Reden bei der Bestattung des Predisgers an der Neuen Kirche Dr. theol. Gustav Lisco am 11. Februar 1887 gehalten am Sarge in der Neuen Kirche [Reprint 2019 ed.] 9783111549927, 9783111180663


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Reden bei der Bestattung des Predigers an der Neuen Kirche
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Reden bei der Bestattung des Predisgers an der Neuen Kirche Dr. theol. Gustav Lisco am 11. Februar 1887 gehalten am Sarge in der Neuen Kirche [Reprint 2019 ed.]
 9783111549927, 9783111180663

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bei der Bestattung des Predigers an der Neuen Kirche

Dr. theol. Gustav Lisco am 11. Februar 1887

gehalten

am Sarge in der Neuen Kirche von

Lic. Hoßbach, Prediger an der Neuen Kirche,

am Grabe von

F. Richter, Prediger in Martendorf

Berlin. Druck und Verlag von Georg Reimer. 1887.

Abgedruckt aus der Protestantischen Kirchenzeitung, 1887 Nr. 7.

Liebe Gemeinde! Zu lief schmerzlicher Trauerfeier ha­ ben uns heute die Glocken unsrer Kirche gerufen. Wir be­ trauern den treuen Hirten dieser Gemeinde, der länger denn 27 Jahre in hingebender Treue seines Amtes als Diener am Wort, als Prediger des Evangeliums unter Euch ge­ wartet hat, dem jetzt Gott hat den Hirtenstab aus der Hand genommen, dessen Tod in so vielen Häusern und Familien unserer Stadt, denen er als Geistlicher, als Seelsorger, als bewährter Freund in Freude wie in Leid, in den Tagen deS

Glücks wie in dem Kummer und den Sorgen des Lebens nahegestanden, als ein großer persönlicher Verlust empfun­ den wird, dessen Tod in weiten Kreisen des evangelischen

Deutschlands tiefe Trauer und Teilnahme erweckt. Aber wenn Christen um einen Sarg versammelt sind, der ein ihnen teures, reich gesegnetes Leben birgt, so werden sie nicht blos trauern, sondern dankerfüllt ihre Herzen zu dem ewigen Gott, dem Geber aller guten Gabe, erheben, ihn preisend,

daß er ihnen diese edle Gabe gegeben. Dank und Preis bei aller Trauer eurer Herzen, das ist eure Grundstimmung auch in diesen Tagen, liebe, teure Familie des Entschlafenen, der Wittwe, der Kinder, des großen Verwandtenkreises; das soll die Stimmung sein, zu der wir Alle uns erheben wollen, die wir durch diesen Tod schmerzlich bewegt sind. Mit die­ sem Gefühl des Dankes laßt unö denn auch in dieser Stunde zurückblicken auf das nun vollendete Leben. Da weiß ich 1*

4 aber, gleichsam als Unterschrift unter daffelbe, kein bessereWort als das unsers Heilandes Luc. 12,42: Welch ein

großes Ding

ist es um einen

treuen und klugen Haushalter. ES ist daffelbe Wort, welches dem Entschlafenen bei seiner Einführung in dieses Amt von dem ehrwürdigen Geistlichen dieser Gemeinde, dem neunzigjährigen Marot, zugerufen ward. WaS damals beim Beginn seiner Wirksamkeit mah­ nender Zuruf war, das sei jetzt an dem Ende derselben unser dankender Nachruf. Gewiß soll jeder Einzelne unter uns ein Haushalter GotteS sein. Das Pfund, das Gott uns anvertraut hat, sollen wir verwerten zur Ehre Gottes, zum Bau des ReicheJesu Christi. Aber in besonderem Sinne ist doch der evan­ gelische Geistliche ein Haushalter Gottes, ein HauShalter über Gottes Geheimnisse, indem er den hungernden und dur­ stenden Seelen darreichen soll das Brot des Lebens, den Wein des Evangeliums, indem er ihnen das Evangelium

von Jesu Christo zu bringen hat als die Gotteskraft, die selig macht Alle, die daran glauben. Solch einen treuen Haushaller hatte unser teurer Entschlafener vor sich von Jugend auf in seinem ehrwürdigen Vater, der hier in der nun auch schon vom Erdboden verschwundenen Gertraudtenkirche eine reiche Wirksamkeit entfaltete. Ein solcher treuer HauShalter zu werden, war das Ideal seiner Jugend, als ein treuer HauShalter erfunden zu werden, sein Streben bis zum letzten Hauch seiner schwindenden Kraft. Mit gründlichem theologischem Wissen, mit umfaffender ästhetischer Bildung ausgerüstet, betrat er den blütenreichen und dornenvollen Weg eines evangelischen Geistlichen, der ihn nach kurzem Aufenthalt in einer kleinen Landstadt unsrer Provinz, in Zehdenick, hierher in seine Vaterstadt zurückführte, wo Gott

ihm zuerst an der Marienkirche, dann an unsrer Neuen Kirche sein Arbeit-- und Erntefeld gewiesen hatte. Seine

