Predigt zur Jubelfeier der Reformazion und Union gehalten in der Nikolai Kirche zu Berlin den 31. Oktober 1867 [Reprint 2019 ed.] 9783111717784, 9783111280967

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German Pages 15 [16] Year 1867

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Einleitung
I.
II.
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Predigt zur Jubelfeier der Reformazion und Union gehalten in der Nikolai Kirche zu Berlin den 31. Oktober 1867 [Reprint 2019 ed.]
 9783111717784, 9783111280967

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Predigt Jubelfeier der Refomaziou und Unton gehalten

in der Nikolaikirche zu Berlin den 31. Oktober 1867

Thomas.

Berlin. Druck trab Verlag von Georg Reimer.

1867.

Das Wort sie sollen lassen ft ahn Und fein’n Dank dazu haben; Er ist bei nnö wohl ans beut Plan Mit seinem Geist und Gaben. 9?et)men sie uns den Leib, Gut, Ehr’, Kind und Weib; Las; fahren dahin! Sie haben’s fein’n Gewinn. Das Reich Gott's muß nns bleiben.

Vlnieit

Matth. 10,32—33: „Wer mich bekennet vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater. Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater." ^)m Bekennen

gibt der Erlöser

in

diesem Wort die schönste

Zusage, ans das Bekennen legt er den höchsten Werth.

Wir, Geliebte

im Herrn blicken in unsrer doppelten Jubelfeier mit froher Erhebung einmal 350 und dann 50 Jahre zurück, bringen Gott den innigsten Dank für bad, was damals gleichsam aus dem Schoofte der Ewigkeit geboren wurde und deshalb durch alle Zeiten in reichster Kraft und reichstem Segen fortwirken soll und

wird.

War das Heilige,

das

Göttliche, was beut unsre Augen auf sich zieht, nicht aber auch ein herverströmendes Bekennen als Ausdruck dessen, ihrer Tiefe erfüllte und bewegte?

was die Geister in

Ja im Bekennen wurde lebendig

die Reformazion und die Union, im Bekennen sind beide gewachsen, im

Bekennen

mazion

werden

und Union!

sie

eihalten

und

vollendet

— Rieht umsonst ist

0 Lieder: BeUinei, Gesangbuch 'Jit. :-4% unb 31f).

die

werden.

Refor­

dreihnndertjährige

4 Jubelfeier der Reformazion grade die Geburtsstätte der Union gewor­ den, nicht umsonst verknüpfen wir heute beide in unsrer Festfeier aufs Innigste mit einander.

Sie bestehen nicht nur befreundet neben ein­

ander ; in ihrer Wahrheit, in ihrem gesunden Leben sind sie nothwen­ dig in einander, sind gar nicht von einander zu trennen. wäre das Eine ohne das Andre?

Oder was

Reformazion ohne Union wäre eine

Reakzion, als eine Aufrichtung abgestorbner Formen ohne Geist und Leben, ohne Liebe und darum ohne Glaube.

Wir überlassen sie einer

ausschließenden, verdammenden Kirche, die nach ihrem Karackter auch das erstarrte Alte als knechtendes Joch festhalten muß.

Union ohne

Reformazion wäre eine Revoluzion, ein leichtsinniges frevelhaftes Weg­ werfen der Grundlagen des Heils.

Wir überlassen sie denen, die in

ihrer Oberflächlichkeit Wüsten des Geistes suchen, um sich dort anzu­ bauen.

Bei uns, um deutsche Ausdrücke anzuwenden, gilt es:

Keine

wirkliche Reinigung ohne Einigung, keine wahre Einigung ohne Rei­ nigung. Daß unser Doppelblick in die Jahre 1517 und 1817 uns beide in ihrer lebendigen Einheit vor die Seele stellt, das ist eben der tiefe Grund unsrer ganz besonderen Festfreude und Festerhebung am heutigen Tage. Darum im Namen unsrer Muttergemeine Berlin's heiße ich euch von Herzensgrund hier willkommen, ihr verehrten Väter und Vertreter dieser Stadt, die ihr den Gegenstand der schönen Feier mit so klarem Geist erfaßt habt und ihn mit solcher Wärme in euren Herzen tragt.

