbeitet oder was du ererbt hast von deinen Vätern, was dir

leicht oder mühelos in den Schoß gefallen, oder was du dir ver­ dient hast im Schweiße deines Angesichts, es ist Alles eine Gabe der freien Gnade Gottes. Es ist deshalb auch alles ein anver­ trautes Gut; Gott hat dich als Hüter, als Verwalter darüber gesetzt. Es ist dir auf bestimmte Zeit anvertraut, so lange es Gott gefällt; dann mußt du es lassen und kannst es so wenig festhalten, so wenig du es aus eigener Kraft erringen konntest. Du hast deshalb gar

kein Recht, dein Herz daran zu hängen; nur an Gott darfst du es hängen; denn all dein Gut gehört Gott. So erzählt dir der Erntesegen von der Barmherzigkeit, Jedem

unter euch, dem, der viel geerntet hat, auch dem, der wenig geerntet hat, und der doch in Tagen der Noth und des Mangels es an sich erfahren hat und noch immer erfahren wird, daß Gottes Barm­ herzigkeit nicht aufhört und seine Hand nicht müde wird zu helfen.

Da wird das kalte Gold warm, ein Bote der Liebe Gottes; und der todte Besitz wird lebendig; denn er thut seinen Mund auf und

Die Barmherzigen.

200

erzählt dir von dem Gott, der nicht aufhört zu segnen. Ja noch mehr: Jeder Ertrag deiner Arbeit, weil er von Gott, dem Barm­

herzigen, kommt, trägt dir etwas von Gottes Barmherzigkeit in dein Haus und in dein Herz. Jedesmal, wenn du dich mit den Deinen freust an dem, was du hast, wenn ihr in glücklicher Gemeinschaft

mit einander genießt, was Gott euch bescheert hat, da genießt ihr auch innerlich Gottes Güte und schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist. Da ist es ja nicht anders möglich: Wie der Ruf in den Bergen das Echo erweckt, wie der Strahl der Sonne im See wider­ leuchtet, so muß auch in eueren Herzen die Barmherzigkeit Gottes ein Echo finden und ihre Strahlen müssen von ihnen zurückgeworfen werden, nicht nur in den Dankliedern, die wir hier singen, nicht nur in weichen frommen Empfindungen, sondern in kraftvollen Thaten. Nun danket Alle Gott, nicht nur mit dem Herzen, nicht bloß mit

dem Munde, sondern vor Allem mit den Händen. Ihr, die ihr euch genährt wisset von Gottes Barmherzigkeit, die ihr in reichlicher oder kärglicher Ernte, in großen oder geringen Erfolgen euerer Arbeit die Gaben der göttlichen Barmherzigkeit seht, ihr müßt ja unter diesem Sonnenschein der göttlichen Gnade, unter diesem Thau der göttlichen Barmherzigkeit, in dieser warmen stuchtbaren Lust der göttlichen Güte innerlich diesem Gotte ähnlich, gleichgestaltet werden, d. h. barmherzig werden. Und während sonst Geld und Gut so leicht die Herzen eng macht, müssen euere Herzen weit werden, wie das Herz eueres Vaters, für alle menschliche Noth, die ihr um euch her sehet. So ist die Barmherzigkeit die werthvollste Frucht, welche uns

das Erntefest bringt.

2.

Aus dieser Frucht aber soll euch die reiche Ernte der

göttlichen Barmherzigkeit erwachsen. Ihr könnt die Barmherzigkeit Gottes nur dann erlangen, wenn ihr Mitarbeiter seiner Barmherzigkeit werdet. Wie werde ich der Barmherzigkeit Gottes, der Vergebung meiner Schuld theilhaftig? Das ist die größte Frage, welche je den Menschen­ bewegt hat. Das ist die eigentlich brennende Frage, die Frage, die dem Menschen im geist beschäftigt, das Menschengemüth

Herzen und im Gewissen brennt.

Denn die Schuld ist das Gift,

201

Die Barmherzigen.

welches das ganze Leben vergiftet, alle Freude vergällt, allen Frieden verscheucht, alle Arbeitskraft lähmt, die Hoffnung niederdrückt, die

Das ist die Last, unter der auch der Stärkste erliegt, die finstere Macht, die sich auch an die Füße des Schnellsten heftet, auch den Eilzug und das Dampfschiff umschwebt. Von dieser Schuld frei zu werden, Versöhnung zu finden, das ist das Heil, das höchste Gut. Deshalb ist die Frage aller Fragen, die Frage, zu deren Lösung Christus gestorben ist, um deren willen Paulus und Luther gekämpft und gearbeitet haben, die Frage: Wie werde ich Barmherzigkeit erlangen? Ich kann sie mir unmöglich verdienen. Man kann sich Barmherzigkeit nicht verdienen. Entweder ich verdiene etwas; dann ist es eben der Lohn, auf den ich Anspruch habe, aber keine Barmherzigkeit. Oder es ist das Geschenk freier Barmherzigkeit, dann kann ichs eben nicht verdienen. Deshalb widerspricht es ebenso der Vernunft wie der heiligen Schrift, wenn die katholische Kirche lehrt, daß man sich Gottes Gnade durch Werke und Leistungen verdienen könne. Und wenn ihr alle frommen Werke und Leistungen, die an allen Orten und zu allen Zeiten jemals vollbracht worden sind, aneinander fügtet, es würde daraus niemals eine Leiter werden, auf der auch nur eine einzige Menschenseele emporgelangen könnte

Liebe tödtet.

zu Gottes Barmherzigkeit. Deshalb haben Paulus und Luther auf jene Frage geant­ wortet: Allein durch den Glauben. Du mußt dich einerseits in tiefer herzlicher Reue, in strengem Selbstgericht abwenden von deiner Sünde, und auf der anderen Seite vertrauensvoll dich hin­

wenden zur Gnade Gottes. Du mußt an diese Gnade Gottes glauben, wie du an die Liebe deines Vaters glaubst, wie du daran glaubst, daß deine Mutter niemals ihr Herz von dir abwenden

kann.

Dieser Glaube, dieses Vertrauen ist die Kraft, durch welche

du die Gnade Gottes ergreifst, sie dir innerlich aneignest, so daß du dich mit Gott versöhnt weißt. Dann wird deine Schuld unter dir versinken und ein neues Leben wird dich von oben her durch­

dringen.

Auf der Leiter der Werke

kannst

du niemals

den

Himmel erklimmen: aber mit den Flügeln eines kindlichen, ver­ trauensvollen Glaubens kannst du ihn erfliegen.

Wie lernen wir aber diesen Glauben an Gottes Barm-

202

Die Barmherzigen.

Herzigkeit? Wieder antwortet uns die christliche Lehre: Gottes Barmherzigkeit hat sich uns in Christus geoffenbart. Er hat sie

uns gelehrt. Er hat sie uns durch sein ganzes Leben, in seiner heiligen Persönlichkeit verkörpert; er hat sie durch seinen Tod be­ siegelt. So tritt zu ihm heran. Sage dir: „So gewiß dies Alles geschehen ist, so gewiß will dir Gott barmherzig sein." Beziehe Christi Lehre, sein Leben und Sterben auf dich, so wirst bu an Gottes Barmherzigkeit glauben lernen.

Aber das Alles ist noch nicht genug. Jesus zeigt uns noch einen anderen Weg. Und wir brauchen auch noch solch einen anderen Weg. Denn woher kommt es denn, daß Viele am Kreuze Christi vorübergehen, es sehen und doch nicht glauben lernen? Wir finden das, worauf Alles ankommt, ausgesprochen in dem Worte Jesu: „Selig sind die Barmherzigen; denn sie sollen Barmherzigkeit erlangen." Wir können Gott nur dann verstehen, wenn wir Gott ähnlich werden. Wir können nur dann an Gottes Barm­ herzigkeit glauben, wenn wir selbst barmherzig sind. Wer harten Herzens ist, der hört wohl die Botschaft von Gottes Barmherzigkeit;

aber sie klingt hoch über ihm vorüber, wie das Sausen des Windes hoch oben in den Lüften; sie berührt seine Seele nicht; seine Seele

ist unempfänglich dafür; sie kann diese Botschaft gar nicht ver­ stehen, so wenig, wie ein Stück Eis von der Sonne erwärmt werden kann. Wer aber an Gottes Barmherzigkeit nicht glauben, d. h. ihr nicht vertrauen kann, der kann auch ihrer nicht theil­ haftig werden; er kann keine Barmherzigkeit erlangen. Darum sei barmherzig! Laß dich durch alle die Segnungen

der göttlichen Barmherzigkeit, deren du dich heute am Erntedankfest freust, und durch die Offenbarung Gottes in Jesus Christus zur Barmherzigkeit erziehn.

Lerne in dieser Schule wirklich von Herzen

deinem Widersacher vergeben; lerne deine armen Brüder und Schwestern

wirklich lieben und ihnen von Herzen Gutes thun. Dann komme wieder; schaue empor zu Gottes Barmherzigkeit. Wenn du dann selbst Barmherzigkeit übst, wirst du an Gottes Barmherzigkeit glauben und dich ihrer getrösten können.

Selig sind die Barmherzigen;

denn sie sollen Barmherzigkeit erlangen. So bewegen wir was in einem wunderbaren Kreise: Gott erzieht uns durch seine Barm­

herzigkeit zur Barmherzigkeit, und wieder durch die Barmherzig-

Die Barmherzigen.

203

feit, die wir so lernen, werden wir der vergebenden Barmherzig­ keit Gottes gewiß und theilhaftig.

Seid barmherzig.

Gott hat seine Güte ausgeschüttet über die

ganze Erde und ihr Segen ist für alle Menschen bestimmt. Aber er ist ungleich unter den Menschen vertheilt. Das ist immer so

gewesen und wird immer so sein. Wo Leben ist, da muß auch Verschiedenheit sein. Wo Einförmigkeit ist, da ist der Tod. Eine menschliche Gesellschaft, in der Alle gleich wären, auch im Besitz, an Geld und Gut, würde innerlich tobt fein; kein Arbeiten, kein Streben wäre möglich, auch keine helfende und empfangende Liebe. Nur das Nebeneinander von Reichthum und Mangel ist die Grund­ lage, auf der die Menschen im Geben und Empfangen, im Helfen und Sichhelfenlassen einander als Brüder und Schwestern, als Kinder des Einen Vaters nahe kommen sollen. Euere Sache ist es, ihr Menschen, den Segen, den Gott auf diese Erde gelegt hat, in Liebe und Gerechtigkeit so unter einander zu vertheilen, daß Niemand Mangel leidet. So werdet Mitarbeiter des barmherzigen Gottes. Nicht die Gewalt, welche Alles gleich macht, soll die

ausgleichende Macht auf Erden sein, sondern die freiwillig gebende Barmherzigkeit und die demüthig empfangende Dankbarkeit. Seid barmherzig, das ist Gottes Wille. Seid ihr es nicht, dann macht

ihr euch selbst des Erntesegens unwürdig. Seid barmherzig! Gebt etwas von dem, was Gott euch gegeben, an Gott zurück, indem ihr eueren Brüden: helft. Aus jeder Gabe, mit der ihr helft, fließt Segen auf euch zurück Durch das fleißige Heben der Barmherzig­ keit wird euch die Barmherzigkeit zur inneren Natur, bildet sich eine innere Gemeinschaft zwischen euch und dem barmherzigen Vater im

Himmel, und ihr werdet innerlich immer reicher gesegnet von der Barmherzigkeit Gottes, die euch euere Sünden vergiebt und euere Gebrechen heilt. Große Ausblicke hat uns das Erntefest eröffnet. Es läßt uns hineinblicken in die Tiefen der göttlichen Barmherzigkeit, aus welchen

unser Erntesegen fließt, und es zeigt uns, wie die rechte Verwendung

dieses Erntesegens uns emporführt zur Barmherzigkeit Gottes. Selig sind die Barmherzigen; denn sie sollen Barmherzigkeit erlangen. Amen.

204

Die reinen Herzen.

25. Die reinen Herzen. (Zum ersten Abendmahl der Konfirmierten.)

Matth. 5, 8. Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen. 9as heilige Abendmahl, welches heute Viele von euch vereinigt,

unter ihnen auch Solche, welche heute zum ersten Male zum Tisch des Herrn gehn, nachdem sie in der vergangenen Woche eingesegnet worden sind, legt es uns nahe, unsere Gedanken zu sammeln um

diese Seligpreisung.

So laßt uns denn nun zunächst sehen, wer

die sind, die reines Herzens sind; und dann, was es heißt, daß sie Gott schauen.

1. Reines Herzens sein — da möchte man vielleicht an solche

Menschen denken, welche sich die kindliche Unschuld in das gereifte Leben hinüber gerettet haben.

Aber erwachsene Menschen von solcher kind­

lichen Unschuld giebt es nicht.

Der Weg des Menschen führt nun

einmal vorbei an dem Baume der Erkenntniß, und Jeder, der da­

von ißt, lernt Gutes und Böses unterscheiden und muß das Paradies verlassen.

Somit träfe unsere Seligpreisung

haupt nicht

zu,

sondern wäre

für

Engel

auf Menschen über­

gesprochen,

die

nicht

sündigen, weil sie nicht sündigen können, nicht aber für Menschen, deren Loos es ist, zu kämpfen und zu streben, und damit auch zu irren und zu sündigen.

Außerdem ist es doch auch sehr zweifelhaft,

ob diese kindliche Unschuld wirklich soviel werth ist, wie man gemein­

hin annimmt.

Denn sie ist ein Zustand der Unwissenheit, eine

Unschuld, die im Kampfe noch nicht erprobt ist, eine Reinheit,

die noch nicht berührt worden ist von der unreinen Welt. Diese Reinheit des Herzens, von welcher Jesus spricht, ist nicht der Anfang und Urzustand

des Menschenlebens,

sondern vielmehr

der Preis eines Kampfes, ist die Frucht heißen, ernsten Strebens. So ist es auch bei unserem Erlöser gewesen.

Er hätte unser Heiland

nicht werden können, wenn bei ihm die Möglichkeit des Sündigens

Die reinen Herzen.

völlig ausgeschlossen

205

Denn dann wäre auch eine

gewesen wäre.

Versuchung bei ihm nicht möglich gewesen, sie hätte seine Seele gar nicht berühren, gar nicht in Bewegung setzen können.

Sondern

dadurch ist er uns vorangegangen und hat uns ein Vorbild gelassen, daß er sich durch Kampf hat hindurchringen müssen zum Siege.

So sind

also Menschen

mit reinem

Herzen

nicht

Denn wir haben Alle an der Sünde Theil.

Menschen.

sündlose Nun ist

aber unter den Menschen, die allzumal Sünder sind, doch ein großer

Unterschied.

welche ihren Willen so von der

Es giebt Menschen,

Sünde gefangen nehmen lassen, daß diese der Inhalt ihres Willens wird.

Das

Schlechte ist

eingedrungen

ins Mark,

bis

Fühlen, Streben, das Denken, die Phantasie vergiftet.

hat

das

Bei dem

Neidischen ist der Neid sein Wille geworden; trotz alles Unbehagens, das ihm der Neid bereitet, ist es ihm doch eine geheime Lust, seinem

Neid bitteren Ausdruck zu geben.

des Lasters

Der Knecht

dem Laster dienen, weil sein Wille vom Laster erfüllt ist.

muß Da ist

das Leben von der Sünde zerfressen, wie das Metall vom Rost, und

jeder

Flecken.

sündige

hinterläßt

Gedanke, jede schlechte That

einen

Es giebt dagegen Andere, in deren Wesen zwar auch die

Sünde wohnt; aber ihr Wille bleibt rein, und sie halten ihn sich

frei zum Kampfe gegen ihren alten Menschen. Sünde keinen Flecken, Seele.

Da hinterläßt die

sondern nur ihre Schatten verdunkeln die

Ein großer Philosoph hat einmal gesagt,

das einzig und

wirklich Gute, was es gebe, sei ein guter Wille. welche

guten

Willens

sind,

sind

das

die

Die Menschen, Menschen,

die

reinen Herzens sind.

Es sind die Aufrichtigen,

die Ehrlichen, deren Auge,

ganzes Antlitz eine offene Thür ist,

kann bis in ihr Herz,

deren

durch welche man hineinsehen

die keines Truges fähig sind, deren Worte

aus der Seele kommen, aus dem Gewissen, aus dem Herzen, nicht nur von den Lippen, die deshalb keine leeren Worte machen können,

sondern jedes Wort trägt in sich etwas von ihrem inneren Leben,

von der Wärme ihres inwendigen Menschen.

Ihr habt Menschen

kennen gelernt, zu denen ihr sofort Zutrauen faßtet, von denen ihr

sofort die sichere Ueberzeugung hattet: Sie können gar nicht betrügen; sie können

es

reinem Herzen.

nicht unehrlich

meinen.

Das

sind

Menschen

mit

206

Die reinen Herzen.

Denkt an Menschen, welche wenig sprechen;

aber mit jedein

Worte ist wirklich etwas gesagt, eine wahre, echte Empfindung, ein reifer Gedanke ausgesprochen. Denkt an die anspruchslosen Menschen, welche nichts aus sich machen und wenig für sich begehren, die nicht trachten nach eitler Ehre, die neidlos sich von Anderen überflügelt

sehen, die aber zugleich, weil sie's ehrlich meinen, sich vor den Menschen nicht fürchten, sondern muthig eintreten für das Recht ihrer Ueberzeugung und ihrer Persönlichkeit. Das sind Menschen

mit reinem Herzen. Menschen, deren Herz wie ein reiner Spiegel ist, an welchem

der Hauch der Sünde nicht haftet, sondern rasch wieder abgleiten muß, deren Inneres gegen das Böse so empfindlich ist, wie das Auge gegen ein Stäubchen, von dem es berührt wird, Menschen mit keuschem Herzen, die, ohne es zu wissen, eine ehrfurchtgebietende Würde haben, so daß alle stivole, leichtfertige Rede in ihrer Nähe verstummt, das sind Menschen mit reinem Herzen. Sie haben auch ihre Fehler, vielleicht mächtige Leidenschaften,

von denen sie bisweilen fortgerissen werden; sie tragen selbst tief Leid um diese Fehler, überhaupt darum, daß sie vom Ziele noch weit entfernt sind; deshalb liegt über ihrem Wesen eine stille Weh­ muth. Aber im Grunde ist ihr Wille rein und gut. Es sind die Menschen mit reinem Sinn und reinem Muth, die aus jedem inneren Kampfe nicht nur unverletzt, sondern gereift und gestärkt hervorgehn. Sie haben die Lockungen der Lüge und der Sinnenlust kennen gelernt; aber sie haben sich durchgekämpft. Es wohnt in ihnen die Wahrhaftigkeit, die mit der Lüge gerungen

und sie überwunden hat, die Keuschheit, welche die böse Lust immer wieder unter die Füße tritt, die Aufrichtigkeit, welche alles Scheinwesen abgethan hat, die Liebe, welche die Selbstsucht ertödtet hat, der Muth, der keine Furcht mehr kennt. So ist ein reines Herz wie ein Schlachtfeld, auf welchem die erschlagenen Feinde liegen, und Gott hat Panier aufgeworfen, und die Siegeslieder klingen. Diese erkämpfte Herzensreinheit ist viel mehr werth, als die

reine Unschuld der Kindheit. Wie können wir zu dieser Herzensreinheit gelangen?

Der

Psalmist betet: „Schaff' in mir, Gott, ein reines Herz und gieb mir

einen neuen gewissen Geist."

Dieses alttestamentliche Gebet kommt

Die reinen Herzen.

207

erst im Christenthum zu seiner wahren Geltung.

Denn in Jesus,

diesem Erstgeborenen unter den Kindern Gottes, in seiner Große,

in seiner heiligen Liebe tritt uns die Macht Gottes, die reine Herzen

schafft, erst recht entgegen.

Wir können deshalb

auf die Frage:

Wie erlangen wir ein reines Herz? keine andere Antwort geben, als

diese: Durch Jesus.

In der Kirche haben verschiedene Vorstellungen

von ihm bestanden und bestehen

Aber welcher von diesen

noch.

Vorstellungen ihr euch auch zuneigen mögt, Schließt euch

wirklich an ihn

an!

darauf kommt es an:

Stellt sein heiliges Bild vor

euere Seele und seht es immer wieder andächtig an!

Laßt euere

ergreifen und euch vou

Seelen von der Macht seiner Erscheinung

ihm fortziehn in seine hohe, heilige Lebensbahn hinein!

Dann bildet

sich allmählich sein Wesen in das euere ein, er gewinnt Gestalt in

euch

und bildet euch als der große Menschenbildner

Bilde.

nach seinen!

Sein Herz ist so unendlich reich, daß es alle Menschenherzen

mit seinen! Leben erfüllen kann.

Ergreift ihn wirklich mit euerem

Glauben, so werdet ihr reines Herzens werden, und lernt von ihm beten.

Legt endlich den alten Wahn ab,

als ob das Beten ein

Ruhekissen wäre für träge Seelen, die nicht kämpfen, arbeiten und streben

wollen.

Ein

wirkliches

Kraftanstrengung des Menschen,

Gebet

ist

vielmehr

die es giebt.

die heiligste

Da richtet sich der

schwache Mensch aus dem Staube der Erde empor, und wendet sein

Angesicht zu Gott und ruft den starken Gott als Kampfgenossen zu Betet, ihr Christen, besonders ihr, meine jungen Freunde,

sich herab.

betet, wenn das Böse einbrechen will in den Garten eueres Herzens;

Gott will dann einen Engel davor stellen,

der die Thür behütet.

Durch das Gebet weckt in euch auf den schwachen Willen;

durch

das Gebet ruft aus der Tiefe der Seele alle die heiligen Gottesworte, die da schlummern.

Im Gebet legt euere Schuld vor Gott nieder,

daß ihr seiner Vergebung gewiß werdet.

In dieser Gewißheit der

Vergebung liegt die Kraft und der Muth zu neuem Kämpfen und Streben.

Im Gebete ringt euch zu Gott empor, dann steigt Gott

zu euch herab

und schafft in euch immer von Neuem wieder

ein

reines Herz. 2. Und ein reines Herz

soll Gott schauen,

Gott verstehn

und dadurch an Gott sich freuen. — Um einen Menschen in seinem Handeln und Streben zu verstehn, muß man ihm innerlich irgend-

208

wie ähnlich sein.

Die reinen Herzen.

Du kannst eine That wirklicher Selbstverleugnung

bei einem Menschen nur verstehn, d. h. begreifen, wie er sie hat thun können, wenn du selbst solcher Selbstverleugnung fähig bist.

Bist du das nicht, dann kannst du nicht verstehn, was er thut, und siehst seine That als Thorheit an. So kann nur der Gott schauen,

der Gott ähnlich, d. h. der reines Herzens ist. Alte Ausleger verglichen das Herz mit einem Spiegel. Ist dieser befleckt oder zerbrochen, so spiegelt sich das Bild in verzerrter Gestalt darin wider. So wird auch in einem unreinen Menschenherzen Gottes Angesicht sich unvollkommen widerspiegeln. Im Alten Testament heißt es: „Dem Verkehrten ist Gott verkehrt." Dem Selbstgerechten ist er ein strenger Richter; dem, der haßt und harten Herzens ist, ist er ein zürnender Gott; dem, der nicht vergeben kann, ist er ein Gott, der keine Vergebung kennt. Wenn arge, finstere Gedanken durch deine Seele ziehn, dann umdüstert sich für dich das Angesicht Gottes. Nur wer Gott ähnlich ist, kann Gott schauen, erkennen, verstehen. Deshalb hat Jesus Gott geschaut. Wie im Spiegel des Sees Genezareth sich am Tage der blaue Himmel spiegelt oder des Nachts das herrlich gestirnte Firmament des Morgenlandes, so spiegelt sich in dem reinen Herzen Jesu das An­ gesicht Gottes. Weil in ihm die Liebe die treibende Kraft seines Lebens war, deshalb hat er Gott als die Liebe geschaut. Weil er reines Herzens war, deshalb sah er Gottes reine Herrlichkeit. Weil in ihm kindliche Demuth wohnte, Gehorsam und Vertrauen, deshalb hat er Gott als den Vater geschaut. So sollen auch die aufrichtigen, reinen, anspruchslosen Seelen, die, welche, wie Paulus sagt, Kinder sind nicht nach dem Verständniß aber nach der Bosheit, Gott schauen, Gott verstehn. Das ist nicht etwa ein Lohn, welcher

willkürlich denen gegeben wird, die reines Herzens sind, sondern vielmehr die Frucht, welche mit innerer Nothwendigkeit aus dem

reinen Herzen hervorwächst. Wie Ehegatten einander immer mehr verstehn, je mehr sie einander ähnlich werden, so werdet ihr Gott um so mehr verstehn, je mehr ihr ihm durch Christus ähnlich werdet. Seht, was euch verheißen wird:

Wir sollen Gott schauen.

Wir sollen uns nicht begnügen, über Gott etwas zu hören, oder uns nach dem, was uns Andere von ihm erzählen, ein Bild von

Die reinen Herzen.

209

ihm zurechtzumachen, oder das für wahr zu halten, was wir über Gott lesen,

daß er gütig,

gerecht und allweise

sei.

Wollten wir

uns

wirklich damit begnügen, dann würden wir Unmündige bleiben,

die sich in ihrem religiösen Leben auf Andere verlassen müssen,

aber nicht selbst schöpfen können aus dem Quelle Gottes.

Sondern

als Jünger und Jüngerinnen Jesu, als Kinder Gottes müssen wir

selbst Gott schauen.

Das ist ein großer Unterschied; für jene, die

sich damit begnügen,

über Gott etwas zu hören,

ist Gott ein­

geschlossen in Bibel, Gesangbuch und Katechismus; für die dagegen, die ihn selbst schauen, ist er lebendig nahe.

Nehmt ein Beispiel:

Ihr habt vor euch ein schönes Gemälde, auf welchem euch der Wald Da seht ihr ganz naturgetreu,

dargestellt wird.

wie die Sonnen­

strahlen auf dem Moosgrunde spielen unter den alten Bäumen, die ihr schattiges Dach weit ausbreiten, und dazwischen hin schlängelt

sich der klare Quell über die glatten Steine, vielleicht darüber ge­

beugt der majestätische Hirsch, der seinen Durst löscht. wäre es Natur.

Alles, als

Aber dennoch, was ist das ausgezeichnetste Bild

des Waldes gegen den Wald selbst, wenn er euch mit seiner feier­ lichen könnt.

Stille

umfängt

und wenn ihr seine reine Luft einathmen

Oder denkt euch, es nimmt jemand, der seine Heimath ver­

lassen muß, ein Bild derselben mit hinaus in die Fremde.

Wohl

ist es ihm immer eine innere Erquickung, wenn er das Bild ansieht

und von vergangenen schönen Tagen träumt. wird ihm zu Muthe sein,

heimwärts lenkt, und die Heimath Abendsonne und

Aber wie ganz anders

wenn er wirklich wieder seine Schritte

liegt vor ihm im Schein der

umfängt ihn dann mit ihrer alten Kraft.

ein Unterschied ist,

Solch

ob du von Anderen über Gott hörst und für

wahr hältst, was sie dir erzählen, oder ob du selbst Gott schaust. Ihn schauen,

d. h. ihn an sich spüren als Kraft, als Gnade und

Wahrheit, wie die Blume die ausgehende Sonne spürt und ihr An­ gesicht der Sonne erschließt; es erleben, wie seine Gnade uns Sünden

vergiebt und seine Barmherzigkeit unsere Gebrechen heilt, wie sein starker Wille

unseren schwachen Willen stark macht;

sich von ihm

aufgerichtet, von ihm gehalten, in ihm geborgen fühlen, d. h. Gott

schauen.

Wenn durch dein Gebet

deine Furcht

vor

der Zukunft

sich in Zuversicht verwandelt, die Hartherzigkeit gegen deine Feinde

in vergebende Liebe, und eine Aufgabe, vor der dir bange war, sich Kirmß, Predigten.

Die reinen Herzen.

210

für deine wachsende Kraft wie spielend erledigt, dann hast du Gott in dir erlebt, du hast ihn geschaut. In fast allen vorchristlichen Religionen, auch im Alten Testament,

findet sich die Anschauung, daß der sterben müsse, der Gott schaut. Jesus verkündigt das Gegentheil:

denn er hat das Leben.

Wer Gott schaut, soll selig sein,

Ja selig ist, wer Gott überall schaut.

Gehe durch die Schöpfung und siehe in ihrem Blühen und Ver­

welken, in der Morgen- und Abendröthe,

die am Himmel glüht,

in den Sternen, welche die Nacht durchleuchten, deinen Vater, der

das Leben ist, und dessen Gewand das Licht ist,. deinen Vater, in welchem du zuletzt Ruhe finden sollst und Vollendung.

Siehe in

jeder Aufgabe, welche in deinem Haus oder in deinem Beruf an dich herantritt, deinen Gott, der zu dir spricht: „Komm, diene mir,

Siehe im Glück seine Güte über dich aus­

damit ich dich segne."

gegossen, seine weise Hand über dich ausgestreckt, in der Nacht der

Trübsal über dir

den Hüter,

der nicht schlummert noch schläft.

Dringe ein in den Sinn, den Gott in jede Wendung deines Lebens hineingelegt hat, und lausche den Gedanken deines Gottes, die darin

leben.

Schaue Gott, wenn der Tod in dein Haus tritt, und siehe

über den dunklen Schatten des Todes sein ewiges Licht, und laß

dich erfüllen von dem Frieden, den der Tod als Gottes Bote in seinem Gefolge hat.

Seht, ihr jungen Christen, in der Liebe euerer

Eltern die Liebe Gottes euch entgegentreten, und ihr, die ihr euch heute im Abendmahl vereinigt, seht in dieser Feier, wie in Jesus Christus, mit dem ihr euch vereint, euer Vater euch entgegenkommt,

um mit euch einen Bund zu schließen, der bleiben soll, bis ihr einst Gott ewig schauen werdet von Angesicht zu Angesicht. Immer und überall, auch wenn unsere Füße vom Staube der

Erde bedeckt werden, auch im Gedränge des Lebens sich bei Gott wissen, durch das Gewirr des Lebens das Angesicht des himmlischen

Vaters arbeitet,

hindurchleuchten kämpft

um

die

sehn,

das

Reinheit

ist

Seligkeit.

eueres Herzens.

Herzens ist, schaut Gott; wer Gott schaut, ist selig.

Darum

betet,

Wer reines Amen.

211

Die Friedfertigen.

26.

Die Friedfertigen. Matth. 5, 9. Selig sind die Friedfertigen; denn sie sollen Gottes Kinder heißen.

Aiese Seligpreisung ist, wie wir es schon bei mehreren der

Seligpreisungen beobachtet haben, Zeit gesprochen.

im Gegensatz zu der damaligen

Es war eine- stürmische Zeit.

Unter der schweren

Last der Fremdherrschaft hatte sich im israelitischen Volke viel ver­

haltener Groll angesammelt, nationaler Haß gegen die Bedrücker,

und dieser Haß,

verbunden mit einer heißen Sehnsucht nach Be­

freiung, richtete Aller Blicke, Aller Gedanken in die Zukunft, auf den

großen Kampf, in welchem das Volk unter der Führung des Messias sich befreien und das Messiasreich aufrichten würde.

Im Gegensatz

zu diesem Durst nach dem Blut der Feinde ruft Jesus:

die Friedfertigen."

„Selig sind

„Nach euerer

Er sagt damit zu dem Volke:

Vorstellung muß das Volk, das euerem Messias folgt, zu den Waffen greifen;

aber

dadurch

wird

das

Reich Gottes niemals

zu

Vielmehr sind die, welche den Frieden bringen,

kommen.

euch die

rechten Jünger des Messias, sie sind die rechten Kinder des Gottes­ reichs."

So

tritt

auch

Strömung seiner Zeit.

hier Jesus in scharfen Gegensatz zu der Aber trotzdem, vielleicht eben deshalb ist es

ein Wort für alle Zeiten, eins von den Worten, von denen Jesus gesagt hat:

„Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte

werden nicht vergehen." er damals

Die Seligpreisungen Jesu sind Boten, die

vom Berge aus

hinausgesandt hat in alle Welt; sie

wandern und predigen und werden nicht müde, und die Menschen

werden nicht müde, ihre Botschaft zu hören.

So wollen wir heüte

die Stimme dieses Boten vernehmen, der uns erzählt von den Friedfertigen und ihrem Erbtheil. 1.

haben.

Friedfertige sind zunächst solche, welche selbst Frieden

Wie kommen wir aber zum Frieden?

Wo ist der Friede?

Er ist an keinen Ort, an keinen Raum geknüpft.

Denkt euch ein

Thal, ganz weltabgeschieden, von hohen Bergen umgeben, so daß

14*

Dir Friedfertigen.

212

kein Sturm den Weg dahin findet, und kein Kriegslärm, der sonst

die Länder erfüllt, dorthin dringt.

Und doch wohnt dort vielleicht

der Friede nicht, sondern kleinliches, zänkisches, rechthaberisches Wesen, mit dem sich die Menschen gegenseitig das Leben verbittern.

Und

wieder in unserer großen Stadt in einer Straße, in welcher am Tage der Straßenlärm nie aufhört, kaum in einigen Stunden der Nacht, da

giebt es Manche schlichte, vielleicht ärmliche Wohnung, in welcher der

Friede wohnt.

So ist der Friede an keinen Ort geknüpft.

ebenso wenig an eine Zeit.

Und

Von altersher träumen die Menschen

von einem Reich des Friedens, das einst kommen werde auf Erden. Aber das Kommen desselben hängt nicht von dem Heute oder Morgen ab.

Ob ein Ort dir ein Ort des Friedens ist, ob eine Zeit dir eine

Zeit des Friedens ist, das hängt von dir selbst ab.

Hast du den

Frieden in dir, so ist dir jeder Ort ein Ort des Friedens und jede Zeit eine Zeit des Friedens.

Hast du keinen Frieden in. dir,

so

magst du gen Himmel fahren oder dich in der Tiefe betten oder

Flügel der Morgenröthe nehmen und bleiben am äußersten Meer, du Der Friede ist ein innerer Zustand.

wirst keinen Frieden finden.

Können wir denn aber nichts thun, um ihn zu erlangen?

Sind

die Einen dazu von Gott veranlagt, ihn zu haben, während Andere die ganze Welt durchwandern können, ohne ihn zu finden?

leicht gesagt:

Es ist

Erhebe dich über den Wechsel, die Sorgen und den

Streit der Erde, wenn man nur nicht ermüdet und abgespannt immer wieder zurückfiele in die Unruhe dieser Zeit.

Es ist leicht gesagt:

Stirb deiner Sinnlichkeit ab und vergrab dich hinter Klostermauern,

wenn der Mensch die Unruhe der Welt nur nicht mit hineinnähme Aber wenn wir so suchen nach Frieden,

auch in die tiefste Einsamkeit.

da hören wir eine Stimme: mühselig und beladen seid.

„Kommet her zu mir Alle, die ihr

Den Frieden lasse ich euch."

Im An­

schauen Jesu, des Friedefürsten, kommst du zur Gewißheit der Barm­

herzigkeit Gottes, welche den Tod des Sünders nicht will, sondern

daß

er sich

bekehre

und

lebe.

Vor dieser

versöhnenden Gnade

Gottes, welche Jesus uns verkündigt und bezeugt,

lege die Last

deiner Sünde und deines Leides nieder; gieb dich ihr vertrauensvoll

hin, und glaube, vertraue, daß alle Stürme des Lebens dich nicht

aus der Hand dieses Gottes reißen können, sondern daß er durch

alle Schickungen und Unruhe dieser Zeit hindurch dich festhält und

Die Friedfertigen.

auf dich

einwirkt.

Es giebt

keinen

213

anderen dauernden Frieden,

als allein das Vertrauen auf unseren Vater im Himmel, den uns

Jesus offenbart hat.

Friedfertige müssen vor Allem diesen Frieden

haben. Die aber Frieden haben, werden auch Frieden halten. nur wer Frieden

hat in sich

mit Gott,

Und

hat Frieden mit den

Jesus hat, um den Frieden zu bringen zwischen den

Menschen.

Menschen und den Menschen, vor Allem Frieden gestiftet zwischen

Wer Frieden hat mit Gott, wird auch

den Menschen und Gott.

Frieden halten mit den Menschen.

Denn hast du selbst Frieden,

so schätzest du ihn als das höchste Gut, als deinen Himmel, als das Sonnenlicht deines Lebens und deines Hauses,

als die stille

tiefe Grundströmung, welche dein Lebensschiff trotz

aller Stürme

doch stetig dem Ziele zutreibt.

Diesem Frieden gegenüber erscheinen

die Zerwürfnisse mit anderen Menschen, ihre oft so winzig kleinen

die Frage,

Ursachen,

auf welcher Seite die Schuld liege — alle

diese Dinge erscheinen dir im Vergleich zu dem Frieden so unendlich klein, daß du Alles rasch zurücktreten lässest und den ersten Schritt Du thust ihn rasch, ehe sich der Zorn in dir

zum Frieden thust.

oder deinem Widersacher festsetzt; im Anfang läßt sich der böse Geist

leicht verscheuchen, später wird die Versöhnung immer schwerer; und wenn solche Friedfertigkeit mit einer Demüthigung verbunden ist, so

wirst du in solcher Demüthigung wahrhaft groß.

Findet aber deine

Friedensliebe bei deinem Widersacher keine Antwort, so schließe doch in dir mit ihm Frieden,

Feinde

spenden,

zu

und halte den Frieden bereit,

sobald

er zu dir

kommt.

deinem

Schließe

dann

ganz Frieden, halte den Haß nicht in einem dunkeln Winkel deines Herzens verborgen wie ein unrechtmäßiges Gut, an dessen Besitz du dich im Stillen ergötzest.

Laß auch Alles begraben sein, daß es

wirklich todt ist und nicht wieder aufersteht.

Nur Ein Gut giebt

es, das mit dem Frieden gleichen Werth hat und deshalb um des Friedens willen nicht aufgegeben werden darf, das ist dein Gewissen, deine heiligste Ueberzeugung.

Sünde.

Um diesen Preis Frieden schließen, ist

Aber liegt denn in der Verschiedenheit von Ueberzeugungen,

religiösen, politischen, socialen Ueberzeugungen, die zwingende Noth­

wendigkeit

ja

zum Streit?

Freunde

sein,

auch

Können nicht Menschen

bei

verschiedenen

einander achten,

Ueberzeugungen,

ohne

214

Die Friedfertigen.

daß der Eine vom Anderen das Aufgeben der Ueberzeugung ver­ langt? Friedfertige aber halten nicht nur Frieden, sondern sie bringen auch Frieden. Das ist der eigentliche Sinn des Wortes, welches Luther mit „friedfertig" übersetzt. Der Gott des Friedens, der in der Stille wohnt, will, daß auf Erden Friede sei. Aber er hat den Menschen in Freiheit geschaffen, daher unendliche Verschiedenheit unter den Menschen, Gegensätze, Leidenschaften, Härten und Ein­ seitigkeiten. Durch die Kämpfe, die daraus entstehen, soll der Mensch zum Frieden hindurchdringen, daß der Friede auf Erden nicht etwas Erzwungenes ist, sondern etwas frei Gewordenes. Deshalb sendet der Gott des Friedens Menschen aus, daß sie der Welt den Frieden bringen, ihn vom Himmel zur Erde herabbringen und als Gottes Mitarbeiter das Reich des Friedens bauen. Sie sind im eigentlichen Sinn die Friedfertigen, die, von denen der Prophet sagt: „Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Boten, die den Frieden verkündigen." Ihr kennt den König dieses herrlichen Volkes der Fried­

fertigen. Er war niedrig und arm und dennoch der Friedefürst. Er hat die Scheidewand zwischen Gott und den Menschen nieder­ gerissen und die Scheidewand zwischen dem Menschen und dem Menschen. Wie durch ihn Alle zu ihrem Vater gelangen, so kommen durch ihn Alle als Brüder und Schwestern zusammen. Sein Kreuz ist das Friedenszeichen, vor dem die empörten Wogen der Weltgeschichte sich immer wieder legen und das der Menschheit trotz allen Kriegen und trotz allem Streit immer wieder verheißt: „Es ist noch eine Ruh vorhanden dem Volke Gottes." Er ist der König der Friedfertigen. In seinem Namen sind die Apostel ausgezogen, um Juden und Heiden, Römer und Griechen zu Einem Leib in Christo zu verbinden, ein Paulus, der hinausruft in die Welt: „Hier ist

nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Knecht noch Freier;

denn sie sind allzumal Einer in Christo," ein Johannes, der predigt: „Habt euch lieb," ein Petrus, der die Christen

ein Priestervolk nennt. Zu diesen Friedfertigen gehören auch die Nachfolger dieser Apostel, die Heidenboten, welche draußen in der Heidenwelt, wo die Menschen nach Frieden suchen und ein

215

Die Friedfertigen.

Recht

auf diesen Frieden haben, den Frieden Jesu Christi ver­

kündigen. Aber es giebt solche Friedfertige, solche Friedensboten mitten in der heutigen Welt, Kinder der heutigen Zeit.

In so manchem

Hause, in welchem oft die Charaktere in heftigem Gegensatz auf einander stoßen,

giebt es

solch einen Friedensstifter, der es immer wieder

versteht, die Getrennten zu versöhnen, der zu reden versteht, wo Rede nöthig ist, und zu schweigen versteht, wo Schweigen nöthig ist, und

mit sicherem Takt des Herzens immer das rechte Wort findet und die rechte Art.

sondern

auch

Und er versteht nicht nur Streitende zu versöhnen, Bekümmerte

aufzurichten und

mit seinem

schlichten

Von solchen Menschen geht, auch wenn sie

Worte Wunder zu thun.

nicht ausdrücklich zum Frieden reden, ein Hauch des Friedens aus,

daß, wo sie eintreten, kleinlicher Streit verstummen muß. solche Friedensboten,

die

selbst nichts davon wissen,

Es giebt

ein Freund,

der durch sein Erscheinen zwischen zwei Streitenden Frieden bringt, oder ein Kind, das unbewußt zwischen seinen Eltern vermittelt, und

ihre Herzen

haben.

einander

nahe bringt,

die einander

nicht verstanden

Friedensboten sind die Reichen, welche ihre Standesgenossen

an die Pflichten des Wohlthuns und der Gerechtigkeit gegen die Friedensboten sind die Arbeiter,

Armen erinnern;

die durch ihr

ernstes ruhiges Wesen unter ihren Genossen den bösen Neid und die

wilden Leidenschaften bekämpfen.

Und von ihnen Allen heißt es:

Selig sind die Friedfertigen,

die Friedensboten, die Gott aussendet in die Welt.

2.

Arbeit und Lohn stehen nach Gottes Ordnung in innerem

Zusammenhang. Wesen

So muß das Erbtheil der Friedfertigen ihrem

entsprechen.

Sie

werden

Frieden

ernten,

sie

werden

Gottes Kinder heißen.

Je mehr man wachsen.

seine Kraft gebraucht,

um so mehr wird sie

Je mehr man den Menschen Frieden bringt, um

so reicher wird man selbst an Frieden werden.

Die Frie­

densboten wachsen immer mehr hinein in das Reich des Friedens, das schon auf Erden unsichtbar gegenwärtig ist und werden seine Bürger.

Sie kommen dem Gott des Friedens immer näher, werden

ihm ähnlich, vertraut, verwandt, seine Kinder.

Je mehr sie Frieden

ausströmen lassen auf die Menschen, um so mehr läßt Gott von

216

Die Friedfertigen.

Oben seinen Frieden einströmen in ihre Seelen.

Sie werden Gottes

Kinder heißen. Das sehen wir vor Allem an Jesus. Wenn er am Tage den Menschen Frieden gebracht. Kranken geholfen. Traurige getröstet,

einen von Leidenschaften Gequälten zur Ruhe gebracht hat, so hat er am Abend, wenn er auf dem Berge in stiller Einsamkeit seine Seele Gott öffnete, um so reicheren Gottesstieden empfangen und die Seligkeit der Gotteskindschaft genossen. Der Gottesfriede, der sich in Gethsemane in seine ringende Seele senkte und am Kreuz die Schrecken des Todes von ihm fernhielt, ist das Ergebniß seiner Friedensarbeit auf Erden. Und als er am Kreuz sein Werk voll­ brachte und auf alle Zeit für die Menschen den Zugang zu dem Heiligthum des göttlichen Friedens aufthat, als er da einen Frieden geschaffen hat, so reich, daß alle Menschen bis an das Ende der Erde und bis an das Ende der Zeiten für alle Nöthe und Schmerzen daran genug haben, — ja als der Friedefürst hat er auch als Gottessohn seine Vollendung gefunden. Deshalb heißt er der Gottessohn, weil er den Frieden bringt; deshalb preisen die Menschen sich selig in seinem Namen, bringen ihm Ruhm und Ehre dar, des­ halb strahlt sein Name nicht in kaltem Glanze, sondern in warmem Licht, an welchem die Seelen der Menschen sich wärmen in dieser kalten Welt, deshalb, Weiler uns den Frieden gebracht. An ihm hat sich sein Wort im höchsten Sinn verwirklicht: Selig sind die Friedfertigen, denn sie sollen Gottes Kinder heißen. Als der

Friedefürst war er der Gottessohn. Wie aber einst vom Jesuskind gesagt worden ist: „Dieser soll ein Sohn des Allerhöchsten heißen", so heißt es von allen Fried­ fertigen: Sie sollen Gottes Kinder, oder eigentlich „Gottes Söhne" heißen. „Heißen", aber nicht in dem Sinn, als wäre das nur ein Name, ein Schall, ein Traum, eine Einbildung, sondern das ist

festeste Wirklichkeit. Diesem „Heißen" liegt ein Sein zu Grunde, und zwar das größeste Sein, das es giebt, nämlich die Vaterliebe

Gottes.

Die Sonne geht auf und unter; der Himmel verändert

sein Aussehn; aber die Vaterliebe Gottes steht ewig fest. Ehe du warst, war sie; und wenn die Spuren deiner Füße längst nicht mehr sein werden, wird sie sein von Ewigkeit zu Ewigkeit.

ihrer nur gewiß, dann bist du ein Kind Gottes.

Werde

Ein sicherer

Die Friedfertigen.

217

Weg nun, der zu dieser Gewißheit führt, ist das Friedebringen.

Siehst du Menschen, die dir vielleicht nahe stehn, im Streit, so biete deine ganze Kraft auf, deine Liebe zu ihnen wie deine Liebe zum Frieden, um sie zu versöhnen; rede zu ihnen von Gottes Liebe, die mit uns Allen Geduld haben muß, von Gottes Barmherzigkeit, die mit Langmuth unsere Sünde trägt. Je mehr du das thun wirst von ganzem Herzen, um so mehr wirst du das Erbtheil der Friedfertigeu empfangen, und in dir die Stimme Gottes vernehmen: „Du bist mein Kind." Lehre die Menschen vergeben, so wird deine Seele Flügel empfangen, sich im Glauben und Gebet zu Gott zu erheben, der auch dir deine Sünde vergiebt. Menschen, die im Stande sind, durch den Frieden ihres ganzen Wesens die Leiden­ schaften Anderer zu dämpfen, ihren Haß zu besänftigen, solche in sich ruhige und doch mächtige Menschen werden auch unter allen Angriffen der Welt, unter allen Schlägen des Geschicks den stillen Frieden der Kinder Gottes haben. Gott ist mit ihnen, seinen Mit­

arbeitern. Bringt den Menschen Frieden, so wird Gott euch nicht ohne Frieden lassen. Seid den Menschen ein Halt, so wird Gott euch nicht ohne Halt lassen. Steht ihnen im Kampfe mit dem Ge­ schick bei, so wird Gott euch nicht untergehn lassen im Kampfe mit euerem Geschick. Die Friedfertigen müssen Gottes Kinder sein. Dem Heißen liegt ein Sein zu Grunde; das Sein aber muß

zum Heißen werden.

Die Friedfertigen sollen Gottes Kinder

heißen, vor den Menschen als solche offenbar werden. Der Edel­ stein soll nicht verborgen bleiben, das Licht nicht unter den Scheffel

gestellt werden, sondern leuchten. Das Friedebringen ist das untrügliche Merkmal der Kinder Gottes. Menschen, die Frieden bringen, erkennt an als Kinder Gottes, selbst wenn sie

andere Glaubensanschauungen haben als ihr.

Kinder des Friedens

sind immer Kinder Gottes. Menschen, welche die Leidenschaften im Volke schüren, können nicht Kinder Gottes sein. Denn sie ver­

leugnen durch ihr Thun den Gott des Friedens, den sie ihren Vater nennen.

Ihr sollt Gottes Kinder heißen, als solche offenbar werden durch den versöhnenden Einfluß, den ihr auf die Menschen ausübt. Darin thun wir Alle zu wenig. Wir klagen über den vielen Streit in der Welt, und wir klagen die Streitenden an, aber wir thun zu

218

Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.

wenig, um den Streit zu schlichten.

Wir lieben den Frieden nur

als ein fernes, holdes Bild, das im Himmel ist; aber wir thun zu

wenig, um ihm eine Stätte zu bereiten auf Erden.

Mitleidig lassen

wir die Menschen in ihrer Verbitterung und Unruhe dahingehn; aber wir kümmern uns nicht um sie. Wir sind zufrieden, wenn

wir meinen, Gottes Kinder zu sein, und fragen, wie wir selig werden; aber wir fragen nicht danach, was aus anderen Menschen

wird. Diese geistliche Selbstsucht ist der Krebsschaden unserer heutigen Frömmigkeit. Brechet hervor und werdet als Kinder Gottes offenbar! Redet zu den Friedlosen von dem Frieden, den ihr bei Christus gefunden habt! Sagt den Fassungslosen, woran ihr euch haltet! Zeigt den Menschen das, was euch mächtig macht, und den, der euch mächtig macht! Ich weiß wohl, es besteht eine große Abneigung gegen religiöse Gespräche im gewöhnlicheu Leben. Man offenbart nicht gern sein heiligstes Empfinden. Aber seid ihr wirklich Gottes Kinder, so werdet ihr in solchem religiösen Gespräch so keusch, klar und wahrhaftig sein, daß das rechte Wort am rechten Ort gefunden wird und den rechten Ort findet, und die Menschen dadurch wirklich überzeugt werden, daß ihr Gott als eueren Vater gefunden habt, und erweckt werden, nun auch für sich Gott als ihren Vater zu suchen. Ihr sollt Gottes Kinder heißen! Wer Frieden hat, muß den Menschen Frieden bringen.

Und

je mehr er ihnen Frieden bringt, um so mehr wird er Frieden haben.

Selig sind die Friedfertigen; denn sie sollen Gottes Kinder heißen. Amen.

27.

Das Gleichniß vom verlorenen Sohn. 1.

Wie der Sohn das Vaterhaus verläßt.

Luc. 15, 11—16.

Und er sprach: Ein Mensch hatte zween Söhne; und

der jüngste unter ihnen sprach zum Baler:

Theil der Güter, das mir gehöret.

Gieb mir, Vater, das

Und er theilete ihnen das Gut.

Und nicht lange darnach sammelte der jüngste Sohn Alles zusammen, und zog ferne über Land; und daselbst brachte er sein Gut um mit

218

Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.

wenig, um den Streit zu schlichten.

Wir lieben den Frieden nur

als ein fernes, holdes Bild, das im Himmel ist; aber wir thun zu

wenig, um ihm eine Stätte zu bereiten auf Erden.

