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German Pages 218 [219] Year 2021
PHILOSOPHIEREN MIT MIT SPIELEN
– METHODEN IM PHILOSOPHIE- UND ETHIKUNTERRICHT – Herausgegeben von Martina und Jörg Peters
Band 6
Die Reihe Methoden im Philosophie- und E thikunterricht ist auf neun Themenbände angelegt, die bis 2023 erscheinen werden: 1
Philosophieren mit Filmen im Unterricht (bereits erschienen)
2 Philosophieren mit Gedankenexperimenten (bereits erschienen) 3
Philosophieren mit Dilemmata (bereits erschienen)
4 Philosophieren mit Comics und Graphic Novels (bereits erschienen) 5 Textarbeit im Philosophie- und Ethikunterricht (erscheint 2022) 6 Philosophieren mit Spielen 7
Literatur und Jugendliteratur im Philosophie- und Ethikunterricht
8 Das Sokratische Gespräch im Philosophie- und Ethikunterricht 9
heatrales Philosophieren, Musik und Videoclips im PhilosophieT und Ethikunterricht
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Ausführliche Informationen unter: www.philosophie-didaktik.de
PHILOSOPHIEREN MIT SPIELEN
ME THODEN IM PHILOSOPHIE- UND E THIKUNTERRICHT – Band 6
– Herausgegeben von Martina und Jörg Peters
– Meiner
Zu diesem Buch gibt es Materialien, die kostenlos heruntergeladen werden können unter: https://meiner.de/philosophierenmitspielen
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet abrufbar über ‹http://portal.dnb.de›. ISBN 978-3-7873-3655-5 · ISBN eBook (PDF) 978-3-7873-3663-0
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INHALT
Einführung: Spielen im Philosophie- und Ethikunterricht . . . . . . . . . . . . . .
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Martina Peters, Jörg Peters
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DER E INS AT Z VON SPIELEN IM PHILOSOPHIE - UND E THIKU NTER R ICHT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Das Spiel im Netz der philosophischen Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Ekkehard Martens
»Spiel« und »Ethisches Lernen« – Die philosophische Entwicklung der Menschenbildannahme »Homo ludens« für den Ethikunterricht . . . . . . . . 27 Eva Marsal
Spielend lernen – Eine anthropologische Kulturtechnik für den Ethikunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Peter Köck
Philosophisches Spielen als Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Christian Klager
Spielend philosophieren – Das Spiel als Medium des Philosophierens . . . 71 Donat Schmidt
Der Einsatz von Spielen im Philosophie- und Ethikunterricht . . . . . . . . . . . 79 Jörg Peters
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S PIELE FÜR DIE SEK UNDA R S TUFEN I UND I I . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Spielvorlagen dem Ethikunterricht anpassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 David Sandmaier
Neue Spiele braucht das Land – Die Entwicklung von Spielideen und ihre Umsetzung als Lernaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Katja Andersson
Das Argumentationsspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Anita Rösch, Jörg Peters
Das Auktionsspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Gerhard Gräber
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PL A NSPIELE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Spielend philosophieren – Planspiele als philosophische Bildungschance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Stefanie Pagel
Homo homini piscis oder Krieg und Frieden im Aquarium . . . . . . . . . . . . . . 153 Thomas Nisters
Wirthiko – Ein Planspiel zur Wirtschaftsethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Laura Marks, Konrad Valtin
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COMPUTER SPIELE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Wie Videospiele den Philosophie- und Ethikunterricht bereichern können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Jens Heinrich
Digitale Spiele im Philosophieunterricht – Ein (Bei-)Spiel für den Erstversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Dominik Bleckmann
Philosophieren mit digitalen Spielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Leif Marvin Jost
Auswahlbibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
EINFÜHRUNG Spielen im Philosophie- und Ethikunterricht Kulturphilosophische und philosophiedidaktische Fragen Martina Peters, Jörg Peters
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chon als wir uns vor vielen Jahren als Moderatoren im Rahmen des Zertifikatskurses Praktische Philosophie1 das erste Mal mit dem Thema »Spiele(n) im (Praktischen) Philosophieunterricht« auseinandersetzten, drängten sich uns sowohl eine Reihe kulturphilosophischer als auch philosophiedidaktischer Fragen auf. Beschäftigt man sich mit dem Spiel unter kulturphilosophischen Gesichtspunkten, stehen unter anderem folgende Fragen im Zentrum des Interesses: »Welche Arten von Spielen gibt es überhaupt?«, »Wie lässt sich – wenn überhaupt – der Begriff »Spiel« (aus philosophischer Sicht) definieren?«, »Welche Bedeutung bzw. welchen Stellenwert wird dem Spiel aus philosophischer Perspektive zugesprochen?« oder »Gibt es so etwas wie ein ›philosophisches Spiel‹?«, und wenn ja: »Was ist darunter zu verstehen?« Unter der Prämisse, dass das Spiel generell als ein für den Philosophieunterricht relevantes Medium akzeptiert wird, ergeben sich weitere Fragen, die dann aus dem Blickwinkel der Philosophiedidaktik zu betrachten sind: »Welche Spiele eignen sich für den Einsatz im Philosophie- oder Ethikunterricht?«, »Wie lassen sich Spiele in den Philosophie- oder Ethikunterricht einbinden und methodisch umsetzen?«, »Inwieweit haben (philosophische) Spiele bereits Einzug in Schulbücher für die Fächer Philosophie bzw. Ethik gefunden?«, »Welche speziellen Publikationen zum Thema »Spiele(n) im Philosophie- bzw. Ethikunterricht« gibt es?« oder »Leisten die in diesen Veröffentlichungen vorgestellten Spiele das, was sie versprechen?« Es sind genau diese philosophiedidaktischen Fragen, denen die Autorinnen und Autoren dieses Bandes in ihren Beiträgen nachgehen und zu denen sie ein weites Spektrum an Antwortmöglichkeiten anbieten. Die vorliegende Einleitung dagegen macht es sich zur Aufgabe zu zeigen, welchen Stellenwert das Spiel innerhalb der Philosophiegeschichte besitzt und warum es lohnenswert ist, das Spielen als eine Methode im Philosophie- bzw. Ethikunterricht zu etablieren.
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Beim Zertifikatskurs »Praktische Philosophie« handelt es sich um eine einjährige Fortbildungsmaßnahme des Landes NRW, in der Lehrerinnen und Lehrer der Schulformen Gymnasium, Gesamtschule, Realschule, Sekundarschule, Hauptschule und Förderschule die Lehrerlaubnis für das Fach Praktische Philosophie erwerben können, sofern sie nicht die Lehrbefähigung (Fakultas) für das Fach Praktische Philosophie durch Studium und Referendariat erworben haben.
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Martina Peters, Jörg Peters
Der Stellenwert des Spiels aus philosophischer Sicht Von der Antike bis heute ist das Spiel – wenngleich auch von untergeordneter Rolle – doch immer wieder Gegenstand philosophischer Überlegungen, wie der nachfolgende Überblick deutlich macht 2: Für Aristoteles beispielsweise erweist sich das Spiel noch nicht als ein eigenständiges Thema, das ausführlich analysiert und behandelt werden müsste. Folglich sieht er auch keine Notwendigkeit, eine Begriffsbestimmung vorzunehmen. Aber immerhin schenkt er dem Spiel im Zusammenhang mit der Arbeit Aufmerksamkeit: Körperliche Arbeit ist eine auf ein Ziel gerichtete Tätigkeit, wie etwa die Herstellung eines Produkts. Da körperliche Arbeit anstrengend ist, bedarf es einer Aus- bzw. Rekreationszeit. Um sich von der geleisteten Arbeit zu erholen und um neue Kräfte zu sammeln, kann insbesondere das Spiel gute Dienste leisten, weil es zur Regeneration des Menschen beiträgt. Diese positive Einstellung dem Spiel gegenüber entfaltet Aristoteles zunächst in der Nikomachischen Ethik. Er führt dort aus: »Das Spiel ist nämlich eine Art von Erholung und der Erholung bedürfen wir, weil wir nicht ununterbrochen arbeiten können« 3 (N.E. X.6 1176b 33–35), und wiederholt diesen Gedanken in der Politik: »[D]er Arbeitende bedarf der Erholung, das Spiel dient eben dazu« 4 (Pol. VIII.3 1337b 38). Dabei wirkt das Spiel geradezu wie eine Arznei, die – sofern man sie richtig dosiert – auf Menschen beruhigend und entspannend wirkt: »[Da] die Arbeit mit Mühe und Anspannung verknüpft […] [ist], so muß man die Spiele gestatten, aber den Gebrauch genau kontrollieren, um sie als eine Art von Arznei anzuwenden. Denn eine [durch das Spiel hervorgebrachte] Bewegung der Seele ist eine Lockerung und lustvolle Erholung« 5 (Pol. VIII.3 1357 b 39–43). Springt man von der griechischen Antike in die Zeit der Aufklärung, so wird deutlich, dass auch der deutsche Philosoph Immanuel Kant noch keinen Grund dafür sieht, das Spiel begrifflich zu bestimmen. Vielmehr betrachtet er es – wie Aristoteles – im Zusammenhang mit der Arbeit und betont, dass viele Menschen nur deshalb arbeiten würden, weil sie damit eine Absicht verfolgten. Diese Absicht bestehe darin, Geld zu verdienen, damit man sein Leben fristen könne. Das Spiel dagegen sei, so Kant weiter, eigentlich eine zweckfreie Handlung, weil man es nicht um eines Zieles, sondern allein um seiner selbst willen ausübe. Darüber hinaus macht er deutlich, dass das Spiel im Grunde keine Tätigkeit sei, die einem erwachsenen Menschen zukomme, sondern eine, die man lediglich Kindern zugestehen dürfe: »Bei der Arbeit ist die Beschäftigung nicht an sich selbst angenehm, sondern man unternimmt sie einer andern Absicht wegen. Die Beschäftigung bei dem Spiele dagegen ist an sich angenehm, ohne weiter irgend einen Zweck dabei zu beabsichtigen.
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Aus Platzgründen können allerdings nur einige signifikante Eckpunkte Berücksichtigung finden. Der Blick auf die getroffene Auswahl erfolgt dabei natürlich unter didaktischen Gesichtspunkten. Aristoteles: Nikomachische Ethik, übers. und hrsg. von Gigon, Olof, dtv klassik 2146, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 51984, S. 294. Aristoteles: Politik, übers. und hrsg. von Gigon, Olof, dtv klassik 2136, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 51984, S. 251. Ebd., S. 251–252.
Spielen im Philosophie- und Ethikunterricht
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Wenn man spazieren geht: so ist das Spazierengehen selbst die Absicht, und je länger also der Gang ist, desto angenehmer ist er uns. Wenn wir aber irgend wohin gehen, so ist die Gesellschaft, die sich an dem Orte befindet, oder sonst etwas die Absicht unseres Ganges, und wir wählen gerne den kürzesten Weg. So ist es auch mit dem Kartenspiele. Es ist wirklich besonders, wenn man sieht, wie vernünftige Männer oft stundenlang zu sitzen und Karten zu mischen im Stande sind. Da ergiebt es sich, daß die Menschen nicht so leicht aufhören Kinder zu sein. Denn was ist jenes Spiel besser, als das Ballspiel der Kinder? Nicht daß die Erwachsenen gerade auf dem Stocke reiten, aber sie reiten doch auf anderen Steckenpferden« 6 . Neben der Unterscheidung von Arbeit und Spiel verweist Kant also auch noch darauf, dass Erwachsene im Spiel wieder die Rollen von Kindern einnehmen. Die Erwachsenen spielen zwar nicht Ball und reiten auf keinem Stecken, aber dafür spielen sie stundenlang Karten, erfreuen sich wie Kinder an ihrem Tun und vergessen dabei die Zeit. Da das Spiel Lust verschafft, aber nicht zum Lernen beiträgt bzw. zum Arbeiten anleitet, lehnt Kant es als erzieherische Methode ab: »Man hat verschiedene Erziehungspläne entworfen, um, welches auch sehr löblich ist, zu versuchen, welche Methode bei der Erziehung die beste sei. Man ist unter anderm auch darauf verfallen, die Kinder alles wie im Spiele lernen zu lassen. […] Dies thut eine ganz verkehrte Wirkung. Das Kind soll spielen, es soll Erholungsstunden haben, aber es muß auch arbeiten lernen«.7 Kant verteufelt das Spiel nicht generell als nichtsnutziges Treiben, schreibt ihm aber auch nicht die Funktion zu, zum Lernen beizutragen, wie dies etwa in den Erziehungsgedanken John Lockes zum Ausdruck kommt. Kant definiert das Spiel daher als eine »Beschäftigung, die für sich selbst angenehm ist« 8 , in Abgrenzung zur Arbeit 9, die er als »Beschäftigung, die für sich selbst unangenehm (beschwerlich) und nur durch ihre Wirkung (z. B. den Lohn) anlockend ist«10 , bestimmt. Im Laufe der Zeit wird das Spiel nicht mehr nur in Abgrenzung zur Arbeit betrachtet, sondern es wird versucht, eine Wesensbestimmung des Spiels zu finden. Schnell stellt sich heraus, dass man nicht genau bestimmen kann, worin das Wesen des Spiels besteht, und dennoch werden Definitionen erstellt. Eine der bekanntesten stammt vom niederländischen Kulturhistoriker Johan Huizinga. Er sagt: »Der Form nach betrachtet, kann man das Spiel […] eine freie Handlung nennen, die als ›nicht Kant, Immanuel: »Pädagogik«, in: Kant Immanuel: Kant’s gesammelte Schriften, hrsg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Erste Abtheilung: Werke, Bd. 9: Logik – Physische Geographie – Pädagogik, Walter de Gruyter & Co., Berlin/Leipzig 1923, S. 437–486: S. 470–471. 7 Ebd., S. 470. 8 Kant, Immanuel: »Kritik der Urtheilskraft«, in: Kant Immanuel: Kant’s gesammelte Schriften, hrsg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Erste Abtheilung: Werke, Bd. 5: Kritik der praktischen Vernunft – Kritik der Urtheilskraft, Georg Reimer, Berlin 1913, S. 165–544, S. 304, § 43 (A 175). 9 Vgl. Heidemann, Ingeborg: Der Begriff des Spieles und das ästhetische Weltbild in der Philosophie der Gegenwart, Walter de Gruyter & Co., Berlin 1968, S. 140. 10 Kant, Immanuel: »Kritik der Urtheilskraft«, a. a. O., S. 304, § 43 (A 175). 6
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Martina Peters, Jörg Peters
so gemeint‹ und außerhalb des gewöhnlichen Lebens stehend empfunden wird und trotzdem den Spieler völlig in Beschlag nehmen kann, an die kein materielles Interesse geknüpft ist und mit der kein Nutzen erworben wird, die sich innerhalb einer eigens bestimmten Zeit und eines eigens bestimmten Raums vollzieht, die nach bestimmten Regeln ordnungsgemäß verläuft und Gemeinschaftsverbände ins Leben ruft, die ihrerseits sich gern […] durch Verkleidung als anders von der gewöhnlichen Welt abheben«11. Huizingas Bestimmung des Spiels berücksichtigt allerdings längst nicht alle Arten von Spielen – Computer- und Konsolenspiele, Tabletop- oder Konfliktsimulationsspiele, Sammelkartenrollenspiele etc. konnte er beispielsweise noch gar nicht kennen –, so dass seine Definition in der vorliegenden Form nicht als allgemeingültig angesehen werden kann.12 Außerdem gibt es mittlerweile zahlreiche Spielerinnen und Spieler, die durchaus ein materielles, insbesondere ein pekuniäres Interesse mit ihrem Tun verknüpfen, wie etwa Berufssportlerinnen und -sportler oder professionelle Pokerspielerinnen und -spieler. Huizingas Definition trifft daher bestenfalls noch eingeschränkt zu. Hinzu kommt, dass heute zahlreiche Spiele existieren, die nicht zweckfrei, sondern zu einem bestimmten Nutzen gespielt werden: Gemeint sind die Lernspiele, auf die der Blick noch zu richten ist. Zuvor soll aber noch Wittgensteins Position in Bezug auf das Spiel dargestellt werden. Seine Beschreibung des Spiels zeigt deutlich, worin die Schwierigkeiten bestehen, das Spiel zu definieren: Es gibt zwar Ähnlichkeiten und Überschneidungen zwischen einzelnen Spielen, aber keine allgemeingültigen Aspekte, die sich auf alle Spiele anwenden und übertragen lassen. Bei einigen Spielen lassen sich verwandtschaftliche Beziehungen herstellen, bei anderen gehen diese Gemeinsamkeiten verloren und es treten neue, bislang nicht beobachtete Züge in den Vordergrund: »Betrachte z. B. einmal die Vorgänge, die wir ›Spiele‹ nennen. Ich meine Brettspiele, Kartenspiele, Ballspiele, Kampfspiele, usw. Was ist allen diesen gemeinsam? – Sag nicht: »Es muss ihnen etwas gemeinsam sein, sonst hießen sie nicht ›Spiele‹« – sondern schau, ob ihnen allen etwas gemeinsam ist. – Denn, wenn du sie anschaust, wirst du zwar nicht etwas sehen, was allen gemeinsam wäre, aber du wirst Ähnlichkeiten, Verwandtschaften, sehen, und zwar eine ganze Reihe. Wie gesagt: denk nicht, sondern schau! – Schau z. B. die Brettspiele an, mit ihren mannigfachen Verwandtschaften. Nun geh zu den Kartenspielen über: hier findest du viele Entsprechungen mit jener ersten Klasse, aber viele gemeinsame Züge verschwinden, andere treten auf. Wenn wir nun zu den Ballspielen übergehen, so bleibt manches Gemeinsame erhalten, aber vieles geht verloren. – Sind sie alle ›unterhaltend‹? Vergleiche Schach mit dem Mühlfahren. Oder gibt es überall ein Gewinnen und Verlieren, oder eine Konkurrenz der Spielenden? Denk an die Patiencen. In den Ballspie-
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Huizinga, Johan: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, übers. von Nachod, H. in Zusammenarbeit mit dem Verfasser, rde 21, Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg 10 1966, S. 20. Ähnlich urteilt auch Caillois, Roger: Die Spiele und die Menschen. Maske und Rausch, übers. von von Massenbach, Sigrid. Albert Langen – Georg Müller Verlag, München/Wien o. J., S. 9.
Spielen im Philosophie- und Ethikunterricht
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len gibt es Gewinnen und Verlieren; aber wenn ein Kind den Ball an die Wand wirft und wieder auffängt, so ist dieser Zug verschwunden. Schau, welche Rolle Geschick und Glück spielen. Und wie verschieden ist Geschick im Schachspiel und Geschick im Tennisspiel. Denk nun an die Reigenspiele: Hier ist das Element der Unterhaltung, aber wie viele der anderen Charakterzüge sind verschwunden! Und so können wir durch die vielen, vielen anderen Gruppen von Spielen gehen, Ähnlichkeiten auft auchen und verschwinden sehen. Und das Ergebnis dieser Betrachtung lautet nun: Wir sehen ein kompliziertes Netz von Ähnlichkeiten, die einander übergreifen und kreuzen. Ähnlichkeiten im Großen und Kleinen. Ich kann diese Ähnlichkeiten nicht besser charakterisieren als durch das Wort ›Familienähnlichkeiten‹; denn so übergreifen und kreuzen sich die verschiedenen Ähnlichkeiten, die zwischen den Gliedern einer Familie bestehen: Wuchs, Gesichtszüge, Augenfarbe, Gang, Temperament, etc. etc. – Und ich werde sagen: die ›Spiele‹ bilden eine Familie«.13 Wittgensteins Analyse zeigt treffend, dass wir auf eine Definition, »die uns aus der verwirrenden Vielfalt unserer Vorstellungen heraushelfen könnte, leider verzichten«14 müssen und uns lediglich die Möglichkeit bleibt, auf Ähnlichkeiten oder genauer: auf Familienähnlichkeiten zu verweisen.
Das Lernspiel und der Philosophieunterricht Lernspiele gibt es wohl schon seit der Antike, und sie erleben von Zeit zu Zeit eine neue Hochphase.15 Mitte der 1990er Jahre erreichte auch Deutschland der nach wie vor anhaltende Trend aus den USA, mit Kindern im Vorschulalter Lernspiele zu spielen. Ziel dieser Spiele war und ist es, Kindern schon möglichst früh eine gute Ausgangslage für das spätere Berufsleben zu verschaffen, denn wer viel kann und weiß, wird größere Vorteile auf dem Berufsmarkt haben. Herbert Knoblauch merkt dazu an: »Die pädagogische Bedeutung des Spieles ist heute unbestritten. Im Zeitalter des ›lebenslangen Lernens‹ nimmt das Spiel eine bedeutende Stellung ein. Spielen bedeutet lernen, in diesem Fall lernen durch die Handlung, durch das Tun. Spielen fördert geistige und körperliche Beweglichkeit, Vorstellungskraft, Konzentration, Gedächtnis, soziales Verhalten durch die Beachtung von Regeln und vieles mehr«16 . Die hier geäußerte Auffassung, dass Spiele nicht grundsätzlich zweckfrei sein müssen, sondern auch einen Nützlichkeitsfaktor in sich tragen dürfen, wenn sie etwa Kinder beim Lernen unterstützen können, wurde lange Zeit nicht geteilt. Jürgen Fritz beispielsweise lehnt den Nützlichkeitsgedanken des Spiels als Pädago
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Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen, stw 203, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 31982, §§ 66–67 (S. 56–57). Martens, Ekkehard: »Das Spiel im Netz der philosophischen Methoden«, in: Marsal, Eva; Dobashi, Takara (Hrsg.): Das Spiel als Kulturtechnik des ethischen Lernens, Philosophie und Bildung, Bd. 5, LIT Verlag, Münster 2005, S. 6–11: S. 6. Vgl. Scheuerl, Hans: Das Spiel. Untersuchungen über sein Wesen, seine pädagogischen Möglichkeiten und Grenzen, Beltz Verlag, Weinheim/Basel 101977, S. 53. Knoblauch, Helmut: »Und ewig spielt das Kind«, in: Abenteuer Philosophie 2/2006, S. 34–37: S. 35.
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Martina Peters, Jörg Peters
gisierung und Mittel zum Zweck ab: »Ob pädagogisch angesonnene Potentialitäten überhaupt als Möglichkeiten im Kind verankert werden, hängt davon ab, ob sie zu den Bedürfnissen, Wünschen, Erfahrungen und Fähigkeiten des Kindes passen. Sind sie nur aufgesetzt, werden sie von den Kindern in der Regel nicht angenommen und im Spielraum erprobt. Die Spielangebote sind dann nicht nur für die reale Lebenswirklichkeit, sondern auch für den Spielraum folgenlos. In der Verteidigung des Spiels auf das ›Nützliche im Leben‹ etabliert sich ein Rigorismus, der die Entfaltung und Ausdifferenzierung der Möglichkeiten des Kindes in seinem Spielraum beeinträchtigen könnte. Pädagogisch sinnvoll ist, Kinder durch gezielte und subjektsensible Spielangebote bei der Ausdifferenzierung ihres Spielraums zu unterstützen. Bei der Auswahl der Spiele ist es weniger wichtig, ob sie thematisch auf ›nützliche Verhaltensweisen‹ des täglichen Lebens zielen, sondern ob sie in Vielseitigkeit, inhaltlicher Einbindung und dynamischen Kräften zu den Kindern passen und ihre Möglichkeiten umfassend erweitern können«.17 Dabei ist der Gedanke, Kindern spielend etwas beizubringen, aber gar nicht neu. Der zuvor erwähnte englische Philosoph John Locke hatte bereits 1693 in seinem pädagogischen Werk Gedanken über Erziehung zwischen solchen Spielen unterschieden, die entweder der Erholung und Rekreation bzw. dem Zeitvertreib dienen und sich damit insofern als wertlos erweisen, als das Kind keinen zählbaren Nutzen, etwa in Form eines Lernerwerbs, verzeichnen kann18 , und solchen Spielen, die von vornherein eine Förderung von Kindern intendieren, indem diese z. B. im wahrsten Sinne des Wortes »spielend« lesen lernen, ohne es zu bemerken19. So sagt Locke über jene Spiele, die einem Kind keinen Nutzen bringen: »Erholung ist so notwendig wie Arbeit oder Brot. Da es aber keine Erholung ohne Vergnügen geben kann, welches nicht immer von der Vernunft, sondern häufiger von der Einbildungskraft abhängt, muß man Kindern nicht nur erlauben, sich zu zerstreuen, sondern es auch nach eigenem Belieben zu tun, vorausgesetzt, daß es harmlos und ohne Schaden für ihre Gesundheit ist; daher sollte man sie in diesem Falle nicht zurückweisen, wenn sie eine besondere Art der Erholung vorschlagen. Ich glaube allerdings, bei einer wohlüberlegten Erziehung werden sie selten in die Notwendigkeit versetzt werden, sich eine solche Freiheit zu erbitten: man sollte Sorge tragen, daß sie, was ihnen förderlich ist, immer mit Vergnügen tun; und bevor sie von einer nutzbringenden Beschäftigung ermüdet sind, sollten sie rechtzeitig auf eine andere gelenkt werden. Wenn sie aber noch nicht jenen Grad der Vollkommenheit erreicht haben, so daß der Weg zur Vervollkommnung für sie zugleich Erholung bedeutet, muß man ihnen die kindlichen Spiele lassen, die sie gern haben; sie sollten ihnen abgewöhnt werden dadurch, daß man sie ihnen bis zum Überdruß anbietet«.20
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Fritz, Jürgen: Theorie und Pädagogik des Spiels. Eine praxisorientierte Einführung, Grundlagentexte Soziale Berufe, Juventa Verlag, Weinheim/München 1991, S. 18. Locke, John: Gedanken über Erziehung, Übersetzung, Anmerkungen und Nachwort von Wohlers, Heinz, UB 6147, Philipp Reclam jun., Stuttgart 1983, § 108 (S. 127–128), §§ 129–130 (S. 160–164) und §§ 206–207 (S. 257–259). Ebd., § 148 (S. 186–188) und §§ 150–152 (S. 188–190). Ebd., § 108 (S. 127).
Spielen im Philosophie- und Ethikunterricht
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Während Locke die Auffassung vertritt, dass Kinderspiele nur partiell gestattet und Kindern diese im Laufe der Zeit sogar abgewöhnt werden sollen, urteilt er ganz anders über Lernspiele. Diese betrachtet er positiv und möchte sie sogar grundsätzlich eingesetzt wissen, weil sie den Kindern Lerngegenstände auf spielerische, einfache, vergnügliche und nicht-lehrhafte Weise näherbringen. Locke geht sogar so weit zu sagen, dass Kinder gar nicht merken sollen, dass sie durch ein Lernspiel einen Lernzuwachs erfahren: »Ich habe mir immer gern vorgestellt, daß man Kindern das Lernen zu Spiel und Erholung machen […] könnte. […] Wie wäre es zum Beispiel, wenn man eine Elfenbeinkugel machte, wie man sie in der Royal-Oak-Lotterie hat, mit zweiunddreißig Seiten oder vielleicht lieber mit vierundzwanzig oder fünfundzwanzig Seiten, und auf verschiedene dieser Seiten ein A, auf mehrere ein B, auf andere ein C und auf wieder andere ein D klebte? Ich würde empfehlen, mit nur diesen vier Buchstaben anzufangen, vielleicht zuerst nur mit zweien, und wenn […] [dem Kind] diese geläufig sind, einen weiteren hinzuzufügen, und so weiter, bis jede Seite einen Buchstaben enthält und das ganze Alphabet darauf ist. Damit sollten nun andere vor ihm spielen; denn ein Spiel, in dem es darum geht, wer als erster ein A oder B wirft, ist genauso gut, als wenn man beim Würfeln die Sechs oder Sieben wirft. Da dies ein Spiel unter euch ist, lockt es nicht heran, damit es nicht zu einer Aufgabe wird; denn ich möchte nicht, daß es als etwas anderes aussieht als ein Spiel für Ältere, und ich zweifle nicht, daß er sich von selbst heranmacht. […] Um seinen Eifer wachzuhalten, laß ihn in dem Glauben, es sei ein Spiel für die, welche über ihm stehen; und wenn er auf solche Weise die Buchstaben gelernt hat, tausche man sie gegen Silben aus, und so mag er lesen lernen, ohne daß er weiß, wie er es angefangen hat.« 21 Die Vorstellung Lockes, dass Kinder beim Spielen Spaß haben und dabei– ohne es zu merken – sowohl ihr Wissen vergrößern als auch ihr Handeln eigenständig weiter ausbilden, kann sowohl aus der aktuellen allgemein- wie auch philosophiedidaktischen Sicht geteilt werden22 , weil es sich – wie von Bildungs-, Kern- oder Rahmenlehrplänen gefordert – um ein auf einen Output angelegtes Verfahren handelt. Seine grundlegenden Ausführungen lassen sich somit auch mühelos auf den modernen Philosophie- bzw. Ethikunterricht übertragen, denn Schülerinnen und Schüler werden dort durch den Einsatz von Spielen insofern gefördert, als sie sich betätigen müssen und sich durch ihr eigenes Tun zum Teil bewusst, zum Teil
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Ebd., § 148 (S. 186–187) und §§ 150–151 (S. 188–189). Natürlich gibt es auch andere – aus unserer Sicht allerdings unhaltbare – Auffassungen: Gegen Lernspiele generell sprechen sich z. B. Wetterling, Horst Helmut: »Kritische Bemerkungen zum ›Lernspiel‹«, in: Unsere Schule 5, 1950, Heft 10, S. 587–592 und vgl. Reichert, Walter: »Zum Problem des Lernspiels«, in: Unsere Schule 5, 1950, Heft 12, S. 713–717 aus. Die beiden Autoren würden Lockes Darstellung des Spiels nicht als Spiel, sondern als getarnte Arbeitsform ansehen. So stellt Wetterling die Frage, ob das Lernspiel überhaupt als Spiel betrachtet werden könne, weil es doch nichts anderes als ein Arbeitsmittel, eine verkleidete Aufgabensammlung sei, und Reichert sieht schon im Begriff »Lernspiel« einen Widerspruch, in dem »Unvereinbares zusammengedacht« werde, denn entweder werde gelernt oder es werde gespielt. Ein Lernspiel entpuppe sich somit als »erlogene Situation«.