5 Wirksamkeit fiel in eine mächtig bewegte Zeit, in der unsre evangelische Kirche in ihren Grundvesten zu wanken schien, in der die Geister noch tief bewegt waren durch den kühnen Versuch, das ganze Leben unsers Heilandes in einen Kranz

von Mythen und Fabeln aufzulösen, in der die theologische Wissenschaft neues Licht über die Anfänge des Christentums verbreitete, in der sich die gewaltigsten Umwandlungen in der ganzen Naturanschauung der Menschen vollzogen und die Frage nach der Vereinbarkeit von Glaube und Wissen-

schaft, Vieler Glauben erschütternd, sich gefahrdrohend erhob; in eine Zeit, in der an die Verteidiger der göttlichen Wahr­ heit deS Evangeliums gebieterisch die Notwendigkeit herantrat, Bleibendes und Vergängliches im Christentum, die ewige göttliche Wahrheit und die menschliche Fassung derselben, zu unterscheiden. Unser Lisco gehörte nicht zu denen, die be­ fürchteten, daß durch die Arbeit der Wissenschaft die Funda­ mente unsers Glaubens könnten erschüttert werden, sondern er war der getrosten Zuversicht, daß die ewige Wahrheit des Evangeliums aus allen Kämpfen und Irrungen nur klarer, reiner, überwältigender hervorgehen werde, daß kein feind­ licher Gegensatz sei zwischen Christentum und höchster Geistes­ bildung. „Jesus Christus gestern und heute und derselbige auch in Ewigkeit", das war der Glanbe seiner Jugend, der

ihn zum Predigtamt drängle; daS war das Bekenntnis, das er am Tage seiner 25 jährigen Amtsführung in dieser Ge­ meinde von dieser Kanzel in ergreifenden Worten ablegte als Kern und Stern seines Lebens. Eng hatte er sich hier

angeschlossen an die Männer, in deren Kreisen daS Andenken Schleiermacher'S pietätvoll gepflegt wurde, die Schleiermacher'S Gedanken über die Gestaltung der evangelischen Kirche zu verwirklichen bestrebt waren. Mit ihnen gründete er den Berliner Unionsverein, mit ihnen trat er dem Deut­ schen Prolestantenverein bei, der die Versöhnung zwischen dem Christentum und der Culturentwicklung unsrer Zeit er-

6 strebt und war in seinem geschäftsführenden Ausschuß ein tätiges und einflußreiches Mitglied. Mit ihnen war er be­ teiligt an allen den Kämpfen, in welche sie verwickelt wur­

den, und stand bald in der Abwehr wie im Angriff in den vordersten Reihen. Diese Kämpfe haben seinen Namen weit Hinausgelragen in das evangelische Deutschland, und mit seiner Gemeinde trauern in diesen Tagen viele Kampf­ genossen um den Verlust eines bewährten Führers. Liebe Gemeinde! Der Tod ist ein Bote des Friedens, ein Pre­ diger der Versöhnung. Am Sarge senken sich die vom Staube des Kampfplatzes beschmutzten Waffen. Mir liegt eS fern, diesen Frieden des TodeS zu durchbrechen, fern, auch nur ein einziges Wort zu sagen, das Je­ manden verletzen könnte. ' Aber wir können doch un­ möglich von einem Manne wie Liseo scheiden, ohne der Stellung zu gedenken, welche er in dem öffentlichen Leben unsrer Gesamtkirche eingenommen hat. Da möchte ich doch vor allen Dingen von Einem Zeugnis geben an diesem Sarge: Was ihn leitete in allem seinem öffentlichen Auftreten, das war die innige Liebe zu seinem Herrn und Heiland, das war der feste Glaube an die weltüberwindende Macht des Evangeliums, die sich gerade dann dem Menschen­ herzen recht aufdrängen werde, wenn dieses Evangelium be­ freit sei von aller menschlichen Zutat und Trübung; es war

die ernste Sorge um die Pflege des religiös-sittlichen Lebens; es war die innere Wahrhaftigkeit, welche ihn alle Vermitte­ lungen, die ihm nicht in der Wahrheit begründet schienen, abweisen ließ; es war das tiefe Durchglühtsein von dem protestantischen Recht des Gewissens, dem freie Bahn in der Kirche zu gestatten sei; es war die echt protestantische unbe­ dingte Gebundenheit seines Gewiffens an Gott, die ihm den Widerstand gegen Strömungen, welche ihm unevangelisch und unprotestantisch schienen, zur Gewisseuspflicht machte. Gerade

