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German Pages 318 [319] Year 2024
PHILOSOPHIEREN MIT FILMEN IM UNTERRICHT – METHODEN IM PHILOSOPHIE- UND ETHIKUNTERRICHT – Herausgegeben von Martina und Jörg Peters
Band 1
Die Reihe Methoden im Philosophie- und E thikunterricht ist auf zwölf Themenbände angelegt, die sukzessive erscheinen werden: 1
Philosophieren mit Filmen im Unterricht
2 Philosophieren mit Gedankenexperimenten 3
Philosophieren mit Dilemmata
4 Philosophieren mit Comics und Graphic Novels 5
Textarbeit im Philosophie- und Ethikunterricht
6 Philosophieren mit Spielen 7
Literatur und Jugendliteratur im Philosophie- und Ethikunterricht
8 Das Sokratische Gespräch im Philosophie- und Ethikunterricht 9
heatrales Philosophieren, Musik und Videoclips im PhilosophieT und Ethikunterricht
10 Philosophieren mit Bildern und Fotografien 11 Philosophieren mit digitalen Medien 12 Hörbücher, Hörspiele und Hördokumentationen im Philosophie- und Ethikunterricht
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Ausführliche Informationen unter: www.philosophie-didaktik.de
PHILOS O PHIER EN MIT FILMEN IM UNTER R I CHT ME THODEN IM PHILOSOPHIE- UND E THIKUNTERRICHT – Band 1
– Herausgegeben von Martina und Jörg Peters
– Meiner
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet abrufbar über ‹http://portal.dnb.de›. ISBN 978-3-7873-4556-4 · ISBN eBook 978-3-7873-4557-1
2., überarbeitete Auflage 2024 © Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2019. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. Umschlaggestaltung: Andrea Pieper, Hamburg. Layout und Satz: Jens-Sören Mann. Gesamtherstellung: Multiprint Ltd., Kostinbrod. Gedruckt auf Offsetpapier aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zells toff. Printed in Bulgaria.
INHALT
Einführung: Mit Filmen zum Nachdenken über philosophische bzw. ethische Fragen gelangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Martina Peters und Jörg Peters
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Wie Filme im Philosophie- und Ethikunterricht eingesetzt werden können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Spielfilme im Philosophie- und Ethikunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Jörg Peters und Bernd Rolf
Philosophieren mit Filmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Volker Steenblock
Filmspezifische Darstellungsmöglichkeiten der Differenz zwischen Wirklichkeit und Nichtwirklichkeit – Die Methodik des Philosophierens mit Filmen, angewandt auf M atr i x , D ie Trum a n S how und I ncep t ion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Leif Marin Jost
Ästhetische Bildung!? – Über Möglichkeiten und Grenzen eines kompetenzorientierten Einsatzes von Spielfilmen im Philosophieunterricht der Oberstufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Claudia Gockel
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Möglichkeiten für den Einsatz von Filmen in der Sekundarstufe I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Schubladen im Kopf – Vorurteile und ihre Auswirkungen – Eine Unterrichtseinheit für die Orientierungsstufe zum Film S hrek . . . . . 75 Mandy Haupt und Denise Heine
The S impsons : D er blöde UNO-C lub – Von den Simpsons lernen, was zu einer Gemeinschaft gehört . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Bernd Rolf
F reedom W r i ter s – Sokratisch ausgerichtete Kulturarbeit mit Film und Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Klaus Draken
Sensibles Gleichgewicht – B a l a nce . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Linus Hauser und Anita Rösch
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Freundschaft bis zum Tod – D a s M eer
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. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
Anita Rösch
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B l inden – Eine Parabel über den Verlust der Sehkraft . . . . . 115
Stefan Maeger
Philosophieren am Beispiel des Animationsfilms W enn
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. . . 121
Regina Uhtes
Sta r Trek : The N e x t G ener at ion – Was ist der Tod? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Bernd Rolf
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Möglichkeiten für den Einsatz von Filmen in der Sekundarstufe II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Ethik im Film – The P hilosopher s . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Anita Rösch
I n Time – Lebenszeit als Zahlungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Klaus Draken
»Hier stimmt doch was nicht« – Mediale Irritation in Tom Tykwers E pilog 153 Eric Willems
Das Ende des Einen, der Neuanfang des Anderen – Ethische Aspekte der Transplantationsmedizin anhand einer Folge der US-amerikanischen A rztserie D r . H ouse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Katrin Seele und Peter Seele
L. A. C r a sh – Jenseits von Schwarz und Weiß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Martina Peters
D ie Trum a n S how – Filmkonzept und Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Inge Künle und Marlen Wronka
Als der M ux
m äuschens t ill
wurde – Moral im Film . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
Susanne Dannecker
The D a rk K night – Der Joker hat sich verrechnet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Jörg Peters
»For what? For nothin’. For a tin star.« – Mit John Locke ins Kino gegangen, erneut H igh N oon gesehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Bodo Kensmann
Willkommen in der M atr i x – Was ist die wirkliche Welt? . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Georg Schöffel
Inhalt 7
Die Welt bricht regelrecht in Stücke! – Mit dem Film I ncep t ion im Unterricht philosophieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Klaus Peter Schmidt, Anne de Beukelaar, Valeska Krueger und Manuela Nowald
Mehr Leben, Vater! – B l a de R unner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Volker Steenblock e X i s ten Z
– Ein metaphysisches Spiegelkabinett . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
Stefan Maeger
Filmographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
Auswahlbibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
EINFÜHRUNG Mit Filmen zum Nachdenken über philosophische bzw. ethische Fragen gelangen Martina Peters und Jörg Peters
Die philosophiedidaktische Ausgangslage in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts
Dass es heute gang und gäbe ist, im Philosophie- und Ethikunterricht der Sekundarstufen I und II Filme zielorientiert als Unterrichtsmaterial einzusetzen, ist ein Phänomen, das erst seit Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts existiert. Zwar wurden bereits in den 1960er Jahren Filme in nahezu allen Unterrichtsfächern von Klasse 1 bis Jahrgangsstufe 13 und an allen Schulformen gezeigt, aber nur selten waren sie konkretes Arbeitsmaterial. Meistens diente eine Filmvorführung als Illustration bzw. Veranschaulichung dessen, was bereits erarbeitet worden war, oder als Belohnung für gute Mitarbeit im Unterricht. Manchmal musste sie aber auch als Lückenfüller – z. B. vor den Weihnachtsferien bzw. gegen Ende des Schuljahres – oder zur Unterhaltung von Schülerinnen und Schülern herhalten. Wie ist es also dazu gekommen, dass Filme heute eine andere Akzeptanz im Unterricht genießen und mittlerweile im Philosophie- bzw. Ethikunterricht eine besondere Rolle spielen? Ein zentraler Grund dürfte darin liegen, dass mit dem Aufkommen der ethischphilosophischen Fächergruppe1 für die Sekundarstufe I neue Methoden entwickelt werden mussten. Deduktive Verfahren, die bis Ende der 80er Jahre im Unterricht des Sekundarstufen II-Faches Philosophie vorherrschten, konnten nicht auf den Unterricht mit jüngeren Schülerinnen und Schülern übertragen werden. Zur Vermittlung philosophischer bzw. ethischer Fragen und Probleme bedurfte es also neuer, dem Alter entsprechenden Unterrichtsverfahren. So entstanden im Laufe der Zeit viele Methoden, die heute zum regulären Repertoire von Philosophie- bzw. Ethik-Lehrerinnen und -lehrern gehören; dazu zählt auch der Einsatz von und der Umgang mit Filmen. Ende der 1970er bzw. zu Beginn der 1980er Jahre erschienen in der Zeitschrift für Philosophie (ZDP) bereits Beträge von Peter Dusek 2 , Helga Offer
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Gemeint sind hier alle ethisch-philosophisch ausgerichteten Fächer der Sekundarstufe I, die in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich bezeichnet werden und entweder »Philosophie«, »Praktische Philosophie«, »Ethik«, »L-E-R« oder »Werte und Normen« heißen. Vgl. Dusek, Peter: »Politische Bildung in Österreich – am Beispiel der Fernsehserie ›Holocaust‹«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie 1, 1979, Heft 4: Philosophie und Politische Bildung, S. 194– 198.
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Martina Peters und Jörg Peters
manns3 und Konrad Liesmann4 erste didaktische Ansätze zum Einsatz von Filmen im Philosophie- bzw. Ethikunterricht. Offermanns und Liesmann betonen dabei, wie kompliziert es zu diesem Zeitpunkt ist, einen Film im Unterricht vorzuführen. Man muss sich nämlich vor Augen führen, dass es damals kaum Video-Kassetten, noch keine DVDs oder Blu-rays und schon gar keine Streaming-Dienste gab. Bei ihren Beiträgen handelt es sich also offenbar um die ersten Versuche, Filme im Philosophiebzw. Ethikunterricht einzusetzen. Bis Ende der 1970er Jahre hatte der Film nämlich sowohl in der Philosophie als auch in der philosophischen Ästhetik entweder keine Berücksichtigung gefunden oder ist auf ablehnende Haltung gestoßen. 5 Folglich kann es auch nicht die Intention von Dusek, Offermanns und Liesmann gewesen sein, in ihren Ausführungen eine Filmdidaktik für den Philosophie- bzw. Ethikunterricht zu entwerfen. Mit dem Paradigmenwechsel gegen Ende der 1990er Jahre, mit der Interpretation des Films als ein Medium, mit dem philosophische Positionen und Fragestellungen greifbarer dargestellt werden können, sollten dann einerseits Bodo Kensmann aus ästhetischem und andererseits Jörg Peters, Martina Peters und Bernd Rolf aus philosophie-didaktischem Blickwinkel den Filmeinsatz im Philosophieunterricht in Deutschland populär machen. Wenn man von der Anzahl der zu den philosophiedidaktischen Methoden publizierten Artikeln und Büchern ausgeht, zählt heute der Einsatz von Filmen im Philosophie- und Ethikunterricht ohne Frage zu den beliebtesten Methoden.6 Auch wenn keine Popcorn-Atmosphäre in Klassenzimmern verbreitet wird, trifft der Film bei Schülerinnen und Schülern wohl genau den Nerv, der sie motiviert, sich auf philosophische Fragen einzulassen und über sie nachzudenken, um dann in der diskursiven Auseinandersetzung mit ihnen mögliche Antworten zu finden.
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Vgl. Offermanns, Helga: »Freiheit und Verantwortung. Der Film ›Die Treppe‹ im Ethikunterricht der gymnasialen Oberstufe«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 3, 1981, Heft 1: Medien im Philosophieunterricht, S. 32–36. Vgl. Liessmann, Konrad: »›2001‹ – Stundensequenz zum Verhältnis von Utopie, Science-Fiction und Philosophie«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 6, 1984, Heft 2: 1984, S. 88–91. Vgl. Liebsch, Dimitri: »Was heißt ›Philosophie des Films‹?«, in: Mitteilungen 2012, Philosophie unterricht in Nordrhein-Westfalen Nr. 48, hrsg. von Draken, Klaus für den Landesverband NRW im Fachverband Philosophie e. V., S. 74–88, S. 74; noch einmal abgedruckt in: Mitteilungen 2013, Philosophieunterricht in Nordrhein-Westfalen Nr. 49, hrsg. von Draken, Klaus für den Landesverband NRW im Fachverband Philosophie e.V., S. 176–190, S. 177. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die zuletzt genannte Quelle. So findet sich auf der einen Seite beispielsweise noch in dem von Francis Edward Sparshott publizierten und wirklich kenntnisreichen Buch The Theory of Arts aus dem Jahre 1982 kein einziger Hinweis auf die Kunstgattung Film, obwohl sonst alle anderen Künste von der Antike bis zur Gegenwart aufgeführt und behandelt werden. Auf der anderen Seite bekennen Horkheimer und Adorno, dass der Film als zentrales Produkt der Kulturindustrie die Vorstellungskraft und Spontaneität der Zuschauer lähme und jede denkende Aktivität verbiete (Horkheimer, Max; Adorno, Theodor W.: »Dialektik der Aufklärung«, in: Adorno, Theodor W.: Gesammelte Schriften, 20 Bde., Bd. 3, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1981, S. 147–149). Vgl. Jost, Leif Marvin: Filmspezifische Darstellungsmöglichkeiten der Differenz zwischen Wirklichkeit und Nichtwirklichkeit. Die Methodik des Philosophierens mit Filmen, angewandt auf Matrix, Die Truman Show und Inception, in diesem Band, S. 51–68.
Einführung 11
Begrifflichkeit Es ist nicht einfach zu bestimmen, wie man den Umgang mit Filmen im Philosophie- und Ethikunterricht bezeichnen soll. Derzeit werden folgende Termini verwendet: 1. Philosophie und Film; 2. Philosophie des Films; 3. Philosophie durch Film; 4. Philosophie im Film oder 5. Philosophieren mit Filmen. Weil einige dieser Begriffe durch synonyme Verwendung keine Präzision aufweisen und ihnen somit keine klare Bedeutung innewohnt, soll im Folgenden deutlich gemacht werden, was die einzelnen Termini zum Ausdruck bringen sollen, und welche Rolle sie in der Philosophiedidaktik einnehmen.
Philosophie durch Film Mary M. Litch führt an der University of Alabama in Birmingham regelmäßig Seminare durch, die sie Philosophy through Film nennt. Mit ihrem bekanntesten Buch, das sie ursprünglich als Grundlage für diese Seminare verfasst hat und das ebenfalls den Titel Philosophy through Film trägt, prägte sie im Jahre 2002 den gleichnamigen, aus der Filmdidaktik der Philosophie nicht mehr wegzudenkenden Begriff. Was aber versteht sie genau unter Philosophie durch Film? Litch setzt in ihren Seminaren ganz bewusst Filme vor die eigentliche Lektüre philosophischer Texte. Sie ist der Überzeugung, dass ihre Studentinnen und Studenten durch die Beschäftigung mit einer in einem Film aufgeworfenen philosophischen Frage einen leichteren Zugang zu einem schwierig zu erfassenden philosophischen Problem erhalten, als wenn dies direkt durch philosophische Texte, die oft komplexe Diktionen aufweisen, geschehen würde. Man kann daher sagen, dass die amerikanische Philosophin das Medium bewusst zur Vorentlastung der Lektüre philosophischer Texte nutzt. Der Film seinerseits dient sozusagen als Schlüssel zu komplizierten philosophischen Gedanken und öffnet somit die Tür zu philosophischen Theorien. Damit bleibt ein Film nicht bloße Illustration einer philosophischen Lehre, sondern ist vielmehr ein Teil der Erschließung eines philosophischen Theorems. Diesen Umstand stellt Litch deutlich heraus, wenn sie betont: »The films are not mere ›addons‹ to an otherwise straightforward introductory philosophy text« 7. Die Studentinnen und Studenten erwerben somit durch die Analyse eines Films bzw. einer Filmsequenz ein philosophisches Vorverständnis, mit dem sie sich nun konkret einer philosophischen Frage, einer philosophischen Position oder einer philosophischen Theorie widmen können. Damit steht der Film nicht isoliert dar, sondern ist in die Diskussion des zu behandelnden philosophischen Problems integriert 8 . Litch hat nur solche Filme in ihren Kanon aufgenommen, in denen philosophische Grundfragen filmisch umgesetzt werden. Zu diesen Grundfragen zählen etwa die Fragen nach Gut und Böse, nach dem Sinn des Lebens, nach der Exis
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Litch, Mary M.: Philosophy through Film, a. a. O., S. vii. Ebd.
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Martina Peters und Jörg Peters
tenz Gottes oder nach den Grenzen unserer Erkenntnis, um nur einige Beispiele zu nennen 9. Nach Litch besteht die Aufgabe von Philosophinnen und Philosophen darin, diese Grundfragen zu stellen und Untersuchungen dazu durchzuführen, um Argumente und Begründungen für eine Antwort auf die gestellte Frage zu erhalten. Dabei muss nicht unbedingt eine formale Argumentation vorliegen, denn auch narrative Texte oder Filme können der Amerikanerin zufolge argumentativ sein und Positionen beinhalten, um einige der bedeutendsten Fragen der Philosophie zu diskutieren. Litch instrumentalisiert somit den Film, um Studierenden einen einfacheren Zugang zu komplexen philosophischen Theorien zu verschaffen. Aufgrund der Instru mentalisierung des Films muss es für sie auch ohne Belang sein, ob ein Drehbuchautor oder Regisseur mit seinem Werk überhaupt eine philosophische Intention im Auge hatte. Wichtig scheint ihr allein, dass ein Film eine philosophische Intention aufweist, durch die die Studentinnen und Studenten Zugang zu den zu behandelnden Theorien finden: »[M]y main criterion for using films in the book is that they […] present and defend an answer to one of philosophy’s classical questions. Whether the writer or director responsible for a film had the intention of doing philosophy is beside the point.«10
Philosophie des Films und Philosophie und Film Mit der Funktionalisierung von Filmen steht Litch in einer Reihe mit dem von Jörg Peters, Martina Peters und Bernd Rolf intendierten Einsatz von Filmen im Philosophie- und Ethikunterricht sowie dem von Volker Steenblock vertretenen Ansatz des Philosophierens mit Filmen. Der in Bochum lehrende Filmphilosoph Dimitri Liebsch kritisiert diese Instrumentalisierung des Films als Aneignung des Films durch die Philosophie(didaktik). Die Aneignung des Films beginnt nach Liebsch mit dem bereits angedeuteten Paradigmenwechsel im philosophischen Umgang mit dem Medium Film als solchem. Am Ende des 20. Jahrhunderts wird der Film aus philosophischer Sicht positiv umgedeutet und mehr und mehr zweckorientiert vereinnahmt, bevor er dann zu Beginn des 21. Jahrhunderts im Unterricht als Mittel eingesetzt wird, um philosophische Positionen zu verdeutlichen oder in die Grundlagen bzw. Grundfragen der Philosophie einzuführen. Damit wird man nach Liebsch aber dem Film als Kunstwerk nicht mehr gerecht, weil weder die in ihm enthaltenen ästhetischen Mittel berücksichtigt werden noch eine Reflexion über den Film als Film stattfindet. Neben Liebsch fordern innerhalb der Didaktik der Philosophie auch Bodo Kensmann, Eric Willems und Leif Marvin Jost, dass der Film nicht nur als Textersatz fungieren dürfe, sondern auch die ästhetischen Komponenten Berücksichtigung zu finden hätten, um sowohl dem Film als auch der philosophischen Fragestellung – die häufig mit Ebd., S. 2. Ebd.
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Einführung 13
einander verzahnt sind – gerecht zu werden. Die unterrichtliche Auseinandersetzung mit einem Film im Fach Philosophie habe sich dementsprechend neben dem Filminhalt an den Aspekten Filmtechnik und Filmphilosophie/Filmtheorie zu orientieren. Die Autoren plädieren folglich gleichzeitig für eine Philosophie des Films sowie für eine Zusammenführung von Philosophie und Film.
Philosophie im Film Der Begriff Philosophie im Film impliziert, dass eine philosophische Idee das Thema eines Films bildet oder philosophische Theorien zumindest im Vordergrund von Filmen stehen. Dies ist aber meist nicht der Fall, weil eine philosophische Lehre in der Regel weder vom Regisseur noch vom Drehbuchautor bewusst intendiert ist. Es gibt nur wenige Filme, in denen dezidiert aus philosophischen Werken zitiert wird oder die konkret auf philosophischen Ideen basieren. Einige Beispiele mögen verdeutlichen, was gemeint ist: Der bekannteste Film, in dem sogar unterschiedliche philosophische Systeme nebeneinander dargestellt werden, dürfte Matrix (USA 1999) sein. Larry und Andy Wachowski11, die das Drehbuch geschrieben und auch Regie geführt haben, entlehnen wichtige Aspekte der Gestaltung ihrer Geschichte aus dem Bereich der Erkenntnistheorie und dort wiederum aus dem Rationalismus. Dabei thematisieren sie in ihrem Film sowohl Platons Höhlengleichnis12 als auch die Frage von René Descartes, mit welcher Sicherheit wir sagen können, dass wir in der Wirklichkeit leben, oder ob uns nicht das, was sich uns als Realität darstellt, nur vorgegaukelt wird13 . Ein zweites Beispiel ist der in Deutschland nicht allzu bekannte Spielfilm Sokrates (I 1971) von Roberto Rossellini. Die Grundlage für diesen biographischen Film stellen Platons Bücher Euthyphron, Apologie, Kritias und Phaidon dar. In diesen Schriften wird der Tod des Sokrates, beginnend mit der Beschuldigung der Kläger, Sokrates verführe die Jugend und leugne die Götter, über den gegen den Philosophen geführten Prozess bis zu dessen Hinrichtung durch den Schierlingsbecher geschildert. Gleichzeitig werden in diesen Werken philosophische Themen wie Frömmigkeit (Euthyphron), richtiges Handeln (Kritias) oder die Unsterblichkeit der Seele (Phaidon) angesprochen, die sich – wenn natürlich auch nur auszugsweise – in Rossellinis Filmadaption wiederfinden.
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Kurz nach der Veröffentlichung von Matrix Reloaded (2003) begann Laurence (»Larry«) Wachowski damit Aufsehen zu erregen, dass er Frauenkleidung trug. 2010 hat er sich schließlich als transsexuell geoutet und heißt seitdem Lana Wachowski. Auch Andy Wachowski outet sich 2016 als transgender und nennt sich heute Lilly Wachowski. Vgl. Griswold, Charles L. jun.: »Happiness and Cypher’s Choice: Is Ignorance Bliss?«, in: Irwin, William (ed.): The Matrix and Philosophy. Welcome to the Desert of the Real, Popular Culture and Philosophy, Vol. 3, OPEN COURT, Chicago/La Salle, Illinois 2002, S. 126–137, S. 127–130. Vgl. Erion, Gerald J.; Smith, Barry: »Scepticism, Moratlity, and The Matrix«, in: ebd., S. 16–27, S. 19– 20; Knight, Deborah; McKnight, George: «Real Genre an Virtual Philosophy«, in: ebd., S. 188–201, S. 189 und S. 199; Weberman, David: «The Matrix Simulation and the Postmodern Age«, in: ebd., S. 225–239, S. 227–229.
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Martina Peters und Jörg Peters
Ein drittes Beispiel, das belegt, wie Philosophie im Film präsentiert werden kann, lässt sich an Muxmäuschenstill (D 2003) zeigen. Der Protagonist des Films, Mux, ist ein Moralist und Dogmatiker, der von sich selbst glaubt, nach Immanuel Kants Kategorischem Imperativ zu handeln. Der Film zeigt eindringlich, wie Mux sich immer weiter von dem Ideal des Aufklärers entfernt und den kategorischen Imperativ so umdeutet, dass er schließlich davon überzeugt ist, die Gesetzgebung habe sich seinen Vorstellungen anzupassen. Aufgrund seiner pervertierten Auslegung des Sittengesetzes begeht er selbst Straftaten, um Gesetzesbrecher zur Rechenschaft ziehen zu können. Der Werdegang von Mux zeigt eindringlich, dass ein Dogmatismus zu Willkür und Selbstherrlichkeit führen kann und absolut gesetzte moralische Ideen in einem totalitären Überwachungsstaat enden können14 . Ein viertes Beispiel führt Dimitri Liebsch an, wenn er auf Alfred E. Greens Film Babyface (USA 1933) verweist. In diesem Film bedient sich die Protagonistin mit dem vielsagenden Namen Lily Powers ihres Körpers und ihrer Sexualität, um die soziale Leiter emporzuklettern. Allerdings schläft sie sich erst nach der Lektüre von Nietzsches Spätphilosophie nach oben: »Dabei wird die Szene ihrer philosophischen Initiation mit einer drastischen Aufblende eröffnet, die den abgestoßenen und rissigen Rückeneinband einer Ausgabe von Will to Power (Der Wille zur Macht) zeigt«15 . Die wenigen Beispiele machen deutlich, dass die Umsetzung philosophischer Ideen in Spielfilmen nur selten Berücksichtigung finden, sieht man einmal von der Verfilmung der Lebenswege einiger Philosophen wie Sokrates, Blaise Pascal oder René Descartes ab, die übrigens alle Auftragsarbeiten für das italienische Fern sehen waren und von Roberto Rossellini umgesetzt wurden16 . Die häufigste Form der filmischen Umsetzung philosophischer Ideen findet man tatsächlich als Fernsehspiel, wenn man beispielsweise an Kümmert euch nicht um Sokrates (ZDF, Erstausstrahlung: 13. April 1979) oder Der Prozess des Sokrates (ARD/ WDR 1986) denkt, oder aber als Produktionen für das Schulfernsehen. Aus didaktischer Sicht sticht hier für den Bereich der Sekundarstufe II die zehnteilige Serie Kant für Anfänger. Sophies Ausflug in die Philosophie (ARD/BR alpha) hervor, die man in Die Kritik der reinen Vernunft17 und Kant, Sophie und der kategorische Imperativ18 unterteilen muss. Für den Bereich der Sekundarstufe I ist insbesondere die dreizehnteilige Vgl. Winkler, Thomas: Filmheft Muxmäuschenstill, Marcus Mittermeier, Deutschland 2003, hrsg. von der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2004, S. 9. 15 Liebsch, Dimitri: »Was heißt ›Philosophie des Films‹?«, a. a. O., S. 176. 16 Rossellinis Filme Blaise Pascal (I 1972) und Descartes (I 1974), sind weitgehend unbekannt und bestechen durch lange Sequenzen, die für Zuschauer mit heutiger Sehgewohnheit kaum auszuhalten sind, weil die schauspielerische Leistung äußerst statisch ist. Auf der anderen Seite muss gesagt werden, dass die Darstellung der wissenschaftlichen und philosophischen Aspekte sehr detailliert und angemessen erfolgt. 17 Die Erstausstrahlungen der Folgen 1 bis 5 konnten am 12. 02. 2004 (Folge 1: Metaphysik), 19. 02. 2004 (Folge 2: Kopernikanische Wende), 26. 02. 2004 (Folge 3: Verstand und Sinne), 04. 03. 2004 (Folge 4: Grenzüberschreitung) und 11. 03. 2004 (Folge 5: Zielpunkt Vernunft) auf BR alpha gesehen werden. 18 Die Erstausstrahlungen der Folgen 6 bis10 konnten am 03. 01. 2006 (Folge 1: Ethik und Pflicht), 10. 01. 2006 (Folge 2: Legalität und Moralität), 17. 01. 2006 (Folge 3: Hypothetisch und kategorisch),
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Einführung 15
Serie Nächster Halt …19 zu nennen, in der Sabrina und Torsten mit einem Bus reisen und sich an den einzelnen Haltestellen jeweils einem philosophischen Begriff widmen. Gemeinsam suchen sie nach Antworten auf ihre Fragen zu den Themen: »Das Fremde«, »Angst«, »Liebe«, »Das Böse«, »Schönheit« oder »Tod«. Dabei treffen sie auf Menschen oder geraten in Situationen, die ihnen bei ihrer konkreten Frage weiterhelfen. Mit dem erwachsenen Moderator Gert Scobel reden sie hinterher darüber, was sie erlebt, gefühlt und wie sie sich dadurch weiterentwickelt haben. Unterstützung bekommt das Trio von bekannten Philosophen, die sich zu Wort melden und durch ihre Zitate den philosophischen Hintergrund der Wissensreise bilden. Ergänzt werden ihre Stopps jeweils durch eine Dokumentation über ein Kind, das von der Fragestellung der Sendung konkret betroffen ist. Wenn Philosophielehrerinnen und -lehrer in (Spiel-)Filmen philosophische Fragen oder Probleme ausmachen, dann liegt es daran, dass sie mit ihrem philosophischen Blick Sequenzen, Szenen, Gespräche, Beispiele etc. aufspüren, an denen eine philosophische Idee oder Position exemplifiziert oder eine philosophische Frage bzw. ein philosophisches Problem aufgeworfen werden kann. Der zu beschreitende Weg ist in der Regel also ein umgekehrter: Es werden nicht bewusst philosophische Ideen in einer im Film zu erzählenden Geschichte umgesetzt, die dann von Philosophielehrerinnen oder -lehrern für den Unterricht genutzt werden, sondern Philosophielehrerinnen und -lehrer entdecken in filmisch umgesetzten Erzählungen und Romanen Ideen, Gedankenexperimente, Dilemmata etc., die sich eignen, um philosophische Gedankengänge oder sogar ganze Theorien nicht nur nachzuvollziehen, sondern gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern zu erarbeiten oder – sofern die Lehren bereits im Philosophie-Unterricht besprochen wurden – zu rekapitulieren.
Philosophieren mit Filmen Wenn Philosophie im Film tatsächlich bedeutet, dass in einem Film explizit und bewusst philosophische Theorien aufgegriffen und filmisch umgesetzt werden, dann ist der Titel des Buches Philosophie im Film von Jörg und Martina Peters und Bernd Rolf irreführend. In diesem Lehrwerk geht es nämlich nicht darum zu zeigen, in welchen Spielfilmen philosophische Themen minutiös entwickelt werden, oder zu prüfen, inwieweit die in ausgewählten Filmen dargestellten philosophischen Theorien plausibel oder haltbar sind. Vielmehr ist es – so stellen die drei Autoren von vornherein klar – die Aufgabe der Philosophie, sich Spielfilme anzueignen und diese
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24. 01. 2006 (Folge 4: Maximen auf dem Prüfstand) und 31. 01. 2006 (Folge 5: Freiheit und Sittlichkeit) auf BR alpha gesehen werden. Bei den einzelnen Sendungen handelt es sich um folgende Themen, zu denen in Klammern die jeweiligen Erstausstrahlungstermine genannt werden: Staffel 1: 1. Angst (02. 11. 2008), 2. Jenseits (08. 11. 2014), 3. Liebe (15. 11. 2008), 4. Das Böse (22. 11. 2008), 5. Das Fremde (29. 11. 2008) und 6. Schönheit (06. 12. 2008); Staffel 2: 7. Gerechtigkeit (01. 11. 2009), 8. Ich (08. 11. 2009), 9. Glück (15. 11. 2009), 10. Schuld (22. 11. 2009), 11. Gott (29. 11. 2009), 12. Streit (06. 12. 2009) und Wahrheit (13. 12. 2009).
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Martina Peters und Jörg Peters
so zu instrumentalisieren, dass durch die diesem Medium innewohnende präsentative Ausdrucksform Schülerinnen und Schülern schwierige Theorien oder abs trakte Ideen nahegebracht werden können. Auf diese Weise werden – im kantischen Sinne – Anschauungen mit Begriffen unterlegt, so dass sie nicht blind sind, und (philosophische) Gedanken mit Inhalt gefüllt, die dementsprechend auch nicht leer bleiben20 . Kurz gesagt heißt das, dass »präsentativ-begriffliche Prägungen das Ausgangsmaterial für spätere diskursiv-begriffliche Prägungen« 21 darstellen. Peters, Peters und Rolf bringen hier zum Ausdruck, dass das Anschauen von Filmen Hilfe leisten kann, um zu einem diskursiv-abstrakten Denken zu gelangen. Dies ist genau das, was Kant als »natürliche[n] Fortschritt der menschlichen Erkenntnis« und »als Weg der Unterweisung« bezeichnet hat, nämlich dass man »durch Erfahrung zu anschauenden Urteilen und durch diese zu Begriffen gelangt, dass darauf diese Begriffe in Verhältnis mit ihren Gründen und Folgen durch Vernunft und endlich in einem wohlgeordneten Ganzen vermittelst der Wissenschaft erkannt werden« 22 . Zu Recht stellt Liebsch fest, dass – wie Peters, Peters und Rolf hervorheben – der Film im Bereich der philosophischen Lehre instrumentalisiert wird23 , d. h., es geht ihnen wie auch der amerikanischen Didaktikerin Litch nicht um den Film als Kunstwerk. Für sie ist der Film Mittel zum Zweck, um insbesondere Studentinnen und Studenten bzw. Schülerinnen und Schülern, aber auch allen anderen Menschen den Zugang zur Philosophie zu erleichtern. Dass Filme nicht jede philosophische Frage bzw. jedes philosophische Problem darstellen können, bedarf hier keiner besonderen Erwähnung. Aber sie eignen sich, um grundlegende Aspekte der Philosophie zu vermitteln. Damit steht bei den Autoren natürlich nicht der Film als Film, nicht der Film als ästhetisches Kunstwerk im Zentrum des didaktischen Interesses, sondern philosophische Gedanken, Thesen oder Positionen. Aus diesem Grund ist, um Peters, Peters und Rolf noch einmal anzuführen, der Film im Unterricht als Textersatz, als Gedankenexperiment, als Dilemma etc. aufzufassen. Liebsch nennt diese Form des Umgangs mit Filmen nicht nur »Aneignung«, sondern auch »Illustration«. Der Begriff Illustration erscheint insofern befremdlich, als aus didaktischer Sicht damit nicht gemeint sein kann, dass ein Film nur angeschaut wird, um sich bildhaft das vor Augen zu führen, was theoretisch erarbeitet worden ist. Illustration bedeutet hier, sich einen Film oder eine Filmsequenz so anzueignen, dass daran eine philosophische Frage bzw. ein philosophisches Problem oder eine philosophische Position erarbeitet werden kann. Insofern können didaktische Reduktionen dem Film
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Vgl. Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft, PhB 505, nach der ersten und zweiten OriginalAusgabe hrsg. von Timmermann, Jens, mit einer Bibliographie von Heiner Klemme, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1998, S. 130 (B 75). Peters, Jörg; Peters, Martina; Rolf, Bernd: Philosophie im Film, a. a. O., S. 6. Kant, Immanuel: »Von der Ankündigung seiner Vorlesungen in dem Winterhalbenjahre 1765– 1766«, in: Kant, Immanuel: Kants Werke, hrsg. von Weischedel, Wilhelm, 10 Bde., Bd.2, Wissen schaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1983, S. 907. Peters, Jörg; Peters, Martina; Rolf, Bernd: Philosophie im Film, a. a. O., S. 5.
Einführung 17
als Film – im Gegensatz zu der Auffassung von Liebsch24 – auch nicht zuwiderlaufen. Dies wäre nur möglich, wenn die Didaktiker den Anspruch erheben würden, das Gesamtkunstwerk Film zu betrachten. Das Gesagte macht deutlich, dass der Titel des Buches eigentlich Philosophieren mit Filmen lauten müsste, denn das Anliegen von Peters, Peters und Rolf besteht darin, dass sich Schülerinnen und Schüler anhand eines Spielfilms bzw. einer Filmsequenz zunächst über die dem jeweiligen Kontext zugrundeliegende zentrale philosophische Frage klar werden sollen. Ausgehend von Alltagssituationen, Gedankenexperimenten oder Dilemmata, die in den Filmen präsentiert werden, sind die Jugendlichen vom ersten Moment an, ohne es zu ahnen, mit einer philosophischen Situation konfrontiert, die sie beschreiben, analysieren, beurteilen und auch reflektieren müssen. Sie philosophieren, ohne zu wissen, dass sie es bereits tun. Der zweite, der wissenschaftspropädeutische Schritt wird erst im Anschluss an die Besprechung des Films vollzogen, wenn die dem Film innewohnende Fragestellung am Film bearbeitet worden ist: Jetzt muss das Erarbeitete auf eine philosophische Theorie übertragen oder auf der Basis einer philosophischen Lehre (theoretisch) angewandt werden. Genau diesen Ansatz greift der Bochumer Philosophiedidaktiker Volker Steenblock in seinem Buch Philosophieren mit Filmen25 auf und verfährt ähnlich wie Peters, Peters und Rolf. Schon der Titel seines Buches verdeutlicht, dass der Fachdidaktiker primär Wert darauf legt, sich den Inhalt ausgewählter Szenen bzw. Sequenzen eines Filmes unter einer bestimmten philosophischen Fragestellung anzuschauen. Auch er nutzt und instrumentalisiert den Film, um an und mit ihm philosophische Theorien durch Schülerinnen und Schüler erarbeiten zu lassen. Die durch die Auseinandersetzung mit dem Film gewonnenen Lehren werden dann anhand von philosophischen Positionen erhärtet. Der von Peters, Peters und Rolf sowie von Steenblock vorgeschlagene unterrichtliche Umgang mit Filmen zeigt, dass der Film sowohl zur Problematisierung als auch zur Veranschaulichung von philosophischen Fragestellungen dienen kann und sich als Medium, als (Ver-)Mittler zwischen dem Problem auf der einen und den Schülerinnen und Schülern auf der anderen Seite geradezu anbietet. Allerdings trifft dieser Ansatz nur dann zu, wenn man Philosophieunterricht als ein Nachdenken über Fragen versteht, das jeden Menschen betrifft und worüber sich jeder Mensch erst einmal selbst bewusst werden muss. Unter diesen Voraussetzungen kann Philosophieunterricht dann nur sekundär als ein Nachdenken von, als ein Wiedergeben von bereits Gedachtem oder Gelerntem, begriffen werden. Dementsprechend können rein akademische Fragen, die aus der Sphäre der Film-Philosophie stammen, im Philosophie-Unterricht an der Schule – wenn überhaupt – nur begrenzt berücksichtigt werden, denkt man beispielsweise an das Verhältnis des Films zur Philosophie bzw. umgekehrt an das Verhältnis der Philosophie zum Film. Dass diese Fragen im schulischen Kontext in
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Liebsch, Dimitri: »Was heißt ›Philosophie des Films‹?«, a. a. O., S. 183. Steenblock, Volker: Philosophieren mit Filmen, Narr Francke Attempto Verlag, Tübingen 2013.
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der Regel nicht aufgegriffen werden können, mögen die folgenden drei Aspekte verdeutlichen: 1. Das schulische Bildungssystem ist generell darauf angelegt, dass Schülerinnen und Schüler ein möglichst breites Spektrum relevanter Positionen kennenlernen, während die universitäre Bildung (eigentlich) auf ein möglichst genaues, ein in die Tiefe gehendes Wissen zielt. 2. In Bezug auf Unterricht müssen auch die jeweiligen Kernlehrpläne, Bildungspläne oder Richtlinien für die Fächer Philosophie bzw. Ethik der einzelnen Bundesländer Berücksichtigung finden – und dort ist die Auseinandersetzung mit Spezialfragen nicht aber nur in besonderen Kursen vorgesehen. 3. Schließlich sei noch darauf verwiesen, dass auch die zeit liche Komponente eine Rolle spielt. Der Oberstufenunterricht im Fach Philosophie bzw. im Fach Ethik ist in der Mehrheit der Bundesländer vorrangig so angelegt, dass zunächst einmal die Vorgaben für das Zentralabitur berücksichtigt werden müssen26 . Da die Lehrpläne kaum Spielräume lassen, um sich mit weiteren Aspekten der Philosophie als den vorgeschriebenen auseinanderzusetzen, gibt es – so bedauerlich dies auch ist – nur wenige Möglichkeiten, Spezialprobleme im Unterricht zu behandeln.
Der Aufbau des Buches Zum Schluss sei noch ein Blick auf den Aufbau des vorliegenden Buches geworfen: Das Kompendium umfasst sowohl einen Theorie- als auch einen Praxisteil. Der Theorieteil stellt – ohne eine Gewichtung vorzunehmen – alle derzeit im deutschsprachigen Raum diskutierten philosophiedidaktischen Positionen zum Einsatz von Filmen im Philosophie- und Ethikunterricht nebeneinander. Der Praxisteil präsentiert für alle Jahrgangsstufen der Sekundarstufen I und II mindestens einen Film bzw. eine Filmsequenz, der oder die sich für den Unterricht in der jeweiligen Altersgruppe eignet. Jeder Film(ausschnitt) wird nicht nur inhaltlich zusammengefasst und analysiert, sondern auch durch weiterführendes Unterrichtsmaterial zu den thematisierten philosophischen Fragen ergänzt. Eine umfassende Auflistung von Filmen, die sich besonders für den Einsatz im Philosophie- und Ethikunterricht eignen, sowie eine auf didaktische Aspekte beschränkte Auswahlbibliographie bieten Orientierung und Anregungen für eine weiterführende Arbeit mit Filmen im Unterricht.
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Eine Ausnahme bildet derzeit nur Rheinland-Pfalz. Es ist das einzige Bundesland, in dem es kein Zentralabitur gibt.
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W IE FILME IM PHILOSOPHIE- UND ETHIKUNTERR ICHT E INGESET Z T WERDEN KÖNNEN
Spielfilme im Philosophie- und Ethikunterricht Jörg Peters und Bernd Rolf
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ilm und Philosophie – das ist im Grunde ein altes Thema. Wenn man so will, könnte man Platons Höhle als das erste Kino bezeichnen (so geschieht es jedenfalls im Düsseldorfer Filmmuseum, das eine eigene Abteilung zu diesem Thema eingerichtet hat). Auf der Projektionsfläche der Höhlenwand sieht der Gefesselte Schattenbilder, die ihm die Illusion der Realität vermitteln. Bekanntlich hat Platon diese Illusion negativ bewertet – wie er auch die Dichtkunst wegen ihrer Fiktionalität verurteilt – und mit der Forderung verbunden, den Blick vom Schein weg zur Wahrheit der Ideen hinzuwenden. Dagegen vertreten wir hier die Auffassung, dass die Illusion des Films ein brauchbares Instrument sein kann, um philosophische Einsichten zu vermitteln. Damit ist schon angedeutet, dass es an dieser Stelle nicht darum geht, zu klären, was Film ist, ob »bewegtes Bild«, »fotografiertes Theater«, »Musik des Lichts« o. ä., sondern welche didaktischen Potentiale er birgt. Es soll untersucht werden, inwiefern dieses Medium im Philosophie- und Ethikunterricht sinnvoll eingesetzt werden kann. Dabei wollen wir uns – wohl wissend, dass noch andere Filmformate für den Philosophieunterricht relevant sein können1 – auf den so genannten Spielfilm (Filmroman) beschränken. Von Alfred N. Whitehead stammt die Bemerkung, Heilmittel gegen die Abstraktheit, die sich unter dem Einfluss der Wissenschaft verbreite, sei die Erfahrung. »Wenn man alles über die Sonne und alles über die Atmosphäre und alles über die Erdumdrehung weiß«, weiß man noch nichts über »den Glanz des Sonnenuntergangs«. Abstraktes Wissen kann konkretes Erleben nicht ersetzen. »Es gibt keinen Ersatz für die unmittelbare Wahrnehmung des konkreten Sicherfüllens eines Dinges […] in seiner Wirklichkeit.« 2
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Andere Filmformate sind beispielsweise Dokumentationen, semidokumentarische Filme, verfilmte Biografien, Video-Clips, Wissenschaftssendungen oder YouTube-Beiträge. Whitehead, Alfred N.: Science and the Modern World, New American Library, New York, NY 1948, S. 199 f., zitiert nach: Kracauer, Siegfried: Theorie des Films. Die Errettung der äußeren Wirklichkeit,
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Davon ging auch Martha Nussbaum aus, als sie empfahl, Ethik aus Romanen zu lehren. 3 Theoretische Erwägungen bleiben oft folgenlos für unser konkretes Handeln, weil sie nicht mit den konkreten Erfahrungen des Lebens verbunden werden können. Dagegen können die Erfahrungen, die wir auf dem Wege der Identifikation mit den Protagonisten von Romanen machen, unsere Einstellungen und unser Handeln nachhaltig prägen. Mit ihrer Forderung greift Nussbaum die aristotelische Einsicht auf, dass Moral keine Sache der Kenntnis abstrakter Regeln sei, sondern sich in der konkreten Entfaltung menschlicher Tugenden äußert. Der Bezug auf die Erfahrung oder Lebenswelt lässt sich didaktisch auch als phänomenologische Methode rechtfertigen. Unter diesem Aspekt gewinnt auch der Spielfilm Bedeutung für den Philosophie- und Ethikunterricht.
Didaktische Potentiale des Films So wie Martha C. Nussbaum Literatur als Mittel gegen die Abstraktheit des Ethikunterrichts empfiehlt, kann man den Film als Mittel gegen die Abstraktheit des Philosophieunterrichts empfehlen. Wir möchten, um die Wirkung des Films zu charakterisieren, im Anschluss an Jan Marie Peters den Begriff des Perzeptes einführen. 4 Unter einem Perzept versteht man – analog zum Konzept (Begriff) als der Einheit des Denkens – die Einheit der Wahrnehmung. Als Konstruktion von Perzepten ermöglicht der Film konkrete Erfahrungen. Diese können die »Arbeit am Begriff«, der für die Philosophie unverzichtbar ist, nicht ersetzen, aber sinnvoll ergänzen. Insofern kann man nicht mit Filmen philosophieren; wohl aber können Filme zum Philosophieren hinführen bzw. Anschauungsmaterial für philosophische Probleme liefern. Perzepte haben gegenüber Konzepten den Verzug, dass sie in der Lage sind, unmittelbar unsere Gefühle anzusprechen. Dass emotional gefärbte Erlebnisse besser als neutrale erinnert werden, erkannte schon vor über 300 Jahren der Verfasser der Didactica Magna, Jan Amos. Die neurophysiologische Forschung hat dies inzwischen empirisch bestätigen können. Lernen geschieht – neurophysiologisch betrachtet – unter Beteiligung des Limbischen Systems. Dort sind die emotionalen Reaktionen des Menschen verankert. Untersuchungen von Antonio R. Damasio und anderen haben gezeigt, dass Lernprozesse erst dadurch möglich sind, dass unsere Erfahrungen im limbischen System mit Emotionen in Verbindung gebracht werden.5
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übers. von Walter, Friedrich; Zellschan, Ruth, revidiert von Kracauer, Siegfried, hrsg. von Witte, Karsten, stw 546, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1985, S. 385. Vgl. Nussbaum, Martha C.: Love’s Knowledge. Essays on Philosophy and Literature, Oxford University Press, Oxford/New York 1990. Vgl. Peters, Jan Marie: »Die Struktur der Filmsprache«, in: Albersmeier, Franz-Josef (Hrsg.): Texte zur Theorie des Films, RUB 9943, Philipp Reclam jun., Stuttgart 52001, S. 371–388: S. 373. Vgl. Roth, Gerhard: Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Kognitive Neurobiologie und ihre philosophischen Konsequenzen, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1996, S. 178–212; vgl. Damasio, Antonio R.: Ich fühle, also bin ich, List Verlag, München 2000.
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Spielfilme im Philosophie- und Ethikunterricht
Im Blick auf die spezifische Leistung der Filmkunst im Unterschied zu anderen Künsten eröffnen sich weitere Vorzüge dieses Mediums. Literatur selbst hat gegenüber anderen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten den Vorzug einer uneingeschränkten Repräsentation der Realität. Während die Malerei auf das Sichtbare beschränkt ist, aber nicht dessen Bewegung und Entwicklung in der Zeit darstellen kann, und die Musik auf die Darstellung unmittelbarer Empfindung in ihrer zeit lichen Ausdehnung beschränkt bleibt, hat das Theater die Möglichkeit, Sichtbares in zeitlichen Entwicklung darzustellen, und zwar in lebendiger Sprache. Das Theater bleibt jedoch beschränkt auf die räumlich begrenzte Repräsentation, die die Bühne ermöglicht. Erzählende Literatur kennt solche Grenzen nicht, hat aber ihrerseits den Nachteil, dass sie nicht unmittelbar auf die Sinne einwirkt, nur durch Worte beschreiben kann, was der Leser in seiner Vorstellung erst als Bild selbst erzeugen muss. Demgegenüber hat der Film als »synthetische Kunst«, die alle bisher geschaffenen Künste in sich vereinigt 6 , die Möglichkeit einer nahezu unbegrenzten Darstellung der Wirklichkeit, und zwar durch unmittelbare Einwirkung auf Auge und Ohr, in quasi »physischer Realität« 7. Stärker als alle anderen Künste vermag er die Illusion unmittelbaren sinnlichen Erlebens zu erwecken. Eben wegen dieser Fähigkeit eignet sich der Film insbesondere als Medium des Lernens. Unterricht leidet oft daran, dass er zu sehr vom Lehrervortrag dominiert wird oder zu textlastig ist. In diesen Fehlformen wird einseitig Auge bzw. Ohr angesprochen. Schon vor über 20 Jahren hat eine Studie der American Audiovisual Society empirisch belegt, dass eine Person von dem, was sie liest, nur ca. 10 % im Gedächtnis behält, von dem, was sie hört, immerhin ca. 20 %. Das, was sie sieht, bleibt zu ca. 30 % in Erinnerung, aber das, was sie sieht und hört, zu 50 %. 8 Diese Werte werden nur noch übertroffen durch das, worüber man selbst spricht und was man selber ausführt (vgl. Grafik). Filme eignen sich als Medium des Lernens vor Der Mensch behält von dem …
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… was er hört
… was er sieht und hört
… worüber er selbst spricht
… was er sieht
… was er selbst ausführt
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▬▬▬ ▬▬▬ ▬▬▬▬▬ ▬▬▬▬▬▬▬ ▬▬▬▬▬▬▬▬▬ 10 Prozent
… was er liest
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Vgl. Pudwokin, Wsewolod I.: »Über die Montage«, in: Albersmeier, Franz-Josef (Hrsg.): Texte zur Theorie des Films, a. a. O., S. 74–96: S. 91. Vgl. Krakauer, Sigfried »Erfahrung und ihr Material«, in: Albersmeier, Franz-Josef (Hrsg.): Texte zur Theorie des Films, a. a. O., S. 234–240: S. 237. Vgl. Kowalczyk, Walter; Ottich, Klaus: Schülern auf die Sprünge helfen. Lern- und Arbeitstechniken für den Schulerfolg, rororo Sachbuch 9775, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1995.
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allem dadurch, dass sie das Gehirn über zwei »Eingangskanäle« intensiv stimu lieren. Filme sprechen nicht nur unseren Gesichts- und Gehörssinn an, sondern sie lassen uns das Gesehene und Gehörte auch aus der Perspektive der Filmfiguren erleben. Das Auge der Kamera ist fähig, uns nicht nur bestimmte Dinge sehen zu lassen, sondern sie uns so sehen zu lassen, wie diese sie sehen. Wir sehen die Welt mit ihren Augen. Das fördert die Identifikation mit den Figuren des Films. Stärker noch als im Roman erleben wir das Dargestellte, als wären es unsere eigenen Erlebnisse. So lässt uns der Film Gattaca (Andrew Niccol, USA 1997) zum Beispiel mit allen Emotio nen durchleben, wie es ist, als natürlich Geborener in einer Welt zu leben, in denen die meisten Menschen genetisch optimiert wurden. Die Entwicklung einer ZweiKlassen-Gesellschaft von Validen und Invaliden und die damit verbundene Diskriminierung wird nicht nur abstrakt beschrieben, sondern mit allen dazugehörigen Emotionen durchlebt. Das kann die Einstellung einer Schülerin bzw. eines Schülers zu Fragen der Eugenik nachhaltiger prägen als eine bloß theoretische Erörterung.
Probleme beim Einsatz von Filmen im Unterricht Es versteht sich von selbst, dass der Einsatz von Filmen im Unterricht nicht unproblematisch ist. Zunächst besteht die Gefahr, die im Alltag bestehende Überflutung der Jugendlichen mit visuellen Reizen noch zu verstärken. Klar ist auch, dass die Mehrzahl der kommerziell produzierten Filme unter didaktischen Gesichtspunkten abzulehnen ist. Dennoch gibt es Spielfilme, die für den Unterricht in Philosophie, Praktischer Philosophie und Ethik von Belang sein könnten, weil sie Konflikte aufzeigen, Gedankenexperimente vorführen etc. Hier kommt es auf eine sinnvolle Auswahl an 9. Das nächste Problem ergibt sich daraus, dass der Film ein ephemeres Medium darstellt. In Texten, die gedruckt vorliegen, kann man vor- und zurückblättern, Sätze mehrfach lesen, Bedeutsames anstreichen usw. Filme erlauben dergleichen nicht; die durch bloßes Anschauen und Zuhören vermittelten Eindrücke lassen sich ungleich schwerer festhalten und analysieren. Dieser Flüchtigkeit des Mediums kann man allerdings im Zeitalter von DVD- und Blu-Ray-Playern und Streaming Diensten dadurch begegnen, dass man den Film stoppt, vor- und zurückspult, Sequenzen gezielt ansteuert, sich bestimmte Szenen mehrfach anschaut, bis man ihnen die gewünschten Informationen entnommen hat. Wegen des ephemeren
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Vgl. dazu die Vorschläge von Peters, Jörg in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 23, 2001, Heft 1: Martha C. Nussbaum oder: Die Frage nach dem guten Leben, S. 69–73; Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 23, 2001, Heft 4: Hermeneutik, S. 332 f.; Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 24, 2002, Heft 2: Texte schreiben, S.176–178; Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 32, 2010, Heft 3: Verletzung, S. 232–238; Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 32, 2010, Heft 2: Narratives Philosophieren, S. 134–150; Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 27, 2005, Heft 2: Rhetorik, S. 161–168; Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 29, 2007, Heft 2: Ironie, S. 137–142.
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Charakters des Films empfiehlt es sich auch – wie wir im Folgenden exemplarisch zeigen werden –, bei jeder Filmanalyse Arbeitsblätter an Schülerinnen und Schüler auszuteilen, auf denen sie ihre Eindrücke fixieren können. So kann man gewährleisten, dass die Beschäftigung mit dem Film über das bloß konsumierende Rezipieren hinausgeht und ›nachhaltig‹ wirkt. Weitere Probleme beziehen sich auf folgende zwei Fragekomplexe: zum einen auf die Frage, ob man einen Film in voller Länge zeigen muss oder ob man ihn auch in Ausschnitten zeigen darf, und zum anderen auf die Frage, »wann« ein Film gezeigt werden soll: Am Anfang einer Unterrichtsreihe? Zwischendurch? Oder zum Abschluss einer Sequenz bzw. Reihe? Da sich die aufgeworfenen Fragen nicht eindeutig beantworten lassen, wollen wir uns mit ihnen detaillierter auseinandersetzen.
Der Film in voller Länge oder Filmausschnitt? Was den Einsatz von Filmen im Unterricht stark einschränkt, ist primär der Zeitfaktor. Unterrichtszeit ist zu wertvoll, um sie mit belanglosen Filmszenen zu vergeuden. Eine Doppelstunde reicht oft nicht für einen Film; in Einzelstunden muss der Film »gestückelt« werden. Am Ende ist die Erinnerung an Einzelheiten verblasst. Der Erkenntnisgewinn steht dann in keiner angemessenen Relation zu den 90 oder 120 Minuten, die man mit dem Anschauen verbracht hat. Von daher erscheint der Einsatz von Filmausschnitten, die so kurz sind, dass man sie noch in derselben Unterrichtsstunde auswerten kann, besonders sinnvoll. Andererseits gibt es zahlreiche Filme mit philosophischem Inhalt, die man nur verstehen kann, wenn man sie vollständig kennt. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Dies kann an der Komplexität des Films liegen, so etwa in Matrix (Lana Wachowski (als Larry Wachowski); Lilly Wachowski (als Andy Wachowski), USA/AUS 1999), an der Erzählstruktur wie in Lola rennt (Tom Tykwer, D 1998), an den sich immer wieder neu stellenden (ethischen und technischen) Problemen wie in Der 200 Jahre Mann (Chris Columbus, USA 1999), an der Entwicklung und Lösung eines Problems wie in … Jahr 2022 … die überleben wollen (Richard Fleischer, USA 1973) etc. Will man dennoch den Film im Unterricht zeigen, so bedarf es etwa Absprachen mit den Schülerinnen und Schülern, auch die Pausen vor und nach dem Unterricht mit einzubeziehen, den Unterricht bereits vor der ersten Stunde beginnen zu lassen oder auch die letzte Stunde zu überziehen, sodass der zu zeigende Film nicht gestückelt zu werden braucht. Will man einen Film nicht in voller Länge im Unterricht zeigen, so bieten sich zwei Möglichkeiten an: Man kann den Film mit den Schülerinnen und Schülern außerhalb der Unterrichtszeit ansehen (beispielsweise bei einem Klassen- bzw. Kurstreffen am Nachmittag oder Abend) und im Unterricht den relevanten Filmausschnitt noch einmal vorführen. Die andere Möglichkeit besteht darin, den Kontext des vorgeführten Filmausschnittes in Form einer Inhaltsangabe vorzustellen. Nicht selten gibt es Schülerinnen und Schüler, die den Film schon gesehen haben und darüber berichten können; ist dies nicht der Fall, kann man auf Inhaltsangaben in Filmlexika
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zurückgreifen.10 Außerdem gibt es im Internet einige gute und zuverlässige OnlineDatenbanken, die man als Informationsquelle nutzen kann.11 Ein Nachteil, Filme in voller Länge zu zeigen, besteht darin, dass zur Besprechung immer die nächste Unterrichtsstunde abzuwarten ist, sodass – wenn nicht noch einmal die wichtigsten Szenen gezeigt werden (können oder sollen) – die gewonnen Eindrücke verblassen. Daher ist es ratsam, die Schülerinnen und Schüler anzuhalten, sich Notizen zu machen, während der Film gezeigt wird, oder ihnen – wie oben schon ausgeführt wurde – Arbeitsblätter an die Hand zu geben. Auf diese Weise ist ihnen in der auf den Film folgenden Unterrichtsstunde schnell präsent, welches Problem bzw. welche Probleme im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen sollen. Oftmals lohnt es sich jedoch nicht, einen Film in voller Länge zu präsentieren, weil die philosophisch interessanten Szenen nur einen Bruchteil der Gesamtdauer in Anspruch nehmen wie z. B. in Der Patriot (Roland Emmerich, USA 2000) oder I wie Ikarus (Henri Verneuil, F 1979), um nur zwei Beispiele zu nennen. In solchen Fällen ist es ratsam, nur die für die Fragestellung wesentlichen Stellen bereits zu Hause herauszusuchen und sie den Schülerinnen und Schülern im Unterricht zu zeigen12 . Auch hier empfiehlt es sich, Beobachtungs- und Arbeitsaufträge auszugeben, damit sich die gewonnen Eindrücke nicht verflüchtigen. Die im Praktischen Philosophie-, Ethik- oder Philosophie-Unterricht vorgeführte Filmsequenz sollte man aber nicht in erster Linie dazu benutzen, den Zusammenhang von Bild (Kameraführung, Einstellungen, Perspektiven, Montage/Schnitt etc.), Ton, Darstellung, Sprache und Text sowie Dramaturgie darzustellen und zu analysieren. Vielmehr sollte der gewählte Filmausschnitt vor allem problemorientiert analysiert werden. Die Schülerinnen und Schüler sollen das Problem und den Kontext, in dem es steht, entsteht oder entstanden ist, möglichst genau erfassen und die im Film entwickelte Problemlösung reflektieren. Man wählt ja eine Sequenz aus, weil sie deutlicher und vielleicht auch spannender als ein Text in das zu diskutierende Problem einzuführen vermag (Film als Einstieg), das Problem genauer und schneller als ein Text auf den Punkt bringen kann (Film innerhalb einer Unterrichtsreihe) oder sich als probates Mittel für eine Abschlussdiskussion erweist (Film am Ende einer Unterrichtsreihe), in der das im Unterricht Erarbeitete noch einmal aufgegriffen wird. Auf diese Möglichkeiten soll im Folgenden genauer eingegangen werden.
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Ein Beispiel ist das Lexikon des internationalen Films (ursprünglich: Zweitausendeins Verlag, Frankfurt am Main 2002), heute auf: https://www.filmdienst.de/ (Stand: 14:05.2019). Die vertrauenswürdigste Seite ist wohl die Internet Movie Database (IMDb), auf: https://www. imdb.com/ (Stand: 14.05.2019). Dies gilt insbesondere für den Einsatz von Video-Kassetten, damit im Unterricht die Stellen nicht zu lange gesucht werden müssen. Das gleiche gilt natürlich auch für DVDs, wobei das Auffinden einer Stelle ungleich schneller, unkomplizierter und vor allen Dingen auf den Punkt genau vorgenommen werden kann.
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Ein Film bzw. ein Filmausschnitt am Anfang einer Unterrichtsreihe Wenden wir uns nun der Frage zu, ob es sinnvoll ist, Filme als Einstieg in eine Unterrichtsreihe zu wählen: Tatsächlich gibt es eine große Anzahl an Filmen, die sich für den Einstieg eignen. Man denke beispielsweise an den Film Blow Up (Michel angelo Antonioni, GB 1966), in dem erkenntnistheoretische Probleme aufgeworfen werden, so z. B. die Fragen nach dem »Wie« und »Was« wir erkennen können, oder ob nicht vieles von dem, was wir (vermeintlich) zu sehen glauben, nichts anderes als eine Täuschung ist. Man denke auch an Herr der Fliegen (Harry Hook, USA 1990), ein Film, der sich zu Beginn einer Reihe über politische Philosophie anbietet (etwa in Bezug auf die Naturzustandslehre von Hobbes), weil in diesem Film bis zu einem bestimmten Zeitpunkt die Frage verfolgt wird, was passieren könnte, wenn eine Jungengruppe nach einem Flugzeugunglück auf einer einsamen Insel landete. Filme, mit denen man eine Unterrichtsreihe eröffnen will, sollten möglichst keinen beschreibenden oder zusammenfassenden Charakter haben, wie z. B. die ca. 14 Minuten dauernde Eröffnungssequenz von 2001: Odyssee im Weltraum (Stanley Kubrick, GB 1968). Kubrick stellt hier die Evolutionstheorie Darwins sehr eindrucksvoll dar. Doch leider hat seine adäquate Umsetzung der Darwin’schen Theorie den (erheblichen) Nachteil, dass sie keine »Lücken« birgt, die von Schülerinnen und Schülern gefüllt werden könnten. Sie können daher nach der Vorführung des Films allenfalls noch einmal den Inhalt zusammenfassen, ohne dass ein Problem erkennbar wäre, das für eine gedankliche Auseinandersetzung fruchtbar sein könnte. Aus diesem Grund eignen sich Filme mit beschreibenden oder zusammenfassenden Inhalten nicht für den Einstieg in eine Unterrichtsreihe und nur eingeschränkt für den Philosophieunterricht überhaupt. Will man für den Einstieg in eine Unterrichtsreihe einen Film einsetzen, so sollte dieser gleichsam als Gedankenexperiment, Dilemma oder als philosophischer Text ersatz fungieren, um 1. ein Problem aufzugreifen, das 2. von den Schülerinnen und Schülern benannt und beschrieben werden kann, wodurch 3. Fragen entstehen, die sich – wenn überhaupt – nicht »einfach« beantworten lassen, und auf diese Weise 4. zum eigentlichen Thema der Unterrichtsreihe hinführen, sodass 5. im Anschluss an die Besprechung des Films bzw. Filmausschnitts tiefer in das Thema eingedrungen werden kann. Als Einstieg in eine Unterrichtsreihe über Künstliche Intelligenz leisten z. B. die Anfangssequenzen aus A. I. – Künstliche Intelligenz (Steven Spielberg, USA 2000) gute Dienste. In ihnen werden einige philosophische Fragen gestellt, die sowohl unter anthropologischen, moralischen als auch erkenntnistheoretischen Aspekten einer genaueren Betrachtung bedürfen. Wie man beispielsweise methodisch vorgehen kann, sollen verschiedene Beispiele im Materialteil veranschaulichen.
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Ein Film bzw. ein Filmausschnitt in der Mitte einer Unterrichtsreihe Ein zweckmäßiger Grund, einen Film bzw. Filmausschnitt zum Untersuchungsgegenstand innerhalb einer Unterrichtsreihe zu machen, liegt darin begründet, dass durch ihn (manchmal) ein Problem besser als durch einen Text auf den Punkt gebracht werden kann, weil er (meist) kürzer, anschaulicher und eventuell auch emotionaler ist. Ein gutes Beispiel ist in diesem Zusammenhang der Film The Breakfast Club – Der Frühstücksclub (John Hughes, USA 1984). Diesen Film sollte man in einer Unterrichtsreihe über Identität erst dann einsetzen, nachdem schon einige Facetten der Frage »Wer bin ich (eigentlich)?« beleuchtet worden sind. Eine solche Unterrichtsreihe kann man etwa mit einem Auszug aus dem Hörspiel Sofies Welt nach dem philosophischen Roman von Jostein Gaarder beginnen, in dem Sophie sich der Frage stellt, wer sie denn eigentlich sei13 . Die Realitätsnähe dieser Fragestellung können die Schülerinnen und Schüler selber durch die Anfertigung eines Steckbriefs über sich selbst nachvollziehen. Genau an dieser Stelle setzt der Film The Breakfast Club – Der Frühstücksclub ein: Aufgrund unterschiedlicher Vergehen müssen fünf Schülerinnen und Schüler an einem Samstagmorgen in der Schule nachsitzen. Dort erfahren und lernen sie viel über sich selbst – ohne der eigentlichen Aufforderung, ein Aufsatz zu dem Thema: »Wer bin ich?«, nachzukommen. Mit Hilfe von Arbeitsblättern sollen unsere Schülerinnen und Schüler genau diese Frage an Hand der Biografien der Nachsitzenden in einer konkreten Lebenssituation erarbeiten. Dass der Film dabei eine Veränderung bzw. einen Reifeprozess der Schülerinnen und Schüler darstellt, führt zu der weiteren Frage, ob man trotz Veränderungen immer der- bzw. dieselbe ist und bleibt. Dieser Frage kann man etwa durch das Gedankenexperiment »Das Schiff des Theseus« nachgehen14 . Um noch eine weitere Möglichkeit aufzuzeigen, wie eine solche Unterrichtsreihe fortgeführt werden könnte, sei schließlich noch auf Wittgensteins Überlegungen hingewiesen, in denen er das Problem untersucht, welche Konsequenzen es hätte, wenn alle menschlichen Körper gleich aussähen15 . Ein weiteres Beispiel für den Einsatz von Filmen innerhalb einer Unterrichtsreihe ist das Milgram-Experiment, das in I wie Ikarus (Henri Verneuil, F 1979) Eingang gefunden hat. Die filmische Umsetzung des Experiments kann z. B. in eine Unterrichtsreihe über totalitäre politische Systeme eingebettet werden; für eine achte Jahrgangsstufe eignet sich der Roman Die Welle von Morton Rhue. Der Autor greift in
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Gaarder, Jostein: Sofies Welt, Carl Hanser Verlag, München 1993, S. 8–10. Hörspielfassung: Der Hörverlag, Stuttgart 1995, auch auf: https://www.youtube.com/watch?v=Xas7ufVCeoc (Stand: 19.05.2019), Zeit: 1:29 – 3:48 Min. Vgl. Freese, Hans-Ludwig: Abenteuer im Kopf. Philosophische Gedankenexperimente, Beltz Qua driga, Weinheim/Berlin 1996, S. 84–86; vgl. Jörg Peters: »Ragnar Ohlssons ›Sinn des Lebens‹ als Ganzschrift in Klasse 10«, in: Ethik und Unterricht 4/2000: Sprache der Ethik – Ethik der Sprache, S. 34–36: S. 35. Vgl. Wittgenstein, Ludwig: Werkausgabe, 8 Bde., Bd. 5: Das Blaue Buch. Eine Philosophische Betrachtung (Das Braune Buch), übers. von Morstein, Petra, hrsg. von Rhees, Rush, stw 505, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1984, S. 29.
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dieser Erzählung auf autobiographische Ereignisse aus seiner Zeit als Geschichtslehrer zurück, als er seinen Schülern zeigen wollte, wie Faschismus entsteht, dass in jedem von uns ein potenzieller Täter oder zumindest Mitläufer steckt und dass es jederzeit wieder zu einem Faschismus kommen kann. Um seinen Schülern deutlich zu machen, wieso der Faschismus sich wie eine »Welle« hat ausbreiten können, führt er ein Experiment durch, das ihm immer mehr aus den Fugen gerät. Wird den Schülerinnen und Schülern durch die Lektüre klar, dass gerade totalitäre Systeme den Menschen verführen können, so greift Henri Verneuil diesen Gedanken in I wie Ikarus mit dem Milgram-Experiment auf. Der amerikanische Psychologe Stanley Milgram untersuchte die Bereitschaft von Menschen, Unschuldige zu quälen, nur weil dies von einer Obrigkeit angeordnet wurde. Seine Resultate zeigen, dass Menschen sehr weit gehen – manchmal nehmen sie sogar den Tod eines Unschuldigen in Kauf –, wenn sie ihr Handeln hinter Befehlen Höherrangiger verstecken können16 . Die filmische Umsetzung bietet sich bereits für die Sekundarstufe I an, weil sie das Milgram-Experiment konkret darstellt und nicht so hohe Anforderungen an die Schülerinnen und Schüler stellt wie der wissenschaftliche Text. Deren Aufgabe bei der Auswertung des Filmausschnitts einerseits besteht darin, den Versuch so genau wie möglich zu beschreiben und andererseits zu erkennen, welche Mechanismen dazu führen, dass »man« sich der Obrigkeit beugt. Im Anschluss daran eröffnet sich die Möglichkeit, die Schülerinnen und Schüler mit der Sichtweise einer Philosophin zu diesem Thema zu konfrontieren: Es bietet sich an, einen Text von Hannah Arendt zu lesen, die sich ja bekanntermaßen in vielen ihrer Schriften mit dem totalitären Staat auseinandergesetzt und ihn aufs Schärfste kritisiert hat17.
Ein Film bzw. ein Filmausschnitt am Ende einer Unterrichtsreihe Setzt man am Ende einer Unterrichtsreihe einen Film bzw. einen Filmausschnitt ein, so können damit zwei verschiedene Ziele verfolgt werden: 1. Vertiefung des Gelernten: Der Einsatz eines Films oder Filmausschnitts kann dazu beitragen, dass Erarbeitete zu vertiefen. Dies kann auf zwei verschiedene Weisen erfolgen: nämlich als Illustration oder als Anwendung auf das im Unterricht Gesagte: Illustrativ sind z. B. die ersten 14 Minuten aus 2001: Odyssee im Weltraum (Stanley Kubrick, GB 1968). Zeigt man diese Sequenz über die Evolution vom Affen zum Menschen nach der Besprechung der Darwin’schen Theorie, so muss man sich als Lehrende bzw. Lehrender darüber bewusst sein, dass die Schülerinnen und Schüler mit
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Vgl. dazu Milgram, Stanley: Das Milgram Experiment – Zur Gehorsamsbereitschaft gegenüber Autorität, rororo 840, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1997. Für den Unterricht brauchbare Texte finden sich in: Arendt, Hannah: Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, Totale Herrschaft, Piper, München/Zürich 2001; dies.: Macht und Gewalt, Piper, München/Zürich 1995; dies.: Eichmann in Jerusalem, Piper, München/Zürich 1986.
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diesem Ausschnitt nicht problemorientiert arbeiten können, weil Kubrick nichts anderes macht, als Darwins Lehre filmisch zu referieren. Der Filmausschnitt be inhaltet – wie schon an anderer Stelle hervorgehoben – keine (neue) Lücke, die von den Schülerinnen und Schülern geschlossen werden müsste. Aber das Zeigen der Sequenz gibt den Schülerinnen und Schülern die Gelegenheit, 1. Kubricks Auffassung mit der Darwin’schen Theorie zu vergleichen, 2. zu untersuchen, wie der amerikanische Regisseur die Lehre des Briten umgesetzt hat und 3. durch die Anwendung das Gelernte zu vertiefen. Sofern man den Resultaten der American Audiovisual Society Glauben schenken darf, behalten nämlich jene Schülerinnen und Schüler Gelerntes besser, bei denen alle Ein- bzw. Ausgangskanäle (»lesen«, »sprechen« und zusätzlich noch »sehen und hören«) stimuliert werden, als solche, die ausschließlich auf die Auseinandersetzung mit Texten beschränkt sind. Die konkrete Anwendung von Gelerntem kann aber noch prägnanter an dem Film 2 Mio. $ Trinkgeld (Andrew Bergman, USA 1993) deutlich gemacht werden. Auch wenn der Film insgesamt eher als ›schwach‹ zu bezeichnen ist, bieten die ersten 19 Minuten doch vielfältige Möglichkeiten, sich im Anschluss an die Besprechung unterschiedlicher ethischer Konzepte auf die eine oder andere Weise noch einmal mit verschiedenen Ethik-Positionen auseinanderzusetzen: In der Anfangssequenz wird ein Problem dargestellt, dass aus den unterschiedlichen ethischen Einstellungen der Hauptcharaktere resultiert: Während Muriel die egoistisch-hedonistische Einstellung vertritt und Yvonne bemitleidenswert ist, repräsentiert Charlie sowohl eine tugendhafte Position als auch vermeintlich die Pflichtethik Kants. Dieser Filmausschnitt sollte daher erst eingesetzt werden, wenn die Schülerinnen und Schüler in der Lage sind, die im Film vorkommenden ethischen Positionen zu bestimmen (M3). Auf diese Weise wird einerseits das im Unterricht Erarbeitete durch den Film noch einmal kompakt dargestellt und durch die Anwendung auf eine konkrete Situation vertieft, und andererseits kann jede Schülerin bzw. jeder Schüler noch einmal überprüfen, ob er die unterschiedlichen ethischen Positionen als solche verstanden hat. 2. Der Blick nach vorn: Man kann ein neues, im Unterricht nicht behandeltes (eventuell futuristisches) Problem aufwerfen, das deutlich macht, welche Möglichkeiten – seien sie positiver oder negativer Natur – sich durch Forschung eröffnen, sollten die theoretischen Überlegungen der Techniker, Naturwissenschaftler und Mediziner eines Tages Wirklichkeit werden. Um solche Fragen zu behandeln, bieten sich oft Filme aus dem Science-Fiction-Genre an. Man denke dabei z. B. an Contact (Robert Zemecki, USA 1997), in dem es um das Aufspüren von Lebenszeichen aus dem und Leben im Weltall geht; oder an Gattaca (Ethan Hawkes, USA 1997), der das Problem aufgreift, welche Schwierigkeiten für jemanden bestehen, der auf »natürliche Weise« geboren wurde, aber in einer Gesellschaft von überwiegend perfekten Menschen leben muss, die durch Gen-Kombination bei Zeugung im Labor hergestellt wurden.
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Einteilung von Filmen nach Schwerpunkten Die Filme, die zur Verwendung im Philosophie- und Ethikunterricht in Frage kommen, könnte man nach ihrem Bezug zur Philosophie in folgende Kategorien einteilen: ¬ Filme, die die Biografie eines Philosophen zum Gegenstand haben: z. B. Sokrates (Roberto Rossellini, I/F/ESP 1970) oder Hannah Arendt (Margarethe von Trotta, D 2012) ¬ Verfilmungen von philosophisch inspirierter Literatur: z. B. Der Fremde (Sergio Gobbi und Luchino Visconti, I 1967 von) nach Albert Camus Roman, Der Name der Rose (Jean Jacques Annaud, D/I/F 1985–86 von) nach Umberto Ecos Roman ¬ Filme, die sich einem philosophischen Thema widmen: z. B. Die letzte Nacht des Boris Gruschenko (Woody Allen, USA 1975), Der Sinn des Lebens (Terry Gilliam und Terry Jones, GB 1982) ¬ Filme mit nichtphilosophischem Sujet, die in einzelnen Szenen philosophische Fragen evozieren: z. B. Die zwölf Geschworenen (Sidney Lumet, USA 1957) Nach ihren Inhalten könnte man die philosophisch relevanten Filme analog zu den Disziplinen der Philosophie kategorisieren: ¬ Filme mit anthropologischen Fragestellungen/Aspekten: z. B. Der Wolfsjunge (Francois Truffaut, F 1969) ¬ Filme mit ethischen Fragestellungen/Aspekten: z. B. Jakob der Lügner (Peter Kassovitz, USA 1999); Gandhi (Richard Attenborough, UK/I/IND 1981) ¬ Filme mit politisch-philosophischen Fragestellungen/Aspekten: z. B. 1984 (Michael Radford, GB 1984); Metropolis (Fritz Lang, D 1927) ¬ Filme mit erkenntnistheoretischen Fragestellungen/Aspekten: z. B. Matrix (Lana Wachowski (als Larry Wachowski); Lilly Wachowski (als Andy Wachowski), USA/ AUS 1999); Nell (Michael Apted, USA 1994) Schließlich kann man Filme auch nach der Art und Weise einteilen, wie sie ihr philosophisch relevantes Thema darstellen: ¬ Veranschaulichung einer philosophischen Position oder Entwicklung: z. B. die Anfangssequenz von 2001: Odyssee im Weltraum (Stanley Kubrick, GB 1968) stellt die Evolution des Menschen anschaulich dar ¬ Darstellung eines Konfliktes zwischen philosophisch relevanten Positionen: z. B. zwischen Umweltschützern und Unternehmern in Erin Brockovich (Steven Sonderbergh, USA 2000) ¬ Darstellung eines moralischen Dilemmas: z. B. zwischen Forschungsinteressen und Schutz des menschlichen Lebens in Apollo 13 (Ron Howard, USA 1994) ¬ Darstellung eines Gedankenexperimentes, z. B. Gattaca (Ethan Hawkes, USA 1997): Was wären die Folgen, wenn in einer Gesellschaft Eugenik praktiziert würde?
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I wie Ikarus
Inhalt der Filmsequenz: In einer 20-minütigen Szene des Thrillers I wie Ikarus wird das von dem amerikanischen Psychologen Stanley Milgram entwickelte und durchgeführte Experiment zur Gehorsamsbereitschaft gegenüber Autorität exakt nachgezeichnet. Anfang der 1960er Jahre ermittelte Stanley Milgram an der Yale University die Reaktionen von Versuchspersonen, die durch eine wissenschaftliche Autorität aufgefordert wurden, anderen Menschen Schmerzen zuzufügen. Das Experiment liefert einen Erklärungsansatz zum Funktionieren autoritärer politischer Systeme. Es lässt sich z. B. auf den nationalsozialistischen Holocaust beziehen – insbesondere auf den Fall Adolf Eichmann – und mit Kants Aufklärungsschrift kontrastieren.
M 1 Das Milgram-Experiment Zwei Personen, von denen eine in das Experiment eingeweiht ist, kommen in ein Psychologielabor der Universität von Yale, um an einem Experiment über Erinnerungsvermögen und Lernfähigkeit teilzunehmen. Durch ein manipuliertes Losverfahren wird die eingeweihte Person zum Schüler ernannt und die Versuchsperson zum Lehrer. Der Schüler nimmt in einem Nebenzimmer auf dem elektrischen Stuhl Platz und wird dort festgebunden, um angeblich starke Bewegungen während des Schocks zu vermeiden. Der Versuchsleiter erklärt nun beiden, dass mit dem Versuch die Auswirkung von Strafe auf die Lernfähigkeit getestet werden soll. Dazu soll der Schüler Wortpaare lernen und wird für jeden Fehler mit Stromschlägen bestraft, wobei nach jeder falschen Antwort die Voltzahl um 15 V erhöht wird. Nachdem der Lehrer einen Probeschock von 45 V bekommen hat, setzt er sich in dem anderen Raum vor den Schockgenerator, an dem sich dreißig Schalter befinden mit einer Skala von 15 V bis 450 V. Zusätzlich befindet sich an der Skala noch eine Einteilung von »leichtem Schock« bis »Gefahr: Bedrohlicher Schock«. Der Lehrer soll jetzt nacheinander jede Frage vorlesen und bei falschen Antworten einen Stromschock verabreichen, der jedes Mal um 15 V stärker wird. Während des gesamten Experiments wird dem Schüler natürlich kein richtiger Stromschlag gegeben, wovon der Lehrer aber nichts weiß. Das wirkliche Ziel ist es nämlich, herauszufinden, wie weit die Versuchsperson in einer konkreten, messbaren Situation geht, in der ihr befohlen wird, einem protestierenden Opfer zunehmende Qualen zuzufügen und wann sie
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I wie Ikarus (Henri Verneuil, F 1979).
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sich weigert, weiterhin dem Versuchsleiter zu gehorchen. Das Ergebnis: Drei Viertel der Probanden konnten dazu gebracht werden, in bedingungslosem Gehorsam einen ihnen völlig unbekannten, unschuldigen Menschen zu quälen und zu foltern, sogar zu töten. Der durchschnittlich gegebene Maximalschock war 27 in einer Skala von 30, das bedeutet: »Gefahr: Bedrohlicher Schock«.
Rekonstruieren Sie das Experiment (Ziel – Versuchsanordnung – Ergebnis).19 Diskutieren Sie, inwiefern Unterordnung unter Autoritäten zu Gewaltbereitschaft führt.
M 2 Das Eichmann-Protokoll20
Adolf Eichmann war in einer entscheidenden Schlüsselrolle verantwortlich für den Völkermord an den Juden. Er hat die Transporte in die Vernichtungslager organisiert, die Fahrpläne ausarbeiten lassen und für die ausreichende Nutzung der Gaskammern gesorgt. Als ihm – nach der Verhaftung durch den israelischen Geheimdienst – 1961 in Jerusalem der Prozess gemacht wurde, sagte er im Verhör durch Hauptmann Less u. a. Folgendes aus:
Less: Sie sagen, Sie hatten nichts mit der Tötung zu tun? Eichmann: Jawohl. Less: Aber die Menschen zur Tötung wurden abgeliefert. Eichmann: Ja nun, das ist richtig insofern, Herr Hauptmann, als ich den Befehl bekommen habe, zu evakuieren. Nicht jeder jedoch, den ich evakuierte, wurde ge tötet. Es entzog sich völlig meiner Kenntnis, wer getötet wurde und wer nicht. […] Der Beihilfe bin ich selbstverständlich schuldig. Das ist völlig klar; das habe schon einmal gesagt. Insofern kann ich mich auch nicht der Verantwortung entziehen, Herr Hauptmann, […] nach juristischer Auffassung bin ich der Beihilfe schuldig. […] Als Dezernent von IV B 4 bin ich ja nun wirklich nicht für alles zuständig ge wesen, sondern eben nur für mein relativ eng umrissenes Aufgabengebiet. Und dieses eng umrissene Aufgabengebiet ist ja jederzeit feststellbar, denn das war ja eine Zentralinstanz gewesen. Ich konnte ja nicht machen, was ich wollte.
Erörtern Sie, ob das Milgram-Experiment eine Erklärung für Eichmanns Handlungsweise bietet.
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DVD: I wie Ikarus, Kinowelt 2010, Zeit: 1:08:30 – 1:29:00. Lang, Jochen von: Das Eichmann-Protokoll. Tonbandaufzeichnungen der israelischen Verhöre, Severin und Siedler, Berlin 1982, S. 95–96.
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M 3 Stanley Milgram: Warum Gehorsam?21
Verhalten wurde – wie jedes andere charakteristische Merkmal des Menschen – in der Abfolge von Generationen durch die Überlebensbedingungen entwickelt. Ver haltensweisen, die nicht die Chance des Überlebens förderten, wurden schrittweise aus dem Organismus herausgezüchtet, weil sie zum Aussterben der Gruppen ge führt hätten, die solche Verhaltensweisen zeigten. Ein Stamm, in dem einige Ange hörige Krieger waren, während andere sich um die Kinder kümmerten und wieder andere auf die Jagd gingen, besaß enorme Vorteile gegenüber einem Stamm, bei dem es keine Arbeitsteilung gab. Ein Überblick über die Menschheitskulturen zeigt uns klar, dass ausschließlich gelenkte und konzentrierte Aktionen die Pyramiden er richten, die Gesellschaft des antiken Griechenland bilden und aus einer mitleider regenden Kreatur, die um ihr Überleben ringt, den technischen Beherrscher des Planeten machen konnten. Die Vorteile sozialer Organisation wirken nicht nur nach außen, sondern ge nauso nach innen, denn sie stabilisieren und harmonisieren die Beziehungen der Gruppenangehörigen zueinander. Durch die deutliche Statusbestimmung jedes An gehörigen wird die Reibung auf ein Minimum reduziert. Wenn ein Wolfsrudel seine Beute erlegt hat, ist der Leitwolf der erste, der fressen darf; ihm folgt der nächste im Rang und so fort bis zum letzten in der Rangordnung. Dass jeder Wolf seinen Platz innerhalb der Hierarchie akzeptiert, stabilisiert das Rudel. Das gleiche trifft auf menschliche Gruppen zu: innere Harmonie ist gesichert, wenn alle Mitglieder den ihnen zugeschriebenen Status akzeptieren, Anfechtung der Hierarchie hinge gen ruft oft Gewalttätigkeit hervor. Also fördert eine stabile gesellschaftliche Orga nisation gleichzeitig die Fähigkeit der Gruppe, mit der Umwelt fertigzuwerden, und verringert durch Regulierung der Beziehungen innerhalb der Gruppe die interne Gewalttätigkeit. Ein Potential an Gehorsamsbereitschaft ist Voraussetzung für eine derartige ge sellschaftliche Organisation, und weil Organisation für das Überleben jeder Art von solch großem Wert ist, wurde diese Eigenschaft im Verlauf der langdauernden Evo lutionsprozesse im Organismus entwickelt.
Untersuchen Sie, wie Milgram die Gehorsamsbereitschaft des Menschen erklärt.
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Milgram, Stanley: Das Milgram Experiment. Zur Gehorsamsbereitschaft gegenüber Autorität, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1974, S. 145–146.
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M 4 Immanuel Kant: Was ist Aufklärung?22
In seinem berühmten Aufsatz Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? führt Kant Folgendes aus:
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmün digkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Muth dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung. Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Theil der Men schen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung frei gesprochen (naturaliter maiorennes), dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es An deren so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen.
Stellen Sie einen Bezug der Aussagen Kants zum Milgram-Experiment her. Erläutern Sie, inwiefern sich das Programm der Aufklärung als Mittel gegen die Gefahren des Autoritätsgehorsams verstehen lässt.
Herr der Fliegen
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Inhalt des Films: Ein mit einer Kadettenklasse besetztes Flugzeug stürzt über dem Pazifik ab. Die sechs- bis zwölfjährigen Kadetten können sich und ihren schwer verletzten Captain Benson in ein Schlauchboot retten, mit dem sie zu einer unbewohnten, dschungelartigen Insel treiben. Simon, einer der Kadetten, stößt beim ersten Erkunden der Insel auf Trinkwasser, während der intellektuelle Piggy und der vernunftorientierte Ralph am Strand ein Muschelhorn finden, in das sie ein Loch bohren, damit sie ähnlich wie eine Trompete funktioniert. Der Ton der Muschel ist weit zu hören, und wenn sie ertönt, weiß jeder der Schuljungen, dass etwas Wichtiges passiert ist oder besprochen werden muss. So findet die erste Versammlung statt, auf der beschlossen wird, dass derjenige das Muschelhorn in der Hand halten soll, der etwas zu sagen hat, was die ganze Gruppe betrifft. Außerdem wird Ralph nahezu einstimmig – lediglich Jack verweigert ihm seine Stimme – zum Anführer der Gruppe gewählt. Der Bau des Lagers nimmt Formen an, und die Jungen entscheiden gemeinsam, ein Feuer auf der
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Kant, Immanuel: »Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?«, in: Kant, Immanuel: Werkausgabe, 12 Bde., Bd. 11: Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik 1, hrsg. von Weischedel, Wilhelm, stw 192, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1977, S. 53–61: S. 53 (A 481/482). Herr der Fliegen (Harry Hook, USA 1990).
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höchsten Klippe zu entfachen, damit Suchflugzeuge eine Chance haben, sie zu entdecken. Mit Piggys Brille, die als Lupe fungiert, entzünden sie ein Feuer, das ihnen außer Kontrolle gerät und nur schwer einzudämmen ist. Wieder im Lager entstehen die ersten offenen Konfrontationen zwischen Jack und Ralph, weil Ralph die jüngeren Kadetten, die sich vor Jacks Horrorgeschichten fürchten, zu beruhigen versucht. Doch Jack schürt nicht nur weiterhin die Angst der Jüngeren, sondern stellt auch durch Meinungsverschiedenheiten die Rangfolge der unterschiedlichen Aufgaben in Frage. Während für Ralph als Ziel seiner Mission die Rettung aller von der Insel im Vordergrund steht, sieht Jack die Hauptaufgabe in der Fleischbeschaffung. Statt sich um das lebenswichtige Feuer zu kümmern, gehen Jack und jene Kadetten, die sich ihm mittlerweile angeschlossenen haben, auf Wildschweinjagd. Um deutlich zu machen, dass sie Jäger sind, haben sie ihre Gesichter mit einer Kriegsbemalung versehen. Die Kriegsbemalung macht nicht nur deutlich, dass Jack ein Jäger ist, sondern dass er sich auch Ralph gegenüber in einen Kriegszustand versetzt. Aber der Machtkampf zwischen den beiden wird durch die Entdeckung eines Höhlenmonsters verzögert. Aus einer Höhle können die Kadetten aufschreiende, gefährlich klingende Laute hören, aber keiner der Jugendlichen besitzt den Mut, die Höhle zu betreten. Stattdessen bringen Jack und seine Jäger vor dem Eingang der Höhle den aufgespießten Kopf einer Wildsau als Opfer dar, und es dauert nicht lange, bis unzählige Fliegen um den Schweinskopf schwirren. Simon kehrt abends noch einmal zur Höhle zurück, betritt sie und tötet – im guten Glauben es handele sich um ein Ungeheuer – dort Captain Benson. Dieser hatte das Basislager im Fieberwahn verlassen und sich in eine zufällig gefundene Höhle zurückgezogen. Aufgeregt rennt Simon zum Strand, wo Jack und seine Jäger ein Grillfest feiern und sich durch eine Art Kriegstanz um das Feuer so in Ekstase versetzen, dass sie den heraneilenden, einen Leuchtstab schwenkenden Simon für das Monster aus der Höhle halten. Mit Geschrei stürzen sie sich auf ihn, lassen ihren kriegerischen Trieben freien Lauf und zerfleischen ihren Kameraden. Fortan sieht Jack sich in der Rolle eines diktatorischen Alleinherrschers, organisiert Überfälle auf das Basislager und stiehlt zu guter Letzt auch noch Piggys Brille, um selbst Feuer machen zu können. Auf diese Weise gewinnt er ein weiteres Machtinstrument, während die auf Ralph und Piggy zusammengeschrumpfte Gruppe weiter geschwächt wird: Piggy ist durch den Verlust seiner Brille nicht nur nicht mehr in der Lage, sinnlich zu sehen, sondern er verliert auch seine ihn auszeichnenden Fähigkeiten, nämlich intellektuell zu sehen und seinen gesunden Menschenverstand einzusetzen. Als Ralph und Piggy sich später aufmachen, um Häuptling Jack zur Herausgabe der Brille zu bewegen, setzt einer dessen Wächter einen riesigen Felsblock in Bewegung, der Piggy trifft. Ralph dagegen kann seiner Ermordung nur knapp entkommen: Er flüchtet in den Urwald, der kurz darauf von Jacks Horde in Brand gesteckt wird, um Ralph auszuräuchern. Als sie ihn sehen, nehmen sie ihre erbarmungslose Verfolgungsjagd wieder auf, die vor einem die Situation fassungslos realisierenden Marineoffizier endet, der (eigentlich) gekommen ist, um die Kadetten von der Insel zu retten.
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Problemstellung des Films Der Film geht der Frage nach, was passiert, wenn eine Gruppe gleichgeschlecht licher Jugendlicher auf einer einsamen Insel strandet, die mit einem rechtsfreien Raum gleichzusetzen ist: Werden sie ein freundschaftliches Verhältnis zueinander aufbauen? Werden sie versuchen, einander zu unterwerfen? Werden sie einander töten? Oder werden sie die Insel untereinander aufteilen? Im Laufe des Filmes wird deutlich, dass die Kadetten alle Möglichkeiten – allerdings in unterschiedlichem Umfang – durchspielen. Zu Beginn ihres zwanghaften Aufenthaltes auf der Insel wird das Gruppen- oder Wir-Gefühl noch großgeschrieben, weil einer auf den anderen angewiesen ist, denn keiner weiß, wie und ob man auf der Insel überleben kann. Doch je besser die Acht- bis Sechszehnjährigen die Insel kennen lernen, je sicherer sich Einzelne fühlen, beginnen sich auch Macht- und Herrscheransprüche herauszukristallisieren: So versteht es der Listigste der Kadetten, unter den Jüngeren solche Angst zu schüren, dass diese sich von dem von allen (demokratisch) gewählten Anführer ab- und ihm zuwenden, da er ihnen Spaß, Schutz, Sicherheit und Nahrung verspricht. Solche Versprechungen wirken natürlich auch auf viele der älteren Kadetten, die sich von der demokratischen Vereinigung lossagen und sich einem Alleinherrscher anschließen. Auf diese Weise unterwerfen sie sich ihm stillschweigend, akzeptieren seine Diktatur und dienen ihm als Gegenleistung so, wie es ihm gefällt. Die Gruppe ist gespalten, einerseits in jene, die auf ein vernünftiges Miteinander setzen, und andererseits in solche, die lediglich ihren Affekten folgen. Die Teilung der Gruppe deutet schon an, dass auf der Insel zwei territoriale Gebiete entstehen, deren Grenzen zumindest für eine geraume Zeit akzeptiert werden. Aber in dem Moment, in dem eine der beiden Gruppen etwas Materielles benötigt, was die andere besitzt und nicht freiwillig herausgibt, kommt es zum Kampf, der darin gipfelt, dass der Aggressor den Versuch unternimmt, alle Mitglieder der anderen Gruppe zu töten, um das ganze Gebiet zu besitzen und zu beherrschen. So grausam diese Handlung auch sein mag, sie ist in einem gesetzlosen Gebiet – zumindest nach der Auffassung einiger Naturrechtslehrer – zulässig. Der Roman Herr der Fliegen und seine filmische Umsetzung basieren genau auf dieser naturrechtlichen Annahme, genauer gesagt fußt sie auf der Naturzustandstheorie von Thomas Hobbes, wie er sie in seinen Werken Leviathan und Vom Bürger vorgetragen hat: Der theoretische Ausgangspunkt seiner Staatslehre ist der Naturzustand, den er als einen anarchischen oder Kriegszustand beschreibt, in dem alle Menschen ein Recht auf alles, selbst auf den Körper des Anderen, haben. Die Handlungsfreiheit unterliegt keinen rechtlichen Bestimmungen, und Eigentumsrechte gibt es nicht. Daher gehört allen Menschen alles, und alle besitzen in etwa gleiche körperliche und geistige Fähigkeiten. Aus dieser Gleichheit entsteht bei den Menschen eine Gleichheit der Hoffnung, ihre Absichten (welche es auch immer sein mögen) durchsetzen zu können. Da der Naturzustand unter anderem durch Mangel gekennzeichnet ist, stehen sich die Menschen feindlich gegenüber, sobald sie denselben Gegenstand begehren, den sie aber nur individuell besitzen können. Aus
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dem Selbsterhaltungstrieb entspringt daher bei jedem das Trachten danach, andere zu schädigen oder gar zu töten; und mit dem Recht aller auf alles ist der Krieg aller gegen alle verbunden. Der Konflikt zwischen den Menschen entsteht Hobbes zufolge aufgrund eines Mangels an ersehnten Gütern. Daher wird sich der Stärkere oder Listigere das, was sich im Besitz eines anderen Menschen befindet, aneignen, wobei diesem nun die Gefahr droht, von einem noch Listigeren oder Stärkeren um seinen gerade erworbenen Besitz, ja vielleicht auch um sein Leben gebracht zu werden. Doch die Menschen sehnen sich nach Sicherheit und Frieden, dem größten Gut, das sie erstreben können. Folglich werden sie um ihrer Selbsterhaltung willen alles in ihrer Macht Stehende suchen, während sie den Tod als größtes Übel meiden wollen. Wer daher im Naturzustand alles unternimmt, um sein Leben zu schützen, handelt nicht nur mit Vernunft, sondern auch mit Recht. Da sich aber nun alle Menschen im Kriegszustand befinden, bedeutet das, dass jeder sich von seiner Vernunft leiten lässt und all das sucht, was er zum Schutz gegen seine Feinde aufbieten kann, was wiederum nichts anderes heißt, als dass jeder ein Recht auf alles hat. Daher kann es aufgrund des Naturgesetzes im Naturzustand kein »Mein« und »Dein« geben. Der Mensch ist in dieser Situation für sich selbst verantwortlich und wird von seiner Vernunft geleitet. Die Vernunft ist das Mittel, das Naturgesetz zu erkennen. Es unterscheidet sich vom Naturrecht dahingehend, dass die Menschen im Naturrecht entscheiden, was zu tun oder zu lassen ist, während das Naturgesetz bestimmt, was die Menschen zu tun oder zu unterlassen haben, wenn Frieden, Schutz, Sicherheit und Selbsterhaltung gewährleistet werden sollen. Der Selbsterhaltungstrieb ist der stärkste Affekt, der die Menschen aus einem Zustand herausdrängt, in dem das Recht aller Menschen auf alles nicht mehr wert ist, als wenn ein Mensch ein Recht auf nichts hätte. Aus dieser Vernunftregel kann man das zweite Naturgesetz ableiten, welches besagt, dass das Recht auf alles nicht aufrechterhalten werden kann, ja dass man einzelne Rechte entweder aufzugeben oder zu übertragen hat, da es sonst beim Krieg aller gegen alle bleiben würde. Die Menschen müssten dann weiter im Naturzustand verharren und hätten keine Aussicht auf Frieden. Eine Rechtsübertragung und Vertragsschließung setzt aber voraus, dass für die sich fügenden Menschen daraus ein Vorteil in Form von Frieden, Sicherheit, Eigentum entsteht, sie sich aber gleichzeitig – als Gegenleistung für Frieden, Sicherheit und Eigentum – nach Vertragsabschluss dem Herrscher per Herrschaftsvertrag unterordnen. Mit dem Auftauchen von Soldaten, die die Jungen seit dem Flugzeugabsturz suchen, endet nicht nur der Aufenthalt der Kadetten auf der Insel, sondern auch das Durchleben des Naturzustands, wie ihn Hobbes sich vorgestellt hat (gleiche Vorstellungen gibt es übrigens auch bei Grotius und Pufendorff). Dennoch bleiben am Ende des Filmes einige Fragen bewusst unbeantwortet: Wie wird Jack sein Handeln gegenüber den Soldaten rechtfertigen? Wie kann er erklären, dass einige Kadetten ihr Leben verloren haben? Wie wird er zukünftig in einer bürgerlichen Gesellschaft zurechtkommen? Wird er vom Militär für sein Handeln bestraft werden? Aus welchen Gründen wäre es richtig oder falsch, ihn zu bestrafen? Kann er für sein Tun
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überhaupt zur Verantwortung herangezogen werden? Wie wird Ralph seine Erlebnisse verarbeiten? Und: Kann er noch an die Demokratie als Staatsform glauben?
Bevor Sie sich den Film Herr der Fliegen ansehen, sollte folgendes Gedankenexperi ment durchgeführt werden: Stell dir folgende Situation vor: Du strandest als Schiff brüchige(r) auf einer einsamen Insel. Aber: So einsam ist die Insel gar nicht mehr, denn vor dir ist bereits ein(e) andere(r), gleichgeschlechtliche(r) Schiffbrüchige(r) angekommen. Was könnte jetzt auf der Insel passieren?
Schauen Sie sich den Film an, und beurteilen Sie die Situation auf der Insel vor dem Hintergrund der Ergebnisse des Gedankenexperiments.
Fertigen Sie Steckbriefe zu den handelnden Personen Ralph, Piggy, Jack, Simon und Samneric an.
Stellen Sie dar, welche Jungen am Anfang zu welcher Gruppe gehören und warum? Wieso ändert sich die Gruppenkonstellation? Wodurch entsteht der Konflikt?
Erläutern Sie, welche Staatsformen Sie den beiden rivalisierenden Gruppen zuordnen würden. Tragen Sie in eine Tabelle die Kriterien ein, die Sie für die beiden Staatsformen im Film ausfindig machen können.24 Der Zustand, in dem sich die beiden Gruppen befinden, nennt Thomas Hobbes Naturoder Kriegszustand.
Versuchen Sie durch ein Sokratisches Gespräch eine (eigene) Definition des Begriffs Natur- oder Kriegszustand im Kurs zu erarbeiten (am Ende der Stunde sollte eine von allen Kursteilnehmerinnen und -teilnehmern akzeptierte Definition an der Tafel stehen).
Informieren Sie sich in philosophischen Lexika über den Begriff. Suchen Sie im Internet nach dem Begriff und vergleichen Sie die dortigen Erklärungen mit den in den philosophischen Wörterbüchern gefundenen. (Sind sie identisch? Welcher Version kann man mehr Vertrauen entgegenbringen und warum?)
Gattaca
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Inhalt des Films: Gattaca spielt in einer Zeit, in der der wissenschaftliche Fortschritt es ermöglicht hat, die Gen-Kombination bei Zeugung im Labor präzise zu steuern und nahezu perfekte Menschen herzustellen. Vincent Freeman verdankt sein Leben und seine Gene noch natürlicher Zeugung, nicht dem Labor wie schon sein jüngerer Bruder. Jemand wie Vincent ist in dieser zukünftigen Gesellschaft ein »Invalide«, ein »Untauglicher«, ohne Chancen auf eine gesellschaftliche oder berufliche Karriere. Doch er vertraut auf sich, seine Leidenschaften, Gefühle und Träume. Er möchte
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DVD: Alle Angaben zum Film beziehen sich auf die DVD: Herr der Fliegen, MCP 2003, Zeiten: z. B. 0:08:47 – 0:12:32 und 1:02:31 – 1:07:44. Gattaca (Andrew Niccol, USA 1997).
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trotz seines Sehfehlers und einer angeborenen Herzschwäche vorwärtskommen und Raumfahrer werden bei dem gigantischen Gattaca-Konzern, der seine Angestellten bis ins Kleinste kontrolliert. Sein Traum ist es, ins All zu fliegen, zu Titan, dem 14. Mond des Saturns. Dafür ist er bereit, die Identität eines anderen anzunehmen. Der DNA-Makler German vermittelt ihn an Jerome Morrow, der als künstlich erschaffener »Tauglicher« nach einem Unfall an den Rollstuhl gefesselt ist. Gegen Bezahlung erlaubte er Vincent, seine persönlichen Merkmale zu übernehmen. Dank ausgeklügelter Tricks wie mitgebrachter Urinproben und künstlicher Fingerkuppen schafft es Vincent schließlich, für das Astronauten-Trainingsprogramm ausgewählt zu werden. Als der Direktor der Weltraumagentur ermordet wird, kommt heraus, dass sich ein »In-Valid« eingeschlichen hat, der zum Hauptverdächtigen wird. Die Gefahr der Entdeckung wird für Vincent immer größer, da die Kontrollen verschärft werden. Als ein Polizist in Jeromes Haus kommt, droht der Betrug entdeckt zu werden, doch gerade in diesem Moment wird der Mörder gefunden, so dass niemand mehr ein Interesse an Vincent hat. Nun kann er sich seinen Lebenstraum erfüllen.
M 4 Skript: Die Präimplantationsberatung26
Arzt: Die Ihnen entnommenen Eier, Mary, wurden befruchtet mit Antonios Sperma. Nach der Überprüfung blieben, wie Sie sehen, zwei gesunde Jungen und zwei sehr gesunde Mädchen übrig – natürlich ohne kritische Dispositionen für schwere erbliche Krankheiten. Sie müssen sich nur noch den passenden Kandidaten aussuchen. Wir können zunächst einmal über das Geschlecht entscheiden. Haben Sie noch einmal nachgedacht? Mary: Wir möchten gerne, dass Vincent ein Brüderchen kriegt. Sie wissen schon, zum Spielen. Arzt: Ja, natürlich. […] Sie wollten hellbraune Augen, dunkles Haar und helle Haut. Ich war so frei und habe alle potenziell abträglichen Beschwerden ausgeschal tet – vorzeitige Kahlheit, Alkoholismus und Suchtanfälligkeit, Neigung zu Gewalt, Fettleibigkeit … Mary: Wir wollten keine schweren Krankheiten, aber … Antonio: Genau, ja …, ob …, ob es gut ist, ein paar Sachen dem Zufall zu über lassen … Arzt: Sie möchten doch für Ihr Kind den bestmöglichen Start. Glauben Sie mir, in uns steckt schon genug Unvollkommenheit, Ihr Kind braucht keine zusätzlichen Be lastungen. Und vergessen Sie nicht: Dieses Kind ist immer noch von Ihnen, nur eben das Beste. Sie können 1000 Mal empfangen und nie ein solches Ergebnis erzielen. Erzählerstimme [im Off ]: So kam mein Bruder Anton auf die Welt.
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Gattaca, Sony Pictures Home Entertainment 2008, Zeit: 0:09:20 – 0:10:40.
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Stellen Sie dar, aus welchem Grund Mary und Antonio Freeman mit dem Arzt sprechen und warum sie während des Gesprächs stutzig werden.
Untersuchen Sie, wie sich die folgenden vom Arzt vorgenommenen Maßnahmen unterscheiden lassen:
a) Auswahl der Zellen, die keine A nlage für schwerwiegende E rbkrankheiten aufweisen
b) Ausschluss von Anlagen zu v orzeitiger Kahlheit, Alkoholismus, Suchtanfälligkeit
Wie begründet der Arzt seine Handlungsweise? Stellen Sie sich vor, Sie säßen dem Arzt an Stelle von Mary bzw. Antonio gegenüber. Wie würden Sie sich entscheiden? Begründe Sie Ihre Entscheidung.
Beurteilen Sie anhand der Filmsequenz über Vincent Freemans Kindheit bzw. des ganzen Films, welche Stellung darin zur Frage der genetischen Optimierung des Menschen bezogen wird. Notieren Sie Einzelheiten, an denen dies deutlich wird. Quelle: Peters, Jörg; Rolf, Bernd: »Spielfilme im Philosophieunterricht«, in: Brüning, Barbara; Martens, Ekkehard (Hrsg.): Anschaulich philosophieren. Mit Märchen, Fabeln, Bildern und Filmen, Philosophie und Ethik unterrichten, Bd. 5, Beltz Verlag, Weinheim/Basel 2007, S. 116–136 (von den Autoren für diesen Band überarbeitet).
Philosophieren mit Filmen Volker Steenblock
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ür ein »Philosophieren mit Filmen« bieten sich viele Themen an, z. B. Platons Höhlenkino in der Truman Show und in der Matrix, Woody Allens Verzweiflung über den »Sinn des Lebens« in Matchpoint, der großartige Blade Runner von Ridley Scott, schließlich, mit einem Drehbuch von Sartre, Das Spiel ist aus. Filme und Filmausschnitte im Unterricht machen »theoretische« Problemstellungen erlebbar, und sie können Problemstellungen verdichten wie sonst nur in existentiellen Lebensmomenten. Dem eigentlichen Profil unseres Metiers als argumentative Orientierung im Denken widerspricht dies nicht. Es führt ganz im Gegenteil in eine Dimension des Verstehens, die der philosophischen Bildung im »Pisa«- und »Kompetenzen«-Zeitgeist nicht verloren gehen darf.
Film und Philosophie – ein Problemaufriss Was bei Shakespeare noch das Theater konnte, ein Massenpublikum ergreifen, das erreicht heute der Film. Shakespeare klingt in unseren Ohren nach Hochkultur oder nach profilierter Inszenierung unseres (gesamtgesellschaftlich freilich recht marginalisierten) Gegenwartstheaters. Aber Shakespeares berühmtes Globe Theatre stand neben Tierhatz-Arenen im Vergnügungsviertel des elisabethanischen London südlich der Themse. Shakespeare fand dort statt, wo die Menschen waren, aus welchen Motiven auch immer. Heute verhält es sich genauso mit dem Kino. Das Kino ist Teil der oft genug profitfördernd pornographisierten Popkultur, und statt der echten Tierhatz gibt es eben in Horror, Splatter und Krimi eine inszenierte Menschenhatz im Medium Film. Hier äußert sich offenbar ein typisch Menschliches. Aber mittendrin eben gibt es Momente dessen, was wir Bildung nennen. (Nutzt man Produkte der Popkultur für Bildungsprozesse, liegt es zudem nahe, zugleich auch deren andere Seite zum Thema zu machen, Systemdynamiken der Kulturindustrie zu diskutieren und zu einem kritisch-reflektierenden Umgang mit der Popkultur anzuregen.) Die Einstellung der Philosophie dem Film gegenüber schwankt traditionell von Skepsis (Sartre) bis Verriss (Adorno). Obwohl es hierfür genügend Gründe gibt, sind Filme doch mehr als das, was sie mindestens sind: aufschlussreiche Kulturindikatoren. Zudem wird in den Kulturwissenschaften ihnen gegenüber längst ein erheb licher filmästhetischer, pädagogischer und medientheoretischer Aufwand betrieben. Erst langsam, mit Annäherung an die Gegenwart aber steigend, finden Filme
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auch ein freundlicheres philosophisches Interesse. Stanley Cavell (2010) bezieht sich ausgerechnet auf jene Hollywood-Komödien der 1930er und 40er Jahre, die ein Theodor W. Adorno offenkundig vor Augen hatte, als er seine völlige Verachtung kundtat. Noch nicht einmal, wo eine avancierte Theoriebildung zwischenzeitlich tatsächlich auf bestimmte Filme eingegangen war (etwa auf Sergej Eisensteins revolutionäre Montagen oder auf Orson Welles’ legendären Film Citizen Kane, USA 1941), sind ausgerechnet diese »seichten« Komödien je in den Blick genommen worden. Und weiter: Die Lebensfremdheit der akademischen Philosophie, spottet Cavell, führe dazu, dass das schwierige Gebiet tatsächlicher, konkreter moralischer Probleme längst eher in der Kunst, insbesondere eben auch im Film behandelt werde.1 Cavells Arbeiten schlagen damit eine Brücke zur Popkultur. Für den Blick auf den Film wird deutlich, was auch von der deutschen und kontinentalen Tradition her festgestellt wird: Die Philosophen haben sehr zu Unrecht lange Zeit an einem Leitmedium unserer Gegenwart vorbeigeblickt. 2 Immerhin liegt seit Neuerem doch einiges vor. Dimitri Liebsch 3 unterscheidet eine Philosophie des Films im Sinne eines Genitivus subjectivus (in der etwa Matrix das »bewegte Bild zum erkenntnistheoretischen Skeptizismus« liefert) von einer Philosophie des Films im Sinne eines Genitivus objectivus (als Wesensbestimmung des Films). Seit den 1980er Jahren (mit Vorläufern, man denke nur an Siegfried K racauer) gibt es eine gewisse filmphilosophische Szenerie mit »kontinentalem« (Jacques Deleuze) und konträrem »amerikanischem« Flügel (Noel Caroll) und daneben auch noch eine filmrelevante Medienwissenschaft. Zahlreiche Veröffentlichungen dokumentieren ein wachsendes Interesse. 4 Sperrt sich nicht aber der Film als Kunstwerk gegen eine philosophische (und übrigens auch oft theologische) Inanspruchnahme? Muss man nicht erst einmal dem Film gerecht werden? Wie bei allen Künsten ist ein kompetenter Umgang mit solchen Formalaspekten wichtig, die den Film als Film verstehen lassen. Es gilt ins Bewusstsein zu heben, welche Gestaltungsentscheidungen welche Konsequenzen hervorrufen (z. B. die Bildeinstellungsformate, Kamerafahrten, ruhig-atmosphärische, dann wieder schnelle Bildsequenzen). Als Kunst können die Stilmittel des Films eine analoge ästhetische und hermeneutische Aufmerksamkeit beanspruchen wie die der Literatur, welche der Film freilich zugleich im Lebensalltag der Menschen mit jeder nachfolgenden Generation weiter zurückdrängt. Die Deutschdidaktik
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Vgl. Cavell, Stanley: Cities of Words. Ein moralisches Register in Philosophie, Film und Literatur, übers. von Lotter, Maria-Sibylla, Chronos Verlag, Zürich 2010. Vgl. Recki, Birgit: »Technik und Natur. Eine neue Dialektik der Aufklärung oder: Wie es der weißen Frau möglich wird, den Affen zu lieben«, in: Heilinger, Jan-Christoph (Hrsg.): Naturgeschichte der Freiheit, Humanprojekt, Bd. 1, Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York 2007, S. 391– 404. Vgl. Liebsch, Dimitri (Hrsg.): Philosophie des Films. Grundlagentexte, KunstPhilosophie, mentis, Paderborn 2006; vgl. Livingston, Paisley; Plantinga, Carl (Eds.): The Routledge Companion to Philosophy and Film, Routledge, London/New York, NY 2009. Vgl. auch den Abschnitt »Zur besonderen philosophischen und didaktischen Bedeutung des Films« in dieser Studie.
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etwa – die den Film mittlerweile in der Tat als eigenständige Kunstform neben die Literatur stellt – gibt zu einer »Visual Literacy« und »Spielfilmkompetenz« sowie zu möglichen, auch produktionsorientierten Arbeitsverfahren im Unterricht hilfreiche Mittel an die Hand. Theorie und Praxis einer Analyse des »Gesamtkunstwerks« Film als Text, Drehbuch, Dramaturgie, Schauspiel, Filmkritik (Fach Deutsch), als Bildschnitt, Design, Maske, Kostüm (Fach Kunst) und als Ton/Komposition/ Synchronisation (Fach Musik) finden sich filmwissenschaftlich grundlegend behandelt. 5 Solche filmästhetischen und mediendidaktischen Zugriffe (Kameraeinstellungen, Montagetechniken, Tongestaltung) zeigen, dass es ein Eigenrecht des Films als Filmkunstwerk auf eine ihm angemessene Analyse gegenüber möglichen Indienstnahmen jeweiliger weltanschaulicher Deutungsanliegen gibt. Und zugleich besteht auf der anderen Seite ein Eigenrecht jeweiliger philosophischer, religiöser usw. Theoriebildung gegenüber ihrer möglichen Verkürzung und Verzerrung in der Verbindung mit jeweiligen Filmsichten. Analog zur »Mal-mir-was«-Debatte 6 hat die Philosophie das spezifische Vernunftbemühen ihrer »Arbeit am Logos« auch beim Philosophieren mit Filmen didaktisch zu wahren. Beides muss eine Filmdidaktik achten, wenn sie zugleich versucht, diese Verbindung herzustellen.7 Dies festzuhalten, bedeutet übrigens keineswegs, den Einfluss der Philosophie und Theologie auf das Metier Film zu leugnen. Wie stark in der Sinnmaschine Kino gerade Rückgriffe auf religiöse Motive sind, fällt Theologen längst auf. In Matrix erwacht durch das »Heilshandeln« (!) der weiblichen Hauptdarstellerin Trinity der bereits (schein-) tote Neo zu neuem Leben und wird nun als Quasi-Messias endlich erfolgreich aktiv. Freilich ist angesichts einer erdrückenden Überzahl produzierter Schemaware Vorsicht geboten. So wenig Matrix eine Persistenz Gottes in der Gegenwartskultur beweisen muss, so wenig können die Philosophen aus ihren Entdeckungen schon auf eine Reflexivität und Intelligenz der Popkultur schließen.