Seid

und bleibt zum Wohle der Gesammtheit in diesem Geiste die Geseg­ neten des Herrn!

Seid uns gegrüßt, ihr würdigen Männer der Kön.

Kirchenbehörden, die ihr der Einladung des Patrons dieser Kirche ge­ folgt seid, um mit uns zur schönen Feier im Geist und in der Wahr­ heit anzubeten.

Mit euch das evangelische Licht des Lebens jinb der

Liebe, damit auch ihr gesetzt seid und bleibt zu Trägern desselben für weite Kreise!

Heil euch, ihr Brüder, Diener am Wort, die ihr diesen

Tag hier in der Schwestergemeine im lebendigen Glauben und brüder­ licher Liebe mit feiert.

Der Geist des Herrn ruhe auf euch, damit

ihr fort und fort sammeln helft, was sich zerstreuet hat! Willkommen und gesegnet, alle ihr theuren Gäste, die ihr in dies Haus im Namen des Herrn gekommen seid als unsre Brüder und Schwestern in der Einmüthigkeit im Geist.

Anbetend und dankend feiert ihr mit »ns

5 und wir mit euch Gottes Gnade, auS der die Reformazion und die Union uns geflossen ist. Würdig geschieht daS aber allein, wenn wir des Herrn Mahnung zu Herzen nehmen: „Halte, was du hast, daß niemand deine Krone nehme," wenn wir vor Gott mit erneuter Kraft und Festigkeit hiueintreten m das Bekenntniß zur Union in der Refor­ mazion, zur Reformazion in der Union, zur Reinigung durch Einigung, zur Einigung durch Reinigung. Dazu stärke uns Gott, dazu segne er das folgende schlichte Wort.

I.

Ein freudiges, muthigeö Bekennen drang so 1517 wie 1817 durch die deutsche Christenheit. Beidemal hatte Gott zunächst Einen Mund für das Losungswort geweiht, beidemal ergriff dieses Losungswort dann wie mit Himmelsgewalr die Geister und erfüllte das Volk in allen seinen Schichten. 1517 tritt auf ein armer, geringer Mönch, und doch eine Königsnatur vom Scheitel bis zur Sohle! 1817 erhebt die Stimme ein Träger dcö Szepters und der Königskrone, nach langem Dulden, nach schweren, heißen Kämpfen aufs Schönste mit dem Sieges­ lorbeer geschmückt, und doch ganz der demüthige, schlichte Jünger seines Erlösers, das einfache, treue Glied der evangelischen Gemeine. Ihnen folgte mit Begeisterung das Volk und stimmte mit Dank ein in daS Bekenntniß dort zur Reformazion, hier zur Union. Was war der Gegenstand und Inhalt dieses Bekennens? In beiden Fällen kein andrer als ihn unser Tcxtcswort hinstellt, als ihn hatte und kannte die Urkirche, indem sie aufs Kürzeste und Zusammenfassendste sprach: „Jesus der Christ." Vcrangegangner Verdunklung gegenüber griffen Reformazion und Union mit ungeteiltem Herzen auf Jesum Christum als den Gegenstand ihres Glaubens und Bekennens zurück. Im Laufe der Jahrhunderte hatte eine Stellvertretung des Erlösers ihn selbst seiner Gemeine mehr und mehr verdunkelt und ihn in den Hintergrund gestellt. Allerdings hatte dem gegenüber Luther nach seiner Erhebung sich noch einmal bewegen lassen, von dem übet berichteten Papst an den besser zu berichtenden sich zu wenden; aber er hat das auch schnell, gründlich und für immer verlernt, hat dann in vollster Klarheit stets

6 zu Christo allein, dem ewigen Könige des Himmelreiches seine Zuflucht genommen und schon die erste der 95 Thesen, mit denen er heut vor 350 Jahren in den schweren Kampf seines Lebens hinaustrat, gewährt Christo, als „unserm Meister und Herrn" die volle Ehre.