deshalb wage ich,

ihn einen treuen und klugen Haus-

7 Haller zu nennen. Denn ein treuer HauShalter ist der, der nicht das Seine, sondern das seines Herrn ist, nach bestem Gewissen sucht; und ich nenne einen klugen Haus­ halter den, der in den Kämpfen einer wirren Zeit seinem

an Gott gebundenen Gewissen folgt. Denn was dem Herzen Frieden gibt, ist doch dieser innere Einklang mit der Stimme Gottes, die wir in unserm Innern vernehmen. Das ist unser Trost, daß wir ein gutes Gewissen haben vor Gott und Menschen. In den Tagen schwerer Kämpfe, in denen er „der Parteien Haß und Gunst erfahren", und mit seinem tiefen und zart besaiteten Gemüt schwer, sehr schwer litt

unter Verkennungen und Unbill, hat er darin seinen Trost

gefunden. Denn er war wahrlich kein Mann des Kampfes, dem Kampf Freude und Genuß ist. Mit tiefer Sehnsucht ersehnte er für unsere zerklüftete Kirche eine Zeit des Friedens, die

Einigkeit im Geist. Noch mein letztes Gespräch mit ihm wenige Stunden vor seinem Tode hatte diesen Inhalt; er erwog da die Frage des Beitritts zu dem eben gegründeten

Evangelischen Bunde, welcher alle Evangelischen zur gemein­ samen Bekämpfung der römischen Uebergriffe vereinigen sollte; er glaubte darin einen Hoffnungsschimmer sehen zu dürfen, daß die hadernden evangelischen Brüder in Erkennt­ nis des gemeinsamen Gutes, das sie besäßen, sich einander nähern würden. Seine liebste Tätigkeit war doch eine Be­ teiligung an den Werken des Friedens. Ich nenne hier vor allem den Gustav-Adolf-Verein, welchem der Ent­ schlafene mit ganzer Freude diente, welchem er als lang­ jähriger Secretär deS brandenburgischen Hauptvereins viele Zeit und Kraft widmete. — Es war ihm eine besondere Freude, als eine Schar gebildeter Japaner, die hierher gekommen waren, die europäischen Verhältnisse kennen zu lernen, ihn aufsuchten, um sich von ihm in dem Wesen des Christentums unterrichten zu lassen. Es ist das eine fast

8 regelmäßige Tätigkeit seiner letzten Jahre gewesen; wenn die eine Gruppe in die ferne Heimat zurückgekehrt war, so

kamen im nächsten Jahr Andre, die er in das Wesen deS Christentums einführte. Sat auf Hoffnung gestreut! Möge sich auch an ihr das Wort erfüllen: Etliches fiel auf gutes Land und brachte Frucht hundertfältig! Darum hat

er mit warmer Teilnahme die Begründung des evan­ gelisch-protestantischen Missionsvereins begrüßt, der sich die Missionirung der Culturvölker Ostasiens zur Hauptaufgabe setzte. Ueberhaupt lag der Schwerpunkt seines Wirkens nicht auf dem öffentlichen Kampfplatz, auf dem die Geister auf­ einanderstoßen; er lag auf dem Boden seiner Gemeinde. Ein Prediger des Evangeliums ist ein Säemann, der seinen Samen ausstreut; er weiß nicht, wohin er fällt, ob auf

fruchtbares Land oder unter die Dornen, aber Etliches trägt immer Frucht hundertfältig; das ist des Predigtamis gött­ liche Verheißung. Auch an unserm teuren Toten hat sich daS Wort erfüllt: „Wie der Regen und der Schnee vom Himmel fällt und kehrt nicht wieder dahin zurück, sondern

feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar, daß sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen, so soll daS Wort, daS auS meinem Munde geht, auch sein; es soll nicht wieder leer zu mir zurückgehen, sondern es soll tun, waS mir gefällt und ausrichten, wozu ich es sende." Ich denke nicht blos an seine Verkündigung deS Evangeliums von dieser Kanzel während eines Vierteljahrhunderts, nicht blos an die treue Unterweisung der ihm anvertrauten zahlreichen Jugend im Confirmandenunterricht, ich denke vor allem an die Wirksamkeit, die er entfaltet hat in der gewiffenhaften

Seelsorge an den einzelnen Herzen, in den einzelnen Häusern und Familien seiner Gemeinde, darin auch der kluge HauShalter, der das Feld seiner besondern Begabung und Berufung erkennt und auf ihm in ganzer Treue wirkt.