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Martina Peters, Jörg Peters
unbewusst mit philosophischen Fragen oder Problemen auseinandersetzen und so nahezu automatisch einen Lernzuwachs erwerben. An dieser Stelle sei auf die empirische Studie der American Audiovisual Society von 1982 hingewiesen23 , in der der Nachweis erbracht wurde, dass eine Person von dem, worüber sie spricht und was sie selbst ausführt, zwischen 70 % bis 90 % behält, während ihr durch Lesen lediglich 10 %, durch Hören 20%, durch Anschauen und Betrachten 30 % und durch Anschauen und Hören 50 % in Erinnerung bleiben. Dass die durch das Spielen im Unterricht erzielten Ergebnisse in der Regel nicht verloren gehen, liegt darin begründet, dass Schülerinnen und Schüler während eines philosophisch motivierten Spiels miteinander auf sprachlicher und praktischer Ebene interagieren. Auf diese Weise werden so viele unterschiedliche Eingangskanäle angesprochen, dass Schülerinnen und Schüler auch nach zeitlich großem Abstand noch die Unterrichts ergebnisse kennen und zum Teil sogar noch die einzelnen Phasen des Spiels detailliert wiedergeben können. Lockes Ausführungen führen in der Folge zu einem neuen Blick auf das Spiel und zu einem anderen Umgang mit ihm. Zu seiner Zeit war noch an allen Schulen das Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden von Befehl und Gehorsam geprägt. Der englische Philosoph aber schlug einen anderen Weg ein, der sich durch Nachsicht und Geduld auszeichnete und die Individualität eines Kindes berücksichtigte. Das Spiel war ihm dabei ein »willkommener Helfer«. 24 Allerdings dauerte es noch bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert, bis es den Pädagogen einigermaßen gelang, ihre Mitmenschen davon zu überzeugen, dass das Spiel nichts Unnützes sei, sondern eine für die Entwicklung eines heranwachsenden Menschen notwendige Tätigkeit. Als Wegbereiter für die Akzeptanz des Spiels können dabei insbesondere im 18. Jahrhundert der Philosoph Jean-Jacques Rousseau, der Pädagoge Johann Bernhard Basedow, der Schriftsteller Jean Paul sowie im 19. Jahrhundert der Pädagoge Friedrich Fröbel angesehen werden. Sie alle propagierten eine freie, schöpferische – keine gelenkte – Spielweise, damit Kinder durch Erfindung von eigenen Spielen und gegenseitiger Nachahmung zu neuen Erkenntnissen gelangen. 25 Fröbel weist darauf hin, dass das Kind im Vorschulalter
Die Resultate der Studie der American Audiovisual Society haben Bernd Rolf und Jörg Peters in ihrem Aufsatz »Filme im Philosophieunterricht«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 25, 2003, Heft 2: Bilddidaktik, S. 157–164: S. 158 bereits angeführt (basierend auf: Kowalczik, Walter, Ottich, Klaus: Schülern auf die Sprünge helfen. Lern- und Arbeitstechniken für den Schulerfolg, rororo 9775, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1995), auch in: Peters, Martina; Peters, Jörg (Hrsg.): Philosophieren mit Filmen im Unterricht, Felix Meiner Verlag, Hamburg 2019, S. 19–39: S.21–22. 24 Dirx. Ruth: Das Buch vom Spiel. Das Spiel einst und jetzt, Burckhardthaus-Laetare Verlag, Gelnhausen/Berlin/Stein 1981 (Nachdruck der Ausgabe von 1968), S. 233. 25 Vgl. Rousseau, Jean-Jacques: Emil oder über die Erziehung, vollständige Ausgabe in deutscher Fassung, besorgt von Schmidts, Ludwig, UTB 115, Ferdinand Schöningh, Paderborn/München/ Wien/Zürich 81987, S. 65: »[D]ie Freiheit, die ich meinem Zögling gebe, entschädigt ihn reichlich für die kleinen Unbequemlichkeiten, denen ich ihn aussetze. Da spielen Lausbuben im Schnee blau, verfroren und mit klammen Fingern. Sie können sich wärmen gehen, aber sie tun es nicht. Zwingt man sie dazu, so empfinden sie den Zwang hundertmal mehr als die Kälte. Worüber be23
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durch das Spiel lustvoll erfahren könne, wie sich seine physischen und intellektuellen Fähigkeiten entwickeln. Darüber hinaus könne es im Spiel mit anderen Erfahrungen mit moralischen und gesellschaftlichen Werten machen und dadurch seine Tugenden entfalten: »Im Spiel, so sagt Fröbel, spürt das Kind, wie seine Kraft wächst, seine körperliche und geistige, und dieses Gefühl bereitet ihm Vergnügen! In der kindlichen Spielgesellschaft erkennt er aber auch schon die ersten Regungen der Gerechtigkeit, Mäßigung, Freundschaft, Selbstbeherrschung, Wahrhaftigkeit und Treue, er entdeckt die beginnenden Tugenden der Beharrlichkeit, der Entschlossenheit und Besonnenheit«. 26 Für die von Fröbel in den Blick genommene Gruppe von drei- bis sechsjährigen Kindern ist dieser Einschätzung sicherlich zuzu-
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klagt ihr euch also? Mache ich euer Kind elend, wenn ich es den Unbequemlichkeiten aussetze, die es selber ertragen will? Ich tue ihm jetzt einen Gefallen, wenn ich es frei spielen lasse, und für die Zukunft sein Bestes, wenn ich es gegen die Übel wappne, die es noch ertragen muß. Hätte es die Wahl. mein oder euer Schüler zu sein, glaubt ihr, daß es einen Augenblick zögern würde?«; vgl. auch Basedow, Johann Bernhard: »Das Basedowsche Elementarwerk« (Auszüge), in: Basedow, Johann Bernhard: Ausgewählte pädagogische Schriften, besorgt von Reble, Albert, Schöninghs Sammlung pädagogischer Schriften – Quellen zur Geschichte der Pädagogik, Ferdinand Schöningh, Paderborn 1965, S. 165- 213: S. 183: »Sie [die Kinder] spielen gern Nachahmung aller zusammenhängenden Handlungen, welche im Ernste nur die vornehmen Glieder des Hauses tun dürfen, und deren Folge und Ordnung Kinder bemerken und behalten können, Nehmet also den Schein solcher Handlungen an, wenn ihr wollt, daß Kinder durch Nachahmung derselben unter sich spielen«, und vgl. Paul, Jean »Levana (I)«, in: Paul, Jean: Werke, 12 Bde., Bd. 9: Vorschule der Ästhetik – Levana (I), hrsg. von Müller, Norbert, Nachworte von Höllerer, Walter, Hanser Verlag, München/Wien, S. 515–639: S.604 (§ 50) und S. 608–609 (§ 54): »Erst später, wenn in den fünf Akten der fünf Sinne die Erkennung der Welt geschehen ist und allmählich ein Wort um das andere den Geist freispricht, hebt die größere Freiheit des Selbstspiels an. Es regt sich die Phantasie, deren Flügelknochen erst die Sprache befiedert. Nur mit Worten erobert das Kind gegen die Außenwelt eine innere Welt, auf der es die äußere in Bewegung setzen kann. Es hat zweierlei Spiele, sehr verschieden in Zweck und Zeit – 1) die mit Spielsachen und 2) die mit und unter Spiel-Menschen. […] Die zweite Spielgattung ist Spielen der Kinder mit Kindern. Sind einmal Menschen für Menschen gemacht, so sinds folglich auch Kinder für Kinder, nur aber viel schöner. In den ersten Jahren sind Kinder einander nur Ergänzungen der Phantasie über ein Spielding; – zwei Phantasien spielen, wie zwei Flammen, neben- und ineinander unverknüpft. Auch nur Kinder sind kindisch genug für Kinder. Aber in den spätern Jahren wird das erste Bändchen der Gesellschaft aus Blumenketten gesponnen; spielende Kinder sind europäische kleine Wilden im gesellschaftlichen Vertrag zu einem Spiel-Zweck. Erst auf dem Spielplatz kommen sie aus dem Vokabeln- und Hörsaal in die rechte Expeditionstube und fangen die menschliche Praxis an. Denn Eltern und Lehrer sind ihnen immer jene fremden Himmelgötter, welche, nach dem Glauben vieler Völker, den neuen Menschen auf der neugebornen Erde lehrend und helfend erschienen waren; wenigstens sind sie den Kinderzwergen die körperlichen Titanen; – folglich ist ihnen in dieser Theokratie und Monarchie freies Widerstreben verboten und verderblich, Gehorsam und Glaube verdienstlich und heilbringend. Wo kann denn nun das Kind seine Herrscherkräfte, seinen Widerstand, sein Vergeben, sein Geben, seine Milde, kurz jede Blüte und Wurzel der Gesellschaft anders zeigen und zeitigen als im Freistaate unter seinesgleichen? – Schulet Kinder durch Kinder! – Der Eintritt in den Kinderspielplatz ist für sie einer in ihre große Welt – und ihre geistige Erwerbschule ist im kinderlichen Spiel- und Gesellschaft-Zimmer. Es trägt z. B. oft einem Knaben mehr ein, Prügel selber auszuteilen, als sie zu erhalten vom Hofmeister, desgleichen mehr, sie von seinesgleichen als sie von oben herab aufzufangen.« Dirx, Ruth: Das Buch vom Spiel. Das Spiel einst und jetzt, a. a. O., S. 248–249.
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stimmen. Im Unterricht der Sekundarstufen I und II allerdings ist das angeleitete Spiel vorzuziehen, da es – anders, als es das freie Spiel leisten kann – der Ausbildung eindeutig definierter Kompetenzen (Sach-, Urteils-, Handlungs- und Methodenkompetenz) dient. Die Beiträge dieses Bandes konzentrieren sich aus diesem Grund auf das angeleitete Spiel.
Zum Aufbau des Buches Auch wenn es im Bereich der (Allgemeinen) Pädagogik schon seit langem viele Bücher und Aufsätze zur didaktischen Funktion des Spiels bzw. Spielens gibt, scheint sich dieses Thema auch in der Philosophiedidaktik langsam zu etablieren. Das dem so ist, lässt sich vor allem an der steigenden Anzahl von Publikationen in den letzten Jahren ablesen. Im deutschsprachigen Raum liegt als theoretische Grundlage allerdings bislang nur das Standardwerk Spiel als Weltzugang. Philosophische Dimensionen des Spiels in methodischer Absicht von Christian Klager vor. Daneben existieren noch die beiden Anthologien Das Spiel als Kulturtechnik des ethischen Lernens (hrsg. von Eva Marsal und Takara Dobashi) und Dimension der Moral im Spiel (hrsg. von Christian Klager), die sich sowohl theoretisch als auch praktisch dem Spiel von der Primarstufe bis zur Qualifikationsphase zuwenden. Neben einigen wenigen Büchern, die vorgeben, philosophische Spiele zu enthalten27, sind seit 2007 zumindest zwei Ausgaben der philosophiedidaktischen Zeitschrift Ethik und Unterricht (Heft 3/2007: Spiel und Leben sowie Heft 4/2012: Ball und Spiel) und eine Ausgabe der Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik (Heft 4/2015: Spielend philosophieren) zu diesem philosophiedidaktischen Aspekt herausgegeben worden. Der vorliegende Band hat nicht nur die Intention, Spiele für unterschiedliche Bereiche der Philosophie und Ethik anzubieten und dabei beide Sekundarstufen im Auge zu behalten, sondern er versucht auch, unterschiedliche Formen des Spiels aufzugreifen. Dies sind insbesondere Plan- und Computerspiele, die wahrscheinlich beide in Zukunft eine größere Rolle im Philosophie- bzw. Ethikunterricht spielen werden. Wie die meisten Bände dieser Reihe besteht auch dieses Buch aus drei Teilen, einem Theorie- und einem Praxisteil sowie einer auf das Thema zugeschnittenen Auswahlbibliographie. Auf einen Materialteil wurde bewusst verzichtet, weil aufgrund der Fülle an bereitzustellenden Spielmittel der Rahmen dieser Ausgabe gesprengt worden wäre. Der Theorieteil fällt für die vorliegende Methoden- und Medienreihe recht umfangreich aus, weil die Auffassungen darüber, welche Spiele mit welcher Intention bzw. mit welchem Ziel im Philosophie- bzw. Ethikunterricht eingesetzt werden sol-
Vgl. dazu Peters, Jörg: »Der Einsatz von Spielen im Philosophie- und Ethikunterricht«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 37, 2015, Heft 4: Spielend philosophieren, S. 80–87: S. 81–83 (auch in diesem Band, vgl. S. 79–89).
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len, stark divergieren. Um das vielfältige Meinungsspektrum darzustellen, haben wir uns dazu entschieden, diesem Teil ausnahmsweise mehr Raum zu gewähren. Der Praxisteil besteht in diesem Band nicht nur aus Beispielen, die sich im Philosophie- bzw. Ethikunterricht der Sekundarstufen I und II einsetzen lassen, sondern er weist noch zwei weitere Kapitel auf. So wird im dritten Teil das Planspiel vorgestellt und anhand von Beispielen gezeigt, wie es sich konkret in den Unterricht einbinden lässt. Der vierte und letzte Teil dieses Kapitels widmet sich dem Computerspiel. In den entsprechenden Beiträgen werden nicht nur aktuelle und ältere Spiele besprochen, sondern es wird auch die Frage thematisiert, wie sie überhaupt im Unterricht umgesetzt werden können. Computerspiele zu ignorieren, würde bedeuten, einerseits die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler nicht im Blick zu haben und andererseits ein Phänomen zu unterschätzen, das sich mittlerweile zu einem riesigen Industriezweig mit großen Einflussmöglichkeiten entwickelt hat und das immer häufiger moralische Fragen in Spiele einbettet oder diese sogar gänzlich in den Vordergrund stellt. Der Band endet mit einer Auswahlbibliographie von Büchern und Aufsätzen, in denen sich die Autorinnen und Autoren ausschließlich aus philosophiedidaktischer Sicht mit dem Spielen beschäftigen.
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DE R E I N S AT Z VON S P I E LE N
I M PH I LOS OPH I E - UND E T H I KUN T E R R ICH T
Das Spiel im Netz der philosophischen Methoden Ekkehard Martens
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enn man spielt, braucht man nicht zu wissen, was ein Spiel ist – man spielt einfach dieses Spiel und muss sich darin lediglich praktisch auskennen. Wenn man dagegen, wenn auch in praktischer Absicht, über das Spiel redet, etwa über »Das Spiel als Kulturtechnik des ethischen Lernens«, muss man wissen und Auskunft geben können, wovon die Rede sein soll. Versucht man hierfür »Spiel« zu definieren, wird man schnell feststellen, dass dies nicht so recht gelingt. Es gibt in unserer Alltagserfahrung und Tradition, erst recht in den unterschiedlichen Kulturen, so viele unterschiedliche Beispiele und Arten von Spielen, dass man sie nicht in einer einzigen, festen Wesens- oder Zweckbestimmung einfangen kann. Was »das« Spiel ist und wozu es gut sein soll, lässt sich nicht eindeutig definieren. Diese Erfahrung kann man bereits in der Alltagssprache machen. Man kann sich aber auch zusätzlich auf Wittgensteins Theorie der »Familienähnlichkeiten« der Begriffe mit seinem Paradebeispiel des »Spiels« berufen.1 Wir müssen auf die eine Definition, die uns aus der verwirrenden Vielfalt unserer Vorstellungen heraushelfen könnte, leider verzichten. Eine zunächst als befreiend empfundene Möglichkeit könnte dann sein, den Zwang zur Einheitlichkeit abzustreifen und fröhlich mit der Vielfalt zu leben. Wir nennen einfach »Spiel«, wie es uns gerade Spaß macht. Statt angestrengter, erfolgloser Begriffsarbeit scheint auch Philosophie insgesamt ein schönes Spiel mit Begriffen zu sein. Das Programm der Philosophen wäre gescheitert, die in den Spuren Platons versuchen, für die vielen Beispiele wichtiger, vor allem moralischer Begriffe von »gut« und »böse« eine Definitionen zu finden, um endlich den einen Maßstab für die vielen Fälle zu haben und damit das Handeln auf feste Ziele zu beziehen. Ob es sich dabei aber wirklich um Platons Programm handelt, ist zweifelhaft, ja sogar eindeutig zu verneinen. In Platons Spätdialog Parmenides etwa lobt der alte Parmenides, der Vertreter des »Einen«, zwar den Versuch des jungen Sokrates, jeweils eine Idee für die vielen Beispiele und Arten von Begriffen zu suchen. Er zeigt ihm aber auch, mit welchen Problemen eine derartige Suche verbunden ist. Dabei bringt er fast sämtliche Einwände vor, die seit Aristoteles gegen Platons sogenannte Ideenlehre vorgebracht wurden, etwa dass man dabei die Idee wie einen geistigen
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Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen, stw 203, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 31982, §66, S. 56–57.
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Ekkehard Martens
Gegenstand behandelt. Dennoch hält auch Parmenides an der Suche nach dem Einen fest. Wir müssen wissen, wovon wir reden, wenn wir nicht aneinander vorbeireden wollen. Und wir sollten nicht aneinander vorbeireden, wenn wir uns auf ein gemeinsames Handeln einlassen wollen oder müssen. Und wenn dieses Handeln Erfolg haben soll, müssen wir die wirklichen, nicht nur die ausgedachten Bedingungen unseres Handelns kennen. Wir können somit nicht einfach reden und handeln, wie wir – als einzelne oder als Gruppe – wollen. 2 Die Suche nach dem Einen ist und bleibt nötig. Andrerseits ist sie, wie der alte, erfahrene Parmenides zeigt, nicht ohne weiteres im direkten Zugriff möglich. Nachdem Parmenides seine Einwände theoretisch im Gespräch mit Sokrates vorgetragen hat, führt er in einem »anstrengenden Spiel« 3 (pragmateiode paidian) als praktische Definitionsübung vor, dass die Suche nach dem Einen notwendigerweise mit dem Vielen verbunden ist. Bereits wenn wir von dem »Einen« sprechen, haben wir es mit dem »Vielen« zu tun: mit dem Begriff des Einen und mit der damit bezeichneten Wirklichkeit des Einen. Und wenn wir umgekehrt von dem »Vielen« reden, benutzen wir hierfür den einen Begriff des »Vielen«. Der ausführliche Hauptteil des Dialogs Parmenides handelt in immer wieder neuen, oft verwirrenden Anläufen davon, wie beides, das Eine und das Viele, notwendigerweise miteinander verbunden ist. 4 So benutzen wir auch den einen Begriff »Spiel«, haben aber viele unterschiedliche Vorstellungen, was wir damit meinen. Und selbst wenn wir uns jeweils auf eine gemeinsame Definition einigen, benutzen wir dabei Begriffe, die ihrerseits im Netz des Einen und Vielen gefangen sind. Zappeln wir hilflos im Netz unserer Sprache? Wie wir aus dem Netz unserer Begriffe zwar nicht herauskommen, aber dennoch mit ihm verlässliche Erkenntnisse einfangen können, zeigen die sokratischen Frühdialoge Platons. In ihnen führt der erfahrene Sokrates an praktischen Beispielen vor, wie man mit Hilfe eines Netzes philosophischer Methoden dem Dogmatismus des Einen und dem Relativismus des Vielen entgehen kann. In den Dialogen mit seinen Gesprächspartnern verfällt der alte Sokrates weder dem naiven Irrtum des jungen Sokrates, als ob man den einen, wahren Begriff im direkten Zugriff erfassen könne, noch bleibt er im bloß abstrakten Spiel der Begriffe des alten Parmenides stecken. Ein besonders gutes Beispiel für das sokratische Netz der philosophischen Methoden ist der Frühdialog Laches über die Tapferkeit: ¬ Der Dialog Laches mit den beiden Feldherren handelt vor dem allgemeinen Erfahrungshintergrund, dass man einerseits im Krieg auf Befehl gegen den Feind einfach drauflos stürmt, dass aber andrerseits im Peloponnesischen Krieg der Griechen untereinander das alte Freund-Feind-Schema und die herkömmlichen
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Vgl. Platon, Parmenides, Griechisch/Deutsch, übers. und hrsg. von Martens, Ekkehard, UB 8386, Philipp Reclam jun., Stuttgart 2001 (zuerst 1987). Ebd., 137 b, S. 39. Vgl. Martens, Ekkehard: Zwischen Gut und Böse. Elementare Fragen angewandter Philosophie, UB 9635, Philipp Reclam jun., Stuttgart 1997 (bes. Kap. 2 »Warum kann ich nicht denken und sagen, was ich will?«).
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Wertvorstellungen aus den Perserkriegen oder dem Kampf um Troja problematisch geworden sind 5 ¬ Sokrates erinnert seine beiden Gesprächspartner daran, dass ihr Verhalten von einer bestimmten Vorstellung oder einem Begriff von Tapferkeit geprägt ist, der aus der alten, vergangenen Welt Homers stammt: Hinsichtlich der kriegerischen Tapferkeit in einem Freund-Feind-Schema mit der konkreten Frage, ob ihre Söhne Fechten lernen sollen, um dadurch tapfer zu werden, müssen die Väter grundsätzlich beides prüfen: das Ziel und das Mittel. In einer begrifflich-argumentativen Analyse stellt sich heraus, dass der Erfahrungsbezug des Ziels zu eng ist (es gibt auch Zivilcourage), sein Wert fraglich ist (tapfer wozu?) und das erhoffte Mittel ambivalent ist (mit dem Fechten macht man nicht nur gute Erfahrungen). ¬ In Rede und Gegenrede schälen sich zwei scheinbar gegensätzliche Auffassungen heraus: Tapferkeit als unüberlegter Affekt und als bloßes Nachdenken über Mittel und Ziele (der Leser als dritter Dialogpartner kann beides leicht miteinander verbinden: Tapferkeit als überlegter Affekt). ¬ Insgesamt ist das sokratische Philosophieren bei Platon von Metaphern, Bildern und Gedankenexperimenten durchzogen (Höhlengleichnis, Seelenwagen, Ring des Gyges, Gericht im Jenseits etc.); im Laches nur indirekt, insofern Sokrates ausgerechnet mit den beiden Haudegen philosophiert und das Gedankenspiel nahelegt: Hätten die beiden Feldherren und Athen möglicherweise ein besseres Schicksal gehabt, wenn sie sich durch Denken statt durch blinden Affekt orientiert hätten? Das sokratische Philosophieren, so zeigt beispielsweise der Laches , ist weder eine vergebliche Suche nach dem einen, wahren Begriff noch eine bloße Spielerei mit den vielen Begriffen, sondern versucht sich mit Hilfe unterschiedlicher Methoden über ein fragliches Phänomen Klarheit zu verschaffen und im Erkennen voranzukommen, um sie im Lichte neuer Erfahrungen, Tatsachen und Argumente wieder zu verbessern. Die Methoden lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: ¬ etwas genau und differenziert beobachten und beschreiben (phänomenologisch) ¬ jemanden verstehen, wie man selbst oder ein anderer etwas versteht oder ansieht (hermeneutisch) ¬ begrifflich und argumentativ prüfen, was jemand zu verstehen gibt (analytisch) ¬ einander widersprechen und miteinander über Behauptungen streiten (dialektisch) ¬ phantasieren und sinnieren, wie man etwas ganz anders verstehen könnte (spekulativ). Die fünf elementaren Methoden des Philosophierens – die nicht mit den elaborierten Methoden der entsprechenden philosophischen Richtung verwechselt werden dürfen – bilden als Fünf-Finger-Modell zusammen eine Hand. Im prinzipiell unabschließbaren Prozess des Weiterdenkens lassen sich die Methoden in kein streng
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Vgl. Thukydides III 82.
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lineares Schema mit einem festen Anfang und Ende pressen und sind nicht voneinander zu isolieren. Vielmehr sind sie lediglich Akzente oder einzelne Finger der ganzen Methoden-Hand. So ist die Phänomenwahrnehmung eines Gegenstands oder einer Situation – etwa der fraglichen Tapferkeit – immer schon durch bestimmte Deutungsmuster von etwas als etwas vorgeprägt; ferner drückt sich das Verstehen in bestimmen Begriffen und Argumenten aus, die im Hin- und Herüberlegen geprüft und von Anfang bis Ende von Einfallen und Intuitionen durchzogen werden.6 Zusammengefasst ist philosophische Methodenkompetenz, ähnlich wie die üblichen Kulturtechniken des Lesens, Schreibens und Rechnens, eine elementare Kulturtechnik – nicht als mechanisch anwendbare, sondern als handwerkliche Technik. Als Kulturtechnik ist Philosophieren in einem dreifachen Sinne elementar: Sie ist einfach, grundlegend und unverzichtbar. Die Kulturtechnik des Philosophierens ist einfach, insofern sie mit möglichst gut verstehbaren und praktizierbaren Anfangsschritten beginnt und somit im Prinzip für jeden geeignet ist. Zweitens ist die Kulturtechnik elementar im Sinne von grundlegend, insofern sie die Voraussetzungen unseres Denkens und Handelns aufzuklären versucht. Drittens schließlich ist sie elementar, insofern sie für unser Leben als denkende Menschen ebenso unverzichtbar ist wie die Atemtechniken für das Atmen – zwar kann man normalerweise auch ohne sie recht gut atmen oder philosophieren, in Problemfällen aber braucht man hilfreiche Techniken. Ferner bedeutet das spezifisch kulturelle Moment der Kulturtechnik des Philosophierens ebenfalls dreierlei. Philosophie in ihrer rationalen Gestalt ist, erstens, ein wesentliches Erbe unserer europäischen Kultur, ohne auf diese beschränkt zu sein. Zweitens ist sie ein Mittel zur Gestaltung unserer demokratischen Kultur, das speziell in problematischen Situationen wie der Krise des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, der Multikulturalität oder der Globalisierung besonders nützlich ist. Vor allem aber ist sie, so drittens, nicht nur ein nützliches Mittel zu einem guten Zweck des (demokratischen) Zusammenlebens und vielleicht sogar des gemeinsamen Überlebens, sondern sie ist vor allem Selbstzweck als unverfügbare Selbst-Kultivierung oder Persönlichkeitsbildung im Sinne einer Horizonterweiterung und reflexiven Lebensform. Dass man schließlich zum Philosophieren nicht nur einen Werkzeugkasten der unterschiedlichen Methoden braucht, sondern auch eine Schatztruhe der Inhalte aus der reichhaltigen Tradition der Philosophie in ihren unterschiedlichen kulturellen Gestalten dazugehört, sollte extra betont werden, um nicht dem Irrtum eines bloßen Formalismus zu verfallen. Philosophieren ist immer ein »Nachdenken über etwas«. Die Schatztruhe enthält den unterschiedenen Methoden entsprechend fünf Fächer: Phänomenbeschreibungen, Deutungsmuster, Begriffsunterscheidungen und Argumentationsfiguren, kontroverse Positionen sowie Gedankenexperimente, Metaphern und Vergleiche, etwa zu Fragen, was Freundschaft, Glück, Gerechtigkeit oder Erkennen heißt.