Wer

irgend wie zu lesen versieht, was der gottbegnadigte Mann weiterhin kämpfend, bauend, warnend, tröstend, strafend schrieb und verkündigte, wer in die eigentlichen Tiefen der Reformazion hineinbringt, aus Allem vernimmt er das klare Bekenntniß:

Christus allein, Er das A

und O, der Anfänger und Vollender, das einige Haupt, der einige König, darum hinweg mit jeder Stellvertretung, die sich zwischen ihn und die Seinen eindrängen möchte. Der spätere, unselige Bruderzwist, die Trennung und Spaltung der Evangelischen hatten ihren Grund in verschiednen Ansichten über das heilige Abendmahl,

über

die Bedeutung der Einsetzungsworte.

Hier Luthers, dort Zwinglis, dort Calvins Erklärung wurde an die Stelle der Worte des Herrn gesetzt, solche Erklärung wurde mit zum Grunde des Heils, zur Grenze der Äirchengemeinschaft erhoben. schied sich frevelnd, was Gott für die Einheit berufen hatte.

So Wird

da nicht bei der heiligsten Feier, die er vor seinem Tode uns ordnete, der Heiland hinter feine erklärenden Diener in den Hintergrund ge­ schoben? Dem hat die Union sich gegenübergestellt.

Da erwägt, Ge­

liebte, das herrliche Königswort, das zur Vereinigung ladete, erwägt, wie es nur eine solche uns zeichnet, „in welcher die reformirte Kirche nicht zur lutherischen und diese nicht zu jener über­ geht;

sondern

liche Kirche

im

beide Geiste

Eine nenbelebte, evangelisch-christ­ ihres

heiligen

Stifters

werden."

Wahrlich ihr hört heraus das Bekenntniß: Nicht Luther, nicht Zwingli mit ihren Erklärungen, wie hoch und herrlich sie sein mögen, sind unsre Meister, sind der Grund der Kirche und der Gemeinschaft, son­ dern Christus allein, er, der das Recht und die Kraft hat, „die Eine neubelebte evangelisch-christliche Kirche" tun sich zu sammeln. So in der Lösung von menschlichen Meistern, in der Hinwendung zu Christo dem alleinigen Herrn erstand die Union, in ihr die Tilgung schwerer Schuld des früheren Bruderkrieges, der heilige Bruderbund, in dem

7 Reformirte und Lutheraner sich zusammenschlössen. Reformazion!

In der Union die

Reinigung durch Einigung!

„Halte waS du hast, daß niemand deine Krone nehme."

Als

ächte Kinder der Reformazion und der Union hören wir des Erlösers Ruf:.

„Ihr sollt niemand Meister nennen. Einer ist euer Meister,

Christus, ihr seid alle Brüder," halten wir mit neuer Innigkeit das Be­ kenntniß fest: Christus allein, wie der Grund des Heils und der Kirche, so der König der Herzen, an den sich unsre Gewissen binden. Verschieden sind zwar eure Vorstellungen, theure Freunde, über den Einzigen in unserm Geschlecht und doch, denke ich» stimmt ihr mir alle zu, wenn ich mit andeutenden Zügen im Allgemeinen sein Wesen zeichne. Wir lassen das Streitige.

Aber wer wagt ihm die religiös sittliche

Vollendung seines Lebens abzusprechen? dernder Verehrung zu ihm empor,

Wer schaut nicht in bewun­

wie er nirgend die Flecken der

Sünde und die Mahlzeichen der Schuld an sich trägt?

Wer beugt

sich nicht vor dieser Hoheit und Kraft und Herrschaft seines Geistes, unter welcher der Strom seines Lebens in hehrer Erhabenheit und Schönheit dahinfließt?

Wen

ergreift nicht aufs Tiefste seine Liebe,

unergründlich an Kraft und Tiefe, stärker als der Haß einer ganzen Welt? Kurz, wer sieht in ihm nicht der Menschheit herrliches Vorbild, den Menschen nach dem Herzen Gottes?

So aber, was alle Offen­

barung aus Natur und Geschichte uns nicht kündet, das ist uns gegeben in diesem Menschensohn.

Hier spricht Gott zu uns, waS unsre Her­

zen bedürfen, was daS tiefste Sehnen des Geistes befriedigt.