9 Wie Viele unter Euch haben ihm dadurch unsagbar Vieles zu verdanken! In unsrer großen Stadt mit ihren eigentüm­ lichen Gemeindeverhältnissen, mit ihren Personalgemeinden,

welche aus allen vier Winden zusammengeweht werden, mit ihren mannigfaltigen, die Kräfte zersplitternden und auf­ reibenden Anforderungen an die Geistlichen ist ja eine solche seelsorgerliche Tätigkeit mit ganz besonderen Schwierigkeiten verbunden. Er ist nicht vor ihnen zurückgeschreckt und hat

gerade dadurch eine reichgesegnete Wirksamkeit ausgeübt. Mit unermüdlicher Treue hat er die Beziehungen zu den Familien gepflegt, in deren Häuser ihn sein Amt führte. Oft genug habe ich die unermüdliche Rastlosigkeit bewundert, mit welcher er bei Ueberbürdung mit Amisgeschäften, bei eigenen körperlichen Leiden seine Gemeindeglieder besuchte, um Trauernde zu trösten, Irrenden auf den rechten Weg zu helfen, wunden Seelen seine Lindigkeit zu erweisen. Liebe Gemeinde! er hat nicht blos eure Kinder getauft und unterwiesen, eure Ehen eingesegnet, eure Toten bestattet,

sondern er ist dabei auch zugleich so Vielen von euch der treue Freund und Berater gewesen, bei dem ihr allezeit offenes Ohr für eure Klagen, weisen Rat in

euren Sorgen und Anfechtungen fandet; der treue Freund und Seelsorger, der nicht blos Teilnahme, sondern auch tiefeS Verständnis eurer Lage, eurer Sorge euch entgegen­ brachte, wie verschiedenartig eure Lebensstellung war. Lisco

war ein Mann von gründlicher allgemeiner Bildung, von umfaffender Kenntnis unserer classischen Literatur; in den Stunden der Muße fand er seine Erholung bei Lessing,

Schiller, namentlich Goethe; er'war ein Mann, der mit regem Geist alle hervorragenden geistigen Erscheinungen der Gegenwart in Wissenschaft, in Kunst und Literatur verfolgte und ihnen feines, geistvolles Verständnis entgegenbrachte. Selten habe ich einen Mann gefunden, der in dem persön­ lichen Verkehr so viel Anregung und Förderung durch den

10 Reichtum seiner Gedanken, durch sein gehaltvolles und geist­ volles Gespräch, durch seinen feinen Humor gab, als ihn. Aber ebenso war er ein Mann von tiefem Verständnis (wie sein berühmt gewordener Synodalbericht auf der FriedrichWerder'schen Synode zeigt, der für ihn der Ausgangspunkt schwerer Kämpfe ward) für die edlen sittlichen Kräfte, welche in denjenigen Schichten unserer Bevölkerung vor­

handen sind, die hart zu arbeiten haben um das tägliche Brot und mit der Not des Lebens ringen. Dadurch war er wie Wenige befähigt, den verschiedensten Ständen und Bildungsgraden und Lebensgebieten gerecht zu werden. Kein Wunder, daß ihm Vertrauen und Liebe entgegengebracht wurde von der armen Wittwe, die in ihrer Ratlosigkeit und Bedrängnis bei ihm Rat und Hülfe suchte und fand, wie

von den Männern der verschiedensten Stände, die auf der Höhe der Bildung stehen, daß namentlich bei Bestattungen sein Wort des Trostes an den Särgen begehrt wurde, weil er es verstand, die Menschen in den verschiedensten LebenSkreiseu, den schlichten Arbeiter wie den berühmten Gelehrten, den Staatsmann, den Künstler in ihrer Eigenart und Eigentümlichkeit zu würdigen. So hat er als treuer und kluger Haushalter unter euch gewaltet und seinen Samen ausgestreut, der in vielen Herzen aufgegangen ist; viele unter euch scheiden heute von ihm als dem Vater ihres inneren religiösen Lebens, denen er einen reichen Schatz mitgegeben hat für ihr ganzes Leben, ein kostbares- Erbe, das sie un­

verlierbar mit sich tragen. Wenn ich hier rede von seiner Tätigkeit in dieser seiner Gemeinde, so laßt mich gerade an dieser Stätte dessen ge­ denken, daß er uns auch ein äußeres Denkmal seiner

Wirksamkeit zurückgelassen hat in diesem Gotteshaus, vaS

in neuer Schöne an die Stätte des alten getreten ist; laßt mich vor allem darum dessen gedenken, weil damit ein

