Pop Insights: Bestandsaufnahmen aktueller Pop- und Medienkultur [1. Aufl.] 9783839407301

Dieser Band vereint sowohl Beiträge von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern als auch von renommierten Experten und

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German Pages 152 Year 2015

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Table of contents :
Inhalt
Das NOW-Projekt – Zur Entstehung dieser Publikation
Musikland Deutschland – Zwischen Bach und Baglama
Zum Verhältnis von Pop und Politik – Ein Streifzug von den 1960er-Jahren bis heute
Heimatklänge – Lokale Popmusik und transkulturative Prozesse
Persönlichkeit und Verhalten der Fans von Hard Rock, Punk und Gangsta Rap. Eine Gegenüberstellung empirisch-sozialpsychologischer Befunde und kulturwissenschaftlicher Erkenntnisse
„Seeing Is Believing“ – Zur Rolle von Musik in den Medien
M(y)TV – Bekenntnisse und Erkenntnisse eines TV-Produzenten
Musik und Mobile Entertainment
Texte zur Zeit – Gegenwart und Gegenwärtigkeit in der Literatur
NOW: – Theologische Zugänge zu einer popkulturellen Kategorie
Wen oder was sucht Deutschland?
Register
Autoren
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Pop Insights: Bestandsaufnahmen aktueller Pop- und Medienkultur [1. Aufl.]
 9783839407301

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Thomas Krettenauer, Michael Ahlers (Hg.) Pop Insights

Thomas Krettenauer (Dr. phil., M.A.) lehrt als Professor für Musik und ihre Didaktik an der Universität Paderborn. Darüber hinaus ist er Studiengangsleiter des Studiengangs »Populäre Musik und Medien«. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Musik und neue Medien, Geschichte und Didaktik populärer Musik, neue Vermittlungsformen historischer Musik, Filmmusik, Didaktik und Methodik der Pop/Rockmusik und Interkulturalität. Michael Ahlers arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand an der Universität Paderborn in der Betreuung des Studiengangs »Populäre Musik und Medien«. Seine Arbeitsschwerpunkte sind populäre Musik, empirische Untersuchungen Neuer Medien, das Internet als Distributions- und Geschäftsmodell für Musik des 21. Jh., regionale Musikkulturen, Musikpädagogik.

Thomas Krettenauer, Michael Ahlers (Hg.) Pop Insights. Bestandsaufnahmen aktueller Pop- und Medienkultur

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2007 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: © Michael Ahlers & Adelheid Rutenburges Lektorat & Satz: Michael Ahlers Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-730-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt Das NOW-Projekt – Zur Entstehung dieser Publikation ............................................6 Thomas Krettenauer / Michael Ahlers

Musikland Deutschland – Zwischen Bach und Baglama......................................................7 Christian Höppner

Zum Verhältnis von Pop und Politik – Ein Streifzug von den 1960er-Jahren bis heute ......................25 Martin Büsser

Heimatklänge – Lokale Popmusik und transkulturative Prozesse ....................35 Andreas Meyer

Persönlichkeit und Verhalten der Fans von Hard Rock, Punk und Gangsta Rap. Eine Gegenüberstellung empirisch-sozialpsychologischer Befunde und kulturwissenschaftlicher Erkenntnisse .............47 Jan Hemming

„Seeing Is Believing“ – Zur Rolle von Musik in den Medien.........................................63 Christoph Jacke

M(y)TV – Bekenntnisse und Erkenntnisse eines TV-Produzenten .........81 Stephan Faber

Musik und Mobile Entertainment............................................87 Andreas Runte

Texte zur Zeit – Gegenwart und Gegenwärtigkeit in der Literatur .................95 Charis Goer

NOW: – Theologische Zugänge zu einer popkulturellen Kategorie .113 Harald Schroeter-Wittke

Wen oder was sucht Deutschland? .......................................133 Thomas M. Stein

Register ....................................................................................141 Autoren....................................................................................145

Das NOW-Projekt

Von der Idee zum Sammelband Die vorliegende Publikation ist entstanden aus einem interdisziplinären und praxisorientierten Seminarprojekt mit dem Titel „NOW:“, das von den beiden Herausgebern zusammen mit dem Leiter der Paderborner „Schule für Musik e.V.“, Ferdinand Heggemann, im Wintersemester 2005/2006 an der Universität Paderborn initiiert wurde. Ziel des NOW-Projektes war und ist es, zum einen den unterschiedlichen kulturwissenschaftlichen Fachdisziplinen, die mit den vielfältigen Erscheinungsformen populärkultureller Gegenwartsphänomene befasst sind, eine gemeinsame Kommunikations- und Diskursplattform zu bieten. Zum anderen ging es den Projektinitiatoren explizit darum, in das kulturwissenschaftlich orientierte Diskussionsfeld gleichermaßen „Praxisschnittstellen“ zu implementieren, um namhafte Experten und Kreativkräften aus der (Pop-)Musik- und Medienbranche gleichberechtigt am theoriegeleiteten wissenschaftlichen Erkenntnisprozess zu beteiligen. An der Universität Paderborn wird in kooperativer Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik Detmold seit nun drei Jahren der bundesweit einzigartige Bachelor-/Masterstudiengang „Populäre Musik und Medien“ angeboten. Die Studierenden erhalten im Rahmen ihrer grundständigen wissenschaftlichen Ausbildung sowohl Vorlesungen und Seminare in den Fächern Musikwissenschaft, allgemeine Musiklehre und auch Musikproduktion. Weitere Bestandteile des Pflicht-Curriculums sind Veranstaltungsangebote aus den Bereichen Medienwissenschaft, Kultur- bzw. Musikmanagement und Business Englisch. Im Laufe der Jahre wurde der Wunsch laut, das Angebot an zeitaktuellen Impulsen aus der Musik- und Medienpraxis sowie aus anderen Wissenschaftsdisziplinen zu intensivieren, was anfangs innerhalb der studentischen Initiative „PMBA meets business“ durch gelegentlich eingeladene Gastreferenten verwirklicht wurde. Das NOW-Projekt hat diese Idee der verstärkten Praxis- bzw. Berufsfeldorientierung aufgegriffen, aber dahingehend modifiziert, dass die nunmehr regelmäßig stattfindenden Vortragsreihen externer Fachreferenten/innen und Wissenschaftler/innen der Universität Paderborn unter dem Motto „Gegenwartsfragen zur Populären Musik im interdisziplinären Dialog“ thematisch stärker konzentriert und

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POP INSIGHTS

profiliert werden.Seinen spezifischen Charakter erhält das NOWProjekt indes nicht allein dadurch, dass renommierte Fachleute aus den Bereichen Popmusik-/Medienforschung, Musikindustrie, Musik/Medienpraxis und Journalismus zu gegenwartsnahen Sachfragen Stellung beziehen. Ebenso relevant für den berufsqualifizierenden Wissens- und Kompetenzerwerb der Studierenden sind deren begleitende Aktivitäten bei der Konzeption und Realisation des Projekts, indem sie an der Organisation und Akquisition der Fachvorträge maßgeblich beteiligt sind. Darüber hinaus dienen die durch Fachvorträge und anschließende Diskussionsrunden gewonnenen Erkenntnisse [Insights] zugleich dazu, sowohl studentische Forschungsarbeiten zusätzlich anzustoßen als auch musik- bzw. medienpraktische Gestaltungsprozesse produktiv in Gang zu setzen. So bildeten die bereits im WS 2005/06 gehörten Vorträge von Martin Büsser, Charis Goer, Thomas M. Stein, Christian Höppner und anderen den gedanklich-thematischen Ausgangspunkt für die Multimedia-Performance „be Pop“, bei der Gruppen von Studierenden in Form von Videoproduktionen, Animationen, Live-Musik-Darbietungen und Moderation eigene und eigenwillige Antworten auf die Frage gaben: „Was ist Pop?“. Auf eine Darstellung und kritische Reflexion der künstlerisch-musikpraktischen Projektergebnisse musste im Rahmen vorliegender Publikation verzichtet werden, doch bietet die Studiengangs-Homepage (http://groups.uni-paderborn.de/musik/pmm/index.php) interessierten Leserinnen und Lesern die Möglichkeit, sich hiervon einen Eindruck zu verschaffen. Ausgehend von der ursprünglichen Projektidee, gleichermaßen Fachwissenschaftler als auch Berufspraktiker aus der Musik- und Medienbranche zu Wort kommen zu lassen, liegt es in der Natur der Sache begründet, dass der vorliegende Sammelband verschiedenartige methodisch-argumentative Blickrichtungen und dementsprechend konzipierte Textsorten vereint. Die textuelle Vielfarbigkeit wurde von den Herausgebern jedoch bewusst beibehalten, um einerseits die implizite Ergebnisoffenheit des Projektgedankens auch publizistisch zu dokumentieren. Andererseits soll damit akzentuiert werden, dass der Versuch einer wirklichkeitsgetreuen Bestandsaufnahme gegenwärtiger popmusik- und medienkultureller Entwicklungsphänomene einhergeht mit einer schier unüberschaubaren Fülle heterogener wissenschaftlicher, journalistisch-essayistischer und pragmatischer Denk- bzw. Sichtweisen. Überdies sei darauf hin-

VORWORT

gewiesen, dass der Doppelpunkt hinter dem Projekt-Titel „NOW:“ gleichsam programmatisch-appellativen Charakter besitzt: Er öffnet Freiräume zur kritischen Reflexion, provoziert eigenwillige Standpunkte und Gedankenspiele oder gibt – wie in den Textbeiträgen von Charis Goer und Harald Schroeter-Wittke – Anlass dazu, grundsätzliche Überlegungen zur Bedeutung von Gegenwart, Gegenwärtigkeit und Zeitwahrnehmung im Produktions- und Rezeptionsprozess heutiger popkultureller Erzeugnisse anzustellen. Den Projektinitiatoren und Herausgebern ist es nicht nur ein Anliegen, sich bei den beteiligten Fachreferentinnen und -referenten für ihr Bemühen und ihr Entgegenkommen herzlich zu bedanken. Ein besonderes Dankeschön geht ebenfalls an die große Zahl der aktiv teilnehmenden Studierenden, die mit schier unermüdlichem Einsatzwillen und Sachinteresse maßgeblich zum erfolgreichen Gelingen des Projekts und den dabei erzielten Ergebnissen beigetragen haben. Dass derart aufwändige [und kostspielige] Projekte selbstverständlich nicht ohne die bereitwillige Unterstützung von Dritten zu realisieren sind, darf an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Deshalb sei hier dem Rektorat der Universität Paderborn, namentlich Herrn Prof. Dr. Nikolaus Risch, Herrn Hans Behringer von E.ON-Westfalen-Weser, sowie Frau Kemper, Herrn Zelder und Herrn Baining vom Stadtmarketing Paderborn für ihre Aufgeschlossenheit und ihr unterstützendes Engagement ausdrücklich gedankt. Paderborn, im Dezember 2006

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Musikland Deutschland – Zwischen Bach und Baglama Christian Höppner Das Musikland Deutschland genießt im Ausland nach wie vor ein ungeheures Ansehen. So schätzt man unsere herausragenden Komponisten und Interpreten und lobt unsere „unglaubliche Orchesterdichte“. Wenn mit Bewunderung von der „Kulturnation Deutschland“ gesprochen wird, so bezieht sich dies nicht nur auf das klassische Erbe, sondern schließt auch aktuelle Musikrichtungen ein – sei es im populären Bereich oder in der zeitgenössischen Musik. Man könnte also den Eindruck bekommen, als habe Deutschland noch immer eine hervorragende kulturelle Infrastruktur. Dies ist auch auf den ersten Blick, trotz der Kürzungen der letzten Jahre und vor allen Dingen dank der Wiedervereinigung (man darf nicht vergessen, dass die DDR kurz vor der Wende die höchste Orchesterdichte der Welt besaß), immer noch so. Doch ich wage zu behaupten, dass die aktuelle Lage des Musiklandes Deutschland schlechter ist als sein Ruf. Der Deutsche Musikrat sieht sich als Teil unserer Gesellschaft in der Mitverantwortung für die aktuellen und kommenden gesellschaftlichen Entwicklungen. Das Leitmotiv Musik beschreibt die Wirkungskraft der Musik und den Anspruch an die gesellschaftliche Wirksamkeit des Deutschen Musikrates. Diese Wirksamkeit bezieht er zum einen aus der Erfahrung, dem Wissen und dem Engagement seiner Mitglieder und zum anderen aus der Orientierung seiner musikpolitischen Arbeit an der gesellschaftlichen Entwicklung. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit soll im Folgenden die Bandbreite der Themen dargestellt werden, die der Deutsche Musikrat kritisch begleitet und die meine eingangs beschriebene skeptische Sicht auf das Musikland Deutschland verdeutlichen soll. Der Titel meines Vortrages „Musikland Deutschland – zwischen Bach und Baglama“ markiert die Spannbreite zwischen kulturellem Erbe und dem Reichtum kultureller Vielfalt, die wir durch die Kultur der Migrantinnen und Migranten in Deutschland erleben können. Die türkische Langhalslaute Baglama kommt aus der Familie der Saz-Instrumente und ist das Nationalinstrument

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der türkischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, sowohl in der Volksmusik als auch in der Kunstmusik. In Berlin leben über 190 Nationalitäten. Es ist unsere Verantwortung, diese kulturelle Vielfalt als Reichtum und nicht als Bedrohung erfahrbar zu machen.

Musikalische Bildung Der Deutsche Musikrat versteht die musikalische Bildung als eine Teilmenge der musisch-ästhetischen Bildung, die wiederum eine Teilmenge der kulturellen Bildung ist. Angesichts der weit reichenden Bedeutung der musikalischen Bildung – gerade in der prägenden Phase von Kindern und Jugendlichen – hat der Deutsche Musikrat die Botschaft proklamiert, dass die musikalische Bildung bereits neun Monate vor der Geburt beginnt. Damit ist nicht die Unterstützung der Eltern gemeint, die so manche Studie dahingehend fehl interpretieren, dass durch eine möglichst frühzeitige Musikberieselung das Synapsenwachstum und damit die Intelligenz gefördert wird, sondern die möglichst frühe Erfahrung und Befähigung zum Musizieren zu eröffnen. Die Zahl der Eltern, die in den Musikschulsprechstunden nach Angeboten fragen, die sie selber zum Singen von Kinderliedern befähigen, nimmt zu. Ein Ziel des Deutschen Musikrates ist es, und das ist bisher unerreicht, dass jedes Kind unabhängig von seiner sozialen und ethnischen Herkunft die Chance haben muss, ein breites und qualifiziertes Angebot an musikalischer Bildung zu haben. Trotz des Wissens um die positive Wirkung von Musik und vom Musizieren für unsere Gesellschaft, für unser Zusammenleben, geht der Trend derzeit in eine andere Richtung! Diese Diskrepanz zwischen Sonntags-Reden und Montags-Handeln – jeder Politiker wird bestätigen, wie wichtig kulturelle, musikalische Bildung für unsere Gesellschaft ist, insbesondere für die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern in den Prägejahren bis zum etwa dreizehnten Lebensjahr – prägt leider zunehmen die musikpolitische Realität. Was sonntags als unverzichtbar für unsere Gesellschaft proklamiert wird, wird montags zu oft durch kurzsichtige Kürzungen ad absurdum geführt.

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Der Musikrat fordert dementsprechend nicht nur den Bedarf an musikalischer Bildung zu decken – eine manchem vielleicht als Utopie vorkommende Forderung in Zeiten, in denen der Zug genau in die andere Richtung fährt – sondern eine vermehrte Nachfrage zu wecken. Es ist unsere Verantwortung jedem Kind frühstmöglich einen breiten und qualifizierten Zugang zur Welt der Musik zu ermöglichen. Wenn wir nicht endlich begreifen, dass zum Menschwerden mehr als Lesen und Rechnen gehört verbauen wir den nachfolgenden Generationen ihr Grundrecht auf kulturelle Teilhabe und setzen zudem die Existenz unserer Gesellschaft aufs Spiel.

Musikalische Bildung 50 plus Der Deutsche Musikrat wirkt der Verknappung der musikalischen Bildung entgegen und setzt sich für eine mittelfristige Verbreiterung und Erhöhung der Mittel in diesem Bereich ein. Um Kreativ- und Erfahrungspotential auch gerade der älteren Generation nicht weiter brachliegen zu lassen bedarf es neuer, nachhaltiger Konzepte! Mit seinem Kongress „Es ist nie zu spät – Musizieren mit 50+“ im Sommer 2007 will der Musikrat diese Konzepte entwickeln und in die Praxis transferieren. Parallel dazu zielen wir schon jetzt auf eine Bewusstseinsbildung hin, die den demographischen Wandel weniger als gesellschaftliches Problem sieht denn als Chance für generationenübergreifende Modelle, die eben nicht nur gemeinsames Musizieren von Jung und Alt ermöglichen, sondern wo die gemeinsame Leidenschaft sogar der Impuls für gemeinsame Aktivitäten sein kann! Im ersten Schritt müssen hier durch die Schaffung von Barrierefreiheit den älteren Generationen Schwellenängste genommen werden.

Event-Kultur im Bildungsbereich So wichtig ein Impuls, eine Initialzündung für das Musizieren ist, so dramatisch ist es, wenn dieser erste Funke der Musikbegeiste-

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rung und Lernfreude nicht von einem breiten und nachhaltigen Fördernetzwerk getragen wird. In diesem Bereich haben sich in jüngerer Zeit viele neue Modelle verdient gemacht. Allen voran die Berliner Philharmoniker mit ihrem fantastischen EducationProgramm. Die Idee dazu wurde aus dem Orchester geboren und ist – ansehnlich von einer deutschen Bank gefördert – mittlerweile ein echter Image-Zugewinn. Die Kinder und Jugendlichen, die in dieser Produktion auf der Bühne standen – es waren bei dem „Sacre du Printemps“ etwa 200 Schulkinder – waren derart engagiert, dass es mir beim Ansehen einen Schauer über den Rücken trieb. Da waren Kinder auf der Bühne, die noch nie in ihrem Leben auf einer Bühne standen, die sich noch nie zur Musik bewegt haben und man sah, dass sie sehr glücklich waren. Diese Kinder erfahren so eine unglaubliche Erweiterung ihres eigenen Ichs, bekommen eine Ahnung dessen, wie erfüllend Musik sein kann. Wenn diese Kinder dann in ihrem Heimatbezirk zum Beispiel in Berlin Marzahn oder Hellersdorf – das sind typische „soziale Brennpunkte“ – an die Musikschultür klopfen, dann heißt es: „Tut uns leid, wir haben keinen Platz für dich zur Verfügung.” Das ist die Realität, die Enttäuschungen produziert und Lebenswege in der kulturellen Erfahrung verhindern. Hier setzt die Verantwortung des Staates ein, für eine nachhaltige Struktur zu sorgen und sie der Eventkultur entgegenzusetzen. Ausbildung muss immer eine langfristig angelegte Arbeit sein.

Musikvermittlung So wichtig das Engagement der Orchester und die damit vermittelten Impulse sind, so wenig können diese Events eine nachhaltige Struktur in der Ausbildung ersetzen. Diese Events taugen nicht als Pflaster auf der eitrigen Wunde einer desaströsen Bildungspolitik, welche die Mauern auf dem Weg zu kreativer Selbsterfahrung durch immer neue Kürzungen weiter wachsen lässt. Im Spannungsfeld von medialer Reizüberflutung, kommerziell begründeter Monotonie und ausfallendem Musikunterricht gewinnt die möglichst frühe Vermittlung musikalischer Vielfalt und des Umgangs mit Musik zunehmend an Bedeutung. Die

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Bandbreite, die sich aus dem kulturellen Erbe und der Vielfalt zeitgenössischer Ausdrucksformen ergibt, kann sehr individuelle Zugangsmöglichkeiten zur Musik eröffnen. Es steht in der Verantwortung aller politischen Entscheidungsträger, der Medien und der Musikschaffenden, möglichst differenzierte Zugänge zur Musik im Sinn einer humanen Gesellschaft zu ermöglichen. Dabei muss die Stärkung des Individuums im Vordergrund stehen. Vor allem die Ausbildungseinrichtungen müssen sich hier an die eigene Nase fassen. So ist zum Beispiel Musik die beliebteste Freizeitbeschäftigung von Kindern und Jugendlichen. Das Fach Musik in der Schule aber ist das unbeliebteste Fach. Wenn man nach den Ursachen forscht, kann man es eben nicht nur an der Tatsache festmachen, dass bis zu achtzig Prozent des Musikunterrichts ausfallen, sondern es liegt in der Tat an der Art und Weise, wie so ein sinnliches Fach wie Musik vermittelt wird. Die Hochschulen müssen durch stärkeren Praxisbezug in allen Bereichen der Musikausbildung einen Perspektivwechsel vollziehen und sich öffnen für neue Entwicklungen und Berufsbilder. Wir haben über 300 Ausdrucksformen von Jugendkultur und ghettoisieren sie in ganz wenige Kategorien. Das kann nicht gut gehen.

Kreativität In erster Linie hat der DMR die Daueraufgabe, Bewusstsein für den Wert der Kreativität zu wecken bzw. zu schärfen – denn Bewusstsein schafft Ressourcen. Ohne die Veränderung in den Herzen und Köpfen der Bürgerinnen und Bürger in ihrer Einstellung zu den Kreativitätspotentialen unserer Gesellschaft ist jede noch so engagierte Mitwirkung bei der Verbesserung von Rahmenbedingungen nahezu vergeudete Energie. So wichtig das Streiten um Wege und Ressourcen in unserer Demokratie ist – ohne den Konsens über Grundpositionen kultureller Werte enden viele Ideen und Initiativen in einer Sackgasse unverbindlicher Beliebigkeiten. Deshalb wird der DMR auf Dauer das Thema Kreativität, ein altes Thema in immer wieder neuem Gewand, in Verbindung zu den Schwerpunktthemen setzen. Kreativität ist eine der wertvollsten Ressourcen, die jedes Neugeborene mitbringt. Unsere

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Gesellschaft muss mehr Kreativität wagen und in die Potenziale von Kindern und Jugendliche investieren, wenn die Zukunftsfähigkeit unseres Landes gesichert werden soll. Die Musik ist der beste Weg, Kreativität zu wecken und zu (be-)fördern. Unsere Gesellschaft braucht tiefgreifendere Einsicht in den Wert der Kreativität, um endlich die Potenziale zu nutzen, die seit geraumer Zeit durch Kürzungen bei Bildung und Kultur, Überregulierung und Verschlechterung der Rahmenbedingungen in der musikalischen Bildung verrotten. Kreativität ist sozusagen der Schüssel zum immer wieder Neuen in der Welt. Zum Thema Kreativität haben wir das große Glück gehabt, im Jahr 2003 einen Kongress zum Thema „Musik bewegt“ veranstaltet zu haben. Dies ist seitdem das Leitmotiv des deutschen Musikrates. Johannes Rau hat daran maßgeblich mitgewirkt, viele Initiativen mit unterstützt und sich an vielen Stellen sehr eindeutig öffentlich zu diesem Thema geäußert. Die Veränderung beginnt in den Köpfen. Der Bundespräsident hat „nur” die Macht des Wortes. Aber unabhängig von seinem Status, wenn es so engagiert vermittelt wird wie von Johannes Rau, hat es dann eben auch eine Wirkung. Darüber hinaus hat es in vielerlei Fällen, da wo Kultur stattfindet – nämlich vor Ort auf der Kommunalebene – geholfen, das Thema der Gesellschaft näher zu bringen.

Interkultureller Dialog Mit der musikalischen Bildung eng verbunden ist das Engagement um das Themenpaar „Kulturelle Identität und Interkultureller Dialog“. Der Begriff „MultiKulti“ hat sich in vielen Lebensbereichen etabliert, ohne dass sich damit eine Begriffsschärfung verbindet. Die Bandbreite dessen, was mit diesem Begriff verbunden wird ist etwa so weit angelegt, wie die Bandbreite der Instrumentalisierung aus unterschiedlichsten Interessenlagen. Diese Entwicklung hat zu einem Gemischtwarenladen der Interpretationen geführt, der weder den jeweils damit verbundenen Zielen dient, noch die Nebelschwaden einer multikulti-seligen Begriffsverklärung lichten kann. Der Grund ist einfach: MultiKulti gibt es nicht. Jede Kultur lebt durch die Wahrnehmung und Selbstäußerung des Individuums. Die wahllose Vermischung kann nicht funktio-

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nieren, weil der Prozess kultureller Identitätsbildung ein langfristig angelegter und ein Leben lang wirkender Prozess ist. Somit ist MultiKulti ein Code für eine von vornherein gescheiterte Idee ohne Realitätsbezug. Die Wahrnehmung unterschiedlicher Identitäten kann nur über eine Position des „sich-selbst-bewusst-sein“ gelingen, denn wer sich des je eigenen nicht bewusst ist, kann das Andere nicht erkennen, geschweige denn schätzen lernen. Die Neugier und Offenheit jedes neugeborenen Kindes sind Chance und Verantwortung zugleich, dieses Selbstbewusstsein im Sinne einer breit angelegten und qualifizierten kulturellen Bildung zu entwickeln. Diese drei Grundpfeiler im Dialog der Kulturen, Selbstbewusstsein, Offenheit und Neugier sind uns weitgehend abhanden gekommen – nicht zuletzt weil wir im Umgang mit unserer jüngeren Geschichte beispiellose Verdrängungsmechanismen entwickelt haben. Ich kenne kein Land, das sich in seinem kulturellen Selbstverständnis derart zwischen Erinnerungskultur, Verdrängung und der Jagd nach einer „neuen“ Identität verfangen hat. Die leidigen Diskussionen zum Thema „Leitkultur“ haben gezeigt, wie eingeengt und tabuisiert diese Meinungsbildungen in der Öffentlichkeit stattfinden. In dem Spannungsfeld politischer Instrumentalisierungen, medialer Sensationsbefriedigung und Verdrängung geht der Blick auf gesellschaftliche Entwicklungen und Zusammenhänge verloren. Dieser Nachkriegszustand lässt sich nur durchbrechen, wenn kulturelle Selbsterfahrung und damit kulturelle Identitätsfindung ermöglicht und gestärkt werden. Wir haben – gerade in Berlin – eine Vielfalt der Kulturen. Wir haben die Möglichkeit, dass diese Kulturen sich begegnen. Es gilt also bei der Frage nach der kulturellen Identität und dem interkulturellen Dialog ein Bewusstsein für die Chancen zu schaffen. Der Deutsche Musikrat wird zu diesem Thema eine Fachtagung unter dem Titel „Musikland Deutschland: Wie viel kulturellen Dialog wollen wir?“ in Berlin veranstalten. Zudem ist der Wettbewerb „Jugend Musiziert“ in Berlin – und im Nachgang auch in Nordrhein-Westfalen – um die Kategorie „Baglama“ erweitert worden und weitere Instrumente werden noch hinzukommen. Das sind kleine Schritte, aber auch Signale.

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Populäre Musik Nicht nur in Hinblick auf den interkulturellen Einfluss sondern auch im Bereich der populären Musik als relevante zeitgenössische Ausdrucksform wird sich der Deutsche Musikrat und muss sich die öffentliche Wahrnehmung öffnen. Ich denke, es ist lediglich eine Frage der Zeit, bis man sich auf den Begriff zeitgenössische Ausdrucksformen – zumindest als inhaltliches Dach – sowohl für die Neue als auch für die populäre Musik einigen wird. Die noch bestehenden Grenzen, und Mauern sind nur kontraproduktiv. In seinen Wettbewerben öffnet sich der deutsche Musikrat langsam aber stetig immer m ehr der populären Musik. So gibt es bei „Jugend musiziert“ auf der Länderebene mittlerweile nicht nur die Wertungskategorien E-Gitarre, E-Bass oder Musicalgesang, sondern auch Deejaying.

Auswärtige Musikpolitik Politik und Kultur verbinden sich immer wieder zu einem neu kontrastierenden und dennoch eng verwobenen Gebilde. In dem Spannungsfeld von „L’art pour l’art“ und den Ansprüchen gesellschaftlicher Verwertbarkeit steht immer wieder die Frage der Ausbalancierung dieser beiden gegensätzlichen Pole. Ein Prozess, der stark vom Rollenverständnis der Kulturschaffenden und der Politikerinnen und Politiker geprägt wird. Dieser Verortungsprozess gerät im Zeitalter der Ökonomisierung menschlichen Denkens und Handelns mehr und mehr in eine Verwertungsfalle, weil sich eben nicht alle Grundlagen menschlichen Daseins als Bestandteil einer Nahrungskette darstellen lassen. Das Leitbild einer humanen Gesellschaft kann die Plattform der notwendigen Auseinandersetzung bilden – eine Auseinandersetzung, die stark von der Frage der Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung bestimmt wird. Dieses Bewusstsein gesellschaftlicher Mitverantwortung ist die Voraussetzung für ein sich täglich erneuerndes Miteinander. Dabei spielt der Blick nach innen und außen eine zentrale Rolle – das Kerngeschäft der auswärtigen Kulturpolitik. Die schmerzlichen Kürzungen der Regierung Schröder/Fischer verstellen den Blick auf die Notwendig-

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keit, die auswärtige Kulturpolitik als dritte Säule der Außenpolitik zu etablieren. Im Zeitalter der Nivellierung und ihrer Gegenbewegungen sind das Bewusstsein des je eigenen Standtortes und das Verstehen des Anderen überlebensnotwendig für freiheitliche Gesellschaftsordnungen. Nur wer das je Eigene kennt, kann das Andere erkennen und verstehen lernen; d. h. interkultureller Dialog und kulturelle Identität bedingen einander. Die zentralen Themen für viele Gesellschaften, nämlich Migration und demographische Entwicklung, rücken die Fragen zur Identität, zur Dialogfähigkeit und Dialogbereitschaft faktisch in den Mittelpunkt der Agenda, auch wenn dieses noch viel zu selten in der öffentlichen Diskussion sichtbar wird. So wichtig in dem Prozess der Neuorientierung der auswärtigen Kulturpolitik der Blick auf die dynamischen Schwellenländer ist, so darf diese Perspektive im Bewusstsein und bei der Ressourcenverteilung nicht zu Lasten von Europa gehen. Das Zusammenwachsen Europas wird wesentlich mehr Mitteleinsatz in der Auswärtigen Kulturpolitik benötigen, weil Europa nur bestehen kann, wenn es sich zuerst über seine Kulturen definiert. Die auf geostrategische Überlegungen und kulturelle Ausschlusskriterien verengte Diskussion um eine Vollmitgliedschaft oder privilegierte Partnerschaft der Türkei belegt beispielhaft, woran der europäische Einigungsprozess krankt: am unterentwickelten Dialog der Kulturen. Dialog setzt Wissen und Begegnung voraus. An beidem mangelt es. Dabei ist die kulturelle Vielfalt das größte Pfund, mit dem Europa in einer Zeit globaler Normierungen und der Liberalisierung der Märkte wuchern kann, und das Fundament für den Dialog. Mit der UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt steht ein nach innen und außen wirkendes Instrument zur Verfügung. Zum einen wird die Konvention, so der Ratifizierungsprozess voran schreitet, völkerrechtliche Verbindlichkeit erlangen. Zum anderen ist die Konvention bereits jetzt im Vorfeld der Beratungen im Deutschen Bundestag ein wichtiges Instrument, um das Bewusstsein für die Bedeutung kultureller Vielfalt zu schaffen bzw. zu stärken. Es wäre ein gutes Signal, wenn Deutschland die UNESCO-Konvention rasch verabschieden würde. Unsere Geschichte, dass föderale Bewusstsein und der Reichtum unterschiedlicher Kulturen sind Aufforderung genug, den Ratifizierungsprozess rasch voran zu treiben.

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Am Beispiel dieser Konvention wird deutlich, wie sehr die auswärtige Kulturpolitik als Querschnittsaufgabe verstanden werden muss, wenn sie denn den wachsenden Ansprüchen gerecht werden will. Ansprüche, die aus der gesellschaftlichen Notwendigkeit der Verständigung erwachsen. Die Konvention beschreibt nicht nur Standards zum Schutz kultureller Vielfalt und wird damit zum Beispiel Einfluss auf Förderpraxen haben, sondern sie wird uns auch im Bereich der Entwicklungshilfe Unterstützungsarbeit zu eben diesem Schutz in anderen Ländern abverlangen. Kulturelle Vielfalt lebt von der Begegnung – denn erst in der Begegnung kann Vielfalt sichtbar und erlebbar werden. Daraus ergibt sich die Chance, im Sinne der Verständigung diese Vielfalt als Reichtum einer humanen Gesellschaft und als persönliche Bereicherung zu verstehen. Dieser Prozess unmittelbaren Erlebens setzt aber Begegnung voraus – von Angesicht zu Angesicht. Hier gibt es in der auswärtigen Kulturpolitik und ihren Mittlerorganisationen deutliche Defizite, denn nicht überall, wo Begegnung drauf steht, ist auch Begegnung drin. So wichtig und unverzichtbar die Präsentation kultureller Sahnehäubchen auch ist, so bilden sie doch nur einen kleinen Teil nachhaltiger Verständigung. Der Musik kommt dabei als einer sehr unmittelbaren und barrierefreien Form der Begegnung und des Dialogs eine besonders herausgehobene Bedeutung zu. Die Millionen von Botschaftern in der Laienmusikszene sind in den Begegnungsprogrammen vollkommen unterrepräsentiert. Wer selbst erlebt hat, wie prägend die Begegnung mit anderen Kulturen im In- und Ausland für die eigene Entwicklung sein kann, der kann nachvollziehen, dass insbesondere Kinder und Jugendliche die besten Multiplikatoren für Neugierde, Offenheit und Verständigung nach innen und außen sein können. Hier gibt es in der politischen Gewichtung und den aktuellen Förderpraxen erheblichen Nachholbedarf, wenn diese Schieflage korrigiert werden soll. Dazu gehören auch die Mitwirkungsmöglichkeit und stärkere Einbeziehung der umfassenden Beratungskompetenz des Deutschen Musikrates. Das dichte Netzwerk des professionellen und nichtprofessionellen Musiklebens unter dem Dach des Deutschen Musikrates eröffnet, nicht zuletzt über die 16 Landesmusikräte, vielfältige Zugänge zu potenziellen Botschaftern kultureller Vielfalt. Entscheidend für den Erfolg auswärtiger Kul-

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turpolitik wird die Vorbereitung und damit die Befähigung zum Dialog sein. Ohne ein Basiswissen der jeweils anderen Kultur im Vorfeld von Begegnungen kann unter Umständen mehr Schaden als Nutzen entstehen. Dies gilt insbesondere für jene Länder, bei denen wir erst am Anfang sehr vielschichtiger Beziehungen stehen. So hat der Deutsche Musikrat seinen vor kurzem begonnenen Dialog mit dem Chinesischen Musikrat in enger Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt eröffnet. Vor dem Hintergrund des Umgangs mit den Menschenrechten oder dem Schutz des geistigen Eigentums – um nur zwei Beispiele zu nennen – ist die Vorbereitung und Begleitung von Verständigungsprozessen ein noch auszubauender Beratungsbereich auswärtiger Kulturpolitik, der nicht nur die Kultur betrifft. Deutschland steht in allen gesellschaftlichen Bereichen in einem Maße vor Weichenstellungen, wie schon seit langer Zeit nicht mehr. Eine offensive auswärtige Kulturpolitik kann dabei erhebliche Wirkungskräfte auch nach innen entfalten und gerade in ihrem Engagement für den Erhalt und Ausbau kultureller Vielfalt nachhaltige Strukturen, insbesondere in der kulturellen Bildung von Kindern und Jugendlichen befördern, wenn sie die Begegnung in den Mittelpunkt stellt. Ohne die Möglichkeit prägender Bildungs- und Kulturerfahrungen und damit der Chance zu differenzierter Selbstäußerung wäre jeder Dialog zum Scheitern verurteilt. Das Recht auf kulturelle Teilhabe lässt sich nur mit einem breiten und qualifizierten Bildungs- und Kulturangebot einlösen. So gesehen ist die auswärtige Kulturpolitik nicht nur Teil einer nationalen und regionalen Bildungs- und Kulturpolitik, sondern auch ein Stück Innenpolitik – eine große Chance für Deutschland. Dazu bedarf es einer Bildungs- und Kulturpolitik, die die auswärtige Kulturpolitik als ihre originäre Aufgabe betrachtet. Die besonderen Herausforderungen, denen sich unsere Gesellschaft im Föderalismus stellen muss, setzen einen Dialog von der Kommunalebene bis zur auswärtigen Kulturpolitik voraus. Der Exportweltmeister Deutschland muss sich in einer globalisierten Welt anders aufstellen, als er das über die derzeitige auswärtige Kulturpolitik tut, d. h. das dort, wo „Begegnung“ drauf steht auch „Begegnung“ enthalten sein sollte. Nur mit diesem Selbstverständnis auswärtiger Kulturpolitik kann sie in der Ver-

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ständigung nach innen und außen im Sinne eines Dialoges der Kulturen auf Augenhöhe wirken. Die vom GATS-Prozess angestoßene Liberalisierung der Märkte, die eben nicht im Sinne der UNESCO-Konvention zum Schutz kultureller Vielfalt Bildung und Kultur als Dienstleistung besonderer Art definiert, sondern die Kultur mit dem Handel aller Waren gleichstellt, ist eine ernsthafte Bedrohung der kulturellen Vielfalt weltweit. Es kommt nicht von ungefähr, dass das „Alte Europa“, an der Spitze Frankreich und Deutschland, sich dieser Form der Globalisierung mit aller Macht entgegen stemmt. Die Liberalisierung der Märkte hat auf der europäischen Ebene ihre Auswirkung in der EU-Dienstleistungsrichtlinie gefunden. Diese Entwicklungen machen deutlich, dass die Parameter einer auswärtigen Kulturpolitik, die sich als Teil einer auf Verständigung ausgerichteten Gesellschaftspolitik versteht, deutlich verändert und erweitert werden müssen, indem die auswärtige Kulturpolitik sich in ihrem Selbstverständnis viel stärker als bisher als Teil einer Gesellschaftspolitik nach innen und außen positioniert. Die auswärtige Musikpolitik nimmt als Teil der auswärtigen Kulturpolitik in dem gegenwärtig zu beobachtenden Wandlungsprozess eine herausgehobene Stellung ein, weil die Musik in ihrer Unmittelbarkeit und Barrierefreiheit die erste Weltsprache des Dialoges ist.