Aus ihm

bekundet sich uns die Gnade, die Leutseligkeit, die Barmherzigkeit Got­ tes, die zur Buße und Vergebung, zum Glauben und zur Gotteökindfchaft uns führt.

Hier, in seiner Person, ist uns gegeben das Wort

des LebenS: „Gott ist die Liebe und wer in der Liebe bleibet, der blei­ bet in Gott und Gott in ihm."

Nicht wahr und zu ihm zieht unö

Alles, bei ihm wollen wir bleiben, unter seinem beseligenden Regiment wollen wir leben und sterben!

Ist das wahr, geben wir uns ihm so

hin, daß er uns gleichsam wie Kinder am Busen der ewigen Gottesliebe bettet und dann im

Ernste der Liebe uns zuruft:

Folget mir

nach; wahrlich Kräfte der Heiligung werden von ihm her unö durch­ strömen, Sünde und »»göttliches Wesen werden mehr und mehr seinem

8 Geiste weichen, seine Liebe wird in uns fördern und läutern das neue göttliche Leben. Aber so in ihm geheiligt werden wir in gleicher Weise uns umschlungen fühlen von den Banden seines Geistes zu in­ niger Gemeinschaft, wird sein Wort in uns lebendig werden: „Ein neu Gebot gebe ich euch; daß ihr euch unter einander liebet,' wie ich euch geliebt habe." So ruht Reformaziün und Union, Einigung und Reinigung beschlossen in dem Bekenntniß: Christus allein. II. Aber rühmte und rühmt sich nicht die römische Kirche: Wir und wir allein besitzen Christum und nur, wie wir ihn darstellen, kann er erkannt und gewonnen werden, nur so dürft und könnt ihr ihn des­ halb annehmen, nur wir vermögen es, wahres Christenthum zu ge­ währen? Und hat man von den Gegnern der Union in evangelischer Christenheit, als man sie bat und mahnte, das Band der brüderlichen Gemeinschaft anzuknüpfen und festzuhalten, hat man nicht die Rede gehört: „Wir bedürfen eurer nicht, wenn wir nur den Herrn Christum haben," indem auch sie ihn allein zu haben glaubten in der Darstellung der rechtgläubigen, lutherischen Lehre? Da soll Christus nur erkannt und gewonnen werden durch die Darstellung berühmter Lehrer, durch die Formeln solcher Lehre, welche hier oder dort als die alleinige und allein zu duldende Kirchenlehre gilt. Das ist klar, damit stehen wir auf dem Boden aller Spaltung und Trennung in der Kirche, aber nicht weniger aus dem Boden, auf welchem das Unkraut schlimmer Sünde und Schuld üppig wächst und wuchert. Nur schnell einige Blicke in das Leben, in die Wirklichkeit hinein. Im dritten, vierten, fünften Jahrhundert stehen als Lehrmeinungen einander im Kampf gegenüber die Gottähnlichkeit und die Gottgleichheit Jesu! Im­ merhin für die Lehrer und Denker hoch wichtig, daß sie, Wahrheit suchend in der Liebe, hier stritten, um auch im Streit Verständigung und Frieden zu wahren und zu fördern. Aber als man diese Lehr­ meinungen so in die Gemeinen trug, daß sie zur Bedingung des Heils und der Kirchengemeinschaft gemacht wurden, ach wie unzählige Gemüther mif beiden Seiten, in denen ein kindlicher Glaube keimte, sind da wohl

9 aufs Schwerste geärgert und an ihrem Seelenheil geschädigt!

Die

Liebe erkaltete und erstarb, wie die Ungerechtigkeit im wilden Hader zunahm.

Das Gift des Hochmuthes und des fanatischen Glaubens­

hasses wurde den Geistern eingeimpft.

Durch das übergroße Gewicht,

das man auf die Lehrformeln legte, wurden die Seelen abgezogen von der innerlichen Erneuerung durch den Glauben, der in der Liebe thä­ tig ist.