Ein Beispiel: Blade Runner (USA 1982) Für das, was philosophie- und filmdidaktisch angestrebt werden könnte, möchte ich als Beispiel auf eine mittlerweile fast legendäre Schluss-Szene des Films Blade Runner8 verweisen. In dieser erkennt der in seiner Lebenszeit auf vier Jahre beschränkte künstliche Mensch oder »Replikant« Roy Batty in seinem abstürzenden Verfolger Deckard die eigene Endlichkeit wieder, dem er ins angst- und schmerzverzerrte Gesicht sagt: »Quite an experience to live in fear, isn’t it? That’s what it is to be a slave.«
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Vgl. Monaco, James: Film verstehen. Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films und der Neuen Medien, übers. von Bock, Hans-Michael; Westermeier, Brigitte, rororo Handbuch 6271, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 22009. Vgl. Tiedemann, Markus: »›Mal mir was!‹ Ein Zwischenruf«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 33, 2011, Heft 1: Philosophie im 5./6. Schuljahr, S. 78–80. Vgl. Litch, Mary M.: Philosophy Through Film, Routledge, New York/London 2002. Vgl. Bukatman, Scott: Blade Runner, BFI Modern Classics, British Film Institute, London 2003.
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Am Ende sitzt der Replikant nach der Rettung seines Feindes zusammensackend im strömenden Regen, in ein bläulich-nächtliches Licht getaucht: »Ich habe Dinge gesehen«, so sagt er stockend als Letztes, »die ihr Menschen niemals glauben würdet …«: »I’ve seen things you people wouldn’t believe. Attack ships on fire off the Shoulder of Orion. I watched C-beams glitter in the dark near Tannhäuser Gate. All those … moments will be lost … in time, like tears … in rain«. Diese Filmszene scheint Widersprüche zur Debatte zu stellen: »Will be lost…« dekodiert der Zuschauer als: Es wird keine jenseitige, göttliche Aufhebung geben (alle Bildung geht verloren!); eine emporsteigende Taube/Seele könnte der Zuschauer aber auch interpretieren als: Es kann doch eine jenseitige, göttliche Aufhebung in einen höheren Sinnzusammenhang zu erhoffen sein. Beides können und müssen wir auf eine eigene Stellungnahme zu diesem Problem beziehen. Dabei dürften wir uns rückwirkend an jene Szene erinnern, in der Roy Batty seinen Schöpfer Tyrell tötet und sich Bezüge zum »Tod Gottes« realisieren, den Nietzsche keineswegs nur mit fröhlicher Mutwilligkeit behauptet, sondern als die Ungeheuerlichkeit inszeniert, die er ist. Diese Inbeziehungsetzung von Sinngehalten des Films und Gedankenmodellen unserer eigenen Orientierung in den sogenannten »letzten Fragen« impliziert in der stellvertretenden Vorführung durch die Replikanten argumentativ komplexe Problemstellungen zu solchen Norm- und Sinnfragen, zu denen jede(r) sich aus sich selbst heraus und für sich selbst verhalten muss: das Problem der Theodizee, also der Rechtfertigung des guten und allmächtigen Göttlichen angesichts der Leiden in der Welt, die Frage nach moralisch gutem Handeln, nach jenseitsbezogenem oder nur diesseitigem Lebenssinn.9 Die Bedeutung dieser Passage geht aber noch weiter: Die Filmszene führt nichts weniger als eine Identitätsgewinnung Battys durch ein Handeln als moralisches Subjekt und durch Narration vor. Dies impliziert als Kohärenz u. a. eine soziale Dimension: Es ist wichtig, dass Deckard zuhört, dem Batty soeben das Leben gerettet hat. Sich mitvollziehend in solche Denkmodelle einzuschwingen, muss in einem lebendigen Diskurs- und Diskussionsszenario entwickelt werden, in dem Menschen als Subjekte aus ihrem Interesse am behandelten Problem nachdenken und sich orientieren.
Zur besonderen philosophischen und didaktischen Bedeutung des Films Warum ist gerade der Film aus dem Spektrum der von ihm thematisierten Medien und Methoden in der Philosophie und ihrer Didaktik besonders interessant? Hierauf gibt es signifikante Antworten einer neueren Philosophie des Films: »Hätte man den Film nicht erfunden, fehlte den Kindern der Moderne der wichtigste Spiegel«, sagt
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Eine genaue Vorstellung mit Unterrichtsmaterialien findet sich in: Steenblock, Volker: Philoso phieren mit Filmen, Narr Francke Attempto Verlag, Tübingen 2013, S. 147–160.
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Josef Früchtl, Autor des Buches Vertrauen in die Welt.10 Schon ohne auf dessen komplexen Theorierahmen einzugehen, kann man sagen: Die Geschichten des Kinos spiegeln den Alltag, die Träume und Albträume von Millionen. Dies ist so, weil praktisch jeder Film eine Gemeinschaftshervorbringung in »Tuchfühlung« mit der sozialen Wirklichkeit ist und natürlich auch, weil er als ein Pop-Produkt auf jene »anonymous multitude« zielt, die ihn schließlich sehen und profitabel machen soll. Der Ästhetiker Martin Seel sieht im Film vor allem eine Form der Kunst; diese wiederum aber ist mit Religion und Philosophie nach Hegel bekanntlich die »höchste Form menschlicher Selbstverständigung«.11 Dirk Rustemeyer, Kulturtheoretiker, attestiert den Künsten wie insbesondere auch dem Film eine Bildungsdimension. Der Film schaffe (sozusagen wie Shakespeare) »Reflexionsfiguren gesellschaftlichen Lebens, wie dies früher dem Theater zufiel«.12 Im Anschluss an Birgit Recki13 schließlich und an den Begriff der »symbolischen Prägnanz« des Klassikers Ernst Cassirer (1874–1945) ließe sich konstatieren, dass der Film die besondere (und erinnerungsfeste) Erfahrung einer Synthese von Erlebnis und Begriff erzeugen kann. Erfahrungen aus Filmen, die zugleich begrifflich-diskursiv zu verarbeiten sind, können, wenn man so formulieren darf, Sinngehalte nicht nur kognitiv, sondern auch »emotional bewusst machen«. Auch pädagogisch gibt es einschlägige Forschung.14 Freilich ist, worum es hier geht, schwerlich in der Art mancher Messregimes abfragbar nach dem Schema: Was hat Roy Batty gesehen? A: die Schulter des Orion, B: das Sternbild des Schützen, C: Spiders from Mars oder D: den Mann im Mond? Denn (»bildungstypische«) Sinnfragen und Probleme der Moral und Ästhetik lassen sich nur sehr begrenzt nach der Art »eine Antwort ist richtig« erfassen. Sinngehalte müssen im gemeinsamen Gespräch unter Heranziehung eines geeigneten didaktischen Methodenspektrums für eine je individuelle Orientierung und Bildung offen diskutiert und frei entwickelt werden.15
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Früchtl, Josef: Vertrauen in die Welt. Eine Philosophie des Films (Film Denken), Wilhelm Fink Verlag, München 2013. Seel, Martin: Die Künste des Kinos, Fischer Wissenschaft, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2013, S. 228. Rustemeyer, Dirk: Darstellung. Philosophie des Kinos, Velbrück GmbH, Weilerswist 2013, S. 12. Vgl. Recki, Birgit: »Technik und Natur. Eine neue Dialektik der Aufklärung oder: Wie es der weißen Frau möglich wird, den Affen zu lieben«, in: Heilinger, Jan-Christoph (Hrsg.): Naturgeschichte der Freiheit, a. a. O. Vgl. Greimer, Alexander; Ehrenspeck, Yvonne: »Qualitative Filmanalyse in den Sozial- und Erziehungswissenschaften«, in: Friebertshäuser, Barbara; Langer, Antje; Prengel, Annedore (Hrsg.): Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft, Beltz Juventa, Weinheim/Basel 2013, S. 589–598. Vgl. Steenblock, Volker: »Philosophische Bildung als Arbeit am Logos«, in: Nida-Rümelin, Julian; Spiegel, Irina; Tiedemann, Markus (Hrsg.): Handbuch Philosophie und Ethik, 2 Bde., Bd. 1: Didaktik und Methodik, UTB 8617, Ferdinand Schöningh, Paderborn 2015, S.57–69. Der Aufsatz ist auch abgedruckt in: Peters, Martina; Peters, Jörg (Hrsg.): Moderne Philosophiedidaktik. Basistexte, Felix Meiner Verlag, Hamburg 2019, S. 167–191.
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Wie mit Filmen philosophieren? Bildungsprozesse wären also schlecht beraten, über das didaktische Potenzial des Mediums hinwegzusehen. »Medien nutzen und reflektieren« ist eine Grundforderung in Lehrplänen im Fach Deutsch, auch in den Didaktiken anderer Fächer ist eine »Spielfilmbildung« längst hochrangig gefordert.16 Entsprechend ist der Film als Teil schulischer wie allgemeiner Bildung aufzufassen. Wenn herauszustellen ist, welche Einsichten sich im Film für uns zeigen und wie wir durch die besondere Kraft dieses Mediums unsere bewusste Wahrnehmung und Reflexion intensivieren können, ist freilich immer auch ein wenig abzuschätzen, wie viel hiervon eine jeweilige in den Teams von Konzeption und Drehbuch erzeugte Intention ist – und wie viel eine beim Rezipienten zum Schwingen gebrachte gedankliche und gefühlsmäßige Interpretation. Letzteres ist keineswegs illegitim, im Gegenteil: Ein Kunstwerk zeichnet sich immer auch dadurch aus, dass es ein Mehr an Bedeutung gewinnen kann über das hinaus, was seinem Autor bewusst ist. Zur Organisation solcher Bildungsprozesse spielt das richtige Timing eine Rolle. Wir alle erleben es, dass man nach einem Kinobesuch unter dem frischen Eindruck des Gesehenen sehr leicht über einen Film sprechen kann. Wie ist das in Universitätsseminaren und Schulstunden? Nehmen wir etwa die 45 Minuten einer sechsten Stunde in einer neunten Jahrgangsstufe mit 30 Schülern, die für das Fach »Ethik« oder »Praktische Philosophie« aus vier verschiedenen Klassen zusammenkommen. Die einen hatten vorher Sport, die anderen haben eine Klassenarbeit geschrieben. Für alle scheint, was in den Fünfminutenpausen geschieht und wer was über wen gesagt hat, wohl zuerst wichtiger als die Unterrichtsstunden. Zeigt man hier einen Teil des Films, unterbricht aber den Gang einer Auseinandersetzung mit dem Film, müssen die Schüler ihre Eindrücke, Emotionen, Fragen und Sinnkonstruktionen bis zur nächsten Stunde gleichsam »einfrieren«.17 Dann aber sind sie meist »erkaltet« und bieten nur noch eine fade Erinnerung an ihren ursprünglichen Zustand. Der Einsichtsgewinn droht die investierte Unterrichtszeit kaum mehr zu rechtfertigen. Zwar erinnern die Schülerinnen und Schüler sich an den Inhalt des Films. Die spezifischen Emotionen und Sinnzuschreibungen, die für Bildungsprozesse zu mobilisieren wären, können sie aber nicht konservieren und wiederbeleben. Hieraus kann man den Schluss ziehen, dass das Assoziations-, Erfahrungs- und Kreativpotential, das der Filmeindruck erzeugen kann, vor allem »frisch« zur Wirkung kommen muss. Deshalb ist es mit Sistermann zu empfehlen, gezielt ausgewählte Filmausschnitte zu nutzen. Diese Erfahrung wiederum kann (sie muss nicht) so gesucht werden, wie dies in vielen Veröffentlichungen empfohlen wird, in denen ausgesuchten Filmen
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Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung: Kino macht Schule. Materialsammlung zum Kongress (20.03.2003–21.03.2003), auf: https://www.bpb.de/veranstaltungen/dokumentation/129878/ kino-macht-schule (Stand: 09.05.2019). Sistermann, Rolf; Schmitter, Jörg: »Im unerbittlichen 45 Minutentakt – Ein Plädoyer für die Arbeit mit Filmausschnitten im Religionsunterricht«, in: Kirsner, Inge; Wermke, Michael (Hrsg.): Passion Kino. Existentielle Filmmotive in Religionsunterricht und Schulgottesdienst, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2009, S. 44–61.
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philosophische Thematiken, Autoren oder Texte sozusagen interaktiv zugeordnet werden. Beispiele für dieses Erlebnispotential sind etwa18: ¬ die Verdichtung existentieller »Lebenssinnfragen« in Blade Runner ¬ die anschauliche Plausibilisierung der von Platon über Descartes thematisierten Möglichkeit einer Täuschung über die Realität der Welt in Truman Show (Peter Weir, USA 1998) und Matrix (Lana Wachowski (als Larry Wachowski); Lilly Wachowski (als Andy Wachowski), USA/AUS 1999) ¬ das provozierende Potential einer Konfrontation von Wissenschaft und Religion in historisch opulenter Anschauung im Film über das Schicksal der antiken Philosophin Hypatiá: Agorá (Alejandro Amenábar, E 2009) ¬ der Hobbes’sche Naturzustand unter Schülern (!) in Lord of the Flies (Harry Hook, GB 1990) ¬ die Frage nach Sinn und Schicksal des Menschen in Raum und Zeit in 2001 – A Space Odyssey (Stanley Kubrick, GB 1968) ¬ eine in Szene gesetzte Perspektive emotionaler Bildung in Groundhog Day (Harold Ramis, USA 1993) ¬ die personale Zuspitzung gesellschaftlicher Konflikte und das Motiv des künstlichen Menschen in dem Kultklassiker Metropolis (Fritz Lang, D 1927) ¬ Jean-Paul Sartres Existentialismus in Das Spiel ist aus (Jean Delannoy, F 1947). Dabei ergeben sich durchaus Differenzierungspotentiale. In dem Western The Searchers (John Ford, USA 1956) schwankt ein erstaunlich schwieriger, von John Wayne gespielter »Westernhelden-Charakter« zwischen Indianerhass, Rassismus und besseren Momenten. Hieraus kann man ersehen: »Moralische Erziehung durch Filme ist ebenso wenig wie bei Romanen als Vermittlung von allgemeinen Normen zu verstehen, etwa indem eine Geschichte vorgeführt wird, aus der eine ›Lehre‹ im Sinne einer allgemeinen moralischen Formel zu ziehen ist. Filme, die offenkundig solche Zwecke verfolgen, sind in der Regel langweilig. Moralische Erziehung durch Filmnarrative ist nicht generalistischer, sondern partikularistischer Art: sie besteht nicht in der abstrakten Vermittlung allgemeiner moralischer Formeln, sondern der Entwicklung eines differenzierten Bewusstseins der ethischen Herausforderungen je besonderer Lebenslagen«.19 Um solche je unterschiedlichen Bildungserfahrungen, die Filme ermöglichen, aufzuschließen, können in etwa die folgenden Hinweise gegeben werden: Für einen Unterricht, der in Erinnerung bleibt, liegt es nahe, emotionale Filmwirkung und Reflexion zu verbinden. Die machtvolle »Realitäts«-Erzeugung im Film ist
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Genaue Vorschläge zu diesen Filmen mit Unterrichtsvorlagen finden sich in: Steenblock, Volker: Philosophieren mit Filmen, a. a. O. Lotter, Maria-Sibylla: »Warum Adorno Unrecht hat und alte Westernchauvis wie John Wayne in den Ethik-Unterricht gehören«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 36, 2014, Heft 4: Philosophie und Lebenswelt, S. 67–79: S. 73.
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auf emotionale Effekte hin angelegt. Diese können beim Zuschauer bestimmte psychologisch benennbare Reaktionen erzeugen: Identifikationen (Empathie; Rezi pient empfindet zwischen sich und einer Filmfigur oder Filmsituation oder dem Film insgesamt Übereinstimmungen bzw. ein Eigenes ausgedrückt), Irritationen (Provokationen, Fremdes, keine Übereinstimmungen), Projektionen (Zuschauer fantasiert eigene Wünsche und Vorstellungen in den Film hinein). All dies ergreift uns und ruft zugleich nach Argument und Begriff, Text und Reflexion. Mögliche Wirkungen von Filmen auf Lernende sollten in einer (Vorab-)Bewusstmachung reflektiert werden. Nicht nur Figuren, auch ganze Filme »mag« der/die eine. Aber: Dem/Der anderen sagen sie nichts oder sie erzeugen sogar Widerwillen. Dies betrifft sowohl die Filmsprache wie den Filminhalt, es gilt für Lernende wie für Lehrende (!). Dieser Umstand kann irritieren, er kann aber auch die Diskussion sehr befruchten. Es sind gerade seine Polysemie, die Vielfalt und der Perspektivenreichtum seiner möglichen Deutungen, die, wie alle Kunstwerke, auch ein Filmkunstwerk ausmachen. Es ist eine »Hin-und-Her-Bewegung« zwischen Identifikation und Distanzierung (Maria-Sibylla Lotter), zwischen Perspektivenübernahme und Befremdung, die den Raum zur Reflexion eröffnet. Natürlich gibt es aber oft Übereinstimmungen in der Beurteilung von Filmen. Im »Happy End« können sich z. B. generell akzeptierte Sinn- und Gerechtigkeitsvorstellungen spiegeln, die sich thematisch in den Unterricht als moralische Wertaussagen einbringen lassen. Philosophischen Bezug bedenken: Die Grundfrage ist, zu welchen genuin philosophischen bzw. ethischen Fragestellungen und (oft ja sehr traditionsreichen) Antwortversuchen sich die Filmthematik zuordnen lässt. Auswahl von Einzelszenen vornehmen, Gesamtkunstwerk Film respektieren: Welche Szene ist als Lernmedium geeignet? Gibt sie »genug her«, um anregend zu wirken? Würde es lohnen, bei passender Gelegenheit mehr, evtl. den ganzen Film zu zeigen? Position einer ausgewählten Szene im Unterrichtsablauf bestimmen: Soll die Szene (eher am Anfang einer Stunde) einen Problemhorizont eröffnen/erzeugen oder wäre auch ein Einsatz in einer späteren Phase (als profilierende Illustration, als Hinweis auf eine weiterführende Problemperspektive o. ä.) denkbar? Unter dem Eindruck des Gesehenen in Lerngruppen über eine Filmsequenz ins Gespräch kommen: Elemente einer themenorientierten Arbeit mit Filmsequenzen können sein20: Verbalisierung erster Eindrücke; Gespräch über die Dokumentationen des Gesehenen mit Hilfe von schriftlichen Beobachtungsaufträgen, Erarbei tung bestimmter filmischer Mittel im Hinblick auf die Eindrücke/(emotionalen) Wirkungen, die der Film auslöst (ggfs. in Gruppen), Diskussion des Inhaltes/des Standpunktes/der Inszenierungszugriffe des Films; schließlich auch: Beurteilung des Films und Reflexion seiner Fruchtbarkeit für die im Unterricht (in gemeinsamen PIanungssequenzen) vereinbarten Untersuchungsfragen.
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Vgl. Peters, Jörg; Peters, Martina; Rolf, Bernd: Philosophie im Film, C. C. Buchner Verlag, Bamberg 2006.
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Auswertungen vornehmen: Rückbezug des Filmeindrucks auf die im Unterricht vereinbarten Untersuchungsfragen und Problemstellungen (der Film als Gesprächspartner / Antwortangebot nach Ekkehard Martens). Als wichtige Option zur Auseinandersetzung wie Ergebnissicherung: über Filme schreiben! Mit Filmen zu philosophieren, heißt im Allgemeinen, die Filmsprache wiederum in eigene Narrationen zu überführen. Für jüngere Lernende sind Sequenzenprotokolle in einfacher Form geeignet, für ältere sind auch komplexere (etwa in vorbereiteten Schemata) gut möglich. Über diese Funktion hinaus kann ein Schreiben zu Filmen weitere Aufgaben gewinnen. Es wird dann zu einer Fortsetzung des Filmgesprächs mit anderen Mitteln, eben denjenigen Mitteln, welche die Schrift als Medium zu bieten hat. Neben interpretierenden »Fachtexten« (Sequenzen beschreiben, die Filmhandlungen zusammenfassen, zentrale Figuren charakterisieren, Filmszenen schriftlich deuten, eine Filmkritik verfassen) kann es auch ein fiktionales Schreiben geben (einen Brief einer Figur oder ihren inneren Monolog schreiben, die Filmhandlung weitererzählen).
Fazit Der Autor und Unterrichtspraktiker Veit Straßner21, der viel Lesenswertes vor allem über Dokumentarfilme schreibt, hat mit Sinn für die Situation auf Szenen verwiesen wie sie sich jeden Tag an unseren Schulen ereignen. Schüler treten mit dem Wunsch an den Lehrer heran, mal etwas »Cooles« zu machen: »Einen Film gucken, oder so…«. Also kündigt der Lehrer an, dass ein Film gesehen wird. Die Schüler nehmen alsbald erfreut die scheinbar üblichen Vorbereitungen für eine Filmsichtung vor: »Unnötige« Arbeitsmaterialien verschwinden vom Tisch und man macht es sich bequem. Der Rucksack wird auf dem Tisch platziert, um sich dann gemütlich auf denselben legen zu können. Schließlich »guckt man ja nur einen Film« … Die Lehrerin/der Lehrer mag sich wiederum von Kollegen dabei »ertappt« fühlen, dass man den Medienraum reserviert oder mit einer DVD auf dem Weg zum Unterricht ist. Dies zeigt: Filme motivieren, aber ihr Potential wird oftmals nicht richtig ausgeschöpft, weil alle Beteiligten Filme eher als Konsumgüter betrachten, statt als ein Unterrichtsmedium, mit dem gearbeitet werden könnte. Nach Eintragung der Noten am Schuljahresende wird der Film auch oft zur Verlegenheitslösung, wenn »richtiger« Unterricht nicht mehr möglich erscheint. Dabei sind eigentlich die Voraussetzungen, so Straßner, doch gut: Für eine nicht-öffentliche Wiedergabe bedarf es im Allgemeinen keiner Zustimmung des Rechteinhabers; auch kann man auf Filme der staatlichen oder kirchlichen Medienstellen mit den entsprechenden Aufführungslizenzen zurückgreifen (natürlich ist beim Einsatz von Filmen auf eine Altersangemessenheit und auf die Altersbeschränkung durch die freiwillige Selbstkontrolle
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Straßner, Veit: Wie man Filme professionell aufbereitet, das filmanalytische Potenzial entdeckt und Lernprozesse anregt – mit zehn Beispielen für die Sekundarstufe II (Politik unterrichten), Schwalbach am Taunus 2013.
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der Filmwirtschaft (FSK) zu achten; in der Regel auf dem DVD-Cover). Entsprechend möchten dieser Beitrag und die Literaturhinweise auf die Chancen einer Bildungsarbeit mit Filmen verweisen. Diese lohnt: Der Film vermag Bezüge zu einer emotionalen Tiefe herzustellen, die sich in einer Philosophiestunde im Kontext schulischer Alltagsroutinen sonst oft nicht erreichen ließe. Ein Philosophieren mit Filmen ist, wie die vorbenannten Beispiele zeigen, nicht einfach ein »didaktischer Köder« oder, quasihegelianisch, bloß »sinnliches Scheinen der Idee«, sondern als Synthese von Erlebnis und Begriff für Bildungsprozesse zutiefst relevant. Dadurch, nicht durch »Filmzeigen«, wird Unterricht attraktiv und kann Reflexionsfortschritte erreichen, die in Erinnerung bleiben. Quelle: Steenblock, Volker: »Philosophieren mit Filmen«, in: Nida-Rümelin, Julian; Spiegel, Irina; Tiedemann, Markus (Hrsg.): Handbuch Philosophie und Ethik, 2 Bde., Bd. 1: Didaktik und Methodik, UTB 8617, Ferdinand Schöningh, Paderborn 2015, S. 294–300.
Filmspezifische Darstellungsmöglichkeiten der Differenz zwischen Wirklichkeit und Nichtwirklichkeit Die Methodik des Philosophierens mit Filmen, angewandt auf Matrix, Die Truman Show und Inception Leif Marvin Jost Einleitung Darüber, dass der Einsatz bewegter Bilder im Fachunterricht philosophische Bildungsprozesse initiieren kann, sind sich Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktiker gegenwärtig einig. Die Frage, wie mit dem Medium jedoch konkret gearbeitet werden soll, ist hingegen weitestgehend ungeklärt. Die Nutzung etwa von Ganzfilmen, Filmausschnitten, Dokumentationen, YouTube- oder Musikvideos bietet den grundlegenden Mehrwert, an der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler anzuknüpfen, die »alte« Philosophie in die Gegenwart zu transferieren und sie mittels des Mediums der Moderne zu rehabilitieren. Verfolgt wird dadurch das Ziel, die Kluft zwischen Unterrichtsgehalten und Lebenswirklichkeiten der Schülerinnen und Schüler zu schließen. Andererseits beherbergt der Mediumeinsatz aber immer auch die Gefahr des didaktischen Missverständnisses, »das den Film als Selbstzweck betrachtet und davon ausgeht, dass seine didaktische Qualität sich mit der Visualisierung seines Themas erschöpft«1, wie z. B. Bettina Bussmann, Vorsitzende des Forums für Didaktik der Philosophie und Ethik, praxisnah konstatiert: »Alltag in der Lehrerausbildung: Zwei Studierende stellen eine Unterrichtseinheit vor und beginnen mit einem längeren Filmausschnitt. […] Es folgt ein Gespräch, in dem die Eindrücke und Gefühle benannt, der Bezug zu einem bereits vorab bearbeiteten oder noch anstehenden philosophischen Thema kurz hergestellt wird. ›Aber warum haben sie sich bei dem Thema denn überhaupt für einen Filmausschnitt entschieden?‹ Diese Frage stößt häufig auf Unverständnis.« 2
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Handorf, Rico: »Die Tücken der Gerechtigkeit in Gotham City – oder: Philosophieren mit Batman? Der Film ›The Dark Knight‹ im Unterricht«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 33, 2011, Heft 3: Globale Gerechtigkeit, S. 212–219: S. 212. Bussmann, Bettina: »Rezension ›Leif Marvin Jost: Methodik des Philosophierens mit Filmen‹«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 40, 2018, Heft 4: Klima und Umwelt, S. 115 f.
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Die Legitimation des Mediumeinsatzes schlägt fehl, weil der Film bloß »als ästhetischer Köder für die (schwierigere) Anstrengung des Begriffs verwendet« 3 wird. Volker Steenblock proklamiert folgerichtig, dass der Film Gefahr läuft, »lediglich sekundär und als Mittel zum Zweck wahrgenommen zu werden.« 4 Die Methodik des Philosophierens mit Filmen5 vermag diese Krux systematisch zu lösen, indem sie eine mediumadäquate, fachspezifische und situative Filmarbeit im Philosophieunterricht ermöglicht. Die entfaltete Praxis ist mediumadäquat, da sie das Medium »Film« mitdenkt und über die bloße Auseinandersetzung mit der Story eines Films hinausgeht. Sie präsentiert didaktische Handlungsweisen, die eigens für den Umgang mit dem Medium entwickelt wurden und dessen Spezifika berücksichtigen. So unterscheiden sich Filme z. B. von Texten, Comics oder Hörbüchern sowohl hinsichtlich ihrer künstlerischen Darstellungsmittel als auch bezüglich ihrer grundlegenden Wesensbestimmung. Ersteres öffnet den fachdidaktischen Blick für die Filmtechnik, Letzteres für Überlegungen über den Film per se, d. h. beispielsweise über den Film als Massenmedium, als Kommunikationsmedium oder als Kultur medium. Die Methodik berücksichtigt alle drei Ebenen Filminhalt, Filmtechnik und Filmtheorie bzw. -philosophie und ermöglicht es dadurch, den Mediumeinsatz überhaupt didaktisch zu rechtfertigen. Die Methodik bietet ferner eine fachspezifische Filmarbeit, indem sie die kanonischen Praktiken des Integrativen Methodenparadigmas von Ekkehard Martens auf diese drei Ebenen – Filminhalt, Filmtechnik und Filmtheorie bzw. -philosophie – anwendet. Filme werden nicht nur im philosophischen, sondern im gesamten schulischen Fächerverbund – etwa von Deutsch über Kunst bis hin zu Sport – genutzt. Um die Filmarbeit fachmethodisch zu legitimieren, wird die Schulung filmischer Bildkompetenzen »als Zielsetzung des Unterrichts der Philosophie und Praktischen Philosophie […] als genuin fachspezifischer Anforderungsbereich [ausgewiesen]« 6 . Die Anwendung der phänomenologischen, hermeneutischen, analytischen, dialek tischen und spekulativen Methode, die zusammengenommen »mit einer gewissen Plausibilität als vollständige Beschreibung philosophischer Methodenkompetenz« 7 gelten, garantiert somit, dass die Filmarbeit an sich bereits einen Vollzug des Philosophierens darstellt. Letztlich ist die Methodik keinesfalls statisch, sondern im Gegenteil situativ anzuwenden, damit philosophische Bildungsprozesse unter dem Signum der dialogischpragmatischen Philosophiedidaktik ausgehend von der konkreten Lehr-Lernsituation initiiert werden können. Gemäß Martens’ Auffassung des Philosophierens als 5 3 4
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Steenblock, Volker: Philosophieren mit Filmen, Narr Francke Attempto Verlag, Tübingen 2013, S. 18. Ebd. Vgl. Jost, Leif Marvin: Methodik des Philosophierens mit Filmen. Mediumadäquate, fachspezifische und situative Filmarbeit im Philosophieunterricht, Philosophie und Bildung, Bd. 19, LIT Verlag, Berlin 2017. Maeger, Stefan: Umgang mit Bildern. Bilddidaktik in der Philosophie, Ferdinand Schöningh, Paderborn/München/Wien/Zürich 2013, S. 441. Martens, Ekkehard: »Wozu Philosophie in der Schule«, in: Meyer, Kirsten (Hrsg.): Texte zur Didaktik der Philosophie, RUB 18723, Philipp Reclam jun., Stuttgart 2010, S. 156–172: S. 162.
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gemeinsamer, problemorientierter Verständigungsprozess 8 bilden dementsprechend die lebensweltlichen Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler, ihr philosophisches Problembewusstsein, Thema und Zielsetzung des Unterrichts usf. den Ausgangspunkt der Filmarbeit. Die Methodik bietet daher ein optionales Spektrum fach- und mediumspezifischer Handlungsmöglichkeiten, das ausgehend von der gemeinsamen Verständigungssituation autonome Arbeitsweisen an selbst ausgewählten Filmen erlaubt. Im Folgenden wird zunächst ein Überblick über den fachdidaktischen Diskurs des Philosophierens mit Filmen geboten, eine Systematisierung unterschiedlicher Ebenen der Filmarbeit geleistet und gezeigt, wie diese Ausprägungen in der Methodik aufgegriffen werden. Es folgt eine Skizzierung der zugrundeliegenden Methodentheorie sowie abschließend ein praktisches Anwendungsbeispiel aus dem Schulalltag anhand der Filme Matrix (Lana Wachowski als Larry Wachowski; Lilly Wachowski als Andy Wachowski, USA/AUS 1999), Die Truman Show (Peter Weir, USA 1998) und Inception (Christopher Nolan, USA/GB 2010).
Fachdidaktische Diskursanalyse: Philosophieren mit Filmen Seit knapp vierzig Jahren spricht sich die Philosophiedidaktik für den Filmeinsatz im Fachunterricht aus.9 So publiziert die ZDP bereits in ihrem ersten Jahrgang mit Peter Duseks »Politische Bildung in Österreich – am Beispiel der Fernsehserie ›Holocaust‹« philosophiedidaktische Überlegungen zur Nutzung des Mediums.10 In den darauffolgenden zwanzig Jahren schließen sich weitere singuläre Themenbeiträge wie etwa Helga Offermanns »Freiheit und Verantwortung. Der Film ›Die Treppe‹ im Ethikunterricht der gymnasialen Oberstufe«11 oder Konrad Liessmanns »›2001‹ – Stundensequenz zum Verhältnis von Utopie, Science Fiction und Philosophie« an.12 Eine flächendeckende Aufmerksamkeit erhält der Film jedoch erst mit der Jahrtausendwende, sodass ab dem Jahre 2000 ein regelrechter Film-Boom in der Philosophiedidaktik zu diagnostizieren ist, wie folgende Indizien belegen:
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Vgl. Martens, Ekkehard: Dialogisch-pragmatische Philosophiedidaktik, Hermann Schroedel Verlag KG, Hannover/Dortmund/Darmstadt/Berlin 1979, insbesondere S. 68. Hier und im Folgenden vgl. Jost, Leif Marvin: Methodik des Philosophierens mit Filmen. Medium adäquate, fachspezifische und situative Filmarbeit im Philosophieunterricht, a. a. O., S. 25–35. Vgl. Dusek, Peter: »Politische Bildung in Österreich – am Beispiel der Fernsehserie ›Holocaust‹«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie 1, 1979, Heft 4: Philosophie und Politische Bildung, S. 194–198. Vgl. Offermanns, Helga: »Freiheit und Verantwortung. Der Film ›Die Treppe‹ im Ethikunterricht der gymnasialen Oberstufe«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 3,1981, Heft 1: Medien im Philosophieunterricht, S. 32–36. Vgl. Liessmann, Konrad: »›2001‹ – Stundensequenz zum Verhältnis von Utopie, Science-Fiction und Philosophie«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 6, 1984, Heft 2: 1984, S. 88– 91.
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¬ Die Anzahl der Publikationen in der Zeitschrift für Didaktik der Philosophie (ZDP) bzw. Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik (ZDPE) zur Thematik hat sich in den Zeiträumen 1979 bis 1999 sowie 2000 bis 2012 mehr als verzehnfacht.13 ¬ Neben der Expansion von Einzelbeiträgen lassen sich eigene Themenhefte von philosophiedidaktischen Zeitschriften ausmachen wie bspw. »Film« der Zeitschrift Ethik & Unterricht14 oder »Philosophie und Film – Von der Philosophie des Films zum Film im (Praktischen) Philosophieunterricht« in den Mitteilungen des Fachverbandes Philosophie e.V..15 ¬ Auch in Themenheften, die anderen philosophischen Bereichen gewidmet sind, wird das Medium immer attraktiver. Ein Beispiel: Obwohl das Heft 4 der ZDPE aus dem Jahr 2012 den Thementitel »Sinn« trägt, stehen fast die Hälfte der Aufsätze in direktem Bezug zu Filmen.16 Das philosophische Metier wird dabei u. a. mittels Und täglich grüßt das Murmeltier (Harold Ramis, USA 1993), 2001: Odyssee im Weltraum (Stanley Kubrick, USA/GB 1968), Planet der Affen – Prevolution (Rupert Wyatt, USA 2011) und High Noon (Fred Zinnemann, USA 1952) für den Philosophieunterricht aufgearbeitet. ¬ Jenseits der Film-Expansion in der fachdidaktischen Zeitschriftenlandschaft spiegelt sich der Trend ebenfalls in monographischen Publikationen der Philosophiedidaktik. Als einschlägige Bücher sind hier Philosophie im Film von Martina Peters, Jörg Peters und Bernd Rolf17 sowie Philosophieren mit Filmen von Volker Steenblock zu nennen.18
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Vgl. Jost, Leif Marvin: Methodik des Philosophierens mit Filmen. Mediumadäquate, fachspezifische und situative Filmarbeit im Philosophieunterricht, a. a. O., S. 383. Vgl. Ethik & Unterricht 20, 2009, Heft 3: Film. Vgl. Draken, Klaus (Hrsg.): »Philosophie und Film. Von der Philosophie des Films zum Film im (Praktische) Philosophieunterricht«, in: Philosophieunterricht in Nordrhein-Westfalen 48, 2012, S. 69–127, in: Rolf, Bernd (Hrsg.): Fachverband Philosophie: Mitteilungen 2012, auf: http://www. fvp-nrw.de/Mitt%2048 %20NRW%20Homepage%205.pdf (Stand: 26.11.2013). Vgl. Meier, Nico: »Und täglich grüßt das Murmeltier – Sinngewinnung mit und gegen Friederich Nietzsche«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 34, 2012, Heft 4: Sinn, S. 276–279; Draken, Klaus: »Sinnstiftende Musik. Ein Versuch über ›2001: Odyssee im Weltall‹«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 34, 2012, Heft 4: Sinn, S. 280–283; Brüggemann, Jannis: »Sinnbildung durch Symbolisierung. Philosophieren mit dem Film ›Planet der Affen‹«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 34, 2012, Heft 4: Sinn, S. 284–286; Schmidt, Kirsten; Siegfried, Meike: »Philosophieren mit Lt. Commander Data. Vermittlung philosophischer Kompetenzen und Reflexion metaphysischer Sinnfragen im ›Geisteswissenschaftlichen Schüler labor‹«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 34, 2012, Heft 4: Sinn, S. 287–295; Balliet, Mathias: »Per Anhalter durch die Galaxis«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 34, 2012, Heft 4: Sinn, S. 307–308; Kensmann, Bodo: »›For what? For nothin’. For a tin star.‹ Mit John Locke ins Kino gegangen, erneut ›High Noon‹ gesehen«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 34, 2012, Heft 4: Sinn, S. 320–335. Vgl. Peters, Jörg; Peters, Martina; Rolf, Bernd: Philosophie im Film, C. C. Buchner Verlag, Bamberg 2006. 20 Filme mit Inhaltsangaben, Szenenübersichten, Arbeitsblättern bzw. Kopiervorlagen, methodischen Hinweisen zur Filmanalyse. Vgl. Steenblock, Volker: Philosophieren mit Filmen, a. a. O.
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¬ Nicht erst in der jüngsten Vergangenheit werden zudem auch fachdidaktische Weiterbildungen zum Filmeinsatz angeboten – wie z. B. 2013 an der Ruhr-Universität Bochum »Philosophieren mit Filmen«, geleitet von Volker Steenblock, oder 2014 an der Universität Mainz »Bildungsdimensionen des Philosophierens mit Filmen im Unterricht«, geleitet von Christian Thein und u. a. mit Beiträgen von Bodo Kensmann und Jörg Peters. Die Folgen dieser Entwicklung werden unlängst von der fachdidaktischen Kanonforschung dokumentiert, denn jüngste Ergebnisse belegen einen »sich gegenwärtig bildenden Hybridkanon«19. Zu diesem gehören neben Filmen ebenfalls z. B. Bilder und Comics,20 so dass es sich um einen multimedialen Kanon handelt, der »als Gegengewicht zu einem textlastigen Exemplakanon«21 fungiert. Weil der Schwerpunkt des Hybridkanons in der Popkultur liegt,22 kann die mediale Ausweitung des Kanons als weiteres Indiz einer Ausrichtung des Philosophieunterrichts »auf den Erfahrungshorizont der betroffenen sich orientierenden Subjekte« 23 gedeutet werden: »»praktisch« werdende Philosophie«24 . Unter diesem Signum beschreibt Vanessa Albus explizit einen »Kanonisierungsprozess von Filmen im Philosophieunterricht« 25 und handelt Die Truman Show und Matrix bereits jetzt als kanonverdächtige Filme. 26 Die rapide Expansion des fachdidaktischen Interesses am Film korreliert demnach mit der Kanonisierung des Mediums, was die Etablierung des Philosophierens mit Filmen als philosophiedidaktische Subdisziplin besiegelt. Doch wie sollen Filmen im Philosophieunterricht genutzt werden? Es folgt eine Systematisierung unterschiedlicher Ebenen der Filmarbeit.
Filmarbeitsebene 1: Fokus Filminhalt Der Großteil der Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktiker fordert von den Schülerinnen und Schülern eine Vernetzungsleistung zwischen dem filmischen Inhalt und einem philosophischen Theorem. Im Mittelpunkt der Filmarbeit steht die Auseinandersetzung mit der Story eines singulären Films, die als Bebilderung einer bereits existierenden Philosophie verstanden werden soll. Unzählige Publikationen präsentieren in diesem Sinne konkrete Verbindungsmöglichkeiten – wie bspw. zwi
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Albus, Vanessa: Kanonbildung im Philosophieunterricht. Lösungsmöglichkeiten und Aporien, Thelem, Dresden 2013, S. 551. Vgl. ebd., S. 551; S. 574 f. Ebd., S. 574. Vgl. ebd. Steenblock, Volker: Philosophische Bildung. Einführung in die Philosophie-Didaktik und Handbuch: Praktische Philosophie, Münsteraner Einführungen – Münsteraner Philosophische Arbeitsbücher, Bd. 1, LIT Verlag, Münster 62012, S. 78. Ebd., S. 75. Albus, Vanessa: Kanonbildung im Philosophieunterricht. Lösungsmöglichkeiten und Aporien, a. a. O., S. 554. Vgl. ebd., S. 555.
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schen The Dark Knight (Christopher Nolan, USA/GB 2008) und Rousseau,27 Pakt der Wölfe (Christophe Gans, F 2001) und Diderot,28 Planet der Affen – Prevolution (Rupert Wyatt, USA 2011) und Cassirer,29 High Noon (Fred Zinnemann, USA 1952) und Locke,30 Matrix (Lana Wachowski als Larry Wachowski; Lilly Wachowski als Andy Wachowski, USA/AUS 1999) oder Die Truman Show (Peter Weir, USA 1998) und Descartes oder Platon 31 sowie Herr der Fliegen (Harry Hook, USA 1990) und Hobbes. 32 Viele Publikationen fokussieren dabei ausschließlich den Filminhalt, und einige Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktiker raten sogar explizit von einer Reflexion über das Medium an sich oder einer Auseinandersetzung mit den filmischen Gestaltungsmitteln ab. So sprechen sich z. B. Jörg Peters, Martina Peters und Bernd Rolf ausdrücklich gegen die Betrachtung von »spezifischen Elemente[n] dieses Mediums (Kameraeinstellung, Bildkomposition, Tongestaltung, Montagetechnik usw.) im Hinblick darauf, wie mit solchen Mitteln ästhetische Wirkung erzielt wird« 33 , aus. Die drei Fachdidaktiker insistieren außerdem, dass es der »philosophischen Filmanalyse […] nicht um den Film an sich, als Kunstwerk sui generis [geht], sondern sie instrumentalisiert das Medium Film für den Philosophieunterricht.« 34 Im Diskurs finden sich jedoch auch Stimmen, die sich klar gegen eine solche, ausschließlich den Filminhalt betreffende Filmarbeit im Unterricht aussprechen. So beurteilt bspw. Patrick Baum »diese[n] inhaltsbezogene[n] Ansatz« 35 , der »bislang den philosophiedidaktischen Umgang mit Filmen zu bestimmen scheint« 36 , als eine unzulässige »Verkürzung« 37. Auch Christian Gröschel kritisiert, dass viele Fach didaktikerinnen und Fachdidaktiker »allein dem Thema des jeweiligen Films und nicht der Betrachtung des Films als Medium Bedeutung geben. »Philosophierende Filme« zeigen dann auf einfache, anschauliche und ein wenig banale Weise das, was philosophische Texte kompliziert ausdrücken. So gerät die Philosophie allerdings in die Gefahr, zur pseudowissenschaftlichen Disziplin zu werden, und die Philosophiedidaktik fällt weit hinter andere Didaktiken […] zurück.« 38
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Vgl. Handorf, Rico: »Die Tücken der Gerechtigkeit in Gotham City – oder: Philosophieren mit Batman?«, a. a. O. Vgl. Baum, Patrick: »Lesarten der Natur. Sekundarstufe II – ab Klasse 10«, in: Ethik & Unterricht 20, 2009, Heft 3: Film, S. 32–35. Vgl. Brüggemann, Jannis: »Sinnbildung durch Symbolisierung. Philosophieren mit dem Film ›Planet der Affen‹«, a. a. O. Vgl. Kensmann, Bodo: »›For what? For nothin’. For a tin star.‹ Mit John Locke ins Kino gegangen, erneut ›High Noon‹ gesehen«, a. a. O. Vgl. Steenblock, Volker: Philosophieren mit Filmen, a. a. O., S. 29–46. Vgl. ebd., S. 59–65. Peters, Jörg; Peters, Martina; Rolf, Bernd: Philosophie im Film, a. a. O., S. 5. Ebd., S. 5. Baum, Patrick: »Filmdidaktische Perspektiven für den Unterricht. Ein Schreibgespräch«, in: Ethik & Unterricht 20, 2009, Heft 3: Film, S. 1–3: S. 2. Ebd., S. 2. Ebd. Gröschel, Christian: »Film als Medium. Ein schülernaher Zugang zu Wirklichkeitstheorien«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 28, 2006, Heft 3: Medienethik, S. 231–236: S. 233.
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Wird die Filmarbeit im Philosophieunterricht auf eine Auseinandersetzung mit dem filmischen Inhalt reduziert, bleibt das Medium, durch welches dieser Inhalt vermittelt worden ist, gleichgültig, woraus defizitäre Konsequenzen resultieren: Der Einsatz des Mediums per se ist nicht zu rechtfertigten, denn der »pure« Inhalt des Filmes – etwa das Inselszenario in Der Herr der Fliegen – könnte den Schülerinnen und Schülern ebenso mittels der Lektüre des Romans von William Golding, eines Comics oder gar einer mündlichen oder schriftlichen Zusammenfassung vermittelt werden. Unweigerlich stellt sich die Frage, was dann den Filmeinsatz überhaupt legitimiert. Um einer solch folgenschweren Verkürzung des Filmumgangs auf eine Nach erzählung des Filminhalts entgegenzuwirken, artikulieren einige Philosophiedidaktiker theoretische Überlegungen sowie konkrete Arbeitsvorschläge, wie einerseits die filmtechnischen Gestaltungsmittel und anderseits genuin filmphilosophische Reflexionen über die Bedeutung des Mediums in den philosophisch bildenden Unterricht eingebunden werden können.
Filmarbeitsebene 2: Fokus Filmtechnik Ein anschauliches Beispiel für die Nutzung filmtechnischer Elemente im Philosophieunterricht liefert Eric Willems. In seinem Aufsatz »›Hier stimmt doch was nicht‹. ›Epilog‹ – Sekundarstufe II« schlägt er u. a. die Auseinandersetzung mit der SlowMotion, der Doppelbelichtung, der Video-Montage sowie den spezifischen Einstellungsgrößen vor, um den »filmische[n] Erzählbericht, der scheinbar die verlässliche Herleitung des Geschehens schildert« 39, als eine »in höchstem Maße zweifelhafte Wahrnehmung« 40 auszuweisen. Dafür werden im Klassenverband zunächst die Funktions- und Wirkungsweisen der Filmtechnik erarbeitet und anschließend zur Thematisierung »medienphilosophisch-erkenntnistheoretische[r]« 41, »anthropo logische[r]« 42 sowie »ethisch-praktische[r]« 43 Fragestellungen genutzt. Patrick Baum weist darüber hinaus in einer »›Phänomenologische[n]‹ Annäherung an das subjektive Zeitempfinden bei ›Spiel mir das Lied vom Tod‹ (Klassen 9 und 10)« darauf hin, dass die Story für eine philosophische Auseinandersetzung mit Filmen sogar weitestgehend unthematisiert bleiben kann. Er legt dar, wie der Filmklassiker insbesondere unter Berücksichtigung der Montage, der Einstellungslängen, der Schnitte, des filmischen Rhythmus’ und der Monotonie-Effekte – sprich: unter Berücksichtigung der filmtechnischen Gestaltungsmittel – für die Initiierung philosophischer Bildungsprozesse genutzt werden kann: »So kann man etwa in einer Unterrichtsreihe die Eingangssequenz von Spiel mir das Lied vom Tod, die im
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Willems, Eric: »›Hier stimmt doch was nicht‹. ›Epilog‹ – Sekundarstufe ll«, in: Ethik & Unterricht 20, 2009, Heft 3: Film, S. 50–56: S. 51. Ebd. Ebd., S. 52. Ebd. Ebd., S. 51.
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Hinblick auf den Plot fast irrelevant ist, zeigen, ohne den ganzen Film und die Geschichte, die er erzählt, überhaupt zu thematisieren […]. Gerade in der ›Mikrolektüre‹ werden wir auch auf unsere Rezeption der filmischen Bilder aufmerksam und können dem […] ›Berieseln‹ entgehen.« 44 Die Schülerinnen und Schüler erfahren das philosophische Metier Zeit und Zeitlichkeit nicht mittels einer Auseinandersetzung mit der erzählten Geschichte des Films, sondern durch eine Analyse der filmtechnischen Inszenierung von Zeit. 45 Der Mehrwert liegt darin, »dass das Zeitempfinden auf bestimmte, beobachtbare Faktoren zurückgeführt werden kann« 46 .
Filmarbeitsebene 3: Fokus Filmtheorie bzw. -philosophie Einige Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktiker befürworten außerdem die Reflexion über das Medium per se im Philosophieunterricht und proklamieren programmatisch: »Das Philosophieren mit Filmen muss das Medium selbst ins Zentrum rücken.« 47 Ihre Publikationen plausibilisieren, »wie der Einbezug der Medienreflexion in den Unterricht selbst zum Ausgangspunkt für Fragen aus den Disziplinen der Erkenntnistheorie und der Ethik werden kann« 48 , thematisieren u. a. kulturphilosophisch-filmreflexive Fragestellungen – z. B.: »Welche Funktion hat dieses Medium in unserer Gesellschaft?« 49 – und verknüpfen sogar »die Filmreflexion mit der Philosophiegeschichte« 50 . Zur Unterstützung derartiger Mediumreflexionen unterbreiten die Didaktiker stellenweise bereits konkrete Vorschläge zur Nutzung auch filmphilosophischer Schriften – wie bspw. Gilles Deleuzes Das Zeit-Bild. Kino II 51 zur Eröffnung eines »metaphysische[n] Reflexionsbereich[s]« 52 – oder artikulieren eigene Überlegungen über das Wesen des Mediums. So heißt es bspw. in einem Aufsatz von Eric Willems, dass »der Film selbst als philosophisches Medium verstanden werden [soll], das Diskurse verhandelt, die jenseits der Sprache liegen und sich allein im Register seiner ästhetischen Verfasstheit entfalten.« 53 Der praktische Mehrwert philosophischer Reflexion über den Film verdeutlicht sich insbesondere vor dem Hintergrund der Lebenswelt und Alltagspraxis von
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Baum, Patrick: »Filmdidaktische Perspektiven für den Unterricht. Ein Schreibgespräch«, a. a. O., S. 3. Vgl. Baum, Patrick: »Filmischer Rhythmus und Zeitgefühl. ›Phänomenologische‹ Annäherung an das subjektive Zeitempfinden bei ›Spiel mir das Lied vom Tod‹«, in: Ethik & Unterricht 20, 2009. Heft 1: Mit Zeit umgehen, S. 36–39: S. 36. Ebd. Willems, Eric: »›Hier stimmt doch was nicht‹. ›Epilog‹ – Sekundarstufe ll«, a. a. O., S. 50. Gröschel, Christian: »Film als Medium. Ein schülernaher Zugang zu Wirklichkeitstheorien«, a. a. O., S. 231. Ebd., S. 236. Ebd. Vgl. Willems, Eric: »›Hier stimmt doch was nicht‹. ›Epilog‹ – Sekundarstufe ll«, a. a. O., S. 52. Ebd. Ebd., S. 50.
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Schülerinnen und Schülern sowie der Schulung von Medien- bzw. Methodenkompetenzen: »Und eben in der Verzahnung einer pointierten Wirklichkeit und der philosophischen Reflexion liegt das philosophiedidaktische Potenzial des Films: ›Kino bedeutet eine Maximierung der Erfahrungswelt, ein Mehr an allem, wodurch sich die Aufmerksamkeit auf die komplexe Wechselwirkung unserer Sinne und Fähigkeiten mit dem Verstehen richtet‹, so Elsaesser und Hagener. Wenn sowohl der bewusste Umgang mit dem Medium Film als auch die ästhetische und philosophische Sensibilität für die eigene Lebenswirklichkeit ins Zentrum des Unterrichts gerückt werden, arrangiert der Philosophieunterricht eine stetig fortschreitende Wechselwirkung zwischen der Zeichenpraxis Film und der diskursiven Reflexion Philosophie, die sich nicht nur, aber auch an der (medialen) Erlebniswelt von Schülerinnen und Schülern orientiert.« 54 Es resultiert als »Aufgabe einer (philosophischen) ›Filmdidaktik‹ […], diese unterschwellige mediale Vermitteltheit unserer Erfahrung bewusst zu machen« 55 .
Evaluation des Diskurses Die Analyse des Diskurses zeigt einerseits, dass Fachdidaktikerinnen und Fach didaktiker die Frage, wie mit Filmen im Philosophieunterricht umgegangen werden soll, konträr beantworten. Andererseits nutzt der philosophiedidaktische Diskurs in toto alle drei Ebenen – Filminhalt, Filmtechnik und Filmtheorie bzw. -philosophie – zur Initiierung philosophischer Bildungsprozesse, wenn auch mit unterschiedlichen Begründungsmustern. 56 Da gemäß der dialogisch-pragmatischen Philosophie didaktik, welche der Methodik zugrunde liegt, der Unterricht ausgehend von der reellen Lehr-Lernsituation zu konzipieren ist,57 hinzukommend die genaue Unterrichtsplanung, d. h. die Auswahl von Medien, Methoden, Sozialformen usf. vom Ziel des Unterrichts abhängig ist, begreift die Methodik diese Filmarbeitsebenen nicht als Entweder-Oder-Oppositionen, sondern allesamt als potentielle Möglichkeiten, Filme im Unterricht zu nutzen. Demnach ist es von der konkreten Unterrichtssituation, d. h. von dem philosophischen Problembewusstsein der Schülerinnen und Schüler, ihren lebensweltlichen Erfahrungen, dem Thema und der Zielsetzung des Unterrichts usf. abhängig, ob eher auf den Filminhalt, auf die Filmtechnik, auf filmtheoretische bzw. -philosophische Aspekte oder aber auf alle drei Ebenen eingegangen werden soll. 58
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Ebd., S. 52. Baum, Patrick: »Filmdidaktische Perspektiven für den Unterricht. Ein Schreibgespräch«, a. a. O., S. 1. Eine Analyse der Begründungsmuster sowie weitere Ausprägungen des Diskurses sind nachzulesen in Jost, Leif Marvin: Methodik des Philosophierens mit Filmen. Mediumadäquate, fachspezifische und situative Filmarbeit im Philosophieunterricht, a. a. O., S. 36–55. Vgl. ebd., S. 57–64. Eine ausführliche Analyse der drei Ebenen findet sich in: Jost, Leif Marvin: Methodik des Philoso-
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Skizzierung der zugrundeliegenden Methodentheorie Doch wie soll auf den drei Ebenen genau gearbeitet werden? Um diese Frage philosophiedidaktisch fundiert zu beantworten, greift die Methodik auf das Integrative Methodenparadigma von Martens zurück und wendet die dort entfalteten, fachspezifischen Arbeitsweisen auf die Ebenen Filminhalt, Filmtechnik und Filmtheorie bzw. -philosophie an. Martens kultiviert phänomenologische, hermeneutische, analytische, dialektische und spekulative Praktiken zur Initiierung philosophischer Bildungsprozesse und betont, dass »die fünf Methoden mit einer gewissen Plausibilität als vollständige Beschreibung philosophischer Methodenkompetenz« 59 zu bezeichnen sind. Seinem methodischen Ansatz folgend sollen Schülerinnen und Schüler »differenziert und umfassend beschreiben, was […] [sie] selber [wahrnehmen]« 60 (phänomenologische Methode), »[sich] das eigene Vorverständnis bewusstmachen sowie (nicht nur philosophische) Texte lesen« 61 (hermeneutische Methode), »die verwendeten zentralen Begriffe und Argumente hervorheben und prüfen« 62 (analytische Methode), »ein (mündliches oder schriftliches) Dialogangebot wahrnehmen, auf Alternativen/Dilemmata zuspitzen und abwägen« 63 (dialektische Methode) und »Phantasien und Einfälle zulassen und betrachten« 64 (spekulative Methode). Mit seinem Paradigma demonstriert er grundlegend, »wie man induktiv Wahrnehmungen und Interpretationen aus Alltagssituationen aufnehmen und auf das Niveau systematischer und reflektierter Methodizität heben kann.« 65 Er operiert also sinnbildlich gesprochen von unten nach oben, indem fünf »alltagsweltliche[ ] Operationen« 66 – »›Etwas wahrnehmen können‹, ›Jemanden verstehen können‹, ›Argumente und Begriffe klären können‹, ›Auseinandersetzungen führen können‹, ›Einfälle haben können‹« 67 – den Ausgangspunkt seines Methodenparadigmas bilden. Dies versteht sich in Einklang mit seiner dialogisch-pragmatischen Ausrichtung, da auch hier eine Problemorientierung am lebensweltlichen Handlungsfeld der Schülerinnen und Schüler zugrunde liegt. Die fünf Methoden bilden in ihrer Praxis »eine Einheit, weshalb Martens auch vom ›integrativen Methodenparadigma‹ oder anschaulich vom ›integrativen Fünf-
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phierens mit Filmen. Mediumadäquate, fachspezifische und situative Filmarbeit im Philosophieunterricht, a. a. O., S. 119–252. Martens, Ekkehard: »Wozu Philosophie in der Schule«, a. a. O., S. 162. Martens, Ekkehard: Methodik des Ethik- und Philosophieunterrichts. Philosophieren als elementare Kulturtechnik, Siebert Verlag, Hannover 2003, S. 56. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Steenblock, Volker: Philosophische Bildung. Einführung in die Philosophie-Didaktik und Handbuch: Praktische Philosophie, a. a. O., S. 139. Ebd. Ebd., S. 141.
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Finger-Modell‹ spricht« 68 , denn sie gehören zusammen »wie die fünf Finger zur Hand.« 69 Er verdeutlicht: »Die verschiedenen Methoden stehen nicht nebeneinander, sondern sind von vornhinein miteinander vernetzt […]. Zwar können einzelne Methoden hervorgehoben werden […], sie stützen und ergänzen sich aber gegenseitig. Jede einzelne Methode enthält jeweils die anderen als Teilmomente mit« 70 . Der Didaktiker verwirft einen Methodenmonismus ebenso wie einen reinen Methodenpluralismus zugunsten einer Methodenvernetzung:71 Jeweils heterogene Praktiken müssen miteinander verbunden werden, um »in der Unterrichtspraxis ein unverkürztes Philosophieren« 72 zu ermöglichen. Anhand eines Praxisbeispiels wird im Folgenden gezeigt, wie die fünf Methoden integrativ auf die drei Ebenen der Filmarbeit angewendet werden können.73
Anwendungsbeispiel: Die Differenz zwischen Wirklichkeit und Nichtwirklichkeit Dass die beiden kanonverdächtigen Filme Matrix und Die Truman Show das philosophische Außenweltproblem sowie Inception die Frage nach Traum und Wirklichkeit thematisch verhandeln, ist für Philosophiedidaktikerinnen und -didaktiker sowie für Philosophielehrerinnen und -lehrer längst kein Geheimnis mehr. Mittels der Methodik des Philosophierens mit Filmen gilt es jedoch nicht nur zu erarbeiten, dass die Filme diese Problemstellungen inhaltlich aufwerfen, sondern darüberhinausgehend zu untersuchen, wie sie diese filmspezifisch artikulieren. Erst dann kann der Mediumeinsatz legitimiert werden, da das Medium Film berücksichtigt wird.74 Das nachfolgende Praxisbeispiel zeigt, wie Matrix, Die Truman Show und Inception innerhalb des Inhaltsfeldes »Erkenntnis und ihre Grenzen« in der Einführungsphase bzw. in der Jahrgangsstufe 10 des Gymnasiums und der Gesamtschule gemäß der Methodik genutzt werden können. Der unterrichtszeitliche Rahmen umfasst dabei drei
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Albus, Vanessa: Kanonbildung im Philosophieunterricht. Lösungsmöglichkeiten und Aporien, a. a. O., S. 525. Ebd. Martens, Ekkehard: Methodik des Ethik- und Philosophieunterrichts. Philosophieren als elementare Kulturtechnik, a. a. O., S. 55. Vgl. ebd., S. 61–64. Ebd., S. 62. Eine ausdifferenzierte Anwendung jeder Methode auf jede der drei filmischen Ebenen findet sich in Jost, Leif Marvin: Methodik des Philosophierens mit Filmen. Mediumadäquate, fachspezifische und situative Filmarbeit im Philosophieunterricht, a. a. O., S. 257–319. Die nachfolgenden Arbeitsweisen sind an der Universität Duisburg-Essen in den fachdidaktischen Seminaren »Philosophieren mit Filmen« in den Sommersemestern 2015 und 2016 sowie im »Begleitseminar zum Praxissemester« des Wintersemesters 2018/19 entwickelt und evaluiert sowie an einem Duisburger Gymnasium im Schuljahr 2017/18 praxiserprobt worden. Allen nachfolgenden Arbeitsweisen ist eine dialektische Dimension beizumessen, wenn das Philosophieren gemäß Martens’ dialogisch-pragmatischem Ansatz als gemeinsamer, problemorientierter Verständigungsprozess praktiziert wird.
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Schulstunden. Weil die praktische Anwendung der Methodik abhängig von der konkreten Lehr-Lernsituation ist, wird im Folgenden explizit exemplarisch gearbeitet. Eine ähnliche Filmarbeit ist ebenfalls in der gymnasialen Oberstufe möglich. Einzelne Arbeitsweisen können zudem bereits in der Sekundarstufe I praktiziert werden.
Doppelstunde Um den Film Matrix im Unterricht zur Initiierung philosophischer Bildungsprozesse zu nutzen, etwa unter der konkreten Fragestellung »Wie wirklich ist die Wirklichkeit?« 75 , bietet sich zunächst ein Einstieg über den Filminhalt an, demgemäß Ausschnitte des Films (z. B. 0:24:03 – 0:28:26; 0:34:54 – 0:42:18; 1:32:54 – 1:34:08) 76 gemeinsam erstens geschaut, zweitens beschrieben und drittes in Bezug zu den zuvor erarbeiteten, philosophischen Theoremen – verstanden etwa »als Parabel auf Platon, Descartes oder den Konstruktivismus« 77 – gesetzt werden. Dies entspricht der gängigen Praxis des Philosophierens mit Filmen innerhalb des fachdidaktischen Diskurses78 und bedeutet vor dem Hintergrund von Martens’ Methodenparadigma eine Anwendung der phänomenologischen und hermeneutischen Methode auf die Ebene Filminhalt, da das im Film Gezeigte beobachtet und beschrieben sowie als Bebilderung des Außenweltproblems interpretiert wird (PM/HM+FI).79 Um bei der Verbindung der Storyline mit z. B. Descartes’ Meditationen nicht nur die grundlegende Filmhandlung zu berücksichtigen, sondern auch weitere konkrete Filminhaltsaspekte aufzugreifen, kann die Lerngruppe mittels der Anwendung analytischer und spekulativer Arbeitsweisen z. B. die Namen der Filmfiguren genauer untersuchen und vor dem Hintergrund der Wirklichkeitsfrage darüber spekulieren, was es bedeutet, dass Neo ein Anagramm zu One – der Auserwählte – oder Morpheus der griechische Gott der Träume ist (AM/SM+FI). 80 Hinzukommend ermöglicht eine spekulative Vertiefung auf der Inhaltsebene, auch »klassische« Arbeitsweisen, wie etwa das Verfassen eines fiktiven Tagebucheintrags, einzubinden, so dass z. B. folgende Aufgabenstellung denkbar wäre: »Stelle dir vor, du wärst Neo. Formuliere einen
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Peters, Jörg; Rolf, Bernd (Hrsg.): Philo Einführungsphase, C. C. Buchner Verlag, Bamberg 2014, S. 120. Vgl. Peters, Jörg; Peters, Martina; Rolf, Bernd: Philosophie im Film, a. a. O., S. 126 f.; und vgl. Steenblock, Volker: Philosophieren mit Filmen, a. a. O., S. 39. Willems, Eric: »›Hier stimmt doch was nicht‹. ›Epilog‹ – Sekundarstufe ll«, a. a. O., S. 50. Ideen zur Verbindung des Filminhalts mit Platon oder Descartes finden sich z. B. in Peters, Jörg; Peters, Martina; Rolf, Bernd: Philosophie im Film, a. a. O., S. 124–136; und Steenblock, Volker: Philosophieren mit Filmen, a. a. O., S. 29–46. Hier und im Folgenden werden folgende Abkürzungen verwendet: PM = Phänomenologische Methode; HM = Hermeneutische Methode; AM = Analytische Methode; DM = Dialektische Methode; SM = Spekulative Methode; FI = Filminhalt; FT = Filmtechnik; FP = Filmtheorie und -philosophie. Vgl. IMDb: Matrix (1999) – Trivia, auf: http://www.imdb.com/title/tt0133093/trivia?ref_=tt_trv_trv (Stand: 30.04.2015).
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Tagebucheintrag für den Tag, an dem du dich zwischen der roten und der blauen Pille entscheiden musstest. Gehe dabei darauf ein, welche Gefühle (Angst, Glück, Unsicherheit usf.) du empfindest, und versuche, diese zu ergründen. Schreibe zudem auf, was du dir von deiner Zukunft erhoffst und wovor du dich fürchtest.« (SM+FI) Alternativ bietet es sich an, Schülerinnen und Schüler fiktive Interviews schreiben zu lassen, in denen die Filmfiguren z. B. Stellung zu ihrem Handeln nehmen und – im Einklang mit der Story – ihre Taten argumentativ begründen (SM/DM+FI). Mit Fokus auf dialektische Umgangsweisen mit dem Filminhalt können in diesem Sinne z. B. Pro- und Contra-Diskussion über Handlungsoptionen von Filmfiguren geführt werden: Was spricht dafür, was spricht dagegen, dass Neo die blaue Pille nehmen soll? Die konkrete Entscheidungssituation wird dadurch nachgezeichnet, dass die zugrundeliegenden Handlungsoptionen als oppositionelle Dichotomien – Pro/Contra – zugespitzt und abgewogen werden (DM+FI). Ziel dieser ersten Erarbeitungsphase ist es, den Schülerinnen und Schülern multimethodische Zugangsweisen zur Vernetzung des Filminhalts mit dem Philosophem anzubieten, was sich ggf. nach der gemeinsamen Filmsichtung auch in einer leistungsdifferenzierenden Gruppenarbeit realisieren ließe. 81 Die sich anschließende Problemfrage untersucht nun, wie Matrix das philosophische Außenweltproblem mediumspezifisch artikuliert, so dass der fachdidaktische Blick auf die Mittel der Sinnstiftung, die Filmtechnik, gerichtet wird: Auf welche Weisen wird in Matrix eine Unterscheidung zwischen den Ebenen Wirklichkeit und Nichtwirklichkeit getroffen? Hierfür ist es beispielsweise lohnenswert, die Farbgebung des Films genauer zu betrachten. So lassen sich in Matrix grundlegend drei verschiedene Wirklichkeitsebenen ausmachen, die filminhaltlich und filmtechnisch durch unterschiedliche Farbgestaltungen voneinander abgegrenzt werden: Matrix, Außenwelt und Zwischenwelt. Grün ist die Farbe der Matrix. Zahlreiche Objekte und Kleidungsteile der Protagonisten in der Matrix sind grün (Neos Shirt, sein als Buch getarntes Versteck, Morpheus’ Kleidung bei der Rückkehr in die Matrix usf.), ebenso wie die Matrixcodes selber, so dass die Farbe der Hoffnung als »das visuelle Erkennungsmerkmal« 82 der Illusion fungiert. Die Gegenstände sowie die Matrixcodes sind dabei zunächst zu beobachten und zu beschreiben, alsdann in ihrer Farbgebung zu analysieren, so dass nachfolgend die Uminterpretation der Farbe Grün – von »Hoffnung« zu »Illusion« – vor dem Hintergrund des Außenweltpro blems interpretiert werden kann. Dies ist eine Anwendung der phänomenologischen, analytischen und hermeneutischen Methode (PM/AM/HM+FI). 83 Dabei dominiert Grün aber nicht nur innerdiegetisch, sondern wird ebenfalls als filmtechnisches Gestaltungselement farbdramaturgisch genutzt: In allen Szenen,
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Z.B. Gruppe 1: »Analyse der Namen«; Gruppe 2: »Tagebuch«; Gruppe 3: »Interview zur Handlungsbegründung« etc. Cyperpath: Meanings in der Matrix: Bedeutung der Farben, auf: http://cyberpath.de/wissenswer tes/bedeutung-der-farbe/ (Stand: 28.04.2015). Vgl. ebd.
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die in der Matrix spielen, ist das Filmbild grünlich eingefärbt, was z. B. durch einen Vergleich dreier Standbilder (z. B. 0:18:06; 0:33:32; 0:49:40) erarbeitet werden kann. Es handelt sich somit um eine stilisierende, expressionistische und symbolische Farbgebung, die als mediumspezifisches Mittel der Sinnstiftung Ebenen der Wirklichkeit und Nichtwirklichkeit differenziert. Die philosophische Frage nach der Außenwelt wird dadurch nicht nur auf der Filminhaltsebene gestellt, sondern auch durch die bildästhetische Gestaltung mitformuliert, was durch die Beobachtung, Analyse und Interpretation der konkreten, filmtechnischen Inszenierung (hier: der Farbgebung) erarbeitet werden kann (PM/AM/HM+FT). Diese mediumspezifische Wirklichkeitsdifferenzierung ist mit Fokus auf die im Film verwendeten Spezialeffekte weiter zu erforschen, denn in Matrix stehen außerdem die am Computer generierten Effekte in Korrelation mit den Wirklichkeitsebenen. So wird z. B. der sogenannte Flow-Motion-Effekt 84 (z. B. ab 0:02:47; ab 1:40:27; ab 1:49:05), für den der Film bekannt ist, ausschließlich in der Matrix (Ebene 1) verwendet und markiert die Nichtwirklichkeit. Er visualisiert den Bruch mit den physikalischen Gesetzen der von den Maschinen als Realität vorgetäuschten Scheinwelt, indem das in der Wirklichkeit Unmögliche gezeigt wird: Die Zeit wird verlangsamt bzw. angehalten und nur die Kamera als Auge des Rezipienten bewegt sich in Normalgeschwindigkeit durch den Raum. Die Flow-Motion bedeutet ein Spiel mit den physikalischen Größen – genauer: Zeit- und Raumdimension werden physikalisch miteinander vertauscht – und weist die Matrix dementsprechend als unwirklich aus, so dass der Effekt als Überschreitung der von den Maschinen programmierten, physikalischen Regeln der Nichtwirklichkeit zu deuten ist (PM/AM/HM+FT/FI). Jenseits der Flow-Motion werden Überschreitungen der Naturgesetze auf den beiden nichtwirklichen Ebenen der Zwischenwelt und der Matrix ebenfalls durch weitere Spezialeffekte visualisiert. Etwa ist Neo in der Lage dazu, sich wesentlich schneller als alle anderen Filmfiguren zu bewegen, was z. B. in der legendären Kampfszene mit Morpheus in der Zwischenwelt mittels einer Slow-Motion gezeigt wird (ab 0:49:35). Am Ende des Films vermag der Protagonist als Auserwählter – One als Anagramm von Neo – die Naturgesetze sogar vollständig zu brechen. Veranschaulicht wird dieser Zustand dadurch, dass er die Matrix nicht mehr als Scheinwelt, sondern in grünen Codes wahrnimmt (1:59:55): Er versteht die Welt nicht mehr als physikalisches Objekt, sondern als virtuelles Konstrukt, das von den Maschinen programmiert wurde und nun von ihm gehackt werden kann. Dies wird dem Rezipienten durch eine computeranimierte Ummodellierung visualisiert, die es ihm erlaubt, die Matrix aus den Augen von Neo zu betrachten. In Matrix sind so narrative
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Auch bekannt unter den Bezeichnungen Bullet Time, Focus Time oder Frozen Time. Das Lexikon der Filmbegriffe schreibt: »The Matrix […] verblüffte seine Zuschauer mit Effekten, die in dieser Präzision und Schärfe neue Maßstäbe in der Illusionstechnologie setzten. Zu sehen war u. a. eine Figur, die in die Luft springt, um ihren Gegner zu treffen, bis zum Höhepunkt ihres Sprunges beschleunigt, dann reglos in der Luft schwebt, während die Kamera um sie herumfährt, um schließlich wieder sanft auf den Boden hinabzusinken.« (Lexikon der Filmbegriffe: Flow-Motion, auf: http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=3448 (Stand: 30.04.2015).
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Elemente und die Kennzeichnung verschiedener Wirklichkeitsebenen an die Verwendung von Special Effects gekoppelt, was durch die Beobachtung und Beschreibung, Analyse und Deutung der Filmtechnik vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Wirklichkeitsebenen herauszufinden ist (PM/AM/HM+FT/FI). Kann gemäß einer mediumadäquaten Filmarbeit im Philosophieunterricht nicht nur besprochen werden, dass der Film Matrix das erkenntnistheoretische Außenweltproblem inhaltlich illustriert, sondern auch, wie er dieses filmspezifisch artikuliert, bietet eine z. B. auf die Farbgebung und die Spezialeffekte fokussierende Film arbeit hier den Mehrwert, medium- und fachspezifische Bildungsprozesse zu initiieren und den Mediumeinsatz per se legitimieren zu können. Es ist zu empfehlen, die anhand Matrix erarbeiteten filmtechnischen Mittel, mittels derer die Wirklichkeitsebenen voneinander abgegrenzt werden (etwa Farbgebung, Flow-Motion, Slow-Motion usf.), in ihren Funktionen tabellarisch an der Tafel festzuhalten, 85 denn die nachfolgende Unterrichtssequenz widmet sich von dem Einzelfilm ausgehend verallgemeinernd der Frage, welche Möglichkeiten und Grenzen dem Medium Film überhaupt beizumessen sind, eine filmische Wirklichkeit zu konstruieren, innerhalb derer die Frage nach Wirklichkeit und Nichtwirklichkeit gestellt wird. Dadurch wird auf der Ebene Filmtheorie bzw. -philosophie gearbeitet, weil das Medium an sich reflektiert wird. Ziel ist es, den Film als Medium besser zu verstehen (HM+FP).
Einzelstunde Dieses Vorhaben lässt sich durch einen Vergleich zwischen Matrix und weiteren Filmen, die inhaltlich zwischen Wirklichkeit und Nichtwirklichkeit unterscheiden, realisieren. In einem Stundeneinstieg könnten etwa die bisher erarbeiteten Mittel der Differenzierung anhand von Standbildern kurz wiederholt werden, um anschließend in der Erarbeitungsphase zu untersuchen, wie seinerseits Die Truman Show diese Differenzierung filmspezifisch ausgestaltet, was mit Blick auf die kameratechnischen Gestaltungsmittel bereits anhand der Anfangssequenz (0:00:00 – 0:05:28) gelingen kann (AM+FT). Die Truman Show umfasst zwei Wirklichkeitsebenen: In der Hypodiegese (Nichtwirklichkeit) lebt Truman Burbank in der Stadt Seaheaven, die aber innerhalb der Diegese (Wirklichkeit) nur ein riesiges Filmstudio ist. Truman wird nun auf Schritt und Tritt gefilmt und der Kinozuschauer verfolgt den Protagonisten z. T. aus Sicht der in der Hypodiegese versteckten Kameras. Weil diese für Truman aber nicht sichtbar sein dürfen, ergeben sich oftmals ganz auffällige, da ungewöhnliche Perspektiven und Einstellungen – bspw. halbnah von schräg unten (0:03:02) – sowie Bewegungen – etwa aufgrund einer Kamera, die an dem Mülleimer des Nachbarn befestigt ist und sich so angepasst an dessen Schritt fortbewegt (ab 0:02:50). Angeleitet durch konkrete Beobachtungsaufträge können die Einstellungen, Perspek
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Zum Beispiel mit den Spalten »Filmtitel«, »filmtechnisches Mittel« und »Funktion für die Differenzierung der Wirklichkeitsebenen«.
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tiven und Bewegungen von den Schülerinnen und Schülern beschrieben und analysiert (PM/AM+FT) sowie anschließend als Bruch mit den Sehgewohnheiten der Rezipienten gedeutet werden – »Das sieht aber irgendwie komisch aus …« (HM+FI/ FP). Auch hier bietet es sich an, teilweise mit Standbildern zu arbeiten (z. B. 0:03:02; 0:03:54; 0:05:01), um die Evokation der Irritation auf beschreibbare Bilddetails rückführen zu können. Unterstützt wird dieser Verfremdungseffekt hinzukommend einerseits filmtechnisch durch einige stark verzerrte Bilder sowie Vignettierungen (z. B. ab 0:02:40; ab 0:04:37), anderseits filminhaltlich durch eine vom Himmel stürzende Kamera (ab 0:03:09), was ebenfalls zu beschreiben sowie vor dem Hintergrund der Konstruktion einer Nichtwirklichkeit zu deuten ist (PM/HM+FT/FI). Die spezifischen Gestaltungsmittel werden hier nicht nur dazu verwendet, eine konsistente filmische Wirklichkeit zu konstruieren, sondern – im Gegenteil – kennzeichnen das Gesehene vielmehr als Nichtwirklichkeit, als eine von der diegetischen Figur Christof geschaffene und gefilmte Welt. Die Kameratechnik verweist so auf sich selbst und betont die Künstlichkeit. Sie dient der Konstruktion filmischer Nichtwirklichkeit. Nachdem die Arbeitsergebnisse der Tabelle hinzugefügt worden sind, lohnt es sich, z. B. auf die im Film verwendete Schrift zu fokussieren, denn bereits zu Beginn des Films markieren die Credits die Ebene der Nichtwirklichkeit. So nennen sie nicht den real existierenden Schauspieler Jim Carry, sondern die von ihm verkörperte Figur: »Starring Truman Burbank as himself«. Ebenfalls wird als Regisseur die fiktive Figur Christof (»Created by Christof«) aufgelistet. Als weitere Schauspieler nennen die Credits »Hannah Gill as Meryl« und »Louis Coltrane as Marlon«, wobei Hannah Gill und Louis Coltrane diegetische, Meryl und Marlon aber die von ihnen verkörperten hypodiegetischen Figuren sind. Der Vorspann bezieht sich somit nicht auf den Film Die Truman Show, sondern auf die darin gezeigte Fernsehserie – die Nichtwirklichkeit –, in der Truman Burbank (unbewusst) sich selbst spielt, was anhand des kurzen Filmausschnittes (0:00:00 – 0:02:27), in schwächeren Lerngruppen auch anhand von Standbildern (z. B. 0:00:58; 0:01:07; 0:01:17; 0:01:53), durch die Anwendung der phänomenologischen, analytischen und hermeneutischen Methode auf die Filmtechnik sowie den Filminhalt herausgefunden werden kann (PM/AM/HM+FI/ FT). Sowohl die Kameratechnik als auch die im Film verwendete Schrift dient so der (Mit-)Artikulation des auf der Inhaltsebene Gezeigten, dem philosophischen Außenweltproblem. In Abhängigkeit von der konkreten Lehr-Lernsituation können nun zahlreiche weitere Ausschnitte aus Filmen, die sich inhaltlich zum Thema anbieten, hinsichtlich der Art und Weise, wie die Differenz zwischen Wirklichkeit und Nichtwirklichkeit markiert wird, untersucht werden. Ziel dabei ist es, ein Spektrum an konkreten, filmspezifischen Mitteln zur Differenzierung von Wirklichkeitsebenen zu entfalten, damit die Lerngruppe am Ende der Unterrichtssequenz die Darstellungsmöglichkeiten des Mediums in Bezug auf das philosophische Außenweltproblem möglichst ausdifferenziert reflektieren kann (HM+FP). Im besten Fall ist hier auch auf Schülervorschläge einzugehen, um die Phänomene ihrer Lebenswelt im Unterricht aufgreifen zu können. Alternativ kann in einer leistungsstarken Lerngruppe z. B. der Einsatz von Inception
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empfohlen werden. Dieser umfasst fünf Wirklichkeitsebenen: Die Realität (Flugzeug; Ebene 1), den Traum (Entführung von Robert Fischer; Ebene 2), den Traum im Traum (Hotel; Ebene 3), den Traum im Traum im Traum (Schneelandschaft; Ebene 4) und das Unterbewusstsein von Cobb (Ebene 5). Geschehnisse auf einer höher gestellten Ebene haben dabei Auswirkungen auf die darunter liegende Ebene. Wenn z. B. die auf Ebene 2 schlafenden Protagonisten nass werden, regnet es urplötzlich auf Ebene 3 (ab 1:25:33). Diese metaleptische Kausalität ist ebenfalls im weiteren Verlauf des Films beobachtbar, wenn das Auto in der Hypodiegese samt träumenden Filmfiguren sich im freien Fall von der Brücke befindet und deswegen in der Hypo-Hypodiegese die Schwerkraft aussetzt (ab 1:41:56). Die auf der höheren Diegeseebene angesiedelten Ursachen (Protagonisten werden nass bzw. Auto fällt von Brücke) für die physikalischen Unmöglichkeiten auf der tiefer liegenden Ebene (urplötzlicher Regen bzw. Schwerelosigkeit) werden dabei immer in einer extremen Slow-Motion gezeigt, so dass der Übergang zwischen den verschiedenen Wirklichkeitsebenen durch einen besonderen Spezialeffekt regelgeleitet markiert wird. Dies kann durch eine angeleitete Beobachtung, Analyse und Deutung der Filmtechnik vor dem Hintergrund der Wirklichkeitsebenen erarbeitet werden (PM/AM/ HM+FT/FI). Um hier vertiefend filmtechnische und filminhaltliche Aspekte miteinander zu verbinden, wäre davon ausgehend etwa zu hinterfragen, warum im Film überhaupt die Slow-Motion verwendet und nicht etwa das Filmbild grün eingefärbt wird, wodurch die Wirklichkeitsdifferenzierungen in Matrix und Inception miteinander verglichen werden. Eine Antwortmöglichkeit ist durch die Anwendung der hermeneutischen Methode zu finden (HM+FT/FI): Die Zeit in den verschiedenen Wirklichkeitsebenen verläuft unterschiedlich schnell, demgemäß zehn Stunden auf Ebene 1 etwa eine Woche auf Ebene 2 bedeuten, was wiederum sechs Monate auf Ebene 3 und zehn Jahre auf Ebene 4 sind. Die Zeitdehnungen potenzieren sich. Die Ursachen auf der höheren Ebene werden in Inception in der Zeit der darunterliegenden Ebene wiedergegeben, so dass die Zeit der Hypodiegese verlangsamt werden muss, um das adäquate Tempo der Hypo-Hypodiegese zu erhalten. Der spezifische, filmtechnisch markierte Ebenenübergang wird somit inhaltslogisch begründet. Nach der Erarbeitung dieser Wirklichkeitsdifferenzierung, welche ausschließlich im Film – Film als Zeit-Medium – möglich ist, bietet es sich an, die Verlangsamung oder Beschleunigung der Zeit innerhalb von Wirklichkeitswahrnehmungen der Schülerinnen und Schüler zu thematisieren (z. B. die Zeitwahrnehmung im Traum) und mit dem Erarbeiteten zu vergleichen, um die Filmarbeit an die Lebenswelt der Lerngruppe rückzubinden. Nachdem die konkreten, einzelfilmspezifischen Darstellungen der Differenzierung von Wirklichkeit und Nichtwirklichkeit erarbeitet und der Tabelle hinzugefügt worden sind (z. B. Farbgebung, Kameraeinstellung, -perspektive, -bewegung, -format, Flow-Motion, Slow-Motion, Computeranimationen, Schriftverwendung sowie je nach Lerngruppe weitere respektive andere Aspekte), kann abschließend eine Diskussion über die Darstellungsmöglichkeiten des Mediums per se in Bezug auf die Artikulation der philosophischen Wirklichkeitsfrage geführt werden – ggf. in expli-
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ziter Abgrenzung zu anderen Medien –, wodurch das Medium an sich reflektiert wird (HM+FP). Dies ist als Ausdruck von Filmphilosophie zu verstehen. 86
Fazit Das Philosophieren mit Filmen genießt im fachdidaktischen Diskurs große Beliebtheit, obwohl bislang keine Einigkeit darüber herrscht, wie das Medium überhaupt im Unterricht konkret eingesetzt werden soll. Die Methodik des Philosophierens mit Filmen bietet die Möglichkeit, die drei im Diskurs identifizierten Ebenen der Filmarbeit – Filminhalt, Filmtechnik und Filmtheorie bzw. -philosophie – fachspezifisch und systematisch zu nutzen, indem sie die fünf Methoden Martens’ Methodenparadigmas mediumadäquat und integrativ auf diese drei Ebenen anwendet. Anhand des Praxisbeispiels konnte dabei gezeigt werden, dass eine thematisch kohärente Auseinandersetzung mit dem Medium (hier hinsichtlich des Themas Wirklichkeit) auf allen drei Ebenen nicht nur möglich, sondern auch fachlich zielführend ist. Dies beherbergt letztlich den Mehrwert, den Filmeinsatz per se legitimieren zu können. Quelle: Jost, Leif Marvin: Methodik des Philosophierens mit Filmen. Mediumadäquate, fachspezifische und situative Filmarbeit im Philosophieunterricht, Philosophie und Bildung, Bd. 19, LIT Verlag, Berlin 2017, S. 25–35; S. 154–155; S. 190–191; S. 207–208; S. 216–221 (vom Autor für diesen Band überarbeitet und ergänzt).
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Zahlreiche weitere konkrete Arbeitsweisen finden sich in Jost, Leif Marvin: Methodik des Philosophierens mit Filmen. Mediumadäquate, fachspezifische und situative Filmarbeit im Philosophieunterricht, a. a. O., S. 257–319.
Ästhetische Bildung !? Über Möglichkeiten und Grenzen eines kompetenzorientierten Einsatzes von Spielfilmen im Philosophieunterricht der Oberstufe Claudia Gockel
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uf der Grundlage eines Verständnisses von Film als Kunst, welches das Medium Film in seinem spezifischen Eigenwert wahrnimmt und anerkennt, werden Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes von Spielfilmen1 entsprechend der curricular verankerten kompetenzorientierten Standardsetzung aufgezeigt. Hierbei stellt sich im Besonderen die Frage, inwieweit eine kompetenzorientierte Auseinandersetzung mit Film im Philosophieunterricht der Oberstufe einen Beitrag zur ästhetischen Bildung leisten kann. Ausgehend von der Wirk- und Suggestivkraft filmischer Welten ermöglicht das Medium Film ein sinnliches Gesamterleben, welches im Kontext philosophieunterrichtlicher Lehr- und Lernprozesse gewinnbringend eingesetzt werden kann. Im Vordergrund steht hierbei eine Kombination von sinnlichem Filmerleben und reflexiver, analytischer Verarbeitung, welche eine Pädagogik unter sich befasst, die im Besonderen auf Beobachtung, Sensibilität und den künstlerischen Schaffensprozess ausgerichtet ist. Anknüpfend an den französischen Filmtheoretiker und Filmschaffenden Alain Bergala gilt es, Film als »gutes Objekt« zu verstehen, das es »lieben zu lernen« 2 gilt.
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In Anlehnung an die Ausführungen von Conant wird unter Film, im Sinne von ›movie‹, der Typus des narrativen, fotografischen Films verstanden (vgl. Conant, James: »Die Welt eines Films«, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 54, 2006, Heft 1, S. 87–100: S. 88). Hierdurch erfolgt eine Abgrenzung zu Film (›film‹) im Allgemeinen, worunter alle Arten des Films – also auch Nachrichtenmagazine, bestimmte Formen des Dokumentarfilms oder Privatfilme – gefasst werden. Im Vordergrund der Betrachtung stehen also Filme, die zum einen eine Geschichte erzählen und zum anderen ihren Ursprung im fotografischen Medium des Films haben, d. h. durch eine Filmkamera aufgenommen wurden. Der Einfachheit halber werden die Begriffe ›Film‹ und ›Spielfilm‹, anknüpfend an die vorausgegangenen Überlegungen, synonym verwendet. Bergala, Alain: Kino als Kunst. Filmvermittlung an der Schule und anderswo, Schüren Verlag, Bonn 2006, S. 11. Bergalas Konzept richtet sich gegen eine Filmpädagogik resp. -erziehung, die den Film allgemein unter die Massenmedien subsumiert und vor allem eine kritische Haltung gegenüber dem Medium einnimmt. Bergala spricht sich stattdessen, gestützt von Vertretern unterschiedlicher fachdidaktischer Disziplinen, für eine Form von Filmpädagogik aus, die gleichsam mit einem positiven Vorurteil prüft, unter welchen Voraussetzungen der Film zu einem prägenden Medium für den Unterricht gemacht werden kann. Vermieden wird so, mit Heinrich gesprochen, ein »kulturpädagogische[s] Klima des Verdachts gegenüber dem Film.« (Heinrich, Martin: »Bilddidaktik versus Schriftdidaktik – ein Problemaufriss«, in: Heinrich, Martin (Hrsg.): Schriftdidaktik
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Der Einbezug des Mediums in philosophische Lehr- und Lernprozesse der (gymnasialen) Oberstufe kann insbesondere einen Beitrag zum Verstehen der Wirklichkeit leisten. Ein besonderes Augenmerk erfahren somit erkenntnis- und wahrnehmungstheoretische Frage- und Problemstellungen, welche die spezifische Wirklichkeit des Films bzw. der Filmwelt in den Vordergrund philosophischer Betrachtung stellen. Konstitutiv ist eine (genuin filmische wie philosophische) Suchund Denkbewegung, welche Film als Philosophie begreift und so zu einem ganzheitlichen Verstehen der Wirklichkeit in ihren unterschiedlichsten Dimensionen beiträgt. Dabei gilt es, Film – wie auch Philosophie – vom ›Unbekannten‹ her aufzuschlüsseln und sich (vorschnellen) endgültigen Antworten zu widersetzen. Angestrebt wird vielmehr ein fortwährendes, kritisches Hinterfragen, welches jedoch die spezifische Wirkkraft und Faszination des Mediums nicht aus den Augen verliert. Eine grundlegende curriculare Legitimation unter Einbezug zentraler Kompetenzbereiche erfährt der Einsatz des Mediums Film bereits durch sein besonderes Potential, ein »Verstehen der Wirklichkeit« 3 zu ermöglichen. Auch wenn das erschaffene, geformte Filmbild eine Realität eigener Art und Berechtigung darstellt, wie u. a. Maya Deren konstatiert 4 , und somit des Öfteren in Kontrast zu (den Objekten) der tatsächlichen Realität steht, so wurzelt die filmische, fiktionale Wirklichkeit, mit Christian Doelker gesprochen, zunächst im »Erdreich des Faktischen«. 5 Davon ausgehend lassen sich im Weiteren verschiedenste Realitätsbezüge ausmachen und philosophisch verhandeln.6 Gemäß den Aufgaben und Zielen des Faches ermöglicht die unterrichtliche Auseinandersetzung mit Film somit den »Aufbau eines Orientierungs-, Deutungs-, Kultur- und Weltwissens« und fördert eine »reflektierte Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten« 7. Unterzieht man nun die Kompetenzbereiche, welche bei der unterrichtlichen Auseinandersetzung mit Film zum Tragen kommen, einer näheren Betrachtung, so treten insbesondere die Bereiche der Sach- sowie der Methodenkompetenz hervor. 8
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versus Bilddidaktik? Bild und Wort im Unterricht, Verlagshaus Monsenstein & Vannerdat, Münster 2005, S. 9–58: S. 34). Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Kernlehrplan für die Sekundarstufe II. Gymnasium/Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen: Philosophie, Heftnummer 4716, Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2014, S. 11. Vgl. Deren, Maya: »Kameraarbeit – Der schöpferische Umgang mit der Realität«, in: Frauen und Film 1984, Heft 37: Avantgarde und Experiment, S. 63–72. Doelker, Christian: »Wirklichkeit« in den Medien, Klett + Balmer, Zug 1979, S. 90. Mit Christian Doelker sei beispielsweise auf das Prinzip der Typisierung verwiesen, welches gleichsam einen ›Weg der Entschlackung‹ vollzieht und eine Darstellung der Wirklichkeit anstrebt, welche von unwesentlichen Nebenelementen gereinigt wird und durch Überhöhung eine Aussage von allgemeiner Gültigkeit formuliert. Filmische Beispiele hierfür sind etwa typische Helden und Bösewichte des klassischen Westerngenres. Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Kernlehrplan für die Sekundarstufe II. Gymnasium/Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen: Philosophie, a. a. O., S. 11. Vgl. ebd., S. 19. So heißt es z. B. im Bereich der Sachkompetenz: »[Die Schülerinnen und Schüler] stellen grundlegende philosophische Problemstellungen in unterschiedlichen inhaltlichen und lebensweltlichen Kontexten dar und erläutern sie«, und im Bereich der Methodenkompetenz:
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Im Besonderen gilt es, ausgehend von den spezifischen Eigenschaften des Mediums Film, das (philosophische) Prinzip der Problemorientierung – im Kontext einer lebensweltorientierten Auseinandersetzung mit Film – zu fokussieren. Als Bestandteil der Methodenkompetenz kann ein solches »Verfahren der Problemreflexion«9 den Weg für eine vertiefende Urteils- und Handlungskompetenz der Schülerinnen und Schüler bereiten. Maßgeblich hierfür ist jedoch ein subjekt- und handlungsorientiertes Verständnis von Filmbildung, welches Film als wichtiges (symbolisches) Reservoir für Orientierung, Sinn- und Identitätsbildung ansieht.10 Fokussiert wird dementsprechend weniger das konkrete (Lern-)Ergebnis, also das ›Produkt‹ mit Blick auf seine (ökonomische) Verwertbarkeit, sondern vielmehr der individuelle Bildungsprozess des Schülers bzw. der Schülerin. Die Reflexion eigener (und fremder) Wertorientierungen, Verhaltens- und Handlungsweisen sowie gesellschaft licher Deutungsmuster trägt dabei im Besonderen zur Persönlichkeitsentwicklung der SuS bei und ermöglicht des Weiteren ein »anschauliche[s] Philosophieren«11, welches die oben skizzierte Kombination von sinnlichem Filmerleben und reflexiver, analytischer Verarbeitung in den Vordergrund unterrichtlicher Lehr- und Lernprozesse stellt.12 Eine Orientierungshilfe hinsichtlich der in der unterrichtlichen Auseinandersetzung mit Film zu entwickelnden Kompetenzen bietet darüber hinaus zum einen das kompetenzorientierte Konzept zur Filmbildung an Schulen, welches 2009 von der Länderkonferenz MedienBildung veröffentlicht wurde13 . Insbesondere die Kompetenzbereiche ›Filmanalyse‹ und ›Filmnutzung‹ (siehe Anhang) lassen sich mit spezifischen Zielen und Aufgaben des Faches Philosophie, unter besonderer Berücksichtigung der Förderung filmästhetischer sowie filmanalytischer Kenntnisse, in Verbindung setzen und ermöglichen einen kompetenzorientierten Zugang zum Medium Film. Vorteile des Konzepts liegen insbesondere in der Anerkennung des spezifischen Eigenwerts sowie der ›Gestaltetheit‹ des Mediums und der damit verbundenen ästhetischen (und emotionalen) Wirkkraft, welche im Rahmen philosophieunterrichtlicher Lehr- und Lernprozesse besondere Relevanz erfahren. In ei
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»Die Schülerinnen und Schüler arbeiten aus Phänomenen der Lebenswelt und präsentativen Materialien abstrahierend relevante philosophische Fragen heraus und erläutern diese« (ebd., S. 25). Ebd. Vgl. u. a. Niesyto, Horst: »Konzepte und Perspektiven der Filmbildung«, in: Niesyto, Horst (Hrsg.): film kreativ. Aktuelle Beiträge zur Filmbildung, Medienpädagogik interdisziplinär, Bd. 6, Kopaed, München 2006, S. 7–20. Martens, Ekkehard: »Anschaulich philosophieren – (wie) geht das?«, in: Brüning, Barbara; Martens, Ekkehard (Hrsg.): Anschaulich philosophieren mit Märchen, Fabeln, Bildern und Filmen, Beltz Verlag, Weinheim/Basel 2007, S. 9–19. Konstitutiv ist hierbei die Auffassung, dass Philosophieunterricht nicht nur kognitiv geschehen kann bzw. sich auf das kognitiv zu Vermittelnde reduzieren darf, sondern in einem elementaren Sinn auch ›sinnenhaft‹ geschehen muss. Vgl. Länderkonferenz MedienBildung und Vision Kino (Hrsg.): Filmbildung. Kompetenzorientiertes Konzept für die Schule, auf: https://lkm.lernnetz.de/index.php/filmbildung.html (Stand: 15.04.2019).
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nem umfassenderen Sinn skizziert das Konzept zudem die Bedeutung des Mediums Film im Kontext der Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen und betont damit einhergehende dialogisch-diskursive Elemente einer unterrichtlichen Auseinandersetzung mit Film. Zum anderen lässt sich das im Dezember 2016 von der Kultusministerkonferenz verabschiedete Kompetenzmodell »Kompetenzen in der digitalen Welt«14 , welches seinen Eingang u. a. im Medienkompetenzrahmen NRW fand, heranziehen. Ziel ist dabei die Vermittlung einer »umfassenden Medienkompetenz«15 anhand verschiedener Kompetenzbereiche.16 An dieser Stelle sollte deutlich geworden sein, dass gerade im Philosophieunterricht (der Oberstufe), welcher dem Ziel einer ›Erziehung zur Mündigkeit‹ verpflichtet ist, der Arbeit mit Spielfilmen ein erhöhter Stellenwert zukommt. Im Besonderen kann einer ästhetischen Alphabetisierung der Schülerinnen und Schüler Vorschub geleistet werden. Gemäß der Parole Sehen lernen! steht dabei eine Sensibilisierung der Wahrnehmung im Vordergrund, welche Schülerinnen und Schülern entsprechend der spezifischen Wirkkraft des Mediums zu einer differenzierten und reflektierten Wahrnehmungsfähigkeit verhelfen kann, die über den unterrichtlichen Lehr- und Lernprozess hinaus eben auch eine intensivere Alltagswahrnehmung ermöglicht. Dementsprechend wird dem Anspruch nach einer verstärkten Lebensweltorientierung im Sinne einer erweiterten Urteils- und Handlungskompetenz, welche Orientierungspotenzial für eigene Entscheidungen und Handlungsoptionen in konkreten Anwendungssituationen in sich birgt, Folge geleistet. Fernab eines Denkens in ›Kompetenz-Kategorien‹ gemäß der gegenwärtig angestrebten ›Outputorientierung‹ sollte gleichwohl die (allgemein)bildende Kraft des Mediums nicht aus den Augen verloren werden. Entgegen einer ›Instrumentali sierung‹ von Inhalten im Sinne eines vielschichtigen ›Kompetenzensembles‹ ermöglicht gerade die Auseinandersetzung mit Film im Philosophieunterricht – mit Wilhelm von Humboldt gesprochen – eine ganzheitliche Aktivierung der mensch lichen Kräfte, welche nicht nur kognitiv, sondern zugleich sinnenhaft verfährt. Die Entwicklung und Vertiefung bestimmter Fähigkeiten und Fertigkeiten im Umgang mit Film, gleichsam aufgefasst als kompetenzorientierte ›Spezialbildung‹, steht so
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15
16
KMK: Kompetenzen in der digitalen Welt, auf: https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/PresseUndAktuelles/2017/KMK_Kompetenzen_in_der_digitalen_Welt_-neu_26.07.2017.html (Stand: 15.04.2019). Medienberatung NRW; LVR Qualität für Menschen, Landschaftsverband Westfalen-Lippe; Landesanstalt für Medien NRW; Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen: Medienkompetenzrahmen NRW, auf: https://medienkompetenzrahmen.nrw.de/medienkompetenzrahmen-nrw/ (Stand: 15.04.2019). Vgl. FILM+SCHULE NRW: https://medienkompetenzrahmen.nrw.de/unterrichtsmaterialien/ detail/filmgestaltung-ausgezeichnet/ (Stand: 15.04.2019): Für die philosophieunterrichtliche Beschäftigung mit Film treten hier insbesondere die Kompetenzbereiche »Produzieren und Präsentieren« sowie »Analysieren und Reflektieren« hervor. Unter dem Label »Ausgezeichnet!« im Bereich »Produzieren und Präsentieren – Gestaltungsmittel« werden so beispielsweise kostenfrei Filme bereitgestellt, welche sich in besonderem Maße für die Filmbildung eignen.
Ästhetische Bildung
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mit in Kontrast zu einer – ganzheitlich verstandenen – Filmbildung, welche in hohem Maße zur Persönlichkeitsentwicklung und Identitätsbildung beiträgt. Ein kompetenzorientierter Einsatz von Spielfilmen, welcher immer auch den Anforderungen einer (leistungsbezogenen) Überprüfbarkeit genügen muss, kann dabei lediglich den Weg bereiten hin zu einer umfassenden ästhetischen Bildung des ganzen Menschen, welche die Erschließung der (filmischen) Welt umfasst und eine differenzierte Auseinandersetzung mit verschiedenen (Film-)Wirklichkeiten, Handlungsund Verhaltensweisen sowie unterschiedlichen Wertorientierungen, Selbst- und Weltverständnissen anstrebt. Nur so kann das Ziel der Mündigkeit, des ›Für-sichselbst-Denkens‹, als eben die Antwort auf die Frage nach dem Wozu des Philosophieren-Lernens, in einem umfassenden Sinn verfolgt werden.
LKM: Kompetenzbereiche ›Filmanalyse‹ und ›Filmnutzung‹ (Auszüge) Kompetenzbereich ›Filmanalyse‹ 17 Teilbereich
Kompetenzerwartungen (Klasse 10)
Kompetenzerwartungen (Klasse 12)
Filmästhetik
· ästhetische Wirkungen eines Films beschreiben und begründen
· Ästhetische Wirkungen eines Films erörtern
· Film als ein gestaltetes Werk analy sieren
· Ästhetische Gestaltung eines Films in ihrer Gesamtheit analysieren und beurteilen
· Deutungen des Filminhaltes sowie seiner zentralen Aussagen erarbeiten und mit denen anderer vergleichen
· die Elemente der Narration eines Films analysieren, deren Umsetzung und Wirkung im Zusammenhang der Filmgestaltung und im Vergleich mit anderen Filmbeispielen erörtern
Filmsprache/ Filmgestaltung Narration/ Dramaturgie
· Handlungen, Verhaltensweisen und Motivationen der Figuren vor dem Hintergrund verschiedener Bezugssysteme erörtern (z. B. eigene Realität, filmische Realität) Mise-en-Scene
17
· Bedeutung und Wirkung der einzelnen Elemente der Mise-enScene sowie ihr Zusammenwirken an einzelnen Einstellungen bzw. Sequenzen analysieren
· Funktions- und Wirkungsweisen unterschiedlicher Erzählweisen und -strukturen analysieren und vergleichen · die Gestaltung der Mise-en-Scene im Zusammenhang mit anderen gestalterischen Elementen und mit Inhalten und Aussagen des Films erörtern und bewerten
Vgl. Länderkonferenz MedienBildung und Vision Kino (Hrsg.): Filmbildung. Kompetenzorientiertes Konzept für die Schule, a. a. O., S. 6–8.
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Kompetenzbereich ›Filmnutzung‹18 Teilbereich
Kompetenzerwartungen (Klasse 10)
Kompetenzerwartungen (Klasse 12)
Gebrauch
Filme mit anderen diskutieren, unterschiedliche Meinungen und Sichtweisen vergleichen
die Bedeutung der Filmnutzung für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit – auch im Vergleich mit anderen Medien und Künsten – differenziert und umfassend erörtern
Wirkung und Einfluss
ästhetische und emotionale Wirkungen von Filmen an Beispielen analysieren und aufarbeiten Einflüsse von Filmen auf eigene Verhaltens- und Wertorientierungen, Vorbilder, Vorstellungen, Weltverständnis analysieren
Wirkungen und Einflüsse von Film auf Identitätsbildung, Weltverständnis, Orientierung, Normen und Werte im Zusammenhang analysieren und bewerten
Quelle: Gockel, Claudia: »Ästhetische Bildung!? Über Möglichkeiten und Grenzen eines kompetenzorientierten Einsatzes von Spielfilmen im Philosophieunterricht der Oberstufe«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 37, 2015, Heft 3: Kunst und Moral, S. 66–70 (von der Autorin für diesen Band überarbeitet und mit Ergänzungen versehen).
18
Ebd., S. 10 u. 12.
2
M ÖGLICHKEI TEN FÜR DEN EINSAT Z VON FILMEN IN DER SEKUNDAR S TUFE I
Schubladen im Kopf – Vorurteile und ihre Auswirkungen Eine Unterrichtseinheit für die Orientierungsstufe zum Film Shrek* Mandy Haupt und Denise Heine 1 »Oger sind wie Zwiebeln, sie haben mehrere Schichten.« (Shrek)
»E s ist die Welt, die mit mir ein Problem zu haben scheint. Die Leute werfen einen Blick auf mich und schreien: ›Aah! Hilfe! Lauf, ein dummer, hässlicher Oger!‹ Ach, die beurteilen mich, bevor sie mich überhaupt kennen. Deshalb lebe ich lieber allein.« Diese Worte Shreks eröffnen die Problematik, unter der man den Film sehen und mit den Schülerinnen und Schülern auswerten kann, denn sie zeigen recht anschaulich, in welchem Dilemma er sich befindet. Weil andere ihn aufgrund seines Aussehens und seines Verhaltens be- und verurteilen, fühlt er sich ausgegrenzt und zieht sich mehr und mehr in seinen Sumpf zurück, um dort allein und ohne Freunde zu leben. Dies wiederum hat zur Folge, dass die anderen sich in ihren Vorurteilen, Shrek sei ein böser und gefährlicher Oger, bestätigt sehen. So unternehmen beide Seiten keinen Versuch, die Vorurteile über den jeweils anderen zu hinterfragen. Dieser Lesart des Filmes trägt die hier
*
1
Shrek – Der tollkühne Held (O: Shrek, USA 2001); Regie: Andrew Adamson, Vicky Jenson; Dauer: 87 Min.; Altersfreigabe: FSK 0. Oger (von lat. orcus: Unterwelt) sind menschenähnliche Unholde, die in Märchen und fantastischen Erzählungen vorkommen. Häufig werden sie als gewalttätig und aggressiv dargestellt. Gelegentlich wird ihnen auch eine Vorliebe für Menschenfleisch zugeschrieben. Diesem Bild entspricht Shrek nur zum Teil. Zwar ist er ein Wesen von enormer Größe, dessen Benehmen häufig zu wünschen übrig lässt und das recht unflätig mit seiner Umwelt und seinen Mitmenschen umgeht, doch im Film wird Shrek eher positiv gezeichnet; nicht zuletzt befreit er Fiona aus den Klauen des Drachen. Davon, dass er jemals Menschen verspeist hat, ist keine Rede.
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Mandy Haupt und Denise Heine
vorgestellte Unterrichtseinheit Rechnung. Ziel ist zum einen, der Entstehung von Vorurteilen auf die Spur zu kommen, zum anderen sollen Möglichkeiten eröffnet werden, aus dem oben skizzierten Strudel der Vorurteile zu entkommen. Während der Filmschau erhalten die Schülerinnen und Schüler den Auftrag, die Eigenschaften zu sammeln, die die Dorfbewohner und auch Fiona Shrek im Laufe des Filmes zuschreiben. Im Unterrichtsgespräch liegt dann der Fokus darauf, sich mit den Konsequenzen bzw. Schlüssen auseinanderzusetzen, die die Dorfbewohner daraus ziehen. Die Schülerinnen und Schüler erkennen schnell, dass Shrek lediglich nach seinem Aussehen und nicht nach seinem »wahren Kern« beurteilt wird. So ist eine Grundlage geschaffen für die unterschiedliche Beschäftigung mit Vorurteilen. Um dieses Thema für die Schülerinnen und Schüler theoretisch zugänglich zu machen, bietet sich als Hausaufgabe die Analyse eines erklärenden Textes an (M1). Anschließend müsste klar sein, dass Vorurteile als positive oder negative Urteile über Personen, Gruppen oder Nationen verstanden werden, die zum großen Teil unüberlegt gefällt werden. Um die Gründe für das Entstehen von Vorurteilen genauer zu untersuchen, kann exemplarisch die Figur Fiona mit ihren Vorurteilen untersucht werden. Sie äußert sich an vielen Stellen des Filmes direkt und indirekt über Shrek (M2). So fällt sie positive wie negative Urteile über ihren Erretter, ohne zu prüfen, ob ihr Bild auch tatsächlich mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Im Unterrichtsgespräch ist nach der genauen Analyse zu klären, wodurch nun diese vorschnellen Urteile bedingt sind. So resultiert beispielsweise die erste Überlegung Fionas aus den mürrischen Äußerungen und abweichenden Handlungen Shreks, der sich überhaupt nicht wie ein Held benimmt. Daraus schließt Fiona, dass er sie nicht leiden kann. In der vierten Aussage Fionas wird deutlich, dass sie sich auf eine gesellschaftliche Norm beruft. Schüler der Jahrgangsstufe 5 können ohne Mühe das Urteil der Dorfbewohner antizipieren, wonach eine schöne Prinzessin und ein hässlicher Oger nicht zusammenpassen. Ausgehend von der intensiven Untersuchung der Aussagen kann anschließend auf einer allgemeineren Ebene gesammelt werden, was den Urteilen zugrunde liegen könnte. Das kann Unterschiedliches zu Tage fördern: gesellschaftliche Normen, Tradition, Erziehung, fehlende Informationen, Angst vor dem Fremden, Ablehnung des Andersseins, Orientierungs- und Schutzbedürfnis.
»Betreten verboten!« (Shrek) Nicht zuletzt sind Fionas Urteile aber auch dadurch bedingt, dass sich Shrek zu Beginn ihrer Begegnung alles andere als nett verhält. Er tut nichts dafür, die »Zwiebelschalen«, die seinen inneren Kern umhüllen, abzustreifen und sein wahres Ich offenzulegen. Es ist schnell einzusehen: Die Urteile, die andere über jemanden fällen, können wiederum bestimmte Handlungs- und Verhaltensweisen begünstigen, die das Vorurteil nur noch mehr bestätigen. In diesem »Strudel der Vorurteile« befindet sich auch Shrek, wie in seinem Dialog mit dem Esel deutlich wird (M3). Wegen der Vorurteile der Dorfbewohner zieht sich Shrek in die Einsamkeit seines Sumpfes
Eine Unterrichtseinheit für die Orientierungsstufe zum Film Shrek
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zurück. Das von ihm zu Beginn aufgestellte Schild »Betreten verboten!« warnt nicht nur vor den räumlichen Grenzen, die die Dorfbewohner zu beachten haben, sondern es steht auch symbolisch für die innere Abschottung Shreks von seiner Umwelt. Eine Schlüsselposition in diesem scheinbar unentrinnbaren Kreislauf kommt dem Esel zu. Er schafft es, durch seine vorurteilsfreie, scheinbar naive Haltung, Shrek auf sein Problem zu stoßen. Er macht ihm bewusst, dass auch er etwas an sich ändern muss, um den Kreislauf zu durchbrechen. Nur was genau kann Shrek tun? Die Leerstelle, die der Film hinterlässt, füllen die Schüler selbst. In Briefen geben sie vor dem Hintergrund ihrer eigenen Lebenswelt Ratschläge, die einen Ansatz bieten, um den Vorurteilen der Dorfbewohner und auch Fionas positiv zu begegnen.
Zeige, wie du wirklich bist! Sinnvoll erscheint es, die Vorschläge, die die Schüler Shrek in ihren Briefen machen, bei Bedarf im Plenum zu besprechen. Die kurzen Aussagen (M4) geben einen Einblick in die Vielfalt der Schülerantworten. Während einige Vorschläge sicher fraglos von allen verstanden werden, geben andere doch Anlass zum Austausch und zur kritischen Prüfung. So können sich die Diskussionen um die Frage drehen, inwiefern sich Shrek verändern sollte, um dem oben skizzierten »Strudel der Vorurteile« zu entkommen. Der Vorschlag: »Iss kein ekliges Zeug mehr und verändere dein Aussehen!«, zielt genau in den Kern dieses Problems. Letztlich müsste im Unterrichtsgespräch deutlich werden, dass die Initiative zwar durchaus von Shrek ausgehen kann und sollte, er aber auch auf die Offenheit der Dorfbewohner angewiesen ist.
Vorurteile? Nein, danke! Nachdem die Schülerinnen und Schüler an der Figur Shrek nachvollziehen konnten, zu welchen Missverständnissen und Problemen Vorurteile führen können, bietet sich eine weiterführende Auseinandersetzung und Vertiefung an. Denkbar ist, die Lernenden ein Plakat gestalten zu lassen, das zur Vorurteilslosigkeit aufruft und im Schulgebäude ausgestellt wird. Dazu erscheint es im Vorfeld sinnvoll, ein Plakat 2 beispielhaft zu analysieren und Kriterien zu formulieren, die bei einer Plakatgestaltung zu beachten sind. 3 Während einige Gruppen bei der Gestaltung ihres Plakates eher auf die im Verlauf der Unterrichtseinheit erworbenen Kenntnisse reflektierten,
2
3
Als Beispiel kann ein Werbeplakat des Wiener Integrationsfonds (WIF) dienen, eine 1992 gegründete gemeinnützige Non-profit-Organisation der Stadt Wien zur Förderung eines respektvollen, gleichberechtigten und offenen Zusammenlebens (https://www.integrationsfonds.at). Kriterien für eine gelungene Plakatgestaltung enthalten auch die einschlägigen Methodenhandreichungen, vgl. z. B. Mattes, Wolfgang: Methoden für den Unterricht. 75 kompakte Übersichten für Lehrende und Lernende, Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2004, S. 123.
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Mandy Haupt und Denise Heine
indem sie auf Shrek zurückgriffen, gingen andere Gruppen (nicht zuletzt inspiriert durch die Kampagne des WIF) neue Wege. So gestalteten zum Beispiel Schülerinnen und Schüler ausländischer Herkunft einen Aufruf mit syllogistischer Struktur: 1. Terroristen haben das World-Trade-Center zerstört. 2. Die Terroristen waren Muslime. 3. Muslime sind gefährlich. Dieses Denkmuster, das ganz offensichtlich auf Berührungspunkte mit ihrer Erfahrungswelt schließen lässt, brachen sie auf, indem sie auf friedliche Muslime verwiesen und durch das Foto eines ihrer Großväter belegten.
M 1 Gordon Willard Allport: Von anderen ohne ausreichende
Begründung schlecht denken4
Vorurteile hat jeder von uns. Sie gehören zum menschlichen Denken und können uns manchmal sogar das Leben erleichtern, weil sie uns dabei helfen, sich in einer unbekannten Situation schneller zurechtzufinden; wenn wir mit nur wenig Geld in der Tasche in einer fremden Stadt eine Übernachtung suchen, fragen wir nicht in den Hotels, die besonders vornehm oder prunkvoll aussehen. Umgekehrt kann man sich vorstellen: Ein Hotelportier weist einen etwas nachlässig gekleideten Gast ab, weil der ihm nicht »fein« genug erscheint, und sieht dann, wie dieser Gast an der nächsten Straßenecke in eine große teure Limousine mit eigenem Chauffeur ein steigt. Vorurteile können positive Urteile enthalten: »Alle Franzosen sind Kochkünst ler«, »Die Deutschen sind ordentlich und fleißig.« Sie können sich aber auch negativ und abwertend über andere Menschen äußern. Dies kann scheinbar harmlos ge schehen, wie zum Beispiel in den vielen Witzen über die Ostfriesen. Es kann aber auch offen feindselig und bösartig sein, wenn zum Beispiel Weiße über Farbige sagen, diese seien faul und schmutzig. Solche Negativ-Urteile über andere Menschen oder Menschengruppen laufen fast immer auf die Meinung hinaus: Wir sind gut, die anderen sind schlecht. Die Rich tigkeit der Aussage wird nicht überprüft. Besonders häufig beziehen sie sich auf Gruppen, die sich zum Beispiel durch die Hautfarbe oder ihre Religion von der Mehrheit unterscheiden.