Musikpolitik ist Gesellschaftspolitik Musikpolitik ist Gesellschaftspolitik. Diese alte Erkenntnis hat inzwischen auch im deutschen Musikrat zu einem Paradigmenwechsel im Denken und Handeln in seiner musikpolitischen Arbeit geführt. Dass das Handeln nicht nur aus einem fach- oder spartenbezogenen Interessensansatz heraus geprägt werden kann, sondern dass die Übernahme von Verantwortung für die Zukunft unserer Gesellschaft auch die Fragestellung verändert, und damit letztendlich die Akzeptanz in der politischen und öffentlichen Wahrnehmung viel stärker erhöht, ist eine Erkenntnis, die immer mehr Menschen bewusst wird, weil sie einfach die Chancen für politische Wirksamkeiten erhöht.Wenn wir uns am Anfang regelmäßig die Frage: „Was nützt es unserer Gesellschaft?“ stellen, so

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bleibt zum Schluss nur die Hoffnung, der Wunsch und vielleicht auch der Appell, dass unsere Gesellschaft wach bleibt. Das sie sich, wenn ein Kirchenchor oder eine Musikschule geschlossen wird oder eine Band keine Proberäume findet, an dieser Stelle genauso engagiert wie für andere Themen. Denn dieses gesellschaftliche Engagement, was man häufig mit bürgerschaftlichem Engagement beschreibt, wird zwar immer wieder hoch gelobt und für wichtig befunden, aber es findet nicht die Anerkennungskultur, die es eigentlich bräuchte. Wenn wir wirklich eine Trendwende in dem Sinne „Du bist Deutschland“ hinbekommen wollen, dann ist es wirklich Zeit zu Handeln, um mehr Kreativität zu wagen.

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Zum Verhältnis von Pop und Politik – Ein Streifzug von den 1960er-Jahren bis heute Martin Büsser Betrachtet man das Verhältnis von Pop und Politik, ist es sinnvoll, markante historische Eckpunkte herauszugreifen, an denen Popkultur politisch aufgetreten ist oder doch zumindest als politisch wahrgenommen wurde. Die erste Station auf dem Weg zur Gegenwart, der in diesem Vortrag natürlich nur skizzenhaft beschritten werden kann, sind die 1960er-Jahre. Denn erst in den 1960er-Jahren diente Popkultur als Lebensmodell einer ganzen Generation in Abgrenzung zur als verbraucht empfundenen Gesellschaft. Das, was in Sachen Generationskonflikt mit ELVIS PRESLEY, dem Rock’n’Roll und Film-Rebellen wie James Dean und Marlon Brando in den 1950er-Jahren vorbereitet wurde, war nun in einen dezidiert politischen Konflikt gemündet wie ein Zitat des Kulturwissenschaftlers Klaus Theweleit belegen kann: „Frechheit, das war das Erste“, erinnert sich Theweleit in der 2002 in verschiedenen dritten Programmen ausgestrahlten TV-Dokumentation „Was war links?“: „Man hatte frech zu sein gegenüber diesen merkwürdigen Autoritäten, rotzfrech, und sich den Ansprüchen zu entziehen, auf allen möglichen Ebenen und eine andere Sorte Leben anzufangen. Wenn man den Begriff links, der sich als politisch versteht, vernünftig beschreiben wollte, würde ich ihn da ansetzen.“ Auf die Frage des Moderators, was damals zuerst da war, der Marxismus oder die Popmusik, antwortete Theweleit ohne zu zögern: „Popmusik war natürlich zuerst da. Die blauen Bände“ – gemeint ist die große, in blau gebundene MarxEngels-Werksausgabe der DDR – „sind überhaupt nicht das Zentrum dessen, was sich Ende der sechziger Jahre links nennt oder links wird. Das ist die Zutat.“ Der große Umbruch der ausgehenden Sechziger hat sehr viel damit zu tun, dass Jugendlichkeit plötzlich in den Blick geriet. „Traue keinem über Dreißig“ lautete der Slogan, den man noch bis in die achtziger Jahre hinein als Aufkleber auf alten, ausgebeulten Autos lesen konnte. Mit dem heute vielfach beklagten, von der Werbung diktierten Jugendwahn, mit Wellness, Fitness und sogenannten „Anti-Aging“-Studios, hatte das allerdings

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noch nichts zu tun. Vielmehr galt Jugendlichkeit als Privileg, mit den ganzen verkrusteten Wert- und Moralvorstellungen der Elterngeneration brechen zu können. Die Alten wurden allesamt als schuldig angesehen – wer jung war, hatte das Recht, wenn nicht sogar die Pflicht, sich moralisch zu entrüsten. Es ist aus heutiger Sicht erstaunlich und kaum mehr nachzuvollziehen, wie viel politisches Gewicht die damalige Generation der Popkultur zuerkannt hat. Dies ging sogar so weit, dass der jüdische Literaturwissenschaftler George Steiner die Popkultur – also das damalige Gemisch aus Musik, Subkulturen und neuen sozialen Bewegungen – als einzig legitime Kultur nach dem Holocaust bezeichnete. In seinem 1971 erschienenen Essay „In Blaubarts Burg“ bekundete er seine Sympathie für die Aufmüpfigen: „Die Aufrührer und die Freak-Outs haben das Gespräch abgebrochen, das sie verachten als einen grausamen, antiquierten Betrug.“ Es macht keinen Sinn mehr, argumentiert er, sich länger auf die humanistische Tradition eines Kant, Goethe und Beethoven zu berufen, denn genau das hatten die Nazis auch getan. Wenn es möglich war, Millionen Menschen in den Tod zu schicken und sich gleichzeitig an „Alle Menschen werden Brüder“ aus Beethovens „Neunter Synfonie“ zu ergötzen, dann musste eine völlig neue Kultur her. Ähnlich wie Herbert Marcuse, der 68er-Philosoph schlechthin, sah Steiner einen direkten Zusammenhang zwischen klassischer Bildung, ihrem Hang zur Triebunterdrückung und einer dadurch angestauten Aggression. Ziel einer neuen Kultur sollte also sein, die menschlichen Grundbedürfnisse, allen voran die Sexualität, nicht mehr zu unterdrücken, sondern ihr rauschhaft freien Lauf zu lassen. Der Popkultur kam in diesem „Kulturkampf“ insofern eine Schlüsselfunktion zu, als dass sie auf einer sehr emotionalen und zugleich symbolhaften Ebene den Bruch mit der Elterngeneration formulierte – symbolhaft insofern, als dass das Outfit, das Aussehen, bzw. das Gebärden auf der Bühne oft schon reichte, um Außenstehenden zu signalisieren: „Wir wollen mit euch und eurer Kultur, euren Werten, eurer Moral, nichts mehr zu tun haben.“ Dies musste in den 1960ern nicht notwendig in besonders provokanten oder politisierten Songtexten ausgedrückt werden, denn ein ganz bestimmter „Style“ und ein ganz bestimmter musikalischer Sound reichten bereits aus, um diesen Bruch zu markie-

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ren. Aus diesem Grund werden Sie in der Musik der ausgehenden 1960er-Jahre weitaus weniger explizit politische Songs finden als man vielleicht vermuten könnte. Die musikalischen Schlüsselfiguren der damaligen Zeit – JEFFERSON AIRPLANE, GRATEFUL DEAD, JANIS JOPLIN und THE DOORS in den USA, Bands wie CAN und AMON DÜÜL in Deutschland – hatten allesamt wenig oder keine Protestsongs in ihrem Repertoire und wurden dennoch von ihren Hörern als rebellisch, progressiv und politisch im weitesten Sinne als emanzipatorisch wahrgenommen. Pop galt in den 1960er-Jahren in dem Maße als links, in dem auch die Jugend sich über linke Inhalte oder linke Ikonen definierte. Es gab ihn also, wenn auch sehr diffus, den Zusammenhang zwischen Pop als gefühltem Ausdruck eines Andersseins und der Entscheidung, gegen die Machthabenden zu revoltieren. Wolfgang Seidel, Mitbegründer von TON, STEINE, SCHERBEN, erinnert sich: „1966 fand das erste Konzert der Rolling Stones in der Berliner Waldbühne statt, das ja zur Legende wurde, weil es eines der ersten Konzerte war, das in einer Schlacht zwischen Publikum und Polizei endete. Zu der Zeit wurden gar keine politischen Ziele artikuliert – insofern war es sozusagen eine reine Jugendrandale. Aber interessanterweise waren damals unter den Zuschauern praktisch alle vertreten, die sich ein paar Jahre später auf den Fahndungsplakaten der ‚Bewegung 2. Juni‘ wiederfanden. Was damals stattfand war eben noch kein intellektueller, studentischer Protest, sondern einer von Leuten, die einfach sagten: ‚Nein, so wollen wir nicht leben!‘“

Man kann eine ähnliche Entwicklung bis in die 1980er-Jahre hinein zeichnen. Die Mitte der 1970er-Jahre entstandene PunkBewegung und Hip-Hop, der mit GRANDMASTER FLASH zu Beginn der 1980er internationale Verbreitung fand, waren ebenfalls Bewegungen, die sich im weitesten Sinne als emanzipatorisch verstanden haben und als Ausdruck politischen Protests wahrgenommen wurden. Punk war seinerzeit erstmals musikalischer Ausdruck von Protest, der sich nicht nur gegen das Establishment und die Elterngeneration gewendet hatte, sondern auch als popinterne Meuterei auftrat: Man hatte die saturierten Stadionrocker satt, die virtuosen Stars des Blues- und Progressive-Rock und

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bekämpfte deren Ästhetik auf allen Ebenen, musikalisch, verbal und visuell. Die alte Linke galt als zahm, verbraucht, geschwätzig und selbstgefällig. Ihr konnte man nur mit einer neuen Schärfe und geradezu militaristischen Aggressivität entgegentreten. Hip-Hop dagegen diente anfangs einer neuen kulturellen Selbstdefinition in den sogenannten afroamerikanischen Ghettos und wendete sich dadurch automatisch gegen eine weiße Pop-Hegemonie. Was damals noch niemand ahnen konnte: Die ursprünglich afroamerikanische Subkultur sollte zu einem weltweiten Sprachrohr für Jugendliche werden, unabhängig von der Hautfarbe. Sogar in Grönland gibt es inzwischen Hip-Hop-Bands. Dasselbe gilt für die Verbreitung von Punk und die gesellschaftliche Akzeptanz, die Punk inzwischen erhalten hat. Popkultur eignet sich für Jugendliche also vor allem dann besonders gut als Leitbild, wenn sie als Bewegung auftritt – wie das bei Punk und Hip-Hop der Fall war – und wenn diese Bewegung zugleich verspricht, mehr als nur Musik zu sein, wenn sie zugleich auch eine eigene Mode oder eine eigene visuelle Kultur ausbildet, etwa die Anti-Mode und Fanzine-Kultur im Punk, Graffiti und Breakdance im Hip-Hop. Solche Bewegungen bekommen in der Regel auch dadurch Leitbild-Funktion, dass sie einen – wenn auch oft diffusen – politischen Überbau mitliefern; im Punk der Aufruf nach Anarchie und Kampf gegen jegliche Form von Autorität, im Hip-Hop eine antirassistische Einstellung, aber auch eine Romantisierung der eigenen, unterprivilegierten Herkunft. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass solche Bewegungen sehr schnell eine Eigendynamik entwickeln und subkulturelle Strukturen hervorbringen können, deren Werte – etwa das „Do it Yourself“ im Punk – nicht unbedingt in den Ursprüngen der Bewegung angelegt waren. So handelte es sich beispielsweise bei den SEX PISTOLS, der wohl bekanntesten Punk-Band, die sehr viel zur internationalen Verbreitung des Punk beigetragen hat, um eine von Manager Malcolm McLaren nach kommerziellem Muster konzipierte Skandalband, über die der ehemalige SEX-PISTOLS-Musiker Steve Jones nachträglich sagte, dass sie sich in einer ähnlichen Situation befunden haben, „in der sich heutige Boy-Groups befinden“. Die zweite Punk-Generation dagegen – vor allem die Hardcore-Punk-Bewegung ab 1980 in den USA um Bands wie THE DEAD KENNEDYS, BLACK FLAG und MINOR THREAT –

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macht aus „Do it Yourself“ eine Tugend und weigerte sich, mit der Musikindustrie zusammenzuarbeiten. Hier wurde die Unabhängigkeit gegenüber den großen Firmen als Politikum definiert, was sich unter anderem auch darin ausdrückte, dass die Bands anfangs nicht in kommerziellen Clubs spielten, sondern in besetzten Häusern und autonomen Jugendzentren. Eine ganz andere Frage wäre allerdings, inwieweit hier aus der Not eine Tugend gemacht wurde und die selbst behauptete politische Integrität nur die Folge des Desinteresses der Musikindustrie an diesen Bands war. Als sich nämlich in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre auch „MTV“ und große Plattenfirmen für Punk interessierten, war es bei vielen Bands schlagartig vorbei mit Slogans wie „Support your scene“ oder „Against Authorities“ – schlagartig fanden sie sich auf den großen Bühnen wieder und spielten mit Acts, die sie noch wenige Jahre zuvor als „Rock-Dinosaurier“ beschimpft hatten.

Pop-Pluralismus In den 1990ern kam es endgültig zu einem Bruch. Techno war die letzte, über weite Strecken bereits nicht mehr politisierte, mit Musik einher gehende Jugendbewegung. Seit dieser Zeit müssen wir uns angewöhnen, Popkultur als pluralistisch zu begreifen. Genauer gesagt setzte in den 1990ern etwas ein, was der Kulturwissenschaftler Stewart Hall den „Bruce-Springsteen-Effekt“ nannte. Ein Song wie „Born in the USA“ konnte ganz verschieden interpretiert und von den verschiedensten Seiten vereinnahmt werden: „Er ist sowohl im Weißen Haus als auch auf der Straße. In den sechziger Jahren musste man entweder in dem einen oder auf der anderen sein. SPRINGSTEEN ist irgendwie beides gleichzeitig.“ Das Nebeneinander der Stile und Bewegungen, das die Popkultur der 1970er- und 1980er-Jahre geprägt hatte, war in einen Pluralismus gemündet, der keine Verbindlichkeit mehr kannte. Es war möglich geworden, sowohl MICK JAGGER zu mögen wie auch die „Republikaner“ zu wählen. Gegenüber der Unverbindlichkeit, mit der Musikgeschmack und Kleidungsstil meist nur noch zu einer bloß äußerlichen Vorliebe im Konsumverhalten gewor-

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den sind, standen sich die Hippies, Waver und Punks von einst in ihrer Ablehnung bestehender Normen nachträglich doch näher, als ihnen lieb gewesen sein mag. Ein Grund dafür, dass die klassischen subkulturellen Bewegungen an Bedeutung verloren haben, mag an der Medialisierung von Pop liegen. Mit MTV war eine ganze Generation herangewachsen, die Musik nicht mehr als soziales, sondern primär als medial vermitteltes Ereignis wahrnahm. Laut Jeremy Rifkin handelt es sich bei MTV um ein Format, dem es gelungen war, sämtliche Inhalte zu eliminieren – und so auch der alten LeitbildFunktion von Pop als Vehikel für jugendliche Rebellion entgegenzuwirken: „MTV verwischt all die vielen Unterschiede, die in der Moderne so sorgfältig aufgebaut wurden. MTV verwischt alle Grenzen, nivelliert all die vielfältigen Abstufungen menschlicher Erfahrung zu einer einzigen flach spiegelnden Oberfläche, auf der alle Phänomene als reine Bilder existieren. Hier gibt es nichts zu beurteilen oder zu kritisieren.“

Und noch etwas begann sich in den 1990ern zu ändern: Vom rechten Rand – dem Nazi-Rock, der zusätzlich das lange lieb gewonnene Bild von Popkultur als „linker“ Rebellion erschütterte – einmal abgesehen, wurde Pop nicht mehr als Provokation, sondern im Gegenteil als Ausdruck westlicher Grundwerte wie Freiheit und Selbstbestimmung angesehen. Er stand nicht mehr auf der Gegenseite, sondern oft sogar im Zentrum der Macht. Selbst Politiker strengten sich nun an, wie Popstars zu wirken oder ihr Image zumindest mit Hilfe von Pop aufzubessern – wobei „Pop“ in solchen Fällen verkürzt mit „allgemeinverständlich“, „jugendlich“ und „locker“ gleichgesetzt wurde. Nach dem Regierungswechsel 1998 betrat beispielsweise der frisch ernannte Bundeskanzler Gerhard Schröder die Bühne, um gemeinsam mit den SCORPIONS „Wind of Change“ anzustimmen. Joe Strummer, Sänger von THE CLASH, wurde 2001 von Campino für die „Süddeutsche Zeitung“ interviewt und erklärte dort ernüchtert, dass musikalischer Protest heute keinen Sinn mehr mache, weil die Musik ja längst gesellschaftlich integriert worden sei. „Die Rollen waren damals noch anders verteilt“, erinnerte er sich an die Anfangstage von Punk.

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„Maggie Thatcher und Helmut Kohl waren keine Popstars, sondern natürliche Feinde der Popkultur. Das hat sich verändert. Bill Clinton war ein großer Popstar, Gerhard Schröder ist einer und Tony Blair ist von allen der größte. Es gibt ein Photo von ihm, das ihn nach einem Wochenende zeigt. In der einen Hand trägt er eine Aktentasche mit den wichtigsten Papieren der Staatsgeschäfte, in der anderen den Gitarrenkoffer seiner Fender Stratocaster.“

Für die öffentliche Pop-Debatte in den Neunzigern war kennzeichnend, dass der Begriff das Terrain, auf das er ursprünglich meist bezogen wurde, nämlich die Musik, verlassen hatte. Der Entertainer Harald Schmidt galt plötzlich genauso als PopPhänomen wie „Medienkanzler“ Gerhard Schröder oder ein im Wahlkampf mit dem „Guidomobil“ durch die Lande fahrender FDP-Vorsitzender. Konservative Kritiker benutzten Pop so als Synonym für Oberflächlichkeit und plattes Entertainment, für den Verlust von Inhalten, Substanz und Diskussion, als Befund eines allgemeinen Kulturverfalls, der nach dem 11. September 2001 in den Aufruf zum „Ende der Spaßgesellschaft“ mündete. Hat das Subversionsmodell Pop also ausgedient? Ist Pop nur noch als affirmativer Mainstream denkbar? Das würde der Industrie recht geben, die inzwischen auf sichere Formate wie „Superstars“ setzt und damit nur noch den kapitalistischen Traum fortschreibt, jeder könne vom Nobody zum Star werden. Ganz so einfach ist es jedoch nicht, denn alle einmal entstandenen Subkulturen existieren weiter. Für einen Jugendlichen ist es heute kein Problem, sich als Punk oder Hip-Hop-Fan zu erkennen zu geben. Was die Musikindustrie wohl fürchtet und auf „Superstars“ oder Klingeltöne setzen lässt, ist die neue Unübersichtlichkeit, die seit den 1990ern existiert, das Nebeneinander von Stilen sowie ein nahezu undurchschaubar gewordener Markt, auf dem sich neben den wenigen Charts-Künstlern auch Tausende Independent-Labels tummeln, deren Angebot von versierter Electronica über Post-Punk bis zu Songwriter-Folk reich. Diese Unübersichtlichkeit dürfte einen erheblichen Anteil an der ökonomischen Krise haben – nicht nur das Brennen von CD ist eine Ursache, sondern auch, dass viele Hörer zu den Nischen abwandern, die wesentlich weniger anonym sind und damit eher die alte Leitbild-

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funktion von Popkultur erfüllen und zur Identifikation mit den Künstlern einladen. Die Vorstellung, dass Formate wie „MTV“ die Welt zu einem globalen Dorf umgestalten könnten, in der alle von Miami bis Prag, von Stockholm bis Kapstadt auf dieselben Künstler schwören, ist nur bedingt aufgegangen. Natürlich kennen fast alle Jugendlichen MADONNA, doch das bedeutet nicht, dass sie auch alle MADONNA-Platten kaufen. Pop spielt sich zunehmend im Lokalen ab, ist also dezentral geworden, weiß aber durchaus, sich international zu vernetzen – nicht mittels „MTV“, sondern mit Hilfe des Internets. Im Netz treffen wir auf Hip-Hop-Gruppen aus St. Gallen, die in Schweizerdeutsch rappen und sich zugleich von ausländischen Künstlern remixen lassen, wir treffen auf Plattenlabels, die gar keine Tonträger mehr veröffentlichen, sondern ihr komplettes Programm als Download zur Verfügung stellen, wir finden Heavy Metal aus Tel Aviv und neuerdings auch Punk aus China. „Die Musik ist so vielfältig wie nie“, schrieb Ulrich Stock in der „Zeit“ vom 8. Juli 2004, „[...] aber wir kennen sie kaum. Schuld daran hat vor allem das Radio.“ Und mit ihm, ließe sich ergänzen, eine Musikindustrie, die dem Radio vergleichbar nur noch auf kommerziell sichere Formate setzt. Was bedeutet dies nun für die Zukunft der Popmusik? Zunächst einmal erleben wir ein bislang einzigartiges Auseinanderklaffen zwischen Independent-Szenen und Musikindustrie. Independent-Labels vertrauen weiterhin darauf, dass Tonträger auch einen ideellen Wert darstellen, der über gespeicherte Daten hinausgeht. Dies hängt nicht zuletzt mit der Anbindung des Interpreten an das Publikum, aber auch mit der Vorstellung von Musik als künstlerischem Ausdrucksmittel zusammen, deren primäres Ziel nicht im Chartserfolg liegt. Musikalische Qualität wird sich also erst einmal weiterhin in den zahlreichen Nischen abspielen, über die man nichts mehr im Radio oder im Musikfernsehen, sondern im Internet und in Spezialzeitschriften erfährt. Da sich das musikalische Spektrum der Popmusik in die Breite entwickelt hat, können die meisten dieser Independent-Labels oft nur als Ein-Personen-Betrieb überleben und stellen deshalb keine nennenswerte Konkurrenz für Firmen wie BMG dar. In ihrer Gesamtheit jedoch – und das haben die großen Firmen lange Zeit nicht berücksichtigt – gehört der Markt längst den Nischen. Neue

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sich über Musik definierende Bewegungen bzw. Subkulturen wie einst die Hippies oder Punk sind allerdings nicht in Sicht. Der Pluralismus verhindert die Entstehung solcher Bewegungen ebenso wie die Tatsache, dass es keine klar erkennbare politische Strömung gibt – vergleichbar etwa mit 1968 und den Folgejahren –, die Pop eine entsprechende politische Kontur geben könnte. Pop ist demnach in politischer Hinsicht nie Avantgarde gewesen, sondern immer nur Spiegel der gesellschaftlichen Diskurse. Dies gilt für den als politisch links und rebellisch empfundenen JIMI HENDRIX Ende der 1960er ebenso wie für deutsche Bands, die neuerdings so etwas wie Nationalstolz einklagen. Warum sollte ausgerechnet Pop seine Unschuld bewahren, während der Rest der Gesellschaft sie längst verloren hat?

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Heimatklänge – Lokale Popmusik und transkulturative Prozesse Andreas Meyer Vorurteile sind hartnäckig. Noch 1988 kursierte während einer in der Österreichischen Musikzeitschrift dokumentierten (kontrovers geführten) Diskussion unter Musikanthropologen das böse Wort von Popmusik als „Un-Kultur“, durch die die Welt überschwemmt und bedrängt würde. (Österreichisches Musikzeitschrift 7, 1988, S. 412-416) Erst die umfassende Arbeit soziologisch orientierter Kulturwissenschaftler vor allem in England und den USA boten die Grundlage für ein generelles Umdenken. Popmusik wird nunmehr als Zeichen weltweiter Annäherung begriffen, nicht zwangsläufig im Sinne von Verwestlichung oder Amerikanisierung, sondern als Ergebnis eines, wie Arjun Appadurai es ausdrückt, „subtileren Spiels einheimischer Bahnen der Begierde und der Furcht mit globalen Strömungen von Menschen und Dingen. (Appadurai 1996, S. 29). Im Folgenden möchte ich der Frage nachgehen, wie sich das für lokale Popmusikformen auswirkt und welche Mechanismen für die jeweiligen Ausgestaltungen überwiegend verantwortlich sind. Der Begriff „lokal“ wird mit Timothy Rice als „geographische Metapher für soziale und kulturelle Einheiten“ (Rice 2003, S. 162) verwendet, allerdings in einem mehrdeutigen Sinn als Gegenbegriff zu „global“; je nach Kontext steht er für die Musik eines Ortes, einer Kulturregion, einer Nation etc.

Globalisierung Wenngleich sich Kulturen zu allen Zeiten in stetigem Wandel befunden haben, scheint die Dynamik in den letzten Jahrzehnten von besonderer Qualität. Innovative Verkehrstechnologien, ökonomisch motivierte Migration in Folge des Nord-Süd-Gefälles und vor allem die medialen und wirtschaftlichen Vernetzungen wirbeln die Gesellschaften in ihrer Homogenität gehörig durcheinander. Entsprechend international agieren die Major-Labels der Tonträgerindustrie und die Stationen des Musikfernsehens. Die „Distanz zwischen Sender und Empfänger, zwischen Klangquel-

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le, Tonträger und Konsument“ schrumpft, auf „ein Mausklick“ zusammen, schreibt Susanne Binas (2001, S. 93). Mehr als 500 Satelliten bestrahlen die Welt. Dennoch bleibt festzuhalten, dass damit bei weitem nicht alle Menschen erreicht werden. Denn wenngleich etwa MTV in vielen Ländern der Erde zu empfangen ist, häufig regionalen Verhältnissen angepasst, bedarf es doch einer medialen Infrastruktur um tatsächlich wahrgenommen zu werden. Die Mehrheit der Menschen weltweit lebt jedoch nach wie vor abseits der großen Metropolen, und in den Ländern der sogenannten „Dritten Welt“ und zum Teil auch in den „Schwellenländern“ bestehen gravierende Unterschiede zwischen den urbanen und ländlichen Gebieten. Sobald man die Städte verlässt, offenbaren sich andere Welten mit eigenen sozialen Systemen und Werten. Der Empfang der vermeintlich global agierenden Fernsehsender scheitert häufig schon an den fehlenden Stromverbindungen. Das heißt nicht, dass es in ländlichen Gegenden dieser Länder keine Popmusik gibt. Die mediale Verbreitung erfolgt jedoch noch immer vornehmlich über Audiokassetten und regionalen Rundfunksender, die mit Transistorradios empfangen werden. Globale Prozesse, gekennzeichnet durch eine massiv spürbare „Verdichtung von Raum und Zeit“ (Harvey 1997, o. S.), vollziehen sich überwiegend in den urbanen Zentren. Daher erweist sich der bisweilen für diese Phänomene verwendete Begriff „World City“ bzw. „Global City“ (Hippe 2001, S. 42f) als sinnvoll. Aber auch für die großen Städte haben international agierende Industrieunternehmen und Dienstleister längst erkannt, dass es notwendig ist, bei der unternehmerischen Planung die regionalen Gegebenheiten zu beachten. Die Palette, die es gilt zu berücksichtigen, reicht von der Wahl der Produktnamen und dem Produktdesign bis hin zu den Verkaufsformen. „Denke global, handle lokal“, lautet ein gängiger Slogan. Stets haben die ortspezifischen Gegebenheiten einen massiven Anteil daran, wie sich die globalen Handlungen vollziehen. Der britische Soziologe Roland Robertson hat dafür das mittlerweile häufig verwendete Kunstwort „Glokalisierung“ (Robertson 1998) erfunden.

HEIMATKLÄNGE

– LOKALE POPMUSIK UND TRANSKULTURATIVE PROZESSE

Differenz Es liegt damit auf der Hand, dass auch lokale Popmusik ihr eigenes Profil entwickelt. In vielen Fällen lässt sich der indigene Anteil direkt erfassen und singulär beschreiben, wenn etwa tonale Strukturen, Spieltechniken und Timbres einer Kultur Eingang in die Musik finden. Das trifft in hohem Maße auf Musikformen in den oben benannten abgelegenen Gebieten zu, in denen die Auswirkungen globaler Vernetzung nur eingeschränkt zum Tragen kommen. Daher unterscheidet etwa die Tonträgerindustrie in Indonesien „regionale“ und „nationale“ Popmusik. Letztere umfasst u. a. Rock, Hardcore, Rap, House und zielt auf die urbanen Zentren des Archipels. Die Gesangtexte sind indonesisch oder englisch. „Regionale Popmusik“ ist auf bestimmte Gebiete oder ethnische Gruppen gerichtet. Das Repertoire ist stilistisch lokalen Traditionen verbunden, die Texte in eng begrenzt verbreiteten Sprachen und Dialekten gehalten (Barendregt, van Zanten 2002, S. 68). Für die Musik der überregionalen Stars in nichtwestlichen Ländern spielen lokale Überlieferungen bisweilen ebenfalls eine Rolle, nicht selten als Ausdruck nationaler Gesinnung in postkolonialen Zeiten oder einer kritischen Haltung zur globalen Ökonomie. Bei vielen Produktionen weltweit, die sich in ihrer Ausprägung überwiegend am internationalen Markt orientieren, sind die Verbindungen zu lokalen Gegebenheiten eher indirekt und nur mit Kenntnis der kulturellen Kontexte nachzuvollziehen. Beispielhaft hierfür ist die Popmusik in Japan. Ein hartnäckiges Klischee besagt, dass in kaum einem Land der Welt ähnlich folgsam die europäischen und amerikanischen Lebensarten und deren kulturelle Implikationen adaptiert werden. Da überrascht ein Blick auf den Musikmarkt im Lande, immerhin der zweitgrößte der Welt. Seit den 1980er-Jahren stammen (einer allerdings etwas älteren Studie zufolge) weniger als ein Drittel aller CDs in den Charts aus westlichen Ländern, die große Mehrheit besteht aus japanischen Produktionen (de Launey 1995, S. 204). Japanische Popmusikhörer bevorzugen Single-CDs, nicht nur die Teenager sondern auch ältere Konsumenten. Man ist auf einzelne Songs fixiert, weshalb es verständlich wird, warum Apple mit seinem „iTunes Musicstore“ im Oktober 2005 einen Bilderbuchstart

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in Japan hinlegte, mit über einer Million verkaufter Songs in vier Tagen. Japanisch anmutende Merkmale sind in der rezenten Popmusik, abgesehen von der Sprache, nicht ohne weiteres zu erkennen. Dennoch zeichnet sie sich durch verschiedene stilistische Besonderheiten aus. Guy de Launay benennt u. a. die aufwendige Ausgestaltung der Refrains, während strophische Passagen in der Regel sehr knapp gehalten sind (de Launay 1995, S. 210). Zum Verständnis der Entwicklung ist es hilfreich, die Bedeutung der Karaoke-Kultur in Japan näher zu betrachten. Dort, wo sie entstand, genießt sie einen hohen Stellenwert. Die Darbietungen, schätzungsweise von 50 Millionen Japanern betrieben, sind von künstlerischen Ambitionen geprägt. Karaoke, so schreibt der japanische Soziologe Ogawa Hiroshi, bietet ein „interessantes Feld für Forschungen über das Zusammenwirken von traditionellen Verhaltensweisen beim Singen mit moderner audiovisueller Technik“ (Ogawa 1996, S. 141). In der „gruppenorientierten japanischen Gesellschaft“ triumphiert es als „Exhibition des Individualismus“ (ebd. S. 150). Dem Vortrag wird Respekt entgegengebracht. Zwischen den einzelnen Refrains ist es gemeinhin üblich zu applaudieren. Eine Mehrzahl der verwendeten Lieder findet sich in den japanischen Top-40-Charts (Ogawa 1998, S. 49). Die oben beschriebenen stilistischen Eigenarten der Popmusik sowie die Vorliebe für einzelne Songs, die sich in der Popularität der Single-CD und neuerdings des „iPod“ ausdrückt, scheinen sich folgerichtig zu erklären. Viele Popsongs werden als Duette aufgenommen, auch das offensichtlich eine Reminiszenz an die Karaoke-Darbietungen, die gerne im Duett vorgetragen werden. Es sind hier nicht konkrete, zu isolierende Elemente indigener Musik, sondern Konventionen und Attitüden, die der populären Musik ein eigenes Profil verleihen. Für die Popkulturen in Europa ergeben sich Ausdifferenzierungen z. T. unter anderen Vorzeichen. Die amerikanische Rocksängerin CHRISSIE HYNDE hat in einem Interview mit der Zeitschrift „Uncut“ zu Protokoll gegeben, dass für sie in den 1960er-Jahren – als ein 14-jähriges Mädchen aus Ohio – alles Englische sehr exotisch war. Entsprechend fremd wirkte die britische Popmusik, die infolge der „Beatlemania“ über Amerika hereinbrach (Uncut, September 2004, S. 65). Dabei verstand sich diese Musik als Adaption des amerikanischen Rock’n‘Roll bzw. Rhythm & Blues. Es

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– LOKALE POPMUSIK UND TRANSKULTURATIVE PROZESSE

entstand aber etwas Neues, das über die englischen Grenzen hinaus und eben auch in Amerika für Jugendliche einen derartigen Reiz hatte, dass über mehrere Jahre die amerikanischen Charts von englischen Gruppen dominiert wurden. Mögliche Erklärungen hierfür sind ohne Frage vielfältig. Geschicktes Management und aufwendiger Hype sind an erster Stelle zu nennen. Zugleich aber ist der Grund für den Erfolg im musikalischen Bereich zu suchen. Viele der Protagonisten entstammten dem Milieu der englischen Kunstschulen. Adaption wurde als kreativer Prozess betrachtet. Purismus, der noch die älteren britischen Bluesmusiker wie ALEXIS KORNER und CYRIL DAVIES ausgezeichnet hatte, war nicht gefragt. Eine wichtige Rolle spielten offensichtlich zudem Mechanismen, die der amerikanische Ethnologe George Lipsitz als „produktive Missverständnisse in der interkulturellen Kommunikation“ bezeichnet (Lipsitz 1999, S. 224f). Bei vielen frühen britischen Rocksongs fällt ein spezifischer Vokalstil auf, ein merkwürdig gepresster, Silben dehnender Gesang, mit einem Timbre, dass es zuvor so nicht gegeben hatte. Offensichtlich waren die jungen Sänger, kaum dem Stimmbruch entwachsen, bemüht, den Gesang schwarzer Musiker zu imitieren. Musikalische Merkmale, die im R & B und im frühen Rock‘n‘Roll eher sporadisch vorkommen, verzerrte Gitarrenakkorde oder dynamische, den Grundrhythmus verstärkende Bassläufe, wurden als neu und reizvoll empfunden und avancierten zu grundlegenden Stilmitteln. Hinzu kamen Innovationen bei der Verstärkertechnik, die sich auf den Sound auswirkten. All das trug dazu bei, der Musik ihr Profil zu geben. Ökonomische und mediale Vernetzung hatten damals noch nicht die gegenwärtige Bedeutung, und es scheint fragwürdig, ob auch heute noch ein 14-jähriges Mädchen aus Ohio englische Popmusik als exotisch bewerten würde. Die Differenzen sind indessen geblieben. Besonders deutlich wird das am Beispiel des Hip-Hop. Dabei ist es häufig gerade der starke Amerika-Bezug, die Bedeutung der lokalen Herkunft für die amerikanischen Rapper, die auch in Europa zur regionalen Ausprägung führt, indem man bei der Aneignung zur Konstruktion einer vergleichbaren Authentizität bewusst das eigene Umfeld hervorkehrt oder ein entsprechendes lokales Umfeld erfindet. Die Orte werden in den Texten genau benannt, Videosclips mit Vorliebe auf dem Hinter-

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grund von Mietkasernen in Vorstädten als Zeichen vermeintlicher Herkunft produziert. Sie bilden die Folie für den Vortrag der „locally relevant issues“, die Tony Mitchel als Kennzeichen der internationalen Rap-Music benennt (Mitchel 2002, S. 22). Lokalkolorit wird darüber hinaus durch die Verwendung von Samples regionaler Musikstile oder Rhythmen hergestellt. Weiterhin ergeben sich auch bei der Adaption des Rap „produktive Missverständnisse“. Adam Krims beschreibt in seinem Buch über „Rap Music and the Poetics of Identity“ die Sounds der holländischen Hip-Hop-Gruppe THE SPOOKRIJDERS, die für ihn geradezu „schockierend fremd“ und innovativ wirkten (Krims 2001, S. 166). Die Musiker selber orientieren sich an amerikanischen Vorbildern und wollen nach eigenem Bekunden wie „Old School“ klingen (ebd., S. 169). Bei jüngeren Gitarrenbands in Deutschland wie SILBERMOND oder JULI verbinden sich stilistische Ausprägungen mit der Entwicklung der Popmusik im Lande. Der Gitarrist von JULI, Simon Triebel, hat in einem Interview1 mit Recht betont, dass sich die Musik der beiden Bands unterscheidet; nicht Recht hat er, glaube ich, wenn er sagt, dass die einzige Ähnlichkeit darin bestehe, es handle sich jeweils um „Rockmucke“. Denn für beide und auch für andere rezente Gruppen sind eindeutige Parallelen zur Neuen Deutschen Welle der frühen 1980er-Jahre zu verzeichnen. Der Album-Titel „Verschwende deine Zeit“ von SILBERMOND etwa ist offensichtlich eine Reminiszenz an den Song „Verschwende deine Jugend“ von DAF sowie dem gleichnamigen Film bzw. „Doku-Roman“ über die NDW. Parallelen zeigen sich in der leicht schnodderigen Vortragsweise und im Timbre der Sängerinnen sowie anhand eines bisweilen propagierter Willens zur Einfachheit und des Versuches, Unterhaltung und ambitioniertes Songwriting zu vereinen. Die Neue Deutsche Welle war seinerzeit in Folge der Punkrock- und New Wave-Bewegung entstanden. Sie war wie Punk und New Wave in gewisser Weise eine Reaktion auf die Entwicklung der Popmusik, auf die Ernsthaftigkeit und den Bombast, der seinerzeit etablierten und in die Jahre gekommenen Rockstars und auf die eher seichte Popkost, die die Charts dominierte. Man reagierte auf unterschiedliche Weise. Die einen übten sich in der Reinterpretation der Musik der Sixties mit gitarrenlastigen, gewollt amateurhaft vorgetragenen zwei-drei Minuten Songs, für die anderen waren gerade die Gitarren die

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– LOKALE POPMUSIK UND TRANSKULTURATIVE PROZESSE

Wurzel des Übels, weshalb sie sich mehr und mehr elektronisch orientierten. Innerhalb beider Richtungen gab es Musiker, die eher einer subkulturellen Einstellung verpflichtet waren und andere, denen es darum ging, eine attraktive Unterhaltungsmusik für Teenager zu produzieren. Die neue „Neue Deutsche Welle“ erinnert mehrheitlich an die rudimentär vorgetragene, gitarrenlastige und auf Unterhaltung zielende Spielart. Auch diese Musik lässt sich ein Stück weit als Reaktion auf bestehende Verhältnisse interpretieren. „Schweinerock ist schrecklich“, hat Eva Briegel, die Sängerin von JULI, in einem Interview mit dem Spiegel gesagt (Der Spiegel 42/2004, S. 175). Was man sich genau unter „Schweinerock“ vorzustellen hat, weiß wohl niemand. Tendenziell steht der Ausdruck für Songs, die handwerklich solide gebaut sind mit einem eher einfachen Beat, nach dem Vorbild der Rockmusik aus den 1970er-Jahren in der Art von STEVE MILLER und BRUCE SPRINGSTEEN. Die Musiker zeigen in ihren Liedtexten und in ihrer Haltung gerne eine gesellschaftskritische Einstellung. Vorgetragen werden die Songs mit viel Schweiß. Im Unterschied zu Amerika, wo ein STEVE MILLER seine Popularität längst eingebüßt hat, dominierte diese Musik in Deutschland mit immer den gleichen Protagonisten bis vor noch nicht all zu langer Zeit den Markt inländischer Produktionen. Damit bot sie viele Angriffspunkte. Es liegt auf der Hand, dass Jugendliche, die sich nach wie vor von den Altvorderen abgrenzen wollen, hier gegensteuern. Das bedienen offensichtlich Gruppen wie SILBERMOND, JULI und WIR SIND HELDEN. Musikalisch alles andere als neu, erklärt sich der Erfolg ihrer Ausrichtung, die der rezenten Popkultur in Deutschland in hohem Maße ihre Impulse gibt, zumindest teilweise aus den spezifischen lokalen Verhältnissen.