Grade so in der evangelischen Kirche, als man vom Abend­

mahlsstreit ausgehend die Lehrformeln über Christus zur Bedingung des Heils, zur Grundlage der Kirchengemeinschaft machte.

Ob in Christo

die göttliche und menschliche Natur ihre Eigenschaften sich gegenseitig ein­ ander

mittheilten

oder nicht, ob Christus danach auch nach

seiner

menschlichen Natur allenthalben gegenwärtig sei oder nur zur Rechten des Vaters im Himmel sich befinde, ob er also auch leiblich im Brode des Abendmahls sei oder ob nur eine geistige Aneignung des Herrn in der heiligen Feier stattfinde, an die Entscheidung über diese Fragen knüpfte man das Heil, daran die brüderliche Gemeinschaft, um der hier sich gegenüberstehenden Lehrformeln willen zerriß man das Band des Glaubens und der Liebe. Lebengelitten!

Ach wie hat darunter zugleich das christliche

Welche Rohheit und Entsittlichung so oft bei diesem

Eifer und Ruhm der Rechtgläubigkeit!

Welcher Schmutz wurde in

den gegenseitigen ärgsten Schmähungen zu Tage gefördert!

Fühlten

damals doch glaubensinnige Gemüther sich gedrängt, vor solchem un­ christlichen Treiben Zuflucht in der römischen Kirche zu suchen.

Ja

es wurden von evangelischer Obrigkeit fromme, erleuchtete Männer, weil sie die lutherische Abendmahlslehre sich nicht aneignen konnten, in die finsterste, härteste Kerkerhaft hinabgestoßen und äußerlich und geistig aufs Schmählichste mißhandelt.

Mußte die evangelische Kirche

nicht selbst die Schande erleben, daß ein römisch katholischer Kaiser bei einem evangelischen Kurfürsten der Vertreter und Fürsprecher dieser Märtyrer ihrer Glaubensüberzeugung wurde? Und als später ein hoch­ gestellter Mann im Staate wieder vom evangelischen Landesfürsten um seiner reformirten Anschauungen willen dem Tode durch Henkershand über­ liefert wurde, sang das evangelische Volk im tollen Wahn Dank- und Lob­ lieder zu Gott empor über diesen „gut lutherschen" Streich.

Wenn das

Christenthum ist, wer will noch Rom anklagen, wenn es über die Gräuel

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der Bartholomäusnacht Te Deum singt? Wein erscheint eS denn noch so gräßlich, wenn die Heiden unter Preisliedern den Götzen ein Menschenopfer bringen? Aber abgesehen von dem, was so zur öffentlichen Kunde ge­ kommen ist, wie vielen ist in der Einbildung, in ihrem Luther- oder Reformirtenthum das Heil zu'besitzen, das wahre Christenthum, das in Demuth, Liebe, Sanftmuth, Geduld sich bekundet, abhanden gekom­ men! Um solchem Verderben sich zu entschlagen, um Christum wahr­ haft zu gewinnen, sind Reformazion und Union von den Lehrsatzungen über den Erlöser zurückgegangen zur heiligen Schrift und ihr gemein­ sames thatsächliches Bekenntniß lautet in dieser Beziehung: Die heilige Schrift allein. Nur Zeugnissen der heiligen Schrift und klaren und Hellen Ur­ sachen will Luther in Worms weichen. Einer Welt gegenüber keinen Widerruf, wenn die heilige Schrift ihn nicht gebietet. Sein „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir!" zu allen Zeiten wird eS zu allen evangelischen Herzen sprechen, wird sie festhalten lassen an dem köstlichen Erbtheii: Das Evangelium, und das Evan­ gelium allein. Waren später Lutheraner und Reformirte wieder eingeschnürt in besondre Lehrsatzungen über das Abendmahl und die Person Jesu und dadurch zum unseligen Bruderkriege verurtheilt; so weist das König­ liche Wort, das zur Union aufruft, hin auf eine solche, die „nicht nur eine Vereinigung ist in der äußern Form, sondern die in der Einigkeit der Herzen nach ächt biblischen Grundsätzen ihre Wurzeln und Lebenskräfte hat." So löst auch die Union die Geister von der Herrschaft kirchlicher Lehrsatzungen und führt zurück zur heiligen Sckrist. So stellt sich in der Union die Reformazion in ihrer Ursprünglichkeit wieder her, sie tritt in ihr volles Leben, indem die Schranken fallen, die Brüder von einander schieden. Wohlan auch uns erneut sich zu voller Frische und Kraft das Bekenntniß: Allein die heilige Schrift. Ihr versteht mich nicht falsch, als wollte ich die Bibel zu einem Gesetzeökodex machen, als sollte der Buchstabe der Bibel die freie Forschung, Bewegung und Bil­ dung der Geister einschnüren und vernichte». Kaum ließe sich ein schlimmerer Mißbrauch des göttlichen Wortes als dieser denken. Aber

