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German Pages 20 [52] Year 1834
Predigt am Schlüsse
-es christlichen Kirchenjahrs 1833, den 24sten Sonntag nach LrinitatÜ
in der Dreifaltigkeits-Kirche vorgetragen 6 0 0
Dr.
Philipp Marheineke.
Evangelium am 24. Sonnt. n. Trlnik Matth. 9, 18 — 28.
Da er solches mit ihnen redete, siehe, da kam -er Obersten einer und fiel vor ihm nieder und sprach: Herr, meine Tochter ist setzt eben gestorben, aber komm und lege deine Hand auf sie, so wird sie le bendig. Und Jesus stund auf und folgete ihm nach und seine Jünger. Und siehe, ein Weib, die zwölf Jahre den Blutgang hatte, trat von hinten zu ihm und rührete seines Kleides Saum an. Denn sie sprach bei ihr selbst: möchte ich nur sein Kleid anrühren, so würde ich gesund. Da wendete sich Jesus um und sah sie und sprach: sei getrost, meine Tochter, dein Glaube hat dir geholfen. Und das Weib ward gesund zu derselbigen Stunde. Und als er in des Obersten Haus kam und sah die Pfeifer und das Getümmel des Volks. Sprach er zu ihnen, weichet, denn das Mägdlein ist nicht
4 todt,
sondern es schläft.
Und sie verlachten ihn.
Als aber das Volk ausgetrieben war, ging er hinein und ergriff sie bei der Hand, da stund das Mägd lein auf.
Und das Gerücht erscholl in daffelbige
ganze Land.
9tur einer oberflächlichen Ansicht dieses Evangeliums kann es so vorkommen, als ob die zwiefache Wunderthat, welche darin erzählt wird, von unserm Heiland lediglich nur zu dem Zweck geschehen sei, das leidende Weib gesund, das gestorbene Mägdlein wieder lebendig zu machen. Es lie gen tiefere Beweggründe dahinter auf beiden Seiten, sowohl bei unserm Heiland selbst, als auch bei dem kranken Weibe und dem gebeugten Vater, der seine Tochter sterben gesehen. Dein Glaube hat dir geholfen, spricht der hülf. reiche Erbarmer und sagt eben damit aus, sowohl was ihn zu solcher Hülfe, als was jene zu ihrer Bitte bewogen habe. Dein Glaube hat dir geholfen, spricht er, alS ob et sagte: ob wohl dein Glaube ganz recht vor al» Um muß Glaube an mich seyn, den von Gott gesendeten Helfer und Retter der armen, leidenden Menschheit und an mir seinen Gegenstand haben, so muß er doch auch eine Bewegung in dir, und kann nur so der helfende und mußt also du selbst auch mittelst deines Glaubens der mithelfende seyn. Dein Glaube hat dir geholfen, sagt er aber nicht blos in so fern, als dieser Glaube zur Erfüllung dieser bestimmten Bitte, in diesem einen Fall und nur zu den Zwecken de- Leibes und Lebens geholfen: denn dieses Mittel, welches der Glaube ist, geht seiner Natur nach auf
höhere Zwecke; der Glaube ist eine gewisse Zuver« sicht deß, daS man hoffet, eine Darstellung, von Dingen, die man nicht siehet, und unser Heiland selbst preiset selig die, welche nicht sehen und doch glauben.