Transkulturative Prozesse Die Mechanismen, die globale und lokale Entwicklungen bewirken, erweisen sich als vielfältig. Von besonderer Bedeutung sind Kommunikationsabläufe, die man im kulturwissenschaftlichen Diskurs als Transkulturation bezeichnet. Der Begriff wurde in den 1940er-Jahren von dem kubanischen Anthropologen Fernando

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Ortíz eingeführt (Ortíz 2002) und ersetzt in jüngerer Zeit häufig den Begriff Akkulturation. Letzterer steht für die Vorstellung, dass eine dominante Kultur über andere Gesellschaften hereinbricht und die Menschen dort, mehr oder weniger passiv verharrend, kulturell vereinnahmt, also „akkulturiert“ werden. Tatsächlich, so die Erkenntnis von Ortíz, ergibt sich eher ein ausbalanciertes Verhältnis von Geber- und Nehmerkulturen. Die Kontakte verlaufen nicht nur in eine Richtung, sie vollziehen sich als Austausch und verändern die Ausdrucksformen aller Beteiligten. Sie verlaufen transkulturativ. Das gilt für die gegenseitige Beeinflussung von Kolonialmächten und ihren ehemaligen Kolonien, aber auch für Kontakte innerhalb der westlichen Welt, was die Entwicklung der populären Musik insbesondere verdeutlicht. Wie oben beschrieben, ergibt die englische Popmusik der 1960erJahre und ihre Bedeutung für die Jugendkultur in den USA hierfür ein Beispiel. Schlüssig zeigt sich das ferner an der Entwicklung der schwarzen Musik in den USA und in den Ländern der Karibik, vor allem Jamaika. Den Auslöser für die Entstehung der Hip-Hop-Kultur in New York gab ein jamaikastämmiger Diskjockey, KOOL DJ HERC, der nach dem Vorbild der jamaikanischen Soundsystems im Stadtteil Bronx Tanzveranstaltungen durchführte, unter Verwendung der von ihm aus Jamaika bekannten typischen Formen der Animation und des Abmischens tanzbarer Musik. Diese Ideen verbanden sich mit der seinerzeit populären US-amerikanischen Discomusic und ließen mit dem Hip-Hop etwas Neues entstehen, das in vielen Ländern der Erde adaptiert und nicht zuletzt auch in Jamaika wiederum die Tanzmusik erheblich beeinflusste. Die neuen digitalen Kommunikationsmöglichkeiten beschleunigen die transkulturativen Abläufe. Hinzu kommen veränderte Voraussetzungen für den direkten persönlichen Kontakt. Viele Musiker aus verschiedenen Kulturen finden in den Weltmetropolen eine neue Basis. Städte wie Miami und New York etwa gelten als Drehscheiben für Latin Music. In London und Paris treffen Musiker aus afrikanischen, asiatischen und karibischen Regionen zusammen. Die bessere technische Ausstattung führt dazu, dass in ihrer Heimat etablierte Interpreten ihre Musik lieber in den westlichen Metropolen mit dem dort zur Verfügung stehenden Personal aufnehmen. Die für lokale Märkte bestimmten Pro-

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duktionen werden dadurch bisweilen von Musikern mit unterschiedlicher kultureller Herkunft eingespielt. Eine Besonderheit bietet die Weltmusikbewegung der 1980er- und frühen 1990er-Jahre, da Transkulturation hier ein Stück weit ideologisch motiviert daherkommt. Man schuf, so drückt es der Musikanthropologe Veit Erlmann aus, „eine hoffnungsvolle Illusion, ein zuversichtliches Hirngespinst von einer globalen Ökumene“ (Erlmann 1995). Ihren entscheidenden Schub bekam die Bewegung aufgrund des kommerziellen Erfolges der Platte „Graceland“ von PAUL SIMON 1986. Viele der aufgenommenen Tracks wurden als Mischformen mit afrikanischen und amerikanischen Elementen beschrieben, was durchaus zu Missverständnissen führen kann. Denn PAUL SIMON hat die Produktion vorwiegend gemeinsam mit südafrikanischen Popmusikern eingespielt, deren musikalischer Background sich vor allem aufgrund der Rezeption afroamerikanischer Musik ergibt. So gesehen erweist sich Graceland als ein Album, dass durch transkulturative Mechanismen gekennzeichnet ist, die seit langem für die populäre Musik typisch sind. Mittlerweile ist der Weltmusikboom abgeebbt. Er hinterließ aber Spuren insofern er auf die Verfügbarkeit der Musikformen der Welt verwiesen hat. Vor allem die elektronisch orientierte Tanzmusik in Europa hat davon profitiert. Das zeigt sich anhand vieler Samples und Imitationen unter anderem von Elementen asiatischer bzw. circum-pazifischer Musikstile in den 1990er-Jahren. Auch in der gegenwärtigen Elektro-Tanzmusik finden sich häufig nichtwestliche Elemente, z. B. auf der Debüt-CD „Arular“ der aus Sri Lanka stammenden englischen Sängerin M.I.A. Bei einigen Vokalpassagen erinnern die Glissandi an Techniken des klassischen indischen Gesangs; das Spiel auf einer indischen Tambura wird ebenso imitiert wie das Oboenspiel mit Zirkularatmung, wie es in vielen nordafrikanischen und asiatischen Kulturen bekannt ist. All das verweist auf Sri Lanka als Heimat der Sängerin. Sicherlich sind die Anklänge Teil ihres Bemühens um „Realness“, ein Schlüsselwort für viele Protagonisten des Rap und verwandter Genres: „I want to be as real as I can to what I am and give a sense of Sri Lanka and Britain, or wherever I‘m at.“, hat sie in einem Interview gesagt. 2 Ihre Musik zielt allerdings primär

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auf den britischen Markt. Der Synkretismus funktioniert vor allem, weil sich die außereuropäischen Elemente, die überwiegend nicht als Zitat sondern assoziativ daherkommen, kaum merklich in den Gesamtklang einfügen. Es gibt aber auch fragwürdigere Beispiele, etwa bei einer Spielart der Trance-Szene, die als „Tribal Trance“ bezeichnet wird. Auf einer Homepage, die für CDs dieser Richtung wirbt, findet sich folgender Text: „Auf den Volumes der Tribal Trance-Kollektion konzentrieren sich die Tonschöpfer auf die tribalsten Klänge unserer Zeit, die zu Kultperlen verarbeitet als Vermittler zwischen trancebasierter Musik und schamanenhaften Tanz fungieren.“3

Hier wird die Jahrhunderte alte Tradition eines nicht reflektierenden Exotismus bedient. Häufig werden bei einem entsprechend unbekümmerten Umgang mit fremden Kulturen Elemente musikalischer Stile in eine profane, kommerzielle Sphäre überführt, die eigentlich rituellen Kontexten zugehören und deren Klangbilder mit religiösen Gefühlen verbunden sind. Dieser Zwiespalt wurde schon in den Hochzeiten der Weltmusikbewegung gerügt und bringt eine neue Form der Kulturkritik auf den Plan, demzufolge kultureller Imperialismus jetzt nicht mehr im Sinne von Verwestlichung verstanden wird, sondern als eine Art Ausbeutung und Entweihung kultureller Eigenarten. Hinzu kommt, dass sich die Protagonisten der jeweiligen Kulturen aufgrund des ökonomischen und technologischen Vorsprungs des Westens kaum dagegen wehren können. In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass es in den sogenannten „Entwicklungsländern“ häufig kein Urheberecht gibt und musikalische Formen von amerikanischen und europäischen Produzenten mit dem Etikett „traditionell“ versehen werden, um die kostenfreie Nutzung zu gewährleisten.

Resümee Die globale Ökonomie zeigt hier eines ihrer hässlichen Gesichter. Die resultierende Problematik erfordert eine eigene, umfassen-

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de Diskussion. Für mein Thema bleibt zunächst festzuhalten, dass die Vernetzung der Städte die Märkte vergrößert, kulturelle Erscheinungsformen bereitstellt und den Austausch beschleunigt. Akteure der Musikindustrie agieren international und große Stars werden in vielen Ländern der Erde wahrgenommen. Dennoch entstehen nach wie vor lokal ausdifferenzierte Stile, wobei die bewusste Hinwendung zum Eigenen, die besonderen regionalen Verhältnisse sowie individuelle Kreativität gleichermaßen eine Rolle spielen. Die lokalen Formen bedingen sich aufgrund transkulturativer Prozesse. Das Zusammentreffen von regionalem Profil und Interdependenz bietet einen besonderen Reiz und ergibt einen der Gründe für den Erfolg, weil es der Ausbildung einer vermeintlich modernen kulturellen Identität zuarbeitet, indem es die Interpretation der Musik als etwas Autochthones und zugleich Weltbürgerliches ermöglicht. Nicht zuletzt aus diesem Grund etablieren sich immer wieder vormals subkulturelle Ausdrucksformen in der Gesellschaft und dienen bisweilen sogar als Würdezeichen der sich offen gebenden und doch aktiv abgrenzenden Nationen.

Anmerkungen 1 2 3

http://www.just4fun-magazin.de/interview_eva__simon_von_ juli.1156.html. (Stand: 14.10.05) http://www.pollstar.com/news/viewhotstar.pl?Artist=MIA. (Stand: 23.10.05) http://www.futurebeats.net. (Stand: 23.10.05)

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Persönlichkeit und Verhalten der Fans von Hard Rock, Punk und Gangsta Rap Eine Gegenüberstellung empirisch-sozialpsychologischer Befunde und kulturwissenschaftlicher Erkenntnisse Jan Hemming In gewisser Weise markiert die Beschäftigung mit abweichendem Verhalten Jugendlicher die Geburtsstunde der Popmusikforschung – oder zumindest diejenige einer ihrer theoretischen Hauptstränge. Abweichendes Verhalten Jugendlicher wurde in den Nachkriegsjahrzehnten in Großbritannien wie in den USA zu einem immer größeren Problem, was man sich zum Beispiel an dem berühmten Film „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ (engl.: „Rebel without a cause“, [Regie: Nicholas Ray]) mit James Dean aus dem Jahr 1955 veranschaulichen kann. Dieser Film ist auch deshalb interessant, da hier (populäre) Musik weder als Ursache noch als Untermalung eine Rolle spielt, ein Umstand, der sich schon bald ändern sollte. Gründe für das abweichende bzw. irrationale Verhalten sind hier noch im gänzlich soziologischen Sinn in der Gruppenstruktur rivalisierender Jugendbanden zu sehen – in dieser Hinsicht ist der Film eher eine Parallele zu der 1957 uraufgeführten „West Side Story“ von Leonard Bernstein, Stephen Sondheim und Arthur Laurents. In England reagierte man auf das Problem des abweichenden Verhaltens mit der Gründung eines eigenen, interdisziplinären Forschungsinstituts, dem Birmingham „Centre for Contemporary Cultural Studies“, kurz CCCS, im Jahr 1964. Die hieraus hervorgegangenen Studien etwa von Raymond Williams, Stuart Hall oder Paul Willis wurden zum Fundament der Popmusikforschung. Schon bald bestätigten diese Untersuchungen die zentrale Rolle der populären Musik etwa für die Gruppenzugehörigkeit oder die persönliche Identität. Zentrales Resultat dieser Forschungen dürfte die Etablierung des Subkulturbegriffs darstellen – bis heute das einflussreichste, wenn auch nicht unkritisiert gebliebene Konzept einer Jugendsoziologie. Gegenstand dieses Beitrags ist – wenn man so will – eine zweite Welle, anders gearteten abweichenden Verhaltens etwa ab 1980. Die Rede ist von Anhängern von Hard Rock, Punk, später

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Abb. 1: Beispiele für Plattencover

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auch Gangsta-Rap, also grundsätzlich „härteren“ Formen populärer Musik. Darstellungen von realen oder erfundenen Gewaltszenen, von Monstern und / oder gefesselten Frauen etc. auf Plattencovern (vgl. Abbildung 1) sind vielleicht das erste offenkundige und abschreckende Merkmal dieser Musikrichtungen. Mit den Texten und Bühnenshows sieht es ähnlich aus. Da zumindest eine Provokation von Seiten der Künstler intendiert ist, verwundert es nicht, dass sich Initiativen von Seiten der Eltern oder z. B. der Kirchen schon bald sehr kritisch mit diesen Musikformen auseinandersetzen. In den Medien kommen dann Wissenschaftler und sonstige Musikverständige zu Wort, die die Phänomene erklären und in ihrer Gefährlichkeit beurteilen sollen. Vor allem in diesem Kontext sind während der 1980er- und 1990er-Jahre zahlreiche wissenschaftliche Studien entstanden, wobei empirisch-sozialpsychologische Befunde deutlich von kuIturwissenschaftlichen Ansätzen unterschieden werden müssen. Insbesondere die psychologischen Studien kommen oft zu negativen Ergebnissen, da problematische Persönlichkeitsmerkmale oder Verhaltensweisen von Musikern oder Fans beobachtet werden konnten. Demgegenüber haben kulturwissenschaftliche Ansätze mehrfach kohärente und akzeptable Ethnographien von Teilkulturen oder Szenen generiert – selbst wenn die aufgezeigten Inhalte und Werte natürlich nicht von jedermann geteilt werden. Diese stark voneinander abweichenden Ergebnisse lassen sich – zumindest teilweise – durch die unterschiedlichen methodischen Zugangsweisen erklären. Während die Sozialpsychologie beispielsweise die Ergebnisse von Persönlichkeitstests mit den musikalischen Präferenzen einer Probandengruppe korreliert, besteht der wichtigste Ansatz der Kulturwissenschaft in der teilnehmenden Beobachtung. Dabei ist es bezeichnend, dass die beiden Forschungstraditionen bislang kaum Notiz voneinander genommen haben, obwohl sie sich im Grunde mit dem gleichen Gegenstand beschäftigen. Die kulturwissenschaftliche Herangehensweise gilt vielen Sozialpsychologen als zu vage und spekulativ, da hier normalerweise keine empiri-

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sche Stichprobe im Sinne von „N=“ eine repräsentative Zahl von Probanden zu Grunde liegt. Demgegenüber halten Kulturwissenschaftler den sozialpsychologischen Ansatz für positivistisch und reduktionistisch, so dass der „Kern der Sache“ üblicherweise verfehlt werde. Ich möchte hier zwischen den beiden Positionen vermitteln und damit eine Perspektive für einen künftig verstärkten interdisziplinären Austausch aufzeigen. Etwa 20-30 empirische Untersuchungen haben die sozialpsychologische Diskussion maßgeblich geprägt. Das erste, was einen als Kulturwissenschaftler an diesen Studien stutzig macht sind die Titel der Zeitschriften, in denen sie erschienen sind. Neben „Psychology of Music“, dem „Journal of Music Therapy“ oder dem „Journal of Broadcasting and Electronic Media“, finden sich zum Beispiel Zeitschriften wie „Adolescent Health“, „Deviant Behaviour“, das „Journal of Death and Dying“ oder das „Journal of Research in Crime and Delinquency“. Häufig wurden die Untersuchungen also z. B. mit einer klinischen Perspektive, d. h. mit psychisch kranken oder unter straffällig gewordenen Jugendlichen durchgeführt. Die grundsätzliche Stoßrichtung und der Hintergrund werden dadurch offenkundig. Viele diese Studien entstanden auch als Reaktion auf den enormen Zuwachs an Popularität, den die betreffenden Hard & HeavyGenres in dieser Zeit insbesondere in Nordamerika zu verbuchen hatten. Etwas aktuellere Studien beziehen auch Hip-Hop und Rap mit ein, eine Musikrichtung, die zwar schon seit Jahrzehnten existiert, deren Problematik aber erst mit dem Aufkommen des sogenannten Gangsta-Rap manifest wurde. Die Texte sind hier voller tabuisierter Schimpfwörter wie ,,Bitch“, „Nigger“ oder ,,Motherfucker“. Gleichzeitig werden gewalttätige Vorkommnisse in bestimmten Bezirken nordamerikanischer Großstädte, den sogenannten ,,Ghettos“ teils reflektiert, teils glorifiziert und teils ironisch bis zynisch kommentiert. Bevor wir auf die Ergebnisse derartiger Untersuchungen zu sprechen kommen, müssen wir uns kurz vergegenwärtigen, wie zu Grunde liegende Testverfahren der Psychologie funktionieren. Ich möchte dies am Beispiel eines Persönlichkeitstests veranschaulichen, dem 16PF-Test aus den frühen 1970er-Jahren (Schneewind, Schröder, Cattell 1970, 1986). Bei insgesamt 192 Fragen müssen die getesteten Versuchspersonen (Vpn) eine Auswahl zwischen

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drei möglichen Antworten treffen. Es gehört zu den Grundannahmen der Testkonstruktion in der Psychologie, dass sich bestimmte Faktoren durch derartige Fragenanordnungen ermitteln lassen. Bereits im Psychologie-Grundstudium werden entsprechende Test-Konstruktionstechniken erlernt. Da es sich hier um weit entwickelte und standardisierte Verfahren handelt, werden derartige Tests auch als ,,Messinstrumente“ der Psychologie bezeichnet. Bezogen auf Musik können verschiedene Musikalitätstests bzw. Begabungstests erwähnt werden, und auch hier glaubte man zeitweise an die Messbarkeit musikalischer Begabung (z. B. Bentley 1968). Wenn man sich die zu den Fragen gehörenden Persönlichkeitsfaktoren einmal ansieht, wird aber auch intuitiv deutlich, dass sich Zusammenhänge zwischen den Fragen und den Persönlichkeitsmerkmalen herstellen lassen. In meiner Doktorandenzeit an der Universität Bremen haben wir mit genau diesem Test gearbeitet und ihn in Kombination mit einem Musikalitätstest eingesetzt. Wenn es aber um einen Vergleich der Testergebnisse untereinander geht, sind 16 Faktoren eher störend als nützlich. Es bietet sich also an, die Faktoren auf eine kleinere Anzahl zu reduzieren. Um dies zu erreichen, kann man sich die einfache Gegebenheit zu Nutze machen, dass die Antworten auf die jeweiligen Fragen mal mehr und mal weniger miteinander korrelieren. Anders gesagt, wenn jemand auf die Frage 151 („Schüchternheit“) eine bestimmte Antwort gibt, lässt sich mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit auch die Antwort auf die Frage 156 („etwas Dummes sagen ...“) vorhersagen. In einem solchen Fall nimmt man an, dass die Fragen nicht über zwei verschiedene, sondern über ein gemeinsames Persönlichkeitsmerkmal Auskunft geben. So kann man erstens die Anzahl der Fragen reduzieren, wodurch der Test wesentlich leichter durchführbar wird. Zweitens reduziert sich auf diese Art und Weise auch die Anzahl relevanter Persönlichkeitsfaktoren, wodurch z. B. die gewünschte Vergleichbarkeit oder Korrelierbarkeit mit anderen Befunden erleichtert wird. Inzwischen ist die Persönlichkeitspsychologie weitgehend zu der Übereinstimmung gelangt, dass von fünf wesentlichen Persönlichkeitsfaktoren ausgegangen werden kann, den sogenannten „Big Five“ (McCrae, Costa 1987):

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Persönlichkeitsmerkmal I.Extraversion (extraversion)

Persönlichkeit bewegt sich zwischen extravertiert (extraverted)

introvertiert (introverted)

verträglich (agreeable)

unverträglich (disagreeable)

nachlässig (disorganised)

gewissenhaft (conscientious)

IV. Neurotizismus (Neuroticism), auch bezeichnet als Ängstlichkeit, emotionale Stabilität

ruhig, entspannt (calm, relaxed)

nervös, angespannt (nervous, high-strung)

V. Offenheit für Erfahrung (Openess to experience), auch bezeichnet als Geltungsdrang

engstirnig (closed-minded)

aufgeschlossen (open to new experience

II. Verträglichkeit (agreeableness) III. Gewissenhaftigkeit (conscientiousness)

Dies muss man wissen, um die Studien lesen und verstehen zu können, die sich mit abweichendem Verhalten von Hard & Heavy-Fans auseinandersetzen, da dort auf diese Faktoren Bezug genommen wird, ohne sie noch einmal einzuführen oder zu erläutern. Nun aber zu einigen der versprochenen Resultate empirisch-sozialpsychologischer Studien: - Vpn mit einer Präferenz für Hard Rock & Heavy Metal zeigen einen höheren Grad an Rücksichtslosigkeit / Unbesonnenheit (Arnett 1992) sowie eine erhöhte Neigung zu abweichendem Verhalten (Singer, Levine, Jou 1993). - Punk Fans lehnen Autoritäten grundsätzlich ab (Hansen, Hansen 1991). - Musik mit Bezügen zu Mord, Selbstmord oder satanischen Praktiken wird in Städten eher bevorzugt als in ländlichen Gegenden (Wass, Raup, Cerullo, Martel 1988). - Vor dem Musikhören unterscheiden sich Heavy Metal-Fans nicht von den anderen Vpn hinsichtlich ihrer Aggressivität. Nach dem Hören entsprechender Musik steigt die Aggressivität nur bei den nicht-Metal-Fans (Gowensmith, Bloom 1997). Präferenz für Hard Rock und Heavy Metal geht häufig einher mit folgenden Persönlichkeitsmerkmalen: - sensation-seeking (Arnett 1992; Litle, Zuckerman 1996)

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excitement-seeking (Dollinger 1993) openness to experience (Dollinger 1993) machiavellism (Hansen, Hansen 1991) Psychoticism/ toughmindedness (Rawlings, Hodge, Sherr, Dempsey 1995) Arroganz, Dominanz, Neurotizismus, Extraversion (Dyce, O‘Connor 1994)

Gerade letztere Auflistung könnte auch als Beleg dafür herangezogen werden, dass in der Psychologie eben noch keine Einigkeit hinsichtlich der „Big Five“ besteht – dies aber nur am Rande. Grundsätzlich sind die Resultate wenig überraschend, denn Hard Rock und Heavy Metal oder Punk mit ihren verzerrten Gitarren, ohrenbetäubenden Lautstärken sowie den provokanten Texten und visuellen Darstellungen sind ja absichtlich eine manchmal sehr aggressive, kulturelle Ausdrucksform. Hierfür sind grundsätzlich drei einander ausschließende Erklärungsmodelle denkbar: 1. Die problematischen Persönlichkeitsmerkmale oder Verhaltensweisen werden durch die Musik selbst erzeugt bzw. von ihr hervorgerufen. Dies ist der Ausgangspunkt für Elterninitiativen wie das ,,Parents Music Resource Center“ (PMRC) einer Ex-Vizepräsidentengattin der USA (Tipper Gore 1987). Musik mit problematischen Inhalten soll verboten, zensiert oder zumindest gekennzeichnet werden. Das bekannteste Resultat dieser Initiative ist das ,,Parental-Advisory-Label“, der sogenannte „Tipper-Sticker“. Allerdings gehört es auch zu den ironischen Entwicklungen in diesem Sektor, dass dieses Label ab einem gewissen Punkt als Qualitätsmerkmal galt oder sogar als Front-Cover für entsprechende Sampler herangezogen wurde. 2. Wenn Hintergrundinformationen über die soziale Situation der Hard Rock- und Heavy Metal-Fans einbezogen werden, wird deutlich, dass viele von ihnen schon problematische Persönlichkeitsmerkmale oder Verhaltensweisen an den Tag legten, bevor sie mit den betreffenden Genres in Kontakt kamen (Gardstrom 1999, S. 211 ).

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Man könnte also behaupten, dass diese Personen gerade aufgrund dieser problematischen Ausgangssituation von Hard Rock und Heavy Metal angezogen werden. 3. Nur selten ist hingegen die Meinung anzutreffen, dass Musik soziale Realität gleichzeitig reflektiert und hervorbringt (Hansen, Hansen 1991, S. 338). Obwohl die die letzte Option grundsätzlich als akzeptabel erscheint, halten Kenner der Szene die psychologischen Studien häufig insgesamt für unangemessen. Dazu tragen auch peinliche Fehler bei: in einer Studie aus dem Jahr 1995 haben Forscher (Rawlings et al. 1995, S. 66) den Namen der nicht eben unbekannten Band METALLICA durchgängig falsch als ,,Metallicus“ wiedergegeben, und in dieser falschen Schreibweise wird das Beispiel von Kemp (1996, S. 135) später zitiert. Ich möchte daher zunächst auf eigene Forschungen zu sprechen kommen, die unter der Leitung von Günter Kleinen durchgeführte Tagebuchstudie unter Bremer Schülerbands. Ein Musiklehrer hatte uns auf einen Schüler hingewiesen, der seit vielen Jahren Klavier und Saxophonunterricht genommen hatte. Darüber hinaus spielte dieser Schüler in einer Band. Ich führte ein spannendes Interview mit einem klugen jungen Mann über seine musikalische Entwicklung und war sehr erstaunt, als mir schließlich die Musik der Band vorgespielt wurde. Zur Erläuterung sagte dieser Schüler folgendes: „Nach längerer Suche nach einem fähigen Bassisten, lernten wir nach einem unserer ersten Auftritte unseren heutigen Basser kennen, der uns mit fasziniertem Lob überschüttete. Mit zwei alten Schulfreunden hatte ich [vor etwa vier Jahren] die Band ins Leben gerufen, mit der Hoffnung, unserer Kreativität einen gemeinsamen Ausdruck geben zu können. Die Band in ihrer Anfangsphase stellt heute für mich mehr einen Zusammenschluss bester Freunde dar, die ihren altersbedingten Hormonüberschuss durch gemeinschaftliches Produzieren und Schaffen auszugleichen hatten. Die bandinterne Vertrautheit vermengte später dann die musikalischen Ideen mit einer allumfassenden Sinnsuche, die mir jetzt lebensnotwendig erscheint. [...] für uns [ist] klar, dass wir aus dem Genre aggressiv-emotionaler Gitarrenmusik (Hardcore) ebenso schöpfen, wie aus den

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Möglichkeiten feinsinniger, z. T. fast literarischer Stimmungsbilder. Die Musik ist daher eine Symbiose aus Wut und skeptischer Melancholie.“

Ich konnte keine Persönlichkeits- oder Verhaltensstörungen beobachten. Stattdessen hat dieser Schüler sehr bewusst eine Musik ausgewählt, die seinen aktuellen persönlichen Bedürfnissen entspricht. Ähnliche Erfahrungen machte ich während der Jahre meiner Arbeit in einem Berliner CD-Laden. Hier lernte ich, dass die jeweiligen Fans klar zwischen Hard Rock, Heavy Metal, Punk oder den verschiedenen Schulen des Hip-Hop unterscheiden und dies mitunter an kleinsten musikalischen Details festmachen, die für Außenstehende oftmals nicht oder nur schwer nachvollziehbar sind. Dies möchte ich am Beispiel des Stückes „Cop Killer“ von ICE-T und seiner Band BODYCOUNT aus dem Jahr 1992 veranschaulichen. In einer der erwähnten Studien ist hierzu Folgendes zu lesen: „The lyrics of one specific rap, ‚Cop killer‘, by Ice-T were thought by many to be the catalyst for the murder of a police officer in Texas“. (Gardstrom 1999, S. 210) Damit wird zunächst einmal die Kausalität umgedreht, denn die aggressive Sprache, die für das ganze Album typisch ist, ist primär eine Reaktion auf Misshandlungen junger Schwarzer durch die Polizeit von Los Angeles. Zweitens handelt es sich bei diesem Stück mit Sicherheit nicht um einen Rap, sondern um einen Hard-Rock-Titel. Hier wurden in Unkenntnis also die Genres durcheinander geworfen – möglicherweise auch ein Effekt der Zensur, denn die Auslieferung des Albums durch den WARNER-Vertrieb wurde bereits nach kurzer Zeit gestoppt. Heutzutage erhältlich ist nur eine Version, die statt „Cop Killer“ den Titel „Freedom of Speech“ enthält. Auch wenn Hard Rock, Punk und Gangsta Rap deutliche musikalische Differenzen aufweisen, gibt es natürlich eine zentrale Gemeinsamkeit. Diese besteht im Gebrauch von offensiver Sprache und offensiven Inhalten in den Texten der Stücke, die von einer homologen Symbolik an Kleidungsstilen, Musikvideos, Plattencovern und Bühnenpräsentationen flankiert werden. Eine differenzierte Auseinandersetzung würde also voraussetzen, dass eine Untersuchung des ,,Klangs an sich“ klar unterschieden wird von der umgebenden, nicht-musikalischen Symbolik, die häufig den primären Anlass für die angesprochene

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öffentliche Besorgnis liefert. Schauen wir uns einmal an, wie die Musikwissenschaft mit diesem Problem umgeht: Im Jahr 1998 hörte ich auf dem GfM-Kongress in Halle (Saale) einen Vortrag von Achim Heidenreich zum Thema rechtsradikale Rockmusik, welcher damals schon meinen heftigen Widerspruch ausgelöst hat. Ausgangspunkt für Heidenreich ist eine Materialsammlung „Rockmusik und Rechtsradikalismus“ von (Bähr, Göbler 1993), deren inhaltlicher Aussage er sich weitgehend anschließt. Es handelt sich um ein Buch mit Kassette für den Schulunterricht aus dem Jahr 1993. Hier werden in einem Atemzug Rechts-Rock, Punk, Heavy Metal usw. nebeneinander gestellt. Die musikalische Struktur ist für ungeübte Ohren zwar ähnlich, wie gesagt werden die dazugehörigen Bedeutungsgehalte von den jugendlichen Adressaten aber sehr präzise differenziert. Wohl kaum ein Jugendlicher der rechten Szene würde „Anarchy in the UK“ zu seiner Hymne erklären. Heidenreich stellt ein gutes Beispiel aus dem Kontext von ,,Rock gegen Rechts“ der Gruppe NORMAHL einem „bösen“ Beispiel der Gruppe STÖRKRAFT gegenüber. Für Heidenreich ist es nun selbstverständlich, dass sich die Aussagen der Texte auch in der musikalischen Struktur widerspiegeln. Die Analyse des Stückes von STÖRKRAFT ergibt dabei folgendes: „Die Musiker bedienen sich allenfalls derjenigen Zeichen, die zur äußerlichen Erkennung von Rockmusik notwendig sind, um ihre faschistoiden Texte in einem gesellschaftlich gerade noch akzeptierten Kontext zu präsentieren“ (S. 289) und „Die rechtsradikalen Botschaften prägen sich umso besser ein, je primitiver und monotoner die Tonsprache dazu ist“ (S. 290).

Demgegenüber Heidenreich zu der Gruppe NORMAHL: „Im Gegensatz zur Dumpfheit der rechtsradikalen Rockmusik ist der solistische Mittelteil der Gruppe Normahl klanglich sehr artifiziell gestaltet und präsentiert mehrere simultane musikalische Ebenen“.

Ich glaube, die Plattheit der Argumentation ist kaum zu überbieten und könnte auch so zusammengefasst werden: ,,wenn wir uns in Richtung Kunstmusik bewegen, wird alles wieder gut“.

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Nicht bewusst ist Heidenreich dabei – es findet sich auch kein Hinweis darauf in der erwähnten Materialsammlung – dass die Gruppe NORMAHL teilweise dem linksradikalen Spektrum zugeordnet wurde und beispielsweise mit Liedern wie „Pflasterstein flieg“ in ganz ähnlicher Weise zu Gewalt aufgerufen hat wie STÖRKRAFT. Und trotz der lebhaften Diskussion im Anschluss an Heidenreichs Vortrag wurde der Text so gut wie unverändert in die Kongresspublikation aufgenommen (Heidenreich 2000). Ein deutlicher Hinweis auf die Beschränkungen der traditionellen Musikwissenschaft im Umgang mit populärer Musik. Ein Kulturwissenschafter würde an dieser Stelle mit einem Hinweis auf die Semiotik und dem dort postulierten arbiträren Verhältnis zwischen Zeichen und Bezeichnetem Einspruch erheben. Auch und gerade in der populären Musik gilt daher: Es gibt kein unmittelbares Verhältnis von Klang und Bedeutung. Ein kurzer Auschnitt eines weiteren rechtsradikalen Titels aus der Materialsammlung von Bähr und Göbler kann helfen, das Problem zu differenzieren: „Oi Dramz“ aus dem Jahr 1992, vorgetragen von einer gleichnamigen Band. Richten wir unser Augenmerk für einen Moment auf die Produktionsbedingungen und Zusammenhänge, in denen diese Musik entsteht. Vor diesem Hintergrund fällt sofort auf, dass der Schlagzeuger aus dem Takt spielt und die Musiker auch sonst recht holprig mit ihren Instrumenten umgehen: typisch für eine Anfängerband. Sie spielen diese Musik also nicht, weil dieser Sound schon die Message beinhaltet, sondern weil diese Art einer Band ihrem „kulturellen Kapital“ entspricht – zu anderen Musik- und Ausdrucksformen haben sie in der Regel keinen Zugang. Damit soll keineswegs die Problematik dieser Musik heruntergespielt oder gar Verständnis für ihre Macher hervorgerufen werden. Mir geht es nur darum, dass man schon etwas genauer hinsehen muss, wenn man die Mechanismen und Funktionsweisen von Musik in rechtsradikalen Zusammenhängen verstehen will.

Kulturwissenschaftliche Ansätze Im Gegensatz zu der Ferne zur Musik, die die sozialpsychologischen oder musikwissenschaftlichen Studien also gelegentlich

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aufweisen, kommen in der Cultural-Studies-Tradition wenn überhaupt qualitative Forschungsmethoden zum Einsatz. Welchen erheblichen Perspektivwechsel dies bewirkt, kann sehr gut an folgendem Zitat aus Bettina Roccors Weg weisender Studie der deutschen Heavy Metal-Szene veranschaulicht werden: „Wäre Heavy Metal für mich nur ‚Krach‘ gewesen, hätte eine Feldforschung insbesondere bei Konzerten nur unter äußerst erschwerten Bedingungen stattfinden können. Gespräche mit Fans wären an der Unkenntnis über das musikalische Genre gescheitert. Der Gefallen an der Musik Heavy Metal war somit eine wichtige Voraussetzung, um einen objektiven Zugang zum Forschungsfeld zu finden“ (Roccor 1998, S. 7-8).

Andere empirische Studien, die auf Interviews oder teilnehmender Beobachtung basieren, stammen etwa von Paul Willis (1978, 1981), Robert Walser (1993) oder Harris Berger (1999). Allerdings ist hier eine quantitative Verifikation weder möglich noch intendiert. Stattdessen wird davor gewarnt, dass sich Studien wie die zuvor erwähnten für bestimmte politische oder ideologische Absichten, instrumentalisieren lassen. So wurden auch Forderungen nach Zensur – etwa durch das „Parents Music Resource Center“ – unter Berufung auf derartige Studien erhoben (Cloonan, Garofalo 2003; Walser 1993, S. 137-171). Beim genaueren Hinsehen bin ich allerdings zu der Einsicht gelangt, dass dieser Vorwurf nicht aufrechterhalten werden kann. Auch viele der quantitativen, sozialpsychologischen Studien sind von einem hohen Maß der Selbstreflexion gekennzeichnet: „Wir weisen darauf hin, dass unsere Daten auf Korrelationen beruhen, und dass unsere Ergebnisse nicht dazu geeignet sind, die Zensur bestimmter Musik zu befürworten, um abweichendes Verhalten zu verhindern.“ (Singer et al. 1993, S. 327-328) „Musik als solche ist niemals in der Lage, positives oder negatives Verhalten hervorzubringen.“ (Gardstrom 1999, S. 220) „Die überwiegende Mehrheit der Hörer von Heavy Metal oder Rap war männlichen Geschlechts.