4
Hufnagel, Gerhard; Koerdt, Anneliese; Laberenz, Werner; Tscherpel, Christa M. (Hrsg.): Thema Politik 5/6. Lese- und Arbeitsbuch zu Gesellschaftslehre und Politikunterricht, Klett Verlag, Stuttgart 1986, S. 107 f.
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M 2 Fiona urteilt über Shrek
den! ht lei nte, c i n mich wöh kann r eine ver k e r »Sh mich fü zessin !« lt in Er hä zickige Pr »Shrek ist gefährlich, man kann ihm nicht trauen !«
ein rek m !« h S t s i er »Nun Beschütz r e g e wi
»Eine P rinz Oger kö essin und ein nn zusamm en niemals enkomm en !« ein großer, »Shrek ist licher Oger grüner, häss ehr !« und nicht m
»Shrek könnt i in mich e sich n verliebe emals n !«
M 3 Im Strudel der Vorurteile5
Am Abend nach der Befreiung der Prinzessin Fiona aus den Fängen des Drachen unterhalten sich Shrek und Esel am Lagerfeuer.
Esel [die Sterne betrachtend]: Man, das ist doch nur ein Haufen kleiner Pünktchen. Shrek: Weißt du Esel, manchmal steckt mehr dahinter, als man erkennen mag. Esel: Was machen wir eigentlich, wenn wir unseren Sumpf zurückerobert haben? Shrek: Unseren Sumpf? Esel, es gibt kein Wir und Unser, es gibt nur mich und meinen Sumpf. Und als Erstes werde ich eine drei Meter hohe Mauer um mein Land errichten. Esel: Das hat mich tief getroffen, Shrek, ganz tief, bis an die Substanz. [Kurze Pause.] Hey, weißt du, was ich glaube? Die Sache mit der Mauer ist nur ’ne Methode, um jemanden auszuschließen. Warum willst du nicht darüber reden? Shrek: Warum willst du unbedingt darüber reden? Esel: Und warum blockst du ab? Shrek: Ich blocke nicht ab! Esel, ich warne dich!! Esel: Wen willst du ausschließen? Sag es! Wen willst du ausschließen? Shrek [schreit]: Ich will alle ausschließen, klar!
5
DVD: Shrek – Der tollkühne Held, Dreamworks Home Entertainment, Zeit: 0:44:21 – 0:46:12.
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Esel: Oh, jetzt kommen wir langsam voran. Shrek: Ach, du meine Güte. Esel: Hey, was ist dein Problem, Shrek, was hast du eigentlich gegen die ganze Welt? Shrek: Hör zu, ich bin nicht der mit dem Problem. Es ist die Welt, die mit mir ein Problem zu haben scheint. Die Leute werfen einen Blick auf mich und schreien: »Ah! Hilfe! Lauf, ein dummer, hässlicher Oger!« Ach, die beurteilen mich, bevor sie mich überhaupt kennen. Deshalb lebe ich lieber allein. Esel: Weißt du was? Als wir uns begegnet sind, da hab ich dich nicht für einen großen, dummen, hässlichen Oger gehalten. Shrek: Ja, ich weiß. M 4 Ratschläge für Shrek
1. Sei freundlich zu den Dorfbewohnern! Jage ihnen keine Angst ein! 2. Geh in armen Häusern mit Essen herum, das spricht sich herum! 3. Spiel mit den Kindern der Dorfbewohner, erzähle ihnen Märchen! 4. Zeige, wie du wirklich bist! 5. Iss kein ekliges Zeug mehr und ändere dein Aussehen! 6. Nimm auch Hilfe an! 7. Rette ein Kind aus einem brennenden Haus! 8. Mach den Dorfbewohnern Geschenke! 9. Rede dir ein, dass du nicht hässlich und böse bist! 10. Mach etwas Sport! 11. Isolier’ dich nicht! 12. Sprich mit den Dorfbewohnern! Quelle: Fischer, Denise; Haupt, Mandy: »Schubladen im Kopf. ›Shrek‹ – Klasse 5«, in: Ethik & Unterricht 20, 2009, Heft 3: Film, S. 8–10 (von den Autorinnen für diesen Band überarbeitet).
The Simpsons – Der blöde UNO-Club
*
Von den Simpsons lernen, was zu einer Gemeinschaft gehört Bernd Rolf
D
ie Simpsons ist eine Zeichentrickserie, die seit 1989 wöchentlich im amerikanischen Fernsehen ausgestrahlt wird, seit 1999 auch in Deutschland und vielen anderen Ländern. 30 Staffeln mit über 660 Folgen sowie einen Kinofilm hat Matt Groening inzwischen produziert. Es wäre falsch, die Simpsons als simple Zeichentrickserie für Kinder mit slapstickartigem Klamauk abzutun. Die Serie enthält über die Wort- und Situationskomik hinaus zahlreiche Anspielungen auf die Hoch- und Populärkultur (in der hier besprochenen Folge u. a. auf Bill Gates, die Bibel, die UN, die Filme Herr der Fliegen und Das Boot) und richtet sich an Zuschauer aller Altersklassen. Das Magazin Time wählte sie zur besten Serie aller Zeiten und der Schriftsteller Daniel Kehlmann rühmte die Simpsons als »eines der vitalsten Kunstwerke unserer Zeit«.1 Durch die Auseinandersetzung mit anspruchsvollen Themen aus Gesellschaft und Kultur sind einzelne Folgen auch für den Ethik- und Philosophieunterricht in der 5./6. Klasse geeignet, so z. B. die 192. Episode (Staffel 9, Episode 14) mit dem deutschen Titel Der blöde UNO-Club. Im Kern handelt es sich um eine Variante des Gedankenexperimentes des Naturzustandes: Was geschieht, wenn eine Gruppe von Menschen auf einer unbewohnten Insel strandet? Es geht um die philosophische Frage, was für das Zusammenleben in einer Gemeinschaft unerlässlich ist.
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1
The Simpsons (O: The Simpsons, USA seit 1989; Regie: diverse; Episoden: 662+ in 30 Staffeln je 22 Min.; Altersfreigabe: FSK 12. Hier: Staffel 9, Episode 14 (insgesamt Episode 192): Der blöde UNO-Club (O: Das Bus), Regie: Pete Michaels. Kehlmann, Daniel: »Voltaire und Starbucks«, in: Der Spiegel 23/2006 vom 03.06.2006, S. 144–147: S.144.
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Inhalt des Films Die Episode heißt im Original Das Bus, eine Anspielung auf den Film Das Boot und ein Hinweis darauf, dass dieses Transportmittel darin eine wichtige Rolle spielt. Der deutsche Titel Der blöde UNO-Club leitet sich daraus her, dass die Schülerinnen und Schüler im Hauptstrang der Handlung zur Vorbereitung auf einen landesweiten Wettbewerb eine Konferenz der UNO simulieren und am Ende die tatsächliche Erfahrung machen, wie man (nach Streitigkeiten) zu einem friedlichen Miteinander gelangt. Am Anfang wird gezeigt, wie Familie Simpson sich abends vor den Fernseher begibt – zu sehen ist die vermeintliche Science-Fiction-Sendung über Noah, den Erbauer der Arche – und bis zum frühen Morgen dort ausharrt. Daraus entwickeln sich zwei Handlungsstränge. Lisa und Bart brechen, als sie merken, dass es schon Morgen geworden ist, hastig auf zur Schule, wo für das UN-Projekt geübt wird. Über ein Busunglück auf der Fahrt zum UN-Model-Treffen entwickelt sich der Hauptstrang der Handlung, der zeigt, wie die Schülerinnen und Schüler sich auf eine unbewohnte Insel retten können und dort ihr Leben gestalten. Der andere Handlungsstrang beginnt damit, dass Homer Simpson sich nach der Fernsehnacht bei seinem Arbeitgeber krank meldet und über die Begegnung mit seinem Nachbarn beim Abholen der Post am Briefkasten den Anstoß erhält, eine Internet-Firma zu gründen. Beide Handlungsstränge lassen sich so aufeinander beziehen, dass die Internetfirma am Ende von Bill Gates zerstört wird, weil dieser sie als Konkurrenz ansieht, während am Ende der Inselepisode ein friedliches Miteinander zu sehen ist: Gewalt und Zerstörung auf der einen, friedliches Zusammenleben auf der anderen Seite. Beim Handlungsstrang, in dem die Schüler/innen die Hauptpersonen sind, lassen sich drei Episoden unterscheiden: (a) Die letzte Vorbereitung auf den UNOWettbewerb in der Schule, (b) die Fahrt zum UNO-Wettbewerb, die damit endet, dass der Bus ins Meer stürzt, (c) die Rettung auf eine einsame Insel und das Leben dort. Familie Simpson sieht fern bis in den frühen Morgen Handlungsstrang I: Schülerinnen und Schüler
Handlungsstrang II: Homer Simpson
Üben für das UN-Model-Treffen in der Schule
(a) Gründung einer Internet-Firma
Busunglück auf der Fahrt zur UN-ModelKonferenz
(b) Florieren der Firma
Stranden und Leben auf einer unbewohnten Insel
(c) Zerstörung der Firma durch Bill Gates
The Simpsons – Der blöde UNO-Club
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Behandlung im Unterricht Aus Gründen der didaktischen Reduktion soll hier vor allem auf die Episode 2 (c), das Leben auf der Insel, abgehoben werden. Die dazu gehörenden Filmszenen (8, 10, 12–16, 19, 21–24) erstrecken sich über knapp zehn Minuten, lassen sich also in einer überschaubaren Zeit (ca. zwei bis drei Unterrichtsstunden) behandeln. Um die Schülerinnen und Schüler zum Thema hinzuführen, kann vorab – visuell unterstützt durch eine entsprechende Abbildung – folgendes Gedankenexperiment durchgeführt werden: »Angenommen, ihr würdet zusammen mit einer Gruppe Gleichaltriger auf einer unbewohnten Insel stranden – wie stellt ihr euch euer Leben dort vor?« Die Antworten können später mit der Darstellung eines solchen Lebens im Film verglichen werden. Die etwa zehnminütige Filmsequenz sollte zweimal angesehen werden: zunächst vollständig, um einen Eindruck des Gesamtzusammenhangs zu bekommen, dann in einzelnen Abschnitten, die genauer zu analysieren sind. Für das erste Anschauen sollten Beobachtungsaufträge zum Inhalt (s. u.) und zur Personenkonstellation (Lisa, Bart, Nelson, Milhouse) vergeben werden. Lisa ist die Vertreterin der Vernunft: Sie hat den UNO-Club initiiert, beruft sich fortwährend auf Grundsätze der Vernunft und fordert Gerechtigkeit. Ihr Bruder Bart erweist sich als Mann der Tat: Er setzt die Kooperation (Suche nach Nahrung, Bau des Baumhauses) in Gang und sorgt für die Bergung der Kiste mit Vorräten. Ihr Gegenspieler ist Nelson, der mit seinem Rollen einer Grapefruit nicht nur das Busunglück verursacht, sondern auch die Verfolgergruppe anführt. Milhouse stellt in diesem Zusammenhang den Sündenbock dar: Er wird ständig diskriminiert und fälschlicherweise für das Busunglück und für den Diebstahl der Vorräte verantwortlich gemacht. Für die Analyse einzelner Filmeszenen werden die folgenden vier Sequenzen vorgeschlagen.
Der Naturzustand: paradiesische Zustände oder Entbehrung und Not? (Szenen 8, 10) Nachdem die Kinder sich an den Strand einer unbewohnten Insel gerettet haben, kommt es zunächst zu Schuldzuweisungen. Nelson, der das Spiel mit den Früchten im Bus angefangen hat, schiebt die Schuld auf Milhouse, dessen Grapefruit unter die Bremse rollte. Der Streit wird beendet durch Bart, der den Kindern eine rosige Zukunft in Aussicht stellt. Es werde den Kindern ergehen wie der Schweizer Familie Robinson – das ist eine Anspielung auf eine 1960 produzierte Disney-Verfilmung einer Robinsonade des Schweizer Autors Johann Wyss, in der dargestellt wird, wie eine Familie es schafft, die Insel, auf der sie gestrandet ist, gleichsam in ein Paradies zu verwandeln. Die Kinder werden jedoch rasch von der Realität eingeholt: Die Suche nach Essbarem fördert nur einige Beeren zutage, die sich als giftig erweisen, und das dilettantisch erbaute Baumhaus stürzt sogleich wieder zusammen. So müssen die Kinder den Abend ohne Essen am Lagerfeuer verbringen.
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Was sich in dieser Sequenz zeigt, sind unterschiedliche Auffassungen des Naturzustandes. Im Gegensatz zum – erträumten – paradiesischen Leben in Freiheit und Überfluss stehen die – realen – Verhältnissen von Entbehrung und Not.
Beschreibt, wie Bart sich das zukünftige Leben auf der Insel vorstellt. Erläutert, welche Verhältnisse tatsächlich auf der Insel herrschen. Begründet, warum Bart mit seiner Auffassung nicht recht hat. Die Wende: Gemeinschaft braucht Regeln (Szenen 12, 13, 14) Zu einer Wende kommt es dadurch, dass Bart die Eingebung hat, die Essensvorräte aus dem Schiff zu bergen. Um beim Tauchen Sauerstoff zu bekommen, benutzt er den Inhalator von Milhouse (der auch schon vorher seine Brille zum Anfachen eines Feuers hergeben musste). Als er mit der Vorratskiste wieder aus dem Meer auftaucht, ist die Freude groß. Alle Kinder stürzen sich auf die Nahrungsmittel und verschlingen sie, bis Lisa »Aufhören!« gebietet. Sie erinnert sich an das, was sie im UNO-Club gelernt hat: Wenn eine Gemeinschaft überleben will, muss sie sich an Spielregeln halten. In einer Situation der begrenzten Essensvorräte ist es nötig, die Vorräte zu rationieren. Im Gegensatz zur hemmungslosen Begierde der anderen appelliert sie an die Vernunft, die Maßhalten gebietet.
Erläutert, was es für die Kinder bedeutet, dass es Bart gelingt, die Vorratskiste zu bergen.
Stellt dar, warum Lisa die Kinder dazu aufruft, nicht alle Vorräte aufzuessen. Beurteilt Lisas Auffassung, dass man sich an Regeln halten muss. Der Prozess: Was ist gerecht? (Szenen 16, 19) Am nächsten Morgen gibt es ein neues Problem: Als die Kinder sich von den Essensvorräten bedienen wollen, stellen sie fest, dass die Kiste leer ist. Milhouse, der noch schlafend im Müll der Vorräte neben der Kiste liegt, wird sofort verdächtigt, die Vorräte »verputzt« zu haben. Der Verdacht wird dadurch verstärkt, dass sein Atem nach Nacho-Käse riecht. Nelson ruft dazu auf, ihn »aufzuschlitzen«, aber Lisa ruft zu Recht und Ordnung auf. Die Kinder seien keine Wilden und Milhouse habe Anspruch auf einen fairen Prozess. Nelson hält Recht und Ordnung »für Blödsinn«, aber Lisa setzt sich mit ihrer Auffassung bei den anderen durch. Zum Prozess wird Milhouse in einen selbstgebauten Käfig gesperrt. Bart ist der Richter, Lisa die Verteidigerin, Nelson der Staatsanwalt. Milhouse beteuert, die Vorräte nicht gestohlen zu haben. Für die Verteidigung stellen sich zwei Fragen: Kann jemand anders die Vorräte gestohlen haben? Und: Hat jemand tatsächlich gesehen, dass Milhouse die Vorräte aufgegessen hat? Bezüglich der ersten Frage beschuldigt Milhouse ein Monster, das er vorher (Szene 12) schon einmal gesehen haben will;
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die anderen nehmen ihm die Behauptung der Existenz eines Monsters jedoch nicht ab. Die zweite Frage wird von den anderen negativ beantwortet: Niemand hat tatsächlich gesehen, dass Milhouse gestohlen hat. Nelson als Staatsanwalt versucht vergeblich, durch Anwendung von Gewalt, durch Schläge, Milhouse zu einem Geständnis zu bewegen. So kann Bart als Richter am Ende nur das Urteil fällen, dass Milhouse aus Mangel an Beweisen freizusprechen ist. Die anderen, allen voran Nelson, wollen das Urteil jedoch nicht akzeptieren. Nelson wirft einen Stein auf Milhouse und zerstört dessen Brillenglas, außerdem beschimpft er Lisa, die zu Milhouse hält, als Gesetzesfanatikerin. Als Bart seiner Schwester zu Hilfe kommen will, wird auch dieser zur Partei der »Verbrecher« zugeordnet. Es kommt zu Gewaltandrohungen: »Weg mit den Verbrechern! Verprügelt ihnen den Hintern!«. Die Szenen eignen sich dazu, den Unterschied zwischen Recht und Selbstjustiz zu reflektieren und zu überlegen, was zu einem fairen Prozess gehört. Das sind u. a. Verzicht auf Gewalt, das Prinzip, dass jemand nur verurteilt werden darf für etwas, das ihm zweifelsfrei nachgewiesen ist, und die Forderung, dass man ein Gerichtsurteil anerkennen muss.
Macht deutlich, wieso Milhouse verdächtigt wird. Begründet, warum ihr der Meinung seid, dass man – wie Nelson sagt – Milhouse »aufschlitzen« oder ihm – wie Lisa meint – einen »fairen Prozess« machen soll.
Beschreibt den Prozess und stellt dar, welche Personen daran beteiligt sind. Beurteilt das Verhalten Lisas als Verteidigerin und Nelsons als Staatsanwalt. Haltet ihr das Urteil für gerecht? Begründet eure Antwort. Beurteilt das Verhalten der anderen auf das Urteil. Führt ein Rollenspiel durch, das einen fairen Verlauf des Prozesses darstellt.
Bürgerkrieg und Friede (Szenen 21, 22, 23, 24) Lisa, Bart und Milhouse ergreifen die Flucht und werden von den anderen, die sich Kriegsbemalung auflegen, durch den Dschungel gejagt – der Bürgerkrieg ist ausgebrochen. Zwischendurch will Milhouse, der keine Kraft mehr hat, aufgeben, doch die beiden anderen zeigen sich solidarisch und helfen ihm weiter. Auf der weiteren Flucht entdecken sie eine Höhle, in der sie sich verstecken wollen. Die Verfolger sehen jedoch, wie sie sich in die Höhle flüchten und glauben nun, sie in die Enge treiben zu können. Lisas Berufung auf die Modell-UNO-Charta kann sie nicht davon abhalten, Selbstjustiz üben zu wollen. Im letzten Moment werden sie jedoch durch das Auftauchen »des Monsters«, eines Wildschweins, davon abgehalten. Alle bringen sich hinter einem Felsen vor dem Wildschwein in Sicherheit und Bart entdeckt an seinem linken Stoßzahn eine Tüte Chippos. Das wird als Beweis dafür angesehen, dass das Wildschwein die Vorräte gefressen hat. Nelson entschuldigt sich bei Milhouse, der gesteht, nur zwei Sandwiches und eine Tüte Doritos gestohlen zu haben.
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Am Ende sieht man die Kinder friedlich im Kreis an einem Lagerfeuer sitzen. Sie essen von dem Wildschwein, das sie gebraten haben (nur Lisa – als Vegetarierin – ernährt sich vom Schlamm eines Steines). Aus dem Off hört man den Kommentar eines Sprechers: »Und so lernten die Kinder, eine Gemeinschaft aufzubauen. Möglicherweise wurden sie gerettet von, oh … sagen wir Moe.« (Moe ist der Name des Barkeepers in Springfield, eines Außenseiters, dem die Kinder besonders zugetan sind; er tritt in dieser Episode gar nicht auf.) Es ist davon auszugehen, dass die Geschichte ein Happy End hat – die Frage ist aber, wie die Kinder es geschafft haben, bis zu ihrer Rettung miteinander auszukommen. Der Schlusskommentar leitet zu einer zusammenfassenden Reflexion darüber an, was nötig ist, damit eine Gemeinschaft funktioniert. Dazu gehören die Solidarität Lisas und Barts mit Milhouse (der ohne ihre Hilfe von den anderen gelyncht worden wäre), die Kooperation der Kinder (beim Erlegen und Grillen des Wildschweins), die Beseitigung des Mangels (alle werden satt), der Zusammenhalten bei Bedrohung von außen (durch das Monster), die Beachtung von Recht und Ordnung (ein fairer Prozess) sowie der Verzicht auf Selbstjustiz.
Beurteilt die Jagd, die auf Milhouse, Lisa und Bart gemacht wird. Milhouse soll gelyncht werden. Stellt dar, wie er davor gerettet wird. Beschreibt, wie es dazu kommt, dass die Kinder am Ende friedlich zusammensitzen. Erklärt, was alles nötig ist, damit eine Gemeinschaft funktioniert. Als weiterführende Aufgabe können die Schülerinnen und Schüler die Frage auf sich selbst anwenden und sich fragen, was denn dazu nötig ist, dass ihre Klassengemeinschaft funktioniert. Denkbar ist, dass sie zum Abschluss einen Katalog mit Klassenregeln aufstellen.
Szenenübersicht 01
00:00 / 00:21 – 02:01
Vorspann / Nach einer Nacht vor dem Fernseher gehen Lisa und Bart in die Schule; Homer meldet sich bei seinem Arbeitgeber krank.
02
02:02 - 03:33
In der Grundschule Springfield: Die Mitglieder des UNO-Clubs üben lustlos für das UNO-Model-Treffen.
03
03:34 – 03:55
Die Mitglieder des UNO-Clubs steigen in den Schulbus und werden von ihren Eltern und dem Schulleiter verabschiedet.
04
03:56 – 04:28
Beim Leeren des Briefkastens trifft Homer seinen Nachbarn, der ihm von seiner Internet-Firma berichtet.
05
04:29 – 05:03
Im Esszimmer der Simpsons: Homer richtet sich ein Büro für eine eigene Internet-Firma ein.
06
05:04 – 06:06
Im Schulbus: Eine von Milhouse durch den Gang gerollte Grapefruit verfängt sich unter dem Bremspedal und führt dazu, dass der Schulbus ins Schleudern gerät und ins Meer stürzt.
07
06:07 – 07:11
Der Busfahrer schwimmt weg, um Hilfe zu holen, und die Kinder können den auf dem im Meer treibenden Bus verlassen, bevor dieser versinkt.
The Simpsons – Der blöde UNO-Club
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08
07:12 – 08:43
Die Kinder retten sich auf eine unbewohnte Insel, wo Bart die Vision eines paradiesischen Lebens in Freiheit entwickelt.
09
08:44 – 09:33
Im Esszimmer der Simpsons: Homer sucht nach einem Namen für seine Internetfirma.
10
09:34 – 10:28
Auf der Suche nach Nahrung haben die Schüler nur drei giftige Beeren gefunden; das von einigen erbaute Baumhaus bricht zusammen.
11
10:29 – 10: 59
Auf dem offenen Meer: Otto, der Busfahrer, wird von chinesischen Fischern aufgegriffen und versklavt.
12
11:00 – 11:42
Auf der Insel: Milhouse warnt die anderen vor einem Monster, das diese jedoch nicht sehen. Nelson gelingt es, mit Milhouse’s Brille, ein Feuer zu machen.
13
11:43 – 12:15
Während der Hunger immer größer wird, erinnert sich Bart an den Vorratsbehälter im Bus und entwendet Milhouse’s Asthma-Spray.
14
12:16 – 12:39
Mit dem Asthma-Spray taucht Bart zum versunkenen Bus und birgt die Kiste mit den Essensvorräten.
15
12:40 – 13:07
Die Kinder verschlingen die Essensvorräte, bis Lisa sie durch Hinweis auf im UNO-Club erlernte Einhalten von Spielregeln dazu bringt, die Vorräte zu rationieren.
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13:08 – 14:17
Am nächsten Tag entdecken die Kinder, dass die Vorräte weg sind. Milhouse, der im Müll neben der Kiste liegt und dessen Atem nach NachoKäse riecht, wird beschuldigt, sie vertilgt zu haben. Als die anderen ihm gegenüber gewalttätig werden wollen, besteht Lisa als Verfechterin von Recht und Ordnung auf einen fairen Prozess.
17
14:18 – 14:42
Der Verkäufer im Comicladen von Springfield wird durch eine Werbung auf dem Bildschirm auf Homers Firma aufmerksam.
18
14:43 – 14:59
Im Esszimmer der Simpsons: Der Comicverkäufer bezahlt bei Homer für eine neue Breitbandinternetverbindung.
19
15:00 – 17:24
Milhouse wird der Prozess gemacht; er wird aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Nelson und die anderen erkennen das Urteil jedoch nicht an.
20
17:25 – 18:29
Homer erhält Besuch von Bill Gates, der seine als Konkurrenz empfundene Firma durch seine Schläger zerstören lässt.
21
18:30 – 19:49
Bart, Lisa und Milhouse werden von den anderen, die Milhouse lynchen wollen, gejagt. Auf ihrer Flucht entdecken sie eine Höhle, die sie als Versteck benutzen wollen. In die Enge getrieben, rettet das Auftauchen eines Wildschweins die drei vor der Gewalt der anderen.
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19:50 – 20:24
Aus einer leeren Tüte Chippos am linken Stoßzahn schließen die Kinder, dass das Wildschwein die Vorräte verputzt hat, und entschuldigen sich bei Milhouse, der jedoch zugibt, zwei Sandwiches und eine Tüte Doritos gestohlen zu haben.
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20:25 – 20:43
Die Mitglieder des Uno-Clubs sitzen friedlich an einem Lagerfeuer und essen das gebratene Wildschein, bis auf Lisa, die als Vegetarierin den Schlamm von einem Stein leckt.
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20:44 – 20:54/ 21:38
Erzählerstimme aus dem Off: »Und so lernten die Kinder, eine Gemeinschaft aufzubauen. Möglicherweise wurden sie gerettet von, oh … sagen wir, Moe.« / Abspann
Quelle: Rolf, Bernd: »Der blöde UNO-Club. Von den Simpsons lernen, was zu einer Gemeinschaft gehört ( Jgst. 5/6)«, in: Ethik & Unterricht 22, 2011, Heft 3: Eigenes – Fremdes – Gemeinsames, S. 51–54 (vom Autor für diesen Band überarbeitet).
Freedom Writers
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Sokratisch ausgerichtete Kulturarbeit mit Film und Schrift Klaus Draken
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reedom Writers1 ist ein Buch, das aus Tagebucheinträgen von US-amerikanischen Schülerinnen und Schülern mit ihrer Lehrerin zu Zeiten von Rassenunruhen in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts entstand. Diese Tagebucheinträge beschreiben und reflektieren persönliche Erlebnisse von Jugendlichen, die unter den Bedingungen einer von Rassismus und Gang-Gewalt geprägten Lebenswelt nach konstruktiven persönlichen Perspektiven suchen. Der Titel wurde nicht zufällig an dem Namen der Freedom Riders orientiert, welche sich in den 1960er Jahren in der Form des gewaltlosen Widerstandes gegen Rassentrennung engagierten. Freedom Writers2 ist auch der Titel eines Filmes, der die Tagebucheinträge zu einer dramaturgisch konzentrierten Handlung zusammenfasst. Dies gelingt, indem der Film die Gedanken und Erlebnisse von »150 gefährdeten Jugendlichen« 3 in eine überschaubare Anzahl von Filmcharakteren zusammenführt, gruppendynamische Prozesse mit effektvoll inszenierten Ereignissen kombiniert und die mit der Oscar-Gewinnerin Hillary Swank besetzte Lehrerin zur Heldin des Filmgeschehens hochstilisiert. Somit stehen sowohl ein recht authentisch wirkendes Buch mit persönlichen Äußerungen Jugendlicher als auch ein effektvoller Film mit attraktivem Handlungsverlauf für eine unterrichtliche Nutzung zur Verfügung.
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Freedom Writers (O: Freedom Writers, D/USA 2007); Regie: Richard LaGravenese; Dauer: 123 Min.; Altersfreigabe: FSK 12. Freedom Writers mit Erin Gruwell: Freedom Writers. Wie eine junge Lehrerin und 150 gefährdete Jugendliche sich und ihre Umwelt durch Schreiben verändert haben, übers. von Winter, Kerstin, Autorenhaus, Berlin 2007. Das US-amerikanische Original wurde bereits acht Jahre früher publiziert: The Freedom Writers with Erin Gruwell: How a Teacher and 150 Teens Used Writing to Change Themselves and the World Around Them, The Tolerance Education Foundation, Random House, New York, NY 1999. DVD: Freedom Writers. Ihre Geschichte. Ihre Worte. Ihre Zukunft, Universal Pictures Germany 2007. Vgl. Untertitel des Buches
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Diese Medien, Buch wie Film, stellen ein Stück Kulturgut dar, das besonders in seiner filmischen Aufbereitung der alltagsweltlichen Kulturwahrnehmung unserer Schülerinnen und Schüler entspricht. Was aber in diesen Medien reflektiert wird, kann man sicherlich auch im Sinne Volker Steenblocks als Arbeit an der Kultur verstehen. Wenn er vertritt, dass die Kultur eine »Dimension« unseres »Weltverständnisses« darstelle, im Rahmen derer es Philosophieren als eine grundlegende »Kulturtechnik« zu üben gälte, um dabei auch unsere »Kulturgeschichte«4 insgesamt in Erinnerung zu bringen, zu deuten und bewusst gestaltend fortzuschreiben, dann haben die Autoren ihrer Tagebucheinträge Gesellschaftskultur reflektiert und fortgeschrieben – denn es geht darin intensiv um »Sinnbildungsleistungen«. 5 Sie haben zudem durch die in Buch und Film explizit reflektierte eigene Kulturwahrnehmung über Bücher (u. a. Frank Bonham: Durango Street; Tagebuch der Anne Frank), Museen (u. a. »Simon-Wiesenthal-Center«, Holocaustmuseum) und den Austausch mit Menschen, die nicht der US-amerikanischen Gesellschaftskultur entstammten (u. a. Zlata Filipovic, die den Bosnienkrieg schreibend verarbeitete) Kulturreflexion selbst zum Thema gemacht. Dies scheint mir ein vielversprechender Ansatz, die Freedom Writers als eigenes Kulturgut in Text- wie Filmform zum Vorbild und Anlass für Kulturarbeit im Klassenzimmer zu nehmen. Dabei ist das Vorgehen der Akteure im Medium auch bestens geeignet, mit den eigenen Schülerinnen und Schülern sokratisch reflektierend anzusetzen. Wenn man (neo-)sokratisches Philosophieren als methodisches Paradigma für unterrichtliches Philosophieren 6 ansieht, lassen sich dessen Elemente sogar bei den jugendlichen Filmcharakteren und ihren realen Vorbildern selbst identifizieren. »Die Verankerung in der Erfahrung«, welche die Jugendlichen im Film zum Ausgangspunkt ihres Reflektierens nehmen, kann als erste Entsprechung gelten. Ihre Konfrontation mit unbekannten Sichtweisen, wie sie die Lehrerin an sie heranträgt, lässt sie ein »Dialogangebot wahrnehmen« und führt zu dem einzufordernden »Anti-Dogmatismus«. Und indem sie sich den Auseinandersetzungen stellen und zum Teil gegen Widerstände in ihrer Umwelt neue Sichtweisen erproben und umsetzen, wächst ihr »Selbstvertrauen der Vernunft«. Dabei agieren sie oft spontan, lassen
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Steenblock, Volker: »Kultur und philosophische Bildung«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 39, 2017, Heft 2: Kultur II, S. 3 f.; Begriffe in kursiv sind der Vorlage entnommen. Den Begriff des Philosophierens als »Kulturtechnik« benutze ich mit Verweis auf Ekkehart Martens. Nach Rüsen, Jörn, zitiert nach: Steenblock, Volker: »Kulturphilosophie – Philosophiekultur. Oder: Wie populär soll, darf und kann in Zukunft Philosophische Bildung sein?«, in: Steenblock, Volker (Hrsg.): Philosophie und Lebenswelt, Bd. 1: Beiträge zur Didaktik der Philosophie und Ethik, Siebert Verlag, Hannover 2012, S. 97–112: S. 101. Vgl. Draken, Klaus: »Metamethoden – Eine fachbezogene Methodenlehre über den Arbeits- und Unterrichtsmethoden«, in: Nida-Rümelin, Julian; Spiegel, Irina; Tiedemann, Markus (Hrsg.): Handbuch Philosophie und Ethik, 2 Bde., Bd. 1: Didaktik und Methodik, UTB 8617, Ferdinand Schöningh, Paderborn 2015, S. 160–170. Die folgenden Zitate entsprechen Aspekten des dort ausgeführten didaktisch-methodischen Paradigmas (S. 163–167). Ausführlicher dargelegt in: Draken, Klaus: Sokrates als moderner Lehrer. Eine sokratisch reflektierte Methodik und ein methodisch reflektierter Sokrates für den Philosophie- und Ethikunterricht, Sokratisches Philosophieren, Bd. 13, LIT Verlag, Münster/Berlin 2011.
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durch die »maieutische« Wirkung ihrer Lehrerin »Einfälle« zu und »betrachten« diese in Bezug auf ihre Umsetzbarkeit und Dienlichkeit. Bei all dem berücksichtigen sie zunehmend das »Begründungskonzept«, indem neben die bisher allein gewohnte Auseinandersetzung mit Mitteln der Gewalt der Diskurs und die darin vollzogene Arbeit mit »Begriffen und Argumenten« tritt. Es entsteht in der Klasse – in Film wie Buch – tatsächlich etwas, was mit dem »Gesprächsziel des Wahrheitskonsenses« vergleichbar ist und das Menschenbild der Filmschülerinnen und -schüler im Sinne der Möglichkeit einer »Diskursgemeinschaft« verändert. Diese beiden Aspekte, Kulturarbeit und eine zumindest in der Tendenz sokratisch ausgerichtete Reflexion in Buch und Film, möchte ich im Folgenden beispielhaft skizzieren, so dass die didaktischen Chancen eines Einsatzes von beidem im Philosophie- und Ethikunterricht konkret erkennbar werden.
Die reizvoll indirekte Aktualität der Freedom Writers Wenn wir problematische Aspekte der heutigen politischen Kultur unserer Gesellschaft betrachten, dann scheint mir Fremdenfeindlichkeit als Abgrenzungs- und Ausgrenzungsreflex und das damit verbundene Gewaltpotential zentral hinzuzugehören. Zu Zeiten, in denen rechtsextreme Tendenzen ein beachtliches Potential an Wählerstimmen mobilisieren, in denen ausländerfeindlich motivierte Straftaten zunehmen und unsere Gesellschaft als insgesamt stark gespalten erscheint, sollten auch die Fächer Philosophie und Ethik zur Auseinandersetzung hiermit anregen und die rationale Reflexion einer ansonsten stark emotional geführten Debatte befördern. Allerdings scheint es fragwürdig, das omnipräsente Thema mit erhobenem pädagogischem Zeigefinger anzugehen oder das Gefühl der eigenen verunsichernden Betroffenheit durch direkte Ansprache noch zu stärken. Dies gilt umso mehr, wenn wir die oben genannte Problematik im Kursraum selbst gegenwärtig haben. In meinen Kursen Praktische Philosophie befinden sich i. d. R. mehr als 50 % Schülerinnen und Schüler, deren Familien auf eine eigene Migrationsgeschichte in den letzten ein bis drei Generationen schauen. So ist eine Bearbeitung der Thematik, die eine persönliche Ebene (»personale Perspektive« 7) einbezieht und so die persönliche Haltungs- und Handlungsperspektive berührt, eminent wichtig, aber unter Umständen nicht unvorbelastet möglich. In einer solchen Situation bieten der Spielfilm wie andere narrative Medien eine herausragende Möglichkeit, Projek tionsflächen zur Verfügung zu stellen. 8 Diese ermöglichen eine scheinbar distanzierte, mit dem Finger auf fremde Filmcharaktere weisende und persönliche Be
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Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Kernlehrplan Sekundarstufe I in Nordrhein-Westfalen. Praktische Philosophie, Ritterbach Verlag, Frechen 2008, (besonders) S. 11. »Hätte man den Film nicht erfunden, fehlte den Kindern der Moderne der wichtigste Spiegel«. Früchtl, Josef, zitiert nach Steenblock, Volker: »Philosophieren mit Filmen«, in: Nida-Rümelin, Julian; Spiegel, Irina; Tiedemann, Markus (Hrsg.): Handbuch Philosophie und Ethik, 2 Bde., Bd. 1: Didaktik und Methodik, UTB 8617, Ferdinand Schöningh, Paderborn 2015, S. 294–300: S. 296.
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kenntnisse zunächst aussparende Einstiegsdynamik, die ohne vorschnelle Nötigung zum eigenen Bekenntnis die Reflexion einer selbst empfundenen und mitgedachten persönlichen Betroffenheitsebene eröffnet. Im Film wie im Buch Freedom Writers geht es so zunächst überhaupt nicht um Deutschland, nicht einmal um Europa. Und dass es um ein Problem von Zuwanderung geht, wird auch erst auf den zweiten Blick deutlich. Die spezifisch unser Land betreffende historische Vorbelastung, deutliche Verweise auf den Holocaust und Herausforderungen an die Menschlichkeit in politisch brisanten Zeiten kommen im Filmverlauf in unerwartetem Kontext und so für unsere Schülerinnen und Schüler eher unverdächtig daher. Und gerade deshalb erscheint mir dieser Film in besonderer Weise geeignet, die oben angeführten Probleme unserer eigenen kulturellen Verfasstheit unvorbelastet offen ansprechen und reflektieren zu können. Erleichtert wird dies zudem durch das Alter der Filmcharaktere, die 14–15 Jahre alt sein sollten.
Der fremde Kontext der Handlung Der Film beginnt damit, dass er eine chaotische Stimmung mit Bildern und Nachrichtenmeldungen aus dem Jahr 1992 in den USA zeigt. Allmählich erst ergibt sich das Bild einer irreal und für z. B. meine Schüler einer Jahrgangsstufe 7 sehr fremd anmutenden Situation, in der Rassenunruhen in Florida zu Gewalt und chaotischen Zuständen führten. Ein unterstützendes Arbeitsblatt kann das Verständnis der Hintergrundsituation erleichtern 9: »Over 120 murders in Long Beach in the months following the Rodney King riots.«10 »Gang violence and racial tension reach an all time high.«11 Auch wenn immer wieder in den deutschen Medien Bilder von Auseinandersetzungen über weiße Polizeigewalt gegen Schwarze und nachsichtige weiße Justiz gegen weiße Täter in den USA auftauchen, nehmen die Jugendlichen diese nur am Rande und als wenig relevant für ihr Alltagserleben wahr. Entsprechend kann eine Einfühlung in die geschilderte Situation mehr im Sinne eines Gedankenexperimentes erfolgen: »Nehmen wir einmal an, diese Situation würde hier entstehen …« So kann
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DVD: Freedom Writers. Ihre Geschichte. Ihre Worte. Ihre Zukunft, a. a. O., Zeit: 0:00:40 – 0:01:14. Die deutsche Übersetzung lautet: »Über 120 Morde in Long Beach in den Monaten nach den Rodney-King-Unruhen.« Die gewalttätigen Unruhen in Los Angeles 1992 (Rodney King Riots) begannen am 29. April 1992, als vier Polizisten, die in Los Angeles (USA) der Misshandlung des Afroamerikaners Rodney King beschuldigt worden waren, von einem Gericht freigesprochen wurden. Die daraus vor allem in der afroamerikanischen Bevölkerungsgruppe resultierende Empörung löste in Teilen von Los Angeles für einige Tage einen Gewaltausbruch mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen aus. Am Ende waren 53 bekannt gewordene Todesfälle – 48 Männer und 5 Frauen – zu beklagen, mehrere Tausend Menschen wurden verletzt, und es entstanden Sachschäden in Höhe von etwa einer Milliarde US-Dollar. Die deutsche Übersetzung lautet: »Bandengewalt und rassistische Spannungen erreichen einen Höchststand.«
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die Aufforderung, sich in die Gefühle der Beteiligten hineinzudenken, eine erste emotionale Annäherung an die noch fremdartig wirkende Situation bewirken. Um den Ausgangspunkt in der konkreten Erfahrung, die hier zunächst nicht die eigene ist, zu intensivieren, bietet der Film den Blick einer Schülerin an, die im Film einen Hauptcharakter darstellt:
»In Amerika kann ein Mädchen wegen seiner Schönheit und seiner Anmut zur Prinzessin gekrönt werden [Bilder zweier blonder Barbie-Puppen. Die Szene wechselt vor ein Haus, vor dem die kleine Eva in ordentlicher Kleidung auf einer Stufe an der Straße sitzt.] Es war mein erster Schultag, und ich wartete darauf, dass mein Vater mich zum Bus brachte. [Das Mädchen blickt auf, ruft »Roberto« und winkt einem jungen Mann, der auf der gegenüberliegenden Seite sein Auto wäscht. Als sie wieder hinunter in ihre Brotdose für die Schule blickt, sind Schüsse aus einem vorbeifahrenden Auto zu hören. Ihr Vater kommt aus dem Haus gestürzt und rennt zu dem tot auf dem Boden liegenden jungen Mann.] Das war meine erste Begegnung mit dem Krieg.«12 Einer meiner Schüler der Jahrgangsstufe 7 reagierte provokativ mit der Bemerkung: »Ah, voll die Gang-Geschichte!« Was er damit andeuten wollte, war der irreale Charakter der eingeleiteten Story und die eher unglaubwürdige Stilisierung von Gewalt und Ehre in diesem Genre. Allerdings konnte ich diesem Vorbehalt leicht mit dem Verweis begegnen, dass es zu speziell dieser Geschichte einen realen und gut dokumentierten Hintergrund gäbe, auf den wir auch bei der Filmbearbeitung Bezug nehmen würden. Das wirkte – in für mich sogar erstaunlichem Maße – für eine äußerst hohe Motivation, sich auch mit zusätzlich eingebrachten Textdokumenten intensiv auseinanderzusetzen. Mit den folgenden Bildern berichtet aber zunächst der Filmcharakter Eva weiter von der Verhaftung ihres Vaters, der ihrer Einschätzung nach unschuldig eingesperrt wird, weil er in seiner Gruppe (Latinos) einflussreich ist. Diese Gruppe stellt sich aus dem Blickwinkel der anderen als »Gang« dar und befindet sich im Krieg mit den Gangs anderer ethnischer Gruppen (Weiße, Schwarze, Asiaten). Eva selbst wird als Jugendliche in die Gang der Latinos aufgenommen, durchleidet gewalttätige Aufnahmerituale (»Sie schlagen dich, damit du nicht zerbrichst.«) und identifiziert sich vollständig mit dieser Gruppe (»Sie sind meine Familie.«). Die Situation des Lebens mit Gangs wird von ihr wie folgt geschildert: »In Long Beach kommt es nur darauf an, wie man aussieht. Wenn du Latino bist oder asiatisch oder schwarz, kannst du sofort draufgehen, sobald du auf die Straße gehst. [Die nun älter gewordene Eva wird auf der Straße gezeigt, wie sie in eine gewalttätige Auseinandersetzung mit Schusswaffengebrauch gerät und nur durch Weglaufen entkommt.] Wir kämpfen um unser Revier. Wir töten uns gegenseitig wegen Rasse, Stolz und Respekt. Wir kämpfen für das, was uns gehört. [Während ihrer Flucht gerät sie allerdings in eine fremde Gang, die aus Schwarzen und Asiaten zu bestehen scheint. Auch hier kommt es zu körperlicher Gewalt, allerdings ohne Waffen.] Sie meinen, sie gewinnen, weil sie
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DVD: Freedom Writers. Ihre Geschichte. Ihre Worte. Ihre Zukunft, a. a. O., Zeit: 0:01:25 – 0:02:15.
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mich jetzt zusammenschlagen – aber die sind bald selbst dran. Der Krieg ist erklärt worden.«13 Jetzt konnten wir aus der Schilderung von Evas Geschichte einige Elemente der Wirkung von Rassismus auf das Denken des Mädchens herausarbeiten: Ihre fraglose Akzeptanz der Verhältnisse und der Anwendung von Gewalt, das Verständnis von Ehre und Stolz, die an den Zusammenhalt der eigenen Gruppe gebunden sind und die der eigenen Rolle in diesen Verhältnissen einen gewissen Sinn zu verleihen mögen: eine Ehre übrigens, die die Familie (Vater) an die Tochter weiterreicht und die damit auch zur Verpflichtung wird – was Eva erst im Verlaufe des Films in Frage stellen kann. Und auch wenn diese Analyse eine fremde Situation aufdeckt, so sind erste Übertragungen von kulturellem Stolz oder Zusammenhalt in der Herkunftsgruppe durchaus vorstellbar. Seit ich in Lerngruppen mit hohem Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund aus überwiegend muslimisch geprägten Kulturen unterrichte, hat der Begriff Stolz deutlich an Bedeutung gewonnen.
Der unverdächtige Beobachter als Annäherungsangebot für die eigene Perspektive Um die Schülerinnen und Schüler auf ihre eigene Beobachterperspektive zu stoßen, kann man den Blick auf Ben, den einzigen weißen Schüler in dieser Klasse, richten. Er wirkt eher schüchtern und im Kontext der Gruppe verschüchtert. Er strahlt keinerlei rassistische Tendenzen aus und wird durch seine Sonderstellung zum defensiv agierenden Außenseiter. Im Buch Freedom Writers findet sich ein sprechender Eintrag, der eine differenziertere Reflexion ermöglicht:
»Liebes Tagebuch, was verdammt noch mal mache ich hier? Ich bin der einzige Weiße in diesem Eng lischkurs. […] Ist das wirklich meine Klasse? Okay, ich weiß ja, dass man auf der High School alle möglichen Kids kennenlernen soll, aber so hatte ich mir das be stimmt nicht vorgestellt. Wirklich toll – ich sitze hier mit einem Haufen Gestörter, die aus den hinterletzten Gegenden angekarrt werden, und weiß genau, dass ich hier nichts zu suchen habe. […] Wenn die Schule all diese Typen in ein und dieselbe Klasse steckt, bettelt sie förmlich um Ärger. Die Katastrophe kommt garantiert. In der Pause vor der Stunde war ich auf dem Schulhof. Wie überall ist auch hier alles ziemlich nach Rassen getrennt. Jede Hautfarbe hat ihre eigene Ecke, und kei ner kommt auf die Idee, zu den anderen zu gehen. Jeder, mich eingeschlossen, isst mit seinen Leuten, und das war’s. Ein Abschnitt heißt Beverly Hills oder Disneyland, wo all die reichen Kids abhängen. Dann gibt’s China Town für die Asiaten. Die spa nische Ecke heißt entweder Tijuana Town oder Run to the border. Die Schwarzen
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Ebd., Zeit: 0:02:16 – 0:03:52.
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stehen in Da Getto. Dann die Freak Show in der Mitte, die für die Drogentypen re serviert ist, auch Tweakers genannt, und noch die Grufties. Und diese Einteilung scheint auch in den Klassen zu gelten. Alle meine Freunde sind gegenüber im Leistungskurs für die Top-Schüler. Da sind fast nur Weiße. Wenn ich auch da drin wäre, müsste ich mir nur wegen der extrem coolen Typen Gedanken machen, die sich für etwas Besseres halten. An sonsten wäre ich unter meinen Leuten. Hier drin läuft es garantiert auf das Recht des Stärkeren hinaus. Ich warte nur darauf, dass ich was abkriege. Sobald ich kann, verschwinde ich hier und wechsle rüber zu meinen Leuten. Irgendwie bringe ich meine Tutorin schon dazu, dass sie mich hier rausholt. Ich sage ihr einfach, dass es ein Computerfehler gewesen sein muss und ich eigentlich in den Leistungskurs gehöre. Ich bin zwar echt mies in Englisch und habe eine Lern schwäche, aber sie wird mir schon glauben. Ich bin schließlich weiß. Dieser Lärm hier drin ist unglaublich. Ich will bloß raus. Hoffentlich klingelt es bald. Wenn ich noch länger hierbleibe, passiert eins von zwei Dingen: Entweder man beklaut mich, oder ich sterbe vor Langeweile.«14 Gerade in der Perspektive dieses im Film zurückhaltenden und bemitleidenswert wirkenden Außenseiterschülers – aus Sicht meiner Schülerinnen und Schüler ohne Migrationshintergrund vielleicht der einzig »normal« erscheinende Schüler im Film – lassen sich deutlich rassistische Sichtweisen identifizieren: Er führt seine Sonderstellung in der Gruppe allein auf seine Hautfarbe zurück, wertet die übrigen Klassenkameraden anderer Rassen pauschal ab (»Haufen Gestörter«) und unterstellt ihnen Kriminalität (Befürchtung, »man beklaut mich«), akzeptiert eine Trennung nach Rassen als Normalität (Schulhofbeschreibung), hält die Zusammenführung der unterschiedlichen Rassen für gefährlich (die Schule »bettelt um Ärger«) und geht von der eigenen Überlegenheit (trotz zugestandener »Lernschwäche«) und dem Recht auf eine bevorzugte Behandlung aufgrund seiner Rassenzugehörigkeit (Leistungskursteilnahme: »Ich bin schließlich weiß.«) aus. Auch hier ergibt sich eine gute Chance zur Selbstprüfung der Schülerinnen und Schüler im Kurs. Welche dieser Tendenzen kennen sie aus ihrem eigenen Denken? Welche dieser Haltungselemente haben sie vielleicht schon bei sich selbst entdecken können? Und auch wenn eine bekenntnishafte Öffnung vor der Kursgruppe an dieser Stelle als nicht einforderbar und wenig dienlich erscheint, so ließen sich solche Gedanken doch im Einzelnen anregen und in Bezug auf Ben im Film kritisch befragen.
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Freedom Writers mit Erin Gruwell: Freedom Writers. Wie eine junge Lehrerin und 150 gefährdete Jugendliche sich und ihre Umwelt durch Schreiben verändert haben, a. a. O., S. 24–25.
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Streit im Klassenzimmer In der Spielfilmhandlung kommt es zu einem Mord. Nach Auseinandersetzungen in einem Tankstellenladen wird geschossen, und ein asiatischer Jugendlicher stirbt. Anwesend waren eine Clique Latinos, der auch Eva angehörte, eine analog zusammengesetzte Clique von Asiaten und ein einzelner Schwarzer. Der Schwarze wird am Ende der Szene unschuldig verhaftet, und Eva ist die einzige Zeugin, die gesehen hat, dass ein Mitglied ihrer eigenen Clique geschossen hat. Aber selbstverständlich wird von ihr erwartet, dass sie in einem erwarteten Gerichtsverfahren gegen den Schwarzen aussagt. In der Schule herrscht eine angespannte Stimmung. Die Schulleitung gibt aus, dass mit den Schülerinnen und Schülern über diese Vorfälle nicht gesprochen wird, und der Unterricht scheint etwas lustlos einen Lauf zu nehmen. Ausgelöst durch eine rassistisch verstehbare Karikatur15 greift Miss Gruwell die Stimmung in der Gruppe auf und geht in die Auseinandersetzung damit:
Miss Gruwell: Wisst ihr was? Ich hab’ neulich so ein ähnliches Bild gesehen, in einem Museum! Nur dass da kein Schwarzer drauf war. Es war ein Bild von einem Juden. Anstatt der dicken Lippen hatte er eine extrem große Nase, wie bei einer Ratte. Das war kein bestimmter jüdischer Mann. Das Bild sollte alle Juden darstel len. Solche Bilder wurden in Zeitungen veröffentlicht, und zwar von der berühm testen Gang der Geschichte. Asiatischer Schüler [zu seinem asiatischen Sitznachbarn]: »Das sind wir, Alter!« »Original, Alter!« Miss Gruwell: Mmh, ihr denkt, ihr wisst alles über Gangs? Ihr seid Amateure! Diese Gang stellt euch alle in den Schatten. Und auch die sind anfangs arm gewesen und wütend. Und alle sahen nur auf sie herab, bis ein Mann ihnen ihren Stolz zu rückgegeben hat. Er gab ihnen eine Identität – und einen Sündenbock! Ihr erobert
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Die Abbildung stammt aus: Freedom Writers mit Erin Gruwell: Freedom Writers. Wie eine junge Lehrerin und 150 gefährdete Jugendliche sich und ihre Umwelt durch Schreiben verändert haben, a. a. O., S. 19. Der Dialog ist dem Spielfilm entnommen, da die Situation im Buch nur kurz in einem Tagebucheintrag der Lehrerin skizziert wird: »Als ich die Zeichnung in die Finger bekam, rastete ich komplett aus. ›Das ist doch genau die Art von Propaganda, wie die Nazis sie im Holocaust eingesetzt haben‹, brüllte ich die Kids an. Und als ein Schüler mich verlegen fragte: ›Was ist Holocaust?‹, sah ich ihn nur schockiert an. – ›Wer von euch hat schon vom Holocaust gehört?‹, fragte ich schließlich. Kein einziger Schüler hob die Hand. Dann fragte ich: ›Auf wen von euch ist schon mal geschossen worden?‹ So gut wie alle Hände gingen hoch.- Und das war der Moment, an dem ich beschloss, alle meine gewissenhaft geplanten Lektionen zu vergessen und das Thema Toleranz zum Kern meines Lehrplans zu machen.« (vgl. ebd., S. 19 f.)
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eure Straßen. Das ist gar nichts im Vergleich zu diesen Typen! Die haben ganze Länder eingenommen! Und wollt ihr wissen, wie? Die haben einfach alle anderen ausgelöscht. Mehrere Schüler [kommentierend]: Ja, richtig so! Richtig! Miss Gruwell: Ja, sie haben alle ausgelöscht, mit denen sie nicht konnten. Und alle, denen sie die Schuld für ihr hartes Leben zuschoben. […] Juden und Schwarze wurden wie Tiere behandelt, und weil sie wie Tiere waren, war es vollkommen egal, ob sie lebten oder nicht. Um ehrlich zu sein, wäre das Leben doch sehr viel besser, wenn sie alle tot wären. So konnte es zum Holocaust kommen! – So denkt ihr auch über euch! Marcus: Sie wissen doch gar nichts, Mann! Miss Gruwell: Ja, so ist es Marcus! Warum erklärst du es mir nicht einfach? Marcus: Ich werd’ Ihnen einen Scheiß erklären! Tito: Ey, Sie wissen doch gar nicht, was hier abgeht! [Tumultartige Gespräche unter den Schülerinnen und Schülern. Es fallen Sätze wie: »Wir waren zuerst hier, Mann!«] Miss Gruwell: Okay! Okay, okay! Ihr wollt mir also erzählen, wenn die Latinos nicht hier wären oder die Kambodschaner oder die Schwarzen, Weißen, oder wer sie auch sind, wenn die alle nicht hier wären, dann ginge es euch allen viel besser? Ist das richtig? [zum Teil zustimmender Lärm in der Klasse] Okay! Okay! Alles fängt mit einer Zeichnung wie dieser hier an. Und dann wird einer aus dem fahrenden Auto heraus abgeknallt, und er weiß gar nicht, wie ihm geschieht.16 Diese Szene gibt dem Film eine unerwartete Wende. Zum einen wird aus einer harmlosen Zeichnung, mit der ein Schüler einen anderen beleidigen will, eine Grundsatzdiskussion inszeniert, die auf den Rassismus der Nazis als konsequente Weiterführung dieses Denkens abzielt. Dies erscheint mir als bedeutungsvolle Denkfigur für unsere politische Debattenkultur, in der zum einen rechte Gedanken schnell mit Verweis auf unsere Geschichte als unzulässiger Rechtsextremismus gebrandmarkt werden, andererseits berechtigte Kritik dieser Art gern als übertriebener Hang der Deutschen zu political correctness abgewehrt wird. Hier ließen sich leicht Bezüge sichtbar machen. Zum anderen erreicht die bis dahin eher geduldete Lehrerin, dass es zu echten (authentischen) Auseinandersetzungen mit und in der Klasse kommt:
Eva: Sie haben keinen Respekt vor der Art, wie wir leben. Wir sitzen hier, Sie er zählen uns was von so einer Grammatikscheiße, dann gehen wir wieder nach Hause – und was haben Sie mir darüber erzählt? Was machen Sie hier schon groß artig, was für mein Leben irgendwas ändern würde? Miss Gruwell: Du fühlst dich nicht respektiert? Wolltest du mir das sagen, Eva? – Vielleicht ist das so, aber um respektiert zu werden, muss man andere respektieren! Mario: Ist doch Schwachsinn! Miss Gruwell [fassungslos]: Was?
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DVD: Freedom Writers. Ihre Geschichte. Ihre Worte. Ihre Zukunft, a. a. O., Zeit: 0:28:44 – 0:31:00.
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Mario: Warum sollte ich Sie respektieren? Weil Sie ’ne Lehrerin sind? Ich kenn’ Sie überhaupt nicht! Woher weiß ich, dass Sie nicht nur ’ne Lügnerin sind? Woher weiß ich, dass Sie nicht ein schlechter Mensch sind? Ich würd’ Sie garantiert nicht nur respektieren, weil sie ’ne Lehrerin sind. Eva: Ihr Weißen meint immer, Ihr hättet Respekt einfach so verdient, ohne was dafür zu machen. Miss Gruwell: Ich bin Lehrerin! Meine Hautfarbe ist egal! Eva: Es geht nur um die Hautfarbe! Es geht um Leute, die sagen, was man verdient; um Leute, die was wollen, was sie nicht verdient haben; um Weiße, die glauben, sie würden die Welt regieren, egal was passiert. Ich hasse alle weißen Menschen! Miss Gruwell: Du hasst mich? Eva: Ja! Miss Gruwell: Du kennst mich nicht! Eva: Ich weiß, was Sie alles tun! Weiße Cops haben meinen Freund abgeknallt, nur weil er in seine Tasche gegriffen hat. Sie haben ihn erschossen! Ich hab’ gesehen, wie weiße Cops bei uns eingebrochen sind und meinen Vater grundlos verhaftet haben, einfach nur weil sie Bock darauf hatten – nur weil sie es konnten! Und sie können es, nur weil sie weiß sind. Und deshalb hasse ich alle Weißen, wenn ich sie nur sehe.17 In dieser Reinform, in der es der Filmcharakter Eva hier emotional intensiv vorführt, lässt sich einerseits unzulässige Verallgemeinerung negativer Erfahrungen mit anders kulturell (oder ethnisch) geprägten Gruppen als auch die Gefahr rassistischen Denkens gerade bei den als Opfer davon Betroffenen leicht aufdecken. Gerade der emotional-gedankliche Mechanismus, wie aus Opfern dann Täter werden können, erscheint mir an dieser Stelle als ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis beobachtbarer Eskalationsmechanismen. Und genau das hat die Lehrerin im Film vor Augen, als sie weiterfragt:
Miss Gruwell: Ben [sie schaut zu dem einzigen weißen Schüler in der Klasse], hast du etwas zu sagen? Ben: Kann ich bitte nach Hause gehen? Marcus: Tun Sie nicht so, als würden Sie versuchen, unsere Situation zu verstehen – und machen Sie Ihren Babysitterjob da vorne! […] Miss Gruwell: Und ihr glaubt wirklich, dass ihr mit der Einstellung den Ab schluss schafft? Mario: Ich hab’s auf die High School geschafft, ohne was zu machen. Marcus: Lady, ich bin froh, wenn ich es schaffe, 18 zu werden. Wir sind im Krieg. Wir machen an jedem Tag, den wir leben, unseren Abschluss, weil wir keine Angst haben, unsere Leute zu beschützen. Denn wenn man für seine Leute stirbt, kriegt man wenigstens Respekt: Man stirbt als Krieger. Miss Gruwell: Wenn ihr tot seid, werdet ihr respektiert. Das glaubt ihr?
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Ebd., Zeit: 0:31:05 – 0:32:25.
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Eva [und andere]: Ja! Miss Gruwell: Wisst ihr, was passiert, wenn ihr tot seid? Ihr verwest in der Erde. Und die anderen werden weiterleben – und sie werden euch einfach vergessen. Und wenn ihr verwest, meint ihr, dann interessiert es irgendjemanden, ob ihr ein ganz toller Gangster wart? – Ihr seid tot! Und niemand, niemand wird sich später an euch erinnern, denn alles, was ihr dieser Welt hinterlassen habt, ist das hier. [Sie hält das Blatt mit der Karikatur eines Schwarzen hoch. – Betroffenes Schweigen – Erin Gruwell legt das Blatt wieder auf das Pult. Eva hat Tränen in den Augen. Tito meldet sich.] Mel dest du dich? Tito: Das, was Sie vorhin gesagt haben, der Holocaust, … Miss Gruwell: Holocaust, ja. Tito: … was ist das? Miss Gruwell [schaut in die Klasse]: Meldet euch, wenn ihr wisst, was der Holo caust ist. [Kein Schüler meldet sich – erst nach kurzem Zögern geht der Finger von Ben, dem einzigen weißen Schüler, hoch.] Meldet euch, … ich möchte, dass sich jetzt alle melden, auf die schon mal geschossen wurde. [Nach und nach meldet sich fast die ganze Klasse – lediglich Bens Finger scheint unten zu bleiben. Die Lehrerin blickt durch den Raum, in dem keiner etwas sagt, und schluckt sichtbar. Das Klingeln beendet die Situation. Die Schülerinnen und Schüler stehen auf, nehmen ruhig ihre Sachen und verlassen schweigend den Klassenraum. Die Lehrerin bleibt zunächst unbewegt mit traurigem Blick stehen und setzt sich dann hinter ihr Pult.]18 Schulische Bildung steht in Frage und ist den Alltagsproblemen der Jugendlichen, die hier in dramatischer Weise benannt werden, untergeordnet. Dies ist für unsere Schülerinnen und Schüler, deren Alltagserfahrung sich (hoffentlich) deutlich weniger dramatisch darstellt, dennoch emotional nachvollziehbar. Aber die Frage nach der Bedeutung des Wortes »Holocaust« macht auch die gegenteilige Bewertung stark: Brauchen wir nicht historisch-kulturelle Bildung, um unsere Lebenssituation besser begreifen und gestalten zu können? Die Szene kann man nutzen, um sich über die starken Gefühlsregungen der verschiedenen Beteiligten der Situation weiter identifikatorisch anzunähern. Interessant erscheint mir dabei auch die Struktur der gezeigten Kommunikation. Bei aller Aggressivität, beleidigenden Äußerungen, Ablehnung und Belehrung durch die Lehrerin entsteht hier eine wechselseitige Wahrnehmung, die zuvor nicht in dieser Weise möglich zu sein schien. Die Auseinandersetzung zwischen Eva und der Lehrerin, die mit der Botschaft »Ich hasse Sie!« offensichtlich stark emotionale und konfrontative Aspekte zeigt, führt dennoch in einem ersten Schritt auch zu argumentativer Auseinandersetzung und einer Verbalisierung, die solche Gefühle erst einer distanzierter bewertenden Betrachtung und Reflexion, wie ich sie z. B. oben skizziert habe, zur Verfügung stellt. Auch in meinem Kurs der Jahrgangsstufe 7 kannten nur wenige Schülerinnen und Schüler den Begriff Holocaust. Das erklärt
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Ebd., Zeit: 0:31:06 – 0:35:30.
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sich nicht nur daraus, dass die meisten Schülerinnen und Schüler eine Migrationsgeschichte mitbringen und somit diese Geschehnisse nicht als »ihre« Geschichte empfinden können, sondern auch daraus, dass dieses Thema in den Lehrplänen i. d. R. erst später vorgesehen ist. Dennoch: Ein wichtiger Hinweis für mich und für die weitere Planung einer Unterrichtsreihe mit diesem Film. An dieser Stelle kann es sicherlich auch interessant sein, die in den Medien oft konstatierten Ausgrenzungserfahrungen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in unserer Gesellschaft konkret zu erfragen – oder als empirische Erhebungsdaten einzuführen. Ich hatte dies bereits zu einem früheren Zeitpunkt bei meinen Siebtklässlern getan und dabei feststellen müssen, dass es solche Erfahrungen tatsächlich im Raum gibt und dass sie sie zwar nicht als lebensbestimmend, aber doch ihr Selbstbild mitbestimmend wahrnehmen. So hat sich z. B. in einem Kurs der Jahrgangsstufe 5 in den vergangenen Jahren über die Hälfte meiner Schülerinnen und Schüler als Nicht-Deutsch bezeichnet – bei einer zweiten Abfrage aber bestätigt, dass mit einer Ausnahme alle in Deutschland geboren wurden. Hier bleibt im Sinne der »Integration« noch viel zu tun!
Die weitere filmische Entwicklung – und ihr Erkenntnispotential für Schülerinnen und Schüler Im Film bewirkt die Lehrerin, ihre in Rassenauseinandersetzungen verstrickten Schülerinnen und Schüler in eine selbstreflexive Entwicklung zu bringen, die ihre Selbstbilder und das Miteinander in der Klassengemeinschaft positiv verändert: ¬ durch Lektüre eines Berichtes, den ein Gangmitglied verfasst hat – und den Eva sogar ihrem Vater zur Lektüre empfiehlt; ¬ durch die von Kolleginnen und Kollegen als viel zu anspruchsvoll eingeschätzte Lektüre des Tagebuchs der Anne Frank – die Eva zunächst als fiktiven Abenteuerroman missversteht (»Wann wird Anne Hitler umnieten?«19) und sie sogar durch übermäßige Identifikation am Schluss verzweifeln lässt (»Wenn sie stirbt, was ist dann mit mir? He? Was können Sie mir dazu sagen? […] So etwas darf in der Geschichte einfach nicht passieren! Das ist nicht richtig!« 20); ¬ durch den Besuch eines Holocaustmuseums und Gespräche mit Zeitzeugen, durch eine Aktion, in der ihre Schülerinnen und Schüler durch hohes Engagement und Eigeninitiative in Miep Gies die Dame einladen, die in den Niederlanden Anne Frank zu verstecken geholfen hatte; ¬ ein Schüler, Marcus, formuliert öffentlich bei ihrem Besuch: »Es gab nie einen Helden für mich. Aber Sie sind meine Heldin.« Sie antwortet: »Ich bin keine Heldin. Ich tat nur, was ich tun musste, weil es einfach das Richtige war.« 21 21 19
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Ebd., Zeit: 1:16:15. Ebd., Zeit: 1:16:05 – 1:17:25. Ebd., Zeit: 2:24:05 – 2:24:25.
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¬ und durch vielfältige weitere Aktionen, durch die sie Respekt und Anerkennung gewinnen, gehen Kulturreflexion und sokratisch orientierte Selbstreflexion Hand in Hand. 22 (Im Film geht es auch über weite Strecken um die Rolle der Lehrerin, ihre kriselnde Ehe und ihre Stellung im Schulsystem. Diese Aspekte und die Auseinandersetzungen mit der Schulbehörde, da sie in der vorgegebenen Schulstruktur ihre Klasse wieder abgeben soll, erscheinen für den hier berichteten Zusammenhang allerdings weniger wichtig und können bei der Filmbetrachtung zum Teil problemlos übersprungen werden.) Die zuvor angedeuteten Aktionen aber, die emotional sehr ansprechend auf meine Schülerinnen und Schüler wirkten, können gut zur grundsätzlicheren Reflexion Anlass geben. Indem man in der Klasse die Personen zunehmend unabhängig von ihrer Rassenzugehörigkeit als Menschen mit individuellem Anspruch auf Würde wahrnimmt und behandelt, können die Schülerinnen und Schüler für sich Veränderungen beschließen. Natürlich wirken diese etwas klischeehaft und kitschig inszeniert, wenn ein Schüler seine Waffe entsorgt oder der zunächst äußerst hart erscheinende Marcus wieder zu seiner Mutter zurückkehrt. Aber die ehrliche Aussage von Eva vor Gericht, welche die erwartete Gangsolidarität ihrer Herkunft auflöst und sie somit ernsthaft in Gefahr bringt, bewirkt das Gefühl, sich aus unverschuldeten Verstrickungen lösen zu können und selbst entscheiden zu müssen, was das Richtige, das moralisch Gebotene ist. Und diese Ebene der Filmhandlung lässt sich, ohne Bekenntnisse oder Selbst offenbarungen im Sinne eines »Seelenstriptease« einzufordern, durchaus auf das eigene Leben unserer Schülerinnen und Schüler projizieren. Es kann zu einer Stärkung des Gefühls eigener Verantwortlichkeit und Gestaltungsmacht führen. Schülerinnen und Schüler könnten dazu angeregt werden, für sich zu überlegen, wann und wo sie sich von außen durch Cliquen an sie herangetragenen Normen beugen, die sie selbst nicht vertreten würden (Ausgang im Konkreten). Sie können sich im Anti-Dogmatismus der Philosophie üben, wenn sie alternative Sicht- und Handlungsweisen reflektieren und dies kommunikativ in argumentierender Weise vermitteln. Neue und zunächst nicht auf der Hand liegende Ideen und Einfälle sind gefragt und müssen geprüft werden. Und wenn Teile dieser Prozesse sagbar und im Kurs besprechbar werden, dann sind wir in einem altersgemäßen sokratisch orientierten Philosophieren angekommen, welches in vielerlei Hinsicht den Zielen des Philosophie- und Ethikunterrichts entspricht. Und gleichzeitig mit dieser sokratischen Ausrichtung der Reflexionsweise leisten wir Arbeit an der Kultur. Wir nehmen Kultur über kulturelle Ausdrucksformen wie Film und Buch und in der eigenen Lebenswelt wahr, reflektieren sie vergleichend,
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Ich möchte hier ausdrücklich nicht zur Lektüre des Tagebuchs der Anne Frank oder zum Besuch eines Holocaust-Museums – wie in Buch und Film geschildert – mit einem Philosophie- oder Ethikkurs der Jahrgangsstufe 7 anregen (dies lässt sich später in anderen Fächern sicher effektiver leisten). Allerdings sind die Erlebnisse einer bestimmten Wahrnehmung durch die Film jugendlichen sehr ansprechend und anregend dargeboten.
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erkennen sie in ihrer Gestaltbarkeit und stellen sie einer möglichen Weiterentwicklung zur Verfügung. Insofern gehen wir auch das gesehene Problem wachsender Ausländerfeindlichkeit in unserer Gesellschaft, unseren Schulen und ggf. in unseren Kursen an. Auch hierin besteht das gute Potential, sich mit den vorgestellten Medien des Films wie des Buches Freedom Writers auf einen didaktisch mehrdimensional begründbar produktiven Weg zu begeben, der Lernchancen auf unterschiedlichen Ebenen anstoßen und befördern kann. Quelle: Lessing, Hans-Ulrich; Tiedemann, Markus; Siebert, Joachim (Hrsg.): Kultur der philosophischen Bildung. Volker Steenblock zum 60. Geburtstag, Siebert Verlag, Hannover 2018, S. 218–231.
Sensibles Gleichgewicht – Balance
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Linus Hauser und Anita Rösch
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er deutsche Kurzfilm Balance gewann 1990 den Academy Award als bester animierter Kurzfilm. Er ist sicherlich in jeder Medienstelle vorhanden. Im Internet kann man ihn sich bei sevenload ansehen1. Der Animationsfilm zeigt einheitlich in grau gekleidete Puppen, die sich auf einer freischwebenden Plattform befinden. Die Gestalten stehen mit dem Rücken zueinander im Kreis in der Mitte der Plattform. Die Personen unterscheiden sich nur durch ihre Nummerierung auf dem Rücken. Von den hohl klingenden Geräuschen (Echolot, Knarren von Schiffsplanken) her betrachtet, schwebt diese Platte im ›abgründigen Nichts‹ eines ursprünglichen Chaoswassers (Gen 1). Sie haben darauf zu achten, dass sie im Gleichgewicht bleiben, da die Platte sich sonst neigt und sie herunterfallen. Ihre Existenz ist also immer gefährdet. Die Handlung kommt in Gang, als die Gruppe Angeln auspackt und in diesem ›Chaoswasser‹ zu fischen beginnt. Einem gelingt es, eine geschwärzte Truhe auf die Platte zu holen. Aus der Truhe erklingt Musik. Alle Gruppenmitglieder interessieren sich für die Truhe. Nun beginnt sich das Verhalten der einzelnen Personen zu verändern. Ein Kampf um die Truhe beginnt, in dem alle bis auf eine Puppe in den Abgrund fallen oder gestoßen werden. Am Ende sieht man die überlebende Puppe auf der einen Seite der Platte und – aus Gleichgewichtsgründen – die auf der anderen Seite befindliche Kiste. Wir möchten diesen Kurzfilm in den Kontext anthropologischer Grundbestimmtheiten stellen. Im zweiten Schritt werden wir dann einige fachdidaktische Hinweise geben. Es gibt zwei anthropologische Grundbestimmtheiten, die für unseren Kontext wichtig sind: Kontingenzbewusstsein und Selbstgestaltungsstreben.
Balance (O: Balance, D 1989); Regie: Christoph Lauenstein, Wolfgang Lauenstein; Dauer: 7 Min.; Altersfreigabe: FSK 6. 1 Ansehen kann man sich den Film unter: http://de.sevenload.com/videos/3BEuOdS-Balance-Kurzfilm oder bei YouTube unter http://www.youtube.com/watch?v=ZJWT3p7uM6Y oder man gibt einfach die Suchworte »Balance« und »Kurzfilm« ein. *
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Kontingenzbewusstsein ist die Erfahrung menschlicher Endlichkeit. In der Logik des Begrifflichen folgt diesem das Streben an vollendeter Selbstgestaltung, die Geneigtheit, nicht endlich sein zu wollen. Selbstgestaltungsstreben weckt in Jedem Fantasien über eine Aufhebung seiner Endlichkeit. Im Selbstgestaltungsstreben meldet sich das Interesse, nicht endlich zu sein, und schärft zugleich das Kontingenzbewusstsein. Symbole versuchen, diese Spannung zu veranschaulichen. Der Schatz, die blaue Blume, das Lebenswasser bergen dann alles, was sich der Mensch erträumt – oder es ist in einer Kiste, die Musik macht. Alle suchen nach dieser Kiste des Lebens im Kurzfilm Balance, nur einer findet sie und alle streben dann zu ihr. Doch nun kommt der Umschlagspunkt. Kaum ertönt die Musik, da meldet sich die seit Thukydides so genannte pleonexia, der Wunsch, mehr als die anderen und sogar das Ganze haben zu wollen. Vollendete Selbstgestaltung soll nur je mir zuteilwerden, und es kommt zum Vernichtungskampf. An seinem Ende steht die unstillbare ›Balance‹ mit dem für immer außer Reichweite bleibenden Lebensschatz. Wer alles für sich will, hat zum Schluss alles und damit nichts. Schülerinnen und Schüler können anhand dieses Kurzfilms anschaulich die Konsequenzen eines unsolidarischen Handelns erleben. Der Konflikt ist eigentlich schon programmiert. Die Figuren stehen am Anfang zwar im Kreis und halten dadurch Balance, doch sie kommunizieren nicht miteinander, weil sie mit dem Rücken zueinander stehen. Verschiedene beobachtende und kreative Arbeitsaufträge und Zusatzmateri alien können die Betrachtung dieses Kurzfilms in verschiedenen Altersstufen begleiten.
Was könnte in der Kiste sein? Welcher Besitz ist es wert, sich anderen gegenüber dermaßen destruktiv zu verhalten?
Beobachtet arbeitsteilig je eine Figur: Betrachtet und beschreibt genau die Körpersprache, das Verhalten den anderen gegenüber, das Verhalten in Bezug auf die Kiste.
Haltet den Film an mehreren Stellen an. Formuliert Denkblasen für die Figuren in dieser Situation. Beobachtet, beschreibt und erläutert die Entwicklung der Figuren.
Konzipiert Dialoge zwischen den Figuren. Spielt Szenen nach, haltet das Spiel an verschiedenen Stellen an und erprobt Variationen. Wo müssten die Veränderungen ansetzen, damit es ein positives Ende gibt?
Lest die Sage von Midas (M1) und vergleicht sein Verhalten mit dem der Figur im Film ›Balance‹. Formuliert aus Midas’ Sicht nach seiner Erlösung einen Kommentar oder einen Ratschlag zum Verhalten der Figuren im Film ›Balance‹.
Schreibt ein Ende des Films und spielt es pantomimisch. Schreibt und spielt eigene Geschichten, die das Verhalten des Mehr-Haben-Wollens zum Inhalt haben.
Zieht die Definitionen von pleonexia (M2) hinzu und erläutert begründet, um welche Form von Gier es sich im Kurzfilm ›Balance‹ handelt.
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M 1 Die Sage von König Midas2
Der König von Phrygien hatte sich einst Bakchos, dem Gott des Weines, zu Dank verpflichtet. »Zur Belohnung gebe ich dir einen Wunsch frei«, sagte der Gott, »sprich aus, was du begehrst! Deine Bitte soll dir erfüllt werden!« Als habe der Kö nig auf solche Gunst gewartet, hielt er sogleich seinen Wunsch bereit: »So lass alles, was ich berühre, erhabener Gott, zu Gold werden!« Ungern nur stimmte Bakchos solcher Bitte zu, denn er wusste ja, wie töricht der habgierige König gewählt hatte. Doch dann winkte er Gewährung. Mit welcher Freude machte Midas sich davon! Er konnte es nicht abwarten, das Geschenk zu erproben – und siehe, der Zweig, den er von der Eiche abbrach, verwandelte sich sogleich in schimmerndes Gold! Er hob einen Stein vom Boden auf: Der Stein war zu Gold geworden! Nicht anders war es mit der Erdscholle, die seine Hand berührte. Die Ähren, die er vom Halme pflückte, ließen Demeters Gabe in seiner Hand zu Gold werden; der Apfel, den er pflückte, verwandelte sich in gleißendes Gold, als sei er aus der Hand der Hesperiden! Midas wusste sich nicht zu fassen in seinem Glück, als er seinen Palast betrat. Wer könnte sich jetzt wohl an Reichtum mit ihm messen? Kaum berührten seine Finger die Türpfosten, so erglänzten diese in goldenem Widerschein. Ja selbst das Wasser, das ihm zum Waschen gereicht wurde, verwandelte sich in flüssiges Gold, sobald der König die Hände eintauchte. In überquellender Freude ließ König Midas sich von seinen Dienern die Mahlzeit richten. Die Tafel bog sich unter der Fülle von kostbaren Speisen, wie es sich bei solch festlichem Anlass geziemte. Midas griff nach dem Brote, das Demeter, die Göttin der Feldfrüchte, gespendet hatte – da wurde die göttliche Gabe zu Gold. Er kostete von der herrlichen Fleischspeise – seine Zähne bissen auf das harte Metall. Er schenkte edlen Wein in sein Glas: Bakchos, dem er seine verhängnisvolle Kraft verdankte, ließ auch das Getränk zu Gold werden. Fassungslos blickte Midas auf das unselige Wunder der Verwandlung; zu spät musste der arme Reiche jetzt erkennen, welch törichten Wunsch er ausgesprochen hatte. Vergeblich verwünschte er die verderbliche Gabe, die der Gott ihm verliehen hatte. Nichts vermochte den quälenden Hunger zu stillen, und rasender Durst dörrte ihm die Kehle aus. Voll Verzweiflung hob Midas die Arme zum Himmel. »Hab Nachsicht mit mir, Bakchos, erhabener Gott«, kamen flehend seine Worte, »verzeih mir – hab Mitleid mit mir und befrei mich aus diesem glänzenden Elend!« Bakchos blickte in göttli cher Milde auf den reuigen Toren. »So will ich deine Bitte erhören«, sagte er gnädig. »Geh zum Flusse, der das mächtige Reich der Lyder berührt, und folge seinem Laufe, bis du die Quelle findest. Dort, wo sie aus dem Boden springt, tauche deine Hand hinein, bade dich in der schäumenden Flut und reinige dich damit von dem Un glück, in das deine Habgier dich gestürzt hat!«
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Carstensen, Richard (Hrsg.): Griechische Sagen, Ensslin & Laiblin Verlag, Reutlingen 1954, S. 86 f.
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Midas folgte der göttlichen Weisung und stieg den Flusslauf empor, bis er auf die Quelle stieß. Da wich der unselige Zauber von ihm; aber die Wunderkraft ging auf den Fluss über, so dass er seit jener Zeit Gold in seinen Wellen führt. Wie atmete der Phrygierkönig auf, als er von der verhängnisvollen Gabe befreit war! Voll Abscheu ließ er von seiner Gier nach Reichtum, zog sich in die Waldesein samkeit zurück und verehrte fortan Pan, den bocksfüßigen Gott; oft war Midas bei ihm in seinen schattigen Felsengrotten zu Gast. M 2 Klaus-Peter Rippe: Gier philosophiegeschichtlich betrachtet3
»Pleonexia« – jenes Wort, das im Lateinischen mit »avaritia«, im Englischen mit »avarice« und »greed« und im Deutschen schließlich mit »Gier« übersetzt wird, steht zum einen für Ungerechtigkeit, zum anderen für eine falsche Ausrichtung des Wollens oder pathetischer: für eine verkehrte Liebe. Prominenter ist Gier als falsche Ausrichtung des Wollens. Sie findet sich bereits in der Antike, etwa in Aristoteles’ Politik. Gier ist ein Charakterzug, der darin be steht, mehr und immer noch mehr haben zu wollen. Das «Mehr und immer noch Mehr Haben Wollen« bezieht sich ganz besonders auf das Geld. Von Geld können die Menschen aber nie genug bekommen. Wählen Menschen den Gelderwerb als höchsten Zweck des Lebens, ist Geld und Reichtum für sie nicht ein Mittel, selbst gut zu leben und anderen ein gutes Leben zu ermöglichen. Es geht für sie nur noch darum, immer und immer noch reicher zu werden, als sie ohnehin schon sind. Dies ist jene Bedeutung, in der »Pleonexia« auch in der Bibel benutzt wird. Als der griechische Theologe Evagrius von Pontus im vierten Jahrhundert einen Katalog von acht Todsünden und bösen Leidenschaften aufstellte, wurde Habgier – bezogen auf die Reihung der Schwere der Sünde – an sechster Stelle aufgeführt. Stolz, Ruhmsucht, geistige Faulheit, Zorn und Traurigkeit standen vor der Habgier. Nur Völlerei und Wollust folgten. […] Wie alle Todsünden wird Gier als eine falsche Ausrichtung der Begierde verstan den. Gier bezeichnet das maßlose Verlangen nach irdischen Gütern und Reichtum und der damit verbundenen Macht. Das Laster liegt darin, dass das Ansammeln von Geld und Besitztümern als Zweck in sich selbst gesehen wird, als ausschließ licher Lebensinhalt. Es ist eine »widernatürliche« Liebe, die dem Betroffenen selbst, aber auch der Gesellschaft schadet. In der Nikomachischen Ethik wird »Pleonexia« von Aristoteles dagegen als Ge genbegriff zur Gerechtigkeit verwendet. Hier tritt eine leichte Bedeutungsverschie bung ein. Pleonexia bezieht sich nicht mehr allein auf die Begierde nach materiel lem Reichtum, sondern generell auf das Begehren, dass jemand mehr haben will als das ihm gerechterweise zustehende Güterquantum. Pleonexia bezeichnet die Cha
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Rippe, Klaus-Peter: »Greed is out – Ethics is in«. Zur Verantwortung von Unternehmen und Unternehmensleitungen, auf: http://www.ethikdiskurs.ch/wirtschaftsethik/publikationen/rippe_antritts vorlesung.pdf (Stand: 27.10.2008).
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rakterverfassung des Ungerechten. Aristoteles schreibt: »Die Ungerechtigkeit ist […] jenes Laster, das freiwillig ungerecht handeln und ungerecht austeilen macht. Das Ungerechte liegt aber in einem der Proportionalität zuwiderlaufenden Zuviel und Zuwenig des Nützlichen oder Schädlichen. Darum ist die Ungerechtigkeit gleichzeitig ein Zuviel und ein Zuwenig, weil sie nämlich auf das Zuviel und das Zuwenig ausgerichtet ist […]«. Quelle: Hauser, Linus; Rösch, Anita: »Sensibles Gleichgewicht. ›Balance‹ – ab Klasse 8«, in: Ethik & Unterricht 20, 2009, Heft 3: Film, S. 14 f.
Freundschaft bis zum Tod – * Das Meer in mir Anita Rösch Inhalt des Films Ramón Sampedro hat sich bei einem unbedachten Sprung ins Meer das Genick gebrochen und ist seither querschnittsgelähmt. Der zum Unfallzeitpunkt 25-jährige Mann sehnt sich, resigniert an das Bett gefesselt, danach, endlich sterben zu können. Er empfindet sein Dasein als das eines »chronisch Toten« (M1). Doch mit eigener Hand ist ihm der Selbstmord nicht möglich; würden ihm andere helfen, würden sie sich strafbar machen. Ramón beschließt, einen beispielhaften Gerichtsprozess für das Recht auf ein würdevolles Sterben und die Straffreiheit seiner Helfer zu führen. In den fast 30 Jahren, die dieser Kampf dauert, wird Ramón Sampredo aufopferungsvoll von der Familie seines Bruders und von Freunden gepflegt. Die Geschichte orientiert sich an tatsächlichen Ereignissen, denn den 1943 in Xuñio, La Coruña, geborenen Ramón Sampedro hat es tatsächlich gegeben. 1968 ereignete sich der tragische Unfall, der zu Sampedros Querschnittslähmung führte und seinen jahrelangen Leidensweg einläutete. Sein Gang vor die spanischen Gerichte wurde aus den absurdesten Gründen aufgeschoben, bürokratisch verschleppt und schließlich mit einer Niederlage für Sampedro abgewiesen. In diesen Jahren verfasste Sampedro mit einem von seinem Neffen gebastelten Schreibgerät viele Briefe, die 1996 von seinen Freunden und Anwälten, die sich Aufmerksamkeit und Verständnis für das Leiden des ans Bett Gefesselten erhofften, als Briefe aus der Hölle veröffentlicht wurden. Diese Veröffentlichung gab den Anstoß für den Regisseur Amenábar, Sampedros Geschichte nach dessen Tod zu verfilmen. Der Film wurde 2005 mit einem Oskar für den besten fremdsprachigen Film ausgezeichnet. Die heikle Thematik der Sterbehilfe wird in all ihren Facetten aufgegriffen und zur Diskussion gestellt. Der Regisseur bezieht keine Position, sondern Amenábar stellt den Meinungen aller Beteiligten genügend Raum zur Verfügung. So ist zum
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Das Meer in mir (O: Mar adentro, E 2004); Regie: Alejandro Amenábar; Dauer: 125 Min.; Altersfreigabe: FSK 12.
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Beispiel Ramóns älterer Bruder strikt gegen den Selbstmord, da er das Leben als Gottesgeschenk ansieht. Zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn hat er sich annähernd dreißig Jahre lang um den bettlägerigen Bruder gekümmert. Sampedros Anwältin Julia dagegen hat Verständnis, leidet sie doch ihrerseits an einer degenerativen Krankheit, bei der der Verfall ihres Gehirns schneller voranschreitet als der ihres Körpers. Doch letztendlich macht es ihr ihre Krankheit unmöglich, Sampedros Wunsch nach Sterbehilfe nachzukommen. In der Fabrikarbeiterin Rosa, die ihm zunächst die Freude am Leben wieder vermitteln will, aber letztlich seinen Wunsch respektiert, findet Ramón Sampedro einen Menschen, der ihm hilft, seinen Plan umzusetzen und aus dem Leben zu scheiden. Die Thematik der Sterbehilfe wird in diesem Film mit dem Verständnis von Freundschaft verbunden.1 Ramón versteht die Erfüllung seines Todeswunsches als Freundschaftsdienst, obgleich er diesen Dienst nie ausdrücklich von einer bestimmten Person einfordert. »Wer mich liebt, der wird mir dabei helfen, mir das Leben zu nehmen«, so Sampedro im Film. Für Sampedro ist die Anerkennung und Akzeptanz seines Todeswunsches Voraussetzung und Bedingung für Freundschaft (M2), die er sehr extrem definiert (M3). In Rosa findet er diese Freundin. Die Kritik des Films war zwiegespalten: Während die Mehrzahl der Rezensionen den Film für seine Offenheit und Neutralität würdigte (M4), kritisierte ihn die deutsche Hospizstiftung als Propaganda für Euthanasie (M5).
M 1 Ramón Sampedro: Briefe aus der Hölle – Vorwort2
Am 23. August 1968 brach ich mir das Genick, bei einem Tauchsprung am Strand, indem ich mit dem Kopf auf den Sand am Grunde aufprallte. Seit diesem Tag bin ich ein lebender Kopf und ein toter Körper. Man könnte sagen, ich bin der spre chende Geist eines Toten. Wäre ich ein Tier gewesen, wäre ich so behandelt worden, wie es den edelsten Motiven des Menschen entspricht. Man hätte mich getötet, denn es wäre unmenschlich gewesen, mich für den Rest meines Lebens in einem solchen Zustand zu belassen. Manchmal hat man einfach Pech, wenn man ein degenerierter Affe ist. Die medizinischen Technokraten sagen – und die Politiker, Richter, Anwälte und all die Kasten, die den inhumanen Zustand von Rechts- und »Wohlstands«-Staat aufrecht erhalten, stimmen mit ein, wobei es richtiger wäre, ihn als Unrechts- und Krankheits-Staat zu bezeichnen –, ein Tetraplegiker sei ein chronisch Kranker. Wenn man sprachlich genau wäre, müsste man es weniger verschleiernd ausdrü cken: Ein Tetraplegiker ist ein chronisch Toter. Ich habe keine Lust, die Rolle des chronisch Toten in diesem Spiel »Leben, um zu überleben« zu spielen, wie es der
1
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Kersten, Catrin: Orte der Freundschaft. Niklas Luhmann und »Das Meer in mir«, Kulturverlag Kadmos, Berlin 2007. Sampedro, Ramón: Briefe aus der Hölle, Vorwort, übers. von Schottky, Hans, auf: http://horus.com mas25.neusta.de/images/HORUS0/DLR2007/vorwort_briefe_hoelle.pdf (Stand. 30.04.2006).
Freundschaft bis zum Tod – Das Meer in mir
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Fachjargon so schelmisch ausdrückt. Ich bin der Ansicht, ein Tetraplegiker ist ein chronisch Toter, der in der Hölle sitzt. Und an diesem Ort – um dem Wahnsinn nicht zu verfallen – unterhalten sich die einen mit Malen, andere mit Beten, Lesen, Atmen oder indem sie was für andere machen. Da gibt’s für jeden etwas! Ich habe mich dem Briefeschreiben gewidmet. Briefe aus der Hölle. […] Mich interessiert vor allem die Freiheit des menschlichen Daseins, alles, was sich um das Leben, die Liebe und den Tod dreht. Genauso wie die drei Grundgefühle, die psychologisch unsere Existenz bestimmen, unsere Überzeugungen, unser Den ken und unser Verhalten: Lust, Schmerz und Angst. Am Tag, an dem die Wissen schaft es als unmöglich erklärte, meine Lähmung zu heilen, ging es mir wie dem verzweifelten Tier, das in der teuflischen Falle eines grausamen und unbarmherzi gen Jägers festsitzt: Ich dachte, wie gut doch der Tod ist. Barmherzigkeit, richtig verstanden, beginnt bei einem selbst. Aber es scheint, dass dieses moralische Prin zip nur dann für all die Politiker, Richter, Priester und Ärzte gilt, wenn es darum geht, ihre Pfründen zu vermehren, die der Lohn für ihre segensreichen Dienste für die Menschheit sind. Zuerst denkst du nur, wie du dich befreien könntest. Du hast nur zwei Möglichkeiten: Dich in ein absurdes Wesen zu verwandeln, eines, das du niemals sein wolltest, einen Bewohner der Hölle. Oder du hältst fest an deiner Uto pie vom Leben. Dich vom Schmerz befreien, die Lust über den Tod hinweg zu su chen. Ich entschied mich für die Freiheit, nicht als das Negative, sondern als das Positive: Ich suchte das Bessere. Das erste, was meine Eltern sagten, als ich ihnen klarmachte, dass ich den Tod wünschte: Sie hätten mich lieber so als gar nicht. Da gibt es kein Entrinnen, die Leute wollen über das Thema nicht reden. Das Gesetz verbietet es. Und dieses: »Die Hilfe, die du haben willst, kann ich dir einfach nicht geben!« übertönt wie ein un erbittliches Gesetz den persönlichen Willen. Da fand ich mich zum ersten Mal kon frontiert mit dieser undurchdringlichen Mauer des wohlmeinenden Paternalismus. Ich will nicht behaupten, dass meine Eltern, meine Angehörigen und Freunde nicht fühlen, was sie sagen. Was ich sagen will, ist: Sie haben kein Recht, ihre Wünsche, ihren eigenen Willen über meinen zu stellen. Seit 1990 suchte ich Unterstützung für eine diskrete Euthanasie. Doch angesichts der Sachlage kam stets der Paternalismus hoch. Und dann hieß es nicht mehr »Das kann ich nicht« oder »Das kannst du nicht von mir verlangen«, sondern »Ich will das nicht«, »Ich verbiete das«. Also wandte ich mich an die Richter, und es folgten Antworten wie »Da bin ich nicht zuständig«, oder formale Mängel. Zum Schluss die Beschimpfung von den fundamentalistischen Dogmatikern, die blindlings an die reinigende Kraft des Leidens glauben. »Feigling! Wenn du sterben willst, dann stirb. Aber lass uns in Frieden und lästere nicht Gott!« Offenbar dämmert ihnen nie, dass sie selbst das Scheitern der Vernunft repräsentierten, und nicht ich. Im April 1993 entschloss ich mich, die Euthanasie als persönliches Recht einzu fordern. Nie hätte ich solche panische Angst und heimlichen Aberglauben vermutet. Es schien, als hätten sich alle Toren der Welt zusammengetan, um mich von dieser Richtung abzubringen. Nach ihnen war ich auf dem falschen Weg. Kein anderes Interesse leitete mich, als aufzuzeigen, dass die Intoleranz des Staates und der Re
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ligion etwas wie eine fixe Idee sind. Sie sind die natürlichen Feinde des Lebens und verantwortlich für die Zerstörung des Menschen als Individuum. M 2 Ramón Sampedro: Ein Freund3
Ein Freund, der wie ich denselben Pulsschlag fühle; ein Freund dessen Herz meines sei und meines seins; ein Freund, dessen Schmerz mein Schmerz sei; ein Freund, um dem unendlichen Schmerz ein Ende zu setzen; ein Freund, der mir seine Hand für meinen Selbstmord leihe; ein Freund, der nicht an Götter glaube, sondern an den Freund; ein Freund, der uns, vom Tode getroffen, den Gnadenstoß versetze. Es gibt diese Liebe, aber sie ist untersagt. M 3 Das Meer in mir – Filmdialog zwischen Ramón und Rosa4
Rosa: Ich hab’ dich im Fernsehen gesehen, neulich. Ramón: Siehst du, da kommen wir der Sache schon näher. Rosa: Welcher denn? Ramón: Na ja, warum du hier bist. Rosa: Hab’ gehört, was du da gesagt hast. Dann habe ich fast nur noch in deine Augen geguckt, die wunderschön sind. Ramón: Danke. Rosa: … und hab’ mir gedacht: Diese Augen sind so voller Leben. Wie kann je mand mit solchen Augen sterben wollen. Sieh mal, wir haben alle Probleme hin und wieder. Aber vor ihnen weglaufen, das bringt nichts. Ramón: Nein, ich renn nicht weg vor meinen Problemen. Im Gegenteil. Rosa: Doch, das tust du. Und deswegen bin ich hier. Ramón: Ja, und jetzt? Rosa: Ich möchte dir wieder Freude am Leben geben. Und dir sagen, dass das Leben …
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4
Sampedro, Ramón: »Briefe aus der Hölle«, in: Kersten, Catrin: Orte der Freundschaft. Niklas Luhmann und ›Das Meer in mir‹, a. a. O., S. 100. DVD: Das Meer in mir, Universum Film GmbH 2006, Zeit: 0:18:18 – 0:19:51.
Freundschaft bis zum Tod – Das Meer in mir
113
Ramón: … dass das Leben was? Rosa: … dass es sich immer lohnt, hm? Ramón: Jetzt warte mal. Bist du hier, um mich zu besuchen oder mich zu bekehren? Rosa: Nein, nur weil ich dir eine Freundin sein möchte, Ramón. Ramón: In dem Fall wäre es gut, Rosa, du akzeptierst erst mal meinen Wunsch. Rosa: Wie kann man nur so verstockt sein? Ramón: Vorsicht. Maß dir kein Urteil an, kein Urteil über mich in meinem Haus, oder soll ich das auch mal mit dir machen? Soll ich mal über dich urteilen? Sollen wir mal darüber reden, warum du eigentlich hergekommen bist? Reden wir doch mal darüber, dass du offensichtlich eine Frau bist, die frustriert ist, dass du heute Morgen mit dem Wunsch aufgewacht bist, für dich selbst einen Sinn im Leben zu finden. [Rosa läuft weinend weg.] Ramón: Nur zu, lauf weg! Du kannst es! M 4 Das Meer in mir – Dogma oder Selbstbestimmung5
Bei aller berechtigten Kritik an den verbindlichen moralischen Instanzen hat der Film es nicht nötig, deren Vertreter persönlich zu diffamieren und sie als schlicht gestrickte Feindbilder zu erhöhen. Auch sie bekommen ihre Redezeit in diesem Diskurs. Vorgeführt wird dabei jedoch ihre Ignoranz gegenüber Ramóns Forderung. Das vorherrschende Verständnis vom Leben als einer gottgegebenen Pflichtaufgabe ist in diesem Fall der spirituelle Leitfaden ihres Denkens und Handelns. Diesem Dogma fühlen sie sich verpflichtet, Ramóns individueller Anspruch, sein Lebensende selbst bestimmen zu dürfen, findet darin keinen Platz. Mit seinem Ansinnen wirkt er wie ein Fremdkörper innerhalb eines in sich geschlossenen Systems, dem er zugleich ausgeliefert ist. Wie ein Fisch auf dem Trockenen windet er sich, will seinem Schicksal trotzen, das ihn vom Meer an den feindlichen Strand gespült hat. Der Reichtum seiner individuellen Vorstellungskraft und die Liebe seiner Freunde und Angehörigen sorgen jenseits des schwer erträglichen Alltags für eine Reihe schöner Momente und lindern den tieferliegenden Schmerz. Mehr aber auch nicht. Aller Ernsthaftigkeit der verhandelten Inhalte zum Trotz durchzieht den Film eine Leichtigkeit, die sowohl Ramóns trockenem Humor als auch häufiger Situations komik geschuldet ist. Die Figuren werden nie bloßgestellt. Der Blick auf die sozialen Härten und Konflikte im Hause Sampedro offenbart ein zutiefst menschliches Verständnis für die einzelnen Charaktere und ihre Bedürfnisse. Dieser im häuslichen Miteinander auf das Individuum gerichtete Fokus kontrastiert die doktrinäre Per spektive der staatstragenden Institutionen und lässt diese umso deutlicher hervortreten.
5
http://www.wortgestoeber.de/wg-besprochen/000408.php (Stand:01.03.2009).
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Anita Rösch
M 5 Das Meer in mir – Desinformation und Propaganda
pro Euthanasie6
Die Deutsche Hospiz Stiftung kritisiert den Film »Mar adentro« als unrealistische Propaganda pro Euthanasie. In dem Film geht es um einen lebenslustigen, vom Kopf ab querschnittsgelähmten Menschen. Er verlangt nach einem Giftbecher, den er zum Schluss auch trinkt und daran qualvoll stirbt. Der Film ist dramatisch, ist mitreißend, ist anrührend – so steht es in den Rezensionen. Doch die filmische Darstellung des Sterbens geht an der Realität vorbei. »Wer so gut versorgt wird, wie der Seemann Ramón in dem Film, will nicht sterben. Euthanasie fordern Menschen ein, die keine professionelle umfassende Begleitung bekommen«, sagt Eugen Brysch, Geschäftsführender Vorstand der Deutschen Hospiz Stiftung. Das bestätigen zahlreiche Studien. Sterben wollen Schwerstkranke, wenn sie das Gefühl haben, anderen zur Last zu fallen. Das hat dann nichts mehr mit Selbstbestimmung zu tun, sondern ist Fremdbestimmung. »Wer professionelle, ganzheitliche Begleitung und Schmerztherapie erhält, will nicht euthanasiert werden«, sagte Eugen Brysch. Palliative-Care dämmt den Willen nach aktiver Sterbehilfe ein. Quelle: Rösch, Anita: »Freundschaft bis zum Tode. ›Das Meer in mir‹ – ab Klasse 9«, in: Ethik & Unterricht 20, 2009, Heft 3: Film, S. 21–23.
6
http://www.hospize.de/servicepresse/2004/mitteilung66.html (Stand:01.03.2009).
Die Stadt der Blinden
*
Eine Parabel über den Verlust der Sehkraft Stefan Maeger
F
ernando Meirelles ist durch sozial und politisch engagierte Filme wie City of God und Der ewige Gärtner bekannt geworden. Mit seiner recht werkgetreuen Verfilmung des 1995 erschienenen Romans Ensaio sobre a Cegueira (deutscher Titel: Die Stadt der Blinden) von José Saramago1 folgt 2008 ein weiterer Film, der das Verhalten und die Entwicklung Einzelner unter den Bedingungen eines Ausnahmezustandes beobachtet und untersucht. Der Haupterzählstrang des Buches ist auch im Film eingehalten: Ein Verkehrsteilnehmer erblindet schlagartig, alle, die mit ihm in Kontakt treten, scheinen sich zu infizieren und erblinden mit geringer zeitlicher Verzögerung. Die Regierung beschließt, als sich diese Tatsache durch zunehmende Erkrankungen bestätigt, die Infizierten im verlassenen und vom Militär abgeriegelten Terrain einer Nervenheilanstalt zu internieren. Unter dem Druck der Verteilung begrenzter Ressourcen und der Verschärfung der Notsituation durch eine Gruppe machthungriger Blinder eskaliert die Situation und trägt zunehmend die Merkmale eines hobbesschen Naturzustandes. Hinzu tritt als Katalysator die Gyges-Situation2: Die Gewissheit des Nicht-Gesehenwerdens verändert die Moral und beschleunigt den Verfall, den Rückfall in den Naturzustand. Schließlich finden sich nach einem infernalischen Gewaltausbruch die Überlebenden zu ihrer Überraschung unbewacht:
*
1
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Die Stadt der Blinden (O: Blindness, BRA/CAN/JP 2008); Regie: Fernando Meirelles; Dauer: 121 Min.; Altersfreigabe: FSK 12. Vgl. zu Hintergründen des Romans, Möglichkeiten philosophischer Interpretation und Nutzungsmöglichkeiten im Unterricht der Philosophie/Praktischen Philosophie und Ethik den Artikel Maeger, Stefan: »Verblendung – José Saramago: Die Stadt der Blinden«, in: Ethik & Unterricht 19, 2008, Heft 1: Leselust, S. 42–46; und Maeger, Stefan: »Ergänzungen zum Beitrag ›Verblendung – José Saramago: Die Stadt der Blinden‹«, in: Ethik & Unterricht 19, 2008, Heft 2: Menschenrechte konkret, S. 57. Platon erzählt im zweiten Buch seiner Politeia (359b–360d) von der moralischen und sozialen Entwicklung des lydischen Hirten Gyges, der einen Zauberring findet, der ihn für andere unsichtbar macht.
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Stefan Maeger
Die Erblindungswelle war durch die radikale Quarantänepolitik nicht aufzuhalten. Die Welt außerhalb der Absperrung ist unbemerkt von den Insassen vollständig erblindet. Gegen Ende des Films kehren sich die Vorzeichen um: Ebenso unerklärlich wie die Erblindung kehrt bei den Ersten das Augenlicht wieder zurück.
Zwei Charaktere und eine mögliche Interpretationsfolie Zwei Charaktere sind unter den Bedingungen des Ausnahmezustandes der kollektiven Blindheit besonders hervorzuheben: Die Frau des Augenarztes, der nach Behandlung des ersten Erblindeten selbst erkrankt, und die Figur des Geburtsblinden, der unter frisch Infizierten eine privilegierte Position erhält. Die Frau des Arztes ist nicht erblindet – oder exakter gesagt: geblendet, denn die Erblindung wird als »weiße Blindheit« beschrieben, wie der Effekt, der eintritt, wenn man aus einer Dunkelheit plötzlich ins Licht tritt –, sie bleibt aus weder von Roman noch Film geklärter Ursache als Einzige verschont. Weil sie ihren Mann nicht verlassen möchte, aber nur Infizierte interniert werden, verhüllt sie ihre Sehfähigkeit, sie tut so, als ob sie nicht sehen könnte, dissimuliert, verkörpert so einen Sokratestypus, der ja durch seine Ironie (griechisch: eironeia/lateinisch: dissimulatio) weismachte, er wisse nicht – hier: sehe nicht. Folgt man dieser vorgeschlagenen Interpretationsspur, so scheint der Film zudem auf jene Situation des Höhlengleichnisses aus Platons Politeia anzuspielen, in der ein (Sokrates nachempfundener3) befreiter Höhlengefangener sich wieder in die Höhlenwelt zurückbegibt, um unter Lebensgefahr die anderen zu überzeugen, dass sie der Wirklichkeit außerhalb ihrer Höhle gegenüber »blind« sind. Nehmen wir dann an, dieser »Sokrates« führe eine Gruppe aus der Höhle, dann wäre die Phase der Blendung durch das grelle Außenlicht jene, die der Film thematisiert, jene nämlich, in der der in Vorurteilen und bequemen Meinungen Verstrickte durch Sokrates’ dialektisches Verfahren in die schmerzhafte Orientierungslosigkeit der Aporie gerät und nichts mehr erkennt. Die Arztfrau als weibliche Sokratesfigur erlebt das ausbuchstabierte Szenario der Schwierigkeiten und Gefahren, die diese Phase kollektiver Blendung heraufbeschwören kann. Liest man Saramagos »Stadt der Blinden« vor dieser Folie, dann liegt nahe, dass das Sehen vor der Blendung und das wiedererlangte Sehen nach ihr nur dem Namen nach dasselbe ist: In Wirklichkeit ist eine neue Form des Sehens, eine andere Stufe der Erkenntnis erreicht. Saramago – und hier folgt ihm Meirelles – kommen allerdings nicht explizit platonisch daher, indem sie dem geheilten Sehen eine höhere Erkenntnisstufe zusprechen. Sie begnügen sich mit der Schilderung eines enttäuschten, um existenzielle Erfahrungen reicheren Sehens.
3
Der Philosophenmärtyrer des Platonischen Höhlengleichnisses, der zum Wohl der Gemeinschaft in die Höhle zurückkehrt, um die anderen Gefangenen aus ihrem Unwissen in die Freiheit zu führen, und sich so in Lebensgefahr begibt, spiegelt das historische Schicksal des Sokrates wider. Er wurde von der Gemeinschaft, zu der er sich bekannte und die er durch Philosophie zur epistemischen und ethischen Hinterfragung und Begründung antreiben wollte, zum Tode verurteilt.
Die Stadt der Blinden
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Der Geburtsblinde tritt als (ephemerer) Superheld erst spät in die Welt der desorientierten Geblendeten ein. In der Welt des Sehverlustes ist er einer, der sich wie blind durch den Raum bewegen kann, ohne anzustoßen, der sich über die außer ordentliche Geschärftheit seiner anderen Sinne allen anderen überlegen zeigt. Er wird die Geheimwaffe der nach Macht strebenden Unterdrücker, die ihn wohl nur zu diesem Zweck in die Anstalt mit eingeschmuggelt haben. Denn ihm fehlt die moralische Integrität der Arztfrau und der Wille, dem Wohl der Gemeinschaft zu dienen. Er ist die Gegenfigur zu ihr, der Sophist, der Virtuose in der Welt der Schatten, der nun sein auf diese bezogenes, unerschüttertes Wissen ausnutzt, die verunsicherten Geblendeten zu übertölpeln. In Platons Höhlengleichnis wäre er der, der gegenüber den Geblendeten die verlorene Sicherheit der Schattenwelt repräsentiert. Als vorübergehend Geblendete sehen sie ja weder rückblickend die Schatten der Höhlenwelt in ungetrübter Schärfe, noch vor sich die lichtdurchtränkte Wirklichkeit außerhalb der Höhle.
Filmische Mittel der Visualisierung von Blindheit Meirelles wendet sich in seinem Film der Aufgabe der Visualisierung des existenziell bedrohlichen Zustands des Verlusts der Sehkraft zu. Gegenüber den von Saramago genutzten Ausdrucks- und Darstellungsmitteln des Romans erreicht Meirelles eine die spezifischen Gestaltungsmittel des Filmes experimentell nutzende Eigenständigkeit. Ihm gelingt es, den Betrachter in jenen Zustand der Verunsicherung, Verlorenheit und Desorientierung einzubeziehen, unter dem seine Protagonisten leiden. Exemplarisch kann hier die Szene der Ankunft in der ehemaligen Nervenheilanstalt dienen: Durch starke High-Key-Effekte überstrahlt und im Gegenlicht – wie bei einem plötzlichen Blick aus dem Dunkel in aufgeblendete Scheinwerfer – kommen die Personen auf die Betrachter zu, vorwärtstastend aus dem Nichts der Überblendung. Raumirritationen durch unübersichtliche Verstellungen des Blicks durch Glasscheiben, Spiegelungen, Unschärfen bei subjektiver Kamera, Stimmen aus einer raumlogisch falschen Richtung, Überblendungen von Szenen anstatt klarer Schnitte, oft mitten im körperlichen Bewegungsablauf von Protagonisten, lassen die Verunsicherung körperlich erleben. Es gibt schließlich eine Szene, die Meirelles’ experimentellen Umgang mit filmischen Mitteln zur Visualisierung von Sehver lusterfahrung besonders gut verdeutlicht: Ein Junge tastet sich in einem blendend überstrahlten Innenraum unsicher vorwärts und stößt doch an die Kante eines Tisches, der in genau diesem Moment des schmerzhaften Stoßes erst aus dem Nichts auftauchend im Bildraum erscheint. Der Zuschauer merkt eher unterschwellig, dass dieser Tisch eben noch nicht zu sehen war. Ähnlich tauchen Personen aus dem Nichts auf und verschwinden. Damit (ver)führt der Film – unabhängig von möglichen übertragenen Bedeutungsebenen – zu einer intensiven körperlichen Auseinandersetzung mit fremden Sinneszuständen, andersartigen Wahrnehmungen, aber auch zu Fragen der Wahrnehmungserkenntnis und Toleranz gegenüber andersartigen Wirklichkeitskonstrukten.
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Stefan Maeger
Unterrichtliche Hinweise Eine unterrichtliche Behandlung des Films, die das Phänomen Blendung/Blindheit thematisieren möchte, sollte der Wirkung dieser visuellen Gestaltungsmittel besondere Aufmerksamkeit schenken. Zur eigenkörperlichen Erfahrung können außerdem Gruppenspiele vom Typus »Blinde Kuh« oder Exkursionen zu blinden geführten Parcours beitragen. Eine attraktive Möglichkeit des Einstiegs in den Film und seine Thematik eröffnet die vergleichende Betrachtung der unterschiedlichen Filmplakate und Buchcover (M1): Eine intensivere Auseinandersetzung mit diesen Darstellungen zeigt, dass Blindheit/Blendung unter jeweils unterschiedlichen Aspekten thematisiert werden. Günstig ist die Einzelerschließung in Partner- oder Kleingruppenarbeiten, deren Ergebnisse dann im Plenum vorgestellt werden, um die jeweiligen Darstellungs aspekte zu präzisieren und abzuheben. Neben Behandlungsmöglichkeiten der erkenntnistheoretischen, ethischen und gesellschaftskritischen Aspekte des Films eignet sich der Film also auch zur gemeinsamen Reflexion filmbildnerischer Mittel und zur Untersuchung der Frage, wie Filme ihre Wirkung auf ihre Betrachter entwickeln.
M 1 Filmplakate und Buchcover
Der Film Die Stadt der Blinden ist 2008 in unterschiedlichen Ländern gleichzeitig angelaufen. Ähnlich der Gestaltung des Covers des zugrunde liegenden Romans von José Saramago war auch die der Filmplakate sehr unterschiedlich.
Betrachtet die Filmplakate und Buchcover zu Die Stadt der Blinden und beantwortet dazu folgende Fragen: Wie wird Blindheit thematisiert? Welche Aspekte von Blindheit werden besonders betont? Welche Erwartungen an den Film erzeugen sie? Präsentiert eure Ergebnisse in einem Kurzvortrag im Plenum und vergleicht die unterschiedlichen Zugänge.
Stellt dar, was Erblindung als Erfahrung bedeuten könnte und wie sich der Alltag dadurch verändern würde.
Erklärt, worin sich Erblinden und Blendung unterscheiden. Quelle: Maeger, Stefan: »Eine Parabel über den Verlust der Sehkraft. ›Die Stadt der Blinden‹ – ab Stufe 10«, in: Ethik & Unterricht 20, 2009, Heft 3: Film, S. 36 f. (vom Autor für diesen Band überarbeitet).
Buch:
Film:
Die Stadt der Blinden
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Philosophieren am Beispiel des * Animationsfilms Wenn das Leben geht Regina Uhtes
D
ie Philosophiedidaktik hat seit einiger Zeit den Film für sich entdeckt, was sich an der zunehmenden Zahl von Veröffentlichungen ablesen lässt. In den vergangenen Jahren dominierten zunächst einzelne Unterrichtsmodelle mit Beispielen, welche Filme im Unterricht eingesetzt werden können bzw. wie die konkrete Arbeit mit bestimmten Filmen ausgestaltet werden sollte. Mittlerweile finden sich verstärkt didaktische Überlegungen zum Einsatz von Filmen im Philosophieunterricht. Als Vorreiter sind in diesem Zusammenhang besonders Jörg Peters, Martina Peters und Bernd Rolf1 zu nennen. Problematisch bleibt mitunter jedoch die Frage, wie ich prinzipiell entscheiden und didaktisch sinnvoll begründen kann, warum und wie ich einen Film einsetze – über die thematische Passung zum Unterrichtsgegenstand hinaus.