Wunsch seines Lebens erfüllt worden ist, weil doch seiner

11 rastlosen Tätigkeit unter der treuen Beihülfe der Organe unsrer Gemeinde es in erster Linie zu danken ist, daß alle Schwierigkeiten überwunden wurden, die sich dem Umbau entgegenstellten, daß das Werk glücklich vollendet ward, wel­ ches ihn immer wieder, so oft er unsre Kirche betrat, mit

neuer Freude erfüllte. Ja wol, eine Kirche ist nichts ohne eine anbetende Gemeinde, die hier den Vater im Geist und in der Wahrheit anbetet. Wenn aber dieses Gotteshaus in seiner einfachen und edlen Schöne zur Hebung unsrer An­ dacht beiträgt, so laßt uns nicht vergeffen, daß wir das ihm zu verdanken haben. Und noch Eines laßt mich dankbar gedenken, seiner

Wirksamkeit unter uns, liebe Kirchenälteste und Ge­ meindevertreter! Konnte er in der neuen Kirchenver­

fassung, welche die Gemeinde zur Selbstverwaltung ihrer Gemeindeangelegenheiten berief, einen Erfolg der Bestre­ bungen sehen, für welche er seit Jahrzehnten mit seinen Freunden eingetreten war, so kam er auch den neugebildeten Organen, mit denen zusammenzuwirken ihm oblag, mit herz­ lichem Vertrauen entgegen. Und Vertrauen ward mit Ver­ trauen und Liebe mit Liebe erwidert. Es ist ein schönes Zeugnis für den in unsrer Gemeinschaft herrschend gewesenen Geist, aber vor allem auch ein ehrendes Zeugnis für unsern teuren Lisco, daß niemals während der ganzen Dauer seiner

Amtsführung auch nur ein leiser Schatten den Frieden in unsrer Gemeinschaft trübte, daß wir in herzlicher Eintracht

fest verbunden waren.

Solche Eintracht, solch' ein Friede

war doch nur dadurch möglich, daß unser teurer Freund unentwegt als dem Leitstern für den evangelischen Geistlichen dem Worte des Apostels folgte: „Nicht daß wir Herren

sind eures Glaubens, sondern wir sind Gehülfen eurer Freude". Daß dieser Friede unter uns erhalten werde, auch nachdem er geschieden ist, das ist mein inniges Gebet zu Gott, damit es auch ferner von dieser Gemeinde heiße, was

12 während der ganzen Wirksamkeit des Entschlafenen von ihr

gesagt werden konnte: die Gemeinde hatte Frieden und baute sich. DaS Geheimnis der Wirksamkeit eines Geistlichem liegt vor allem in seiner Persönlichkeit. Darauf kommt es doch in erster Linie an, daß der Geistliche dasteht als eine durchgebildete christliche, d. h. von dem Geist Jesu Christi lebendig durchdrungene Persönlichkeit. Darin lag auch im tiefsten Grunde die Kraft von Lisco's Wirksamkeit; daS war eS, was ihm die Herzen gewann, was ihm Vertrauen weit und breit entgegenbrachte, was ihm die Fülle von Liebe und Verehrung aus allen Schichten und Ständen unsrer Bevölkerung eintrug, die für die Hinterbliebenen in so herzerquickender Weise in diesen Tagen zu Tage getreten ist. Das dürfen wir, die wir im Leben ihm nahe zu stehen das Glück hatten, wol an seinem Sarge bekennen: er war

ein

seltner Mann.

Was

der

Heiland

von

Nathanael

sagte, das galt auch von diesem seinem Jünger: „Siehe da, ein rechter Israelit, in dem kein Falsch ist." Wer hatte nicht bei ihm die Empfindung der tiefsten inneren Wahr­ haftigkeit und Lauterkeit, die Empfindung, daß kein Wort über seine Lippen ging, welches nicht aus innerster Ueberzeugung kam, daß er vor einem Manne stehe von höchstem sittlichem Ernst, vor einem Manne, der seine religiösenUeberzeugungen in ernster innerer Arbeit sich errungen hatte, daß ihn das Feuer heiliger Begeisterung zu dem Gott, zu dem Heiland, dem

er diente, durchglühte, nicht ein Feuer künstlich genährt und geschürt, sondern aus dem von Gott ergriffenen Innern aufsteigend. Wir sahen zu ihm auf als zu dem Manne, der reines Herzens war, reines Herzens hindurchging auch durch den Staub, welchen die Kämpfe aufwirbelten, in die

er verwickelt war. Wir erquickten unS an der Fülle von Liebe, die sein Herz barg, die ihn in Wahrheit trauern ließ