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Wenn die Stichproben aber in der Geschlechterverteilung normiert werden, verschwindet das Aufbegehren, welches mit dem Hören von Heavy Metal oder Rap verbunden wird. [...] Was wir in den nicht normierten Stichproben beobachtet haben, ist also möglicherweise das ganz normale Verhalten heranwachsender, männlicher Jugendlicher“. (Took, Weiss 1994, S. 3)

In vielen dieser Studien ist dennoch ein hohes Maß an Besorgnis oder Unbehagen auch da erkennbar, wo die eigenen empirischen Ergebnisse keine wirklichen Anhaltspunkte liefern. Das Problem ist nun, was die Medien daraus machen, und diesen Aspekt möchte ich zuletzt an einer Fernsehsendung veranschaulichen, die am 11.11.2004 auf 3SAT ausgestrahlt wurde:,,Musik macht klug – die Welt der Klänge und ihre Bedeutung“ mit Gert Scobel (Moderation), Catherine Rückwardt (Generalmusikdirektorin am Staatstheater Mainz), Manfred Spitzer (Neurobiologe und Psychiater) und Wolfgang Rihm (Komponist). Hier eine kurze Transkription der betreffenden Stelle: „Spitzer: Musik hat einen guten Effekt, Platon hat das schon gesagt. Rihm: Er hat davor gewarnt. Spitzer: Er hat davor gewarnt, zuviel Musik zu machen; hat aber auch gesagt, die dürfen nicht zu viel Sport machen, die Jungs, die müssen ein bisschen Musik machen und ein bisschen Sport, weil sonst werden sie zu weich oder zu verroht. Das heißt, der hat das schon ein bisschen im Verhältnis gesehen. Scobel: Gibt es denn Musik, die verblödet? Spitzer: Es gibt Musik, die aggressiv macht, dazu gibt es Untersuchungen, wenn der Text entsprechend wirklich ganz aggressiv ist, und man hört das eine Weile, neigt man hinterher verstärkt zu Aggressivität. Das ist sogar experimentell nachgewiesen. Scobel: Bei Techno glaube ich auch. Rückwardt: Oder dieses Gangsta-Rap, zum Beispiel, das macht unglaublich aggressiv, wenn man das hört. Aber dieses Streben von der Dissonanz zur Harmonie – Bruno Walter hat das auch gesagt – das mache bessere Menschen aus uns.“

Man möchte den Diskussionsteilnehmern empfehlen, auch einmal die Ergebnisse von Kulturwissenschaft und Popmusikforschung

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zur Kenntnis zu nehmen, um zu einem vertieften Verständnis entsprechender musikalischer Szenen zu gelangen. Hierdurch hätte man z. B. Folgendes erfahren: natürlich ist es kein Zufall, dass die betreffenden Musiker und Bands Musik mit einem hohen Grad der Erregung bzw. im physischen Sinne bewegenden Eigenschaften auswählen. Die so zum Ausdruck gebrachte „Power“ ist zugleich Kompensation der eigenen Schwäche wie auch mimetische Vergegenwärtigung der eigenen (schwachen) Stellung in der Gesellschaft. Darüber hinaus verweist sie auf unmittelbare Körpererfahrungen, deren Bedeutung gerade die Musikpädagogik in jüngerer Zeit vielfach herausgestellt hat. Als Subkultur ist Hard Rock und Heavy Metal für jedermann leicht zugänglich, bei Interesse genügt schon der Besitz einer Leder- oder Jeansjacke und einiger Tonträger. Einschränkungen im Sinne von Schönheitsidealen oder Modevorgaben, welche so viele andere Szenen (darunter teilweise auch Punk) kennzeichnen, sind hier kaum anzutreffen. Und zu guter Letzt ist auch der Gebrauch der provokanten Sprache im Heavy Metal wie im Gangsta-Hip-Hop natürlich als Gegenreaktion auf eine möglicherweise übertriebene „political correctness“, vor allem in Nordamerika, zu verstehen. Ich trete also dafür ein, die Ergebnisse quantitativer empirischer Studien ebenso ernst zu nehmen und zu berücksichtigen wie die der Szene-nahen kulturwissenschaftlichen Untersuchungen. Vielleicht ermöglicht gerade die Kombination beider Ansätze ein vertieftes Verständnis in Frage stehender musikkultureller Prozesse.

Literatur 3SAT-Diskussionsrunde (11.11.2004): Musik macht klug – die Welt der Klänge und ihre Bedeutung. Mit Gert Scobel, Moderation / Catherine Rückwardt, Generalmusikdirektorin am Staatstheater Mainz / Manfred Spitzer, Neurobiologe und Psychiater / Wolfgang Rihm, Komponist. Jeffrey Arnett (1992): The soundtrack of recklessness. Musical preferences and reckless behavior among adolescents. Journal of Adolescent Research, 7(2), S. 313-331.

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Johannes Bähr; Dorothee Göbler (1993): Rockmusik und Rechtsradikalismus. Materialien zu verschienen Aspekten des Rechts-Rock. Frankfurt a.M.: Staatliche Landesbildstelle Hessen. Arnold Bentley (1968): Musikalische Begabung bei Kindern und ihre Meßbarkeit. Frankfurt a.M.: Diesterweg. Harris M. Berger (1999): Metal, Rock, Jazz. Perception and the phenomenology of musical experience. Hanover NH: University Press of New England. Martin Cloonan; Reebee Garofalo (Hg.) (2003): Policing Pop. Philadelphia: Temple University Press. S. Dollinger (1993): Research note: Personality and music preference: Extraversion and excitement seeking or openess to experience? Psychology of Music, 21(1), S. 73-77. Jamie Dyce; Brian O‘Connor (1994): The personalities of popular musicians. Psychology of Music, 22, S. 168-173. Susan Gardstrom (1999): Music exposure and criminal behavior. Perceptions of juvenile offenders. Journal of Music Therapy, 36(3), S. 207-221. Tipper Gore (1987): Raising PG kids in an X-rated society. Nashville, TN: Abingdon Press. W. Gowensmith; L. Bloom (1997): The effects of heavy metal music on arousal and anger. Journal of Music Therapy, 34, S. 33-45. Stuart Hall; Tony Jefferson (Hg.) (1976): Resistance through rituals: youth subcultures in post-war Britain. London: Hutchinson. C. Hansen; R. Hansen (1991): Constructing personality and social reality through music: Individual differences among fans of punk and heavy metal music. Journal of Broadcasting and Electronic Media, 35(3), S. 335-350. Achim Heidenreich (2000): Eine Überdosis Deutschland. Zum Problem rechtsradikaler Rockmusik. In: Kathrin Eberl; Wolfgang Ruf (Hg.): Musikkonzepte - Konzepte der Musikwissenschaft. Bericht über den internationalen Kongress der Gesellschaft für Musikforschung Halle (Saale) 1998, Band 1. Kassel: Bärenreiter, S. 286-292. Anthony E. Kemp (1996): The Musical Temperament. Psychology and Personality of Musicians. Oxford: Oxford University Press. Patrick Litle; Marvin Zuckerman (1996): Sensation seeking and music preferences. Personality and Individual Differences, 7(4), S. 575-577.

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„Seeing Is Believing“ – Zur Rolle von Musik in den Medien Christoph Jacke 1. Einleitung: Seeing Is Believing? „Seeing is believing. I have seen these things before.“ (Feel a Piece, Red Lorry Yellow Lorry, Talk about The Weather, Red Rhino 1985), sang die nordenglische Postpunk-Band RED LORRY YELLOW LORRY vor zwanzig Jahren und bringt damit ungewollt ein Credo des aktuellen Musikfernsehens auf den Punkt: Die Ebene des Visuellen scheint die des Akustischen zu beherrschen und damit auch die Glaubwürdigkeitsrahmen abzustecken: Seeing is believing. Ebenso sind sich momentan Journalisten, Wissenschaftler und offensichtlich auch Studierende überraschend einig, dass insbesondere die TV-Musiksender in ihrer jetzigen Form eher von Redundanz denn von Innovation geprägt sind, also durch Wiederholung denn durch Experiment auffallen: I’ve seen these things before. Gleichzeitig bescheren die gewöhnlichen Fernsehzuschauer – und um diese geht es den Werbekunden der Sender und auch der Gesellschaft für Konsumforschung – einem vermeintlich gewöhnlichen, abgegriffenen Popmusik-Wettbewerb wie dem „Eurovision Song Contest“ eine traumhafte Quote. Am Samstag, den 20.05.2006 bekam die ARD laut einer Meldung der „Frankfurter Rundschau“ vom 22.05. eine Resonanz von 10,49 Millionen Einschaltern, was laut FR einem Marktanteil von 39 Prozent entspricht und damit jenseits jeglicher Wünsche von VIVA und MTV liegt. Gibt es also doch noch erfolgreiche Formate von Musik-Präsentation im deutschen Fernsehen? Ich werde im Fazit meines Vortrags darauf zurückkommen. Ich möchte Ihnen heute aus den medienkulturtheoretischen Vorüberlegungen zu einer größeren empirischen Studie über den Strukturwandel im deutschen Musikfernsehen einige Punkte herauskristallisierend berichten1, um ein Problembewusstsein für die derzeit ablaufenden Entwicklungen allgemeiner (Gesellschaft, Medien, Popkultur) sowie ganz spezieller Art, bezogen auf die Rolle von Musik in den Medien und ihrer einstigen Institutionalisierung durch eigene Musik-Fernsehsender, zu schärfen.

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Dabei werde ich in einem ausführlicheren Teil mein Verständnis von Musik und Medien und deren Zusammenhängen als theoretischen Teppich ausrollen (Kapitel 2), um daran anknüpfend einige Aspekte des Wandels vorzuschlagen und thesenartig zur Diskussion zu stellen (Kapitel 3) und schließlich in einem vorläufigen Fazit zu enden (Kapitel 4).

2. Musik und Medien – wechselwirksame Zusammenhänge Da immer wieder unklare Definitions-Ansammlungen/Verwirrungen auftreten, wie zuletzt etwa bei Keazor/Wübbena, die unter Medien „Text, Popmusik, Fernsehen und Werbung“ (2005, S. 15) fassen oder Kurp, Hauschild & Wiese, die „TV und Popmusik“ (2002, S. 12) als Medien verstehen, gilt es, zumindest in aller Kürze Arbeitsdefinitionen vorzulegen, die es erlauben, diese Felder zu strukturieren und zu analysieren. Ferner sollen diese Definitionen dazu dienen, das offensichtlich insbesondere in Beobachtungen zu Musik und zu Medien vorherrschende Durcheinander zu ordnen, um von einem vorläufig gemeinsamen Plateau aus zu argumentieren.

2.1 Musik Mein Begriffsverständnis von Musik orientiert sich an dem Kommunikationswissenschaftler Torsten Casimir, dessen ausführliche theoretische Analyse zur Musikkommunikation und ihren Wirkungen bis heute eine der wenigen Ausnahmen kommunikations- und medientheoretischer Beschäftigung mit Musik darstellt. Casimir kritisiert dabei aus systemtheoretischer Perspektive den Mangel an wissenschaftlichen Beobachtungen und, wenn Musik überhaupt einmal aus dieser Warte thematisiert wird – die Einseitigkeiten der Analysen, und zwar sowohl thematischer als auch theoretischer als auch empirischer Art. Darauf werde ich später innerhalb meiner Ausführungen zur medien- und kommunikationswissenschaftlichen Behandlung von Musik noch zurückkommen. Casimir (1991, S. 192-197) verlangt eine kognitionsfundierte Beschreibung von Musik, die sich also nicht am Wesen, Werk oder

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der Existenz von Musik orientiert, sondern an deren Wahrnehmung und deren Gebrauch durch kognitiv autonome Aktanten, die gleichzeitig sozial orientiert wahrnehmen. Erst durch solcherlei kulturelle Orientierungen etwa wird der Unterschied eines erlebten Musikstücks zu einem tropfenden Wasserhahn als akustisches Ereignis sinnvoll. Casimir (1991, S. 80) fasst unter Musik also nicht etwas objektiv Gegebenes, als physikalische Realität, sondern bemüht sich um die Integration systemtheoretisch-konstruktivistischer Erkenntnisse, wie dies aus kommunikationstheoretischer Perspektive auch Rolf Großmann (1991; 1999) und später Gerrit Jöns-Anders (2003a, 2003b) versucht haben, um sowohl das Prozesshafte von Musik in ihren Kontexten von Produktion, Distribution, Rezeption/Nutzung und Weiterverarbeitung als auch die lange Zeit vernachlässigte Bedeutung des Musik-Wahrnehmens zu berücksichtigen. Casimir spricht sogar vom Handlungssystem Musikkommunikation, das „[…] als ein Quadrupel (eine geordnete Menge mit vier Elementen), bestehend aus Musikproduzenten, Musikvermittlern, Musikrezipienten und Musikverarbeitern“ (1991, S. 83) definiert werden kann und sich am Handlungssystem Literatur des Medienkulturwissenschaftlers Siegfried J. Schmidt (1989, S. 280-380) orientiert. Ganz ähnlich, wenn auch häufig nicht so systematisch umfassend und analytisch, scharf argumentieren medienkulturtheoretische Ansätze der Cultural Studies, wenn sie die Rolle der aktiven Rezipienten in deren Aneignungen von Medienangeboten betonen. 2 Darauf verweist auch Diederich Diederichsen, der mit der Musikzeitschrift „Spex“ bereits in den frühen Neunziger Jahren einzelne Ansätze und Forscher der britischen und amerikanischen Cultural Studies in die Popkultur-Diskussionen massenmedial eingebracht hat: „Pop-Musik ist offen, die Rezipienten leisten ganze Arbeit. Und nur zu oft ist ihr Anteil bedeutender als der der Musiker, Produzenten, Graphiker, Videoregisseure und wer sonst noch an einem Werk der Pop-Musik beteiligt ist.“ (Diederichsen 2005, S. 13)

Durch einen solchen Perspektivenschwenk weg von der kritischtheoretischen Ohnmacht der Rezipienten hin zum Aktanten und dessen kognitiven und kommunikativen Operationen gelingt

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eine undogmatischere Herangehensweise an Musik und Popmusik.3 Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass insbesondere systemtheoretische und konstruktivistische Beobachtungen, aber auch einzelne Überlegungen der Cultural Studies in ihrer Betonung der Aktivität des Rezipienten eine ganze Zeitlang den Blick auf Machtverhältnisse und Kritikpotenziale verstellt haben, sich aber in letzter Zeit vermehrt solchen Themen widmen.4

2.2 Medien Waren also bei der Arbeitsdefinition von Musik die Aspekte der mangelnden Kontextualisierung und Rezipientenorientierung ausschlaggebend, so erscheinen bei der Verwendung des Begriffs Medien vorrangig dessen unterschiedlich angewandte Termini ein Problem. Sicherlich gab es auch im wissenschaftlichen Verständnis im letzten Jahrhundert eine Phase der Unterstellung besonders starker Medien-Wirkungen, die mit der Ohnmacht des Rezipienten einherging, doch nicht zuletzt durch Untersuchungen im Rahmen des Uses & Gratifications-Ansatzes, der Systemtheorie, dem Konstruktivismus und insbesondere der Cultural Studies gilt der Medien-Rezipient als durchaus mächtig, wenn eben auch nicht allmächtig, denn er oder sie kann bekanntlich auch nur auswählen oder anwählen, was wählbar ist. Aber dies ist eine andere Diskussion.5 Jedenfalls scheint die Machtfrage des Medien-Rezipienten in der Wissenschaft schon wesentlich weiter ausdifferenziert und problematisiert als die des Musik-Rezipienten, wobei letztere sicherlich aus den Erfahrungen der Diskursstränge zu ersterer lernen kann. Will man den Medienbegriff in seiner Komplexität modellieren und präzisieren und soll dies für einen Massenmedienbegriff geschehen, um den es bei Popmusik und Medien – also hier und heute – gehen soll, dann bietet sich der Medien-Kompaktbegriff von S. J. Schmidt (2002) an.6 Dieser verteilt den massenmedialen Kommunikationsprozess (die bereits mehrfach angesprochenen Prozessstufen Produktion, Distribution, Rezeption/Nutzung, Weiterverarbeitung) auf folgende vier Ebenen: 1. Kommunikationsinstrumente: Materiale Gegebenheiten,

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die zeichenfähig sind und zur gesellschaftlich geregelten, dauerhaften, wiederholbaren und gesellschaftlich relevanten strukturellen Kopplung von Systemen im Sinne je spezifischer Sinnproduktion genutzt werden können. Als Prototyp von Kommunikationsinstrumenten sieht Schmidt gesprochene, natürliche Sprache, weil seit der Entstehung von Sprachen das grundlegende Prinzip der genannten Sinn-Kopplung von Systemen durch signifikante Materialitäten (und nicht etwa Bedeutungen) für alle nachfolgenden Kommunikationsinstrumente (Schriften, Bilder, Notationen usw.) exemplarisch geworden ist. 2. Medientechnologien: Das technische Dispositiv beeinflusst, ja bedingt jede Produktion, Distribution, Rezeption und Weiterverarbeitung von Medienangeboten laut Schmidt nachhaltig. Denn nur was dem jeweiligen technischen Entwicklungsstand einer Technologie gemäß ist, kann von den Nutzern als Handlungsschema von Medienangeboten auch tatsächlich eingesetzt werden, sofern diese technischen Zugang und Medientechnologie-Kompetenz besitzen. Denn der Umgang mit solchen Medientechnologien muss sozialisatorisch erlernt und zum festen Bestandteil der Kompetenzen von Aktanten werden. Durch Routinisierung werden diese Kompetenzen in der Regel zur Selbstverständlichkeit, invisibilisiert und damit weder bewusstseinsfähig noch bewusstseinspflichtig. 3. Sozialsystemische Organisationen: Die gesellschaftliche Durchsetzung eines Kommunikationsinstruments, der dafür erforderliche Aufbau einer Medientechnologie sowie die Sozialisations- und Kompetenz-Möglichkeiten sind gebunden an die Herausbildung der sie tragenden sozialen Einrichtungen (Organisationen und deren Bereiche wie Redaktionen, Verlage, Fernsehanstalten, Schallplattenfirmen, Institutionen wie Schulen, Akademien und Universitäten), deren Stellung in der Gesellschaft wiederum die Lösung ökonomischer, rechtlicher, politischer und sozialer Probleme erforderlich macht. Schmidt betont, dass diese sozialsystemische Komponente den Kommunikationsinstrumenten und Medientechnologien keinesfalls äußerlich ist, sondern das Beziehungsgefüge zwischen den Kompo-

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nenten als selbstorganisierend betrachtet werden muss. 4. Medienangebote: Auch bei dieser Komponente wird deren Verstricktsein in das gerade genannte Beziehungsgefüge deutlich. Die drei anderen Komponenten wirken auf die Produktion, Distribution, Rezeption/Nutzung und Weiterverarbeitung von Medienangeboten ein. Medienangebote sind die professionell und institutionell erstellten Träger von Texten jedweder Art (Leitartikel, Feature, Track auf einer CD, Werbespot, Plakat, Homepage etc.), die diese dem Markt und somit vor allem den Rezipienten verfügbar machen, eben anbieten. Diese Komponenten wirken vor jeweils ganz spezifischen soziohistorischen Hintergründen wechselseitig aufeinander ein und können nur analytisch getrennt werden. Trotzdem erweist sich dieser umfassende Medienbegriff in der Forschung als sinnvolle Grundlage, da er das gesamte Untersuchungsfeld für Medien- und Kommunikationswissenschaft berücksichtigt und zudem ganz unterschiedliche Begriffe integrieren helfen kann. Nachdem also die Begriffe Musik und Medien aneinander kompatiblen Definitionen unterzogen worden sind, stellt sich nun die Frage ihrer konkreten Kopplung in der Forschung aus verschiedenen Blickwinkeln.

2.3 Medialisierung von Musik: Medienmusik Viel ist in den letzten Jahrzehnten in Wissenschaften und Feuilletons die Rede von der Medialisierung des Alltags, des Menschen, der Gesellschaft etc. Völlig undramatisch betrifft dies kultürlich auch die Musik, und zwar auf allen eben genannten Prozessstufen des Handlungssystems Musik. Aber was genau ist mit Medialisierung von Musik gemeint? Rolf Großmann (1999, S. 241-243) etwa bezieht sich sehr stark auf die Ebene der Medientechnologien in Produktion und Rezeption, wenn er von Medienmusik als medialer gegenüber nichtmedialer Musik schreibt. Großmann berücksichtigt allerdings offensichtlich auch schon ansatzweise die anderen Stufen des hier verwendeten Medien-Kompaktbegriffs, wenn er sowohl die Pro-

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duktion (das Spielen, Vorführen) als auch die Rezeption (Aufnahme, Wahrnehmung) von Musik als medien-beeinflusst beschreibt, um damit – so verstehe ich ihn – auch einen Schritt weit weg von der Frage nach Original und Kopie zu gelangen. Wobei Großmann zwar die Prozessstufen berücksichtigt, sich in seinem Medienbegriff aber nicht explizit auf die vier hier geforderten Komponenten bezieht. Wenn er etwa auf die begrenzten Möglichkeiten von Musik, den Medien zu entfliehen eingeht, scheinen mehrere Komponenten des Medien-Kompaktbegriffs angesprochen zu sein: „Selbst die Abgrenzung des vermeintlichen Refugiums ist von den Medien mitgeneriert und kann von ihnen – unter dem Etikett ‚unplugged’ – assimiliert werden.“ (Großmann 1999, S. 230) Mit der pauschalen Bezeichnung „Medien“ meint Großmann offensichtlich die Medialisierung der Flucht der Musik aus der Medialisierung, also das Berücksichtigen der Medien-Organisationen, Sender etc. dieser Flucht als neue Vermarktungsform. Dieser Mechanismus begegnet uns im Übrigen insbesondere in der Popkultur und -musik – daher stammt ja auch Großmanns Beispiel.7 Legt man den Medien-Kompaktbegriff zu Grunde, darf man unter Medialisierung des Handlungssystems Musik aber eben nicht entweder die Beeinflussung von Musikproduktion und -rezeption durch neue Medientechnologien oder die Vermarktung und formatgerechte Aufarbeitung einzelner Musiker verstehen, sondern den wechselseitigen Zusammenhang aller vier Komponenten Kommunikationsinstrumente, Medientechnologien, sozialsystemische Organisationen und Medienangebote. Dadurch wird die Intensität der Medialisierung in unserer Gesellschaft und somit u. a. in der Popkultur umso deutlicher. Gleichzeitig verlangt dieser Begriff eine Präzision der oftmals pauschalen Verurteilungen der Medien und kann m. E. so zu einer genaueren und plausibleren Beobachtung der Medialisierung von Musik beitragen.8 Medialisierung kann dann genauer differenziert und erst im Anschluss unterschiedlich bewertet werden. Um zahlreichen eher apokalyptischen Beurteilungen (Ende der Musik, Ende des Autors, Ende des Werks,9 Verschwinden des Menschen etc.) eine positive Beurteilung der Medialisierung von Musik (hier im Sinne der Komponente Medientechnologie) entgegenzusetzen, zitiere ich den Musikwissenschaftler N. Schläbitz, der sich ausgiebig mit

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dem Zusammenhang vom Medium Internet und Musik auseinandergesetzt hat: „Dass Medientechnologie Gattungen und Stile mitbedingt und Ideen zuweilen erst reifen lässt, ist das eine (und zu wissen im Grunde genommen ein Allgemeinplatz mittlerweile), dass darüber hinaus bspw. durch Tauschbörsen im Internet Wertschätzungen der Musik gegenüber neu definiert werden, ist das andere, was über die Musik hinaus auch das Medium Internet zum Gegenstand der Untersuchung erhebt.“ (Schläbitz 2004, S. 2)

Schläbitz fordert in seinen theoretischen Grund-Überlegungen die Anpassungsfähigkeit der Wissenschaften an eben diese sich ständig ändernden Verhältnisse in einer Mediengesellschaft und macht deutlich, inwiefern etwa kritische Beobachtungen durch die Digitalisierung und damit zusammenhängend gänzlich neue Medientechnologien anders ansetzen müssen.10 Im Prinzip sind wir heute soweit zu sagen, dass es keine Medienrealität auf der einen und alltägliche Realität auf der anderen Seite mehr gibt, sondern unsere alltägliche Realität stets bereits von den Medien geprägt ist – und so eben auch der Bereich der Popkultur und musik. Nun wird also interessant, wie diese Realitäten erschaffen werden.

2.4 Musikalisierung von Medien: Musikmedien Verschränkt mit der Medialisierung von Musik ist insbesondere in der Popkultur eine Musikalisierung der Medien zu beobachten. D. h., dass aus dem Handlungssystem Musik Angebote personeller und vor allem inhaltlicher Art in die Bereiche der Medien diffundieren, und zwar in allen Komponenten des Medien-Kompaktbegriffs. Diese Musikalisierung ist auf den ersten Blick längst nicht so auffallend und prägend wie die Medialisierung von Musik. Schaut man allerdings genauer hin, dann kann Musik in den Medien mannigfaltig auf ganz verschiedenen Ebenen beobachtet werden: Sicherlich finden sich musikalische Aspekte auch bei den Komponenten der Kommunikationsinstrumente und Medientechnologien, am bemerkenswertesten (zumal für einen

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Medienkultur- oder Kommunikationswissenschaftler) erscheinen aber Medieninstitutionen und -organisationen sowie Medienangebote, die Musik selbst anbieten oder Musik thematisieren, also etwa VIVA, Spex oder Einslive sowie ganz spezielle Musikclips11, Dokumentationen oder Artikel über ein Popmusikphänomen oder einen Künstler. Man kann hier also zwischen Musik-Medienangeboten und Medienangeboten über Musik unterscheiden, wobei diese häufig in Kombination etwa in Jim Jarmuschs Dokumentations-Kinofilm „Year of The Horse“ (Arthaus 2005 [USA 1997]) über NEIL YOUNG & CRAZY HORSE zu beobachten sind. Der Kommunikationswissenschaftler und Musikpsychologe Holger Schramm benutzt in seiner gerade erschienen Studie zum Mood Management bei der alltäglichen Musikrezeption ebenfalls den Begriff Musikangebot, um, ganz ähnlich dem Medien-Kompaktbegriff, darauf zu verweisen, das Musik selbst kein Medium ist. Allerdings fasst Schramm Musik als Medieninhalt auf, der Stimmungen und Gefühle „transportiert“ (vgl. Schramm 2005, S. 50). Dieses theoretische Verständnis erscheint wenig kompatibel mit den vor allem bei Casimir und Großmann entwickelten Überlegungen zur Musikkommunikation als Konstruktion sozialer Realität.12 Zuzustimmen ist Schramm (2005, S. 46-54) allerdings in seiner Beurteilung der wissenschaftlich eher raren Beobachtung von Musik in den Medien, obwohl Musik sowohl schwerpunktartig in speziellen Angeboten als auch und erst Recht „nebenbei“ im Hintergrund – also als Filmmusik, als Werbemusik13, als Teaser-Musik etc. – eine bedeutende Rolle spielt.14 Aus diesen Beobachtungen zu Musik und Medien lässt sich neben der grundsätzlichen Forderung nach einer stärkeren und vielseitigeren Berücksichtigung dieser Zusammenhänge in den hier genannten Ausdifferenzierungen vor allem R. Großmanns „Wunsch“ nach einer Erweiterung und Veränderung der erkenntnistheoretischen Perspektive von 1999 mit Nachdruck re-aktualisieren: „Es bedarf einer übergreifenden Theoriekonzeption, die es ermöglicht, den medialen Einfluss auf die Konstruktion musikalischer Wirklichkeit für den gesamten Bereich musikalischen Handelns zu erfassen. Übergreifend soll diese Theorie nicht im

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Sinne alleiniger Gültigkeit oder omnipotenter Zuständigkeit, sondern in der grenzüberschreitenden Anwendbarkeit auf vorher disparate Bereiche sein.“ (Großmann 1999, S. 231)

Eine solche Konzeption habe ich ausgehend von den erwähnten Strukturierungen und Perspektivierungen an anderer Stelle als Popkulturwissenschaft in Form, von Medienkulturwissenschaft vorgeschlagen (vgl. Jacke 2005a, b, 2006).

3. Strukturwandel-Erscheinungen in Musik und Medien Nach den Überlegungen zur Rolle von Musik in den Medien und von Medien in Musik soll nun ein genauerer Blick auf die aktuell zu beobachtenden Entwicklungen geworfen werden. Dabei gehe ich von zwei zentralen Thesen aus – die auch in dem schon beschriebenen Forschungsprojekt zum Strukturwandel des Musikfernsehens in Deutschland – beleuchtet werden. Zum einen ist festzustellen, dass explizite Musiksendungen im deutschen Musikfernsehen – also derzeit auf den Sendern MTV und VIVA – einen immer geringeren Anteil ausmachen und durch andere Formate wie Serien, Soaps, Celebrity-Dokus etc. verdrängt worden sind. Damit zusammenhängend verschwindet zwar nicht etwa die Musik gänzlich aus dem Medium Musikfernsehen. Sie degeneriert aber noch weiter hinter die Ebene des Visuellen wie schon zuvor und taucht etwa in den Klingeltönen durch die kommerzialisierte Hintertür wieder vermehrt auf. Und damit ist das Musikfernsehen eigentlich auch nur bei sich selbst angekommen, nämlich als Quoten-Generator und Werbeplattform. Die Klingeltöne sind, wenn man so will, die ehrliche Variante von Werbung mit Popmusik. Hier ist bis auf den Preis klar, worum es geht: Um Bezahlen und Konsumieren in genau dieser Reihenfolge. Man kann also in aller Kürze15 festhalten, dass das Musikfernsehen sich zu einem jugendlichen Werbefernsehen im breiten Sinne entwickelt hat und dabei Popmusik eine Rolle unter vielen anderen spielt. Als gezielte Informationsquelle für MusikNeuigkeiten und eine anspruchsvolle Berichterstattung haben VIVA und MTV spätestens seit ihrer Fusion ausgedient – wenn sie dies überhaupt je waren.

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Zum anderen lässt sich in Zusammenhang mit der Entmusikalisierung des Musikfernsehens aber noch ein viel prägnanteres Ausdienen konstatieren: Ganz entgegen der aktuellen Versuche der Musiksender, ihrem Zielpublikum einen thematisch breit gefächerten Jugendsender anzubieten, lässt sich an den allgemeinen Entwicklungen des Fernsehens die schwindende Rolle als Leitmedium für jüngere Generationen feststellen. Nicht nur Postmoderne und konstruktivistische Medienkulturtheorien haben uns längst beigebracht, dem Fernsehen und seiner Wirklichkeit nicht mehr in direktem Rückschluss auf unseren Alltag zu vertrauen, sondern, hier viel entscheidender, die Rezeptionsgewohnheiten sind in Zeiten des Internets in einem völligen Umbruch. Zukünftig – und das deutet sich bei neuen Medien-Formaten wie „YouTube“ (vgl. Kösch 2006), „Discogs“ (vgl. Johannsen 2006) und „MySpace.com“ (vgl. Völker 2006) erst an – wird es durch die technologischen Möglichkeiten des Internets ganz neue Formate, Sender und damit zusammenhängend Umgangsweisen mit so etwas wie Fernsehen und Musik geben. Der Journalist und DJ Sascha Kösch beschrieb das wie folgt: „Man baut sich seine eigene Videowelt zusammen aus Möglichkeiten, deren Grenzen man nicht mehr überblicken kann.“ (Kösch 2006, S. 56) und „Der Videostar jedenfalls macht sich in YouTube auf, ein neues Gesicht zu bekommen. Und wenn schon jetzt YouTube ein mehr als erfüllter Ersatz für Videokanäle wie MTV etc. ist (wann gab es den letzten Hit, der sich seinem MTVIVA-Video zu verdanken hätte?), dann ist abzusehen, dass auch das Fernsehen Gefahr läuft, von einem Medium wie YouTube komplett abgelöst zu werden.“ (Kösch 2006, S. 56) Kösch kommt zu dem Fazit: „[D]ie Basis des Fernsehens von morgen wird User-Gewusel sein.“ (Kösch 2006, S. 56) Dass dieses Gewusel produktiv und innovativ sein kann, beschreiben die Internet-Aktivisten Jan Krömer und Evrim Sen (2006) in ihrem lesenswerten Pamphlet „No Copy – Die Welt der digitalen Raubkopie“ gegen die Kriminalisierung von Schwarzkopierern.16 Inwiefern derzeit immer noch von Medienindustrie, aber vor allem Politik und Rechtsprechung versäumt wird, die neue Kultur der selbst zusammengestellten Schnipsel und Passagen von und über Musik zu fördern, ja diese sogar be- und verhindert, beschreibt der amerikanische Rechtswissenschaftler Lawrence

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Lessig in seinem gerade auf Deutsch erschienenen Studie „Freie Kultur – Wesen und Zukunft der Kreativität“ (2006), in der Lessig die großen Chancen der neuen medientechnologischen Möglichkeiten für die Medien- und Musikindustrie beschreibt, wenn diese nur endlich die Mentalität der User stärker berücksichtigen würden: „Wenn es extrem einfach ist, sich Inhalte aus dem Netz zu holen, dann wird es leichter sein, sich mit solchen Diensten in Verbindung zu setzen, als die Inhalte herunterzuladen und auf den vielen eigenen Geräten zu speichern, die für das Abspielen der Inhalte zur Verfügung stehen. Es wird mit anderen Worten leichter sein, einen solchen Dienst zu abonnieren, anstatt eine eigene Datenbank zu verwalten, wie es jeder in der Welt der Tauschbörsen im Wesentlichen tut.“ (Lessig 2006, S. 290)

4. Resümee Um über die ausführlichen Überlegungen zu Musik und Medien, die für weiterführende Diskussionen abseits von Geschmacksparolen unvermeidlich sind – insbesondere wenn man sich zwischen Medien- und Musikwissenschaft argumentativ bewegt – und die Thesen zum Ende von Musikfernsehen und Fernsehen, wie wir es gekannt haben, nun aber wieder zurück zu gelangen zu unserem Beispiel des gerade abgelaufenen „Eurovision Song Contest“ in Athen und dessen fulminanter Einschalt-Quote: Wenn also nachweislich die Musik aus dem Musikfernsehen verschwindet, wie kann dann ein traditionell musikalischer Event wie der Grand Prix derart punkten? Meine These lautet, in Anbindung an die Überlegungen der letzten 30 Minuten, dass es beim „Eurovision Song Contest“ schlichtweg nicht mehr um Musik geht, sofern es dies je tat. Das große Missverständnis dieses Formats ist seine falsche Einschätzung als Musiksendung. Sicherlich besteht ein großer Teil des Mehrstünders aus Popsongs und deren Darbietungen. Doch durch den Wettbewerbscharakter und gleichzeitigen Wegfall einer Fach-Jury spielen musikalische Kriterien nur noch eine untergeordnete Rolle. Unübersehbar an den finnischen Masken-

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Rockern LORDI ist der Aspekt des Auffallen-Wollens, des Sich-Abhebens von den Konkurrenten. Dass dabei schlecht gegrunzt, gar nicht live gespielt, unter gar nicht gruseligen Masken geschwitzt (inklusive rasanter medialer Demaskierung am Montag danach in „Bild“, ein Akt für den die Medien im Fall der Hardrocker KISS in den Siebzigern und Achtzigern noch über ein Jahrzehnt benötigten) und dabei ein drittklassiger Aufguss langweiligen Achtziger-Hardrocks mit der fußballchorartig eingängigen Schlagzeile „Hardrock-Halleluja!“ europaweit die mit Abstand meisten Punkte bekommen hat, zeigt lediglich, dass die finnische Band Lordi die Ökonomie der Aufmerksamkeit der Medien begriffen hat. Dass eine so schlichte Simulation von Skandal in Form eines erwartbaren Verstoßes gegen Erwartungen beim Grand Prix in Form des x-ten Aufgusses – wir hatten ja bereits einige vermeintliche Exoten in den letzten Jahren zu bestaunen, sozusagen die Konformisten des Anderseins mit dem Medientheoretiker und Trendforscher Norbert Bolz (1999) formuliert – dann auch noch diesen Erfolg feiert, beweist, wie langsam und behutsam die gute alte übergreifende Tante „Grand Prix“ in Sachen Skandalisierung funktioniert. Also: früher war im Musikfernsehen nicht alles besser, sondern langsamer und weiter gestreut, wenn auch manchmal trotzdem experimentell. LORDI haben das erkannt und sind in ihrer Attraktion für das antiquierte Format „Eurovision Song Contest“ im antiquierten Medium Fernsehen gerade schockierend genug. Um die Qualität des Songs geht es hierbei nicht, sondern um die mediale Erregung von Aufmerksamkeit. Und das ist doch auch eine Leistung! Halleluja!

Anmerkungen 1

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Vgl. einleitend Kleiner/Jacke 2006, die ausführliche Studie zum Musikfernsehen von Marcus S. Kleiner, Jörg-Uwe Nieland und Christoph Jacke soll 2007 publiziert werden. Vgl. immer noch grundlegend die Beiträge in Lull 2199, der nebenbei bemerkt in der Einleitung zu diesem Band bereits in den frühen Neunzigern von der Transkulturalisation im Gemenge der Klänge und Stile der internationalen Popmusik sprach, einem

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Aspekt, der jüngst im Zuge der wissenschaftlichen Diskussionen um Transkulturalität und die Rolle transkultureller Kommunikation sehr en vogue erscheint. Hierbei spielen emotionale Aspekte insbesondere bei der Musikrezeption eine gewichtige Rolle. Kemper (2005, S. 301) schreibt sogar von Lovesongs als kommunikablen Modellen von Begehren und Gefühlsverstärkern. Vgl. zu Emotionen und Medien einführend Schmidt 2005a; zu Emotionen/Stimmungen und Musikrezeption zuletzt Schramm 2005. Vgl. zu einer ausführlichen Darstellung und Diskussion der Kritikpotenziale von Kritischer Theorie, Cultural Studies und soziokulturellem Konstruktivismus Jacke 2004. Vgl. darüber hinaus zu Kritik und Konstruktivismus Schmidt 2000: 155-174, Schmidt 2005b sowie zu Auswegen aus Paradoxien und Autologiefallen der Kritik Jacke, Jünger 2006. Vgl. den einführenden Überblick bei Schmidt, Zurstiege 2000: 67138. Ich paraphrasiere und zitiere im Folgenden Schmidts Ausführungen 2002: 56-57; Vgl. im Weiteren auch Schmidt 2000: 70-279. Vgl. zur erfolgreichen Vermarktung von Verweigerung Jacke 2004: 270-300. Auf die Varianz der Nutzung im medienmusikalischen Handeln hat Großmann (1991; 1999) im Allgemeinen hingewiesen, für den Bereich der Musikproduktion vgl. Jöns-Anders 2003a, 2003b. „Gerade die Auseinandersetzung mit dem Werkbegriff ist notwenig wenn nicht sogar zwingend, weil die Neuen Technologien diesen im binären Kombinationsspiel praktisch aufheben, ja als gegenstandslos und bloße Fiktion verdeutlichen, indem sie den Beobachter als blinden Fleck der Beobachtung freilegen, der so sieht und beobachtet, wie er eben sieht und beobachtet. Sofern das Wesen des Werkes als relationales dazulegen gelingt, ist der Eingriff in Werke auch kein Angriff mehr auf absolute Formen und die Diskussion darum schlicht obsolet.“ (Schläbitz 2004, S. 20) Vgl. einen ersten Versuch bei Jacke; Jünger 2006. Vgl. zu einer Strukturierung des Untersuchungsfelds Musikclip Jacke 2003.

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Zudem vermengt Schramm die Begriffe Musikangebot, Musikmedien und Medien; auch hier wäre der Medien-Kompaktbegriff strukturierend hilfreich gewesen. Vgl. zu einführenden Erläuterungen von Musik und Werbung Jacke, Jünger, Zurstiege 2000. Vgl. zu Daten zum deutschen und internationalen Musikmarkt Schramm 2005, S. 46-50 sowie Friedrichsen, Gerloff, Grusche, von Damm 2004, S. 18-40. Nochmals sei verwiesen auf die fundierteren ersten Betrachtungen bei Kleiner, Jacke 2006. Krömer, Sen (2006, S. 10) sprechen ausdrücklich von Schwarz- und nicht von Raubkopien, um den Gewaltaspekt eines Raubs aus der Semantik von Kopierern zu verbannen.

