Geschichte der christlichen Predigt [Reprint 2019 ed.] 9783110835441, 9783110036749


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German Pages 238 [240] Year 1972

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INHALT
1. Die Predigt in neutestamentlicher Zeit
2. Die Predigt des zweiten und dritten Jahrhunderts
3. Die Blütezeit der Predigt in den Kirchen des Ostens während des 4. und 5. Jahrhunderts
4. Der Verfall der Predigt in den Kirchen des Ostens vom 6.—14. Jahrhundert
5. Die Predigt der russischen Kirche
6. Die Blütezeit der lateinischen Predigt im 4. und 5. Jahrhundert
7. Das Auslaufen der lateinischen patristischen Predigt im 5.—7. Jahrhundert
8. Die Frühzeit der mittelalterlichen Predigt
9. Die bischöfliche Predigt von 900—1100
10. Die herkömmliche Predigt des 12. Jahrhunderts
11. Predigten in deutscher Sprache aus dem 10.—13. Jahrhundert
12. Die monastische und frühscholastisdie Predigt im 12. Jahrhundert
13. Die Universitätspredigten in der Zeit der Hochscholastik
14. Die Volkspredigt im 13. und 14. Jahrhundert
15. Die Predigt der deutschen Mystik
16. Die homiletischen Hilfsmittel des späten Mittelalters
17. Die Predigt am Vorabend der Reformation
18. Die Predigt der Reformationszeit
19. Die nachreformatisdxe Predigt in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts
20. Die katholische Predigt des 16. Jahrhunderts
21. Die homiletische Theorie des 16. Jahrhunderts
22. Die Predigt der lutherischen Orthodoxie
23. Die reformierte Predigt des 17. Jahrhunderts
24. Die klassizistische französische Predigt
25. Die katholische Barockpredigt
26. Die Spielarten der pietistischen Predigt
27. Die Predigt der Aufklärung
28. Supranaturalismus und Sturm und Drang
29. Die Erneuerung der Predigt am Anfang des 19. Jahrhunderts
30. Die Predigtweisen des 19. Jahrhunderts
31. Die Predigt um die Jahrhundertwende und im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts
32. Ein Blick auf die Predigt im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts und in der Gegenwart
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Geschichte der christlichen Predigt [Reprint 2019 ed.]
 9783110835441, 9783110036749

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Geschichte der christlichen Predigt von

D . D r . Werner Schütz o. (em.) Professor für Praktische Theologie an der Universität Münster

w DE

G

Sammlung Göschen Band 7201 Walter de Gruyter Berlin • N e w York • 1972

© Copyright 1972 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. GÖschen'sche Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Reimer, Karl J . T r ü b n e r , Veit 8c C o m p . , 1 Berlin 30, — Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung v o n Mikrofilmen und Photokopien sowie der Ubersetzung, vorbehalten. — P r i n t e d in G e r m a n y . Satz und D r u c k : Saladruck, 1 Berlin 36

ISBN 3 11 3674 6

INHALT 1. Die Predigt in neutestamentlicher Zeit 2. Die Predigt des zweiten und dritten Jahrhunderts 3. Die Blütezeit der Predigt in den Kirchen des Ostens während des 4. und 5. Jahrhunderts 4. Der Verfall der Predigt in den Kirchen des Ostens vom 6.—14. Jahrhundert 5. Die Predigt der russischen Kirche 6. Die Blütezeit der lateinischen Predigt im 4. und 5. Jahrhundert 7. Das Auslaufen der lateinischen patristischen Predigt 8. Die Frühzeit der mittelalterlichen Predigt im Abendland . . 9. Die bischöfliche Predigt von 900—1100 10. Die herkömmliche Predigt des 12. Jahrhunderts 11. Predigten in deutscher Sprache vom 10.—13. Jahrhundert . . 12. Die monastische und frühscholastische Predigt im 12. Jahrhundert 13. Die Universitätspredigt in der Zeit der Hochscholastik . . . . 14. Die Volkspredigt im 13. und 14. Jahrhundert 15. Die Predigt der deutschen Mystik 16. Die homiletischen Hilfsmittel des späten Mittelalters 17. Die Predigt am Vorabend der Reformation 18. Die Predigt der Reformationszeit 19. Die nachreformatorische Predigt in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts 20. Die katholische Predigt des 16. Jahrhunderts 21. Die homiletische Theorie des 16. Jahrhunderts 22. Die Predigt der lutherischen Orthodoxie 23. Die reformierte Predigt des 17. Jahrhunderts 24. Die klassizistische französische Predigt 25. Die katholische Barockpredigt 26. Die Spielarten der pietistischen Predigt 27. Die Predigt der Aufklärung 28. Supranaturalismus und Sturm und Drang 29. Die Erneuerung der Predigt am Anfang des 19. Jahrhunderts

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Inhalt

30. Die Predigtweisen des 19. Jahrhunderts 31. Die Predigt um die Jahrhundertwende und im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts 32. Ein Blick auf die Predigt im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts und in der Gegenwart Auswahl der wichtigsten Literatur Predigtsammlungen Personenregister

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Historische Betrachtung bedeutet Profilierung der heutigen Problematik. Die wirkenden Kräfte der Vergangenheit gestalten die Gegenwart, und Gegenwart ist nie ohne geschichtliche Vermittlung. Die radikale Krise unserer Predigt fordert eine historische Rückbesinnung; sie gibt der Geschichte der Predigt eine aktuelle Bedeutung. Eine solche Darstellung muß notwendigerweise Auswahl sein. Es liegt an der Sache selbst und an den Quellen, daß sie sich auf die schriftlich fixierten und tradierten Predigten beschränken muß und die eigentliche, faktische Predigtwirklichkeit selbst nicht erreichen kann. Unübersehbar ist das gedruckte und erst recht das weithin noch nicht einmal gründlich gesichtete handschriftliche Material. Mit der Reformationszeit wird die evangelische Predigt wegen ihrer Kraft und Bedeutung stärker in den Vordergrund treten. Gegenüber der Verkündigung in anderen Kirchen, Ländern, Kulturen und Sprachen wird die Predigt in deutscher Sprache im Mittelpunkt für uns stehen. Eine wohlüberlegte und sorgfältige Auswahl ist das schwierigste Problem der Darstellung. Von der älteren Literatur ist nicht immer allzuviel zu lernen. Unentbehrlich sind Richard Rothes „Geschichte der christlichen Predigt" (1881), der entsprechende Artikel von Martin Sdiian in der „Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche" (1904), die sehr ausführliche geschichtliche Einleitung in H. Herings „Die Lehre von der Predigt" (1904), die moderne Darstellung von A. Niebergall im zweiten Band der „Leiturgia, Handbuch des evangelischen Gottesdienstes" (1955) und die „Geschichte der katholischen Predigt" von J. B. Schneyer (1968).

1. Die Predigt in neutestamentlicher Zeit Wirkliche Predigten haben wir aus der Zeit des Neuen Testaments nicht. Die Reden der Apostelgeschichte sind ein literarisches und kein homiletisches Erzeugnis; sie entstammen der

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Geschichte der christlichen Predigt

schriftstellerischen Phantasie des Verfassers u n d sind i m Blick auf seine literarischen Absichten komponiert. Ein Z u s a m m e n h a n g der f r ü h e n christlichen V e r k ü n d i g u n g mit der Predigtü b u n g der jüdischen u n d hellenistischen U m w e l t ist nicht zu verkennen. D a h i n gehört: 1. die Predigt der palästinensischen Synagoge. Sie folgt auf die Lesung aus der T h o r a , ist begleitet v o n einer Übersetzung in die aramäische Volkssprache, die teilweise schon P a r a p h r a s i e r u n g u n d Auslegung (Targum) enthält, sie endet mit einer o f t n u r lose an den T e x t a n g e k n ü p f t e n freien Rede mit weit ausgesponnenen Auslegungen, U n t e r weisungen u n d praktisch erbaulichen E r m a h n u n g e n . 2. die P r e digt der stoisch-kynischen Diatribe, die der Ausbreitung der Popularphilosophie dient. I h r e W a n d e r p r e d i g e r gleichen in vielem den umherziehenden christlichen P r o p h e t e n . D i o v o n Prusa k a n n hier genannt werden, zur paulinischen Zeit D e m e trius, ein Freund Senecas, ferner die Moralpredigten des Apollonius v o n T h y a n a , schließlich Lucians Darstellung des Peregrinus Proteus, der zuerst im Dienst der hellenistischen D i a t r i b e steht, sich d a n n der christlichen Gemeinde anschließt, u m nach K o n flikten mit ihr wieder z u m Beruf des kynischen Volkspredigers zurückzukehren. V o n dem Stil der Diatribe, der R h e t o r i k u n d der Popularphilosophie ist die P r e d i g t der hellenistischen Synagoge stark beeinflußt. 3. die Predigt der Mysterienreligionen, bei denen sich eine Überlieferung u n d Auslegung heiliger Schriften in P r e d i g t f o r m herausgebildet hat. 4. die hellenistischen Preislieder auf die Gottheit, in denen der glücklich aus seiner N o t Errettete, ein Gelübde erfüllend, im H e i l i g t u m die Exhomologese vollzieht, das öffentliche E r z ä h l e n der i h m w i d e r f a h r e n e n w u n d e r b a r e n T a t e n seines Gottes. In ihrem Selbstverständnis h a t die urdiristliche P r e d i g t sich v o n den Auffassungen ihrer U m w e l t unterschieden. D i e Synagoge mag Proselyten werben, eine Missionspredigt h a t sie nicht entwickelt. Die Diatribe ist nicht auf Gemeindebildung bedacht. Die Predigt der Mysterienreligionen bleibt immer esoterisch. Die Exklusivität im Selbstverständnis der christlichen V e r k ü n digung h a t eine theologische Wurzel. Wie die Gemeinde sich als die Ekklesia, als das Volk Gottes v o n allen Mysterienkulten unterscheidet, so erhebt die christliche Predigt den gleichen

Die Predigt in neutestamentlicher Zeit

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Aussdiließlichkeitsansprudi gegenüber jeder anderen Form der gottesdienstlidien Rede. Sie versteht sich nicht als historischen Bericht oder als geschichtliche Erinnerung, sondern als Gottes Wort, als Ort und Mittel für die Präsenz Jesu; sie will Heilsgeschehen sein. Die Ekklesia, konstituiert durch Gottes Tat und Wunder, muß an der sie begründenden Tradition festhalten. Predigt ist Verkündigung von Heilsgeschehen, in der immer neu Heil sich ereignet. Die Versöhnung mit Gott ist an das Wort von der Versöhnung und den Dienst daran gebunden (2. Kor. 5.18). Das apostolische Amt ist Autorität, -weil in ihm Gott selbst und Jesus Christus zur Sprache kommen. Noch schließt die Freiheit des Geistes jede feste Bindung aus. In 1. Kor. 12—14 werden Lehre, Offenbarung, Zungenrede und Prophetie als Elemente gottesdienstlicher Verkündigung genannt. Das ekstatische Reden erfährt freilich eine Begrenzung; es bedarf der Interpretation; Vernünftigkeit und Analogie des Glaubens sind die Maßstäbe, alles muß der Auferbauung der Gemeinde dienen. Verkündigung des Worts ist Herrschaft des Geistes, aus ihr entspringen die Anfänge christlicher Ordnung und der Liturgie. Auf der Predigt liegt also ein großes theologisches Gewicht. Paulinische und deuteropaulinische Briefe mögen einen Rückschluß auf das Kerygma und den Stil der Predigt erlauben, unmittelbare Zeugnisse urchristlicher Verkündigung haben wir nicht. Mag der Hebräerbrief sich einen logos tes parakleseos nennen, mag vielleicht der 1. Petrusbrief eine urchristliche Taufansprache im Rahmen eines Gemeindegottesdienstes enthalten, mögen sich viele kerygmatische Formeln und katechetisches Material im Neuen Testament finden, mag die Leidensgeschichte Predigt, „eine der eigentlichen Verkündigung folgende Illustration" sein, mag der „Sitz im Leben" für die Entstehung der evangelischen Perikopen formgesdiichtlich in Gottesdienst und Verkündigung zu suchen sein, ein wirkliches Bild der Predigt in neutestamentlicher Zeit oder gar ihrer Geschichte können wir nicht rekonstruieren.

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Geschichte der christlichen Predigt

2. Die Predigt des zweiten und dritten Jahrhunderts In der Mitte des zweiten Jahrhunderts wird uns von Justin die Predigt am Herrentag als christliche Sitte bezeugt. Das Justinsche Sdiema „Lesungen, Predigt und Fürbittengebet" ist die älteste Form des christlichen Wortgottesdienstes, die sich am Karfreitag in der katholischen Kirche bis heute erhalten hat. Die Predigt ist nicht immer Auslegung der vorangehenden Lesungen, ihr Grundcharakter ist „Ermahnung, Zurechtweisung und göttliche Rüge" (Tertullian). Cyprian, von dem wir keine Predigten mehr haben, wird von Hieronymus Moralprediger genannt, bei dem die Schriftauslegung keine Rolle spiele. So wichtig und selbstverständlich das Predigen schon im zweiten Jahrhundert ist, so wenige Predigten sind uns aus dieser Zeit wirklich erhalten. Die älteste Gemeindepredigt ist der sog. 2. Clemensbrief, vor 150 in Korinth verfaßt. Er ist nicht Auslegung einer bestimmten Perikope, viele Bibel- und Herrenworte werden zitiert. Seitdem man 1885 die noch nicht bekannten Teile dieses „Briefs" gefunden hat, besteht kein Zweifel daran, daß es sich in ihm um eine von einem Presbyter im Gottesdienst vor der Gemeinde gelesene Predigt handelt. Vom Redner, dem Hörer und dem Verlesen der Ansprache ist ausdrücklich die Rede. „Lasset uns nicht bloß jetzt, wenn wir von den Presbytern ermahnt werden, gläubig und aufmerksam erscheinen, sondern auch, wenn wir nach Hause gegangen sind, wollen wir der Gebote des Herrn eingedenk bleiben . . . wir wollen häufig zusammenkommen, damit wir alle einmütigen Sinns zum Leben versammelt sind." Die Predigt geht zwar von der überragenden Größe der „Wohltat" Christi aus, der die Heiden berufen hat, aber der Nachdruck liegt auf der moralischen Paränese, auf unserer „Gegenbelohnung", auf dem Bekenntnis mit der Tat, daß wir Gott mehr fürchten als die Menschen, die Welt geringschätzen und das Martyrium nicht scheuen. In immer neuen Ansätzen wird zur Buße und zu guten Werken gemahnt. Angesichts von Vergeltung und Gericht sollen wir mutig im K a m p f aushalten. Unser Dasein in der Welt ist ein „Gastaufenthalt". Die Form der Rede ist einfach, die Sprache schwerfällig, mit einer zum Gemeindegebet überleitenden Doxologie schließt die Predigt.

Die Predigt des zweiten und dritten Jahrhunderts

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Seit einiger Zeit sind wir in der glücklichen Lage, eine theologisch hochbedeutsame Predigt aus der Mitte des zweiten Jahrhunderts zu haben, eine Homilie des Melito von Sardes zur quartodecimanischen Passafeier, bekannt geworden durch Campbell Bonner im Jahr 1940, 1960 durch M. Testuz nach einem Papyrus aus der Sammlung Bodmer vollständig publiziert. Diese Homilie schließt sich an die schon in der Synagoge übliche Passalesung von Exodus 12 an; sie ist Predigt an diesem einzigartigen Fest der alten Kirdie, bei dem Leiden und T o d Jesu, seine Auferstehung und Erhöhung, Taufe und Eucharistie in einem nächtlichen Ostergottesdienst begangen werden. In einer typologischen Auslegung von Exodus 12 wird die Schlachtung des Passalamms und die Errettung aus Ägypten auf das Mysterium des Heils im Neuen Testament gedeutet. „ N e u " ist das „unsagbare Mysterium" d. h. in der Sprache der Liturgie unerhört, bestürzend und göttlich. Im ersten Teil dieser Homilie wird der alttestamentlidie Text kommentiert; in einem Zwischenakt erfolgt eine interessante hermeneutische Überlegung, eine methodische Reflexion über das Wesen der typologischen Auslegung; der zweite Teil beginnt mit den Worten: „Höret die K r a f t des Mysteriums!" Im Anschluß an das alttestamentlidie „Credo" begegnet uns hier ein Summarium der Heilsgeschichte des alten Bundes, wie es uns später im Antesanctus des eucharistischen Hochgebets, in den byzantinischen Troparien der Heiligen Woche, in Karfreitagsgebeten und den römischen Improperien wiederbegegnet: die Befreiung aus Ägypten, der Durchzug durch das Rote Meer, Manna vom Himmel und Wasser aus dem Felsen, eben die alttestamentlidie Heilsgeschichte bis zur Landnahme. An ihr wird die Undankbarkeit Israels aufgewiesen. Dem gleichen Zweck dient eine neutestamentliche Katene der Wundertaten Jesu, die sich später oft in Liturgie, Hymnendichtung und in Karfreitagsgebeten wiederfindet. Am quartodecimanischen Passa liegt die Gegenüberstellung der jüdischen Feier mit Freude, fröhlichem Mahl, Psalmen und Jubel mit der christlichen Passafeier mit Leiden, Kreuz und Grab besonders nahe. „ O du gesetzloses Israel, warum tatest du dies unerhörte Unrecht, stürztest deinen Herrn in unerhörtes Leiden, den Herrn, der dich gebildet, dich gemacht, dich Israel genannt h a t ! "

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Geschichte der christlichen Predigt

Interessant sind in dieser Homilie kerygmatisdi-liturgische Formeln, die eine Vorstufe für Taufsymbol und Glaubensbekenntnis darstellen. Typisch sind am Schluß der Predigt die Epiphanie des in Selbstprädikationen sprechenden, im „Ego eimi" sich als gegenwärtig erweisenden Christus und die zu solchem Epiphanwerden gehörigen Akklamationen. Gottesdienst ist hier wirklich Versammlung in der Präsenz Jesu. „Ich bin eure Vergebung, ich bin das Passa des Heils, ich bin das Lamm, für euch geschlachtet, ich bin eure Taufe, ich bin euer Leben, eure Auferstehung, euer Licht, ich bin eure Rettung, ich bin euer König", und die an diese Epiphanie sich anschließenden Akklamationen lauten: „Dieser ist Christus, dieser ist der König, dieses ist Jesus, dieser ist der Heerführer, dieser ist der Herr, dieser ist auferstanden von den T o t e n . . . " . Die Sprache dieser Predigt ist am Stil der Septuaginta und der hellenistischen Synagoge gebildet, reich ist der parallelismus membrorum ausgeprägt, sie glänzt in Kaskaden von Anaphern, Antithesen und Wortspielen, funkelt in einer überschwenglichen rhetorischen Plerophorie und bildet ein schönes Zeugnis für die Übernahme der asianischen Kunstprosa und einer an den Psalmen genährten hymnischen Redeweise in die Predigt der Kirche. Verwandt mit der Melitopredigt ist PseudoCyprians „Adversus Judaeos" aus der Mitte des dritten Jahrhunderts. Auch hier wird der Trauer der Apostel und dem Erbeben der Erde beim Tode Jesu der Jubel Jerusalems und seine Reigentänze am Passatag gegenübergestellt, auch hier finden sich solche Akklamationen am Schluß: „Hier ist das Feldlager, hier das Heer, hier der Herzog, hier die Tapferkeit, hier der Bräutigam, hier die Hochzeit, hier der König, hier Christus, hier das Leben . . Dazu müssen auch die mit „De anima et corpore" zusammenhängenden Predigten genannt werden, die in einer engen und verwickelten Beziehung zueinander stehen, alle wohl Brechungen einer nicht mehr zu rekonstruierenden griechischen Quelle, irgendwie mit Melito von Sardes verwandt und in der Betonung der Hadesfahrt auch wieder von ihm verschieden. Melito ist nicht nur dogmengeschichtlich, liturgiewissenschaftlich, sondern auch homiletisch einflußreich, selbst in der byzan-

Die Predigt des zweiten und dritten Jahrhunderts

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tinischen Hymnendichtung wirkt er nadi, deren Troparien nichts anderes als eine Fortsetzung der Predigt sind. Pseudocyprianisch sind audi die Predigten „De aleatoribus" und „De laude martyrii", die beide noch in das dritte Jahrhundert gehören. „De aleatoribus" ist eine vulgärlateinische primitive Predigt, die das Würfelspiel für eine Erfindung des Teufels erklärt, die durch eine später widerrufene Zuweisung Harnacks einen Wirbel der Diskussion in der wissenschaftlichen Welt hervorgerufen hat, der in keiner Weise ihrer Bedeutung entspricht, so daß Hilgenfeld einem Literaturbericht darüber den Titel „Vom Kriegsschauplatz de aleatoribus" geben konnte. Cyprian ist das Machwerk nicht zuzutrauen. Die Predigt „De laude martyrii" behandelt verworren und unklar das Martyrium und kompensiert die Dürftigkeit der Gedanken durch einen überladenen und affektierten Stil. Audi sie kann Cyprian nicht zugerechnet werden. Eigentlich gibt nur Origenes (f 253/4) uns ein wirklich individuelles Bild eines Predigers aus dieser Zeit. Seine Homilien hat er meist in Cäsarea von 231—51 gehalten, wo er auch mittwochs und freitags, oft täglich gepredigt hat. Die ersten Homilien über das Lukasevangelium hat er selbst diktiert oder niedergeschrieben, alle anderen sind aus dem Stegreif gehalten und extemporiert worden; sie strömen unmittelbar aus der Fülle seiner Gelehrsamkeit und der Tiefe seiner Frömmigkeit und sind von Stenographen mitgeschrieben, z. T. noch von ihm selbst durchgesehen, manche erst nach seinem Tode veröffentlicht worden. Gelegentlich erkennt man noch den „Griffel" der Schnellschreiber. In der griechischen, im Papyrusfund von Tura (1941) enthaltenen Predigt über die Hexe von Endor wird eine kleine Diskussion wiedergegeben, über welche der vier Lektionen gepredigt werden soll, die der Bischof dann entscheidet. Diese Episode ist mitstenographiert worden und im Text stehengeblieben. Abgesehen von dem Fund von Tura sind griechisch nur 20 Jeremiapredigten erhalten, also nur 21 von 574 Homilien. Die Homilien zum Lukasevangelium sind nach der lateinischen Übersetzung des Hieronymus und aufgrund von vielen in Katenen enthaltenen griechischen Zitaten wiederhergestellt

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Geschichte der christlichen P r e d i g t

worden. Von den lateinischen Übersetzungen durch Rufin, Hieronymus und Hilarius von Poitiers sind 388 Homilien verlorengegangen. Diese Übersetzungen sind oft sehr frei, enthalten Ergänzungen, Umstellungen und Kürzungen, an heiklen Stellen auch inhaltliche Veränderungen. Für dogmengeschichtliche und christologische Fragen sind sie nur mit kritischer Vorsicht, für praktisch-theologische Probleme mit größerer Zuversicht zu verwenden. Von der antiken Rhetorik und Dialektik hat Origenes wenig gehalten. Bei der Art seines Extemporierens kann sein Griechisch nicht immer elegant sein; die ihm zuströmenden Gedanken hindern den ruhigen Fluß und die Entfaltung der Sätze; breite Darlegungen, in die er sich verliert, stören die Abgewogenheit des Ganzen; er selbst hält sich gewiß nicht immer an seine eigene Regel: „Die Hörer lieben Kürze in der Kirche." Auch wenn Origenes wissenschaftlichen Problemen in der Predigt nicht aus dem Wege geht und sich gerne auf die Lage der Quellen und frühere Ausleger beruft, redet er doch den schlichten Hörer als Gemeindeglied an. Viele Bibelstellen werden aus dem Gedächtnis zitiert; in die Schrift wollen die Homilien einführen; aus der Schrift schöpfen sie; wenige Theologen haben so in der Schrift gelebt wie er. Das Ziel der Predigt ist doctrina und aedificatio, manchmal heißt es auch aedificatio, exhortatio und consolatio. Um der Arkandisziplin willen wird von den „Mysterien" nur wenig geredet, der Anfangsunterricht wird bevorzugt, die correptio morum, die emendatio disciplinae, die religiosa conversatio und die simplicis fidei elementa prima sind bevorzugte Themen. Fast durchweg ist die Predigt homilienartig, Stück für Stüde dem Text folgende Schriftauslegung. Vollständigkeit erlaubt die Länge der Texte, die Kürze der Zeit und die Gründlichkeit des Redners nicht. Oft bestimmt der Bischof aus den Perikopen den Predigttext im letzten Augenblick, manchmal auch der Hörer. Manches Interessante hören wir über die Gemeinde. Die langen Predigtvorträge stoßen bei ihr auf Widerstand, besonders beim Alten Testament und bei den Gesetzesbüchern. „Was sollen wir mit Kultgesetzen, mit dieser Wüstenwanderung und diesen ewigen Kriegen!" Da wird geklagt, daß die Gemeinde

Die Predigt des zweiten und dritten Jahrhunderts

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kaum an hohen Feiertagen zur Kirche kommt, manche gehen schon vor der Predigt weg, andere warten nicht einmal die Lesungen ab, beschäftigen sich im Hintergrund des damals schon recht weitläufigen Kirchengebäudes mit weltlichen Dingen, die Männer mit Profit und Geschäften, die Frauen mit häuslichen Dingen, „mit Kindern und Wolle". Welt war auch vor Konstantin schon mitten in der Kirche. Für die Sdiriftauslegung kennt Origenes den dreifachen Schriftsinn, den wörtlichen oder buchstäblichen, den psychischen, moralischen oder tropologischen und den pneumatischen oder allegorischen Sinn, also die expositio historica, moralis und mystica. In den Homilien begegnet uns aber meist nur ein doppelter Schriftsinn. Der Buchstabe der Berichte gibt das Fundament her, auf dem die geistliche Deutung aufruhen muß. Solange es geht, wird am Wortsinn festgehalten z. B. bei den Wundergeschichten, freilich nur solange der Buchstabensinn historisch wahr, ethisch unanstößig und durchführbar ist. Es gibt Anthropomorphismen in der Bibel, die Gottes unwürdig sind, anderes ist moralisch anstößig; es gibt Widersprüche, historische, chronographische und topographische Irrtümer, sie zwingen zur Frage nach der kerygmatischen Intention der Aussage. „Wenn man an manchen Punkten die Evangelien auf den Widerspruch bezüglich geschichtlicher Angaben durchforscht, so wird mir schwindelig." D a hilft eben nur die mystische Deutung, der prophetische Aussagewille des Textes, das Pneumatische und Göttliche in den Mysterien. Der Wortsinn hat für Origenes die Priorität der Voraussetzung, der geistliche die Priorität der Bedeutung. Der Heilige Geist hat die göttlichen Schriften geschaffen, wobei er sich dem Verständnis des Menschen anpaßt, er muß die Herzen der Hörer erfüllen, die Tiefen der Schrift öffnen, das Predigen bleibt dann die Verantwortung des Predigers. Die allegorische Methode ist im hellenistischen Judentum und in der Antike weit verbreitet. Bei Origenes ist sie nicht Spielerei, sondern eine zeitbedingte Lösung des hermeneutischen Problems, ein Mittel der Enthistorisierung und der existentiellen Begegnung mit der kerygmatischen Aussage des Textes, sie befreit vom Moralismus und Rationalismus der Apologeten. Sie ist nicht immer willkürlich, weil sie jede Art

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Gesdiichte der christlichen Predigt

geistlicher Deutung umfaßt. Sie bildet eine Klammer zwischen historisch-kritischer Erkenntnis und der kerygmatisdien Intention des Textes. Die Homilien des Origenes haben auch als Zeugnis der Pastoraltheologie und der Geschichte der Frömmigkeit den Wert eines einzigartigen Dokuments.

3. Die Blütezeit der Predigt in den Kirchen des Ostens während des 4. und 5. Jahrhunderts In der Zeit der sich konsolidierenden Reichskirche setzt sidi ein neues Verständnis von Kultus und Predigt durch. Die siegreiche Kirche repräsentiert in ihren Gottesdiensten das im Irdischen sichtbar werdende Reich Gottes. Neben das esdiatologisch bestimmte Osterfest tritt das Weihnachstfest als Sichtbarmachung und Inkarnation des Heils in dieser Welt. Große Gotteshäuser werden gebaut, in der Liturgie spiegelt sich das Zeremoniell des kaiserlichen Hofs, die Massen wenden sich der siegenden Kirche zu, die Heiden nehmen am Gottesdienst teil. Die großen theologischen Auseinandersetzungen bewegen nicht nur die Gebildeten, sondern auch den Mann auf der Straße. Antihäretische und apologetische Stoffe dringen in die Predigt ein, hohe Anforderungen werden an die Kunst der Rede und die Bildung des Predigers gestellt. In den verweltlichten Gemeinden der großen Zahlen und der geringen K r a f t werden Lehre und Unterweisung, Erziehung und Mahnung immer dringlicher. Noch steht die antike Bildung in voller Blüte, Rhetorik und Dialektik sind heidnisch, christliche Prediger lernen in den Schulen heidnischer Rhetoren und Sophisten, die Verbindung zwischen christlicher Verkündigung und antiker Rhetorik wird zum Ideal der Beredsamkeit. Neben den schlichten Homilien entsteht, ohne sie zu verdrängen, der „Logos", die thematische Rede. An den neu entstehenden Märtyrer- und Heiligenfesten werden am „Geburtstag" der Märtyrer, dem Gedenktag ihres Martyriums panegyrische Lobreden gehalten, die den Gedenkreden der Sophisten am Tage des Regierungsantritts eines Kaisers nachgebildet sind. Auch die immer zahlreicher werdenden Predigten auf die Gottesmutter, die „Theotokos" führen zur Ausbildung thema-

Die Blütezeit der Predigt in den Kirdien des Ostens

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tischer, sich nicht mehr eng an einen Bibeltext anschließender Reden. Das Eindringen weltlicher Rhetorik ist kaum aufzuhalten. Leicht wird jetzt der christliche Prediger zum Rhetor, die Predigt zur Prunk- und Glanzrede des Sophisten, die Kathedrale zum Theater. Im Gottesdienst entstehen Parteien wie in der Arena und bei den Wettkämpfen, der Beifall der Hörer wird wichtiger als ihre Erbauung. Immer wieder muß gewarnt werden: hier ist Kirche und nicht Schauspiel, Gemeinde, nicht Publikum. Der Beifall wird in den Predigten selbst kritisch erörtert. „Das Lärmen gehört sich für das Theater, für die Badeanstalten, für die öffentlichen Aufzüge, für den Markt, wo aber solche Lehren vorgetragen werden, da muß Friede, Ruhe und Stille herrschen" (Chrysostomus). Das Applaudieren an rhetorisch eindrücklichen Stellen, der „Krotos" besteht in Händeklatschen, Tüdierschwenken, Aufstehen vor Begeisterung, Stampfen mit den Füßen, lauten Zurufen und Akklamationen, aber auch im Zeigen starker Emotionen, indem man seufzt und weint, sich an die Brust schlägt und die Hände zum Himmel erhebt. Ist der Text bekannt, sprechen ihn alle laut im Chor mit, man schreit das Thema dazwischen, sobald man es ahnt. Über Störungen durch die Geschwätzigkeit der Frauen, durch unruhige junge Leute und durch rücksichtslose Vornehme und Reiche wird oft geklagt. Die Predigt als rednerische Leistung wird so hoch geschätzt, daß bei der Kommunion sich die Kirche leert. Aber selbst in dieser Zeit ist die thematische Rede nicht einfach den Versuchungen der Rhetorik erlegen, sie ist von biblischem Gehalt erfüllt und voll von Bibelzitaten. Beide, Homilien und Logos, sind von moralischer Paränese durchsetzt. Man hat das Moralisieren gescholten, aber die oft bloß äußerliche Christianisierung bedingt eine pädagogische Haltung der Predigt, die zugleich auch Lebensnähe, Alltagszugewandtheit und Konkretisierung bedeutet. Die Predigt nimmt in dieser Zeit einen weiten Raum ein. O f t werden mehrere Predigten in einem Gottesdienst gehalten. „Einer nach dem andern, aber nicht alle, als letzter von allen der Bischof", heißt es in den Apostolischen Konstitutionen. Sonntäglich wird gepredigt, oft morgens und abends, täglich in der Quadragesimal- und Freudenzeit. In den großen Käthe-

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Gesdixdite der christlichen Predigt

dralen predigt der Bischof, auf der cathedra sitzend, in den Filialen die Presbyter, notfalls wird eine Väterpredigt gelesen. Eine Stunde, audi zwei kann eine Predigt dauern. a) In Kleinasien sind die drei großen Kappadozier die berühmtesten Prediger dieser Zeit. Von Basilius ("j" 379), Sohn eines Rhetoriklehrers und selbst eine Zeitlang Lehrer der Rhetorik, ehe er Mönch und zuletzt Bisdiof von Cäsarea wurde, haben wir 9 Homilien über das Hexaemeron, erbaulidie Psalmenhomilien, etwa 23 thematische Reden oft über moralische Themen und Märtyrerpredigten. Basilius ist nach dem Urteil Gregors von Nazianz von der heidnischen Hochschule in Athen weggegangen „wie ein mit Bildung schwer beladenes Schiff". Groß ist der Eindruck seiner Rede. Einmal haben die Hörer eine ganze Nacht bis zum nächsten Mittag auf ihn gewartet, als er aufgehalten ist. Die mönchische Askese bestimmt sein Verständnis des Glaubens, von der Welt soll man sich lösen, das Fleisch abtöten, aber alles ist durchdrungen von der Liebe zu Gott und zu den Menschen. Die rhetorische Kunst wird durch praktische Frömmigkeit, psychologische Beobachtung und soziales Empfinden in Zucht genommen. Die Allegorese fehlt, der tiefere Schriftsinn ist die moralische Applikation. Meisterhaft und lebensvoll werden Tugenden und Laster geschildert, wenn Basilius über die Habsucht, Neid und Zorn, die Reichen und die Trunkenheit predigt. Seine Rede über die humilitas hat geradezu einen Platz in der Geschichte der mönchischen und asketischen Frömmigkeit gewonnen. Eindrücklich ist die Predigt über die Hungersnot im Jahre 368 mit ihrer erschütternden Darstellung der Dürre und der Qualen des Hungertodes. „Besteht dein Vorrat in einem Brot, hole dies eine aus der Speisekammer, nimm es in die Hände, erhebe es gen Himmel und gib es deinem Sklaven!" Diese Predigt hat wirklich die Vorratshäuser der Reichen geöffnet. Mönchische Askese schließt soziale Verantwortung nicht aus, sondern begründet sie. „Was wirst du dem Richter antworten, wenn du die Wände bekleidest, nicht aber den Menschen, die Pferde schmückst, aber den in Lumpen gekleideten Bruder nicht siehst!" Großartig werden die Gefahren des Wuchers gezeidinet. „Gib dein Geld nicht gegen Zinsen weg!"

Die Blütezeit der Predigt in den Kirchen des Ostens

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In der Predigt gegen die Trunkenheit werden Trinkgelage und das Tanzen am Osterfest beschrieben, das goldene Tafelgeschirr, Blumen, Salben und Luxus, die obszöne Ausgelassenheit der Tänzerinnen — Fasten muß die Trunkenheit heilen, Psalmen die losen Lieder! Im Hexaemeron wird die Schöpfungsgeschichte versweise ausgelegt. Naturwissenschaft und Philosophie harmonieren mit dem biblisdien Bericht. In großartigen Schilderungen wird die Herrlichkeit Gottes in der Schöpfung beschrieben. Alexander von Humboldt hat diesem Werk seine Anerkennung nicht versagen können. Von Gregor von Nazianz (f um 390) haben wir 45 mit einer Ausnahme thematische Reden, darunter die 5 theologischen Reden, in Konstantinopel 380 zur Verteidigung der orthodoxen Trinitätslehre gehalten, und die berühmte Abschiedsrede vor 150 Bischöfen in Konstantinopel. Viele Predigten sind überschwengliche panegyrische Lobreden auf die Makkabäer, auf Cyprian und Athanasius, idealisierende Leichenreden beim Tode seines Vaters, seiner Geschwister und seines Freundes Basilius, aber wir haben audi von ihm Kampf- und Schmähreden gegen Kaiser Julian, Festtagspredigten wie die Weihnachten 379 und den „Apologeticus de fuga", in dem er seine Flucht vor dem geistlichen Amt rechtfertigt. Eine hohe dichterische Begabung ist Gregor eigen, berühmt sind seine Schilderungen des Frühlings oder des Meeres. „Ich wandelte so für mich allein am Strand des Meeres . . . " Die hohe Schule der Rhetorik hat ihn geprägt, ihre Stilmittel beherrscht er souverän, und mag er auch in einem seiner Carmina sagen: „Es wird nicht mehr verlangt, als daß die Predigt so redet, wie schlichte, einfache Menschen es tun", so sieht doch die Wirklichkeit anders aus. Ein praktischer Bezug fehlt den Predigten nicht, Gregor verteidigt den Satz: „Praxis epibasis theorias", aber das rhetorische Übergewicht dokumentiert sich in langen, schwierigen, oft dunklen Perioden, in der Überfülle von Pathos, in der Häufung künstlicher Antithesen, im Übermaß des Apologetischen und Polemischen, gelegentlich auch in Sarkasmus und Zynismus. Eindrücklich ist die Rede über „die Liebe zu den Armen" mit einer bewegenden Schilderung des Elends der Aussätzigen und der drastischen Gegenüberstellung 2

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des übertriebenen Luxus der Reichen. „Diese Armen sind unsere Brüder, aus dem gleichen Staub gebildet, mit dem gleichen Gottesbild in ihrer Seele." In der stark rhetorisch geprägten Redeweise begegnen uns viele Bibelzitate, meist bilden sie uninterpretiert ein Ornament der Rede. Gregor von Nyssa ( f 394), der dritte der drei großen Kappadozier, der selbst eine Zeitlang Rhetor gewesen ist, mag durdi spekulative Begabung und an theologischer Bildung den beiden andern überlegen sein, seine Reden tragen die künstliche Rhetorik allzudeutlidi zur Schau. Dogmatische Themen behandeln sie, etwa die Gottheit des Heiligen Geistes, die Seligpreisungen und das Herrengebet, moralische Gegenstände wie den Wucher, 15 Homilien über das Hohelied fassen Gott als Bräutigam der menschlichen Seele auf, Preislieder hält er auf Heilige wie Gregor den Wundertäter und Trauerpredigten, aber sie zeigen alle Blässe des Gedankens, das Übermaß eines künstlichen Pathos, eine formale Rhetorik und eine überladene Redeweise. b) In Jerusalem und Antiochien finden wir Beispiele einer besonderen Art der christlichen Predigt, Katechesen, bestimmt für den Unterricht der Taufbewerber. Die 24 Katechesen des Cyrill von Jerusalem ( f 386) sind um die Mitte des Jahrhunderts in der von Konstantin erbauten Grabeskirche gehalten worden. Oft wird in ihnen auf den Golgathafelsen „da draußen" hingewiesen. Sie sind mehr eine Darstellung der Kirchenlehre als Verkündigung, für die Liturgiewissenschaft bilden sie eine unersetzliche Quelle. In die gleiche Kategorie von Predigten für Taufbewerber gehören die Katechesen des Theodor von Mopsuestia. ( f 428), der auch Anwalt gewesen ist. Die spätere Verurteilung durch die Kirche hat sein Schrifttum fast ganz untergehen lassen; die 388—92 in Antiochien gehaltenen Katechesen sind 1932/33 von A. Mingana in syrischer Übersetzung veröffentlicht worden. Liturgiegeschichtlich sind sie interessanter als homiletisch. Der bedeutendste Prediger der Ostkirche ist Johannes Chrysostomus ( f 407), der diesen rühmenden Beinamen erst im 6. Jahrhundert erhalten hat. Auch er ist durch eine Rhetoren-

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schule gegangen und Anwalt gewesen, ehe er Mönch, Presbyter und Bischof wurde. Reden und Homilien bilden den Hauptteil seines Schrifttums, seine eigentliche Wirksamkeit ist die des Predigers und Seelsorgers. Seine Nachwirkung in der Geschichte der Predigt ist tiefgreifend und reicht durch alle Jahrhunderte bis in die Aufklärung hinein. Die exegetischen Homilien behandeln Genesis, Jesaja und Psalmen, das Matthäus- und J o hannesevangelium und auch die paulinischen Briefe. Von besonderem Interesse sind die Gelegenheitsreden, die 21 Homilien „De statuis", die beiden Predigten über „Vergänglichkeit und Nichtigkeit alles irdischen Glücks beim Sturz des Ministers Eutropius", die Rede kurz vor seinem Exil über „die Unbesiegbarkeit der Kirche", Lobreden auf Bischöfe, Heilige und Märtyrer, 12 dogmatische Homilien über die „Unbegreiflichkeit Gottes und die Wesenseinheit des Sohnes mit dem Vater", ferner Predigten „Adversus Judaeos", über den Teufel, die Buße, gegen den Neujahrsaberglauben, gegen Theater und Zirkus, 12 Katechesen für die Taufbewerber in Antiochien, von denen sieben erst durch A. Wenger seit kurzem bekannt sind, Homilien zu den kirchlichen Festtagen, darunter die Weihnachtspredigt von 386 in Antiochien, in der es heißt, daß dieses Fest erst vor 10 Jahren von Rom nach Antiochien gekommen ist. Der hervorstechendste Zug an diesen Predigten ist das seelsorgerliche Interesse am Hörer und die Liebe zu ihm. „Ich kenne nichts anderes als leben für euch, die Sorge für eure Seelen." Psychologische Menschenkenntnis und ein praktischer, lebenszugewandter Sinn ist dem Prediger eigen. Metaphysik und Dogmatik interessieren ihn wenig, es geht ihm um eine auf Verwirklichung bedachte, tätige Frömmigkeit. D a s Griechisch ist klassisch, die Rhetorik dem Redner wohl vertraut, aber der biblische Inhalt gilt ihm mehr als Form und Glanz der Beredsamkeit. Antike Bildung und christliche Verkündigung haben sich eng bei ihm miteinander verbunden. In seiner Schrift „Über das Priestertum" hat Chrysostomus seine homiletischen Grundsätze entwickelt. O f t von Krankheit behindert sagt er: „Das Predigen macht mich gesund, sobald ich den Mund auftue, ist alle Müdigkeit überwunden." Nichts Gekünsteltes hat seine Redegabe, überströmend ist sie, reich an Bildern und Ver2*

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gleichen, lebhaft in der Phantasie, konkret, praktisch und fruchtbar. Rauschender Beifall hat ihn oft unterbrochen, er war nicht unempfindlich dafür, aber es bleibt für ihn bei dem Satz: „Wem es nur um Gunst und das Lob der Hörer zu tun ist, der ist ein Mörder an den Seelen." Das Mönchstum verehrt er, aber tätige Frömmigkeit gilt ihm mehr. Abweichungen vom rechten Leben wiegen für ihn schwerer als die von der Orthodoxie. Auch die dogmatischen Predigten sind von praktischen Bezügen durchsetzt. Konkret und drastisch kann er werden, wenn er vom Neujahrsaberglauben, von Trunkenheit, Tanz und Gelage am Osterfest, von Zirkus und Theater redet. Bei aller rhetorischen und philosophischen Bildung ist Chrysostomus ein volkstümlicher Prediger, nicht ein Rhetor, der Verkünder eines manchmal ein wenig verflachten, auf moralische Verwirklichung bedachten Evangeliums. Improvisieren kann er, weil er aus der Gediegenheit eines dogmatischen Wissens, einer gründlichen Kenntnis der Bibel und aus einer überströmenden Fülle von Gedanken und Einfällen zu schöpfen vermag. Immer bleibt er in lebendigem Kontakt mit dem Hörer. Merkt er Müdigkeit bei ihm, dann sagt er wohl: „Schüttelt euch ein bißchen, laßt die Sache nicht in der Schwebe, gehen wir tapfer auf das Ziel zu!", und dann dauert die Rede noch einmal gute 20 Minuten. Zwei Stunden war für diese Predigt nicht zu lang. Zu ihren Schwächen gehören die vielen Wiederholungen und Abschweifungen und der auch damals von den Hörern empfundene Mangel an logischer Gliederung. Gelegentlich diskutiert der Prediger darüber mit der Gemeinde, verteidigt seine überlangen Einleitungen, aber immer ist seine Predigt freie und lebendige Rede ohne ein Manuskript auf der Kanzel. „So etwas haben die Antiochener noch bei keinem Prediger erlebt!" Auch das Politische fehlt in diesen Predigten nicht. Es geht in ihnen nicht allein um das Seelenheil des einzelnen. Ein schönes Beispiel bilden die Reden „De statuis", als es wegen drückender Reichssteuern in Antiochien zu Tumulten gekommen war, die kaiserlichen Bildsäulen vom Sockel gestürzt, mit Steinen beworfen und durch die Straßen geschleift wurden. Die Predigten schildern die Flucht der Bevölkerung in die Berge, der Markt ist

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ohne Männer, Verhaftungen gibt es, die Stadt ist „wie ein verlassener Bienenkorb", Folterungen und Verurteilungen setzen ein, es droht eine kaiserliche Strafexpedition. Was sagt der Prediger? „Ein Mensch ist verletzt worden, gleichen Wesens mit uns, Gott aber wird täglich verhöhnt." Bischöfliche Fürbitte hat die Sache dann in Ordnung gebracht. Politisch sind auch die Predigten beim Sturz des Ministers Eutropius, der aus Rache wegen einer in der Predigt erfahrenen Kritik das Asylredit der Kirche angegriffen hat, von dem er jetzt selbst Gebrauch machen muß. Gegen die Kaiserin Eudoxia tritt Chrysostomus auf, als sie eine Witwe um ihren Besitz bringen will; gegen den beim Gottesdienst störenden Lärm bei der Errichtung einer Ehrensäule für die Kaiserin wendet er sich; am Johannestag predigt er über den Tanz der Herodias mit deutlichen Anspielungen auf die Kaiserin. Mit der Verschwendungssucht der Reichen geht er ins Gericht; drastisch schildert er ihren Luxus, das goldene Tafelgeschirr, die schönen, jungen Sklaven, die schamlosen Tänzerinnen und demgegenüber Armut und Elend der Menge. Eine große Rolle spielen in den Predigten Zirkus, Pferderennen, Tierhetze, Mimus, Komödie und Theater. Bei diesen Volksbelustigungen bleiben die Kirchen am Sonntag leer. Als das einmal am Karfreitag wegen eines Pferderennens der Fall ist, fängt der Prediger seine Rede mit den Improperien an: „Was habe ich dir getan, mein Volk? Womit habe ich dich beleidigt? Antworte mir!" Die Zahl solcher Spiele übertraf die der Sonntage um ein Vielfaches. Es darf nicht verschwiegen werden, daß zu den Grenzen dieses Predigers die nicht gerade freundlichen Reden „Adversus Judaeos" gehören, in denen die Synagoge „Hurenhaus, Räuberhöhle, Wohnstätte des Teufels" heißt. „Nicht bloß die Synagogen sind alle Wohnstätten von Räubern, auch die Seelen der Juden selbst." Der Grundsatz des Chrysostomus „Nichts ist so stark und wirksam wie Liebe und Sanftmut" muß für einen jüdischen Leser von „Adversus Judaeos" doch reichlich verwunderlich geklungen haben. c) Aus der syrischen Predigtliteratur nennen wir Ephraem ( t 373), der als Exeget, Apologet, Polemiker, Dichter und Prediger einen Namen hat. Wir haben von ihm Homilien, Reden

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und Hymnen über den Glauben, das Paradies, über moralisch asketische Themen, Epiphanias- und Fastenhymnen. Seine Reden sind mehr Dichtung als Predigt, sind voller Poesie und Dramatik, schildern Himmel und Hölle, rufen zur Buße, malen das ewige Verderben aus und die Schrecknisse des Weltgerichts. Dichterisch sind sie in ihrer Phantasie und übertrieben in ihrer Rhetorik. Es sind Predigten in der metrischen Form der Memre, aus Versreihen mit gleicher Silbenzahl bestehend, so daß Homilien und Hymnen nicht mehr zu unterscheiden sind. Auch die späteren Troparien und Kontakien der byzantinischen Kirchenlieddichtung sind ursprünglich versifizierte Predigten, eine Fortsetzung der Predigt mit anderen Mitteln und in dichterischer Form. Die Makarius dem Ägypter zugeschriebenen „Homiliai pneumatikai" haben nichts mit diesem Eremiten zu tun, der 60 Jahre in der sketischen Wüste gelebt hat. 1920 wurde zuerst ihre Übereinstimmung mit Sätzen und Lehren der Messalianer und Euchiten entdeckt (Villecourt), und H . Dörries hat sie dann einem Euchitenführer um 400 zugewiesen, vielleicht Symeon Nach der Verurteilung 431 wurde das von Mesopotamien. messalianische Gedankengut gemildert, so daß bei der Vorliebe der Zeit für mönchische und mystische Frömmigkeit die Homilien als rechtgläubig hingenommen wurden. Makarios, der „Selige" ist eine Bezeichnung für einen anonym bleibenden Führer der Bewegung durch seine Schüler. Mönchisch und mystisch sind die Grundgedanken dieser Predigten. Sie sprechen von der Vereinigung der Seele mit Christus als ihrem Bräutigam, ihrer Vermischung mit dem göttlichen Geist, von innerer Anachorese als Reform des Mönchtums, der Erleuchtung der Seele durch das wesenhafte Licht, dem täglichen Gebet als „Reiseführer im Chor der Tugenden". J . Dani&ou führt die platonischen und philonischen Elemente und auffallende Berührungen mit Gregor von Nyssa auf eine erneute Begegnung der syrischen Mystik mit dem hellenistischen Christentum zurück und glaubt, daß das messalianische Schrifttum von Gregor von Nyssa beeinflußt ist. Ein Anhänger des Arius ist der Rhetor Asterius Sophistes ( f nach 341), von dem wir seit 1956 durch E. Skard und M. Richard eine kritische Ausgabe seiner Psalmenhomilien

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haben. Neun von ihnen, für die Woche nadi Ostern, sind von großem liturgiewissenschaftlichem Interesse. Asterius war Rhetor und Advokat, als lapsus, der in der Verfolgungszeit den Göttern geopfert hatte, konnte er nicht Priester werden. Seine Predigten, wohl zwischen 337 und 341 gehalten, haben einen rhetorischen, fast hymnischen Stil, sie zeigen farbige Bilder aus dem Leben und manche Vergleiche aus dem Gebiet des Rechts. In den neun Osterhomilien bekommen wir eine anschauliche Vorstellung von der Osternachtfeier, dem Osternachtlob, dem Taufritus, hören zum erstenmal von dem Sanctus und Benedictus als Bestandteil der Messe und begegnen improperienartigen Klängen, die an die Passapredigt des Melito von Sardes, an Stellen aus den Mystagogischen Katechesen des Cyrill von Jerusalem, an die Troparien im alten jerusalemischen Lesegottesdienst am Karfreitag und die 12 Troparien im byzantinischen Stundengebet der Heiligen Woche erinnern. Andere Prediger von geringerer Bedeutung mögen nur genannt werden: Severianus von Gabbala (f nach 408), Asterius von Amasea ("f" um 410), Proclus von Konstantinopel (f 446), Cyrill von Alexandrien (f 444) mit 156 nur syrisch erhaltenen Lukaspredigten und etwa 20 z. T. nur fragmentarisch vorhandenen Predigten, darunter einigen Konzilshomilien, Basilius von Seleucia (f um 468) mit seinen von Rhetorik geradezu überwucherten Predigten, die ohne größeres Interesse und tiefere Bedeutung sind. 4. Der Verfall der Predigt in den Kirchen des Ostens vom 6.—14. Jahrhundert Um der Kontinuität der Darstellung willen bleiben wir zunächst bei der weiteren Entwicklung der Predigt im Osten. Wenn Chrysostomus klagt, daß die Gemeinde nach der Predigt den Gottesdienst in Sdiaren verläßt, so erfährt umgekehrt jetzt die Liturgie eine höhere Wertschätzung als die Predigt. Schon im 5. Jahrhundert läßt die Blüte geistlicher Beredsamkeit nach. Die Trullanische Synode 692 muß im Canon 19 und 20 den Bischöfen und Presbytern das Predigen zur Pflicht machen. Mit der Lösung vom Text und dem Übergewicht des Logos gegen-

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über der Homilie wandelt sich mehr und mehr auch der Inhalt der Predigt. 1. Mit dem Erlahmen der schöpferischen dogmatischen Kraft wird die Polemik gegen die Ketzer, das Geplänkel gegen Monophysiten und Monotheleten, werden später die Bilderstreitigkeiten ausschließlicher Gegenstand des systematischtheologischen Interesses, endlich die Polemik gegen die lateinische Theologie und die Auseinandersetzungen über Hesychasmus und Palamismus. Trockener, lehrhafter, dürrer, polemischer wird die Predigt. 2. Ein anderer Bestandteil der theologischen Arbeit wird die Hagiographie. Mit der wachsenden Verehrung der Heiligen und Märtyrer und den wild wuchernden Heiligenlegenden nimmt die Zahl der Predigten zu, die in der Form der antiken Panegyriken Lobreden auf Heilige, Märtyrer und Lehrer der Kirche sind. Viele dieser Predigten, in denen Legenden von Heiligen, Berichte von Translationen ihrer Gebeine und der Reliquienglaube überwiegen, sind noch nicht gedruckt. 3. Der Theotokos und ihren Festen ist eine große Zahl der überkommenen Homilien gewidmet, der Feier ihrer Geburt, der „Hypapante", der „Begegnung" der Maria mit Symeon im Tempel, dem „Euanggelismos", der Verkündigung Mariens und vor allem dem Fest der „Koimesis", der Aufnahme Mariens in den Himmel. 4. Ein anderer Teil der theologischen Arbeit befaßt sich mit der allegorischen Auslegung der Messe, die mit der symbolisch dramatischen Ausgestaltung der Liturgie zusammenhängt. Der pomphafte Einzug mit dem Evangelienbuch kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß nicht das Hören auf das Wort das Entscheidende im Gottesdienst ist, sondern das Schauen des göttlichen, in der Messe repräsentierten Heilsdramas. Durch Schauen geschieht Verwandlung; im Gottesdienst tritt die himmlische Welt ein in die irdische; die Teilnahme vermittelt Leben und Unsterblichkeit. Die Bedeutung der Predigt tritt hinter dem göttlichen Mysterium zurück, das sich im Adyton des Altarraums vollzieht. Die dramatische Ausgestaltung der Liturgie führt zu einer symbolisch allegorischen Meßerklärung. 5. Schon in der byzantinischen Hymnendichtung begegnen uns die langen Gespräche der Theotokos mit dem Gekreuzigten. Jetzt werden auch in den Predigten den biblischen Gestalten lange Reden in den Mund gelegt, den Engeln

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und Erzengeln, ja sogar Gott selbst. Die Predigten sind voll von direkter Rede, die sich mit Gegnern auseinandersetzt, die nicht da sind, und das alles enthält viele Ausrufe, Emotionen, Klagen und Gebete. 6. Die zunehmende Bedeutung des Mönchtums, das die Rhetoren und Sophisten ablöst und die kirchliche Hierarchie stellt, gibt den asketischen Zügen und der Weltflucht ein immer größeres Gewicht in der Predigt, die dadurch an Lebensnähe und praktischem Bezug nidit gerade gewinnt. 7. Die antike Rhetorik, nicht mehr gebunden an Exegese und die Auslegung von Bibeltexten, verwildert, sie wird zum Selbstzweck und wuchert in üppigen Formen. Es kann vorkommen, daß zu Ehren Marias seitenlang Lobesprädikate aneinandergereiht werden. Selbstgeschaffene Worte werden künstlich gesucht, man ist auf Jagd nach alttestamentlichen Präfigurationen und nach auffallenden Antithesen, ist immer auf das Mirakulöse, Auffallende aus. Das Wunder wird des Glaubens liebstes Kind. Einige der bedeutendsten Prediger dieser Zeit sollen genannt werden. Für das 6. Jahrhundert sind die zwischen 512 und 518 gehaltenen 125 „Homiliae cathedrales" des Seuerus von Antiochien (f 538) von besonderem Interesse für die antiochenische Liturgiegeschichte; sie sind nur in syrischer Übersetzung auf uns gekommen. Von Sophronius (f 638), zuerst Lehrer der Rhetorik, dann Mönch und schließlich Patriarch von Jerusalem, haben wir außer hagiographisdien Schriften 11 Predigten, darunter die von Usener im Zusammenhang mit seinen Forschungen über die Entstehung des Weihnachtsfestes herausgegebene Weihnachtspredigt vom 25. 12. 634, die von historischem Interesse ist, weil wegen der Besetzung Bethlehems durch die Araber die Christen von Jerusalem nicht wie üblidi am Ort der Geburt Christi das Fest begehen konnten. Von dem Abt Anastasius Sinaites (f kurz nach 700), einem Redner und Kirchenlehrer gegen Nestorianer, Monophysiten, Monotheleten und die Juden sind mehrere Predigten erhalten, darunter eine über Psalm 6, die ein ziemlich trauriges Bild von den Verhältnissen in der Gemeinde zeichnet, eine Rede auf die Verstorbenen, über die heilige Synaxis, die Verklärung und eine Karfreitagspredigt. Von Johannes von Thessalonike haben wir im 7. Jahrhundert eine interessante Homilie auf die „Myrophorai", die auf

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künstliche Weise eine harmonisierende Konkordanz aller Auferstehungsberidite der Evangelien versucht, ferner eine vielzitierte, wohl in 15 Handschriften vorhandene Predigt auf die Koimesis der Theotokos. Johannes hat dies Fest in Thessalonich eingeführt, das sich bisher wegen seiner Begründung auf die Apokryphen hier nicht hat durchsetzen können. Darum hat er diese „gereinigt" und auf eine nun erst recht apokryphe apostolische Grundschrift zurückgeführt. Der Leib der Maria wird bei ihrem Tod nicht zerstört, entweder gleich mit der Seele vereinigt oder unzerstört im Paradies bis zur ewigen Auferstehung aufbewahrt. Einen Einblick in Art und Unart solcher Koimesispredigten bildet die Szene der Versammlung aller Apostel am Sterbebett der Gottesmutter mit ihrem edlen Wettstreit, wer bei ihrer Beerdigung die Palmen vorantragen und die Psalmen intonieren dürfe. So erhalten wir wenigstens ein Bild von der Beerdigung des 7. Jahrhunderts. Für das 8. Jahrhundert ist der Theologe zu nennen, der als der bedeutendste Vertreter ostkirchlicher Theologie gilt, Johannes (f 749), wegen seiner Lebensgeschichte Damascenus genannt, schon im nächsten Jahrhundert Chrysorrhoas geheißen, einer der wenigen Theologen, der in dieser Zeit die Tradition in einem System aufgearbeitet hat, ein bedeutender Redner von lehrhaftem Charakter, der rhetorische Form mit sachlicher Aussage zu verbinden weiß. Einen Namen als byzantinischer Kirchenlieddichter hat Andreas von Kreta (f 740), von 50 seiner Homilien sind etwa 30 gedruckt; sie sind eindrucksvoll in ihrer Sprache, voller Poesie, reich an Bibelzitaten und klar in ihrer Einteilung, meist Marien- und Heiligenpredigten. Die unvermeidlichen Panegyriken sind nach altem Vorbild dreigeteilt und enthalten die Geschichte des Helden, das Elogium und die Anwendung. Noch in das gleiche Jahrhundert gehört Germanus I. (f 733), tief verflochten in die Kämpfe um den Ikonoklasmos. Als Angelpunkt seiner marianischen Reden kehren immer wieder die beiden Gedanken der unvergleichlichen Reinheit und der Mittlerschaft Mariens bei der Verteilung der göttlichen Gaben wieder. Hier begegnet uns das gesamte apokryphe Material von Joachim und Anna an bis zum promphaften Einzug der Maria in den Himmel.

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Zu den bedeutendsten Predigern des 9. Jahrhunderts zählt Theodoros Studites ( f 826), der schlicht und verständlich zu reden weiß und gelegentlich eine einzige Allegorie zu einer ganzen Rede ausspinnt, wenn er das menschliche Leben mit einer Seefahrt vergleicht. Lange noch hat man seine Predigten im Gottesdienst vorgelesen. Zwei Sammlungen von ihm sind die Große und die Kleine Katechese, die Kleine mit 134 von den Hörern kurz zusammengefaßten Ansprachen bei den geistlichen Zusammenkünften der Klostergemeinschaft mit Themen wie das liturgische Jahr und die Pflichten und Tugenden der Mönche, die Große, den gleichen Stoff systematischer und ausführlicher behandelnd, will könobitische Lehre und Anachorese erneuern. Die panegyrischen Reden sind in einer biblos panegyrike zusammengefaßt und nur in Fragmenten greifbar. Ein glänzender Vertreter des byzantinischen Humanismus, ein bedeutender Exeget und Redner ist der Patriarch Photius ( f nach 886), von dessen Homilien nicht viel erhalten ist: zwei bewegende Predigten bei der Invasion der Russen, ein Enkomion über die heilige Thekla, eine Rede bei der Inauguration eines neuen Marienbildes. Bei dem Archivleiter Georgios von Nikomedeia, Chartophylax in Byzanz, finden wir unter den von Legenden beeinflußten Predigten über die Marienfeste auch solche über das Eisodosfest, die Darstellung im Tempel. Bei Prokopios in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts haben wir Reden auf das Indiktionsfest, eine Art Neujahr am 1. September, das auch kirchlich begangen wurde, und mit mythologischen Reminiszenzen ausgeschmückte Heiligen- und Marienpredigten. Zwei Kaiser glänzen im 10. Jahrhundert auch als Prediger, freilich mehr durch den Glanz ihres kaiserlichen Namens als durch die Pracht ihrer Predigt. Kaiser Leon VI. ( f 912), der „Weise" genannt, der „zeit seines Lebens die Feder lieber als das Schwert führte", hat seine Predigten selbst in der Kirche vorgetragen, die dann in speziellen Panegyriken, mit kaiserlichem Prunk ausgestattet, gesammelt wurden. Von dem Kaiser Konstantin VII. Porphyrogennetos haben wir Predigten über die Translation der Gebeine des hlg. Chrysostomus, ferner anläßlich der Übertragung des Gewandes des Prodromos nach Konstantinopel, Predigten über die Enthauptung Johannes

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des Täufers, ein Enkomion auf die Wunder des Erzengels Michael in Chonai, eine Predigt über das „nicht mit Händen gemachte'' Gottesbild der Theotokos von Diaspolis usw. Solche Wucherung des Mirakulösen findet sich nicht allein in der kaiserlichen Predigt, auch bei Niketas von Paphlagonien 980) und anderen sind Petri Kettenfeier, der Gürtel der Mutter Gottes, die Empfängnis der heiligen Anna, die Übertragung des Gürtels der Theotokos in die Kirche von Chalkoprateia und das edessenische Christusbild würdige Predigtthemen, und zwischen dem allen steht, unheimlich und gespenstisch, die Predigt über die Einnahme von Thessalonich durch die Sarazenen. Natürlich darf man auch in Zeiten des Niedergangs nicht nur schwarz in schwarz malen. Der Dichter und Prediger Johannes Mauropus im 11. Jahrhundert ist ein ausgezeichneter Prediger, sympathisch als Mensch, in seiner Rede hält er die Mitte zwischen einer rhetorischen, barocken Prunkpredigt und einem nüchternen, strohernen, dogmatischen Lehrvortrag. Die Themen sind freilich die gewohnten: die drei Hierarchien, die Versammlung der Engel, panegyrisdie Reden, die Koimesis usw. Eine ganz neue und wichtige Entwicklung setzt im 11. und 12. Jahrhundert ein, die Entstehung großer Homiliare. Spätzeiten sind Sammlerzeiten. Vom Niedergang der Predigt kann man reden, nicht von ihrem Ende. Die unter dem falschen Namen angesehener Patriarchen erscheinenden Sammlungen wollen ja eine Predigthilfe sein. Hierher gehören: 1. das Homiliar des Johannes Xiphilinus des Jüngeren ( f 1078), das unter verschiedenen Verfassernamen erscheint und 53 Homilien für einen großen Teil des Kirchenjahres enthält. 2. das Patriarchalhomiliar von Konstantinopel des Johannes IX. Agapetus (")" 1134), ebenfalls verschiedene Verfassernamen tragend, wohl eine auf größere Verständlichkeit bedachte Erneuerung der vorangehenden Sammlung. 3. ein italogräkisches Homiliar des Theophanes Kerameus, audi unter mehreren Verfassernamen, das von dem Mönch Philagetos stammt, eine Sammlung ohne Rücksicht auf das Kirchenjahr, die später in Byzanz in die „Eurythmie" des liturgischen Jahres gebracht wird. Griediische

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Sprache und Observanz herrschten damals in Sizilien und Unteritalien, gab es doch zu gleicher Zeit dort auch eine Nachblüte byzantinischer Kirchenlieddichtung. Aus dem 13. Jahrhundert haben wir den homiletischen Nachlaß von Germanos II. ( f 1240) mit 50 Predigten und Katechesen auf die Fest- und Sonntage des Kirchenjahrs, aber auch mit Predigten gegen die Bogomilen, über die Jünglinge im feurigen Ofen, einer Ordinationspredigt und Marienpredigten. Im 14. Jahrhundert mag Nikephorus Chumnus ( f 1327) genannt werden, dessen Tochter mit einem Sohn des Kaisers verheiratet war und von dem wir Reden über familiäre Angelegenheiten, Trost- und Leichenpredigten, aber auch Kontroversen gegen die lateinische Lehre vom Heiligen Geist haben. Eine der Marienpredigten vor Mönchen im Chora-Kloster ist eine großartige Illustration der bis heute dort noch erhaltenen Mosaiken. Wichtiger als Prediger und bekannter als Theologe ist Gregorios Palamas ( f 1359), Erzbischof von Thessalonike, der Verteidiger des Hesychasmus und Inaugurator der palamistischen Streitigkeiten, von dem 61 Predigten, in einem Homiliar gesammelt, fast einen vollständigen Zyklus für das Kirchenjahr ergeben, die meisten in Thessalonich gehalten, manche auch auf dem Athos. Er ist ein hervorragender Prediger, einfach in der Form, aber reich an dogmatischen, moralischen und biblischen Gedanken. Es könnte noch eine Reihe anderer Homiliare auch aus diesem Jahrhundert genannt werden. Ganz am Rande des kirchlichen Lebens kann die Predigt auch damals in der Kirche des Ostens nicht gestanden haben. Einen besonderen Charakter haben im 14.Jahrhundert die Predigten des Isidorus Glabas ( f 1396), eines gefeierten Redners, die durch die großen sozialen Auseinandersetzungen in Thessalonich sich stärker von der erstarrten Konvention lösen und Zeitumstände und soziale Probleme beachten. Im folgenden Jahrhundert werden seine Homilien in 2 Bänden mit 47 Nummern zusammengefaßt.

5 . Die Predigt der russischen Kirche Wir müssen hier abbrechen, eine Schilderung der Predigt in den autokephalen orthodoxen und den häretischen Kirchen des

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Ostens läßt der Raum nicht zu. Ein Blick soll auf die Weiterentwicklung in der russischen Kirche geworfen werden. Im Gegensatz zu traditionellen Vorurteilen hat es auch hier eine Homiletik und je und dann auch eine Blüte der Predigt gegeben. Ein besonderes Interesse für Homiletik und Predigt zeigt schon die Kirche des Kiever Rußland, das „Slovo" über Gesetz und Gnade von Ilarion, dem ersten Metropoliten russischer Abstammung. Prediger einer prunkvollen Redeweise sind

Kirill von Turov (f 1183) und Serapion von Vladimir (f 1275).

Wichtig für Homiletik und Predigt ist im 17. Jahrhundert die „ukrainische Schule", die sich theologisch mit dem römischen Katholizismus und mit dem Protestantismus auseinandersetzt. Hier entsteht eine Homiletik, die im Anschluß an die alte Kirche einen eigenen Predigtstil gegenüber den Jesuiten und der Brüdergemeinde entwickelt. Von Johannikij Galjatrovski stammt der „Schlüssel der Erkenntnis" mit einem homiletischen Handbuch, in dem die byzantinische Rhetorik durch eine Art scholastische homiletische Methode ersetzt wird. Avvakum sagt im 17. Jahrhundert: „Suche nicht Rhetorik und Philosophie und schöne Redensarten, sondern folge dem gesunden, wahrhaftigen Wort und lebt ihm nach; denn ein Rhetor und Philosoph kann nicht Christ sein." Im Zeitalter Peters des Großen, in dem die Kirche nicht als Heilsanstalt, sondern als Bildungsinstrument verstanden wird, legt man aus moralisch pädagogischen Gründen großen Wert auf die Predigt und fordert nach dem Vorbild des Chrysostomus Schlichtheit und Verständlichkeit von ihr. Nach der Oktoberrevolution hat man in der orthodoxen Kirche erneut und nachdrücklich Gewicht auf die Predigt gelegt.