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was haben wir an und in unsrer Bibel? Die ältesten vor allen an­ dern beglaubigten Urkunden des Christenthums, die lebensvollen Zeug­ nisse von dem erschienenen Leben der Welt in Christo, von den gewal­ tigen, heilstiftenden Wirkungen seines Geistes in den Aposteln! Hier siehst du Ihn und Ihn selbst in der wahren Gestalt seines Seins und Lebens, in den lebendigen Zügen seines Handelns und Leidens. Ver­ nimm die rechtgläubigste Formel über den Erlöser, daß nämlich in ihm die göttliche und menschliche Natur zu einer Person vereinigt ist und zwar „unvermischt und unverwandelt, unzertrennt und ungeson­ dert." Wo hat durch solche fein und scharf ausgeklügelte Formel wohl je ein Gemüth Gotteskraft, Trost und Heiligung empfangen? Aber laß die heilige Schrift ihn dir zeigen, wie er bei den Versuchungen durch Feinde und Freunde, durch Lust und Leid sich verhält, wie er im Verkehr mit der Natur sich zeigt, mit Dank gegen Gott ihre Güter neh­ mend und sie selbst zu einer Predigerin des Himmelreiches verklärend, wie in seinem Umgang mit den Jüngern wohl der heilige Eifer her­ vorblitzt und doch stets die geduldig tragende Milde, wie Himmelslicht leuchtet, wie er trotz der Verhärtung wiederkehrt zu dem verblendeten Jerusalem und im Anblick derselben über ihre Kinder bittre Thränen vergießt, wie er den schwersten Kampf der Todesbetrübniß in Gethse­ mane kämpft und bei allem Weh bleibt in dem: „Nicht Mein, sondern Dein Wille geschehe," wie er am Kreuz so einzigartig leidet und stirbt! Laß die Schrift seine Rede dir bringen im Fluß der Berg­ predigt, im kurzen Schlagwort, im biblischen Gleichniß, wie es aufs Einfachste das Tiefste ausdrückt, wie so seine Worte stets klar und hell wiederspiegeln seine Person, sein ganzes Wesen, kurz laß so diese altehrwürdigen Urkunden dich zu seinen Füßen führen; du merkst, hier fließt der Gottesstrom, wer mit empfänglichem Sinn in ihn hinab­ taucht, der wird gereinigt, der gesundet am inwendigen Menschen. O einigt uns dies urkundliche Wort, cS reinigt in gleicher Weise. Reformazion und Union haben hier ihre gemeinsame Quelle. Laßt uns halten, was wir haben, daß niemand unsre Krone nehme. Auch unser erneutes Bekenntniß: die heilige Schrift und sie allein!