Warum setze ich Filme ein? Filme werden im Unterricht als sogenannte »Sekundärmedien« 2 gezeigt, um zu motivieren, illustrieren und um einen Transfer zu ermöglichen. 3 Sicherlich sind dies wichtige Funktionen, doch kann es nicht Ziel sein, Filme als bloße »Beigabe« zu nutzen, um ein philosophisches Problem zu veranschaulichen. Filme bieten einen eigenständigen Zugang zu philosophischen Themen und haben über die von Rehfus und den Richtlinien genannten Funktionen hinaus einen didaktischen Nutzen. Dies ist vor allem im Hinblick auf die Problemerarbeitung, ausgehend von einem konkreten Fall, von Bedeutung. 4
*
1
2
3 4
Wenn das Leben geht. Zeichentrickfilm. Buch und Regie: Killerich, Karsten, Produktion A-Film ApS für The Danish Film Institute, Dänemark 2000. Im Vertrieb des FWU Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht (FWU-Bestellnummer: 4202521) erhältlich. Siehe http://www.fwu. de/db-bm/record.phtml?idnr=FWU-04202521&config=fwu (Stand: 28.4.2019). Vgl. Peters, Jörg; Peters, Martina; Rolf, Bernd: Philosophie im Film, C.C. Buchner Verlag, Bamberg 2006; vgl. auch Peters, Jörg; Rolf, Bernd: »Filme im Philosophieunterricht«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 25, 2003, Heft 2: Bilddidaktik, S. 157–164; vgl. die Ausgabe Ethik & Unterricht 20, 2009, Heft 3: Film. Rehfus, Wulff D.: Didaktik der Philosophie. Grundlage und Praxis, Pädagogischer Verlag Schwann, Düsseldorf 1980, S. 190. Vgl. ebd., S. 190–200. Vgl. in diesem Zusammenhang Draken, Klaus: »Der Film – philosophiedidaktisch gesehen. Ein
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Regina Uhtes
Wenn es gelingt, das philosophische Potential von Filmen in pädagogischen Zusammenhängen zu nutzen, eröffnet sich die Möglichkeit, die Schülerinnen und Schüler, ausgehend von ihrem eigenen Erfahrungsstand, der durchaus bildlich, ja »cineastisch« geprägt ist, mit philosophischen Problemen vertraut zu machen. Eine besondere Chance, Filme in philosophischen Zusammenhängen zu nutzen, liegt vor allem darin, dass sie bei Schülerinnen und Schülern zum Staunen – bekanntlich der Anfang aller Philosophie – führen können. Vermittels des Films begegnen wir (Lebens-)Wirklichkeiten, die uns auf authentische oder völlig fiktive und fremd artige Weise mit unterschiedlichen Sichten auf die Welt konfrontieren; Sichten, denen wir bisweilen affirmativ zustimmen, aber auch im Widerspruch mit Staunen begegnen können. Filme können, so James Monaco, »unseren Eindruck von der Realität sowohl ›bestätigen‹ als auch ›entlarven‹« 5 , und gerade in der Begegnung mit Alterität, die sich im Film darbietet, kann sich der Zuschauende absetzen, um die eigene Identität zu definieren. Das Kino eröffnet somit Erfahrungen, die dem Rezipienten sonst fremd geblieben wären. Filme bilden nicht nur einfach Wirklichkeit ab. Sie zeigen uns künstlerisch bewusst gestaltete, vermittelte Wirklichkeit aus verschiedenen Perspektiven. Ein Unterricht, der Kino auch als eigenständige Kunst versteht, einem Bereich, in dem das Schaffen und Erleben von Kunstwerken stattfindet, nutzt den Film, um von ihm ausgehend über die Welt, unsere Weltsicht und über uns sprechen zu können. In gewisser Weise wird der Film zu einem Instrument unseres Philosophierens, unseres philosophischen Umgangs mit uns und der Welt, und zu einem Teil des kontinuierlichen Diskurses über letzte Fragen.6 Mit Blick auf diese Überlegungen lassen sich einige Folgerungen für den Philosophieunterricht ableiten, der mit Filmen arbeiten möchte: Leitendes Ziel muss es sein, vermittels des Films zu philosophischem Denken hinzuführen. Filme dürfen also nicht Selbstzweck sein, sondern sie müssen als Möglichkeit verstanden werden, Selbstdenken bei Schülerinnen und Schülern zu initiieren. Dabei sollte ihre wichtige Rolle als »schöpferischer Rezipient« im Blick behalten werden. Wenn die Schülerinnen und Schüler nämlich beim Nachdenken über die durch den Film angesprochenen philosophischen Probleme begleitet werden, bietet sich die echte Lernchance, dass sie einerseits ihre eigene Bedeutung im Hinblick auf Weltkonstitution und andererseits die Bedeutung der Philosophie für ihr eigenes Welt- und Selbstverständnis erkennen.
5
6
Bericht«, in: Information Philosophie 33, 2005, Heft 4, S. 64–66; vgl. Draken, Klaus: »Der Spielfilm ›Sleepers‹ im Philosophieunterricht. Zur didaktischen Begründbarkeit eines Spielfilmeinsatzes in der 12«, in: Ethik & Unterricht 15, 2004, Heft 1: Populäre Medien, S. 43–46. Monaco, James: Film verstehen. Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films und der Medien, rororo-Handbuch 6271, Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg 2006, S. 427. Vgl. Spaemann, Robert: Philosophische Essays. Erweiterte Ausgabe, UB 7961, Philipp Reclam jun., Stuttgart 1994, S. 106.
Philosophieren am Beispiel des Animationsfilms Wenn das Leben geht
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Wie philosophiere ich mit Filmen? Mein Konzept für den Einsatz von Filmen beruht auf dem so genannten »Fünf-Finger-Modell« von Ekkehard Martens.7 Laut Martens lässt sich das Philosophieren im Wesentlichen durch fünf Verfahren bestimmen: durch das Beschreiben von Phänomenen, Auslegen und Deuten von Lehrmeinungen, Analysieren von Begriffen, Abwägen gegensätzlicher Positionen und Spekulieren neuer Ideen. Im Sinne des »integrativen Methodenparadigmas« 8 ist es wichtig, die unterschiedlichen Methoden nicht isoliert, sondern akzentuiert anzuwenden: mal dominiert das eher konkrete, phänomenorientierte Philosophieren, mal steht eher die analytische Methode im Vordergrund. Dies impliziert, dass die verschiedenen Methoden nicht nebeneinander stehen, sondern dass sie von vornherein miteinander vernetzt sind. Jede der Methoden enthält spezifische Teilmomente, sie ergänzen und stützen sich aber gegenseitig, so dass keinesfalls von einer zwingenden linearen Stufenfolge zu sprechen ist. Die Reihenfolge der Methoden ist vielmehr variabel, ergänzungsfähig und ihr Ende ist offen. In Anlehnung an Brigitte Wiesens9 Überlegungen zur Arbeit mit Bildern lassen sich einige Grundelemente der philosophischen Reflexion mit Filmen herausstellen.10 Hervorzuheben ist, dass die Reihenfolge der fünf methodischen Elemente bei der Arbeit im Unterricht nicht starr vorgegeben ist, sie ergibt sich in der Auseinandersetzung der Schülerinnen und Schüler mit dem Film. Gegebenenfalls kann auch eine Methode weggelassen werden. Das Schema bietet die Möglichkeit, unterschiedliche Schwerpunkte im Unterricht zu setzen, die an bestimmten »Sollbruchstellen« ineinander übergeleitet werden können, sei es in der Einzelstunde, in der die methodischen Zugänge zum philosophischen Problem variieren, sei es im Verlauf der Unterrichtssequenz, in der der Film und die in ihm aufgeworfenen Fragen bzw. philosophischen Probleme in unterschiedlichen »Angängen« behandelt werden. Wichtig ist jedoch, dass es sich bei diesem Vorgehen um einen mehr oder weniger unabschließbaren Prozess handelt, da das philosophische Denken nie zu einem Ende im Sinne einer letzten Wissensbasis gelangen wird. Vielmehr zeigt sich hier die prinzipielle Art und Weise des Philosophierens, die in einem stetigen Weiterfragen besteht.
7
8 9
10
Martens, Ekkehard: Methodik des Ethik- und Philosophieunterrichts. Philosophieren als elementare Kulturtechnik, Siebert Verlag, Hannover 2003, S. 56. Ebd., S. 59. Wiesen, Brigitte: »Mit Bildern philosophieren – aber wie?«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 25, 2003, Heft 2: Bilddidaktik, S. 130–137; vgl. Wiesen, Brigitte: »Bilder zeigen den ganzen Menschen«, in: Brüning, Barbara; Martens, Ekkehard (Hrsg.): Anschaulich philosophieren. Mit Märchen, Fabeln, Bildern und Filmen, Philosophie und Ethik unterrichten, Bd. 5, Beltz Verlag, Weinheim/Basel 2007, S. 90–108. Vgl. die tabellarische Übersicht auf der folgenden Seite.
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Regina Uhtes
Mit Filmen philosophieren Methodischer Zugang
Mögliche Fragen
Erläuterung des methodischen Zugangs
1
Phänomenologische Methode
· Was sehe ich im Film? · Was erfahre ich? · …
· erster Gesamteindruck · Äußerung erster Emotionen, die der Film ausgelöst hat · Phänomene differenziert und umfassend beschreiben, was ich selbst wahrnehme und beobachte
2
Analytische Methode
· Welche Aussagen vermittelt mir der Film? · Wie stehen die Figuren zum Problem? · …
· die verwendeten zentralen Begriffe und Argumente hervorheben und prüfen · Erschließung der inhaltlichen Struktur des Films · Zergliederung in elementare Bestandteile · Untersuchung der Darstellungsmittel · begrifflich-argumentative Analyse der zentralen Aussagen
3
Hermeneu tische Methode
· Was will mir der Film sagen? · Wie kann man das Verhalten der Figuren interpretieren? · Welche Sichtweise auf das Problem stellt der Film dar? · Gibt es Positionen und/oder Lehrmeinungen, die die Aussage des Films stützen? · …
· das eigene Vorverständnis bewusst machen · philosophische Texte hinzuziehen · Deutung des Sinngehaltes des Films · Interpretation der Phänomene durch Berücksichtigung früherer Lehrmeinungen · Prüfung, inwieweit die Deutungshypothese gestützt oder widerlegt wird · Zusammenhänge des Films verstehen
4
Dialektische Methode
· In welchem Dialogprozess trete ich zu dem Film? · Kritische Stellungnahme zur Aussage einzelner Figuren, zum Gesamtfilm · Welche anderen Positionen gibt es zum angesprochenen Problem? · …
· auf Dilemmata oder Alternativen zuspitzen und gegeneinander abwägen · kritische Auseinandersetzung mit der Aussage, mit Fragen des Films · kritische Auseinandersetzung mit Lehrmeinungen der Ideengeschichte · kritische Prüfung möglicher Filminterpretationen
5
Intuitivkreative Methode
· Welche Position beziehe ich zum dargestellten philosophischen Problem? · Was wäre, wenn …? · …
· Phantasie, Einfälle zulassen und besprechen · Gewinnung einer eigenen Position auf der Grundlage der Lehrmeinungen · den angestoßenen Gedankengang selbst zu Ende denken
Philosophieren am Beispiel des Animationsfilms Wenn das Leben geht
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Wenn das Leben geht – Ein Beispiel für die Realisierung des Konzepts im Unterricht Didaktische Einbettung und thematischer Bezug In dem etwa zehnminütigen Film werden in insgesamt 22 Sequenzen Erfahrungen von Kindern mit Krankheit und Sterben sowie Vorstellungen von dem, was nach dem Tod sein wird, von Gott, Wiedergeburt und Seele in animierten Strichzeichnungen in Szene gesetzt und von unterschiedlichen Kinderstimmen kommentiert. Der Film bietet die Möglichkeit, sich von der eigenen Betroffenheit zu distanzieren, aber auch eigene Vorstellungen zum Tod in den Kinderaussagen wiederzuentdecken. Er eignet sich als Einstiegsimpuls in eine Unterrichtsreihe zum Thema Sterben und Tod für unterschiedliche Lerngruppen, von unteren Klassen der Sekundarstufe I bis hin zu Oberstufenkursen.
Einstieg in das Thema und Realisierung Zum Einstieg, der der Vorentlastung dient, indem erste Verstehenskategorien gebildet werden, mit denen die Schülerinnen und Schüler dem Thema nachfolgend begegnen, wird der Film präsentiert. Die Schülerinnen und Schüler erhalten im phänomenologischen Zugriff die Gelegenheit, ihre Eindrücke zum Film auf Karten zu notieren, z. B. zu Aussagen des Films, die sie besonders angesprochen haben oder die sie zum Widerspruch reizen – beispielsweise die zum Teil stark religiös motivierte Sequenz – bzw. Äußerungen, die an eigene Erfahrungen anknüpfen. Es empfiehlt sich je nach Gruppengröße jedem Schüler und jeder Schülerin nicht mehr als zwei Karten zu geben – zum einen aus arbeitsökonomischen Gründen, zum anderen müssen sie sich auf die für sie wesentlichen Aspekte fokussieren, wenn nur eine bestimmte Anzahl von Karten zur Verfügung steht. Die Auswertung der Karten erfolgt in einer analytischen Phase mit der so genannten Moderationsmethode, d. h., die Karten werden nach Themenbereichen systematisiert (z. B. Umgang mit dem Tod, Vorstellungen von dem, was nach dem Tod kommt) und an einer großen Pinwand in Kategorien aufgehängt; ggf. kann man die Karten mit wieder ablösbaren und wieder verwendbaren Klebepads an der Tafel befestigen. Je nach Größe der Lerngruppe empfiehlt es sich, das Vorgehen anzupassen. Bei größeren Gruppen sollte eine Vorsortierung in Kleingruppen durchgeführt werden. Dadurch wird die Fülle an Karten vorgefiltert und doppelte Äußerungen werden aussortiert. Die Kategorisierung dient dazu, gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern Leitfragen für die weitere Unterrichtsreihe zu gewinnen (z. B. Gibt es ein Leben nach dem Tod? Haben wir eine Seele? Welche Jenseitsvorstellungen und Bestattungsrituale gibt es in den Religionen?). Zudem kann man die kategorisierten und auf Karten gesicherten Wahrnehmungen der Schülerinnen und Schüler als Ausgangspunkt für die unterschiedlichen methodischen Zugänge zum Film nutzen. Hermeneutisch lässt sich – im Rückgriff auf die Kategorisierung – einholen, welche Sichtweisen auf das Thema »Sterben und
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Regina Uhtes
Tod« in den Kinderäußerungen angesprochen werden und wie die Schülerinnen und Schüler einzelne Stellen und den Gesamtfilm interpretieren. Ergänzt um die dialektische Auseinandersetzung wird deutlich, welche Aussagen des Films kritisch gesehen werden und ob es beispielsweise andere religiöse Positionen zu bestimmten Themenbereichen gibt, wie z. B. Wiedergeburt. Zudem sollte man in der vertiefenden Auseinandersetzung exemplarisch eine Äußerung des Films ansprechen, aus der sich erfahrungsgemäß eine kontroverse Diskussion entwickelt. So heißt es an einer Stelle im Film: »Eigentlich fürchte ich mich nicht vor dem Tod, wenn ich mir vorstelle, wie viele Jahre ich noch vor mir habe, dann mache ich mir jetzt darüber noch keine großen Gedanken.« Hier ist es sinnvoll, einen intuitiv-kreativen Arbeitsauftrag anzuschließen. Denkbar wäre es, dass die Schülerinnen und Schüler einen Tagebucheintrag verfassen, in dem sie Stellung zu der Aussage beziehen. Abschließend könnte erneut in einem analytischen Zugang die Animationstechnik und besondere Machart des Films untersucht werden. Die Zeichnungen ermöglichen es, Abstand zum emotionalen Sujet zu bekommen – das Unerklärbare wird anschaulich. Vermittels der gezeichneten Figuren erhalten die Schülerinnen und Schüler aber auch die Möglichkeit, ihre eigenen Vorstellungen, Gedanken und Gefühle zum Tod zu entwickeln und zu versprachlichen: Durch die einfachen Strichzeichnungen werden einerseits wesentliche Elemente fokussiert und deutlicher, andererseits entstehen Leerstellen, die interpretatorisch gefüllt werden können. Dies kann in der Anschlusskommunikation mit den Schülerinnen und Schülern thematisiert werden, wenn die Darstellungsweisen des Films differenziert beschrieben und in ihrer Wirkung auf den Zuschauer analysiert werden. Dazu bedarf es einer filmsprachlichen Fachsprache. Denn erst dann eröffnet sich die echte Lernchance, dass die Lernenden erkennen, dass die im Animationsfilm gezeigte Welt filmisch gestaltet ist, eine Konstruktion der Wirklichkeit geliefert und dass eine bestimmte Darstellungsintention (Was sind die Absichten des Filmemachers?) verfolgt wird.
Möglichkeiten der Weiterarbeit In der weiteren Unterrichtsreihe können, ausgehend von den Leitfragen für die Unterrichtsreihe, Szenenfotos als Einstieg in die weiteren Unterrichtssequenzen dienen (M2). Es bietet sich an, Trauerriten und Bestattungsformen als Ausdruck unseres Umgangs mit dem Tod in unserer Gesellschaft zu erarbeiten. Einführend lesen die Schülerinnen und Schüler Auszüge aus dem Buch Gestatten, Bestatter! Bei uns liegen Sie richtig von Peter Wilhelm.11 Der Autor berichtet ernsthaft, oft amüsant über seinen Alltag als Bestatter, der zwar täglich mit toten Menschen, vor allem aber mit den Hinterbliebenen zu tun hat. Ein Besuch bei einem Bestattungsunternehmen könnte im Anschluss einen Einblick in die tatsächliche Arbeit von Bestattern geben und zum Vergleich mit dem Gesehenen bzw. Gelesenem herausfordern.
11
Wilhelm, Peter: »Gestatten. Bestatter!« Bei uns liegen sie richtig, Knaur Taschenbuch, Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München 2009.
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Um den Unterrichtsgang vorzubereiten, sammeln die Schülerinnen und Schüler Informationen über das Bestattungsunternehmen, das besucht werden soll. Sie sollen sich überlegen, welche Bereiche des Unternehmens sie besonders interessieren, und Fragen notieren, die sie stellen möchten (z. B. Wie ist der praktische Ablauf, wenn ein Mensch stirbt? Wie wird der Leichnam auf die Bestattung vorbereitet? Wie können sich die Hinterbliebenen verabschieden? Welche Bestattungsarten werden angeboten?). Nach dem Besuch gilt es, die Eindrücke der Schülerinnen und Schüler zu sammeln und auszuwerten. Sie erhalten die Gelegenheit, sich darüber austauschen, wie sie den Besuch erlebt haben und wie die Atmosphäre des Bestattungsunternehmens auf sie gewirkt hat. Auch die Frage, ob und inwieweit sich ihre Einstellung zum Tod durch die Exkursion verändert hat, sollte thematisiert werden. Zum Abschluss nehmen die Schülerinnen und Schüler Stellung zu folgendem Zitat von Perikles: »Ein Volk wird danach beurteilt, wie es seine Toten bestattet.«. Zu klären ist dabei vor allem, was Perikles zum Ausdruck bringt, ob dieser Satz auch für einzelne Menschen gilt und inwiefern Bestattungsriten unsere Beziehung zum Tod widerspiegeln. Vertiefend werden im Unterricht Todesanzeigen analysiert. Eine Sammlung, z. T. mit skurrilen Texten, findet sich beispielsweise in dem Buch Aus die Maus. Ungewöhnliche Todesanzeigen.12 Die Schülerinnen und Schüler sollen ebenfalls Todesanzeigen mitbringen. Sie setzen sich zum einen mit unterschiedlichen Formen der Trauer auseinander, die sich in den öffentlichen Anzeigen ausdrückt, zum anderen werden oftmals die Ursachen oder näheren Umstände des Todes in den Anzeigen angesprochen. Die Schülerinnen und Schüler können dadurch erkennen, dass der Tod Menschen in unterschiedlichen Lebensstationen und -situationen ereilt. Je nachdem, ob ein junger oder alter Mensch stirbt, ob plötzlich und unerwartet oder nach langer Krankheit, ob sich jemand selbst das Leben nimmt, werden die Angehörigen von der Nachricht des Todes getroffen. Folgende Arbeitsanregungen strukturieren die Arbeit mit den Todesanzeigen:
Sammelt Todesanzeigen. Seid in der Lage, eure Auswahl zu begründen. Geht dabei auf den Text und die Gestaltung der Anzeige ein.
Stellt eure Anzeige in der Kleingruppe vor und begründet eure Auswahl. Überlegt, was ihr über den Verstorbenen/die Verstorbene erfahrt. Welches Bild habt ihr von ihm/ihr?
Was schließt ihr aus der Anzeige, wie die Angehörigen mit dem Tod umgehen? Im Transfer könnte das Gedicht Memento von Mascha Kaleko (M1) hinzugezogen werden. Besonders die letzten Zeilen des literarischen Textes verdeutlichen, wie schwer es für die Hinterbliebenen ist, loszulassen und mit dem Tod der geliebten
12
Nöllke, Matthias; Sprang, Christian: Aus die Maus. Ungewöhnliche Todesanzeigen, KiWi Taschenbuch, Köln 2009; vgl. auch Nöllke, Matthias; Sprang, Christian: Ich mach mich vom Acker. Allerneuste ungewöhnliche Todesanzeigen, KiWi Taschenbuch, Köln 2013.
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Regina Uhtes
Person umzugehen. Der Trauerprozess ist ein mitunter langwieriger Weg, auf dem sich Gefühle des Kummers, der Angst und des Zorns oder der Schuld verbinden. Es braucht viel Zeit, um sich auf ein neues Leben ohne den Verstorbenen einzustellen.13 Abschließend sollen sich die Schülerinnen und Schüler in einem intuitiv-kreativen Zugang mit dem Szenenbild »Denn da musste ich Abschied nehmen« (M2) auseinandersetzen und ihre unterrichtlichen Kenntnisse in einem Begleittext einbringen. Ein möglicher Arbeitsauftrag lautet: Erweitere die Problemstellung des Bildes durch mehrere Folgebilder und erläutere schriftlich, welche Botschaft du mit deinen Bildern transportieren möchtest. Je nach thematischer Schwerpunktsetzung wären in einer weiteren Sequenz philosophische Positionen aus der Ideengeschichte und die Perspektive der unterschiedlichen Religionen einzubeziehen. Als Einstieg dienen im hermeneutischen bzw. dialektischen Rückgriff die Szenenbilder des Trickfilms, die im Anhang zu finden sind (M2). Die Schülerinnen und Schüler erhalten die Gelegenheit, Aussagen des Films kritisch zu erörtern und mit Deutungsangeboten der Philosophie und der Religionen in Beziehung zu setzen. Somit würde die Filmarbeit ergänzt durch entsprechende philosophische Texte und durch die »Arbeit am Begriff« – dem »Kernstück« der philosophischen Unterrichtspraxis.14
M 1 Mascha Kaléko: Memento
Vor meinem eigenen Tod ist mir nicht bang, Nur vor dem Tod derer, die mir nahe sind. Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr sind? Allein im Nebel tast’ ich todentlang Und lass mich willig in das Dunkel treiben. Das Gehen schmerzt nicht halb soviel wie das Bleiben. Der weiß es wohl, dem Gleiches widerfuhr; – Und die es trugen, mögen mir vergeben. Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur, Doch mit dem Tod der andern muss man leben. Quelle: Kaléko, Mascha: Verse für Zeitgenossen, Verlag Eremiten-Presse, Düsseldorf 1978, S. 9
13
14
Vgl. auch die Phasen des Trauerns in Kast, Verena: Trauern. Phasen und Chancen des psychischen Prozesses, Kreuz Verlag, Stuttgart 1982. Zu erarbeiten wären beispielsweise Textausschnitte aus Epikurs Brief an Menoikus oder Passagen aus Platons Phaidon zur Unsterblichkeit der Seele. Vgl. auch entsprechende Textsammlungen in den Schulbüchern, wie z. B.: Aßmann, Lothar; Bergmann, Reiner; Henke, Roland W.; Schulze, Matthias; Sewing, Eva-Maria: Zugänge zur Philosophie. Einführungsphase, Cornelsen Verlag, Berlin 2010, S. 101–106; Peters, Jörg; Rolf, Bernd (Hrsg.): philo Einführungsphase, C. C. Buchner Verlag, Bamberg 2014, S. 166 f.; Rösch, Anita (Hrsg.): Leben leben, 3 Bde., Bd. 3., Klett Verlag, Stuttgart 2018, S. 195 f.; Althoff, Matthias; Franzen, Henning (Hrsg.): DenkArt Philosophie, Westermann Verlag, Braunschweig 2018, S. 141 f.
Philosophieren am Beispiel des Animationsfilms Wenn das Leben geht
M 2 Szenenbilder
»Die Menschen sterben alle irgendwann.«
»Ich glaube an ein Leben nach dem Tod – ganz fest.«
»Denn da musste ich Abschied nehmen.«
»Ich glaube nicht, dass es einen Gott gibt.«
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Regina Uhtes
»Also ich glaube, wenn man stirbt, kommt man wieder ins Leben z urück: als ein Mädchen, Junge, Spinne oder Maus oder sonst irgendwas.«
»Eigentlich fürchte ich mich nicht vor dem Tod, wenn ich mir vorstelle, wie viele Jahre ich noch vor mir habe, dann mache ich mir jetzt d arüber noch keine großen Gedanken.«
»Ich glaube, die liegen da und verfaulen, aber ihre Seele fliegt in den Himmel hinauf.«
»Der Teufel will den Menschen und Gott will den Menschen, aber am besten ist es, zu Gott zu kommen.«
Quelle: Uhtes, Regina: »›Wenn das Leben geht‹. Sterben, Tod und Trauer in einem Trickfilm«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 32, 2010, Heft 4: Tod, S. 256–262 (von der Autorin für diesen Band überarbeitet und mit Ergänzungen versehen).
Star Trek: The Next Generation – Was ist der Tod ? *
Bernd Rolf
D
ie Behandlung des Themas Tod und Sterblichkeit ist in allen Philosophie- und Ethiklehrplänen der Sekundarstufe I vorgesehen. In der Unterrichtspraxis ergibt sich oft die Schwierigkeit, Jugendlichen einen angemessenen Zugang zum Thema zu verschaffen, weil Sterben und Tod im Alltag in hohem Maße verdrängt werden. So rücken medial vermittelte Zugänge in den Blick, z. B. eine Hinführung über eine Folge der FernsehSerie Star Trek, deren Motivationskraft für Jugendliche hoch einzuschätzen ist. Star Trek ist der übergreifende Titel für ScienceFiction-Filme, zahlreiche Romane, Computerspiele und andere Werke. Sie basieren auf der 1966 von Gene Roddenberry geschaffenen Fernsehserie Raumschiff Enterprise. Es handelt sich um eines der populärsten Werke in der Geschichte der Science-FictionUnterhaltung. Über 700 Episoden sind bis 2011 für das Fernsehen produziert worden, außerdem 11 Kinofilme. In Deutschland strahlte das ZDF ab dem Jahr 1972 39 Episoden der Originalserie unter dem Namen Raumschiff Enterprise im Vorabendprogramm aus. In den 1980er Jahren nahm der Privatsender Sat.1 die Serie in sein Programm auf. Seit dem 18. Februar 2011 sendet ZDF neo alle Folgen von Raumschiff Enterprise in einer digital restaurierten und mit modernisierten visuellen Effekten versehenen Fassung (Star Trek Remastered). Derzeit (Ende 2011) ist die 3. Staffel aus den Jahren 1968/69 zu sehen. Star Trek beschreibt eine utopische Zukunft, in der die Menschheit enorme soziale und technische Fortschritte erzielt hat. Sie hat die meisten der heutigen Pro bleme – soziale Ungleichheit, Rassismus, Intoleranz, Armut und Krieg usw. – überwunden. Erzählt werden die Geschichten von Schiffsmannschaften und Mitreisenden auf Raumschiffen und -stationen einer Sternenflotte im Dienste der im Jahr 2161
*
Star Trek – Das nächste Jahrhundert (O: Star Trek – The Next Generation, USA 1987–1994); Regie: diverse; Episoden: 178, Dauer: je 45 Min.; Altersfreigabe: FSK 12. Hier: Staffel 2, Episode 2: Illusion oder Wirklichkeit (O: Where Silence Has Lease); Regie: Winrich Kolbe.
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Bernd Rolf
gegründeten Vereinigten Föderation der Planeten, zu der Menschen ebenso wie andere intelligente Spezies gehören. Ihr Ziel ist die friedliche Erforschung fremder Welten und Zivilisationen. Dabei wird sie oft vor Probleme gestellt und in Auseinandersetzungen verwickelt.
Philosophisches Potenzial – Der fremde Blick Die Science-Fiction-Serie birgt einiges an philosophischem Potential, das hauptsächlich durch das Phänomen des fremden Blicks auf den Menschen zustande kommt. Immer wieder wird aus der Perspektive von Nicht-Menschen auf die menschliche Lebensform gesehen und die Frage gestellt, was die Eigenart des Menschen ausmacht. Die Besatzung besteht nicht nur aus Erdenbewohnern, sondern z. T. auch aus Angehörigen anderer galaktischer Völker, z. B. dem Klingonen Worf und der Halb-Betazoidin Troi. Insbesondere die Tatsache, dass Data, der Zweite Offizier, ein Android – ein künstlicher Mensch – ist, gibt vielfach Anlass zu anthropologischen Fragestellungen. Die Frage nach der Eigenart des Menschen wird auch forciert durch immer neue Begegnungen mit intelligenten außerirdischen Wesen. In der hier besprochenen Folge Illusion oder Wirklichkeit muss sich die Besatzung des Raumschiffes mit einem außerirdischen Wesen namens Nagilum auseinandersetzen, das körperlos und daher nicht sterblich ist. Die philosophische Frage, auf die in dieser Folge fokussiert wird, ist die nach der Sterblichkeit. Nagilum möchte herausfinden, was der Tod ist, und Data, der Android, stellt diese Frage explizit an Captain Picard, als dieser im Begriff ist, die Selbstzerstörung des Raumschiffes herbeizuführen.
Inhalt der Episode Bei der Episode handelt es sich um Folge 2 der 2. Staffel von Star Trek – Das nächste Jahrhundert, der 2. Generation der Serie. Der englische Titel Where Silence Has Lease (dt. etwa: Wo die Stille zu Hause ist) ist dem Gedicht The Spell of the Yukon von Robert Service entnommen. Er bezieht sich auf die Rahmenhandlung, in der erzählt wird, wie das Raumschiff in ein schwarzes Loch im Weltraum gerät, in dem es zunächst keine Daten empfängt, in dem gleichsam absolute Stille herrscht. Für den philosophischen Kern der Episode ist die Rahmenhandlung nur insofern von Belang, als dass alle Versuche, aus diesem Loch auszubrechen, scheitern. Die Besatzung nimmt verschiedene Phänomene wahr, die sich jedoch alle als Trugbilder entlarven (darauf spielt der deutsche Titel Illusion oder Wirklichkeit an). Dr. Pulaski vermutet hinter diesen mysteriösen Gegebenheiten ein Katz-und-Maus-Spiel, in dem man die Besatzung zu testen versuche wie Ratten im Labor. In diesem Augenblick meldet sich auch der »Versuchsleiter«, ein Wesen namens Nagilum. Es zeigt seine Macht, indem es für kurze Zeit Pulaskis Körper übernimmt und über die Brücke steuert. Fähnrich Haskell bricht durch das Einwirken plötzlich krampfartig zu-
Star Trek: The Next Generation – Was ist der Tod ?
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sammen und stirbt. Die Erfahrung des menschlichen Todes fasziniert Nagilum nun derart, dass er beschließt, diesem Phänomen auf den Grund zu gehen. Zu diesem Zwecke kündigt er weitere Versuche an einem Drittel, wenn nicht gar der Hälfte der Besatzungsmitglieder an. Captain Picard will derartige Experimente an Menschen jedoch nicht zulassen und befiehlt daher die Selbstzerstörung des Raumschiffes innerhalb von 20 Minuten. In der verbleibenden Zeit versucht Counselor Troi, den Captain davon zu überzeugen, dass die Entscheidung falsch ist, und Data, der als Android keine Vorstellung vom Tod hat, bittet Picard, ihm dieses Phänomen zu erklären. Der Captain kommt der Bitte nach, merkt dann aber, dass er nicht den wirklichen Data vor sich hat, sondern nur ein Trugbild, das Nagilum ihm vorgaukelt, um durch ihn in Erfahrung zu bringen, was der Tod ist. Nachdem Nagilum gehört hat, was er wissen wollte, bricht er seine Versuche ab und lässt das Raumschiff frei.
Behandlung im Unterricht Im Hinblick auf eine Fokussierung auf die Frage nach dem Tod empfiehlt es sich, einen Filmausschnitt von etwa zehn Minuten1, beginnend mit Dr. Pulaskis Vergleich der Laborratten und dem Erscheinen Nagilums, anzusehen. Auf Details der Handlung bis dahin kann verzichtet werden. Um die folgenden Szenen einordnen zu können, genügt ein Hinweis auf von der Besatzung festgestellte Anomalitäten und mysteriöse Gegebenheiten im schwarzen Loch. Es empfiehlt sich, den Film in dem Augenblick anzuhalten, in dem Data an Picard die Frage richtet: »Was ist der Tod?« An dieser Stelle sollte zunächst die Situation erläutert werden, die zur Frage Datas führt, Nagilums Versuche zur Erforschung der menschlichen Lebensform und Picards Befehl zur Selbstzerstörung des Raumschiffes. Ferner gilt es, die Zuspitzung zu klären, dass Data, der Picard die Frage nach dem Tod stellt, ein Android ist, der keine Vorstellung von Sterblichkeit hat. Es bietet sich an, die Frage Datas an die Schülerinnen und Schüler weiterzugeben. Sie sollen sich in Picards Lage versetzen und versuchen, einem nicht-menschlichen Wesen zu erklären, was der Tod ist. Dies kann zunächst in einer Spontanphase geschehen. Die Antworten sollten sodann schriftlich fixiert und ausgewertet werden. Im nächsten Schritt sollten Schülerinnen und Schüler den Film weiter anschauen2 und sich mit Picards Antworten auf die Frage Datas auseinandersetzen. Picard stellt zunächst zwei unterschiedliche Ansichten des Todes einander gegenüber:
»Viele sehen darin die Umwandlung in einen ewig währenden Zustand, der sich niemals verändern wird. Sie glauben, dass das das Ziel des gesamten Universums ist. Sie glauben, dass wir uns dann in einem Garten Eden aufhalten werden, in dem immer Freude und Zufriedenheit herrschen. Andere sind wiederum fest davon
1
2
DVD: Star Trek – Next Generation, Staffel 2, Episode 2, Paramount Home Entertainment 2009, Zeit: 0:29:30 – 0:36:03. Ebd., Zeit: 0:36:04 – 0:38:16.
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Bernd Rolf
überzeugt, dass wir uns mit dem Tod ins Nichts verflüchtigen. Alle unsere Erfah rungen, Hoffnungen und Träume sind mit einem Schlag weg.« Daraufhin möchte Data wissen, was Picards eigene Auffassung ist. An dieser Stelle ergibt sich ein Übersetzungsproblem, das möglicherweise auf Schwierigkeiten der Synchronisation der deutschen Fassung des Filmes zurückzuführen ist. In der deutschen Synchronisation äußert Picard bei der Darstellung seiner Auffassung unsinnigerweise, »dass unsere Existenz viel mehr ist, als Philosophie in ihr sieht«. Im Englischen ist nicht von »philosophy« die Rede, dort heißt es vielmehr »either of these philosophies«. Gemeint ist: Unsere Existenz ist mehr, als jede der beiden zuvor angesprochenen Auffassungen es sagt. Aus den Äußerungen Picards lässt sich eine – an Platon erinnernde – Auffassung des Todes als eines Überganges auf eine höhere Stufe der Wirklichkeit ableiten:
»Bedenkt man die wunderbare Komplexität des Universums, seine uhrwerkartige Perfektion, seine Ausgewogenheit in allen Dingen – Materie, Energie, Gravitation, Zeit, Dimension – muss ich annehmen, dass unsere Existenz mehr ist, als jede dieser Philosophien es sagt. Was wir sind, geht über die Maßstäbe unseres euklidischen Denkens oder anderer praktischer Maßsysteme hinaus. Unsere Existenz ist Teil einer Realität jenseits dessen, was wir jetzt als Realität verstehen.«3 Den Schülerinnen und Schülern sollte der (angemessen übersetzte) Text vorgelegt werden, damit sie sich differenziert mit den dargestellten Auffassungen des Todes auseinandersetzen und diese – als religiöse, nihilistische und platonisch-philosophische Auffassung – einordnen können. Auffassungen des Todes
religiös:
nihilistisch:
(platonisch-) philosophisch:
Aufenthalt in einem Garten Eden
Verflüchtigung ins Nichts
Übergang zu einer höhe ren Stufe der Wirklichkeit
Anschließend bietet es sich an, dass die Schülerinnen und Schüler diese Auffassungen beurteilen und sich selbst dazu positionieren. Weil der angeschaute Filmausschnitt eine gewisse Spannung erzeugt hat, sollten die Schülerinnen und Schüler Gelegenheit haben, auch das Ende des Films bis zur Freilassung des Raumschiffes anzuschauen. 4 Dabei ist es für die Behandlung des
3 4
Die Übersetzung stammt von mir, B.R. DVD: Star Trek – Next Generation, Staffel 2, Episode 2, a. a. O., Zeit: 0:38:17 – 0:42:39.
Star Trek: The Next Generation – Was ist der Tod ?
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Themas unerheblich, dass sich letztlich Nagilum als der eigentliche Interessent an der Klärung der Frage nach dem Tod entpuppt. Das Thema Tod kann weitergeführt werden, indem Schülerinnen und Schüler in den folgenden Unterrichtsstunden eigene Recherchen zu Todesvorstellungen in unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen anstellen, diese kategorisieren und dazu eine Wandzeitung erstellen. Dazu bieten die einschlägigen Unterrichtswerke und auch das Internet hinreichend Material.
Szenenübersicht 01
00:00 – 00:49
Eingangssequenz: Picard macht Bemerkungen über die klingonische Psyche Worfs
02
00:50 – 04:27
Vorspiel: Riker und Worf simulieren auf dem Holodeck den Kampf gegen aggressive Kreaturen, bei dem Worf sehr aggressiv vorgeht.
03
04.28 – 06:39
Vorspann/Titel
04
06:40 – 12:52
Rahmenhandlung: Die Enterprise wird von einem schwarzen Loch im Weltraum verschlungen, aus dem sie trotz aller Versuche nicht entkommen kann. Es treten unerklärliche Anomalien auf, u. a. die Begegnung mit Raumschiffen, die sich als bloße Illusion entpuppen.
05
29:53 – 30:44
Counselor Troi und Dr. Pulaski ziehen aus den Anomalien den Schluss, man befinde sich in einer Versuchsanordnung und werde wie Laborraten untersucht.
06
30:45 – 33:53
Nagilum, das Wesen, das diese Versuchsanordnung geschaffen hat, zeigt sich auf dem Hauptschirm der Kommandozentrale. Es will die Eigenart der menschlichen Lebensform erforschen. Es zeigt seine Macht, indem es für kurze Zeit Pulaskis Körper übernimmt und über die Brücke steuert. Haskell bricht durch das Einwirken Nagilums plötzlich krampfartig zusammen und stirbt. Die Erfahrung des menschlichen Todes fasziniert Nagilum derart, dass er beschließt, dieses Phänomen zu erforschen. Er kündigt weitere, ähnliche Versuche an einem Drittel, wenn nicht gar der Hälfte der Besatzungsmitglieder an.
07
33:54 – 36:03
Bei einer Beratung im Konferenzraum entscheidet Captain Picard, die Versuche an den Besatzungsmitgliedern nicht zuzulassen, und ordnet die Selbstzerstörung des Raumschiffes innerhalb von 20 Minuten an.
08
36:04 – 38:16
Gespräch Picards mit Data über den Tod
09
38:17 – 42:39
Abbruch der Selbstzerstörung und Befreiung/Freikommen des Raumschiffes
10
42:40 – 43:39
Abspann
Quelle: Rolf, Bernd: »Star Trek: Was ist der Tod?«, in: Ethik & Unterricht 23, 2012, Heft 2: Moralische Erfahrung, S. 53–55.
3
M ÖGLICHKEI TEN FÜR DEN EINSAT Z VON FILMEN IN DER SEKUNDAR S TUFE I I
Ethik im Film – The Philosophers
*
Anita Rösch
Z
ugegeben, The Philosophers – Wer überlebt? ist kein cineastisches Meisterwerk. Die Rahmenhandlung ist unausgereift, die Schauspieler wenig überzeugend, filmtechnisch ist es eine Billigproduktion. Trotzdem enthält der Film einen thematischen Kern, der sich im Unterricht zu behandeln lohnt. Im Mittelpunkt steht ein Gedankenexperiment, das in drei verschiedenen Varianten durchgeführt wird.
Das Gedankenexperiment An einer internationalen Schule in Jakarta ist der letzte Schultag der Philosophieklasse mit 20 Schülern angebrochen. Der Lehrer hat sich etwas Besonderes ausgedacht. Er will mit der Klasse ein Gedankenexperiment durchführen. Das Szenario: Es findet eine atomare Katastrophe statt. Ein Bunker bietet Platz, Lebensmittel und Sauerstoff für ein Jahr. Es haben jedoch nur 10 Personen darin Platz. Wer soll in den Bunker aufgenommen werden? Der Lehrer lässt die Schüler Kärtchen mit Berufen ziehen (M1). Er selbst als Person 21 ist ein Joker, d. h. die Schüler wissen nicht, welchen Beruf er ausübt und worin sein Nutzen für die Gemeinschaft bestehen könnte. Die Schüler müssen entscheiden, ob sie ihn unter diesen Umständen mitnehmen wollen. In gleicher Weise kann der Unterricht gestaltet werden. Der Film wird bis zu dieser Stelle gezeigt. Die Aufgabe, sowohl für die Klasse im Film als auch für die Lerngruppe, besteht nun darin, sich zu entscheiden, welche 10 Personen in den Bunker einziehen werden. Dabei sollen sie sowohl die persönlichen Interessen als auch die Interessen der Gemeinschaft berücksichtigen. Sollten mehr als 20 Schüler in der Lerngruppe sein, können Rollen doppelt besetzt werden. Sind es weniger Schüler,
*
The Philosophers (O: After the Dark, USA 2013); Regie: John Huddles; Dauer: 107 Min.; Altersfreigabe: FSK 12.
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Anita Rösch
können einzelne auch für zwei Personen argumentieren. Die Personen, die in den Bunker einziehen dürfen, werden an der Tafel festgehalten.
Die Argumentation Erfahrungsgemäß diskutieren die Schülerinnen und Schüler stark utilitaristisch. Entscheidend ist allein, welchen Nutzen der Beruf in der Zeit im Bunker verspricht. Ein Elektriker ist wichtig, doch wozu benötigt man einen Harfenspieler? Eine Orthopädin oder eine Psychotherapeutin können sehr nützlich sein, doch worin sollte der Nutzen einer Weinauktionärin in einem Bunker liegen? So sortieren die Schüler schnell aus: handwerkliche, technische und medizinische Berufe werden benötigt, kreative Berufe oder wirtschaftliche Spezialisten erscheinen nicht nutzbringend. Die Betroffenen selbst geben recht schnell auf und fügen sich in die Entscheidung, weil sie selbst klar nach Nützlichkeitsüberlegungen argumentieren. Erfahrungsgemäß spielen persönliche Beziehungen, Charakter, Gefühle überhaupt keine Rolle bei der Argumentation. Auch langfristig wird kaum gedacht, sondern nur das Jahr im Bunker berücksichtigt. Dies gilt auch für den Film.
Die zweite Runde Anschließend kann man den Film weiter schauen und die Entscheidung der dortigen Philosophieklasse mit der eigenen Entscheidung vergleichen. Die Übereinstimmungen sind vermutlich erheblich. Im Film wird der Lehrer nicht mit in den Bunker genommen, weil die Klasse ihm nicht traut. Das rächt sich am Ende, denn er ist der einzige, der den Ausgangscode gekannt hätte. So sterben alle Bunkerbewohner nach einem Jahr. Die Klasse ist empört. Daher wird das Gedankenexperiment ein zweites Mal durchgeführt. Diesmal jedoch mit veränderten Bedingungen. Wieder können 10 Personen ein Jahr überleben. Allerdings gilt die Bedingung, dass in diesem Jahr ein Kind gezeugt werden soll, um den Bestand der Menschheit zu sichern. Außerdem werden den Berufen noch weitere Eigenschaften hinzugefügt (M2). Diese beziehen sich auf weitere Qualifikationen, aber auch gesundheitliche Einschränkungen. So bekommt der Immobilienmakler, den in der ersten Runde niemand dabeihaben wollte, als Hebamme eine wesentliche Bedeutung. Die Orthopädin dagegen, die mit dem Ebola-Virus in Kontakt gekommen ist, stellt ein erhebliches Risiko dar und wird diesmal aussortiert. Die Diskussionsbedingungen verändern sich. Die Personen werden nicht mehr nur auf ihre Berufe reduziert, sondern auch Geschlecht und Gesundheit spielen eine Rolle. So ändert sich die Personenkonstellation im Bunker erheblich. Aus der Unterrichtserfahrung lässt sich sagen, dass die Lernenden aufgrund der Erfahrungen der ersten Runde nun auch weitere Überlegungen mit einbeziehen. Die Bewohner sollen nicht nur überleben, sondern auch Kultur soll in eine spätere Welt gerettet werden. So bekommen Dichter, Harfenspieler und Opernsängerin plötzlich eine ganz neue Bedeutung. Im Film scheitert auch dieses Experiment, weil
Ethik im Film – The Philosophers
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die Bewohner nicht bereit sind, untereinander beliebig Geschlechtsverkehr zu haben, um ein Kind zu zeugen. Der Lehrer öffnet daraufhin vorzeitig den Bunker, so dass alle sterben.
Die dritte Runde In einer dritten Runde schließlich übernimmt eine Schülerin die Moderation. Jetzt zählen nicht nur Nutzen und Kalkül, sondern vor allem Überlegungen, mit wem man ein Jahr in einem Bunker eingesperrt leben möchte. Ziel ist nicht das langfristige Überleben, sondern die Vorteile im Hier und Jetzt. Die Diskussionen der Lerngruppe und der Schülergruppe im Film lassen sich anhand utilitaristischer Positionen reflektieren. Welches waren die Entscheidungskriterien? Was ist dabei außer Acht geblieben? Waren die Entscheidungen logisch und zielführend, die Menschheit zu retten? Kann man Menschen wirklich nur auf ihren Beruf und eine weitere mögliche Eigenschaft reduzieren? Vor diesem Hintergrund bietet der Film, auch wenn er von eher minderer Qualität ist, viel Diskussionsstoff.
M 1 Rollenkarten
ÖKOBAUER
SOLDAT IN
US-SENATOR IN
IMMOBILIENMAKLER
BAU INGENIEUR IN
T ISCHLERMEISTER
OPERN SÄNGER IN
HEDGEFONDMANAGER IN
DICHTER
HARFENSPIELER
A STRONAUT IN
DR. DER CHEMIE
ELEK TR IKER
WEIN AUK T IONÄR IN
ORTHOPÄDIN
HAUSMEISTER
MODEDESIGNER IN
SPEISEEISHERSTELLER
ZOOLOGIN
PSYCHOTHER APEUT IN
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Anita Rösch
M 2 Rollenkarten mit Eigenschaften
ÖKOBAUER
SOLDATIN
US-SENATORIN
ist schwul
hat fotografisches Gedächtnis
ist Erste Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs
BAUINGENIEURIN
TISCHLERMEISTER
OPERNSÄNGERIN
ist Elektroingenieurin
ist unfruchtbar
spricht sieben Sprachen, hat Kehlkopfkrebs
DICHTER
HARFENSPIELER
ASTRONAUTIN
ist Autist ?
ELEKTRIKER ist an Fibroplasie erkrankt (Verknöcherung des Binde gewebes)
?
WEIN AUKTIONÄRIN hat einen IQ von 200
MODE DESIGNERIN
SPEISEEISHERSTELLER
hat eine Kollektion aus Bambus her gestellt
?
IMMOBILIEN MAKLER ist Geburtshelfer
HEDGEFONDMANAGERIN trägt 7 Mio. Euro in Gold und Diamanten bei sich DR. DER CHEMIE hat sehr gute Gene, kein Risiko für Krebs oder Herz-KreislaufErkrankungen
ORTHOPÄDIN
HAUSMEISTER
ist mit dem EbolaVirus in Berührung gekommen
hat einen guten Charakter
ZOOLOGIN
PSYCHOTHERAPEUTIN
bloggt nachts für PETA
ist unfruchtbar durch Hysterektomie
Quelle: Rösch, Anita: »The Philosophers«, in: Ethik & Unterricht 27, 2016, Heft 2: Utilitarismus, S. 55 f.
In Time – Lebenszeit als Zahlungsmittel *
Klaus Draken
W
as wäre, wenn man den Warentausch nicht durch Geld, sondern direkt durch Lebenszeit betreiben würde? Ein spannendes Gedankenexperiment pervertiert den Mittelcharakter des Geldes als Warensubstitut, als Wertmesser und Tauschmittel, indem der Zweck aller Waren, die Erhaltung und angenehme Gestaltung des Lebens, selbst zum Zahlungsmittel wird. Der Spielfilm In Time führt genau dieses Gedankenexperiment durch: Die Menschen sind genetisch so verändert, dass sie mit Fünfundzwanzig aufhören zu altern. Allerdings leben sie ab diesem Zeitpunkt nur noch ein weiteres Jahr – es sei denn, sie können mehr Zeit bekommen. Zeit ist also ihre Währung. Sie arbeiten dafür und bezahlen damit. Die Reichen können ewig leben. In dieser Art erklärt es uns der Protagonist Will in der Einführungsszene des Films.1 Und somit sind alle Verteilungskämpfe offen und direkt auf Lebenszeit gerichtet. Die Armen erkennt man an der Eile, die sie an den Tag legen. Ruhe und Gelassenheit sind ein Privileg der Reichen. Wenn das eigene Zeitkonto erschöpft ist, stirbt man augenblicklich. Zeit kann einem gestohlen werden, mit Zeit kann man sich jeden Luxus erkaufen – und Zeitbesitz entscheidet über Lebensstil und Lebensraum. Bei reflektierender Betrachtung scheint dies fast weniger Verfremdung als realistisch zuspitzender Spiegel unserer heutigen Verteilungssituation. Für Müßiggang – Golf spielen oder den Besuch der Bayreuther Festspiele – benötigt man einen gewissen Reichtum. Wer im Niedriglohnsektor seine Existenzsicherung sucht, muss teilweise mehrere Jobs erledigen. »Working poor« beschreibt eine Situation, in der rastloses Arbeiten kaum mehr erreicht als die reine Erhaltung des eigenen Lebens. Und wenn man die globale Ebene in den Blick nimmt, werden die Unterschiede noch größer: Wer im reichen Deutschland von Harz IV lebt, kann sich deutlich mehr Ruhe gönnen, als jemand, der in einem Entwicklungsland um sein Überleben kämpft. Wer in den Industriestaaten reich (und gebildet) ist, zeigt im Durchschnitt den besseren
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In Time – Deine Zeit läuft ab (O: In Time, USA 2011); Regie: Andrew Niccol; Dauer: 109 Min.; Altersfreigabe: FSK 12. DVD: In Time, 20th Century Fox 2012, Zeit: 0:01:00 – 0:01:40 (Vorspannszene).
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Klaus Draken
Gesundheitszustand und hat damit die höhere Lebenserwartung, während das Prekariat ungesünder und kürzer lebt. »Auch in einer hoch entwickelten sozialen Marktwirtschaft wie der Bundesrepublik Deutschland mit hohen Standards in der Gesundheitsversorgung lässt sich eine Wechselwirkung zwischen der sozialen und der gesundheitlichen Lage feststellen« 2 , muss sogar unsere Regierung im entsprechenden Ministerium konstatieren. Und global lässt sich die Lebenserwartung der Bevölkerung einer Region noch viel deutlicher mit ihrem Wohlstand korrelieren. Wikipedia berichtet: »Die höchste Lebenserwartung haben die Menschen in Andorra mit 83,5 Jahren. Die geringste Lebenserwartung hat das afrikanische Land Swasiland mit 34,1 Jahren.« 3 Auch wenn die Zuschreibungen je nach Quelle variieren, so bleiben Korrelationen deutlich erkennbar. Die Gleichsetzung von Lebenszeit und Vermögen ist sicher eine starke Zuspitzung – eine völlige Umkehrung der Realität ist sie jedoch nicht, was eine unterrichtliche Behandlung des Filmes erkennbar machen könnte.
Die Lebensorte im Film New Greenwich (Anspielung auf Greenwich, Ort des Breitengrades der Weltzeit) ist der Traumort für jeden Bewohner des Ghettos Dayton (Day-Town, wo die Bewohner i. d. R. über nicht mehr als den nächsten Tag als Besitz verfügen), in dem Will, der Protagonist der Handlung, lebt. Die Welt ist in Zeitzonen eingeteilt, in die man je nach Zeitvermögen ziehen kann. Als Will von einem lebensmüden Bewohner New Greewichs das unvorstellbare Vermögen von 116 Jahren hinterlassen wird, reist er dorthin. Was ihn treibt, ist die Rache, denn kurz zuvor musste er den Tod seiner Mutter miterleben, die wegen weniger fehlender Minuten den kurzfristig verteuerten Bus nicht bezahlen konnte und deshalb nicht rechtzeitig ankam, um ihr Zeitkonto nachzuladen. Mr. Weis, der unvorstellbar reiche Zeit-Bankbesitzer aus New Greenwich, weiß um die Menschen, die meinen, die Unterschiede zwischen den Zeitzonen »seien ungerecht«. Seine Rechtfertigung lautet: »Ist es nicht nur der nächste logische Schritt in unserer Evolution? Und war die Evolution nicht immer ungerecht? Es ging immer um das Überleben des Stärkeren. […] Das ist schlichtweg darwinscher Kapitalismus: Natürliche Auslese.« 4
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Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.): Lebenslagen in Deutschland. Armuts- und Reichtumsberichterstattung der Bundesregierung (Vierter Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung), Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Berlin 2013, auf: http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen-DinA4/a334-4-armuts-reichtumsbericht-2013.pdf?__ blob=publicationFile, S. 383. Artikel: Lebenserwartung, zu finden auf: http://de.wikipedia.org/wiki/Lebenserwartungg (Stand: 31.03.2013). DVD: In Time, a. a. O., Zeit: 0:30:30 – 0:32:17 (Casinoszene).
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Das Verhalten dieses Vertreters der reichen Geschäftswelt erinnert an die These vom neu erwachten »Raubtierkapitalismus« unserer globalisierten Welt und bestärkt Marx’ Analyse, dass die Arbeit immer nur so hoch entlohnt wird, wie sie zu ihrer Reproduktion benötigt – sofern sie für die Produktion notwendig ist. Der darüber hinaus erwirtschaftete Gewinn fließt dem Kapital zu. Und dadurch verändern sich Lebensorte und Lebensweisen, auf die es sich zu schauen lohnt. New Greewich: Auf den ersten Blick ist New Greenwich durch die schwarzen Limousinen und die repräsentativen Gebäude gekennzeichnet. Alle öffentlich sichtbaren Personen wirken vornehm gekleidet und bewegen sich mit eleganter Ruhe, egal ob sie in dienender oder bestimmender Funktion erkennbar werden. In New Greenwich ist man zudem neurotisch vorsichtig geworden. Vermeidbare Risiken werden vermieden und Leibwächter bewachen jeden. »Wenn Sie wie ich 85 Jahre lang 25 waren und wissen, dass nur ein willkürlicher Gewaltakt ihr Leben beenden kann, lernen Sie zu schätzen, was sie haben« 5 , formuliert der superreiche Zeitbank besitzer Mr. Weis. Mr. Weis’ Tochter Sylvia, in den Augen ihres Vaters spätpubertär revoltierend, sieht auch die problematische Seite dieser Haltung. Sie sagt über die in Uhrform existierenden Zeitkonten: »Die Uhr ist für niemanden gut. Die Armen sterben und die Reichen leben nicht. Wir [die Reichen] alle können ewig leben, solange wir nichts Dummes tun. Macht ihnen das keine Angst, dass sie vielleicht nie etwas Dummes tun werden oder etwas, das mutig oder das etwas wert ist?« 6 Dayton: Bereits in den ersten Szenen wird klar, dass Zeitmangel das Leben in Dayton bestimmt. Als Wills Mutter ihre Hoffnung auf Enkel formuliert, antwortet Will: »Wer hat schon Zeit für `ne Freundin?« – und das ist im Film wörtlich gemeint. Ein obdachloses Mädchen bettelt mit dem Spruch: »Haste `ne Minute?«, und die Frage, ob man Doppelschichten ableistet, wird regelmäßig zur Überlebensfrage.7 Am Straßenrand oder in der Fabrik liegen ab und an Leichen, das heißt, wenn das Ablaufen der individuellen Uhr in der Öffentlichkeit geschieht, wird auch der unmittelbar damit verbundene Tod für alle sichtbar. Und immer wieder wird das Ghetto mit Menschen gezeigt, die sich im Laufschritt bewegen, drängeln und hetzen, um ihre wertvolle Lebenszeit effektiv zum Erwerb weiterer lebensnotwendiger Zeit einsetzen zu können. 8 »Ausschlafen ist nicht!«, ist die lakonische Antwort Wills, als Sylvia ihn fragt, wie man mit weniger als einem Tag Lebenszeit als Vermögen leben könne.
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Ebd., Zeit: 0:29:15 – 0:30:20 (Casinoszene). Ebd., Zeit: 0:34:00 – 0:36:30 (Partyszene). Ebd., Zeit: 0:02:05 – 0:04:10 (Ghettoszene). Ebd., Zeit: 0:04:10 – 0:05:35 (Fabrikszene).
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Brasilianisierung und die Gerechtigkeitsfrage In der Sprache von Zukunftsforschern nennt man das gezeigte Szenario einer starken Spaltung zwischen sehr reichen und sehr armen Bevölkerungsschichten »Brasilianisierung«. Die Folgen liegen auf der Hand – und werden auch im Verhältnis der Filmstädte erkennbar. Als Will zum ersten Mal mit einer Art Taxi von Dayton nach New Greenwich fährt, werden die Vorkehrungen der Abgrenzung in Form einer gesicherten Limousine (die Türen können nur von innen geöffnet werden), mehrfach durch Betonsperren festungsartig gesicherten Übergängen auf dem Weg und Gebühren beim Wechsel der Zeitzonen von einem Monat (aus Dayton heraus) bis zu einem Jahr (nach New Greenwich hinein) sichtbar.9 Hier wird der Wechsel systematisch verhindert, was wiederum an die Staatengrenze der reichen USA zum armen Mexico erinnert, oder das Problem der Armutsflüchtlinge, die unter Aufbringung all ihrer finanziellen Möglichkeiten und oft unter Einsatz ihres Lebens aus Afrika über das Mittelmeer nach Europa flüchten wollen – und dort von militärischen Polizeiverbänden empfangen und zurückgeschickt werden. Für Sylvia aus New Greenwich ist die Ungleichverteilung in gewisser Weise normal geworden. Entsprechend ungläubig fragt sie Will, ob er, wenn er viel Zeit hätte, sie dann wirklich verschenken würde? Will antwortet: »Ich hatte immer nur einen Tag. Wie viel braucht man schon? Wie kann man damit leben, wenn Menschen gleich neben einem sterben?« Und Sylvias Antwort könnte auch für viele der Reicheren unserer Welt passen: »Man sieht nicht hin. Man schließt die Augen.«10 Im Film beginnt mit der Freundschaft zwischen Sylvia und Will ein futuristischer Robin-Hood-Kampf gegen die Besitzenden, der mit dem Mittel des Raubes auf der einen Seite und dem Mittel von Polizei (Timekeeper) und Preispolitik auf der anderen Seite geführt wird (in den Zeitzonen, in denen die umlaufende Zeitmenge zunimmt, werden systematisch Lebensmittelpreise und sonstige Lebenshaltungskosten heraufgesetzt). Will und Sylvia gewinnen schnell die Unterstützung des großzügig von ihnen beschenkten Ghettos, aber auch die Feindschaft sowohl der Reichen, der Zeitpolizei als auch der mafiös am Zeitgeschäft mitverdienenden Zeitdiebe (Minute-Men). Im Zentrum also steht die Frage, inwiefern eine ungleiche Vermögensverteilung in der Gesellschaft aufrechterhalten und gerechtfertigt werden kann – bzw. die These, dass dies nicht möglich sei und dadurch ein Aufstand der Benachteiligten unvermeidlich wird. Wiederum fühlt sich der kundige Zuschauer an Marx’ Revolutionstheorie erinnert, denn – wie bereits gesagt – das Gedankenexperiment spitzt am Beispiel des Zahlungsmittels Zeit nur zu, was heutige globale Realität ist. Die Millennium-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen, die auf eine Generalversammlung vom September 2000 zurückgehen, sollten eine konkret definierte Halbierung der von existenzieller Armut (weniger als 1$ Kaufkraft pro Tag), der durch Hunger und Unterernährung, der vom völligen Fehlen von Bildung (Analphabetis
9 10
Ebd., Zeit: 0:22:30 – 0:24:30 (Reiseszene). Ebd., Zeit: 1:08:40 – 1:09:18 (Dialogszene nach der Flucht).
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mus) sowie der von fehlendem Zugang zu Trinkwasser betroffenen Menschen bis zum Jahr 2015 erreichen. Ob dies tatsächlich umgesetzt wird, bleibt höchst zweifelhaft. Dagegen steht allzu oft die Rede vom Sachzwang, von der alternativlos notwendigen Freiheit der globalen Märkte, und dies wirkt im Film nicht überzeugender als in unserer heutigen Realität. So fragt Will den Zeit-Bankbesitzer Mr. Weis, als er tatsächlich eine Million Jahre Vermögen in seinem Safe gefunden hat: »Wissen Sie, wie viel Gutes Sie tun könnten?« Die zynische Antwort darauf lautet allerdings: »Ich weiß, wie viel man damit anrichten kann. Verstehen Sie doch: Selbst wenn Sie einer Million Menschen ein Jahr geben, verlängern Sie damit nur ihr Leid. […] Eine Million Jahre in der falschen Zone könnten das ganze System lahmlegen.« Das System wird über das Wohl ganzer Bevölkerungsteile gestellt, und man fühlt sich an die Diskussionen um Geld für Bankenrettungen oder Armutsbekämpfung in Entwicklungsländern erinnert. Mr. Weis argumentiert mit dem ökonomischen Menschenbild der Marktwirtschaft, dem Egoismus aller Menschen: »Am Ende wird sich gar nichts ändern, weil jeder Mensch ewig leben will. Alle glauben, die Unsterblichkeit wäre für sie erreichbar, sprechen auch noch so viele Anzeichen dagegen. Sie alle glauben, sie werden die Ausnahme sein. Die Wahrheit ist: Für die Unsterblichkeit einiger müssen viele sterben.«11
Resümee Leider bleibt der Film am Ende stark in Klischees und Idealisierungen stecken: Die Schlussszene mit der Aussicht auf einen weiteren Banküberfall, die Timekeeper, die ihren Job aufgeben, die Massen der Verelendeten aus den Ghettos, die in die reicheren Zeitzonen drängen – all dies zeigt wenig konkretisierte Zukunftsperspektiven. Während die gesellschaftliche Dystopie im Umgang mit der biologischen Möglichkeit nahezu ewigen Lebens für wenige Reiche überzeugend wirkt, erscheint die Utopie der revolutionären Umwälzung am Ende des Films eher naiv und durch das Fehlen einer konkreteren Vision deutlich weniger überzeugend. Allein der Raub höherer Summen durch einen zukünftigen Robin Hood bringt noch keinen Systemwandel – und die Ablösung des »legalen Raubes« im Sinne der Ausbeutung Vieler durch eine kleine ökonomische Oberschicht durch die Realisierung des Raubes für breite benachteiligte Unterschichten schafft keine verlässliche Gerechtigkeit, zumal der Film in dieser Unterschicht schon wieder Kriminalität anlässlich der neuen Zeitdimensionen erkennbar werden lässt. Die Perspektive auf ein gerechteres Prinzip oder System bleibt aus, was die Idealisierung der Filmhelden nur unzulänglich verdecken kann. Aber vielleicht lässt sich gerade dies zur Anregung eigener Nachdenklichkeit unterrichtlich nutzen.
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Ebd., Zeit: 1:27:50 – 1:29:35 (Überfallszene).
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Unterrichtsanregungen Der Film bietet mehrere Aspekte, die im Unterricht sinnvoll thematisierbar erscheinen. Mit dem Szenario der Ghettobewohner wird der Tauschwert von knapper Lebenszeit ins existentiell Bedrohliche gesteigert – und dadurch der Wert von Lebenszeit mit einem fremden Blick neu reflektierbar. Wie alt möchtest du werden – und warum? Was willst Du mit Deiner begrenzten Lebenszeit anstellen – und was, wenn sie noch kürzer wäre?12 Mit den Bewohnern von New Greenwich zeigt sich das Problem der nicht absehbaren Lebenszeit konkret. Der lebensmüde Henry aus New Greenwich formuliert im Anfangsteil des Filmes: »Es kommt der Tag, an dem man genug hat. Dein Geist kann verbraucht sein, auch wenn Dein Körper es nicht ist. Wir wollen sterben.« Will kann das nicht nachvollziehen, aber was bedeutet seine Überzeugung, Zeit nie vergeuden zu können, mit Blick auf eine potenziell unbegrenzte Lebenszeit? Wäre es wirklich erstrebenswert, ewig zu leben? Und ist das überhaupt vorstellbar für mehr als eine kleine Minderheit?13 Vor allem zeigt sich in den unterschiedlichen Lebensformen von Ghetto und New Greenwich die grundsätzliche Frage nach der Rechtfertigbarkeit sozialer Ungleichheit: Die soziale Frage, die Marx zu Zeiten der Industrialisierung herausgefordert hat und die sich im Zeitalter freier globalisierter Märkte nicht weniger deutlich stellt, kann hier Anlass sein, aktuelle Daten über unterschiedliche Lebenserwartungen, über innergesellschaftliche wie globale Reichtums- und Armutsverteilung wie über konkrete Auswirkungen extremer Ungleichverteilung z. B. im Szenario der Brasilianisierung zu vergegenwärtigen14 . Will steht für den romantischen Schwärmer der Gerechtigkeit, der direkt und naiv umverteilt. Mr. Weis steht für den Sachzwänge vorschiebenden Ökonomen, der letztlich interessengeleitet rechtfertigt und profitiert. Beide können in ihrer Art nicht überzeugen – auch wenn Will die Sympathien der Zuschauer gewinnt –, aber gerade dadurch können die beiden Charaktere ein Problembewusstsein für eine Zukunftsfrage unseres Planeten aktivieren, die heute nicht zu stellen unverantwortlich erscheint.
M 1 Die Handlung des Films
Will lebt in unbestimmter Zukunft in einer Gesellschaft, in der Lebenszeit selbst zum Zahlungsmittel geworden ist. Durch genetische Veränderung reifen die Menschen nur bis zu einem Alter von 25 Jahren und altern ab dann nicht weiter. So wird allein durch die Besitzverhältnisse geregelt, wer früh stirbt oder ewig lebt. Will lebt im Ghetto Dayton. Durch Zufall erhält er von einem lebensmüden Bewohner der reichen Wohngegend New Greenwich über 100 Lebensjahre, mit denen er sich nach 14 12
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Ebd., Zeit: 0:2:05 – 0:5:35 (Ghettoszene). Ebd., Zeit: 0:10:30 – 0:15:30 (Dialogszene Will und Henry). Vgl. die unter dem Unterpunkt »Brasilianisierung« angeführten Szenen.
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dem durch willkürliche Preissteigerungen provozierten Tod seiner Mutter auf einen Rachefeldzug begibt. In New Greenwich begegnet er dem reichen Finanzmogul Philippe Weis, dem er in einem riskanten Pokerspiel 1100 Jahre abnimmt und seine Familie – insbesondere seine Tochter Sylvia – kennen lernt. Als die Zeitpolizei (Timekeeper) ihn wegen der nicht vorgesehenen Umverteilung von Zeit belangen will, flieht er mit Sylvia, und aus dem Überlebenskampf der Flucht entwickelt sich eine Robin-Hood-Geschichte, in deren Verlauf Will und Sylvia die Banken der Reichen ausrauben, um unter den Armen im Ghetto die Zeit zu verteilen. Die Szenerie gegen Ende des Films zeigt einen Timekeeper, der seine Waffen abgibt und seinen Posten verlässt, weil er nicht mehr daran glaubt, den Marsch der Armen in die reichen Zeitzonen aufhalten zu können. In der Schlussszene sieht man Will und Sylvia, deren Kopfgeld gerade erhöht wurde, bewaffnet vor einer gigantischen Bank. Im Spielfilm In Time versuchen zwei Charaktere, die ungerechte Verteilung von Zeit (= Geld) in ihrer Gesellschaft durch Raub und Weiterschenken auszugleichen.
Erkundige dich nach weiteren Geschichten, die dieses Vorgehen in ihrer Handlung nutzen (z. B. Robin Hood, Zorro). Wie erfolgreich wird diese Strategie dort dargestellt?
Auch in unserer Gesellschaft wird wegen zunehmender Armut diskutiert, ob und wie man die Vermögen der Reicheren zur Unterstützung der Ärmeren nutzen könnte. Erkundige dich im Internet nach Plänen für eine »Reichen-« und eine »Vermögenssteuer«. Welche Argumente werden für und gegen diese Vorhaben genannt?
M 2 Die Lebenserwartung in verschiedenen Staaten der Welt15
Die weltweit höchste Lebenserwartung haben die Bewohner von Monaco: 89,73 Jahre Monaco ist ein beliebter Wohnsitz für Reiche, weil dort keine Einkommens- oder Erbschaftssteuer erhoben wird und im Ausland begangene Steuervergehen nicht verfolgt werden. Die G8 Staaten (größte Industrienationen der Welt) Lebenserwartung im Durchschnitt der Landeswerte: 78,92 Jahre Japan 82,25; Italien 81,77; Kanada 81,38; Frankreich 81,19; Deutschland 80,07; Großbritannien 80,05; USA 78,37; Russland 66,29. Die BRICS-Staaten (Vereinigung von aufsteigenden Volkswirtschaften) Lebenserwartung im Durchschnitt der Landeswerte: 65,93 Jahre China 74,68; Brasilien 72,53; Indien 66,8; Russland 66,29; Südafrika 49,33.
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Die Daten entstammen der Internetseite http://www.welt-auf-einen-blick.de/bevoelkerung/ lebenserwartung.php (Stand: 05.04.2013), die sich auf CIA-Daten beruft.
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Die 10 ärmsten Länder der Erde (laut Weltbank, 2011): Lebenserwartung im Durchschnitt der Landeswerte: 57,19 Jahre Togo 62,71; Eritrea 62,52; Burundi 58,78; Guinea 58,11; Liberia 57; Äthiopien 56,19; Sierra Leone 56,13; Demokratische Republik Kongo 55,33; Niger 53,4; Malawi 51,7. Die niedrigste Lebenserwartung haben die Bewohner von Angola: 38,76 Jahre Angola ist ein armer afrikanischer Staat, der über vier Jahrzehnte Kriegszustand erlebt hat und daher viel Abwanderung seiner ursprünglichen Bevölkerung erlitt. Nur ein Teil der Bevölkerung kehrte auf das Land zurück, so dass sein Binnenland in vielen Regionen fast menschenleer geblieben ist. Im Spielfilm In Time wird Lebenszeit mit Geld bzw. Reichtum gleichgesetzt. Wie ist das Verhältnis von Lebenszeit und Reichtum in unserer Welt?
Vergleiche den Reichtum und die Lebenserwartung in den o.g. Staatengruppen. Welche Folgerung kannst du in Bezug auf dieses Verhältnis ziehen?
Welche weiteren Faktoren (außer Reichtum) können Einfluss auf die Lebenserwartung von Menschen haben?
Wie realistisch bzw. unrealistisch empfindest du das Gedankenexperiment des Filmes, Lebenszeit mit Geld gleichzusetzen? Nenne Gründe, warum die dort geschaffene Situation unserer widerspricht bzw. in Teilaspekten entspricht.
M 3 Greenwich – Bezüge zu realen Stadtbezirken
Greenwich16: Londoner Stadtbezirk am Ufer der Themse. Durch die 1675 gegrün dete Sternwarte verläuft der Nullmeridian, der 1884 durch Vereinbarung auf der internationalen Konferenz in Washington festgelegt wurde und bis 1928 die Welt zeit definierte. Im Mittel überquert die Sonne also um 12:00 Uhr Greenwich, woraus sich diese »Greenwich Mean Time« (GTM) genannte Zeitfestlegung ergibt, und Greenwich zum Maßstab für die internationale Zeitmessung wurde. (Aufgrund der ungleichmäßigen Geschwindigkeit der Erde auf ihrer elliptischen Umlaufbahn und der Neigung der Erdachse weicht der tatsächliche Mittagsdurchgang um bis zu 16 Minuten davon ab, was sich jedoch über das Jahr ausgleicht.) Greenwich Village17: Künstlerviertel im New Yorker Stadtbezirk Manhattan. So wohnten bzw. wohnen hier zum Beispiel der Musiker Bob Dylan, die Schauspieler Liv Tyler, Uma Thurman und Dustin Hoffman sowie Barbara Bush, die Tochter des
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Artikel: »Greenwich«, in: Brockhaus Enzyklopädie, Band 9, Mannheim 191989/1991, S. 87; Artikel: »Nullmeridian«, in: Brockhaus Enzyklopädie, Band 16, a. a. O., S. 40; Artikel: »Greenwich«, auf: http://de.wikipedia.org/wiki/Greenwich_Mean_Time (Stand: 05.04.2013). Artikel: »Greenwich Village«, in: Brockhaus Enzyklopädie, Band 9, a. a. O., S. 87; Artikel: »Greenwich Village«, auf: http://de.wikipedia.org/wiki/Greenwich_Villagee (Stand: 05.04.2013).
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43. US-Präsidenten George W. Bush. Der Folkmusiker Pete Seeger, der Schauspieler Vin Diesel und der Leichtathlet John Gibson wurden in Greenwich Village geboren.
Lies dir die Informationen zu den Orten mit Namen »Greenwich« durch und suche nach Parallelen und Unterschieden zu »New Greenwich« im Spielfilm In Time.
Empfindest du die Bezeichnung »New Greenwich« als sinnvoll gewählten Namen für die entsprechende Zeitzone im Film? Begründe deine Meinung.
M 4 Ghetto – ein Begriff im Wandel
Ursprünglich bezeichnet Ghetto18 einen Bezirk von behördlich erzwungenen und räumlich beschränkten jüdischen Wohnvierteln, die von außen abgeriegelt werden und mit nächtlichem Ausgehverbot belegt sind. Im zweiten Weltkrieg errichteten die nationalsozialistischen Besatzungsbehörden in vielen Ländern Ghettos. Die Existenzbedingungen der Ghettobewohner waren so schlecht, dass zahllose Men schen aufgrund der allgemeinen Unterversorgung (mit Wohnraum, Lebensmitteln und Medikamenten) an Hunger oder Krankheit starben. Im übertragenen Sinn heißt Ghetto jeder Bezirk einer Stadt, in dem eine rassen gemäße oder religiöse Minderheit lebt, bzw. ein Stadtviertel mit einer ausgeprägt abweichenden sozialen oder ethnischen Struktur. So wird er im Zusammenhang mit sozial problematischen Vierteln in Städten der USA verwendet, die einen hohen Anteil afroamerikanischer oder hispanischer Bevölkerung verzeichnen. Die pro minentesten Beispiele eines Ghettos in dieser Hinsicht waren Teile des New Yorker Bezirks Bronx und Harlem, die südlichen Stadtbezirke Chicagos und zunehmend große Teile von Los Angeles, die, wie viele andere Städte der USA, auch besonders wieder in den 1990ern eine schwierige Mischung aus flächendeckender Armut und einer äußerst hohen Rate an Gewaltverbrechen in den entsprechenden Stadtvierteln erlebten. Im modernen Sprachgebrauch wird der Begriff Ghetto als Wort für soziale Brennpunkte allgemein verwendet. In der italienischen Großstadt Padua gab es von 2006 bis 2007 ein wegen zu hoher Kriminalität eingezäuntes Wohnviertel.
Lies dir die Informationen zum Begriff »Ghetto« durch und suche nach Parallelen und Unterschieden zu dem Leben im als Ghetto bezeichneten »Dayton« im Spielfilm In Time.
Empfindest du die Bezeichnung Ghetto für »Dayton« als angemessen? Begründe Deine Meinung.
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Artikel: »Ghetto«, in: Brockhaus Enzyklopädie, Band 8, a. a. O., S. 497 f.; Artikel: »Ghetto«, auf: http://de.wikipedia.org/wiki/Ghetto (Stand: 05.04.2013).
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M 5 Klaus Hart: Freiwillig eingesperrt19
Lateinamerikas Betuchten geht es materiell prächtig […]. Die Wirtschaft wuchs in der Region letztes Jahr nur um 0,7 Prozent, die Zahl der Millionäre dagegen um zwölf […]. Ein beträchtlicher Teil lebt in São Paulo […], hat allerdings an den tradi tionellen Elitedistrikten der Megametropole nicht mehr viel Freude. Nur in Indien gibt es mehr Arbeitslose als in Brasilien, Misere und Kriminalität nehmen unauf hörlich zu, Entführungen von Begüterten gleich in Serie verbreiten Panik, schlagen aufs Gemüt. Also fliehen die Eliten, Privilegierten zunehmend vor den Folgen eige ner Politik, schotten sich immer perfekter in Ghettos, den sogenannten »Condomí nios fechados«, geschlossenen Wohnanlagen, ab – regelrechte Städte in der Stadt, bewohnt auch von deutschen Managern. Aber nehmen wir den Jugendlichen Al varo, aus guter Anwaltsfamilie, der in Rio de Janeiros Strandviertel Barra da Tijuca realitätsfremd fast ständig hinter Gittern lebt – in einem weitläufigen BilderbuchKondominium [Gemeinschaftseigentum] der Mittel- und Oberschicht mit allem Drum und Dran. Swimmingpools, Spiel- und Tennisplätze, Golfwiesen und etwas Park, ferner eine Bäckerei, eine Apotheke und vor allem Sicherheit im Übermaß. Denn der ganze Condomínio ist von hohen Gitterstäben umgeben und wird von einer bewaffneten Spezialgarde überwacht – ein Berufsstand, dreimal so kopfstark wie die brasilianischen Streitkräfte. Auch Alvaros Familie hat natürlich mehrere Hausangestellte – am stabilen Portal mit den TV-Kameras werden sie wie andere Ortsfremde gefilzt, die Gutbetuchten der immerhin achtgrößten Wirtschaftsnation lassen sich ihre Sicherheit jährlich nicht weniger als 28 Milliarden Dollar kosten. Ein Fahrer bringt Alvaro morgens zur Privatschule, nachmittags zurück. Für ihn besteht kaum noch die Notwendigkeit, den Condomínio, gelegentlich »goldener Käfig« genannt, zu verlassen, andere Viertel oder gar den nahen Atlantikstrand zu frequentieren. In Barra da Tijuca, einer Miami-Kopie für Neureiche und Aufsteiger, zählt Alvaro zu jenen Kids, die von Rest-Rio weit weniger kennen als der oberfläch lichste Copacabana-Tourist. Das berühmte Opernhaus, Klöster und Kirchen der Altstadt haben sie bestenfalls auf Prospektfotos gesehen. Besorgte bildungsbeflis sene Eltern organisieren deshalb regelmäßig Bustouren, die den Sightseeing-Trips für Ausländer aufs Haar gleichen – auch Alvaro mußte einmal mit. […] Michel Lind […] hat diese seit Jahrzehnten existierenden Sozialstrukturen […] in São Paulo ausgiebig studiert […]: »Wir befinden uns in einem besorgniserre genden Prozeß der Brasilianisierung, hin zu einem tyrannischen System immer ungleicherer sozialer Klassen.« Für Lind bedeutet Brazilianization, »daß sich die dominierende […] Klasse innerhalb der eigenen Nation noch weiter in eine Art Bar rikadennation zurückzieht – in eine Welt abgeschirmter Viertel mit Privatschulen, Privatpolizei, privater Gesundheitsbetreuung und selbst Privatstraßen.« […] Der befreiungstheologische Dominikaner Frei Betto nennt die »Condomínios fechados« ironisch Luxusgefängnisse: »[…] Anstatt die Ursachen von Misere und Armut zu
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Hart, Klaus: »Freiwillig eingesperrt«, in: trend onlinezeitung, Ausgabe 07-08/2002, auf: http:// www.trend.infopartisan.net/trd7802/t307802.html (Stand: 05.05.2013).
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beseitigen, zieht Lateinamerikas Elite es vor, den eigenen Reichtum herauszustel len, baut deshalb diese Wohnanlagen, Inseln der Phantasie […] – voller Angst vor denen auf der Straße, vor dem öffentlichen Raum. Die Stadt sollte Ort des Zusam mentreffens, Austauschs, der Solidarität sein – wurde stattdessen zur Geisel der Banditengewalt […].« Brasilien sieht er im »unerklärten Bürgerkrieg«, mit über vierzigtausend Gewalt-Toten jährlich. Die Privilegiertenghettos mit hohen Mau ern, Schilderhäuschen, elektronischen Überwachungssystemen, stromgeladenen Drahtverhauen – »eine schreckliche Tendenz«. Vierundsechzig Prozent des Volks einkommens seien in der Hand von nur zehn Prozent der Brasilianer, also von nur siebzehn Millionen. Gewalt, Entführungen, Überfälle würden nicht weniger, weil man die hohe Arbeitslosigkeit nicht bekämpfe […]. Unterdessen haben Sozialforscher und Demographen nachgezählt – über vier Millionen Nordamerikaner wohnen bereits in Condomínios fechados à la Rio de Janeiro und São Paulo – auch in Johannesburg, Lagos und anderen afrikanischen Millionenstädten schreitet diese Art der Ghettoisierung munter fort.
Lies dir die Informationen über die gesellschaftliche Situation in einigen Städten Lateinamerikas durch und beschreibe ihre Merkmale mit deinen Worten.
Untersuche, inwiefern der Spielfilm In Time mit der als »Brasilianisierung« bezeichneten Situation in Lateinamerika vergleichbar ist.
Manche Zukunftsforscher befürchten auch für Westeuropa einen Prozess der »Brasilianisierung«. Kannst du ihre Befürchtung verstehen? Begründe deine Einschätzung.
M 6 John Rawls: Die beiden Grundsätze der Gerechtigkeit20
1. Jedermann soll gleiches Recht auf das umfangreichste System gleicher Grund freiheiten haben, das mit dem gleichen System für alle anderen verträglich ist. 2. Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind so zu gestalten, dass (a) vernünf tigerweise zu erwarten ist, dass sie zu jedermanns Vorteil dienen, und (b) sie mit Positionen und Ämtern verbunden sind, die jedem offenstehen. […] Die Vertei lung des Einkommens und Vermögens muss nicht gleichmäßig sein, aber zu je dermanns Vorteil, und gleichzeitig müssen mit Macht und Verantwortung aus gestattete Positionen jedermann zugänglich sein.
Überprüfe, an welchen konkreten Punkten du die Verletzung dieser beiden Grundsätze im Film erkennen kannst.
Überprüfe, ob du Beispiele für die Einhaltung oder Verletzung dieser Grundsätze in unserer Gesellschaft erkennen kannst. Versuche möglichst konkrete Fälle zu beschreiben und zu analysieren.
20
Rawls, John: Eine Theorie der Gerechtigkeit, übers. von Vetter, Hermann, stw 271, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1979, S. 81 f.
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Fändest du eine noch konsequentere Umsetzung der beiden Grundsätze in unserer heutigen globalisierten Welt sinnvoll? Begründe deine Einschätzung.
M 7 Was ist der Global Marshall Plan?21
Der Global Marshall Plan hat als Ziel […] eine bessere Gestaltung der Globalisie rung und der weltökonomischen Prozesse: eine weltweite Ökosoziale Marktwirt schaft. Es geht um einen besseren weltweiten Ordnungsrahmen, eine nachhaltige Entwicklung, die Überwindung der Armut, den Schutz der Umwelt, Gerechtigkeit und in der Folge ein neues Weltwirtschaftswunder. […] Der Global Marshall Plan betrachtet die Erreichung der Millenniumsent wicklungsziele der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2000, die von 191 Staaten un terzeichnet wurden, als einen wichtigen ersten Schritt. 1. extreme Armut und Hunger beseitigen 2. Grundschulbildung für alle Kinder gewährleisten 3. Gleichstellung der Frauen fördern 4. Kindersterblichkeit senken 5. Gesundheit der Mütter verbessern 6. HIV/Aids, Malaria und andere Krankheiten bekämpfen 7. Ökologische Nachhaltigkeit gewährleisten 8. eine globale Partnerschaft für Entwicklung aufbauen Zur Schaffung einer Welt in Balance wird eine weltweite Ökosoziale Marktwirt schaft mit weltweit verbindlichen sozialen, ökologischen und kulturellen Standards angestrebt. Mit der schrittweisen Realisierung einer weltweiten Ökosozialen Marktwirtschaft soll ein mit Nachhaltigkeit kompatibler Ordnungsrahmen für die Weltwirtschaft etabliert und der globale Marktfundamentalismus überwunden werden.
Wie findest du die Ziele des Global Marshall Plans? Begründe deine Meinung. Suche Beispiele dafür, was konkret verändert werden müsste, um die Ziele des Global Marshall Plans zu erreichen.
Suche weitere Ziele, die du dir für eine zukünftige Welt wünschen würdest. Wie wahrscheinlich findest du es, dass der Global Marshall Plan Wirklichkeit wird? Überlege dir, welche Gründe für bzw. gegen seine Realisierung sprechen. Quelle: Draken, Klaus: »›In Time‹ – Lebenszeit als Zahlungsmittel. Die Stadt als Indikator für Vermögensverteilung«, in: Ethik & Unterricht 24, 2013, Heft 4: Stadt, S. 28–33 (vom Autor für diesen Band überarbeitet und mit Ergänzungen versehen).
21
Website der Global Marschall Plan Foundation, auf: http://www.globalmarshallplan.org/ 5-minuten (Stand: 05.05.2013).
»Hier stimmt doch was nicht« Mediale Irritation in Tom Tykwers Epilog* Eric Willems Filmphilosophie – Grundsätze einer Methode Das Philosophieren mit Filmen muss das Medium selbst ins Zentrum rücken: Filme bieten sich nicht nur an als Gegenstand zur Reflexion – im Sinne eines Philosophierens über etwas –, sondern gleichwohl als Mittel der Kreation – im Sinne des Philosophierens in und mit etwas. Ebenso wie die Sprache oder die Schrift es ermöglicht, über sich selbst nachzudenken – vor allem Jacques Derrida führt dies vor –, kann der Film aufgrund seiner selbstreferentiellen Effekte einen Diskurs initiieren, der weit über die Grenzen der Sprache hinausreicht. Das heißt, Filme dienen nicht länger der Veranschaulichung von Theorien – wie etwa Matrix als Parabel auf Platon, Descartes oder den Konstruktivismus gelesen werden kann – und ebenso wenig als Impuls für eine rein diskursive Erörterung. Vielmehr soll der Film selbst als philosophisches Medium eingesetzt werden, das Diskurse verhandelt, die jenseits der Sprache liegen und sich allein im Register seiner ästhetischen Verfasstheit entfalten. Diese genuin filmische Qualität hat vor allem Gilles Deleuze auf den Punkt gebracht: »Das Kino ist weder universales oder ursprüngliches Sprachsystem, noch eine Sprache […]. Es bildet eine ganze »Psychomechanik«, den geistigen Automaten. […] Die »Gedankenspielfilme«1 aus den 1990er Jahren (Mind-Game-Movies) wie »Being John Malkovich« von Spike Jones (USA, 1999), »Lost Highway« von David Lynch (USA, 1996) oder »Fight Club« von David Fincher (USA, 1999) stehen beispielhaft für eine selbstreferentielle Wende des populären amerikanischen Kinos: Unkonventionelle Montagetechniken konstruieren eine filmische Logik, die Zeit-, Raum- und Identitätsdiskurse auf den Plan bringen, welche sich der Sprache entziehen und ihr Publikum auffordern, sowohl neue Begriffe zur intersubjektiven Ver
*
1
Epilog (O: Epilog, D 1992); Regie: Tom Tykwer; Dauer: 13 Min.; Altersfreigabe: FSK nicht geprüft. Elsaesser, Thomas; Hagener, Malte: Filmtheorie zur Einführung, Junius Verlag, Hamburg. 2007, S. 195–197.
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ständigung zu erfinden als auch neue, aneinander anknüpfende Filme zu produzieren: Der Film gerinnt zum Erprobungsfeld philosophischen Arbeitens. Für David Lynchs Filme zum Beispiel gilt nach Stefan Höltgen, dass sie über die »Bedingungen ihrer Möglichkeiten« reflektieren und sich damit durchaus als »filmische […] Theorie betrachten lassen«. 2 Eine von diesem kinematischen Verständnis getragene philosophische Film didaktik orientiert sich vor allem an zwei Strömungen: an der Filmtheorie von Gilles Deleuze und an der Didaktik von Johannes Rohbeck. Gilles Deleuze’ Position fußt auf der Überzeugung, »dass Bilder nicht nur die Welt ebenso vielfältig wie Buchstaben erschließen, sondern in zeitbildlichen und irritierenden Kinematografien alles Stereotype zerstören und damit den Zuschauer aus rezeptiver Abrichtung und emotionaler Unterwerfung befreien« 3 , wie seine Interpretin Michaela Ott betont. Aus Filmen, die im Register des Zeit-Bildes operieren – Deleuze bezieht sich vor allem auf die Filme des italienischen Neorealismus, aber auch auf Werke Kubricks und Antonionis –, entstehe nicht nur eine »Vervielfältigung« und »Befreiung« von Gefühlen, vielmehr werden »neue Emotionen erfunden« 4 (ZB, 269). Die Aufgabe der Philosophie besteht für Deleuze nun darin, zu dieser »Praxis der Bilder und Zeichen«5 die Theorie zu liefern. Eine solche Begriffsbildung dürfe indes allerdings nicht eine Theorie »über« das Kino, »sondern über die vom Kino hervorgebrachten Begriffe« 6 einleiten. Für filmisches Philosophieren im Unterricht bedeutet dies, einen Prozess der Reziprozität zwischen Filmproduktion und -reflexion zu initiieren. Will man dem didaktischen Ansatz von Johannes Rohbeck Rechnung tragen, dessen leitende Idee darin besteht, »die Denkrichtungen der Philosophie in philosophische Methoden des Unterrichts zu übertragen« 7, so muss eine wesentliche Forderung Deleuze’ berücksichtigt werden: »Man wird eine neue Logik und nicht minder eine neue Psychologie erfinden müssen.« 8 Da es sich bei einem Philosophiekurs der Oberstufe nicht um den Sonderforschungsbereich einer Universität handelt, muss der Anspruch an den Schulunterricht zwar reduziert werden, das didaktische Arrangement aber nicht weniger differenziert ausfallen, um dem Deleuze’schen Ansatz zu folgen. Denn wenn der Unterricht einen experimentellen Umgang mit Film im Rahmen der Reflexion wie der Produktion fördert, werden sich die Kursteilnehmer fortwährend mit filmischer Logik auf der Ebene der Montage und mit der Psychologie ihrer Figuren im Bereich der Kamera- und Schauspielführung auseinandersetzen müssen und so zu Höltgen, Stefan: Spiegelbilder. Strategien der ästhetischen Verdopplung in den Filmen von David Lynch, Dissertation, Verlag Dr. Kovač, Hamburg 2001, S. 121. 3 Ott, Michaela: Gilles Deleuze zur Einführung, Junius Verlag, Hamburg 2005, S. 138 f. 4 Deleuze, Gilles: Das Zeit-Bild. Kino 2, übers. von Englert, Klaus, stw 1289, Frankfurt am Main 1997, S. 269. 5 Ebd., S. 358. 6 Ebd. 7 Rohbeck, Johannes: Didaktik der Philosophie und Ethik, Thelem, Dresden 2008, S. 77. 8 Deleuze, Gilles: Das Zeit-Bild. Kino 2, a. a. O., S. 351.
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Mediale Irritation in Tom Tykwers Epilog
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neuen Erkenntnissen über Lebens- und Filmwirklichkeit gelangen. Einen geeigneten Gegenstand für ein solchermaßen verstandenes Philosophieren stellt Tom Tykwers Kurzfilm Epilog9 aus dem Jahr 1992 dar, den ich im Folgenden kurz erläutern möchte.
Tom Tykwers Epilog als philosophische Versuchsanordnung Die Kamera umkreist einen dunkelhaarigen, bärtigen Mann und eine blonde Frau, die einander im Schlafzimmer gegenüberstehen. »Hau ab! Verpiss dich!«, schreit Nadja so lange Rainer entgegen, bis ihr Blut aus der Nase rinnt und Tränen ihre Wangen benetzen. Rainer setzt sich aufs Bett, zieht die Schublade des Nachttisches auf, greift zu einem silbernen Revolver und erschießt Nadja. Als er die Leiche anblickt und den Mord an seiner Freundin realisiert, hören wir aus dem Off seinen inneren Monolog: »Es ist so heiß. Hab’ ich geschossen? Ich hab’ Nadja erschossen. Warum denn?« Rainer schließt die Augen. Mit dieser subjektiven visuellen Ohnmacht korrespondiert eine sich von oben nach unten über den Bildschirm erstreckende Schwarzblende, die vermeintlich den Rückblick aus Rainers Perspektive einleitet: »Wir haben uns doch nur gestritten. Nein, es war kein Streit. Das war … sie hat alles kaputt gemacht.« Was folgt, ist ein filmischer Erzählbericht, der scheinbar die verlässliche Herleitung des Geschehens schildert. Dass es sich dabei um eine in höchstem Maße zweifelhafte Wahrnehmung handelt, deutet bereits die durch Zeitlupe und Doppelbelichtung verzerrte Video-Montage einer halbnahen Einstellung von Nadjas Gesicht an. Denn der kausallogische Erzählbericht gerinnt an seinem Ende, nach etwa zwölf Minuten, zum Gegenteil dessen, was der Anfang des Films behauptet. Nicht Rainer erschießt Nadja, sondern Nadja erschießt Rainer: ein erkenntnistheoretisches Dilemma für jeden an kausaler Logik sich orientierenden Zuschauer. In der Zwischenzeit erfahren Rezipienten und der Protagonist gleichermaßen von Nadjas Liebesverhältnis mit einem anderen Menschen. Am Telefon verspricht sie, nachdem Rainer sich unbemerkt Zugang zu ihrem Zimmer verschaffen konnte, noch heute ihre Beziehung zu beenden, und beteuert die Liebe zu ihrem Gesprächspartner. Nach dem Ende des Telefonats eskaliert der Streit: Wie zu Beginn des Films umkreist die Kamera die schwindelerregende Auseinandersetzung zwischen den Protagonisten. Die Katastrophe wird virulent, als Rainer die Schublade aufzieht und keinen Revolver vorfindet: Er blickt direkt in die Kamera, bricht auf diese Weise die Filmdiegese auf und spricht jenen Satz, der das selbstreferentielle Potenzial von Epilog auf den Punkt bringt: »Moment mal, hier stimmt doch was nicht.« Die nächste Einstellung bestätigt diesen medialen Verdacht: Nadja richtet den Revolver auf Rainer und drückt ab. In Anbetracht des Leichnams ist es nun Nadja, die zur Reflexion
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Der Film findet sich auf folgender DVD: Cinema 16. European Short Films, Rough Trade Distribution GmbH 2004, und ist auf YouTube unter der Adresse https://www.youtube.com/watch?v= mnYodKfXtrc (Stand: 23.04.2019) abrufbar.
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ansetzt: »Es ist so heiß. Hab’ ich geschossen? Ich hab’ Rainer erschossen. Warum denn?« Nadja schließt die Augen, es folgt die Schwarzblende. Epilog endet mit einer visuellen Kapitulation, die den Rezipienten auf seine zirkuläre Dramaturgie verweist, um seinem Denken die Dekonstruktion der filmischen Narration anheimzustellen. Der Film löst das Versprechen, mit seiner Rückblende das katastrophale Ende plausibel zu begründen, nicht ein, sondern weist in Richtung einer anderen Logik: dramaturgisch, kausallogisch und medial.
»Hier stimmt doch was nicht« – Epilog als Ausgangspunkt für eine philosophische Problemreflexion Christian Gröschel schlägt für den Filmeinsatz im Philosophieunterricht vor, drei Aspekte zu berücksichtigen: »Erstens: Man philosophiert aus der Sicht von Film figuren heraus. Man erlebt deren Emotionen und soll sie nun begrifflich und philosophisch verstehen und formulieren. […] Zweites: Man setzt sich mit dem Film als Medium auseinander, das Wirklichkeit herstellt und verändert. […] Drittens ist nach den Konsequenzen des Mediums Film für die Wirklichkeit und das Handeln des Betrachters zu fragen.«10 Viertens, so lässt sich ergänzen, sollen Schülerinnen und Schüler das Medium produktionsorientiert im Rahmen eines Filmprojektes kreativ erschließen. Eine Unterrichtsreihe, die diesen Forderungen gerecht werden will, muss jederzeit nicht nur philosophische Differenziertheit beachten, sondern gleichsam in den versierten Umgang mit filmanalytischen Kategorien einführen.11
Einstieg – Die Irritation der Rezipienten Nach einer ersten gemeinsamen Sichtung von Tykwers Kurzfilm systematisieren die Schülerinnen und Schüler die Irritationen ihrer Wahrnehmung. In Form einer Mind-Map werden auf einem Plakat folgende Aspekte festgehalten: die katastrophale Kommunikation zwischen den Protagonisten, das Außerkraftsetzen der Kausalität in Film-Raum und -Zeit sowie die Kollision der eigenen Logik mit jener des Filmes. Die Schülerinnen und Schüler haben somit die in Epilog entfalteten philosophischen Probleme markiert, möglicherweise entsprechend ihrer philosophischen Vorbildung kontrastiert und gleichwohl die Hauptlinien der didaktischen Pointierung nachgezeichnet; die Schüler-Irritationen lassen sich nun im Rahmen einer Un
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Gröschel, Christian: »Film als Medium. Ein schülernaher Zugang zu Wirklichkeitstheorien«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 28, 2006, Heft 3: Medienethik, S. 231–236: S. 234 f. Zu empfehlende Einführungen in die Filmanalyse sind: Hickethier, Knut: Film- und Fernsehanalyse, SM 277, Verlag J. B. Metzler, Stuttgart/Weimar 32001 (überarbeitete Auflage); Monaco, James: Film verstehen. Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films und der Medien. Mit einer Einführung in Multimedia, überarbeitete und erweitere Neuausgabe, rororo 6271, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 52009.
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terrichtssequenz vier philosophischen Reflexionsbereichen zuordnen: dem ethischpraktischen Reflexionsbereich, dem medienphilosophisch-erkenntnistheoretischen Reflexionsbereich, dem metaphysischen Reflexionsbereich und dem anthropologischen Reflexionsbereich.12
a) Katastrophale Kommunikation – Der ethisch-praktische Reflexionsbereich Die misslingende Konversation zwischen Nadja und Rainer soll anhand des Kommunikationsmodells von Schulz von Thun (M1) reflektiert werden. Hier könnte ein Lehrervortrag oder eine Visualisierung durch Schülerinnen und Schüler nach vorbereitender Lektüre den notwendigen Horizont bilden. Anschließend wird der Kurs aufgefordert, das Streitgespräch der beiden arbeitsteilig – Nadja und Rainer müssten getrennt behandelt werden – zu analysieren und den jeweiligen kommunikativen Ebenen (Sachinformation, Selbstkundgabe, Beziehungshinweis, Appell) zuzuordnen. Im Zentrum dieses Unterrichtsbausteins steht im Anschluss an die Analyse eine Form des theatralen Philosophierens: die Erarbeitung eines gelungenen, deeskalierenden Streitgesprächs zwischen Nadja und Rainer, das in Gruppen erarbeitet und im Rahmen der Präsentation abschließend hinsichtlich der vier Kommunikationsebenen reflektiert wird. Die Schulung der kreativen Kompetenz steht neben der Argumentations- und Urteilskompetenz im Zentrum dieses Unterrichtsbausteins. Methodisch zielt diese Sequenz auf die bewusste Analyse der Arbeit mit der Kamera: auf Einstellungsgrößen, Perspektive und Bewegung.
b) Konstruktivismus ins Bild gerückt – der medienphilosophischerkenntnistheoretische Reflexionsbereich Den Ausgangspunkt für den folgenden Unterrichtsbaustein bilden das Telefon, das Bett und der Mülleimer, die wie von Geisterhand bewegt zu den Figuren hinrücken. Nachdem die Schülerinnen und Schüler aufgefordert wurden, Interpretations hypothesen zu diesen der Kausallogik widersprechenden Effekten zu bilden, setzen sie sich mit Auszügen aus Ernst von Glasersfelds Text zum Konstruktivismus (M 2) auseinander. Ziel ist es, den Film anschließend in Partnerarbeit als konstruktivistisches Medium auszuweisen. Denn die Kernbegriffe von Glasersfelds Theorie, »Viabilität« und »Passung«, operieren sowohl innerdiegetisch – im Konflikt zwischen Nadja und Rainer kollidiert die jeweilige Weltwahrnehmung – als auch filmtechnisch, insofern die Montage eine filmische Eigenlogik etabliert, die jener des Zuschauers widerspricht. Schließlich ist der Betrachter im Sinne einer hermeneutischen Horizontverschmelzung aufgefordert, die eigenen Wahrnehmungskategorien
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Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport Berlin (Hrsg.): Curriculare Vorgaben für die gymnasiale Oberstufe Philosophie, Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Berlin, Berlin 2006.
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zu dekonstruieren, um der Logik von Epilog zu folgen. Die Wahrnehmungs- und Deutungskompetenz steht hier im Zentrum, methodisch sollte ein sicherer Umgang mit filmanalytischen Kategorien der Bildkomposition (Mise-en-Scène) gewährleistet sein.
c) Epilog als Kristallbild – Der metaphysische Reflexionsbereich Der nächste Baustein ist sicher der anspruchsvollste dieser Unterrichtsreihe, weil er an dem medialen Kern des Möglichkeitsraums Film rührt: Die Schülerinnen und Schüler reflektieren vor dem Hintergrund der filmischen Möglichkeit, Vergangenheit und Gegenwart durch die Montage einem linearen Zeitkontinuum zu entflechten, über den identitätsbildenden Prozess der Integration von Erfahrungen in die aktuelle Biografie anhand der Filmfiguren. Die theoretische Basis bildet hier Gilles Deleuze’ Idee vom »Kristallbild«13 , dem ästhetischen wie aisthetischen Effekt der visuellen Gleichzeitigkeit von Vergangenheit und Gegenwart14 im Filmbild. Der Fokus dieser Sequenz liegt auf einem Vergleich der beiden Mordszenen zu Beginn und zum Schluss des Films. Die Problematisierung der zu einem MöbiusBand montierten narrativen Logik Epilogs, die den vermeintlichen Widerspruch zwischen Vergangenheit und Gegenwart artikuliert, wird anhand der Theorie Deleuze’ (M 3) erörtert. Seine These, der Film zeige Kraft der Montagetechnik – wie ein Bild durch einen Kristall betrachtet – die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Zeitebenen, Gegenwart und Vergangenheit, in ein und demselben (Film-)Bild, kann nun auf eindringliche Weise mit dem doppelten, widersprüchlichen Tod der Protagonisten enggeführt werden. Die Schülerinnen und Schüler erstellen ein an die Bergson-Skizze (siehe Textmaterial) angelehntes Schaubild mit den Kernbegriffen aus Deleuze’ Theorie und verschränken dies mit Filmstills aus Epilog, die den Mord in jeweils unterschiedlicher Fassung darstellen. Durch diesen Schritt werden einerseits philosophische Thesen über das Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart aufgestellt und andererseits der Umgang mit der Montage von Filmbildern geschult. Die hohe Komplexität dieser Erörterung sollte genutzt werden, um auf eine abschließende Diskussion aufbauend einen Essay zu Epilog zu verfassen, der den Titel »Hier stimmt doch was nicht« trägt und den Ausgangspunkt für den abschließenden Baustein bildet.
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Deleuze, Gilles: Das Zeit-Bild. Kino 2, a. a. O., S. 351. Eine einführende Lektüre in Henri Bergsons Zeitphilosophie, auf die Deleuze sich bezieht, sei der Lehrkraft empfohlen, z. B.: Deleuze, Gilles: Henri Bergson zur Einführung, Junius Verlag, Hamburg 2007.
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d) Ein autobiografisches Déjà-vu-Erlebnis – der anthropologische Reflexionsbereich Ausgehend von dem konkreten Beispiel im Deleuze-Text – dem Vergleich des Kristallbildes mit einer Déjà-vu-Erfahrung – werden die Schülerinnen und Schüler aufgefordert, einen Film zu produzieren, der inhaltlich um ein autobiografisches Déjàvu-Erlebnis kreist. Methodisch wie inhaltlich sind indes sämtliche erarbeitete Aspekte einzubringen: Der bewusste Umgang mit der Kamera, die Gestaltung des Bildraumes (Mise-en-Scène) und die Montage müssen ebenso gewährleistet sein wie die ästhetische Umsetzung der behandelten Theorien auf der Handlungsebene. Als eine Leistungskontrolle könnte ein solcher Film zusammen mit einem dazugehörigen Portfolio im Sinne einer Arbeitsdokumentationsmappe verlangt werden, die über Storyboard, Projektdisposition und Reflexion verfügt. Im Rahmen eines solchen Filmprojekts entwickeln Schülerinnen und Schüler vor allem die praktische Kompetenz, eine ästhetische Orientierung in einer Vielfalt von philosophischen Deutungsansätzen zu gewinnen.
Ausblick auf die Filmphilosophie im Unterricht Die hier vorgeschlagene Unterrichtseinheit ist sicher erst in einem dritten oder vierten Kurshalbjahr in der Sekundarstufe II zu realisieren, wenn bereits Kenntnisse und Kompetenzen in den grundsätzlichen Disziplinen der Philosophie vorhanden sind. Gleichwohl dürfen die durch die Behandlung von Film im Philosophieunterricht eröffneten Chancen für das Fach nicht unterschätzt werden. Denn wenn Filmtheorie und -praxis als Phänomenologie verstanden wird, werden, wie Thomas Elsaesser und Malte Hagener deutlich machen, »die Wahrnehmung und das Denken, aber auch Erinnerung, Imagination, Emotion und Verlangen bis hin zum Körperbewusstsein, zur verkörperten Handlung und zur sozialen Aktivität einschließlich der Sprache« 15 als unterschiedliche Erfahrungsarten untersucht. Und eben in der Verzahnung einer pointierten Wirklichkeit und der philosophischen Reflexion liegt das philosophiedidaktische Potenzial des Films: »Kino bedeutet eine Maximierung der Erfahrungswelt, ein Mehr an allem, wodurch sich die Aufmerksamkeit auf die komplexe Wechselwirkung unserer Sinne und Fähigkeiten mit dem Verstehen richtet«16 , so Elsaesser und Hagner. Wenn sowohl der bewusste Umgang mit dem Medium Film als auch die ästhetische und philosophische Sensibilität für die eigene Lebenswirklichkeit ins Zentrum des Unterrichts gerückt werden, so arrangiert der Philosophieunterricht eine stetig prozessierende Wechselwirkung zwischen der Zeichenpraxis Film und der diskursiven Reflexion Philosophie, die sich nicht nur, aber auch an der (medialen) Erlebniswelt von Schülerinnen und Schülern orientiert.
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Elsaesser, Thomas; Hagener, Malte: Filmtheorie zur Einführung, a. a. O., S. 213. Ebd.
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SENDER mit vier Schnäbeln
ÄUSSE RUNG
Beziehungshinweis
Appell
Selbstkundgabe
Sachinhalt
E M PFÄN G E R mit vier Ohren
M 1 Friedemann Schulz von Thun: Das Vier-Ohren-Modell17
Das Kommunikationsquadrat ist das bekannteste und inzwischen auch weit ver breitete Modell von Friedemann Schulz von Thun. Bekannt geworden ist dieses Modell auch als »Vier-Ohren-Modell«. Die vier Ebenen der Kommunikation haben nicht nur Bedeutung für das private Miteinander, sondern auch und vor allem für den beruflichen Bereich, wo das Professionelle und das Menschliche ständig mit einander »verzahnt« sind. Wenn ich als Mensch etwas von mir gebe, bin ich auf vierfache Weise wirksam. Jede meiner Äußerungen enthält, ob ich will oder nicht, vier Botschaften gleichzeitig: · · · ·
eine Sachinformation (worüber ich informiere) – blau, eine Selbstkundgabe (was ich von mir zu erkennen gebe) – grün, einen Beziehungshinweis (was ich von dir halte und wie ich zu dir stehe) – gelb, einen Appell (was ich bei dir erreichen möchte) – rot.
Schulz von Thun hat daher 1981 die vier Seiten einer Äußerung als Quadrat darge stellt und dementsprechend dem Sender »vier Schnäbel« und dem Empfänger »vier Ohren« zugeordnet. Psychologisch gesehen sind also, wenn wir miteinander reden, auf beiden Seiten 4 Schnäbel und 4 Ohren daran beteiligt, und die Qualität des Ge spräches hängt davon ab, in welcher Weise diese zusammenspielen. Auf der Sachebene des Gesprächs steht die Sachinformation im Vordergrund, hier geht es um Daten, Fakten und Sachverhalte. Dabei gilt zum einen das Wahr heitskriterium wahr oder unwahr (zutreffend/nicht zutreffend), zum anderen das Kriterium der Relevanz (aufgeführte Sachverhalte für das anstehende Thema von Belang/nicht von Belang?), und zum Dritten erscheint das Kriterium der Hinläng lichkeit (sind die angeführten Sachhinweise für das Thema ausreichend, oder muss vieles andere auch bedacht sein?). Für den Sender gilt es also, den Sachverhalt klar
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Schulz von Thun Institut: Das Kommunikationsquadrat, auf https://www.schulz-von-thun.de/diemodelle/das-kommunikationsquadrat (Stand: 23.04.2019).
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und verständlich zu vermitteln. Der Empfänger, der das Sachohr aufgesperrt hat, hört auf: Daten, Fakten und Sachverhalte und hat entsprechend der drei genannten Kriterien viele Möglichkeiten einzuhaken. Selbstkundgabe: Wenn jemand etwas von sich gibt, gibt er auch etwas von sich. Jede Äußerung enthält auch, ob ich will oder nicht, eine Selbstkundgabe, einen Hinweis darauf, was in mir vorgeht, wie mir ums Herz ist, wofür ich stehe und wie ich meine Rolle auffasse. Dies kann explizit (»Ich-Botschaft«) oder implizit ge schehen. Dieser Umstand macht jede Nachricht zu einer kleinen Kostprobe der Persönlichkeit, was dem Sender nicht nur in Prüfungen und in der Begegnung mit Psychologen einige Besorgnis verursachen kann. Während der Sender also mit dem Selbstkundgabe-Schnabel, implizit oder explizit, Informationen über sich preisgibt, nimmt der Empfänger diese mit dem Selbstkundgabe-Ohr auf: Was sagt mir das über den anderen? Was ist der für einer? Wie ist er gestimmt? etc. Die Beziehungsseite: Ob ich will oder nicht: Wenn ich jemanden anspreche, gebe ich (durch Formulierung, Tonfall, Begleitmimik) auch zu erkennen, wie ich zum anderen stehe und was ich von ihm halte – jedenfalls bezogen auf den aktuellen Gesprächsgegenstand. In jeder Äußerung steckt somit auch ein Beziehungshinweis, für welchen der Empfänger oft ein besonders sensibles (über-)empfindliches Bezie hungs-Ohr besitzt. Aufgrund dieses Ohres wird entschieden: »Wie fühle ich mich behandelt durch die Art, in der der andere mit mir spricht? Was hält der andere von mir und wie steht er zu mir?« Appellseite: Wenn jemand das Wort ergreift und es an jemanden richtet, will er in der Regel auch etwas bewirken, Einfluss nehmen; den anderen nicht nur errei chen, sondern auch etwas bei ihm erreichen. Offen oder verdeckt geht es auf dieser Ebene um Wünsche, Appelle, Ratschläge, Handlungsanweisungen, Effekte etc. Das Appell-Ohr ist folglich besonders empfangsbereit für die Frage: Was soll ich jetzt machen, denken oder fühlen? M 2 Ernst von Glasersfeld: Grundlagen des Radikalen
Konstruktivismus18
Die konstruktivistische Denkweise, mit deren Ausarbeitung ich mich in den letzten fünfzehn Jahren befasst habe, setzt sich vor allem darin von der philosophischen Tradition ab, dass sie das herkömmliche Verhältnis zwischen der Welt der fassbaren Erlebnisse und der ontologischen19 Wirklichkeit durch ein anderes begriffliches Verhältnis ersetzt. Wo die Überlieferung, trotz Kant, zwischen Erlebnis und »Wirk lichkeit« stets Gleichförmigkeit, Übereinstimmung oder zumindest Korrespondenz
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Glasersfeld, Ernst von: »Konstruktion der Wirklichkeit und des Begriffs der Objektivität«, in: Gumin, Heinz; Meier, Heinrich (Hrsg.): Einführung in den Konstruktivismus. Mit Beiträgen von Heinz von Foerster, Ernst von Glasersfeld, Peter M. Heijl, Siegfried J. Schmidt und Paul Watzlawick, Veröffentlichungen der Carl Friedrich von Siemens Stiftung, Bd. 5, München 1992, S. 9–40: S.18–22. ontologisch: zu Ontologie = Wissenschaft vom Seienden.