6. Die Blütezeit der lateinischen Predigt im 4. und 5. Jahrhundert Wenn wir uns nun der Entwicklung der Predigt im Abendland zuwenden, so müssen wir in die Zeit der sich konsolidierenden Reichskirche zurückkehren. Während der Inhalt der Predigt im Osten überwiegend dogmatisch, spekulativ und philosophisch ist, ist sie im Westen, dem nüchternen und praktischen Sinn der latinitas entsprechend, mehr soteriologisch und

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ethisch orientiert. Audi hier spielt die Rhetorik als Kennzeichen wahrer Bildung eine Rolle. Die dogmatische Predigt lehnt sich an das alte genus der belehrenden Rede an, die ethische übernimmt die Formen der Diatribe und der Mahnrede, in den Panegyriken fließen weltliche und christliche Rhetorik völlig zusammen, aber dies antike Erbe wird durch den biblischen Gehalt der Predigt neugestaltet, die im Westen weithin exegetische Homilie und Interpretation biblischer Texte bleibt. Der älteste lateinische Prediger, von dem wir eine Predigtsammlung haben, ist Zeno, von 362—71/2 Bischof von Verona. In einem Dutzend Handschriften haben wir unter seinem Namen 103 Predigten, von denen die letzten 11 nicht ursprünglich sind; sie sind schon im ältesten Codex von einer jüngeren Handschrift nachgetragen. 16 dieser Reden sind ausgeführt, die andern eher Fragmente, vielleicht Skizzen oder Resümees. Die Sammlung geht auf einen späteren Verehrer Zenos zurück. Die kurzen Reden sind schlicht und schmucklos, die ausgeführten zeigen eine auf die christliche Predigt angewandte Kunstprosa. Sie sind überladen mit rhetorischen Elementen, mit Anaphora, Beginn mehrerer Sätze mit dem gleichen Anfangswort, mit einer ungewöhnlichen Wortwahl und einer gesuchten Neuschöpfung von Worten, mit einem Parallelismus asyndetisch aneinandergereihter Sätze, mit Alliteration und Assonanz und mit rhythmischer Bildung der Satzschlüsse. Ein Beispiel für den rhetorischen Aufbau mag die Predigt „De patientia" bieten, die zunächst diese Tugend beschreibt (die Periphrasis), dann Gleichnisse und Beispiele aus der Natur gibt (das Simile), eine Schilderung der Ungeduld und ihrer Folgen (das Contrarium), schließlich Beweisstücke aus dem Alten Testament (die Exempla) und am Ende das Lob dieser Tugend und die Ermahnung (die Conclusio) folgen läßt. Die lehrhaften Predigten streiten gegen Arianer, Heiden und Juden, die moralischen handeln von christlichen Tugenden wie Enthaltsamkeit, Schamhaftigkeit, Demut und Geduld. Noch stehen die Tempel, gibt es Altäre und Opfer, Aberglauben und Beobachtung des Vogelflugs, werden Ehen mit Heiden geschlossen, wollen selbst die Christen nicht auf ihre Tempelrechte verzichten. Besonders interessant sind die Osterpredigten, die

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„Invitationes ad fontem" und die Predigten „Ad neophytas post baptismum"; sie sind eine wichtige Quelle für die Liturgie, die Taufwasserweihe, die Osternachtfeier mit Kerzen und Lichtern, Taufbekenntnis, Taufsitten und die Eucharistie. Eine Reihe dieser Predigten handeln von österlichen Passatexten, dem Durchzug durch das Rote Meer, Wasser aus dem Felsen und Manna vom Himmel, das alles nicht ohne Auseinandersetzung mit dem Passa der Juden. Es ist die schon bei Melito uns begegnende Tradition. Mag Zeno kein großer Prediger der christlichen Kirche sein, auf der Höhe der Bildung seiner Zeit hat er gestanden. Osterpredigten finden wir auch bei Gaudentius von Brescia ( t nach 406). Anstoß zu der kleinen insgesamt 21 Predigten umfassenden Sammlung hat Benivolus gegeben, ein Freund des Bischofs, der wegen einer Erkrankung nicht in der Osterwoche den Gottesdienst besuchen konnte. Schlicht und prägnant sind diese Predigten, nicht ohne Kraft der Aussage. Zu den frühesten uns erhaltenen lateinischen Predigten gehören die Gregors von Eliberis (heute Elvira bei Granada) ( f nach 392), dessen Name als Prediger lange Zeit völlig vergessen war. Er ist Luciferianer, die den früheren Arianern den Zugang zu allen Ämtern und Würden nehmen wollten. Nur 5 (6) Predigten „De epithalamio", das Hohelied, tragen in den Handschriften den Namen Gregors, aber 20 von der Tradition dem Orígenes und später auch dem Novatian zugeschriebene Traktate sind wegen ihrer Theologie, aus sprachlichen und stilkritischen Gründen von A. Wilmart dem Gregor zugewiesen worden, dazu kommt noch eine lebendige Predigt „De arca Noe" mit einer allegorischen Deutung auf die Kirche und eine „Expositio über den 91. Psalm". An der Zusammengehörigkeit dieser ganzen Gruppe kann nicht mehr gezweifelt werden. Die Bibelzitate bilden eine wichtige Quelle für die Vetus latina. Der Stil der Predigten ist nüchtern und erhebt sich nur gelegentlich zu einem uns befremdenden rhetorischen Glanz. Sie sind praktisch, wollen zur christlichen Tugend führen und bemühen sich mit einer Fülle von Bildern aus dem Leben und aus der Schrift um das Verständnis des Hörers. Mit Aus-

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nähme einer Pfingstpredigt behandeln sie nur typologisdi ausgelegte Texte des Alten Testaments. Willkürlich genug ist freilich diese Typologie, paradoxerweise wird die Hure Rahab gern zum Bild für die Jungfrau Kirche. Das wichtigste dogmatische Thema ist die Einigung der beiden Naturen in Christus, sie wird in den Hoheliedpredigten zum Bild für die Vereinigung Christi als des Bräutigams mit der Kirdie als der Braut. Der „Trauring des Glaubens" verbindet sie, die Worte copulare und conjungere kommen oft in dieser Brautmystik vor, die hier zum erstenmal auf Christus und die Kirche übertragen wird. Gregor von Elvira ist kein Schriftsteller von hohem Rang, als Prediger ist er überhaupt erst in unserem Jahrhundert wieder zu Ehren gekommen. Losgelöst von dem Namen ihres Verfassers sind auch die Predigten des Maximus von Turin ( f zwischen 408 und 423) überliefert worden. Bei Gennadius findet sich eine Liste seiner Predigten, nur inhaltliche Kriterien weisen sie dem Maximus zu. Von den bei Migne wiedergegebenen Reden gilt nicht einmal die Hälfte heute als edit. Diese Predigten sind besonders für die Geschichte der Kultur und der christlichen Sitte interessant. Maximus ist ein Volksredner, einfach und konkret, bildhaft und anschaulich; er kämpft gegen heidnische Reste in der Volksfrömmigkeit, gegen Aberglauben und Auspicien, gegen die heidnischen Neujahrssitten, die Verehrung der Diana, das Zaubern bei Mondfinsternissen. Darum hat er sidi noch bis ins späte Mittelalter hinein großer Beliebtheit erfreut und ist oft verwendet worden. In der Auslegung herrschen Typologese und Allegorese. Die Weintraube, die die Kundschafter aus dem Gelobten Land mitbringen, wird allegorisch auf Christus gedeutet, der am Holz des Kreuzes hängt. Wie Ulysses, an den Mast gebunden, die Mannschaft seines Schiffes rettet, so rettet Christus die Seinen, angebunden an das Kreuz. Nun fahren wir sicher im Schiff der Kirche, taub gegen den verlockenden Sirenengesang der Welt. Maximus ist kein tiefer, aber ein praktischer Prediger. Sein „Schelten" hat man ihm oft vorgeworfen, die Leute hören auf ihn, aber sie bekehren sich nicht, nichts richtet er aus, trotzdem hängt er an seiner Gemeinde und sie an ihm. 3

Sdlütz, Christliche Predigt

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Unter dem Namen des Maximus werden auch Predigten des Ambrosius ( f 397) überliefert, der als Prediger wie als Bischof hochangesehen ist. Von seiner eindrucksvollen Biographie haben wir hier nidit zu sprechen. Seine Predigten haben die Form von Kommentaren, die, aus Homilien entstanden, die ursprüngliche Predigtgestalt noch erkennen lassen, a) 6 Büdier über das Hexameron sind 389 aus Homilien über die Schöpfungsgeschichte entstanden, die Blatt für Blatt das Werk des Basilius widerspiegeln, aber das Fremde so assimilieren, daß es das Gepräge der eigenen Individualität annimmt. In der Naturerkenntnis stimmen heidnische Philosophie und die Schrift völlig überein. In großartigen Naturschilderungen wird die Weisheit und Allmadit des Schöpfers gepriesen, und alles ist zugleich durchwoben von moralischen Betrachtungen. Tierfabeln geben den Stoff her; die Mondphasen sind Beispiele für die Wandelbarkeit des Schicksals, sie warnen vor Mutlosigkeit im Unglück und vor Übermut im Glück; Sonne und Mond werden zu Symbolen für Christus und die Kirche. b) Eine Reihe von alttestamentlichen Traktaten, beginnend mit „De paradiso" und endend mit „De Nabuthe Jezraelitha" und „De Tobia", sind aus Homilien hervorgegangen. „De Tobia" besteht aus Predigten über den Wucher, Tobias nimmt keinen Zins für Darlehen, die Schuldner und die Gläubiger sind das eigentliche Thema. Drastisch wendet sich „De Nabuthe" gegen die Reichen. „Um Geld und Brot bittet dich der Arme, und das Zaumzeug deiner Pferde ist aus Gold. Was für ein Zorn des Richters wird dich treffen!" „Das Volk hungert und du machst deine Vorratskammern zu und rettest die nicht vom Tode, die schon der Edelstein an deinem Ring am Leben erhalten könnte." Drastisch wird die Herzlosigkeit der Reichen geschildert, die sich mit den Stammbäumen ihrer Pferde und Hunde beschäftigen, aber auch der Arme wird nicht geschont, der ohne Tunika und ohne einen Pfennig vor den Schenken herumlungert und dann an einem Tag mehr vertut als er an vielen verdient hat. c) Aus Homilien sind auch die Psalmenauslegungen hervorgegangen; die des 43. Psalms ist von Ambrosius während seiner letzten Krankheit seinem Sekretär diktiert worden, die beiden

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letzten Verse sind unerklärt geblieben, weil ihn der Tod unterbrochen hat. d) Das umfangreichste Werk ist der Kommentar zum Lukasevangelium, aus 25 Predigten hervorgegangen, die freilich eine stärkere redaktionelle Umarbeitung erfahren haben. Mit dieser Entstehung hängt der „eklektische" Charakter des Kommentars zusammen; Ambrosius selbst vergleicht sich mit dem Küstenschiffer, der sich immer wieder von der Schönheit einzelner Punkte zu Besuchen der Landschaft und der Städte verlocken läßt. Harmonisierung der Evangelien, Allegorisieren und Moralisieren charakterisieren dieses Werk. e) Auch die Schriften über die Virginität sind aus Homilien hervorgegangen. Unter dem Eindruck der Predigten des Ambrosius kamen von allenthalben her Jungfrauen nach Mailand, um den Schleier zu nehmen; die Bitten um schriftliche Fixierung der Reden wurden von seiner Schwester Marcellina unterstützt, so entstanden die drei Bücher „De virginitate ad Marcellinam sororem" mit manchen reichlich abenteuerlich und romanhaft anmutenden Erzählungen und Heiligenlegenden. Im dritten Buch findet sich die Rede des Papstes Liberius bei der Einkleidung der Marcellina am Epiphaniastag 353, die in der Diskussion über die Anfänge des Weihnachtsfestes in Rom eine Rolle spielt. f) Starken Einfluß der antiken Rhetorik zeigen die Trauerreden des Ambrosius, die beiden Reden über seinen Bruder Satyrus (378), die erste sehr persönlich im Ausdruck zarter geschwisterlicher Liebe an dem in der Kathedrale aufgebahrten Sarge, die andere sieben Tage später am Grabe gehalten, eine christliche Auferstehungspredigt, ferner die Trauerrede auf den in der Gefangenschaft ermordeten Kaiser Valentinian II. (392) und schließlich die berühmte Gedenkrede auf Theodosius den Großen (395), 40 Tage nach seinem Tode bei der Uberführung nach Konstantinopel gehalten, ein Panegyrikus und eine Trostrede ganz im Stil der Antike, durchwoben von persönlichen Erinnerungen, die doch bei allem Lob der Frömmigkeit des Kaisers seine öffentliche Kirchenbuße nach dem Blutbad in Thessalonich nicht verschweigen. Sie endet mit der Auslegung des 114. Psalms: „ego dilexi" und schweift am Schluß auf den 3*

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Kaiser Konstantin ab, auf das Auffinden der Kreuzesreliquie und der heiligen Nägel, eine rhetorisch glanzvolle Rede, die bei aller Bewunderung als christliche Trauerpredigt doch ein zwiespältiges Gefühl hinterläßt, wenn in der vor dem Nachfolger, dem Hof und dem Heer gehaltenen Rede der verstorbene Kaiser selig gepriesen wird. g) Ein neues Genus der öffentlichen politischen Rede ist die Predigt „Contra Auxentium de basilicis tradendis" (386), in der Ambrosius angesichts der aufmarschierten bewaffneten Macht gegen die Ansprüche des arianischen Bischofs seine Kathedrale verteidigt, das Volk zum Widerstand aufreizt und die Grenze zwischen kirchlicher und kaiserlicher Macht zieht. Die Predigt des Ambrosius blendet nicht durch theologische Tiefsinnigkeit, durch die Originalität der Gedanken und die wissenschaftliche Kraft der Exegese, sie ist schlicht, praktisch und volkstümlich, kräftig im biblischen Zeugnis, würdig in der Sprache, manchmal knapp, manchmal auch breit ausladend, meist sicher in der Sache, gelegentlich unsicher im Geschmack, aber immer voll psychologischer Menschenkenntnis und Lebensnähe. Gern folgt er Vorbildern, Philo, Origenes und Basilius; keiner der großen Theologen hat so abgeschrieben wie er, und keinem steht es so gut an. Verdorbene Philotexte hat man aus diesen Predigten wieder rekonstruieren können. In jeder Einzelheit findet Ambrosius einen mystischen Sinn; Adam und Eva meinen den Verstand und die Sinne, Christus ist die Quelle der Paradiesesströme, sie selbst sind die christlichen Haupttugenden, Adams Söhne stellen Heidentum und Judentum dar. Das gerade ist für Augustin in seinen Schwierigkeiten mit der Bibel eine Hilfe gewesen. Ambrosius ist ein großer Bischof, er ist auch ein bedeutender Prediger, mag auch das eigentliche Geheimnis der Wirksamkeit seines Predigens mehr in seiner Persönlichkeit liegen. Von Ambrosius reden heißt auch von Augustin sprechen ( f 430). Er hat oft und viel gepredigt, in der Fastenzeit täglich. Die Predigten wurden von notarii, Schnellsdireibern mitstenographiert, und von den librarii wurden lesbare Kopien hergestellt, die dann in Sammlungen vereinigt wurden. Die

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beabsichtigte Durchsicht ist in den meisten Fällen unterblieben. Die Maurinerausgabe kennt 363 echte, 32 zweifelhafte und 317 nicht anerkannte Predigten, zu denen inzwischen noch 640 andere hinzugekommen sind, von denen wiederum 138 als echt gelten. In „De doctrina christiana" haben wir eine Art Homiletik, weniger eine systematische Theorie der Predigt als eine E r örterung der Frage nach der Bedeutung der antiken Rhetorik für die christliche Verkündigung. Die ersten Bücher bilden eine biblische Hermeneutik, das vierte Buch ist später von Hrabanus Maurus verwendet worden; es ist das erste gedruckte Werk eines Kirchenvaters nach der Erfindung der Buchdruckerkunst. In ihm geht es um die Beziehung von sachlichem Gehalt und künstlerischer Form in der christlichen Predigt. Die sapientia rangiert für Augustin vor der eloquentia, die Schrift ist für die Predigt wichtiger als die Rhetorik. Das erste Erfordernis einer Predigt, die „ankommen" soll, ist Klarheit, Verständlichkeit und Deutlichkeit der Rede, Durchsichtigkeit und Prägnanz. „Die Hauptsache ist, daß die Sache selbst richtig gelehrt und gelernt wird." I m Anschluß an Cicero unterscheidet Augustin drei Aufgaben der Predigt, das docere, delectare und movere. Lehrend die Sache klarmachen, erhellen und verdeutlichen ist unentbehrlich für jede Rede; die wirkliche Aufnahme von Lehre und Information hängt von der rhetorischen und künstlerischen Form ab; die Zugänglichkeit ermöglicht die innere Zustimmung, ergibt die Motivation, die im Emotionalen, den Affekten und der Gemütsbewegung die eigentlich motivierende K r a f t hat. Sache, Form und Existenz entsprechen auch die Stilarten, der einfache Stil (genus submissum), der gemäßigte (temperatum) und der erhabene (grande) und die dreifache Einstellung des Hörers, der aufgeschlossen für Lehre, willig in der Aufnahme und entschieden in der Verwirklichung sein muß (intelligenter, libenter und oboedienter). Diese Stilformen werden an der Bibel, an Cyprian und Ambrosius anschaulich aufgewiesen. Trotz solcher rhetorischen Anforderungen muß die Predigt lebendige Rede bleiben, nicht ängstlich vorbereitet und wörtlich memoriert; hin und her im Gespräch mit dem Hörer muß sie ihren Gegenstand bewegen. Entscheidend ist der Prediger hinter der Predigt,

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orator muß er sein antequam dictor, sein ganzes Leben muß predigen. Die forma vivendi ist die eigentliche copia dicendi. Die Predigt Augustins lebt ganz aus der Schrift, nichts anderes soll der Prediger sein als scripturarum tractator und doctor. „Warum predige ich? Warum sitze ich auf der cathedra? Wozu lebe ich? Doch nur dazu, daß wir gemeinsam aus Christus leben." Die klaren Stellen der Sdirift ergeben den Kanon für die dunkeln, die dunkeln sind Aufforderung zu einem vertieften Studium der Bibel. Nicht aus sich selbst redet der Prediger: „Inde pasco, unde pascor." Lebendig machen kann nur empfangenes Leben. Christus ist sowohl für den Prediger wie den Hörer der innere Lehrer, dem einen gibt er das Wort der Verkündigung, dem andern das Verstehen des verkündigten Worts. Gott richtet aus, was kein Prediger erreichen kann. „Wir predigen, aber Gott unterweist." Die Themen von Augustins Predigten sind die Themen seiner Theologie. Auch tiefe theologische Gedanken kann er faßbar und verständlich machen. Das Lehren ist für ihn die Seele der Predigt, auch das Dogmatische ist praktisch ausgerichtet, es will der Seele den Weg zu Gott weisen und ist zugleich mit dem Paränetischen verwoben. „Piacent vobis verba, ego quaero facta." Euch gehts um Rhetorik, mir um die Verwirklichung. Überall spürt man die enge Beziehung zum Hörer. Er schreibt nicht Predigten, er spricht sie. Oft gleichen sie einer vertraulichen Unterhaltung zwischen Freunden. Immer nehmen sie Rücksicht auf den Hörer und passen sich ihm an. Er selbst, sagt Augustin einmal, sitze auf der cathedra, der Hörer müsse stehen. Als er zwei Stunden lang den 72. Psalm ausgelegt hat, unterbricht er sich, er habe ganz vergessen, wie lange er geredet habe. Beifall und Akklamation sind Zeichen der Kommunikation mit dem Hörer. Augustin ist ehrlich genug zuzugeben, daß er ihn gerne hört, freilich heißt es dann: „tu lauda tractantem, ego quaero facientem." Ihr mögt die Form der Rede loben, mir gehts um euer Tun! Augustin registriert den Widerspruch in der Gemeinde, das Schwatzen, die Unaufmerksamkeit, die Begrüßung der Nachbarn, die Ermüdung über ein und demselben Thema. Sieht er Fragen und Zweifel, so bringt er immer neue

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Verdeutlichungen, Wiederholungen und Erklärungen. Eine herzliche Sympathie verbindet ihn mit seiner Gemeinde. „Ich weiß, welchen Platz ich in euren Herzen habe, weil ich weiß, welchen Platz ihr in meinem Herzen habt." So theologisch diese Predigten sind, so lebenszugewandt und konkret sind sie auch. Probleme der Christianisierung kommen zur Sprache, die Götzenopfermahlzeiten, das Anrufen der Gestirne, die heidnischen Feste, Zirkus und Theater, in die die Gemeinde nach dem Gottesdienst strömt, die Trunkenheit am Osterfest, die Neophyten werden ermahnt, nicht an ihrem Tauftag betrunken zur Vesper zu kommen, Fragen des Ehelebens und des Konkubinats werden behandelt, die Bekehrung eines einzelnen Gemeindeglieds, das Verhalten der Donatisten, der Umgang mit irdischen Gütern, kurz alle Fragen des praktischen Lebens. Durch seine Predigten erreicht Augustin die Abschaffung der in Hippo alljährlich in der Kirche üblichen Schmausereien oder das Aufhören der caterva, Bandenkrieg genannten jährlichen Bürgerfehde im mauretanischen Cäsarea, die immer wieder Tote gekostet hat. Die Sprache ist einfach, knapp und ohne lange Perioden. Volkslatein haben wir in den Predigten, Kunstprosa in den theologischen Werken. Sein Latein in der Großstadt Carthago ist anders als die Predigtsprache in den kleinen Provinzstädten. Die Klauseltechnik der antiken Rhetorik, mit der Anfang und Schluß längerer Perioden in eine rhythmische Form gebracht werden, findet sich in „De civitate Dei", aber nicht in den Predigten. Wohl haben wir in ihnen — Augustin ist 20 Jahre Lehrer der Rhetorik gewesen — Assonanz und Alliteration, Reime und das Homoioteleuton, prägnante Antithesen, asyndetische, antithetische Satzformen und allegorische Auslegungskünste. Gerade das führt oft zum offenen Beifall in der Kirche. Nach dem Satz „Malus est mundus, et bonus est a quo factus est mundus" (Gut ist der Schöpfer dieser unguten Welt) klatschen die Hörer, Augustin wehrt ab, kann es Si. -h aber nicht versagen, den Satz noch einmal zu wiederholen. Es fehlt auch nicht an künstlichen Stilformen: „proprie propriis tamquam debita reddita" oder „O munde immunde" oder „Severitas saeva verkäs".

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Wegen des gedanklichen Reichtums, ihres theologischen Inhalts und ihrer praktischen Ausrichtung sind diese Predigten auch für uns von großem Wert. Zu ihren Schwächen gehört das Allegorisieren, wenn Fische und Vögel zum Bild für Wort und Sakrament im Meer und in der Luft der Zeitlichkeit werden, Jakob, mit dem Fell bekleidet, Christus in der Menschennatur bedeutet oder der Blindgeborne die Katechumenen darstellt. Zu ihrer Schwäche gehört es, wenn Augustin auf Gliederung und Thematik verzichtet, oft nur einen Satz oder ein einzelnes Wort auslegt, wie Rhetoren damals Homer und Vergil interpretieren. Eine Schwäche bedeutet es schließlich, wenn ein einzelnes Schriftwort gerne von andern her interpretiert wird, so daß die Predigt aussagt, was dieses Wort gar nicht hergibt, freilich auch nichts enthält, was die Bibel nicht hergäbe. Der Ernst, der Reichtum der Gedanken, Fülle und Tiefe des theologischen Gehalts, die blitzenden Einfälle und die praktische Ausrichtung ergeben Predigten, die noch für ein Jahrtausend und länger Muster und Vorbild in der Kirche geblieben sind. Den Ambrosius hat Hieronymus (f 419/20) bei seiner Herausgabe der Homilien des Origenes mit Hohn überschüttet, ihn einen krächzenden Raben genannt, der, selbst schwarz, sich über die Farben aller anderen Vögel lustig mache, und an Augustin als Exegeten hat er schärfste Kritik geübt. Von dem bewegten Leben und dem umstrittenen Charakter des Hieronymus haben wir nicht zu reden, nicht von seinen Kommentaren und seiner Arbeit am Bibeltext, allein von seinen Homilien, die von G. Morin 1897/1903 ans Licht gezogen wurden. Die Sammlung von 59 Psalmenhomilien hat lange als die kurze Fassung eines nicht eingeführten Breviers gegolten. Dazu kommen 10 unter dem Namen des Chrysostomus verbreitete Markushomilien, 10 unter dem Namen des Chrysostomus und Augustin umlaufende Predigten über verschiedene Texte und noch weitere 14 Psalmenhomilien. Hieronymus hat kein kirchliches Amt ausgeübt, seine Predigten hat er als Vorsteher im Kloster zu Bethlehem gehalten. Sie sind improvisiert, ohne Schwung und Tiefe, im familiären Ton, in der Umgangssprache gehalten, aber von Interesse, weil sie die Zustände im Leben der Mönchsgemeinde widerspiegeln. Fasten und Virginität gelten ihm mehr

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als dogmatische Fragen. Wie einfach lösen sich die innertrinitarischen Streitigkeiten unter den Mönchen: „Sollte einmal der Gedanke: Wer ist Gott? Wie steht es mit der Dreifaltigkeit? in uns aufsteigen und uns hartnäckig verfolgen, dann muß es uns genug sein, an die Tatsache ihrer Existenz zu glauben." Die Auslegung berührt sich mit der des Origenes, dessen Homilien Hieronymus übersetzt hat. Er ist textkritisch interessiert, in der Schrift bewandert, philologisch geschult, er will den Text so verstehen, „wie ihn der Autor selbst verstanden hat, der ihn geschrieben hat", aber neben dem Wortsinn steht die typologische Exegese des Alten Testaments; Serubabel wird auf Christus gedeutet, der sich seine Kirche in den Herzen erbaut. Wie Origenes hat er den dreifachen und den doppelten Schriftsinn. Auch wenn Hieronymus nach einem Traumgesicht, in dem ihm der himmlische Richter erschienen ist: „Du bist ein Ciceronianer, aber kein Christ; denn wo dein Schatz ist, ist dein Herz" sich geschworen hat, kein heidnisches Buch mehr zu besitzen oder anzufassen, so hat er doch zeitlebens Christentum und Antike vermählen wollen und ist in vielem ein Rhetor geblieben. Mag Petrus von Ravenna (f um 450) später Chrysologus genannt werden, als Prediger steht er nicht auf der Höhe christlicher Beredsamkeit. Etwa 180 echte Predigten haben wir, sie sind zum größten Teil im 8. Jahrhundert von einem seiner Nachfolger (collectio Feliciana 703—25) gesammelt worden, meist sehr kurze, an Lesungen und Sonntagspsalmen angeschlossene Predigten exegetischer Art. Trotz seinem Grundsatz „populis populariter" (volkstümlich für das Volk) leiden sie an einem Übermaß rhetorischer Kunst, an Häufung von Worten, an Uberbetonung der Isocola (gleichgewichtige parallele Sätze), der Oxymora (Zusammenstellung entgegengesetzter Begriffe), der Anaphora (Wiederholung des gleichen Anfangs in parallelen Sätzen) und der Klauseln in quantitierender Rhythmik am Satzende. Breite und plastische Schilderungen, gekünstelt wirkende Beispiele und Gleichnisse, ungeschickte Einwürfe von fingierten Zwischenrednern im Stil der Diatribe, allegorische Auslegungen, die Psychologisierung biblischer Personen und viele Künste wirken oft manieriert und befremdend. Der Appell an die Vernunft

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und den gesunden Menschenverstand, das Moralisieren und ein Defizit an Dogmatik machen die Predigten flach, nüchtern und hausbacken. Beliebte Themen sind das Streben nach himmlischem Glück, die Furcht vor Strafe und die Leichtigkeit eines moralischen Sieges; es ist nicht alles Gold in der Rede des Chrysologus. Der letzte Prediger in dieser Zeit, der ein reines und gutes Latein spricht, ist der Papst Leo I. (f 461), wegen seiner kirchenpolitischen Bedeutung der Große genannt, ein Prädikat, das dem Prediger kaum gebührt. Wir haben von ihm 96 Predig-, ten an Festtagen, am Jahrestag seiner eigenen Ordination, Fasten- und Almosenpredigten, auch eine Rede, die von der schwachen Beteiligung der Römer an der jährlich wiederkehrenden Dankesfeier für die Bewahrung Roms vor Blutvergießen und Brandstiftung durch die Wandalen handelt. Fast alle Predigten hat Leo im ersten Jahrzehnt seines Episkopats gehalten, er hat sie selbst vorher oder nachher niedergeschrieben. Ihr eigentliches dogmatisches Thema ist die Inkarnation, die beiden Naturen Christi und ihre Einheit in einer Person. Um Erkenntnis geht es in ihnen, nicht nur um den Glauben, um Belehrung, nicht um Erbauung. Manches Liturgische erfahren wir, die Exegese liegt dem Prediger weniger am Herzen, die thematischen Reden zeigen Strenge des Gedankengangs und des Aufbaus. Beten, Fasten und Almosen sind die Mittel, nach der Taufe das Ebenbild Gottes wiederherzustellen. Die Predigten am Tag der Stuhlbesteigung, oft vor zahlreichen Bischöfen des römischen Metropolitansprengeis gehalten, geben der Überzeugung von der Gewalt und Würde des römischen Bischofs beredten Ausdruck. „Auf der ganzen Erde nimmt man seine Zuflucht zu der Stadt des heiligen Petrus." Die Pax christiana, die von den Christen in Rom und dem Stuhl des Petrus ausgeht, wird der alten, auf Waffengewalt gegründeten Pax romana gegenübergestellt. Petrus ist der erste unter den Aposteln, der Pförtner des Himmels, sein Nachfolger hat die Pflicht, für die gesamte Kirche zu sorgen. Der Form nach sind die Predigten römisch kurz, prägnant im Ausdrude, elegant in der Leichtigkeit und Kunstfertigkeit der Sprache. Die Rhetorik wirkt in ihnen wie selbstverständlich; Feierlichkeit, Würde und

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Großartigkeit hat die Sprache; die Vielfalt der rhetorischen Mittel beeinträchtigt nicht die Einfadiheit und Klarheit der Gedanken; die Satzklauseln werden nach den besten Mustern der antiken Rhetorik angewendet. Im Mittelalter bürgert sidi dafür der Terminus „cursus Leonianus" ein. Geistreiche Wortspiele, einprägsame Sentenzen: „qui dat, ut habeas, mandat, ut tribuas" (der Geber aller Gabe will dein Geben), Perioden mit drei Gliedern (Tricolon), vor allem Antithesen, die oft das Paradox des Geheimnisses Christi ausdrücken, sind reich entwickelt, nur daß der Inhalt oft hinter der großartigen kunstvollen Form zurückbleibt.

7. Das Auslaufen der lateinischen patristischen Predigt im 5.—7. Jahrhundert Spuren eines deutlichen Verfalls der Predigt zeigen sich mehr und mehr in einem gesetzlich anmutenden Moralismus. Unter den gallischen Predigern ist Faustus von Reji ( f 490/500) zu nennen, ein Semipelagianer, dessen Predigten ein schwieriges, nodi nicht gelöstes literarkritisches Problem bilden. Eigentlich nur Trümmer sind von Avitus von Vienne ("f" 518) erhalten, sieht man von drei vollständigen Predigten ab, die von den Rogationen (Bittgängen) vor dem Himmelfahrtsfest handeln und liturgiewissensdiaftlich interessant sind. Ein recht deutliches und anschauliches Bild von der Predigt dieser Zeit gewinnen wir bei Cäsarius von Arles ( f 542), einem der letzten Vertreter des klassischen lateinischen Schrifttums der Kirdie, einem Sdiüler des Rhetors Pomerius. Die Predigten sind durch G. Morin 1937/42 kritisch gesichtet worden. Ihre Zahl beläuft sich auf 238. Es ist die Zeit des Umbruchs von der spätrömischen zur germanischen Herrschaft. Eine nach der Belagerung und Eroberung von Arles gehaltene Predigt gibt ein erschütterndes Bild von den Verschleppungen in die Gefangenschaft, wie Kinder und Säuglinge den Müttern entrissen, Schwangere getötet und adlige Frauen als Sklavinnen verkauft werden. Cäsarius ist einer der großen Volksredner, von rhetorisdien Künsten macht er nur einen bescheidenen Gebrauch. Die

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Rhythmik am Satzende beruht auf dem Wortakzent, die Sätze sind kurz und einfach, die Sprache ist ein gehobenes Volkslatein, die Redeweise anschaulich mit Bildern und Vergleichen aus dem alltäglichen Leben, aus der Tätigkeit der Bauern und des Arztes; das Monologische wird immer wieder vom Dialogischen durchbrochen, die Einwendungen der Hörer werden bis in den letzten Schlupfwinkel verfolgt. Vieles ist aus Augustin, Ambrosius und Rufins Übersetzung des Origenes übernommen. Cäsarius predigt nicht nur selbst regelmäßig, er fördert auch die Predigt in seinem Sprengel, sendet eigene Predigten andern zu und läßt im Notfall Väterhomilien in den Dorfkirchen durch Diakone verlesen. Lebensnähe und Praxisnähe überwiegen bei ihm. Er ist Asket, Mönch und Moralist, die Ethik verwandelt sich bei ihm aus einem abstrakten gedanklichen System in kasuistische praktische Ratschläge. Weltlichsein gilt ihm als ein untergeordneter Stand, der Reichtum ist ein Mittel, sich von seinen Fehlern loszukaufen, selbst die Laien müssen sich dem mönchischen Ideal nähern, wenigstens in der Fastenzeit, vor der Kommunion müssen auch die Verheirateten die ehelidien Beziehungen unterlassen, unfreiwillige nächtliche Pollutionen hindern daran, zum Tisch des Herrn zu gehen. Alttestamentlidi wird die Zehntenpflicht begründet. Zum ersten Mal wird in der Kirdie die Arbeit am Sonntag wegen des Sabbatgebots verboten. Kasuistisdi und gesetzlich ist die Predigt, wenn sie gegen die Schauspiele kämpft, gegen Theater und Arena, gegen heidnische Neujahrsfeiern, gegen die Sitte, an dem dem Juppiter geweihten Donnerstag nicht zu arbeiten, gegen Abtreibungsmittel und empfängnisverhütende Medizinen, wenn gemahnt wird, das Opfer zum Altar zu tragen, Gefangene und Kranke zu besuchen, ihnen die Füße zu waschen. Das alles wird in stereotypen, ethischen Katalogen aufgezählt, erst die negativen, dann die positiven Bestimmungen. Festgehalten hat aber Cäsarius an dem Augustinischen Gedanken, daß die Liebe die Wurzel der guten Werke ist. In diesen Zeiten voll Krieg und Verwilderung ist die Predigt das einzige Mittel für den Volksunterricht; Kasuistik und Konkretisierung führen immer leicht zu Gesetzlichkeit, aber die Armut an Gedanken, die Starrheit des Rigorismus und der Askese

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schränken das Lob dieses volkstümlichen Predigers der Moral erheblich ein. Am Ende dieser Reihe, schon an der Grenze zum Mittelalter steht Gregor der Große (f 604). Die aus geistlichen Vorträgen entstandenen 35 Büdier „Moralia in J o b " sind weniger als Kommentare interessant, sondern mehr als Fundgrube moraltheologischer Erörterungen; sie wurden im Mittelalter als Musterbuch für Moraltheologie und Asketik hodigeschätzt. Unerträglich ist in ihnen die allegorische Auslegung, in der Hiob ein Typus für Christus, seine Freunde Sinnbilder der Ketzer, seine sieben Söhne die christlichen Haupttugenden und zugleich die Apostel bedeuten, weil sieben die Summe von drei und vier und zwölf das Produkt von drei mal vier ist. Gregors „Dialogi" gehören nicht zu den Predigten, sind aber im Mittelalter eine Fundgrube für die Predigt geworden, enthalten sie doch in Kunstprosa viele Wunderberichte, Prophezeiungen, Visionen, Berichte von Totenauferstehungen, die auf den mittelalterlichen Mirakel- und Aberglauben einen großen Einfluß ausgeübt haben. Die eigentlichen Predigten finden sich in einer Homiliensammlung mit 40 meist kurzen Predigten über evangelische Perikopen des Kirchenjahrs, 592 herausgegeben, wobei die ersten 20 vom Papst diktiert sind, als er wegen seiner Schmerzen die cathedra nicht besteigen konnte, ein notarius hat sie in seiner Gegenwart vorgelesen, die andern 20 hat er selbst gehalten und die Zuhörer haben sie mitgeschrieben. In den modernen Ausgaben ist meist eine Bußpredigt während der Pestzeit hinzugefügt. Eine zweite Sammlung umfaßt 22 größere Predigten über den Propheten Ezechiel aus dem Jahr 593, die aber nach 12 Vorträgen erst zum vierten Kapitel vorgedrungen sind und wegen der Belagerung Roms durch die Langobarden unterbrochen werden mußten, so daß die letzten 10 Homilien sich nur mit dem 40. Kapitel befassen. Hörer haben diese Predigten mitgeschrieben, Mönche sie acht Jahre später herausgegeben. Sie sind eine Übertragung der Gedanken Augustins in eine dem Zeitalter Gregors verständliche Form. Berühmt ist ihre Menschenkenntnis und Psychologie, einflußreich sind sie als Lehrmeister des geistlidien und kontemplativen Lebens. Satz für

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Satz, Wort für Wort wird der Text erklärt. Littera und historia spielen eine geringe Rolle, wichtiger sind die moralia tractanda und die allegoria. Selbst in manchen abstrusen Formen, in Wort- und Zahlenspielen finden sich noch praktische Lebensbezüge. Eindrücklidi ist die Predigt während der großen Pestzeit, als die Kranken im Gottesdienst zusammenbrachen und hinausgetragen wurden, besonders auch die vor den Bischöfen gehaltene Predigt, in der ein wirklicher pastor pastorum spricht. Luther hat nicht allzuviel von Gregor gehalten, er habe Christus nicht recht erkannt und das Evangelium nicht sonderlich verstanden.

8. Die Frühzeit der mittelalterlichen Predigt Aus der Zeit der Christianisierung der Germanen fehlen uns die eigentlidien Missionspredigten. Die unter dem Namen des Bonifatius überlieferten Reden sind nicht authentisch; sie wenden sich an Hörer, die sdion getauft sind, auch wenn sie mit ihrem massiven Kampf gegen den heidnischen Aberglauben in eine frühe Zeit gehören. Von großem Einfluß auf das Mittelalter sind die 50 Homilien des Beda Venerabiiis (f 735) mit Predigten für die Advents- und Fastenzeit und für hohe Festtage, die, wie es so geht, im Laufe der Jahrhunderte sich auf die stattlidie Zahl von 140 vermehrt haben. Sie folgen Gregor, Augustin und Hieronymus. Gedanken und Texte der Väter bilden die Grundlage seiner Arbeit. Von großer Bedeutung für die Volkspredigt in der Landessprache sind die Bemühungen Karls des Großen gewesen. 769 hat er ein theologisches Examen für die Presbyter vor ihrer Ordination verlangt. „Ignoranten können das Gesetz Gottes andern nidit verkündigen und auslegen." Kenntnis der Schrift, der Väterhomilien und von Gregors „Liber regulae pastoralis" sind die Voraussetzungen für die Übernahme eines Pfarramts. In dem Capitulare von 789 und der Admonitio Generalis von 802 wird regelmäßige Predigt gefordert, als Predigtgegenstände werden Glaubensbekenntnis, Taufe, die Meßzeremonien und das Herrengebet genannt. Bis ins 10. Jahrhundert werden

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ähnliche Forderungen immer wieder eingeschärft. Sie sind gewiß bescheiden und doch schon für viele zu hoch, hat man noch 400 Jahre später die Hälfte der Priester als illiterati eingeschätzt. Das Übersetzen der Väterhomilien in die Volkssprache war schon eine Leistung, wie sollte bei dem geringen Bildungsstand der Kleriker eine selbständige Predigt entstehen! Eine Aushilfe boten die Homiliare. Der Kaiser selbst hat eine solche Sammlung veranlaßt und ihre Einführung empfohlen. Dieses karolingisdie Homiliar hat Paulus Diaconus (f 799) zum Verfasser und ist im Kloster Cassino entstanden. Meist sind mehrere Homilien für einen Tag vorgesehen. Fr. Wiegand hat es 1897 in seiner ursprünglichen Gestalt rekonstruiert. Es enthält in zwei Büchern 110 und 134 Predigten, hauptsächlich von Chrysostomus, Augustin, Ambrosius, Gregor I., Leo I. und Maximus von Turin. Ein Fünftel der Predigten stammt von Beda. Ursprünglich ist das Homiliar für das officium nocturnum bestimmt, in dem auch patristische Predigten, Traktate und Kommentare gelesen wurden. Es hat auch vorher schon Homiliare gegeben, eines stammt von Alanus von Farfa (f um 770), der selbst wieder von einem römischen Homiliar des 6. Jahrhunderts abhängig ist. Diese Sammlung ist mit gewissen Kürzungen und Abweichungen bei Egino von Verona ("f 802 in Reichenau) verwertet. Davon angeregt, dem Wunsch des Kaisers folgend, hat Paulus Diaconus Predigten, „in fehlerfreier Sprache und deutlich abgeschrieben", gesammelt und gegenüber Alanus dem Gregor, Chrysostomus, Origenes und, was unter ihrem Namen lief, größeren Raum gegeben, ferner auch Beda aufgenommen. Bald schon wurde diese Sammlung statt für das Naditofficium auch für die Predigt in der Messe verwendet. Die Mehrzahl der Homiliarien des Mittelalters haben ihren Grundbestand dem Paulus Diaconus entnommen und ihn aus Alanus und anderen Sammlungen ergänzt. Weit verbreitet ist das noch ins 9. Jahrhundert gehörige Würzburger Homiliar mit besonders vielen Predigten aus Cäsarius von Arles. Noch jahrhundertlang ist die mittelalterliche Predigt die Übersetzung von Väterhomilien, Bewahrung und Weitergabe des Erbes der alten Kirche. Aus dem 9. Jahrhundert stammt das Homiliar des rabanus Maurus (f 856) mit zwei Sammlungen. Die erste besteht aus

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70 Predigten, einzeln Stück für Stück an Haistulf, den Erzbischof von Mainz, gesandt, der sie für den Vortrag vor dem Volk gesammelt und geordnet hat, sie entstammen meist dem Cäsarius von Arles und haben durch Auswahl und Kürzung einen noch stärker moralisierenden Charakter bekommen. Die zweite Sammlung ist für den Kaiser Lothar bestimmt, die kaiserliche Hofkapelle und enthält Schriftauslegungen, die die Texte für einen großen Teil des Kirchenjahrs Vers für Vers erklären. Auch hier begegnet uns viel Bekanntes, Maximus von Turin und Cäsarius von Arles. Ein anderes ähnliches Homiliar stammt von Haymo von Auxerre ( f 855) mit einer Beda und Gregor zugrunde legenden Sammlung von Homilien für das Kirchenjahr, die mit allen möglichen Gelehrsamkeiten geographischer, historischer und etymologischer Art seltsam aufgeputzt sind. Solche Homiliare gehören wie das Evangelienbuch und das Missale zu jeder Kirchenbibliothek.

9. Die bischöfliche Predigt von 900—1100 Auch die Pfarrer haben in dieser Zeit gepredigt, sie haben es schlecht und recht getan wie früher schon und später noch, gerühmt werden nur Bischöfe als Prediger, ohne daß uns solche Predigten wirklich überliefert wären. Genannt werden könnten hier alle jene großen Bischöfe, die in diesen Jahrhunderten zu geistlichem Ansehen und politischer Macht gelangt sind. Die meisten Pfarrer sind noch immer sacerdotes simplices et illiterati, noch immer genügt die Kenntnis von Symbol und Vaterunser, von den Sakramenten, von Liturgie und Kirchenjahr als theologische Bildung. Die Zahl der auf den neuen Schulen ausgebildeten Geistlichen mit einem Studium der sieben freien Wissenschaften bleibt gering.

10. Die herkömmliche Predigt des 12. Jahrhunderts Wir haben im 12. Jahrhundert zwei weitverbreitete und einflußreiche Mustersammlungen von lateinischen Predigten, vor allem das „Speculum ecclesiae" des Honorius Augustodunensis

Die herkömmliche Predigt des 12. Jahrhunderts

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(t nach 1153). Natürlich sind diese Predigten Kompilationen aus Ambrosius, Augustin, Gregor und Hieronymus. Sie sind praktischerweise sogar mit Markierungen versehen, wo man am günstigsten auch schon früher mit dem Lesen aufhören kann. Der erste Vers des Textes soll nodi lateinisch, die andern deutsch vorgetragen werden. Einiges Neue taucht hier auf, das sich in der Geschichte der Predigt nicht immer glücklich ausgewirkt hat. a) Die allegorische Deutung mythologischer klassischer Dichtungen; b) die massenhaften Exempel am Schluß der Predigt, Anekdoten, Gesdiiditchen, Beispiele aus den Heiligenleben; c) das Selbständigwerden des Exordiums als eine Art eigener, zweiter Predigt; d) die Verwendung der Naturgeschichte. Ein Einhorn fängt man, indem eine Jungfrau sich im Freien niederläßt und das Einhorn sich in ihren Schoß legt. Christus wird auch im Schoß der Jungfrau in menschlicher Gestalt gefunden! Meist wird in diesen Predigten erst der Text paraphrasiert, und dann wird er allegorisch ausgelegt. In der Weihnaditsgeschidite wird das Kind in Windeln gewickelt, weil unser aus den Blättern der Sünde zusammengenähter Sdiurz durch seinen Tod aufgelöst wird. In die Krippe wird es gelegt, weil sein Leib den Gläubigen zur Nahrung der Seele dient. Ochs und Esel bedeuten die Juden und Heiden, die durch den Glauben zur Speise des Leibes Christi kommen. Eine Ölquelle ist in der Heiligen Nacht in Rom entsprungen und in den Tiber geflossen, wie aus der Jungfrau Barmherzigkeit in alle Welt strömt. Nur wenig später finden wir die „Deflorationes sanctorum patrum" des Werner von Ellerbach (f 1126), Abt von St. Blasien. Weil allmählich immer die gleichen Väterhomilien doch langsam langweilig werden und dem Kirchenbesuch schaden, wird jetzt für jeden Sonntag eine Auswahl von mehreren Homilien und Traktaten geboten. Neben den Kirchenvätern ist auch das Speculum schon gründlich ausgeplündert worden. An Stelle der fehlenden Homiletik benutzt man Quellenbücher. Auch hier kann man auf das Erbe der Antike zurückgreifen. a) Für Wunder und Legenden, Exempel und Predigtmärlein verwendet man gerne „Vitas Patrum", ein sehr bekanntes Werk aus dem Altertum. Zugrunde liegt die „Historia 4

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Gesdiidite der christlichen Predigt

Lausiaca" des Palladius (f 399), die bald mit einer um 400 verfaßten Schrift, der „Historia monachorum in Aegypto" verbunden wurde, in der eine Reise zu den ägyptischen Mönchen im Jahr 334/5 geschildert wird. In vielen Verarbeitungen und Erweiterungen wird „Vitas patrum" eines der beliebtesten Unterhaltungs- und Erbauungsbüdier des Mittelalters, eine Fundgrube f ü r Predigtexempel, Legenden und Erzählungen mit einer meist reichlich naiven und massiven Frömmigkeit. b) Gregor ist einer der wichtigsten Förderer der mittelalterlichen Mirakelsucht. Beliebt und viel verwendet sind seine „Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum" mit ihren massiven Wundergeschichten, Teufelserscheinungen und erbaulichen Erzählungen. c) Ein wichtiges Quellenbuch f ü r die Predigt ist der „Physiologie", ein aus dem vierten Jahrhundert stammendes Buch voll christlicher Natursymbolik, eine moralisch und allegorisch ausgedeutete Naturgeschichte als Widerspiegelung christlicher Wahrheiten. Die symbolische Deutung des Vogels Phönix, die uralt ist, mag hingehen, weniger jedoch, wenn der Panther oder der Löwe, sattgefressen nach dem Raub, drei Tage schläft und darin das Symbol f ü r die Grabesruhe gefunden wird, die Christus verbringt, satt vom Leiden. d) Diese Anregungen führen auch zu selbständigen Neuschöpfungen auf diesem Gebiet. Die Predigten des Cäsarius von Heisterbad) (f um 1240) sind ein gern benutztes Arsenal f ü r solche Erzählungen, vor allem sein schon im Titel an Gregor erinnernder „Dialogus miraculorum" (1219/23) und seine „Libri V I I I miraculorum" (1225/26), voll von Exempeln aus dem Klosterleben, aus Rittertum und Bürgertum, von Spuk- und Teufelsgesdiichten und massiven Wundern, manches nidit ohne H u m o r und auch nicht ganz ohne Lebensweisheit. Eine klägliche Rolle spielt der sinnliche Priester, kein junges Mädchen ist sicher vor ihm. Lebensecht sind diese Geschichten nicht. Sie machen die Predigt bunt und unterhaltsam, aber sie dienen mehr dem Aberglauben als der geistlichen Vertiefung und der Verwirklichung im Leben.

Predigten in deutscher Sprache

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11. Predigten in deutscher Sprache aus dem 10.—13. Jahrhundert Wir haben bisher von lateinischen Predigten gesprochen, es sind uns auch deutsche Predigten aus dieser Zeit erhalten. Die ältesten Bruchstücke sind die Wessobrunner Predigten aus dem 10. Jahrhundert, ihnen folgen, in Fragmenten und Reihen überliefert, die beiden von Grieshaber herausgegebenen und nach ihm benannten Predigtsammlungen, eine Wiener, eine Benedictbeurener und eine umfangreiche Leipziger Sammlung mit 259 Predigten, eine in Oberaltaich, eine aus Weingarten und Basel, aus der Wasserkirche zu Zürich, aus St. Paul in Kärnten, die nach ihrem früheren Besitzer benannte Kuppitsche Sammlung, Predigten des deutsdien Priesters Konrad und schon ins 13. Jahrhundert hineinreichend der Schwarzwälder Priester und der Oberrheinische Prediger; wir haben also wirklich nicht wenig an erhaltenem und überliefertem Material. Nur Einzelnes sei herausgehoben. Die erste Grieshabersche Sammlung enthält nur kurze Predigtermahnungen, in der zweiten finden sich schon behaglich ausgeschmückte legendäre Erzählungen, wenn etwa in einer Predigt „Ad vincula Petri" weitausgesponnene Dialoge zwischen Oktavian und Antonius und ausführliche Berichte vom Tod der Cleopatra geboten werden. Anlaß dafür ist, daß der Tag der Auffindung der Ketten des Petrus an die Stelle der Siegesfeier von Actium getreten ist. In der Wiener Sammlung haben wir schöne Beispiele gemischter lateinisch-deutscher Predigten, die an das Lied „In dulci jubilo" erinnern. Die Benedictbeurener Sammlung bietet ein Muster dafür wie man die Deflorationes, Beda, Leo, Maximus von Turin, Hieronymus und Cäsarius bedenkenlos plündern kann, und das gleiche Bild der „Quellenverwertung" bietet auch die Leipziger Handschrift mit ihrer Fülle von legendenhaften Erzählungen. Da wird etwa berichtet, wie am Tage der cathedra Petri dem Apostel in Antiochien ein Engel „in eines Pfaffen Bild, mit geschorenem Haar, mit einer Platten" erscheint, ihm befiehlt sich zu scheren, „und er schor sich rundherum und schor eine Platten". Der Schwarzwälder Prediger erzählt im Exordium die evangelische Lektion, in der eigentlichen Predigt folgt oft eine lange Aneinanderreihung von Typologien aus dem Alten Testament, a*

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eine ermüdende Aufzählung von Bildern und Gleichnissen, von Exempeln aus „Vitae patrum" oder Bedas „Historia Anglorum", von Allegorien aus dem „Physiologus", Heiligengeschichten und von anderen den Kirdienvätern entnommenen Stücken. Der Inhalt wird reicher, das Bild bunter, die Predigt unterhaltsamer, aber der geistlichen Vertiefung ist das nicht immer gerade förderlich gewesen.

12. Die monastische und frühscholastisdie Predigt im 12. Jahrhundert Geistig bewegt sind die Zeiten dieses Jahrhunderts, ein Neues bricht auch in der Predigt an. Die Frühscholastik kommt auf, in der neben älteren Autoritäten audi jüngere Magister zitiert werden und die Sonde kritischen Denkens an einzelne Probleme gelegt wird, die Kreuzzüge erweitern den Gesichtskreis, Aristoteles, die byzantinische, arabische und jüdische Wissenschaft wird bekannt, der Koran übersetzt, ein neuer Humanismus entsteht, die Vita apostolica wird erneuert, das Mönchstum reformiert, neue Orden werden gegründet. Die Ideale des christlichen Ritters, Minnegesang, Mystik, die gotische Architektur, Bürgertum und städtische Kultur ergeben eine Bewegtheit des sozialen, geistigen, künstlerischen und literarischen Lebens, die auch in einer Erneuerung der Predigt ihren Ausdruck findet. In ihr zeichnet sich eine reichere Individualität und eine größere geistige Selbständigkeit ab. Kennzeichen des neuentstehenden Predigtstils ist das Zurücktreten der Väterhomilie zugunsten der sermones, thematisch aufgebauter und kunstreich gegliederter Predigten. Die Kathedralschulen in Paris, Tournai, Poitiers und Reims und die Klöster werden die Pflanzstätten dieser neuen Predigt. Auch die schlichteren Mönchspredigten übernehmen die künstliche Gliederung der frühscholastischen Schulpredigten. Die strenge Einteilung in lectio, quästio, argumentatio und definitio tritt in der Klosterpredigt hinter Schemata zurück wie zwei Advente, drei Grade des Gehorsams, vier Hindernisse für die Beichte usw. Der Übergang von der alten kompilatorischen Predigt zum neuen Predigtstil vollzieht sich etwa in der Mitte des

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12. Jahrhunderts. Natürlich ist die Predigtsprache auch der lateinisch überlieferten Predigten die Volkssprache. „Gallice pronuntiatus" heißt es gelegentlich ausdrücklich bei Bernhard, „in verbis romanis" bei Alanus ab Insulis. In diesem Jahrhundert gibt es die ersten Ansätze einer wissenschaftlichen Homiletik. Eine frühe Predigtlehre gibt Guibert von Nogent (t 1124) auf die Bitte eines Freundes am Beginn des ersten Buches seiner „Moralia in Genesim": quo ordine sermo fieri debeat. Es handelt von den Voraussetzungen beim Prediger, sermonem praecedat oratio, von gebildeten und ungebildeten Hörern, vom vierfachen Schriftsinn, von Tugenden und Lastern, alles verwoben mit praktischen Ratschlägen. Vollständiger, aber auch künstlicher ist das Werk „De arte praedicatoria" des Alanus ab Insulis (f 1202), das ein wenig formalistisch in 50 Kapiteln das Wie, Was, Wann und Wo der Predigt abhandelt und eine Reihe Predigtentwürfe folgen läßt. „Predigt ist die sichtbare und öffentliche Instruktion in Sachen der Sittlichkeit und Information über den Glauben für die Menschen, hergeleitet aus der Erörterung der Vernunftgründe und der Quelle der Autoritäten", lautet die überaus bezeichnende Definition. Rhythmus und Metrum, aller blitzende Wortschmuck wird verworfen. Die eigenen Predigten zeigen ein schulmäßiges Gepräge, haben oft eine gereimte Gliederung, wie sie aus den Glossen der Sentenzenbücher und der Kanonisten bekannt ist, ziehen auch heidnische Autoritäten heran und befassen sich mit moralischen Anweisungen, mit Tugenden und Lastern. Der gewaltigste und einflußreichste aller mittelalterlichen Prediger ist Bernhard von Clairvaux ("f 1153). Kein anderer ist, von Augustin abgesehen, im folgenden Jahrhundert so oft zitiert worden wie er. Er ist ein Meister der lateinischen Sprache, als einziger unter den mittelalterlichen Predigern seines Lateins halber von Erasmus gelobt. Ein Kenner ist er des menschlichen Herzens, auch in der Demut weiß er noch den Hochmut zu entdecken. Mönche sind seine eigentlichen Hörer, aber diese Hörerschaft weitet sich zu den Menschen eines ganzen Zeitalters. Eine tiefe, reflektierte Frömmigkeit verbindet sich mit einer hinreißenden Kraft und einer brennenden Glut des Herzens; die Bewegtheit der Seele, die Tiefe der Kon-

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templation, die demütige Liebe, der Reichtum der Phantasie, die Kraft des Gefühls und die Entschiedenheit der Überzeugung machen ihn zu einem der großen geistlichen Redner. Und zugleich ist dieser Mann der Versenkung, der mystischen Erfahrungen, der Askese, Einsamkeit und Kasteiungen auch fähig, in die Händel der Welt einzugreifen, zum Kreuzzug aufzurufen, den Luxus der Prälaten und den Hochmut der Professoren zu bekämpfen, auf die Kirchenpolitik einzuwirken und mit Abälard zu streiten. Die Uberlieferung seiner 332 Predigten wirft manche Probleme auf. Erhalten sind 86 sermones de tempore, 43 de sanctis, 117 de diversis, 86 weitangelegte Predigten über das Hohelied, an denen er 20 Jahre gearbeitet hat und bei denen er nur bis Kap. 3,1 gekommen ist, schließlich die berühmten und innigen Marienpredigten über das „Missus est". Die Predigten liegen oft in mehreren Rezensionen vor, die lothringische Version ist Rückübersetzung aus einer Übersetzung ins Lateinische, die Nachschreiber, die notarii und auch die Nachprediger haben ihren Anteil an den Predigten Bernhards, Schüler haben sie ergänzt und eigene Predigten aus dem Geist des Meisters hinzugefügt. Die Schrift ist Quelle und Lehrmeisterin für Bernhard. „Meine Lehrer sind die Apostel; sie haben mich nicht gelehrt, Plato zu lesen und die Spitzfindigkeiten des Aristoteles aufzulösen; sie haben mich vielmehr gelehrt zu leben, und glaubt mir, das ist keine geringe Wissenschaft." Dogmatische Themen werden in den Hoheliedpredigten behandelt, die Hierarchien der Engel, der Ursprung der Seele, die Stufen der Kontemplation, die Widerlegung der Manichäer und Gilbert de la Porres, aber alles hat zugleich einen praktischen Bezug. Im dreifachen Schriftsinn interessiert ihn der mystische, nicht der geschichtliche und moralische Sinn, nicht der Garten des Hauses, nicht das Kellergewölbe, sondern das Schönste an ihm, das Ehegemach. „Zum Mystischen eilt mein Verlangen." Jesus ist das entscheidende Thema der Predigt. „Jesus mel in ore, in aure melos, in corde jubilus." Und zwar ist es der geschichtliche, der erniedrigte und der gekreuzigte Christus, das Haupt voll Blut und Wunden. „Haec mea sublimior philosophia scire Jesum

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et hunc crucifixum." Ihn vor Augen malen, in ihn sich versenken, ihm nachfolgen ist seine Frömmigkeit. Auf Protestanten hat es immer Eindruck gemacht, wie alles hier vom Vertrauen auf Gottes Gnade lebt. „Unde vera justitia nisi de Christi misericordia!" Von der bernhardinisdien Mystik, seiner Marienfrömmigkeit etwa in der Predigt über das Zehnsternediadem oder über Mariens Geburt „De aquaeductu", von den erotischen Bildern der Hoheliedfrömmigkeit ist hier nicht zu reden. Reichtum und Grenze liegen hier nahe beieinander. Die Form der Predigt zeigt schon scholastische Einwirkungen. Sie kennt knappe, einprägsame Sentenzen und gelegentlich auch gereimte Dispositionen, ist aber im wesentlichen Homilie, die manche Abschweifung erlaubt, liegt eine Sache dem Redner am Herzen. Nidit nur der Hörer, auch biblische Gestalten, ja die Engel und Teufel kommen zu Wort. Der Stil ist parataktisch und antithetisch, liebt Wortspiele und Metaphern, ist rhetorisch, oft auch überschwenglich. Aber nicht die Form, sondern die Ursprünglichkeit, Kraft und Tiefe der Frömmigkeit gibt diesen Predigten ihre Eindringlichkeit, daß Otto von Freising in seinem Geschichtswerk über Bernhard sagen kann: „er galt als Apostel und Prophet bei allen Völkern Galliens und Germaniens". Die Schüler Bernhards haben als Prediger von ihrem Meister gelernt, ohne daß einer von ihnen ihm gleichgekommen wäre. Beeinflußt von Bernhard sind auch die Augustiner Chorherren von St. Victor bei Paris, Hugo von St. Victor (f 1141), ein Mystiker und ein trotz seiner Weitschweifigkeit und seinem Allegorisieren eindringlicher Prediger, Absalom von St. Victor ( t 1203), gedankentief und zugleich ansdiaulidi mit seinen Bildern, Richard von St. Victor (f 1173), voller Schwung und Lebendigkeit in seinen kurzen Sätzen. Unter den Zisterziensern ist Adam von Perseigne ("f" 1221) zu nennen, dessen Kreuzzugspredigten wir nicht mehr haben, der wegen seiner Vorliebe für Figuren und Bilder, wegen seiner lebhaften Empfindung, der Prägnanz des Ausdrucks und seines guten Lateins hochgeschätzt wurde. Sein immer wiederkehrendes Thema ist die Einigung der Seele mit Christus und das Leben Christi in der Seele. Nach einer anderen Richtung interessiert unter

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den Zisterziensern Ernaldus von Bonneval (f nach 1156), weniger wegen seiner rednerischen Begabung als wegen seiner modern anmutenden Unruhe und Skrupulosität des Glaubens und seiner Unfähigkeit, trotz Askese und Mystik zu einer wirklichen Gewißheit durchzustoßen. Moralische Reflexionen und psychologische Beobachtung der menschlichen Natur zeigen die Predigten Balduins von Canterbury (f 1190). Wenig von bernhardinischer Frömmigkeit findet sich bei Garnerius von Rochefort ( t 1225), dafür viel merkwürdige Gelehrsamkeit, wenn er seine astronomischen, philosophischen und anatomischen Kenntnisse und manche Sätze von unbekannten Autoritäten in den Predigten ausbreitet. „Mobiiis et instabilis", mehr am politisch geschichtlichen Geschehen interessiert reist Achard von Bridlington (f 1171) in fremde Länder, um den Kriegen und Heeren zu folgen, ohne daß das der Trockenheit seiner Predigten Zeitnähe, Lebendigkeit und Farbigkeit verliehen hätte. Neben dem „Kriegsberichterstatter" steht der frühere Minnesänger als Prediger. Hélinard von Froidmont (f nach 1229) hat ein fröhliches Leben als Minnesänger und Troubadour am Königshof geführt und nach dem Eintritt in das Zisterzienserkloster Froidmont eine hinreißende Kraft der Predigt bewiesen, die voller Heiterkeit, Lebendigkeit und Wärme ist. Seine individuelle Art spiegelt sich in einer Überfülle von Erinnerungen an das klassische Altertum, an antike Schriftsteller und griechische Philosophen, in den vielen kirchengeschichtlichen und liturgischen Materialien — eine seltsame Verbindung von Frömmigkeit und Gelehrsamkeit. Berühmt sind seine 1229 aufgrund einer Einladung an die neu entstehende Universität Toulouse gehaltenen Predigten, an der gerade 30 Lehrer aus Paris ihren Einzug hielten. Jesus ist für ihn der Dominicus humanissimus. „Gegen die modernen Professoren" verteidigt er die unbefleckte Empfängnis Mariens. Seine ritterlichen Gedanken überträgt er auf die Marienfrömmigkeit. Bunter, individueller, mannigfaltiger wird das Bild der Predigten in dieser Zeit. Neben der im Frankreich des 12. Jahrhunderts blühenden Klosterpredigt sind Prediger aus dem Episkopat und Welt-

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klerus zu nennen, die mehr oder weniger der neuen scholastischen Richtung angehören und in künstlichen Dispositionen und gekünstelten Allegorien den neuen Predigtstil zeigen. Ivo von Chartres ( t 1116) zeichnet sich noch, wenn auch nicht frei von typologischen und allegorischen Spielereien, durch schlichte, dem alltäglichen Leben entnommene Bilder aus. Weit voneinander verschieden sind die beiden Bischöfe von Paris: Petrus Lombardus ( t 1160) und Mauritius von Sully (f 1196). Die 29 Predigten des Lombarden entsprechen nicht dem Ruhm seines Sentenzenkommentars; sie zeigen einen durchschnittlichen scholastischen Prediger, dessen Predigten mehr kalte und monotone Abhandlungen sind. Sein Nachfolger Mauritius von Sully hat aus Sorge um den Bildungsstand seines Klerus einen Predigtzyklus für das Kirchenjahr mit Modellen einfacher, volkstümlicher Predigten geschrieben. Die Handschriften dieses Werkes sind besonders zahlreich, sie existieren auch in romanischen Übersetzungen, die die Aufnahme dieser Predigten durch die Benutzer anzeigen. Scholastisch dialektische und mystisch humanistische Züge verbinden sich bei Stephan von St. Geneviève, später Bischof von Tournai (f 1203), der den klassischen Schriftstellern, wohlgebauten Perioden, Antithesen und Allegoresen und künstlichen Vergleichen viel Raum in der Predigt gibt, aber auch Bilder aus der Natur liebt, gegen die Laster des Klerus angeht und oft eine dramatische Lebendigkeit hat. In einer Predigt über die Reform von St. Victor läßt er Engel und Tugenden, den Teufel und das Gewissen persönlich beim Jüngsten Gericht auftreten und läßt sie mächtig miteinander reden und streiten. Daneben lebt natürlich auch die alte Art der kompilatorischen Predigt weiter. Martin von St. Léon (f 1203) zieht freilich neben den alten Autoritäten Augustin, Isidor von Sevilla, Chrysostomus und Gregor als Zeichen seiner modernen Einstellung auch den Lombarden heran. Das Ganze aber ist und bleibt bei ihm Kompilation wie eh und je. „Non dictavi, sed compilavi" sagt er selbst mit entwaffnender Offenheit. Ohne logische und systematische Kraft sind die Predigten des Petrus von Celle (f 1183), fast alles Mönchsansprachen mit einer merkwürdigen Mischung von weit ausholender Breite im

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Vergleichen der biblischen Erzählungen und von scharfer Beobachtung, wenn er z. B. die Einzelheiten einer Fliege oder einer Ameise bespricht. Langweilig sind die Aufzählungen aller Bedeutungsmöglichkeiten eines einzelnen Worts, nur seine Festreden sind nicht ohne Glanz, voll von praktischem Ernst; sie fesseln den Hörer durch ihre Anrufe und Apostrophierungen. Ein bedeutender Prediger dieses Jahrhunderts ist neben Mauritius von Sully der Lehrer an der Pariser Kathedrale Petrus Cantor (f 1197), zu dessen Füßen Fulco von Neuilly, der große Volksprediger des vierten Kreuzzugs, mit Griffel und Tafel in der Hand gesessen hat. Wenige Predigten sind von ihm erhalten, in denen er sich als ein Lehrer der Moral erweist. Berühmt ist die „Summa Abel", nach ihrem Inicipit so genannt, ein alphabetisch geordnetes Wörterbuch für Prediger mit Zeugnissen, Beispielen und Vorbildern aus der Schrift, ein Vorspiel für eine ganze Reihe solcher Werke in England und Frankreich. Die Beschäftigung mit der Bibel hat für ihn drei Stufen: lectio, disputatio und praedicatio. Beherzigenswert ist der Satz, daß nichts verstanden und gepredigt werden kann, was nicht durch Disputation gründlich verarbeitet ist. Und nicht weniger wahr ist der andere: „Qui non ardet, non accendit." Ohne Glut kann eine Predigt nicht entflammen. Sein Schüler Fulco von Neuilly (f 1202) ist ein Volksprediger von gewaltiger Kraft und Eindringlichkeit, die Menge strömt zu seinen Kreuzzugspredigten, ganz Frankreich ist seine Parochie, auf freiem Feld und in Kirchen predigt er, schonungslos streitet er gegen das Laster, gegen Geiz, Wucher und Sittenlosigkeit des Klerus, er ist umgeben von dem sagenhaften Ruhm des Wundertäters, bei dem Lahme und Blinde Heilung finden. Ähnlich hat Radulphus Ardens (f 1200) gewirkt, auch ein Kreuzzugs- und Missionsprediger von großer Wirkung; er ist rauh, kraftvoll und volkstümlich, mag er auch gerne Ovid und selbst seine „Ars amandi" zitieren oder Gregor ausschreiben. Sünden kann er strafen und Vergebung verkünden. Augustin ist sein dogmatischer, Gregor sein moralischer Lehrer. Wie verschieden sind die Prediger dieser Zeit, wahrhaftig nicht über einen Leisten zu schlagen! Erst nach Jahren im Staatsdienst ist Petrus von Blois (fnach 1204) Geistlicher ge-

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worden, der, fast ausnahmslos an liturgische Texte anknüpfend, für Klerus und Kirchenleute predigt. Gerade in der einzigen für Laien bestimmten Rede wuchern die Allegorien, blüht die Plerophorie, sind die Einteilungen gereimt und wimmelt es von Dichterzitaten, und bei der Rüdeübersetzung der Rede ins Lateinische wird daraus ein kleines Werk, in dem die Seele, der Teufel, das Gewissen, die Schwestern Glaube, Hoffnung und Liebe ein dramatisches, rednerisches Duell am Tage des Gerichts aufführen. Die volkstümliche und auch die scholastische Predigtweise hat Petrus Comestor (Manducator f 1179) beide vertreten. Als Kanzler der Universität Paris hat er das ganze scholastisdie Requisit, Definitionen und Argumentationen, Autoritäten und Glossen; alles ist spitzfindig, künstlich, trocken und mager, aber nach seinem Eintritt in St. Victor werden seine Predigten mit einem Mal einfach, natürlich und eindrucksvoll nadi der Weise der besten Klosterpredigten. Audi ein Prediger kann noch umlernen! Wir schließen diese wahrhaftig bunte Reihe mit Stephan von Langton (f 1228), zuletzt Erzbischof von Canterbury, der in seiner Stellung mit manchen politischen und kirchenpolitischen Entscheidungen konfrontiert ist. Lebendig und freimütig ist seine an Volk und Adel geriditete Predigt, romanisch und englisch hat er in der Volksspradie geredet, erhalten sind freilich nur etwa 500 lateinische Sermone. Die Pariser Schule erkennt man an der Künstlichkeit der Wortspiele, als Mann der Aktionen hat er Sinn für Realitäten, er beweist eine geistliche Kraft und kann auch einmal scherzhaft ein leichtes Lied zitieren: „Fontanelle la pucelle." Unter den beiden Haupttypen der klösterlichen und der scholastischen Predigt findet sich in diesem Jahrhundert soviel Individualität wie nie zuvor im Mittelalter. Beim Lesen dieser Predigten darf man nicht übersehen, daß für den Hörer im 12. Jahrhundert das gekünstelte Allegorisieren ebenso interessant und geistreich war wie es für uns langweilig und trocken ist und daß kunstreidie Gliederungen und Wortspiele damals ebenso viel Begeisterung erweckt haben wie sie für uns befremdend sind. Gewaltig ist der Fortschritt der neuen Predigt-

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art gegenüber der alten, die Kirchenväter plündernden kompilatorischen Predigt, erst recht aber gegenüber den Synodalbeschlüssen des 9. Jahrhunderts: „Qui scripturam nescit, saltem notissimum dicat." Mehr als das Allerbekannteste hat diese Predigt gewiß geboten. 13. Die Universitätspredigten in der Zeit der Hochscholastik Mit dem 13. Jahrhundert treten Universitäts- und Volkspredigt immer deutlidier auseinander, die eine gelehrt und scholastisch, die andere volkstümlich und unterhaltsam. Die Magister an den neu entstehenden Universitäten haben neben der Pflicht von Forschung und Lehre auch den Auftrag der Verkündigung. Die Universitätspredigten sind nicht nur „akademische Gottesdienste", die Magister predigen auch vor Konventen, auf Synoden und den Kanzeln der Universitätsstädte. Aus ihren Reihen sind zahlreiche Bischöfe und Äbte hervorgegangen, die bei dem Stil der auf der Universität gelernten scholastischen Predigt bleiben. Gepredigt wird auch außerhalb der Kirche. In den Klöstern werden während der Vespern Kollationen gehalten, die mehr den Ton eines familiären vertraulichen Gesprächs haben. Es gibt auch „Außenkanzeln" im Freien für größere Hörerzahlen, die die Kirchen nicht fassen können. Die scholastische Predigt ist ein Kunstwerk, das in vielem an die gotischen Dome erinnert und auch eine Kunstfertigkeit wie die der gotischen Steinmetze erfordert. Eine eigene Literatur handelt von der Komposition der Predigt, die „Artes praedicandi". Sie haben einen gleichmäßig im ganzen Abendland verbreiteten Typus der Predigt geschaffen. Nur auf weniges kann hingewiesen werden. Wilhelm von Auvergne (f 1249), seit 1223 Magister in Paris, von dessen 500 Predigten nur eine gedruckt ist, hat außer seiner „Ars praedicandi" auch ein Sammelwerk „De faciebus mundi" geschaffen, in dem in reichlich gekünstelter Weise die Gleichförmigkeit der sichtbaren und der der unsichtbaren Dinge, der signa und der sententiae das Material für Verkündigung und Predigt hergibt.