So müssen wir uns denn wohl
überzeugt halten, daß das noch nicht das Höchste ist, wozu uns der Glaube erheben soll, wenn man ihn nur um ir« bischer Güter, um leiblicher Zwecke, um äußerlicher Rück« sichten willen hat; aber selbst, daß diese Rücksichten sich noch. an den Glauben anknüpften in dem vorliegenden Fall,, hält unfern Heilaick nicht ab, sowohl in Bezug auf daleidende Weib, als dm bittenden Vater zu sagen: Dein' Glaube hat dir geholfen. Wir sehen hier, m. g. Fr., wie unser Heiland auch das, was nur entfernter Weise sich auf den Glauben an. ihn bezieht, und nur ein geringer Anfang desselben in den Gemüthern der Mmschen ist, nicht unbeachtet läßt, nicht gleichgültig dagegen ist, auch schon die äußerliche Bekannt schaft mit ihm, als dem Erlöser, auch schon das entfernte Berühren des Saumes von seinem Kleid mit Wohlgefal len annimmt, und es als eine Stufe betrachtet, von der, wie untergeordnet sie auch noch sei, doch die gläubig ge wordene Seele weiter zu führen und zur vollen Erkenntniß der Wahrheit zu bringen sei. Ob daher auch mit solcher Wahrnehmung sich stets noch ein heimlicher Schmerz in dem Erlöser verknüpft und er stets dabei noch zu erkennen giebt, man sei mit solchem Anfang deö Weges noch nicht am Ziel desselben und noch des viel weiteren Fortschritts be dürfe solcher schwach beginnende Glaube, so verwmdet er doch, wie ein guter Hausvater, auch die geringen Kräfte
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qnd Mittel zum Wohl -es Ganzen in seiner Haushaltung, so erblickt er auch darin doch weise Absichten seines VaterS im Himmel, der auch die schwachen Anfänge des Glaubens an seinen Sohn schüzt und begünstigt, und so giebt er uns auch damit rin Vorbild, dem wir nachfolgen sollen. Was drängt sich daher an dem heutigen Tag, da wir den Verlauf unserer frommen Uebungen und Betrachtungen in die» fern Kirchenjahr abschließen, unserm Nachdenken stärker auf, als der Ueberblick dessen, wozu wir es mit unserm innern, geistlichen Leben vor Gott gebracht haben, das Ueberschauen aller der mannigfachen Stufen des Glaubens, auf die wir daS christliche Glauben und Leben um uns her gestellt sin» den, von der untersten an bis zur höchsten, und die Milde und Nachsicht besonders, die wir auch den schwachen Kei men desselben schuldig sind. Lasset uns daher jezt mit einander betrachten: wozu uns der Anblick so mannigfaltiger Mittel und Wege bewegen muß, welche Gott gebraucht, den Glauben an Christum in uns anzupflanzen. Wir müssen sie erst kennen lernen, diese verschiedenen Mit» trl und Wege, um hernach einzusehen, wozu uns der An» blick derselben bewegen muß.
I. Unter den Mitteln und Wegen, deren Gott sich be dient, «nS zu christlicher Frömmigkeit zu erwecken, sehen wir zuerst die leibliche Noth. Ja daS ist ein« ergiebig« Quelle plözlkcher Erscheinung christlicher Frömmigkeit in Gemüthern, wo man sie am
7 wenigsten gesucht und erwartet hatt«. In den Lagen de» GlückeS und WohlergehnS noch ging ihr Denken und ©in» nen auf ganz andere Dinge, nichts lag ihnen ferner, als der christliche Glaube, der Gedanke an Christum, daS Ge fühl des Bedürfnisses irgend einer Gemeinschaft mit ihm; sie konnten sich selbst helfen, sie waren sich selbst genug, sie erfreuten sich aller Mittel des Lebensgenusses und der Befriedigung ihrer Wünsche; und die Besorgung ihres Ver« gnügens, die Jagd nach Ergözlichkeiten, das Leben in der Welt und ihren Eitelkeiten und Sünden nahm ihren Geist so gänzlich, so hinreichend in Anspruch, daß für Gott und Ewigkeit kaum ein Gedanke übrig blieb. Aber die Sonne des Glücks verdunkelte sich auf einmal; leibliche Schwäche und Krankheit, die zum Lebensgenuß unfähig machte, Verlust an zeitlichen Gütern, wodurch man so mächtig und fähig war, jeden Wunsch zu befriedigen, Tage des Unglücks, an denen alle Stützen des Lebens brachen und sanken, Tage des Alters und der Hinfälligkeit, verwelkender Schön« heit und Körperkraft traten ein und auf sich selbst und ihre innere Armuth ^sah sich zurückgeworfen die verarmte, ver« eitelte Seele.
