Planeuropa: Die soziale und wirtschaftliche Zukunft Europas [1 ed.] 9783428560134, 9783428160136

Die Paneuropa-Bewegung hat ihren Ursprung in den 1920er Jahren, als der Schrecken des Ersten Weltkrieges noch allgegenwä

130 41 14MB

German Pages 179 [180] Year 1930

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Planeuropa: Die soziale und wirtschaftliche Zukunft Europas [1 ed.]
 9783428560134, 9783428160136

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Planeuropa Die soziale und wirtschaftliche Zukunft Europas

Von Andreas Fleissig

Duncker & Humblot reprints

Andreas

Fleissig

PLANEUROPA

PLANEUROPA D i e soziale u n d wirtschaftliche Z u k u n f t Europas Von

Andreas Fleissig

MÜNCHEN VERLAG

VON

UND

LEIPZIG

DUNCKER

&

1930 H U M B L O T

A l l e

R e c h t e

v o r b e h a l t e n

C o p y r i g h t by D u n c k e r & H u m b l o t V e r l a g s b u c h h a n d l u n g in M ü n c h e n 1930

Pierersdie Hofbudidr ucker ei Stephan Geibel & Co., Altenburg, Thür.

M E I N E M VATER G E W I D M E T

I n h a l t s ü b e r s i c h t Seite

Einleitung

1

I. Paneuropäisches.

3

II. Das Russische Problem

8

III. Allzupaneuropäisches .

l8

IV. Die sozialistische Kritik und die Kritik des Sozialismus

33

V. Kapitalistische Planwirtschaft

44

Dreigliederung der kartellmäßigen Wirtschaftsentwicklung. VI.

Übernationalismus

44 74

VII. Planeuropa .

83

VIII. Probleme der europäischen Landwirtschaft in Gegenwart und Zukunft

111

IX. Selbstkritische Schlußbetrachtungen und Ausblick . X . Anhang: Notwendigkeit Bewegung

einer

Revision der

136

Paneuropa165

, , W e l c h ' Z u k u n f t l i e g t i n unserer G e g e n w a r t beschlossen." St. S i m o n .

D

iese einleitenden Zeilen, i n deren Begleitung w i r unsere Arbeit h i e r m i t der Öffentlichkeit übergeben, verfolgen einen doppelten Zweck. Einerseits sind w i r uns dessen bewußt, daß die Beschäftigung m i t Zukunftsfragen an u n d f ü r sich schon vielfacher Skepsis begegnet u n d zur Opposition reizt. Aus diesem Grunde möchten w i r hier einleitend darauf hinweisen, daß die Probleme u n d Aufgaben der Gegenwart selbst weder richtig zu erkennen noch befriedigend zu lösen sind, bevor w i r nicht klar sehen, wie sie sich zu den E r fordernissen, Notwendigkeiten u n d Möglichkeiten der Z u k u n f t verhalten. Die Wechselbeziehung zwischen der Verankerung des Z u k ü n f t i g e n i n der Gegenwart u n d dem A n schluß des Gegenwärtigen an die Z u k u n f t bedarf also allenfalls — auch unabhängig von unseren Endzielen — einer Klärung. Andererseits aber, u m uns, m i t Zukunftsfragen beschäftigt, nicht von vornherein der Gefahr — f ü r die zu erörternden Ideen — auszusetzen, als utopistisch verrufen zu werden, wollen w i r auch gleich eingangs festlegen, daß auf den folgenden Seiten nicht getrachtet w i r d , Z u k u n f t zu ergründen, sondern daß w i r , durch Analyse der gegenwärtigen europäischen wirtschaftlichen, sozialen u n d politischen Verhältnisse und Prob lerne, n u r die sich aus denselben logischerweise ergebenden E n t w i c k l u n g s t e n d e n z e n verfolgen F l e i s s i g , Planeuropa.

1

2 wollen. W i r hoffen, a u f diese A r t die richtige, z u k u n f t weisende Entwicklungslinie finden zu können u n d damit auch die Aufgaben zu determinieren, an deren Lösung jeder Europäer, welcher Nationalität i m m e r , i m Interesse seines eigenen Landes mitarbeiten m u ß . Diese Arbeit verfolgt aber dann auch das Ziel, daß gleichzeitig auch der heutigen völligen Z e r r ü t t u n g Europas Einhalt geboten u n d die diesem Kontinent gebührende Weltstellung wiederhergestellt werde. Die Verworrenheiten, Zwiespältigkeiten u n d Widersprüche des unglücklichen Nachkriegseuropa verdrängen j a mangels richtiger, klarer Erkenntnis der Dinge, wie sie aus dem Chaos herausgeschält, i n W i r k l i c h k e i t liegen, viel guten W i l l e n u n d lenken viele wertvolle Kräfte i n falsche Bahnen. Nicht zu ergründen, welche Z u k u n f t unserem Kontinent bevorsteht, sondern festzustellen, welche Z u k u n f t i n unserer Gegenwart beschlossen liegt, ist also die Aufgabe folgender Seiten.

L

tualitäten haben i m m e r das kleinste spezifische Gewicht, sie verdrängen stets alle anderen, eventuell auch gewichtigeren Probleme von der obersten Fläche des allgemeinen Interesses. Diese Eigenschaft des Aktuellen w i r k t o f t h i n dernd, j a entwicklungshemmend auf wichtigere Probleme, trotzdem aber kann keine Umgehung, n u r eine D u r c h dringung des die breite Öffentlichkeit beschäftigenden j e weiligen Aktuellen, ein sonstiges, eventuell auch wichtigeres gleichliniges Problem an die Oberfläche des allgemeinen Interesses befördern. Die paneuropäische Idee erscheint uns derzeit, i n der uns hier interessierenden Beziehung, als ein solches Problem von geringstem spezifischen Gewicht, als eine ungeachtet ihrer Rangabstufung, über allen anderen Problemen an der Oberfläche des allgemeinen Interesses treibende Aktualität. Durchdringen w i r also diese zu oberst gelagerte Problemschicht, so werden w i r , etwas tiefer gelangt, auf weitere wichtigere Fragen stoßen. Der f ü r seine Ideen stets kampfbereite Pazifist, Graf Coudenhove-Kalergi, sagt am Anfang seines „ P a n e u r o p a " betitelten Buches: ,,Die einzige K r a f t , die Paneuropa ver-

4 w i r k l i c h e n kann, ist: der W i l l e der Europäer, die einzige K r a f t , die Paneuropa aufhalten kann, ist: der W i l l e der E u r o p ä e r ' u n d dann etwas weiter: „ D i e Ursache des europäischen Niederganges ist politischer, nicht biologischer Natur. Europa stirbt nicht an Altersschwäche, sondern daran, daß seine Bewohner einander m i t den Mitteln moderner Technik totschlagen u n d zugrunde r i c h t e n / ' Schon i n diesen einleitenden Sätzen ist eigentlich die ganze Schwäche der Konzeption des so gutgemeinten Coudenhoveschen Werkes u n d Gedankenganges determiniert. Dasselbe war j a dazu bestimmt, als W e c k r u f f ü r das zersplitterte, i n einem Selbständigkeitswahn dem Abgrunde zusteuernde Europa zu dienen. Statt dessen aber verraten schon diese einleitenden W o r t e einen Optimismus, welcher vielleicht z u m T e i l berechtigt, jedoch keinesfalls ausreichend sein kann, die europäischen Völker aus ihrer Lethargie zu einer höheren Kraftentfaltung i m Interesse der V e r w i r k l i c h u n g des paneuropäischen Gedankens anzuspornen. Der W i l l e der europäischen Völker zur V e r w i r k l i c h u n g Paneuropas kann n u r aufgestachelt werden, indem nicht die politische oder biologische Seite eines zu errichtenden Paneuropa beleuchtet, sondern gerade dessen von Coudenhove so arg vernachlässigte wirtschaftliche u n d die damit zusammenhängende soziale Lebensnotwendigkeit bewiesen w i r d . Man darf nicht bei der an u n d f ü r sich allerdings richtigen Feststellung stehen bleiben, daß die Ursache des europäischen Niederganges nicht biologischer Natur ist, u n d daß Europa nicht an Altersschwäche zugrunde geht, sondern daran, daß seine Bewohner einander m i t allen Mitteln moderner Technik totschlagen u n d zugrunde richten; man m u ß den Gedanken richtig zu Ende verfolgen, u n d so w i r d es einem bald klar, daß auch dies nicht die letzten Ursachen sein können. Denn P o l i t i k u n d Krieg sind dienstbare Geister

5 der Macht. Die Quelle u n d gleichzeitig der unsichtbare D i rigent der Macht aber ist die W i r t s c h a f t u n d deren weitverzweigte Interessen. Ohne also der materialistischen W e l t auffassung i n allem beipflichten zu wollen, m u ß m a n doch die W u r z e l n der heutigen europäischen Probleme logischerweise i m Wirtschaftlichen erkennen. Daraus aber folgt — ohne die W u r z e l n zu heilen, werden kranke Äste nie gesunde Früchte tragen — , daß n u r ein v o n d e r W i r t s c h a f t a u s g e h e n d e r Ausweg zu einer eventuell notwendigen p o l i t i s c h e n U m s t e l l u n g führen kann. Nicht die politische, strategische, geographische usw., sondern i n erster Reihe die wirtschaftlich-soziale Seite des paneuropäischen Gedankens ist demnach eindeutig klarzulegen, u m das nötige Interesse der europäischen Völker zu wecken. D i e arge Vernachlässigung gerade dieser wichtigsten Seite des Problems war schuld daran, daß Coudenhove keinen E r f o l g erzielte u n d auch nicht das akute Interesse u n d die werbende K r a f t bei den breiten Massen zu erwecken vermochte, welche u n bedingt notwendig sind, u m den W i l l e n der Europäer — den eben auch Coudenhove als die einzige Macht betrachtet, die Paneuropa zu verwirklichen imstande wäre — i n motorische K r a f t umwandeln zu können. Nun erhielt Graf Coudenhove nach vielen Jahren intensiver, jedoch praktisch fruchtloser Propagandatätigkeit einen unerwarteten Helfer u n d M i t k ä m p f e r aus den Reihen der aktivsten u n d f ü r die Gestaltung der europäischen Politik \der Nachkriegszeit einflußreichsten Politiker, i n der Person Aristide Briands. Unterlassen w i r es vorläufig an dieser Stelle, schon i m Interesse einer entpolitisierten Objektivität, die Hintergründe dieses Umschwunges i n Briands P o l i t i k , vom blindesten Chauvinismus, vor, während u n d lange Zeit nach dem Weltkrieg, zum Paneuropapropheten zu suchen. Stellen w i r hier einstweilen n u r so viel fest, daß,

6 o b w o h l B r i a n d als gewiegter Praktiker die Sache scheinbar bei der richtigen Seite, nämlich der wirtschaftlichen anpackte — so daß sein Beginnen gewissermaßen als E r gänzung der Coudenhoveschen Grundlegung u n d als E i n lenkung seiner Ideen i n die richtigen Bahnen gelten könnte — , di£ Waffenbrüderschaft Briands, unseres Erachtens, f ü r Paneuropa u n d dessen V e r w i r k l i c h u n g keinen Gewinn, sondern geradezu eine G e f a h r b i l d e t . Denn nicht die wirtschaftliche Lücke des Coudenhoveschen Aufbaues allein ist dessen eigentliches G r u n d ü b e l , nicht allein die Hintansetzung der sozialökonomischen Momente, sondern mehr noch, die Hervorkehrung der politischen Seite, die politische Zielsetzung schlechthin. W i r wollen es nämlich gleich hier anfangs sagen, daß die Ziele eines Paneuropa n u r so u n d n u r dann erreicht werden können, wenn sie n i c h t d u r c h M i t t e l u n d W e g e d e r P o l i t i k a n gestrebt, sondern systematisch auf w i r t s c h a f t l i c h e m Gebiete erarbeitet werden. D a m i t wollen w i r also klar u n d eindeutig gesagt haben, daß Paneuropa n u r auf u n p o l i t i s c h e n Wegen erreicht werden kann. A u f unpolitischen Wegen, auf denen aber die politische, der reinen V e r n u n f t , auch i n indirekter Weise nicht das W i e u n d Was diktieren darf. Diese Grundthese vorläufig, als richtig vorausgesetzt — w i r werden an weiteren Stellen natürlich trachten, daß deren Richtigkeit, als logische Folgerung aus der gesamteuropäischen Lage auch erkannt u n d anerkannt werde — , dürfte unsere Skepsis h i n sichtlich der Eignung aktiver Machthaber der heutigen europäischen P o l i t i k , wie zum Beispiel A. Briands, zur V e r w i r k lichung wahrer paneuropäischer Ideale, w o h l als berechtigt erscheinen. I n d e m w i r jedoch unserer Aufgabe, die paneuropäische Frage an Hand der heutigen Lage u n d Entwicklungsrichtung

7 der europäischen 'Wirtschaft klarzulegen, restlos nachzukommen trachten, u n d da w i r bestrebt sind, auf die zum Ziele führenden unpolitischen Wege hinzuweisen, werden w i r natürlich auch sozialen Fragen nicht aus dem Wege gehen können. U m uns hierbei nicht der Gefahr auszusetzen, an späteren Stellen mißverstanden zu werden, müssen w i r von unserem eigentlichen Thema vorübergehend etwas abweichen u n d uns zuerst m i t der russischen Frage befassen, die f ü r die paneuropäische Idee, aber auch f ü r die sich wie i m m e r gestaltende Z u k u n f t Europas, ein Problem von größter W i c h t i g k e i t bildet.

IL

s kann an dieser Stelle dahingestellt bleiben, ob die „ N i e wieder K r i e g " donnernden Pazifisten oder die mehr oder weniger i m stillen sich auf einen neuen Krieg Rüstenden recht haben u n d behalten werden. Daß aber den sich nach jedem Krieg einstellenden Mißständen, Unruhen u n d Entbehrungen ein Remisfriede ohne Sieger u n d Besiegte die Spitze n i m m t u n d den allseitigen Wiederaufbau erleichtert, ist zweifellos. Der jähe Zusammenbruch der Zentraleuropäischen Mächte i m Jahre 1918 ließ eine solche Ausbalancierung der Mächteverhältnisse nicht zu. Als Folge der darauf folgenden Friedensschlüsse verminderten sich jedoch allmählich die Unterschiede zwischen Siegern u n d Besiegten, u n d bald gab es n u r mehr Besiegte u n d solche, denen es noch schlechter ging. Denn der Krieg war aus wirtschaftlichen Bestrebungen hervorgegangen, u n d eben i n dieser Hinsicht verlor i h n ganz Europa. Gleichzeitig m i t diesem allgemeinen Zusammenbruch loderten die sozialistischen Bewegungen i n allen Ländern mächtig auf, i n vielerlei Formen u n d Gestalten, hier i m offenen K a m p f , dort opportun versteckt, j a selbst der „ S o zialismus des d u m m e n Kerls", der Antisemitismus, hatte

9 einen starken Z u l a u f zu verzeichnen. I n d e m man aber die vielartigen u n d -namigen Bewegungen u n d Ideologien, richtig erkannt, dem Wesen nach i n den Ideenkreis des Sozialismus einzureihen hat, ebenso m u ß man Erscheinungen, die m i t Sozialismus nichts zu t u n haben, aus dem Problemkomplex ausscheiden. D u r c h diese A r t systematischer A b grenzung u n d Bereinigung der Materie, können w i r dieselbe erst i n ihrer wahren Gestalt u n d Bedeutung behandeln u n d die Entstehung eines heillosen W i r r w a r r s vermeiden, der das gewonnene B i l d trüben würde. Auch aus diesem Grunde soll, bevor w i r auf die uns eigentlich beschäftigenden Fragen zu sprechen kommen, vorerst kurz das russische Problem behandelt werden, das russische Problem, das unseres Erachtens m i t dem europäischen Sozialismus i m heutigen Sinne u n d i n seiner heutigen Bedeutung längst nichts mehr gemein hat, trotzdem j a der russische Spuk i n den letzten Jahren i n Europa viel Unheil angerichtet hat. Eine der schlimmsten Folgen der russischen Revolution ist j a eben f ü r Europa das heillose Durcheinander, das alle Ideen, Ideale u n d fortschrittlichen Bewegungen untereinander vermengte, Grenzen, ohne neue zu setzen, verwehte, u n d i n unheimlich vielen — u n d zum Teil nicht i n den schlechtesten — Köpfen i n bezug auf die sozialen u n d sozialistischen Bestrebungen u n d Strömungen ein trauriges Nichtverstehen auf der einen, oder einen übertriebenen Radikalismus auf der anderen Seite hervorrief. U n d doch, so kompliziert u n d verworren schen Fragen einzeln u n d hauptsächlich i n Lösung u n d Zukunftsgestaltung scheinen russische Problem als ein Ganzes betrachtet, sein wahres Wesen, objektiv, gesondert von wüchsen erkannt hat, ein klar faßbares, wie nachzuweisen trachten werden.

auch die russibezug auf ihre mögen, ist das wenn man n u r all seinen Ausw i r es sogleich

10 U m sich richtig vergegenwärtigen zu können, was i n Rußland seit 1917 vor sich ging, m u ß ein wenig weiter ausgeholt werden. Sagt man nämlich, i n Rußland herrsche K o m m u nismus, Bolschewismus, Anarchie usw., so mag man damit äußerlich vielleicht recht haben, doch k o m m t man dadurch dem Wesen der Sache nicht näher. Lassen w i r aber die äußerlichen, teils ohnehin wesenlosen u n d teils nur angedichteten Formen u n d Phraseologien dieser gigantischen politisch-ökonomischen U m w ä l z u n g beiseite, wie auch deren ebenso verwerflichen als unvermeidlichen Begleiterscheinungen, also alle Momente, die geeignet sind, das f ü r uns notwendige klare B i l d zu trüben u n d die den Wesenskern unserer Frage auch nicht berühren — w i r wollen j a hier nicht urteilen, sondern erkennen — , so werden w i r bald sehen, daß R u ß l a n d h e u t e e i n e Phase s e i n e r n a t i o n a l e n E n t w i c k l u n g d u r c h m a c h t , welche m e h r oder weniger eine jede europäische N a t i o n d u r c h m a c h e n m u ß t e — n u r u m 7 0 — i 5 o Jahre f r ü h e r als Rußland, u n d darin eben liegt Rußlands Tragik. England, Frankreich, Italien, Deutschland, wie auch die Donaustaaten m u ß t e n i n den letzten Jahrhunderten die Entw i c k l u n g zum Liberalismus dem feudalen Herrschaftssystem durch harte u n d blutige Kämpfe abringen u n d das Durchdringen zur bürgerlichen Demokratie durch opferschwere Revolutionen erkämpfen. U n d überall können w i r — bloß durch den Zeitgeist und Volkscharakter bedingten Abweichungen — denselben Gang der Dinge beobachten wie heute i n Rußland. Die seitens des Bürgertums, infolge dessen i m m e r mehr anwachsenden wirtschaftlichen Übergewichtes, geforderten u n d erreichten politischen Rechte gewannen i m m e r u n d überall erst faßbare F o r m , nachdem diese neuaufstrebende Klasse von der passiven Resistenz zur aktiven Renitenz überging, das heißt durch offene A u f -

11 lehnung gegen das herrschende feudale System. K a u m hatten aber die Bürgerlichen die durch die wirtschaftliche Evolution vorbereitete politische Revolution entfacht, so mußten sie stets dieselben Erfahrungen machen, wie sie Rußland jetzt gemacht hat. Sie mußten nämlich stets auf zwei Fronten gleichzeitig kämpfen u n d dabei erkennen, daß sie das kaum Errungene nicht behaupten konnten, ohne den linksradikalen Elementen, die sie von unten her zum T e i l m i t ihren eigenen, erfolgreichen Waffen bedrängten, K o n zessionen zu machen. Sie bedurften aber vorerst auch der H i l f e dieser Radikalen, u m die eben erst besiegte obere Klassenschicht dauernd niederhalten zu können. Denn die absolute, roh-zielbewußte Rücksichtslosigkeit, die zur Beherrschung, Erhaltung u n d zum Ausbau des durch Revolution Erreichten nötig ist, läßt die bürgerliche Mentalität nicht zu. U n d so war es geradezu zwangsläufig bedingt, daß, nach den Anfangssiegen des aufsteigenden Bürgertums, sich i n kurzer Zeit i m m e r die nächste Klassenschicht, anfangs n u r eine kleine Stoßtruppe derselben zum Führer aufschwang. Diese „ F ü h r e r " jedoch, die infolge ihrer Veranlagung, E r ziehung u n d zufolge ihres durch keinerlei Rücksichten oder Vorurteile gehemmten Freiheitsdranges der Nichtbesitzenden, m i t groben Ellbogen u n d starker Faust alles beiseite schoben und, wenn es sein mußte, auch niederschlugen, was sich ihnen störend, hindernd oder gar gegnerisch i n den W e g stellte, trachteten gleichzeitig auch schon nach der V e r w i r k lichung von Zielen, die bereits weit über die von den Bürgerlichen gesteckten u n d gewünschten Ziele hinausgingen. Trotzdem aber, das, was nach all den K ä m p f e n u n d „Pendelschwingungen" der Revolutionsepochen schließlich erreicht wurde und zu einem neuen System ausgebaut werden konnte, waren doch n u r die durch die wirtschaftliche E n t -

12 w i c k l u n g u n d die dadurch bedingte soziale Evolution berechtigten, herangereiften bürgerlichen Ziele. Denn als das B ü r g e r t u m sah, daß es zum bloßen Werkzeug einer, i h m wesensfremden Klasse wurde, die sich, über es hinwegsetzend, ihren eigenen, recht unbürgerlichen Zielen nachstrebte, näherte es sich wieder der bisher bekämpften, jedoch inzwischen von dem Terror der Linksradikalen eingeschüchterten u n d zermürbten u n d daher den bürgerlichen Forderungen zugänglich gewordenen oberen Klasse an, z u m nunmehr gemeinsamen Kampfe gegen den neuen gemeinsamen Feind. D a s B ü r g e r t u m s p i e l t e also d i e b e i d e n s o z i a l e n K l a s s e n , z w i s c h e n d e n e n es s t a n d , a b w e c h s e l n d g e g e n e i n a n d e r aus, was i h m a u c h gel a n g , da es d i e n a t ü r l i c h e , h i s t o r i s c h - ö k o n o m i s c h e E n t w i c k l u n g f ü r sich hatte. Das bürgerlich-revolutionäre Element vermochte also auch i n Europa nicht das von i h m selbst heraufbeschworene Chaos der Revolutionen zu beherrschen, verstand es jedoch, dasselbe zu lenken. U n d auf diese Weise war es, wenn auch erst nach einer sowohl an Menschenleben, als auch an materiellen u n d ideellen W e r t e n verlustvollen Übergangszeit, schließlich i m m e r das hierzu herangereifte Bürgertum, das aus diesen sozialen K ä m p f e n siegreich u n d gestärkt hervorging. Die Pioniere zur Erreichung der bürgerlichen Ziele waren jedoch, als nächste Klasse, historisch bedingt, stets die Proletarier. So u n d n u r so hatte das B ü r g e r t u m der europäischen Länder seine heutige Machtstellung erlangen, behaupten u n d ausbauen können. Denn das ganze heutige kapitalistische Wirtschaftssystem ist n u r auf der Basis einer, dem Wesen nach bürgerlich-demokratischen Grundlage aufgebaut denkbar u n d da die wirtschaftliche E n t w i c k l u n g Europas nach dieser Richtung h i n drängte, mußten die, die natürliche

13 Weiterentwicklung hemmenden politisch-feudalen Fesseln fallen. , A l l diese grundlegend notwendigen Umwälzungen waren nun i n Rußland zu einer Zeit noch nicht vollzogen, als diese Erschütterungen i n Europa längst überwunden, j a durch den i m m e r mehr i m Aufstieg begriffenen Kapitalismus weit überholt wurden. Unterdessen blieb Rußland auf einer A r t vorkapitalistischer Stufe stehen, w o r a u f j a z u m großen T e i l auch seine kulturelle Zurückgebliebenheit zurückzuführen ist. Nun kann aber Rußland nicht m i t europäischem Maße gemessen werden. Noch wenn die Revolution v o m Jahre 1905 erfolgreich gewesen wäre, so würde die Katastrophe von 1917 über das L a n d nicht hereingebrochen sein, u n d Rußland hätte, den Feudalstaat nach mehr oder weniger großen Erschütterungen abschüttelnd, der normalen europäischen E n t w i c k l u n g folgen können. So aber, wie es i n W i r k l i c h k e i t kam, wurde die Lage i n Rußland i m m e r mehr u n d mehr auf die Spitze getrieben, u n d die allgemeine S t i m m u n g erreichte nach dem verlorenen Kriege i m Ausbruch der 1917er Revolution den Siedepunkt. E i n großer T e i l der russischen bürgerlichen Revolutionäre hat sich infolge der jahrzehntelangen gewaltsamen Unterdrückung, schon lange vor dem Ausbruch der 1917er Revolution, an die proletarisch-marxistische Ideologie angelehnt. Das heißt, die bürgerlich-revolutionären Elemente wurden, anstatt n u r ihre berechtigten bürgerlich-demokratischen Ziele vor Augen zu halten u n d zu verfechten, durch das intransigentverständnislose Verhalten der herrschenden feudalen Klasse, einfach i n die A r m e der Linksradikalen getrieben, wodurch das Spiel f ü r L e n i n u n d Genossen, nachdem die Bürgerlichen den Zünder i n das Pulverfaß warfen, w o h l ein leichtes wurde. Hier also wurden die Bürgerlichen — scheinbar — die Pioniere f ü r die Proletarierherrschaft; aber

14 an dieser ganzen, verkehrten u n d unheilvollen Entwicklung trägt a m allerwenigsten das russische B ü r g e r t u m die Schuld. Die Annäherung der niedergehaltenen Klassen untereinander, die, bei einem rechtzeitigen Beiseiteschaffen des alten, überholten politischen Macht- u n d Wirtschaftssystems i n Europa, erst i m bereits entfachten Klassenkampf, zweckmäßig Schritt f ü r Schritt erfolgte, war i n Rußland eben schon i n einem viel früheren Stadium u n d daher unwiderr u f l i c h erfolgt, weil die dauernde gemeinsame Unterdrükk u n g u n d Not B ü r g e r t u m u n d Proletariat aneinanderkettete u n d hart zusammenschweißte. Hierdurch wurde aber den Bürgerlichen auch der notwendige, teilweise Rückzug u n d die Wiederanlehnung an die besiegte alte Machtgruppe, zwecks gemeinsamer Bekämpfung der Auswüchse u n d Übertreibungen von links u n d gleichzeitig zwecks Erreichung der eigenen Ziele unmöglich. Das Klassenkräfteverhältnis war also beim Ausbruch der russischen Revolution von vornherein ungemein zuungunsten der Bürgerlichen verschoben, was die f r ü h e r geschilderte notwendige D y n a m i k der bürgerlichen Revolution zerstörte, da v o m ersten Tage der bürgerlichrevolutionären Herrschaft an das radikalste Element u n d die proletarischen Massen die Herren der Situation waren. Hierdurch war auch die notwendige Evolution innerhalb der Revolution, v o m Bürgerlichen z u m Proletarischen nicht möglich, u n d so ist n u n auch die Rückentwicklung eine viel schwierigere u n d langsamere. E i n m a l ans Ruder gelangt, konnten die dazu nicht berufenen u n d unreifen proletarischen Elemente i n Rußland sich natürlich den L u x u s erlauben, das L a n d lange Zeit hindurch i n vollständiger Anarchie v e r k ü m m e r n zu lassen. Sie taten dies nicht nur, u m die Massen sich f r e i austoben zu lassen u n d sie dadurch noch mehr f ü r sich zu gewinnen, sondern weil dadurch auch i h r Ziel, jeden Widerstand einzuschüchtern u n d k a m p f u n f ä h i g

15 zu machen, erreicht wurde. A u f diese Weise war also der W e g zur Koalition zwischen den Klassen nichtproletarischer Rängordnung, durch T r ü m m e r , Schutt u n d Leichen bald versperrt u n d das Schicksal des Riesenreiches f ü r lange Zeit besiegelt. Denn der Umstand, daß die großen Massen des russischen Proletariats, die Bauern u n d Landarbeiter nicht nur G r u n d u n d Boden, sondern auch die primitivsten, ihnen bisher versagt gebliebenen Menschenrechte aus den Händen der Bolschewiken, also des städtischen Proletariats erhielten — nicht wie seinerzeit i n Europa, aus den Händen des aufsteigenden Bürgertums — , dieser Umstand verschaffte dem neuen System i n Rußland einen starken, j a den stärksten, wenn auch anfangs bloß negativen, psychologischen Rückhalt. So betrachtet, ist dann natürlich auch das Rätsel leicht lösbar, w a r u m die, den Bauern i n jeder Beziehung so ferne stehenden, j a feindlich gesinnten Bolschewiken, bei allen gegenrevolutionären B ewegungen die Bauernbevölkerung der gefährdeten Gegenden stets neben sich hatten. Nun erlauben aber die Gesetze der Wirtschaftsentwicklung keine Sprünge, u n d die Sünden der früheren Machthaber u n d die Schwäche der allzulange niedergehaltenen bürgerlichen Schichten des alten Rußland können sich zwar bitter rächen, nicht aber die zwangsläufige E n t w i c k l u n g definitiv aus ihrer Bahn schleudern. U n d so ist das, was w i r heute i n Rußland erleben, i n W i r k l i c h k e i t e i n e , u m v i e l e J a h r z e h n t e z u spät g e k o m m e n e u n d d a h e r b i s z u r U n kenntlichkeit verzerrte, bürgerlich-nationale Revolutionsentwicklung vom Feudalismus zum Kapit a l i s m u s . Natürlich ist dieser kommende Spätsommerkapitalismus Rußlands nicht so zu verstehen, daß Rußland u m so viele Jahrzehnte später den nämlichen Entwicklungsgang antreten w i r d , welchen die übrige kapitalistische W e l t seinerzeit gegangen; denn es kann i n dieser Hinsicht von

6 einem „ N a c h h o l e n " i m landläufigen Sinne des Wortes nicht gesprochen werden. Es kann sich hierbei bloß u n d i n erster Reihe u m das Durchdringen des Prinzipiellen, also der kapitalistischen G e s e l l s c h a f t s o r d n u n g i m allgemeinen handeln, die dann die wirtschaftliche Entwicklung, den speziellen zeitlichen u n d landescharakterbedingten Verhältnissen entsprechend, i n seinen Fragen, Aufgaben u n d Formen n u r i m Grundlegenden determiniert. I n Rußland w i r d aber nicht n u r die erlittene zeitliche Verschiebung, sondern auch der gegebene, spezifisch agrarische, wie auch der ebenfalls spezifisch russische Charakter des Landes, stark seinen Stempel dem dort bevorstehenden kapitalistischen System aufdrücken u n d i h m seine eigenen, dem Wesen nach u n d als Gesellschaftsordnung, uns prinzipiell wohl bekannten, i n seinen zukünftigen Erscheinungsformen jedoch unseren europäischen nicht gleichen Formen verleihen. Die so lange währende bolschewistische Herrschaft i n Rußland ist also, dem Wesen nach, doch auch nur die obengeschilderte, durch die D y n a m i k der Revolution bedingte Pionierarbeit des P r o l e t a r i a t s f ü r die bürgerlich-demokratische Staats- u n d Wirtschaftsverfassung. Dies darf, trotz der unnatürlich langen Dauer dieses ansonsten historischnotwendigen Übergangsstadiums, nicht verkannt werden, u n d die Schuld an dessen Entartung trägt zum Hauptteil das Unverständnis des schon lange vor seiner gewaltsamen Zerstörung überlebt gewesenen alten zaristischen Feudalsystems. Jede andere Vorstellung wäre j a auch sozial-ökonomisch ein Nonsens, denn ein sozialistisches oder k o m m u nistisches System könnte n u r ein bereits überlebtes kapitalistisches Wirtschafts- u n d demokratisches politisches System ablösen, das heißt, sofern dies die natürliche Weiterentwicklungslinie ist, es dazu weiterentwickeln. I m V o r kriegsrußland waren jedoch nicht einmal die ersten Stufen

17 einer kapitalistischen E n t w i c k l u n g erreicht, geschweige denn das K r i t e r i u m unseres modernen europäischen Kapitalismus, die Kapitalisierung, Zergliederung u n d Demokratisierung des Besitzes u n d Verbreiterung der über die Produktionsmittel verfügenden Klassen durch den Effektenkapitalismus. Die spärlichen effektenkapitalistischen Ansätze, die w i r i n Rußland vor dem Krieg doch schon gesehen haben, können höchstens als regelbestätigende Ausnahmen gelten. Denn diese Unternehmungen waren fast durchwegs ausländische Gründungen, die Anteile befanden sich auch meist i n Händen von Ausländern, u n d die einheimische Bevölkerung war an dem kapitalistischen Wohlergehen dieser Unternehmungen vollständig uninteressiert, so daß sie die Sozialisierung dieser Betriebe u m so leichter mitansahen, als durch die A n n u l l i e r u n g dieser Industriepapiere u n d ähnlicher Werte n u r ausländische Unternehmer, Rentner u n d Sparer, nicht aber einheimische Bevölkerungsschichten zu Schaden kamen. Es würde w o h l zu weit f ü h r e n u n d uns von unserem eigentlichen Thema zu sehr ablenken, würden w i r i n das russische Problem weiter eindringen, ich hoffe jedoch, durch die obige Skizze das russische Chaos i n seinen Grundzügen ein wenig durchleuchtet u n d hierdurch dazu verholfen zu haben, daß die, noch an späterer Stelle zur Sprache k o m mende, notwendige zukünftige Einstellung Europas diesem, einer politischen u n d wirtschaftlichen Renaissance zustrebenden mächtigen Nachbar gegenüber als logische F o l gerung aus dem oben Angeführten, erkannt w i r d . U n d n u n lenken w i r unser Augenmerk wieder unseren inneneuropäischen Problemen zu.

F l e i s s i g , Planeuropa.

2

III.

P

olitische Traumgebilde sind meist Produkte sozialwirtschaftlicher Übelstände. Unter den Wunschträumen, welche die unverdaulichen Mißstände u n d Übel Nachkriegseuropas hervorriefen, ist der Paneuropäische, beziehungsweise der einer „ U S E . " zweifellos der schönste. Der Gedanke, all die unzähligen Übel u n d Bedrängnisse, an denen die europäischen Staaten leiden, durch die Vereinheitlichung u n d Vereinigung des Kontinentes, nach dem so schönen u n d verlockenden Muster der USA. zu heilen, scheint sehr verführerisch u n d eigentlich auch logisch. Anstatt zu versuchen, den vielen, nach den bisher erprobten Methoden zum Teil beinahe unheilbaren W u n d e n der einzelnen europäischen Länder durch schwierige, lange u n d opfervolle Bemühungen abzuhelfen, sollen all diese W u n d e n , durch eine Radikalkur, ineinander, zu eins vernarben. Es wäre nicht reizlos, uns jetzt der Aufgabe zu unterziehen, die Vorteile u n d guten Seiten eines USE.-Gebildes i n allen seinen Einzelheiten u n d Auswirkungen auszumalen, w i r glauben jedoch unseren Lesern zumuten zu müssen, daß sie diesen Gedankengalopp ins politische Märchenland selber,

19 wenn auch noch nicht geritten haben, so doch ohne weiteres dazu i n der Lage sind, u n d wenden uns daher gleich der undankbareren, aber realeren Seite der Sache zu, nämlich der Untersuchung der Möglichkeit der V e r w i r k l i c h u n g der Vereinigten Staaten von Europa. Leider ist auch diese Seite keine viel realere, als die vorher übergangene; denn schon bei den ersten Fragen, die sich hierbei aufdrängen, türmen sich unüberwindliche Hindernisse. W i r wollen die Schwierigkeiten einer paneuropäischen Konstruktion, die auf den nationalistischen, sprachlichen, traditionellen, kulturellen, sozialen, inner- u n d kolonialpolitischen Gebieten auf der Hand liegen, ohne auf dieselben einzeln einzugehen, h i e r m i t bloß erwähnt haben. W i r t u n dies nicht aus dem Grunde, als ob all die Schwierigkeiten leicht zu beseitigen wären, denn das sind sie sicherlich nicht, sondern darum, w e i l es doch möglich wäre, sie zu überwinden, wenn die V e r w i r k l i c h u n g Paneuropas f ü r die europäischen Völker auf wirtschaftlichem Gebiet die gleichen Vorteile u n d die Gesundungsmöglichkeit herbeiführen würde, wie w i r sie zum Beispiel i n der USA. sehen u n d f ü r Europa herbeiwünschen. Natürlich ist die Analogie zwischen den USA. u n d einer USE. eine, die überhaupt nicht besteht oder aber n u r i n dem Bereiche der Begriffsverwirrung. Denn die USA. bedeuten i n W i r k l i c h k e i t die v e r e i n i g t e n Staaten Nordamerikas, während die USE. höchstens als die e i n i g g e w o r d e n e n Staaten von Europa gedacht sind. Der Unterschied besteht i m folgenden: Die zu e i n e m Staate vereinten amerikanischen Einheiten sind eben de facto keine Staaten, sondern bloß m i t einem Selbstverwaltungsrecht ausgestattete Teile, Provinzen eines s o u v e r ä n e n amerikanischen Staates, während die vereinigten europäischen Staaten eben bloß eine freie Vereinigung v i e l e r s o u v e r ä n e r Staaten darstellen 2*

20 würden. Denn es ist w o h l k a u m zu glauben, daß irgendeiner der europäischen Staaten ernstlich daran denkt, eine Provinz, ein Yerwaltungsteil einer vereinten USE. zu werden. Ohne das ist aber ebensowenig an eine Analogie m i t den USA. zu denken, wie überhaupt an die Ausführbarkeit u n d Lebensfähigkeit der Idee eines nicht vereinigten, bloß einig gewordenen europäischen Staatenbundes. Hiervon jedoch vorläufig abgesehen, wäre die Furcht und Besorgnis der einzelnen europäischen Staaten vor dem Aufgeben ihrer, wenn auch n u r wirtschaftlichen Selbständigkeit i n jedem Falle schwer besiegbar. Die B i l d u n g eines einheitlichen europäischen Wirtschaftsgebietes würde aber selbstverständlich so viel bedeuten, daß ein jedes L a n d an der gesamteuropäischen P r o d u k t i o n n u r entsprechend seinen Kraftquellen, Naturschätzen, klimatischen u n d Bodenverhältnissen, also m i t seiner v o m g e s a m t e u r o p ä i s c h e n S t a n d p u n k t aus gesehenen absolut standortmäßigen Eigenproduktion teiln i m m t . Die einzelnen Länder würden also demgemäß nur denjenigen Bruchteil ihrer mannigfachen industriellen und agrarischen Bedürfnisse selbst produzieren, der den Interessen u n d Erfordernissen eines gesamteuropäischen Produktionsplanes entspricht, während sie den Rest aus den übrigen Wirtschaftsgebieten, w o h l gegen den Überschuß ihrer Eigenproduktion, beziehen müßten. D u r c h welche neue politische Konstruktion den heutigen kleinen u n d großen europäischen Staaten genügende Sicherheitsgarantien geboten werden könnten, damit sie sich i n dieses Abhängigkeitsverhältnis einlassen, ist an u n d f ü r sich schwer denkbar. Die Frage w i r d aber einfach unlösbar, wenn w i r bedenken, daß die gegenwärtige, allerdings wahnwitzige Mentalität der europäischen Staaten gerade i n der entgegengesetzten Richtung exzediert u n d jedes, selbst das kleinste Staatengebilde bestrebt ist, eine zumindest f ü r einen Not-

21 fall genügend autarke Wirtschaftseinheit zu bilden. Diesem sicherlich selbstmörderischen Entwicklungsprozeß m i t einer politischen Konstruktion entgegenzutreten, welche gerade das entgegengesetzte Extrem darstellt, wäre auch dann hoffnungslos, wenn hierdurch die einzige Schwierigkeit des paneuropäischen Planes behoben würde. Dies aber als K r ö nung all der vielen anderen objektiven u n d subjektiven Hindernisse u n d Schwierigkeiten stempelt die Idee i n dieser F o r m zur reinen Utopie. Der Selbständigkeitstaumel, durch die fatalen Friedensverträge hervorgerufen, mußte zur heutigen Autarkieseuche ausarten; denn die w o h l noch sehr lange Zeit i n den Gliedern der ganzen zivilisierten W e l t steckende furchtbare Erinnerung an die siegreiche Wirtschaftsblockade, die selbst ein so mächtiges Wirtschaftsgebiet, wie es die u m die großen, jahrelang okkupiert gehaltenen, fruchtbaren Gebietsteile Belgiens, Serbiens, Rumäniens, der Ukraine u n d RussischPolens vergrößerten Mittelmächte waren, zu überwinden vermochte, läßt alle Vernunftgründe u n d Einwendungen gegen die künstlich gezüchteten Autarkien ungehört verhallen. W i e sich aber selbst die Initiatoren u n d Fürsprecher eines USE.-Bundes, dessen V e r w i r k l i c h u n g vorstellen, ist ganz unklar. Coudenhove w i l l die kulturelle u n d die nationale Selbständigkeit der einzelnen „Bundesstaaten" gewahrt sehen, Briand auch deren völlige staatsrechtliche u n d p o l i tische Souveränität. W i e aber dann eine zentrale F ü h r u n g der Geschäfte, W a h r u n g der Gesamtinteressen, eine zur Prosperität unumgänglich lebensnotwendige reibungslose Einheitlichkeit der politischen F ü h r u n g u n d wirtschaftlichen Leitung eines Paneuropa möglich w i r d , sind Fragen, f ü r deren reale Beantwortung keine Hoffnung besteht. Sollten aber die Vereinigten Staaten von Europa die B i l dung eines europäischen Überstaates bedeuten, i n dessen

22 Bande alle Länder des Kontinentes aufgenommen werden sollen, so hieße dies die Erschaffung eines neuen Vaterlandes f ü r Hunderte von Millionen Menschen. Daß das kontinentale Menschenmaterial — ganz abgesehen von dessen Heterogeneität, infolge seiner geschichtlichen, kulturellen, traditionellen u n d sozialen Mentalitäts-, Gewohnheits- u n d Bedürfnisverschiedenheit — nicht jene hierzu notwendige Frische, Elastizität u n d Anpassungsfähigkeit besitzt, wie z u m Beispiel die Bevölkerung Nordamerikas zur Zeit der Entstehung der USA., ist, neben den oben erwähnten übrigen Schwierigkeiten, eines der größten psychologisch-biologischen Hindernisse der neuen Staatsbildung. Hierdurch würde aber auch die Möglichkeit einer Übertragung des nationalen Gedankens u n d aller demselben innewohnenden Kräfte des Schaffensdrangs u n d der Aktivität auf den neuen Überstaat, also auf das neue Vaterland, wegfallen. Diese Ausschaltung des nationalen Gedankens würde somit zu einem V e r f a l l dieses, heute staatserhaltenden u n d i n vieler Hinsicht entwicklungsfördernd wirkenden Kräftekomplexes führen, anstatt es überzuleiten u n d vor den Karren der neuen Gemeinsamkeit zu spannen, oder aber es entsprechend ersetzen zu können. Dieses Moment fällt aber auch darum besonders schwer i n die Wagschale, weil diesem, den ganzen europäischen Kontinent revolutionierenden Plan eines USE.Überstaates auch sonst die zu solchen grundlegenden U m gestaltungen notwendige e v o l u t i o n i s t i s c h e L i n i e f e h l t . Nicht die historischen, sozialen oder wirtschaftlichen Tendenzen f ü h r t e n als logische Entwicklung zu dem A u f k o m m e n des Gedankens an diesen Zusammenschluß, sondern der Gedanke entstand i n einer Zeit der allgemeinen großen Not, j a , er entsprang geradezu dieser allgemeinen Notlage. Eine E n t w i c k l u n g kann jedoch nie gesund sein, wenn deren W u r z e l n u n d Triebkräfte nicht den natürlichen

23 gesunden Tendenzen ihrer Zeit entspringen, beziehungsweise sich nicht daraus von selbst entwickelt haben. Erachtet man jedoch die europäische Lage f ü r derart trostlos, daß trotz der genannten Hindernisse u n d Fährlichkeiten dieser Plan aufgeworfen u n d auf die Tagesordnung der aktuellen europäischen P o l i t i k gesetzt w i r d , so scheinen sich die Politiker hierbei zu sehr auf jene Grundthese der Massenpsychologie verlassen zu wollen, wonach eine Psychose nur durch eine andere, neue Psychose bekämpft werden kann. I n den letzten Jahrzehnten der europäischen Politik fand j a diese These vielfach praktische Bestätigung. Die Revanchepsychose i n Frankreich, die Weltvormachtstellungspsychose Englands, die deutsche Allmachtspsychose m i t dem K. u. K . Machtdünkel i m Schlepptau, zeitigten überall, programmgemäß eine europäische Kriegspsychose sondergleichen, die dann den W e l t k r i e g zu entfachen i m stande war. Dieser rasenden Kriegspsychose setzte die allgemeine Erschöpfung der Nationen n u r physisch ein Ende, psychologisch wurde sie durch die neue Psychose der sogenannten Selbstbestimmung der Völker abgelenkt u n d abgelöst, — an deren kranken Früchten w i r eben nagen. W i l l man nun diese Selbstbestimmungs- u n d Selbstversorgungs-, also allgemeine Selbständigkeitsverherrlichungspsychose durch eine neue politisch-wirtschaftliche ,,Neomanchesterpsychose" ablösen? Das heißt also die Grundpfeiler der europäischen Z u k u n f t von heut auf morgen auf ein System der Produktions- u n d Austauschwirtschaft aufbauen, dessen Grundlage das Prinzip des absoluten Angewiesenseins der Völker aufeinander bildet — u n d all dies ohne eine historische, soziale u n d wirtschaftliche Entwicklungsgrundlage, durch die Mittel der P o l i t i k , entgegen allen gegenwärtigen Wirtschaftstendenzen u n d Gegebenheiten, gleichsam durch eine psychopolitische R o ß k u r ; Zentralheilanstalt i n Genf!