Die Universitätspredigt in der Zeit der Hochsdiolastik

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Audi sonst sind die „proprietates rerum" ein im Mittelalter gerne behandeltes Thema, bei dem das Buch der natürlidien Dinge zum Bilderbuch geistlicher Wahrheiten wird. In seiner „Ars praedicandi" hat Wilhelm von Auvergne in 20 Kapiteln eine breitgefädierte Homiletik geboten. Die Einleitungen der Predigten sollen von der Nützlichkeit der geistlichen Rede ausgehen. Sie werden zu einer unerschöpflichen Fundgrube für eine volkstümliche Homiletik. Die Methoden und Topoi für die Findung des Stoffs kehren ähnlidi auch in anderen artes praedicandi in unaufhörlicher Abwandlung wieder: die contrariorum consideratio, die Verdeutlichung von Tugenden und Lastern aus der Betrachtung des Gegenteils; die rerum similitudo, die Gleichnishaftigkeit der Dinge; verborum adaptatio, die Anpassung des Sprachgebrauchs an das Niveau des Hörers; materiae continuatio, das Durchhalten des Themas in der ganzen Rede; unius ad aliud consecutio, die Wirkungen und Folgen einer Sache; die exemplificatio de vita sanctorum, wobei das Beispiel von Christi Tod und Leiden in keiner Predigt fehlen darf; die distinctio, die Unterscheidung der Sinngehalte und Wortbedeutungen; die divisio mit den Unterteilungen; derivatio und compositio, die analytische und synthetische Bemühung um die Etymologie eines Wortes; die interpretatio, die Erklärung fremdsprachlicher Worte; die definitio als präzise Begriffsbestimmung; die relatio mit den Wortassoziationen und viele andere Künste und Methoden, mit denen man den Inhalt der Predigt kunstvoll gewinnt. Ähnlich und doch immer wieder anders sind solche artes praedicandi aufgebaut. Für den Ordensgeneral Humbert de Romanis (f 1277) „De eruditione praedicatorum" ist das Predigen eine Wissenschaft, die man lernen muß. Die Predigt ist wichtiger als das Sakrament, Christus hat ja außer dem letzten Abendmahl keine Messe gefeiert. Thema, Prothema, distinctiones, rationes, auctoritates sind selbstverständliches Requisit jeder Predigt. Eine besondere Rolle spielen bei ihm im Anschluß an Gregor und Alanus die Ständepredigten, die „sermones ad status". Bedeutsam wird in dieser Zeit auch die Konkordanzmethode, die die Konkordanz zum Sdilüssel der Sdirift und zu einem fruchtbaren Mittel der dilatatio, der Stofferweiterung

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Gesdiichte der diristlidien Predigt

macht. Sehr subtil und verwickelt ist dieser Begriff in der Predigtkunst des Johannes von Galles ( t um 1303), bei dem jedes Glied der Unterteilung durch eine Autorität zur Übereinstimmung mit dem Thema gebracht werden muß, der Text des Themas mit den Aussagen der Bibel zu konkordieren ist. H. Caplan und Th. Charland haben eine Ubersicht über die Fülle mittelalterlicher Predigtanleitungen geboten und auch einzelne von ihnen herausgegeben. Statt diese Literatur mit ihren Erkenntnissen, Subtilitäten und Spitzfindigkeiten im einzelnen zu verfolgen, wollen wir lieber nach dem durchschnittlichen Aufbau einer scholastischen Predigt fragen. Das Thema wird meist einem einzelnen Vers aus dem Sonntagsevangelium oder der Epistel, gelegentlich auch aus dem Introitus, einer Sequenz und einem Hymnus entnommen. Voraus geht das Antethema oder Prothema, das als Exordium eine kurze selbständige Predigt werden kann und sich meist an ein einzelnes Wort des Themas anlehnt, manchmal an ein Sprichwort, eine Lebensweisheit oder eine Geschichte anknüpft, überwiegend aber allgemein vom Prediger, dem Hörer und dem Sinn der Predigt handelt. Es endet mit einer Gebetsanrufung, verbindet sich oft mit einem Ave Maria, Vaterunser und der Fürbitte für die Lebenden und Toten und wird zum Ursprung des liturgischen „Pronaos" im mittelalterlichen Predigtgottesdienst. Es folgt die Disposition des eigentlichen Themas. Langsam entsteht an dieser Stelle eine weitere Einleitung, die introductio thematis. Man fürchtet, schon hier könne das Interesse aufhören; so kann diese zweite Einleitung durchaus etwas Fremdes und Absurdes enthalten, eine durch Mark und Bein gehende Teufelsgeschichte oder was sonst die Aufmerksamkeit weckt. Nun folgt erst das Corpus der Predigt mit seinen Divisionen und Subdivisionen, den quaestiones, den Autoritäten, den Argumentationen und Widerlegungen, den Definitionen und Zusammenfassungen. Den Sdiluß bilden gewissermaßen als Entschädigung für soviel Abstraktion die Legenden und Heiligengeschichten. Für die Einteilung bieten sich die lateinischen Dissonanzen an, über die mancher Prediger geradezu ein Merkbuch führt. Oft richtet sich die Gliederung nach den proprietà-

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tes. rerum, so daß Symbole wie der Himmelswagen in allegorische Aktion verwandelt werden. Oft endet die Predigt mit Mahnungen, dem Androhen der Höllenstrafen und mit himmlischen Verheißungen. Jahrhundertelang ist die christliche Predigt von einem solchen Zwangsschema eingeschnürt worden. Charakteristisch ist für diese Zeit auch die Entstehung von Predigtreihen und Summen. Es gibt nicht nur Kirchenjahresreihen, die tägliche Predigt in der Fasten-, später auch in der Advents- und Passionszeit gibt die Möglichkeit, bestimmte Lehren im Zusammenhang darzustellen. Ferner entstehen jetzt außer den sermones de tempore die sermones de sanctis und die kulturgeschichtlidi besonders interessanten Standespredigten, die einen stärkeren Kontakt zum wirklichen Leben haben. Besonders dürr und abstrakt wirken die Schemapredigten, Predigtabrisse für ungewandte Prediger, die sie selbst mit der nötigen Farbe, mit Beispielen und konkreten Zügen ausfüllen sollen. Bezeichnend ist, wie Nikolaus de Pressorio ("{"1302) die Predigt seiner Zeit charakterisiert: „Die alten heiligen Lehrer predigen ohne ein Thema, wie es ihnen der Heilige Geist eingab, aber die Modernen, die nicht von der gleichen Gabe erfüllt sind, müssen sidi vor der Predigt mit vielen Dingen beschäftigen. Die Predigt bekommt ganz andere Dimensionen, wenn sie auf Fragen, Gründe, Beispiele, Autoritäten, Etymologien und Gegensätze zurückgreift." Oft muß eben die Methode ersetzen, was am Geist fehlt. Unmöglich ist es, auch nur von ferne die wichtigsten scholastischen Prediger aufzuzählen. Vieles handschriftliche Material in den Bibliotheken ist weder gesichtet noch gedruckt. Eine Fülle von Namen allein bieten die Register der Predigtsammlungen der Pariser Universität und der Oxforder Predigtzyklen. Nur auf ganz Weniges darf hingewiesen werden. Bei Johannes Halgrinus von Abbatisvilla (f 1237) ist jede Sonntagsund Heiligenpredigt gleich doppelt ausgeführt, einmal als expositio literalis und dann als expositio moralis. Drei Predigten für jeden Sonntag über Introitus, Evangelium und Epistel bringt Jakobus von Vitry (f 1254), der selbst an Kreuzzügen teilgenommen und Kreuzzugspredigten in Frankreich gegen die Albigenser und in Belgien und Palästina gegen die Türken ge-

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halten hat. Seine Predigtsammlungen enthalten Musterpredigten, sie gleichen Perlenketten von Sdiriftworten, ohne von scholastischen Distinktionen ganz frei zu sein. Die Predigten ad status sind kultur- und sittengeschiditlich interessant, werden in ihnen doch Kleriker, Adlige und Bürger gesondert angeredet, Kreuzfahrer und Ritter, Kaufleute, Knechte und Arbeiter. Die berühmten exempla, die bei jeder Predigt ausdrücklich angegeben werden, hat man schon bald aus ihnen herausgelöst, konnte man sie doch zu gut verwenden. Sie dokumentieren das Eindringen der Anekdoten, der Fabeln und Parabeln, der Naturgeschichte und des Historischen in die Predigt; Reineke Fudis, Pfaffen- und Weibergesdiichten, selbst die Schwanke fangen an, für den trockenen Stoff der Divisionen und Distinktionen zu entschädigen. Gelegentlich erkennt man auch den Kreuzzugsprediger wieder, wenn von den Lehnspflichten des Ritters gegen Gott oder von der Kreuzesfahne als Investitur geredet wird, in der Gott den Kreuzfahrer mit dem Himmelreich belohnt. Die Predigten Jakobs von Vitry in Palästina sind durch einen arabischen Dolmetscher übersetzt worden. Von Philipp, dem Kanzler der Pariser Universität (f 1236) haben wir eine „Summa super psalterium" mit 336 Predigten als Materialsammlung für Prediger und 300 Sonntags- und Universitätspredigten, aus denen man manches Interessante über das Treiben der Magister und Studierenden in Paris entnehmen kann. Robert von Sorbon (f 1274), von dem die Sorbonne ihren Namen hat, hat außer schlichten eigenen Predigten ein umfassendes Sammelwerk von allen möglichen zur Zeit erreichbaren Predigten in drei Reihen und 6 umfangreichen Bänden geschaffen. Unter den Dominikanern finden wir Hugo von St. Cher (f 1263), den Verfasser der ersten Wortkonkordanz der Bibel, der mehr Schemata und Dispositionen bietet, Albert den Großen (f 1280) mit Predigtschemata, Thomas von Aquino (f 1274) mit viel unechtem Gut unter seinem Namen, Arnold von Lüttich, der als Hilfsmittel für Prediger ein „Alphabetum auetoritatum", ein „Alphabetum narrationum" und ein „Compendium mirabilium" hinterlassen hat, die den trockenen Predigtsdiemata Blut und Leben geben sollten. Unter den Franziskanern sei Alexander Halesius (f 1245), vor

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allem aber Bonaventura (f 1274) genannt, der als Prediger seine Ordensbrüder übertrifft und dessen seine reiche Theologie widerspiegelnden, vorbildlich 1882—1902 von Quaradii herausgegebenen Predigten meist von reportatores mitgeschrieben sind, Raimundus Lullus ( f 1316) mit Predigten gegen die Averroisten, Nikolaus Lyra ( f 1349), der in seinen Bibelkommentaren großen Nachdruck auf den wörtlichen Schriftsinn legt und Bertrand von Tours ( f 1332) mit Postillen über alle Evangelien und Episteln des Kirchenjahrs. Man wird sidi trotz allem Formalismus dieser Predigten vor naheliegenden Vorurteilen hüten müssen. Nicht in der Überbetonung der Form liegt ihre Bedeutung, die sich unheilvoll genug für lange in der Geschichte der Predigt ausgewirkt hat, sondern in ihrem theologischen Gehalt. Ihre moralische Ausrichtung macht sie auch volkserzieherisch wichtig. Lebensnähe haben sie weniger durch die Unsitte der exempla als durch die kritische Betrachtung von Zeit und Leben, von Sitte und Sittlichkeit.

14. Die Volkspredigt im 13. und 14. Jahrhundert Neben der abstrakten Universitätspredigt steht die praktische Volkspredigt, die die Menge anzuziehen weiß. In England können wir als Beispiel solcher volkstümlichen Predigt Richard Fitzralph von Armagh ( f 1360) nennen, einen sehr bedeutenden und profilierten Prediger, der seine 88 lateinischen Predigten mit Rubriken über Zeit und Ort versehen hat, die eine Art Tagebuch des Predigers und seines Predigens, einen Spiegel seiner politischen und kirchenpolitischen Arbeit und ein Zeugnis für seinen tapferen Mut gegenüber dem Adel und dem Klerus abgeben. Für Italien kann man auf Jacobus de Voragine ( t 1298) hinweisen, der freilich berühmter als durch seine Predigten durch die „Legenda aurea" geworden ist, eine Sammlung aller möglichen und unmöglichen Legenden, eine wahre Fundgrube des Mittelalters für Wunder, für Abenteuer und die beliebten Heiligengeschichten, und auf Antonius von Padua ( f 1231), dessen nur als Schema erhaltenen kunstgerechten 5

Schütz, Christlidie Predigt

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Predigten, überladen mit Allegorien und Etymologien, in der Gestalt der Volkspredigt die Massen angezogen haben. Es sind volkstümliche Reden über Buße und Weltverachtung, die Kirdie wird in ihnen gegeißelt, von den Laien Treue zur Kirche gefordert; Hochmut und Luxus tadeln, die Niedrigkeit Christi rühmen sie. In Deutschland hat in dieser Zeit die Volkspredigt eine ebenso große Blüte erlebt wie die Universitätspredigt in Frankreich. Der größte und berühmteste unter diesen Volkspredigern ist der Franziskaner Berthold von Regensburg (f 1272), der seit der Mitte des Jahrhunderts als Missions- und Wanderprediger durdi Bayern und Elsaß, die Schweiz, Österreich, Böhmen und Mähren von Ort zu Ort zieht. Sein hinterlassenes umfangreiches Predigtwerk besteht in der Mehrzahl aus lateinischen, d. h. mitgeschriebenen und ins Lateinische übersetzten Predigten, den sermones rusticani, die 1961 aus 300 Handschriften von L. Casutt gesammelt sind. Die viel geringere Zahl deutscher Predigten sind schon im vorigen Jahrhundert von F. Pfeiffer und J . Strobl herausgegeben worden. Gepredigt hat Berthold in silvis et campis, unter einer Linde, auf dem Platz vor dem Stadttor, von einem ambo aus auf freiem Feld, nachdem er vorher mit einer Feder die Windrichtung geprüft hat. Der Inhalt ist nicht dogmatisch oder theologisch bedeutsam, es geht um einen engen, sich immer wiederholenden Kreis von Gedanken, um Sünde und Buße, Bekehrung und Wiedergutmachung, um Himmel und Hölle und das letzte Gericht. Die Predigten sind dem wirklichen Leben nahe, sie sind anschaulich, verständlich und plastisch. Fürstenhöfe und Ritterburgen, die städtischen Zunfthäuser und die Katen der Bauern stehen vor uns. Die Themen sind konkret, Tugenden und Laster, die Ehe, die Messe, Geiz und Wucher, Betrügereien, Völlerei und Unkeuschheit. Wie oft heißt es: „Pfui, du Geiziger!" Lebendig sind Rede und Gegenrede: „Herr Papst, wärest du hier!" Realistisch und dramatisch streiten sich Gott und der Teufel um die Menschenseele. „Lieber Berthold", redet der Sünder drein, der verfolgt wird, bis er mit dem Rücken gegen die Wand steht. Raffiniert wird die Spannung geweckt, raten muß der Hörer und ahnen, worum es geht, dann werden die An-

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deutungen immer konkreter, bis endlich die Sadie mit Namen genannt wird. Bilder und Anschauungen spielen eine große Rolle, die Räder des Himmelswagens sind die christlichen Kardinaltugenden, grausliche Teufelsgeschichten werden erzählt, die Hölle ausgemalt und der Himmel mit seiner ewigen Jugend. Die Sünde ist nie etwas Abstraktes, sie steht immer in individuellen und konkreten Personen vor uns. Um die Knechte kümmert sich Berthold, um ihre Unterkunft, um Essen und Freizeit; die Ritter sollen den Frieden wahren; den Städten werden die hohen Abgaben und die teuren Befestigungsanlagen vorgehalten; gewarnt wird vor dem Zaubern mit der Hostie oder mit Totengebeinen, vor der Frömmigkeit bloßer Wallfahrten. Freilich kann Berthold auch sagen, er wolle lieber mit 500 Teufeln ein ganzes Jahr das Haus teilen als mit einem Ketzer 14 Tage unter einem Dadi wohnen. Er warnt vor Judenverfolgungen, redet aber auch von den „stinkenden JUden", die wie das Vieh leben und mit denen man kein ernsthaftes Gespräch führen solle. Das Sdiminken und Färben der Frauen, ihre Putzsucht wird getadelt, die Vorliebe für gelbe Farben, die man den Juden und Pfaffendirnen überlassen solle, er wendet sich gegen Ablaßkrämer und Pfennigprediger, die Mörder sind, weil sie Gott die Seelen rauben. Alles strotzt vor Leben und Anschauung. Die Form der Predigten ist einfach, Assonanzen und Allegorien sind selten, Textauslegung sind sie nicht, aber sie sind wohl disponiert, Exempel und Predigtmärlein fehlen, das Leben in ihnen ist mehr als Anekdoten und Geschichtchen. Tief sind die Gedanken nicht, aber wirksam sind sie, sie ändern das Menschenherz und das Leben. Büß- und Bekehrungspredigten hält der Schwarzwälder Prediger in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, der in scholastischer Form Predigtmuster für eine Predigt vor Laien gibt. Er folgt anders als Berthold dem Lauf des liturgisdien Jahrs. Wo bei Berthold das Leben regiert, regieren bei ihm die Autoritäten. Wo Berthold Veränderung des Menschen und der Welt will, will er Abkehr von der Welt. Wo Bertholds Rede durchglüht ist von persönlichem Engagement, ist die Beredsamkeit des Schwarzwälders von gelehrter Kühle. Die „Figuren", die typologisdie Auslegung des Alten Testaments, werden geradezu 5»

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zum Gesetz der Predigt, daß auch bei neutestamentlichen Texten für die kleinsten Unterteile solche Figuren gesucht werden müssen und ganze Ketten von Typologien sich aneinanderreihen. Exempel und Märlein fehlen nicht, seitenweise werden noch immer „Vitae patrum", Beda, die „Legenda aurea" und der „Physiologus" zitiert. Der Aufbau ist scholastisch, volkstümlich die Sprache: „Eia, Herr Teufel", „Eia, Frau Seele" lauten die lebendigen Apostrophierungen. Es fehlt nicht an Ernst und Nachdruck, auch nicht an Wärme und Tiefe des Gemüts. Mit einem Würzgarten wird die Seele verglichen, in dem viele Tugenden blühen sollen; abgeschlossen soll er bleiben, bis der „zarte Gott" anklopfen wird. Einen vollständigen Jahrgang De tempore und De sanctis haben wir von dem Breslauer Dominikaner Bruder Peregrinus von Oppeln (")" 1335) mit Predigtentwürfen in lateinischer Sprache, ohne Gelehrsamkeit und Rhetorik, nüchtern und praktisch. Nicht ohne Humor sind die drastischen Schilderungen aus dem Familienleben, dem Alltag der Beziehungen von Mann und Frau und dem Kleinkrieg in der Ehe. Volkstümlich wird die Rede durch viele Figuren, Exempel, Fabeln und moralitates, wie man die außerbiblischen, der Mythologie und dem menschlichen Leben entnommenen Erzählungen nannte. Verfall und Niedergang künden sich deutlich an. Sieben Töchter hat der Teufel gezeugt und dann verheiratet, die Simonie mit den Prälaten, die Heuchelei mit den religiosi, den Wucher mit den Bürgern usw. Die Volkstümlichkeit fängt an, billige Popularität zu werden. Ohne vollständig zu sein, nennen wir aus dem 13. Jahrhunder noch Soccus, den Verfasser von zwei Predigtwerken, entstanden vor 1323 und weit verbreitet. Er wird oft mit Konrad von Brundelsheim (f 1321), Abt von Heilsbronn gleichgesetzt. Er ist zurückhaltender mit populären rhetorischen Mitteln, macht von Exempeln, Märlein und Legenden keinen Gebrauch, bezahlt das aber mit einem geringen Bezug auf praktisches Christentum und das alltägliche Leben. In den Sermonen des Konrad Holtnicker (f 1279) aus Sachsen spielt die emblematische Predigt, Konsonanzen in der Division des Themas, spielen Schulverse und Gleichnisse aus der Natur

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eine Rolle. An Bertholds Art erinnert Frater Ludovicus, der in seinen 1190—1200 entstandenen Predigten die Geschichtsperioden nach der Apokalypse und den danielischen Visionen einzuteilen weiß, der vom Antichristen und Gericht, von Häresien und teuflischer Verführung, vom Teufel als Spielmann und als Schlange in einer beliebten mittelalterlichen Art predigt und sich in Standespredigten an Soldaten, Kaufleute, Bauern und Handwerker wendet. Unter dem Namen des österreichischen Franziskaners „Graeculus" haben wir Predigten, in denen die exempla überwuchern, Geschichten von Wucher und Geiz, von Buße und Beichte, Exempel von der heiligen Jungfrau und vom Teufel, vom guten und bösen Tod, von Himmel und Hölle, r !les theologisch überaus primitiv und dürftig. Audi die scholastische Predigt lebt im 14. Jahrhundert noch in ungebrochener Kraft fort. In den in deutscher Sprache herausgegebenen „Novi sermones" des Nikolaus von Landau wird das gesamte Exordium mit Prothema und Disposition vor der Gemeinde erst lateinisch und dann auch deutsch vorgetragen. Auch Ovid kann der Trockenheit dieser Predigten mit ihren abstrakten philosophischen Schulfragen und ihren Autoritäten nicht aufhelfen, wenn der Raub der Proserpina zum Bild für den Raub der Seele durch den Teufel wird. Durch eine überspitzt rubrizierende Art fällt Heinrich von Friemar (f 1340) auf, dessen Formalismus der Divisionen darum nicht weniger abstrakt und formal wirkt, daß der immer mehr anwachsende Stoff auf mehrere Predigten verteilt wird und Aristoteles in reichem Maß in die Predigt eingeführt wird. Auch bei Jordan von Quedlinburg (f um 1380), einem Inquisitor und Schüler Heinrichs, dessen Zyklus von Sonntagspredigten „Jor" und von Heiligengeschichten „Dan" heißt, wird endlos rubriziert und das formalistische Schema mit Autoritäten und Figuren ausgefüllt und — was in dieser Art neu ist — mit allerhand gelehrten Kenntnissen aus der Astronomie, Physik, Alchemie, Medizin, Geographie und Merkwürdigkeiten aus der Welt der Tiere, Pflanzen und Steine. Markus wird als Löwe gepriesen, wobei das Brüllen die Predigt und der Raub die erjagten Seelen sind. Lassen wir die völligen Niederungen der Predigt aus, in der sie überhaupt nur noch aus einer einzigen

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Erzählung bestehen kann, bleibt uns doch ein schöneres und interessanteres Kapitel der mittelalterlichen Predigt, die Predigt der deutschen Mystik. 15. Die Predigt der deutschen Mystik Nirgends ist im Mittelalter die Mystik so schöpferisch wie bei dem Meister Eckehart (f 1327) und seinem Kreis. Die hohe Spekulation, die gedankliche Abstraktion, die Tiefe und Innerlichkeit der Frömmigkeit haben stark auf die Geschidite der Predigt gewirkt. Eckeharts sprachschöpferische Kraft hat das Deutsche erst befähigt, ein wirkliches Instrument der Innerlichkeit und Geistigkeit zu werden. Um nichts anderes geht es in diesen Predigten als um das Thema „Gott und die Seele". Die großen, den mittelalterlichen Ordo bedrohenden Erschütterungen der Zeit spiegeln sich nicht in ihnen. Scholastik und Mystik sind keine Gegensätze, die sich ausschließen; die lateinischen und die deutschen Predigten Eckeharts müssen miteinander ausgelegt werden. Die 1956 als Band IV der Opera latina herausgegebenen Sermone zeigen den Charakter einer typisch scholastischen Predigt, sie sind Vorarbeiten und Entwürfe für ein opus sermonum, einen Teil des von Edkehart geplanten Gesamtwerks. Die scholastische Eigenart zeigt sich in den Divisionen und Subdivisionen, in der Häufung der auctoritates aus der Schrift und den Vätern, in der Summierung der theologischen und philosophischen argumenta, im color rhythmicus der gereimten Dispositionen, in der Auffüllung der einzelnen Teile mit argumenta und exempla. Viele dieser Predigten sind nur Entwürfe, manchmal sind ganze Teile nicht ausgeführt, andere legen einen ganzen Text und nicht nur einen Vers aus, aber es kann auch über das eine Wort „Ecce" allein eine ganze Predigt gehalten werden. Andere unterscheiden zwischen disputabilia und praedicabilia oder gehen von dem Widerspruch entgegengesetzter Autoritäten aus und lösen in einer disponierten responsio die Frage auf. Die deutschen Predigten und Kollationen umfassen die „Reden der Unterscheidung", das „Buch der göttlichen Tröstung" und die „Predigt vom edlen Menschen" und andere sich

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durch den Zusammenhang mit der Rechtfertigungsschrift als echt erweisende Reden. Oft gehen sie weit über die Fassungskraft der Hörer hinaus. Die Gegenständlichkeit des Gottesbegriffs ist in ihnen aufgehoben, die Spekulation erreicht höchste Höhen der Abstraktion, und die Paradoxie wird zum Ausdruck der Wahrheit. Der Redner sagt selbst einmal: „Wer diese Predigt verstanden hat, dem vergönne ich es wohl. Wäre niemand hier gewesen, ich hätte sie diesem Opferstodt predigen müssen." Für die „Erleuchteten" ist solche Predigt bestimmt. Das eigentliche und einzige Thema ist die Geburt Gottes im Fünklein der Seele, die generatio und filiatio. Was in principio geschah, geschieht immer; die ewige innertrinitarisdie Geburt des Sohnes durch den Vater bedeutet auch die Geburt des Sohnes in der Seele. Keiner hat mit solchem unbedingten Ernst von Gott zu reden gewußt wie dieser Prediger. „Wo die Kreatur endet, da beginnt Gott zu sein. Nun begehrt Gott nichts von dir, als daß du selbst von dir ausgehest deiner kreatürlichen Seinsweise nach und Gott Gott in dir sein lässest." Die beste Einführung in Eckeharts Predigtgedanken gibt die an das „Buch der Tröstung" angeschlossene „Predigt vom edlen Menschen". In dieser deutschen, von Eckehart niedergeschriebenen Predigt wird von dem Adel der Seele geredet, von dem Auszug des Menschen in ein fernes, fremdes Land, von den sechs verschiedenen Stufen solchen Ausziehens, angefangen mit der ersten, wo man die Bilder nicht mehr braucht, bis zur letzten, der Einung mit Gott, dem Überwandeltwerden, dem Reich der Fremde. „Da findet man einzig reines Leben, Sein, Wahrheit und Gutheit." „Wer so geartet ist, der ist ein edeler Mensch, fürwahr nicht weniger und nicht mehr". Mit großer Kühnheit werden die Gedanken solcher Einung vorgetragen. „Der Mensch soll sich nicht genügen lassen an einem gedachten Gott; denn wenn der Gedanke vergeht, vergeht auch der Gott. Man soll vielmehr einen wesenhaften Gott haben, der weit erhaben ist über die Gedanken des Menschen und alle Kreatur. Der Gott vergeht nicht, der Mensch wende sich denn mit Willen ab. Wer Gott so im Sein hat, der nimmt Gott göttlich und dem leuchtet er in allen Dingen; denn alle Dinge schmecken ihm nach Gott und Gottes Bild wird in allen Dingen sichtbar. In

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ihm glänzt Gott allezeit, in ihm vollzieht sich eine loslösende Abkehr und eine Einprägung seines geliebten gegenwärtigen Gottes." Die Geburt Gottes in der Seele, ihr Entwerden und die Leere, in die Gott einströmen kann, dies Unsagbare wird in immer neuen Wendungen und Bildern zur Sprache gebracht. Die etwa 80 editen Predigten Johannes Taulers (f 1361), der ein Sdiüler Eckeharts ist, sind weniger spekulativ, sie sind originell, bildhaft und kraftvoll, die ethische Seite und die Lebenswirklichkeit treten stärker hervor, sie bemühen sidi um Verständlichkeit und wollen eine praktische Anleitung für den Weg des Abscheidens, des Entwerdens und der Einung des Seelengrundes mit Gott sein. Dazu dienen die Schemata von den verschiedenen Stufen des Aufsteigens der Seele, den sieben Gaben des Heiligen Geistes, den fünf Graden der Gnade usw. Aber auch der einfädle Christ, der nichts als Reditgläubigkeit kennt, ist nidit ohne Gottes Trost, in der Versenkung kann ihm die Freude an Gott widerfahren; die höhere Stufe aber ist die der Verlassenheit, Trostlosigkeit und Verzweiflung, der Dürre und Leere, wo nichts als das Zeichen des Kreuzes bleibt; sie ist der Weg zur höchsten Erfahrung der Überformung mit Gott, der Einung des Seelengrundes mit ihm, die Tauler nidit mehr beschreiben will und deren Süßigkeit man nicht festhalten darf. Zum Entwerden und der Abgeschiedenheit gehören für Tauler auch die Liebe zum Nächsten und die Alltagspflichten. Völlige „Gelassenheit" in Gott als rechte Bekehrung des Willens schließt das Leben im Beruf nicht aus. Das alles wird mit Bildern aus der Natur, mit Mitteln der Allegorese verdeutlicht, in der jede biblische Geschichte zum Symbol für geistliche Vorgänge in der Seele werden kann. Selbst der Kindermord in Bethlehem wird auf die Feindschaft der Welt (Herodes) gegen die Seele (das Kindlein) gedeutet. Zum Kreis der Schüler Eckeharts gehört auch Heinrich Sense (f 1365), durch seinen Bilder- und Gefühlsreichtum der „Minnesänger" unter den Mystikern, von dem wir nur 4 Predigten haben, wobei ihm nur zwei mit Sicherheit zugeschrieben werden können. Seine Gedanken hat er selbst so zusammengefaßt: Ein gelassener Mensch muß entbildet werden von der Kreatur, gebildet durch Christus und überbildet von der Gottheit. Von

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andern mystischen Predigern sei Johann von Sterngassen (f nach 1327) mit deutschen spekulativen Predigten und der Franziskaner Marquard von Lindau (f 1392) genannt. 16. Die homiletischen Hilfsmittel des späten Mittelalters Welches homiletische Handwerkszeug hat im späten Mittelalter ein durchschnittlicher Pfarrer ohne große theologische Bildung und ohne kostbare Handschriften für die Anfertigung seiner Predigt? a) Predigtmagazine. Sie treten im 14. und 15. Jahrhundert neben die alten Predigtsammlungen und Sermonenreihen und sind ohne theologischen Ehrgeiz nichts anders als im wahren Sinn des Wortes „Eselsbrücken" für den ungebildeten Prediger. Eines der verbreitetsten und populärsten Magazine sind die sermones des „Paratus", besonders beliebt durch die Exempel, Figuren, Moralitäten und Autoritäten am Schluß der Predigt oder ihrer Teile. Paratus ist das Incipit für die sermones de tempore und de sanctis. Ähnlich beliebt sind die „Sensatipredigten" , benannt nach Ecclesiasticus 4, 29 und 5, 15, in denen z. T. die Entwürfe des Guido von Evreux ausgeführt werden. Am bekanntesten ist das Magazin mit dem drolligen Namen „Dormi secure", das dem Prediger einen sicheren Schlaf am Samstag garantiert, weil er immer eine schöne Predigt fix und fertig in der Schublade liegen hat. Johann von Werden (f 1437) ist der Verfasser; die Handschriften sind weit verbreitet und divergieren auch weit voneinander; allein 25 gedruckte Auflagen hat man gezählt, darunter 17 Inkunabeln. Der gleiche Begriff von Mittelmäßigkeit und Traditionalismus verbindet sidi mit den nach dem Incipit genannten Magazinen „Abjiciamus" und „Suspendium", andere heißen sehr bezeichnend „Panis pauperum", „Fons vitae", „Flores apostolorum", „Thesaurus novus". Die als „Guillermus" bekannte Postille des Wilhelm von Paris (1457), die die scholastisdie Predigt tradiert, hat allein im 15. und frühen 16. Jahrhundert 100 Auflagen erreicht. „Mejfreth" ist ein schwer zu erklärendes Pseudonym für den Verfasser eines beliebten Predigtmagazins, des „Hortulus reginae", in dessen „Lustgärten" allerhand Pflan-

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zen blühen. Unter drei oder vier Predigten kann man jeden Sonntag wählen, die oft so lang sind, daß man nur Teile auf der Kanzel vorlesen kann. Ein buntes Allerlei wächst in diesem Garten, Predigten über ganze Texte und einzelne Verse; Scholastisches und Volkstümliches, Naturgeschichtliches und Medizinisches findet man, selbst Heilmittel gegen die Tollwut und mandies Seltsame von Pflanzen und Tieren. Den Anfang bilden oft Anekdoten und Märlein. Neben allerlei Kuriositäten findet sich auch mandies Gediegene und Wertvolle aus der Tradition. Noch im 17. Jahrhundert ist das Werk neu gedruckt worden. b) Die Distinctionen und Summen. Einer besonderen Beliebtheit erfreuen sich die Distinctiones des Nikolaus von Byard, eines Volkspredigers aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, dessen „Dictionarius pauperum omnibus praedicatoribus necessarium" Predigtmaterial in Stichworten und in alphabetischer Reihenfolge von „De abstinentia" an sammelt. In den Summen wie z. B. der „Summa de vitiis et de virtutibus" des Wilhelm Perald von Lyon (f 1271) werden moralische und dogmatische Wissensstoffe zusammengestellt. Am Ende dieser Entwicklung stehen sehr voluminöse und kompendienhafte Werke und Stoffsammlungen wie das „Universum praeadicabile" des Johannes von St. Geminiano (fnach 1364) und die „Summa praedicantium" des Johannes Bromyard (fum 1409), der in seinem gewaltigen Unternehmen, einer Art homiletischer Realencyklopädie, in 189 alphabetisch geordneten Stichworten und in seinen bis auf die Zahl von 1000 angeschwollenen Exempeln alles nur denkbare Predigtmaterial vereinigt hat. Selbst die Schachfiguren und ihre Züge, das Schloß des Teufels, die Hände und Fingerspitzen Gottes werden allegorisch gedeutet, jede Tugend und jedes Laster wird behandelt und für die Predigt ad status findet man unter den Stichworten wie ordo clericalis, judices, advocati, militia usw. Predigtmaterial für Kritik und Tadel, dazur kommen Fabeln, bestiaria, Legenden und in einer Autoritätensammlung vor allem viel kanonistisches Material. c) Bibelwissenschaftliches. Einen besseren Stoff geben die Kommentare her und die Bibelkonkordanzen. Die Fülle der Katenen, Glossen und Kommentare kann hier nicht vorgeführt

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werden, die einem mittelalterlichen Prediger zur Verfügung stehen, wenn er kostbare Handschriften erwerben konnte oder Zugang zu Bibliotheken hatte. d) Andere spezielle Sammlungen. D a s Repertorium aureum, unter dem Titel „Goldene Bibel" auch ins Deutsche übersetzt, ist ein alphabetisch geordnetes Verzeichnis von Predigtthemen, zu denen eine gereimte Disposition und die nötigen Exempel gleich hinzugefügt sind. Es gibt Quellensammlungen für Väterzitate, auch für die klassischen Schriftsteller und Dichter, f ü r medizinische und naturwissenschaftliche Seltsamkeiten, für juristische Kenntnisse, für Moralitäten und Wundergeschichten, besonders für Legenden, die zu jeder Heiligenpredigt unabdingbar hinzugehören, wenn sie nicht überhaupt ihren einzigen Inhalt bilden. In mancher Musterpredigt steht an der entsprechenden Stelle nur der Hinweis: „die legendam"; denn die notwendige Heiligengeschichte kennt jeder auswendig. O f t werden die Mirakelerzählungen zu sensationellen Berichten ausgesponnen, die dem Hörer das Gruseln beibringen und ihn in atemlose Spannung versetzen. Nicht nur Anekdoten, sondern auch Schwänke enthalten die Predigtmärlein, besonders in der Osterzeit, wo das Osterlachen, risus paschalis für die Strapazen der Fastenzeit entschädigen soll. Neben den Fabeln werden spezielle Tiergeschichten immer beliebter. Im „Liber a p u m " werden die Bienen zum Modell für menschliche Eigenschaften und im „Formicarius" geben die Ameisen den Predigtstoff her. e) In den Moralitätensammlungen finden sich Materialien aus N a t u r und Geschichte, gleich mit einer geistlichen Anwendung versehen. Die „Gesta R o m a n a " enthalten Novellen, Anekdoten, Parabeln und Märchen in großer Zahl. M a n sollte freilich nicht übersehen, daß die Predigt o f t die einzige Quelle f ü r die wissenschaftliche und moralische Belehrung breiter Schichten des Volkes war und daß die Volkspredigt auch die Sonntagszeitung und die Unterhaltungslektüre ersetzen mußte. Lebensfremd kann man sie nicht ohne weiteres nennen, solange Tugenden und Laster so drastisch und psychologisch geschildert werden und solange so farbig der Kaiser und die H ö f e , der Papst und die Prälaten, Hofgelage und Hochzeiten, bürgerliches und bäuerliches Leben gemalt werden, aber ob

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dabei das Evangelium noch die entscheidende Rolle spielt, will einem bei diesem bunten Bild der mittelalterlichen Predigt doch mehr als fraglich erscheinen.

17. Die Predigt am Vorabend der Reformation Es ist nicht ganz einfach, die mannigfaltigen Formen der Predigt im 15. Jahrhundert zusammenzufassen und geredit zu beurteilen. Vor konfessionellen Vorurteilen wird man sich hüten müssen. Die Spannweite dieser Predigt reicht von den Universitätspredigten bis zu burlesken und schwankhaften Kanzelreden, von den Reform-, Büß-, Volks- und Wander predigten bis hin zu denen der Ablaßkrämer. Wichtig für die Geschichte der Predigt ist der aus der Messe losgelöste, selbständige Predigtgottesdienst und die Begründung der Prädikaturen in den oberdeutschen Städten, auf die theologisch gebildete Männer, oft Doktoren der Theologie zu einem reinen Predigtdienst berufen werden. Der Predigtinhalt verändert sich wenig gegenüber den vergangenen Jahrhunderten; himmlische Belohnungen und die Schrecken der Hölle, Laster und Tugenden, Bekehrung und gute Werke bleiben die wichtigsten Themen. Die Gliederung in Divisionen und Subdivisionen macht die Rede trocken und dürr. Das äußere Einteilungsschema entspringt selten dem Text, wird oft nur lose an ein einzelnes Wort angehängt. Spitzfindigkeiten und theologische Kontroversen werden gerne auf der Kanzel behandelt, etwa der Streit zwischen Dominikanern und Franziskanern über die unbefleckte Empfängnis oder solche Haarspaltereien, ob Gott, wenn er ernsthaft wolle, auch sündigen könne und ob die Menschwerdung auch in einem Glied des weiblichen Geschlechts hätte stattfinden können. Die logische Strenge macht mehr einer ausmalenden Erzählung Platz. Die moralischen Fragen treten in den Vordergrund, die gerne kasuistisch, manchmal unter Heranziehung der Pandekten behandelt werden. Neben die alten Predigtmärlein und Moralitäten treten unter- humanistischem Einfluß Aristoteles und die klassischen Dichter, die alten Predigtmaterialien werden durch profanhistorische und naturwissenschaftliche Kenntnisse erwei-

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tert. Die sich mehr und mehr ausbreitende emblematische Predigtweise will zwar zu größerer Einheitlichkeit und Anschaulichkeit führen, aber die Gliederungen nach den Eigenschaften eines Löwen, einer Taube oder eines Lebkuchens dienen weder der echten Anschauung noch der Verdeutlichung der Intention des Textes. Bedenklich ist die zunehmende Frömmigkeit der Wallfahrten, der Reliquienverehrung und der frommen Leistungen. Soll man von einem Verfall der Predigt reden? Ihr Einfluß auf die Zeit und die Menschen ist sehr groß, unübersehbar ist die Zahl der Predigtdrucke, die die neue Buchdruckerkunst hervorbringt. Das sieht eher nach einer Blüte als nach einem Verfall der Predigt aus. Fragt man aber nach dem Evangelium in der Predigt, so wird das Urteil anders sein! Es wird oft und viel in diesem Jahrhundert gepredigt, auf dem Lande freilich oft von Stellvertretern, den vicarii und den Altaristen. Die theologische Bildung der Pfarrer bleibt gering wie eh und je. Johannes Trithemius (f 1516) klagt in seinen „De institutione vitae sacerdotalis": „Was sollen wir schon von der Ignoranz der Geistlichen viel reden! Ungebildet sind sie!" Jordan von Quedlinburg begnügt sich in einer Synodalrede mit sehr geringen wissenschaftlichen Voraussetzungen für ein Pfarramt: a) soviel Kenntnis des Lateinischen, daß man eine Messe richtig lesen und verstehen kann, b) die Fähigkeit, die Sakramente in gehöriger Form zu spenden, c) Kenntnis der Glaubensartikel, d) die Fähigkeit, in der Beichte die einzelnen Sünden zu unterscheiden und abzuwägen. Das ist nicht gerade viel! Cicero und Quintilian wecken wieder das Interesse an der homiletischen Theorie. Humanistische Züge zeigt Johann Reudilins (f 1522) „Liber congestorum de arte praedicandi", eine kurze Gelegenheitssdirift als Dank für die Aufnahme im Kloster während einer Pestzeit, die über Cicero und Quintilian nicht viel hinausführt. Ein größeres homiletisches Werk ist der „Tractatus de modo dicendi et docendi" von Hieronymus von Dungersheim (f 1540), der von dem Prediger, der Predigt und dem Hörer spricht, 10 Methoden der Predigt von der Homilie bis zur Reihenpredigt unterscheidet, von der Gliederung, den Redefiguren und Problemen der Übersetzung ins Deutsche han-

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delt. Noch ausführlicher und gründlicher ist das 1502 herausgegebene berühmte „Manuale curatorum" von Johann Ulrich Surgant (f 1503), das im zweiten Teil auch eine Sammlung von Musterstücken für alle vorkommenden Amtshandlungen enthält. Wir hören von Wesen, Art und Inhalt der Predigt, dem vierfachen Schriftsinn, der Wissenschaftlichkeit der Predigt, von 5 verschiedenen modi praedicandi, der Auffüllung der Rubriken, der Verwendung der Autoritäten, von Regeln für die Ubersetzung ins Deutsche, dem Verhältnis von Rhetorik und Homiletik, der Anpassung an die Hörer und manchem anderen. Ein interessantes Verzeichnis homiletischer Hilfsmittel ist beigefügt. Wir wenden uns nun einer differenzierenden Darstellung zu. a) Die Fortdauer der scholastischen Predigt. Die in Paris und Oxford begründete Tradition setzt sich aucl| an den neuen deutschen Universitäten fort. Die in Mainz gehaltenen, in sechs Auflagen gedruckten Predigten Gabriel Biels (f 1495) folgen einer neuen Methode. Sie sind gelehrt und anspruchsvoll, behandeln dogmatische Fragen und zitieren auch Aristoteles und die Scholastiker. Sie sind in zwei Teile gegliedert, auf das Exordium und den Vortrag des Evangeliums meist mit einer „Postillatio", einer exegetisch homiletischen Texterklärung verbunden, folgt als zweiter Teil eine Abhandlung über das Prooemium, eine Betrachtung von zwei Punkten aus der Glaubens- und Sittenlehre, oder es folgen Lehre und Ermahnung. Nicht im Aufbau, sondern in der Rolle der Autoritäten beweist sich die scholastische Art. Von Nicolaus Cusanus (f 1464), dem größten und selbständigsten Denker dieses Jahrhunderts, haben wir 300 Predigten, die sich durdi Kraft und Bedeutung wohltuend von den scholastischen und den populären Predigten unterscheiden. Sie zeichnen sich durch die Schärfe des Denkens, die humanistische Bildung und den reformerischen Eifer aus. Universitätsprediger in Wien ist Nikolaus von Dinkelsbühl (f 1433), von dem wir außer Sonntags-, Moral- und Heiligenpredigten auch Sachpredigten über die acht Seligkeiten, die sieben Todsünden, die sieben Gaben des Heiligen Geistes, die sieben Hauptlaster, die drei Teile der Reue haben, über Kir-

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chenunion, Tanz, Bilderverehrung und die sieben Musikinstrumente des Teufels. Die Sonntagspostillen zeigen die neue Art der Predigt, auf die Postillatio, eine Art Kommentar, folgt im zweiten Teil die Erörterung von ein bis zwei Fragen. Ebenfalls Professor in Wien ist Thomas Ebendorfer ( t 1464), von dem wir Text- und Sadipredigten haben. Wenn die Humanisten ihm nachsagen, er habe 22 Jahre über Jesaja gelesen, ohne über das erste Kapitel hinauszukommen, so ist das Unrecht; er ist bis zu seinem Lebensende sogar bis zum Schluß von Kapitel 16 gekommen. Seine Predigt zerfällt, dem neuen Stil entsprechend, in zwei Teile, der erste wiederholt den Text und kommentiert ihn, der zweite behandelt im Anschluß daran zwei oder drei einzelne Fragen, die, wie sollte es bei einem Universitätsprediger anders sein, oft sehr spitzfindig sein können, ob die Heiligen beim Jüngsten Gericht ihre Sünde erkennen und ihre Seligkeit dadurch getrübt wird, warum Christus nicht früher geboren ist oder gar ob auch Hebammen der Maria geholfen haben. Recht kasuistisch geht es zu, wenn die verschiedenen Handwerke etwa die Würfelmacher oder die Honigkuchenbäcker auf die Beichte vorbereitet werden, wenn die Fragen des Tanzens, der Schauspiele und Lustbarkeiten ventiliert werden. Ein an Umfang und an Schattenseiten reiches Predigtwerk haben wir von Gottschalk Hollen (f 1481), der oft aus einer Epistel einen Satzsplitter oder ein einzelnes Wort herausnimmt und darüber die verschiedensten, manchmal auch verwunderlichsten Predigten hält. Außer geistlichen und asketischen Themen wie Gebet, Gotteslob, Eucharistie, Lesen der Schrift und Werke der Liebe und neben dem freimütigen Kampf gegen die Mißstände im Klerus werden auch nützliche und banale Themen erörtert wie Freundschaft, der Häuserbau (nicht neben einer Schmiede!), Testamente und Begräbnis, Arbeit und Krankheit, standesgemäße Kleidung und vieles mehr. Dem Leben fremd ist die Predigt nicht, aber dem Evangelium fern. Geschichten und Anekdoten sind so zahlreich, daß sie schon langweilig werden, diese ewigen Erzählereien vom betrunkenen Bauern, dem betrogenen Teufel, der ein böses Weib heiratet, vom gebratenen Hahn, der auf der Tafel wieder lebendig wird, dazu gesellen sich die klassischen Zitate — alles im Überfluß.

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b) Burleske Predigten. Der Sdiritt zum Komischen ist oft nur klein. Von dem Dominikaner Gabriel Barletta, einem Neapolitaner (f 1480), haben wir von ihm selbst ins Lateinische rückübersetzte, in mehr als 20 Auflagen gedruckte Fasten- und Heiligenpredigten und von Hörern mitgeschriebener Adventspredigten. Mit dem Eifern gegen die Schwächen und Laster der Zeit verbindet sich ein ausgesprochenes Talent zu Unterhaltsamkeit und Spaßhaftigkeit. Es heißt damals geradezu: „Qui nescit barlettare, nescit praedicare." Das Burleske ist freilich nur das Beiwerk, die Methode ist mit vielen Autoritäten und Zitaten aus Plato und Aristoteles scholastisch, das Allegorisieren mehr als phantasievoll, und es fehlt auch nicht an ungereimten Legenden. Aus dem Sacharjagesidit im 6. Kapitel wird der göttliche Ursprung des Dominikanerordens erwiesen, und die einzelnen Kleidungsstücke Jesu werden langatmig allegorisch gedeutet. Die Predigten des franziskanischen Theologieprofessors Michael Menot (f 1518) sind in einer Auswahl zuletzt 1924 gedruckt worden. In einer Predigt über die wunderbare Speisung wird dieses Mahl in der Wüste mit Gastmählern in der Champagne verglichen, langatmig und ausführlich, Lateinisches und Französisches ineinander gemengt. Wäre Maria dabei gewesen, sie hätte gesagt: „Sohn, sie haben keinen Wein!" Aus Luc. 7,36 wird ein ganzer Roman herausgesponnen. Die Sprache ist derb, die Profanliteratur, der Rosenroman und Gedichte werden gerne verwendet, das Spaßige hat seinen Raum, im übrigen wird die Predigt in einen lehrhaften und einen moralisch ermahnenden Teil gegliedert. Burleske Züge finden sich in manchen Predigten der Zeit, in denen der Wille zur Anknüpfung die merkwürdigsten Blüten treibt. c) Die wandernden Büß- und Volksprediger. In feierlichem Zug werden sie eingeholt, wie Heilige verehrt, die Menge, Geißler und Flagellanten begleiten sie, alle Vorlesungen fallen aus, die Werkstätten sind geschlossen, und nach solchen Predigten werden ganze Spitäler gegründet, Mönche zur Observanz bekehrt, uralte Fehden begraben und Frieden gestiftet. Noch zur älteren Schule dieser Wanderprediger gehört Vincenz Ferrer (fl419), der wandernd und predigend Frankreich und die

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Schweiz durchzogen hat, manchmal mehrmals an einem Tage predigend, und viele Stunden dauerten seine Reden. Sie haben bis ins 18. Jahrhundert die stattliche Zahl von 37 Auflagen erreicht. Das nahende Weltende verkündet er, das Jüngste Gericht, die Höllenstrafen und das Leiden Christi, Bekehrung und Buße. Seine Predigten sind einfach, ohne Künstelei; Moralismus und mönchische Askese geben ihnen ihr Gepräge, greifbar wird das alltägliche Leben, unerschöpflich ist die Kraft der Veranschaulichung in Gleichnissen und Bildern, nüchtern die Rede und klar die Gliederung. Einer der bedeutendsten Volks- und Wanderprediger in Italien ist der Franziskaner Bernhardin von Siena (f 1444), der einmal 60 Tage hintereinander auf öffentlichem Markt predigt. Würfel, Becher und der Modeputz der Frauen werden nach solchen Predigten auf Scheiterhaufen verbrannt. Volkstümlich ist Bernhardin als Verehrer des Namens Jesu, eine Tafel mit dem in einen Kranz von Sonnenstrahlen geschriebenen Namen nimmt er mit auf die Kanzel, als er seine „Predigten des herrlichen Namens Jesu" hält. Sein Schüler Johann von Capestrano (f 1456) hat in vierzigjähriger Tätigkeit als Büß- und Wanderprediger Italien, Österreich, Polen und Böhmen durchzogen, Wunder wirkend mit den Reliquien seines Lehrers. Er predigt auch gegen die Fraticelli, gegen Hussiten und Juden, zuletzt als Kreuzzugsprediger gegen die Türken, bei der Belagerung Belgrads hat er Anteil an der Rettung der Festung. d) Viele Bußprediger gab es im späten Mittelalter, keiner erreicht von ferne den Dominikaner Hieronymus Savonarola (•(• 1498). Uns geht es hier nur um den Prediger. Er ist einer der gewaltigsten Redner des Mittelalters, ein Beter in nächtelangem Gebetsringen, ein unerschrockener Vorkämpfer für die Erneuerung der Kirche und f ü r die politische Freiheit in Florenz; dem Tyrannen hat er den Gehorsamseid verweigert und noch dem Sterbenden, als er Florenz nicht die Freiheit wiedergeben will, in der Beichte die Absolution verweigert. Er lebt ganz und gar aus der Bibel, nichts als Ausleger der Schrift will er sein. Er verdammt die Predigt der scholastischen Rubriken, das Zitieren aus dem kanonischen Recht, den trockenen Aristotelismus, den „Tullischen" Stil, die ciceronianische Rhetorik. 6

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Das alles vergleicht er mit den Trommlern und Pfeifern im Hause des Jairus, deren Lärm die Tote nicht zum Leben erwecken kann. „Die Prediger, die viele Kunst anwenden, werden keine Frucht bringen." Psalmen und Propheten hat Savonarola zusammenhängend erklärt, seine Predigten sind Homilien, die Vers für Vers den Text auslegen und anwenden. Buße ist die Spitze und Schneide dieser Predigt. Von auswärts kommen die Menschen in Scharen nach Florenz, Fremde müssen von den Bürgern beherbergt werden, amphitheatralisdie Sitzbänke werden im Dom neben und gegenüber der Kanzel gebaut. Nach der Predigt bringt man Mittel gegen die Hungersnot auf; Spielkarten, Boccacio, Modetand werden in den Häusern eingesammelt und zu Karnevalsbeginn öffentlich verbrannt. Die Gesetzgebung der Stadt fängt an sich zu ändern. Der Inhalt dieser Predigt ist das bevorstehende Zorngericht Gottes über Florenz und Italien, das bei der Kirche und dem Dominikanerorden anfangen wird, und die Buße als einziges Mittel der Bewahrung. Auch der Papst wird nicht geschont. Das Herz des Predigers brennt in einer lodernden Glut, in ihm ist ein Sturm religiöser Gefühle, ein starkes Sendungsbewußtsein mit Offenbarungen, Visionen und ekstatischen Erlebnissen erfüllt ihn, und doch verwandelt sich alles in klare Vorstellungen, anschauliche Bilder und eine überzeugende Rede. Rationalität und Glut der Empfindung verbinden sich in dieser Predigt. Die Eindrücklichkeit wird getragen vom Vorbild des Predigers. „Das beste Predigtwerk ist ein frommer Lebenswandel." Die Bewährung erfolgt in Bekennermut und Zeugnis angesichts des Predigtverbots, der Exkommunikation, Folterung, Galgen und Scheiterhaufen. Die ganze Problematik theologischer Geschichtsdeutung wird an diesen Predigten sichtbar, die so konkret die Zeichen der Zeit deuten wollen. Diese Predigt ist ganz und gar biblisch und durch und durch politisch. Kontemplation und Aktion gehören in ihr zusammen. Verwirklichung schließt auch die politische Umgestaltung des Gemeinwesens nach dem Willen Gottes ein. Gott aber will die politische Freiheit des republikanischen Staatswesens in Florenz statt der Tyrannis. Freiheit ist für Savonarola Voraussetzung des bürgerlichen Lebens und der

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christlichen Entfaltung. Tragisch ist freilich, daß die Durchführung der Freiheit durch theokratisdhe Züge wieder zu ihrer Aufhebung führt. Der einflußreichste und fragwürdigste Volksprediger in Deutschland ist Johann Geiler von Kaisersberg (f 1510), der seit 1478 bis zu seinem Tode eine Prädikantenstelle am Straßburger Münster hat. Seine Predigten sind entweder Konzepte in lateinischer Sprache oder Nachschriften seiner Hörer. Die Mehrzahl ist erst nadi seinem Tode veröffentlicht worden. Geiler ist nicht ohne scholastische Gelehrsamkeit und humanistische Bildung; er tadelt die kirchlichen Mißstände, bleibt aber mittelalterlich katholisch; er kritisiert den Humanismus, fürchtet die heidnischen Poeten; als Ubersetzer Gersons ist ihm die Mystik nicht fremd; das eigentlich Originelle an seinen Predigten ist die Formgebung, in der seine Phantasie unerschöpflich ist. Schwung, Elan und Tiefe sind nicht seine Sache; seine Ironie und Satire sind schneidend scharf; über Menschenbeobachtung und Lebenskenntnis verfügt er, Zeit und Umstände weiß er zu schildern, reich ist er an Scherz- und Schimpfreden, an Wortspiespielen und Sprichwörtern, drastisch und derb ist die Sprache, schließlich aber hat er doch mehr unterhalten als erschüttert. Viele seiner Predigten stellen Reihen in der Fastenzeit dar. Die Messe in Straßburg ist für ihn Anlaß für 20 Predigten über die Kaufleute und die Märkte des Lebens, in denen zuletzt noch der Teufel als Hausierer mit bunten Puppen, dem Flittergold weltlicher Weisheit und dem Lebkuchen der Sinnenlust auftritt. Ein lebendiger Löwe, für Geld gezeigt, veranlaßt gleich eine ganze Kette von 17 emblematischen Predigten oder das Kinderspiel „O König, ich diente gern" wird zur Anknüpfung für eine Reihe von 15 Predigten, vor Nonnen predigt er über die Spinnerin. Der Text Prov. 30,26 veranlaßt 7 Predigten über „Das Häslein im Pfeffer", das zum guten Schluß auf goldenen Platten als Gericht Gott im Himmelreich serviert wird. Da ist das Proverbienwort erfüllt, das furchtsame Häslein hat seine Ruhestatt im Felsen. Am bekanntesten sind die in Anlehnung an Sebastian Brands Narrenschiff geschriebenen Predigten, die erst lateinisch und später deutsch herausgekommen sind. In ihnen werden die einzelnen Laster der Zeit als „Narren6»

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geschwärm" mit ihren „Schellen" behandelt, das alles unter dem Text: „Der Toren Zahl ist unendlich." Ermüdend in den Predigten Geilers ist die Unterteilung und Zergliederung, anschaulich die Bildhaftigkeit und Lebensnähe, schonungslos die Kritik und Satire, die kaum zu heilen vermag, die ganze Predigtweise ist pures Gesetz und nicht Evangelium. e) Die Predigten der devotio moderna, der Brüder vom gemeinsamen Leben haben einen anderen, zarten und innerlichen Ton. Der Stifter der Fraterherren Geert Groote (f 1384) gehört noch dem 14. Jahrhundert an. In abgenutztem Gewand ist er jahrelang als Büß- und Wanderprediger durch Holland und Brabant gezogen und hat auf Friedhöfen und in Kirdien gepredigt, bis die Mendikanten ein Predigtverbot gegen ihn erwirkten. Sünden zu enthüllen, die Habsucht der Orden, das Konkubinat der Priester und jede soziale Ungerechtigkeit zu strafen, auf Buße und Bekehrung zu dringen, mit Höllenstrafen und ewiger Vergeltung zu drohen, den Weg zum Himmel zu weisen und Erkenntnis Gottes und des Evangeliums zu schaffen ist sein Ziel. Das bleibt durchaus im Rahmen mittelalterlicher Frömmigkeit, verbindet sich aber mit einer tiefen Innerlichkeit. Buße ist Ähnlichwerden mit Christus, mitsterben mit seinem Sterben, ist Betrachtung seiner Passion und Nachahmung seines armen Lebens. Aus der Predigt des Thomas a Kempis (f 1471) spricht ein von Herzen kommendes und zu Herzen gehendes Christentum, mönchische Askese und die Nachahmung Christi. In den Kollationen des Fraterherren Johannes Veghe (f 1504) verbindet sich der Humanismus dieser ersten geistigen Bewegung in Münster mit einer praktisch gefärbten Mystik. Der „Weingarten der Seele", der „Marientrost", die „Geistliche Jagd", eine Art Fürstenspiegel, sind mehr Traktate als Predigten. Die Brautliebe des Hohenlieds durchfärbt den „Lectulus floridus". Die Seele ist die Braut, die in den Wunden des Herrn ruht, das Herz der Weinkeller, wo man alle Traurigkeit loswird. Seine Predigten (24 niederdeutsche Kollationen in Nachschriften aus dem Jahr 1492) sind ein Zeugnis zugleich der devotio und der eloquentia moderna. Bei aller Weltflucht beziehen sie das alltägliche Leben ein. Anschauliche Bilder werden

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der Natur, der Schule, den Hospitälern, dem Spinnen und Malen der Nonnen, dem Treiben der Handwerker, den Lebenssituationen wie Hochzeit und Begräbnis entnommen. Demut ist die Wurzel und die Liebesvereinigung die Krone dieser Mystik. Alles ist zart und innig, immer geht es um die Minne, in der Gott und die Seele sich vereinen. f) Reformeriscbe Predigten. Das anschaulichste Bild bieten die Konzilspredigten, auf den großen Reformkonzilien von berühmten Gelehrten, Bischöfen und Theologen gehalten. Allein vom Basler Konzil haben wir 200 solcher Konzilspredigten, typische sermones ad clerum, natürlich lateinisch gehalten, scholastisch in ihrer Form mit Thema und Prothema, Divisionen und Subdivisionen und allem Requisit von quaestiones, distinctiones, Syllogismen, Autoritäten und Konklusionen. Sie werden vor diesem Forum nicht durch Anekdoten verlebendigt, sondern durch Berichte aus der Profan- und Kirchengeschichte, durdi astrologische und andere Gelehrsamkeiten und durch den humanistischen Glanz klassischer Zitate. Wirklich religiöse Predigten finden sich selten, Dogmatisches wird nur berührt, wenn man wissenschaftlich glänzen will. Die eigentlichen Themen sind das Verhältnis von Konzil und Papst, die Mißbräuche der Kirche, ihr Ruin durch den Klerus, Luxus, Frauen, Spiele und Gelage, die Simonie und das Pfründenwesen, die Ämterkumulation, der Nepotismus, die päpstlichen Reservationen und das Beneficienwesen. Drastisch wird von der geringen Bildung des Klerus geredet, der kaum die Einsetzungsworte und den Kanon übersetzen kann, und von der kirchlichen Gleichgültigkeit der Prälaten, denen schon eine einzige Messe im Monat zu viel ist. Audi von diesen Predigten freilich gilt das Wort des Alanus von Lille: docent, non movent, lucent, non ardent. Wir haben solche Konzilspredigten für die Konzile in Pisa, Konstanz, Basel, Ferrara und Florenz. Daneben stehen einzelne Prediger der kirchlichen Reform, die sidi stärker von der bestehenden Kirche distanziert haben. Sehen wir von den älteren Vertretern des Armutsideals ab, so müssen wir doch bis zu John Wyclif (f 1384) noch einmal zurückgehen, dessen Predigten in seinem eigenen Land und durch Hus in Böhmen gewirkt haben. Im zweiten Kapitel sei-

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nes Werks „De officio pastorali" wird die Predigt hoch gepriesen und die Suffizienz, Klarheit und Wahrheit der Sdirift stark betont. Ihre Wahrheit stimmt mit dem Verstand überein, sie ist nova lex, sie wird moralisdi und gesetzlich verstanden und auch kirchenrechtlich angewendet. Nicht Komödien und Tragödien, Fabeln und apokryphe Sentenzen, Deklamationen und Formelwesen soll die Predigt enthalten, sondern „pure legem Dei" und die evangelischen Wahrheiten. Die als Muster gedachten lateinischen Predigten sind nidit frei von Schulgelehrsamkeit, die englischen sind schlicht und von herzlicher Wärme. Im ersten Teil wird der buchstäbliche und der religiös moralische Sinn herausgearbeitet, im zweiten Zweifel am Evangelium, oft Fragen der Kirche und des Kirchenregiments behandelt. Ein gesetzlich gefärbter Biblizismus wendet sich nicht nur gegen den Reichtum und den Sittenverfall des Klerus, sondern grundsätzlich gegen die institutionalisierte Kirche überhaupt, gegen ihren weltlichen Besitz, gegen ihre Macht und Herrschaft, gegen die Abwendung von der apostolischen Armut seit der „Verkaiserlidiung" der Kirche durch Konstantin. In den lateinischen Schulpredigten finden sich manche schwierigen philosophischen und theologischen Passagen, Divisionen, Autoritäten von Aristoteles bis Avicenna und praktische Predigtanweisungen. Der Inhalt von Wyclifs Predigten ist die Nachfolge des armen und demütigen Christus. Durch die Lollharden, die poor priests, die zu zweien, barfuß, in einem Gewand aus dunkelrotem Tuch, den Stab in der Hand, ohne Weihe und Gelübde predigend umherziehen, werden die Gedanken eines Lebens in Demut, Armut und Geduld dem Volk nahegebracht. Gegen die organisierte Kirche richtet sich der Kampf; wahrhaft Kirche sind nur die Erwählten; er wendet sich gegen den weltlichen Besitz und die irdische Macht der Kirche, es geht um die Verherrlichung von Gottes Gesetz. Ein Beispiel für die Reformpredigt in Böhmen ist die „Postilla studentium universitatis Pragensis" des Augustiner Chorherren Konrad von Waldhausen ( t 1369). Auch Pfarrer und nicht bloß Studenten haben diese Musterpredigten gern verwendet. Konrad ist Sittenprediger, der die Unsittlichkeit der reichen und vornehmen Kreise, ihre Habsucht, den Hoch-

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mut und die Üppigkeit geißelt, auch die Geschäftstüchtigkeit der Mönche und ihre Wortkriege. Unter Verzicht auf die Pfründe und sein Amt hat Johannes Militius Kremsier (f 1374) seit 1363 in völliger Armut gelebt, um als Bußprediger sich gegen die Laster in seiner Zeit zu wenden. Für 1367 hat er das Ende der Welt vorausgesagt, er wettert gegen den Klerus, die Prälaten und die Mönche, 300 Prager Dirnen weiß er einem neuen Leben zuzuführen, für die Predigt und häufiges Kommunizieren tritt er ein. Vor allem aber hat Johannes Hus (f 1415) als Volksprediger eine große Wirksamkeit gehabt. Er steht unter dem tiefen Einfluß von Wyclif, ganze Predigten hat er von ihm übernommen, sein Torso gebliebenes letztes Werk gerne benutzt, gelegentlich ist das Anglia einfach durdi das Boemia ersetzt worden. Auch sonst spielen in den lateinischen Predigten die Methoden der artes praedicandi, dilatatio und scholastische Gliederung, Excerpte und Zitate aus den alten und neuen Exegeten von Hieronymus, dem „slavisdien Römer" an bis zum Lombarden eine große Rolle; es gibt Predigten, die wie Excerptensammlungen aussehen. Der Inhalt ist die Nachfolge des synoptischen Jesus der Seligpreisungen und Gleichnisse in Armut, Demut und geduldigem Leiden, die Mahnung zur militia Christi und die Schilderung der ewigen Strafen und der himmlischen Belohnung. Angelpunkte des theologischen Denkens bilden das Gesetz Christi und die wahre Kirche als Schar der Erwählten. Drastisch ist die Sittenpredigt, reichlich konkret geht sie gegen unsittliche Kleider, die Mode der Männer wie der Frauen vor. Anfangs ist seine Predigt mehr Moral als Kampf gegen die institutionalisierte Kirche. Weil Geistliche und Bischöfe das Wettern gegen Hochmut, Herrschsucht, Habgier und Unkeuschheit des Klerus nicht mehr ertragen können, kommt Hus um sein Amt. Aus der Moralpredigt wird jetzt kirchenkritische Predigt, das Evangelium wird von den Erfindungen der Kleriker unterschieden, das Gesetz Christi von dem des Papstes. Schweigen die Priester, müssen die Laien sdireien. Während des Exils predigt Hus in Dörfern und Flecken, auf dem Felde und in Wäldern.

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Nicht die Tiefe der Gedanken und der geistliche Inhalt ist das Wirksame, sondern die moralische Unerbittlichkeit, der aufreizende, manchmal agitatorische Ton, die Einbeziehung der Tagesereignisse, der schwebenden Streitfragen und der kirchlichen Kämpfe in die Predigt und das Anrufen der Gemeinde als Kritiker und Schiedsrichter in solchen Dingen. Hus ist ein wahrer Volksprediger und ein feuriger, mitreißender Redner. Im letzten Brief vor seinem Tod auf dem Scheiterhaufen heißt es: „Lebe dem Gesetz Christi nach und wende alle Sorgfalt darauf, das Wort Gottes zu predigen!" g) Die Reihenpredigten. Im 15. Jahrhundert setzt sich die Sitte der täglichen Predigt in der Fastenzeit durch. Im Quadragesimale haben die Reihenpredigten ihren eigentlichen Ort, in denen gerne Sachthemen wie die sieben Todsünden, die Stufen der Buße, das Verderben der Welt, aber auch das Glaubensbekenntnis, Vaterunser, die Gebote behandelt werden. Das berühmteste Quadragesimale, das noch vor der Reformation 26 Auflagen erlebt hat, zugleich ein beliebtes homiletisches Repertorium stammt von Johannes Gritsch aus dem Jahr 1486. Es bietet lange Predigten über die Tagesevangelien der Fastenzeit, so ausführlich und reich an Materialien, daß es noch Stoff für das ganze übrige Kirchenjahr hergibt. Predigtentwürfe im Anhang erschließen für diesen Zweck durch entsprechende Hinweise das in den Fastenpredigten vorliegende Material. Ovids Metamorphosen machen die heidnische Mythologie zu einer ergiebigen Quelle für allegorisch moralische Ausdeutungen und Anwendungen. Neu kommen jetzt die Passions- und Karfreitagspredigten auf. Sie haben oft die Form der sermones historiales, die in erzählender Weise die Passionsgeschichte wiedergeben. Hieronymus Dungersheim (f 1540) warnt vor Passionspredigten von 8—9 Stunden Dauer, andere halten 4—5 Stunden doch für zu wenig! Schon in der Nacht fängt man an und predigt mit kurzen Erholungspausen den lieben langen Tag. Gabriel Biels (f 1495) „Passionis dominicae sermo historialis" hat auf 100 Quartseiten viele gelehrte Erörterungen, Zitate und allegorische Auslegungen. Mehr und mehr dringen groteske und phantasievolle Ausschmückungen in die Erzählung des Leidens

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Christi ein. Schon Bonaventura kann die Zahl der Wunden Jesu präzise auf 5475 beredinen, natürlich die einzelnen Dornenstiche miteingerechnet. Neuen Stoff ergeben die „compassiones Mariae", weit ausgesponnene Erzählungen über ihr Mitleiden und ihre Zwiegespräche mit dem Gekreuzigten, wie sie sich schon in den Staurotheotokien der byzantinischen Kirchenlieddichtung finden. Zu selteneren Formen gehören die Namenspredigten über die etymologische Deutung biblischer Namen, die sich meist auf Hieronymus stützt. Geiler kann sogar über jeden Buchstaben des Namens Zachaeus ganze Predigten halten. Wichtig wird auch das dramatisch dialogische Element, wenn der Cusaner, um von Geringeren zu schweigen, in einer Karfreitagspredigt einen ganzen Dialog zwischen der Kirche, der Maria und Johannes bietet. Vielfach werden auch Katechismuspredigten gehalten, gelegentlich dabei Symbol und Gebote auf Tafeln geschrieben und neben der Kanzel aufgestellt. Die Polemik richtet sich in der Predigt gegen Aberglauben, Magie und Beschwörung, gegen Ketzer und die Juden, die Brunnen vergiften und Christenkinder schlachten, gegen Wucher und Kleiderluxus, gegen Spiel- und Trunksucht, gegen Mammon und Reigentänze. Von den Ablaßpredigten und ihrer marktschreierischen Entartung soll gar nicht erst die Rede sein. Man hat manches zur Verteidigung der spätmittelalterlichen Predigt angeführt, ihre Volkstümlichkeit und Beliebtheit, ihre erzieherische Bedeutung und moralische Strenge, und das gewiß nicht ohne Berechtigung, aber das alles ändert nichts an der Tatsache, daß unter viel Gelehrsamkeit, unter Abstrusem und Absonderlichem das Wort Gottes verdunkelt wird. Schließlich muß eine christliche Predigt doch an ihrer eigentlichen Aufgabe gemessen werden, an der Verkündigung des Evangeliums.