Mitleidig lassen

wir die Menschen in ihrer Verbitterung und Unruhe dahingehn; aber wir kümmern uns nicht um sie. Wir sind zufrieden, wenn

wir meinen, Gottes Kinder zu sein, und fragen, wie wir selig werden; aber wir fragen nicht danach, was aus anderen Menschen

wird. Diese geistliche Selbstsucht ist der Krebsschaden unserer heutigen Frömmigkeit. Brechet hervor und werdet als Kinder Gottes offenbar! Redet zu den Friedlosen von dem Frieden, den ihr bei Christus gefunden habt! Sagt den Fassungslosen, woran ihr euch haltet! Zeigt den Menschen das, was euch mächtig macht, und den, der euch mächtig macht! Ich weiß wohl, es besteht eine große Abneigung gegen religiöse Gespräche im gewöhnlicheu Leben. Man offenbart nicht gern sein heiligstes Empfinden. Aber seid ihr wirklich Gottes Kinder, so werdet ihr in solchem religiösen Gespräch so keusch, klar und wahrhaftig sein, daß das rechte Wort am rechten Ort gefunden wird und den rechten Ort findet, und die Menschen dadurch wirklich überzeugt werden, daß ihr Gott als eueren Vater gefunden habt, und erweckt werden, nun auch für sich Gott als ihren Vater zu suchen. Ihr sollt Gottes Kinder heißen! Wer Frieden hat, muß den Menschen Frieden bringen.

Und

je mehr er ihnen Frieden bringt, um so mehr wird er Frieden haben.

Selig sind die Friedfertigen; denn sie sollen Gottes Kinder heißen. Amen.

27.

Das Gleichniß vom verlorenen Sohn. 1.

Wie der Sohn das Vaterhaus verläßt.

Luc. 15, 11—16.

Und er sprach: Ein Mensch hatte zween Söhne; und

der jüngste unter ihnen sprach zum Baler:

Theil der Güter, das mir gehöret.

Gieb mir, Vater, das

Und er theilete ihnen das Gut.

Und nicht lange darnach sammelte der jüngste Sohn Alles zusammen, und zog ferne über Land; und daselbst brachte er sein Gut um mit

Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.

219

Praffen. Da er nun alles das Seine verzehret hatte, ward eine große Theurung durch dasselbige ganze Land, und er fing an zu darben; und ging hin und hängete sich an einen Bürger desselbigen Landes, der schickte ihn auf seinen Acker, die Säue zu hüten. Und er begehrete seinen Bauch zu füllen mit Trabern, die die Säue aßen; und Niemand gab sie ihm. dieses Gleichniß gehört zu den Theilen der heiligen Schrift, deren Inhalt sich niemals erschöpfen läßt, so viel auch darüber nach­ gedacht, gesprochen und geschrieben wird. So oft man wieder heran­ tritt, so bieten sich Einem immer wieder neue Seiten der Betrachtung dar. Es ist das innerste Wesen des Christenthums, das uns hier geschildert wird; die tiefsten Fragen der Religion werden beantwortet. Warum hat Gott dem Menschen die Freiheit gegeben? Warum be­

nutzt der Eine diese Freiheit und zieht in die Welt, um dann nach verhängnißvollen Irrfahrten wieder heimzukehren in das Vaterhaus, während der Andere im Vaterhaus bleibt? Waruni steht der Sohn, der in der Fremde geweilt, dem Vater nun viel näher, als der Sohn, der dem Vater immer gedient? Warum läßt Gott den Menschen sündigen und fallen? Warum hat er das Sündigen nicht unmöglich gemacht? Wie verhalten sich zu einander göttliche Gnade

nnd menschliche Freiheit?

Diese und noch viele andere Fragen

werden hier beantwortet. Sie, über welche die Gelehrten streiten, über welche Bücher geschrieben werden, sind hier beantwortet in

einer Erzählung, die so schlicht, so lebendig, so anschaulich ist, als wäre sie nur für Kinder erzählt. Es ist die Geschichte des Menschengeschlechts, welche uns hier beschrieben wird; nicht die äußere, sondern die innere, wie die Menschenwelt sich losreißt von der Gemeinschaft mit Gott, wie sie hungernd und dürstend durch Wüsten wandert, bis sie Gott wiederfindet. Es ist die ewige Ge­ schichte des Menschenherzens, das sich verliert und wiederfindet.

Wir treten ein in das innerste Heiligthum des Evangeliums Jesu.

„Ziehe deine Schuhe von den Füßen: denn der Ort, darauf

du stehst, ist heiliges Land." Komm, du Menschenseele, siehe hier deine Wege, die Gott so wunderbar bestimmt hat!

Aber wir können nicht den ganzen Inhalt des Gleichnisses in einer Betrachtung erschöpfen. Wir wollen vielmehr das Gleichniß auf drei Betrachtungen vertheilen.

Heute laßt uns sehen:

220

Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.

Wie der Sohn das Vaterhaus verläßt.

1. Warum zieht er fort? 3. 1. Es kann ein Elternhaus verläßt. versuche dich in der ihn fortziehn?

2. Warum läßt der Vater

Was erlebt der Sohn in der Fremde? feierlicher Augenblick sein, wenn ein Sohn das Die Eltern selbst sagen zu ihm: „Gehe hin, Welt, siehe dich um, sammle Erfahrungen,

erweitere deinen Gesichtskreis. Lerne in der Fremde die Heimath verstehn und schätzen." Da ist für den Sohn die Welt und die Freiheit in der Welt eine Gelegenheit, seine Kraft zu entfalten, zu lernen und innerlich zu wachsen. Und wie die Gedanken des Sohnes, so offen auch seine Augen sind für alles Neue in der Welt, doch immer wieder nach der Heimath ziehen, so fühlt er sich begleitet von den Wünschen der Seinen daheim. Wenn ein Sohn zu solcher Wanderschaft Abschied nimmt, da sind die Herzen bewegt, wohl auch von einer gewissen Wehmuth, vor Allem aber doch von freudiger Hoffnung. Ganz anders ist der Abschied, der uns hier geschildert wird. In gedrückter Stimmung hat man der Stunde der Trennung entgegen­ gesehen. Die Hausbewohner weichen einander mit ihren Blicken aus. Es liegt wie ein Alp auf dem Hause. Nicht haben die Eltern ge­

sagt: „Ziehe hin, mein Sohn, Gott sei mit dir auf dem Wege." Sondern trotzig hat der Sohn sein Erbtheil und seine Freiheit ver­ langt.

Schweigend hat er dann die Vorbereitungen zur Abreise

getroffen.

Nun haben Alle das Gefühl, daß sich ein Glied loslöst

von der häuslichen Gemeinschaft. Und er selbst, der hinauszieht, sücht möglichst schnell aus dem Bannkreis des Elternhauses zu kommen. Das Gefühl, so viel Liebe und Segen von sich gestoßen zu haben, treibt ihn zur Eile und flüstert ihm immer zu: was hinter dir liegt."

„Vergiß,

Deuten wir nun das Gleichniß, so ist zweifellos die Welt das Vaterhaus. In ihm sind wir Kinder. All der Segen, mit

welchem Gott das große Haus gefüllt hat, ist für uns Menschen. Für dich fließen die Quellen der Erde, haben die Berge ihre Schätze, schmückt sich die Erde mit ihrer Schönheit, erfüllen die Vögel mit ihrem Gesang die Lüfte; für dich ist die Ernte der Felder, das Reich der Kunst mit seinen unmuthigen Schöpfungen, das Reich der Töne mit seinem Wohlklang.

Alles ist für dich, du Mensch.

Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.

hat:

221

Siehe weiter, was dir der Vater für innere Gaben verliehn Den sinnenden Geist, der in dem Zusammenhang der Dinge,

der Ursachen und Wirkungen, im Gang der Geschichte Gottes Wege

und Gedanken sieht; das Gefühl mit der endlosen Tonleiter der Empfindungen für Freude und Leid, für Schönes und Häßliches; die Phantasie, mit welcher du Leben hineinträgst in die leblose Welt; den Willen, der dein Leben innerlich treibt und dein Handeln nach festen Grundsätzen bestimmt.

Und noch Größeres hat dir der Vater im Vaterhaus gegeben, ein großes Erbe. Wie so manchmal ein kleines Erbe, das ein Vater seinem Sohn hinterläßt, sauer erarbeitet ist, so ist auch das große Erbe, das wir als Kinder Gottes haben, sauer erarbeitet. Welch eine Geschichte schwerer Arbeit und großer Schmerzen ist die Geschichte der Offenbarung der Gedanken Gottes auf Erden, die Leiden, die Verfolgungen, welche die Propheten haben erdulden müssen, die Lebensgeschichte unseres Erlösers, seine schwere Leidens­ last, sein bitterer Todeskelch. Durch den Glauben an ihn sind wir erst rechte Kinder int Vaterhaus. Nun haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesum Christum. Nun haben wir auf Erden die Liebe, die uns beherrscht als ein neues Gesetz, uns verbindet als ein Band der Vollkommenheit, das freundliche Evangelium, diese un­

erschöpfliche Quelle des Muthes und der Zuversicht, der Gewißheit des ewigen Lebens, die uns als ein stilles Licht leuchtet bis zur letzten Stunde, und uns, wenn die Hülle des Leibes bricht, hinüber­ leuchtet. Wir Haben einen Gott, der da hilft, einen Erlöser, der da bei uns sein will alle Tage bis an der Welt Ende, einen Frieden, der uns nicht genommen werden soll, eine Freude, die nie versiegen

soll.

Wie reich sind wir im Vaterhaus! Das Alles sollen wir verwerthen und genießen im Vaterhaus,

unter den Augen Gottes, nach Gottes Ordnung und Willen. Damit sollen wir unser Heil schaffen, den Menschen dienen, zur Ehre Gottes leben, an seinem Reiche bauen. Das ist das Pfund,

mit dem wir wuchern sollen im Dienste Gottes. Aber der Mensch will alles das nach eigenem Gutdünken gebrauchen. Er begehrt mit seinem Erbe zu schalten und zu walten,

wie er will.

Er zieht nicht räumlich weg vom Vaterhaus.

Denn

Das Gleichnis; vom verlorenen Sohn.

222

wie wäre das möglich?

Aber

der Mensch macht sein Herz von

Gottes Willen, von Gottes Autorität los.

Es ist der alte Ruf, den

wir schon in der Geschichte vom Paradies hören: vom Gebote

Gottes!

Mache dich los

Die Auflehnung gegen die Autorität,

der

Selbständigkeitsdrang ist nicht nur ein Zeichen unserer Tage, er ist

immer gewesen, so lange es Menschen giebt, die aus Fleisch und Geist zusammengesetzt sind und einen freien Willen haben. abzuwenden,

in verschiedenen Zeiten

Dagegen

sein Herz von Gvtt

kann die Art, wie ein Mensch dazu kommt,

verschieden

sein.

Der Eine

erzählt dir, er sei am Gottesglauben irre geworden, weil er an den Menschen, und gerade an solchen,

welche ihm

allzu schlimme Erfahrungen geinacht habe.

gläubig erschienen,

Der Andere ist dem

Gottesglauben entfremdet worden, weil ihm dieser in todten Formen

entgegengetreten ist.

Der Dritte ist durch entsittlichende Einflüsse

Gott entfremdet worden, so daß ihm jeder Gedanke an Gott, jede Wieder ein Anderer meinte

Begegnung mit Gott peinlich wurde.

den christlichen Glauben nicht in Einklang bringen zu können mit dem Wissen unserer Zeit.

Hier waren es die glänzenden Güter der

Erde, die dem Menschen den Blick nahmen für die Güter der inneren Welt; dort war es eine wilde Leidenschaft, die ihn wegtrieb von

dem heiligen Boden der Gebote Gottes.

Es ruft in dem Menschen:

Nur fort aus der Enge, aus den beschränkten Anschauungen einer vergangenen Zeit hinein in die neuen Anschauungen geschrittenen Zeit!

einer

fort?

Nur los von den Sitten der Väter, der alten

Einfachheit und Schlichtheit, der alten Rechtschaffenheit und Gerad­

heit; denn man muß doch der neuen Zeit Rechnung tragen.

Da

lösen sich die Bande der Ehe, es löst sich das Band, das Kinder

an Eltern knüpft, und wo das Elternhaus nicht mehr heilig ist, da ist

auch das Vaterland

nicht mehr

heilig.

Es erwacht in dem

Menschen der Trotz, der sich, von Allem losmacht, weil es Andern

heilig ist, der Trotz, der den Menschen, der Gott widersprechen

will.

Ja, die Abwendung des Herzens von Gott,

die tiefste

Ursache solcher Umwandlung

im

Menschen.

das ist Wo ein

Mensch sich wirklich von Gott abgewendet hat, da verlieren die Gebote Gottes ihre göttliche Majestät und Autorität; da flieht alles

Heilige aus dem Leben, und es ist ein Jammer, wie von dem

Menschen jenes reiche Erbe sittlicher und religiöser Güter, das er

223

Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.

im Vaterhaus von Gott empfangen, in kurzer Zeit vergeudet wird. — So verläßt der Sohn das Vaterhaus.

Warum aber läßt ihn der Vater ziehen? — Kraft

2.

seiner väterlichen Gewalt hätte er ihn vielleicht von der Verwirk­

Dadurch hätte

lichung seines Freiheitstraumes zurückhalten können.

er ihn behüten können vor all den schlimmen Erfahrungen in der

fremden Gründen.

Welt.

hat

Er

es

nicht

gethan,

und

zwar

aus guten

Denn hätte er es gethan, so wäre der Sohn nur wider­

willig geblieben, hätte widerwillig dem Vater gedient, hätte nur

mürrisch, verdrossen seine Arbeit gethan und diese Arbeit als ein

Joch getragen; er hätte nur darauf gesehn, nach Außen seine Pflicht

zu erfüllen, gleichgültig, ob sein Herz dabei wäre. in ihm allmählich

Erstorben wäre

die Liebe zum Vater und zum Vaterhaus,

es

wäre ihm erschienen als ein Knechtshaus und der Vater als ein

Aufseher, kurz er hätte aufgehört, nach seiner Gesinnung ein Sohn zu sein, er wäre zum Knecht herabgesunken.

Noch viel mehr als zur Zeit unserer Väter ist es heutzutage Sitte, daß ein Sohn, wenn er ein bestimmtes Alter erreicht hat, von den Eltern hinausgeschickt wird in die Welt.

Hielten Eltern

ihren Sohn ängstlich zu Hause, so lange sie leben, entließen sie ihn

nie aus dem engen Kreis elterlicher Aufsicht, bestimmten sie für ihn jeden Schritt, jede Arbeit,

auch jedes Vergnügen,

so würde der

Sohn unselbständig bleiben, sein Gesichtskreis beschränkt, seine Kräfte würden nie zur rechten Entfaltung kommen; es bildete sich bei ihm

im besten Fall ein dumpfer Gehorsam, der gewöhnt ist, immer strenge Befehle zu hören, aber unfähig ist, aus eigenem Entschluß etwas zu thun.

Der Sohn wäre ein Knecht, und wenn die Eltern

die Augen schlössen, würde er ein Knecht bleiben,- unselbständig sein Leben

lang.

Lassen sie ihn aber zu seiner Zeit hinausziehen, so

wissen sie zwar recht gut, daß er Gefahren und Versuchungen ent­ gegengeht; sie müssen auch mit der Möglichkeit rechnen, daß er sich in der Freiheit verirrt.

Aber dieser Gefahr steht die Aussicht gegen­

über, daß er sich durchkämpft, auch die Sünde mit ihren Gefahren und ihren Schrecken

kennen

lernt,

sich aber hindurcharbeitet zur

Herrschaft über die Sünde, zur wahren Freiheit eines in Gott ge­ festigten Charakters, und dann dem Zuge seines Herzens folgend in das Elternhaus zurückkehrt.

Welch ein Festtag, wenn er dann heim-

Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.

224

kehrt, die Wangen gebräunt von der scharfen Luft des Lebens, die breit geworden im Lebenskampf, der Arm

Brust

Muth tapfer,

ein Mensch,

der die Welt

stark und

der

kennt und sie zu über­

winden weiß. Deshalb läßt uns Gott aus dem Vaterhaus in die Welt ziehn. Er bindet uns nicht an seine Gebote, d. h. er' zwingt uns nicht,

sie zu erfüllen.

Sondern er stellt sic vor uns hin, und mit ihnen

Segen und Fluch, Gutes und Böses, Heimath und Fremde.

Gott

hätte uns binden können an sein Gesetz, hätte es um uns her auf­ richten können wie unübersteigliche Mauern, er hätte uns so schaffen

können,

daß wir gar nicht sündigen,

Dann wäre

irren könnten.

wohl der ganze Jammer, den die Sünde in die Welt gebracht, den

Aber wir Menschen blieben dann immer

Menschen erspart geblieben.

Gottes Knechte, ohne Verständniß, ohne Empfänglichkeit für seine

beseligende

Gnade.

Gott will

uns

uns frei geschaffen. damit wir

aber nicht als seine Knechte

und Töchter.

sondern als seine Söhne

haben,

Darum hat er

Darum läßt er uns auch in die Welt ziehen,

die ganze Schwere

des Lebenskampfes und die ganze

Macht der Sünde erfahren und den Fluch der Schuld.

So hat

Gott auch die Sünde in seinem Heilsplan mit ausgenommen. sollen es an uns empfinden,

was es heißt,

Wir

von Gott geschieden

sein, damit in uns das freie Verlangen entstehe, mit ihm vereint zu Wir sollen uns umweht fühlen von dem kalten Hauch

sein.

des

geistlichen Todes, damit in uns die heilige Sehnsucht entstehe nach neuem, ewigem Leben.

Wir sollen das Elend der Fremde tragen,

damit wir erkennen, wie selig es ist, eine Heimath zu besitzen.

Auf

den Irrwegen in der Fremde muß sich in uns auflösen aller Stolz, alle starre Selbstgerechtigkeit, und in uns erwachen

die lebendige,

empfängliche Sehnsucht nach Gottes vergebender und heilender Gnade. Nur durch den Kampf mit der Sünde gehts zur Seligkeit,

durch die Fremde zur Heimath. Deshalb läßt Gott den Sohn ziehen.

horsam Glaube;

hätte

keinen

Werth;

ein

Ein erzwungener Ge­

erzwungener Glaube

wäre

kein

eine erzwungene Liebe ist ein Widerspruch in sich selbst;

erzwungenes Gebet ist kein Gebet.

Alles Göttliche und Selige, das

wir empfangen sollen, kann uns nur zu Theil werden, wenn wir es

aus freiem Triebe nehmen.

Nur das ist gut, was aus dem freien

Das Gleichnis; vom verlorenen Sohn. Triebe unseres Herzens kommt.

225

Gott will uns nicht als mürrische

Knechte haben, sondern als seine freien Kinder. „Gott hat," so sagt Paulus,

Wie wunderbar sind Gottes Wege!

„Alles beschlossen unter den Unglauben, auf daß er sich Aller erbarme." 3.

Kehren

Wir

Gang

dem

mußten

des

Gleichnisses

vorauseilen.

wir zurück und sehen wir, wie es dem Sohn in der

Fremde ging. Wie ein süßes Gift strömte das Gefühl der Freiheit durch seine Adern.

„Er brachte sein Gut um mit Prassen."

Dazu hatte er zu verwenden,

verlangt, nicht um es nutzbringend

also sein Erbe

sondern um es zu vergeuden.

Er will leben wie ein König.

harte Joch der Arbeit wirft er von sich;

geherrscht und den Wohlstand

die im Vaterhaus

Das

mit der einfachen Sitte, daselbst gemehrt

Auch sie rechnet er mit zu den alten Vor­

hatte, hat er gebrochen.

urtheilen, die man aufgeben müsse. Laßt uns nicht lange dabei verweilen, wie diese Geschichte im

wörtlichsten Sinne Mensch, Erbe

hat

er

vergeudet.

schuldig. Dingen,

auch heute geschieht.

sich

Dieser

sein geistiges

Verschwendung machen wir uns

vergeuden die

Wir

Seht vielmehr, wie der

einmal von Gott losgerissen,

Alle

oft mit nichtigen

kostbare Zeit so

anstatt ihr durch Glaube und Liebe und tüchtige Arbeit

einen rechten Inhalt zu geben, welcher sie an die Ewigkeit knüpft.

Wir vergeuden das göttliche Ebenbild in uns, indem wir es trüben

lassen durch arge Gedanken, die wir ungehindert durch unsere Seele ziehen lassen.

Wir vergeuden die edlen Gottesgaben, die uns dar­

geboten worden in Natur und Leben, indem wir so oft müde und

übersätügt unsere Augen verschließen, so daß wir sie nicht erkennen.

Wie viel Freude, wie viel Glück lassen wir an uns vorüberziehen, ohne es zu schmecken!

Wir vergeuden die inneren Gaben, die Gott

uns gegeben hat, schwächen selbst unseren Willen dadurch, daß wir

die Sünde über ihn herrschen lassen,

vergiften

unsere Phantasie,

lassen unser Gefühl in Staub und Schmutz sinken.

Wir vergeuden

die Güter, die Gott uns in Christo spendet, haben Zeiten, wo vor

unseren Zweifeln unser Himmel für uns einstürzt und wir vergessen,

daß es für uns eine Vergebung, eine Versöhnung giebt. unseres Friedens versiegt. Kirmß, Predigten.

Der Quell

O Mensch, wie reich bist du und wie

15

226

Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.

arm kannst du werden durch deine eigene Schuld!

Wie vergeudest

du das Erbe deines himmlischen Vaters!

Aus dieser Vergeudung aber entsteht die Theuerung. Verschwender muß in der Theuerung schmachten.

Sonst wird ein Mensch, je

bare Fluch, der auf der Sünde ruht.

eifriger er seinem Herrn dient, Hier ist es ganz anders.

Der

Das ist der furcht­

von diesem um so reicher belohnt.

Je mehr der Mensch der Sünde dient,

um so schrecklicher wird seiu Lohn,

um so enger ziehen sich ihre

Fesseln zusammen, um so bitterer wird ihr Trank, um so dunkler ihr Reich. — Ja,

die Genüsse, welche die Sünde den Menschen

darbietet, scheinen unerschöpflich. erschöpft.

Und schließlich sind sie so bald

Wie bald schwindet die Genußfähigkeit, wie bald wird

der Reiz abgestumpft, wie bald sieht der Mensch mit müden, trüben

Augen alle die Giftblumen der Welt an!

Und nun sucht und sucht

der Sklave der Sünde in der Welt, unruhig läßt er

die Augen

umherschweifen, er sucht und sucht nach Neuem, das den brennenden Durst seiner Genußsucht stillen könnte.

Aber die Welt ist für ihn

leer geworden, sie ist für ihn arm geworden; ihre Quellen sind ver­ siegt, ihr Gras ist verdorrt, ihre Fruchtbäume sind verwelkt, ihre Schönheit ist verblaßt, und alles das, weil sein Herz leer geworden ist, weil er die Güter, die Gott in sein Herz gelegt hatte, vergeudet

hat.

Sein Herz ist leer, die Welt ist leer, das ist die Theuerung,

die brennende Sehnsucht nach einem neuen Genuß, irgend einer Lust, einer Begierde, nach irgend etwas, das einen Reiz brächte dem über­

reizten Menschen.

Die Seele schreit wie ein Thier, das an eine

Kette gelegt vom Hunger gepeinigt wird.

Und nun kommt die Erniedrigung:

Bürger desselbigen Landes."

„Er hing sich an einen

Der früher so hochmüthig herabgesehen

hatte auf die Menschen unter ihm, dem Niemand zum Umgang gut

genug gewesen war, er hängt sich an einen Fremden, drängt sich

ihm auf, bis

dieser ihn aus Erbarmen auf das Feld schickt zum

niedrigsten Dienst.

Hier sehen wir zweierlei.

Einmal: Er ist allein,

klopft vergeblich bei den Menschen an, daß sie ihm helfen möchten. Wohl könnten die Guten ihm Gutes thun; aber seine Seele ist so gesunken, daß sie es nicht verstehen würde.

Wenn ihm in einem

Menschen Tugend und Seelengröße entgegentritt, hat er nur ein

höhnisches Lachen.

Und in der Gesellschaft der Schlechten,

die

Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.

227

ihm wohl offen stünde, sieht er sein eigenes Bild und es erfaßt ihn da ein Ekel vor sich selbst. Er ist allein. Und dann: Er ist ein Sklave. Der sich geweigert, dem großen Gott, seinem Vater im reichen Vaterhaus Unterthan zu sein, wird der Menschen Sklave.

Er läßt sich von ihnen, weil er die Achtung vor sich selbst verloren hat, zum Spielball ihrer Launen, zum Gegenstand ihres Spottes machen. Er verspottet sich selbst mit den Spöttern, die ihn ver­ spotten. Weil er sich selbst verachtet, macht er sich nichts daraus, daß die Menschen ihn verachten. Er sinkt herab auf die Stufe der Thiere. Er will sich nähren mit der Nahrung der Thiere, und Niemand giebt sie ihm. Denn die Welt hat ihm Alles gegeben, was sie zu geben hat, alles Gift, alles Verderben. Sie hat ihm nun nichts mehr zu geben. „Niemand gab sie ihm." Ganz unverhüllt schildert uns Jesus das Verderben der Sünde. Das ist die Schule, durch welche Gott die Menschen führt, nicht nur Einzelne, sondern Alle; denn etwas von diesem traurigen Loos des Sünders erlebt Jeder an sich, der Eine mehr, der Andere weniger. So muß der Mensch Alles verlieren, was Menschen schmückt, was Menschen ziert. Der letzte Strahl des göttlichen Eben­ bildes in seiner Seele scheint verloschen. In dieser Tiefe des Elends entsteht die Sehnsucht nach der Heimath. Damit laßt uns heute schließen: Auch für den verlorenen Sohn giebt es noch ein Vater­ haus und einen Weg, der dahin führt, und eine Thür, die dort

offen steht, und einen Vater, der den Verirrten auch auf seinen fernsten Irrwegen nicht aus den Augen gelassen hat. Wenn die Nacht am dunkelsten ist, da erwacht der Glaube an den Morgen, an die Heimkehr.

Amen.

Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.

228

28.

Das Gleichniß vom verlorenen Sohn. 2.

Die Heimkehr ins Vaterhaus.

Luc. 1.5, 17—21.

Wie viele Tage­

Da schlug er in sich und sprach:

löhner hat mein Vater, die Brod die Fülle haben, und ich verderbe im Hunger.

Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen

und zu ihm sagen:

Vater, ich habe gesündiget in den Himmel und

werth,

daß ich dein Sohn

heiße; mache mich als einen deiner Tagelöhner.

Und er machte sich

vor

dir,

und

bin hinfort nicht mehr

auf und kam zu seinem Vater.

Da er aber noch ferne von dannen

war, sahe ihn sein Vater und jammerte ihn, lief und fiel ihm um

seinen Hals und küssete ihn.

Der Sohn aber sprach zu ihm:

Vater,

ich habe gesündiget in den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr werth, daß ich dein Sohn heiße.

Ein Sterbender kämpfte den letzten Kampf. worrene Erinnerungen und er sprach sic

aus

Allerhand ver­

aus seinem Leben zogen durch seine Seele in abgerissenen Worten.

In

allen

diesen

Phantasien kehrten zwei Gedanken immer wieder, nämlich die Heimath und Gott.

Er sprach von seiner Heimath, von den Menschen,

die ihn dort umgeben hatten, von den Bergen, den Bäumen und Häusern,

deren Bilder sich unauslöschlich

ein­

seiner Erinnerung

geprägt hatten, und er sprach von Gott, der ihn geführt und der

ihn bald

aufnehmen werde.

In

Beides gehört auch zusammen.

unserer Heimath, in ihrer Liebe, die uns pflegte, in ihrem Frieden, der uns umwehte, tritt Gott zuerst dem Menschen entgegen, und eine neue ewige Heimath, die höher ist als diese irdische, wie der Himmel

höher ist als die Erde, finden wir in Gott. In der Geschichte vom verlorenen Sohn, deren zweiten Theil

wir heute betrachten, ist Beides Eins, die Heimath und Gott.

Denn

die Heimath, welcher der verlorene Sohn zustrebt, ist eben nichts Anderes, als Gott. So betrachten wir heute mit einander:

Die Heimkehr des

Menschen zum Vaterhaus, oder die Heimkehr zu Gott.

Zweierlei sehen wir da:

Wie in dem verlorenen Sohn der

Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.

229

Entschluß zur Heimkehr entsteht, und wie er diesen Ent­ schluß ausführt.

1.

Das Geschick des verlorenen Sohnes ist schwer, aber es ist Mancher Mensch wird noch schwerer ge­

noch nicht das schwerste.

straft.

Er

verliert

inneren Elends

unter

der

allen Muth,

schweren

des

Last

alle Hoffnung

äußeren

und

auf ein neues Leben,

alles persönliche Ehrgefühl, sein Gewissen stumpft sich ab, er gewöhnt sich an die Sklaverei des Lasters, an das Leben auf der Stufe der

Thiere, wie das Thier sich an das Joch gewöhnt, unter das man seinen Nacken gewöhnt.

gebeugt

hat, wie

der Vogel

sich an seinen Käfig

Er wehrt sich gar nicht mehr gegen Sünde und Schande.

Er lacht über sich selbst.

Alle Tugend, Gerechtigkeit und Reinheit

ist ihm nur Schein, Lüge und Heuchelei. seinen Augen Wirklichkeit.

Nur das Schlechte ist in

Nur Einen Weg giebt es für ihn, den,

der abwärts führt ins Verderben.

Dieses innere Versinken, dieses

Schlechtwerden ist die schwerste Strafe, die auf der Sünde ruht.

Der verlorene Sohn geht einen anderen Weg.

Alles verloren.

Zwar hat er

Sein Freiheitsdrang hat ihn jammervoll betrogen.

Sein Trotz ist gebrochen.

Sein Stolz,

dem das Loos zu Hause

nicht gut genug war, die Härte des Herzens, die ihn die Liebe im Elternhause nicht empfinden

ließ — das ganze

Selbstbetruges ist zusammengebrochen.

grpße Werk des

Er ist ein Bettler geworden.

Aber er hat doch noch etwas in sich, das mehr werth ist als Alles, was er verloren hat.

In ihm ist noch ein Heiligthum, in welchem

er selbst wohnt, sein wahres Selbst, „der verborgene Mensch des

Herzens", wie die heilige Schrift sagt, der ohne das Gute, der ohne Licht, Wahrheit und Freiheit nicht leben kann, der deshalb, auch wenn der äußere Mensch sich betäubt in Lust und Laster, nicht auf­ hört zu schreien nach dem lebendigen Gott und nach neuem Leben. Wenn Alles im Menschen steiniger Acker ist, hier ist noch ein kleines Stück fruchtbarer Erde; wenn Alles im Menschen krank ist, hier ist

noch eine gesunde Stelle, von der die Genesung sich ausbreiten kann; wenn Alles dunkel ist, hier ist ein Lichtpunkt.

Hier ist der Punkt,

an welchem sich eine Wendung des inneren Lebens vollziehen kann.

So wird es uns verständlich, wenn es im Evangelium heißt: „Da schlug er in sich", eigentlich:

der richtige Weg: zu sich kommen.

Er kam zu sich.

Das ist

Du bist mit deinen Gedanken

230

Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.

soviel außer dir.

Wenn es dir schlecht geht, schiebst du die Schuld

auf die Welt um dich her, schiltst aus die Menschen, aus die Ver­

hältnisse, auf Staat und Gesellschaft, die böse Zeit, und es sammelt

sich so in dir eine Fülle von Bitterkeit gegen die Menschen, von stillen und lauten Anklagen gegen sie.

Unglückes außer dir.

Du suchst die Ursache deines

Denn du lebst so viel außer dir.

Bald läßt

dich deine Leidenschaft, deine Genußsucht lustwandeln unter den Gift­

bäumen im Garten der Welt und der betäubende Geruch nimmt dir die Selbstbeherrschung und die klare Besinnung,

bald locken dich

wieder die Wahngebilde, die dir deine ruhelose Phantasie vorspiegelt von einer glücklichen Zukunft, wie das Irrlicht den Wanderer ver­

führt, bald wieder lassen dich schlimme Neigungen Gott und Ge­

wissen, Familie und Zukunft vergessen. selbst.

Du lebst so viel außer dir

Deshalb bist du so unzufrieden und murrst und machst Vor­

würfe und klagst an.

So komme denn zu dir selbst!

„Der ver­

borgene Mensch des Herzens" in dir sagt: „Du schmückest den äußeren

Menschen, mich aber hast du vergessen; du hast den äußeren Menschen

gesättigt, mich hast du hungern lassen; den äußeren Menschen hast du in zügellose Freiheit geführt, mich hast du in elender Sklaverei gelassen."

Komme zu dir selbst.

Deine Sünde ist dein Unglück.

Deine Untugenden scheiden dich von Gott.

Deine Gottentsremdung

ist das unruhige Uebel, welches dich erbittert gegen die Welt und die Menschen.

gesündigt.

mußt

Du trägst die Schuld an deinem Elend.

Du hast

Du hast die Heimath des Friedens verlassen; deshalb

du nun das Elend der Fremde tragen.

Weil

dunkel ist, deshalb erscheint dir die Welt so dunkel.

es

in

dir

Weil du dich

innerlich losgemacht hast von Gott, deshalb erscheinen dir alle deine

Schicksale, alle deine Verhältnisse so, als wäre dein Leben von Gott verlassen.

Bei dir mußt du anfangeu mit Anklagen und Richten

und Bessern.

Darum komme zu dir selbst!

Kaum aber ist der Sohn im Evangelium so in sich gegangen, da nehmen seine Gedanken alsbald Er denkt

an seine Heimath.

eine ganz bestimmte Richtung.

Als Gegenbild

zu dem quälenden

Mangel der Fremde erscheint ihm der Ueberfluß, von dem er einst

im Elternhause umgeben gewesen war. ordnung

Die Zerfahrenheit und Un­

seines jetzigen Lebens, in welcher das Erbe des Eltern­

hauses zu Grunde gegangen ist, erinnert ihn an die festgefügte klare

231

DaS Gleichniß vom verlorenen Sohn.

Ordnung,

welche in seinem Elternhause unter dem Regiment der

Arbeit und

der Gerechtigkeit

herrschte.

Er empfindet den schnei­

denden Gegensatz zwischen seinem Leben einst und jetzt.

es einst,

als du noch

Wie war

heiliger Scheu Halt machtest vor den

mit

Schranken, die Gott aufgerichtet hat in seinem Gesetz?

Wie war es

einst, als du dich noch freutest an dem Verkehr mit guten Menschen,

als dich noch Liebe und Freundschaft beglückte, als du noch beten konntest und du noch nicht verzichtet hattest auf den Glauben als

auf das heilige Recht deiner Seele?

Richterstimmen klingen aus

den ftüheren Zeiten deines Lebens, aus der unschuldigen Kindheit,

aus deiner ftöhlichen kraftvollen Jugend, aus dem Glück, das du damals hattest, in deine Seele.

durch deine Schuld.

Das Alles hast du, du verloren

Aber diese Vergangenheit richtet dich nicht

nur, sondern sie lockt dich auch, sie zieht dich zu sich hin:

doch diese Vergangenheit in veränderter Form

werden!

Könnte

wieder Gegenwart

Es zieht den Sohn hin zum Vaterhaus.

Nun kommt der entscheidende Augenblick, der eigentliche Wende­ punkt im Leben des Menschen.

Er wird in unserem Gleichniß be­

zeichnet mit dem Worte:

„Ich will mich aufmachen und zu

meinem Vater gehen."

Beachtet vor Allem das „Ich will."

Bisher hat der Sohn immer unter dem Muß gestanden, so, als er

im Vaterhaus war, als er dort arbeitete, als er den Trieben seines natürlichen Menschen

folgend

in die Fremde

ging,

als er

dort

ftemden Menschen diente und sich sehnte nach der Nahrung der Thiere.

Wie

aber nach der Nacht ein Morgen,

wie nach

dem

Winter ein Frühling, gleichsam eine neue Welt emporsteigt, so steigt in dem Menschen, wenn er aus tiefstem Herzen, mit ganzer Kraft sagt: „Ich will" eine neue Welt empor, die Welt der Freiheit, nicht der falschen Freiheit, die ihn in die Fremde lockte, sondern

der wahren Freiheit, welche spricht:

„Ich will aus der Knechtschaft

heraus." Wo ein Mensch dieses entscheidende Wort zu sich spricht: „Ich will," da ist eine heilige Stätte, da berührt die Ewigkeit die Erde. Sonst

waltet überall in der Welt die Nothwendigkeit, das eherne Ge­ setz, in dem fallenden Stein und in dem fließenden Wasser, in den

blühenden und verwelkenden Bäumen, überall eherne Nothwendigkeit,

unerbittliches Gesetz.

Aber mitten in dieser Welt der Nothwendigkeit

steht der Mensch, blickt auf sie herab und spricht:

„Ich bin mehr

Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.

232

als du, ich bin von Oben her, nicht Unterthan dein trägen Stoff der

Welt; ich will.

Ich bin stärker als die Leidenschaften und Triebe

in mir; ich will.

Ich bin kein Sklave, sondern ein freier Mensch.

Ich bin kein Atom, das willenlos in diesem Weltall umhergetrieben wird, sondern ich bin beseelt vom Odem Gottes; denn ich will. Ich will mich aufmachen.

Schwer ist es für das träge Fleisch,

sich loszumachen von der Gewohnheit, mit der das Leben verwachsen ist.

Aber ich will los, los von der Vergangenheit, und wenn sie

mich noch so festhält, von meiner Schuld, von meiner Sklaverei, zn der ich mich erniedrigt hatte, los von der Trägheit, der faulen Ge­ wohnheit, hinaus aus der unreinen Luft, die inich umgiebt.

will

mich

aufmachen.

Ich will zusammenraffen, was

Ich

gut in

mir ist, aufrufen die guten Geister meines Lebens, die einst meine

Kindheit und Jugend umschwebten.

Kommt, helft mir, ihr Guten,

die ihr einst schirmend mich begleitet habt und mit sanften Worten der Liebe mich auf rechter Straße geführt habt, die ihr für mich

gearbeitet, gebetet habt; kommt ihr, die ihr inzwischen heimgegangen seid zu euerem Gott, ihr seligen Geister, helft mir, richtet meine Seele auf!

Kommt, ihr großen Geister, die ihr einst auf hohen

Bahnen der Menschheit vorangegangen seid, ihre Schlachten geschlagen habt gegen Sünde

und Wahn,

kommt ihr Heiligen

Gottes, ihr

Propheten und Apostel, ihr starken Ueberwinder, komm, du mein

Heiland Jesus Christus, der du für mich gelitten und gesiegt hast,

kommt, helft mir:

Ich will los, empor, ich will mich ausmachen!

Wir Christen brauchen nicht zu fragen: Was willst du eigentlich

damit, daß du besser zu werden strebst? wenn du umkehrst?

für einen Zweck?

Wohin willst du eigentlich,

Was hat das Umkehren und das Besserwerden Wir wandern, wenn wir umkehren, nicht in eine

ziellose Ferne, sondern wir haben ein bestimmtes Ziel:

zu meinem Vater gehn.

Ich will

Seht doch, wie leicht es uns Jesns

macht, umzukehren, wenn er uns nicht schilt, nicht verdammt, nicht

allerlei einzelne Regeln zum Besserwerden giebt, sondern viclinehr einfach uns unseren Vater zeigt.

Du hast einen Vater, der dich

nicht verstoßen kann, zu dem dir immer die Zuflucht offen steht, auch wenn dir die ganze Welt verschlossen ist, von dem du aus­

gegangen bist, zu dem du gehörst, bei dem du endlich Ruhe findest.

Wie leicht macht es uns Jesus, umzukehren!

233

Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.

Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen. 2. Wie führt nun der verlorene Sohn diesen Entschluß Es wird darüber zunächst wenig erzählt:

aus?

„Er machte sich

auf und kam zu seinem Vater." Reich war er ausgezogen, arm kehrt er wieder. noch einen Wanderstab, auf den er sich stützt.

Er hat nur

Sein Kleid ist arm­

Des Nachts schläft er unter dem freien Himmel.

selig.

Er nährt

sich von den milden Gaben, welche die Mildthätigkeit der Menschen

dem armen Wanderer darreicht. Der Wind, der ihn umweht, die Wolken,

die mit ihm ziehen, sind seine einzigen Wandergenossen.

Auch sonst

sind die Jahre in der Fremde nicht spurlos an ihm vorübergegangen. In seinem einst jugendlich blühenden Antlitz haben sich Furchen ein­

Die einst so stolze aufrechte Gestalt ist gebeugt.

gegraben.

Augen sind trübe geworden, der Blick unruhig.

Anderer heim, auch innerlich. unerfahrenen Knaben

Was hat er Alles erlebt!

ist ein Mann geworden.

Die

Er kommt als ein Aus dem

Von dem Blühen

und Verwelken menschlichen Glücks, von menschlichem Irren und Büßen, von Schuld und Sühne hat er nicht in geschriebenen Büchern gelesen, sondern unter Thränen in dem Buch seines eigenen Lebens. Er hat das nicht umsonst erlebt.

Wie aus dem Sumpfboden die

schönsten Blumen wachsen, so aus dem Irren des Menschen große, heilige Entschlüsse.

Früher,

von dem Augenblick ab,

da er das Vaterhaus

ver­

lassen, ist ihm der Gedanke daran peinlich gewesen, und er ist ihm

aus dem Wege gegangen. nur dorthin gerichtet.

vorauseilenden Gedanken.

hinter dem Berge Manne

liegt

schmerzen nach

Jetzt sind seine Augen, seine Gedanken

So sehr seine Füße eilen, schneller sind die Dort, am Horizont, in jener Richtung die Heimath.

der

Dem sonst so verwöhnten

langen Wanderung

die

Füße nicht.

Seine Kräfte wachsen, je näher er der Heimath kommt, als strömten ihm Kräfte aus der Heimath entgegen.

Nichts hält ihn auf, kein

schattiger Ruheplatz, kein Hinderniß, kein steiler Weg.

Der ganze

Mensch geht auf in dem Streben nach vorwärts.

So geht es dir, wenn du dich von deiner Sünde wegwendest zu Gott.

Dann wirst du es erleben, wie es dich immer mächtiger

hinzieht zu ihm, stärker wird.

dein Glaube immer fr ästiger,

dein Gebet immer

Je näher deine Seele schon auf Erden den ewigen

234

DaS Gleichniß vom verlorenen Sohn.

Gütern kommt, die Gott im Vaterhaus für uns geborgen hat, Ge­

rechtigkeit, Friede und Freude, um so größer ist die Anziehungs­

kraft, welche sie auf dich fallenden Steines

sich

ausüben.

Wie

die Schnelligkeit

steigert, je näher er der Erde kommt,

des so

steigert sich der Drang der Seele zu allem Göttlichen hin, je näher

sie Gott kommt.

Je mehr der Bergsteiger

sich dem letzten Gipfel

des Berges nähert, um so mehr belebt der Eifer, das Ziel zu

erreichen,

die müden Glieder,

um so öfter suchen die Augen das

hohe Ziel, um endlich in der weiten Rundsicht den Lohn zu ernten.

Wie das Ziel den Wanderer emporzieht, so zieht Gott den Menschen, der sich einmal ihm zugewendet hat, zu sich, wie der Pol den Magnet.

Da erfüllt sich's:

„Siehe, ich habe dich je und je geliebt;

darum

habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte." Jetzt kommt

der Sohn

dem

Elternhause nahe.

alten Bäumen taucht der wohlbekannte Giebel auf.

Hinter den

Hier die Stätten,

wo der Knabe einst gespielt, die Wege, die er Schritt für Schritt

kennt.

Das Vaterhaus ist das alte geblieben, ein Bild dafür, daß

es eine Treue giebt, die unwandelbar bleibt, auch wenn das Ge­

schlecht der Menschen

noch so wankelmüthig ist.

sieht nichts von aller Schönheit der Heimath.

sein Auge:

Aber der Sohn

Nur Eines fesselt

Dort vor dem Hause steht sein Vater.

Tag für Tag,

seitdem der Sohn ihn verlassen, ist er eine Strecke des Weges ge­ gangen, den der Sohn gezogen, und hat die Hand über die Augen gehalten und hat ausgeschaut in die Ferne, ob der Verirrte nicht

heimkehre.

Können, wir die unermeßlich selige Wahrheit fassen, die

in diesem Gleichniß liegt:

Droben in der Ewigkeit wohnt

eine

ewige Liebe, die kein verirrtes Menschenkind vergißt, es mit ihren Augen begleitet im Gewühl der Straße, auf nächtlichem Pfad, in

Noth und Elend, in Einsamkeit und Verlassenheit, in fernen Ländern, am Strand des äußersten Meeres, wenn kein Mensch mehr etwas

von ihm weiß,

wenn es verschollen ist.

Gottes Liebe schaut nach

ihm aus, ob nicht der Sünder stille steht, und umkehrt und heim­

kehrt.

Wer sich selbst nach Gott sehnt,

der weiß auch,

daß in

Gottes Herz die Sehnsucht nach uns wohnt, nach seinen Kindern.

Wer sein Leben Gott zugewendet hat im Glauben und Gebet, der fühlt auch,

daß Gottes Liebe ihm entgegenkommt, wie der Vater

dem verlorenen Sohn.

235

Das Gleichniß vom verlorenen Sohn. Und nun welch ein Begegnen! Erbarmen und die tiefe Reue.

Vater und Sohn, das suchende

„Vater, ich habe gesündigt."

Hätte

der Sohn sich nicht schon längst es vorgenommen, so zu sprechen, die Güte des Vaters hätte ihn zu diesem Bekenntniß gezwungen.

Wie es uns Jesus leicht gemacht hat, zu Gott umzukehren, dadurch,

daß er uns den Vater geoffenbart hat, so hat er es uns dadurch leicht

auch

gemacht, unsere Sünden zu bekennen.

Die

Gnade

Gottes erzeugt in uns aufrichtige Buße, das Bekenntniß der Sünden. Aber warum ist es denn so heilsam, seine Sünden bekennen?

Ist

es nicht besser, thatkräftig handeln, vorwärts streben, als jammernd seine Sünden bekennen?

Aber auch mit dieser Forderung: Du sollst

Gott deine Sünden bekennen, ist Jesus der Herzenskündiger, der

rechte Mittler zwischen den Menschen und Gott.

Denn erst dadurch,

daß ich meine Sünden bekenne, sage ich mich vor Gott von meinen Sünden los.

Dadurch, daß ich meine Sünden bekenne, fängt das

Schuldgefühl an zu schwinden, das mich von Gott trennte.

Da­

durch, daß ich meine Sünden bekenne, wird mir das Herz leichter.

Und darin, daß ich Gott meine Sünden bekenne, liegt die Bürg­

schaft, daß dieses Bekenntniß ächt ist.

Denn vor dem Flammen­

auge des Allwissenden kann die heuchlerische Demuth nicht bestehen. So ist

das auftichtige Bekenntniß:

„Ich

habe

gesündigt"

eine

rettende That. Und weiter:

dir."

„Ich habe gesündigt in den Himmel und vor

Ich bekenne meine Sünde, nicht weil sie mir trübe Stunden

bereitet, mir und Anderen Kummer bringt, weil sie mich ins Elend Wenn ich nur aus diesen Gründen meine Sünde be­

geführt hat.

kennen wollte, so würde meine Reue nur sein wie der Aerger eines Menschen,

der sich betrogen sieht, wie die Wuth eines Spielers,

der sein Spiel verloren hat.

Sondern ich bekenne meine Sünden,

weil ich gesündigt habe in den Himmel, gegen den Himmel, gegen

Gottes Ordnung, gegen Gott.

Habe ich gesündigt gegen mich selbst

oder gegen die Menschen, gegen ihr Glück oder gegen mein Glück,

immer

habe

ich gesündigt

gegen

Gottes

Gebot und Ordnung.

Verborgene und offenbare Sünden, Thatsünden und Unterlassungs­

sünden, Lieblosigkeit, Haß und Zorn — alle diese Sünden sind Sünden gegen den Himmel. in ihrer ganzen

Größe.

Hier erscheinen uns unsere Sünden

Aber solche Trauer ist auch die rechte

236 Trauer.

Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.

Sie prahlt nicht mit demüthiger Miene, mit ihrem Sünden-

bekenntniß, sondern ganz still wandelt sie vor Gott. Aber Gott sieht sie mit Wohlgefallen an. Kräfte sittlicher Erneuerung senken

sich in solch eine trauernde Seele herab.

„Selig sind, die da Leid

tragen; denn sie sollen getröstet werden." Wer nun aber so trauert, dem erscheint die Botschaft des Christenthums, daß wir sollen Gottes Kinder heißen, unglaublich. Er spricht: „Ich bin nicht werth, daß ich dein Sohn heiße, mache mich zu einem deiner Tagelöhner." Von sich selbst aus, auf sich allein angewiesen kann der Mensch immer nur zu dem Wunsche kommen, höchstens ein treuer Knecht Gottes zu werden. Ich will versuchen, deinen Willen, du Ewiger, zu thun, meine Pflicht zu erfüllen, dein Knecht zu sein. Mehr vermag ich nicht. Ich bin nicht werth, daß ich dein Sohn heiße. Das war der Glaube des alten Judenthums, das sich furchtsam von ferne Gott naht: „Ich bin nicht werth, daß ich dein Sohn heiße." Das war der Sinn der katholischen Frömmigkeit des Mittelalters, die in Christus nur den Weltenrichter sah, dessen furchtbaren Zorn man durch gute Werke zu beschwichtigen suchte. „Ich bin nicht werth, daß ich dein Sohn heiße." Das war der Glaube Luthers im Erfurter Kloster, als er rief: „Meine Sünde, meine Sünde."

„Ich bin nicht werth,

daß ich dein Sohn heiße." Das war der Sinn jenes gebildeten Heiden, der, nachdem er ein Christ geworden, aus Dankbarkeit das Neue Testament in die Sprache seines Volkes übersetzte, und als er an die Stelle kam: „Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeiget, daß wir sollen Gottes Kinder heißen", die Feder niederlegte

und sprach:

„Nein,

das kann ich nicht schreiben, das kann ich

nicht glauben; das ist zu viel. Ich will schreiben: „Daß wir den Saum seines Gewandes küssen dürfen." „Ich bin nicht werth, daß ich dein Sohn heiße."

Wo aber diese Demuth ist, da , ist die Thür weit aufgethan für Gottes Gnade, und eine «Stimme von Oben spricht: „Nein, du bist es werth, mein Kind zu heißen. Weil du dich unwerth hältst,

bist du es werth. Wer sich selbst erniedrigt, der soll erhöht werden." Gott giebt über Bitten und Verstehn. Amen.

237

Das Gleich«iß vom verlorenen Sohn.

29.

Das Gleichniß vom verlorenen Sohn. 3.

Die Aufnahme im Vaterhaus.

Luc. 15, 22—32.

Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringet

das beste Kleid hervor und thut ihn an, und gebet ihm einen Finger­

reis an seine Hand und Schuhe an seine Füße;

und bringet ein

gemästetes Kalb her und schlachtet es, lasset uns essen und fröhlich sein; denn dieser mein Sohn war todt und ist wieder lebendig ge­

worden; er war verloren und ist gefunden worden. fröhlich zu sein.

Und fingen an

Aber der älteste Sohn war auf dem Felde,

unb

als er nahe zum Hause kam, hörete er das Gesänge und den Reigen; Der

und rief zu fich der Knechte einen und fragte, was das wäre.

Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat ein

aber sagte ihm:

gemästetes Kalb geschlachtet, daß er ihn gesund wieder hat. er zornig und wollte nicht hinein gehen.

und bat ihn.

Da warb

Da ging sein Vater heraus

Er antwortete aber und sprach zum Vater:

Siehe,

so viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie über­ treten; und du hast mir nie einen Bock gegeben, daß ich mit meinen. Freunden fröhlich wäre.

Nun aber dieser dein Sohn gekommen ist,

der sein Gut mit Huren verschlungen hat, hast du ihm ein gemästetes

Kalb

geschlachtet.