24 W e n n an Stelle des heutigen europäischen Chaos ein noch größeres u n d endgültigeres gesetzt werden soll, so ist dieser W e g dazu w o h l der geeigneteste. Z u m Glück hat jedoch die gesunde Menschenvernunft doch noch größere Macht als die politische V e r n u n f t ; die Gesetze der Wirtschaft wirken doch stärker als die Rapsodien der P o l i t i k . Die Vereinigung Europas ist j a , wie die Geschichte Europas lehrt, kein neuer Gedanke. Zweimal wurde schon dieser Versuch unternommen, u m beide Male schon i m Keime zu ersticken. Ich meine den napoleonischen Versuch u n d die von R o m ausgehenden päpstlichen Bestrebungen. Diese programmatischen Vereinigungsversuche gelangen weder auf dem militärisch-gewaltsamen noch auf dem geistig-religiösen Weg, weil sowohl ein nationaler, als auch ein w i r t schaftlich-sozialer Unterbau dazu fehlte. Gerade so kann auch dem jetzigen Beginnen kein E r f o l g w i n k e n ; denn ebenso, wie die militärische u n d geistige Initiative, befindet sich auch diese politische auf dem falschen Wege, der nie zum gewünschten Ziele f ü h r e n kann. Es ist ganz nutzlos, wenn B r i a n d u n d alle die sich u m die Sache der USE. Bemühenden i m m e r von neuem versichern, der Plan hätte keinerlei Spitze irgendeiner anderen Macht oder Machtgruppe gegenüber. Sicher ist, daß die französische offizielle P o l i t i k die paneuropäische Idee nicht i n erster Reihe i m Interesse Gesamteuropas aufgriff, sondern dabei natürlicherweise i n allererster Reihe die eigenen Interessen Frankreichs vor Augen hielt. Französischen Politikern dies verübeln zu wollen, wäre lächerlich. Eben d a r u m aber, weil jeder solchen politisch-programmatischen Initiative, die den Interessen u n d Erfordernissen der Gesamtheit gegenüber erforderliche Objektivität notwendigerweise abgeht, kann eine solche, den ganzen europäischen Kontinent u m wälzende Idee, nicht, von welcher Seite u n d Nation i m m e r ,

25 einfach auf gut Glück, als vielleicht zufällig auch dem übrigen mitbeteiligten Europa passend, aufgeworfen werden. Die USE. können f ü r die französische P o l i t i k heute als geeignetes Mittel i n der Verfolgung ihrer Ziele u n d vielleicht auch i n ihren wirtschaftlichen Bestrebungen gelten, da Frankreich sich i n Amerika arg getäuscht f ü h l t , weil i n der Kriegsschuldenfrage keinerlei neuen Konzessionen erzielt werden konnten, u n d weil A m e r i k a gleichzeitig i m m e r höhere Zollschranken gegen die europäische W a r e n e i n f u h r aufstellt, u n d schließlich, weil die endlich erfolgte Annäher u n g zwischen England u n d A m e r i k a u n d i m Zusammenhange damit die Abkehr Englands von der französischen Nachkriegspolitik die nach dem Kriege so leicht errungene Vormachtstellung Frankreichs i n Europa zu bedrohen scheint. Diese offenbaren Hintergründe u n d das ganze p o l i tische Gepräge dieser „ w i r t s c h a f t l i c h e n " Konstruktion sind auch dadurch nicht zu verwischen, daß außer den absolut unaggressiven Tendenzen, die rein wirtschaftliche Zielsetzung der geplanten USE. betont u n d hervorgehoben w i r d . Jede, insbesondere aber jede künstliche, das heißt nicht aus der natürlichen Zeitentwicklung als selbstverständliche Folge u n d Weiterentwicklung fließende Vereinigung von Mächtegruppen oder Wirtschaftseinheiten, hat — u n d hätte sie dieselben nicht, entwickelt sie sich sehr rasch dazu — entweder expansive oder i n F o r m feiner Defensive aggressive Tendenzen. Selbst die napoleonische Vereinigungsidee f ü h r t e die harmlos klingende Wirtschaftsdevise der Schaffung einer einheitlichen europäischen Z o l l u n i o n i m Schilde. D i e Spitze dieser „wirtschaftlichen Bestrebung" richtete sich aber, wie w i r sehr gut wissen — Kontinentalsperre — , i n schärfster Weise gegen England. Ja, selbst ein sowohl national als auch wirtschaftlich natürliches Gebilde, wie der Deutsche Z o l l verein — dem, als er zustande kam, natürlich, weil i n der

26 E n t w i c k l u n g wurzelnd, bald auch die politische Vereinigung der wirtschaftlich einheitlich gewordenen Gebiete folgte — das ebenfalls m i t den friedlichsten Absichten und Tendenzen ins Leben gerufen worden war, entfachte doch i m Jahre 1870 den Krieg m i t Frankreich. W i r wollen m i t all dem natürlich nicht behaupten, daß Frankreich, via Paneuropa, irgendwelche kriegerischen Absichten hege, noch auch, trotz der äußerlich verlockenden historischen Analogie, daß Frankreich i n seinem Vormachtstreben einen zweiten Versuch einer A r t Kontinentalsperre gegen die anglosächsischen Wirtschaftsmächte, via Paneuropa, inaugurieren w i l l . Trotzdem ist es aber unzweifelhaft, daß die V e r w i r k l i c h u n g solcher paneuropäischer Pläne auf dem Wege der P o l i t i k , unbedingt, selbst wenn ungewollt, eine scharfe Spitze gegen England u n d Amerika i n volviert u n d beinahe — i n der Praxis — einer Kontinentalsperre gleichkommt. Schon aus diesem Grunde können daher die Motive u n d Gründe, die i n Frankreich derzeit vielleicht f ü r diesen Plan sprechen, f ü r das übrige Europa keinesfalls Geltung haben. Eine ernstliche Verstimmung Amerikas müßte derzeit f ü r Europa katastrophale Folgen zeitigen, da die wirtschaftliche Übermacht der USA. die geschwächte europäische Wirtschaft, schon zum Beispiel durch ein Versiegen der Staaten als Kreditquelle i n eine katastrophale Situation bringen kann. Hierzu käme noch, daß sich England an einer USE. schon aus Gründen seiner derzeitigen absoluten Angewiesenheit auf eine enge Zusammenarbeit u n d auf ein u m so stärkeres Freundschaftsverhältnis m i t Amerika, nicht beteiligen könnte, j a sogar gegenüber dieser politischen U m g r u p p i e r u n g des Kontinents i n eine Defensivstellung gedrängt würde, die sich bald als f ü r Europa höchst gefährlich erweisen müßte. W i r werden uns m i t diesen wechselwirkenden politischen Fragen noch i m nächsten Ka-

27 pitel beschäftigen müssen, da selbst, wenn sich die Vereinigten Staaten von Europa tatsächlich darauf beschränken wollten und könnten, n u r ihre intereuropäischen Absatzgebiete f ü r sich selber zu erhalten, sie doch auf dem Rohstoffgebiet expansionsbedürftig wären u n d auf diese Weise sowohl m i t England, als auch m i t Amerika i n Kollision geraten müssen. Die Gegensätzlichkeiten i n der Vorstellungswelt der paneuropäischen W o r t f ü h r e r k o m m e n auch i n der A h n u n g solcher Gefahren prägnant zum Ausdruck. Coudenhove — der Idealist — propagiert die politische V e r w i r k l i c h u n g Paneuropas, weil er — m i t Recht — ohne diese, auch seine wirtschaftliche nicht f ü r möglich hält; B r i a n d — der Politiker — propagiert, die Gefahren besser kennend, wenn auch via Politik, nur die wirtschaftliche. W i e dem aber auch sei, schon die Tatsache einer politisch inaugurierten, wenn auch nur wirtschaftlich eingestellten USE. müßte A m e r i k a unbedingt als Herausforderung, zumindest aber als eine sehr aggressive Verteidigung seiner Wirtschaftsmacht gegenüber auffassen; u n d die hierdurch hervorgerufene V e r s t i m m u n g und selbstverständliche wirtschaftliche Gegenwehr Amerikas würde die jungen USE. noch mehr u n d leichter i n die Enge treiben können als selbst das heutige zersplitterte Europa. Die heutigen Schwierigkeiten Europas könnten also durch eine politische oder politisch initiierte Paneuropäiserung n u r noch überboten werden. W i r haben diese Behauptung weiter oben bereits einmal aufgestellt. Nun wollen w i r es auch präzisieren, w a r u m w i r die Verwirklichung der USE. auf dem politischen Wege, das heißt auf Grund paneuropäischer Ideologien oder aber einer fiktiven Genfer Wirtschaftspolitik, f ü r den Nagel zu dem Sarge Europas halten. A l l die bisher angeführten u n d angedeuteten Motive, Gründe u n d Argumente, die gegen die Mög-

28 lichkeit u n d Zweckmäßigkeit der geplanten USE. sprechen, verschwinden nämlich beinahe neben dem wirtschaftlichen u n d sozialen Veto, das sich einer solchen, auf politisch-erkünsteltem Wege hervorgebrachten Konstruktion entgegenstellt. Denn vergegenwärtigen w i r uns einmal sachlich u n d f r e i von allen Nebenumständen, was die Konstruktion eines USE.-Bundes f ü r die einzelnen Wirtschaftseinheiten des europäischen Kontinentes u n d f ü r die innerhalb dieser staatlichen Wirtschaftseinheiten gruppierten einzelnen Privatwdrtschaften bedeuten würde. Das zwecks Unifizierung zur V e r f ü g u n g stehende Wirtschaftsgebiet müßte zu einer einzigen rationell produzierenden u n d konsumierenden W i r t schaftseinheit eingeteilt, umgestellt u n d aufgebaut werden. Alle, nicht der neuen Wirtschaftseinheit u n d deren Produktions- u n d Versorgungsprogramm entsprechenden W i r t schaftsgebilde, ob Industrie, Landwirtschaft oder Gewerbe, j a selbst Handel u n d Bergbau, fielen entweder sofort den Interessen der neuen Gesamtheit zum Opfer, das heißt sie m ü ß t e n den neuen Zwecken entsprechenden, gleichbranchigen Produktionsgruppen weichen, die das neue europäische Standortsystem f ü r die betreffenden Gegenden bestimmt hat, oder aber würden die deplaciert oder überflüssig befundenen Produktionsstätten den i n den bevorzugten Gebieten liegenden Produktionsmächten ohne Schutz ausgeliefert, bald verkümmern. Natürlich müßte diese durch die programmatische Umorganisierung der gesamteuropäischen Produktionstätigkeit erforderliche Ausmerzungsprozedur auch noch von den neuen Obrigkeiten beschleunigt werden, da die Vorteile des einheitlich gewordenen Wirtschaftsgebietes u n d die möglichst rasche Bekämpfung und Behebung der sich anfangs unvermeidlich einstellenden Kinderkrankheiten u n d Stockungserscheinungen des neuen Systems nur erreicht werden könnte, i n d e m sich die sinn-

29 gemäß aufgeteilten Rollen i n der vereinheitlichten Massenproduktion möglichst rasch durchzusetzen vermochten. Eine solche w i r t s c h a f t l i c h e Z w a n g s u m g r u p p i e r u n g würde, was die ohnehin schon auf schwachen Füßen stehenden europäischen Staats- u n d Privatwirtschaften betrifft, i n den meisten u n d gerade i n den schwächeren Ländern, eine vollständige Pauperisierung weiter Schichten u n d eine ganz gewaltige Vermehrung der Arbeitslosen zur Folge haben. Die Unternehmer, deren Gewerbe i n der betreffenden Gegend abgebaut wurde, w ü r d e n sich ihrer Existenz, ihres Lebensunterhaltes, j a selbst ihres Vermögens beraubt sehen, die durch diese beschäftigten Arbeiter u n d Angestellten brotlos werden, wobei eine Umstellung dieser Gruppen, ob A r beitgeber oder Arbeitnehmer, a u f diejenigen Zweige der wirtschaftlichen Betätigung, die f ü r i h r einheimisches Gebiet belassen wurden, oder aber die Neuunterbringung i n ihren alten Gewerbezweigen i n deren neuen, fremden Produktionsgebieten, n u r zu einem geringen Bruchteil erfolgen könnte. Das Wertloswerden all dieser überflüssig gewordenen, abgebauten, kaltgestellten Produktionsstätten, die bis dahin als werbendes Kapital einen wesentlichen Bestandteil der einzelnen nationalen Volksvermögen bildeten, würde auch volkswirtschaftlich f ü r die Gesamtheit der betroffenen Länder erheblichen Schaden u n d Verlust bedeuten. Die heutigen Schwierigkeiten u n d Übelstände wären somit n u r noch mehr verschärft, ohne f ü r eine Reihe von Jahren auch nur auf eine bescheidene Rekompensation rechnen zu können, denn selbst die durch diese Neugestaltung der Dinge günstig abschneidenden Gebiete u n d Wirtschaftseinheiten w ü r d e n einen längeren Zeitraum benötigen, u m ihren neuen Aufgaben gerechtwerden u n d dementsprechende Vorteile aufweisen zu können. Es ist aber w o h l als ausgeschlossen zu betrachten, daß Europa i n seiner heutigen argen Ver-

30 fassung eine solche Übergangszeit wirtschaftlich aushalten u n d deren Folgeerscheinungen auf sozialem Gebiete ohne schwerste Erschütterungen überdauern könnte. D i e vielseitigen Opfer, die eine durch die Politik ins Leben gerufene USE. erfordern würde, kann das heutige Europa unmöglich leisten, u n d die Erzwingung dieser Opfer durch gewaltsame V e r w i r k l i c h u n g solcher Experimente würde i n kurzer Zeit u n d i n gerader L i n i e zur Auflösung jeder geordneten W i r t schaft, also zur Anarchie führen. W e n n man n u n trotz alldem sieht, daß aktive, verantwortungsvolle Politiker paneuropäische Ideale auf i h r Schild heben u n d zum P r o g r a m m ihrer Gegenwartspolitik machen, so kann man sich des Verdachtes nicht erwehren, eine solche P o l i t i k als Scheinpolitik zu betrachten u n d zu werten. Nicht die Idee, nicht das Ideal Paneuropas kann das wirkliche Ziel dieser Politiker sein, sondern es scheint m i t diesen als bloßen Mitteln zwecks Erreichung anderer selbstischer Ziele oder Vorteile arger Mißbrauch getrieben zu werden. Versteift sich A m e r i k a allzusehr i n der Kriegsschuldenfrage, erschwert es die Leistung der Zahlungen durch Hochschutzzollpolitik, pariert England nicht mehr i n seiner europäischen P o l i t i k den Wünschen u n d Machtgelüsten Frankreichs, beginnt England eigene Wege zu gehen, die m i t denen der französischen P o l i t i k nicht mehr stets parallel laufen u n d diese sogar zu kreuzen drohen, dann, j a dann heraus m i t der W a f f e : Länder Europas, vereinigt euch! W e n n auch die Parole hohl u n d gefahrdrohend ist, nach außen h i n w i r k t sie gut, als dekoratives Mäntelchen f ü r dieses P r e s s i o n s m i t t e l einer unverantwortlichen politischen Klugheit auf kurze Sicht. Diese Methode, heute europäische Politik oder auch n u r P o l i t i k i n Europa zu machen, könnte nur m i t dem aus den napoleonischen Zeiten der französischen Politik her-

31 rührenden, berühmt gewordenen W o r t e gewertet werden: Dies wäre mehr als ein Verbrechen, es wäre ein Fehler. Nun kann aber die Z u k u n f t Europas doch auch nicht i n der Fortdauer seiner Gegenwart bestehen; denn das hieße, — es hätte eben keine Z u k u n f t mehr. U n d kann die Z u k u n f t Europas, wie w i r gesehen haben, auch nicht i n der, i m Obigen erörterten Entwicklungslinie liegen, so fragt es sich also, w o r i n , i n welcher Richtung w i r eine wirkliche Z u k u n f t bedeutende Weiterentwicklung der europäischen Lage erblicken können. A u f diese brennende Frage werden w i r auf politischem oder philosophischem Gebiet keine A n t w o r t erhalten können, besonders keine A n t w o r t i m Sinne unserer Untersuchungsmethode, die zukünftige Entwicklung, u m richtig zu gehen, aus der Analyse der Gegebenheiten der Gegenwart abzuleiten. Die A n t w o r t jedoch auf diese Frage nach den Tendenzen u n d Symptomen des europäischen Wirtschaftslebens, nach dessen treibenden sozialen u n d gestaltenden wirtschaftlichen Kräften f ü h r t zu dem, nach all dem obenausgeführten w o h l überraschenden Resultat, daß die Z u k u n f t Europas s e l b s t t ä t i g eine den paneuropäischen Idealen ähnliche Richtung n i m m t , beziehungsweise sich auf u n p o l i t i s c h e n Wegen, i n der Richtung einer planmäßigen Zusammenarbeit der kontinentalen Wirtschaftskräfte bewegt, auf einer nicht n u r wirtschaftlich, sondern auch i n sozialer Hinsicht neuen Grundlage, die auch die weitere Z u k u n f t zu gestalten berufen ist, u n d die w i r n u n i m folgenden unter die L u p e zu nehmen haben werden. Diese Untersuchung w i r d auch zeigen — die Ironie des Schicksals wollte es vielleicht, oder ein verhängnisvolles Mißverständnis der politischen Wirtschaftsunvernunft — , daß gerade zu einer Zeit, wo der kranke europäische W i r t schaftskörper i m Begriffe ist, s i c h s e l b s t d e n W e g aus dem w i r t s c h a f t l i c h e n u n d sozialen W i r r w a r r zu b a h -

32 n e n , diese Wege der gesunden Autotherapie durch die Politik gekreuzt u n d verrammelt zu werden drohen. Die Politik nämlich, anstatt die Wirtschaftskräfte u n d die natürlichen Entwicklungstendenzen r i c h t i g zu erkennen, dieselben ausw i r k e n zu lassen, u n d deren Wege eigentlich durch kaum mehr, als durch die Tatsache der richtigen Erkenntnis selbst, zu ebnen u n d zu fördern, greift der natürlichen Entwicklung m i t roher Hand vor, verkennt oder mißachtet die Wirtschaftsgesetze u n d sucht, diese sich selber dienstbar zu machen. Das hieße aber, daß die Wirtschaftsentwicklung einen u m gekehrten W e g nehmen, daß also ein breiter F l u ß plötzlich stromaufwärts fließen sollte. Denn es ist möglich, j a sogar wahrscheinlich, daß, nachdem die Kräftevereinigung innerhalb der europäischen Wirtschaftsgebiete, auf dem Wege der natürlich-selbstregulierenden Zwangsläufigkeit der w i r t schaftlichen u n d sozialen Entwicklung, erfolgt sein w i r d , auch ein politischer Zusammenschluß ermöglicht, j a sich vielleicht sogar von selbst ergeben w i r d . Aber diesen, seine eigene Gesetze selbsttätig schaffenden Entwicklungsprozeß umkehren, den S c h l u ß s t e i n z u r G r u n d s t e i n l e g u n g v e r w e n d e n z u w o l l e n , ist u n d bleibt, wenn auch dieser Versuch oder diese Lösungsart f ü r die Politik dieser oder jener Mächtegruppe manches Mal verlockend erscheint, ein unmögliches Beginnen.

IV.

W

ährend die Aufmerksamkeit der W e l t zum gigantischen Spiel der Kräfte i n der pseudokommunistischen Revolution der Massen i n Asien u n d gleichzeitig zu dem nicht minder gewaltigen u n d eruptiven Wachstum der amerikanischen Wirtschaftsmacht suggestiv hingezogen w i r d u n d das gespannte Weltauge von dem grellen Widerschein u n d der grausam-grotesken Gegensätzlichkeit dieser beiden parallel laufenden welthistorischen Phänomene geblendet w i r d , bereitet sich, ein wenig abseits von all den lärmenden Geschehnissen, eine Umwälzung des derzeit die gesamte zivilisierte W e l t beherrschenden kapitalistischen Wirtschaftssystems vor. Diese tiefe W a n d l u n g entwickelt sich aus dem Elend Europas ebenso, wie aus dem Reichtum Amerikas, als eine Umstellung der Weltwirtschaft, zu einem Ereignis, welches den zwei obengenannten Etappen der W e l t geschichte an Bedeutung vielleicht, an Nachhaltigkeit aber sicherlich, den Rang abzulaufen berufen ist. Z u r Zeit nämlich, da auf der einen Seite scheinbar der Sozialismus i n Asien i n Extremen exzediert, u n d auf der anderen Seite der Kapitalismus i n Amerika scheinbar seine Bäume i n den F l e i s s i g , Planeuropa.

3

34 H i m m e l wachsen läßt, da also die beiden gegensätzlichen Weltanschauungen u n d Wirtschaftsordnungen zu einem E n d k a m p f aneinanderzuprallen drohen, w i r d i m wohltuenden Schatten dieser Ereignistitanen an einer Brücke gearbeitet, welche, als eine neue Phase des Kapitalismus, nicht n u r geeignet zu sein scheint, die heutigen sozialen u n d w i r t schaftlichen Gegensätze zu überbrücken, sondern auch diese, als überholt, von selber zu beseitigen. Bevor w i r jedoch diese Brücke hier betreten, betrachten w i r erst die zwei gegensätzlichen Ufer, die also durch diese Brücke nicht nur einander nähergebracht, sondern geradezu vereinigt werden sollen. W e n n w i r den Werdegang des Kapitalismus von seiner Frühzeit bis z u m heutigen sogenannten Hochkapitalismus u n d gleichzeitig die damit parallel laufende Entwicklung des Sozialismus verfolgen, so müssen w i r bald erkennen, daß der Sozialismus m i t der kapitalistischen Entwicklung nicht Schritt zu halten vermochte. Das Bewußtwerden der verschiedenen sozialen u n d w i r t schaftlichen Bestrebungen u n d Strömungen als sozialistisches, also machtbewußtes u n d klassenbedingtes Aufstreben kompakter Bevölkerungsschichten, war die Geburt und das eigentliche Wurzelfassen des heutigen Sozialismus. Das Auftreten St. Simons, des wissenschaftlichen Begründers des Sozialismus, beziehungsweise des Begründers des Sozialismus als D o k t r i n , sowie Pierre Leroux', dem der Sozialismus auch seinen Namen verdankt, die Wende des achtzehnten Jahrhunderts also können als Geburtsdaten des heutigen Sozialismus i n dem Sinne gelten, daß die, auch heute noch herrschenden Einwendungen u n d Zielsetzungen des Sozialismus gegen die kapitalistische Gesellschaftsordnung, ihre mehr oder weniger konkret faßbare, dem Wesen nach bis heute k a u m geänderte F o r m u n d Inhalt damals erhielten.

35 Die früheren, eigentlich auch schon i m heutigen Sinne sozialistischen Strömungen i n England können hierbei außer acht gelassen werden, da der Kapitalismus i n England eigentümlicherweise zuerst i n der Landwirtschaft F u ß faßte u n d demzufolge dort auch die ersten sozialistischen Bewegungen von, heute absolut überholten oder schon damals als utopistisch gegoltenen Bodenreformplänen u n d -gedanken beherrscht wurden. Schon der erste englische Soziologe jedoch, dessen Gesichtskreis sich bereits auch auf die übrigen Gebiete der Wirtschaft erstreckte, nämlich R. Owen — I 7 7 I bis i 8 5 8 — , erblickte das Hauptübel i m verschwenderischen und ausbeutenden K o n k u r r e n z k a m p f der individualistischen Wirtschaft u n d i n der übermäßigen Konzentration des Kapitals. Auch er, wie bald nach i h m viele, besonders die Franzosen Pierre Leroux, Ch. Fourier, C. Pecquer, Louis Blanc — letzterer auch schon Begründer der französischen sozialistischen Partei — , vertraten schon damals die Ansicht, oder gelangten zur Schlußfolgerung, daß die obenerwähnten, wie auch all die hieraus fließenden weiteren Übel, durch Überf ü h r u n g der Produktionsmittel auf die Allgemeinheit behoben werden müssen. Es ist hier f ü r unsere Zwecke nebensächlich, ob diese u n d noch manche unerwähnt gebliebenen Vorläufer unserer heutigen sozialistischen Praktiker u n d Theoretiker, durch Phalanxsysteme, freiwillige oder zwangsweise Produktionsgemeinschaften usw. i h r Ziel erreichen zu können wähnten, interessant ist hier bloß die Tatsache, daß all diese, sozusagen an der Wiege des m o dernen europäischen Kapitalismus entstandenen K r i t i k e n u n d Forderungen, auch noch i m heutigen Sozialismus unveränderte Geltung besitzen. Auch viele andere Ideen, Theorien, j a sogar Forderungen der heutigen Sozialisten können w i r bei deren Vorgängern beinahe unverändert auffinden. So zum Beispiel bei dem 3*

36 vielfach auf Ricardos Gedankengang basierenden englischen Sozialisten Hodgskins, der die schon von A. S m i t h aufgestellte Unterscheidung zwischen natürlichem u n d künstlichem Eigentumsrechte beibehaltend, sowie die möglichst straffe klassenmäßige Organisierung der Arbeiterschaft empfehlend, die Ideen unserer heutigen nicht ultraradikalen Sozialisten vertrat. Es genügt jedoch, wenn w i r auf G r u n d des bisher Gesagten, ohne genötigt zu sein, eine empirische Beweisführung fortzusetzen, feststellen können, daß die Grundprinzipien der Entstehungszeit des Sozialismus, welche dann von K a r l Marx sozusagen ihre Kodifizierung erhielten, dem Wesen nach bis heute keinerlei Änderung erfahren haben. Marx, der am meisten auf den grundgescheiten englischen Soziologen F. Bray u n d auf den bereits erwähnten genialen Franzosen Pecquer zurückgreifend, die „Gesetzbücher" der sozialistischen Theorien i n imposant zusammenfassender Weise konstruierte, lieferte i n seinen W e r k e n w o h l ebenso die K r ö n u n g der bis dahin aufgetauchten sozialistischen Ideologien u n d Arbeiten, als auch gleichzeitig deren Schlußstein. Dieser Abgott des Proletariats und Urquelle der Weisheit aller Sozialisten bis zum heutigen Tage — der, äußerlich m i t seinem ewigen Monokel i m Auge, u n d geistig durch seine W e r k e u n d deren, i n der „wissenschaftlichen Geheimsprache" gehaltenen Styl, von dem i n der Originalfassung niemals ein Arbeiter auch nur einen Satz verstehen konnte, vor den proletarischen Massen i n u n erreichbarer Ferne dasteht — war ein Sammelbecken aller bis dahin entstandenen, i n ihrer systemlos-ungeordneten Zersplitterung herrenlosen sozialistischen Theorien. Über Marx hinaus ist aber der Sozialismus nicht gelangt, so sehr, daß seine, obzwar, wie erwähnt, auf Ideen u n d Arbeiten früherer Soziologen basierenden, jedoch m i t der i h m eigenen ehernen Logik durchdachten u n d i n monumentaler

37 Gruppierung einheitlich aufgebauten Theorien noch heute alle Schattierungen der sozialistischen Bewegung beherrschen. Die große Schwäche des heutigen Sozialismus liegt aber gerade darin, daß er nach Marx keine neuen Ideen mehr aufgebracht hat u n d von dem m i t Siebenmeilenstiefeln vorwärtsdrängenden Kapitalismus einfach überholt wurde. Eine heutige K r i t i k des Sozialismus u n d seiner Ideale, sowie dessen praktische Gegenüberstellung m i t dem Kapitalismus, erfordert daher nur eine P r ü f u n g dessen, ob die sozialistischen Theorien, Einwände u n d Zielsetzungen überhaupt noch als solche bestehen können, also stichhaltig sind. D e n n die Genialität Marx' u n d einiger seiner Vorgänger, i n der Vorauszeichnung der zukünftigen E n t w i c k l u n g des Kapitalismus als wirtschaftlichen, wie auch als Gesellschaftsphänomens, auf viele Generationen hinaus kann w o h l nichts an der Tatsache ändern, daß schon durch die Fortschritte der Technik u n d hauptsächlich durch die klare Selbsterkenntnis und Selbstkritik der Kapitalisten selber, die E n t w i c k l u n g nur i n großen Zügen, i n Übergangsstadien, nicht aber i n einem zukunftsbestimmenden u n d stationären Ausmaße diese vorausgeschaute Richtung nahm. Hierdurch erleiden aber auch die von Marx gezogenen Konsequenzen, welche von den heutigen Sozialisten ebenfalls übernommen wurden, zumindest die praktische Degradierung zur Theorie u n d die theoretische zur Utopie. Ob dies n u n auf die Fehler u n d praktische U n p r o d u k t i v i t ä t der nachmarxistischen Sozialisten, oder auf die außerhalb deren kritischer Reichweite u n d geistigen Machtbereichs liegende anderslinige soziale u n d wirtschaftliche E n t w i c k l u n g des Kapitalismus zurückzuführen sei, ist eine Frage, die einer eigenen Studie wert wäre. U m jedoch auf unserem eigenen Pfade weiterzugehen, resümieren w i r hier n u r kurz die Kernpunkte der sozialisti-

38 sehen Ideologien, beziehungsweise deren K r i t i k an der kapitalistischen Wirtschaftsordnung: D i e ständige Verschärfung der Gegensätze zwischen A r beitgebern u n d Arbeitnehmern, die stets anwachsende Zahl der Proletarier u n d der durch die Rücksichtslosigkeit des kapitalistischen Wirtschaftssystems pauperisierten Schichten, bei gleichzeitiger Verminderung der Zahl der die Produktionsmittel beherrschenden Kapitalisten, die durch die i m m e r schärfer werdenden Konkurrenzkämpfe i n der individualistischen W i r t s c h a f t i m m e r öfter heraufbeschworenen Krisen u n d Dekonjunkturen, die hierdurch f ü r die großen Massen i m m e r unhaltbarer u n d unerträglicher werdenden Verhältnisse und Lebensmöglichkeiten, der durch das eherne Lohngesetz u n d durch die Unsicherheit ihrer kümmerlichen Existenz, hervorgerufene ständige D r u c k auf die großen Massen des Proletariats, — m u ß diese i m m e r mehr zusammenschweißen u n d hierdurch ihre Organisierung zum gemeinsamen Kampfe erleichtern. Dieser organisierte K a m p f der i m m e r mehr anwachsenden Massen der Besitzlosen gegen eine, m i t der stetig steigenden A k k u m u l a t i o n des Kapitals, i m m e r geringer werdende A n zahl von Kapitalisten, entwickelt sich dann bald von lokalen K ä m p f e n zu solchen allgemeinen Charakters, die sich bald a u f die Gesamtheit der einzelnen Nationalwirtschaften erstrecken, u m dann i n einem internationalen E n d k a m p f der Vielzuvielen gegen die A l l z u wenigen zu gipfeln. Diese Revolution würde aber bereits ohne größere Schwierigkeiten, quasi durch das Schwergewicht der großen Massen, die Ü b e r f ü h r u n g des kapitalistisch-individualistischen W i r t schaftssystems i n ein sozialistisch-kollektivistisches vollziehen.

39 W i r sehen also: als Prophetic z u m T e i l ein genialer W u r f ; als Gegenwartspolitik jedoch, beinahe i n allen Punkten, kaum noch mehr als ein Festhalten an einem Plusquamperfekt. Denn der Unterschied zwischen Kapitalisten u n d Proletariern, besser gesagt zwischen Arbeitgebern u n d Arbeitnehmern, wuchs i m Laufe der kapitalistischen E n t w i c k l u n g nicht n u r nicht ins unermeßliche, sondern verminderte sich nach u n d nach sowohl wirtschaftlich, als auch i n sozialer Hinsicht. Es wurden j a Interessengegensätze, schon durch die Erkenntnis mancher gemeinsamer Interessen der i n d u striellen Arbeitgeber u n d Arbeitnehmer, als einer, wenn auch nicht homogenen, aber kompakten Produktionsschicht, vielfach abgeschwächt. Die E i n k o m m e n der Arbeitnehmer entfernten sich, das ,,eherne Lohngesetz" mißachtend, i m m e r mehr vom sogenannten nackten Existenzminimum, u n d große Schichten der Arbeiterschaft näherten sich i n i h r e m Standard den bürgerlichen Klassen, u n d dementsprechend schwächte sich auch ihre revolutionäre Kampflust i m Laufe der Zeit i m m e r mehr ab. Auch die Konzentration des Kapitals führte nicht zur Verminderung der Zahl der Kapitalisten, sondern i m Gegenteil, es verbreitete sich deren Zahl durch den Effektenkapitalismus so gewaltig, daß eine i m m e r breitere Schicht von Kapitalisten, oder an der kapitalistischen Wirtschaftsordnung Mitbeteiligten, an dem Bestände u n d Wohlergehen des Kapitalismus mitinteressiert wurde. Das Anwachsen des eigentlichen Proletariats zu einer überwältigenden kompakten Majorität ist aber nicht n u r aus diesem Grunde nicht erfolgt, sondern auch, w e i l die größten Massen der Bauernbevölkerung m i t i h r e m , wenn auch i m Durchschnitt relativ geringen Hab u n d Gut, absolut keine

40 proletarische Mentalität, sondern vielmehr eine kapitalistische Einstellung zeigten. A l l dies führte n u n dazu, daß die Organisierung der A r beiterschaft nicht auf einer straffen, revolutionär-einheitlichen Basis erfolgen konnte, sondern, gerade durch die sich einstellenden Abstufungen der ökonomischen und sozialen Lage einzelner Schichten des Proletariats, i n verschiedenen, nach Weltanschauung u n d Grad des Radikalismus gespaltenen Organisationen. Dies bewirkte natürlich eine gewisse Zersplitterung der Kräfte u n d verminderte dadurch i n politischer u n d noch mehr i n revolutionärer Hinsicht die Stoßk r a f t der an u n d f ü r sich natürlich doch großen Massen des 1 Proletariats. Einen recht interessanten Beweis f ü r die Richtigkeit unserer obigen Ausführungen liefert folgende, i m Laufe der kapitalistischen E n t w i c k l u n g gewonnene Erfahrungstatsache, die, so interessant sie auch an u n d f ü r sich ist, so wenig von den Freunden wie auch von den Feinden des Sozialismus beachtet w u r d e : Die Vorbedingungen f ü r den Sozialismus i n technischer, ökonomischer usw., also zusammenfassend ausgedrückt, i n materieller Hinsicht, sind i n Ländern auf hoher Kulturstufe, m i t hochentwickelter Wirtschaft, fortgeschrittener Technik u n d Industrie viel günstiger, als i n weniger fortgeschrittenen Ländern, wogegen die Möglichkeiten f ü r den Sozialismus i n den fortgeschrittenen Ländern i n sozialer u n d p o l i tischer Hinsicht geringer sind. I n weniger fortgeschrittenen, nicht hochentwickelten Ländern wiederum, sind die Vorbedingungen f ü r den Sozialismus gerade i n sozialer u n d politischer Hinsicht viel günstigere, aber i n materieller H i n sicht schlechte. Die Begründung dieser, f ü r d e n S o z i a l i s m u s u n g e m e i n h e m m e n d e n G e g e n s ä t z l i c h k e i t ist offenkundig.

41 Der Sozialismus, i n seiner heutigen geistigen Verfassung u n d technischen Struktur, könnte als nächste Stufe und neue Phase des sozialen u n d wirtschaftlichen Lebens der Völker, die abzuschaffende kapitalistische Gesellschaftsordnung n i c h t a b l ö s e n , sondern sie n u r b e e r b e n . Dies ist aber nur dort u n d dann möglich, wo ein bereits hochentwickeltes L a n d i n jedem Wirtschaftszweig genügende Kapitalien u n d Reserven aufgestapelt hat, welcher innere Reichtum dann der sozialistischen Gesellschaftsordnung über die langanhaltenden Schwierigkeiten der Übergangszeit hinweghelfen, sowie das Weiterarbeiten m i t u n d auf Grund dieser Erbschaft eventuell ermöglichen könnte. I n solchen Ländern sind jedoch der soziale Boden u n d die p o l i tischen Vorbedingungen f ü r eine sozialistische U m w ä l z u n g nicht gegeben; dies ist n u r i n denjenigen Ländern der Fall, wo durch den niedrigen Grad der wirtschaftlichen E n t w i c k lung das Niveau der Massen noch weit hinter dem Lebensu n d Kulturstandard der Massen anderer Länder zurückblieb. Da aber i n solchen Ländern keine Reserven u n d aufgestapelten Kapitalien als notwendige Erbschaft f ü r den Sozialismus vorhanden sind, ist dort der sozialistische Umsturz, m i t Aussicht auf anhaltenden Erfolg, nicht möglich. D o r t also, wo eine Erbschaft vorhanden ist, findet sich keine Geneigtheit, dort, wo die Neigung vorhanden wäre, gibt es keine Erbschaft. Dieser, den Sozialismus i n der Praxis aktionsunfähig machenden fatalen Gegensätzlichkeit könnte n u r der von den Sozialisten gepredigte Internationalismus abhelfen. D e m gegenüber besteht jedoch die Tatsache, daß i n der Praxis gerade der sozialistische Internationalismus des Proletariats am meisten versagte. Alle über die nationalen Rahmen h i n ausragenden internationalen Organisationen der Arbeiterschaft blieben fiktive Größen, u n d i h r praktischer Effekt war

42 nicht n u r i n Kriegsfällen gleich Null, sondern auch i n normalen Zeiten wesenlos. Natürlich müssen unter solchen Umständen alle auf die falschen, beziehungsweise durch die W i r k l i c h k e i t der tatsächlichen E n t w i c k l u n g desavouierten Voraussetzungen aufgebauten wirtschaftlichen Theorien, soziale Therapien, Verbesserungspläne u n d kollektiv-wirtschaftliche Zielsetzungen des Sozialismus, ebenfalls falsch u n d wirklichkeitsfremd ausfallen. Das aber, was sich i n der sozialistischen K r i t i k doch als richtig erwies, werden w i r gleich konstatieren können. Über den P u n k t des Internationalismus des Sozialismus, oder vielmehr über den S c h e i n i n t e r n a t i o n a l i s m u s des S o z i a l i s m u s , werden w i r später noch ausführlicher zu sprechen haben. A n dieser Stelle wollen w i r vorerst den Ausweg aus der Klemme suchen, i n welche w i r nun geraten sind. Denn die europäische Wirtschaftslage zeigt, unter dem heutigen kapitalistischen Wirtschaftssystem, nichts weniger als ideale Zustände. Der Sozialismus aber, der sich damit brüstet, den Fehlern dieses Systems abzuhelfen u n d es ablösen zu können, gelangt durch sein stetes Festhalten an alten Dogmen, schon i n der Diagnose notwendigerweise zu gefährlichen Trugschlüssen u n d falschen Lösungsmethoden. Diese auf die wirtschaftlichen, sozialen u n d kulturellen Übel von heute anzuwenden, würde bestenfalls zum Ergebnis f ü h ren, daß die Operation vielleicht gelingen, aber der Patient sicherlich zugrunde gehen würde. Die Mängel u n d Fehler der kapitalistischen Wirtschaftsordnung werden aber dadurch weder beseitigt noch gebessert, daß die Mittel, m i t welchen der Sozialismus gegen sie anzukämpfen u n d ihnen abzuhelfen sucht, untauglich u n d seine Ideologien und Zielsetzungen überlebt u n d abgetragen sind. Dies würde nur be-

43 sagen, daß beide, Kapitalismus wie Sozialismus, unmöglich sind. Vielleicht drängte aber gerade diese Konstellation: die U n zulänglichkeiten der kapitalistischen Wirtschaftsordnung und das Unvermögen ihrer Gegner i n der Weiterentwicklung ihrer geistigen Erbschaft auf neuen, der Zeitentwicklung angepaßten Wegen, durch neue, lebendige Forderungen einen Ausweg zu finden, zu der heutigen E n t w i c k lungsrichtung. Vielleicht wies der E n t w i c k l u n g gerade diese gefährliche Stagnation i n einer Zeit der Not neue Wege. Neue Wege, die heute noch bei weitem nicht breite, bequeme Gleise sind, auf denen der Entwicklungszug der Zeit u n gehindert i n der Richtung einer aus den heutigen Wirrnissen befreienden Z u k u n f t dahinrollen könnte; sondern erst Pfade, die aber heute schon zu Lichtungen führen, die einen fernen Ausblick i n eine geregeltere Z u k u n f t gestatten.

V.