18. Die Predigt der Reformationszeit Die Reformation leitete ein noch nie dagewesenes Aufblühen der Predigt ein.

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a) Die Predigten Martin Luthers (f 1546) sind ein Spiegel seiner Theologie und seines reformatorischen Wirkens. Glaube und Werke, Gesetz und Evangelium, Rechtfertigung und Gehorsam, der verborgene und der offenbare Gott, der Christus pro nobis und in nobis, das extra nos und das pro nobis, Wort und Sakrament, Geist und Leben, die Kirche und die Gemeinde der Glaubenden, alle gewaltigen Themen reformatorisdier Theologie kommen in ihnen in schlichter, eindringlicher und volkstümlicher Weise zur Sprache. Ebenso wichtig wie die neuen Inhalte ist der neue Ort der Predigt im Ganzen des theologischen Systems. Die Bedeutung des evangelium vocale, die Regel fides ex auditu, die Gewißheit, daß Gottes Wort nicht leer zurückkehren wird, die Glauben wirkende und Gemeinde sdiaffende Kraft des Worts, die Verkündigung als entscheidendes Merkmal der Kirche, die Gegenwart Christi und die Wirkung des Heiligen Geistes in der Predigt geben ihr ein theologisches Gewicht wie nie zuvor in der Geschichte. Das Institutionelle in der Kirche, Amt und Recht, Überlieferung und Ordnung haben nur ein Ziel und den einen Sinn, daß die Verkündigung des Wortes Gottes in „Schwang bleibe". Wir besitzen etwa 2000 Predigten Luthers, freilich liegen die Überlieferungsprobleme nicht ganz einfach. 36 Jahre lang hat Luther gepredigt, oft 2—3mal in einer Woche und bei der Abwesenheit Bugenhagens von Wittenberg auch öfter. Schon aus den Jahren 1510/12 bis 1521 haben wir etwa 200 sermones in Skizzen und Predigtteilen, die in einer Sammlung Valentin Löschers mit Luthers eigenen Aufzeichnungen, in einer Sammlung Stephan Roths mit Nachschriften und in einer umfangreicheren Polianderschen Sammlung mit Predigten Luthers aus den Jahren 1519—21 erhalten sind. Von 1522 an bis zum Tode Luthers reichen die Nachschriften von Georg Rörer, über deren Verläßlichkeit man heute wieder positiver urteilt. Sie sind lateinisch und deutsch mit mittelalterlichen Abbreviaturen und eigenen Kürzeln mitgeschrieben, bald in Vergessenheit geraten und erst 1893 durdi G. Buchwald in der Jenaer Universitätsbibliothek wieder ausgegraben worden. Ein Drittel der Predigten sind Reihenpredigten etwa über die Genesis, über die evangelische Gesdiidite aufgrund einer Art Evangelienharmonie,

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Wochenpredigten über das Johannes- und Matthäusevangelium, Katediismus- und die Invokavitpredigten. Die gedrudtten Predigten sind nicht von Luther selbst veröffentlicht worden und oft nur freie Bearbeitungen. Außerdem kommen die Postillen als Quellen für Luthers Predigt in Frage. 1. Die Kirdienpostille. Auf der Wartburg ist zunächst der Weihnachtsteil mit dem „kleinen Unterricht, was man in den Evangelien suchen und gewarten soll" verfaßt, dann der lateinisch vorangegangene Adventsteil neu bearbeitet und das Ganze, bis Epiphanias reichend, 1522 als Wartburgpostille veröffentlicht worden. 1525 ist die kürzere Fastenpostille hinzugekommen. Diese Predigten stammen von Luther selbst, es sind freilich geschriebene Predigten, auch wenn sie zum Vorlesen im Gottesdienst bestimmt sind. Die Sommerpostille 1526 stammt von Stephan Roth, der 1527 eine Festund 1528 eine Winterpostille folgen läßt, alle mit tiefen Eingriffen in die zugrunde liegenden Nadisdiriften Rörers. Luther, später mit Roth zerfallen, hat sich von diesem Werk ausdrücklich distanziert. Cruciger wurde mit einer neuen Fassung der Sommerpostille betraut; 1540 hat er die älteren Teile der Postille neu herausgegeben und 1544 die Sommerpostille bearbeitet, wieder nicht ohne tiefgreifende Veränderungen, die aus Rörers Notizen ein Ganzes herstellen sollen. 2. Die Hauspostille. Sie ist 1544 erschienen, von Veit Dietrich bearbeitet, und geht auf Luthers Hauspredigten zurück. Auch sie geht frei mit Rörers Nachschriften um, fügt auch eigene Predigten ein und wird in der Ausgabe von Poach zum Anlaß einer Gegenveröffentlichung der Gnesiolutheraner, die sich enger an Rörer anschließen will. Wir sehen von Luthers frühen Sermonen ab, die, in lateinischer Sprache gehalten, noch ein stark scholastisches Gepräge haben, oft tiefsinnige philosophische und theologische Spekulationen und Distinktionen enthalten, auch wenn es in ihnen von Anfang an heißt: „Unum praedica, sapientiam crucis!" Will man Luthers spätere Predigtweise auf eine Formel bringen, so kann man sie schriftauslegende Predigt nennen. Da Christus für Luther die Mitte der Schrift ist, ist er der eigentliche Gegenstand der Predigt. „Die Pfaffen haben kein anderes Amt, denn

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daß sie predigen sollen die klare Sonne, Christus", heißt es in der Osterpredigt von 1522, und knapp und präzise lautet die Formulierung in den Exoduspredigten: „Nihil nisi Christus praedicandus." Von entscheidender Bedeutung für Luthers Hermeneutik ist die Überwindung des vierfachen Schriftsinns und der Allegorese in den Jahren 1524/25 und 1529. Gelegentlich kann auch später noch einmal die Allegorie erbaulich verwendet werden, sie ist dann „ein geistlich Spazierengehen und Spielen", aber nicht ein Fundament einer theologischen Argumentation. Audi wo Luther von einem geistlichen Sinn der Schrift und ihren Mysterien redet, läuft das nicht auf eine doppelte Auslegung hinaus, bekämpft er doch gerade deshalb den mehrfachen Schriftsinn, weil durch ihn der moralische und geistliche Sinn, das Tun und der Glaube getrennt werden. Geistliche Auslegung ist für Luther diristologisdie Interpretation, Vergegenwärtigung des in der Schrift und durch sie wirkenden Christus, nichts anderes als das pro me und pro nobis in ihrer Aussage, das tua res agitur. Es bedeutet keine doppelte Schriftauslegung, wenn eine Predigt nach historia und mysteria, nach historia und usus gegliedert wird. Die sachgemäße Exegese sichert gerade den Brauch und Nutzen der Schrift. Oft findet sich bei Luther eine Einteilung nach dem Schema sacramentum und exemplum, wobei das eine die wirkende Kraft, das andere Vorbild und Urbild der Verwirklichung bedeutet. Die exemplarische Auslegung kann niemals selbständig neben die sakramentale treten, sondern die letzte umfängt, begründet und bedingt immer die erste. Beide Auslegungen sind stets zwei Seiten an einer Sache, die exemplarische ist die anschauliche Seite der sakramentalen Deutung. Die Schrift macht als Exempel deutlich, wie das, was für uns geschehen ist, nun auch an uns und in uns geschieht. Innerhalb des Exemplarischen werden manchmal exemplum fidei und caritatis unterschieden, aber auch dann bleibt der Glaube immer die Voraussetzung für die Liebe. Exemplarische Deutung führt nicht zu einer Frömmigkeit der Werke; Christus ist immer zuerst sacramentum, donum, wirkende und schenkende Kraft. Auch im exemplum hört er nicht auf, donum für uns zu sein.

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Als Schriftauslegung ist Luthers Predigt textgebunden. Von 1280 Einzelpredigten sind nur 62 textlos, im Grunde sind auch die Katechismuspredigten an den Katediismus als Summe der Bibel gebunden. „Wer im Text wohl befaßt ist, der ist ein D o k t o r . " „Turpe est, juristam loqui sine textu, at mille turpius est, theologum loqui sine textu." Immer geht für Luther der Weg v o m Text zur Predigt. Luthers erstaunliche Freiheit von jedem Zwang der Form läßt ihn die berühmten Invokavitpredigten in Wittenberg auch einmal ohne Text halten. Die A u f g a b e der Predigt ist docere und exhortari. „Merke, daß eines Predigtamts zwei Werke sind, Lehren und Ermahnen." Nichts führt in der Predigt über diese beiden modi praedicandi hinaus. Luther geht in der Regel medias in res, fängt mit dem Text an, stellt fest, daß er bekannt ist, „ein schreckliches Evangelium", „horribile dictu", oder ein „fein, lieb, tröstlich, recht Evangelium", ein schwer oder leicht zu fassendes Wort, „ein Scheltevangelium" oder ein „Lehrevangelium", oder er fängt mit dem Kirchenjahr an. Die Predigt bezieht sich ganz auf den H a u p t p u n k t des Textes, den Skopus, ohne daß alle Einzelzüge der Perikope ausgeführt werden müßten. Die normale Form vor allem für die Episteln ist die Homilie, die durch die Orientierung am Hauptgedanken und die Bindung an das Gefälle des Textes eine größere Geschlossenheit erhält. Nichts ist erbaulich, rhetorisch, ästhetisch, gelehrt und gekünstelt, alles ist sachlich, ist Sache des Evangeliums. „ D i e Ehrsucht der Prediger ist die Pest der Kirche." „Ich muß noch einmal ein Buch schreiben wider die klugen Prediger." D a s Konzept, soweit überhaupt vorhanden, besteht aus Gliederungsgesichtpunkten, wobei in der gehaltenen Predigt mancher Punkt fehlen und ein anderer neu auftauchen kann. A m Schluß hört die Predigt einfach da auf, wo sie ihr natürliches Ende erreicht hat. Die anschließenden exhortationes post concionem haben keinen Anhalt a m T e x t und gehören nicht mehr zur Predigt selbst. Sie bilden ein Mittelding zwischen Predigt und Abkündigung. D a geht es um die Errichtung eines Friedhofs, um Mahnungen zu Fürbitte, O p f e r und Sakrament, um Fragen der Gemeindezucht und der Ordnung, um kirchenpolitische Nachrichten, um das Schulwesen und den Gemeinen Kasten, eine Exkommunikation

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wird bekannt gemacht, eine ausgepeitschte Ehebrecherin in Schutz genommen, Einspruch erhoben, daß Uneheliche nicht in die Wittenberger Zünfte aufgenommen werden, da ist von Geiz, Teuerung und Wucher die Rede, daß die Bauern am liebsten gar einen Gulden für ein Ei wollen und dergleichen mehr. Die Hörer sind gewiß nicht solche, „die mit Ernst Christen sein wollen". Mancher Unmut über die kleinen Zahlen im Gottesdienst wird laut, realistisch wird die Oberflächlichkeit und Verschlossenheit der Hörer beurteilt. Aber niemals bestimmt die Gemeindesituation den Inhalt der Verkündigung. Mag Luther auch einmal sagen, bei diesem rohen Volk dürfe nur noch Gesetz gepredigt werden, so entscheidet sich doch die Frage Gesetz und Evangelium am Text. Das Mitspracherecht des Hörers bestimmt nur die Schlichtheit des Redens und die Verständlichkeit der Sprache. „Darum soll man auf der Kanzel die Zitzen herausziehen und das Volk mit Milch tränken; denn es wächst alle Tage eine neue Kirche auf, quae indiget primis principiis... ich will Doctorem Pommeranum, Jonam und Philippum nicht in meiner Predigt wissen; denn sie wissens besser als ich. Ich predige meinem Hänslein und Elslein." Trotzdem kann man diese Predigt nicht pädagogisch nennen; denn Lehre ist ja die Lehre von Christus und seinem Glauben wirkenden Wort. Wo liegt das Geheimnis der Eindrüddichkeit dieser Predigt? Natürlich vor allem in der Wucht und Kraft der Aussage des neu entdeckten Evangeliums, in der Unbedingtheit des Christus solus, der scriptura sola und der gratia sola gegenüber allem Rühmen und aller Selbstherrlichkeit des Menschen. Aber homiletisch kommt noch etwas Anderes hinzu. In dieser Predigt wird die Gegenwart Christi in seinem Wort so direkt, real und konkret in die Welt des 16. Jahrhunderts hineingestellt, daß mitten in ihr die Heudielei entlarvt und die Macht des neuen Lebens aufgerichtet wird. Es schwindet die Differenz der Zeiten, und die Vergegenwärtigung ist so unmittelbar, daß die Welt des Neuen Testaments einfach die von Wittenberg und Kursachsen ist, Herodes ist das Papsttum, die Pharisäer sind die Mönche,

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die Jünger die Kirdie und Gemeinde heute, jetzt in Wittenberg wird die Macht des Todes angegriffen, die Selbstgerechtigkeit zerstört, der Glaube geschaffen und die Freiheit entbunden. Das ist nicht Anwendung, Übertragung und Konkretisierung, das ist das unmittelbare Gegenwärtigsein Christi in seinem Wort und mit seinem Geist. So wird die Predigt zur Wechselrede und zum Streitgespräch, mit dem Teufel wird disputiert, der Hörer kommt mit seiner Dreinrede zu Wort, er wird zurechtgewiesen: „Setze eine Brille auf deine N a s e ! " , mit dem „Herrn Papst" wird debattiert, als säße er in Wittenberg unter der Kanzel. Alles wird personifiziert. Der Henker heißt Meister und der Adlige Junker Hans, der Handwerker ist ein Meister Klügling und selbst der Teufel ein Junker. D a sieht man Kaiser und Höfe, Fürsten und Bürger, die Bauern und das Gesinde, den Ehestand mit seiner Last und Lust, Küche und Kinderstube, alles mit Händen zu greifen. Nichts Alltägliches bleibt der Predigt fern: „Das ist kein Wittenbergisch Bier mehr." Trotz der Lehre von den beiden Reichen wird auch das öffentliche und soziale Leben behandelt. Schließlich ist die Eindrücklichkeit dieser Predigt auch durch die Volkstümlichkeit und Kräftigkeit der Sprache bestimmt, holzschnittartig weiß sie zu malen, sie kennt die Volksweisheit der Sprichworte, hat eindrücklich formulierte Sentenzen, die Ausdrücke sind voller Erdhaftigkeit, Farbe und Leben, manchmal ist die Sprache auch drastisch und derb, grobianisch kann die Polemik sein, „Das hat der Esel Cochläus eingeführt", auch voller Übertreibungen „Wenn gleich 100 000 Türken und die ganze Welt zum Vergleich ins Feld geführt werden", und wiederum kann sie lieblich und zart sein, wenn von den Kindern und den Tieren die Rede ist, „Ihr lieben Vögelein" oder Schwache und Schutzbedürftige verteidigt werden; zugleich ist alles durchwoben von persönlichen Erfahrungen aus der Kindheit, aus der Klosterzeit, aus Krankheitstagen und Anfechtungen, nicht ohne Exempel, aber ohne die läppischen Geschichten des Mittelalters und ohne die Heiligenlegenden, die er für „Lügenden" erklärt, alles geprägt von Menschenkenntnis und seelsorgerlicher Erfahrung. Wer hat sonst so predigen können, daß die Schrift zur unmittelbaren Gegenwart wird!

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b) Die evangelische Predigt zur Zeit Luthers trägt weithin das Kolorit seiner Art zu predigen, versucht oft genug sie nachzuahmen, ohne ihre Kraft, Tiefe und Volkstümlichkeit zu erreichen. Die Visitationen zeigen den Tiefstand der Durchschnittspredigt, in Greters Vorrede zu den Postillen von Brenz wird berichtet, wie mancherorts Sonntag für Sonntag aus Luthers und des Corvinus Postillen Wort für Wort vorgelesen wird. Der Inhalt der Predigt knüpft fast immer an Beidite und Sündenvergebung an, bekämpft Verdienste und gute Werke und sieht in der Rechtfertigung allein aus Glauben den Schlüssel für die Interpretation der Schrift. „Erkenntnis der Sünde und der Gnade Gottes ist all unser Lehren und Predigen" (Bugenhagen). Ethische Fragen werden allgemein als Glaubensgehorsam behandelt, nur Brenz hat sie konkret und selbständig zum Gegenstand der Predigt gemacht. Doctrina und exhortatio sind auch weiter der Inhalt und die Aufgabe der Predigt. In diesen Zeiten des Umbruchs kann Lehre nicht ohne Polemik sein, aber von Amsdorf abgesehen finden sich nur wenige Streitreden und Kontroverspredigten. Urbanus Rhegius hat in seinen „Formula quaedam caute et citra scandalum loquendi" (1535), die auch oft an Kirchenordnungen angehängt wird, den jungen Predigern recht konkrete Anweisungen gegeben, wie man in theologischer Verantwortung über die wichtigsten Kontroverspunkte reden solle. Die Zahl der Predigten ist groß, 2—3mal wird am Sonntag gepredigt, wenigstens dreimal in der Woche, in der Fastenzeit täglich, und wenigstens eine Stunde dauert eine solche Predigt. Die Sprache ist vom Lutherdeutsch geprägt, aber schon bald dringen Unarten aus der Kanzleisprache ein, lange Perioden, geschachtelte Sätze und neumodische Worte. Die gedruckten Predigten sind entweder Entwürfe, manchmal noch lateinisch konzipiert, gelegentlich von Predigtanweisungen durchzogen oder Stenogramme, die erweitert und vervollständigt werden. Selbstverteidigung bietet oft den Anlaß für den Druck von Einzelpredigten. Meist wird über die Perikopen gepredigt, nur Brenz hat ganze biblische Bücher ausgelegt, gelegentlich finden sich auch textlose Predigten, die ihre Schriftgemäßheit durch die Fülle der Bibelzitate erweisen.

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In der Methode bleibt man gerne bei Luthers Art der Homilie, die bei seinen Nachahmern oft zu Unordnung und Planlosigkeit wird. Unter dem Einfluß der Loci Melanchthons entsteht jetzt die Lokalmethode, in der Hauptgesichtspunkte aus dem Text aufgezählt, lose nebeneinandergestellt und unter Heranziehung fremder Texte erklärt werden. Diese Entwicklung findet sich schon bei Georg Major ( t 1574) mit seinen kunstvoll „methodico ordine" gegliederten Predigten, die bis zu 23 Artikel in einer Predigt aufzählen und behandeln können. Verständlichkeit und Volkstümlichkeit bleiben das Ideal der Predigt, mögen sie auch gewiß nicht immer erreicht werden. Von den Predigtmärlein bleiben nur die Fabeln in Ehren. Melanchthon hat „De utilitate fabulorum" geschrieben, und Agricola und Mathesius haben ihnen in ihren Predigten Raum gegeben. Unter humanistischem Einfluß tritt daneben die historische Anekdote und die Verwendung der klassischen Mythologie. Die Postillen sind am Anfang des 16. Jahrhunderts die wichtigste Quelle der Predigt, sie dienen als Predigtanleitung und als privates Erbauungsbudi. Ihre Zahl ist so groß, daß Greter in der Vorrede zur Postille von Brenz sagen kann: fast mehr als Sonntage im Kirchenjahr. Besonders wichtig ist die Postille Philipp Melanchthons (f 1560), audi wenn er nicht im Gottesdienst gepredigt hat: „Ego concionari non possum." Für die Wiedereinführung der alten Rhetorik sind seine „Elementa rhetorices" (1531), die „Dissertatio de officiis concionatoris" (1535) und „De modo et arte concionandi (1537/39) bedeutsam geworden. Nach dem Schmalkaldischen Krieg erklärt Melanchthon zunächst in seinem Hause, dann im Hörsaal für die Ungarn in lateinischer Sprache die Sonntagsevangelien, wobei viel Historisches, Grammatisches und Dogmatisches in die Textauslegung einfließt. Aus den Nachschriften ist die „Postilla Melanchthonis" hervorgegangen, 1549 in deutscher Sprache durch Pollicarius und 1594 in lateinischer durch Pezel herausgegeben. Pezels Ausgabe ist ausführlicher, umfaßt die Jahre von 1548 bis 1560, arbeitet freilich oft mehrere Entwürfe aus verschiedenen Jahren in eins und bringt für jeden Text eine Einleitung mit grammatischen Erklärungen. Auch bei den Vesper7

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predigten Sebastian Fröscheis und den deutschen Predigten des Meißener Dompropsten Fürsten Georg von Anhalt (f 1553) hat Melanchthon einen entscheidenden Anteil. Von Johann Bugenhagen (f 1558) haben wir Summarien, die mehr eine homiletische Anweisung und homiletisdies Arbeitsmaterial für den Prediger darstellen: „Indices quidam in evangelia dominicalia". Seine Passionspredigten legen eine Evangelienharmonie der Leidensgeschichte zugrunde, ihre Verbreitung ist sehr groß, frühe werden sie als „Passional" schon zu einem wirklichen Volksbuch, allein 67 Drucke in deutscher Sprache hat man von ihnen nachgewiesen. Die Summarien enthalten meist kurze Angaben über die Grundgedanken der einzelnen biblischen Kapitel, ungelehrte Pfarrer sollen sie in den Wochengottesdiensten benutzen. Solche Summarien über das Alte und Neue Testament haben wir von dem Nürnberger Veit Dietrich (f 1549), sie enthalten, „was am notwendigsten und nutzesten ist, dem jungen Volk und dem gemeinen Mann zu wissen und zu lehren". Sie sind immer wieder neu aufgelegt worden, noch im 19. Jahrhundert dienen sie in der bayrischen Kirche als „Betstundenbuch". Eine neue Postillenart stellen Dietrichs „Kinderpredigten" dar, gedacht als Hilfe für die Unterweisung der Jugend und des Gesindes im Hause. Auch sie sind bis ins 19. Jahrhundert hinein lebendig geblieben. Luther hat Dietridis schlichte Art gelobt: „Doctor Link und M. Veit Dietrich predigen, daß der gemeine Mann etwas daraus lernt." Eine besondere Art von Postillen finden wir bei Johann Spangenberg (f 1550), den der Schuldienst auch in seiner homiletischen Art bestimmt hat. Er bringt für die Schüler und die Lateinschulen die Sonntagsevangelien in Verse, wir haben ferner von ihm „eine Postille für die jungen Christen in Fragstücke verfaßt" und für die Prediger „Dispositiones für Evangelien und Epistel". Er schließt sich stark an Luther, Corvinus und Brenz an, wird noch im 17. und 18. Jahrhundert oft aufgelegt und in andere Sprachen übersetzt. Bei den für die Jugend bestimmten Postillen wendet er das Frage- und Antwortverfahren aus Luthers Kleinem Katechismus an, für die Prediger hat er die Perikopen in Tafelform gebracht: „Expositiones in

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tabulas redactae". Ganze Predigten können bei ihm die Form der Fragen- und Antwortenkette einer Katechese bekommen. Johannes Brenz ( f 1570) hat zusammenhängend über biblische Bücher gepredigt. Seine Homilien zeigen große Bibelkenntnis und humanistische Bildung, sie sind einfach und sachlich, ohne rhetorischen Glanz und ohne jede Widerspiegelung persönlicher Erfahrungen und enthalten nichts als Lehre des Evangeliums, sie sind durch und durch praktisch ausgerichtet. Auch die 22 „Türkenpredigten" sind wahrhaftig alles andere als Kreuzzugspredigten. 1535/37 erscheint mit einem Vorwort Luthers, später auch in fremde Sprachen übersetzt, die „Kurze und einfältige Auslegung der Episteln und Evangelien" für die „armen Pfarrherren auf den Dörfern", die Brenz selbst mit dem Dormi secure vergleicht. In der Postille sind die Kommentare und biblischen Auslegungen bei den einzelnen Texten von dem Herausgeber eingearbeitet worden: „Postillae expositae". Durch Jahrhunderte sind Predigten von Brenz in der Kirche gelesen worden, vor kurzem noch sind die über die Leidensgeschichte von E. Bizer neu herausgegeben worden. Eine Neuausgabe der Kommentare ist gerade angelaufen. Von Antonius Corvinus ( f 1553) haben wir keine Predigten im strengen Sinn des Wortes, auch die über die Leidensgeschichte sind eigentlich nur Predigtmaterialien. Die beiden kleinen Schriften „Loci in evangelia, in epistolas" sind knappe Textauslegungen und in der Postille, wie der Name für die zusammengefaßten Perikopenauslegungen in der lateinischen Ausgabe lautet, haben wir mehr eine für den Prediger, für Hausväter und die Gemeinde bestimmte praktische Auslegung. Die „Kinderpredigten" von Sebastian Fröschel ( f 1570), unter dessen Kanzel Luther viele Jahre gesessen hat, sind Predigten über den Kleinen Katechismus. Die Definitionen und das homiletische Material stammen weitgehend von Melanchthon, wie ja Fröschel überhaupt ein popularisierender Verbreiter der Gedanken und Ideen Melanchthons gewesen ist. In der Vorrede zu den Matthäuspredigten gesteht Fröschel frank und frei, von diesem Lehrer Dispositionen und Grundgedanken empfangen zu haben und daß er auch sonst die Ausführungen in seine Worte gefaßt habe. 7*

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Eine neue und seltene Form von Postillen begegnet uns bei Johann Matbesius ( f 1565). Von ihm haben wir einen reichen Schatz von gedruckten Predigten, insgesamt 1500, gehalten über einzelne Sprüche, über biblische Bücher, und Postillen, die seinen Namen berühmt gemacht haben (Sonntagspostille in Frage und Antwort, Evangelienpostille, Profetische- und Spruchpostille). „Sarepta oder die Bergpostille" enthält Predigten über die Joadiimsthaler Bergarbeitergemeinde und im Anhang eine Joachimsthaler Chronik. Alles wird hier herangezogen, was die Bibel über den Bergbau enthält. Die Predigten zeigen Kenntnisse der Metallurgik, über die Aufbereitung des Erzes, die technischen Einrichtungen unter Tage, über Bergleute und Steiger und bezeugen auch eine große humanistische Bildung. Bekannter noch sind die „Historien von Luthers Leben" (1562 bis 1564), biographische Predigten, die einzige Biographie in deutscher Sprache aus diesem Jahrhundert. Interessanterweise hat zu gleicher Zeit, ja am gleichen Tage auch Cyriacus Spangenberg ( f 1604) Lutherpredigten für die Bergwerksgemeinde in Mansfeld begonnen, die nicht biographisch geordnet sind, sondern nach sachlichen Gesichtspunkten und die von Luther als Elias, als Johannes dem Täufer handeln und vom 14. bis 21. Kapitel in emblematischer Manier über Luther als Bergmann, Steiger, Hauer, Treckejungen usw. predigen. Sie haben mehr als 40 Auflagen und Bearbeitungen erfahren. Mögen hier auch nützliche Lehren, Warnungen vor Wiedertäufern, Abschnitte über rechte und falsche Propheten, über Berufung und Erwählung, in bergmännische Sprache gefaßte Lebensweisheiten geboten werden, so ist doch diese protestantische Variante der alten de sanctis-Predigten nicht ohne Peinlichkeit. Bei Mathesius will noch alles im strengen Sinn Historie sein, mannigfache Quellen sind verwendet, das Ganze ist auch für die Geschichte Luthers nicht ohne Bedeutung. Wird aber Luther bei Spangenberg als neuer Elias, David, Mose, Prophet, Gottes Wundermann, sein erwähltes Werkzeug, als der Gesalbte und Held Gottes gepriesen, so ist damit der Grund für das bis ins 19. Jahrhundert herrschende falsche Lutherbild gelegt. Von Mathesius haben wir zahlreiche Predigtsammlungen auch über biblische Bücher. So überwiegend in der

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lutherischen Kirche die Perikopenpredigt ist, die Alleinherrschaft hat sie nicht gehabt. Predigten, in denen der methodische Gesichtspunkt besonders ausgeprägt ist, finden sich in der Postille des Erasmus Sarcerius (f 1559), die ein Hilfsmittel für den Prediger sein wollen. Von ihm haben wir auch Summarien mit einer kurzen Inhaltsangabe für alle biblischen Bücher und vor allem die schon im Titel ihre Eigenart verratenden „Conciones rhetorica dispositione conscriptae", ausgezeichnet durch logische Ordnung und klaren Aufbau. In seiner erst nach dem Tode aus Konzepten herausgegebenen Postille beweist sich Joachim Mörlin (f 1571) als sdiarfer Streitprediger und ein kräftiger Strafprediger. Zur Gattung der Summarien gehört das Hauptwerk von Johann Agricola ( t 1566), das als Schulbuch und als Predigthilfe gedacht ist. Jeder Text wird gleichmäßig in drei Teilen behandelt, sie bringen eine Darstellung und Würdigung des Abschnittes nach seinem Inhalt, die Herausstellung der Hauptgesichtspunkte für eine Predigt und schließlich eine vollständig ausgearbeitete Predigt. Weit verbreitet sind Agricolas Sammlungen und Erläuterungen deutscher Sprichwörter. Viele Namen und vor allem die zahlreichen Einzeldrucke von Predigten muß eine summarische Übersicht freilich übergehen. c) Viel geringer fließen die Quellen für die reformierte Predigt. Daß Ulrich Zwingli (f 1531) ein bedeutender Prediger ist, wird uns nicht allein von Bullinger bezeugt, aber von den etwa 1000 am Großmünster zu Zürich gehaltenen Predigten ist uns keine in ihrer ursprünglichen Form erhalten. In Einsiedeln hat Zwingli nodi über die Perikopen gepredigt, schon biblisch, aber noch ohne Angriffe gegen die Hierarchie, aber seit der Berufung als Leutprediger nach Züridi im Jahre 1518 hat er das Evangelium nicht mehr „zerstückt" in Perikopen predigen wollen. Nadidem er das Neue Testament bis auf die Offenbarung durchgepredigt hat, beginnt er 1526 mit dem Alten Testament. Die praedicatio continua wird in der Eidgenossenschaft geradezu das Erkennungszeichen der reformierten gegenüber der lutherischen und katholisdien Predigt.

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Solche Reihen werden bei Reisen durch Predigten auf fremden Kanzeln unterbrochen, gelegentlich audi durch aktuelle Anlässe, die zu einer thematischen Predigt führen. Die Erstlingsschrift „Vom Erkiesen und Freiheit der Speisen" ist 1522 aus einer Predigt hervorgegangen. Im gleichen Jahr hat Zwingli in der Züricher Klosterkirche die Predigt „Von der Klarheit, Gewißheit und Untrüglichkeit des Wortes Gottes" gehalten, nach der die dunklen Stellen der Schrift von den klaren her ausgelegt werden sollen. Auf Verleumdungen und Angriffe antwortet die Predigt „Von der ewig reinen Magd Maria", und 1523 veranlassen Auseinandersetzungen über den Zehnten die Predigt „Von der göttlichen und menschlichen Gerechtigkeit". Aus dem gleichen Jahr stammt die Predigt „Der H i r t " , vor Zürichern Pfarrern am dritten T a g der zweiten Züricher Disputation gehalten. 1528 predigt Zwingli in Bern über das Apostolische Glaubensbekenntnis und 1529 bei dem Marburger Religionsgespräch in der Schloßkapelle vor dem Landgrafen Philipp von Hessen. Diese vereinzelten Predigten sind nachträglich, oft erst erheblich später, niedergeschrieben und meist beträchtlich erweitert worden, so daß sie jetzt mehr Traktaten als Predigten gleichen. Zwingli predigt ohne jedes Manuskript und Nachschriften haben wir nur vereinzelt. Zwingli lehnt alle künstliche Rhetorik ab, bei ihm wird reichlich doziert, sachlich wird Vers für Vers exegesiert, oft werden „Kundschaften", biblische Belegstellen geradezu aneinandergereiht. „Mit einfachen, dem Schweizer von Haus aus vertrauten Worten" will er reden, volkstümliche Vokabeln wie Flegel, Ölgötze, Beschiß werden durchaus verwendet; Vergleiche und Bilder sind oft dem Kriegsleben entnommen, Christus ist der Hauptmann, seine Gläubigen sind „Reyser". In zunehmendem Maß wird Zwingiis Predigt politisch, sie wendet sich gegen öffentliche Mißstände, erregt auch Ärgernis und wird zum Gegenstand von Verhandlungen und Rügen. Samson veranlaßt ihn zur Predigt gegen den Ablaß, ein andermal wird zum Kauf und zur Lektüre von Luthers Schriften gemahnt, Zwingli predigt wider das Bündnis mit Fürsten und Herren, das für ihn einen Verrat an der eidgenössischen Freiheit bedeutet, er nimmt Stellung zum Zehntenwesen und zu den die Bauern drückenden

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Lasten, er kämpft gegen die fremden Pensionen, die er für Landesverrat hält, und gegen das Sündengeld fremder Werber, gegen die man auch die Folter verwenden darf, gegen den Adel mit seinem Saufen und Huren, der freilich nicht ausgerottet, sondern gebessert werden soll. Schriftauslegung, humanistische Bildung und eidgenössischer Patriotismus verbinden sich in diesen Predigten. Wir haben wenigstens eine summarische Niederschrift einer politischen Predigt Zwingiis, gehört von einem Unbekannten, von ihm einem ebenfalls unbekannten Freund mitgeteilt, gehalten nach der Schlacht von Pavia, in der 5000 schweizerische Söldner entronnen sind. Vielleicht ist die Schrift „Der Hirt" besonders geeignet, Zwingiis Predigtweise widerzuspiegeln. Sie ist ein aufrüttelnder Mahn- und Weckruf und zeichnet in kampfreichen und bewegten Zeiten ein eindringliches und mutmachendes Bild von der öffentlichen und persönlichen Verantwortung des allein an Gottes Wort gebundenen Predigers. „Mit euch von unserm Amt zu reden" ist das Thema. Rückhaltloser Einsatz, Lösung von der Verwandtschaft und Familie, Selbstverleugnung und Kreuztragen, Verzicht „auf Sack, Säckel und Korb", Mut vor den Fürsten, Glaube ohne Zweifel, Ubereinstimmung von Predigt und Leben wird vom Pfarrer gefordert. Er muß den öffentlichen Angriff gegen die Schäden der Zeit wagen. „Also finden wir, daß der Hirt die allerhöchsten Laster zum ersten unerschrocken angreifen muß und sich nicht lassen schrecken durch die aufgeblasene Gewalt dieser Welt noch durch keine Bedrohung." Schild und Speer soll man nicht wegwerfen! „Nicht fürchten ist der Harnisch." „Manlich" soll der Hirte sein. „Nicht nachlassen!" Hirtenamt ist Wächterdienst. „Es muß gewacht und gewehret werden." „Redest du nicht, wird das umkommende Blut von dir gefordert." In der „Prophezey" wird anknüpfend an das Officium und die Hören von Theologen täglich außer Freitag und Sonntag ein Kapitel der Bibel in der Vulgata oder im Urtext gelesen, von den „Lesemeistern" erklärt, und anschließend das Ergebnis der Gemeinde vorgetragen. d) Anders steht es mit der Überlieferung bei Johannes Calvin ( t 1564). In Genf hat auf Bitten der Flüchtlinge 1549 die

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„Genossenschaft der Fremden" Denis Raguenier als hauptamtlichen Predigtstenographen angestellt, der bis zu seinem Tode im Jahre 1560 fast lückenlos die Predigten Calvins mitgeschrieben, ins Reine übertragen und gesammelt hat, eine Arbeit, die auch später noch von andern fortgeführt wurde. 700 Predigten Calvins sind im Corpus Reformatorum enthalten, schon bis 1563 hat es 21 Drucke gegeben, ohne daß er sie selbst durchgesehen hätte. Außerdem befinden sich in der Bibliothèque Publique et Universitaire in Genf heute noch 14 Bände mit Nachschriften von rund 600 Predigten. Das ist der Rest von einem Ganzen, über das ein Katalog von 1564 Auskunft gibt. Ursprünglich waren es 40 Bände mit 2042 Predigten. 1805/6 hat die Genfer Bibliothek dieses ganze so mühsam erstellte Material zusammen mit Dubletten bis auf einen Probeband kiloweise verkauft, 1823 gab es Unruhe, und erst 1826 bis 1876 hat man die heute noch vorhandenen 14 Bände zurückgekauft, den Rest von dem, was einmal lückenlos vorhanden war. Die Zahl der gedruckten Predigten wird damit um 450 noch ungedruckte erweitert. Calvin hat unermüdlich gepredigt, außer an den Wochentagen in der Regel zweimal am Sonntag. Schriftlich waren die Predigten nicht niedergelegt, aber gründlich wurden sie meditiert und dann auf der Kanzel frei mit der Bibel in der Hand vorgetragen. Das Predigtziel ist Auslegung der Schrift für die Gemeinde. Zusammenhängend werden biblische Bücher erklärt, dabei die Festtage berücksichtigt, auch die vom Rat genehmigten besonderen Dank- und Bittage etwa aus Anlaß einer in Genf überstandenen Gefahr oder der Pest in Deutschland und der Verfolgung der Hugenotten in Frankreich. Die Sonntagspredigten werden über das Neue Testament und die Psalmen gehalten, in der Woche wird über das Alte Testament gepredigt. Das Auslegen ganzer Bücher wird nicht sklavisch durchgehalten, bei Hesekiel werden die Kapitel 40—48 ausgelassen und in den Hiobpredigten die Natursdiilderungen in großen Texteinheiten zusammengefaßt. Die Schrift will die Predigt lehren, sonst nichts. Verständlich ist die Sprache Calvins, von Rhetorik hält er nichts. Im Vorgang der Auslegung wird die sachliche Aussage

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zur persönlichen Anrede, in der Gott Gemeinschaft mit dem Menschen stiftet. Christus selbst redet mit seinem Wort durch die Verkündigung des Predigers. Auslegung ist schon Anwendung. Gesetzlich mag die Predigt manchmal sein, sie bleibt doch Verkündigung der Gnade, dozierend mag sie wirken, mandimal auch ermüdend breit und nüchtern sein, Luthers Natürlichkeit und Frische fehlen ihr, aber trösten kann sie und aufrichten, Erwählung und Gnade verkündet sie, den Menschen weiß sie wohl in Zucht zu nehmen, und alles steht unter dem Gedanken der Ehre, Souveränität und Herrsdiaftsmacht Gottes. Mit dem Wesen des Menschen ist sie vertraut, mit der Alltäglichkeit seines Tuns und Denkens, mit Reichtum und Armut, Haus und Geschäft, mit Zucht und Ordnung in der Gemeinde, mit Fragen des Gemeinwesens und des Rechts. Die ungerechte Einziehung der Kirchengüter, die Servetschen Händel und die Verfolgung der Glaubensgenossen in aller Welt kommen zur Sprache. Immer geht es um „nostre profit de ceste doctrine", um das, was zur Erbauung des einzelnen und der Gemeinde dient. Emblematisches, Symbolisches und Allegorisches fehlen, aber die Sprache selbst ist anschaulich und bildhaft. Aus dem militärischen Leben werden gerne Bilder entnommen; Christus ist der dief, capitaine, lieutenant, von Kampffeld und Panier, von Speer und Bogen, von Disziplin und kämpferischer Entschlossenheit wird geredet. Auch juristische Bilder wie Urschrift und Abschrift, Siegel und Pfand werden gern gebraucht; die Sonne wird zum Bild für Gottes Majestät, das Meer für die Unruhe des menschlichen Lebens, die Quelle für die göttliche Offenbarung. Die Werkstatt und die Handwerker, Lehrer und Schüler, Eltern und Hausväter, vor allem der Arzt werden zur Erläuterung herangezogen. Diese Predigten bilden einen Schatz der Kirche, wo nur schriftauslegende Predigt getrieben wird, wird Calvin immer gerne zitiert und mit Nutzen herangezogen. e) Wir kennen aus dieser Anfangszeit eine große Zahl reformierter Prediger, aber wir haben verhältnismäßig wenig gedruckte Predigten von ihnen. Von Johann ökolampad (f 1531)

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haben wir außer einer Streitschrift gegen den risus pasdialis 21 Predigten über den 1. Johannesbrief, die „Demegoriae" und von Ambrosius Blarer (f 1564) die in Biel gehaltenen und von fremder Hand herausgegebenen Apostolikumspredigten. Auch von Theodor Beza (f 1605) sind nur wenige Predigten erhalten. Berühmt ist seine Weihnachtspredigt, vor Tausenden von Hugenotten bei Paris auf freiem Feld gehalten, wie er angesidits der Drohungen des Pariser Pöbels auf Stefanus und den offenen Himmel weist. Wir haben von ihm Predigten über das Hohelied, die Passion und die Auferstehung. Von Martin Bucer ( f 1551) besitzen wir seine Predigt auf der Berner Disputation über die Nachfolge Christi und drei Benfelder Predigten, die 1538 die weltliche Obrigkeit zur kirchlichen Reform aufrufen. Seine homiletisdie Art enthält zuerst eine Metaphrasis, eine freie Wiedergabe des Textes, dann die expositio, die Ort, Zeit und Umstände der apostolischen Argumentation behandelt, und schließlich folgen Ausführung und Applikation. Ganze Predigtreihen haben wir zum ersten Mal von Zwinglis Nachfolger Heinrich Bullinger ( f 1575), der lange Zeit in seinem Amt 6—8mal in der Woche gepredigt hat und seit 1549 statt der Kommentarwerke umfangreiche Predigtbücher herausgegeben hat. Im ganzen sind 618 Predigten von ihm meist über biblische Bücher veröffentlicht worden. Die fünf Dekaden, die immer je zehn Predigten über die Hauptstücke des christlichen Glaubens enthalten, später als „Hausbuch" zusammengefaßt, sind textlose Predigten, die aber eine Fülle biblischen Materials enthalten. „Christus solus est audiendus" ist ihr Ausgangspunkt. Die Schrift ist Gottes „Eingeistung", nichts will Bullinger als Schriftauslegung, scripturam scripturis interpretans. Das „Hausbuch" ist ein Mittelding zwischen Postille, Katechismuspredigt und dogmatischem Leitfaden, zugleich Predigtsammlung und Predigtmaterial für den Pfarrer. Es hat eine weite Verbreitung gefunden, wurde aus dem Lateinischen ins Französische, Niederländische und Englische übersetzt, an den Hochburgen des Reformiertentums in Zürich, Genf, Heidelberg, Amsterdam, Dortrecht und Emden gedruckt. In 75 Jahren, ehe das Buch in Vergessenheit geriet, finden wir 28 Auflagen. Aus

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einem theologischen Lehrbuch und einem Hilfsmittel für Prediger ist ein Buch für den reformierten Lesegottesdienst und ein beliebtes privates Erbauungsbudi geworden. 19. Die nachreformatisdxe Predigt in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Langsam vollzieht sich in dieser Zeit der Übergang zur Orthodoxie. Schon kommen Streitfragen subtiler Art auf die Kanzel, die Lehre verhärtet sich doktrinär, und die Verbalinspiration setzt sich durch. Trotzdem überwiegt noch die Zahl der schlichten, biblischen und praktischen Predigten. Folgende Methoden kann man in dieser Zeit unterscheiden: 1. die Nachahmung der Predigtweise Luthers, damals die „heroische" genannt, die leicht zu völliger Unordnung und Planlosigkeit führt. „Es ist nicht gleich für heroisch zu halten, was unrhetorisch ist" (Chr. Schleupner). 2. Die Lokalmethode, in der der Text nach einzelnen, durch kein Thema miteinander verbundenen Lehrartikeln gegliedert wird, die Stück für Stück in der Predigt behandelt werden. Die Loci generalisieren die einzelnen Textaussagen unter allgemeinen dogmatischen Gesichtspunkten. 3. Neben der „artikulierten" Predigt steht noch immer die Homilie, damals paraphrastische Predigt genannt. „In paraphrastica methodo textus dominatur, in articulata (locali) textus ancillatur" (Schleupner). 4. Die synthetische Methode, nach dem Methodus concionandi des Andreas Pancratius (t 1576) auch „pancratianisch" genannt. Jede Predigt hat hier vier Hauptstücke: Exordium, doctrina, applicatio und conclusio. Diese einfache Gliederung genügt aber dem systematischen Bedürfnis noch nicht, a) Zum exordium gehört die captatio benevolentiae, die docilitas (Angabe des Stoffs) und die attentio (Empfehlung des Stoffs); b) in der doctrina wird zuerst die antithesis (die entgegengesetzte Lehre), dann die concessio (die Anerkennung ihrer relativen Wahrheit), die refutatio (Widerlegung des Falschen), die propositio (Formulierung des eigenen Themas), die declaratio (seine Erklärung), die confirmatio (der Beweis) und der Abschluß der doctrina traktiert; c) die applicatio verwendet den Text zu Trost, Mahnung und Warnung

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und endet im suspirium und Gebet (partium repetitio, affectuum commotio und voti additio). Das alles ist nicht ohne Methode und heuristisch auch nicht ohne Sinn, wenn daraus nicht die Zwangsjacke einer mechanischen Form wird. Vertreter der dogmatisch orthodoxen Predigt ist in dieser Zeit Tilemann Heßhusius (f 1588), der ohne besondere Originalität und Tiefe, aber streitbar, verständlich und lebendig nach der synthetischen Predigtweise oder der Lokalmethode dogmatische Fragen wie die Rechtfertigung, die Erkenntnis Gottes oder „die persönliche und in alle Ewigkeit unzertrennliche Vereinigung der beiden Naturen in Christus" behandelt. Die Predigten des Andreas Pancratius (f 1576) gleichen dogmatischen Abhandlungen, und bei seinen Katechismuspredigten heißt es gleich im Titel „nach der rhetorischen Disposition". Nicht mehr so eindeutig gehört Jakob Andreae (f 1590) in diese Gruppe, der die dogmatische Lehre in einer schlichteren und praktischeren Form vorträgt. Dafür hat er konfessionelle Polemik und Kontroversfragen auf die Kanzel gebracht: 23 Predigten von den fürnehmsten Spaltungen in der christlichen Religion, 6 Predigten vom Klosterleben, 13 Predigten vom Türken, 6 Predigten von den Spaltungen zwischen Theologen der Augsburgischen Konfession. N u r in einzelnen Stükken gehört Nicolaus Seinecker (f 1592) mit Predigten über sämtliche paulinischen Briefe, seinen Postillen und den „Predigten von dem christlichen Buch der Konkordien" (1581) noch hierher. Die Mehrzahl seiner Predigten gehört unter Verzicht auf die scholastische Form der volkstümlichen, schlichten und frommen Predigtweise an. Ein Vorkämpfer gegen die sich zu Unrecht auf Luther berufende ungeordnete Predigtweise ist Johann Gigas (f 1581), ein schlesischer Prediger, der immer wieder die Notwendigkeit des theologischen Studiums, der Fremdsprachen, der Exegese, des Arbeitens, Betens und Meditierens für den Prediger betont. „Ach wie ungern höre ich die Wäscher- und Drescherprediger, die sich rühmen, daß sie auch ex tempore und aus dem Stegreif eine Predigt tun können!", heißt es in seiner Schrift „Vom Prediger und Zuhörer". Zu der Zahl der praktischen, verständ-

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liehen und erbaulidien Prediger gehört Johann Habermann, (Avenarius f 1590), der in der Form einer dem Gefälle des Textes folgenden Homilie predigt. Seine Predigten sind bald vergessen worden, durch sein Gebetsbucii „Christliche Gebete für allerlei Not und Stände der ganzen Christenheit" hat er als Erbauungsschriftsteller bis ins 19. Jahrhundert hinein gewirkt. Gründlich und auch praktisch sind die Predigten von Hieronymus Menzel aus Mansfeld ( f 1590), der Luther stark ausschreibt. Seine Postille hat schon im Titel den Zusatz „fürnehmlidi aus Gottes Wort und Doktor Luthers Schriften zusammengetragen". Der Aufriß seiner Predigten besteht aus der Summe des Textes, aus den Hauptgedanken, der Begründung mit Katechismusstellen und Bibelsprüchen und der Einteilung in „Stücke", in denen oft noch Explikation und Applikation getrennt wird. Die tiefsten und gehaltreichsten Predigten aus dieser Zeit stammen wohl von Martin Chemnitz ( f 1586), die nadi der Lokalmethode aufgebaut sind. Die Postille wurde erst nach seinem Tode von Polycarp Leyser publiziert (1594). Von Cyriacus Spangenberg ( f 1604) haben wir einfache und praktische Predigten nach synthetischer Methode, bekenntnisgebunden, kindlich im Gottvertrauen, derb, drastisch und humorvoll in der Redeweise, unter anderen zusammenhängende Predigten über paulinische Briefe. Von den in einer Sammelausgabe unter dem Titel „Theander Lutherus" vereinigten Lutherpredigten ist schon die Rede gewesen. Spangenberg hat auch einen bedenklichen Anteil an der volkstümlichen Teufelsliteratur. Er schreibt von dem Jagd-, Sauf-, Spiel- und Tanzteufel und ein Vorwort zu Andreas Hoppenrodts Hurenteufel (1588). Es entsteht eine Literaturgattung, in der sich Predigt, Anekdote mit Warnung und Unterhaltung mischen. Andreas Musculus ( f 1581) hat seine vielen Querelen auf die Kanzel gebracht, auf dem Rathaus haust der Teufel, unter zwei Stunden hat er keine Predigt gehalten; Himmelfahrt 1555 hat er gegen die von Landsknechten geschaffene Mode der Pluderhosen gepredigt, wider den zum Hofgesinde des Teufels gehörenden „Hosenteufel", später auch gegen den Fluch- und Eheteufel. Zuletzt werden die ganzen speziellen Teufel zu einem Theatrum diabolorum vereinigt (1586).

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Ein neuer, später in der Aufklärung weit verbreiteter Predigttypus taucht bei Lucas Oslander ( t 1604) auf, der in seiner „Bauernpostille" schlicht und verständlich „für das einfältige christliche Völklein auf den Dörfern" predigt. In der Vorrede werden die homiletischen Grundsätze entwickelt, keine spitzfindige Polemik, keine langen Predigten bei den weiten Wegen auf dem Lande, keine „kanzleiische" Rede mit langen Perioden. Seine Predigten sind schlicht und verstehbar — abgesehen von einigen Streitpredigten, die auch er nicht lassen kann. Wie Gigas wendet sich Simon Pauli in Rostock ( f 1591) gegen die ungeordneten Predigten der bloßen Einfälle, die „nur unverschämt hinplaudern, was ihnen aus dem Munde kommt, reime es sidi oder nicht", gegen das „Plaudergewäsch", das „Schwätzen ohne Ordnung" und stellt die wohl noch oft wiederholte Frage: „Warum lesen solche Prediger den Text, wenn sie ihn nicht erklären wollen?" Die Titel der Perikopenpredigten „Dispositiones et enarrationes" und der Zusatz in den Postillen „nach rhetorischer Art" verraten Art und Interesse dieser Predigten. Die Liederpredigt begegnet uns bei Georg Strigenitz (f 1603) in seinen Predigten über Luthers Choral „Ein Kindelein so löbelidi". Im übrigen zeigen sich bei ihm schon deutliche Verfallserscheinungen in den „Predigten von dem greulichen Blutbad und der erbärmlichen Niederlage der Kinder zu Bethlehem", in den Adventspredigten „Von des Herrn Christi Pferde" und den 122 „Jonapredigten", von denen 5 allein die Worte „Jona ben Amithai" zum Text haben. Die Verbalinspiration führte öfter zu langen Predigten über bloße Über- und Unterschriften. Gründlich sind die Predigten von Ägidius Hunnius (f 1603), die den Text in „Stücke" teilen und ihn dann als Lehre, Erinnerung und Trost auslegen, ein Übergang zu dem fünffachen usus der orthodoxen Predigt. Wir beschließen den Abschnitt mit Polycarp Leyser ( f 1610), in dem uns zum ersten Mal der Typus des Hofpredigers begegnet. Seine Landtagspredigten nennt er einen „Regenten-

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spiegel", und in der Vorrede hat er sich selbst einen „Hofpredigerspiegel" vorgehalten. Er will „Gottes Willen unverfälscht nach der Anleitung der Augustana invariata und der Form. Concord. lehren, sein Lehramt mit christlichem Wandel zieren, aber alles ungehofmeistert lassen, was Gottes Wort nidit straft." Das ist eher die Problematik dieses Amts als ihre Lösung. In Kontroverspredigten handelt er davon, „ob und wie man lieber mit den Papisten Gemeinschaft haben und gleichsam mehr Vertrauen zu ihnen tragen soll denn mit und zu den Calvinisten." Er gehört noch in unsern Zeitabschnitt, weil er gegen „alle Prangerei, hohe Stolzen und Gerumpel" in der Predigt ist, „daß auch des Schusters und des Schneiders Magd etwas Nützliches zur Gottseligkeit daraus machen und behalten können." In vielem zeigen diese Predigten schon epigonenhafte Züge. Ihre Lehrhaftigkeit wird dürr und trocken, der kommende Formalismus kündigt sidi schon an, aber die meisten bleiben noch sachlich, nüchtern und schlicht in ihrer Frömmigkeit, biblisch und praktisdi, sie wahren die Substanz der reformatorisdien Lehre.

20. Die katholische Predigt des 16. Jahrhunderts Die Geschichte der katholischen Predigt des 16. Jahrhunderts ist in den romanischen Ländern vom Humanismus bestimmt. Philosophische und philologische, geschichtliche und auch naturwissenschaftliche Gelehrsamkeit treten an die Stelle der Distinktionen und Divisionen der scholastischen Predigt. Das Konzil von Trient hat unter Hinweis auf frühere Gesetzgebung die Predigt allen Bischöfen und Priestern zur Pflicht gemacht. In romanischen Ländern bleibt freilich die Quadragesimalzeit noch immer die eigentliche Predigtzeit, in der die nicht ortsgebundenen Mönche in Missionen Volks- und Bekehrungspredigten halten. Um eine biblische Verkündigung hat sich der Mailänder Erzbischof Karl Borromaeus (t 1587) bemüht, der eine Akademie zur Heranbildung tüchtiger Prediger gegründet und sich in seinen weit verbreiteten „Instructiones pastorales", veröffent-

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licht unter den Akten der Mailänder Kirche, mit praktischen Fragen der Homiletik beschäftigt hat. Im spanischen Raum ist der bedeutendste Prediger dieses Jahrhunderts Ludwig von Granada (f 1588), der eine „Ratio concionandi" in sieben Büchern und Predigtreihen von großer rednerischer Eindringlichkeit und psychologischer Menschenkenntnis herausgegeben hat, die freilich mit Bildern, Vergleichen und Legenden überladen sind. Er selbst hat diese Predigten am Ende seines Lebens aus der Volkssprache ins Lateinische übersetzt. In Deutschland -wird unter dem Einfluß der Reformation auch die katholische Predigt in manchem eine andere. Verständlich ist es, daß Apologetik, Polemik und Kontroverstheologie eine große Rolle in ihr spielen. Kein Prediger kann an den tiefgreifenden Bewegungen der Zeit einfach vorübergehen, wenn auch das, was hier an Subtilitäten, Spitzfindigkeiten, formalistischem und persönlichem Gezänk, an Verzerrung und grobianischer Derbheit auf die Kanzeln kommt, oft nur schwer zu ertragen ist. Einer der bekanntesten Vertreter der Kontroverspredigt ist Johannes Eck (f 1543), der den einflußreichen lutherischen Postillen eine „Christliche Auslegung der Sonntagsevangelien" in mehreren Bänden gegenüberstellt, den „Homiliarius contra sectas" und 5 Bände deutscher Predigten zum Kirchenjahr folgen läßt. Eck ist ein scharfer und scharfsinniger Kontroverstheologe, Disputationskunst und Apologetik sind das Lebenselement seiner Predigten, trockene Gelehrsamkeit und scholastischer Aufbau lassen sie nicht volkstümlich werden, die Spitzfindigkeit der logischen Argumentation gleicht die mangelnde Tiefe nicht aus. Ein anderer berühmter Kontroverstheologe ist der aus einem protestantischen Elternhaus stammende Martin Eisengrein (f 1578), der in seiner Postilla catholica, in der „Christlichen katholischen Auslegung der Sonntags- und Festtagsevangelien" und in vielen volkstümlichen, bilderreichen, oft sarkastischen Predigten über kontroverstheologische Themen bei der Schärfe seiner polemischen Apologetik nicht viel Raum für das Evangelium hat. Die Mainzer Domkanzel ist in dieser Zeit eine der bedeutendsten katholischen Predigtstätten. Wenigstens einige Studien-

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jähre hat der Colmarer Augustinereremit Johannes Hoffmeister (f 1547) in Mainz zugebracht. Seine Schriftauslegung lehnt sich an Augustin und Chrysostomus an, in einer praedicatio continua hat er über eine große Zahl biblischer Bücher gepredigt. Im Bemühen um Widerlegung des Protestantismus und um Erneuerung des Katholizismus bleibt seine Polemik maßvoll, seine Art volksnahe, er ist auch nicht blind gegen die Mißstände in seiner eigenen Kirche. In Mainz hat auch der Domprediger Friedrich Nausea (Grau f 1552) gewirkt, später Bisdiof von Wien. Er gilt als einer der bedeutendsten katholischen Prediger und Apologeten der Reformationszeit. Die Form seiner Reden ist sehr mannigfaltig, er kann eine einzelne sententia aus dem Evangelium herausgreifen, er kennt Homilien und thematische Predigten, auch die Lokalmethode übt er. Ebenfalls in Mainz hat ein bedeutender katholischer Prediger dieser Zeit gewirkt, Johann Ferus (Wild f 1554), er hat fast 30 Jahre dort auf der Domkanzel gestanden. Neben seiner „Postille evangelischer Wahrheiten" hat auch er zusammenhängend biblische Bücher in der Predigt ausgelegt. In der Postille gibt es gleich 10 Predigten für jeden Sonntag, geschrieben ist sie „für die Einfältigen" „ohne große Kunst und Subtilität". Seine Homilien haben einen thematischen Aufbau, „weil andere in ihren Postillen genugsam von Wort zu Wort ausgelegt haben". Seine Predigten sind Bibelauslegung, kirchlich werden sie durch die Vorliebe für Zeremonien, die Erklärung von kirchlichen Gebräuchen, Meßgebeten und liturgischen Gesängen. Die Polemik steht nicht im Vordergrund, wenn sie auch nicht einfach fehlen kann. „Deformierung ist die Folge der neuen Reformierung." Die Predigten sind ins Lateinische und Böhmische übersetzt worden, aber die Indizierung der meisten von seinen Schriften hat ihrer Wirkung im Wege gestanden. Ebenfalls von Mainz ist Michael Heiding ( t 1561) ausgegangen, der Vertreter eines von Erasmus herkommenden Humanismus. Bibel und Väter bilden die Grundlage seiner Predigt, er predigt volkstümlich und verständlich mit einem von Erasmus bestimmten moralischen Akzent und bemüht sich um eine innere Reform der Katholischen Kirche. Bezeichnend ist, daß er mit 128 Predigten über die Proverbien angefangen hat, die ihm als Inbegriff biblischer Lebensweisheit 8

Schutz, Christliche P r e d i g t

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gelten. Im übrigen kennt das 16. Jahrhundert aus ähnlidien Gründen etwa 40 Bearbeitungen der Sprüche Salomos. Heldings paraphrastische Meßerklärungen sind keine eigentlichen Predigten, durch die Herleitung des Kanons und des Dionysius Areopagita aus apostolischer Zeit haben sie mit gutem Grund den wissenschaftlichen Zorn seiner Gegner, vor allem des Flacius hervorgerufen. Welche Bedeutung gerade die biblische Predigt auf den katholischen Kanzeln dieser Zeit hat, bestätigen auch die Homilien Georg Witzeis (f 1573), seit 1553 kaiserlicher Rat in Mainz. Er ist lange Zeit lutherischer Gemeindepfarrer gewesen, verheiratet und hat schon damals mit Ausnahme der Apokalypse die biblischen Bücher durchgepredigt. Seine katholischen Predigtwerke haben viele Auflagen. Im Dedikationsbrief zu seiner „Katholischen Postille" gibt er ein anschauliches Bild von der Durchschnittspredigt seiner Zeit. Manche Prediger erklären den vorgelesenen Text überhaupt nicht, „sondern fangen alsbald an und madien Distinktionen, eine über die andere und kommen von dem vorgelesenen Evangelium ab, daß sie selbst nicht wissen, wie sie wieder zurück sollen", andere mischen die Predigt „mit ungereimten Materien und so unnützen Träumen, daß der verständige Hörer krank darüber werden möchte", „sie kratzen den Klerus und kraulen den Pöbel", andere „fiedeln nur auf der Scholasterie, disputieren und argumentieren auf der Kanzel nicht anders, als ob sie auf der hohen Schule wären. Davon das Volk keinen Nutzen hat; und nachher wissen sie selbst nicht, was sie kaimauset haben." Theologisch sind seine Predigten ausgleichend und vermittelnd, kirchlich wird die biblische Rede durch die Berücksichtigung der Liturgie. Lebensnah und praktisch ist seine Rede, in ihren schwächeren Teilen durch Exempel belastet. Die große „Katholische Postille" des Bamberger Weihbischofs Jakob Feucht (f 1580) ist durch Gelehrsamkeit im Inhalt und Schlichtheit in der Darstellung ausgezeichnet. Für jedes Evangelium werden zwei Predigten geboten, von denen die erste den Text immer in drei Teile zerlegt, die zweite nur eine einzelne sententia, einen Lehrpunkt behandelt. Von ihm haben wir auch

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eine „Kinderpostille", eine mit Nutzanwendungen verwobene homiletische Paraphrase des Textes. Auch die neu entstehenden Orden haben ihre Bedeutung für die Belebung der katholischen Predigt, vor allem die Jesuiten. Petrus Canisius (f 1597) hat, als er die Kanzel nicht mehr besteigen konnte, auf den Rat von Freunden hin seine früheren Predigten durchgesehen, ihnen freilich nur die „Substanz" entnommen, es entstehen gedrängte Übersichten und an Homilien erinnernde Paraphrasen: „Notae in evangelicas lectiones" (1591/3). Ein besonders angesehener Prediger aus der Gesellschaft Jesu ist Georg Scherer (f 1605), dessen Predigten in den Zweiten Band seiner Gesammelten Werke aufgenommen sind. Zwischen Predigten und Traktaten ist oft kein Unterschied, beide haben die gleiche historisch philologische Apologetik. In seiner Postille können die Hörer unübersetzte lateinische Zitate und hebräische Sprachgelehrsamkeit bewundern. Stets werden die Hauptgedanken der Predigt herausgestellt und dann unter reichlicher Verwendung der Bibel und von Väterzitaten erläutert. Die Serie von Predigten über die „Kennzeichen der wahren Kirche" sind mehr apologetische Abhandlungen. Pakkend, volkstümlich und bilderreich ist die Sprache, oft überscharf in den Kontroverspredigten. Drastisch ist die Anrede an die höhere Geistlichkeit, an den Adel und die Soldateska, auch die Dynastie bleibt nicht verschont. Daß er Luther einen „weggelaufenen Mönch", einen „Nonnenschänder" nennt, gehört zu dem Grobianismus, den es auf beiden Seiten der Kontroverspredigt gibt. Die biblischen Postillen und die vielen Predigten über zusammenhängende biblische Bücher zeigen den starken Einfluß der Reformation auf die katholische Predigt in diesem Zeitalter, auch Ähnlichkeiten in der Formgebung der Predigten liegen offensichtlich zu Tage, vieles einzelne könnte noch genannt werden, ohne daß es das Bild wirklich bereichern würde. 21. Die homiletische Theorie des 16. Jahrhunderts In den Vorreden zu den Postillen und in homiletischen Werken wird immer wieder intensiv über die Theorie, Wesen und

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Methode der Predigt reflektiert. Der Humanismus hat unter dem Einfluß von Cicero und Quintilian auch an den neuen Universitäten das Studium der Rhetorik und Dialektik eingeführt. Erasmus von Rotterdam hat in seinem „Ecclesiastes sive concionator evangelicus" (1535) die antike Rhetorik auf die Predigt der Kirche angewandt und lang und breit von dispositio und memoria, amplificatio und pronuntiatio, von Schemata und Tropi, besonders ausführlich auch von der Allegorese gehandelt. Philipp Melanchthon hat in den mehrfach bearbeiteten „Elementa rhetorices" (1531) und der kleinen Schrift „De officiis concionatoris" (1537) Homiletik und antike Rhetorik miteinander in Verbindung gebracht. Einen ersten Schritt zu einer praktisch theologischen Homiletik hat Andreas Hyperius ( t 1566) in seinem Hermeneutik und Predigtlehre zusammenfassenden Werk „De formandis concionibus seu de interpretatione s. scripturae populari" getan, das erstmals 1533 und im doppelten Umfang dann 1562 wieder erschienen ist. Die eigentliche Abweichung von der rhetorischen Tradition beschränkt sich auf die inventio, die Findung des Predigtstoffs, bei der sich die Bindung an Schrift und die Exegese bemerkbar machen. Die Einteilung in lectio, invocatio, exordium, propositio seu divisio, in confirmatio und confutatio bedeutet noch keinen mechanischen Formalismus. Die argumentierende Begründung und die Widerlegung von Irrtümern können bei Hyperius auch in einem vor sich gehen. Die alten genera der Rhetorik werden unter Berufung auf 2. Tim. 3,16 und Rö. 15,4 in fünf Predigtarten verwandelt, die doctrina, redargutio (Widerlegung der Irrtümer), institutio (Anweisung zu frommem und moralischem Verhalten), correctio und consolatio zum Ziel haben. Nach diesen heuristischen Prinzipien kann die ganze Bibel und jeder einzelne Text durchforscht werden, und das dabei zufließende Material soll unter dem Gesichtspunkt ausgewählt werden, daß es utilis, facilis und necessarius ist, praktisch, verständlich und gemeindegemäß. Heuristisch ist das durchaus nicht unfruchtbar, solange es nicht als formalistisches Zwangsschema für jede einzelne Predigt verstanden wird. Eine wirklich theologisch begründete Homiletik liegt noch in weiter Ferne.

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Die ganze Fülle lutherischer Homiletiken aus diesem Jahrhundert kann hier nicht ausgebreitet werden. Das Material ist überaus reich. Genannt seien nur einige besonders wichtige Werke: Georg Major mit seinen „Quaestiones Rhetoricae" (1562), der Melanchthons Rhetorik in Frage- und Antwortform bringt; David Chytraeus mit seinen „Praecepta Rhetorica" (1558), der sich ebenfalls an Melandithon anschließt, Andreas Pancratius mit seinem „Methodus concionandi" (1574), von dem schon die Rede war, Lucas Oslander mit „De ratione concionandi" (1584), der Predigt und Rede stärker unterscheidet, Rhetorik und Dialektik geringere Bedeutung beimißt und dafür den Text und die biblisdien Stoffe stärker betont; Jakob Andreae mit seinem „Methodus concionandi" (1595), der auf Bibelkenntnis des Predigers, das Lesen und Meditieren der Sdirift und eine zeitgemäße Stoffauswahl den Nachdruck legt und die genera der Predigt als heuristische Gesichtspunkte der inventio versteht und Ägidius Hunnius wieder mit einem „Methodus concionandi" (1596), der neben der Schrift und der Situation den genera der Predigt und den loci communes besondere Bedeutung für die Findung des Predigtstoffs beimißt. Seite ist vor allem Wilhelm Zepper als Auf reformierter Sdiüler des Hyperius mit seiner „Ars habendi et audiendi conciones sacras" (1598) zu nennen, der zwischen einem Prediger und einem orator sdiolasticus wohl zu unterscheiden weiß und sidi in den genera der Predigt ein wenig kompilatorisdi an Melandithon und Hyperius anschließt. „Keine Lehre soll nur nackt und theoretisch vorgetragen werden, sondern mit ihrem usus." Die Spannung zwischen einer Theologie der Predigt und einer Theorie der Rhetorik kündigt sich erst an. In diesen Homiletiken wird schon der Grund für die verhängnisvolle formalistische und scholastisdie Entwicklung der orthodoxen Predigt im kommenden Jahrhundert gelegt.