Er aber sprach

zu ihm: Mein Sohn,

allezeit bei mir, und alles was mein ist, das ist dein.

du bist

Du solltest

aber fröhlich und gutes Muths sein; denn dieser dein Bruder war

todt und ist wieder

lebendig geworden,

er war verloren und

ist

wieder gesunden.

Es sind sehr verschiedene Eindrücke, welche wir aus diesem Theil

unseres Gleichnisses empfangen. Vergebung, Friede und Freude.

Im ersten Theile Alles Gnade und

Aus dem zweiten Theil dagegen

weht uns ein eisig kalter Hauch entgegen. Dieser ältere Bruder ist ganz lieblose, hartherzige Beschränktheit. Aber gerade dieser letzte

Theil hat eine große, seelsorgerliche Bedeutung.

Wir verstehen sie,

wenn wir auf die Veranlassung blicken, aus welcher das ganze Gleichniß hervorgegangen ist. Es heißt am Anfang des Kapitels: Es naheten aber zu ihm allerlei Zöllner und Sünder, daß sie ihn höreten. fprachen:

Und

die Pharisäer und

Schriftgelehrten

murrten uni>

„Dieser nimmt die Sünder an und ißt mit ihnen."

Das Gleichniß vom verlorenen Sohn-

238

Als Antwort hierauf erzählt Jesus die Gleichnisse voin verlorenen

Schaf, vom verlorenen Groschen und vom verlorenen Sohn.

Daraus

geht hervor, daß Jesus in dem verlorenen Sohn die Zöllner und Sünder schildert, die sich ihin nahten, um ihn zu hören, die Ver­ irrten, Gefallenen, Verlorenen, welche doch vor Gott soviel werth

sind, daß er sie sucht und sich ihrer Heimkehr freut; während da­ gegen in dem älteren Bruder die Pharisäer gezeichnet Reuigen

sind.

Also

einerseits,

die

und Schristgelehrteir

zwei Menschenklassen,

Selbstgerechten,

die

die der

Verirrten

Reue

und

nicht

zu

Und das ist nun das Seelsärgerliche

bedürfen meinen, andererseits.

an diesem Gleichniß, daß Jesus am Schluß den Pharisäern einen

Spiegel vorhält:

„Seht, dieser hochmüthige Bruder ist euer Bild."

In diesem letzten Theil

gelangt die Darstellung

in unserem

Gleichniß zu ihrem Höhepunkt, indem sie zwei scharfe Gegensätze einander gegenüberstellt, nämlich die Gnade Gottes in ihrer ganzen unendlichen Größe

und Weite, das weite Herz Gottes, auf der

andern Seite die Engherzigkeit des Menschen.

So wird uns hier gezeigt: Wie der Sohn im Vaterhaus ausgenommen wird

1. von seinem Vater, 2. von seinem Bruder.

1.

An dem Empfang des Sohnes durch den Vater fällt uns

zunächst auf, daß von einer Strafe überhaupt keine Rede ist.

Der

Vater hätte den Heimkehrenden vor der verschlossenen Thüre stehen

lassen können; anstatt dessen geht er ihm entgegen. mit harten Worten schelten können;

Er hätte ihn

anstatt dessen segnet er ihn.

Er hätte ihn zu den Sklaven weisen und ihm sagen können: ist dein Platz, du ungerathener Sohn;" sofort in das alte Sohnesrecht ein.

„Dort

anstatt dessen setzt er ihn

Er hätte ihn strafen können

mit jenem Schweigen, in welchem der schwerste Vorwurf liegt; an­

statt dessen kommt er mit der Bezeugung seiner väterlichen Gnade

fast dem Schuldbekenntniß keine Rede.

Weshalb?

des Sohnes

voraus.

Von Strafe ist

Weil der Sohn seine Strafe erduldet hat

in dem äußeren und inneren Darben, das in der Fremde sein Loos gewesen.

Und

diese Strafe ist viel schwerer gewesen als irgend

eine Strafe, die der Vater ihm jetzt hätte auferlegen können.

Deshalb

erwartet ihn nun zu Hause keine Strafe mehr. Gott

hat mit jeder

Sünde

eine

Strafe

verbunden.

Diese

Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.

239

Strafe ist die nothwendige Folge der Sünde, wie das äußere und innere Elend in der Fremde die nothwendige Folge der Wanderung

in die Fremde war.

Sünde und Strafe sind durch ein so festes

Band mit einander verbunden, daß weder menschliche List noch irgend eine Macht der Erde beide trennen kann.

Wird der Wüstling krank,

der Verschwender arm, der Zänkische verlassen, so ist das eine Auf­

einanderfolge von Ursache und Wirkung, die mit unerbittlicher Noth­ wendigkeit eintreten muß. Wer aus dem Becher der Sünde trinkt,

trinkt damit nothwendig auch die Strafe. Es braucht das keine äußere Strafe zu sein. Die inneren Strafen, das Schlechterwerden, das innere Versinken in immer weitere Entfernung von Gott, der

Verlust an innerem sittlichen Werth ist viel schwerer als irgend eine äußere Strafe. Hat nun der Mensch diese seine Strafe, welche die nothwendige Folge seiner Sünde ist, abgebüßt, so läßt es Gott genug sein. Er legt nun dem Heimkehrenden nicht etwa in einem

Unglück, in einem schweren Schicksalsschlag noch eine besondere Strafe auf. Wenn wir Menschen äußere Unglückssälle so gern auf

vergangene Sünden zurückführen, so ist das nicht nach Gottes Sinn. Gott sagt zu dem reuigen Sünder: „Deine Strafe liegt hinter dir. Ich kenne deine Thränen, die Wunden, welche dir deine Sünde

geschlagen hat, die Ernte, die dir erwachsen ist aus deiner bösen

Saat.

Du hast die Strafe, die dir aus deiner Sünde erwuchs,

getragen. Nun ist es genug. nun vorüber, nun ist es hell.

Fürchte dich nicht! Das Wetter ist Hinter dir die Freinde, vor dir das

Vaterhaus. Komm, fürchte dich nicht!" Seht nun, wie die Gnade Gottes, die den Sohn aufnimmt,

geschildert wird. Das zerrissene Gewand muß der Sohn ablegen und ein neues Gewand, das „beste Kleid", das im Hause zu finden ist, muß er anlegen. Eigentlich heißt es wörtlich das „erste" Kleid. Manche Ausleger verstehen darunter das Kleid, welches der Sohn einst vor seiner Fahrt in die Fremde getragen hat. Dieses „erste" Kleid soll ihm eine Bürgschaft dafür sein, daß Alles wieder ist wie einst. Ein Fingerreif wird herbeigebracht, das Zeichen des freien

Mannes, und Sandalen, welche den Freien von dem Sklaven unter­ schieden, der barfuß ging. So setzt der Vater den Sohn in der schonendsten Weise wieder ein in sein altes Recht, ohne auch nur ein

Wort zu verliere« über des Sohnes Schuld und die eigene Gnade.

240

Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.

Er sagt nicht:

„Ich will dir vergeben,"

hochmüthig

unendlich

und stolz

klingt,

dieses Wort, das

oft so

so eitel und selbstgerecht.

Sondern Kleid und Ring und Sandalen, das sind die stummen und

doch so laut redenden Zeichen, daß Alles vergeben ist. mehr: Ein Freudenfest soll bereitet werden.

Und noch

„Bringet," so heißt es

wörtlich, „das gemästete Kalb," nicht eins von vielen, sondern „das"

gemästete Kalb, das eine, das im Stall steht.

Das Beste soll hin­

gegeben werden, um die Heimkehr des Verirrten zu feiern.

Um diese anschauliche Schilderung aus dem Menschenleben nun wirklich auf Gott und seine Gnade gegen den reuigen Sünder zu

übertragen, dazu gehört ein bergeversetzender Glaube.

Wir wären

dieses Glaubens unfähig, wenn nicht der als Gewährsmann vor uns

stünde, der die Wahrheit dieser Botschaft uns durch sein Leben und

Sterben besiegelt hat.

Selig ist es, daran zu glauben.

Aber hütet

euch wohl, diese zarte Himmelsbotschaft leichtfertig auf euch zu

beziehen und euch leichtfertig zu verlassen auf diese vergebende Gnade

Hütet euch auch,

Gottes.

selbstbewußt daraus zu pochen:

„Ich

stehe bei Gott in Gnaden; denn ich habe den rechten Glauben; ich

gehöre

den Auserwählten Gottes."

zu

diese Botschaft ist, um so leichter

Nur der

Je größer und erhabener

kann sie gemißbraucht werden.

darf sich ihrer wirklich von Herzen getrosten,

der es in

„Ich bin nicht werth, daß ich dein Sohn

tiefster Seele empfindet.

heiße," der den unendlich weiten Abstand fühlt von dem, was er

sein sollte, an der eigenen Kraft verzweifelt, hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit,

und

zugleich

mit dem strengen Geist des

Selbstgerichtes verbindet das starke Wollen, das ernste Streben nach Abwendung Hoffnung

voll der sündigen Vergangenheit und die zuversichtliche

auf ein neues Leben aus Gott.

Diese bußfertige Ge­

sinnung ist der Zauberschlüssel, der uns die Gnade Gottes auf­

schließt.

Daun glaubst du nicht nur an die Gnade Gottes, sondern

dn erlebst sie an dir selbst, erlebst es, wie in der freudigen Gewiß­ heit der göttlichen Vergebung die sündige Vergangenheit untergeht

und die Gnade Gottes neue Entschlüsse zum Guten und neue Kräfte des Guten in dir erweckt.

Der alte Mensch liegt hinter dir, er ist

gestorben und begraben in der Fremde, und ein neuer Mensch lebt

nun auf im Hause des Vaters. Ihr habt es wohl schon erfahren, daß ihr, wenn ihr wieder einmal

Das Gleichmß vom verlorenen Sohn.

241

nach langer Zeit in euere Heimath kamt, ihr Vieles anders fandet. Die Menschen, die ihr dort einst gesehen, sind heimgegangen, überall

neue Gesichter, neue Verhältnisse.

Auch hier ist Alles anders ge­

worden, nur umgekehrt, viel viel besser,

als einst.

Verschwunden

ist der mürrische Sinn, der keine Freude hatte am Gesetz des Guten;

das Gesetz des Guten ist nun zum Leben der Seele geworden.

Die

Hausordnung Gottes, die früher als Last empfunden wurde, ist nun zur Ordnung des inneren Lebens geworden, das Gute zur anderen

Natur; es zieht dich hinein in sein heiliges Reich mit himmlischer Gewalt, und je tiefer du eindringst, um so mächtiger wird es in

dir.

An die Stelle der Freiheit vom Gesetz ist nun die wahre sitt­

liche Freiheit getreten, die Freiheit im Gesetz.

Wo du nun auch

sein magst in der Welt, überall bist du im Vaterhaus.

Du bist zu

Hause in deiner Arbeit, in deiner Freude, in deinem Schmerz, denn

überall grüßt dich Gott,

umweht dich Heimathluft.

Der Verkehr

mit den Menschen wird dir ein Verkehr mit Brüdern und Schwestern. Ueberall bist du nun zu Hause.

Beachtet ferner die Freude des Vaters an der Heimkehr des

Sohnes.

Freude kann nur da sein, wo ein Wechsel im Empfin-

dungsleben stattfindet.

Können wir uns denken, daß Gott sich freut?

Und doch, wenn Gott der Allwissende ist, der kein verirrtes Menschen­

kind aus den Augen läßt,

wenn er der Allliebende ist,

dem jede

Menschenseele mehr werth ist, als die ganze Welt, so können wirs uns auch gar nicht anders denken:

Es muß in Gott, wenn ein Ver­

irrter heimkehrt, etwas sein, was wir ins Himmlische Ewige er­

hoben als Freude bezeichnen können.

Sünders.

Gott freut sich des reuigen

Denkt doch, welch ein großes Ereigniß das ist, wenn

eine Menschenseele, die ausgegangen ist von dem ewigen Vater der Geister, die der Vater liebt mit ewiger Liebe, damit allmählich aus

ihr werde ein Tempel des Lichts, um deretwillen der ewige Rath­ schluß Gottes in Jesus Christus, in seinem Leben und Sterben, sich verwirklicht hat, wenn eine solche Menschenseele, welche ein ewiges

Erbtheil, ein Stück der lichten seligen Ewigkeit in sich trägt, sich

losgerissen hat von der Welt des Lichts und immer tiefer und tiefer in die Finsterniß versunken ist, nun von der Macht der Liebe Gottes angezogen

wieder

heimkehrt,

„todt" war und zum ewigen Leben

zurückkehrt, „verloren" war und sich wieder findet, und wieder einKirmß, Predigten.

Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.

242

gegliedert wird in die Gemeinschaft der Kinder Gottes. doch Freude seiy in der Ewigkeit.

Da muß

Vielleicht vollzieht sich

dieses

große Ereigniß auf Erden ganz in der Sülle; kein Mensch hört und

sieht

aber in der ewigen Welt ist es,

etwas davon;

freuen.

die Menschen

auch

ein

Gott freut sich des reuigen Sünders.

Freudenfest gefeiert würde. Er fordert

als ob

auf, sich mit ihm zu

Wenn tausend Menschen Ein Licht genießen,

Keiner dem Anderen etwas weg.

so nimmt

Jeder macht wohl gern dem An­

deren Platz, damit er das Licht voll sehen könne.

Zahllose Schaaren

können sich freuen der Liebe Gottes und Keiner nimmt dem Anderen

etwas weg.

Im Gegentheil: Je größer die Zahl, um so größer die Freuet euch, wenn ein Mensch, von dem es

Freude des Einzelnen.

hieß: „Dem ist nicht zu helfen," umkehrt! Hülfe selbst

Durch

Und habt ihr mit Gottes

etwas dazu beiüagen können, so freuet euch doppelt!

diese

Freude

nehmt

ihr

Theil

an

der

ewigen

Freude

Gottes.

Wohl den Menschen, von denen es heißt, wie im Evangelium:

„Sie fingen an, ftöhlich zu sein." 2.

So sollte es sein.

Da tritt in unsere Erzählung der ältere

Bruder ein und zeigt uns, daß nicht überall Freude ist über den

Sünder, der Buße thut. Er hat immer seinem Vater gewissenhaft gedient.

recht und gut. so

fr rotbärtig

können?

Das ist doch

Was ist es denn, das uns diesen älteren Bruder

erscheinen läßt,

Gewiß,

daß wir

kein Herz

Gottes Gesetz ist heilig.

zu ihm fassen

Aber es ist nicht die

letzte und höchste Offenbarung Gottes; und deshalb ist der Mensch,

der nichts Höheres kennt, als das Gesetz, und dem Gesetz Unterthan Gott als Knecht dient, noch nicht auf der Höhe angelangt, zu der

uns Gott berufen hat.

Höher als das Gesetz ist die Erlösung.

Höher als der Knecht, der unfrei Gott dient, steht der Sohn, der Gott in freiem Gehorsam dient.

die wir ersteigen sollen.

Das ist die letzte höchste Stufe,

Können wir es thun und thun es nicht,

dann muß nothwendig unser inneres Leben verkümmern, wie

der

Baum, der nach seiner' Art und inneren Anlage eine bestimmte Höhe erreichen soll, beim Emporwachsen aber sich an einen überhängenden Felsen stößt,

oder von einem größeren Baum neben ihm nieder­

gedrückt, nothwendig verkrüppelt, oder wie ein Mensch, der ein großes

Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.

243

Talent besitzt und sich nicht kann auswirken lassen, innerlich leicht

So muß das innere Leben des Menschen, der unter

verkümmert.

dem Gesetz bleibt, in ihm

verkümmern und

kalte

der

Hochmuth,

vertrocknen, und

die

es

entsteht

Verdammuugssucht,

die

Lohnsucht.

Wir sahen schon, daß Jesus im älteren

Der kalte Hochmuth.

Sohn das Pharisäerthum seiner Zeit schildert, das kalt und starr geworden war unter dem starren Gesetz,

kalt und starr, wie die

steinernen Tafeln, auf denen nach der Ueberlieferung die zehn Gebote ursprünglich geschrieben standen.

Wenn wir aber diese Schilderung

Jesu betrachten, so wollen wir immer daran denken, daß damit nicht

fremde Leute gemeint sind, sondern wir, wir selbst.

irgendwelche Siehe,

du rühmest dich auch,

immer im Vaterhaus, immer dem

Willen Gottes gehorsam geblieben zu sein.

Du bist umgeben gewesen

von Verhältnissen, welche deine sittliche Entwickelung sehr begünstig­ ten, die es dir leicht gemacht haben, rechtschaffen zu bleiben.

Du

hast außerdem eine Natur ohne tiefere Leidenschaften, so daß eine

wirklich große Versuchung vielleicht nie an dich herangetreten ist.

Du

hast wegen deines rechtschaffenen Wandels Lob geerntet und hast es

dadurch gelernt, dich selbst zu loben.

Ist von einem Fehltritt eines

Menschen die Rede, so sagst du: „Das könnte ich doch nicht thun." Wird von einem Menschen

der zweifellos sittlich hoch

gesprochen,

über dir steht, so suchst du gern seine Fehler hervor und möchtest

ihn von seiner Höhe herabziehen.

Meist aber vergleichst du dich mit

den Menschen, die sittlich unter dir stehen.

All dein Thun ist genau

geregelt nach dem Buchstaben des Gesetzes, dem Herkommen, der Mode,

dem

guten Ton,

der Sitte in deinen Kreisen.

Aber du

fühlst es selbst an dir: Dein Thun ist so selten freudig; dein, Herz

wird nicht warm; du kannst dich für nichts recht begeistern. ist der satte Hochmuth, der sich selbst genug ist.

die Prophetenstimme ihre

Gluth

nur

ein

lediglich

dir

kühles dem

so leicht selbst.

Achselzucken.

Gesetz

an dein Ohr

der Begeisterung

aus Menschenaugen äußerlich

schlägt und

entgegenleuchtet, so

Weil anpaßt,

dein

ganzes

deshalb

Das

Wenn von außen

hast du

Wesen

genügst

sich

du dir

Dein vollkommenes, tadelloses Ich, das ist der

Götze, dem du Opfer bringst. Neben diesem Hochmuth steht die Verdammungssucht. 16*

So

244

Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.

sehr kennst du nur dein vollkommenes Ich, daß du andere Menschen nicht verstehst.

Du fragst nicht, wie ist Dieser und Jener zu seinem

Fehltritt gekommen?

Unter welchen Einflüssen ist er ausgewachsen?

Mit welchen Versuchungen hat er zu kämpfen gehabt? du sein, wenn du iu gleicher Lage wärest?

Wie würdest

Du denkst nicht daran,

daß häufig an dem Fall eines Menschen seine Umgebung viel mehr

Man muß staunen, mit welch leichtem

schuldig ist, als er selbst.

Herzen, ja mit welch lcichtfertigeni Sinn die stolzen „rechtschaffenen"

Leute der heutigen Zeit urtheilen über die großen Massen unseres Volkes, welche ihrem Vaterland und ihrer Kirche mißtrauisch gegen­

Keine Frage: „Wo liegen die Schäden, die den Grund

überstehen.

Tragen wir vielleicht nicht selbst mit die

dieser Erscheinung bilden? Schuld?"

Sie sehen in jeder lebhaften Volksbewegung Auftuhr, in

eine schwere Gefahr.

jeder neuen eigenartigen Ansicht

Sie

rufen

nach der Staatsgewalt, welche das, was ihnen nicht gefällt, nieder­

drücken, niederschlagen soll. daß sie nicht verhungern.

ja nicht für sie ein.

Sie rufen:

„Gebt den Armen Brod,

Aber gebt ihnen ja nicht euer Herz; tretet

Sperrt die verirrten Glieder der menschlichen

Gesellschaft, die Gefallenen, Verkommenen ein, aber ihnen verständ-

nißvoll entgcgenkommen, ihnen emporhelfen wollen, das ist Thorheit

und vom Uebel."

Das ist der ältere Sohn im Evangelium im Ge­

wände der heutigen Zeit. Dazu komnit die Lohnsucht.

Der ältere Bruder erinnert seinen

Vater daran, wie treu er ihm immer gedient, und der Vater habe ihm nie einen besonderen Lohn dafür gegeben. Thun immer nur an den Lohn gedacht.

Pharisäer wohnt in Jedem von uns. in dir seine Stimme vernimmst.

Er hat bei all seinem

Ein solcher lohnsüchtiger

Prüfe dich, ob du nicht oft

Du willst nichts umsonst

thun.

Wenn du betest, in die Kirche gehst; so willst du doch einen Lohn dafür sehen.

Wenn du Almosen giebst, so soll das dir auf irgend

eine Weise wieder zu Gute kommen.

Du betrachtest die Frömmig­

keit als einen Acker, den zu bebauen sich lohnt.

Es wohnt in dir

ein kühler Rechner, der überall auf seinen Vortheil bedacht ist.

Aber

von ihm geht ein kalter Hauch aus, der deiner Frömmigkeit den Tod

bringt.

Und dabei fehlt es nicht an den schmerzlichsten Enttäuschungen.

Die ganze Rechnung ist falsch.

Trotz aller eingebildeten Frömmig­

keit bleibt der äußere Segen so oft aus.

Dagegen siehst du neben

245

Das Gleichniß vom verlorenen Sohn.

dir Andere, denen es viel besser geht als dir, obwohl sie nach deiner Ansicht nicht fromm sind.

Du fragst: „Wo bleibt Gottes Gerechtig­

Giebt es einen gerechten Gott, so muß er inich segnen und

keit?

Wohl klingt da von Oben

die neben mir leer ausgehen lassen."

die Stimme zu dir herab, die wir in dem Gleichniß von den Ar­

beitern im Weinberg vernehmen:

gütig bin?"

„Siehst du darum scheel, daß ich so

Aber du verstehst diese Stimme nicht.

Weil Gott sich

nach deiner Ansicht nicht als der Gerechte offenbart, deshalb verlierst

du den Glauben an Gott überhaupt.

Weil du so lohnsüchtig bist,

deshalb kannst du dich nicht erheben zu dem Glauben an die Gnade

Gottes, vor welcher unsere Tugend ein bestaubtes Kleid, ein unechter

Schmuck ist, die dagegen den reuigen Sünder an ihr Herz zieht, daß er dort erwärme zu einem neuen Leben.

Der Hochmuth, die Verdammungssucht, die Lohnsucht, das ist es, was vor Allem die Menscheil von Gott trennt.

Aus der Tiefe

menschlichen Verderbens führt ein Weg zu Gott empor.

Aber die

innere Kälte des Pharisäers ist durch eine Himmelsferne von Gott

getrennt.

Hier enthüllt sich uns dann auch die schwerste Frage und

die eigentliche Kernfrage unseres Gleichnisses, warum der verlorene Sohn nun dem Vater viel näher steht, als sein älterer Bruder, der

das Vaterhaus nie verlassen hat?

Dieser kennt keine Reue, denn

er meint an sich nichts zu finden, was er bereuen müßte; deshalb kennt er auch keine göttliche Gnade; denn er meint, ihrer nicht zu

bedürfen.

Jener aber ist hindurchgegangen durch alle Tiefen der

Reue, deshalb erlebt er an sich die ganze Fülle der göttlichen Gnade.

Dieser

hat ein hartes Herz,

deshalb weiß er nichts

von Gottes

Barmherzigkeit; Jener dagegen hat ein Herz, das weich geworden ist

unter den Strahlen der göttlichen Gnade.

Dieser steht hochmüthig,

fordernd, von ferne Gott gegenüber; Jener hat sich demüthig in die

Arme der göttlichen Gnade geworfen.

Jener verttaut Gott.

Dieser verttaut sich selbst;

Dieser hat Gott gegenüber den knechtischen

Geist, Jener den kindlichen Geist.

Der verlorene Sohn ist erlöst und

lebt nun Gott; sein älterer Bruder bleibt gebunden in sich selbst und

lebt sich selbst.

Deshalb steht Jener Gott nahe und Dieser steht

Gott fern.

Es begegnen euch diese beiden Brüder im Leben.

Es begegnet

euch bisweilen in den Lumpen der Verkommenheit ein so edler Stolz,

Das Auftreten Jesu in Galiläa.

246

ein so gesundes Empfinden für Gott und die Menschen, daß ihr sagt: „In diesem armen Menschen wohnt ein Gotteskind." Und es

begegnet euch in dem fleckenlosen Gewand äußerer Ehrbarkeit eine solche Niedrigkeit der Gesinnung, daß ihr euch sagt:

Menschen

wohnt

ein

elender Sklave."

Ebenso

„In diesem

findet

ihr

unter

denen, die abgekommen sind von den Bahnen der kirchlichen Ueber­

lieferung,

den verlorenen Söhnen der Kirche, oft viel mehr Ver­

ständniß für die göttliche Wahrheit und das christliche Leben, als unter denen, die sich immer streng an die Formen der Kirche gehalten haben. —

bei

So laßt uns nun scheiden von diesem Gleichnis;.

Möchten wir

es empfunden haben:

Das ist das

seinem erneuten Anhören

ewige Evangelium, in welchem das Herz des Vaters schlägt,

ewige Erquickung aller Mühseligen.

die

Möchte es auch in uns erweckt

haben die Sehnsucht nach der Heimath, wo die Räthsel der Erde

sich lösen und die Verirrten sich zusammenfinden.

Amen.

30.

Das Auftreten Jesu in Galiläa. Luc. 4, 14.15.

Und Jesus kam wieder in des Geistes Kraft in Galiläa,

und das Gerücht erscholl von ihm in alle umliegenden Oerter.

Und

er lehrete in ihren Schulen und ward von jedermann gepriesen.

9iese Worte versetzen uns mit einein Male aus den Kindheits­ geschichten,

welche unsere Gedanken in

den

Weihnachtstagen be­

schäftigten, nach Galiläa, und zeigen uns das Kind, das wir zu Weihnachten sahen, zum Manne geworden.

Aus den 30 Jahren,

welche dazwischen liegen, kennen wir nur die eine Erzählung, die

ihr vorher vom Altar aus gehör: habt, die Erzählung von dem zwölf­ jährigen Jesus. alter über.

Diese leitet also von der Kindheit zum Mannes­

In ihr sind uns besonders zwei Punkte von Bedeutung,

nämlich das Bekenntniß des Knaben:

„Wisset ihr nicht, daß ich sein

muß in dem, das meines Vaters ist?" und der Schluß der Erzählung:

„Er nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den

Das Auftreten Jesu in Galiläa.

246

ein so gesundes Empfinden für Gott und die Menschen, daß ihr sagt: „In diesem armen Menschen wohnt ein Gotteskind." Und es

begegnet euch in dem fleckenlosen Gewand äußerer Ehrbarkeit eine solche Niedrigkeit der Gesinnung, daß ihr euch sagt:

Menschen

wohnt

ein

elender Sklave."

Ebenso

„In diesem

findet

ihr

unter

denen, die abgekommen sind von den Bahnen der kirchlichen Ueber­

lieferung,

den verlorenen Söhnen der Kirche, oft viel mehr Ver­

ständniß für die göttliche Wahrheit und das christliche Leben, als unter denen, die sich immer streng an die Formen der Kirche gehalten haben. —

bei

So laßt uns nun scheiden von diesem Gleichnis;.

Möchten wir

es empfunden haben:

Das ist das

seinem erneuten Anhören

ewige Evangelium, in welchem das Herz des Vaters schlägt,

ewige Erquickung aller Mühseligen.

die

Möchte es auch in uns erweckt

haben die Sehnsucht nach der Heimath, wo die Räthsel der Erde

sich lösen und die Verirrten sich zusammenfinden.

Amen.

30.

Das Auftreten Jesu in Galiläa. Luc. 4, 14.15.

Und Jesus kam wieder in des Geistes Kraft in Galiläa,

und das Gerücht erscholl von ihm in alle umliegenden Oerter.

Und

er lehrete in ihren Schulen und ward von jedermann gepriesen.

9iese Worte versetzen uns mit einein Male aus den Kindheits­ geschichten,

welche unsere Gedanken in

den

Weihnachtstagen be­

schäftigten, nach Galiläa, und zeigen uns das Kind, das wir zu Weihnachten sahen, zum Manne geworden.

Aus den 30 Jahren,

welche dazwischen liegen, kennen wir nur die eine Erzählung, die

ihr vorher vom Altar aus gehör: habt, die Erzählung von dem zwölf­ jährigen Jesus. alter über.

Diese leitet also von der Kindheit zum Mannes­

In ihr sind uns besonders zwei Punkte von Bedeutung,

nämlich das Bekenntniß des Knaben:

„Wisset ihr nicht, daß ich sein

muß in dem, das meines Vaters ist?" und der Schluß der Erzählung:

„Er nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den

Das Auftreten Jesu in Galiläa.

Menschen."

Das Erste zeigt uns, daß der Knabe schon

247 etwas

Wunderbares, Außergewöhnliches geworden war, nämlich das Kind Gottes, welches Gott als seinen Vater gefunden hat, und das Zweite zeigt uns, daß Jesus doch immer noch im Werden, in der Ent­ wicklung begriffen war, beides also, daß Jesus das, was er war, nach den Gesetzen der Entwicklung allmählich geworden ist. Er ist gewesen wie eine bekannte seltene Blume, welche erst lange Zeit wachsen muß, dann auf einmal bricht eine wunderbare Blüthe auf, welche eine kurze Zeit die Menschen durch ihre Schön­ heit und ihren Duft erfreut. Dreißig Jahre hat Jesus in der Stille gelebt, in der Vorbereitung auf das, was er der Welt werden sollte; drei Jahre höchstens hat er dann unter den Menschen öffent­ lich gewirkt. Ein langes Wachsthum und eine kurze Blüthezeit. Und auch in dieser Zeit ist er innerlich noch weiter gewachsen, ge­ stiegen von einer Klarheit zur andern, bis zu seinem Kreuzestod,

bis zu seiner Erhöhung in Gott. Diese Erkenntniß, daß unser Heiland nicht von vornherein fertig in die Welt eingetreten ist, sondern auch allmählich geworden ist, ist uns für unsern christlichen

Glauben und für unser Leben von hoher Bedeutung. Denn daraus sollst du zweierlei entnehmen: Du darfst nie meinen, daß du schon fertig seiest; denn wir sind immer im Werden begriffen. Und eben­

so wenig darfst du daran verzweifeln, das zu erreichen, was noch vor dir liegt; denn wir sind immer im Werden begriffen. In unserem heutigen Text sehen wir unseren Erlöser am Ein­ gang seiner öffentlichen Thätigkeit stehen. Die Zeit der Vorbereitung in der Stille ist vorbei. Die Zeit des öffentlichen Wirkens ist ge­ kommen. Laßt uns dieses Auftreten Jesu in Galiläa mit ein­ ander besprechen, wie dasselbe vorbildlich ist auch für unser Leben. 1.

Er kam in des Geistes Kraft nach Galiläa.

So

war zunächst ein kleines Land und in diesem eine bestimmte ab­ gegrenzte Landschaft, die Umgebung des galiläischen Meeres mit

einigen kleinen Städten und Dörfern, der erste Schauplatz seiner Thätigkeit. Und doch hat er hier gewirkt mit einer Kraft, als wenn Galiläa die ganze Welt wäre. Er hat nicht gedacht: „Was liegt

daran, ob du diese einfachen Leute gewinnst, was liegt an diesen Menschen, an diesen Fischern, welche dich vielleicht nicht einmal ver­ stehen." Sondern er hat in diesem engen Kreise gewirkt mit der

248

Das Auftreten Jesu in Galiläa.

ganzen Kraft seines Geistes, für den doch die Welt nicht groß genug

war, so daß er auch in den Himmel eindrang bis in die Tiefen der

Gottheit, der auch von der Gegenwart, von dieser ganzen Erdenzeit

nicht gefangen

gehalten werden kann,

die Zukunft

sondern auch

umspannte, in der Himmel und Erde nicht mehr sein werden.

hat die

ganze Kraft

galiläisches

Wirken,

dieses

als

seines

hätte

hineingelegt

Geistes

in

eine Aufgabe,

die

er nur

Menschen seines Heimathlandes das Heil zu bringen.

Er

sein diesen

Dadurch aber,

daß er in diesem kleinen Kreise das ganz war, was er sein sollte Und wollte, ist er für die ganze Welt das geworden, was er ihr

werden sollte. Die Epiphanienzeit, an deren Eingang die Erzählung von den dem Morgenland steht, weist uns auf die Mission

Weisen aus

unter den Heiden hin.

Jesus ist im Laufe der Geschichte noch

in manches Land gekommen jenseits des Meeres,

in Länder, wo

arme Leute wohnen, Wilde, in bisher unbekannte Theile der Erde.

Er ist dorthin gekommen durch seine Sendboten, die Missionare. Da ist auch

nicht

gefragt worden:

„Was

diese

können

armen

Leute für die menschliche Cultur leisten, was liegt daran, ob sie Christen werden

oder

nicht!"

Sondern auch

unter jenen fernen

unbekannten Völkern ist er immer aufgetreten in der vollen Kraft

seines Geistes, mit der ganzen Fülle seiner Liebe,

Lebens, seiner

Gnade, wie

am Anfang,

Menschen wären, zu denen er käme.

als

ob

seines ewigen sie

die

ersten

Wo er in ein Land kommt,

da kommt er immer in des Geistes Kraft. Auch hier hat er uns ein Vorbild gelassen.

Warum hat dich

Gott gerade an deinen Platz gestellt, dich mit besonderen vielleicht ungünstigen Verhältnissen,

mit schwer zu behandelnden Menschen

umgeben, während Der und Jener es viel leichter hat als du?

Dein

Platz erscheint dir sehr klein und eng, wie Galiläa unter den Ländern der Erde.

Da helfen dir alle die Träume der heutigen Menschen

nicht, daß die Welt im Ganzen einmal ganz anders werden und das

Unterste zu oberst gekehrt werden müsse. dich nur um so unmuthiger machen.

der Glaube:

Solche Träume würden

Sondern hier hilft dir nur

„Gott hat mich gerade hierher gestellt."

Und wenn

du deine Umgebung mit ihren besonderen Schwierigkeiten recht genau

ansiehst und dich selbst dann ebenso genau prüfst, dann wirst du

Das Auftreten Jesu in Galiläa.

249

finden, daß in deinen Verhältnissen Vieles liegt, was gerade für

deine Fehler ein Heilmittel in sich birgt und dir Pflichten auserlegt,

welche dich bei deinen Anlagen und Neigungen zur Selbstüberwindung Und so müssen die Sorgen, welche du zu tragen und die

zwingen.

Schwierigkeiten und Verdrießlichkeiten, mit denen du zu kämpfen hast,

Darum gehe

dir dazu helfen, daß du wirst, was du werden sollst.

an deine Pflicht immer wieder in

des Geistes Kraft, in dem

Geiste, den Jesus giebt, dem Geist der Treue, der nicht nach dem Lohn, sondern nach der Pflicht fragt, in dem Geist der Geduld,

der sich schließlich auch mit den schwierigsten Verhältnissen vertraut macht, in dem Geist des Muthes, der nicht verzagt, und der Liebe, welcher die Menschen verständnißvoll nimmt, wie sie sind, und nicht

verlangt, daß sie vollkommen sein sollen, in des Geistes Kraft, durch

welche

du

die Verhältnisse beherrschest und

knechten lässest.

dich nicht von ihnen

Auch wenn dir dein Leben sehr eng und beschränkt

erscheint, bewähre dich darin mit ganzer Kraft. Bist du über Wenigem

getreu, so wirst du über Viel gesetzt werden.

2.

Weiter heißt

es von Jesus:

„Das Gerücht von ihm

erscholl durch alle umliegenden Orte." sich sein Ruf?

Wodurch verbreitete

Ihr denkt da zunächst an seine Wunderthaten, die

ja allerdings auf das wundersüchtige Geschlecht jener Zeit großen

Eindruck machten, obwohl dies gar nicht nach dem Sinne Jesu war,

der wohl wußte, daß diese Wunder und Zeichen nur ein sehr loses und vergängliches Band zwischen dem Volke konnten.

und

ihm

herstellen

Ihr denkt dann wohl auch an die Gewalt seiner Rede,

welche die Aufmerksamkeit der Menschen auf ihn zog. alles ist noch nicht die Hauptsache gewesen.

Epiphanienzeit hin.

Aber das

Auf diese weist

die

Epiphania heißt „Erscheinung" Christi, sein

Hervortreten, sein Wirken, die Offenbarung seiner Persönlichkeit. Was die Menschen zu Jesus zog, das war seine Liebe zu den Geringen und zu den Großen, die nie wechselte in ihrem Wesen,

sondern immer nur in ihren Aeußerungen, die um so größer wurde,

je mehr man ihrer bedurfte, um so Heller leuchtete, je tiefer Jesus Hinabstieg in das Elend der Welt.

Das war ferner seine Ge­

rechtigkeit, mit welcher er die Menschen schätzte, nicht nach dem Schein, sondern nach ihrem inneren Werth.

Das war das tiefe Ver­

ständniß für die ewigen Bedürfnisse der Menschenseele, sein heiliger

250

Das Auftreten Jesu in Galiläa.

Drang, die Menschen selig zu machen in Gott, sein Friede, welcher

Jeden berührte, der ihm näher trat, die erlösende Macht in seiner

ganzen Erscheinung, welche die Menschen aufrichtete und in eine neue Welt versetzte, mit neuem Leben erfüllte, als wenn der Himmel auf Erden wäre.

Diese innere Herrlichkeit Jesu zog die Menschen

zu ihm hin, daß vor ihm die Thüren der Herzen aufsprangen, wie vor einem Zauberstab, daß sich die Menschen ihm aufschlossen und

anschlossen, weil hier verkörpert vor ihnen stand, was ihre Seele suchte, der eingeborene Sohn Gottes, nach dem der Mensch verlangt als nach seinem Urbild. Diese innere Herrlichkeit sandte ihre Strahlen weithin, wie Boten, welche den Menschen sagten: „Kommt, wandelt im Licht!" Deshalb ist Jesus der Morgenstern, zu dem die Menschen, wenn sie von Dunkelheit umfangen sind, ihre Augen er­

heben, als zu dem Boten des großen Morgens, dessen frische Luft sie schon umweht. So erscholl das Gerücht von ihm in die umliegenden Orte, und von diesen Fischerdörfern weiter von Ort zu Ort, von Land zu Land, bis zu den fernsten Gestaden, wo die Welle sich bricht, und wo die Menschen trotz aller Pracht der Creatur, die sie umgiebt, sich doch sehnen nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Von Jedem von uns geht auch ein Gerücht aus; es bildet sich um Jeden her ein Urtheil der Menschen, zum Theil unabhängig von uns, für uns unfaßbar, so daß es uns plötzlich als eine feindliche

Macht entgegentritt, vor der wir erschrecken.

Dieses Urtheil wird

oft bestimmt durch Aeußerlichkeiten, oberflächliche, leichtfertige Be­ urtheilung. Hast du über solche Beurtheilung zu klagen, so sei größer

als die Richter, laß dich nicht verbittern, gehe still deinen Weg und getroste dich dessen, daß du auch hier in Gottes Hand stehst, und daß der große Gott Himmels und der Erde dein Vertheidiger und

dein Schutzherr ist. Und insbesondere tröste dich dessen, daß in dem Gerücht, welches sich unter den Menschen über dich verbreitet,

das, was du wirklich bist, doch zuletzt siegreich hindurchbrechen wird, daß dein guter Wille doch zuletzt mächtiger sein wird, als der böse Wille der Menschen, die Uebles von dir reden, daß deine Wahr­

haftigkeit zuletzt stärker sein wird als ihre Lüge, deine Ehrlichkeit stärker als ihre Hinterlist, deine Liebe stärker als ihr Haß. Das sollen deine Vertheidigungswaffen, deine Schutzwehr sein, so daß

Das Auftreten Jesu in Galiläa.

251

zuletzt die Uebelwollenden verstummen, und die Gerechten, Wohl­ meinenden das Uebergewicht bekommen, und du in dem Urtheil der Menschen als der erscheinst, der du wirklich bist. Was die Menschen von dir reden, wird doch zuletzt von dem bestimmt, was du in deinem innersten Wesen wirklich bist, so wie es bei Jesus war. 3. Es wird uns weiter erzählt: „Jesus redete in den Schulen." Was Jesus da gepredigt haben mag, das wird uns berichtet in der evangelischen Erzählung von der Predigt Jesu in

seiner Heimathstadt Nazareth. Da heißt es, er habe gepredigt „das angenehme Jahr des Herrn". Das Himmelreich ist da, die Liebe Gottes, die er verkündigt, die Seligkeit in Gott, die er bringt, Ge­

rechtigkeit, Friede und Freude im heiligen Geist, ein neues Leben, das im Innern des Menschen beginnt und von da aus auch das äußere Leben umgestaltet, das Alles ist gekommen, gegenwärtig für Jeden, der es sich vertrauensvoll aneignen will. An einer anderen Stelle der evangelischen Erzählung heißt es: „Er predigte gewaltig, und nicht wie die Schriftgelehrten und Pharisäer." Seine Rede war weit wie die Welt, frei wie der Himmel, klar wie die Sonne, ernst wie die Ewigkeit. Unter dem Eindruck seiner Rede machen sich die Menschen los von dem todten Herkommen, von dem sie sich

hatten beherrschen lassen, von der abstumpfenden Gewohnheit, von der alles selbständige frische Leben in ihnen ertödtet worden war, und von dem Elend ihrer Schuld, seit sie hier eine Kraft spürten, die stärker war als ihre sündige Vergangenheit, die in ihnen etwas vollbrachte, was sie für unmöglich gehalten hatten, nämlich einen neuen Menschen in ihnen schuf.

Er predigte gewalüg. Sein Wort war nicht der kunstvoll geformte Ausdruck mühsam ersonnener Ge­

danken, sondern eigene innere Erfahrungen, Erlebnisse, Bewegungen des Herzens kommen hier, ohne erst durch nüchterne Erwägung hin­

durch gegangen zu sein, ftisch und unmittelbar zum Ausdruck. Er predigte gewalüg. Wie es das göttliche Leben in ihm war, das er ausspricht, so muß das ganze Leben auf Erden ihm predigen helfen.

Er ruft die Aehren auf dem Felde, die Reben am Wein­

stocke, den Baum mit seinen weithin schattenden Zweigen, die Fische im Meer, die Vögel unter dem Himmel, den Kaufmann, der

in den Straßen von Kapernaum mit kostbaren Perlen handelt, die

Das Auftreten Jesu in Galiläa.

252

Jungfrauen im Hochzeitszug, die Kinder, die auf der Straße spielen, die stolzen Pharisäer und die verschüchterten Zöllner — er ruft sie Alle herbei, daß sie ihm helfen müssen, Gottes ewige Gedanken zu verkündigen.

Er predigte

gewaltig.

Vor Allem predigte er

sich

selbst, wie er im Verkehr mit seinem Vater allmählich geworden

war; sein innerstes Leben, das aus Gott geflossen, legte er in seine Predigt hinein/sein Herz, sein Gewissen, seine suchende Heilands­

liebe, mit einem Worte Gott selbst, wie Gott in ihm lebte, Gott

selbst, den keine Satzung, kein Gesetzesbuchstabe, keine Gewohnheit,

keine Ueberlieferung faßt, der vielmehr ewige Liebe, Leben, Geist, Kraft ist.

So predigte er gewaltig,

und

nicht wie die

Schrift­

gelehrten und Pharisäer. Können wir auch gewiß

zunächst

etwas

daraus etwas

für uns entnehmen?

für unseren Gottesdienst.

Ganz

Da soll

sich

immer wieder das wiederholen, was in den Schulen Galiläas ge­

schah, als Jesus dort predigte.

Das ist das Herrliche an unserem

evangelischen Gottesdienst, aber auch das Schwere, daß hier nicht nur Ueberliefertes, Hergebrachtes, Angelerntes vorgebracht wird, daß

er also niemals nur auf liturgische Formen beschränkt werden darf, sondern daß sein Mittelpunkt immer die Predigt sein

muß,

in

welcher Selbsterlebtes, Selbsterkanntes, persönliche Ueberzeugung ver­

kündigt wird, in Verbindung mit dem reich bewegten Leben unserer Zeit und mit dem, was das Herz der Gemeinde bewegt; in welcher

ein Mensch, der selbst innerlich von Christus ergriffen ist, aus seinem innersten Leben heraus zu Menschen redet.

Wo solch ein Gottes­

dienst gefeiert wird, da ist Christus gegenwärtig, wie in den Syna­ gogen Galiläas, und predigt gewaltig und nicht wie die Schrift­

gelehrten und Pharisäer.

Und ebenso gilt das von unseren Schulen.

In einer evangelischen Schule kann der Unterricht in der Religion

nun und nimmer in einer todten Aneignung, in einem mechanischen

Auswendiglernen von Worten und Geschichten bestehen, die dann wie

ein todtes Kapital im Gedächtniß ruhen, werden.

bis

sie ganz

vergessen

Auch hier kommt es darauf an, daß ein Mensch, der von

der Wahrheit Christi ergriffen und von dem Leben Jesu erfüllt ist, zu Menschenkindern redet, zu jungen Gemüthern.

heute noch Jesus gewaltig.

Da predigt auch

Auch du sollst so reden, wenn du auch

weder Prediger noch Lehrer bist.

Wo ein Mensch nicht angelernte

25S

Das Auftreten Jesu in Galiläa.

fromme Worte macht — fromme Redensarten sind die schlimmsten Redensarten —, sondern in der einfachsten Weise seine lebendige

Ueberzeugung ausspricht von der ewigen Wahrheit, die er an sich erlebt hat, wo ein Mensch in einer Gesellschaft von Spöttern aus­ spricht, daß ihm Gott und Ewigkeit nicht verbrauchte Begriffe sind,

sondern ewige Wirklichkeiten, an welche er sich mit seinem Herzen und Gewissen durch unzerreißbare Ketten gebunden fühlt, oder wo

eine Mutter ihrem Kinde im Herzenstone die Weihnachtsgeschichte erzählt, von der Liebe Gottes und von der Liebe Jesu und von der Herrlichkeit der Gotteskindschaft, zu der wir Alle berufen sind, oder wo im gewöhnlichen Leben ein Mensch durch ein ernstes, aus dem Gewissen kommendes Wort einem anderen Menschen das Gewissen

weckt, — das Alles ist ein Reden, wie Jesus redete in den Syna­ gogen Galiläas. 4.

So ward Jesus, wie uns zuletzt berichtet wird, „von Jeder-

niann gepreiset."

Späterhin ist es freilich anders geworden, als

es am Anfang seiner Thätigkeit war. der Sonne.

wundern sie.

Später, wenn ihre Strahlen heiß werden, klagen die

Menschen über sie. als

Es ist ihm ergangen, wie

Wenn sie aufgeht, heißen Alle sie willkommen und be­

seine Rede

So ist Jesus anfangs gepriesen worden.

immer ernster und strafender

wurde,

Später,

haben die

Menschen ihn getadelt, verleumdet, verflucht, zuletzt ans Kreuz ge­

schlagen.

Es konnte auch nicht anders sein.

Menschen gepriesen werden,

Denn immer von allen

das erweckt leicht den Verdacht,

daß.

der Betreffende ohne Festigkeit in seinen Grundsätzen, ohne Ueber­ zeugungstreue ist.

Auch preisen die Menschen oft, was des Lobes

gar nicht werth ist. Wohl aber ist es ein Lob,

gepriesen zu werden von denen,

welche Einen wirklich kennen und im Stande sind, zu beurtheilen. Solches Lob ist einfach die Folge des Segens,

gegangen ist.

der von dir aus­

So muß Jeder, der Jesu nahe getreten ist, ihn preisen.

So vielfältig die Segnungen sind, die von ihm ausgehen, so viel­ fältig ist das Lob, das ihm ertönt.

Von den Kindern, die er ge­

segnet hat, wird er gepriesen als der Kindersteund, von den Sündern, denen er Vergebung gebracht, als der Erlöser, von den Streitenden, die er versöhnt, als der Friedefürst, von den Kämpfenden, die er

stärkt, als der Herzog, von den Duldern, denen er hilft, als der

254

Das Auftreten Jesu in Galiläa. des Leides,

Ueberwinder

von den Trauernden

Tröster.

als der

Jeder Gottesdienst ist ein Lob des Meisters, der hier itttb dort die Seinen um sich sammelt, jede Taufe ein Lob des guten Hirten, der

sich auch des unbekanntesten Menschenkindes annimmt, jedes Abend­ mahl ein Lob des reichen Königs, der die Hungernden speist und

die Dürstenden tränkt,

und jedes Begräbniß ein Lob dessen,

der

auch uns Macht giebt über den Tod. Und noch mehr werth,

als alles laute Lob,

sind die stillen

Loblieder, die durch die Herzen der Seinen ziehn, jede Regung der

Dankbarkeit, jedes Gefühl der Anhänglichkeit an ihn, jedes Gelübde

der Treue, das irgendwo auf der weiten Erde eine Menschenseele

still ausspricht. kein

leibliches

In der stillen inneren Welt der Menschen, in welche

Auge und

sichs am Herrlichsten:

keine

leibliche

Sehkraft dringt,

erfüllt

„Jedermann — der ihn kennt, mit seiner

Seele schaut und liebt — preiset ihn." Wir müssen darauf verzichten, von allen Menschen gepriesen zu

werden.

Wir müssen hindurchgehn durch manchen Tadel.

Aber

wenn du nur ihm nachfolgst, dir, deinem Gewissen, Gott und den

Menschen Treue hältst, still und recht deinen Weg gehst, und wenn

dieser Weg auch im Verborgenen bleibt, wenn du nur von ganz wenig Menschen gekannt wirst, schließlich sammeln sich auch um dein

Grab einige Menschen, die dich vielleicht nicht laut rühmen, aber

deiner doch in Treue gedenken.

Der Eine sagt sich:

„Mir hat er

treu gedient"; der Andere: „Mich hat er einst durch ein freundliches Wort getröstet, als ich trüben Muthes und an Gott und der Welt verzweifelt

war;"

und

die,

dir

welche

am

nächsten

gestanden,

geben dir das Zeugniß, daß du ihnen mehr gewesen bist, als sie sagen können.

und

Und je stiller dieses Lob ist, je weniger wortreich,

je weniger es von

dir

gesucht

worden ist, um so

werth­

voller ist es. Das Lob Jesu tönt von der Erde zum Himmel empor, vom

Himmel zur Erde herab, von den Enden der Erde zu uns herüber,

und diese Lobgesänge pflanzen sich fort von Geschlecht zu Geschlecht.

Dagegen die Menschen, die vielleicht unser Lob verkündigen, müssen sterben, und von uns wird es still auf Erden, und unser Name

verlischt im Lande der Lebendigen. sich

aufthun für uns,

der Mund

Möchte dann nur Ein Mund

der ewigen Wahrheit, unseres

255

Die Berufung der Jünger.

Gottes, und nur das Eine Lob von uns verkündigen: „Du bist über

Wenigem getreu gewesen, ich will dich über Vieles setzen, gehe ein zu deines Herrn Freude!"

Amen.

31.

Die Berufung der Jünger. Matth. 9, 9—13.

Und da Jesus von dannen ging, sahe er einen

Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus, und sprach zu ihm:

Folge mir.

Und er stand auf und folgte ihm.

Und es begab sich,

da er zu Tische saß im Hause; siehe, da kamen viele Zöllner und Sünder, und saßen zu Tische mit Jesu und seinen Jüngern. Da das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum iffet euer Meister mit den Zöllnern und Sündern? Da das Jesus

hörete, sprach er zu ihnen: Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken.

Gehet aber hin und lernet, was das sei: Ich

habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit, und nicht am Opfer.

Ich bin

gekommen die Sünder zur Buße zu rufen, und nicht die Frommen.

Dieser Zöllner, der Jesu nachfolgt, ist uns der Vertreter einer ganzen großen Menschenklasse im damaligen israelitischen Volke,

einer Menschenklasse, die trotz aller Verachtung, die auf ihr lastete, besonders beanlagt war zur Aufnahme des Evangeliums und deshalb für uns vorbildlich ist.