mit den Trauernden

und sich freuen ließ mit den

13 Fröhlichen, an der überall hervortretenden Herzensgüte seines Wesens, die ihn ein offnes Herz und eine offne Hand haben ließ für all das. mannigfache Leid und Elend, das an ihn herantrat, an der völligen Selbstlosigkeit seines Wesens, in der er niemals das Seine suchte. Ja, eine christliche Persönlichkeit geht nicht fertig aus der Hand des Schöpfers hervor. Wir müssen eine solche werden durch ernste, strenge Selbstzucht und innere Arbeit in der Schule des Lebens. Wer ihm näher stand, wer seinen Entwicklungs­

gang begleitet hat, der weiß mit welcher Treue der Ent­ schlafene an sich gearbeitet hat, wie aus dem stürmischen, feurigen Jüngling der ruhige, besonnene, leidenschaftslose Mann ward, der auch die aufsteigende Bitterkeit über er­ fahrene Kränkungen siegreich niederkämpfte, der in den zunehmenden Jahren immer reichlicher die Milde in der Beurteilung auch der schroffsten Gegner wallen ließ, der der Empörung Andrer über einen in den letzten Jahren gegen ihn gerichteten, tief verletzenden Angriff das Wort entgegen hielt: Kennt ihr denn nicht deS Heilands Wort: „Segnet, die euch fluchen, vergebet, so wird euch vergeben?" In der Kraft des Christen hat er denn auch das Kreuz getragen, das ihm im letzten Jahre mit dem tödlichen Leiden, das Gott ihm sandte, auferlegt war, mit Heldenmut die qual­ vollen Schmerzen überwunden, welche ihn immer dem Tode nahe brachten, um seines Amtes zu warten, dem Wort des Herrn folgend: „Ich muß wirken die Werke des, der mich gesandt hat, solange es Tag ist, es kommt die Nacht, da Niemand wirken kann." In dieser Kraft der Ergebung sagte er zu mir, als er eben in

meiner Gegenwart außerhalb

seines Hauses einen schweren Schmerzensanfall gehabt, daß ich glaubte ihn nicht mehr lebend zu den Seinen zurückzu­ bringen: „Soll ich den Kelch nicht trinken, den mir mein Vater gegeben hat?" Und er setzte nach einer Pause der Erschöpfung hinzu: „Bitter ist er freilich, aber so muß eS

14 sein, sonst wäre es nicht der heilsame Kelch." — Ja, ein treuer HauShalter ist geschieden, der bis zum letzten Hauch seiner Kraft seinem Herrn gedient hat. Wenn wir heute zurückkehren werden von seinem Grabe, so werden Viele mit jenem Worte von Matthias Claudius sagen: „Sie haben einen guten Mann begraben; mir war er mehr." Und in dieses Wort lege auch ich alle Gefühle innigen und warmen Dankes nieder, welche mein Herz für eine 25 jährige, innige, treu bewährte Freundschaft erfüllen: Mir war er mehr. Und nun erst euch, meine liebe, leidtragende Familie, die ihr den ganzen reichen Schatz der Liebe, die in diesem Herzen war, fort und fort genießen konntet. Ja, ihr seid um diesen Sarg versammelt als die Trauernden, aber doch voll innigen Dankes, daß euch Gott einen solchen Mann, einen solchen Vater gegeben. Der hat unsern Lisco doch noch nicht gekannt, der ihn nicht in seinem Hause hat walten sehen als den treuen und klugen Haushalter.

ES

war euer Haus doch ein reich gesegnetes Haus, in welchem eine Fülle von Segen von dem Galten, dem Vater auf euch ausströmte, aber auch ein Haus, in welchem ihm reicher Segen zuteil ward. Sein Haus war für ihn eine Stätte

reinen Herzensfriedens. In seiner innigen Ehe, in der glücklichen Entwicklung seiner Kinder, in dem Erblühen und Gedeihen der Häuser, die sie gründeten, floß ihm ein Quell reichen Glückes, fand er steten Grund zu freudigem Dank.

Voll dieses Dankes und in inniger Freude, ob er schon unter dem Schatten des Todes stand, hat er vor wenigen Wochen seinen letzten Geburtstag gefeiert, umgeben von allen sieben Kindern, von seinen Enkeln. Als der Tag an­ gesetzt war, an welchem sein jüngster Sohn die Weihe zum

Predigtamt empfangen sollte — ein Tag, den er nicht mehr erleben sollte —, konnte er auf seine Kinder blicken mit dem

Bewußtsein, daß sein Werk an ihnen vollendet sei, und daß Gott seinen reichen Segen darauf gelegt habe.