22. Die Predigt der lutherischen Orthodoxie Das Ziel der orthodoxen Predigt ist die reine Lehre. Die Aufnahme des Aristotelismus und der Metaphysik führen zur

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Scholastik zurück, die enger und dürftiger ist als die des Mittelalters. Die Verbalinspiration, der Perikopenzwang, die Predigt des Evangeliums am Vormittag und der Epistel am Abend, jeden Sonntag, Jahr für Jahr, die Bindung der Lehrentwicklung an das Konkordienbudi und die Kontroverstheologie wirken sich auch auf die Predigt aus. Wir dürfen freilich nicht nur skurrile Predigttorheiten und Kuriositäten sammeln und dabei übersehen, was auch an Unterrichtung, religiöser Kraft und Lebensweisheit bei allem Monströsen in der orthodoxen Predigt enthalten ist. Es soll zunächst ein Überblick über die orthodoxe Durchschnittspredigt gegeben werden, dann sollen Zeugnisse für eine mehr mystische, erbauliche und asketisch praktische Predigtweise in dieser Zeit folgen. a) Gedruckt wird natürlich gerne das Extravagante und Exorbitante, während die dörfliche Predigt mehr schlicht und praktisch bleibt. Die plattdeutsche Sprache, in der in Holstein noch bis in die Mitte des 17. und in Mecklenburg noch bis ins 18. Jahrhundert hinein gepredigt wird, ist kaum ein besonders geeignetes Ausdrucksmittel für scholastische Subtilitäten und den geschraubten Kanzleistil. In diesem Jahrhundert wird oft und viel gepredigt, hat man doch für Rostock die Zahl der 1640 dort gehaltenen Predigten auf 1500 berechnet. 200 Predigten in einem Jahr sind die Durchschnittsleistung eines Pfarrers. Nach den Kirchenordnungen soll die Predigt eine Stunde dauern, aber sie dauert auch zwei und eine Leichenpredigt bei vornehmen Leuten drei, die ganze Beerdigungszeremonie gar fünf Stunden. 90 Quartseiten sind nichts besonderes für eine gedruckte Predigt. Kein Wunder, daß auch damals Langeweile, Überdruß und Kirchenschlaf die Folge sind, bei den Studenten Unfug, Schwatzen und Zeitunglesen im Gottesdienst. Selbst während des Wochengottesdienstes bleiben die Wirtshäuser geschlossen. Während der Predigt müssen die Kirchendiener mit langen Stöcken die Schläfer wecken. Auch wenn sich dieses Bild für uns noch in manchem aufhellen wird, so ist ein Tiefstand der Predigt in dieser Zeit nicht zu leugnen. Homilie und Lokalmethode werden selten, meist herrscht das Schema: exordium, propositio und partitio, tractatio seu confirmatio, applicatio und conclusio, epilogus und

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peroratio. Dieses noch relativ einfache Schema wird durch Differenzierungen immer komplizierter. Die einzelnen Teile werden weiter untergegliedert, die Lehre z. B. in antithesis, confutatio, concessio, confirmatio, objectio und conclusio, ein Verfahren, das apologetisch durchaus sinnvoll sein mag, aber als Predigtmanier unerträglich wird. Jede Abweichung vom Schema, jede bloße Spielart wird zum Rang einer neuen Methode erhoben. Bei Chr. Schleupner sind es noch 4, bei N. Rebhan (1625) sind daraus gleidi 25 verschiedene Predigtweisen geworden, alle sorgsam etikettiert mit einem lateinischen Namen, bei J . Förster sind es schon 26 und bei den beiden Carpzovs in ihrem Hodegeticum (1656) werden 100 verschiedene Formen der Predigteinteilung sorgsam unterschieden und alle an Beispielen erläutert, während Valentin Löscher es wieder nur auf 25 bringt. Die Praxis hat sich wirklich nadi diesen Theorien gerichtet, Homiletik als überflüssigen Luxus gab es damals noch nicht. Viele solcher Differenzierungen entstehen allein durch das von J . Hülsemann gelegentlich für Festtage empfohlene Exordium, das bald mächtig anschwillt, zu einer eigenen Predigt wird und selbst wieder mehrere Einleitungen bekommt (generalis, specialis und specialissimum). Schon damals hat man es ein „vielköpfiges Ungeheuer" geheißen. Ein anderer Gegenstand einer fruchtbaren Teilung ist die applicatio, der mechanische Gebrauch eines fünffadien usus für jeden einzelnen Predigttext, der immer Belehrung, Bekämpfung der Irrlehre, sittliche Mahnungen und Warnungen, tröstlidien Zuspruch enthalten muß. Fehlt vom usus didacticus, elenchticus, paedeuticus, epanorthoticus und consolatorius auch nur einer, so fällt das schon dem einfachen Predigthörer unangenehm auf. Der usus elenchticus bietet herrliche Gelegenheit zur Polemik, bei den Predigtkonzepten genügt an dieser Stelle gelegentlich der Hinweis: „Hier wird gezankt." Im usus epanorthoticus kann man nicht nur die groben Laster, sondern audi einzelne Sünder drastisch bekämpfen. Es werden englische und niederländische, die Helmstedter, Leipziger und die Königsberger Methode unterschieden. Oft wird sie in gedruckten Predigten stolz schon im Titel angegeben. Am kompliziertesten ist die Leipziger Methode, in der Königsberger lernt man gar aus

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einem einzigen Wort ganze Predigten machen. Jede von ihnen ist ausführlich dargestellt und begründet worden. Auch die alte Unart der emblematischen Predigt taucht wieder auf, manchmal wird das anschauliche Sinnbild für die Gliederung gleich als Zeichnung auf der Kanzel aufgehängt. Valentin Löscher (f 1749) vergleicht in einer Vaterunserpredigt dies Gebet „mit einem wohlgegründeten Bau", zwei feste Ecksteine bilden Anfang und Schluß, sieben Säulen die einzelnen Bitten, und dann führt er seine Hörer mit den einzelnen Bitten in die Hofhaltung, in die Kapelle, den Audienzsaal, die Kanzlei, den Kornboden, die Rent- und Rüstkammer und den Lustgarten Gottes — wahrlich eine Schloßbesichtigung eigener Art. Christi Esel, Pferd und Reittier hat immer schon für die merkwürdigsten Predigten herhalten müssen, in seinen „Geistlichen Sonnenstrahlen" predigt Sustmann 1666 bei diesem Text gar über unsere „eselhafte Natur". Riemer kann in seinem „Verblümten Christentum" den Heiligen Geist mit einer Karthaune vergleichen, einem groben Gesdiütz und die Umschrift darumsetzen: Obstantia sternit (1694). Solche Anschauung ohne Anschaulichkeit entstammt der Not, mit allen Mitteln um die Aufmerksamkeit des Hörers kämpfen zu müssen. Eine Steigerung der emblematischen Methode bilden die Jahrgangspredigten, in denen die Predigten eines ganzen Kirchenjahrs alle nach demselben Bild gegliedert werden. „Daher können manche auditores am 1. Advent als am ersten Sonntag des Kirchenjahres Maul und Ohren aufsperren, was doch ihr Pfarrer für ein neues Thema herausbringen werde, das sie das ganze Jahr zur Strafe hören sollen", spottet J . J . Rambach. Reihenpredigten mögen noch angehen wie „die himmlische Schatzkammer", die „geistliche WafFenrüstung", „Heilige aus Bibel und Kirchengeschichte", auch wenn die Reihe eines ganzen Jahres lang werden mag, aber pikanter klingen schon Jahresthemen wie Jakob Wellers (f 1664) „Unruhige Klaffund Klappermühle" (das Gewissen) oder „Bittere Pomeranzen und saure Zitronen" (Kirchbach 1658) oder die „Katechismusmilch" (Dannenhauer 1671). In den Jahrgangspredigten unterscheidet man Real- und Verbaljahrgänge. Da wird vom jüngeren

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Carpzov ein ganzes Jahr über Christus als Handwerker gepredigt, er ist der beste Tuchmacher (Mt. 6, 14), Laternenmacher, Brunnengräber und Himmelfahrt gar Tapezierer. Ein anderer Prediger geht alle Handwerke durch und behandelt etwa am vierten Advent die Schuster (Schuhriemen auflösen!) und die Wirte in der Epiphaniaszeit (Wein aus Wasser!). Nodi 1704 wird ein Jahr lang über die verschiedenen Gewerke, über die Seiler am ersten Advent (Jesu Esel sind angebunden), über die Schneider am dritten Advent (Menschen in weichen Kleidern) usw. gepredigt (Feuerlein). Dietrichs „Geistliche ölkammer" hat schon 1684 immerhin 13 Auflagen erlebt, darin finden sich auch so erbauliche Themen wie der Teufel als ein Kettenhund, der Adam und den Gottessohn ins Bein gebissen hat und von Christus wieder ins höllische Hundeloch zurückgejagt wird; ein andermal wird Christus unter dem Bild einer „Schieß- und Passionsscheibe" dargestellt oder von Jesus als Schornsteinfegemeister gepredigt. Jesus als Revolutionär fehlt damals noch. Das alles ist dazu wirklich ernst gemeint, und 13 Auflagen haben sich auch damals nicht leicht verkauft. Schriftgemäßheit wird zur bloßen Schriftgelehrsamkeit. Meinungen und theologische Ansichten über den Text werden ausgebreitet, die Perikope griechisch und hebräisch gelesen, Thema und Teile lateinisch geboten, rhythmische Einteilungen mit den Homoioteleuta werden wieder gebraucht, lateinische und griechische Zitate bleiben unübersetzt, französische Worte dringen in die deutsche Sprache ein, jüdische Gelehrte wie Maimonides und moderne Autoritäten wie Grotius, auch gänzlich Unbekannte werden zum Erweis der Beschlagenheit und Belesenheit des Predigers zitiert. Die Konkordanzmethode sorgt dafür, daß wirklich alles, was zu einem Wort aus der Bibel erhoben werden kann, wahllos in sinnlosen und ermüdenden Aufzählungen beigebracht wird. So kann die Predigt aus Schrifttreue die Schriftgemäßheit einbüßen, dafür kann man über jedes beliebige Wort eine ganze Predigt halten. Die erste Predigt über den Text „Und" stammt aus dieser Zeit. Die alten Wortspielereien und Buchstabenvertauschungen kehren wieder, aus Leben wird Nebel, aus Mode ein Edom und aus den Damen gar Maden. Boshaft hat Mosheim einmal von der Konkordanz-

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methode gemeint, sie sei die Kunst, mit Hilfe der Konkordanz ein geistlicher Schwätzer zu werden. Während des 30jährigen Krieges ist der Bildungsstand der Pfarrer nicht allzugroß. Eine Quelle der Gelehrsamkeit sind die 700 in diesem Jahrhundert gedruckten Postillen, die es erlauben, mit fremden Kälbern zu pflügen, ist doch das alte und immer neue Argument unschlagbar, daß gedruckte Predigten besser sind als die aus der eigenen Manufaktur. Daneben gibt es andere Hilfsmittel für den gelehrten Prunk, über den die Hörer billig staunen sollen. Noch immer werden die mittelalterlichen Werke fleißig genutzt. Nicht aufzuzählen sind die neuen Sammlungen für Bilder, Gleichnisse, Antithesen, Historien, sind die aurifodinae (Goldgruben), Predigtbibliotheken, Promptuarien, evangelische deliciae (gezierte Spielereien), Pentecaden und Decaden von Predigteinteilungen und Kollektaneen allermöglichen Art. Weit verbreitet ist das „Theologische Exempelbuch" von Titius (1684), bei der Polemik hilft Stockmanns Ketzerlexikon, für die lateinischen Dispositionen hat man F. Balduin, S. Glaß und andere, für Sprichwörter muß der Jesuit Drexel herhalten. Die beiden berühmtesten Hilfsbücher für die Predigt stammen von Chr. Weise ( f 1708) und Ch. Waidling ( | 1731). Weise stellt den Höhepunkt der emblematischen Predigt dar, für die Schulfeiern will er seinen Schülern beibringen, wie man über Dinge reden könne, von denen man nichts versteht. Darum sammelt er emblematische Sinnbilder, Gleichnisse, Antithesen und Historien. Waidling hat in seiner „Oratorischen Schatzkammer" aus 59 Quellen Predigtmaterial gesammelt, wie es im Titel heißt: „Schöne Moralia, loci communes, viele definitiones, Beschreibungen, interpretationes der schwierigsten Wörter der H. Schrift, wohlbegründete argumenta, dicta probantia, emblemata, similia, rare testimonia, dicta patrum, kurieuse Fragen . . . " . Was für ein Predigtschatz! Auf gar 2000 Seiten hat N. Haas Dispositionen und Predigtmaterial gesammelt, das also, was die Homiletiker damals den apparatus nannten. Die mittelalterliche amplificatio kommt wieder zu Ehren, die Kunst aus wenig viel zu machen und sei es durch bloße Synonyma, eine Kunst, die man freilich leichter lernen als verlernen kann.

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Als Sonderformen gibt es neben den Katediismus-, Konkordien- und Kontroverspredigten vor allem auch die Sprichwortpredigten wie die „Postilla symbolica" von M. Cordes (1670) und die „Evangelische Reise- und Schriftwortpostille" von P. E. Widerer (1673) und zahlreiche Liederpostillen wie die Geistliche Türkenglocke von Feinler über „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort". Die dörfliche Predigt wird an solchen Schwächen weniger gelitten haben. Wenigstens die Reden eines bäuerlichen Predigers Jobst Sackmann sind in der Kirche nachgeschrieben und kurz nach seinem Tode 1720 gedruckt, vielleicht auch ergänzt worden, edite ländliche Zwiesprachen zwischen einem Pastor und seinen Bauern, voll von Dingen des alltäglichen Lebens, aber auch voller Derbheit und Possen. So sagt er vom Tode: „He maakt et aß use schaulmeester, de plegte to segen: wat Vader! wat Fründ! Jonge treek die Böxen af!". b) Freilich darf nicht übersehen werden, daß Scholastik und Polemik, Emblematik und „Blümelei" nicht ausschließen, daß auch diese Predigt auf Andacht, Frömmigkeit, Erneuerung des Lebens und Verwirklichung im Praktizieren ausgerichtet ist. Der fünffache usus will ja gerade die Gemeinde unterweisen, mahnen, warnen und aufrichten. Es gibt audi jetzt Prediger und Predigten, die ernst, schlicht und praktisch sind, ohne scholastische Künstlichkeiten und gelehrten Prunk. Die pietistische Kritik, die das vernichtende Urteil über die Orthodoxie geschaffen hat, hat immer wieder einzelne orthodoxe Prediger von dieser Verurteilung ausgenommen. Folgendes darf nicht übersehen werden: 1. Es gibt in der Orthodoxie eine breite Strömung reformerischer Art, die energisch die Schäden und Mißstände der Kirche und der Zeit bekämpft. Sie ist in Schriften zur Universitätsreform, Rektoratsreden und Traktaten zu finden, aber auch in Predigten. 2. Eine Reihe der bedeutendsten Prediger dieser Epoche sind Verfasser von Andachts- und Erbauungsbüchern: Heinrich Müller, Johann Arndt und Christian Scriver. Ein Polemiker wie Philipp Nicolai, der in der Kampfschrift „Kurzer Bericht von der Calvinisten Gott und ihrer Religion" die These vertritt, daß die Calvinisten den Teufel verehren, hat auch den

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Gesdiidite der christlichen Predigt

„Freudenspiegel des ewigen Lebens" geschrieben, und Johann Gerhard verfaßt „Meditationes sacrae", die in ungezählten Auflagen erschienen sind und nicht nur in alle Weltsprachen, sondern auch ins Arabische und Slawonische übersetzt sind. Johann Heermann schreibt ein Gebetbuch „mit 100 christlichen, guten und nützlichen Gebeten" (1609). Eine Fülle von Erbauungsbüchern, Krankentrost und Sterbekunst werden in dieser Zeit gedruckt. „Tot" ist also die Orthodoxie wahrhaftig nicht. 3. Ein Teil dieser Prediger hat Choräle geschaffen, die den neuen Ton einer individuellen Frömmigkeit zeigen: Ph. Nicolai, Val. Herberger, Joh. Heermann, J. M. Meyfart, Chr. Scriver. 4. Auch mystische Züge sind der Orthodoxie nicht fremd. Die unio mystica ist ein wichtiger Lehrpunkt der orthodoxen Dogmatik. Johann Arndt ist in seinen „Vier Büchern vom wahren Christentum" (1606) von der Theologia deutsch, von Bernhard, Tauler und Thomas a Kempis beeinflußt. 5. Die Überbetonung dogmatischer Lehre bedingt als eine Art Kompensation gelegentlich eine spielerische, gefühlige, fast tändelnde, „blümelnde" Ausdrucksweise der Frömmigkeit. 6. Die Biographien dieser Prediger beweisen eine in den Notzeiten dieses Jahrhunderts sich bewährende Frömmigkeit. Die damals gern überlieferten letzten Worte zeigen, daß der Sterbetrost nicht nur gelehrt, sondern die Sterbekunst auch eindrucksvoll praktiziert wird. Wir heben einige Vertreter der mehr praktisch und asketisch gerichteten Frömmigkeit in der Zeit der Orthodoxie heraus. Eine dogmatisch ausgerichtete Predigt vertreten die beiden Johann Benedict Carpzov (f 1657 und 1699). Von ihrem „Hodegeticum" ist schon die Rede gewesen. Leipzig ist damals eine Stadt der homiletischen Studien, man hat dort 32 homiletische Gesellschaften gezählt, Theologiestudium ist an dieser Universität vor der Auseinandersetzung mit dem Pietismus in erster Linie homiletisches Studium. Vom jüngeren Carpzov haben wir eine evangelische „Vorbilder- und Fragenpostille", auch Lehr- und Liederpredigten. Emblematische Spielereien zeigt seine Jahrgangsreihe von Predigten über die verschiedenen Handwerke, 1692 gehalten. Seine durch und durch

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scholastischen Predigten sind nicht ohne einen praktischen Bezug. 1684 predigt Carpzov über „Tugendsprüche", in denen massiv das Lasterleben der Studierenden, die Streit- und Zanksucht der Theologen, Mißstände in der Gemeinde und bei den Bürgern bekämpft werden, die französischen Modetorheiten, Luxus in Kleidung und Wohnungen, die Ziergärten und der kostbare Tafelschmuck, ja die Tatsache, daß der Fürst eines kleinen deutschen Territoriums mit geringer Bewohnerzahl in seiner Hofhaltung in einem Vierteljahr mehr verpraßt als der türkische Sultan im ganzen Jahr verbraucht. Selbst die Leichenreden bekämpfen am Grabe eines Kaufmanns den Wucher und an dem eines jungen Mädchens die Modetorheiten. Ein Vorbild für viele Prediger ist Johann Arndt (f 1621) geworden, freilich mehr durch das „Wahre Christentum", über das Spener gepredigt und Johann Wilhelm Baier (f 1695) in Jena Vorlesungen gehalten hat, als durch seine eigenen Predigten. Wir haben von ihm eine Postille, Passionspredigten, eine Psalmenauslegung mit 451 Predigten und Katechismuspredigten, zu denen Joh. Gerhard das Vorwort geschrieben hat. Die Predigten sind verständig und praktisch, ohne rhetorische Künstelei, Anekdoten und gelehrtes Beiwerk, reich an Beispielen aus der biblischen Geschichte und Schriftworten, meist nach der Lokalmethode, gelegentlich auch synthetisch aufgebaut, sie sind ein wenig weitschweifig und lehrhaft. Die „mystischen" Züge treten in ihnen zurück. In uns muß geistlich geschehen, was Gott auswendig lehrt, der Christus für uns zum Christus in uns werden. „Christus hat viele Bekenner, aber wenig Nachfolger." Mit Nachdruck dringt Arndt auf neues Leben, Sanftmut, Demut, Selbstverleugnung, Gottinnigkeit und dienende Nächstenliebe. Asketische Züge prägen seine Ethik. Ein neuer Stil findet sich bei Valerius Herberger (f 1627), der freilich seine sonst sehr innigen und eindringlichen, volkstümlichen und unreflektierten Predigten für uns schwer genießbar macht. Es wimmelt von sprichwortartigen Sentenzen, von gesuchten und spielerischen Bildern, von Witz und von drastischen Wendungen; seine blumenreiche Sprache hat seinerzeit so gefallen, daß seine „Evangelische Herzpostille" bis in die Mitte des nächsten Jahrhunderts 24 Auflagen erleben konnte. Ihr

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Untertitel verheißt, daß in ihr „alle ordentlichen Sonntagsevangelien und auch alle fürnehmeren berühmten Heiligen gewidmeten Lehrtexte durchs ganze Jahr aufgeklitsdiet, der Kern ausgesdiält, aufs Herz andächtiger Christen geführt und zu heilsamer Lehre, notwendiger Warnung, nützlichem Trost, andächtigem Gebet, unsträflichem Leben und seliger Sterbekunst abgeriditet werden." Die „Epistolische Herzpostille", die „Stoppelpostille" mit freien Texten sind erst nach seinem Tod erschienen. Seit 1611 haben wir 7 Reihen von Leidienreden: „Geistliche Trauerbinden gewirket von lauter erlesenen, sdiönen, körnigen, saftigen, schmackhaftigen und tröstlichen Leichenpredigten." Die „Blümelei" und die Spielerei mit Bildern überschreitet hier alle Grenzen des Möglichen. Die Predigt am Grab eines an Schwindsucht Verstorbenen hat den Titel: „Geistlicher kräftiger Rosenzucker für schwindsüchtige Leute zugerichtet aus etlichen Trostworten des 39. Psalms." Herbergers Predigtmaxime lautet: „Gute Predigt muß von Herzen zu Herzen gehen." Noch im vergangenen Jahrhundert sind neue Auflagen dieser Predigten erschienen und auch wirklich gelesen worden. Lehrhaft, aber ohne dogmatische Spitzfindigkeiten und falsche Konzessionen an den Zeitgeschmack sind die Predigten des großen lutherischen Dogmatikers Johann Gerhard (f 1637). Wissenschaftliche Dogmatik und praktische Predigtarbeit gehören für ihn zusammen. „Finis theologiae est praxis". Wir haben von ihm eine Reihe von Postillen, darunter auch eine Postilla Salomonaea, in der einzelne allegorisch und mystisch gedeutete Sprüche des Hohenlieds die Sonntagsevangelien beleuchten. Lehrhaft sind diese Predigten, sie enthalten eine Menge lateinischer, griechischer und hebräischer Zitate, aber ihr Ziel ist, wie es in der Evangelienpostille von 1613 heißt, „daß wir Gottes Liebe und Christi Wohltaten erkennen, auch am innerlichen Menschen seliglich zunehmen mögen". Die Methode ist disponierend paraphrastisch, er selbst nennt sie „mystisch katechetisch". Nach Gerhards Urteil ist Johann Heermann (f 1643) „deliciumque hominum deliciumque Dei". Er weiß das Evangelium, das Elend dieser Welt und die Herrlichkeit Gottes anschaulich

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zu verkünden. Seine Evangelienpredigten „Saft und Kraft aller gewöhnlichen Sonntags- und vornehmsten Festevangelien in Reime gegossen" enthalten „Andächtige Kirchenseufzer" (1616), die Evangelienerklärungen heißen „Labores sacri", wir haben von ihm audi 5 Bände Leichenpredigten „Christianae euthanasias statuae", „Schola mortis" usw., auch eine sonntägliche Spruchpostille und Nuptialia mit 145 Trauungssermonen. Seine Predigten gehören in die traurigste Zeit des großen Krieges. Einer, der viel Leid erfahren hat, redet in ihnen, es tröstet ein Getrösteter, ein Glaubender spricht, um Glauben zu wecken, aber auch an Zeitgebundenheit fehlt es nicht. Ganze Predigten können über Nebenpunkte des Textes und einzelne Worte gehalten werden. Das Dürrste und Unfruchtbarste sind die Traureden, oft eine langatmige Aufzählung aller biblisdien Erwähnungen des Berufs des Bräutigams. Eine besondere Note hat als eschatologischer Prediger Johann Matthäus Meyfart (f 1642), der als Polemiker, Dogmatiker, als Eiferer gegen „Scholastizismus und auswändiges Christentum", in seinem Kampf um Reformen und gegen den „Pennalismus" der Universitäten durchaus zur Orthodoxie gehört. In der dritten Predigt der „Tuba novissima" (1626) findet sich am Sdiluß, die einzelnen Strophen von Redestücken unterbrochen, der Choral: „Jerusalem, du hochgebaute Stadt!" Meyfarts Predigten sind frisch, voll eschatologischer Stimmung und mystischer Innerlichkeit. Sie sind immer wieder nachgedruckt worden. Balthasar Schuf pius ( t 1661) hat in seinen zahlreichen Traktaten einen Spiegel der Sitten und Unsitten seiner Zeit gegeben und kirchliche und soziale Mißstände kräftig angegriffen. Wir haben nur eine von ihm selbst zum Druck gegebene Predigt aus dem Jahre 1656, eine Katechismuspredigt über das dritte Gebot: „Gedenk daran, Hamburg!" Sie gibt ein lebendiges und anschauliches Bild des damaligen Hamburg, seiner Menschen, ihres Verhaltens, ist voller Humor und Satire, ohne alle Künsteleien und Phrasen, volkstümlich und doch voll geistlicher Zucht, daß man mehr davon lesen möchte. Hofprediger ist Martin Geier (f 1680). Zu der nach dem Tode herausgegebenen „Johannes Bußstimme" hat der jüngere

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Carpzov eine Vorrede mit einer ausführlichen Würdigung dieser Predigten geschrieben. In einer Serie von Jahrgangspredigten macht Geier Gal. 5,24 Sonntag für Sonntag zum Motto und Modell für jeden Text, indem immer das „sündige Fleisch", seine „Kreuzigung" und endlich die Motive und Antriebe dazu abgehandelt werden. Trotz der scholastischen Form ist er ein Prediger im Geiste Arndts, auch er kämpft gegen alles bloß äußere Christentum, straft die Sünden der Zeit und ist in seiner Ethik stark asketisch gefärbt. Die politische Haltung in seinen Landtagspredigten entspricht den Vorstellungen eines konservativen Lutheraners. Die Stände sollen sich nicht übereinander erheben! Sein Ideal ist die Zeit des Kaisers Theodosius, wo der kaiserliche Palast einem Kloster und die Hauptstadt einer Kirche geglichen habe. Es ist halt die Predigt eines Oberhofpredigers. Ein Vorkämpfer gegen die Schäden der lutherischen Kirche ist Christian Scriver (f 1693), mit Spener befreundet, ein großartiger Ausleger der Schrift, ein berühmter Erbauungsschriftsteller, gereift durch Erfahrung und Leiden, lebendig in seiner Phantasie. Die Natur wird für ihn zu einem immer neuen Bild für geistliche Wahrheiten. In seinen zum Volksbuch gewordenen „Zufälligen Andachten" (1662) hat er in 400 Parabeln voller Poesie Vorgänge aus der Natur und dem Menschenleben geistlich gedeutet. Berühmt ist sein „Seelenschatz", aus Predigten entstanden und dann zu erbaulichen Vorträgen überarbeitet, ein bis in die Zeit des Rationalismus hinein weitverbreitetes Andachtsbuch. Unter den eigentlichen Predigten sind die „Goldpredigten" über den lutherischen Katechismus, die „Herrlichkeit und Seligkeit der Kinder Gottes" und die „Neue Kreatur" zu nennen. Der Ehre Gottes und den Menschen sollen sie dienen. „Und zu dem Ende pflege ich, was ich in alten und neuen Schriften bei Gottes- und Weltgelehrten finde, fleißig zu bemerken und bei gegebener Gelegenheit, doch mit reifem Nachdenken anzuwenden, wie ein Gärtner und Blumenliebhaber ein edles Kraut aus wildem Feld in seinen Lustgarten überträgt und versetzt." Wie Scriver ist auch Heinrich Müller (f 1675) von den Pietisten in ihrem Kampf gegen die Orthodoxie nicht angegriffen worden. Auch er ist Erbauungsschriftsteller: „Der himmlische

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Liebeskuß", „Die Kreuz- und Betschule" und Verfasser von Predigten: „Die evangelische und die apostolische Schlußkette", nach dem Tode herausgegeben: „Evang. Präservativ gegen den Schaden Josephs in allen drei Ständen". Seine Beredsamkeit ist groß, Gott braucht man nicht mit Zitaten aus Aristoteles, Cicero und Demosthenes zu Hilfe zu kommen, die Sätze sind kurz und hämmernd, die Sprache oft von einer sprichwortartigen Dichtigkeit. Gegen die Leisetreter auf der Kanzel sagt er: „Eine Biene, die keinen Stachel hat, bringt auch keinen Honig." Er ist anschaulich und bildhaft, oft auch allegorisierend, frisch und unmittelbar, klar und übersichtlich, volkstümlich, manchmal auch derb und drastisch, Emblematik und Ziererei liegen ihm nicht ganz fern. Die „Pegnitzer Blumengesellschaft" hat seine „Geistlichen Erquickstunden" in Reimen herausgebracht. Im „Evangelischen Präservativ" wettert er gegen eine bloß äußerliche Frömmigkeit, gegen den Beichtpfennig, der die Kirche zur Zollbude mache, gegen die laxe Handhabung der Kirchenzudit. „Vorher waren die Häuser Kirchen, jetzt sind die Kirchen Häuser." Komödien sind Frechheit und Unzucht, Tanzen und Trunksucht sind verderblich. „Was ist Gold und Silber anderes als ein Kot der Erde, Samt und Seide sind ein Dreck der Würmer, Perlen und Edelsteine ein Unflat des Meeres", getragen freilich haben sie die Frauen auch weiter noch gerne. Berühmt ist das damals heftig umstrittene und später ausdrücklich noch einmal wiederholte Wort: „Es hat die heutige Christenheit vier stumme Kirchengötzen, denen sie nachgeht: den Taufstein, Predigtstuhl, Beichtstuhl und den Altar." Dieses Wort hat das Christentum der Amtshandlungen tief getroffen. Die orthodoxe Predigt bietet ein viel bunteres Bild als man gewöhnlich annimmt. Mitten in Verfallssymptomen zeigt sich auch nodi eine große geistliche Kraft. Die Predigt ist kraft der ihr eigenen Gesetze oft praktischer als die Theologie eines Zeitalters.

23. Die reformierte Predigt des 17. Jahrhunderts a) Audi in der deutschsprachigen reformierten Predigt dieser Zeit findet sich Scholastisches und Emblematisches, mag auch die 9

Sdiütz, Christliche Predigt

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Gesdiichte der Amtlichen Predigt

Sdiriftauslegung in ihr ein größeres Gewicht behalten. Die Bibelerklärung kann leicht die Züge gelehrter Exegese annehmen. Konrad Mel (f 1733), der auch Erbauungsschriftsteller ist, dringt in seinen oft aufgelegten Predigtbänden auf die Praxis des Christentums, verwendet stets zwei Exordien und erklärt zunächst in seinen Predigten die griechischen und hebräischen Worte. An bedeutenden Predigern ist Abraham Scultetus ( f l 6 2 4 in Emden) zu nennen, Hofprediger und reformierter Theologieprofessor in Heidelberg, Verfasser einer Predigtlehre, von ausführlichen Predigtentwürfen über Bücher der H. Schrift und einer mehrfach aufgelegten, in fremde Sprachen übersetzten Kirchenpostille, ferner Johann Jakob Breitinger (f 1645) mit dem Kanzel Wahlspruch: qui ascendit cum horrore, descendit cum honore. Seine Predigten sind kaum theologisch tief und eigenständig, aber praktisch und schlicht sind sie. Eindringlich redet er der Obrigkeit ins Gewissen, wendet sich gegen den Kriegsdienst in fremden Heeren, gegen die Stellenjägerei und die Verschleuderung von Staatseigentum. Seine Synodalreden sind geradezu eine Fundgrube pastoraltheologischer Weisheit und ein Spiegel der Frömmigkeit und Sittlichkeit in den Gemeinden. 1634 ordnet der Berner Rat an, „da das Predigtamt heutzutage sidi immer mehr der Redekunst annähern will, zu versuchen, ob es nicht bloßerdings auf die Auslegung der Schrift zurückzuführen sei." Die scholastischen und rhetorischen Extravaganzen auf der Kanzel werden langsam durch das Aufkommen der coccejanischen Bundestheologie zurückgedrängt, vor allem durch den Einfluß von Friedrich Adolf Lampe ( f 1729), der in seinen Predigten auf Entscheidung, Wiedergeburt und Heiligung drängt. Im ersten Teil pflegt er den Text im Rahmen der Föderaltheologie auszulegen, im zweiten das Wort an die verschiedenen Gruppen der Gemeinde „auszuteilen", an die Unwissenden, Unbußfertigen, die bürgerlichen Christen, die überzeugten Seelen, die Gläubigen, wobei die beiden letzten Gruppen später am Niederrhein aufzustehen haben, wenn sie an der Reihe sind. b) Die Predigt der niederländischen Kirche ist im 17. und weit bis ins 18. Jahrhundert hinein exegetisch orientiert. In breiter Ausführlichkeit wird der Text ausgelegt und oft genug

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Kanzel und Katheder dabei verwechselt. Unnütze Gelehrsamkeit lassen die Predigt manchmal vier Stunden dauern. Gisbert Voetius (f 1676), Vertreter der reformierten Orthodoxie und des beginnenden reformierten Pietismus, bekämpft auf der Kanzel die Lehre der Remonstranten und die üppige Lebensweise der Utrediter Aristokratie, scholastisch sind seine Syllogismen und seine Dogmatik, synthetisch seine Predigtweise. Auch die emblematische Predigt fehlt ebensowenig wie in der lutherischen Kirche. 1653 läßt A. 'Westermann einen Predigtband mit dem Titel erscheinen: „Groote christelike Zeefaert in 26 Predicatien, in maniere van een Zeepostille." Auch die Konkordanzmethode mit der langweiligen Aufzählung aller biblischen Belegstellen für das Vorkommen eines einzelnen Stichworts weicht langsam nur zurück. Eine Predigt von Jakobus Borstius ( f l 6 8 0 ) „über das lange Haar" (1. Kor. 11,14) erregt die ganze niederländische Kirche. Wie langweilig und weitschweifig müssen die 145 Predigten von Bernardus Smijtegeld (-f 1739) über das zerstoßene Rohr sein! Die Befreiung von der scholastischen Methode erfolgt durch Johann Coccejus und die Coccejaner, die die analytische Predigtform pflegen, aber dafür in Typologisierung und Allegorisierung ausufern. Ein bedeutender Vertreter der coccejanischen Predigtweise auf dem Weg zur Aufklärung ist Salomo van Til ( f 1713), der einen „Methodus concionandi" verfaßt und einen tiefen Einfluß auf das niederländische Predigtwesen ausgeübt hat. Johann d' Outrein ( f 1722) bringt es fertig, in trockener Weitschweifigkeit 14 Quartbände mit Predigten über die Gleichnisse zu füllen, von denen 54 sidi allein mit dem verlornen Sohn befassen, und H. Y. Groenewegen, Verfasser einer „Schatzkammer der Sinn- und Vorbilder", schreibt einen dickleibigen Band über die Arbeiter im Weinberg und legt dabei zugleich die Kirchengeschichte aus. Erst 1768 hat Ewald Hollebek „De optimo concionum genere" eine freiere, von den englischen Predigern bevorzugte Methode empfohlen, nicht ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, von der Schrift wegzuführen. Anschaulich beschreibt er die zu seiner Zeit übliche Predigtweise: „Man teilt den Text in kleine 9*

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Teilchen, erklärt alle Wörter, auch die allergewöhnlichsten, erzählt die verschiedenen Bedeutungen der hebräischen und griechischen Wörter und beurteilt sie, führt die Parallelstellen an, auch wenn sie nicht weiter zur Erklärung dienen, erzählt und prüft die Meinungen der Ausleger und bringt kritisdie und philologische Bemerkungen bei, womit die Zeit hingeht, daß die Sadie selbst kaum berührt werden kann. Um diesen Predigten, von denen das Volk keinen Nutzen hat und höchstens die Gelehrten sagen können, es sei recht gelehrt ausgeführt, ihre Gestalt zu geben, dürfe man nur die Lexika, Konkordanzen des Polus (M. Poole: Synopsis criticorum aliorumque scripturae interpretum. 1669 ff.), die Kommentare und Observationsbüdier plündern." c) In einem hellen Licht strahlt die Predigtweise der französisch reformierten Kirche im 17. Jahrhundert. Von Anfang an ist die Predigt der Hugenotten durch Gründlichkeit der Sdiriftauslegung und ein kontroverstheologisches Interesse bestimmt. Aber unter dem Druck der Verfolgung geht es nicht um subtile Streitfragen, es geht nidit einmal um die Prädestination, sondern um die Lage der Gemeinde in ihrer katholischen Umwelt. Die Entwicklung dieser Predigt führt von der analytisch exegetischen Methode zu einer an den Text sich anschließenden, mehr systematisch gegliederten und schließlich zur rein thematisdien Predigt. Zu nennen sind Jean Mestrezet ( t 1657) mit textauslegenden Predigten, Moyse Amyraut 1664) und Jean Daillé ( t 1670). An der Stelle des Übergangs steht Jean Claude ( f 1687), ein tapferer Kämpfer des hugenottischen Widerstands und Verfasser der ersten großen Homiletik der hugenottischen Kirche: „Traité de la composition d'un sermon". Seine Predigten sind einfach in Stil und Diktion, aber sdion stärker gegliedert. Er und fast alle angesehenen Prediger dieser Zeit sind Réfugiés geworden, haben in Genf und Lausanne, in Rotterdam, den Haag und Leyden, in Norddeutschland und vor allem auch in Berlin Aufnahme gefunden, wo die französisch reformierte Gemeinde den Gottesdienst in französischer Sprache und ihren eigenen Friedhof bis in unser Jahrhundert hinein behalten hat. Ihr Einfluß auf die Geschichte der Predigt hat außerordentlich weit gereicht.

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Nach Jean Claude macht sich am Ende des 17. Jahrhunderts der Einfluß der klassizistischen Predigtweise in Frankreich und die Nachwirkung des französischen Humanismus geltend. Treue zum Calvinismus kann sich mit diesen Strömungen verbinden. Selbst die Reverenz vor dem Sonnenkönig hat gelegentlich auf die calvinische Predigt abgefärbt, wenn ein protestantischer Prediger in bezug auf den „incomparable monarque" sagen kann, daß eine überirdische Kraft an seiner Erzeugung mitgewirkt habe. Ein glänzender Vertreter der neuen Entwicklung in der französisch reformierten Predigt ist Pierre Dubosc ( f 1692), der große Scharen in seinen Gottesdiensten um sich sammelt, bei dem die Polemik ganz zurücktritt, der, reich an Bildung, Welt- und Menschenkenntnis, gedankentiefe Predigten hält und infolge seines humanistischen Grundzugs die sittliche Seite stärker als die religiöse betont. Unter einer langen Reihe bedeutender Prediger ist wohl der eindrucksvollste Jacques Saurin ("f" 1730) mit 5 Bänden „Sermons" und 7 weiteren, die aus dem Nachlaß veröffentlicht sind, der einen Gipfel geistlicher Beredsamkeit darstellt, ein Prediger mit einer hinreißenden Macht der Rede, zu dem die Hörer aus allen Ständen strömen. Oft gibt es selbst für Geld keinen Platz mehr in seiner Kirche, an den Türen und selbst auf Leitern an den Fenstern drängen sich die Menschen. Audi er ist stark von der klassischen französischen Beredsamkeit beeinflußt. Überzeugen und argumentieren will er, und solches Begründen und Räsonieren ist keine schlechte Sache in der Predigt, wenn das so anregend, fesselnd und anschaulich geschieht. Saurin ist ein Anhänger von Descartes und Malebranche, aber auch in seinen philosophischen und metaphysischen Erörterungen bleibt er für gebildete Hörer verständlich. Die alte Prädestinationslehre ist nicht mehr der Mittelpunkt seines theologischen Denkens, christliche Religiosität tritt an die Stelle des Evangeliums, die sittlichen Anliegen überwiegen in seiner Predigt. Der erste Teil bringt meist die Erläuterung der wichtigsten Begriffe, der zweite die Beweisführung, die sich auf historische und verständige Argumentation gründet. Weitgespannt sind die Themen, oft von metaphysischen und philosophischen Gedanken durchzogen. Theologische Fragen werden behandelt wie die Suffizienz der

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Schrift, die Größe und Unermeßlichkeit Gottes und die Gottheit Christi, aber auch Zeitfragen wie das Leben der Höflinge, die Übel Europas, die verschiedenen Predigtmethoden, die Vaterlandsliebe, die Vereinigung von Religion und Politik. Die Textauslegung tritt hinter mancher Gelehrsamkeit zurück, die alle Disziplinen der Theologie, die Natur- und Geschichtswissenschaft, die Philosophie und Psychologie heranzieht. Wenn das in solcher Verständlichkeit, so interessant und anschaulich, so erschütternd und aufrichtend geschieht, mag solche Rede auf der Kanzel mehr bedeuten als so manche inhaltslose und belanglose Predigt. So hat die französisch reformierte Kirche um 1700 einen Höhepunkt aufzuweisen. Glänzend ist diese Predigt nach Form und Inhalt, anschaulich in der Kunst des Schilderns und der „Gemälde", überzeugend in der Argumentation, lebhaft und geistreich, tief und doch verständlich. Es ist die Begegnung mit einer neu heraufziehenden Zeit. Viele Namen können genannt werden, keiner von ihnen erreicht Jacques Saurin. d) Wir schließen einen Überblick über die Predigt in England hier an, das in diesem Jahrhundert von politischen und kirchenpolitischen Konflikten erfüllt ist. Nur langsam entwickelt sich die Predigt zu neuen Formen, noch lange leidet sie an scholastischem Formalismus, an unnützer Gelehrsamkeit und dogmatischer Lehrhaftigkeit. Im 16. Jahrhundert werden auf königlichen Wunsch Homiliare geschaffen, die eine Hilfe für das Predigen sein sollen. Man hat die anglikanische Sitte, Predigten abzulesen statt frei zu sprechen, auf ihren Gebrauch zurückführen wollen. Neue Formen bahnen sich bei Jeremy Taylor ( t 1667) an, der als Kanzelredner ebenso bedeutend ist wie als dogmatischer und asketisch-katholisierender Schriftsteller, „ein glänzender Dichterprediger", der mit seinem Anekdotenreichtum so verschwenderisch umgeht „wie eine asiatische Königin mit ihren Perlen". Das Vordringen humanistischer Bildung führt bei ihm zu einer starken Benutzung der Klassiker und zu einer Sprache, von der Spurgeon meint, daß sie sich mehr für Patrizier als eine Volksgemeinde eigne. Langsam erobert die neue Bildung die Kanzeln, aber noch geben Basilius und Chry-

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sostomus das Vorbild ab und haftet zuviel Gelehrsamkeit an diesen Predigten. Nidit nur die Form, audi der Inhalt der Predigt wandelt sidi. Die Prediger, von denen diese Veränderung ausgeht, sind Schüler der Latitudinarier, Erkenntnis und Vernunft gewinnen an Bedeutung, das Moralische wird akzentuiert, man ist auf dem Weg zu einem rationalen Supranaturalismus. Der bedeutendste Vertreter dieser neuen Predigtweise ist John Tillotson, Erzbischof von Canterbury mit 14 Bänden Sermons (f 1694), dessen Predigten in Deutschland von Mosheim gelobt und übersetzt, in Frankreich von Voltaire bewundert, der ihn über Massillon stellt, und vom Kronprinzen Friedrich von Preußen übersetzt und seinen Rekruten in Rheinsberg vorgelesen werden. In ihnen geht es um praktisches Christentum, um Beweisführung, Argumentation und verständige Reflexion, schlicht ist ihre Gestalt, sie haben eine fatale Neigung zur Vollständigkeit ganzer Abhandlungen. Noch sind sie an die Anerkennung einer geschichtlichen Offenbarung gebunden, bis wenig später Laurence Sterne (f 1768), als Romanschriftsteller unter dem Namen Yorik bekannt, in seinen Predigten voller Genialität, Humor und Satire (Predigt an die Esel) durch Ironie die Sünde als bloße Torheit bekämpft und die Religion nur noch als Ornament verwendet. Tillotsons Predigten sind gelehrt, angefüllt mit griechischen Zitaten, ausgerichtet auf die Übereinstimmung von Vernunft und Offenbarung. Moral und Sittenlehre sind der eigentliche Inhalt, Gottesfurcht ist die wahre Weisheit, viele Themen werden behandelt wie die Reditsdiaffenheit als Grundlage der christlichen Religion, Religion als Sache der Familie, der gute Name nach dem Tode. In einer Predigt über den Nutzen der Religion für die menschliche Gesellschaft verteidigt Tillotson den Satz, daß Religion und Tugend die Quellen allgemeiner Glückseligkeit und der Wohlfahrt eines Volkes sind. Das Erklären und Beweisen, Argumentieren und Überzeugen ist die Stärke dieser Predigten, das Rednerische und Volkstümliche fehlt ihnen, nicht aber fehlt es ihnen an lateinischen Zitaten. Tillotsons Einfluß auf die Geschichte der Predigt auf dem Kontinent ist groß.

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Geschichte der diristlidien Predigt

Noch stärker im Übergang zum rationalen Supranaturalismus befindet sich Samuel Clarke ( f l 7 2 9 ) , der Gott, Tugend und Unsterblichkeit aus der Vernunft ableitet und schlicht und verständlich predigt. Isaac Barrow (f 1677) hat als ein Vorgänger von Newton einen Lehrstuhl für Mathematik in Cambridge bekleidet, seine Predigten sind manchmal 94 Druckseiten stark und dauern drei Stunden; sie sind moralische Abhandlungen auf der Kanzel, ausgerichtet wie alle Predigten dieser Zeit auf die Ubereinstimmung von Glaube und sittlichem Bewußtsein. Die Predigten des „Apologeten des kirchlichen Glaubens" gegen den Deismus der Zeit, Edward Stillingfleets (f 1699) sind ebenso lehrhaft wie weitschweifig. e) Die puritanischen und presbyterianischen Predigten sind biblischer, eindringlicher und praktischer. Edmund Calamy (f 1666) ist einer der volkstümlichsten Prediger Londons. Politische Tagesfragen vermischen sich mit puritanischer Theologie. Von einflußreichen freikirchlichen Predigern ist Richard Baxter (t 1691) in der ganzen Welt bekannt durch seine „Ewige Ruhe der Heiligen". Seit diesem durchschlagenden Erfolg hat er eine Flut von Folianten, Broschüren, Traktaten und fliegenden Blättern herausgegeben wie „Jetzt oder nie", „Weckruf der Unbekehrten" usw. Seine „Practical Works" umfassen 23 Bände. Auch in außereuropäische Sprachen ist die „Ruhe der Heiligen" übersetzt worden. Die Predigten Baxters sind voll subjektiver Frömmigkeit, sie kämpfen gegen die Vermischung von Weltlichem und Geistlichem, wollen kleine Gemeinden und die Wiederherstellung des Episkopats der ersten drei Jahrhunderte und vor allem Bekehrung. Kein Buch außer der Bibel ist so oft gedruckt und übersetzt worden wie „The pilgrims progress" von John Bunyan (f 1688). Er war Kesselflicker von Beruf und zugleich ein gewaltiger Prediger in Wäldern und Städten, der 12 Jahre im Gefängnis zugebracht hat, weil er sich weigerte, das Predigen aufzugeben, so eindrücklich und beliebt als Prediger, daß die Massen allemal zu ihm hinausgeströmt sind.

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24. Die klassizistische französische Predigt Die Prediger der katholischen Liga sind so erfüllt vom Haß gegen die Ketzer, fanatisiert und politisiert, daß bei allen Tagesfragen und Neuigkeiten und Kontroversen für das Evangelium kein Raum bleibt. Nur sehr langsam setzt sich gegenüber der scholastischen Predigt der Humanismus des 16. Jahrhunderts durch. Neue Inhalte treten an die Stelle des alten Formalismus. Die Blüte der französischen Literatur führt zu einer klassisdien, aus der Antike sich nährenden Beredsamkeit, die Predigt wird zur prunkvollen rednerischen Glanzleistung, sie bringt Ruhm und Ansehen am königlichen Hof und wird ein Bestandteil der klassischen französischen Literatur. Ludwig XIV. wählt selbst die Redner aus, die er nadi Versailles beruft, um in der Advents- und Fastenzeit zu predigen, den Glanz des Hofs zu erhöhen und die geistige Kultur Frankreichs zu repräsentieren. Ein karges Lob aus dem Mund des Königs, wie es auch der Protestant Dubosc einmal geerntet hat, sind höchstes Lob. Die Vollendung der rhetorischen Form, Geistreichigkeit, Esprit, Schwung und Elan, Eleganz und Prägnanz der Sprache, wohlklingende Sentenzen und frappierende Antithesen sind wichtiger als Sache und Inhalt der Rede. Nicht die Glut der Überzeugung, sondern die Brillianz der Diktion, nicht Reichtum des Geistes, sondern Geistreichigkeit entscheiden; so vollendet ist die Kunst der Rede, daß sie wieder gekünstelt wird. Pomp, Bühnenwirkung und Theatralik fehlen nicht, Abschweifungen dürfen die Entwicklung der Gedanken unterbrechen, wenn sie nur brillieren, Eitelkeit und Koketterie sind dieser Beredsamkeit nicht fern. Eine bedeutende Rolle spielt die Wiedererweckung der panegyrisdien Rede, die jetzt weniger den alten Heiligen als den hochgestellten Personen am Hof gilt. Die Eleganz der Rede dient dem höheren Ruhm des Redenden selbst. Nationaler Glanz strahlt in diesen Reden. Gott wird zum procurateur de France (Bossuet). In der Trauerrede für Ludwig XIV. heißt es: „Louis meurt en roi, en heros, en saint." In der Atmosphäre des Hofs genießt man geradezu die Bußpredigt der Fasten- und Adventszeit. Wie kann vor dem sittenlosen Hof bei seiner Geisteshaltung Gottes Wort zur Sprache kommen! Auf Be-

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wunderung kommt es an, nicht auf Glauben, auf Effekte, nicht auf Bekehrung. Das Christliche tritt hinter dem Allgemeinmensdilidien zurück, eine deistische Grundstimmung beherrscht die Frömmigkeit, Reflexionen aus dem Leben treten an die Stelle der Schrift, Gottesfurcht, Tugend, Todesbetrachtung, Bilder aus Geschichte und Leben sind der Inhalt der Predigt, wenig Sdirifterklärung und noch weniger Heilserfahrung. Mit dem Auditorium einer Hofgesellschaft hat es die Rede zu tun, nicht mit einer Gemeinde. Den größten Ruhm in dieser Blütezeit französischer Kanzelberedsamkeit kommt Jacques Benigne Bossuet zu ( f 1704), Erzieher des Dauphin, zuletzt Erzbischof von Meaux, der Mitglied der Französischen Akademie war und mit seinen 1914—25 wieder herausgegebenen „Œuvres oratoires" zu den Klassikern der französischen Sprache und Literatur gezählt wird. Humanistisches, Patristisches und Biblisches verbinden sich in seiner Rede, wobei das Biblische mehr die Atmosphäre, manchmal nur das Ornament bildet. Augustin, Chrysostomus und Chrysologus werden gern zitiert. Bossuet weiß sein Thema nach allen Seiten hin durchzuführen, schwungvoll ist die Rede, schöpferisch die Phantasie, elegant und prägnant die Sprache, lebendig und farbig sind die Schilderungen, großartig die Bilder und Vergleiche. Berühmt sind seine Fasten- und Adventspredigten vor dem königlichen Hof und in den Pariser Kirchen. Er spricht über die Vorsehung, die Göttlichkeit der Religion, die Einheit der Kirche, die Pflichten der Könige, über Tod und Vergänglichkeit. Hinreißend ist die Gewalt der Sprache, erschütternd der Inhalt. Da er improvisiert und bei seinen Lebzeiten nur eine Predigt von ihm gedruckt ist, lernt man ihn am besten aus den von ihm selbst herausgegebenen Oraisons funèbres kennen. Die Trauerrede vor dem Katafalk des Prinzen von Condé gilt als ein Meisterstück der französischen Literatur. Es fehlt auch nicht an Schatten bei diesem glänzenden Redner, bedenklich sind Züge eines gewandten Höflings, die Reverenz vor dem Sonnenkönig, die Verstrickung in Hofintrigen, der rücksichtslose Kampf gegen Fénelon, die Sache mit der heimlichen Ehe, trotzdem bleibt Bossuet einer der glänzendsten Vertreter der geistlichen Beredsamkeit überhaupt.

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Aus anderem Holz ist der Jesuitenpater Louis Bourdalou (f 1703) geschnitzt, der 10 Jahre Hofprediger in Versailles gewesen ist. Bei seinen Predigten ist der Zustrom so groß, daß die Diener der Vornehmen schon morgens um 6 Uhr die Plätze für die Nachmittagspredigt belegen. Er hat nicht die gedankliche Tiefe, die Macht der Sprache und den Glanz der Beredsamkeit eines Bossuet, er wirkt auf andere Weise, er weiß zu überzeugen statt zu blenden. Die Strenge und Schlüssigkeit der Gedankenführung, die bestechende Logik und die scharfe Analyse der Begriffe, die Beweisführung und Argumentation, die Gründlichkeit und Sorgfältigkeit der Rede sind seine Stärke. Kompromisse hat er nicht geschlossen. Versailles spiegelt sidi für ihn im Hof des Herodes. Er ist Moralist, Psychologe, über den Reichtum predigt er, die Vergnügungen der Welt, das Nichtstun der vornehmen Damen und den Ehrgeiz, aber auch über Versöhnlichkeit, die Vorsehung und die Auferstehung Christi. Gelegentlich mag er trocken in seiner Gründlichkeit, manchmal auch sentimental wirken, die Geschlossenheit, Zielstrebigkeit und Überzeugungskraft seiner Rede und auch seine Frömmigkeit hat an diesem Hof einen tiefen Eindruck auf die Hörer gemacht. Zu dem Dreigestirn französischer Kanzelberedsamkeit in dieser Zeit gehört nodi der Oratorianer Jean Baptist Massillon (f 1742) hinzu, nicht so glänzend in seiner Beredsamkeit wie Bossuet, nicht so folgerichtig wie Bourdalou, aber ein Redner mit einer aus der Tiefe des Herzens strömenden K r a f t und einer fordernden Strenge, die erschüttern und rühren kann, von großer Zartheit und lebendiger Frömmigkeit. Er hat die Leichenrede auf Ludwig X I V . gehalten mit dem berühmten Eingangswort: „Dieu seul est grand, mes frères", die den panegyrischen Gefahren nicht ganz entgangen ist. Auf den König haben seine Predigten Eindruck gemacht, Voltaire hat sich bei Tisch aus ihnen vorlesen lassen. Er ist Mitglied der Académie française und an Anerkennung hat es ihm nicht gefehlt. Außer den bischöflichen Synodalpredigten in Clermont sind seine Fastenpredigten vor dem achtjährigen König berühmt, petit carême genannt, weil die Zahl der Reden durch Ausfallen der Mittwochs- und Freitagspredigten verringert und

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ihre Dauer verkürzt wurde. Sie enthalten einen Regentenspiegel, belehren über die Pflichten eines Königs, warnen vor Ehrgeiz, Sinnenlust und Schmeichelei, besonders bekannt ist die Rede „sur les tentations des grands". Das Moralische überwiegt das Theologische, an den Text wird angeknüpft, aber er wird nicht ausgelegt, glänzend sind die moralischen Schilderungen, die Psychologie des menschlichen Herzens, die Kenntnis frommer Abwehrmechanismen. Die Form ist nicht mehr ganz so vollendet, Breite und Wortfülle beeinträchtigen sie. Noch sind wir auf dem Höhepunkt dieser Predigt, vielleicht ist er schon überschritten.

25. Die katholische Barockpredigt Die barocke Predigt ist die eigentliche Form der deutschen katholischen Predigtweise nach dem Aufhören der Kontroverspredigt, die langsam und sicher das Interesse der Hörer einbüßt und nicht mehr dem Lebensgefühl der katholischen Restauration entspricht. Barocke Züge finden sich auch in der orthodoxen und humanistische und scholastische Züge in der barocken Predigt. Trotzdem stellen beide verschiedene Welten dar. Die Wiederentdeckung der barocken Kunst und Literatur durch H. Wölfflin, J. Nadler und andere hat auch zu einer neuen Wertung der barocken Predigt geführt. Man sieht in ihr nicht nur das Skurrile, Bizarre und Abgeschmackte. Die Freude am barocken Lebensgefühl, am Volkstümlichen, Sinnenfrohen und Welthaften in dieser Predigt hat auch das Verständnis für das Extravagante und selbst das Possenhafte in ihr größer gemacht. Die Grenze aber wird nicht aufzuheben sein, daß die Schrift in ihr mehr Ornament und Beweisstück als Grund und eigentliche Quelle bedeutet. Wie in den Barockkirchen der irdische Raum sich gleichsam zum Himmel hin öffnet, das Heilsgeschehen am Altar kosmisch universale Weite und welthafte Tiefe gewinnt, wie das Erlösungsgeschehen sich in einer Fülle künstlerischer und verspielter Vergegenständlichungen äußert, in Symbolen, Figuren und Ornamenten, so gehören in der barocken Predigt die gesehene

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und geglaubte, die irdisdie und transzendente Welt zusammen in einem einzigen gewaltigen Geschehen. Alles Zeitliche und Vergängliche wird zur gleichnishaften Gestalt für das Ewige. Weltdurchdrungen ist das Religiöse und kirchlich das Welthafte. Rationales und Magisches, Faktisches und Symbolisdies, Sinnenfreude und Weltflucht vereinigen sich im großen Welttheater zur spannungsvollen Einheit. Wie in der barocken Kunst alles Dynamik, Bewegtheit und Bewegung ist, so ist diese Predigt voll dramatischer Szenen, in denen die Helden der Vorzeit, gekleidet und redend wie Menschen des 17. Jahrhunderts, auf der Bühne des Weltgeschehens ihre glänzenden Auftritte haben. Die Beliebtheit der emblematisdien Predigtweise spricht sdion aus den Namen von Sammlungen wie „ ö l und Wein des mitleidigen Samariters für die Wunden der Sünder", „Traubenpresse bis auf den letzten Blutstropfen" bei Passionspredigten, „Mark der Zedernbäume" bei Heiligenpredigten; sie alle stammen von dem Bayern Wolfgang Rauscher ( f 1719). Franziskus Höger ( f 1727), ebenfalls Jesuit, füllt seine Predigten bis zum Rande mit Zitaten und verliert sich mitten in den spannendsten Erzählungen in seitenlange Abschweifungen; auch der Teufel hat bei ihm seinen großartigen Auftritt. In der Predigt der Kapuziner kommt die Volkstümlichkeit an ihre Grenze. In seinem mehr als 3000 Predigten umfassenden Werk „Homo simplex et rectus, der alte redliche deutsche Michel" bringt Mauritius Nattenhusanus ( f 1715) keine „Schneidersuppen", sondern „gute Moralia", gewürzt mit Fabeln, Schwänken, Witzen und „anmutigen Historien". Ursprünglich Lutheraner und dann Kapuziner ist Prokopius von Templin ( t 1680), von dem es in 30 Predigtsammlungen mehr als 2600 Predigten gibt, alle mit einem ähnlichen Namen: Eucharistiale, Poenitentiale, Orationale, Mariale, Magdalenale usw. Es gibt auch Predigtsammlungen mit scherzhaften Anspielungen auf den Namen des Verfassers, so heißen die des Jordan von Wasserburg ( f 1739) sinnigerweise „Fluenta Jordanis". Die Liebe zu den Naturwissenschaften muß schon groß sein, wenn der Franziskaner Fortunat Hueber ("f 1706) seine Predigtbände Ornithologia moralis, Zoologia oder gar Ichthyologia moralis nennen kann. Verspielt genug klingen die Bezeidinun-

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gen des Dominikaners Ludwig Schmutzer aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts „Lucubrationes, nächtliche Zeitvertreibungen" und „Diurnale, tägliche Zeitvertreibungen", oder wenn der Augustinereremit Ignatius Ertl (f 1713) Predigten herausgibt: „Promontorium bonae spei oder geistliches Vorgebirge der guten Hoffnung" und seine Fastenpredigten „Amara dulcis, bitter süßes Bußkraut" nennt. Ein Prediger aus dem Weltklerus Christoph Selhamer (f 1708) hält alle seine Predigten für Posaunen, „die zum Aufbruch aus Jerichow, dem irdischen Jammertal in das himmlische Zion mahnen", da gibt es halt eine tuba analógica, tragica, rustica und clementina. Von Johann Lorenz Heibig (f 1721) haben wir sogar „Traurige Gedanken zur nützlichen Zeitvertreibung", ein „Alveare catholicum oder katholisches Bienenhaus", und auf den Hund kommt er in einer „Anatomia canis mystica et moralis". Es ist kein weiter Schritt von der tiefsinnigen Symbolik des Barock bis zur abgedroschenen Emblematik. Eine Besonderheit der barocken Predigt sind die Concettipredigten, die aus Spanien über Italien nach Deutschland gekommen sind. Conceptismo nannte man in Spanien die Literatur, bei der es um Scharfsinn und logisches Denken, cultismo die, bei der es um Gefühl und Anschauung geht. Spanische Concettipredigten sind subtil und geistreich, auf Bewunderung und Applaus bedacht. Die barocke Concettipredigt unterscheidet sich von der trockenen, doktrinären Lehrweise der Scholastik und von der volkstümlich burlesken Predigt der Possenreißer und Fabulierer; sie will ein Thema problematisieren, es mit allen Einwendungen spannungsgeladen vorführen und im Schriftbeweis das Problem so lösen, daß das Ganze ein architektonisches, kunstvoll gegliedertes Gebäude darstellt. Das Interesse der Hörer hängt an der ars argutiarum, die Überzeugungskraft am System des Ganzen. Durch diese Kunst will man selbst einen „gewöhnlichen" Predigttext interessant und spannend machen. Der traditionelle homiletische Schriftbeweis, der mit der Konkordanz, mit Typologie und Amplifikation arbeitet, tritt hinter dem Concettischriftbeweis zurück. In ihm werden einzelne, isolierte Bibelsätze für die architektonische Konstruk-

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tion der Beweisführung ausgewählt, es steht ja kein Wort umsonst in der Schrift, allegorische und mystische Auslegung bekommen ein weites Feld, geistreich und neu im Zusammenhang des Ganzen muß die Deutung sein, oft wird herausgelesen, was der Scharfsinn eben eingetragen hat. Erst die spannungsvolle Konstruktion des ganzen, in viele Einzelabsdinitte sich zerlegenden Gebäudes bringt die Überzeugungskraft. Zur besonderen Charakteristik der meisten Barockpredigten gehört die Fabulierfreudigkeit. Die „Predigtmärlein" kommen zu neuen Ehren. Der Donnerstag der Fastenzeit ist oft ein Tag für „Exempelpredigten", der zweite Ostertag dient im allgemeinen mehr den Ostermärlein als dem Evangelium, heißt es doch in der Emmausperikope geradezu „dum fabulentur". Andreas Strobl, Verfasser des „Geistlichen deutschen Kartenspiels" und sogar eines „Ausgemachten Schlüssels zum geistlichen Kartenspiel", (f 1706) hat in seinem „Ovum paschale" eine „Sammlung von 100 Osterpredigten mit ebensoviel höchst vergnüglidien Ostermärlein" gebradit, 63 Schwanke, 36 Fabeln und eine Sage als „wahre Geschichte". Dem Ostern mit Beichthören beschäftigten Pfarrer soll die Sache mit dem Predigen dadurch einfacher gemacht werden. Auch Kirchweihe und Fastenzeit sind eine beliebte Gelegenheit für das Fabulieren. Die fernsten Gesdiichten werden in die eigene bäuerliche Umgebung versetzt. Cupido und stultitia sitzen mit den Bauern bei Kraut und Semmel am Wirtshaustisch. Die Mehrzahl dieser Erzählungen sind freilich nidit Sdiwänke und Possen, sondern Legenden, Geschichten von bestraften Sündern, Gebetserhörungen und Mirakel, Sagen und Tierfabeln, Hexen- und Teufelserzählungen, antike und historische Berichte, sie handeln von Riesen und Wassergeistern, sind Scherzfragen und Sprichwortgeschichten, enthalten Schildbürgerstreiche, Ortsneckerei, Ständespott, Bauernsdiwänke, und als ein besonders dankbares und unerschöpfliches Thema den Ehekrieg, die versoffenen Ehemänner, die zänkischen Frauen, die Prügelei im Hause. Ungezählte Sprichwörter bringt in seinen moralpädagogischen Belehrungen Germinianus Monacensis (f 1672), bei dem eine Predigt über die Bestechlichkeit der Richter und Anwälte das Thema „Schmier, so gehts" aufweist. Noch bis ins 18. Jahr-

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hundert hinein entstehen immer neue Sammlungen solcher Predigtstoffe. Noch 1781 werden dem Wiesenpfarrer von Ismaning Predigten untergeschoben „zum Lachen in den Stunden der Langweile auf alle Sonntage des Jahres vom Wiesenpfarrer aus I. aus seinem Pult entwendet und zum Muster für alle Prediger in den Druck gegeben." Zum Abschluß soll von dem berühmtesten dieser Barockprediger die Rede sein, von Abraham a Santa Clara, eigentlich Ulrich Megerle ( t 1709), Hofprediger in Wien. Er ist dank seiner Beobachtungsgabe und Menschenkenntnis, Schlagfertigkeit und Treffsicherheit, als Erzähler und Fabulierer durch seine ernsthaften und spaßigen Einfälle, durdi Bilder und Anekdoten, Sdiwänke und Possen volkstümlich wie selten ein Prediger. Seine Predigt erinnert an die Jesuitenkirdien, überladen mit Pracht und Ornamenten, Schnörkeln und Zierrat, sinnenfällig und anschaulich, architektonisch zu einem berauschenden Gesamtbild aufgebaut. Man hat sie mit ihren Leitmotiven, Szenen und Bildern mit der Instrumentierungskunst einer Oper verglichen. In der Auswahl der Mittel ist Abraham nicht wählerisch, steht doch in der Bibel: pauperes evangelizantur. Er ist einer der phantasiebegabtesten Fabeldichter, oft scheint er mehr Dichter, Humorist und Satiriker zu sein als Prediger. Die Parodie hat er geradezu zur literarischen Gattung erhoben. Die Sittenschilderungen nehmen einen weiten Raum ein. Die Predigtsammlung „Merks, Wien" ist eine Warnung in der Pestzeit, „Lösch, Wien" ist Fegefeuerpredigt für die Opfer der Pestzeit. „Judas der Erzschelm" ist weniger ein historischer Roman als eine Sammlung von belehrenden, erbaulichen und satirischen Predigten und Predigtmaterialien in vier Bänden. Ferner sind zu nennen: „Hui und Pfui" mit moralischen Betrachtungen und „Reim dich und ich lies dich". Schriften und Predigten sind fast eins bei Abraham. Bald nach seinem Tode werden 126 Predigten herausgegeben, von denen 89 noch in seiner Handschrift vorliegen und die Veränderungen sichtbar machen, denen sie im Lauf der Zeit unterlegen sind. Ganze Sammlungen sind ihm später untergeschoben worden. Barocke Kunstwerke sind die bei großen geschichtlichen Anlässen gehaltenen Predigten wie die Leopoldsrede von 1679

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oder die Aufforderung zum Kreuzzug „Auf, auf, ihr Christen". Hier wird die Predigt wieder zu einer Sache für Volk und Fürsten, sie gehört wie die Oper und das Hoftheater zum öffentlichen Wesen hinzu. In der Predigt „Auf, auf ihr Christen d. i. eine bewegliche Anfrischung wider den türkischen Blutegel" heißt es, an die Kapuzinerpredigten erinnernd: „Fort mit denjenigen Soldaten, die lieber mit dem Muskateller als mit den Musketen, lieber mit der Decken als mit dem Degen umgehen, die lieber zu Freßburg als zu Preßburg in Garnison liegen, lieber mit der Sabine als mit dem Säbel umspringen." Gegen manches verdammende Urteil der Aufklärung mag man diesen Prediger in Schutz nehmen, als Verkündiger des Evangeliums bleibt er umstritten, mit seinem Fabulieren und den burlesken Zügen macht er in nadireformatorisdier Zeit dodi einen reichlich anachronistischen Eindruck.