Ihnen gegenüber stehen die Pharisäer,

auch wieder nicht diese einzelnen Menschen, sondern Vertreter einer bestimmten Denkweise,

Gesinnung, welche

dem

Evangelium

gegenüber sich ablehnend verhält, heute ebenso wie einst.

zwischen beiden Gruppen von Menschen Jesus,

Jesu

Und dann

der sich den von

den Menschen Verachteten zuwendet und sich von den Anderen ab­

wendet, weil die Kranken des Arztes.bedürfen und nicht die Ge­

sunden, weil er gekommen ist, die Sünder zur Buße zu rufen und nicht die Gerechten. Jesus zeigt sich uns hier als Herzenskündiger.

Er blickt durch

das äußere Wesen hindurch bis auf den Grund der Seele; er sieht das tiefe Verlangen nach Heil, wo Menschen nur Verkommenheit sehn, und wiederum wo Andere Frömmigkeit und Gerechtigkeit sehn.

255

Die Berufung der Jünger.

Gottes, und nur das Eine Lob von uns verkündigen: „Du bist über

Wenigem getreu gewesen, ich will dich über Vieles setzen, gehe ein zu deines Herrn Freude!"

Amen.

31.

Die Berufung der Jünger. Matth. 9, 9—13.

Und da Jesus von dannen ging, sahe er einen

Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus, und sprach zu ihm:

Folge mir.

Und er stand auf und folgte ihm.

Und es begab sich,

da er zu Tische saß im Hause; siehe, da kamen viele Zöllner und Sünder, und saßen zu Tische mit Jesu und seinen Jüngern. Da das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum iffet euer Meister mit den Zöllnern und Sündern? Da das Jesus

hörete, sprach er zu ihnen: Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken.

Gehet aber hin und lernet, was das sei: Ich

habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit, und nicht am Opfer.

Ich bin

gekommen die Sünder zur Buße zu rufen, und nicht die Frommen.

Dieser Zöllner, der Jesu nachfolgt, ist uns der Vertreter einer ganzen großen Menschenklasse im damaligen israelitischen Volke,

einer Menschenklasse, die trotz aller Verachtung, die auf ihr lastete, besonders beanlagt war zur Aufnahme des Evangeliums und deshalb für uns vorbildlich ist.

Ihnen gegenüber stehen die Pharisäer,

auch wieder nicht diese einzelnen Menschen, sondern Vertreter einer bestimmten Denkweise,

Gesinnung, welche

dem

Evangelium

gegenüber sich ablehnend verhält, heute ebenso wie einst.

zwischen beiden Gruppen von Menschen Jesus,

Jesu

Und dann

der sich den von

den Menschen Verachteten zuwendet und sich von den Anderen ab­

wendet, weil die Kranken des Arztes.bedürfen und nicht die Ge­

sunden, weil er gekommen ist, die Sünder zur Buße zu rufen und nicht die Gerechten. Jesus zeigt sich uns hier als Herzenskündiger.

Er blickt durch

das äußere Wesen hindurch bis auf den Grund der Seele; er sieht das tiefe Verlangen nach Heil, wo Menschen nur Verkommenheit sehn, und wiederum wo Andere Frömmigkeit und Gerechtigkeit sehn.

Die Berufung der Jünger.

256

da sieht er nur nichtiges leeres Wesen.

Zugleich zeigt er sich auch

als der Starke, der die Menschen mit sich fortzieht, daß sie Alles verlassen und ihm nachfolgen.

Unsere Erzählung zeigt uns:

Wie die Menschen Jünger Jesu werden.

1. Wodurch werden die Menschen Jünger Jjesu? durch sich selbst,

sondern

durch ihn.

werden

Jesu?

Nicht

Jünger

die

Nicht

2. Welche Menschen Starken,

sondern

die

Schwachen. 1. Der Mann am Zollhaus mag Jesum wohl schon gekannt

und

einen tiefen Eindruck von ihm empfangen haben.

Von dem

reinen Lichte, das von Jesus ausging, von der Heilandsliebe, welche aus seinen Werken redete und sich durch seine Thaten bezeugte, war

der Geist des Zöllners zu ihm hingezogen worden.

Da geht Jesus

vorüber und spricht das entscheidende Wort: „Mach Emst mit dem,

was du willst, und laß dem Wollen die That folgen. nach!"

Folge mir

Er kann gar nicht anders,

Da ist dem Zöllner Alles klar.

es zieht ihn mächtig fort, mächtiger als Alles, was ihn festhalten will, mächtiger als die Vergangenheit, als sein bisheriges Leben mit als alle Bedenken.

seiner Schuld, mächtiger Jesu nachfolgt,

liegt nicht in ihm,

Die Ursache, daß er

sondern in Jesus.

Jesus

zieht ihn mit sich fort.

Die Berufung dieses

Zöllners ist

eine

Illustration zu

dem

Worte, welches Jesus im Evangelium Johannis einmal zu seinen

Jüngern sagt: euch erwählet."

„Ihr habt nicht mich erwählet, sondern ich habe

So ist es.

Jesus trat an dich heran, ehe du ihn

Sein Geist umgab dich in der Luft, in welcher einst in

kanntest.

den Tagen deiner Kindheit deine Seele athmete.

Eltern,

die dich zum Guten wiesen,

Vater im Himmel.

Er lenkte deine

die dich beten lehrten zum

Unter seinem Einfluß sind die sittlichen Grund­

sätze entstanden, welche dir eingepflanzt wurden.

In jeder Mahnung

zum Guten, die an dich gerichtet wurde, in jeder Warnung, in jedem Eindruck,

den du in Schule und Unterricht von der Herrlichkeit

Jesu bekamst, in jedem wahrhaft christlich denkenden Menschen, der einen heilsamen Einfluß auf dich ausübte, da kam Jesus zu dir und

sagte: Folge mir nach!

Christlicher Geist war die Heimathluft, in

welcher euere Seelen für das Leben heranreiften.

Ihr habt diese

257

Di« Berufung der Jünger.

Das alles

Heimathluft geathmet, ohne es zu wollen und zu wissen.

kam ohne dein Zuthun.

Jesus hat dich erwählet, nicht du ihn.

Die Erwägung, wie du dazu gekommen bist, ein Christ zu

werden, muß dich immer

stimmen.

zur tiefsten Demuth

Diese

Geschichte wird sich immer kurz dahin zusammenfassen lassen: Jesus stand vor dir und sprach: „Folge mir nach!"

und folgtest ihm nach.

Da standest du auf

Sein Wort war dir zu Herzen gegangen,

daß du deine Seele aufthun mußtest.

Sein göttlich-hohes und zu­

gleich menschlich-einfaches Leben zog dich so an, daß du die Gewiß­ heit hattest:

„Hier redet Gott mit dir."

Seine Liebe erschien dir

so groß, daß du vertrautest: „Auch für mich ist dort Platz." Wandeln in seiner Nachfolge erschien dich ihm

anschließen mußtest. Jesus

dich überwunden.

war stärker als du. Er hat

Daß du an ihm deinen Halt, in ihm deinen

Frieden fandest, das ist seine That, nicht erwählt,

nicht du ihn.

gute, rechte Bahn.

Das

dir so nothwendig, daß du

die deine.

Erhat dich

Er hat dich mit sich fortgezogen auf die

Das sind keine frommen Phantasieen.

Sondern

der Geist Jesu geht wirklich auf Erden umher und zieht die Menschen mit sich fort. Aber hätte der Zöllner nicht den Ruf Jesu überhören können?

Daß er ihn nicht überhörte, war das nicht sein Verdienst?

Daß

du als Kind mit aufmerksamem, empfänglichem Sinn hörtest, was

dir von Jesus erzählt wurde, daß du dem Zug deines Herzens zu ihm hin folgtest, war das nicht deine That, dein Verdienst?

Aber

frage dich doch: Ist es dein Verdienst, daß du deine Augen erhebst, wenn die Morgensonne am Himmel emporsteigt?

Ist es dein Ver­

dienst, daß du hinausgehst in die Frühlingswelt,

sich schmückt wie eine Braut?

wenn die Erde

Oder ist es dein Verdienst, daß du

zum Arzt gehst!, wenn du des Arztes bedarfst?

Augen, Jesum zu erkennen als deinen Heiland?

Wer gab dir die

Wer pflanzte in

deine Seele das Verlangen nach Dingen, die nicht von dieser Welt

sind?

Wer hat die große Stunde deines Lebens herbeigeführt, als

Jesus von Gott gesandt vor dir stand und deine Seele sich ihm austhat? weißt.

Hast du es gethan?

Kommt

Er hat viel mehr an dir gethan,

als du

Wer hat das Alles gethan?

nicht Alles von Gott?

Die Verhältnisse, die dich umgeben, der Geist, der in deiner

Erziehung waltete, alle die geistigen und sittlichen Bildungsmittel, Kirmß, Predigten.

17

Die Berufung der Jünger.

258

welche in deinem Unterricht, den du genossen, auf dich einwirkten,

die Menschen, mit denen du zusammenkamst, die Erlebnisse deines inneren Lebens, in der ganzen Welt, welche dich umgiebt, ziehen sich die Einwirkungen Gottes hindurch.

überall

Er ist ganz still,

unsichtbar dir zur Seite gegangen, wie ein selbstloser Freund, der

nicht an sich denkt, sondern nur an dich, hat dich an der Hand ge­

halten, deine Seele in Versuchungen behütet, und wenn du einer erlegen,

hat er dich wieder aufgerichtet, und wenn du von einer

Gefahr nichts

ahntest,

hat er seine Hand über dir ausgebreitet.

Daß du Jesu nachfolgen konntest, das hat Gott gethan. laßt uns Eins lernen:

Daraus

Gerade unter Solchen, die sich für fromme

Christen halten, ist der Fehler des Hochmuthes weit verbreitet, des geheimen Hochmuthes, in welchem sie sich ihr Christenthum als ihr Verdienst anrechnen, verächtlich herabsehn auf die, welche von der

erlösenden Macht

des Christenthums nicht ergriffen worden sind,

und stolz darauf, daß Gott sie erwählt habe, nun sprechen: sind doch besser, als Jene."

„Wir

So sind sie erfüllt von eitlem Stolz

auf die Gnade Gottes, die uns doch demüthigen sollte bis in den tiefsten Staub. Christ bin,"

Wer da sagt: „Es ist mein Verdienst, daß ich ein Hier ist gar kein Rühmen

der ist kein Christ.

Platze, auch keine Ueberhebung was Johannes sagt:

über Ungläubige.

Hier

am

gilt nur,

„Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater

erzeiget, daß wir sollen Gottes Kinder heißen."

Hier gilt das Wort

aus unserem Gesangbuch: Er hat uns zu dir gezogen Und du zogst zu ihm uns hin.

So hat Liebe überwogen

Unseres Herzens kalten Sinn.

Daß du Jesu nachfolgst, ist seine That und Gottes Gnade. So bekommt das Wort „Jesu nachfolgen"

Sinn.

Es heißt nicht nur:

einen ganz besonderen

Sein Leben nachahmen;

sondern es

heißt: Von ihm gezogen, geführt, beherrscht werden, von seiner Kraft ergriffen sein Leben ihm nachleben, so daß sein Leben sich wieder­

holt in unserem Leben.

Wenn du ihm nachfolgst, so mußt du dich

von ihm hinführen lassen überall dahin,

wohin er gegangen ist.

Er führt dich hinaus; freilich mußt du nicht, wie es die Jünger

wirklich thaten, dein Haus verlassen.

Aber doch mußt du dich inner-

Die Berufung der Jünger.

259

sich losmachen von irdischer Liebe und Sorge, von der Rücksicht auf

das, was die Menschen sagen, Geld nnd Gut, Glück und Freude, Alles

geringer

achten,

christliche Pflicht. zu verlassen.

als

dein

christliches

Gewissen und

deine

Jesus führt dich hinaus und zwingt dich. Alles

Wie er selbst sich für die Menschen hingegeben hat,

so zwingt er dich in den Dienst der Menschen, dich selbst zu vergessen,

-en Deinen zu leben, dir keine Ruhe zu gönnen, sondern zu helfen, daß den Hilfsbedürftigen um dich her geholfen werde.

Wie er selbst

im Gebet emporgestiegen ist zu seinem Vater, so daß er ihm ins Auge sehen konnte, wie ein Kind seinem Vater ins Auge sieht, und

sein Haupt an die Brust des Vaters legte, wie ein Kind mit seinem

Haupte an der Brust seiner Mutter ruht, so führt dich Jesus im

Gebet hinauf über alle Himmel, in unermeßliche Fernen, so daß der ganze Lärm dieser Welt hinter dir wie ein Seufzer verklingt und du nur noch zu deinem Vater sprichst und nur noch seine ttöstende

Stimme hörst.

Jesus fährt mit dir über das erregte Meer

des

Lebens, durch die Stürme hindurch, und umschirmt dich da mit seinem Frieden, daß du dich nicht zu fürchten brauchst.

Er zieht

dich mit hinab in sein Leiden, so daß alle Trübsal dir ein Mittel

innerer Kräftigung und Verklärung wird.

Er zieht dich mit hinab

in seinen Tod und du empfängst alle die Schätze der Versöhnung, welche dort ruhen.

Du suchst

an seiner Seite die Osterherrlichkeit und

empfängst von ihm sein ewiges Leben. empor hinauf ins Vaterhaus.

Zuletzt zieht er dich mit sich

Jesu nachfolgen, das heißt von ihm

ergriffen und beherrscht sein Leben ihm nachleben in seiner Kraft.

Wodurch werden die Menschen Jünger Jesu?

Nicht durch sich

selbst, sondern durch ihn.

2.

Welche Menschen werden Jünger Jesu?

Nicht die

Starken, sondern die Schwachen.

Die Zöllner waren bei den national gesinnten Israeliten sehr

verachtet, weil sie römische Beamte waren, Knechte der Fremd­ herrschaft; und sie waren bei den sittenstrengen Israeliten verachtet, weil die Versuchung zum Unterschleif in ihrem Beruf vielfach an sie

heranttat und sie dieser Versuchung häufig unterlagen.

So ist der

Verkehr Jesu mit ihnen für die Pharisäer ein schweres Aergerniß. „Er hat die Sabbathgebote übertreten, er hält seine Jünger- nicht zum

Fasten an, er steht der frommen Sitte sehr frei gegenüber, und nun 17*

260

Tie Berufung der Jünger.

läßt er sich sogar von diesen Zöllnern bewirthen oder bewirthet sie." Ja noch mehr:

„Er hat Einen von ihnen unmittelbar vom Zollhaus

weg zu seinem Jünger berufen.

Er giebt sich mit dem Abschaum

Er mag sich nicht wohl fühlen in der Gesellschaft

des Volkes ab.

der wohlanständigen Leute, und so macht er; sich nichts daraus, wenn er bei ihnen Anstoß erregt." Weshalb

macht Jesus die

Zöllner

und

Sünder

zu

seinen

Weil gerade sie ihn brauchen und sich nach ihm sehnen.

Jüngern?

hatte sich um sie bekümmert,

Niemand

Wie viel Zurückweisung hatte

ihnen galt als etwas Befleckendes. ihre Seelen verwundet!

denn die Berührung mit

Sie hatten sich nach Liebe gesehnt und

keine gefunden, nach Verständniß, und überall waren die Thüren Kamen sie zu dem jüdischen Religionswesen,

verschlossen gewesen.

zu den jüdischen Priestern, so hörten sie immer nur: rein sein," und sie waren doch nicht rein,

„Ja ihr müßt

„ihr müßt das Gesetz

halten," und dabei fanden doch ihre Seelen keine Ruhe. sich bei ihnen die Ansicht festgesetzt:

So hatte

„Wir sind Verstoßene und Ver­

Und doch lebte in ihnen noch das göttliche Ebenbild, das

lorene."

Gefühl der Würde, chie Gott ihnen gegeben, das Bewußtsein, daß

sie doch

nicht

ein freies

gut und

so schlecht seien, wie die Menschen

unbefangenes Verständniß

edel ist, während

sie hielten,

ja

für das, was wirklich recht,

die Pharisäer unter dem Staub der

Satzungen nur achteten auf das, was nach der überlieferten Ansicht als gut und heilig galt, aber die Ursprünglichkeit des Empfindens verloren

für das, was wirklich

hatten

gut und heilig ist,

Die

Zöllner hatten wenigstens die Sehnsucht, gut zu werden, weil sie wußten, daß sie nicht gut wären, und sie sehnten sich nach Ver­

söhnung, weil sie fühlten, daß sie keinen Frieden hätten.

Jesus

zu ihnen,

wie ein vertrauter Freund,

der sie

Da kommt

ganz genau

kennt, und durch alle Verkommenheit hindurch den Gottesfunken in ihrer Brust sieht, die Sehnsucht nach einem neuen Leben.

kommt zu ihnen ganz anders, wie die Anderen.

Jesus

Er schilt nicht und

fordert von ihnen, sondern er redet fteundlich zu ihnen und bringt ihnen etwas, etwas ganz Neues, die Gnade Gottes den Reuigen, die Liebe Gottes den Verlangenden, den Frieden Gottes den Ver­

trauenden.

Bei

den Zöllnern

ist

den

sie

Pharisäern ist

offen;

sie

die Thür

brauchen

ihn

verschlossen.

und

sehnen

Bei

sich

Die Berufung der Jünger.

nach ihm.

261

Deshalb tritt er bei ihnen ein und macht sie zu seinen

Jüngern.

Die Pharisäer und Zöllner sind heute noch genau so wie da­

mals.

Sie tragen andere Kleider, haben andere Namen und leben

in anderen Verhältnissen.

Aber ihrem innersten Wesen nach sind sie

noch genau dieselben wie damals. Jede Zeit hat ihre Dinge, auf die sie stolz ist.

war stolz auf ihre gesetzliche Gerechtigkeit.

andere

Dinge

stolz.

Die

Pharisäer

Die Zeit Jesu

Die heuüge Zeit ist auf

eines

Zeitalters

sich mit den Dingen, auf welche das Zeitalter stolz ist.

umkleiden Der Eine

ist so eingebildet auf seine Rechtschaffenheit, seine Verdienste und sein

Ansehn bei den Menschen, daß er

die neue Gerechügkeit,

Jesus schafft, gar nicht zu würdigen weiß.

welche

Er stimmt in das all­

gemeine Urtheil über die Schlechtigkeit der Welt und der Menschen

im Allgemeinen durchaus ein, fühlt sich aber sehr verletzt, wenn ihm

die Selbsterkenntniß zugemuthet wird, daß er ein Sünder sei.

Ein

Anderer ist geblendet von seinem Glück, daß er kein Auge hat für

die

Seligkeit,

welche Jesus

den Menschen

bringt.

ein

Wieder

Anderer ist so hingenommen von seinem Wissen und seiner Bildung,

daß er nichts weiß von dem Frieden, der höher ist als alle Ver­ nunft.

So verknöchert der Mensch in sich selbst und verliert die

Fähigkeit, Neues aufzunehmen,

Fortschreitens.

die Fähigkeit

des Wachsens und

Er baut sich in den Niederungen des Lebens seine

kleine Hütte und meint, es gäbe nichts in der Welt als sie, und ver­

lernt es,

seine Augen zu erheben zu den Bergen Gottes,

Gipfel von der Ewigkeit

Liebe.

verklärt werden.

Er ist keiner Rührung,

deren

Es stirbt in ihm die

keines Erbarmens mehr fähig;

er­

sieht gleichgiltig seine Brüder und Schwestern sterben und verderben,

und wenn Andere gern zu den Verachteten und Verkommenen gehen, um ihnen zu helfen, so ruft der Pharisäer ihnen höhnisch zu:

„Ihr

werdet schon euere Erfahrungen mit diesen Leuten machen."

Das

sind die Starken, welche Jesus nicht zu seinen Jüngern macht, die Pharisäer unserer Zeit.

Hat Jesus nicht auch diese Pharisäer lieb? er nicht

Sehnsucht

auch für sie

gekommen?

Ohne Zweifel.

Ohne Zweifel.

Aber wo

Ist

die

nach Heil und Gerechügkeit gestorben ist, wo in dem

Menschen der Wille zur Versöhnung mit Gott todt ist, da schließt

862

Die Berufung der Jünger.

sich der Mensch selbst von dem Erlöser aus, der Heil und Gerech­

tigkeit bringt,

da geht Jesus traurig vorüber, bis Gottes Gnade,

wenn nöthig, durch schwere Gerichte den Willen des Menschen ge­

brochen und in seiner Brust das Schreien nach dem lebendigen Gott erweckt hat.

Das innere Bedürfen, die Sehnsucht nach neuem Leben, das ist die Grundlage aller Heilung und alles Heils. Deshalb preist Jesus die geistlich Armen selig. Deshalb sollen, die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, satt werden.

Das innere Bedürfen, die

Sehnsucht nach dem Licht, das ist die innere Kraft, die den Keim

emportreibt, die den inneren Menschen zum Wachsthum treibt hinauf zum Lichte.

Das ist das

wenn

auch

vielleicht

welches den Menschen noch an Gott knüpft.

ganz lose Band,

Wer sich als Sünder

fühlt, steht vor Gott höher, als wer sich gerecht fühlt.

Der ver­

kommene Mensch mit seinem traurigen Blick, der verkommene Mensch, in welchem eine gequälte Seele nach Frieden und neuem Leben ruft, steht vor Gott höher, als der stolze Gerechte, der Jenen kalt von

sich weist.

Der Verbrecher, in dem die Reue erwacht, steht vor

Gott höher, als der Pharisäer, der über ihn den Stab bricht.

Unter

den Verachteten ist oft mehr natürliches Verständniß für das Gute,

Durch

als unter denen, die der Buße nicht zu bedürfen meinen.

Reue und Sehnsucht wird das Land gelockert, so daß der Regen der göttlichen Gnade eindringen kann, während derselbe abläust auf

dem steinigen ausgedorrten Boden der Selbstgerechttgkeit.

Deshalb

macht Jesus die Schwachen zu seinen Jüngern und nicht die Starken. Jesus, der vollkommen Reine, der Sündlose sammelt um sich

die, welche von den Menschen verstoßen werden.

lichste, was die Weltgeschichte kennt.

Das ist das Herr­

Die himmlische Reinheit ver­

bindet sich mit den Unreinen, damit die Unreinen rein werden.

Der

von keiner Sünde weiß, reicht den Sündern die Hand, damit die Sünder Gottes Kinder würden.

Dieses Bild ist so wunderbar, daß

auch jetzt noch, wie in Kapernaum, aus allen Häusern die Zöllner kommen, um mit ihrem großen Anwalt zu Tisch zu sitzen. Auch wir wollen zu ihnen gehören.

komm, tritt vor Gott hin!

Ja, wir wollen.

dich selbst, deine Fehler, deine Schwachheit zu erkennen! deine Selbstgerechttgkeit ab,

So

Bitte ihn um den Geist der Wahrheit,

Lege selbst

ehe Gott über dich kommt und mit

263

Die Berufung der Jünger.

seinem starken Arm sie zerschlägt!

Erkenne, daß du in deinem Glück,

so schön und reich es auch sein mag, niemals die Ruhe deiner Seele

finden kannst, und suche deinen Halt, deinen Reichthum in Gott, da­ mit du nicht verzweifeln mußt, wenn dein Glück vergeht!

Erkenne,

daß all deine Bildung und dein Wissen die Unruhe deiner Seele nicht füllen kann, sondern daß du dazu den Frieden Gottes brauchst, der höher ist als alle Vernunft.

Wenn deine stolze Gerechtigkeit

sich dir erweist als ein beflecktes Gewand, dein Wissen als Stück­

werk, wenn du dich selbst erkennst in deiner Schwachheit und Hilf­ losigkeit, wenn du nichts anderes mehr kannst als rufen: „Herr, hilf mir, ich verderbe!", da tagt der Morgen, und dein starker Erlöser

kommt zu dir und richtet dich auf und macht dich zu seinem Jünger. Nun bist du stark, aber nicht mehr im Vertrauen auf deine Kraft,

sondern durch Gottes Kraft, die in dir mächttg ist.

Nun stützest du

dich nicht mehr auf deine Gerechttgkeit, sondern auf Gottes Gnade,

nicht mehr auf dein Glück, sondern hast Gottes Frieden.

Nun bist

du stark, unüberwindlich stark; denn du hältst dich an Gott, und Gott hält dich.

Und diese Stärke wird sich besonders in Einem zeigen.

Du

wirst auch darin Jesu nachfolgen, daß du dich derer annimmst, um

die sich sonst Niemand bekümmert. zeichen rechten Christenthums.

Das ist gerade ein Hauptkenn­

Eine Gemeinde beweist sich als eine

wirklich christliche nicht durch die Schönheit ihres Gotteshauses und durch den Glanz und Schmuck ihrer Gottesdienste,

so schön das

Alles auch ist, sondern dadurch, daß sie sich derer annimmt, um die sich sonst Niemand kümmert.

gesehene

mit Angesehenen,

Wenn Gebildete mit Gebildeten, An­ Wohlangesehene mit Angesehenen ver­

kehren und einander Gutes erweisen, das ist kein Verdienst.

„So

ihr liebt, die euch lieben," sagt Jesus, „was habt ihr für Lohn da­ von."

Sondern das rechte Christenthum beginnt erst da, wo man

über alle Rücksichten und trennende Unterschiede hinweg dem gesell­ schaftlich Geächteten in barmherziger Liebe die Hand reicht.

Und

wenn du das thust, hast du gar nicht die Besorgniß, daß du dir

eyvas vergeben könntest, so wenig als Jesus diese Besorgniß hatte.

Denn du weißt dich auf

seinen Wegen,

auf den Wegen,

die er

geweiht hat. So

macht Jesus

die

Schwachen

zu

seinen

Jüngern.

Die:

Ein Tag und ein Abend aus dem Leben Jesu.

264

Starken, das heißt die sich auf sich selbst verlassen, sind schwach wie das Schilfrohr.

Die schwach sind, das heißt die sich nicht mehr auf

sich verlassen, sondern an Gottes ewige Gnade und Treue halten,

die sind wirklich stark. Gottes Gnade ist in dem Schwachen mächtig.

bin, so bin ich stark.

Wenn ich schwach

Amen.

32.

Ein Tag nnd ein Abend ans dem Leben Jesn. Matth. 14, 22. 23.

Und alsobald trieb Jesus seine Jünger, daß sie in

das Schiff traten und vor ihm herüberfuhren, bis er das Volk von

sich ließe.

Und da er das Volk von sich gelassen hatte, stieg er auf

einen Berg allein,

daß er betete.

Und am Abend war er allein

daselbst.

wir fahren heute Galiläa fort.

in der Betrachtung

des Lebens Jesu in

Wir haben zuerst von seinem Amtsantritt gesprochen,

dann von der Berufung der Jünger,

heute laßt uns einen Tag

und einen Abend aus seinem Leben betrachten.

zum Vorbild

Das soll uns

dienen, wie auch wir unser Tagewerk und unsere

Abendruhe gestalten sollen. 1.

Wie war der Tag im Leben Jesu verlaufen?

In unserem

Text ist davon keine Rede; wir müssen das aus dem Vorhergehenden ergänzen.

Er hat am Morgen dieses Tages eine Nachricht erhalten,

die ihn auf das tiefste erschüttert hat, die Nachricht von der Hin­ richtung Johannes des Täufers.

Das ist das erste äußere Anzeichen

seines zukünftigen Geschicks; das blutige Haupt des Täufers weissagt

ihm seinen Todestag.

gekommen ist.

Aber er weiß auch, daß seine Zeit noch nicht

Darum weicht er aus dem Lande des Herodes und

fährt über den See,

wo Herodes keine Gewalt mehr hat.

Eine

große Volksmenge sammelt sich dort um ihn, folgt ihm auch in die Einsamkeit. erzählt.

Und hier wird uns die Speisung der fünf Tausend

Ein Tag und ein Abend aus dem Leben Jesu.

264

Starken, das heißt die sich auf sich selbst verlassen, sind schwach wie das Schilfrohr.

Die schwach sind, das heißt die sich nicht mehr auf

sich verlassen, sondern an Gottes ewige Gnade und Treue halten,

die sind wirklich stark. Gottes Gnade ist in dem Schwachen mächtig.

bin, so bin ich stark.

Wenn ich schwach

Amen.

32.

Ein Tag nnd ein Abend ans dem Leben Jesn. Matth. 14, 22. 23.

Und alsobald trieb Jesus seine Jünger, daß sie in

das Schiff traten und vor ihm herüberfuhren, bis er das Volk von

sich ließe.

Und da er das Volk von sich gelassen hatte, stieg er auf

einen Berg allein,

daß er betete.

Und am Abend war er allein

daselbst.

wir fahren heute Galiläa fort.

in der Betrachtung

des Lebens Jesu in

Wir haben zuerst von seinem Amtsantritt gesprochen,

dann von der Berufung der Jünger,

heute laßt uns einen Tag

und einen Abend aus seinem Leben betrachten.

zum Vorbild

Das soll uns

dienen, wie auch wir unser Tagewerk und unsere

Abendruhe gestalten sollen. 1.

Wie war der Tag im Leben Jesu verlaufen?

In unserem

Text ist davon keine Rede; wir müssen das aus dem Vorhergehenden ergänzen.

Er hat am Morgen dieses Tages eine Nachricht erhalten,

die ihn auf das tiefste erschüttert hat, die Nachricht von der Hin­ richtung Johannes des Täufers.

Das ist das erste äußere Anzeichen

seines zukünftigen Geschicks; das blutige Haupt des Täufers weissagt

ihm seinen Todestag.

gekommen ist.

Aber er weiß auch, daß seine Zeit noch nicht

Darum weicht er aus dem Lande des Herodes und

fährt über den See,

wo Herodes keine Gewalt mehr hat.

Eine

große Volksmenge sammelt sich dort um ihn, folgt ihm auch in die Einsamkeit. erzählt.

Und hier wird uns die Speisung der fünf Tausend

265

Ein Tag und ein Abend aus dem Leben Jesu.

Jesus hat also an diesem Tage, darin hat sein Tagewerk be­ standen, das Volk gespeist mit dem Brode des Lebens.

Er ist unter

der Volksmenge umhergegangen und hat Jedem gegeben, was dieser braucht, dem, der zerfallen war mit sich selbst, hat er zum Frieden

verhalfen, dem, der nicht Herr werden konnte über sich selbst, hat er Kraft gegeben, sich selbst zu überwinden.

felten aufgerichtet und die Trostlosen

gemacht.

Er hat den Geist

Er hat die Verzwei­

der Hilfe von Oben gewiß

der Müden

erfrischt.

Er hat

fünf

Tausend gespeist.

Welch ein Tagewerk!

Es ist ein weites Arbeitsfeld, auf das

er gestellt ist; es ist nicht umgrenzt von den Bergen Galiläas und nicht von den Grenzen irgend eines Landes, sondern soweit Menschen

auf Erden wohnen, soweit reicht sein Arbeitsfeld.

Es ist ein kost­

bares Arbeitsmaterial, an dem er arbeitet, edle Menschenseelen, von Gott geschaffen und hineingestellt in den Kampf dieser Welt,

edle Sklaven, von der Sünde gefangen, seufzend unter der Last der

Vergänglichkeit, hungernd und dürstend nach den Gütern einer an­ deren Welt.

Er soll sie bilden nach Gottes Bild und sie zu freien

Kindern des Lichtes machen.

Erfolg.

Und seine Arbeit hat einen herrlichen

Er zeigt den Menschen einen bestimmten Weg und giebt

ihnen Kraft, darauf sichere Schritte zu thun; er reißt sie heraus aus der Knechtschaft der Tyrannen dieser Erde und sammelt um sich eine

Gemeinde erlöster Menschen.

Und er bekommt dafür einen großen

Lohn; dieser besteht nicht in Gold oder Silber, auch nicht in dem

Dank und den Segenswünschen,

welche die darbringen,

denen er

geholfen hat; vielmehr ist sein herrlichster Lohn das, was er gethan hat, thun zu können und gethan zu haben.

große Arzt, der Allen hilft.

Welch ein Tagewerk!

Nun entläßt er das Volk.

gestärkt vom Brode

Er steht da als der

Nun sind sie Alle satt geworden,

des Lebens.

Sie

können nun wohlgerüstet

hineingehen in den Kampf des Lebens. Worin hat also das Tagewerk Jesu bestanden?

Im Geben.

Er hat den Menschen sich selbst, die heiligsten Kräfte seines Herzens gegeben, damit diese auferstehen in den Herzen der Menschen, und daselbst ein neues Leben schaffen.

Er hat sich selbst entäußert.

Nun ist freilich zwischen einem Tagewerk Jesu und unserem

Tagewerk

ein

sehr

großer Unterschied.

Jesus

arbeitete

in die

266

Ein Tag und ein Abend aus dem Leben Jesu.

Weite; wir dagegen haben es gewöhnlich mit Dingen zu thun, die sich zusammendrängen in einem engen Raum.

Jesus hatte unsterbliche

Menschenseelen zu retten; wir haben es zumeist mit Dingen zu thun,

auf denen vielleicht nicht einmal ein Schimmer des Himmels ruht, so nüchtern und alltäglich sind sie.

Bei Jesus war jeder Tag etwas

Außerordentliches und brachte Außerordentliches, bald That,

welche die Volksmenge

dann wieder

anlockte,

eine große

wunderbare

Worte, die vielleicht ihm selbst unerwartet seinem Munde entströmten, dann wieder neue Seelen, die sich ihm anschlossen, neue Ausblicke in Gegenwart und Zukunft, die sich ihm austhaten, neue Begegnungen

mit Menschen, die entweder von ihm gesegnet wurden, oder ihn heftig

befehdeten.

Jeder Tag seines kurzen Lebens brachte etwas Großes

und Neues.

Ganz anders ist es bei uns.

Wir möchten wohl auch

Großes, Neues erleben, Gelegenheit haben, einmal etwas Großes und Neues zu vollbringen. und

manche Menschen

Diese Sehnsucht ist heute weit verbreitet,

haben die Sucht, um jeden Preis etwas

Neues zu sagen, mag es auch noch so verkehrt sein.

ein gefährliches Warten.

Das ist aber

Wer auf solche große Dinge wartet, ist

in Gefahr, daß die Zeit ihm nutzlos verstreicht, in der er manches

unscheinbare aber gute Werk hätte thun können; nun ist die Zeit vergangen, das Große ist nicht gekommen und das Kleine ist nicht gethan.

Wir müssen uns eben daran gewöhnen, besonders je älter

wir werden, daß wenig Neues kommt, jeder Tag immer nur dieselbe Plage bringt und denselben Verlauf hat.

So ist wohl ein großer

Unterschied zwischen dem Tagewerk Jesu und unserem Tagewerk.

Dennoch soll unser Tagewerk dem seinen ähnlich sein. bei uns soll ein Tagewerk ein Geben

Heraustreten.

Wir

müssen

Kräfte aus unserem Innern

auch

sein,

ein aus sich selbst

unsere Gedanken und

ausgehen

Auch

sittlichen

lassen, damit sie bei den

Dingen seien, mit denen wir es zu thun haben, und zwar dürfen

wir dabei nicht etwa halb in unserer inneren und halb in der äußeren Welt leben, sondern wir müssen ganz bei den Sachen sein, die uns

in Anspruch nehmen, soll unser Tagewerk gerathen.

Der Kaufmann

muß mit seinen Gedanken ganz bei seinem Rechnen und Zählen sein

und der Arbeiter bei seiner mechanischen Arbeit, auch wenn sie ihm durch lange Uebung fast von selbst von der Hand geht, und der Künstler bei seinem Kunstwerk, und der Gelehrte bei seinem Buche,

267

Ein Tag und ein Abend aus dem Leben Jesu.

das er liest oder schreibt, die Hausfrau bei ihrem Hauswesen und

die Kinderwärterin

bei dem Kinde,

das

ihr anvertraut ist.

So

müssen wir unsere Kraft hineinlegen in die Dinge, welche uns be­

schäftigen.

Und bei jedem Tagewerk wird ein Theil unserer Lebens­

kraft verzehrt und geht mit der sinkenden Sonne am Abend unter.

ein Theil des Sonnenlichtes

Wie jeden Tag

von der Erde

auf­

gesogen wird, so wird von jedem Tagewerk ein Theil unserer Kraft aufgebraucht.

Wir müssen sie hingeben als Samenkörner, die ruhig So müssen wir

in der Erde schlummern, bis Gott sie auferweckt.

immer von uns geben; unser Leben muß sich verzehren wie ein Licht.

Aber das soll zugleich unser Trost sein,

daß die Mühe, die wir

aufgewendet haben, nicht untergehn kann, wie die Schaumkrone der

Welle im Meere zerrinnt.

Sondern, was du in ernster Mühe gethan

davon haben irgendwo

hast,

und irgendwie die Menschen

Nutzen, auch wenn sie dich nicht kennen.

samer Hausvater;

wie er dort kein Wort aus dem Munde Jesu so läßt er auch die kleinste treue Arbeit der

verloren gehen läßt,

Menschen nicht verloren gehen.

Er sorgt dafür, daß sie, wenn auch

von Menschen ungesehn, ihren Nutzen bringt. Tagewerk

einen

Gott ist ein guter, spar­

ein Geben.

So ist auch unser

Wir geben darin etwas hin an die Welt.

Zum Tagewerk gehört aber auch der Verkehr mit den Menschen.

Besonders für euch, ihr Frauen, ist ein wesentlicher Theil eueres

Tagewerks der Verkehr mit eueren Kindern.

In euere Hand ist

vornehmlich die Erziehung der kleineren Kinder gelegt; wenn sie herangewachsen sind,

aber auch

kommen sie mit ihren Freuden und

Schmerzen immer zuerst zu euch.

Wenn aber irgend etwas, so ist

die Erziehung der Kinder ein fortwährendes Geben.

Wir denken

dabei nicht einmal in erster Linie an die Opfer an Zeit und Mühe,

an Geld und Kraft, welche ihr ihnen fortwährend bringt;

höherem Sinn ist

einem langen Leben

alle Erziehung

ein Geben:

in viel

Was ihr euch in

angeeignet habt an Weisheit und Erfahrung,

das wollt ihr in der Erziehung ihnen mittheilen. Grundsätze, die sich in euch befestigt haben,

Die sittlichen

die wollt ihr in sie

verpflanzen, damit sie an ihnen einen festen Halt finden.

Was ihr

an euerem Glauben, eueren religiösen Ueberzeugungen als besonders

wichttg und nothwendig erkannt habt, das möchtet ihr auch in ihre Seelen

legen.

Die Erfahrungen,

die

ihr im

Verkehr mit den

Ein Tag und ein Abend aus dem Leben Jesu.

268

Menschen gemacht habt,

in der Art, wie man sich vor ihnen zu

hüten habe, und was man wieder von ihnen lernen könne,

wollt ihr als einen wahren Schatz euer Herzblut

ihnen vererben.

das

Ja ihr sollt

für sie geben, d. h. den heiligsten innersten Quell

eueres Lebens überströmen lassen in ihr Leben. Ueberhaupt findet jedes Tagewerk seine schönste Krone darin,

daß wir einem Menschen helfen. Menschen geholfen

Christus hat dort fünf tausend Wir wollen zufiieden

an Einem Tage.

wenn wir Einem Menschen helfen können in unserer Weise.

du die sittliche Kraft deines Wesens

sein,

Wenn

ein

freundliches,

tröstendes Wort vielleicht mitten im Menschengewühl

oder in der

nur

durch

Mühe der Arbeit auf einen anderen Menschen einwirken lässest, oder wenn du mit einem ernsten Wort Jemanden, der irre geworden ist

im Gewirr des Lebens, hinweisest auf den rechten Weg, oder wenn du auch nur mit deinem stillen Vorbild anregend und ermuthigend auf andere Menschen wirkst — das ist das beste Geben, das ge­

segnetste Tagewerk. 2. Aber der Mensch

Er kann nicht nur ausathmen, er muß

So tritt neben den Tag, an welchem wir unsere

auch einathmen. Kräfte

er muß auch

kann nicht immer geben;

wieder in sich aufnehmen.

ausgeben,

der

Abend, an welchem

wir neue Kräfte in

uns aufnehmen, wie am Tage die Erde ihre Feuchtigkeit ausathmet, in der Nacht aber neue, die sich Hom Himmel herabsenkt, in sich aufnimmt.

Auch Jesus hat solche Feierabende gebraucht.

Hinter den

Bergen am Genezarethsee ist die Sonne gesunken; am Himmel steht Vom See weht die kühle Abendluft herüber.

das Abendroth.

Die

Vögel des Himmels sind zur Ruhe gegangen, und die Lilien des Feldes

neigen

sich

vom

Da hat Jesus die Volksmenge entlassen.

Die

leise ihr Haupt.

Himmel hernieder.

Die Abendruhe

senkt

Menschen kehren nun nach dem großen Tage, den sie erlebt haben,

zurück in ihre Häuser und nehmen den Glanz hinein in ihre Mühen und Sorgen.

nachdem sie von Jesus reich gesegnet worden ist. auch

die Jünger

an, ihn zu verlassen;

Jünger fahren wieder über

den

dieses Tages

mit

So ist die Menge gegangen,

See.

Nun treibt Jesus

er will allein sein. Jesus

Die

aber steigt in der

Abenddämmerung hinauf auf einen Berg, um dort zu beten.

269

Ein Tag und ein Abend aus dem Leben Jesu. Auf dem Berge ist es ganz still.

Nichts

ist zu hören

vom

Geräusch der Welt, vom Menschengewühl, in welchem die Gedanken

und Kräfte Jesu nach waren.

allen Seiten

Hier ist die Luft

der Erde.

so rein,

hin

in Anspruch

genommen

tief unter ihm ist der Staub

Am Himmel gehen die Sterne auf, und leise umweht

ihn der Abendwind. herabblicken, und

Von den Sternen sieht er die Liebe Gottes

im Abendwind

thut sich seine Seele auf, in sein Herz.

naht sich ihm der Vater.

Da

und Gottes Liebe und Kraft strömt ein

Er sucht Gott und findet ihn und ruht aus in der

Gemeinschaft Gottes.

Das heißt bei ihm beten.

O daß doch auch

wir von ihm beten lernten, daß auch für uns das Beten nicht mehr ein Betteln wäre um irgend eine äußere Gabe, sondern ein Suchen

nach Gott, ein Ruhen in Gott, ein Schöpfen neuer Kraft aus Gott,

So betet Jesus.

ein Sichhalten an Gott.

Am Tage hat ihn der

Jammer des Volkes gedrückt; jetzt ist er bei dem Vater,

Kraft giebt,

der ihm

Hier im Gebet strömt ihm

diesen Jamnier zu stillen.

der Quell, aus dem er dann am Tage die Menschen trinken läßt;

hier bereitet er das Brod,

mit dem er dann die Menschen speist;

hier schöpft er selbst neue Kraft für seinen Beruf.

Im Geiste blickt

er hinüber nach Machärus, der Burg des Herodes, wo das Haupt

Johannes des" Täufers

gefallen war.

Im Geschick des Johannes

sieht er auch sein Geschick vorgebildet.

So bittet er Gott, daß er

ihm nur vor Allem Eins gebe, Treue, nichts als Treue, damit er

durch Leiden und Sterben sein Werk vollende.

Welche Gedanken

alle durch seinen Geist gezogen sind, als er auf dem Berge allein

betete, wer will es sagen?

Nur soviel können wir vermuthen, daß.

er, nachdem er am Tage Kräfte hatte ausgehn lassen, er am Abenb

im Gebet neue in sich ausgenommen hat. Wenn Jesus mit aller Absicht solche stille Stunden gesucht hat,

so geht daraus hervor,

daß auch er sie gebraucht hat,

diese

Stunden der Sammlung, der geistigen Erholung, des Aufathmens-

der Seele in Gott, gerade so wie ein angestrengter Arbeiter dann

und wann einen Augenblick braucht,

wo er die Arme sinken läßt

und tief aufathmend seine Brust dehnt, oder wie der Stubengelehrte einmal eine Stunde braucht, wo er sich in der freien Luft ergeht.

Hat aber Jesus solche Stunden gebraucht, um wie viel mehr brauchen

wir sie.

Und daß wir sie brauchen, empfinden wir in der Sehn-

270

Ein Tag und ein Abend aus dem Leben Jesu.

sucht, die manchmal über uns kommt, nach Einsamkeit.

Wir sollten

unsere Zeit so eintheilen, daß auch dafür in unserem Leben Raum

bliebe.

Wer dieses Verlangen unterdrückt,

ist in Gefahr, zu ver­

äußerlichen, oder er beweist, daß er schon veräußerlicht ist.

Menschen,

die nie allein sein wollen, fürchten sich vor sich selbst und fliehen vor sich selbst, entweder vor den argen Gedanken, welche sie in der

Einsamkeit-niederziehen, oder vor den anklagenden Gedanken, welche sie in der Einsamkeit wie finstere Schatten umkreisen, oder vor dem

Nichts, der Leere und Oede in sich selbst, sie wissen nichts mit sich

anzufangen, können sich selbst nichts geben, weil ihr Herz leer ist. Das ist die große Gefahr

des heuügen Lebens,

Stunden im lärmenden Treiben untergehn.

daß die stillen

Was helfen alle lau­

schigen Winkel in den modernen Häusern, wenn sich die Menschen

keine Zeit gönnen,

dieser Sülle

sich

einmal zu freuen.

schlimm, wenn der Mensch nie zu sich selbst kommt.

die

eigene

bleibt

nur

Kraft das

Besonderheit

und

glatte,

oberflächliche

des

Charakters,

Wesen

des

Es ist

Da zerfließt und

es

Durchschnitts­

menschen.

Sollen solche stille Stunden

rechten Inhalt haben.

gesegnet sein, so müssen sie den

Viel Einsamkeit kann auch schwere Gedanken,

ein verdunkeltes Gemüth, müßiges, trübseliges Grübeln bringen.

Da tritt das Wort in sein Recht: „Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei."

So wollen wir von Jesus lernen, die einsamen, stillen

Stunden mit dem rechten Inhalt zu erfüllen. auf einen Berg. wärts gehn.

Laßt

Jesus ging hinauf

auch uns in stillen Abendstunden auf­

Macht euere Gedanken los von dem,

Tage beschäftigt und beunruhigt hat! den der Tag aufgewirbelt hat!

was euch am

Laßt hinter euch den Staub,

Athmet die reine Luft der Höhe!

Da naht sich auch euch in der Abendstille euer Gott; ihr empfindet wieder einmal das Band, das euch mit ihm verbindet, ihr ergreift

die Hand, die mit euch ist, und ihr seht das stille Vaterantlitz, das euch Christus enthüllt hat.

Da wird euch Gott im raschen Laufe

der Zeit der Gott eueres Lebens, euere Zuflucht für und für, euere

stille Heimath, und ihr legt euer Leben wieder einmal ganz hin in seine Hand. — Vom Berge schaut sichs gut herab zur Erde.

seid so hoch und die Dinge der Erde so klein.

Ihr

So schaut auch ihr

von der Gemeinschaft mit Gott, zu der ihr in der Abendstille empor-

Ein Tag und ein Abend aus dem Leben Jesu. steigt, - zur Erde herab,

271

auf der ihr euer Tagewerk gethan.

Wie

klein erscheinen euch die Sorgen, die euch gequält, wie groß dagegen

Gott, der diese Sorgen auf sich nimmt.

Wie klein die Zerwürfnisse

der Erde, wie groß der stille Gottesfriede, der von Oben kommt. Wie klein all der Aerger des Tages, wie groß die Ziele des Lebens,

Wie klar liegt da unser Lebensweg vor uns.

denen wir zustreben.

das wissen wir

Zwar wohin wir auf Erden noch einmal kommen,

nicht; aber das wissen wir: Ueberall wird Gott mit uns sein; und

zuletzt kommen wir ganz zu Gott. Also aufwärts laßt uns in der Abendstille gehn; aber ebenso Unser Inneres schließt sich

auch einwärts.

tritt hervor.

war,

gelungen und mißlungen ist, und du findest,

Gelingens

Fehler,

Was verborgen

auf.

Du denkst nach über das, was dir am Tage

und Mißlingens

daß der Grund des

meist in dir lag.

Du erkennst deine

die Stellen in deinem inneren Wesen, wo du mit deiner

Arbeit einsetzen mußt, wenn du innerlich vorwärts kommen willst. Welch ein Segen liegt in dieser Selbsterkenntniß, und wie oft wird

Die Menschen wissen, wie es im Schooß

dieser Segen übersehn!

der Erde aussieht, wie da das Feuer glüht, und die Erdschichten sich aufeinander thürmen.

Sie wissen,

wie es im ewigen Eis des

Nordpols aussieht und in den Wäldern Afiikas.

Sie kennen die

Berge und Thäler des Mondes und sinnen darüber nach, auf welchen

Sternen vielleicht Menschen wohnen, unsere Brüder.

so wenig, doch

Aber sie wissen

wie es in ihrem eigenen Innern aussieht,

das Wichtigste.

Darum

werdet bei

euch

und das ist

selbst zu Hause!

Lernt euch selbst kennen!

So laßt euch von der Abendstille wärts.

aufwärts führen und ein­

Jesus stieg am Abend auf einen Berg allein.

Und als die

Sonne seines Lebens sank, als es Abend wurde, als das Volk treu­ los von ihm gewichen war, und die Jünger geflohen, als es dunkel

wurde um ihn her, als sichs erfüllte, was das blutende Haupt des Täufers ihm geweissagt hatte, da ging er auch auf einen Berg

ganz allein.

Kein Mensch nahm an seinem Gang Theil, keiner

verstand, weshalb er diesen Weg ging.

Kreuz und die Schmach,

Ganz allein trug er sein

ganz allein hing er auf dem Berg am

Kreuz zwischen Himmel und Erde.

Aber auch da hat er auf dem

Berge allein gebetet, daß Gott seinen Opfertod segne,

und sein

272

Das Messiasbekenntniß.

Leben mache zu einem Lösegeld für die verlorenen Sünder.

Und

mit seinen am Kreuze ausgebreiteten Händen hat er die Menschen

gesegnet.

Das war der Feierabend seines Lebens.

Dort wollen wir uns sammeln, wenn unser letzter Feierabend kommt, und hineinsehen in das stille Antlitz, das sich dort im Tode

neigt, und in das Vaterherz Gottes, das sich uns dort geöffnet hat.

Dann steht über unserem Feierabend

das

Abendroth der Gnade

Gottes, und wir bitten Gott, daß er unser Leben möchte gesegnet

sein lassen für die, welche nach uns kommen, und wir breiten dann Dann gehen wir

aus und segnen die Unsern.

auch unsere Hände

schlafen, nach

der Heimath.

Feierabend!

Amen.

Gott

gebe

uns

einen solchen

33.

Das Messiasbekenntniß. Matth. 16, 13—20.

Da kam Jesus in die Nähe der Stadt Cäsaren

Philippi und fragte seine Jünger und sprach:

daß des Menschen Sohn sei-

Sie sprachen:

Wer sagen die Leute, Etliche sagen, du seist

Johannes der Täufer; die anderen, du seist Elias; etliche, du seist Jeremias,

oder der Propheten einer.

sagt denn Ihr, daß ich sei?

sprach:

Er sprach zu ihnen:

Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn.

antwortete und sprach zu ihm:

Wer

Da antwortete Simon Petrus und Und Jesus

Selig bist du, Simon, Jonas Sohn;

denn Fleisch und. Blut hat dir das nicht geoffenbaret, sondern mein Vater im Himmel.

Und Ich sage dir auch: Du bist Petrus, und

auf diesen Felsen will ich bauen meine Gemeine, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. reichs, Schlüssel geben.

Und ich will dir des Himmel­

Alles, was du auf Erden binden wirst, soll

auch, im Himmel gebunden sein; und Alles, was du auf Erden lösen

wirst, soll auch im Himmel los sein.