W

enn w i r n u n die E n t w i c k l u n g des kapitalistischen Wirtschaftslebens i n den letzten Jahrzehnten, besonders dessen Werdegang i n den letzten Jahren verfolgen, u n d dessen heutige Beschaffenheit m i t der kapitalistischen W i r t schaft u m die Jahrhundertwende vergleichen, so bemerken w i r eine, zu den Grundprinzipien der kapitalistischen W i r t s c h a f t i n schroffem Gegensatz stehende Entwicklungstendenz. W i r konstatieren nämlich, daß das kapitalistische Wirtschaftsleben gerade i n seiner neuesten, sogenannten hochkapitalistischen Epoche, nach u n d nach s i c h selbst Gesetze u n d Fesseln anlegt, u n d das ungehemmte, freie Spiel der Kräfte i n eine gewisse Gesetz- u n d Planmäßigkeit zu lenken trachtet. Diese Planmäßigkeit mag vielleicht, wenn auch nicht i n ihrer freiwilligen F o r m , so doch dem Wesen nach, geradezu als eine Konzession, j a beinahe als' eine Annäherung an gewisse Bestrebungen des Sozialismus gelten. U m n u n diese scheinbar widerspruchsvolle Entwicklung richtig einschätzen zu können, m u ß vor allem an die wohlbekannte, aber nicht genügend gewürdigte Tatsache erinnert werden, daß das an u n d f ü r sich, wenn auch schnell empor-

45 geblühte, so doch eigentlich noch recht junge kapitalistische Wirtschaftssystem i n den letzten Jahrzehnten vor Aufgaben gestellt und, besonders während u n d nach dem Weltkriege, i n höchst unsanfter Weise, i n ein Entwicklungstempo gedrängt wurde, dem es weder i n technischer noch i n geistiger Hinsicht nachzukommen möglich war, u m i n jeder Beziehung zeitgemäß u n d f ü r alle Bedürfnisse mundgerecht zu bleiben. Diese Aufgaben wurden natürlich durch die vielseitigen Angriffe schwerster A r t , denen der Kapitalismus gleichzeitig ausgesetzt war, bedeutend erschwert u n d seine geistigen und physischen K r ä f t e hierdurch gehemmt u n d zersplittert. Diesen überspannten u n d vielfältigen Anforderungen konnte das von allen möglichen Seiten bedrängte kapitalistische Wirtschaftssystem natürlich nicht ohne Z u hilfenahme von Behelfen gerecht werden, die, i n so bewegten Zeiten entstanden, i n einer späteren, auch n u r verhältnismäßig ruhigeren Wirtschaftsepoche, eine Revision, zum Teil Korrekturen, zum Teil systematischen Ausbau oder sukzessiven Abbau erfordern. Als wichtigster dieser Behelfe sind diejenigen Organisationen (Kartelle) anzusehen, die — schon vor dem Weltkriege embryonal vorhanden — zu dieser Zeit der größten Kräfteanspannung, als deren bessere Ökonomie ermöglichend u n d erleichternd, natürlich rapid ausgebaut wurden. F ü r die weitere E n t w i c k l u n g aber noch wichtiger als selbst die Schaffung u n d Übernahme dieser bewährten Organisationen, war eine e r k e n n t n i s k r i t i s c h e E r r u n g e n s c h a f t dieses letzten Jahrzehntes der großen Kräfteanspannung, welche sich der kapitalistischen W e l t geradezu aufdrängte. Es wurde nämlich klar, daß der K a p i talismus virulente Todeskeime i n sich trägt, wenn er den, oft ruinösen Konkurrenzkämpfen des ungehemmten, hundertprozentigen Unternehmerkapitalismus — welche allzuoft auch zu allgemeinen sozialen u n d wirtschaftlichen

46 Katastrophen zu führen drohten — , nicht selbst abhelfen, der durch sie bedingten ungeheuren Kräftevergeudung nicht von innen heraus, aus eigener K r a f t beikommen kann. Es traten also diejenigen Gefahren u n d Fehler des kapitalistischen Wirtschaftssystems auch dessen eigenen Führern offen zutage, welche Marx nicht n u r unheimlich f r ü h vorhersagte, sondern auch richtig erkannte u n d denen gegenüber die sozialistische K r i t i k am Kapitalismus auch heute noch stichhaltig blieb. Die verheerenden Konjunkturschwankungen nämlich, bedingt durch die freie, allzu freie Konkurrenz u n d deren i m m e r schärfer werdende Kämpfe, die auf dem Rücken der großen Massen ausgefochten wurden, mußten über kurz oder lang f ü r die Allgemeinheit ebenso, wie f ü r die Wirtschaftskapitäne des Kapitalismus selber, zu schier unmöglichen wirtschaftlichen u n d unerträglichen sozialen Zuständen führen. Die akute Gefahr des Vordringens und Überhandnehmens des Staatssozialismus, der bestrebt war, das kapitalistische System abzulösen, u n d der die großen Massen zu erlösen verhieß, war hierdurch i n den Vorderg r u n d gerückt, obwohl es i h m i n der Tat an jeglicher K r a f t u n d Eignung fehlte. N u n war somit f ü r die kapitalistischen Wirtschaftsführer als dringendste Aufgabe die Lösung der verfänglichen Frage gegeben: wie, dem Marxschen Gedankengang selbst folgend, wenn i h n auch nicht befolgend, die Entwicklung des Kapitalismus i n Bahnen zu lenken, wo diese Todeskeime aus dem kapitalistischen Wirtschaftskörper ausgemerzt werden könnten, o h n e j e d o c h , d e n L e b e n s n e r v des K a p i t a l i s m u s s e l b s t , das P r i n z i p des a b s o l u t e n P r i v a t e i g e n t u m s , t ö d l i c h z u t r e f f e n , u n d o h n e den G r u n d p f e i l e r des K a p i t a l i s m u s , d i e i n d i v i d u e l l e U n t e r n e h m e r i n i t i a t i v e a n z u g r e i f e n u n d i n die Fangarme des Staatssozialismus zu treiben.

47 Infolge dieser richtigen Erkenntnis der ungeheuren sozialen und wirtschaftlichen Gefahren, welche der vollständig auf seine unverwässerten Prinzipien eingestellte Kapitalismus i n seiner Hochentwicklung involviert, wurde innerhalb der kapitalistischen W i r t s c h a f t rechtzeitig eine bestimmte Schwenkung nach links vollzogen. Eigentümlicherweise wurde jedoch diese, sozusagen Linksorientierung des Kapitalismus vielfach als eine noch schärfere Zuspitzung, j a Hypertrophie des kapitalistischen Wirtschaftssystems verkannt. Diese Verkennung der wahren Sachlage ist zum Teil darauf zurückzuführen, daß dieser Umschwung äußerlich i n der F o r m von nationalen u n d internationalen Kartellen und kartellähnlichen Gebilden i n Erscheinung trat. W e n n w i r aber nunmehr auf G r u n d des Obengesagten, die sich nach u n d nach aus den anfangs spärlichen nationalen Z u sammenschlüssen herausbildenden internationalen Kartelle, unter diesem Gesichtspunkt, als eine Ü b er b r ü c k u n g , K o m p r o m i ß b i l d u n g zwischen planlosem, beziehungsweise i n seiner F r e i h e i t völlig ungehemmtem Hochkapitalismus u n d einer gebundenen sozialistis c h e n P l a n w i r t s c h a f t betrachten, so sehen w i r , daß sich hinter dem i m m e r dichter werdenden Kartellnetz eine ganz neue Etappe des Wirtschaftslebens der modernen Völker vorbereitet. Diese E n t w i c k l u n g bedeutet nämlich i m Endresultat das Aufhören des ewigen Wirtschaftskrieges aller gegen alle, die Einschränkung des k o n j u n k t u r e l l e n Elements i m Wirtschaftsleben auf das unvermeidliche Mindestmaß, wodurch sowohl Produzenten, als auch Konsumenten von den verheerenden Folgen der großen Krisen, sowie von den beinahe gleich schädlichen Folgeerscheinungen derselben, den wilden K o n j u n k t u r e n u n d den ihnen folgenden Depressionen, verschont werden. Dieses sich neu herauskristallisierende Wirtschaftssystem ist natürlich heute noch weit

48 von seiner sowohl geistigen, als auch technischen Durchf ü h r u n g , geschweige denn Vollendung entfernt. Aber es kann u n d w i r d durch einen systematischen Ausbau zu einem neuartigen Wirtschaftsphänomen werden, welches, als eine k a p i t a l i s t i s c h e P l a n w i r t s c h a f t , die Lösung vieler nationaler u n d internationaler, j a selbst kontinentaler P r o bleme wirtschaftlicher, sozialer u n d auch politischer Natur herbeiführen w i r d können, die a u f einem anderen Wege k a u m lösbar wären. Diese, dem Wesen nach allgemein noch nicht erkannte, neue Wirtschaftsentwicklung f ü h r t zum guten Teil eben zufolge dieses Nicht-Erkennens beziehungsweise Verkennens, vielfach zu Mißverständnissen. U m diese nicht eventuell noch zu vermehren, wollen w i r gleich hier darauf hinweisen, daß die kapitalistische Planwirtschaft — also kollektivistischer Individualismus oder individualistischer Kollektivismus? — trotz dieser scheinbaren Gegensätzlichkeit auf den ersten B l i c k , als u n d weil als Überbrückung zwischen Kapitalismus u n d Sozialismus, also als K o m p r o m i ß zwischen Individualismus u n d Kollektivismus entstanden u n d zu verstehen, k e i n e contradictio i n adjecto ist. Es ist vielmehr eine, i n ihrer Planmäßigkeit k o l l e k t i v e u n d i n ihrer, doch auch gleichzeitig bewahrten kapitalistischen Freiheit u n d Charakter i n d i v i d u a l i s t i s c h e Wirtschaftsverfassung, m i t welcher w i r uns i m folgenden — wie ich hoffe, leicht — näher befreunden, u n d deren jetzt vielleicht noch als widerspruchsvoll empfundene Fremdartigkeit, als eine folgerichtige Selbstverständlichkeit der — gar nicht so fernen Z u k u n f t betrachten werden. D i e Mißverständnisse u n d das Mißtrauen, denen w i r heute noch dieser neuen E n t w i c k l u n g beziehungsweise deren äußerlicher F o r m , der Kartellwirtschaft gegenüber oft begegnen, sind w o h l auch darauf zurückzuführen, daß das heu-

49 tige Kartellwesen vielfach m i t den von den Kriegs- u n d V o r kriegszeiten her bekannten Kartell- u n d Monopolgebilden identifiziert beziehungsweise verwechselt w i r d . Diese Identifizierung ist jedoch vollständig falsch, da die h e u t i g e n K a r telle v o n diesen i h r e n V o r g ä n g e r n g r u n d v e r s c h i e d e n sind. Allerdings m u ß i n dieser Beziehung objektiv konstatiert werden, daß an diesem Mißverständnis u n d auch an der von gewissen Kreisen gehegten M i ß s t i m m u n g gegen die Kartelle, die derzeitige P o l i t i k mancher Kartellgebilde m i t die Schuld trägt. Denn trotz der unverkennbar andersgearteten Tendenzen u n d Entwicklungslinien des modernen Kartellwesens begegnen w i r heute noch allzu o f t Rückfällen i n die alte Mentalität der Vorkriegskartelle, also Versuchen z u m Mißbrauch des den Kartellen innewohnenden Monopolcharakters. W i e aber dies noch an späteren Stellen ausführlich nachzuweisen sein w i r d , sind diese Kartellmißbräuche bloß Zeichen dessen, Idaß w i r uns i n einem Übergangsstadium befinden, u n d diese Übelstände werden i n einer vollständig ausgebauten Kartellwirtschaft nicht n u r aufhören, sondern einfach unmöglich sein. Denn dem Grundcharakter der heutigen Kartelle liegt die frühere, sozusagen o f f e n s i v e T e n d e n z absolut fern. Sie gehen i n ihrer Mehrzahl heute schon nicht mehr auf E r reichung höchstmöglicher Preise aus. Nicht dies ist die Grundtriebkraft ihres Werdens u n d Handelns. Sie bezwecken vielmehr, neben der Fixierung des Gewinnes respektive Sicherung der eigenen Rentabilität, den Konsum möglichst zu steigern. Dies w i r d erreicht, indem, durch Ausschaltung der ungesunden, übertriebenen Konkurrenz, e i n s t a b i l e s W i r t s c h a f t s f u n d a m e n t geschaffen w i r d , welches das f ü r alle u n d jede schädliche A u f u n d Nieder von K o n j u n k t u r e n eindämmt, also der starken, unberechenbaren F l u k t u a t i o n der Preise wie auch des Konsums steuert u n d somit der steten F l e i s s i g , Planeuropa.

4

50 Unsicherheit u n d Schwankung der industriellen Kapazitätsausnutzung ein Ende macht, wodurch auch dem Mangel an einer realen, gleichmäßigen Kalkulationsbasis abgeholfen w i r d u n d schließlich die große Variabilität der Zahl der j e weils Beschäftigung findenden Arbeiter u n d Angestellten aufhört. A u f einer derartigen ruhigeren Basis w i r d dann der weitere eigentliche Zweck der modernen Kartellwirtschaft erarbeitet, nämlich die durchgreifende Rationalisierung, Verb i l l i g u n g der P r o d u k t i o n u n d die durch den so entstandenen Mehrgewinn ermöglichte Preissenkung, die wiederum die Steigerung des Konsums, des Absatzes bewirkt, — also letzten Endes auch die Erhöhung der Produktion. Es ist aber selbstverständlich, daß die zu solchen Rationalisierungsarbeiten notwendigen technischen Neuerungen, E r weiterungen usw. eine beinahe fortlaufende, kostspielige I n vestitionstätigkeit der Industrien erfordern, welche ohne eine stabile Wirtschaftsgrundlage nicht möglich, oder aber viel-zu riskant wäre. Aber selbst von den Rationalisierungs- u n d Erweiterungsarbeiten abgesehen, sind die Industrien heute auch ohne dies g e z w u n g e n , Investitionen vorzunehmen, da die ungeheure E n t w i c k l u n g der modernen Technik die Modernisierung u n d Anpassung der Betriebe an diese i m m e r neuen Erfordernisse der Zeit, unumgänglich notwendig macht, zum a l die Konkurrenzfähigkeit der Qualität wie des Preises der Produkte ansonsten eingebüßt w i r d . Dies aber ist heute mehr denn j e m i t dem Untergang des betreffenden Unternehmens gleichbedeutend. Die technischen Errungenschaften der Neuzeit, die fortwährende, ununterbrochene Weiterentwicklung auf diesem Gebiete, diktieren heute den Industrien ein scharfes Tempo. Hierbei nicht m i t t u n , also ein Zurückhalten-Wollen, ist unmöglich, da es i n dieser Beziehung nur eine Vorwärts- oder Rückwärtsbewegung, aber kein Stehenbleiben gibt. E i n Stehenbleiben bedeutet nämlich

51 bereits Stagnation, u n d Stagnation f ü h r t unabwendbar zur Rückentwicklung. Dabei müssen derartige Investitionen auch noch i n kurzer Zeit amortisiert werden, da die neuen Einrichtungen o f t , noch lange vor A b l a u f ihrer Lebensdauer, i n noch tadellosem Zustande, durch neue, modernere, ersetzt werden müssen. Daß eine solche Entwicklung an die Industrien, auch i n materieller Hinsicht große Anforderungen stellt, ist klar, u n d ebenso wie die Rationalisierungsinvestitionen ohne eine stabilere Wirtschaftsgrundlage k a u m möglich sind, e r f o r dern auch diese, noch imperativer notwendigen Investitionen ebenfalls ihre Ermöglichung durch ein dem heutigen an Stabilität weit überlegenes fixes Wirtschaftsfundament. D e r h e u t i g e n W i r t s c h a f t diese s t a b i l e r e G r u n d l a g e z u g e b e n , i s t d i e K a r t e l l w i r t s c h a f t b e r u f e n . D i e starke Investitionstätigkeit, welche sodann auf der durch die K a r tellwirtschaft gebotenen ausgeglicheneren Wirtschaftsgrundlage ermöglicht w i r d , erhöht aber nicht n u r das technische u n d wirtschaftliche Niveau u n d die allgemeine Stärke der betreffenden Länder, sondern dient gleichzeitig auch als Garantie dafür, daß die zu i m m e r festgefügteren P r o d u k tionseinheiten werdenden Kartelle eine mäßige Preispolitik zu betreiben g e z w u n g e n werden. Denn die hohen Investitionen der Rationalisierungs-, Modernisierungs- u n d E r weiterungsarbeiten u n d deren erhöhte Risken zwingen die Industrien i m m e r mehr, i h r Hauptaugenmerk auf die möglichst steigende, zumindest aber gleichmäßig bleibende Beschäftigung ihrer Betriebe u n d möglichst volle Ausnützung ihrer Kapazität zu richten. Dies ist natürlich m i t einer Pol i t i k der hohen Preise nicht zu vereinbaren, da diese dem vitaleren Interesse der Erhaltung u n d Ausbreitung des A b satzes, also der besten Ausnützung der Produktionskapazität, 4*

52 zuwiderlaufen würde, da j a hohe Preise konsumdrosselnd w i r k e n u n d ein Konsumrückgang die Ausnützung der Kapazität der Betriebe hindert. D i e hohen fixen Kosten der modernen Industriebetriebe, insbesondere die hohen A m o r tisations- u n d Zinsenlasten der Investitionen verteuern aber, auf eine kleinere P r o d u k t i o n verteilt, die Gestehungskosten der Produkte i n so unverhältnismäßig hohem Maße, daß dies, i n der Regel durch noch so hohe Preise nicht wettgemacht werden kann. Eine mäßige Preispolitik, j a womögliche Senkung der Preise ist demnach das i m Vordergrund stehende Interesse der Industrien, da n u r diese die Erhaltung u n d Ausbreitung des Absatzes, also die notwendige bestmögliche, ständige Ausnützung der Produktionskapazität u n d Amortisierung der fortlaufend hohen Investitionen ermöglicht. Es darf auch nicht außer acht gelassen werden, daß es sich bei der heutigen Wirtschaftsentwicklung zwar u m ein neues, planmäßiges u n d i m m e r planmäßiger werdendes Wirtschaftssystem handelt, aber auf k a p i t a l i s t i s c h e r G r u n d l a g e u n d die Ausschaltung der Konkurrenz, also e i n e k o n k u r r e n z f r e i e kapitalistische Wirts c h a f t u n m ö g l i c h u n d selbst bei noch so festgefügtem Kartellnetz, einfach eine contradictio i n adjecto ist. W i r wollen i n diesem Zusammenhange, ohne diese Binsenwahrheit überflüssigerweise noch durch Beweise zu bekräftigen, n u r ein einziges eklatantes Beispiel anführen, nämlich eine gerade durch die Kartellwirtschaft sich sogar verschärfende, wenn auch gesunde Konkurrenzart. Das ist die Konkurrenz der nicht gleichbranchigen, einander i n ihrer Produktion fremden Industriezweige, deren Erzeugnisse jedoch geeignet sind, einander beim Konsumenten teilweise zu ersetzen, beziehungsweise bis zu einem gewissen Grad zu verdrängen. W i r denken da z u m Beispiel an Motorrad u n d Kleinauto,

53 Leder und G u m m i , Kunstseide, Baumwolle u n d Leinen, Glas-, Tonwaren u n d Porzellan, K u p f e r u n d A l u m i n i u m , Gas, Kohle, Elektrizität, Portland- u n d Bauxitzement usw. Diese i n d i r e k t e K o n k u r r e n z , die jedoch m i t der weiteren Konkurrenz ausdrücklicher Ersatzprodukte natürlich nichts zu tun hat, besteht bei unzähligen Warengattungen aller A r t u n d verschiedensten Ursprungs. Diese w e c h s e l w i r k e n d e , i n d i r e k t e K o n k u r r e n z ist n u n i n einer kartellierten W i r t schaft i m m e r intensiver, als i n einer kartellfreien W i r t schaft, weil der durch Kartellvereinbarungen innerhalb der eigenen Branche eingedämmte kapitalistische Konkurrenztrieb i n dieser Richtung neue Möglichkeiten u n d Betätigung sucht und findet u n d hierdurch gegenseitig, wechselwirkend auch preisregulierend w i r k t . Diese Fragen, insbesondere aber die Frage der Preisentwicklung, sowie die Lage der Konsumenten i m allgemeinen innerhalb einer kartellierten W i r t s c h a f t , also eines Plankapitalismus, beherrscht das Interesse der breitesten Öffentlichkeit ebenso dominierend, wie sie bedauerlicherweise zumeist absolut falsch beurteilt w i r d . Die Beseitigung der i n dieser Hinsicht herrschenden Mißverständnisse, die richtige Beurteilung der meist durch das heutige Übergangsstadium verursachten, verwirrenden äußerlichen Gegensätzlichkeiten, denen w i r i m Wirtschaftsleben auch i n diesen Fragen oft begegnen, sind von ausschlaggebender W i c h t i g k e i t , da nur sie zur klaren u n d objektiven Erkenntnis aller diesbezüglichen Momente durch alle Schichten der Öffentlichkeit verhelfen kann, deren es zur Ausgestaltung der hier behandelten gesunden Zukunftsmöglichkeiten bedarf. Aus diesem Grunde wollen w i r nun, v o m rein wirtschaftlichen Standpunkt, eingehend untersuchen, wie sich die Dinge bezüglich der Preisfrage u n d des allgemeinen Preisniveaus innerhalb eines Plankapitalismus gestalten u n d insbeson-

54 dere, ob u n d inwiefern die vielfach als gefährdet erachtete Lage der Konsumenten, tatsächlich nachteilig beeinflußt w i r d . W i r müssen uns aber hierbei vorerst kurz auch m i t dem P r o b l e m : Preis u n d Preisbildung, i m Prinzip des Näheren befassen, denn der Preis ist j a der selbsttätig-promptest wirkende Ausgleichsfaktor auf dem W e l t m a r k t u n d beeinflußt er u n d seine Schwankungen den gesamten Organisationsapparat der Weltwirtschaft. Die Macht, welche dem freien Waltenlassen dieser natürlich-automatischen Regulat i v k r a f t innewohnt, unterliegt aber den verschiedensten Landesgrenzen u n d „Staatsraison" bedingten künstlichen Einschränkungen. D i e Notwendigkeit dessen, daß eine Regulierung u n d Beeinflussung dieses so einschneidend wichtigen Komponenten i n der Gestaltung des Wirtschaftslebens erfolgen m u ß , ist also kein N o v u m u n d kann vielmehr als eine alte Erfahrungstatsache betrachtet werden. W e n n nun die Beeinflussung dieses natürlichen Ausgleichsfaktors, des Preises, an Stelle der bisherigen künstlichen Mittel, m i t Hilfe anderer, ebenso natürlicher Wirtschaftskräfte wie es der Preis selbst darstellt, erreicht werden kann — also an Stelle von Zöllen, E i n - u n d Ausfuhrverboten, Exportprämien aller A r t usw., durch eine von den Wirtschaftskräften selbst geschaffene Gesetzmäßigkeit sowie Planmäßigkeit der allgemeinen Arbeitsleistung, Arbeitsteilung u n d -einteilung — , so ist dieser letztere natürliche W e g unbedingt der, sowohl wirtschaftlich, als auch sozial bessere u n d gerechtere. Diese natürliche Beeinflussung liegt, wie w i r wissen, i n erster Reihe i n der Organisierung u n d Rationalisierung der freien Produktions-, Yerteilungs- u n d Verwertungstätigkeit der W i r t s c h a f t ; i n der planmäßigen Verfolgung u n d Ausgestalt u n g der gegebenen Wirtschaftstendenzen gegeben. Hieraus folgt n u n zwangsläufig, daß, wenn die Frage: Preisgestaltung u n d Kartellwirtschaft, behandelt w i r d , die

55 Preisgestaltung i n einer kartellierten Planwirtschaft nicht dem Preis als eine freiwirkende Wirtschaftskraft entgegengestellt u n d Vergleiche nicht auf dieser de facto nicht existierenden Basis gezogen werden können. Solche Vergleiche und die daraus zu folgernde K r i t i k darf — die theoretischen Grundlagen der Preisentwicklungsgesetze natürlich vor Augen gehalten — n u r unter Berücksichtigung der obenerwähnten Tatsächlichkeiten hinsichtlich der auch ohne Kartellwirtschaft bestehenden Unfreiheit u n d (künstlicher) Beeinflußtheit des Preises, angestellt werden. Diese Überlegung f ü h r t also zum Resultat, daß w i r nicht zwischen freiem und planmäßig reguliertem Marktpreis zu wählen haben, sondern bloß zwischen dem bisherigen System künstlicher, direkter B e e i n f l u s s u n g des P r e i s e s s e l b s t u n d der natürlichen indirekten R e g u l i e r u n g d e r P r e i s g e s t a l t u n g . Der Unterschied ist auch rein markttechnisch — u n d auch abgesehen von der i n der künstlichen u n d natürlichen Eigenart liegenden Divergenz der beiden Varianten — eine sehr wesentliche. I m ersteren Falle w i r d d e r P r e i s s e l b s t b e e i n f l u ß t , quasi von außenher reguliert, u n d da die Preisgestaltung auf den gesamten Wirtschaftsmechanismus z u r ü c k w i r k t , bedeutet dies die indirekte Regulierung — via (künstliche) Beeinflussung — des gesamten Wirtschaftslebens. I m letzteren Falle dagegen w i r d nicht der Preis, sondern d i e P r e i s g e s t a l t u n g b e e i n f l u ß t , das heißt, erst die planmäßige Regulierung u n d selbsttätige Umstellung i n dem Mechanismus der W i r t s c h a f t w i r k t indirekt auf die G e s t a l t u n g des Preises zurück. Also ein gerade umgekehrter Weg, der dem anderen nicht n u r wegen der Natürlichkeit seiner Mittel, sondern auch deswegen vorzuziehen ist, w e i l sich dabei auch das Endeffekt, die Beeinflussung des Marktpreises, als eine natürliche Folge eines natürlichen Wirtschaftsprozesses ergibt. Dies bedeutet aber f ü r das

56 praktische Wirtschaftsleben folgendes. Jede direkte Beeinflussung des Preises selbst, ist, f ü r den empfindlichen und weitverzweigten Mechanismus der Wirtschaft, eine zu grobe Maßnahme, die demzufolge auf vielen Gebieten nachteilige Folgen zeitigen m u ß . Dies w i r d noch dadurch verschärft, daß die einsetzenden Rückwirkungen auf die Wirtschaft gar nicht recht abzuwägen u n d vorauszusehen sind. Die indirekte Beeinflussung der Preisgestaltung durch die Wirtschaft trägt dagegen den Stempel der Planmäßigkeit an sich und ist daher von vornherein m i t den zu erwartenden R ü c k w i r k u n gen a u f die Preisgestaltung i m klaren. Die sonstigen Vorteile dieses m i t der plankapitalistischen E n t w i c k l u n g organisch verbundenen „ i n d i r e k t e n " Systems, die auf den übrigen Gebieten liegen, wurden beziehungsweise werden noch erörtert; wie aber verhält sich nun die Sache, den Standpunkt u n d die Interessen der Konsumenten i n den V o r d e r g r u n d gestellt. Daß bei dieser Untersuchung die absolute Höhe des Preisniveaus von sekundärer Bedeutung ist, ist k l a r ; denn w i c h t i g ist vor allem, ob etwa die G l e i c h m ä ß i g k e i t d e r P r e i s g e s t a l t u n g , also die beiläufig einheitliche Bewegung des allgemeinen Preisniveaus, nicht gestört w i r d . Die Möglichkeit, daß der Monopolcharakter innerhalb einer durchkartellierten, ausgebauten kapitalistischen Planwirtschaft von den Produzenten, insbesondere hinsichtlich ihrer Preisforderungen ausgenützt beziehungsweise mißbraucht w i r d , erscheint bekanntlich vielen als das größte Gefahrmoment der Kartellwirtschaft f ü r die Konsumenten, u n d unsere jetzige nähere Untersuchung w i r d auch diesen E i n w a n d beziehungsweise diese Befürchtung der Kartellwirtschaft gegenüber als haltlos zu erweisen haben. W e n n w i r bedenken, daß auch gegen den Plankapitalismus der gleiche V o r w u r f erhoben w i r d , welcher vielfach

57 schon gegen dessen heutigen Vorboten, die sich jetzt herauskristallisierende Kartellwirtschaft geltend gemacht w i r d , daß nämlich diese E n t w i c k l u n g einer Ausbeutung der Konsumenten gleichkommt, so erinnert uns dies lebhaft an die seinerzeit gegen die E i n f ü h r u n g der maschinellen P r o d u k tionsweise lautgewordenen Angriffe u n d Katastrophenprophezeiungen. Auch damals wurde die Verdrängung menschlicher Arbeitskräfte, also Vernichtung von Lebensunterhaltsmöglichkeiten großer Menschenmassen durch die tote Materie, als i n sozialer u n d wirtschaftlicher Hinsicht unheilbringend verkündet, — die inzwischen erfolgte Entwicklung bewies dann bekanntlich eindeutig genug, wie i r r tümlich diese i n der absoluten Verkennung der Dinge w u r zelnde, nicht n u r überholte, sondern heute bereits beinahe vergessene, feindselige Einstellung war. W e n n man die heutige, ebenso grundlegende U m w ä l z u n g der W i r t s c h a f t , die kartellmäßige E n t w i c k l u n g zum Plankapitalismus, als die Konsumenteninteressen schädigend angreift und bek ä m p f t , so müssen w i r vor allem darauf hinweisen, daß nach einiger Zeit gesunder plankapitalistischer Entwicklung, diese Einwendungen u n d Angriffe ebenso überholt u n d der Vergangenheit verfallen sein werden, wie die seinerzeitigen scharfen Angriffe gegen den siegreichen Einzug der Maschinentechnik i n die moderne W i r t s c h a f t ; ohne welchen Fortschritt die E n t w i c k l u n g der neuzeitigen W i r t s c h a f t u n d die heute bestehende Wirtschaftsverfassung ebensowenig denkbar ist, wie das kommende Wirtschaftsleben es ohne die, sich i n dem heute noch vielfach bekämpften Kartellsystem dokumentierende, neue Planmäßigkeit sein w i r d . Aber auch die gesunde u n d logische Überlegung f ü h r t zu dieser Schlußfolgerung. Denn, eine Gefahr des Kartellwesens f ü r die Konsumentenschichten besteht, i n gewissem Maße, nur so lange, als Kartelle bloß sporadisch, system- u n d plan-

58 los entstehen u n d ihre Tätigkeit entfalten. Denn diese vereinzelten Interessenzusammenschlüsse konnten, unorganisierten Gegenkontrahenten gegenüberstehend, ihre Vorzugsstellung, das heißt ihre, i n der eigenen Einheitlichkeit liegende Stärke, gegen die i n der Uneinheitlichkeit der anderen liegende Schwäche eventuell mißbrauchen u n d übertriebene Preisforderungen stellend, übermäßige Gewinne zu Lasten der Allgemeinheit anstreben. Auch diesen etwaigen unerwünschten Bestrebungen sind jedoch, selbst i n einer unfertigen, noch nicht voll ausgebauten Kartellwirtschaft, natürliche Grenzen u n d stark mäßigend wirkende Regulativen gesetzt, wie w i r dies bereits weiter oben erörtert haben. I n einer ausgebauten Kartellwirtschaft auf plankapitalistischer Grundlage jedoch, wo d i e ganze W i r t s c h a f t g l e i c h m ä ß i g d u r c h o r g a n i s i e r t erscheint, wo daher die einander i m Wirtschaftsleben u n d deren Einzelakten des geschäftlichen Lebens gegenüberstehenden Parteien gleich organisiert und einheitlich zusammengeschlossen sind, fällt die Möglichkeit der Ausnützung infolge ihrer Desorganisiertheit schwacher Gruppen durch andere, deren Stärke i n ihrer Organisiertheit wurzelt, von selber weg, u n d zwar nicht bloß aus dem Grunde der gegenseitigen Ausgleichung der Organisiertheit bedingten Kräfteverhältnisse, sondern auch aus dem f o l genden: Bis auf einen verhältnismäßig kleinen Kreis von Menschen, die an der allgemeinen Produktionstätigkeit beziehungsweise an der materiellen Produktion selber nicht direkt u n d aktiv teilnehmen, wie zum Beispiel die Träger des geistigen Lebens, Künstler, Lehrkräfte, Wissenschaftler u n d auch die i n den Staats- u n d Städteverwaltungen beschäftigte Beamtenschaft u n d sonstige administrative Kräfte usw., die also produktionstechnisch als N u r k o n s u m e n t e n gelten können, sind die übrigen Teile der Bevölkerung zum T e i l Produzenten u n d zum T e i l gleichzeitig auch Konsu-

59 menten. W i r d also von seiten einer einzelnen Produktionsschicht oder Gruppe der Versuch gemacht, die Interessen der Allgemeinheit zu schädigen, indem zum Beispiel irgendein Produktionszweig f ü r seine Produkte übermäßig hohe Preise fordert, so werden die, i n ihrer Eigenschaft als K o n sumenten hierdurch geschädigten weiteren Schichten die Kompensation h i e r f ü r auf der anderen Seite, i n ihrer Eigenschaft als Produzenten, suchen. U n d da sie, wie die ganze Wirtschaft, ebenfalls planmäßig u n d frei-einheitlich organisiert (kartelliert) sind, werden sie hierzu natürlich auch i n der Lage sein. Da n u n demzufolge eine allgemeine E r höhung des Preisniveaus eintritt, erreicht die anfängliche Einzelpreiserhöhung nicht ihren Zweck, da die Mehreinnahmen aus dem Mehrerlös bei der Verwertung, durch die, zufolge der hierdurch hervorgerufenen allgemeinen Teuerung bedingten Mehrausgaben bei der Produktion, so gut wie ausgeglichen werden. Eine geeignete Parallele h i e r f ü r sind die Erfahrungen hinsichtlich der Lohnforderungen der Arbeiterschaft i m Laufe der gewerkschaftlichen Bewegung. A m Anfang der gewerkschaftlichen Bewegung der Arbeiterschaft versuchte diese, mittels ihrer durch die neue Organisiertheit erzielten K r a f t - u n d Machtfülle, o f t übertriebene Lohnforderungen durchzusetzen. Diese Übertreibungen beschleunigten jedoch zum Teil die Gegenorganisierung der Arbeitgeber, u n d z u m Teil wurde, was noch wesentlicher ist, diese A r t gewerkschaftlicher Mißbräuche von selber i m m e r seltener, da die forcierte Erhöhung der Löhne sich i n der Verteuerung der Preise der hergestellten Produkte auswirkte, i n d e m die Unternehmer ihre Mehrausgaben infolge überspannter Lohnforderungen, natürlich auf die Konsumenten, also auf die übrigen Produzenten überwälzen mußten. ( D i e Fälle, w o diese Überwälzung nicht möglich ist u n d die Industrien hierdurch

ihrer Rentabilitätsbasis beraubt, zur Betriebsreduktion oder Einstellung gezwungen werden, treffen die Arbeiterschaft natürlich noch schwerer, gehören jedoch nicht i n unseren jetzigen Betrachtungskreis.) D i e Arbeiterschaft merkte daher bald, daß die Erhöhung ihres Nominallohnes, nicht die Erhöhung ihres Reallohnes bedeutete, das heißt, daß sie m i t dem erhöhten E i n k o m m e n nicht oder kaum mehr kaufen konnten, als k r a f t ihrer früheren niedrigeren Löhne. Ebenso nun, wie die organisierte Arbeiterschaft als Produzentenschicht höhere Löhne erkämpfen kann, sobald aber diese über ein gewisses berechtigtes Maß hinausgehen, dieses Mehreinkommen i n ihrer Eigenschaft als Konsumentin wieder einbüßt, so m u ß auch der Unternehmer einen, als organisierter Produzent eventuell erzielten übertriebenen Gewinn an seinen Erzeugnissen, als Konsument ( u n d zwar als Konsument sowohl von Gebrauchsartikeln, als auch von Produktionsmitteln, wie Roh- u n d Hilfsstoffen usw.) wieder hergeben. Diese zum T e i l auch heute bestehende i n n e r e A u s g l e i c h s k r a f t der W i r t s c h a f t würde innerhalb eines Plankapitalismus weit mehr als heute u n d i n viel stärkerem Ausmaße regulativ w i r k e n d i n Erscheinung treten, da die i m allgemeinen an u n d f ü r sich schon ungleich gestellten u n d verteilten Wirtschaftskräfte, nicht noch durch die begünstigte Lage e i n z e l n e r Kartelle oder Trusts verschärft würden. Innerhalb eines Plankapitalismus f ü h r t also ein System, dem der kommunizierenden Gefäße ähnelnd, die Ausgleichung starker Preisschwankungen zu ungunsten einzelner Wirtschaftsgruppen, selbsttätig herbei. Eine solche nivellierende K r a f t kann doch keine konsumentenfeindlichen Auswirkungen haben, u m so weniger, als sie j a , vereint m i t den bereits bekannten Tendenzen des Plankapitalismus, Preissenkungen zwecks Konsumsteigerung hervorzurufen, die Schädigung der Gesamtheit durch über-

triebene Preispolitik einzelner Wirtschaftsgruppen, dem Wesen nach so gut wie ausschaltet. W e n n w i r uns daher von einigen, wenn auch natürlich u n erwünschten, so doch bloß übergangsweisen Auswüchsen und Mißgriffen der heutigen jungen, unfertigen kartellmäßigen Wirtschaftsentwicklung, nicht irreleiten lassen (was jedoch bedauerlicherweise sehr viele t u n ) , so sind die oben dargelegten, wahren, gesunden Tendenzen dieser E n t w i c k l u n g nicht zu verkennen. Das Hauptaugenmerk einer plankapitalistischen Preispolitik w i r d aber dem R e a l p r e i s zugewendet sein; denn noch so hohe N o m i n a l p r e i s e erweisen sich i n einer plankapitalistischen W i r t s c h a f t sehr bald als bloß solche, das heißt als nutzlos, j a schädlich, eben zufolge der allgemeinen, gleicherweise planmäßigen Organisiertheit, also Abwehrfähigkeit aller Wirtschaftszweige u n d Produktionsgruppen, gegen ungerechtfertigte Preisforderungen einzelner. Selbstredend w i r d auch dann der Unterschied bestehen bleiben, daß z u m täglichen Lebensunterhalt nicht unumgänglich nötige Produkte u n d L u x u s waren, i n ihrer Preisentwicklung, primären Bedarfsartikeln nicht gleichgestellt sind. Diese Unterschiede werden jedoch, als i m Wesen des Aufbaues jeder menschlichen Gesellschaft liegende, auch i n einem Plankapitalismus, durch die Gesetze des Grenznutzens ihre natürliche Regelung erfahren. Daß überdies auch noch das Mittel der K o n s u m e n t e n k a r t e l l e , also der Interessenzusammenschlüsse der K o n sumenten als solcher, gegen etwaige Übertreibungen der P r o duktionskartelle gegeben ist, erscheint eigentlich n u r mehr v o m Standpunkte jener, bereits erwähnten Schichten der Nurkonsumenten wesentlich, da die übrigen weit größeren Massen der Konsument-Produzenten oder Produzent-Konsumenten, wie w i r gesehen haben, darauf gar nicht angewiesen sein werden. Aber auch das E i n k o m m e n — w o r a u f

62 es j a diesbezüglich schließlich ankommt — der Nurkonsumentenschichten m u ß sich innerhalb einer plankapitalistischen W i r t s c h a f t dem allgemeinen Preisniveau j e w e i l i g besser anpassen lassen als heute, u m so mehr, als auf der höheren Entwicklungsstufe eines Plankapitalismus, u n d wie w i r es i n der späteren Folge noch sehen werden, eines Planeuropa, diese Kräfte u n d W e r t e der Gesellschaft geistig höher eingeschätzt u n d auch materiell besser entlohnt werden können. Selbst die Position der heute eine besondere Vorzugsstell u n g genießenden, sogenannten S c h l ü s s e l i n d u s t r i e n , ist, v o m Standpunkt eines eventuellen Mißbrauchs ihrer W i r t schaftsmacht, f ü r die Gesamtheit innerhalb eines Plankapitalismus weit weniger gefährlich; denn ihre ebenfalls kartellierten, festgefügt organisierten Abnehmer, die weiterverarbeitenden Industrien, werden auch gegenüber der V o r machtstellung einer Schlüsselindustrie, einen weit stärkeren Gegner darstellen, als es die bisherigen einzelnen, bloß auf sich gestellten Einheiten waren. D i e geschlossen auftretende weiterverarbeitende Industrie w i r d also als Abnehmerin, selbst i m Falle eines versuchten Mißbrauches seitens einer Schlüsselindustrie, die eigenen Interessen sicherlich erfolgreich wahren können. Als ein der Praxis des täglichen Geschäftslebens entnommener Beweis f ü r die praktische Stichhältigkeit unserer Ausführungen i n bezug auf die Preisgestaltung kartellierter Produkte, soll hier ein Passus eines, m i r zufällig i n die Hände gekommenen Marktberichtes einer Londoner W e l t firma wiedergegeben werden, w o r i n über die Preisgestaltung eines von einem W e l t k a r t e l l praktisch zu hundert Prozent kontrollierten Rohproduktes w o r t w ö r t l i c h folgendes gesagt w i r d : ,,Es ist erstaunlich, bis zu welchem Grade die Verwendung eines Rohproduktes reduziert werden kann, wenn

63 der Preis vom ökonomischen Standpunkt gesehen zu hoch ist. Dies k o m m t den Kartellen i m m e r wieder als neue Überraschung, da dieselben sich (heute noch) i n dem Glauben wiegen, daß sie imstande sind, den Industrien (also den Verbrauchern) irgendwelche w i l l k ü r l i c h von ihnen fixierte Preise aufzuzwingen. Die künstliche Schmälerung der P r o d u k t i o n ist nicht genügend, die Position wettzumachen ; denn der Verbrauch fällt i n schnellerem Tempo ab, je länger die hohen Preise aufrechterhalten werden. Es w i r d stets ein Fehlgriff bleiben, Preise bei lebhaftem Handel zu erhöhen und sich dann zu weigern, die Kurse (das heißt die Preise) wieder zu ermäßigen, wenn das Geschäft abflaut." (Die Bemerkungen i n K l a m m e r n stammen v o m Verfasser.) U n d diese Binsenwahrheit seitens der Geschäftswelt als solche festgestellt, das heißt also i n der Praxis empfunden u n d konstatiert, bezieht sich auf einen R o h s t o f f , also auf ein Schlüsselprodukt par excellence. ( D i e Bestätigung der Richtigkeit obiger Feststellungen ließ auch nicht lange auf sich warten; denn das Kartell ermäßigte die Preise kurz nachher u m fast 25 o/o.) I n welch weit höherem Maße diese Regel i m Falle eines Nichtschlüsselproduktes, also f ü r die normale industrielle P r o d u k t i o n u n d dann noch innerhalb einer durchkartellierten W i r t s c h a f t gilt, braucht nach unseren bisherigen Ausführungen, aber auch sonst, als i n der Natur der Dinge liegend, w o h l nicht näher ausgeführt zu werden. Nach all diesen Einzelheiten, deren Erschöpfung ohnehin unmöglich ist, müssen w i r nunmehr auch i m Prinzip absolut i m klaren darüber sein, daß es den e i n z e l n e n P r o d u k t i o n s g r u p p e n u m so w e n i g e r g e g e b e n i s t , d e n M o n o p o l c h a r a k t e r der K a r t e l l e h e r v o r z u k e h r e n , i h n z u m Schaden der A l l g e m e i n h e i t a u s z u n ü t z e n , j e v e r b r e i -

64 teter, festgefügter die a l l g e m e i n e K a r t e l l w i r t s c h a f t w i r d . W e n n auch diese Auffassung den an der Oberfläche haften bleibenden, aber einstweilen bedauerlicherweise noch allgemein verbreiteten Ansichten zuwiderläuft, u n d wenn sie auch von manchen gegensätzlichen Symptomen beziehungsweise trügerischen Zeichen des heute erst i m W e r den begriffenen Kartellsystems scheinbar widerlegt w i r d , so ist trotzdem die Schaffung einer gesunden, jeder Bevölkerungsschicht nützlichen, stabileren Wirtschaftsgrundlage die wahre Grundtendenz, Zweck u n d Sinn einer bereits allgemein ausgebauten, planmäßigen Kartellwirtschaft. Dies u n d nicht etwa die ebenfalls o f t vorgeworfene Tendenz, daß die Kartelle, eine Rentnermentalität der Kapitalisten züchttend oder sie fördernd, kapitalistische Unternehmer zum Schaden der Allgemeinheit i n monopolgenießende Rentner verwandeln, sind die Auswirkungen u n d die Grundtendenz einer Kartellwirtschaft, also fällt auch hier die Beschuldigung des Monopolmißbrauches weg. Aber nicht n u r die Verpflanzung der Rentnermentalität unter die aktiven kapitalistischen Unternehmer, sondern selbst die „Stabilisierung der K o n j u n k t u r e n " u n d die sich hierduch angeblich einstellende Versumpfung u n d Verbürokratisierung des Wirtschaftslebens, w i r d der Kartellwirtschaft vorgeworfen, beziehungsweise diese Zukunftsgefahr, von manchen f ü r den Fall einer ausgebauten K a r t e l l w i r t schaft, warnend vorhergesagt. Diese, durch die Kartelle heraufbeschworene Gefahr, selbst als solche anerkannt, ist aber ein Phantom, da die K o n j u n k t u r e n i n einer Kar teil w i r tschaft oder i n unserem k ü n f t i g e n Plankapitalismus ebenso nicht ständig festgehalten u n d stabilisiert werden können, wie sich z u m Beispiel auch die andere, bereits besprochene Befürchtung vieler als unbegründet erwiesen hat, daß die Konkurrenz i n der Kartellwirtschaft ausgeschaltet w i r d u n d die kon-

65 kurrenzlose W i r t s c h a f t gefährliche Folgeerscheinungen zeitigen muß. Dieses letztere Moment dient uns aber hier nicht bloß als Vergleich u n d Parallele, sondern gleichzeitig auch als Argument gegen die „Konjunkturstabilisierungsgefahr" Denn das Weiterbestehen der Konkurrenz u n d bloß die Ausschaltung von deren ungesunden Übertreibungen schließt bereits die Möglichkeit einer ständigen K o n j u n k t u r u n d daher auch deren befürchtete Folgen, von vorneherein aus. Allerdings werden i n einer kapitalistischen Planwirtschaft die Pendelschläge des k o n j u n k t u r a l e n Elementes i m W i r t schaftsleben, i m allgemeinen, also sowohl nach hinauf, als auch nach hinunter geringer, was aber lange nicht die Möglichkeit, geschweige denn die Veranlassung zur Versumpfung u n d Verbürokratisierung der W i r t s c h a f t geben kann. Dies u m so weniger, als der natürlich auch i n einem Plankapitalismus weiter bestehen bleibende Spielraum f ü r den Tüchtigen u n d f ü r Initiativen, sowohl Platz, als auch Anreiz zu erhöhten Gewinnchancen beläßt, ebenso wie auch der ebenfalls weiter bestehen bleibende kapitalistische W e t t bewerb f ü r „Bürokratkapitalisten" keine ausgiebigere E x i stenzmöglichkeit bieten w i r d wie heute. Aber auch die wesentlichste Grundlage einer kartellmäßigen P l a n w i r t schaft, die Rationalisierung der W i r t s c h a f t , ist doch k e i n e e i n m a l i g e A k t i o n , nach deren Vollzug sich die Industriellen auf ihren Lorbeeren ausruhen könnten. D i e planmäßige Piationalisierung der W i r t s c h a f t ist ein kontinuierlicher, i n W i r k l i c h k e i t nie zu einem Abschluß kommender Vorgang, der die stete Beobachtung u n d Befolgung, sowohl der j e weiligen technischen, als auch der i m m e r wechselnden k o m merziellen Erfordernisse der Zeit unerläßlich notwendig macht. A l l die Arbeit, Kraftanspannung u n d stete geistige Bereitschaft, die zur Behauptung der Position einer I n d u strie u n d eines Industriellen nötig war u n d ist, bleibt somit F l e i s s i g , Planeuropa.