26. Die Spielarten der pietistischen Predigt Am Ende des 17. Jahrhunderts setzt sich im Kampf mit der Orthodoxie langsam der Pietismus auf deutschen Kanzeln durch. Sein Kampf gegen starre Lehre und den Buchstabenglauben kann an die Reformbewegungen innerhalb der Orthodoxie anknüpfen, er erstrebt eine Verlebendigung und Vörinnerlichung der Predigt, legt den Akzent auf Wiedergeburt und Heiligung, auf persönliche Glaubensentscheidung und wirkliche Früdite des Glaubens. Bekehren soll die Predigt, nicht belehren. Zweifellos wird jetzt die Verkündigung einfacher, biblischer, praktischer und fruchtbarer. An die Stelle des Formalismus, der Gelehrsamkeit, des rhetorischen Prunks und der bloßen Polemik tritt das Leben aus der Bibel und in der Bibel. Der Vorzug dieser Predigt ist auch ihre Schranke, individualistische und anthropologische Züge treten hervor, an der Kirche ist sie weithin wenig interessiert. Die an der Mystik und der Frömmigkeit des Hohenlieds sich nährende Ausdrucksweise steht im Gegensatz zu der im philosophischen, künstlerischen und weltlichen Bereich entstehenden modernen Sprache. Weltflüchtig und asketisch wird die Frömmigkeit der Konventikel ausgerechnet in einer Zeit, wo die Vernunft sich anschickt, die 10

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Welt zu durchdringen und zu gestalten. Der neue Umgang mit der Schrift bedeutet nicht immer auch eine neue Durchdringung der Texte, er führt oft zur bloßen Häufung von biblisdien Wendungen und Bibelsprüchen. Die ständig wiederholten Mahnungen zu Verinnerlichung des Glaubens und zu Verwirklichung im Leben nehmen oft gesetzliche Züge an. Der Nachdruck, der auf Sündenerfahrung und Gnadenerlebnis gelegt wird, führt zur Betonung des frommen Bewußtseins und der Ausbreitung frommer Seelenzustände. Der Gerechtfertigte wird zum Bekehrten. Das alles hat viele Spielarten und Varianten, ganz frei davon ist keine pietistische Predigt. Untergegangen ist diese Verkündigung bis heute nicht, in ihrer Einseitigkeit bedeutet sie eine Korrektur der immer von Verweltlichung und Verflachung bedrohten kirchlichen Predigt. a) Die ersten homiletischen Grundsätze des Pietismus finden sich in Philipp Jakob Speners Pia desideria (1675), in denen der sechste Vorschlag von der Predigt handelt. Eine Homiletik, freilich keine Predigten haben wir von Joachim Lange: „Oratoria sacra ab artis homileticae vanitate repurgata" (1707). Er ist kritisch gegen alle rhetorischen Künsteleien, gegen die realia sine rebus. Oratorum gravitas degenerat in levitatem comicam. Zur natürlichen Predigtbegabung muß die habilitas supranaturalis hinzukommen. Der Perikopenzwang hindert die Rücksicht auf den Hörer, die Zeit und die Umstände. Darum sollen wenigstens die exordia fixa Raum für das Auslegen biblisdier Bücher, von Katechismus und Kirchenliedern in einer selbständigen, vom Text unabhängigen Thematik bieten. In der Methodik hat sich nicht viel geändert, da begegnen uns die alten genera dicendi, die alten Dispositionsmethoden, der fünffache usus, die Trennung von explicatio und applicatio aufs neue. Johann Daniel Herrnschmids „De discrimine artis rhetoricae et homileticae" (1716) greift ein altes Thema wieder auf, aber mit der Verwerfung der klassischen Rhetorik als „Advokatenkunst" ist das Problem für die christliche Predigt nicht gelöst. Von August Hermann Francke haben wir zwei kurze homiletische Beiträge, die sich auf das Vorbild der apostolischen Predigt gründen wollen. Der Versuch bei den lukanischen Reden anzusetzen, kann kaum eine verheißungsvolle Grundlegung der

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Homiletik sein. Johann Jakob Rambachs homiletische Vorlesungen sind nach seinem Tode von Fresenius herausgegeben worden: „Erläuterungen über die praecepta homiletica" (1736). Zwar werden die homiletischen Regeln nicht mehr als eisernes Joch für den Prediger, sondern als heilsames Gesetz besonders für den Anfänger betrachtet, aber es bleibt doch noch allzuviel von dem alten Apparat der traditionellen Homiletik. In den meisten dieser Darstellungen wird der rhetorische Formalismus aufgelockert, durch pietistische Gesichtspunkte ergänzt, aber nicht wirklich durchbrochen, es bleiben die alten genera dicendi, die loci und porismata, nur gemildert durch eine größere Freiheit, durch Abweisung aller Künstelei, die Ausscheidung fremder Stoffe aus der Predigt und die Betonung von Faßlichkeit und Deutlichkeit der Rede. b) Von Philipp Jakob Spener (f 1705) haben wir eine große Zahl von Predigten. In einer Bibliographie seiner Predigtwerke finden sich 123 meist mehrere Auflagen umfassende Nummern. Nur einige wichtige Sammlungen sollen genannt werden. In einem Jahrgang von Predigten über die Sonntagsevangelien „Des tätigen Christentums Notwendigkeit und Möglichkeit" (1679, 87) werden in den Exordien der Römerbrief und die beiden Korintherbriefe als selbständige Predigten ausgelegt. Es stecken also immer zwei Predigten in jeder einzelnen. Auch die Sitte der „Jahrgangspredigten" hat Spener geübt: „Evangelische Glaubenslehre in einem Jahrgang der sonn- und festtäglichen Evangelien" (1688). Sie enthalten eine Einführung in die altprotestantische Dogmatik, kein wichtiger Lehrpunkt sei ausgelassen, heißt es in der Vorrede. In den „Evangelischen Lebenspflichten" (1693) wird jede Pflicht nach ihrem Grunde, ihrer Natur, ihrer Verpflichtung, ihrer Motivation, ihrer Gesinnung, nach ihrer Erleichterung und Beförderung, ihren Hindernissen und deren Uberwindung in der Manier der Jahrgangspredigten aufs genaueste ausgeführt. Es folgt nodi eine dritte Reihe „Evangelischer Glaubenstrost" (1694). Die Trennung von Glaubenslehren und Lebenspfliditen ist freilich bedenklich genug. Eine ganze pietistische Theologie und Anthropologie bieten die 66 Wochenpredigten „Der hochwiditige Articul von der Wiedergeburt" (1695) mit einer Predigt über den nicht wieder10»

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geborenen Menschen, 8 über die Wiedergeburt und 57 über die Früchte der Wiedergeburt. Ihre Intention ist der neue Mensch, seine Anteilhabe an Gottes Natur, die Gestaltwerdung Christi im Wiedergebornen, die Menschwerdung Gottes im einzelnen Mensdien. Ziel der Predigt ist für Spener die „Erbauung". Immer wieder wendet er sich gegen scholastische Gelehrsamkeit und bloße Rhetorik. Schlicht, verständlich und deutlich soll eine Predigt sein. „Wie wollen wir den ungelehrten Haufen zum Himmel bringen, wenn wir in unsern Predigten mehr auf Kunst als auf Anschauung sehen." Nüchtern sind Speners Predigten, umständlich und weitschweifig, schwerfällig und gründlich, ohne Schwung und Elan, alles ist reflektiert und mühsam gesammelt. Die Sprache ist trocken und unbeholfen, sie ist ohne Glanz und zeigt oft schwerfällige und ermüdende Perioden. Wörtlich, sorgfältig und fleißig ist die Predigt am Schreibtisch ausgearbeitet, wörtlich wird sie auswendig gelernt. Die Exegese ist gründlich, und ausführlich wird sie in der Predigt vorgetragen. Sogar die Trauansprachen gleichen mehr Abhandlungen über den Ehestand und erörtern die merkwürdigsten Themen wie die Namen für die Ehe im deutschen Sprachgebrauch, die Gültigkeit von Ehen verwitweter Personen, den Zweck der Ehe „in der Erzielung und Erziehung von Kindern", oder es wird auch gegen die unflätigen Hochzeitscarmina gewettert. Die Leichenreden beziehen sich nur in der Einleitung auf den casus, sind frei von aller Panegyrik und geben Abhandlungen über den Tod und das ewige Leben, das Kreuz und das Sterben Christi. Der Aufbau der Predigten bleibt dem überlieferten Schema verhaftet, ohne es zu durchbrechen. Das Thema wird sogar noch lateinisch und deutsch genannt. Die Exegese, die „Durchgehung" des Textes erfolgt oft nach dem Schema: quis, quid, ubi, cur, quomodo, quando. Wird die Einleitung zu einem exordium fixum, so wird sie wieder nach Texterklärung, Glaubenslehre und Lebensregel gegliedert. Werden mehrere Predigten über das gleiche Evangelium gehalten, so wird das zweite Mal nur eine einzelne „Hauptlehre" herausgenommen. O f t werden andere Stellen „gegengehalten", oder es wird an nebensächliche Punkte des Textes angeknüpft. Nicht immer geht das ohne

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Gewaltsamkeit ab, wenn z . B . das Täuferwort: „Ich bin nicht der Christus" zum Anlaß für eine Predigt wird, wie ein Christ von sich sagen kann: „Ich bin Christus". Beweisführung, Schlußfolgerung, Definition und Distinktion spielen eine Rolle. Nicht an das Gemüt und Gefühl, sondern an Verstand und Willen wenden sich Speners Predigten. Viele Unsitten der Zeit fehlen z. B. die Emblematik, auch wenn er seinen Schwager Birnbaum mit dem Text „Setze einen guten Baum" in sein Amt eingeführt hat. Es fehlen nichtbiblische Geschichten und Erzählungen; die Kirchenväter und vor allem Luther werden oft zitiert. Das Wettern der Gesetzespredigt meidet Spener, weil es nur noch trotziger macht; mit dem usus elenchticus „müsse man sparsam umgehen wie der Mediziner mit der Purganz". „Das Evangelium bleibt mein Hauptwerk." Auch in seinen Predigten über die Gebote hat das Spener durchgehalten. Inhaltsreich sind seine Predigten, einfach, praktisch und fruchtbar, ihre Wirkung ist wohl mehr auf die Persönlichkeit des Predigers zurückzuführen als auf ihre homiletische Eigenart. An die Stelle der alten Helmstedter und Leipziger Methode ist unter dem Einfluß von August Hermann Francke ( f 1727) die neue „Hallesdie Predigtweise" getreten, der es auf Einfachheit der Sprache, Förderung des Reiches Gottes und ein praktisches Christentum ankommt. Francke hat eine natürlidie Beredsamkeit, von der inneren Bewegtheit läßt er sich fortreißen, freie „Ergüsse" des Herzens sind seine Predigten. Er fußt auf einer gründlichen Exegese, der Sinn der biblischen Worte in der Ursprache wird erörtert, aber die Exegese ist nicht wie in Speners „Durchgehung des Textes" ein selbständiger Teil der Predigt, nur beiläufig und gelegentlich kommt sie zur Sprache. Die Predigt ist sorgfältig meditiert, aber nicht wörtlidi ausgearbeitet, frei wird sie gehalten, von Studenten mitgeschrieben und nach einer oberflächlichen Durchsicht gedruckt. Sie dauert zwei Stunden und auch länger und, wie es halt ohne Konzept leicht geschieht, sie ist wortreich, breit und voller Wiederholungen, sie hat eine Fülle von Bildern und Bibelzitaten, und ihre ursprüngliche Ordnung wird leicht durchbrochen und verwischt. Diese Predigten sind nicht scholastisch, methodisch und minuziös ausgeführt wie die Speners, sie sind ohne rhetorischen Schmuck

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und gelehrte Dogmatik, nicht streng gegliedert, mechanisch trennen sie Abhandlung und Anwendung, aber als freiströmende und lebendige Rede sind sie kraftvoll und eindringlich. Das Praktische überwiegt in ihnen das Lehrhafte. Von Rhetorik und Figuren der Scholastik ist nichts geblieben. Die Hauptfrage ist für Francke: „Wie soll ich es angreifen, daß ich ein wahres Gotteskind und ein Erbe des ewigen Lebens werde?" Es sind Büß- und Bekehrungspredigten von großem Ernst, es kommt ihnen auf das Sündenbewußtsein, die eindeutige Bekehrung, den Durchbruch zur Gnade und die Wiedergeburt an. Ordnung und Faßlidikeit genügen ihm als homiletische Prinzipien. Das „Auditorium" verdient keine weitere Berücksichtigung. Er hält es für falsch, daß man vor Gelehrten gelehrt predigen solle. Die Sündigkeit des Menschen, die Wege zu Christus, Gnade, Bekehrung, Wiedergeburt und neues Leben sind die immer wiederkehrenden, virtuos abgewandelten Themen. Wohl predigt Francke in Glauchau auch über die Fürsorge an den Armen und unter dem Einfluß der Trankebarmission über Sachen des Reiches Gottes, aber es bleibt die pietistische Enge, wenn er über die Diaphora und die skrupulösen Fragen nach den Kennzeichen der Bekehrung spricht. Durdi seinen weitreichenden Einfluß hat er die Predigt der Kirche einfacher, biblischer und praktischer gemacht. Neben Francke ist Johannes Anastasius Freylinghausen (f 1739) einer der bedeutenden Vertreter des Halleschen Pietismus. Für Theologiestudenten hat er homiletische Vorlesungen und Übungen gehalten und in der Vorrede zu seiner schon 1744 in fünfter Auflage erschienenen Epistelpostille Rechenschaft über die Prinzipien seiner Predigtweise gegeben. Sein Predigttemperament ist weniger aggressiv als das Franckes, der von ihm sagt, während seine eigene Predigtweise einem Platzregen gleiche, sei die Freylinghausens wie ein sanfter, aber anhaltender Regen. Alle Eigenheiten der Hallesdien Weise finden sich bei ihm, die langen Exordien, die gehäuften Bibelzitate, Lehrhaftigkeit und Breite, die Schlichtheit und Herzlichkeit des Tons, der Nachdruck, der durch Argumente den Hörer überzeugen will, die gründliche Textauslegung und vor allem die Einstellung, daß Predigt eine Sache der Gewissen-

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haftigkeit, Gründlichkeit, der Sorgfalt und des Fleißes sei, ein gewiß nicht unebener Gesichtspunkt für einen Prediger und eine Predigt. Pietistisdie Predigt kann leicht zur Manier werden. Gehäufte Bibelzitate und die Sprache Kanaans ergeben noch keine biblische Predigt und ständiges Exegisieren auf der Kanzel garantiert noch keine Schrifttreue. Diese Gefahren hat Johann Jakob Rambach ( t 1735) erkannt und ihnen zu wehren gesucht. Sehr jung gestorben hat er doch als Hermeneut, Homilet und durch zahlreiche theologische Veröffentlichungen sich einen Namen gemacht. Seine Predigtsammlungen haben viele Auflagen erlebt und sind von Mosheim für unselbständige Prediger als Muster empfohlen worden. In der Applikation, von ihm „Zueignung" genannt, unterscheidet er die gesonderte Ansprache an die, „welche noch in der Welt verstrickt sind" und an die, „die in der Gemeinschaft und Liebe Jesu Christi sich befinden", eine wohl schwer zu ziehende Grenzlinie, läuft sie doch mitten durch den einzelnen Hörer hindurch. Rambachs Predigten wollen durch Deutlichkeit der Begründung und durch rationale Argumente den Hörer überzeugen. Er ist nicht umsonst ein Schüler des Philosophen Wolff. Eine neue Zeit kündigt sich an. Oft ist die Gliederung der Predigt mitabgedruckt. Tractatio und applicatio werden bei ihm nicht mehr geschieden, weil die ganze Abhandlung applikativen Charakter haben muß. Außer dem argumentierenden Charakter wirkt modern und neu an seinen Predigten, daß sie sich banalen Fragen des alltäglichen Lebens zuwenden, den konkreten Bedürfnissen des praktischen Verhaltens und seinen Pflichten. c) Der schwäbische Pietismus ist tiefer in Kirche und Volkstum eingewurzelt. Er hat einen biblischen Realismus, spekulative Züge, sieht in der Schrift ein zusammenhängendes System der Deutung von Welt und Geschichte und verbindet sich gerne mit apokalyptischen und theosophischen Gedanken, aber er ist dabei zugleidi kirchlicher und bildungsoffener. Johann Albrecht Bengel (j - 1752) ist zwar vom Halleschen Pietismus beeinflußt, aber über ihn hinausgewachsen. Die Hallesche Art ist ihm „zu

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kurz geworden für den Geist der heutigen Zeit". Für die Geschichte der Predigt ist seine Bedeutung als Exeget und Textkritiker, vor allem sein Gnomon wichtiger als seine Predigten, die erst 1839 durch Burk herausgegeben wurden. Bengel sucht in der Bibel Antwort auf Fragen des Lebens, des Reiches Gottes und der Menschheit. Sie enthält für ihn Nachrichten von der im Menschengeschlecht sich auswirkenden göttlichen Heilsökonomie durch die Zeiten hindurch vom Anfang bis zum Ende aller Dinge. Die „60 Reden über die Offenbarung Johannes" sind Vorträge in Erbauungsversammlungen. Die apokalyptischen Berechnungen der Endzeit und die künstlichen Zahlenspielereien treten in den Predigten zurück. Ursprünglich hat Bengel seine Reden wörtlich mit „geflissendstem Nachdenken" ausgearbeitet, später genügen ihm Meditation und Disposition. Seine Regel lautet: „Viel denken, wenig schreiben." In der Methodik ist er sehr frei, manchmal wird der ganze Text ausgelegt, manchmal nur „Hauptpunkte" der Lehre aus ihm gezogen, manchmal gibt es nichts als Applikation. Mit Gesetz und Evangelium muß der Prediger es halten, „wie Gott ihn stimme". Eine strenge Textgebundenheit, die nüchterne Exegese, die Durchsichtigkeit der Rede, die einfache, natürliche Darstellung lassen in der Predigt für das Spekulative in seinem theologischen Denken nur in der Form des Ausblicks und Durchblicks Raum. „Te totum applica ad textum, rem totam applica ad te." „Trage nichts in die Schrift hinein, aber schöpfe alles aus ihr und laß nichts von dem zurück, was in ihr liegt." Auf „das Mark", nicht auf Nebensachen muß der Skopus gehen. Jedes Evangelium will Bengel so ansehen, als habe er noch nie darüber gepredigt und werde auch künftig nicht mehr darüber predigen. In der Vorrede zu den „60 Offenbarungsreden" bestätigt er das Urteil: „Ich schreibe schwer, aber ich rede deutlich." Er hält sich mehr für einen belehrenden als einen erwecklichen Prediger. Gelegentlich liest er ganze Kapitel aus der Bibel in einer Predigt vor, um die Bibelkenntnis der Gemeinde zu fördern. Seine Art ist nüchtern, er will nicht durch manische Erregung den Hörer „maitrisieren". Seine eigentliche Bedeutung für die Geschichte der Predigt liegt nicht in seinen Predigten, sie haben aber dazu

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beigetragen, seine Gedanken tief in das württembergische Volk, seine Gemeinden und den schwäbischen Pietismus einzupflanzen. Als einer der bedeutendsten württembergischen Prediger gilt der Freund Bengels Georg Cum ad Rieger (f 1743) mit seiner „Herzpostille" und der nach dem Tode herausgegebenen kleineren „Herz- und Handpostille". Seine Predigten sind so sorgfältig ausgefeilt und niedergeschrieben, daß sie nach seinem Tode unmittelbar an den Drucker gehen konnten. Im Aufbau folgt er noch ganz dem überlieferten orthodoxen Schema mit „Predigtauftritt", Thema, Gliederung, Abhandlung, „Zueignung" und Schluß, auch wenn er applicatio nicht von der tractatio trennt und den fünffachen usus nur selten und in freier Weise verwendet. Die Predigten und ihre Sprache sind lebendig, kraftvoll und klar, plastisch und anschaulich, sie enthalten Zeugnisse großer Belesenheit und Bildung, zitieren gerne Luther, bringen Beispiele aus der Kirdien- und Weltgeschichte, sind voller Sentenzen und Sprichwörter, frisch und auch einmal schwäbisch derb, oft von einer für uns schwer zu ertragenden Plerophorie, aber immer volkstümlich, gedankenreich und eindrücklich. Unterrichten will die Predigt, bessern und den Willen bewegen. Der Perikopenzwang stört Rieger nicht, in den Wochenpredigten behandelt er andere Texte, wir haben allein 1000 Predigten von ihm über das Matthäusevangelium, die doch nur bis zum 19. Kapitel vorgedrungen sind. Die Gründlichkeit der Exegese spiegelt sich in den ungewöhnlichen gelehrten Anmerkungen und Fußnoten. Lehrhaft sind diese Predigten, Auseinandersetzungen mit Katholizismus, Pelagianismus, Rationalismus und toter Orthodoxie durchziehen sie, dogmatische Themenstellungen allgemeiner Art überwiegen. In ihnen verbinden sich lutherische Orthodoxie und pietistische Herzensfrömmigkeit. Die orthodoxe Rechtfertigungslehre schließt nicht aus, daß zwischen Bekehrten und Unbekehrten unterschieden wird, daß er auf Bekehrung und lebendigen Glauben dringt, in magisch klingenden Formeln vom Blute Jesu redet und daß Gottesdienst und pietistische Versammlung nebeneinanderstehen. Ritschis Kritik mag scharf, überscharf sein, ohne Grund ist sie nicht.

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Unter den vielen „Vätern" des schwäbischen Pietismus, ebenfalls zur Schule Bengels gehörend, ist Philipp Matthäus Hahn (j* 1790) zu nennen, dessen Predigten erst 1847 mit einer Lebensbeschreibung im Anhang erschienen sind. Er hat audi einen Namen als Erfinder und Mechaniker, die Zylinderuhr stammt von ihm, eine Rechenmaschine und komplizierte astronomische Uhren hat er geschaffen, als Theologe ist er ein spekulativer Kopf, ein Schüler Bengels und ötingers. Aus dem Kolosser- und Epheserbrief erhebt er eine biblische spekulative Christologie und macht das Königreich Jesu zum Prinzip und der Mitte des Systems der totalen Wahrheit der Schrift, Christus ist Anfang einer neuen Schöpfung der Welt. Eine der merkwürdigsten und geistreichsten Gestalten des württembergischen Pietismus ist Friedrich Christoph ötinger ( f 1782), der stets in lebendigem Wandel begriffen und von großer Weite und Universalität der geistigen Interessen ist und der, was ihn gerade erfüllt, in seine Predigten bringt, die apokalyptischen Berechnungen und den biblisdien Realismus eines Bengel, die Polemik gegen die Aufklärung und die „gottlosen Berlinischen Lehrer", die Naturwissenschaften als Feld für Gottes Wahrheiten, Medizinisches, die Chemie und die Aldiemie, Physikalisches in einer Bergwerkspredigt, Mystisches, Theosophisches und Pansophisdies, auch Zeitereignisse und Reisebeschreibungen; theosophische Begrifflichkeit, literarische Zitate und lateinische Worte werden verwendet. Jakob Böhme hat er entdeckt, und Swedenborg ist er eine Zeitlang verfallen. Buntgewirkt und lose geknüpft sind seine Predigten, beides findet sich in ihnen, hochgespannte Spekulationen und breit ausgesponnene Alltäglichkeit, aber alles ist eingebunden und zusammengehalten durch Schriftauslegung, durch die Ansprache an Herz und Gewissen und das Zeugnis der biblischen Wahrheit. Die Sprache ist lehrhaft, fast trocken, in jedem Spruch spiegelt sich für ihn immer das Ganze der Schrift, Himmlisches und Irdisches verbinden sich in einer philosophia sacra, Pansophie und Panharmonie erfüllen seine Gedanken, leibhaftig ist Christus die Fülle der Wahrheit, leibhaft wird der Kosmos und die Menschheit zum Ziel der Vergöttlichung geführt.

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Das Herrenberger Predigtbuch ist erst 1819 von der Hahnschen Gemeinschaft zum Druck gebracht worden. Der Untertitel des Weinsberger Predigtbuchs lautet „Reden nach dem allgemeinen Wahrheitsbegriff". Der sensus communis ist für ötinger nicht formales Erkenntnisprinzip, sondern umfaßt eine Fülle inhaltlicher Wahrheiten und Werte, die er in der Weisheit Salomos repräsentiert sieht. Die göttliche Wahrheit konkordiert mit dem allgemeinen Wertgefühl, den Lebensbedürfnissen und Interessen der Menschen. Diese geheime Entsprechung und Korrespondenz ermöglicht überhaupt erst das Predigen. Auch im Murrhardter Predigtbuch stehen so aufregende Sätze wie dieser: „Es gibt eine tägliche, allen Menschen durch Gottes Werk bekannte Offenbarung, welche Salomo die Weisheit der Menge n e n n t . . . diese Weisheit der Menge ist allenthalben: auf dem Rathaus, in der Schule und bei den Handwerkern in täglichen Gesprächen. Eine jede Magd, die am Brunnen klug redet, spricht zuweilen Offenbarung Gottes." Rationalistisch darf man das nicht verstehen; der sensus communis ist für ötinger Leben, Licht und Wertgefühl, die mit dem geheimen Wissen eines jeden Menschen um Gott zusammenhängen. Seine Predigtanweisungen hat ötinger knapp zusammengefaßt: 1. Kurz predigen, damit man nicht wieder hinauspredigt, was man hineingepredigt hat, 2. einfältig ohne entlehnte Worte, ohne Schultermini, damit der Hörer fühlt, es sei Frucht der Lippen und des Herzens. 3. Gründlich, ohne Spitzfindigkeiten, Metaphysik und eine gezwungene Ordnung; man muß Sachen auf Sachen vorbringen aus einigen ideis directricibus der ganzen Rede. 4. Massiv und augenscheinlich, damit sich die Sachen selbst behalten; absonderlich muß man Fakta und Geschichten wie Arndt in die Rede einwirken — wahrhaftig eine Homiletik auf einem Quartblatt! d) Fast alle „Väter" des württembergischen Pietismus haben in einer inneren Verbindung und langen Auseinandersetzung mit der Herrnhutischen Frömmigkeit gestanden. Die Reden des Grafen Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (f 1760) sind mehr Reden als eigentliche Predigten. Trotzdem der Herrnhuter Sonntag eine fast den ganzen Tag andauernde Feier ist, spielt die gottesdienstliche Predigt nur in der lutherischen Kirche zu

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Berthelsdorf eine Rolle, an der die Herrnhuter anfangs fast geschlossen teilnehmen, während die Erbauungsstunden am Nachmittag Wiederholung der sonntäglidien Predigt sind. „Das bloße Vorlesen der Perikopen ist eine viel noblere Methode, das Evangelium in der Welt fortzupflanzen, als das Reden darüber." „Die Versöhnung muß in der Gemeinde mehr besungen als von ihrer Wirkung geredet werden." „Außer der Gemeinde predige man die Versöhnung." Das reich ausgestaltete liturgische Element überwiegt die Predigt. Zinzendorfs Ansprachen, nie von ihm selbst niedergeschrieben, sind uns nur in Nachschriften erhalten. Er selbst hat den ersten Druck nie als sein Werk anerkannt, die zweite von ihm selbst besorgte Ausgabe ist steckengeblieben, und Spangenberg und die Späteren haben kein Interesse daran gehabt, die Reden aus der verpönten „Sichtungszeit" unverändert und vollständig herauszugeben. Wir haben verschiedene Sammlungen von Zinzendorfs Reden und Ansprachen. „Des Ordinarii Fratrum Berlinische Reden" sind in der zweiten Auflage von Zinzendorf selbst durchgesehen worden, sie wurden Anfang 1738 auf dem Dachboden eines in Berlin gemieteten Hauses vor einer großen Zuhörerschaft gehalten, eine Art Evangelisation, von der wir gestraffte und gekürzte Nachschriften haben, eine Dokumentation für den Durchbruch Zinzendorfs zur lutherischen Rechtfertigungslehre, eine Verkündigung der freien Gnade Gottes und des frei aus dem Glauben strömenden Guten. „Die Berlinischen Reden sind vor der ganzen Welt gehalten, Berlin war nur die Kanzel." Eine eigene Gruppe bilden die 1741 gehaltenen „Sieben letzten Reden vor der Reise nach Amerika" und die „Pennsylvanischen Reden", in denen der Gegensatz zum Bekehrungseifer und der Heiligungsfrömmigkeit des Halleschen Pietismus zum Ausdruck kommt. Nachfolge ist „ein seliges Kinderspiel". Die Betonung der „Armensünderschaft" steht im Gegensatz zum Moralismus der zweiten Generation des Halleschen Pietismus. Die Reden während der Sichtungszeit, in der Wetterau und in Holland gehalten, die „Homilien über die Wundenlitanei" und die Zaister Reden preisen als das Höchste die Einfalt, deren Prototyp Christus und deren Quelle das Kreuz ist. Kind-

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lichkeit, Heiterkeit, unmittelbare Gelöstheit sind das fromme Lebensprinzip. Es folgen die „Gemeinreden" aus dem Jahr 1747, von deren Stil und Sprache Spangenberg so abgerückt ist, daß sie vollständig und ungekürzt nicht wieder gedruckt worden sind. Es ist der Sprachschatz der Sichtungszeit, sinnliche Bilder deuten das Verhältnis zu Christus; Bräutigam, Prinzipal und Ehemann heißt er, von „dem blutigen Kuß des Lammes" ist die Rede, die Gemeindeglieder sind die „Kreuzluftstäubelein", sie sind „lammhaft", in Jesu Blut gebadet, verliebt in die vier Nägelein, sie rühmen die Seitenwunde und die Pleura. In den späteren Gemeinreden tritt diese süßlich tändelnde, spielerische Sprache etwas zurüdc, kirchengeschichtliche Durchblicke und die Charakterisierung der Zeit als „Interim" weiten den Gesichtskreis. Immer geht es um den Freudencharakter der Nachfolge. Die Londoner Reden (1749—55) sind nach dem Ende der Sichtungszeit gehalten, sie sind erfüllt von Auseinandersetzungen mit der Philosophie und den Philosophen, sie ringen um die Gewißheitsfrage des Glaubens. „Die einzige Religion, wogegen keine Argumente aufzugreifen noch Mittel zu finden sind, ist die Herzensreligion." Alles dreht sich in diesen Predigten um den „täglichen Umgang mit dem Schmerzensmann", „die tägliche und stündliche Konnexion mit ihm", die „Nähe" Christi und seinen „intercourse mit unserm Gemüt" und die daraus entstehende Bruderschaft der Glaubenden. Voller Originalität, Bewegtheit und Tiefe, Zartheit und Gedankenfülle, Eigenwilligkeit, Extravaganz und Fremdheit sind diese Reden, fröhlich, spielerisch und tändelnd, voller Bilder und Phantasien, die ähnlich immer wiederkehren, überströmend und nüchtern zugleich; sie entstammen unmittelbarer Empfindung und Eingabe, sind ohne Ordnung und Gliederung, mehr aphoristisch als chaotisch, genial und verwirrend, tiefsinnig und auch alltäglich. Daß ihr Stil auf die Predigtsprache der Kirche tief und lange hat einwirken können, ist nicht immer gerade heilsam und förderlich für die Entwicklung der Predigt gewesen. e) Ein Zweig der pietistischen Predigt, ursprünglich audi mit den Herrnhutern verbunden, seit 1741 von ihnen getrennt, ist

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die des Methodismus. Er ist zunächst eine Erweckungsbewegung in der anglikanischen Kirche und wird erst, als die Staatskirche ihm die Kanzeln versagt, zur Predigt auf freiem Feld gezwungen. Die beiden ersten Prediger dieser Bewegung sind John Wesley (f 1791) und George Whitefield (f 1770). John Wesley, der am 24. Mai 1738 in einer Versammlung in London beim Hören der Vorrede zu Luthers Römerbriefvorlesung seine Bekehrung und den Durdibruch zur Heilsgewißheit erlebt hat, hat auf seinen Predigtreisen mehr als 50 Jahre lang bis ins 88. Lebensjahr auf freiem Feld gepredigt, oft drei bis viermal an einem Tage. Die Dörfer in England, Irland und Wales sind seine Parochie, von Ort zu Ort reitet er, oft begleitet von seiner Frau, erst der Siebzigjährige benutzt einen Wagen. Auf insgesamt 40 000 schätzt man die Zahl seiner Predigten. Seine Themen sind Rechtfertigung, Wiedergeburt, Heilsgewißheit, Heiligung bis in den letzten Winkel des Herzens, die Vollkommenheit der Heiligen. Seine Predigten sind nicht durdi die K r a f t der Phantasie, durch Anschaulichkeit und Glanz der Rede ausgezeichnet, sie wirken durch ihren Ernst und ihre Verständlichkeit, sie sind eine dogmatische, lehrhaft gestimmte Volkspredigt, ohne die Popularität eines Whitefield zu erreichen. Gedruckt sind vier Bände „Sermons of several occasions" (1771). George Whitefield, später von Wesley durch die Bejahung der Prädestinationslehre getrennt, ist der Vater der revivals. Seine Erweckungspredigt ist überwältigend, das Stöhnen und Zucken der Hörer begleitet sie, von Bußschmerz werden sie erschüttert, er selbst kann vor Bewegung in Tränen ausbrechen und über das Elend der Sünder weinen. Seine Predigt handelt von den einfachen Grundgedanken des Evangeliums, impulsiv und lebendig ist sie, durch die Kraft des Gefühls wirkt sie auf den Hörer, sie eifert um die Seelen und drängt auf Entscheidung jetzt und in diesem Augenblick, ernst und eindringlich mahnt sie zur Versöhnung mit Gott. Auf 18 000 schätzt man die Zahl seiner erwecklichen, in Wales, Nordamerika, Schottland und im Zelt (tabernacle) in London, meist im Freien gehaltenen Predigten, zu denen immer die Massen hinzugeströmt sind. Schon die erste Predigt des 22jährigen wird gedruckt und erlebt drei Auflagen in einem Jahr; insgesamt aber haben wir

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nur 63 Predigten von ihm, und die Mehrzahl von ihnen stammt aus der Zeit, da er noch nicht 25 Jahre alt ist. Tief sind diese Predigten nicht, aber die Ergriffenheit des Redners hat eine schwer vorstellbare Wirkung auf die Menge gehabt.

27. Die Predigt der Aufklärung Die aufklärerische Predigt hat viele Spielarten, ohne eine Differenzierung in Darbietung und Beurteilung geht es bei ihr nicht ab. Die Trivialitäten und Absonderlichkeiten drängen sidi geradezu auf, aber die Bedeutung der Aufklärung für Kirche und Predigt ist trotzdem nicht gering. Die Betonung der natürlichen Religion, der Vernunft und der allgemeinen Wahrheiten, der moralischen Maximen, manches Flache und Hausbackene heben die Vorzüge dieser Predigt nidit auf: ihren Sinn für das Praktizieren und Konkretisieren, für Verwirklichung in der Welt, in Öffentlichkeit und Beruf, die Übersetzung traditioneller theologischer Begriffe in eine moderne Denk- und Sprechweise, den Versuch der Interpretierung von Dogmen, die Rücksicht auf den Hörer und seine Situation, das Gespräch mit der Bildung und den Gebildeten der Zeit, den Kampf gegen Freigeisterei und Atheismus. a) Neben Francke haben an der gleichen Universität Thomasius und Wolff gewirkt. Unter ihrem Einfluß entsteht die „demonstrierende Methode" der philosophischen Predigt, in der es um logische Klarheit, rationale Verständlichkeit, Faßlichkeit der Begriffe und Durchsichtigkeit der Gliederung gegenüber pietistischer Formlosigkeit geht. Wahrheiten der natürlichen Religion, philosophische und metaphysische Gegenstände dringen in die Predigt ein. Sie wird leicht zur Abhandlung, die Schullogik beherrscht sie; auch auf der Kanzel redet man vom Satz des zureichenden Grundes, dem Satz des Widerspruchs, verwendet man Schlußketten, unterscheidet Möglichkeit und Wirklichkeit und ergeht sich in begrifflichen Abstraktionen, die manchmal zu einer lächerlichen Definiersucht führen. Diese von Wolff beeinflußte Kanzelberedsamkeit wird von Johann Gustav Reinbeck (f 1741) vertreten, der, vom Halle-

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sdien Pietismus herkommend, sich Wolff zugewendet hat. Er bejaht das Recht der Philosophie auf der Kanzel und verbindet die demonstrierende Methode mit einer gemäßigten Orthodoxie, ist nicht ohne trockene Definiersucht und manchmal schwerverständliche philosophische Begrifflichkeit. Sein Einfluß auf Friedrich Wilhelm I. führt zu der Kabinettsordre von 1739, in der die Kandidaten der Theologie angehalten werden, sich in Philosophie und Logik, vor allem der Wolffsehen „recht festzusetzen", sich um logische Ordnung der Gedanken und Präzision des Ausdrucks in der Predigt zu bemühen, Maß zu halten im Zitieren von Bibelsprüchen, dunkle und mystische Redensarten zu meiden, keine Allegorie zu üben — homiletische Anweisungen in der Königlich Preußischen Kabinettsordre! Als ein Kommentar dazu ist 1740 Reinbecks „Grundriß einer Lehrart ordentlich und erbaulich zu predigen" gedacht. In den langen Kämpfen um die demonstrierende und die biblische Methode hat Joachim Oporin maßvoll Reinbeck widerstanden: „Die alte und einzig richtige Richtschnur, überzeugend und erwecklich zu predigen" (1750). Das Ende der demonstrierenden Predigtweise hat ein Philosophieprofessor in Halle herbeigeführt, Georg Friedrich Meier ( f 1777), der Gründer der älteren Tübinger Schule, der in seinen „Gedanken vom philosophischen Predigen" (1754, 62) nichts gegen Deutlichkeit und logische Ordnung in der Predigt hat, aber sarkastisch die abstrakte Begrifflichkeit, die subtilen Teilungen und die philosophischen Kunstwörter in ihrer Lächerlichkeit innerhalb einer Predigt zu karikieren weiß. b) Ein Markstein in der Geschichte der Predigt bedeutet Johann Lorenz von Mosheim ( f 1755), der auf die beiden nächsten Generationen von Predigern einen tiefen Einfluß gehabt hat. Bemühungen um die deutsche Sprache hat es schon vorher in diesem Jahrhundert gegeben; die Literaturgeschichte berichtet von den „Deutschen Gesellschaften", in Halle gibt es eine eigene Professur für Beredsamkeit, Gottsched hat große Verdienste um die Förderung der Redekunst. Mosheim hat die Kanzelrede „unter die Jurisdiktion des guten Geschmacks" gestellt, die gleichen Gesetze der Rhetorik gelten für geistliche und weltliche Rede. Seine Predigten sind die eines Gebildeten vor Gebildeten. Militärische Wachen müssen vor der Kirche für

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Ordnung sorgen, und Mosheim kann sidi oft nur mühsam den Weg zur Kanzel erkämpfen. D a s Wort Predigt ersetzt er bewußt durch „Heilige R e d e " . Wir haben 7 Bände von ihnen und eine Homiletik, die „Anweisung erbaulich zu predigen", die erst nach seinem T o d e von seinem Sdiwiegersohn Prof. von Windheim herausgegeben wurde (1763). Mosheim ist theologisch und philosophisch tief gebildet, ein guter Kenner der französischen und englischen Predigtliteratur, Tillotson hat er ins Deutsche übersetzt und ihn empfohlen. Für einfachere Verhältnisse nennt er Rambach als Vorbild und Muster. Predigt ist für Mosheim Lehrmitteilung. Erbauung ist E r kenntnis und Besserung des Willens. „Erbauung des Verstandes" geschieht durdi klare Gründe, die „Erbauung des Willens" „kann es nur da geben, wo der Verstand zuvor erleuchtet ist". Deutlich muß eine Predigt sein, durch „tüchtige Beweise" den Hörer überzeugen. „Eine vernünftige Bewegung des Willens, Besserung geschieht durch Gründe und Ursachen, die der Verstand begreift und für gültig anerkennt", heißt ein durchaus bedenkenswerter Satz. E r meint dabei nicht so sehr die Wissenschaft als die Vernunftgründe, die auf unser Glück und Unglück zielen und dem Gewissen einleuchten. „ E s ist das allererste auf der Kanzel eine Überzeugung nötig, und diese Überzeugung muß durch gute Gründe und unumstößliche Beweistümer geschehen." Schrift und Vernunft können sich nicht widersprechen. Diese Übereinstimmung erreicht Mosheim durch den Rückgang auf die Fundamentalartikel und eine Hermeneutik, die aus dem Wortlaut der Bibel das eigentlich in ihr Gemeinte herausholt. Mosheim hat eine natürliche Beredsamkeit, ruhig und lehrhaft ist sein Vortrag, deutlich die Begriffe, verständlich die Rede. Den schwerfälligen traditionellen Kanzelstil hat er völlig überwunden. Er kann lebendig und anschaulich schildern, einer seiner Grundsätze lautet, je besser einer malen könne, desto leichter könne er die Herzen bewegen. Die Lehrhaftigkeit verbindet sich mit einem apologetischen Interesse. Seine Predigt will die christliche Wahrheit gegen Atheismus und Freigeisterei vor allem an den H ö f e n verteidigen. Mosheim meint, in China würde er möglichst tief aufgrund der Weisheit des Confucius philosophieren, bis die Einsicht gesiegt habe. D a s helle Licht der Vernunft braucht die 11

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christliche Religion nicht zu scheuen. Als Argumente verwendet er gerne die göttliche Stiftung des Evangeliums, den göttlichen Ursprung der christlichen Sittlichkeit, die natürliche Religion und erläuternde Bilder aus dem täglichen Leben. „Zeit, Hörer und Umstände sind die Dinge, daraus man vornehmlich urteilen muß, wieweit ein Redner seine Pflicht beobachtet oder versäumt hat." Konkretion und Psychologie, das „Anatomisieren" der Seelenzustände gehört zu dieser Predigt. Themen der Glaubenslehre werden behandelt: „Die Torheit der Religionsspötter", „Beweis des Lebens Jesu aus dem Tode der Apostel", „Die Gleichheit aller Mensdien bei ihrer äußerlichen Ungleichheit" oder auch ethische Themen „Das sicherste Mittel die Feinde zu besiegen" usw. Überzeugend wirken die Predigten durch die Kraft der Argumentation, sie sind biblisch und vernünftig begründet, modern und natürlich in ihrer Sprache, flüssig in der Darstellung, einen Tribut zollen sie freilich ihrer Zeit, sie sind oft umständlich und weitschweifig, im Druck 40—60 Seiten lang. Die Traurede für Friedrich II. hat 83 Seiten im Druck und beginnt mit dem nüchternen Satz: „Die Vereinigung zweier Menschen von verschiedenem Geschlecht, die wir Ehe zu nennen pflegen, steht unter einer besonderen Aufsicht des Herrn, der sie gestiftet hat." Ein neuer Geist zieht in der Predigtweise Mosheims herauf, ein neues Jahrhundert kündet sich bei ihm an. c) Langsam tritt das geschichtliche Christentum hinter der natürlichen Religion zurück, und das Moralische wird zum eigentlichen Gegenstand der Predigt. Die „Akkomodationstheorie", die Anpassung Jesu und der Apostel an die Vorstellungen und die Denkart der Zeit dient als hermeneutisches Prinzip, um die ewigen Wahrheiten aus der „orientalischen" Einkleidung in die moderne Begrifflichkeit und die Sprache unserer Zeit zu übertragen. Tillotson und Clarke haben durch den preußischen Hofprediger August Friedrich Wilhelm. Sack (f 1786) auch die reformierte Predigt beeinflußt. Sack hat dazu beigetragen, die alten starren Fesseln der Predigt zu sprengen, eine schlichte natürliche Sprache auf der Kanzel einzuführen und statt des Theologischen dem wirklich Religiösen Raum zu geben. Die biblischen

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Begriffe übersetzt er in die Sprache der natürlichen Religion und die Vorstellungen der Popularphilosophie. Moralische Predigten bevorzugt er. Frömmigkeit und Patriotismus verbinden sich in den Dankpredigten des Hofpredigers nach den großen Siegen Friedrichs II. und in seiner Rede nach dem Tode des Königs; staatskirchliches Denken und OrdnungsbegrifFe der bürgerlichen Gesellschaft bestimmen ihn. Die Texte seiner Predigten sind meist sehr kurz. Nicht nur Allegorisieren und Typologisieren, sondern auch das Exegisieren fällt in ihnen fort. Die Themen sind gern allgemeine Gegenstände, die Allwissenheit Gottes, die Vorsehung, die Göttlichkeit Christi, Gottes Gericht, Buße, Aufrichtigkeit, Demut usw. Das wird in 6 Bänden „Wahrheiten zur Gottseligkeit" in schlichter, schmuckloser Sprache und ohne die glänzende Schilderungskunst Mosheims vorgetragen. Eine mit Mosheim verwandte Auffassung der Predigt zeigen die beiden Sammlungen von Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem ( f 1789), den Gottsched in die Wölfische Philosophie eingeführt hat und der in seinen Predigten eine stärker philosophische Haltung zeigt, der vielleicht gründlicher und tiefer, aber auch schwieriger ist als Mosheim, weniger vollendet in Form und Disposition, aber dafür rednerisch bewegter. Die natürliche Religion und das Apologetische überwiegen, aber an der biblischen Offenbarung und dem Geheimnis der Menschwerdung hält Jerusalem fest. Das Predigtamt ist für ihn „die wahre allgemeine Schule der Menschheit", sein Sinn ist es, „durch den gründlichen Unterricht in der Religion als dem großen Mittel der Aufklärung, als der kräftigsten Anleitung zur Rechtschaffenheit, als der sichersten Quelle aller wahren Beruhigung die Menschen zur Aufklärung und Moralität zu führen". Die Gewißheit des Glaubens gründet sich auf Erfahrung. Eine der Predigtsammlungen ist dem Herzog von Braunschweig gewidmet, in der Neujahrspredigt nehmen allein die Fürbitten für die einzelnen „durchlauchtigsten" Glieder der herzoglichen Familie acht Druckseiten ein. Johann Andreas Cramer (1788), befreundet mit Geliert und Klopstock, Kanzelredner, Dichter und Kritiker der schönen Literatur, der als deutscher Hofprediger in Kopenhagen wegen li*

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seines Freimuts aus Dänemark ausgewiesen wurde und zuletzt Kanzler der Universität Kiel war, gehört durch drei Bände geistlicher Gedichte, die sich mit den verschiedenen Pflichten und Ständen befassen, durch das „Allgemeine Gesangbuch für Schleswig-Holstein" mit 255 seiner eigenen Lieder (1780) und seine Oden auf Luther und Melanchthon auch in die Geschichte der geistlichen Dichtung hinein. Gottsched hat ihn in die Kunst der Rede eingeführt. Cramer hat in 10 Bänden die Predigten des Chrysostomus übersetzt, in der Beredsamkeit ist Bossuet sein Vorbild. Seine in 20 Bänden vorliegenden Predigten legen mehr Wert auf glänzende rednerische Form als Mosheim, sie sind bilderreich und überladen mit rhetorischen Figuren, erfüllt von einer mitreißenden Begeisterung, poetisch und auch pathetisch, selbst an belanglosen Stellen von einer Überschwenglichkeit, die den gedanklichen Reichtum und die Ordnung der Rede leicht verdecken kann. Das positive Christentum bejaht er, es wird neu beleuchtet von der natürlichen Religion; das Gesetz Gottes und die Vernunft bestätigen einander. Selbst die Predigten Cramers über die Tugenden sind höchst lebendige und anschauliche Darstellungen. d) In der fortgeschrittenen Aufklärung wird das Gewicht der natürlichen Religion immer stärker. Deutlich wird das bei dem Berliner Pröpsten Johann Joachim Spalding ( f 1804) sichtbar. Audi er ist von Tillotsons Predigten beeinflußt, in Halle hat er sich mit Wolfis Gedanken befreundet, an J . S. Baumgarten hat er sidi angeschlossen. In seinen „Gedanken über den Wert der Gefühle im Christentum" (1761) setzt er sich kritisch mit dem Pietismus auseinander; nicht ein Gnadengefühl ist das Kriterium für die Bekehrung, sondern die sittliche Änderung der Gesinnung und das rechte Tun des Guten. 11 Jahre später erscheint, in der ersten Auflage noch anonym, die Schrift „Von der Nutzbarkeit des Predigtamts und deren Beförderung". Es ist das Geschäft des Predigers, „daß durch den Unterricht in der Religion die Menschen teils beruhigt, teils gebessert und in die Verfassung gesetzt werden, die zum Glückseligwerden nötig ist". Der Prediger ist ein „Lehrer der Weisheit und der Tugend", ein „bestallter Lehrer der Sittlichkeit", Besserung und Glückseligkeit der Menschen sind seine Aufgabe. Die kirchlichen

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Glaubenslehren sind das, „was die Gewichte für die Uhr sind". Religion haben heißt „in einem geglaubten Weltherrscher die höchste Tugend verehren, ihr nachstreben und sidi ihres Urbildes erfreuen". Alle Rhetorik lehnt Spalding ab. Die Predigt ist Vermittlung klarer Erkenntnisse, die der Prüfung standhalten, sie soll „erleuchten". Ihre Themen sind überwiegend moralische Gegenstände. Die Frömmigkeit soll „in die Häuser, in den Umgang und ins tägliche Leben" eindringen. Die Themen lauten etwa: „Die Glückseligkeit eines beruhigten Gewissens", „Daß ein ernstes Betrachten des Todes einen höchst wichtigen Nutzen hat", „Der bleibende Gottesdienst der Christen", „Die Vollendung der Geschäfte Jesu auf Erden", aber kein anderes Thema hat Spalding so oft und so ernst behandelt wie das Gewissen. Die Predigten sind von lauterer Gesinnung und wirklicher Wärme, voller Selbst- und Lebensbeobachtung; Gutsein ist in ihnen immer schon Frommsein. Die offensichtlichen Grenzen dieser Predigt sind die einer Zeit mit anderen Fragen und anderen Erkenntnissen als unsere. Neben Jerusalem und Spalding gehört zu den Predigern, die Goethe im 7. Buch von „Dichtung und Wahrheit" anerkennend erwähnt, auch der Schweizer reformierte Theologe Georg Joachim. Zollikofer (f 1788), zuletzt Pfarrer der reformierten Gemeinde in Leipzig. Noch ergänzen sich bei ihm das Licht der Vernunft und das Christentum, aber seine Predigt ist wesentlich ethisch, das Christliche wird zur allgemeinen Religion. Gott, Tugend und Unsterblichkeit umfaßt der Vernunftglaube. Christentum ist für ihn „eine göttlich beglaubigte Anweisung zur Glückseligkeit für alle Völker und alle Zeiten", Christus das „erhabene Muster aller weisen und guten Menschen", sein Werk „die Aufklärung und Besserung seiner Zeitgenossen", Erlösung „alles, was Christus zum Besten der Menschen getan, alles, wodurch er ihre Erkenntnis, ihre moralische Besserung und ihre Glückseligkeit befördert hat". Solchen Eindruck haben diese Predigten Zollikofers gemacht, daß sie zum Teil noch nach seinem Tode in 15 Bänden gesammelt wurden. Gedanklich sind sie anspruchsvoll, aber verständlich, erfüllt von sittlichem Ernst und warmer Frömmigkeit, Empfindung und Reflexion verbinden sich in ihnen; gründlich wird ein Thema bis in alle

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Einzelheiten entfaltet, sachlich und modern ist der Stil, sie gehören zum Besten, was die Aufklärung hervorgebracht hat. Auch er will die „Religionslehren" an recht viele Dinge des Alltagslebens anknüpfen. Ein Beispiel bieten die beiden Predigtbände „Über die Würde des Menschen und den Wert der vornehmsten Dinge", die von dem Wert der Ehre, der Gesundheit, des sinnlichen Vergnügens, des Reichtums, der Einsamkeit, der Freundschaft usw., von der allgemeinen und von der christlichen Tugend, von der Religion und dem Christentum handeln, alles gründlich, gedankenreich, immer bezogen auf das alltägliche Leben, freilich ohne ein Gefühl dafür, daß ein Werturteil nicht gerade ein sicheres Fundament des Glaubens ist. Neues kündigt sich an, wenn Zollikofer „Betrachtungen über die Größe Gottes nach den Werken der Natur", über den Frühling, über den gestirnten Himmel oder den Wechsel der Jahreszeiten bringt, Vorläufer der später in der Aufklärung so beliebten Naturpredigten. Noch einen Schritt weiter in der Umwandlung der Predigt in ethische, moralische Unterweisung geht Wilhelm Abraham Teller ( f 1804), der vom biblischen Supranaturalismus herkommend sich immer mehr der Religion des Vorsehungsglaubens nähert und moralische Anweisung zum entscheidenden Anliegen der Predigt macht. An Frömmigkeit und religiösem Gehalt stehen seine Predigten weit hinter denen Spaldings zurück. Eine Hermeneutik der Aufklärung bedeutet sein „Wörterbuch des Neuen Testaments zur Erklärung der christlichen Lehre" (1772), das bis 1805 sechs Auflagen erlebt hat. Das Orientalisch-Jüdische soll vom Allgemein-Christlichen getrennt werden, die biblischen Begriffe in die Sprache und Vorstellungswelt moralischer Grundwahrheiten übersetzt werden, um das Christentum für die Gebildeten annehmbarer zu machen. In der „Religion der Vollkommenen" erscheint das geschichtliche Christentum als bloße Vorstufe seiner späteren Entwicklung. „Das zu seiner höheren Vollkommenheit fortschreitende Christentum kann nicht mehr das sein, was es in dem ersten Anfang gewesen ist." Christentum ist die „beste Weisheitslehre zu einer immer höher steigenden Glückseligkeit". Im gleichen Jahr 1792 begründet Teller das „Neue Magazin für Prediger",

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das die rationalistische Predigt durchsetzen soll und das er bis 1802 redigiert hat. Nachdrücklich wird die Rolle des Hörers betont. Kein Thema darf es in der Predigt geben, das nidit sofort den Hörer interessiert, wenn er es vernimmt. „Individualisieren" soll die Predigt, wir würden sagen, konkretisieren. Der Prediger soll den Menschen nehmen, wie er im wirklichen Leben ist, immer wieder werden die Predigtgedanken an einzelnen anschaulichen Fällen aus dem Alltag durchgeführt, fast alle Themen entstammen der speziellen konkreten Ethik. Hier zeichnen sich moderne homiletische Erkenntnisse ab. Über allem steht das Ideal der Aufklärung. „Man muß den Menschen in der Religion aufklären, ihn nach und nach immer weiter aufklären, er kann nicht zu sehr aufgeklärt werden." Es wird in diesen Predigten nicht gegen das geschichtliche Christentum polemisiert, aber auch kein Wort gesagt, das der Prediger nicht ehrlicherweise vertreten kann. Nach dem Wöllnerschen Edikt hat Teller die Konsequenzen gezogen und die letzten 15 Jahre seines Lebens nicht mehr gepredigt. Seine Themen sind nicht ohne Originalität, im Text sind sie nicht begründet. So predigt Teller darüber, daß ein wohl geordneter Glaube auch im irdischen Leben hilft, er spricht am Karfreitag von dem Trost eines Christen, daß er sich nicht am Leiden Jesu Christi würde schuldig gemacht haben. Joh. 4, 6 läßt ihn gar über Erholung und über Ruheplätze für den Wanderer predigen. Einmal hat er sich anheischig gemacht, er könne die meisten von Gellerts Vorlesungen auf der Kanzel wiederholen. Über dem Ganzen der Verkündigung liegt ein deistischer Hauch, die Religion ist zur Moral geworden. Wir nennen aus der Zeit der fortgeschrittenen Aufklärung noch die „Predigten in Rücksicht auf den Geist des Zeitalters" von Joh. Gottlieb Marezoll (f 1828), zuletzt Superintendent in Jena. Für ihn ist der Prediger der „Lehrer der Religion, der sich mit den gesitteten Ständen über die Lehren der Vernunft und des Christentums zu unterhalten hat". In seiner Schrift „Über die Bestimmung des Kanzelredners" werden die sittlichen Vernunftwahrheiten als das Bleibende in der Bibel bezeichnet.

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Christlich ist alles das, was Jesus und seine Gesandten ihren Absichten und Grundsätzen gemäß ganz gewiß lehren und vortragen, verbieten und befehlen würden, wenn, ja wenn sie unser Denken und Sinnen, unsere Beobachtungen und Lebensweise sehen würden. Weisheit, Moralität, Tugend, Beruhigung und Glückseligkeit des Menschen sind das eigentlich Christliche. Unbestreitbar ist der sittliche Ernst, die psychologische Beobachtungsgabe, der Freimut, mit dem gegen sittliche Schäden der Zeit angegangen wird, aber Religion ist völlig aufgegangen in allgemeinen sittlichen Vernunftwahrheiten. e) Von einigen extremen Formen rationalistischer Predigt soll noch gesprochen werden, die den Übergang zum platten Utilitarismus darstellen. Die „Natur- und Ackerbaupredigten" sollen den Bauern belehren und aufklären. H. Gottlieb Zerrenner ("j" 1811) gibt in seinen „Natur- und Ackerbaupredigten" (1783) im ersten Teil regelrechte Belehrungen über den Landbau, um dann im zweiten Teil daran „gute und erbauliche Gedanken" anzuschließen, z. B. an das Pflügen und Umwenden der Schollen die Bekehrung der Herzen. In seinen Predigten „Über die Naturgesetze" hat Johann Ludwig Ewald ( f 1822) für die Gebildeten aus den Vorgängen und Veränderungen in der Natur in einem poetischen und sentimentalen Stil Antworten für die den Menschen bewegenden Lebensfragen erhoben. Als „Text" wird ein Naturgegenstand einem moralischen, psychologischen oder religiösen Thema vorangestellt. Aber von Herder, Lavater und Pestalozzi beeinflußt, mit Jung Stilling befreundet unterscheidet er sich tief von den seichten und platten Ackerbaupredigten Zerrenners. Der Philanthrop Christian Gotthilf Salzmann ( f 1811) verbindet in seinen „Predigten für Hypochondristen" (1778) Situationsbezogenheit, Naturbetrachtung und Nützlichkeitserwägungen. Ostern predigt er im Anschluß an die Emmausperikope über den Nutzen des Spazierengehens, das durch Jesu Exempel geheiligt sei. Eine christozentrische Spitze sollen bei G. Chr. Benjamin Mosche seine „Predigten über die Herrlichkeit Gottes in der Natur" (1774) bekommen. Die Hydrotheologie in homiletische Formen gießend, leitet er von der „achtsamen Betrachtung des Wassers" zu dem Quell des lebendigen Wassers in Joh. 4 über.

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Utilitaristisch denkt / . F. Scblez: „Beiträge zur Beförderung der wirtschaftlichen Wohlfahrt unter den Landleuten" (f 1788). Er meint: „Von dem Landvolk muß alles, was nötig und nützlich ist, zur Religion gemacht werden", und entsprechend predigt er auch. Interessanter sind die damals entstehenden politischen Predigten, die sich mit den öffentlichen Angelegenheiten, Zeit- und Tagesfragen befassen. Eine Sammlung von J. 2 . Hahn heißt geradezu „Politische Predigten" (1797). Belehrung und Ermahnung geben bedeutet, „seine Zuhörer mit denjenigen Verhältnissen gehörig bekannt zu machen, von denen sie täglich und stündlich umgeben sind, in welchen sie täglich und stündlich pflichtmäßig oder pflichtwidrig handeln können und sie anzuleiten, wie sie dergleichen Verhältnisse anzusehen und sich darin zu verhalten haben". Wenn ]. A. Härter politische Predigten „Über die Freiheit und Gleichheit und über einige wichtige Gegenstände des häuslichen und bürgerlichen Lebens" (1794) drucken läßt, ist das die Folge revolutionärer Unruhe in seiner Gemeinde, und die konservative Haltung dieser Predigten führt dann wieder zu neuen Unruhen. Noch säkularer sind die Predigten des Königsberger Joh. Fr. Krause „Über einige Landesgesetze" (1797). Das „Auditorium" der Kanzel soll dem Volksrechtslehrer ebenso dienen wie dem Prediger. Das bürgerliche Gesetz erhält einen religiösen Anstrich, aus Weltverantwortung wird Welthörigkeit. Der Supranaturalist Johann Georg Rosenmüller ( t 1815) gibt eine ganze Sammlung von Predigten „Über merkwürdige Begebenheiten des 18. Jahrhunderts" heraus (1801), und der Bremer Pfarrer Joh. Jak. Stolz (f 1821) bringt Predigten mit den Themen: Friedrich II., die Gesellschaft Jesu, die politischen Revolutionen, die verderbten Höfe, die Schifffahrt, die Pressefreiheit, die Publizität usw. Von flachstem und plattestem Utilitarismus zeugen die Gesundheitspredigten über Kuhpocken und Blatternimpfung oder über die Kunst nach hufelandschen Grundsätzen das mensdilidie Leben zu verlängern, ökonomische Predigten befassen sich mit Branntwein, Kleeanbau, den Schulden und dem Schuldenmachen, mit unzeitiger Sparsamkeit, dem Betrug in Handel und Wandel. Es geht um wirtschaftliche Entwicklungen und inner-

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•weltliche Nützlichkeit. Die Niederungen dieser Predigt sind erreicht, wenn Weihnachten von der Gefahr weiter Reisen oder dem Vorzug der Stallfütterung vor der Koppelwirtschaft, Ostern über den Scheintod, Gespensterfurcht und die Gefahr gepredigt wird, bei lebendigem Leib begraben zu werden oder Pfingsten über die Luft; ein anderer predigt über den unermeßlichen Segen des Kartoffelbaus oder von den Bewohnern der Wasserwelt oder über die Wohltat des Schlafs. Diese Entartungen darf man nicht der ganzen Predigt der Aufklärung ankreiden, auch wenn das Gefälle von Spaldings Nutzbarkeit zu solchem Utilitarismus unverkennbar ist. f) Schließlich hat unter dem Einfluß Kants die philosophische Predigtweise eine Wiedererweckung erfahren, die an das moralische Gesetz in uns, an den kategorischen Imperativ, Kants moralisch philosophische Schriftauslegung anknüpft (Christian Victor Kindervater f 1800 und andere), ein Unternehmen, dem Kant in seinen metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre 1807 kritisch entgegengetreten ist: „Wenn aber Pedanten sich anmaßen, zum Publikum (von der Kanzel und in Volksschriften) in Kunstwörtern zu reden, die ganz für die Schule geeignet sind, so kann das so wenig der kritischen Philosophie zur Last fallen als dem Grammatiker der Unverstand des Wortklaubers. Das Belachen kann nur den Mann, nicht die Wissenschaft treffen." g) Die Predigt der katholischen Kirche ist nicht so tief vom Geist der Aufklärung erfaßt worden. Er wirkt sich aus in den Diskussionen über den Zölibat, über Mönchswesen und Bruderschaften, die lateinische Sprache im Gottesdienst, die Vereinfachung der Messe und die Abschaffung überflüssiger Fest- und Feiertage. Auf der Kanzel zeigt sich neben dem Fortdauern der alten Predigt ein Vordringen der Vernunft, der Sittenlehre, einer säkularen Diesseitigkeitsmoral, des Nützlidikeitsstandpunktes und ein Zurücktreten der Kontroverspredigten. Einige charakteristische Titel von Predigtsammlungen sollen genannt sein. Das Uberwiegen des Interesses an der Moral drückt sich in solchen Sammlungen aus wie „Die Moral der Christen, wie sie sein soll", „Sittliche Kanzelreden", „Sittenlehren" usw. Das lehrhaft unterweisende Element führt zu Themenreihen wie

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„Christliche Lehrpredigten", „Reden an Jünglinge über moralisch religiöse Gegenstände zur Veredelung sittlicher Gefühle", „Von der Schuldigkeit verschiedener Stände", „Zusammenhängende Predigten über die christliche Glaubenslehre", „Christentumslehrpredigten" und Katechismuspredigten. Ganz hört auch die Kontroverspredigt nicht auf: „Heilige Streitreden über schlichte Glaubensfragen", „Schriftgemäße und überzeugende Beweise, daß die protestantische Kirche wegen der Abschaffung der Messe unmöglich die wahre Kirche sein könne". Einen großen Raum nehmen die Bauernpredigten ein: „Praktische Predigten für das Landvolk", „Predigten für gemeine Leute", „Populäre Volkspredigten", „Der praktische Volksprediger", „Der neue, der neueste und der allerneueste Volksprediger" usw. Gerne werden die allgemeinen Themen der Aufklärungsfrömmigkeit behandelt: „Sammlung praktischer Vorträge zur Befestigung des Glaubens, der Tugend und der Zufriedenheit", „Göttliche Anstalten zu der Menschen Beglückung", „Religion die Grundfeste der Staaten", „Reden zur Beförderung der Vaterlandsliebe, der Sittlichkeit und des häuslichen Glücks". Audi Geschichtspredigten finden sich „Uber die wichtigsten Ereignisse des letzten Jahrhunderts" oder politische Predigten „Über landesherrliche Verordnungen", „Der Mensch, seine Freiheit und Gleichheit nach natürlichen, religiösen und politischen Grundsätzen", es begegnet uns auch eine Sammlung vom Sprichwortpredigten: „Einige der landläufigen Sprichwörter zu Predigen anwendbar gemacht". Das alles ist uns nicht unbekannt, hier sind beide Konfessionen nicht weit voneinander entfernt. Auffallend ist die große Zahl der „Kurzpredigten", die sich in dieser Zeit weithin in der Verkündigung der katholischen Kirche durchgesetzt haben. Daß in der katholischen Kirche Predigten alten Stils und mit dem alten Inhalt immer noch überwiegen, ist auch für die Zeit der fortgeschrittensten Aufklärung nicht zu bestreiten.

28. Supranaturalismus und Sturm und Drang Neben der noch weiter fortdauernden biblischen, pietistischen und orthodoxen Verkündigung und neben der siegreich die Kanzeln beherrschenden rationalistischen steht die supranatura-

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listiscbe Predigt, eine Variante und Gegenspielerin der aufklärerischen Kanzelrede. Ihr bedeutendster Vertreter ist Franz Volkmar Reinhard, Oberhofprediger in Dresden (f 1812), dessen Predigten in 35 Bänden gedruckt sind. Seine „Geständnisse, meine Predigten und meine Bildung zum Prediger betreffend" enthalten außer Predigtanweisungen eine durchaus nicht unkritische Selbstcharakterisierung. Lehrer ist für ihn der Prediger, nicht Redner; Unterricht der Sinn der Predigt; Belehren die „Nutzbarkeit" des Predigtamts; heilsame religiöse Gefühle und fruchtbare Rührung gibt es nur auf dem Wege vom Verstand zum Herzen. Trotzdem unterscheidet sich Reinhard tief von der Predigtweise der Aufklärung, er hält am überlieferten Kirchenglauben fest, an der göttlichen, der Vernunft übergeordneten Autorität der Schrift, mag er auch den Inhalt der Offenbarung mit psychologischer und verstandesmäßiger Beweisführung als vernunftgemäß und wirklich zu erweisen suchen. Die Lehre der Kirche will er vortragen. Jesus ist Offenbarer und Mittler und als solcher auch wieder Vorbild, ein praktischer Lehrer spezieller Tugenden, sogar der Vaterlandsliebe. Die Predigten Reinhards haben einen größeren Reichtum an biblischen Gedanken, aber damit verbinden sich viele moralische Ausführungen, manches Rationalisieren und Vernünfteln und auch viel Psychologisches und Praktisches. Sie sind auf das Sorgfältigste disponiert, aber stets nach demselben Schema geteilt und wieder untergeteilt; die einzelnen Abschnitte stehen unverbunden nebeneinander. „Ich definiere, teile ein und argumentiere in meinen Predigten wie in meinen Collegien". Gekünstelt wirkt das Kunstwerk seiner Rede, rational und verständig ist sie, ohne Phantasie und lebendige Schilderungen, klar und deutlich die Sprache, ohne jeden Schmuck die Rede, monoton und in strenger Logik wird die Kirchenlehre vorgetragen. Der schematische Formalismus des Aufbaus wirkt erkältend und eintönig, alles ist durch Reflexion vermittelt, nichts unmittelbar und spontan. Weil im Supranaturalismus das Christentum eine Summe geoffenbarter religiöser und sittlicher Wahrheiten ist, kann die Predigt nur lehren, unterweisen, demonstrieren und argumentieren. Mit ihrer Zeit teilen die Predigten eine praktische Ten-

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denz, eine Vorliebe für tätiges Christentum, für Konkretion und Lebensnähe, für Ineinssetzung von Religion und Moral und für die Natur, nach Jesu Anweisung „das wirksamste Mittel einer vernünftigen Aufheiterung". In den Landtagspredigten des Jahres 1806 werden die sittlichen Schäden der Zeit freimütig getadelt, aber sie handeln auch vom Bürgersinn, vom Vaterland, von der schädlichen Macht, die das Vergnügen des Essens und Trinkens auf die Mensdien ausübt (Joh. 6,1 ff.) oder von der christlichen Klugheit und Sdionung bei Verlegenheiten im gesellschaftlichen Umgang (Jo. 2,1 ff.). Der Text ist zufälliger Ausgangspunkt, die Ableitung der Hauptgedanken oft mehr als gekünstelt, die freie Meditation muß die Textgedanken ergänzen. Umständlich und abstrakt werden die Themen formuliert, z. B. in der berühmten Reformationsfestpredigt im Jahre 1800: „Wie sehr unsere Kirchen Ursachen haben, es nicht zu vergessen, daß sie ihr Dasein vornehmlich der Erneuerung des Lehrsatzes von der freien Gnade Gottes schuldig sind." Beliebt sind diese Predigten, die keine große Originalität haben, weil sie biblische Gedanken mit Vorstellungen, Methoden und Erwartungen der Zeit verbinden. Reinhard hat sonntäglich in Dresden vor 3000—4000 Zuhörern gepredigt. Zu pauschal darf man nicht über das 18. Jahrhundert urteilen, es ist mannigfaltiger als man es gemeinhin sieht, selbst neue in die Zukunft weisende Entwicklungen kündigen sich in der Genieperiode des Sturm und Drangs in ihm an. Von Johann Caspar Lavater (f 1801) haben wir zum ersten Mal seit Mosheim wieder Predigten über zusammenhängende biblische Bücher, über Jona und den Philemonbrief. Er ist ein Feind der Aufklärung, von Reflexion und kaltem Verstand, ein reicher Geist, in dem eine tiefe, empfindsame Frömmigkeit und herzliche Liebe sich mit enthusiastischen und genialen Zügen verbinden. Nicht die Gedanken sind für ihn das Entscheidende, sondern die Empfindung, das Gemüt und die Fruchtbarkeit der Phantasie. Religion gehört für ihn zur Magie des Herzens. Er vereinigt eine leidenschaftliche Liebe zu Christus mit Weitherzigkeit und Toleranz. Das Christentum gilt ihm als Erfüllung und Vollendung der Menschlichkeit, der Glaube ist ihm die Kraft aller Kräfte, das „Mark der

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Seele", der innerste Sinn, der die Welt des Unsichtbaren eröffnet und sie an uns wirken läßt, ja die Neugier, „die doch gern durch einen Spalt ins Reich des Unsichtbaren gesehen hätte". Gnade, Liebe und Freude sind der Grundton seiner Predigten. „Religion ist Freude, Freude an Gott und an allem, was Gottes ist." „Gemeinnützig", d. h. aktuell soll die Predigt sein, an die Interessen des Hörers, an Zeitereignisse und Fragen der Öffentlichkeit anknüpfen. Ein Beispiel bietet die Predigt bei der „Vergiftung des Nachtmahls" (1777), beim Streit der Landschaft mit der Stadt (1794 f.) oder die Predigt „über die praktische Tätigkeit der helvetischen Regierung" (1799). Die heilige Begeisterung des Redners soll auf den Hörer überspringen, der Ton der Predigt der des vertrauten und bewegten Gesprächs sein. Lavaters Stil ist lebendig, kurz sind die Sätze, eindringlich die Wiederholungen, Selbstgespräche und pathetische Anreden gibt es in Menge, häufig sind Apostrophen und kurze Ausrufe, aphoristisch ist die Art dieser Predigt. Nicht ganz recht ist es, wenn Herder Lavater einmal einen „lieben Gottesschwätzer" genannt hat. In einer Gegenwartssprache will er reden, keine durch Liturgie und Gesangbuch sanktionierten formelhaften Ausdrücke verwenden. Von Johann Gottfried Herder (f 1803) haben wir nur wenige gedruckte Predigten meist aus der Rigaer und Bückeburger Zeit, vereinzelte aus der Zeit als Hofprediger in Weimar. Er spricht aufgrund einer sorgfältigen Disposition in einer sich frei entfaltenden Rede. Auf die Gebildeten haben seine Predigten einen tiefen Eindruck gemacht, auf die Gesdiidite der Predigt hat er stärker durch seine Kritik an der Aufklärung gewirkt. Am wenigsten gefällt schon dem jungen Theologen „der moralische Modeprediger", er sucht „den Redner Gottes", den er sich mit überschwenglicher Begeisterung, mit ehrwürdig patriarchalischen Zügen und mit prophetischen Gaben ausgestattet denkt. In den „15 Provinzialblättern an Prediger" (1774) setzt sich Herder mit Spaldings „Nutzbarkeit des Predigtamts" auseinander, sie sind ein flammender Protest gegen das Christentum der bloßen Moral, „gegen die Lehrer der Weisheit und der Tugend auf der Kanzel, gegen die Herabwürdigung des Pfarramts zum staatskirchliciien Dienst".

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Nicht von „blauen Enten" solle man predigen, nicht leeres Stroh dreschen, „nicht die Mohnkörner allgemeiner Redensarten" ausstreuen. „Das einzige Prinzipium des Glaubens ist Gottes Wort, zurück zu dieser Quelle!" Ist Moral die Hauptsache der Predigt, „dann sollten wir doch lieber direkt Stücke von Sokrates, Pensées der Voltaireepiktete und ihrer Schüler" verwenden. Gottes Wort, Glaube und Religion braucht der wirkliche Mensch, nicht Moral. Mit der Zeit wird Herders Predigt mehr und mehr ein weitherziger, geschichtlich gebildeter, universaler Humanismus, eine durch Fromm- und Gutsein verklärte Menschlichkeit. Seine Predigten sind Homilien, in den Predigten über das Leben Jesu durchbricht er den Perikopenzwang. Geistreich sind seine Reden in der Fülle der Gedanken und dem Reichtum der Phantasie, sprudelnd, genial und aphoristisch, offen für Anliegen, Interessen und Bedürfnisse der Gebildeten seiner Zeit, kritisch gegen ihre Schwächen, den einzelnen Ständen, Lebensaltern und Berufen zugewandt, besonders den Fragen der häuslichen Erziehung. Großartig ist die sorgfältig vorbereitete Disposition, aber in ihrer Strenge durch die Lebendigkeit der Rede verdeckt. „Man darf die Lampe des Studierzimmers nicht riechen." Noch im Rahmen des 18. Jahrhunderts melden sich die Kräfte, die es durchbrechen und überwinden sollen.

29. Die Erneuerung der Predigt am Anfang des 19. Jahrhunderts Im ersten Drittel dieses Jahrhunderts etwa bis zum Tode von Menken und Schleiermacher herrscht noch weithin der Rationalismus auf den Kanzeln. Aber die Entstehung eines neuen Nationalgefühls in den Freiheitskriegen, die Wiederentdeckung der sittlichen Idee des Staats, der deutsche Idealismus, der entstehende geschichtliche Sinrf, Sturm und Drang, die Romantik, die Erweckungsbewegung, später Union und Restauration, die Lutherfeiern des Jahres 1817 und vor allem der neue Ansatz in der Theologie Schleiermachers wirken sich auch auf die Predigt aus.