Da verbot er seinen Jüngern,

daß sie Niemand sagen sollten, daß Er Jesus, der Christ, wäre.

Die galiläische Zeit im Leben Jesu geht ihrem Ende entgegen,

und die Zeichen

der Zeit weisen ihn nach Jerusalem.

des Täufers und das feindliche Auftreten

der Pharisäer,

Der Tod die das

272

Das Messiasbekenntniß.

Leben mache zu einem Lösegeld für die verlorenen Sünder.

Und

mit seinen am Kreuze ausgebreiteten Händen hat er die Menschen

gesegnet.

Das war der Feierabend seines Lebens.

Dort wollen wir uns sammeln, wenn unser letzter Feierabend kommt, und hineinsehen in das stille Antlitz, das sich dort im Tode

neigt, und in das Vaterherz Gottes, das sich uns dort geöffnet hat.

Dann steht über unserem Feierabend

das

Abendroth der Gnade

Gottes, und wir bitten Gott, daß er unser Leben möchte gesegnet

sein lassen für die, welche nach uns kommen, und wir breiten dann Dann gehen wir

aus und segnen die Unsern.

auch unsere Hände

schlafen, nach

der Heimath.

Feierabend!

Amen.

Gott

gebe

uns

einen solchen

33.

Das Messiasbekenntniß. Matth. 16, 13—20.

Da kam Jesus in die Nähe der Stadt Cäsaren

Philippi und fragte seine Jünger und sprach:

daß des Menschen Sohn sei-

Sie sprachen:

Wer sagen die Leute, Etliche sagen, du seist

Johannes der Täufer; die anderen, du seist Elias; etliche, du seist Jeremias,

oder der Propheten einer.

sagt denn Ihr, daß ich sei?

sprach:

Er sprach zu ihnen:

Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn.

antwortete und sprach zu ihm:

Wer

Da antwortete Simon Petrus und Und Jesus

Selig bist du, Simon, Jonas Sohn;

denn Fleisch und. Blut hat dir das nicht geoffenbaret, sondern mein Vater im Himmel.

Und Ich sage dir auch: Du bist Petrus, und

auf diesen Felsen will ich bauen meine Gemeine, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. reichs, Schlüssel geben.

Und ich will dir des Himmel­

Alles, was du auf Erden binden wirst, soll

auch, im Himmel gebunden sein; und Alles, was du auf Erden lösen

wirst, soll auch im Himmel los sein.

Da verbot er seinen Jüngern,

daß sie Niemand sagen sollten, daß Er Jesus, der Christ, wäre.

Die galiläische Zeit im Leben Jesu geht ihrem Ende entgegen,

und die Zeichen

der Zeit weisen ihn nach Jerusalem.

des Täufers und das feindliche Auftreten

der Pharisäer,

Der Tod die das

Das Messiasbekenntniß.

273

Volk ihm abwendig machen, deuten hin auf den schweren Kampf, den er wird kämpfen müssen, und zwar in Jerusalem, der Stadt, von der das geistige Leben Israels ausging.

In Jerusalem muß er

hier schlägt das Herz des Volkes,

als Messias auftreten;

hier ist

der Tempel, hier ist der Mittelpunkt der Schriftgelehrsamkeit.

In

Jerusalem, wo sich das Leben Israels entscheidet, will er noch ein­

mal auf das Gewissen

des Volkes

einwirken, und dann will er,

wenn es Gottes Wille ist, sterben, um unterliegend zu triumphieren.

So ist die friedliche und freundliche Zeit, in welcher das Herz des fröh­

lichen, harmlosen galiläischen Volkes seiner Lehre vom Reiche Gottes entgegenschlug, vorüber; der Sturm erhebt sich und der Himmel umzieht sich mit Wolken.

An den Kämpfen, die ihm bevorstehn, sollen auch seine Jünger mit vollem Bewußtsein theilnehmen.

mit dem

Gedanken,

Kampfgenossen sein.

er ist,

Sie

sollen

vertraut werden

leiden muß,

und so seine

Deshalb muß Jesus sie einweihen in das, was

Damit sie aber dies verstehen, müssen sie wissen,

ihm bevorsteht. wer

daß der Messias

der Messias,

der

nicht mit dem Schwert

und dem

Schlachtruf, sondern mit dem Evangelium und der dienenden Liebe

sein Werk vollbringt.

Für diese Unterredung mit seinen Jüngern

bedarf er der Sülle und der Einsamkeit.

Deshalb verläßt er mit

ihnen Galiläa, wo ihn das Volk umdrängt, und geht bis an die

äußersten Grenzen Israels, bis in die Gegend der Stadt Cäsarea Philippi.

Hier hält er mit seinen Jüngern dieses Gespräch, dessen

Mittelpunkt das Bekenntniß des Petrus ist:

„Du bist Christus."

Petrus spricht das aus im Namen der Jünger.

sind die erste christliche Gemeinde.

Die Jünger aber

So bilden diese Worte

Das erste Bekenntniß der christlichen Gemeinde.

Was

1.

enthält es?

2.

Wie

entsteht

es?

3.

Welche

Bedeutung hat es?

1. Was enthält es?

Jesus hat bei seiner Wirksamkeit auf

alle äußerlichen Mittel, wie sie das Volk beim Messias erwartete,

verzichtet.

Er ist der religiöse Messias, nicht der weltliche,

er

will das Reich Gottes bringen in die Herzen der Menschen, nicht

das weltliche Messiasreich.

gewirkt durch die Predigt. seiner

Absicht Werke

Kirmß, Predigten.

In diesem Sinne

hat- er rein geistig

Auch seine Krankenheilungen sind nach

seiner barmherzigen Liebe,

nicht 1g

etwa die

Die Messiasbekenntniß.

274 äußeren Beweismittel

für sein Messiasthum.

Jetzt soll nun aus

dieser nur mit geistigen Mitteln ausgeübten Wirksamkeit in Galiläa das Ergebniß

gezogen werden.

Jetzt muß es sich zeigen,

ob die

Jünger und das Volk, obwohl an Jesus der erwartete äußere Glanz völlig fehlt, lediglich aus seiner Predigt, aus seiner ganzen Erschei­ nung den inneren Eindruck gewonnen haben, daß er der von Gott verheißene Messias ist.

So geht Jesus innerlich tief bewegt dieser

entgegen.

Er entfernt sich mit seinen Jüngern immer

Unterredung

weiter und weiter von dem Schauplatz seiner bisherigen Wirksamkeit

Und als er sie endlich um sich sammelt,

hinein in die Einsamkeit.

fragt er sie nicht unmittelbar, was sie selbst von ihm halten, son­

dern er fragt sie zunächst nach der Ansicht der Leute.

Da hört er

denn: Das Volk hält ihn nur für einen Propheten, das heißt einen Vorläufer des Messias, nicht aber den Messias selbst.

Nun fragt

er die Jünger selbst: „Wer sagt ihr, daß des Menschen Sohn sei?"

Da antwortete Petrus: gesandte Messias,"

ausdrückt:

„Du bist der Christus selbst, der von Gott

und er fügt das Andere hinzu,

was dasselbe

„Der Sohn des lebendigen Gottes," der König Israels,

der von Gott Begnadigte.

Der Grundgedanke in diesem Bekenntniß

des Petrus ist: „Du bist nicht Einer wie Andere, nicht wie ein Elia, Jeremia oder Johannes der Täufer; sondern der Einzigartige,

der Messias, nicht ein Prophet, der dem suchenden Geist keine

Ruhe giebt, sondern immer nur vorwärts weist auf Den, der noch kommen soll, sondern der Messias, in welchem alles Suchen zum

Finden wird und alle Hoffnung Wirklichkeit. Das enthält

das erste Bekenntniß

der christlichen Gemeinde:

Jesus ist der Christus, der Messias, der Einzige, neben dem es keinen Anderen giebt.

Worin besteht diese Einzigkeit Jesu?

Warum steht er auf

solcher Höhe, daß wir es als etwas Widersinniges empfinden, wenn man auch nur den Versuch macht, irgend einen Menschen mit ihm

zu vergleichen?

Können wir ihn doch in vielen Dingen nicht neben

die Großen unseres Geschlechtes stellen.

Er war

kein kunstvoller

glänzender Redner wie Demosthenes, kein Philosoph wie Plato, kein Staatsmann wie Perikles, kein Dichter wie Sophokles, um

ganz zu schweigen von den Größen, welche unser heutiges Geschlecht bewundert.

Ja wir können ihm nicht einmal als Weisheitslehrer

Das Messiasbekenntniß.

275

eine besondere Stelle anweisen, denn sein Wort ist unendlich einfach; auch nicht als Tugendlehrer, denn Vieles, was er gesagt hat, steht schon im alten Testament.

Seine Einzigkeit besteht nicht darin, daß

er der Weiseste unter den Weisen, der Klügste unter den Klugen ist,

sondern deshalb ist er der schlechthin Einzige, mit dem wir keinen Anderen vergleichen können, weil er uns etwas bietet, was uns sonst Niemand bietet.

aus

uns neue

Er pflanzt in uns ein neues Leben, er macht

Menschen.

Das vermag

sonst Niemand.

Wir

können wohl einem Menschen Gutes erweisen, ihn belehren, daß er

von seinem Irrthum läßt, ihm helfen, daß seine Noth gelindert wird,

ihm beistehen, seine Fehler zu bekämpfen.

ein Bessern an dem alten Bau,

Aber das ist immer nur

ein Begießen des alten Baumes.

Jesus Christus ist der Einzige, der anstatt des alten Baumes einen neuen Baum pflanzt, ein neues Leben schafft.

Dieses neue Leben

offenbart sich uns als Vergebung der Sünden, als Beseitigung

der alten Schuld, die uns drückt, als Friede mit Gott.

Es offen­

bart sich uns als Kraft, welche allmählich die Sünden, welche bis dahin die Tyrannen unseres Lebens waren, überwindet und die Liebe

zu Gott und den Menschen erzeugt.

Dieses neue Leben erhebt uns

zur Herrschaft über die Welt, über ihre Schmerzen, welche die Seele

verdunkeln, über ihre Irrthümer, die uns verführen, über ihre Lüste,

die uns niederziehen.

Wir stehen nun

wie auf einem Felsen im

brandenden Meer; alle seine Schrecken hat es für uns verloren und die Sonne spiegelt sich fteundlich wider in seinen blauen Fluthen. In seinem Rauschen hören wir die Stimme unseres Vaters, und

der Geist Gottes schwebt über den Wassern.

Diese Kraft, Erde.

und

Alle

wenn sie

die

Menschen

solches in uns der

Erde

schafft, ist nicht

könnten

Alles zusammenthäten,

sie uns

was sie haben.

diese Kraft, die uns Jesus giebt, ist aus Gott.

von der

nicht geben,

Sondern

Denn er ist der

Ehristus, der mit dem Geiste Gottes Gesalbte, deshalb der Pro­

phet, der Hohepriester, der König, der Gottessohn, der Menschen­ sohn, der Erstgeborene aller Gotteskinder, aller Creaturen, Der, in dem Gottes innerstes Wesen,

durch ihn an ihr theilnehmen.

liebt. beseelt.

Gottes Liebe war,

damit auch wir

Er hat uns geliebt, wie Gott uns

Die Triebe, welche Gott beseelen zu uns, sie haben auch ihn

Auf seinem Angesichte spiegelte sich wider die Herrlichkeit 18*

Das Messiasbekenntniß.

276 des unsichtbaren Gottes.

So ist in ihm Alles beschlossen, was wir

jemals über Gott und unsere Seligkeit wissen können.

Es giebt

keinen Fortschritt über ihn hinaus, sondern immer nur ein Zurück­ Wir können immer nur aus seiner Fülle schöpfen

kehren zu ihm.

Gnade um Gnade.

In Wissenschaft und Kunst soll das Streben

nach vorwärts nie aufhören; aber was das Heil unserer Seele, die tiefste Frage unseres Lebens anlangt,

das Ende zu seinen Füßen.

da findet all unser Suchen

Er ist für uns in Ewigkeit der einzige

Mittler, der Lebensfürst, in dem wir das ewige Leben haben, der Arzt für unsere Sünden, der Helfer in aller geistlichen und sittlichen

Noth.

Er ist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.

Das

ist das Bekenntniß der ersten christlichen Gemeinde.

2.

Wie entsteht dieses Bekenntniß in uns?

Jesus sagt

zu Petrus — und eine hohe Freude zieht dabei durch seine Seele —:

„Fleisch und Blut hat dir das nicht offenbaret, sondern mein Vater im Himmel." gesagt;

Das heißt, kein Mensch hat es ihm

er hat es nicht von Außen her durch irgend ein äußeres

Zeichen oder eine äußere Botschaft erfahren.

Es gab ja nach dem

Glauben des Volkes eine Reihe von äußeren Zeichen, an denen man den Messias erkennen sollte.

Davids Macht sollte er wieder auf­

richten und mit seiner starken Hand Wunder thun und diese Wunder sollten

die Zeichen

seiner messianischen Würde

sein.

Aber

diese

äußeren Zeichen waren an ihm theils gar nicht theils nur in sehr

geringem Maaße

vorhanden.

Der Himmelsglanz um sein Haupt

war seine Liebe, sein Schwert war seine Wahrheit, seine Krone war seine Reinheit.

So war es nichts Aeußerliches, nicht Fleisch und

Blut, woraus Petrus erkannte, daß Jesus der Messias sei, sondern seine geistige Herrlichkeit,

den

seine schlichte innere Größe ergreift

Petrus im Innersten und

erweckt in ihm

das Bekenntniß:

„Alles, was man vom Messias erwartet, fehlt dir, und dennoch bist

du Christus."

Diese Erkenntniß ist ihm von Oben gekommen, wie

ein Blitz, der ihn durchleuchtet, er weiß selbst nicht, wie es gekommen, ein Eindruck, der da war, er wußte nicht, woher er kam, eine plötzliche

Eingebung, eine Gottesoffenbarung in seiner Seele. Da zieht eine hohe Freude durch die Seele Jesu:

Wenigstens Einer, dem sein geistiges

Messiasthum offenbar geworden, wenigstens Einer, der ihn versteht.

Denken wir uns:

Ein Sohn ist als kleines Kind seiner Mutter

Das Messiasbekenntniß. geraubt worden.

Er ist zunl Jüngling herangewachsen und kehrt in

die Heimath zurück. Da ist keine

Die Leute streiten sich, ob er es ist oder nicht? ein Zeichen

oder Mal,

Andere sagen:

„Nein! er

äußere Aehnlichkeit, irgend

welches darauf hindeutet, daß er es ist. ist es nicht;

277

das und das spricht dagegen,

komlnt seine Mutter.

daß er es ist."

Da

Sie braucht ihn: nur ins Auge zu sehen, da

So haben nicht Fleisch

steht es ihr unbedingt fest, daß er es ist.

und Blut, nicht äußere Zeichen den Petrus zu seinem Bekenntniß gebracht, sondern sein innerer Blick, die Stimme seines Herzens,

die wachgerufen war durch die Herrlichkeit Jesu. Nicht Fleisch und Blut können uns zu dem Bekenntniß bringen,

daß Jesus der Christus ist.

Wir haben ja Zeugnisse für ihn, die

sich auf Fleisch und Blut gründen.

Dir haben es deine Lehrer ge­

sagt, daß Jesus der Christus ist; diese berufen sich wieder auf die, von denen sie es gelernt haben, und diese wieder berufen sich auf

die Lehrer der Kirche, welche es aus der Schrift, aus der Lehre der

Apostel heraus

Wer wollte nicht

hören

aus die

Stimmen, die herausklingen aus dieser Wolke von Zeugen.

Müssen

wir nicht sagen:

laut bezeugen.

„Weil alle diese Frommen es sagen, darum halte

auch ich daran fest: Jesus ist der Christus?"

Aber dabei darfst du

nicht stehen bleiben; denn es ist immer nur ein Zeugniß, das sich

gründet auf Fleisch und Blut.

Und wenn heute sich in der Kirche

so Viele darauf berufen: „So haben die Menschen vor uns über Christus gelehrt und geglaubt, und deshalb müssen wir auch so lehren und glau­ ben," so ist das immer nur ein Bekenntniß, das sich stützt auf Fleisch

und Blut.

Selbst wenn du heute mit deinen leiblichen Augen Jesum

sähest auf den Wolken des Himmels, umgeben von ewigem Glanz, und von diesem Glanz geblendet sänkest du auf dein Angesicht nieder und

bekenntest nun

um dieser Erscheinung

willen:

„Du bist der

Christus, der Sohn des lebendigen Gottes," das würde dir immer

noch

nichts

helfen;

es wäre immer nur eine Offenbarung

durch

Fleisch und Blut. Du darfst nicht dabei stehen bleiben, was dir Fleisch und Blut

sagen, sondern du mußt selbst mit ihm innerlich in Berührung

kommen und seine Kraft an dir spüren.

Du darfst dir nicht nur

von Anderen über ihn erzählen lassen, sondern du mußt ihn zu dir selbst reden lassen, als hättest du mit auf dem Berge der Selig-

278

Das MesfiaSbekenntniß.

Preisungen gestanden.

Du darfst

dir

nicht nur

von

Anderen

erzählen lassen, wie sie von ihm erlöst worden sind, sondern du

mußt dich selbst von ihm erlösen lassen.

Du mußt selbst mit allem

Ernst versuchen, ihm nachzufolgen, die Deinen, auch die ärmsten

Menschen, die du siehst, zu lieben, wie er die Seinen geliebt hat bis ans Ende, dich wirklich um Christi willen überwinden, dich nicht

nur mit Scheinwohlthätigkeit begnügen, sondern wirklich von Person

zu Person, von Angesicht zu Angesicht, von Hand zu Hand den Menschen helfen.

Die Gottesherrlichkeit, die in ihm war, der freie

Sohnesgeist, der in ihm war, soll nicht vergraben sein für dich, son­ dern du mußt diesen Schatz heben, mußt dieses Gold umwechseln in die Münze der heutigen Zeit und in deinem Leben damit wuchern

und dich damit bereichern.

Sein Gehorsam gegen Gott, seine Frei­

heit von der Welt, seine Liebe zu den Menschen, sein heiliger Stolz, der sich nicht dieser Welt gleichgestellt hat, sein Muth, der sich nicht

fürchtete vor den Menschen,

seine Demuth, die sich auch zu den

Niedrigsten herabbeugte, seine Treue in der Welt und sein ewiges Leben, das sollen die Kräfte sein, die dein Leben tragen.

Dann

hast du nicht mehr nur das Zeugniß, das sich auf Fleisch und Blut

gründet, sondern du hast in dir das Zeugniß Gottes, daß Jesus

der Christus ist. Dann brauchst du auch kein Bekenntniß mehr, das dir auf­ gezwungen und aufgedrungen wird, sondern aus innerster Seele, aus

den heiligsten Erfahrungen deines inneren Lebens kommt das Be­

kenntniß: „Du bist der Christus. selbst erlebt."

Ich weiß es, ich habe es an mir

Dann brauchst du keine Wunder und Zeichen mehr;

dann könnten alle die großen Zeugnisse der Geschichte über Jesus

verstummen und die ganze Welt könnte von ihm schweigen; und doch würde es immer wieder herausklingen:

aus deinem

„Du bist Christus."

von ihm ergriffenen Herzen

Damit würden wir auch die

rechte ebenso feste wie freie Stellung finden zu den Glaubens­

bekenntnissen

der

Vergangenheit,

Menschen so viel streiten.

über welche sich jetzt die

Sie werden dir ehrwürdig sein, sofern

du in ihnen jenes Haupt- und Grundbekenntniß des Petrus findest, ohne daß du doch deshalb auf ihren Buchstaben schwörst.

So entsteht in uns dieses Bekenntniß

dadurch,

daß sich dir

selbst, an deinem Herzen Jesus als der Christus offenbart.

279

Das Messiasbekenntniß.

3. Laßt uns

trachten. ruht.

die Bedeutung

dieses Bekenntnisses be­

Es ist der Felsengrund, auf welchem die Gemeinde „Du bist Petrus, und auf

So sagt Jesus zu Petrus:

diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen."

Ihr wißt, welche

Bedeutung dieses Wort in der Geschichte der christlichen Kirche be­ kommen hat.

Als

das römische Papstthum

bestimmte ge­

durch

schichtliche Verhältnisse entstanden war, suchte man nach einer Be­ gründung dafür in der heiligen Schrift.

Wort Jesu.

Da kam man auf dieses

Hier nennt Jesus den Petrus den Fels der Kirche.

Nun, so folgerte man weiter, war Petrus der erste Bischof von Rom.

Folglich ist der Bischof von Rom der Fels der Kirche.

Nur wenn die Kirche auf diesem Felsen ruht, ist sie die wahre Kirche. Wir evangelische Christen verzichten auf diesen angeblichen Felsen­

grund, und es könnte deshalb scheinen, als wären wir schwächer als Rom.

Doch es gilt hier das Wort:

bin ich stark."

„Wenn ich schwach bin, so

Indem wir auf diesen irdischen Felsen verzichten,

gründen wir uns auf einen andern Grund, auf das schlichte Be­ kenntniß des Petrus zu Jesus als dem Christus, dem Gottessohn,

der uns zu Gottes Kindern macht, dem Erstgeborenen unter vielen

Brüdern.

Unser Felsengrund

ruht nicht in Rom,

Wittenberg und Genf, überhaupt nicht in der

auch nicht in

äußeren Welt,

sondern in der inneren ewigen Welt, in der inneren persönlichen Glaubensgewißheit.

Jesus ist unser Erlöser, der Offenbarer

unseres himmlischen Vaters.

Von ihm singen wir mit E. M. Arndt:

Das ist das Licht der Höhe, das ist mein Jesus Christ,

Der Fels, auf dem ich steh«, der diamanten ist, Der nimmermehr kann wanken, mein Heiland und mein Hort, Die Leuchte der Gedanken, die leuchtet hier und dort.

Im Festhalten an diesem Einen Grund muß die christliche Ge­ meinde unwandelbar

sein.

Die Einzelbekenntnisse

Konfessionen unterliegen verschiedener Beurtheilung.

eine, bald das andere in den Vordergrund.

der Kirche und Bald tritt das

Es hat auch Zeiten

gegeben, wo sie alle mehr oder weniger zurückgetteten sind.

Ebenso

wechselt auch unter dem Einfluß des menschlichen Denkens die Auf­

fassung der einzelnen religiösen Wahrheiten; ja selbst die Auffassung der Person Christi hat im Laufe der Zeit gewechselt; es hat Zeiten gegeben, in denen die Menschen mehr das Göttliche, und solche, in.

Das Messiasbekenntniß.

280

denen sie mehr das Menschliche an ihm betonten.

Aber immer wird

die christliche Gemeinde an diesem Grundbekenntniß festhalten: Jesus ist der Christus.

Und diesen Felsengrund werden die Pforten der

Hölle nicht überwältigen.

Mag von dem, was uns als L hre der

Kirche dargeboten wird, noch so viel fallen.

Was verloren geht,

das kann doch immer nur in Nebensachen bestehn, im Beiwerk; d r

ewige Grund: „Jesus ist der Christus" kann nicht erschüttert werden. Mögen Glaubenssätze der Vergangenheit vom Sturm der Zeit mit­ genommen werden, wie die welken Blätter vom Herbstwind,

Eine bleibt unbeweglich: „Jesus ist der Christus."

das

Das ist schließlich

auch der Fels des Heils für unser Volk, das Bollwerk gegen allen

Umsturz,

den man jetzt mit papiernen Waffen bekämpfe» möchte. soll gebaut bleiben das Haus

Auf diesem Felsen

unseres Volkes,

so daß

darin Freiheit und Ordnung sich mit einander verbinden,

die Freiheit die Seele der Ordnung der Freiheit ist.

und die Ordnung die Seele

Auf diesem Felsen werden die tobenden Volks­

massen dieser Zeit, welche jetzt den Namen Christi verfluchen, noch

einmal ihre Ruhe und ihre wahre Freiheit finden.

Und wenn du

über manche Glaubensfiage zweifelst, oder deine Sünde so groß und

die Geschicke so traurig und der Tod so finster ist, stelle dich fest

auf diesen Grund:

„Jesus ist der Christus";

da steht sichs gut.

In diesem Bekenntniß lösen sich alle Räthsel.

Schlüssel

Welt.

des Himmelreichs.

Hier sind die

Hier löst sich das Räthsel der

Von der Persönlichkeit Jesu aus sehen wir den Vater im

Himmel, der die ganze Welt trägt auch im Wirbelsturm der Elemente, und der auch in dem scheinbar vernunftlosen Geschehn der Geschichte

die Gedanken seiner ewigen Vernunft zur Wirklichkeit werden läßt. Von hier aus lösen sich alle Räthsel deines Lebens, unverstandene

Schickungen, Verluste und trübe Zeiten auf im ewigen Lichte.

Hier

werden die Bande der Sünde gelöst durch die in Christus erschienene Gotteskrast,

die im Schwachen

Schuld durch Gottes Gnade,

mächtig ist, und die Bande der

die alle Schuld vergiebt.

Und ist

dir dies Bekenntniß ins Herz geschrieben, dann sind dir die Schlüssel

des Himmelreichs gegeben.

Da trittst du zum Freunde, der gethan,

was seiner nicht würdig war, und in schwere Schuld gefallen, und schließest ihm das Himmelreich auf und sprichst zu ihm:

„Vertraue

um Christi willen auf Gott, der macht alles gut, was du verbrochen

281

Der Gang Jesu nach Jerusalem.

hast."

Der Vater schließt dem verlorenen Sohn seine Liebe wieder

auf, und macht ihm wieder Muth, an Gottes Liebe und seine Zukunft

Und der barmherzige Samariter

zu glauben.

geht zu denen,

die

gefangen sind von dem glaubenslosen Geist der Zeit, und zeigt ihnen,

daß es noch eine Liebe giebt und läßt sie dadurch wieder an Gottes Liebe glauben.

Ja das höchste Priesterrecht, das es giebt, den

Menschen das Himmelreich aufzuschließen, das soll Jeder haben, der

sein Leben auf das Bekenntniß gründet: „Jesus ist der Christus." Aus den Wirren der Zeit, aus dem Kampfe der Parteien, aus den Zweifeln

des Lebens laßt uns immer wieder zurückkehren zu

dieser einfachen großen Wahrheit, zu diesem, unerschütterlichen Fels. Amen.

34.

Der Gang Jesu nach Jerusalem. Matth. 20, 18. 19.

Siehe, wir ziehen hinauf gen Jerusalem, und des

Menschen Sohn wird den Hohenpriestern und Schriftgelehrten über­ antwortet werden, und sie werden ihn verdammen zum Tode; und

werden ihn überantworten den Heiden, zu verspotten und zu geißeln und zu kreuzigen; und am dritten Tage wird er wieder auferstehen.

Dieses Wort, mit welchem wir uns heute beschäftigen wollen,

führt uns in der Betrachtung des Lebens Jesu wieder ein bedeut­ Die Wirksamkeit Jesu in Galiläa geht nun

sames Stück weiter.

zu Ende,

Wolken

ziehen sich am Himmel zusammen.

Jesus will

nun die gesegnete Stätte seines ersten Wirkens hinter sich lassen und

dem schweren Kampf entgegenziehn hinauf nach Jerusalem. Die Passionszeit,

die

jetzt

Wandern hinauf nach Jerusalem.

herannaht,

ist für uns auch ein

Wir wollen in unseren Betrach­

tungen ihm im Geiste zur Seite gehn,

uns versenken in die Ge­

danken, welche ihn auf diesem schweren Weg bewegten.

sehn, wie er sich rüstet auf die große Entscheidung.

Wie wollen Dann werden

wir ihn in der Davidsstadt einziehen sehen unter dem Jubel des Volkes, während er selbst den Tod vor Augen sieht.

in Gethsemane bei ihm stehn, in Gottes Willen.

Wir wollen

von ihm lernen, wie man sich fügt

Wir wollen ihn begleiten

vor Kaiphas

und

281

Der Gang Jesu nach Jerusalem.

hast."

Der Vater schließt dem verlorenen Sohn seine Liebe wieder

auf, und macht ihm wieder Muth, an Gottes Liebe und seine Zukunft

Und der barmherzige Samariter

zu glauben.

geht zu denen,

die

gefangen sind von dem glaubenslosen Geist der Zeit, und zeigt ihnen,

daß es noch eine Liebe giebt und läßt sie dadurch wieder an Gottes Liebe glauben.

Ja das höchste Priesterrecht, das es giebt, den

Menschen das Himmelreich aufzuschließen, das soll Jeder haben, der

sein Leben auf das Bekenntniß gründet: „Jesus ist der Christus." Aus den Wirren der Zeit, aus dem Kampfe der Parteien, aus den Zweifeln

des Lebens laßt uns immer wieder zurückkehren zu

dieser einfachen großen Wahrheit, zu diesem, unerschütterlichen Fels. Amen.

34.

Der Gang Jesu nach Jerusalem. Matth. 20, 18. 19.

Siehe, wir ziehen hinauf gen Jerusalem, und des

Menschen Sohn wird den Hohenpriestern und Schriftgelehrten über­ antwortet werden, und sie werden ihn verdammen zum Tode; und

werden ihn überantworten den Heiden, zu verspotten und zu geißeln und zu kreuzigen; und am dritten Tage wird er wieder auferstehen.

Dieses Wort, mit welchem wir uns heute beschäftigen wollen,

führt uns in der Betrachtung des Lebens Jesu wieder ein bedeut­ Die Wirksamkeit Jesu in Galiläa geht nun

sames Stück weiter.

zu Ende,

Wolken

ziehen sich am Himmel zusammen.

Jesus will

nun die gesegnete Stätte seines ersten Wirkens hinter sich lassen und

dem schweren Kampf entgegenziehn hinauf nach Jerusalem. Die Passionszeit,

die

jetzt

Wandern hinauf nach Jerusalem.

herannaht,

ist für uns auch ein

Wir wollen in unseren Betrach­

tungen ihm im Geiste zur Seite gehn,

uns versenken in die Ge­

danken, welche ihn auf diesem schweren Weg bewegten.

sehn, wie er sich rüstet auf die große Entscheidung.

Wie wollen Dann werden

wir ihn in der Davidsstadt einziehen sehen unter dem Jubel des Volkes, während er selbst den Tod vor Augen sieht.

in Gethsemane bei ihm stehn, in Gottes Willen.

Wir wollen

von ihm lernen, wie man sich fügt

Wir wollen ihn begleiten

vor Kaiphas

und

282

Der Gang Jesu nach Jerusalem.

Herodes, ihn begleiten, wie er sein Kreuz trägt.

Dann wollen wir

unter seinem Kreuze stehn, anschauen das Wunder seiner Liebe und

hineinschauen in das Vaterherz Gottes, das sich uns hier aufschließt. Ganz besonders mögen die Konfirmanden, welche noch vor dem Osterfeste den Segen empfangen und dann zum ersten Male zum

Tische des Herrn gehen werden, jenes Wort Jesu für sich verwerthen.

Mit rechtem Ernst und mit rechter Sammlung mögen sie sich vor­ bereiten auf die heilige Stunde, in der sie sich zur Nachfolge Jesu

verpflichten wollen.

Diese Vorbereitung wird dann eine erfolgreiche

sein, wenn sie sich das Bild Jesu recht deutlich vor Augen stellen,

ihn erkennen als den Erlöser, der durch die Hingabe seines Lebens auch ihr Leben und ihre Herzen

sich erkauft hat,

als den treuen

Freund, der sie ermuthigt, stärkt und tröstet auf allen ihren Wegen, als den Helden, der ihnen den Weg gebahnt hat durch den Lebens­

kampf.

So wollen wir alle dem Rufe Jesu folgen:

Siehe, wir gehen hinauf nach Jerusalem. Wir gehen hinauf

Jesus litt und starb.

nach

dem Jerusalem, in welchem

Wir gehen hinauf nach dem Jeru­

salem, in welchem Jesus herrscht und triumphiert.

1. In dem Leben Jesu vollzieht sich hier eine entscheidende

Wendung, und zwar durch die Aussicht, welche sich vor ihm miss thut, daß er in seinem Volke und durch dasselbe einen gewaltsamen Tod finden werde.

Ob er von vornherein seinen Tod vorausgesehn

hat oder nicht, läßt sich aus der evangelischen Geschichte nicht er­

weisen.

Doch ist es wohl möglich, daß er am Anfang seiner öffent­

lichen Wirksamkeit an eine ftiedliche Vollendung seines Werkes ge­

glaubt hat, wie ja die Leute in Galiläa ihn fteundlich aufnahmen, seine Predigt große Erfolge hatte. her dunkler zu werden.

stellen sich

Jetzt aber fing es an, um ihn

Abgesandte der Pharisäer aus Jerusalem

zu ihm immer feindlicher, und aus ihren drohenden,

feindlichen Blicken,

aus ihren

theils höhnischen, theils gehässigen

Reden erkennt er sein zukünftiges Geschick. Vergangenheit.

Dabei blickt er in die

Vor seinem inneren Auge ziehen vorüber die großen

Propheten Israels, die von der herrschsüchtigen Priesterpartei alle

getödtet worden sind.

Vor seinem Auge steht Jerusalem, welches

das Blut dieser Boten Gottes vergossen hat. im Gefängniß

Um dieselbe Zeit fiel

das Haupt Johannes des Täufers.

Alles dies.

283

Der Gang Jesu nach Jerusalem.

das drohende Auftreten seiner Feinde, der Tod der Propheten, der Tod des Johannes weist ihn hin auf seinen nahen Tod. Man sagt von manchen Menschen, daß sie wie von einer Zauber­

macht ihrem Geschick entgegengetrieben werden.

Ein Etwas in ihrer

Brust zieht sie hin, ihrem Untergang zu, wie der Nachtschmetterling

zur Flamme hingezogen wird, in welcher er seinen Untergang findet.

Auch in Jesus lebt solch eine Gewalt, aber eine himmlische, heilige Gewalt, nämlich die Erkenntniß,

daß alle jene irdischen Ursachen,

die seinen Tod herbeiführen werden, begründet sind in dem Willen

Gottes, daß er in Jerusalem sein Leben lassen soll zur Besiegelung seines Evangeliums, zum Heile der Menschen.

Der kindliche Ge­

horsam gegen Gott und die Liebe zu den Menschen läßt ihm keine Ruhe mehr, bis er dieses Werk vollbracht hat.

Gottes Wille ist

sein Wille geworden, Gottes Rath sein Entschluß; er geht den Weg dem Tode entgegen, nicht weil es nun einmal sein muß,

weil er selbst will, in voller Freiheit.

sondern

Sein Leiden ist nicht mehr

ein Leiden, sondern seine eigene freie That.

Ob er wohl auf seiner Wanderung nach Jerusalem zurückdenkt an seine erste Wanderung nach der heiligen Stadt, an der Seite

seiner Eltern?

Damals eilten seine Gedanken dem langsamen Fuß

weit voraus, sehnsüchtig hin nach der Stadt Davids, die für sein junges

Gemüth

der

Inbegriff alles

Großen und

Heiligen war.

Jetzt steht sie ganz anders vor seiner Seele, die Priesterstadt, in

welcher schon soviel unschuldiges Blut geflossen ist, und nun auch

er, der als Retter seines Volkes kommt, von seinem Volke verstoßen

sein Blut vergießen wird.

Seine Augen sind gewendet nach Jeru­

salem, wo alle Sünde der Welt sich um ihn sammeln wird mit all ihrer Macht, wo der Tod

ihn umgeben wird

mit all seinen

Schrecken, mit seiner dunkelsten Nacht, nach Jerusalem, wo seine Jünger ihn verlassen und verrathen werden. sieht er im Geiste:

Und noch etwas Anderes

Wenn er dort seinen Tod gefunden haben wird,

dann wird das Gericht Gottes über die Stadt hereinbrechen. Blut wird über sie und ihre Kinder kommen.

Sein

Er kommt nach Jeru­

ihr zu helfen;

und sein Untergang wird Jerusalems

Untergang nach sich ziehen.

Ahnt ihr da, was Jesus empfand, als

salem,

um

er sprach:

„Seht,

wir gehn hinauf nach Jerusalem"?

Er will

Jerusalem helfen; und um seinetwillen wird Jerusalem untergehn.

284

Der Gang Jesu nach Jerusalem.

Und doch geht er hinauf in voller Freiheit, weil er es soll und weil er es will. Aber noch größere Dinge sieht er dort im Geist.

Dadurch, daß er dort am Kreuze erhöht werden wird, wird das Kreuz die

Bürgschaft seines Evangeliums und damit der Liebe Gottes werden, das Zeichen der Vergebung der Sünden für die ganze Welt, das Zeichen der ewigen Versöhnung zwischen Gott und Menschen­ welt; die Schädelstätte wird der Wallfahrtsort für alle Elenden und

Traurigen, für die reuigen Sünder, für die zerschlagenen Herzen und geängstigten Geister, für alle Pilger, welche Ruhe suchen, für alle Einsamen, die eine unvergängliche Liebe suchen. Das ist es vor Allem, die Vollendung seines Erlösungswerkes in seinem Tode, das ist es vor Allem, was ihn nach Jerusalem zieht, daß er ruhelos wandert, sein Gesicht nach Jerusalem gewendet, wie ein Feldherr, der seine Streiter zum Kampfe ruft: „Siehe, wir gehen

hinauf nach Jerusalem." Auch für uns kommen Zeiten, wo in unserem Leben eine solche entscheidende Wendung eintritt, wie hier im Leben Jesu. Friedliche Zeiten, wie die Zeit Jesu in Galiläa, gehen für uns zu Ende, Zeiten, da uns Alles gelang, da die Menschen ihre Herzen uns austhaten, Erfolge uns zufielen, überall Quellen uns flössen und Sonnen­ schein auf unserem Wege lag; und vor uns liegt eine schwere, dunkle Zeit, der wir entgegengehen müssen. Bei Manchem tritt diese

Wendung schon sehr ftüh ein. In die Jugend fällt der Schatten des Schmerzes, am Sarge des Vaters oder der Mutter. Hoffnungen

steigen auf, nur damit die Enttäuschung folgt. So muß Mancher schon frühzeitig den Weg gehen, den Jesus ging, von Galiläa nach Jerusalem. Bei Anderen kommt diese Wendung später. Das Leben

bekommt für uns ein anderes Gesicht; wir sehen die Welt mit anderen Augen an. Wir sehen in der Welt nur Schatten. Es scheint uns, als ob das Wohlwollen der Menge sich in Gleichgültig­ keit verwandle.

Wie Jesus an die Propheten dachte, die den Todes­

weg ziehen mußten, so denken wir an Eltern und Freunde, die auch

den schweren Weg haben gehen müssen.

Wie Jesus durch den Tod

Johannes des Täufers hingewiesen wurde auf sein Geschick, so mahnt ein Schicksalsschlag, der einen Menschen in unserer Nähe trifft, an unser Geschick.

Alles das erzeugt in uns die Vorahnung:

285

Der Gang Jesu nach Jerusalem.

„Du wirst stille und steile Wege

gehn müssen;

du wirst Lasten

tragen müssen; du wirst entsagen müssen und es wird in dir etwas absterben."

Es ist schwer, sich in solch ein neues Leben zu finden.

findet sich überhaupt nicht hinein.

Er hält sich immer

Mancher

für einen

unschuldig Leidenden, für einen von Gott und den Menschen Zurück­ gesetzten und bleibt ein Fremdling in seinem Leben, sobald es sich

anders gestaltet, als er wünschte.

Es kommt eben darauf an: Wenn

das Leben um uns her anders wird, dann müssen auch wir, sollen wir diesem Leben gewachsen sein, selbst anders werden.

Da suche

jenen einsamen Wanderer nach Jerusalem auf, lies in seinen Augen

und in seiner Seele, richte dich an ihm auf, laß dich von ihm führen, lerne von ihm Geduld,

Gehorsam', Muth.

Siehe,

wie furchtbar

war sein Geschick, dem er entgegenging ganz allein, wie gering da­

gegen ist dein Leid, dem du entgegengehst.

Dabei hast du doch

dieselbe Quelle der Kraft, wie er; sein Gott, der ihn stärkte, ist dein

sein Vater, der ihn führte, ist dein Vater.

Gott; Weg

für uns gegangen,

Er ist diesen

damit wir ihn gehen lernen mit ihm.

Wenn unser Leben anders wird, dann müssen wir lernen, an der

Seite Jesu anders zu werden. Lege ab die Ansicht, als ob du etwas Besseres seiest, als andere

Menschen, und ein besseres Loos verdient hättest als sie.

den Wahn,

als ob ein besttmmtes Maaß äußeren Glückes,

ein äußerer Schmuck,

gehöre.

Lege ab

irgend

eine schöne Zuthat, nothwendig zum Leben

Lege ab die Bequemlichkeit und Weichlichkeit, die wir uns

in guten Tagen so leicht angewöhnen, und mache dir die Arme frei

für den Kampf.

Vor Allem aber: Siehe hinter den düsteren Zeichen

deiner Zukunft die ewige Liebe, die unwandelbare Treue Gottes,

der zu dir spricht:

„Ich will dich nicht verlassen noch versäumen."

In herzlichem Verttauen und in nie ablassendem Gebet steige innerlich

empor durch alle dunklen Wolken bis zu deinem himmlischen Vater, bis du in der Wandlung deines Lebens, in dem düsteren Geschick

der Zukunft seinen Willen erkennst, und dein Wille mit dem seinen

zusammentrifft

und du mit ihm Eins wirst.

klar, fteudig, wie Jesus,

Dann wende ruhig,

dein Angesicht der Zukunft zu.

Dann

wird dein Wandern ein „Hinaufziehn" sein, äußerlich geht es abwärts, innerlich kommst du Gott immer näher.

Es wird in dir

Der Gang Jesu nach Jerusalem.

286 immer stiller;

aber diese Stille ist eine Stille zu Gott.

in dir das ruhelose Rechnen auf die Zukunft;

Es stirbt

es lebt in dir auf

das starke Vertrauen auf Gott. Siehe, wir ziehen hinauf nach Jerusalem. 2. Nach Ansicht der Jünger sollte in Jerusalem eine glänzende Zeit beginnen. Jesus sollte dort äußerlich herrschen und triumphieren

auf dem Throne Davids.

Es sollte anders kommen.

Jesus hat

seine Jünger mit sich hindurchgeführt durch seine dunkle Todesnacht,

mit sich hindurchgeführt durch die furchtbaren Schmerzen, in denen unter seinem Kreuz ihr alter Messiasglaube zusammenbrach;

dann

hat er sie emporgeführt, ihre Seelen zu sich gezogen, daß sie wieder­

geboren wurden zu dem Glauben,

der die Welt überwindet, daß

sie theilhatten an seinem ewigen Leben, er in ihnen, sie in ihm, er das Haupt, sie die Glieder, er der Weinstock, sie die Reben, er der Lebensfürst,

Da waren sie nun mit

sie die Kinder des Lebens.

ihm in einem andern Jerusalem, nicht mehr in dem, in welchem

das Blut der Propheten geflossen, sondern in der Gottesstadt, in der die Krone winkt, nicht mehr in dem Jerusalem, in dem

die Leidenschaften die Gerechten umtoben, sondern in dem Jerusalem, wo die ewige Liebe die Wunden heilt.

So ruft Jesus ihnen zu:

„Siehe, wir gehen hinauf nach Jerusalem."

Ueber dem Jerusalem, da Jesus litt und starb, giebt es ein Jerusalem, da er herrscht und triumphiert. oder da;

es hat keine Schranke;

seinem Frieden.

Es ist nicht hier

es ist überall, wo Gott ist mit

Es ist soweit, als die Liebe Gottes reicht, und wer

könnte die Grenzen bestimmen, wo diese aufhört?

Es ist dort kein

Tempel, wie auf Zion; denn Gott wohnt dort in Allen, und jedes Menschenherz ist dort ein Tempel Gottes und Alle sind ein priester­ liches Volk.

Dort fließen Quellen des ewigen Lebens, die nie ver­

trocknen, wie die Quellen zwischen den kahlen Höhen Jerusalems,

sondern Quellen, aus denen alle Kinder Gottes trinken können in

Ewigkeit.

Dort hört man nicht mehr das „Kreuzige", sondern nur

das „Hosianna".

Dort ist keine Trauer mehr um den sterbenden

Christus, sondern nur Frohlocken um den triumphierenden.

sehr verschiedene Namen dafür:

Es giebt

Heimath, Vaterland, Vaterhaus,

ewige Hütten, Gottesstadt, himmlisches Jerusalem; aber Namen sind

hier Schall und Rauch, wenn nur das feststeht, daß hinter all diesen

Der Gang Jesu nach Jerusalem.

Namen eine ewige Wirklichkeit liegt.

287

Nicht darauf kommt es

an, daß man sich von dieser himmlischen Heimath diese oder jene Vorstellung macht und sie sich mit der Phantasie ausmalt, sondern auf den Kernpunkt, nämlich daß wir einst sein werden mit Christo in Gott.

Denn Gott ist das ewige Leben.

Man fragt heutzutage, kann man wirklich daran glauben, daß es solch eine Ewigkeit giebt? Mit größerem Recht könnte man die Frage umgekehrt stellen: Ist es möglich, denkbar, daß es keine solche

Ewigkeit giebt? Ist es denkbar, daß das Jerusalem, in welchem Jesus unter Verbrechern starb, in welchem die heiligste Liebe von dem tödtlichsten Haß dem Tod überliefert wurde, daß dieses Jerusalem wirklich für ihn das Letzte war? Ist dann nicht Alles eitel? Ist dann nicht die ganze Welt rettungslos dem Wahn und der Sünde und dem Verderben preisgegeben, alles Leben ein armseliger Traum, alle Erkenntniß elendes Stückwerk, das Tasten eines Blinden, der verurtheilt ist zur Gefangenschaft in ewiger Finsterniß, aller Glaube ein Wahn, alle Liebe dem Tode geweiht, alle Hoffnung eine Täuschung? Wir sind dann Wanderer und haben kein Ziel. Wir sind Kämpfer, und es ist kein Sieg möglich. Wir sind Säeleute, und wissen, es giebt keine Ernte.

Sagt nicht: Dieser Glaube an eine Ewigkeit mache den Menschen unbrauchbar für die Erde; er gehe dann achtlos vorüber an Allem,

was die Erde ihm zu thun giebt.

Es ist umgekehrt.

Was kann

uns mehr Muth geben zu treuem, geduldigem Arbeiten, als der Glaube, daß unser Leben nicht mit dem Tode abbricht, sondern daß

es eine Fortsetzung giebt, welche anknüpft an alle guten Anfänge, die wir in unserem Erdenleben gemacht haben, daß somit alles Gute, auch wenn es hier erfolglos zu verschwinden scheint im Strome der Zeit, doch nicht verloren ist, sondern einst wieder hervorkommen

wird?

Was kann uns mehr wappnen gegen alle Entmuthigungen

und Enttäuschungen dieser Erde als der Glaube, daß die Wage auf dieser Erde noch nicht entscheidet über das, was wir gewollt haben, sonderü daß darüber droben eine andere Wage entscheidet, die mit unbedingter Sicherheit und Gerechsigkeit mißt? Der Glaube an eine große, weite Heimath macht das Herz weit und frei, los von den Kleinigkeiten der Erde, und wo Andere sich ereifern, läßt

der Glaube uns sprechen:

„Es ist nicht der Rede werth!"

Dieser

288

Der Gang Jesu nach Jerusalem.

Glaube giebt dem erschlaffenden Muth neue Spannkraft, er läßt den Wanderer die letzte Kraft zusammennehmen, er verklärt die Liebe der Menschen zu einander mit einem höheren Licht und giebt ihr

einen ewigen Inhalt. So erweisen die Menschen ihren Brüdern einen schlimmen Dienst, welche zu ihnen sprechen: „Es giebt keine ewige Heimath; der in der Nacht des Kummers wohnt, kommt nie zum Lichte, und dem, der sich in Treue und Gehorsam müht, winkt kein Feierabend." Jesus tritt vor uns als der Zeuge und Bürge, auf den wir uns verlassen können, und weist uns hinauf nach dem Jerusalem, in welchem er herrscht und triumphiert. Wenn Jesus uns lehrt, um der Seele, um des Gewissens willen auch die ganze Welt hinzugeben, was nützt uns die reine Seele, das unbefleckte Gewissen, wenn es kein ewiges Licht giebt, in welchem wir einst Gott schauen sollen? Wenn Jesus lehrt, einander in Treue zu dienen, wozu das Alles, wenn ein in uns zerreißendes Blutgefäß oder ein Krankheitskeim, der uns zufliegt, oder ein vom Dache fallender Stein alle diese Arbeit der Treue an einander abbricht und ihr ein Ende macht, daß sie vergeblich war? Wenn Jesus in uns den Glauben erweckt an Gottes Vaterliebe, soll dieser Glaube niemals zum Schauen werden? Wenn er in uns die Hoffnung erweckt auf ein ewiges Heilsgut, soll

diese Hoffnung nie zur Wirklichkeit werden? Wenn uns Jesus durch die Vergebung der Sünde über die Sünde hinaushebt, daß wir uns

nicht mehr vor ihr zu fürchten brauchen, soll er uns da nicht auch dahin führen, daß wir überhaupt nicht mehr sündigen, sondern die Sünde unter uns liegt, wie die Erde unter dem Himmel? Wenn

uns Jesus Seligkeit und Vollkommenheit ahnen läßt, sollen wir sie immer nnr ahnen und niemals besitzen? Wir können nicht von „Es ist noch nicht erschienen,

der Verheißung des Johannes lassen.

was wir sein werden." Durch Alles, was Jesus uns giebt und an uns thut, wird uns das Eine bezeugt: Wir gehen mit ihm hinauf nach Jerusalem. Wenn jene Wendung zum Schlimmen tu unserem Leben eintritt, und wir ziehen in der Erinnerung an all das Glück, welches wir hinter uns lassen, mit traurigem Sinn unsere Straße, dann sollen

wir uns sagen: Es kommt auch wieder eine andere Wendung, da geht es von Unten nach Oben, aus der Tiefe in die Höhe. Wenn

Der Gang der Jünger mit Jesus.

289

sehnen, und es kommt immer neue Unruhe,

wir uns nach Ruhe

immer neue Sorge und neuer Kampf, dann sagt euch: „Es ist noch

eine Ruhe vorhanden."

Jesus steht vor euch und spricht:

gehen hinauf nach Jerusalem."

und

„Wir

Wenn der Weg immer steiler wird

das Leben immer einsamer und der Wandergenossen

immer

weniger, so sagt Jesus zu euch: „Wir gehen hinauf nach Jerusalem."

Wenn Räthsel über Räthsel vor uns aufsteigen und unsere Vernunft ihre Ohnmacht immer mehr einsieht, so tröstet euch damit:

„Wir

gehen hinauf nach Jerusalem, wo wir alle die räthselhaften Wege

unseres Lebens erkennen und sprechen werden: Der Herr hat Alles

wohlgemacht."

Wenn unsere sittliche Arbeit an uns immer unvoll­

kommen bleibt, und alte Sünden immer wieder an unserer Seele

nagen, so sagt euch:

„Das Stückwerk wird doch einmal abfallen

und das Vollkommene erscheinen; denn wir ziehen hinauf nach Jeru­ salem."

Der Friede, der in der Sterbestunde auf der bleichen Stirn

des Sterbenden ruht, spricht zu uns:

„Siehe, wir gehen hinauf

nach Jerusalem."

Gehet muthig mit ihm hinauf nach Jerusalem,

wo er leidet

und stirbt; dann werdet ihr auch ftöhlich mit ihm hinaufgehn nach dem Jerusalem, wo er herrscht und triumphiert.

Amen.

2ö.

Der Gang der Jünger mit Jesus. Joh. 11, 16.

Lastet uns mitziehen, daß wir mit ihm sterben.