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Vgl. Martens, Ekkehard: Methodik des Ethik- und Philosophieunterrichts. Philosophieren als elementare Kulturtechnik, Siebert Verlag, Hannover 2003.
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Eine Fundgrube hierfür sind neben den Quellentexten der klassischen und gegenwärtigen Philosophie die Philosophiegeschichten, Einführungen, Bücher zum Grund- oder Basiswissen sowie Lehrpläne und Unterrichtsbücher. Versucht man schließlich mit Hilfe des philosophischen Methodennetzes z. B. auch »Spiel« im jeweiligen Verwendungszusammenhang besser zu verstehen, ließen sich fünf Schritte unterscheiden: 1. Welche Beispiele und Erfahrungen mit Spielen haben wir? 2. Was verstehen wir dabei unter »Spiel«? 3. Wie lassen sich die unterschiedlichen Auffassungen genauer verstehen? Gehören dazu beispielsweise Regeln, muss das Spiel ein Ziel haben, macht es immer Spaß, braucht man dazu notwendigerweise Spielmaterialien etc.? 4. Wie kann man in einem Streitgespräch die unterschiedlichen Auffassungen miteinander abwägen? 5. Wie sähe unser Leben völlig ohne Spiel aus? Gibt es besonders verrückte Spiele? Das Netz der philosophischen Methoden kann aber nicht nur das Phänomen Spiel besser verstehen helfen, ohne es in eine feste Definition zu pressen oder alle möglichen Auffassungen bloß nebeneinander stehen zu lassen. Vielmehr kann auch umgekehrt das Phänomen Spiel das Philosophieren jenseits von Definitionszwang und Beliebigkeit besser verstehen helfen. Offensichtlich, so zeigt am deutlichsten die spekulative Methode, ist das Philosophieren selb ein Spiel, insofern es unsere feste oder fixierte Auffassung von Wirklichkeit in Bewegung bringt und neue Sichtweisen ermöglicht. Beides, das Spielen wie das Philosophieren, geschieht zwar nicht ohne Regeln oder ritualisierte Abläufe, lässt aber unterschiedliche, unvorhersehbare Spiel- und Denkmöglichkeiten zu und befreit uns aus einer starren Haltung des ängstlichen Klammerns an »die« Wirklichkeit. Die spielerische Seite des Philosophierens kehrt etwa in Robert Musils Roman Der Mann ohne Eigenschaften in der Beschreibung des Möglichkeitsmenschen wieder: »Möglichkeitsmenschen leben, wie man sagt, in einem feineren Gespinst, in einem Gespinst von Dunst, Einbildung, Träumerei und Konjunktiven; Kindern, die diesen Hang haben, treibt man ihn nachdrücklich aus und nennt solche Menschen vor ihnen Phantasten, Träumer, Schwächlinge und Besserwisser oder Krittler.« 7 Nach Musil liegt in der Abwertung des »Möglichkeitssinns« im Gegensatz zum »Wirklichkeitssinn« allerdings durchaus etwas Berechtigtes, sie betrifft aber nur dessen »schwache Spielart«. Dagegen drückt der Möglichkeitssinn in seiner starken Variante »etwas sehr Göttliches« aus, »ein Feuer, einen Flug, einen Bauwillen und bewussten Utopismus, der die Wirklichkeit nicht scheut, wohl aber als Aufgabe und Erfindung behandelt«. 8
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Musil, Robert: Der Mann ohne Eigenschaften I. Erstes und zweites Buch, hrsg. von Frisé, Adolf, rororo klassiker 13462, Reinbek bei Hamburg 172003 (zuerst 1930 und 1932), S. 16. Ebd.
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Daher plädiert Musil schließlich für den »Sinn für die mögliche Wirklichkeit«.9 So macht auch das Spiel der Philosophie erst dann Sinn, wenn es nicht nur im luftigen Sinne spekuliert und sich alles Mögliche ausdenkt, sondern wenn es mit der ganzen Methoden-Hand auf erfahrbare Phänomene bezogen wird, das eigene und fremde Verstehen von etwas einbezieht, die verwendeten Begriffe und Argumente prüft und sich auch auf Kontroversen einlässt. Philosophieren ist ein schönes und ernsthaftes Spiel im Netz der Methoden, und auch das Spiel lässt sich darin besser verstehen. Quelle: Martens, Ekkehard: »Das Spiel im methodischen Netz der Methoden«, in: Marsal, Eva; Dobashi, Takara (Hrsg.): Das Spiel als Kulturtechnik des ethischen Lernens, Philosophie und Bildung, Bd. 5, LIT Verlag, Münster 2005, S. 6–11.
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Ebd., S. 17.
»Spiel« und »Ethisches Lernen« Die philosophische Entwicklung der Menschenbildannahme »Homo ludens« für den Ethikunterricht Eva Marsal Einleitung In einem Diskussionsbeitrag zum Thema »Das Spiel als Kulturtechnik des ethischen Lernens« sollten die philosophischen Reflexionen zum Untersuchungsgegenstand »Spiel« nicht in epischer Breite den verschlungenen Wegen der philosophiehistorischen Begriffsgeschichte folgen, sondern sich auf die Frage konzentrieren, inwieweit das »Spiel« für den Ort relevant ist, an dem ethisches Lernen institutionell stattfindet. Aufgrund unserer Gesellschaftsbedingungen, die zum einen durch eine multikulturelle und subkulturelle Wertepluralität bis hin zur Werteneutralität bzw. Orientierungslosigkeit gekennzeichnet ist und zum anderen durch zunehmende Probleme bei der Wertevermittlung, ist dieser Ort, an dem reflektiertes ethisches Lernen auf universalistischer Basis institutionell stattfindet, die Schule. Im Gegensatz zu den meisten Unterrichtsfächern, in denen das ethische Lernen entweder als praktisches Handeln, wie im Fair Play des Sportunterrichts, oder in Form von intellektuellen Bewertungen, wie z. B. die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus im Geschichtsunterricht, »nebenherläuft«, widmet sich der Ethikunterricht ausschließlich und dezidiert dem ethischen Lernen. Ethisches Lernen erreicht nur als »angeeignetes Lernen« seinen Zweck, d. h. nur im Zusammenspiel von »Vernunft und Anerkennung«1 der selbstgesetzten Maximen, die als »moralische Normen vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrung und in wechselnden Lebenssituationen immer wieder neu entworfen oder modifiziert werden müssen«. 2 Damit werden an den Ethikunterricht wesentlich höhere Anforderungen an die Ich-Beteiligung der Schülerinnen und Schüler gestellt als in anderen Unterrichts fächern. Das hat zur Folge, dass hier zum einen spezifische anthropologische Grundlagen gefordert werden, also über die Frage nach den Menschenbildannahmen3 des
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Thurnherr, Urs: Urteilskraft und Anerkennung in der Ethik Immanuel Kants«, in: Hofmann-Reidiger, Monika; Turnherr, Urs (Hrsg.): Anerkennung. Eine philosophische Propädeutik. Festschrift für Annemarie Pieper, Karl Alber Verlag, Freiburg/München 2001, S. 76–92: S. 90. Ebd., S. 84. Groeben, Norbert (Hrsg.): Zur Programmatik einer sozialwissenschaftlichen Psychologie. Band I: Metatheoretische Perspektiven. 1. Halbband: Gegenstandsverständnis, Menschenbilder, Methodologie und Ethik. Münster: Aschendorff, 1997.
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Eva Marsal
Ethikunterrichts nachzudenken ist, und außerdem auch nach ich-nahen Mitteln gesucht werden muss, die sich förderlich auf den Prozess der »Anerkennung« moralischer Normen auswirken. Die international diskutierten Forschungsergebnisse des niederländischen Historikers Johan Huizinga4 legen nahe, dass »Spiel« das Medium ist, das Moral und Kultur verbindet. Huizinga führt deshalb die Kultur- und Moralentwicklung der Menschheit auf den homo ludens zurück. In diesem Beitrag soll die philosophische Begründung des homo ludens beleuchtet werden, die sich in der kreativen »SpielHaltung« niederschlägt.
Die pädagogische Begründung für den homo ludens Bevor ich aber auf die philosophische Ebene der Menschenbildannahme des homo ludens eingehe, will ich zunächst nach dem pädagogischen Sinn dieses Menschenbildes fragen. Man kann nämlich durchaus mit Recht fragen, warum der spielende Mensch als anthropologische Basis einem Unterrichtsfach in der öffentlichen Schule zugrunde gelegt werden soll, in dessen Mittelpunkt ernsthaftes und lebensnotwendiges Lernen steht. Den Ausgangspunkt für die pädagogische Relevanz der an visierten Menschenbildannahme bildet die empirisch gestützte Annahme, dass das »Spiel« ein hohes Potential an vertrauensbildender Integration besitzt und als förderliche Strategie für das soziale, emotionale und kognitive Lernen gilt. Im Gegensatz zu den anderen Unterrichtsfächern auf diesen Klassenstufen, in denen die Schülerinnen und Schüler kontinuierlich in einer gewachsenen Klassengemeinschaft unterrichtet werden, findet man im Ethikunterricht nämlich sehr ungünstigste Rahmenbedingungen vor. Die Ethiklehrer in Deutschland müssen mit Jugendlichen zusammenarbeiten, die sich lediglich ein bis zwei Mal pro Woche für je eine Stunde Ethikunterricht treffen. Zusätzlich wirkt sich die unterschiedliche soziokulturelle Herkunft der Ethikschülerinnen und -schüler erschwerend auf die Unterrichtsgestaltung aus. In diesem Lehrfach hat das »Aufeinanderprallen« der unterschiedlichen weltanschaulichen, sozialen oder emotionalen Hintergründe mit den damit verbundenen, kontrastierenden Wertvorstellungen eine andere Bedeutung als in den eher ich-distanzierten Lehrstoffen der übrigen Lehrfächer. Da Ethikklassen manchmal auch diachron über mehrere Klassenstufen hinweg gebildet werden, gehören die Lernenden sogar teilweise verschiedenen Altersstufen an. Ethikklassen sind also meistens ziemlich »wild zusammengewürfelte Haufen«. In einem Unterrichtsfach, das auf Grund seiner inhaltlichen Konzeption vorsieht, dass die Schülerinnen und Schüler sich nicht nur intellektuell bilden, sondern auch ihre persönlichen Haltungen und Werturteile überprüfen und gegebenenfalls in Form von Selbstmodifikationen verändern, sind solche Rahmenbedingungen für den angestrebten Lernprozess kontraproduktiv. Die Basisaufgabe der Ethiklehrerin und
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Huizinga, Johan: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, rororo rde 21, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 181966, S. 9–27.
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des Ethiklehrers besteht also darin, den Jugendlichen dabei zu helfen, eine Klassengemeinschaft zu formen, in der sich die Schülerinnen und Schüler kennen lernen. D. h., die Schülerinnen und Schüler sollen sich gegenseitig unter Berücksichtigung der jeweiligen Lebenswelt einschätzen können und sich auch in einem Maße untereinander vertrauen, dass sie bereit sind, sich gemeinsam auf innere Prozesse einzulassen, bei denen ihre bisherigen Werte und moralischen Vorstellungen auf den »Prüfstand« kommen und entweder »für gut befunden« oder modifiziert werden. Als eine geeignete Strategie zur Vertrauensbildung und zur äußeren und inneren Prüfung von Wertvorstellungen hat die Gruppendynamik- und Psychotherapieforschung das »Spiel« identifiziert. 5 In die gleiche Richtung deuten die Forschungsergebnisse der Pädagogik. Hier hat sich die erfahrungs- und handlungsorientierte Methode »Spiel« als eine besonders relevante Lernstrategie zur Integration von kognitiven, sozialen und emotionalen Aspekten erwiesen.6 Nach Peter Köck bieten sich für den Ethikunterricht vor allem Rollen- und Planspiele an, aber ebenso Simulationsspiele, Regelspiele, gruppendynamische Spiele, Schatten- und Puppenspiele, Pantomimen oder der Skulpturenbau. Für den Zugang zu philosophischen Texten hat Christian Gefert die Spielmethode des theatralen Philosophierens entwickelt.7 Neben dieser konkreten »Spielebene«, in der Spiele für einzelne Lehreinheiten zur Verfügung gestellt werden sollen, wollen wir durch die Menschenbildannahme des homo ludens anstreben, dass die ethisch reflektierende und ethisch handelnde Schülerin bzw. der ethisch reflektierende und ethisch handelnde Schüler auch auf der Metaebene eine philosophisch kreative »Spiel-Haltung« einnimmt. Auf der inhaltlichen Ebene soll diese kreative »Spiel-Haltung« eine grundsätz liche Offenheit als Kontrastposition zum Dogmatismus ermöglichen, auf der Prozessebene soll diese Haltung handlungsmotivierend sein. Denn seit Beginn der menschlichen Überlieferungen, wie z. B. in den Psalmen, klagt der Gerechte, dass nicht sein Bemühen von Erfolg gekennzeichnet ist, sondern das des Ungerechten, der nicht ethisch handelt und nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist: Denn der Frevler hat sich gerühmt nach Herzenslust, […]
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[…] Hoch droben und fern von sich wähnt er deine Gerichte. […]
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Er liegt auf der Lauer in den Gehöften und will den Schuldlosen heimlich ermorden; seine Augen spähen aus nach dem Schwachen.
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Er lauert im Versteck wie ein Löwe im Dickicht, er lauert darauf, den Elenden zu fangen; er fängt den Elenden und zieht ihn in sein Netz.
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Er duckt sich und kauert sich nieder, seine Übermacht bringt die Schwachen zu Fall. 8
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Vgl. die Forschungsergebnisse zur Gruppendynamik und Psychotherapieforschung. Vgl. Köck, Peter: Handbuch des Ethikunterrichts. Fachliche Grundlagen, Didaktik und Methodik, Beispiele und Materialien, Auer Verlag, Donauwörth 2002, S. 172. Gefert, Christian: Didaktik theatralen Philosophierens: Zum Zusammenspiel argumentativ- diskursiver und theatral-präsentativer Verfahren bei der Texteröffnung in philosophischen Bildungsprozessen, Dresdner Hefte für Philosophie Nr. 8, Dresden: Thelem 2001. …: »Die Psalmen«, in: Die Bibel. Einheitsübersetzung Kommentierte Studienausgabe, 4 Bde., Bd. 2:
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Diese Einschätzung, wahrscheinlich allerdings in einer harmloseren Ausformung, kann wohl jeder aufgrund seiner eigenen Erfahrungen teilen. Betrachtet man jedoch die geschichtliche Entwicklung insgesamt, so lässt sich mit Kant durchaus eine Tendenz zur Kultivierung, Zivilisierung und Moralisierung feststellen, wie z. B. die Menschenrechtsbewegung zeigt, die deutlich macht, dass die Bereitschaft sinkt, Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinzunehmen. Deshalb soll die kreative »Spiel-Haltung« der Schülerin bzw. dem Schüler dabei helfen, nicht nur den kurzfristigen Erfolg einer ethischen Reflexion und Handlung zu berücksichtigen, sondern im Sinne Goethes auf eine langfristige Perspektive zu hoffen: »Es ist mit Meinungen, die man wagt, wie mit Steinen, die man voran im Brette bewegt: sie können geschlagen werden, aber sie haben ein Spiel eingeleitet, das gewonnen wird.«9
Die »kreative« Oszillation zwischen »Freiheit« und »Bindung an Regeln« als Potenz des homo ludens Damit der homo ludens nicht nur in pädagogischer Hinsicht eine sinnvolle Menschenbildannahme für den Ethikunterricht ist, sondern auch in philosophischer, muss diese Menschenbildannahme nach Annemarie Pieper10 zwischen »Freiheit« und »Bindung an Regeln« vermitteln können. Diese Dialektik zeichnet ihrer Meinung nach nämlich jede ethische und moralische Theorie, Metatheorie oder Anwendungspraxis im konkreten ethischen Handeln aus. Die selbstbestimmte Gesetzgebung führt im Idealfall zu einer perspektivischen Annäherung zwischen der Freiheit als unhintergehbares Gut und der Regelbefolgung. Deshalb ist der Erwerb der ethischen Urteilsbildung als eine autonome und selbstverantwortliche Kompetenz das Hauptziel des Ethikunterrichts. Dazu sind zwei Grundkompetenzen vonnöten: 1. die ethische Orientierung unter Rückgriff auf das ethische Wissen (theoretische Kompetenz) und 2. der Transfer dieser in eigenständiger Reflexion erarbeiteten Werte auf konkrete Lebenssituationen (praktische Kompetenz/Lebenshilfe). Die selbsterarbeiteten Werte finden ihren Niederschlag in Regeln, Maximen oder Gesetzen, die in Übereinstimmung mit der konkreten Lebenssituation gebracht werden müssen. Das bedeutet, die ethischen Werte müssen
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Stuttgarter Altes Testament, hrsg. von Dohmen, Christoph, Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH 2017 (durchgesehene und vollständig überarbeitete Ausgabe von Stuttgarter Altes Testa ment. Einheitsübersetzung mit Kommentar und Lexikon, hrsg. von Zenger, Erich †, Verlag Katholisches Bildungswerk GmbH, Stuttgart 2004), Psalm 10, S. 1146–1147. Goethe, Johann Wolfgang von: »Maximen und Reflexionen«, in: Goethe, Johann Wolfgang von: Goethes Werke, Hamburger Ausgabe, 14 Bde., Bd. 12: Schriften zur Kunst – Schriften zur Literatur – Maximen und Reflexionen, mit Anmerkungen versehen von Einem, Herbert (Schriften zur Kunst); Schrimpf, Hans Joachim (Schriften zur Literatur – Maximen und Reflexionen), textkritisch durchgesehen von Hans Joachim Schrimpf, DTV Hamburg, 1998, S. 421, Maxime 413. Pieper, Annemarie: Einführung in die Ethik. A. Francke Verlag, Tübingen/Basel 52003 (überarbeitete und aktualisierte Auflage), S. 31–32.
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immer wieder neu überdacht und verändert werden. Die inhärente Spannung dieses Moments besteht darin, sich einerseits durch Unsicherheitstoleranz in einer ständigen Offenheit für neue Argumente zu halten, andererseits aber trotzdem nicht in eine Beliebigkeit abzugleiten. Die gesuchte Menschenbildannahme, die für den Ethikunterricht tauglich ist, darf also nicht einfach ein statisches Bild des Menschen repräsentieren, sondern muss Bewegung implizieren: ein Bewegtsein, ein Sich-bewegen-Lassen, ein Sich-selbst-Bewegen, eine Hin- und Herbewegung zwischen universeller Abstraktion und persönlicher Konkretisierung. Das entspricht auch der Forderung, die Hartmut von Hentig11 an eine Menschenbildannahme pädagogischer Provenienz stellt: Sie muss auf Bildung zielen. Nach Ekkehard Martens lassen sich bei Platon fundierte Anregungen für eine pädagogisch-philosophische Menschenbildannahme finden, da »die Frage nach der Bildung der menschlichen Natur ein Zentralthema von Platons Philosophie«12 ist. Folgerichtig diskutiert Platon die Dialektik zwischen Freiheit und Bindung an Regeln. Auf diese Problematik geht er in seinem utopischen Staatsmodell ein. Aus Zeitgründen fokussiere ich das sehr breite Bildungskonzept von Platon, das auch die Frauen miteinschließt, auf die Person, in der sich aufgrund der entsprechenden Intelligenz und des langen Bildungswegs die höchste Bildung konzentriert: auf den Philosophenkönig bzw. die Philosophenkönigin. Aufgrund dieser Voraussetzung besitzt der Philosophenkönig in Platons Staatsmodell die höchsten Freiheitsgrade, ist die einzige Person, die wirklich autonom ist und deshalb »regieren«, d. h. umfassende ethische Entscheidungen treffen kann. Obwohl Platon mit der Idee des Philosophenkönigs einen alten Gedanken vom Zusammenwirken des Herrschers und des weisen Beraters und Mahners aufnimmt, steht diese Forderung in einem scharfen Kontrast zu den zeitgenössischen Vorstellungen, und zwar nicht nur zu denen der geistfeindlichen, unphilosophischen Polis Sparta, sondern auch zu den Konzepten der eigenen Polis, Athen. In Athen nahm nämlich die Dichtung einen »breiten Raum im Bildungskonzept ein, während die Philosophie ein nahezu esoterisches Randdasein ohne wirkliche Breitenwirkung führte.13 Stark vereinfacht ausgedrückt befand sich Platons Philosophenkönig strukturell in der gleichen ethischen Entscheidungssituation wie unser heutiger Ethikschüler, der als Philosophenkönig seiner eigenen Polis, seiner eigenen Welt zu betrachten ist, die er klug im Zusammenhang mit den umliegenden Welten regieren muss. Diese Parallelisierung entspricht auch der Platonischen Strukturidentität des Aufbaus von Staat und Einzelseele. Wie der Philosophenkönig muss der Ethikschüler Hentig, Hartmut von: »Menschenbild in Bildung und Erziehung«, in: Oerter, Rolf (Hrsg.): Menschenbilder in der modernen Gesellschaft. Konzeption des Menschen in Wissenschaft, Bildung, Kunst, Wirtschaft und Politik, Der Mensch als soziales und personales Wesen, Bd. 15, Ferdinand Enke Verlag, Stuttgart 1999, S. 143–149: S. 146. 12 Martens, Ekkehard: Ich denke, also bin ich. Grundtexte der Philosophie, bsr 1364, Verlag C.H. Beck, München 32003 (2000), S. 45. 13 Otto, Dirk: Das utopische Staatsmodell von Platons Politeia aus der Sicht von Orwells Nineteen EightyFour. Ein Beitrag zur Bewertung des Totalitarismusvorwurfs gegenüber Platon, Philosophische Schriften, Bd. 12, Duncker & Humblot, Berlin 1994, S. 218. 11
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als autonome Person den Transfer von den allgemeinen Ideen, von den allgemeinen und den formulierten Gesetzen in die Vielfalt, Wirrnis und das Chaos der platonischen Welt der Abbilder, d. h. der ihn umgebenden Wirklichkeit leisten und ethische Urteile fällen. Deshalb ist es interessant nachzulesen, welche Prämissen Platon zur Bewältigung dieser Dialektik vorschlägt. Als geeignetes Mittel zur Entwicklung der Urteilskompetenz plädiert Platon für die Ausbildung ganz spezifischer gegensätzlicher Persönlichkeitsmerkmale, die jemanden dazu befähigen sollen, diesen Transfer vorzunehmen. Um die Spannung zwischen Regeln und Freiheit zu überbrücken, benötigt man nach Platon gleichzeitig eine Haltung der »stürmischen Offenheit« und der »verlässlichen Besonnenheit«, modern ausgedrückt: eine Integration von divergierendem und konvergierendem Denken. Den divergierenden Denkstil charakterisiert Platon in der Politeia als eine offene Charakterstruktur mit all den damit verbundenen Vor- und Nachteilen: »Wer gern lernt, ein starkes Gedächtnis, rasche Auffassungsgabe und einen scharfen Geist hat, dazu jugendlich-stürmisch und großzügig in den Gedanken ist und alle ähnlichen Eigenschaften hat, ist […] nicht leicht geneigt, in der Ruhe und Sicherheit einer Ordnung zu leben, sondern solche Leute lassen sich von ihrer Lebhaftigkeit fortreißen, und alle Stetigkeit ist ihnen verloren gegangen.«14 Den konvergierenden Denkstil schildert Platon kontrastierend dazu: »Andrerseits verhalten sich die Charaktere der Stetigkeit und inneren Unerschütterlichkeit, auf deren Verlässlichkeit man lieber baut, die auch im Krieg gegen Gefahren unerschütterlich sind, gerade ebenso gegenüber den Wissenschaften: schwer beweglich und von langsamer Auffassungsgabe, wie wenn sie betäubt wären, sind sie voll des Schlafes und Gähnens, wenn sie zu einer derartigen Plage genötigt werden.«15 Derjenige, der eine Entscheidungs- und Urteilskompetenz übertragen bekommen soll, d. h. nach Platon, der Philosoph, muss »an beiden Charaktergruppen gut und recht teilhaben«16 . Er soll also einerseits von rascher Auffassungsgabe sein und ohne Denkblockaden allen Denkwegen gegenüber offen sein, sich aber andererseits nicht sprunghaft verhalten, sondern stetig und besonnen sein.
Platon: »Der Staat«, in: Platon: Sämtliche Dialoge, 7 Bde., Bd. 5, hrsg. und übers. von Apelt, Otto, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1988, 6. Buch, 503c (S. 255) Hier zitiert in der Übersetzung von Karls Vretska, Stuttgart: Philipp Reclam 1997, S. 314. 15 Ebd., 503c–503d (S. 255–256). Hier zitiert in der Übersetzung von Karls Vretska, Stuttgart: Philipp Reclam 1997, S. 314–315. 16 Ebd., 503d (S. 255–256). Hier zitiert in der Übersetzung von Karls Vretska, Stuttgart: Philipp Reclam 1997, S. 315.