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Aus andern Wurzeln freilich, von seinem Biblizismus her nimmt Gottfried Menken, seit 1802 reformierter Pfarrer in Bremen ( f 1831), eine doppelte Front gegen die Orthodoxie und gegen den Rationalismus ein. Lange Zeit ist er übersehen und in seiner Bedeutung unterschätzt worden. Wir haben von 1797—1834 von ihm sieben Predigtsammlungen, die 1858 in einer Gesamtausgabe herausgekommen sind. Theologisch ist er von Bengel, dem biblischen Realismus ötingers und von Hamann, vor allem von dem Vertreter des niederrheinischen Pietismus, dem Arzt Samuel Collenbusch beeinflußt. Sonderlehren wie die Negierung von Gottes Zorn, Betonung des aktiven Gehorsams Jesu gegenüber seinem sühnenden Strafleiden und die Neigung zu theosophischen Gedanken treten in seinen biblischen Predigten nicht sonderlich hervor. Auslegung der Bibel ist seine Predigt und nichts als Bibelauslegung. Die Schrift ist für ihn Zeugnis einer in der Geschichte fortgehenden, lebendigen, zusammenhängenden, sich selbst bezeugenden Offenbarung Gottes, System und Organismus eines Ganzen von Geschichte, Wahrheit und Wirkung. In der Mitte steht der alles erschließende und zusammenschließende Begriff des Reiches Gottes, „die Hauptsache in der ganzen Bibel". Eine einige Menschheit in dem auch das Physische und Politische umfassenden ewigen Reich Gottes bedeutet für ihn die „Theodizee", auf die Himmel und Erde warten. Gegenüber dem Biblischen tritt das Dogmatische in diesen Predigten zurück. „Ich habe niemals über irgendeine Dogmenlehre des Christentums gepredigt und bin in meinen Predigten nicht besonders darauf bedacht gewesen, die kirchliche Dogmatik als solche zu bestätigen und zu bestreiten." Diese Predigten zeigen keine rhetorische Beredsamkeit und keine Erregungen des Gefühls, sie sind Betrachtung und gedankliche Reflexion, verständlich und schlicht in der Form, dabei nicht ohne Wärme; sie kennen keine Themen, Einteilungen und Dispositionen, sie sind im eigentlichen Sinn Homilien. Menken ist geradezu der Wiederentdecker der Homilie; die synthetische Predigt gilt ihm als „ein Hauptstreich des Satans" gegen das Reich Gottes. „Predigen heißt das Wort Gottes verkündigen und auslegen." Bevorzugt werden alttestamentliche Texte, die ohne Typologie nach dem Schema Weissagung und

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Erfüllung ausgelegt werden. Die Treue zum Text läßt Menken alle Predigten ablehnen, von denen es heißen kann: „Viel und vielerlei Gutes, nur das nicht, was der Text enthält." Diese Predigt ist mehr Betrachtung als Rede. Ihr Biblizismus führt dazu, daß auf Zeit- und Lebensverhältnisse kaum je einmal Bezug genommen wird. Die Applikation versteht sidi von selbst. „Das richtige Verstehen der Schriftstellen ist die Hauptsache und das Erbauliche." „Ich halte es für meine Pflicht, geradezu gegen die Moral zu predigen." Die Tiefe der Auslegung madit diese Predigten noch immer lesenswert, ihre geschichtliche Bedeutung liegt in ihrem Biblizismus und der Wiederentdeckung der Homilie; diese Einseitigkeit aber bildet ihre Stärke und auch ihre Grenze. Einen neuen theologischen Ansatz jenseits von Rationalismus und Supranaturalismus findet die Predigt bei Friedrich Ernst Daniel Schleiermacher ( f 1834). Tief ist der Eindruck seiner Predigt auf die Gebildeten seiner Zeit, der Gottesdienst in der Berliner Dreifaltigkeitskirche bedeutet geradezu ein gesellschaftliches Ereignis. Wir haben von ihm 10 Bände Predigten, die den zweiten Teil seiner Gesammelten Werke bilden. Aber schon seit 1792 hat Schleiermacher seine Predigten nicht mehr aufgeschrieben, anfangs noch auf einem Zettel wenigstens Thema und Teile. Er meint, Sicherheit und Wärme erreicht ein Redner nur, wenn er das Konzept nicht ausarbeitet und dem Gedächtnis einprägt. So haben wir nur Predigten, die Schleiermacher nach dem Vortrag selbst ausgearbeitet hat oder die von andern nachgeschrieben sind. Die beiden ersten Bände enthalten sieben von Schleiermacher selbst herausgegebene Sammlungen aus den Jahren 1801 bis 1834, sie sind so stark überarbeitet, daß man von literarischen Predigten sprechen kann. Der dritte und vierte Band enthält nachgeschriebene und nach flüchtiger Durchsicht herausgegebene Predigten, der siebte vereinzelt schon früher gedruckte Reden, alles andere sind unkontrollierte Nachschriften von Schleiermachers Predigten; keine liegt in der Gestalt vor, wie sie einmal in Wirklichkeit gehalten wurde. Nicht die Vernunft der Aufklärung, sondern der „Erlöser" ist Quelle, Mitte und Maßstab alles religiösen Lebens und die geschichtliche Individualität tritt an die Stelle der allgemeinen 12

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Wahrheiten. Ebenso wendet sich Schleiermadier gegen den Supranaturalismus, gegen die „Buchstäbelei", die „kalten trocknen Untersuchungen des Verstandes", gegen alles Formelwesen in der Religion und allen Zwang in Glaubensfragen. Die Predigt ist die „Darstellung christlich frommer Gemütszustände", vermittelt durch Christus als Urbild und Erlöser. Der Predigtbegriff Schleiermachers lautet: „Predigt ist eine zusammenhängende Folge von Gedanken; der Zweck, zu dem sie veranstaltet wird, ist kein anderer als das religiöse Bewußtsein der Anwesenden zu beleben, so wie ich es schon früher gesagt habe, der ganze Kultus sei eine Anstalt zur Zirkulation des religiösen Bewußtseins." Das Missionarische und Pädagogische gehört nicht in die Predigt, sie will nicht belehren und bekehren. Schleiermadier spricht einmal selbst von der manchen verwunderlich erscheinenden Voraussetzung, „als gäbe es noch Gemeinden der Gläubigen und eine christliche Kirche". Die darstellende Predigt grenzt in der Tat an ein solches gefährliches „als ob", und die Lösung des Dilemmas will nicht gerade befriedigen: „Vielleicht kommt die Sache dadurch zustande, daß man sie voraussetzt." Darstellung und Reflexion bilden den Grundcharakter dieser Predigten, freilich eine Reflexion über das durch Christus vermittelte fromme Bewußtsein der Gemeinde. „Die erbauende Wirksamkeit im christlichen Kultus beruht überwiegend auf der Mitteilung des zum Gedanken gewordenen christlichen Selbstbewußtseins." Ein Perikopenzwang besteht für Schleiermacher als reformierten Prediger nicht, über alttestamentliche Texte hat er bei seiner Abneigung gegen dieses Buch selten gepredigt. Das Bibelwort ist für ihn die Gewähr der Kirchlichkeit der Rede, Legitimierung und Regulierung des frommen christlichen Gefühls und der Vernunft. In der Regel ist bei ihm der Gegenstand der Predigt schon vor dem Text gegeben, an Hand des konkreten Bibelworts wird er neu durchdacht, es kommt zur „Assimilation" des Predigers, während die Einleitung die Funktion hat, den Gegenstand mit der Stimmung des Hörers zu vermitteln. So ist die Predigt ein Zusammenspiel von Text, Gegenstand, Prediger und Gemeinde. Als freie und lebendige Rede gehalten haben Schleiermachers Predigten trotzdem eine durchsichtige,

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klare Gliederung, deren logische Struktur fast bis in die einzelnen Sätze hinein erweisbar ist. In ruhiger Entwicklung und in langen Perioden entfaltet sich die Rede, für Abschweifungen und Einfälle des Augenblicks bleibt kein Raum.* Nicht um eine logische Disposition geht es Schleiermacher „nadi dem Schema einer Kategorientafel", sondern rednerisch, natürlich, rhetorisch soll die Gliederung sein, einen Prozeß wiedergeben, in dem alles seinen Ort hat und dem Ziel der Rede dient. Nicht zergliedern, sondern entwickeln soll sie. Die Folgerichtigkeit der Gedanken und ihr sittlicher Ernst nehmen den Hörer gefangen. Ein Problem wird aufgestellt, entwickelt, die Widersprüche dialektisch aufgelöst, dialogisch ist die Auseinandersetzung mit dem Hörer, erst am Schluß kommt es zur Auflösung der Spannung, o f t steht ein zusammenfassender knapper S a t z am E n d e : „Fürchtet Gott, sonst nichts!" „ D a s Bleibende behaltet, das Vergängliche gebt preis!" So vielfältig sind die Themen wie der Reichtum der Glaubenslehre. Die sittliche Bedingtheit der Religion und die gedanklidie Klärung des Sittlichen gehören zum Eindrüdtlichsten in dieser Predigt. Dilthey hat Schleiermacher „den ersten politischen Prediger großen Stils" genannt. D a s häusliche, gesellschaftliche, bürgerliche und kirchliche Leben, Geselligkeit und Gemeinschaft spielen eine große Rolle; in den Predigten über den christlichen Hausstand will er „das Hauptgewebe unserer Lebensverhältnisse überschauen und im Spiegel des göttlichen Worts betrachten". Die politische Predigt hat Schleiermacher grundsätzlich gerechtfertigt; die Verkündigung muß politische Fehler ebenso behandeln wie andere auf sittlichem Gebiet. Sie soll den politischen Erscheinungen der Zeit den irreligiösen Charakter nehmen und den Weg zeigen, wie das bürgerliche Interesse zu einem religiösen werde. Politische Predigt soll freilich religiöse Rede bleiben, sie soll „religiöse Maximen aufstellen, zu denen sich das Politische beispielsweise gesellt". Sie ist nicht einseitig, weil sie jede Partei vor Irreligiosität zu warnen hat. Wie steht es mit Schleiermacher als „patriotischem" Prediger? Vaterland und Nationalgefühl kommen o f t bei ihm vor, aber das „Patriotische" ist von allem Nationalismus weit entfernt. 12*

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Es meint die sittliche Haltung und Verpflichtung des Bürgers dem Ganzen des Staats gegenüber. Die erste Predigt nach der Schlacht bei Jena hat das Thema „Über die Benützung öffentlicher Unglücksfälle" und sieht in der Niederlage ein Zeichen dafür, daß Gott die Deutschen nodi liebt. Berühmt ist die Neujahrspredigt des Jahres 1807: „Was wir fürchten sollen und was nicht", die den von Napoleon geächteten Freiherrn von Stein auf seiner Flucht aufgerichtet hat. „Fürchtet Gott, sonst nichts!" Das Muster einer politischen Predigt ist die am Geburtstag Friedrichs II. im Jahr 1808 gehaltene Predigt, die sich gegen „die verfehlte Anhänglichkeit an das Vergangene" wendet. Der Text handelt vom Tempel, von dem kein Stein auf dem andern bleibt. Das Vergangene kann man nicht zurückwünschen, es soll nicht sich selbst überleben, aber das Ewige im Vergänglichen gilt es zu fördern. Politisch ist die Predigt bei der Einführung der neuen Ständeordnung und der Steinschen Reform über „das rechte Verhalten des Christen zu seiner Obrigkeit" (1809), die von der Notwendigkeit einer allgemeinen Beteiligung am öffentlichen Leben spricht. Als vor der Predigt am 28. 3. 1813 der Aufruf des Königs „an sein Volk" gelesen wird, deutet Schleiermacher den Krieg zwar als Rückkehr zur Wahrheit, zu freiem Handeln und zur Selbständigkeit, mahnt aber gewissenschärfend zu Treue und Sorgfalt und warnt vor Verwahrlosung und Trägheit. An Jer. 18,7—10 entwickelt er, daß im einzelnen und im ganzen der Wechsel der Sdiicksale von dem Steigen und Sinken der inneren Werte abhängt. Schleiermachers politische Predigt beschränkt sich nicht auf solche nationalen Anlässe, immer geht es in seinem Predigen auch um das Häusliche, das Gesellige, Staatsbürgerliche, um das Gesamtleben und die Gemeinschaft. Ein Beispiel für die vom Rationalismus herkommende und langsam sich vertiefende Predigt bietet Johann Heinrieb Bernhard Draeseke (f 1849) „der Jean Paul auf der Kanzel". Von ihm haben wir mehr als 20 Predigtbände, die ältesten unter dem bezeichnenden Titel „Predigten für denkende Verehrer Jesu" (1804/12), in deren Vorwort alle vom Lesen des Buches ausdrücklich ausgeschlossen werden, „die nicht denken können", ferner die „Predigten über die Wiedergeburt Deutschlands"

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(1814), Predigtbände „Vom Reich Gottes" (1830), und „Gemälde aus der Heiligen Schrift" mit einer meisterhaften biblischen Kleinmalerei. Dräseke gehört zu den begabtesten und eindrucksvollsten Rednern der Zeit. Kurze, schlagende, packende Sätze, Thesen und Antithesen, sentenzenförmige, einprägsame Formulierungen, eine blühende und bilderreiche Sprache, eine Fülle immer neuer und überraschender Wendungen, Innigkeit und Wärme, flammende Begeisterung und sprühende Geistreichigkeit, funkelnde, manchmal auch geziert und künstlich wirkende Redensarten, eine Originalität, die Altes mit neuen Worten zu sagen weiß, die Kunst der Schilderungen und die Anschaulichkeit der Beispiele bilden eine überzeugende Beredsamkeit. Die sädisischen Visitationsreisen des preußischen Bischofs sind geradezu Triumpfzüge, bei denen ihn die Begeisterung der Menge auf den Straßen umjubelt. Daß seine Rhetorik auch oft im Gesuchten ihre Grenzen hat, zeigt die ans Lächerliche rührende Ausdeutung der Ortsnamen der visitierten Gemeinden. Schwerer wiegt, daß der rationalistische Ausgangspunkt bei ihm nie ganz überwunden wird. Unter Herders Einfluß bleiben Religion und Humanität bis in die 20er Jahre hinein eins, Jesus ist die „höchste Erscheinung der reinen Menschlichkeit", ein Lehrer, der „für Aufklärung und Veredelung des Menschengeschlechts allein und lebenslang gewirkt hat", noch 1841 nennt er die Kirche „eine orthopädische Anstalt der Menschenseele", „mehr ist sie nicht". In der ersten Zeit finden sich Predigten über das Kirchenbuchregister, über den Frühling, eine Osterpredigt, wie alles in uns, um uns und über uns von Unsterblichkeit redet, eine Predigt über die Verklärungsgeschichte, die von der Verklärung der Tugend handelt. Später wird das geschichtliche Christentum stärker betont, Christus als Sohn Gottes wird die Mitte seines Denkens, die Predigt wird biblischer, verzichtet auf spekulative Dialektik, aber immer noch kann Dräseke sagen: „Zu keiner dogmatischen und homiletischen, antiken oder modernen Fahne habe ich je geschworen." Die drei Predigtbände über Deutschlands Wiedergeburt handeln von den inneren Reformen des Staatswesens, die auf einen

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mündigen Bürger zielen. Sie teilen auch die nach dem Kriege mit der Restauration sich ausbreitende Enttäuschung, daß der Traum von der neuen Menschheit doch nicht mehr als ein schöner Traum war. Im vaterländischen Ton hat Dräseke nicht Schleiermachers Zurückhaltung geübt. Die Predigt bei der Tauffeier Jeromes ist eine unzulässige Verherrlichung Napoleons und des Königs von Rom, die Predigten nach der Rückkehr des gestürzten Tyrannen reden zu stark vom Haß gegen den Frevler. Beliebt ist Dräseke bei allen, die den vulgären Rationalismus leid sind, aber in der Erweckung nichts als Frömmelei wittern. Zur Erweckungspredigt am Anfang des Jahrhunderts gehört Ludwig Hofacker ( f 1828), der nur wenige Jahre ein Pfarramt ausgeübt hat und mit 30 Jahren gestorben ist. Es gibt von ihm nur einen nach seinem Tode herausgegebenen Predigtband, aber dieser eine Band hat allein 41 Auflagen bis 1890 erlebt. Schon der junge Prediger hat einen ungewöhnlichen Zulauf. 6—8 Stunden weit kommt man zu seiner Kirche, trotzdem seine Predigt in vielen Variationen nur das eine Thema kennt: das Elend der Sünde, Gottes Erbarmen und Vergeben, das Dringen auf Bekehrung. Bibelgemäß mag die Predigt sein, textgemäß ist sie sicher nicht. Die Sache steht schon vor dem Text fest, sie wird nur lose an ihn geknüpft. Eine schulgerechte Homiletik gibt es nicht mehr. Ungezwungen und natürlich, frisch und auch derb, volkstümlich und ohne jede Rhetorik ist die Rede. Nichts anderes will sie als „einen Keil in das Herz des Menschen schlagen", den „Sprung der Entscheidung" herbeiführen, zur Anbetung anleiten; frisch und drastisch, konkret und lebensnahe ist der Kampf gegen die Sünde, bewegend die Verkündigung von Gottes Erbarmen. Zinzendorfs „Berliner Reden" und der schwäbische Pietismus haben Pate gestanden und Hofacker vom gesetzlichen Rigorismus zur „Freiheit der Kinder Gottes" geführt. Manches Übersteigerte und Drastische ist nicht jedermanns Geschmack: „Lieber möchte ich ein Pferd sein, das man an seinem Karren zu Tode schindet, lieber ein Stier, den man mästet für den Schlachttag, als ein Mensch, der im Tode keinen Heiland hat." Die Entscheidung ist die Schneide dieser Art der Predigt.

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Verwandte Züge weist im rheinischen Pietismus Gottfried Daniel Krummacher (f 1837) auf, dessen Predigten ebenfalls nur wenige Themen variieren, die Verderbtheit des mensdilidien Herzens, Gottes Gnade, Christus allein, die wunderlichen Führungen der Heiligen und eine extreme, oft bis zu ärgerlichen Konsequenzen zugespitzte Prädestinationslehre. H o f acker will Unbekehrte bekehren, Krummacher wendet sich allein an die Gläubigen und Begnadigten und lehnt einen überspitzten Bekehrungs- und Heiligungsmethodismus ab. Seine Predigt kennt weder Anknüpfung nodi Vermittlung, sie kennt auch keinen Bezug auf die Betätigung des Christen in den konkreten Verhältnissen des Lebens. Typologisch und allegorisch wird das Alte Testament gedeutet, es steht mit dem Neuen auf einer Ebene; die Coccejaner, Lampe, Tersteegen und manche Mystiker haben die Auslegung beeinflußt; wunderlich sind oft die Texte, willkürlich die Exegese. In der Sammlung „Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan" (1827/28) wird dieser Weg zum Sinnbild für die innere Führung der Gläubigen, selbst die Namen der einzelnen Lagerstätten werden geistlich gedeutet. Trocken und bizarr sind Krummachers Predigten, aber voll geistlicher Deutungen, sie sind unvermittelt und oft reichlich derb, gewirkt haben sie durch ihre Entschiedenheit. Ein Kämpfer gegen die Aufklärung, als Lutheraner ein Feind der Union und zugleich ein gewaltiger Erweckungsprediger ist Claus Harms, zuletzt Propst in Kiel (f 1855). Er kommt noch aus dem Rationalismus, „Veredelung" ist eine beliebte Vokabel in seinen ersten Predigten. Schleiermachers „Reden über die Religion" haben ihn zu einem neuen Leben erweckt, von seinen Predigten freilich sagt er: „Der mich gezeugt, hatte kein Brot für mich." Noch die Winterpostille von 1808 ist weithin psychologisierende Moral und selbst noch von der später verbesserten Auflage meint Harms, es sei in ihr noch nicht alle rationalistische Sünde getilgt. An seinen Thesenstreit 1817 haben sich in einem Jahr 230 theologische Broschüren und Veröffentlichungen angeschlossen. Die Predigten von Claus Harms sind in Postillen und zahlreichen Sammlungen gedruckt; sie sind sorgfältig ausgearbeitet,

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das Exordium kehrt wieder, damit der Prediger nidit mit der Türe ins Haus falle, die Dispositionen sind weit ausgeführt. Harms ist ein geschworner Feind alles Extemporierens auf der Kanzel, ein entschlossener Gegner der Homilie, die voll, aber nicht satt mache und ein Ruhekissen für bequeme Pfarrherren sei. Als Homiletiker verteidigt er die textlose Predigt, bloß textgemäß predigen nennt er „textreiten". „Christi Erdenleben soll unser Text sein", kann es einmal heißen. Die Perikopen ersetzt er durdi selbstentworfene Reihen für ein ganzes Jahr. Das Biblische ist in seinen Predigten vermittelt durch das Kirchliche. „Soviel Christentum als Kirchentum." Lebensnah sind seine Predigten, sprunghaft und originell, einzelnen Fällen in der Gemeinde gehen sie nach, sehr konkret wird die Sünde gestraft, Eheleuten, Kindern und Dienstboten wird der Spiegel vorgehalten, Arme und Reiche werden deutlich angeredet. Ein berühmtes Beispiel für die scharf zupackende Konkretisierung ist die anläßlich des Friedensschlusses für Sexagesimae 1814 vorgeschriebene Predigt, bei der Harms über den „Krieg nach dem Kriege" predigt, gegen die Ubergriffe gewissenloser Beamter, „die die Hände ausstrecken nach dem Gut des Landes, die ihre Schultern der Last des Landes entziehen und gegen die, die vor beidem die Augen zutun". „Ich möchte heute vor dem ganzen Lande geredet haben." Er hat es wirklich getan. Untersuchungen, Unruhe, aber auch Besserung der Zustände waren die Folge. Eindrücklich ist auch die Predigt gegen den Wucher als den „Würgengel" des bürgerlichen Lebens. Die Sprache ist eckig und scharf, voller „Spieße und Nägel", wie Harms selbst es ausdrückt, die Sätze sind dicht und gedrängt, sprunghaft und asyndetisch. Die Bilder sind oft barock, die Themen manchmal gereimt, immer packend: „Das Glück der Unglücklichen". In dem Aufsatz „Mit Zungen reden, liebe Brüder, mit Zungen" lautet die sechste homiletische Regel: der Prediger spreche nachlässig und inkorrekt! Kräftig ist die Rede, frisch und männlich, dramatisch und dialogisch, anschaulich im Malen und bildhaft im Schildern, innig und fromm, originell in Wortbildungen und Inversionen, sprühend vor Witz und Einfällen, manchmal spielerisch, das Bizarre und Kuriose streifend, immer aber von großer Volkstümlichkeit.

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Auch der Supranaturalismus hat in dieser Zeit noch glänzende Vertreter. Im Grunde gehört Franz Theremin, seit 1814 Domprediger in Berlin (f 1846), noch in das 18. Jahrhundert. Die Aufklärung und den „herrschenden Unglauben" der Zeit bekämpft er vom Boden des älteren Supranaturalismus aus. Er ist auch sonst ein interessanter Schriftsteller. Zehn Predigtbände haben wir von ihm, er ist einer der gefeiertsten Kanzelredner des damaligen Berlin. Im ersten Band sind die Themen noch überwiegend moralisch, sie handeln von der Tugend, den Leidenschaften, vom Alter, dem Lesen schädlicher Bücher, und noch lange kann man Gedankengut der Aufklärung erkennen, wenn für Theremin Christentum, Tugend und Humanität zusammenklingen, das Christliche Erhöhung und Erfüllung des Allgemeinmenschlichen ist. Ein Wendepunkt in seinem Predigen bedeutet das Jahr 1826. Man hat gemeint, die ersten 5 Predigtbände seien weit und reich, die letzten 5 eng und tief. Sie gehen von der feststehenden göttlichen Wahrheit aus, demonstrieren, verteidigen und begründen sie. Erfahrungsbeweise sind dabei wichtiger als Schriftbeweise. Erfahrung und vernünftige Argumentation sind die Stützen des Glaubens, und das ist solange überzeugend, wie man die supranaturalistischen Voraussetzungen hinnimmt. Theremin hat nicht nur gepredigt, sondern auch Homiletik gelehrt und darüber geschrieben. In mehreren Auflagen liegt die Schrift „Die Beredsamkeit eine Tugend" vor, und später ist „Demosthenes und Massillon, ein Beitrag zur Geschichte der Beredsamkeit" erschienen. Beredsamkeit ist eine sittliche Tat, weil sie durch die Rede auf andere einwirken will. Strenge Textgebundenheit paßt nicht zur Konzeption Theremins. Er vertritt die Methode des „Hauptgedankens", der mehr aus der Selbst- oder Lebensbeobachtung oder aus der Schriftkenntnis im allgemeinen stammt. Die christliche Wahrheit ist der eigentliche Fundort für die Predigt. Oft wird dem Text nur ein einzelner Gedanke entnommen, kurze Texte werden nach reformierter Sitte bevorzugt. Das „Komm hervor" in Joh. 11,4 kann bei ihm durchaus einen ausreichenden Predigttext abgeben. Später wird der Anschluß an die Bibelstelle enger. Theremins Predigten strömen nicht in fortreißender Unmittelbarkeit aus der Tiefe,

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sie sind ausgefeilt, reflektiert, ein Produkt mühevollen Fleißes, für gebildete Hörer bestimmt, aber der wohlüberlegte und wohlberedinete Glanz der Rhetorik, die korrekte Mustergültigkeit der Sprache, die wohlklingenden und dahinströmenden Perioden, Temperament, Anmut und Wärme, die starke Betonung des Gefühls, die bei den Schilderungen von Tod und Vergänglichkeit auch sentimental werden kann, Interjektionen und Ausrufe, Apostrophierungen, die selbst die Tugend und die Leiche Christi anreden können, das alles zusammen macht die Stärke und Eindrücklichkeit dieser hochgefeierten Beredsamkeit aus. Im Ringen um den Hörer ist diese Predigt wirklich eine „sittliche Tat". Noch immer ist freilich auf den Kanzeln die durchschnittliche Predigt vom Rationalismus bestimmt. Johann Friedrich Röhr aus Weimar (f 1848) hat in seiner „Predigerliteratur" (1810 bis 1814), der „Neuen und Neuesten Predigerliteratur" (1815—19) und seiner „Kritischen Predigerbibliothek" (1820—48) alles bekämpft, was über eine vernunftgemäße Religion hinausgeht. In seinen eigenen Predigtbänden zwischen 1811 und 1831 ist der gesunde Menschenverstand Maßstab für die Religion. Tugend, Rechtschaffenheit und Pflichterfüllung sind der Kern der Gottesverehrung, zu der der „Weise von Nazareth" angeleitet hat. In seinen „Christologischen Predigten" redet er über den „Christus der heiligen Urkunden", über Jesus als Muster und Beispiel echter Bildung und als Freund der Vernunft in religiösen Dingen. Es ist der vulgäre Rationalismus, der sich selbst eigentlich schon überlebt hat. „Vom Verstand zum Herzen" lautet Röhrs homiletische Maxime. Goethe rühmt die Toleranz und Klarheit seiner Predigten, Schleiermacher meint: „Röhr ist so eigensinnig und kalt, daß er selbst die ungläubigen Weimaraner zurückstößt." 30. Die Predigtweisen des 19. Jahrhunderts Seit Menkens und Schleiermachers Tod wird die Predigt durch das Aufhören des Rationalismus, durch das Ende des klassischen Idealismus und der Romantik, durch das Ringen konservativer und liberaler Strömungen, durch die historisch-

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kritische Forschung, aber auch durch die Industrialisierung und die sozialen Bewegungen, durch Marxismus und Monismus, Positivismus und Relativismus bestimmt. Wir empfinden heute wieder stärker und unmittelbarer unsern Zusammenhang mit den Leistungen, Errungenschaften und Fragestellungen dieses Jahrhunderts als die Generation nach dem Ersten Weltkrieg. Man hat nicht ganz ohne Grund von einer Blütezeit der Predigt in der Mitte des vorigen Jahrhunderts gesprochen. Die Verkündigung der Kirche wird wieder christozentrisch und ist wieder Textauslegung, sie bemüht sich um den Hörer und die Gebildeten. Ihre Schwäche ist ihr individualistischer und anthropozentrischer Charakter, „Gott und die Seele" ist das eigentliche Thema, die Religion wird gerne mit frommer Innerlichkeit gleichgesetzt. Die Verbindung von Religion und Bildung, Kirche und Bürgertum, Thron und Altar läßt die Predigt den mit der Arbeiterbewegung sdiicksalhaft heraufsteigenden Fragen nicht gerecht werden. Die Mannigfaltigkeit in der Entwicklung der Predigt des 19. Jahrhunderts ist sehr groß, nebeneinander stehen die konfessionelle, die liberale, eine vermittelnde und eine mehr praktisch ausgerichtete Predigt. Die Individualität der Prediger, Überschneidungen und Grenzersdieinungen madien eine Einteilung sehr schwierig, die nur unter Vorbehalt versucht werden kann. a) Der bedeutendste Vertreter der konfessionell lutherischen Predigt im süddeutschen Neuluthertum ist Wilhelm Löhe aus Neudettelsau (f 1872). Seine Predigten wollen im Zusammenhang mit seiner Auffassung von Gottesdienst und Liturgie gesehen werden. In der Epistelpostille heißt es: „Ich weiß nichts Schöneres zu nennen als die Gottesdienste meines Christus; da werden alle Künste des Menschen einig zur Anbetung, da verklärt sich ihr Angesicht, da wird neu ihre Gestalt und Stimme, da geben sie Gott die Ehre — die heilige Liturgie übertrifft alle Poesie der Welt." Löhe hat seine Predigten nach gründlicher Meditation frei gehalten. „Die Vorbereitung ist nidit die Predigt, sondern der Boden, auf dem sie wächst." Eine sehr tiefe und gründliche Auslegung macht die Predigt zu einem „Textgemälde". Die von Löhe wiederentdeckte Meditation, seine seelsorgerliche Erfahrung, die Meisterhaftigkeit des Stils, Schön-

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heit, plastische Bildhaftigkeit und Schlichtheit der Sprache, oft auch eine fast liturgisch klingende Feierlichkeit und Erhabenheit machen die Eindrücklichkeit seiner Predigt aus. Sie bleibt Betrachtung, Anschauen und Vergegenwärtigen des Textes, eine von Glaubenszuversicht und Christusliebe durchzogene Reflexion. In der Evangelienpostille (1848), „mit eilender Feder ohne gebührenden Fleiß" niedergeschrieben, haben wir von Löhe gehaltene Predigten, die sich durch Erhabenheit der Sprache, einen hymnisch liturgischen Ton und die Stimmung der Anbetung auszeichnen, während die Epistelpostille (1858) auf dem Krankenlager diktierte Predigten enthält, die einen großen exegetischen Reichtum haben und auf Heiligung des Lebens ausgerichtet sind. Alle Predigten Löhes zeigen eine große Liebe zu Kirche, Gottesdienst und Kultus. Ein priesterlicher und seelsorgerlicher Ton, meditative Kraft und das Gotteslob in ihnen bestimmen ihre Art, während die Ausrichtung auf Verwirklichung im Konkreten und der Bezug auf das öffentliche Leben stark zurücktreten. Vertreter der lutherischen Orthodoxie ist Adolf von Harleß, zuletzt Präsident des Oberkonsitoriums in München ( f 1879), dessen Predigten reich an gedanklichen Entwicklungen sind, er ist ein Ethiker auf der Kanzel. Eine kühle Allgemeinheit ist diesen Reden eigen, eine generalisierende Zeitkritik, welche die, die haben, mahnt, was sie haben, zu bewahren und zu bewähren. In den umstürzlerischen Jahren in der Mitte des Jahrhunderts hält er politische Predigten, die in den Märztagen des Jahres 1848 ihren Höhepunkt haben. In der vierbändigen Predigtreihe „Die Sonntagsweihe" finden sich seit 1847 mehr und mehr Themen, die Gott, das Volk und die Geschichte behandeln, von Freiheit und Zwang, der Hoffnung auf wahre Volkswohlfahrt und der Volkserhebung rechter Art sprechen, von Gottes Mahnung und Trost in Volksgerichten. Berühmt geworden ist die „Heerpredigt an die Deutschen". Diese Predigten sind nicht eigentlich konservativ, schonend behandeln sie die Zustände in Frankreich, sie hoffen auf die Einheit aller Deutschen und enthalten ein J a zu dem Neuen. Eine eschatologische Stimmung liegt über ihnen, zur Verantwortung für das öffentliche Leben wird aufgerufen, niemand dürfe in

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fromme Erbaulichkeit ausweichen. Nach der tritt dieser Öffentlichkeitswille wieder zurück.

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Dreißig Jahre lang ist Gottfried Thomasius ( f 1875) Universitätsprediger in Erlangen gewesen, in 5 Predigtsammlungen erweist er sich als Prediger des Rechtfertigungsglaubens. Lehrhaft, tief gegründet in der Schrift und dem lutherischen Bekenntnis predigt er mit besonderem Nachdruck über die Gnadenmittel der Kirche und die Gegenwart des erhöhten Christus in Wort und Sakrament. Einen völligen Kontrast zu dieser akademischen Art bildet Louis Harms ( f 1865), ein entschiedener Vertreter des Luthertums in Hermannsburg, ein volkstümlicher Prediger wie wenige andere. Sein Predigen hat wirklich die Gemeinde lange und tief verwandelt. 1923 sind seine Evangelienpredigten in 19. und seine Epistelpredigten in 10. Auflage erschienen. Anfangs hat auch Harms noch von Christus als Lehrer der Wahrheit und unserm Vorbild geredet, nach seiner plötzlichen Bekehrung hat er sidi der „reinen lutherischen Lehre" zugewendet. Entschiedenheit ist das Merkmal seiner Verkündigung. Einem Amtsbruder rät er: „Predigen Sie rücksichtslos entschieden Gottes Wort, nehmen Sie keine Rücksicht, strafen Sie die Sünden und Gottlosigkeiten der Gutsbesitzer, Pächter . . . und der Tagelöhner." Der Gedankenkreis seiner Predigten ist eng. Gleiches kehrt oft in gleicher Form wieder, exegetisch darf man sie nicht messen, homiletisch sind sie keine Kunstwerke, meist gehen sie sofort zur Anwendung über, aber praktisch sind sie, volkstümlich und vor allem wirksam. Ihr Gegenstand ist drastisches Strafen der Sünde, ein Preisen der Gnade und die Forderung eines heiligen Lebens. Eine gewisse Enge entspricht dem Ernst ihrer Entschiedenheit. Um die ganze Bibel geht es „Wort für Wort, Vers für Vers", „wörtlich und buchstäblich". Widersprüche kann es in der Schrift nicht geben. „Gläubige Kirchenverächter gibt es nicht." Die Kehrseite der Konkretion ist ein gesetzlicher Zug besonders in der Sonntagsheiligung. Die Karten sind des Teufels Bibel, gegen den Putzteufel der Frauen wendet er sich, gegen Schränke voll Kleider, Taler, Obligationen und Wertpapiere, gegen das Schießen, Lärmen, Saufen

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und Tanzen bei den Hochzeiten. Anschaulich sind die Predigten, schlicht und nüchtern, manchmal wie Keulenschläge, manchmal wie ein vertrauliches Gespräch, voll von Vergleichen und Bildern, von Geschichten aus dem Dorf und der Praxis der Seelsorge, von Legenden und Sprichwörtern und merkwürdig genug auch von Berichten aus der Germania des Tacitus, alles plastisch und drastisch, gut, wenn auch mit allzu grellen Farben erzählt. Angreifend ist die Predigt und angreifbar, so wirksam sie ist, so wenig ist sie nachzuahmen. Ein Prediger für die Gebildeten in einer gebildeten Gemeinde ist Ludwig Adolf Petri in Hannover ( f 1873), der schon im Pfarramt stehend sich unter dem Einfluß von Claus Harms und anderen vom Supranaturalismus zu einem biblisch gefärbten, scharf ausgeprägten lutherischen Konfessionalismus entwickelt. Er betont die Verantwortung der Kirche für das öffentliche Leben. Seine Predigten sind anspruchsvoll, lehrhaft, wenig volkstümlich, reich an Gedanken und ausgefeilt in der Form. Zugleich mit Petri ist der gegen ihn nach Hannover berufene, theologisch mehr vermittelnde Gerhard Uhlhorn ( f 1901) zu nennen, der sich als Prediger in Hannover nur langsam und mühsam durchsetzen kann, dessen Predigtsammlungen aus den 70er Jahren wohl durchdachte und gediegene lutherische Predigten enthalten. Als bedeutsamer lutherischer Prediger sei schließlich noch Christoph Ernst Luthard ( f 1902) genannt, von dem wir 12 Bände akademischer Predigten aus der zweiten Hälfte des Jahrhunderts haben. Sie sind gründlich in der Auslegung des Textes, reich an gedanklicher Fülle, an theologischem und dogmatischem Gehalt, voll Entschiedenheit drängen sie auf eine klare Entscheidung. Sie wollen nach dem Vorwort des ersten Bandes „individuell, theologisch und zeitgemäß" sein; ein Grundzug ist ihr apologetischer Charakter, der an die Wahrheit im Menschen anknüpfen will. „Predigten unserer Zeit müssen apologetische Haltung haben." Liebe zur lutherischen Kirche verbindet sich in ihnen mit der Liebe zum deutschen Volk. b) Ein typischer Vertreter der reformierten Predigt ist Friedrich Wilhelm Krummacher, zuletzt Hofprediger an der Pots-

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damer Garnisonkirche (f 1868), Sohn des „Parabelkrummadiers" und ein Neffe von Daniel Krummadler. Über die Predigten aus der Wuppertaler Zeit gibt es in Röhrs „Kritischer Predigerbibliothek" eine interessante Rezension Goethes, der sie „narkotische Predigten" nennt, „welche sich freilich am klaren Tage, dessen sich das mittlere Deutschland erfreut, höchst wunderlich ausnehmen". Alttestamentliche Gestalten bilden den bevorzugten Gegenstand dieser Sammlungen, „Salomo und Sulamith", „Elias der Thisbiter", „Elisa", „David, der König Israels". Die Themen sind oft bizarr und barock formuliert: „Judas Lager", „Israels Tau und Gottes Rose", „Christi Lust und Spiel". Er sagt selbst: „Wir halten es meist mit dem biblischen Realismus." „Mein Geschmack ist das biblisch Massive." Nichts ist lehrhaft und abstrakt, alles sinnenfällig und handgreiflich. Nach Exegese sollte man nicht einmal fragen. Das „Historische" wird mit einem feinen, kunstvollen Pinsel ausgemalt, das Detail der Erzählungen aufs genaueste ausgeführt und ausgeschmückt, Stimmungen, Verhältnisse und Umstände farbig geschildert, psychologisierend die geheimsten Gedanken der handelnden Personen berichtet; Nadierlebenlassen ist die Kunst dieser Predigten. Mit einer poetischen und romantischen Begabung und viel Empfindsamkeit werden die erzählenden Texte ausgemalt, nein, sie werden mit modernen Farben übermalt. Da kann sogar der Prophet bei der Witwe von Zarpath eine große Rede über Blut und Verdienst Christi und die Gerechtigkeit aus dem Glauben halten. Jedes Wort der Bibel ist Gottes Wort, das Alte Testament hat neutestamentlichen Inhalt und das Neue Testament alttestamentliches Kolorit. Typologese und Allegorese schlagen dabei die Brücke. Das „homiletische Magazin" ist für Krummacher die Schrift, das eigene Herz und das Volk ringsum. Die anfängliche pietistische Einseitigkeit, die nur das Elend der Sünde und die Fülle der Gnade kennt, gewinnt im Laufe der Zeit einen weiteren Horizont. Die Wirksamkeit dieser Predigten beruht auf dem Nachdruck ihres Zeugnisses, ihrem biblisdien Gehalt und jener psychologisierenden, detaillierenden und motivierenden spannenden Erzählungskunst, die für uns heute eher ein Hindernis des Zugangs bedeutet.

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Ein theologisch eigengeprägter und tiefschürfender Vertreter der reformierten Predigt ist Hermann Friedrich Kohlbrügge (f 1875), niederländisch seiner Muttersprache nadi, ursprünglich lutherischer Pfarrer, abgesetzt von der rationalistischen Kirdienbehörde in Holland, auch von der reformierten Gemeinde nicht aufgenommen, seit 1847 Pfarrer der niederländisch reformierten Gemeinde in Elberfeld. Sein Grundgedanke, daß der Mensdi nichts, Gott alles ist, hat ihm eine neue Würdigung durch die dialektische Theologie eingebracht. Abgesehen von den ersten 20 aus dem Jahre 1847 sind seine Predigten nachgeschrieben und von der Gemeinde zum Druck gebracht worden. Die Verbindung von Religion und Bildung gilt nichts in ihnen, es sind auch keine pietistischen Bekehrungspredigten, polemisieren sie doch gegen das Heiligungsstreben; sie gründen die Gewißheit des Glaubens nicht auf Erlebnisse und Erfahrungen, sie kennen überhaupt nur ein Thema: die Rechtfertigung allein aus dem Glauben, die totale Verlorenheit des Menschen, der „Fleisch" ist, und die Freiheit und Souveränität der Gnade Gottes, die nichts anderes als freie Gnade sein und bleiben muß. Die mechanische Inspirationslehre, die Art der Verwendung alttestamentlicher Texte, die Gleichgültigkeit gegen den Gehorsam im Glauben sind die Grenzen dieser Predigt, die oft eigenwillig formuliert, schwerverständlich, gelegentlich auch überschwenglich ein seltenes und eindrüddidies Zeugnis für die freie Souveränität der Gnade Gottes und die reformatorische Rechtfertigung aus dem Glauben darstellt. c) Eine nicht geringe Wirkung haben die mehr praktisch ausgerichteten Gemeindepredigten, die nicht so sehr profilierte theologische Konturen aufweisen. Ihr einflußreichster Vertreter ist Friedrich Ahlfeld (f 1884), 30 Jahre lang Pfarrer in Leipzig, der sich noch vom Rationalismus hat losringen müssen und sich dann einem mehr biblisch gerichteten Luthertum zugewendet hat. Seine zahlreichen Predigtsammlungen aus den Jahren 1848 bis 1875 haben immer wieder neue Auflagen erlebt und haben sehr vielen als Muster und Vorbild für ihr Predigen gedient. Ahlfeld hat sich von Anfang an um den rechten Volkston, um Sprechweise und Vorstellungskreis des Volkes gemüht, hat Berthold von Regensburg, Luther, Herberger und Heinrich

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Müller studiert. Doktrinen, Reflexionen und Weltanschauungsfragen liebt er nicht, theologisch dringt er kaum in die Tiefe, seine Gedanken sind auch nicht neu oder originell, aber sie sind immer herzlich, praktisch und lebensnah. Seine Frömmigkeit ist kindlich und schlicht, die Rede klar und durchsichtig gegliedert, die Sprache einfach und edel, alles ist durchwoben von Gleichnissen aus Natur und Geschichte, eigenen und fremden Erfahrungen, Sprüchen und Liederversen und verbunden mit einem romantischen Sinn für Volk und Geschichte. Erzählen kann er wie wenige, Geschichten und Beispiele hat er geradezu gesammelt, überall sieht sein Auge reale Vorgänge und dramatische Handlungen. Die Sätze sind knapp, schlagend, oft antithetisch, ohne lange Perioden und rhetorische Floskeln, aber voller Wirklichkeit und Leben. Wärme, Ernst und eine seelsorgerliche Art verbinden sich mit einer Weitherzigkeit, die Suchende ermutigen und stärken kann. Aus der lutherischen Kirche Württembergs ist Wilhelm Hoffmann (f 1873) von Friedrich Wilhelm IV. zum Oberhofprediger in Berlin gemacht worden, der sich in seinen Predigten durch eine frisch dahinströmende Beredsamkeit, durch eine Fülle von Bildern und Gleichnissen, durch biblische Tiefe und praktische Ausrichtung auszeichnet. Drei Predigtbände über die Haustafeln behandeln dieses Thema zum ersten Mal wieder seit Schleiermacher. Biblisches und Praktisches, zugleich ein Haudi von Pietismus bestimmen die Predigten Hoffmanns. Ganz aufs Praktisdie gerichtet, von Romantik und Erwekkung beeinflußt, ist auch Karl Gerok (f 1890), Hofprediger in Stuttgart. Seine Predigten haben nichts Lehrhaftes und Dogmatisches, keine tiefgrabende Schriftauslegung, sie sind aber leicht und gefällig in der Form und ästhetisch und künstlerisch in Sprache und Darstellung, immer haben sie eine Beziehung auf das praktische Leben. Wort für Wort sind sie ausgefeilt und Wort für Wort werden sie memoriert. Sie appellieren an das Gemüt „als den eigentlichen Herd der Frömmigkeit", knüpfen an die natürliche Religion des Hörers an, kommen weit den Suchenden und Zweifelnden entgegen, verwenden Natur und Dichtung, Kunst und Wissen, sehen in allem Schönen und Erhabenen den „buntgewirkten Saum an dem Kleid meines Got13

Sdiütz, Christliche Predigt

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tes" und wollen durch das Ästhetische den Weg zum gebildeten Menschen der Gegenwart finden. Mild und sanft, wie sie sind, weitherzig und aufgeschlossen, biblisch und praktisch, künstlerisch und ästhetisch vermögen sie doch nicht so recht, den Menschen anzufassen und nachhaltig auf ihn einzuwirken. Vertreter dieser praktischen Richtung sind auch die Gebrüder Frommel. Max Trommel ( f 1890), aus der Union in Baden stammend, zeitweilig einem separierten Luthertum angehörend, zuletzt Generalsuperintendent in Celle bringt in seiner „Herz-, Haus- und Pilgerpostille" Predigten von kraftvoller Gedrungenheit, fesselnd, originell, künstlerisch und poetisch in der Form mit einer starken Betonung des rhetorischen Elements. Sein Bruder Emil Frommel (f 1896), der Union angehörend, Hof- und Garnisonprediger an der Berliner Garnisonkirche, bekannt als Freund der Berliner Kellner und Kutscher, hat eine tiefe seelsorgerliche Wirkung auf die Mitglieder des kaiserlichen Hofs und auf die Garnison. Seine Predigt ist ganz biblisch und ganz praktisdi, sie nützt alle seelsorgerlichen Erfahrungen aus, künstlerisch ist sie und geschliffen in der Diktion, fesselnd und interessant, voller Erlebnisse und Geschichten. Frommel ist ein Künstler der gemütvollen Erzählung, die dem Hörer ans Herz greift, humorvoll und warmherzig, erfüllt von einer sonnigen Freude des Glaubens und einer kindlichen Naivität der Frömmigkeit. Kultur und Religion stehen für ihn im Bunde, Weltfremdheit liegt ihm völlig fern; das Dogmatische tritt zurück, das Christliche soll das Vaterländische vertiefen; gerade diese Predigt hat damals ihre Wirkung auf die verschiedensten sozialen Schichten ausgeübt. Unter den biblischen und seelsorgerlichen Predigern nimmt Rudolf Kögel (f 1896) einen besonderen Platz ein, Oberhofprediger am Berliner Dom, ein Meister der künstlerischen Form der Rede. Seine Predigt ist Textinterpretation; eine Reihe biblischer Bücher hat er fortlaufend in Predigten ausgelegt. Kögel ist ein gewaltiger Prediger, auf Eindruck und Wirkung ist er wohl bedacht, er ist voll psychologischer Menschenkenntnis und seelsorgerlicher Weisheit, dabei hochgebildet, die Geschichte kennt er, Staatsmänner, Philosophen und Theologen, Luther und Goethe zitiert er, er ist weltaufgesdilossen mit einem wei-

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ten Blick. Der sittliche Ernst ist ihm in der Predigt wichtiger als der dogmatisdie Inhalt. Einmalig aber und unerreicht ist die Meisterschaft der stilistischen Form, das Rednerische und Rhetorische verbindet sich mit einer ästhetischen und dichterischen Begabung. Immer wieder wird bis zum letzten Wort das Manuskript durchgefeilt und wörtlidi auswendig gelernt. Ehe eine Predigt gehalten wird, liegt meist schon die nächste fertig im Sdireibtisdi. Seine Rede kann man in ihrer künstlerischen Gestalt mit einem gotischen Dom vergleichen, sie ist wie der an einem windstillen Ort aufsteigende und sich kräuselnde Rauch, sie gleidit den Facetten eines kunstvoll geschliffenen Diamanten. Würde man ein Wort ändern, die ganze kunstvolle Ardiitektur wäre zerstört. Meisterhaft sind die knappen Sätze geformt, parallel oder antithetisch stehen sie nebeneinander, sentenzenhaft und epigrammatisch wirken sie. Gedankenreichtum und Prägnanz des Ausdrucks verbinden sich, Assonanzen und Wortspiele wechseln mit knappen und plastischen Bildern, hinter der geschlossenen Form verbirgt sidi eine verhaltene Glut. Das Schöne, Künstlerische, Kunstvolle, manchmal auch Gekünsteltes stehen im Dienst des Heiligen. Der Hofpredigerstil hat hier seine höchste Vollendung gefunden. Bewundern muß man diese Kunst, nachahmen kann und soll man sie nicht, mag auch die „Kögelei" eine Zeitlang Predigtmode gewesen sein. Anders als Ahlfelds volkstümliche Erzählkunst, als Emil Frommeis leichte Anmut, als Geroks poetisch liebliche Predigt und als Kögels rhetorische Kunst ist die Predigt Heinrich Hoffmanns (f 1899), Prediger an der Marktkirdie in Halle. Er ist eindrucksvoll durch die Tiefe biblischer Textauslegung, durch die psychologische Kunst der Menschenkenntnis, durch anschauliche Bildhaftigkeit der Rede, vor allem durch seinen eindringlichen, heiligen Gewissensernst. Trotz einer dem Leben zugewandten Art ist er wegen der in gedrungenste Form gefaßten Fülle der Gedanken für den einfachen Hörer oft schwer verständlich. Das Kreuz steht in der Mitte seiner Predigt. Mit einer lutherischen Orthodoxie verbinden sich biblizistische Züge und auch pietististhe Anklänge. Die schlichte Form ist gesättigt mit reichen und tiefen Gedanken. 13*

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d) In der Predigt der Erweckung und des Biblizismus ist am einflußreichsten Friedrich August Gottreu Tholuck in Halle ( f 1877), dessen Akademische Predigten, Predigten über Hauptgegenstände des christlichen Glaubens und Lebens und über das Augsburgische Glaubensbekenntnis neben seinen Andachten die eigentlichen Erbauungsbücher seiner Zeit gebildet haben. Durch seine Schüler hat er tief auf die Geschichte der Predigt eingewirkt. Über die schulmäßige Homiletik kann er als „eine altmodische Schöne" spotten, und nichts hält er „von dem Gespenst der allgemeinen Regeln von Kanzelstil und Kanzeldekorum". Die Predigt ist für ihn nicht „eine Demonstration des menschlichen Verstandes, sondern ein Zeugnis des göttlichen Geistes". Wiedergeburt des Predigers ist die Voraussetzung für die Predigt. Erlebnis und Erfahrung setzt sie voraus. „Lebendige Ergüsse" nennt Tholuck seine Predigten; eine Tat sollen sie in der Studierstube sein und eine Tat auf der Kanzel. Im Vollzug wird die Predigt noch einmal „wiedergeboren". Einen Kern der Lehre, Gedanken und Aufschlüsse soll sie enthalten, aber eingetaucht soll sie in Phantasie und Gefühl sein. Tholucks Predigten tragen das Gepräge einer hohen Bildung, großer Belesenheit und eines unvergleichlichen Gedächtnisses. Spinoza, Leibniz und Kant, auch Goethe und Schiller werden zitiert, die Kirchenväter, die Reformatoren, Francke und andere. Ihr Geheimnis ist ihre großartige psychologische Meisterschaft. Die Predigt soll den Himmel zum Vater, aber die Erde zur Mutter haben. Die berühmten Spaziergänge mit den Studierenden sind die „Geburtsstätte" seiner Predigt; die geheimsten Gedanken will sie ergründen, an das Gewissen und das religiöse Bedürfen anknüpfen, eine mit dem Zweifler ringende Apologetik ist ihre Stärke, die Kunst des Brückenschlagens, der Seelenkenntnis und Seelenführung ist hochentwickelt. Eindringlich, nicht aufdringlich ist diese Predigt. Auf innere Erfahrung und das Erlebnis gründet sie sich. „Wir müssen den Verächtern der Religion unter den Gebildeten die Hände entgegenstrecken." Dabei gibt es nur eine Voraussetzung, „die eines Herzens, welches für das rein Menschliche empfänglich ist". Die Textauslegung hat mehr den Charakter einer tiefen Meditation als einer wirklichen Exegese. Im Schriftganzen, nicht im einzelnen Text liegt die

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eigentliche Autorität. „Konkret soll die Predigt sprechen." Form und Ausdruck zeigen einen überströmenden Reichtum an Bildern und Gleichnissen, schöpferisch sind Phantasie und Einbildungskraft, ergreifend werden Stimmungen und Gemütszustände geschildert, nichts wird breit ausgemalt, die Anschauungen drängen sich, ein Hauch von Poesie liegt über dem Ganzen. Im genus grande kann die Predigt einhergehen, sie kann wie eine Eruption des Gefühls sein, sie kann sich auch still und beschaulich geben. Neben Tholuck treten alle anderen Prediger der Erweckungsbewegung in den Schatten. Die Predigten von Gustav Knak ( f 1870) sind wohl meditiert, sie ergießen sich wie ein Strom, sie sind innig und sinnig, drängen auf Entscheidung und Entschiedenheit und appellieren einseitig an Herz und Gefühl. Sie sind vielleicht die gefühlvollsten Predigten dieses Jahrhunderts. Einen vom Pietismus angeregten, an Bengel und ötinger anknüpfenden, eigengeprägten und eigenständigen Biblizismus vertritt Johann Tobias Beck ( f l 8 7 8 ) . Wer seine Predigten verstehen will, muß sich in seine mit spekulativen Momenten verwobene Schrifttheologie hineinfinden, in seine „realgenetische Methode" und sein Verständnis des Organismuscharakters der Offenbarung. Wir haben von ihm 6 Bände „Christliche Reden", die bewußt nidit Predigten genannt werden, weil sie sich von allen Schulregeln der Homiletik lösen. „Schüler der göttlichen Einfalt" will Beck sein, die einfache Redeform hält er für besser als alles „Kunststreben". Der Cha-» rakter der „heiligen Rede" ist „eine durch den Geist geheiligte Naturkraft", die Predigt soll „weder bloß logisch oder doktrinell reden, noch praktisch oder expektorierend, sondern pädagogisch und biologisch eingehen in den Denk- und Lebenshorizont der verschiedenen Menschenklassen". Glaube ist für ihn „die in den Menschen als geistiges Eigentum eingegangene, dynamisch ihm immanent gewordene Lehrsubstanz". Sorgfältig wird die Predigt ausgearbeitet, Wort für Wort wird sie auf der Kanzel aus dem Manuskript abgelesen, eben eine „christliche Rede". Der Text soll immer im Zusammenhang mit dem Ganzen der Schrift, „ihrem Lebenssystem" betrachtet werden; jede Pre-

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digt wird so zu einem Stück biblischer Theologie. Weil die Kirche heute „Weltacker" ist, „Katechumenat", ist die Verkündigung des Gesetzes wichtig, die zornige, strenge Gottesfurcht, der Mensch darf nicht mit „Gnadenversicherungen und Seligkeitssprüchen" überschüttet werden, damit die Gnadenverkündigung nicht zu einer falschen Beruhigung führe. Jede Predigt soll den alten Menschen zerstören und den neuen schaffen, heilen und heiligen soll sie, in die Gnade soll der Mensch hineingezogen und durch sie verwandelt werden. „Das Sittliche ist der Arm, durch den Gott den Menschen ergreift." Die Schrift soll, mit Natur und Leben verbunden, im glaubenden Menschen Fortbildung gewinnen, den Menschen Gottes schaffen. Damit verbindet sich ein kirchenkritischer Zug, eine ununterbrochene scharfe Polemik gegen die Wissenschaft und den Zeitgeist, aber auch gegen alle Christlichkeit rechts und links, gegen alles fromme Lügen- und Schwindelwesen, gegen das Phariäerhafte und Unechte in der Kirche, gegen die christliche Romantik und die Mission, eine rücksichtslose, unerbittliche Kritik an der Kirche um der Kirche willen. Der Begriff des Reiches Gottes kann nicht über die individualistische Ausrichtung der Predigt hinwegtäuschen; denn auch die Geschichte des Reiches Gottes vollzieht sich in der Verborgenheit der Herzen, bis sie sich Menschen und Natur verklärend in Herrlichkeit vollenden und als Christokratie sichtbar wird. Die Wirkung dieser Predigt liegt in der Tiefe der biblischen Meditation, in der Verknüpfung von Bibel und Leben, vor allem in dem unerbittlichen Wahrhaftigkeits- und Gerechtigkeitssinn und dem Gewissensernst der Verkündigung. e) Der Vermittlungstheologie gehören meist akademische Prediger an, die die historisch-kritische Fragestellung aufnehmen, das zeitgeschichtliche Gewand der Bibel preisgeben, um ihre ewige Wahrheit zu retten. Einer der markantesten Vertreter ist Karl Immanuel Nitzsch ( f 1868), ein Schüler Schleiermachers. Als Praktischer Theologe definiert er die Predigt „als die fortgesetzte Verkündigung des Evangeliums zur Erbauung der Gemeinde des Herrn, eine Verkündigung des durch die Schrift vermittelten Wortes Gottes, welche mit lebendiger Beziehung auf die gegenwärtigen Zustände und durch berufene

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Zeugen geschieht." Die Gemeinde ist das „aktuose Subjekt", ihre Aufgabe die „Selbsterbauung". Von der politischen Predigt heißt es: „Niemals hat sich die Predigt zum Organ einer politischen Partei herzugeben, sondern bei jeder Veranlassung darzutun, daß Ungerechtigkeit das eigentlich Staatswidrige sei und daß das menschliche Gemeinwesen am göttlichen hängt." Wie Schleiermacher schließt Nitzsch „ein noch so geistvolles und noch so christliches Quodlibet mit Aussprüchen ohne Organisation" von der kirchlichen Rede aus. Wir haben drei Predigtsammlungen von ihm, Predigten des jungen Pfarrers bei der Belagerung Wittenbergs im Jahr 1813/14, eine Wittenberger Predigtsammlung von 1819, mit einem selbstkritischen Vorwort 1844 neu herausgegeben, und 6 Auswahlsammlungen von Predigten aus den Jahren 1833—48. In der zweiten Wittenberger Sammlung werden vor allem ethische Themen behandelt: „Die christliche Selbstliebe", „Daß Aufrichtigkeit zu allen Dingen nütze sei", „Daß man den Freund in der Not erkenne", „Daß die Lust die Mutter des Elends sei" usw. Aber auch später noch kann Nitzsch über den Frühling als Abbild des Heils und ein Vorbild für den Wandel der Heiligen predigen. Er teilt die ethische Ausrichtung, die Individualität und Weitherzigkeit Schleiermachers, aber er ist stärker durchdrungen von biblischem Gehalt und hat trotz dem meditativen Charakter seiner Predigt eine stärkere Kraft des Zeugnisses. Nach H. Hermelink ist Nitzsch „ein Kultusprediger, der es versteht, das ganze Leben der Gegenwart... in ein andächtiges Beschauen der vom geheimnisvollen göttlichen Walten erfüllten Geisteswelt hineinzunehmen, nicht um Fragen zu lösen, sondern um sie zu beschwichtigen". In der Vorrede von 1844 spricht Nitzsch „von seiner schwierigen, hinderlichen, mit dem Stoff unaufhörlich ringenden Schreibart", von „seiner Abneigung, von den Mitteln der Veranschaulichung und beweglichen Ausführung Gebrauch zu machen". Die Konkretisierung im Alltag fehlt, eine Neigung zur Abstraktion ist den Predigten eigen, es drängen und verdrängen sich die Gedanken, dicht und gefüllt ist die Redeweise, verschlungen und verwickelt sind die Perioden, einzelne Worte bekommen einen ungewöhnlichen und eigentümlichen Sinn, die

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Wege und Umwege der Meditation wiederholen sich in der Predigt, sprachlich bleibt manches schwierig und dunkel, schon der Leser vermag dem Ganzen oft nur mit Mühe zu folgen. Wirksam sind trotzdem die Predigten durch die exegetische Gründlichkeit, die einheitliche Ausführung eines einzigen textgemäßen Grundgedankens, die tiefe biblische Meditation und den gedanklichen Reichtum, schwer zu bewältigen sind die durch ihre Form. Nicht „Vermittlung" ist diese Theologie, sondern Ausgewogenheit und Versöhnung von theologischer Wissenschaft und biblischer Frömmigkeit. Neben Julius Müller (f 1878), der wie Tholuck eine Lehre von der Sünde geschrieben hat, dessen beide Predigtbände lehrhaft, anspruchsvoll in der Argumentation und der dialektischen Entwicklung der Gedanken sind, die dem Hörer viel an Ausdauer und Mitdenken zumuten, ist Richard Rothe (f 1867) Vertreter einer vermittelnden Theologie. In den drei Predigtbänden des Nachlasses verbinden sich offenbarungsgläubige Religion und Bewährung im sittlichen Leben, supranaturale Züge und die Durchdringung von Natur und sozialem Leben, Christusliebe und Weltoffenheit, christlicher Glaube und moderne Humanität miteinander, freilich eine Humanität, für die Christus die Mitte aller konzentrischen Lebenskreise und die Bibel selbst eine Art Mikrokosmos ist. Für Rothe ist Entkirchlichung nicht Entdiristlichung, Gottes Reich vollendet sich für ihn durch Verchristlichung der Kultur. Spekulative Züge und höchst moderne Gedanken verbinden sich bei ihm, alles ist von tiefer Religiosität und Frömmigkeit erfüllt, aber ohne Kunst der Darstellung. Trocken und lehrhaft wirken viele dieser Predigten, sie lehnen Orthodoxie und enge gesetzliche Frömmigkeit ab, sind weit und aufgeschlossen für die Bereiche der Kultur und des sozialen Lebens. Die Predigten aus der Romzeit, von denen der Maler Ludwig Richter erzählt, vor einer Künstlergemeinde gehalten, zeigen neben dem Streben nach Wahrheit und Sittlichkeit stark ästhetisierende Züge. Ein Anhänger der Union, bemüht um Versöhnung von Glaube und Wissen und um Ubersetzung der Schrift in eine den Menschen seiner Zeit verständliche Sprache ist in seinen 5 Predigtsammlungen Willibald Beyschlag (f 1900), vor allem in

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seinen „Erkenntnispfaden zu Christus". Beysdilag ist ein glänzender Redner, ein Künstler in Form und Sprache der Predigt, ein gründlicher Exeget des Textes, ein Prediger von großer Freiheit des Geistes, der die sittlich religiösen Gedanken der Bibel als Offenbarung Gottes ansieht. Seine Predigten haben eine apologetische Haltung, sie wollen sich mit den suchenden Menschen der modernen Welt verständigen, sie sind christozentrisch, bemüht um die Verherrlichung der „Schönheit" Christi. Sie wollen als akademische Predigten eine Brücke zwischen der Wissenschaft, der Gemeinde und der allgemeinen Geistes- und Bildungswelt sein. Schwierige, für das moderne Denken besonders problematische Texte werden mit Vorliebe und Kunst behandelt. Freilich bleiben diese Predigten mehr meditative Betrachtung, als daß sie auf das Feld der Verwirklichung im Leben führen. Julius Müllensiefen (f 1893), dessen „Zeugnisse von Christo" im Jahr nach seinem Tode in 15. Auflage erschienen sind, ist Berliner Pfarrer, von Schleiermacher und mehr noch von Goßner beeinflußt. Seine Predigten sind biblisch gefärbt, volkstümlich und gemütstief, klar im Stil und der Formulierung, innig im Glauben und weitherzig zugleich, sittlich ernst und aufgeschlossen für alles Schöne. Ohne jede Rhetorik bemühen sie sich, die Suchenden und Entfremdeten zu gewinnen und die Brücke zu ihnen zu schlagen; seine „Zeugnisse von Christus" und die „Worte des Lebens" sind frei von apologetischer Beweisführung, aber sie knüpfen beim Erleben des Hörers an, wollen „die Wahrheit des Wortes Christi sowohl an der Fülle des Lebens sowie an den Bedürfnissen des menschlichen Herzens aufweisen", sie sind abgeklärt, still und tief, niemals stürmisch und fortreißend, aber gerade so haben sie gewirkt. Von Schleiermadier beeinflußt und darum vielleicht trotz seiner Originalität hier einzuordnen ist Franz Steinmeyer (f 1900), der als Praktischer Theologe und als akademischer Prediger einen nachhaltigen Einfluß auf die Geschichte der Predigt ausgeübt hat. Seine Homiletik ist 1901 von M. Reyländer in einer freilich oft kritisierten Form herausgegeben worden. 5 Predigtsammlungen tragen nicht umsonst den Namen „Beiträge zum Schriftverständnis". Steinmeyer teilt den Pre-

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digtbegriff Schleiermachers; Predigt soll die Andacht der feiernden Gemeinde zur spezifischen Höhe der Anbetung erheben, sie setzt schon eine glaubende Gemeinde voraus, die durch Schriftauslegung in einer feiernden Rede zur Wahrheit, Schönheit und Tiefe des Wortes Gottes geführt werden soll. Selten hat es eine so ausschließlich textauslegende Predigt gegeben. Grundlage der einzelnen Predigt ist allein „die Offenbarung Gottes in seinem Wort" und nicht das christliche Bewußtsein. Was predige ich? gilt ihm als die entscheidende Frage, nicht: Wem predige idi? „Der Prediger hat nicht über den Text, sondern den Text zu predigen." Durch Betrachten und Reflektieren wird das Bibelwort wie ein Kristall zum Aufleuchten gebracht, immer neue Seiten werden an ihm entdeckt, immer neue Schwierigkeiten ins Licht gerückt. Zeitfragen spielen dabei keine Rolle, von jeder Form der Konkretion, von allen Beziehungen auf das wirkliche Leben, auf Umstände, Verhältnisse und die Situation des Hörers wird abgesehen. Keine „Füllstücke", Ausmalungen und Illustrationen darf es in der Predigt geben, die systematisch theologische Besinnung bedeutet nichts für sie, sie ist wirklich nichts als Textauslegung, ganz und gar „Schriftverständnis". Sie wirkt dozierend und lehrhaft, Gedanken werden entwickelt, Probleme auf Probleme gehäuft, die mandimal durchaus künstlich und konstruiert wirken, aber immer wieder wird diese Predigt interessant, weil sie Neues, Uberraschendes und Nichtselbstverständliches entdeckt und zu sagen weiß. Der Text allein gibt die Substanz der Predigt her, alle Aktualität fehlt, über jeden Text kann es nur eine Predigt und nur eine Predigt zu jedem Text geben. Textwahl gibt es, aber keine Stoffwahl und keine Gelegenheitspredigt. Diese Predigten sind nicht einfach, die Form ist schwerfällig, die Sprache modern, die Sache oft kompliziert, sind eben akademische Predigten. f) Die liberalen Prediger, die Vertreter des Kulturprotestantismus, die auch die Gemeinden an der Auseinandersetzung über Bibel und moderne Weltanschauung teilnehmen lassen, gehören meist erst der Predigt um die Jahrhundertwende an. Unter den älteren Vertretern ist der hervorragendste der Gothaer Generalsuperintendent Karl r:hwarz (f 1885). In der

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Vorrede zu seiner auf acht Bände angewachsenen Sammlung „Predigten der Gegenwart" gibt er Rechenschaft von seinen homiletischen Prinzipien, „daß also nicht allein die Gegenwart wiedergeboren werde durdi den Geist des Evangeliums, sondern ebenso dieser selbst wiedergeboren werde durch die Gegenwart". „Auf die völlige und wirkliche Menschwerdung Christi, auf die wirkliche und völlige Humanisierung des Christentums kommt es an", auf seine „Fortentwicklung", seine Übersetzung in „das Deutsch der Gegenwart", die eine geistige Umbildung nach Form und Inhalt bedeutet. „Der rein religiöse Kern", der aus den Reden Jesu leuchtet, soll in die reich gegliederte Sittlichkeit der modernen Welt gestellt, er soll, herausgenommen aus dem jüdischen „Wunderboden", von der Weltabwendung und Entsagung zur Weltdurchdringung fortgebildet werden. Die Predigten zeugen von hoher Bildung, sind schwungvoll und idealistisch, Zeugnisse einer freien, rein rationalen Theologie, sie wirken wie die meisten liberalen Predigten durch Echtheit und Wärme der Frömmigkeit und ihren sittlichen Ernst auch da noch, wo man ihre theologischen Grundüberzeugungen nicht mehr teilen kann. Während Schwarz ein hochfliegender Idealist ist, ist Albert Bitzius (f 1882), zuletzt Regierungsrat in Bern, ganz und gar Realist. Wirklichkeitsgesättigt sind die in 7 Bänden nach seinem Tode veröffentlichten Predigten, die Gegenstände und die Sachen sind alles in ihnen. Meisterhaft werden sehr spezielle Themen der unmittelbaren realen Gegenwart behandelt, die neue Turmuhr, die Frage der Statistik, eine Feuersbrunst im Ort, ein Sängertag, der Anfang der Winterschule; kein reales Vorkommnis lassen sich diese Predigten entgehen. Vom zeitbedingten Gewand des historischen Christentums haben sie sich gelöst, der biblische Text ist nur der Aufhänger, aber wie gegenwartsnah sind sie, allen Vorkommnissen des gemeinsamen Lebens gewinnen sie einen religiösen Sinn ab! „Das Bekennen eines fremden Glaubens soll man nicht für frommer halten als das Aussprechen des eigenen." Ein Vorkämpfer für die freie Richtung des Protestantismus in der Schweiz ist der Züricher Pfarrer Heinrich Lang (f 1876) mit seinen „Religiösen Reden geh. im St. Peter zu Zürich"

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(1896 3. Auflage), der, die Kritik von Strauß aufnehmend, doch ein begeisterter Verkündiger inniger Gottesempfindung und selbstloser Nächstenliebe ist, dem Hörer die freie religiöse Richtung verdeutlichen will, auch zu den Fragen des täglichen Lebens Stellung nimmt und die Bewegungen der Zeit nadi der sozialen Seite hin behandelt. g) Aus der audi in die katholische Kirche eingedrungenen Aufklärung stammt der sie überwindende Regensburger Bischof Johann Michael Sailer (f 1832), ein bedeutender Prediger und Pastoraltheologe, der wegen seiner milden, weitherzigen und innerlichen Frömmigkeit auch von evangelischen Christen hochgeschätzt wird. Seine Predigten sind um die Wende des 18. Jahrhunderts erschienen. Kirchliche Verkündigung soll nicht allgemeine Tugend- und Pflichtenlehre sein, ihr wesentlicher Inhalt ist das in Christus erschienene Leben. Keine Tugend ohne Religion und keine Heiligung ohne den Erlöser! Aus dem um Sailer sich sammelnden Kreis hat Ignaz Lindl ( t 1845) einen merkwürdigen Lebensweg, anfänglich reiner Prediger von Gesetz und Moral wird er seit 1812 zum Verkünder der freien Gnade Gottes in Christus, ein Prediger, der mit seiner feurigen Beredsamkeit Tausende von Hörern um sich sammelt, eine Zeitlang wirkt er in Petersburg und als Propst in einer deutschen südrussischen Siedlergemeinde, wird wegen seines schwärmerischen Chiliasmus und einer „Gewissensehe" nach Preußen ausgewiesen und schließt sich dort einer chiliastischen Sekte an, ein geistreicher, sprachbegabter, bilderreicher, aber auch reichlich schwärmerischer Prediger. Zum Kreis um Sailer gehören außer den in der katholischen Kirche gebliebenen Theologen auch einige, die sich nach ihrem Übertritt in die evangelische Kirche einen Namen als Prediger gemacht haben. Zu ihnen gehört Johannes Evangelista Goßner, Pfarrer an der Bethlehemsgemeinde in Berlin (f 1858), der 1826 übergetreten ist, Verfasser von in viele Sprachen übersetzten erwecklichen Schriften, ein eindrücklicher und volkstümlicher Prediger, dessen Rede immer um dies eine Thema Sündenerkenntnis und Erlösungsgnade kreist, kraftvoll und aufrüttelnd, rücksichtslos und gerade, geistvoll und freimütig,

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lebensnah und nicht ohne Humor. Geistesverwandt ist der badische Pfarrer Aloys Henhöfer ( | 1862), der 1823 mit einem Teil seiner Gemeinde evangelisch geworden ist. In seinen Predigten füllt sidi die Kirdie bis zur Kanzel hinauf, er ist ein Prediger der Rechtfertigung aus dem Glauben, nicht gerade beliebt bei seiner rationalistischen badisdien Kirchenbehörde, in seinem Predigen volkstümlich und von evangelistischer Kraft, reich an Bildern und Gleichnissen, erschütternd und eindrucksvoll, schlicht und audi nicht ohne Humor. Einen besonderen Rang in der katholischen Predigt des 19. Jahrhunderts hat die bischöfliche Predigt. Der Mainzer Bischof Wilhelm Emmanuel Kettler ( t 1877) erkennt die Gefahren der Zeit, sieht die Probleme und Nöte des Proletariats, nimmt sich in seinen Predigten der sozialen Frage an und befaßt sich mit Staat und Gesellschaft, Ehe und Familie, Arbeit und Lohn. Der Fürstbischof von Breslau Heinrich Förster (f 1881) ist ein Vertreter der biblischen Homilie. Ein einflußreicher und interessanter österreichischer Prediger ist Johann Emmanuel Veith ( f l 8 7 6 ) , ein getaufter Jude, Direktor der Tierärztlichen Klinik in Wien, nach seiner Taufe Redemptorist und Prediger am Stefansdom. Er ist ein glänzender Redner, vertraut mit dem Alten Testament, reich an Bildern aus der Geschichte und an Beispielen aus dem Leben, geistreich und lebensnah. Größere biblische Tiefe gegenüber der durchschnittlichen katholischen Predigt beweist der Münchener Benedictinermönch Odilo Rottmanner (f 1907), der als ehemaliger Patrist seine Predigten mit historischen Kenntnissen aus der alten Kirche füllt und tief auf die biblische Wahrheit eingeht. Die Grenzen der katholischen Predigt im 19. Jahrhundert hängen mit der Stellung der Wortverkündigung in der Messe zusammen, mit ihrem überwiegend missionarischen und pädagogischen Charakter, mit der Betonung der institutionellen Kirche als Heilsanstalt, der Verehrung der Mutter Gottes und der Heiligen, der Bedeutung des kirchlichen Gehorsams, der Autorität des priesterlichen Amts und einer manchmal fatalen Neigung zu allgemeinen Ermahnungen. Die Predigt bleibt praktisch und volkstümlich, ihr theologischer Gehalt ist in der Regel nicht tief, gelegentlich tritt sie ganz zurück und meist

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ist sie mehr kirdilidie und moralisdie Ermahnung als Textauslegung und Verkündigung des Evangeliums.

31. Die Predigt um die Jahrhundertwende und im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts Für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg ist das Nachlassen einer scharf profilierten dogmatischen Predigt und die Abflachung der konfessionellen Konturen, der Ausgleich des christlichen Glaubens mit moderner Weltanschauung, Wissenschaft und Kultur und die starke Betonung der individuellen und innerlichen Frömmigkeit charakteristisch. Loser wird die Bindung an den Text. Den Menschen der Gegenwart will die Predigt anreden und stärker in das Leben eingreifen (W. Wrede), sie soll zeitgemäß, speziell und psychologisch sein (M. Schian), sie will persönliches und individuelles Christentum repräsentieren und fragt: Wie predigen wir dem modernen Menschen? (F. Niebergall). Neue Ansätze zeigen sich vor dem Kriege im Wetterleuchten der sozialen Fragen und nach dem Krieg im Aufkommen der dialektischen Theologie, die den Liberalismus ablöst und dem 19. Jahrhundert radikal den Abschied gibt. a) Vertreter einer konfessionell lutherischen Predigt sind Hermann Bezzel, Wilhelm Walther und Ludwig Ihmels. Hermann Bezzel (f 1917), der Erbe Löhes, ist in seinen Predigten kirchlich und lutherisch geprägt, schlicht und herzlich, ernst und eindringlich, knapp in seinen Sätzen, oft liturgisch feierlich in seinem Ausdruck. Als Lutheraner bleibt er sogar in den während des Krieges gehaltenen Predigten Zeitereignissen gegenüber zurückhaltend. Predigt, meint er, müsse auch 100 Jahre früher und noch nach 100 Jahren in der gleichen Form gehalten werden können. Biblische Aussagen auf der Kanzel wiegen für ihn schwerer als die Analyse seelischer Zustände, als Situation und Zeitgeschichte. Illustrationsmaterial soll nicht dem Alltag, der Zeitgeschichte, dem Feuilleton und den Leitartikeln der Zeitung entnommen werden. Die Gemeinde ist nicht Publikum. D a f ü r wird die Geschichte der Kirche gerne herangezogen. „Eine geschichtslose Kirche ist nicht wert, daß sie lebe." Die lutherische Auffassung vom geistlichen Amt prägt diese Predigten.