5

66 auch weiterhin, zumindest i m selben Ausmaße wie bisher notwendig. Es gehört also eine große W e l t f r e m d h e i t dazu, sich die Arbeit eines Industriellen i m Rahmen der Kartellwirtschaft als die Tätigkeit eines amtierenden Beamten vorzustellen, u m so mehr, als die Kartelle meistens auch n u r eine Verschiebung des Schauplatzes der Wirtschaftskämpfe u n d des Wettbewerbes v o m offenen Markte i n die Verhandlungsräume der Kartellbüros, bedeuten. Die von uns erwähnte, als notwendig u n d vorteilhaft erachtete stabilere Wirtschaftsgrundlage innerhalb eines Plankapitalismus, bedeutet auch keineswegs eine stabile, ständige K o n j u n k t u r , darf also füglich m i t einer „ K o n j u n k t u r stabilisierung" nicht verwechselt werden. Dies geht j a schon aus den bereits erwähnten u n d noch zu behandelnden, auch weiterhin bestehen bleibenden Konkurrenzrisiken, sowie weiteren, neu entstehenden Konkurrenzmöglichkeiten u n d -gefahren innerhalb einer Kartellwirtschaft, hervor. W i r wollen uns aber durch Widerlegung solcher A r t A r gumente gegen das Kartellsystem nicht weiter ablenken lassen; man befürchtete j a seinerzeit auch, daß der Mensch die durch die D a m p f l o k o m o t i v e erreichte Geschwindigkeit von 2 0 — 2 5 Stundenkilometer nicht aushalten wird. Man schlug sogar bekanntlich vor, die Menschen selbst gegen die Gefahr des Anblickes solcher Höllenrapidität durch Errichtung von hohen Planken den Eisenbahnschienen entlang, zu schützen. W i r können die erwähnten Bedenken gegen eine systematische Kartellwirtschaft nicht anders nehmen, als diese anfänglichen Befürchtungen gegen die D a m p f l o k o motive, — ähneln j a auch die i n manchen Ländern geforderten gesetzlichen Maßnahmen gegen die Kartelle gefährlich den seinerzeitigen Planken-Projekten gegen die Fahrtgeschwindigkeit. Kehren w i r also zu unserer wichtigeren Frage der Komponenten der zukünftigen Preispolitik

67 zurück, welche die Preisgestaltung innerhalb eines Plankapitalismus entscheidend beeinflussen. Recht wesentlich i n dieser Beziehung ist auch die stets drohende Möglichkeit der Entstehung von Außenseitern, welche Gefahr — v o m Standpunkt der kartellierten I n d u strien betrachtet — durch überhohe Preise natürlich sehr gesteigert w i r d , weil j a durch außergewöhnliche Gewinnchancen Unternehmungslustige angelockt werden; eine übertriebene Preispolitik der Kartelle daher sich selbst die neue Konkurrenz hochzüchtet. Je höher n u n der erzielte Nutzen an einem industriellen Produkt, besonders innerhalb einer Kartellwirtschaft ist, desto größer deren Gefährdung durch den erhöhten Anreiz f ü r Außenseiter. Eine dauernd zu große Spanne zwischen Selbstkosten u n d Verkaufspreis eines Produktes hat aber, m i t Rücksicht auf die bereits erwähnte Doppeleigenschaft des überwiegenden Teiles der Bevölkerung, als Konsument u n d gleichzeitig Produzent, auch die Konsequenz, daß die gefährlichste, w e i l eines fixen Zukunftabsatzes sichere Konkurrenz heraufbeschworen w i r d , nämlich d i e K o n k u r r e n z d e r S e l b s t p r o d u k t i o n d e r zu diesem Zwecke sich zusammenschließenden V e r b r a u c h e r , das heißt der organisierten Konsument-Produzenten. Schon das Bestehen dieser Möglichkeit allein ist eine noch wesentlichere Garantie gegen die Gefahr einer Übervorteilung beziehungsweise Auswucherung der Konsumenten seitens der kartellierten Produktion. Es d a r f j a nie übersehen werden, daß, ebenso wie die kapitalistische Planwirtschaft, trotz u n d neben ihrer Planmäßigkeit auf kapitalistischer Grundlage beruht, also die Konkurrenz u n d die stete Möglichkeit ihrer Verschärfung u n d Zuspitzung nie ausgeschaltet ist, so auch das M o n o p o l d e r K a r t e l l e , als aus freiwilligen Zusammenschlüssen hervorgegangen, k e i n naturgegebenes, sondern b l o ß ein f r e i w i l l i g ge5«

68 s c h a f f e n e s i s t . Demzufolge ist aber auch i n den meisten Fällen jedem, insbesondere aber einer größeren Gruppe von Selbstverbrauchern, jederzeit die Möglichkeit gegeben, bei eventuellen Mißbräuchen von Seiten der Produzenten, deren Monopol, durch Aufnahme u n d Entfaltung derselben P r o duktionstätigkeit außerhalb des betreffenden Kartells, zu brechen. W e r aber n u n schließlich die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung i m allgemeinen von der Kar teil w i r tschaft bedroht sieht, der möge bedenken, eine wieviel größere und gefährlichere Bedrohung der freien Wirtschaftstätigkeit es wäre, wenn freiwillige Zusammenschlüsse selbständiger Wirtschaftseinheiten verhindert werden könnten. W e n n man heute die, besonders i n Europa, n u r d u r c h eine p l a n mäßige Zusammenarbeit ermöglichte Rentabilität v i e l e r P r o d u k t i o n s z w e i g e , d u r c h Gesetze v e r h i n d e r t e u n d hierdurch, das heißt also d u r c h D r o s s e l u n g des E r tragswertes, Kapitalwerte vermindern würde, beziehungsweise z e r s t ö r t e , so wäre dies, auch abgesehen von den sonstigen katastrophalen Folgen auf wirtschaftlichem u n d sozialem Gebiet, eine ebensolche Mißachtung, j a Verletzung des Privateigentums, als wenn man diese Werte, unter völliger Ausschaltung des gesetzlichen Privateigentumprinzipes, durch direkte Expropriation enteignen würde. Dies mögen alle d i e i n i h r e r K u r z s i c h t i g k e i t n a c h K a r t e l l g e s e t z e n S c h r e i e n d e n ü b e r l e g e n u n d beherzigen. A l l das i m obigen Angeführte besagt aber auch, daß i n einer kapitalistischen Planwirtschaft, also i n einer W i r t schaftsordnung, welche sich natürlich-selbstgeschaffene Fesseln anlegt, auf die Dauer keine, den jeweiligen allgemeinen Wirtschaftsgesetzen u n d -notwendigkeiten zuwiderlaufende schädliche Tendenzen a u f k o m m e n können. Die Grund-

69 tendenzen einer kapitalistischen Planwirtschaft sind aber, ihre drei Hauptrichtungen zusammenfassend: die Fixierung u n d Fundierung der allgemeinen P r o d u k tionstätigkeit, das Erstarken der allgemeinen K o n s u m k r a f t durch Stabilisierung der Preise und durch gleichzeitige, möglichst i n tensive Auslösung der allgemeinen Konsumfähigkeit, durch möglichst starke Senkung der Preise, sowie schließlich die größtmögliche Stabilisierung der Anzahl der i n den einzelnen Gewerbezweigen beschäftigten A r b e i t s k r ä f t e . W i r sehen also, daß eine ungestörte, sich selbsttätig den Interessen der Gesamtwirtschaft anpassende Kartellpolitik, eine allgemeine ruhigere Wirtschaftsbasis schafft u n d die g l e i c h m ä ß i g e u n d g l e i c h z e i t i g e E r s t a r k u n g u n d gesunde W e i t e r e n t w i c k l u n g a l l e r G e s e l l s c h a f t s s c h i c h t e n e r m ö g l i c h t u n d f ö r d e r t . Es ist aber selbstverständlich, daß einem durch die D y n a m i k der freien Wirtschaftslebens ausgelösten natürlichen Wirtschaftsprozeß ebensolche n a t ü r l i c h e , s e l b s t w i r k e n d e R e g u l a t i v e n innewohnen, auch i n bezug auf Preispolitik, wie auch i n jeder anderen wesentlichen Beziehung. Diejenigen Tendenzen also, die aus katastrophalem Verkennen der sozialen u n d w i r t schaftlichen Entwicklung, sowohl i n nationalen, als auch i n internationalen Relationen eine kartellfeindliche Einstellung zeigen, gefährden schlechthin die ganze gesunde Z u k u n f t s entwicklung. Sie t u n dies infolge ihres naturwidrigen Be^ strebens, sich dieser allgemeinen E n t w i c k l u n g der W e l t wirtschaft entgegenzustemmen; denn sie versuchen die K r a f t u n d Wirksamkeit eines von der lebendigen W i r t s c h a f t selbst geschaffenen u n d sich f r e i w i l l i g auferlegten Wirtschaftsgesetzes, künstlich durch behördliche Reglementierung zu schwächen.

70 Daß — wie bereits erwähnt — sich Kartelle i n nationalen wie auch i n internationalen Relationen manchmal noch grobe Fehler u n d Mißgriffe zuschulden kommen lassen, ist unleugbar. Die Bedeutung dieser Mißgriffe darf j e doch weder überschätzt noch verallgemeinert werden. Das ganze heutige Wirtschaftssystem befindet sich j a i n einem Zustand der U m w ä l z u n g u n d Umstellung, u n d so lange dieser, eine neue Wirtschaftsepoche verkündende Entwicklungsvorgang aus dem heutigen, noch unfertigen Zustande sich nicht zu einem festgefügten System herauskristallisiert, so lange er i n einer ausgebauten kapitalistischen Planwirtschaft nicht seinen Abschluß findet, werden noch, besonders i n der technischen Handhabung der Kartellpolitik, wie zum Beispiel i n bezug auf Preisfragen, Produktionstempo usw., sicherlich, weil einstweilen unvermeidlich, Mißgriffe zu verzeichnen sein. Wegen dieser, m i t dem Fortschreiten der Entw i c k l u n g i m m e r rascher schwindenden Übergangsschwierigkeiten u n d -fehler, die ganze kartellmäßige, also damit auch die weitere plankapitalistische E n t w i c k l u n g verwerfen u n d zerstören zu wollen, dies haben w i r eben ein naturwidriges Bestreben genannt, welches n u r geeignet ist, den Ausweg nach einer gesunden Weiterentwicklung zu versperren. Denn w i r müssen i m Interesse einer auf den G r u n d gehenden, objektiven Beurteilung dieser Probleme auch den folgenden, i n den letzten Jahrzehnten stattgefundenen Entwicklungsvorgang einmal zusammenfassend vor Augen halten, dann w i r d auch die g r u n d l e g e n d falsche Auffassung u n d der unrichtige A u s g a n g s p u n k t der sogenannten Kartellgegner offenbar. Schon i n den Vorkriegs jähren begegneten w i r Kartellen u n d kartellähnlichen Gebilden, deren Charakter jedoch eine ausgeprägt o f f e n s i v e war, u n d die — wie w i r darauf schon weiter oben hingewiesen haben — m i t dem Wesen und dem

71 eigentlichen Zweck u n d Sinn der heutigen Kartelle ebensowenig gemein hatten wie die Kartelle der darauffolgenden zweiten Periode ihrer Entwicklungszeit. Diese waren die während u n d kurz nach dem Kriege entstandenen kartellmäßigen Organisationen, welche sozusagen einen Notbehelfbeziehungsweise d e f e n s i v e n C h a r a k t e r hatten. Aus diesen entwickelte sich dann nach u n d nach — auf die an einer früheren Stelle dieser Schrift behandelte Weise — das heutige Kartellwesen. Diese heutigen Kartelle haben jedoch sow o h l den seiner zeitigen offensiven, als auch den späteren defensiven Charakter abgestreift. Gleichzeitig u n d gleichmäßig damit haben die Kartelle auch i m m e r mehr aufgehört als Selbstzweck zu dienen u n d wurden vielmehr Mittel, ein notwendig gewordenes Instrument zu einer allmählichen, planmäßigen Umorganisierung der kapitalistischen W i r t s c h a f t . Was also bei den h e u t i g e n Kartellen an Stelle der bisherigen Charakterzüge trat, ist einerseits der neuartige, p r i n z i p i e l l e K o m p r o m i ß c h a r a k t e r (zwischen dem kapitalistischen u n d dem sozialistischen Wirtschaftssystem) u n d andererseits der heutige Übergangscharakter ( v o m ungezügelten Kapitalismus zu einer planmäßigen kapitalistischen Wirtschaftsordnung). Die nächste Etappe der kartellmäßigen Wirtschaftsentwicklung ist bereits das kommende plankapitalistische W i r t schaftssystem selbst. Die bisherige D r e i g l i e d e r u n g d e r k a r t e l l m ä ß i g e n W i r t s c h a f t s e n t w i c k l u n g bedeutet und beinhaltet somit ebenso wichtige wie notwendige Vorstufen zu der sich herausbildenden plankapitalistischen W i r t schaftsepoche u n d m u ß daher auf die oben geschilderte D i f f e r e n z i e r u n g d e r E i g e n a r t dieser einzelnen E n t w i c k lungsphasen i m Interesse eines richtigen Verständnisses u n d einer entsprechenden W e r t u n g des Wesens u n d der Ziele der h e u t i g e n Kartellwirtschaft auf das nachdrücklichste h i n -

72 gewiesen werden. Dies u m so mehr, als die landläufig falsche Auffassung: Kartell ist Kartell, natürlich viel bequemer u n d f ü r eine an der Oberfläche haften bleibende K r i t i k oder gar f ü r Agitationszwecke viel geeigneter ist. Diesen Fehldeutungen u n d Halbheiten ist aber vielleicht am besten m i t unserem empirischen Hinweis auf den geschilderten Werdegang u n d auf die klare Struktur der Entwicklung entgegenzutreten. Die Grenzen dieser so wesentlichen Dreigliederung der E n t w i c k l u n g des Kartellwesens sind natürlich keine sich voneinander ganz scharf abhebende, sondern den Phänomenen des fluktuierenden Wirtschaftslebens entsprechend bewegliche u n d ineinandergreifende. Deshalb ist j a auch die Gefahr ihres Übersehenwerdens so groß wie die Notwendigkeit des nachdrücklichen Hinweises auf i h r Vorhandensein. Dies letzterer Umstand, wie auch all die anfänglichen M i ß lichkeiten, u n d selbst Mißgriffe ändern jedoch natürlicherweise nichts an der Tatsache, daß w i r i n der Entwicklungsrichtung der heutigen Phase der kartellmäßigen W i r t schaftsentwicklung, einer z u k u n f t s w e i s e n d e n S t r u k t u r ä n d e r u n g d e r W e l t w i r t s c h a f t gegenüberstehen, welche w i r als k a p i t a l i s t i s c h e P l a n w i r t s c h a f t bezeichneten, u n d welche i n w i r t s c h a f t l i c h e r Hinsicht die geeignete Lösung des Problems bietet, die notwendig gewordene neue Grundlage f ü r die kapitalistische Gesellschaftsordnung zu schaffen u n d die wirtschaftliche Z u k u n f t u n d die gesunde Weiterentwicklung der modernen Völker zu sichern. W i r haben aber, u m nach jeder Richtung h i n klar zu sehen, n u n auch die soziale Seite dieser neuen Wirtschaftsverfassung zu untersuchen, ob sie nicht etwa i n dieser Beziehung Gefahren u n d Nachteile involviert, welche Momente natürlich auch f ü r deren Lebensfähigkeit i n wirtschaftlicher Hinsicht ausschlaggebend sein könnten. Des weiteren müssen w i r , da, entsprechend den heutigen allgemeinen

73 Tendenzen, eine grundlegende Lösung u n d A b h i l f e n u r i n einem internationalen Geltungsbereich liegen kann, auch den Zusammenhang dieses neuen Wirtschaftssystems m i t den Problemen einer möglichen zukünftigen europäischen Z u sammenarbeit untersuchen. Denn, n u r wenn sich die kapitalistische Planwirtschaft auch i n diesen beiden Punkten als geeignet u n d förderlich erweist, kann i n i h r , f ü r die verfahrene kapitalistische Gesellschaftsordnung von heute, eine Abhilfe u n d Z u k u n f t geschaffen werden.

VI.

D

ie Frage der sozialen Seite einer neuen Wirtschaftsordnung auf plankapitalistischer Grundlage haben w i r eigentlich schon i m vorhergehenden Absatz kurz berührt. Die kapitalistische Planwirtschaft sucht nämlich, wie w i r gesehen haben, die Reorganisierung u n d Vereinheitlichung der Produktion nicht auf Kosten u n d zum Schaden der Konsumenten zu verwirklichen, sondern w i l l i m Gegenteil ein auch f ü r die Konsumenten günstiges, stabiles Preisniveau erreichen, j a , ermöglicht zum Teil sogar, durch das Hauptbestreben der Produzenten nach Hebung des — durch die Ausschaltung der ungesunden Konkurrenz doppelt wertvoll gewordenen — Konsums, systematische Preissenkungen. A u f diese Weise w i r d nicht n u r ein alter, sozusagen p r i n zipieller Gegensatz, j a eine Gegnerschaft zwischen Produzenten u n d Konsumenten sehr abgeschwächt, sondern auch eine höchst wünschenswerte Regelmäßigkeit u n d sukzessive Erhöhung des allgemeinen Lebensstandards der breitesten Schichten gefördert. Auch die Arbeitnehmerschichten würden, vor allem durch die starke Abnahme des k o n j u n k turalen Elements i m Wirtschaftsleben, ihrer Existenz viel

75 sicherer sein. Außerdem m u ß die Stabilisierung der Zahl der i n den einzelnen Gewerbezweigen Beschäftigung u n d Lebensunterhalt findenden Arbeitnehmer günstige soziale Auswirkungen zeitigen, u n d zwar nicht bloß durch diese Tatsache allein, sondern sie m u ß außerdem auch i m E i n kommen u n d i m beständigeren Verhältnis der Arbeitnehmer zu den Arbeitgebern, vorteilhaft z u m Ausdruck kommen. Bei diesen Fragen müssen w i r uns n u n ein wenig aufhalten, u m das Verhältnis und die Situation der großen Massen der Arbeitnehmer, beziehungsweise speziell der Arbeiterschaft, innerhalb eines Plankapitalismus einer etwas eingehenderen P r ü f u n g zu unterziehen. U m es aber gleich vorweg zu sagen: Den i n der menschlichen Natur u n d i m Wesen der Dinge liegenden, seit U r zeiten bestehenden Gegensatz zwischen Arbeitgeber u n d A r beitnehmer w i r d auch das plankapitalistische System nicht beseitigen können, trotz den, diesem kommenden, neuen Wirtschaftssystem innewohnenden ausgleichenden Kräften und trotzdem es eine Kompromißlösung, eine Überbrückung zwischen dem heutigen ungehemmten Kapitalismus u n d dem Sozialismus darstellt. Diese Eigenschaften u n d Tendenzen des Plankapitalismus werden aber doch eine, i n bezug auf die wirtschaftlichen u n d sozialen Probleme der Arbeiterschaft entscheidende, ausgleichende W i r k u n g ausüben, die darin bestehen w i r d , daß der prinzipielle Gegensatz u n d die heutige quasi f e i n d s e l i g e E i n s t e l l u n g z w i s c h e n K a p i t a l u n d A r b e i t a u f h ö r e n , beziehungsweise sich auf ein Mindestmaß reduzieren w i r d . Denn dadurch, daß der Plankapitalismus die, die Existenzmöglichkeit u n d Sicherheit der Arbeiterschaft so f r a g w ü r d i g machenden Wirtschaftskrisen u n d Dekonjunkturen, zumindest i n ihren heutigen scharfen Formen u n d katastrophalen Dimensionen eliminiert, gew i n n t — wie bereits erwähnt — auch die Arbeiterschaft

76 erheblich sichereren Boden u n d eine stabilere Basis f ü r ihren Lebensunterhalt. Demzufolge werden aber die Arbeiter, als den bürgerlichen Schichten ähnlich gesicherte Existenzen, auch i n ihrer sonstigen Lebensführung u n d Weltanschauung, i n ihren individuellen u n d familiären Zukunftsplänen usw. ein den kleinbürgerlichen Verhältnissen ähnliches N i veau erreichen u n d i n ihrer geistigen u n d sozialen Einstellung, eine, ebenfalls der kleinbürgerlichen verwandte Mentalität erwerben. Die Tendenzen zur Annäherung der Arbeiterschaft an das Kleinbürgertum, sowie die richtige Erkenntnis der vielfach gleichlinigen Interessen zwischen Arbeitgeber u n d Arbeitnehmer, also zwischen werbendem Kapital u n d werktätiger Arbeit, waren i m Laufe der bisherigen kapitalistischen Entw i c k l u n g auch schon klar erkennbar, doch konnte sich diese höchst wünschenswerte E n t w i c k l u n g , welche die Lösung vieler großer sozialer Probleme herbeigeführt hätte, durch das verhältnismäßig rasche Erlahmen der gesunden Kräfte des Kapitalismus nicht entsprechend auswirken. Das heißt, der krank gewordene Kapitalismus zeitigte, auch i n dieser Beziehung unerquickliche Folgen, was seine eigene Lage natürlich noch weiter verschlechterte. Denn durch das InsStocken-Geraten dieser E n t w i c k l u n g der Verbürgerlichung der Arbeiterschaft w u r d e ein T e i l derselben — durch die diese Situation ausnützende, verschärfte sozialistische P r o paganda u n d Agitation gefördert — wieder i n die andere Richtung der sogenannten proletarischen Mentalität u n d radikalen Zielsetzungen gedrängt. Die kapitalistische Planwirtschaft w i r d n u n die erlahmten Kräfte sowie die gesunden sozialen Tendenzen des erschöpften heutigen Kapitalismus nicht n u r m i t erneuter u n d erhöhter K r a f t und Eign u n g hierzu neu beleben u n d fortsetzen, sondern sie i n dem Sinne auch zu einem Abschluß bringen können, daß die auf-

77 strebende Klasse der Arbeiterschaft nicht das B ü r g e r t u m verdrängen, sondern nach u n d nach sozusagen i n d e m B ü r g e r t u m a u f g e h e n w i r d . Die nächste, viel kleinere und zu einem Aufstieg noch lange nicht herangereifte, also dazu auch nicht befähigte Klassenschicht des sogenannten Lumpenproletariats jedoch, w i r d dann auch zu einer geordneten, sozusagen neuen Proletarierklasse herangezogen u n d erzogen werden können. Die materiellen Möglichkeiten f ü r die Arbeiterschaft zu dieser E n t w i c k l u n g w i r d der Plankapitalismus u m so leich ter sichern können, da die geordneten u n d ausgeglicheneren Produktions- u n d Absatz Verhältnisse der Gesamtwirtschaft dies viel eher gestatten als der heutige Zustand. D i e E r höhung des Lebensstandards u n d die bessere Anpassung der Löhne an das jeweilige allgemeine Preisniveau, bei einer i n den einzelnen Gewerbezweigen mehr oder weniger fixen Zahl der Arbeitnehmer, w i r d sich aber auch deshalb leichter ergeben, weil dies auch die ureigensten Interessen der Unternehmer selbst erfordern werden. Keiner w i r d j a die so opfervoll erlangte, lebensnotwendie Stabilität u n d das Gleichmaß des Wirtschaftslebens w i l l k ü r l i c h e n Störungen, von welcher Seite i m m e r , leichtfertigerweise aussetzen wollen. Die vielen weiteren Momente, Motive, Beweggründe u n d Tendenzen, die diese oben skizzierte Richtung beziehungsweise A r t der E n t w i c k l u n g u n d Lösung der sogenannten Arbeiterfrage innerhalb eines Plankapitalismus bedingen, wollen w i r , als zu sehr zukunftsdeutend, hier nicht weiter erörtern — zum T e i l haben w i r sie j a schon an früheren Stellen kurz erwähnt, z u m T e i l werden w i r sie noch i n der weiteren Folge unserer Ausführungen durch geeignete H i n weise andeuten — , so viel ist jedoch auch auf G r u n d des bisher Gesagten eindeutig erkennbar, daß all dies, i n d e r

78 p l a n k a p i t a l i s t i s c h e n Z u k u n f t , eine A t m o s p h ä r e d e r engeren Zusammenarbeit u n d interessenbewußter Zusammengehörigkeit zwischen Arbeitgeber und A r b e i t n e h m e r , also eine gewisse natürliche Harmonie zwischen Kapital u n d Arbeit schafft, welche Atmosphäre f ü r Zuspitzung von Klassengegensätzen sicherlich nie ein günstiger Boden werden kann. Aber auch durch die E r sparnis der bisher i n wilden Konkurrenzkämpfen, vom allgemeinen Standpunkt aus schon völlig zweck- u n d ergebnislos verpufften Energien u n d Kapitalien erschließen sich günstige Möglichkeiten f ü r die Lösung mancher sozialer Probleme, u n d zwar nicht n u r i n materieller, sondern auch i n zeitlicher u n d geistiger Hinsicht, zumal die neue W i r t schaftsordnung w o h l i n jeder Beziehung eine bessere Ökonomie aller Kräfte gewährleistet. Eine kapitalistische Planwirtschaft m u ß m i t h i n unbedingt eine ausgeglichenere, die Reibungsflächen allgemein diminuierende soziale Konstellation m i t sich bringen. Die Kartellwirtschaft also, entsprechend ausgebaut u n d befestigt, sich über die Grenzen der einzelnen nationalen Wirtschaftseinheiten hinaus ausbreitend, gestaltet somit die Interessen vieler Klassen- u n d breiter Gesellschaftsschichten der einzelnen Länder, zu gemeinsamen u n d über die verschiedenen Grenzen hinausgehenden einheitlichen u n d wechselwirkenden Interessen u m . Der Umstand aber, daß hierbei nicht n u r eine Interessengemeinschaft unter den m i t einander korrespondierenden Klassen- und Gesellschaftsschichten der einzelnen Länder entsteht, sondern daß hierbei auch eine Interessiertheit, das Gefühl eines gewissen Verbundenseins, auch zwischen den v e r s c h i e d e n e n K l a s s e n d e r v e r s c h i e d e n e n N a t i o n e n hergestellt w i r d ; dies m u ß auch international eine gute, sichere politische Atmosphäre und ein a u f r i c h t i g e s Z u s a m m e n g e h ö r i g k e i t s g e f ü h l

79 v o n N a t i o n z u N a t i o n h e r v o r r u f e n . Dies stellt jedoch bereits eine breite Basis der kapitalistischen Planwirtschaft als derjenigen K r a f t dar, die die europäische Z u k u n f t zu gestalten berufen ist. Schon infolge der bisher, also eigentlich erst i m Anfangsstadium erfolgten internationalen, kartellmäßigen Zusammenschlüsse sind die Arbeitsmöglichkeiten, Lebensbedingungen, Zukunftsinteressen usw. großer Massen aller Bevölkerungsschichten i n den verschiedenen Ländern i n hohem Grade ineinander verwoben, aneinander gebunden u n d zu gemeinsamen geworden. Es ist also nicht mehr schwer, sich zu vergegenwärtigen, daß nach einem großzügigen, allgemeinen Ausbau dieser internationalen P r o d u k tionsgemeinschaften, sich die allseitigen Interessenfäden zu einer, bisher unbekannten A r t von internationalem Solidarismus verknüpfen. Diese n e u a r t i g e F o r m u n d d i e s e r G r a d i n t e r n a t i o n a l e r S o l i d a r i t ä t f ü h r t aber zu einem neuen Internationalismus, der, i m Gegensatz zu dem von den Sozialisten gepredigten u n d propagierten Internationalismus, neben dem nationalen Gedanken u n d m i t diesem parallellaufend, sich als ein Ü b e r n a t i o n a l i s m u s entfaltet. Der Internationalismus des Sozialismus ist j a bloß ein K a m p f m i t t e l zur Erreichung seiner klassenbedingten Ziele, ein Mittel zur Erlangung der Macht. Dieser Internationalismus trachtet bloß die Herdeninstinkte der Massen beziehungsweise einzelner Klassen v o m nationalen Gedanken, durch Agitation z u m Klassenkampf abreagieren zu lassen, u m sie dann auf diese Weise i n den Dienst eines klassengespaltenen Kampfinternationalismus zu stellen. Diese offensive Tendenz des sozialistischen Internationalismus stempelt i h n z u m Scheininternationalismus u n d steht hierdurch auch i n krassem Widerspruch zu einem erstrebenswerten, wahren Internationalismus i m höheren Sinne des Wortes. Dieser letztere, also der wahre u n d aufrichtige Internationalis-

mus, dem sozialistischen Internationalismus, wie auch dem heutigen Nationalismus entgegengestellt, baut nicht auf die auch dem Nationalismus, wie jeder Massenerscheinung u n d -bewegung innewohnenden Herdeninstinkte der Massen, u n d trachtet nicht bloß danach, diese Instinkte sich selber dienstbar zu machen, sondern w i l l den nationalen Gedanken i n d i v i d u a l i s t i s c h , also bewußtermaßen zu einer aufr i c h t i g - f riedlichen, gemeinsam-auf bauenden Zusammenarbeit h ö h e r e n t w i c k e l n . D i e Tendenz des sozialistischen Internationalismus ist ofiensiv-zerstörend, die des plankapitalistischen Internationalismus friedensbedingt und aufbauend. F ü r den Sozialismus bedeutet der Internationalismus Frieden zwischen den einzelnen Nationen als solchen, jedoch gleichzeitig den gemeinsamen Krieg zwischen den Klassen aller Länder; f ü r d e n P l a n k a p i t a l i s m u s h e i ß t I n t e r n a t i o n a l i s m u s eine, a u f den F r i e d e n i n n e r h a l b der Klassen der e i n z e l n e n L ä n d e r aufgebaute, f r i e d l i c h e A r b e i t s s o l i d a r i t ä t u n t e r d e n N a t i o n e n ; er heißt Übernationalismus. D i e Ausbreitung u n d Vertiefung dieses Übernationalismus i n der Richtung des wahren allgemeinen Weltfriedens wollen w i r hier nicht verfolgen, trotzdem j a dessen Tendenzen zweifellos, selbsttätig i n diese Richtung weisen u n d auch wirken. Diese Analyse würde aber bereits stark aus dem von uns gezogenen Kreis der realerweise i m Heutigen erkennbaren u n d gegebenen Zukunftsentwicklung fallen, u n d deshalb wollen w i r , u m streng innerhalb dieses unseren Rahmens der tatsachengebundenen Realitäten zu bleiben, eher noch die, von diesem Gesichtspunkt aus eventuell auch schon zu weit gezeichnete E n t w i c k l u n g zu einem allgemeinen Übernationalismus, entsprechend abgrenzen. Abgrenzen i n dem Sinne, daß w i r den plankapitalistischen Übernationalismus, i n der Entwicklungsphase, bis zu welcher w i r heute

m i t unserer Untersuchungsmethode objektiv vordringen können, nur noch i n intereuropäischer Relation, nicht aber auch schon i n außenkontinentaler Beziehung i n Betracht ziehen. Demzufolge müssen w i r also feststellen, daß f ü r die von uns betrachtete Entwicklungsphase der Übernationalismus nur als ein E u r o n a t i o n a l i s m u s , also als ein einstweilen bloß auf Europa beschränkter plankapitalistischer Internationalismus Geltung hat. Diese objektive, bloß zeitgebundene Einschränkung des plankapitalistischen Übernationalismus zum Euronationalismus involviert aber kein W e r t u r t e i l u n d schmälert auch nicht den wertvollen E i n fluß und die günstigen Auswirkungen desselben auf die E n t wicklung u n d Ausgestaltung der europäischen Z u k u n f t . Denn dieser plankapitalistische Übernationalismus beziehungsweise Euronationalismus wäre, so glaube ich, w o h l die einzige K r a f t u n d Möglichkeit, die berufen ist, ohne die dem nationalen Gedanken innewohnenden moralischen u n d materiellen Kräfte zu entwerten u n d aufzuopfern, dessen nachteilige Seiten sowie seinen heutigen offensiven Charakter u n d seine chauvinistischen Auswüchse zu beheben. Dies ist an u n d f ü r sich keine leichte Frage, noch weniger leicht ist es aber als akutes Problem, i n seinem Bezogensein auf die übrigen wirtschaftlichen u n d sozialen Probleme der europäischen Länder wie auch Gesamteuropas. Diese A u f gabe, die dem Nationalismus innewohnenden, fördernden und schädlichen Kräfte zu sichten, u m die Hypertrophie des heutigen, überhitzten Nationalismus, diesen Hemmschuh einer gesunden Zukunftsentwicklung, also bloß dessen h i n derliches und schädliches Übermaß zu beseitigen, dessen wertvolle Eigenschaften aber i n den Dienst eines plankapitalistischen Internationalismus i m obigen Sinne zu stellen; diese Aufgabe harrt der Lösung. So bedeutend u n d schwierig dieses Problem auch ist, überschätzen d ü r f e n w i r es, F l e i s s i g , Planeuropa.

6

82 etwa als zukunftshindernd, trotzdem nicht. Denn der heutigen Macht des nationalen Gedankens dürfte i m Laufe einer planeuropäischen E n t w i c k l u n g ein ähnlicher W e g beschieden sein, wie dies bei der seinerzeitigen, beinahe Allmacht des religiösen Gedankens der F a l l war. Es kostete bekanntl i c h viele zähe Kriege u n d Kämpfe, bis dem religiösen Gedanken seine Geschichte gestaltende, Staaten schaffende u n d vernichtende Macht genommen werden konnte. Es gelang aber doch, u n d gerade der nationale Gedanke leistete hierbei, nicht n u r psychologisch, die aktivsten Dienste. So nun, wie der religiöse Gedanke trotz dieser E n t w i c k l u n g auch heute noch weiterlebt u n d seine moralischen Kräfte gerettet werden konnten, soll auch die moralische K r a f t u n d H i l f e des Nationalismus i n den zukünftigen Übernationalismus h i n übergepflanzt werden. Der W e g hierzu liegt i m Ausbau der i n einer kapitalistischen Planwirtschaft sich naturgemäß entwickelnden u n d sich selbsttätig i m m e r mehr ausbreitenden Solidarität der Nationen. W e n n w i r also bisher die einzelnen Komponenten einer Lösung der heutigen unhaltbaren allgemeinen Zustände auf wirtschaftlichem Gebiet i n der kapitalistischen Planwirtschaft, von der sozialen u n d internationalen Seite her aber i n dem durch die kapitalistische Planwirtschaft ermöglichten beziehungsweise geschaffenen Übernationalismus, respektive Euronationalismus zu erkennen wähnten, so verfolgen w i r nunmehr die Frage bis zu Ende, i n welcher Richtung u n d zu welchem Resultat das richtige Zusammenstimmen dieser Komponenten f ü h r t .

VII.

K

onservativismus ist nicht Rückschrittlertum, er bedeutet vielmehr i n der P o l i t i k wie i n der W i r t s c h a f t das natürliche Trachten u n d Bestreben nach Erhaltung des evolutionistisch Erworbenen u n d Aufgebauten. Konservativismus ist also, insbesondere i n der W i r t s c h a f t , diejenige sittlichmaterielle, aufbauende K r a f t , die i n natürlicher W e i t e r entwicklung der 'Gegenwart nicht alles Vergangene p r i n zipiell v e r w i r f t , sondern das i m Vergangenen Wertvolle, als einen roten Faden, auch durch die Z u k u n f t zieht, u m es auch dort, eine bewährte fixe Komponente bildend, dienen zu lassen. W i r wollen dies an dieser Stelle vorausschicken, da w i r i n diesem Kapitel zu Endresultaten gelangen werden, welche die zukünftige E n t w i c k l u n g — unserem Vorhaben getreu, nicht die Z u k u n f t erspähen, sondern bloß feststellen zu wollen, welche Z u k u n f t i n unserer Gegenwart beschlossen liegt — scheinbar als beinahe geradlinige Verlängerung der heutigen Gegebenheiten erkennen lassen u n d dadurch manchen vielleicht als rückständig oder phantasielos v o r k o m m e n werden. Aber eine gesunde, natürliche Fortentwicklung kann 6*

84 eben n u r evolutionistisch sein, das heißt i m Grunde fast unabhängig von den neuen Formen u n d Formeln, die i m Laufe der Zeit z u m Vorschein gelangen, u n d die äußerlich fast jede Verwandtschaft m i t dem Althergebrachten leugnen. Aus diesem Grunde wurde von uns auch bisher schon u n d w i r d auch weiterhin so nachdrücklich auf die aus der n a t ü r l i c h e n E n t w i c k l u n g des f r e i e n W i r t s c h a f t s l e b e n s selbsttätig hervorgegangene Selbstverständlichkeit der k o m m e n d e n i n d i v i d u a l i s t i s c h e n P l a n w i r t s c h a f t u n d auf die sich damit i m Zusammenhange z w a n g s l ä u f i g e i n s t e l l e n d e internationale Solidarität eines neuen Ü b e r n a t i o n a l i s m u s hingewiesen. Diese i n ihrer evolutionistischen Weiterentwicklung liegende organische Verbundenheit m i t der Gegenwart sichert das Z u k u n f t w e r d e n dieser Gegenwartstendenzen. I n der Selbstverständlichkeit u n d i n der natürlichen Gesetzmäßigkeit dieser zu erwartenden Entw i c k l u n g liegt aber auch gleichzeitig die sicherste Gewähr dafür, daß all die Probleme, Schwierigkeiten u n d Hindernisse, welcher bei jeder so grundlegenden Umgestaltung sich notwendigerweise einstellen, möglichst reibungslos gelöst u n d überwunden werden. Aus den beiden vorangegangenen Abschnitten ergibt sich bereits als eine selbstverständliche Folge, daß diese sich herausbildende planmäßige Umstellung der kapitalistischen W i r t s c h a f t nicht als Einzelerscheinung auftreten u n d nicht a u f die einzelnen nationalen Wirtschaftseinheiten isoliert bleiben kann, sondern auch f ü r deren Gesamtheit, also f ü r diese auch als eine kontinentale Einheit, etwas Neues bringen m u ß . Eine diesbezügliche schematische Entwicklungsfolge wäre vielleicht folgendermaßen zusammenzufassen: D i e E n t w i c k l u n g v o m schrankenlosen, ungehemmten Kapitalismus, zum gebundenen, planmäßigen Wirtschaften auf individueller Grundlage erfolgt innerhalb der einzelnen

85 Wirtschaftseinheiten durch die aus dem Ausbau u n d E r starken der Kartellwirtschaft entstehenden freien n a t i o nalen Produktionsgemeinschaften. Diese neuartige Wirtschaftsbasis der einzelnen Nationalwirtschaften vertieft sich dann, aus sich selber heraus, zu einer Z w i s c h e n s t a a t l i c h e n K a r t e l l w i r t s c h a f t , die sich wiederum, durch natürliche Weiterentwicklung zu i n t e r n a t i o n a l e n P r o d u k t i o n s g e m e i n s c h a f t e n verflechtend, sodann zu der neuen allgemeinen Wirtschaftsverfassung der k a pitalistischen P l a n w i r t s c h a f t führt. Der Zug nach rationeller Planmäßigkeit i n der P r o d u k tions- u n d Versorgungswirtschaft könnte auch dann nicht vor den einzelnen politischen Grenzen Halt machen, wenn die internationalen Wirtschaftsbeziehungen nicht ohnehin schon so dicht u n d ineinandergreifend wären. Dadurch aber, daß dies bereits jetzt i n hohem Maße der F a l l ist, können die politischen Grenzen von den internationalen Kartellgebilden i n dem Sinne nicht respektiert werden, daß sie, quasi als ü b e r s t a a t l i c h e O r g a n i s a t i o n e n , die staatsrechtlichen, politischen Einheiten als solche zwar nicht überflüssig machen, diese aber als Hindernis ausschalten. Dieser W e g f a l l der obenerwähnten politischen Hindernisse aus dem zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehr erfolgt, w e i l die Politik als solche ihre Herrschaft über die W i r t s c h a f t u n d über die wirtschaftlichen Beziehungen der einzelnen Staaten untereinander, i m m e r mehr einbüßt, i n d e m diese Funktionen unversehens, nach u n d nach auf diese überstaatlichen Wirtschaftsorganisationen übergehen. Über diesen Entwicklungsprozeß u n d über die Entstehung u n d Rolle dieser überstaatlichen Organisationen werden w i r noch an späterer Stelle ausführlicher zu sprechen kommen.

