Der Krieg und der Glaube: Vortrag gehalten in der Reformierten Kirche zu Straßburg am 2. Februar 1915 [Reprint 2022 ed.] 9783111090245, 9783112670798


220 62 1MB

German Pages 15 [24] Year 1915

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Der Krieg und der Glaube
Recommend Papers

Der Krieg und der Glaube: Vortrag gehalten in der Reformierten Kirche zu Straßburg am 2. Februar 1915 [Reprint 2022 ed.]
 9783111090245, 9783112670798

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Der Krieg und der Glaube

Vortrag gehalten in der Reformierten Kirche zu Straßburg am 2. Februar 1915 von

v. Paul Grünberg Pfarrer an der Neuen Kirche

Straßburg. Verlag von Karl I. Trübner. 1915.

Alle Rechte vorbehalten.

Druck von M. DuMont Schauberg, Straßburg.

Der Krieg an- -er Glaube. Es geht merkwürdig zu in -er Welt! wir haben alle von Jugend auf gehört und gelernt von Kriegen und Kriegs­ geschichten. nicht nur von -en Kriegen der alten Völker, der Griechen und Körner, von den Kriegen fremder Völker, der Franzosen und Engländer, auch von den Kriegen unseres eigenen Volkes, vom dreißigjährigen Krieg, vom sieben­ jährigen Krieg, von den Freiheitskriegen, und daneben haben wir gelernt von Christus, vom Glauben, von der Mission; und beides hat sich in unserm Geist und Gemüt ganz gut vertragen. Nicht nur das; wir haben schon ver­ schiedene Kriege miterlebt, die älteren unter uns den Krieg von 1870, alle zusammen seit 1900 Krieg auf Krieg, die Thinawirren, den vurenkrieg, den russisch-japanischen Krieg, nicht zu reden von ständigen Kriegen und Revolutionen in Mexiko und Südamerika, endlich noch 1913 den doppelten Salkankrieg. Gewiß gab es in dieser Zeit schon Friedens­ freunde, Friedensbestrebungen, Friedenskongresse, aber fast kein Mensch, wenigstens hierzulande, dachte daran, Thristentum, Religion und Glaube für unvereinbar mit dem Krieg zu erklären und ihnen deshalb den Nbschied zu geben. Kun aber, seit dieser Krieg entbrannt ist, seit wir selbst in den Krieg hineingezogen sind, seit unsere westlichen Nachbarn mit uns und wir mit ihnen im Kampfe stehen, seitdem lassen sich in der Schweiz, in veutschland und nicht zum wenigsten auch hier in unserm Lande Stimmen vernehmen in dem Sinn: Krieg darf und soll es überhaupt nicht geben, Krieg ist unmenschlich und unchristlich; es gibt keine Christen mehr; das Christentum oder die Christenheit hat bankerott

2 gemacht. Tin Schweizer Professor erklärte kürzlich in feinem Blatte: Vie Christenheit hat jetzt zuerst und zuoberst nichts anderes zu tun, als dafür zu sorgen, daß es unbedingt keinen Krieg mehr gibt. Derartige Erklärungen und Proteste sind, schon rein ge­ schichtlich betrachtet, sehr sonderbar. 5llso seit die Welt steht, gibt es Kriege, und seit es eine Thristenheit gibt, haben die Kriege nicht aufgehört, wenn das Ehristentum wirklich mit Kriegführen unvereinbar wäre, so hätte es also über­ haupt bisher kein Ehristentum gegeben. Ihm ist freilich nicht gesagt, daß alles, was bisher gewesen ist, so weiter gehen müsse; freilich darf man es als denkbar und wünschenswert erklären, daß einmal die Kriege aufhören; natürlich hat jeder ein Recht, diesen Zustand anzustreben. Über auf Grund der bisherigen geschichtlichen Entwicklung hat niemand das Recht, zu sagen, Christentum und Krieg find unvereinbar. Damit würden wir verleugnen alle Christen, die vor uns gewesen sind. Abgesehen davon, daß es immer noch 1000 Millionen Menschen gibt, die auch dem Namen nach keine Christen sind, und die wir jedenfalls auch durch unser christliches Programm nicht abhalten könnten, Kriege unter sich und auch gegen uns zu führen. Dem Schweizer Professor, der so von oben herab die Abschaffung des Krieges und seine Unvereinbarkeit mit dem Christentum dekretiert, stelle ich einen Basler Pfarrer gegenüber, der viel bescheidener und vernünftiger von diesem Konflikt redet, weil er eben mit der Wirklichkeit und den Tatsachen rechnet. Er schreibt (vgl. „Vie Hilfe" 1915 Nr. 2): „Ich empfände es als lieblos, wenn ich, der ich daheim bleibe, die Unvereinbarkeit von Krieg und Evan­ gelium debattieren und proklamieren würde, während Un­ zählige, deren Jüngerschaft ebensogut und besser, und deren Gewissen ebenso fein und feiner ist, unter dem Zwang einer unausweichlichen Wirklichkeit in ihrer Person und in ihrem handeln beides vereinbaren müssen. Mir kommt vor, daß da theoretische Debatten und Resolutionen wie Schüsse von