Noch zwar versuchte sie es erst, ob sie
nicht doch ohne Gott und den Glauben und die Hinge« bung an den, den er gesandt hat, fertig werden könnte, ob nicht vielleicht ein anderes nur unter den irdischen und ver» gänzlichen Dingen ihr gefehlt, ob sie nicht mit der Welt sich abfinden und auseinandersetzen könnte, ohne eine neue, so ernste, so wehmüthige Verbindung einzugehen: aber da entstand erst die bitterste, die unerträglichst« Leere in dem Gemüth, da erhob fich schweigend noch der Geist Jesu Christi in der -wischen ihm und der Welt schwankenden
8 Seele, und durch eben das, was bis dahin ihre einzige Liebe war, treulos verlassen sah sie nun dem, welchem sie gern ausweichen wollte, sich wider Willen und Neigung zugetrieben und zugewandt. O! wie vieler innere Lebens geschichte ist das in diesen wenigen Zügen; wie viele hat so die Noth erst beten gelehrt, die früher nicht dachten, daß es dahin mit ihnen kommen, da hinausgehen würde; auf wie viele ist immer noch anzuwenden, was der Prophet sagt: Herr, wenn Trübsal da ist, so sucht man dich, wenn du sie züchtigest, so rufen sie äng stig lich. Nicht eher, nicht anders, nicht sicherer sind Un zählige zu gewinnen für das Reich Gottes, als bis der Bo den wankt unter ihren Füßen, als bis sie keinen festen Standpunkt mehr finden in der vergänglichen Welt, als bis sie eS zur völligen Erschöpfung aller andern Mittel ge bracht haben in ihrer irdischen, leiblichen Noth. Da kommt denn schon die See len noth hervor in der leiblichen, aber jene ist ferner auch schon für sich und ohne diese ein Mittel, den Glauben an Christum zu veran lassen. In der leiblichen Noth befand sich das Weib in un serm Evangelium, damit wandte es sich an Christum, und nur den Saum seines Kleides anzurühren wünschte es, um gesund zu werden. In der reingeistigen Noth, in tie fer Seelennoth befand sich der Vater, dem sein Kind ge storben war; in diesem Schmerz, der sein Herz bluten machte, wandte er sich dem Heiland zu.
Wie oft nimmt
das Leiden diese Richtung an und bewirkt den rein geisti gen Schmerz ohne der körperlichen; wie oft bemächtiget sich der heitersten, der fröhlichsten Menschen auf einmal
0 Trübsinn, Kummer und Gram und hüllet alles ihr Den, ken und Sinnen in Trauer ein; wie oft bewirkt die Ver» eitelung eines theuren Wunsches, das Fehlschlagen eines wichtigen, folgenreichen Plans, daS Zerrinnen süßer Hoff» nungen, worin sie ihr ganzes Lebensglück zusammengedrängt und gleichsam aufS Spiel gesezt hatten, auf einmal eine Veränderung an manchen Menschen, ein Jnsichgekehrtsein, einen geistigen Schiffbruch, worin sie dann noch die Reli gion, als ihr leztes und äußerstes Rettungsmittel, ergreifen, sich in diese Welt der Wunder begeben, von ihr allein noch Heil und Segen erwarten, und wie der Oberst in unserm Evangelium sprach: Herr, meine Tochter — so in gleicher Weise sprechen: Herr, meine süßeste Hoffnung ist mir ge storben, aber komm und lege die Hand auf sie, so wird sie wieder lebendig. Znsonderheit aber hat bei manchen auch das plözlich erwachte Bewußtseyn einer geheimen Schuld zur Folge ein innerliches Erschrecken und die Furcht vor Gott und seiner ewigen Gerechtigkeit, eine Unzufrieden heit mit sich selbst, eine Verzweifelung an sich und der Welt, zu der es erst kommen mußte in der bis dahin ge gen den Erlöser gleichgültigen Seele, um von da aus für immer ihm zugeführt und für ihn gewonnen zu werden. Lebten sie bis dahin gleichsam heidnisch, nichts sich kümmernd um Gott und sein Wort, ihrer Begierde und Lust nur fröhnend. ohne Bedenken sich jegliche Sünde er laubend, so kommen sie nun erst aus dem Heidenthum her über ins Judenthum, so fühlen sie nun erst den schweren Hammerschlag des Gesetzes, so steht ihnen nun wenigstens doch der Zorn Gottes vor Augen und die Furcht vor ihm im Herzen, und es kommt das Verlangen auf nach Verge-