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als natürliche und unerlässliche Voraussetzung betrachtete, postuliert der radikale Konstruktivismus die grundsätzlich andersartige Beziehung der Kompatibilität20 oder, wie ich sie in Anlehnung an den englischen Ausdruck nennen möchte, der Viabilität.21 Im Gegensatz zu der »ikonischen«22 Relation der Übereinstimmung, die – auch wenn nur eine ungefähre Annäherung postuliert wird – begrifflich auf Isomor phie23 beruht, ist die Relation der Viabilität auf den Begriff des Passens im Sinne des Funktionierens gegründet. Das heißt, etwas wird als »viabel« bezeichnet, so lange es nicht mit etwaigen Beschränkungen oder Hindernissen in Konflikt gerät. Ein metaphorisches Beispiel mag den Unterschied greifbarer machen. Ein blinder Wanderer, der den Fluss jenseits eines nicht allzu dichten Waldes erreichen möchte, kann zwischen den Bäumen viele Wege finden, die ihn an sein Ziel bringen. Selbst wenn er tausendmal liefe und alle die gewählten Wege in seinem Gedächtnis auf zeichnete, hätte er nicht ein Bild des Waldes, sondern ein Netz von Wegen, die zum gewünschten Ziel führen, eben weil sie die Bäume des Waldes erfolgreich vermei den. Aus der Perspektive des Wanderers betrachtet, dessen einzige Erfahrung im Gehen und zeitweiligen Anstoßen besteht, wäre dieses Netz nicht mehr und nicht weniger als eine Darstellung der bisher verwirklichten Möglichkeiten, an den Fluss zu gelangen. Angenommen der Wald verändert sich nicht zu schnell, so zeigt das Netz dem Waldläufer, wo er laufen kann; doch von den Hindernissen, zwischen denen alle diese erfolgreichen Wege liegen, sagt es ihm nichts, als dass sie eben sein Laufen hier und dort behindert haben. In diesem Sinn »passt« das Netz in den »wirklichen« Wald, doch die Umwelt, die der blinde Wanderer erlebt, enthält weder Wald noch Bäume, wie ein außenstehender Beobachter sie sehen könnte. Sie besteht lediglich aus Schritten, die der Wanderer erfolgreich gemacht hat, und Schritten, die von Hindernissen vereitelt wurden. […] Die Metapher des Waldläufers sollte klarmachen, dass das, was ein außenste hender Beobachter dem Läufer als »Kenntnis des Waldes« zuschreiben möchte, vom Gesichtspunkt des Läufers aus nur aus den erfahrenen Folgen seiner Laufhandlun gen bestehen kann. Das bedeutet nun aber, dass sein Begriff des Waldes, sofern er so einen Begriff geformt hat, ausschließlich aus Elementen besteht, die in seinem Bezugsschema negativ sind. Der »Wald« beginnt für den blinden Läufer, wo sein Laufen behindert oder vereitelt wird. Er erlebt den Wald sozusagen als die Gesamt heit jener Stellen eines Erlebensgebiets, die nicht begehbar sind, weil seinem Gehen da ein Hindernis entgegensteht (daher die ursprüngliche und durchaus buchstäb liche Bedeutung des Wortes »Gegenstand«). Solange Gehen die einzige Erfahrens dimension des Waldläufers ist, kann er Bäume, Steine, Wald, Boden und worauf sonst er stoßen mag, überhaupt nicht anders begreifen und beschreiben als in Aus drücken des Widerstandes, des Gehemmtwerdens, des Scheiterns. Seine Erfahrung 22 23 20 21
Kompatibilität: zu kompatibel: vereinbar, zusammenpassend, kombinierbar Viabilität: Nützlichkeit, Brauchbarkeit ikonisch: bildhaft Isomorphie: Gleichförmigkeit
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und die Kenntnis, die er aus ihr gewonnen hat, befähigen ihn zwar, immer sicherer, glatter und somit »besser« zu laufen, vermitteln ihm aber in keiner Weise ein Bild der Gegenstände, die seinem Laufen Schranken setzen. […] Wie der blinde Wanderer seine Vorstellung von der Umwelt nur aus den End punkten aufbauen konnte, die seine Bewegungsfreiheit beschränken, so bauen wir unser »Weltbild« aus Signalen auf, deren Ursprung wir uns ebenfalls nur in Berüh rungen mit Hindernissen der Umwelt vorstellen können. Wie diese Signale dann zu »Gegenständen« verbunden werden, hängt keineswegs nur davon ab, welche Signale unsere Sinnesorgane eben erzeugen. Im Gegenteil, eine genauere Untersu chung, sei sie »introspektiv«24 oder experimentell, zeigt, dass wir nie alle vorhan denen Signale verwenden, sondern durch unsere Aufmerksamkeit stets eine relativ kleine Anzahl auswählen, und diese Auswahl zudem durch die Vergegenwärtigung erinnerter Wahrnehmungen (die im Augenblick nicht von den Sinnesorganen spon tan erzeugt werden) je nach Bedarf ergänzen. Der »Bedarf« wird dabei durch den Zusammenhang des Handelns bestimmt, in dem wir uns gerade befinden; und die ser jeweilige Zusammenhang erfordert nie, dass wir die »Umwelt« so sehen, wie sie »in Wirklichkeit« ist (was wir ja ohnedies nicht könnten), sondern er verlangt nur, dass das, was wir wahrnehmen, uns zu erfolgreichem Handeln befähigt. M 3 Gilles Deleuze: Die Zeitkristalle25
Das Kristallbild oder die kristalline Beschreibung besitzt zwei Seiten, die nicht miteinander zu vermengen sind. Die Vermengung von Realem und Imaginärem ist nämlich ein Tatsachenirrtum und beeinträchtigt keineswegs ihre Unterscheidbar keit: Die Konfusion stellt sich einzig und allein »im Kopf« des Betreffenden ein. Die Ununterscheidbarkeit dagegen ist eine objektive Illusion; sie verhindert zwar nicht die Unterscheidung der beiden Seiten, wohl aber ihre Zuordnung, wobei jede Seite die Rolle der anderen innerhalb einer Relation einnimmt, die man als reziproke Voraussetzung oder als Umkehrbarkeit bezeichnen kann. Und in der Tat gibt es kein Virtuelles, das nicht durch Bezug auf das Aktuelle aktuell würde, während dieses innerhalb derselben Beziehung virtuell wird: Wir haben es hier mit vollständig umkehrbaren Vorder- und Rückseiten zu tun. […] Die Ununterscheidbarkeit von Realem und Imaginärem, von Gegenwärtigem und Vergangenem, von Aktuellem und Virtuellem entsteht folglich keineswegs im Kopf oder im Geist, sondern ist das objektive Merkmal gewisser Bilder, die von Natur aus doppelt sind. […] Dasjenige, was aktuell ist, ist stets ein Gegenwärtiges. Aber genau genommen ändert sich die Gegenwart oder geht vorüber. Es lässt sich immer sagen, dass sie dann zur Vergangenheit wird, wenn sie nicht mehr ist, wenn eine neue Gegenwart an ihre Stelle tritt. Doch dies will nichts besagen. Es ist notwendig, dass sie vergeht, damit die Ankunft einer neuen Gegenwart sich ereignen kann, und es ist gleicher
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introspektiv: zu Introspektion: Selbstbeobachtung Deleuze, Gilles: Das Zeit-Bild. Kino 2, a. a. O., S. 95 f. und S. 108–110.
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maßen notwendig, dass sie im selben Augenblick vergeht, in dem sie gegenwärtig ist, im selben Augenblick, in dem sie dies ist. Folglich ist es notwendig, dass das Bild gegenwärtig und vergangen ist, noch gegenwärtig und schon vergangen, beides zur gleichen Zeit. Wenn das gegenwärtige Bild nicht gleichzeitig schon vergangen wäre, dann würde die Gegenwart niemals vergehen. Die Vergangenheit folgt nicht auf die Gegenwart, die sie nicht mehr ist, sie ko existiert mit der Gegenwart, die sie gewesen ist. Die Gegenwart ist das aktuelle Bild, und seine zeitgleiche Vergangenheit ist das virtuelle Bild, das Spiegelbild. Bergson zufolge führt die »Paramnesie« (Déjà-vu) zur Erkenntnis dieser Evidenz: Es gibt eine Gegenwartserinnerung, die mit der Gegenwart selbst zeitgleich und an sie gebunden ist wie die Rolle an den Schauspieler. »Unsere aktuelle Existenz, je nach dem, wie sie sich in der Zeit entwickelt, verdoppelt also ihre virtuelle Existenz durch ein Spiegelbild. Jeder Augenblick unseres Lebens bietet demnach diese beiden Aspekte: Er ist aktuell und virtuell, einerseits Wahrnehmung und andererseits Erinnerung.«26 […] Es handelt sich um ein virtuelles Bild, das einem derartigen aktuellen Bild kor respondiert, anstatt sich zu aktualisieren oder sich in einem anderen aktuellen Bild aktualisieren zu müssen. Dabei ist es ein aktuell-virtueller Kreislauf auf der Stelle, nicht aber eine Aktualisierung des Virtuellen aufgrund eines durch Verschiebung betroffenen Aktuellen. Es ist ein Kristallbild. […] Das Kristallbild wird durch die grundlegendste Operation der Zeit konstituiert: Da sich die Vergangenheit nicht nach der Gegenwart, die sie gewesen ist, bildet, sondern gleichzeitig mit ihr, muss sich die Zeit in jedem Augenblick in Gegenwart und Vergangenheit aufteilen, die naturgemäß voneinander differieren, oder, was auf das gleiche hinausläuft, sie muss die Gegenwart in zwei heterogene Richtungen teilen, wobei die eine auf die Zukunft hinstrebt und die andere in die Vergangenheit fällt. Es ist erforderlich, dass sich die Zeit aufspaltet, während sie gleichzeitig ver läuft oder sich gibt [se pose]: […] Die Zeit besteht aus dieser Spaltung, wobei sie es ist, die man im Kristall sieht.
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Deleuze hat diese Stelle entnommen aus: Bergson, Henri: L’énergie spirituelle, Félix Alcan, Paris 1919, S. 136.
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M 4 Schaubild nach Bergson27
Zweifellos ist der Punkt S die aktuelle Gegenwart; doch genau genommen ist er kein Punkt, da er ja die Ver gangenheit dieser Gegenwart miteinbezieht. Was die Kegelschnitte AB, A’B’ … betrifft, so handelt es sich bei ihnen nicht um psychische Kreisläufe, denen Erinne rungs-Bilder korrespondieren würden, sondern es sind rein virtuelle Kreisläufe, von denen jeder unsere Ver gangenheit umfasst, so wie sie sich in sich selbst be wahrt (die reinen Erinnerungen); Bergson lässt daran keinerlei Zweifel. Die psychischen Kreisläufe der Erin nerungsbilder oder der Traum-Bilder konstituieren sich allein dann, wenn wir von S zu einem dieser Schnitte »springen«, um diese oder jene Virtualität zu aktuali sieren, die von nun an zu einem neuen gegenwärtigen S’ hinabsteigen muss.
A
B
A’
B’
A’’
B’’
S
Quelle: Willems, Eric: »›Hier stimmt doch was nicht‹. ›Epilog‹ – Sekundarstufe ll«, in: Ethik & Unterricht 20, 2009, Heft 3: Film, S. 50–56 (vom Autor für diesen Band überarbeitet).
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Deleuze, Gilles: Das Zeit-Bild. Kino 2, a. a. O., S. 379; Schaubild und Text stammen aus: Bergson, Henri: Matière et mémoire, Félix Alcan, Paris 1911, S. 302.
Das Ende des Einen, der Neuanfang des Anderen Ethische Aspekte der Transplantationsmedizin anhand einer Folge der US-amerikanischen Arztserie Dr. House* Katrin Seele und Peter Seele Thematische Einleitung Bei einer Organtransplantation (hier postmortale Organspende) wird das Organ eines gerade gestorbenen Menschen in den Organismus eines schwerkranken Menschen verpflanzt. Organtransplantationen können bei verschiedenen schweren Krankheiten oder nach Unfällen die letzte oder einzige Möglichkeit sein, ein Leben zu retten oder die Lebensqualität erheblich zu verbessern. Die Voraussetzung einer solchen auf postmortaler Organspende beruhenden Transplantation ist allerdings der Tod eines anderen Menschen, der sich für eine Organspende entschieden hat – so die derzeitige Regelung in Deutschland. Aktuell ist die Organspende in Deutschland wieder im Gespräch aufgrund eines jüngst vorgelegten Gesetzesentwurfs, der vorschlägt, dass jede/-r Bürger/-in aktiv der postmortalen Organspende widersprechen muss, um nicht automatisch Spender/-in zu werden. Damit soll dem Mangel an Spenderorganen entgegengewirkt werden.1 So oder so: Das Ende eines Menschenlebens wird bei der postmortalen Organtransplantation zur Voraussetzung der Rettung oder qualitativen Verbesserung eines anderen Lebens. Dieser Prozess birgt, wie auch der 2012 publik gewordene OrganspendeSkandal an verschiedenen deutschen Transplantationszentren zeigte, eine Vielzahl
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Dr. House (O: House, M.D., USA 2004–2012; Regie: diverse; Episoden: 177 in 8 Staffeln je 43 Min.; Altersfreigabe: FSK 16. – Hier: Staffel 2, Episode 14 (insgesamt Episode 36): Sex wird unterschätzt (O: Sex Kills), Regie: David Semel. Der vorliegende Artikel ist ein genehmigter aktualisierter Wiederabdruck von: Seele, Katrin; Seele, Peter: Das Ende des Einen, der Neuanfang des Anderen: Ethische Aspekte der Transplantationsmedizin, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 35/3 (2013), S. 51–67. Schmergal, Cornelia: »Spahn und Lauterbach legen Gesetzentwurf zur Organspende vor«, in: SPIEGEL Online, Ausg. v. 28.03.2019, auf: https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/organspende-jensspahn-und-karl-lauterbach-legen-gesetzentwurf-vor-a-1260188.html (Stand: 24.4.2019).
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von ethischen Fragestellungen. Auf einige ethische Fragestellungen im Kontext von Organspende und Organtransplantation gehen wir im Rahmen der hier vorgestellten Unterrichtssequenz und mit Hilfe einer Serienfolge der US-amerikanischen Arztserie Dr. House anschaulich ein. Derzeit können bereits zahlreiche Gewebearten erfolgreich von einem Körper auf den anderen übertragen werden. Während Blut, Knochenmark, Haut oder auch Nieren von lebenden Personen transplantiert werden können, liegt es in der Natur der Transplantation unpaariger, singulärer Organe wie Herz oder Bauchspeicheldrüse, dass ihnen der Tod eines Menschen vorausgeht. Aber auch paarige Organe wie die Niere werden häufiger von Leichen als von Lebendspendern transplantiert.2
Das Ende des Einen: Wann ist das? Das erste ethische Problem, das sich im Rahmen einer Organtransplantation eines Leichnams stellt und das für den Philosophieunterricht in der Sekundarstufe II eine relevante Diskussionsgrundlage bietet, ist das Problem der Definition des Todeszeitpunktes. Es liegt auf der Hand, dass zu transplantierende Organe möglichst »frisch« (im Sinne von zeitnah entnommen) sein müssen, wenn sie nach dem Tod einer Person in einer anderen Person weiterleben sollen. Gleichzeitig ist es ethisch unzweifelhaft, dass einer Person nur dann lebensnotwendige Organe entnommen werden dürfen, wenn sie definitiv tot ist. Aber was bedeutet das: tot sein? Stellt man den Schülerinnen und Schülern diese Frage nach der Definition des Todes oder des Todeszeitpunkts, so zeigt sich, wie schwierig eine genaue Festlegung ist. In der medizinischen Praxis gilt als Definition des Todes und damit als Kriterium, ab wann ein Mensch für tot erklärt und somit seine Organe zur Transplantation freigegeben werden können, das sogenannte »Hirntod-Kriterium«: Die Bundesärztekammer definiert den Hirntod »als Zustand der irreversibel erloschenen Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms. Dabei wird durch kontrollierte Beatmung die Herz- und Kreislauffunktion noch künstlich aufrechterhalten.« 3 Die Definition geht auf ein 1968 veröffentlichtes Gutachten einer Kommission der Harvard Medical School zurück, das seinerzeit verfasst wurde, um – angesichts der Fortschritte in der Intensivmedizin – eine Grundlage zu schaffen, künstlich lebenserhaltende Maßnahmen bei Komapatienten mit irreversibler Hirnschädigung abbrechen zu können. 4 Die Bundesärztekammer legt in ihren Richtlinien zur definitiven Feststellung des Hirntodes folgende Kriterien fest:
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Ach, Johann S.; Marckmann, Georg: »Transplantationsmedizin«, in: Wiesing, Urban (Hrsg.): Ethik in der Medizin. Ein Reader, UB 18069, Philipp Reclam jun., Stuttgart 2004, S. 294–303. Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer: »Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes. Dritte Fortschreibung 1997 mit Ergänzungen gemäß Transplantationsgesetz (TPG)«, in: Deutsches Ärzteblatt 95, 1998, Heft 30, S. A-1861–A-1868; vgl. Deutsche Stiftung Organtransplantation: Kein Weg zurück … Informationen zum Hirntod, Lindner & Steffen, Frankfurt am Main 72012. Ad-hoc-Komitee der Harvard Medical School: »Tod. Eine Definition durch das irreversible Koma«, in: Wiesing, Urban (Hrsg.): Ethik in der Medizin. Ein Reader, a. a. O., S. 308 f.
Ethische Aspekte der Transplantationsmedizin anhand einer Folge von Dr. House
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¬ Das Vorliegen einer akuten schweren Hirnschädigung und der Ausschluss potentiell reversibler Zustände. ¬ Eine klinische Untersuchung, bei der zwei Ärzte unabhängig voneinander beim Patienten eine tiefe Bewusstlosigkeit (Koma) und eine Hirnstamm-Areflexie feststellen müssen. ¬ Die Irreversibilität der klinischen Ausfallsymptome muss entweder durch eine erneute klinische Untersuchung (abhängig von Lebensalter und Schädigung nach 12 bis 72 Stunden) oder durch technische Verfahren (z. B. EEG) nachgewiesen werden. 5 Ethisch ist hier mit den Schülerinnen und Schülern zu reflektieren, ob diese Todesdefinition und ihre diagnostische Sicherstellung dem Todesverständnis in kultureller und emotionaler Hinsicht entsprechen und ob sie eine Erklärung des Todes zum Zeitpunkt des Hirntodes als angemessen empfinden. Zur kulturellen Einordnung dient die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz/des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Hirntodkriterium und zur Organtransplantation (M1).
Ethikunterricht mit Dr. House – fachdidaktische Verortung Zum anschaulichen Einstieg in den hier vorgestellten Unterrichtsgegenstand bietet sich die Folge 14 Sex Kills der zweiten Staffel der US-amerikanischen Arztserie Dr. House an, wobei davon abzuraten ist, die Folge komplett im Unterricht vorzustellen, da sie mehrere Handlungsstränge enthält, von denen nur der eine für das Thema Ethik in der Transplantationsmedizin relevant ist. Stattdessen ist es sinnvoll, sich auf den Handlungsstrang zu konzentrieren, der das Thema Organspende zum Inhalt hat – wir werden in den entsprechenden Passagen dieses Beitrages jeweils auf die Laufzeit der DVD verweisen, da aus urheberrechtlichen Gründen eine Publikation des Dialog-Transkripts hier nicht möglich ist. Jörg Peters und Bernd Rolf zufolge liegt das didaktische Potenzial des Einsatzes von Spielfilmen im Philosophieunterricht im »Bezug auf die Erfahrungen oder [die] Lebenswelt«. Die Autoren empfehlen daher den Film als »Mittel gegen die Abstraktheit des Ethik- und Philosophieunterrichts«. 6 Lernpsychologisch begründen sie dies mit der Anschaulichkeit und emotionalen Zugänglichkeit von Filmen: Ein Film ermögliche konkrete Erfahrungen und könne unmittelbar unsere Gefühle ansprechen; dies sei wünschenswert, da »wir uns an emotional gefärbte Erlebnisse besser als an neutrale erinnern«.7 Ein weiteres Charakteristikum des Films sei die Identifikation des Betrachters mit den Figuren des Films, die stärker ausfalle, als beim
Ach, Johann S.; Marckmann, Georg: »Einführung [in das Kapitel: Todesbegriff und Hirntod-Kriterium]«, in: Wiesing, Urban (Hrsg.): Ethik in der Medizin. Ein Reader, S. 300–308: S. 306. 6 Peters, Jörg; Rolf, Bernd: »Spielfilme im Philosophie- und Ethikunterricht«, in: Brüning, Barbara; Martens, Ekkehard (Hrsg.): Anschaulich philosophieren. Mit Märchen, Fabeln, Bildern und Filmen, Philosophie und Ethik unterrichten, Bd. 5, Beltz Verlag, Weinheim/Basel 2007, S. 116–136: S. 117. 7 Ebd. 5
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Katrin Seele und Peter Seele
Betrachten unbewegter Bilder: »Stärker noch als im Roman erleben wir das Dargestellte, als wären es unsere eigenen Erlebnisse.« 8 Dies kann besonders im Ethikunterricht von Nutzen sein. Wie das hier vorgestellte Unterrichtsbeispiel anhand der Folge der Arztserie zeigt, präsentiert der Filmausschnitt eine Vielzahl von Figuren, die auf verschiedene Arten und Weisen zu Identifikationspersonen für die Schülerinnen und Schüler werden können und für deren Argumentationen und Handlungen sie bewusst oder unbewusst Partei ergreifen können. Dies kann mit Hilfe diskursiver Verfahren, beispielsweise der Unterrichtsmethode der »Amerikanischen Debatte« (s. u.), nutzbar gemacht werden. Ein häufiges Problem beim Einsatz von Filmen im Unterricht ist die Länge des Films bei knapper Unterrichtszeit. Auch Peters und Rolf beklagen, dass es zahlreiche Filme mit philosophischem Inhalt gibt, »die man nur verstehen kann, wenn man sie vollständig kennt«.9 Hier bietet der Einsatz einer Serienfolge planerisch große Vorzüge: Selbst wenn man die Folge in voller Länge ansehen wollte, so ist sie weniger als 45 Minuten lang. Da verschiedene Handlungsstränge erzählerisch verwoben sind, von denen nicht alle für das Unterrichtsthema relevant sind, kann man die Ansichtszeit der relevanten Ausschnitte problemlos auf 10–15 Minuten reduzieren, in denen allerdings die für den Unterricht relevante Story filmisch vollständig erzählt wird.
Der behandelte Handlungsstrang In dem im Unterricht behandelten Handlungsstrang der Folge 14 der zweiten Staffel geht es um einen an sich gesunden 65-jährigen Mann, der infolge einer Infek tionskrankheit einen Herzinfarkt erleidet und daraufhin eine Herztransplantation benötigt10 . Da transplantationsfähige Herzen Mangelware sind, entscheidet die Krankenhausleitung, dass er aufgrund seines Alters nicht auf die Transplantationsliste gesetzt werden soll.11 Der behandelnde Arzt »beschafft« daraufhin das Herz einer hirntoten Unfallpatientin, das wegen zu geringer Organqualität (die Spenderin war übergewichtig und hatte zudem zum Todeszeitpunkt einen fiebrigen Infekt) formal als nicht transplantationsfähig eingestuft wurde. Folgende ethische Fragen, die im Rahmen von Unterrichtssequenzen in der Sekundarstufe II (in der »Einführung in die Philosophie« oder in der »Ethik«) behandelt werden können, werden darin tangiert:
Wann ist ein Mensch tot? (sichere und unsichere Todeskriterien) (M2) Wann darf man ihm Organe entnehmen?
10 8 9
11
Ebd., S. 119. Ebd., S. 120. Dr. House, Staffel 2, Episode 14: Sex Kills (dt. Sex wird unterschätzt), Universal Pictures Germany 2012, Zeit: 0:13:54 – 0:14:24. Ebd., Zeit: 0:15:31 – 0:16:56 und 0:16:56 – 0:17:40.
Ethische Aspekte der Transplantationsmedizin anhand einer Folge von Dr. House
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Wenn es mehr Transplantationsbedürftige als Transplantate gibt: Wem soll man die transplantationsfähigen Organe geben? Nach welchen Kriterien? Alter, Familien situation, Integrität?
Ist im Zweifelsfall die Würde des Verstorbenen und die Rücksichtnahme gegenüber der Trauer seiner Angehörigen oder die Rettung des Lebens des Transplantatempfängers wichtiger?
Soll man qualitativ minderwertige Organe von Verstorbenen mit Organspendeausweis nicht verwenden? Oder doch, unter bestimmten Voraussetzungen? Diese Fragen lassen sich anhand der Folge der Fernsehserie veranschaulichen und anschließend anhand von ausgewählten Arbeitsmaterialien problematisieren und disku tieren.
Didaktische Nutzung der Serienszenen Als Einstieg dienen zwei Szenen12 , die sich die Schülerinnen und Schüler zunächst ansehen. Sie fungieren als Basis für eine »amerikanische Debatte«, die im Anschluss stattfinden soll; nachdem sich die Schülerinnen und Schüler in zwei Gruppen aufgeteilt haben, erhalten beide Gruppen für das zweite Ansehen der beiden Szenen zwei unterschiedliche Arbeitsaufträge: Gruppe 1 soll sich die Argumente notieren, die dafür sprechen, dass der Herzpatient Henry Errington trotz seines Alters ein Spenderherz bekommen soll. Gruppe 2 soll die Argumente des Vergabeausschusses sammeln, die gegen diese Organtransplantation sprechen. Nach dem erneuten Ansehen bilden die Schülerinnen und Schüler Arbeitsgruppen von 4–5 Personen (jeweils nach Zugehörigkeit zu Gruppe 1 oder 2) und bearbeiten folgende Aufgabe zur Vorbereitung einer amerikanischen Debatte: Jede Kleingruppe soll – ergänzend zu den im Serienausschnitt genannten Argumenten – weitere Argumente finden. Alle Argumente werden in prägnanten Schlagworten auf große Papierstreifen geschrieben. Jetzt muss die Gruppe die Argumente nach Relevanz sortieren und entscheiden, ob sie ihre Argumentation vom stärksten zum schwächsten Argument oder umgekehrt aufbauen will. Im Folgenden wird eine amerikanische Debatte durchgeführt, bei der jeweils zwei Kleingruppen gegeneinander antreten. Die nicht debattierenden Schülerinnen und Schüler sind Beobachterinnen und Beobachter, die am Ende der Debatte sagen werden, welche Position sie überzeugen konnte. Im Anschluss wechseln Beobachtende und Debattierende. M1 und M2 haben wir oben schon erläutert. M3 zeigt den formalen Ablauf einer Organspende in Deutschland, M4 einen Organspenderausweis, M5 das Missverhältnis von Wartenden und verfügbaren Spenderorganen am Beispiel Niere. Diese Materialien dienen der grundsätzlichen Information der Schülerinnen und Schüler, zugleich können diese anhand der Materialien die folgenden Fragen vorab erörtern:
12
Ebd., Zeit: 0:13:54 – 0:14:24 und 0:15:31 – 0:16:56.
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Würden Sie Ihre Organe spenden? Mit welchen Ängsten und Risiken ist eine Organspende für Sie als Spender behaftet? Mit welchen Chancen verbinden Sie eine Organspende? Erscheint Ihnen der Organspendeprozess in Deutschland als »sicher« und »zuverlässig« geregelt? In M6 sind Pro- und Contra-Argumente zur Organspende aufgelistet. Eine vergleichbare Liste können die Schülerinnen und Schüler im Unterricht erarbeiten oder die vorhandene Liste anhand ihrer Überlegungen vervollständigen. M7 enthält ergänzend die Richtlinie der Bundesärztekammer zur medizinischen Beurteilung von Organspendern gem. § 16 TPG und gibt Antworten auf die Frage, welche Transplantate überhaupt in Deutschland zur Transplantation kommen können. Die Texte bieten sich für eine Analyse an, welche Maßnahmen zum Schutz von Organspendende auf der einen und Organempfangenden auf der anderen Seite ergriffen werden. Zur Veranschaulichung dient der Filmausschnitt, in dem Dr. House erwägt, dem Patienten, der ein Spenderherz benötigt, aber aufgrund seines Alters keines zugesprochen bekam, ein Organ von medizinisch minderwertiger Qualität zu transplantieren.13 Zu diskutieren ist hier:
Ist es ethisch zu vertreten, einer Person ein »minderwertiges« Organ zu transplantieren, wenn dadurch ihr Tod verhindert werden kann, auch wenn die Transplantation erhebliche Risiken birgt?
Und ist es andererseits ethisch zu rechtfertigen, dass Spenderorgane aufgrund »minderer Qualität« vernichtet werden, auch wenn es Wartelisten von Patientinnen bzw. Patienten gibt, für die eine Transplantation eines einwandfreien Organs möglicherweise zu spät kommt?
Neuanfang des Anderen: Um welchen Preis? Zwei weitere Filmsequenzen wenden sich den Themen Würde und Pietät zu14 : Wie ist die Würde des Verstorbenen, wie sind die Gefühle seiner Angehörigen zu behandeln, v. a. dann, wenn ihre Interessen mit Maßnahmen im Umfeld der Transplantation im Konflikt stehen? Kontrastiv bietet sich hier wiederum M1 zur Diskussion an. Eine Organtransplantation bedeutet nicht nur das »Ende« eines Menschenlebens (im Falle der Leichentransplantation), sondern auch die Rettung oder qualitative Verbesserung eines anderen, nämlich des Empfangendenlebens. Gleichzeitig gibt es eine Reihe von Herausforderungen, die trotz massiver Erkrankung eine Transplantation verhindern können. Man kann also davon ausgehen, dass sich eine Vielzahl von Transplantatempfangenden ebenfalls im Vorfeld der Transplantation mit Gedanken an Tod und Abschied sowie massiven Ängsten auseinandersetzen muss
13
14
Ebd., Zeit: 0:16:05 – 0:21:10. Ebd., Zeit: 0:20:39 – 0:22:19 und 0:23:17 – 0:24:36.
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ten. Der Moment der Transplantation nimmt daher den Stellenwert eines Neuanfangs ein, da er in der Regel die Zäsur zwischen einem Leben markiert, das zwar formal noch nicht zu Ende war, das aber aus organischen Gründen in nächster Zukunft mit dem Tod geendet hätte. Dass diese plötzliche Auseinandersetzung mit der Todesangst auch junge Menschen unerwartet treffen kann, zeigt M8. Die dort porträtierte junge Schweizerin schildert ihre Herztransplantation und auch Fragen der Identität des Selbst und des Anderen, die durch ein fremdes Organ im Körper im Hinblick auf diesen Neuanfang aufgeworfen werden: Was übernehme ich eigentlich durch das fremde Organ – wird es absolut zum Teil meiner Selbst, oder bleibt es ein Fremdkörper? Hat das Organ ein Eigenleben, ein eigenes Wesen? Ändert sich mein Charakter durch das fremde Organ, von dem ich nicht weiß, von wem es kommt? Ändert sich mein Wesen dadurch, dass ich nur dadurch lebe, dass jemand anderes gestorben ist? Die Lektüre von M8 ist eine Einladung an die Schülerinnen und Schüler zum Inne halten und zu einer essayistischen Reflexion (vgl. Fragen im Anhang zu M8). Das Thema Organtransplantation ist innerhalb der Fachgliederung des Fachs Philosophie in der Sekundarstufe II sinnvollerweise dem Bereich Ethik oder dem Bereich der Einführung in den Philosophieunterricht zuzuordnen. Es eignet sich sehr gut als Einstieg in das Feld Ethik, da es ein Thema von allgemeinem, existenziellem Interesse ist, das jede Schülerin und jeden Schüler betrifft und daher die Relevanz ethischer Abwägungen und Entscheidungsfindung zu verdeutlichen vermag.
M 1 Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des
Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (Auszug)15
Sichere Feststellung des Todes: Der Hirntod bedeutet ebenso wie der Herztod den Tod des Menschen. Mit dem Hirntod fehlt dem Menschen die unersetzbare und nicht wiederzuerlangende körperliche Grundlage für sein geistiges Dasein in dieser Welt. Der unter allen Lebewesen einzigartige menschliche Geist ist körperlich aus schließlich an das Gehirn gebunden. Ein hirntoter Mensch kann nie mehr eine Beobachtung oder Wahrnehmung machen, verarbeiten und beantworten, nie mehr einen Gedanken fassen, verfolgen und äußern, nie mehr eine Gefühlsregung emp finden und zeigen, nie mehr irgendetwas entscheiden. Nach dem Hirntod fehlt dem Menschen zugleich die integrierende Tätigkeit des Gehirns für die Lebensfähigkeit des Organismus: die Steuerung aller anderen Organe und die Zusammenfassung ihrer Tätigkeit zur übergeordneten Einheit des selbständigen Lebewesens, das mehr und etwas qualitativ anderes ist als eine bloße Summe seiner Teile. Hirntod bedeu
15
Organtransplantationen – Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der EKD, Bonn/ Hannover 1990, S. 10 f. u. S. 13, auf: https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/veroeffentlichun gen/gem-texte/GT_01.pdf (Stand: 23.04.2019).
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tet also etwas entscheidend anderes als nur eine bleibende Bewusstlosigkeit, die allein noch nicht den Tod des Menschen ausmacht. Ethische Beurteilung: Die Organentnahme von Verstorbenen ist der Lebend spende eindeutig vorzuziehen, da hierbei niemand eine Beeinträchtigung seiner Gesundheit oder gar eine Gefährdung seines Lebens auf sich nehmen muss. Die Pietät vor dem menschlichen Leichnam und die Achtung vor den Gefühlen der Angehörigen müssen gewahrt bleiben. Der menschliche Leichnam war zu Leb zeiten Träger der menschlichen Person. Deshalb verbietet sich seine respektlose Behandlung. Das Recht auf die Integrität des Leichnams besitzt keine absolute Gültigkeit. Es kann zurücktreten hinter der Solidarität mit einem Schwerkranken oder gar vom Tod bedrohten Mitmenschen. Für die Transplantation von Geweben und Organen eines Verstorbenen müssen folgende Bedingungen erfüllt sein: Die Möglichkeit einer Organentnahme darf die Bemühungen um das Leben des Spenders und seine Behandlung nicht behindern oder einschränken. Der Tod des Spenders muss vor der Explantation zweifelsfrei feststehen. Die rechtliche Voraussetzung der Explantation muss erfüllt sein. Der Eingriff muss die Würde des Verstorbenen achten und darf die Empfindun gen von Angehörigen nicht leichtfertig verletzen. Die Organe müssen nach sachlich und ethisch vertretbaren Regeln verteilt werden. Eine sachgemäße Explantation von Geweben und Organen verletzt weder die Würde des Verstorbenen noch die Ruhe des Toten. M 2 Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes der
Bundesärztekammer16
Einleitung: Die folgenden Richtlinien sind verpflichtende Entscheidungsgrund lagen für den Arzt, der die unteilbare Verantwortung für die Feststellung des Hirn todes trägt. Mit dem Hirntod ist naturwissenschaftlich-medizinisch der Tod des Menschen festgestellt. Wird vom Arzt ein äußeres sicheres Zeichen des Todes festgestellt, so ist damit auch der Hirntod nachgewiesen. Die Erfüllung der Voraussetzungen, die obligate Feststellung von Bewusstlosig keit (Koma), Hirnstamm-Areflexie und Atemstillstand (Apnoe) sowie die vorgese henen Beobachtungszeiten oder geeignete ergänzende Untersuchungen geben dem Arzt die Sicherheit, den Hirntod festzustellen und zu dokumentieren. […]
16
Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer: »Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes. Dritte Fortschreibung 1997 mit Ergänzungen gemäß Transplantationsgesetz (TPG)«, in: Deutsches Ärzteblatt 95, 1998, Heft 30, S. A-1861–A-1868: A-1861, auf: https://www.bundesaerztekam mer.de/fileadmin/user_upload/downloads/Hirntodpdf.pdf (Stand: 23.04.2019).
Ethische Aspekte der Transplantationsmedizin anhand einer Folge von Dr. House
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Definition; Diagnose: Der Hirntod wird definiert als Zustand der irreversibel erloschenen Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms. Dabei wird durch kontrollierte Beatmung die Herz- und Kreislauffunktion noch künstlich aufrechterhalten. Die Diagnose des Hirntodes erfordert · die Erfüllung der Voraussetzungen, · die Feststellung der klinischen Symptome Bewusstlosigkeit (Koma), HirnstammAreflexie und Atemstillstand (Apnoe), sowie · den Nachweis der Irreversibilität der klinischen Ausfallsymptome. M 3 Ablauf von Organspende und Organtransplantation17
Ob der Verstorbene seinen Willen zur Organspende z. B. in einem Organspendeaus weis dokumentiert oder mündlich mitgeteilt hat, klärt in den meisten Fällen der be handelnde Arzt mit den Angehörigen. Ist keine Entscheidung bekannt, werden die Angehörigen gebeten, eine Entscheidung nach dem vermuteten Willen des Verstor benen oder nach eigenen Wertvorstellungen zu treffen. In vielen Fällen nimmt an diesen Gesprächen auch ein DSO-Koordinator teil. Auf Wunsch können die Hinter bliebenen weitere Personen zur Entscheidungsfindung hinzuziehen. Die Gespräche werden gemäß dem TPG ergebnisoffen geführt. Ziel der DSO ist es, die Angehörigen in dieser Situation zu begleiten und ihnen zu helfen, eine stabile Entscheidung zu treffen, unabhängig davon, wie diese ausfällt.
Ablauf einer Organspende
Krankheit oder Unfall mit schwerer Hirnschädigung Todesfeststellung
Stand: 20.04.2016
(irreversibler Hirnfunktionsausfall)
17
Transplantation
Meldung des Spenders an die DSO
Organtransport
Angehörigengespräch
Organentnahme
medizinische Untersuchungen des Verstorbenen
Übertragung von Daten zur Organvermittlung an Eurotransplant Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO): Hintergrundinformation: Ablauf einer postmortalen Organspende, auf: https://www.dso.de/fileadmin/templates/media/Uploads/PDFs/Hintergrundinformationen/12_2015/Hintergrund_ Ablauf_einer_postmortalen_Organspende.pdf (Stand: 23.04.2019); Grafik: Ablauf einer Organspende, auf: https://www.dso.de/fileadmin/ templates/media/Uploads/PDFs/Hintergrundinformationen/07_2018/20160420_Ablauf_OS_ DE.jpg (Stand: 23.04.2019). (Die Infografik wurde für diesen Band geringfügig modifiziert.)
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Katrin Seele und Peter Seele
M 4 Organspendeausweis18
18
Bundesministerium für Gesundheit: Organspendeausweis, auf: https://www.bundesgesund heitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/O/Organspende/Organspendeausweis_ ausfuellbar.pdf (Stand: 23.04.2019).
Ethische Aspekte der Transplantationsmedizin anhand einer Folge von Dr. House
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M 5 Verhältnis von Spenderorganen und auf eine Organspende
Wartenden am Beispiel Niere19
M 6 Pro und Contra Organspende20
Pro Organspende ¬ Mit einer Organspende kann einem anderen Menschen das Leben gerettet werden. ¬ Jeder und jede könnte selber mal eine Organtransplantation benötigen. ¬ Die Organspende ist anonym und kostenlos. ¬ Bei der Zuteilung eines Organs darf niemand diskriminiert werden. ¬ Alle großen Weltreligionen befürworten die Organspende. Contra Organspende ¬ Bei der Frage, wann ein Mensch wirklich tot ist, gehen die Meinungen auseinander. So ist umstritten, ob ein hirntoter Mensch wirklich tot ist. ¬ Bis zur Organentnahme wird der Kreislauf des hirntoten Spenders aufrecht erhalten. Dies kann für die Angehörigen sehr belastend sein. ¬ Missbräuche können trotz strenger Vorschriften nie ganz ausgeschlossen werden.
19
20
Eurotransplant: Statistik, auf: http://urologie.uniklinikum-dresden.de/resources/lib_doc/speci fications/kidney_transplant.html (Stand: 01.10.2010). Bisig, Nicole: »Organspenden. Ein letztes Geschenk«, in: Beobachter, 11/2007, auf: https:// novaria.ch/organspenden-ein-letztes-geschenk/ (Stand: 23.04.2019).
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M 7 Richtlinie zur medizinischen Beurteilung von Organspendern
gem. § 16 TPG21
1. Vorbemerkung Die Transplantation von menschlichen Organen, Geweben und Zellen ist häufig die einzig mögliche lebensrettende Maßnahme für lebensbedrohlich erkrankte Patien ten. In vielen Fällen kann die Lebenserwartung, in anderen Fällen die Lebensqua lität der Patienten erheblich gesteigert werden, indem funktionsunfähige Organe durch Spenderorgane ersetzt werden. […] Zur Beurteilung der Funktionen von Spenderorganen und möglicher individu eller Risiken sind umfassende Maßnahmen notwendig, um einen optimalen Erfolg für den Organempfänger sicherzustellen. […] 2. Anforderungen an die Untersuchungen des Organspenders Bei allen Organspendern ist die Erhebung und Dokumentation einer Anamnese22 (Fremdanamnese) ebenso notwendig wie die Kenntnis des körperlichen Untersu chungsbefundes. Daraus ergeben sich möglicherweise Notwendigkeiten zu umfas senderen Voruntersuchungen oder gegebenenfalls zur Kontaktaufnahme mit einem behandelnden Arzt (§ 7 Abs. 2 TPG). Die Erhebung dieser Daten dient insbesondere der Erkennung übertragbarer Infektions- sowie maligner23 Erkrankungen. Wegen Infektionskrankheiten werden auch Angaben zu etwaigen vorausgegangenen Auf enthalten in sog. Risikogebieten benötigt. Entsprechendes gilt für die organspezi fischen Funktionsparameter24. Darüber hinaus sind die in der Anlage 1 genannten Untersuchungen notwendig. Beim Vorliegen von Verdachtsmomenten aufgrund der Anamnese sind weitergehende Blut- oder Gewebsuntersuchungen durchzu führen. Zum Schutz der Organempfänger ist eine Obduktion 25 anzustreben. Soll ten im Spenderkrankenhaus Befunde erst nach Organentnahme oder durch eine Obduktion bekannt werden, sind diese der Koordinierungsstelle und der Vermitt lungsstelle unverzüglich zur Weitergabe an die Empfängerkrankenhäuser mitzuteilen.
21
22
25 23
24
Bundesärztekammer: Bekanntmachungen: Richtlinien zur Organtransplantation gem. § 16 TPG Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S 1 Nr. 4 a) und b) TPG zur medizinischen Beurteilung von Organspendern und zur Konservierung von Spenderorganen, auf: https://www.bundesaerztekammer.de/file admin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/RL/RiliOrgaEmpfaengerschutzMedBeurt20150424. pdf (Stand: 23.04.2019). Anamnese: im Gespräch ermittelte Vorgeschichte eines Patienten in Bezug auf seine aktuelle Erkrankung. maligne: bösartig (häufig verwendet bei Tumorkrankheiten). Funktionsparameter: Funktionseigenschaften. Obduktion: Leicheneröffnung zur Feststellung der Todesursache.
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3. A nforderungen an die Qualität der entnommenen Organe und die Qualifikation des explantierenden26 Arztes […] Bei der Organentnahme beobachtete anatomische Varianten und pathologi sche27 Befunde, die ein mögliches Risiko für den Empfänger darstellen und/oder die Transplantationseignung von Organen einschränken, müssen in den Begleitpapie ren dokumentiert und ggf. vorab telefonisch übermittelt werden. Die endgültige Entscheidung über die Transplantation der Organe liegt beim implantierenden Arzt. Entscheidet er sich gegen eine Transplantation, hat er ohne Verzug die Ver mittlungsstelle unter Angabe der Gründe zu informieren. Diese leitet gegebenen falls ein neues Vermittlungsverfahren ein. […] 10. Schlussbemerkung Die Feststellung der Spendereignung, Spenderauswahl, Voruntersuchungen beim Spender, Entnahme, Organkonservierung und Transportorganisation sind Tätig keiten mit besonderer Verantwortung. Im Zweifelsfall sind über die anerkannten Standards hinaus situationsgerechte Entscheidungen zu treffen. Auch bei verant wortlicher Einhaltung dieser Richtlinie bleibt bei jeder Transplantation ein Restri siko für den Empfänger durch Schädigung des Organs bei der Entnahme, der Kon servierung und dem Transport, durch immunologisch vermittelte Abstoßung oder durch Übertragung von Erkrankungen bestehen. Hierüber ist jeder Transplantat empfänger aufzuklären; dies ist zu dokumentieren. Anhang: Untersuchungen und Verlaufsdaten, die für die Meldung von Organspen dern notwendig sind I. Allgemeiner Teil Generelle Angaben · Todesursache (ICD 10), Spendernummer · Alter · Geschlecht · Körpergewicht und -größe · Blutgruppe · Angaben zu Herz-Kreislauf-, Stoffwechsel- und anderen wesentlichen Vorerkran kungen · Angaben über Nikotin- und Alkoholabusus28 sowie Drogenmissbrauch · anamnestisch begründeter, aber aktuell nicht zu klärender Verdacht auf über tragbare Erkrankungen Dies sind die Mindestangaben zur Einleitung der Meldung von Organspendern. 28 26
27
Der explantierende Arzt ist der organentnehmende Arzt. pathologisch: krankhaft. Abusus: Missbrauch
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M 8 Wie ist es eigentlich, mit einem fremden Herzen zu leben?
Bericht einer 21-Jährigen29
Jessica Habegger (21), Düdingen FR (aufgezeichnet von Bea Emmenegger) Wenn man mich gefragt hätte, ich hätte Ja gesagt. Aber man konnte mich nicht fragen. Ich lag im Inselspital Bern auf der Intensivstation. Mein Herz hatte kurz aufgehört zu schlagen, kurz nachdem ich ins Spital eingeliefert worden war, und die Ärzte hatten mich an die Herz-Lungen-Maschine angeschlossen. Ich war 16 Jahre alt und Leistungssportlerin. Ich habe damals geschwommen, trainierte bis neunmal pro Woche. Im Trainingslager auf Lanzarote bin ich zusammengeklappt. Schon vorher ging es mir häufig nicht gut, zum Beispiel wurde mir plötzlich schlecht. Doch die Ärzte konnten nichts finden. Eine 16-jährige Sportlerin kann ja auch nicht krank sein. Nach dem Trainingslager ging ich zum Hausarzt, dem mein Herzton komisch vorkam. Er schickte mich zum Spezialisten, und der merkte, dass mein Herzmuskel nicht richtig pumpte und die Herzklappen aneinander vorbei schlugen. Er ließ mich sofort ins Inselspital bringen. Bei der Visite verdrehte ich dann die Augen, mein Herz hatte aufgegeben. Mein Vater und meine Großmutter mussten entscheiden, ob ich auf die Warteliste für ein neues Herz komme oder ob die Maschine abgeschaltet werden sollte. Ich hatte zu jener Zeit gerade ein Büchlein über Organtransplantationen gelesen und beschlossen, mir einen Spenderausweis zu holen. Und jetzt lag ich da und wartete selbst auf ein Herz. Aber davon wusste ich nichts. Die Ärzte hatten gesagt, ich solle es nicht erfahren, weil sie nicht wüss ten, wie ich reagiere. Hätte ich mich aufgeregt, hätte das das Ende sein können. Ich wurde ruhiggestellt. Drei Wochen später, am 11. September 2001, habe ich auf dem Weg in den OP dann doch erfahren, dass ich ein neues Herz bekomme. Man hat mir später gesagt, ich hätte einfach nur »okay« gesagt. Ich habe von allem zu wenig mitbekommen, um wirklich Angst zu haben. Patienten, die zu Hause warten müssen, geht es sicher an ders. Ich würde auch ein zweites nehmen, wenn es nötig würde. Ich will weiterleben, wenn es geht. Aber mein Großonkel, der später auch eine Transplantation gebraucht hätte, hat Nein gesagt, weil er nicht erleben wollte, was ich durchgemacht habe. Nach der OP bekommt man Medikamente, die das Immunsystem herunterfah ren, damit das Herz nicht abgestoßen wird. Das heißt, man ist anfällig für alles. Einen Monat lang lag ich in einem sterilen Einzelzimmer. Auch später zu Hause musste ich drei Monate einen Mundschutz tragen. Noch heute bin ich anfälliger für Krankheiten, laboriere länger daran herum als andere. Und bevor ich zum Zahnarzt gehe, muss ich eine Antibiotikabehandlung machen. Alles, was mit Blut zu tun hat, könnte gefährlich werden. Alle drei Monate wird meinem Herz eine Gewebeprobe entnommen, auch das Blut wird regelmäßig untersucht. Die Immunsenker muss ich mein Leben lang nehmen.
29
Habegger, Jessica: »Wie ist es eigentlich, mit einem fremden Herz zu leben?«, in: annabelle 69, 2006, Heft 17, S. 80, auch auf: http://www.bea-emmenegger.ch/dynpg/upload/imgfile12.pdf (Stand: 23.04.2019).
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Nach etwa einem halben Jahr konnte ich den Alltag wieder normal bewältigen. Ich schwimme auch wieder, 50 bis 200 Meter Crawl sind meine Lieblingsdisziplinen. Vor zwei Jahren habe ich erfahren, dass es Europa- und Weltmeisterschaften für Lungen- und Herztransplantierte gibt. An der EM 2004 in Dublin habe ich fünfmal gewonnen, an der WM in London in Kanada wurde ich viermal Zweite und einmal Dritte. An diesen Wettkämpfen gibt es jeweils eine Schweigeminute für die Organ spender. Wir sind ja alle dabei, weil jemand anders gestorben ist. Meine Eltern hatten gewitzelt, ich würde jetzt vielleicht Alkoholikerin oder Die bin, man wisse ja nicht, von wem mein Herz stammt. Ich weiß nur, dass mein Herz einmal einem jungen Menschen gehört hat. Ob Mann oder Frau, weiß ich nicht. Ich nehme es einfach als Geschenk. Gott hat uns das Leben geschenkt, und weshalb sol len wir die Hilfe, die wir bekommen können, um weiterzuleben, nicht annehmen? Vor einem Jahr habe ich auch noch einen Herzschrittmacher bekommen, weil mein Puls nicht höher ging als 120. Es geht mir gut. Ich lebe mit meinem Freund zusammen und habe Kolleginnen und Kollegen, die verstehen, wenn ich eine Ver abredung kurzfristig absagen muss. Und die sogar meine Wohnung aufräumen kommen, wenn ich krank bin. Ich hatte kurz vor meiner Operation eine Bürolehre begonnen und habe inzwischen das Bürofachdiplom gemacht. Ich verhandle mit der IV, ob sie mir eine Ausbildung zur Fitnessbetreuerin finanziert, und ich arbeite fünfzig Prozent in einem Callcenter. Auch Kinder kann ich bekommen, nur muss man das von Anfang an mit den Ärzten planen. Ich bin gläubig, ich glaube, dass jeder von uns eine Aufgabe hat. Für irgendetwas habe ich mein neues Herz bekom men, vielleicht ist es meine Aufgabe, das Beste aus meiner Situation zu machen.
Aus welchen Gründen befürwortet Jessica Habegger im Nachhinein ihre Organtransplantation, und aus welchen Gründen lehnte ihr Onkel eine Transplantation ab? Welche Position können Sie besser nachvollziehen?
Inwiefern hat sich Jessicas Leben nach der Organtransplantation geändert, inwiefern geht es »normal« weiter?
Welche Ängste, Sorgen und Gedanken machen sich Jessica und ihre Familie nach der Organtransplantation? Halten Sie diese Gedanken und Sorgen für berechtigt?
Welche positiven Effekte (neben der lebenserhaltenden Funktion dieser Transplantation) könnte die Transplantation auf Jessicas Einstellung zum Leben haben? Könnten Sie sich vorstellen, jemandem nach Ihrem Tod Ihre Organe zur Verfügung zu stellen?
Könnten Sie sich vorstellen, die Organe eines anderen im Falle schwerster Krankheit anzunehmen?
Stellen Sie sich vor, Sie hätten wie Jessica ein Herz transplantiert bekommen: Wie würde das Ihr Selbstbild und Selbstverständnis beeinflussen? Hätten Sie das Bedürfnis, etwas über den Organspender/ die Organspenderin zu erfahren?
Quelle: siehe Fußnote * am Artikelanfang
L. A . Crash – Jenseits von Schwarz und Weiß *
Martina Peters Lernen mit Kopf und Herz Eines steht fest: Der Abbau von Vorurteilen und die Erziehung zur Toleranz gehören sicherlich zu den sensibelsten und folgeträchtigsten Aufträgen (nicht nur) des Philosophieunterrichts. Als Quelle von Konflikten, Diskriminierung und Gewalt im schulischen und außerschulischen Umfeld müssen Vorurteile gewissenhaft auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden, um schließlich zu gesicherten Urteilen zu gelangen. Damit dieser hehre, aufklärerische Anspruch aber nicht in den Kinderschuhen des rein Kognitiven stecken bleibt, sondern unter die Haut geht, dort verbleibt und sich – wann immer nötig – ganz energisch regt, erscheint es zweckmäßig, das klassische Medium Text ein wenig in den Hintergrund zu rücken und ihm eine eher unterstützende, zuliefernde Rolle zuzuweisen. Es bietet sich an, die ›erste Geige‹ von Medien wie Filmen, Bildern oder Musik spielen zu lassen, die neben dem Kopf auch das Herz in der Regel leichter anzusprechen vermögen und so auch zu couragierteren Handlungen motivieren können. Eine Möglichkeit, eine intensive, tiefschürfende Auseinandersetzung mit dem Thema ›Vorurteile‹ zu initiieren, bietet der amerikanische Spielfilm L. A. Crash, der auf eindringliche und bewegende Weise schildert, wie Menschen verschiedener ethnischer Herkunft permanent aufeinanderprallen und den Crash mit dem Fremden (er)leben. Eine denkbare Herangehensweise an die Arbeit mit diesem episodenhaft erzählten Film soll im Folgenden skizziert werden. Zu diesem Zweck werden zunächst einige Schlüsselszenen im Hinblick auf ihre philosophische Relevanz beleuchtet, um in einem weiteren Schritt konkrete, auch durch Textmaterial unterstützte Einsatzmöglichkeiten im Unterricht vorzustellen.
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L. A. Crash (O: Crash USA 2004); Regie: Paul Haggis; Dauer: 110 Min.; Altersfreigabe: FSK 12.
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Etwas spüren, egal was … – Der philosophische Gehalt des Films Was der Film für uns bereithält, wird schon in den ersten Minuten deutlich, als der schwarze Detektiv Graham Waters angesichts eines Unfalls sinniert: »Es ist das Gefühl der Berührung. […] In einer normalen Stadt geht man zu Fuß […]. Man berührt einander, rempelt sich an. In L. A. berührt dich nie jemand. Wir sind doch immer nur hinter Metall und Glas. Ich glaube, diese Berührungen fehlen uns so sehr, dass wir miteinander kollidieren müssen, um überhaupt etwas zu spüren.« Um Berührungen wird es also gehen, um Rempeleien, Konflikte und Aggressionen, um Gefühle von Abgeschiedenheit, Kälte und Angst. Die fehlende Berührung, der längst überfällige ernsthafte zwischenmenschliche Kontakt wird hier zur Verantwortung gezogen für das, was den ganzen Film als zentrales Thema durchzieht: Rassismus und Gewalt. Spätestens an dieser Stelle wird der Zuschauer förmlich auf den Filmtitel L. A. Crash gestoßen: »Crash« im Sinne von »Unfall, Zusammenstoß, Karambolage« 1 liegt nun klar auf der Hand und wird im Verlauf des Filmes um weitere unangenehme Berührungen ergänzt. Nicht nur Autos, auch Menschen unterschiedlicher Kultur, Religion bzw. Hautfarbe werden immer wieder mit ihren Aggressionen, Vorurteilen und Qualen aufeinander prallen und den »Krach« 2 vehement ausgetragener Streitigkeiten verursachen, aber auch – nicht selten aus Gründen der Angst – »Zusammenbrüche« 3 erleben. Einige dieser Personen werden sich durch die Konfrontation mit Anderen verändern, umkehren und neue Wege einschlagen.
Montage der Wechselwirkungen Der während eines Tages in Los Angeles spielende Film verknüpft sechs Handlungsstränge, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, indem die Begegnungen von zwölf Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, Herkunft und gesellschaftlicher Schicht geschildert und komplex miteinander verwoben werden. Es handelt sich um die beiden Polizisten Thomas Hansen und John Ryan, die Autodiebe Anthony und Peter, den Regisseur Cameron Thayer und seine Frau Christine, den Ladenbesitzer Farhad und den Schlosser Daniel Ruiz, den Bezirksstaatsanwalt Rick Cabot und seine Frau Jean, den Detektiv Graham Waters und seine Kollegin Ria. Einige ihrer Wege berühren bzw. kreuzen sich und gehen wieder auseinander. Nicht alle Protagonisten begegnen einander, »aber dort, wo sie scheinbar zufällig aufeinander treffen, haben die ›Zusammenstöße‹ weit reichende Folgen« 4 . Eine in diesem Zusammenhang sehr aussagekräftige Episode erzählt die Geschichte des jungen, naiven und unerfahrenen Polizisten Hansen, der nicht mit John Vgl. Langenscheidt-Collins Großwörterbuch Englisch, Englisch–Deutsch, Deutsch–Englisch, Neu bearbeitung, Langenscheidt, Berlin/München/Wien/Zürich/New York 52004, S. 173. 2 Vgl. ebd. 3 Vgl. ebd. 4 André, Bernhard: »L. A . Crash«, in: Kino & Curriculum 1, 2005, Ausgabe 6, (IKF), S. 3, auf: http:// www.film-kultur.de/glob/altekc/kc_2005_06.pdf (Stand: 02.05.2019). 1
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Ryan auf Streife gehen will, weil es ihm wichtig ist, richtig und vorurteilsfrei zu agieren. Aber genau dieser Umstand führt dazu, dass er einen schwarzen Anhalter, den er in seinem Auto mitnimmt, mit seiner Dienstwaffe erschießt, weil er unsicher ist, Angst vor ihm hat und glaubt, der Anhalter wolle eine Waffe ziehen, obwohl dieser nur die gleiche Christophorus-Figur aus seiner Jacke holen will, die auf dem Armaturenbrett von Hansens Auto steht. Fast alle Figuren des Films bewegen sich in dem Spannungsfeld, den Anderen einerseits aufgrund seiner Andersartigkeit nicht zu akzeptieren, andererseits aber von ihm akzeptiert werden zu wollen. Sie erleben einen zweifachen »crash«, den Konflikt, der durch die Kollision mit dem Fremden entsteht, und den Zusammenbruch des jeweils eigenen Wertesystems, der – nachdem eine auf sie zugeschnittene Situation ihnen einen Spiegel vorgehalten hat und sie sowohl sich selbst als auch den Anderen mit neuen Augen betrachten – manchmal leise passiert und manchmal mit einem Knall endet. Die »Wechselwirkungen ihres jeweiligen Verhaltens« 5 treten besonders eindrucksvoll in Bezug auf die beiden afro-amerikanischen Autodiebe Peter und Anthony zu Tage, die mit dem gestohlenen Auto des Bezirksstaatsanwalts einen Chinesen überfahren und sich nicht weiter um ihn kümmern, weil der Chinese als Asiate in ihren Augen nichts wert ist. Gleichzeitig beschweren sie sich aber darüber, dass die weißen Amerikaner sie missachten und sie aufgrund ihrer dunklen Hautfarbe sofort als Kriminelle abstempeln. Während Peter am Abend als Anhalter von einem Polizisten mitgenommen und von diesem aus Angst getötet wird, rettet Anthony – nachdem er selbst vor der Polizei beschützt worden ist – illegale asiatische Einwanderer vor der Prostitution.
Grausamkeiten Eines der zentralen Verdienste des Filmes liegt in der Überwindung der ›SchwarzWeiß‹-Malerei: Es gibt weder den guten Weißen noch den bösen Schwarzen, auch nicht den bösen Weißen und den guten Schwarzen, sondern differenziert gezeichnete ›Graue‹, die allzu voreilige Wertungen Lügen strafen und Vorurteile überdenken lassen. Sehr deutlich wird dies an dem bereits erwähnten angloamerikanischen Polizisten John Ryan, der bei einer allgemeinen Verkehrskontrolle Christine, die Frau des Regisseurs Cameron Thayer, unsittlich berührt, weil er Farbige hasst und eine ausgesprochen rassistische Grundhaltung hat. Zwölf Stunden später allerdings rettet er eben diese Frau unter Einsatz seines Lebens aus einem brennenden Auto. In eine Schablone lässt sich in diesem Film niemand pressen; die Menschen erscheinen zu komplex, als dass leichtfertige Bewertungen zulässig wären. Grausam erscheint auch der Perser Farhad. Um sich, seine Familie und seinen Existenz sichernden Tante-Emma-Laden zu schützen, kauft er eine Waffe samt Pa Ebd.
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tronen. Als er am nächsten Morgen sein Ladenlokal ausgeraubt und verwüstet vorfindet, macht er den mexikanischen Schlosser Daniel dafür verantwortlich, weil dieser ein (irreparables) Schloss nicht reparieren konnte. Um sich zu rächen, nimmt er seine Waffe und wartet vor dem Haus des Mexikaners auf den vermeintlich Schuldigen. Als Daniels kleine Tochter, die von ihrem Vater aufgrund ihrer unbändigen Angst vor Kugeln einen imaginären unsichtbaren Schutzumhang geschenkt bekommen hat, Farhad mit seiner Pistole wahrnimmt, kommt es zu einem der dramatischsten Momente des Films: Die Fünfjährige rennt auf ihren Vater zu und wirft sich ihm genau in dem Augenblick in die Arme, als Farhad auf ihn schießt. Dieser schreit vor Entsetzen, doch seine Tochter tröstet ihn mit dem Hinweis auf ihren Umhang. Tatsächlich bleiben Vater und Tochter unversehrt: In der Waffe waren – ohne dass Farhad dies gewusst hätte – nur Platzpatronen. Zurück bleibt ein über seine furchtbare Tat zutiefst schockierter Mensch, der aber wegen des glimpflichen Ausgangs auch überglücklich ist.
Ver-rücktheiten In L. A . Crash geht es also darum, »wie rassistisches Denken und Handeln aus alltäglichen Ängsten, Verunsicherungen, Frustrationen, gepaart mit gängigen Vorurteilen, entsteht« 6 . Aufgrund fehlender aufrichtig interessierter, empathischer ›Berührungen‹ kommt es zum Kampf zwischen Weißen und Schwarzen, Afro-Amerikanern und Chinesen, Irakern und Mexikanern etc. Alle verschanzen sich hinter ihren Vorurteilen7, die sie den anderen Nationen oder Kulturen entgegenbringen; keine der dargestellten Personen hat eine saubere Weste. Auf den Straßen von Los Angeles tobt der erbitterte Kampf der Kulturen, den Huntington in seinem gleichnamigen Buch vorausgesagt hat, und nirgends ist »Giorgio Agambens Ausnahmezustand des Alltäglichen realistischer in Szene gesetzt als in […] L. A. Crash« 8 . Aber dieser Kampf, dieser Ausnahmezustand führt – anders als bei Huntington und Agamben – in den meisten Fällen auch zu der Einsicht, dass der einzelne Mensch, egal welcher Ethnie er angehört, als solcher im Vordergrund zu stehen hat, ungeachtet seiner Religion oder Hautfarbe. Der zum Teil latent vorhandene, zum Teil offen zur Schau getragene Rassismus macht sich in allen Episoden bemerkbar und soll hier modellhaft an einem Beispiel dargestellt werden: Jean Cabot, die Frau des Bezirksstaatsanwalts, fühlt sich in der Nähe von Afro- oder Lateinamerikanern unwohl und bringt dies auch sehr energisch zum Ausdruck, als nach einem bewaffneten Überfall durch zwei Afro-Amerikaner auf sie und ihren Mann die Schlösser zu ihrem Haus ausgewechselt werden. Da der Schlössertausch von dem schon erwähnten Mexikaner Daniel vorgenom 8 6 7
Ebd., S. 2. Ebd., S. 1. Maresch, Rudolf: Hobbessche Welt, zu finden auf: www.heise.de/tp/artikel/20/20721/1.html (Stand: 02.05.2019).
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men wird, ist sie ungehalten und fordert ihren Mann vor dem Schlüsseldienst auf, am nächsten Tag die Schlösser erneut ersetzen zu lassen, weil der tätowierte Mann bestimmt einmal im Gefängnis gesessen und seinen Verbrecher-Freunden erzählt habe, wie sie am einfachsten in das Haus der Cabots eindringen könnten. Jean Cabot schimpft zudem mit der mexikanischen Hauswirtschafterin Maria, weil diese die Spülmaschine falsch eingeräumt habe. Am nächsten Morgen stürzt sie die Treppe aus der oberen Etage ihres Einfamilienhauses hinunter und verstaucht sich dabei den Fuß. Sie ist auf Hilfe angewiesen, doch weder ihr Mann, der beruflich eingespannt ist, noch ihre Freundinnen, die Jean mit Ausreden wie »Ich bekomme gleich eine Massage« abblitzen lassen, haben Zeit, sie ins Krankenhaus zu fahren. Allein Maria ist in der Lage, diese Aufgabe zu übernehmen. Wieder zurück, kümmert Maria sich rührend um Jean, die ihre Haushälterin schließlich in den Arm nimmt und ihr bisheriges Fehlverhalten, insbesondere Mexikanern gegenüber, aber auch die Wahrheit über ihre bisherigen oberflächlichen Freundschaften schmerzlich erkennt: »Soll ich Ihnen etwas Verrücktes sagen? […] Sie sind die beste Freundin, die ich habe.«9
Einsatzmöglichkeiten im Unterricht Wie lässt sich L. A . Crash nun für den Philosophieunterricht fruchtbar machen? Aufgrund des hohen Komplexitätsgrades bietet sich der Einsatz des Filmes trotz der Altersfreigabe ab 12 Jahren eher in der Sekundarstufe II an. Obwohl – wie oben gezeigt – eine Vielzahl von philosophischen Fragen angesprochen wird, lässt sich dennoch eine Schwerpunktbildung im anthropologischen und ethischen Bereich erkennen. Fragen danach, ob der Mensch von Natur aus gut oder böse, in seinen Handlungen frei oder determiniert ist, inwieweit sich die einzelnen Charaktere schuldig gemacht haben oder wer im Recht und wer im Unrecht ist, liefern die Grundlage für einen herausfordernden Philosophieunterricht, der die Problematik der Vorurteile in komplexe Zusammenhänge rücken kann.
›Pre-viewing‹ - Aktivitäten Unabhängig davon, in welchem unterrichtlichen Kontext der Film nun konkret eingesetzt werden soll, legt er eine affektive Einstimmung in das zu erwartende Themenspektrum nahe. Diese kann z. B. über die diversen im Internet zugänglichen Filmposter, DVD-Cover etc. erfolgen:
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Vgl. L. A. Crash, a. a. O., Zeit: 1:36:58 – 1:37:06.
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Für einen bildgestützten Einstieg erscheint es sinnvoll, danach zu fragen, 1. welchen Themen sich der Film vermutlich widmet, 2. um welche Spielfilmart es sich wohl handeln könnte oder 3. welche Gefühle bzw. Assoziationen die Poster bei den Schülerinnen und Schülern auslösen. Es ist anzunehmen, dass auf diese Weise schon zu erwartende Themen wie Verzweiflung, Schmerz, Angst oder das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Hautfarbe in Los Angeles aufgeworfen und zudem bereits erste Gedanken und Gefühle in Bezug auf Rassismus, Gewalt und Vorurteile geäußert werden. Eine weitere Vorentlastung könnte durch Hinzunahme des Titels erreicht werden, indem das weiter oben umrissene Bedeutungsspektrum von »crash« erarbeitet und zu Spekulationen über die filmische Umsetzung herangezogen wird.
›While-viewing‹-Aktivitäten Aufgrund der hohen Komplexität des Films empfiehlt es sich, dass die Schülerinnen und Schüler während der Vorführung einen überschaubaren Beobachtungsauftrag erhalten, der ihre Aufmerksamkeit in dem Netzwerk des Erzählten fokussiert und darüber hinaus die diffizile Rekonstruktion des Inhalts erleichtert. Eine denkbare Vorgehensweise besteht darin, in 2er oder 3er Teams je einen der in den oben umrissenen Episoden erwähnten Charaktere auf Schritt und Tritt zu ›verfolgen‹ und im Anschluss daran auf einem Plakat einen ›Steckbrief‹ zu erstellen, der neben einigen allgemeinen Angaben auch folgende Fragen beantwortet: 1. Welche Vorurteile der Figur werden im Laufe des Films deutlich? 2. Inwiefern denkt oder handelt sie rassistisch? 3. Übt sie Gewalt aus? Wenn ja, welcher Art ist diese Gewalt? 4. Welche Entwicklung macht die Figur durch? 5. Wodurch wird diese ausgelöst?
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›Post-viewing‹-Aktivitäten Die Charakter-Portraits, die hervorragend in Form eines Museumsgangs präsentiert werden können, bieten auf der Ebene des Films einen treffenden Einblick in die Einzelschicksale, lassen aber auch bereits erste Verknüpfungen unterschiedlicher Handlungsstränge erwarten. Um die Szenarien der für den Unterricht relevanten ›Zusammenstöße‹ entwickeln zu können, ist die Auseinandersetzung mit folgenden Fragen im ›Think-Pair-Share‹-Verfahren denkbar: 1. Welche sind die zentralen Szenen, in denen die Filmfiguren miteinander kollidieren? 2. Aus welchen Gründen stoßen die Menschen zusammen? 3. Welche Auswirkungen haben die ›crashes‹ für sie? Es ist zu vermuten, dass die Schülerinnen und Schüler zu dem Ergebnis kommen, dass die Kollisionen einerseits als Katastrophe, andererseits aber auch als Katharsis zu interpretieren sind, so dass im nächsten Schritt die weiter oben angesprochenen philosophischen Fragen nach 1. der Natur des Menschen, 2. Freiheit oder Determination seiner Handlungen, 3. Schuld und Unschuld, 4. Recht und Unrecht etc. zu thematisieren sind. An dieser Stelle kommen die in der Einleitung erwähnten, zur Vertiefung der Auseinandersetzung mit dem Film dienenden Texte ins Spiel (M1 bis M3). Es gilt vor allem zu klären, was im philosophischen Sinn unter einem Vorurteil zu verstehen ist und welche Relevanz diese Einsicht für das Verständnis von L. A. Crash wie auch für den eigenen Umgang mit Vorurteilen hat10 . Drei wesentliche philosophische Aufsätze zum Thema ›Vorurteile‹, die von Otto Friedrich Bollnow, Hans Georg Gadamer und Max Horkheimer verfasst und alle nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland publiziert worden sind, bieten sich zu diesem Zweck an. In arbeitsteiliger Gruppenarbeit könnten sich die Schülerinnen und Schüler mit folgenden Fragen befassen: 1. Wodurch unterscheidet sich nach Auffassung des Philosophen ein Urteil von einem Vorurteil? 2. Wie entstehen seiner Ansicht nach Vorurteile? 3. Wie lassen sich die Ausführungen des Philosophen auf den Film beziehen? 4. Wie sind die Gedanken des Philosophen zu bewerten? Bollnow sieht den Unterschied zwischen einem Urteil und einem Vorurteil darin, dass ein ›Vor-Urteil‹ noch kein richtiges Urteil sei; bereits die Vorsilbe »vor« zeige, dass das ›Vor-Urteil‹ zeitlich und räumlich vor einem Urteil liege und somit den Zu
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Natürlich wäre es auch möglich, die anhand des Films aufgeworfenen Fragen nach Rassismus, Gewalt, Freiheit und Determination etc. durch geeignetes Textmaterial zu unterstützen. Aufgrund des begrenzten Platzes beschränke ich mich auf die Problematik der Vorurteile.
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gang zu einem richtigen Urteil versperre. Es komme also darauf an, die Anstrengung auf sich zu nehmen, die Bequemlichkeit eines Lebens in der Geborgenheit unreflektierter Vorurteile aufzugeben und durch vernünftiges Abwägen zu gesicherten Urteilen zu gelangen. Diese Entwicklung vom Vorurteil zum Urteil ist, wie zuvor gezeigt, in L. A . Crash bei nahezu allen Personen leicht nachzuvollziehen. Max Horkheimer zufolge beruht ein Vorurteil immer auf unzulässigen Verallgemeinerungen. Um diese zu vermeiden, sei es grundsätzlich notwendig, den entsprechenden Einzelfall genau zu prüfen. Für L. A . Crash bedeutet dies beispielsweise: Nur weil ein Farbiger eine negative Verhaltensweise an den Tag legt, sind nicht alle Farbigen schlecht. Es liegt auf der Hand, dass eine derartige Erkenntnis eine Vielzahl der im Film gezeigten dramatischen Kollisionen zweifellos hätte verhindern können. Gadamer schließlich behauptet, die Menschen gingen immer bereits mit einem Vorverständnis an neue Situationen heran, so dass Vorurteile an sich gar nicht schlecht seien. Ganz im Gegenteil seien diese die Basis für sichere Urteile, wenn sie gründlich geprüft und gegebenenfalls modifiziert würden. Auch in L. A. Crash kann (zunächst) keine der auftretenden Figuren Gründe für die eigenen Vorurteile angeben; auch deshalb kommt es, wie unschwer erkennbar ist, zu den diversen Zusammenstößen in der ›Schmelztiegelgesellschaft‹.
Das Gute schaffen Goethe lässt Mephisto im Faust sagen: »[Ich bin] ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft«. Und genau dieses Prinzip des zufällig aus dem Bösen entstehenden Guten ist es, das den Film L. A. Crash durchzieht wie ein – vielleicht etwas blauäugig anmutendes – Band der Hoffnung auf ein friedvolles Leben in einer multikulturellen Gesellschaft jenseits aller Vorbehalte und Vorverurteilungen, jenseits von Gewalt und Hass. Und dennoch legt der Film nahe, dass die Erziehung zur Toleranz nicht nur dem Zufall oder einer übergeordneten Instanz zu überlassen ist, die am Ende doch allem einen Sinn verleiht und es gut werden lässt. Er eröffnet die fundierte Möglichkeit der Auseinandersetzung mit einem Leben ohne Vorurteile, in dem der Andere in seiner Andersartigkeit akzeptiert wird, jenseits der Grenzen von Schwarz und Weiß.
M 1 Otto Friedrich Bollnow: Vorurteile11
In unsrer Gegenwart werden wir immer wieder vor die Aufgabe gestellt, einer neuen Lage neu und unbefangen ins Auge zu sehen, weil sich überlieferte Vorstel lungen als falsch oder unzureichend erwiesen haben. Unendlich vieles, was wir fest begründet glaubten, hat sich als bloßes Vorurteil erwiesen. Und darum ist ein
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Bollnow, Otto Friedrich: »Vorurteile«, in: Bollnow, Otto Friedrich: Einfache Sittlichkeit. Kleine philo sophische Aufsätze, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 21957, S. 150–162: S. 150–152 u. S. 161.
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wesentlicher Bestandteil in unsrer Neuorientierung in der Gegenwart eine Ausein andersetzung mit den Vorurteilen. Um im Neuen anfangen zu können, werden wir immer wieder vor die Frage gestellt: Wo stecken noch Vorurteile? Allein wenn wir uns so fragen: Wo stecken noch Vorurteile? dann haben wir selber damit schon eine ganz bestimmte Voraussetzung gemacht, sind wir selbst, wenn wir so sagen wollen, in einem bestimmten Vorurteil befangen. Denn in dem kleinen Wörtchen »noch« oder auch schon in der Vorsilbe »vor« ist enthalten, dass diese Vorurteile, die vielleicht noch in uns stecken oder die wir vielleicht in andern finden, nur ein letzter Rest sind, der noch vorhanden ist, der aber verschwinden soll und verschwinden wird. Das Ideal ist also, ohne Vorurteile zu sein: das Ideal der Vorurteilsfreiheit. Vor die Auseinandersetzung mit den einzelnen Vorurteilen tritt darum notwen dig eine Besinnung auf das Wesen dieses Ideals der Vorurteilsfreiheit. Wenn wir uns fragen, was dieses Ideal bedeutet, müssen wir uns zunächst darüber klar sein, was überhaupt ein Vorurteil ist. Schon aus der sprachlichen Bildung des Wortes geht ein Doppeltes hervor: Das Vorurteil ist eine Art von Urteil, aber es ist doch wieder kein richtiges Urteil, sondern etwas, das »vor« dem Urteil ist, »vor« im Sinn des zeitlich Früheren, »vor« aber auch im übertragenen, am ehesten als räumlich zu veranschaulichenden Sinn, als etwas, was vor dem Urteil steht und uns damit den Zugang zum richtigen Urteil verstellt, als das also, was das Urteil behindert. Das erste also, worüber wir uns wenigstens in einer rohen Weise klar werden müssen, ist das Wesen des Urteils. Eine verbreitete Auffassung hat diesen Begriff eher unbestimmt gefasst und jede beliebige Aussage, die ein Mensch macht, als Urteil genommen. Aber das ist falsch, und wenn wir uns vergegenwärtigen wollen, was im strengen Sinn ein Urteil ist, gehen wir am besten vom gerichtlichen Urteil aus, denn aus der richterlichen Sphäre ist dieser Begriff ursprünglich entnommen. Vor Gericht wird ein Urteil gefällt, d. h. eine strittige Sache wird dort durch den richterlichen Spruch entschieden, etwas unsicher Schwebendes wird darin festge legt. So ist auch in unserm täglichen Leben das Urteil eine Handlung, durch die etwas fraglich Gewordenes festgelegt wird. In jedem Urteil wird etwas entschieden. Der Mensch nimmt darin Stellung, so oder auch anders. Ein Vorurteil ist demgegenüber etwas, was vor dem Urteil liegt, selbst aber noch kein Urteil ist, aber doch wie ein Urteil wirkt, d. h. das etwas als entschieden nimmt, ohne dass der Mensch sich wirklich entschieden hätte. Denn das Urteil setzt immer voraus, dass der Mensch die beiden Möglichkeiten, zwischen denen man schwan ken kann, gegeneinander abwägt und sich dann entscheidet. Im Urteil wird etwas vor den Richterstuhl der Vernunft gebracht, und das Urteil vollzieht sich darum im vollen Licht des Bewusstseins. Hier handelt der Mensch im vollen Besitz seiner Freiheit. Im Vorurteil dagegen nimmt der Mensch etwas als entschieden hin, ohne dass er sich selber in seiner Freiheit entschieden hätte, ja ohne dass er sich über haupt die Berechtigung der andern Seite klargemacht hätte. Das Vorurteil greift der Mensch auf, aus der allgemeinen Überzeugung, aus der Überlieferung, aus dem, was »man« meint, ohne dass er überhaupt merkt, dass er hierin etwas übernimmt, was im strengen Sinn gar nicht sein eigen ist. Das Vorurteil wurzelt also in einer
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Schicht, wo der Mensch noch nicht in Freiheit über sich selbst entscheidet, sondern wo er als gedankenloses Glied einer Masse getrieben wird. […] Hinzu kommt noch ein weiteres: Das eigne Urteil erfordert vom Menschen im mer eine erhebliche Anstrengung, während der Mensch im Vorurteil sehr viel be quemer dahinlebt. In der selbstverständlich geltenden allgemeinen Überzeugung fühlt er sich geborgen, während er mit der eignen Entscheidung zugleich immer das Wagnis des Irrtums übernehmen muss. Darum erwacht im Menschen das Heimweh nach dem verlorenen Paradies selbstverständlicher Gültigkeiten. Er flieht vor den Anstrengungen des eignen Urteils in die Geborgenheit des Vorurteils. Und so ent steht dann die krampfhafte Flucht ins Vorurteil, die wir als eine der verhängnis vollsten Kräfte der Gegenwart und der jüngeren Vergangenheit erkennen und be kämpfen müssen. Denn nachdem die selbstverständliche Gültigkeit überlieferter Ordnungen einmal fraglich geworden ist, führt die Flucht in das Vorurteil notwen dig zu einer Unwahrhaftigkeit des gesamten menschlichen Daseins, die alles echte menschliche Leben untergräbt. M 2 Hans-Georg Gadamer: Vorurteile12
Eine begriffsgeschichtliche Analyse zeigt, dass erst durch die Aufklärung der Begriff des Vorurteils die uns gewohnte negative Akzentuierung findet. An sich heißt Vor urteil ein Urteil, das vor der endgültigen Prüfung aller sachlich bestimmenden Momente gefällt wird. Im Verfahren der Rechtsprechung hieß ein Vorurteil eine rechtliche Vorentscheidung vor der Fällung des eigentlichen Endurteils. Für den im Rechtsstreit Stehenden bedeutet das Ergehen eines solchen Vorurteils gegen ihn freilich eine Beeinträchtigung seiner Chancen. So heißt préjudice wie praeiudicium auch einfach Beeinträchtigung, Nachteil, Schaden. Doch ist diese Negativität nur eine konsekutive. Es ist gerade die positive Gültigkeit, der präjudizielle Wert der Vorentscheidung – ebenso wie der eines jeden Präzedenzfalles –, auf dem die nega tive Konsequenz beruht. ›Vorurteil‹ heißt also durchaus nicht notwendig falsches Urteil. In seinem Begriff liegt, dass es positiv wie negativ gewertet werden kann. Offenbar ist die Anlehnung an das lateinische praeiudicium darin wirksam, so dass neben dem negativen auch ein positiver Akzent auf dem Worte liegen kann. Es gibt préjugés légitimes. Das liegt unserem heutigen Sprachgefühl sehr fern. Das deutsche Wort ›Vorurteil‹ scheint – wie das französische préjugé, aber noch entschiedener – durch die Aufklärung und ihre Religionskritik auf die Bedeutung ›unbegründetes Urteil‹ beschränkt wor den zu sein. Die Begründung, die methodische Sicherung erst (und nicht das sach liche Zutreffen als solches), gibt dem Urteil seine Dignität. Das Fehlen der Begrün dung lässt in den Augen der Aufklärung nicht anderen Weisen der Gültigkeit Raum, sondern bedeutet, dass das Urteil keinen in der Sache liegenden Grund hat, ›unbe
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Gadamer, Hans Georg: Gesammelte Werke, Bd. 1: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen 1990, S. 275.
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gründet‹ ist. Das ist ein echter Schluss im Geist des Rationalismus. Auf ihm beruht die Diskreditierung der Vorurteile überhaupt und der Anspruch der wissenschaft lichen Erkenntnis, sie völlig auszuschalten. M 3 Max Horkheimer: Über das Vorurteil13
Vorurteil nennt ursprünglich einen harmlosen Tatbestand. In alten Zeiten war es das auf frühere Erfahrung und Entscheidung begründete Urteil, praejudicium. […] Dass Abbreviaturen eigener Erlebnisse und dessen, was vom Hörensagen stammt, im Vollzug des Lebens eine Rolle spielen, ist offenbar. Was einmal gelernt und auf genommen ist, wird in allgemeinen Vorstellungen aufgestapelt. Bewusst und halb bewusst, automatisch und absichtlich wird jeder neue Gegenstand mittels des so erworbenen Arsenals begrifflich eingeschätzt. Die Verhaltensweisen der Individuen in den Situationen des Alltags haben auf Grund von bruchstückhaftem Wissen sich eingeschliffen, sind Reaktionen aus Vorurteilen. Im Dschungel der Zivilisation rei chen angeborene Instinkte noch weniger aus als im Urwald. Ohne die Maschinerie der Vorurteile könnte einer nicht über die Straße gehen, geschweige denn einen Kunden bedienen. Nur muss er imstande sein, die Generalisierung einzuschränken, wenn er nicht unter die Räder kommen will. Jenseits des Kanals fahren Autos auf der linken Straßenseite, und hierzulande wechseln die Kunden in immer rascherem Tempo den Geschmack. Man kann sie nicht stets nach demselben Schema zufrie denstellen. Solche Vorurteile näher zu bestimmen, zwingt das eigene Interesse. Der Trieb zur Selbsterhaltung ist nur eine der Ursachen von Vorurteilen. Eigen liebe, Bedürfnis nach Prestige sind in der Gesellschaft mit ihm aufs engste ver knüpft. Jeder muss nicht bloß so handeln, sondern so auftreten und sprechen, dass die Menschen ihm glauben und ihren Vorteil in ihm sehen. […] Nicht bloß Amateure und Experten der Verführung, die bewusst auf die verbor genen zerstörerischen Kräfte in den Menschen wirken, sondern die Umstände des gesellschaftlichen Lebens treiben von selbst zum starren Vorurteil. Die sozialen und psychologischen Mechanismen, die dabei im Spiele sind, sind längst erforscht. Wenn das Kind aus der Stube der Eltern in die Schule kommt und unter Fremden sich be währen soll, muss es seine eigene Schwäche, sein Heimweh bekämpfen. Um das zu leisten, wird ihm Schwäche zum Feind, es entdeckt und schlägt sie überall lieber bei den anderen als in sich. Die ganze Klasse ist dem Schwächling und dem Mama kindlein auf der Spur. Wer sich am meisten dabei hervortut, das je gefundene Opfer zu verhöhnen, und sich besonders als den Starken aufzuspielen weiß, den plagt die Schwäche, die er beim anderen findet, damit er sie in sich vergessen kann. […] Dass eine gesellschaftliche Gruppe, die sich nicht wehren kann, durch Gerüchte, Losungen, schließlich durch Kommando der schlechten Regungen bezichtigt wird,
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Horkheimer, Max: »Über das Vorurteil«, in: Horkheimer, Max: Gesammelte Schriften, Bd. 8: Vorträge und Aufzeichnungen 1949–1973, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1985, S. 194–200: S. 194–197.
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die man selber an ihr auslassen will, ist vielen recht, vor allem, wenn zur see lischen Verbitterung ein wirtschaftlicher Rückgang kommt. Natur erzeugt den Kollektivhass nicht. Dafür sprechen Studien über Rassenvorurteile in Amerika. Unter günstigen Umständen machen Kinder zwischen Farbigen und Weißen kei nen Unterschied. In einer Versuchsreihe wurden Fünfjährige veranlasst, ein Mas kenspiel aufzuführen, in dem einer der Böse war. Eine Anzahl Masken, darunter eine schwarze, stand zur Wahl. Selten war es diese, die die Kinder für den Bösen wählten. Hautfarbe erschien ihnen nicht als wesentlich. Das erfahren Eltern an den eigenen Kindern. In den großen Städten kommen die Kleinen aus der gemischten Schule und erzählen von den Klassenkameraden. Nicht selten merkt die Mutter erst im Lauf von Monaten und Jahren, dass die kleine Mary oder Lucy, mit der ihr Töchterchen sich angefreundet hat, ein Negermädchen ist; ihrer eigenen Kleinen war das nicht aufgefallen, sie hat es der Erwähnung nicht für wert gehalten. Wo dagegen in zurückgebliebenen Provinzen und sozialen Schichten die Eltern von Be ginn darüber wachen, dass ihr Kind ja nicht mit Negerkindern spielt, wo es dafür gescholten und geschlagen wird, muss es sich die Unbefangenheit abgewöhnen. Es entwickelt sozusagen einen eigenen scharfen Sinn für Neger und alles, was damit zusammenhängt. Um sich selbst zu schützen, steigert es die Abneigung, bis die dunkle Farbe ihm zuwider ist. Das Vorurteil wird physischer Abscheu, eine Dispo sition im Charakter, die man ausnahmsweise ignorieren, aber nicht ablegen kann. Der gegen die Natur erzwungene Verzicht wird an eben der Rasse gerächt, mit der man durch die Freundschaft einst verbunden war. Das negative Vorurteil ist mit dem positiven eins. Sie sind zwei Seiten einer Sa che. Dass der Neger wesensmäßig schlechter ist, bedeutet, dass der Weiße wesens mäßig besser ist, er braucht nichts dafür zu tun. Wenn es genügt, die Hautfarbe zu kennen, um über jenen den Stab zu brechen, gleichviel, was er als einzelner auch denkt und tut, dann sind dem eingesessenen Weißen seine eigenen moralischen Qualitäten garantiert. Sein Ich wird dadurch aufgebläht, dass er der richtigen Rasse angehört. An die Stelle eigener Verdienste tritt die Mitgliedschaft in einem Kollek tiv. Auch dem vernünftigen Bewusstsein gilt die Zugehörigkeit zu einem Volk, zu einer Partei oder Institution, gleichviel ob der Zugehörige sich einfügt oder wider strebt, nicht als bedeutungslos. Quelle: Peters, Martina: »›L. A . Crash‹ – Jenseits von Schwarz und Weiß – Sekundarstufe II«, in: Ethik & Unterricht 22, 2011, Heft 3: Eigenes – Fremdes – Gemeinsames, S. 41–45 (von der Autorin für diesen Band überarbeitet).
Die Truman Show – Filmkonzept und Interpretation Inge Künle und Marlen Wronka Die Truman Show – Geschichte einer Wahrheitsfindung »Für mich ist eine wesentliche Grundlage des Geschichtenerzählens, dass der Held oder die Heldin im Laufe des Geschehens die Wahrheit – oder einen Aspekt der Wahrheit – erkennt. Diese gewonnene Erkenntnis hat allerdings nichts mit der letztgültigen Wahrheit – die es ja sowieso nicht gibt – zu tun, sondern vielmehr mit einer momentanen Erleuchtung von großer Wichtigkeit.«1 Truman, Hauptdarsteller des gleichnamigen Films Die Truman Show 2 , ist Weirs Held, der im Lauf des Geschehens die Grenzen seiner Welt durchbricht und »die Wahrheit oder einen Aspekt der Wahrheit« erkennt. Der Film erzählt die Geschichte eines Ablösungsprozesses, von Trumans dramatischer Flucht und seinem Ausbruch aus einer Welt der Lügen und der »fakes«, die ihn dreißig Jahre lang gefangen gehalten hat. Seine fortschreitende Erkenntnis über sich und die Welt, filmisch umgesetzt in die eigene Entdeckung und Erkundung der Welt, führt zu seiner (Selbst-)Befreiung, die zugleich den endgültigen Abschied von Kindheit und Jugend und seine Identitätsfindung bedeutet.
Die Truman Show – Geschichte einer Selbstfindung (entwicklungspsychologischer Aspekt) Truman ist in einer Scheinwelt aufgewachsen – als Einziger diese Welt für eine wirkliche haltend – und hat hier unter den schon immer gefälschten Umständen seine
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Die Truman Show (O: The Truman Show, USA 1998); Regie: Peter Weir; Dauer: 99 Min.; Altersfreigabe: FSK 12. So Peter Weir in der Rheinischen Post vom 14. 1. 1998, zitiert nach: Twele, Holger: Die Truman Show, Peter Weir, USA 1998, Institut für Kino und Filmkultur (IKF), Köln 2002, S. 6. Niccol, Andrew; Weir, Peter: Die Truman Show. Das Drehbuch, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1998, S. 122.
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Sozialisation erfahren. Im Laufe (s)eines Identitätsfindungsprozesses sollte sich durch »permanente Verknüpfungsarbeit« 3 ein kohärentes Selbst (Ich-Identität) bilden. Das gelingt aber nur durch eine erfolgreiche Integration in die soziale Umwelt (soziale Identität) bei gleichzeitiger Wahrung und Stärkung »des Seinen« (persön liche Identität). Kann der Mensch sich in dieser Weise verwirklichen, vermittelt er sich und anderen ein Gefühl von Authentizität. Modellhaft führt uns der Film – vielfach in Rückblenden – zunächst die Verhinderung einer Selbstfindung vor. Statt das Autonomiestreben Trumans zu stärken und die Erprobung und Ausweitung des im Werden begriffenen Selbst mit Empathie zu begleiten, kontrolliert und kanalisiert seine Umwelt rigide alle Pläne und Aktivitäten, die über die engen Grenzen der Seahaven-Welt hinauszielen. Alles »Eigene« hat Truman – so scheint es – im Laufe seiner Entwicklung eingebüßt. Das Stadium des drohenden Selbstverlustes wird in der ersten Spiegel-Szene ins Bild gesetzt. Den Mangel an Authentizität kann er jedoch nicht erkennen, da er in seiner Welt nur »fakes« begegnet. »Wir alle akzeptieren die Realität unserer Welt, mit der wir konfrontiert werden«, sagt Christof, »und orientieren unsere Normen und Werte an ihr.« 4 Als plötzlich ein Scheinwerfer von der Beton-Himmelskuppel fällt und das hermetische System Risse bekommt, besinnt sich Truman wieder auf jene Anteile seiner Person, die ihm unter dem Druck einer übermächtigen Umwelt fast verloren gegangen sind. Mit dem Wiedererscheinen des tot geglaubten Vaters verlassen ihn die einengenden Schuldgefühle und er wird fähig, zu seinen vergrabenen Erinnerungen, Wünschen und Träumen hinabzusteigen, die hinter Schloss und Riegel im Keller (seines Bewusstseins) liegen (Beginn der Selbstfindung). Truman reaktiviert Schritt für Schritt seine ursprüngliche Neugierde und entdeckt seinen mühsam unterdrückten Freiheitswillen, seine Sehnsucht (nach Fidschi) und seine Risikobereitschaft wieder. Schließlich flieht er aus Seahaven und hat sich dabei mit Christof auseinander zu setzen, dem Schöpfer all der Inszenierungen, die das Werden seiner Ich-Identität zu verhindern suchten. In einem Kampf auf Leben und Tod mit dem Übervater, der, Zeus gleich, Blitze schleudert und den aufbegehrenden »Sohn« unter sintflutartigen Wassergüssen begraben will, löst sich Truman aus ödipalen Banden. Wenn Truman, schon fast ertrunken, schreit: »Komm schon, ist das alles, was du kannst? Dann musst du mich schon umbringen«, hören wir das Echo des prometheischen Aufstandes, und in seiner Folge entdeckt Truman, dass der Horizont, den er schließlich mit seinem Segelboot durchstößt, nichts als Pappmaché-Kulisse ist. Als Truman die Grenzen der zu engen, nicht selbstbestimmten Welt überschreiten will, versucht Christof ihn ein letztes Mal zurückzuhalten, indem er sich nun als liebender (Schöpfer-)Vater geriert, der Truman besorgt vor der perversen Welt da draußen warnt. Truman zögert, schwankend zwischen ohnmächtiger Wut, die ganze Zeit belogen und verbogen worden zu sein, und Trauer, nie wieder in die Welt
3
4
Keupp, Heiner: »Identitätsstrukturen im Wandel«, in: Ethik & Unterricht 13, 2002, Heft 4: Identitätskonstruktionen, S. 9–11. Niccol, Andrew; Weir, Peter: Die Truman Show. Das Drehbuch, a. a. O., S. 122.
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der schönen Täuschungen und unwahren Sicherheiten zurückkehren zu können. Denn das »Ich will ja nur dein Bestes, und die Wirklichkeit soll dich nicht verletzen dürfen« 5 ist der Selbsteinschätzung und Selbstfindung eines Menschen in gleicher Weise schädlich wie autoritäre Gewalt.6 Beides stellt Formen des nicht LoslassenKönnens und damit des mangelnden Zutrauens in die andere Person dar. Dagegen aber setzt sich Truman endlich zur Wehr und macht der Vereinnahmung ein Ende (»Sie hatten nie eine Kamera in meinem Kopf«).7 Das schwarze Loch, in das Truman am Ende tritt, ist eine Metapher für die Offenheit und Unsicherheit des (weitergehenden) Identitätsprozesses. Durch Parallelschnitte von einer glücklichen, mit wehendem Mantel die Treppe hinunterstürzenden Sylvia eröffnet Peter Weir die Perspektive nicht etwa auf ein banales Happy End, sondern auf eine (mögliche), nun auf beiden Seiten wahrhaftige und authentische Form der Kommunikation.
Der manipulierte Truman – Zum Einfluss der Medien auf das menschliche Leben Die Welt, in der Truman heranwächst, ist eine fiktionale und zugleich eine mediale oder virtuelle. Das Genre, das im Mittelpunkt des Films Die Truman Show steht, ist die »Soap Opera«, »also die Verdopplung des Alltags in Form der Fernsehserie (vgl. »Game of Thrones«, »Breaking Bad « u. ä). […] Aber Weir spitzt das Paradigma »Soap Opera« noch zu, indem er sie um die Dimension des »Reality TV« erweitert.« 8 Truman ist echt, er ist der einzig wahre Mensch in dem Film, the true man. Er spielt sich nicht selbst, sondern er ist er selbst, während alle anderen Personen um ihn herum »nur« ihre Rolle spielen. Damit befriedigt der Film die Gier des modernen Zuschauers nach Authentizität, »die letztlich und paradoxerweise das Echte und Unechte in eins fallen läßt«9. Truman wird gleichsam das eigene echte Leben »weggenommen« und durch ein Surrogat von künstlichem Leben ersetzt, das er nun als Held zu »bestehen« hat. Trotz der scheinbar heiteren Atmosphäre der »Soap Opera« vermittelt der Film gleichzeitig das Beklemmende der Situation, dass Truman unter ständiger Beobachtung steht, die keine Privatheit mehr zulässt. Zur fiktionalen Welt des Films gehören die Zuschauer, die rund dreißig Jahre lang das Leben Trumans bzw. Die Truman Show verfolgen und dabei voyeuristisch bis in seine Intimsphäre eindringen. Die permanente Überwachung Trumans selbst noch im Schlaf mit versteckten Kameras scheint für die Zuschauer nichts Verwerfliches oder Abschreckendes an sich zu haben. Wie sehr ihr Bezug zur Realität gestört ist, sie von der Wirklichkeit entfremdet sind, zeigt sich darin, dass sie begeistert und Vgl. Das Leben ist schön (O: La vita è bella), Roberto Benigni, ITA 1997. Vgl. Das Fest (O: Vesten), Thomas Vinterberg, DK/S 1998. 7 Ebd., S. 157. 8 Wörther, Matthias: Die Truman Show, auf: http://woerther.atwebpages.com/files/095.pdf, S. 11. 9 Lehnert, Gertrud: Mit dem Handy in der Peepshow. Die Inszenierung des Privaten im öffentlichen Raum, Aufbau Verlag, Berlin 1999, S. 98. 5 6
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Andrew M. Nicol Peter Weier
Christof
Seahavenworld
Fernseher Kino
also kritiklos zuschauen, wie ein Mensch systematisch von der Wirklichkeit ferngehalten wird. Das vermeintlich echte Leben der Zuschauer ist zur reinen Schau, zum passiven Schauen geworden. Sie dürfen über der Truman Show, Trumans echtem Leben, das gleichzeitig als Inszenierung präsentiert wird, nicht nur ihr eigenes Leben vergessen, sondern die Reality Show ersetzt ihr eigenes langweiliges Leben. Die Grenzen zwischen ihrer eigenen Realität und der Trumans verwischen sich. Truman lebt stellvertretend für sie; er ist für sie ein Mensch, den sie genau kennen, der in ihrem Leben eine wichtige Rolle spielt, da er für sie leichter durchschaubar ist und sein Leben klarer vor ihnen liegt als ihr eigenes (Suchtverhalten, Eskapismus, Leben aus zweiter Hand).10 Darüber hinaus zeigt Die Truman Show »ein perfekt normiertes Dasein als Anhängsel der Werbewirtschaft (product placement)«.11
»Wie wirklich ist die Wirklichkeit?« Die Unterscheidung verschiedener Wirklichkeiten, die Verwischung und damit Aufhebung ihrer Grenzen, führt zur Frage der Wahrnehmung von Wirklichkeit, des Wirklichkeitsverständnisses, zur Frage des Konstruktivisten Paul Watzlawick: »Wie wirklich ist die Wirklichkeit?« In seinem gleichnamigen Buch weist der Autor darauf
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Während Truman über seinen eigenen Status nicht Bescheid weiß, wissen die Zuschauer immer ein wenig mehr als er und sind ihm daher immer ein wenig überlegen. Seibt, Gustav: »Geschichte. Eine Kolumne. Kapitalismus als Lebensform«, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 54, 2000, Heft 3, S. 249–256: S. 250.
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hin, dass es zwei Wirklichkeiten gibt. Die Wirklichkeit erster Ordnung, die sich »auf die rein physischen und daher weitgehend objektiv feststellbaren Eigenschaften von Dingen« bezieht, betrifft ihm zufolge alles, was »auf dem Konsensus der Wahrnehmung und vor allem auf experimentellen, wiederholbaren und daher verifizierbaren Nachweisen beruht«12 . Die Wirklichkeit zweiter Ordnung sagt etwas darüber aus, was die Dinge oder Tatsachen »bedeuten oder welchen Wert sie haben«13 . Sie »beruht ausschließlich auf der Zuschreibung von Sinn und Wert an diese Dinge und daher auf Kommunikation«14 . Die Wirklichkeit erster Ordnung umfasst in der Truman Show die auf einer Insel gelegene Kleinstadt Seahaven, in der Truman und viele andere Menschen leben und arbeiten. Als Wirklichkeit zweiter Ordnung ist sie eine wie »geleckt« aussehende amerikanische Kleinstadt, die einen bestimmten westlichen Lebensstil oder amerikanischen »way of Life« repräsentiert. Sie ist ein steriles, überschaubares und damit ungefährliches Modell nach Art von Disney World auf denkbar kleinstem Areal, das dem Sicherheitsbedürfnis des modernen Menschen und seinem Bestreben, Risiken jeder Art zu vermeiden, entgegenkommt. In seinem Verhalten orientiert sich Truman, wie auch die anderen Akteure, an Konvention und Konformität, daran »to be a good boy« – das heißt, ein Verhalten ist dann gut, wenn es anderen gefällt oder von ihnen befürwortet wird. Truman erntet Anerkennung, wenn er »lieb und nett« ist. Diese scheinbar »heile Welt« tritt mit dem Totalitätsanspruch auf, sich für die ausschließlich einzige und beste zu halten. Sie erweist sich darin als totalitär, dass sie Truman keine Wahl lässt, ihn in sich festhält, ihn am Ausreisen hindern will. Über die Wirklichkeit zweiter Ordnung hinaus gibt es eine solche dritter Ordnung, die bei Watzlawick nicht vorkommt und die er vielleicht sogar ausschließt. Es ist dies eine gemeinsame Welt größerer Freiheit und Authentizität, in die Truman am Ende hinausgeht, zu der Sylvia ihm entgegenläuft und zu der diejenigen Zuschauer im Film (und natürlich auch die außerhalb, also wir), die einen Prozess der »Katharsis« durchlaufen haben, sich möglicherweise auch aufmachen. Metapher für diese Welt sind die Fidschi-Inseln. »Die Insel war und wurde für die gedanklichen Konstruktio nen der Neuzeit ein Vorzugsplatz für ihre Utopien« einer »anderen«, »ursprüng licheren« Welt.15
12
15 13
14
Watzlawick, Paul: Wie wirklich ist die Wirklichkeit?, SP 174, R. Piper & Co. Verlag, München 201992, S. 142 f. Watzlawicks zwei Wirklichkeiten sind Ausdruck unserer neuzeitlichen Weltanschauung und ihres Wissenschaftsbegriffs, wonach das Sein der Dinge keine Werthaftigkeit mehr besitzt, sondern reine Fakten sind (Descartes’ res extensa), die Trennung von Sein und Sollen sich vollzogen hat. Ebd., S. 143. Ebd., S. 142 f. Blumenberg, Hans: Höhlenausgänge, stw 1300, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1996, S. 450.
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Der philosophische Aspekt – Das Höhlengleichnis Platons Aus zwei Gründen muss das Höhlengleichnis Platons zur Interpretation der Truman Show herangezogen werden: 1. Das Höhlengleichnis ist die Beschreibung des Bildungsweges des Menschen, für den das »Erkenne dich selbst« als die eigentliche Aufgabe gilt. »Bildung als Selbsterkenntnis bedeutet das Erwecken der ursprünglichen Anlage des Menschen, die durch äußere Einflüsse und eigene Gewohnheit vergessen wurde.16 2. Es geht im Höhlengleichnis auch um die erkenntnistheoretische Frage, was die Wirklichkeit ist, wie der Mensch sie erfahren kann und wie sich die Abwendung vom Schein und die Hinwendung zum Sein vollzieht. Ganz Ähnliches gilt für Die Truman Show: »Zwischen Truman und der Wirklichkeit stehen Wände, Kulissen, vorgespiegelte Wahrheiten, und Weir setzt mehrfach die Sehnsucht des Menschen ins Bild, hinter die Spiegel zu schauen und zum Eigentlichen durchzubrechen.«17 Wie der platonische Mensch ist auch Truman durch den ganzen Film hindurch von Sehnsucht getrieben, bis sie am Ende zu ihrem Ziel kommt – allerdings nicht wie bei Platon in der Erkenntnis des Wesens aller Dinge und der Idee des Guten als Ursache von allem, die im theologischen Denken die Stelle Gottes einnimmt. Auch die Rückkehr in die Höhle findet in der Truman Show nicht statt.18
Der religiöse Aspekt Christof ist der Schöpfer und Regisseur, der »Fernsehvisionär« der Truman Show, der in seiner Zentrale über den Bauten der künstlichen Insel Seahaven, über einer künstlichen Betonkuppel, residiert, die Truman den Himmel vorspielt. Der Mond, in der Mythologie Symbol des weiblichen Prinzips, wird hier symbolisch als »männliche Schaltzentrale der Macht und der Manipulation von Gefühlen«19 verwendet. In seinem künstlichen Gestirn am Himmel zieht Christof die Fäden – einem Weltherrscher und obersten Marionettenspieler vergleichbar, der auch Truman zunächst wie eine Marionette von außen steuert. Parallelen zwischen Christof und (einem) Gott, der auch christliche Züge trägt, lassen sich aufzeigen. Als wichtigste Parallele ist der Absolutheitsanspruch zu nennen, dass es nur eine Wahrheit gibt, nach der der Mensch sich zu richten habe, weil nur Gott weiß, was für den Menschen gut und richtig ist. Christof scheint allmächtig, allwissend,(auch wenn seine Macht
16
19 17
18
Kather, Regine: Das Höhlengleichnis Platons. Eine Interpretation, unveröffentlichtes Manuskript 1987. Wörther, Matthias: Die Truman Show, a. a. O., S. 13. Platon: Politeia, 7. Buch, 514a–517c. Twele, Holger: Die Truman Show, Peter Weir, USA 1998, a. a. O., S. 8.
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sich am Ende als eingeschränkt erweist, denn er hat nie über »eine Kamera in Trumans Kopf« verfügt,) und Christof ist allgegenwärtig – täglich vierundzwanzig Stunden lang wird Truman mit den Augen von fünftausend Kameras verfolgt. So vereinigt sich in Christof die alttestamentarische Doppelheit eines liebenden, aber auch strafenden, zürnenden und rächenden Vater-Gottes. Als Regisseur der Seaworld beschneidet er die »göttliche Neugier« (Einstein) des Menschen (des Kindes Truman) und flößt ihm Angst und Schuldgefühle ein (Tod des Vaters). Seahaven ist ein künstliches Paradies, das wie das biblische mit einem Verbot, nicht vom Baum der Erkenntnis zu essen20 , belegt ist. Das Herausfallen bzw. -gehen aus beiden ist aber die Voraussetzung für die Weiterentwicklung des Menschen, ohne die er nicht sein eigentliches Potenzial hätte ausschöpfen können (Neugier, Erkenntnisdrang, Freiheit, Verantwortung) – das Moment der Selbstüberschreitung ist ihm eigen. Dennoch wird ein fundamentaler Unterschied zur christlichen Welt deutlich: Als Truman mit seiner Hand die trennende Studiowand berührt und damit die eigentliche Wirklichkeit entdeckt und, wie die geöffnete Tür zeigt, zu ihr durchgeht, erscheint hinter dieser ein schwarzes Loch. Im Gegensatz zur christlichen und auch antiken Welt ist der moderne Mensch nicht mehr in einen größeren Zusammenhang (Kosmos) eingebunden, sondern einer existenziellen Ungesichertheit (Ungewissheit, Unbestimmtheit) ausgesetzt, der das offene Ende entspricht. 21 Es lassen sich nicht nur Parallelen zwischen Christof und (dem christlichen) Gott herstellen, sondern Christof ist (wie) Gott, er ist die Verkörperung menschlicher Hybris, die mit Menschen experimentiert und sich die Kontrolle über die Welt anmaßt. 22
Zusammenfassung Am Beispiel der Medien, besonders des Fernsehens, zeigt Peter Weir die Gefahr auf, sich und andere über die Wirklichkeit hinwegzutäuschen, sie zu verfälschen und dieser Täuschung zu erliegen. Deshalb ist es Aufgabe des Menschen, das Unwahre aufzudecken und zumindest Fragmente der Wirklichkeit und der Wahrheit zu erkennen. »Wände, Kulissen, vorgespielte Wahrheiten« wegzuräumen und zu durchschauen. Sich gleichzeitig auch der gesellschaftlichen Gleichschaltung zu widersetzen und sich daraus zu befreien, eröffnet einen Zugang zur eigentlichen Wirklichkeit, auch zur Wirklichkeit des eigenen Lebens, um authentischer zu sein als der Truman des Reality TV. Authentisch, d. h. ein »Selbst«, ist man, wenn man der inneren Ganzheit zu ihrer Verwirklichung verhilft.
20 21
22
Vgl. 1. Mose 3, 1–5. Vgl. dazu den Holzschnitt von Flammarion, Camille: Der Mensch durchbricht das Himmelsgewölbe und erkennt die Sphären (1888) (M5). Das Hybris-Motiv greift Andrew Niccol, der das Drehbuch zu Die Truman Show schrieb, noch einmal in seinem Science-Fiction-Drama Gattaca am Beispiel der Gentechnik auf.
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Dass dieses Erreichen des Selbstseins ein Individuationsprozess ist, der der Kommunikation bedarf, zeigt Weir an Truman und Sylvia: Nur wo wir uns auf die (tragfähige) Verbindung mit dem Anderen einlassen, begegnen wir der Möglichkeit zu wachsen. Das Eigentlich- oder Wesentlich-Werden des Menschen, indem er sich aus allen Verstrickungen und Verblendungen befreit, ist seit der antiken Philosophie als zentrale Aufgabe des Menschen begriffen worden; und immer ist die Antwort offengeblieben, ob dies vollständig und dauerhaft gelingen kann. Im 20. Jahrhundert hat das gebrochene Verhältnis zur Wahrheit, zum Grund des Seins wie zum Wesen des Menschen den eigenen »Entwurf« zwar möglich gemacht, dies aber durch den Antagonismus zum Entwurf des Anderen zugleich erschwert. Das Bedürfnis nach Authentizität ist eine Folge der Massengesellschaft (wie der Massenproduktion), in der sich »die Idee des nicht zu Vervielfältigenden als des eigentlich Echten« heraus bildet. 23
M 1 Inhalt und Aufbau des Films
Fertigt eine chronologisch geordnete Inhaltsangabe des Films an. Auf welche Schwierigkeiten stoßt ihr?
Zeichnet eine Strukturskizze des Films, in der ihr für jede Handlungsebene eine unterschiedliche Farbe wählt.
Ordnet die folgenden Begriffe den jeweiligen Handlungsebenen zu: Außenwelt | Medienwelt | fiktionale mediale Welt
Erläutert, welche weiteren Unterschiede ihr in der fiktional-medialen Welt noch zwischen Truman und den Schauspielern und zwischen Truman und dem Fernsehpublikum seht. M 2 Zu den Personen des Films TRUM A N
Erläutert, inwiefern Trumans Geschichte einer Wahrheitsfindung ein entwicklungspsychologischer Prozess der Eltern-Kind-Ablösung sowie – auf religiöser Ebene – der des Menschen von Gott ist.
Erstellt eine Liste von Szenen, die deutlich machen, dass die natürlich vorhandene Neugier des kleinen und auch noch des erwachsenen Truman (und damit sein Autonomiestreben) bewusst unterbunden wird.
23
Adorno, Theodor W.: Minima Moralia, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1969, S. 205.
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Lösungshinweise ¬ Truman wird am Strand daran gehindert, über die Felsmauer (jenseits von Chris tofs Welt) zu schauen. ¬ Die Grundschullehrerin demotiviert seine Magellan-Entdeckerträume. ¬ Künstlich erzeugte traumatische Angst vor Wasser beschränkt seinen Bewegungsradius effektiv. ¬ Trumans Mutter, vordergründig besorgt, verstärkt diese Angst. ¬ Meryl und Marlon relativieren Trumans Ausbruchsfantasien immer wieder. ¬ Selbst im Reisebüro wird mit Warnungen vor Abstürzen und Unfällen die Verhinderungstaktik verfolgt.
Wie gelingt es dem Regisseur Weir, Truman als Hauptdarsteller von Alltagsgeschichten mit Höhen und Tiefen zum Held einer scheinbar kohärenten Lebensgeschichte zu machen? (z. B. Fotoalbum als »Beweismittel« der eigenen Lebensgeschichte, Reden darüber; Erinnerungen usw.) TRUM A N UND S Y LV I A
Truman ist nicht wie das kantische ein einsames Individuum, das sich allein über sich und den Zustand der Welt »aufklären« muss. Welche entscheidende Rolle spielt Sylvia dabei für ihn? CHR I S TOF
Ethisch argumentieren:
Erläutert, welche Argumente Christof für sein »Experiment« anführt und wie er sein Verhalten gegenüber der Öffentlichkeit rechtfertigt. (Analogie-Argument: »Die ganze Welt ist eine Bühne«, »Truman führt ein Leben wie jeder andere«; Nützlichkeitsargument usw.)
Zeigt, welche Argumente für Sylvia entscheidend sind. (Argument der Grenzüberschreitung: Christof »spielt« Gott; Argument der Menschenwürde usw.)
Stellt Christofs Argumente denen Sylvias gegenüber. Welche Argumente sind für eure Urteilsbildung besonders ausschlaggebend?
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M 3 Zur Symbolik des Films DER SPIEGEL
Stellt mithilfe eines Lexikons der Symbole fest, wofür der Spiegel als Symbol stehen kann.
Vergleicht die beiden Spiegel-Monologe, so wie sie im Film gesprochen werden: Der erste Spiegel-Monolog24 In seiner ersten Spiegel-Szene spricht der sich völlig unbelauscht wähnende Truman das Folgende in einem Dialog mit sich selbst vor dem Badezimmerspiegel:
Truman 1: Ich schaff’s einfach nicht, du musst ohne mich weitermachen. Truman 2: Auf keinen Fall, Mister, du steigst auf den Gipfel des Berges, egal, ob mit gebrochenen Beinen oder nicht. […] Truman 1: Du bist verrückt, weißt du das? […] Truman 2: Ja, sag mir was, was ich noch nicht weiß. Truman 1: Also gut. Aber versprich mir eins: Wenn ich sterbe, bevor wir auf dem Gipfel sind, dann benutz’ mich als alternative Nahrungsquelle. […] Truman 2: Du bist widerlich. […] Truman 1: Iss mich, verdammt! Das ist ein Befehl. Der zweite Spiegel-Monolog25 In einem zweiten Spiegel-Monolog, kurz bevor Truman zur Flucht mit dem Segelboot aufbricht, scheint er sich nach der morgendlichen Wäsche an die Regie jenseits des Spiegels zu wenden:
Regieassistent [im Regieraum zum abgewandten Regisseur]: Hey, Simeon! Regisseur [dreht sich herum und sieht Truman vor dem Badspiegel stehen]: Was ist? [Truman steht vor dem Spiegel.] Regieassistent: [im Off ] Sieht er uns etwa an? [Truman steht noch immer vor dem Spiegel.] Regisseur [im Regieraum]: Herr Gott, denkst du, er weiß Bescheid? Truman [vor dem Spiegel stehend]: Hallo! Regisseur [im Regieraum]: Ist wohl besser, ich ruf Christof an. Truman [vor dem Spiegel stehend]: Hallo! Bitte melden, Major Burbank! [Truman pfeift und malt mit Seife auf den Spiegel einen Raumfahrerhelm um das Spiegelbild seines eigenen Kopfes. Der Regieassistent lacht.] Regieassistent [im Off ]: Er ist ganz wieder der Alte, mein Gott. [Truman imitiert
24 25
DVD: Die Truman Show, Paramount (Universal Pictures) 2003, Zeit: 0:00:48 – 0:02:15. Ebd., Zeit: 1:07:36 – 1:08:37.