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Lutherisch ist auch der Rostocker Professor Wilhelm Walther (f 1924), ein Prediger des großen Themas der lutherischen Reformation von der Ohnmacht und Sünde des Menschen und von der Vergebung durch das Kreuz Christi, der Rettung aus dem Gericht und des Eingangs in die Gnade, nicht ohne daß er sich dabei polemisch von der methodistischen wie der modernen Art abzugrenzen wüßte. Gründlich ist die Textverwendung, reichlich biblisch die Sprache, eindrücklich das persönlich gefärbte, individuelle Zeugnis des Glaubens. b) Zahlreich sind besonders die praktisch orientierten Predigten von konservativem Grundcharakter. Sie sind textgebunden, zurückhaltend gegenüber modernen theologischen Strömungen, weniger an Dogmen und Dogmatik interessiert als an Erfahrung des Glaubens und seiner Bewährung im Leben. Der Greifswalder Professor Hermann Cremer ("j" 1903) verkündet in seiner Sammlung „Das Wort vom Kreuz" kraftvoll und einseitig die Gnade Gottes gegenüber dem sündigen Menschen. Predigt ist für ihn „eine Reproduktion des Wortes Gottes und des Bekenntnisses der Kirche", „Mitteilung der Heilsbotschaft". „Wir predigen zuviel über das Wort Gottes, wir müssen das Wort Gottes predigen." Bei Adolf Stöcker (f 1909) interessiert hier nicht seine umstrittene sozialpolitische Tätigkeit, sondern seine am Anfang des Jahrhunderts erschienenen Predigten, in denen es immer um die großen Gegensätze von Glauben und Unglaube, Kirche und Welt, um den Kampf gegen tote Rechtgläubigkeit und den Abfall der Massen und ihre Gottlosigkeit geht. Es sind landläufige Predigten, von Sünde und Vergebung handeln sie, aber wirksam und eindrucksvoll sind sie. Die „Pfennigpredigten", von Stöcker selbst Zeit- und Volkspredigten genannt, sind lange in einer Auflage von mehr als 100 000 Exemplaren erschienen. Tiefe und Kraft ist Stöckers Predigten eigen, sehr konkret fassen sie den Menschen an, entschlossen greifen sie die Schäden der Zeit an, Umkehr und Entschiedenheit fordern sie, volkskirchlidi sind sie und gegen alles Staatskirchentum, an der Front des Kampfes von Glaube und Unglaube stehen sie, aber mit Zweifelnden und Suchenden wissen sie nicht zu reden. Zu konservativ ist ihre geistige und politische Haltung. Ihre Orthodoxie ist dem fortschrittlichen Denken der Zeit fern. Be-

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währtes bringen sie, aber kein Neues. Von seelsorgerlicher Erfahrung durchwoben sind die Predigten des Leipzigers Oskar Pank (f 1928), ganz gebunden an Wortlaut und Folge des Textes, so einfach, daß sie auch der schlichteste Hörer verstehen soll. Der Band „Das zeitliche Leben im Licht des geistlichen Worts" ist in kurzer Zeit in 12 Auflagen erschienen. Einer der wirklich großen und bedeutsamen Prediger dieser Art ist Ernst von Dryander (f 1922), Oberhofprediger in Berlin, ein Tholuckschüler. Er ist als Verkünder des Evangeliums weitherzig und modern, hochgebildet, von großem sittlichem Ernst. Dogmatische Fragen berührt er selten, sie lösen sich ihm im Sinn der Positiven Union. Mit dem 19. Jahrhundert ist er tief durch die Rolle verbunden, die Anknüpfung und Vermittlung in seiner Predigt spielen, durch seine Überzeugung, „daß das Evangelium mit allem verwandt sei, was menschlich groß und edel ist". Den Hörer will er durch den Appell an sein Gefühl für das Wahre, Schöne und Edle überzeugen, er sucht in ihm den Punkt, den er zu einer großen geistigen Überzeugung weiterführen könne. Aus Menschenkenntnis und der Schrift ist seine Psychologie geschöpft, nicht um Lehre, sondern um Sittlichkeit geht es ihm, um das Ethische im Sinne einer Individualethik. Die aufregenden sozialen Fragen der Zeit berühren ihn kaum, die Welt des Arbeiters ist ihm fremd, er ist ein Aristokrat unter Seelsorgern und ein Seelsorger unter Aristokraten. Schlicht ist die Sprache, ohne Pathos, ganz menschlich, sachlich und natürlich. Um Verstehen müht sich seine Predigt, sie will Christus mit der natürlichen Anlage der Menschenseele in Verbindung bringen, sie will und braucht nicht zu erschüttern, um zu wirken. Ihre Weitherzigkeit kennt nur eine Grenze, den unerbittlichen Kampf gegen das Böse. Die Predigten von Paul Conrad (f 1927), Dryanders Nachfolger, entstammen meist schon der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Sie sind kraftvoller, gedrungener als die Dryanders, herb ist Conrad als Prediger, von Stimmung und Gefühl hält er nichts, aber hinter einer rauhen Schale steckt eine zarte Innerlichkeit, er ist ein entschiedener Vertreter eines homiletischen Voluntarismus. Auf den Willen will er wirken, etwas erreichen

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soll die Predigt, aber er ist zugleich auch ein machtvoller Verkündiger der Gnade. Wuchtig und aufrüttelnd sind diese Predigten, kurz die Sätze, knapp die Form, scharf geschliffen die Formulierungen, die sich leicht wiederholen können. Ein Hauch einer politisch konservativen Haltung liegt über dieser Predigt, aber der gewissenweckende, an den Willen appellierende, aufrichtende und tröstende Zuspruch ist ihre eigentliche Intention. Wie die zu Hunderttausenden verbreiteten Andachten wirken auch die Predigten in der manchmal uns ein wenig abgeschliffen vorkommenden traditionellen Sprache nicht mehr modern genug. c) Die liberale Predigt ist Widerspiegelung der liberalen Theologie. Unter dem Eindruck der historisch-kritischen Forschung und der religionsgeschichtlichen Schule sieht sie in den sittlichen Gedanken Jesu, die oft im Geist des eigenen liberalen Zeitalters interpretiert werden, die bleibende Wahrheit, die aus den Hüllen des zeitgeschichtlichen Gewandes gelöst werden muß. Heinrich Julius Holtzmann (f 1910) hat seine Predigten selbst für Abhandlungen erklärt, sie sind reich an Gedanken, sehen alle Lebenswirklichkeit im Licht einer religiösen Betrachtung, ohne daß sich Weltgeschichte und Zeitereignisse in ihnen spiegeln. Akademisch sind auch die Predigten von Heinrich Bassermann (f 1909), die an Schleiermacher erinnern können, scheinbare Widersprüche zwischen Religion und Kultur werden aufgegriffen, Mißverständnisse abgewiesen und Gegensätze aufgelöst, das alles in langen Ketten einer dialektischen Gedankenentwiddung. Von ganz anderer Art und auch einer anderen Wirksamkeit sind die Predigten der beiden Nürnberger Pfarrer Christian Geyer ( t 1929) und Friedrich Rittelmeyer ("f 1938), die vor dem Ubergang Rittelmeyers zu Steiners Anthroposophie die beiden Predigtbände „Gott und die Seele" und „Leben aus Gott" gemeinsam veröffentlicht haben. Später folgten Geyers „Der Menschen suchende Gott" und Rittelmeyers „Vaterunserpredigten". In wenigen Jahren hat „Gott und die Seele" gleich acht Auflagen erlebt. Ein sehr modernes, freiheitliches Christentum spricht aus diesen Predigten, aber auch ein überraschendes Gespür für die ersten Regungen eines Neuen in der Welt des 14

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Geistes. Selten noch hat jemand so frisdi, frank und frei gepredigt und so konkret ins praktische und alltägliche Leben hineingegriffen. Hier gibt es keine abstrakte Gedankenentwicklung, lose geknüpft ist der Aufbau, immer wieder überrasdien neue Wendungen des Weges, frei und unmittelbar sprechen sidi persönliches und individuelles Erleben aus, Gelesenes, Geschichtliches, Literarisches illustriert die Gedanken, die Sprache wandelt sich oft zum vertraulichen Gespräch, es wird einfach das gesagt, was der Prediger sagen will. Das Ganze ist gebildet, interessant, praktisch und fromm, aber anthropologisch und individualistisch gestimmt. Eine seit Jahrhunderten in der evangelischen Kirche nicht mehr geübte Predigt begegnet uns bei Otto Zurhellen (f 1914) in seinen Predigten über „Helden und Heilige des Protestantismus", über einzelne Gestalten von Luther bis zu Wichern. Sie wollen die vielfältige Individualität des protestantischen Christentums zu einem Gesamtbild vereinigen. An die Stelle des liberalen Themas „Gott und die Seele" tritt bei Bernhard Dörries (f 1934) das andere „Gott und die Welt", eine Religion des Alltags, der Arbeit und des Berufs. Seine Predigten sind erfüllt von Gottes überströmender Liebe zu dieser unserer modernen Welt, die in ihrem gesamten Umfang des Profanen und Heiligen zum Ort für den Lobpreis Gottes und der Pflichterfüllung des Menschen wird. Dieser Glanz der sich der Welt zuwendenden Liebe Gottes liegt über Meer, Regen und Sonnenschein, über Maschinen, Fabriken und Arbeitsstätten, über Beruf und Familie. In Jesus sind alle Konflikte unserer heutigen Welt gelöst, öffnet sich uns eine Wirklichkeit ohne Sorge und Sünde. Von den sozialen Fragen freilich heißt es, daß der Glaube „von selbst" in diese Nöte und Aufgaben hineinfließen muß. Für Friedrieb Niebergall (f 1932) ist die Predigt Gemeindeerziehung auf religionswissenschaftlicher und psychologischer Grundlage, Instrument der göttlichen Pädagogik, ein Mittel zur Besserung des Menschen. Die Spannweite der liberalen Predigt ist weiter als es die Durchschnittsvorstellung von der liberalen Predigt meint. d) Die akademische Predigt umfaßt die verschiedensten Spielarten. Zunächst gehören hierher die Schüler Albrecht

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Ritschls wie Paul Drews, Gustav Kawerau, Julius Kaftan, Wilhelm Bornemann, Friedrich Loofs und andere. Paul Drews (f 1912) ist ein Historiker der neueren Predigt. Er hat die Bedeutung der speziellen Themen, bestimmt durch die konkrete Situation des Hörers, in der Aufklärung und bei Schleiermacher herausgearbeitet. Erst in der Gegenwart findet er nach einer langen Zeit dogmatischer Enge und Langeweile wieder verheißungsvolle Ansätze von konkreten und speziellen Predigtthemen mit „Lokalfarbe" und „zeitgeschichtlichem Gewand". Er kämpft für die Einführung der religiösen Volkskunde in die Praktische Theologie und erweist sich in seinen Predigten durch die Betonung Jesu als Mittler der Sündenvergebung und die Bedeutung des Berufslebens als ein Schüler Ritsdils. Gustav Kawerau (f 1918) will nach der Vorrede zu seinen biblisch-apologetisch orientierten Predigten „Neue Sammlung" den Christen „feiertägliche Erquickung" geben und Julius Kaftan (f 1926) versteht Religion „als praktische Angelegenheit des menschlichen Geistes", er ist ein Prediger des „religiösen Werturteils" und der religiösen Lebensinteressen; von dem Kreis der Freunde der Christlichen Welt hat er sich später getrennt. Wilhelm Bornemann (f 1946) ist ein Prediger der frohen Gotteskindschaft und der Freude in der christlichen Religion, die den Menschen frei und froh macht, zu einem starken und liebevollen Charakter. Friedrich Loofs (f 1928) ist ein sehr anspruchsvoller und eindrüddicher akademischer Prediger aus der Schule Ritsdils. Ein Prediger für Akademiker ist auch Carl Stange (f 1959), der weniger am Exegetischen und Historischen interessiert ist als am Dogmatischen und von seinen Hörern viel Mitdenken fordert. Die Predigt soll „das von Jesus in die Welt gebrachte Leben fortpflanzen und pflegen". Alles wird hier zur Erörterung und Untersuchung, die Wirklichkeit des Lebens und die Bewährung in ihm treten zurück; im Grunde sind für ihn die Fragen der Religion immer die gleichen gewesen, und sie bleiben auch immer die gleichen. Ein voluntaristisdier Prediger wie Conrad ist Alfred Uckeley (f 1955), der Jesus malt, wie er das Leben des Menschen reich, klar und stark macht. 14"-

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Die meisten akademisdien Predigten haben nur eine sehr begrenzte Wirksamkeit, anders aber ist das bei Otto Baumgarten, Adolf Schlatter und Karl Heim, so diametral verschieden sie audi unter sich sein mögen. Otto Baumgarten (f 1934) hat in Kiel bis 1925 im Akademischen Gottesdienst gepredigt. Er ist mit Drews zusammen Herausgeber der „Monatsschrift für kirchliche Praxis", lange Zeit Vorsitzender des „Evangelisch sozialen Kongresses" und Mitglied des „Freundeskreises der Christlichen Welt" gewesen. In seinen „Predigtproblemen" wendet er sich gegen das Prunkgewand der herkömmlichen Predigt, gegen ihren Illusionismus und ihre Lebensferne. Wahrhaftigkeit und Wirklichkeitssinn sind für ihn die Zeichen einer modernen Verkündigung. Gegenwartsbezogen bis hin zu den sozialen Problemen ist seine Predigt, offen für gesellschaftliche Fragen und moderne Lebensformen. Nidit deskriptiv und deduktiv soll sie sein, ihre Probleme soll sie aus dem Leben aufgreifen, nicht aus der Idee der Kirche nehmen. Den „modernen Menschen" mit seiner intellektualistischen und ästhetisierenden Art, seiner Zerstreuung und Zersplitterung kann nur die Anknüpfung an seinen Sinn für Wirklichkeit und seine Sehnsucht nach Sammlung befreien. Religion ist für Baumgarten nicht ohne „mystische" Tiefe, sie bedeutet Halt im Ewigen, Stille und Ruhe in der Innerlichkeit der Seele, aber sie ist auch absolute Wahrhaftigkeit, Bildung des Charakters, Bewährung in den nächsten Beziehungen und auf sozialem Feld. Jesus ist für ihn die Heilung für alle menschlichen Nöte im Bereich der gegenwärtigen Kultur. Auch das Politische, das „Adventslicht von Locarno", der Kampf gegen soziales Unrecht, das Eintreten für demokratische Gesinnung und die Gegnerschaft gegen den Antisemitismus gehören zu dieser Predigt, in der sich Innerlichkeit und Frömmigkeit der Seele, Bildung des Charakters und Durchdringung des Lebens mit den Kräften des Evangeliums eigentümlich verbinden. Völlig anders ist die Predigt Adolf Schlatters (f 1938), sie ist ganz und gar biblische Predigt, aber zugleich von überraschender Gegenwartsnähe, dem Menschen heute und seinen Verhältnissen zugewendet, immer originell und unnachahmlich, oft allen frommen Schleier der konventionellen frommen Phra-

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sen mit drastischen und alltäglichen Wendungen zerreißend, manchmal so knapp, daß vieles zwischen den Zeilen gelesen werden muß, immer in eigenartiger Weise modern. Die „Wahrnehmung", der „Sehakt", die Lebensrelevanz alles theologischen Denkens ergeben das Neue, Reizvolle, Überraschende in diesen Predigten. Schlatter selbst hat von ihnen gesagt, sie seien keine „Kanzelreden", er ist ein geschworner Feind der aus der griechischen Welt der Antike in die Kirche eingedrungenen Rhetorik, er will die Predigt von diesen „christlichen Erbstücken" reinigen und der Gemeinde nur einprägen, „was die Apostel sagen". Realistisch wird die Bibel gesehen, realistisch Mensch und Kirche heute, eins zugleich mit dem andern. Und noch einmal völlig anders ist, auf der gleichen Kanzel in Tübingen predigend, Karl Heim ( t 1958), schlicht in Sprache und Form, tief und eindringlich, hochgebildet und nicht ohne einen Hauch von Pietismus, überraschend in der Aktualität der Beziehung auf Welt und Geschichte, die heutige Zeit und das Gewissen des Menschen. Unnachahmlich, wie hier der Kapitalismus und der Krieg, die Macht des Geldes, die Kaufleute und Geschäftsmänner, die Manager und der moderne Mensch in ihren alltäglichen Konflikten und Verlegenheiten angesprochen werden. Immer geht es um das Treiben und Suchen des heutigen Menschen in der Alltäglichkeit seines Lebens, aber nichts wird dabei banal und trivial; das Entscheidende ist die heimliche Fludit dieses Menschen vor der Unentrinnbarkeit Gottes, seine Verzweiflung, Wagnis, Abenteuer und der Sprung des Glaubens, das unruhige Gewissen und die Vergebung der Schuld, die Gnade und der offene Himmel über uns. Und dies alles ohne jede gedankliche Abstraktion, bildhaft und anschaulich, illustriert mit Bildern aus der Welt der modernen Tedinik und Naturwissenschaften, voll von Zitaten und Lesefrüchten, von Erlebnissen auf Reisen, von biblischen Erzählungen und Geschichten aus dem Gegenwartsleben. Schon die Einleitung ist so aktuell, lebensnah und praktisch, daß einfache und gebildete Hörer wie fasziniert und geradezu bezaubert seinen Gedanken folgen, eine Predigtart, die viele Heimschüler nachzunahmen versucht haben, ohne sie je erreichen zu können.

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e) Am weitesten von der akademischen Predigt in ihren vielen Spielarten entfernt sind die am Anfang des Jahrhunderts entstehenden Dorf- und. Kleinstadtpredigten. Die religiöse Volkskunde wird von Paul Drews zu einer Disziplin der Praktischen Theologie gemacht, über die bäuerliche Glaubens- und Sittenlehre schreibt H. Gebhardt und A. l'Houet über die Psychologie des Bauerntums. Dorfpredigten haben wir von dem Pfarrer und späteren Heimatschriftsteller Gustav Frenssen ( t 1945), der das Religiöse und Alltägliche aufs engste zu verweben weiß. Er kann wahrhaftig biblische Geschichten erzählen, als wären sie eben in Dithmarschen passiert. In diesen Predigten sieht man die Marsch, den Deich, die Sturmflut und die Möwen, die Felder und die Höfe, die Bauern bei ihrer Arbeit auf dem Acker und im Stall. Realistisch werden Schwächen der Hörer gezeichnet, ihr Geiz, Mißtrauen und die Angeberei, aber auch ihre Nöte, wenn das Korn auf dem Halm verfault, Krankheit und Schulden drücken und der Zahltag für die Zinsen kommt. An Jesus wird seine Tapferkeit, Güte und Reinheit gerühmt, die unsichtbare Welt, die er uns eröffnet. Erwin Gros ( t 1927) versteht noch differenzierter und realistischer in hundert Farben die bäuerliche Sünde und das Ideal der Sorglosigkeit und Güte zu malen, das im Evangelium von der Vaterliebe Gottes seinen Grund hat. Alfred Eckert veröffentlicht 1906 ff. 5 Bände Predigtentwürfe von „Bauernpredigten". Stürmischer und leidenschaftlicher ist Karl Hesselbacher (f 1943) in seinen Dorfpredigten, einen Krieg führt er gegen Sünde und Angst im Leben der Bauern, Gottes Vaterliebe löst alle Rätsel, Jesus wird der Freund und Bruder des Menschen. Wie wird das Dorf- und Soldatenleben hier geschildert, alles ist so voll von Gleichnissen, Geschichten, Anekdoten und Ortsgeschichte, daß man die Predigt mit einer Bildergalerie verglichen hat. Kleinstadtpredigten haben wir von Gerbard Füllkrug (f 1948), der die Verhältnisse in einer kleinen deutschen Stadt, vor allem die Probleme im Haus und in der Ehe zu malen weiß. Keinen Teil an solchen Milieuschilderungen hat Oskar Frommel ( f l 9 1 3 ) ; er ist Dichter und Poet, ein Lyriker auf der Kanzel, ein Seelenschilderer und ein Seelsorger. Ebenfalls ein Dichter auf der Kanzel ist auch Adolf Schmitthenner ( t 1907),

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der Prediger einer tiefen, gemütvollen Frömmigkeit, der auf alles Alltägliche einen religiösen Glaaz wirft; biblisdie Geschichten kann er erzählen wie eben ein Diditer, die Welt der Seele malt er und die Welt um uns her, die Kirche, die Orgel, den Friedhof, die Kinder und die Kranken, immer dichtend, erzählend, illustrierend, voller Kunst und Poesie. f) Es gibt auch Prediger, die wohl die Grenzen des Kirchlichen überschreiten. Um seiner Predigt willen ist Carl Jatho (f 1913) von einem kirchlichen Lehrverfahren betroffen worden, er hat sein Amt verloren. Seine Predigten sind von großer Weite und Weitherzigkeit; pantheistisdi und stark ästhetisch ist seine Frömmigkeit, Gott will er nicht in der Vergangenheit, sondern heute im Leben und der Welt suchen. Gott kann nicht ohne uns Gott sein, der Mensch ist der Ort für Gottes Sterben und Auferstehen, in allem ist Gott und Gott in allem. Die Dogmen will Jatho in das Leben des Gemüts rückübersetzen. Der eigentliche Inhalt seiner Predigt ist Gottes- und Menschenliebe. Jesu Leute will er, keine Hüter von Antiquitäten, sondern Charaktere, die an das Gute im Menschen glauben und ihm in gemeinnütziger Tätigkeit dienen. Beredsamkeit und Ehrlichkeit haben auf die Hörer ihre Wirkung gehabt. Julius Burggraf ( f 1922) hat in seinen Goethe- und Schillerpredigten die Gedanken des deutschen Idealismus zum Gegenstand der Predigt gemacht. Er redet von einem „deutschen Christus". Am weitesten ist wohl Albert Kalthoff (f 1906) gegangen, der auf die Naturgesetze der Erhaltung der Kraft und der fortschreitenden Entwicklung eine Religion des Gewissens und der Pflicht gründet und meint, in unserer christuslosen Zeit müsse ein Christus geschaffen werden, der uns ein neues Menschenbild für unser Aufwärtsstreben bedeute. g) Erstaunlich bleibt, wie wenig die Industrialisierung, das Entstehen des Proletariats, Sozialismus und Arbeiterbewegung sich in der bisher gezeichneten Predigt spiegeln. Aber es gibt auch Prediger eines religiösen Sozialismus, die prophetisch die Zeichen der Zeit zu deuten wissen und das Wetterleuchten der sozialen Frage wahrnehmen. Von Friedrich Naumann ( t 1919) haben wir keine Predigtsammlungen, auch wenn er in vielen Jahrgängen der „Hilfe" und in seinen Andachten neben der

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sozialen Frage Probleme der Religion und Sittlichkeit in der modernen Welt behandelt. Christoph Blumhardt (f 1919) hat auch theologisch einen neuen Klang in seinen Predigten angeschlagen, wenn er die rückhaltslose Anerkennung der Gerechtigkeit Gottes verkündet, der allein der Herr, der Retter und der Helfer ist, das Gericht über alles menschliche Wesen, das „Fleisch" ist, und sich gegen Übermut und Überheblichkeit in der Religion wendet. „Reich Gottes, nicht Religion!" Blumhardt brauchte nur wenige Minuten der Sammlung für seine Predigt, sie ist kein Ergebnis der Reflexion, sie strömt ihm aus andern Quellen und Tiefen zu. In älterer Zeit bis zu den Berliner Predigten von 1888 predigt er über das Möttlinger Thema „Jesus ist Sieger". Die Predigten in Bad Boll haben den Klang: Sterben wir, so wird Jesus leben. Sterben soll alles Fleisch, alles Eigene, alle Selbständigkeit und Selbstherrlichkeit des Menschen; die Souveränität Gottes und die Auferstehung der Toten wird jetzt verkündigt. Von 1896 an herrscht in den Predigten der Gedanke der Zuwendung der Liebe Gottes zur Welt. Nicht für sich selbst will Blumhardt glauben, sondern für die Welt, „für das Besserwerden unter den Menschen". Die Liebe Gottes zur Welt praktiziert er, auf den Titel Pfarrer verzichtend, durch eine sechsjährige Tätigkeit als sozialdemokratischer Landtagsabgeordneter, die freilich mit der Erkenntnis endet, „daß der Versuch, seine Gottesidee ins Irdische zu tragen, keine Wurzel finden könne in einer Zeit, wo der Mensch glaubt, sie und sie allein könne einen Mensdien des Glücks schaffen." Die späteren Predigten bis 1917 sind Zeugnisse einer stillen Zurückgezogenheit, des Wartens auf das Reich Gottes. Mehr nur am Rande und nicht unbedingt gehört in diesen Zusammenhang Gustav Benz (f 1937), der, seit Anfang des Jahrhunderts Pfarrer in einer Kleinbasler Industrie- und Arbeitergemeinde, in seinen Predigten an sozialpsychologischen Problemen interessiert ist und das Evangelium mit Fragen und Nöten der Zeit, Krieg und Frieden konfrontiert. Das Soziale und die Arbeiterbewegung bleiben für ihn eine Frage unter vielen, er will in einer sich verändernden Welt dem Evangelium Gehör verschaffen. Die unerbittliche Wirklichkeit begründet die

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Religion, nicht Illusionen. Im natürlichen Verlauf der Dinge will er Gott finden, nicht in besonderen geistlichen Erlebnissen. Zeitungslektüre, das Tagesgespräch und die soziale Gerechtigkeit spielen in seine Predigt hinein, die doch Verkündigung des Kreuzes sein will. In Jesus bricht die Gewalt eines neuen Lebens herein. Weitverbreitet sind diese Predigtbände, von vielen benutzt, die sich nicht gerade auf sie berufen. Dagegen ist Hermann Kutter (f 1931) ein prophetischer Geist und Denker, ein Vertreter einer theozentrisdien Theologie und des religiös sozialen Gedankens in der Predigt, einer christlichen Reichsgotteserwartung, der Vorstellung, daß Gott mit seiner Kraft den Staat, die Welt und den Mensdien „in unendlicher Realität durchdringt". Die soziale Aktivität sieht er im Gegensatz zum verkirchlichten Christentum und einer falschen Verinnerlichung als das Gebot der Stunde an, den lebendigen Gott glaubt er audi in der für eine neue Gerechtigkeit kämpfenden Sozialdemokratie wirksam. Kutter ist ein eindrucksvoller Redner, die Welt will er verändern. Auch Leonhard Ragaz (f 1945) hat sich früh schon bei einem Streik mit der Welt der Arbeiter verbunden und gehört seit 1913 der Sozialdemokratie an. Der realistische Reichsgottesgedanke Blumhardts hat auf ihn gewirkt, er sieht, über Kutter hinausgehend, in einer sozialdemokratisch gefügten neuen Gesellschaftsordnung das Kommen des Reiches Gottes, er vertritt ein radikales Armutsideal, tritt für die Gewaltlosigkeit ein und gibt wegen der Friedensarbeit 1921 seine Züricher Professur auf. Scharf ist seine Kritik am Kirchenwesen, am Kapitalismus, an den politischen Zuständen; aufwühlend sind seine Predigten, er ringt um eine neue und bessere Welt. h) Die meisten der bisher geschilderten Formen der Predigt gehören noch in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, wenn sie sich auch über ihn hinaus fortgesetzt haben. Einen völlig neuen Ansatz nach dem Krieg bedeuten das Erscheinen von Karl Barths Römerbrief und die dialektische Theologie, die dem Liberalismus im theologischen Denken ein jähes Ende bereitet. Die Berufung auf das „Deus dixit" führt zu einer neuen Form der biblischen Predigt und zu einem radikalen Bruch mit den Traditionen und Fragestellungen des 19. Jahrhunderts. Mit

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Geschichte der christlichen Predigt

einem Sdilag ist es nichts mehr mit dem religiösen Erleben, mit der individuellen Frömmigkeit, dem diristlidien Charakter, dem liberalen Jesusbild und der historisch-kritischen Fragestellung, mit dem ganzen Mühen um den modernen Menschen, mit der Anknüpfung und der apologetischen Verteidigung der Religion, mit Weltanschauung und Kulturprotestantismus, mit den religiösen Werturteilen und der Rücksicht auf den Hörer, wirklich mit allem, was einem ganzen Jahrhundert wert und teuer gewesen ist. Angesichts der Frage nach Gott bleibt „für die Fräglein: wie soll ich predigen und unterrichten? keine Zeit". Das Problem lautet jetzt: „was heißt predigen? und nicht: wie macht man das?, sondern: wie kann man das?" In dem Vortrag „Gotteswort und Menschenwort in der Predigt" wird Bullinger zitiert: „Praedicatio verbi est verbum Dei." Krisis und Gericht ergehen über alle Frömmigkeit, Kirche und bloßes Christentum. Die thematische wird wieder zur schriftauslegenden Predigt. „Predigt heißt ablesen, was geschrieben steht, ein Ablesen freilich, das zur Anrede wird an den Menschen von heute, aber so, daß auch dieser Mensch von heute durch die Predigt seiner Kirche seinerseits zum Schüler der Heiligen Schrift wird", heißt es in der Vorrede zu dem von Karl Barth und Eduard Thurneysen gemeinsam herausgegebenen Predigtband „Die große Barmherzigkeit". Ein zweiter Ansatzpunkt für die Erneuerung der Predigt in den 20er Jahren ist die mit dem Namen Karl Holls und anderer verbundene Lutherrenaissance, die der Predigt neue Tiefe, einen reformatorischen Klang, dogmatischen Gehalt und Kirchlichkeit verleiht. Schließlich führen die Nöte des Weimarer Staats und die jetzt aufbrechenden völkischen Fragen, die Auseinandersetzung mit dem verlorenen Krieg, der Kampf um die gefährdete demokratische Ordnung und der Streit mit dem Nationalsozialismus auch in der Predigt vom individuellen Erleben und den persönlichen Problemen fort zum öffentlidikeitswillen und zur Kulturkritik. An Namen seien genannt: P. Althaus, F. Brunstäd, O. Dibelius, L. Fendt, W. Görnandt, T. Hahn, E. Hirsch, K. Holl, M. Rade, W. Michaelis, F. Rendtorff, H. Richter, K. B. Ritter, J . Schneider, H. Schreiner, J . Smend, W. Stählin, G. Tolzien, P. Wurster und andere. Die

Ein Blidt auf die Predigt

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Praktischen Theologien der Nachkriegszeit von J . Meyer, J . Steinbeck, E. Pfennigsdorf und M. Schian gehören noch in die Fragestellung und die Kontinuität des 19. Jahrhunderts hinein, während K . Fezer in seinem Buch „Das Wort Gottes und die Predigt" (1925) an die Stelle der pädagogisch missionarischen und der künstlerisch darstellenden Predigt mit ihrer anthropozentrischen Einstellung das theozentrische Element des in der Verkündigung des Worts sich selbst gegenwärtig setzenden Gottes stellt.

32. Ein Blick auf die Predigt im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts und in der Gegenwart Wann hört die Geschichtsschreibung als Darstellung der Vergangenheit auf und wo beginnt die kritische Auseinandersetzung mit der Gegenwart? Auch die Geschichte ist Begegnung mit der Gegenwart und die Gegenwart hat eine geschichtliche Tiefe und eine historische Vermittlung. Setzt man die Grenzscheide zwischen Vergangenem und Zukünftigem rein formal im Heute und Jetzt, dann wird die Gegenwart leer und inhaltslos. „Gegenwart" wird für uns wohl die Auseinandersetzung mit den aktuellen Problemen unserer Zeit und unseres Lebens sein, Aufarbeitung des noch nicht Bewältigten und noch Offenstehenden aus der jüngsten Vergangenheit. Die Predigt der Gegenwart gehört nicht in eine geschichtliche Darstellung hinein, weil hier noch nidits abgeschlossen, profiliert und zur festen Gestalt verdichtet ist, alles befindet sich noch in Bewegung, im Status des Übergangs. Sachlich gehört die Predigt der Gegenwart vielmehr in eine moderne Theorie der Homiletik hinein, in der die homiletischen Prinzipienfragen in ständiger Begegnung und kritischer Auseinandersetzung mit Beispielen der heute geübten Predigtweise zu einer kritischen Theorie der Verkündigung verarbeitet werden. Die Predigt der Gegenwart hat es weithin mit Predigern zu tun, die noch leben, mit einer Predigtarbeit, die sidi noch im Wandel befindet und für die sich ein abgeschlossenes und abgewogenes Urteil noch nicht hat bilden können, und mit Richtungen, Strömungen und Tendenzen, deren Ende noch nicht absehbar und verrechenbar ist.

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Geschichte der diristlidien Predigt

Schon die erste Phase dieser Predigt während des Kirchenkampfes von 1933—45 ist weder historisch noch homiletisch aufgearbeitet. Sicher ist, daß anfänglich noch weitverbreitete Hoffnungen spätestens mit der Sportpalastversammlung der Deutschen Christen im Herbst 1933 illusorisch geworden sind. Niemals ist die Predigt so voller Aktualität und Zeitbezogenheit gewesen wie in diesen Jahren des Kirchenkampfes. Jede Predigt war ein Politikum, selbst wenn sie einer politischen Entscheidung aus dem Wege gehen wollte. Sicher ist auch, daß die Predigt, die Volkstum und Rasse, die Schöpfungsordnungen und das Zeitgeschehen zur eigenständigen Offenbarung neben der biblischen machen wollte, sich als unkirchlich und als unciiristlich erwiesen hat und dem Urteil der Geschichte verfallen ist, abgesehen davon, daß ihre Leistungen nach Form und Inhalt nidit einmal erwähnenswert sind. Offen ist nodi immer die Frage nach der natürlichen Religion und ihrer Bedeutung für die Predigt. Klar und eindeutig ist in dieser Zeit die Verkündigung, die ihren festen Ort in der Theologischen Erklärung von Barmen 1934 hat, ist ihr tapferer K a m p f gegen die Übergriffe des Staats, ihr kompromißloser Widerstand gegen öffentliches Unrecht, das Beharren bei Gottes Wort und dem Bekenntnis der Kirche. Aber audi hier bleiben Fragen. H a t die christozentrische Form der Predigt zu jeder Zeit und immer in der Verkündigung der Kirche recht, was war im einzelnen in dieser Predigt theologisch begründet und was war politischer Widerstand, was Glaube und was Ressentiment, wie sieht die Predigtweise eben der gleidien Prediger heute unter anderen Umständen aus, wer hat in der berühmten Diskussion zwischen Barth und Brunner über den „Anknüpfungspunkt" systematisch und homiletisch recht, wie steht es mit der Rücksicht auf den Hörer und wieweit ist sie theologisch legitim? Wie steht es mit der Predigt der „intakten" Kirchen in dieser Zeit, mit den „Neutralen", die predigen, als sei nichts geschehen, mit denen, die wegen ihrer Gemeinden nur verhüllt und versteckt sich zu äußern wagen? Ist das Bekenntnis der Kirche für uns noch ein Schibboleth im Kampf, inwieweit ist für den jungen Theologen heute das Ideal des alten Kämpfers der Bekennenden Kirche noch vorbildlich und unbedingt verpfliditend? Wie sollten solche

Ein Blick auf die Predigt

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Fragen in einer kurzen Übersicht sich lösen lassen! Die Antworten des Jahres 1945 haben sie jedenfalls nidit lösen können. Auch die Predigt während des Krieges daheim und vor allem im Felde entzieht sich noch einer abgewogenen geschichtlichen Darstellung, wie sie etwa für die Kriegspredigt von 1914—18 vorliegt. Sicher ist am Anfang die Kriegspredigt vor der Truppe vom Nationalismus bedroht gewesen, ein in vielem fragwürdiger offizieller Akt, weder den Christen noch den „Gottgläubigen" genügend, der schrecklichen Illusion verfallen, als könnte man den Glauben an Gott audi gegen eine christliche Überzeugung aufrechterhalten, damit er in der Stunde der Bewährung einen H a l t bedeute. Ein fremden Zwecken dienstbar gemachter Glaube kann nichts helfen, wenn eben diese Zwecke, die ihn rechtfertigen sollen, selbst bedroht sind. Später ist mandies anders geworden. Die Feldseelsorge wurde systematisch auf kaltem Wege durch die Einführung nationalsozialistischer Schulungsoffiziere und die ständige Dezimierung der Pfarrstellen unwirksam gemacht. Bei den wenigen alten Einheiten durften die vorhandenen Pfarrer bei Ausfällen nur auf ausdrückliche Anforderung hin ersetzt werden, bei der Umwandlung in „Volksgrenadierdivisionen" mußten die bisherigen Pfarrer gehen, alle neuaufgestellten Einheiten erhielten grundsätzlich keine Pfarrer mehr. O f t waren die wenigen noch verbleibenden Pfarrer nur schwer unterzubringen. Die Gottesdienste wurden jetzt kleine freiwillige Versammlungen am liebsten ohne Wissen und Bemühung amtlicher Stellen, sie wurden formloser, biblischer und tiefer, sie hatten, soweit sie noch stattfinden konnten, fast ein urchristliches Gepräge. Nach 1945 hatte die Predigt die unerhörte Chance eines völligen Neuanfangs, geradezu ein Monopol der geistigen Betätigung überhaupt, nach dem aufwühlenden Geschehen stieß sie auf Aufgeschlossenheit und einen Hunger nach mehr als Brot. O b damals wirklich ein Neues gepflügt worden ist, oder war diese Predigt einfadi gedankenlose Restauration, die den Faden da anknüpfte, wo er 1933 abgerissen war? Diese vermeintliche Blüte der Predigt, in Wahrheit wohl ein Versagen, wenn man die Sache bei Licht besieht, hat reichlich ein J a h r -

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Geschichte der christlichen P r e d i g t

zehnt gedauert, um einer entgegengesetzten Entwicklung Platz zu machen. Manche Umstände haben dazu beigetragen: 1. Im Gegensatz zu dem traditionell restaurativen und kirchlichen Charakter dieser Predigt ist mit einer nicht geahnten Vehemenz die historisch-kritische Frage neu aufgebrochen, die die dialektische Theologie einmal vom Tisch gefegt hat, ohne sie aufzuarbeiten. Das Entmythologisierungsprogramm hat die Öffentlichkeit und die Gemeinden stark beunruhigt, die journalistische Behandlung in manchen Presseorganen hat zur Verunsicherung beigetragen, wirkliche Hilfe hat die Gemeinde aber in der Predigt kaum bekommen. 2. Die Demokratisierung des öffentlichen Lebens führte auch zu Demokratisierungsbestrebungen in der Kirche, die sich mit einer presbyterial synodalen Ordnung nicht mehr zufrieden geben wollten. Alles Bestehende und Überlieferte wurde radikal „hinterfragt", die Kirche zum Ort der Meinungen und Diskussionen, Auseinandersetzungen, die sich verunsichernd in Öffentlichkeit und Presse hineinfortsetzen. 3. Nicht bewältigt wurde die in den 50er Jahren aufbrechende leidenschaftliche Diskussion über Politisierung und Entpolitisierung der Predigt, über Aufrüstung und Wiederbewaffnung, Wehrdienstverweigerung und Ersatzdienst, erst recht nicht die Vietnamdebatte der 60er Jahre. 4. Noch unbewältigt sind die Fragen, die zugleich mit dem Wiedererwachen des Marxismus in intellektuellen Kreisen eine neue Theologie der Revolution entstehen ließen und die Veränderung der Verhältnisse in der Welt zum vordringlichen, wenn nicht einzigen legitimen Anliegen der Predigt machen. 5. Eine fortschreitende theologische und homiletische Problematisierung der Predigt überhaupt, ein allgemeiner Autoritätsschwund, eine zunehmend kirchengleichgültige Stimmung in der Öffentlichkeit, ein mit der Technisierung des Lebens und einem zunehmenden Wohlstand zusammenhängendes Erlahmen der religiösen Aufnahmefähigkeit führten zu Kirchengleidigültigkeit, zu Kirchenaustritten und zu leeren Gottesdiensten. Katastrophal mag das noch nicht sein, aber es ist im Alltag der Kirche empfindlich spürbar. Auch in der Homiletik nehmen Stimmen zu, die sich gegen die „Mythologie des Wortes Gottes" in der Predigt wenden, von ihrer „Frustration" sprechen, ihre

Ein Blick auf die Predigt

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„monologisdie Struktur" bekämpfen, sie einer allgemeinen Kommunikationswissenschaft zuordnen wollen und diktieren, sie habe ihr Ende erreicht und auszulaufen sei ihr Schicksal in der modernen Welt. Die Krise geht tiefer als man auf den ersten Blick sieht. Alle modernen Gottesdienstformen und alle Experimente mit einer neuen Verkündigung haben bis jetzt keine überzeugende Kraft. Aus einem Studium der Geschichte der Predigt mag man vorläufig folgende Überzeugungen gewinnen: 1. Die Predigt der Kirche ist bunter, mannigfaltiger und reicher, als daß man sie an ein homiletisches System binden könnte, und diese Spannweite von Freiheit und Vielheit muß man ihr lassen, solange sie lebendig ist. Sie kann nicht in eine einzige, vielleicht konservative Struktur eingezwängt werden. 2. In keiner Phase ihrer Geschichte hat die christliche Kirche ohne Versammlung und Predigt bestanden; die Predigt gehört zu ihren unaufgebbaren Lebensäußerungen; sie ist ein Gemeinde und Kirche konstituierendes Element. 3. Die Geschichte kennt in ihren Umbrüchen keinen unausweichlichen, vorauszuberechnenden, schicksalhaften Trend, sondern aus unverfügbaren Tiefen und geheimnisvollen Quellen setzt gerade in der Geschichte der Predigt oft überraschend, unvermittelt und plötzlidi die Erneuerung, Wiedererweckung, eine Umgestaltung und das Lebendigwerden einer sidi scheinbar schon zu Ende neigenden Tradition ein. Krise gehört zur Gesundung und Erneuerung. Das plötzlidie Lebendigwerden von abnehmenden Traditionen ist eine allgemeine geschichtliche und soziologische Erfahrung, für die an die Wirksamkeit des Wortes Gottes glaubende Kirche ist das ein Grundfaktum ihres Glaubens. 4. In einer Zeit, wo soviel Selbstkritik und eine praktisch theologische wissenschaftliche Grundsatzdiskussion in der modernen Homiletik mit solchem Ernst geführt wird, und in einer Kirche, wo noch immer so viel und so eindrücklich gepredigt wird wie heute, ist kaum anzunehmen, daß die Geschichte der Predigt in ihr nach 1900 Jahren ihr Ende erreicht hat. 5. Keine andere wissenschaftliche, künstlerische und politische Organisation, die in regelmäßigen Versammlungen jede Woche und am kleinsten Ort Menschen zusammenruft, kann es auch nur von ferne zu ähnlichen Zahlen von regelmäßigen Hörern und Be-

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Gesdiichte der christlichen Predigt

sudiern bringen, wie sie auch heute noch die „leeren Gottesdienste" aufweisen. Die gesamte Geschichte der Predigt gibt Anlaß zur Selbstbesinnung und Selbstkritik, sie ist wahrhaftig nidit immer glanzvoll, nicht durch, sondern oft audi trotz der Predigtweise der Kirche ist Gottes Wort wirksam geworden. Irrungen und Verwirrungen spiegeln sich in einer Geschichte der Predigt, aber sie vermag auch den Mut zu neuen Gestaltungen zu begründen.

AUSWAHL DER WICHTIGSTEN LITERATUR Albert, F. R., Die Geschichte der Predigt in Deutschland bis Luther. 3 Teile, 1892—96 Bernard, A., Le sermon au XVIII® siècle, 1901 Beste, W., Die bedeutendsten Kanzelredner der lutherischen Kirche. 3 Bd.e, 1856—86 Boucher, £., L'éloquence de la chaire. Histoire littéraire de la prédication, 1894 Brischar, J . N., Die katholischen Kanzelredner Deutschlands seit den letzten Jahrhunderten. 5 Bd.e, 1867—71 Caplan, H., Mediaeval artes praedicandi, 1934—36 Charland, Th.-M., Artes praedicandi. Contribution à l'histoire de la rhétorique au moyen-âge, 1936 Christlieb, Th., Geschichte der christlichen Predigt (Herzogs Realencyklopädie, 2. Aufl. 18. Bd.), 1906/8 Cruel, R., Geschichte der deutschen Predigt im Mittelalter, 1879. Neudruck 1966 Drews, P., Die Predigt im 19. Jahrhundert, 1903 Flügge, Ch. W., Geschichte des deutschen Kirchen- und Predigtwesens. 2 Bd.e, 1800 Hering, H., Die Lehre von der Predigt. 1. Hälfte: Geschichte der Predigt, 1905 Kehrein, J., Geschichte der katholischen Kanzelberedsamkeit der Deutschen von der ältesten bis zur neuesten Zeit. 2 Bd.e, 1834 Langlois, Ch.-V., L'éloquence sacrée au moyen âge I, 1893 Lecoy de la Marthe, La chaire française au moyen âge, spécialment au X l I I e siècle d'après des manuscrits contemporains. 2. Aufl., 1886 Lentz, C. G. H., Geschichte der christlichen Homiletik, ihrer Grundsätze und der Ausübung derselben in allen Jahrhunderten der Kirche. 2 Teile, 1839 Linsenmayer, A., Geschichte der Predigt in Deutschland von Karl d. Gr. bis zum Ausgang des 14. Jahrhunderts, 1886 Marbach, J., Geschichte der deutschen Predigt vor Luther. 1.1, 1874 Nebe, A., Zur Geschichte der Predigt. Charakterbilder der bedeutendsten Kanzelredner. 3 Teile, 1879 Nickel, M. A. — Kehrein, J., Die Beredsamkeit der Kirchenväter. 4 Bd.e, 1844/45 Niebergall, A., Die Geschichte der christlichen Predigt. (Leiturgia, Handbuch des evangelischen Gottesdienstes, II, S. 182—353), 1955 Niebergall, F., Die moderne Predigt. Kulturgeschichtliche und theologische Grundlage. Geschichte und Ertrag, 1929

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Geschichte der christlithen Predigt

Owst, G. R., Preadiing in mediaeval England. An introduction to sermonmanuscripts of 1380—1450, 1926 Owst, G. R., Literature and Pulpit in Mediaeval England 2. Aufl. 1961 Rothe, R., Geschidjte der Predigt von den Anfängen bis auf Sdileiermadier, hrsg. von A. Tümpelmann, 1881 Sack, K. H., Gesdiidite der Predigt in der deutsdien evangelischen Kirche von Mosheim bis Menken. 2. Aufl. 1875 Schenk, C. G. F., Gesdiidite der deutsdien protestantischen Kanzelberedsamkeit von Luther bis auf die neuesten Zeiten, 1841 Schian, M., Gesdiidite der Predigt (Realencyklopädie für Prot. Theol. Bd. 15, S. 623—747; Bd. 24, 323—346), 1904 Schmidt, C. G., Gesdiidite der Predigt in der evang. Kirche Deutschlands von Luther bis Spener in einer Reihe von Biographien und Charakteristiken, 1872 Schneyer, J. B., Gesdiidite der katholischen Predigt, 1966 Schuler, Ph. H., Gesdiidite der Veränderung des Geschmacks im Predigen, insonderheit unter den Protestanten in Deutschland. 3 Teile, 1794 Stiebritz, L., Zur Gesdiidite der Predigt in der evangelischen Kirche von Mosheim bis zur Gegenwart, mit besonderer Berücksichtigung der Zeit von Sdileiermadiers Tod an, 1875 Stingeder, F., Geschichte der Schriftpredigt, 1920 Wintzer, F., Die Homiletik seit Schleiermacher bis zu den Anfängen der dialektischen Theologie, 1969 Zezschwitz v., G., Geschichte der Predigt (Zöcklers Handbuch der theol. Wissenschaft IV). 3. Aufl. 1890

PREDIGTSAMMLUNGEN die den Zugang zu den Quellen erleichtern: Die Predigt der Kirche. Klassikerbibliothek der christlichen Predigtliteratur, hrsg. v. G. Leonhardi und W. v. Langsdorf!, 32 Bd., 1888 bis 1905. E. Stähelin, Die Verkündigung des Reiches Gottes in der Kirche Jesu Christi, Zeugnisse aus allen Jahrhunderten und allen Konfessionen, 5 Bd., 1951—59. Bibliothek der Kirchenväter. Auswahl der vorzüglichsten patristischen Werke in deutscher Übersetzung, hrsg. v. Thalhofer, 80 Bd., 1868—88. Bibliothek der Kirchenväter hrsg. v. O. Bardenhever, Th. Schermann, J . Zeltinger, J . Martin, 61 Bd. und 2 Registerbd., 1911—30 und eine zweite Reihe hrsg. von O. Bardenhever, J . Zeltinger und J . Martin, 20 Bd., 1932—39. Sources chretiennes par H. de Lubac et J . Danillou, 176 Bde., 1955— 1971. ]. G. Altmann, Sammlung auserlesener Kanzelreden (Schweizer Prediger), 4 Teile, 1741 ff. Auserlesene Reden der Kirchenväter auf alle Sonn- und Festtage des christlichen Jahrs, 6 Bd., 1833/34. E. Bauer, Allgemeine Predigtsammlung aus den Werken der vorzüglichsten Kanzelredner zum Vorlesen in Landkirchen, 3 Bd., 1841—44. W. Beste, Die bedeutendsten Kanzelredner der Lutherischen Kirche, 3 Bd., 1841—44. Bibliothek deutscher Kanzelberedsamkeit, 1827 ff. Buch der Väter, hrsg. von W. Knevels, 1. Bd. 1929. C. P. Caspary, Briefe, Abhandlungen und Predigten aus den letzten 2 Jahrhunderten des kirchlichen Altertums und den Anfängen des Mittelalters, 1890. H. Leyser, Deutsche Predigten des 13. und 14. Jahrhunderts, 1838. H. Lietzmann, Kleine Texte für theologische und philosophische Vorlesungen und Übungen. Moderne Predigtbibliothek hrsg. von E. Rolffs seit 1902. R. Nesselmann, Buch der Predigten, Neue Ausgabe, 1862. E. Ohly und W. Rathmann, Pfarrbibliothek, Sammlung von Predigten und Reden in 46 Bänden. Postille, Predigtrufe aller Zeiten an unsere Zeit in kurzen Lesungen für Wochen-, Schul- und Hausandachten gesammelt von G. Petersmann-Borsdorff, 1927. Rheinwald und Pelt, Homiletische Bibliothek, 1829—32. Schleiniger, Muster des Predigers, Auswahl rednerischer Beispiele aus dem homiletischen Schatz aller Jahrhunderte. 2. Aufl. 1882

228

Gesdiidite der diristlichen Predigt

A. E. Schönbach, Altdeutsche Predigten, 3 Bd.e, 1886—91 H. A. Schott, Musterpredigten der jetzt bekannten ausgezeichneten Kanzelredner Deutschlands und anderer protestantischer Länder, 4 Bd., 1836/37 Stöckicht, Die christliche Predigt in der evangelischen Kirche Deutschlands, 3 Bd., 1876—80 Roß und Weiß, Bibliothek der katholischen Kanzelberedsamkeit, 12 Bd., 1829—32 Roß und Weiß, Neue Bibliothek der katholischen Kanzelberedsamkeit, 1834 ff.

Personenregister Abälard 54 A b r a h a m a. St. C l a r a 144 f. Absalom v. St. Viktor 55 A d i a r d v. Bridlington 56 A d a m v. Perseigne 55 Agricola J . 101 Ahlfeld Fr. 192 f . , 195 Alanus v. F a r f a 47 Alanus ab Insulis 53, 61, 85 Albert d. G r . 64 Alexander Halesius 64 Althaus P . 218 Ambrosius 34 ff., 37, 40, 44, 47, 49 Amsdorf N . 96 A m y r a u t M . 132 Anastasius Sinaites 25 A n d r e a e J . 108, 117 Andreas v. K r e t a 26 A n t o n i u s M . 51 Antonius v . P a d u a 65 f. Apollonius v. T h y a n a 6 Aristoteles 52, 54, 69, 76, 78, 80, 81, 86, 117, 129 A r n d t J . 123, 124, 125, 155 A r n o l d v . L ü t t i d i 64 Asterius v. Amasea 23 Asterius Sophistes 22 f. Augustin 36 ff., 40, 44, 45, 46, 47, 49, 53, 57, 58, 113, 138 Auzentius 36 Avenarius J . 109 Avicenna 86 Avitus v . Vienne 43 A v v a k u m 30 Baier J . W . 125 Balduin v . C a n t e r b u r y 56 Balduin F . 122 Barletta G . 80 Barrow Is. 136 Barth K . 217 f., 220 Basilius d. G r . 16 f . , 34, 36, 134 Basilius v . Seleucia 23 Bassermann H . 209 Baumgarten O . 212 Baumgarten S. J . 164 Baxter R . 136 Beck J . T . 197 f . Beda 46, 47, 48, 51, 52, 68 Bengel J . A. 151 f . , 154, 176, 197 Benz G . 216 f. Bernhard v. C l a i r v a u x S3 ff., 124 Bernhardin v . Siena 81 Berthold v. Regensburg 66 f . , 192 Bertrand v. Tours 65 Beysdilag W. 200 f.

Beza T h . 106 Bezzel H . 206 Biel G . 78, 88 Bitzius A . 203 Bizer E . 99 Blarer A . 106 Blumhardt C h . 216, 217 Böhme J . 154 Bonaventura 65, 89 Bonifacius 46 Bonner C . 9 Bornemann W. 211 Borromaeus K . 111 Borstius J . 131 Bossuet J . B. 137, 138, 139, 164 Bourdalou L . 139 Breitinger J . J . 130 Brenz J . 96, 97, 98, 99 Brunner E . 220 Brunstäd F. 218 Bucer M . 106 Buchwald G . 90 Bugenhagen J . 90, 94, 96, 98 Bullinger H . 106 f . , 218 Bunyan J . 136 Burggraf J . 215 Burk P h . D . 152 Caesarius v . Arles 43 ff., 47, 48, 51 Caesarius v. Heisterbadi 50 C a l a m y E . 136 C a l v i n J . 103 ff. Canisius P . 115 C a p l a n H . 62 C a r p z o v J . B. 119, 121, 124 f . , 128 Casutt L . 66 C h a r l a n d C h . 62 Chemnitz M . 109 Chrysostomus 15, 18 ff., 23, 30, 40, 47, 57, 113, 134, 138, 164 Chytraeus D . 117 Cicero 37, 41, 77, 81, 116, 129 C l a r k e S. 136, 162 C l a u d e J . 132 ClemensDrief, zweiter 8 C l e o p a t r a 51 Coccejus J . 130, 131, 183 Codiläus J . 95 Collenbusch S. 176 Condé 138 C o n r a d P . 208, 211 Cordes M . 123 Corvinus A . 96, 98, 99 Cramer J . A . 163 f. Cremer H . 207 Cruciger K . 91

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Personenregister

Cusanus N i k . 78, 89 C y p r i a n 8, 37 Cyrill v. Alex. 23 Cyrill v . Jerus. 18, 23 D a i l l i J . 132 D a n i i l o u J . 22 D a n n e n h a u e r 120 Demetrius 6 Demosthenes 129, 185 Descartes 133 Dibelius O . 218 Dietrich 121 Dietrich V . 91, 98 Dio v. Prusa 6 Dörries B. 210 Dörries H . 22 D o r m i secure 73, 99 Draeseke J . H . B. 180 ff. Drews P . 211, 212, 214 Drexel 122 D r y a n d e r E . 208 Dubosc P . 133, 137 Dungersheim H . 77, 88 Eck J . 112 Eckehart 70 ff. Eckert A . 214 E f r a e m d. Syrer 21 f. E^ino v. Verona 47 Eisengrein M . 112 Erasmus v. R o t t e r d . 53, 113, 116 Ernaldus v. Bonneval 56 E r t l I . 142 Ewald J . L. 168 Faustus v. Reji 43 Feinler 123 Fendt L. 218 Finelon F. 138 Ferrer Vine. 80 f. Ferus J . 113 Feudit J . 114 f. Feuerlein 121 Fezer K . 219 Flacius M . 114 Förster H . 205 Förster J . 119 Frandte A . H . 146 f., 149 f., 159, 196 Frater Ludovicus 69 Frenssen G . 214 Fresenius J . P h . 147 Freylinghausen J . A . 150 f. Friedrich I I . 135, 162, 163, 169, 180 Friedrich Wilhelm I . 160 Friedrich Wilhelm I V . 193 Fröschel S. 98, 99 Frommel E . 194, 195 Frommel M . 194 Frommel O . 214 f. Füllkrug G . 214 Fulco v. Neuilly 58 Garnerius v. R o d i e f o r t

56

Gaudentius v. Brescia 32 G e b h a r d t H . 214 Geier M. 127 f. Geiler v. Kaisersberg 83 f., 89 Geliert C. F. 163, 167 Gennadius 33 Georg v. A n h a l t 98 Georgios v . N i k o m e d . 27 G e r h a r d J . 124, 125, 126 Germanus I . 26 Germanus I I . 29 Germinianus Monacensis 143 Gerok K . 193 f., 195 Gesta R o m a n a 75 Geyer C h . 209 f . Gigas J . 108 Gilbert de la Poree 54 G l a ß S. 122 G ö r n a n d t W. 218 Goethe W. 165, 186, 191, 194, 196, 215 G o ß n e r J . E . 201, 204 f. Gottsched J . C h . 160, 163, 164 Graeculus 69 Gregor v. Eliberis 32 f. Gregor d. G r . 45 f., 46, 47, 48, 49, 50, 57, 58, 61 Gregor v . N a z i a n z 16, 17 f. Gregor v. Nyssa 18, 22 Gregorios P a l a m a s 29 Gr e te r 96, 97 Grieshaber F. K . 51 Gritsch J . 88 Groenewegen H . Y . 131 G r o o t e G . 84 Gros E . 214 Guibert v. N o g e n t 53 Guido v. E v r e u x 79 Guillermus 73 H a a s N . 122 H a b e r m a n n J . 109 H a r t e r J . A . 169 H a h n J . Z . 169 H a h n P h . M . 154 H a h n T r . 218 Haistulf 48 H a m a n n J . G . 176 H a r l e ß A . 188 f. H a r m s Cl. 183 f., 190 H a r m s L . 189 f. H a r n a d c A. 11 H a y m o v. Auxerre 48 H e e r m a n n J . 124, 126 f. H e i m K . 212, 213 H e i n r i d i v . Friemar 69 Heibig J . L . 142 H e i d i n g M . 113 f. H ^ l i n a r d v. F r o i d m o n t 56 H e n h ö f e r A. 205 Herberger V . 124, 125 f., 192 H e r d e r J . G. 168, 174 f., 181 Hering H . 5 H e r m e l i n k A. 199 H e r r n s d i m i d J . D . 146

Personenregister Hesselbadier K . 214 Heßhusius Tilemann 108 Hieronymus 8, 11 f., 40 f., 46, 49, 51, 87, 89 Hilarius v. Poitiers 12 Hilgenfeld A. 11 Hirsch E . 218 Höger F. 141 Hofadter L. 182 Hoffmann H . 195 Hoffmann W. 193 Hoffmeister J . 113 Holl K . 218 Hollebek E . 131 f. Hollen G. 79 Holtzmann H . J . 209 Honorius Augustodunensis 48 f. Hoppenrodt A. 109 l'Houet A. 214 Hrabanus Maurus 37, 47 Hueber F. 141 Hülsemann J . 119 Hugo T. St. Cher 64 Hugo v. St. Victor 55 Humboldt A. 17 Humbert de Romanis 61 Hunnius Aeg. 110, 117 Hus J . 85, 87 f . Hyperius A. 116, 117 Ihmels L. 206 Ilarion 30 Isidorus Glabas 29 Isidor v. Sevilla 57 Ivo v. Chartres 57 Jacobus v. Vitry 63 f. Jacobus de Voragine 65 Jatho K . 215 Jerusalem Fr. W. 163, 165 Johann v. Sterngassen 73 Johann v. Werden 73 Johannes I X . Agapetus 28 Johannes Bromyard 74 Johannes v. Capestrano 81 Johannes Damascenus 26 Johannes v. Galles 62 Johannes v. St. Geminiano 74 Johannes Halgrinus von Abbatisyilla 63 Johannes Mauropus 28 Johannes Militius Kremsier 87 Johannes v. Thessalonidi 25 f. Johannes Xiphilinus 28 Johannikij Galjatrovski 30 Jonas J . 94 Jordan v. Quedlinburg 69, 77 Jordan v. Wasserburg 141 Jung Stilling 168 Justin 8 Kaftan J . 211 Kalthoff A. 215 Kant I. 170, 196

231

Karl d. Gr. 46 Kawerau G. 211 Kettler W. E . 205 Kindervater 170 Kirdibadi 120 Kirill v. Turov 30 Klopstodc F. G. 163 Knall G . 197 Kögel R . 194 f. Kohlbrügge H. Fr. 192 Konrad v. Brundelsheim 68 Konrad Holtnickcr 68 f. Konrad v. Waldhausen 86 f. Konstantin d. Gr. 13, 36, 86 Konstantin V I I . Porphyrogennetos 27 f. Krause J . Fr. 169 Krummacher G. D . 183, 191 Krummadier F. W., 190 f. Kuppit 51 Kutter H . 217 Lampe Fr. A. 130, 183 Lang H . 203 Lange J . 146 Lavater J . G. 168, 173 f. Leo d. Gr. 42 f . , 47, 51 Leon V I . 27 Leibniz G . W. 196 Leyser P . 109, 110 f. Liberius 35 Lindl I. 204 Link W. 98 Löhe W. 187 f., 206 Lösdier V. 90, 119, 120 Loofs F. 211 Lothar 48 Lucian 6 Ludwig X I V . 137, 139 Ludwig v. Granada 112 Luthardt Ch. E . 190 Luther M. 90 ff., 96, 98, 108, 109, 149, 153, 164, 175, 192, 194, 210, 218 Major G. 97, 117 Malebrandie N . 133 Makarius d. Aegypter 22 Marcellina 35 Marezoll J . G. 167 f. Marquard v. Lindau 73 Martin v. St. Léon 57 Massillon J . B. 135, 139, 185 Mathesius J . 100 f. Mauritius Nattenhusanus 141 Mauritius v. Sully, 57, 58 Maximus v. Turin 33, 34, 47, 48, 51 Meffreth 73 Meier G. Fr. 160 Mel K . 130 Melandjthon Ph. 94, 97 f., 116, 117, 164 Melito v. Sardes 9 ff., 23 32 Menken G. 175, 176 f., 186 Menot M. 80

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Personenregister

Menzel H . 109 Mestrezet J . 132 Meyer J . 219 M e y f a r t J . M . 124, J27 Michaelis W . 218 Mingana A . 18 Mörlin J . 101 M o r i n G . 40, 43 Mosdie G . C h . B. 168 Mosheim J . L . 135, 151, 160 ff., 163 Mülensiefen J . 201 Müller H . 123, 128 f . , 192 Müller J . 200 Musculus A . 109 N a d l e r J . 140 N a p o l e o n 180, 182 N a u m a n n F r . 215 N a u s e a F. 113 Nicolai P h . 123 f . , 124 Niebergall A . 5 Niebergall F . 206, 210 N i k e p h o r u s Chumnus^ 29 N i k e t a s v . Paphlagonien 28 N i k o l a u s v . Byard 74 Nikolaus T. Dinkelsbühl 78 f. N i k o l a u s T. L a n d a u 69 N i k o l a u s L y r a 65 N i k o l a u s de Pressorio 63 Nitzsch K . I . 198 ff. N o v a t i a n 32 ö k o l a m p a d J . 105 ff. ö t i n g e r F. C h . 1S4 f . , 176, 197 O k t a v i a a 51 O p o r i n J . 160 Origenes 11 ff., 32, 36, 40, 41, 44, 47 Oslander L. 110, 117 O t t o v . Freising 55 d ' O u t r a i n J . 131 O v i d 58, 69, 88 Palladius 50 Pancratius A . 107, 108, 117 P a n k O . 208 P a r a t u s 73 Pauli S. 110 Paulus Diaconus 47 Peregrinus v . O p p e l n 68 Peregrinus Proteus 6 Pestalozzi 168 Peter d. G r . 30 P e t r i L. A . 190 Petrus v. Blois 58 f. Petrus C a n t o r 58 Petrus v. Celle 57 Petrus Comestor 59 Petrus Lombardus 57, 87 Petrus v. R a v e n n a 41 f . , 138 Pezel C h . 97 Pfeiffer F. 66 Pfenningsdorf E . 219 Philagetos 28 P h i l i p p d. Kanzler 64

Philo 36 Photius 27 Physiologus 50, 52, 68 P l a t o 54, 80 P o a d i A . 91 Poliander J . 90 Pollicarius 97 Poole M . (Polus) 132 Pomerius J . 43 Proclus v. Konst. 23 Prokopios 27 Prokopius v. Templin 141 PseudoCyprian 10 f. Q u a r a d i i 65 Q u i n t i l i a n 77, 116 R a d e M . 218 Radulphus Ardens 58 Ragaz L . 217 Raguenier D . 104 Raimundus Lullus 65 Rambach J . J . 120, 147, 151 Rausdier W. 141 Rebhan N . 119 Reinbedt J . G . 159 f. R e i n h a r d F. 172 f. Rendtorff F. 218 R e p e r t o r i u m aureum 75 Reudilin J . 77 Reyländer M . 201 Rhegius Urbanus 96 Richard F i t z r a l p h v . A r m a g h Richard M . 22 Richard v. St. Victor 55 Riditer H . 218 Richter L . 200 Rieger G . C . 153 Riemer 120 Ritsehl A . 153, 210 f . Rittelmeyer F. 209 f . R i t t e r K . B. 218 Robert v. Sorbon 64 R ö h r J . F r . 186, 191 R ö r e r G . 90, 91 Rosenmüller G . 169 R o t h St. 90, 91 R o t h e R . 5, 200 R o t t m a n n e r O . 205 R u 6 n 12, 44 Sack F r . W . 162 f . Sadcmann J . 123 Sailer J . M. 204 Salzmann C h . G . 168 Sarcerius E . 101 Satyrus 35 Saurin J . 133 f. Savonarola H . 81 ff. Scherer G . 115 Sdiian M . 5 , 206, 219 Schiller F. 196, 215 Sdilatter A . 212 f.

Personenregister Schleiermacher F. E . D . 175, 177 f., 182, 183, 186, 193, 198, 199, 201, 202, 209, 211 Sdileupner Ch. 107, 119 Sdilez J . F . 169 Schmittnenner A . 214 f. Schmutzer L . 142 Schneider J . 218 Sdineyer J . B. 5 Schreiner H . 218 Schuppius B . 127 Schwarz K . 202 f. Scriver Ch. 123, 124, 128 Scultetus A . 130 Selhamer Ch. 142 Selnedcer N . 108 Sensatipredigten 73 Serapion v. Vladimir 30 Seuerus v. Ant. 25 Seuse H . 72 Severianus v. Gabbala 23 Skard E . 22 Smend J . 218 Smijtegeld B . 131 Soccus 68 Sophronius v. Jerus. 25 Spalding J . J . 164 f., 174 Spangenberg A . G . 156, 157 Spangenberg C . 100, 109 Spangenberg J . 98 Spener Ph. J . 125, 146, 147 ff. Spinoza B. 196 Spurgeon C . H . 134 Stählin W. 218 Stange C . 211 Stephan v. St. Geneviève 57 Stephan v. Langton 59 Stein Frhr. v. 180 Steinbedt J . 219 Steiner R . 209 Steinmeyer F . 201 f. Sterne L . 135 Stillingfleet E . 136 Stockmann 122 Stodcer A . 207 f. Stolz I. J . 169 Strauß D . F . 204 Strigenitz G. 110 Strobl A . 143 Strobl J . 66 Surgant J . U . 78 Sustmann 120 Swedenborg E . 154 Symeon v. Mesopotamien 22 Tacitus 190 Tauler J . 72, 124 Taylor J . 134 Teller W. A . 166 f. Tersteegen G . 183 Tertullian 8

Testuz M. 9 Theodor v. Mopsuestia 18 Theodoros Studites 27 Theodosius d. G r . 35 Theophanes Kerameus 28 Theremin F. 185 Tholudc F . A . G . 196ff.,200, 208 Thomas v. Aquino 64 Thomas Ebendorfer 79 Thomas A . Kempis 84, 124 Thomasius Ch. 159 Thomasius G. 189 Til Sal. van 131 Tillotson J . Iii, 162, 164 Titius 122 Thurneysen E . 218 Tolzien G. 218 Trithemius J . 77 Udteley A . 211 Uhlhorn G . 190 Valentinian I I . 35 Veghe J . 84 f. Veith J . E. 205 Villecourt 22 Vitas patrum 49 f., 52, 68 Voetius G. 131 Voltaire 135, 139, 175 Waidling Ch. 122 Waither W. 206, 207 Weise Ch. 122 Weller J . 120 Wenger A . 19, 207 Werner v. Ellerbach 49, 51 Wesley J . 158 Westermann A. 131 Whitefield G . 158 f. Wichern J . H . 210 Widerer P . E . 123 Wiegand F . 47 Wilhelm v. Auvergne 60 f. Wilhelm v. Paris 73 Wilhelm Perald 74 Wilmart A . 32 v. Windheitn 160 Witzel G . 114 Wölfflin H . 140 Wolff Ch. 151, 159, 160, 163, 164 Wrede W. 206 Wurster P. 218 Wyclif J . 85 f., 87 Zeno v. Verona 31 f . Zepper W. 117 Zerrenner H . G . 168 Zinzendorf N . L . v. HS ff., 182 Zollikofer G . J . 165 f . Zurhellen O . 210 Zwingli U . 101 ff.

233

w DE

G

Walter de Gruyter Berlin-New York Sammlung Göschen

M. Dibelius

M. Dibelius

F. Lau R. Stupperich

Jesus

4. Aufl. m. e. Nachtrag von W. G. Kümmel 140 S. 1966. DM 4,80 (Bd. 1130)

Paulus

Nach d. Tode des Verf. hrsg. u. zu Ende gef. von W. G. Kümmel 4., verb. Aufl. 157 S. 1970. DM 4,80 (Bd. 1160)

Luther

2., verb. Aufl. 153 S. 1966. DM 4,80 (Bd. 1187)

Melanchthon

139 S. 1960. DM 4,80 (Bd. 1190)

F. SchmidtClausing

Zwingli

W. Neuser

122 S. 1971. DM 5,80 (Bd. 3005)

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Friedrich Schleiermacher, Leben und Werk (1768-1834)

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320 S. Mit 3 Bildn. 1968. DM 7,80 (Bd. 1177/1177 a) H. Gerdes

Sören Kierkegaard, Leben und Werk

134 S. 1966. DM 4,80 (Bd. 1221)

K. Onasch

Einführung in die Konfessionskunde der orthodoxen Kirchen

291 S. 1962. DM 7,80 (Bd. 1197/1197 a) W. Nagel

Geschichte des christlichen Gottesdienstes

2., verb. u. erw. Aufl. 258 S. 1970. DM 7,80 (Bd. 1202/1202 a)

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Der W e g Jesu Eine Erklärung des Markus-Evangeliums und der kanonischen Parallelen 2., durchges. u. verb. Aufl. Okt. XIV, 594 S. 1968. Geb. DM 3 8 . -

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Homiletik 2., neubearb. Aufl. Okt. X, 147 S. 1970. Geb. DM 1 6 , -

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Geschichte Israels von den Anfängen bis zur Zerstörung des Tempels (70 n. Chr.) 2. Aufl. 158 S. 1970. DM 7,80 (Bd. 231/231 a)

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Die Kirche in der antiken Welt

aus dem Englischen übersetzt VI. 382 S. 1972. DM 9,80 (Bd. 7002)

Römische Religionsgeschichte 2 Bde. 2., umgearb. Aufl. I: Grundlagen und Grundbegriffe 116 S. 1956. DM 4,80 (Bd. 1035) II: Der geschichtliche Ablauf 164 S. 1956. DM 4,80 (Bd. 1052)

D. Schiingioff

Die Religion des Buddhismus 2 Bde. I: Der Heilsweg des Mönchtums 122 S., 11 Abb., 1 Kte. 1962. DM 4,80 (Bd. 174) II: Der Heilsweg für die Welt 129 S., 9 Abb., 1 Kte. 1963. DM 4,80 (Bd. 770)