Literatur Norbert Bolz (1999): Die Konformisten des Andersseins. Ende der Kritik. München. Wilhelm Fink. Torsten Casimir (1991): Musikkommunikation und ihre Wirkungen. Eine systemtheoretische Kritik. Wiesbaden: DUV. Diederichsen, Diedrich (2005): Schreiben im Musikzimmer. In: Ders.: Musikzimmer. Avantgarde und Alltag. Köln: Kiepenheuer & Witsch, S. 11-27. Mike Friedrichsen; Daniel Gerloff; Till Grusche; Tile von Damm (2004): Die Zukunft der Musikindustrie. Alternatives Medienmanagement für das MP3-Zeitalter. München: Reinhard Fischer. Rolf Großmann (1991): Musik als „Kommunikation“. Zur Theorie musikalischer Kommunikationshandlungen. Braunschweig: Vieweg. Rolf Großmann (1999): Konstruktiv(istisch)e Gedanken zur „Medienmusik“. In: Gebhard Rusch; Siegfried J. Schmidt (Hg.): Konstruktivismus in der Medien- und Kommunikationswissenschaft. DELFIN 1997. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 229-249. Christoph Jacke (2003): Kontextuelle Kontingenz: Musikclips im wissenschaftlichen Umgang. In: Dietrich Helms; Thomas Phleps (Hg.): Clipped Differences. Geschlechterrepräsentationen im Musikvideo. Beiträge zur Popularmusikforschung. Heft 31. Bielefeld: Transcript, S. 27-40.

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Christoph Jacke (2004): Medien(sub)kultur. Geschichten – Diskurse – Entwürfe. Bielefeld: Transcript. Christoph Jacke (2005a): Gesamtgesellschaftlicher Seismograph. Dichte Beschreibungen, die aus der Praxis so nicht geleistet werden: Umrisse einer universitär verankerten Popkulturwissenschaft. In: Frankfurter Rundschau. Nr. 248 vom 25.10.2005, S. 26. Christoph Jacke (2005b): Seismograph der Mediengesellschaft. Wie stehen die Chancen für eine Popkulturwissenschaft? In: Telepolis. URL: http://http://www.heise.de/tp/r4/artikel/20/20201/1.html#s1 (Stand: 11.06.2005) Christoph Jacke (2006): Popkultur als Seismograph. Über den Nutzen wissenschaftlicher Beobachtung von Pop. In: Christoph Jacke; Eva Kimmninich; Siegfried J. Schmidt (Hrsg.): Kulturschutt. Über das Recycling von Theorien und Kulturen. Bielefeld: Transcript, S. 114123. Christoph Jacke; Sebastian Jünger (2006): Die Kritikindustrie: Wir sind Papst und wollen keinen. In: Testcard. Beiträge zur Popgeschichte. Heft 15: The Medium Is The Mess, S. 85-89. Christoph Jacke; Sebastian Jünger; Guido Zurstiege (2000): Aufdringliche Geschichten – Zum Verhältnis von Musik und Werbung. In: Rösing, Helmut; Phleps, Thomas (Hg.): Populäre Musik im kulturwissenschaftlichen Diskurs. Beiträge zur Popularmusikforschung. Heft 25/26. Karben: Coda, S. 25-42. Gerrit Jöns-Anders (2003a): Die Kunst des Selbstbetrugs – Anmerkungen zum Geheimnis intuitiver Schöpfungskraft. In: Christoph Jacke; Guido Zurstiege (Hg.): Hinlenkung durch Ablenkung. Medienkultur und die Attraktivität des Verborgenen. Münster: Lit, S. 49-58. Gerrit Jöns-Anders (2003b): Intuition oder Kalkül? Zur (Un)Konventionalität ästhetischer Kommunikation am Beispiel der Musikproduktion. Wiesbaden: DUV. Finn Johannsen (2006): Archiv mit Hinterzimmern. Discogs. In: De:Bug. Magazin für elektronische Lebensaspekte. Heft 102. Nr. 05/2006, S. 57. Henry Keazor; Thorsten Wübbena (2005): Video Thrills The Radio Star. Musikvideos: Geschichte, Themen, Analysen. Bielefeld: Transcript. Peter Kemper (2005): Love goes Pop. Die lärmende Macht großer Gefühle. In: Peter Kemper; Ulrich Sonnenschein (Hg.): Liebe – Zwischen Sehnsucht und Simulation. Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 297-306. Marcus S. Kleiner; Christoph Jacke (2006): Auf der Suche nach Musik!

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Strukturveränderungen im deutschen Musikfernsehen. Duisburg und Münster: Manuskript. Marcus S. Kleiner; Christoph Jacke; Jörg-Uwe Nieland (2007): Musikfernsehen ohne Musik? Eine empirische Studie zum Strukturwandel des deutschen Musikfernsehens. (in Vorbereitung) Sascha Kösch(2006): Videosharing mit You Tube. In: De:Bug. Magazin für elektronische Lebensaspekte. Heft 102. Nr. 05/2006, S. 56. Jan Krömer; Evrim Sen (2006): No Copy – Die Welt der digitalen Raubkopie. Berlin: Tropen. Matthias Kurp; Claudia Hauschild; Klemens Wiese (2002): Musikfernsehen in Deutschland. Politische, soziologische und medienökonomische Aspekte. Wiesbaden: Westdeutscher. Lawrence Lessig (2006): Freie Kultur. Wesen und Zukunft der Kreativität. München: Open Source Press. James Lull (Hg.) (2199): Popular Music and Communication. 2nd Ed. Newbury Park u.a.: Sage. Norbert Schläbitz (2004): Mit System ins Durcheinander. Musikkommunikation und (Jugend-)Sozialisation zwischen „Hard-Net“ und „Soft-Net“. Osnabrück: epos Siegfried J. Schmidt (1989): Die Selbstorganisation des Sozialsystems Literatur im 18. Jahrhundert. Frankfurt/Main: Suhrkamp. Siegfried J. Schmidt (2000): Kalte Faszination. Medien – Kultur – Wissenschaft in der Mediengesellschaft. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft. Siegfried J. Schmidt (2002): Medienwissenschaft und Nachbardisziplinen. In: Rusch, Gebhard (Hg.): Einführung in die Medienwissenschaft. Konzeptionen, Theorien, Methoden, Anwendungen. Wiesbaden: Westdeutscher, S. 53-68. Siegfried J. Schmidt (2005a): Medien und Emotionen: Zum Management von Bezugnahmen. In: Ders. (Hg.): Medien und Emotionen. Münster u.a.: Lit, S. 11-39. Siegfried J. Schmidt (2005b): Zur Grundlegung einer Medienkritik. In: Gerd Hallenberger; Jörg-Uwe Nieland (Hg.): Neue Kritik der Medienkritik. Werkanalyse, Nutzerservice, Sales Promotion oder Kulturkritik? Köln: von Halem, S. 21-40. Siegfried J. Schmidt; Guido Zurstiege (2000): Orientierung Kommunikationswissenschaft. Was sie kann, was sie will. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. Holger Schramm (2005): Mood Management durch Musik. Die alltägliche

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Nutzung von Musik zur Regulierung von Stimmungen. Köln: von Halem. Clara Völker (2006): Das digitale Poesiealbum my space.com. In: De:Bug. Magazin für elektronische Lebensaspekte. Heft 102. Nr. 05/2006, S. 58-59.

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Bekenntnisse und Erkenntnisse eines TV-Produzenten Stephan Faber > START „I want my TV back“ – Musikfernsehen im Jahr 2006 ist nicht mehr das, was wir damals im Sinn hatten, als wir als wilde Horde von Studienabbrecherinnen und Akademikerarbeitslosen für „medial betrachtet“ kurze Zeit die Geschicke der Clipabspielstation in Köln namens VIVA übernahmen. Die Quote und der schlechte Geschmack der Massen regiert das Programm – zwischen Klingelton und Autowerkstatt tummeln sich immer weniger Künstler in Sachen Musik.

< REWIND „Don’t put your life in the hands of a rock’n’roll band, they’ll throw it all away“ (OASIS – Don’t look back in anger). Durch einen Bekannten wurde ich im Jahre 1995 darauf aufmerksam gemacht, dass ein Sender namens VIVA ZWEI noch kreative Köpfe für sein neues Programm suchte. Nach erfolgreichem Abschluss einer Lehre zum Bankkaufmann, abgebrochenen Studienversuchen in der Betriebswirtschaftslehre und einem kurz vor dem Scheitern stehenden Studium der Musikwissenschaften, kam dieses Angebot gerade recht. Also stiefelte ich hinaus nach Köln-Ossendorf ins schon damalige Containerdorf der Medien und bewarb mich um einen Praktikumsplatz. Die Strukturen im „Hause Gorny“ waren noch einfach und schlicht. So konnte ich nach nur einem Monat Testzeit bei „Kitsch“ und Moderator ROCKO SCHAMONI bereits meine Ausbildung als Volontär in der Redaktion „Haushaltshilfe“ aufnehmen. Geplant war eine große Kochshow mit Gästen aus der Musikwelt und Talk am Herd – geradezu revolutionär in diesen Tagen. Bevor wir aber im Studio durchstarten konnten, mussten wir uns erst einmal die aufwendige Deko mit Moderationsmarathons in den heimischen Küchenecken verdienen. Wir produzierten an einem Tag rund 120 Clipan- und abmoderationen zwischen Gewürzregal und Nudelplakat. Die große Kochshow kam natürlich nie, denn schon

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damals war der Sender ein „strategisches Tool“ gegen die Konkurrenz und kein neues Medium für eine bessere Welt.

PLAY „Don’t call it a comeback, we’ve been here for years“ ( LL COOL J – Mama said knock you out). Die Begeisterung für das Medium Musikfernsehen wurde bei mir ausgelöst durch den Rockpalast. Peter Rüchel und seine Crew vom

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WDR brachten live und direkt die Größen und Größten des Musikgeschehens in mein Heim, dorthin wo sich ansonsten nur der „Blaue Bock“ oder die Hitparade mit Musik beschäftigen durfte. Noch heute zehre ich von den Erinnerungen an die Liveübertragung des Purple Rain Konzertes von PRINCE aus dem Paisley Park oder die abschließende Jam Session zwischen Pete Townshend und Andy Garcia im Anschluss an das Doppelpack THE WHO und GRATEFUL DEAD aus der Essener Grugahalle. Damals war die Masse der Fans gleichzeitig vereint vor den Fernsehgeräten, denn es gab kein davor oder danach. Schließlich musste man ja am nächsten Tag auf dem Schulhof mitreden können. Zum ersten Male richtig tätig in Sachen Musikjournalismus wurde ich bei VIVA ZWEI innerhalb der Redaktion „SOJA“. SOJA stand zunächst für Soul und Jazz, wurde aber inhaltlich durch die Redaktion in alle denkbaren Richtung stets ausgeweitet – es fanden auch Hip-Hop und Elektrosounds innerhalb des Genres statt. So war es auch kein Wunder, dass die Redaktion als Erste in Deutschland über die FUGEES berichtete – bevor sie zu Weltstars wurden. Man erlernte schnell die Bedeutung des „eigenen Musikgeschmacks“ denn noch musste man sich nicht an Chartpositionen und kommerziellen Aussichten eines Titels orientieren um ihn gut oder schlecht zu finden. In späteren Sitzungen der Musik AG, dem wöchentlichen „Schöffengericht“ über die Playlisten von VIVA und VIVA PLUS, musste man schmerzenden Ohres die Urteile und Beschlüsse hinnehmen. Aus SOJA wurden, im Rahmen der Neuausrichtung von VIVA ZWEI zu einem Sender mit Ecken und Kanten, die Sendung „DEEP“ – gleichere Inhalte, andere Verpackungen. Dem damaligen Programmdirektor Elmar Giglinger, heute Senior Vice President MTV und VIVA, waren wir mit unseren „schrägen“ Inhalten aber schon immer ein Dorn im Auge, sodass es schließlich auch zur Absetzung der Sendung kam. Im Anschluss daran bekam ich die Tätigkeit des Producers für das Hip-Hop Format „SUPREME“, sowie für die experimentelle Plattform „2STEP“, später „VS.“, übertragen. Gerade letzteres Format, eine audiovisuelle Umsetzung von DJ-Sets, bewies mit einer Grimme-Preis-Nominierung im Jahre 2001, mit welch einfachen Mitteln man in den Olymp der Fernsehwelt kurzzeitig aufsteigen kann. Aber Kultstatus und Ruhm waren im Hause VIVA immer verhängnisvoll, so dass auch dieses Format kurze Zeit spä-

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ter eingestellt wurde. Bei mir verblieb bis zum Jahre 2005, in dem mich VIVA dann nicht mehr lieb hatte, das letzte Genreformat auf VIVA – „Mixery Raw Deluxe“. >> FAST FORWARD „So you don’t want to hear about my good song?“ ( DRESDEN DOLLS – Good Day) Seit nun gut einem Jahr stricke ich an der Zukunft von Musikfernsehen. Meine Blaupause dafür heißt „BUNCH.TV“ und ist seit Dezember 2005 als IP-TV erreichbar – 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche, 52 Wochen im Jahr. Trotz der schon sehr weit reichenden Versorgung mit DSL Anschlüssen innerhalb der Zielgruppe, die 14-29 jährigen liegen bei derzeit über 80%, steckt das Thema IP-TV noch in den Kinderschuhen. Für viele ist jeder Fernsehsender, der sein Programm ins Internet stellt schon IP-TV – dabei handelt es sich jedoch richtigerweise um Internet TV. Bei IP-TV (Internet Protocol Television) geht es insbesondere um die Interaktivität des Zuschauers. Er kann ins Programm aktiv eingreifen, seinen eigenen Sender zusammenstellen, alles On-Demand direkt sehen, Mails verschicken, einkaufen, nachlesen – immer von der gleichen Plattform aus. Für Fernsehsender steht immer noch der Broadcast, das Erreichen einer großen Masse von Leuten mit einem Programm, im Mittelpunkt. Mit einer reinen Form von Musikfernsehen geht das nicht. Im Bereich von IP-TV redet man aber bereits vom „Narrowcast“ oder sogar „Unicast“. Jeder User stellt sich individuell das zusammen, was sie oder ihn interessiert und was zu seiner Gemütslage jetzt passt. Wichtig für das Angebot ist die Auslage, die Deko, das Appetithäppchen. Deshalb gibt es bei BUNCH.TV im Zentrum den Stream, der in einem festen Programmablauf mit Sendungen zu den Themen Musik, Sport, Mode, Kunst und Lifestyle die Inhalte präsentiert, die sich im „Bunch“ verbergen. Schaut man zum Beispiel auf die erfolgreichen Plattformen YOUTUBE und MYSPACE, so folgt dort der User immer nur dem Trend, dem Hype der Masse. Wieder entscheiden Viele über Wenige. Viel sinnvoller ist aber ein Medium mit einer Redaktion, das einen wie eine große Schwester oder einen großen Bruder berät – „Hör dir doch mal das an“ – „Das hier könnte dir gefallen.“ – „Das musst du unbedingt gesehen haben!“ Und

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so verschmelzen denn auch in Zukunft das „lean back“-Fernsehgerät und der „lean forward“-Computer zur „lean back and for“ Medienzentrale, die einen nach einem harten und anstrengenden Arbeitstag mit genau den Medien versorgt, die man persönlich in dem Moment braucht – mal mehr, mal weniger.

Anmerkungen 1

GfK= Gesellschaft für Konsumforschung

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Musik und Mobile Entertainment Andreas Runte Wer sich mit dem zeitaktuellen Phänomen „Musik und Mobile Entertainment“1 beschäftigt, steht in mehrfacher Hinsicht vor einem Problem. Es mangelt an wissenschaftlichen Erkenntnissen, an aussagekräftigen Sekundärquellen und verlässlichen, offen zugänglichen Wirtschaftsdaten. Infolge dessen sind die nachfolgenden Ausführungen als eine situative Bestandsaufnahme zu verstehen, der in nächster Zukunft vertiefte Untersuchungen folgen müssen.

Definition Mobile Entertainment „Two different and quite distinct industries make up the mobile entertainment industry: entertainment and telecommunications. The entertainment industry is focused on generating revenues from people through provision of time killing, fun activities. […] The telecommunications industry, on the other hand, had been, until quite recently, involved in raising revenues from providing a high quality, cost-efficient, communication service. […] The mobile entertainment industry has brought these two different industries together and must now bridge the gaps between the ways they both operate.“ (vgl. Smorodinsky)

Der Begriff „Mobile Entertainment“ wurde in den Jahren 2000/2001 geprägt und bezeichnet denjenigen Bereich der Unterhaltungsbranche, der die moderne, funkgestützte Telekommunikation als Verbreitungskanal nutzt. Somit vereint, wie im obigen Zitat angedeutet, der neu entstandene Dienstleistungssektor des Mobile Entertainment zwei bisher von einander getrennte Geschäftsfelder. Die beiden Dienstanbieter besitzen dabei genuin unterschiedliche Ansätze von Wertschöpfung. Ein Telekommunikationsunternehmen ermöglicht Kommunikation, indem es verschiedene (Gesprächs-)Partner miteinander verbindet und das dafür nötige technische Equipment zur Verfügung stellt. Diese Bereit-

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stellung wird vom Kunden bezahlt. Ein Entertainment-Betrieb zielt darauf ab, Inhalte zum Amüsement seiner Kunden zu produzieren. Zu seinem Portfolio gehören meist unterschiedliche Inhalte, z. B. Musikdarbietungen, Videos oder Cartoons. An diesen hält der Betrieb Verwertungsrechte im allgemeinen Sinne, die er sich bei der Bereitstellung der Inhalte für den Kunden vergüten lässt. Diese unterschiedliche Ausrichtung setzte eine formale Annäherung beider Wirtschaftsbereiche voraus, damit die Inhalte der Entertainment-Branche in die technischen Formate der datenübertragenden Telekommunikationsbranche überführt werden konnten. Die wichtigsten Vorraussetzungen hierfür waren und sind - die komprimierte Digitalisierung von Medien (Text, Musik, Film etc.), - die Mobilisierung der Geräte durch Batteriebetrieb und Funkempfang, sowie die Erhöhung der Übertragungsraten der digitalen Funknetze, - die Multifunktionalisierung des mobilen Gerätes, insbesondere die Leistungsfähigkeit und Speicherkapazität betreffend. Mediale Inhalte wie Musik und Bild mussten – um sie über die modernen Funknetze verbreiten zu können – nicht nur digital, sondern auch in komprimierter Form vorliegen. Dabei war die standardisierte Überführung von Musiksteuerdaten der erste, die Reduzierung von digitalen Wellendarstellungen der zweite Schritt. Das speicherintensive Wave-Format2 wurde deshalb Mitte der 1990er-Jahre durch andere Speicherformate abgelöst, dabei setzte sich vor allem das psychoakustisch fundierte MP3-Format durch. Ähnliches gilt für die Komprimierung audiovisueller Medieninhalte; hier dominierte insbesondere das MPEG-Format3. Auf der Seite der Telekommunikationsunternehmen war es vor allem die Erhöhung der Übertragungsraten, also die Menge der pro Zeiteinheit übertragbaren Daten der Funknetze, die im Fokus der technischen Entwicklungen standen. Denn nur durch einen eklatanten Anstieg der transferierten Datenmenge konnte eine dauerhafte Übermittlung von digitalisiertem Klang gewährleistet werden. Der wichtigste Schritt war hierbei die Einführung

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des 3G-Standards (3G= dritte Generation), besser bekannt als UMTS, Universal Mobile Telecommunications System. Neben der Erhöhung der Übertragungsraten waren auch die Verbindung unterschiedlicher Medien und deren Implementierung in ein mobiles Gerät wie das Handy wichtig. Das digitale mobile Gerät ist per se ein kleiner Taschencomputer, der Computer wiederum das multimediale und multifunktionale Gerät schlechthin. Mobiltelefone waren allerdings lange Zeit aufgrund ihrer Größe in Bezug auf Speicherkapazität und Prozessorengeschwindigkeit eingeschränkt. Erst in den letzten Jahren entwickeln sich die Geräte zu leistungsfähigen Einheiten, die in der Lage sind, ausreichend Daten – bis in den GigabyteBereich – zu speichern und zu nutzen. Durch die Überführung von Text, Bild und Ton sowie der Interaktivität des Computers wurde das vormalig ausschließlich zur fernmündlichen Kommunikation genutzte Mobiltelefon somit zusätzlich Organisations-, Zeitmanagement- und Unterhaltungsmultifunktionsgerät. Das Angebotsspektrum des Mobile Entertainment umfasst also neben Musik auch Videos, Spiele sowie Informations- und Kommunikationsdienste. Bei den als Musiksteuerdaten vorliegenden Klingeltönen unterscheidet man grundsätzlich mono- und polyphone Klingeltöne, Real Music-Klingeltöne, (1:1-Wiedergabe einer Aufnahme eines Musikstücks) sowie „Fulltrack Download“ (die Möglichkeit, ein ganzes Musikstück auf das Handy herunter zu laden). Diese Differenzierung ist nicht nur technischer, sondern, wie wir später sehen werden, auch rechtlicher Natur. Im Videobereich werden Videos, „Video Snippets“ (Videoausschnitte), Videos als Klingelton sowie „Full Video Download“ bereitgestellt. Unter Informations- und Kommunikationsdiensten fasst man unter anderem SMS, SMS-Chat, SMS-Dating sowie Fahrplanauskünfte zusammen.

Musik im Mobile Entertainment Die Initialzündung für die technische Entwicklung verschiedener Klingeltöne gab die Arbeitssituation in Büros in den USA: Dort sind Großraumbüros noch mehr verbreitet als in Deutschland

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und so entstand die Notwendigkeit, das Klingeln verschiedener Telefone unterscheiden zu können. Mit der Einführung elektronischer Klingeltöne wurde auch die Auswahl mehrerer Tonfolgen und Melodien ermöglicht. Das gleiche Prinzip übertrug man später auf Mobiltelefone, wobei man sich dazu entschloss, den MIDI-Standard4 zu verwenden. Das digitale MIDI-File wird von einem internen Musikchip abgespielt. Es enthält eine Abfolge von Zahlen für Länge und Höhe von Einzeltönen eines oder mehrerer Instrumente und konnte somit erstmals einfache Synthesizerfunktion erfüllen. Dadurch wurde es ebenfalls möglich, per SMS5 andere Melodien an das Mobiltelefon zu senden und diese als Signaltöne zu nutzen. Mit der Zeit wandelt sich der praktische Mehrwert der Unterscheidbarkeit von Klingeltönen in einen Unterhaltungswert. In den ersten Jahren des neuen Jahrtausends bekommt der Klingelton über den reinen Unterhaltungswert hinaus auch eine soziale Komponente: Vor allem für Jugendliche wird es immer wichtiger, mit den neuesten Klingeltönen aufwarten und über die Wahl des Klingeltones ihren Musikgeschmack demonstrieren zu können. Diese Individualisierung des eigenen Mobiltelefons macht das Mobile Entertainment zu einem Teil der Popkultur. Inhalte des Pop, von Popmusik und Alltagskultur finden im neuen Medium Handy einen neuen Markt. Insbesondere für das Musikbusiness erschließt sich das neue Medium rasch. Parallel zu CD- und Plattenverkäufen besteht auch bei den Klingeltönen der überwiegende Anteil des von den Kunden gekauften „Contents“ aus den Musikstücken der Charts und/ oder anderen aktuellen Strömungen: 20% des Angebotes sind auch hier für 80% des Umsatzes verantwortlich. Da die Nutzung der Melodiefolge in der Umsetzung als MIDIMusiksteuerdaten nur das Bearbeitungsrecht der Musikwerke betrifft, nicht aber die Vervielfältigungsrechte, die den Plattenfirmen gehören, ist der Klingeltonmarkt in den ersten Jahren in Deutschland nur für die Verwertungsgesellschaften (z. B. die GEMA) und die Musikverlage interessant. Die größeren Plattenfirmen sind erst ca. 2003 mit der Einführung des „Real Music Tones“ involviert, da, wie oben bereits erwähnt, es diese technische Neuerung ermöglicht, Aufnahmen der Musikstücke für das Medium Mobiltelefon nutzbar zu machen. Neben dem mittlerweile

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allgemein bekannten MP3-Format wurden teils von den Geräteherstellern, teils von den Netzwerkanbietern weitere Formate im Markt implementiert. Einerseits sollte durch die Nutzung sogenannter proprietärer Formate die Erstellung von Klingeltönen durch den Kunden verhindert, andererseits rechtebehaftete Medieninhalte vor Missbrauch geschützt werden. Die Musikbranche sah vor allem deshalb Handlungsbedarf, weil die finanziellen Schäden durch illegale Downloads mithilfe sogenannter „Filesharing-Börsen“ wie z. B. Napster in enorme Höhen gestiegen waren (vgl. Artikel T. Stein). Doch bald mussten vor allem die Gerätehersteller einsehen, dass die MP3-Formate für den Kunden viel attraktiver waren, da die modernen Handys eben auch als „normales“ Musikwiedergabegerät genutzt wurden und werden. So kehrte man überwiegend zum MP3-Format zurück, versah es aber mit einem verbesserten Kopierschutz.

Die Wertschöpfungskette des Mobile Entertainment Nachdem die formalen und inhaltlichen Voraussetzungen für das Funktionieren des Mobile Entertainment skizziert worden sind, soll nun verdeutlicht werden, wie ihre aus der Symbiose von Telekommunikations- und Unterhaltungsbranche entstandene Wertschöpfungskette funktioniert:

Abb. 1: Wertschöpfungskette

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Content-Produzenten im Mobile Entertainment sind z. B. Bearbeiter von Bild und Ton, wie man sie aus dem Studiobetrieb kennt. Aufgaben der Produzenten ist es, Medieninhalte für den mobilen Markt nutzbar zu machen. So müssen zum Beispiel Autoinhalte für die Anforderungen der am Markt vertretenen Geräte angepasst und mit Nutzungsrechteschutz belegt werden. Weiterhin befassen sich die Produzenten mit der Rechteklärung einzelner Titel für den mobilen Markt. Nicht alle Künstler erlauben eine Verwertung ihrer Musik im mobilen Markt, andere nur für einen eingeschränkten Nutzungsraum. Aufgabe der Content-Aggregatoren ist es, ein Portfolio zusammenzustellen, das sich als Angebotspalette verkaufen lässt. Insbesondere eine vollständige Bereitstellung der gesamten nationalen und internationalen Charts ist hierbei vorrangiges Ziel, da hier – wie bereits angesprochen – der Hauptanteil des Umsatzes erzielt wird. Darüber hinaus obliegt den Aggregatoren das sogenannte „Billing“, d. h. die Aufteilung des erwirtschafteten Umsatzes. Anbei ein exemplarisches Rechenmodell, wie eine solche Aufteilung des Konsumentenpreises aussehen kann:

Abb. 2: Exemplarisches Abrechnungsmodell

Service-Provider und Verkaufsportale stellen die technische Infrastruktur für das Mobile Entertainment zur Verfügung. Hierzu gehören Bereitstellung von SMS-Diensten, Bereitstellung von WAP6 -Link-Diensten, WAP-Portalen und Anbindungen zu Inter-

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netportalen der Netzwerkanbieter. JAMBA, ZED, HANDY.DE und die Netzportale der Netzwerkanbieter T-ZONES, VODAFONELIVE-Portal und O2-FUN dürften die bekanntesten Service-Provider bzw. Verkaufsportale sein. Durch diese Darstellung wird noch einmal deutlich, dass im Mobile Entertainment auch in Bezug auf die Wertschöpfungskette das Rad nicht neu erfunden werden musste: Die Merkmale beider Wertschöpfungsketten (der Telekommunikations- und der Unterhaltungsbranche) wurden lediglich verbunden.

Resümee Der Vortrag zeigte, wie sich in der Entwicklung des Telekommunikationsmarktes auch für den Vertrieb von medialen Inhalten neue Absatzmärkte erschlossen haben. Die digitale Speicherung von Musik, deren Versand an Mobiltelefone und die anschließende Nutzung der Dateien, z. B. als Klingelton, machen einen bedeutenden Teil des mobilen Entertainments aus. Heute bieten sich in diesem Bereich viele interessante Jobs. Die lange und teilweise hitzige Diskussion im Anschluss an diesen Vortrag vom 31.05.2006 an der Universität Paderborn kann an dieser Stelle leider nicht wiedergegeben werden. Ich bedanke mich aber bei allen Studierenden des Studiengangs „Populäre Musik und Medien“, die sich lebhaft an dieser Diskussion beteiligt haben.

Anmerkungen 1 2 3 4

Da dieser Begriff im angloamerikanischen Raum geprägt wurde, wird er im Verlauf des gesamten Vortrages nicht übersetzt. Wave-Format: Datenformat verlustfreier digitaler Darstellung von Schallwellen nach Abtastrate und Samplefrequenz. MPEG-Formate= Moving Pictures Expert Group, hierzu gehört auch das MP3-Audioformat Layer 3. MIDI= Musical Instrument Digital Interface.

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SMS= Short Message Service, das Versenden von Textnachrichten zwischen Mobiltelefonen. WAP= Wireless Aplications Protocol, ermöglicht die Nutzung von HTML-Seiten und Downloadlinks für Mobiltelefone.

Literatur Rann Smorodinsky: Mobile Entertainment, A value chain analysis. http://www.m-e-f.org/pdf/030_1_2_3_mobile_ent.pdf. (Stand: 06.11.2006)

Texte zur Zeit – Gegenwart und Gegenwärtigkeit in der Literatur Charis Goer Gegenwart, so wird im „Deutschen Wörterbuch“ (1852-61) der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm festgestellt, sei „ein vielfach merkwürdiges Wort“ (Grimm 1897, Sp. 2281). Die enorme Tragweite des Begriffs wird in den folgenden Ausführungen zu seiner Bedeutung und Verwendung deutlich, die die Grimms in sieben Kategorien mit jeweils zahlreichen Unterpunkten zu erfassen gesucht haben. Die erste, ursprüngliche Bedeutung sei die „eines feindlichen entgegenstehens, die uns in ,widerwärtig‘ noch anklingt“, von wo, so leiten die Grimms zu einem zweiten Bedeutungsaspekt über, es „in den gebrauch vor gericht übergegangen sein“ mag (ebd., Sp. 2284). Über dieses Sich-Gegenüberstehen als Kläger und Ankläger hinaus gehe eine dritte Dimension des Begriffs als „,gegenwart‘ des richters, auch des königs, des herren überhaupt, auch gottes, als gewichtiger ausdruck, d.h. eig. nicht seine blosze anwesenheit, wie es uns begrifflich einschrumpft, sondern zugleich der bereich der lebendigen wirkung seiner person und gewalt, sodasz es eig. mit ,gegend‘ zusammenfällt“ (ebd., Sp. 2285). Im 17. Jahrhundert werde statt des Begriffs Gegenwärtigkeit, der bis dahin als Entsprechung zum lateinischen „praesentia“ gebräuchlich gewesen sei, zunehmend das Wort Gegenwart verwendet, wobei Gegenwärtigkeit, wie die Grimms anmerken, als Zeitbegriff jedoch „nicht einfach gleich ,gegenwart‘“ sei, „sondern dauerndes gegenwärtigsein der zeit nach, doch mit dem vorigen in eins verfliszend“ (ebd., Sp. 2299). Seit dem 18. Jahrhundert habe sich der Gegenwartsbegriff dann jedoch wesentlich verändert: Lange wurde unter Gegenwart nicht allein die reine physische Präsenz, sondern auch das, was man heute vielleicht als Aura bezeichnen würde, verstanden, ein „bereich den ein anwesender um sich hat, mit einschlusz der von ihm ausgehenden Wirkung“, so dass man von Gegenwart „daher auch von der person selbst in ihrer erscheinung und unmittelbaren wirkung, im 17. jahrh. wie noch bei Goethe“ gesprochen habe. Diese geistigspirituelle Dimension sei im naturwissenschaftlich-nüchternen 19. Jahrhundert verloren gegangen, die Grimms und ihre Zeitge-

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nossen dächten Gegenwart „nur als anwesenheit [...], zum kahlsten Begriffe des dabeiseins eingeschrumpft“ (ebd., Sp. 2287). So wird Gegenwart schließlich von einer Eigenschaft, die einer Konstellation, einer Person oder einen Wesen zugeschrieben wird, zu etwas Eigenständigem, es gibt einen Wandel „ins begriffliche übergehend (und damit endlich zum zeitbegriff [...]), etwa gegenwärtigkeit mit voller wirkung des lebens, mit ,unmittelbarkeit‘ wie man jetzt gerne sagt“ (ebd., Sp. 2289), fortan spreche man, so die siebte und letzte Bedeutungskategorie der Grimms, wenn man Gegenwart sage, „von der gegenwärtigen zeit“ (ebd., Sp. 2291). Der Artikel aus dem „Deutschen Wörterbuch“ der Brüder Grimm macht anschaulich, dass dieses „vielfach merkwürdige Wort“ im Laufe der Zeit wechselnde Bedeutungen angenommen hat, die nicht unbedingt leicht miteinander vereinbar sind und die bis heute ein schillerndes Sinnspektrum erzeugen. So treffen in ihm getrennte, gar widersprüchlich scheinende Vorstellungen aufeinander und durchdringen sich wechselseitig: Raum und Zeit, Präsenz und Absenz, Physisches und Symbolisches. Wenn der „Duden“ Gegenwart mit drei Bedeutungen definiert – einmal als „Jetztzeit“, dann sprachwissenschaftlich als „Präsens“ und schließlich als „Anwesenheit“ (Dudenredaktion 1993, S. 1253) –, dann fasst er sich zwar in seinen Erläuterungen deutlich kürzer als die Brüder Grimm, doch ist auch in dieser Begriffsbestimmung spürbar, dass die Relevanz und der Reiz dieses Worts darin begründet liegen, dass es sowohl eine lokale als auch eine temporale Dimension hat und sich sowohl auf den sprachlichen als auch den körperlichen Bereich beziehen lässt. So ist es wenig verwunderlich, dass das Problem von Gegenwart und Gegenwärtigkeit als ein großes Faszinosum, aber auch als etwas Widriges oder, im von den Grimms genannten ursprünglichsten Sinne, feindlich – oder zumindest fremd, befremdlich – „Entgegenstehendes“ Künstlern, Dichtern und Philosophen reichlich Anregung zur Auseinandersetzung gegeben hat. Die Frage danach, wie die Gegenwart sich zu Vergangenheit und Zukunft verhält, wie das Anwesende zum Abwesenden, das Geistige zum Körperlichen führt direkt in das Zentrum menschlichen Denkens und Handelns. Schon in der Antike spielt der Aspekt des Gegenwartsbezugs somit eine entscheidende Rolle bei

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der Bestimmung dessen, was Poesie ist und sein soll; inhaltliche und formale Grundsatzfragen der Literatur sind aufs Engste mit ihm verbunden: Was ist Gegenstand der Literatur, worüber soll geschrieben werden – ewige Ideen oder auch wandelbare Dinge? Und wie soll geschrieben werden – in abstrakten Begriffen oder anschaulichen Beschreibungen? Die Auseinandersetzung mit solchen Fragen hat, um nur einige der wichtigsten Implikationen anzudeuten, entscheidenden Anteil an der systematischen Abgrenzung der verschiedenen Künste ebenso wie von Literatur und Philosophie sowie von Poesie und Geschichtsschreibung oder auch an der Herausbildung rhetorischer Techniken zur Erzeugung von Evidenz, also der Suggestion von Gegenwart durch ein sprachliches „Vor-Augen-Stellen“. Einige besonders einflussreiche Überlegungen zur Bedeutung des Gegenwartsbezugs für die Künste und speziell die Literatur stammen aus der Zeit der Aufklärung. Diese Epoche ist einerseits stark an Vernunft und Verstand, an rationalen Kategorien orientiert und neigt damit zu universellen, ahistorischen und abstrakten Vorstellungen, andererseits entwickelt sie ein ausgeprägtes Interesse an der empirischen Erforschung der Welt, wodurch die sinnlichen Eindrücke und somit die konkreten, speziellen, zeit- und ortsgebundenen Erfahrungen an Bedeutung gewinnen. Vor diesem Hintergrund setzt ein neues Nachdenken darüber ein, was die Literatur und die Künste darstellen können – oder, da in der Aufklärung der normative Impuls noch sehr stark war, auch was sie darstellen sollen – und wie sie dies leisten können. Ein bedeutender, bis in die heutige Theorie der Literatur, der Künste und der Medien nachwirkender Beitrag ist Gotthold Ephraim Lessings Abhandlung „Laokoon: oder über die Grenzen der Malerei und Poesie“ (1766). Lessing unternimmt eine semiotische, d. h. zeichentheoretische Beschreibung und Differenzierung der Künste, und hierbei spielt der Aspekt des Gegenwartsbezugs eine entscheidende Rolle: Weil die Darstellungsmittel der Literatur und der Musik, also die Wörter und die Töne, eine zeitliche Dimension haben, die der bildenden Künste, also Farben, Steine und Ähnliches, dagegen eine räumliche, werden Poesie und Musik von ihm als Zeitkünste, Malerei und Plastik hingegen als Raumkünste klassifiziert. Doch auch wenn Literatur und

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Musik, die hier besonders interessieren, als Zeitkünste besonders eng miteinander verwandt sind, so findet Lessing im Rückgriff auf eine im 18. Jahrhundert weitverbreitete Zeichentheorie auch zwischen ihnen Unterschiede: Die sprachlichen Zeichen der Literatur seien „willkürlich“, d. h. rational gesetzt, die klanglichen Zeichen der Musik dagegen natürlich. Dies impliziere zum einen, dass die sprachlichen Zeichen eine referentielle Funktion haben, d. h. auf etwas verweisen, die musikalischen hingegen selbstbezüglich seien, und zum anderen, dass die Literatur auf den Verstand und die Moral des Menschen wirkt, die Musik hingegen auf das Gefühl. Mit den Überlegungen im „Laokoon“ hat Lessing nicht nur einen wichtigen Beitrag zu der in seiner Zeit rege geführten Debatte über das System der Künste geleistet, sondern auch viele Aspekte genannt, die noch heute angeführt werden, wenn es um das Verhältnis der verschiedenen Künste zueinander, deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Hinblick auf ihre Inhalte, Formen und Wirkungsweisen geht. Andererseits hat sich vom 18. Jahrhundert bis heute selbstverständlich auch einiges geändert: Während zu Lessings Zeit ein Prozess der theoretischen und praktischen Ausdifferenzierung der Künste stattfand, sind Kulturtheorie und künstlerische Praxis der Postmoderne stark von Vermischungstendenzen, einem „crossover“ heterogener Elemente, gekennzeichnet. Auch Lessings aufklärungstypische Parteinahme für die Poesie als Leitkunst ist heute unhaltbar geworden, und ebenso vermag die Begründung hierfür, die ethische Wirkmacht der Sprache, heute wohl kaum noch zu überzeugen. Von einer normativen Hierarchie der Künste kann inzwischen längst nicht mehr ausgegangen werden und wenn überhaupt, dann ist es heute zumindest im Bereich der Jugendkultur die Musik, die mit ihren Ausdruckmöglichkeiten und ihren spezifischen Produktions- und Rezeptionsweisen paradigmatisch für die anderen Künste ist. Auf die besondere Qualität der Musik als Ausdruck eines gegenwartsorientierten Zeitgefühls weist auch der Literaturwissenschaftler Eckhard Schumacher hin: „Von den Anfängen des Rock’n’Roll bis zu neuesten Spielarten elektronischer Tanzmusik wiederholt sich in immer neuen Wendungen eine Konzentration auf die Gegenwart, die in der Fixierung

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auf das jeweilige Jetzt den Ausgangs- und Fluchtpunkt, das Glücksversprechen oder zumindest den Zuständigkeitsbereich von Pop lokalisiert. [...] Zugleich verweisen die Begriffe von Gegenwart und Gegenwärtigkeit im Zusammenhang von Pop-Musik auch auf Vorstellungen von Unmittelbarkeit, die auf der Bühne, auf der Tanzfläche, über Lautstärke und Lärm, das entstehen lassen, was als Präsenz verstanden werden kann – sei es im Sinne eines in der Hippiekultur ausgelebten quasimythischen ,Hier und Jetzt‘ oder im Sinne des Authentizitätsversprechens der Rockmusik.“ (Schumacher 2003, S. 18f.)