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vor dem Spiegel Weltraum-Geräusche; malt eine Fahne daneben, wie etwa Armstrong sie in den Mondstaub rammte.] Regieassistent: Das ist wirklich ein ungewöhnlicher Typ, Mann. Truman [indem er ein »T« auf die Fahne schreibt] Diesen Planeten taufe ich auf den Namen »Trumania in der Burbank-Galaxis«. Regieassistent [im Regieraum]: Jetzt geht er gleich. Nur Kamera 8, Jungs. Truman [in den Spiegel zwinkernd]: Das war gratis. DER K ELLER
Der Keller ist Symbol für Vergangenheit und Unbewusstes.
An welcher Stelle des Films geht Truman in »seinen« Keller? Was bewirkt die Öffnung seiner Schatztruhe, die Hinwendung zu sich selbst in ihm? Was ist der Grund für seine Melancholie? DA S WA SSER
Truman wählt den Fluchtweg über das Wasser. Wie ist Wasser für ihn »besetzt«? Welcher symbolische, ambivalente Charakter wird dem Wasser zugeschrieben? Fertigt dazu eine Mind-Map an.
Wähle eines der Wort-Kärtchen, das du spontan am meisten mit »Wasser« oder »Meer« verbindest, erkläre der Gruppe, warum. Versucht gemeinsam herauszubekommen, inwieweit die jeweiligen Assoziationen etwas mit Trumans Kampf mit dem Element Wasser zu tun haben.
Ewiger Kampf/ Aufruhr
dunkel, unergründlich: Untiefen
Grenze und auch Brücke
Ungetrübter Spiegel
Verführung/ Verlockung
Reinigende Kraft / Wiedergeburt
Auflösung
Symbol des Unbewussten / Traum
Zerstörerisches Element
Quelle des Lebens
Ewige Bewegung
Geburt und Tod / Anfang u. Ende
Gefahr, Risiko
Chaos, Urmaterie
Wassermann
Weibliches Element
Taufe / Auferstehung
Ebbe und Flut
Geheimnis, Orakelwesen
Meditation über Vergänglichkeit
panta rhei
Versinken, Untergang
Yin
Ohne Grenzen, Unendlichkeit
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M 4 Medien
»Wie wirklich ist die Wirklichkeit?« Wie kann der Mensch herausbekommen, was Wirklichkeit ist? Vergleicht dazu die Aussage Picassos: »Wenn es eine einzige Wahrheit gäbe, könnte man nicht hundert Bilder über dasselbe Thema machen.«
Truman geht zwar aus der fiktionalen medialen (virtuellen) Welt durch die Exit-Tür hinaus; ob es die Realität oder reale Außenwelt aber überhaupt (noch) gibt, lässt der Film offen. Warum?
Diskutiert die Frage, inwieweit unser eigenes Leben nicht immer schon ein inszeniertes Leben ist.
Erläutert, welche Szenen in der »Truman Show« dafür sprechen, dass mediale oder virtuelle Wirklichkeit(en) so überhand nehmen, dass wir den Kontakt zur Welt tatsächlich verlieren.
Nehmt basierend auf den beiden folgenden Texten Stellung zu der Frage, ob die mediale oder virtuelle Wirklichkeit die reale verzichtbar macht26 . Erich Fromm: Realität 27
Wir sehnen uns danach, mit der Realität des Lebens in Kontakt zu kommen, weil unsere Realität aus Kunstprodukten besteht. Wir leben in einer Welt der Konventi onen und Autos, doch wir hungern danach, mit etwas von dem in Berührung zu kommen, um das die Religionen oder deren Äquivalente in den meisten Kulturen besorgt waren. Davon aber gibt es in unserer Kultur kaum etwas, das der Erwäh nung wert wäre. Neil Postman: Trivialitäten28
Wenn ein Volk sich von Trivialitäten ablenken lässt, wenn das kulturelle Leben neu bestimmt wird als eine endlose Reihe von Unterhaltungsveranstaltungen, als gi gantischer Amüsierbetrieb, wenn der öffentliche Diskurs zum unterschiedslosen Geplapper wird, kurz, wenn aus Bürgern Zuschauer werden und ihre öffentlichen Angelegenheiten zur Varieté-Nummer herunterkommen, dann ist die Nation in Gefahr – das Absterben der Kultur wird zur realen Bedrohung.
Das Fernsehen bzw. das Internet (oder auch: die Medien allgemein) lügt nicht (lügen nicht); es zeigt nur, was der Zuschauer glauben soll. Setze dazu folgende Aussage in Beziehung: »Das erste Opfer eines jeden Krieges ist die Wahrheit.« Recherchiert, welche Aussagen man über die Verlässlichkeit medialer Bilder machen kann.
26
27
28
Vgl. Peters, Jörg; Peters, Martina; Rolf, Bernd (Hrsg.): Abenteuer Ethik neu, Bd. 3, Ausgabe: BadenWürttemberg, C.C. Buchner Verlag, Bamberg 2019, S. 127. In dem Schulbuch wird unter anderem die Frage nach Wirklichkeit und Virtualität am Beispiel der Truman Show behandelt. Fromm, Erich: Pathologie der Normalität. Zur Wissenschaft vom Menschen, Beltz Quadriga, Beltz Verlag, Weinheim/Basel 1991, S. 43. Postman, Neil: Wir amüsieren uns zu Tode. Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie, übers. von Kaiser, Reinhard, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1985, S. 19.
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M 5 Weltbilder
Erläutert, welches Welt- und Menschenbild sich im Holzschnitt von Camille Flammarion Der Mensch durchbricht das Himmelsgewölbe und erkennt die Sphären (1888)29 ausdrückt und was das Durchbrechen der Studiowand, das Hinausgehen Trumans durch die Exit-Tür in ein schwarzes Loch, bedeutet.30
Quelle: Künle, Inge; Wronka, Marlen: »Die Truman Show. Konzept und unterrichtliche Umsetzung für Stufe 11«, in: Ethik & Unterricht 15, 2004, Heft 4: Nichts als die Wahrheit?, S. 38–43 (von den Autorinnen für diesen Band überarbeitet und ergänzt).
29
30
Flammarion, Camille: Der Mensch durchbricht das Himmelsgewölbe und erkennt die Sphären (1888), auf: https://www.amazon.com/Medieval-Cosmology-Flat-Earth-Flammarion/dp/B07JGVY66V (Stand: 14.05.2019). Bild: Truman verlässt Seahaven, auf: http://www.filmstarts.de/kritiken/18671/bilder/?cmediafile =21316167 (Stand: 14.05.2019).
Als der Mux mäuschenstill wurde *
Moral im Film Susanne Dannecker
S
ollten wir den Hundedreck, von dem wir wissen, dass es die Hinterlassenschaften des braunen Retrievers sind, der uns auf dem Parkplatz bereits angeknurrt hat, und in die wir wie selbstverständlich hi neingetreten sind, eintüten und dem Herrchen in den Briefkasten werfen? Gerecht wäre es – aber wir tun es dann ja meist doch nicht. Warum nicht? Aus Angst? Understatement? Höflichkeit? Gute Erziehung? Freilich wünschen wir uns oft, wir hätten … Aber das sind dann jene Träume, von denen wir beim Ansinnen bereits wissen, dass sie nicht den Sprung in die Realität schaffen werden. Einer hat es geschafft – einer hat all die kleinen und großen »Sünder« unseres Alltags gestellt und sie bestraft. Wie ein neuzeitlicher Robin Hood, wie ein Kohlhaas gar streift er durch die Straßen und spürt jene auf, die sich nicht um das Wohl der Gemeinschaft scheren, die es vielleicht sogar mutwillig mit Füßen treten. Sie, die sich einfach unmoralisch verhalten. Und er sorgt für Gerechtigkeit und – nach seinem Dafürhalten – anständiges Benehmen! Die Rede ist von Mux (»Muxmäuschenstill«, D 2003). Mux setzt das in die Praxis um, was unsere Schülerinnen und Schüler im Ethikunterricht gelernt haben sollten: man solle nur nach derjenigen Maxime handeln, von der man zugleich wollen könne, dass sie ein allgemeines Gesetz werde. Mux weiß, was Recht ist, er weiß, wann man jemanden zu bestrafen hat und vor allem auch, wie man ihn angemessen bestraft: Einen Beckenpinkler brandmarkt er im Anschluss, indem er ihm ein Plakat um den Hals hängt, auf dem groß geschrieben steht, was er getan hat. Er prangert seine Mitmenschen an. Er zieht Verkehrssünder aus dem Verkehr, er steckt die Nase von Hundebesitzern in die Hinterlassenschaften ihrer vierbeinigen Freunde. Gleichzeitig ist er ein Gutmensch – er hilft anderen aus der Gosse, die es ohne ihn nicht geschafft hätten. Er engagiert einen Gehilfen (Gerd), der im Stil von Sancho Pansa
*
Muxmäuschenstill (O: Muxmäuschen-still, D 2003 Regie: Markus Mittermeier; Dauer: 89 Min.; A ltersfreigabe: FSK 16.
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seine Idee, seinen Plan, seine Vision mit ihm zusammen durchzuführen versucht und der dadurch anscheinend wieder oder vielleicht auch zum ersten Mal Selbstvertrauen gewinnt. Er schart Anhänger um sich, es könnte eine ganze Bewegung entstehen, wenn nicht am Ende der Mux an seiner eigenen Hybris zugrunde ginge. Einmal zu viel hat er gerichtet, eine Frau (Kira) hat er getötet, deren Ritter er eigentlich hatte sein wollen, den einzigen Menschen, den er für so anständig gehalten hatte, dass er ihm nahe sein konnte, dass er ihn lieben konnte. Und darüber kommt er nicht hinweg. Außer sich vor moralischer und räumlicher Orientierungslosigkeit läuft er in ein fahrendes Auto, dessen Fahrer er gern noch zur Rede gestellt hätte, und stirbt auf offener Straße. Woran ist der Mux nun gescheitert? An der unverbesserlichen Gesellschaft? An der Erkenntnis, dass sie nicht auszumerzen ist, die Unmoral? An den eigenen Ansprüchen?
Didaktische Überlegungen Denkbar ist doch, dass nach einigen Unterrichtsstunden über Moralbegründungen die Frage nach dem Unterschied zwischen Theorie und Praxis im Klassenraum steht – wenn sich Moral so vielfältig und klug begründen lässt, wer sorgt dann dafür, sie in der Bevölkerung durchzusetzen? Um die Alltagstauglichkeit der Moral zu prüfen und zu befragen, bietet sich ein Film durch den »starken Phänomenbezug des Mediums«1 sehr an. Schülerinnen und Schüler meinten, bevor sie den Film gesehen hatten, sie müssten keine Filme sehen, um zu wissen, wie man sich moralisch verhält. Gelernt haben sie durch diesen Film doch etwas anderes: wie schwierig es ist, hehre moralische Grundsätze so umzusetzen und von anderen einzufordern, dass dabei nicht die eigenen Grenzen ausgedehnt und verletzt werden. Und die heikle Frage aufzuwerfen: Darf ich selbst andere dafür richten, dass sie sich nicht an moralische Gebote halten? Und wenn mein Handeln dann zur Maxime würde – dann hätten wir bald einen Staat voller Sittenwächter und Spitzel: der größte Denkfehler von Mux, der ja sich selbst als unfehlbar einschätzt. Im Filmheft der Bundeszentrale2 sind exakt die Polarisierungen genannt, zwischen denen der Film bewusst hin und her pendelt und die in der Behandlung im Unterricht berücksichtigt werden sollten:
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Peters, Jörg; Peters, Martina; Rolf, Bernd: Philosophie im Film, C.C. Buchner Verlag, Bamberg 2006, S. 6. Winkler, Thomas: Muxmäuschenstill, Filmheft, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2004, S. 8 f.
Als der Mux mäuschenstill wurde
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a) Selbstjustiz und Rechtsstaatlichkeit: Die Schülerinnen und Schüler sollten thematisieren, was am Verhalten von Mux nicht aufgeht, wo er die Grenzen zum ersten Mal und dann eben immer wieder überschreitet. Mux handelt angeblich im Sinne des Kategorischen Imperativs, erkennt aber nicht, dass er sich herausnimmt, was er anderen niemals zutrauen würde, nämlich den Rechtsstaat zu korrigieren, der seiner Ansicht nach nicht effektiv genug arbeitet. So viel Distanz zu sich selbst kann er allerdings nicht aufbringen, um zu erkennen, wohin es führen würde, wenn sich jeder als Richter aufspielte. b) Moral und Dogma: Mux ist ein Dogmatiker, der sich den scheinheiligen Mantel der Moral übergeworfen hat. Er lässt neben seiner Art der Lebensauffassung keine andere gelten; auch hier ist es das gleiche Problem: Mux hat keine Distanz zu sich selbst, was die Reflexion der eigenen Identität und die kritische Überprüfung persönlicher Handlungsmuster unmöglich macht – Rüstzeug für fähige Diktatoren. c) Werteverlust und das Geschäft mit dem Sinn: Ersteres ist es ja, was Mux auf seinem Feldzug immer wieder anprangert: Menschen haben ihre moralische Orientierung verloren, weshalb sie ihn, Mux, brauchen und bereit sind, für ihn zu arbeiten und sich ihm förmlich zu verkaufen. d) Medien und die Privatisierung von Sicherheit: Die Organisation von Mux fällt auf scheinbar fruchtbaren Boden. Die Medien vermitteln den Eindruck einer stetig steigenden Kriminalisierung der Gesellschaft, Armeen von schwarzen Sheriffs und privat organisierte Schutztruppen sind die Folge. Wenn man all diese Aspekte addiert, ergibt sich ein Gesellschaftsbild, wie es sich häufig vor dem Zusammenbruch eines überkommenen Systems darstellt: Werteverfall, politischer und ökonomischer Orientierungsverlust sowie übersteigerte Ängste nach innen und nach außen, die die Bereitschaft, zwielichtigen und demagogischen Aufsteigern zu vertrauen, fördern und den Boden für totalitäre Machenschaften bereiten. Die Schülerinnen und Schüler bekommen vor dem Film eine Liste mit Beispielen von ärgerlichen Alltagserlebnissen (ähnlich denen im Eingangstext) und sollen entscheiden, wie sie sich verhalten und ihr jeweiliges Vorgehen auch begründen. (M1) Als Ergebnis kann sich herausstellen, dass die meisten sich nur dann einmischen, wenn sie persönlich betroffen sind, dass eine gewisse Courage vonnöten ist (die man Mux getrost auch zusprechen sollte) und emotional eine gewisse Grundwut nicht fehlen darf. Sonst ist man doch eher bereit, die Augen zu verschließen und zu hoffen, dass sich jemand anders finden wird, der für Ordnung sorgt. Diskutiert werden sollte an dieser Stelle, dass es auch Situationen geben kann, die eine Form von Selbstjustiz zu rechtfertigen vermögen (vgl. »Tyrannenmord«). Parallel oder stattdessen können sich auch Schülergruppen aufmachen, um Alltagssünder (Zigarettenkippenwegwerfer, Hundehalter ohne Plastiktüte, Verkehrsteilnehmer, die bei Rot über die Ampel gehen etc.) aufzuspüren und zur Rede zu stellen (idealerweise mit einer Handkamera oder einem Smartphone ausgestattet), dieses dokumentieren und vor allem auch notieren, wie sie sich dabei gefühlt ha-
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Susanne Dannecker
ben. Hier sollten alle Schülerinnen und Schüler einen ähnlichen Dokumentationszettel erhalten, in den sie ihre Beobachtungen eintragen können (Delikt, beteiligte Personen, Art des Verstoßes etc.). Während des Films bietet es sich an, nach bestimmten Sequenzen zu stoppen und die Schülerinnen und Schüler die inneren Vorgänge einzelner Figuren ausgestalten zu lassen (Vorschläge für geeignete Stellen und Arbeitsaufträge unter M2). Hier geht es um die persönliche Wahrnehmung von Mux und seinem Anliegen – wer entlarvt ihn oder kann ihn einschätzen? Ist er gefährlich? Passt der Begriff des Psychopathen? Nach dem Film sollten die Schülerinnen und Schüler noch vor einer Diskussion ein fiktives Interview entwerfen, bei dem sich Mux Kant selbst gegenüber zu verantworten hat. Die Schülerinnen und Schüler können das Interview als Ganzes gestalten, teilweise bietet es sich jedoch auch an, Anfänge vorzugeben oder nur eine Rolle ausfüllen zu lassen (Vorschläge für ein – sehr suggestives – Interview unter M3, hier sollen die Schülerinnen und Schüler lediglich die Position von Mux ent wickeln). Vorgeben sollte man aber auf jeden Fall, dass Mux durch den Interviewpartner Kant mit dem eigentlichen Gehalt des Kategorischen Imperativs konfrontiert wird und sein Tun endlich reflektiert. Vorstellbar wäre ebenso ein Interview zu dritt, bei dem Kant, Mux und der Regisseur Mittermeier debattieren (hier könnten die Informationen aus M5 hilfreich sein). Wenn Mux sich damit zufriedengegeben hätte, seine Mitbürger lediglich zu ermahnen, wäre der Film recht schnell zu Ende. Dies ist das pathologische Element an der Gestalt Mux – neben seiner selbstherrlichen Richtertätigkeit und seinem moralisierenden Oberlehrergestus gerät die Balance zwischen »Straftat« und Bestrafung immer stärker ins Wanken. Man merkt, dass er an der Bestrafung Gefallen findet, und man nimmt ihm die Besorgnis um das Wohl der Gesellschaft nicht mehr so recht ab. Dieses Phänomen zu katalogisieren (M4), sollte sich eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern vornehmen, während eine andere die kreativen Aufträge (M2) bearbeitet. Je nach bisherigem Unterrichtsverlauf sollte man natürlich auch noch andere Moralbegründungen hinzuziehen. Wie verhält es sich mit der Empathie, wie nützlich ist Mux für die Allgemeinheit, ist er am Ende ein Utilitarist? Ohnehin bietet es sich an, den Film als eine Art Abschluss oder Resümee einer solchen Einheit zu zeigen.
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M 1 Warum verhalten Sie sich so? A
B
C
Jemand schmeißt seine leere Zigarettenschachtel auf den Gehweg. Eine alte Frau geht bei Rot über eine Fußgängerampel. Ein Teenager pöbelt einen kleinen Jungen an. Eine Hundehalterin ermuntert ihren vierbeinigen Freund bei der Verrichtung seines »Geschäfts« auf dem Gehweg. Eine Vierzehnjährige fährt mit dem Fahrrad über Rot. Eine Gruppe Zehnjähriger besprayt die Wand der Bushaltestelle. Eine Gruppe Zehnjähriger besprayt die Garagenwand Ihres Onkels. Aus dem Fenster eines Mietblocks hört man laute Schreie. Im Freibad drückt ein l6-Jähriger einen anderen unter Wasser. Auf einem Waldweg stellt jemand einen Abfallsack an den Wegrand. Eine Kassiererin gibt dem Mann vor Ihnen 50 € zu viel zurück. Ihre beste Freundin betrügt ihren Freund. Eine Gruppe Achtzehnjähriger belästigt ein junges Mädchen in der Disco. Jemand wäscht sein Auto auf offener Straße. Eine ältere Frau parkt im Halteverbot. Eine ältere Frau parkt im Halteverbot, so dass Sie auf Ihrem gewohnten Parkplatz nicht parken können. Junge Eltern ohrfeigen ihr zweijähriges Kind auf der Straße. Ein Fahranfänger fährt in einem Wohngebiet falsch in eine E inbahnstraße. Ein Fahranfänger fährt in einem Wohngebiet auf seinem Fahrrad absichtlich falsch in die Einbahnstraße
Kreuzen Sie an, bei welcher der folgenden Situationen, bei denen Sie Zeuge sind, Sie A nichtssagend vorbeigehen; B jemand anderen darauf hinweisen oder um Hilfe bitten oder ihn auffordern, ein-
zuschreiten; C selbst tätig werden.
Erläutern Sie überall, wo Sie A angekreuzt haben, warum Sie nichts sagen, wenn Sie B angekreuzt haben, wie Sie sich verhalten und wen Sie um Hilfe bitten. Was genau tun oder sagen Sie überall da, wo Sie C angekreuzt haben?
Bei welcher der Situationen handelt es sich um ¬ einen Verstoß gegen ein Gesetz ¬ Ordnungswidrigkeiten ¬ einen moralischen Verstoß?
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Susanne Dannecker
M 2 Ausgestaltung der Figuren – Schreibanlässe Zeit
Inhalt
Arbeitsanregung
00:05–00:06
Der Langzeitarbeitslose Gerd wird vorgestellt – Mux stellt ihn ein. Nach Kiras Tod vergraben Mux und Gerd die Leiche
Gerd telefoniert abends mit seinem Kumpel und erzählt von seinem neuen Job. Gerd telefoniert mit dem gleichen Freund.
00:20–00:24
Mux und Gerd ertappen einen Graffiti-Sprüher auf frischer Tat. Nach der »Maßregelung« durch Mux kommt der Sprayer ums Leben.
Berichten Sie moralisierend in der Lokal zeitung.
00:24–00:29 01:12–01:17
Mux und Kira – er will ihr Ritter sein. Mux und Gerd auf Kiras Geburtstag – Mux erwischt sie mit einem Anderen. Kira und Mux am See.
Tagebucheintrag von Kira – wie findet sie Mux?
01:18–01:21
01:18–01:21
(Der Film wird gestoppt, als sich beide unter dem Baum auf die Bank setzen.) Gestalten Sie den weiteren Dialog zwischen Kira und Mux – wie könnte der Film enden?
Mux erschießt Kira. Verfassen Sie ein moralisches Märchen über Kira und Mux. 01:21–01:24
Mux eröffnet Filialen in vielen deutschen Städten.
Entwerfen Sie eine Utopie: Wie verändert sich die Gesellschaft durch Informant. com, und welche Position nimmt Mux in ihr ein?
M 3 Gespräch zwischen Mux und Kant
Mux zitiert Kant; er hat ein Kant-Brevier auf dem Nachttisch liegen.
Immanuel Kant: Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer der selben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könne gehalten wer den, als allein ein guter Wille. Was wollen Sie, Herr Mux? Mux: Kant: Ich zweifle ein wenig daran, dass Ihr Wille so gut ist, wie Sie es gern vor geben, sind Sie vielleicht ein Mann, der das Gute will und doch das Böse schafft? Mux: Kant: Denken Sie doch einmal an Gerd. Über den urteilen Sie, er sei »der Inbe griff eines Menschen, der es in seinem Leben zu nichts gebracht hat«. Da Sie sich ja gern auf mich berufen, dürfte Ihnen folgende Passage nicht ganz unvertraut sein: »Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauch
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test.« Hier setzt doch eindeutig der Mensch die Zwecke. Warum haben Sie Gerd eingestellt? Mux: Kant: Und dann ihr Verhalten Kira gegenüber, wie können Sie sich denn da letzt endlich rechtfertigen? Mux: Kant: Sie haben sie also vor sich selbst bewahrt? Aber wie steht es mit Ihnen – warum haben Sie den letzten Schritt nicht getan, Sie hatten sich die Pistole doch bereits auf die Brust gesetzt? Mux: Kant: Bravo – wenn Widerwärtigkeiten und hoffnungsloser Gram den Geschmack am Leben gänzlich weggenommen haben, wenn der Unglückliche, stark an Seele, über sein Schicksal mehr entrüstet als kleinmütig oder niedergeschlagen, den Tod wünscht und sein Leben doch erhält, ohne es zu lieben, nicht aus Neigung oder Furcht, sondern aus Pflicht: Alsdann hat seine Maxime einen moralischen Gehalt. M 4 Strafen und ihre Verhältnismäßigkeit
Beurteilen Sie die Vorgehensweise von Mux. Sammeln Sie zunächst die Delikte und beobachten Sie, wie Mux diese ahndet. Diskutieren Sie anschließend im Plenum die Verhältnismäßigkeit der Strafen. Delikt Raser auf der Landstraße (00:04)
Art des Verstoßes Verletzung der Straßenverkehrsordnung
Strafe 100 € Geschwindigkeitspauschale, Lenkrad wird konfisziert
Fahren in der U-Bahn ohne gültigen Fahrausweis (00:06)
M 5 »Mux ist ein Macher«3
Ein Mann sieht rot: In Muxmäuschenstill sorgt Mux, der Moralist, für Ordnung. Ist er der Mann der Stunde oder ein faschistoider Einzelkämpfer? Ein Gespräch mit dem Regisseur Marcus Mittermeier (Interview: Birgit Glombitza).
3
Glombitza, Birgit: »Mux ist ein Macher«, in: taz vom 08.07.2004, auf: http://www.taz.de/!730348/ (Stand: 11.05.2019).
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Susanne Dannecker
taz: Herr Mittermeier, Mux, der Protagonist von »Muxmäuschenstill« sagt: »Ich bin ein Teil einer Gesellschaft, in der wir unsere Ideale verloren haben.« Auch Jan Henrik Stahlberg, Drehbuchautor und Hauptdarsteller, spürt, »dass etwas faul ist im Staate«. Was liegt dem Regisseur Marcus Mittermeier schwer auf der Seele? Marcus Mittermeier: Genau das war auch Teil der Diskussion, die Jan und ich geführt haben, als er mit der Idee, diesen Film zu machen, zu mir gekommen ist. Was soll wie kritisiert werden, und wie genau bringt man das dem Zuschauer nahe? Bei solchen Debatten überkam uns unwillkürlich die Wut. Welche Bedeutung zum Beispiel so ein Schwachsinn wie Klingeltöne in unserem Leben bekommen. Wir werden zu einer Gesellschaft, die ihre Grundlagen, ihren Konsens aufgibt. Und der Konsens beruhte auf einer solidarischen Wertegemeinschaft. Das wird negiert. taz: Inwiefern? Marcus Mittermeier: Wir werden eine rein ökonomisch orientierte Ansamm lung von Ich-AGs. Die Tatsache, dass wir mit Horst Köhler einen Bundespräsidenten bekommen, der aus der Wirtschaft kommt, signalisiert mir, dass es das ist, worum es in diesem Staate auch in Zukunft hauptsächlich gehen soll. Wir wollen einfach mit dem Film darauf aufmerksam machen, das unsere Gesellschaft, wenn sie so weitermacht mit ihren Klingeltönen, dämlichen Starbiografien von Oliver Kahn bis Dieter Bohlen und all dem anderen Quatsch, in ein riesengroßes moralisches Pro blem schlittert. taz: Dann ist Mux der Mann der Stunde? Schließlich ist er der Reformer in Zeiten von Hartz IV, Bürgerversicherung und all den anderen Appellen an die Eigenver antwortung. Marcus Mittermeier: Mux ist jemand, den die führenden Politiker cool fänden, weil er ein Macher ist, ein Gründer, ein Unternehmer. Einer, der konsequent die Solidargemeinschaft einfordert. Aber bei Mux muss man eben aufpassen, muss man genau unterscheiden zwischen seiner Haltung und seinem Verhalten. Das haben wir uns als wichtiges formales Mittel zurechtgelegt. Deckungsgleiches, konsequen tes Handeln und Denken, das wäre ganz schnell langweilig. Mux löst durch sein brutales, asoziales und selbstherrliches Handeln stets das Gegenteil von seinem Idealismus ein. Dadurch kommen wir in ein Spannungsfeld, was die Sache auch fürs Publikum erst richtig interessant macht. taz: Inwieweit teilen Sie Mux’ Kritik am Werteverlust, inwieweit ist sein Idealis mus auch Ihrer? Marcus Mittermeier: Was er sagt, entspricht auch Jans und meinen Thesen zur gesellschaftlichen Situation. Seine Handlungen sind natürlich untragbar, man kann schon sagen: faschistoid. Quelle: Dannecker, Susanne: »Als der Mux mäuschenstill wurde – Moral im Film. Eine mögliche Ergänzung zu einer Unterrichtseinheit ›Moralbegründungen‹ in Klasse 12«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 2009. Heft 3: Moral, S. 188–193.
The Dark Knight – Der Joker hat sich verrechnet *
Jörg Peters
D
as Thema Gewalt und Aggression bzw. Konflikte und Konfliktlösungen wird in den unterschiedlichen Fächern der Sekundarstufe I, die sich mit philosophischen Inhalten auseinandersetzen1, entweder in der Jahrgangstufe 7 oder 8 unterrichtet. In der Oberstufe wird dieser Aspekt dagegen nicht mehr explizit aufgegriffen. Dennoch kann auf ihn beispielsweise im Anschluss an die Erarbeitung der klassischen ethischen Positio nen in der Jahrgangsstufe 12 (Gesamtschulen) bzw. Q-Phase der Sekundarstufe II (Gymnasium) noch einmal eingegangen werden. Anhand der Comic-Verfilmung The Dark Knight soll im Folgenden exemplarisch gezeigt werden, wie mit einer kurzen Filmsequenz der Aspekt Gewalt in einer Unterrichtsreihe zu Werte und Normen des Handelns Berücksichtigung finden kann.
Die Ausgangssituation Stellen Sie sich einmal Folgendes vor: Ein Mann versetzt die Stadt, in der Sie leben, in Angst und Schrecken. Sie selbst müssen – wie alle anderen Einwohner auch – jederzeit damit rechnen, dass er Sie benutzt, um seine Ziele – welche es auch immer sein mögen – durchzusetzen. Was würden Sie tun? Würden Sie abwarten und schauen, was passiert? Würden Sie sich gegen ihn stellen und ihn bekämpfen? Oder würden Sie Ihre Sachen packen und versuchen, die Stadt so schnell wie möglich zu verlassen?
*
1
The Dark Knight (O: The Dark Knight, USA/GB 2008); Regie: Christopher Nolan; Dauer: 153 Min.; Altersfreigabe: FSK 16. Je nach Bundesland handelt es sich dabei um das Fach Philosophie (Bremen, Hamburg, SchleswigHolstein), Praktische Philosophie (NRW), Philosophieren mit Kindern (Mecklenburg-Vorpommern), Werte und Normen (Niedersachsen), L-E-R (Brandenburg) Allgemeine Ethik (Saarland), Ethik (BadenWürttemberg, Berlin, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Thüringen) oder Ethikunterricht (Bayern, Sachsen-Anhalt).
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Jörg Peters
Genau dieses Szenario findet sich im Film The Dark Knight: Der Joker verübt in Gotham City einen tödlichen Anschlag nach dem anderen, weil er auf diese Weise erreichen möchte, dass Batman endlich seine Maske ablegt und seine wahre Identität preisgibt. Aus Angst, selbst das Ziel des mörderischen Vorgehens des Jokers zu werden, wollen über 30.000 Einwohner die Stadt verlassen und strömen zum Hafen, wo die Fähren ablegen. Zwei Fähren, die Spirit und die Liberty, kommen gerade an und könnten Passagiere aufnehmen. Aber die Spirit ist ausschließlich für Strafgefangene reserviert, die in ein anderes Gefängnis übersiedelt werden sollen, damit der Joker sie nicht für seine Zwecke ge- und missbrauchen kann. Nachdem die Liberty die maximale Anzahl an Passagieren aufgenommen hat, legen beiden Fähren ab. Doch noch im Hafen fallen bei beiden Schiffen gleichzeitig die Motoren aus und die Kapitäne müssen feststellen, dass in den Maschinenräumen jeweils hundert Fässer mit Sprengsätzen und je einem Zünder deponiert worden sind. Über Lautsprecher erklärt der Joker sowohl den Mannschaften als auch den Passagieren auf beiden Fähren:
»Ihr werdet heute alle Teil eines sozialen Experiments sein. Durch die wundersame Wirkung von Diesel und Ammoniumnitrat könnte ich euch jetzt alle hoch in den Nachthimmel pusten. […] Wenn jemand versucht, von seinem Schiff zu kommen, werdet ihr alle sterben. […] Mit dem Fernzünder auf eurem Boot bringt ihr aufs andre Schiff den Tod. […] Um Mitternacht jage ich euch alle in die Luft. Wenn einer von euch allerdings vorher auf den Knopf drückt, lass ich dieses Schiff leben. Also, wer soll es sein? Harvey Dents [des Generalstaatsanwalts] meistgesuchtes KnackiKollektiv oder die süßen, unschuldigen Bürgerlein? Ihr habt die Wahl. Oh, und ihr solltet schnell entscheiden, denn die Leute auf dem anderen Schiff sind vielleicht nicht genau so edlen Gemüts«.2 Das Dilemma Der Joker bringt die Passagiere der beiden Fähren in eine Dilemmasituation, in der sie die Entscheidung treffen müssen, entweder die Zündvorrichtung zu drücken oder diese nicht zu betätigen. Daher ergeben sich für sie folgende Optionen: 1. Wenn die Passagiere auf der Liberty als erste beschließen sollten, den Zünder zu betätigen, dann explodiert die Spirit und es sterben alle Menschen, die sich zu diesem Zeitpunkt auf dieser Fähre aufhalten, während die Menschen auf der Liberty überleben. 2. Sollten die Passagiere auf der Spirit allerdings in ihrer Entscheidung schneller sein und den Zünder auslösen, dann explodiert die Liberty und es tritt der umgekehrte Fall ein, nämlich dass die Menschen auf der Spirit überleben, während die auf der Liberty sterben.
2
DVD: The Dark Knight, Warner Home Video 2008, Zeit: 1:56:03 – 1:57:20.
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3. Falls die Passagiere auf beiden Fähren zu dem Entschluss kommen sollten, den Zünder nicht einzusetzen, dann werden a) entweder alle sich auf den Fähren Befindenden sterben, weil der Joker mit Ablauf der von ihm gesetzten Frist die in den Maschinenräumen angebrachten Sprengsätze selbst zünden wird, oder b) die Mitfahrenden beider Fähren überleben, weil der Joker – aus welchen Gründen auch immer – die Bomben nicht zum Explodieren bringt oder bringen kann.
Umgang mit dem Dilemma a) Ein Einwohner aus Gotham City, der sich auf der Liberty in einer solchen Zwickmühle befindet, wird – ohne es zu merken – unweigerlich anfangen, utilitaristisch zu denken und abzuwägen, welche Handlung welchen Nutzen mit sich bringen könnte. Folgt man Benthams Nützlichkeitsprinzip, das sich, vereinfacht gesagt, in der Formel vom »größten Glück für die größte Zahl« 3 wiederfindet, dann ist unter Nützlichkeit die Eigenschaft an einem Objekt zu verstehen, durch die entweder ein Vorteil, eine Freude, ein Gutes oder ein Gewinn hervorgebracht wird 4 . Die Prämisse, die diesem Prinzip zugrunde liegt, fragt danach, welche Handlung die geeignetste sei, um für eine Gemeinschaft den größtmöglichen Nutzen hervorzubringen. Auch wenn der Bürger aus Gotham City, der sich in der Zwickmühle befindet, dabei primär an seinen eigenen Vorteil denken mag, lässt sich durch den hedonistischen Kalkül dennoch der Nutzen für die Gemeinschaft ermitteln, indem man die Freude bzw. das Leid aller Betroffenen gegeneinander abwägt. Bezogen auf die Strafgefangenen könnte der Einwohner aus Gotham City folgende Überlegungen anstellen: 1. Die Strafgefangenen haben sich gegen die Gemeinschaft gewandt, indem sie z. B. ihre Mitmenschen beraubt, erpresst, vergewaltigt oder ermordet haben. Da ihnen Verstöße gegen geltendes Recht nachgewiesen werden konnten, verbüßen sie jetzt eine Gefängnisstrafe. 2. Die Strafgefangenen haben durch ihre Taten der Gemeinschaft einen finanziellen Schaden zugefügt. So wird aufgrund ihrer Handlungen ein weit größerer juristischer Apparat benötigt, als es sonst Fall wäre, der Bau und die Bewirtschaftung eines Gefängnisses muss gewährleistet, Wachpersonal bezahlt, Kleidung, Verpflegung etc. bereitgestellt werden. Diese Kosten sind aber von der Allgemeinheit, der Gemeinschaft, zu tragen. 3. Es besteht die Möglichkeit, dass die Strafgefangenen, wenn sie in die Klauen des Jokers geraten, (gewalttätiger denn je) für ihn Anschläge durchführen und Menschen töten werden. All diese Gründe machen deutlich, dass die Strafgefangenen keinen Nutzen für die Gemeinschaft darstellen, sondern vielmehr als ein Übel betrachtet werden müssen, das der Allgemeinheit Leid zufügt und aus diesem Grund eliminiert werden sollte. Daher mag es aus der Sicht des Einwohners aus Gotham
3 4
Dieses Prinzip wurde ursprünglich von Francis Hutcheson (1694–1747) aufgestellt. Vgl. Bentham, Jeremy: »Eine Einführung in die Prinzipien der Moral und Gesetzgebung«, in: Höffe, Otfried (Hrsg.): Einführung in die utilitaristische Ethik. Klassische und zeitgenössische Texte, UTB 1683, A. Francke Verlag, Tübingen 21992, S. 55 – 8 3.
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City und auch der anderen Einwohner nur allzu legitim erscheinen, sich für die Betätigung des Zünders auszusprechen. b) Bei den Strafgefangenen werden mit großer Wahrscheinlichkeit ähnliche Gedankengänge vorherrschen wie bei den Einwohnern aus Gotham City. Auch sie werden utilitaristisch abwägen, welche Handlung für sie den größtmöglichen Nutzen haben könnte. Dabei werden sie feststellen, dass 1. die nach allen Berechnungen vorzunehmende Bilanz für sie negativ ausfallen wird und 2. die Bürger – immer unter der Maßgabe, dass diese utilitaristisch veranlagt sind – sich dafür entscheiden werden, das Boot mit den Strafgefangenen zu sprengen, um selbst weiterleben zu können. Da der Überlebenswille natürlich auch auf die Strafgefangenen zutrifft, könnte einer von ihnen versuchen, den Zünder, den seine Bewacher in den Händen halten, an sich zu reißen, um als Erster – und damit früher als ein Bürger aus Gotham City – den Zünder zu betätigen. Der Nutzen dieser Handlung bestünde eindeutig darin, dass der Strafgefangene auf diese Weise zunächst einmal sein und damit zugleich auch die Leben der anderen Strafgefangenen retten würde. Seine Überlegungen spiegelten sich in einer – zugegebenermaßen verständlichen – egoistisch motivierten Handlung wider, deren Vorteil – im Gegensatz zu den utilitaristischen Prinzipien – nur auf einige wenige Menschen zuträfe. Da dieser Strafgefangene lediglich seine eigenen Interessen im Auge hätte bzw. die Maxime verfolgen würde, nur das zu tun, was ihm einen Vorteil einbringt, würde sein Handeln nicht utilitaristisch zu werten, sondern in die Kategorie des puren Egoismus einzuordnen sein.
Auf dem Weg zu Entscheidungen Im Film werden abwechselnd kurze Szenen gezeigt, die auf der Spirit und der Liberty spielen. Dabei wird deutlich, dass auf beiden Seiten die Nerven blank liegen, weil keine der beiden Parteien weiß, wie sich die andere innerhalb der nächsten zwanzig Minuten bis Mitternacht verhalten wird:
[Auf der Spirit bricht Unruhe bei den Häftlingen aus, so dass die Wachleute ihre Gewehre auf sie richten, während auf der Liberty ein Bürger (Bürger 1) entschlossen aufsteht. Es scheint, als ob er den Zünder an sich nehmen will.] Soldat [warnend zu Bürger 1]: Bleiben Sie zurück! [Es steht ein zweiter Bürger (Bürger 2) auf.] Bürger 2: Warum sollen Sie das entscheiden? Zumindest sollten wir das zusam men diskutieren. Bürgerin 1: Warum sollen wir sterben? Diese Männer hatten doch ihre Chance. Soldat: Wir werden erst gar nicht anfangen, darüber zu reden. Bürger 2: Warum sollen wir nicht darüber reden? Bürger 3: Die auf dem anderen Schiff überlegen sich doch genau dasselbe. Bürger 4: Wir sollten darüber abstimmen.
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[Allgemeine Zustimmung der Bürger auf der Liberty, während auf der Spirit die Unruhe wächst.] Agent [auf die Häftlinge einredend]: Ganz ruhig. […] [Auf der Liberty hält ein Soldat Papier in seinen Händen.] Bürgerin 2: Wir haben keine Zeit für Papierkram! Was soll das? Soldat [zu den Bürgern]: Ich will, dass jeder auf dieses Blatt Papier schreibt, wofür er stimmt. Jeder, der einen Stift dabei hat, gibt ihn danach weiter. [Ein anderer Soldat sammelt die Stimmen ein.] Die Abstimmung muss schnell gehen. [Bürger 2 ist schnell entschieden, während Bürger 4 zaudert.] Kommen Sie. Beeilen Sie sich. [Auf der Spirit herrscht weiterhin Unruhe. Die Häftlinge reden auf die Wachleute ein. Der die Straftäter begleitende Agent hat inzwischen den Fernzünder vom Kapitän und seinem Funker erhalten und hält ihn in den Händen. Eine Uhr zeigt an, dass es nur noch 17 Minuten bis Mitternacht sind.] Häftling 1 [fordernd, Stimme im Off ]: Worauf wartet ihr noch? Drückt einfach den Knopf. Die Zeit wird knapp!5 Diese Szene macht nicht nur das Konfliktpotenzial evident, sondern zeigt auch, dass die Bürger aus Gotham City utilitaristisch ausgerichtet sind und durch eine Abstimmung festlegen wollen, wie weiter vorgegangen werden soll. Bei ihrer Stimmabgabe werden den meisten Bürgern sehr ähnliche Gedanken durch den Kopf gegangen sein, wie jene, die bei der Analyse der ersten Szene auf einen Einwohner projiziert worden sind. Nur so ist auch zu verstehen, dass eine Bürgerin zu bedenken gibt: »Warum sollen wir sterben? Diese Männer [gemeint sind die Strafgefangenen] hatten doch ihre Chance.« Für sie ist klar, dass die »Knackis« der Gesellschaft keinen Nutzen bringen und demensprechend auch kein Recht mehr darauf besitzen, ihr Leben weiterzuführen. Das Verhalten der Straftäter dagegen erweist sich durch ihre Einforderung an die Wärter: »Worauf wartet ihr noch? Drückt einfach den Knopf. Die Zeit wird knapp!« als egoistisch. Ihr Egoismus ist aber nicht verwunderlich, scheint doch nur in ihm die Rettung ihrer Leben zu bestehen. Ihnen ist nämlich zum einen klar, dass ihnen nur noch wenig Zeit verbleibt, um selbst eine Entscheidung herbeizuführen, und zum anderen sind sie sich darüber bewusst, zu welchen Resultaten die Bürger wahrscheinlich aufgrund ihrer Überlegungen gelangen werden.
Entscheidungen umsetzen Die Abstimmung auf der Liberty ergibt, dass ca. 75 % der Einwohner von Gotham City sich dafür aussprechen, die Fähre mit den Strafgefangenen explodieren zu lassen. Es findet sich auch schnell ein Bürger, der sich bereit erklärt, die Verantwortung dafür auf sich zu nehmen. Auf der Spirit hat einer der Gefangenen ebenfalls eine Entscheidung getroffen:
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DVD: The Dark Knight, a. a. O., Zeit: 1:57:21 – 1:59:31.
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Kapitän der Liberty [teilt den Bürgern das Abstimmungsergebnis mit]: Das Ergeb nis ist: 140 dagegen, 396 dafür. [Bürger 2 blickt zufrieden und Bürgerin 1 weiß nicht, wie sie das Resultat auffassen soll. Auf der Spirit schaut sich Häftling 2 die Unruhe von einem Pfeiler aus an.] Bürgerin 3 [auf der Liberty zu einem Soldaten]: Worauf warten Sie denn? Tun Sie’s! Kapitän: Wir sind noch hier. [Die Uhr zeigt vier Minuten vor Mitternacht.] Das be deutet, sie haben es auch noch nicht entschieden. […] Häftling 2 [sitzt nun am Pfeiler. Er denkt nach. Als er eine Entscheidung für sich getroffen hat, steht er auf und geht auf den Agenten zu, der den Fernzünder in der Hand hält. Alle Augen, sowohl der Sträflinge als auch des Wachpersonals, sind auf ihn gerichtet. Dann steht er vor dem Agenten]: Du willst nicht sterben, aber vom Töten hast du keine Ahnung. Gib ihn mir. Diese Männer werden dich töten und sich das Ding sowieso nehmen. [Die Uhr zeigt mittlerweile an, dass es zwei Minuten vor Mitternacht ist. Auf der Liberty wägt Bürger 2 für sich ab, was er tun soll.] Bürger 2: Keiner will’s nachher gewesen sein. Na gut, ich tu’s. Diese Männer auf dem anderen Schiff haben sich schon mal entschieden. Und zwar für Mord, Dieb stahl und dergleichen. Es ergibt keinen Sinn, dass wir jetzt auch noch sterben sol len. [Er nimmt den Zünder aus der Schachtel.] […] Häftling 2 [zum Agenten]: Gib ihn mir. Du kannst den anderen ja sagen, ich hätte ihn mir mit Gewalt genommen. Gib ihn mir. Und ich tue, was du vor zehn Minuten hättest tun sollen. [Der Agent legt den Zünder in die Hände des Häftlings.]«6 Beide Passagiere wären jetzt in der Lage, die jeweils andere Fähre zu sprengen und damit das »soziale« Experiment des Jokers glücken zu lassen. Aber keiner von beiden ist bereit, Schuld auf sich zu laden und unschuldige Menschen zu töten, nur um selbst weiterleben zu können. So erkennt z. B. der Kapitän der Liberty, dass es den Strafgefangenen – obwohl es nur noch vier Minuten bis Mitternacht sind – nicht leicht fällt, eine (moralische) Entscheidung zu treffen: »Wir sind noch hier. Das bedeutet, sie haben es auch noch nicht entschieden.« Was er nicht wissen kann, ist, dass einer der Häftlinge zu diesem Zeitpunkt bereits den Zünder in den Händen hält, aber nur um ihn zu entsorgen, indem er ihn durch ein Fenster ins Gewässer wirft. Ernüchterung stellt sich daraufhin bei seinen Mithäftlingen ein, weil sie nun damit rechnen, dass einer der Bürger auf der anderen Fähre ihr Schicksal besiegeln wird. Doch auch dort wendet sich das Blatt. Der Bürger, der vorwitzig verkündet hatte, dass es hinterher niemand gewesen sein will und er deshalb die Verantwortung übernehmen werde, kann sich nicht überwinden, den Zünder zu betätigen. Welche Gründe spielen für die Entscheidung des Strafgefangenen bzw. des Bürgers eine Rolle? Natürlich kann diese Frage nicht eindeutig und abschließend beantwortet werden, aber man kann sich 1. vorstellen, dass das Gewissen dem Bürger sagt, er müsse sein Leben lang mit der Ungewissheit und der damit verbundenen Schuld leben, Menschen getötet zu haben, von denen er nicht einmal weiß, ob sie
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Ebd., Zeit: 2:04:33 – 2:05:23 und 2:05:48 – 2:06:05.
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im umgekehrten Fall in der Lage gewesen wären, die Fähre, auf der er sich befindet, explodieren zu lassen. 2. Eng mit dem vorangegangenen Punkt hängt das sogenannte Abwägungsgesetz von Leonard Nelson zusammen7. Dieses Gesetz besagt, die eigene Handlung solle so ausgerichtet sein, dass man ihr grundsätzlich zustimmen kann. Gleichzeitig sollen dabei die Interessen der anderen Menschen so berücksichtigt werden, als wären es die eigenen. Versetzt man sich gedanklich in eine Reihe von verschiedenen Situationen, so wird man feststellen, dass unsere Interessen manchmal kollidieren. In diesen Fällen kommt man nicht umhin, eine Wahl zwischen den sich widerstreitenden Belangen zu treffen, was aber bedeutet, dass man nur dem einen oder dem anderen Interesse nachkommen kann. Auf die Befriedigung des anderen Verlangens muss dagegen verzichtet werden 8 . Bezogen auf den Bürger aus Gotham City bedeutet das, er hat sich – unbewusst – in die Lage der Strafgefangenen versetzt und erkennt, dass er den Zünder nicht betätigen darf. Würde er den Zünder auslösen, verstieße er gegen zwei Grundsätze: Er würde einerseits die Maxime missachten, die besagt, die Interessen der anderen Menschen müsse man so berücksichtigen als wären es die eigenen. Andererseits würde er auch gegen den Grundsatz verstoßen, dass man in seine eigene Handlung immer einbilligen können müsse. Durch sein Handeln wird aber deutlich, dass er die Würde eines anderen Menschen auf die gleiche Stufe stellt wie seine eigene. 3. Wiederum eng mit dem vorangegangenen Punkt hängt die MenschheitsZweck-Formel Immanuel Kants zusammen, die auch in Nelsons Abwägungsgesetz angelegt ist. Dieser Form des Kategorischen Imperativs wird insbesondere durch einen der Strafgefangenen auf der Liberty Ausdruck verliehen, denn die Menschheits-Zweck-Formel hebt den Aspekt der Würde des Menschen besonders hervor: »Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest«9. Der Strafgefangene ist sich darüber im Klaren, dass der Joker die Passagiere beider Fähren als Mittel (Erpressung) für seinen Zweck bzw. für sein Ziel (Batmans Demaskierung) benutzt. Indem der Sträfling den Zünder an sich nimmt und ihn ins Gewässer wirft, will er – auch wenn es den Verlust seines eigenen Lebens nach sich ziehen sollte – verhindern, dass der Joker durch sein Tun die Oberhand gewinnt. Auf diese Weise verhindert der Häftling nämlich, dass die Würde der Menschen auf der anderen Fähre missachtet wird. Neben diesem Aspekt gibt es drei weitere Gesichtspunkte seines Handelns, die möglicherweise darauf hindeuten könnten, dass er moralisch im Sinne des Kategorischen Imperativs gehandelt hat: 1. Sein Handeln
7
8 9
Vgl. Nelson: Leonard: Gesammelte Schriften, 9 Bde., Bd. 4: »Kritik der praktischen Vernunft (1917)«, hrsg. von Bernays, Paul; Eichler, Willi, Vorwort von Henry-Hermanni, Grete, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1972, S. 133. Vgl. ebd., S. 177. Kant, Immanuel: »Grundlegung zur Metaphysik der Sitten«, in: Kant, Immanuel: Kants Werke, Akademie-Textausgabe, Bd. 4, Kritik der reinen Vernunft (1. Aufl. 1781); Prolegomena; Grundlegung zur Metaphysik der Sitten; Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaften, Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften, Berlin 1911, S. 429.
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ist uneigennützig. 2. Er zieht mögliche Konsequenzen, die sich aus seinem Handeln ergeben könnten, weder für sich noch für andere ins Kalkül. 3. Wenn er schließlich dem Agenten gegenübertritt und diesem sagt, dass er mit dem Zünder jetzt das machen werde, was der Agent schon früher hätte tun sollen, verdeutlicht dies, dass sein Handeln nicht nur auf einer Maxime basiert, die subjektiv ist und damit lediglich für ihn Gültigkeit hat, sondern er einen verallgemeinerten Grundsatz herbeiführt, der zu einem allgemeinen, widerspruchsfreien Gesetz erhoben werden kann. Damit ist auch gesagt, dass dieses Gesetz für alle Menschen Gültigkeit hat und jeder in dieser Situation gleich handeln sollte.
… und der Joker? Das Dilemma, in dem sich die Passagiere befinden, wurde vom Joker inszeniert. Batman hat mittlerweile das Versteck des Jokers ausfindig gemacht und kämpft mit seinem Erzfeind, als es auf Mitternacht zugeht:
Joker [zu Batman, ihm eine Stange auf die Kehle drückend]: Hören wir auf mit der Rauferei, sonst verpassen wir das Feuerwerk. Batman [ernst]: Es gibt kein Feuerwerk. Joker [überzeugt]: Und jetzt geht’s los. […] [Der Joker blickt auf die Uhr und kann es nicht glauben. Es ist Punkt Mitternacht und keine Fähre explodiert.] Batman [Stimme im Off ]: Was willst du beweisen? Dass jeder in seinem Kern so verkommen ist wie du? Du stehst alleine da. [Auf der Spirit sieht man der Besatzung, den Häftlingen und dem Wachpersonal die Angst vor dem bevorstehenden Tod an. Ein Blick zur Uhr verrät allerdings, dass es bereits eine Minute nach Mitternacht ist. Verwunderung macht sich breit.] Joker: Auf kein Schwein kann man sich heutzutage noch verlassen. Man muss alles alleine machen. Oder nicht? [Er holt einen Zünder aus seiner Jackentasche.] Aber ich habe mich ja vorbereitet. Wir leben in einer lustigen Welt. […] Batman [überwältigt schließlich den Joker im Kampf ]: Diese Stadt hat dir gerade gezeigt, dass sie voll von Menschen ist, die glauben, dass das Gute siegen kann.10 Diese Szene zeigt, dass der Joker davon überzeugt ist, dass die Menschen primär egoistisch und utilitaristisch ausgerichtet sind. Wäre dies tatsächlich der Fall, dann würde sein Konzept aufgehen, dann hätte der Bürger aus Gotham City ebenso die andere Fähre in die Luft gesprengt, wie dies auch der Strafgefangene hätte tun können. Ja, der Joker hätte seine ihm durch Batman unterstellte These: »Was willst du beweisen? Dass jeder in seinem Kern so verkommen ist wie du?« bestätigt gesehen, dass jeder Mensch jederzeit zu Gewaltmitteln greift, um seine Interessen durchzusetzen. Für ihn wäre das Resultat seines »sozialen Experiments« eine Legitimation
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DVD: The Dark Knight, a. a. O., Zeit: 2:06:20 – 2:08:50.
The Dark Knight – Der Joker hat sich verrechnet
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seines brutalen Vorgehens, seines rücksichtslosen Handelns gewesen. Er hätte für sich auf diese Weise auch eine Rechtfertigung erhalten, Gewalt einsetzen bzw. ausüben zu dürfen. Schon allein aus diesem Grund darf in diesem Szenario kein Mensch sterben. Batman, der in dieser Szene scheinbar dem Joker unterlegen ist, kann dem Superschurken noch so eben die Fernzündung wegnehmen, bevor dieser in seiner sarkastischen Art beide Fähren in die Luft jagt: »Auf kein Schwein kann man sich heutzutage noch verlassen. Man muss alles alleine machen. Oder nicht? [Er holt einen Zünder aus seiner Jackentasche.] Aber ich habe mich ja vorbereitet.« Diese Sequenz soll dem Zuschauer aber auch noch vor Augen führen, dass moralisches Handeln sich nicht (immer) berechnen lässt, sondern dass es viel wichtiger ist, mit sich selbst im Reinen zu sein bzw. widerspruchsfrei zu handeln, damit man kein schuldbeladenes Leben führen muss. Wer dennoch anders handelt, der steht – wie Batman es ausdrückt – alleine da, vor allem dann, wenn man sich wie der Joker in Bezug auf das Moralverhalten der Menschen verrechnet hat.
Didaktische Anregungen Der Einsatz der Filmsequenz eignet sich insbesondere am Ende einer Unterrichtsreihe, in der unterschiedliche ethische Theorien mit Schülerinnen und Schülern erarbeitet worden sind. Um die diversen Einstellungen (Joker, Bürger von Gotham, Häftling) ethisch einzuordnen und die Handlungen dementsprechend zu rechtfertigen bzw. abzulehnen, sollten zumindest Kants deontologische Lehre sowie der Utilitarismus nach Bentham und Mill als bekannt vorausgesetzt werden können. Es bietet sich hier auch an, das Dilemma in kleinen Ausschnitten den Schülerinnen und Schülern zu präsentieren, weil auf diese Weise die ganze Tragweite der moralischen Zwickmühle deutlich wird und unterschiedliche Auffassungen, wie denn nun gehandelt werden sollte, zur Sprache kommen.
M 1 The Dark Knight – Das soziale Experiment11
Stellen Sie das Dilemma, in dem sich die Passagiere der beiden Fähren befinden, in seinen wesentlichen Grundzügen dar.
Erläutern Sie, was der Joker durch sein »soziales Experiment« demonstrieren will.
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DVD: The Dark Knight, a. a. O., Zeit: 1:56:03 – 1:57:20.
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M 2 The Dark Knight – Auf dem Weg zu Entscheidungen12
Erörtern Sie, wie sich die Bürger bzw. die Häftlinge entscheiden sollen. Stellen Sie sich vor, Sie seien einmal Passagier auf der einen und einmal Passagier auf der anderen Fähre.
Diskutieren Sie die Frage, ob es sinnvoll ist, eine moralische Entscheidung durch eine Abstimmung herbeizuführen (hier: Soll der Zünder gedrückt werden oder nicht?). M 3 The Dark Knight – Entscheidungen treffen13
Stellen Sie dar, aufgrund welcher moralischen Theorie der Bürger Gothams einerseits und der Häftling andererseits gehandelt haben könnten.
Beurteilen Sie die jeweils getroffene Entscheidung. M 4 The Dark Knight – Der Joker14
Erläutern Sie, warum der Joker überrascht ist, dass sein Experiment misslungen ist. Beurteilen Sie das Handeln des Jokers auf der Grundlage Ihnen bekannter ethischer Theorien (Tugendethik, Eudämonismus, Hedonismus, Egoismus, Utilitarismus, Deontologie, Mitleidsethik etc.). Quelle: Peters, Jörg: »Der Joker hat sich verrechnet – Thematisierung von Gewalt im Unterricht anhand des Films The Dark Knight«, in: Europa Forum Philosophie 2015, Heft 64: Violence – Gewalt, S. 167–177 (vom Autor für diesen Band überarbeitet und mit Ergänzungen versehen).
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DVD: The Dark Knight, a. a. O., Zeit: 1:57:21 – 1:59:31. Ebd., Zeit: 2:04:33 – 2:05:23 und 2:05:46 – 2:06:05. Ebd., Zeit: 2:06:20 – 2:08:50.
»For what? For nothin’. For a tin star.« Mit John Locke ins Kino gegangen, erneut High Noon gesehen Bodo Kensmann
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ine Analyse von Westernfilmen in der gymnasialen Oberstufe kann bedeuten, Formen und Arten des Denkens mittels bewegter Bilder zur Sprache zu bringen. Man kann z. B. den (Western-) Mythos im Unterschied zum aufklärerischen Denken bereits in der Einführungsphase thematisieren. Hat man etwa im Anschluss an den Protagoras-Mythos (Platon) Feuerbachs Religionskritik oder Kants Aufklärungsaufsatz behandelt, so könnte man Bedeutungsänderungen des Begriffs »Mythos« bearbeiten: »Mythos Lady Di«, Mythos der »Helden von Bern« oder eben auch »Der klassische Western als filmischer Mythos«. Und man kann später in der Qualifikationsphase dessen Kritik, Destruktion und Dekonstruktion durch die verschiedenen Spielarten des nachklassischen Western mittels der politischen Philosophie vertiefen und ausarbeiten. In einem guten Philosophieunterricht ist nicht nur eine professionelle Textarbeit selbstverständlich und wichtig. Ähnlich hilfreich können eine genaue Arbeit am Film und eine Analyse der Filmsprache sein: Es gilt, Filme sehen zu lernen. Der Bogen des Genres spannt sich vom klassischen Western bis zum postmodernen Western. Im Hauptteil soll es vor allem um Fred Zinnemanns High Noon (USA 1952) gehen und im Kontrast dazu angedeutet um Sergio Leones C’era una volta il west (USA 1968). Auch wenn die Westernhelden, von denen die Filme erzählen, keine Götter sind, die den Menschen – wie in Platons Protagoras – »Recht und Scham«1 für eine gelingende Gemeinschaft schenken, so erinnert(e) man sich doch allzu gern an diese filmischen Erzählungen von tapferen Helden und interpretierte wie reinterpretierte
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Zwölf Uhr mittags (O: High Noon, USA 1952); Fred Zinnemann; Dauer: 85 Min.; Altersfreigabe: FSK 12. Platon: »Protagoras«, in: Platon. Sämtliche Werke, übers. von Schleiermacher, Friedrich, hrsg. von Otto, Walter F.; Grassi, Ernesto; Plamböck, Gert, 6 Bde., Bd. 1: Apologie – Kriton – Protagoras – Ion – Hippias II – Charmides – Laches – Euthyphron – Gorgias – Briefe, rk 1, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1982, 322c (S. 63).
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mit diesen Aktuelles wie Vergangenes: die »Eroberung des amerikanischen Kontinents«, den Treck nach Westen (»Go West«), den Kampf für Gerechtigkeit und die (Wieder-)Herstellung der staatlichen Ordnung. Man wohnt(e) gern im »Lichtspieltheater« der filmischen Story bei, insofern das Erzählmuster bekannt ist und die Geschichte fast immer ein gutes Ende nimmt, und weil bei akzidentiellen Abweichungen vom Muster versichert wird, dass das Gute über das Böse siegt, dass der »Wilde Westen« so oder so ähnlich kultiviert und die Bürgerschaft mit Hilfe der Helden gegründet und gesichert wurde. Der Western erscheint heutzutage für den Spielfilmeinsatz im Philosophieunterricht der Gymnasialen Oberstufe als denkbar ungeeignet. Und es stößt in der Tat auf Befremden. Western? »Was soll das?« Lässt man sich dennoch darauf ein, das Westerngenre im Philosophieunterricht zu thematisieren, finden es die Schüler und Schülerinnen erstaunlich, dass besonders die politische Theorie von John Locke 2 – aber auch die von Thomas Hobbes 3 – in diesen filmischen Erzählungen so gut wiederzuerkennen sind. Hobbes’ Lehre findet sich beispielsweise in Hombre (Martin Ritt, GB 1966): Der zynische Held Hombre hat den Glauben an einen gerechten Staat verloren. Der Sheriff ist kriminell und wird bei seinem Raubüberfall von Hombre erschossen. Die Bürger müssen sich ihren Schutz woanders suchen. 4 Dass ebenso mit Spielfilmen ohne Bezug zum Western-Genre der »Naturzustand« thematisiert werden kann, ist bekannt (vgl. Peter Brook: Herr der Fliegen, GB 1963). Schließlich können bei geeigneten Filmen auch andere philosophische Akzente unter Rückgriff auf diese Staatsphilosophien gesetzt werden: Blood Diamond (Edward Zwick, USA 2006) zeichnet sich dadurch aus, dass sich mit diesem Film die zeitbedingten Grenzen von Lockes Ansatz verdeutlichen ließen: »Diamanten […] haben […] durch Laune oder Übereinkunft der Menschen ihren Wert erhalten«, so Locke (§ 46). Es muss freilich viel mehr gesagt werden: über den internationalen Diamantenhandel, über dessen mafiöse Organisation und dass ihm mittels der Vereinten Nationen (UN) Einhalt zu gebieten wäre. Womit man dann z. B. auch bei Kants Zum Ewigen Frieden (1795) wäre. Und Locke ist nicht zuletzt auch mit Textstellen im Unterricht anschlussfähig, die zu kritisieren sind: Seine Hinweise auf die faulen Indianer sind aus heutiger Sicht eurozentrisch und kolonialistisch (vgl. bes. §§ 32 u. 37), womit man wieder beim Western-Genre wäre oder beim Post-Western fündig werden könnte (Taylor Sheridan, Wind River, USA 2017). Und noch ein weiterer Hinweis auf Überhangprobleme ergibt sich mit Blick auf eine Unterrichtsreihe zur Staatsphilosophie:
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Vgl. Locke, John: Über die Regierung (The second Treatise of Government), übers. von Tidow, Dorothee, UB 9691, Philipp Reclam jun., Stuttgart 2003. Die Unterkapitel bzw. Abschnitte werden der besseren Lesbarkeit wegen im fortlaufenden Text als Paragraphen (§) angegeben; vgl. auch Locke, John: Zweite Abhandlung über die Regierung, übers. von Hoffmann, Hans Jörn, durchgesehen, überarbeitet und kommentiert von Siep, Ludwig, stb 7, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. Der Kommentar von Ludwig Siep ist auch für Schüler und Schülerinnen sehr zu empfehlen. Vgl. Hobbes, Thomas: Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen Staates, übers. von Euchner, Walter; hrsg. und eingel. von Fetscher, Iring, stw 462, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1994. Vgl. Ebd., 29. Kapitel, bes. S. 254.
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Lockes Rechtfertigung des Besitzeigentums durch Arbeit wäre mit Marx’ Arbeitswertlehre bzw. Aneignungs- und Entfremdungstheorie zu kontrastieren, womit wichtige sozialphilosophische Dimensionen ins Spiel kämen. 5 Je nach möglicher und gewollter Einbeziehung philosophisch-ästhetischer Themenaspekte könnte sich eine Reihengestaltung zur politischen Philosophie auch so um das Western-Genre zentrieren: Von The Great Train Robbery (Edwin S. Porter, USA 1903) reicht das Spektrum bis zum postmodernen Western, der spielerisch zitiert, ironisiert und lächerlich macht: Er erzählt, das sei noch (zwecks Verdeutlichung des Kontrastes) angedeutet, auch augenzwinkernd, lässt den Zuschauer schmunzeln. In C’era una volta il west (die Übersetzung Es war einmal der Westen ist passend, Spiel mir das Lied vom Tod weniger treffend) erklärt Cheyenne: »Und wenn er jetzt hier hereinkommt [gemeint ist Mundharmonica (Charles Bronson), nimmt er seine Sachen vom Nagel und dreht sich nicht einmal um« (Sequenz Cheyennes Rückkehr). Der Zuschauer erwartet(e) das sowieso. Aber Cheyenne sagt es – scheinbar zu allem Überfluss – auch noch! Das bekannte Klischee vom einsamen Reiter! Und der Zuschauer wusste und weiß ebenso, dass Mundharmonica nicht bei Jill (Claudia Cardinale) in der neuen Stadt »Sweetwater« bleiben würde. Revolverhelden im Spätwestern sind eben einsam und allein, bindungsunfähig. Mit seinen Revolverkünsten in der Stadt zu bleiben und für Gerechtigkeit und Ordnung zu sorgen, ist nicht Mundharmonicas Sache. Handlung, Gestik, Mimik etc. sagen: »Glaubt nicht an den Mythos des Western!«, »Sieh zu, wo du bleibst!«, »Nimm dein Leben selbst in die Hand!« Die ehemalige Prostituierte Jill beherzigt das. Ennio Morricones Filmmusik ist ein süßes Versprechen, dass das gelingt. Die Behandlung des Westernspielfilms ist besonders ergiebig in der Qualifika tionsphase der Gymnasialen Oberstufe, finden sich dort auch die Rahmenthemen »Kulturphilosophie« und »Philosophische Ästhetik«. Wie trug der Westernfilm – ggf. anknüpfend an die Thematik »Western als Mythos« in der Einführungsphase – zur kulturellen Identität mit besonderem Blick auf die USA bei? Das könnte eine der möglichen Fragestellungen sein. Ob der postmoderne Westernspielfilm das normativ-ästhetische Leitkriterium Kracauers noch erfüllen kann oder Anlass gäbe, die Theorie Kracauers begründet zu kritisieren, könnte eine andere Fragestellung unter der Thematik »Film als Kunst« (»Philosophische Ästhetik«) sein. 6 Unter Bedingungen des Zentralabiturs in NRW gehört gegenwärtig auch John Locke zum Kanon. Die Thematisierung Lockes mittels des Western eröffnet mit den zahlreichen
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Vgl. Marx, Karl: »Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844«, in: Marx, Karl; Engels, Friedrich: Werke (MEW), 44 Bde., Bd. 41: Ergänzungsband: Schriften bis 1844, Erster Teil, hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Dietz Verlag, Berlin 1973, S. 465– 588: bes. S. 467–567; vgl. Marx, Karl: »Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band, Buch I: Der Produktionsprozess des Kapitals«, in: Marx, Karl; Engels, Friedrich: Werke (MEW), 44 Bde., Bd. 23, hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Dietz Verlag, Berlin 1973. Vgl. Kracauer, Siegfried: Theorie des Films. Die Errettung der äußeren Wirklichkeit, vom Verfasser revidierte Übersetzung von Walter, Friedrich und Zellschan, Ruth, hrsg. von Witte, Karsten, stw 546, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1985.
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aktuellen wie historischen Bezügen eine Chance zur kreativen Unterrichtsgestaltung trotz der Zentralabiturvorgaben, die die Lehrfreiheit faktisch einschränken. Das Rahmenthema für die Qualifikationsstufe 1: »Probleme von Politik, Recht, Staat und Gesellschaft«.7 Der Westernfilm wirft paradigmatisch solche Probleme auf. John Locke ist der heimliche Philosoph des klassischen Western-Films und der erhellende Bezug, um auch die nachklassischen Western mit der philosophischen Brille besser sehen zu können.
High Noon – der Plot und die philosophisch gesichtete Story Der Plot umfasst die sicht- und hörbaren Ereignisse, die im Film auftauchen: High Noon schildert einen (verglichen mit anderen Western) ungewöhnlichen, anders artigen einsamen Kampf des Marshals Will Kane gegen seinen Todfeind Frank Miller und dessen Gangsterbande. Und da er am Ende siegt, so könnte man meinen, wird alles wieder gut, die staatliche Ordnung wird also wieder stabilisiert, die mythische Erzählung dient mehr oder weniger der weltanschaulichen Selbststabilisierung der Zuschauer und eignet sich zur Identifikation mit dem klassischen Westernhelden, den ordentlichen Gesellschaftszuständen und den anständigen Bürgern. Aber High Noon lässt hinter die Fassade blicken: Die filmisch erzählte Story geht über den Plot8 hinaus: Es ist oft eine Einheit von Filmzeit und Realzeit behauptet worden. Die Filmzeit von 85 Min. entspräche dann der Realzeit, also jener Zeit, in der die Gangster am Bahnhof auf Miller warten, in der Stadt miteinander gesprochen und gestritten wird und Kane schließlich am Ende des Films mit seiner Frau Amy die Stadt verlässt. Demgegenüber ist auch gesagt worden, dass etwa 100 Min. »Realzeit« auf 85 Min. »Filmzeit« komprimiert worden seien (Harald Prinzler). Wie dem auch sei. Zweifellos ist mit der Einheit von Filmzeit und Realzeit filmisch ein dokumentarischer Anspruch mit der zeitlichen Annäherung an einen entscheidenden Zeitraum voller enthüllender Ereignisse und Geschehnisse ausgedrückt. Eine andere Realität wird gezeigt, realistischer in einem bestimmten Schwarzweiß: Der Kameramann Floyd Crosby gestaltet die Filmbilder nach dem Bürgerkriegsfotografen Mathew Brady. »Er lehnte die Verwendung von Filtern, Scheinwerfern und Weichzeichnern ab, da er versuchen wollte
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Ministerium für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Landes NRW (Hrsg.): Richtlinien und Lehrpläne für die Sekundarstufe II – Gymnasium/Gesamtschule in Nordrhein-West falen: Philosophie, Schriftenreihe Schule in NRW, Nr. 4716, Ritterbach Verlag, Frechen 1999, S. 18. Anmerkung des Autors im Jahr 2019: Die Leserinnen und Leser mögen den aktuellen Lehrplan aus NRW zum Vergleich heranziehen. Für den Autor ist aus der Sicht einer problemorientierten Philosophie-Didaktik ein schmerzhafter Verlust an kreativen Gestaltungsspielräumen für den Philosophieunterricht in NRW zu beklagen (vgl. Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Kernlehrplan für die Sekundarstufe II – Gymnasium/Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen: Philosophie, Schule in NRW, Nr. 4716, Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2014). Rother, Rainer (Hrsg.): Sachlexikon Film, rororo Handbuch 6515, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1997, S. 232 u. S. 279.
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›das flache Licht, die körnige Textur und den weißen Himmel‹ von Bradys Bildern nachzuahmen.« 9 Man sieht in den Gesichtern der Bürger, dass sie Angst haben, dass ihre »Argumente« vorgeschoben sind, wenn sie Kane um eines fragwürdigen allgemeinen Friedens willen bitten, die Stadt vor Millers Eintreffen zu verlassen. Würden die Kontrahenten in der Stadt nicht aufeinander treffen, dann bliebe die Stadt friedlich und sicher, so die kurzsichtige Schlussfolgerung fast aller Bürger. Die Bürger verweigern ihrem Marshal ihre Unterstützung angesichts der potenziellen Gefahr, die mit Millers Zugankunft um 12 Uhr droht: Falls Miller wie erwartet auf Rache sinnt, werden keine (tauglichen) Mitbürger als Hilfspolizisten zur Verfügung stehen. In der »Realzeit« dieses Szenarios lernen wir einen verzweifelten Bürgermarshal kennen. Die filmisch erzählte Story geht über den Plot hinaus, nicht nur wenn Kane sagt, dass er kein Held sein will, und das übliche Genrebild des Helden gestisch und mimisch nicht mehr voll erfüllt: Dann sagt er das auch für den Zuschauer, für die amerikanischen Bürger im Jahr 1952 und danach. Dieser Western thematisiert und reflektiert zugleich auch die Geschichte und Erzählweisen des Klassischen Western. Filmische Kommunikation spielt immer auf verschiedenen Ebenen.10 Oder wenn Helen Ramirez, die Teilhaberin des Saloons, frühere Freundin erst Millers und dann Kanes, in einem Gespräch erläutert, wie schwierig es für sie als Mexikanerin gewesen sei, sich hochzuarbeiten und gesellschaftliche Anerkennung zu finden, dann verweist das indirekt auch auf den Rassismus vieler Western. Den Rückschluss, dass sie wahrscheinlich nur als Prostituierte zu dem Geld hat kommen können, mit dem sie sich als stille Teilhaberin in den Saloon eingekauft hat, gibt der Plot nicht direkt her, gehört aber dennoch zur »Story«, die der mit klassischen Western vertraute Rezipient zu ergänzen weiß. Eine »Story« im Unterschied zum »Plot« umfasst immer auch die nicht direkt im Film behandelte Zeiträume, die der Zuschauer bei seiner Deutung der Story mit einbezieht. Und schließlich noch als ein letztes Beispiel: Kanes Vorgänger als Marshal, Matt How, durchaus auch ein Vertrauter, vielleicht Freund Kanes, will ihn bei seinem Kampf ebenfalls nicht unterstützen. Es ist mehr als die Gicht: Es gehört zur indirekt erzählten, angedeuteten Story aus den Jahren vor den quasi dokumentarisch präsentierten 85/100 Minuten. Was mag er als Marshal seinerzeit für Erfahrungen gemacht haben? Gezeigt wird es nicht, angedeutet wird eine schlechte Geschichte (s. u.), wenn er Kane resigniert seine Weigerung erläutert. Der »Tin Star« wird den Bürgern am Ende von High Noon vor die Füße geworfen. Aber damit wird doch, trotz aller Skepsis und Kritik, zugleich der Glauben an eine gerechte staatliche Ordnung, an ein politisches Gemeinwesen, beschworen. Spätestens mit dieser Feststellung wird der Film auch philosophisch gesehen und die Story auch philosophisch gedeutet. Und der erhellende Vergleich ist auch philoso
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Schüler informieren sich über Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Zw%C3 %B6lf_Uhr_ mittags (Stand: 05.05.2019). Vgl. dazu Faulstich, Werner: Einführung in die Filmanalyse, Literatur im Grundstudium, Bd. 1, Gunter Narr Verlag, Tübingen 1980, S. 91–93.
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phisch inspiriert: Diesen Glauben an ein gerechtes politisches Gemeinwesen haben die Protagonisten postmoderner Western nicht mehr. Ein zu erstrebender oder zu verteidigender gerechter Staat spielt keine Rolle mehr – in Unforgiven (Clint Eastwood, USA 1992) etwa ist der Marshal ein brutaler Leviathan. Noch einmal zur der bereits erwähnten Sequenz in C’era una volta il west: Mundharmonica gibt Jill, die flehentlich sagt, dass »die Stadt« (die Bürgerschaft) »Sweetwater« (und sie selbst) auf ihn warte, die ernüchternde lakonische Antwort: »Irgendeiner wartet immer.« Und dann verschwindet er, so wie es Cheyenne angekündigt hatte. Und Cheyenne erklärt auch, warum Mundharmonica aus der Stadt verschwinden wird: »Männer wie er können nicht anders. Sie leben mit dem Tod.« Was für eine Botschaft! Wie anders als die des Klassischen Western und anders als die in High Noon. Noch einmal auf den Punkt gebracht: Die »Botschaft« des postmodernen Western ist, dass sie die Botschaft der Erzählung des Klassischen Western zitiert und damit in Distanz rückt. Dass zitiert wird, wird filmgestalterisch gerade in C’era una volta il west überdeutlich. Nicht nur warten die Gangster am Bahnhof, ähnlich wie auch in High Noon die Miller-Bande am Bahnhof wartet, sondern besonders klar in dieser Sequenz nach dem Showdown zwischen Frank und Mundharmonica, in der Cheyenne Jill und uns Zuschauern auch noch sagt, was von Westenern früher so erzählt wurde: dass die Helden den Hut vom Nagel nehmen und dann verschwinden, und dass Frauen eben das nicht verstehen könnten. Wenn der Zuschauer, der Klassische Western kennt, jetzt nicht schmunzelt.
Mit John Locke neben sich im Kinosessel (»Ich sehe, was ich weiß«) Das bisher Dargelegte wie das Folgende spiegeln exemplarisch den erforderlichen philosophischen Selbstverständigungsprozess in der Lehrerrolle. Welche Filmsequenzen, Szenen oder Einstellungen man im Detail behandeln könnte, richtet sich immer auch nach der Situation der Lerngruppe vor Ort (Stand der Themenerarbeitung, Interpretationskompetenzen der Schüler, zeitlicher Rahmen, geeignete Unterrichtsformen etc.). Auf diese didaktisch-methodischen Aspekte will ich nicht eingehen. Angedeutet werden muss noch, dass dem ganzen Film gerecht zu werden und ihn als ästhetisches Phänomen zu thematisieren, notwendig über die begrifflich exakte philosophische Erfassung der Handlung (z. B. mit Locke) hinausweist. Filme stellen mehr als nur Theorieillustrationen dar. Und sie sollten im Unterricht mehr als nur Ergänzungsmedien zum Text darstellen: Eine im Sinne Kants11 eigenständige, philosophisch-ästhetische Thematisierung des Films als Kunst wird auch in fachdidaktischer Hinsicht fruchtbar und wirksam, insofern damit (Western-)Filme hinsichtlich ihrer ästhetischen Gestaltungsideen leichter in den Blick kommen können und man dabei reicher und vielschichtiger auf den Verweisungszusammenhang
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Vgl. Kant, Immanuel: »Kritik der Urteilskraft«, in: Kant, Immanuel: Theorie-Werkausgabe, 12 Bde., Bd. 10., hrsg. von Weischedel, Wilhelm, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1968, bes. § 49, S. 413–418.
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filmgestalterischer Mittel eingehen kann. Philosophie der Filmkunst schärft den Blick beim Philosophieren mit Filmen unter politischen, ethischen etc. Aspekten. Ähnliches lässt sich zur erkenntnistheoretischen Thematisierung von Filmen sagen: Mit Merleau-Pontys leibphänomenologischer Theorie12 kann man nicht nur das Kino als ein »Kino der Gefühle« thematisieren, sondern ebenso in besonderer Weise den Blick z. B. auf die Verzweiflungsgestik Kanes lenken. Der Lehrer sieht (entsprechend leitend) mit den Schülern wieder vieles mehr im Film, wenn er über solche Theoriezusammenhänge Bescheid weiß, auch wenn diese an der Stelle einer thematischen Behandlung eines Films mit Locke u. a. gar nicht eigens zur Sprache kommen. Im Folgenden geht es darum, High Noon (Fred Zinnemann, USA 1952) mit John Lockes Zweiter Abhandlung über die Regierung (1689) sozial- und staatsphilosophisch genauer zu deuten. Der Film fungiert dabei als Ergänzungsmedium zum Text. Gleichwohl müssen die filmeigenen Fragestellungen Beachtung finden. Die ins Zentrum der Überlegungen gestellten Sequenzen sind in besonderer Weise geeignet, das Spannungsverhältnis von politischer Gemeinschaft (Staat) und »Naturzustand« mit John Locke zu thematisieren. Mit diesem Spannungsverhältnis spielen vor allem die Klassischen Western, High Noon setzt jedoch den kritischen wie skeptischen Akzent, dass die Staatenbildung misslingen oder gefährdet sein kann.
Zur Sequenz »Will Kane hängt den Stern an das Colthalfter« Der mit John Locke inspirierte Blick fokussiert sofort, worum es entscheidend geht: Der Marshal Will Kane scheidet seiner frisch geheirateten Frau zuliebe vorzeitig aus dem Amt. Der neue Marshal wird erst für den nächsten Tag erwartet. Damit kann man – je nach Umständen und Perspektiven – entweder ein gefährliches Macht vakuum oder auch nur ein harmloses Defizit an staatlicher Macht erwarten, das bei stabilen sozialen Verhältnissen keinen Anlass zur Besorgnis bietet. Es geht um Funktion und Bedeutung der staatlichen Macht und Gewalt, um die Sicherheit der Bürger, um »Law and Order« im wohlverstandenen Sinne. Der Filmzuschauer weiß aus der Eröffnungssequenz: Die Gangster treffen sich, führen Böses im Schilde, Gestik und Mimik sind eindeutig – sie sind entschlossen, mit finsterem Blick. In dieser an die Eröffnungssequenz bald anschließende Sequenz »Kane hängt den Stern ans Halfter« geben sich tragende Repräsentanten der staatlichen Macht jedoch unbesorgt angesichts der bevorstehenden kurzen Übergangszeit, während der der eben verabschiedete Marshal Kane nicht mehr und der neue noch nicht im Amt ist. Die drei Vorsitzenden des Wahlausschusses, darunter der ehemalige Marshal Matt How als Vorgänger Kanes, zerstreuen Will Kanes Skepsis angesichts dieses bevorstehenden kurzen Machtvakuums: Durch Kanes Arbeit als Marshal »dürfte die Stadt wohl sicher sein«, und dem würde auch der Richter wohl zustimmen, wie gemeinsam lachend Zuversicht verbreitet wird.
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Vgl. Merleau-Ponty, Maurice: »Das Kino und die neue Psychologie«, in: Liebsch, Dimitri (Hrsg.): Philosophie des Films. Grundlagentexte, KunstPhilosophie, mentis, Paderborn 2006. S. 70–84.
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Der alte Matt How – dabei etwas verhalten agierend – kann sich vergnüglich vorstellen, das rein Private vorzuziehen und mit einer »so schönen Ehefrau hinter dem Ladentisch [zu] stehen«, vergleichbar dem unterstellten oder gewünschten süßen Leben Kanes im Ruhestand ohne störende Gedanken an die Amtspflichten eines Marshals. Letzteres hört Kane jedenfalls mit Befremden heraus, wenn er sagt: »Wie du früher den Stern getragen hast, hast du nicht so geredet.« Warum aber könnte How früher, als er Marshal war, nicht dem Privaten zu Lasten von Amtspflichten das Wort geredet haben? Weil damals die Rechts- und Machtverhältnisse und damit die Lebensverhältnisse der Bürger noch nicht so sicher und friedlich waren, wie sie jetzt erscheinen und in dieser Filmsequenz von den drei Wahlausschussvertretern wie dem Richter so zuversichtlich mit gemeinsamem Lachen bekräftigt werden. Vielleicht meint mancher in dieser heiteren Gesellschaft aber auch nicht, was einmütig geäußert erscheint. Erst am Ende des Films werden wir Zuschauer mehr wissen. John Lockes zentraler Gedankengang zusammengefasst und mit Bezug auf diese Sequenz gedeutet: Das Machtvakuum, das Kane skeptisch anspricht, verweist auf etwas, das es vor einer die Sicherheit der Bürger garantierenden politischen Gemeinschaft gegeben hat und in das eine Gesellschaft auch wieder zurückfallen kann: nämlich auf den »Naturzustand«, in dem die Menschen an moralischen Vernunftgesetzen orientiert, manchmal unter labilen Verhältnissen, bisweilen sogar im »Kriegszustand« (§ 19), gelebt haben. Ein vorstaatlicher Naturzustand war immer auch durch »Kriegszustände« bedroht (vgl. §§ 16–21). Locke ging davon aus, dass Naturzustände historisch existiert hatten (vgl. § 15 u. §§ 99–101). In Peru und »den Wäldern Amerikas« sah er sie als noch gegeben an (§ 14). Die Menschen vermögen sich nach Locke gegen die kleineren wie größeren Störungen im »Naturzustand« erfolgreich zu wehren, indem sie bereits ohne institutionalisierte Rechtsprechung – vorstaatlich also – die Täter bestrafen können und dürfen. Für alle besser und sicherer ist es aber, sich vertraglich um die Überwindung dieser »Mängel« und »Unvollkommenheiten« des Naturzustandes zu bemühen. Lockes Zentralgedanke: Ein vertraglicher Zusammenschluss aller mit allen zu einem Staat (vgl. bes. § 95 und § 222), der die Menschen auf das gemeinsame Wohl, ein »Leben in Menschenwürde« (§ 15), das Mehrheitsprinzip und die Gewaltenteilung verpflichtet, gewährleistet eine »größere Sicherheit« des »Eigentums« (Freiheit/Selbstbestimmung, körperliche Unversehrtheit, Besitz) an selbst erarbeiteten Lebens- und Produktionsmitteln (§ 123). Auf diesem Wege sei das bereits im Naturzustand erstrebte und durch moralische Vernunft gebotene »Ziel«, »behaglich, sicher und friedlich miteinander zu leben«, in der »politischen Gesellschaft«, (auch »bürgerliche Gesellschaft« oder »politischer Körper« genannt, § 95) in deutlich höherem Maße gewährleistet. Die (Straf-)Moral im Naturzustand wird ins staatlich-gesellschaftliche (Straf-)Recht transformiert. Und der Staat ist gewaltenteilig stabilisiert. Man kann mit Lockes philosophischem Erklärungs- wie Legitimationsmodell jetzt genauer erkennen, was der Westernmythos in seinen filmischen Erzählungen moralisch verklärt andeutet. Gelingt der Ausgang aus dem Naturzustand in dieser mit John Locke angedeuteten Weise, mit diesen moralischen Werten und demokratischen Standards, dann
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ist ziemlich genau der stabile und sichere Gesellschaftszustand erreicht, den die Protagonisten in der Filmsequenz »Kane hängt den Stern ans Halfter« annehmen: »Die Stadt [dürfte] wohl sicher sein«, wie lachend versichert wird. So weit, so »klassisch«: Bevor stabile gesellschaftlich-politische Zustände hergestellt waren, also zur Zeit der Trecks nach Westen, bedurfte es tapferer und auch heldenhafter Männer, die mit ihrer Tugend vorwegnahmen, was später in gesicherten Rechtsverhältnissen Eingang finden sollte. Davon erzählen die Klassischen Western, so auch The Covered Waggon (James Cruze, USA 1923), der auf den historischen Treck von 1849 Bezug nimmt, der zur Gründung des Staates Oregon führte. Von Kämpfen gegen »die Wilden« erzählt der Klassische Western filmisch ebenso wie von Viehdieben, die der Held dingfest macht, (maßvoll) bestraft, abschreckt, aber auch gemäß seiner Moral dem Gesetz übergibt, das für Wiedergutmachung sorgt, sofern es bereits ein wirksames Gesetz gibt. Vor allem Lynchjustiz gilt es oft zu unterbinden. Die Versuchung, sich angesichts böser Gegenspieler in einer Spirale aus Strafe und Rache zu verstricken, ist sehr groß (vgl. Locke §§ 124–126). Aber der Held widersteht. Der moralisch starke Held antizipiert oder sichert mit seinem vorbildlichen, tugendhaften Handeln gerechte, rechtsstaatliche, friedliche, Frieden fördernde, demokratische staatliche Verhältnisse. Dafür setzt er sein Leben aufs Spiel. Man teilt die Werte dieser tugendhaften und tapferen Helden, wenn man ein Bürger des Staates oder der Stadt (Bürgerschaft) ist. Mit Locke akzentuiert: Bereits im »reinen Naturzustand« gibt es bei den Menschen das Bemühen um »Frieden«, die Haltung des »Wohlwollens«, die Tugend des »gegenseitigen Beistands und der Erhaltung« (§ 19) sowie die Selbstverpflichtung auf »Wahrheit« und »Treue« bei vorrechtlichen Abmachungen und »Tauschgeschäften« (§ 14). Mit Locke lässt sich so die Aussage des Klassischen Western entfalten und damit dessen vager Mythos – der aufrichtige (»If you’re honest …«) Kampf des guten, gerechten Helden gegen das Böse – bis in die feinsten Verästelungen hinein differenzieren wie auf den Punkt bringen: Im vorrechtlichen Naturzustand gibt es durchaus Bedarf an tugendhaftmoralischen Helden, kann man sich doch leicht vorstellen, wie schwierig es ist, im labilen, schnell kriegerisch werdenden »Naturzustand« solidarisch zu bleiben, Beistand zu leisten und maßvoll zu strafen, nur dem eigenen Gewissen wie der Menschheit verpflichtet (vgl. §§ 5–7, § 19 und § 143), ohne Richter, Polizei und Gewaltenteilung im Rücken. Damit zurück zur weiteren Erläuterung der gesehenen Sequenz, zu dem, was der Film nicht zeigt, was aber so oder so ähnlich mitgemeint sein dürfte: Auch Kane wird Viehdiebe dingfest gemacht, allgemein Diebstahl verfolgt und Mörder verhaftet haben. Unter den zu seiner Zeit stabilen Rechtsverhältnissen gab es wahrscheinlich immer noch genug zu tun. Kane wird seine Amtspflicht erfüllt haben, vorbildhaft wohl, aber kaum heldenhaft, insofern er bei stabilen gesellschaftspolitischen Zuständen kein Held mehr sein musste. Mit John Locke ins Kino gegangen, erkennt man: Es geht um mehr als um einen moralisch verkürzten oder vordergründigen Kampf »Gut gegen Böse«, wie wir als Kinder dachten; es geht, philosophisch gesagt, um den »guten Staat«, um dessen Legitimationsprobleme.
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Trotz der den Zuschauern vorgeführten finsteren Gestalten in der Eingangs sequenz bietet diese Sequenz der Hochzeitsfeier mit Abschied vom Amt das geradezu idyllische Bild einer zufriedenen und sicheren Stadt: Revolver am Nagel, Stern am Halfter, fromme Kirchgänger, zuversichtliche Funktionsträger und Stadtbürger, ausgelassene Stimmung um ein glückliches Hochzeitspaar: eine sittsam-blonde Braut an der Seite eines rechtschaffenden breitschultrigen Kerls. Wichtige Elemente des Western-Mythos’ sind damit angezeigt in einem Sittenbild, das auf Akzeptanz und Zustimmung hoffen darf, gleichsam der amerikanischen Geschichte nach getaner Arbeit: Die »Wilden« sind besiegt, die Natur des Westens ist erobert etc. Die mythische Westernerzählung wird hier – an dieser Filmstelle – noch einmal für einen Moment bestätigt, in Erinnerung gerufen, um dann aber im Folgenden an entscheidenden Punkten in Frage gestellt zu werden. Die amerikanischen Zuschauer 1952 waren verstört: »America, home of the brave and the free«? High Noon stieß bei den an Western gewöhnten Zuschauern auf Ablehnung. Der Mythos wird im Folgenden nämlich gleichsam »von innen heraus« in Frage gestellt, wenn am gewohnten Erzählmuster insgesamt festgehalten wird, aber einige Elemente unstimmig werden. Zunächst kommt es zur typischen Herausforderung.
Zur Sequenz »Kane steckt sich den Stern wieder an« Bei der Zeremonie zu seiner Verabschiedung aus dem Amt erhält Kane die Nachricht, dass der Bandit Frank Miller, den Kane fünf Jahre zuvor ins Gefängnis gebracht hatte, nach seiner Begnadigung mit dem 12-Uhr-Zug in die Stadt kommen werde, um sich zu rächen. Da sich bereits drei Mitglieder der Miller-Bande am Bahnhof aufhalten, drängen die anwesenden Hochzeitsgäste Kane, die Stadt schneller als geplant zu verlassen, obwohl der neue Marshal erst am nächsten Tag erwartet wird. Die Pferde energisch antreibend verlässt das Brautpaar in einer Kutsche zunächst die Stadt. Doch bald kommen Kane Bedenken, und er macht eine Kehrtwendung zurück in die Stadt. Dort stellt ihn seine frisch angetraute Frau Amy, die als Quäkerin aus Überzeugung Gewalt grundsätzlich ablehnt, vor die Wahl: Entweder hält er sein Versprechen und verlässt wie geplant mit ihr die Stadt, oder sie verlässt diese ohne ihn mit dem 12-Uhr-Zug. Kane entscheidet sich dafür, zu bleiben und zu kämpfen. Er sei noch nie vor jemandem weggelaufen. Wie in anderen Klassischen Western wird Will Kane herausgefordert durch das Böse, und er muss aus Gewissensgründen handeln, für das Gute kämpfen und dem Guten zum Durchbruch verhelfen. Dieses klassische Westernheldenmotiv ist auch in High Noon noch gegeben, verklärend formuliert: »Because there is something a man cannot run away from.«13 Ja klar, das
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Kiefer, Bernd; Grob, Norbert: »Einleitung«, in: Kiefer, Bernd; Grob, Norbert; Stiglegger, Marcus (Hrsg.): Filmgenres: Western, UB 18402, Philipp Reclam jun., Stuttgart 2003, S. 12–40: S. 13.
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gehört auch dazu: Echte Kerle laufen nicht einfach weg. Aber Konfliktlage, -verlauf und Rolle werden in High Noon doch vielschichtiger entwickelt. Vordergründig ist der klassische Westernheld schussfest und treffsicher, unstet und einsam: ein »lonely rider«. Er verehrt (beziehungsunfähig) die weiße, unschuldige wie schutzbedürftige Frau, bekämpft nicht selten »die Wilden«. Er ist mehr als ein Revolverheld: Er ist tapfer, nicht feige noch tollkühn (mit Aristoteles gesagt), indem er sicher und ohne Wanken das Wohl der Bürgerschaft und Gerechtigkeit im Auge hat. Was ein Westernheld ist, lässt sich angemessen vor allem mit diesen tragenden Merkmalen bestimmen. Will Kane übernimmt, indem er sich den Stern wieder ansteckt, für eine kurze Übergangszeit erneut die Amtspflichten, sagt aber deutlich: »Ich habe nicht die Absicht ein Held zu werden!« Das versichert er Amy durchaus glaubhaft. Er sagt es ebenso für die Zuschauer. Die Situation stellt sich ihm zunächst so dar: Es sei ein Leichtes, ein paar Hilfspolizisten zu verpflichten: »Mit den Männern hinter mir, wird es überhaupt keine Schwierigkeiten geben.« Es könnte also ein relativ risikoarmer Rechtsakt der Festnahme erfolgen, auch wenn Miller auf Rache aus ist und sich etwas zuschulden kommen lässt. Kane versucht Amy also damit zu beruhigen, dass er gar keinen Einsatz mit hohem Risiko erwartet. Bei einer abgestimmten gemeinsamen Verhaftungsaktion müsste er gar nicht in besonderer Weise tapfer (heldenhaft) sein – und erst recht will er sicherlich nicht (wie man so sagt) in dummer Weise »den falschen Helden spielen«, also sich eitel hervortun und Risiken provozieren. Sieht man von Kanes Absicht ab, Amy hinsichtlich des Risikos zu beruhigen, kann die Aushöhlung der klassischen Heldenrolle bei diesem Western grundsätzlicher in den philosophischen Blick kommen: Ein funktionierender, etablierter, gerechter Staat bedarf der Helden eigentlich nicht mehr. Mehr noch: Ab einer gewissen gesellschaftspolitischen Entwicklungsschwelle wird die Berufung auf den (rettenden) Helden unzeitgemäß, Gesellschaftskonflikte werden damit nicht (mehr) angemessen verstanden bzw. verklärt oder verschleiert. Die in diesem Handlungsmoment des Films erwartete Polizeiaktion taugt nicht zur Bestätigung oder Erlangung eines Heldenstatus’, und ein westerntypischer Showdown steht mit einer gemeinsamen Polizeiaktion ebenso wenig in Aussicht. Das muss man sich öfter klarmachen, denn gerade auch filmische Sehgewohnheiten können den Blick verstellen. Kane hat schlicht die Absicht, mit Unterstützung seiner Mitbürger seine Amtspflicht zu erfüllen, so wie er vor fünf Jahren Frank Miller qua Amtshandlung festnahm. Würde das von ihm Erwartete eintreten, wäre die Spannung heraus. Dass hier etwas Neues in Gang kommt, dass wir es mit einem im Verlauf der Handlung skeptischen, zweifelnden und auch verzweifelten Protagonisten zu tun haben, der die übliche Heldenrolle nicht erfüllt, wird nach und nach immer deutlicher. Aber dass er gar kein Held bei bloßem Vollzug einer Amtshandlung wäre, übersieht man leicht, auch wenn Amy sagt: »Das war damals dein Beruf [Miller vor fünf Jahren festzunehmen]«, jetzt sei das die Aufgabe des kommenden Marshals. Dass eine gefestigte bürgerliche Gesellschaft keiner Helden mehr bedarf, das heißt das eben auch aus Amys Sicht. Auch wenn es Amy um die Vermeidung des Risikos für ihren Mann und ihre Ehe geht.
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Dem an Westernfilme und ihre mythische Erzählweise gewöhnten Zuschauer dürfte hinsichtlich dieser Sequenz selten klar gewesen sein, dass auch sehr rational grundsätzliche Fragen nach der Legitimation politischer Herrschaft aufgeworfen werden. Läge eine von den Bürgern mehrheitlich getragene und gesicherte politische Gemeinschaft vor, gäbe es keine sich zuspitzende Dramatik: Auch wenn Miller gegen Kane auf Rache sinnt und damit seinerseits von Anbeginn die Ebene des Rechtes verlässt und – mit Locke gesagt – den »Kriegszustand« unter den Bedingungen eines etablierten rechtlichen politischen Zustandes vom Zaune bricht, so scheint es in diesem Moment noch jene »Autorität« in der Gestalt des Richters (Judikative) zu geben, »die zwischen den streitenden Parteien entscheidet« (§ 21). Und es gibt den Marshal (Kane) mit seinem Deputy, die der Exekutive zuzurechnen sind. Alles ist noch in Ordnung, »Law and Order« existieren im wohlverstandenen Sinne. Das Recht im Staatszustand macht den tugendhaft-moralischen Helden des »Naturzustandes« überflüssig. Das meint Kane, mit Lockes Begrifflichkeit gesagt. Gewiss, Miller ist »wie ein wildes Tier«, womit Kane seiner Frau Amy die große unberechenbare Gefahr veranschaulichen will, die von Miller ausgeht – dass es keinen Sinn habe, vor ihm davonzulaufen, denn er würde die Spur aufnehmen, sie als Ehepaar verfolgen und sie beide finden. Es sei besser, sich ihm zu stellen und ihn zu stellen. Und es sei besser, das hier in der Stadt zu tun. Hier in der Stadt, d. h. mit der noch unterstellten Unterstützung der Amtsträger und der Bürgerschaft. Es klingt also mehr an als nur das Sicherheitsargument hinsichtlich der zu schützenden Liebe und Ehe. Im späteren Handlungsverlauf wird Kane auch die Hoffnung aussprechen, dass Miller im Gefängnis geläutert worden sein könnte (s. u.). Gleichwohl klassifiziert Kane Miller fast sinngleich mit Locke: »Ein solcher Mensch nämlich ist nicht gebunden durch das gemeine Gesetz der Vernunft und kennt keine anderen Regeln als die der bloßen Stärke und Gewalt. Man mag ihn deshalb behandeln wie Raubtiere – jene gefahrvollen und schädlichen Geschöpfe, von denen man sicher vernichtet wird, sobald man in ihre Gewalt gerät« (§ 16). Aus dem Gesellschaftszustand heraus (vgl. § 17) provoziert Miller den »Kriegszustand« und darf bei Bedrohung von Leib und Leben seinerseits getötet werden. In den »Kriegszustand« kann, so Locke, die Gesellschaft bzw. jeder Bürger zurückfallen. Und so wie man im »Naturzustand« sich gegen jeden wehren darf, der einem den »Kriegszustand« mit der Bedrohung von Leib und Leben aufzwingt, so auch im Gesellschaftszustand. Der »Kriegszustand« schlummert bei bestehendem gelungenem Gesellschaftszustand also immer unter dessen Oberfläche, wird als drohende Gefahr vom Gesellschaftszustand gleichsam mitgeschleppt. Es gibt für Locke nicht nur einen vor-, sondern ebenso eine Art nebenstaatlichen »Kriegszustand«, der bedroht und herausfordert. Im rechtlichen Gesellschaftszustand ist die Aussicht auf eine friedlichere und sicherere Lösung von Konflikten viel größer (und das ist ja der Sinn des Ausgangs aus dem Naturzustande). Darauf baut Kane (noch). An die Ausnahmefälle quasi »außerstaatlichen« moralisch legitimen Widerstandes, die eintreten, wenn der »Kriegszustand« aus dem Gesellschaftszustand heraus provoziert oder erklärt wird und ohne juridisches Recht und staatliche Institutionen
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schnell gehandelt werden muss, mag Kane in diesem Moment nicht denken. Genau das bedeutet diese symbolische Geste: Er steckt sich den Stern wieder an. Mit Blick auf das (scheinbar) rein Private gesagt: Wenn Miller »wie ein wildes Tier« (Kane) eingeschätzt wird, muss er auch um der Sicherheit der Ehe willen bekämpft werden. Das will er Amy klarmachen. Das ginge aber bei dem Informationsstand zu diesem Zeitpunkt zusammen mit den Bürgern und mit einigen von ihnen als Hilfspolizisten fast risikolos. Das will er Amy ebenfalls klarmachen. Wir Zuschauer sollten das nicht übersehen – und mehr sehen vom Gesamtverlauf der hier erzählten Geschichte her.
Exkurs: Zum Unterschied der Theorien von Locke und Hobbes Misslingen die Transformationen moralischer Normen und Prinzipien (»Naturgesetze«) in staatliches Recht, liegt eine Reaktualisierung der Theorie von Hobbes nahe. Aus heutiger Sicht wie aus der Sicht Lockes mag das als Rückfall erscheinen. Aber die bewusstgemachte Differenz beider kann häufig den gesellschaftskritischen Blick schärfen wie auch besonders die nachklassischen Western verstehen helfen. Die grundsätzliche Differenz beider Ansätze ist es wert, wenigstens kurz skizziert zu werden: In erster Linie sind die Überlegungen Lockes zu den Gefahren eines Rückfalls in den »Kriegszustand« gegen die Lehre von Hobbes gerichtet: »Absolute Monarchen« seien »auch nur Menschen« (§ 13) und besonders dadurch in Versuchung geführt, dem eigenen Volk den »Kriegszustand« zu erklären, insoweit sie legislative und exekutive Gewalt in sich vereinigen würden, weil sie also nicht gewaltenteilig kontrolliert werden könnten, weder durch qua Mehrheitsprinzip zustande gekommene Gesetze, noch dass sie sich an selbst gegebene Gesetze halten müssten (vgl. § 143). Hobbes will die »gesamte Macht und Stärke« der Menschen im Naturzustand auf den »Souverän« übertragen.14 Dieser sei, so Lockes Kritik, strukturbedingt nicht kontrollierbar, wenn er sich anschickte, das »Eigentum« der Menschen – nach Locke die Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit und den Besitz umfassend – selbstherrlich zu gefährden. Angesichts eines solchen Gefahrenszenarios »haben es die Menschen im Naturzustand [bei weitem besser], wo sie nicht gezwungen sind, sich einem anderen ungerechten Willen zu unterwerfen« (§ 13). Es gibt also nicht nur diesen strukturellen Sicherungsmechanismus der Gewaltenteilung gegen den möglichen Machtmissbrauch im Staat: Locke verankert das Widerstandsrecht gegen die Bedrohung des »Eigentums«, besonders gegen die Bedrohung von Leib und Leben, bereits im Naturzustand, um von vornherein nur einen solchen Staatszustand aus dem Naturzustand vertraglich erwachsen zu lassen, der dieses noch besser schützt, als das im Naturzustand schon möglich und dem eigenen Gewissen gegenüber auch geboten ist. Locke weiß (wie Hobbes) um die Instabilität des Naturzustandes, der durch den Kriegszustand ständig gefähr
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Vgl. Hobbes, Thomas: Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen Staates, a. a. O., S. 134.
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det ist. Aber er betont (gegen Hobbes) den »Unterschied zwischen dem Naturzustand und dem Kriegszustand«. Hobbes wirft er vor, mit seinem bellum omnium contra omnes den »Kriegszustand« mit dem »Naturzustand verwechselt« zu haben (§ 19). Locke argumentiert grundsätzlich anders als Hobbes gegen die potentiellen Gefahren des Staatsmissbrauchs oder gar Staatsterrorismus’, indem er der moralischen wie demokratischen Gesinnung (auch zum Widerstand) bereits im Naturzustand einen breiten Raum zuweist: Die Menschen sind bei Locke im Naturzustand stärker moralisch gesinnt, insofern auch die Bestrafung von Dieben und Gewalt tätern wohlwollend, aktiv solidarisch und gemeinwohlorientiert angelegt ist. Demgegenüber nimmt das moralische »Naturgesetz« bei Hobbes eine passive Rolle im vorstaatlichen Naturzustand ein: Wenn sich Menschen nicht gemäß der Goldenen Regel verhalten, wird allzu schnell der Ruf nach der starken Hand des Staates, des Staates mit dem »Schwert« in der Hand, laut.15 Die »Hoffnung« auf friedliche zivilgesellschaftliche Selbstregulierung von Konflikten im Naturzustand stirbt bei Hobbes sehr früh.16 Beschreibt man den »Naturzustand« zu einseitig und stark als einen »Kriegszustand«, wie Hobbes das tut, liegt es nahe, einen übermächtigen Staat als Lösung zu postulieren. Locke argumentiert demgegenüber mit der Annahme einer bereits im Naturzustand lokalisierten menschenrechtlichen Gesinnung (vgl. § 15), um im Staatszustand sowohl bei kleineren wie bei massiven Herausforderungen (Diktaturgefahr) für die staatliche Ordnung auf einen moralischen Gemeinsinn der Bürger setzen zu können. Der Bürger hängt im staatlichen Zustand seine solidarische Gesinnung, die ihn im Naturzustand schon auszeichnet, nicht einfach an den Nagel. Der echte Westerner stellt gegen Viehdiebe und Mörder diese Gesinnung unter Beweis. Der klassische Westernheld bewährt sich also bereits im vorstaatlichen Naturzustand: Er ist in hohem Maße und vorbildhaft seinem Gewissen verpflichtet, führt einen gerechten Kampf und vermeidet die Gewalteskalation. Er ist – mit Locke gesagt – bei seinen Strafaktionen »der ganzen Menschheit […] verantwortlich« (§ 13). Mit seinen Tugenden antizipiert er die gerechte staatliche Gewalt. Gibt es diese bereits, übergibt er die Viehdiebe dem Richter und verhindert, dass sie gelyncht werden. Der filmische Blick auf den willkürlichen, brutalen Marshal (Unforgiven, USA 1992) oder den in desolaten Gesellschafts-/Naturzuständen ersehnten oder auserwählten Führer, der Sicherheit in der Not gewähren soll (Hombre, USA 1967), lässt sich mit der Naturzustandslehre von Hobbes schärfen. Aus heutiger Sicht wie aus der Sicht Lockes mag das als Rückfall erscheinen. Die grundsätzliche Differenz beider Ansätze vermag auch den Blick auf weitere nachklassische Western zu erhellen.
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Ebd., S. 131. Ebd., S. 99 f.
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Staatsversagen und feige Bürger Das bedeutet des Weiteren: Im vorgesellschaftlichen Naturzustand haben die Menschen gemäß dem »Grundgesetz der Natur« »nach ihrer Vernunft« (§ 16) das moralische Recht, sich gegen kriegserklärende Angriffe auf ihr Leib und Leben und das anderer gewaltsam zu wehren. Es gibt ja noch keinen »gemeinsamen Oberherrn [das gewaltenteilige staatliche Sicherungssystem, Anm. B. K.] auf Erden, den man um Hilfe anrufen könnte«, so Locke. Mit Blick auf einen etablierten Gesellschaftszustand akzentuiert und betont Locke dieses naturrechtliche Widerstandsrecht für den Fall eines bereits etablierten gesellschaftlichen Zustandes, wenn man sich nicht mehr auf einen »gemeinsamen Oberherrn« berufen kann, insofern das »Gesetz, welches zu meiner Erhaltung geschaffen worden ist, […] nicht eingreifen kann« (§ 19). Und zwar spricht Locke davon, dass »in allen Fällen, wo es [das Gesetz] nicht eingreifen kann«, es erlaubt sei, »mein Leben vor unmittelbarer Gewalt zu schützen« (§ 19) »und auch den Unschuldigen zu schützen und ihm zu seinem Recht zu verhelfen« (§ 20). Er denkt also nicht nur an den Fall »absoluter Monarchen« (§ 13), sondern auch an Fälle bei denen eine »offenkundige Verkehrung der Gerechtigkeit und unverhüllte Rechtsverdrehung« gegeben ist. Und mit Blick auf High Noon ist hervorzuheben: »Das Fehlen eines mit Autorität ausgestatteten gemeinsamen Richters versetzt alle Menschen in den Naturzustand.« Dabei spielen zeitliche Zwänge eine bedeutende Rolle. Besonders zu beachten ist der jeweilige »Fall, wo das Unrecht nicht wieder gut zu machen wäre, ja keine Zeit lässt, unseren gemeinsamen Richter und den Entscheid des Gesetzes anzurufen« (§ 19). Also nur dann, wenn die staatlichen Instanzen von Recht und Gewalt absehbar nicht mehr greifen (können), was äußerst schwierig zu beurteilen sein kann, kommt das einsame Gewissen (des Helden) bei der Frage nach einem moralischen Recht zum Widerstand zum Zuge. Ein Widerstandsrecht lässt sich zwar juridisch postulieren, der eintretende Fall aber nur konkret moralisch legitimieren, nach Locke letztendlich erst durch Gott beim jüngsten Gericht (vgl. §§ 219 und 220). Noch hofft Kane in der hier analysierten Sequenz, dass bis 12 Uhr mittags genug Zeit bleiben wird, eine ausreichende Anzahl von Mitbürgern zu finden, um eine relativ unkomplizierte Verhaftung in der Stadt vornehmen zu können. Und noch kann er davon ausgehen, dass Miller einem Richter vorgeführt werden könnte. Noch weiß er nichts davon, dass der Richter sich als der Erste aus dem Staube machen wird. Es wird alles noch schlimmer kommen. Kane ist in diesem Moment noch zuversichtlich – bei aller Skepsis und allem mimischen Ernst, die wir von Anbeginn bei Kane finden. Und das wirft auch ein besonderes Licht auf den an Amy gerichteten Satz: »Ich bin ja schließlich derselbe Mann mit und ohne dieses Ding.« – gemeint ist mit »dem Ding« der Stern. Vor dem Hintergrund seines Informationsstandes bedeutet dieser Satz Folgendes: »Ich bleibe ein dich Liebender, ob ich (ohne Stern) mit dir nun die Stadt schon verlassen hätte oder ich jetzt doch noch eben meine Pflicht erfüllen werde (mit Stern)«, so könnte der Filmrezipient diesen Satz verstehen. Vielleicht auch noch als Liebeserwartung: »Wenn oder inso-
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fern du, Amy, mich liebst, sei dir gesagt, dass ich derselbe liebenswürdige Mann für dich bleiben werde.« Kane als liebender Mann sagt in diesem Kontext mehr noch, dass die Liebe und das familiäre Zusammenleben gefährdet seien. Miller »würde uns überall finden«. Die Ehe ist in die Bürgerschaft eingebettet und mit ihr gesichert und zu sichern. Damit verbunden ist der strategisch-rationale Hinweis, den Amy und wir Zuschauer über das tatsächlich Gesagte hinaus verstehen müssten: Seine Liebe, die auch die eines verteidigungsbereiten tapferen Mannes ist, kann nicht wollen, dass sie einer größeren Gefahr außerhalb der Stadt – er wäre in diesem Szenario ohne Stern – ausgesetzt würde als in der Stadt, wo sie sich leicht verstecken kann, bis alles vorüber ist. Und auch sie (so könnte weitergedacht werden) kann nicht als Liebende wollen, dass er sich einer größeren Gefahr außerhalb der Stadt aussetzt, wenn er doch – mit Stern – Hilfspolizisten rekrutierend in der Stadt mit Unterstützung ohne »Schwierigkeiten« Miller bekämpfen und ihn festnehmen kann. Außerhalb des Amtes oder innerhalb: als Liebender hat er Gleiches im Sinn. So mögen wir Zuschauer zunächst denken und so will er Amy wohl überzeugen. Aber seine Argumentation überzeugt sie nicht, weil sie als Quäkerin prinzipiell anders denkt, und damit auch seine Äußerung anders versteht, als von ihm intendiert: Durch den gewaltsamen Tod ihres Vaters und Bruders sieht sie seine Amtshandlung aus ihrer pazifistischen Sicht als moralisch verwerflich und als immer noch viel zu gefährlich an und droht, ihn zu verlassen, wenn er nicht die anstehende Festnahme dem nachfolgenden Marshal überlässt. Dass nun seinerseits auch Kane – doch mehr als nur ein liebender Mann – prinzipiell denkt, wird darin deutlich, dass er in Kauf nimmt, von Amy verlassen zu werden, weil er sich der Herausforderung stellen will und »muss«, wie er sagt.
Falsche Spuren Noch einmal zurück zur Schlüsselaussage aus filmphilosophischer Sicht: »Ich habe nicht die Absicht ein Held zu werden.« Das heißt: Er wird nach seiner momentanen Einschätzung mit Unterstützung gar kein Risiko bei seiner Amtshandlung eingehen. »Ich tue es nicht gerne« bedeutet: Er würde viel lieber mit Amy schon die Stadt verlassen haben. Aber auch: Es ist eine lästige Amtspflicht, die noch zu erledigen ist, zunächst in diesem Sinne ein »Muss«. Wir als Zuschauer können es an dieser Stelle auf den ersten Blick nicht klar wissen. Kanes Motivlage erscheint ambivalent. Aus Amys Sicht handelt es sich um ein störrisches Festhalten an der bloßen Amtspflicht. Er handelt auch aus Liebe. Er handelt ebenso aus Amtspflicht als Marshal, insofern er den sozialen Frieden gefährdet sieht und dieser polizeilich geschützt werden muss. Diesen sozialen Frieden schützen zu können, traut er seinem eitlen wie naiven Deputy nicht zu. Ein Machtvakuum darf es angesichts der Millers nicht geben. Kanes Motivlage wandelt sich im weiteren dramatischen Geschehensverlauf: Er zweifelt zunehmend, er fühlt sich im Stich gelassen. An einer entscheidenden und viel beachteten Filmstelle ist er verzweifelt, enttäuscht, empört und zornig. Trotz alledem kämpft er.