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Die empirische Unterstützung für den homo ludens Nach der Terminologie des amerikanischen Psychologen George Knellers nennt man solch eine Persönlichkeitsstruktur kreativ. So sollte nach Kneller17 eine kreative Person folgende Persönlichkeitsmerkmale aufweisen: Intelligenz, Bewusstsein, sprachliche Ausdrucksfähigkeit, Flexibilität, Originalität, Beharrlichkeit, Skepsis, Genauigkeit im Detail, die Fähigkeit, auch im intellektuellen Bereich eine spielerische Haltung einzunehmen, Humor, Nonkonformismus und Selbstvertrauen. Diese Integration des divergenten und konvergenten Typus widersprach dem alltagssprachlichen Vorverständnis und den wissenschaftlichen Definitionen der psychologischen Schule Guilfords18 . Hier wurde nur der »divergente Typus« unter die Kategorie »Kreativität« subsumiert. Die Theoretiker dieser Schule vertreten also die Auffassung, dass der kreative »divergente Typus« ein trennscharfes, kontrastierendes Konzept zum »konvergenten Typus« des analytisch Denkenden darstellt. In dieser psychologischen Theorie spiegelt sich der Geniekult der abendländischen Geistesgeschichte, nach der besonders geartete kreative Menschen durch göttliche Eingebungen, Musen oder blitzartige geniale Gedankeneinfälle »plötzlich etwas in sich Vollkommenes hervorbringen, ohne zu wissen, woher es kommt«. Der Begriff inspirieren leitet sich etymologisch vom lateinischen Wort inspirare ab, das mit einhauchen übersetzt wird. Zum Mythos des göttlich inspirierten Genies und kreativen Menschen gehört es auch, dass ihnen außergewöhnliche und besonders herausragende Persönlichkeitsmerkmale zugeschrieben werden, die als Erklärung für die kreativen Leistungen dienen. Dieser romantische Mythos reicht bis in die Zeiten Platons zurück. Platons Vorstellung, divergentes und konvergentes Denken durch Lernen in einer Person zu vereinen, führte über den damaligen Zeitgeist hinaus. Seine Auffassung, dass nicht etwas unerklärlich Geniales, sondern die Beschäftigung mit dem Lernstoff zu plötzlichen Einsichten führt, entfaltet Platon im VII. Brief.19 Ich zitiere Martens: »Aus dem Zusammenhang in ständiger Bemühung um das Problem und aus dem Zusammenleben entsteht es plötzlich wie ein Licht, das von einem springenden Funken entfacht wird, in der Seele und nährt sich dann weiter.« 20 Die »plötzliche Einsicht« lässt sich also durchaus begründen und (bei entsprechenden Voraussetzungen) vermitteln. Genau wie im Bildungskonzept Platons sollen auch im Ethikunterricht divergentes Denken und konvergentes Denken inte griert werden. Dass beide Denkstile wirklich erlernbar sind und sich durchaus in einer Person verbinden lassen, wurde durch die amerikanischen und deutschen Forschungsergebnisse zum kreativen Denken und Problemlösen in der theore Kneller, George F.: The Art and Science of Creativity, Holt, Rinehart & Winston of Canada Ltd., New York 1965, S. 62–68. 18 Guilford, Joy P.: Creativity. American Psychologist 5: 1950, S. 444–454; Guilford Joy P.: The nature of human intelligence. McGraw-Hill, New York 1967. 19 Vgl. Platon: »Siebenter Brief«, in: Platon: Sämtliche Dialoge, 7 Bde., Bd. 6, hrsg. und übers. von Apelt, Otto, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1988, 341b–343b (S. 71–84). 20 Martens, Ekkehard: Ich denke, also bin ich. Grundtexte der Philosophie, a. a. O., S. 49. 17
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tischen, allgemeinen und pädagogischen Psychologie nachgewiesen. Ebenso ist die Unvereinbarkeitsthese von divergentem und konvergentem Denken nach Franz E. Weinert 21 u. a. durch die entsprechenden Forschungsreihen von Robert W. Weisberg über den Zusammenhang von Kreativität und Begabung falsifiziert. Weinert kommentiert die Unvereinbarkeitsthese mit den Worten: »Bei der Lösung von alltäglichen wie wissenschaftlichen Problemen sind logisches und kreatives Denken keineswegs Gegensätze.«22 Die heutige Forschung bestätigt Knellers hypo thetischer Taxonomie der Dispositionen von Kreativen, so stellt Norbert Groeben aufgrund seiner metaanalytischen Forschung fest, dass die kontrastierenden Denkstile die kreative Persönlichkeitsstruktur nicht hinreichend erklären würden und auch emotionale und motivationale Persönlichkeitsmerkmale berücksichtigt werden müssten. »Dabei zogen insbesondere solche Merkmale die Aufmerksamkeit auf sich, die in Bezug auf die statistisch ›normale‹ Sozialisation eher als ungewöhnlich anzusehen sind. Dazu gehören z. B. die Ambiguitätstoleranz (Akzeption, ja Suche nach mehrdeutigen Reizmustern), die soziale Unangepasstheit (unkonventionelles, von üblichen sozialen Normen unabhängiges Verhalten) und die Konzentration auf intrinsische Motivationszustände (rein an der Sache interessiertes Denken, das zu einem Versinken in die je aktuellen Problemstellungen führen kann: ›Flow‹ nach Csikszentmihalyi). 23 Mit diesen tendenziell unkonventionellen Merkmalen der kreativen Persönlichkeit geht dann in der Regel auch eine neue, von eingefahrenen gesellschaftlichen Normen unabhängige positive Wertung einher.« 24 Ethisches Denken lässt sich als wertendes Denken beschreiben. Die vorherrschende These, dass kreatives Denken durch eine Neutralität gegenüber einer Bewertung des Denkergebnisses gekennzeichnet ist und gefördert wird, fand Robert Weisberg nicht bestätigt: »Die Ergebnisse psychologischer Untersuchungen zeigen […], dass es beim kreativen Denken entscheidend darauf ankommt, die einzelnen Ideen von Anfang an zu beurteilen – und nicht erst nach der Produktion möglichst vieler Ideen.« 25 Die kreative Haltung der Oszillation zwischen Freiheit und Bindung an Regeln sollte sich in allen Prozessschritten – von der Maximenbildung bis hin zum konkreten Transfer auf der Alltagsebene – wertend am ethischen Wissen orientieren. Das kreative Denken, das aufgrund der empirischen Forschungsergebnisse also nicht als Gegensatz zum logisch ableitenden Denken gesehen werden darf, vereint vielWeinert, Franz E.: »Vorwort zur deutschsprachigen Ausgabe«, in: Weisberg, Robert W.: Kreativität und Begabung. Was wir mit Mozart, Einstein und Picasso gemeinsam haben, übers. von Hildebrandt-Essig, Angelika, Spektrum der Wissenschaft, Heidelberg 1989, S. 11–14: S. 12. 22 Ebd. 23 Csikszentmihalyi, Mihaly: (1975) Beyond boredom and anxiety – The experience of play in work and games. San Francisco etc.: Jossey-Bass Publishers, dt.: Das Flow-Erlebnis. Jenseits von Angst und Langeweile: Im Tun aufgehen Stuttgart: Klett-Cotta 122019 (1985). 24 Groeben, Norbert: Kreativität: Originalität diesseits des Genialen. Darmstadt: Primus, 2013, S. 132. 25 Weisberg, Robert W.: Kreativität und Begabung. Was wir mit Mozart, Einstein und Picasso gemeinsam haben, a. a. O., S. 180. Vgl. dazu auch Groeben, Norbert: Kreativität: Originalität diesseits des Genialen. Darmstadt: Primus, 2013, S. 20–52.
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mehr die divergente, analytische und wertende Komponente in sich. Deshalb ist das kreative Denken meiner Meinung nach, und in diesem Punkt sehe ich mich in der Tradition Platons, am besten dafür geeignet, das Humanum zwischen den zwei Extremen der Unmenschlichkeit, der regellosen Beliebigkeit auf der einen und der totalitären Regelfixierung auf der anderen Seite, hindurchzusteuern. Diese Suche nach dem, aristotelisch gesprochen, richtigen »Treffer« in der Mitte, nämlich im Humanum, lässt sich in Anlehnung an Annemarie Pieper als »Spiel« beschreiben: »Moralische Freiheit dagegen setzt sich selbst um der Freiheit aller willen Regeln, an die sie sich bindet, so wie man beim Spiel Regeln gehorcht, die das Spielen nicht aufheben, sondern als Spiel gerade ermöglichen sollten.« 26 Nicht zufällig und auch nicht erst heute taucht in diesem Zusammenhang der Begriff »Spiel« auf.
Philosophiegeschichtliche Begründungen So schildert auch Platon den Prozess des philosophischen Kampfes um die besten Argumente als »Brettspielkunst, die nicht mit Steinen, sondern mit Begriffen gespielt wird« 27. Dabei ist es gleichgültig, ob der Dialog mit äußeren Partnern durchgespielt wird oder mit inneren. Platon greift mit diesem Bild ein Fragment von Heraklit auf, in dem dieser die Zeit (aion) als ein spielendes Kind (pais paion) bezeichnet, das die Brettsteine setzt und die Königsherrschaft innehat. 28 Die Königsherrschaft wird als die Herrschaft des logos gedeutet,29 also als die Herrschaft des logischen Denkens, in der sich der Einzelne basierend auf guten Gründen aktiv entscheiden muss und nicht mehr rezeptiv gehorsam und angepasst den Geboten der Götter und der zeitgenössischen Sitten folgen darf. Aufgrund der kulturgeschichtlichen Forschungen des Historikers Johan Huizinga lässt sich sogar vermuten, dass das Spiel seit Beginn der nachweisbaren Kultur tätigkeit in einem engen Zusammenhang mit der Ethik steht. Für Huizinga ist das Spiel die anthropologische Grundkonstante, die überhaupt erst die Kultur und die Moral begründet. Zur Bestätigung seiner Hypothese legt er verschiedene Quellen vor, die die Moralentwicklung auf verbale agonale Spiele zurückführen, also auf solche Spiele, bei denen das Moment des Wettstreits vorherrscht, wie z. B. in Indien das Wettkampfspiel zwischen einem Wassergeist und einem Ritter oder die agonalen sophistischen dialogischen Frage- und Denkspiele, die die Ursprünge des
Pieper, Annemarie: Einführung in die Ethik, a. a. O., S. 32. Platon: »Der Staat«, in: Platon: Sämtliche Dialoge, 7 Bde., Bd. 5, a. a. O., 6. Buch, 487c (S. 230). 28 Vgl. Diels, Hermann; Krans, Walther: »Kapitel 22 Herakleitos«, in: Diels, Hermann; Krans, Wal ther: Die Fragmente der Vorsokratiker, 3 Bde., Bd. 1, Weidmann Verlag, Zürich/Hildesheim 181989 (unveränderter Nachdruck der 6. Auflage 1952), Fragment 52, S. 162. 29 Picht, Georg: »Das Welt-Spiel und seine Deutung durch Nietzsche«, in: Schulte, Hans Gerd (Hrsg.) Spiele und Vorspiele. Spielelemente in Literatur, Wissenschaft und Philosophie, st 485, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1978, S. 93–98: S. 94. 26
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griechischen Bildungsprozesses sicherten. 30 Für Huizinga ist das Spiel als kulturgeschichtliches Axiom entweder ein entwicklungsfördernder sozialer Wettstreit bzw. Kampf, eine »Zurschaustellung von etwas Nichtmateriellen« oder »eine formgebende, kultische Handlung«, bei der in irgendeiner Weise eine ethische Entscheidung gefordert wird. Seine kulturvergleichenden Forschungsergebnisse kumuliert der Historiker Huizinga in der These, dass der homo ludens das Kultur und Moral bestimmende Menschenbild ist. Aus philosophischer Perspektive wird das Spiel in der Neuzeit von Kant in der Kritik der Urteilskraft (1790) aufgewertet. »Hier bezeichnet Kant die transzendentale Bestimmung des ästhetischen Geschmackurteils, das subjektiv und doch allgemein gültig sein soll, als ein freies Spiel der Erkenntnisvermögen im übereinstimmenden Verhältnis zueinander.« 31 Urs Thurnherr hält in seiner Kommentierung von Kants »Spieltheorie« fest: »Obgleich sich zwischen der Kritik der reinen Vernunft und der Kritik der Urteilskraft eine gewisse Bedeutungsänderung des kantischen Begriffs der Einbildungskraft feststellen lässt, darf man davon ausgehen, dass mit der Bezeichnung »Einbildungskraft« bei Kant insgesamt ein spezifischer Aspekt der Urteilskraft erfasst wird: Die Einbildungskraft kann als eine Erscheinungsform der Urteilskraft angesehen werden, welche sich unmittelbar mit der Sinnlichkeit beschäftigt, sich zu den Sinnen hinbegibt und sich in deren Lage und in deren vergangene Situation hineinversetzt resp. welche das Amt eines ›vicarius der Sinne‹ 32 innehat. Die eigentliche Leistung der Einbildungskraft in ihrer Funktion eines produktiven Vermögens besteht beim Verfahren des Reflektierens sodann darin, dass die Einbildungskraft die Gesamtheit der von ihr als einem reproduktiven Vermögen erinnerten Beispiel aufeinander bezieht und dabei ein Muster einer möglichen Handlungsweise, einen neuen Handlungsentwurf entwickelt. 33 […] Analog zum Schaffensprozess des Dichtens […] kann man das Vorgehen der Einbildungskraft auf dem praktischen Felde wiederum als ein freies Spiel beschreiben: Denn die Tätigkeit der Einbildungskraft erschöpft sich nicht im bloßen Sammeln und Aneinanderreihen von dunklen Vorstellungen, sondern die produktive Einbildungskraft gestaltet die Vorstellung der Neigungen und der Gefühle nach Maßgabe des Prinzips der subjektiven Zweck mäßigkeit in einem kreativen Spiel zu einer integrativen Einheit. […] Die praktische Huizinga, Johan: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, a. a. O. Corbineau-Hoffmann, Angelika: »Spiel«, in: Ritter, Joachim; Gründer, Karlfried (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, 13 Bde., Bd. 9: Se–Sp, Schwabe & Co. AG, Basel 1995, Sp. 1383– 1390, Sp. 1384. 32 Kant, Immanuel: »Logik«, in: Kant, Immanuel: Kant’s gesammelte Schriften, hrsg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Dritte Abtheilung: Werke, Bd. 16: Kant’s handschriftlicher Nachlaß (Band 3), Walter de Gruyter & Co., Berlin/Leipzig 1924, S. 8 (1571) und vgl. S. 53–54 (1634). 33 Kant, Immanuel: »Anthropologie. Erste Hälfte«, in: Kant, Immanuel: Kant’s gesammelte Schriften, hrsg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Dritte Abtheilung: Werke, Bd. 15.1: Kant’s handschriftlicher Nachlaß (Band 2, Erste Hälfte), Walter de Gruyter & Co., Berlin/ Leipzig 1923, S. 133 (337a). 30 31
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Reflexion kommt in dem Moment zu ihrem Abschluss, wo die Empfindsamkeit zu einem positiven Urteil über einen Handlungsvorschlag der Einbildungskraft gelangt ist. Was sich in der Gleichmütigkeit ausdrückt. Die Gleichmütigkeit bildet das ›gegentheil von Leidenschaften‹ 34 , d. h. den Inbegriff einer inneren Freiheit, durch welche die Macht der Leidenschaften sowie der Affekte gebrochen wird. 35 Wer die Gleichmütigkeit gewonnen hat, handelt weder nach seiner Gewohnheit noch untersteht er dem Diktat der eigenen Neigungen, vielmehr zeigt sich die Gleichmütigkeit überhaupt erst, wenn er bei seiner Reflexion auch alle anderen Vorstellungen gebührend berücksichtigt hat – wie beispielsweise diejenigen, welche mit dem moralischen Gefühl verwoben sind. […] Die Gleichmütigkeit bezeichnet somit ein gewisses Gleichgewicht im Gemüt und stellt gemäß Kants Auffassung ›das (selbst)gefühl einer Gesunden Seele‹ 36 dar.« 37
Dieses kantische Konzept des »freien Spiels« bestimmt nachhaltig Friedrich Schillers Vorstellung von ästhetischer Humanität. Die Aufarbeitung dieses Konzepts als Spannungsbogen von Schönheit und Freiheit, Ästhetik und Anthropologie stellt Schiller in seinen Briefen Über die ästhetische Erziehung des Menschen (1795) vor. Das Spiel definiert er dabei als das, »was weder subjektiv noch objektiv zufällig ist und doch weder äußerlich noch innerlich nötigt«. 38 Da Schiller verhindern möchte, dass sich mit dem Spiel die einschränkende Vorstellung eines »bloßen« Spiels« verbindet, verknüpft er mit dem Spiel den Gedanken einer Erweiterung menschlicher Möglichkeiten: »der Mensch soll mit der Schönheit nur spielen, und er soll nur mit der Schönheit spielen«. Dadurch sollen die antagonistischen Triebe im Menschen, der Stoffund Formtrieb, in ein harmonisches Verhältnis gelangen. »Dies geschieht durch den Spieltrieb, der die wechselseitige Ausschließung der Triebe verhindert und damit den Menschen physisch und moralisch in Freiheit setzt.« 39
Ebd., S. 255 (592). Vgl. Kant, Immanuel: »Anthropologie. Zweite Hälfte«, in: Kant, Immanuel: Kant’s gesammelte Schriften, hrsg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Dritte Abtheilung: Werke, Bd. 15.2: Kant’s handschriftlicher Nachlaß (Band 2, Erste Hälfte), Walter de Gruyter & Co., Berlin/Leipzig 1923, S. 746 (1491). 36 Ebd., S. 844 (1514). 37 Thurnherr, Urs: Die Ästhetik der Existenz. Über den Begriff der Maxime und ihre Bildung bei Kant, Francke Verlag, Tübingen/Basel, 1994. S. 118–119. 38 Schiller, Friedrich: »Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen«, in: Schiller, Friedrich: Schillers Werke – Nationalausgabe, xx Bde., Bd. 20: Philosophische Schriften. Erster Teil, hrsg. im Auftrag der Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar (Goethe- und Schiller-Archiv) und des Schiller-Nationalmuseums in Marbach von Blumenthal, Liselotte und von Wiese, Benno, Hermann Höhlaus Nachfolger, Weimar 1962, S. 309–412. 39 Corbineau-Hoffmann, Angelika: »Spiel«, in: Ritter, Joachim; Gründer, Karlfried (Hrsg.) Historisches Wörterbuch der Philosophie, a. a. O., Sp. 1385. 34 35
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Zusammenfassendes Plädoyer Das Spiel, das durch die Bipolarität von grundsätzlicher Offenheit und Regelbindung gekennzeichnet ist, ermöglicht dem Menschen als homo ludens, das unhintergehbare Gut Freiheit in der gegenwärtigen Welt stets neu zu aktualisieren. Da sich dieses Spiel von der höchsten Abstraktionsebene, nämlich dem intellektuellen Durchspielen einer ethischen Urteilsbildung, in der sich der Mensch als homo sapiens präsentiert, bis zur konkreten Daseinsebene erstreckt, in der der Mensch als homo faber40 wirkt, scheint es uns gerechtfertigt, den homo ludens als geeignete integrative Menschenbildannahme für den Ethikunterricht vorzuschlagen. Quelle: Marsal, Eva: »›Spiel‹ und ›Ethisches Lernen‹ – Die philosophische Entwicklung der Menschenbildannahme ›Homo ludens‹ für den Ethikunterricht«, in: Marsal, Eva; Dobashi, Takara (Hrsg.): Das Spiel als Kulturtechnik des ethischen Lernens, Philosophie und Bildung, Bd. 5, LIT Verlag, Münster 2005 (überarbeitet), S. 12–22.
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Hier schließe ich mich der Ablehnung Christoph Hubigs gegen die »Zwei-Kulturen-Lehre« von Charles P. Snow an, in der homo ludens als Gegensatz zum homo faber gesehen wird. Vgl. Hubig, Christoph: »Homo faber und homo ludens«, in: Poser, Stefan; Zachmann, Karin (Hrsg.): Homo Faber ludens. Geschichten zu Wechselbeziehungen von Technik und Spiel, Technik interdisziplinär, Bd. 4, Peter Lang – Internationaler Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main 2003, S. 37–56.
Spielend lernen Eine anthropologische Kulturtechnik für den Ethikunterricht Peter Köck
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ie Geschichte der Pädagogik lässt keinen Zweifel an der Bedeutsamkeit des Spiels für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen aufkommen. Die Literatur zur Spielpädagogik ist beachtlich, an Spielesammlungen besteht kein Mangel. Sogar in Lehrplänen führen Spiele nicht mehr ein verstecktes Dasein in außerunterrichtlichen Veranstaltungen wie in Feiern und Festen und im Schulspiel, sondern werden als erwünschter Teil des Schullebens insgesamt angepriesen. Angesichts der selbstverständlichen bis euphorischen Akzeptanz des Spielens im menschlichen Leben verwundert es, dass die alltägliche Spielpraxis mit der Einschulung der Kinder eine erhebliche Einschränkung erfährt, bevor sie spätestens mit Beginn der Sekundarstufe I – von lehrerabhängigen Ausnahmen abgesehen – ganz zusammenbricht. Der »Kinderkram« scheint mit »dem Ernst des Lebens« nicht vereinbar zu sein.
Spielend lernen – ein Widerspruch? Lernen Die Lernpsychologie definiert Lernen formal und ohne wertende Gewichtung als relativ überdauernde Veränderung von Einstellungen und Verhaltensweisen aufgrund von Erfahrungen im weitesten Sinne. Unter dem pädagogischen Aspekt ist mit unterschiedlichen erkenntnisleitenden Interessen und daraus abgeleiteten Lernzielen sinnhaftes, ganzheitliches und lebenslanges bildendes Lernen angestrebt, mit förderlichen Effekten für die Persönlichkeitsentwicklung und die Realitätsbewältigung. In einem systemisch-konstruktivistischen Verständnis ereignet sich nachhaltiges Lernen als jeweils individueller zweck- und zielorientierter Zugriff des Lernenden selbst auf die Wirklichkeit, wobei Kognition, Emotion und Handeln in einem engen Wechselwirkungsverhältnis miteinander verbunden sind. Natürliche Auslöser für Lernprozesse sind Verunsicherung durch Nichtübereinstimmung des individuellen Verhaltens mit Umweltanforderungen und Neugier als das Lernmotiv schlechthin.
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Spielen Spielen zielt als spezielle Form des individuellen und kommunikativen Handelns auf selbst veranlasste und selbst gesteuerte Konstruktion von Wirklichkeit, ohne dabei, wie etwa das Lernen, verordneten Zwecken und Leistungsansprüchen unterworfen zu sein. Für die Interpretation dieses Definitionsvorschlags erweisen sich die konstitutiven Merkmale des Spiels als nützlich, die auch bei den Überlegungen zur Wechselwirkung mit dem Lernen und zu den Möglichkeiten einer schulischen Spielpraxis bedacht sein wollen. 1. Spielen bedeutet (lebensnotwendiges) Handeln, das absichtlich eingeleitet, zielgerichtet und gegenstandsbezogen der aktiven Wirklichkeitsbewältigung auf einer stellvertretenden Realitätsebene (Scheinwelt) dient, und zwar als ständig notwendige »Thematisierung der eigenen Existenz in der Welt«.1 Nach Piaget gewährleistet das Spielen die Übernahme und Verarbeitung der außerindividuellen Welt mit dem Effekt zunehmenden Selbstvertrauens und gefestigter Handlungssicherheit. Das Spiel kann Erkenntnisse einleiten, Fähigkeiten anbahnen, therapieren, es kann aber auch süchtig und arm machen. Das Handeln um des Handelns willen verdankt das Spiel der Freude daran, etwas zu bewirken. Es ist also allemal sinnvoll und ergebnisorientiert, ohne aber einen unmittelbar praktischen Zweck zu verfolgen, d. h. ohne Rücksicht auf die Handlungsfolgen nehmen zu müssen. Spielhandlungen sind gekennzeichnet durch Freude am Manipulieren, durch Versuch-Irrtum-Handeln und durch kreative Verläufe und Effekte. 2. Spiele sind Als-Ob-Handlungen in eingebildeten Situationen. Die Spielerin bzw. der Spieler nimmt den Aspekt der Verantwortung für die Folgen aus seinem Handlungsvollzug heraus und begegnet damit auch der Gefahr eventueller Sanktionen. Vom alltäglich geforderten Lebensvollzug abgekoppelt, ist der spielende Mensch freigesetzt zum Streben nach Idealen, für Nicht-Alltägliches, zum Experimentieren bei seiner Identitätsfindung u. a. m. Spiele, vor allem Funktions-, Imitations- und Rollenspiele, dienen insofern immer der Einübung in Routinehandlungen des Alltags, sie sind aber nicht Alltag im Sinne zwangsnotwendiger Zweckdienlichkeit. Die beliebige Wiederholbarkeit von Spielen begünstigt diesen Einübungseffekt. Gravierende Sanktionen von außen sind nicht zu befürchten, schlimmstenfalls in Form eigenen Unbehagens über einen unbefriedigenden Spielverlauf. 3. Spielen bedeutet, sich der Einhaltung von – oftmals sogar ritualisierten – Regeln zu verpflichten. Regeln stellen bei der grundsätzlichen Offenheit von Spielen in Verlauf und Ergebnis die Möglichkeit von Gelingen und Misslingen sicher und sorgen auf diese Weise für Spannung. Über die Regeln »schafft Spielen Ordnung, ja es ist Ordnung« 2 , Abweichung von Spielumständen und Spielregeln verdirbt das Spiel.
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Oerter, Rolf: Psychologie des Spiels. Ein handlungsorientierter Ansatz, Psychologie Verlags Union, Beltz Verlag, Weinheim/Basel 21997, S. 256. Huizinga, Johan: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, übers. von Hermann Nachod, rde 11, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 81966, S. 17.
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4. Spielen erfolgt freiwillig und ganzheitlich. Verordnete Spiele bedeuten eine Fremdbestimmung der Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit sowie eine Verzweckung. Eine Steigerung erfährt der Effekt der Fremdbestimmung durch die – möglicherweise durchaus gut gemeinte – Ausrichtung des Spiels auf Teilverhaltensbereiche des Menschen, z. B. auf seine kognitive Leistungsfähigkeit, womit der wesentlich ganzheitliche Charakter des Spiels verfehlt wird.
Spielend lernen – Widerspruch oder Wechselwirkung? Die fehlende Lernzielorientierung bzw. die Zweckfreiheit im Sinne nicht unmittelbar angestrebter Alltagstauglichkeit scheint das Spiel auf den ersten Blick in Gegensatz zum Lernen zu bringen. Und in der Tat spielen Menschen, insbesondere Kinder nicht, um zu lernen, zumindest nicht in zweckorientierter, auf Nützlichkeit ausgerichteter Absicht. Spielen schließt aber keineswegs aus, dass sich Lerneffekte im Sinne der Steigerung von Lebenstüchtigkeit im weitesten Sinne unbeabsichtigt und nebenbei einstellen. Spielende leben sich selbst ganzheitlich mit ihren bisher g esammelten Erfahrungen, Emotionen, Wünschen, auch Ängsten im Verhältnis zur Umwelt und in Wechselwirkung zu ihr aus. Unter pädagogischem Aspekt sehen z. B. John Locke, Jean-Jacques Rousseau, Johann Heinrich Pestalozzi, Friedrich Fröbel und Maria Montessori das Spiel als die dem Kind eigene Lebenswelt, in der und durch die wirklichkeitsangemessenes Wissen, Können und moralisches Verhalten grundgelegt, geübt und gefördert werden. Der gemeinsame Schnittpunkt von Spielen und Lernen ist Handeln als individuell geleistete Konstruktion von Wirklichkeit. In beiden Fällen wird versucht, der Wirklichkeit möglichst ökonomisch beizukommen, d. h. dieselbe mit den schon beherrschten Handlungsstrategien zu bewältigen und erst im Bedarfsfall die eigenen Handlungsmöglichkeiten den veränderten Verhältnissen anzupassen. Piaget spricht in diesem Zusammenhang von den Vorgängen der Assimilation und Akkomodation beim Ausbau der Zugriffsmöglichkeiten auf die Wirklichkeit, die im Spiel als dem »Königsweg des Lernens« verfolgt werden, da dieses den Menschen als ganzen fordert, d. h. nicht auf Teilleistungsbereiche reduziert. Der Hauptunterschied zwischen Lernen und Spielen liegt darin, dass der Mensch beim Lernen mit Absicht, freiwillig oder auch gezwungen handelt, um einen selbstoder fremdgesetzten Zweck zur Steigerung der Lebenstüchtigkeit zu verfolgen. Beim Spielen dagegen handelt er mit Absicht ausschließlich freiwillig und aus Freude am Handeln, selbst in einer Scheinwirklichkeit. Lerneffekte sind hier nicht von vornherein beabsichtigt, sondern Zufalls- und Nebenprodukte, trotzdem aber meistens nachhaltiger als beim Lernen.
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Spielen – eine anthropologische Kulturtechnik? Kultur als der vom Menschen geschaffene und tradierte Teil der Welt umfasst sowohl die Objektivationen menschlicher Tätigkeit wie Sprache, Brauchtum, Wissenschaft, Kunst, Technik, Werte und Normen als auch die jeweils zeitabhängige Art der individuellen und kollektiven Lebensgestaltung, die sich z. B. in Ich-Verständnis, Umgangsformen, Regeln und Ritualen und praktizierter Moral ausdrückt. Lernen durch Spielen und Daseinsgestaltung, u. a. durch Moral und Ethik, gehören zur anthropologischen Grundausrüstung des Menschen. Beide sind notwendige, das menschliche Dasein wesentlich kennzeichnende Bedingungen für die individuelle und soziale Entwicklung und Gestaltung menschlichen Lebens im kulturellen Umfeld und in Wechselwirkung mit diesem. In seiner Instinktunsicherheit als »physiologische Frühgeburt« 3 sowie als »Män gelwesen« 4 , aber auch auf Sinnfindung und Zukunftsentwurf, auf Verwirklichung von Freiheit und Vergesellschaftung angelegt 5 , bedarf der Mensch zwingend der Hilfestellung durch Bildung und Erziehung bei seiner Entwicklung. Für diese Einübungsphase in die Lebensbewältigung werden Spielen und Lernen mittels Spielen seit der griechischen Antike (Platon, Aristoteles) als wesentliche, den Menschen auszeichnende Formen des Verhaltens und Handelns reflektiert. Nach Schiller »ist der Mensch nur da ganz Mensch, wo er spielt«. Der Vater aller Spieltheorien der Neuzeit, Johan Huizinga, sieht in seinem homo ludens6 gar den Ursprung aller Kultur im Spiel. Die zeitgenössische einschlägige Fachliteratur ist sich darin einig, dass bedeutsame Lernprozesse über die Wirklichkeitskonstruktion im Spiel laufen. Im Vorschulalter ist das Spiel die allein tragende Lernstrategie. Sprache, Kommunikation, Umgang mit dem eigenen Körper und dem Umfeld, der Handel um Identität, auch moralisches Verhalten und die ethische Reflexion über dasselbe werden spielerisch z. B. über Imitation, Modell-Lernen, Versuch-IrrtumHandeln und Rollenspiel erworben. Eine andere Möglichkeit steht nicht zur Verfügung, wenn man von Drill und Zwangsmaßnahmen absieht, deren Effekte erfahrungsgemäß meistens kontraproduktiv für eine positive Lebensgestaltung sind. Der hohe Stellenwert des Spiels vor allem für die frühkindliche und kindliche Entwicklung ist also unbestritten. Es besteht allerdings noch genug Forschungsbedarf darüber, welche Lerngegenstände das Spiel besonders oder gar notwendig als Lernweg herausfordern.