Im Folgenden sollen drei Formen von „Texten zur Zeit“ – Popliteratur, Netzliteratur und Slam Poetry – näher dargestellt werden, die dieses in doppelter Hinsicht sind. Zum einen repräsentieren sie drei wichtige Tendenzen der Gegenwartsliteratur, gleichsam „the state of the art“, zum anderen setzen sie sich aber auch auf jeweils unterschiedliche Art mit der Frage nach dem Hier und Jetzt auseinander und versuchen eine Standortbestimmung der Literatur in ihrem Verhältnis zu Gegenwart und Gegenwärtigkeit, wofür insbesondere, der These Schumachers von der besonderen Affinität zwischen Popmusik und dem „Gerade Eben Jetzt“ entsprechend, verschiedene Ansätze der literarischen Annäherung an die Musik erprobt werden.

Popliteratur1 – Zwischen Erinnerungsliteratur und Gegenwartsgeschichten Jenseits des inzwischen längst vergangenen medialen und kommerziellen Hypes in den 1990er-Jahren ist die sogenannte Popliteratur nach wie vor interessant, weil von ihr einige nachhaltige Impulse ausgegangen sind und sie für die Thematik von Gegenwart und Gegenwärtigkeit der Literatur besonders aufschlussreich ist. Popliteratur ist ein Dachbegriff für sehr unterschiedliche Texte, als deren Vorbilder im internationalen Kontext insbesondere die Romane von Bret Easton Ellis und Nick Hornby gelten,2 wenngleich die Bezeichnung Popliteratur ein deutsches Phänomen ist. Für die deutschsprachige Popliteratur gilt „Faserland“ (1995) von Christian Kracht als Initialzündung, es folgen z. B. Alexa Henning

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von Langes „Relax“ (1997), Benjamin von Stuckrad-Barres „Soloalbum“ (1998) oder auch Florian Illies’ „Generation Golf“ (2000). Daneben gibt es noch die sogenannten „Suhrkamp-Popliteraten“ Rainald Goetz, Thomas Meinecke und Andreas Neumeister, die bereits davor als Schriftsteller in Erscheinung getreten waren und die der Vorgängergeneration der zuvor Genannten angehören. Wenn von Popliteratur die Rede ist, dann werden unterschiedliche Kriterien angelegt, um die jeweils gemeinten Texte in dieses Genre einzuordnen. Oft sind das den Texten äußerliche, biographische Faktoren wie das Alter der Autorinnen und Autoren oder deren weitere popkulturelle Tätigkeiten – sie sind also im mehr oder weniger engen Sinne „jugendlich“ wie Henning von Lange, Stuckrad-Barre oder Benjamin Lebert oder arbeiten beispielsweise auch als Musiker und DJ wie Meinecke und Neumeister oder als Fernsehschreiber wie Stuckrad-Barre. Dann gelten oftmals inhaltliche Aspekte der Texte als Kriterium, wenn also jugendkulturelle Themen wie Nachtleben, Beziehungen, Musik, Mode etc. aufgegriffen werden. Zum Teil werden schließlich auch stilistische Merkmale berücksichtigt, so dass Popliteratur für gute Lesbarkeit und ungekünstelte Alltagssprachlichkeit steht. Damit kann Popliteratur durchaus als ein Ausdruck einer generellen Tendenz der postmodernen Literatur seit den 1980er-Jahren gesehen werden, die man als die „Wiederkehr des Erzählens“3 beschreibt, worunter eine Abkehr von den ästhetischen Prinzipien der Moderne, deren sperrigen Formen und deren gedanklichem Anspruch, und eine Hinwendung zu sprachlich konventioneller gestalteten, handlungsorientierten Texten zu verstehen ist. Ein so verstandener Begriff von Popliteratur bzw. Pop allgemein hat für das Bildungsbürgertum – egal, ob es konservativ an der Ästhetik des Klassizismus oder Realismus festhält oder sich als progressiv versteht und sich an der avantgardistischen Ästhetik der klassischen Moderne orientiert – immer einen negativen Beigeschmack. Weil er für ein Spiel oder einen Bruch – was ist schlimmer? – mit diesen ästhetischen Traditionen steht, wird er als Ausdruck von Oberflächlichkeit, Flüchtigkeit, Banalität, Kommerzialität abgewertet. Ein anderes Konzept von Pop vertritt hingegen der einflussreiche deutsche Popkulturtheoretiker Diedrich Diederichsen, der die genannten Eigenschaften positiv bewertet, Oberflächlichkeit

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als Gegenwärtigkeit und Sinnlichkeit, Flüchtigkeit als Dynamik, Banalität und Kommerzialität als allgemeine Zugänglichkeit betrachtet: „1. Pop ist immer Transformation, im Sinne einer dynamischen Bewegung, bei der kulturelles Material und seine sozialen Umgebungen sich gegenseitig neu gestalten und bis dahin fixe Grenzen überschreiten: Klassengrenzen, ethnische Grenzen oder kulturelle Grenzen. [...] 2. Pop hat eine positive Beziehung zur wahrnehmbaren Seite der sie umgebenden Welt, ihren Tönen und Bildern. [...] 3. Pop tritt als Geheimcode auf, der aber gleichzeitig für alle zugänglich ist.“ (Diederichsen 1996, S. 38-40)

Diesen spezifischen Begriff von Pop, der besonders auf die 1960erbis 1980er-Jahre des 20. Jahrhunderts zutreffe, nennt Diederichsten auch „Pop I“ und grenzt ihn ab von einem allgemeinen Popbegriff, den er als „Pop II“ bezeichnet und der für die Situation in den 1990er-Jahren gelte. Während Pop I „meist als Gegenbegriff zu einem eher etablierten Kunstbegriff“ verwendet wurde und „immer in grenzüberschreitende Bewegungen verwickelt“ war, bestehe „das Drama von Pop II“ darin, „daß kein Terrain sich gegen seine Invasion mehr sperrt.“ Weil alles und jedes, jeder und jede als Pop deklariert werden könne, blieben nunmehr „all diese Bewegungen innerhalb eines neuen Feldes von Pop II bodenständig und überschreiten nichts mehr“ (Diedrichsen 1999, S. 275). Ein solcher Ansatz, der Popkultur nicht von vornherein ablehnt, sondern sie als gegenwartskulturelles Massenphänomen ernst nimmt und untersucht, kann auch für eine differenzierte Betrachtung der verschiedenen Ausprägungen von Popliteratur hilfreich sein. So artikuliert Thomas Meinecke, dessen Popverständnis dem Diederichsens nahe steht,4 gleichsam von Innen heraus Kritik an einem solchen popliterarischen Ansatz, für den Autoren wie Nick Hornby und Florian Illies stehen, der in den Bereich von Pop II einzuordnen ist. Texte wie „High Fidelity“ (1995), das ein geschmackliches Einvernehmen der Eingeweihten voraussetzt, wenn beispielsweise erörtert wird, ob es überhaupt möglich ist, eine Frau mit einer SIMPLE-MINDS-Plattensammlung zu lieben, oder „Generation Golf“, in dem über die Fetischisierung von Gebrauchsgegenständen wie Leonardo-Wolken-Rührern oder

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PEZ-Tickern ein Gefühl von Generationszusammengehörigkeit beschworen wird, kritisiert Meinecke als eine „Erinnerungsliteratur“ und „Verständigungsliteratur“ für in die Jahre gekommene Berufsjugendliche (Schumacher 2000, S. 19). Bei diesen Texten ist das, was Diederichsen als „positive Beziehung zur wahrnehmbaren Seite der umgebenden Welt“ beschrieben hat, nicht mehr Ausgangspunkt für Grenzüberschreitungen oder eine unter Umständen gar subversive Auseinandersetzung mit der Gegenwart. Statt dessen wird in ihnen eine rückwärtsgewandte und konsumistische Identifikationsstiftung betrieben, die damit eher auf Affirmation, Konsolidierung und Konsensbildung abzielt. Im Gegensatz zu solchen retrospektiven bis reaktionären Ansätzen können die Texte der „Suhrkamp-Popliteraten“ als Versuche gelesen werden, sich der Gegenwart anzunähern: Meinecke begreift im Anschluss an Andy Warhol „Pop als die totale Gegenwart“ (ebd.) und beschreibt seinen Roman „Tomboy“ (1998) als eine „noch nie da gewesene Geschichte der Gegenwart“ (Meinecke 1998, S. 103). Rainald Goetz tituliert sein fünfbändiges „Heute Morgen“-Projekt, das mit der Erzählung „Rave“ (1998) eröffnet wurde, in einem ganz ähnlichen Sinne als eine „zur Zeit erscheinende Geschichte der Gegenwart“ (Goetz 1999, S. 4). Andreas Neumeister konzipiert seinen Roman „Gut laut“ (1998) als eine „Entfaltung der Kategorie des ,Ebenjetzt‘“ (Schumacher 2003, S. 12). „Diese und andere Bücher“, so meint Schumacher, „legen nahe, daß die Konzentration auf die Gegenwart, die Frage nach der schriftlichen Darstellbarkeit des Jetzt und die Reflexion auf dessen Verhältnis zu einer möglichen Geschichte der Gegenwart entscheidende Momente jener Schreibweisen sein könnten, die Pop und Literatur gleichermaßen ernst nehmen [...]“ (ebd.). Das Vorhaben, Schreibweisen des Hier und Jetzt zu entwickeln, resultiert bei Meinecke, Goetz und Neumeister in einer entsprechenden Wahl der Themen und literarischen Verfahren: Auf der Inhaltsebene ist Musik bei allen drei Autoren von großer Bedeutung, was wohl auch der Hauptgrund für ihre Zuordnung zu den Popliteraten sein dürfte. Die Nennungen von Bands, Titeln, Textzeilen – bei Meinecke reicht das Repertoire von RiotGrrl-Bands bis zu Minimal Techno, Goetz bevorzugt Techno und House und Neumeister durchmisst das gesamte Pop-Universum von Munich Disco bis Glamrock – stehen als Chiffren für bestimm-

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te Haltungen und ein spezifisches Lebens- und Zeitgefühl. Interessanter jedoch als diese inhaltlichen Aspekte sind bei den Suhrkamp-Popliteraten die formalen und strukturellen Verfahren der Gegenwartsgeschichtsschreibung, die auch z. T. musikalisch inspiriert sind. Meinecke bedient sich eines Schreibverfahrens, das er selbst gern mit dem Plattenauflegen vergleicht, womit gemeint ist, dass er bestimmte vorgefundene Texte durch Zitieren, Paraphrasieren, Erwähnen miteinander verknüpft, ähnlich wie ein DJ oder Musikproduzent Platten oder Gesampeltes mixt. Dabei ist weniger der Inhalt primär entscheidend für die Auswahl, vielmehr spielt die klangliche Qualität, der Sound, für ihn auch beim Schreiben eine große Rolle. So stellt er um zentrale Großthemen der Gegenwartskultur wie Gender und ethnische Identität herum assoziative Verbindungen zwischen unzähligen und teilweise sehr heterogenen kulturellen Fundstücken her. Goetz wählt für seine Gegenwartsgeschichten bevorzugt die Form der direkten Rede, verwendet Umgangssprache und einfachen Satzbau, um den Eindruck von Alltäglichkeit und Spontaneität zu erwecken. Am konsequentesten setzt er dieses „Schreiben zur Zeit“ in seinem Internettagebuchprojekt „Abfall für alle“ (1999) um, das ein Jahr lang zunächst als Web-Blog, in dem er Tag für Tag Zeitungsmeldungen, Gespräche, Beobachtungen u.v.m. dokumentiert, entstanden und erst „post festum“ später auch als Buch erschienen ist. Neumeister schließlich arbeitet stark mit Floskeln, Abkürzungen und Auflistungen und greift damit eine Tendenz der Gegenwartssprache auf, wie man sie vor allem in den Medien findet – und natürlich darf und soll man sich auch an das besonders im Musikbereich gängige Charts-Format erinnert fühlen. Durch die Prinzipien der Serialität und der Variation gewinnen seine Texte stark an optischer und akustischer Qualität und fordern damit die Leser zu einer anderen Wahrnehmungsweise, zu einem anderen Erleben des Leseprozesses heraus als bei einer an Handlung und Personendarstellung orientierten Lektüre üblich.

Netzliteratur5 – Tribalistische Kommunikation in Echtzeit Unter Netzliteratur, der nächsten Form von „Texten zur Zeit“, versteht man literarische Texte, die im Internet entstehen, ver-

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öffentlicht und rezipiert werden. Manchmal wird auch die Bezeichnung digitale Literatur verwendet, die dann als Oberbegriff fungiert für sowohl vernetzte als auch unvernetzte digitale Literatur. Diesem Verständnis nach wäre Netzliteratur dann eine Unterform der digitalen Literatur ebenso wie die unvernetzte digitale Literatur, die rein auf einem Rechner existiert und auf einem Datenträger gespeichert werden kann. In jedem Fall ist Netzliteratur bzw. digitale Literatur abzugrenzen von digitalisierter Literatur, d. h. digital aufbereiteten Textarchiven auf Datenträgern oder im Netz wie etwa dem bekannten Gutenberg-Projekt.6 Von Netzliteratur gibt es verschiedene Formen: An erster Stelle wären Mitschreibeprojekte zu nennen, bei denen kollektiv ein Text fortgeschrieben wird, weil die produktive Mitarbeit der Lesenden integraler Bestandteil des Projekts ist und die Leser somit auch als Schreibende am Weiterwachsen des Textes beteiligt sind.7 Weiterhin gibt es die sogenannte Hyperfiction, worunter vorformulierte Texte zu verstehen sind, die in einer Hypertextstruktur nichtlinear angeordnet sind, so dass der Leser oder die Leserin über das Anklicken der Links die Möglichkeit hat, verschiedene Lesarten zu erzeugen. Hiervon könnte man noch die Hypermedia-Form unterscheiden, bei der dann auch noch Bilder, Grafiken, Video- und Soundsequenzen in die Hypertexte eingebunden werden.8 Schon an diesen kurzen Beschreibungen der wichtigsten Arten von Netzliteratur kann man deren Hauptmerkmale erkennen: Das wäre 1. Interaktivität, d. h. die Lesenden sind involviert, in der Regel indem sie sich durch das Dokument klicken oder indem sie bei Mitschreibprojekten eigene Textbausteine beitragen; 2. Intermedialität, d. h. dass die Texte für die Darbietung im Netz visualisiert und oftmals mit weiteren optischen oder akustischen Elementen verknüpft werden; und 3. Inszenierung, d. h. dass schon aus der technischen Notwendigkeit, aber auch aus den medialen Möglichkeiten heraus die Frage der Textdarbietung und -aufbereitung von großer Bedeutung ist.9 Netzliteratur weist somit einige Unterschiede zu herkömmlicher Literatur auf: Aufgrund der Möglichkeit zur Interaktion trifft die

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traditionelle Vorstellung eines geschlossenen, bei Veröffentlichung formal und inhaltlich vollendeten Werks nicht mehr zu. Die intermediale Verknüpfung von Schrift mit anderen, akustischen und visuellen Zeichensystemen bewirkt eine ästhetische Anreicherung, und zudem verändern die Hypertext- bzw. Hypermediastrukturen die Zeit- und Raumbeziehungen. Doch Netzliteratur unterscheidet sich nicht nur hinsichtlich ihrer Erscheinung, sondern auch in der Art und Weise ihrer Entstehung von gedruckter Literatur. Die etablierte Rollenverteilung zwischen dem Autor als kreativem, gar genialem Produzenten und dem Leser als passivem Rezipienten greift hier nicht mehr, traditionelle Konzepte von Autorschaft werden aufgebrochen.10 Der Leser, der die Texte durchsurft, Elemente frei verknüpft und gar selbst mitschreibt, wird damit selbst zum (Mit-)Autor, zum „wreader“, zum „reader“ und „writer“ in Personalunion. Johannes Auer, ein wichtiger theoretischer und praktischer Vertreter der Internetliteratur, spricht auch vom „Leser als DJ“ (Auer 2005, o. S.) und akzentuiert damit die Aktivität und Kreativität des Lesers im Umgang mit den vorgefundenen Bausteinen (was übrigens dem Autorkonzept Thomas Meineckes sehr nahe kommt, der sich auch zuerst als Leser, Hörer und Zuschauer versteht und diese Rezeptionsprozesse, wie erwähnt, dem DJ-Verfahren ähnlich in seinem Schreiben weiterverarbeitet). In solchen Zusammenhängen nimmt der Autor eines Mitschreibprojekts die Rolle eines Initiators ein, der den Textentstehungsprozess anstößt und gegebenenfalls moderiert, aber ihn nicht vollständig kontrolliert. Da, wie erwähnt, die (inter)mediale Inszenierung ein entscheidendes Moment der Netzliteratur ist und sich bei Hyperfiction oder Hypermedia literarischer Inhalt und mediale Darstellung gegenseitig bedingen, nimmt der Autor vielfach auch die Funktion eines Designers ein. Schließlich wird die traditionelle Autorrolle auch durch die technischen Rahmenbedingungen verändert, weil die Programme bzw. die Programmiersprachen, mit denen bei der Herstellung von Netzliteratur gearbeitet wird, eine gewisse Eigenlogik haben, bestimmte Möglichkeiten und Beschränkungen aufweisen. Somit ist der Autor von Netzliteratur auch Anwender oder im Idealfall selbst Programmierer, und – wenn Zufalls- oder Selbstgenerierungsprozesse vorgesehen sind – übernimmt gar das Programm selbst die Autorfunktion.

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Diese Ansätze, traditionelle Autoren- und Rezipientenrollen zu modifizieren oder aufzulösen, können mit postmodernen Thesen wie der Roland Barthes’ vom „Tod des Autors“ (1967) und der Marshall McLuhans vom Medium als der Botschaft (1967) beschrieben werden. Hier setzt dann auch die Kritik an der digitalen Literatur ein, die bei ihr die Tendenz zur Verselbstständigung der Technik und eine Vernachlässigung künstlerisch-ästhetischer Ansprüche zugunsten von Fragen der technischen Umsetzung bemängelt. Die Befürworter der Netzliteratur wie Johannes Auer hingegen betrachten, analog zum Einsatz des Sampling im Hip-Hop, die in der Technik angelegten Möglichkeiten zur Interaktivität und zur intertextuellen bzw. -medialen Bezugnahme als Chance, alternative Sinn- und Sozialstrukturen zu schaffen: „Wichtige Strukturformen des Internets sind Dialogprozesse, die durch Themen oder Topics gebündelt werden und [...] ,tribalistische‘ Strukturen schaffen.“ (Auer 2005, o. S.)

Slam Poetry11 – Literatur als Live-Ereignis Slam Poetry, die dritte und letzte Form von Gegenwartsliteratur, die hier kurz vorgestellt werden soll, ist ein Textgenre, das darauf ausgerichtet ist, bei literarischen Wettbewerben vorgetragen zu werden, bei denen mehrere Autorinnen und Autoren auf der Bühne ähnlich wie bei einem „Freestyle Battle“ im HipHop gegeneinander antreten. Als Vater der Slam Poetry gilt der amerikanische Performance-Poet Marc Smith, der Slam Poetry folgendermaßen beschreibt: „Slam Poetry is performance poetry. It recognizes that the art of performance is as important as an art as the art of forming words into poems on the printed page“ (Merz-Akademie o. J., o. S.). Der erste Slam soll am 20. Juli 1986 in Chicago stattgefunden haben, 1989 gab es einen ersten Slam in New York, es folgten Radio- und Fernsehübertragungen u. a. auf MTV, die zu einer raschen Verbreitung dieses neuen Typs von Literaturveranstaltung führten. Seit 1994 gibt es auch in Deutschland Poetry Slams, zuerst in Berlin und inzwischen an zahlreichen Orten im ganzen Land.12 1997 gab es ebenfalls in Berlin erstmalig eine deutsche Po-

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etry-Slam-Meisterschaft, die von Bas Böttcher13 gewonnen wurde, und 2004 gab es in Greenville, South Carolina, und Rotterdam auch Slam-Weltmeisterschaften, was jedoch wegen der Sprachabhängigkeit nur bedingt sinnvoll ist. Die wenigen ungeschriebenen Gesetze von Poetry Slams schreiben vor, dass man einen eigenen Text vorträgt, dessen Thema und Form in der Regel frei wählbar sind, weiterhin ist ein Zeitlimit von meist fünf bis sieben Minuten vorgegeben, außerdem sind Kostüme und Requisiten üblicherweise nicht zugelassen. Anders als bei etablierten Literaturwettbewerben erfolgt die Beurteilung normalerweise nicht durch eine Fachjury, sondern durch das Publikum, und die Performance ist genauso Bestandteil der Wertung wie der Text. Dieses Veranstaltungskonzept hat zunächst einmal Konsequenzen für die Texte selbst Slamtexte erfordern ein gutes „timing“, d. h. ihr Umfang und ihre Dramaturgie sollten die Zeitvorgabe berücksichtigen, und sie müssen im mündlichen Vortrag, d. h. als Sprech- und Hörtext, wirken. Das hat Auswirkungen auf Wortwahl und Satzbau, Formen und Themen; es führt beispielsweise dazu, dass die klangliche Qualität der Sprache stärker in den Vordergrund tritt, Wortspiele, Reime, Wiederholungen verwendet werden, dass einfachere und leichter verständliche Satzkonstruktionen bevorzugt werden, dass kleine Formen, wie Gedichte, Kurzgeschichten, Anekdoten, Aphorismen, dominieren und sich tendenziell gut fassliche Inhalte, Alltagserlebnisse, Beobachtungen, Humorvolles und Polemisches, anbieten, aber komplexere, anspruchsvollere Themenstellungen durchaus auch vorkommen, jedoch eine besondere sprachliche und gedankliche Präzision erfordern. Das Konzept des Vortragswettbewerbs wirkt sich außerdem auf das Selbstverständnis der Schreibenden und das des Publikums aus. Wie schon bei der Popliteratur und der Netzliteratur, entspricht die Autorenrolle nicht unbedingt traditionellen Vorstellungen. Bei herkömmlichen Lesungen lesen Schriftsteller oder Schriftstellerin ihrem aufmerksamen und hinterher allenfalls diskutierenden, nicht jedoch bewertenden Publikum mehr oder weniger gut aus ihren üblicherweise zum stillen Lesen geschriebenen Büchern vor. Anders beim Slam: Hier wird der Autor oder die Autorin viel mehr zum Performer, ähnlich wie ein Sänger oder ein Musiker es ist. Daher ist es wenig verwunderlich,

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dass Slammer sich auch sozial und biographisch von klassischen Literaten unterscheiden; sie sind oftmals jünger, popkulturell sozialisiert, stammen z. B. vielfach aus einem Hip-Hop-Umfeld, und sind auch in der Regel noch nicht in den (hoch-)kulturellen Institutionen etabliert. Für Marc Smith, den Ur-Slammer, steht daher auch nicht die Glorifizierung des Künstlers, sondern das Gemeinschaftserlebnis im Vordergrund: „The Slam does not exist to glorify the poet but rather to celebrate the community of which the poet is only a small part of“ (Merz-Akademie o. J., o. S.). Aus dieser Bemerkung wird auch deutlich, dass das Publikum eines Slams eine andere Rolle spielt als bei traditionellen Dichterlesungen. Es kann mit den Lesenden interagieren, kann spontanes Feedback geben, kann bei Missfallen den aktuellen Slammer vorzeitig von der Bühne vertreiben oder ihn mit seinen Begeisterungsstürmen zum Sieger des Abends auserwählen. Bei einem Slam ist vieles offen: Oft steht zu Beginn des Abends noch nicht fest, wer liest und was gelesen wird, ebensowenig ist planbar, wie das Publikum reagiert und entscheidet. So erhält die Veranstaltung den Charakter eines einmaligen Ereignisses, einem Konzert ähnlicher als einer Lesung. Der bereits bei den Popliteraten vorgestellte Andreas Neumeister und sein Mitherausgeber Marcel Hartges deuten dies im Vorwort ihrer „Poetry!Slam!“-Anthologie als bewussten Bruch mit der bildungsbürgerlichen Kulturtradition: „Für uns sind Slams allerdings nicht nur eine neue Präsentationsform, sie dokumentieren auch ein neues Verständnis von Literatur. Spontaneität, Alltagsnähe, Gegenwartsbezug, Sprachwitz, Lustprinzip und Unmittelbarkeit spielen darin eine weit größere Rolle, als die abstrakte, auf ein Expertenpublikum zielende Kunstanstrengung“ (Neumeister; Hartges 1996, S. 14). Dabei birgt das Veranstaltungsformat durchaus auch Probleme: So ist die Versuchung groß, es des Erfolgs wegen dem Publikum recht machen zu wollen und sich dem vermeintlichen Massengeschmack anzupassen. Darüber hinaus besteht, worauf Eckard Schumacher hinweist, die Gefahr, dass man gewisse in der Popkulturtheorie längst als hochproblematisch diskutierte Vorstellungen von Authentizität revitalisiert und so in die in der Musik als „Rockismus“ bekannte Falle tappt.14 Trotzdem hat der sportlichspielerische Ansatz der Slam Poetry das große Potential, Literatur aus dem elitären Elfenbeinturm der Hochkultur herauszuholen,

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sie von ihrer ehrfurchtheischenden Aura der Bedeutungsschwere befreien und das Klischee vom einsamen Schriftstellergenie und seinem Gegenstück, dem schöngeistigen Literaturkenner, zu verabschieden.

Resümee Zusammenfassend kann man an den drei vorgestellten Formen von „Texten zur Zeit“ drei Modi der Auseinandersetzung mit der Gegenwart erkennen – wobei wichtig ist, dass diese nicht scharf voneinander trennbar, sondern im Gegenteil verknüpft sind und auch nicht jeweils einer der literarischen Strömungen zuzuordnen sind, sondern diese verbinden. 1. Die Auseinandersetzung mit der Gegenwart auf der semantischen Ebene: Darunter ist die Thematisierung von aktuellen Phänomenen zu verstehen, das können wie in vielen Slam-Texten oder bei Rainald Goetz kleine banale Alltagsbegebenheiten, momentanen Erlebnisse oder die neuesten Platten, Filme, Fernsehsendungen ebenso sein wie durchaus komplexere zeitgenössische Kulturtheorien, wie sie von Meinecke aufgegriffen werden. 2.Der formale oder strukturelle Modus der Auseinandersetzung mit der Gegenwart: Dieser besteht, wie z. B. im Hypertext, in der Nutzung aktueller Technologien und der Entwicklung neuer, durch die technischen Innovationen realisierbar gewordener Schreibtechniken oder auch, wie etwa bei Meinecke, in der literarischen Nachbildung neuer Techniken wie dem Sampling oder dem Copy-and-PasteVerfahren. 3. Die performative Erzeugung von Gegenwärtigkeit: Unter diesen Modus können beispielsweise das Konzept von Poetry Slams, Literatur als Live-Ereignis zu inszenieren, und die Ansätze einiger Netzliteratur-Projekte, Literatur in Echtzeit zu generieren, subsumiert werden. Die Musik als alte „Schwesterkunst“ der Poesie spielt für alle Ansätze eine besondere Rolle, nicht nur, weil sie mehr noch als die Literatur ein bedeutender Bestandteil der heutigen technisierten

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und medialisierten Kultur ist, sondern auch, weil sie ästhetische und soziale Modelle zur Verfügung stellt, die für gegenwartsbezogene Schreibansätze vorbildhaft erscheinen. Die Besinnung auf die präsentischen Qualitäten der Musik jenseits ihrer Verwendung als sentimentalische Erinnerungskonserve, als sinnloses Rauschen oder authentische Wirklichkeitsabbildung kann auch Impulse für eine Literatur geben, die sich nicht genügsam ins Altbekannte, Etablierte, Abgesicherte zurückziehen will. Eine musikalisch geschulte Reflexion über „Sprache im technischen Zeitalter“ kann dazu beitragen, die Möglichkeiten und Grenzen der Literatur immer wieder aufs Neue zu bestimmen und so der Gegenwart als sich ständig entziehendem, schon im Moment der vermeintlich greifbaren Anwesenheit wieder abwesendem Hier und Jetzt gerecht zuwerden. Denn nur, wenn Literatur nicht den Versuch unternimmt, die Ambivalenz des merkwürdigen Phänomens Gegenwart aufzulösen, wenn sie der Natur der Gegenwart entsprechend nicht letzte Wahrheiten verkündet, sondern der Flüchtigkeit des Seins sprachlich nachspürt, erst dann handelt es sich vielleicht tatsächlich um einen wirklichen „Text zur Zeit“.

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Vgl. grundlegend: Schumacher (2003). Außerdem: Moritz Baßler (2002): Der deutsche Pop-Roman. Die neuen Archivisten. München: Beck. Und Johannes Ullmaier (2001): Von Acid nach Adlon und zurück. Eine Reise durch die deutschsprachige Popliteratur. Mainz: Ventil. Vgl. kritisch hierzu: Mathias Mertens (2003): Robbery, assault, and battery. Christian Kracht, Benjamin v. Stuckrad-Barre und ihre mutmaßlichen Vorbilder Bret Easton Ellis und Nick Hornby. In: Heinz Ludwig Arnold; Jörgen Schäfer (Hg.): Text + Kritik. Sonderband PopLiteratur. München: Text + Kritik. S. 201-217. Vgl. Nikolaus Förster (1999): Die Wiederkehr des Erzählens. Deutschsprachige Prosa der 80er und 90er Jahre. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Vgl. Charis Goer (2003): Cross the Border – Face the Gap. Ästhetik der Grenzerfahrung bei Thomas Meinecke und Andreas Neumeister. In:

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– GEGENWART UND GEGENWÄRTIGKEIT IN DER LITERATUR

Heinz Ludwig Arnold; Jörgen Schäfer (Hg.):Text + Kritik. Sonderband Pop-Literatur. München: Text + Kritik. S. 172-182. Allgemeine Informationen und weiterführende Links: http://www.netzliteratur.de und http://www.netzliteratur.net (Stand 20.11.2006). Vgl. http://gutenberg.spiegel.de. (Stand: 18.11.2006) Z. B. Guido Grigat: „23:40“. http://www.dreiundzwanzigvierzig.de/cgi-bin/2340index.pl (Stand: 18.11.2006). Z. B. Frank Klötgens, Dirk Günther: „Die Aaleskorte der Ölig.“ http://www.internetkrimi.de/aaleskorte (Stand: 18.11.2006). Vgl. Roberto Simanowski (2001): Autorschaft in digitalen Medien. Eine Einleitung. In: Roberto Simanowski (Hg.): Text + Kritik. Bd. 152: Digitale Literatur. München: Text + Kritik. S. 4. Vgl. ebd., S. 8-15. Allgemeine Informationen und weiterführende Links: http://new.heimat.de/home/bcn/slam/slamlinks.html und http://www.slam2004.de. Infos über Slams in der Region Ostwestfalen-Lippe: http://www.grandslamaudio.de/forum/index.php, http://www.texteratur.de/slam und http://www.slampionsleague.de (Stand 20.11.2006). Vgl. http://www.basboettcher.de (Stand: 18.11.2006). Vgl. Schumacher (2003). S. 23-25.

Literatur Johannes Auer (2005): Der Leser als DJ oder was Internetliteratur mit HipHop verbindet. http://www.netzliteratur.net/dj.htm (Stand: 18.11.2006). Roland Bartes (1967): The Death of the Author. In: Aspen Magazine, H. 5f. o. S. Diedrich Diederichsen (1996): Pop – deskriptiv, normativ, emphatisch. In: Marcel Hartges u.a. (Hg.): Pop, Technik, Poesie. Die nächste Generation. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. S. 36-44 (= Rowohlt Literaturmagazin, Bd. 37). Diederich Diederichsen (1999): Der lange Weg nach Mitte. Der Sound und die Stadt. Köln: Kiepenheuer & Witsch.

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Rainald Goetz (1999): Celebration. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Jacob und Wilhelm Grimm (1897): Deutsches Wörterbuch. Bearbeitet von Rudolf Hildebrand und Hermann Wunderlich. Bd. 4/1/2. Leipzig: Hirzel. Marshall McLuhan; Quentin Fiore (1967): The Medium is the Massage. An inventory of effects. New York: Bantam. Thomas Meinecke (1998): Tomboy. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Merz-Akademie (o. J.): Slam Poetry. http://www.merz-akademie.de/ projekte/slam/ordner/wissslam.html (Stand 20.11.2006). Andreas Neumeister; Marcel Hartges (1996): Tecstasy. In: Andreas Neumeister; Marcel Hartges (Hg): Poetry!Slam! Texte der Pop-Fraktion. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. S. 13-15. Eckhard Schumacher (2000): Pop, Literatur. Ein Interview mit Thomas Meinecke. In: Kritische Ausgabe – Zeitschrift für Germanistik & Literatur, H. 1. S. 19f. Eckhard Schumacher (2003): Gerade Eben Jetzt. Schreibweisen der Gegenwart. Frankfurt a.M.: Suhrkamp (= edition suhrkamp, Bd. 2282) Roberto Simanowski (2001): Autorschaft in digitalen Medien. Eine Einleitung. In: Roberto Simanowski (Hg.): Text + Kritik. Bd. 152: Digitale Literatur. München: Text + Kritik. S. 3-21. Wissenschaftlicher Beirat und Mitarbeiter der Dudenredaktion unter der Leitung von Günther Drosdowski (1993): Duden. Bd. 3. 2. Aufl. Mannheim u. a.: Dudenverlag.