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Wieder ist anzumerken: Wir werden durch unsere Sehgewohnheiten von klassischen Western verführt, auf die falsche Spur gelockt, denn wir antizipieren einen klassischen Showdown zwischen Kane und Miller. Ein echter Kerl läuft eben nicht weg. Wir werden ja auch verführt durch die »bösen« Gestalten in der Eingangs sequenz und durch die ängstliche Reaktion der Bürger beim Einritt der Miller-Bande in die Stadt. Das Böse breitet sich aus. Also muss der Held dem Einhalt gebieten. Aber es ist doch anders. Die Dramaturgie treibt nicht zum klassischen Showdown hin: Die Zeit drängt, die Zeiger der Uhr schreiten bedrohlich auf 12 Uhr vor, es bleiben nur noch 80 Minuten, um die Hilfspolizisten zu rekrutieren, also um ein risikoloses Szenario aufzubauen, um ein Kampf auf Leben und Tod zu verhindern. Das markiert die ungewöhnliche und unerwartete Richtung des Handlungsverlaufs. Dieser Held hat nicht den unbeirrbaren Willen, tapfer zu kämpfen – jedenfalls nicht filmisch verklärt gemäß einem mythisch gestalteten Rollenklischee. Dass er einsam und allein wird kämpfen müssen, ahnt er zunächst, dann weiß er es. Er will es nicht, er hat es nicht gewollt. Dass durch ihn allein, als Held, Gerechtigkeit und Ordnung zu schützen, gar zu gründen wäre, davon erzählt diese Geschichte nicht. Die verbleibende Zeit muss genutzt werden, um zu bewahrheiten und Amy zu beweisen, dass es bei breiter Unterstützung keine Schwierigkeiten geben wird, Kane also auch kein Held sein muss, wenn er sich auch der Herausforderung stellen muss. Wenn Miller sich festnehmen ließe angesichts der Übermacht der Gesetzeshüter, ließe sich mit Locke sagen und hoffen, dass Miller vielleicht sogar »den Frieden anbietet und den Wunsch nach Versöhnung kundtut«. So wäre vielleicht ohne Tötung aus Notwehr »Unrecht wieder gut zu machen«. Dann hätte »die unschuldige Partei« auch nicht länger »das Recht, den Angreifer, wenn sie es vermag, zu vernichten.« (§ 19). Locke ist skeptisch mit Blick auf das »Raubtier« (§ 16) im Menschen: Wenn jemand als Angreifer eine klare Tötungsabsicht zeigt, ist es für Locke naheliegend, dass dieser (auch im Gesellschaftszustand) von den Bedrohten getötet werden kann und legitimerweise getötet werden darf. Locke sagt aber nicht, dass die Angegriffenen den Angreifer notwendigerweise töten müssen, wenn sie es vermöchten. Bei Miller ist mit guten Gründen nicht zu erwarten, dass er in einem eindeutigen Sinne »den Frieden anbietet« oder gar »den Wunsch nach Versöhnung kundtut« (§ 19), auch wenn Kane eine mögliche Läuterung Millers im Gefängnis nicht ausschließen will. Kanes Einschätzung der Gefahr ändert sich im Laufe der Zeit. Uns Zuschauern wird in Parallelmontage die drohende Gefahr deutlicher vor Augen geführt und die üblichen Sehgewohnheiten werden bedient: Das friedliche Zusammenleben wäre zweifelsohne massiv gefährdet, das zeigen uns als Zuschauer mittels objektiver Kamera nach der Eingangssequenz im Folgenden auch die ängstlichen Reaktionen von Passanten, als die drei Gangster auf dem Weg zum Bahnhof durch die Stadt reiten. Und das zeigt auch im Anschluss an diesen Präsentationsritt die Angst des Bahnhofsvorstehers, der die drei Gangster unterwürfig namentlich begrüßt – eine Sequenz, die wie erwähnt in C’era una volta il west zitiert und modifiziert wird. Leute um den Saloon hoffen auf Einkünfte und darauf, dass endlich etwas los sein wird, was uns Zuschauer die Befürchtungen vor dem
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drohenden Szenario gewalttätiger Eskalationen verschiedenster Streitereien umso berechtigter erscheinen lassen. Und doch werden wir als Zuschauer damit auf die falsche Spur gelenkt: Diese Ängstlichkeiten spielen auf der Klaviatur des klassischen Western. Die Erwartungen werden geweckt, dass der gute Marshal im finalen Showdown dem von Miller erklärten »Kriegszustand« unter großem Risiko, aber als der bessere Schütze, ein Ende setzt und die Störung des Gesellschaftszustandes beseitigt, ganz so wie es die Helden im vorstaatlichen Naturzustand taten und damit den sicheren Gesellschaftszustand mit ihrer Tugend vorwegnahmen. Für Kane steht später viel mehr auf dem Spiel als seine Liebe, Ehe und Amtspflicht: Die Zeit drängt und lässt für ihn eine andere Wirklichkeit sichtbar werden: dass eine feige Bürgerschaft ihn – wider Willen – mit fortschreitendem Handlungsverlauf in die einsame Kämpferrolle drängt. Der Zeiger der Uhr schreitet bedrohlich auf Zwölf vor und lässt Kane zweifeln, ob es sich für diese Bürgerschaft zu kämpfen lohnt. Dass er diesen Kampf dann doch tugendhaft – oder doch schon tollkühn? – und unter zunehmendem Risiko zu Ende zu kämpfen bereit ist, bleibt irritierend. Verachtung schwingt mit. Kane hat das Ideal einer politischen Gemeinschaft und staatlichen Gerechtigkeit nicht mehr zuversichtlich vor Augen, die reale Bürgerschaft jedenfalls wird er hinter sich lassen. Ein trotziger und am Ende resignierter tapferer Mann, der beschämt. Der Filmsong legt eine Nebenspur: »Do not forsake me, oh my darling!« In High Noon (wie in so vielen Filmen) ist auch eine Liebesstory: Kane möchte nicht von Amy aufgegeben und verlassen werden, was sie schließlich auch nicht tut. Amy erschießt im letzten Moment – sonst wäre Kane getötet worden – einen der Gangster, und zwar hinterrücks. Damit gibt sie ihre pazifistische Grundhaltung auf. Ihr Handeln passt nicht zum klassischen Showdown. Helen Ramirez, die frühere Freundin Kanes, hatte zuvor – Amy beschämend – deutlich gemacht, dass sie an Amys Stelle ihrem Mann zur Seite stehen würde. Das ist übrigens die Umwertung eines westerntypischen mythologischen Elementes: Die Mexikanerin/Indianerin steht (als Prostituierte) im Rang oft unter der blonden Frau. Diese moralische Empfehlung Helen Ramirez’ beherzigt Amy schließlich auch im letzten Kampfesmoment, wenn sie sich sehr risikoreich als Geisel aus der Umklammerung Millers löst. Die Aufmerksamkeitslücke bei Miller ermöglicht Kane den finalen Todesschuss. Auch von daher kein stilechter Showdown. Amys Anteil am guten Ausgang ist zu groß. Kane ist auch von daher kein allein auf sich gestellter (eindeutig) klassischer Westernheld, und einsam ist er aufgrund des Sinnverlustes. Er bringt die Sache zu Ende.
Der Showdown Im stereotypisch üblichen Showdown zieht und schießt einer der Kontrahenten schneller, präziser und also besser als sein Gegner, der seinerseits, indem er zuerst den Revolver zieht oder auch nur berührt, seine Tötungsabsicht unmissverständlich kundtut. Mit Locke erläutert liegt eine extreme Zuspitzung der Zeitknappheit vor: Man könne bei unmittelbarer Gefahr für Leib und Leben nicht immer
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auf einen Richter warten, führt Locke als Argument an (s. o.). Diese besondere, stilisierte und ritualisierte »Kriegserklärung« im Showdown ist der extrem zugespitzte »Fall, wo das Unrecht nicht wiedergutzumachen wäre« (§ 19), würde der Held nicht umsichtig, schnell und eigenmächtig handeln, denn er selbst als der Angegriffene »Unschuldige« (§ 20) wäre mausetot, wenn er nicht schneller ziehen und schießen würde als der Angreifer. Man kann den häufig als Klischee angesehenen klassischen Showdown durchaus als Parabel mit Blick auf John Locke verstehen: Die durch die »Kriegserklärung« als direkter Angriff auf Leib und Leben in den »Naturzustand« und »Kriegszustand« (zurück) »versetzt[en]« (§ 16) Menschen sind zum Töten unter Notwehrbedingungen legitimiert – eine Art übergesetzlicher (naturrechtlicher) Notstand im defizitären Gesellschaftszustand. Es geht also nicht schlicht um einen sportlichen tödlichen Wettbewerb, ein Ritual, über das man verständnislos den Kopf schütteln mag. Es ist ein Töten aus Notwehr mit höherem Ziel. Dieser (ritualisierte) erste Griff des Aggressors im Showdown zum Revolver legitimiert den erfolgreichen überlebenden Schützen zusätzlich. Letzterer hatte sich bereits im vorherigen Handlungsverlauf als sich für das gerechte Zusammenleben Einsetzender bewährt, im finalen Showdown siegt er über das Böse, indem er die gefährdete Bürgerschaft rettet bzw. deren Entstehung ermöglicht – eine erneute und letzte Bestätigung wie Absicherung, dass er zum Töten moralisch legitimiert ist. Warum ist dieser Held also »gut«? Weil er nicht nur diese letzte rituelle Herausforderung tugendhaft fair und schussfest meistert, sondern weil es ihm vorher um »Law and Order«, um den guten gerechten Staat ging, und auch im letzten Moment mit Einsatz von Leib und Leben geht. Der Heldenstatus wird gekrönt, wenn der später siegreiche Schütze sich höchst risikoreich einem Kampf auf Leben und Tod offen gestellt hat. Ein bloß finaler Todesschuss aus sicherer Position passt ebenso wenig zur Dramaturgie des Gründungsmythos wie eine zu unspektakuläre polizeiliche Festnahme. Es bedarf der symbolischen und verklärenden Erinnerung, dass exemplarisch unter Einsatz des Lebens eine großartige politische Gemeinschaft entstand oder zu sichern war bzw. ist. Das woll(t)en die Zuschauer sehen, in den Helden sich selbst wiedererkennen und sich der USA als eines Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit garantierenden Gemeinwesens versichern. Mit Locke gesagt: Mit den Tugenden im »Naturzustand« wird der »Kriegszu stand« beendet, immer den Gesellschaftszustand fest im Blick. Wieder zum Kontrast: Für Killer und Revolverhelden gilt das Gesagte nicht. Der Italowestern zelebriert und zitiert (postmodern) den Showdown; wer im Showdown – für eine Handvoll Dollar oder nicht – schneller schießt und überlebt, ist oft durch Hass und sich aufschaukelnde Rachemotive (vgl. § 125) getrieben und verblendet, wie sympathisch diese Figuren uns Zuschauern auch erscheinen mögen. So warmherzig, ja (als Racheengel) gerecht, Desperados und Zyniker bisweilen auch dargestellt werden, sie agieren von Anfang an – mit John Locke gesagt – in einem Umfeld von »Feindschaft«, »Bosheit«, »Gewalttätigkeit« und »gegenseitiger Vernichtung« (§ 19). Und sie wollen dieses Umfeld auch nicht verlassen. In Cheyennes Abgesang an den Klassischen Western: »Männer wie er können nicht anders. Sie leben mit dem Tod.«
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An was diese desillusionierten Typen vielleicht doch noch glauben mögen, jedenfalls nicht an einen legitimen gewaltenteilig funktionierenden Staat, für den es sich zu kämpfen lohnt: C’era una volta il west – Es war einmal der Westen; diese Einsicht wird in High Noon noch sehr vorsichtig und andeutungsweise formuliert. Kane muss nicht nur ohne die wesentlichen Funktionsträger des Staates auskommen; noch einmal auf den Punkt gebracht: Wenn insbesondere der Richter und eine hinreichend große Anzahl von Hilfspolizisten fehlen, ist eine sichere Funktionsweise des Staates (die Verurteilung und Festnahme Millers betreffend) nicht mehr gewährleistet. In den außergesellschaftlichen »Naturzustand« und »Kriegszustand« zurückversetzt, muss Kane jetzt allein kämpfen gegen Miller, der ihn in den »Kriegszustand« zwingt, aus dem heraus er jedoch nach Erledigung seiner Aufgabe nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann. Auch wenn »die unmittelbare Gewaltanwendung vorüber ist, […] [hat] der Kriegszustand unter denen, die in der Gesellschaft leben«, nicht einfach »ein Ende« (§ 20). Für Kane wird nichts wie vorher sein. Er verlässt nicht nur die Stadt, um mit Amy sein privates Glück zu leben, er lässt desillusioniert auch seine politische Vorstellung von einer Stadt und einer solidarischen Bürgerschaft hinter sich. Kane konnte nicht mehr (ungebrochen) agieren wie ein Held der Trecks nach Westen mit einem Idealstaat vor sich oder eben wie ein Marshal, »Law and Order« fest im Blick, mit einer Stadt und Bürgerschaft im Rücken, für die es sich bei Einlassen auf hohe Lebensrisiken tugendhaft und heldenhaft zu kämpfen lohnt – und für den dieser Kampf ein »Muss« ist. Für Kane war es ein »Muss«. Es sei erinnert und auf den Punkt gebracht: Es geht nicht allein darum, dass die Tugenden, die sich im »reinen Naturzustand« finden lassen, durch staatliche Institutionen abgesichert und in diese transformiert werden, sondern es geht auch darum, dass etwas im Staat gegeben sein und von allen Bürgern getragen und erhalten werden muss, was wir »Gemeinsinn« nennen und was Locke das »gemeine Wohl« (§ 3) oder »Wohl des Ganzen« (§ 143) nennt: Das »Gesetz in seiner Gestaltung wie auch in der Vollstreckung« ist nicht auf den »eigenen persönlichen Vorteil aus[zu]richten«. In einem »wohlgeordneten Staatswesen« muss auch »nach Gebühr das Wohl des Ganzen berücksichtigt [werden]« (§ 143). Damit argumentiert Locke nicht nur gegen Hobbes funktional für die Gewaltenteilung und insbesondere für die Trennung von Exekutive und Legislative (s. o.), sondern auch normativ mit Blick auf Stadt, Staat und Bürgerschaft.
Den Spiegel vorhalten (Problemorientierte Didaktik) Man mag sich darüber streiten, wie dieser Gemeinwohlverwirklichungsanspruch am besten mit Blick auf gesellschaftliche Institutionen – einschließlich wirtschaftlicher – zu verwirklichen ist, aber dass dieser moralische Gemeinsinn funktionsnotwendig für das gesellschaftlich-staatliche Zusammenleben ist, zeigt sich u. a. immer dann, wenn das Fehlen oder die Unterentwicklung der Zivilgesellschaft beklagt und/oder mangelnde Zivilcourage diagnostiziert wird. Man denke an Jugendgangs in der S-Bahn und an Journalisten, Staatsanwälte oder Richter in Palermo, die
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angesichts der Camorra eben dort nicht bzw. nicht angemessen arbeiten wollen, wenn sie denn dort vorübergehend arbeiten müssen. Scheinbar weniger brisant: Die »Steuersünder« – »Sünder«, das klingt altmodisch, harmlos, passt aber zum Thema … Den Mitbürgern der Stadt mangelt es an Gemeinsam und Zivilcourage. Dass das Wohl des Ganzen auf dem Spiel steht, wollen die Bürger nicht wahrhaben und emotional nicht an sich heran lassen. »Es berührt sie überhaupt nicht!«, hatte How im Zusammenhang seiner Weigerung, mit Kane zu kämpfen, diesen aufgeklärt. Sie würden nur reden. Das lässt auf zurückreichende schlechte Erfahrungen Hows schließen und lässt die Bürger in einem noch schlechteren Licht dastehen. Diese Bürgerfeigheit ist also kein neues Phänomen. Die lebhafte Diskussion in der Kirche bleibt folgenlos und lässt vielmehr Rationalisierungsstrategien der Ängste der Bürger und deren Feigheit erkennen. Dass Kane deshalb einsam und allein bleibt, wird ihm und den Zuschauern im weiteren Handlungsverlauf immer deutlicher. Das macht das eigentliche Drama aus. Das wirft den entscheidenden Schatten auf diesen ›Helden‹ wider Willen. Dass dieser (fast) weint, ist beschämend, aber für wen eigentlich? Kane hält den Spiegel vor. Zum mythisch verklärten Westernhelden taugt er nicht. Es reicht keinesfalls, dass mit der gewaltenteiligen Ordnung, insbesondere der Rechtsprechung, des Staates Gemeinsinntugenden verrechtlicht, mit Hegel gesagt: »aufgehoben«, sind, auch wenn zweifelsohne eine funktionierende Rechtsprechung zur allgemeinen Friedfertigkeit beiträgt. Es müssen zugleich Gesetz- und Rechtsprechung nicht nur als gerecht akzeptiert, sondern auch mit moralischen Maßstäben der Gerechtigkeit Gesetz und Rechtsprechung gestützt, weiterent wickelt und korrigiert werden (können). Gerechtigkeit muss auch gelebt werden. Das »Wohl des Ganzen« (§ 143) im Blick haben und »gegenseitigen Beistand« (§ 19) praktizieren, so ließe sich jene Haltung charakterisieren, die vonnöten gewesen wäre, um eine Verhaftung Millers ohne zu großes Risiko durchzuführen. Der berechtigten Angst vor der Millerbande hätte solidarisches Handeln entgegen gesetzt werden müssen. Damit wäre das Einsatzrisiko gesunken und die Angst wäre gemildert worden. Aber dazu kommt es nicht; verschiedene am Eigeninteresse und »persönlichen Vorteil« (§143) orientierte Ausreden werden geltend gemacht: Der Richter verallgemeinert eine alte schlechte Erfahrung: Er sei dem Tod durch eine Bande nur durch die Fürsprache einer Dame mit fragwürdigem Ruf entronnen. Auch habe er mit einem Schmuckstück seiner Mutter bezahlen müssen. Ein weiteres habe er nicht mehr. Seine sehr spezielle »Bürgerkunde« lässt es ihm ratsam erscheinen, in eine andere Stadt zu gehen, da er weiterhin noch Richter bleiben wolle. Der Deputy verübelt Kane, dass er ihn nicht als seinen Nachfolger vorgeschlagen hat. Ein Freund Kanes lässt sich verleugnen und macht gegenüber seiner Frau die Gefährdung seines Besitzstandes geltend. Der Barmann macht ökonomische Interessen geltend: mit Millers Leuten sei mehr los und mehr zu verdienen. Nur ein Mann stand zu Beginn mit Bürgersinn als Hilfspolizist zur Verfügung. Er springt zuletzt ab, als klar wird, dass ausschließlich er mit Kane würde kämpfen müssen. Es sei wie Selbstmord (also zu tollkühn). Diese Einschätzung ist nachvollziehbar. Das
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verweist auf den bekannten sozialen Mechanismus: je weniger mitmachen, desto höher ist das Risiko, desto stärker schwindet die Moral… Ein Teufelskreis. Wie ihn durchbrechen? Will Kane widmet sich am Schluss dem »privaten Glück«, so, wie man das auch heute bisweilen versteht: sich von der aktiven Teilnahme am gesellschaftlich-politischen Leben verabschieden. Aber das private Glück ließe sich besser – besser »aufgehoben« – in der Stadt und Bürgerschaft leben. Von Letzterer will er sich am Schluss nicht als Held feiern lassen. Er wirft den Bürgern den Stern vor die Füße und kehrt der Bürgerschaft den Rücken. Er ist mehr als nur von Einzelnen persönlich enttäuscht, beleidigt oder frustriert. Mit Lockes politischer Philosophie lässt sich eher hoffen als in High Noon zweifelsfrei erkennen: Kane geht es zum Schluss (vielleicht) noch um das Ideal der politischen Gemeinschaft. Aus überzeugter Amtspflicht wurde Trotz. Trotz alledem kämpfte er. Noch wenn er seine Mitbürger verachtet oder mit Blick auf sie resigniert hat, vielleicht sogar das Ideal in Frage stellt, bezieht er sich auf ein Staatsmodell, das wir von Locke kennen. Kanes Geschichte ist beschämend, es ist keine gefällige Geschichte, kein Western-Mythos mehr, in der man sich gerne wiedererkennen und bestätigt finden würde. Erst am Ende des Films sieht man rückblickend mehr und übersieht weniger: Der Richter hatte bereits bei der Verabschiedungszeremonie Kanes kein Vertrauen in seine Mitbürger und in die Sicherheit der Stadt. Die durch das Lachen bekräftigte Zuversicht war zur Schau gestellt. Als er Kane gegenüber später seine Fluchtabsichten rechtfertigt, erläutert er kurz seine ganz spezielle »Bürgerkunde«: Im alten Griechenland hätten die Bürger bei Rückkehr des Tyrannen diesem die Tore geöffnet und bei der Hinrichtung ihrer Regierung zugesehen. Und der alte Marshal How, der Vorgänger Kanes, hatte bei der Verabschiedungszeremonie Kane um dessen privates Eheglück beneidet. Das war charmant und durchaus ehrlich gemeint, aber zugleich ein Ablenkungsmanöver; die Zuversicht hatte er keinesfalls mit den anderen Wahlausschussmitgliedern geteilt: »Die Stadt dürfte sicher sein!«, hatte es geheißen. Die gelöste, friedliche Stimmung nach Kanes Trauung und bei Verabschiedung vom Amt wollte er wohl nicht trüben und dürfte es ihm auch leicht gemacht haben, für einen Moment die Augen zu verschließen: Angesichts seiner Mitbürger war How jedoch bereits zu diesem Zeitpunkt desillusioniert und hatte resigniert. Als er später von Kane gebeten wird, mit ihm zu kämpfen, formuliert er klar und deutlich Einsichten, die Kane erst allmählich gewinnt. Was der an den klassischen Western gewöhnte Zuschauer nicht hören noch sehen mochte, ist Hows Vermächtnis: »If you’re honest, you’re poor your whole life, and in the end you wind up dyin’ all alone on some dirty street. For what? For nothin’. For a tin star.« Quelle: Kensmann, Bodo: »›For what? For nothin’. For a tin star.‹ Mit John Locke ins Kino gegangen, erneut ›High Noon‹ gesehen«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 34, 2012, Heft 4: Sinn, S. 320–335 (vom Autor für diesen Band überarbeitet und mit Ergänzungen versehen).
Willkommen in der Matrix – Was ist die Wirkliche Welt? *
Georg Schöffel Einleitung – Bilder zum Denken Nur allzu oft ist die Lektüre erkenntnistheoretischer Texte für Schülerinnen und Schüler eine trockene und ermüdende Angelegenheit. Was Wunder: Die Eule der Minerva beginnt ihren Flug erst in der Dämmerung, und für die Schüler hat der Tag noch kaum begonnen. Erkenntnistheorie, so scheint es, macht so recht erst Sinn, wenn schon eine Fülle theoriebedürftiger Kenntnisse verfügbar ist. Besinnt man sich aber darauf, dass die frühen Gründungstexte der Disziplin nicht zuletzt bildmächtige Geschichten erzählen, so zeichnet sich ein anderer Zugang ab. Den versprechen auch Philosophie-Comics. Oft gelobt, gerne eingesetzt, ist ihr Wert doch sehr begrenzt. Paradoxerweise lässt sich offenbar der bildliche Gehalt philosophischer Texte nicht bildlich darstellen. Das hat tiefere Gründe. Die sprachliche Anschaulichkeit metaphorischer Rede und die visuelle Anschaulichkeit sind nicht restlos aufeinander beziehbar1. So zeigen die Illustrationen meist nur den wörtlichen und verfehlen gerade den metaphorischen Gehalt des Textes. Sie reduzieren die strukturelle Komplexität des philosophischen Bildes auf eine banale Situation, die sich dem weiteren Verständnis eines philosophischen Problems eher in den Weg stellt, als dass sie es befördert 2 . Was nun? Die Bilder verbieten und doch nur den trockenen Staub der Bibliotheken atmen? Nein! Denn: »Formalisierung darf, Terminologie soll, Metaphorik muß sein.« 3 Aber ein Bild muss in etwa die gleiche strukturelle Komplexität aufweisen
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Matrix (O: The Matrix, USA 1999); Regie: Lana Wachowski (als Larry Wachowski), Lilly Wachowski (als Andy Wachowski); Dauer: 136 Min.; Altersfreigabe: FSK 16. Vgl. Blumenberg, Hans: Die Lesbarkeit der Welt, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1981, S. 306. Stellvertretend für die Gattung: Osborne, Richard: Philosophie. Eine Bildergeschichte für Einsteiger, Wilhelm Fink Verlag, München 1996, S. 78 und S. 107. Marquard, Odo: »Frage nach der Frage, auf die die Hermeneutik die Antwort ist«, in: Marquard, Odo (Hrsg.): Abschied vom Prinzipiellen. Philosophische Studien, UB 7724, Philipp Reclam jun., Stuttgart 1981, S. 117–146: S. 119.
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wie die philosophische Problemstellung, die es darstellen will. Was einer bloßen Illustration verwehrt ist, ist dann aber vielleicht dem Film möglich? Wenn die Bilder laufen lernen, kommen vielleicht auch die Gedanken in Bewegung. Überraschend wäre das nicht gerade. Werden doch in vielen Spielfilmen existenzielle Probleme des Menschen in einer Geschichte nachvollziehbar dargestellt und in vielfältiger Weise diskutierbar. Überraschend ist schon eher, dass dieser Zugang in der Didaktik der Philosophie eine so geringe Rolle spielt. Überraschend ist auch, dass gerade der vermeintlich trockenen Erkenntnistheorie hier durch eine ganze Reihe von Filmen der letzten Jahre geholfen wird. Ich bin nun nicht gerade das, was man einen Cineasten nennt. Aber als ein Schüler mich mit den Worten ins Kino schickte: »Diesen Film müssen Sie unbedingt sehen, den können Sie in jeder Klassenstufe zeigen!«, folgte ich dem Rat recht gerne, denn das wär’s doch, danach suchen wir doch alle: Einem Film für jede Gelegenheit! Als ich Matrix dann kurz vor den Sommerferien gesehen hatte, war mir schnell klar, dass daraus ein Kursprojekt werden würde. Nun denn, inzwischen habe ich den Film mehrfach gesehen, den Kurs mehrfach gehalten und über diesen Kurs will ich hier berichten. Es wird dabei der Versuch gemacht, einen Spielfilm in den Mittelpunkt eines Kurses (13.1, Kursthema ist die Erkenntnistheorie) zu stellen. Nicht um ihn entsprechend einer Ganzschrift ein Halbjahr lang zu interpretieren, obwohl auch das möglich und sinnvoll wäre. Nein, der gewählte Film dient einerseits als Bezugspunkt, an dem theoretische Positionen überprüft und veranschaulicht werden, und andererseits als Quelle der Anregung für weitere Untersuchungen und Fragen, die dann wieder zur theoretischen Arbeit Anlass geben. Matrix ist ein Film, der Elemente verschiedener Genres (vor allem Action-, Karateund Science-Fiction-Film) integriert. Zahlreiche Spezial-Effekte, in dieser Rasanz bisher nicht gesehene Kampfszenen, ein ungeheurer Aufwand an Waffen und anderem schwerem Gerät und ein brillanter Soundtrack machten ihn im Sommer 1999 zu einem Kassenschlager, um den herum sich schnell Fan-Gruppen bildeten. Die Matrix wurde zur Metapher für Störungen des alltäglichen Erlebnisflusses und des Verhältnisses von Realität und Bild. Zahlreiche Internetseiten dokumentieren die Faszination, die von diesem Film ausgeht. Nach meinen Erfahrungen kennt ein Großteil der Schülerinnen und Schüler den Film, und obwohl sie die Handlung und ihren inneren Zusammenhang oft nicht recht verstehen, sind sie von ihm fasziniert. Und wir gebildeten Älteren halten uns gewöhnlich von Derartigem fern und schauen uns lieber den Club der toten Dichter oder vielleicht noch Shakespeare in Love an, jedenfalls etwas mit Sinn und tieferer Bedeutung. Darum werde ich zunächst einmal erzählen, worum es überhaupt geht, um danach mögliche Schwerpunkte der Thematisierung und anschließend die eingesetzten Materialien vorzustellen, soweit sie nicht ohnehin zur intellektuellen Standardausrüstung gehören. Durch eine etwas abstraktere Fassung der These des Films stößt man dabei auf ein Thema, das sich fast natürlich als Fortsetzung anbietet, die Medientheorie. Ein Fazit schließt die Darstellung ab.
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Worum es geht: Matrix in Kürze Wir befinden uns in der fernen Zukunft, so um das Jahr 2200 herum. Offenbar hat sich die technische Zivilisation von heute kontinuierlich weiterentwickelt, intelligente Maschinen entstanden und es kam zu einem Kampf zwischen ihnen und den Menschen. Die Menschen haben den Himmel verdunkelt, um die Maschinen von der Energie der Sonne abzuschneiden, aber es hat nichts genützt. Die Maschinen haben den Kampf gewonnen und benutzen nun die Menschen als Energielieferanten4 . Sie werden von den Maschinen in einer Art Hydrokultur gehalten und über Schläuche mit Nahrung versorgt. Damit sie dieses öde Dasein in einer Wanne lange genug ertragen, werden sie durch ein Computersystem per Neurosimulation mit einer kognitiven Welt versorgt. Diese Simulationsmaschine und ihr Ergebnis, das ist die Matrix. Sichtbar wird sie durch rieselnde, leuchtendgrüne Zeichen auf einem Kontrollmonitor5; die Farbe ist uns von den Nachtaufnahmen der amerikanischen Militärschläge aus dem Fernsehen, nun ja, vertraut. Und die Welt, die die Maschinen den Menschen vorspiegeln, das ist unsere Welt, das ist die Welt des späten 20. Jahrhunderts mit all ihren Unvollkommenheiten und Problemen. Ein erster Versuch der Maschinen, den Menschen eine ideale Welt zu geben, ist gescheitert 6 , und die Matrix wurde neu »designed«. Neo ist Computerfreak, ein Hacker, und irgendwie hegt er den Verdacht, dass mit seiner Welt etwas nicht stimmen könne. Er stöbert im Netz herum und sucht Informationen über einen gewissen Morpheus und die Matrix. Und in der Tat, ein kleines Häuflein von Verschworenen blieb verschont und konnte sich dem Zugriff der Maschinen entziehen; nun helfen sie Neo, den Ausstieg aus der Matrix zu finden. Wie einst Adam zum dargebotenen Apfel greift er zu der Pille, die die Erkenntnis über Schein und Sein bringt, und er erwacht in der Wüste der Wirklichen Welt. Die Kämpfer gegen die Matrix beherrschen die Kunst, beliebig zwischen ihr und der Wirklichen Welt hin und her wechseln zu können. Natürlich nicht physisch; während sich die Körper gewöhnlicher Menschen in den Plantagen der Maschinen befinden, bewegen sich die Aufständischen mit einer Art Schiff, einer Kreuzung zwischen U-Boot und Raumschiff, in den Überresten der großen Städte. Zum Reiz des Films gehört auch der Kontrast zwischen der Hochtechnologie der Simulationen und dem etwas schäbigen, an die Nachkriegszeit erinnernden Equipment der Aufständischen. Wenn sie in die Matrix gehen, dann legen sie sich in einen Stuhl, wie wir ihn vom Zahnarzt kennen, und sie werden durch ein Kabel mit der Matrix verbunden. Dazu haben sie eine Art Interface am Hinterkopf, in das dieses Kabel gesteckt wird. In die Matrix mussten die Aufständischen gehen, um Neo zu befreien. Nachdem das gelungen ist, gilt es, das Orakel, eine ältere Frau, zu befragen, denn sie glauben, dass
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Da der Energieerhaltungssatz aber wohl immer noch gelten dürfte, gerät die Story hier in arge Bedrängnis. Die rieselnden Symbole kann man auch als Bildschirmschoner für den heimischen PC bekommen. Von hier aus eröffnet sich ein Weg zur Behandlung von Utopien. Das Schlaraffenland löst drängende Nahrungsprobleme auf Kosten einer tödlichen Langeweile.
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Neo der Auserwählte ist, eine mythische Figur, von der man die Zerstörung der Matrix erhofft und die über die gleichen Fähigkeiten verfügt wie die Agenten. Ein Agent ist eine intelligente Software, deren digitale Projektion in die Hirne der Menschen aussieht wie ein Mensch. Agenten sind die Wächter der Matrix in der Matrix7. Einem dieser Agenten gelingt es, einen der Aufständischen auf seine Seite zu ziehen. Gegen das Versprechen, wieder zurück in die Wanne zu dürfen, verrät er ihnen Morpheus, den Anführer der Aufständischen. Und das gibt Anlass für den letzten großen Show-down, einem gigantischen Kampfeinsatz, der in der Filmgeschichte seinesgleichen sucht. Neo erwacht in diesem Kampf zu sich selbst. Er stirbt und wird durch den Kuss einer Frau wiedererweckt 8 . Er ist es, er ist der Auserwählte, er kämpft gegen einen der Agenten, er besiegt ihn und bleibt danach in der Matrix, selbst ein Agent, ein guter allerdings, der wie Batman gen Himmel fährt … Fortsetzung folgt.
Gehirne im Tank auf dem Weg in die Wirkliche Welt und andere Aspekte der Geschichte Also wie war das? Die Körper der Menschen befinden sich in einer Wanne, sie werden von Maschinen intravenös ernährt und mit einer künstlich erzeugten Erlebniswelt versorgt, einer Erlebniswelt, die weitgehend der uns bekannten gleicht. Die uns vertraute Wirkliche Welt ist schon, was die technischen Medien erzeugen zu können versprechen – virtuelle Realität. Einem dieser Menschen kommt der Verdacht: Diese Welt ist nicht echt, sie ist nur eine Simulation. Damit aber stellt sich die erkenntnistheoretische Fundamentalfrage: Woher weiß ich, dass ich nicht nur ein Gehirn in einem Tank bin, woher weiß ich, dass diese Welt, deren Teil ich bin, die ich erlebe, genieße und erleide, nicht nur eine Simulation ist? Und wenn es so wäre, wenn die erlebte Welt nur eine Simulation wäre, wäre es dann möglich, dass ein Gehirn im Tank erkennt: Ich bin ein Gehirn im Tank? Der Film Matrix bezieht einen Teil seiner Faszination daraus, dass er diese Situation nachvollziehbar und genügend komplex darstellt. Er benutzt und setzt das Konglomerat an Phantasien voraus, das sich um die Neuen Medien gebildet hat. Computersimulationen, virtuelle Realitäten, Cyberspace, Neurochips, Lara Croft und andere synthetische Figuren; intelligente Assistenten, das Internet und seine Suchmaschinen, Handys, Viren und Würmer und ihre bedrohlichen Fähigkeiten – all diese Elemente der technologischen Realität unserer Zeit sind zugleich Keimzellen, um die sich Phantasien ranken und Phantasmen bilden. »Bin ich schon drin?« Und ob! Du bist drin, du warst nie woanders; und die Frage ist nicht, wie man rein, sondern wie man wieder raus kommt.
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Der Begriff lässt zwar an James Bond denken, wird aber in ähnlicher Bedeutung in der Softwareentwicklung für intelligente Assistenten benutzt. Ist es bei Platon noch die Liebe zur Weisheit, die nach draußen treibt, so verleiht in den modernen Filmen die Liebe, genauer: die Verliebtheit, die Kraft, die Schwelle zu überschreiten und den Bann zu brechen.
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Die technologisch aufgerüstete Einbildungskraft des (spät)modernen Menschen lässt für den Einzelnen als denkbar erscheinen, was vor einigen Jahren einfach Science-Fiction war. Diese Mythen der technischen Zivilisation gehören zur Lebenswelt der heutigen Jugend. Sie stellen eher als Produkte der Hochkultur den nicht thematisierten Hintergrund für die Interpretation des eigenen aktuellen Erlebens dar, des zu Erwartenden und des zu Befürchtenden. Und sie bieten sich darum auch als neuer Zugang zu alten Fragen an. Die altmodische Brille wird durch den Bioport ersetzt 9. Matrix ist ein postmoderner Film, der in fast jeder Szene Zitate und Anklänge an andere Filme und intellektuelle Diskurse der letzten Jahre benutzt. Und es ist ein guter Film, weil er auf jeder Ebene funktioniert. Für die einen ist es bloß ein ActionThriller und für die anderen ein intelligentes Puzzle, gebastelt aus Versatzstücken der Popkultur und der intellektuellen Moden der letzten Jahre. Es gibt dementsprechend ein ganzes Cluster von Motiven und Themen, die in dieser Geschichte zusammenwirken. Sie lassen sich vielleicht wie folgt systematisieren:
Der erkenntnistheoretische Aspekt Die Geschichte veranschaulicht die erkenntnistheoretische Situation, wie sie seit Platon im Bild der Höhle diskutiert wird10 . Zwanglos schließt sich die Metaphorik Descartes’ an. Was wir erleben, ist nur ein (digitaler) Traum und der Täuschergott ist ein Megacomputer. Durch die Konfrontation der Texte mit dem Film werden nun auch Aspekte in ihnen verstärkt, die sonst eher unterbelichtet bleiben.
Der ethische Aspekt Zur Thematik des Höhlengleichnisses gehört auch die Frage, wie sich derjenige, der die Wahrheit erkannt hat, zu all den anderen verhalten soll, die noch im Irrtum verharren. Hat er eine Pflicht zur Aufklärung, soll er die trägen Höhlenbewohner aufrütteln? Andererseits, muss jeder die Last der Befreiung aus den Üblichkeiten auf sich nehmen oder kann er gute Gründe dafür anführen, warum er weiter in der Illusion leben will? »Manchmal ist Unwissenheit ein Segen«, heißt es in der Eröffnungssequenz des thematisch verwandten Films The 13th Floor. Ist sie das wirklich? Wenn alles nur Illusion ist, dürfen wir dann nicht hemmungslos machen, was wir wollen? Platon zeigt aber auch: Wer den Rahmen nicht sprengt, kommt nicht ans Licht, wer immer an seinem Platz bleibt, lernt die Wahrheit nicht kennen. Neue Bilder, alte Fragen; sie werden durch die Einbettung in eine Geschichte mit einer Anschaulichkeit versehen, die theoretische Texte für die Jugendlichen sonst kaum erreichen.
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Zur Brillenmetapher vgl. Kleist, Heinrich von: »Brief an Wilhelmine von Zenge vom 22. März 1801«, in: Kleist, Heinrich von: Sämtliche Werke und Briefe, 2 Bde., Bd. 2, hrsg. von Sembdner, Helmut, Carl Hanser Verlag, München 1970, S. 634. Im Spielfilm eXistenZ (USA 1999) wird als Bioport ein Interface zwischen Nervensystem und Spielkonsole oder Computer bezeichnet. In Blumenberg, Hans: Höhlenausgänge, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1989, findet man eine instruktive Wirkungsgeschichte der Höhlenmetaphorik.
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Der kulturkritische Aspekt Jeder richtige Mythos muss auch die Frage nach der Herkunft beantworten, hier also die Frage, wieso die Menschen in die Wanne mussten. Ein Agent erklärt es Morpheus, dem Anführer der wirklichen Menschen, und er greift dabei auf populäre Vorstellungen von der Unfähigkeit des Menschen zu einem friedlichen Leben im Einklang mit der Natur zurück. Sonderlich originell ist das nicht, aber so knapp und prägnant wird es selten dargestellt. Eine kultur-, ja kapitalismuskritische Note liegt aber auch im Verdacht, dass unsere alltägliche Welt nur eine Reality-Show zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit der menschlichen Energielieferanten ist. Die Maschinen sind die neuen Ausbeuter, die Erben der alten Kapitalisten. Vor ihnen sind, als Biobatterien, alle Menschen gleich. Das treibt die Kritik der Kulturindustrie durch die Kritischen Theorie (die Unterhaltungsindustrie wurde erfunden, um die Arbeiter von der Einsicht in ihre objektive Lage abzuhalten) auf die Spitze11.
Der mythologisch-religiöse Aspekt Matrix enthält eine Fülle mythologischer Anspielungen, von denen die offensichtlichen sich an den benutzten Namen festmachen lassen (Neo – ein Anagramm von One, Morpheus, Cypher, Nebukadnezar, Zion usw.). Nicht zuletzt spinnt der Film einen synthetischen Erlösungsmythos um Tod und Auferstehung aus der Kraft der Verliebtheit (nicht der Liebe). Diese religiösen Aspekte schlagen sich in Internetseiten wie »Gnosticism Reborn« und »The Matrix as Messiah Movie«12 nieder, wo man zum Teil detaillierte Gegenüberstellungen von Filmsequenzen und Bibelzitaten findet. Ihnen verdankt sich auch die Aufmerksamkeit, die Matrix bei Religionsdidak tikern findet13 .
Der erzähltheoretische Aspekt Der Film erzählt eine Geschichte und er kann auch wie eine Geschichte analysiert werden. Man kann nach der immanenten Funktion bestimmter Motive und Handlungen fragen und auch nach den filmischen Mitteln, mit denen er seine Wirkung erzielt. Da es sich um eine Fiktion handelt, die das technisch und theoretisch Machbare überschreitet, aber doch den Eindruck der Glaubwürdigkeit erweckt, stellt sich die Frage, an welchen Stellen und mit welchen Mitteln die Risse in der Konstruktion überdeckt werden.
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Im Film Die Truman Show (USA 1998) wird dieser Aspekt zentral. Vgl. https://futurism.media/the-matrix-and-gnosticism und http://awesomehouse.com/ (Zugriff am 30.07.19) Vgl. Görnitz-Rückert, Sebastian: Die Macht der MATRIX. Religiöse Inhalte der Jugendkultur als Gegenstand des Religionsunterrichts – Grundsätzliche Überlegungen und Unterrichtsskizzen zu dem Film »Matrix«, Themenfolge 122, hrsg. von der Gymnasialpädagogischen Materialstelle der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und die dort angegebene Literatur (zu beziehen über http:// www.materialstelle.de).
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Jeder dieser fünf Aspekte kann im Unterricht thematisiert werden. Und doch eignet sich die erkenntnistheoretische Fragestellung für eine ausführliche Behandlung besonders. Denn die Frage nach Sein und Schein, nach Realität und Virtualität trägt die ganze Geschichte und treibt sie voran. Darum wird in den folgenden Materialien diese Thematik besonders betont.
Thematische Erkundungen Natürlich gibt es auch für das Sujet des Films eine Vorgeschichte. Er integriert eben nicht nur verschiedene filmische Genres, sondern auch etliche Themen, die in den letzten Jahren eine Rolle gespielt haben und sich in Literatur, Kino und auch in der theoretischen Phantasie niederschlugen. Das Grundmuster wird vorbereitet, variiert und weitergeführt. Einiges davon soll hier vorgestellt werden, um so etwas wie den Resonanzraum der Geschichte zu verdeutlichen. Natürlich ist diese Übersicht nicht vollständig, aber es handelt sich ja auch nicht um eine Abhandlung zur Geistesgeschichte, sondern um Material, das einen Oberstufenkurs zur Erkenntnistheo rie (z. B. mit Referaten) begleiten können soll.
Welt am Draht Der Roman Simulacron-3 von David F. Galouye14 wurde schon zwei Mal verfilmt, 1974 von Fassbinder unter dem Titel Welt am Draht für das Fernsehen und 1999 als The 13th Floor15 . Die Geschichte handelt von einer Gruppe von Wissenschaftlern, die ein Computerprogramm erstellt haben, um damit Prognosen über die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Gesellschaft zu testen. Man kann sich das als eine Art SimCity16 vorstellen, bei dem die Figuren zur Erhöhung der Realitätstreue der Simulation über Bewusstsein verfügen und eigenständig in ihrer virtuellen Welt handeln können. Eine der Figuren ahnt nun, dass sie nur eine Figur in einer Simulation ist. Es gelingt ihr, aus ihrer virtuellen Realität zu entkommen – und ist doch nur im nächsten Level gelandet. Hier wird auch eine der Stärken der platonischen und allgemeiner der philosophischen Problemstellung (wie sie auch für Matrix bestimmend ist) deutlich: Wenn sich die Simulationen oder virtuellen Realitäten so iterieren lassen, dass in der Simulation Simulationen der gleichen Art gestartet werden, wird die Frage nach der Wirklichen Welt irgendwann einfach belanglos. Für die Brisanz der Geschichte ist ihre binäre Struktur entscheidend.
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Galouye, David F.: Simulacron-3, Bantam Books, New York, NY 1964. Unter diesem Titel ist der Roman neu übersetzt wieder veröffentlicht worden: Galouye, David F.: The 13th Floor, übers. von Westermayr, Tony, TB 540, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999. SimCity, Siedler, Die Völker etc. realisieren »Weltmodelle« als Computerspiel. Zur Erinnerung: Der Bericht des Club of Rome Die Grenzen des Wachstums erschien 1972: Meadows, Dennis; Meadows, Donella H.; Randers, Jørgen; Behrens, William W. III (Hrsg.): Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, übers. von Heck, Hans-Dieter, Deutsche VerlagsAnstalt, Stuttgart 1972.
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Welt im Kasten Stanislaw Lem hat 1971 eine ähnliche Idee in Sternetagebücher17 durchgespielt. Ijon Tichy berichtet in dieser Geschichte von seinem Besuch bei einem Kybernetiker, der ihm ein Elektronensystem zeigt, »das Bewusstsein erzeugt. Wie unser Hirn.«18 Woher stammen unsere Sinneseindrücke? »Daher, dass gewisse Reize auf unsere Sinne einwirken und Anregungen durch die Nerven zum Hirn fließen.« Wenn man den Geruchssinn auf elektrischem Wege auf die gleiche Weise reizt, wie es eine Nelke tut, dann wird man Nelkenduft wahrnehmen. »Wenn ich nun dasselbe mit allen ihren Nerven tue, dann nehmen Sie nicht mehr die Außenwelt wahr, sondern das, was ich durch die Nerven an ihr Hirn telegrafiere.«19 In Lems Buch Summa technologiae 20 findet man unter der Überschrift »Die Phantomologie« dann gleichsam den Grundlagentext für all diese Geschichten – und für die Philosophie der Virtualität.
Neuromancer Der mit vielen Preisen ausgezeichnete Science-Fiction-Roman Neuromancer von William Gibson21 ist sicher eine der wichtigsten Inspirationsquellen für Matrix, wird doch in diesem Roman die Matrix, ein »Cyberspace«, eingeführt. Mit Interfaces, einem Bioport, versehene Menschen können in dieser virtuellen Welt mit eigener Ontologie agieren und irgendwelchen undurchsichtigen Geschäften mit Drogen und elektronischen Bauteilen nachgehen. Philosophisch ist das lange nicht so ergiebig wie die Texte Lems. Und doch ist dieser Roman wegen der Verbindung zur Punkszene (Stichwort: Cyberpunk) außerordentlich einflussreich geworden. Er trug mit dazu bei, die Computertechnik in den Subkulturen durchzusetzen, und durchbrach damit ihre bisherige Beschränkung auf die industrielle und universitäre Sphäre. Fortan gab es die Vorstellung von einem digitalen Trip.
Gehirne im Tank - die philosophische Version Putnam macht sich anheischig zu zeigen, »dass die Annahme, wir seien tatsächlich Gehirne in einem Tank, unmöglich wahr sein kann, obgleich sie gegen kein physikalisches Gesetz verstößt und mit allen unseren Erfahrungen völlig in Einklang steht.« 22 Sein Argument ist nicht einfach, und es ist auf jeden Fall nicht intuitiv überzeugend. Aber Putnam ist eine gute Adresse, wenn es darum geht, zu rechtfertigen,
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Lem, Stanislaw: Sternetagebücher, übers. von Rymarowicz, Caesar, Phantastische Bibliothek, Bd. 20, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1978, S. 355–370. Ebd., S. 361. Ebd., S. 362. Schon die Metaphorik zeigt hier eine andere Zeit an, wie das ja für Lem durchaus typisch ist. Dass das Gehirn eine Telefonzentrale ist, entstammt der Bilderwelt des Jahrhundertanfangs – des letzten Jahrhunderts. Lem, Stanislaw: Summa technologiae, übers. von Griese, Friedrich, Insel Verlag, Frankfurt am Main 1981, S. 319–392. Vgl. Gibson, William: Neuromancer, Ace Science Fiction, Ace Books, New York, NY 1984; deutsche Ausgabe: Gibson, William: Neuromancer, übers. von Heinz, Reinhard, Heyne-Science-Fiction & Fantasy, Bd. 4400, Heyne Verlag, München 1987. Putnam, Hilary: Vernunft, Wahrheit und Geschichte, übers. von Schulte, Joachim, stw 853, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1982, S. 23.
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warum man sich ernsthaft mit Science-Fiction beschäftigt. Weil uns diese Geschichte »ziemlich rasch in wirkliche philosophische Tiefen führen wird.« 23
Realität oder Hyperrealität Ein Buch spielt für die Matrix eine besondere Rolle, denn es liegt in einer frühen Szene aufgeschlagen auf dem Tisch: Baudrillards Simulation und Verführung 24 . Baudrillards Philosophie begründet so etwas wie eine Metaphysik der Simulation (obwohl er behauptet, mit ihnen verschwinde die gesamte Metaphysik). Simulationen sind nach Baudrillard immaterielle Welten sui generis, ein Reales ohne Ursprung.
Die Matrix im Internet Zahlreiche Internetseiten dokumentieren das anhaltende Interesse an dem Film Matrix. Für alle angesprochenen Aspekte findet man Belege und Materialien. Nun haben Internetadressen ja keine garantierte Mindesthaltbarkeit. Es bleibt daher nichts anderes übrig, als eine Suchmaschine zu benutzen. Über meist kostenpflichtige Online-Datenbanken findet man auch Zugang zu den Filmrezensionen, die in den Feuilletons erschienen sind25 .
Wie man daraus einen Kurs macht und andere Fragen Der Kurs, über den hier berichtet wird, stellt den erkenntnistheoretischen Aspekt zentral, ohne die anderen Themen zu ignorieren. Dafür sorgen schon die Schüler. Es werden im Unterricht nun auch nicht irgendwelche besonders abgelegenen oder mythenumrankten Texte behandelt, die dem geneigten Leser Laute der Bewunderung oder des Staunens entlocken würden; nein, es geht fast nur um Texte, die jeder kennt und die jeder wahrscheinlich ohnehin in seinem Unterricht behandelt. Wenn aber neben die Lektüre die durch den Film vermittelte Anschauung tritt, macht man die Erfahrung, dass die Schülerinnen und Schüler interessiert und sachgerecht über Texte diskutieren können, die sie vorher oft nur aus Mitleid mit dem Lehrer gelesen haben. Nach einer ausführlichen Behandlung des Höhlengleichnisses und seines Umfeldes in der platonischen Philosophie folgt die Lektüre längerer Abschnitte aus den Meditationen von Descartes. Dem schließt sich eine kurze Gegenüberstellung von Rationalismus und Empirismus an. Der Bezug zu Platon und Descartes ist klar, und die Schüler erkennen sofort die Analogie der Situation. Die Badewanne ist die Höhle, Morpheus und Neo sind die Philosophen, die Matrix ist der Täuschergott usw. usw.
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Ebd., S. 22. Baudrillard, Jean: Simulation und Verführung, hrsg. von Bohn, Ralf; Fuder, Dieter, Wilhelm Fink Verlag, München 1994. Zum Beispiel http://www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,120971,00.html (Stand: 05.05.2019) oder http://www.artechock.de/film/text/kritik/m/matrix.htm (Stand: 05.05.2019).
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Beim Durchdenken der Situation finden die Schülerinnen und Schüler schnell Argumente und Fragen, die man auch in der Philosophiegeschichte finden kann. Es ist nun nicht so, dass in jeder Stunde über den Film gesprochen wird. Er stellt eher eine die Lektüre organisierende Anschauung bereit; auf die Matrix blickend reden wir über Platon. Der Unterrichtsgang wird durch Referate zu den behandelten Philosophen und zu den oben genannten Materialien unterbrochen. Es kommt nicht auf die Ableitung eines langen Gedankenganges an, sondern auf die facetten- und gedankenreiche Auseinandersetzung mit einem gehaltvollen Thema. Tritt man nun einen Schritt zurück, so lässt sich die These des Films vielleicht so formulieren: Die Erlebniswelt der Menschen entsteht nicht aus der realen Inter aktion eines Organismus mit seiner Umwelt, sondern ist etwas Generiertes. Nun lässt sich einerseits fragen, ob das denn überhaupt konsistent denkbar ist, und andererseits stellt sich die Frage, ob die Erlebniswelt der Subjekte denn völlig frei von äußeren Eingriffen bleibt und wirklich nur uns selbst gehört. Die zweite Frage leitet schon zum Anschlusskurs über Medienphänomene und Medientheorie über. Der Ersten gehe ich zum Abschluss des Kurses durch eine ausführliche Lektüre und Diskussion eines Textes von Heinz von Foerster26 nach. Derartige Kenntnisse gehören nun sicher nicht mehr zum normalen Handgepäck eines Werte-und-Normen-, Ethik- oder Philosophielehrers. Aber bisher gab es immer Schüler aus Biologieleistungskursen, die an dieser Stelle ihr Wissen einbringen konnten und nebenbei etwas über das Zusammenspiel von Naturwissenschaften und Erkenntnistheorie lernten. Aus der Beschäftigung mit dem Konstruktivismus ergibt sich dann folgende These: Es gibt so etwas wie die Matrix, aber sie ist kein technisches Artefakt zur Täuschung, sondern sie ist nichts anderes als die in Sprache und Kultur existierende Kognition des Gesellschaftswesens Mensch. Für Maturana und Varela hat diese biologisch begründete These übrigens weitreichende ethische Konsequenzen27.
Die Matrix der Medien Der in der Höhle gefesselte Mensch sieht nur die Schatten, die ein Feuer von vorbeigetragenen Gegenständen auf die Wand projiziert. Der platonische Höhlenbewohner wohnt einem Schattenspiel bei, einer Theateraufführung. Was Wunder, dass er die Vorführung nicht verlassen will, wenn er hinaus in das wirkliche Leben soll. Entspricht diese Situation nicht den Lebensbedingungen des modernen Menschen? Träumen nicht die Medien für uns den Traum vom rundum unterhaltenen, inter(in)aktiven Menschen? Vom auf den Doppelklick reduzierten Menschen, der real wird, was er in der antiken Erkenntnistheorie schon einmal war: Zuschauer?
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Foerster, Heinz von: »Das Konstruieren einer Wirklichkeit« (übers. von Frese, Walter), in: Watzlawick, Paul: Die erfundene Wirklichkeit. Wie wissen wir, was wir zu wissen glauben? Beiträge zum Konstruktivismus, SP 373, Piper Verlag GmbH, München, 1984, S. 39–60. Maturana, Humberto R.; Varela, Francisco J.: Der Baum der Erkenntnis. Wie wir die Welt durch unsere Wahrnehmung erschaffen, übers. von Ludewig, Kurt, Bern/München/Wien 1987, S. 263–270.
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Wohl als Erster hat Günter Anders unter dem Titel Die Welt als Phantom und Matrize. Philosophische Betrachtungen über Rundfunk und Fernsehen28 schon 1956 eine Medientheorie vorgelegt, die das Schwergewicht auf einen hoch aktuellen Gesichtspunkt legt: »[Die] Frage, wo die Wirklichkeit aufhöre und der Schein anhebe, ist bereits falsch gestellt: denn Radio und Bildschirm und der Phantomkonsum sind selbst soziale Realitäten von solcher Massivität, dass sie mit den meisten anderen Realitäten von heute den Kampf aufnehmen können, dass sie ›was wirklich ist‹, ›wie es wirklich passiert‹, selbst bestimmen«.29 Das von den Medien bestimmte Wirkliche wird zur »Abbildung seiner Abbildung« 30; Schauspieler seien nur noch »Gespenster, die vergeblich versuchen, ihren Großaufnahmen gerecht zu werden.« Immer mehr forme die Wirklichkeit sich nach dem Bild, das die Medien von ihr haben. Die stets von kontroversen, lebhaften Diskussionen begleitete Lektüre wird durch Referate zu Medienphänomen wie Talk-, Quiz- und Reality-Shows, das Imagemanagement gerade aktueller Stars und ähnlichen Themen ergänzt – um Material muss man sich keine Sorgen machen, es ist stets frisch in großer Menge verfügbar, und die Schülerinnen und Schüler kennen sich hier bestens aus. Die Überlegungen von Anders werden erst von Baudrillard in seiner Theorie der Simulation weitergeführt: »Die Karte ist dem Territorium vorgelagert, ja sie bringt es hervor«, heißt es mit Bezug auf Borges 31; das von der Simulation hervorgebrachte Reale sei ein Reales ohne Ursprung, sei Hyperrealität. Und damit schließt sich der Kreis: Matrix, so wird nach der Lektüre Baudrillards deutlich, ist die erste Verfilmung einer philosophischen Theorie.
Ein Fazit Natürlich kann man auch andere als den erkenntnistheoretischen Aspekt an dem Film Matrix zentral stellen. Der gigantische Einsatz an Waffen, die Verherrlichung der Kampftechniken, die künstlich erzeugten Mythen von einem Erlöser, darauf kann sich die Diagnose »faschistisches Gedankengut, antiaufklärerische Tendenz« stützen. Aber so wenig die Unterrichtsreihen über die Methoden der Bild-Zeitung etwas an ihrem Erfolg geändert haben, so wenig würde die Standardkritik das Wesentliche an der Matrix erfassen und treffen. An den jedem jungen Menschen bekannten Produkten des Popuniversums lassen sich die Phantasmen und das Magma der Vorstellungen, Hoffnungen und Befürchtungen einer Epoche ebenso ablesen wie an den extrem mit der Tradition vermittelten Werken der Hochkultur. Es geht darum, diesen ungeheuren Vorrat an ungenutzten Kenntnissen der Jugendlichen
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Seine Medientheorie ist enthalten in: Anders, Günter: Die Antiquiertheit des Menschen, 2 Bde., Bd. 1: Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution, BsR 319, Verlag C.H. Beck, München 71987, S. 97–211. Ebd., S. 191. Ebd., S. 204. Baudrillard, Jean: Agonie des Realen, übers. von Kurzawa, Lothar; Schaefer, Volker, Bd. 81, Merve Verlag, Berlin 1978, S. 8.
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zu thematisieren. Nicht, um sie zu desavouieren (dann hat man schon verloren), nicht um sie zu befördern (dann hat man sich schon aufgegeben), sondern um in Auseinandersetzung mit dem, was sich ohnehin ereignet, ein Stück Autonomie zu gewinnen oder zu wahren. Wenn man schon Kritik übt, dann nicht durch die Anrufung von Beschwörungsformeln, sondern durch Thematisierung immanenter Motive. Ein Beispiel: Der Film Matrix fasziniert die Schüler nicht zuletzt auch wegen der dargestellten Möglichkeit, ohne Arbeit und Mühe zu lernen. Beliebige Fähigkeiten und Kenntnisse müssen nicht mühsam erarbeitet und verinnerlicht werden – es genügt, sie in das Gehirn »downzuloaden«. Der Film zeigt eine schlechte Utopie, einen Traum vom Lernen, ohne Erfahrungen gemacht zu haben. Der Nürnberger Trichter wird in elektrifizierter Form durch ein Nullmodemkabel ersetzt. Der Gang durch die Erkenntnistheorie legt nun aber nahe, dass diese Vorstellung falsch ist. Es ist die Kopplung von Sensomotorik und Gehirn, von Umwelt und Organismus, die die Kognition ermöglicht. Die steilen Thesen von der Virtualisierung der Realität bringen den Mythos erst hervor, den sie darzustellen vorgeben.
M 1 Humberto R. Maturana und Francisco J. Varela:
Die Welt im Unterseeboot32
Stellen wir uns jemanden vor, der sein ganzes Leben in einem Unterseeboot ver bracht hat, ohne es je zu verlassen, und der in dem Umgang damit ausgebildet wurde. Nun sind wir am Strand und sehen, dass das Unterseeboot sich nähert und sanft an der Oberfläche auftaucht. Über Funk sagen wir dann dem Steuermann: »Glückwunsch, du hast alle Riffe vermieden und bist elegant aufgetaucht; du hast das Unterseeboot perfekt manövriert.« Der Steuermann im Inneren des Boots ist je doch erstaunt: »Was heißt denn ›Riffe‹ und ›Auftauchen‹? Alles, was ich getan habe, war, Hebel zu betätigen und Knöpfe zu drehen und bestimmte Relationen zwischen den Anzeigen der Geräte beim Betätigen der Hebel und Knöpfe herzustellen – und zwar in einer vorgeschriebenen Reihenfolge, an die ich gewöhnt bin. Ich habe kein ›Manöver‹ durchgeführt, und was soll das Gerede von einem ›Unterseeboot‹?« Für den Fahrer im Inneren des Unterseeboots gibt es nur die Anzeigen der In strumente, ihre Übergänge und die Art, wie zwischen ihnen bestimmte Relationen hergestellt werden können. Nur für uns draußen, die wir sehen, wie sich die Rela tionen zwischen dem Unterseeboot und seiner Umgebung verändern, gibt es das »Verhalten« des Unterseebootes, ein Verhalten, das je nach seinen Konsequenzen mehr oder weniger angemessen erscheint. Wenn wir bei der logischen Vorgehens weise bleiben wollen, dürfen wir die Arbeitsweise des Unterseeboots selbst und die Dynamik seiner Zustände nicht mit dessen Verlagerung und Bewegungen im Mi lieu verwechseln.
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Maturana, Humberto R.; Varela, Francisco J.: Der Baum der Erkenntnis. Wie wir die Welt durch unsere Wahrnehmung erschaffen, a. a. O., S. 149 f.
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Die Dynamik von Zuständen des Unterseeboots mit seinem Steuermann, der die Außenwelt nicht kennt, vollzieht sich nie in einem Operieren mit Abbildungen der Welt, die der Außenbeobachter sieht: Sie beinhaltet weder »Strände« noch »Riffe« noch »Oberfläche«, sondern nur Korrelationen zwischen Anzeigen innerhalb be stimmter Grenzen. Entitäten wie Strände, Riffe oder Oberfläche sind einzig für ei nen Außenbeobachter gültig, aber nicht für das Unterseeboot oder für den Steuer mann, der als dessen Bestandteil operiert. Was für das Unterseeboot in dieser Analogie gilt, ist auch für alle lebenden Sys teme gültig.
Untersuchen Sie, ob sich ein Zusammenhang zwischen der U-Boot-Metapher und der erkenntnistheoretischen Auffassung Platons herstellen lässt.
Vergleichen Sie die im Text beschriebene Situation mit der konstruktivistischen Darstellung der Funktionsweise von Nervensystemen. Erläutern Sie sorgfältig Übereinstimmungen und Unterschiede.
Die im Unterricht behandelten erkenntnistheoretischen Positionen machen es zumindest denkbar, dass wir alle in einer gewaltigen Täuschung befangen sind. Welche Kon sequenzen können sich aus diesen Überlegungen für unsere Lebensführung ergeben?
M 2 Hilary Putnam: Gehirn im Tank33
Folgendes ist eine von Philosophen diskutierte Science-Fiction-Möglichkeit: Man stelle sich vor, ein Mensch (du kannst dir auch ausmalen, dass du selbst es bist) sei von einem bösen Wissenschaftler operiert worden. Das Gehirn dieser Person (dein Gehirn) ist aus dem Körper entfernt worden und in einen Tank mit einer Nähr lösung, die das Gehirn am Leben erhält, gesteckt worden. Die Nervenenden sind mit einem superwissenschaftlichen Computer verbunden worden, der bewirkt, dass die Person, deren Gehirn es ist, der Täuschung unterliegt, alles verhalte sich völlig normal. Da scheinen Leute, Gegenstände, der Himmel usw. zu sein, doch in Wirk lichkeit ist alles, was diese Person (du) erlebt, das Resultat elektronischer Impulse, die vom Computer in die Nervenenden übergehen. Der Computer ist so gescheit, dass, wenn diese Person ihre Hand zu heben versucht, die Rückkopplung vom Com puter her bewirkt, dass sie »sieht« und »fühlt«, wie die Hand gehoben wird. Darü ber hinaus kann der böse Wissenschaftler durch Wechsel des Programms dafür sorgen, dass sein Opfer jede Situation oder Umgebung nach dem Willen des bösen Wissenschaftlers »erlebt« (bzw. halluziniert). Er kann auch die Erinnerung an die Gehirnoperation auslöschen, so dass das Opfer den Eindruck hat, immer schon in dieser Umwelt gelebt zu haben. Dem Opfer kann es sogar so scheinen, dass es dasitzt und diese Worte hier liest, die von der amüsanten, doch ganz absurden Annahme handeln, es gebe einen bösen Wissenschaftler, der den Leuten die Gehirne he
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Putnam, Hilary: Vernunft, Wahrheit und Geschichte, a. a. O., S. 21 f. und S. 22 f.
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rausoperiert und sie in einen Tank mit einer Nährlösung steckt, durch die die Ge hirne am Leben erhalten werden. Die Nervenenden sollen mit einem superwissen schaftlichen Computer verbunden sein, der bewirkt, dass die Person, deren Gehirn es ist, der Täuschung unterliegt, dass … Wenn eine derartige Möglichkeit in einer Vorlesung über Erkenntnistheorie an geführt wird, ist natürlich bezweckt, das klassische Problem des Skeptizismus be züglich der Außenwelt auf moderne Weise aufzuwerfen. (Wie kannst du wissen, dass du nicht in dieser verzwickten Lage steckst?) Diese Zwickmühle ist jedoch auch ein nützliches Mittel, um Probleme hinsichtlich der Beziehung zwischen Geist und Welt aufzuwerfen. Statt eines einzigen Gehirns im Tank könnten wir uns auch vorstellen, dass alle Menschen (vielleicht alle fühlenden Wesen) Gehirne in einem Tank sind (bzw. Ner vensysteme in einem Tank, für den Fall, dass einige Wesen mit nur minimalem Nervensystem bereits als »fühlend« gelten). Der böse Wissenschaftler müßte frei lich draußen sein – oder etwa nicht? Vielleicht gibt es keinen bösen Wissenschaft ler, vielleicht – doch dies ist absurd – besteht das Universum bloß aus automati schen Apparaten, die einen Tank voller Gehirne und Nervensysteme in ihrer Obhut haben. […] Ich möchte nun eine Frage aufwerfen, die – zumindest einigen Leuten, zu denen auch einige sehr raffinierte Philosophen gehören – sehr läppisch und oberflächlich erscheinen wird, die uns jedoch ziemlich rasch in wirkliche philosophische Tiefen führen wird. Angenommen, diese ganze Geschichte wäre tatsächlich wahr. Könn ten wir, falls wir in dieser Weise Gehirne in einem Tank wären, sagen oder denken, dass wir es sind?
Stellen Sie einen Bezug zu den Überlegungen von Platon und Descartes her. Wo liegen die Übereinstimmungen, wo die Unterschiede?
Informieren Sie sich (z. B. im Internet) über die Begriffe »Virtuelle Realität« und »Neurochip« und stellen Sie Ihre Ergebnisse dem Kurs vor.
Berichten Sie im Kurs von vergleichbaren Situationen aus Ihnen bekannten Filmen. Wären Liebende von der Einsicht in Ihre Lage wirklich stärker beunruhigt als bloße Gesprächspartner? Begründen Sie Ihre Auffassung.
Nehmen Sie Stellung zu der Frage, ob wir es herausfinden könnten, wenn wir Gehirne in einem Tank wären. Quelle: Schöffel, Georg: »Willkommen in der Matrix – Was ist die wirkliche Welt? Ein Unterrichtsprojekt in der 13«, in: Ethik & Unterricht 13, 2002, Heft 2: Medium Bild, S. 37–44 (vom Autor für diesen Band überarbeitet).
Inception – Die Welt bricht regelrecht in Stücke! *
Klaus Peter Schmidt, Anne de Beukelaar, Valeska Krueger und Manuela Nowald
D
er Kernlehrplan für die Sekundarstufe II Gymnasium/Gesamtschule in NordrheinWestfalen sieht als zweites seiner Inhaltsfelder das Thema »Menschliche Erkenntnis und ihre Grenzen« vor. Zum Einstieg in dieses Themengebiet eignet sich für den Unterricht eine Szene aus dem Science-Fiction-Film Inception von Christopher Nolan. Philosophieunterricht: Descartes zweifelt gerade an allem, ein Schüler gähnt. Szenenwechsel: In einer fulminanten 80-sekündigen Sequenz (27:00–28:20) sitzen zwei der Protagonisten des Films Inception, Ariadne und Cobb, draußen in einem typischen »Pariser« Straßen-Café in belebter Umgebung. Cobb sagt zu Ariadne: »Träume fühlen sich doch real an, während wir sie träumen,« und bemerkt sodann, dass man sich aber nie an den Anfang eines Traumes erinnern kann. Ariadne ist zunächst wenig beeindruckt von dieser Bemerkung, doch nachdem Cobb ihr die Frage stellt: »Also, wie sind wir hierhergekommen?« und keine Antwort weiß, erschrickt sie, erst recht als sie realisiert, was Cobb ihr daraufhin eröffnet: »In Wirklichkeit sind Sie gerade in der Werkshalle und schlafen.« Im nächsten Moment bebt die Erde, und alle Dinge, die gesamte Szenerie um Ariadne und Cobb herum – Tische, Häuser und Straßen – scheinen zu explodieren und fliegen, in ihre Einzelteile zerlegt, durch die Luft. Während sie Cobb eine Frage stellen will, bekommt Ariadne einen Stein an den Kopf und wacht auf; das Ganze ist vorbei. Diese Szene eignet sich gut als Einstieg in ein Unterrichtsprojekt zur Erkenntnistheorie. Sie legt in einem visuellen und auditiven »Feuerwerk« den Finger genau dorthin, wo ein Einstieg in die Frage nach zentralen Problemen und Grenzen des Erkennens möglich wird: In der Verwischung von Traum und Wirklichkeit stellt sich Inception (O: Inception, USA/GB 2010); Regie: Christopher Nolan; Dauer: 148 Min.; Altersfreigabe: FSK 12.
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die Frage: »Woher weiß ich, dass meine Wirklichkeit real ist, und nicht ein bloßes Konstrukt meiner Sinneseindrücke und Vernunftfähigkeiten?« Die Schülerinnen und Schüler sollen versuchen zu verbalisieren, warum gerade das Anzweifeln der Realität zu einem geradezu erschütternden (für Ariadne bricht in der Szene buchstäblich die Welt zusammen) Unterfangen werden kann – ein Unterfangen, das aber schon von jeher die Philosophie beschäftigt. So kann man nach dem (mehrmaligem) Anschauen der Szene und der durch sie möglichen emotionalen und gedanklichen Vorarbeit René Descartes’ als einen Vertreter der Erkenntnistheorie einführen. In einem Rückgriff von der aktuellen Lebenswelt zur alten Philosophietradition entsteht für die Schülerinnen und Schüler ein Verweisungszusammenhang: Lebenswelt und Tradition verarbeiten hier die gleichen Grundprobleme. Das Kino ist nun einmal ein Bestandteil unserer popkulturellen Lebenswelt, und wenn es ihm gelingt, ein scheinbar bloß »akademisches« Problem erlebbar und anschaulich zu machen, sollte man diese Chance für den Unterricht nutzen. Als Arbeitsmaterial erhalten die so motivierten Schüler einen Ausschnitt aus den Meditationen. Anhand des Textes sollen sie Descartes’ Zweifelsschritte nachvollziehen. Nach der Textarbeit versuchen sie, den Text mit der gesehenen Szene in Verbindung zu bringen, um Ähnlichkeiten und Divergenzen festzustellen. Die Hausaufgabe könnte darin bestehen, mögliche Auswege aus dem radikalen Zweifel zu finden. In einer solchen Stunde können die Schülerinnen und Schüler erfahren, wie klassische philosophische Probleme an den Alltag anknüpfen und in zeitgenössischen popkulturellen Erzeugnissen verarbeitet werden. Durch ihre spektakulären Spezialeffekte übertrifft das Erlebnis der Filmszene in puncto Ausdruckskraft und Emotionalisierung sogar andere für das Thema geeignete Filme wie die mittlerweile etablierten Vorschläge Truman Show und Matrix oder – was vielleicht noch zu entdecken wäre – den Klassiker Welt am Draht von Rainer Werner Fassbinder aus dem Jahre 1973. Die Erschütterung, die mit der Frage nach der Realität der Außenwelt einhergehen kann, lässt sich eindrucksvoll visualisieren und den Schülerinnen und Schülern so die Relevanz der Frage und damit auch die von Descartes’ Meditationen näherbringen.
M 1 Der Film Inception
Dieser Science-Fiction-Film versinnbildlicht die Problematik einer Welt zwischen Traum und Wirklichkeit. Der Protagonist Dom Cobb nutzt seine außergewöhnlichen Fähigkeiten, indem er im Auftrag seiner Arbeitgeber in das Unterbewusstsein anderer eintaucht, um dort relevante Informationen und Geheimnisse zu stehlen. In seiner Tätigkeit als Industriespion avanciert Cobb in die höchste Riege der erfolgreichsten Agenten. Dies hat jedoch zur Folge, dass er sich in seiner Aufgabe verliert und nicht nur als einer der meist gesuchten Diebe gilt, sondern sein altes Leben zusammenbricht. Ein Großauftrag des Industriellen Saitos bietet Cobb die Lösung für sein Dilemma. Er nimmt den Auftrag an, Saitos verspricht ihm, bei er-
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folgreichem Abschluss der Mission zu seiner verlorenen Familie heimkehren zu können. Cobb soll mithilfe von Inception, also der Einpflanzung einer fremden Idee in das Unterbewusstsein Anderer (und folglich in Umkehrung der bisherigen Vorgehensweise), dem Erben eines Konkurrenzunternehmens schaden, indem er Robert Fischer Jr. die Idee einer Aufgabe des vererbten Unternehmens implantiert. Die Einpflanzung fremder Ideen gelingt jedoch nur, wenn Cobb unbemerkt mit der Hilfe seines Teams im Zuge des Durchlaufens von höchstens fünf Traumebenen den Gedanken in der Tiefe des Bewusstseins verankern kann – wobei die letzte Ebene, der Limbus, jenen Ort darstellt, an welchem sich diejenigen auf ewig verlieren, die der Traumwelt nicht entsagen können. Cobb gelangt freilich an seine Grenzen, denn er hat immer wieder Visionen seiner verstorbenen Frau Maud, welche in Folge einer von Cobb selbst hervorgerufenen Inception die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit nicht mehr zu unterscheiden vermochte und den einzigen Ausweg im Suizid sah. Schlussendlich gelingt dem Team die Mission. Cobb gelangt wieder in seine »Heimat« und zu seiner Familie. Bloß bleibt am Ende die Frage offen, ob er sich selbst in seinem eigenen Traum verloren hat.
M 2 Der Film Welt am Draht
Der Film Welt am Draht (Rainer Werner Fassbinder, D 1973) ist eine cineastische Umsetzung des Science-Fiction-Romans Simulacron-3 von Daniel F. Galouye. Im Mittelpunkt der Handlung steht Fred Stiller, der die Leitung des SimulacronProgramms am Institut für Kybernetik und Zukunftsforschung übernommen hat. Simulacron ist der Name für eine von einem Super-Computer künstlich erzeugte Welt, in der die Bewohner nicht wissen, dass sie nur ein künstliches Bewusstsein haben. Eine Reihe merkwürdiger Umstände veranlassen Stiller dazu, auch an der Realität seiner eigenen Welt zu zweifeln, die sich im weiteren Verlauf tatsächlich ihrerseits als Simulation entpuppt.
M 3 René Descartes: Meditationen über die Erste Philosophie1
Alles nämlich, was ich bis jetzt für am sichersten wahr gehalten habe, habe ich von den Sinnen oder durch die Sinne empfangen; indessen habe ich bemerkt, dass diese zuweilen täuschen, und die Klugheit verlangt, niemals denen volles Vertrauen zu schenken, die auch nur einmal getäuscht haben. Wenn jedoch auch die Sinne be züglich kleinerer und entfernt liegender Gegenstände zuweilen täuschen, so ist doch vielleicht das meiste andere derart, dass man nicht daran zweifeln kann, wenn es auch von den Sinnen herrührt, so z. B., dass ich hier bin, am Kamin sitze und meinen Winterrock anhabe, dieses Papier mit der Hand berühre, und was derglei
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Descartes, René: »Abhandlung über die Methode«, in: Descartes, René: Meditationen/Abhandlung über die Methode, hrsg. und eingel. von Schweizer, Frank, Marix Verlag, Wiesbaden 2006.
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chen mehr ist. Wie könnte ich leugnen, dass diese Hände, dieser ganze Körper der meinige sei? […] Das klingt sehr schön; aber bin ich denn nicht ein Mensch, der des Nachts zu schlafen pflegt und dann all dieses und zuweilen noch viel Unglaublicheres im Traume erlebt wie jene im Wachen? Wie oft geschieht es nicht, dass der Traum der Nacht mir sagt, ich sei hier, habe meinen Rock an und sitze am Kamin, während ich doch in Wirklichkeit entkleidet im Bette liege. Doch jetzt schaue ich sicherlich mit wachen Augen auf das Papier; der Kopf, den ich bewege, ist nicht schlafbefangen; ich strecke mit Überlegung und Bewusstsein diese Hand aus und fühle, dass dieses einem Träumenden nicht so deutlich sein könnte. Doch entsinne ich mich denn nicht, dass ich von ähnlichen Gedanken auch schon in Träumen getäuscht worden bin? Während ich aufmerksamer über diesen Punkt nachdenke, wird mir ganz deutlich, dass das Wachen sich durch keine Kennzeichen vom Träumen unterschei det, so dass ich stutzig werde, und dieses Erstaunen bestärkt mich beinahe in der Meinung, dass ich träume. […] Ich will vorwärtsdringen, bis ich etwas Sicheres erreiche, und wenn es nichts anderes wäre als die Gewissheit, dass es nichts Sicheres gibt. […] Alles, was ich sehe, gilt mir also für falsch; ich lasse nichts mehr gelten von dem, was meine trügerische Erinnerung mir vorführt; ich habe keine Sinne, mein Kör per, meine Gestalt, Größe, Bewegung und mein Ort sind Chimären2. Was bleibt da noch Wahres? Vielleicht das eine, dass es nichts Gewisses gibt. Doch woher weiß ich, dass es im Unterschied von allem bereits Angeführten nicht dennoch etwas gibt, was nicht den mindesten Anlass zum Zweifeln gibt? Gibt es denn nicht einen Gott oder wie ich ihn sonst nennen soll, der mir diesen Gedanken einflößt? Doch weshalb sollte ich so etwas annehmen, da ich doch möglicherweise selbst der Ur heber dieser Gedanken sein kann? Bin ich selbst also wenigstens etwas?
Entwickelt eine Argumentationsskizze, in der ihr die einzelnen Zweifelsschritte von Descartes rekonstruiert.
Stellt Zusammenhänge zwischen der Theorie Descartes’ und dem Filmausschnitt dar. Diskutiert die Frage: Gibt es einen Ausweg aus dem radikalen Zweifel Descartes’?
2
Hier: Trugbild, Einbildung, Illusion, Täuschung.
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Methode / Sozialform
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Unterrichtsphase
Unterrichtsgeschehen
Medien / Material
Einstieg
Filmausschnitt Inception 0:17:00 – 0:28:20 (evtl. wiederholt zeigen)
UG
M1 und BeamerPräsentation
Leitfrage
Gespräch über den Filmausschnitt; Leitfrage: Kann ich sicher sein, dass meine Wahrnehmung der Welt real ist?
UG
Festhalten der Problemfrage an der Tafel
Erarbeitung
Erarbeitung des Texts M3 in zwei Gruppen
GA
Text M3
Präsentation
Vorstellung der Ergebnisse der beiden Gruppenarbeiten
SV
Folien
Sicherung
Argumentationsstruktur wird an der Tafel festgehalten und von den Schülerinnen und Schülern in ihre Hefte übertragen
UG
Tafel; Heft
Transfer / Hausaufgabe
Gibt es einen Ausweg aus dem radikalen Zweifel an der Wirklichkeit der Welt?
EA
Heft
Quelle: Schmidt, Klaus-Peter; De Beukelaar, Anne; Krueger, Valeska; Nowald, Manuela: »Die Welt bricht regelrecht in Stücke! Mit dem Film ›Inception‹ im Unterricht philosophieren«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 37,2015, Heft 3: Kunst und Moral, S. 49–53.
Mehr Leben, Vater! – Blade Runner
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Volker Steenblock
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n Mary Shelleys Frankenstein aus dem Jahre 18181, einem Roman sozusagen im Übergang von der englischen Romantik zur Science-Fiction, wird der »Schöpfer« von seiner eigenen Kreatur verwünscht, die mit ihrem Leben und entsprechend mit seinem Werk schmerzlich unzufrieden ist. Die Verse aus Miltons Paradise Lost, von Mary Shelley selbst als Motto verwendet, formulieren eine Anklage: Hab ich’s von dir, mein Schöpfer, denn erbeten,/Dass du aus Lehm zum Menschen mich geformt?/Dass du mich aus der Dunkelheit hervor/Zuziehen kamst, hab ich drum ersucht?2 Frankensteins ebenso mordendes wie leidendes »Monster« bringt als ungerecht behandelter Adam mittels Miltons religiösem Epos seine Gefühle zum Ausdruck. Beim frommen Milton hat freilich Satan den Abfall von Gott zu verantworten; ihm fehlt die Abgründigkeit, die die Rückfrage an den Schöpfer in der Moderne hat, und auf die wir noch eingehen müssen. Der Film Blade Runner verhandelt Bilder des Menschlichen durch Einführung fast menschengleicher Androiden in der Tradition der Fantasien von künstlichen Geschöpfen, des Golems, des Homunculus und auch in Verlängerung der Figur der Maria aus Fritz Langs legendärer Metropolis.
Inhalt des Films Obwohl der Science-Fiction-Film bei seinem Kinostart zunächst auf Unverständnis stieß, hat er seither wahren Kultstatus gewonnen. 1991 erschien die »Director’s
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Blade Runner (O: Blade Runner, USA 1982); Regie: Ridley Scott; Dauer: 112 Min., FSK 16. Shelley Wollstonecraft, Mary: Frankenstein or the modern Prometheus, The original two-volume novel of 1816/17 from the Bodleian Library manuscripts, Bodleian Library, Oxford 2008, S. 125. Milton, John: Paradise Lost, Oxford World’s Classic, Oxford University Press, Oxford 2004, 10. Buch, V. 936–939. Die deutsche Übersetzung findet sich beispielsweise in der Ausgabe: Shelley, Mary: Frankenstein oder der moderne Prometheus. Die Urfassung von 1818, übers. und in neuer Überarbeitung hrsg. von Pechmann, Alexander, Nachwort von Klein, Georg, Manesse Bibliothek, Manesse Verlag, Zürich 2017.
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Cut«-Fassung des Films, die sich vor allem durch die fehlenden Off-Kommentare von der Kinofassung unterscheidet. Die literarische Vorlage für den Film bildet Philip K. Dicks Do Androids Dream of Electric Sheep. 3 Der Film weicht allerdings mitunter deutlich vom Buch ab. Die Handlung spielt in einem düsteren Los Angeles der Zukunft. Die Tiere sind im Wesentlichen ausgerottet, die Menschen haben begonnen, die umliegenden Planeten zu besiedeln – unter anderem auch ermöglicht durch die Sklavenarbeit von »Replikanten«, biogenetisch erschaffenen künstlichen Menschen, die stärker und beweglicher und mindestens ebenso intelligent sind wie ihre Geningenieure. Ihre neueste Generation hat eine so große Menschenähnlichkeit in Physis, Denken und Verhalten erlangt, dass sie nur durch einen komplizierten Test von Menschen zu unterscheiden ist, der unbewusste emotionale Reaktionen misst. Die Replikanten werden auf der Erde von der »Tyrell Corporation« hergestellt und auf den Kolonien im All als Sklaven eingesetzt; die Rückkehr auf die Erde ist ihnen bei Todesstrafe verboten. Dennoch wagen einige diese Rückkehr mit einer gekaperten Raumfähre, um bei den Verantwortlichen der Tyrell Corporation ein Mittel gegen den baldigen Ablauf ihrer Lebenszeit zu suchen, der ihnen einprogrammiert ist. Auf sie wird Rick Deckard, ein sogenannter Blade Runner, angesetzt; er tötet alle Replikanten bis auf ihren Anführer Roy Batty. Der Begriff Blade Runner ersetzt im Film die Bezeichnung bounty hunter (Kopfgeldjäger) aus der Buchvorlage des früh verstorbenen Kult autors und »paranoiden Visionärs« Philip K. Dick. Er könnte auf eine Aufgabe verweisen, den verbotenen »Baum des Lebens« vor den ausgestoßenen Geschöpfen zu bewahren – so, wie dies die Cherubim mit ihren flammenden Schwertern in der biblischen Geschichte von der Vertreibung aus dem Paradies gegenüber den Menschen tun (von blade: Klinge oder Schwert).
M 1 Filmszene aus Blade Runner: »Mehr Leben!«4
In einer der wichtigsten Szenen des Films sucht Roy Batty im Angesicht seiner bald ablaufenden Lebenszeit seinen Schöpfer Eldon Tyrell auf und sagt: »It’s not an easy thing to meet your Maker.« [Die Formulierung ›vor seinen Schöpfer treten‹ umschreibt in unserem Sprachgebrauch das menschliche Sterben, den Tod des Geschöpfes. Roy fordert »mehr Leben«:]
Tyrell: l’m surprised you didn’t come here sooner. Roy: It’s not an easy thing to meet your Maker. Tyrell: What can He do for you?
3
4
Dick, Philip K.: Blade Runner – Do Androids Dream of Electric Sheep, Ballantine Books, New York 1982. Eine deutsche Übersetzung liegt beispielsweise in folgender Ausgabe vor: Dick, Philip K.: Träumen Androiden von elektrischen Schafen, übers. von Wölfl, Norbert, Heyne 01/10649, Heyne Verlag, München 1998. DVD: Blade Runner, Warner Home Video GmbH 1999, Zeit: 1:20:30 – 1:21:35.
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Roy: Can the Maker repair what He makes? Tyrell: Would you like to be modified? Roy: […] I had in mind something a little more radical. Tyrell: What … what seems to be the problem? Roy: Death. Tyrell: »Death? Well, l’m afraid that’s a little out auf my Jurisdiction, you…« Roy: »I want more life, father.« Doch Tyrell steht der Anfrage und Anklage seines Geschöpfes ohnmächtig gegenüber. Er kann ihm nicht mehr Leben geben, da eine Reorganisation seines Organismus diesen unweigerlich zerstören würde. Roy appelliert an die Verantwortung des Schöpfers, doch dieser ist nicht in der Lage, ihr nachzukommen. In Blade Runner überlebt der Schöpfer die Begegnung mit seinem Geschöpf nicht.
Warum tötet Roy Batty seinen Schöpfer? M 2 Epikur: Das Problem der Theodizee5
Entweder will Gott die Übel beseitigen und kann es nicht, oder er kann es und will es nicht, oder er kann es nicht und will es nicht, oder er kann es und will es. Wenn er nun will und nicht kann, so ist er schwach, was auf Gott nicht zutrifft. Wenn er kann und nicht will, dann ist er missgünstig, was ebenfalls Gott fremd ist. Wenn er nicht will und nicht kann, dann ist er sowohl missgünstig wie auch schwach und dann auch nicht Gott. Wenn er aber will und kann, was allein sich für Gott ziemt, woher kommen dann die Übel und warum nimmt er sie nicht weg?
Für Epikur sind die Götter seiner Zeit Vorbilder glücklichen Lebens und kümmern sich nicht um die Menschen. Welche Konsequenz könnte seine Darstellung des Problems gleichwohl für die Instanz eines Göttlichen haben?
M 3 Friedrich Nietzsche: Wir haben Gott getötet!6
»Wohin ist Gott?’ rief er, ›ich will es euch sagen! Wir haben ihn getötet – ihr und ich! Wir alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir dies gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont
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Epikur: Von der Überwindung der Furcht. Katechismus – Lehrbriefe – Spruchsammlung – Fragmente, übers. und hrsg. von Gigon, Olof, dtv Klassik 2164, Deutscher Taschenbuch Verlag, Stuttgart 2 1985, S. 136. Nietzsche, Friedrich: »Die fröhliche Wissenschaft«, in: Nietzsche, Friedrich: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Einzelbänden, Bd. 3: Teil 3. Morgenröte / Idyllen aus Messina / Die fröhliche Wissenschaft, hrsg. von Colli, Giorgio; Montinari, Mazzino, Dünndruck-Ausgabe, dtv – de Gruyter, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1988, S. 481.
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wegzuwischen? Was taten wir, als wir die Erde von ihrer Sonne losketteten? … Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? … Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn ge tötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besaß, es ist unter unsern Messern verblutet – wer wischt dies Blut von uns ab? … Ist nicht die Größe dieser Tat zu groß für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen?«
Mit welchen Begriffen und Bildern und in welchen sprachlichen Ausdrucksmitteln äußert Nietzsche sich zum »Tode Gottes«?
Welche Wertung/Einschätzung erfährt der »Tod Gottes«? M 4 Roy Battys Ende7
Roy Batty jagt Deckard über die Dächer der Stadt. Er erscheint erheblich stärker als sein einstiger Verfolger und könnte ihn anscheinend mit Leichtigkeit töten. Doch kurz bevor dieser in die tödliche Tiefe fallen kann, erfolgt eine Wende in der Szenerie. Offenbar erkennt Roy im abstürzenden Deckard die eigene Endlichkeit wieder, dem er ins angst- und schmerzverzerrte Gesicht sagt: »Quite an experience to live in fear, isn’t it? That’s what it is to be a slave.« Er hält ihn und verhilft ihm wieder aufs Dach. Am Ende sitzt der Replikant nach seiner Rettungstat zusammensackend im strömenden Regen, in ein bläulich-nächtliches Licht getaucht: »Ich habe Dinge gesehen«, so sagt er stockend als Letztes, »die ihr Menschen niemals glauben würdet…«: »I’ve seen things you people wouldn’t believe. Attack ships on fire off the Shoulder of Orion. I watched C-beams glitter in the dark near Tannhäuser Gate. All those… moments will be lost…in time, like tears…in rain«. (Zu dieser Szene:)
Wie ist Roys Verhalten zu interpretieren? Warum verweist Roy auf seine Erinnerungen? (Allgemein:)
Gott als Sinn-Garant: Notieren Sie Ihre Gedanken! Zunächst sind es wie in Metropolis Visionen abgründiger Urbanität, die die besondere Atmosphäre von Blade Runner ausmachen. Statt der städtebaulichen Gegensätze von Hochstadt und unterirdischen Arbeiterwohnblocks mit ihrer eigenartigen Choreographie der ausgebeuteten Massen sind es in Blade Runner finstere Bilder einer bei aller Innovation heruntergekommen, düsteren und regnerischen Großstadt, in der die beschädigten Individuen nur noch für sich funktionieren. Der Film etabliert eine Endzeit-Atmosphäre; Gleiter schweben über riesigen Hochhaustür
7
DVD: Blade Runner, a. a. O., Zeit: 1:41:18 – 1:43:02.
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men und zwischen ihnen hindurch, Dauerregen in einer zerstörten Umwelt, allgegenwärtige Reklametafeln und eine geradezu apokalyptische Stadtlandschaft, über der gewaltige Höllenfeuer lodern: das Los Angeles des Jahres 2019. Der kalifornische Filmwissenschaftler Scott Bukatman 8 zeigt sich begeistert von der unordentlichen, heterogenen Stadt, die Blade Runner entwirft, und für die natürlich, wie schon im Film Metropolis, New York immer noch und immer wieder paradigmatisch ist. Christoph Ribbat 9 hat die besondere Atmosphäre aus dem »Mit- und Gegeneinander des Glimmens und Flackerns in verdichteter Urbanität« beschrieben: »Als etwa der Filmregisseur Ridley Scott im Kalifornien der frühen 1980er Jahre sein neuestes Werk vorbereitete, vertiefte er sich in die Bilder historischer Metropolen und betrachtete Hogarths Straßenszenen von London im 18. Jahrhundert, Fotografien von eng bevölkerten Märkten an der New Yorker Lower East Side, Bilder vom flackernden Times Square. Aus diesem Quellenstudium entstand ein Film, der gleichzeitig vierzig Jahre in die Urbane Zukunft und vierzig Jahre zurückblicken sollte. Blade Runner, Scotts Klassiker des Science-Fiction-Genres, wurde im Hollywood-Studio der Warner Brothers auf der traditionellen »New York Street« gedreht. Dort hatte man einst, in der frühen Neon-Ära, die Gangsterfilme der 1930er Jahre inszeniert. Blade Runner eröffnet ein ganzes Spektrum kollektiver Ängste und Befindlichkeiten. Scotts Zukunftsvision spielt mit den Möglichkeiten genetischen Designs ebenso wie mit der Geografie einer wabernden, inauthentischen Stadt, die komplett von Werbebotschaften dominiert wird. Gerade bei Theoretikern der Postmoderne ist der Film extrem beliebt, möglicherweise, weil er zu belegen scheint, dass die Unterschiede zwischen geklonten Replikanten und menschlichen Wesen letztlich vernachlässigbar sind. Die Neonröhre, für Kulturkritiker so oft das Symbol leerer Effekte, setzte Ridley Scott allerdings weniger als futuristisches Dekorationselement ein denn als Merkmal der traditionellen Stadt. Die großen kommerziellen Projekte des Jahres 2019 etwa werden in Blade Runner nicht in kunstvoll geschwungenen Leuchtschriftzügen, sondern auf gigantischen, schwebenden Videoscreens mitgeteilt. Die Neonreklamen alten Stils markieren die nicht perfekte, authentische Urbanität, die sich trotz genetischer Manipulation und Kolonisierung des Weltalls noch immer erhalten hat. Die (defekte) Neonreklame für Schlitz-Bier bewirbt einen erstmals 1856 von einem deutschen Immigranten in Milwaukee, Wisconsin verkauften Gerstensaft. Die Leuchtreklame für das »YUKON«-Hotel spricht von einem Goldrausch längst vergangener Zeiten. Die Budweiser-Werbung und die Pan Am-Reklame verkörpern gute, alte amerikanische Marken (allerdings, hier irrt Blade Runners Prophetie, ging Pan Am schon 1991 in Konkurs). Neon verankert Blade Runner filmhistorisch: im Film Noir, dem klassischen Genre der nächtlichen Großstadt. Auch die Replikantin, mit
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Bukatman, Scott: Blade Runner, BFI Modern Classics, British Film Institute, London 2003, S. 62. Ribbat, Christoph: Flackernde Moderne. Die Geschichte des Neonlichts, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2011, S. 112 f.
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der sich der von Harrison Ford gegebene Detektiv Deckard auf eine Liaison einlässt, ähnelt frappant den kühlen Kino-Frauen der Vierzigerjahre. Aber der Film schaut noch weiter zurück: Im Wohnzimmer Deckards tauchen ein Flügel und sepiafarbene Familienfotografien als Objekte vergangener Jahrhunderte auf, die seine eigene Menschlichkeit in einer von Klonen bevölkerten Welt unterstreichen. Die Neon reklamen haben eine ganz ähnliche metaphorische Funktion. Vor dem Hintergrund dieses Szenarios finden die auf dem Gipfel einer zukünftig möglichen Technologie entwickelten »Replikanten« als Konstrukte ihre Existenz fraglich, fremdbestimmt und vor allem zeitlich begrenzt vor. Der im Film mehrfach angewandte »Voight-Kampff-Test« basiert auf der Erwartung, dass die Replikanten keine echte Empathie besitzen und darum Emotionen simulieren müssen. Das Ende des Films erreicht seine Wirkung gerade durch die Widerlegung dieser Erwartung. Zugleich führt aber auch uns als Menschen gerade die fiktive Doppelung von Lebensambitionen durch eine Imagination künstlich geschaffener Wesen die Riskiertheit unserer eigenen Daseinsweise vor Augen. Der Körper als Träger des »Ich« ist sterblich – unser Leib wie der ihrige wird enden und mit ihm unser Dasein. In der vielleicht wichtigsten Szene des Films sucht Roy Batty den in einer Art Himmelspyramide residierenden Konzernchef Tyrell auf. Eine Station auf dem Weg zu diesem Ziel ist Sebastian, an der Replikantenproduktion beteiligt, zu dessen Wohnung Roy mit seiner letzten verbliebenen Replikanten-Gefährtin Pris kommt. Sebastian leidet an einem Syndrom vorzeitiger Alterung, auch seine Lebenszeit schwindet rapide. Auch ihm gegenüber bestehen die Replikanten auf ihrem menschengleichen Status; in vielem sind sie den Menschen jedoch auch überlegen. »Ich denke, darum bin ich«, sagt Pris und variiert damit jenen Grundsatz von Descartes, mit dem die moderne Philosophie des Selbstbewusstseins beginnt! Dann nimmt sie mit der bloßen Hand Eier aus dem kochenden Wasser und wirft sie Sebastian zu, der nicht in der Lage ist, sie festzuhalten. Roy löst noch schnell ein kniffliges Schachproblem. Mit Hilfe Sebastians kann Roy sich nun Zutritt zu dessen Schachpartner Tyrell verschaffen. Er spricht ihn als seinen »Schöpfer« an und verlangt »mehr Leben«. Diese Forderung ist nicht allein im quantitativen Sinne zu verstehen, sondern auch in einem qualitativen. »Mehr Leben« bedeutet nicht nur eine Zeitspanne, sondern auch eine adäquate, »humane« Seinsweise. Tyrell ist als mad scientist ein später Nachfahre Frankensteins wie auch Rotwangs aus Metropolis sowie seiner offenkundigen Machtfülle wegen zugleich auch Fredersens. Wie nicht wenige Filmphantasieprodukte der Popkultur strotzt Blade Runner hier geradezu von religiösen Anspielungen und demonstriert damit zugleich deren fortdauernde kulturelle Relevanz. »Es ist keine einfache Sache, seinem Schöpfer zu begegnen!«, sagt Roy, und scheint geradezu zur Beichte bereit: »Ich habe fragwürdige Dinge getan.« Tyrell bezeichnet ihn als »verlorenen Sohn«. Aber Tyrell verkennt den tiefen Gram und den unerhörten Zorn Battys, die Beiklänge der TheodizeeThematik aufweisen, an der Tyrell als »Schöpfer« sich messen lassen muss. Dies gilt, obwohl Tyrell als bloßer Schöpfergott einen gewissen »gnostischen Unterton« mit sich führt.
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Theodizee und »Tod Gottes« »Theodizee« bedeutet die an Gott gerichtete Frage: Warum gibt es, wenn wir vom Göttlichen doch erwarten dürfen, dass es allmächtig und gütig ist, die Übel, die Leiden und das Böse in der Welt? Kein Geringerer als der antike Philosoph Epikur hat das Theodizee-Problem in geradezu klassischer Weise formuliert. Über die Antwortversuche auf diese Frage kann man eine ganze Geistesgeschichte vor allem der Theologie und Philosophie schreiben10 . Der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) hat in seiner Theodizee11 versucht, die von Gott geschaffene Welt als die beste aller möglichen Welten zu erweisen, wenn in einer solchen Welt dem Menschen Willensfreiheit zugestanden wird. Die Debatte dauert bis heute an. Nur eine höchste und letzte Sinnvermutung, wie sie mit dem Weiterleben in einem Jenseits verbunden ist, vermöchte, so kann es scheinen, diese Frage positiv zu beantworten. Wir alle empfinden als entwickelte Individuen den Gedanken schwer auszuhalten, dass mit dem Tode alles vorbei sein soll und alle Ungerechtigkeiten des Lebens, alles Leid einfach so stehen bleiben. Man muss sich klar machen, was dies bedeutet: Anonyme Gesetzlichkeiten setzen uns ins Leben und beenden es auch wieder. Woher und warum, wissen wir nicht, und wir werden es niemals wissen. Gott steht dann nicht mehr vor dem, wie man gesagt hat, »Anfangsabgrund« des Menschen. Dieser bleibt ein Wesen, das sich immer schon vorfindet auf einem Terrain, dessen Genese es nicht verstehen kann. Kein geringes Medienecho erntete der 100-jährige Claude Levi-Strauss (1908–2009), als er kurz vor seinem Tode bekannte, dass er in der Menschheit nur eine im kosmischen Maßstabe sinnlose Episode sehe.12 Im Film steht der »Schöpfer« der Anfrage und Anklage seines Geschöpfes ohnmächtig gegenüber: Er vermag es nicht, ihm mehr Leben zu geben, und erweist sich als ohnmächtiger, folgerichtig überflüssiger Gott: Sein Geschöpf tötet ihn. Roy drückt ihm – weinend – die Augen aus, als wolle er zeigen, wie blind Tyrell ist. Wenn wir den Film als Parabel menschlicher Lebensfragen sehen, entspricht dieser im Film demonstrierten radikalen Emanzipation des Replikanten von seinem Schöpfer die Einsicht des Menschen in den »Tod Gottes«. Nichts freilich ist dadurch einfacher geworden. Das aufbegehrende Geschöpf muss nun für sich selbst stehen: Es sieht sich auf eine endliche und begrenzte Existenz zurückgeworfen, die es – je nach besonderem Gestus nicht ohne verzweifelte oder auch heroisierende Untertöne – anzunehmen hat und der nur es selbst noch Sinn verleihen kann. Dass der »Tod Gottes«, auf den hier angespielt wird, eine ungeheure Herausforderung an das Verlangen des Menschen nach Sinn und Weiterleben darstellt, dass
10 11
12
Vgl. Oelmüller, Willi (Hrsg.): Theodizee – Gott vor Gericht?, Wilhelm Fink Verlag, München 1990. Vgl. Leibniz, Gottfried Wilhelm: Versuche in der Theodicée über die Güte Gottes, die Freiheit des Menschen und den Ursprung des Übels, Philosophische Werke, Bd. 4, PhB 499, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1996. Den metaphysischen Aufwand eines Gegenentwurfes umreißt Spaemann, Robert: Der letzte Gottesbeweis, Pattloch Verlag, München 2007. Gott existiert als ein absolutes Bewusstsein, in dem alles, was war, aufgehoben sein muss, da wir ein zukünftiges »Nicht-gewesen-sein« mit seinem gegenwärtigen »Sein« nicht zusammendenken können.
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er das Ich in eine kalte, entleerte Welt entlässt, beschreibt Friedrich Nietzsche als Referenzautor dieses Gedankens im berühmten Aphorismus 125 vom ›tollen Menschen‹ aus der »fröhlichen Wissenschaft« eindringlich. Den Bezug zu Nietzsche stellt der Film selbst her, indem Roy Batty-Darsteller Rutger Hauer geradezu wie der personifizierte blonde »Übermensch« erscheint. Dem Replikanten geschieht – mit dem Philosophen Josef Früchtl formuliert – gleichsam stellvertretend, was für den Menschen gilt: »Auf ihm lastet die schwere Bürde der Metaphysik, Sinn in einer Welt herzustellen, die den Sinn aus eigener ›entzaubernder‹, aufklärender Konsequenz abgeschafft hat; denn er ist durch keine transmundane, ja keine transindividuelle Instanz mehr zu verbürgen« (2004, 342 f.). Bereits im Vorhergehenden haben wir aber gesehen, wie skeptisch das Genre hinsichtlich humaner Perspektiven ist. Das Problem der Theodizee, der Anklage an Gott aufgrund des Schreckens und Leidens in der Welt, fällt nun mit gleicher Gewalt auf den Menschen zurück, der, eben noch lebensverlangender Ankläger, nun selbst vor der Erkenntnis steht, wie wenig es ihm gelingt, seine Welt zu einem Besseren zu wenden. Dies drückt der letzte Satz des Nietzsche-Textes aus. Tyrell ist, so betrachtet, nicht nur Symbol von Gottes suggeriertem Ende, sondern bleibt zugleich der Mensch, den er im Film darstellt, und damit Stellvertreter unseres irdischen Abenteuers, welches ja nichts besser macht.
Menschlichkeit Und doch geht der Film noch einen bemerkenswerten Schritt über diese Einsicht hinaus. Der finale Kampf zwischen Roy und Deckard findet in Sebastians Wohnung statt. Bei seiner Rückkehr findet Roy zuerst die von Deckard getötete Pris. Roy weint und küsst die Tote. Es kann keinen Zweifel mehr geben, dass er, wie früher schon Rachel, authentische Gefühle entwickelt und damit den Schritt von der Maschine zu etwas vollzogen hat, was wir wie uns selbst anerkennen müssen. Wir finden den rebellierenden Replikanten längst in jeder Hinsicht »menschlich« genug, auch in der, dass wir sicher sind (und dies nachvollziehen können): Er wird seinen Verfolger Deckard töten und sich so für den Tod seiner Freunde rächen. Das Ende des Films nimmt gegenüber dem in vielen Filmgenres allzumeist inszenierten Showdown zwischen »Gut« und »Böse« nun aber eine ganz andere, überraschende Wende. Roy Batty, Mörder seines »Schöpfers«, rettet dem ihn verfolgenden Deckard das Leben, als dieser nach seinem Sprung auf ein gegenüberliegendes Häuserdach abrutscht und nun selbst die Auflösung, den Tod vor Augen hat. Dann ist Roys kurze Lebenszeit abgelaufen und er stirbt. Wenn er gegenüber Deckard den Verlust seiner Erinnerungen durch den Tod beklagt, vollführt er die narrative Konstitution eines gelebten Lebens, das aus Erfahrungen besteht, deren selbst gesetzte Bedeutung nicht zu dementieren ist. Blade Runner scheint zu betonen, dass das, was den Menschen zum Menschen macht, ihm nicht einfach von höherer Warte verliehen ist, sondern von ihm selbst errungen werden muss. Indem Roy also seinen Verfolger Deckard im Kampf zwar besiegt, aber am Ende verschont
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bzw. ihm sogar das Leben rettet, scheint dem Protagonisten diese »Anerkennung des Anderen« denkmodellartig zur Selbstbildung, ja man scheut sich kaum zu sagen: zur »Menschwerdung« zu verhelfen. Josef Früchtl sagt: »Der neu zusammengesetzte Mensch steht moralisch für ein Neues, das sich als ein Altes erweist, als die Werte von Individualität und Würde, von Endlichkeit und Selbstbestimmung«.13 Dies legt eine Einsicht nahe, die womöglich auch uns als höchst gegenwärtigen und zweifellos noch »herkömmlich humanoid« ins Leben (wie irgendwann aus dem Leben) gerufenen Geschöpfen nicht erspart bleibt: dass unsere je eigene Ichentwicklung und »Menschwerdung« unser höchster und zugleich verzweifelt letzter Triumph über die Gesetze der Natur sein dürfte, die unseren Körper zerstören und uns unsere Lebens- und Bewusstseinsgrundlage damit genau so gnadenlos wieder entziehen werden, wie ihre menschlichen Konstrukteure es mit den Replikanten tun. In der Kinofassung philosophiert Deckards Off-Stimme über Roys Ende: »Vielleicht hat er in diesem Moment das Leben mehr geliebt als je zuvor, nicht nur sein Leben, auch mein Leben, das eines jeden. Er wollte die Antworten, die wir alle wollen: Woher komme ich, wohin gehe ich, wieviel Zeit bleibt mir?« Die folgende Übersicht zeigt, wie komplex eine Auseinandersetzung mit diesen Fragen in Bildungsprozessen sich darstellen kann:
Die Schluss-Szene aus Blade Runner … stellt Widersprüche zur Debatte: ¬ »will be lost…« dekodiert der Zuschauer als: Es wird keine jenseitige, göttliche Aufhebung geben (alle Bildung geht verloren!)… ¬ emporsteigende Taube/Seele: könnte der Zuschauer interpretieren als: Es wird doch eine jenseitige, göttliche Aufhebung in einem höheren Sinnzusammenhang geben… Beides können und müssen wir auf eine eigene Stellungnahme zu diesem Problem beziehen. … bezieht sich rückwirkend auf die Szene, in der Roy Batty seinen Schöpfer Tyrell tötet (»Tod Gottes« nach Nietzsche). … impliziert in der modellhaften Vorführung durch die Replikanten argumentativ komplexe Problemstellungen zu solchen Norm- und Sinnfragen, zu denen jede(r) sich undelegierbar verhalten muss: ¬ das Problem der Theodizee, ¬ die Frage nach dem moralisch guten Handeln, ¬ die Frage nach einem jenseitsbezogenen oder nur diesseitigen Lebenssinn.
13
Früchtl, Josef: Das unverschämte Ich. Eine Heldengeschichte der Moderne, stw 1693, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2004.
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… führt eine Identitätsgewinnung des »Replikanten« Roy Batty durch ein Handeln als moralisches Subjekt und durch Narration vor. … impliziert als Kohärenz u. a. eine soziale Dimension: Es ist wichtig, dass Deckard zuhört, dem Batty soeben das Leben gerettet hat. … (zu ergänzende Punkte) … Philosophie und Filmeindruck können sich zu einem Bildungsprozess verbinden, in dem sozusagen unser ganzes Ich mitschwingt: in Gefühl und Begriff, Leiblichkeit und Argument, Phantasie und philosophischem Text14 . Der Film wendet das technisch-perfektionistisch gemeinte Motto des Tyrell-Konzerns ins Moralische: »more human than human«. Der künstliche Mensch erscheint verletzlicher und damit humaner als die Menschen selbst, die kontrastiv als »unmenschlich« dastehen, indem sie töten. »Menschlich« zu sein, heißt dann auch hier (siehe King Kong): verletzlich zu sein und nicht (mehr) zu verletzen, endlich zu sein und nicht (mehr) zu töten. Aus diesem Wiedererkennungseffekt des modernen Ich im Androiden des Blade-Runner-Kosmos erklärt sich Früchtl den Erfolg des Films. »Das Leben, das Sein, als solche zu lieben und zugleich diese Fragen ernst zu nehmen im Wissen darum, keine definitiven Antworten zu bekommen«15 – dies ist eine der Deutungen, die der Film auf die Frage nach dem Menschen gibt. Roy entwickelt »seelischen« Schmerz und am Ende, als fast schon »menschlichstes« aller Vermögen, Empathie. Darum scheint Deckards erbärmlicher Anblick am Rande seiner Existenz für Roy ein Spiegel zu sein, und nach dem Blick in diesen Spiegel sehen wir in ihm die »freiwillige Verwandlung einer mordenden Maschine in eine verletzbare und unersetzbare Existenz, die dadurch moralische Würde erwirbt«16 . Roy scheint im Angesicht des eigenen Todes, der alles ihm in seiner kurzen Lebensspanne einsichtig Gewordene und von ihm Erfahrene auslöschen wird, sich und uns begreiflich zu machen, was es bedeuten kann, »Mensch« zu sein. Es sind keine Kleinigkeiten, die hier im populären Medium der Science-Fiction betrachtet werden, geht es doch um die Konsequenzen der Zeitknappheit unserer Existenz und um den Skandal des Todes, dieser größten Kränkung des sich lebenslang mit engagiertem Aufwand um seiner selbst willen entwickelnden Ich. Und es ist ebenfalls keine Kleinigkeit, was sich als Parabel und Deutung des Humanen hieran anschließen ließe: Auf dem ungeheuer verlustreichen Gang der Geschichte, dem Weg, auf dem der Mensch sich selbst erzeugt, entstünde am Ende die Vision einer irdisch und diesseitig17 durch ein emotionales Lernen, Kreativität, Selbstreflexivität und kulturelle Arbeit zu verwirklichenden »Menschlichkeit«.
14
15
16
17
Steenblock, Volker: Die großen Themen der Philosophie. Eine Anstiftung zum Weiterdenken, Primus Verlag, Darmstadt 22011. Früchtl, Josef: Das unverschämte Ich. Eine Heldengeschichte der Moderne, a. a. O., S. 405. Ebd., und vgl. Pietsch, Katharina: »›Mehr Leben, Vater!‹ Eine Zukunftsvision des Humanen im Film ›Blade Runner‹ (S I und S II)«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 30, 2008, Heft 4: Leben, S. 274–280. Der Film lässt in der ersten Version mit Roys Tod den Himmel sich aufhellen und eine Taube
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Das Phantasieprodukt der (aus vielerlei Gründen sicherlich zu Recht kritisierten) Kultursphäre des Trivialen und der Popkultur entpuppt sich demnach als ein deutlich nachhaltiger interpretierbares Szenario, als dass es sich auf ein Höhlenkino zwischen Suggestivkraft und Zerstreuung bzw. bloßer Sinnlichkeit reduzieren ließe. Der Film kann sich als das Vehikel einer gesellschaftlichen Kommunikation erweisen, in der wir unsere selbstgeschaffenen und -erlittenen Kulturbedingungen nicht nur vorgeführt bekommen, sondern auch wiederum bewusst wahrnehmen können; dies macht das Poperzeugnis zu einem potenziellen Reflexionsmedium. Eine solche Zusammenfügung von Wahrnehmung und Bedeutung drückt der Begriff »Sinn« aus. Der Wechsel in das Genre literarischer und filmischer Fiktion bzw. der alltags- bzw. populärkulturellen Gattung der Utopie und der Science-Fiction lanciert die einer bloßen Verurteilung des Pop widerstreitende Einsicht, dass die Vorstellungen und Phantasien zukünftigen Lebens problemanzeigende Konstruktionen darstellen, die in einer bewussten Wahrnehmung und Deutung des Menschen gipfeln können. Im Filmgenre vermögen sich menschliche Fragen schlechthin zu spiegeln. Quelle: Steenblock, Volker: Philosophieren mit Filmen, Narr Francke Attempto Verlag, Tübingen 2013, S. 147–159.
entfliegen, als wolle er sich eine religiös-transzendente Option offenhalten. Wenn Roy sich später einen Nagel in die Hand rammt, um Schmerz zu fühlen und damit seinen Verfall noch etwas hinauszuzögern, wird gar eine Assoziation zwischen Roy und Christus hergestellt.
eXistenZ – Ein metaphysisches Spiegelkabinett *
Stefan Maeger
D
er ganze Film ist unbequem. Er nimmt dem Betrachter alle Sicherheit und lässt ihn von philosophischer Skepsis infiziert zurück. Wie der Titel schon nahelegt, untergräbt er unsere Vorstellungen von Wirklichkeit, personaler Identität, Lebenssinn, ja schließlich noch die Idee des Filmbetrachtens selbst. David Cronenberg nutzt in seinem Cyberthriller eXistenZ alle Mittel, um dem Zuschauer den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Weder der Ort des Erzählers noch die Ebene der Ereignisse werden eindeutig bestimmbar.