86 A n dieser Stelle wollen w i r unseren begonnenen Gedankengang fortsetzend n u n darauf hinweisen, daß obige E n t w i c k lung, vereint m i t der sich dadurch u n d damit parallel i m m e r mehr verbreitenden internationalen Solidarität der Nationen, über kurz oder lang eine u n g e z w u n g e n e , u n p o l i t i s c h e , aus s i c h s e l b e r h e r a u s e n t w i c k e l n d e , a l l g e m e i n e k o n tinentale Wirtschaftsgemeinschaft hervorbringen m u ß . Innerhalb dieser kontinentalen Wirtschaftsgemeinschaft würde aber das Trachten nach möglichst r e s t l o s e r , a l l g e m e i n e r E i n h e i t l i c h k e i t , auf der ganzen Linie des kontinentalen Wirtschaftslebens, i m m e r stärker überhandnehmen, welche Tendenzen schließlich doch die Schaffung einer festgefügteren Einheit h e r b e i f ü h r e n müßten, — die eines P l a n e u r o p a . Das, was w i r unter Planeuropa als Z u k u n f t Europas verstehen, werden w i r am besten veranschaulichen können, i n dem w i r gleichzeitig a u f den Unterschied zwischen Paneuropa u n d Planeuropa beziehungsweise auf die Unmöglichkeit einer paneuropäischen Konstruktion, i m Gegensatze zu der Möglichkeit, j a Zwangsläufigkeit eines planeuropäischen Gebildes hinweisen. Denn w i r sehen i m Schlußeffekt beinahe diejenigen Zukunftskonturen einer Z u sammenarbeit der europäischen Wirtschaftseinheiten, welche die paneuropäische Bewegung — n u r eben auf p o l i tisch erkünsteltem Wege — als i h r Ziel erstrebt. Doch ist diese Ä h n l i c h k e i t bloß als optische Täuschung zu werten, der w i r n u n gleich vorbeugen wollen. W i e schon aus dem bisher Gesagten ersichtlich ist, w i l l die paneuropäische Bewegung nicht n u r die entgegengesetzte Richtung u n d Methode einschlagen u n d — u m der Kürze halber uns selber zu zitieren — den Schlußstein zur Grundsteinlegung verwenden, sondern auch noch einen weiteren unheilvollen Tempofehler begehen, u n d zwar dadurch, daß sie, anstatt

87 die Kräfte u n d natürlichen Entwicklungstendenzen des wirtschaftlichen u n d sozialen Lebens auswirken zu lassen, das Heranreifen der Möglichkeiten abzuwarten, der natürlichen E n t w i c k l u n g nicht n u r die Richtung, sondern auch noch das Tempo diktieren w i l l . Die V e r w i r k l i c h u n g eines Planes, den «man auf derart unnatürlichem Wege u n d m i t solch erkünstelten Mitteln zu erreichen trachtet, w ü r d e natürlicherweise nur katastrophale Folgen haben können. Daß dies aber nicht n u r prinzipielle Feststellungen von akademischem Werte sind, sondern daß es sich hierbei u m Einsichten von entscheidender W i c h t i g k e i t handelt, die auf praktischen W i r k l i c h k e i t e n basiert sind, werden w i r aus folgendem Beispiel gleich klar ersehen. Dieses Beispiel w i r d aber auch gleichzeitig den realen A u f b a u u n d V e r w i r k lichungsweg eines Planeuropa zu beleuchten haben. Die innerhalb einer planeuropäischen Produktions- u n d Wirtschaftsgemeinschaft nach u n d nach i m m e r notwendiger werdende allgemeine Vereinheitlichung der gesamteuropäischen Produktionstätigkeit müßte sich natürlich auch eine, wenn auch unpolitische, n u r von den Wirtschaftsnotwendigkeiten diktierte Basis schaffen, auf der die rationelle Verteilung der Rollen i n der Produktions- u n d Versorgungstätigkeit der Gesamtwirtschaft erfolgen könnte. Der hierzu notwendig werdende Ausleseprozeß bleibt also auch hier nicht erspart, er würde sich aber i m Laufe einer plankapitalistischen E n t w i c k l u n g ebenso natürlich u n d etappenweise vollziehen, wie dies bei der ganzen bisher verfolgten Entwicklung zum Plankapitalismus der Fall war, u n d wie w i r dies auch bei der E n t w i c k l u n g von den einzelnen nationalen Kartell wirtschaften zur gesamtkontinentalen Produktionsgemeinschaft beobachten konnten. W i r erwähnten es aber bereits, daß die natürliche Entwicklungsbedingtheit noch so grundlegender Umwälzungen so viel bedeutet, daß sie sich

88 relativ reibungslos u n d verhältnismäßig wenig Opfer heischend vollziehen. Aus dem Folgenden w i r d n u n nicht nur diese Eigenschaft einer Planeuropaentwicklung erhellen, es w i r d sich auch die, speziell f ü r die praktischen V e r w i r k lichungsmöglichkeiten ausschlaggebende W i c h t i g k e i t dieser — der paneuropäischen Konstruktion vollständig abgehenden — natürlichen Zwangsläufigkeit der gegebenen Entwicklungsvorgänge eindeutig erweisen. Die ersten, unbewußt schon diesen großen Zusammenhängen dienenden Anfänge eines Ausleseprozesses erfolgen eigentlich noch vor dem effektiven Zustandekommen der einzelnen nationalen Kartellzusammenschlüsse. Denn die schwächsten, ungesunden industriellen Einheiten der einzelnen Gewerbezweige werden, als erste Etappe, i m Interesse eines geregelten Zukunftsgeschäftes entweder von den betreffenden Brancheindustrien aufgekauft, oder aber, die Zukunftsinteressen vor Augen haltend, selbst durch Opfer, niederkonkurriert. Der sonach verbleibende kartellierte I n dustriestock setzt diese Selektion seiner Mitglieder, i m Verlaufe der Kartelltätigkeit, beinahe automatisch fort. Denn auch i n dieser Beziehung ist zwischen den sogenannten Vorkriegskartellen u n d den heutigen ein wesentlicher Unterschied. Die Vorkriegskartelle bedeuteten nämlich — indem sie das Hauptgewicht auf ihren Monopolcharakter legten — auch f ü r das schwächste Mitglied einer Industriegemeinschaft vermehrte Lebensmöglichkeit und eine gewisse Scheinprosperität. Aus dieser Zeit stammt j a übrigens auch der V o r w u r f , daß die Kalkulation kartellierter Industrien sich stets der Kalkulationsbasis der am ungünstigsten arbeitenden Einheiten anpaßt, welche Behauptung aber heute, als i m Gegensatz zu den Tatsachen u n d zu der inneren E n t w i c k l u n g des modernen Kartellwesens stehend u n d der ganzen neuen W i r t -

89 schaftlichkeit widersprechend, als überholt angesehen werden muß. Die heutigen Kartelle, die ihren Monopolcharakter bloß als Mittel (zur Gewinnsicherung u n d Produktionsbasisfixierung), nicht aber als Zweck (einer Preissteigerungspolitik) betrachten, verbessern die Lage untauglicher Industrieformationen nicht. Ja, selbst f ü r viele Taugliche t u n sie es bloß scheinbar u n d n u r f ü r den Anfang. Denn das wichtige Bestreben der heutigen Kartelle nach Rationalisierung, u m einen Teil der hierdurch erzielten Ersparnisse als Mehrertrag zu erlösen u n d den anderen T e i l zur konsumsteigernden Preissenkung zu verwenden, erfordert von den aktiven Kartellmitgliedern bereits mehr als eine einfache Tauglichkeit. Es erfordert bereits einen gewissen, zur Expansion befähigenden höheren Grad an innerer Stärke u n d Fundiertheit. Die sich i m Laufe der Kartelltätigkeit weiter vollziehende, automatische Selektion ist also hauptsächlich auf diese Tendenzen zurückzuführen u n d durch diese schwierigen Aufgaben der modernen Kartellwirtschaft bedingt. — Es verbleiben demzufolge, innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit, bloß die w i r k l i c h lebensfähigen u n d starken Einheiten als arbeitende u n d produzierende Mitglieder des Kartells. Natürlich ist die Stärke u n d Lebensfähigkeit dieser verbleibenden Industriestöcke, vorläufig n u r m i t der Einschränkung zu verstehen, daß w i r hierbei n u r noch die Rahmen, Bedürfnisse u n d Verhältnisse der einzelnen betreffenden n a t i o n a l e n Wirtschaftsgebiete vor Augen haben u n d berücksichtigen. Die Selektion innerhalb der bestehenden u n d funktionierenden Kartelle erfolgt n u n auf mannigfache Arten. Die gebräuchlichsten Varianten vollziehen sich auf die Weise, daß den schwächeren Mitgliedern die ihnen innerhalb des K a r tells zugesicherte Produktionsquote entweder Jahresraten-

90 weise abgelöst, oder die Quote f ü r die ganze Kartellperiode i n einer Pauschalsumme abgekauft, oder aber auch, indem die betreffende Fabriksanlage, samt der Kartellquote angekauft w i r d . A l l dies kann natürlich durch das Kartell selbst, oder aber auch durch einzelne Mitglieder desselben vorgenommen werden. I m Endresultat bedeuten aber alle diese Lösungsarten das Ausscheiden des abgelösten M i t gliedes aus der betreffenden Industrie. Auch i n dem Falle, wo n u r die Kartellquote, ohne Fabriksobjekt erworben w i r d , bedeutet es eine langjährige Stillegung des betreffenden Betriebes, welcher nach Ablauf der Kartellperiode n u r i n den seltensten Fällen wieder aufgenommen w i r d . Es ist j a j e dem, i n Industriesachen auch wenig Bewanderten klar, daß — auch abgesehen von den, während der Stillstandsperiode versäumten Modernisierungsarbeiten i n dem Betrieb, die n u n a u f einmal bestritten werden müßten — die Wiederaufnahme eines Betriebes nach einer längeren Stillstandsperiode, nicht zu den leichtesten u n d billigsten Aufgaben zählt. I n denjenigen Fällen, wo die Kartellquote i n einer Pauschalsumme abgelöst wurde, fällt j a diese Frage auch meist von selbst weg. Der betreffende Industrielle kann sich j a m i t H i l f e des i n einem Betrag erhaltenen Ablösegeldes, sowie m i t dem, sein Eigentum gebliebenen Fabriksobjekt a u f einen heuen Produktionszweig umstellen. Er kann aber seine Fabrik auch anderweitig verkaufen oder sonstwie verwerten, u n d tut es auch meist, u m die kalte Fab r i k während der Kartellperiode sich nicht selbst entwerten zu lassen. Daß die Quote einer stillgelegten Fabrik daher, mehrere Kartellperioden hindurch abgelöst w i r d , ist ein seltener F a l l ; es k o m m t meistens n u r dort vor, wo die abgelöste Kartellquote nicht pauschaliert, sondern i n Jahresraten vergütet w i r d , der Industrielle also nicht auf einmal einen größeren Betrag erhält, u n d m i t seiner Fabrik daher,

91 mangels Kapital, schwieriger etwas Neues anfangen kann. Auch i n solchen Fällen k o m m t es aber meistens vor Beginn der neuen Kartellperiode zum A n k a u f des Fabrikobjektes seitens des Kartells. D i e A r t u n d Weise der Lösungen hängt auf diesem Gebiete, i h der an Variationen reichen Praxis, natürlich i n vielerlei Hinsicht von der Wirtschaftsmacht u n d auch Geschicklichkeit der einander gegenüberstehenden Parteien ab. Diese Details können uns aber hier nicht weiter interessieren. W i r haben uns m i t dieser speziellen Seite der K a r telltechnik n u r aus dem Grunde etwas ausführlicher befaßt, weil w i r hierdurch auf die auch f ü r unsere weiteren Ausführungen grundlegend wichtige Tatsache nachdrücklich hinweisen wollten, daß — zufolge der natürlich evolutionistischen Freiheit dieser E n t w i c k l u n g — alle, dem vorläufig nur noch auf das Inland beschränkten R a t i o n a l i s i e rungsprozeß zumOpfer fallenden Industrien, durchwegs e i n e E n t s c h ä d i g u n g v o n d e r G e s a m t h e i t i h r e r B r a n c h e i n d u s t r i e e r h a l t e n , u n d nicht, wie i m Falle eines Paneuropa, all diese Opfer, zufolge einer w i l l k ü r l i c h e n , nicht aus sich selber heraus natürlich u n d allmählich erfolgenden Produktionsregulierung, dieser gewaltsamen Prozedur entschädigungslos anheimfallen. Der geschilderte planeuropäische, beziehungsweise plankapitalistische Vorgang bedeutet also auch i n W i r k l i c h k e i t u n d f ü r die Praxis so viel, daß die bisher zurückgelegte Strecke auf dem gefürchteten Leidensweg der durch höhere Interessen bedingten u n d geforderten Ausleseprozedur, beinahe einen opferlosen Verlauf nahm, sowie daß diese notwendige Umstellung u n d der schwierige Übergang sowohl i n wirtschaftlicher als auch i n sozialer Hinsicht so gut wie reibungslos erfolgen konnte. Jedenfalls aber ist hierdurch so viel erreicht, daß die nachteiligen sozialen u n d Wirtschaft-

92 liehen Folgen dieses Ausleseprozesses wegfallen u n d eine Schädigung u n d Schwächung der einzelnen V o l k s w i r t schaften vermieden w i r d , i n d e m die abgebauten W e r t e des Volksvermögens keinesfalls wertlos u n d ohne Erhaltung eines Kapital- oder Ertrags wertes geopfert wurden. D i e i n ihrer Erstarkung u n d Festigung, auch durch die bisher erfolgte Ausleseprozedur geförderten, festgefügteren Inlandskartelle setzen n u n ihren Entwicklungsweg über die einzelnen nationalen Landesgrenzen, etappenweise, bis zu einer gesamtkontinentalen Wirtschaftsgemeinschaft fort. Bei diesem Punkte der E n t w i c k l u n g angelangt, wo nunmehr eine allgemeine kontinentale Wirtschaftsgemeinschaft vor die Aufgabe gestellt w i r d , an eine durchgreifende, einheitliche, schon v o m gesamteuropäischen Standpunkt aus standortmäßige A u f t e i l u n g u n d Organisierung der europäischen industriellen Produktions- wie auch Versorgungstätigkeit zu schreiten, d ü r f t e die Situation hierzu i n jeder Hinsicht, bereits herangereift sein. Denn die künstlich ins Leben gerufenen u n d i n ungeeigneten Gegenden liegenden, also überflüssig werdenden u n d abzubauenden Industrieunternehmungen der einzelnen Produktionszweige u n d Branchen werden bis dahin zum größten T e i l bereits verschwunden sein. Verschwunden, schmerzlos, ohne Schaden der betreffenden privatwirtschaftlichen Einheiten u n d ohne Schädigung der einzelnen Volkswirtschaften. Natürlich w i r d es aber trotzdem auch dann noch Unternehmungen geben, u n d zwar gerade unter den verhältnism ä ß i g größten u n d stärksten — weil vom bisherigen Ausleseprozeß unberührten — , deren Lage u n d Standort vom Gesichtspunkt e i n e r p l a n e u r o p ä i s c h e n P r o d u k t i o n s e i n t e i l u n g ungeeignet erscheint. Die Ausschaltung dieser Überreste einer überholten Wirtschaftsordnung w i r d dann, dem Wesen nach, auf dieselbe Weise zu erfolgen haben,

93 wie dies früher, i m Laufe der ganzen Entwicklung, i m Falle der kleineren, sukzessive durch die größeren Einheiten a u f gesaugten Gebilde erfolgte. Ebenso daher, wie f r ü h e r die kleineren, m i t dem Abbau u n d der Entschädigung verbundenen Opfer, seitens der m i t den großen internationalen Kartellgebilden verglichen, kleinen nationalen Kartelle erbracht wurden, werden die größeren Opfer zu guter Letzt als Abschluß dieser Entwicklungsperiode seitens der großen internationalen Produktionsgemeinschaften erbracht. D i e endgültige Ausgestaltung einer planeuropäischen E i n heit erfolgt somit ebenfalls als ein natürlicher Übergang i n die neuen geregelten Bahnen der sich auskristallisierenden neukapitalistischen Planwirtschaft, u n d alle Opfer, die daf ü r gebracht werden mußten, verursachen keine übermäßige Belastung weder f ü r die Allgemeinheit noch f ü r die einzelnen direkt Mitbeteiligten, zumal diese Opfer i m m e r von denjenigen Interessengemeinschaften u n d Vereinigungen von Branchen sukzessive gebracht werden, die i n der Z u k u n f t i n erster Reihe die direkten Vorteile genießen können. Aber auch was die geistige Einstellung u n d die allgemein herrschende Mentalität anbelangt, werden sich den, z u m definitiven Ausbau notwendigen letzten großen Umgestaltungen auch diesbezüglich i m m e r weniger Hindernisse i n den W e g legen, so daß die E n t w i c k l u n g sich auch i n dieser Hinsicht i m m e r glatter, selbstverständlicher gestalten w i r d . Denn die internationale Solidarität des an Zukunftsinteressen, Lebensbedingungen u n d Prosperitätsmöglichkeiten, so gut wie ohne Klassen- u n d Rassenunterschied, i m m e r mehr und fester aneinander gebundenen, ineinander verwobenen, eins gewordenen Kontinents, w i r d nach dieser Richtung h i n als gewaltiger Antrieb f ü r die endgültige Ausgestaltung der Dinge wirken. I m Laufe einer solchen Entw i c k l u n g und auf diese A r t u n d Weise w i r d sich aber auch

94 der „ W i l l e der Europäer" i n motorische K r a f t umwandeln, u m zur V e r w i r k l i c h u n g der heute unerreichbar scheinenden Ziele entscheidend beizutragen. Dieser solidaritätsbedingte, den nationalen Gedanken i n seiner heutigen Machtfülle bis dahin bereits sicherlich ablösende Übernationalismus beziehungsweise Euronationalismus w i r d i n der Lage sein, auch viele andere Probleme leichter zu lösen. Viele heutige Hindernisse u n d Gegensätze, die derzeit zu Recht als unüberwindliche Schwierigkeiten gelten, werden sich dann i n einer Harmonie der Selbstverständlichkeit auflösen. W i r erinnern bloß, ohne sie nochmals aufzuzählen u n d erörtern zu wollen, an all die Probleme u n d Schwierigkeiten, die w i r i m dritten Absatz, i m Zusammenhange m i t der Konzeption der paneuropäischen Bewegung behandelt oder erwähnt haben. Diese Hindernisse sind durch K u n s t s p r ü n g e i n der Gesetzmäßigkeit der Entw i c k l u n g nicht zu nehmen, sie verschwinden aber nach u n d nach beinahe von selber, wenn die wahre Entwicklungslinie richtig erkannt u n d dabei auch richtig verfolgt u n d weder künstlich gehindert noch gewaltsam beschleunigt w i r d . H i e r m i t haben w i r aber gleichzeitig auch auf den W e g und auf die Aufgaben hingewiesen, i n denen w i r die Abhilfe f ü r die allgemeinen Mißstände der i n ihrer heutigen Verfassung hoffnungslos festgerannten kapitalistischen Wirtschaftsordnung erblicken. Dies erachten w i r als d i e Lösung, an Stelle der vielen, als Remedium empfohlenen politischen Maßnahmen u n d wirtschaftlichen Methoden, ob sie n u n kontinentale Zollunion, allgemeiner Freihandel, diktatorische Maßnahmen dieser oder jener A r t oder Paneuropa genannt werden. Die internationale kartellmäßige Verflechtung der europäischen Wirtschaftsinteressen u n d Beziehungen, welche als geeignet u n d berufen erscheint, die Wege zu einer

95 Bolchen, Wahren Vereinheitlichung der kontinentalen W i r t schaftsgebiete zu ebnen jund das G e f ü h l der Zusammengehörigkeit derselben weiter zu vertiefen, ist — trotzdem w i r uns diesbezüglich noch i n einem Anfangsstadium belinden — doch schon eine recht bemerkenswerte. L a u t den bisher i n dieser Beziehung erfolgten E r m i t t l u n g e n — die auf Vollständigkeit natürlich keinen Anspruch erheben können — bestehen i n Europa bereits über hundert internationale Kartelle. Die Anzahl der i n den einzelnen Ländern bestehenden diversen nationalen Kartelle übertrifft natürlich diese Zahl u m ein Vielfaches, u n d wenn w i r trotzdem von einem erst embryonalen Anfangsstadium der Kartellwirtschaft sprechen, so hat dies i m folgenden seine Begründung. Solange nämlich die i n dem vorhergegangenen Kapitel geschilderte Dreigliederung der kartellmäßigen Wirtschaftsentwicklung, sowie die ebenfalls bereits näher behandelten beiden richtunggebenden Grundzüge der jetzigen Epoche (der K o m p r o m i ß - u n d Übergangscharakter), besonders aber deren gemeinschaftlicher Z u g u n d Sinn, nämlich der p l a n - k a p i t a l i s t i s c h e , nicht durchgreifend erkannt u n d allgemein anerkannt w i r d , ^ u ß die Kar teil Wirtschaft i n einem Anfangsstadium steckenbleiben, insbesondere h i n sichtlich ihrer Entfaltung u n d Ausbreitung i m Sinne u n d i m Interesse der Erreichung einer neuen allgemeinen planmäßig individuellen WirtschaftsVerfassung. Nähere Daten u n d ziffermäßige Angaben über den derzeitigen verhältnismäßig fortgeschrittenen Stand u n d über die bisherige rasche Ausbreitung der neuen kartellmäßigen E n t w i c k l u n g i n Europa, wollten w i r i m Rahmen dieser Schrift ohnehin vermeiden. W i r unterlassen es aber — auch als Beispiel oder Unterlage — von diesem, ansonsten auch an u n d f ü r sich interessanten Datenmaterial hier etwas an-

96 zuführen, u m auch dadurch zu betonen, daß das restlose Durchdringen der grundlegenden, z w e c k - u n d z i e l b e w u ß t e n E r k e n n t n i s der i n d i v i d u e l l e n P l a n m ä ß i g k e i t , a l s Z u k u n f t s n o t w e n d i g k e i t f ü r die ganze W e l t wirtschaft, also das eindeutige B e w u ß t w e r d e n d e r i n d e r Kartellwirtschaft liegenden Zukunftsmöglichkeiten u n d w a h r e n E n d z i e l e , i n W i c h t i g k e i t allen anderen — selbst den schon gegebenen — Tatsächlichkeiten vorangeht. D a w i r jedoch von der notwendigen allgemeinen D u r c h d r i n g u n g dieser Einsicht, j a selbst von der Erkenntnis der erwähnten ,,Dreigliederung 4 4 noch erstaunlich weit entfernt zu sein scheinen, betrachten w i r die kartellmäßige Entw i c k l u n g — ohne Rücksicht a u f den i n konkreter Hinsicht verhältnismäßig guten Entwicklungsstand der Dinge, beziehungsweise trotz der schon bestehenden eigentlich günstigen Gegebenheiten — als embryonal. Nach dem aber das Bewußtwerden der obigen Grundtendenzen allgemein durchgedrungen sein w i r d — wozu die Wirtschaftsführer u n d die Kartelle selbst allerdings mehr beitragen könnten u n d m ü ß t e n als bisher — , dann f ü h r t unser vorgezeichneter W e g zwangsläufig z u m Plankapitalismus, als nächste Etappe der Wirtschaftsgeschichte, welche die A b h i l f e f ü r jene, i m m e r unhaltbarer werdenden Übelstände bringen m u ß , denen weder der Sozialismus noch die heutige individualistische Wirtschaftsordnung abzuhelfen vermögen. D i e natürliche Ausgestaltung u n d Weiterentwicklung des Plankapitalismus am Kontinent bringt sodann Planeuropa m i t sich, das wieder vielen weiteren Mißständen abzuhelfen berufen ist. Diese Mißstände aber hängen, genau genommen, n u r indirekt m i t der kapitalistischen Wirtschaftsordnung selbst, i n erster Reihe hängen sie vielmehr m i t der heutigen allgemeinen falschen wirtschaftspsychologischen Einstellung u n d unheilvollen politischen Mentalität der Nationen u n d

97 ihrer Führer zusammen. Den zur A b h i l f e notwendigen Wandel i n der Mentalität und der allgemeinen politischen Einstellung, f ü h r t jedoch gerade die plankapitalistische Entwicklung herbei. I n der natürlichen Selbstverständlichkeit dieses vorgezeichneten Entwicklungsweges liegt aber auch dessen, wenig Opfer u n d Rückschläge erfordernde Z u kunftsmöglichkeiten beschlossen. Dieser Umstand wiederu m involviert die V e r w i r k l i c h u n g dieses Weges nicht n u r objektiv, sondern sichert i h n auch von der subjektiven Seite her, nämlich von derjenigen der interessenbedingten inneren Geneigtheit der einzelnen Individuen. Demgegenüber ist ein Verwirklichungsversuch der paneuropäischen Konzeption, vermöge der künstlich erzwungenen, sich der natürlichen Entwicklung nicht anpassenden Konstruktion derselben, sets m i t den Gefahren großer Opfer u n d Wirrnisse verbunden. Dies jedoch beweist nicht n u r objektiv die Unmöglichkeit dieser Konstruktion, die nicht einmal große Opfer zu e l i m i nieren vermögen, sondern m u ß auch subjektiv jede praktische Interessennahme der einzelnen Individuen dafür u n möglich machen. W i r sehen somit: Die paneuropäischen W o r t e zerschellen an den K l i p p e n der P o l i t i k u n d an den Härten des realen Lebens, — die planeuropäischen Tatsachen bieten ihnen Trotz u n d setzen sich durch. W e n n w i r also nunmehr eine kurze Definition Planeuropas geben wollen, so könnte dies dahin zusammengefaßt werden, daß es das Ergebnis u n d Endresultat der sich entwicklungsbedingt herausgebildeten kapitalistischen Planwirtschaft u n d der sich i m Laufe dieser E n t w i c k l u n g selbst ergebenden u n d verbreitenden Solidarität der Nationen, also ein N a t u r p r o d u k t des P l a n k a p i t a l i s m u s u n d des Ü b e r n a t i o n a l i s m u s ist. M i t h i n also eine, sich von selber ergebende u n politische Zusammenfassung Europas, auf G r u n d F l e i s s i g , Planeuropa.

7

98 u n d i n n e r h a l b einer i n d i v i d u a l i s t i s c h - p l a n m ä ß i g e n W i r t s c h a f t s v e r f a s s u n g , von dem Geiste einer interessenbewußt übernationalen Klassen- u n d Rassensolidarität beseelt u n d gefördert. Ob nun, wenn dieser Entwicklungsvorgang bereits z u m Stillstand gelangt sein, i n einer ausgebauten kapitalistischen Planwirtschaft seinen Abschluß gefunden u n d eine planeuropäische Einheit sich herausgebildet haben w i r d , ob sich dann die politische F o r m eines Paneuropa, einer USE.-Einheit usw. ergeben w i r d , ist keine Frage mehr von ausschlaggebender Bedeutung, da dies dann de facto n u r mehr eine Formfrage sein w i r d u n d sich daher von selber die damals am praktischsten erscheinende F o r m ergeben dürfte. Denn die dem Wesen nach auf diesem unpolitischen Wege bereits vollendete Einheitlichkeit des Kontinents w i r d der Politik, als D i r i g e n t i n der Macht, i n interkontinentaler Beziehung n u r mehr quasi i n der allgemeinen Verwaltungstechnik bedürfen. Die einzelnen, bloß mehr partikularistischen nationalen Einheiten, i n einem Übernationalismus kontinental vereint, d ü r f t e n — wie w i r dies i m vorletzten Abschnitt dieser Schrift noch näher verfolgen werden — Politik, i n einem, dem heutigen ähnlichen Sinne, bloß i n außenpolitischer, das heißt außenkontinentaler Hinsicht benötigen. U m aber Mißverständnissen vorzubeugen, sei hier ausdrücklich festgestellt, daß w i r unter „ K o n t i n e n t " u n d „ k o n tinental" nicht den streng geographisch begrenzten Begriff verstehen u n d verstanden haben, sondern stets als Kontinent, das B r i t i s c h e I n s e l r e i c h m i t i n b e g r i f f e n . So, wie England i n seiner Vergangenheit i m m e r zu Europa zählte, so ist auch die vorgezeichnete Zukunftsentwicklung Europas ohne England nicht denkbar. Daß die paneuropäische Konstruktion England aus dem Spiel läßt, beweist ebenfalls nur ihre W e l t f r e m d h e i t u n d involviert auch ihre Lebensunfähigkeit.

99 Allerdings konnte sie j a gar nicht anders, d a i n e i n k ü n s t l i c h k o n s t r u i e r t e s P a n e u r o p a E n g l a n d selbst t h e o retisch ebensowenig einzuzwängen ist, wie einer plankapitalistischen E n t w i c k l u n g u n d dem deren Abschluß bildenden Planeuropa England fernb l e i b e n k a n n . England w i r d natürlich die ganze E n t w i c k lung i n seiner evolutionistischen Natürlichkeit, gleich dem übrigen Europa, mitmachen, zumal es sich hierbei u m eine Umgestaltung der gesamten Weltwirtschaft handelt. D i e verschiedenen Kontinente u n d Wirtschaftsgebiete werden dieser weltwirtschaftlichen E n t w i c k l u n g allerdings nicht genau i m gleichen Tempo folgen, u n d wahrscheinlich auch noch i n manchen anderen Beziehungen gewisse Abweichungen aufweisen u n d i n Nuancen u n d Details divergieren. W e n n w i r also sagen, daß England diese weltwirtschaftliche Zukunftsentwicklung gleich Europa m i t machen w i r d , so verstehen w i r darunter die Gleichzeitigkeit u n d Gleichmäßigkeit der diesbezüglichen E n t w i c k l u n g Europas u n d Englands. Das englische Mutterland ist an der kontinental-europäischen W i r t s c h a f t , sowohl i n bezug auf Produktion, als auch hinsichtlich des Absatzes geradeso m i t interessiert, als ob es zufällig gar nicht durch die schmale Wasserstraße von dem europäischen Festland getrennt wäre. Es n i m m t demnach an den Anfängen der plankapitalistischen E n t w i c k l u n g i n Europa i n vollem Ausmaße Anteil, u n d w i r d , wenn diese natürliche E n t w i c k l u n g u n d wechselwirkende Interessenverknüpfung festere Formen angenommen haben w i r d , dies auch weiterhin i n vollem Maße tun. Besser gesagt, die europäische E n t w i c k l u n g w i r d die englische automatisch m i t sich nehmen beziehungsweise schon von vornherein involvieren. Dadurch nämlich, daß die englische Industrie i n den internationalen europäischen Kartellen, ebenso wie die Industrien aller übrigen Länder 7*

100 Europas, vertreten u n d mitbeteiligt ist, w i r d sie auch i n die i m m e r mehr zunehmende Solidarität, i n die i m m e r geschlossener werdende Einheitlichkeit und Festgefügtheit der europäischen Gesamt w i r tschaft miteinbezogen. D u r c h diese natürliche u n d sukzessive, gemeinsame Gestaltung u n d Entw i c k l u n g der Dinge werden auch die englischen Interessen weder i n ihrer Übersee- noch i n ihrer Kolonialpolitik tangiert oder gefährdet, was jedoch bei der paneuropäischen Konzeption bekanntlich unbedingt der Fall wäre. Die kolonialpolitischen Interessen Englands (wie auch die der übrigen europäischen Staaten) würden, den langsam sich vollziehenden Übergängen der planeuropäischen E n t w i c k l u n g gemäß, sich der neuen Lage stets entsprechend anpassen lassen, was j a auf dem Rohstoff gebiete auch f ü r das gesamte Europa von großer W i c h t i g k e i t ist. U n d die Vereinigten Staaten von A m e r i k a ? M i t dieser Frage: P l a n e u r o p a u n d d i e USA. müssen w i r uns nun etwas eingehender befassen. Dies aber nicht n u r aus dem Grunde, w e i l w i r bei der Erörterung der paneuropäischen Konzeption a u f die schwerwiegend nachteiligen Folgen und R ü c k w i r k u n g e n derselben hingewiesen haben, welche h i n sichtlich des Verhältnisses zwischen Europa und der USA. zu gewärtigen wären. W i r wollen dieser wichtigen Frage auch an u n d f ü r sich offen begegnen u n d sie i n all ihren Konsequenzen untersuchen. D i e Hauptfrage, ob denn einem planeuropäischen Gebilde von amerikanischer Seite nicht etwa dieselben Gefahren drohen wie einem paneuropäischen, können w i r m i t voller Bestimmtheit verneinen. Denn die i m Laufe unserer bisherigen Ausführungen geschilderte selbsttätig-natürliche E n t w i c k l u n g u n d das etappenweise Heranreifen Europas zu einer planeuropäischen Einheit bedeutet u n d gewährleistet deren vollständige Unaggressivität auch i n außenkontinen-

101 taler Beziehung. U n d diese absolute, eben durch die evolutionistische L i n i e bedingte natürliche Allmählichkeit u n d Unaggressivität dieser E n t w i c k l u n g w i r d somit auch Amerika gegenüber keine Spitze aufkommen lassen. Bei der unpolitisch-planmäßigen Ausgestaltung u n d Ausbalancierung der innen-europäischen Produktions- u n d A b satzverhältnisse müssen j a die daran j e w e i l i g interessierten außenkontinentalen Wirtschaftsfaktoren ebenfalls berücksichtigt werden. So wie dies auch heute schon der Fall ist, daß die jeweils i n Betracht kommenden amerikanischen Produzenten an vielen europäischen Kartellen i n irgendeiner F o r m mitbeteiligt sind, so w i r d natürlich auch die weitere plankapitalistische E n t w i c k l u n g i n Europa die gemeinsamen Berührungspunkte m i t den außenkontinentalen, insbesondere aber amerikanischen Wirtschaftsfaktoren stets zu bereinigen haben. D u r c h diese, sich von selber ergebenden, rein wirtschaftlichen Auseinandersetzungen werden sich die zwischenkontinentalen Interessen u n d W i r t schaftsbeziehungen ebenso allmählich u n d harmonisch i n Einklang bringen lassen, wie dies innerhalb der kontinentalen Wirtschaftskräfte selbst erfolgt. Je einheitlicher n u n die einzelnen europäischen Interessengruppen bei diesen Auseinandersetzungen auftreten, u m so sicherer i h r Erfolg. Nebstbei bemerkt; selbst eine eventuelle Animosität Amerikas würde einer sich bereits herausgebildeten planeuropäischen Einheit viel weniger anhaben können, als einem künstlich geschaffenen paneuropäischen Gebilde, da eine natürlich entstandene, durch die gesunde E n t w i c k l u n g f u n dierte planeuropäische Einheit auch i n dieser Beziehung weit besser gerüstet sein w i r d . Planeuropa w i r d aber auch von Seiten Amerika keine Schwierigkeiten u n d Repressalien zu befürchten haben, weil solche Komplikationen bis dahin bereits überwunden sein u n d i m Laufe der eigenen kontinen-

102 talen E n t w i c k l u n g ebenfalls ihre natürliche Regelung u n d K l ä r u n g erfahren haben werden. Daß hierzu die f r ü h e r geschilderte, i m Laufe der plankapitalistischen u n d planeuropäischen Entwicklung sich herausbildende internationale Solidarität der Nationen Vieles beitragen w i r d , ist klar. D u r c h diese neuartige, Interessen ausgleichende K r a f t werden j a auch außenkontinentale Mächte u n d Wirtschaftseinheiten angezogen, wenn auch nat ü r l i c h — insbesondere anfangs — nicht i m selben Maße wie die inneneuropäischen Gebiete. Haben w i r aber auch, eben i n Erkenntnis dessen, den Geltungsbereich beziehungsweise die positive Durchschlagskraft dieser interessenverk n ü p f t e n internationalen Solidarität bereits f r ü h e r m i t der Bezeichnung Euronationalismus entsprechend abgegrenzt, so haben w i r damit keineswegs auch die Möglichkeit dessen ausgeschaltet, daß daraus i n der späteren Entwicklungsfolge, der uneingeschränkte, allgemein-interkontinentale Übernationalismus entstehen w i r d können. W i e dem aber auch sei, f ü r die von uns i n dieser Schrift behandelte Zukunftsperiode steht so viel zweifellos fest, daß das Befolgen der richtigen Entwicklungsreihenfolge u n d die Verfolgung der natürlichen Wirtschaftstendenzen auch hinsichtlich des zuk ü n f t i g e n Verhältnisses u n d des ganzen Fragenkomplexes, Planeuropa u n d die USA., solch wertvolle Früchte tragen m u ß , die bei welch anderer Methode oder Konzeption i m m e r unerreichbar bleiben müssen. V i e l schwieriger, auch f ü r eine planeuropäische Einheit, erscheint die Frage bezüglich des Verhältnisses Europas zu Rußland. Diese asiatische Großmacht — deren w i l l k ü r l i c h gezogene neue Grenzen ebensowenig die de-facto-Abgrenzung des Landes bedeuten können, wie seine noch w i l l k ü r licher gezogene alte Grenze innerhalb des Landes, welche es i n ein europäisches u n d asiatisches Rußland teilt, es jemals

103 war — , diese asiatische Großmacht also gehört, trotz der geographisch einwandfreien Einheitlichkeit, viel weniger zu Europa als England. D i e Abweichungen i n Geschichte, K u l tur, sowie i m Entwicklungsgrad Rußlands schließen eine praktische Gemeinschaft m i t Europa von vornherein aus, u m so mehr, als diese Verschiedenheiten der Vergangenheit und Gegenwart auch eine gleichlinige Zukunftsentwicklung nicht zulassen. Die zukünftige Regelung des Verhältnisses Europas zu Rußland m u ß vorläufig eine offene Frage bleiben, bis das L a n d den i h m noch bevorstehenden W e g zur demokratisch-kapitalistischen E n t w i c k l u n g w i r d betreten können. Den Zeitpunkt h i e r f ü r heute auch n u r annähernd bestimmen zu wollen, ist n a t ü r l i c h eine U n m ö g l i c h k e i t ; sicher ist jedoch, daß Europa sich f ü r diese Zeit, die w o h l eine wahre Renaissance f ü r Rußland sein w i r d , nicht f r ü h genug entsprechend vorzubereiten u n d zu rüsten hat. Denn der Wiederaufbau u n d die Weiterentwicklung des Riesenreiches — nach einer natürlichen Rückentwicklung der politisch-wirtschaftlichen 1 Verhältnisse i n der Richtimg, wie w i r sie i m zweiten Absatz dieser Schrift verfolgen konnten — w i r d an Kapital u n d Arbeit Kräfte erfordern, die, auch n u r zum Teil beigesteuert, auch f ü r die sie bestreitenden Länder einen ungeahnten Aufschwung m i t sich bringen dürfte. F ü r die so notwendige Regeneration des an Kapitalsmangel u n d Arbeitskräfteüberfluß leidenden Gesamteuropa könnte dies eine gewaltige Förderung bedeuten. U m jedoch diese, sich über kurz oder lang sicherlich bietenden Zukunftsmöglichkeiten ausnützen zu können u n d diesen Aufgaben v o l l gewachsen zu sein, m u ß zu jenem Zeitpunkte bereits eine planmäßige Zusammenarbeit innerhalb der europäischen I n dustrie beziehungsweise der kontinentalen Gesamtwirtschaft erfolgt sein. Dies ist i n diesem Zusammenhange vor allem aus dem Grunde notwendig, w e i l sonst eine w i r k l i c h durch-

104 greifende Rationalisierung, also eine, sowohl punkto Herstellungskosten, als auch hinsichtlich Qualität u n d Produktionskapazität genügend große u n d allgemeine industrielle Fundiertheit i n Europa nicht zu erwarten u n d zu erreichen ist. Bei der zu erwartenden scharfen Konkurrenz jedoch, die u m Erlangung der Aufbauarbeiten i n Rußland, sowie u m all die großen russischen Lieferungsaufträge zwischen der europäischen, amerikanischen u n d auch japanischen Industrie entbrennen w i r d , ist f ü r die europäische Industrie ein zumindest gleichhohes industrielles Gerüstetsein von ausschlaggebender W i c h t i g k e i t . Denn der Konkurrenz speziell der amerikanischen Industrie w i r d die europäische auf einem Gebiete ohnehin sicherlich nicht gewachsen sein, u n d das ist die langfristige Finanzierung dieser Riesengeschäfte. Dieser P u n k t w i r d aber f ü r Rußland wahrscheinlich fast noch wichtiger sein als selbst die Preisfrage. Das heißt, daß die Kreditfrage beim Vergleich der miteinander konkurrierenden internationalen Angebote i n noch stärkerem Ausmaße i n die Waagschale fallen w i r d als selbst eventuelle Preisunterschiede. Das ausgehungerte, aller mobilen Kapitalien bare Rußland w i r d gezwungen sein, das Hauptgewicht darauf zu legen, die benötigten Lieferungen möglichst spät bezahlen zu müssen, u n d w i r d danach trachten, den Gegenwert f ü r die erhaltenen Leistungen womöglich erst aus den Erträgnissen der betreffenden Investitionen begleichen zu können. D a sich aber die europäische Wirtschaft m i t der amerikanischen an Kapitalstärke u n d Reichtum nicht messen kann u n d m i t diesem amerikanischen K r e d i t d u m p i n g nicht w i r d Schritt halten können, w i r d es schon aus diesem Grunde allein f ü r die europäische Industrie einen schweren K a m p f bedeuten, auf dem russischen Markte doch durchdringen zu können. W e n n aber dieser K a m p f ums Dasein auf den russischen Märkten nicht einmal von einer fest-

105 gefügt einheitlichen europäischen Industrie ausgefochten werden soll, so m u ß dies unabwendbar zu der größten u n d selbstverschuldetsten, i n ihren Auswirkungen w o h l nicht nur wirtschaftlichen Niederlage Europas führen. Eine zersplitterte europäische Industrie, ohne feste internationale Kartelle, auch untereinander konkurrierend, w ü r d e also bei dem russischen Wiederaufbau n u r ein Zaungast sein können. Eine zu einer individuell-planmäßigen Produktionsgemeinschaft vereinte europäische Industrie w i r d jedoch aus dem Wiederaufbau Rußlands vielleicht all das wiedergewinnen können, was der Kontinent i m Weltkriege einbüßte. Denn eine, durch kartellmäßige Zusammenschlüsse gestärkte u n d hierdurch einheitlich vorgehende europäische Industrie w i r d doch stark genug sein, u m es Rußland zu ermöglichen, die Arbeiten u n d Aufträge zwischen der europäischen, amerikanischen u n d japanischen Industrie aufzuteilen. Rußland hat j a schließlich gar kein Interesse daran, bei Deckung seiner vielfältigen Zukunftsbedürfnisse, zufolge einer durch Zersplittertheit bedingten Impotenz der europäischen Industrie, n u r a u f A m e r i k a u n d Japan angewiesen, das heißt also praktisch, beinahe Amerika allein ausgeliefert zu sein. — I m Gegenteil, Rußland selbst w i r d j a auch viel besser fahren, wenn es auch Europa m i t i n die Konkurrenz w i r d einbeziehen können. Schon aus diesem Grunde w i r d also auch die europäische Industrie, wenn sie ihre Leistungs- u n d Konkurrenzfähigkeit durch planmäßige Zusammenarbeit vervielfacht, selbst bei etwa weniger vorteilhaften Kreditbedingungen, entsprechend m i t russischen Aufträgen bedacht werden können. Es ist aber a u c h aus z u k u n f t s p o l i t i s c h e n G r ü n d e n äußerst wichtig f ü r Europa, daß es an dem russischen Wiederaufbau i n höchstem Ausmaße aktiv u n d werktätig t e i l n i m m t ; denn es ist klar, daß das neue Rußland i n seiner

io6 zukünftigen außenpolitischen Orientierung durch w i r t schaftliche Interessen mächtig beeinflußt, zum T e i l sogar gebunden sein w i r d . Europa m u ß daher sogleich, nachdem sich die hierzu notwendigen politischen Umwälzungen i n Rußland vollzogen haben werden, alles daran setzen, die zerrissenen Fäden m i t Rußland wieder anzuknüpfen, u m gleich v o m Anfang an, auf dem Wege der Wirtschaft, das neue zukünftige politische Verhältnis i n geeignete Bahnen zu lenken. Denn, wenn auch Rußland nicht zu Europa gerechnet u n d es auch kaum Mitglied eines auf plankapitalistischer Grundlage aufgebauten Planeuropa werden kann, so m u ß dieses Planeuropa doch, oder u m so m e h r , ein denkbar innigstes und harmonisches Verhältnis z u m zukünftigen Rußland ausgestalten. Schon die Rohstoff-Frage allein wäre ein ausschlaggebend wichtiger Beweggrund h i e r f ü r , w e i l d i e n o t w e n d i g e E m a n z i p i e r u n g E u r o p a s von den überseei s c h e n R o h s t o f f b a s e n , a u f d i e es j e t z t u n u m g ä n g l i c h angewiesen ist, d u r c h R u ß l a n d v e r w i r k l i c h t werden k ö n n t e . Hierdurch könnte nämlich jenes, heute bestehende Abhängigkeitsverhältnis des europäischen Kontinents von den überseeischen Märkten als einzigen Bezugsquellen gewisser Rohstoffe aufhören. I n vielen anderen Beziehungen u n d aus mannigfachen weiteren Gründen ist aber ebenfalls ein möglichst freundschaftliches Verhältnis zwischen Europa u n d Rußland wünschenswert. Da dieses Verhältnis auch durch die geographische Lage begünstigt w i r d u n d ein Planeuropa einem zukünftigen Rußland i n jeder Hinsicht Vieles zu bieten u n d i h m auf vielerlei A r t zu helfen i n der Lage sein w i r d , handelt es sich hierbei, u m die erwähnten Ziele zu erreichen, wieder einmal u m k a u m mehr, als u m die richtige u n d rechtzeitige Erkenntnis des Problems und

107 der Aufgaben. D e n n schon dadurch kann die richtige L ö sung systematisch verfolgt u n d herbeigeführt werden. Daß hierbei i n der zukünftigen D u r c h f ü h r u n g u n d Handhabung dieser europäischen Rußlandpolitik die Probleme sich nicht so einfach gestalten, daß i m Gegenteil viele Schwierigkeiten zu beseitigen, fremdkontinentale Einflüsse zu paralysieren sein werden, ist n u r selbstverständlich; w i r wollten aber hier bloß auf die große L i n i e dieser Z u k u n f t s notwendigkeit u n d auch Möglichkeit hinweisen, ohne heute noch ohnehin unkonkretisierbare Details berühren zu wollen. Eines von den k ü n f t i g h i n sicherlich auftauchenden Problemen i m zukünftigen europäisch-russischen Verhältnis wollen w i r aber doch schon jetzt berühren, u n d das ist die Frage der russischen Getreideüberschüsse, die sich, nach einigen Jahren Wiederaufbauarbeit i n Rußland, wieder einstellen u n d dann i n erster L i n i e i h r Absatzgebiet i n Europa suchen werden. Diese Überschüsse der russischen L a n d w i r t schaft aber, die sich i n erster Reihe auf die europäischen Märkte ergießen müßten, würden die Lage der europäischen Agrarländer i m höchsten Maße gefährden u n d f ü r diese eine katastrophale Konkurrenz bedeuten. Dieser Möglichkeit vorzubeugen beziehungsweise diesem Problem ohne Schädigung der europäischen Landwirtschaft u n d unter gleichzeitiger W a h r u n g eines ungetrübten Verhältnisses zu Rußland beizukommen, wäre n u r durch die A u s b r e i t u n g des P l a n k a p i t a l i s m u s a u c h a u f d i e a g r a r i s c h e P r o d u k t i o n , sowie durch die Auswirkungen der, einem Planeuropa innewohnenden ausgleichenden Kräfte möglich. D i e europäische Landwirtschaft bietet jedoch, auch ohne Rücksicht auf die erst kommende Schwierigkeit der russischen Agrarkonkurrenz, einen Komplex noch zu lösender P r o bleme, sowohl innerhalb der heutigen Wirtschaftsverfassung, als auch innerhalb des zukünftigen Planeuropa.