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Vgl. Portmann, Adolf: Zoologie und das neue Bild vom Menschen. Biologische Fragmente zu einer Lehre vom Menschen, rde 20, Reinbek bei Hamburg 21956 und vgl. Portmann, Adolf: Biologie und Geist, Burgdorf-Verlag (Edition Nereide), Göttingen 31999. Vgl. Gehlen, Arnold: Anthropologische Forschung. Zur Selbstbegegnung und Selbstentdeckung des Menschen, rde 138, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1961 und vgl. Gehlen, Arnold: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt, AULA Verlag, Wiesbaden 1986, im Rückgriff auf Herder. Vgl. z. B. Litt, Theodor: Die Sonderstellung des Menschen im Reich des Lebendigen, Dietrichsche Verlagsbuchhandlung, Wiesbaden 1948 und vgl. Plessner, Helmuth: Mit anderen Augen. Aspekte einer philosophischen Anthropologie, UB 7886, Philipp Reclam jun., Stuttgart 1982. Vgl. Huizinga, Johan: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, a. a. O.
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Stellenwert des Spiels im Ethikunterricht Sind Spiel und Unterricht überhaupt vereinbar? Spiel und Unterricht zusammenzubringen, ist problematischer als Spiel und Lernen. Unterricht ist immer mit Absicht lernzielorientiert, das Spiel nicht. Es findet kein Unterricht statt, wenn in der für ihn geplanten Zeit ein Spiel durchgeführt wird, und es liegt kein Spiel vor, wenn es unterrichtlichen Zwecken untergeordnet wird. Spiele machen Kindern und Jugendlichen keinen Spaß, und sie büßen ihre Anziehungskraft ein, wenn sie auf Schleichwegen in den Dienst von Lernzielen genommen werden. Spiele im bisher beschriebenen Sinne können also entweder nur mit offenem Lerneffekt an die Stelle von Unterricht treten oder sie werden den Schülerinnen und Schülern von vornherein mit lernbedingten Einschränkungen als Lernspiele angeboten. Statt einem Etikettenschwindel mit zunehmender Verstimmung ausgesetzt zu sein, lassen sich die Schülerinnen und Schüler auf das Lernspiel bewusst ein, um wenigstens einige Merkmale des freien Spiels für die Verfolgung ihrer selbst gesetzten oder verordneten Lernabsichten zu retten. Das Lernspiel ist also meist fremdbestimmt, lernzielorientiert und klar geregelt (wie der Unterricht), aber auch immer handlungsorientiert, lustbetont, eventuell wettkampforientiert und benotungsfrei (wie das freie Spiel). Freies Spiel statt Unterricht und Lernspiel im Unterricht können auf die folgenden Wirkungen bauen7: ¬ Sie ermöglichen Probe-Handlungen in sanktionsfreiem Raum, auch im Ringen um Wertorientierung und hinsichtlich der Entwicklung des moralischen Urteilsvermögens, ohne die keine tragfähige Schulkultur entstehen kann. ¬ Sie begünstigen ganzheitliches Lernen und fördern die Selbsttätigkeit der Schülerinnen und Schüler. ¬ Sie wecken und steigern die Aufmerksamkeit. ¬ Sie schärfen die Wahrnehmungs- und Beobachtungsfähigkeit. ¬ Sie erweitern das verbale und nonverbale Verhaltensrepertoire. ¬ Sie ermuntern die Schülerinnen und Schüler (und Lehrerinnen und Lehrer) zu spontanen Gefühlsäußerungen, die im Regelfall des Unterrichts eher vermieden werden – mit oft weitreichenden, verdeckten negativen Folgen. ¬ Sie fordern und fördern kreative Handlungsmöglichkeiten. ¬ Sie beleben die unterrichtlichen Phasen der Anwendung, Übung und Wieder holung. ¬ Sie üben in die grundlegenden Verhaltensweisen partner- und verständigungsorientierter Kooperation ein. ¬ Sie helfen unter Umständen, Konflikte zu bearbeiten, Aggressionen abzuleiten, Hemmungen zu überwinden, und fördern insofern das soziale Lernen.
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Vgl. Köck, Peter: Handbuch der Schulpädagogik für Studium – Praxis – Prüfung, Auer Verlag, Donauwörth 22005.
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¬ Sie können zur Einübung in einen vertretbaren Wettbewerb benutzt werden. ¬ Sie dienen gelegentlich der Überwindung eines »toten Punkts« oder während lang andauernder, einseitiger kognitiver Forderung schlicht der Erholung. Aber trotz allem und grundsätzlich gilt: Spiele im Unterricht, auch Lernspiele, dürfen nicht aufgezwungen werden. Zwar haben sie ihre didaktisch und methodisch legitimierten Platz im unterrichtlichen Gesamtverlauf, sie müssen aber zusätzlich von den Schülerinnen und Schülern angenommen werden.
Das Spiel im Ethikunterricht Aufgabe des Ethikunterrichts ist die Einübung in moralische Urteilsfähigkeit und moralisches Handeln im Rückbezug auf ethische Maßstäbe. Inhaltlich geht es im Ethik unterricht immer um eine Antwort auf die Frage nach dem gerechten und guten Leben des Einzelnen und der Gesellschaft. Moralische Urteilsfähigkeit und moralisches Handeln können nicht über Belehrung vermittelt, sondern nur durch eigenes Handeln, Probieren, Üben erworben werden. »Wenn man einem Kind Moral predigt, lernt es Moral predigen"8 , aber nicht sich moralisch zu verhalten. Moralisches Verhalten bewährt sich in konkreten Alltagssituationen, in denen Wissen – z. B. über ethische Maximen – und Erkenntnisse – z. B. über den Zusammenhang von Moral und Ethik – erprobend und überprüfend unmittelbar in Handlung umgesetzt werden. Lediglich auf Vorrat gesammelte Information greift erfahrungsgemäß nicht unter Handlungsdruck. Im antiken Griechenland waren Spiel und Religion und über beide der Erwerb und die Ausübung ethischer Prinzipien, z. B. in den pythischen, isthmischen und olympischen Spielen, selbstverständlich verbunden. Tugend als taugen zu etwas bzw. Tüchtigkeit wird im spielerischen Üben und im Wettkampf erworben. Das Spiel ist die Methode, »an sich weder böse noch gut"9, das Übungsziel ist die moralische Urteilsfähigkeit als Ergebnis des im Spiel und im Alltag ausgetragenen dialektischen Schlagabtausches in der Umsetzung ethischer Prinzipien. Nach heutzutage überwiegend vertretener Auffassung besteht die erstrebte und nur durch Übung erreichbare Tugend darin, das eigene Glücksstreben zu befördern und das Glücksstreben anderer wenigstens nicht zu behindern, mit anderen Worten: Sie besteht in der Erfüllung der Menschenrechte und/oder der Goldenen Regel als handlungsleitender ethischer Prinzipien. Der Vergleich der Stationen ethischer Urteilsbildung als eines reflexiven und kommunikativen Vorgangs mit den Stationen eines reflektierten Spielerlebnisses verdeutlicht die Gebundenheit beider an Reflexion und (übendes) Handeln gleicherweise:
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Miller, Alice: Am Anfang war Erziehung, Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1980, S. 119. Vgl. Huizinga, Johan: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, a. a. O.
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Stationen ethischer Urteilsbildung 1. Situationsanalyse der objektiven Gegebenheiten und der eigenen diesbezüglichen Lebens- und Erfahrungswelt
Stationen der Spielerfahrung 1. Bisherige Spielerfahrungen, positive und negative Erlebnisse
2. Vergleich mit den Grundbedürfnissen und -bedingungen des 2. Erwartungen und Wünsche an menschlichen Lebens als notwendiger Handlungsrahmen das Spielgeschehen 3. Orientierung an ethischen Prinzipien wie z. B. Gerechtigkeit, Solidarität, Humanität und an Traditionen und Werten im geschichtlichen aktuellen gesellschaftlichen Kontext
3. Orientierung am offiziellen Regelwerk des Spiels
4. Ableitung eines ethisch begründeten Urteils im verständigungsorientierten Diskurs
4. Ableitung regelorientierter Verhaltenskonsequenzen für den Spielverlauf
5. Prüfung der Realisierbarkeit der ethisch begründeten Entscheidung im konkreten Handeln – offen im Ergebnis, aber nicht beliebig revidierbar
5. Prüfung des Regelverhaltens im aktuellen Spielverlauf
Der Ethikunterricht ist unter der Forderung, Einübungsfeld für alltagstaugliches moralisches Verhalten zu sein, zwangsläufig auf Handlungsorientierung verwiesen. Dafür hält der Schul- und Unterrichtsalltag viele aktuelle Anlässe bereit. Spiele haben diesen gegenüber einige Vorteile: ¬ Sie thematisieren auch moralische Entscheidungssituationen, die der erlebte Schulalltag nicht hergibt. ¬ Sie bringen ethisch relevante Sachverhalte durch Veranschaulichung und Verdeutlichung im spielerischen Durchleben auf den Punkt. ¬ Sie können als sanktionsfreies Experimentierfeld vor dem Ernstfall und in sicherer Distanz zu peinlicher eigener Betroffenheit in moralischen Alltagsentscheidungen genutzt werden. ¬ Sie fördern die Einübung in moralisches Handeln ohne erhobenen Zeigefinger und ohne einseitig intellektuelle Kraftakte eher nebenbei. ¬ Die gerade in moralischen Entscheidungssituationen gegebene und tragende Wechselwirkung von kognitiven und affektiven Verhaltensanteilen bleibt erhalten. Ethische Urteilsbildung erfolgt immer auf emotionaler Basis. Für den handlungsorientierten Zugriff sowohl in der vorgefundenen Wirklichkeit als auch über das Spiel sprechen auch die alters- und schulartübergreifenden Intentionen, die im Ethikunterricht verfolgt werden und deren Übereinstimmung mit den Wirkungen des Spiels auffallen: ¬ ¬ ¬ ¬ ¬ ¬
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Selbstwahrnehmung und Selbstfindung soziale Wahrnehmung und Verantwortung Sinnfindung und Lebensorientierung Leben in kultureller Vielfalt und gesellschaftlicher Verantwortung ästhetische Kompetenz und Umweltbewusstsein Selbstbehauptung und Normenreflexion.10 Vgl. zur näheren Erläuterung Köck, Peter: Handbuch des Ethikunterrichts. Fachliche Grundlagen – Didaktik und Methodik – Beispiele und Materialien, Auer Verlag, Donauwörth 2002, S. 129–130.
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Jedes dieser Lernzielfelder muss über Erfahrung, Versuch-Irrtum-Handeln, ModellLernen und in der Realität geprüfte Übung angegangen werden. Die immer wieder beklagte Ineffektivität von Unterricht allgemein ergibt sich größtenteils aus zwei hartnäckig aufrecht erhaltenen Abläufen: Einerseits werden die Schülerinnen und Schüler bei der Begegnung mit der Wirklichkeit auf fremdgesteuerte Strategien des Zugriffs verwiesen statt auf die ihnen mögliche eigene Wirklichkeitskonstruktion. Andererseits bleiben Informationen, Erkenntnisse und Einsichten in der kognitiven Verarbeitung hängen, oft genug auch noch ohne erkennbaren Zusammenhang untereinander, statt im Handeln auf Brauchbarkeit und sichere Beherrschung geprüft zu werden. Der Ethikunterricht kann sich diese lernhemmenden Vorgänge noch weniger leisten als jedes andere Unterrichtsfach. Moralisches Urteilsvermögen und Handeln ist in altersgemäßer Form im gegenwärtigen Alltag gefragt und auch dort zu entwickeln. Auf ideale Weise ereignet sich die Einübung in moralische Urteilsfähigkeit zweifellos als integrierter Bestandteil des schulischen Lebens, etwa in Anlehnung an die »Gerechte Schulgemeinschaft« Kohlbergs, auch wenn sie im Regelschulsystem zwangsläufig nicht ohne modifizierende Abstriche Einzug halten kann.11 Mindestens aber muss der Ethikunterricht ein Forum für die Einübung prinzipienorientierter moralischer Urteilsfähigkeit durch die Aufarbeitung schulischer Alltagsprobleme sein. Spiele eröffnen hier die Möglichkeit, Verhaltensvarianten zu erproben, Perspektivenwechsel vorzunehmen, sich in Empathie einzuüben, sich bewusst an unterschiedlichen ethischen Prinzipien zu orientieren u. v. m. – all dies ohne die unerbittliche und allemal von Konsequenzen begleitete Endgültigkeit moralischen oder unmoralischen Verhaltens im Ernstfall. Im Spiel geht es immer um Verhaltenstraining – auch wenn es nicht unmittelbar intendiert ist –, und zwar unter dem Maßstab der sozialen Billigung. Konventionen, Vereinbarungen, Sanktionen, Regeln leiten und begleiten die Arbeit am Aufbau der personalen und sozialen Identität, um die im Spiel wie im Alltagsleben gehandelt wird. Durch Regeleinhaltung und Grenzüberschreitung, Mogeln und das Erlebnis der damit verbundenen Sanktionen wird sozial verträgliches Verhalten erworben, das letztlich nach moralischen Maßstäben ausgerichtet ist.
Auswahlkriterien für Spiele im Ethikunterricht Spiele, die im Ethikunterricht eingesetzt werden, sind daraufhin zu befragen, inwiefern sie in besonderer Weise zur Entwicklung moralischer Urteilsfähigkeit beitragen bzw. den vordringlichen Lernzielbereichen des Ethikunterrichts dienlich sind12 . Welchen Kriterien also müssen Spiele im Ethikunterricht entsprechen?
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Vgl. ebd., S 204–205. Vgl. dazu Unterkapitel »Das Spiel im Ethikunterricht«.
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1. Ein echtes Problem aus der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler, aus dem unmittelbaren Schulalltag, aus der Vorstellungswelt der Schülerinnen und Schüler fordert dringend die Bearbeitung ein. Das gewählte Spiel muss die von den Schülerinnen und Schülern formulierte Problematik auch exakt treffen. Spiele im Ethikunterricht sind nur gerechtfertigt, wenn sie als die bestmögliche Strategie zur Problembearbeitung ermittelt wurden. Die grundsätzlichen Vorteile des Spiels im Ethikunterricht allein, nämlich z. B. moralische Problemsituationen aus der Distanz zur eigenen Betroffenheit im Durchspielen von möglichen Alternativen und mit höherem Effekt für das Alltagshandeln bearbeiten zu können, reichen für die Spielauswahl nicht aus. Was also kann ein bestimmtes Spiel leisten? Lebt es z. B. von der genauen Regeleinhaltung oder bedarf es einer bestimmten kommunikativen Fähigkeit, um zu funktionieren? Erst die genaue Analyse eines Spiels und der von ihm favorisierten Verhaltensweisen gibt Anhaltspunkte für seine Brauchbarkeit zur Bearbeitung einer moralischen Problemsituation. 2. Das zur Problembewältigung angebotene Spiel muss von den Schülerinnen und Schülern erwünscht sein bzw. zumindest akzeptiert werden. Das Spielmerkmal der Freiwilligkeit muss wenigstens dadurch gewährleistet bleiben, dass keine Schülerin und kein Schüler zum Mitspielen gezwungen wird. 3. Das Spiel muss für die Schülerinnen und Schüler geeignet sein. Es stellt in Aufgabenstellung, Verlauf und Regelwerk eine Herausforderung für die Schülerinnen und Schüler dar, ohne ihre Konzentration und Ausdauer zu überfordern. Für das Spiel unabdingbare Methoden und Verhaltensweisen müssen vorher geklärt und hinreichend geübt sein, wenn dies im Spiel selbst die Leistungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler übersteigt. 4. Spiele im Ethikunterricht, insbesondere Lernspiele, sind unmittelbar oder mittelbar, in erklärter Absicht oder als Nebeneffekt Mittel zum Zweck. Sie vermitteln in sanktionsfreiem Raum Einsichten in Verhaltenszusammenhänge bei gleichzeitiger Möglichkeit übenden Ausprobierens. Sie schaffen damit das Material für den nötigen praktischen Diskurs, der den Zusammenhang zu ethischen Maßstäben herstellt. Spiele nur um des Spielens willen widersprechen dem Zweck des Unterrichts generell. Letztlich kann es nur der einzelnen Ethiklehrerin bzw. dem einzelnen Ethiklehrer mit viel Feingefühl gelingen, zusammen mit den Schülerinnen und Schülern einen gangbaren Weg zwischen totaler Verzweckung des Spiels im Dienst von Unterricht und der Aufgabe notwendigerweise zweck- und lernzielorientierten Unterrichts zu finden. Spiele im Ethikunterricht sind von Schülerinnen und Schülern sowie von der bzw. dem Lehrenden ständig in hinreichendem Abstand zu zwei Extremen »durchzubringen«: Sie dürfen nicht zu bloßen Spielstunden geraten, aber auch nicht im Dienst des penetrant erhobenen Zeigefingers am moralischen Horizont stehen. 5. Spiele im Ethikunterricht haben es mit Verhalten zu tun. Sie fordern die Schülerin bzw. den Schüler ganzheitlich mit Intellekt, Gefühlen und Handlungsbereitschaft. Das Ausmaß des Sich-Einlassens auf das Spielgeschehen entscheidet mit darüber, inwieweit es den Schülerinnen und Schülern gelingt, den selbst definierten Zweck des Unternehmens zu »überspielen« und offene Ergebnisse zuzulassen.
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Vorsicht ist in diesem Zusammenhang geboten bei dem Einsatz gruppendynamischer Spiele und Übungen, die eventuell Verhaltensweisen und Aktionen freisetzen können, die sowohl die Spielerinnen und Spieler als auch die Lehrerin bzw. den Lehrer als Spielleiterin bzw. Spielleiter überfordern. 6. Bei der Auswahl des Spiels ist sein Platz im Unterricht zu bedenken: Dient es im Stundeneinstieg dem Problemaufriss, der Verunsicherung der Schülerinnen und Schüler, dem Anstoß ihrer Neugier nach Information und Aufklärung? Fördert es in der Erarbeitungsphase das Durchspielen von Verhaltensvarianten, die Klärung einer komplexen Ausgangssituation, die Gewinnung und Formulierung von Erkenntnissen? Hilft es in der Vertiefungs- bzw. Ausweitungsphase, zu Grunde liegende ethische Prinzipien auf ihre Tragfähigkeit zu befragen, die Gültigkeit der gewonnenen Verhaltensweisen in anderen Lebenssituationen zu prüfen u. a.? Dient es dem Zweck der Anwendung und Übung zur Festigung des moralischen Urteilsvermögens?
Übersicht über geeignete Spiele im Ethikunterricht 1. Funktionsspiele haben im Ethikunterricht ihren festen Platz, wenn es darum geht, Fähigkeiten zu überprüfen und einzuüben, die einem sicheren moralischen Urteilsvermögen zu Grunde liegen. So kann z. B. die für die Einschätzung einer moralischen Entscheidungssituation nötige konzentrierte Wahrnehmung und Beobachtung durch Suchspiele, Memories, Puzzles, Kombinationsspiele, Hörkettenspiele, Spiele zur Farb- und Geräuschunterscheidung gesteigert werden. Freilich sind solche Spiele weit im Vorfeld der moralischen Entscheidung selbst und ihrer ethischen Begründung angesiedelt; ohne die durch sie geförderten Grundfähigkeiten hängt aber jede moralische Entscheidung äußerst unsicher sozusagen als Zufallsprodukt oder reine Kopfgeburt in der Luft. Funktionsspiele unterstützen die wirklichkeitsentsprechende und problembezogene Registrierung, Wahrnehmung und Verarbeitung moralisch relevanter Situationen. 2. Konstruktions- und Gestaltungsspiele im weiteren Sinne halten die Schülerinnen und Schüler zum erfolgsorientierten und verantwortungsbewussten Umgang mit Material und Umgebung an. Die intensive Erfahrung des Eigenwertes und der Eigengesetzlichkeit von Material sowie der Möglichkeiten und Grenzen seiner Veränderung legt das Fundament, auf dem umweltethische Entscheidungen mit realistischer Folgenabschätzung getroffen werden können. Mit Recht kann man hier einwenden, dass Spiele dieser Art besser z. B. im Kunst-, Werk- und Physikunterricht beheimatet sind. Die ethische Dimension wird allerdings leider außerhalb des Ethik- und Religionsunterrichts in anderen Unterrichtsfächern ausdrücklich kaum verfolgt, Lehrpläne schweigen dazu in der Regel völlig. Bei aller Zeitknappheit und Lehrplanfülle bleibt also im Ethikunterricht als einem verhaltens- und handlungsorientierten Fach die Frage zu beantworten, ob es gegebenenfalls sinnvoller ist, in altersgemäßer Weise am verantwortungsbewussten Umgang mit der materiell gegebenen Welt zu arbeiten oder ohne realistische Wirklichkeitskonstruktion ethische Maximen mit Null- oder Negativeffekt zu vermitteln.
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3. Unmittelbaren Bezug zu selbst erlebten oder fiktiven moralischen Entscheidungssituationen stellen Schatten- und Puppenspiele her, in denen die Schülerinnen und Schüler geschützt eigene Meinungen zum Ausdruck bringen können, ohne selbst als Person auftreten zu müssen. Die Distanz zum Spielgeschehen entbindet von verkrampften Verteidigungsstrategien und erleichtert auch die eventuell notwendige Aufgabe einer eigenen Position. 4. Die Pantomime kann im Ethikunterricht nicht nur zur Schulung von aufmerksamer Wahrnehmung und Einfühlung eingesetzt werden, sondern auch als Ausdrucksmittel für Gefühle, Vorgänge, Handlungen, die nonverbal ausschließlich über Gebärden, Mienenspiel und Bewegung sozusagen auf den Punkt gebracht bzw. auf das Wesentliche reduziert werden. Die Pantomime wirkt dem rationalisierenden Zerreden moralisch relevanter Situationen entgegen. 5. Stegreifspiele sind geeignet, eine gegebene Geschichte fortführend oder ausgehend von einer alltäglichen moralischen Entscheidungssituation (z. B. Lüge, Schmuggel, Steuerhinterziehung, weggekipptes Altöl, Mobbing) von Schülergruppen alternative Argumentationen und Entscheidungen erarbeiten zu lassen. In der anschließenden Reflexionsphase werden Verlauf und Ergebnis unter Vorgabe ethischer Maximen, z. B. der goldenen Regel oder des kategorischen Imperativs untersucht. Die erzielten Ergebnisse können in neue Spieldurchgänge einbezogen werden. 6. Im Pro- und Contra-Spiel können moralische Dilemmata bzw. strittige gesellschaftspolitische Themen wie die Todesstrafe oder multikulturelle Gesellschaften ausgeleuchtet werden. Beispiel aus dem Schüleralltag: Ein Schüler hat eine Klassenkameradin beim Diebstahl beobachtet. Er ist sehr in diese Klassenkameradin verliebt und bemüht sich seit längerer Zeit um ihre Zuneigung. Die beiden Spielgruppen, die für bzw. gegen eine Anzeige des Diebstahls argumentieren, brauchen ausreichende Vorbereitungszeit zur Sammlung von Argumenten. 7. Interaktionsspiele thematisieren (z. B. als Kennenlernspiele, Vertrauensspiele, Kooperationsspiele u. a.) das gruppendynamische Geschehen der Ethikgruppe selbst. Zur Diskussion stehen je nach aktuellem Anlass und Bereitschaft der Schülerinnen und Schüler Art und Weise des Rollenkampfes in der Gruppe, Formen von Unterdrückung und Gewaltausübung, Vorurteile und Mobbing, Umgang mit Gefühlen, Cliquenbildung, Qualität der Kooperation, praktizierte Sprache u. a. m. Methodisch setzen die Interaktionsspiele vor allem auf Situationen, die Empathie, Per spektivenwechsel und Rollentausch verlangen. Sie versprechen umso mehr Effekt, je passgenauer sie die gegebene Situation treffen, also z. B. das Kennenlernen, die Wahrnehmung und Beobachtung, die Fehlformen der Kommunikation, den Machtmissbrauch, das Wettbewerbsverhalten u. a. 8. Rollenspiele fordern zur Identifikation mit wirklichen sozialen Rollen in echten – vergangenen, gegenwärtigen oder zukünftigen – Lebens- und Handlungszusammenhängen auf. Identifikation bedeutet ganzheitliches Eintauchen in die Rolle, womit auch die in moralischen Entscheidungssituationen immer gegebene emotionale Betroffenheit ausgespielt und für die anschließende Reflexion fassbar wird.
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Die Auswertung von Rollenspielen widmet sich nicht nur der Aufklärung von Handlungsmotiven und deren Ursachen, sondern auch der Aufdeckung der handlungsbestimmenden und -begleitenden Gefühle, der kritischen Würdigung der praktizierten Sprache und des gezeigten Gesamtverhaltens. Schülerinnen und Schüler vertreten ihre unterschiedlichen Standpunkte in aktuellen Konflikten. 9. Im Regelspiel messen einzelne oder mehrere Spielerinnen und Spieler ihre Fähigkeiten an einem Spielobjekt nach festgelegten Vorschriften. Sie sind dabei von der Absicht geleitet, durch überlegene Regelbeherrschung und geschickten Umgang mit dem Spielobjekt und gegebenenfalls mit dem Spielpartner das Spiel zu gewinnen. Im Regelspiel wird um Identität gehandelt, erfolgversprechendes Verhalten entwickelt und bewährtes Verhalten geübt. Ein Sieg steigert das Selbstwertbewusstsein, eine Niederlage stellt es in Frage. Nach Piaget gilt die Regel im Regelspiel als Paradigma (=modellhaftes Musterbeispiel) für das Verständnis von Konvention und Moral. Sogar im Alleinspiel unterwirft sich die Spielerin bzw. der Spieler einer – eventuell selbst entworfenen – Regel. Sie wird auch hier – je nach Ausmaß ihrer Zweckmäßigkeit für den Spielverlauf – nur mit wohlüberlegter Begründung verändert. Leichtfertiger Umgang mit der Regel verhilft zwar möglicherweise zu einem zweifelhaften Sieg, beschert aber auch meistens Unbehagen, im weitesten Sinne ein schlechtes Gewissen. Im Regelspiel mit anderen steht die Regel als selbstverständlich gültig und/oder ausdrücklich vereinbart von vornherein fest und ist Maßstab des Spielverhaltens. Veränderungen der Spielregel setzen Metakommunikation über ihre Zweckmäßigkeit voraus und können nur über intersubjektive Verständigung vorgenommen werden. In der Entwicklung des Regelbewusstseins im Spiel begegnet uns ohne Abstriche die Entwicklungsabfolge des moralischen Bewusstseins: individuelle, willkürlich gesetzte Regeln (bis ca. 4 Jahre) werden über ein egozentrisches Regelverständnis mit starrer Orientierung an Autoritäten (bis ca. 10 Jahre) zu Regeln als Ergebnis von verbindlichen Vereinbarungen (ab ca. 10 Jahre) weiterentwickelt. Regelspiele wie z. B. Domino, Mühle, Kartenspiele, Würfelspiele, generell also Brett-, Feld- und Gesellschaftsspiele haben zweifellos einen berechtigten Platz im Ethikunterricht: ¬ Durch die erlebnismäßige Verbindung von Kognition und Emotion geben sie unmittelbaren Anlass zur Wahrnehmung von Gefühlen und ihrer Bearbeitung durch Metakommunikation, Einfühlung und Perspektivenwechsel. ¬ Die Regel, ihre Einhaltung und die Art ihres Einsatzes werden im Regelspiel zum Spiel- und Reflexionsgegenstand wie bei moralischen Entscheidungen auch. So können z. B. Regelbewusstsein und -verhalten ausschließlich strategisch gesteuert sein, was bedingte Regeleinhaltung in erster Linie unter dem Aspekt der Erfolgsorientierung bedeutet; dies schließt Übervorteilen, Austricksen und Mogeln mit ein. Gibt es etwa Spielsituationen und/oder moralische Entscheidungssituationen, in denen eventuell ein bisschen Regeleinhaltung oder ein
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bisschen Moral erlaubt oder gar angesagt ist, z. B. gegenüber regelunsicheren oder unaufmerksamen Mitspielerinnen und Mitspielern, dem ungerechten der ungerechten Lehrerin bzw. dem fernen und anonymen Finanzamt? Oder ist die Einhaltung verbindlich vereinbarter Regeln und moralischer Grundsätze unverfügbar, äußerstenfalls einer Veränderung über verständigungsorientierte Kommunikation zugänglich? Regelspiele legen Effekte von Konkurrenz und Wettkampf offen und damit die Gewinner-Verlierer-Problematik. Ebenso wie moralische Entscheidungen dürfen sie nicht abgekoppelt von Überlegungen über zwischenmenschliche Verträglichkeit ausgetragen werden: Die Aspekte der Humanität, Solidarität und Gerechtigkeit kommen ins Blickfeld. Zu Ritualen erstarrte Regeln garantieren im Regelspiel wie in der moralischen Entscheidungssituation verlässliches Verhalten mit beruhigend entlastender Wirkung im Alltagsleben. Sie bergen aber auch die Gefahr situations- und personunangemessener Praxis in sich. Dies legt die gelegentliche Reflexion über Regeln und Rituale nahe und in der Folge ihre realitätsgemäße und an ethischen Grundsätzen orientierte Weiterentwicklung im Diskurs. Kinder und Jugendliche wünschen sich ein klares und anspruchsvolles Regelsystem. Im Spiel mindern Regelwegfall und Regelerleichterung das Spielinteresse, im alltäglichen Leben verführen sie zu situationsabhängigem Relativismus und einer Kavaliersdelikt-Mentalität. Kinder und Jugendliche neigen von sich aus eher zur Regelverschärfung, deren Konsequenzen in Spiel und Rollenspielsituationen über Erleben und Reflexion daraufhin zu prüfen sind, ob sie für sie selbst und andere zumutbar sind. Regelspiele begünstigen den für die Entwicklung einer autonomen moralischen Urteilsfähigkeit unverzichtbaren Übergang von der außengesteuerten Regeleinhaltung durch Autoritäten zur selbstgesteuerten Regeleinhaltung im Abgleich mit Spiel- bzw. Kommunikationspartnern. Erwachsene unterstützen diesen Übergang durch ihr Modellverhalten, indem sie sich nicht aus dem Handel um Identität der Kinder und Jugendlichen ausklinken. Diese empfinden Erwachsene, die sich als Antwort und Richtung verweigernde »Gummiwände« (Schülerzitat) geben, zwar gelegentlich als durchaus angenehm, aber auf die Dauer für ihre Entwicklung als wenig nützlich.