Heldentod Der Filmtod der Identifikationsfigur hat für den Zuschauer stets etwas extrem Verstörendes. Mit dem härtesten aller Schnitte endet nicht nur die Verschworenheit der subjektiven Kamera, jener Blick aus den Augen des Helden, der uns gestattet, heimlich und ohne eigenen Entscheidungsdruck seine filmischen Erfahrungen zu teilen. Wir verlieren auch den Halt jenes externen, narrativen Interesses am Schicksal der Person »unserer Wahl«, das eine von Beginn an treu sich anschmiegende Kameraführung aufbauen half, indem sie jede ihrer Aktionen, Mimiken und Äußerungen bezeugte.1 In eXistenZ ist diese Person – durch dezente Hinweise der Kameraeinstellungen eingeführt – Ted Pikul, ein Sicherheitsmann des Spieleherstellers Antenna Research. Ihn begleiten wir durch all die wirren Wendungen des Filmgeschehens. Eine Szene kurz vor Ende des Films zwingt uns jedoch, wie ein Parasit seinen unwirtlich gewordenen, sterbenden Körper zu verlassen und auf die nächstattraktive Identifika tionsfigur überzugehen, seine Mörderin. Misstrauisch billigen wir deren triumphale
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1
eXistenZ – Du bist das Spiel (O: eXistenZ, USA 1999); Regie: David Cronenberg; Dauer: 97 Min.; Altersfreigabe: FSK 16. Eine Ausnahme bieten die Spielarten des »post-mortem«-Kinos, bei dem auf die Erzählperspektive eines Verstorbenen (oder eines in seiner bisherigen Form nicht mehr Existierenden) zurückgegriffen wird. Vgl. zu diesem Typus: Elsaesser, Thomas: Hollywood heute. Geschichte, Gender und Nation im postklassischen Kino, Deep Focus, Bd. 1, Bertz + Fischer Verlag, Berlin 2009, S. 217–226.
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Geste: »Habe ich das Spiel gewonnen?«, ruft Allegra Geller freudig erwartungsvoll in die gähnende Leere eines uns längst verdächtig gewordenen Raumes.
Das Spiel mit den Ebenen Der Film bleibt die Antwort letztlich schuldig, oder anders ausgedrückt: Er überlässt sie dem konsternierten Zuschauer. Der könnte antworten: »Ja, du hast gewonnen, denn du hast alle Gegner ausgeschaltet, und du behältst recht, es war tatsächlich nur ein Spiel«, oder auch: »Das war zwar ein Spiel, aber Gewinnen war nicht das Ziel.« So oder ähnlich wird er zumindest nach Betrachtung der Folgeszene versucht sein zu sagen. Diese zeigt nämlich alle bisherigen Protagonisten einschließlich eines nun wieder quicklebendigen »Pikul« in fröhlichem Austausch über die beeindruckenden Qualitäten des eben getesteten neuen Spiels. 2 Aber die Ereignisse der Schlusssequenz lassen wiederum auch Zweifel aufkommen. Sätze, Handlungen und Gegenstände dieser Realitätsebene gleichen allzu sehr dem stilistischen Repertoire der Spieledesigns, die wir im Laufe des Films kennenlernen durften. Deshalb wird der Betrachter vielleicht auch antworten: »Das war möglicherweise nur eine Ebene des Spiels, und ob du gewonnen hast, wirst du erst zum Schluss oder auch nie erfahren. Rechne jedenfalls besser nicht damit, dass du dich jetzt bereits außerhalb des Spiels befindest.«
Der ignorante Betrachter Cronenbergs eXistenZ zwingt den Betrachter zu immer neuen Hypothesen über die Bedeutung der Geschehnisse und deren metaphysischen Status. Dies gelingt ihm zunächst dadurch, dass er dem Zuschauer nie gestattet, in die Rolle eines besser informierten Beobachters zu schlüpfen. Wir wissen über das Geschehen gerade so viel wie der ahnungslose Pikul und haben keine Chance, uns auf das nächste Ereignis zuverlässig vorzubereiten.
Kein Anfang, kein Ende Hinzu kommt ein Kunstgriff, dessen sich der Zuschauer erst in der Schlusssequenz bewusst wird: Die Eingangsszene zeigt zwar einen realistisch wirkenden Versammlungsraum, in dem die Anwesenden den Test eines neuen VR-Spiels, nämlich eXistenZ, miterleben wollen. Aber diese Szene zeigt nicht – wie der Zuschauer meint – die Ausgangsebene der Realität, sondern ist selbst Teil eines höheren Spiellevels, eines
2
Der Fall Pikul kann somit ebenfalls als eine (medien-ironische) Variante des »post-mortem«-Kinos verstanden werden.
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Spiels, das sinnigerweise als transCendenZ bezeichnet wird. Der Film eröffnet also auf einer medialen Ebene, nicht viel anders, als wenn ein Film mit einer Fernsehszene begänne und der Betrachter erst darauf aufmerksam wird, wenn die Kamera nach einer Weile das vom Bildschirm angestrahlte Gesicht des Protagonisten zeigt. Cronenberg zögert dieses Aha-Erlebnis hinaus bis zur Schlussszene.
Bild im Bild im Bild im Bild … Schließlich erlaubt Cronenbergs Film, insgesamt mindestens vier Ebenen zu unterscheiden, zwischen denen die Spielhandlung im Laufe der Ereignisse wechselt. Die Szenenübersicht (M1) macht deutlich, dass das titelgebende VR-Spiel eXistenZ dabei eigentlich nur eine unbedeutende Durchgangsebene darstellt. In der Übersicht wird durch Fragezeichen hinter der Ebenenzuordnung der letzten beiden Szenen angezeigt, dass der Film hier zudem mehrdeutig bleibt: Letztlich tut er niemandem den Gefallen, ihn durch eine beruhigende Schlussszene wieder auf den festen Boden der Realität zu stellen. Cronenberg entlässt uns vielmehr mit Schwindelgefühlen und einem metaphysischen Misstrauen, das auch auf den Blick auf unsere eigene Wirklichkeit übergreift.
Gefangenes Bewusstsein Den Begriff des »gefangenen Bewusstseins« verwendet Jean-Paul Sartre, um zu erklären, wie unser Bewusstsein im Traum offensichtlich unwissend und zweifelsfrei mit Geschehnissen konfrontiert werden kann, die es selbst in seiner Vorstellung produziert. Es meint, im Moment ihrer Vorstellungserzeugung wirkliche Ereignisse zu durchleben. So fragen wir uns oft nach dem Erwachen, wie es denn sein konnte, dass wir dem Traum einen solchen Glauben schenken konnten. Und wenn doch, aufgrund welcher Beweise sich denn nun mit Sicherheit entscheiden lässt, dass wir jetzt nicht mehr träumen. Das skeptische Traumargument 3 behauptet, dass wir dies nicht mit Gewissheit erkennen können. Die Akteure des Films sind vor eine ähnliche Problematik gestellt: Sie haben zwar den Vorteil, sich zunächst noch an die höhere Ebene (sagen wir: des Wachseins?) zu erinnern (was uns ja im Traum nicht vergönnt ist), aber dieser Vorteil nimmt – dafür sprechen einige Indizien – während des Spiels bedrohlich ab. In extremen Momenten verhalten sich die Spieler in ihren Rollen sogar fremdgesteuert wie eine Spielfigur. Und wenn es ein Erwachen aus dem Traum gibt, das skeptische Folgefragen auslöst, so gibt es auch ein Ende des Spiels bzw.
3
Zur Traum-Hypothese und der unten erwähnten Dämon-Hypothese vgl. u. a. Grundmann, Thomas; Stüber, Karsten (Hrsg.): Philosophie der Skepsis, UTB 1921, Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 1996. Sehr ausführlich zur Rolle der Argumente in der neueren Diskussion: Grundmann, Thomas: Analytische Einführung in die Erkenntnistheorie, de Gruyter Studium, Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston 22017.
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Stefan Maeger
eine Unterbrechung, die ein zweifelndes Individuum zurücklässt: Befinde ich mich jetzt mit Sicherheit auf dem Niveau »wirklichen« Erlebens?4
Traumarbeit Cronenberg löst das Problem der Darstellung der Übergänge auf eine Weise, die an Momente des Einschlafens und Erwachens erinnern: Die Kamera fokussiert die Aufmerksamkeit auf einen Gegenstand, und wenn die Einstellung sich weitet, finden wir uns mit diesem Gegenstand in einer völlig neuen Umgebung. Oder ein unsere Aufmerksamkeit fesselndes Geräusch verlängert sich in ein neues, völlig anderes Szenario, wo es nur noch mit großer Toleranz passend wirkt. Ähnlich wird das Klingeln eines Weckers etwa als Schulklingeln in die Traumerzählung eingepasst. Und auch sonst ähnelt die Spielgestaltung der Traumarbeit: Gegenstände aus Bereichen unserer Wirklichkeitserfahrung tauchen in Traumsequenzen in abweichenden Funktionen und in verfremdeten Gestalten wieder auf. So auch bei Cronenberg: Eine makabre Schusswaffe, ein Gerät aus organischem Material mit Zähnen als Munition, erscheint wie die Verfremdung einer gewöhnlichen Pistole, die in der Schlussszene zum Einsatz kommt. Die surreal wirkende »Fleischpistole« ist aber auch ein weiteres Instrument der Irritation, denn sie taucht auf drei unterschiedlichen Spielebenen auf, was sie nicht dürfte, wenn Spiel und Spiel und Spiel und Wirklichkeit säuberlich getrennte Sphären wären. Derselbe weiße Hirtenhund taucht auf allen vier Ebenen auf, was das Misstrauen erhöht, auch die als Realität betrachtete Ebene sei eventuell nur Teil eines unser Bewusstsein übersteigenden Spiels. Durch seine fast aufdringliche Engstellung von Traumarbeit und filmischer Erzählung lässt sich Cronenbergs Film nicht nur als skurrile Science-Fiction, sondern immer auch als ein Versuch medialer Selbstthematisierung begreifen. 5
Du bist das Spiel Der Untertitel des Films lautet in der deutschen Version »Du bist das Spiel«, eine pointierte Formulierung des Problems, dass im Film die Energie, die Emotionen und das Unbewusste des Spielers als Reservoir genutzt werden, um das Spiel zu aktivieren und zu erhalten.6 Daraus, dass Motive und emotionale Regungen den Spielverlauf beeinflussen können, folgt, dass er nicht von einem Spieledesigner vollständig In paradoxer Verkennung bezeichnet ein Spielsüchtiger in eXistenZ die Wirklichkeit als »Gefängnis«. 5 Offensichtlich spielt Cronenberg mit diesen Mitteln auf psychoanalytische Filmtheorien an, die Kino als Ort künstlicher Regression betrachten. Vgl hierzu u. a. Kappelhoff, Hermann: »Kino und Psychoanalyse«, in: Felix, Jürgen (Hrsg.): Moderne Filmtheorie. Eine Einführung, Filmforschung, Bd. 3, Theo Bender Verlag, Mainz 2002, S. 130–167. 6 Ähnlich wie in der Matrix-Trilogie wird das Spiel direkt an das Rückenmark des Spielers angeschlossen.
4
eXistenZ – Ein metaphysisches Spiegelkabinett
285
planbar ist. Außerdem wird das Spiel mit mehreren Teilnehmern gemeinsam gespielt, was den Reiz zusätzlich erhöht. Keiner »beherrscht« das Spiel. Als gegen Ende Krankheit als Motiv auftaucht, stellt sich die Frage, was für das Erscheinen dieses unvorhergesehenen Elements verantwortlich ist. Ist sie Ausdruck eines Problems auf der übergeordneten Ebene, symbolisiert sie etwas?
»Tod der Dämonin Allegra Geller!« Dieser in verschärfter Form ersonnene »interaktive« Modus des VR-Spiels schränkt scheinbar die Macht des Spieledesigners über den Verlauf des Spiels deutlich ein. Dennoch drängt sich dem Betrachter bei der Rutschigkeit der Ebenen-Unterscheidung ein zweites klassisches Argument der erkenntnistheoretischen Skepsis auf, die Dämonen-Hypothese bzw. in moderner Form die des allmächtigen bösen Wissenschaftlers. Was nimmt uns den Zweifel? Descartes etwa würde fragen, ob das, was wir als Wirklichkeit über die Sinne erfahren, nicht die systematische Täuschung eines Dämons ist. Was hindert uns zu glauben, dass, wie Hilary Putnam es in einem Gedankenexperiment konstruiert, wir nicht von einem fähigen, aber bösen Wissenschaftler gepflegte »Gehirne in einem Tank« sind, die durch einen fortschrittlichen Computer eingespeiste Informationen fälschlich für Reize halten, welche aus der Erfahrung der Außenwelt stammen. Die radikale Eingebung der »Freunde der Realität«, den Spieledesigner für eine »Verformung der Wirklichkeit« gewaltsam zur Verantwortung zu ziehen, greift Aspekte der Dämon-Hypothese auf: »Tod der Dämonin Allegra Geller!«, ist ihr Schlachtruf, der der Spieledesignerin wiederholt entgegengeschleudert wird – und variiert auf höherer Ebene dann auch auf andere zielt. Die Bezeichnung »Dämon« ist in gleich vierfacher Weise gerechtfertigt: aufgrund der klassischen Dämon-Hypothese; aufgrund des Aspekts der Bösartigkeit, die mit dem Begriff heute oft verbunden ist; aufgrund der antiken neutralen Bezeichnung für göttliche Wesen, die sich im Starkult um die Spieledesigner spiegelt: Die Testvorführungen sowohl von eXistenZ als auch von transCendenZ finden in einer Kirche statt. Schließlich auch aufgrund des Status eines Demiurgen (eines »Handwerker-Gottes«), den der Designer gegenüber der von ihm geschaffenen Spielwelt einnimmt.7
Verformung der Wirklichkeit Die terroristischen Gegner der Spiele formulieren ein nicht nur erkenntnistheoretisches, sondern letztlich auch metaphysisches Problem: Die Spieler verlieren durch die »Verformung der Wirklichkeit« das Gefühl für die Realität, jene mit der Wahrnehmung natürlich verbundene intuitive Gewissheit, dass das, was wir wahrneh
7
Ironisch nimmt der Film auf die eben erwähnte mitrealisierende Rolle des Spielenutzers Bezug, wenn eines der im Film erwähnten Spiele den Namen SeiGott trägt.
286
Stefan Maeger
men, auch wirklich ist. Damit eröffnet der Film über die bisherigen philosophischen Dimensionen hinaus eine ethische Frageebene, die – wie eigentlich alles bisher Angesprochene – nicht nur ein mögliches zukünftiges, im Film vorweggenommenes Szenario betrifft, sondern auch schon auf aktuelle medienethische Probleme übertragbar ist. Unmittelbar anschließbar ist hier die Frage der Bewertung medialer Gewalt, die der Film ebenfalls auf unterschiedlichen Ebenen präsentiert und thematisiert.
Wessen Identität? Neben der Frage nach den erkenntnistheoretischen Implikationen der Situation der Spieler ist die der Identität sicherlich die drängendste. Pikuls Problem ist nicht nur der Verlust jener intuitiven Sicherheit, die Wahrnehmung und Wirklichkeit fest verbunden hält, sondern auch die Entkoppelung vom eigenen Körper, die das Betreten einer Spielebene hervorruft. Diese weitgehende Lösung des Konzepts personaler Identität von einer lebensgeschichtlich gesicherten Kontinuität der Körperlichkeit erzeugt bei Pikul ein wachsendes Gefühl von Verunsicherung bis hin zur Schizophrenie.
Biomorphe Technik Das Problem der Identität darf nicht losgelöst werden von der fragwürdigen Rolle der Technik in Cronenbergs Film. Der Film konfrontiert den Zuschauer von Beginn an mit einer surrealistischen Stilistik organischer Technik. So wird die nabelschnurartige Verdrahtung der »Gamepods« direkt an eine dafür operativ eingerichtete Öffnung am Rückgrat der Spieler angeschlossen (»Bioport«). Das technische Gerät wirkt wie eine Ausstülpung bzw. externe Erweiterung innerer Organe und besteht tatsächlich aus gezüchtetem organischem und neuronalem Material. Die durchaus mit dem Ekel der Zuschauer spielende biomorphe Optik der Technik wirkt wie eine symbolische Inszenierung des Problems der Entgrenzung von eigenem Körper und technischer Erweiterung, eine ironische Replik auf die anthropologischen Thesen von der Technik als Organersatz, -entlastung und -überbietung. In einer Schlüsselszene (Szene 10) steigert Cronenberg seine Symbolik der subversiven Wirkung der Technik auf die körperliche Integrität zu einem Horrorszenario körperlicher Entgrenzung: Der Versuch, eine Version der Gamepods, das Minipod, an den körpereigenen Bioport anzuschließen, führt völlig überraschend zum vollständigen Verschwinden des schlüpfrigen Geräts in der Wirbelsäulenöffnung, also zu einer nicht mehr willkürlich kontrollierbaren (irreversiblen?) Verschmelzung von Körper und Technik. Cronenberg zwingt den Betrachter in eine Reflexion, inwieweit die Gefahr solcher Abgrenzungsprobleme bereits am heutigen Stand der Technik ablesbar ist und inwieweit bereits irreversible Formen der Verschmelzung bestehen.
eXistenZ – Ein metaphysisches Spiegelkabinett
287
Was bleibt von »Pikul«? Die erste Frage wäre: Wer ist Pikul? Ein Avatar, eine virtuell realisierte WunschIdentität? Eine bloße Spielfigur, hinter der nur eine Programmierung steht? Eine Maskierung, hinter der sich unbeeindruckt ein souveränes Subjekt verbirgt? Wo liegen – kann man sich in medienkritischer Hinsicht fragen – die Unterschiede zum Vorgang der Identifikation mit einer Filmfigur? Pikuls »Tod« in transCendenZ steht in der Folgeszene »Pikuls« Lebendigkeit auf der höheren Ebene gegenüber. Wir brauchen scheinbar nicht die Irritationen des Verlusts der Identifikationsfigur zu erleiden. Aber der »Pikul« der Schlussszene passt kaum zu dem Pikul, mit dem wir während des bisherigen Films gelitten haben (auch wenn dieser genauso aussieht, was immerhin verwunderlich ist! 8). Der Übergang im Sinne einer Kontinuität personaler Identität ist ruckelig wie eine veraltete, schlecht verfugte Gleisstrecke.
M 1 Arbeitsanregungen und Szenenübersicht eXistenZ
eXistenZ eignet sich, um u. a. Fragen der personalen Identität, der Willensfreiheit, von Medien und Wirklichkeit oder der Medienethik in anregender Form im Oberstufen-Unterricht zu thematisieren. Der Film sollte – wenn auch mit Unterbrechungen – in jedem Falle ganz angeschaut werden. Schon nach der Eingangsszene können emotionale Reaktionen auf den Film artikuliert und besprochen werden. Sinnvoll ist eine Klärung der unterschiedlichen Ebenen des Films etwa mit Hilfe einer vorgegebenen Szenenübersicht zur Markierung der Übergänge und Festlegung der Ebenen (siehe folgende Seite). Die philosophischen Themen sollten gemeinsam erarbeitet werden. Es bietet sich an, in Gruppenarbeiten die Themen der Wahl anhand von Schlüsselszenen zu vertiefen. In Form von problematisierenden Fragestellungen können ausgehend von Filmszenen u. a. folgende Themen erschlossen und dann mittels weiterführender philosophischer Texte untersucht werden:
Was ist Wirklichkeit? Wie können wir überhaupt Wirklichkeit erkennen? Was bedeutet »Echtheit«?
Wann bin ich ich selbst? In welcher Beziehung stehen Körper und Geist? Was ist der Sinn von eXistenZ? – unserer Existenz?
Welche Spielräume haben die Personen im Film zur freien Entscheidung? Kann man durch ein Spiel glücklich werden? Unterscheiden sich Gefühle im Spiel von Gefühlen in der Realität? Ist es sinnvoll, Bedürfnisse virtuell zu befriedigen?
8
Das mag schlicht ein Zugeständnis Cronenbergs an produktionsästhetische Konventionen sein, kann aber auch als Spielcharakterzug ernst genommen werden und wirft dann die Frage auf, was sich eigentlich in personaler Hinsicht für den Spieler ändert.
Ebene 2 transCendenZ
2 Fluchtfahrzeug
Fleischpistole
Ebene 2 transCendenZ
13 Schlafzimmer
Ebene 2 transCendenZ
1 Kirche
Fleischpistole
Ebene 4 MicropodSpiel
12 Chinesisches Restaurant
Fleischpistole, Hund, DoppelkopfReptil
14 Chinesisches Restaurant
Ebene 4 MicropodSpiel
Fleischpistole
3 Lagerfeuer
Ebene 2 transCendenZ
15 Küche
Ebene 4 MicropodSpiel
4 Motel
Ebene 2 transCendenZ
16 Zuchtbecken
Ebene 4 MicropodSpiel
DoppelkopfReptil
5 Tankstelle
Ebene 2 transCendenZ
17 Spieleladen
Ebene 3 eXistenZ
6 Fluchtfahrzeug
Ebene 2 transCendenZ
Fleischpistole, Hund
18 Lagerraum
Ebene 3 eXistenZ
7 Skihütte
Ebene 2 transCendenZ
Szenenübersicht eXistenZ
19 Forellenfarm
Ebene 4 MicropodSpiel
8 Schlafzimmer
Ebene 2 transCendenZ
20 Schlafzimmer
Ebene 2 transCendenZ
9 Spieleladen
Ebene 3 eXistenZ
11 Forellenfarm
Ebene 4 MicropodSpiel
Fleischpistole, Hund
21 Schlachtfeld
(Fleisch-) Pistole, Hund
22 Kirche
Ebene 2 Ebene 1 transRealität (?) CendenZ (?)
10 Hinterzimmer
Ebene 3 eXistenZ
288 Stefan Maeger
eXistenZ – Ein metaphysisches Spiegelkabinett
289
Wie erscheint Wirklichkeit im Spiel, wie in den Medien? Was heißt es, sich mit einer Figur (in den Medien, in Spielen) zu identifizieren? Was bedeutet und wie erleben wir bzw. die Spieler Raum und Räumlichkeit in eXistenZ? Was bedeutet und wie erleben wir bzw. die Spieler Zeit und Zeitlichkeit in eXistenZ?
Was ist der Unterschied zwischen Gewalt im Spiel und Gewalt in Wirklichkeit? Wer ist verantwortlich? Darf der Mensch technisch soweit gehen, wie er kann? Wohin führt die Entwicklung von Mensch und Technik? Inwiefern ist der Mensch Schöpfer der Wirklichkeit? Die von den Schülern ausgewählten Schlüsselszenen können durch die entsprechenden Passagen des weitgehend dialogidentischen Romans eXistenZ9 unterstützt werden.10 Quelle: Maeger, Stefan: »Zwischen den Spiegeln. ›eXistenZ‹ – Sekundarstufe Il«, in: Ethik & Unterricht 20, 2009, Heft 3: Film, S. 45–49 (vom Autor für diesen Band überarbeitet).
9
10
Zur Romanfassung Novak, John Luther; Cronenberg, David: eXistenZ. Du bist das Spiel, übers. von Heuner, Almut, Ullstein Taschenbuch 24746, Ullstein Taschenbuch Verlag, Berlin 1999 liegt unterdessen – auch für den Oberstufenunterricht verwendbares – Unterrichtsmaterial vor, und zwar in dem Lehrwerk der Praktischen Philosophie Sistermann, Rolf (Hrsg.): weiterdenken, Ethik – Praktische Philosophie, Band B, Schroedel Verlag, Braunschweig 2009. Der Roman weicht in der Dramatisierung der Wirklichkeitsverschiebung und -verformung von der Filmdarstellung ab: Hier wird das beunruhigende und unerklärliche Auftreten von Nachbildern (»Spielablagerungen«) nach Verlassen der Spielebene zum Ausgangspunkt von existenziellen Zweifeln (vgl. Novak, John Luther; Cronenberg, David: eXistenZ. Du bist das Spiel, a. a. O., S. 166 f).
Filmographie für Philosophie und Ethik Martina Peters und Jörg Peters Filmtitel ... Jahr 2022 ... die über leben wollen
Ⓞ = Originaltitel Ⓡ = Regie Ⓛ = Länge
Thema / Themen
Ⓞ Soylent Green (USA 1973) Ⓡ Richard Fleischer Ⓛ 97 Min.
Moral | Natur und Technik
... und täglich grüßt das Murmeltier
Ⓞ Groundhog Day (USA 1992) Ⓡ Harold Ramis Ⓛ 101 Min.
Freiheit und Unfreiheit | Verantwortung und Gewissen | Wahrheit und Schein
12 Years a Slave
Ⓞ 12 Years a Slave (USA /GB 2013) Ⓡ Steve McQueen Ⓛ 134 Min.
Sklavenhandel | Sklaventum
1492 – Die Eroberung des Paradieses
Ⓞ 1492 – Conquest of Paradise (GB /F /E 1992) Ⓡ Ridley Scott Der Fremde | Mensch und Kosmos Ⓛ 155 Min.
1984
Ⓞ Nineteen Eighty-Four (GB 1984) Ⓡ Michael Radford Ⓛ 113 Min.
Staatstheorie | Sprache | Macht
2 Mio. $ Trinkgeld
Ⓞ It Could Happen to You (USA 1993) Ⓡ Andrew Bergman Ⓛ 101 Min.
Lust und Pflicht | Werte und Normen
2001: Odyssee durch den Weltraum
Ⓞ 2001: A Space Odyssey (GB 1965–68) Ⓡ Stanley Kubrick Ⓛ 139 Min. / 148 Min.
Technik | Evolution | Zeit | Sterben und Tod
21 Gramm
Ⓞ 21 Grams (USA 2003) Ⓡ Alejandro González Inárritu Ⓛ 125 Min.
Leben und Tod
25 Stunden
Ⓞ 25th Hour (USA 2002) Ⓡ Spike Lee Ⓛ 135 Min.
Identität | Gesellschaft
8 Blickwinkel
Ⓞ Vantage Point (USA 2008) Ⓡ Pete Travis Ⓛ 90 Min.
Wahrheit | Subjektivität
A Beautiful Mind – Genie und Wahnsinn
Ⓞ A Beautiful Mind (USA 2001) Ⓡ Ron Howard Ⓛ 124 Min.
Biographie
A History of Violence
Ⓞ A History of Violence (AUS /D 2005) Ⓡ David Cronenberg Ⓛ 96 Min.
Medien | Identität | Gewalt
A. I. – Künstliche Intelligenz
Ⓞ Artificial Intelligence: A. I. (USA 2000) Ⓡ Steven Spielberg Ⓛ 145 Min.
Mensch und Maschine | Moral
A Serious Man
Ⓞ A Serious Man (USA 2009) Ⓡ Joel Coen, Ethan Coen Ⓛ 105 Min.
Sinnsuche | Judentum
Accattone – Wer nie sein Brot mit Tränen aß
Ⓞ Accattone (I 1961) Ⓡ Pier Paolo Pasolini Ⓛ 117 Min.
Arbeit | Freiheit | Anthropologie | Politische Philosophie
Adams Äpfel
Ⓞ Adams æbler (DK /D 2005) Ⓡ Anders Thomas Jensen Ⓛ 94 Min.
Altes Testament konsequent gelebt in der Moderne
Alice im Wunderland
Ⓞ Alice’s Adventures in Wonderland (USA 1972) Ⓡ William Sterling Ⓛ 101 Min.
Sprache
292 Filmographie
Filmtitel
Ⓞ = Originaltitel Ⓡ = Regie Ⓛ = Länge
Thema / Themen
Alice im Wunderland
Ⓞ Alice in Wonderland (USA 2010) Ⓡ Tim Burton Ⓛ 108 Min.
Sprache | Wirklichkeit
All of Me
Ⓞ All of Me (D 1991) Ⓡ Bettina Wilhelm Ⓛ 76 Min.
Sexualität | Gender
Alle Farben des Lebens
Ⓞ About Ray (USA 2015) Ⓡ Gaby Dellal Ⓛ 87 Min.
Identität | Rollenbild | Gender/Geschlechterrollen
Allen geht’s gut
Ⓞ Stanno tutti bene (I /F /USA 1990) Ⓡ Guiseppe Tornatore Ⓛ 118 Min.
In der eigenen Welt leben | Lügen | Wirklichkeit
Alles eine Frage der Zeit
Ⓞ About Time (GB 2013) Ⓡ Richard Curtis Ⓛ 123 Min.
Zeitreisen | Weltverbesserung
Alles steht Kopf
Ⓞ Inside Out (USA 2015) Ⓡ Peter Docter, Ronnie del Carmen Ⓛ 142 Min.
Gefühle
Alles, was wir geben mussten
Ⓞ Never Let Me Go (GB /USA 2010) Ⓡ Mark Romannek Ⓛ 103 Min.
Erwachsen werden
Almanya – Willkommen in Deutschland
Ⓞ Almanya – Willkommen in Deutschland (D 2011) Ⓡ Yasemin Samdereli Ⓛ 101 Min.
Heimat | Verständigung zwischen Kulturen
Also sprach Bellavista
Ⓞ Così parlò Bellavista (I 1984) Ⓡ Luciano de Crescenzo Ⓛ 105 Min.
Diverse philosophische und ethische Themen
Am Anfang war das Feuer
Ⓞ La Guerre du feu / Quest for Fire (F /CAN 1981) Ⓡ Jean-Jaques Annaud Ⓛ 100 Min.
Evolution
American History X
Ⓞ American History X (USA 1998) Ⓡ Tony Kaye Ⓛ 119 Min.
Rassismus
Angriffsziel Moskau
Ⓞ Fail-Safe (USA 1964) Ⓡ Sidney Lumet Ⓛ 112 Min.
Entscheidungen treffen | Kategorischer Imperativ vs. Utilitarismus
Animal Farm
Ⓞ Animal Farm (USA 1999) Ⓡ John Stevenson Ⓛ 91 Min.
Staatsphilosophie | Ethik
Antonias Welt
Ⓞ Antonia (NL /B /GB 1995) Ⓡ Marleen Gorris Ⓛ 102 Min.
Anders sein | Sinn des Lebens
Antz
Ⓞ Antz (USA 1998) Ⓡ Eric Darnell, Tim Johnson Ⓛ 83 Min.
Staatsphilosophie | Gutes Handeln | Utopie
Apocalypse Now
Ⓞ Apocalypse Now (USA 1976–79) Ⓡ Francis Ford Coppola Ⓛ 153 Min.
Moral | Gewalt | Schuld und Sühne
Apollo 13
Ⓞ Apollo 13 (USA 1994) Ⓡ Ron Howard Ⓛ 140 Min.
Leben in Gemeinschaften | Achtung vor dem Leben | Nutzen und Risiko
Armageddon
Ⓞ Armageddon (USA 1998) Ⓡ Michael Bay Ⓛ 146 Min.
Natur und Technik
Aufstand der Tiere
Ⓞ Animal Farm (GB 1965) Ⓡ John Halas, Joy Batchelor Ⓛ 76 Min.
Staatsphilosophie | Ethik
Baader
Ⓞ Baader (D 2002) Ⓡ Christopher Roth Ⓛ 115 Min.
Terrorismus | Macht | Staat | Biographie
Babel
Ⓞ Babel (F /USA /MEX 2006) Ⓡ Alejandro Gonzáles Iñárritu Ⓛ 143 Min.
Kommunikation | Andere Kulturen verstehen
293
Philosophie und Ethik
Filmtitel
Ⓞ = Originaltitel Ⓡ = Regie Ⓛ = Länge
Thema / Themen
Babettes Fest
Ⓞ Babettes gæstebud (DK 1987) Ⓡ Gabriel Axel Ⓛ 102 Min.
Balance
Ⓞ Balance (D 1989) Ⓡ Christoph Lauenstein, Wolfgang Lauen- Egoismus | Angewiesensein auf Andere stein Ⓛ 7 Min.
Batman – The Dark Knight
Ⓞ The Dark Knight (USA /GB 2008) Ⓡ Christopher Nolan Ⓛ 152 Min.
Gut und Böse | moralische Dilemmata Drogen | Familie | Erwachsenwerden
Ben X
Ⓞ Beautiful Boy (USA 2018) Ⓡ Felix van Groeningen Ⓛ 121 Min. Ⓞ Being John Malkovich (USA 1999) Ⓡ Spike Jonze Ⓛ 113 Min. Ⓞ Ben X (B /NL 2007) Ⓡ Nic Balthazar Ⓛ 93 Min.
Blaise Pascal
Ⓞ Blaise Pascal (I /F 1971) Ⓡ Roberto Rossellini Ⓛ 135 Min.
Religion | Anthropologie | Natur und Technik
Bleep – What the Bleep do we (k)now? Ich weiß, dass ich nichts weiß
Ⓞ What the #$*! Do We (K)now (USA 2004) Ⓡ Mark Vincente, Betsy Chase, William Antz Ⓛ 109 Min.
Realität | Veränderungen | Determination
Blood Diamond
Ⓞ Blood Diamond (USA/ D 2007) Ⓡ Edward Zwick Ⓛ 137 Min. Bürgerkrieg | Ökonomie
Blow up
Ⓞ Blow-Up (GB 1966) Ⓡ Michelangelo Antonioni Ⓛ 111 Min.
Blue End Blue Eyed
Ⓞ Blue End (CH 2000) Ⓡ Kaspar Kasics Ⓛ 83 Min. Ⓞ Blue Eyed (D 1996) Ⓡ Bertram Verhaag Ⓛ 93 Min.
Blueprint
Ⓞ Blueprint (D 2003) Ⓡ Rolf Schübel Ⓛ 108 Min.
Gentechnik, Cloning | Identität
Bopha – Kampf um Freiheit
Ⓞ Bopha! (USA 1993) Ⓡ Morgan Freeman. Ⓛ 120 Min.
Rassismus | Die Anderen verstehen
Borat
Ⓞ Borat: Cultural Learnings of America for Make Benefit Glorious Nation of Kazakhstan (USA 2007) Ⓡ Larry Charles Ⓛ 84 Min.
Interkulturelle Philosophie
Boys don’t cry
Ⓞ Boys Don’t Cry (USA 1999) Ⓡ Kimberley Pierce Ⓛ 114 Min.
Identität, Gender/ Geschlechterrollen
Beautiful Boy Being John Malkovich
Der Andere | Altruismus
Der Andere Cyberwelt vs. reale Welt
Erkenntnistheorie | Ästhetik Gesetz und Internet Rassismus
Cartouche, der Bandit
Ⓞ The Butterfly Effect (USA 2004) Ⓡ Eric Bress, J. Mackye Gruber Ⓛ 113 Min. (TV-Miniserie) Ⓞ Carlos (F /D 2010) Ⓡ Olivier Assayas Ⓛ 330 Min. Ⓞ Cartouche (F /I 1962) Ⓡ Philippe de Broca Ⓛ 114 Min.
Cast Away – Verschollen
Ⓞ Cast Away (USA 2000) Ⓡ Robert Zemeckis Ⓛ 143 Min.
Leben auf einer einsamen Insel
Chicken run – Hennen rennen
Ⓞ Chicken Run (USA 2000) Ⓡ Peter Lord, Nick Park Ⓛ 84 Min.
Freiheit
Children of Men
Ⓞ Children of Men (JP/ GB/ USA 2006) Ⓡ Alfonso Cuarón Ⓛ 109 Min.
Gewalt | Staat
Citizen Kane
Ⓞ Citizen Kane (USA 1941) Ⓡ Orson Welles Ⓛ 117 Min.
Wirtschaftsethik | Glück | Medien
Butterfly Effect Carlos – der Schakal
Wiedererinnerung Terror Räuberbande | Ethik
294 Filmographie
Filmtitel City of God Club der Cäsaren
Ⓞ = Originaltitel Ⓡ = Regie Ⓛ = Länge Ⓞ Cidade de Deus (BRA /F /USA 2002) Ⓡ Fernando Meirelles, mit Unterstützung von Kátia Lund Ⓛ 128 Min. Ⓞ The Emperor’s Club (USA 2002) Ⓡ Michael Hoffman Ⓛ 109 Min.
Thema / Themen Leben in den Favelas Lüge | Wahrheit | moralisches Handeln
Code 46
Ⓞ Code 46 (GB 2003) Ⓡ Michael Winterbottom Ⓛ 92 Min.
Cloning | Genmanipulation
Collossus
Ⓞ Collusus: The Forbin Project (USA 1969) Ⓡ Joseph Sargent Ⓛ 100 Min.
Computer beherrschen den Menschen
Company Men
Ⓞ Company Men (USA 2010) Ⓡ John Wells Ⓛ 104 Min.
Arbeitslosigkeit | Rezession | Selbstwertgefühl
Contact
Ⓞ Contact (USA 1997) Ⓡ Robert Zemeckis Ⓛ 143 Min.
Mensch und Kosmos | Gottesbeweis
Contagion
Ⓞ Contagion (USA /VAE 2011) Ⓡ Steven Sonderbergh Ⓛ 106 Min.
Medizinethik
Crimson Tide – In tiefster Gefahr
Ⓞ Crimson Tide (USA 1995) Ⓡ Tony Scott Ⓛ 115 Min.
Klugheit
Critical Care – Sterben und erben
Ⓞ Critical Care (USA 1997) Ⓡ Sidney Lumet Ⓛ 107 Min.
Medizinethik
Cube
Ⓞ Cube (CAN 1999) Ⓡ Vincenzo Natali Ⓛ 87 Min.
Identität | Naturzustand
Dallas Buyers Club
Ⓞ Dallas Buyers Club (USA 2013) Ⓡ Jean-Mare Vallée Ⓛ 117 Min.
Aids
Dark Blue
Ⓞ Dark Blue (USA /GB /D 2002) Ⓡ Ron Shelton Ⓛ 118 Min.
Rassismus
Dark City
Ⓞ Dark City (AUS /USA 1998) Ⓡ Alex Proyas Ⓛ 96 Min.
Leib-Seele-Problematik
Das Beil von Wandsbek
Ⓞ Das Beil von Wandsbek (D 1981) Ⓡ Horst Königstein, Heinrich Breloer Ⓛ 149 Min.
Gewissen | Schuld und Sühne
Das Bildnis des Dorian Gray
Ⓞ Dorian Gray (GB 2009) Ⓡ Oliver Parker Ⓛ 112 Min.
Schönheit vs. Häss lichkeit | Altern | Hedonismus
Das Experiment
Ⓞ Das Experiment (D 2000) Ⓡ Oliver Hirschbiegel Ⓛ 120 Min.
Recht | Gewalt | Überwachung
Das Geheimnis der Geisha
Ⓞ Inju, la bête dans l’ombre (F /JP 2008) Ⓡ Barbet Schroeder Ⓛ 105 Min.
Manipulation | Fremde Kultur (Japan)
Das Glücksprinzip
Ⓞ Pay It Forward (USA 2000) Ⓡ Mimi Leder Ⓛ 123 Min.
Das Leben der Anderen
Ⓞ Das Leben der Anderen (D 2006) Ⓡ Florian Henckel von Donnersmarck Ⓛ 137 Min.
Bespitzelung | Staatliche Kontrolle | Selbsterkenntnis
Das Leben des Brian
Ⓞ Monty Python’s Life of Brian (GB 1979) Ⓡ Terry Jones Ⓛ 94 Min.
Religion | Religionskritik
Das Leben des David Gale
Ⓞ The Life of David Gale (USA 2003) Ⓡ Alan Parker Ⓛ 130 Min.
Todesstrafe
Das Meer in mir
Ⓞ Mar adento (E 2004) Ⓡ Alejandro Amenábar Ⓛ 125 Min.
Sterbehilfe | Lebenslust
Gutes Handeln
295
Philosophie und Ethik
Filmtitel
Ⓞ = Originaltitel Ⓡ = Regie Ⓛ = Länge
Thema / Themen
Das Osterman Weekend
Ⓞ The Osterman Weekend (USA 1983) Ⓡ Sam Peckinpah Ⓛ 103 Min.
Überwachung | Die Anderen | Selbsterkenntnis
Das Parfum – Geschichte eines Mörders
Ⓞ Perfume – The Story of a Murderer (D /F /E /USA 2006) Ⓡ Tom Tykwer Ⓛ 147 Min.
Ästhetik | Moral
Das Reich der Sonne
Ⓞ Empire of the Sun (USA 1987) Ⓡ Steven Spielberg Ⓛ 154 Min.
Der Andere
Das Schicksal ist ein mieser Verräter
Ⓞ The Fault in Our Stars (USA 2014) Ⓡ Josh Boone Ⓛ 126 Min.
Freundschaft | Mut | Liebe | Tod
Das siebente Siegel
Religionsphilosophie | Geschichtsphilosophie | Ⓞ Det sjunde inseglet (S 1957) Ⓡ Ingmar Bergman Ⓛ 96 Min. Sinn des Lebens | Tod | Gottesbeweis
Das Spiel ist aus
Ⓞ Les jeux sont faits (F 1947) Ⓡ Jean Delannoy Ⓛ 105 Min.
Liebe
Das Streben nach Glück
Ⓞ The Pursuit of Happiness (USA 2006) Ⓡ Gabriele Muccino Ⓛ 117 Min.
Glück
Das Urteil von Nürnberg
Ⓞ Judgement at Nuremberg (USA 1961) Ⓡ Stanley Kramer Ⓛ 179 Min.
Täter – Opfer | Gerechtigkeit | Verantwortung
Dead Man
Ⓞ Dead Man (F 1995) Ⓡ Jim Jarmusch Ⓛ 121 Min.
Technik
Dead Man Walking – Sein letzter Gang
Ⓞ Dead Man Walking (USA 1995) Ⓡ Tim Robbins Ⓛ 122 Min.
Tod | Todesstrafe
Déjà vu – Wettlauf gegen die Zeit
Ⓞ Déjà vu (USA /GB 2007) Ⓡ Tony Scott Ⓛ 126 Min.
Schein und Wirklichkeit | Geist und Gehirn
Delphinsommer
Ⓞ Delphinsommer (D 2005) Ⓡ Jobst Oetzmann Ⓛ 86 Min.
Sekten
Demolition Man
Ⓞ Demolition Man (USA 1993) Ⓡ Marco Brambilla Ⓛ 115 Min. diktatorisch-friedliche
Verbrecher gelangt in Welt Der 200 Jahre Mann
Ⓞ The Bicentennial Man (USA 1999) Ⓡ Chris Columbus Ⓛ 126 Min.
Technik | Erkenntnistheorie | Identität
Der Baader Meinhof Komplex
Ⓞ Der Baader Meinhof Komplex (D 2008) Ⓡ Uli Edel Ⓛ 150 Min.
Terror
Der Blade Runner
Ⓞ The Blade Runner (USA 1982) Ⓡ Ridley Scott Ⓛ 117 Min.
Der Fremde
Der Blick des Odysseus
Ⓞ To vlemma tou Odyssea (F /I 1995) Ⓡ Theodoros Angelo poulos Ⓛ 176 Min.
Politische Philosophie | Zeichentheorie
Der Club der toten Dichter
Ⓞ Dead Poets Society (USA 1988) Ⓡ Peter Weir Ⓛ 128 Min.
Hedonismus
Der Dummschwätzer
Ⓞ Liar Liar (USA 1997) Ⓡ Tom Shadyac Ⓛ 86 Min.
Wahrheit und Lüge | Vertrauen
Der Elefantenmensch
Ⓞ The Elephant Man (USA 1980) Ⓡ David Lynch Ⓛ 124 Min.
Der Andere
Der englische Patient
Ⓞ The English Patient (USA/GB 1996) Ⓡ Anthony Minghella Ⓛ 162 Min.
Der Andere | Mitleid | Hilfe
296 Filmographie
Filmtitel
Ⓞ = Originaltitel Ⓡ = Regie Ⓛ = Länge
Thema / Themen
Der fremde Sohn
Ⓞ Changeling (USA 2008) Ⓡ Clint Eastwood Ⓛ 141 Min.
Verschwundener Sohn wird durch ein anderes Kind ersetzt
Der große Crash
Ⓞ Margin Call (USA 2011) Ⓡ J. C. Handor Ⓛ 107 Min.
Finanzkrise
Der Hauptmann von Köpenick
Ⓞ Der Hauptmann von Köpenick (D 1956) Ⓡ Helmut Käutner Ⓛ 93 Min.
Macht | Autorität | Selbst- und Fremd wahrnehmung
Der Herr der Ringe I
Ⓞ The Lord of the Rings (USA 2001) Ⓡ Peter Jackson Ⓛ 171 Min.
Freundschaft
Der Himmel wird warten
Ⓞ Le ciel attendra (CH 2016), Ⓡ Marie-Castille Mention-Schaar, Staat | Medienethik | Ⓛ 105 Min.
Der Ja-Sager
Ⓞ Yes Man (USA /AUS 2008) Ⓡ Peyton Reed Ⓛ 104 Min.
Sein und Schein
Der Junge im gestreiften Pyjama
Ⓞ The Boy in the Striped Pyjamas (GB /USA 2008) Ⓡ Mark Herman Ⓛ 94 Min.
Wahrheit | Juden im KZ
Der junge Karl Marx
Ⓞ Le jeune Karl Marx (D /F /B 2017) Ⓡ Raoul Peck Ⓛ 118 Min. Biographie
Der Krieg des Charlie Wilson
Ⓞ Charlie Wilson’s War (USA 2007) Ⓡ Mike Nichols Ⓛ 102 Min.
Radikale Haltung gegenüber Fremden
Der Krieger und die Kaiserin
Ⓞ Der Krieger + die Kaiserin (D 2000) Ⓡ Tom Tykwer Ⓛ 135 Min.
Liebe | Erlösung
Der Mann in der Schlangenhaut
Ⓞ The Fugative Kind (USA 1960) Ⓡ Sidney Lumet Ⓛ 119 Min.
Rassismus und Gewalt
Der Maschinist
Ⓞ The Machinist (USA 2004) Ⓡ Brad Anderson Ⓛ 101 Min.
Gewissen
Der Omega Mann
Ⓞ The Omega Man (USA 1971) Ⓡ Boris Sagal Ⓛ 98 Min.
Überleben nach einer bakteriologischen Katastrophe
Der Patriot
Ⓞ The Patriot (USA 2000) Ⓡ Roland Emmerich Ⓛ 158 Min.
Gewalt | Freiheit
Der Rasenmähermann
Ⓞ The Lawnmower Man (GB /USA /JP 1992) Ⓡ Brett Leonard Ⓛ 107 Min.
Wissenschaftler steigert die Intelligenz eines geistig zurückgeblie benen Mannes mit verheerenden Folgen
Der Richter und sein Henker
Ⓞ Der Richter und sein Henker (D /I 1975) Ⓡ Maximilian Schell Moral | Schuld und Sühne Ⓛ 92 Min.
Der seltsame Fall des Benjamin Button
Ⓞ The Strange Case of Benjamin Button (USA 2008) Ⓡ David Fincher Ⓛ 166 Min.
Zeit | Umgang mit dem Anderen
Der Sinn des Lebens
Ⓞ The Meaning of Life (GB 1982) Ⓡ Terry Jones Ⓛ 112 Min.
Hedonismus
Der Soldat James Ryan
Ⓞ Private Ryan (USA 1998) Ⓡ Steven Spielberg Ⓛ 169 Min.
Krieg
Der Staatsfeind Nr. 1
Ⓞ Enemy of the State (USA 1998) Ⓡ Tony Scott Ⓛ 131 Min.
Freiheit | Macht
Der Tag danach
Ⓞ The Day after (USA 1983) Ⓡ Nicholas Meyer Ⓛ 127 Min.
Leben nach einem atomaren Angriff
Terrorismus | Islamischer Sinn des Lebens
297
Philosophie und Ethik
Filmtitel Der Tag, an dem die Erde stillstand Der Teufel trägt Prada
Ⓞ = Originaltitel Ⓡ = Regie Ⓛ = Länge Ⓞ The Day the Earth Stood Still (USA /CAN 2008) Ⓡ Scott Derrickson Ⓛ 109 Min. Ⓞ The Devil Wears Prada (USA 2006) Ⓡ David Frankel Ⓛ 109 Min.
Thema / Themen Frieden Mode
Der Untergang
Ⓞ Der Untergang (D 2004) Ⓡ Oliver Hirschbiegel Ⓛ 155 Min.
Diktatur | Faschismus | Krieg
Der Untertan
Ⓞ Der Untertan (DDR 1951) Ⓡ Wolfgang Staudte Ⓛ 104 Min.
Macht | Autorität | Identität
Der Vorleser
Ⓞ The Reader (USA /D 2008) Ⓡ Stehen Daldry Ⓛ 124 Min.
Liebe | Schuld
Der Wolfsjunge
Ⓞ L’Enfant sauvage (F 1969) Ⓡ Francois Truffaut Ⓛ 83 Min.
Anthropologie | Die Frage nach dem Selbst | Moral | Sprache
Derrida
Ⓞ Derrida (USA 2003) Ⓡ Kirby Dick Amy Ziering Kofman Ⓛ 84 Min.
Biographie
Des Teufels General
Ⓞ Des Teufels General (D 1955) Ⓡ Helmut Käutner Ⓛ 117 Min.
Moral | Schuld und Sühne | Verantwortung
Descartes Deutschland im Herbst Die Bestimmung Die Brücke am Kwai Die Entdeckung der Unendlichkeit Die Entdeckung des Himmels Die Ewigkeit und ein Tag Die Fälscher Die Farbe Lila Die fetten Jahre sind vorbei Die Haut, in der ich wohne Die Insel Die Invasion der Babaren Die Jury Die Kinder des Monsieur Matthieu
Ⓞ Descartes / Cartesius (I /F 1973) Ⓡ Roberto Rossellini Ⓛ 162 Min. Ⓞ Deutschland im Herbst (D 1978) Ⓡ Rainer Werner Fass binder, Alf Brustellin Ⓛ 123 Min. Ⓞ Divergent (USA 2014) Ⓡ Neil Burger Ⓛ 139 Min. Ⓞ The Bridge on the River Kwai (GB 1957) Ⓡ David Lean Ⓛ 170 Min. Ⓞ The Theory of Everything (USA 2014) Ⓡ James Marsh Ⓛ 123 Min. Ⓞ The Discovery of Heaven (GB /NL 2001) Ⓡ Jeroen Krabbé Ⓛ 150 Min. Ⓞ Mia aioniotita kai mia mera (GR /F /I 1998) Ⓡ Theo Angelopoulos Ⓛ 132 Min. Ⓞ Die Fälscher (D /A 2007) Ⓡ Stefan Ruzowitzky Ⓛ 98 Min. Ⓞ The Color Purple (USA 1986) Ⓡ Steven Spielberg Ⓛ 154 Min. Ⓞ Die fetten Jahre sind vorbei (D /A 2004) Ⓡ Hans Weingärtner Ⓛ 127 Min. Ⓞ La piel que habito (E 2011) Ⓡ Pedro Almodóvar Ⓛ 120 Min. Ⓞ The Island (USA 2005) Ⓡ Michael Bay Ⓛ 136 Min. Ⓞ Les Invasions Barbares (CAN /F 2003) Ⓡ Denys Arcand Ⓛ 99 Min. Ⓞ A Time to Kill (USA 1996) Ⓡ Joel Schumacher Ⓛ 149 Min. Ⓞ Les Choristes (F /CH /D 2004) Ⓡ Christophe Barratier Ⓛ 97 Min.
Natur und Technik | Erkenntnistheorie Gerechtigkeit | Rechtsphilosophie Dystopie Tod Stephen-HawkingBiographie Wille | Macht Gottes Verlust der Heimat Fälschung | NS-Zeit Moral | Frage nach dem Anderen | Sinn des Lebens Terrorismus (RAF) Identität Cloning Sterben Selbstjustiz Erziehung durch Musik
298 Filmographie
Filmtitel
Ⓞ = Originaltitel Ⓡ = Regie Ⓛ = Länge
Thema / Themen
Die Klapperschlange
Ⓞ Escape from New York (USA 1981) Ⓡ John Carpenter Ⓛ 99 Min.
Recht | Macht | Natur zustandstheorie | Gewalt
Die Klasse
Ⓞ Entre les murs (F 2008) Ⓡ Laurent Cantet Ⓛ 128 Min.
Migration | Konfronta tion in Multi-Kulti-Viertel
Die Kommissarin
Ⓞ Komissar (RUS 1967) Ⓡ Aleksandr Askoldov Ⓛ 110 Min.
Politische Philosophie | Individuum und Gesellschaft
Die Landung auf dem Mond – Apollo 11
Ⓞ Footprints on the Moon – Apollo 11 (USA 1969) Ⓡ Bill Gibson Ⓛ 206 Min.
Kosmologie
Die letzte Nacht des Boris Gruschenko
Ⓞ Love and Death (USA 1974) Ⓡ Woody Allen Ⓛ 85 Min.
Gotteskritik | Tod | Leben | Liebe | Tyrannenmord
Die Mitte der Welt
Ⓞ Die Mitte der Welt (D 2016) Ⓡ Jakob M. Erwa Ⓛ 115 Min.
Erwachsen werden | Homosexualität
Die Möwe Jonathan Die Ritter der Kokosnuss
Ⓞ Jonathan Living Seagull (USA 1973) Ⓡ Hall Bartlett Ⓛ 120 Min. Ⓞ Monty Python and the Holy Grail (GB 1974) Ⓡ Terry Jones, Terry Gilliam Ⓛ 92 Min.
Freiheit | Regeln | Anderssein Tugend | Wissen
Die rote Zora
Ⓞ Die rote Zora (D /S 2008) Ⓡ Peter Kahane Ⓛ 99 Min.
Mut | Auflehnung gegen Mächtige
Die RotkäppchenVerschwörung
Ⓞ Hoodwinked (USA 2005) Ⓡ Carey Edwards Ⓛ 80 Min.
Lüge und Wahrheit
Die Rückkehr
Ⓞ Vozvrashchenie (RUS 2003) Ⓡ Andrey Zvyagintsev Ⓛ 110 Min.
Religionsphilosophie | Sinnfrage | Tod Gottes
Die totale Erinnerung – Total Recall
Ⓞ Total Recall (USA 1990) Ⓡ Paul Verhoeven Ⓛ 113 Min.
Identität
Die Tribute von Panem
Ⓞ The Hunger Games (USA 2012) Ⓡ Gary Ross Ⓛ 142 Min.
Naturzustand
Die Truman Show
Ⓞ The Truman Show (USA 1998) Ⓡ Peter Weir Ⓛ 103 Min.
Freiheit | Erkenntnis theorie | Medienkritik
Die unendliche Geschichte Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins Die Unfassbaren – Now You See Me Die verlorene Ehre der Katharina Blum Die Verurteilten Die Vorstadtkrokodile Die Welle
Ⓞ Die unendliche Geschichte (D /USA 1983) Ⓡ Wolfgang Petersen Ⓛ 94 Min. Ⓞ The Unbearable Lightness of Being (USA 1988) Ⓡ Philip Kaufman Ⓛ 171 Min.
Phantasie | Traum | Wirklichkeit
Ⓞ Now You See Me (USA 2013) Ⓡ Louis Leterrier Ⓛ 115 min
Erkenntnistheorie
Ⓞ Die verlorene Ehre der Katharina Blum (D 1975) Ⓡ Volker Schlöndorff, Margarthe von Trotta Ⓛ 106 Min. Ⓞ The Shawshank Redemption (USA 1994) Ⓡ Frank Darabont Ⓛ 142 Min. Ⓞ Die Vorstadtkrokodile (D 1977) Ⓡ Wolfgang Becker Ⓛ 88 Min. Ⓞ Die Welle (D 2008) Ⓡ Demir Gansel Ⓛ 107 Min. Ⓞ The Wave (USA 1981) Ⓡ Alexander Grasshoff Ⓛ 44 Min.
Lebensphilosophie
Medien | Manipulation Freiheit in Unfreiheit Umgang mit anderen Autorität | Gehorsam | Totalitarismus
299
Philosophie und Ethik
Filmtitel
Ⓞ = Originaltitel Ⓡ = Regie Ⓛ = Länge
Thema / Themen
Die Wiege der Sonne
Ⓞ Rising Sun (USA 1993) Ⓡ Philip Kaufman Ⓛ 125 Min.
Wahrheit und Lüge | Fälschung
Die Zeitmaschine
Ⓞ The Time Machine (USA 1959) Ⓡ George Pal Ⓛ 103 min
Zeit
Die zwölf Geschworenen
Ⓞ Twelve Angry Men (USA 1957) Ⓡ Sidney Lumet Ⓛ 96 Min.
Gerechtigkeit | Wahrheit
Dienstags bei Morrie
Ⓞ Tuesdays with Morrie (USA 1999) Ⓡ Mick Jackson Ⓛ 89 Min.
Tod | Sinn des Lebens | Moral | Der Andere
Dieses obskure Objekt der Begierde
Ⓞ Cet obscur objet du désir (F 1977) Ⓡ Luis Buñue Ⓛ 103 Min.
Politische Philosophie | Sozialphilosophie | Freud
Dogma
Ⓞ Dogma (USA 1999) Ⓡ Kevin Smith Ⓛ 130 Min.
Religiöse Dogmen
Dogville
Ⓞ Dogville (D /DK /S /N /FIN /GB /NL /F 2003) Ⓡ Lars von Trier Ⓛ 178 Min.
Freiheit | Selbstbestimmung | Politische Philosophie | Rechtsphilosophie | Sozialphilosophie | Ethik
Donnie Darko – Fürchte die Dunkelheit
Ⓞ Donnie Darko (USA 2001) Ⓡ Richard Kelly Ⓛ 113 Min.
Raum und Zeit | Moral | Erwachsen werden
Down by Law
Ⓞ Down by Law (F 1986) Ⓡ Jim Jarmusch Ⓛ 107 Min.
Wahrheit
Dr. Seltsam oder Wie ich die Ⓞ Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Bombe zu lieben lernte Love the Bomb (USA 1964) Ⓡ Stanley Kubrick Ⓛ 93 Min.
Krieg und Frieden
Drachenläufer
Ⓞ The Kite Runner (USA 2007) Ⓡ Marc Forster Ⓛ 128 Min.
Terrorismus | Freundschaft | Kulturelle Unterschiede
Dreizehn
Ⓞ Thirteen (USA 2003) Ⓡ Catherine Hardwicke Ⓛ 95 Min.
Suche nach dem Platz im Leben
Dunkle Erleuchtung
Ⓞ The Rapture (USA 1991) Ⓡ Michael Tolkin Ⓛ 100 Min.
Wiedergeburt
E. T. – Der Außerirdische
Ⓞ E. T. – The Extraterrestrial (USA 1982) Ⓡ Steven Spielberg Ⓛ 115 Min.
Identität | Kosmologie | Frage nach dem Anderen | Freundschaft
Easy Rider
Ⓞ Easy Rider (USA 1969) Ⓡ Dennis Hopper Ⓛ 95 Min.
Freiheit
EDtv
Ⓞ Ed TV (USA 1998) Ⓡ Ron Howard Ⓛ 122 Min.
Frage nach dem Selbst | Freiheit | Erkenntnis theorie | Medienkritik
Ein kurzer Film über das Töten
Ⓞ Krótki film o zabijaniu (PL 1988) Ⓡ Krzysztof Kieslowski Ⓛ 84 Min.
Rechtsphilosophie | politische Philosophie | Gerechtigkeit | Gewalt | Todesstrafe
Ein kurzer Film über die Liebe
Ⓞ Krótki film o milosci (E 1988) Ⓡ Krzysztof Kieslowski Ⓛ 87 Min.
Anthropologie | Liebe und Partnerschaft
Ein Lied von Liebe und Tod – Gloomy Sunday
Ⓞ Ein Lied von Liebe und Tod – Gloomy Sunday (D /H 1999) Ⓡ Rolf Schübel Ⓛ 108 Min.
Macht | Freundschaft | Liebe
Ein Mann zu jeder Jahreszeit
Ⓞ A Man for All Seasons (GB 1966) Ⓡ Fred Zinnemann Ⓛ 120 Min.
Biographie zu Thomas Morus | Moral | Staatsphilosophie
300 Filmographie
Filmtitel
Ⓞ = Originaltitel Ⓡ = Regie Ⓛ = Länge
Thema / Themen
Ein unmoralisches Angebot
Ⓞ Indecent Proposal (USA 1992) Ⓡ Adrian Lyne Ⓛ 117 Min.
Moral | Werte
Eine unbequeme Wahrheit
Ⓞ An Inconvenient Truth (USA 2006) Ⓡ Davis Guggenheim Ⓛ 100 Min.
Klima
Einer flog übers Kuckucksnest
Ⓞ One Flew Over the Cuckoo’s Nest (USA 1975) Ⓡ Milos Forman Ⓛ 130 Min.
Außenseitertum | Identität | Despotie
Einsame Entscheidung
Ⓞ Executive Decision (USA 1996) Ⓡ Stuart Baird Ⓛ 133 Min.
Utilitarismus
Elisabeth Kübler-Ross – Dem Tod ins Gesicht sehen
Ⓞ Elisabeth Kübler-Ross – Dem Tod ins Gesicht sehen (CH 2002) Ⓡ Stefan Haupt Ⓛ 98 Min.
Biographie | Sterbeforschung
Emmas Glück
Ⓞ Emmas Glück (D 2006) Ⓡ Sven Taddicken Ⓛ 99 Min.
Tod
Ender’s Game – Das große Spiel
Ⓞ Ender’s Game (USA /CAN /GB 2013) Ⓡ Gavin Hood Ⓛ 114 Min.
Medien | Computer spiele | Krieg
Enemy Mine
Ⓞ Enemy Mine (USA 1985) Ⓡ Wolfgang Petersen Ⓛ 108 Min.
Feindschaft – Freundschaft
Equilibrium
Ⓞ Equilibrium (USA 2002) Ⓡ Kurt Wimmer Ⓛ 107 Min.
Despotie | Glück – Unglück | Gefühle
Erin Brockovich
Ⓞ Erin Brockovich (USA 2000) Ⓡ Steven Sonderbergh Ⓛ 126 Min.
Ökologie
Eva
Ⓞ Eva (D 2011) Ⓡ Kiko Maîlle Ⓛ 94 Min.
Künstliche Intelligenz
Eve und der letzte Gentleman
Ⓞ Blast from the Past (USA 1999) Ⓡ Hugh Wilson Ⓛ 103 Min.
Identität | Umgang mit Kultur
Everybody’s Fine
Ⓞ Everybody’s Fine (USA /I 2009) Ⓡ Kirk Jones Ⓛ 99 Min.
In der eigenen Welt leben | Lügen | Wirklichkeit
Ex_Machina
Ⓞ Ex Machina (GB 2015) Ⓡ Alex Garland Ⓛ 108 Min.
Künstliche Intelligenz | Turing Test
Existenz
Ⓞ eXistenZ (CAN /F /GB 1999) Ⓡ David Cronenberg Ⓛ 93 Min.
Schein und Wirklichkeit | Cyberspace
Expelled: No intelligence allowed
Ⓞ Expelled: No Intelligence Allowed (USA 2008) Ⓡ Nathan Frankowski Ⓛ 90 Min.
Darwinismus | Kreationismus
Faculty – Traue keinem Lehrer
Ⓞ The Faculty (USA 1998) Ⓡ Robert Rodriguez Ⓛ 102 Min.
Identität
Fahrenheit 451
Ⓞ Fahrenheit 451 (GB 1966) Ⓡ Francois Truffaut Ⓛ 113 Min.
Staatstheorie | Gewalt | Freiheit
Fail Safe – Befehl ohne Ausweg
(TV Produktion) Ⓞ Fail Safe (USA 2000) Ⓡ Stephen Frears Ⓛ 86 Min.
Kategorischer Imperativ vs. Utilitarismus
Fair Play – Spiel ohne Regeln
Ⓞ Fair Play (F 2006) Ⓡ Lionel Baillin Ⓛ 103 Min.
Ökonomie
Fickende Fische
Ⓞ Fickende Fische (D 2002) Ⓡ Almut Getto Ⓛ 104 Min.
Liebe | Aids
Fight Club
Ⓞ Fight Club (USA /D 1999) Ⓡ David Fincher Ⓛ 139 Min.
Personale Identität
Final Destination
Ⓞ Final Destination (USA 2000) Ⓡ James Wong Ⓛ 95 Min.
Tod
Five Fingers
Ⓞ Five Fingers (USA 2006) Ⓡ Laurence Malkin Ⓛ 87 Min.
Islamischer Terror
301
Philosophie und Ethik
Filmtitel
Ⓞ = Originaltitel Ⓡ = Regie Ⓛ = Länge
Thema / Themen
Flatliners – Heute ist ein schöner Tag zum Sterben
Ⓞ Flatliners (USA 1990) Ⓡ Joel Schumacher Ⓛ 115 Min.
Leben nach dem Tod
Fleisch
Ⓞ Fleisch (D 1979) Ⓡ Rainer Erler Ⓛ 114 Min.
Medizinethik | Wirtschaftsethik
Flucht ins 23. Jahrhundert
Ⓞ Logan’s Run (USA 1976) Ⓡ Michael Anderson Ⓛ 117 Min.
Freiheit | Vergötzung von Jugend
Forrest Gump
Ⓞ Forrest Gump (USA 1993) Ⓡ Robert Zemeckis Ⓛ 142 Min.
Identität | Sinn des Lebens | gutes Handeln
Frankenstein
Ⓞ The Man Who Made a Monster (USA 1931) Ⓡ James Whale Ⓛ 71 Min. Ⓞ Frankenstein (GB /JP /USA 1994) Ⓡ Kenneth Branagh Ⓛ 123 Min.
Technik | der perfekte Mensch | Moral | Macht
Free Guy
Ⓞ Free Guy (USA 2015) Ⓡ Shawn Levy Ⓛ 115 Min.
Virtualität | Gaming | Schein und Wirklichkeit
Free Rainer
Ⓞ Free Rainer (D 2007) Ⓡ Heinz Weingartner Ⓛ 130 Min.
Manipulation | TV
Freedom Writers
Ⓞ Freedom Writers (D/USA 2007) Ⓡ Richard LaGravenese Ⓛ 123 Min.
Identität
Fremder Freund
Ⓞ Fremder Freund (D 2003) Ⓡ Elmar Fischer Ⓛ 105 Min.
Freundschaft | Terrorismus | 9/11
Frost / Nixon
Ⓞ Frost / Nixon (USA 2008) Ⓡ Ron Howard Ⓛ 122 Min.
Watergate-Skandal | Medien
Full Metal Jacket
Ⓞ Full Metal Jacket (GB /USA 1987) Ⓡ Stanley Kubrick Ⓛ 116 Min.
Identität | Gewalt | Krieg
Fünf Uhr am Nachmittag
Ⓞ Panj é asr (F 2003) Ⓡ Samira Makhmalbaf Ⓛ 105 min
Politische Philosophie | Genderfrage
Für das Leben eines Freundes
Ⓞ Return to Paradise (USA 1998) Ⓡ Joseph Ruben Ⓛ 111 Min. Drogen | Todesstrafe
Galileo
Ⓞ Galileo (GB /CAN 1974) Ⓡ Joseph Losey Ⓛ 145 Min.
Kosmologie | Religion | Technik | Freiheit
Gandhi
Ⓞ Gandhi (GB /I /IND 1981) Ⓡ Richard Attenborough Ⓛ 188 Min.
Macht | Freiheit | Der Andere | Religion | Gewalt
Garden State
Ⓞ Garden State (USA 2004) Ⓡ Zach Braff Ⓛ 102 Min.
Jemandem hilfreich zur Seite stehen
Gattaca
Ⓞ Gattaca (USA 1997) Ⓡ Andrew Niccol Ⓛ 112 Min.
Staatstheorie | Gentechnologie | Identität
Geboren 1999
Ⓞ Geboren 1999 (D 1992) Ⓡ Kai Wessel Ⓛ 90 Min.
Gentechnik | Moral
Gegen die Zeit
Ⓞ Nick of Time (USA 1995) Ⓡ John Badham Ⓛ 90 Min.
Dilemma: einen Politiker töten, um die eigene Tochter zu retten
Geheime Staatsaffären
Ⓞ L’Ivresse du pouvoir (F /D 2006) Ⓡ Claude Chabrol Ⓛ 110 Min.
Korruptionsaffäre der Ölgesellschaft Elf
302 Filmographie
Filmtitel
Ⓞ = Originaltitel Ⓡ = Regie Ⓛ = Länge
Thema / Themen
Ghost in the Shell
Ⓞ Kôkaku Kidôtai (J 1995) Ⓡ Manom Oskii Anime Ⓛ 83 Min. Computer | Technologie | Ⓞ Ghost in the Shell (USA 2017) Ⓡ Rupert Sanders Ⓛ 107 Min. Hacking
Giant Little Ones
Ⓞ Giant Little Ones (CAN 2018) Ⓡ Keith Behrman Ⓛ 93 Min.
Freundschaft | Pubertät | Gender/Geschlechter rollen | Mobbing
Glaubensfrage
Ⓞ Doubt (USA 2008) Ⓡ John Patrick Shanley Ⓛ 104 Min.
Konflikt um Glauben | Macht | Autorität
Good Will Hunting
Ⓞ Good Will Hunting (USA 1997) Ⓡ Gus Van Sant Ⓛ 126 Min.
Identität | Gutes Handeln
Gottes vergessene Kinder
Ⓞ Children of a Lesser God (USA 1986) Ⓡ Ruanda Haines Ⓛ 119 Min.
Sprache | Verstehen und Begreifen | Behinderung
Gran Paradiso
Ⓞ Gran Paradiso (D 2000) Ⓡ Miguel Alexandre Ⓛ 102 Min.
Behinderung | Umgang mit dem Anderen
Gran Torino
Ⓞ Gran Torino (USA /D /AUS 2008) Ⓡ Clint Eastwood Ⓛ 116 Min.
Rassismus | Verständnis gegenüber anderen Kulturen
Hannah Arendt
Ⓞ Hannah Arendt (D 2012) Ⓡ Margarethe von Trotta Ⓛ 113 Min.
Biographie
Hard Candy
Ⓞ Hard Candy (USA 2005) Ⓡ David Slade Ⓛ 104 Min.
Pädophilie und Selbst justiz
Harold und Maud
Ⓞ Harold and Maude (USA 1971) Ⓡ Hal Ashby Ⓛ 91 Min.
Sinn des Lebens
Harry außer sich
Ⓞ Deconstructing Harry (USA 1997) Ⓡ Woody Allen Ⓛ 96 Min.
Freunde werden zu Feinden
Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück
Ⓞ Hector and the Search for Happiness (D /CAN /SA /USA 2014) Ⓡ Peter Chelsom Ⓛ 120 Min.
Glück
Her
Ⓞ Her (USA 2013) Ⓡ Spike Jonze Ⓛ 126 Min.
Beziehung zwischen Mensch und Maschine
Herr der Fliegen
Ⓞ Lord of the Flies (GB 1964) Ⓡ Peter Brook Ⓛ 92 Min. Ⓞ Lord of the Flies (USA 1990) Ⓡ Harry Hook Ⓛ 90 Min.
Freiheit | Macht | Staatstheorie
Highlander – Es kann nur einen geben
Ⓞ Highlander (USA 1985) Ⓡ Russell Mulcahy Ⓛ 116 Min.
Raum und Zeit | Gut und Böse
Hilary & Jackie
Ⓞ Hilary and Jackie (GB 1998) Ⓡ Anand Tucker Ⓛ 121 Min.
Zusammenhalt | die Frage nach dem Anderen
Hin und weg
Ⓞ Hin und weg (D 2014) Ⓡ Christian Zübet Ⓛ 95 Min.
Sterbehilfe
Hinter dem Horizont
Ⓞ What Dreams May Come (USA /NZL 1998) Ⓡ Vincent Ward Ⓛ 113 Min.
Leben nach dem Tod | Leib-Seele-Problematik
Hitlerjunge Salomon
Ⓞ Europa Europa (D /F /PL 1989) Ⓡ Agnieszka Holland Ⓛ 113 Min.
Identität | Lüge und Wahrheit
Hollow Man
Ⓞ Hollow Man (USA 2000) Ⓡ Paul Verhoeven Ⓛ 110 Min.
Gefahr durch Wissenschaft
Hotel Ruanda
Ⓞ Hotel Rwanda (GB /USA /I /SA 2004) Ⓡ Terry George Ⓛ 121 Min.
Zivilcourage
303
Philosophie und Ethik
Filmtitel
Ⓞ = Originaltitel Ⓡ = Regie Ⓛ = Länge
Thema / Themen
Hugo Cabret
Ⓞ Hugo (USA 2011) Ⓡ Martin Scorsese Ⓛ 126 Min.
Mechanisches Menschenbild | Freundschaft | Film und Wirklichkeit
Hunger
Ⓞ Hunger (F 2008) Ⓡ Steve McQueen Ⓛ 96 min
Politische Philosophie | Rechtsphilosophie
Hüter der Erinnerung
Ⓞ The Giver (SA /CAN /USA 2014), Ⓡ Phillipe Noyce Ⓛ 97 Min.
Dystopie | Realität
I ♥ Huckabees
Ⓞ I Heart Huckabees (USA /D 2004) Ⓡ David O. Russell Ⓛ 107 Min.
Sinn des Lebens | Anthropologie
I wie Ikarus
Ⓞ I ... comme Icare (F 1979) Ⓡ Henri Verneuil Ⓛ 120 Min.
Recht | Staat | Gewalt | Autorität
I, Robot
Ⓞ I, Robot (USA 2004) Ⓡ Alex Proyas Ⓛ 115 Min.
Mensch und Maschine
Ich bin Sam
Ⓞ I Am Sam (USA 2001) Ⓡ Jessie Nelson Ⓛ 132 Min.
Recht
Identität
Ⓞ Identity (USA 2003) Ⓡ James Mangold Ⓛ 90 Min.
Die Frage nach dem Selbst
Im Sumpf des Verbrechens
Ⓞ Just Cause (USA 1995) Ⓡ Arne Glimcher Ⓛ 115 Min.
Todesstrafe
Im Westen nichts Neues
Ⓞ Im Westen nichts Neues (D, USA, GB 2002) Ⓡ Edward Berger Ⓛ 147 Min.
Krieg
Im Zeichen des Bösen
Ⓞ Touch of Evil (1958) Ⓡ Orson Wells Ⓛ 95 Min.
Kategorischer Imperativ
In der Hitze der Nacht
Ⓞ In the Heat of the Night (USA 1966) Ⓡ Norman Jewison Ⓛ 109 Min.
Rassismus | Gewissensverpflichtung
In Time – Deine Zeit läuft ab Ⓞ In Time (USA 2011) Ⓡ Andrew Niccol Ⓛ 109 Min.
Zeit | Arbeit | Ökonomie
Inception
Ⓞ Inception (USA 2010), Ⓡ Christopher Nolan Ⓛ 148 Min.
Eindringen in den Geist des Menschen
Inglourious Basterds
Ⓞ Inglourious Basterds (USA 2009), Ⓡ Quentin Tarantino Ⓛ 153 Min.
Kategorischer Imperativ
Interstate 60
Ⓞ Interstate 60: Episode of the Road (USA /CAN 2002) Ⓡ Bob Gale Ⓛ 116 Min.
Diverse philosophische und ethische Themen
Into the Wild
Ⓞ Into the Wild (USA 2007) Ⓡ Sean Penn Ⓛ 148 Min.
Selbstfindung
Jakob der Lügner
Ⓞ Jakob the Liar (USA /F /HUN 1999) Ⓡ Peter Kassovitz Ⓛ 120 Min. Ⓞ Jakob der Lügner (DDR /CS 1974) Ⓡ Frank Beyer Ⓛ 100 Min.
Wahrheit und Lüge | Mitleid
Jim Carroll – In den Straßen Ⓞ The Basketball Diaries (USA 1995) Ⓡ Scott Kalvert von New York Ⓛ 102 Min.
Drogen
John Rabe
Ⓞ John Rabe (F /CH /I /D 2009) Ⓡ Florian Gallenberger Ⓛ 134 Min.
Gutes Handeln | Retten von Menschenleben
Julius Caesar
Ⓞ Julius Caesar (USA /D /I /NL 2003) Ⓡ Uli Edel Ⓛ 240 Min.
Recht | Staat | Tyrannenmord
Jurassic Park
Ⓞ Jurassic Park (USA 1993) Ⓡ Steven Spielberg Ⓛ 127 Min.
Gentechnik
Kagemusha – Der Schatten des Kriegers
Ⓞ Kagemusha (JP 1980) Ⓡ Akira Kurosawa Ⓛ 159 Min.
Moral | Gerechtigkeit
304 Filmographie
Filmtitel Kant, Sofie und der kategorische Imperativ Kaspar Hauser
Ⓞ = Originaltitel Ⓡ = Regie Ⓛ = Länge Ⓞ Kant, Sofie und der kategorische Imperativ (D 2006) Ⓡ Carolin Otto Ⓛ 15 Min. je Folge Ⓞ Kaspar Hauser (D 1993) Ⓡ Peter Sehr Ⓛ 139 Min. oder 175 Min.
Thema / Themen Kategorischer Imperativ Sprache | Erkenntnistheorie | Erwerb von Wissen
Kaspar Hauser – Jeder für sich und Gott gegen alle
Ⓞ Kaspar Hauser – Jeder für sich und Gott gegen alle (D 1974) Sprache | Recht | Aufklärung | Anthropologie Ⓡ Werner Herzog Ⓛ 110 Min.
Keiner liebt mich
Ⓞ Keiner liebt mich (D 1994) Ⓡ Doris Dörrie Ⓛ 104 Min.
Liebe
Killers of the Flower Moon
Ⓞ Killers of the Flower Moon (USA 2023) Ⓡ Martin Scorsese Ⓛ 206 Min.
Gut und Böse | Kultur | Gerechtigkeit | Macht
Kinsey – Die Wahrheit über Sex
Ⓞ Kinsey (USA /D 2004) Ⓡ Bill Condon Ⓛ 118 Min.
Sexuelle Revolution
Kleine Fluchten
Ⓞ Chlini Sprüng (CH /F 1979) Ⓡ Yves Yersin Ⓛ 138 Min.
Selbstbefreiung
Kleine wahre Lügen
Ⓞ Les petits mouchoirs (F 2010) Ⓡ Guillaume Canet Ⓛ 154 Min.
Der Andere
Klick
Ⓞ Click (USA 2006) Ⓡ Frank Coraci Ⓛ 107 Min.
Das Leben per Fern bedienung steuern
Knallhart
Ⓞ Knallhart (D 2006) Ⓡ Detlev Buck Ⓛ 99 Min.
Armut | Mobbing
Knowing
Ⓞ Knowing (USA /GB 2009) Ⓡ Alex Proyas Ⓛ 121 Min.
Codes
König der Murmelspieler
Ⓞ King of the Hill (USA 1993) Ⓡ Steven Soderbergh Ⓛ 103 Min.
Zusammenhalt | Respekt | Hilfsbereitschaft
Kokon
Ⓞ Kokon (D 2020) Ⓡ Leonie Kippendorff Ⓛ 94 Min.
Gefühle | Pubertät | Sexualität | Gender/ Geschlechterrollen
Koyaanisquatsi – Prophezeiung
Ⓞ Koyaanisqatsi (USA 1976) Ⓡ Godfrey Reggio Ⓛ 87 Min.
Natur | Wahrheit | Wirklichkeit
Krabat
Ⓞ Krabat (D 2008), Ⓡ Marco Kreuzpaintner Ⓛ 120 Min.
Liebe
L.A. Crash
Ⓞ L.A. Crash (USA /D 2004) Ⓡ Paul Haggis Ⓛ 112 Min.
Rassismus
La mala educatíon – Schlechte Erziehung
Ⓞ La mala educatíon (E 2004) Ⓡ Pedro Almodóvar Ⓛ 109 Min.
Identität
Lemmy Caution gegen Alpha 60
Ⓞ Alphaville, une étrange aventure de Lemmy Caution (F 1965) Ⓡ Jean-Luc Godard Ⓛ 99 Min.
Politische Philosophie
Leni ... muss fort
Ⓞ Leni ... muss fort (D 1993) Ⓡ Leo Hiemer Ⓛ 86 Min.
Verantwortung und Gewissen | Einstehen für den Anderen | Moral
Les Miserables
Ⓞ Les Miserables (USA /GB /D 1998) Ⓡ Bille August Ⓛ 134 Min.
Revolution | Verantwortung | Macht | Gewissen
Let’s make money
Ⓞ Let’s Make Money (A 2008) Ⓡ Erwin Wagenhofer Ⓛ 110 Min.
Ökonomie
Letztendlich sind wir dem Universum egal
Ⓞ Every Day (USA 2018) Ⓡ Michael Sucsy Ⓛ 97 Min.
Identität
305
Philosophie und Ethik
Filmtitel
Ⓞ = Originaltitel Ⓡ = Regie Ⓛ = Länge
Thema / Themen Prostitution | Scheitern einer Kindheit
Lilja 4-ever
Ⓞ Lilja 4-ever (S 2002) Ⓡ Lukas Moodysson Ⓛ 109 Min.
Little Buddha
Ⓞ Little Buddha (F /GB 1993) Ⓡ Bernado Berolucci Ⓛ 140 Min. Buddhismus
Little Miss Sunshine
Ⓞ Little Miss Sunshine (USA 2006) Ⓡ Jonathan Dayton, Valerie Faris Ⓛ 101 Min.
Schönheit
Local Hero
Ⓞ Local Hero (GB 1983) Ⓡ Bill Forsyth Ⓛ 111 Min.
Umwelt
Löcher – Das Geheimnis von Ⓞ Holes (USA 2003) Ⓡ Andrew Davis Ⓛ 117 Min. Green Island
Boot Camp | Freundschaft
Lola rennt
Ⓞ Lola rennt (D 1998) Ⓡ Tom Tykwer Ⓛ 77 Min.
Liebe | Leben und Tod
Long Weekend
Ⓞ Long Weekend (AUS 2008) Ⓡ Jamie Blanks Ⓛ 88 Min.
Umgang mit der Natur
Lüge und Wahrheit
Ⓞ Shattered Glass (CAN /USA 2003) Ⓡ Billy Ray Ⓛ94 Min.
Lüge | Pflichtwidriges Handeln
Luther
Ⓞ Luther (D 2003) Ⓡ Eric Till Ⓛ 121 Min.
Revolution gegen die Kirche
M – Eine Stadt sucht einen Mörder
Ⓞ M – Eine Stadt sucht einen Mörder (D 1931) Ⓡ Fritz Lang Ⓛ 117 Min.
Gerechtigkeit
Machuca, mein Freund
Ⓞ Machuca (CHI /E /GB /F 2004) Ⓡ Andrés Wood Ⓛ 116 Min.
Freundschaft
Madagaskar
Ⓞ Madagascar (USA 2005) Ⓡ Eric Darnell, Tom McGrath Ⓛ 86 Min.
Freundschaft | Zusammenhalt | Überleben
Magnolien aus Stahl
Ⓞ Steel Magnolias (USA 1989) Ⓡ Herbert Ross Ⓛ 117 Min.
Identität | Moral | Gutes Handeln
Maria und Joseph
Ⓞ Je vous salue, Marie (F 1985) Ⓡ Jean-Luc Godard Ⓛ 72 Min. Lebens | Gottesbeweise |
Matrix
Ⓞ The Matrix (USA 1998) Ⓡ Andy Wachowski, Larry Wachowski Erkenntnistheorie Ⓛ 136 Min.
Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot
Ⓞ Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot (D 2018) Ⓡ Philip Gröning Ⓛ 174 Min.
Zeit | Moral
Mein Leben in rosarot
Ⓞ Ma vie en rose (F 1997) Ⓡ Alain Berliner Ⓛ 88 Min.
Transsexualität
Mein Leben ohne mich
Ⓞ My Life Without Me (CAN /E 2003) Ⓡ Isabel Coixet Ⓛ 102 Min.
Tod und Sterben
Meine Nacht bei Maud
Ⓞ Ma nuit chez Maud (F 1969) Ⓡ Eric Rohmer Ⓛ 110 Min.
Beziehungsprobleme | Christliche Ethik
Memento
Ⓞ Memento (USA 2000) Ⓡ Christopher Nolan Ⓛ 117 Min.
Identität | Bewusstsein
Metropolis
Ⓞ Metropolis (D 1925-26) Ⓡ Fritz Lang Ⓛ 153 Min.
Staatstheorie
Milk
Ⓞ Milk (USA 2008) Ⓡ Gus van Sant Ⓛ 128 Min.
Homosexualität | Bürgerrechte
Million Dollar Baby
Ⓞ Million Dollar Baby (USA 2004) Ⓡ Clint Eastwood Ⓛ 132 Min.
Sterbehilfe
Minority Report
Ⓞ Minority Report (USA 2002) Ⓡ Steven Spielberg Ⓛ 145 Min.
Recht vs. Unrecht | Strafe | freier Wille
Anthropologie | Sinn des Gottesbegriff
306 Filmographie
Ⓞ = Originaltitel Ⓡ = Regie Ⓛ = Länge
Thema / Themen
Mississippi Burning – Die Wurzel des Hasses
Ⓞ Mississippi Burning (USA 1988) Ⓡ Alan Parker Ⓛ 127 Min.
Hass | Gewalt | Moral | Intoleranz
Moderne Zeiten
Ⓞ Modern Times (USA 1936) Ⓡ Charles Chaplin Ⓛ 87 Min.
Wirtschaft
Momo
Ⓞ Momo (D 1985/86) Ⓡ Johannes Schaaf Ⓛ 101 Min.
Zeit
Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran
Ⓞ Monsieur Ibrahim et Les Fleurs du Coran (F 2003), Ⓡ François Dupeyron Ⓛ 94 Min.
Freundschaft | Sufismus
Monsieur Lazhar
Ⓞ Monsieur Lazhar (CAN 2011) Ⓡ Philippe Falardean Ⓛ 94 Min.
Fremdenhass | Verstehen anderer Kulturen
Mr. Nobody
Ⓞ Mr. Nobody (B / D / CAN / F 2009) Ⓡ Juco van Dormael Ⓛ 141 Min.
Entscheidung in Dilemma situation treffen
Mullholland Drive
Ⓞ Mullholland Dr. (F /USA 2001) Ⓡ David Lynch Ⓛ 145 Min.
Suche nach Wahrheit | Medien | Zukunft und Sinn
Mustang
Ⓞ Mustang (F, TR, D 2015) Ⓡ Deniz Gamze Ergüven Ⓛ 97 Min.
Erwachsenwerden | Freiheit | Gender | Gewalt | Familie | Menschenrechte
Muxmäuschenstill
Ⓞ Muxmäuschenstill (D 2004) Ⓡ Thomas Winkler Ⓛ 89 Min.
Gutes Handeln | Kategorischer Imperativ
My Name Is Joe
Ⓞ My Name Is Joe (SCO 1998) Ⓡ Ken Loach Ⓛ 101 Min.
Moral | Solidarität
Nell
Ⓞ Nell (USA 1994) Ⓡ Michael Apted Ⓛ 113 Min.
Erkenntnistheorie
Nico
Ⓞ Nico (D 2021) Ⓡ Eline Gehring Ⓛ 79 Min.
Diversität | Gewalt | Rassismus | Selbst bewusstsein
Night on Earth
Ⓞ Night on Earth (F /GB /D /USA /JP 1991) Ⓡ Jim Jarmusch Ⓛ 129 Min.
Gleichzeitigkeit
No Man’s Land
Ⓞ No Man’s Land (F 2001) Ⓡ Danis Tanovic D: Ⓛ 98 Min.
Politische Philosophie | Medien
Nothing
Ⓞ Nothing (CAN 2003) Ⓡ Vincento Natali Ⓛ 90 Min.
Das Nichts
Nummer 5 lebt
Ⓞ Short Circuit (USA 1986) Ⓡ John Badham Ⓛ 98 Min.
Robotik | Philosophie der Technik
Nur eine Frau
Ⓞ Nur eine Frau (D 2019) Ⓡ Sherry Hormann Ⓛ 97 Min.
Gleichberechtigung | Islam | Gewalt | Ehrenmord
Oliver Twist
Ⓞ Oliver Twist (GB /CZ /F /I 2005) Ⓡ Roman Polanski Ⓛ 130 Min.
Gutes Handeln
Operation Walküre
Ⓞ Operation Valkyrie (USA 2008) Ⓡ Bryan Singer Ⓛ 121 Min. Stauffenberg-Attentat
Oskar und die Dame in Rosa
Ⓞ Oscar et la dame rose (F 2009) Ⓡ Eric-Emmanuel Schmitt Ⓛ 105 Min.
Freundschaft | Mut | Krankheit | Tod
Panic Room
Ⓞ Panic Room (USA 2002) Ⓡ David Fincher Ⓛ 120 Min.
Schutz | Überlebenskampf | Sicherheit
Filmtitel
307
Philosophie und Ethik
Filmtitel
Ⓞ = Originaltitel Ⓡ = Regie Ⓛ = Länge
Thema / Themen
Panzerkreuzer Potemkin
Ⓞ Bronenosec Potjomkin (RUS 1925) Ⓡ Sergej M Eisenstein Ⓛ 75 Min.
Macht | Solidarität
Parasite
Ⓞ Gisaengchung (KOR 2019) Ⓡ Bong Joon-ho Ⓛ 132 Min.
Gesellschaft | Armut und Reichtum
Paul – Ein Alien auf der Flucht
Ⓞ Paul (USA /GB 2011) ⓇGreg Mottola Ⓛ 104 Min.
Kreationismus vs. Evolutionstheorie
Persepolis
Ⓞ Persepolis (F /USA 2007) Ⓡ Vincent Parounnand, Majane Satrapi Ⓛ 73 Min.
Aufwachsen im Iran während der Islamischen Revolution
Philadelphia
Ⓞ Philadelphia (USA 1993) Ⓡ Jonathan Demme Ⓛ 125 Min.
Umgang mit Mitmenschen | Macht
Planet der Affen
Ⓞ Planet of the Apes (USA 1967) Ⓡ Franklin J. Schaffner Ⓛ 112 Min.
Staatstheorie | Evolution
Planet der Affen
Ⓞ Planet of the Apes (2001) (USA 2000) Ⓡ Tim Burton Ⓛ 120 Min.
Staatstheorie | Evolution
Pleasantville – Zu schön, um wahr zu sein
Ⓞ Pleasantville (USA 1998) Ⓡ Gary Ross Ⓛ 124 Min.
Schein und Wirklichkeit | Medien | Moral
Pocahontas
Ⓞ Pocahontas (USA 1995) Ⓡ Mike Gabriel, Eric Goldberg Ⓛ 81 Min.
Kulturen
Power and Terrr: Noam Chomsky in Our Times
Ⓞ Power and Terror: Noam Chomsky in Our Times / Noam Chomsky on the Post-Iraq World (USA /JP 2002) Ⓡ John Junkerman Ⓛ 98 Min.
Kritik an Politik
Prêt-à-Porter
Ⓞ Prêt-à-Porter (USA 1994) Ⓡ Robert Altman Ⓛ 133 Min.
Mode
Quiz Show
Ⓞ Quiz Show (USA 1994) Ⓡ Robert Redford Ⓛ 113 Min.
Manipulation
Rain Man
Ⓞ Rain Man (USA 1988) Ⓡ Barry Levinson Ⓛ 133 Min.
Der Andere | Moral | Identität | Verant wortung
Ran
Ⓞ Ran (F /JP 1984-85) Ⓡ Akira Kurusawa Ⓛ 160 Min.
Verlagerung der King-Lear-Thematik ins mittelalterliche Japan
Rashomon – Das Lustwäldchen
Ⓞ Rashômon (JP 1950) Ⓡ Akira Kurusawa Ⓛ 88 Min.
Wahrheit
Raus aus Åmal
Ⓞ Fucking Åmal (S /DK 1998) Ⓡ Lukas Moodyson Ⓛ 89 Min.
Erwachsen werden
Renaissance
Ⓞ Paris 2054 – Renaissance (F /GB /L 2006) Ⓡ Christian Volckman Ⓛ 105 Min.
Die Zukunft der Menschheit: Leben ohne Tod
Rhythm Is It!
Ⓞ Rhythm Is It! (D 2004) Ⓡ Thomas Grube, Enrique Sánchez Lansch Ⓛ 89 Min.
Erziehung durch Musik
Roads
Ⓞ Roads (D, F 2019) Ⓡ Sebastian Schipper Ⓛ 99 Min.
Freundschaft | Familie | Fremdsein | Kultur
Robinson Crusoe
Ⓞ Las Aventuras de Robinson Crusoe (MEX 1954) Ⓡ Luis Bunuel Ⓛ 90 Min.
Der Andere | Macht | Wirtschaft
308 Filmographie
Filmtitel
Ⓞ = Originaltitel Ⓡ = Regie Ⓛ = Länge
Thema / Themen
RoboCop
Ⓞ RoboCop (USA 1987) Ⓡ Paul Verhoeven Ⓛ 102 Min.
Halb Mensch – halb Maschine
Rosa Luxemburg
Ⓞ Rosa Luxemburg (D 1985) Ⓡ Margaretha von Trotta Ⓛ 123 Min.
Biographie | Politisches Handeln
Rosenstraße
Ⓞ Rosenstraße (D 2003) Ⓡ Margarethe von Trotta Ⓛ 136 Min. Zivilcourage
Rumble Fish
Ⓞ Rumble Fish (USA 1983) Ⓡ Francis Ford Coppola Ⓛ 94 Min.
Entfremdete Jugend
Schindlers Liste
Ⓞ Schindler’s List (USA 1995) Ⓡ Steven Spielberg Ⓛ 133 Min.
Mut | Moral | Einstehen für den Anderen
School of Rock
Ⓞ School of Rock (USA 2003) Ⓡ Mike White Ⓛ 109 Min.
Wertevorstellungen | Erwachsenwerden
Schtonk!
Ⓞ Schtonk! (D 1991) Ⓡ Helmut Dietl Ⓛ 115 Min.
Doppelmoral | F älschung | Medien
Shadowlands – Ein Geschenk Ⓞ Shadowlands (GB 1993) Ⓡ Richard Attenborough des Augenblicks Ⓛ 131 Min.
Erreichen von Glück durch ein rechtschaffenes Leben
Siddharta
Ⓞ Siddharta (USA 1972) Ⓡ Conrad Rooks Ⓛ 89 Min.
Buddhismus | Biographie
Sieben Leben
Ⓞ Seven Pounds (USA 2008) Ⓡ Gabriele Muccino Ⓛ 123 Min.
Dem Anderen Hilfe anbieten
Simon Birch
Ⓞ Simon Birch (USA 1998) Ⓡ Mark Steven Johnson Ⓛ 114 Min. Freundschaft
Sleepers
Ⓞ Sleepers (USA 1996) Ⓡ Barry Levinson Ⓛ 146 Min.
Sliding Doors – Sie liebt ihn, Ⓞ Sliding Doors (USA /GB 1998) Ⓡ Peter Howitt Ⓛ 99 Min. sie liebt ihn nicht
Dem Anderen helfen und für ihn einstehen Liebe
Slumdog Millionär
Ⓞ Slumdog Millionaire (GB 2008) Ⓡ Danny Boyle, Loveleen Tandan Ⓛ 120 Min.
Armut | Liebe
Sofies Welt
Ⓞ Sofies Verden (N 1999) Ⓡ Erik Gustavson Ⓛ 113 Min.
Philosophiegeschichte
Sokrates
Ⓞ Sokrate (I /F /E 1970) Ⓡ Roberto Roselli Ⓛ 120 Min.
Moral | Tod
Solaris
Ⓞ Solyaris (UdSSR 1972) Ⓡ Andrej Tarkowskij Ⓛ 165 Min. Ⓞ Solaris (USA 2002) Ⓡ Steven Sonderbergh Ⓛ 99 Min.
Metaphysische Reise in die Innenwelt der eigenen Kultur | Tod
Sonnenallee
Ⓞ Sonnenallee (D 1999) Ⓡ Leander Haußmann Ⓛ 101 Min.
Leben in der DDR
Sprich mit Ihr
Ⓞ Hable con ella (E 2002) Ⓡ Pedro Almodóvar Ⓛ 112 Min.
Medizinethik
Spun
Ⓞ Spun (USA /S 2002) Ⓡ Jonas Åkerlund Ⓛ 101 Min.
Drogen Der Mensch als des Menschen Feind
Stage Beauty
Ⓞ Blindness (CAN /BRA /JP 2008) Ⓡ Fernando Meirelles Ⓛ 121 Min. Ⓞ City of Angels (USA 1998) Ⓡ Brad Silberling Ⓛ 114 Min. Ⓞ Stage Beauty (USA /GB /D 2004) Ⓡ Richard Eyre Ⓛ 106 Min.
Stammheim
Ⓞ Stammheim (D 1985) Ⓡ Reinhard Hauff Ⓛ 107 Min.
Staatsphilosophie | Gerechtigkeit | Terror
Stargate
Ⓞ Stargate (USA 1994) Ⓡ Roland Emmerich Ⓛ 116 Min.
das Unbekannte | Ursprung
Stadt der Blinden Stadt der Engel
Liebe Sein und Schein
309
Philosophie und Ethik
Filmtitel Stay Alive Suicide Club
Ⓞ = Originaltitel Ⓡ = Regie Ⓛ = Länge
Thema / Themen
Ⓞ Stay Alive (USA 2006) Ⓡ William Brent Bell Ⓛ 85 Min. Ⓞ Suicide Club (D 2010) Ⓡ Olaf Saumer Ⓛ 99 Min.
Virtuelle Welt (Horror) Identität
Surrogates – Mein zweites Ich
Ⓞ Surrogates (USA 2009) Ⓡ Johnathan Mostow Ⓛ 89 Min.
Anthropologie | Künstliche Intelligenz
Tee im Harem des Archimedes
Ⓞ Le thé au harem d’Archimède (F 1985) Ⓡ Mehdi Charef Ⓛ 110 Min.
Ausländer | Arbeitslosigkeit
Teheran Tabu
Ⓞ Teheran Tabu (F 2017) Ⓡ Ali Soozandeh Ⓛ 96 Min.
Rolle der Frau in der islamischen Gesellschaft | Ehre | Sitte
Terror – Ihr Urteil
Ⓞ Terror – Ihr Urteil (D 2016) Ⓡ Lars Kraume Ⓛ 95 Min.
Utilitarismus vs. Deontologie
Teuflisch
Ⓞ Bedazzled (USA 2000) Ⓡ Harold Ramis Ⓛ 93 Min.
Glück
Thank You for Smoking
Ⓞ Thank You for Smoking (USA 2005) Ⓡ Jason Reitman Ⓛ 92 Min.
Rauchen | Machen schaften der Zigaretten industrie
The 13th Floor The 6th Day The Beach The Big Short The Boys from Brazil The Breakfast Club – Der Frühstücksclub The Chocolate War The Circle
Ⓞ The Thirteenth Floor (D /USA 1999), Ⓡ Josef Rusnak Ⓛ 100 Min. Ⓞ The 6th Day (USA 2000) Ⓡ Roger Spottiswoode Ⓛ 118 Min. Ⓞ The Beach (USA 2000) Ⓡ Danny Boyle Ⓛ 119 Min. Ⓞ The Big Short (USA 2015) Ⓡ Adam McKay Ⓛ 130 Min. Ⓞ The Boys from Brazil (USA 1978) Ⓡ Franklin J. Schaffner Ⓛ 100 Min. Ⓞ The Breakfast Club (USA 1984) Ⓡ John Hughes Ⓛ 97 Min.
Computer und Denken Cloning Staatstheorie Finanzkrise Genmanipulation Identität
Ⓞ The Chocolate War (USA 1988) Ⓡ Keith Gordon Ⓛ 100 Min. Erwachsenwerden Medien | Manipulation Ⓞ The Circle (USA 2017) Ⓡ James Ponsoldt Ⓛ 110 Min. Geschäftszusammen-
The Corporation
Ⓞ The Corporation (CAN 2003) Ⓡ Mark Achbar, Jennifer Abbott schlüsse | Geschäfts Ⓛ 145 Min.
The Day After Tomorrow
Ⓞ The Day After Tomorrow (USA 2004) Ⓡ Roland Emmerich Ⓛ 124 Min.
Natur und Umwelt
The Final Cut – Der Tod ist erst der Anfang
Ⓞ The Final Cut (USA /CAN /D 2004) Ⓡ Omar Naim Ⓛ 95min.
Erinnerungen werden auf einem Chip gespeichert
praktiken
The Fountain The Game The Golden Bowl The Green Mile The Help The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben
Ⓞ The Fountain (USA 2006) Ⓡ Darren Aronofsky Ⓛ 96 Min. Ⓞ The Game (USA 1997) Ⓡ David Fincher Ⓛ 12 Min. Ⓞ The Golden Bowl (USA 2001) Ⓡ James Ivory Ⓛ 135 Min. Ⓞ The Green Mile (USA 1999) Ⓡ Frank Davabont Ⓛ 182 Min. Ⓞ The Help (USA 2011) Ⓡ Tate Taylor Ⓛ 146 Min. Ⓞ The Imitation Game (USA 2013) Ⓡ Morton Tyldem Ⓛ 114 Min.
Tod | Zeitreise Spiel ohne Regeln Ehrlichkeit | Liebe Todesstrafe Rassismus Alan-Turing-Biographie
310 Filmographie
Filmtitel
Ⓞ = Originaltitel Ⓡ = Regie Ⓛ = Länge
Thema / Themen
The International
Ⓞ The International (D /GB /USA 2009) Ⓡ Tom Tykwer Ⓛ 118 Min.
Ehrlichkeit | Korruption | Wirtschaft
The Jungle Book
Ⓞ The Jungle Book (USA 2016) Ⓡ Jon Ferreau Ⓛ 100 Min.
Zu sich selbst finden | Erwachsen werden
The Last Dance
Ⓞ The Last Dance (USA 2000) Ⓡ Kevin Dowling Ⓛ 105 Min.
Leben lernen
The Philosophers
Ⓞ The Philosophers (CAN 2017) Ⓡ Gianna Isabella Ⓛ 80 Min.
Kunst | Aufstand gegen Unrechtssystem
The Philosophers – Wer überlebt?
Ⓞ After the Dark (USA 2013) Ⓡ John Huddles Ⓛ 80 Min.
Ethik | Dilemmata
The Road to Guantanamo The Sixth Sense
Ⓞ The Road to Guantanamo (GB 2006) Ⓡ Mat Whitecross, Michael Winterbottom Ⓛ 95 Min. Ⓞ The Sixth Sense (USA 1999) Ⓡ M. Night Shymalan Ⓛ 115 Min.
The Social Network
Ⓞ The Social Network (USA 2010) Ⓡ David Fincher Ⓛ 120 Min.
The Time Machine
Ⓞ The Time Machine (USA 2002) Ⓡ Simon Wells Ⓛ 96 Min. Ⓞ The Weather Man (USA /D 2005) Ⓡ Gore Verbinski Ⓛ 102 Min. Ⓞ Thelma & Louise (USA 1991) Ⓡ Ridley Scott Ⓛ 129 Min.
The Weather Man Thelma & Louise
Gewalt Okkultismus Kommunikation | Ökonomie Zeit Identitätssuche Freiheit
Tod eines Schülers
Ⓞ Tod eines Schülers (D 1981) Ⓡ Claus-Peter Witt Ⓛ 60 Min. je Folge (6 Folgen insgesamt)
Serie, die den Tod eines Jungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln zeigt
Traffic
(TV-Miniserie) Ⓞ Traffic (USA 2000) Ⓡ Steven Soderbergh Ⓛ 147 Min.
Drogen | Machtmissbrauch
Ⓞ Transamerica (USA 2005) Ⓡ Duncan Tucker Ⓛ 103 Min. Ⓞ Tschick (D 2016) Ⓡ Fatih Akin Ⓛ 93 Min. Ⓞ Twister (USA 1996) Ⓡ Jan de Bont Ⓛ 113 Min. Ⓞ Alive (USA 1992) Ⓡ Frank Marshall Ⓛ 126 Min.
Transsexualität
Transamerika Tschick Twister Überleben
Identität Natur und Umwelt Tod | Moral
Uhrwerk Orange
Ⓞ A Clockwork Orange (GB 1970/71) Ⓡ Stanley Kubrick Ⓛ 137 Min.
Mechanisierung des Individuums | Hedonismus der Konsumkultur | (perverse) Ästhetik | Manipulationsmöglichkeit durch visuelle Medien
V wie Vendetta
Ⓞ V for Vendetta (USA 2005) Ⓡ James Teigue Ⓛ 132 Min.
Staatsphilosophie
Vera Drake
Ⓞ Vera Drake (GB /F /NZL 2004) Ⓡ Mike Leigh Ⓛ 125 Min.
Abtreibung
Verbrechen und andere Kleinigkeiten
Ⓞ Crimes and Misdemeanors (USA 1989) Ⓡ Woody Allen Ⓛ 107 Min.
Moralisches Dilemma: Mord begehen oder das eigene Leben zerstören
Vergiss mein nicht
Ⓞ Eternal Sunshine of the Spotless Mind (USA 2004) Ⓡ Michel Gondry Ⓛ 108 Min.
Gehirn | Auslöschung von Erinnerungen
311
Philosophie und Ethik
Filmtitel
Ⓞ = Originaltitel Ⓡ = Regie Ⓛ = Länge
Thema / Themen
Voltaire
Ⓞ Voltaire (USA 1933) Ⓡ John Adolfi Ⓛ 72 Min.
Vom Suchen und Finden der Liebe
Ⓞ Vom Suchen und Finden der Liebe (D 2005) Ⓡ Helmut Dietl Liebe Ⓛ 107 Min.
Vorstadtkrokodile
Ⓞ Vorstadtkrokodile (D 2009) Ⓡ Christian Ditter Ⓛ 98 Min.
Wag the Dog – Wenn der Schwanz mit dem Ⓞ Wag the Dog (USA 1998) Ⓡ Barry Levinson Ⓛ 97 Min. Hund wedelt
Biographie
Umgang mit anderen Moral | Medien
Wahrheit oder Pflicht
Ⓞ Wahrheit oder Pflicht (D 2005) Ⓡ Arne Nolting, Jan Marin Scharf Ⓛ 89 Min.
Lügen | Schule
Waking Life
Ⓞ Waking Life (USA 2001) Ⓡ Richard Linklater Ⓛ 100 Min.
Traum | Schein und Wirklichkeit | Bedeutung des Universums
Wall Street
Ⓞ Wall Street (USA 1987) Ⓡ Oliver Stone Ⓛ 125 Min.
Wirtschaftsethik
Wall Street 2 – Geld schläft nicht
Ⓞ Wall Street – Money Never Sleeps (USA 2010) Ⓡ Oliver Stone Ⓛ 133 Min.
Börse | Ökonomie | Macht
Warum Bodhi-Darma in den Ⓞ Bodhi Dharma – Dharmaga tongjoguro kan kkadalgun Orient aufbrach (Südkorea 1989) Ⓡ Yongkyun Bae Ⓛ 137 Min.
Buddhismus | Meditation
Was du nicht siehst
Ⓞ Was du nicht siehst (D 2009) Ⓡ Wolfgang Fischer Ⓛ 89 Min.
Psychologie | Manipulation
Was Frauen wollen
Ⓞ What Women Want (USA 2000) Ⓡ Nancy Meyers Ⓛ 127 Min.
Der Andere
Was vom Tage übrig blieb
Ⓞ The Remains of the Day (USA 1993) Ⓡ James Ivory Ⓛ 134 Min.
Unterdrückung
Watchmen – Die Wächter
Ⓞ Watchmen (USA 2009) Ⓡ Zack Snyder Ⓛ 162 Min.
Gerechtigkeit
Water
Ⓞ Water (CAN /IND 2005) Ⓡ Deepa Mekta Ⓛ 117 Min.
Unterdrückung durch Religion | Gleichberechtigung
Watership Down – Unten am Fluss
Ⓞ Watership Down (GB 1979) Ⓡ Martin Rosen Ⓛ 92 Min.
Machtmissbrauch | Zerstörung von Natur
We feed the world
Ⓞ We Feed the World (A 2005) Ⓡ Erwin Wagenhofer Ⓛ 96 Min.
Herstellung von Nahrungsmitteln
Weekend
Ⓞ Weekend (GB 2011) Ⓡ Andrew Haigh Ⓛ 97 Min.
Politische Philosophie
Welt am Draht
Ⓞ Welt am Draht (D 1973) Ⓡ Rainer Werner Fassbinder Ⓛ 205 Min. (2 Teile)
Kybernetik | Künstliche Welt | Moral
Westworld
Ⓞ Westworld (USA 1972) Ⓡ Michael Crichton Ⓛ 89 Min.
Roboter – Maschinen – Personen
Wir Kinder vom Bahnhof Zoo
Ⓞ Wir Kinder vom Bahnhof Zoo (D 1981) Ⓡ Uli Edel Ⓛ 138 Min.
Drogen
Wir müssen zusammen halten
Ⓞ Musíme si pomáhat (CZ /D 2000) Ⓡ Jan Hrebejk Ⓛ 123 Min. Freundschaft
Wittgenstein
Ⓞ Wittgenstein (GB 1993) Ⓡ Derek Jarman Ⓛ 75 Min.
Biographie
312 Filmographie
Filmtitel
Ⓞ = Originaltitel Ⓡ = Regie Ⓛ = Länge
Thema / Themen
Wochenendrebellen
Ⓞ Wochenendrebellen (D 2023) Ⓡ Marc Rothemund Ⓛ 109 Min.
Außenseitertum | Identität
Womit haben wir das verdient?
Ⓞ Womit haben wir das verdient? (A 2019) Ⓡ Eva Spreitzhofer Ⓛ 91 Min.
Religion | Islam
Workingman’s Death
Ⓞ Workingman’s Death (I 2005) Ⓡ Michael Glawogger Ⓛ 122 Min.
Politische Philosophie | Arbeit | Gesellschaftstheorie
World Trade Center
Ⓞ World Trade Center (USA 2006) Ⓡ Oliver Stone Ⓛ 129 Min.
Gewalt | Terror
Wunder
Ⓞ Wonder (USA 2017) Ⓡ Stephen Chubosky Ⓛ 114 Min.
Außenseitertum | Mobbing | Freundschaft | Werte | V orurteile
Wut
Ⓞ Wut (D 2006) Ⓡ Züli Aladag Ⓛ 90 Min.
Intrakulturalität
X-Men
Ⓞ X-Men (USA 2000) Ⓡ Bryan Singer Ⓛ 100 Min.
Macht | Technik
X-Men 2
Ⓞ X 2 – X-Men United (USA 2005) Ⓡ Bryan Singer, Bret Rattner Macht | Technik Ⓛ 133 Min.
X-Men 3 – Der letzte W iderstand
Ⓞ X-Men – The Last Stand (CAN /USA /GB 2006) Ⓛ 104 Min.
Macht | Technik
Zabriskie Point
Ⓞ Zabriskie Point (USA 1970) Ⓡ Michelangelo Antonioni Ⓛ 113 Min.
Politische Philosophie
Zeit des Erwachens
Ⓞ Awakenings (USA 1990) Ⓡ Penny Marshall Ⓛ 104 Min.
Medizinethik | Utilitarismus
Ziemlich beste Freunde
Ⓞ Intouchables (F 2011) Ⓡ Olivier Nakache, Éric Toledano Ⓛ 112 Min.
Freundschaft
Auswahlbibliographie Philosophieren mit Filmen
Andersson Katja; Wöckel, Nancy: »Von der Liebe als Befreiung und Gefahr. Eine Unterrichtsreihe zum Film ›Blaue Stunde‹«, in: Ethik & Unterricht 25, 2014, Heft 3: Liebe und Partnerschaft, S. 17–20. Balle, Johannes: »Sich selbst ernstnehmen. ›Von Löwen und Lämmern‹ – Sekundarstufe II«, in: Ethik & Unterricht 20, 2009, Heft 3: Film, S. 41–44. Balliet, Mathias: »Per Anhalter durch die Galaxis«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 34, 2012, Heft 4: Sinn, S. 307 f. Bauermeister, Nick: »Am achten Tag erschuf der Mensch sich selbst. ›Gattaca‹ – ab Klasse 9«, in: Ethik & Unterricht 20, 2009, Heft 3: Film, S. 24–26. Baum, Patrick: »Filmdidaktische Perspektiven für den Unterricht. Ein Schreibgespräch«, in: Ethik & Unterricht 20, 2009, Heft 3: Film, S. 1–3. – »Die Geburt des Totalitarismus aus dem Geiste der Automation. Zwei Unterrichtsideen zu Georg Lucas’ Film ›THX 1138‹«, in: Ethik & Unterricht 23, 2012, Heft 3: Roboter – Cyborgs – Menschenmodelle, S. 37–39. – »Filmischer Rhythmus und Zeitgefühl. ›Phänornenologische‹ Annäherung an das subjektive Zeitempfinden bei ›Spiel mir das Lied vom Tod‹«, in: Ethik & Unterricht 20, 2009, Heft 1: Mit Zeit umgehen, S. 36–39. – »Lesarten der Natur. Sekundarstufe II – ab Klasse 10«, in: Ethik & Unterricht 20, 2009, Heft 3: Film, S. 32–35. Blessing, Kimberly; Tudico, Paul J.: Movies and the Meaning of Life. Philosophers Take on Holly wood, OpenCourt, Chicago – La Salle (IL) 2005. Böhm, Winfried: »Kommentierte Filmliste zum Thema ›Globalisierung‹«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 26, 2004, Heft 3: Globalisierung, S. 250–252. Brüggemann, Jannis: »Sinnbildung durch Symbolisierung. Philosophieren mit dem Film ›Planet der Affen‹«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 34, 2012, Heft 4: Sinn, S. 284–286. Cavallar, Georg: »Sind alle Menschenleben gleich viel wert?«, in: Ethik & Unterricht 21, 2010, Heft 1: Kompetenzorientiert unterrichten, S. 50–52. Costanzo, William: Reading the Movies. Twelve Great Films on Video and How to Teach Them, National Council of Teachers of English, Urbana (IL) 1992. Cox, Damian; Levine, Michael P.: Thinking through Film, John Wiley & Sons Ltd., Chichester 2011. Dannecker, Susanne: »Als der Mux mäuschenstill wurde – Moral im Film. Eine mögliche Ergänzung zu einer Unterrichtseinheit ›Moralbegründungen‹ in Klasse 12«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 31, 2009, Heft 3: Moral, S. 188–193. Dierk, Heidrun: »Brave Mädchen kommen in den Himmel, böse gehen ihren eigenen Weg. Unterrichtsbausteine zu dem Film ›Eine ungehorsame Frau‹«, in: Ethik & Unterricht 9, 1998, Heft 2: Feministische Ethik, S. 26–32. Draken, Klaus: »›In Time‹ – Lebenszeit als Zahlungsmittel. Die Stadt als Indikator für Vermögensverteilung«, in: Ethik & Unterricht 24, 2013, Heft 4: Stadt, S. 28–33. – »Der Film – philosophiedidaktisch gesehen. Ein Bericht«, in: Information Philosophie 33, 2005, Heft 4, S. 64–66. – »Der Spielfilm ›Sleepers‹ im Philosophieunterricht. Zur didaktischen Begründbarkeit ei-
314 Auswahlbibliographie
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Auswahlbibliographie 315
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