Ihr seid aus dem Leben hierhergekommen und Jedem von euch

erscheint das Leben anders, in eigenartiger Gestalt.

Denn Jeder

geht seinen Weg, hat seine Sorge und Arbeit, hat mit seinem Geschick zu kämpfen.

Dem Einen erscheint

das Leben eben jetzt

sonnig und heiter, dem Andern trübe und ernst.

So ist Jeder ganz

erfüllt und hingenommen von dem Eindruck, den sein Leben gerade

auf ihn macht.

Euer Leben ist es, das Euch bewegt.

Und wenn

ihr aus diesem Gottesdienst heimkehren werdet, wenn morgen die Kirmß, Predigten.

19

Der Gang der Jünger mit Jesus.

289

sehnen, und es kommt immer neue Unruhe,

wir uns nach Ruhe

immer neue Sorge und neuer Kampf, dann sagt euch: „Es ist noch

eine Ruhe vorhanden."

Jesus steht vor euch und spricht:

gehen hinauf nach Jerusalem."

und

„Wir

Wenn der Weg immer steiler wird

das Leben immer einsamer und der Wandergenossen

immer

weniger, so sagt Jesus zu euch: „Wir gehen hinauf nach Jerusalem."

Wenn Räthsel über Räthsel vor uns aufsteigen und unsere Vernunft ihre Ohnmacht immer mehr einsieht, so tröstet euch damit:

„Wir

gehen hinauf nach Jerusalem, wo wir alle die räthselhaften Wege

unseres Lebens erkennen und sprechen werden: Der Herr hat Alles

wohlgemacht."

Wenn unsere sittliche Arbeit an uns immer unvoll­

kommen bleibt, und alte Sünden immer wieder an unserer Seele

nagen, so sagt euch:

„Das Stückwerk wird doch einmal abfallen

und das Vollkommene erscheinen; denn wir ziehen hinauf nach Jeru­ salem."

Der Friede, der in der Sterbestunde auf der bleichen Stirn

des Sterbenden ruht, spricht zu uns:

„Siehe, wir gehen hinauf

nach Jerusalem."

Gehet muthig mit ihm hinauf nach Jerusalem,

wo er leidet

und stirbt; dann werdet ihr auch ftöhlich mit ihm hinaufgehn nach dem Jerusalem, wo er herrscht und triumphiert.

Amen.

2ö.

Der Gang der Jünger mit Jesus. Joh. 11, 16.

Lastet uns mitziehen, daß wir mit ihm sterben.

Ihr seid aus dem Leben hierhergekommen und Jedem von euch

erscheint das Leben anders, in eigenartiger Gestalt.

Denn Jeder

geht seinen Weg, hat seine Sorge und Arbeit, hat mit seinem Geschick zu kämpfen.

Dem Einen erscheint

das Leben eben jetzt

sonnig und heiter, dem Andern trübe und ernst.

So ist Jeder ganz

erfüllt und hingenommen von dem Eindruck, den sein Leben gerade

auf ihn macht.

Euer Leben ist es, das Euch bewegt.

Und wenn

ihr aus diesem Gottesdienst heimkehren werdet, wenn morgen die Kirmß, Predigten.

19

Der Gang der Jünger mit Jesus.

290

Arbeitswoche wieder beginnt, so tritt die Wirklichkeit eueres Lebens wieder mit chrer ganzen Macht an euch heran.

Und so seid ihr

gewiß Alle hierhergekommen, um etwas fürs Leben zu empfangen,

Ihr fragt hier mehr nach dem Leben als nach

für euer Leben.

Denn kommt einmal das Sterben, so ist die beste

dem Sterben.

Vorbereitnng darauf ein rechtes Leben. Diesem eueren Bedürfniß scheint unser heutiges Textwort wenig

Thomas, der Jünger Jesu, ruft es den anderen

zu entsprechen.

Es spricht sich darin eine Sehnsucht nach dem Sterben

Jüngern zu.

aus, eine Lust, eine Freude am Sterben.

Das ist gewiß Vielen

von euch etwas Fremdarüges, etwas Unnatürliches, ganz besonders denen, welche jetzt auf der Höhe des Lebens stehen, umdrängt von den

Arbeiten und Aufgaben des Lebens.

Dem hohen Alter liegt die

Todessehnsucht näher, vielleicht auch einer etwas träumerisch angelegten Jugend.

Wer aber so recht im vollen Leben steht, der weiß wohl

kaum etwas von einer Sehnsucht nach

dem Tode.

für uns Alle seinen tiefen Sinn.

dieses Wort

Dennoch hat

Es zeigt uns den

Weg, den wir Alle gehen müssen, wollen wir wirklich leben: Durch Sterben

zum Leben.

Spricht

sich

in unserem Textwort

eine

Sehnsucht nach dem Sterben aus, so beantworten wir uns zunächst

die Frage:

Giebt es eine berechtigte Sehnsucht nach dem

Sterben?

Müssen wir diese Frage bejahen, so fragt cs sich weiter:

Was ist das für ein Sterben, durch welches wir hindurch­

gehen müssen?

Und zuletzt: Was ist das für ein Leben, das

aus dem Sterben hervorgeht? 1. Es giebt eine Todessehnsucht, welche nicht berechtigt ist. Da hat ein Mensch sein ganzes Sinnen und Trachten, sein ganzes Herz an diese Erde gehängt

Erde ist.

und auf das

gerichtet, was von der

In den Gütern der Erde, in ihren Freuden und Genüssen

suchte er das Leben.

In den Arbeiten, welche ihm Erfolge

ein­

brachten, Geld und Gut, Ehren und Würden, in der Genugthuung, aus dem Wettlauf der Menschen als Sieger hervorzugehn, in der

Jugendkraft, in der Kraft des gereiften Lebens, welche er in seine Arbeit hineinlegte und in welcher er Andere übertraf, darin suchte er das Leben.

lichen Dinge,

Einen anderen Lebensinhalt, als alle diese vergäng­ hat er nie gekannt.

Staub, verwelkt wie das Laub.

Dieser Lebensinhalt zerfällt in Das Auge wird trübe, freut sich

291

Der Gang der Jünger mit Jesus.

nicht mehr an der Schönheit der Welt, das Herz stumpft sich ab Das Leben wird immer mehr seines

für die Genüsse der Erde.

Inhaltes entleert.

Es ist wie eine Frucht,

aus welcher man den

frischen, süßen Saft ausgepreßt hat, und die man dann wegwirst.

Da sehnt sich der Mensch nach dem Tode, nach dem Tode als nach dem Ende, nach dem Aufhören eines Lebens,

mehr hat.

Hier heißt es:

das keinen Werth

„Wie habt ihr das Eitle so lieb.

Das

Wesen dieser Welt vergeht." — Es ist auffallend, daß diese Todes­ sehnsucht

gerade

da sich geltend macht, wo sich das Leben

am

üppigsten entfaltet, wo dem Menschen sich Alles darbietet, was er

an Genuß verlangt; da spricht er, vom Genuß übersättigt, von der Lebensfülle ermüdet:

großes Land,

„Alles ist eitel."

Im fernen Ostasien ist ein

in welchem die Natur sich in einer uns ungeahnten

Ueppigkeit und Pracht entfaltet;

dort wohnt ein Volk mit reichem

Geist und mit tiefen Gedanken.

Aber gerade in diesem Volke der

Inder ist die Lehre Buddhas entstanden, daß alles Leben Leiden sei und daß es das Beste sei für den Menschen,

Welt und einzugehn in das selige Nichts.

abzusterben der

Und jetzt in dieser Zeit,

in der die Genußmittel für den Menschen sich immer reicher aufthun,

im finden sich wirklich Menschen, welche dieser Lehre aus dem fernen Osten lauschen, wie einem Evangelium und sprechen: „Was ist das

Leben?

Besser ist es, zu sterben, nicht zu sein, zu verlöschen wie

ein Licht im Winde, zu zergehen wie ein Bläschen in der schäumenden Welle und nicht wiedergeboren zu werden zu neuem Leben." —

Solche Todessehnsucht ist eine Krankheit, ja mehr, eine Sünde, eine Undankbarkeit gegen den großen Schöpfer, der das Leben und uns

gemacht hat. Anders verhält es sich schon, wenn solche Sehnsucht in einem Menschen entsteht in Folge schwerer Schicksalsschläge.

Die Kette

der Enttäuschungen ist so lang, daß auf der Wanderung durch die

Wüste des Lebens Geduld und Hoffnung müde werden, niedersinken, den Menschen nicht weiter begleiten wollen.

Nirgends mehr ein

Baum mit kühlem Schatten, eine Quelle für den Dürstenden.

Vor

den Augen nichts als der endlos und schattenlos sich dehnende Weg, ohne Ziel, ohne Ruhepunkt.

Wir haben gewiß die Pflicht, auch

da unser Vertrauen nicht wegzuwerfen, festzuhalten an dem Glauben,

daß Gott stärker ist als unser Geschick, und daß seine Güte länger 19*

292

Der Gang der Jünger mit Jesus.

währt

als unsere Trübsal.

Der Mensch ist unserer Theilnahme

werth, in dessen Seele da der Wunsch entsteht: Alles aus, der lange Kampf zu Ende."

„Wäre doch erst

Ganz besonders konimen

solche trübe schwere Empfindungen, wenn Jemand ein theures Leben

verloren hat.

Es ist ihm zu Muthe, nachdem zwei Augen sich ge­

schlossen haben, als gäbe es überhaupt in der Welt kein Licht mehrt ein dunkler Schatten legt sich über Alles; die Welt ist leer geworden.

Alle Gedanken bewegen sich um ein Grab; die Augen sind wie ge­

bannt auf eine leere Stätte, Lebenskreis entstanden ist.

auf eine große, breite Lücke,

die im

Und der Todte übt eine solche Macht

auf den Lebenden aus, daß es in dessen Seele immer wieder ruft: „Laßt uns mitziehn; wozu dieses Leben, dieses Treiben, dieses SichLaßt uns mitziehn, auf daß wir mit ihm sterben."

quälen?

Oder

wenn um das Sterbebett eines lieben Menschen die Angehörigen

versammelt sind, wenn die Schatten des Todes

immer dunkler

werden, und die Zurückbleibenden fühlen, wie mit dem Sterbenden

auch in ihnen etwas stirbt, da klingt es auch leise durch die Seelen:

„Laßt uns mitziehn, auf daß wir mit ihm sterben." Aber

es

giebt noch eine edlere Sehnsucht nach dem Ende,

nämlich dann, wenn es sich darum handelt, für etwas zu sterben, für

etwas Großes

und

Heiliges

Wenn die. Liebe zu seinem Glauben

sein Leben

zu

opfern.

oder zum Vaterland mächtig

über einen Menschen kommt, daß sie stärker ist als die Liebe zum

eigenen Leben, daß dem Menschen der Tod für Glauben und Vater­ land als das höchste Ziel erscheint, verklärt vom himmlischen Lichte,

daß er gar nicht anders kann, er muß diesem Ziele zueilen, er kann für sein Leben, das Gott ihm gegeben hat, keine höhere Bestimmung

und Verwendung sich denken, als die, es hinzugeben für einen großen Zweck — solche Sehnsucht nach dem Tode ist heilig. auch sie krankhaft werden.

Gewiß kann

In den Zeiten der Christenverfolgung

ist es vorgekommen, daß die Christen sich zum Märtyrertode gedrängt haben.

Aber es kann Zeiten geben, wo Gott selbst zu den Menschen

spricht:

„Jetzt ist es Zeit, Alles hinzugeben, auch das Leben, das

doch noch nicht der Güter höchstes ist, jetzt sollt ihr euere Seelen in euere Hand legen und zu sterben wissen.

Jetzt

sein Leben erhalten will, der wird es verlieren."

heißt es:

Wer

Und in solchen

Zeiten, in denen nicht menschliche Willkür und Laune und trübsinnige

Der Gang der Jünger mit Jesus.

293

Schwärmerei die Menschen zum Tode treibt, sondern eine heilige,

göttliche Nothwendigkeit, da ist es auch recht, wenn die Menschen

sich nach dem Opfertode sehnen und die selig preisen, die gewürdigt werden, ihr Leben als Opfer hinzugeben.

Aber auch diese Todessehnsucht ist noch nicht die höchste. uns ist der Tod nicht ein unendlicher dunkler Abgrund,

eine dunkle Pforte,

die zum Leben führt,

Für

sondern

ein Vorhang,

hinter

welchem unaussprechlich große Dinge verborgen sind, die kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat,

die ihn lieben. das Leben

die Gott offenbaren will denen,

Wir glauben an das Leben,

sich in dem, was wir

d. h. daran,

auf Erden erleben,

daß

nicht er­

schöpft hat, sondern daß es noch in sich birgt eine unendliche Fülle,

welche sich dem Menschen nach dem Tode erschließen wird.

Und wir

glauben an Gott, d. h. daran, daß seine Liebe kein Ende hat, auch

an unserem Grab kein Ende findet, sondern daß sie uns noch viel mehr geben will, als wir hier auf Erden nehmen und empfangen

können.

Der du hier auf Erden aus dem Quell der Wahrheit dann

und wann getrunken hast, dir soll einst noch viel reicher der Quell der Wahrheit fließen.

Der du hier seufzest in ehrlichem Kampfe

unter dem Zwiespalt, daß den Geist gelüstet wider das Fleisch und das Fleisch wider den Geist, es soll für dich noch einmal ein herr­ licher ewiger Sieg kommen.

Der du hier glaubst an eine ewige

Liebe, du sollst sie einst schauen.

Der du hoffest auf eine Vollendung

dessen, was hier in deinem Wesen nur Stückwerk ist, du sollst diese

Vollendung einst schauen.

Muß uns da nicht die Sehnsucht kommen

nach der Verwirklichung der Verheißungen, die uns gegeben sind? Sie braucht uns wahrlich nicht abzuziehen von der treuen Erfüllung

unserer Erdenpflichten.

Der Wanderer kann sehr wohl auf seinen

Weg sehen, wenn er auch dann und wann einmal sein Auge erhebt zu dem seligen Ziel, dem er zustrebt.

Auch ein Paulus hat ge­

sagt: „Ich habe Lust abzuscheiden und bei Christo zu sein." 'Dürfen

nicht auch wir uns auf Erden tragen lassen von den Flügeln der Sehnsucht nach Vollendung?

2. Dürfen wir aber nach jenem Leben verlangen, so müssen

wir bedenken, daß ihm noch ein anderes Sterben vorausgehen muß, als das leibliche Sterben.

von dem Wahn,

Wir müssen uns losmachen

als brauche nur der Körper zu sterben,

damit

Der Gang der Jiinger mit Jesus.

294

alsbald die Seele selig sei.

Sondern es ist

kein wahres Leben,

keine wahre Seligkeit möglich, weder dort noch hier, wenn nicht in uns ein geistiges Sterben vorausgegangen ist.

„Lasset uns mitziehn,

Das ist die Mahnung der Passionszeit:

daß wir mit ihm sterben." Jesus ziehen und seine

durchleben.

Lasset uns zunächst

im Geiste

mit

Empfinden

mit

in unserem

Passionszeit

einen dir lieben Menschen in

Wenn du in der Ferne

Leiden und Schmerzen weißt, so durchlebst du trotz der räumlichen Trennung sein Leiden mit ihm.

hängt ihr Beide

Denn innerlich

mit einander zusammen und verkehrt mit einander.

So laßt uns

mit Jesus ziehen im Geiste durch sein Leiden hindurch.

Wir versetzen

uns in die Zeit,

da der Gedanke

seines Leidens immer klarere,

greifbarere Gestalt in ihm annahm, als er ihn als Gottes Wille

und Rath aufnahm in das Gefüge seines Lebens.

Wir sehen da

die göttliche Hoheit, die himmlische Freiheit, mit welcher der Sohn

den schweren Weg geht, den der Vater ihm zeigt. es ihm zu Muthe gewesen sein mag, Jerusalem,

der

Richtstätte

der

Dentt euch, wie

als er auf dem Wege nach

Propheten,

nach

Jerusalem,

der

Mördergrube, sich sehnt nach Freunden, nach Schultern, auf die er sich stützen, nach Herzen, auf die er sich verlassen könnte, und seine

Jünger, die ihm zur Seite gehen, verstehen ihn doch nicht, und so

muß er den Kampf mit seinem Geschick ganz allein durchkämpfen. Gehet

mit ihm nach

Jerusalem,

tretet

mit ihm

ein in seinen

erschütternden Kampf mit seinen Feinden, die er mit Aufbietung der

ganzen Kraft seiner Liebe gewinnen möchte, und die sich doch immer weiter von ihm entfernen.

Gehet mit ihm nach Gethsemane, tretet

ihm zur Seite, da er ringt mit Welt, Sünde und Tod, ganz allein

in der weiten Welt, unter den schlafenden Jüngern,

Hört vor Kaiphas, wie

ganz allein.

fanatische Beschränktheit den König

der

Wahrheit verklagt, dessen Reich nicht von dieser Welt ist, seht, wie die wahnwitzige Volksmenge jubelnd den Barabbas auf die Schultern

hebt und über Christus das „Kreuzige" ruft.

Geht mit ihm den

Weg, auf dem er sein Kreuz trug, ja ihr Kreuzttäger, ihr Schwer­ belasteten, seht diesen

Einen, der hundertmal mehr getragen hat,

als ihr, und lernet von ihm Geduld haben und Demuth und Ge­

horsam, und nehmt euer Kreuz auf euch und folget ihm nach.

hinein in seinen göttlichen Sinn, der auch

Seht

auf diesem schwersten

295

Der Gang der Jünger mit Jesus.

Gange nicht an sich selbst denkt,

sondern an sein Volk, und den

„Ihr Töchter Jerusalems, weinet nicht

weinenden Frauen zuruft:

über mich, sondern weinet über euch selbst und über euere Kinder!"

Denkt euch, was es heißt, die ganze Welt mit göttlicher Liebe um­

fassen, und mit reinem Gewissen die Schuld der ganzen Welt auf sich nehmen,

den ganzen Jammer,

das ganze Elend der sündigen

Welt durchempfinden, fühlen die Noth der Verirrten, der Verlorenen. Denkt euch, was es heißt für den Sohn, der immer trinken konnte

aus der Liebesgemeinschaft mit dem Vater, sich von Gott verlassen

zu fühlen, sich ausgestoßen zu fühlen aus dem Lande des Trostes,

und im Geiste umherzuirren und Gott nicht zu finden!

Seht aber

auch, wie er am Kreuz, da ihn alle Schrecken des Todes umlagern, doch den Tod überwindet,

wie sein Sterben gar kein Sterben ist,

sondern ein Siegen und Ueberwinden in Friede und Liebe,

Rückkehr eines Siegers in die Heimath. der Passionszeit innerlich durchleben.

die

Das Alles laßt uns in

So laßt uns mitziehen, daß

wir mit ihm sterben. Dieses innere Mitdurchleben

Sünde.

des Leidens Jesu muß Einfluß

Zunächst auf unsere Beurtheilung der

haben auf unser Leben.

Jesus leidet und stirbt durch die Sünde.

in den Tod getrieben.

Verkehrtheit.

Die höchste Liebe geht unter im Haß der Welt.

Wahrheit wird als Lüge hingerichtet.

einem

Sie hat ihn

Hier offenbart sich ihre Verblendung, ihre

schmachvollen Tod

Das reinste Leben wird von

verschlungen.

ttiumphiert die ruhelose Welt.

Die

Ueber den

Friedefürsten

Das Alles hat die Sünde gethan.

Müssen wir da nicht erschrecken bei dem Gedanken, daß wir dieselbe

Sünde, welche hier den Gesalbten Gottes in den Tod getrieben hat, in uns einlassen, mit ihr spielen, sie an uns entschuldigen?

uns da nicht eine tiefe Abscheu vor ihr ergreifen? Jesu,

Kreuzestod

der

schmachvolle

Kreuzigung des Lebenssürsten,

lammes das furchtbarste Gericht,

worden ist?

Tod

des

die Erwürgung

Muß

Ist nicht der

Ehrenkönigs,

die

des reinen Gottes­

das je über die Sünde gehalten

Müssen wir da nicht, wie das Volk unter dem Kreuze

that, an unsere Brust schlagen, unsere Sünde verdammen, den Kampf mit ihr aufnehmen, um sie zu tobten, damit unsere Seele lebe?

Der Tod Jesu soll in uns die Sünde immer mehr zum

Sterben

bringen.

Wir suchen

und finden im Tode Jesu, die

Der Gang der Jünger mit Jesus.

296

Besiegelung der Gnade Gottes, welche uns Jesus durch seine Lehre

und

sein Leben

geoffenbart

hat.

Aber

der Tod

Jesu

soll

in

uns nicht nur das Schuldgefühl aufheben, sondern auch die Sünde

selbst in uns tödten.

Wie die Strahlen der Sonne sich in einem

Brennpunkte zusammenfassen, so faßt sich die Liebe Gottes zusammen

Und von hier strahlt sie mächtig aus,

in dem Tode Jesu.

gießt

ihre Gluth in unsere Herzen hinein, und wo das geschieht, da muß

die Sünde absterben.

Denn es können nicht in deiner Seele zwei

Herrscherthrone neben einander stehn, der der Sünde und der Christi.

Wo Christus herrscht, kann die Sünde nicht herrschen, sondern sie

Der alte Mensch in dir muß sterben, er muß

muß sterben.

sammt Christo gekreuzigt werden. Welt

unterging,

Wie mit dem Tode Jesu die alte

so muß in dir der alte Mensch

sterben, über­

wunden, gctödtet von der Liebe Christi, die für dich gestorben ist.

Seine Liebe muß deine Selbstsucht tödten, sein Erbarmen deinen Haß, seine sich selbst opfernde Treue deinen Eigennutz, sein heiliger Sinn

deine

böse Lust,

sein

Gehorsam

deine Verzagtheit,

seine

Ergebung deine Auflehnung gegen Gott, seine göttliche Kraft deine

Leidenschaften und Begierden.

Die Liebe Jesu, die sich in seinem

Tode offenbart, tödtet dein fleischliches Ich, das Selbst, das immer an sich denkt, Paulus:

alles das, was dich von Gott scheidet.

So sagt

„Ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit

Christo in Gott."

Dahin sollst du kommen, daß du durch die Welt

gehst und das Schlechte, Gemeine gar nicht mehr siehst, gar nicht verstehst.

Du bist innerlich dafür abgestorben.

Der Zusammenhang

zwischen deiner Seele nnd dem Bösen hat sich gelöst, seine Wurzeln in deiner Seele sind abgestorben,

du lebst nicht mehr in dieser

Welt der Sünde und des Todes, sondern in der Welt Gottes.

„Ihr seid gestorben, und euer Leben ist mit Christo verborgen in Gott."

Die Todten, die draußen auf den Kirchhöfen ruhen, wissen

auch nichts mehr von dieser Welt, nichts von dem Winter, der seine

Schneeflocken über die Erde treibt, nichts von dem Frühling, der

die Gräber mit Blumen schmückt; denn sie ruhen in Gott. es mit uns sein.

So soll

Wir sollen innerlich sterben der sündigen Welt,

mit Christo leben in Gott, daß die Stürme der Zeit, Trübsal, Noth, Versuchung uns nicht mehr berühren. borgen mit Christo in Gott."

„Unser Leben ist ver­

So kann es innerlich mit uns sein.

Der Gang der Jünger mit Jesus.

297

auch wenn wir äußerlich mitten drin stehen in den Arbeiten und Sorgen der Welt. Das ist das Sterben, nach dem wir uns sehnen sollen, durch das wir hindurchgehen müssen. Lasset uns

mit ihm ziehen, daß wir mit ihm sterben. 3. Solches Sterben führt nicht zur Gleichgültigkeit gegen unser Leben, die Menschen, unsere Erdenpflichten, das, was Welt und Zeit bewegt, sondern im Gegentheil zum wahren Leben in der

Welt.

Ohne

dieses Sterben giebt es kein wahres Leben.

Das

Leben im Herbst mußte sterben, damit der Frühling neue Blätter bringt. Sterben müssen die Knospen, damit Blüthen daraus werden. Sterben die Blüthen, damit Früchte daraus werden. Sterben muß das Weizenkorn, damit eine Aehre wird. Hier ist Sterben Um­ wandlung, Uebergang in eine höhere Lebensform. Der Glaube an dich muß sterben, damit er auferstehe als Glaube an Gott. Der Trotz muß sterben unter den Schlägen des Geschicks und dem inneren Gericht, damit in dir Raum finde die Gnade Gottes, die in den Schwachen mächtig ist. Sterben muß das Vertrauen auf

deine Tugend, damit es auferstehe als Vertrauen zur Gnade Gottes. Sterben muß deine Selbstliebe, damit sie auferstehe als der heilige Eifer, dein innerstes Selbst für die Ewigkeit zu retten. Sterben müssen deine Leidenschaften, mit denen du geeifert hast in fleischlicher Weise, damit sie auferstehen als die heiligen Leidenschaften des Glaubens und der Liebe.

Ohne dieses Sterben giebts kein Leben.

Und wenn deinen alten Menschen Ströme ewigen Lebens umgäben, er könnte nicht daraus trinken, er könnte es nicht schmecken, nicht

verstehen, denn er lebt in einer anderen Welt, die durch eine breite Kluft getrennt ist von der Welt des ewigen Lebens. Ohne Sterben kein Leben. Seht das an den großen Vorbildern unseres Glaubens. Als einst Johannes sich Jesu angeschlossen hatte, war er ein stürmischer Eiferer, der mit seinem glühenden Ehrgeiz den Platz zur Rechten

sich erobern wollte, der auf eine Samariterstadt, welche Jesum und seine Jünger nicht aufnahm, Feuer vom Himmel wollte regnen lassen. Nun seht zuletzt den

Jesu in seinem Messiasreich

greisen Johannes, der seine Gemeinde 'zu Ephesus leitete, himmlischer

Friede auf dem milden Antlitz und auf seinen Lippen immer nur die Eine Predigt: „Kindlein, liebt euch!"

Der Johannes, der Feuer

298

Der Gang der Jünger mit Jesus.

hatte regnen lassen wollen, war gestorben, und ein anderer Johannes war auferstanden. Ohne Sterben kein Leben. Der Paulus,

welcher als Pharisäer durch eigene Gerechtigkeit Gott gefallen wollte und die Christengemeinde verfolgte, ist bei Damaskus gestorben, und

es ist auferstanden der Paulus, der die Gerechtigkeit durch den Glauben predigt und das hohe Lied der Liebe im 13. Kapitel des ersten Korintherbriefes gesungen hat. Der Luther, der durch Möncherei selig werden wollte, mußte sterben, damit der Luther auferstünde, der die Freiheit eines Christenmenschen verkündigte. Nur aus dem Sterben kommt das Leben. Dazu mahnt noch eine Sümme aus einer anderen Welt. Goethe, der sich mit Vorliebe als ein Weltkind bezeichnet, auch er hat erkennen müssen, daß nur durch Sterben der Weg zum Leben geht. Und gerade in seinem Munde ist das Bekenntniß so ergreifend: Und so lang du das nicht hast, Dieses Stirb und Werde, Bist du nur ein trüber Gast

Auf der dunkeln Erde.

Durch Sterben zum Leben. Wo das Sterben aber waltet, da muß es stille sein. Wo einem Menschen die Augen brechen, da muß es stille sein, auch im brandenden Meere, auch im Schlacht­ getümmel, so still, wie in der Erde, wenn der Leib zu Staub wird,

still wie am Baum, wenn die Blüthen fallen, damit Früchte werden. So laßt uns stille werden, damit wir durch Sterben zum Leben gehen. Laßt uns jeden Tag die innere Sülle suchen, einen stillen Augenblick der Sammlung uns frei Hallen, einen stillen Augenblick

des Gebetes, die Augen nach Innen wenden, unsere Fehler erkennen, Gott bitten um Kraft zum Kampf, Gott bitten um den Sieg. Laßt uns stille werden in dieser Passionszeit, Christi Kreuz in unsere Seele verpflanzen, auf daß mit Christus sterbe unser alter Mensch und mit ihm auferstehe ein neuer Mensch. So werden wir leben, im vollen eigentlichen Sinne leben, d. h. glauben, und durch den Glauben Gottes und Jesu Christi

Leben in uns aufnehmen, die Menschen lieben und dadurch das Leben der Menschen mit ihren Leiden und Freuden in uns auf­ nehmen und in uns durchleben, hoffen, das Leben der Zukunft in

uns vorausleben und uns der Verheißungen freuen, die Gott uns

299

Der Kampf Gottes mit den Menschen.

gegeben hat,

dulden und im Dulden Gehorsam

lernen, Zucht,

Ergebung und wachsen von Kraft zu Kraft mit Christus zusammen, in Gott hinein, arbeiten, dem

Geiste,

sondern

mit

nicht bloß mit den Händen

dem

ganzen Menschen,

Herzen, um Gott und den Menschen zu dienen.

oder mit

auch mit

dem

Zuletzt werden wir

auch im Sterben leben, hören vom Jenseits her die Ströme des

Lebens rauschen. Sind wir auf Erden mit Christus gezogen, halten wir uns fest im Sterben an ihm, dann ziehen wir mit ihm weiter durch das Todes­

thal, und der dunkle Weg führt höher und höher und unser Freund

geht uns treu zur Seite bis ins Vaterland.

daß wir mit ihm sterben.

Lasset uns mitziehen,

Lasset uns

mit ihm sterben, auf daß wir mit ihm ziehen hinüber zum ewigen

Leben.

Amen.

36.

Der Kampf Gottes mit den Menschen. (Palmsonntag.) Darum siehe, ich sende

Matth. 23, 34—39.

zu euch Propheten und

Weise und Schriftgelehrte; und derselbigen werdet ihr etliche tödten

und kreuzigen, und etliche werdet ihr geißeln in euren Schulen, und

werdet sie verfolgen von einer Stadt zu der andern; auf daß über

euch komme alles das gerechte Blut, das vergossen ist auf Erden, von dem Blute

an

des

gerechten

Abels,

bis

aufs Blut

Zacharias,

Barachias Sohn, welchen ihr getödtet habt zwischen dem Tempel und Altar.

Wahrlich, ich sage euch,

Geschlecht kommen.

daß solches alles wird über dies

Jerusalem, Jerusalem, die du tödtest die Pro­

pheten, und steinigest, die zu dir gesandt sind!

Wie oft habe ich deine

Kinder versammeln wollen, wie eine Henne versammelt ihre Küchlein unter ihre Flügel; und ihr habt nicht gewollt.

soll euch wüste gelassen werden.

Siehe, euer Haus

Denn ich sage euch: Ihr werdet

mich von jetzt an nicht sehen, bis ihr sprechet:

Gelobet sei, der da

kommt im Namen des Herrn!

3eber Festtag in der christlichen Kirche hat einen bestimmten Gedanken und weckt demnach eine bestimmte Empfindung, Weih-

299

Der Kampf Gottes mit den Menschen.

gegeben hat,

dulden und im Dulden Gehorsam

lernen, Zucht,

Ergebung und wachsen von Kraft zu Kraft mit Christus zusammen, in Gott hinein, arbeiten, dem

Geiste,

sondern

mit

nicht bloß mit den Händen

dem

ganzen Menschen,

Herzen, um Gott und den Menschen zu dienen.

oder mit

auch mit

dem

Zuletzt werden wir

auch im Sterben leben, hören vom Jenseits her die Ströme des

Lebens rauschen. Sind wir auf Erden mit Christus gezogen, halten wir uns fest im Sterben an ihm, dann ziehen wir mit ihm weiter durch das Todes­

thal, und der dunkle Weg führt höher und höher und unser Freund

geht uns treu zur Seite bis ins Vaterland.

daß wir mit ihm sterben.

Lasset uns mitziehen,

Lasset uns

mit ihm sterben, auf daß wir mit ihm ziehen hinüber zum ewigen

Leben.

Amen.

36.

Der Kampf Gottes mit den Menschen. (Palmsonntag.) Darum siehe, ich sende

Matth. 23, 34—39.

zu euch Propheten und

Weise und Schriftgelehrte; und derselbigen werdet ihr etliche tödten

und kreuzigen, und etliche werdet ihr geißeln in euren Schulen, und

werdet sie verfolgen von einer Stadt zu der andern; auf daß über

euch komme alles das gerechte Blut, das vergossen ist auf Erden, von dem Blute

an

des

gerechten

Abels,

bis

aufs Blut

Zacharias,

Barachias Sohn, welchen ihr getödtet habt zwischen dem Tempel und Altar.

Wahrlich, ich sage euch,

Geschlecht kommen.

daß solches alles wird über dies

Jerusalem, Jerusalem, die du tödtest die Pro­

pheten, und steinigest, die zu dir gesandt sind!

Wie oft habe ich deine

Kinder versammeln wollen, wie eine Henne versammelt ihre Küchlein unter ihre Flügel; und ihr habt nicht gewollt.

soll euch wüste gelassen werden.

Siehe, euer Haus

Denn ich sage euch: Ihr werdet

mich von jetzt an nicht sehen, bis ihr sprechet:

Gelobet sei, der da

kommt im Namen des Herrn!

3eber Festtag in der christlichen Kirche hat einen bestimmten Gedanken und weckt demnach eine bestimmte Empfindung, Weih-

300

Der Kampf Gottes mit den Menschen.

nachten frohe Dankbarkeit für die Gabe Gottes in Jesus Christus, Ostern den starken Glauben an die Ueberwindung von Welt und

Tod durch Christus, Pfingsten heilige Begeisterung, Charfieitag Buße

und Trauer. Nur am Palmsonntag mischen sich in uns verschie­ dene Gefühle. Er ist einerseits ein Frühlingssonntag, der uns erinnert an die Palmen des heiligen Landes, deren Zweige den Weg Jesu schmückten beim Einzug in die Stadt, und wir hören das fröhliche Rufen der Volksmenge, deren Herz höher schlägt, weil sie die Erfüllung großer Hoffnungen nahen glaubt; wir sehen die festlich bewegte Stadt, die ihren König empfängt, den Bräutigam, der zur

Tochter Zion kommt. Aber dieser Tag ist zugleich der erste Tag der stillen Woche; im Herzen des Volkes schlummert die Untreue, im Herzen der Jünger der Verrath oder die feige Furcht, und Jesus trägt den Tod im Herzen. Gott bietet den Menschen noch einmal seine ganze Liebe dar, und die Menschen stoßen die Hand zurück, wie die Hand eines Feindes. „Ich habe euch sammeln wollen, wie eine Henne ihre Küchlein sammelt unter ihre Flügel; aber ihr habt nicht gewollt." Mit diesem Wort wird so recht die ernste Palmsonntagsstimmung wiedergegeben: Die Liebe Gottes, die von Oben bei uns ein­

zieht, auf Erden aber Untreue und Verstocktheit, welche dawider streiten: Der Kampf Gottes mit den Menschen. 1. In der Sendung der Propheten. 2. In der Sen­ dung Christi.

3.

Der Ausgang dieses Kampfes.

1. „Siehe, ich sende zu euch Propheten." Diese waren treue Berather des Volks, die von Gott beseelt dem Volke auf seinen

Irrwegen den Willen Gottes predigten, den heiligen Gotteswillen, der die Sünde straft, aber auch den gnädigen Gotteswillen, der will, daß der Sünder sich bekehre und lebe. Sie predigten die Treue Gottes, welche Israel je und je geliebt hat und es zu sich

zieht aus lauter Güte, welche bei ihm bleiben will, ob auch die Berge weichen und die Hügel hinfallen. So wollten die Propheten

das Volk aus den Verirrungen des Heidenthums zurückführen zu dem lebendigen Gott. Aber ebenso wollten sie auch das Volk aus dem in Formeln und Satzungen erstarrten Judenthum, aus dem Knechtshaus, in

301

Der Kampf Gottes mit den Menschen.

welchem die Priesterschaft

das Volk hielt, herausführen

zn den

Wassern eines lebendigen geistigen Gottesglaubens, zu Gott selbst, damit Israel Gottes Volk werde.

Sie wollten

das Volk führen

von den todten Worten zu frommer Gesinnung, von dem Fasten zum

Hungern und Dürsten nach der Gerechtigkeit, von den äußerlichen

Opfern zu den geistlichen Opfern eines frommen Herzens.

Sie liebten

Gott und sie liebten das Volk und deshalb wollten sie beide zu­

sammenbringen. Sie kamen mit dem Feuer der Liebe im Herzen, mit dem Feuer der Wahrheit auf den Lippen.

Sie baten, redeten, mahnten, drohten.

Es lebte in ihnen etwas von der Gottesliebe, welche unruhig ist in sich selbst, wenn sie ihre Kinder auf falschen Wegen sieht und ihnen

nachgehen muß, um sie zurückzuführen. Was

haben diese Männer für ein Geschick

Israel

gehabt?

hätte sich freuen müssen und Gott danken müssen für diese

seine

besten Männer, aus denen Gottes Stimme und sein eigenes Gewissen

zu ihm redete.

An einen Wanderer, der sich in der Nacht verirrt

hat, tritt ein steundlicher Führer heran, der sich erbietet, ihm den rechten Weg

zu zeigen.

Aber der Wanderer

hört nicht

auf ihn,

und als der Führer immer eindringlicher zu ihm redet, stößt er ihn

zurück, und als sie an einem Abgrund vorüber kommen, stürzt der Verirrte den, der ihn zurecht führen will, hinab. seine treuen Führer gesteinigt, getödtet.

So hat Israel

Ein Elias, dieser gewal­

tige Gotteskämpfer, der Israel losreißen wollte aus den Banden deK Baalsdienstes, sinkt ermüdet von der Gleichgültigkeit und dem Haß seines Volkes nieder und betet:

„So nimm nun, Herr, meine Seele

von mir; ich bin nicht mehr, denn meine Väter."

Jesaia uni>

Jeremia erleiden den Märtyrertod; Johannes wird im Gefängnist hingerichtet.

Besonders thut sich das Volk von Jerusalem in der

Verfolgung der iskopheten hervor.

Denn hier haben die Hüter der

starren Ueberlieferung, die Hohenpriester und Pharisäer, gegenüber

diesen freien Gottesmännern ihre Hauptmacht.

werden die Männer Gottes hingerichtet. Propheten.

In der Stadt Gottes

Hier sind die Gräber der

Jesus sagt, daß es nicht angehe, daß ein Prophet sterbe

außerhalb Jerusalems. In der Hauptstadt war die öffentliche Meinung,

am leichtesten zu erregen.

Furchtbare Zusammenstellung: Propheten,

die das Heil bringen, tobten, die von Gott gesandt sind, steinigen.

302

Der Kampf Gottes mit den Menschen. Dieser Kampf ist ein Kampf Gottes mit den Menschen: Gott

will das Volk mit Gnade und Wahrheit überwinden; aber das Volk

bäumt sich dagegen auf und erschlägt die Botschafter Gottes. Wo ein Mann gekommen ist mit warmem Herzem,

großen

Gedanken, beredtem Munde, da hat es auch nie in der Geschichte an der Volksmenge

gefehlt, die

ihn

angestaunt, dann ver­

erst

lassen, zuletzt gegen ihn gewüthet hat.

Woher kommt denn dieser

Gegensatz, dieser Kampf Gottes mit den Menschen, der in der Ge­

schichte immer wiederkehrt?

Scheiden sich denn die Menschen in

zwei Heerlager, die Einen für die Wahrheit, die Andern für die

Lüge?

Waren jene Feinde der Propheten nicht erfüllt von Be­

geisterung für die Ehre Jehovas und ihres Volkes? auch wohlmeinende Leute unter ihnen?

Waren nicht

Denkt doch an jenen Bauer,

der sein Holzscheit herbeischleppte zum Scheiterhaufen von Joh. Huß,

und von dem dieser Blutzeuge sagte: „O heilige Einfalt!"?

Nein!

Diese Leute wollen die Wahrheit, sie wollen fromm sein, sie wollen

Gott dienen, aber sie wollen das Alles nur anerkennen in der Form der starren Ueberlieferung, der Gewohnheit.

Unter dem Schutz

derselben wächst die Trägheit, die sich nicht gern stören läßt, und der

Eigennutz,

Und

der seinen Vortheil findet.

wenn

nun

die

Propheten kommen, die sich nicht begnügen mit dem, was die Ueber­ lieferung als wahr hinstellt, sondern die, wie ein schweizer Prediger

einmal gesagt hat, Wahrheit

„im Frühroth hinaufsteigen, wo der Quell der

entspringt, und

dort

aus der

hohlen Hand

ttinken,"

die selbst ihren Gott finden, in ihrer Sprache zu ihm beten, die Schlafenden auftütteln, damit sie mit ihnen vorwärts und aufwärts ziehen — da kommt die Menge, umdrängt sie, staunt sie an, ahnt,

daß etwas Besonderes in ihnen sei, wird dann, wenn sie die ernsten Forderungen hört, bald gleichgülüg und steinigt sie, sobald das

Losungswort

ausgegeben ist, als

Abttünnige, als

Gotteslästerer.

Es funkeln die Augen, und die Herzen glühn, und die Hände ballen

sich,

als gälte es der besten Sache, und es ist doch weiter nichts

als die alte Geschichte von den Propheten,

„Siehe,

ich sende zu euch Propheten."

von dem das gilt,

das solche Männer

die gesteinigt werden.

Glücklich das Volk,

hat, in welchen sich das

Wesen, das Gewissen des Volks zusammenfaßt, und welche die er­ kannte Wahrheit ohne Rücksicht auf Gunst und Mißgunst aussprechen,

Der Kampf Gottes mit den Menschen.

303

die aus der staubigen Ebene die Augen emporlenken zu ewigen Zielen. Es brauchen nicht Schriftgelehrte zu sein, Männer der Kanzel; die Propheten Israels waren auch Staatsmänner; auch durch

Staatsmänner, durch Gelehrte, durch Dichter und Denker kann Gott zu einem Volke reden.

Denn die höchste Offenbarung Gottes ist

die Offenbarung durch Menschen, die von seinem Geiste erfüllt sind. In ihrem heißen Denken, durch welches sie die Wahrheit, die ihnen aufging, ausgestalteten, in ihren feurigen Worten, mit denen sie dieselbe verkündigt, in ihren Kämpfen mit dem Unverstand der Menge, in dem Schmerz der Enttäuschung, des Nichtverstanden-,

des Verkanntwerdens, sehet darin ein Ringen Gottes, der durch solche Menschen redet, mit den Menschen, die ihn nicht verstehn. 2. Aber noch viel heftiger als in der Sendung der Propheten ist der Kampf zwischen Gott und den Menschen in der Sendung Jesu Christi gewesen. Ein wunderbarer Kampf! Und es ist nur eine Waffe gewesen, welche Gott in diesem Kampfe geführt hat, nämlich seine unendliche Liebe, wie sie uns aus dem Leben und Sterben Christi entgegentritt. „Wie oft habe ich deine Kinder sammeln wollen." Wie oft! Hier weist Jesus nicht nur darauf hin, daß er oft

seine Stimme hat ertönen lassen, sondern auch darauf, daß er seiner Stimme sehr verschiedenen Klang, seinem Ruf sehr ver­ schiedenen Inhalt gegeben hat, um durchzudringen zu den Herzen, damit, wenn es auf die eine Weise nicht gelänge, es vielleicht ge­ länge auf die andere. Seine Rede ist nicht eintönig, sondern alle Töne, die im Menschenherzen klingen, schlägt er an. Wie ein

Hausvater Altes und Neues hervorträgt aus seinem Schatz, so ist die Predigt Jesu, auch wenn sie alte Wahrheiten verkündigt, immer wieder neu.

In Gleichnissen redet er zu den Unmündigen und

ohne Gleichnisse zu den Wissenden,

den Vertrauten.

Neben den

freundlichen Verheißungen erklingen die ernsten Drohungen. Die Stolzen ruft er zur Selbsterkenntniß, indem er ihnen in Gleichnissen ihr eigenes Bild vorhält, und an den Kranken vollbringt er Be­ weise des Geistes und der Kraft.

Er knüpft seine Worte an an

die Rede des alten Testaments ebenso wie an die unmittelbare

Gegenwart. So ist seine Predigt vieltönig, wie die Predigt in der Natur, in der Welt, welche uns die Ehre Gottes verkündigt,

Der Kampf Gottes mit den Menschen.

304

das eine Mal in milden Frühlingslüsten, das andere Mal in Herbst­

stürmen,

im Rauschen des Quells,

wie im Brausen des Meeres,

in milden Menschenstimmen wie in den Donnern aus der Höhe!

Wie mannigfaltig sind die Rufe Gottes, die an uns ergehn!

Gott

die Glocken und durch das Wort Gottes,

durch

ruft uns durch

menschliche Noth, die Vergänglichkeit der Welt, den Sonnenschein der Freude, das Hinsinken unseres Glücks, durch Nacht und Trübsal,

durch menschliche Rede, durch die Stimme unseres Gewissens.

Jede

Prüfung, jede Aufgabe, jede Verbindung mit anderen Menschen,

die Geschichte der Vergangenheit wie die Verwickelungen der Gegen­ wart — Alles sind Mahnungen, Lockrufe der Liebe Gottes, durch welche er uns sammeln möchte.

Wie oft, wie oft habe ich euch

sammeln wollen! Ja sammeln!

Die Welt hat Einen Gott,

die Menschheit

Ein Haupt, die Menschen haben alle denselben Hunger und Durst der Seele;

dasselbe Heil ist für uns bereitet.

Deshalb gehören

alle Menschen zusammen, und sind sie zerstreut, so müssen sie ver­ derben, wie das Kind, das sich von seiner Familie trennt, die beste

wie das Schaf verschmachtet, das sich von seiner

Kraft verliert, Heerde

getrennt hat.

Mit vielen Brüdern vereinigt

sein in der

Liebe Gottes und im Wandel vor Gottes Angesicht, das ist unsere

Heimath,

die Quelle unserer Kraft.

Wer seine eigenen Wege geht

in Selbstsucht und Eigenliebe, dessen Herz verhärtet, und sein Leben verödet; allein auf sich angewiesen, allen Gefahren und Versuchungen

preisgegeben,

muß er verderben;

er hat auf seinen Wegen keine

treue Hand, kein Vaterherz, keinen Himmel; er ist verlassen, wie jene Ermordete, die neulich gefunden worden ist, die Memand kennt, nach der Niemand fragt, um die Niemand weint.

Deshalb will uns die

Liebe Gottes sammeln, aus der Welttust zum Gottesfrieden, aus

dem Mangel zur Sättigung, aus dem Tode zur Auferstehung. Die Liebe Gottes will uns sammeln, wie eine Henne ihre

Küchlein

sammelt unter ihre Flügel.

Das thut die Henne,

wenn der Geier in der Lust schwebt, oder wenn ein Gewitter droht.

So sieht Jesus über Israel den Geier des Gerichts, dunkle Wolken. Hätte Israel

sich von ihm sammeln

vorübergezogen.

Die

lassen, so wäre das Gericht

gesammelt sind von der Liebe Gottes, die

sind auch unter dem Schutz der Liebe Gottes.

Ihnen kann wohl

Der Kampf Gottes mit den Menschen.

305

auch Leid widerfahren, aber sie wissen überall eine Hütte des Friedens, die ihnen offen steht, und ein Haus, da sie hingehören, und einen Vater, der sie aufnimmt, und alle Trübsale sind nicht mehr Gerichte, sondern Segnungen Gottes. Das Gesetz mit seinen Drohungen, das Geschick mit seinen Stürmen und die Welt mit

ihrem veränderlichen Wesen kann da kein Verderben mehr anrichten, und die Scheidestunden der Erde können nicht mehr scheiden. Denn die Liebe Gottes hat sie gesammelt, wie eine Henne ihre Küchlein

sammelt unter ihre Flügel. Das will Gott mit uns thun. hat er uns Christum gesandt.

Darum

Seht nun, wie diese Liebe Gottes in Christo kämpft, um das zu erreichen. Zuerst kämpft sie wie die Sonne mit dem Wanderer, damit er den Mantel ablege. Aus fteundlichen Kinderaugen blickt sie zu Bethlehem die Welt an und das holde Antlitz eines Jünglings macht sie zu ihrem Spiegel, damit die Welt sie schaue. In goldener Frühlingszeit unter grünen Palmen zieht sie ein in die heilige

Stadt Jerusalem. Aber als die Welt ihr Widerstand entgegensetzt, da wird ihre Miene ernst. Jesus weint über Jerusalem und holt aus der Waffenkammer seines Inneren neue Waffen, das Schwert

der Wahrheit, das er gegen die Hohenpriester und Pharisäer schwingt, um sie zur Selbsterkenntniß zu bringen, und den Schild der Ge­

duld, der Langmuth, des Gehorsams. In demselben Verhältniß, in welchem der Widerstand der Welt wächst, wächst seine Treue. Immer stiller wird er, indem er die Schuld der Welt trägt. Sein innerliches Ringen und Beten, seine Selbstverleugnung, seine schwei­ gende Geduld, die er allen Lästerungen entgegenstellt — seht den Kampf der Liebe Gottes mit den Menschen. Sie will die Menschen

sammeln. Aber die Menschen wollen nicht. „Ihr habt nicht gewollt." Das ist die Waffe, mit welcher die Menschen gegen diese Liebe Gottes streiten. Gott ist so mächtig; er setzt Himmel und Erde in Bewegung, um die Menschen zu überwinden und zu sich zu

ziehn; und der Wille der Menschen ist sonst so schwach, und dennoch vermag die Liebe des allmächtigen Gottes nichts, wenn es heißt:

„Ihr habt nicht gewollt." Dieser menschliche Wille ist in dem weiten Weltall .der kleine Punkt, an welchem die Liebe Gottes,

welche tief und weit ist, wie das Meer der Ewigkeit, scheitert. Kirmß, Predigten. 20

Gott

Der Kampf Gottes mit den Menschen.

306

kann den Menschen nicht selig machen, wenn der Mensch nicht selig

„Ihr habt nicht gewollt,"

werden will.

das ist die Lösung des

dunklen Räthsels, warum trotz aller Liebe Gottes so wenig Seligkeit

„Ihr habt nicht gewollt," das ist die traurige Ge­

auf Erden ist.

schichte

von verlorenem Erdenglück,

die verdorben

von Menschen,

„Ihr habt nicht gewollt,"

und gestorben sind in Gottverlassenheit.

das ist der Grund aller Unruhe und aller Unzufriedenheit auf Erden. Gott kann ein Meer von Licht über dein Leben ausgießen; wenn du nicht willst, dir die Fülle

dann bleibt dein Leben dunkel.

aber

Gott kann

seiner Vergebung darbieten, wenn du nicht willst,

bleibst du in deiner Schuld.

Gott

kann dir deine Wohnung an­

weisen auf den Inseln des ewigen Lebens; bleibst du todt.

wenn du nicht willst,

Wenn du willst, hast du das Himmelreich; willst

du nicht, so nützt dir das Himmelreich nichts.

3. Welches ist der Ausgang dieses Kampfes?

uns dargestellt in der ferneren Geschichte Israels.

Er wird

Weil Israel

nicht gewollt hat, deshalb ist „sein Haus wüste geworden". Wie wunderbar

sind

Gottes Wege!

Der Strom

der göttlichen

Gnade sollte sich ergießen über die Fluren Israels; aber das Volk, das nicht wollte, baute einen Damm dagegen;

da hat sich dieser

Sttom andere Wege gesucht und hat furchtbare Verheerungen über Israel gebracht.

Jesus sagt es im ü.efsten Schmerz:

soll euch wüste gelassen werden."

„Euer Haus

Denn wodurch wird das geschehn?

Wird es nicht geschehen um seinetwillen?

Denn wäre er nicht

gekommen,

so hätte Israel keine Veranlassung gehabt, wider Gott

zu streiten.

So aber, weil es in ihm diese Veranlassung gefunden,

muß es untergehn.

Welch ein Verhängniß!