3

hinten auf die tapferen Männer wirken, welche äußerlich mit ihrem Leibe für ihr Vaterland und dessen Zukunft streiten und innerlich in ihren Seelen um ein reines Ge­ wissen und um die Gesinnung Jesu ringen". wir wollen aber die Frage nicht einfach abtun mit der geschichtlichen Erwägung, Krieg, Christentum und Glaube waren bisher beisammen, also können sie sich und werden fie sich auch in der Zukunft vertragen müssen, wir wollen das Verhältnis von Krieg und Glaube von innen heraus, aus der Sache selbst, zu begreifen und darzustellen suchen. I. Da stelle ich nun zuerst die Ghese auf: Der Glaube hat überhaupt mit der Fragenach Krieg und Frieden nichts zu tun. Der Glaube bezieht sich, seinem innersten Wesen nach, auf Dinge, Güter und Werte, die uns der Krieg nicht geben, aber auch nicht nehmen kann. Das innerste Glaubensleben spielt sich ab in einer Giese, in die der Krieg nicht hineinreicht, wie auf der Meeresoberfläche Stürme toben, die den Grund nicht be­ rühren. was ist der Glaube? Der Glaube ist „eine gewisse Zuversicht des, das man hoffet, und nicht zweifeln an dem, das man nicht sieht" (Gbr. 11, 1). „wir sehen", schreibt Paulus (2. Kor. 4, 18), „nicht auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare, denn was sichtbar ist, das ist zeitlich, was aber unsichtbar ist, das ist ewig." Innere Gemeinschaft mit Gott, Glaube an Gottes Gnade und Barmherzigkeit, Vergebung der Sünden und Versöhnung mit Gott, die Ge­ wißheit einer unsichtbaren und ewigen Welt, die Gewißheit eines Lebens, das der God nicht zerstören kann, der Glaube an Schätze, die Motten und Rost nicht zerstören, — ich frage einen Menschen, was dieser Glaube mit dem Krieg über­ haupt zu tun hat. Es kann tiefster Friede herrschen zwischen den Völkern, und man hat deshalb diesen Glauben

4 noch lange nicht. Es kann Krieg sein, und der Krieg kann uns diese Güter nicht nehmen, wenn nach den Worten des Paulus nichts uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Lhristo Jesu ist, so kann es gewiß auch der Krieg nicht. Jesus hat uns einen Frieden verkündigt, darüber sollte man sich doch klar sein, der vor allem ein innerer Seelen-, Herzens- und Gewissensfriede ist. „Meinen Frieden", hat er gesagt (Joh. 14, 27), „gebe ich euch; nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt", nicht einen Weltfrieden. Und wenn hundertmal am letzten weihnachtsfest gesagt und geklagt worden ist, daß die Weihnachtsbotschaft „Ehre sei Gott in der höhe und Friede auf Erden" sich nicht vertrage mit dem gegenwärtigen Kriegszustand, so sage ich ebenso oft, daß die Kriegs- und Friedensfrage mit der Verkündi­ gung der Engel gar nichts zu tun hat, denn weder damals noch bisher herrschte ein kriegsloser Zustand, und Jesus wäre also umsonst geboren. Übrigens lautet jene votschaft wörtlich: „Ehre sei Gott in der höhe und Friede auf Erden den Menschen (oder unter den Menschen) seines Wohlgefallens". Vas heißt, dieser Friede wird gar nicht unterschiedslos allen Menschen, der ganzen Erde, sondern einem gewissen Kreis, sagen wir, innerlich dazu disponierter Menschen, verheißen. Und die haben ihn auch je und je gehabt, auch im Kriege und trotz des Krieges, und andere Menschen haben ihn nicht gehabt, auch im „Frieden" nicht, so wenig sie auch im Frie­ den Gott die Ehre geben. Und so komme ich denn über das nicht hinaus, was ich bei der Weihnachtsfeier an der Kriegs­ weihnacht meinen verwundeten im Lazarett gesagt habe: Es gibt einen Frieden im Krieg, und es gibt einen Krieg, Krieg genug, mitten im Frieden. Der Glaube an die unsichtbare Welt, der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft (eben darum auch nicht ein Produkt vernünftiger menschlicher Überlegung), Friede und Freude im heiligen Geist erheben uns über diese Welt und Zeit in eine höhere Sphäre. Diese Güter sind von Krieg und

— 5 „Frieden" im gewöhnlichen Sinne des Wortes ebenso un­ abhängig, wie sie unabhängig sind vom Wetter, von Ge­ sundheit und Krankheit, Reichtum und Armut und vielen anderen Dingen. Der geistvolle und fromme Theologe Tholuck fragte einst einen Studenten, ob er auch die Kirche besuche. Nein, sagte dieser, ich feire meinen Gottesdienst in der Natur; und er fing an zu schwärmen, wie es so herr­ lich sei an einem schönen Sonntagmorgen draußen in Wald und Flur. „Wenns aber regnet", warf der Professor ein. Ja, was wäre das für eine Erbauung, die vom Wetter ab­ hängt? Und was wäre das für ein Glaube, der nicht auch in Kriegsstürmen bestehen könnte?