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düng der Sünden und nach der Gnade, die in Christo Jesu erschienen ist. So erleben manche Menschen an sich, was das Menschengeschlecht im Ganzen durchzumachen hatte, um zu dem Heil in Jesu Christo zu gelangen; so bewegen sich einzelne mit ihrem Leben über alle die Stufen, welch« die Welt von der untersten an zu übersteigen hatte, um die höchste zu erreichen, welche das Christenthum ist; so stand ihnen dieses, obgleich so nahe, doch noch so fern, war ihnen, obgleich so bekannt, doch noch so fremd, daß sie erst durch bittere Erfahrungen, durch herbe Schicksale, durch Borwürfe ihres Gewissens gemahnt darauf aufmerksam wurden und sich zu später Bekehrung entschlossen und der christliche Glaube,' an den sie als etwas altes und wohlbekannte» gewöhnt waren, nun als eine ganz neue, sie selbst befrein* dende und überraschende Erscheinung hineintrat in ihr Leben. Was endlich noch für Viele ein Mittel und Weg ist, dessen Gott sich bedient, um sie zum Glauben an Christum zu bringen, das ist die Herrschaft christlicher Ge» setze und Sitten. In dem Lande und Volke, da unser Heiland erschien und lehrte, war es hergebracht aus uralten Zeiten und war man daran gewöhnt, Propheten zu sehen, welche unverse» hens ausstanden, welche das Wort Gottes mit Macht ver kündeten, welche auf Strafgerichte Gottes hinwiesen, mit donnernden Reden das Volk erschütterten und es aus seinem geistigen Schlummer erweckten. An einen solchen Lehrer und Wohlthäter wandte sich auch das Weib in seiner leiblichen Noth, der bedrängte Vater in unserm Evan gelium in seiner geistigen Noth und obgleich beider Glaube
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noch unvollkommen und eigennützig war, so hörten sie doch von ihm das tröstende Wort: dein Glaube hat dir geholfen, und wurden wahrscheinlich auf dem Wege für immer durch ihn und für ihn gewonnen. Was hier eine Folge der jüdischen Verfassung war, wie oft geschieht es nicht auch in der christlichen Welt; wie schwer ist es da, sich der Herrschaft christlicher Gesetze und Sitten ganz zu entziehen, wie unmöglich dem Einzelnen, sich ganz und gar außerhalb der allgemeinen Bewegung zu halten und der Berührung durch den Geist Jesu Christi auszuweichen, der da auf den verschiedensten Wegen an uns kommt und des» sen Stempel alle herrschenden christlichen Gesetze, Sitten, Einrichtungen und Anstalten tragen. Noch ohne seinen Willen tritt der Mensch mittelst der Taufe in die Gemein» schüft der Christen ein und wider seinen Willen selbst muß er hernach christlichen Gesetzen, Sitten und Einrichtungen fich fügen; gedankenlos und mechanisch, mit Unbehagen selbst und Unlust sieht er sich veranlaßt, christliche Gebräuche mitzumachen und kann nicht verhindern, daß der Geist Christi darin ihn anrede und ihn plözlich zur Buße wecke; aus Neugier nur zunächst, aus Langeweile und dem Ver langen, sich unterhalten zu lassen, aus Eitelkeit und in der Absicht, nur eine Mode mitzumachen, oder seine Bildung, seinen Geschmack, sein Gesicht, sein Kleid sehen zu lassen, erscheint er, wie zu allen andern weltlichen Zwecken und Angelegenheiten, so auch in den öffentlichen Versammlungen der Christen, welche zur Anbetung Gottes im Geist uyd in der Wahrheit gestiftet sind — und siehe, ein einfacher Spruch der Bibel fällt ihm aufs Herz und wird ihm selbst noch unbewußt ein Same zum ewigen Le»