Er, der Heiland der

Welt, der große Hirte, der Israel zur rechten Weide führen will, er, dessen Herz sich erbarmte über das niedrigste Kind seines Volks, er wird

die Ursache

Heil nicht will.

des Verderbens

seines Volkes, welches

das

Segnende Wolken zogen über Israel herauf; aber

weil das Volk den Segen nicht will, verwandeln sie sich in Gewitter­ wolken, die

sich in Blitz

Israels in Asche legen.

und Donner

entladen,

und

nun in Verdammniß, Heil und Leben in Untergang. zusammentrifft,

das Haus

Die verheißene Seligkeit verwandelt sich Wo Beides

auf der einen Seite die Liebe Gottes, welche uns

sammeln will wie eine Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel, und

Der Kampf Gottes mit den Menschen. auf der andern Seite das:

„Ihr habt nicht gewollt",

und das „Selig, selig"

Stätte der Thränen,

307 da ist eine

verwandelt sich in

„Wehe, wehe!"

„Ihr werdet mich von jetzt an

Deshalb schließt Jesus:

nicht sehen, bis daß ihr sagt:

hat ihnen gethan,

was er thun

Nun muß er sie ihrem Schicksal überlassen.

Und es wird

im Namen konnte.

Gelobt sei, der da kommt

kommen.

des Herrn."

Sein Blut

wird

Er

kommen über dies Volk.

Wenn die

Heere der Römer heranziehen werden, und eine Wagenburg um die Stadt schlagen und sie ängstigen werden, wenn die Volksmenge, die sich aus dem Lande nach Jerusalem geflüchtet haben wird,

den engen Straßen

zusammendrängen

wird

sich in

eine Schafherde

wie

im brennenden Stall, wenn die Reiter der Hungersnoth, der Pestilenz

und des Todes durch die Straßen jagen werden, wenn der römische Feldherr dem Volk,

das die Barmherzigkeit Gottes zurückgestoßen

hat, nur noch die einzige Barmherzigkeit erweisen kann, daß er, um der Noth ein Ende zu machen,

die Mauern stürmen läßt und ein

furchtbares Blutbad anrichtet — dieses Gericht wird eine Wieder­

kunft

des

Menschensohnes sein.

In

den

Wolken,

die

über

Jerusalem sich lagern werden, werden sie dann ihn sehen, und um

ihn her die Propheten, die ihm die Bahn bereitet haben, und durch das Angstgeschrei der Menge wird das „Wehe, Wehe" klingen, mit

dem sie einst von ihrem Volk

geschieden sind.

So gehts überall,

wo die Gottesliebe zu einem Volke gekommen ist, und es geheißen hat: „Ihr habt nicht gewollt."

Die Schuld, die ein Volk auf sich

geladen gegen seine besten Söhne, gegen seine Gottgesandten, kommt über die Kinder.

Die Israeliten rühmten sich,

Abrahams Kinder

zu sein, und doch kam das Gottesgericht über sie. sich kein Volk seiner Größe und seiner Macht;

Darum rühme

denn das Gericht

kommt über jedes, das nicht gewollt.

Das Menschen.

ist der Ausgang

des Kampfes zwischen Gott und den

Aber ist es der einzige, Gericht, Verderben, Untergang?

Das kann nicht sein.

Es giebt noch einen anderen Ausgang.

auch für diesen liegt die Entscheidung in unserem Wollen.

Aber Wollet

ihr, so breitet sich die Liebe Gottes über euch aus wie der Frühlings­

himmel.

Wollet ihr,

des Gottesfriedens,

so wird kein Gut der Seligkeit,

kein Hauch

kein Tropfen des ewigen Lebens im Himmel

20*

308

Der Kampf Gottes mit den Menschen.

bleiben, es wird Alles euer werden.

Wollet!

Laßt euch überwinden!

Laßt euch überwinden nicht von seiner Macht und seinem Zorn,

sondern von seiner unendlichen Liebe! Laßt euch überwinden, die ihr zerstreut seid und in Selbstsucht, Hoffart, Eigensinn als trübe Erdenpilger einsame Wege zieht! Laßt euch überwinden, ihr Trauernden, von der Liebe, die euch bergen will unter ihren Fittichen, ihr Hadernden, von der Liebe, die alle Sünden dem Reuigen vergiebt, ihr, die ihr hingegeben seid an die wilden Triebe

eueres Fleisches, ihr Zweifelnden — laßt euch überwinden! Geht dem Helden der Passionszeit entgegen und sagt zu ihm: „Was du ge­ than, soll nicht vergeblich für mich gewesen sein." Gehet ihm ent­ gegen, ihr Abendmahlsgäste dieser heiligen Zeit, nehmt ihn auf mit reuigem, verttauendem Herzen! Selig seid ihr, wenn es für euch heißt: „Ich habe euch sammeln wollen, und ihr habt gewollt. Ihr seid mein." Das möge in euch der Ausgang sein des alten und doch ewig neuen Kampfes zwischen Gott und den Menschen!

Amen.

309

Die letzte Entscheidung.

37.

Die letzte Entscheidung. Matth. 27, 15—26.

Auf das Fest aber hatte der Landpfleger die Ge­

wohnheit, dem Volk Einen Gefangenen loszugeben, welchen sie wollten. Er hatte aber zu der Zeit einen Gefangenen, einen sonderlichen vor

anderen, der hieß Barabbas.

Und da sie versammelt- waren, sprach

los

gebe?

Barabbam oder Jesum, von dem gesagt wird, er sei Christus?

Denn

Pilatus

zu ihnen:

er wußte wohl,

sagen:

ich

Und

schickte sein Weib zu ihm und ließ

Habe du nichts zu schaffen mit diesem Gerechten;

habe heute viel erlitten im Traum von seinetwegen. priester und Aeltesten überredeten

das Volk,

Landpfleger und sprach zu ihnen: den ich

ich

Aber die Hohen­

daß sie um Barabbas

Da antwortete nun der

bitten sollten, und Jesum umbrächten. zween,

euch

daß sie ihn aus Neid überantwortet hatten.

da er auf dem Richtstuhl saß, ihm

daß

Welchen wollt ihr,

Welchen wollt ihr unter diesen

euch soll los geben?

Sie sprachen:

Barabbam.

Pilatus sprach zu ihnen: Was soll ich denn machen mit Jesu, von

dem gesagt wird, er sei Christus? zigen.

Der Landpfleger sagte:

Sie sprachen alle: Laß ihn kreu­

Was hat er denn Uebels gethan?

Sie schrieen aber noch mehr und sprachen:

Laß ihn kreuzigen.

Da

aber Pilatus sahe, daß er nichts schaffte, sondern daß viel ein größer

Getümmel ward, nahm er Wasser und wusch die Hände vor dem Volk und sprach: Ich bin unschuldig an dem Blut dieses Gerechten; sehet Ihr zu.

Da antwortete das ganze Volk und sprach:

Blut komme über uns und über unsere Kinder.

Sein

Da gab er ihnen

Barabbam los; aber Jesum ließ er geißeln und überantwortete ihn, daß er gekreuziget würde.

H)ie Gott in der Sendung Christi und der Propheten mit

den Menschen kämpft, wie seine suchende Liebe an dem „Ihr habt nicht gewollt" sich verwandeln wird in verheerendes Gericht über Israel, das haben wir in unserer letzten Betrachtung gesehen.

heutiger Text stellt uns die letzte Entscheidung dar.

Unser

Noch einmal

wird den Gegnern Jesu die Gelegenheit geboten, zu erkennen, was

zu ihrem Frieden dienet.

Aber auch hier ist das Ende:

„Ihr habt

nicht gewollt." Jedes Volk, jedes Zeitalter, in gewissem Sinne auch jeder ein­ zelne Mensch wird vor die große Entscheidung gestellt:

Die letzte Entscheidung.

310

1.

Aufruhr

oder

Erlösung?

2.

Charakterlosigkeit

oder Charakterfestigkeit? 3. Lärmender Streit um Jesus oder stiller Glaube an ihn?

1. Barabbas oder Jesus — Aufruhr oder Erlösung? Wir wissen von Barabbas nichts, als was uns hier erzählt wird. Sein Name bedeutet: „Sohn des Vaters."

Es wird erzählt, daß er noch den Namen „Jesus" geführt habe. Vielleicht können wir uns mit ziemlicher Sicherheit ein Bild von der Vergangenheit des

Barabbas machen. Es war damals eine aufgeregte Zeit in Israel. Das Gefühl, unter Roms Herrschaft zu stehen, ließ das Volk nicht zur Ruhe kommen und rief von Zeit zu Zeit kleine Aufstände her­ vor. An einem solchen mag Barabbas betheiligt gewesen sein, viel­ leicht sogar als Anführer. Es war zum Zusammenstoß mit den

römischen Soldaten gekommen und er war gefangen genommen worden. So müssen wir uns ihn als einen Menschen denken mit heißem Römerhaß, und das erklärt es uns auch wenigstens einiger­ maßen, daß die patriotisch tief erregte Volksmenge ihn frei bat. Das Volk entscheidet sich für ihn, für den Aufruhr, die fleisch­ liche Freiheit, für den Mann des Schwertes, für den wilden Kampf gegen Rom und geht an Jesus vorüber, der ihm eine ganz andere

Freiheit, eine ganz andere Zukunft bringen wollte. Jesus sieht der Entscheidung schweigend zu. Er kann sie nicht aufhalten und er hat sie längst vorausgesehen, schon damals als er auf dem Oelberg über Jerusalem weinte. Diese Entscheidung hat nun über das Volk eine furchtbare Macht. Israel wurde diesen Barabbas, nachdem es ihn fteigebeten, nicht los. Denn nach ungefähr vierzig Jahren ist er wiedergekommen. Das Volk stand auf gegen die Römer. Die Flamme des Aufruhrs wüthete durch das Land, und das römische Heer kam und schlug um Jerusalem her eine Wagenburg auf und ängstigte die Stadt und zerstörte dann ihre Mauern und tödtete ihre Kinder und verbrannte ihren Tempel. Als Israel Jesum verstieß, den Erlöser, den Friedefürsten, hat es Barabbas frei gebeten, den

Mann des Aufruhrs, der es zum Verderben geführt hat. Auch unser Volk steht jetzt vor solch einer Entscheidung, wie die Völker schon manchmal zu wählen gehabt haben zwischen Barabbas

und Jesus. Wenn es Jesus nicht wählt, so ist sehr zu fürchten, daß Barabbas frei wird. Es liegt jetzt auf vielen Gemüthern die

Die letzte Entscheidung.

Ahnung, daß wir

311

schweren Erschütterungen

Eine

entgegengehen.

Menge von unklaren Gedanken und Hoffnungen, Träumen voll heißer Leidenschaftlichkeit lebt in der Seele unseres Volkes, genau so wie

damals in Israel, als Alles vorwärts drängte, nur heraus aus dem

gegenwärtigen Zustand, einer neuen Zeit entgegen, was sie auch bringen möge, und wäre es Tod und Verderben: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder." scheidung hin.

Ja es drängt Alles nach einer Ent­

Es ist in unserem Volke etwas von der Verblendung,

welche den Zusammenbruch,

den man ahnt,

herbei sehnt.

Wird

unser Volk die Kraft haben, aus dieser schweren unruhigen Uebergangszeit sich hindurch zu arbeiten zur Ordnung und Ruhe, oder

wird Barabbas frei kommen?

Dann würde er als der Geist des

Auftuhrs herabsteigen unter das Volk und zu den Menschen sagen: „Es gilt kein menschliches Recht mehr, darum zerbrecht es, und es

Je hei­

gilt kein göttliches Recht mehr, darum werft es von euch!"

liger die sittlich-religiösen Güter unseres Volkes sind, um so größer

wird die Wuth sein,

mit der man sie in den Staub treten wird.

Je größer die Opfer waren, mit denen wir unsere nationale Einig­

keit und Wohlfahrt erkämpft haben, mit um so frevelhafterer Lust Im Lärm einer wüsten Leidenschaft wird

wird man sie verhöhnen.

die Ehre unseres Volkes zu Grunde

Menschen verbinden, werden mehr heilig sein.

die Eltern

sein und Eltern

Keine

gehen.

Bande,

die

Kinder werden gegen

Und

gegen ihre Kinder.

nach

dem

Taumel wilder Leidenschaft wird lautes Wehklagen durch das Land Das ist das Schicksal eines Volkes, welches Barabbas frei-

ziehen.

bittet, den Geist des Auftuhrs.

Daß

es

so

komme,

davor

behüte uns Gott.

Losung unseres Volkes sein: Gebt Jesus frei! wie dort in der Zeit seiner Passion. gebunden, sondern die Mächte der Zeit. Vorurtheilen

muß:

der Menschen.

So

soll die

Er ist gebunden,

Nicht Menschen haben ihn Er ist gebunden von den

Es ist trostlos,

daß

man es sagen

Unser Volk will ein christliches Volk sein, und die Meisten

wissen nicht, wer Jesus war. aber nicht verstanden.

blieben.

Sie haben etwas von ihm gehört,

Die Lehren über ihn sind ihnen ftemd ge­

Sie haben nie wirklich etwas gefühlt vom Pulsschlag seines

Herzens, haben ihm nie ins Auge gesehen, sind nie in ein eigenes persönliches Verhältniß zu ihm gekommen.

Sie kennen ihn nicht.

Die letzte Entscheidung.

312

So ist sein Heil, seine Seligkeit, seine Liebe, die uns helfen will und kann, gefesselt, kann sich nicht auswirken.

Dazu die Unvollkommen­

heiten unserer Kirche, die Unwürdigkeit derer, die sich oft am lau­

testen rühmen, Jesu Jünger zu sein, die Parteikämpfe in der Kirche,

die Beschränktheit der Menschen, die sein Reich bald hier bald da, bald in dieser bald in jener Form suchen — Jesus ist gefangen.

Das ist seine Passion in unserer Zeit.

Es zieht ihn hinaus in die

Noth der Zeit, um zu helfen, aber er ist gebunden.

Noth unserer Zeit,

da die Menschen

Die religiöse

glauben möchten und nicht

glauben können, die sittliche Noth unserer Zeit, da es den Menschen an Kraft fehlt im schweren Kampf des Daseins, die leibliche Noth

unserer

Zeit — Alles

Gebt Jesus frei!

faßt

sich zusammen

dem Einen Ruf:

in

Dann würde er als der frei erwählte König

unter den Menschen wandeln, um alles Menschliche zu segnen und zu weihen, wenn er zu den Menschen träte, die im Schweiße ihres

Angesichts arbeiten, um ihnen ihre Last leicht zu machen, wenn er das bescheidene Mahl des Armen würzte durch die Genügsamkeit, welche die Frucht der Gottseligkeit ist, wenn er den Verachteten und

Armen den heiligen Stolz in die Seele gäbe:

„Ich bin ein Kind

Gottes so gut, wie die Anderen," wenn er die verschiedenen Gesell­ schaftsklassen so mit einander verbände, daß es zwar auch noch Reiche

und Arme gäbe, aber daß Jeder bei redlichem Streben sein menschen­ würdiges Dasein hätte, wenn er — was die Hauptsache ist — der

Sünde die Macht und dem Tode seine Schrecken nähme! Unser Volk steht jetzt vor einer Entscheidung.

Wenn das nicht

geschieht, daß es Jesum frei bittet, dann geschieht das Andere, daß

Barabbas frei kommt, und dann hieße es: „Ihr Berge, fallet über uns, ihr Hügel, decket uns," das heißt: suchet Schutz vor dem Ge­

richte, welches Gott vollzieht! 2.

weiter:

Barabbas oder Jesus — Aufruhr oder Erlösung.

Pilatus

oder

Jesus



Charakterlosigkeit

Und oder

Charakterfestigkeit? Pilatus steht zu der Volksmenge in einem scharfen Gegensatz.

Bei dem Volke ist Alles Leidenschaft, ein Sturm, der alle Einzelnen mit sich reißt, ein Rausch, der Alle ergreift.

Bei Pilatus ist da­

gegen das Eigenthümliche das Fehlen jeglicher Leidenschaft; er kennt weder eine Leidenschaft der Liebe noch des Hasses, weder des Un-

313

Die letzte Entscheidung.

Er kann sich weder für etwas be­

glaubens noch des Glaubens.

geistern noch über etwas empören.

Bei ihm ist alles Vorsicht, Klug­

heit, kühle berechnende Erwägung, wie er sich wohl am besten aus

der Angelegenheit ziehe, ohne auf der einen oder andern Seite an­ zustoßen.

Er glaubt nicht nur nicht an Gott und Ewigkeit, er glaubt

auch nicht an Wahrheit, Liebe, Gewissen, und er kann sich auch nicht

denken, daß es Menschen giebt, die an Wahrheit und Liebe glauben,

daher seine spöttische Frage an Jesus:

„Was ist Wahrheit?"

Es

giebt viele solche Menschen, wie Pilatus, diese glatten, schwächlichen, charakter- und überzeugungslosen Menschen,

äußerer

Cultur

übersättigten,

an

die Kinder

Idealen

einer

armen Zeit.

an

Ihnen

erscheint Charakter und Ueberzeugung nicht nur als etwas Unnöthiges, sondern als ein Hemmniß, ein Bleigewicht, das am irdischen Empor­

kommen

hindert.

Nach

geistigen Fähigkeiten

allen Seiten Rücksichten

soweit ausbilden,

als

nehmen,

seine

zum Fortkommen

es

nöthig ist, durch ein gesellschaftlich glattes Wesen sich die Gunst der Menschen gewinnen, klug berechnen, auf welche Weise Einem das

Leben gegen möglichst geringe Leistungen möglichst Vieles biete — dieses glatte, wankelmüthige, nach allen Seiten hin abgeschliffene

Wesen vertritt bei ihnen die Stelle des Charakters, der Grundsätze. Bei der Volksmenge, welche sich für Barabbas entscheidet, ist das

Gewissen

in die Irre geführt durch Leidenschaften;

hier bei den

Menschen nach Art des Pilatus ist es eingeschläfert durch die kühle

Berechnung einer weichlichen Selbstsucht.

„Was dieser Leute.

soll ich

mit Jesus machen?"

Das ist die Frage

Glaube ich an ihn, wie die Väter an ihn geglaubt

haben, so hält man mich für einen Frömmler; glaube ich nicht an

ihn, so hält man mich

für einen Gottesleugner.

Bilde ich mir

meine eigene Ansicht über ihn, trete ich in ein persönliches Verhält­

niß zu ihm, wie es sich mir nach meiner Eigenart ergiebt, so stoße ich auf der einen oder andern Seite, rechts oder links an. ist es

das beste,

Deshalb

in solchen Glaubens- und Gewissensfragen

gar

keine Stellung einzunehmen, um sich nach keiner Seite hin zu bin­ den und, wenn es nöthig sein sollte, Stellung zu nehmen je nach

den gegebenen Verhältnissen.

Was soll ich mit Jesus machen?

Das

ist so manchmal die Frage der Staatsweisheit; „er ist nun einmal

eine Macht im öffentlichen Leben; entbehren können wir ihn nicht;

314

Die letzte Entscheidung.

aber nur ja nicht durch ein entschiedenes Bekenntniß irgendwo an­

stoßen!"

„Was soll ich mit Jesus machen?" so fragen kluge stolze

Leute, die gern über das Volk herrschen, und dazu auch die Reli­

gion benutzen, damit diese das Volk unterthänig und gefügig mache,

während sie für sich selbst über allen Glauben hinaus sind — diese

schändliche Heuchelei, die viel mehr schadet, als die offene Gott­ losigkeit.

Was soll ich mit Jesus machen?

Auf dieser Charakterlosigkeit

liegt ein furchtbarer Fluch.

Das ist der Sinn einer Sage, die sich

an das Leben des Pilatus

geknüpft hat: Pilatus habe sich später,

nachdem er seines Amtes entsetzt war, das Leben genommen.

Man

habe seinen Leichnam in die Tiber geworfen; da sei der Fluß aus

Man habe sie dann in die Rhone geworfen,

seinen Ufern getreten.

da sei ein heftiger Sturm entstanden; schließlich habe man ihn in den Alpen auf dem seitdem sogenannten Pilatusberg in einen tiefen

Brunnen

versenkt;

welchem Ungewitter

an

der Stelle sei

entstanden,

ein Teich

emporsteigen, sobald

etwas

man

aus

hineinwirft.

Diese Sage stellt den Fluch dar, der auf der Charakterlosigkeit ruht.

Ueber

sie wird

von der ewigen Gerechtigkeit das Urtheil gefällt:

„Gewogen und zu leicht befunden."

Von ihr gilt das scharfe Wort

Jesu: „Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich."

Mit der offen­

baren Bosheit wird ein tüchtiges Volk fertig, aber an der Charakter­

Die entschiedene Gottlosigkeit kann sich

losigkeit geht es zu Grunde.

verwandeln in einen ebenso entschiedenen Gottesglauben, die Cha­ rakterlosigkeit bleibt immer im Schwanken zwischen Ja und Nein. Die sagen: Was soll ich mit Jesus machen? sind schlimmer als die, welche rufen: Kreuzige ihn!

Da gilt das Wort der Offenbarung:

„Weil du lau bist und weder kalt noch warm, deshalb habe ich dich

ausgespieen aus meinem Munde."

Was

soll

ich mit Jesus

machen?

Mache mit ihm

das,

wozu Gott ihn dir gemacht hat, nämlich zur Gerechtigkeit und

zur Erlösung.

Er verlangt dich ganz, dein ganzes Herz; er will der

Mittelpunkt, die Seele, die Kraft deines Wesens, deines Charakters sein.

Es ist das Beste, was du dir selbst thun kannst, wenn er

ganz

allein steht,

ganz

allein ohne

alles Auffehn still

Seite zu treten, ohne dich dessen zu rühmen. wenn du

auf die

Seite

der

an seine

Du ehrst dich selbst,

Wenigen trittst,

bei

denen Recht,

Die letzte Enlscheidung.

Gewissen und Wahrheit ist.

Gehe zu ihm.

315 Wenn du stirbst, kann

dir die ganze Welt nicht helfen; darum frage auch jetzt, wo es sich um dein Heil handelt, nicht nach der Welt, sondern nur nach ihm.

Wenn du in Schuld fällst, kann dir die Welt keine Vergebung ver­ schaffen; darum frage auch nicht nach ihr, sondern nur nach ihm.

Nimm sein Wort auf, wie Maria, damit deine Seele zur Gotteskindschaft erwache; nimm ihn auf in dein Haus, wie Zachäus, da­

mit deinem Hause Heil widerfahre.

Trage sein Kreuz, wie Simon

von Kyrene; denn durch Kreuz gehts zur Krone.

Laß dir vom

Kreuz herab Versöhnung reichen, aus der Fülle seines Lebens Auf­

erstehung und Leben.

Das ist die rechte Entschiedenheit, die in

Gott und in sich selbst gefestigt ist, die nichts sucht, als die Klarheit

eines mit Gott versöhnten Gewissens, die nicht nach Rechts noch nach Links sieht, sondern nur auf das Eine, was noth ist, das aber auch ganz ergreift.

Das ist der gerade Weg, der nach Oben führt.

„Wer mich bekennt vor den Menschen, den will ich bekennen vor meinem himmlischen Vater."

Damit finden wir auch die rechte Lösung unserer dritten

3.

Frage:

Lärmender Streit um

Jesus

oder stiller Glaube

an ihn?

Als Jesus in Jerusalem

einzog,

jubelnde Volk, welches ihn umgab.

sah er still herab auf das

Als hier die Menge das „Kreu­

zige" rief, schaute er ebenso still auf diese lärmende Menge herab. Sie kann ihm nichts geben und nichts nehmen; denn seine Ehre ist bei Gott.

Und sie hat selbst nichts von diesem Lärmen — ein Streit,

der keine Frucht hat, Worte, welche verklingen, Aufregungen, welche

verschäumen.

Wie widersinnig ist es, sich um Jesus zu streiten.

Er

ist es werth, daß der Mensch seine ganze Kraft aufbiete, um ihn zu verstehn, um wenigstens etwas von seinem Wesen sich anzueignen,

um wenigstens einigermaßen in seinem Geist zu leben.

anstatt

Und nun,

einzudringen in sein Herz, streiten sich die Menschen um

seine Namen!

Während so um ihn die Volksmenge wogt, erscheint in unserer

Erzählung von ferne eine neue Gestalt; wir sehen sie nicht, aber wir

hören ihre Botschaft.

Es ist die Gattin des Pilatus,

Claudia ist ihr Name. Evangelium erzählt.

Procula

Wir wissen von ihr nichts, als was das

Hinter ihrer Botschaft: „Habe nichts zu schaffen

Die letzte Entscheidung.

316

mit diesem Gerechten; ich habe heute viel gelitten im Traum um

seinetwegen" verbirgt sich ein bewegtes inneres Leben.

Eine gebil­

dete Römerin hat sie wohl ihren Geist an Allem genährt, was die Cultur der alten Welt ihr därbot.

Aber bei allem Reichthum, der

sie umgab, konnte ihr reiches Gemüth keine rechte Ruhe finden. fehlte ihr etwas, und sie wußte nicht, was?

Es

Da hatte sie in jenen

Tagen zu Jerusalem auch gehört von dem Galiläer, von dem ganz

Sie

Jerusalem sprach, hatte ihn vielleicht selbst gesehen und gehört.

konnte den Eindruck, den er auf sie gemacht, nicht verwinden, mußte sich immer wieder im Geist damit beschäftigen.

der Nacht

vor dem Gerichtstag

Daraus entstand in

ein banger Traum,

als ob von

diesem Mann die Entscheidung der Zukunft abhinge, Heil und

Gericht, Leben und Tod.

Und als sie nun sieht, wie ihr Gemahl

vor dem Palast den Richterstuhl besteigt, und als der bleiche ge­ fesselte Mann herbeigeführt wird, da läßt ihr der angstvolle Traum keine Ruhe und sie schickt ihrem Gatten die warnende Botschaft.

Aus dieser Botschaft klingt nicht nur weibliches Mitgefühl, son­ dern vor allem die bange Vorahnung der furchtbaren Schuld, welche

die Menschheit durch die Kreuzigung Jesu auf sich laden sollte. es lag noch mehr

betritt.

Der Traum

Und

dieser Römerin war der

Morgentraum der heidnischen Welt, daß in diesem Gerechten

die Erlösung nahe.

So reiht sie sich in die Zahl der Frauen ein,

welche fast die einzigen Lichtgestalten in der Leidensgeschichte Jesu

sind.

Neben Maria, die den Worten Jesu lauschte, und Martha,

die ihm diente, neben dem Weib, das sein Haupt salbte, und den galiläischen Frauen, die ihm nachfolgten bis unter das Kreuz, soll auch diese heidnische Frau einen bescheidenen Platz finden.

Mitten

in einer Welt, die von Finsterniß umfangen Jesum verrieth, hat sie wenigstens eine Ahnung gehabt von dem ewigen Licht, das in ihm

erschien. Folgt ihr nach, besonders ihr, ihr Frauen.

Wenn sie draußen

um den Namen Jesu streiten, — ein Streit, der so wenig Sinn

hat, wie das Würfeln der Kriegsknechte um den Rock Jesu — lernt füll

an ihn

glauben und

in der Sülle ihm nachfolgen.

Wenn

draußen Leidenschaftlichkeit und Charakterlosigkeit den Namen Jesu

in weltliche Händel herabzieht, so thut euere Seelen auf für die Welt des Glaubens und der Liebe, die Jesus euch aufschließt.

In

317

Martin Luther.

dieser reinen Luft nährt sich der wahrhaft weibliche Sinn, „der ver­ borgene Mensch des Herzens, unverrückt, mit sanftem und stillem Geist,"

die Liebe, die Alles glaubt. Alles hofft und Alles duldet und niemals aufhört, die Geduld, die im Gehorsam Gottes Alles erträgt, der Glaube,

der euch sprechen lehrt:

„Wenn ich nur dich habe,

so

frage ich nicht nach Himmel und Erde," die Gewissenhaftigkeit,

die im Kleinen groß ist, der Heldenmuth, der im dunkeln Thal des Leidens immer

die Krone

Gottes Herrlichkeit sieht,

Nacht ist.

des Lebens

vor

Augen

hat und

auch wenn für das leibliche Auge überall

Dann bleibt es in euerem Leben nicht nur bei frommen

Träumen, sondern der Geist und das Leben Jesu wird in euerem Leben zur That, und Jesus kann von euch sagen:

gutes Werk an mir gethan."

„Sie hat ein

Amen.

38.

Martin Luther. (Am Sonntag nach der Enthüllung des Lutherdenkmals in Berlin.) 1. Joh. 5, 4.

Denn Alles, was von Gott geboren ist, überwindet die

Welt; und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.

Am Stadt

vorigen Dienstag wurde das Standbild Luthers in unserer

enthüllt.

An der Feier selbst haben nur verhältnißmäßig

Wenige theilnehmeu können. Deshalb wollen wir heute als evangelische

Gemeinde eine Nachfeier halten.

Bedeutsam genug ist das Ereigniß.

Ein Lutherdenkmal in Berlin erweckt in uns Gedanken,

nach einem Ausdruck suchen.

dort gewesen, um es sinnend zu betrachten.

thun.

die

Manche von euch sind gewiß schon Andere werden es noch

Da soll denn diese Feier in unserer Kirche den Zweck haben,

unseren Gedanken die rechte Richtung zu geben.

So wollen wir uns sammeln um unser Lutherdenkmal, in unseren Herzen das Wort

des Johannes

unserer Betrachtung vorangestellt haben.

bewegend, welches wir

317

Martin Luther.

dieser reinen Luft nährt sich der wahrhaft weibliche Sinn, „der ver­ borgene Mensch des Herzens, unverrückt, mit sanftem und stillem Geist,"

die Liebe, die Alles glaubt. Alles hofft und Alles duldet und niemals aufhört, die Geduld, die im Gehorsam Gottes Alles erträgt, der Glaube,

der euch sprechen lehrt:

„Wenn ich nur dich habe,

so

frage ich nicht nach Himmel und Erde," die Gewissenhaftigkeit,

die im Kleinen groß ist, der Heldenmuth, der im dunkeln Thal des Leidens immer

die Krone

Gottes Herrlichkeit sieht,

Nacht ist.

des Lebens

vor

Augen

hat und

auch wenn für das leibliche Auge überall

Dann bleibt es in euerem Leben nicht nur bei frommen

Träumen, sondern der Geist und das Leben Jesu wird in euerem Leben zur That, und Jesus kann von euch sagen:

gutes Werk an mir gethan."

„Sie hat ein

Amen.

38.

Martin Luther. (Am Sonntag nach der Enthüllung des Lutherdenkmals in Berlin.) 1. Joh. 5, 4.

Denn Alles, was von Gott geboren ist, überwindet die

Welt; und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.

Am Stadt

vorigen Dienstag wurde das Standbild Luthers in unserer

enthüllt.

An der Feier selbst haben nur verhältnißmäßig

Wenige theilnehmeu können. Deshalb wollen wir heute als evangelische

Gemeinde eine Nachfeier halten.

Bedeutsam genug ist das Ereigniß.

Ein Lutherdenkmal in Berlin erweckt in uns Gedanken,

nach einem Ausdruck suchen.

dort gewesen, um es sinnend zu betrachten.

thun.

die

Manche von euch sind gewiß schon Andere werden es noch

Da soll denn diese Feier in unserer Kirche den Zweck haben,

unseren Gedanken die rechte Richtung zu geben.

So wollen wir uns sammeln um unser Lutherdenkmal, in unseren Herzen das Wort

des Johannes

unserer Betrachtung vorangestellt haben.

bewegend, welches wir

Martin Luther.

318

Zunächst fragen wir, weshalb es errichtet ist? — Es

1.

Vielleicht eines der ältesten

giebt in Deutschland viele Lutherbilder.

in Erz gegossen befindet sich in der Stadtkirche zu Jena.

Es war

von einem sächsischen Fürsten für Luthers Grab in Wittenberg

bestimmt, gelangte aber in den Unruhen des schmalkaldischen Krieges

nicht an den Ort seiner Bestimmung und wurde deshalb jener Kirche

geschenkt.

steht neben dem trotzigen Vers,

Auf diesem Bild

den

Luther während des Reichstages zu Augsburg auf der Feste Coburg

an die Wand geschrieben hat:

„Lebend war ich dir, o Papst, eine

Pest; im Tode werde ich dein Tod sein," neben diesem Vers steht die Widmung, daß dieses Bild in der Kirche aufgestellt sei nicht zur In der damaligen evange­

Anbetung, sondern zum Gedächtniß.

lischen Kirche, die sich eben erst von Rom losgerissen hatte, lebte

noch die Besorgniß, durch Aufstellung des Bildes eines Menschen in der Kirche die Leute wieder zur Bilderverehrung zu verführen.

Für uns ist diese Gefahr geschwunden; die Gefahr liegt dagegen immer noch nahe, einen großen Menschen zu vergöttern, d. h. ihn

so zu verehren, daß man Gott über ihm vergißt, sich berauscht in der Bewunderung einer heroischen That und dabei die Demuth ver­

lernt, die Gott allein die Ehre giebt.

Und gerade bei Luther müssen

wir uns vor dieser Gefahr in Acht nehmen, einmal weil seine Be­

deutung für unsere christliche Erkenntniß und das ganze Leben unseres Volkes

uns

leicht

vergessen läßt,

daß

er auch

ein

schwacher,

sündiger Mensch war, und ferner weil wir uns durch nichts so sehr

von Luthers Geist entfernen würden, als durch solch eine Vergötterung. Zürnend würde sein Geist

vor uns treten und uns zurufen,

daß

nicht Luther für uns gekreuzigt sei, sondern Christus allein, und daß an seiner Person nichts gelegen sei, da es Gott ein Leichtes sei, jeden Tag zehn Dokwr Martinus zu schaffen.

Vielmehr soll unser Lutherbild ein Zeichen treuer Dankbarkeit

sein.

Jahrhunderte sind seit seinem großen Leben vergangen; mehr

als eine große Umwälzung hat seitdem die Menschenwelt bis in

ihre Tiefen aufgerüttelt.

Aber seine Persönlichkeit und seine That

erweisen sich in allen Umwälzungen der Zeit immer wieder als das kostbarste Erbe deutscher Vergangenheit.

So ist in der Begeisterung

des Lutherjahres 1883 der Gedanke entstanden, dem größten Deutschen

in der Hauptstadt des deutschen Reiches ein Denkmal zu errichten.

319

Martin Luther.

Jetzt ist es vollendet, ein Zeichen treuer Dankbarkeit.

Und unsere

Dankbarkeit bleibt nicht bei dem Menschen Luther stehn, sie geht

weiter, hinauf zu Gott, der sich seine Werkzeuge wählt, wie er will, und mit ihnen ausrichtet, was er will. Wenn irgend Einer, so hat Luther gewußt, daß er durch Gottes Gnade war, was er war.

Gott hat ihn aus niederem aber kraftvollem Geschlecht zur Hochschule geführt, aus dem hellen Lichte der Wissenschaft in das stille Halb­ dunkel des Klosters, dann durch seinen heißen Gewissenskampf hindurch zu Christus. Gott hat seinen Sohn in ihm geoffenbart. Gott hat ihn stark gemacht, zur rechten Zeit die Gedanken, welche er in der Stille gehört, von den Dächern zu predigen. Gott hat ihm das rechte Wort auf die Lippen gelegt. Gott hat das Herz eines weisen Fürsten ihm zugewendet, treue Freunde und Rathgeber ihm zur Seite gestellt. So hat Gott durch ihn das ewige Evangelium wieder auf den Leuchter gestellt und hat uns wieder zu sich gerufen, daß wir als freie Kinder durch Christus wieder unmittelbar mit ihm verkehren dürfen. Luthers Werk war aus Gott geboren. „Alles aber, was von Gott geboren ist, überwindet die Welt." So mahnt uns das Standbild, Gott zu danken für Alles, was er durch Luther für Herz und Gewissen, in Staat und Gesellschaft, in Schule und Kirche für uns gethan hat.

Zugleich aber soll es uns immer mahnen, zu halten, was wir haben. Wie Luthers Bild soll auch Luthers Geist unter uns bleiben. Möge nie das Gericht über uns kommen, mit welchem

Jesus Christus die Pharisäer und Schristgelehrten richtet: „Wehe euch. Schriftgelehrte und Pharisäer, die ihr der Propheten

Gräber bauet und schmücket der Gerechten Gräber!" Wohl ehrten sie die großen Todten, indem sie sagten, wenn sie damals gelebt hätten, würden sie Jene nicht verfolgt haben, wie die Väter gethan, sondern würden sie verstanden und geehrt haben. Nun wollen sie wieder gut machen, was die Väter an den Propheten ge­

sündigt, und so schmücken sie die Gräber der Ermordeten und bauen ihnen Denkmäler. Und doch ist diese ihre Dankbarkeit nichts als Heuchelei; denn sie sind von demselben beschränften Fanatismus be­

seelt, in welchem ihre Väter die Propheten ermordet haben.

Möchte

unter uns nie eine Zeit kommen, in der man trotz aller Stand­ bilder, die man Luther errichtet, den Geist verfolgt, den er ver-

Martin Luther.

320

kündigt hat, den Geist des Glaubens, der vom Menschenjoch frei sich allein gebunden weiß in Gott.

Wie sein Bild unter uns ist,

so möge auch sein Geist unter uns bleiben. 2.

Luthers Standbild hat aber in unserer Stadt noch eine

besondere

ganz

Bedeutung.

Berlin

hat

eine

große

Geschichte.

Ursprünglich ein Fischerdorf, ist es mit der Geschichte unseres Volkes

eng verknüpft zur großen Stadt und schließlich durch die Ereignisse

von 1870 zur Weltstadt herangewachsen. Siege

haben

Deutschland

deutschen Reiches gemacht.

einig und

Aber nicht nur politische

Berlin zur

Hauptstadt

des

Sondern auch hier heißt es: „Der Geist

ist es, der lebendig machte das Fleisch ist kein nütze," der Geist, der damals die Herzen entflammte und Männer und Jünglinge in den

Kampf trieb, daß sie mit dem Siegcsruf auf den Lippen in den Tod gingen, der Geist, der die Einigung Deutschlands als eine geschichtliche Nothwendigkeit

erkannte und wenn auch oft enttäuscht und zurück­

geworfen doch mit ruhiger Sicherheit und felsenfestem Glauben diesem

Ziele entgegenging.

Fragt ihr, woher dieser Geist stammt, durch welchen das deutsche Reich gebaut und Berlin zur Hauptstadt desselben erhoben worden ist, so geht hin an die Marienkirche:

Der Mann, dessen Bild ihr

dort seht, ist der größte Prophet dieses nationalen Geistes ge­ wesen.

Als er in Eisleben gestorben war und seine Leiche nach

Wittenberg gebracht wurde, da läuteten überall, wohin der Leichen­

zug kam, die Glocken, und das Volk drängte sich weinend an den Sarg Luthers, weil es wußte, daß es vielleicht nie auf Erden so

geliebt worden ist, wie von diesem jetzt stillen Mann.

Er ist mit

seinem Fühlen und Denken, mit seinem Wesen und Sein aus dem

Marke unseres Volkes herausgewachsen; der deutsche Charakter mit

seiner Tapferkeit, seiner Gemüthstiefe und seinem sinnenden Wesen, auch mit seinen Leidenschaften, Fehlern und Schwächen faßte sich in

diesem Manne zusammen.

Tief empört sah er, wie die edle deutsche

Nation von Rom ausgesogen wurde.

Eine der mächtigsten Trieb­

federn seines Handelns war das Gefühl gedrückter deutscher Ehre. „Sie haben," so schreibt er,

„alle Zeit unsere Hinfälligkeit gemiß­

braucht zu ihrem Uebermuth und Tyrannei und nennen uns tolle Deutsche, die sich äffen und narren lassen, wie sie wollen."

„Wir

haben des Reiches Namen, aber der Papst hat unsere Ehre, Leib,

Martin Luther.

321

Leben, Seele, und Alles, was wir haben; so ist der Papst der Kern, so spielen wir mit der ledigen Schale." So ruft er das

nationale Selbstbewußtsein wach, er verlangt, daß ein deutsches Reich erstehe, das nicht von Außen regiert werde, sondern un­ abhängig von Außen ruhe in seiner eigenen Macht. Von ihm vor Allem

ist das heiße, schmerzliche Ringen unseres Volkes nach Selbständigkeit und Einigkeit ausgegangen, dieses Ringen, das man so oft mit blutiger Gewalt niederzuschlagen versucht hat, das aber doch zuletzt unter Führung Preußens zum Ziele gelangt ist. Alle die Männer, die um dieses Zieles willen gekämpft und gelitten haben, haben aus dem Quell getrunken, den Luther aufgethan hat, sind getrieben worden von dem Geiste, der von ihm ausgegangen ist. Und auch das wollen wir nicht vergessen, wie er in der deutschen Sprache, die er in der Bibelübersetzung unserem Volke gegeben hat, eine innere Verbindung zwischen den deutschen Stämmen geschaffen hat, die Grundlage, auf der unsere Denker und Dichter die deutsche Nationallitteratur schaffen konnten. Der Protestanüsmus hat Preu­ ßen äußerlich mächtig und innerlich stark gemacht. Ihm verdankt es Alles. Unter Allen, welche vorgearbeitet haben an der Einigung Deutschlands, giebt es keinen Größeren als Luther. Darin hat sich Gottes Wille vollzogen. Lange hats gedauert, ehe er durchgedrungen. Was mußte erst noch Alles geschehen, ehe das verwirklicht wurde, was Luther einst mit seinem Seherauge geschaut hat. Gottes Mühlen mahlen langsam. Aber „was er sich vorgenommen und was er haben will, das muß doch endlich kommen zu seinem Zweck und Ziel." ist, überwindet die Welt."

Denn „Alles, was von Gott geboren

So hat es seinen guten Grund, daß Luthers Standbild in der Hauptstadt des deuffchen Reiches steht. Es ist errichtet dem Erneuerer des deutschen Volksthums.

3.

Aber auch das hat seine Bedeutung, daß sein Standbild

in einem der verkehrsreichsten Theile unserer Stadt steht. — Man könnte fragen, was hat Luther mit dem Getriebe in einer

heutigen großen Stadt zu thun? Sein Leben liegt fernab davon. Er ging aus einer Bauernfamilie hervor. Dann lebte er in der Stille des Klosters, dann in seinem einfachen Familienhaus, in seinem Studierzimmer, wo er seine gewaltigen Schriften schrieb, in Kirmß, Predigten.

21

Martin Luther.

322 der Kirche,

in der Universität, wo er lehrte.

wo er predigte,

Und wie sein äußeres Leben, so liegt doch auch seine Gedankenwelt, dieses Ringen seines Geistes um die lebendige Gemeinschaft mit

Gott, das Eindringen in die Welt der Geheimnisse Gottes, es liegt dem heutigen praktischen Leben so fern.

Deshalb sollte sein Stand­

bild vielleicht in der Vorhalle einer evangelischen Kirche oder in einem stillen Schulhof oder in einem Lehrsaal der Universität

aufgestellt werden, aber doch nicht mitten im Getriebe eines welt-

städtischen Lebens.

Und

doch gehört

es gerade dorthin.

Er hat das Treiben,

Hasten und Arbeiten der Menschen wohl gekannt und verstanden. Wie er selbst in seiner Jugend darin gestanden hat, so hat er wie Keiner ein Herz gehabt für die Mühen und Plagen eines fleißigen

Volkes.

Wie er selbst die Fesseln des Klosters für sich gesprengt

hat, so hat er die Menschen aus der wellflüchtigen Einsamkeit, in welche die katholische Kirche die Frömmigkeit bannen wollte, wieder

hineingeführt in die Welt, und hat uns den eigentlichen Quell auf­

geschlossen, aus welchem alle wahre Arbeit fließen muß, das strenge Pflichtgefühl, durch welches sich der Christ an Gott gebunden und in Gottes Dienst weiß, der Gehorsam, welcher in den alltäglichsten

Aufgaben des Lebens Gebote des allgegenwärtigen Gottes sieht, die stählerne Gewissenhaftigkeit, für welche die Pflicht des Berufes eine gestrenge Herrin ist, welche nicht mit sich markten und feilschen läßt,

sondern den ganzen Menschen mit all seinem Wissen und seinen Gaben und all seiner Zeit für ihren Dienst verlangt, kindliche Gehorsam in

der Nachfolge Jesu,

aber auch der freie

dem

es eine Freude,

eine Lust ist, überall Gottes Willen zu thun und ihm zu dienen

auch mit der niedrigsten Arbeit unserer Hände.

Luther hat das

Feuer entzündet, welches die Maschine der weltlichen Arbeit heizt.

So hat er den Geist

heraufgerufen,

durch welchen alles

Arbeiten im Alltagsleben seinen Werth bekommt, seine rechte Richtung,

seine innere Lebendigkeit, durch welche die Arbeit nicht mehr eine schwere Last ist, sondern eine Lust, den Geist, durch welchen der Mensch

dieses Mühen und Arbeiten beherrscht und zu einem Gottesdienst macht, den Geist, vermöge dessen sich der Mensch von den Gütern der Erde, die er sich erarbeitet, nicht beherrschen läßt, sondern sie beherrscht mit freiem Sinn.

Wo dieser Geist ist, da sind alle Werke

Martin Luther.

323

des Alltagslebens gute Werke, da ist die bürgerliche Tüchtig­

keit, der es ebenso ein unabweisbares Bedürfniß wie eine Ehrenpflicht ist, der Welt, dem Gemeinwesen und damit Gott etwas zu leisten,

da ist

die werkthätige

Werken Gott dient.

der

die

in

allen irdischen

Wir Protestanten haben keine Heiligen.

wir aber solche hätten, heiligen

Frömmigkeit,

weltlichen

Arbeit

Wenn

als den Schutz­

so könnten wir Luther

Deshalb

bezeichnen.

steht

Luthers Standbild mitten im Verkehr des Lebens am rechten Ort. Es ist eine ungeheure Arbeit,

die tagtäglich in unserer Stadt

geleistet wird, von der Arbeit des Staatsmannes, des Gelehrten, -es Künstlers, des Dichters bis herab zur Arbeit des Steinträgers

und der geringsten Magd.

Aber nehmt aus ihr die Seele heraus,

das an Gott gebundene Pflichtgefühl,

die werktägige Frömmigkeit,

den Gewissensernst, so ist sie werthlos.

Wissenschaft

Da wird die Arbeit

ein blendendes Gcdankenspiel,

■eine klingende Schelle;

der

ein tönendes Erz und

da ist die Arbeit des Beamten ein Lohn­

dienst, die Arbeit des Arbeiters das Dahinschleppen einer schweren ohne Zweck und Ziel.

Last,

steht, jedem Vorübergehenden

Staatsmann:

der dort im Bilde

So hat Luther, etwas

zu sagen.

Er sagt zu dem

„Mit dem, was du in deinem Amte thust, bist du

nicht nur dem Kaiser und Könige und dem Volke verantwortlich,

sondern dem Könige aller Könige." nach der nahen Universität geht:

die Wahrheit;

Er sagt zu dem Gelehrten, der

„Suche die Wahrheit, nichts als Er spricht zu dem

denn Gott ist die Wahrheit."

Lehrer, der in seine Schule geht: „Was du an den Kindern thust,

das thust du Gott; du an Gott."

was du an ihnen unterlässest, das unterlässest

Er spricht zu dem Arbeiter,

der an seine Arbeit

„So gering auch deine Arbeit sein mag, du sollst darin ein

geht: Knecht

Gottes sein."

Er

spricht

zu

der Hausfrau:

„Schaffe

deinem Gatten und deinen Kindern eine fromme Häuslichkeit, damit

thust du ein heiliges Werk, wie keine Nonne."

Er spricht zu dem

Kaufmann: „Gehe in Ehren deiner Arbeit nach; aber laß dein Herz

nicht gefangen nehmen von den Gütern der Erde." ^u:

Er ruft Allen

„Dienet dem Herrn als feine freien Kinder; dienet dem Herrn

mit Freuden!

So werdet ihr die Welt überwinden."

Das Lutherdenkmal ist werktägigen Arbeit.

errichtet

dem

Schutzheiligen

der

Martin Luther.

324

4. Aber das Wesen, das sich in einer großen Stadt breit macht,

ist so vielfach glänzender Schein ohne lebendigen Inhalt.

Da ist

es doppelt nöthig, daß der Mensch daran erinnert werde, für seine

Seele zu sorgen, damit sie nicht verschmachte in aller Pracht Erde.

der

Und bei aller Pracht und Vielgestaltigkeit des Lebens gilt

gerade hier das Wort:

„Das Wesen dieser Welt vergeht."

du erwirbst an äußeren Gütern, Händen.

Was

zerfließt wie Schaum in deinen

So soll Luther, der Mann des Glaubens, uns von Außen

nach Innen weisen, von Unten nach Oben. „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat." Luther hat den Glauben nicht geschaffen.

Es giebt im eigentlichen

Sinn keine Lehre Luthers; sondern er hat den von der Kirche ver­ gessenen christlichen Glauben wieder an das Licht gebracht, und ge­ lehrt, was Christus und die Apostel lehren.

Standbild.

Das zeigt uns sein

Er hält auf seinem Arm die Bibel, nicht mehr die

von der die Gemeinde ferngehalten wurde,

verschlossene Bibel,

sondern die aufgeschlagene Bibel, in der Jeder lesen kann, und

seine rechte Hand hat er auf diese aufgeschlagene Bibel gelegt, als spräche er:

„Seht, hier steht es geschrieben."

Am 4. Mai d. I.,

an dem Tage, an welchem Luther einst auf die Wartburg kam, ist

das Lutherdenkmal in Eisenach enthüllt worden.

großes Werk begonnen,

die Bibel für das Volk

Dort hat er sein aufgeschlagen,

aufgeschlossen, indem er sie ins Deutsche übertrug, so daß nun

Jeder aus dem Quell des Heils, der darin fließt, trinken kann. hat dabei treue Helfer gehabt.

Er

Sie umstehn ihn auf unserm Stand­

bild, der milde Melanchthson, sein treuer Philippus, der große Gelehrte mit dem Johannesgemüth, der Lehrer Deutschlands, aus

der andern Seite Bugenhagen, der Pfarrer zu Wittenberg, der es besonders verstand,

auf dem neuen Grund

des

evangelischen

Glaubens das Leben der Gemeinde einzurichten; dann weiter Justus Jonas und Cruciger, zwei treue Schüler und Mitarbeiter Luthers

bei der Verdeutschung der Bibel; auf der andern Seite Reuchlin, der

Sprachgelehrte,

mittelbar mitgeholfen

der

durch

seine

Sprachforschung

hat an der Verdeutschung

wenigstens

der Bibel, und

rechts und links am Eingang Franz von Sickingen und Ulrich von Hutten, Beide bereit, die Helden des Geistes und des Wortes

mit dem Schwerte zu schützen.

Alle zusammen ein Gesammtbild

Martin Luther.