Für die Lehrerin bzw. den Lehrer im Ethikunterricht bietet sich neben eigener prinzipienorientierter Regeleinhaltung in Spiel- wie in moralischen Alltagssituationen der überlegte Umgang mit der Plus-1-Konvention nach L. Kohlberg an. Gerade in Spielsituationen können Aspekte der Regeleinhaltung und des Umgangs mit Objekten und Spielpartnern eingebracht werden, die bisher von den Kindern und Jugendlichen nicht bedacht wurden, die aber für die Entwicklung ihres moralischen Urteilsvermögens von Bedeutung sind
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Fazit Spiele haben im Ethikunterricht einen hohen Stellenwert, wenn es ihnen gelingt, zwischen den folgenden Extrempositionen ihren Platz zu finden:
1 Sie müssen als Angebot genutzt werden, die Balance zu halten zwischen theorielastigen Gedankenspielereien mit wenig praktischem Nutzwert und der ausschließlichen Ansiedlung moralischer Entscheidungen im Gefühlsbereich.
2 Sie dürfen weder den Ethikunterricht zu Spielstunden ohne erkennbare ethische Relevanz umfunktionieren noch die Schülerinnen und Schüler mit unübersehbar erhobenem moralischem Zeigefinger um Spielfreude und Spielerfahrung bringen. Quelle: Köck, Peter: »Spielend lernen: Eine anthropologische Kulturtechnik für den Ethikunterricht«, in: Marsal, Eva; Dobashi, Takara (Hrsg.): Das Spiel als Kulturtechnik des ethischen Lernens, Philosophie und Bildung, Bd. 5, LIT Verlag, Münster 2005, S.130–146 (vom Autor für diesen Band überarbeitet)
Philosophisches Spielen als Methode Christian Klager Das Spiel als Orchideendisziplin der Philosophiedidaktik Das Spiel als Methode im Ethik- und Philosophieunterricht ist ein vernachlässigtes Feld, beinahe unerforscht und auch in der Praxis durch die Lust an spielerischen Handlungen unnötig diskreditiert und despektierlich als bloße Motivation abgetan. Im Philosophieunterricht zu spielen, widerspricht meist grundsätzlich dem Verständnis von geistiger Arbeit, so dass philosophische Methoden des Spiels nur spurenhaft nachzuweisen und im Vergleich zu beispielsweise Methoden der Textexegese und Hermeneutik auch in den fachdidaktischen deutschen Veröffentlichungen weit abgeschlagen sind. Die Datenbank für philosophiedidaktische Aufsätze/Veröffentlichungen DelEtaPhi von Tichy1 weist im Vergleich zum Spiel nahezu die doppelte Anzahl an Veröffentlichungen in den einschlägigen Magazinen zur didaktischen Reflexion der Textarbeit nach. Bei qualitativer Betrachtung einzelner Beiträge stellt sich heraus, dass gut die Hälfte der Titel den Begriff des Spiels metaphorisch oder nur als Überschrift verwendet und im Inhalt der Beiträge andere Themen behandelt werden2 ; die meisten einschlägigen Aufsätze präsentieren bis zum Jahr 2015 zudem eher konkrete Unterrichtsideen 3 und kaum methodische Überlegungen zum Einsatz des Spiels im Philosophieunterricht. In den letzten Jahren hat das Spiel hingegen ein wenig Aufmerksamkeit in der Fachdidaktik der Philosophie und Ethik erfahren: 2015 und 2016 erschienen je ein einschlägiges Heft der ZDPE 4 und der PP&E5 .
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DelEtaPhil - Didaktik der Ethik und Philosophie Literaturdatenbank, gegründet von Tichy, Matthias, derzeit betreut von Tiedemann, Markus, auf: https://www.deletaphi.de/deletaphi1.php (Stand: 16.04.2020). Beispielhaft kann etwa der Artikel: Pauen, Michael: »Freiheit: Wie viel Spielraum bleibt in einer gesetzlich bestimmten Welt«, in: Ethik und Unterricht 16, 2005. Heft 2: Frei? Bestimmt!, S. 4–10 genannt werden. In seinem Aufsatz thematisiert er weder Spiel oder Spielraum noch erarbeitet er die Metaphorik des Spielraums. Exemplarisch können dafür die Artikel: Kauter, Leo: »Die Rationalitätsfalle. Spielerische Erschließung einer ethischen Grundfrage«, in: Ethik und Unterricht 7, 1996, Heft 3: Ethisch denken und handeln, S. 31–34; Warmbold, Till: »›Wir machen unserer Schule eine Zukunft‹. Ein Spiel für die Sekundarstufe II«, in: Ethik und Unterricht 11, 2000. Heft 1: Zukunft, S. 39–41 oder Schneider, Rudolf: »Der Garten im Kopf. Geschichten, Bilder und Meditationen zur Lehre Buddhas«, in: Ethik und Unterricht 7, 1996. Heft 3: Ethisch denken und handeln, S. 23–30 stehen, welche die Konzeption und Beschreibung von Spielen für den Philosophieunterricht zum Gegenstand haben. Vgl. Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 37, 2015, Heft 4: Spielend Philosophieren. Vgl. Praxis Philosophie & Ethik 2, 2016, Heft 2: Arbeit und Spiel.
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Die Anzahl der veröffentlichten Bücher zu konkret philosophischen Spielen für den Schulunterricht sind als noch geringer einzuschätzen: Neben dem Sammelband Das Spiel als Kulturtechnik des ethischen Lernens von Marsal und Dobashi 6 sind nur die Bücher von Brüning, Philosophische Spiele für den Ethik- und Philosophieunterricht7, Pfeiffer und Klager, Spielend Philosophieren, 8 sowie Pfeiffer, Philosophieren und Spielen9, erwähnenswert. Obwohl die letzten drei Werke zum Spiel im Ethik- und Philosophieunterricht zwar ein Spielkonzept verfolgen, sind sie jedoch vordergründig Spielsammlungen und -curricula, deren Aufgabe das Zurverfügungstellen von Beispielen und nicht die methodische Betrachtung des Spiels ist. In einer solchen Sammlung kann auch Thömmes’ Spiele zur Unterrichtsgestaltung: Religion und Ethik10 erwähnt werden. Lediglich Pfeiffers Einführung in den Ethikunterricht in der Grundschule verweist dezidiert auf die positiven/philosophischen Effekte des Spielens und dessen explorativen Charakter im kantischen Sinne einer Begriffsexplikation und gibt Beispiele für geeignete Spiele an11. Das Standardwerk des nicht primär textorientierten Philosophieunterrichts Anschaulich philosophieren12 nimmt hingegen keinen Bezug zum Spielen in methodischer Absicht. Erst Klager untersucht das Spiel in methodischer Hinsicht ausführlich und dezidiert philosophisch.13 Eine exemplarische Literaturanalyse14 zeigt, dass Spiele, die für den Philosophieund Ethikunterricht vorgeschlagen werden, recht ambivalent in Form und Funktion sind. Drei übergeordnete Formen lassen sich grundlegend unterscheiden: So sind Spiele erkennbar, die als reine Lernspiele für das Aneignen von Sachinhalten konzipiert sind. Hinzu kommen Demonstrationsspiele, die den Schülerinnen und Schülern einen Sachverhalt verdeutlichen sollen, aber strategisch nicht mehr offen sind und daher nur bedingt als Spiel beschrieben werden können. Schließlich gibt es offene Spiele, in denen philosophisch relevante Ergebnisse und Erlebnisse für eine anschließende Auseinandersetzung entstehen. Nur unter diesen sind philosophische
Vgl. Marsal, Eva; Dobashi, Takara (Hrsg.): Das Spiel als Kulturtechnik des ethischen Lernens, Philosophie und Bildung, Bd. 5, LIT Verlag, Münster 2005. 7 Vgl. Brüning, Barbara: Philosophische Spiele für den Ethik und Philosophieunterricht in der Sekundarstufe I, Militzke Verlag GmbH, Leipzig 2007. 8 Vgl. Pfeiffer, Silke; Klager, Christian: Spielend philosophieren, Lektüreheft, Militzke Verlag GmbH, Leipzig 2012. 9 Pfeiffer, Silke: Philosophieren und Spielen, Lektüreheft für die Grundschule, Militzke Verlag GmbH, Leipzig 2017. 10 Thömmes, Arthur: Spiele zur Unterrichtsgestaltung. Religion und Ethik, Verlag an der Ruhr, Mülheim an der Ruhr 2009. 11 Vgl. Pfeiffer, Silke: Ethische Bildung in der Grundschule. Grundlagen – Anregungen – Beispiele, Schneider Verlag Hohengehren, Baltmannsweiler 2008, a. a. O. S. 114–136; insb. S. 131–132. 12 Vgl. Brüning, Barbara; Martens, Ekkehard (Hrsg.): Anschaulich philosophieren. Mit Märchen, Fabeln, Bildern und Filmen, Philosophie und Ethik unterrichten, Bd. 5, Beltz Verlag, Weinheim/Basel 2007. 13 Vgl. Klager, Christian: Spiel als Weltzugang. Philosophische Dimensionen des Spiels in methodischer Absicht, Beltz Juventa, Weinheim/Basel 2016. Dieser Beitrag ist an das 7. Kapitel des Buches angelehnt. 14 Vgl. ebd., S. 292–296.
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Spiele zu suchen, wie sie in diesem Beitrag beschrieben werden. Wenigstens fünf Unterkategorien lassen sich analysieren: 1. Zum einen sind Spiele zu beschreiben, die keinen philosophischen Bezug erkennen lassen und/oder die in rein motivationaler Absicht entworfen wurden. Solchen Spielen ist ihre pädagogische Wirkung nicht abzusprechen, sofern diese nicht durch Überstrapazierung reduziert wird. Für den Philosophieunterricht als Fachunterricht sind solche Spiele jedoch nicht fruchtbar. 2. Zum anderen sind Arbeitsaufträge zu beobachten, die zwar als Spiel deklariert werden, jedoch nach den beschriebenen Merkmalen keine Spiele sind. In den meisten Fällen fehlen eine Handlung im Als-ob, ein klares Regelsystem und eine Form von Spiellust, so dass auch nicht von einem Spielcharakter gesprochen werden kann. Solche Unterrichtshandlungen haben durchaus ihre Berechtigung als Erforschungs- oder Beobachtungssaufgaben, sie sind jedoch keine Spiele. Eine Beschreibung als Spiel führt zu einer methodischen Ungenauigkeit und Unsicherheit seitens der Lehrkräfte und Schülerschaft. 3. Einige Unterrichtsverfahren haben – zum Beispiel in der Funktion eines Gedankenexperimentes – durchaus Spielcharakter, auch wenn sie aufgrund ihrer Merkmale oder Beschreibungen nicht als Spiele im engeren Sinne beschrieben werden können. Viele Aufgaben, die zum Beispiel zur Variation von Texten oder Bildern aufrufen, können in dieser Weise als spielerische Aufgaben verstanden werden. Der hier verwendete Spielbegriff ist metaphorisch aufgeladen, wenn Handlungen im Philosophieunterricht als Spiele wahrgenommen oder benannt werden, die in anderem Kontext keine Spiele wären. Solche Aufgaben stehen in der Peripherie des Spiels. 4. Sehr wenige Spiele aus allgemeinen Spielsammlungen sind durch passgenaue Problematisierungen als philosophische Spiele zu beschreiben. Diese werden jedoch thematisch nicht eingebettet, und es fehlt eine didaktische Anschlusshandlung. Spiele dieser Art können als philosophische Spiele beschrieben werden, auch wenn sie nicht als solche aufgearbeitet werden. 5. Einige Spiele können schließlich als philosophische Spiele im engeren Sinne beschrieben werden. Diese zeichnen sich durch eine Problematisierung aus, die sich auf ein philosophisches Thema beziehen lässt, sie sind thematisch eingebettet und im besten Falle auch mit Vorschlägen für eine didaktische Anschlusshandlung (Reflexion) versehen. Philosophische Spiele sind durch klare Regeln und eine Eingrenzung einer Spielwirklichkeit (Als-ob) gekennzeichnet, die ein offenes Erreichen des Spielziels durch Leerstellen ermöglichen. Während die ersten beiden Kategorien für einen Fachunterricht nicht als Spiele in Frage kommen, wenn man von einer pädagogisch Motivation absieht, sind Aufgaben mit Spielcharakter im diffusen Übergang zwischen Spiel und anderen Unterrichtsmethoden legitime Formen von philosophischen Kulturtechniken. Schreibaufgaben, die zum Beispiel das Umgestalten von stereotypen Texten wie Märchen oder
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Fabeln zum Ziel haben, können in diesem Sinne als Aufgaben mit Spielcharakter gezählt werden. Den Wolf als ›guten‹ Wolf in das Märchen Rotkäppchen einzufügen15 oder den Text Der Wolf und die sieben Geißlein aus der Sicht des Wolfes erzählen zu lassen16 , ist im Kern kein Spiel, sondern eine produktionsorientierte Schreibaufgabe. Die kreative Tätigkeit, ein etabliertes Märchen wie Dornröschen mit, im Vergleich zum Original, umgekehrten Geschlechtern der Protagonisten Prinzessin und Prinz oder auch gleichgeschlechtlichen Figuren zu denken oder einen Fuchs in der Fabel als dumm und einen Esel als schlau zu beschreiben17, ist als spielerischer Umgang auf einer Metaebene zu verstehen. Dem Schreiben selbst ist nichts Spielerisches beizumessen; das dekonstruktivistische Aufbrechen der stereotypen Eigenschaften von Märchen ist hingegen als spielerischer Akt im Als-ob zu begreifen, der zu einer lustvollen, weil verblüffenden und erstaunlichen Veränderung der Welt führt, die kritisches Denken erfordert und fördert. In diesem Sinne hat sich in der deutschen Philosophiedidaktik eine Reihe von Texten etabliert, die als spielerisch gelten können.18
Regeln für den Spieleinsatz im Philosophie- und Ethikunterricht Für den Philosophie- und Ethikunterricht sind insbesondere die letzten beiden Kategorien von echten Spielen methodisch wirksam. In einer normierenden Zusammenfassung kann man für diese folgende zehn Merkmale19 beschreiben und für einen methodischen Einsatz fordern:
1. Spiele sollen ziel- und zweckgebunden sein. Unterricht wird von definierten (Kompetenz-)Zielen aus geplant. Jedes Unterrichtsverfahren muss daher auch in einem Ableitungszusammenhang zu den geplanten Zielen stehen. Mit einer solchen Orientierung ist jedoch nicht gemeint, dass Spiele zu einem festgelegten Ergebnis führen sollen, sondern dass das Spielen als Handlung selbst zum Kompetenzerwerb beiträgt.
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Vgl. Brüning, Barbara: Philosophische Spiele für den Ethik und Philosophieunterricht in der Sekundarstufe I, a. a. O., S. 78. Vgl. Klager, Christian: »Dummer Fuchs, rachsüchtiges Rotkäppchen. Philosophierend auf Märchen und Fabeln zugreifen«, in: Grundschulmagazin 78, 2010. Heft 6: Märchen und Fabeln, S. 29– 32. Vgl. ebd. Vgl. z. B.: Engels, Helmut: Blaue Schokolade. Geschichten zum Denken und Querdenken, Siebert Verlag, Hannover 22010. oder vgl. Lemieux, Michèle: Gewitternacht: Gedanken-Bilder-Buch, Beltz & Gelberg, Weinheim/Basel 2007. Diese sind ähnlich in einem gemeinsamen Seminar von Christian Klager und Donat Schmidt an der Universität Rostock und der Universität Dresden im Jahr 2010 diskutiert worden. Vgl. auch: Fritz, Jürgen: Theorie und Pädagogik des Spiels. Eine praxisorientierte Einführung, Grundlagentexte Soziale Berufe, Beltz Juventa, Weinheim/Basel 1991. S. 150–152.
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2. Spiele sollen an philosophische Themen anknüpfen und zur Reflexion anregen. Die thematische Einbettung des Spiels ist maßgebliche Voraussetzung für ein Spielen in methodischer Absicht. Gespielt wird auch in der Freizeit oder im Mathematikunterricht – daraus lassen sich jedoch kaum philosophische Ergebnisse ziehen. Philosophische Spiele sollten zunächst auf curriculare Probleme und Fragen der Philosophie verweisen und darüber hinaus auch nicht-kanonische Themen der Philosophie und Ethik ansprechen. Zu allererst aber sollen Spiele zur Reflexion anregen, indem sie Evidenz- und Diskrepanzerlebnisse bieten und durch Leerstellen zum Selbsttätigsein einladen.
3. Spiele sollen schülergerecht und altersangemessen sein. Wie alle Methoden dürfen Spiele die Schülerinnen und Schüler nicht über- oder unterfordern. Sofern die Spiele sich an den curricularen Unterrichtsinhalten und -methoden orientieren, ist die sorgfältige Auswahl anhand des lern- und entwicklungspsychologischen Standes der Lernenden vorzunehmen.
4. Spiele sollen eine Balance zwischen Lernerfolg und Spielfreude berücksichtigen. Spiele dienen nicht vorwiegend einer Lernprogression, ermöglichen jedoch das Ausbilden von philosophischen und allgemeinen Kompetenzen. Damit der Unterschied zwischen Spielen und anderen Methoden des Philosophieunterrichts gewahrt bleibt, sollte das Spielmerkmal der Spielfreude angemessen im Verhältnis zum Ziel des Unterrichts stehen.
5. Spiele dürfen weder psychisch noch physisch gefährlich sein. Die Schule ist ein Ort besonderer pädagogischer und didaktischer Fürsorge. Es versteht sich von selbst, dass philosophische Spiele – wie alle philosophischen Denktätigkeiten – zwar gesellschaftliche Tabus brechen dürfen, dabei jedoch Personen weder körperlich noch psychisch schaden. Persönliche Angriffe, private Despektierlichkeiten oder Gewalt schließen sich ebenso aus wie offenes Feuer in ungesicherten Fachräumen oder die Verwendung von Bild-, Text- und Gedankengut mit jugendgefährdenden Inhalten oder Darstellungen. Auch vor einer Überforderung von jüngeren Schülerinnen und Schülern (vgl. Punkt 4) durch unauflösbare Gedanken oder Probleme der Philosophie muss geschützt werden. 20
Dass der Mensch sterblich ist, wissen – trotz aller Verdrängung – alle mündigen Menschen. Grundschülerinnen und Grundschüler unvermittelt in eine Situation zu bringen, die ihnen diese eigene Sterblichkeit ohne Lösungsmöglichkeit oder Trost vorhält und diese Situation nicht angemessen aufzulösen oder auflösen zu können, muss als psychische Schädigung verstanden werden.
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6. Spielregeln sollen klar formuliert sein (Spielanleitung). Da Spiele durch Spielregeln (auch: Ort, Zeit, Raum) definiert sind, muss eine Spielanleitung vorliegen. Auch durch dieses Merkmal unterscheiden sich Spiele von anderen philosophischen Methoden für den Unterricht.
7. Spiele sollen alle Schülerinnen und Schüler einbeziehen und kommunikativ wirken. Insbesondere Spiele für die ganze Klasse sollten neben den fachbezogenen Kompetenzen auch die Sozial- und Selbstkompetenz fördern und die Untersuchungs gemeinschaft fördern.
8. Spielziele sollen fassbar und reflektierbar sein. Spielziele sind in zweifacher Hinsicht wichtig: Zum einen ist ein Spiel ohne klares Spielziel, welches in den Regeln formuliert wird, schwer denkbar und würde die Schülerinnen und Schüler per Definition vor eine unlösbare Situation stellen. 21 Zum anderen benötigt das didaktische Anschlusshandeln ein Ergebnis, von dem man ausgehen kann. Selbst ein nicht erreichtes Ziel ist ein solches Ergebnis – ohne eine Zielstellung kann man jedoch auch das Ziel nicht verfehlen.
9. Spiele sollen vorhandene Mittel berücksichtigen. Aus pragmatischen Gründen sollten Spiele in der Schule die vorhandenen Mittel berücksichtigen. Natürlich ist es Lehrerinnen und Lehrern freigestellt, Spiele mit neuen Materialien und auch Spielzeug zu entwerfen und zu produzieren – der Aufwand würde jedoch den didaktisch-methodischen Nutzen in einer Praxissituation deutlich übersteigen, wenn man dafür jedes Mal von vorne anfinge.
10. Spiele sollen didaktisch in den Unterricht eingebettet werden. Unterrichtssituationen im Philosophie- und Ethikunterricht passieren nicht zufällig. Die Planung von Schulstunden unterliegt thematischen, didaktischen und methodischen Anforderungen, die curricular und wissenschaftlich unterlegt sind. Spielen in methodischer Absicht muss daher in entsprechende Unterrichtsphasen eingepasst werden und durch angemessene Aufgabenstellungen mit den richtigen Operatoren vor- und nachbereitet werden, damit eine Transferleistung zur Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler gewährleistet wird. Trotz einer vernachlässigten Behandlung des Spiels als Methode des Philosophieunterrichts sind einige Methodenzweige in der Philosophiedidaktik vorhanden,
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Das bedeutet nicht, dass Spiele nicht dennoch so konstruiert sein dürfen, dass das Spielziel nicht erreichbar ist, wenn man gerade die kritische Haltung gegenüber den Spielregeln selbst fördern möchte.
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die auf dem Grundprinzip des Spielerischen fußen und als Spiele im engeren und weiteren Sinne verstanden werden können. Insbesondere das Gedankenexperiment, das theatrale Philosophieren und das Rollenspiel können – mit diversen Abwandlungen – zu diesen gezählt werden, denen gemein ist, dass sie – vielleicht mit Ausnahme des Gedankenexperimentes – ähnliche Zurückweisungen und voreingenommene Betrachtung erfahren mussten wie das Spiel selbst. 22 Trotz einer fehlenden empirischen Studie kann nach Rücksprache mit vielen Kollegen davon ausgegangen werden, dass das theatrale Philosophieren aber auch Rollenspiele und insbesondere Spiele im engsten Sinne noch wenig angewandte Methoden sind. Den genannten Unterrichtsverfahren ist jedoch das gleiche Erkenntnispotenzial und die gleiche Lust an der Methode – die Lust am Spielen – gemein, so dass sie völlig zu Unrecht zu den selten oder nie genutzten Verfahren der Philosophie gehören.