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ben und waS er nicht wollte und suchte, mußte er ge »innen und finden, und waS ihm bis dahin ganz gleich gültig, ja in der Seele zuwider war, wurde nun ein Ge genstand seines Nachdenkens und seiner Liebe. Ueberhaupl eine der edelsten und allgemeinsten Einrichtungen des christ lichen Lebens, die wir der Herrschaft des Geistes Jesu Christi verdanken, ist der öffentliche Gottesdienst, dessen wir uns auch in diesem Kirchenjahr in Segen erfreuet haben, und er hat allerdings auch eine sinnliche Auffenseite; er ist nicht ein reines Leben im Geist, nicht ein unsicht, barer Verein zur Andacht; er nimmt auch den äußern Sinn, das Auge, das Dhr in Anspruch, vermittelt sich durch das alles, verbraucht es als Mittel zu seinem hohem Zweck, welcher ist Erbauung im Geist, Leben, Sterben und Auf erstehen mit Christo, Versenkung des Geistes in die Liefen der Gottheit, Weihung und Verklärung alles daraus zurückkehrenden menschlichen Lebens; so ist er, wie Paulus ihn nennet, der vernünftige Gottesdienst. Macht man aber das Mittel selbst schon zum Zweck, sucht man, statt der Erhebung in die Welt des Geistes und des ewigen Lebens, mit das Herablassen und Eingehen in die kleinlichsten, leiblichsten Zwecke des irdischen Lebens, erwar tet man von uns, den Dienern am göttlichen Wort, statt des reinen und lautern Wortes Gottes, nur ein den Ernst der göttlichen Forderung mäßigendes, schwächendes Reden darüber, statt der allgemeinen Lehre der Kirche nur unsere besonderen Vorstellungen und eigenthümlichen Ansichten, statt jedes tieferen Gehaltes nur oberflächliche Schilderun gen, rührende Mahlereien und Farben, und soll es nur um dm Eindruck auf die Gemücher -u thun seyn- gleich-
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viel, durch welche Mittel, ob der Wahrheit oder der Utt* Wahrheit, ob des inhaltvollen Gedankens oder nur guter und schöner Worte, ob des christlichen Glaubens oder deS unchristlichsten Aberglaubens—so steht man noch auf keiner sonderlich hohen Stufe des christlichen Glaubens, so zeigt das, wie gebildet man sonst auch sei, doch wenig wahre Bildung im Glauben, wie fromm man scheine, wenig wahr haftige Frömmigkeit, so sucht man nur Nahrung für die Sinnlichkeit und Einbildungskraft, so will, wie das Auge an den Anschauungen der Kunst, so das Ohr sich nur er» götzen an den wohlgesezten, vorüberfliegenden Worten der Rede, und es entsteht das falsche Verlangen nach Aeußerlichkeiten, nach hohlen Reden mit vielem Geräusch und Gepräng, und es verarmt der Geist unter solchem Reichthum und Ueberfluß, der Gedanke geht leer aus und die evange lische Kirche sieht ihren Gottesdienst dahin zurückfallen, wo er vor der Glaubensverbesserung war: denn an die Stelle der leeren Gebräuche sind nun die leeren Worte ge treten. O! wie viele sind, die wohl Bildung genug haben, um die Sinnlichkeit zu verschmähen in ihrer Rohheit und Fleischlichkeit, aber nicht Bildung genug, um die Religion an und für sich zu lieben in ihrer Wahrheit und Geistig keit, und die Beides nun mit einander vereinigen, und sich das Heilige durch das Sinnliche, das Sinnliche durch das Heilige nur genießbarer machen, weil sie nur so, selbst mit dem Schein der Frömmigkeit, seyn und bleiben können, wie sie waren zuvor und wie sie sind von Natur — eitle, hoffärtige, listige, schadenfroh, rachgierig, häusliche Tyran nen, selbstsüchtig, argwöhnisch, andern nichts, sich selbst alles erlaubend; so aber unterschiede sich auch der christliche