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III. Christus der einige Heiland, der das Heil gewährt! Aber wie eignet man sich dasselbe an? Aus dem der Reformazion gegenüber stehenden Lager lautete der Ruf: „Durch Werke!" Das hochheilige Werk, wie es immer wieder der Priester in der Messe vollzieht, die überverdienstlichen Werke der Heiligen, dieser reiche Schatz der Kirche, nimm sie durch blindes Fürwahrhalten als das, was die Kirche gibt, nimm sie durch die Lösung dessen, was die Kirche als Gegengabe fordert, und dein ist Christi Gnade. Oder noch besser: Vollbringe selbst die heiligen Werke, welche die Kirche in ihren evangelischen Rathschlägen dir anpreist, voll­ bringe sie trotz aller Zweifel deiner Vernunft, deines Gewissens, wider deine dir von Gott gegebne Natur im blinden Gehorsam; dir kann der Ehrenplatz im Reiche Christi nicht fehlen. — Wenn die evangeli­ sche Kirche allein in ihrer Spaltung, in ihrem sich ausschließenden und sich verurtheileuden Wesen nur die lutherische, nur die refermirte sein will; da scheint allerdings ans den ersten Blick eine andre Sprache laut zu werden und doch ist sie dem innersten Kern nach jener nur zu sehr verwandt. Die ab- und ausschließende lutherische und refermirte Kirche meint auch einen Schatz vollkommner Werke zu besitzen, das sind die Werke des menschlichen Verstandes, die vollkommnen Lehrfor­ meln der kirchlichen Rechtgläubigkcit. Auch hier gilt es: Nimm deine Vernunft, ja dein Gewissen gefangen und unterwirf dich unbedingt diesen rechtgläubigen Lehren, daß dadurch diese vollkommnen Werke der Kirche die deinen werven; — das allein ist der rechte Weg zu Christo, zur Seligkeit. Der römischen Kirche gegenüber kennt ihr das so hoch und heilig gehaltene Wort Luthers „durch den Glauben allein!" Ihr wißt, in diesem Wort ruht der lebendige Quell- unv Mittelpunkt der Re­ formazion. Nicht anders ist cö mit der Union den getrennten und sich gegenseitig verurtheileuden Konfessionen gegenüber. Dasselbe Bekennt­ niß erklingt auö dem königlichen Erlaß, welcher die Bahn gebrochen hat. Die reformirte Kirche soll nicht zur lutherischen, diese nicht zu jener übergehen, was Anderes heißi das, als: Jeder soll in der neuen Gemeinschaft seines selbsteigncn Glaubens leben. Nur

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dann hat dem frommen königlichen Herrn die Union wahren Werth, „wenn weder Ueberredung noch Jndifferentismus an ihr Theil haben, wenn sie aus der Freiheit eigner Ueber­ zeugung rein hervorgeht!" So wird auch hier allein der Glaube gefordert. O auch dies dritte, dies „durch den Glauben allein," wir lassen es uns nicht nehmen, wir eignen es uns heute mit neuer Festig­ keit an. Aber was ist der Glaube? O weder ein bloßes Fürwahr­ halten, noch eine Unterwerfung unter die kirchliche Autorität. Lernen wir es von dem Apostel des Glaubens, 'wenn er sagt: „Ich strebe ihm nach, ob ich es auch ergreifen möchte, nachdem ich von Christo Jesu ergriffen bin." Der Glaube ist das Ergriffensein deö innersten Ge­ müthes von ver unwiderstehlichen» geistigen Macht Jesu Christi; von der Fülle der Gnade und Liebe Gottes, die durch ihn sich bekundet, von der fleckenlosen Heiligkeit seines Lebens, der klaren Wahrheit seines Wortes, von diesem jedes empfängliche Her; besiegenden Leiden und Sterben. Er ist damit das Einströmen seliger Zuversicht auf die Gnade trt die Seele, die Hingabe des Herzens und Willens zur Hei­ ligung an den Erlöser, er ist das Werden der Lebensgemeinschaft mit dem Erlöser, durch ihn mit Gott. Dieser Glaube ist Gottes Gabe, er kann ohne die Gnade, das Wort, den Geist Gottes nicht entstehen. Aber er ist ebenso des Menschen eigenste und höchste That, aus der eignen Selbstbestimmung, aus dem sich ermannenden und die Freiheit ergreifenden Geiste hervorgewachsen. Da laßt uns die Berschiedenartigkeit der menschlichen Naturen, wie sie fortwährend in der schöpferi­ schen Liebe Gottes begründet ist, nicht vergessen. Hier der Eine mit dem Vorwiegen des scharfen, nüchternen Verstandes, dort der Andre mit dem phantasievollen Gemüth, hier eine Natur so ganz angelegt auf frische, praktische Lebensthätigkeit, dort eine andre geeignet und ge­ neigt zur Vertiefung in sinnender, sinniger Lebensbetrachtung. Faßt ins Auge, wie abgesehen selbst von den mannichfachsten Naturanla­ gen in Beziehung auf das Temperament, durch die Stufen und Arten der geistigen Bildung, durch die verschiedensten Lebensführungen die Geister in so verschiedner Eigenthümlichkeit ausgestaltet werden. Aber sie alle gebildet und vorgebildet für Christum, daß von ihm die