II. Jedoch meine erste These, der Glaube hat mit dem Krieg überhaupt nichts zu schaffen, mutz ich nun doch etwas ein­ schränken oder ergänzen. In gewisser Beziehung macht doch der Krieg dem Glauben und den Gläubigen etwas zu schaffen. Kann es denn Gottes Wille sein, wenn er ein gütiger Gott ist, daß die Menschen in dieser weise sich massenhaft hinmorden? Sind die Greuel und Schrecken des Krieges vereinbar mit dem Glauben an eine göttliche Vorsehung und Weltregierung? wie stellen wir uns zu dieser Frage? Nun, der Krieg ist gewiß ein Übel, ein furchtbares Übel; davon soll nichts abgemarktet werden. Über eristlängstnichtdaseinzigeübel in der Welt, und es fragt sich sehr, ob er das größte Übel ist. Somit ist die Frage, wie sich der Krieg verträgt mit dem Glauben an den allmächtigen, gütigen und gerechten Gott, nur ein Ausschnitt aus der großen Frage: wie verhält sich das Übel in der Welt zum Gottesglauben? *) wie kommt überhaupt das Übel in diese Gott.

*) Ich verweise auf meine Broschüre: Das Übel in der Welt und Groß-Lichterfelde-Berlin 1907.

6 Welt, die doch nach dem Bericht der Bibel ein guter Gott geschaffen hat. „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte; und stehe da, es war sehr gut“ (1. Mose 1, 31). Ist denn aber alles gut in der Welt, auch ganz abge­ sehen vom Krieg? Denken wir an das Heer von Seuchen und Krankheiten. Noch sterben fast ein Fünftel aller Kinder im ersten Lebensjahr, ohne eigentlich zum Leben recht ge­ kommen zu sein. Tin viertel der Menschen in unsern Breiten sterben vor der Seit an der Schwindsucht. Vas sind schon ziffernmäßig mehr Verluste an Menschenleben, als alle Kriege verursachen. Vas letzte Erdbeben in Italien hat allein 40 000 Menschen gekostet, nicht zu reden von ähn­ lichen Katastrophen zu Master und zu Lande. Ja, wenn das Leben der Güter höchstes wäre, dann kämen wir aus dem Jammern gar nicht heraus, abgesehen davon, daß doch schließlich alle Menschen sterben mästen. Ein Schlachtfeld ist furchtbar; was alles für Bilder des Elends und des Grauens Spitäler, Idioten- und Irrenanstalten uns zeigen, ist wohl nicht minder schrecklich; man schaut hier den Jam­ mer nur nicht so mastenhaft auf einmal beieinander. Über, sagt man, es sind im Krieg eben die Jungen, Gesunden und Starken, die eines gewaltsamen, unnatürlichen Codes sterben; wie viele wirtschaftliche und geistige werte und Kräfte gehen damit uns verloren. Doch das geschieht auch sonst bei frühem Cod und Sterben im gewöhnlichen Lauf der Dinge. Ob's aber bester und idealer wäre, wenn alle Menschen ungestört durch Krankheit und Krieg die volle ausgebildete Senilität erreichen würden, ob nicht manche besser und leichter in der Jugend sterben? (Db nicht manche im Sterben größer sind und mehr leisten, als sie im Leben gewesen wären und geleistet hätten? Man redet jetzt viel von solchen, die nach menschlichem Ermesten zu früh ge­ storben sind; sind nicht manche für sich und andere zu spät gestorben? Christus, mit Erlaubnis zu sagen, ist auch früh­ zeitig eines gewaltsamen, schrecklichen Codes gestorben, wem fällt es denn ein zu sagen, was der noch hätte leisten

7 — Können? (Er hat gerade im Sterben, durch seinen Tod am Kreuz das größte geleistet. Doch nicht nur Verluste an wertvollen Menschenleben, sowie ungeheure materielle und wirtschaftliche Verluste bringt der Krieg mit sich, sondern sittliche, geistliche Ge­ fahren, Verrohung, Verwilderung, Rachsucht, Gewalttätig­ keit. Ist denn aber der Friedenszustand etwa eine Gewähr für Tugend und Sittlichkeit? Das ganze Heer von Lastern und sittlichen Übeln aller Art, die auch im Frieden im Schwange gehen, Trunksucht und Unzucht, Geiz und Hab­ sucht, Neid und Mißgunst, Lüge und Verleumdung, Leicht­ fertigkeit und Genußsucht, Trägheit und Liederlichkeit, sind die wirklich viel geringer als die sittlichen Übel, die der Krieg mit sich bringt? wie viele, die jetzt als Christen jam­ mern wollen über das Unheil des Krieges, haben im Frieden und bis kurz vor dem Krieg nicht genug jammern können über zunehmende Gottlosigkeit und Sittenlosigkeit aller Hrt. warum soll denn auf einmal jetzt der Krieg das Schlimmste sein? Und die Verluste des Krieges, die ver­ lorenen Männer und Söhne, sind sie beklagenswerter als das Heer der verlorenen und verkommenen Söhne und Töchter, auch Väter und Mütter, die im Frieden an Leib und Seele zugrunde gehen? willst du nicht lieber einen Sohn verlieren auf dem Schlachtfeld im ehrlichen Kampfe, als einen Sohn oder eine Tochter in der Schande und im Laster? Eine deutsche Frau hat einem Pazifisten entgegnet: Du führst mich auf die Walstatt des Krieges und willst mir grauen machen; komm, ich will dir die Walstatt des Frie­ dens zeigen! Der Basler Pfarrer Benz, kein altmodischer und orthodoxer preußischer Militärpfarrer, sondern ein durchaus moderner Theologe, hat sich nicht gescheut, in einer seither veröffentlichten predigt „zum Kamps hinter der Front" seinen Schweizern ins Gesicht zu sagen: Das Gehetze, Sanken, Lügen und verleumden hinter der Front, gerade bei den „Neutralen", dieser Kampf mit bösen Zungen ist gewiß Gott noch weniger wohlgefällig als der Krieg draußen!