Das Spiel im Phasenmodell philosophischer Bildungssituationen Begreift man die Methode von der ursprünglichen Wortbedeutung her als Verfahren zur Gewinnung eines bestimmten funktionalen Ziels oder Zwecks oder Zugangs zu solchen, scheint das Spielen als Prozess zunächst disqualifiziert zu sein, da es ja gerade dadurch bestimmt ist, keinen Zweck und kein Ziel außerhalb der Spielsphäre zu verfolgen. Eine solche Beschreibung des Spiels verkennt aber zum einen das Potenzial des Spiels und nimmt zum anderen auch den Methodenbegriff selber sehr speziell auf. In Bezug auf Schule und Bildungsprozesse lässt sich dieser durchaus weiter fassen. Meyer definiert offen: »Unterrichtsmethoden sind Formen und Verfahren, in und mit denen sich Lehrerinnen und Lehrer sowie Schülerinnen und Schüler die sie umgebende natürliche und gesellschaftliche Wirklichkeit unter institutionellen Rahmenbedingungen aneignen«23 , und beschreibt damit ein erweitertes Verständnis, das zwar noch ein bestimmtes Ziel verfolgt, jedoch in der Aneignung der Wirklichkeit ein sehr offenes Ziel projiziert, welches geradezu prototypisch mit dem Spiel zu erreichen ist. Einige dieser Ergebnisse sind verschiedene Stufen der Erkenntnis über Sachzusammenhänge, die im Spiel begriffen werden und in die Wirklichkeit transferiert werden können, über das Selbst des Spielers und die Welt im Ganzen. Der Spieler eignet sich Welt im Spiel im besten Sinne des Wortes an. 24 Immerhin werden diese Formen in der zusammenfassenden Analyse Tiedemanns Welche Inhalte, welche Methoden fordert die Praxis? gemeinsam mit auch kreativen Verfahren der Text- und Bilderschließung genannt, während weitere Formen des Spiels fehlen – vgl. Tiedemann, Markus: »Welche Inhalte, welche Methoden fordert die Praxis?«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 34, 2012, Heft 2: Autobiographie. S. 160–166. Breil nennt in ähnlicher Analyse aus gleichem Jahr hinzukommend auch Strategiespiele, die jedoch nicht weiter erläutert werden – vgl. Breil, Reinhold: »Didaktische und systematische Anfänge. Ziele und Methoden des Philosophieunterrichts«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 34, 2012, Heft 3: Krieg und Frieden, S. 229–236. 23 Meyer, Hilbert: Unterrichtsmethoden I: Theorieband, Cornelsen Verlag Scriptor, Berlin 132009. S. 45. 24 Vgl. Klager, Christian: Spiel als Weltzugang. Philosophische Dimensionen des Spiels in methodischer Absicht, a. a. O., S. 144–235. 22
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Das Spiel ermöglicht Lehren und Lernen, Erkennen und Begreifen in differenzierbaren Kontexten und Fächern und eignet sich zur induktiven Vermittlung und Anwendung verschiedenster Inhalte, Prinzipien und Erkenntnisse sowohl im Als-ob als auch in der Übertragung auf die Wirklichkeit. Wenn das Spiel jedoch eingesetzt wird, um etwas zu erkennen, zu begreifen und zu lernen, dann wird das Spiel mit einem Zweck versehen, der sich außerhalb des Spiels befindet; das Spiel wird instrumentalisiert, und es wäre daher unzulässig, es als Spiel zu betrachten. Dieses Problem ist jedoch lösbar: Wichtig ist die Unterscheidung zwischen denjenigen, die das Spiel anleiten, erfinden und initiieren und denen, die es spielen. Genau diese Perspektive ist die entscheidende Größe dieser Differenzierung. Blickt man als Lehrerin oder Lehrer mit einem geplanten Bildungsprozess auf das Spiel als Methode, dann wird es in oben beschriebener Weise instrumentalisiert und mit einem Zweck versehen. Spielt man das Spiel allerdings als Schülerin oder Schüler, dann befindet man sich nicht auf einer pädagogisch-didaktischen Metaposition, die die Sphäre des Spiels als Brutkasten philosophischer Erkenntnisse betrachtet, sondern man befindet sich darin. Der Spielende kann wohl um die Planbarkeit eines Bildungsprozesses und die absichtsvolle Integration des Spiels in den Unterricht wissen – das hindert ihn jedoch nicht zwangsläufig daran, das Spiel als ein solches spielen zu können. Selbst wenn die Schülerin bzw. der Schüler den korrumpierenden Impuls wahrnimmt und weiß, dass das Spiel in der Schule einem Zweck dienen kann, bleibt es dennoch ein Spiel, wenn man es als solches lustvoll spielen kann. Das entsprechend für den Philosophie- und Ethikunterricht aufbereitete methodische Spielen kann – je nach Zielsetzung und Eignung – in verschiedenen Unterrichtsphasen eingesetzt werden. Dafür werden allgemein wenigstens die folgenden vier Elemente einer Stundenplanung unterschieden:
1 Problematisierung ► 2 Erarbeitung ► 3 Sicherung ► 4 Transfer 1 Jede Stunde beginnt im Idealfall mit einem motivierenden/verstörenden Pro blem, das es im Philosophieunterricht zu lösen gilt. Dabei ist insbesondere ein Bezug zur Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler ein Merkmal, das Bedeutung philosophischer Probleme für die Lernenden generiert. 2 Es folgt eine Erarbeitung von Problemlösungsmöglichkeiten durch diverse induktive oder deduktive Methoden vom eigenständigen Entwurf bis hin zur Lektüre klassischer Texte, die 3 anschließend zum Beispiel im Plenum ausgewertet, zusammengetragen, verglichen und gesichert werden. 4 Im Anschluss werden die Ergebnisse auf einen ähnlichen Problemfall, die Lebenswelt außerhalb des Klassenraumes und der philosophischen Theorie, angewendet und das Ergebnis erneut verglichen. Dieses stark zusammengefasste Modell PEST zeigt auf, welche Unterrichtsphasen in keiner Stunde fehlen dürfen, lässt aber Ergänzungen offen: So sind selbstver-
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ständlich mehrere Phasen der Erarbeitung und Sicherung je nach methodischer und didaktischer Notwenigkeit möglich. Auch Inhalte pädagogischer Natur, die nicht explizit genannt sind, können sich hinter den recht offenen Phasenkategorien verbergen. 25 So wie viele Methoden der Erarbeitung und Zusammenfassung in unterschiedlichen Phasen der Stunde eingesetzt werden und einige komplexe Methoden des Philosophie- und Ethikunterrichts immer schon einen Transfer beinhalten, ist auch das Spiel multifunktional einsetzbar. In zweifacher Hinsicht eignet es sich für alle angegebenen Phasen des Unterrichts:
1 Das Spiel ist für jede einzelne Unterrichtsphase (PEST) einsetzbar. 2 Das Spiel bildet alle Unterrichtphasen (PEST) ab. 1 Problematisierung und Motivation: Aus den Eigenschaften des Spiels ist ersichtlich, dass es als motivationale, lustvolle Tätigkeit gilt, die mit Freude und Interesse durchgeführt, gleichzeitig aber auch mit Ernst betrieben wird, so dass das Spiel kriteriell als Unterrichtseinstieg geeignet ist und philosophische Fragestellungen spielerisch problematisieren kann. Neben der – im Vergleich zu anderen klassischen hermeneutischen oder dialektischen Methoden – nicht hoch genug einzuschätzenden Motivation, die ein Spiel bei den Spielern auslöst, indem es bei Interesse, Fantasie, Assoziation und Diskrepanz zu bisherigen inhaltlichen, aber auch methodischen Erfahrungen der Philosophie anknüpft, ermöglicht die Methode auch das didaktisch reduzierte und damit auf den Alters- und Entwicklungshorizont der Schülerinnen und Schüler angepasste Umgehen mit Inhalten aus der Fachphilosophie. Im Spiel erscheinen die Probleme der Philosophie nicht als jahrhunderte- oder gar jahrtausendealte unlösbare und schwierige Aufgaben, an denen sich bereits Platon, Aristoteles, Hegel oder Kant versucht haben. Sie kommen einfach als Rätsel daher, die es zu lösen gilt und die nicht mehr Respekt und Ehrfurcht erforderen als ein beliebiges Spiel, und ermöglichen damit einen direkteren Zugang zum Selberdenken, der nicht durch Anbetung kanonischer Themen und Texte verstellt wird. Erarbeitung: Gleichermaßen lässt sich das Spiel als Problemerarbeitung und -lösung einsetzen und bietet die Möglichkeit, vorgestellte philosophische Fragestellungen spielerisch – das heißt durch konvergentes und divergentes Denken – ganzheitlich, nach Maßgabe der Spielregeln, zu lösen. Durch Umwege, Fehlentscheidungen, Sackgassen und ungewöhnliche Wege erarbeiten die Schülerinnen und Schüler neben der eigentlichen originären Aufgabe auch ein breites Feld um diese herum und erfahren kognitiv und leiblich mehr über das philosophische Umfeld der zu klärenden Theorie oder Praxis, während sie gleichzeitig an und über sich selbst arbeiten und Spuren ihrer Identität in spielerischer Selbstvergegenwärtigung vertiefen.
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Die unzähligen konkurrierenden Modelle unterschiedlicher Didaktiken sind nicht das Ziel dieses Beitrages. Mögliche Zugänge bietet Meyer, Hilbert: Leitfaden Unterrichtsvorbereitung, Cornelsen Verlag Scriptor, Berlin 92007.
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Sicherung: Insbesondere über die Möglichkeiten des Wettbewerbs, des theatralen Spiels und kreativer Erarbeitungsprozesse steht die Sicherungsphase in engem Zusammenhang mit der Erarbeitungsphase und bietet die Möglichkeit, gewonnene Ergebnisse zu präsentieren. Darüber hinaus kann auch die Sicherung einer Antwort auf eine gestellte Fragestellung erneut spielerisch vorgestellt und problematisiert werden. Zudem eignet sich die Sicherungsphase explizit für ein Metagespräch über Inhaltserarbeitungen, die Methode und Geschehnisse aus dem Spiel, die im Spiel selbst und im unterrichtlichen Inhaltsgespräch nicht adäquat erfolgen können. Transfer: In der Anwendung werden im Unterricht geklärte oder noch offene philosophische Probleme und deren möglichen Lösungen auf weitere abstrakte oder konkrete Ebenen transferiert und auf ihre Gültigkeit und praktische oder theoretische Plausibilität hin geprüft. Diese Übertragung kann besonders gut im Spiel erfolgen, das die Option bietet, komplexe Welten zur Verfügung zu stellen, in denen philosophische Theorien beinahe gefahrlos getestet werden können. Dabei darf man sich diese Welten als omnipotent vorstellen: Welche Probleme die Philosophie auch bieten mag – durch die Möglichkeit, Spiele abstrakt und konkret zu erstellen, gibt es quasi für jede Fragestellung auch eine mögliche Abbildung im Spiel. Allein die Regeln des Spiels entscheiden über die Gültigkeit der Spielwelt und ermöglichen damit eine ebensolche Endlosigkeit nebeneinanderstehenden Welten, wie sie auch der Philosophie hinsichtlich bestehender Probleme und Lösungen bekannt ist.
2 Da in das Spiel (und aus dem Spiel heraus) Sachverhalte, Probleme, Lösungen, Fragen und Erkenntnisse zwangsläufig aus der Wirklichkeit übertragen werden, ist ein Transfer spielimmanent. In diesem Sinne lässt sich das Spiel eben auch als Abbildung aller vier genannten Unterrichtsphasen auffassen. Es motiviert und proble matisiert zwangsläufig, denn ohne Freude am Spielen und ohne Problem wäre es gar kein Spiel; es muss eine Erarbeitung einer Problemlösung stattfinden, damit das Spiel als solches funktioniert und auch erfolgreich beendet werden kann, die Lösung muss evident sein, abgeglichen oder von einer Spielergemeinschaft legitimiert werden und der Transfer findet beim Einstieg, Ausstieg und spielimmanent statt. Spielen entspricht also der Idealform des Philosophie- und Ethikunterrichts, sofern das didaktische Paradigma des Lehrenden einen Methodenpluralismus vertritt und nicht auf einige ausgewählte Unterrichtsverfahren oder kanonische Texte festgelegt ist. Damit wird auch noch einmal deutlich, dass ein Unterricht, der das Spielen als philosophische Methode zulässt, nicht auf klassische und hinlänglich begründete und bekannte Methoden des Philosophierens verzichten kann oder soll. Gleichwohl das Spielen eine ausgezeichnete philosophische Methode darstellt, ist es nicht die einzig einsetzbare.
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Methodisches Spielen im Philosophie- und Ethikunterricht Dazu ist es zunächst wichtig, das Spiel thematisch und methodisch einzubetten: Die Lernenden sollten wissen, in welchem inhaltlichen Gebiet – vielleicht grob orientiert an den Kantischen Fragen – sie sich befinden und was ein Spiel eigentlich – im Vergleich mit anderen Methoden – ist. Mit dieser Einbettung wird das Problem der Beliebigkeit vermieden, das dem Spiel anzuhaften scheint, wenn es scheinbar ohne inhaltliche Verbindlichkeit und ohne Bezug einfach aus Spaß gespielt wird; eine solche systematische Einordnung ist jedoch kein alleiniges Problem der Methode des Spielens, sondern betrifft gleichermaßen auch den Umgang mit Filmen, Comics, Bildern und letztlich auch Texten. Auch im Anschluss an die Durchführung eines Spiels sollte die im Als-ob durchgeführte Handlung reflektiert werden. Dazu ist ein Transfer der Inhalte, Erkenntnisse und Erlebnisse in einen diskursiven Zusammenhang sinnvoll: Zum einen weil sich die philosophiedidaktische Gemeinschaft im Allgemeinen noch im Zweifel über das Potenzial nichtdiskursiver Methoden befindet und längst nicht alle Philosophie- und Ethiklehrerinnen und -lehrer wissen, welche Möglichkeiten zum Beispiel im ästhetischen Spiel verborgen sind. Durch eine an die Spielphase anschließende Erklärungs- und Auswertungsphase wird deutlich, ob und mit welchen Möglichkeiten Spiele im Unterricht eingesetzt werden können; die Verbalisierung bietet einen Sicherheitsmodus im Sinne eines Erklärungszusammenhangs. Zum anderen lassen sich bereits verbalisierte Ergebnisse einfacher in einer Sicherungsphase für zukünftige Verwendungen aufzeichnen als gefühlte und erlebte Erkenntnisse. Auch aus pädagogischen Gründen erscheint dies plausibel: Da in einem Unterricht, ganz gleich welche Methoden und Inhalte behandelt und verwendet werden, zu keinem Zeitpunkt davon ausgegangen werden kann, dass alle Schülerinnen und Schüler gleichzeitig vollkonzentriert und ergebnisoffen (philosophisch) arbeiten, muss es auch für diejenigen eine Möglichkeit geben, an den Ergebnissen der anderen zu partizipieren, die einmal nicht erfolgreich mitgearbeitet haben. Um in folgenden Unterrichtsphasen oder -stunden mit annähernd gleichen Voraussetzungen beginnen zu können, empfiehlt es sich daher, die Ergebnisse des Spiels in diskursivem Modus zu sichern und anschließend weiterzuverwenden respektive ein Anschlusshandeln an das Spiel zu etablieren und dessen Ergebnisse zu sichern. Dieses Verfahren trägt auch dem Umstand Rechnung, dass die Individuen einer Klasse mit einer gewissen Selbstverständlichkeit häufig zu unterschiedlichen Ergebnissen einer Erarbeitung kommen und diese Tatsache in den Unterricht aufgenommen und produktiv problematisiert werden kann. Zusammengefasst ist festzustellen, dass Spiele im Philosophieunterricht zur Entfaltung ihres Potenzials weder einer thematischen Einführung noch einer Anschlussreflexion bedürfen, um als Spiel in sich funktionieren zu können. Begreift man das Spiel jedoch als Unterrichtsmethode mit einer notwendig vorhergehenden und sich anschließenden Stundensequenz und damit verbundenen vergangenen und zukünftigen Themen und Inhalten, ist eine Einbettung des Spiels nach dem folgenden Schema sinnvoll und sowohl didaktisch-methodisch als auch pädagogisch nachvollziehbar:
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thematische Einordnung Spiel (darin Entdeckung und Erkenntnis) Anschlusshandlung; diskursive Zusammenfassung (darin Ordnung, Reflexion und Erklärung) Hinzuzufügen ist die Besonderheit, dass das Spiel jederzeit unterbrochen werden kann, um im Metagespräch Zwischenergebnisse, Schwierigkeiten und Lösungswege zu thematisieren und auf etwaige Disziplinschwierigkeiten einzugehen. Da eine Spielunterbrechung ein spielimmanentes Prinzip26 ist, stört dies die Durchführung der Methode nicht, sondern bietet die Möglichkeit, Zwischenergebnisse zu evaluieren und gemeinsam weitere Strategien der Umsetzung zu besprechen, die sich im Spiel nicht durchführen lassen. Dabei kann und muss auch eine zeitliche Umsetzung des Spiels thematisiert werden, da das Spiel mit der Aufhebung der Zeit in der Zeit zu einer inneren Unendlichkeit tendiert, die sich problematisch auf den weiteren Unterrichtsverlauf, die Sequenzplanung und ganz pragmatisch auch auf den weiteren Tagesablauf der Schülerinnen und Schüler auswirken kann. Gleichwohl einige Spiele durch limitierte Zeit, Aufgaben und Ziele innerhalb einer absehbaren Spanne durchzuführen sind, darf gerade bei freieren Formen des Spielens, etwa mit theatralen Einflüssen oder auch bei Wettbewerben, damit gerechnet werden, dass die Schülerinnen und Schüler mit heiligem Ernst bei der Sache sind und daher die Zeit völlig vergessen. Diese besondere Eigenschaft ist nicht auf das Spiel beschränkt – auch in einer interessanten produktiven Erarbeitung eines Bildes oder Textes oder in einem Gespräch kann man die Zeit vergessen; im Spiel scheint dies jedoch schnell die Regel zu werden, wenn die Spielwirklichkeit sich erfolgreich von der schulischen Alltagswelt abgrenzt. Das Spiel ist erst zu Ende, wenn es aus ist.
Philosophische Spiele Das Spiel kann als Gegenstand und Spielen als Methode des Philosophieunterrichts begriffen werden. Ob es sich für den Einsatz in methodischer Absicht im Philosophie- und Ethikunterricht eignet, wird maßgeblich durch die vier Grundfragen der Philosophiedidaktik nach der Legitimation, der Bedeutung, dem Inhalt und der methodischen Umsetzung philosophischer Bildungssituationen entschieden. Mit der bereits herausgearbeiteten Multivalenz des Spiels wird deutlich, dass dem Spielen in methodischer Absicht nicht notwendig bestimmte Inhalte zugeordnet werden müssen. Lediglich eine Unterscheidung der Auseinandersetzung mit dem Spiel – als Gegenstand einer philosophischen Untersuchung in anthropologischer, kulturphilosophischer oder epistemischer Perspektive – und dem Spielen im Unterricht – als methodische Verwendung – ist nachvollziehbar. Eine Spielklassifi
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Vgl. Klager, Christian: Spiel als Weltzugang. Philosophische Dimensionen des Spiels in methodischer Absicht, a. a. O., S. 55–59.
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kation für den Philosophieunterricht kann anhand unterschiedlicher Kriterien27 vorgenommen werden. Mögliche Unterscheidungsmerkmale sind unter anderem das primäre Medium des Spiels (Pen-and-Paper-Spiele, Wortspiele), die Funktionsweise des Spiels (Rollenspiel, Assoziationsspiel, Bauspiel, Regelspiel), das Ziel des Spiels (Konzentrationsspiel, Wer-weiß-mehr, Entdeckungsspiele) oder die Sozialform (Einzelspiele, Gruppenspiele). Gleichwohl diese Merkmale für eine Unterrichtsplanung und deren Zielsetzung wichtig sein können und nicht vernachlässigt werden sollten, werden im Folgenden andere Kriterien fokussiert, die den philosophischen Gehalt der Spiele prüfen sollen. Dabei scheint es zweckmäßig, Spiele für den Philosophieunterricht in die folgenden Kategorien zu unterteilen: Vorbereitungsspiele, Wissensspiele und zetetische (philosophische) Spiele. Vorbereitungsspiele sind insbesondere solche, die sich durch eine einfache Struktur und wenig Aufwand auszeichnen und zum Ziel haben, eine dem Philosophieren förderliche Lernhaltung und Aufmerksamkeit bei den Schülerinnen und Schülern zu evozieren. Sie bringen nur marginale Erkenntnisse hervor und arbeiten nicht an Sachproblemen, sondern schulen die Konzentration und die Konzentrationsfähigkeit sowie eine in alle Richtungen geöffnete Erwartungshaltung. Hierzu zählen vor allem Assoziations- und Konzentrationsspiele, bei denen es um zumeist schnelle Interaktion mit anderen sozialen Partnern oder dem Computer geht. Traditionell jedem Fach offene Varianten des Ich-packe-meinen-Koffer (mit gegebenenfalls philosophischen Begriffen) zur Übung der Memorierfähigkeit stehen dabei inhaltlich spezifischeren Spielen wie Assoziationsübungen zur Schulung von gedanklichen Verknüpfungen oder Stille Post gegenüber, die das konzentrierte Arbeiten in sozialen Interaktionen fördern sollen. Wissensspiele hingegen fördern allein die Sachkompetenz und testen, ob die Schülerinnen und Schüler sich an Unterrichtsinhalte erinnern können und wie komplex abrufbar sie diesen Stoff zur Verfügung halten oder Möglichkeiten kennen, diesen zu beschaffen. Sie fördern damit einen nicht unwesentlichen Kern des traditionellen Philosophieunterrichts und verstärken Effekte der Vorbereitungsspiele zur Erinnerung und langfristigen Zurverfügunghalten von Inhalten vom Missgeschick des Thales von Milet, über das Geburtsdatum Kants bis hin zur Mitgliederliste des Wiener Kreises. Durch diese primär unwichtigen Fakten und Anekdoten für das Philosophieren selbst lässt sich die zweite Kategorie von Inhalten plastischer und damit einfacher abrufen: Wissensspiele erfragen natürlich auch, welches Prinzip dem klassischen Utilitarismus zugrunde liegt, warum der kategorische Imperativ keineswegs mit der Goldenen Regel zu verwechseln ist und wie Descartes es schafft, aus dem Problem des täuschenden Dämons einen Beweis seines eigenen Seins zu erarbeiten. Diese reinen Sachfragen werden unter dem Anforderungsbereich I als klassisches Wissen häufig auch im Abitur, aber auch in Lernerfolgskontrollen und
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Zum Beispiel bei Pfeiffer: Regelspiele, Bauspiele, Planspiele – vgl. Pfeiffer, Silke: Ethische Bildung in der Grundschule. Grundlagen – Anregungen – Beispiele, a. a. O., S. 132–136.
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Klausuren abgefragt und rechtfertigen sich über den Bildungsauftrag der Schule: Die Schülerinnen und Schüler können auf diese Weise Zusammenhänge zwischen Schulen, Strömungen und Epochen leichter (und überhaupt erst) herstellen und Vergleiche ziehen. Zetetische (philosophische) Spiele verfolgen indes kein inhaltlich vorhersagbares Ergebnis. Vielmehr werden Möglichkeiten und Ideen erschlossen, wie verschiedene philosophische Probleme gelöst werden können. Dabei sind innovative Konzepte und Umwege ebenso denkbar wie traditionelle und erlernte Verfahren. Unterschieden werden können Spiele, die beispielsweise vorrangig das eigentliche Problem identifizieren sollen und die Schülerinnen und Schüler zur Problematik sensibilisieren, irritieren und verwirren, und Spiele, die Lösungsideen entwickeln, wobei in komplexen Varianten vielfach Übergänge zu finden sind. So werden in Gedankenexperimenten28 grundsätzlich beide Schritte nacheinander ausgeführt, um den propädeutischen oder gar wissenschaftlichen Charakter dieser Methode gerecht zu werden. Denkbar sind jedoch auch philosophische Spiele, die allein zur Feststellung eines Paradoxons oder einer Frage führen und fruchtbare Verwirrung bei den Teilnehmenden hinterlassen, während Vorschläge zur Auflösung derselben gar nicht im Spiel, sondern in einem anderen Verfahren erarbeitet werden. Ebenso können philosophische Spiele ad hoc starten und direkt auf einen Lösungsversuch hinsteuern oder kontemplativ oder symbolisch wirken. Eine trennscharfe Unterscheidung zwischen philosophischen Spielen und eher pädagogisch orientierten Verfahren oder klassischen Gesellschafts-, Sport- und Kinderspielen liegt auch in diesem Bereich in der Trennschärfe zwischen Philosophie und alltäglichem Denken und Handeln: Die Überlegung, ob man etwas sicher weiß, ist im Alltag allgemein mit einem Nachdenken über die Informationsquelle, deren Seriosität und den Kommunikationsweg verbunden. Im Philosophischen steht hingegen die Frage, ob man überhaupt etwas sicher wissen kann und wie sicheres Wissen zu beschreiben ist, im Mittelpunkt der Betrachtung. In gleicher Weise unterscheiden sich philosophische von alltäglichen Spielen: Allein die Ausrichtung auf eine bestimmte Fragestellung oder Problematik bestimmt den Gehalt des Spiels. Versteckspielen kann aus kindlicher Freude am Spiel geschehen, aber im philosophischen Kontext aus phänomenologischer Sicht einen neuen Eindruck und Hinweise auf die Leiblichkeit des Menschen und insbesondere des Individuums geben. Die Spieler lernen im Transfer von der Spielsphäre auf die Wirklichkeit Dinge über sich und ihre Verortung in der Welt oder arbeiten gar philosophische Probleme auf. Der kantischen Frage »Was soll ich tun?« kann sich – neben vielen anderen Methoden – beispielsweise durch ein Rollenspiel in einer Dilemmasituation induktiv genähert werden, aus dem sich im Transfer abduktiv allgemeine Prinzipien ableiten lassen. Gleichzeitig kann der Transfer bei philosophischen Spielen auch in die Gegenrichtung deduktiv vollzogen
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Hier mit einem engen Gedankenexperimentbegriff, wie ihn Engels vertritt – vgl. Engels, Helmut: »Nehmen wir an …«. Das Gedankenexperiment in didaktischer Absicht, Philosophie und Ethik unterrichten, Bd. 2, Beltz Praxis, Beltz Verlag, Weinheim/Basel 2004.
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werden. Lösungsstrategien, Vorschläge und Konzepte, die in der Arbeit mit klassischen Methoden erarbeitet wurden, können im Als-ob auf ihre Eignung hin getestet und beurteilt werden. So lässt sich schon im einfachen Nachspielen des klassischen Migrationsproblems mit der Metapher des übervollen Bootes oder Atombunkers29 im Angesicht der fiktiv Sterbenden erkennen, dass philosophische Lösungen, die gerecht und praktisch anwendbar erscheinen, in der Situation des konkreten Handelns Defizite aufweisen: Die hier exemplarisch herausgegriffene, vielfach auch politisch bevorzugte Variante des Kontingents erscheint unter bestimmten Gesichtspunkten gerecht und kann ethisch gegebenenfalls gut begründet werden – nun aber plötzlich aktiv handelnd dem besten Freund ins Gesicht zu sagen, dass er nicht in Sicherheit gelangen und wahrscheinlich sterben wird, eröffnet eine ganz andere und neue Dimension von ethischen Entscheidungen. Die kühn ersonnenen Thesen werden im Spiel vom Papier der Praktischen Philosophie zur tatsächlich angewandten Philosophie des konkreten Handelns. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse – im gerade ausgeführten Beispiel etwa, dass ethische Handlungen oftmals offensichtlich die Ebene der Emotionalität und persönlichen Bindung vernachlässigen – können im Anschlusshandeln wieder eingebracht werden und helfen, die Lösung des Problems zu optimieren. Die didaktische und methodische Legitimation des Spiels lässt sich in mehreren Dimensionen ableiten. Es hat sich gezeigt, dass dem Spiel in methodischer Hinsicht unterschiedliche erkenntnisfördernde Attribute zukommen und es in mannigfaltiger Hinsicht dazu geeignet ist, philosophisch relevante Kompetenzen und Reflexion zu fördern und Welt-, Selbst- und Sacherkenntnis zu ermöglichen. Dies liegt in der besonderen Verortung des Spielens als ganzheitliche Methode und der Transposition des Spiels zwischen verschiedenen Wirklichkeiten begründet. Das multivalente Spiel erlaubt ein zetetisches Philosophieren und bietet unmöglichen Welten und Gedanken einen Spielraum, der als katalysatorische Sphäre verstanden werden muss, in dem Evidenz- und Diskrepanzerlebnisse ebenso Wirkung haben wie logische Analysen, performative Akte oder perzeptive Erkenntnisse. In der Welt des Spiels stehen die Erkenntnisoptionen der Hermeneutik und Analytik neben der reinen Kontemplation, der produktiven Verwirrung oder dem symbolischen Weltverständnis. Im Vergleich mit anderen bereits etablierten Methoden und Medien des Philosophieunterrichts zeigt sich gerade das Ganzheitliche von Spielen als besonderer Vorteil. Spiele bieten viele Vorzüge unterschiedlicher Medien und fordern gleichzeitig nicht nur zur Deutung und Betrachtung, sondern zum aktiven Handeln und Lösen von entdeckten Problemen auf. Im Vergleich zum Spielfilm etwa, der durch
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Peter Singer verlegt das Gedankenexperiment des übervollen Bootes in einen modernen Atombunker mit Menschen drinnen und draußen – das philosophische Problem bleibt jedoch identisch. Vgl. Kapitel 9 »Die drinnen und die draußen« In: Peter Singer: Praktische Ethik, übers. von Wolff, Jean-Claude; Klose, Dietrich, UB 8033, Neuausgabe, Stuttgart 21994 (revidierte und erweiterte Auflage), S. 315–318.