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Gottesdienst gar nicht wesentlich mehr von dem heidnischen der eben so beschaffen war, daß man ihn abmachen konnte, ohne den mindesten Einfluß aufs Leben davon zu verspüren, ohne im mindesten dadurch weiser und besser geworden zu seyn. Doch wie Gott den Heiden selbst, weil sie «ine heilige Schrift nicht hatten oder hätten verstehen können, das Buch der Natur aufgeschlagen hat, damit sie nur nicht ganz seyen ohne Glauben an ihn, so lasset uns auch diese sogenannten Gebildeten, denen der Glaube an Christum in sei» ner Reinheit und Wahrheit noch ganz gleichgültig, ja zuwider ist, als der Wahrheit noch unfähige, krankhafte Gemüther nicht ohne Mitleid betrachten: denn wie der denkende, mit» leidige Arzt, ohne sich die Gefahr zu verhehlen, Gesundheit und Leben wieder hervorzulocken fudit nur aus demjenigen, was selbst in der Krankheit noch von ihr unverzehrt und unangegriffen war, so macht es auch der erbarmungsreiche Arzt der Menschheit Jesus Christus, so sprach er einst: die GesundenbedürfendesArztes nicht, sonderndie Kranken, und so spricht er noch jezt, wie in unserm Evan gelium: weichet, denn das Mägdlein ist nicht todt, sondern es schläft. Veranlassungen zur Bekehrung und Buße, wo wir sie nicht erwartet haben, und die der Ein zelne nicht sich, nicht seiner Thätigkeit zuschreiben kann, verdanken wir der Herrschaft seines Geistes in den uns umgebenden christlichen Gesetzen, Sitten und Einrichtungen; auch in solchen Mitteln und Wegen selbst, die an sich der Wahrheit fremd, ja zuwider und unwürdig sind, kann er sein geheimnißvolles Wirken beginnen, auch daran anknü pfen, auch das wenn auch noch so geringe und unscheinbare darin herausfinden, was als ein glimmender Funken durch
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feinen schützenden Anhauch zur Flamme werden muß, die hinüberschlägt inS ewige Leben. II. Um so mehr lasset uns noch betrachten, wozu unS alle diese Erfahrungen bewegen müssen. Unstreitig zunächst zur Duldsamkeit. Sie ist eine wesentliche, christliche Vollkommenheit, die einer dem am betn, wie er der Einzelne ist, schuldig ist; sie ist die Nach sicht. Geduld und Gelassenheit, womit wir auch den schwa» chen Anfängen deS Glaubens, dem geringen Grade an Bil» düng und Einsicht, den Irrthümern und Verirrungen An» derer begegnen sollen; sie hat ihren nothwendigen Grund in dem Bewußtseyn unserer eigenen Unvollkommenheit und dem rührenden Beispiel unseres Heilandes. Denn ob er .wohl der weiseste und heiligste aller Menschen war, so fuhr er doch nicht mit Gewalt zu, so ließ er sich doch auch zu den Unvollkommenheiten der Menschen herab, so war er doch ein solcher Hohepriester, der Mitleid ha ben konnte mit unsrer Schwachheit, und von dem es schon im A. T. hieß: das zerstoßene Rohr wird et nicht zerbrechen, und das glimmende Locht wird er nicht auslöschen. Er war nicht duld« sam, er war unduldsam, wenn es sich um allgemeine Ge« danken, um die ewige göttliche Wahrheit handelte; er war nicht duldsam, er war unduldsam, wenn es die Frage galt, ob da» Heidenthum und Judenthum noch ferner in der Welt herrschen und die Gestalt der Welt bleiben sollte; er war nicht duldsam, er war unduldsam, wenn eS darauf an kam, sich zu erklären, ob der Tempel deS Herm noch fer«