8 3a, was ist bas größte Übel? Nicht Krankheit, nicht Krieg und Tob, ber Übel größtes ist bie Schulb, bie Sünbe, „bas Geheimnis ber Bosheit". Unb bas größte Geheimnis unb bie größte Schwierigkeit für ben Glauben ist nicht, baß Gott Krankheit unb Krieg unb ähnliche Übel, sonbern baß er bie Sünbe zuläßt unb bulbet. Gin Missionar prebigte vor tzeiben anschaulich unb einbringlich von ber Macht unb Gewalt ber Sünbe, bes Teufels. Gin Neger be­ gegnet ihm mit ber verwunberten kinbisch-kinblichen Frage: warum schlägt benn Gott ben Teufel nicht tot? Diese Frage, ins Geistige übersetzt, ist allerbings bie Grunbfrage: wie unb warum unb wie lange kann unb bars es neben bem guten, gnäbigen willen Gottes in ber Welt einen bösen willen, ein Reich ber Lüge unb ber Finsternis geben? (vb man bas nun „Zulassung" ober sonstwie nennt, es kommt immer wieber auf bas eine hinaus, baß bas Löse unb bie Sünbe ba sinb neben Gott unb boch zugleich im wiberspruch mit Gott. Unb so lange bie Sünbe ba ist in allerhanb Ge­ stalten, so lange es im Kleinen Neib, Bosheit unb Unrecht gibt, so lange braucht man sich nicht zu wunbern, baß auch in bem Verhältnis unb Verhalten ber Völker untereinanber neben bem guten willen zum Recht unb zum Frieben ber böse Wille zum Streit unb zum Unrecht tätig ist, baß neben ben bauenben unb erhaltenben auch zerstörenbe Kräfte fort unb fort wirksam sinb. So hat benn ber platonische Wunsch, „es wäre boch schön, wenn bie Völker frieblich neben einanber wohnten, wenn man keine Solbaten unb keine Ka­ nonen mehr brauchte", nicht mehr Sinn, wert unb Kraft, als wenn wir sagen würben: „(Es wäre boch so schön, wenn es keine Diebe, Räuber, Mürber, Lügner, verleumber, Trinker unb Ehebrecher mehr gäbe, wenn wir keine Polizei, keine Gerichte unb keine Gefängnisse mehr nötig hätten!" Unb bann noch etwas, was zwar mit ber Sünbe zu­ sammenhängt unb boch wieber ein Problem für sich ist. Wer bei seinem Gottesglauben sich bamit abfinben muß, baß seit Fahrtausenben stünblich Tausenbe von Menschen ge-

9 — boten werden, dahin leben und sterben im Aberglauben, im Götzendienst, in geistlicher Finsternis, ohne den zu kennen und zu ahnen, außer dem kein heil ist, ohne das Ziel zu erreichen, welches wir vom christlichen Standpunkt aus als das höchste und eigentliche Ziel betrachten müssen, die wahre Gottesgemeinschaft, und zwar ohne erkennbare eigene Schuld, der kann und muß sich wahrlich doch noch leichter mit der Tatsache abfinden, daß es Kriege gibt und im Kriege Menschen fallen und zu Krüppeln geschossen werden. Ich habe gesagt, der Krieg hängt mit der Sünde zusam­ men. Gs ist nun aber nicht meine Meinung, daß der Krieg