108 D a es jedoch, auch abgesehen von der landwirtschaftlichen Produktionstätigkeit, auch i n der Industrie u n d i m Gewerbe Zweige gibt, die sich zur bisher geschilderten planmäßigen Organisierung von der Produktionsseite her, nicht ohne weiteres eignen, wollen w i r erst diese noch behandeln, u m uns dann eigens den aktuellen u n d künftigen Fragen der Landwirtschaft w i d m e n zu können. D i e Gewerbezweige, deren E i n f ü g u n g i n die plankapitalistische W i r t s c h a f t nicht völlig auf die von uns bisher geschilderte Weise möglich ist, sind hauptsächlich diejenigen, welche sich m i t der Herstellung von allzu vielfältig i n dividualisierten Warengattungen, sowie gewissermaßen von Luxusartikeln beschäftigen. Die zukünftige plankapitalistische Konsolidierung u n d E i n f ü g u n g i n das neue W i r t schaftssystem w i r d diesen Zweigen der Produktion erst von der Verwertungsseite her ermöglicht werden. Diese Industrien werden sich vorerst hinsichtlich ihrer Absatzgebiete u n d ihrer allgemeinen Verkaufstätigkeit verständigen müssen, u m a u f diese Weise, erst nachher, auch an die Rationalisierung u n d planmäßige Einteilung ihrer Produktionstätigkeit zu schreiten. E i n Bruchteil dieser Gewerbe, die ausdrückliche Luxusindustrie, also die an spezielle persönlich-individuelle Qualitäten, wie zum Beispiel an künstlerischen Geschmack usw. gebundene Gewerbetätigkeit, w i r d wahrscheinlich auch hierzu ungeeignet bleiben. Diese stellt jedoch keinen ausschlaggebenden Faktor der Gesamtwirtschaft dar, u n d die Tatsache ihrer Sonderstell u n g selbst ist auch von keinem besonderen Nachteil f ü r diese Gewerbezweige selber, da gerade i h r Ungeeignetsein f ü r eine kartellmäßige Zusammenfassung es beweist, daß sie darauf nicht angewiesen sind u n d solche zu ihrer Prosperität auch nicht benötigen.

109 Was nun schließlich die Rolle u n d Aufgabe des z u k ü n f tigen Handels betrifft, ist diese, i m Laufe einer plankapitalistischen E n t w i c k l u n g am wenigsten klar zu erkennen. A u f der einen Seite d ü r f t e die reine Handelstätigkeit, als vermittelnde u n d ausgleichende K r a f t , ihre heutige Bedeutung u n d Position wahrscheinlich z u m T e i l einbüßen. Die Verm i t t l u n g u n d Verteilung der Produkte v o m Produzenten zum Konsumenten w i r d nicht mehr eine so weitverzweigte u n d vielfältige Organisation benötigen wie heute, u n d die ausgleichende W i r k u n g des Handels zwischen Angebot u n d Nachfrage, die Regulierung des Absatzes, w i r d k a u m so viele selbständige, rein dem Handel gewidmete Unternehmungen beanspruchen, zumal die dem Plankapitalismus innewohnende, allgemeine nivellierende K r a f t auch i n dieser Beziehung vielfach die heute noch notwendigen Zwischenhände u n d Vermittlungstätigkeiten ersetzen u n d überflüssig machen w i r d . Andererseits jedoch kann von einer Ausschaltung des Handels selbstverständlich nicht gesprochen werden, u m so weniger, als die der wahren Handelstätigkeit eigene, große Elastizität u n d Anpassungsfähigkeit sicherlich auch i n der neuen Wirtschaftsepoche des Plankapitalismus benötigt u n d ihren Platz, Aufgabe u n d Wirkungskreis finden w i r d . Innerhalb eines Plankapitalismus w i r d aber der, wahrscheinlich unter neuen, von den heutigen abweichenden F o r m e n weiterarbeitende T e i l des Handels eine viel günstigere Prosperitätsmöglichkeit finden, als die heutige Handelstätigkeit sie bietet. Es kann w o h l angenommen werden, daß i n der plankapitalistischen Entwicklung, der Industrie, der Landwirtschaft u n d dem Gewerbe gleich, auch der Handel — wenn auch m i t Abweichungen, die seine grundverschiedene Struktur bedingt — ähnliche Rationalisierungswege einschlagen w i r d . Gewisse Ansätze h i e r f ü r sehen w i r j a

110 schon heute i n den Handelskartellen u n d Händlersyndikaten, die das Bestreben ins Leben rief, der ungesunden Hypertrophie i n manchen Zweigen des Handels aus eigener K r a f t entgegenzutreten. Es wäre aber w o h l ein unmögliches Beginnen, die aufgerollte Materie der Zukunftsentwicklung der europäischen Gesamtwirtschaft i n allen ihren Einzelheiten heute schon restlos durchdringen zu wollen. Wenden w i r uns daher nunmehr einer noch offen gelassenen Hauptfrage, nämlich den Problemen der europäischen Agrarproduktion, zu.

vni.

s ist w o h l selbstverständlich, daß die plankapitalistische E n t w i c k l u n g auch jenen hochwichtigen Zweig der menschlichen Gesamtproduktionstätigkeit, die L a n d w i r t schaft, nicht unverändert i n ihrer heutigen chaotischen Verfassung belassen kann, u n d daß diese E n t w i c k l u n g dann auch den Agrarländern keine stiefmütterliche Z u k u n f t zuteil werden läßt als den Industrieländern. Die heutige Lage der Landwirtschaft ist ohnehin u n günstig genug. Diese Agrarnot ist als allgemeine Weltkrise i n Erscheinung getreten u n d als solche konstatierbar. W e n n w i r demnach diese Weltkrise der Landwirtschaft näher untersuchen, so finden w i r , daß sie auf zwei allgemeingültige grundlegende Ursachen zurückzuführen ist. D i e eine liegt darin, daß gegenüber dem, größtenteils durch Rationalisierung bewirkten Anwachsen des industriellen P r o d u k tionsertrages, sowie gegenüber der starken Erhöhung des Kapitalzinses, der Bodenertrag als solcher vorerst gleichgeblieben ist. Die hierdurch entstandene Zunahme der S p a n n u n g z w i s c h e n K a p i t a l z i n s u n d G r u n d r e n t e bew i r k t e nicht nur eine W e r t v e r m i n d e r u n g jeglichen land-

112 wirtschaftlichen G r u n d - u n d Bodenbesitzes, da dessen W e r t auf G r u n d des relativ, i m Vergleich zum Kapitalzins gesunkenen landwirtschaftlichen Ertrages, das heißt der Rentabilität, sich automatisch senken mußte, sondern auch den Zustand, daß die Landwirtschaft, k r a f t dieser Verminder u n g ihres Substanzwertes auch eine verminderte Kreditbasis bildete, u n d sich daher i m m e r schwieriger, teuerer u n d n u r i n einem reduzierten Ausmaße Kredit zu beschaffen i n der Lage ist. Der sich überall, i m Durchschnitt beinahe verdoppelte Kapitalzins bedeutete f ü r die Landwirtschaft eine verdoppelte Zinsenlast, w o f ü r sich bei gleichbleibendem Bodenertrag kein Gegenposten bietet, demzufolge sich auch die a b s o l u t e Rentabilität der Landwirtschaft bereits effektiv senken mußte. A l l dies verursacht natürlicherweise eine Verschlechterung der Verwertungsmöglichkeiten des landwirtschaftlichen Grundbesitzes, also einen Rückgang von dessen Verkäuflichkeit. Dieser Umstand w i r k t wiederum auf den W e r t u n d Preis des Grundbesitzes weiter nachteilig zurück, was aber wieder die Kreditfähigkeit u n d Zinsenlast der Landwirtschaft nachteilig beeinflußt, so daß sich hier ein gefährlicher circulus vitiosus herausbildete, welcher, m i t dem anderen, folgenden Grundübel parallel laufend, zu einer allgemeinen landwirtschaftlichen Krise ausarten m u ß t e . Diese andere grundlegende Ursache der Agrarkrise ist die v o l l s t ä n d i g e U n o r g a n i s i e r t h e i t der a g r a r w i r t s c h a f t l i c h e n T ä t i g k e i t a u f der ganzen Linie, von der P r o d u k t i o n selbst u n d deren Einteilung angefangen, bis zur A r t u n d Weise der Bodenbearbeitung u n d zur Verwertungstätigkeit. D e m Mangel an Organisiertheit i n der Agrarproduktion ist auch der Umstand zuzuschreiben, daß dieselbe kaum eine oder meist gar keine planmäßige Rationalisierung aufweist, die jedoch sowohl i m Interesse der Produktionsverbilligung,

113 als auch hinsichtlich einer agrarstandortmäßigen Zweckmäßigkeit der landwirtschaftlichen Produktionstätigkeit, unerläßlich notwendig wäre. Diese P a s s i v i t ä t d e r a g r a r i s c h e n P r o d u k t i o n s s c h i c h t e n kollidiert heute m i t einer, sich gleichzeitig einsetzenden erhöhten Rationalisierungstätigkeit der industriellen Produktion sowohl auf der E r zeugungs-, als auch auf der Verwertungsseite, wodurch Landwirtschaft u n d Industrie, i n ihrer seit jeher divergierenden Mentalität hinsichtlich Fortschritt, Arbeitstempo, Agilität u n d Anpassung an die jeweiligen Erfordernisse der Zeit, i n i m m e r schärferen Gegensatz geraten. Dieser ungesunde Gegensatz spitzt sich heute i m m e r mehr u n d gefahrdrohender zu einer wahren Gegnerschaft zu, w e i l die grundlegenden Ursachen des Übels zum T e i l nicht erkannt, zum T e i l durch Überschätzung bloß % äußerlicher Momente, durch falsche Einstellungen u n d Trugschlüsse verwischt u n d verwechselt werden. Symptome, bloße Auswirkungen des Übels werden allzuoft f ü r das Übel selbst angesehen, eigenes Verschulden auf andere übergewälzt, Ursache u n d W i r k u n g verwechselt; durch all das kann eine A b h i l f e natürlich niemals erreicht werden, w o h l kann aber sehr leicht der Fall eintreten, daß auch die u m ein neues, tragfähiges Wirtschaftsfundament ringende Industrie i n ihrer E n t w i c k l u n g gehemmt u n d m i t i n die Tiefe gerissen w i r d . Denn die beiden erwähnten Grundübel der heutigen allgemeinen landwirtschaftlichen Krise laufen nicht mehr parallel, sondern verflechten sich i n ihren Wechselwirkungen u n d drohen hierdurch, die Krise zu einer chronischen zu verschärfen. Dies ist aber auch u n vermeidlich, wenn man die A b h i l f e nicht dort sucht, wo sie zu finden ist, zumal die Anarchie i n der landwirtschaftlichen Verwertungstätigkeit natürlich preiszerstörend w i r k t , ohne auf der Produktionsseite, der jede Planmäßigkeit u n d RaF l e i 9 s i g , Planeuropa.

8

114 tionalisierung abgeht, eine Schutz- oder Kompensationsmöglichkeit zu finden. D i e Schwierigkeiten unserer europäischen A g r a r w i r t schaft sind also keine isolierte Erscheinung. Speziell die europäische Landwirtschaft befindet sich i n einer Hinsicht sogar i n einer verhältnismäßig vorteilhafteren Lage. Sie ist nämlich i n bezug auf ihre Absatzmöglichkeiten von vornherein, selbst i m Vergleich zu der europäischen Industrie viel besser daran, da Europa i n den primären Bodenprodukten nicht selbstversorgend genug ist, u m seinen ganzen Bedarf selber decken zu können. Europa ist sogar auf einen namhaften I m p o r t an Bodenprodukten angewiesen. Es könnte daher f ü r die europäische landwirtschaftliche Produktionstätigkeit die Gefahr einer eigenen Überproduktion überhaupt nicht i n Frage kommen. Demnach bliebe also auf der A b satzseite, v o m gesamteuropäischen Standpunkt aus betrachtet, bloß die Frage der Regelung der landwirtschaftlichen E i n f u h r k o n k u r r e n z zu lösen. I n dieser Beziehung heißt die Gefahr f ü r die europäische Landwirtschaft heute Amerika u n d morgen A m e r i k a u n d Rußland, die daher, als solche, zu bannen sind. Allerdings steht die europäische Landwirtschaft auch einem speziellen, heute besonders schwierigen Problem gegenüber, nämlich der Konkurrenz des nordamerikanischen Getreides, die zwar nicht als ein drittes, europäisches G r u n d ü b e l angesehen werden kann; aber doch als eine Schwierigkeit, die den heutigen schweren K a m p f ums Dasein f ü r die europäischen Agrarproduzenten noch mehr erschwert u n d verschärft. D i e Besonderheit der nordamerikanischen Getreidekonkurrenz liegt nämlich i n den unausgleichbaren Vorteilen, welche die nordamerikanisch-kanadische landwirtschaftliche P r o d u k t i o n der europäischen gegenüber besitzt: i n der vorzüglichen Bodenbeschaffenheit,

115 i n der ungeheure Landstriche umfassenden Gleichmäßigkeit und Einheitlichkeit derselben auch i n klimatischer H i n sicht, welche naturgegebenen Vorteile die Ergiebigkeit u n d Billigkeit der nordamerikanischen landwirtschaftlichen Produktion beispiellos steigern u n d i h r der europäischen gegenüber einen ungeheueren Vorsprung sichern. Diesen V o r sprung kann Europa, auf dem eigenen P r o d u k t i o n s gebiete allein, durch erhöhte planmäßige Rationalisierung nur vermindern; aber nicht ganz ausgleichen, u n d selbst die bedeutende Frachtbelastung, die das amerikanische Getreide auf den europäischen Märkten zu tragen hat, kann diese D i f ferenz zugunsten der so wesentlich müheloseren u n d ergiebigeren Produktion Nordamerikas nicht ganz wettmachen. Natürlich ist das Problem einer solchen Getreidekonkurrenz heute f ü r die europäische Landwirtschaft unlösbar u n d von katastrophalen Folgen, da die europäische L a n d w i r t schaft zufolge ihrer heutigen planlos extensiven Arbeitsweise u n d ihrer anarchistischen Verfassung n u r die Nachteile u n d Schwierigkeiten ihrer eigenen Lage u n d auch die der Weltwirtschaft verspürt u n d darunter leidet, ohne die vorhandenen vorteilhaften Seiten u n d günstigen Gegebenheiten ihrer Lage ausnützen zu können. W e n n w i r aber demgegenüber berücksichtigen, daß einer geeinigten, als eine umfassende Einheit zu betrachtenden europäischen Landwirtschaft a u f d e r A b s a t z s e i t e , zufolge der Angewiesenheit Europas auf Importe i n Agrarprodukten, n u r die eine wesentliche Sorge u n d Aufgabe bevorstehen würde, die I m portkonkurrenz zu bekämpfen beziehungsweise zu regeln, erscheint diese Frage, wenn auch nicht leicht, aber keinesfalls, wie es heute der Fall ist, unlösbar. Bevor w i r aber die sich h i e r f ü r bietenden Möglichkeiten zu untersuchen beginnen, soll vorerst das bisher vernachlässigte Problem der Lage der landwirtschaftlichen Pro8*

ii6 duktionstätigkeit i m allgemeinen innerhalb der neuen, kommenden plankapitalistischen W i r t s c h a f t u n d eines Planeuropa behandelt werden. Daß w i r diese Frage der landwirtschaftlichen P r o d u k tionstätigkeit bisher vernachlässigt haben, diese Einseitigkeit des bereits skizzierten plankapitalistischen Bildes war bis n u n nicht zu vermeiden, da die Produktionsplanmäßigkeit der landwirtschaftlichen Erzeugungstätigkeit, kraft der spezifisch d e z e n t r a l i s i e r t e n Bedingtheit derselben auf dem der Industrie gangbaren Kartellierungswege nicht zu verw i r k l i c h e n ist. Demzufolge wollten w i r die Fragen der agrarischen P r o d u k t i o n von denen der industriellen gesondert behandeln. Überdies scheint es aber auch, daß i n der Landwirtschaft überhaupt nicht i n erster Reihe auf der Produktionsseite, sondern vor allem auf dem Verwertungsgebiete die Möglichkeit u n d der Anfang zu einer zweckentsprechenden Organisierung zu suchen ist, die dann erst, auf dem Wege der Rationalisierung zu einer zeitgemäßen Produktions-Planmäßigkeit ausgebaut werden kann. Dies bedeutet aber bloß so viel, daß die landwirtschaftliche Produktion nur einen, v o m industriellen Standpunkt aus umgekehrten W e g einzuschlagen hat, u m zum Resultate des fixierten Absatzes u n d zu einer dauernden Rentabilität zu gelangen. Aber weder die Dezentralisation noch dieser „umgekehrte" W e g kann als ein Hindernis der planmäßigen Entwicklung der Landwirtschaft schlechthin betrachtet werden. Die Dezentralisation war j a i n Amerika, i n Australien, i n Dänemark usw. — wo doch bekanntlich verschiedene landwirtschaftliche Verwertungs- u n d Produktionsteilorganisationen bestehen — auch kein Hindernis, einen wesentlichen Teil der Agrarproduzenten i n Verwertungsgemeinschaften, Pools usw. zusammenzufassen. Der von dem der industriellen

117 Entwicklung abweichende Weg, erst über die Organisierung der Verwertungstätigkeit zur Produktionsregulierung zu gelangen, erschwert an u n d f ü r sich das Problem auch nicht, zumal gewisse Zweige der Industrie — wie w i r dies bereits an früherer Stelle erwähnt haben — ebenfalls diesen W e g zu nehmen haben. Die Landwirtschaft hat also notwendigerweise vorerst ein gemeinsames Vorgehen i n der Verteilungs-, das heißt Verwertungstätigkeit, bezüglich der i n den einzelnen Ländern erzeugten Bodenprodukte, anzustreben, u m dann unter den Getreideexportländern hinsichtlich einvernehmlich-gemeinsamer Verwertung der sich ergebenden Exportüberschüsse eine Verständigung herbeizuführen. Ist dies erzielt, so w i r d diese Kollaboration, i m m e r mehr ausgebaut, nach u n d nach auch die Möglichkeit ergeben, weitere freundschaftliche u n d dann i m m e r fester bindende Vereinbarungen zu treffen. Diese Vereinbarungen werden schließlich auch die Verteilung der Rollen bestimmen, hinsichtlich der A r t u n d Weise, j a sogar des Ausmaßes der Bebauung aller i n Betracht k o m menden Gebiete u n d Länderteile. A l l dies natürlich, dann schon entsprechend der Eigenart u n d Beschaffenheit der diversen Böden, den klimatischen u n d sonstigen Verhältnissen, sowie schließlich unter Berücksichtigung der gesamteuropäischen Interessen u n d Bedürfnisse. A n k n ü p f e n d daran, i m Laufe dieser Entwicklung, wäre natürlich auch die so notwendige, zweck- u n d planmäßige I n t e n s i v i e r u n g der europäischen A p r a r p r o d u k t i o n i n die Wege zu leiten, worauf w i r übrigens i n der späteren Folge noch zurückkommen werden. Vor allem wäre aber der heute bestehende U n f u g abzuschaffen, daß auch solche Länder u n d Länderteile die landwirtschaftliche Produktion oder einzelne Zweige derselben forcieren, deren Boden sich dazu i m speziellen, oder f ü r

118 eine rationelle landwirtschaftliche Bearbeitung i m allgemeinen nicht eignet. Dieser i n erster Reihe ebenfalls dem k r a m p f h a f t e n Streben nach Autarkie entspringende U n f u g geht j a vielfach so weit, daß die Forcierung künstlich gezüchteter Agrarwirtschaften auch dann u n d dort f o r t gesetzt w i r d , wo sich die gewonnenen Bodenprodukte viel teurer stellen als die gleiche, selbst dumpinglose Importware. Es ist jedoch auch i n dieser Beziehung große Vorsicht vonnöten; eine politisch-programmatisch gewollte W i r t schaftsregulierung kann auch i n dieser Hinsicht unheilvollen Schaden anrichten. Das folgende wichtige Moment soll auch als ein Beispiel h i e r f ü r dienen. D i e Autarkiebestrebungen der europäischen Staaten nach dem Kriege sind, namentlich auf dem landwirtschaftlichen Gebiet, z u m T e i l auch auf ein wirtschaftlich tieferliegendes Moment zurückzuführen als das der Selbstversorgung. Der i m vergangenen Jahrhundert erfolgte rapide industrielle Aufschwung Europas u n d die darauf folgende K o n j u n k t u r u n d das gewaltige W a c h s t u m an Kapitalwerten bewirkte eine wesentliche Strukturänderung i n der gesamten europäischen W i r t s c h a f t . Dieser schnelle Aufstieg u n d die große Expansion der europäischen industriellen Tätigkeit erfolgte nämlich seinerzeit a u f Kosten der bis dahin vorherrschend gewesenen Landwirtschaft. Alles, oder das meiste verfügbare Kapital, alle Unternehmerlust u n d I n i tiative, wie auch die geeigneten Arbeitskräfte w u r d e n von der aufblühenden u n d i m m e r weiter aufstrebenden I n d u strie aufgesogen u n d die Landwirtschaft hierdurch sowohl i n territorialer, als auch i n finanzieller Hinsicht u n d i n bezug a u f ihre allgemeine Bedeutung u n d Intensität i n demselben Maße zurückgedrängt. Die europäische Landwirtschaft erf u h r also gleichzeitig m i t der Hochentwicklung der kontinentalen Industrie u n d i n gleichem Maße damit eine starke

119 Rückentwicklung. E i n großer T e i l der i n der europäischen Landwirtschaft beschäftigten Arbeitskräfte wanderte daher i n immer zunehmender Zahl, i n die noch meist unerschlossenen, Z u k u n f t verheißenden überseeischen Gebiete, hauptsächlich nach A m e r i k a u n d Kanada, aus. (Europa hat j a bekanntlich, i m Laufe seiner industriellen Hochentwicklung während des vergangenen Jahrhunderts, diesen überseeischen Gebieten über sechzig M i l l i o n e n Menschen an Auswanderern abgegeben.) D i e Folge all dessen war n u n die erwähnte, nicht mehr konjunkturelle, sondern bereits strukturelle Änderung der europäischen W i r t s c h a f t , die, ihren f r ü h e r vorherrschend agrarischen Charakter einbüßend, einen par excellence industriellen Charakter annahm u n d zugleich auch Yersorgerin der ganzen W e l t m i t Industrieprodukten wurde. Diese damals noch beinahe unbestrittene Führerschaft, j a Welthegemonie Europas auf dem Gebiete des industriellen Fortschrittes u n d der Produktion, zwang es zur fortwährenden Expansion, u m neue Abnehmer u n d Absatzgebiete f ü r seine Industrieprodukte zu finden beziehungsweise solche zu schaffen. Demzufolge flössen auch die gewaltig angewachsenen Kapitalreserven der europäischen Industriestaaten i n die meist überseeischen, vorwiegend amerikanischen Absatzgebiete hinüber. Diese überseeischen Absatzgebiete entwickelten jedoch, durch die von Europa ständig herüberflutenden großen Massen guter landwirtschaftlicher Arbeitskräfte i n diese Richtung gedrängt, aber auch i n territorialer u n d klimatischer Hinsicht hierzu prädestiniert, i m Laufe der Zeit ihre Landwirtschaft i n starkem Maße. Z u m T e i l wurden sie j a hierzu gezwungen, einerseits u m ihre Verschuldung an Europa m i t diesen wachsenden agrarischen Produktionsmengen zu bezahlen, andererseits auch u m ihren stets zunehmenden I m p o r t an Industrieprodukten m i t den

120 Exportüberschüssen ihrer Landwirtschaft möglichst kompensieren zu können. Gleichzeitig m i t dieser E n t w i c k l u n g u n d der Erstarkung der amerikanischen Landwirtschaft entwickelte sich aber auch die industrielle Aufbautätigkeit i n Nordamerika i n i m m e r stärkerem Maße und überflügelte i n relativ kurzer Zeit die Landwirtschaft. Dies bedeutete j e doch nicht — wie i n Europa — eine Schädigung oder Beschränkung f ü r die amerikanische Landwirtschaft, sondern w i r k t e vielmehr weiter fördernd auch auf die rationelle Agrarproduktion. W ä h r e n d also die Industrialisierung Europas unter H i n t ansetzung seiner Landwirtschaft u n d von i h r e m nicht unwesentlichen Rückgang begleitet vor sich ging, entwickelten sich die überseeischen Wirtschaftsgebiete, sowohl auf i n dustriellem, als auch auf landwirtschaftlichem Gebiete i n gleich starkem Ausmaße. So wurde dann die Weltvorherrschaft Europas auf industriellem Gebiete, zufolge des rapiden Aufstieges der amerikanischen u n d auch anderer fremdkontinentaler Wirtschaftsgebiete, i m m e r mehr zurückgedrängt, — welcher Rückschlag beziehungsweise U m schwung sich natürlich unvermeidlich u n d entwicklungsbedingt einstellen mußte. N u n machten sich die nachteiligen Folgen der oben geschilderten, einseitig gearteten E n t w i c k l u n g der europäischen W i r t s c h a f t unangenehm fühlbar, u n d sie hätten, auch ohne den Weltkrieg, eine gewaltige, einschneidende Krise i n Europa ausgelöst. So aber, da auch noch die bekannte, ungeheure Verschiebung der Kräfteverhältnisse zwischen Amerika und Europa, u n d dazu noch innerhalb so kurzer Zeit, eintrat, dokumentierte u n d rächte sich n u n diese, von vornherein die Keime ernster Gefahren i n sich bergende europäische Wirtschaftsstruktur elementar, i n F o r m der vielen so krassen Übelstände, unter welchen heute Europa leidet.

121 Es ist also keine leichte u n d einfache Aufgabe, die Spreu vom Korn zu trennen, das bloß Autarkiegezüchtete von den auch den Gesamtinteressen Europas dienenden notwendigen neuen landwirtschaftlichen Arbeitsstätten zu scheiden, zumal w i r i n dieser Beziehung zum Teil einer n e u e r l i c h e n s t r u k turellen Ä n d e r u n g beziehungsweise notwendigen K o r r e k t u r der europäischen W i r t s c h a f t gegenüberstehen. Diese neue partielle Strukturänderung i n der heutigen, oder einer der heutigen auch n u r ähnlichen Atmosphäre der von Politik saturierten W i r t s c h a f t durchzuführen, ist aber, ohne dabei wieder i n ein anderes E x t r e m oder sonstigen Fehlern u n d schädlichen Übertreibungen zu verfallen, einfach unmöglich. Dies ist eben auch eine der großen Aufgaben, deren richtige Lösung ohne den planmäßig arbeitenden, die allseitigen Interessen verknüpfenden, die Politik ausschaltenden u n d ersetzenden u n d die Kräfte rationell nivellierenden Plankapitalismus nicht möglich ist. Denn es handelt sich j a hierbei darum, einerseits bloß die Fehler, Mißgriffe u n d Kurzsichtigkeit der zum T e i l vielfach lange zurückliegenden Vergangenheit auszumerzen beziehungsweise gutzumachen, u n d andererseits, nach Maßgabe der realen Möglichkeiten u n d den nunmehr wahren und w i r k l i c h e n Gesamtinteressen Europas entsprechend, eine möglichst gleichmäßige u n d objektive Ausbalancierung der kontinentalen Produktionskräfte i n der Industrie u n d Landwirtschaft herbeizuführen, u n d diese dadurch m i t e i n ander harmonisch i n Einklang zu bringen. A l l dies aber liegt nicht nur i n der geraden L i n i e der plankapitalistischen Entwicklung, sondern ist ebenso eine ihrer wesentlichen A u f gaben, wie auch umgekehrt f ü r die Lösung dieser Probleme der Plankapitalismus Vorbedingung ist. Denn die Autarkiesucht w i r d i m Laufe einer plankapitalistischen Entwicklung, sukzessive von selber gegenstands-

122 los, u n d wenn dieses Moment einmal wegfällt, so ist schon ein großer Schritt zum f r e i w i l l i g e n Abbau auch der künstlich gezüchteten Agrarwirtschaften erfolgt. Das Übrige kann i n dieser Beziehung dann schon ein einheitliches V o r gehen der vorerst i n nationalen u n d dann i n internationalen Verwertungsgemeinschaften zusammengeschlossenen Produzenten der wahren Agrarländer schaffen. Der bereits geschilderte Entwicklungsvorgang auf dem industriellen Produktions- u n d Verwertungsgebiet w i r d nämlich auch f ü r die landwirtschaftliche Zusammenarbeit ähnliche Wege weisen, das heißt die Erweiterung des zunächst bloß auf dem Verwertungsgebiete begonnenen Werkes auf das Gebiet der rationelleren Produktion, u n d schließlich auch auf eine durch sinngemäße, klimatische Verhältnisse u n d Bodenbeschaffenheit bedingte, also agrarstandortmäßige Einteilung. Auch wenn man die größere Schwerfälligkeit u n d teilweise Rückständigkeit der agrarischen Schichten berücksichtigt, ist es klar, daß die Entwicklungslinie auch f ü r die Landwirtschaft i n jener Richtung liegt, wo die internationale Interessenverknüpftheit e i n s o l i d a r i s c h e s V o r g e h e n e r f o r d e r t und ermöglicht. W i r können also das bisher Gesagte kurz dahin resümieren, daß die Konsolidierung der kontinentalen landwirtschaftlichen P r o d u k t i o n auf dem folgenden Wege erfolgen kann: D i e durch die sich herausbildende kapitalistische Planwirtschaft geschaffene Verbindung und Vereinheitlichung der materiellen Interessen der einzelnen Länder des Kontinents w i r d es auch der landwirtschaftlichen Produktion (zwar auf einem von der industriellen E n t w i c k l u n g abweichenden Wege) ermöglichen, sich international zu verständigen, u n d ihre Interessen, gleich der i m m e r mehr ausgebauten — durch Rationalisierung u n d Intensivierung geförderten — , planmäßigen Geschütztheit der industriellen

123 Produktion, zu wahren. Eine europäische Landwirtschaft, die sich dann nicht mehr ausschließlich i m Interesse einer gemeinsamen, bestmöglichen Verwertung der Bodenprodukte zusammenschließt, sondern sich auch zum Zwecke der rationelleren, also möglichst billigen Arbeit u n d zur A u f t e i l u n g derselben nach Maßgabe der jeweiligen Eignung des zu bewirtschaftenden Bodens der i n Betracht kommenden Gebiete u n d Anbauflächen organisiert, w i r d freilich auch der fremdkontinentalen Konkurrenz viel leichter begegnen u n d m i t i h r i n bezug auf die Versorgung der i n Frage k o m m e n den gemeinsamen Absatzgebiete sich gegenseitig schützende, später vielleicht sogar quotenmäßige Vereinbarungen treffen können. U m n u n auch die zukünftige Gestaltungsmöglichkeit beziehungsweise Umstellungstendenzen des landwirtschaftlichen Produktionszweiges i n eine schematische E n t w i c k lungsfolge zusammenzufassen, können w i r folgendes feststellen : Die erste Etappe der E n t w i c k l u n g von der heutigen freien, jeglicher Organisierung baren landwirtschaftlichen P r o duktionstätigkeit, zu einer planmäßigen Rationalisierung u n d Einteilung derselben, m u ß i n einer gewissen Z e n t r a l i s i e r u n g d e r V e r w e r t u n g s t ä t i g k e i t bezüglich der i n den e i n z e l n e n L ä n d e r n produzierten Ausfuhrüberschüsse an Bodenprodukten bestehen. Diese vorerst losen, f r e i willigen Ansätze zu einer Vereinheitlichung müssen sich j e doch bald als ungenügend erweisen, u n d es werden sich dann i n kurzer Zeit, wahrscheinlich, zum T e i l sogar schon gleichzeitig damit, die Möglichkeit u n d auch die Notwendigkeit ergeben, durch ein strafferes, nicht mehr so loses Z u s a m m e n gehen h i n s i c h t l i c h der E x p o r t t ä t i g k e i t i n n e r h a l b der e i n z e l n e n N a t i o n a l w i r t s c h a f t e n , zu einer weiteren

124 Verständigung unter den Produzenten der Getreideexportstaaten untereinander zu gelangen, also i n t e r n a t i o n a l , a b e r e r s t n o c h r e g i o n a l g e b u n d e n . Das heißt, daß vorerst die einander benachbarten beziehungsweise einander naheliegenden Länder u n d Ländergruppen, welche schon durch ihre gleiche oder ähnliche geographische Lage aufeinander besonders angewiesen u n d sich daher auf den E x portabsatzmärkten unter ziemlich gleichen Bedingungen zu bekämpfen i n der Lage sind, sich verständigen, u m eine gemeinsame P l a t t f o r m f ü r ihre Verwertungstätigkeit zu finden. Daß, bei diesem Stadium angelangt, innerhalb der einzelnen Nationalwirtschaften Übergangs weise Z w a n g s k a r telle u n d -Syndikate oder auch sonstige a u t o r i t a t i v g e n e r e l l e M a ß n a h m e n i n Erscheinung getreten sein werden, ist sehr gut m ö g l i c h ; hier angelangt jedoch, w i r d die weitere E n t w i c k l u n g auch auf dem landwirtschaftlichen Gebiete eine viel leichtere u n d glattere. Denn der nächste Schritt wäre nunmehr eine Ausbreitung dieser insbesondere f ü r die landwirtschaftliche Produktion, sowohl i n nationaler, als auch i n internationaler Relation bisher völlig neuartigen Basis der kollaborativen Planmäßigkeit. Diese d ü r f t e nun eine zweifache Ausdehnung erfahren, u n d zwar einerseits eine h o r i zontale, das heißt auf der Verwertungsseite v o n d e r r e g i o n a l e n G e l t u n g zu einer b e r e i t s d u r c h g r e i f e n d e n , a l l g e m e i n i n t e r n a t i o n a l e n u n d andererseits eine vertikale, also i n einer p l a n m ä ß i g e n R a t i o n a l i s i e r u n g a u c h a u f d e r P r o d u k t i o n s s e i t e . Diese beiden, sich gegenseitig ergänzenden u n d dadurch auch i m m e r mehr vervollkommnenden Entwicklungsphasen würden bereits die v ö l l i g e A n p a s s u n g d e r a g r a r i s c h e n P r o d u k t i o n s t ä t i g k e i t a n d i e k a p i t a l i s t i s c h e P l a n w i r t s c h a f t , also

125 an das neue Wirtschaftssystem des Plankapitalismus, bedeuten, die sich auch i n der B e k ä m p f u n g beziehungsweise Regulierung der a u ß e n k o n t i n e n t a l e n a g r a r i s c h e n K o n k u r r e n z erfolgreich auswirken w i r d ; j a , diese Regulierung könnte, i n bezug auf Europa sogar verhältnismäßig leicht, auf einer, f ü r die europäische Agrarproduktion u n d deren standortmäßige Einteilung u n d planmäßige Regelung wünschenswerten, fixierten, q u o t e n m ä ß i g e n G r u n d l a g e erfolgen. Es ist j a schließlich Platz genug f ü r ein solches freundschaftliches Einvernehmen, zumal Europa j ä h r l i c h i m Durchschnitt etwa 160 Millionen Doppelzentner Getreide beziehungsweise Brotfrüchte importieren m u ß . D i e europäische Agrarproduktion u n d deren Märkte können sich natürlich, i n ihrer heutigen vollständigen Desorganisiertheit, trotz dieser, f ü r sie bestehenden günstigen Vorbedingung, der von außen kommenden Konkurrenz nicht erwehren. W e n n aber eine, unter sich geeinigte u n d daher auch nach außen h i n einheitlich vorgehende europäische A g r a r w i r t schaft sich m i t der amerikanischen u n d später auch russischen Konkurrenz w i r d verständigen wollen, so w i r d i h r dies i n erster Reihe durch die i n i h r e m einheitlichen Vorgehen liegende Stärke ermöglicht, u n d dann auch, durch ihre gesteigerte Konkurrenzfähigkeit, deren Grundlage die durchgreifend rationelle Modernisierung u n d Intensivierung ihrer Produktionsweise u n d auch die zweckmäßige Organisierung ihrer Absatztätigkeit bilden w i r d . Bereits die auf plankapitalistischer Grundlage arbeitende europäische L a n d w i r t schaft wäre auch f ü r die amerikanische Agrarkonkurrenz ein viel stärkerer Gegner; eine innerhalb eines Planeuropa vereinheitlichte kontinentale Landwirtschaft aber wäre, trotz der erwähnten ungleichen Produktionsvorbedingungen zuungunsten der europäischen Agrarwirtschaft, ein Faktor,

126 m i t welchem auch die amerikanische Landwirtschaft u n bedingt ein freundschaftliches Einvernehmen pflegen u n d eine Einigung herbeiführen müßte. Welche Anarchie jedoch demgegenüber heute i n der europäischen AgrarWirtschaft herrscht, darüber sollen hier f o l gende Zahlen als erschreckendes Beispiel u n d Memento angeführt werden. (Alle Daten sind exklusive Rußland zu verstehen.) I n den Jahren

Europa produzierte

1909/13

Weizen Roggen

. . . . . . . . . . . .

Insgesamt Brotfrüchte

Europas

. . . . . .

Produktionsrückgang

Brotfrüchten

Millionen

Millionen

Doppelzentner

Doppelzentner

370,5 251

334,2 199,1

621,5 533,3

533,3

an

. . . . . . . . .

88,2 I n den Jahren

E u r o p a i m p o r t i e r t e v o n Übersee

1909/13 Millionen

Millionen Doppelzentner

154,3 12,9

.

.

.

,

120,2

Roggen u n d Roggenmehl.

.

.

.

.

6,7 126,9

Insgesamt Brotfrüchte

Europas

seeischen B r o t f r ü c h t e n

an

1924/27

Doppelzentner Weizen und Weizenmehl .

Importzuwachs

1924/27

167,2 126,9

über-

40,3

W ä h r e n d also d i e e u r o p ä i s c h e P r o d u k t i o n an B r o t f r ü c h t e n u m 88 Millionen Doppelzentner z u r ü c k g i n g , erhöhte sich die europäische E i n f u h r an B r o t f r ü c h t e n u m 4o Millionen Doppelzentner.

127 Aus der obigen ziffermäßigen Gegenüberstellung können w i r aber auch ersehen, daß Europa heute u m etwa 48 M i l lionen Doppelzentner B r o t f r u c h t weniger konsumiert als i n den Vorkriegsjahren. W e n n w i r jedoch berücksichtigen, daß der europäische Friedenskonsum von 748,4 Millionen Doppelzentner sich auf 353 Millionen Bewohner Vorkriegseuropas verteilte, woraus sich eine Konsumkopfquote von 212 kg an Brotfrüchten ergibt, die, auf die heutige Bevölker u n g Europas von 370,8 Millionen Menschen angewandt, einen Konsum von 786 Millionen Doppelzentner B r o t f r u c h t zum Resultat haben würde, so ergibt sich erst das richtige B i l d , wonach der eigentliche Konsumausfall an B r o t f r ü c h t e n i n Europa nach dem Kriege 86 Millionen Doppelzentner beträgt. U m aber bei den f ü r uns hier wichtigeren absoluten Zahlen zu bleiben, steht dem effektiven Konsumrückgang von etwa 48 Millionen Doppelzentner ein Produktionsausfall von 88 Millionen Doppelzentner u n d ein Importzuwachs von 4o Millionen Doppelzentner gegenüber. Dieser ungeheure inneneuropäische Produktionsrückgang nebst der obigen großen Importsteigerung aus den außereuropäischen Gebieten zeigt — i n der uns hier interessierenden Beziehung — kraß genug die erschreckende Rückentwicklung u n d insbesondere die katastrophale Extensivität der Arbeitsleistung der europäischen Landwirtschaft, sowie das drohende Nachlassen von deren Abwehr — also Lebensfähigkeit. Dies zeigt aber auch gleichzeitig, welche verschwindend kleine Bedeutung den seit dem Kriege entstandenen autarkiegezüchteten, neuen Agrarproduktionsstätten, vom gesamteuropäischen Standpunkt aus, beigemessen werden kann. D i e überseeische Agrarkonkurrenz m i t i h r e m unverkennbaren Preisdumping m u ß aber die europäische L a n d w i r t -

128 schaft, bei unveränderter Sachlage, i m m e r mehr i n die Tiefe drücken, da die durch diese Konkurrenz hervorgerufene, stets weichende Tendenz der Preise der Agrarprodukte, der ohnehin geschwächten europäischen Landwirtschaft die notwendige Modernisierung u n d Intensivierung ihrer P r o d u k tionstätigkeit nicht n u r erschwert, sondern sie davon geradezu abschreckt. Es gibt jedoch f ü r die europäische L a n d w i r t schaft auf der Produktionsseite — zwecks Erhöhung und Verbilligung ihrer P r o d u k t i o n — doch keinen anderen Ausweg, als die denkbar rascheste u n d energischste Inangriffnahme aller notwendigen Rationalisierungsarbeiten. So nat ü r l i c h es aber ist, daß die Industrie, bevor sie an die kostspieligen Rationalisierungsarbeiten u n d Investitionen schritt, welche die Hebung ihrer Rentabilität u n d Konkurrenzfähigkeit erforderte, sich eine die Risiken der großen Investitionen vermindernde, stabilere Wirtschaftsgrundlage verschaffte, ebenso verständlich ist es i m Falle der L a n d w i r t schaft, wenn dieselbe i n ihrer heutigen chaotischen Verfassung u n d ihren labilen, ungeordneten Verhältnissen, zu kostspieligen — ob einmaligen oder wiederkehrenden — Investitionen u n d Rationalisierungsmaßnahmen nicht den M u t u n d den Entschluß faßt. Die Landwirtschaft m u ß sich demnach ebenfalls eine Basis schaffen, die i h r ^als eine zeitgemäße, relativ feste Grundlage dienen kann, u m sich dann m i t aller K r a f t u n d Energie an die Lösung all der Aufgaben zu machen, die auch die Industrie zu lösen hatte, u m die neue Richtung zu finden, die aus der verfahrenen Gegenwart nach der Möglichkeit einer neuen gesunden Weiterentwicklung weist. A n s t a t t d i e p l a n m ä ß i g e O r i e n t i e r u n g d e r I n d u s t r i e z u bek ä m p f e n , w ä r e es a l s o d i e d r i n g e n d s t e A u f g a b e d e r L a n d w i r t s c h a f t, einen ä h n l i c h e n W e g einzuschlagen, u m so m e h r , als j a d i e I n t e r e s s e n d e r I n d u s t r i e u n d

129 der L a n d w i r t s c h a f t auch i n dieser B e z i e h u n g n e b e n einander, u n d n i c h t , wie l e i d e r n u r zu o f t der A n schein e r w e c k t w i r d , gegeneinander l a u f e n . I n diesem Zusammenhange m u ß allerdings auf eine Lücke i n unseren Ausführungen, hinsichtlich der von uns weiter oben geschilderten planmäßigen Entwicklungsfolge der europäischen Landwirtschaft, hingewiesen werden. Es ist zwar klar, daß der erste Schritt i m m e r der schwerste ist, also auch i m Falle der planmäßigen Umstellung u n d Z u sammenarbeit der europäischen Agrarproduzenten der A n fang die größten Schwierigkeiten bereitet. Es m u ß aber obobjektiv konstatiert werden, daß f ü r die Landwirtschaft überdies auch noch ein weiterer erschwerender Umstand vorhanden ist, u n d zwar die, ihre Zusammenarbeit u n d deren Ausbau empfindlich zu stören geeignete überseeische D u m ping-Konkurrenz . Denn so lange die uneingeschränkte überseeische Agrarkonkurrenz die europäischen Absatzmärkte m i t " i m m e r schärfer werdenden Dumpingausgeboten nach Belieben drückt und deroutiert, bleibt eine, selbst regionale Zusammenarbeit der europäischen Getreideexportländer von p r o blematischem Werte. Es ist daher unvermeidlich, daß d i e europäischen Getreideexportstaaten sich m i t den e u r o p ä i s c h e n G e t r e i d e i m p o r t Staaten v e r s t ä n d i g e n u n d i m beiderseitigen Interesse eine gemeinsame wirtschaftliche P l a t t f o r m finden, die es ermöglicht, daß die europäische Landwirtschaft, von der erdrückenden D u m p i n g konkurrenz der außenkontinentalen Getreideexportgebiete befreit, ihren W e g zur kollaborativen Planmäßigkeit betreten, u n d somit den Anschluß an die plankapitalistische E n t w i c k l u n g finden soll können. Die sich hierzu bietenden Möglichkeiten sind mannigfach ; am einfachsten u n d berechtigtsten i n F o r m u n d Wesen F l e i s s i g , Planeuropa.