325

-essen, wie jene große Zeit sich abgemüht hat, dem deutschen Volke die reine christliche Wahrheit in der Bibel darzubieten. Und nun rufen sie Alle den Menschen zu, welche durch die Straße eilen, so bedrückt von den Sorgen des Diesseits, innerlich so athemlos, so

ruhelos: „Kommt, ihr Christen, steigt hinab zu diesem aufgeschlossenen Quell der Wahrheit. Ihr Ruhelosen, sucht hier euere Ruhe, ihr Mühseligen, sucht hier euere Erquickung, ihr, die ihr nach dem Eiteln jagt, sucht das, was bleibt. Ihr, die ihr euch streitet um das, was ihr glaubt, sammelt euch um den Einen Hirten und Bischof euerer Seelen!" Soll ihr Rufen umsonst sein? Gehören diese Männer der Schriftforschung nicht mehr hinein in diese moderne Zeit? Bei der Enthüllung des Lutherdenkmals wurde unter anderm auch das Wort gesprochen: „Das Wort Gottes bleibet in Ewigkeit." Wir brauchen es heute so nothwendig wie einst. Denn die Sünde mit ihren Folgen ist heute noch mächtig wie einst und dörrt die Menschenseele aus, daß sie schreit nach dem lebendigen Gott. Und der Tod ist noch mächtig wie einst und die Sehnsucht der Menschen aus seinem finstern Reich zu dem lebendigen Gott. Und so kommt auch heute

noch wie einst aus der Schrift der Glaube, der Welt, Sünde und Tod überwindet, der Glaube, nicht ein Wahn, nicht ein Meinen,

sondern eine lebendige Kraft, die uns rechtfertigt vor Gott und in das richtige Verhältniß der Kindschaft zu Gott bringt, daß wir bei ihm Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit finden durch

Christus; der persönliche Glaube, nicht ein Beiwerk des Lebens, das wir dann und wann zur Hand nehmen, wenn wir es einmal zufällig brauchen, sondern das ewige Leben unserer Seele, das Licht, welches uns von Innen heraus Alles beleuchtet, in jeder dunkeln Stunde, in

jeder schweren Prüfung, in jedem Glück; der Gewissensglaube, nicht eine todte Ueberlieferung, sondern so verwachsen mit meinem innersten Leben, daß meine Seele sich selbst aufgeben müßte, wenn

sie diesen Glauben ließe; der Lutherglaube, der den Himmel stürmt und die Welt überwindet. So ist das Lutherdenkmal errichtet Gott zur Ehre, es ist

errichtet dem Erneuerer des deutschen Volksthums, dem Schutzheiligen der werktägigen Arbeit, dem Helden des evangelischen Glaubens.

Und wenn auch Stein und Erz einst

vergehen

müssen,

in Ewigkeit;

das Wort Gottes bleibet

unser

Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. Amen.

39.

Gustav Adolf. (Zur dreihundertjährigen Wiederkehr seines Geburtstages am 9. Dezember 1894.) Psalm 129, 1—4. auf,

so

sage

Jugend auf;

Sie haben mich oft gedränget

Israel,

sie

haben

aber sie haben

mich

mich nicht

oft

von meiner Jugend

gedränget

Übermacht.

von meiner Die Pflüger

haben auf meinem Rücken geackert und ihre Furchen lang gezogen. Der Herr, der gerecht ist, hat der Gottlosen Seile abgehauen.

Alle Offenbarung Gottes ist Geschichte.

Wir bezeichnen ja

besonders die heilige Geschichte, wie sie uns im alten und neuen Testament erzählt wird, als Gottes Offenbarung. Hier redet zu uns seine Gerechtigkeit, welche das Wahre und Gute nicht untergehen läßt trotz aller feindlichen Gewalten, seine Treue, welche, mag die Noth noch so groß sein, von seiner Sache nicht läßt und sie auch aus Schmach und Staub wieder zum Siege erhebt. Hier redet zu uns auch seine unendlich reiche Liebe, welche sich niemals erschöpft,

sondern in immer neuen Wendungen und Gestaltungen an das Licht tritt.

Alle Offenbarung Gottes ist Geschichte. Und alle Geschichte ist Offenbarung Gottes, alle Geschichte,

auch die weltliche. In dem Auf- und Niedergang des Völkerlebens, in den Zeiten, in denen sich das Gute füll entwickelt, das Schlechte,

Unbrauchbare allmählich überwunden wird, wie in denen, in welchen Gott auf den Schlachtfeldern Gericht hält und die Throne der Gewaltigen umgestürzt werden — in der Geschichte der Menschenwelt offenbart sich Gottes Wille und Gottes Rath. Und wieder vollzieht sich der Wille Gottes in der Geschichte immer durch bestimmte Persönlichkeiten. Alles, was Gott zu Stand und Wesen bringen will in dieser Welt, das läßt er in ein­ zelnen Menschen persönlich und damit machtvoll in der Menschen-

vergehen

müssen,

in Ewigkeit;

das Wort Gottes bleibet

unser

Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. Amen.

39.

Gustav Adolf. (Zur dreihundertjährigen Wiederkehr seines Geburtstages am 9. Dezember 1894.) Psalm 129, 1—4. auf,

so

sage

Jugend auf;

Sie haben mich oft gedränget

Israel,

sie

haben

aber sie haben

mich

mich nicht

oft

von meiner Jugend

gedränget

Übermacht.

von meiner Die Pflüger

haben auf meinem Rücken geackert und ihre Furchen lang gezogen. Der Herr, der gerecht ist, hat der Gottlosen Seile abgehauen.

Alle Offenbarung Gottes ist Geschichte.

Wir bezeichnen ja

besonders die heilige Geschichte, wie sie uns im alten und neuen Testament erzählt wird, als Gottes Offenbarung. Hier redet zu uns seine Gerechtigkeit, welche das Wahre und Gute nicht untergehen läßt trotz aller feindlichen Gewalten, seine Treue, welche, mag die Noth noch so groß sein, von seiner Sache nicht läßt und sie auch aus Schmach und Staub wieder zum Siege erhebt. Hier redet zu uns auch seine unendlich reiche Liebe, welche sich niemals erschöpft,

sondern in immer neuen Wendungen und Gestaltungen an das Licht tritt.

Alle Offenbarung Gottes ist Geschichte. Und alle Geschichte ist Offenbarung Gottes, alle Geschichte,

auch die weltliche. In dem Auf- und Niedergang des Völkerlebens, in den Zeiten, in denen sich das Gute füll entwickelt, das Schlechte,

Unbrauchbare allmählich überwunden wird, wie in denen, in welchen Gott auf den Schlachtfeldern Gericht hält und die Throne der Gewaltigen umgestürzt werden — in der Geschichte der Menschenwelt offenbart sich Gottes Wille und Gottes Rath. Und wieder vollzieht sich der Wille Gottes in der Geschichte immer durch bestimmte Persönlichkeiten. Alles, was Gott zu Stand und Wesen bringen will in dieser Welt, das läßt er in ein­ zelnen Menschen persönlich und damit machtvoll in der Menschen-

Gustav Adolf.

327

Deshalb ist nichts so im eigentlichen Sinn erbaulich,

Welt werden.

als Gottes Walten zu sehen in den Helden der Geschichte, und es

ist weise von der katholischen Kirche, daß sie in den Lebensbeschrei­ bungen ihrer Heiligen ihren Anhängern das Walten des göttlichen

Geistes in der Geschichte der Kirche zeigt.

Nun, wir Evangelischen haben keine Heiligen.

Wohl aber

haben wir Menschen, die, obwohl sündig und irrend, doch stark in Gott seinen Rath in der Welt vollbracht haben. Einer unter ihnen tritt heute vor unsere Augen, der königliche

Held, dessen dreihundertster Geburtstag heute in der evangelische»

Welt gefeiert wird.

stalt.

Aus weiter Ferne

grüßt uns seine hohe Ge­

Eine neue Welt ist in diesen 300 Jahren entstanden.

deutsche Volk, damals von Schmach

bedeckt,

Das

steht heute groß da

unter den Völkern der Erde und ruht fest nach Außen hin in der Aber was jener Held für seine Zeit gethan hat,

eigenen Kraft.

das hat er auch für uns gethan.

Unseren Glauben hat er gehabt,

für unseren Glauben hat er gekämpft, sein Herzblut hat die deutsche Darum gedenken wir heute mit dem Schwedenvolk

Erde benetzt.

des großen Königs.

Aber eine christliche Gemeinde soll Gott allein die Ehre geben. Und so wollen wir auch

heute Gott die Ehre geben, der wie in

aller Geschichte, so auch in der Geschichte Gustav Adolfs sich uns

geoffenbaret hat.

Seht, was der heutige Tag uns zeigt.

1. 3.

1.

Einen gepflügten Acker.

2.

Er zeigt uns:

Eine edele Aussaat.

Eine reiche Ernte.

Uns Spätgeborenen ist es unverständlich, daß es einst eine

Zeit gegeben hat,

in der unser Volk klagen konnte:

„Die Pflüger

haben auf meinem Rücken geackert und ihre Furchen lang gezogen."

Es war nicht nur die Zeit des dreißigjährigen Krieges, sondern auch die vorhergehende Zeit.

Es ist traurig, daß wir sagen müssen: Sie

hat begonnen, als das deutsche Volk in Berührung kam mit der rö­

mischen Kirche.

Als Bonifazius die deutschen christlichen Gemeinden

dem römischen Stuhl unterstellte, hat er das gewiß im Geiste seiner

Zeit und in gutem Glauben gethan.

Aber eine lange Reihe schwerer

Kämpfe ist daraus hervorgegangen.

Denn es wurden damals zwei

Mächte

mit

einander

verbunden, die

einander innerlich auf das

328

Gustav Adolf.

heftigste widerstrebten, auf der einen Seite die Kirche, welche alle Völker ihrer einheitlichen äußeren Macht unterwerfen wollte und sie zusammenfügen zu einem kirchlichen Staat, in welchem keine freie Mannichfaltigkeit möglich ist, auf der anderen Seite das deutsche Volk mit seinem eigenen Gewissen, mit seinem Suchen nach selb­ ständig erkannter religiöser Wahrheit, mit seinem Freiheitsbedürfniß auch in religiösen Dingen. Diese beiden Mächte, an einander ge­ kettet, mußten nothwendig in den heftigsten Kampf mit einander kommen. So wurde der Kampf zwischen Rom und den Ger­ manen das Thema der europäischen Geschichte. Seinen Höhe­ punkt hat derselbe erreicht, als der Wittenberger Mönch zu der Ueber­ zeugung kam, daß das Heil des deutschen Volkes in der Losung liege: „Ganz los von Rom," und als er mit mächtigem Rucke das Band zerriß, das Bonifazius in gutem Glauben geschürzt hatte. Aber durch Luthers That wurde dieser Kampf noch lange nicht beendigt. Als Luther in Worms war, sagte der päpstliche Gesandte Ale and er: „Wenn die Deutschen los wollten von Rom, dann würde man von Rom aus Kriege über Deutschland bringen, daß die Deutschen in ihrem eigenen Blut ersticken sollten."

Und so ist es gekommen. Deutschland wurde das Schlacht­ feld, auf welchem die europäischen Völker ihre Schlachten schlugen. Der langjährige Besitz des Landmannes wurde vernichtet, Dörfer eingeäschert, Städte zerstört, der Wohlstand des Bürgers vernichtet. Wo früher fleißige Hände sich geregt hatten, da wurde Alles still.

Die kräftigen Söhne waren erschlagen oder schlossen sich an plün­ dernde Schaaren an. Die Zurückgebliebenen hatten keinen Muth zur Arbeit, weil keine Arbeit Frucht brachte. Das deutsche Volk war kein lebendiger Leib mehr, sondern nur ein Haufen zerrissener

zuckender Glieder.

Das deutsche Land wurde aufgewühlt mit der

Pflugschar des Krieges. Blutige Saat wurde gesät, blutige Ernte wurde eingebracht; Thränen wurden gesät, Thränen geerntet. Wo waren die großen Hoffnungen geblieben, mit denen einst unser

Volk den Morgen der Reformation begrüßt hatte? Das evangelische Bekenntniß war zum Schweigen gebracht; fast konnte man sagen, die evangelische Kirche existierte nicht mehr. „Sie haben mich oft gedränget von meiner Jugend auf; die Pflüger haben auf meinem Rücken ihre Furchen lang gezogen" — so konnte Deutschland klagen.

Gustav Adolf.

329

Aber dieses niedergetretene schmachbedeckte Volk hatte Eins nicht verloren, sein Gewissen, seinen Glauben, den die Väter einst in

großen Gefahren bekannt hatten. Es war äußerlich von Schmach zerknickt, aber innerlich besaß es noch seine Ehre und seine Krone. Selten ist in der Geschichte Beides so zusammengetroffen, äußere Schande und innere Herrlichkeit, wie beim deutschen Volk im dreißig­ jährigen Krieg. Es hat damals eine große Gemeinde gegeben, welche ihren evangelischen Glauben mit doppelter Innigkeit umfaßt und bekannt hat. Die innere Herrlichkeit leuchtete hindurch durch die

äußere Schmach. Ein solches Volk konnte nicht untergehn, es mußte gerettet werden, wenn es einen gerechten Gott im Himmel giebt. Und wo ein Mensch oder ein ganzes Volk der Hülfe werth ist, da kommt nach Gottes Ordnung auch die Hülfe, und sollte Gott sie

herbeiholen aus der Ferne, wohin kein Hülferuf dringt. So war das deutsche Volk ein Acker, aufgerissen von der Pflug­ schar des Krieges. 2. In die Furchen mußte ein edeler Same gestreut wer­ den. — Es rauschte über die Ostsee herüber. Von den Flügeln des Windes getragen kam die schwedische Flotte, im vordersten Schiff Gustav Adolf. Und als er ans Land steigt, da zieht ihn seine geschichtliche Sendung auf die Kniee nieder und er bittet Gott um Gnade und Segen, da er sein Unternehmen zur Ehre Gottes und zur Vertheidigung der bedrängten Kirche angefangen habe. Gott hatte ihn gerufen, ihn herübergeführt. Freilich, Gustav Adolf hatte keine Stimme aus den Wolken gehört: Gehe hinüber

und hilf. Solche Wunder sind da nicht geschehen. Und doch sagen wir mit gutem Recht: Gott hat ihn'gerufen. Im evangelischen Glauben ausgewachsen, von seiner Wahrheit tief durchdrungen, ausgerüstet mit

einem weitblickenden Geiste, erfüllt von der heiligen Verantwortung, für die höchsten Güter und die Sicherheit seines Volkes zu sorgen — so sieht er die Macht des römischen Kaisers immer weiter nach

Norden vorwärts dringen. Stralsund, von Wallenstein belagert, soll der Stützpunkt für weitere Kriegsfahrten nach Norden werden. Er sieht den Protestantismus von der Uebermacht überwunden fast wehrlos am Boden liegen. Da gestaltet sich vor seinen Augen ein großer Plan: Er will den Kaiser zurückdrängen, Deutschland befreien, dann alle protestantischen Staaten des europäischen Nordens in

330

Gustav Adolf. großen

einem

zu

Protestantenbund

einer

gebietenden

Achtung

Macht zusammenschließen zu stetem Schutz und Trutz.

Seine evan­

gelische Ueberzeugung ebenso wie das Geftihl seiner Kraft treibt ihn,

ans Werk zu gehen.

So hat ihn Gott gerufen durch die Noth der

Zeit und durch die Gaben, die er ihm verliehen hatte. überhaupt die Art, wie Gott die Menschen ruft.

Das ist

Vielleicht ist es

auch bei Gustav Adolf gegangen, wie es dem Paulus ging, welcher

im Traum zu Troas in Kleinasien einen macedonischen Mann sah, der ihm winkte: „Komm herüber und hilf uns."

So stand vor der

Seele Gustav Adolfs die Gestalt des deutschen Protestantismus und winkte ihm zu: „Willst du mich verderben lassen? über und hilf!"

Komm her­

So zog er von Gott gerufen über das Meer.

Gott findet immer den rechten Mann, er findet ihn da, wo Als es sich um die religiöse Be-

kein Mensch ihn gesucht hätte.

fteiung unseres Volkes

handelte,

fand er den rechten Mann da,

wo man ihn am wenigsten vermuthen durfte, an der Stätte geistiger

Knechtschaft, im Kloster, einen armen verschüchterten blassen Mönch,

dessen Wiege

in

eines Bergmannes

niedern Hütte

der

gestanden

hatte, der nun aber gerade so wie er war, in der urwüchsigen Kraft des Volkes, gestählt in heißen Seelenkämpfen, rücksichtslos sein Leben

in die Schanze

schlug.

Und

die Zeit

als

ein gutes und reines

Schwert brauchte, um ihre Fesseln zu zerhauen, da rief Gott den

König eines Volkes,

das bisher nur selten in die Entwicklung der

Geschichte entscheidend eingegriffen hatte.

Die Feinde witzelten über

ihn, aber es zeigte sich bald, daß Gott den rechten Mann gefunden hatte.

Nicht das war das Größte an ihm, daß er ein großer Feld­ herr war, den die Kriegsgeschichte als den Schöpfer der leicht be­ weglichen heutigen Schlachtordnung rühmt,

enggeschlossenen

schwerfälligen

Schaaren

mit der er damals die

Feinde

der

Sondern das Größte an ihm war sein Glaube.

zersprengte.

An Gustav Adolf

sieht man, wie groß ein Mensch wird dadurch, daß er glaubt. glaubte an seinen Glauben, untergehn könne

durch

daran,

Er

daß dieser Glauben unmöglich

menschliche Gewalt.

Er glaubte

an seine

Sendung, daß, wenn er wahrhaft große Dinge beginne im Aufblick

zu Gott, es ihm auch gelingen müsse. trotz der Kleinheit seiner Mittel.

Er glaubte an die Zukunft

Er glaubte, daß ein kleines Heer,

331

Gustav Adolf.

durch Zucht und Ordnung sein müsse,

stärker

zügellos

nur

mühsam

sammengehalten Als sich

gebunden

an Gottes Gesetz, schließlich

als ein äußerlich noch so mächtiges Heer, das

durch die äußeren Bande der Disciplin zu­ des Krieges an seine Fersen

alle Furien

ihm Schwierigkeiten

entgegenthürmten,

heftete.

die jeden Andern

zurückgeschreckt und entmuthigt hätten, da glaubte er, und sein Glaube

hat Berge versetzt.

Der Glaube war der Quell seiner Thaten.

So

läßt ihn damals das Volkslied sprechen: Di« Ursach meiner Kriege

Allein ist Gottes Wort. Das giebt mit auch die Siege

Und Glück an allem Ort.

Für die göttlichen Rechte Will ich bis an mein End'

Ritterlich allzeit fechten:

Davon mich nichts abwendt.

Durch diesen Glauben hat er nicht nur das Mißtrauen, den

Neid und die Eifersucht unschädlich gemacht, mit der die deutschen dem Frenldling begegneten,

Fürsten

einige Zeit

wenigstens für

sondern auch

den unseligen Zwist zwischen Lutheranern und Refor­

mierten zum Schweigen gebracht, über den im dreißigjährigen Krieg

ein so furchtbares Gottesgericht hereinbrach. er mit seinem Heere — eine

wunderbare Erscheinung in der Ge­

der Kriege — betend und singend in die Schlacht gezogen

schichte

gegen

In diesem Glauben ist

den

unbesiegten

Tilly.

Durch

diesen

weltüberwindenden

Glauben ist er ein Bote Gottes an unser Volk geworden,

aus der Verzweiflung wieder zum Glauben erhob.

der es

Mit unbeschreib­

licher Begeisterung jubelte ihm das Volk entgegen, als er nach der Schlacht

bei Breitenfeld

durch Thüringen zog.

Es pries ihn

als den „Nordstern", der uns ausgegangen in dunkler Nacht; es

nannte ihn den „Gideon."

Ein Volkslied aus jener Zeit singt:

Gott Lob, es ist erwachet

Der Leu von Mitternacht. Der Anfang ist gemachet.

Glück zu. Glück zu dem königlichen Blut.

Es muß noch werden gut.

Und dann, als die letzte Entscheidung kam am Morgen von Lützen, da brachte man ihm seinen Harnisch, auf daß er seine Brust

Gustav Adolf.

332

damit bewehrte; er aber legte sein Lederwamms an, indem er sprach: Dann betete er und stimmte mit seinen

„Gott ist mein Harnisch."

Schaaren an: „Verzage nicht, du Häuflein klein," und dann stürzte er sich in die Schlacht.

Und als er getroffen vom Pferde

sank,

als sein Pferd, das über das Schlachtfeld raste, den Schweden den

Fall ihres Königs verkündigte, als er in den Armen seines treuen

Pagen August von Leufelfingen, der mit seinem jungen Leib den sterbenden König deckte, seinen Geist aufgab — hat ihn da sein Glaube getäuscht?

Es ist vielleicht nie auf einem Schlachtfeld edleres

Blut geflossen, als an jener Stelle bei Lützen, wo jetzt der Schweden­

Wenn aber für eine Sache ein edles Opfer gebracht

stein steht.

wird, dann kann sie nicht untergehn.

Lösegeld

gewesen für

Gustav Adolfs Blut ist das

den Protestantismus,

eine

edle

Saat.

Auf der Kirche zu Riddersholm, in der Gustav Adolfs Grab ist, steht oben auf dem Thurm unter dem Kreuz das Bild eines Pelikans,

der sein Herzblut für seine Jungen giebt.

3.

Eine

reiche

Krone des Lebens,

Ernte.

Da

Eine edele Aussaat. gedenken

wir

zuerst

der

welche Gott denen verheißen hat, die ihr

Leben nicht lieb haben bis an den Tod, und die auch ihm zu Theil geworden ist.

Christus hat gesagt:

wird es erhalten,"

„Wer sein Leben verliert, der

und die Offenbarung spricht:

Todten, die in dem Herrn sterben."

„Selig sind die

Auf dem Schlachtfeld für eine

große Sache siegend sterben, sterbend siegen, auf der sonnigen Höhe des Lebens, wo das Herz voll ist von Gott, sein Herzblut hingeben als eine Saat für die Zukunft — was heißt es „in dem Herrn

Gegen solch ein Menschenleben hilft

sterben", wenn nicht das?

kein Stechen, Hauen und Schießen, da bringt die Todeskugel keinen

Tod, sondern das Leben.

Und wenn solch ein Held hundertmal

getödtet werden könnte, hundertmal würde er durch Tod emporsteigen

zum ewigen Sieg.

„Sie haben mich

ost gedränget von meiner

Jugend an, aber sie haben mich nicht Übermacht."

Es giebt aber auch schon auf Erdeu eine Siegeskrone.

Ich

meine damit nicht den kalten Nachruhm — das ist eine zwar glänzende aber doch leblose Krone — sondern ich meine das Fortleben in dem

Herzen eines dankbaren Volks.

Das ist eine Krone, die geflochten

ist aus dem unverwelklichen Immergrün des Lebens.

Und wo heute

eine evangelische Gemeinde, sei es in einer hölzernen Dorfkirche

333

Gustav Adolf.

zwischen den hohen Bergen Schwedens oder in irgend einem hohen Dom, ihres tapferen Vorkämpfers gedenkt, da windet sie einen neuen grünen Zweig in die Lebenskrone, die sich um die Stirn des Siegers

schlingt. Ja du Leu aus Mitternacht, Ew'gen Ruhm hast du zum Lohne; Ueber Tod und Grabesnacht Leuchtet deine Siegerkrone.

Als die Leiche Gustav Adolfs durch Deutschland nach Schweden

gebracht wurde, da hat sie auf der weiten Reise Rast gemacht in Wittenberg, und ist dort des Nachts aufgebahrt worden in der Schloßkirche auf Martin Luthers Grab. Ein kürzlich Heimgegangener

Dichter, der uns ein unvergängliches Bild Gustav Adolfs gezeichnet hat, läßt mit Bezug darauf den Hofprediger Gustav Adolfs, Fabricius an der Leiche des Königs sprechen: In Wittenberg auf Luthers Grab

Stellt man des Königs Bahre ab. Die Leichen ruhn in Einem Haus Dom gleichem Kampf um» Höchste aus.

Was drunten der in der Gruft gelehrt.

Das schützt der droben mit seinem Schwert.

Die Nachwelt wird sie nimmer trennen, Der Glaube muß sie vereint bekennen.

Sie gehören auch Beide in der Verklärung zusammen.

Wir

sehen sie Beide nebeneinander stehn umgeben vom Glanze der Herr­

lichkeit, den Helden des Wortes und den Helden des Schwertes.

Wunderbar, wie Gott die Menschen zusammenführt, der deutsche Bauernsohn und der schwedische König, der sinnende Lehrer

des Glaubens und der unwiderstehliche Held der Schlachten — sie

stehen nebeneinander in der Ruhmeshalle der Geschichte, die unbesieg­ baren Helden,

die uns voranziehn, so lange

Geisteskämpfe giebt.

es

in

Deutschland

Und so lange unser Volk diesen Führern folgte

wird es immer sagen können:

„Sie haben mich oft gedränget von

meiner Jugend auf; aber sie haben mich nicht Übermacht."

Eine

herrliche Ernte.

Als nach dem Buche der Könige Elia im feurigen Wagen

gen Himmel fuhr, da rief ihm Elisa nach:

Vater, Wagen Israels und seine Reiter."

„Mein Vater, mein

Er wollte damit sagen.

334

Gustav Adolf.

daß Israel in diesem einen Mann soviel verliere, wie ein ganzes gewappnetes Heer mit Streitwagen und Reitern.

So verlor auch die evangelische Sache in Gustav Adolf ein ganzes Heer. Doch sein Name und Gedächtniß hat neue Heere erweckt. Nach 200 Jahren vereinigten sich am Schwedenstein die deutschen Protestanten, um die Gaben der helfenden Liebe hinauszutragen zu den zerstreuten Glaubensbrüdern. Friedliche Boten ziehen immerfort durch das evangelische Land und bitten die Evangelischen: „Vergeßt euere Brüder nicht!" Friedliche Bauleute bauen in katholischen Ländern evangelische Kirchen, in denen sich die Zerstreuten sammeln, und ziehen Glocken empor auf die Thürme, die zum Gottesdienst rufen, und bauen Orgeln, die den evangelischen Gemeindegesang begleiten, und Kanzeln, auf denen das reine Evangelium verkündigt wird, und Schulen, in denen der evangelische Glaube gelehrt wird. Der Gustav Adolf-Verein ist Gustav Adolfs friedliches Heer. Das ist auch eine herrliche Ernte. Bei Breitenfeld steht ein Denkmal, das an den Sieg Gustav Adolfs über Tilly erinnert. An demselben stehen die Worte: Gustav Adolf, Christ und Held, Rettete bei Breitenfeld

Glaubensfreiheit für die Welt.

Das ist die herrlichste Ernte, welche für uns aus Gustav Adolfs Kämpfen und Sterben erwachsen ist, er hat uns Glaubens­ freiheit erstritten. Das Netz ist zerrissen, mit dem man die protestantischen Völker wieder fangen wollte. „Der Herr, der

der Gottlosen Seile abgehauen." Ihr Evangelischen, die ihr euch eueres seligmachenden Glaubens freut, gerecht ist,

hat

der euch ohne menschliche Mittler durch das Vertrauen auf Christus allein mit euerem himmlischen Vater verbindet, ihr Protestanten,

die ihr das Recht empfangen habt, daß ihr in Glaubenssachen keinen Meister habt als Christus allein, ihr Gelehrten, die ihr euch der Freiheit euerer Wissenschaft freut, ihr Bürger, die ihr ein freies

Vaterland habt — alle ihr Menschen der protestantischen Welt, wie sie sich in Kirche, Schule, Staat, Kunst und Wissenschaft entfaltet hat, vergeßt heute, was euch scheidet, reicht einander die Hand und preist im dankbaren Aufblick zu Gott den Mann, der uns durch sein Kämpfen und Sterben die heiligsten Güter unseres Volkes ge-

335

Kaiser Wilhelm I.

rettet hat vor dem alten bösen Feind. dem erhabenen Bau,

der

eingeweiht

unter der

Ja, eine herrliche Ernte.

So frohlocke, du ganzes deutsches Volk: gedränget von meiner Jugend auf,

„Sie haben mich oft

so sage Israel,

oft gedränget von meiner Jugend auf; Übermacht.

Woche

die Einheit Deutschlands

worden ist, in welchem sich

Kaiserkrone darstellt.*)

Er hat auch mit gearbeitet an

verflossenen

der

in

sie haben mich

aber sie haben mich nicht

Die Pflüger haben auf meinem Rücken geackert, und

ihre Furchen lang gezogen.

Der Herr,

Gottlosen Seile abgehauen."

Amen.

der gerecht ist,

hat der

40.

Kaiser Wilhelm L (Zur Hundertjahrfeier.) Offenbarung Joh. 2, 10.

Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir

die Krone des Lebens geben.

Aolch ein Fest, wie das, welches wir mit diesem Gottesdienst

beginnen, ist ein Geschenk Gottes.

Ein Geschenk Gottes aber soll

man recht gebrauchen und genießen.

Deshalb wollen wir dieses Fest

uns durch nichts verkümmern lassen, weder durch die äußeren Wirren, noch durch peinliche Erscheinungen im Inneren unseres Volkslebens,

weder

durch

Klagen über die Gegenwart, noch

Sorgen um die Zukunft.

durch

ängstliche

Sondern dieses Fest soll dazu dienen,

daß sich unser Volk wieder einmal sammele und sich auf sich selbst und auf seine Mission besinne.

Diesen Zweck werden wir aber am besten erreichen, wenn wir in dem Wesen des verklärten Kaisers den eigentlichen Kernpunkt

zu finden suchen, das, was das Geheimniß seiner Erfolge war und ihn zu einem ausgezeichneten Herrscher

gemacht hat.

Stellt ihn

euch vor, wie ihr ihn gesehen habt in den großen Augenblicken

*) Das neue Reichstagsgebäude.

335

Kaiser Wilhelm I.

rettet hat vor dem alten bösen Feind. dem erhabenen Bau,

der

eingeweiht

unter der

Ja, eine herrliche Ernte.

So frohlocke, du ganzes deutsches Volk: gedränget von meiner Jugend auf,

„Sie haben mich oft

so sage Israel,

oft gedränget von meiner Jugend auf; Übermacht.

Woche

die Einheit Deutschlands

worden ist, in welchem sich

Kaiserkrone darstellt.*)

Er hat auch mit gearbeitet an

verflossenen

der

in

sie haben mich

aber sie haben mich nicht

Die Pflüger haben auf meinem Rücken geackert, und

ihre Furchen lang gezogen.

Der Herr,

Gottlosen Seile abgehauen."

Amen.

der gerecht ist,

hat der

40.

Kaiser Wilhelm L (Zur Hundertjahrfeier.) Offenbarung Joh. 2, 10.

Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir

die Krone des Lebens geben.

Aolch ein Fest, wie das, welches wir mit diesem Gottesdienst

beginnen, ist ein Geschenk Gottes.

Ein Geschenk Gottes aber soll

man recht gebrauchen und genießen.

Deshalb wollen wir dieses Fest

uns durch nichts verkümmern lassen, weder durch die äußeren Wirren, noch durch peinliche Erscheinungen im Inneren unseres Volkslebens,

weder

durch

Klagen über die Gegenwart, noch

Sorgen um die Zukunft.

durch

ängstliche

Sondern dieses Fest soll dazu dienen,

daß sich unser Volk wieder einmal sammele und sich auf sich selbst und auf seine Mission besinne.

Diesen Zweck werden wir aber am besten erreichen, wenn wir in dem Wesen des verklärten Kaisers den eigentlichen Kernpunkt

zu finden suchen, das, was das Geheimniß seiner Erfolge war und ihn zu einem ausgezeichneten Herrscher

gemacht hat.

Stellt ihn

euch vor, wie ihr ihn gesehen habt in den großen Augenblicken

*) Das neue Reichstagsgebäude.

336

Kaiser Wilhelm I.

seines Lebens, als er auszog, um mit Gott Thaten zu thun, oder

heimkehrte mit demüthigem Dank im Herzen als sieggekrönter Held, oder wie ihr ihn im Alltagsleben in den Straßen unserer Stadt

gesehen habt — so haften euere Blicke immer wieder vor Allem

auf einem Zuge in dem jedem Kinde so wohlbekannten Antlitz, nämlich seiner Treue, in welcher er demüthig Gott und seinem

Volke welche

der Menschen

die ihn groß gemacht hat,

gewonnen

erlangt hat,

er eine Krone

Kaiserkrone.

herzen.

Sie war es,

hat.

gedient

ihm die Herzen

die

sie war es, durch

hat;

die noch schöner ist als seine

Solche Treue aber ist das Werk Gottes im Menschen­

bekommt unser Fest

Dadurch

das rechte Maaß.

keine Menschenvergötterung, sondern ein Fest

des Dankes

Es ist

gegen

Gott, der durch unseren ersten Kaiser so Großes an unserem Volke

gethan hat.

So wollen wir das Andenken Kaiser Wilhelms ehren,

indem wir unsere Gedanken um das Schriftwort sammeln:

Sei getreu bis an

den Tod,

so will ich

dir die Krone

des Lebens geben. Laßt uns betrachten die Treue, die ihn geleitet hat, und

die Krone, die er erlangt hat. 1.

Der hundertjährige Geburtstag

Jugendzeit des Kaisers zurück.

führt uns zunächst in die

Diese fiel in schwere Zeiten,

wie ja so oft nach Gottes Willen schwere Zeiten für solche Menschen,

denen in der Zukunft

gaben anvertraut werden sollen.

die Schule sind

ganz besondere Auf­

Diese schwere Zeit des Zusammen­

bruchs der preußischen Macht hat in dem Herzen des Knaben die

Keime der Tugenden und Kräfte entwickelt, welche den Charakter des Mannes,

des Greises

ziemlich Alles

verloren.

war geschlagen,

ausmachten.

Ein Heer,

Seine

Eltern

hatten so

das für unüberwindlich galt,

der preußische Staat, der Staat Friedrichs des

Großen, war vernichtet, und Viele hielten die Hoffnung auf seine

Wiederherstellung für einen wahnwitzigen Traum. Da setzten Friedrich Wilhelm III. und seine unvergeßliche Gemahlin, dieser Schutzengel des preußischen Volks in jener dunkeln Zeit, ihre Hoffnung auf Gott.

Hier finden wir die Quelle des unerschütterlichen, demüthigen

Gottvertrauens, mit welchem der Sohn dieser Eltern späterhin den

schwersten Entscheidungen entgegengesehn, in den heftigsten Stürmen

festgestanden

hat,

wenn

Alles

zusammenzubrechen

schien,

dieses

Kaiser Wilhelm I

337

Gottvertrauen, das seinem ganzen Wesen den ruhigen Ernst gab, die innere Sammlung,

dieses Gottvertrauen,

das ihn behütet hat

ebenso vor Uebermuth wie vor Niedergeschlagenheit. — Auf der Flucht nach Memel und während des dortigen Aufenthaltes waltete in dem

Leben der Königlichen Familie die allergrößte Einfachheit; Luxus,

aller

wie er in der früheren weichlichen Zeit aufgeschossen war,

war verbannt, und je weniger das äußere Leben zerstreuende Genüsse

brachte, uin so mehr sammelten sich alle Kräfte im inneren, sittlichen Leben.

Diese Einfachheit finden wir wieder in der Schlichtheit

des Kaisers, die wir immer ganz besonders an ihm verehrt haben,

diese Schlichtheit und Entsagungsfähigkeit, die er nicht nur als der greise Heerführer im Felde gezeigt und vielleicht mit größerer Ruhe

ausgeübt hat, als der einfache Feldsoldat, sondern die er auch zu Hause in seiner bürgerlich einfachen Lebensführung an den Tag gelegt hat. — Der Aufenthalt in Memel brachte die Prinzen in unmittelbare Berührung mit dem Volke, welches sich dort in rührender Treue

um seine Königsfamilie

schaarte.

schauen in des Volkes Herz,

Dort

lernte der Knabe

lernte das Gold erkennen,

im Herzen des Bauern und des Tagelöhners ruht.

hinein­

das auch

Da sehen wir

schon vorgebildet das tiefe natürliche Verständniß, welches unser

Kaiser für des Volk gehabt hat, und Geringen

sich der Armen

und sein pflichttreues Bemühen,

anzunehmen.

Deshalb ist er nicht

am Volke verzweifelt, auch wo das Volk an ihm irre wurde. — In

jener Zeit, wo gerade die höheren Stände des preußischen Volkes ihre ganze sittliche Kraft verloren zu haben schienen, wo der Verrath die Thore der Festungen öffnete und die Feigheit die Waffen weg­

warf, ehe noch der letzte Kampf gekämpft war, geschah etwas ganz Wunderbares.

Um den König

schaarte sich auf einmal, wie im

Augenblick aus der altpreußischen Erde hervorgewachsen, eine Reihe von mächtigen Charakteren, Männer von unüberwindlichem Glauben

an die Zukunft, von einem Gedankenreichthum, den die Noth der

Zeit in ihnen schuf, von einem stählernen Pflichtgefühl, von einer

alle Rücksichten verachtenden Hingebung an das arme zerschlagene Vaterland.

Sehen wir da nicht die Geburtsstätte der Pflichttreue,

welche unseren Kaiser begleitet hat durch sein ganzes Leben, der Pflicht­ treue, welche eigentlich seine Größe ausmacht, nicht das, was man

gewöhnlich

unter

Kirmß, Predigten.

Größe

versteht,

sondeni

die

sittliche

22

Größe,

Kaiser Wilhelm I.

338

welche allen äußerlich glänzenden Thaten erst ihren inneren sittlichen

Werth giebt?

So war jene schwere Zeit die Schule,

in

welcher

sich der

Charakter und der Wille des Knaben bildete, in welcher der Retter

der Zukunft

sich vorbereitete

das große Werk,

auf

das er nach

60 Jahren vollbringen sollte.

Lange Jahre hat er diese Kräfte in bescheidener Zurückhaltung, in ernster Arbeit an sich selbst gepflegt und fortgebildet.

In einem

Alter, wo sonst in dem Manne sich die erste Sehnsucht nach Ruhe regt, bestieg er den Thron seiner Väter.

Da begann die Arbeit,

da begann ein Leben, das wie ein Adlerflug war.

Und wie es bei

seinem Vater war, so standen um ihn, wie aus der Erde gewachsen, die großen Männer da, jeder an seinem Platz,

so daß man den

Eindruck hatte: Dieser Platz ist gerade für diesen Mann, und dieser

Mann ist gerade für diesen Platz, jeder an seinem Platz, der ritter­ liche Kronprinz, der tapfere Friedrich Karl, der kühl erwägende Moltkc, der energische Roon, und unter Allen der Mächtigste, der Staatsmann, der unser Staatsschiff sicher hindurchgesteuert hat durch eine ganze Reihe von Stürmen, von denen jeder einzelne stark genug

war, viele Andere zum Scheitern zu bringen.

Es war der stille

mächtige Einfluß Kaiser Wilhelms, daß alle diese Männer, jeder ein

Mann für sich, sich einmüthig mit rührender Verehrung um ihren Herrn schaarten und sich in ihrer Arbeit verzehrten. große Jahr der Entscheidung.

Da kam das

Selten hat ein Monarch mit solch

einem tiefen Gefühl der Verantwortung zum Schwert gegriffen, wie er,

zugleich aber auch fest entschlossen, diesen Krieg zum Heil des Vater­ landes durchzuführen.

Seine Treue war es, welche im deutschen

Volke von der Meeresküste bis zu den Bergen des Südens die alte

deutsche Treue wachrief, daß Alle, auch die bisher Getrennten, auf seinen Ruf tarnen.

Seine Treue war es, die das ganze Heer erfüllte

vom Feldherrn bis zu dem gemeinen Soldaten, auf schweren Märschen,

in den Schrecken der Schlacht, oder auf Posten in Schnee und Eis

während der stillen Wintcrnacht.

Unser Kaiser hat um sich her im

Felde wie im Frieden Viele gesehen, welche treu gewesen sind bis

in den Tod.

Es ist nicht zum wenigsten sein Wesen gewesen, was

unbewußt die Menschen durchdrang.

Hier sehen wir, was ein einziger

Mann vermag allein durch den unbewußten Einfluß seiner Person-

Kaiser Wilhelm I.

lichtest.

339

Das war seine eigentliche Herrschermacht, daß er nicht nur

von Außen regierte,

sondern daß er die Menschen innerlich leitete

und sie mit seiner eigenen Pflichttreue erfüllte.

Er war nicht nur

ein Herrscher, sondern auch ein Erzieher seines Volkes. als dann

die Frucht

reifte

und

Und

die deutschen Fürsten und das

deutsche Volk ihm im Herzen des feindlichen Landes im Angesicht anboten — denkt man

der belagerten Riesenstadt die Kaiserkrone

heute daran, so erscheint Einem Alles wie eine alte Heldensage — da war es wieder seine Treue, seine Treue gegen die altpreußische

Vergangenheit, die ihn nur zögenrd seine Hand ausstrecken ließ

nach dem von allen Deutschen heiß ersehnten Preise des blutigen

Kampfes.

Er

hat

auch

das einfach

als seine Pflicht

betrachtet.

Und als er dann über den deutschen Rhein zurückkehrte in das neue

Reich, und mit ihm der Friede, als ihm von Gott die Gnade zu

Theil ward, nach schweren Kriegsjahren sein Volk noch 17 Jahre in Frieden zu regieren — da sind wohl auch noch schwere Zeiten

gekommen.

Aber es war uns zu Muthe,

als ob, so lange dieses

ehrwürdige Haupt auf uns herniederschaute, unserem Vaterland nichts

Uebles widerfahren könne.

Und als der Tod mt ihn herantrat, als

er zum letzten Mal mit zitternder Hand seinen Namen schrieb, da

hat er das Sterben, das Scheiden als seine letzte Pflicht betrachtet, als seine Pflicht, in sich gesammelt, ernst, gewissenhaft, treu, als ein

erprobter Held in den Tod zu gehn.

Welch

eine Entwickelung,

welch

ein Steigen, ja,

welch ein

Adlerflug, vom Knaben, der einst mit seinen Eltern vor dem franzö­

sischen Kaiser Versailles

flüchtete, bis hinauf zu

der Stunde, wo

ihm in

die deutsche Kaiserkrone auf das Haupt gesetzt wurde!

Durch welche Wandlungen der Zeiten ist er hindurchgegangen!

Er

hat aus allen Schicksalen seines Hauses und seines Volkes gelernt, hat in die Zeit sich geschickt, wie es die Pflicht gebot, ist mit der Zeit fortgeschritten- wo es ihm heilsam schien.

Wechsel der Zeiten ist er doch immer das nennt man Treue.

derselbe

Und in all diesem

geblieben.

Seht,

Die alte deutsche Treue, die von

den anderen Völkern so oft niedergetreten,

geknebelt worden ist,

hat in ihm unter dem Jubel des deutschen Volkes den Kaiserthron

bestiegen.

So klar, so ehrlich,

folgerichtig und konsequent, ehrwürdige 22*

340

Kaiser Wilhelm I.

Majestät mit menschlicher Schlichtheit gepaart, Rahe mit Entschlossen­

das Gefühl von der Größe seiner Aufgabe und die Demuth,

heit,

weiter Blick und Sinn für das Einzelne, Naheliegende,

Adel der

Gesinnung und freundliche Leutseligkeit mit einander verbunden, ein

christlicher Herrscher, in dem wir das Wort

ächt

des Dichters

erfüllt sehen: Religion des Kreuzes, nur du vereinigst in Einem Kranze der Demuth und Kraft doppelte Palme zugleich.

Er hat nun eine Krone des Lebens empfangen.

2.

Menschen bringen sie ihm dar.

Schon

Unwillkürlich denken wir in diesen

festlichen Tagen an die schweren Märztage vor neun Jahren, als er

Ihr wißt, wie

heimging.

die Menschen unter den Linden sich

in langen großen Zügen

drängten,

sich langsam hin und her be­

wegend, immer wieder hinblickend nach dem Fenster, von dein aus er so manchmal Volk gegrüßt

mit seinem

ehrwürdigen freundlichen Gesicht das

die Grüße des Volkes

und

entgegengenommen hat.

Es fain damals über unser Volk eine ähnliche Stimmung, wie im Kriegsjahr 1870.

Alle ohne Unterschied des Standes fühlten sich

mit einander verbunden

durch dieselben Empfindungen, Reiche und

Arme, Hohe und Niedere.

bindungen

knüpften sich

Eines Volkes.

Man

Mann eingedrungen

Verschlossene Herzen thaten sich auf, Ver­

zwischen

konnte recht

Wesen

unter

als den Kindern

deutlich sehen, wie tief

war in das Herz

Macht er über die Gemüther hatte. Liebe zusammen,

den Menschen

dieser

seines Volkes, welch

eine

In jener Trauer faßte sich alle

die er sich mit seinem tapferen, schlichten, treuen

den Menschen erworben hatte.

Hauptstadt war, so

im ganzen Reich

bis ins

Und wie es in der

kleinste Dorf.

Ja

man kann sagen, daß auch die anderen Völker, die uns um diesen

Monarchen beneidet

hatten,

nun auch mit uns um ihn trauerten.

schon hat unser Volk

Damals

ihm trauernd

einen Kranz

des

Lebens auf das Haupt gesetzt.

Und

wie ist es nun heute?

Wenn unser jetziger Kaiser für

dieses Fest besondere Anordnungen getroffen und damit seinen Willen

an den Tag

gelegt

hat,

daß

es ein rechtes Volksfest werde,

so

stimmt dieser Wille durchaus überein mit dem Willen unseres Volkes

selbst.

In dieses Fest legt unser Volk wirklich sein dankbares Herz.

Die Kinder in den Schulen heben ihre Augen

empor zu dem ver-

Kaiser Wilhelm I. klärten Bilde des Mannes, sehen haben,

341

den sie vielleicht nie von Angesicht ge­

der ihnen aber doch so vertraut ist,

als wäre er ihr

Die Glocken der Kirchen läuten durch die deutschen Länder,

Vater.

vom Norden bis zum Süden, und wenn auch jetzt Passionszeit ist, in welcher sonst alle Gedanken sich sammeln um den König der Kö­

nige mit der Dornenkrone, heute können wir doch Alle nicht anders, als Hinblicken

der auch ein treuer Jünger des

auf unseren Kaiser,

Gekreuzigten gewesen ist.

Die Menschen aller Confessionen vereinigen

sich in der Erinnerung an den Monarchen, der so fest und entschieden

Die deutschen Fürsten kommen zu­

in seinem Glauben gewesen ist.

sammen und huldigeri dem Andenken ihres Patriarchen, der wie selten

dem monarchischen Gedanken Gewalt und Kraft gegeben

ein Fürst

Im Anblick der alten Fahnen, die unser Kaiser von Sieg zu

hat.

Sieg geführt hat, feiert unser Heer das Andenken des alten tapferen Wissenschaft und Kunst, Handel und Gewerbe vereinigen

Helden.

sich in dem Andenken des Herrschers, der ihnen Allen Segen gebracht

hat.

Wo Deutsche wohnen

auf der weiten Erde, da wird dieses

Fest gefeiert, unter den Palmen Afrikas, in den Riesenstädten Ame­

rikas bis in die einsame Farm im fernsten Westen.

von Neuem,

was wir besitzen an dem großen

welches wir ihm verdanken.

So reicht ihm

Wir Alle fühlen

geeinten Vaterland,

unser Volk heute von

Neuem die Krone des Lebens dar.

So

wird

es sein,

so lange es Deutsche giebt.

schreiber werden seine großen Thaten

beschreiben.

singen, Künstler sein Bild der Nachwelt zeigen.

Geschichts­

Dichter ihn be­

Das Denkmal, das

tnorgen enthüllt werden soll, wird den kommenden Geschlechtern er­ zählen

von der großen Zeit unter Kaiser Wilhelm I.

Aber herr­

licher als alle diese Denkmäler ist das Denkmal, welches unser Kaiser

besitzt in der Liebe seines Volkes.

Kriegsthaten verblassen allmählich

in der Erinnerung der Menschen.

An den Denkmälern, welche an

die Schlachten Kaiser Wilhelms erinnern, werden vielleicht einst die Menschen vorübergehen ohne die Empfindungen, welche Geschlecht

der Gegenwart bewegen.

Aber daß

das ältere

unser alter Kaiser

unserem Volke Treue entgegengebracht und gehalten hat, das

wird nicht vergessen werden, so lange Liebe und Treue in Deutsch­ land

nicht

ausgestorben sind.

Unser Volk

Lebens auf das Haupt seines ersten Kaisers.

setzt eine Krone des

Kaiser Wilhelm I.

342 Und Gott hat ihm

eine Krone des Lebens

gegeben.

Denn

Gott hat ihn, wie unser heutiger Psalm*) sagt, zum Segen gesetzt. Es ist kein kalter Ruhm, der sein Haupt umgiebt, sondern ein heller

warmer Schein

geht von ihm

aus, der die Herzen der Menschen

Sein Leben war nicht nur

durchdringt.

wie ein helles Licht,

das

von den Menschen angestaunt eine Weile leuchtet, dann aber verlischt,

so daß Niemand mehr

danach frägt und nur noch die Geschichts­

bücher davon erzählen; sondern sein Name leuchtet hell und freund­ lich weiter in dein Herzen des Volkes.

Er ist nicht nur ein berühmter

Mann gewesen, dessen Wirkung aufhört mit dem Ende seiner Epoche; sondern in ihm tritt das rein Menschliche und Christliche, allen Zeiten gilt,

dächtniß gesetzt.

sein Zeitalter weit überdauert.

Gott hat ihn zum Segen

Er hat ihm die Krone des Lebens gegeben.

Als ein Mahner

Zeiten.

das zu

so hell hervor, daß sein segnend wirkendes Ge­

steht er vor unserem Volke für kommende

Um sein Denkmal liegen mächtige Löwen, welche Feldzeichen

festhalten, daß sie der Feind nicht entreiße.

Der alte Held mahnt

für alle Zeiten: „Halte fest, du deutsches Volk, nicht nur deine Feld­

zeichen, deinen Kriegsruhm, die theuer erkauften Reichslande mit ihren Festungen, die uns nach Westen schützen,

sondern halte vor Allem

fest das theuere Gut des geeinten Vaterlandes. tracht nicht wieder die Oberhand gewinnen."

Laß die alte Zwie­

Alle deutschen Stämme,

jeder in seiner Eigenart, sollen zusammen arbeiten an deutscher Cul­ tur und Gesittung.

Ueber allen Unterschieden von Nord und Süd,

über allen Unterschieden der Parteien steht die Treue zu Kaiser und

Reich.

Halten, festhalten, das ist zum Mindesten ebenso schwer, als

Zum Erobern gehört Muth und Tapferkeit, zum Festhalten

erobern.

gehört Treue und Geduld.

halte fest.

helfen.

Was du hast, du deutsches Volk, das

Dabei wird dir das Gedächtniß Kaiser Wilhelms mit­

Ja,

wenn gute

glückliche Zeiten für unser Volk kommen

werden, dann wird es zu seinem verklärten Bild aufschauen als zu seinem guten Geist;

wenn schwere Zeiten kommen, wird es zu ihm

aufblicken als zu seinem Schutzgeist.

Durch die dunkeln Wolken der

inneren Verwirrungen, der kräftigen Irrthümer, mit denen unser Volk zu kämpfen hat, wird immer wieder sein freundliches Bild hindurch-

*) Psalm 21.

Kaiser Wilhelm I.

leuchten.

343

Zu ihm werden die deutschen Knaben emporblicken,

daß

sie von ihm lernen, ihr großes deutsches Vaterland zu lieben, daß sie von ihm lernen, wie süß es ist, für das Vaterland zu leben und zu sterben, und schlicht und treu deutsche Art zu wahren.

Zu ihm

werden die deutschen Männer emporsehen und lernen, Gott vertrauen, kraftvoll und demüthig zugleich sich in den Dienst ihrer Pflicht zu stellen.

Zu ihm werden die deutschen Frauen emporsehen und lernen,

daß Schlichtheit und Einfachheit und werkthätige Frömmigkeit des

deutschen Hauses schönste Zierde ist, und werden ihren Kindern er­ zählen vom Kaiser Wilhelm und seinen Helden.

Und sollte unser

Volk wieder einmal, was Gott verhüte, zum Schwerte greifen müssen,

dann wird den Kämpfern sein, als zöge ihnen der Geist des alten

Kaisers voran.

Ja Gott hat ihn zum Segen gesetzt und hat ihm

langes Leben gegeben, weit

hinaus über die 91 Jahre seines

Alters, ein Leben in dem Herzen seines Volkes. Gott segne dich,

deutsches Reich!

du deutsches Volk.

Gott schütze

dich,

du

Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die

Krone des Lebens geben.

Amen.

Druck von E. Buchbinder in Neu-Ruppin.