nur und immer nur eine Folge der Sünde, des sündhaften Verhaltens beider oder wenigstens einer der kriegführenden Parteien ist. Gewiß kann auch der Frömmste nicht im Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Man müßte denn alle Selbstbehauptung, Verteidigung und Notwehr verbieten und sich alles gefallen lassen, man müßte dann auch, wie Luther einmal die buchstäbliche Erfüllung des Wortes „du sollst nicht widerstreben dem Übel" lächer­ lich gemacht hat, „sich vom Ungeziefer auffressen lassen". Gewiß ist es im gegenwärtigen Krieg meine Überzeugung, daß veutschland, geschweige denn unser Kaiser, an diesem Kriege nicht schuld ist, daß uns derselbe von Neidern und Hassern aufgezwungen ist, und daß wir ihn schon deshalb mit gutem Gewissen führen dürfen und müssen. Nichts­ destoweniger möchte ich selbst in diesem Krieg unsern Geg­ nern die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß nicht jeder einzelne Franzose, und nicht einmal jeder, der den Entschluß zum Kriege gebilligt hat, nur aus bewußter vertrackter Bosheit mitmacht, oder daß jeder einzelne Engländer rein aus persönlicher Perfidie, aus Neid und Habsucht gehandelt hat. Ich halte es vielmehr für möglich, daß auch ehrliche und anständige Franzosen und Engländer der Meinung leben konnten, im Interesse ihrer nationalen Sicherheit und Zukunft, ihres nationalen Berufs, ihrer wirtschaft-

— 10 — lichen und politischen Aufgaben habe sich für sie nun einmal die Notwendigkeit des Krieges ergeben. Die Macht der Lüge, der bewußten Lüge, ist ja groß in diesem Kriege, und am meisten belügen die Menschen sich selbst (ein Engländer hat vor 300 Jahren ein dickes Luch über den „Selbstbetrug“ geschrieben). Es gibt aber auch eine Macht des Irrtums, der Verblendung und der Selbsttäuschung, angesichts deren es oft sehr schwer oder vielmehr unmöglich ist, die Größe der Verschuldung des einzelnen, eines ganzen Volkes und erst recht des einzelnen innerhalb seines Volkes zu ermessen. Daß, wenn die Sache schief geht und übel abläuft, keiner schuld gewesen und keiner angefangen haben will, ist wiederum eine allgemein menschliche Schwäche, bei der Irr­ tum und Lüge sich mischt. Also nicht immer und nicht nur handelt es sich im Kriege um die bestimmte Schuld und Sünde einzelner Menschen oder einzelner Völker. Ja, ich gehe weiter und sage: Vie ganze Art des Zu­ sammen- und Nebeneinanderlebens der verschiedenen Völker bringt schwere Interessenkonflikte mit sich, bei denen unter Umständen beide Parteien glauben können, weil sie kein Mittel der Verständigung sehen und weil es jedenfalls bis jetzt kein allgemein anerkanntes „Weltgericht" gibt, daß sie eben sich selbst Recht schaffen müssen, so etwa wie es denkbar ist, daß zwei Menschen einen Prozeß führen, von denen jeder wirklich glaubt im Recht zu sein. Was haben nun diese nationalen Fragen und Konflikte mit dem Glauben und mit dem Thristentum zu tun? Paulus hat in Athen gesagt (Ap.-Gesch. 17, 26): „Gott hat gemacht, daß von einem Blut aller Menschen Ge­ schlechter auf dem ganzen Erdboden wohnen und hat Ziel gesetzt und vorgesehen, wie lang und wie weit sie wohnen sollen.“ Rach Gottes Rat ist die Menschheit in Völker und Nationen, in Zungen und Sprachen geschieden und zerteilt. In Gottes Rat ist, wie jedem einzelnen Menschen, so auch jedem Volk seine Grenze, sein Ziel und seine Zeit gesetzt. Aber dieser Rat ist im einzelnen uns und den Völkern ver-

— 11 — borgen, wie die nationalen Aufgaben und Interessen­ sphären im Lauf der menschlichen Geschichte sich abgrenzen und gestalten sollen, welche Gebiete und Kolonien, wie viel Macht und Einfluß dieser oder jener Staat jetzt oder später haben soll, darüber sagt uns Paulus natürlich nichts. Dar­ über hat uns auch Thristus nichts gesagt, so wenig er der Wissenschaft, der Kunst, der Industrie, dem handel, dem Ver­ kehr, der Kolonisation, der presse Vorschriften gegeben und Grenzen gesetzt hat. Das sind Gebiete der menschlichen Ent­ wicklung, die nicht vom Glauben aus und durch Glaubens­ aussagen bestimmt und geregelt werden können; da kann man nicht von vornherein sagen, diese oder jene Forderung, Gestaltung und Entwicklung ist christlich oder nicht christ­ lich. Und so gehört auch die Auseinandersetzung der Mensch­ heit in der Form des Krieges zu den großen Kultur- und Menschheitsfragen, die nicht von einer Theorie aus, und wäre sie noch so wohlgemeint und vermeintlich noch so christ­ lich, gelöst und entschieden werden können; hier handelt es sich um Möglichkeiten und Wirklichkeiten, hinsichtlich deren nicht nur der einzelne Mensch, sondern ganze Völker ohn­ mächtig sind. An und für sich erscheint es nicht undenkbar, daß die nationalen und staatlichen Verhältnisse in einer Weise sich fortentwickeln, daß mit der Seit Kriege ausgeschlossen, un­ möglich oder unnötig werden, wie sich die Staaten von Nord­ amerika früher bekriegt und jetzt zu einem Staatenbund zusammengeschlossen haben, so könnte sich einmal ein euro­ päischer Staatenbund bilden und vielleicht einmal in ferner Zukunft ein alles umfassender Weltstaat, der in sich ohne Krieg die Verhältnisse ordnet mit einer starken Polizei. Das kann man sich so denken und das kann man wünschen. Aber das steht in keines Menschen Hand, jedenfalls jetzt nicht in unserer Hand. (Es kann aber auch ganz anders kommen, wenn mich meine geschichtlichen Studien irgend etwas gelehrt haben, so haben sie mich jedenfalls das ge­ lehrt, daß kein Mensch, auch von den größten Geistern der