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net entweiht werden sollte durch die falsche Münze der Unwahrheit und des Betrugs, der Eitelkeit und Heuchelei, des Eigennutzes und des leeren gedankenlosen Geschwätzes; da trat er ein, sah nicht sich, nicht die Gefahr seines Le» bens, sondern allein das göttliche Recht der Wahrheitsver» kündigung an und sprach: mein Haus ist ein Bet« haus', ihr aber habt es gemacht zu einer Mör« vergrübe, und seine Jünger wandten auf ihn an, was geschrieben steht: der Eifer um dein Haus hat mich verzehret. Aber wollen wir, können wir, g. Fr., dasUn» dUldsamkeit nennen, wassein Beruf mit sich brachte, und nicht weniger doch aus seiner unendlichen Liebe und Sorge für das Wohl und Heil der Welt hervorfloß; wußte er nicht mit dieser Sorge und Thätigkeit für das Allgemeine die rührendste Demuth gegen jeden Einzelnen, der ihm gegen» überstand, die Liebe aller derer, die mit ihm in persönliche Berührung kamen, die Holdseligkeit des Wohlwollenund der Sanftmuth gegen die Person gar wohl zu vereini» gen; nahm er sich nicht selbst der Ehebrecherin an und schüzte sie gegen die Unduldsamkeit ihrer Feinde, und war nach unserm Text so herablassend, daß er selbst mit dem geringen Maaß eines Glaubens zufrieden war, der nur Ir« disches, Leibliches zum Inhalt und Zweck hatte und solchen Glauben selbst den helfenden nannte? Und wir wollten dem Einzelnen nicht unser Mitleid schenken, den wir noch auf dem Wege des Irrthums und auf einer untergeordneten Stufe der Bildung im Glauben finden, nicht hegen und pflegen mit schonender Hand, was auch bei ihm sich noch mitten in seinen Irrthümern und Sünden Wahreund Gutes findet, nicht daran anknüpfen, um ihn von da
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weiter zu führen auf den Weg der Wahrheit und des ewigen Lebens? £>! gewiß, so würden wir dem Beispiel des Herm noch sehr unähnlich und von seinem Benehmen gegen den Einzelnen, welches das eigentliche Feld der Duld» samkeit ist, noch sehr fern seyn. Um diese christliche Vollkommenheit unS zu erwerben, müssen wir uns dann aber weiter auch zur aufrichtig» sten Selbstprüfung entschließen. In ihr hat der Blick des Christen nicht mehr den Andern zu seinem Gegenstand, vergleicht sich nicht mehr mit ihm, bespiegelt sich nicht mehr in dessen Unvollkom» menheit; in der Selbstprüfung ist des Christen Blick in ihn selbst gekehrt und in sein eigenes Herz, und was findet er da? Ach! nur zu vieles, was er nicht billigen kann, was er tadeln und sich vorwerfen muß, mannigfaltige Verwickelung noch mit der Welt und ihren Irrthümern und Sünden, Mangel an Liebe gegen Gott und den Nächsten, unend lichen Abstand von dem Ziel der Vollkommenheit und der Aehnlichkeit Christi. In dem Dunkel des Herzens verstekkrn sich die unlauteren Neigungen und machen sich von da aus, unbewußt selbst, zur Triebfeder und Seele aller Gedanken und Handlungen; aber steigen wir mit dem Licht der Prüfung in diese dunkle Tiefe hinab, ziehen wir das Verborgene an das Licht der göttlichen Wahrheit, wie öffnet sich da noch zu unserm Schrecken ein üb er tünch. teS Grab, wie treffen wir da unter geschmückter Hülle noch soviel Moder und Todtengebein an; wie können wir da noch hoffen, bei allen Einbildungen von Srlbstgerechtigkeit, bei allem Schein von Werkheiligkeit, mit solchem Herzen vor Gott zu bestehen? Zn einer blos 2
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äußerlichen Vergleichung mit andern, wie fie der Pharisäe anstellte mit dem Zöllner und Sünder, konnten wir nod hoffen, nicht allzuweit zurückzustehen: denn nur das einzeln Gute hoben wir da hervor an uns und nicht auch dai Döse; dringt aber der Blick unpartheiischer Selbstprüfun, in die Tiefe des Herzens, wie ähnlich finden wir da uni noch denen, über die wir uns durch eine viel höhere Stuf der Erleuchtung und Heiligung schon so weit erhaben dach tat, und wie bald mußten wir zu unserer Beschämung be kennen, wie auch wir uns oft noch, wie jene, durch leiblich Noth erst zur Liebe Gottes bewegen, durch Angst uni Furcht vor Gott erst zum Glauben an Christum hinschrecken durch die Macht des