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Fülle der Gnade und Wahrheit sie durchdringe. In wie mannichfacher Weise wird da die Eine Wahrheit aufgenommen und ins Vorstellen und Denken gefaßt! Wie mannichfach wird da seine Gnade dem Innern angeeignet, hier z. B. in den plötzlichsten, gewaltsamsten Kämpfen, ja Krämpfen der Buße, dort von Kind an in stillem allmähligem Fort­ schritt, so daß eilt fast gleichmäßiges Verschwinden der Selbstsucht vor der Macht der Liebe durchs ganze Leben sich hindurchzieht. Durch den Glauben allein, das heißt, aus der innersten Eigenthümlich­ keit des Menschen heraus, wie es Gott uns durch sein schöpferisches und führendes Walten verleiht. Der Gerechte kann keines fremden, er muß seines Glaubens leben. Nur dieser Glaube, diese Aneignung der erlösenden Gnade und Wahrheit, nach der eignen Ueberzeugung, nach dem eignen Gewissen, nach der Eigenthümlichkeit des eignen Ge­ müthes schließt in sich die Kraft der Erneurung und Heiligung, denn nur er ist wirkliche Gemeinschaft mit Jesu Christo dem Erlöser. Dieser Glaube kann demnach auch nur mit und in der vollen Freiheit be­ stehen. Deshalb ist der große Apostel des Glaubens auch der Apostel der Freiheit und ermahnt so dringend: „So bestehet nun in der Freiheit, damit uns Christus befreit hat und laßt euch nicht wiederum in das knechtische Joch fangen" und: „Ihr seid theuer erkauft, werdet nicht der Menschen Knechte!" Uns unsern ureignen, freien Glauben, auch jedem Konzilium und jedem Meister in Israel gegenüber, zu wahren; das ist nicht nur unser Recht, das ist vielmehr noch unsre heilige Pflicht; denn mittelst dieses Glaubens und unsers Gewissens kann und will Gott der allein souveräne König in unsern Herzen sein. Was wir aber für uns zu fordern verpflichtet sind, das haben wir ja natürlich mit zartester Gewissenhaftigkeit unsern Brüdern und Schwe­ stern zu gewähren. Das meine Lieben liegt nothwendig in dem „durch den Glauben allein." Halten wir das in heiliger Bruderliebe fest; wahrlich wie Einigung so Reinigung wird uns daraus gegeben. Hal­ ten wir es fest, und die verschiednen Richtungen, die in der gegenseitigen Bekämpfung nach Paulinischem Ausdruck so leicht sich beißen und fressen, um sich zu verzehren, sie werden von Gott neben einander geordnet sein, sich in rechter Weise zu ergänzen, zu läutern, zu er­ frischen, zu beleben. Wohlan in heiliger Feier erneuern wir denn heut

15 unser Bekenntniß zu Christo allein, wie er allein beglaubigt ist in heiliger Schrift und allein recht angeeignet wird im lebendigen Glauben, wollen dies Bekenntniß frisch und froh und kräftig bethätigen in unserm Leben und Worten. Das die Reformazio» und Union in der wir stehen, in der uns Gott wird helfen! Darin treu, dann nähert sich mehr und mehr die Zeit, welche der gottbegnadigte, in Gott ruhende König herbeisehnte. Wir können ja nicht besser schließen als mit dem Schlußwort seines herrlichen Er­ lasses: „Möchte der verheißene Zeitpunkt nicht fern sein, wo unter Einem gemeinschaftlichen Hirten in Einem Glauben, in Einer Liebe, in Einer Hoffnung Alles sich zu Einer Heerde bilden wird." Amen.