— 12 — Menschheit keiner, je eine auch nur annähernd richtige Ahnung und Vorstellung gehabt hat, wie hundert Jahre nach ihm die Welt aussehen und wie die Weltgeschichte weiter laufen wird. Ts hat jemand gesagt: „ver Krieg ist nichts Christliches und nichts Unchristliches; er ist einfach etwas Göttliches." Und das ist er gewiß in dem Sinne, daß er irgendwie in die göttliche Weltordnung hineingehört. Denn, wenn wir wirk­ lich an einen höheren willen, an eine höhere Macht und Weisheit glauben, wenn kein haar von unserem Haupte und kein Sperling vom Dach fällt ohne den willen unseres Vaters im Himmel, wie sollte dann das Ereignis, das am tiefsten in das Leben der Menschen und Völker eingreift, eben der Krieg, gleichsam programmwidrig neben der gött­ lichen Weltordnung und Weltregierung einherlaufen. wenn dabei große Fragen und Rätsel bleiben, so sind es — darauf wollte ich hinaus — dem Wesen nach keine andern Fragen und Rätsel als die, welche uns das Weltgeschehen und der Weltverlauf, Men­ schen- und Völkergeschicke auch im Frieden täglich bieten. Und wenn diese, so müssen auch jene vereinbar sein mit dem Bekenntnis: Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, Schöpfer Himmels und der Erden. Der Mann, der erklärt, ich kann nicht an Gott glauben, weil es Kriege gibt, steht in bezug auf Erkenntnis und Glaubenstiefe nicht über jener armen Frau und Mutter, die dem Stadtmissionar erklärte: „Es gibt keinen Gott, sonst hätte er mir mein Kind nicht genommen." III.

Der Glaube, haben wir zuerst gesagt, hat überhaupt mit dem Krieg nichts zu schaffen. Der Glaube, so fuhren wir fort, kann zwar an der Tatsache des Krieges einen An­ stoß nehmen, aber keinen unüberwindlichen. Aber der Glaube verhält sich schließlich zu der Tatsache des Krieges

— 13 — nicht nur indifferent, gleichgiltig, auch nicht nur resigniert, ergeben; er hat auch ein positives Verhältnis zum Krieg. Der Glaube kann durch den Krieg eine Förderung und Stärkung erfahren. Man kann auch in diesem Sinn von einem Segen des Krieges, man kann von einer befruchtenden Wirkung desselben für das Glaubensleben sprechen. Deß dem wirklich so ist, ergibt sich zunächst einfach aus der Tatsache, daß wir Persönlichkeiten genug in der Ge­ schichte kennen und haben, die in Kriegszeiten ihren Glauben nicht nur mühsam sich bewahrten, deren Glaubensleben viel­ mehr gerade im Krieg herrliche Blüten und Früchte gezeitigt hat. wenn ich wissen will, ob ein Gegenstand im Wasser schwimmt oder untergeht, so mache ich das am besten doch nicht so, daß ich lange theoretische Betrachtungen und Be­ rechnungen über sein spezifisches Gewicht anstelle, sondern daß ich ihn einfach ins Wasser lege, Nun, das Experiment „Krieg und Glaube" ist tatsächlich in der Geschichte gemacht worden; Beobachtungen und Erfahrungen genug sind vor­ handen. Der schon genannte Theologe Tholuck hat in «inem Buch die „Lebenszeugen der lutherischen Kirche im 17. Jahr­ hundert" zusammengestellt, Fürsten, Staatsmänner, Ge­ lehrte, Geistliche, Laien, Bürger, nicht zum mindesten solche, die gerade in schweren Kriegszeiten ihren Glauben er­ probt haben, welche herrlichen Kreuz- und Trostlieder, welche herrlichen Glaubensbekenntnisse hat doch gerade der dreißigjährige Krieg heroorgebracht! Ich erinnere nur an Paul Gerhardt und an sein Lied, an dem wir uns beim letzten Jahreswechsel so ost erbaut und gestärkt haben: Nun laßt uns gehn und treten mit Singen und mit Beten zum Herrn, der unserm Leben bis hierher Kraft gegeben.

wir gehn dahin und wandern von einem Jahr zum andern;

— 14 — wir leben und gedeihen vom alten bis zum neuen.

Durch so viel fingst und Plagen durch Zittern und durch Zagen, durch Krieg und große Schrecken, die alle Welt bedecken.