Gesetzes und der Sitte erst die Ent schließung ablocken und abzwingen ließen, seinen Ermahnun gen und Geboten nachzugeben, statt in freiem Gehorsan der Liebe, aus reinem Wohlgefallen am Guten, aus klare' Erkenntniß innerer Nothwendigkeit, ihm unser Herz und Leben zu weihen. O! wer da steht, sehe wohl zu daß er nicht falle; derGeist ist willig, aber dai Fleisch ist schwach; wer Ohren hat zu hören, der höre; ein Jeglicher aber prüfe sein selbst Werk und alsdann wird er an ihm selbstRuhm haben und nicht an einem andern. Endlich müssen wir doch auch das noch bedenken, daß selbst das Maaß des christlichen Glaubens und der christlichen Frömmigkeit, dessen wir uns mit Recht bewußt sind, doch noch des unendlichen Fortschritts fähig und bedürftig ist. Auch das geringe Maaß des Glaubens, noch ganz mit irdischen Absichten, unlauteren Zwecken und unreinem
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Inhalt erfüllt, verwirft unser Heiland nicht; auch der erst noch keimende, unvollkommne Glaube, die Berührung deS Saumes an seinem Kleid, ist ihm willkommen, und die verschiedensten Mittel und Wege schlägt er ein, um dem Menschen ans Herz zu kommen und ihn in eine solche Stellung zu bringen, daß die harte Eisrinde weltlicher Ge» sinnung und Unfrömmigkeit an dem Sonnenschein seiner Gnade zerschmelzen kann. Einen Unterschied, ob die Men schen mehr oder weniger fromm sind, ihn mehr oder wenk« ger lieben, oder mehr oder weniger irdische, sündhafte Ge sinnungen hegen, macht das nicht in Bezug auf ihn; denn er weiß, keiner liebt ihn doch so, wie er es verdient; alle sind und bleiben Sünder vor ihm und uns alle hat er geliebt und mit Gott versöhnt, da wir noch Feinde waren. Es ist das Werk der Gnade, der ewi gen Güte und Liebe, womit er alle Menschen umfasset. Aber einen großen, wichtigen Unterschied macht es allerdings in Bezug auf uns selbst, ob wir noch auf einer der unter sten oder einer der höheren Stufen der Erleuchtung und Heiligung stehen, ob wir nichts weiter als seinen Namen tragen, oder er selbst schon in uns eine bestimmte Gestalt gewonnen hat, ob wir noch unreinen Triebfedern unS hingeben in seiner Verehrung und der Wahrheit den lee ren Schein vorziehen, oder in tiefer, wohlgegründeter Liebe ihm anhangen und treu bleiben in Freud und Leid, in Noth und Tod. Doch selbst, wie weit wir auch mögen vorgedrungen seyn auf der Bahn der Vollkommenheit, wie redlich wir auch daran gearbeitet haben, uns selbst und die Welt zu überwinden und zu verläugnen, wie eifrig wir «ns bemühen in der Nachfolge unseres göttlichen Heilandes,
20 so gehört es doch noch mit zu dieser Vollkommenheit selbst, daß wir uns unserer Unvollkommenheit stets bewußt bleiben, so kann doch das Gefühl nicht erlöschen von bet unend lichen Kluft, die uns immer, selbst mit ihm vereinigt noch von ihm trennt, so kann und darf uns doch das Bewußt seyn nicht verlassen, nicht, daß ich es schon ergriff, hätte, aber ich jage ihm nach. Ja das ist die rechte, christliche Empfindung, gel. Fr., womit wir heute, am be vorstehenden Schlüsse des Kirchenjahrs, auf dem Verlauf und die Entwickelung unseres innern, geistlichen Lebens zu rückblicken; das ist der würdige Vorsatz, womit wir in das neue Kirchenjahr eintreten müssen, daß es uns rechter, hei liger Ernst werden soll mit dem Ringen
nach dem Ziel
christlicher Vollkommenheit, daß wir uns immer weiter hin aufarbeiten wollen auf eine höhere Stufe der Erkenntniß und Liebe Gottes in Jesu Christo, damit sich dann auch in einem höheren Sinne das Wort Christi auf uns an wende: Dein Glaube hat dir geholfen.
Amen.
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