NOW: Theologische Zugänge zu einer popkulturellen Kategorie Harald Schroeter-Wittke Now Doppelpunkt: Jetzt geht‘s los! Now, Jetzt, Nun. „Nunc, quid est Ambach?“ fragt Caesar im Asterix-Band: Zoff im Pott. Now, wow, nyn, koh, in diesem Augenblick, that‘s it, yeah, superoberaffentittengeil. Now Doppelpunkt. Ein magischer Moment wird beschworen. Da wird etwas auf den Punkt gebracht. Und indem es auf den Punkt gebracht ist, ist es verschwunden. Now Doppelpunkt. Da geht‘s um Gegenwart, „ein vielfach merkwürdiges Wort“ (Grimm, Sp. 2281), wie die Gebrüder Grimm in ihrem Wörterbuch der deutschen Sprache vermerken. Da wartet etwas mir gegenüber. Mir wartet etwas entgegen. Gegenwart – Gegenwert – Gegenwirt – Gegenwort – Gegensatz. All dies ist belegt für das, was wir mit „Now:“ augenfällig machen. Gegenwart ist widerwärtig. Die Gegenwart eines Gegenstandes – hier kommen wir merkwürdig zu stehen. Wer wartet wen oder was – und wer lässt wen oder was warten? Now Doppelpunkt. Da geht es ums Präsens, um das, was vor dem Sinn da ist, um das, was vor den Sinnen liegt: prae-sens. Und es geht um Präsenz derjenigen, die performen. „Surprise the audience“ – Grund- und Vor-Satz aller gelungenen Präsentation. Now Doppelpunkt. Wie auch immer man dieses Phänomen beschreibt, es ist das, worauf alles ankommt, das, was die Sache entscheidet, das, worauf alle gewartet haben. Now Doppelpunkt. Du kannst es nicht herstellen. Es stellt sich ein. Du kannst es nicht festhalten. Es ist flüchtig. Diesem flüchtigen Phänomen, das die Fülle schlechthin ist, möchte ich im Folgenden theologisch nachdenken – in der Hoffnung, dass sich durch diesen

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für Sie fachfremden Zugang neue Perspektiven für Ihre weitere Arbeit ergeben. Dabei werde ich einen Dreisprung vornehmen: Now – Wow – Genau. Zunächst stelle ich einige grundsätzliche Überlegungen zum Verhältnis von Popkultur und Theologie an: now. In einem zweiten Punkt werde ich Ihnen unterschiedliche Zeitvorstellungen aus der Geschichte der Theologie präsentieren: wow. Und schließlich möchte ich Ihnen zwei Theologien ans Herz legen: eine Theologie der Ahnung und eine Theologie der Unterhaltung – genau. Theologie und Popkultur haben sich lange Zeit schwer miteinander getan. Für viele schienen sie zu weit auseinander zu liegen, doch das ist weit gefehlt. Vielmehr scheint die gegenseitige Ignoranz wohl eher daran gelegen zu haben, dass Theologie und Popkultur viel zu eng zusammen liegen. Daher werde ich Ihnen zunächst einige „Pro-Thesen“ zum Verhältnis von Popkultur und protestantischer Theologie vortragen, die ihre geschwisterliche Nähe aufzeigen. Unter Geschwistern ist es üblich, sich zunächst einmal abzugrenzen, daher beginne ich mit einem grundlegenden Unterschied zwischen Popkultur und Theologie. I. NOW: Sechs Pro-Thesen zum Verhältnis von Popkultur und protestantischer Theologie 1. Popkultur funktioniert – Theologie nicht. 1.1. Popkultur funktioniert. Dies macht ihr Geheimnis aus. Mein Paderborner Amtsvorgänger Hans-Martin Gutmann hat dies auf den Punkt gebracht: „Das ,Populäre‘ an der populären Kultur ist, dass sie ,funktioniert‘, dass sie hier und jetzt wirksam ist und nicht erst durch nachträgliche Interpretation.“ (Gutmann, S. 179) Was toppt oder floppt, ist immer erst nachträglich feststellbar. „Die Hälfte unseres Werbeetats ist rausgeschmissen Geld“, so ein Werbemanager von COCA- COLA. „Leider wissen wir nicht, welche Hälfte.“ Was toppt oder floppt, ist immer erst nachträglich feststellbar. Popkultur übt daher Nachsicht. 1.2. Theologie hingegen kann nicht funktionieren, weil sie immer unter dem Vorbehalt steht: „Der Geist weht, wo er will.“ (Joh 3,8). Theologie reflektiert, denkt nach, kommt daher immer zu spät. Gegenüber allen totalisierenden systemtheoretischen Integrationsversuchen markiert Theologie daher immer eine Gren-

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ze. Sie kommt zu spät. Weil sie sich deswegen auch nicht mehr hetzen muss, kann sie vorsichtig denken. Gegenüber der nachsichtigen Popkultur ist Theologie daher eher vorsichtig. Indem sie nachdenkt, vermag sie vorauszudenken. 2. Popkultur und Christentum sind grenzüberschreitend und globalisieren gleichermaßen. 2.1. Zum einen lebt die Popkultur von einer Globalisierung, die keinen Winkel der Welt unberührt sein lässt. Sie bildet damit ein Pendant zum missionarischen Charakter des Christentums. 2.2. Zum anderen popularisiert Popkultur alle Formen elitärer Kultur, was die Eliten, deren Notwendigkeit unbestritten ist, zumeist als Verfalls- und Verlustgeschichte wahrnehmen. 2.3. Drittens individualisiert Popkultur, weil sie vor die Wahl stellt, sich dem Trend anzuschließen oder nicht. Zugleich basiert Popkultur auf ihrer massenhaften Verbreitung. Auch diese Ambivalenz der Entscheidung teilt Popkultur strukturell mit dem Christentum, das ebenso inidvidualisiert wie es auch als Massenverband, z. B. in einer Kirche als Institution, existiert. 2.4. Schließlich ist nicht alles, was Pop ist, immer und überall pop. Bei aller Globalisierung existiert Popkultur nur als Popkulturen, die sich zum einen durch einen Mix ihrer globalisierten und regionalisierten Erscheinungsformen gestalten (Mix it, baby)1 und die zum anderen von den unterschiedlichen Milieus in einer Gesellschaft abhängen. 2 3. Popkultur wie Christentum sind sich in der Theorie darin einig: „Alles ist erlaubt.“ (1. Kor 6,12 + 10,23) 3.1. Während die meisten Institutionen des Christentums aber sofort warnend zum paulinischen „Aber (es frommt nicht alles)“ ansetzen und damit meinen, Beliebigkeit begrenzen zu sollen, agiert die Popkultur in umgekehrter Perspektive. Sie weiß, dass es Beliebigkeit nur als Liebe, als das, was beliebt, gibt. Es kann daher keine unbegrenzte Beliebigkeit geben. Davon zeugen die unaufhörlichen Abgrenzungen, mit denen Popkultur agiert. Hier existiert daher durchaus ein Wissen davon, dass nicht alles frommt

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bzw. zum Guten dient. Aber nicht diese Grenze wird beschworen, sondern die Grenzüberschreitung, dass es nämlich manchmal der Fall sein kann, dass alles frommt. Damit stößt die Popkultur in eine Lücke, die ein zumeist spiel- und spaßverderbendes Christentum verheißungslos (und daher verheißungsvoll) hinterlassen hat. In der Kraft ihrer Verheißung von Freiheit ist die Popkultur mitunter protestantischer als das Christentum. 3.2. Christentum wie Popkultur ist das Wissen darum gemeinsam, dass der Zugang zum Glauben im Erlebnis liegt. Beiden geht es um eine Frömmigkeit, die sich nicht privatisieren lässt, sondern die das jeweils Gute, wovon ihr Herz voll ist, in die Welt trägt, um diese zu begeistern. Beiden geht es daher um Rechtschaffenheit, was bisweilen auf den Geist geht. 4. Popkultur ist oberflächlich. Die Theologie hat von dieser Oberflächlichkeit zu lernen. 4.1. Popkultur ist glänzend. Sie spiegelt unser Begehren an der Oberfläche. Popkultur ist daher oberflächlich. Aber gerade in, mit und unter dieser Oberflächlichkeit bringt Popkultur zur Darstellung, dass alle Bedürfnisbefriedigung durch ein unstillbares Begehren gekennzeichnet ist, welches uns allererst leben lässt: Alle Lust will Ewigkeit (Friedrich Nietzsche).3 Popkultur macht uns in diesem Zusammenhang klar: Du willst immer etwas anderes. Dieses Begehren gilt es, theologisch nicht als Schwäche, sondern als Stärke der Menschen wahrzunehmen. 4.2. Die Würdigung der Oberfläche durch die Popkultur zeigt die unhintergehbar semiotische Strukturierung unserer Wirklichkeit, hinter der kein Wahres oder Eigentliches festzustellen ist. Dieses Wahre existiert vielmehr so, dass es sich immer erst im Prozess herausstellt. Existenz und Ekstase gehören daher zusammen. 4.3. Religion, Kirche und Theologie bleiben selten an der Oberfläche, sondern gehen zumeist in die Tiefe. Die Betonung der Tiefe als Unterwanderung von Oberfläche birgt jedoch die Gefahr der Leibfeindlichkeit in sich. Denn durch diese Tiefe wird das, was vor Augen ist, verneint, so dass das, was zu tun ist, liegen bleibt und der Schein, den wir zum Leben brauchen, verteufelt wird. In

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der Theologie Martin Luthers gibt es die unhintergehbare Denkfigur des Christenmenschen als simul iustus et peccator: Ein Christenmensch ist immer zugleich Gerechter und Sünder. Man könnte es auch anders wenden: Wir brauchen Oberflächlichkeit und Tiefe, Sein und Schein. Eine protestantische Theologie der Popkultur bringt die theologische Berechtigung der Oberflächlichkeit im Rahmen des simul iustus et peccator der Rechtfertigungslehre zur Darstellung: Pecca fortite, sed crede fortiter! Sündige kräftig, aber glaube kräftiger! 5. Popkultur und Theologie spielen mit allem, was den Menschen heilig ist. 5.1. Popkultur spielt mit allem, was ihr unter die Augen, in die Finger und in den Computer kommt. Dieses Spiel, insbesondere das Augenzwinkern, welches dem popkulturellen Umgang mit dem Heiligen eigen ist, ist von einer Theologie der Popkultur zu würdigen.4 Dabei kommt der protestantischen Einsicht, dass es nach Kreuz und Auferstehung keine verdammenswerte Blasphemie mehr geben kann,5 grundlegende Bedeutung zu für das Wahrnehmen als auch für das Handeln von Kirche im Bereich von Popkultur. 5.2. Popkultur setzt sich selbst und das, was ihr heilig ist, aufs Spiel. Diese missionarische Qualität, sich dem Fremden, der Gefahr, dem Verbotenen auszusetzen, um damit in Kontakt zu kommen, macht ihre Begeisterung aus. Dieses Spiel ist ergebnisoffen. Niemand weiß im Vorhinein, ob und wie wer in diesem Spiel dran glauben muss. 5.3. Die Popkultur macht der Theologie bewusst, dass es in der durch die Popkultur erhoffte Erleichterung um Erlösung geht. Eine Theologie der Popkultur hat daher solche Formen zu entwerfen, die die Erleichterung nicht als seicht diffamieren, sondern als einen Modus von Erlösung wahrnehmen lehren. Eine Theologie der Popkultur ist daher als Theologie des Glücks6 zu entwerfen.

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6. Eine Theologie der Popkultur braucht Ritual- und Körpertheorien. 6.1. Die Wirkung populärer Kultur hat sich immer durch Rituale entfaltet. Ritualforschung gehört daher zu den grundlegenden Aufgaben einer Theologie der Popkultur. Dabei hat sich in den letzten Jahrzehnten insbesondere das Ritualkonzept von Victor Turner mit seinen zentralen Begriffen Liminalität, Liminoidität, flow-experience und communitas als hilfreich erwiesen.7 Rituale werden demnach nicht mehr als Zwangshandlungen verstanden, sondern ihnen wohnt als Prozessen von Umordnung ein Potential inne, durch das notwendige Veränderungen im Alltag allererst möglich werden. Wichtig ist dabei, dass Rituale in der Gegenwart durch ein hohes Maß an Freiwilligkeit, Selbstbestimmung und Mitgestaltung gekennzeichnet sein müssen, wenn sie ihre Wirkung entfalten wollen. 6.2. In einer Zeit, in der Körper zunehmend der Vorgegebenheit entzogen und plan- und machbar werden, verkörpert sich Individualität durch (zunehmend schmerzhafte) Gestaltung des Leibs und seiner Glieder – bis hin zu seiner Zerstückelung.8 Eine Theologie der Popkultur wird daher eine Kulturtheologie des Körpers sein, die den Körper als dramatische Bühne des Lebens würdigt. Dabei muss die Inszenierung des Körpers als Faktum, Fiktion und Fake zwischen individueller Gestalt und sozialer sowie historischer Prägung sichtbar werden. In der unauflösbaren Dialektik von individueller Freiheit und unhintergehbarem Geprägtwerden ist es eine religions-, musik- und medienpädagogische Aufgabe, die Subjekte als Unterworfene zu ermutigen und zu ermuntern, ihr Leben in seinen Verletzungen und Vernetzungen, soweit dies menschenmöglich ist, selbst in die Hand zu nehmen und so zu lernen, sich und andere gehen lassen zu können.

II. WOW: Zeitverständnisse in der Theologie9 Wenn wir nach dem „Wow“ im „Now“ fragen, dann müssen wir uns Gedanken machen über das, was man erfüllte Gegenwart nennen könnte. Dies ist von Kultur zu Kultur unterschiedlich. Ich

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möchte Ihnen daher zwei Zeitmodelle vorstellen, die sich in der Bibel finden. Sie lehren uns die kulturelle Verflochtenheit unserer Wahrnehmungen von Zeit, die sich ja seit den naturwissenschaftlichen Paradigmenwechseln zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der Einsteinschen Relativitätstheorie und der Heisenbergschen Unschärferelation revolutioniert haben.10 In der Bibel begegnen zwei große Kulturen, die sich in den beiden Sprachen der beiden Testamente niederschlagen. Während das Alte Testament vorwiegend hebräische Texte enthält, ist das Neue Testament in Koine-Griechisch geschrieben, auch wenn Jesus selber wahrscheinlich kein oder nur sehr schlechtes Griechisch konnte. Er sprach aramäisch, eine weiter entwickelte Variante des Hebräischen. Wenn Sprache ein grundlegender Vorgang ist, der alles prägt, was wir als je unsrige Kultur ansprechen, dann ist die Kenntnis der Denkstruktur dieser Sprachen sehr wesentlich für die Entwicklung einer sachgerechten Theologie. Nun ist es so, dass das Hebräische und das Griechische sehr unterschiedliche Sprachen sind, was sich sogleich an deren Zeitverständnis festmachen lässt. In der hebräischen Sprache gibt es nämlich die drei Zeitformen Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft nicht, sondern nur zwei Verbformen: Perfekt und Imperfekt, also abgeschlossene und nicht abgeschlossene Vorgänge. Im Hebräischen kann man nicht in die Zukunft schauen, weil es gar keine Zukunft gibt. Deswegen konnten die Propheten der hebräischen Bibel auch keine Zukunft vorhersagen. Was sie getan haben, war eine Ansage von Konsequenzen aufgrund dessen, was geworden ist. Im Hebräischen schaut man immer auf das, was geworden ist. Dort kann man erkennen, ob etwas abgeschlossen ist oder nicht. Ist etwas nicht abgeschlossen, dann wirkt es bis heute. In westlichen Sprachen ist es so, dass wir der Zukunft entgegensehen, dass wir also in die Zukunft, in das, was auf uns zukommt, schauen können. Dies ist im Hebräischen gar nicht möglich. Dort liegt die Zukunft im Rücken der Personen. Das, was auf uns zukommt, vollzieht sich hinter unserem Rücken. Wie aber wird in einem solchen System so etwas wie Gegenwart gedacht und erfahren? Es wird als erfüllte Zeit erfahren, als Zeit, die von woanders herkommt und nun als voll erfahren wird. Diese Fülle aber ist eine Form von Heil oder Unheil, man könnte

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auch sagen von Glück oder Unglück, von Segen oder Fluch. Zeit bemisst sich im Hebräischen daher nicht nach einer Quantität, sondern nach einer erlebten Qualität. Wow oder Nicht-Wow, das ist hier die Frage, das ist es, worauf es beim Now mit Doppelpunkt allein ankommt. Erst im Laufe der Theologiegeschichte der Hebräischen Bibel entstand dann ein Nacheinander von bestimmten erfüllten Zeiten, die sich als Festkalender etablierten.11 Es entstehen dann in der Apokalyptik Zeitalter, Äonen mit unterschiedlichen Qualitäten. In den Psalmen wird Gott bisweilen gelobt von olam zu olam, Luther übersetzt: von Ewigkeit zu Ewigkeit12. Das ist nicht Unendlichkeit zum Quadrat, sondern die Aufeinanderfolge verschiedener qualitativ bestimmter und erfüllter Zeiten. Entscheidend ist, dass die Qualität der entsprechenden Zeit bzw. der Olam im Hier und Heute erfahren und gelebt wird. So schreibt z. B. der hebräisch denkende Jude Paulus an die Korinther: „Als Mitarbeiter ermahnen wir euch, dass ihr die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangt. Denn Gott spricht (Jes 49,8): ,Ich habe dich zur Zeit der Gnade erhört und habe dir am Tage des Heils geholfen.‘ Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Herrn.“ (2. Kor. 6,1f.)

Im Griechischen gibt es also Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Aber Paulus insistiert hier auf dem Now mit Doppelpunkt, auf dem nyn, auf dem „koh amar Jahwe“ der Propheten, auf dem: So bzw. nun, jetzt spricht Gott. Und wenn der Prophet dann etwas sagt, dann spricht Gott selbst. Das Griechische kennt zwei sehr unterschiedliche Begriffe für das, was wir Zeit nennen: In unserem Text steht das Wort kairos: idou, nyn kairos. Kairos meint genau diesen erfüllten Augenblick, diese Zeit, die aufgrund ihrer Fülle stehen zu bleiben scheint, die von oben unseren Zeitstrahl durchbricht, so dass die Zeit still steht, die rechte Zeit, der rechte Zeitpunkt, an dem es klug ist, dieses oder jenes zu tun oder auch zu lassen. Alles hat seine Zeit (Qoh 3,1), alles hat seinen Kairos, alles seine Eigenzeit (Nowotny 1989). Neben diesem Kairos gibt es eine ganz andere Zeit, den „Chronos“. Das ist der Zeitstrahl, der unerbittlich eines nach dem anderen quantitativ aufzählt, die so-

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genannte Chronologie oder das Chronometer. Chronos zwingt alles in seine Funktion, in seine Rationalität, frisst seine Kinder, während Kairos die gewichtigen Momente benennt, seien es die glücklichen, die uns etwa durch den Tag tragen, oder uns bei schwerer Krankheit nicht aufgeben lassen, seien es die katastrophalen, die einen ganzen Epochenwandel bezeichnen können, z. B. 09/11. Die Sehnsucht nach dem Now mit Doppelpunkt, die sich besonders in der Popkultur global und massenhaft verbreitet hat, hängt zusammen mit unserer westlichen Gesellschaft, in der der Chronos in allen Systemen unerbittlich herrscht.13 Welche Theologien gibt es, die für diese popkulturelle Sehnsucht anschlussfähig sind?

III. Genau: Ahnung und Unterhaltung – Zwei popkulturelle Theologien: 1. Theologie der Ahnung14 Die Ahnung beschreibt einen flüchtigen Vorgang, der für popkulturelle wie für theologische Prozesse gleichermaßen bedeutsam ist. Wer sich mit dem Phänomen Ahnung beschäftigt, gerät in einen undeutlichen Bereich, dem es an Klarheit mangelt. Ahnung hat es nach dem Grimmschen Wörterbuch (Grimm 1998) zunächst mit „Vorgefühl, Vermutung, vage[r] Vorstellung“ und „Andeutung“ (ebd., S. 89) zu tun. Ahnung lässt sich weder sprachlich noch emotional klar eingrenzen. Der Ahnung entspricht nicht die Definition, sondern die Transfinition. Wer sich auf Ahnungen einlässt, überschreitet Grenzen. Wer dies nicht tut, hat weder den Hauch noch den Schimmer einer Ahnung, hat noch nicht einmal eine blasse Ahnung von der Sache. Ahnungen sind Mutmaßungen des Verstehens, Visionen des Gefühls, Erinnerungen der Zukunft. Ahnung ist praesensio (Immanuel Kant, nach: Nieke 1971). Die Breite und Vielfalt der Phänomene, die sich sprachlich in der Ahnung äußern, werden in ihrem Wortfeld deutlich, welches ich unter drei Aspekten reflektiere. Ein erster Bedeutungskomplex des Verbums ahnen – ich nenne ihn den adventlichen Aspekt – bezieht sich auf dessen Grundbedeutung „eine vage Vorstellung von etwas haben, […] gefühlsmäßig vermuten“. Ahnen ist von der Präposition „an“

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abzuleiten. Deren Ausgangsbedeutung ist: „einen ankommen“ (Grimm 1998, S. 79). Ahnung ist adventlich. Sie kommt uns an. Ahnung wird daher auch zunächst passivisch gedacht: Mir bzw. mich ahnt etwas. Erst seit dem 18. Jahrhundert wird ahnen gehäuft aktivisch gedacht mit persönlichem Subjekt: Ich ahne etwas. Mit der Aufklärung macht das Subjekt den Versuch, über die Ahnung zu herrschen. Es stellt sich die Frage, wer Subjekt der Ahnung ist und wie dieses zu denken sei. Ein zweiter Bedeutungskomplex des Verbums ahnen – ich nenne ihn den analogen Aspekt – hat die Ahnen, die Vorfahren zum Thema. Ahnen heißt, jemandem nachgeraten, jemandem ähnlich sein. Methode der Ahnung ist daher die Analogie. In der Analogie nämlich kommt Identität als Kontinuität und als Differenz zur Geltung. Wenn wir z. B. sagen: „Das sieht dir mal wieder ähnlich!“, dann erkennen wir etwas von einer Person Differentes als mit dieser zusammengehörig. Analoge Didaktiken sind sich der personalen Dimension des Lehrens und Lernens bewusst und räumen der Nachahmung ebenso ihren Stellenwert ein wie der Vorahmung15. Ein dritter Bedeutungskomplex des Verbums ahnen – ich nenne ihn den suspekten, den unheimlichen Aspekt – resultiert aus der Beobachtung, dass bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein ahnen auch ahnden heißen kann. Sprachgeschichtlich besteht eine Verwandtschaft zur lateinischen „anima“, so dass dem Ahnden die Vorgänge atmen und hauchen zugrundeliegen. Ahnden hat zunächst die Bedeutung von „in heftige Gemütsbewegung geraten, sich ereifern“. Weil der Anlass dieses Sich-Ereiferns aber immer stärker negativ gedacht wird, bekommt ahnden ab dem 13. Jahrhundert die Hauptbedeutung von „etwas tadeln, rügen“ und „etwas bestrafen“ (Grimm 1998, S. 76f), was heute nur noch in offiziellen Verlautbarungen oder bei Fußballübertragungen eine Rolle spielt.16 Ahnden heißt in selteneren Fällen aber auch „kränken, ärgern“ bzw. „Sehnsucht haben“ oder „schmerzlich beklagen“ (Grimm 1998, S. 79f), was mich zu einer doppelten Frage führt: 1. Wenn Ahnung der legitime Zugangsweg ist zu dem, was die Kreativitätspsychologie Inkubations- bzw. Frustrationsphase genannt hat, dann wird der Aspekt des Geärgertwerdens, des Ärgerlich- vielleicht sogar Wütendseins bzw. des Gekränktseins

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wesentlich. Denn hier ist das umschrieben, was den Frust als kreatorischen Grund dieser Phase ausmacht – zumal wenn wir bedenken, dass frustra Zweckfreiheit bedeutet. 2. Mir stellt sich hier die Frage nach den Verbindungen zu einem Verständnis von Theologie in der Mehrdeutigkeit des Alltags, wie es Henning Luther mit den Phänomenen Schmerz und Sehnsucht beschrieben hat. Henning Luthers Theologie (1984) widmet sich diesen alltäglichen Grenzüberschreitungen, Übergängen, Passagen und Schwellen, die uns beunruhigen „durch die – wie blass auch immer aufscheinende – Ahnung, dass es anders – und besser – sein könnte“ (Luther 1994). Luther fasst daher mit einem Zitat Heinrich Bölls zusammen: „Schmerz und Sehnsucht sind einander verschwistert. In beiden kommt die Ahnung zu Bewusstsein, dass »wir uns auf dieser Erde nicht ganz zu Hause fühlen«.“ (ebd., S. 250) Die Ahnung ist in den 1990er-Jahren als Thema der philosophischen Erkenntnistheorie wiederentdeckt worden, nachdem es noch 1971 im Historischen Wörterbuch der Philosophie resumierend geheißen hatte: „Als philosophischer Terminus hat der Begriff seine Relevanz verloren“ (Nieke 1971, S. 117). Diesem Zustand hat 1996 der Philosoph Wolfram Hogrebe mit seiner Skizze „Ahnung und Erkenntnis. Brouillon zu einer Theorie des natürlichen Erkennens“ (Hogrebe 1996) Abhilfe geschaffen. Grundlegend ist bei ihm die Einsicht, dass Ahnungen „sich“ einstellen, „ebenso wie Gedanken und Ideen, die uns kommen“ (ebd., S. 14).17 Ahnungen gehen dabei jeweils aufs Ganze, wobei das Ganze eben immer nur geahnt werden kann, also „sich nicht mehr durch ein Wissen über unsere Ahnungen hinaus erfüllen läßt“ (ebd., S. 18f). Denn sobald ein Ganzes gewusst ist, wird es zu einem Teil und tilgt sich als Ganzes. Erkenntnistheoretisch lässt sich hinter die Ahnungen nicht zurückgehen. Ahnungen reißen uns aus unseren Standardbezügen und lassen uns so überhaupt erst offen werden für Neues. Ahnungen sind die „höchst fragilen Eingangsorte für Ideen“ (ebd., S. 7), die kein Vorbild haben.18 Jedoch stellen sie sich als Gedanken zumeist nur in der harten Arbeit des Denkens ein, wobei Hogrebe insbesondere für die Wissenschaft feststellt:

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„Das Faszinierende im Geschehen unserer Gedankenarbeit hängt ja gerade daran, daß es trotz unserer angestrengten Bemühungen unwahrscheinlich ist, daß der Gedanke sich überhaupt einstellt. Forschung und Wissenschaft ist ja in ihren bei weitem größten und quälendsten Teilen immer Geschichte des ausbleibenden Gedankens. Nur daher rührt ja die Unsäglichkeit des seltenen Gefühls, etwas erkannt zu haben.“ (ebd., S: 35f)

In seiner kurzen Philosophiegeschichte der Ahnung würdigt Hogrebe Schleiermachers eigenständige Theorie der „Andeutung und Ahnung“ als „die Geburt des Zeichens“ (ebd., S. 69). Für Schleiermacher sind Ahnungen der Vorgang, durch den sich der Raum unserer Interpretationen allererst öffnet. Denn erst wenn wir die Ahnung haben, dass ein Geräusch etwas bedeuten könnte oder dass etwas, was sich in unserem Blickfeld befindet, Sinn machen könnte, kann der Prozess der Signifikation und der Interpretation beginnen. Damit bleibt die Ahnung ein dem Verstehen gegenüber eigenständiger Bereich, denn: Ahnungen sind Divinationen.19 Hogrebe fasst zusammen: „In der Ahnung konstituiert sich […] die Signifikanz der Welt. Es ist nicht alles Zeichen, aber alles kann Zeichen werden, wenn wir ahnen, daß es etwas, unbestimmt was, bedeutet. […] Nach Schleiermacher schlägt der Geist in der Ahnung die Augen auf.“ (Hogrebe 1996, S. 74) Popkultur und Theologie sind begeisterte und begeisternde An-Deutung, nicht mehr und nicht weniger. Wären sie eindeutig, wären sie total und würden den Hörenden die Freiheit ihrer Gedanken bestreiten. Ahnung geschieht allein im verunsichernden Terrain der Freiheit, wo kreative Spielräume eröffnet werden. Die ahnungsvolle Genese kreativer Phänomene realisiert sich in einer Atmosphäre der Zweckfreiheit. Sie ist zwecklos, weil sie nicht vom Subjekt beherrscht werden kann. In einer solchen Spiritualität der Ahnung lassen sich kreative Produzenten wie Rezipienten auf Inspiration ein. Die Zwecklosigkeit der Ahnung frustriert aber auch. Daher gehören Inspiration und Transpiration zusammen. Wer keine Ideen hat, kommt ins Schwitzen – wegen der Angst. Wer hingegen Ideen hat, kommt auch ins Schwitzen – wegen der Arbeit.

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2. Theologie der Unterhaltung Wer von Popkultur redet, redet von Unterhaltung. Mit diesem Phänomen hatte die Theologie ebenso wie die Hochkultur immer schon Probleme. Ich will mich hier in den sehr interessanten Unterhaltungsdiskurs der verschiedenen Disziplinen20 einschalten, indem ich eine Theologie der Unterhaltung (Schroeter-Wittke 2000) als Angebot meiner Disziplin anbiete und zur Diskussion stelle. Kriterium für gute Unterhaltungsmusik ist dabei für mich die Frage, ob Musik unterhält oder unterdrückt. Unterhaltung besteht theologisch aus drei Dimensionen, der nutritiven, der kommunikativen und der delektarischen Dimension: 1. Unterhaltung ist nutritiv. Sie gewährt Unterhalt. Dieser Aspekt ist insbesondere in der protestantischen Orthodoxie theologisch bedacht worden. Paul Gerhardt z. B. kann davon ein Lied singen: „Was sorgst du für dein armes Leben, wie du‘s halten wollst und nähren? Der dir das Leben hat gegeben, wird auch Unterhalt bescheren. Er hat ein Hand, voll aller Gaben, davon sich See und Land muß laben. Gib dich zufrieden!“ (EG 371, Strophe 7)

Gott unterhält die Welt. „He‘s got the whole world in his hands“. Indem Gott aber die Welt unterhält, unterhält er auch sich mit der Welt. D. h., Gott liebt diese Welt. Er hat Wohlgefallen an ihr. Sie bereitet ihm Lust. Und: Gott redet mit der Welt, wenn er sich mit ihr unterhält. Nach protestantischem Verständnis geschieht dies v. a. im Gottesdienst, wo nach Luthers berühmter Definition Gott mit uns redet und wir ihm antworten durch Gebet und Lobgesang. Deswegen kann Luther Unterhaltung ebenso wie den Gottesdienst auch als öffentliche Reizung zum Glauben verstehen. Gute Unterhaltung gewährt uns Unterhalt. Schlechte Unterhaltung hingegen ist nutritiver Betrug. Gute Unterhaltungsmusik im Gottesdienst z. B. bringt daher das zu Gehör, was die Menschen, deren Lebensgeschichte den Anlaß für einen Kasualgottesdienst bildet, unterhält und ihnen vorübergehend Halt gibt. Gute Unterhaltung heißt daher aber auch: Halt gibt es immer nur vorübergehend.

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2. Unterhaltung ist kommunikativ. Zwei oder mehr Menschen unterhalten sich miteinander, oft frei assoziierend. Gute Unterhaltungen sind meist lose, oft eignet ihnen eine lockere Atmosphäre. Gute Unterhaltung sucht das partnerschaftliche Gespräch unter Gleichberechtigten. Als erster hat der Pietismus die aufkommende bürgerliche Gesprächskultur auch zu einer kirchlichen Kultur gemacht. Jedoch verfolgte er dabei von Anfang an, also schon in Speners Frankfurter Collegium pietatis, das Interesse einer Verkirchlichung und damit einer Hierarchisierung der Gespräche vom Predigtamt bzw. von der Bibel her. Erst Schleiermacher hat mit seiner Theorie der freien Geselligkeit, die in der liberalen Salonkultur Berlins um 1800 wurzelt, der kommunikativen Dimension von Unterhaltung auch in der Kirche den gebührenden Raum bereitgestellt. Gute Unterhaltungsmusik lebt also auch vom partnerschaftlichen Gespräch über sie. In dem Augenblick, wo wem auch immer Musik aufgedrückt wird, kann sie nicht mehr unterhalten. Dies gilt für alle Beteiligten: Weder dem Pfarrer noch der Kirchenmusikerin, weder dem Posaunenchor noch den Kasual-Betroffenen darf eine Musik aufoktroyiert werden. Sie ist vielmehr zwischen allen Beteiligten auszuhandeln. 3. Unterhaltung ist delektarisch. Sie macht Spaß. Sie amusiert uns. Sie berührt uns, ist rührend. Sie erheitert und erleichtert. Das lateinische Wort für Unterhaltung heißt delectare und spielt in der antiken Rhetorik eine große Rolle. Delectare gehört neben dem docere, dem Lehren, und dem movere, dem Bewegen, zu den drei Grundaufgaben jeder Rede in der Antike. Jede Rede hat zu lehren, zu unterhalten und zu bewegen: docere – delectare – movere. Während das docere als Lehre auf die intellektuelle Einsicht zielt, sprechen das delectare als Unterhaltung und das movere als Pathos die Affekte an. Dabei bedient das delectare die sanften Affektstufen, denn es soll der Übermüdung durch Lehre und Pathos vorbeugen. Das delectare berührt die Menschen und erleichtert sie so. Die Erleichterung als Erlösung von der Erlösung steht bei ihr im Vordergrund. Sie erleichtert, manchmal beschwingt sie sogar. Oft rührt sie zu Tränen. Genau dies aber wären auch die Aufgaben guter Unterhaltungsmusik in der Kirche.

THEOLOGISCHE ZUGÄNGE ZU EINER POPKULTURELLEN KATEGORIE

Now mit Doppelpunkt: Das ist eine starke Ansage, die wir nicht begreifen können, die wir nicht zu packen kriegen. Und dennoch – oder vielleicht gerade deswegen bewegt sie uns. Ein letztes zentrales Beispiel aus der christlichen Tradition soll dies zur Geltung bringen: Ich meine die Geschichte von den EmmausJüngern aus dem letzten Kapitel des Lukasevangeliums (Luk 24,13-35). 21 Nachdem Jesus gekreuzigt wurde und die Hoffnung aller Jünger zu Grabe getragen wurde, gehen zwei Jünger frustriert und zutiefst verunsichert nach Hause. Auf dem Weg von Jerusalem nach Emmaus werden sie von einem Fremden begleitet. Es ist der auferstandene Jesus. Die Jünger erkennen ihn aber nicht. Er bleibt ihnen fremd und fern. Jesus fragt sie nach dem Grund ihrer Traurigkeit und erklärt ihnen, warum dies alles so kommen musste. Aber selbst der Hinweis, dass Jesus nach drei Tagen auferstehen würde, hilft nichts. Wegen der hereinbrechenden Nacht bitten die beiden Männer den Fremden in ihr Haus, damit er dort übernachte. Vor dem Essen bricht der Fremde das Brot. Now mit Doppelpunkt. Jetzt erkennen ihn die Emmaus-Jünger. Im selben Augenblick, als sie ihn erkennen, ist er jedoch verschwunden. Eine Geschichte, die die Dialektik von Anwesenheit und Abwesenheit im Now mit Doppelpunkt zur Geltung bringt. Statt diesem Now mit Doppelpunkt seine Freiheit zu lassen, sind viele Theologien entstanden, die die Gegenwart des Auferstandenen im Abendmahl22 festhalten wollten. Jedoch haben alle Versuche, die Gegenwart des Auferstandenen endgültig und exklusiv zu fixieren, nur zu Kirchenspaltungen geführt. Das dürfte popkulturellen Theorien bei dem Versuch, das now exakt zu bestimmen, ähnlich gehen. Wer Popkultur und Theologie aus ihren Akten herausholt und ex-akt bestimmen will, wird daran scheitern. Stattdessen sollten wir uns diese Prozesse genau ansehen und uns an den Lebenskräften dieses unterhaltenden Now: ergötzen.

Anmerkungen 1 2

E-ON-Werbung mit Arnold Schwarzenegger. Zu diesem Themenkomplex vgl. die vielen Arbeiten von Eberhard Hauschildt zur praktisch-theologischen Rezeption der Erlebnis-

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gesellschaft sowie ders. (1994): Die Globalisierung und Regionalisierung der Praktischen Theologie. In: Praktische Theologie 29. Gütersloh: Kaiser. S. 175-193. Aufgrund dieses Sachverhalts hat Bernd Beuscher eine tragfähige Religionspädagogik entwickelt: Bernd Beuscher (2000): Leistungskurs Religion. Vorlesungen zur Kunst der Religionspädagogik. Norderstedt: Books on Demand. Vgl. dazu Hartmut Meesmann (Hg.) (2003): Spiel und Religion. Waltrop: Spenner. Vgl. Harald Schroeter-Wittke: Blasphemie als Problem der Frömmigkeit. Zur christlichen Wahrnehmung der Verletzung religiöser Gefühle im Horizont von Popmusik. In: Wolfgang Kabus (Hg.) (2003): Popularmusik und Kirche – Positionen, Ansprüche, Widersprüche. Frankfurt a.M. u.a.: Lang. S. 209-220. Vgl. Uwe Gerber (1991): Glück haben - Glück machen? Quell Verlag, Stuttgart.; sowie Martin Bock u. a. (Hg.) (2002): Un-verschämtes Glück. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Vgl. Harald Schroeter-Wittke (2003): Übergang statt Untergang. Victor Turners Bedeutung für eine kulturtheologische Praxistheorie; in: Theologische Literaturzeitung 128. Leipzig: Ev.-Verl.-Anst. S. 575588. Hier zeigen sich interessante Parallelen zur Körpertheologie im Mittelalter; vgl. Caroline Walker Bynum (1996): Fragmentierung und Erlösung. Geschlecht und Körper im Glauben des Mittelalters. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Vgl. dazu Hans-Martin Gutmann: Die Wahrnehmung der Gegenwart. Zeit als Problem in der praktisch-theologischen Reflexion kirchlicher Handlungsfelder; In: Christoph Bizer; Jochen Cornelius-Bundschuh; Hans-Martin Gutmann (Hg.) (1996): Theologisches geschenkt. Festschrift Manfred Josuttis, Bovenden: Foedus. S. 94-107. Vgl. dazu Peter Rusterholz; Rupert Moser (Hg.) (1997): Zeit. Zeitverständnis in Wissenschaft und Lebenswelt. Bern u. a.: Lang. Dabei wurden festliche Anlässe einer sesshaften Agrarbevölkerung mit geschichtlichen Heils-Erinnerungen verbunden, vgl. dazu Gerhard von Rad (1987): Theologie des Alten Testament Band 2: Die Theologie der prophetischen Überlieferungen Israels. München: Kaiser. S. 108-134.

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Vgl. dazu Otfried Reinke (Hg.) (2004): Ewigkeit? Klärungsversuche aus Natur- und Geisteswissenschaften. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Dabei stehen wir z. Zt. an einer Schwelle, die noch unübersehbare Konsequenzen haben wird: Es gibt mittlerweile mehr lebende Menschen auf dieser Erde als es jemals Menschen seit Adam und Eva gegeben hat; vgl. dazu Bernd Guggenberger: Unterwegs im Nirgendwo. Von der Raum- zur Zeitordnung; in: Martin Bergelt / Hortensia Völckers (Hg.) (1991): Zeit-Räume. Zeiträume – Raumzeiten – Zeitträume. München, Wien: Hanser. S. 45-73. Vgl. dazu Harald Schroeter-Wittke (2000): Ahnung von der Predigt. Konturen homiletischer Didaktik. Waltrop: Spenner. Vgl. dazu Monika Schmitz-Emans (1994): Spiegelt sich Literatur in der Wirklichkeit? Überlegungen und Thesen zu einer Poetik der Vorahmung. Antwort auf die Preisfrage der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung vom Jahr 1992. Göttingen: Wallstein. Für Immanuel Kant etwa, der die Ahnung für den „Tod aller Philosophie“ (Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie [1796]; Akademie-Ausgabe 8, 398) hielt, ist dieser Zusammenhang von Ahnen und Ahnden noch völlig einleuchtend: „Man hat neuerlich zwischen etwas Ahnen und Ahnden einen Unterschied machen wollen; allein das erstere ist kein deutsches Wort, und es bleibt nur das letztere. Ahnden bedeutet so viel als Gedenken. Es ahndet mir heißt: es schwebt etwas meiner Erinnerung dunkel vor; etwas ahnden bedeutet jemandes Tat ihm im Bösen gedenken (d.i. bestrafen). Es ist immer derselbe Begriff, aber anders gewandt.“ (Anthropologie in pragmatischer Hinsicht [1798]. Akademie-Ausgabe 7, S. 187) Herder, Campe und Jean Paul plädieren hingegen für eine strikte Trennung beider Begriffe, was der Ahnung jedoch ihren suspekten Charakter nimmt. Ahnung wird zu einer wissenschaftlich nicht ernstzunehmenden Vorhersage reduziert. Demgegenüber verfolge ich hier eine andere Spur, wenn ich mehr Gewicht auf die Nebenbedeutungen des unheimlichen Aspekts der Ahndung lege. Hogrebe unterscheidet 5 Gestalten der Ahnung, „sensorische, diagnostische, explanatorische, kontextuelle und prognostische Ahnung“ (Hogrebe 1996, S. 20). Mit Hölderlin macht Hogrebe deutlich, dass wir allenfalls „Resonanzkörper jener Ahnung“ sind, „die uns aus unseren Standardbezügen losreißt, um für Neues offen zu sein, für Botschaften, die schon in

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natürlichen Konfigurationen schlummern“ (Hogrebe 1996, S. 81). Mit Novalis schließlich plädiert er für ein tagträumendes Sehen, welches zu Szenen führt, „in denen sich gleichsam automatisch Gedanken und Sichtweisen einstellen, ohne dass wir epistemisch aktiv sind, sondern nur Medien eines epistemischen Geschehens“ (ebd., S. 85) sind. Schon Leonardo da Vinci sah in der Dämmerung und Absenz des Tagtraumes eine heuristische Methode. Vgl. Friedrich D. E. Schleiermacher (1977): Hermeneutik und Kritik (hg. von Manfred Frank). Frankfurt: Suhrkamp. S. 93f, wo Schleiermacher den Vorgang des Verstehens mithilfe des Moments der divinatorischen Ahnung als einer Kunst beschreibt: „Die Kunst kann ihre Regeln nur aus einer positiven Formel entwickeln und diese ist »das geschichtliche und divinatorische (profetische) objektive und subjektive Nachkonstruieren der gegebenen Rede«. 1. Objektiv geschichtlich heißt einsehen, wie sich die Rede in der Gesamtheit der Sprache und das in ihr eingeschlossene Wissen als ein Erzeugnis der Sprache verhält. Objektiv divinatorisch heißt ahnden, wie die Rede selbst ein Entwicklungspunkt für die Sprache werden wird. Ohne beides ist qualitativer und quantitativer Mißverstand nicht zu vermeiden. 2. Subjektiv geschichtlich heißt wissen, wie die Rede als Tatsache im Gemüt gegeben ist, subjektivisch divinatorisch heißt ahnden, wie die darin enthaltenen Gedanken noch weiter in dem Redenden auf ihn fortwirken werden. Ohne beides ebenso Mißverstand unvermeidlich.“ Vgl. dazu auch Stefan Alkier: Verstehen zwischen Rekonstruktion und Schöpfung. Der hermeneutische Ansatz Friedrich Schleiermachers als Vorlage einer Praktisch-theologischen Hermeneutik. In: Dietrich Zilleßen; Stefan Alkier; Ralf Koerrenz; Harald Schroeter (Hg.) (1991): Praktisch-theologische Hermeneutik. Ansätze – Anregungen – Aufgaben. Rheinbach: CMZ. S: 3-22. Vgl. dazu Hans-Otto Hügel (Hg.) (2003): Handbuch Populäre Kultur, Stuttgart, Weimar: Metzler Verlag. Sowie Gotthard Fermor; Kristian Fechtner; Uta Pohl-Patalong; Harald Schroeter-Wittke (Hg.) (2005): Handbuch Religion und Populäre Kultur. Stuttgart: Kohlhammer. Vgl. dazu die kleine ästhetische Phänomenologie von Lk 24,13-35 bei Albrecht Grözinger (1987): Praktische Theologie und Ästhetik. Ein Beitrag zur Grundlegung der Praktischen Theologie. München: Kaiser. S. 99-102. Dass wir mit der Abendmahlsthematik mitten in den ontosemiologischen Fragen der drei abendländischen Leitmedien sind,

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hat Jochen Hörisch in seiner wegweisenden Trilogie gezeigt: Brot und Wein. Die Poesie des Abendmahls, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1991; Kopf oder Zahl. Die Poesie des Geldes, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1996; Ende der Vorstellung. Die Poesie der Medien, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1999.