Venn wie von treuen Müttern in schweren Ungewittern die Kindlein hier auf Erden mit Fleiß bewahret werden.

fllso auch und nichts minder läßt Gott uns seine Kinder, wann Not und Crübsal blitzen in seinem Schoße sitzen. Und dann, welch eine wunderbare Verbindung von kriegerischem Patriotismus und christlichem Glaubensleben stellen die Helden und Sänger der Freiheitskriege dar, voran Ernst Moritz flrndt. Der Dichter des Liedes „Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte", ist derselbe, der so innig gesungen: Ich weiß, woran ich glaube, ich weiß, was fest besteht, wenn alles hier im Staube wie Sand und Staub verweht. Ich weiß, was ewig dauert, ich weiß, was nimmer läßt; auf erogen Grund gemauert, steht diese Schutzwehr fest.

Es sind des Heilands Worte, die Worte fest und klar; an diesem Felsenhorte halt ich unwandelbar.

Solche Beispiele und Vorbilder aus dem Leben sagen uns mehr über das wirkliche Verhältnis von Krieg und

— 15 — (Blaube als noch so viele theoretische Erörterungen und Ein­ wendungen. Daß der Krieg viel Unedles im menschlichen herzen an den Tag bringt, ist gewiß: aber es heißt sich die Bugen gewaltsam verschließen, wenn man nicht sehen will, wie auch die edelsten Kräfte des Gemüts- und Geisteslebens durch den Krieg entbunden werden; die Sturmflut wirft Schlamm und Unrat, aber auch perlen an das Ufer. Das religiöse Leben hat auch durch diesen Krieg eine Förderung erfahren. In dieser Beziehung sind ja manchmal über­ triebene Behauptungen und Hoffnungen laut geworden. Die patriotische Erhebung ist noch nicht an sich religiöse Dertiefung. Buch die Not des Krieges hat nicht alle Leute beten gelehrt; die Kirchen haben sich nicht überall gefüllt und zu den Nbendmahlstischen hat man sich nicht allenthalben ge­ drängt. Liber selbst hier in Straßburg, wo die patriotischen Wogen nicht so hoch gingen wie anderwärts und wo — nach meiner Überzeugung — eben im Zusammenhang damit auch die religiöse Bewegung sich weniger fühlbar machte, kann doch kein Mensch behaupten, daß das kirchliche und religiöse Leben seit dem Kriege zurückgegangen sei. 3m Gegenteil? Dieses positive Verhältnis von Krieg und Glaube, das durch die Erfahrung der Vergangenheit und der Gegenwart bezeugt wird, hat auch seine guten Gründe. Wenn Not und Gefahr, Trübsal und Heimsuchung unsern Glauben und unser Gottvertrauen üben und stärken („wo kämen Davids Psalmen her, wenn er nicht auch versuchet wär?"), wie sollte es denn gerade der Krieg nicht tun? Wenn es zum Glauben und Gottvertrauen gehört, sich schicken in Gottes Rat und Willen und getrost auch dunkle Wege gehen, wie sollte das nicht gerade in der Kriegszeit geübt werden, wo alles dunkel und zweifelhaft wird und der Mensch seiner Ohnmacht und Kleinheit sich so recht bewußt wird? Wann kommt das Bekenntnis „(Eine feste Burg ist unser Gott" und die Überzeugung, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum besten dienen müssen, mehr zu Ehren als im Krieg?

16 —

Glaube ist Gottvertrauen. Und aus dem Gott­ vertrauen wird Mut und Kraft geboren. Vas Christentum, hat man gesagt, ist die heldenhafte Jotm des Lebens, wann wird Heldentum so auf die probe gestellt, wie im Krieg? Gewiß, nicht nur im Krieg und auf dem Schlachtfeld gibt es Helden, Glaubenshelden. Such in Friedenszeiten, auf und an den Krankenbetten, im täglichen Beruf beweist sich der Glaube als der Sieg, der die Welt überwindet. Es wäre schlimm, wenn man dazu immer erst auf einen Krieg warten müßte. Es gibt Helden und Feiglinge im Frieden wie im Krieg. Über nicht zum wenigsten weckt doch der Krieg den Heldensinn. Unter dem Titel „Heldentum im Weltkrieg­ hat Dr. Sieden Beispiele von Heldentaten aus diesem Krieg zusammengestellt, die keinen Zweifel darüber lassen, wie oft der Glaubensmut im Kriege gestärkt wird. Glaube ist Heldentum; glauben aber heißt vor allen Dingen, auch den letzten Feind, den Tod, bezwingen und ge­ treu sein bis an den Tod. Christsein heißt den Tod nicht fürchten, den Tod, der freilich uns stets bedroht und um­ lauert in mancherlei Gestalt, der aber doch auf dem Schlachtfeld den Kämpfern besonders greifbar entgegentritt. Wohl kann man dem Tod auf dem Schlachtfeld mutig ins Sngestcht schauen auch ohne die tiefsten religiösen Motive, aus pflichttreue und Vaterlandsliebe. 3m besten Sinn kann man es aber doch nur in der Gewißheit, daß unser Leben in Gottes Hand steht, daß uns nichts aus seiner Hand reißen kann, daß Christus den Tod überwunden und Leben und unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat. was in der Seele des Soldaten vorgeht, der zum Sturm sich erhebt, der schwer, tödlich getroffen niedersinkt, das wage ich nicht zu untersuchen und zu beschreiben. Sber ich bin gewiß, und die Ewigkeit wird es offenbaren, da wird oft in wenigen Stunden und Minuten zwischen Gott und der Seele ein Bund geschlossen für immer, der ohne Kampf und Tod auf dem Schlachtfeld nie zustande gekommen wäre. Etwas banal und geschmacklos mag es klingen, wenn aus