15 So laßt uns denn, nachdem sein Werk auf Erden voll­ endet ist, und Gott der Herr gesagt hat: es ist genug, von dem Entschlafenen scheiden in Ergebung und Frieden, schei­ den als Christen, die da wisien: Christus hat dem Tode die Macht genommen und Leben und unvergängliches Wesen an das Licht gebracht; laßt uns scheiden in der Zuversicht, daß der Gott, der euch bisher in dem Entschlafenen so reich gesegnet hat, auch weiter seine Hand über euch breiten wird, daß er der Wittwe Kraft und Stärke geben wird, den Frie­ den des Herzens sich zu bewahren, auch wenn daö Licht ihres Lebens nun erloschen ist. Du aber, liebe Gemeinde,

laß das Andenken des entschlafenen treuen Hirten und Pre­ digers in Segen unter dir fortleben! Gott wolle den von ihm ausgestreuten Samen in euren Herzen behüten, daß er

fort und fort Frucht bringe zu seines Namens Ehre, und auch an dem Entschlafenen sich das Wort des Herrn er­ fülle: „Ich habe euch gesetzt, daß ihr hingehet und Frucht bringet und daß eure Frucht bleibe."

So fahLe denn hin in Frieden, Du teurer Mann, Du lieber, treuer Freund. Wir sind gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges dich und uns scheiden soll von der Liebe Gottes, die in Jesu

Christo ist. Möge der ewige Gott, dem du hast dienen wollen als treuer Haushalter, auch zu dir sprechen: „Du frommer und getreuer Knecht, du bist über Wenigem getreu gewesen, ich will dich über Biel setzen, gehe ein zu deines Herrn Freude."

Amen.

16

„Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir; wenn ich den Tod soll leiden, so tritt du dann Herfür; wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein, so reiß' mich aus den Aengsten kraft deiner Angst und Pein." —

Scheiden, Abschied nehmen wollen wir an dieser Stätte von dem teuren Leben, dessen sterbliche Hülle hier ruhen

wird, erlöst von aller Angst und Pein. Abschied nehmen willst Du, seine treue, verständnisvolle Gefährtin, die mit ihm geteilt Freude und Leid so lange Jahre; Abschied neh­ men wollet Ihr, seine geliebten Kinder, t>ie Ihr einen

guten Vater verloren habt; Abschied nehmen wollet Ihr alle — seine Gemeinde, auf deren Heil all' sein Seh­

nen, all' sein Streben, all' sein Tun und Beten hin­ gerichtet war; Abschied nehmen wollen wir Freunde, nahe und fern, die wir einen edeln Freund, einen christlichen Genossen verloren haben — in Aller Namen soll ich, der ich in inniger Gemeinschaft des Geistes fast 40 Jahre

mit ihm verbunden gewesen bin, den Abschiedsgruß nach­ rufen dem Heimgegangenen. Wir jammern und klagen nicht, sondern erkennen in Demut, daß ihn der ewige Vater erlöset hat von seinem schweren Leid. Wir ehren Gott auch in dem, was er uns genommen hat, denn wir behalten in dankbarem Gedächtnis, was der Vollendete in

seinem Reichtum an Geist und Herz uns gegeben hat. Wir geben der Erde, was von der Erde genommen ist, wir be-

17 fehlen in Gottes Hand seinen Geist, daß er ihn einführe zu seiner Herrlichkeit. Lasset mich sein Leben und Wirken einschließen in den Rahmen des apostolischen Wortes, in wel­

chen der große Apostel Paulus stch und seinen Mitarbeiter ein­ geschloffen hat: „Dafür halte uns jedermann — für Christi Diener und Haushaller über Gottes Ge­ heimnisse. Schließlich sucht man an den HauShaltern nur, daß (1. Corinth. 4,1—2.)

einer

treu

erfunden

wird."

Ein treuer Diener Christi, das und nichts anderes wollte er sein; als ein treuer Haushalter der göttlichen Ge­ heimnisse erfunden zu werden, das war sein unermüdliches Bemühen in seinem Amte. Wer kann vergessen den per­ sönlichen Eindruck, den er machte auf Hoch und Gering, auf Bekannte und Fremde, in der Gemeinde und im Hause? Immer freundlich, gegen jedermann entgegenkommend, in allen Lagen dienstfertig, eine Verkörperung der apostolischen Regel, möglichst Allen Alles zu sein! Diese Dienstfertigkeit

aber war nichts gemachtes, sondern echt und wahr, keine zeitweise angelegte Maske, um eigennützige Zwecke zu er­

reichen, sondern der uneigennützige Ausdruck eines durch den demütigen Menschensohn geläuterten Menschenherzens. Der­ selbe demütige Diener seines Herrn aber, wie konnte er sich begeistern für alles Große, Hohe, Schöne, Göttliche! Kein kleinlicher Kirchenmann, deffen Horizont durch den Umkreis seines Kirchturms begrenzt wird, sondern weit um sich schauend auf die Größe des Reiches Gottes in der Vergangen­ heit wie in der Zukunft; keine Spur von pfäffischer Herrsch­ sucht, sondern ein erwähltes Rüstzeug des allgemeinen Prie­ stertums, voll heiligen Eifers in dasselbe einzuführen; kein beschränkter, durch Formeln gebundener Geist, sondern frei­ gemacht durch den Herrn, welcher der Geist ist, und darum kämpfend gegen jede Geistesknechtschaft, woher sie auch stamme — ein mannhafter Protestant; kein pietistisch-schwächReden b. d. Bestattung Lisco's.