Literatur Jacob und Wilhelm Grimm (1897): Deutsches Wörterbuch. Leipzig: Hirzel Verlag. Jacob und Wilhelm Grimm (1998): Deutsches Wörterbuch. Neubearbeitung. 2. Band, Stuttgart, Leipzig: Hirzel. Hans-Martin Gutmann (2000): Populäre Kultur im Religionsunterricht. In: Peter Biehl; Klaus Wegenast (Hg.): Religionspädagogik und Kultur. Beiträge zu einer religionspädagogischen Theorie kulturell vermittelter Praxis in Kirche und Gesellschaft. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlagsgesellschaft. Wolfram Hogrebe (1996): Ahnung und Erkenntnis. Brouillon zu einer Theorie des natürlichen Erkennens (stw 1294). Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Henning Luther (1984): „Grenze“ als Thema und Problem der Praktischen Theologie. Überlegungen zum Religionsverständnis. In: Theologia Practica 19. München: Kaiser. S. 221-239. Henning Luther (1992): Schmerz und Sehnsucht. Praktische Theologie in der Mehrdeutigkeit des Alltags. In: Ders.: Religion und Alltag. Bausteine für eine Praktische Theologie des Subjekts. Stuttgart: Radius. W. Nieke (1971): Art. Ahnung; in: Historisches Wörterbuch der Philosophie 1. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Helga Nowotny (1989): Eigenzeit. Entstehung und Strukturierung eines Zeitgefühls. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Harald Schroeter-Wittke (2000): Unterhaltung. Praktisch-theologische Exkurse zum homiletischen und kulturellen Bibelgebrauch anhand der Figur Elia. Frankfurt a.M.: Lang.

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Wen oder was sucht Deutschland? Thomas M. Stein Bevor ich mich der Beantwortung der Frage „Wen sucht Deutschland?“ zuwende, vielleicht einige Schlagworte und Zahlen zu dem deutschen Musikmarkt: Die Verkäufe von Tonträgern sind derzeit immer noch stark rückläufig. Es gibt nahezu 50 Millionen Kassettenrekorder, aber nur ein kleiner Prozentteil der Musik wird heute als Kassette verkauft. Es haben sich eindeutig die digitalen Tonträger durchsetzen können. Gerade im Zuge der Wiedervereinigung entstand der Wunsch, neue Technologie kaufen zu können. Zu diesem Zeitpunkt etablierte sich für die Musikindustrie ein völlig neuer Markt. Als ich Mitte der 1990er-Jahre im Rahmen meiner Tätigkeit als Bundesverbandsvorsitzender anfing, erste Analysen zu machen und zu dem Schluss kam, dass sich in 10 Jahren der Tonträgermarkt halbieren würde, musste ich noch die Schelte meiner Kollegen und Kolleginnen einstecken. Wohlgemerkt sagte ich dies zu einem Zeitpunkt, zu dem die CD erst gerade erfolgreich in den Markt gestartet war. In den Jahren 2000 bis 2004 ist der Umsatz dann wirklich um 50% zurückgegangen. Ein damals unvorstellbarer Vorgang, der sich weltweit fortsetzen sollte. Wie man anhand der Zahlen der IFPI1 erkennen kann, sind die Umsatzrückgänge dieser Zeit konkret an eine neu aufkommende Technik gekoppelt. NAPSTER als Tauschbörsenformat trat auf den Markt und niemand seitens der Industrie vermochte aus dieser Marke etwas zu machen. Ursprüngliche Idee dieser Tauschbörse war, dass ein junger Amerikaner lediglich den neuesten Song der DAVE MATTHEWS BAND an seine 400 bis 500 Kilometer entfernten Freunde schicken wollte. Aus diesem Ereignis entstanden ein Format bzw. eine Plattform, die in ihren Nachfolgern den Markt bis heute dramatisch beeinflusst. Die Tauschbörse selbst wurde ein Markt. Es wurden Prozesse geführt um eine prinzipiell richtige Idee, die jedoch dilletantisch umgesetzt wurde. Die BERTELSMANN MUSIC GROUP ging eine Kooperation mit NAPSTER ein und versuchte hierdurch, zunächst die Mitbewerber aus dem neuen Markt zu drängen. Damit ist das Verheerendste passiert, was passieren konnte: Jeder der Großkonzerne arbeitete an eigenen Modellen, Tauschbörsen für sich selbst als Geschäftsmodell nutzen zu kön-

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nen. Explosionsartig entstanden in der Folgezeit immer wieder neue Tauschbörsen. Hätten bereits zu diesem Zeitpunkt die Major Labels anstelle sich gegenseitig zu bekämpfen an einem Tisch gesessen, hätten sich Tauschbörsen als Marketinginstrumente sowie Online-Musikshops, wie Apple dies später vorführen sollte, viel eher auch im kommerziellen Sinne etablieren können. Da jedoch zu diesem Zeitpunkt niemand die Situation richtig einschätzen konnte, ist es nur verständlich, dass heutzutage nahezu 50% der gebrannten CDs auch selbst aus gebrannten CDs entstehen. Und das bedeutet, dieser damit verbundene Schneeballeffekt ist auf Dauer nicht mehr aufzuholen. Es zeigt sich also, dass eine Verurteilung neuer Technologien auf Dauer wirtschaftlich nicht rentabel ist und man sich frühzeitig mit neuen Konzepten zur Nutzung positionieren muss. Anknüpfend an den Beitrag von Herrn Höppner ist auch in meinem Zusammenhang vielleicht wichtig zu erwähnen, dass sich die Umkehr der Alterspyramide selbstverständlich auch auf die künftigen Bedürfnisse der sogenannten Generation „50 Plus“ als große und wichtige Zielgruppe der Musikindustrie konzentrieren muss. Diese Generation zeichnet sich durch Erfahrung, Arbeitswillen und auch gute finanzielle Ausstattung aus, was die Industrie künftig viel stärker berücksichtigen sollte. Aber zurück zum eigentlichen Thema meines Vortrages und damit zu der Frage „wen oder was sucht Deutschland jetzt eigentlich“? Sicher ist, dass die Musikindustrie Umsätze in mannigfaltiger Form sucht. Nun müsste man sich zunächst fragen „Wie hat sich die Musikindustrie in den vergangenen Jahren verändert?“ Vor den massiven Umsatzeinbrüchen handelte es sich hierbei um eine zu Recht sogenannte „Industrie“. Wie Sie vielleicht bereits wissen, gab es in den 1950er- und 60er-Jahren nur zwei Firmen, die die gesamte Musik in Deutschland vertrieben. Hierbei handelte es sich um die DEUTSCHE GRAMMOPHON und TELEFUNKEN, bzw. TELDEC. In diesen beiden Firmen haben sich alle Kreativen wieder gefunden, d. h. die ROLLING STONES waren bei DECCA, die BEATLES waren bei EMI und ELVIS PRESLEY war bei RCA. Aber alle wurden vertrieben von nur zwei Firmen. Im Zuge des steigenden Umsatzes spalteten sich die kleineren Labels von den großen Vertrieben ab. Die RCA wurde ein eigenes Label, WARNER wurde zu einem, die CBS, heute SONY BMG, ebenso. So entstanden in den zwei

WEN ODER WAS SUCHT DEUTSCHLAND?

großen Firmen bis zu sieben neue – später gleichermaßen große – Firmen. In den letzten Jahren, seit 2000, trat ein Prozess der erneuten Restrukturierung ein und innerhalb der sogenannten Merger-Verhandlungen bzw. Gespräche erfolgte eine Re-Zentralisierung auf wenige große Firmen. Diese Gespräche sind nichts Unübliches. Selbst in meiner Anfangszeit als Geschäftsführer ab dem Jahr 1982 führte ich regelmäßig mindestens einmal pro Jahr entsprechende Gespräche. Die Diskussionen, ob es bei den fünf großen Firmen bleiben könne, setzten ursprünglich sogar bereits Ende der 1970er-Jahre ein. Es kam der Kauf der RCA durch die damalige ARIOLA, die dann 1988 zur BMG wurde. Danach wurde die EMI von vielen Interessenten begehrt, aber von niemandem gekauft. Anschließend führte warner Gespräche mit BMG, BMG sprach mit SONY und am Ende des Liedes existieren heute noch maximal vier große Firmen. Da gibt es zunächst UNIVERSAL, die sich von Anfang an gut positioniert haben, weil sie die kleinen Labels wie CHRYSALIS innerhalb ihres breiten Fundaments eingebaut haben. Bei Bertelsmann verfuhren wir zu meiner Zeit ähnlich und gründeten bis zu 16 Labels, die unsere Bandbreite darstellen sollten. Und nun ist BMG mit SONY zusammen und das Ende des Liedes ist, dass in einem internationalen Konzern, der maßgeblich aus Amerika gelenkt wird, sich sicherlich niemand in den New Yorker Geschäftsetagen mehr für HANSI HINTERSEER begeistern wird. Dies gilt im Übrigen auch im klassischen Bereich, beispielsweise für JUSTUS FRANTZ, und ich könnte aus jeder beliebigen musikalischen Sparte ein weiteres Beispiel anführen. Hier herrschen eigene, amerikanische Vermarktungsstrategien. Schauen wir uns heute ein amerikanisches Musik-Video an: Ich habe meine Kollegen immer gefragt, weshalb sie soviel Geld für ein Musikvideo ausgaben und bekam als Antwort, dass das konkrete Beispiel ja nicht einmal 1 Mio. Dollar gekostet habe. Wenn ich hingegen berichtete, dass ich in Deutschland ein Video für 16.000 Euro machen wollte, wurde als Argument dagegen immer ohne Begründung angeführt, dass es keine Vermarktbarkeitsgrenzen außerhalb Deutschlands geben würde. Das heißt, alleine durch diese Steuerung wird eine kreative Verengung mittelfristig auch weiter vorhanden sein.Es ist symptomatisch in diesem Zusammenhang, dass alle Deutschen die nach Amerika gingen, um dort in leitenden Positionen zu arbeiten, nach nur einem hal-

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ben Jahr oftmals amerikanischer waren als die Amerikaner. Das bedeutet konkret, dass sie nicht mehr wussten, aus welchem Kulturkreis sie kamen und ebenfalls den amerikanischen Mainstream verfolgten. Ein ganz erstaunlicher Vorgang, den man aber häufig feststellen kann: durch Erfolg ändert sich die Verhaltensweise. Die Einstellung ändert sich, ihre Selbsteinschätzung stellt sich in der Retrospektive als falsch heraus. Und dieser Vorgang zieht sich von den Künstlern und Kreativen bis hinein ins Management. Die Fehler und „Spleens“ gerade unter Managern haben nicht eben dazu beigetragen, das Bild der Branche oder der einzelnen damit verbundenen Kulturen positiv und länderübergreifend für Kulturen als integratives Kommunikationssystem darzustellen. Gerade die Kultur, die Kunst und die Musik sind ja prinzipiell am besten dafür geeignet, den Austausch zwischen Ländern voranzutreiben. Allerdings muss ich zugeben, dass ich bei allen knapp 20-30 Hits, die unter meiner Leitung bei BMG in Amerika entstanden, selbst auch immer darauf geachtet habe, dass die Titel den Anschein hatten eindeutig aus den USA zu stammen und dort auch produziert worden waren. Es lässt sich nämlich klar sagen, dass die Amerikaner wenig bis kein Interesse an europäischer Musik haben. Hier unterscheidet sich der amerikanische Markt ganz besonders von Europa dadurch, dass es zwar auch eine kulturelle Vielfalt gibt, sich die Menschen jedoch letztlich alle in einer gemeinsamen Sprache unterhalten können. Der europäische Markt an sich ist ja sogar größer als der amerikanische. Nur der Einfluss und der Druck aus Amerika sind hier allgegenwärtig zu spüren und fördern eher die kulturelle Abgrenzung als Austausch oder die gemeinsamen Identitätsbildung. Und dieser Druck setzt sich letzten Endes fort bis hin zu den Kreativen, wie beispielsweise Orchestermusikern. Diesem Druck kann man nur mit einem hohen Grad an Professionalität seitens der Kulturschaffenden begegnen. Und zurückkehrend zu meiner Ausgangsfrage würde ich in diesem Zusammenhang behaupten, dass der derzeitige deutsche Musikmarkt mit seinen jungen Künstlern hier auch für die Musikindustrie eine Möglichkeit der eigenen Profilierung und bewussten Unterscheidung bieten kann. Denn wenn man sich heutige Bands wie ROSENSTOLZ oder WIR SIND HELDEN ansieht muss man eingestehen, dass deren Erfolge auf

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Basis oft langjähriger Professionalisierungsprozesse und einem jeweils hohen Wiedererkennungswert angelegt ist. Und hat man einmal dieses Niveau erreicht geht es vor allem darum weiter zu arbeiten, um es auch langfristig halten zu können. Aus meiner Erfahrung der zweijährigen Mitgliedschaft in der Jury von „Deutschland sucht den Superstar“ muss ich den dortigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern sagen, dass sie oftmals nicht bereit waren, für den angestrebten Erfolg dauerhaft hart zu arbeiten. Dies lässt sich im Übrigen auch auf die Verantwortlichen des begleitenden Senders übertragen. Wenn man sich um ein Produkt nicht kümmert wird man nie in der Lage sein, es dauerhaft erfolgreich zu vermarkten. Neben der Professionalisierung müssen selbstverständlich auch neue Vertriebswege und -arten gefunden werden. Angeboten wie dem ITUNES STORE steht im Verhältnis auch heute noch eine weitaus größere Menge an illegal erworbener Musik gegenüber, die sich auf den Endgeräten der Verbraucher befindet. Hier ist wieder ein hohes Maß an Kreativität und eigener Schaffenskraft gefordert. Denn irgendwann wird sicher eine Sättigung des Marktes mit dem amerikanischen Mainstream erfolgt sein. Und hier wird zukünftig die erwähnte eigene Schaffenskraft gefordert sein, wenn ein Stück dieses großen Marktes langfristig auch aus Deutschland stammen soll. Das generelle Interesse der Menschen an der Musik ist zweifelsohne nach wie vor ungebrochen groß. Schaut man sich die Quote der von mir im Vorfeld als problematisch eingestuften BigBand-Sendung von „DSDS“ an, dann muss man feststellen, dass abzüglich der bei diesem Format zu erwartenden Fan-Zuschauer noch 10 Mio. weitere Deutsche eingeschaltet haben. Es zeigt sich hierbei also, dass auch vermeintlich „angestaubte“ Musik-Stile über eine innovative Präsentation und ein hohes musikalisches Niveau weiterhin einen großen Anziehungswert besitzen. Selbiges gilt auch für die deutsche Radiolandschaft. Die Quantität des Angebotes – leider nicht immer auch die Vielfalt – sprechen auch hier für die hohe Nachfrage nach Musik. Und innerhalb von Sparten-Programmen oder in Internet-Angeboten ist auch deutlich zu sehen, dass sich die vielen in Deutschland vorhandenen Kulturen in der hiesigen Musikszene langfristig etablieren werden. Gerade die Gleichschaltung des kommerziellen

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Radios trägt hierzu leider in weiten Teilen nicht bei. Da sich die Teil- und Subkulturen jedoch andere Wege der Verbreitung suchen werden ist es nur eine Frage der Zeit, bis diese Musik auch in großen kommerziellen Angeboten ein zuhause finden wird. Die aufkommende Intensität der Nutzung von Musik mit ihrem Anspruch an Vielfalt stellt künftige Musikmanager und Talentsucher vor immer neue Herausforderungen. Die Musiklandschaft bietet aber gerade zur Zeit ein in dieser Form noch nicht da gewesenes Angebot. Und Deutschland braucht neben den Musikmanagern vor allem auch immer wieder Populisten wie JUSTUS FRANTZ, der zwar häufig inhaltlich kritisiert wurde, letzten Endes aber durch Formate wie „Achtung Klassik!“ für eine Rückkehr der sogenannten ernsten Musik auf prominente Sendeplätze des Fernsehens gesorgt hat. Gerade diese Anfeindungen im Zusammenhang mit Frantz stellen für mich sehr gut ein zugrunde liegendes gesellschaftliches Problem dar: Genau so wenig wie Deutschland in den vergangenen Jahren herausragende Dirigenten oder Orchester hervorgebracht hat, ist dies beispielsweise auch im Forschungsbereich und bei der Vergabe der Nobelpreise zu konstatieren. Der Begriff des „brain drain“ wird sich vielleicht zukünftig auch im kreativ-künstlerischen Sektor bemerkbar machen. Es sollten sowohl für Forscher als auch für Musiker optimale Förder- und Arbeitsbedingungen geschaffen werden, will man auch in Zukunft mit zu den großen Industrie- und Kulturnationen gehören. Musik ist das Kulturgut, welches bei den Menschen am meisten Interesse und Emotionen schafft, also auch affektive Bindungen ermöglicht. Und doch wird es – oftmals grundlos – schlecht geredet. Im Gegenteil müssten die Deutschen wieder anfangen, an ihre eigene Kreativität zu glauben, um dem internationalen Wettbewerb Paroli bieten zu können. Das Selbstbewusstsein der deutschen Musik lässt hier meist zu wünschen übrig. Nur am eigenen Schopf wird sich die Musikszene hierzulande aus dem Sumpf ziehen können. Und dies lässt sich in meinem Fazit zusammenfassend noch einmal auf den Punkt bringen: - Deutschland sucht Leute voll musikalischer Kreativität - Deutschland sucht Leute mit Kreativität in der Umsetzung und im ausführenden Bereich

WEN ODER WAS SUCHT DEUTSCHLAND?

- Deutschland braucht Kreativität und ein hohes Maß an Professionalität seitens des Vertriebes und des Marketings. Nur wir selbst können die Chancen, die sich uns ergeben, wahrnehmen und nur wir selbst sind in der Lage, das große und vielfältige Angebot zu durchforsten und für uns selbst auszuwählen und zu bewerten.

Anmerkungen 1

IFPI= International Federation of the Phonographic Industry

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Register A Amon Düül: 21

B Beatles, The: 127 Beethoven, Ludwig van: 20 Big Five: 44, 46 Black Flag: 22 BMG: 26, 127, 128, 129 Bodycount: 48 Breakdance: 22 Bruce Springsteen: 23, 35

C Can: 21, 37 CCCS: 41 Charts: 25, 31, 32, 33, 34, 84, 86, 97 Cultural Studies: 41, 59, 60, 70

D Dave Matthews Band: 126 Digitalisierung: 64, 82 DJ: 67, 77, 94, 97, 99 Dresden Dolls: 78

E Elektro: 37 Elvis Presley: 19, 127 Eurovision Song Contest: 57, 68, 69

F Filmmusik: 65 Fugees, The: 77

G Gangsta-Rap: 42, 43, 52 Gegenwart: 89, 90, 91, 92, 93, 96, 103, 104, 107, 112, 113, 114, 121, 122

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REGISTER

Globalisierung: 16, 29, 40, 109, 122 Grandmaster Flash: 21 Grand Prix: 68, 69 Grateful Dead: 77

H Hard&Heavy: 43, 45 Hardcore: 31 Hard Rock: 41, 45, 46, 47, 48, 53 Heavy Metal: 26, 45, 46, 47, 48, 49, 51, 53, 54 Hip-Hop: 21, 22, 25, 26, 33, 34, 36, 43, 48, 53, 77, 100, 102 House: 31, 97 Hypermedia: 98, 99

I Independent: 25, 26 iPod: 32 iTunes Musicstore: 31

J Janis Joplin: 21 Jefferson Airplane: 21 Jimi Hendrix: 27

K KISS: 69 Klingeltöne: 25, 67, 83, 84 Kool DJ Herc: 36

L Lordi: 69

M M.I.A.: 37 Madonna: 26 Medialisierung: 24, 62, 63, 64, 65 Metallica: 47 Minor Threat: 22 Mobile Entertainment: 81, 83, 84, 85, 86, 88

REGISTER

Mood Management: 65, 74 MP3: 82, 85, 87 MTV: 23, 24, 26, 30, 57, 66, 67, 76, 77, 100 MySpace: 67

N Napster: 126 Neil Young & Crazy Horse: 65 Netzliteratur: 93, 98, 99, 100, 101, 103 Neue Deutsche Welle: 34, 35 New Wave: 34

O Oasis: 75 Old School: 34

P Paul Simon: 37 PMRC: 46 Popkultur: 19, 20, 22, 23, 24, 25, 26, 35, 57, 59, 63, 64, 72, 95, 108, 109, 110, 111, 112, 115, 118, 121 Popliteratur: 93, 94, 95, 101, 104 Popmusik: 19, 26, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 36, 40, 57, 58, 60, 61, 67, 70, 84, 93, 122 Prince: 77 Punk: 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 34, 41, 45, 46, 48, 49, 53

R Rap: 31, 34, 37, 40, 41, 43, 48, 51, 52 Red Lorry Yellow Lorry: 57 Rhythm & Blues: 32 Rock: 31, 32, 33 Rolling Stones, The: 127

S Sampling: 100, 103 Sex Pistols, The: 22 Simple-Minds: 95 Slam Poetry: 93, 100, 103

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REGISTER

Steve Miller: 35 Subkultur: 53 Superstar: 130

T Techno: 23, 52, 96 The Clash: 24 The Dead Kennedy‘s: 22 The Doors: 21 The Scorpions: 24 The Who: 77 Ton, Steine, Scherben: 21 TV: 19, 57, 58, 75, 76, 78

V VIVA: 57, 65, 66, 67, 75, 76, 77, 78

W Warner: 48 Wertschöpfungskette: 85, 87

Y YouTube: 67

Autorinnen und Autoren Christian Höppner Christian Höppner wurde 1956 in Berlin geboren. Seit 1986 unterrichtet er als Lehrbeauftragter für Violoncello an der Universität der Künste Berlin (ehemals HdK). 1984 übernahm er die Leitung der Musikschule Berlin-Wilmersdorf und 2001 die Leitung der fusionierten Musikschule Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin. Christian Höppner ist Generalsekretär des Deutschen Musikrates und Präsident des Landesmusikrates Berlin, Vorsitzender des Landesausschusses „Jugend musiziert“ Berlin, Mitglied des Aufsichtrates der gemeinnützigen Betriebsgesellschaft mbH (Landesmusikakademie u. Kinder- u. Jugendfreizeitzentrum Wuhlheide), Pastpräsident 2005/2006 von Rotary Berlin-Spree, stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Kulturrates und Sprecher für die Sektion Musik im Deutschen Kulturrat, Mitglied im Programmausschuss von RTL, Kuratoriumsmitglied des Frankfurter Musikpreises, Mitglied der Deutschen UNESCO-Kommission und Redaktionsleiter des Magazins Musikforum. Für sein Engagement um das Berliner Musikleben wurde er im Jahr 2001 von Bundespräsident Johannes Rau mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Martin Büsser Martin Büsser, geboren 1968, studierte Vergleichende Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft. In den 1980er- und frühen 1990er-Jahren war er für das „Zap“-Fanzine tätig, seit Mitte der 1990er als freier Journalist mit Schwerpunkt Musik, Popkultur und bildende Kunst tätig, Beiträge u.a. für Jazzthetik, Süddeutsche Zeitung, Emma und Die Zeit sowie zahlreicher Bücher. Er ist Mitbegründer und -herausgeber der seit 1995 im Ventil Verlag erscheinenden Buchreihe „testcard – Beiträge zur Popgeschichte“. Martin Büsser ist Sänger und Texter für die Post-Punk-Artschool-Band FAMILIE PECHSAFTHA. Seit Mitte der 1990er zahlreiche Lesungen, bevorzugt mit Musikbeispielen. Martin Büsser lebt in Mainz. Derzeit schreibt er regelmäßig für das Intro Magazin, konkret und die Schweizer WoZ. Arbeitsschwerpunk-

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AUTORINNEN UND AUTOREN

te: Experimentelle Musik, Musiksoziologie, zeitgenössische Kunst, Gender Studies und Independentkino.

Andreas Meyer Dozent am Musikwissenschaftlichen Seminar der Freien Universität Berlin und am Institut für Musikwissenschaft und Musikpädagogik der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Promotion über populäre Musik auf Trinidad W.I. Forschungsreisen nach Westafrika und in die südliche Karibik. Habilitation über „Neuere Formen der Ensemblemusik in Asante/Ghana“.

Jan Hemming Jan Hemming ist seit 2005 Professor für systematische Musikwissenschaft an der Universität Kassel. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich Musikpsychologie und populäre Musik, Medien und Technik, Musikästhetik des 20./21. Jahrhunderts, Cultural- und Gender Studies sowie der fachpolitischen Ausrichtung der Musikwissenschaft

Dr. Christoph Jacke Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Koordinator im Studiengang “Angewandte Kulturwissenschaften/ Kultur, Kommunikation & Management” an der Universität Münster, Lehraufträge an der FU Berlin, der Hochschule für Musik Köln und den Universitäten Bremen und Paderborn sowie freier Autor für u. a. Frankfurter Rundschau, De:Bug, Testcard und Telepolis. Zuletzt erschienen: (2004): Medien(sub)kultur. Geschichten – Diskurse – Entwürfe. Bielefeld: Transcript; (2005): Gesamtgesellschaftlicher Seismograph. Dichte Beschreibungen, die aus der Praxis so nicht geleistet werden: Umrisse einer universitär verankerten Popkulturwissenschaft. In: Frankfurter Rundschau. Nr. 248 vom 25.10.2005, 26; (2006): Kulturschutt. Über das Recycling von Theorien und Kulturen. Bielefeld: Transcript (Hg. Mit Eva Kimminich und Siegfried J. Schmidt); Forschungsschwerpunkte: Medienkultur, Cultural Studies,

AUTORINNEN UND AUTOREN

Kommunikations- und Medientheorie, Starkultforschung, Popkulturindustrie, Werbung.

Stefan Faber Seit 1995 bei VIVA 1995 tätig. Zunächst für VIVA ZWEI, später für VIVA. Vom Praktikanten zum Producer, vom Grimme-Voluntär zum Grimme-PreisNominierten (Kategorie Spezial für das Format 2STEP auf VIVA ZWEI). Seit dem 1.9.2005 gestaltet Stephan Faber als Freiberufler mit STATION hilltop u. a. den Internetauftritt von mixeryrawdeluxe.de, der Online-Fortsetzung des HipHop-Formats, dass 5 Jahre lang auf VIVA lief sowie den Internet-Musiksender bunch.tv.

Andreas Runte Studium der Kulturwissenschaften, Lehrerfahrung in Musikwissenschaft und Kulturinformatik zu: Einführung in die indische Musik, der Musik Jamaikas vom Ska zum Dancehall und Musik und Technik. Veröffentlichungen zur Didaktik populärer Musik und Medien zu den Themen: Soul, Reggae, Digitales DJing. Seit 2004: Quality and Production Manager bei arvato mobile in Hamburg. Arvato mobile ist eine Bertelsmann Tochter, die den gesamten Bereich des mobilen Entertainments abdeckt. Klingeltöne und Realsounds sind dabei neben Videos, Spielen, technischen Lösungen und anderen Dienstleistungen nur der bekannteste Teil. Andreas Runte arbeitet insbesondere im Bereich der ästhetischen Qualitätssicherung und der Produktion von Realmusic Klingeltönen.

Charis Goer Studium u. a. der Fächer Deutsch, Englisch und Musikwissenschaft an der Universität Paderborn, der Hochschule für Musik Detmold und der Western Michigan University, Kalamazoo. 2003 Promotion mit einer Arbeit über Wilhelm Heinse an der Universität Bielefeld; seit 2005 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik und

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AUTORINNEN UND AUTOREN

vergleichende Literaturwissenschaft der Universität Paderborn. Forschungsschwerpunkte Literatur und Ästhetik um 1800, Literatur und Kultur um 1900, Intermedialität, Popkultur. Veröffentlichungen u.a. Ungleiche Geschwister. Literatur und die Künste bei Wilhelm Heinse. München: Fink 2006, „Seelenaccente“ – „Ohrenphysiognomik“. Zur Musikanschauung E.T.A. Hoffmanns, Heinses und Wackenroders. Hildesheim u. a.: Olms 2000 (= Diskordanzen. Studien zur neueren Musikgeschichte, Bd. 8) (Hg. mit Werner Keil), Über Richard BeerHofmann. Rezeptionsdokumente aus 100 Jahren. Paderborn: Igel 1996 (= Kölner Arbeiten zur Jahrhundertwende, Bd. 8; Literaturund Medienwissenschaft, Bd. 46) (Hg. mit Sören Eberhardt), weitere Veröffentlichungen u. a. zu Julian Barnes, Thomas Meinecke und Gertrude Stein

Harald Schroeter-Wittke Dr. theol. habil., geboren 1961 in Duisburg, seit 2001 Universitätsprofessor für Didaktik der Evangelischen Religionslehre mit Kirchengeschichte am Institut für Evangelische Theologie der Fakultät für Kulturwissenschaften der Universität Paderborn. Mitglied im Vorstand des Arbeitskreises Populäre Kultur und Religion (www.akpop.de). Mitglied im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentags Musiker und Spieleautor. Forschungsschwerpunkte: Kulturtheologie; Musik und Religion; Popkultur und Religionspädagogik; Kirchentag; Bibelgebrauch.

Thomas M. Stein. Thomas M. Stein wurde am 28. Februar 1949 in Stuttgart geboren. Seine „musikalische Laufbahn“ begann 1975 als Marketing und Promotionleiter der damaligen EMI-Tochter Crystal Schallplatten GmbH. Drei Jahre später wechselte er als Musikredakteur zum ZDF. 1982 wurde Stein Geschäftsführer der Teldec Schallplatten GmbH in Hamburg (heute eastwest records). 1988 kam Thomas M. Stein zur Bertelsmann Music Group (BMG). Er begann als Geschäftsführer der BMG Ariola München GmbH und übernahm drei Jahre später die Verantwortung für alle BMG-Gesellschaften in Deutsch-

AUTORINNEN UND AUTOREN

land, Österreich und der Schweiz als Vorsitzender der Geschäftsleitung der BMG Ariola Musik GmbH. Im Zuge einer europaweiten Umstrukturierung der BMG-Aktivitäten übernahm Thomas M. Stein Mitte 1997 den Vorsitz der neu gegründeten Division „BMG Special Marketing Europe“, die europaweite Marketing-Konzepte plant und ausführt. Im Januar 1998 wurde Steins Aufgabenbereich um die Verantwortung für die Osteuropa-Aktivitäten der BMG erweitert. Von 1991 bis 2001 war Thomas M. Stein auch Vorsitzender des Bundesverbandes der Phonographischen Wirtschaft e. V. Von Juni 2001 bis Januar 2004 war Stein Präsident der BMG Europe. In dieser Funktion verantwortete er die gesamte europäische Region von BMG. Darüber hinaus koordinierte er als Executive Vice President Worldwide A & R („Artist & Repertoire“) alle Aktivitäten rund um die Künstler und Repertoirepolitik. Zudem war er Mitglied des internationalen „Steering Committees“ von BMG. Nach seinem Ausstieg bei BMG arbeitet Thomas Stein als CEO der Jack White AG.

Die Herausgeber Thomas Krettenauer Dr. phil., M.A., geboren 1958 in Augsburg. 2002 Berufung auf eine Professur für Musikwissenschaft/Musikdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg im Breisgau. Seit 2004 Professor für das Fach Musik und ihre Didaktik an der Universität Paderborn. Seit 2005 zusätzlich Geschäftsführer und Studiengangsleiter des BA/MAStudiengangs „Populäre Musik und Medien“. Arbeitsschwerpunkte: Musik und neue Medien, Geschichte und Didaktik populärer Musik, neue Vermittlungsformen historischer Musik, Filmmusik, Didaktik und Methodik der Pop/Rockmusik und Interkulturalität.

Michael Ahlers Geboren 1973 in Marl. Studium der Fächer Musik und Deutsch, anschließendes promotionsvorbereitendes Studium der Musikwissenschaft. Seit 2001 leitender Redakteur im Lugert Verlag, später auch in herausgeberischer Funktion. Seit Februar 2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Studiengang „Populäre Musik und Medien“ der Universität Paderborn. Parallel Promotionsvorhaben zur empirischen

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AUTORINNEN UND AUTOREN

Untersuchung von Musiksoftware. Arbeitsschwerpunkte: Stil- und Sozialgeschichte der zeitgenössischen Pop/Rockmusik, das Internet als Distributions- und Geschäftsmodelle für Musik des 21. Jhds., regionale Musikkulturen, Didaktik und Methodik der Pop/Rockmusik. Darüber hinaus tätig als Songwriter und Produzent mit eigenem Tonstudio in Hamburg.

Popularmusikforschung Thomas Krettenauer, Michael Ahlers Pop Insights Bestandsaufnahmen aktueller Pop- und Medienkultur

Dietrich Helms, Thomas Phleps (Hg.) Cut and paste Schnittmuster populärer Musik der Gegenwart

April 2007, 152 Seiten, kart., 16,80 €, ISBN: 978-3-89942-730-1

2006, 156 Seiten, kart., 16,80 €, ISBN: 978-3-89942-569-7

Michael Fuhr Populäre Musik und Ästhetik Die historisch-philosophische Rekonstruktion einer Geringschätzung

Martin Pfleiderer Rhythmus Psychologische, theoretische und stilanalytische Aspekte populärer Musik

März 2007, 154 Seiten, kart., 17,80 €, ISBN: 978-3-89942-675-5

2006, 390 Seiten, kart., 30,80 €, ISBN: 978-3-89942-515-4

Florian Werner Rapocalypse Der Anfang des Rap und das Ende der Welt

Maria Wurm Musik in der Migration Beobachtungen zur kulturellen Artikulation türkischer Jugendlicher in Deutschland

Februar 2007, 282 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-608-3

Annemarie Firme, Ramona Hocker (Hg.) Von Schlachthymnen und Protestsongs Zur Kulturgeschichte des Verhältnisses von Musik und Krieg 2006, 302 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-561-1

Werner Heinrichs Der Kulturbetrieb Bildende Kunst – Musik – Literatur – Theater – Film 2006, 294 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-532-1

2006, 248 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-511-6

Dietrich Helms, Thomas Phleps (Hg.) Keiner wird gewinnen Populäre Musik im Wettbewerb 2005, 214 Seiten, kart., 22,80 €, ISBN: 978-3-89942-406-5

Helmut Rösing Das klingt so schön hässlich Gedanken zum Bezugssystem Musik 2005, 232 Seiten, kart., 22,80 €, ISBN: 978-3-89942-257-3

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de

Popularmusikforschung Dietrich Helms, Thomas Phleps (Hg.) 9/11 – The world’s all out of tune Populäre Musik nach dem 11. September 2001 2004, 212 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN: 978-3-89942-256-6

Lydia Grün, Frank Wiegand (Hg.) musik netz werke Konturen der neuen Musikkultur 2002, 218 Seiten, kart., inkl. Begleit-CD-ROM, 24,80 €, ISBN: 978-3-933127-98-3

Dietrich Helms, Thomas Phleps (Hg.) Clipped Differences Geschlechterrepräsentationen im Musikvideo 2003, 130 Seiten, kart., 14,80 €, ISBN: 978-3-89942-146-0

Thomas Phleps, Ralf von Appen (Hg.) Pop Sounds Klangtexturen in der Pop- und Rockmusik. Basics – Stories – Tracks 2003, 234 Seiten, kart., 23,80 €, ISBN: 978-3-89942-150-7

Jannis Androutsopoulos (Hg.) HipHop Globale Kultur – lokale Praktiken 2003, 338 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-114-9

Petra Schneidewind, Martin Tröndle (Hg.) Selbstmanagement im Musikbetrieb Handbuch für Musikschaffende 2003, 310 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-133-0

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de