9

130 wäre, wenn die europäischen Staaten i m gemeinsamen Einvernehmen — u n d zwar nicht auf Agrarprodukte allein, sondern i m allgemeinen — , laut amerikanischem Muster, A n t i d u m p i n g g e s e t z e e r b r i n g e n würden, die die Einf u h r aller Waren, welche unter staatlich, oder auf welche A r t i m m e r unterstützter Dumpingbegünstigung stehen beziehungsweise exportiert werden, wenn auch nicht — wie i n A m e r i k a — sperren, sie aber m i t entsprechend hohen, eventuell gleitenden Differentialzöllen belasten. Schon die Rigorosität, m i t welcher dieses Gesetz i n den Vereinigten Staaten praktisch gehandhabt w i r d , u n d ihre günstigen W i r kungen auf die amerikanischen Binnenmärkte, liefern uns den Beweis dafür, daß w i r hier einen f ü r unsere Zwecke geeigneten u n d gangbaren W e g vor uns haben. Diese Maßnahme wäre einerseits auch seitens der an dem Export nach Europa interessierten Länder unangreifbar, da sie eine absolut berechtigte u n d mäßige Selbstwehr darstellt, andererseits würde hierdurch auch die richtige Grundlage f ü r die weitere Preisentwicklung der Agrarprodukte i n Europa, sow o h l v o m Standpunkte der Produzenten, als auch der Konsumenten gewährleistet, zumal der außenkontinentalen Konkurrenz bloß der Giftzahn, das heißt der heutige, subventionierte Dumpingcharakter genommen wäre. Es muß aber ausdrücklich betont werden, daß, so notwendig diese erwähnte Verständigung zwischen den kontinentalen I n d u strie» u n d Agrarländern ist, damit allein wäre der europäischen Landwirtschaft natürlich noch nicht geholfen. Es handelt sich eben bloß u m die E r f ü l l u n g einer, wenn auch hochwichtigen V o r b e d i n g u n g , u m die europäischen Absatzgebiete i n erster Reihe f ü r die europäische Agrarproduktion erhalten zu können, damit dann auf dieser Basis die Schaffung einer stabileren Grundlage auch seitens der landwirtschaftlichen Produktion i n Angriff genommen, wie auch

131 der von uns vorgezeichnete, zur Gesundung führende planmäßige Entwicklungsweg auch von der Landwirtschaft beschritten werden könne. Das, was hierzu von den europäischen Industrieländern verlangt w i r d , ist wahrlich kein übermäßiger Schutz der europäischen Agrarproduktion und hauptsächlich keinerlei A u f o p f e r u n g oder Schädigung eigener Interessen. Was aber die A g r a r p r o d u z e n t e n d e r e u r o p ä i s c h e n I n d u s t r i e l ä n d e r betrifft, liegen deren Interessen n u r i n solange nicht i n der genau derselben Linie, wie die der Agrarproduzenten der europäischen Agrarstaaten, bis die hohe Gefahr der heutigen außenkontinentalen Agrarkonkurrenz nicht ausgeschaltet beziehungsweise diese nicht auf ein erträgliches, dumpingloses Maß reduziert w i r d . Der Schutz nämlich, den die europäischen Getreideimportländer ihrer einheimischen Landwirtschaft durch Agrarzölle bieten, hindert zwar, daß die Weltagrarkrise auch ihre eigene Landwirtschaft m i t voller W u c h t trifft, belastet aber hierdurch die industriellen sowie alle anderen nicht agrarischen Produktions- u n d Bevölkerungsschichten dieser Länder i n stets wachsendem Maße, ohne jedoch f ü r ihre Landwirtschaft eine w i r k l i c h e Basis f ü r eine gesunde Weiterentwicklung verschaffen zu können. D u r c h die europäischen A n t i d u m pinggesetze wäre n u n die heutige Geschütztheit der Agrarproduzenten der europäischen Industrieländer nicht geschmälert, doch wäre auch f ü r sie die Grundlage gegeben, aus ihrer heutigen Treibhauswirtschaft — auf dem Wege der f ü r die gesamteuropäische Landwirtschaft ermöglichte plankapitalistischen E n t w i c k l u n g — herauszukommen und, ohne der eigenen Nationalvolkswirtschaft weiter zur Last zu fallen, sich zu behaupten u n d entwicklungsfähig zu gestalten.

9*

132 Diesen kurzen Hinweis m u ß t e n w i r an dieser Stelle einfügen, denn manche erachten nicht nur die vermeintlichen Interessengegensätze zwischen den europäischen Industrieu n d Agrarländern als Hindernis einer europäischen W i r t schaftsverständigung, sondern sehen auch noch einen Zwiespalt, j a eine prinzipielle Gegnerschaft zwischen den Agrarproduzenten der kontinentalen Getreideexport und - i m portstaaten. Solange aber solche Mißverständnisse vorherrschen u n d die wichtigsten Wechselbeziehungen u n d die wahren Interessenfäden i n der europäischen Gesamtwirtschaft durch Oberflächlichkeit oder Unkenntnis umnebelt bleiben, m u ß Europa rettungslos dem A b g r u n d zusteuern. Eine Schädigung f ü r die europäischen Industrieländer bedeutet also das vorgeschlagene Antidumpinggesetz i n keiner Weise. Aber selbst f ü r den Fall, daß dies gewisse Opfer f ü r die Industrieländer bedeuten würde, stünden solche Nachteile i n keinem Verhältnis zu den auch f ü r die Industrieländer zu erwartenden Vorteilen dieser Maßnahme u n d noch weniger zu den Gefahren, die bei Weiterbestand der heutigen Situation auch die Industrieländer bedrohen. D e n n die europäische Industrie r i n g t umsonst u m ihre Zuk u n f t u n d u m die allgemeine neue Wirtschaftsverfassung des Plankapitalismus, wenn die Konsolidierung und Prosperität der kontinentalen Landwirtschaft nicht gleichzeitig u n d gleichmäßig erfolgt. Die europäische Industrie b ü ß t i m m e r mehr außereuropäische Absatzgebiete ein; sie ist demnach i n ihren Absatzmöglichkeiten sowie hinsichtlich der notwendigen Steigerung derselben i m m e r mehr auf die inneneuropäischen Gebiete angewiesen. F ü r die Industrie kann jedoch n u r eine gesunde, entwicklungsfähige u n d gutprosperierende Landwirtschaft als Abnehmerin i n Betracht kommen. Bei der sich entwicklungsmäßig durchsetzenden Planmäßigkeit einer Gesamtinteressen bedingten kontinen-

133 talen Arbeitsteilung u n d -einteilung, gewährleistet somit die Gesundung der europäischen Landwirtschaft auch das Gedeihen der europäischen Industrie u n d sichert — unabhängig von den Schwankungen der außenkontinentalen A b satzmöglichkeiten — deren gesunde Weiterentwicklung. Aus diesem Grunde besteht also k e i n I n t e r e s s e n g e g e n satz z w i s c h e n d e n v o r w i e g e n d I n d u s t r i e - , also G e t r e i d e i m p o r t - , u n d den v o r w i e g e n d A g r a r - , also Get r e i d e e x p o r t l ä n d e r n E u r o p a s , auf welchen Umstand nicht nachdrücklich genug hingewiesen werden kann. D i e Maßnahmen, welche die planmäßige Deckung der europäischen Bedürfnisse i n Agrarprodukten bezwecken sollen und auf die Erhaltung der europäischen Absatzgebiete i n erster Reihe f ü r die europäische A g r a r p r o d u k t i o n abzielen, dienen — auch von der selbstverständlichen Reziprozität abgesehen — sicherlich geradeso den Interessen der I n dustrien, wie denen der Landwirtschaft selbst i n Europa. Denn es ist nicht zu verkennen, daß soferne die europäische Landwirtschaft ihre von uns gezeigten notwendigen Ziele aus welchem Grunde i m m e r nicht erreichen könnte, so reißt die Agrarkrise die europäische Industrie unabwendbar m i t ,sich, — deren Folgen aber weder auf wirtschaftlichem noch auf sozialem Gebiet auszudenken sind. Es ist somit unzweifelhaft, daß die ihrer Gesundung dienliche Orientierung u n d alle diesbezüglichen Bemühungen der Landwirtschaft bei der europäischen I n dustrie nicht n u r vollstes Verständnis finden, sondern v o n der i n d u s t r i e l l e n Seite a u c h w e r k t ä t i g e U n t e r stützung erfahren müssen. Die europäische Industrie hätte sich jedoch, i n ihrer Eigenschaft als Konsumentin landwirtschaftlicher Produkte, auch heute schon i n erster Reihe an die inneneuropäische Agrarproduktion halten. E i n Zustand, wie zum Beispiel der

134 heute i n Deutschland herrschende, das, laut Zeugnis der Außenhandelsstatistik, 760/0 seines Exportes an Industrieartikeln i n Europa absetzt u n d demgegenüber 820/0 seiner Agrarbedürfnisse von überseeischen Märkten bezieht, kann, nicht bloß von einem gesamteuropäischen Standpunkt aus, nicht länger aufrechterhalten bleiben. Überdies aber m u ß sich die europäische W i r t s c h a f t von den überseeischen Märkten allenfalls möglichst zu emanzipieren trachten u n d ihre Importe, insbesondere an Konsumgütern, wie sie i n erster Reihe die agrarischen Bodenprodukte darstellen, auf das unvermeidliche Mindestmaß beschränken, da sonst bei der ständigen Abnahme des europäischen industriellen Exportes, eine folgenschwere Außenhandelspassivität des Kontinentes heraufbeschworen w i r d . Haben w i r i n Obigem von den bestehenden unzähligen Übelständen der europäischen Agrarwirtschaft die grundlegendsten erwähnt u n d einige konkrete, zahlenmäßige Beispiele herausgegriffen, so können w i r nur i m m e r wieder konstatieren, daß der heutige einzig mögliche Ausweg, auf dem A b h i l f e geschaffen werden kann, der unsererseits angedeutete W e g zum Plankapitalismus ist. Denn w i r sehen j a , daß den heutigen, die Kräfte der Landwirtschaft langsam aushöhlenden Grundübeln u n d Mißlichkeiten ebenfalls n u r durch die plankapitalistische Entwicklung u n d innerhalb eines Planeuropa abgeholfen werden kann, wobei gleichzeitig auch die bereits heute erkennbaren, wichtigsten Zukunftssorgen der europäischen Landwirtschaft gebannt werden. Daß dann auch die, auf die geschilderte A r t zu erreichende Erhöhung des Bodenertrages sowohl den W e r t , als auch die Yerkäuflichkeit von G r u n d u n d Boden wieder steigert u n d hierdurch sich auch die landwirtschaftliche Kreditfähigkeit heben u n d sich die Zinsenlast senken

135 m u ß , also auch der eingangs dieses Kapitels geschilderte, gefährliche Circulus vitiosus sich löst, ist w o h l ohne weiteres klar. Es ist nach all dem w o h l bezeichnend f ü r die geradezu katastrophale Verkennung der Dinge u n d der wahren Sachlage, daß die lautesten u n d entschiedensten Gegner, j a Feinde der kartellmäßig-planwirtschaftlichen E n t w i c k l u n g sich gerade aus den Reihen der Agrarier rekrutieren. Solch unheilvoller Kurzsichtigkeit, diesem katastrophalen Nichtverstehen, wollten w i r durch unsere Ausführungen steuern. W i r haben uns also bemüht — innerhalb der von uns gezogenen Grenze, welche natürlich bloß das Entwerfen einer Grundskizze zuläßt — i m Interesse eines allgemeinen besseren Verständnisses der Notwendigkeiten unserer Z u k u n f t , manche Zusammenhänge u n d die Entwicklungstendenzen der europäischen W i r t s c h a f t klarzulegen. Was n u n i m Interesse einer vollständigeren Skizze noch erörtert werden kann, wollen w i r noch nachzuholen versuchen. W i r werden daher, an Stelle einer abschließenden Zusammenfassung, nunmehr einige kurze, kritische Streiflichter auf den bisher entworfenen G r u n d r i ß werfen, u m deren eventuell noch i m Schatten gebliebene Seiten beleuchten zu können.

IX.

S

elbstkritik ist o f t eine A r t der Selbstverteidigung, eine mehr oder weniger bewußte Prävention gegen die von außen kommende oder zu erwartende K r i t i k . F ü r unseren Fall trifft dies aber nicht zu, denn diese selbstkritischen Betrachtungen haben nicht den Zweck, fremder K r i t i k vorzubeugen oder i h r auch n u r vorzugreifen, sondern dienen bloß dazu, das i n den früheren Abschnitten entworfene B i l d auch u m diese, hier noch folgenden, teils negativen, teils ungeklärt gebliebenen Seiten möglichst zu vervollständigen. A l l e i n auch dadurch können natürlich nicht alle Mängel des versuchten Entwurfes behoben werden, deren nicht i n unserem Verschulden liegender G r u n d darin zu suchen ist, daß Nationalökonomie, wie auch Soziologie retrospektive Wissensgebiete sind. Diese ihre Wesenheit determiniert auch ihre Aufgaben u n d Möglichkeiten: die Vorkommnisse, also das bereits Erlebte, die v o m fluktuierenden Leben f o r t laufend produzierten, unausgesetzt neu hervorgebrachten Erscheinungen u n d Geschehnisse auf dem Gebiete des w i r t schaftlichen Lebens u n d des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu registrieren. Ihre weitere höhere Aufgabe ist es

137 dann, dieses angesammelte u n d stets wachsende u n d wechselnde Material zu ordnen, beziehungsweise darin die Beziehungen u n d Wechselwirkungen aufzudecken u n d die Z u sammenhänge klarzulegen. Aus dieser wissenschaftlichen Tätigkeit lassen sich sodann f ü r Fragen der Gegenwart u n d Z u k u n f t der W i r t s c h a f t u n d P o l i t i k Schlüsse ziehen, K o m binationen vornehmen u n d gewisse Gesetzmäßigkeiten feststellen. Hierbei kommen natürlich dem Suchenden die beinahe gesetzmäßige Wiederholung gewisser Geschehnisse i n der Geschichte sowie die bekanntlich häufige Duplizität der Fälle sehr zustatten. Trotzdem ist es aber selbstverständlicherweise äußerst schwierig, aus dem ständigen F l u ß der Ereignisse des täglichen Lebens ein klares B i l d zu gewinnen; ebenso schwierig, wie zum Beispiel i n einem reißend dahinstürzenden Bach ein klares Spiegelbild zu erhalten. N u r wenn das Wasser zum Stillstand gekommen ist, gibt es dem Betrachtenden ein klares Spiegelbild wider. Ebenso gewinnt man aus der Tagesereignisse F l u t ein klares B i l d erst dann, wenn sie schon abgeklärt, Vergangenheit geworden ist. W i r wissen u n d fühlen es aber, daß i n der Gegenwart, also gerade i n dem noch fließenden, reißenden Strom des täglichen W e r dens, bereits ein Z u k u n f t s b i l d verborgen ist, das sich dann i m abgeklärten Zustande des heutigen, n u r mehr als Vergangenheit widerspiegelt. Es ist daher ein verständliches Trachten, wenn man, so wie w i r es i n den vorangegangenen Seiten getan haben, i m Bewußtsein der Schwierigkeiten u n d ihnen zum Trotz, das B i l d der i n der Gegenwart verborgen liegenden Z u k u n f t i m reißenden Strom des Gegenwärtigen zu erspähen sucht. Dieses Trachten ist jedoch gerade so verständlich, wie die Unvollkommenheit seines Gelingens selbstverständlich ist. Denn das Z u k u n f t s b i l d , welches sich i m Heutigen widerspiegelt, ist j a doch bloß erst i n seinen

138 Konturen erkennbar; Einzelheiten lassen sich noch nicht enträtseln. W o l l t e man n u n trotzdem ein vollkommeneres, nicht bloß die Konturen, also bloß die großen Zukunftsrichtlinien erkennen lassendes B i l d entwerfen, so würde solches Beginnen über die schon heute verfolgbaren u n d daher auch erkennbaren Grundtendenzen hinaus, bereits auch zum Teil auf Kombinationen basieren müssen. Dies wollten w i r aber unbedingt vermeiden, u n d deshalb haben w i r alle derartigen Momente u n d eventuell auch wichtigere Details, deren Behandlung schon an Prophetie grenzen würde, gar nicht ber ü h r t . Daß infolgedessen n u r ein Gerippe der zu erwartenden Zukunftsgestaltung gegeben werden konnte, ist weniger nachteilig, als wenn w i r , von unserem Prinzip abweichend, ein durch Kombinationen getrübtes Zerrbild gewonnen hätten. Selbst das Verfolgen der Grundtendenzen i n der Richtung der zukünftigen E n t w i c k l u n g w i r d j a ungünstig beeinflußt u n d erschwert durch manche, zu den wahren Zukunftstendenzen i n scheinbarem Gegensatze stehenden u n d daher auf Viele verwirrend wirkenden Erscheinungen des heutigen Wirtschaftslebens. Bevor w i r uns aber m i t diesen, vielfach verbreiteten, wesentlichen, aber doch n u r p a r t i e l l e n Mißverständnissen näher befassen, möchten w i r vorerst auf eine, unserer A u f fassung nach grundlegend i r r t ü m l i c h e , da die Z u k u n f t s entwicklung i n einer vollständig falschen Richtung suchende Anschauung kurz hinweisen. W i r begegnen nämlich, geradezu unverständlicherweise, wiederholt der Ansicht, daß der Kapitalismus i n eine Epoche des Hochkapitalismus, j a sogar i n eine solche des Spätkapitalismus getreten ist. Diese Behauptung involviert aber unter anderem, daß das kapitalistische System seinem baldigen Ende entgegengeht, u n d daß dieser zur Neige gehende Spätkapitalismus durch eine

139 neue, sozialistische Wirtschafts- u n d Gesellschaftsordnung abgelöst w i r d . Fragen w i r aber, w o r a u f diese Prophezeiungen beruhen, so ist die Begründung eine noch erstaunlichere. Bisher wurden nämlich bekanntlich die, durch die kapitalistische Wirtschaftsordnung bedingten, verheerenden K r i sen als der G r u n d f ü r das Versagen u n d Ende des Kapitalismus bezeichnet. Heute, wo sich eine Überleitung der kapitalistischen Wirtschaft i n ruhigere, geregeltere Bahnen vollzieht, die Eindämmung der Krisengefahren erfolgt, also der Kapitalismus seine Auswüchse oder vielmehr K i n d e r k r a n k heiten abstreift, w i r d n u n gerade diese Erscheinung als ein Verhängnis, als der G r u n d f ü r das bevorstehende Ende des Kapitalismus verkündet. Gewinnt man hierbei nicht u n w i l l k ü r l i c h den Eindruck, daß hier an Stelle einer objektiven, logischen K r i t i k jeweils erst das Ziel gesetzt w i r d — das nahe Ende des Kapitalismus zu beweisen — , u n d dann, f ü r diese vorgefaßte Schlußfolgerung eine geeignete Beweisf ü h r u n g gesucht w i r d ? Die Frage übrigens, welche von diesen beiden, trotz ihrer gleichen Konklusionen, diametral entgegengesetzten Anschauungen, als Theorie, richtiger ist, können w i r hier nicht untersuchen. Daß aber diese beiden Diagnosen hinsichtlich einer realen Zukunftsentwicklung völlig falsch sind, erhellt schon aus dem i n den vorhergegangenen Seiten Ausgeführten. Denn gerade das P r i n z i p des absoluten Privateigentums u n d vielleicht noch mehr die dadurch angetriebene freie, schaffende Unternehmerinitiative sind j a die gestaltenden Kräfte dieser neuen Entw i c k l u n g und nicht ein staatlicher Zwang zur Zentralisierung oder ein bürokratischer D r a n g nach Gleichstellung. D i e neue Entwicklungsrichtung des Kapitalismus daher als eine Wendung zu einer Planwirtschaft i n sozialistischem Sinne zu deuten, ist ebenso ein Trugschluß, wie diesen W e g

140 des modernen Kapitalismus als zu einer solchen P l a n w i r t schaft f ü h r e n d zu betrachten, die etwa dem heutigen russischen System auch n u r i m entferntesten ähneln könnte. Einer solchen A r t Betrachtung der Dinge u n d der k o m menden Zukunftsentwicklung m u ß also ein absolutes Verkennen der heutigen Tendenzen zugrunde liegen. Denn die stets zunehmende rationelle Planmäßigkeit der kapitalistischen W i r t s c h a f t gibt dieser Gesellschaftsordnung nicht n u r junge Lebenskraft u n d eine neue, gesunde Richtung u n d Basis, sondern hat auch zur Folge, wie w i r j a gesehen haben, daß der Kapitalismus i m m e r mehr soziale Ausgleichskraft a n n i m m t u n d i m m e r mehr an sozialem Inhalt gewinnt. W i r können daher, auf G r u n d der heutigen Tendenzen, hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung, an Stelle eines Hochoder Spätkapitalismus, vielmehr sozusagen von einem Edelkapitalismus sprechen: veredelt i n dem Sinne, daß die w i r t schaftlichen Härten u n d die sozialen Ecken u n d Kanten der heutigen kapitalistischen Gesellschaftsordnung i m m e r mehr abgerundet werden, allmählich von ihrer Schärfe verlieren u n d der Boden somit f ü r ein wirtschaftlich, wie auch sozial hochwertigeres, also f ü r das unsererseits als Plankapitalismus bezeichnete System vorbereitet w i r d . D u r c h diesen kurzen Hinweis wollten w i r — ohne auf die darin berührten Probleme hier näher einzugehen — bloß zeigen, zu welchen gefährlichen Folgerungen und g r u n d legenden Trugschlüssen die Verkennung der heutigen Gegebenheiten u n d der gegenwärtigen Zukunftstendenzen f ü h r e n kann. Nicht weniger gefährlich sind aber auch jene Mißverständnisse partieller Natur, (welche durch die, weiter oben erwähnten Gegensätzlichkeiten des heutigen wirtschaftlichen u n d sozialen Lebens, noch gefördert werden. Eines der wesentlichsten dieser falsch beurteilten Momente, i n welchem

141 Viele einen verfänglichen Widerspruch erblicken, ist das Streben der einzelnen Länder, das heißt der Industrien derselben, trotz schon bestehender mannigfaltiger internationaler Kartellvereinbarungen, nach Erhaltung u n d sogar weiterem Ausbau der Zollschranken. W i e kann denn das Kartellwesen als der Vorbote zukünftiger überstaatlicher Organisationen gelten, wenn gleichzeitig m i t dieser internationalen Verständigung die staatliche Stütze der Zölle beansprucht w i r d ! Aber auch dieser Widerspruch ist bloß ein äußerlicher u n d findet i n verschiedentlichen Gründen seine berechtigte E r klärung. Vor allem ist die kartellmäßige E n t w i c k l u n g noch nicht so weit fortgeschritten, u n d insbesondere sind die internationalen Kartellgemeinschaften noch nicht so festgefügt, daß sich die einzelnen nationalen Industrien, h i n sichtlich ihrer Z u k u n f t u n d gesicherten Prosperität, bereits auf die Kartellvereinbarungen allein verlassen könnten. V o r l ä u f i g bedürfen also noch die Industrien, insbesondere die der kleineren Länder der Sicherung der weiterbestehenden Zölle, die ihre Position auch innerhalb der internationalen Kartelle wahren u n d stärken, respektive sie vor Überr u m p e l u n g oder sonstiger Gewalttätigkeit oder Benachteiligung seitens der mächtigeren Industriestaaten, das heißt seitens der stärkeren Industrien i n den größeren Ländern, schützen sollen. Es ist j a ein o f t wiederkehrender, objektiver V o r w u r f gegen die heute bestehenden internationalen Kartelle, daß die Industrien der politisch oder politisch bedingt w i r t schaftlich schwächeren Länder innerhalb dieser Kartelle sich m i t Quoten u n d Bedingungen zufriedengeben müssen, die ihrer wirklichen K r a f t u n d inneren Kapazität nicht entsprechen. Es werden insbesondere die Industrien der i n ihrer allgemeinen internationalen Position, durch die noch nach-

142 wirkende Kriegsmentalität u n d Nachkriegsatmosphäre gewissermaßen i m m e r noch geschwächten Staaten, bei den heutigen internationalen Vereinbarungen, von vornherein i n eine schlechtere Lage versetzt, als es sonst, bei normaler, objektiver Sachlage der Fall wäre. Diese Benachteiligung ergibt sich schon aus der Tatsache, daß diesen, durch p o l i tische Umstände geschwächten Industrien i n den internationalen Kartellen ein Platz zugewiesen w i r d , der ihrer heutigen, meist — eben weil größtenteils politisch bedingt — n u r vorübergehend herabgeminderten Stärke entspricht, wodurch aber dann diese, i n den heutigen Zuständen steckenden Ungerechtigkeiten u n d wirtschaftlich unobjektiven Kräfteverhältnisse quasi fixiert werden. Dies bewirkt jedoch weiter, daß die, diesen nationalen Industrien noch innewohnenden gesunden Entwicklungsmöglichkeiten u n d -fähigkeiten zurückgedrängt, also der natürlichen Entwickl u n g w i l l k ü r l i c h e D ä m m e entgegengestellt werden. Eine solche ungesunde u n d ungerechte Konstellation müßte j e doch auf die Dauer die ganze ruhige planwirtschaftliche E n t w i c k l u n g u n d Ausbaumöglichkeit des internationalen Kartellwesens hindern. U m all dem vorzubeugen u n d sukzessive abzuhelfen, sind heute noch Übergangsmaßnahmen notwendig. Denn diese gefährlichen grundlegenden, politisch bedingten Ungerechtigkeiten u n d Ungleichheiten von heute sind j a selbst bloß Zeichen einer Übergangszeit, die sich i m Laufe der weiteren E n t w i c k l u n g i m m e r mehr verm i n d e r n werden. U n d gerade diesem Zwecke dient auch die Inanspruchnahme der Schutzzölle f ü r die Dauer der Übergangszeit, i n der w i r uns derzeit befinden. Es liegt demnach der heutigen scheinbaren Gegensätzlichkeit der Schutzzoll- u n d gleichzeitigen internationalen Kartellpolitik der Industrien k e i n wirklicher, innerer Gegensatz, sondern viel eher die Zweckbestimmung zugrunde, f ü r

143 den zukünftigen A u f b a u u n d die Einteilung der bis dahin bereits festgefügten internationalen Kartelle, eine möglichst richtige, gerechte, d e f i n i t i v e Grundlage zu schaffen. Diese Schutzzollpolitik der Übergangszeit hat zweifellos auch nachteilige Seiten, indem zum Beispiel hierdurch, insbesondere i n internationaler Relation betrachtet, auch weniger fundierte u n d ungesunde Industrieeinheiten unverdientermaßen mitgeschützt werden. Solche Industrieeinheiten fallen aber i n der späteren plankapitalistischen Entwicklungsfolge, wie w i r wissen, ohnehin ab, n u r werden hierdurch die zukünftigen materiellen Opfer der Gesamtheit vergrößert. Diese größeren Opfer aber werden f ü r die Gesamtheit schließlich bei weitem nicht so viel Mehrbelastung bedeuten, als sie f ü r die betreffenden einzelnen Privat- u n d Nationalwirtschaften Vorteile bringen. Diese Vorteile wiederum gewährleisten den leichteren, reibungsloseren u n d rascheren Übergang zur endgültigen Ausgestaltung einer planeuropäischen Gemeinschaft; i m Endresultat also bringt auch dies Vorteile u n d Nutzen f ü r die Gesamtheit. Die heutigen, bloß autarkiebedingt gezüchteten i n d u striellen u n d andererseits auch agrarischen Produktionsstätten werden, wenn die p o l i t i s c h e n M o t i v e f ü r deren Weiterbestehen auf dem u n p o l i t i s c h e n W e g e des Plankapitalismus einmal eliminiert sind, zum größten T e i l freiw i l l i g aufgegeben oder sich leicht beseitigen lassen, u n d dann t r i t t auch i n den internationalen Zollfragen eine natürliche, i m m e r größere Entspannung ein. Den i n dieser Beziehung heute bestehenden Übelständen u n d Verkehrtheiten könnte man auf politischem oder paneuropa-wirtschaftlichem Wege nicht beikommen. E i n i m m e r mehr u m sich greifender Plankapitalismus müßte jedoch, sowohl wirtschaftlich, als auch i n psychologischer Hinsicht, auch die f ü r die Beseitigung dieser Übelstände er-

144 forderlichen Mittel u n d die hierzu notwendige Atmosphäre m i t sich bringen. W i r glauben, i m Laufe unserer bisherigen Ausführungen wiederholt den Beweis dafür erbracht zu haben, daß die Ausschaltung jedweder politisch inaugurierten Wirtschaftsprogramme f ü r die Gesundung der europäischen Wirtschaft eine unerläßliche Vorbedingung ist. N u n drängt sich aber doch die Frage auf, ob diese u n p o l i t i s c h e B e d i n g t h e i t sich m i t den Möglichkeiten des realen Lebens vereinbaren läßt, beziehungsweise ob u n d wie sie zu erreichen wäre. Kurz gesagt, ob das Unpolitische dieses von uns gezeichneten Zukunftsbaues, besonders unter den gegebenen Verhältnissen, nicht etwa m i t dessen Unmöglichkeit gleichbedeutend ist. Des weiteren, ob diese unpolitische Einstellung nicht eine zu einseitige u n d schon deshalb unrichtige ist. Es w ü r d e natürlich genügen, diesen Fragen einige konkrete Tatsachen entgegenzustellen u n d durch diese den schlagenden Beweis dafür zu liefern, daß eine Unzahl von M i ß ständen, Schwierigkeiten u n d Hindernissen beinahe von selber beseitigt, viele Fährlichkeiten u n d drohende K o m plikationen von vornherein vermieden wurden, dadurch, daß sich die Wirtschaftsgesetze f r e i u n d i n ihrer natürlichen Unbeeinflußtheit auswirken konnten. Diese Beweise sind j e doch i n F o r m von Tatsachen vorläufig noch zu embryonal vorhanden, u n d ihre günstigen Auswirkungen liegen daher noch i n der Z u k u n f t . Trotzdem aber möchten w i r , wenn auch derzeit n u r an Hand von sporadischen Beispielen, welche unseren zukünftigen Entwicklungsvorgängen gar nicht recht als geeignete Parallele dienen, also bloß annähernd, auf G r u n d einiger heutigen Gegebenheiten andeutungsweise demonstrieren, was die Entpolitisierung von Wirtschaftsfragen, f ü r deren Lösungsmöglichkeit schlechthin bedeutet, u n d welch u n u m -

145 gängliche Vorbedingung dies f ü r die E n t w i r r u n g der heutigen europäischen Lage u n d zur Lösung der vielen kontinentalen Probleme, i n der Richtung einer gesunden Z u kunftsentwicklung, darstellt. Die beinahe die ganze W e l t interessierende Frage der deutschen Reparationen, insbesondere die definitive Festsetzung der Höhe der Gesamtsumme u n d der A r t dieser Leistungen, die Ordnung u n d Regelung der A u f t e i l u n g u n d Abwicklung, konnte erst dann einer Lösung u n d Regulierung zugeführt u n d zu einem f ü r alle Beteiligten lebensnotwendigen Ruhepunkt gebracht werden, als, nach jahrelanger ergebnisloser B e m ü h u n g der P o l i t i k , die Lage zu gefährlich u n d zugespitzt wurde, u n d daher dieser ganze Fragenkomplex endlich entpolitisiert oder, besser gesagt, zumindest der Sphäre u n d dem unmittelbaren Machtbereich der Politik entrückt wurde. Noch viel bezeichnender ist aber das Folgende: D i e Frage einer gewissen Kollaboration der europäischen Notenbanken wurde, nach erfolgter Konsolidierung der europäischen Währungen nach dem Kriege, seit Jahr u n d Tag von allen Wirtschaftskundigen als unumgänglich notwendig erachtet u n d angestrebt, doch konnte trotzdem i m Interesse einer V e r w i r k l i c h u n g praktisch nichts erreicht werden. Die Frage blieb, ohne von der Tagesordnung der verschiedenen internationalen politischen oder ,,wirtschaftspolitischen' 4 Tagungen zu verschwinden, ungelöst, u n d bot ein hoffnungsloses Bild. Erst als man, nachdem sich die obige Frage f ü r die Politik endgültig als unlösbar erwies, unter Ausschaltung oder zumindest Zurückdrängung der P o l i t i k , ein (ob gut oder schlecht, m u ß sich erst erweisen) allenfalls verhältnismäßig rein "wirtschaftliches Instrument schuf, die sogenannte Reparationsbank, — erst dann u n d i m Rahmen derselben konnte auch die Lösung dieser, bis dahin erfolgF l e i s s i g , Planeuropa.

10

146 los propagierten, hochwichtigen Frage der Kollaboration der europäischen Notenbanken i n Angriff genommen werden. Diese wahrlich sehr bescheidenen Anfänge einer beginnenden Entpolitisierung der W i r t s c h a f t zeigen aber auch schon, daß, wo i m m e r es der W i r t s c h a f t n u r irgendwie gelingt, sich u n d ihre autonomen Gesichtspunkte durchzusetzen u n d i n die entwicklungsstarre F r o n t der P o l i t i k eine Bresche zu schlagen, sich zwangsläufig auch gleich weitere Möglichkeiten zur Lösung u n d Ordnung von Fragen erschließen, an deren E n t w i r r u n g , so notwendig u n d selbstverständlich sie auch wäre, die W i r t s c h a f t u n d die reine V e r n u n f t durch die P o l i t i k gehindert werden. Die vielfachen Erfolge u n d positiven Resultate, welche hinsichtlich der internationalen Verständigung u n d Annäher u n g der Nationen durch die großindustriellen Einheiten der europäischen Staaten i n den letzten Jahren der kartellwirtschaftlichen Entwicklung, sozusagen auf privatwirtschaftlicher Grundlage erzielt wurden, u n d welche die Politik nicht herbeizuführen vermochte, wollen w i r hier gar nicht ins Treffen führen. Denn diese Leistungen der neukapitalistischen W i r t s c h a f t gehören bereits i n den Gesamtkomplex der sich durch unseren plankapitalistischen Entwicklungsgang anbahnenden planeuropäischen Z u k u n f t und weisen somit auch schon auf die — an anderer Stelle besprochene — g r u n d s ä t z l i c h e Lösung des Problems: P o l i t i k und Wirtschaft, hin. F ü r Skeptiker d ü r f t e n allerdings die obigen kurzen H i n weise auf die heutigen spärlichen Ansätze zu einer Entpolitisierung der W i r t s c h a f t w o h l nicht als vollgültige Erfolgsbeweise gelten, weil sie eigentlich kaum mehr als embryonale Symptome sind, u n d die Erfolge daher e i n s t w e i l e n auch n u r dementsprechend geringe sein können.

147 Mehr beweiskräftig jedoch, als diese angeführten positiven Beispiele f ü r die Notwendigkeit der Entpolitisierung von Wirtschaftsfragen, sind vielleicht die negativen Erfahrungen, die w i r i n Fällen akuter u n d eklatanter Einmengung der Politik i n die WirtschaftsVorgänge beobachten können. Eines der krassesten Beispiele i n dieser Beziehung sind die i n jüngster Zeit i n Genf abgehaltenen, politisch inaugurierten Wirtschaftsverhandlungen über einen europäischen Z o l l frieden. Das einzige positive Resultat dieser, m i t großem Aufsehen, imposanter Aufmachung u n d viel schönen Reden ins W e r k gesetzten internationalen Verhandlungen war bekanntlich, daß es feierlich beschlossen wurde, nichts zu beschließen. Da n u n dieser negative Beschluß als einziges Positivum einer Konferenz, wo sich alle europäischen Mächte vertreten ließen u n d verantwortungsvolle Politiker — nach wochenlangen Vorbereitungen — tagelang herumdebattierten, doch kein gutes B i l d abgegeben hätte, ist man zum Schluß noch darüber ,,einig' 4 geworden, daß i n einem späteren Zeitpunkt, an Stelle eines Zollfriedens, hinsichtlich eines Zollwaffenstillstandes ein Übereinkommen zu treffen versucht werden soll. Soweit wäre n u n die Angelegenheit noch nicht gefährlich u n d — bis auf die Blamage, die sich die sogenannte internationale Genfer Wirtschaftspolitik hierbei holte — auch f ü r die Sache einer intereuropäischen Zollregulierung selbst, nicht besonders schädlich. Ungemein schädlich jedoch waren die K o n s e q u e n z e n dieses, wie übrigens eines jeden, weil unnützen Versuches einer politisch-initiativen Einflußnahme auf die W i r t s c h a f t . Denn während die nach Genf gesandten Vertreter der einzelnen europäischen Staaten sich i n schönen, theoretischen Reden über die Notwendigkeit der Beseitigung der europäischen Zollschranken ergingen, wurde zu Hause i n all diesen Staaten praktische Wirtschaftspolitik gemacht. U n d 10*

148 dies bestand darin, daß überall, als Konsequenz u n d Reaktion dieser Genfer „Wirtschaftsverhandlungen", eine wahre Sturzwelle von Zollerhöhungen u n d allen möglichen zollpolitischen Schutzmaßnahmen hervorbrach, die, ohne die Genfer Schreckschüsse, z u m guten Teil, wenn überhaupt, so erst viel später gefordert beziehungsweise durchgeführt worden, oder aber überhaupt nicht zum Vorschein gekommen wären. Das sind Fakten, unübersehbare u n d unbestreitbare Tatsachen, auf die wegen ihrer Gefährlichkeit nicht nachdrücklich genug hingewiesen werden kann. Denn diese Tatsachen bedeuten i n ihrer grotesken Gegensätzlichkeit u n d Widersinnigkeit nicht n u r so viel, daß gerade das Gegenteil dessen erreicht w i r d , was als Ziel gesetzt wurde, sondern auch noch — u n d dies ist vielleicht noch viel schlimmer — , daß durch solch gewaltsame Einmengung der Politik und ein derartiges Kreuzenwollen der Wege der Wirtschaft, diese Wege noch verworrener u n d selbst f ü r die Wirtschaft f ü r lange Zeit unfahrbar gemacht werden. Daß sich verantwortungsvolle Politiker dazu hergeben, daß sie durch die Wirtschaftspolitik der von ihnen i n den internationalen Konferenzen vertretenen Staaten, immer wieder — u n d selbst i n den von ihnen i n diesen Konferenzen verkündeten Richtlinien u n d Grundintenzionen — desavuiert werden, ist m i t gewöhnlichem Verstand schwer faßbar, interessiert uns aber hier weiter nicht. Daß aber ein solcher Grad von Unaufrichtigkeit i n der europäischen P o l i t i k , auf das Gebiet der zwischenstaatlichen Wirtschaftsfragen übertragen, allen, auch unpolitischen, internationalen Relationen die Vertrauensgrundlage entzieht u n d jedweden internationalen Verständigungsversuch hemmt, wie auch i m allgemeinen a u f das noch so zarte Gewebe der internationalen Beziehungen zersetzend u n d i n jeder Hinsicht demorali-

149 sierend wirken m u ß , ist klar u n d verursacht somit einem jeden Einzelnen von den Bewohnern des Kontinents heillosen Schaden. A l l diese fatalen Ergebnisse u n d Verkehrtheiten politischer Wirtschaftsführung sind jedoch unabwendbar u n d nicht anders möglich. Denn man kann doch kein neugeborenes K i n d unter allen üblichen Zeremonien zum Friedhof tragen u n d einen verstorbenen alten Mann unter die Taufe halten wollen. Ebenso kann man auch nicht zuerst Zölle abschaffen u n d dann erst dazusehen, ob u n d wie sich die einzelnen Wirtschaftsgebiete damit zurechtfinden u n d auskommen können. Gegen solche Versuche wehrt sich jeder W i r t schaftskörper aus natürlich-instinktivem Selbsterhaltungstrieb. Denn die Zölle sind ein — u n d zwar noch wesentlicher — Bestandteil der heutigen europäischen Gesamtwirtschaft, welche wiederum das Resultat einer langen, vielseitigen Entwicklung darstellt. Aus diesem Grunde, u m es, wenn w i r schon dabei sind, auch gleich festzulegen: Man kann Zölle — wie übrigens auch keine andere v o m lebendigen Wirtschaftsleben geschaffene E i n r i c h t u n g — überhaupt n i c h t a b s c h a f f e n , Zölle können n u r ü b e r f l ü s s i g w e r d e n , oder höchstens überflüssig gemacht werden. Dies erfordert jedoch nichts weniger, als politisches D i k t a t oder politische Initiative, es erfordert vielmehr die ungehemmt selbsttätige E n t w i c k l u n g der gesunden Wirtschaftstendenzen, i n ihrer evolutionistischen Unbeeinflußtheit. W i r d dieses Grundgesetz der W i r t s c h a f t mißachtet, so haben w i r diejenigen Folgen, wie >vir sie eben heute i n Europa erleiden. Weitere „Beweise" f ü r die Notwendigkeit unserer Forder u n g nach Entpolitisierung von Wirtschaftsfragen sind vorläufig n u r i n F o r m von logischen Schlußfolgerungen aus den Gesetzmäßigkeiten u n d Tendenzen der W i r t s c h a f t zu liefern. Diese werden jedoch i n diesem Zusammenhange,

150 den Tatsachen an W e r t kaum nachstehen, wenn w i r n u n darauf hinweisen, daß unsere unpolitische Einstellung keine Einseitigkeit i n sich begreift u n d auch k e i n e A u s s c h a l t u n g d e r P o l i t i k bedeutet, sondern bloß die Vormacht der Pol i t i k innerhalb der W i r t s c h a f t verpönt. N i c h t d i e P o l i t i k als s o l c h e w i r d a b g e l e h n t , s o n d e r n b l o ß d i e i n i t i a t i v e Einmengung und richtunggebende Einflußnahme derselben i n F r a g e n der W i r t s c h a f t u n d i n deren nat ü r l i c h - s e l b s t t ä t i g e E n t w i c k l u n g . D i e Politik darf der W i r t s c h a f t weder Gesetze vorschreiben noch sie sich dienstbar machen wollen, sondern sie m u ß , i m Gegenteil, bemüht sein, sich, durch richtige Erkenntnis der wirtschaftlichen u n d sozialen Gesetzmäßigkeiten u n d Notwendigkeiten, i n den Dienst der W i r t s c h a f t u n d der i n i h r liegenden gesunden Z u k u n f t s e n t w i c k l u n g zu stellen. D i e W i r t s c h a f t beherrscht j a auch heute die Politik, werden n u n vielleicht manche sagen, was theoretisch w o h l richt i g ist, de facto ist aber die W i r t s c h a f t heute nicht Herrin, sondern vielmehr Dienerin der Politik. W i r können dieses heutige schädliche Verhältnis u n d die Wechselwirkung zwischen W i r t s c h a f t u n d P o l i t i k am besten m i t der Lage des reichen Mannes vergleichen, der zwar Herr seines Geldes ist, aber i n W i r k l i c h k e i t anstatt es sich auch i n der Tat dienstbar zu machen, v o m Gelde besessen, zu dessen Diener w i r d . So ist heute auch die W i r t s c h a f t Dienerin der durch sie „beherrschten" P o l i t i k , u n d es ist gerade diese p o l i t i s c h e B o t m ä ß i g k e i t d e r W i r t s c h a f t — als deren Folge diese, anstatt die P o l i t i k i n ihre Dienste zu stellen, sich von derselben mißbrauchen u n d sich von i h r Wege u n d A u f gaben vorschreiben läßt — , die w i r als unheilvoll u n d einer dringenden Änderung bedürftig erachten. D u r c h Politisier u n g des Wirtschaftslebens kann die W i r t s c h a f t nie gesunden, durch wirtschaftliche Einsicht der Politik kann je-