2

18 kicher Christ, sondern auf allen Gebieten des Lebens in Kunst und Wissenschaft, in Staat und Gesellschaft das Wachsen des Reiches Gottes beachtend und nach Maß sei­ ner Gaben pflegend. Wir alle irren und fehlen, denn unser Wissen ist Stückwerk, unser Weissagen ist Stückwerk, vor allem wir Diener Jesu Christi haben zu erkennen, daß keiner — von dem großen Apostel herunter bis zu dem klein­

sten, heit dem heit

infallibel ist; in dieser Selbsterkenntnis, die Vollkommen­

nicht schon ergriffen zu haben, zugleich aber auch in Jagen darnach dieselbe zu ergreifen, in der Bescheiden­ und Liebenswürdigkeit, die ihm sowol im Kampf als

im Siege innewohnte, darin erkennen und ehren wir den treuen Diener Christi. Als ein treuer Haushalter der göttlichen Geheimnisse erfunden zu werden, das war sein unermüdliches Bemühen in seinem Amte. In welchem Maße seine Bemühungen Anerkennung gesunden haben, davon legt der heutige Schluß­ tag seiner Amtsführung wie schon sein früherer Jubiläumstag ein erhebendes Zeugnis ab. Dank, innigen Dank rufe ich Allen zu, die hier um das Grab ihres abgerufenen Seel­ sorgers sich versammelt haben oder die aus der Ferne seiner gedenken, Dank in seinem Namen, der so gern und aus vollem Herzen dankte, Dank in dem Namen seiner Familie,

welche in der reichen Teilnahme Balsam für ihre tiefe Wunde finden wird. Aber lasset mich dem nun auSgeschiedenen Amtsgenoffen nachrufen: sein Amt, wie er dasselbe verstand und wie er es verwaltete, ist auch etwas köstliches bei aller Mühe und Arbeit. Die Gaben des Geistes sind mannigfaltige und werden von dem ewigen Geiste ver­ schieden ausgeteilt, wenigen Auserwählten ist eine größere

Fülle, den meisten werden sie in beschränkterem Maße ge­ geben. Unter den Forschern nach Wahrheit, sei es in der Theologie, sei es in der Philosophie, haben Andere die Palme errungen; unter den Predigern deS Wortes GotteS mag

19 das Licht Anderer Heller leuchten; aber unter den Verwaltern der göttlichen Geheimnisse gehört er, wie wir mit Dank gegen Gott sagen dürfen, zu den treusten. Denn welches ist dieses GotteSgeheimnis, dessen Verwaltung dem Diener Christi übertragen wird? Besteht es nicht in der ewigen Liebe, die

den Sünder erlöset und selig macht? Ein Geheimnis für die Welt, ehe der Sohn Gottes im Leben und Sterben dieses Geheimnis offenbarte, ein Geheimnis noch immer für

jede Menschenseele, welche die frohe Botschaft von Christo nicht hört. Wie treu hat er nicht dieses Geheimnis ver­ waltet! Ihr Mühseligen und Beladenen Alle, die Ihr ihn in Eurer Bedrängnis jemals ausgesucht habt, oder die er selbst in tröstender, ratender Liebe besucht hat, Ihr drückt ihm das Zeugnis eines treuen Verwalters der göttlichen Geheimnisse noch an dieser Stelle aus. Wir alle, die wir ihn in seinem Leben, die wir ihn in seinem Leiden geschaut haben, wir haben ihn gefunden als einen treuen Verwalter der Liebe Gottes bis an sein Ende. Gelebt hat er in dieser Liebe, gelitten hat er — gestärkt durch diese Liebe, gestorben ist er — beseligt durch diese Liebe. — Vater, in deine Hände befehlen wir seinen Geist; du hast ihn erlöset, getreuer Gott. Herr, der du ihn gesen­ det, nimm ihn an bei seiner Heimkehr mit dem gnaden­ reichen Gruße: Du guter und getreuer Knecht, du bist über wenigem getreu gewesen; ich will Dich über Biel setzen, gehe ein zu Deines Herrn Freude! (Matth. 25, 21.)