— 17 — dem Lazarett ein Schwerverwundeter heimschreibt: «Ich habe ein Vein verloren, aber meinen Gott gefunden". Über ohne Zweifel könnte man auf manches Heldengrab die Worte fetzen: Sie haben das Leben verloren und das wahre Leben des Glaubens gefunden. „Und setzet ihr nicht das Leben ein, nie wird euch das Leben gewonnen sein." Sei Wittersheim in Lothringen sah ich im Spätjahr zum erstenmal Soldaten­ gräber aus diesem Krieg. Dort waren bayrische Landwehr­ männer gefallen: auf einem Grab lag ein Kreuz mit der Inschrift: „Christus ist mein Leben und Sterben mein Gewinn." wahrlich, den Glauben an Gott braucht man im Krieg nicht zu verlieren oder wegzuwersen: so mancher hat ihn im Krieg gefunden, wiedergefunden, manchem ist er gestärkt worden. Etwas anderes kann uns durch diesen Krieg viel eher erschüttert werden, das ist der Glaube an die Menschen. Kaum ein Jahr vor dem Ausbruch des Krieges hat unser Kaiser die Vermählung seiner einzigen Tochter mit dem Herzog von vraunfchweig gefeiert. Unter den hohen Jestgästen befand sich der Kaiser von Rußland und der König von England: sie erschienen in großer Gala und haben unsern Kaiser freundoetterlich begrüßt und geküßt. Das taten sie, obwohl nach den bisherigen Ereignissen und Ver­ öffentlichungen es keinem Zweifel unterliegen kann, daß damals bereits zwischen ihnen die Jaden gesponnen waren, in denen man unsern Kaiser und unser Volk verstricken und ersticken wollte. Kann unser Kaiser, angesichts solcher Er­ fahrungen, solchen Menschen je wieder mit vertrauen be­ gegnen, sie besuchen und umarmen? Das ist aber nur ein, freilich ein besonders trauriges Beispiel davon, welch einen Abgrund menschlicher Bosheit und Niedertracht dieser Krieg offenbart hat. Jener philisterhafte, spießbürgerliche Aber­ glaube an einen Fortschritt der Menschen, der sozusagen naturnotwendig wie ein chemischer Prozeß oder automatenhast sich vollzieht, ist jetzt gründlich ins Wanken gekommen.

— 18 — Meine Überzeugung ist, daß z. 8. von den Franzosen der Krieg von 1870 in bezug aus die Vehandlung der Zivilper­ sonen, des Privateigentums, der Gefangenen und verwun­ deten viel anständiger und menschlicher geführt worden ist als dieser Krieg; das ist kein Fortschritt, sondern ein Rück­ schritt. Gewiß gibt es Fortschritte in der Welt, aber auch Rückschritte. Eben deshalb gibt es auch keine Sicherheit dafür, daß die Menschen mit der Zeit von selbst sich alle so veredeln, daß sie keine Kriege mehr brauchen und führen. Vie vielgepriesene Zivilisation und Kultur im gewöhnlichen Sinne des Wortes schließt menschliche Schlechtigkeit absolut nicht aus; deshalb ist auch das Gejammer, daß „so etwas" unter zivilisierten Völkern noch möglich ist, ganz töricht. Ruch ein Fortschritt des Thristentums in dem Sinne, daß alle Menschen und Völker mit der Zeit so durch und durch verchristlicht würden, daß es keinen Krieg mehr geben kann, ist uns nirgends verheißen und garantiert. Es wird wohl, so lange diese Welt steht, bei dem Wort vom schmalen und breiten weg bleiben, wenn wir auch hoffen und uns be­ streben müssen, recht viele auf den weg des Lebens zu bringen. Rlso auf die Menschen und die Menschheit können wir uns schließlich nicht verlassen. Rur Gott ist getreu. Darum ist's gut, in Krieg und Frieden, aus den Herrn vertrauen und nicht sich verlassen auf Menschen. Und so liegt denn am Ende die Sache so: Nicht baß wir auch im Krieg und trotz des Krieges an Gott glauben können und dürfen, sondern daß wir gerade im Krieg und um des Krieges willen an Gott glauben müssen, wir können einfach diesen Krieg ohne Glauben nicht ertragen und durchführen. Unser Trost ist, daß wir zuletzt nicht in Menschenhände, sondern in Gottes Hände fallen.