151 doch positive Aufbauarbeit geleistet werden. Natürlich darf all dies wiederum nicht dahin ausarten, daß die W i r t s c h a f t und insbesondere die innerhalb der W i r t s c h a f t einander bekämpfenden partiellen Privat-, Standes- oder Parteiinteressen die Oberhand über die P o l i t i k gewinnen, sondern gerade i m Gegenteil, m u ß die P o l i t i k sich die Aufgabe setzen, die Gesamtinteressen u n d die w a h r e n a l l g e m e i n e n G r u n d t e n d e n z e n der W i r t s c h a f t i n G e g e n w a r t u n d Z u k u n f t v o r A u g e n zu h a l t e n u n d die sich diesen entgegenstemmenden Kräfte zu bannen. Eine positive Aufgabe wäre heute beispielsweise unter anderem das Zerstreuen der vielen Vorurteile u n d der Feindseligkeiten, die gegen die Kartelle i n weiten Kreisen konstatierbar sind. Die Beurteilung der Kartelle, deren Wesen u n d weiterer Ziele, sowie der Frage ihrer Nützlichkeit erfolgt i n der großen Öffentlichkeit bedauerlicherweise vielfach nicht n u r falsch u n d einseitig, sondern auch m i t einer gewissen Gehässigkeit. A u f viele, auch m i t wirtschaftlichen Dingen Vertrauten, w i r k t schon das W o r t Kartell wie ein rotes Tuch. Diesem sinnlosen u n d schädlichen Mißstand durch eine objektiv-autoritative Aufklärungsarbeit zu steuern, wäre i m Interesse der Allgemeinheit dringend notwendig. Innerhalb der allgemeinen natürlichen E n t w i c k l u n g j e doch k o m m t der P o l i t i k einzig die Aufgabe zu, durch ihre Autorität u n d Machtbefugnisse den etwaigen Auswüchsen und Übertreibungen zu steuern, diese i n die richtigen Bahnen zurückzudrängen. Die Politik ausschalten, sie aus dem sozialen u n d w i r t schaftlichen Leben als aktive K r a f t verbannen zu wollen, wäre nicht nur einseitig i n der Auffassung u n d bloßes Theoretisieren über eine praktische Unmöglichkeit, sondern heute noch auch ein gefährliches u n d unzweckmäßiges Bestreben. Denn, ebenso wie es nicht statthaft ist, daß die

152 P o l i t i k der W i r t s c h a f t Entwicklungsweg u n d Tempo vorschreibt, so kann u n d soll auch die Wirtschaft die Politik nicht gewalttätig, vorzeitig, der diesbezüglichen natürlichen E n t w i c k l u n g vorgreifend, zu ersetzen oder zu verdrängen trachten. I n der zukünftigen E n t w i c k l u n g werden Rolle u n d Aufgaben der P o l i t i k ohnehin Wandlungen unterworfen sein, w o h l w i r d sie auch einen großen T e i l ihrer heutigen Bedeutung einbüßen, wie w i r dies i m vorhergehenden Abschnitt schon angedeutet haben, u n d es gleich noch des näheren verfolgen werden können. Dies darf uns jedoch nicht dazu verleiten, dieser E n t w i c k l u n g vorzugreifen u n d sie zu hindern, ihren natürlichen, ebenfalls evolutionistisch bedingten Verlauf zu nehmen. Dies wäre nicht minder gefährlich u n d kein kleinerer Fehler, als der, den die paneuropäische Bewegung begeht, indem sie sich gewaltsam i n die natürliche Evolution der Wirtschaftsentwicklung einmengen u n d i h r vorgreifen w i l l . W e n n w i r Einsicht u n d Gewährenlassen f ü r die W i r t s c h a f t fordern, so müssen w i r auch dieselbe Einsicht der P o l i t i k gegenüber walten lassen, sonst ist die Gefahr einer selbstverschuldeten, unheilvollen Reaktion unvermeidlich. I n diesem Zusammenhange möchten w i r uns nunmehr m i t einer, obzwar f ü r unsere Untersuchungsmethode bereits ziemlich zukunftsfernen, aber besonders interessanten Phase der planeuropäischen Entwicklung, ein wenig näher befassen, u m dabei auch darauf hinweisen zu können, wie weit unser u n p o l i t i s c h e r W e g , also die Macht der, der P o l i t i k entrückten reinen, gesetzmäßigen Wirtschaftlichkeit, auch die g e s u n d e p o l i t i s c h e Z u k u n f t s l ö s u n g beinahe zwangsläufig herbeiführt. Die an früheren Stellen dieser Schrift bereits erwähnte Metamorphose der P o l i t i k i n planeuropäisch-interkontinentaler Beziehung zu einem bloßen Mittel der allgemeinen u n d internationalen Verwaltungstechnik

153 — die, m i t der h e u t i g e n Mentalität betrachtet, wahrscheinlich vielfach als Degradierung empfunden w i r d — können w i r , ähnlich der Rolle der überstaatlichen Organisationen der internationalen Kartelle, als eine sukzessive erfolgende, folgerichtige E n t w i c k l u n g der sich natürlich-selbsttätig herausbildenden planeuropäischen Gemeinschaft folgendermaßen vergegenwärtigen. Die i m m e r besser ausgebauten u n d festergefügten internationalen Kartelle beziehen die Regelung des internationalen Güteraustausches innerhalb u n d zufolge ihrer Organisationen und der Zusammenarbeit derselben, i m m e r mehr u n d ausschließlicher i n ihre Kontrolle ein u n d konzentrieren somit i n ihren Händen auch alle Aufgaben, welche i n diesem Zusammenhange kausalverbunden sich sehr weit über das ganze Gebiet der W i r t s c h a f t erstrecken u n d verzweigen. Hierdurch aber übernehmen diese, vorerst allmählich u n d beinahe unversehens zu internationalen Organisationen heranwachsenden Wirtschaftsgebilde, auch die bisher seitens der staatlichen, politisch-autoritativen Organe erfolgte Regelung der wirtschaftlichen Beziehungen u n t e r den einzelnen Staaten. Diese sich somit auf diese Weise zu überstaatlichen Organisationen herausgebildeten unpolitischen Einheiten, gewinnen dadurch, nach u n d nach auch die praktische Herrschaft über die Wirtschaftsentwicklung, sowohl innerhalb der einzelnen Landesgrenzen, als auch i n zwischenstaatlicher Beziehung. Allerdings w i r d sich der Unterschied zwischen national u n d international bedingten Interessen, i m Laufe dieser Entwicklung, insbesondere auf den europäischen Kontinent bezogen, i m m e r mehr ausschalten. Das auf diese A r t erfolgte Hinübergleiten der Wirtschaftsmacht i n die Hände der W i r t s c h a f t u n d die i m m e r engere u n d beziehungsreichere Y e r k n ü p f t h e i t u n d Vereinheitlichung der intereuropäischen Interessen w i r d der heutigen

154 Politik einerseits i h r bisheriges Machtgepräge nehmen und i h r andererseits, ein i m m e r schattenhafteres Dasein u n d eine i m m e r kleinere Rolle zuteil werden lassen. Die Einflußnahme u n d Ingerenz, sowie die aktive, initiative Betätigung der P o l i t i k i n bezug auf die Gestaltung der zwischenstaatlichen Beziehungen werden nämlich i m m e r mehr, automatisch beseitigt, bis eben auf diejenigen Gebiete modernen Staatswesens u n d moderner Staatsordnung, die w i r kurz als Verwaltungstechnik bezeichnet u n d abgegrenzt haben 1 . Über die, f ü r die heutigen Erfordernisse, u n d noch mehr f ü r die Notwendigkeiten von morgen allzu schmalen, labilen u n d vielfach schon morschen Pontonbrücken, denen die P o l i t i k als Verbindungsweg zwischen den einzelnen Ländern u n d Nationen gleicht, werden sich somit große, moderne Bogenbauten der W i r t s c h a f t , als breite, zeitgemäße, verläßliche Brücken spannen. Daß der zwischenstaatliche Verkehr u n d die internationale Fühlungnahme sich wie von selber a u f diesen neuen, bequemen u n d verläßlichen Verbindungswegen abwickeln, auf diese hinüberfluten w i r d , anstatt sich 1

Natürlich

bedeutet

diese A b g r e n z u n g

der P o l i t i k

ebensowenig eine De-

g r a d i e r u n g derselben, w i e der b l o ß der K ü r z e halber g e w ä h l t e A u s d r u c k Verw a l t u n g s t e c h n i k , den z u k ü n f t i g e n A u f g a b e n k r e i s der P o l i t i k r i c h t i g w i e d e r g i b t . Diese U m s t e l l u n g der P o l i t i k b e d e u t e t v i e l m e h r eine R ü c k k e h r zu ihrer wahren Aufgabe,

als ein S a m m e l b e c k e n der h u m a n i s t i s c h e n Wissenschaften,

höchste u n d g l e i c h z e i t i g p r a k t i s c h e s t e zu sein. D e n n neben ihren,

deren

innerhalb

der einzelnen V e r w a l t u n g s g e b i e t e sich ergebenden, i n n e r p o l i t i s c h e n A u f g a b e n , die n a t ü r l i c h a u c h w i c h t i g e v e r w a l t u n g s t e c h n i s c h e A g e n d e n b e i n h a l t e n werden, w i r d es i h r e w e i t e r e große A u f g a b e b i l d e n , alle k u l t u r e l l e n Fragen aufzugreifen, sie i n die r i c h t i g e n B a h n e n z u l e n k e n u n d die H e b u n g der a l l g e m e i n e n V o l k s w o h l f a h r t , v o n der V o l k s s c h u l u n g , V o l k s h y g i e n e , bis zu d e n h ö c h s t e n P r o b l e m e n der Wissenschaft u n d K u n s t , zu f ö r d e r n . I h r e Aufgabe w i r d es a u c h sein, den n o t w e n d i g e n besseren A u s g l e i c h ,

beziehungsweise

die größere

Annäherung

zwischen d e m k u l t u r e l l e n N i v e a u der großen Massen u n d der geistigen oberen Zehntausend

herbeizuführen,

sowie d e m r a p i d e n t e c h n i s c h e n F o r t s c h r i t t , an

d e m h e u t e a u c h die g r o ß e n Massen bereits i n h o h e m Maße p a r t i z i p i e r e n , auch f ü r diese u n t e r e n S c h i c h t e n einen geistigen, k u l t u r e l l e n I n h a l t zu geben,

155 weiter der alten, unbequemen u n d wenig verläßlichen Wege der Politik zu bedienen, ist ebenso selbstverständlich, wie die A r t selbst, i n der sich dieser Vorgang vollziehen w i r d . Dadurch w i r d natürlich der Verkehr auf den alten u n d schon veralteten Verbindungswegen der P o l i t i k , von selbst zusammenschrumpfen, während die Verbindungsbrücken der Wirtschaft i m m e r belebter u n d breiter werden, bis dann deren Verbindungscharakter k a u m noch als solcher erkennbar sein, er sich i n einer fast vollständigen Vereinheitlichung der einzelnen Gebiete u n d Länder verlieren w i r d . Bis dahin w i r d aber auch die P o l i t i k nicht mehr auf ihren eigenen, i m m e r verlassener u n d vereinsamter dastehenden Wegen allein weiter wandeln können, sondern w i r d diese verlassen, die alten Brücken, als überlebt, ohne Eklat u n d viel Aufhebens, abbrechen u n d den Platz den neuen W i r t schaftswegen ganz überlassend, a u c h s e l b e r diese e i n s c h l a g e n . Dann aber w i r d die, i m Laufe dieser E n t w i c k lung sich i m m e r mehr verallgemeinernde u n d die Interessen des Gesamtkontinentes zusammenfassende u n d vereinheitlichende Wirtschaft, zentrale Verwaltungsspitzenorganisationen benötigen. Diese neuen Organisationen werden, teils neben, teils jedoch über den bereits auch als solche ausgebauten überstaatlichen Organisationen der internationalen Kartelle bestehend, das allgemeine, einheitliche, planmäßige Funktionieren der neuen W i r t s c h a f t zentral regeln u n d überwachen u n d all die vielfältigen, speziellen u n d allgemeinen Interessen zusammenstimmen können. Sie werden m i t h i n immer mehr ü b e r die Dinge gestellt i n die Lage k o m men, alle innerhalb ihres Wirkungsbereiches zusammenlaufenden Fäden i n ihrer Hand zu behalten u n d übersichtlich zu ordnen. W ä h r e n d aber n u n die landesbegrenzte heutige Politik — auf die obenskizzierte A r t — nach u n d nach ihre Bedeutung einbüßt, an Einfluß ärmer w i r d u n d dem-

156 zufolge, w o h l nach einem vorübergehenden Leerlauf, sich den Aufgaben der engeren Verwaltungstechnik zuwendet u n d anpaßt, gewinnen diese miteinander kollaborierenden, internationalen Spitzenverbände und Organisationen nicht n u r i m m e r mehr an Bedeutung, sondern erhalten neben ihren zentralen wirtschaftstechnischen, Kontroll- u n d ordnenden Aufgaben, allmählich auch ein neues und n e u artiges politisches Gepräge. Denn diese zentralen Spitzenorganisationen beziehungsweise w o h l deren oberste Hauptorganisation, w i r d als eine Körperschaft, welche die Kontrolle über die gesamtkontinentale W i r t s c h a f t i n der Hand hält, selbstverständlicherweise nicht bloß die intereuropäischen, sondern auch die i n außenkontinentaler Beziehung sich ergebenden Möglichkeiten u n d Notwendigkeiten a m besten u n d am übersichtlichsten überblicken, abwägen u n d handhaben können. Demzufolge eröffnet sich hier auch i n politischer Hinsicht f ü r die Verschiebung beziehungsweise f ü r den Übergang zu einer einheitlich-einvernehmlichen gesamteuropäischen n e o p o l i t i s c h e n Leitung des Kontinentes, der natürliche, sich von selber ergebende Weg. Diese neuentstehende politische Gewalt w i r d aber ein von der heutigen P o l i t i k grundverschiedenes Gepräge und eine ganz andere Rolle haben. Diese Verschiedenheit wurzelt j a i n i h r e m entstehungsbedingten Charakter, denn sie ist j a aus der plankapitalistischen u n d euronationalen E n t w i c k l u n g heraus, u n d gleichzeitig m i t dem, deren Naturprodukt u n d Abschluß bildenden Planeuropa entstanden. Das harmonische Hinübergleiten der europäischen P o l i t i k i n eine planeuropäische Richtung u n d auf eine zentrale, neue politische Körperschaft, welche v o m Zeitgeiste gefördert, aus der die kontinentalen Gesamtinteressen vertretenden und ausgleichenden W i r t s c h a f t hervorgegangen ist — , das also gleichmäßig m i t der E n t w i c k l u n g der kontinentalen sozialen

157 u n d wirtschaftlichen Verhältnisse u n d dem sich hierbei einstellenden Mentalitätswandel erfolgt — , ist die politische Verankerung beziehungsweise der n e o p o l i t i s c h e A b s c h l u ß der von uns entworfenen unpolitisch-plankapitalistischen u n d e n t p o l i t i s i e r t e n p l a n e u r o p ä i s c h e n E n t w i c k l u n g . Natürlich sind sowohl diese Zukunftsphase selbst, als auch deren i m Obigen kurz skizzierten Etappen, die diese knappe Schilderung n u r i n vagen Konturen, bloß dem Wesen u n d der Grundrichtung nach wiedergeben kann, auch nur als Skizze zu werten, der es fernsteht, irgendwelche Einzelheiten des W i e , Was u n d W a n n , heute schon u n d i m Rahmen dieser Schrift, auch n u r berühren zu wollen. Der W e g zu dieser abschließenden Phase der planeuropäischen E n t w i c k l u n g f ü h r t j a auch keineswegs über gepflasterte Wege, sondern natürlich über tausenderlei Schwierigkeiten, Hindernisse u n d auch Rückschläge; er liegt auch noch i n ferner Z u k u n f t u n d m u ß erst sukzessive, evolutionsmäßig heranreifen. Jeder Versuch daher, selbst dieser, obgleich zukunftsbildenden Entwicklung, vorzeitig vorgreifen zu wollen, wäre zwecklos u n d überaus gefährlich, da die heutige P o l i t i k der plankapitalistischen Neop o l i t i k ebenfalls n u r auf die gleiche natürliche, entwicklungsbedingte A r t allmählich Platz machen kann u n d w i r d , wie die heutige Wirtschaft der plankapitalistischen. U n d bis dahin, i m Laufe dieser E n t w i c k l u n g ist es der P o l i t i k w o h l möglich, daß sie auf die selbsttätige Wirtschaftsentwicklung hemmend e i n w i r k t u n d sie sogar aus der richtigen Bahn schleudert. Allerdings kann die P o l i t i k eine solche Behinderung oder Verdrängung der natürlichen, gesunden W i r t schaftsentwicklung bloß vorübergehend, nicht aber definitiv bewirken; i n der heutigen zugespitzten Situation kann jedoch auch schon ein vorübergehendes Verdrängen der natürlichen Wirtschaftstendenzen zu Katastrophen führen,

158 indem der endgültige Sieg der entwicklungsbedingten Tendenzen, eventuell dadurch ganz vereitelt w i r d , daß — bevor sich die Wirtschaftskräfte durchzusetzen vermögen — ein Chaos schon früher alles verschlingt. D a s C h a o s , das u n v e r m e i d l i c h s c h e i n t , w e n n m a n b e d e n k t , daß d e r K a p i t a l i s m u s , also d e r u n g e h e m m t e I n d i v i d u a l i s m u s , ü b e r h o l t u n d k r a n k , daß sein G e g e n p a r t , der Sozial i s m u s , das h e i ß t d e r s t a r r - p l a n m ä ß i g e K o l l e k t i v i s m u s , u n z e i t g e m ä ß u n d u n t a u g l i c h i s t , u n d w e n n der d r i t t e W e g des n a t ü r l i c h e n K o m p r o m i s s e s , d e r P l a n k a p i t a l i s m u s , das i s t d i e i n d i v i d u e l l - p l a n m ä ß i g e W i r t s c h a f t , sich n i c h t a u s w i r k e n u n d daher n i c h t z u m Z i e l f ü h r e n k a n n , w e i l dieser geeignete W e g der E n t w i r r u n g , d u r c h P o l i t i k v e r r a m m e l t i s t . Es harrt hier also der P o l i t i k eine große Aufgabe, die jedoch d e m W e s e n n a c h ebenso einfach zu lösen ist wie auch w o h l der ganze oben geschilderte Entwicklungsvorgang selbst, der berufen ist, uns aus den komplizierten Verworrenheiten der heutigen Verhältnisse zu führen, natürlich, also grundsätzl i c h ebenfalls einfach ist. Diese natürliche Einfachheit dürfte allerdings vielfach als eine allzu große, unberechtigte Vereinfachung der Probleme mißdeutet werden, auf welche Frage w i r sogleich zu sprechen kommen. Vorerst möchten w i r jedoch noch einem anderen eventuellen Mißverständnis vorbeugen. W e n n w i r nämlich den Plankapitalismus als den heute einzig möglichen W e g bezeichnen, auf dem A b h i l f e geschaffen u n d das notwendig gewordene neue Fundament des sozialen u n d wirtschaftlichen Lebens gelegt werden kann, ohne hierbei das Wertvolle i m Gegenwärtigen (also morgen schon Vergangenen) zu zerstören, sondern es i n die Z u k u n f t hinüberzuretten, so w i l l damit nicht gesagt sein, daß w i r i n dieser neuen Richtung eines Plankapitalismus etwa einem

159 absoluten Idealzustand entgegengehen. Auch daß w i r die Schattenseiten einer kapitalistischen Planwirtschaft u n d eines Planeuropa nicht berührt haben, geschah bewußtermaßen. Denn, sicherlich u n d naturnotwendig w i r d auch der Plankapitalismus seine Mängel u n d Schattenseiten m i t zur Welt bringen. Eine jede Wirtschaftsverfassung trägt doch neben ihren Vorzügen u n d Mängel auch schon ihre eigenen Todeskeime i n sich, sie züchtet sie sogar selber. Solange aber diese Todeskeime i n dem Wirtschaftskörper nicht virulent werden, sind sie ebenso ergänzende, j a notwendige Teile der jeweiligen Wirtschafts Verfassung wie die derselben innewohnende Lebenskraft u n d Stärke. Erst das Virulentwerden der sich automatisch selbstzüchtenden Todeskeime bedeutet den Anfang des Zerstörungsprozesses u n d die Notwendigkeit einer grundlegenden A b h i l f e u n d Ablösung des betreffenden Wirtschaftssystems. W i r wollten jedoch i m Rahmen dieser Schrift bloß eben auf die Zukunftsmöglichkeiten hinweisen, die gegeben u n d berufen erscheinen, grundlegende A b h i l f e zu schaffen u n d den heutigen, allem Anschein nach von v i r u lent gewordenen Todeskeimen durchsetzten ungezügelten Kapitalismus abzulösen u n d zu ersetzen. Die Eignung des Plankapitalismus hierzu, sowie dessen zukunftbildende Fähigkeit haben w i r bereits eingehend geprüft, eine weitere Analyse dieser Zukunftsepoche, hinsichtlich deren sich ergebenden Schattenseiten u n d neuen, selbstzerstörenden Kräfte ist aber bereits außerhalb der Reichweite des heute schon Erkennbaren, daher, als n u r kombinative Prophezeiung, f ü r uns hier nicht mehr von Interesse. Aus demselben Grunde haben w i r auch die Frage der europäischen Kolonien, sowie die der außenkontinentalen Beziehungen u n d Gruppierungen f ü r die Zeit eines k o m menden Planeuropa unberührt gelassen, obzwar Z u k u n f t s kombinationen i n dieser Hinsicht i n der jüngsten Zeit all-

gemein sehr beliebt sind. Nicht n u r Graf Coudenhove, auch manche andere haben verschiedene Prophezeiungen aufgestellt, wie sich die zukünftigen Interessengruppierungen, Schutz- u n d Trutzbündnisse der Weltmächte u n d K o n t i nente untereinander gestalten werden oder sollen. Meiner Ansicht nach sind jedoch alle solche Grübeleien und deren sämtliche Varianten — wie z u m Beispiel, ob Amerika u n d Europa sich gegen die asiatischen Mächte verständigen, oder Nordamerika m i t Südamerika vereint gegen Europa auftreten, oder ob sich Japan u n d China m i t oder gegen das übrige Asien, Europa sich m i t Rußland gegen den angelsächsischen Weltblock zusammenfinden w i r d usw. — all das sind n u r vage Spekulationen i n luftleerem Raum. F ü r die Zeit eines kommenden Plankapitalismus, beziehungsweise Planeuropa solche Zukunftskombinationen zu wagen, wäre ebenfalls völlig wertlos, zumal sowohl die plankapitalistischen Strukturänderungen i n der Wirtschaft, wie auch der Mentalitätswandel i n der P o l i t i k innerhalb eines z u k ü n f tigen Planeuropa, neuartige Interessenbedingtheiten u n d Gesichtspunkte m i t sich bringen müssen. Es lassen sich die neuen Ziele u n d Notwendigkeiten, die sich erst aus den kommenden Verhältnissen u n d deren Erfordernissen ergeben u n d sich diesen jeweils anpassen müssen, heute noch unmöglich erkennen. Sicherlich soll u n d w i r d auch die plankapitalistische E n t w i c k l u n g einschlägige wichtige Momente nicht aus dem Auge verlieren, diese Momente werden sogar die E n t w i c k l u n g des Plankapitalismus, insbesondere aber die eines Planeuropa, i n mancher Hinsicht beeinflussen. Aber all dies liegt einerseits ebenfalls bereits außerhalb der Reichweite des heute schon Erkennbaren; andererseits können derartige Erwägungen die erkannten heutigen zukunftgestaltenden Grundtendenzen der plankapitalistischen Entwick-

lungsevolution nicht berühren oder dem Wesen nach ändern. Was n u n die eventuelle Einwendung einer allzu großen Vereinfachimg der Probleme anbelangt, so werden i n dem von uns vorgezeichneten Entwicklungswege n u r diejenigen eine solche erblicken, die, nicht fähig das Wesen u n d den Kern der Probleme von deren Einzelheiten u n d Verästelungen zu sondern, kein Auge f ü r die i n der Selbstverständlichkeit der von uns gezeichneten E n t w i c k l u n g bedingte E i n fachheit haben, sondern die Einfachheit als eine w i l l k ü r l i c h e Vereinfachung betrachten u n d demzufolge an deren Selbstverständlichkeit nicht glauben können. W i r möchten daher dieser Einwendung bloß entgegenhalten, daß dem Wesen nach k o m p l i z i e r t n u r Erkünsteltes, Konstruiertes (wie z u m Beispiel Paneuropa) oder aber etwas bereits Verfahrenes, Überholtes u n d doch noch Bestehendes (wie z u m Beispiel der heutige Kapitalismus) sein kann. Das Natürliche u n d selbstentstanden Gesunde (wie z u m Beispiel der Plankapitalismus oder Planeuropa) ist stets das, was w i r als „ e i n f a c h " empfinden. Die Ziele determinieren m m auch die zu ihrer Erreichung notwendigen Mittel u n d Wege, das heißt, daß auch die Mittel, die zur Erreichung von natürlich-entwicklungsbedingten Zielen anzuwenden sind, i n i h r e m Wesen u n d i n ihren Grundzügen ebenfalls n u r einfache u n d sich quasi von selber ergebende sein können. W e n n hier also z u m Schluß die Frage aufgeworfen w i r d , welche Aufgaben den wirtschaftlichen u n d auch politischen Kräften der europäischen Länder i m Dienste einer allgemeinen zukünftigen Gesundung heute zukommen, so können w i r feststellen, daß diese Aufgaben vor allem i n einem r i c h t i g e n Erkennen der Gegebenheiten, i n der E r f a s s u n g der i h n e n i n n e w o h n e n d e n K r ä f t e und in F l e i s s i g , Planeuropa.

11

1Ö2 dem B e w u ß t w e r d e n der eventuell oft bloß aus w i r t schaftspsychologischen Gründen u n d Motiven verkannten oder verdrängten, den allgemeinen Interessen entsprechenden u n d z u k u n f t s l ö s e n d e n G r u n d t e n d e n z e n bestehen. So interessant es auch wäre, die Probleme und Pflichten der P o l i t i k u n d W i r t s c h a f t hinsichtlich der vielfältigen täglichen Einzelfragen u n d Teilaufgaben zu präzisieren, so ist dies weder Aufgabe dieser Schrift (obgleich sie w o h l als Anregung hierzu dienen kann), noch paßt es i n deren Rahmen. Die Behandlung dieser Probleme ist aber vom Standpunkt unserer Ausführungen u n d deren Zielsetzung hier auch nicht notwendig, da j a alle aktuellen u n d noch auftauchenden Fragen — ob sie n u n i n unseren bisherigen Ausführungen berührt oder auch unerwähnt gelassen wurden — die richtige Handhabung erfahren müssen, wenn sie i m Sinne der Ausgestaltung der auf den vorhergegangenen Seiten i m Heutigen erkannten Zukunftslinie gelöst werden. Die Erkenntnis dessen aber, was i n dieser Beziehung zuträglich u n d fördernd ist, beruht, auf G r u n d unserer Ausführungen, i n der jeweiligen Anwendung der aus ihnen gewonnenen, richtunggebenden u n d grundlegenden P r i n zipien, a u f das jeweils Aktuelle u n d Spezielle, welche allgemeine E r k e n n t n i s g r u n d l a g e eben Ziel u n d Aufgabe dieser Schrift ist. A l l dies involviert natürlich auch i n hohem Maße die W i c h t i g k e i t dessen, daß die heutigen Verhältnisse u n d unsere allgemeine Wirtschaftskonstruktion als Ü b e r g a n g s z e i t u n d — K o n s t e l l a t i o n erkannt und gewertet werden. Eine ebenso wichtige Voraussetzung ist, daß das freie Spiel der Kräfte sich auch innerhalb der neuen, planmäßigen, aber individualistischen W i r t s c h a f t des Plankapitalismus weiter auswirken u n d seine eigenen neuen Regeln u n d Gesetze schaffen könne. A n Stelle dieses freien Kräftespiels der

163 natürlichen E n t w i c k l u n g papierne Gesetze, also tote Buchstaben setzen zu wollen, ist nicht n u r aus dem Grunde ein Nonsens, weil sich die Wirtschaft die notwendigen Regulativen, die ihrer eigenen Gesetzmäßigkeit entsprechen — wie w i r dies an jeder Stelle u n d i n jeder Beziehung immer wieder konstatieren konnten — stets selbst u n d aus sich selber schafft. E i n U n d i n g ist es weiter auch darum, weil sich j a später, bei ausgebauter u n d bereits festgefügter Planwirtschaft, natürlich auch die Gesetzgebung r e f o r m bedürftig erweisen w i r d u n d sich der neuen E n t w i c k l u n g ebenso selbstverständlich w i r d anpassen müssen, wie auch zu Zeiten der Postkutsche andere Gesetze u n d Vorschriften gegolten haben u n d notwendig waren, als welche geeignet sind, das heutige internationale Verkehrswesen zu regeln. Ebenso aber, wie sich die Gesetzgebung der E n t w i c k l u n g der Verkehrstechnik anpassen mußte u n d nicht umgekehrt die Entwicklung der Verkehrstechnik den g ü l t i g gewesenen Gesetzen unterworfen wurde, w i r d sich auch die heutige Gesetzgebung der neuen plankapitalistischen E n t w i c k l u n g sukzessive anpassen müssen, nicht aber — wie es leider viele versuchen wollen — , daß die Wirtschaftsentwicklung den heutigen Gesetzen gefügig gemacht, respektive i n diese hereingezwängt w i r d . Unsere D e v i s e lautet also, den vorgezeichneten Z u k u n f t s tendenzen i n keiner Hinsicht w i l l k ü r l i c h vorzugreifen u n d auf die durch diese Tendenzen bedingte E n t w i c k l u n g nicht retartierend, sondern bloß regulierend, allenfalls aber f ö r dernd einzuwirken. Dies bestimmt aber auch die Aufgaben, an deren Lösung jeder Europäer, welcher Nationalität, i m m e r mitarbeiten m u ß , u m dadurch der völligen Zerr ü t t u n g Europas Einhalt zu gebieten u n d die diesem K o n t i nent gebührende Weltstellung wiederherstellen zu helfen — Ii*

1Ö4 wodurch m a n gleichzeitig u n d i m gleichen Maße auch den Interessen seiner eigenen Heimat dient. Als W e g w e i s e r h i e r f ü r diene der Inhalt u n d das S y s t e m dieser S c h r i f t ; die empirisch-logische Erfassung u n d Verf o l g u n g der bereits i n unserer Gegenwart beschlossen liegenden Z u k u n f t u n d ihrer wahren Tendenzen. Dies aber beansprucht, wie w i r es n u n gesehen haben, kaum mehr als eine richtige u n d aufrichtige E r k e n n t n i s des B e k a n n t e n , also der unbekannt scheinenden Z u k u n f t aus der bekannt scheinenden Gegenwart.

X.

W

i r können diese Arbeit nicht als beendet betrachten, bevor w i r nicht noch einige W o r t e n u n m e h r direkt an die Adresse der Paneuropa-Bewegung u n d deren F ü h r e r gerichtet haben. Der Ausweg aus dem heutigen Chaos, j a die einzige Rettung Europas u n d m i t i h m vielleicht auch die k ü n f t i g e W e i t e r - u n d Höherentwicklung der übrigen K u l t u r w e l t liegt i n der E r reichung der Z i e l e , die sich die Paneuropa-Bewegung gesetzt hat. Die M i t t e l jedoch, die sie zur Erreichung dieser Ziele anwendet, sind untauglich, i h r K a m p f ein W i n d m ü h l e n k a m p f , ihre Waffen stumpf. I h r P r o g r a m m ist weltfremd, ihre W o r t e zünden n i c h t ; sie lösen höchstens stillen, passiven Beifall aus. Es ist ein W u n s c h t r a u m , ein Ideal. D e r W e g der Paneuropa-Bewegung ist verschwommen u n d gefährlich. Es haben sich i h m zwar theoretisch viele angeschlossen, doch verfolgen auch diese i m werktätigen Leben, i n ihrer Arbeit u n d i h r e m Wirkungskreis auch weiterhin die alten, veralteten Methoden. Schuld an diesem W i d e r s p r u c h u n d praktischen Fiasko trägt nicht diese Anhängerschar, sondern allein die pan-

66 europäische Bewegung selbst. Denn was soll ein Fabrikant, Händler, Ö k o n o m usw. m i t seiner noch so aufrichtigen Paneuropa-Weisheit u n d -Überzeugung anfangen?! Er n i m m t — wie die Pazifisten seinerzeit ihre Überzeugung m i t i n den Schützengraben genommen haben — seinen Paneuropa-Glauben m i t i n den Daseinskampf des täglichen Lebens u n d kann praktisch ebensowenig danach handeln, wie es auch der Pazifist i m Schützengraben nicht t u n konnte. Paneuropa w i r d somit bloß ein Meditationsstoff für M u ß e s t u n d e n a u c h f ü r seine A n h ä n g e r , a n s t a t t d e r e n a k t i v e A r b e i t zu e r f ü l l e n u n d i h r einen p r a k t i s c h e n I n h a l t u n d n e u e R i c h t u n g z u geben. Internationale Tagungen m i t schönen W o r t e n u n d Redensarten, das Plakatieren der Überzeugung i m Knopfloch, das Spiel m i t Idealen; d u r c h all dies k o m m t die Sache nicht — u n d heute weniger denn j e — weiter. D a m i t komprom i t t i e r t man vielmehr auch noch die Idee, das Ziel, also auch den gesunden Kern. D i e Arbeit der Paneuropa-Bewegung darf sich aber nicht i n der Propaganda-Tätigkeit ausleben, ihre Propaganda m u ß vielmehr i n ihrer Arbeit selbst u n d den dadurch geschaffenen Tatsachen bestehen. P a n e u r o p a d a r f n i c h t z u m I d e a l e r s t a r r e n , w e i l es l e b e n d i g e R e a l i t ä t w e r d e n m u ß . Nicht hohe Ziele, ohne gangbare Wege dazu; faßbare Möglichkeiten zu realen Zielen sind heute vonnöten. Meint es die Paneuropa-Bewegung ernst u n d ehrlich — woran w i r nicht zweifeln können, da man h i e r f ü r die Garantie i n der Person ihrer Führer hat — , so m u ß sie aus den W o l k e n herniedersteigen u n d sich m i t beiden Füßen a u f den Boden der Tatsachen stellen. Sie m u ß i h r P r o g r a m m r e v i d i e r e n , sie m u ß v o n d e r P o l i t i k a b l a s s e n u n d s i c h d e r W i r t s c h a f t z u w e n d e n . Sie m u ß s i c h e i n d e n N o t -

i6 7 w e n d i g k e i t e n u n d M ö g l i c h k e i t e n angepaßtes P r o g r a m m zu e i g e n m a c h e n u n d m u ß a u f h ö r e n , das p r a k t i s c h e S t r e b e n u n d d i e A r b e i t f ü r das E n d z i e l s e l b s t i h r e n A n h ä n g e r n u n m ö g l i c h z u m a c h e n ; sie m u ß ihnen v i e l m e h r den d o r t h i n f ü h r e n d e n p r a k t i s c h e n W e g weisen. D i e paneuropäische B e w e g u n g m u ß den l u f t l e e r e n R a u m i h r e r h e u t i g e n I d e o l o g i e m i t den lebendigen F o r d e r u n g e n der w a h r e n Z u k u n f t s tendenzen vertauschen u n d sich m i t diesen i d e n t i f i z i e r e n . Sie d a r f n i c h t d e n K o n t a k t z w i s c h e n G e g e n w a r t u n d Z u k u n f t v e r l i e r e n , sie m u ß i n i h r e m P r o g r a m m die N o t w e n d i g k e i t e n der Z u k u n f t m i t den M ö g l i c h k e i t e n der G e g e n w a r t u n d die G e g e b e n h e i t e n der G e g e n w a r t m i t den E r f o r d e r n i s s e n der Z u k u n f t i n E i n k l a n g b r i n g e n . Sie m u ß i n d i e s e m S i n n e u n d i m D i e n s t e dieses Z i e l e s s i c h r e s t l o s d e r A k t i v i t ä t w i d m e n u n d die moderne Götterburg i n Genf nicht zur papiernen Anerkennung ihrer Ideale, sondern zur p r a k t i schen Mitarbeit f ü r ihre praktischen Ziele auffordern. Sie m u ß eine ständige, p r o d u k t i v e V e r b i n d u n g m i t den europäischen W i r t s c h a f t s k r ä f t e n anbahnen und muß sich — anstatt sich der P o l i t i k u n d deren Rapsodien auszuliefern u n d sich i h r als Mittel zur V e r f ü g u n g zu stellen — die P o l i t i k dienstbar machen. Ist es also der Paneuropa-Bewegung ernstlich u m die Sache zu tun, so m u ß sie von der Theorie zur Praxis übergehen, s t a t t e i n b l o ß e s G l a u b e n s b e k e n n t n i s z u v e r k ü n d e n , d i e r i c h t i g e E r k e n n t n i s des N o t w e n d i g e n u n d M ö g l i c h e n v e r b r e i t e n u n d a u f dieser G r u n d l a g e ihre bisherige Passivität aufgeben u n d aktiv entw i c k l u n g s f ö r d e r n d i n die Geschehnisse e i n g r e i f e n . D e n n erst wenn die paneuropäische Bewegung selbst aus ihrer Passivität heraustritt, beziehungsweise ihre heutige

68 Scheinaktivität f ü r eine wirkliche, zweckentsprechende A k tivität eintauscht u n d i h r r i c h t i g e s Z i e l a u c h d u r c h d i e r i c h t i g e n M i t t e l v e r f o l g t , n u r dann kann es i h r möglich werden, den W i l l e n der Europäer i n motorische K r a f t u m zuwandeln u n d aktiv i n den Dienst der V e r w i r k l i c h u n g zu stellen. A l l das h e i ß t a b e r : s i c h a u f d e n B o d e n der T a t s a c h e n u n s e r e s P l a n e u r o p a z u s t e l l e n , u m den gegebenen leeren Rahmen des heutigen Paneuropa m i t Realität zu füllen. Es bedeutet also, die langsam der Totenstarre eines heeren Ideals anheimfallende M a t e r i e P a n e u r o p a d u r c h das p l a n e u r o p ä i s c h e P r o g r a m m z u b e l e b e n ; w e l c h e s das e r w ü n s c h t e E n d z i e l a u f d e m p r a k t i s c h e n Z u k u n f t s w e g e des P l a n k a p i t a l i s m u s h e r b e i f ü h r t . D e n n w i r wiederholen: D i e paneuropäischen W o r t e zerschellen an den K l i p p e n der P o l i t i k u n d an den Härten des realen Lebens, die planeuropäischen Tatsachen bieten ihnen Trotz u n d setzen sich durch. Kentert aber die paneuropäische Bestrebung, bevor sie sich — der entwicklungsbedingten planeuropäischen Richtung anschließend u n d anpassend — umstellt u n d rettet, so kentert auch das ruderlose Schilf des heutigen Europa. Denn so unvermeidlich zufolge des Yersagens der heutigen kapitalistischen Wirtschaftsverfassung u n d der Unzulänglichkeit einer sozialistischen Wirtschaftsordnung das Chaos erscheint, wenn sich der gesunde Ausweg der plankapitalistischen E n t w i c k l u n g nicht rechtzeitig durchzusetzen vermag, so u n a b w e n d b a r m u ß a u c h d i e h e u t i g e Z e r s p l i t t e r t h e i t u n d U n e i n i g k e i t des K o n t i nents, b e i der U n z u l ä n g l i c h k e i t der p a n e u r o p ä i s c h e n K o n s t r u k t i o n , die A n a r c h i e h e r a u f b e s c h w ö r e n , w e n n die n a t ü r l i c h e E n t w i c k l u n g zur planeuropäischen E i n h e i t n i c h t e n t s p r e c h e n d g e f ö r d e r t oder gar d u r c h Unverständnis hintangehalten wird.

169 Der Forderung nach einer i m obigen skizzierten R e v i s i o n d e r p a n e u r o p ä i s c h e n B e w e g u n g kann man somit objektiv wohl nicht aus dem Wege gehen. W i r glauben aber auch, durch diese Forderung den — bewußten oder unbewußten — Wunsch u n d Gedanken Vieler, den paneuropäischen Zielsetzungen auch Gutgesinnten, z u m Ausdruck gebracht zu haben. Denn sicherlich empfinden Viele die Lücken u n d Gefahren, das Hohle u n d W e l t f r e m d e i n der heutigen paneuropäischen Konstruktion. W i r haben aber i n dieser Arbeit den W e g u n d die Mittel gezeigt, die gerade diese Lücken auszufüllen u n d diese Mängel zu beheben geeignet sind. N u n wollen w i r auch noch kurz auf den sich bietenden, geeigneten Ansatzpunkt hinweisen, w o die paneuropäische Bewegung heute diese ihre notwendige Umstellung u n d A k t i vierung i n unserem Sinne vollziehen u n d dokumentieren könnte u n d müßte. Die jetzige Weltagrarkrise droht speziell f ü r Europa u n heilvoll zu werden, zumal sie gerade seinen verwahrlosesten u n d desorganisiertesten Produktionszweig ins Mark trifft. W i r haben es an früheren Stellen dieser Arbeit dargelegt, daß der erste Schritt zur Konsolidierung der europäischen Landwirtschaft — durch eine Verständigung zwischen den europäischen Getreide-Import u n d Getreide-Export-Staaten gefördert — i n der Organisierung der landwirtschaftlichen Verwertungstätigkeit besteht. I n dieser Richtung hätte n u n die paneuropäische Bewegung ihre neue Tätigkeit aufzunehmen u n d aktiv einzugreifen. Es würde i h r hierbei verhältnismäßig leicht gelingen, heute auf diesem Gebiete Positives zu leisten. Denn wenn sie sich, an Stelle von politischen Traumgebilden, i n den Dienst der gesamteuropäischen W i r t schaftsinteressen stellen u n d ihre Propagandatätigkeit — i n ständigem Kontakt m i t der W i r t s c h a f t — den jeweiligen Erfordernissen der planmäßigen Wirtschaftsentwicklung

170 w i d m e n würde, so könnte sie heute, durch die Verbreitung der Erkenntnis der absoluten Notwendigkeit u n d realen Möglichkeit einer i m allgemeinen Interesse liegenden Verständigung zwischen den kontinentalen Industrie- und Agrarländern, auch ihre eigenen Ziele am besten fördern. U n d wenn sich dann die europäischen Ländervertreter an Stelle von zur U n p r o d u k t i v i t ä t verurteilten ZollfriedenKonferenzen z u m S t u d i u m u n d zwecks Beschlußfassung hinsichtlich eines allgemeinen europäischen A n t i - D u m p i n g Gesetzes zusammenfänden, wäre auf dem Wege zur Rettung u n d Wiederaufrichtung Europas der schwierigste Anfang überwunden. Aber auch die europäische Agrarproduktion selbst dürfte sich i n ihrer heutigen jämmerlichen Situation nicht mehr lange damit begnügen, beziehungsweise sich darauf beschränken, unter Wehklagen weiter auf ein W u n d e r zu warten. U m 'jedoch die notwendige, etappenweise Rationalisierungsprozedur i n der Landwirtschaft i n Gang zu bringen, sie eigentlich bloß auszulösen, bedarf es einer quasi neutralen Initiative von außen her, u n d als solche zu dienen wäre eben die zweite aktuelle Aufgabe der neuorientierten paneuropäischen Bewegung. Zumindest die Zusammenfassung der nationalen Verwertungstätigkeit i n den wichtigeren europäischen Agrarländern u n d die Schaffung von regionalen Export-Verwertungsgemeinschaften unter denselben m ü ß t e vorläufig durch die neopaneuropäische Bewegung angeregt u n d unterstützt werden. W e n n auch anfangs hier u n d da staatliche Eingriffe oder sonstige autoritative Nachhilfe nötig sein werden, damit das gewünschte Ziel durchgreifend v e r w i r k l i c h t werden kann, der Enderfolg ist diesen Bestrebungen sicher; denn den weiteren Entwicklungsweg gewährleisten die gesunden Auswirkungen der einmal ausgelösten natürlichen Wirtschaftskräfte.

171 Hat aber die paneuropäische Bewegung einmal diese Richtung eingeschlagen — u n d w i n k t i h r sogar dabei der von allen herbeigesehnte E r f o l g — , so hat sie u n d die von i h r verfochtene Sache einen bedeutenden Schritt vorwärts getan.