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seine besondere Performanz als Medium des Ethik- und Philosophieunterrichts überzeugt, indem die Schülerinnen und Schüler ein Werk betrachten und gleichzeitig in der Schaffung von bewussten Sinnzusammenhängen eine andere Realität wahrnehmen 30 , stellt das Spiel eine eigene erlebbare Realität zur Verfügung, die zusätzlich veränderbar ist und sogar zu einer solchen Modifikation aufruft. Das Spielen führt die Schülerinnen und Schüler in eine emotional aufgeladene Realitätsversion, die nicht nur Illusion ist 31, sondern für den Zeitraum des Spiels nicht weniger wirklich ist als andere Wirklichkeiten. Noch mehr als im Film ist der Spieler mittendrin und muss wie im Leben die doppelte Leistung einer Reflexion zum Gegenstand mit der gleichzeitigen Selbstreflexion und -analyse der eigenen Bedingungen und Verhältnisse zum Gegenstand erbringen. Anders als eine vermeintlich nüchterne Beobachtung der Welt von einer Metaebene aus betrachtet der Spieler die Welt aus der Welt – aus seiner eigenen Position – heraus. Er muss sich daher seiner Positionalität und Perspektive im Spiel und in der Anschlussreflexion bewusst sein, weil er die Welt verändert. Der Spieler als Forschender oder Suchender ist damit kein besserer Wissenschaftler oder Philosoph, wenn man nur die Ergebnisse betrachtet. Er ist jedoch ein ehrlicherer Suchender, weil er sich stets in den Prozess einbezogen begreifen muss. Erkenntnisse ohne Subjektbezug sind bedeutungslos, weil ihnen der Referenzrahmen fehlt, der Bedeutung schafft, und sie sind gleichzeitig naiv, wenn sie nicht davon ausgehen, dass Beobachtung ebenfalls dazu beiträgt, dass sich Ergebnisse in einer Weise entwickeln, wie sie sich nur entwickeln, wenn sie unter Beobachtung stattfinden. Im Kontext einer Angewandten Ethik etwa wird dieses Problem deutlich: Zwar lassen sich in der Theorie Lösungen zu philosophischen Anwendungssituationen erdenken, die als praxistauglich erscheinen, ob sie hingegen praxistauglich sind, erkennt man erst in der tatsächlichen Anwendung. Da es nun zu viel von Philosophen gefordert wäre, sich der Situation aller möglichen zum Beispiel medizinethischen Probleme auszusetzen, um ethische Lösungen zu testen, bietet das Spiel eine Ersatzwelt an, die einen Praxistest im weiteren Sinne ermöglicht. 32 Das Spielen im Philosophieunterricht lässt sich daher als Angewandte Philosophie begreifen, wie sie von Rohbeck und Runtenberg beschrieben wird. 33 Es bietet die Möglichkeit, das vermittelte Orientierungswissen der Philosophie in der Transformation philosophischer Fragestellungen, Themen und Methoden anzuVgl. Steenblock, Volker: Philosophieren mit Filmen, Narr Francke Attempto Verlag, Tübingen 2013, S. 21–26. 31 So wird der Film etwa beschrieben von Recki, Birgit: »Film. Die Suggestivkraft des Mediums«, in: Gethmann, Carl Friedrich (Hrsg.): Lebenswelt und Wissenschaft. XXI. Deutscher Kongress für Philosophie, 15.–19. September 2008 an der Universität Duisburg-Essen, Felix Meiner Verlag, Hamburg 2011, S. 631–644. 32 Darauf, dass ein solcher Test nötig ist, verweist zum Beispiel Singer, indem er festhält, dass ein praktisches Gelingen das Ziel einer jeden Ethik ist und ein fehlgeschlagener Praxistest auch auf ein theoretisches Defizit hindeutet – vgl. Peter Singer: Praktische Ethik, a. a. O., S. 16–17. 33 Der Begriff der Angewandten Philosophie verweist auf Rohbecks integrativen Philosophieunterricht – vgl. dazu Runtenberg, Christa: »Einleitung«, in: Runtenberg, Christa; Rohbeck, Johannes (Hrsg.): Angewandte Philosophie, Jahrbuch für Didaktik der Philosophie und Ethik, Bd. 12, Thelem, Dresden 2011, S. 7–18.
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wenden und so Deutungsangebote zu erstellen, die zur Förderung von Wahrnehmungs- Deutungs-, Argumentations-, Reflexions- und Urteilskompetenz beitragen34 , indem es problemorientiert erfolgt 35 und einen Zugang36 zum akademischen Betätigungsfeld der Philosophie ermöglicht. So steht es für einen Philosophieunterricht der Erfahrung, der in der Lage ist, die notwendige philosophische Abstraktion überhaupt erst zu schaffen, indem er sie zunächst verhindert 37. Spiele lösen – wie viele Texte, Filme und auch Kunst – Evidenzerlebnisse aus und sind damit performative Aussagen über die Welt, die geprüft und diskutiert werden müssen. In didaktischer Hinsicht ist die Ermöglichung der Welt(-aneignung) im Spiel besonders bedeutsam, weil sie das Spiel in methodischer Hinsicht charakterisiert: Die Formen der Selbsterkenntnis und der Perspektive zur Welt sind ebenso auf philosophische Bildungssituationen anwendbar wie Formen der Kontemplation, Transzendenz und Transformation. 38 Das Spiel als Symbol- und Zeichengefüge, das interpretiert und gedeutet werden muss und damit einen Interpretationsraum für die Deutung der Welt bietet, erweitert und verknüpft 39 das Methodenrepertoire des Philosophie- und Ethikunterrichts nicht nur; ein Philosophieunterricht ohne philosophische Spiele ist anthropologisch und methodisch kein angemessener Philosophieunterricht. Zu philosophischen Spielen in methodischer Absicht gehören verschiedene Phänomene wie Regel-, Plan- oder Konstruktionsspiele, aber auch etablierte Methoden wie das Gedankenexperiment, der versuchende Essay oder das Theatrale Philosophieren, welche als Spezialisierung philosophischen Spielens verstanden werden können. Quelle: Originalbeitrag, basierend auf: Klager, Christian: »Spielen im Philosophie- und Ethikunterricht«, in; Klager, Christian: Spiel als Weltzugang. Philosophische Dimensionen des Spiels in methodischer Absicht, Beltz Juventa, Weinheim/Basel 2016, S. 290–302.
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Vgl. ebd. Dieses Kriterium für Philosophieunterricht stellt Runtenberg in ihrer Analyse der Angewandten Philosophie als ausschlaggebend heraus – vgl. Runtenberg, Christa: »Wenn Philosophie auf Lebenswelt trifft«, in: Runtenberg, Christa; Rohbeck, Johannes (Hrsg.): Angewandte Philosophie, a.a.O., S. 55–64. Vgl. Borchers, Dagmar: »Angewandte Philosophie als Entrée in die Philosophie«, in: Runtenberg, Christa; Rohbeck, Johannes (Hrsg.): Angewandte Philosophie, a.a.O., S. 21–37. Die Abstraktheit der Begriffe in der Philosophie verhindert für Laien wie für Schülerinnen und Schüler einen Zugang, der im Erlebnis geschaffen werden kann – vgl. Whitehead, Alfred North Science and the Modern World, New American Library, New York, NY 1948, S. 199–200 und vgl. ähnlich auch (zum gleichen Einsatz von Literatur): Nussbaum, Martha C.: Love’s Knowledge. E ssays on Philosophy and Literature, Oxford University Press, New York/Oxford 1990. Vgl. Klager, Christian: Spiel als Weltzugang. Philosophische Dimensionen des Spiels in methodischer Absicht, a. a. O., S. 181–235. Weil im Spiel nicht nur einzelne Methoden der Philosophie angewendet werden oder nur diskursiv oder präsentativ-symbolisch gedacht wird, ist das integrative Moment des Spiels besonders hervorzuheben.
Spielend philosophieren Das Spiel als Medium des Philosophierens Donat Schmidt
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ill man die Begriffe »Spielen« und »Philosophieren« näher bestimmen, stößt man auf einige Probleme. Man kann schwer sagen, was ein Fußballspiel mit einem Schauspiel, einem Kartenspiel, dem Spiel mit Bausteinen, einem Rätselspiel oder Sprachspiel derart verbindet, dass alle mit dem gleichen Begriff benannt sind. Dies zu klären, ist ein Ziel dieses Beitrags – zumindest im Sinne einer Annäherung. Darüber hinaus soll deutlich werden, in welchem Verhältnis »Spiel« und »Philosophie« zueinander stehen können, welche Potentiale Spielen letztlich für das Philosophieren birgt und inwiefern Spielen mehr ist, als ein schmückendes oder motivierendes Beiwerk für den philosophischen Unterricht – nämlich ein ernstzunehmendes Medium des Philosophierens.
Annäherungen an den Spielbegriff Ausgehend von unterschiedlichen Spielsituationen soll zunächst geklärt werden, was überhaupt unter »Spiel«, unter »Spielen« verstanden werden kann. Wenn Kinder spielen, scheinen sie in einer gänzlich anderen Welt zu stehen. Nicht nur, dass sie den Ruf zum Abendessen überhören, sie handeln auch auf eine Weise, die man als Außenstehender nicht unmittelbar verstehen kann; mir scheint sogar: ohne dass ihr Tun im engeren Sinne zweckgerichtet wäre. Manchmal spielen sie etwas nach, das sie aus ihrer Lebenswelt kennen: Schule oder Familie. Dabei sind sie versunken in ihrem Spiel und gehen in ihren Rollen auf, obwohl sie nicht wirklich Vater, Mutter oder Kind sind. Sie spielen »Verstecken«, ohne dass eine Notwendigkeit bestünde, unauffindbar zu sein. Mehr noch: Sie scheinen bei all dem eine gewisse Freude zu verspüren und auf irgendeine Art und Weise ausgefüllt zu sein. – Selbst ausgewachsene Menschen sind zu einer für Außenstehende quasi sinnfreien Beschäftigung fähig. So neigen einige Zeitgenossen dazu, hinter einem Ball herzurennen, den zugleich eine bestimmte Anzahl von Mitoder Gegenspielern begehrt, und diesen zum Beispiel in ein benetztes Gestell befördern zu wollen. Für den Spielenden indes entbehrt die Spielsituation nicht eines gewissen Ernstes. Der Adrenalinspiegel beim »Verstecken-Spiel« ist immer dann besonders hoch, wenn der Sucher sich dem Versteck nähert. Zahlreiche Fouls in diversen Spielsportarten zeugen ebenso von diesem erstaunlichen Phänomen.
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Das Tun eines Spielers ist auf das Spielziel ausgerichtet: Tore schießen, Körbe werfen, eine Rolle gut verkörpern, die meisten Punkte sammeln usw. Es gibt keine Zwecke außerhalb des Spiels. Das trifft wohl selbst auf Profisport zu, wie manche Interviews erahnen lassen. Trotz der Tatsache, dass die Spieler ihre Existenz auf das Spiel gründen und manchmal Millionensummen »auf dem Spiel stehen«, ist der Spieler im Spiel zu »100 Prozent« bei der Sache – wenn er ein guter Spieler ist, der nicht aus dem Rahmen fällt. Kurz: Das Spiel ist ein »Tun-als-ob« – und dies ist vielleicht eine grundlegende Eigenheit allen Spielens. Von außen betrachtet, scheint ein Spiel zuweilen keinen Sinn zu haben und Unernst zu sein. Aus der Innenperspektive ist das Spiel (zumindest innerhalb bestimmter »Spielräume«) durchaus ernst. Das Spiel scheint einen Rahmen zu öffnen, in dem eine neue Welt entsteht. Innerhalb dieser Welt müssen die Spielenden bestimmte Regeln, Spielregeln, beachten und eine Rolle einnehmen. So funktionieren z. B. bestimmte Ballspiele nur, weil jeder Spieler weiß, dass er zu dieser oder jener Mannschaft gehört, dass das Ziel des Spiels darin besteht, »das Runde« und »das Eckige« räumlich zu vermitteln, und dass der Einsatz bestimmter Körperteile nicht erlaubt ist. Der Spieler ist im Spiel das, was er verkörpert; er füllt diese Rolle mit seiner Existenz aus. Sein Handeln ist nach den Regeln des Spiels bewertbar. Er spielt fair oder unfair, gut oder schlecht usw. So ist es möglich, dass ein Kind sich zum Ziel eines Spiels setzt, mit einem Schneeball ein Fenster zu treffen. Es ist »gut«, wenn es trifft. Der Fensterbesitzer dagegen wird sich unter Umständen weniger begeistert von den überragenden Fähigkeiten des Spielenden zeigen. Es ist also wichtig, dass alle Beteiligten die »Spielräume« als solche sehen und das Spiel als solches werten. Nur dann bleibt ein Spiel folgenlos, und es bleibt ein »Probehandeln«. Daher ist etwa eine Ehe, die zwei Kinder im Spiel für besiegelt erklären, nicht rechtskräftig. Problematisch wird es, wenn »Spiel« und »Wirklichkeit« in ein- und demselben Raum-Zeit-Kontinuum vorliegen und eine »Spielhandlung« von Außenstehenden als »wirkliche Handlung« gedeutet werden kann. Besonders drastisch tritt diese Überschneidung zutage, wenn die in beiden Bereichen jeweils geltenden Regeln einander entgegenstehen. Für das Kind mag es regelkonform, ja von den Regeln gefordert sein, die Scheibe zu treffen; das Regelbewusstsein des verärgerten Fensterbesitzers könnte hingegen einen groben Regelverstoß konstatieren. Hier könnte sein entschlossenes Auftreten beim Kind zu einem Wechsel des Bezugsrahmens führen. »Spiel« im engeren Sinne ist etwas, das Außenstehende als »Spiel« wahrnehmen können und aus dem die Spielenden heraustreten können.
Vom Spiel als Methode Aus didaktischer Sicht führen diese Beobachtungen zu einigen Schlussfolgerungen: Spielhandlungen müssen als solche klar definiert sein – für alle Beteiligten. Spielhandlungen sollten folgenlos bleiben, um eine Versunkenheit im Spiel, Immersion,
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möglich zu machen.1 Ein Auftreten als »mahnender Fensterbesitzer« ist dafür problematisch. Es gilt vielmehr, Spielräume zu schaffen. Nur in diesem Rahmen kann überhaupt ein »Spielen« erfolgen, nur so wird ein Spiel als Spiel erfahren und erhält seinen Eigenwert. Zugleich stellt sich die Frage nach dem didaktischen »Nutzen« von Spielen. Wenn Spiele sich dadurch auszeichnen, dass sie zweckfrei und Ziel ihrer selbst sind, so scheint es, können sie doch kein Weg, keine Methode sein. – Doch durch die Unterscheidung von Innen- und Außenperspektive lässt sich dieser Widerspruch rasch auflösen. Sogenannte »Lernspiele« funktionieren nur, weil die Spielenden Spielsituationen nicht als Lernen, sondern als Spielen begreifen. Weder Lernspiele noch Gedankenexperimente verlieren ihren Spielcharakter, wenn eine Immersion stattfindet. Von außen betrachtet, etwa aus Sicht einer Lehrerin bzw. eines Lehrers, kann ein Spiel durchaus Methode sein, während die Spielenden sich in einer Spielwelt befinden.
Spielend philosophieren Spiele bilden Welten. Genau hier setzt die Überlegung zum »Spielend Philosophieren« ein. Diese durch das Spiel gebildeten Welten ermöglichen nämlich im zeitlichen und räumlichen Rahmen des Spiels eine Entbundenheit von lebensweltlichen Einschränkungen. Das Kind, das Familie spielt, darf ein Erwachsener sein, mit allen für das Kind denkbaren Freiheiten. Zugleich muss es nach dem Spiel keinerlei mütterliche oder väterliche Pflichten für ein anderes Kind übernehmen. Das »Tun-als-ob« ermöglicht es, sich in neuen Kontexten zu erleben, neue Erfahrungen zu sammeln und damit der eigenen Determiniertheit zu entgehen. 2 Dass »Spielwelt« und »Wirklichkeit« zunächst voneinander getrennte Sphären sind, hat zur Folge, dass man zum einen im Spiel gemachte Erfahrungen außerhalb des Spiels reflektieren kann; zum anderen dass im Spiel auf spielerische Art und Weise eine Auseinandersetzung mit der »Wirklichkeit« erfolgen kann. Ersteres ist allein schon deshalb spannend, weil sich im Spiel Aspekte der Wirklichkeit modellhaft nachbilden lassen – und diese faktisch immer schon widerspiegeln. 3 Die »Spielwelt« steht in Distanz zur Lebenswelt, was eine Reflexion überhaupt erst ermöglicht; zugleich greift sie wesentliche Aspekte der Lebenswelt auf und
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Vgl. den Beitrag von Heinrich, Jens: »Wie Videospiele den Philosophieunterricht bereichern können«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 37, 2015, Heft 4: Spielend philosophieren, S. 18–24. Der Beitrag findet sich auch in diesem Band, S. 173–181. Vgl. Fink, Eugen: Spiel als Weltsymbol, W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1960, S. 77–80. Vgl. Caillois, Roger: Die Spiele und die Menschen. Maske und Rausch, Langen-Müller Verlag, München 1964, S. 91–92. Das Spiel konstituiert die Gesellschaft, und in seinen Regeln spiegeln sich Aspekte der dazugehörigen Gesellschaft wider: »In der Tat, wenn die Spiele Faktoren und Spiegelbilder der Kultur sind, folgt daraus, dass eine Zivilisation, und innerhalb einer Zivilisation eine Epoche, bis zu einem gewissen Grade durch ihre Spiele charakterisiert werden kann. Sie [...] liefern nützliche Hinweise auf die Vorlieben, die Schwächen und die Stärken einer bestimmten Gesellschaft in diesem oder jenem Augenblick ihrer Entwicklung.«
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kann diese durch eine modellhafte Nachbildung erkennbar, greifbar machen. Es nimmt also nicht wunder, wenn Spiele, wie z. B. das Spiel der Ungleichheiten4 , Sachverhalte und Prozesse im Nachhinein zu erfassen helfen, die unmittelbar Betroffene nicht durchschauen konnten – sei es aufgrund der Komplexität der Problemlage oder wegen des Mangels an Reflexionsdistanz. Nach Caillois existieren vier Prinzipien, die nicht nur Spiele, sondern zugleich unsere Lebenswelt strukturieren: Agon, Alea, Mimikry und Illinx. 5 Unter Agon versteht Caillois den Wettkampf, das aktive Sich-Messen mit anderen, während Alea – der Zufall – ein Prinzip ist, in dem sich der Spieler dem Schicksal ausliefert, passiv ist und auf einen für ihn guten Ausgang hofft. Agon und Alea führen als Spielprinzip eine Entscheidung herbei. Damit die Spielenden das Spiel als solches anerkennen, muss sein Ausgang offen sein. Es muss anfänglich eine Chancengleichheit der Spieler bestehen. Sowohl Zufall als auch aktives Handeln in Konkurrenzsituationen sind Elemente, die die Stellung des Individuums in der Gesellschaft bestimmen. Die Art und Weise, wie Agon und Alea die Existenz bzw. das Spiel beeinflussen, stellen an dieser Stelle reflektierbare Momente dar – ebenso der offene Ausgang und die Chancengleichheit. Mimikry und Illinx definieren Spiele, die nicht auf Entscheidungen ausgerichtet sind, sondern auf Veränderungen eines Zustandes. Mimikry, also Nachahmung oder Maskierung, bewirkt, dass der Spieler zu einer anderen Person wird, er sich in eine andere Situation einfühlen und sich in ihr bewähren kann. Mimikry erfordert und ermöglicht einen Perspektivwechsel. Illinx hingegen, der Rausch, zielt darauf ab, einen anderen Bewusstseinszustand zu erreichen – wie beispielsweise beim wilden Drehen im Tanz, beim Bungee-Sprung oder beim Versunkensein ins Spiel. Während Perspektivwechsel und Nachahmung eine Horizonterweiterung ermöglichen, die zu einer weiteren Reflexion herausfordern kann, stellt der Zustand des Versunkenseins oder der Entrücktheit ein Moment dar, das zwar nicht direkt greifbar ist, sich aber im Nachhinein zumindest als Erfahrung des Außer-sich-Seins thematisieren lässt, oder das als unmittelbare Erfahrung zu einer intuitiven Bewertung führt. Jedes Spiel kann mehrere dieser Elemente aufweisen. Den Ausgang von Sportspielen bestimmen häufig Agon und Alea. Computerspiele sind durch Mimikry (Einnahme von Rollen, Nachahmung der Welt in einer Spielwelt) und Illinx (Versunkenheit im Spiel) gekennzeichnet, aber auch durch agonale Momente und Zufallselemente. Vor diesem Hintergrund der Strukturiertheit von Spiel und Welt kann man das Verhältnis von Spiel und Philosophie auf drei verschiedene Weisen bestimmen.
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Vgl. Schmidt, Donat: »Das gute Spiel der Ungleichheiten«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 37, 2015, Heft 4: Spielend philosophieren, S. 55–59. Vgl. Caillois, Roger: Die Spiele und die Menschen. Maske und Rausch, a. a. O., S. 19.
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1. Philosophieren über Spiele. Wenn sich ein Spiel einer gewissen Beliebtheit erfreut und dies nach Caillois die Gesellschaft charakterisiert, dann kann ein Blick auf das Spiel spannende Einsichten zur Lebenswelt ermöglichen. So ließe sich das Bestseller-Kartenspiel »Dominion« als Wunschbild zu marktwirtschaftlichen Prozessen deuten (Chancengleichheit, kluge Entscheidungen beeinflussen das Geschehen stärker als Zufälle) oder die Popularität von landwirtschaftlichen Simulationsspielen als Ausdruck einer Sehnsucht nach kultivierter Natur lesen. Die Mechanismen, die einem Spiel zugrunde liegen, aber auch die Art und Weise, wie sie umgesetzt werden, wie die Spielwelt beschaffen ist, eröffnen Perspektiven auf die Kultur, in der das Spiel seinen Platz gefunden hat. Spiele werden so zum Gegenstand des Philosophierens über die Gesellschaft und die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler. 2. Philosophieren in Spielen. Spielräume können einen geschützten und weitgehend herrschaftsfreien Diskurs ermöglichen. So finden sich in einigen »philosophischen Spielen« reflexive Phasen 6 oder Momente, die eine unmittelbare Erkenntnis evozieren.7 Die Schülerinnen und Schüler lernen die Spielprinzipien Agon, Alea, Mimikry und Illinx kennen, und Philosophieren wird zum Teil des Spiels. Reflexionsprozesse lassen sich in das Spielgeschehen einbetten – und gerade diskursiv angelegte Spielelemente ermöglichen es, Problemstellungen multiperspektivisch zu analysieren und verschiedene Lösungsansätze kritisch zu diskutieren. Eine andere Art des Philosophierens in Spielen liegt vor, wenn das Spielen unmittelbare (Selbst-)Erkenntnisse hervorruft und Einsichten beim Spielenden entstehen. Dies kann insbesondere durch Immersion und die Identifikation mit einer Spielfigur oder einem Charakter erreicht werden. So führt bspw. das Erleben der erschreckenden Spielwelt des bekannten Computerspiels »This War of Mine« 8 zu moralischen Urteilen. 3. Philosophieren über das Spielen – d. h., im Spiel gemachte Erfahrungen werden im Nachhinein reflektiert. Ein Heraustreten aus dem Spielrahmen erfolgt explizit im Anschluss an das Spiel. Auf diese Weise wird aus dem Spielraum ein Reflexionsraum. Mit anderen Worten: Die Schülerinnen und Schüler werten die im Spiel ge
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Vgl. die zweite Phase im Spiel »Wertvoll?«, in dem die Spieler ausdiskutieren müssen, welcher Spieler die »größten Werte« gesammelt hat (vgl. Hain, Zarah: »Eine spielerische Annäherung an den Diskurs über pluralistische Wertvorstellungen: Das Spiel ›Wertvoll?‹«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 37, 2015, Heft 4: Spielend philosophieren, S. 60–63. Ähnliches gilt für Diskussionsspiele im Sinne amerikanischer Debatten. Beispiele dafür sind Entscheidungen des »Wirthiko«-Spiels (vgl. Marks, Laura; Valtin, Konrad: »Wirthiko – Ein Planspiel zur Wirtschaftsethik«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 37, 2015, Heft 4: Spielend philosophieren, S. 48–54) oder die Strukturierung des Zusammenlebens im Planspiel »Terra Nova« (vgl. Ströhla, Stefanie: »Planspiele als philosophische Bildungschance.am Beispiel des Inselspiels ›Terra Nova‹, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 37, 2015, Heft 4: Spielend philosophieren, S. 38–47. Der Beitrag findet sich in einer Neukonzeption auch in diesem Band, S. 157–172). Vgl. www.thiswarofmine.com/ (Stand: 11.09.2015).
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machten Erfahrungen aus und transferieren sie auf die Lebenswelt. Diese Erfahrungen waren den Schülerinnen und Schülern vorher entweder nicht zugänglich und/oder nicht bewusst. Damit wird das Spiel zur Horizonterweiterung – und zwar auf eine Art und Weise, die eine bloße Textarbeit nicht leisten kann, da im Spiel auch eine Interaktion, ein Probehandeln, ein Erleben der Spielwelt und der Handlungsfolgen möglich ist. Es kann hinterfragt werden, inwiefern das Spiel lebensweltliche Prozesse abgebildet hat, inwiefern die modellhafte Abbildung diesen gerecht wird, und darauf aufbauend werden weiterführende Analysen und Reflexionen möglich.
Dominierendes Philosophieren Spielprinzip über ein Spiel
Philosophieren in Spielen
Philosophieren über das Spielen
Agon
Fußball als zivilisierte Kriegshandlung zwischen Nationen, Verschiebung des Gewichts auf Klubfußball als Abbild von Kapitalisierungsprozessen
Diskussionsspiele mit Wettstreitcharakter, bei denen der Austausch von Argumenten zu Einsichten führen kann
explizite Auswertung von Wettkampfspielen
Alea
Sammelkartenspiele als Projektionsfläche von sozialen Prozessen (Verteilung, Kampf ...)
Als störend empfundene Diskussion von ZufallsZufallsmomente führen zu erlebnissen im Spiel und unmittelbarer Bewertung9 deren Entsprechungen im realen Leben
Mimikry
Charaktergenerierung bei Rollenspiele ermöglichen Online-Rollenspielen als Einfühlen und PerspektivAnsatzpunkt für Selbstwechsel reflexion
Illinx
Analyse von Rausch- und Glückszuständen
Ablegen einer Rolle und explizite Reflexion der gemachten Erfahrungen10
(Ohn-)Macht- und Gewalt- phänomenologische erlebnisse, die zu intuitiver Analyse von Zuständen moralischer Wertung des Außer-sich-Seins führen11
Alle drei Varianten lassen sich sinnvoll in philosophische Bildungsprozesse einbinden, wie die folgende Tabelle anhand ausgewählter Beispiele verdeutlichen soll. Am häufigsten ist im philosophischen Unterricht wohl die dritte Variante anzutreffen. Doch auch die sich aus der Spielerfahrung und Immersion ergebende, unmittelbare oder intuitive Einsicht in Sachverhalte hat ihre Daseinsberechtigung – und bedarf nicht zwingend einer nachträglichen Reflexion.
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Vgl. Schmidt, Donat: »Das gute Spiel der Ungleichheiten«, a. a. O. Spannend wäre in diesem Zusammenhang auch die Diskussion von Entscheidungen, Lebensweisen und Werthaltungen, die sich im Aufbau von Existenzen in sogenannten Lebenssimula tionsspielen wie bspw. »Die Sims« zeigen. Hier setzen zahlreiche Serious Games an – vgl. http://www.dafurisdying.com/ (Stand: 11.09.2015), http://3rdworldfarmer.com/ (Stand:01.11.2019) oder das Independent-Spiel This War of Mine [http://www.thiswarofmine.com/#home (01.11. 2019)].
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Problematisch ist allerdings der Ansatz der gamification, also der Anwendung von Spieldesignelementen – besonders von Belohnungssystemen und cascading information12 – im philosophischen Unterricht. Im Mittelpunkt des Ethik- und Philosophieunterrichts stehen Reflexionsprozesse, für deren Initiierung operantes Konditionieren und die dosierte Preisgabe von lediglich zweckdienlichen Informationen wenig hilfreich, wenn nicht gar kontraproduktiv ist. Ebenso wenig dürften Quizspiele einen sinnvollen Beitrag zum Philosophieren leisten.
Vom Spiel als Medium des Philosophierens »Spielend philosophieren« ist in der Tat mehr als einfach nur die »Aufhübschung« des Ethik- und Philosophieunterrichts mit spielerischen Elementen aus Gründen der Motivationssteigerung. Wenn zuweilen der Standpunkt vertreten wird, auf die Beschäftigung mit Spielen müsse zwingend eine Textarbeit folgen, damit im philosophischen Unterricht alles seine Richtigkeit habe, dann ist dem entschieden zu widersprechen. Das Spiel hat einen Eigenwert und ist mehr als nur eine Methode. Es ist ein »ernstzunehmendes« Medium des Philosophierens. Im Spiel können Erfahrungen gesammelt werden, die eine Horizonterweiterung darstellen. Gegenüber Texten fordern Spiele auf eine unmittelbare Art und Weise Interaktion ein, was die Intensität der Auseinandersetzung mit dem bespielten Problemkreis erhöht. Diese Erfahrungen können im Spiel tiefere Einsichten oder intuitive Urteile hervorrufen und nach dem Spiel Grundlage einer philosophischen Reflexion sein. Medium des Philosophierens sind Spiele folglich nicht nur im kommunikationstheoretischen Sinne, dass sie als Mittler zwischen philosophischen Theoremen und den Schülerinnen und Schülern fungieren. Sie können zugleich die Umgebung sein, in dem sich philosophische Bildungsprozesse ereignen, und der Nährboden für philosophische Reflexionen. Betrachtet man das Spiel in Anknüpfung an Schiller als Art der Selbstverwirklichung und Selbstwerdung, ist Spielen durchaus ein philosophisches Anliegen, geht doch die Entbundenheit von Pflichten, lebensweltlichen Einschränkungen und Routinen mit der Gewinnung von Reflexionsräumen einher. Wichtig ist wohl nur, dass man die entsprechenden Spielräume gewährt und die Schülerinnen und Schüler ernsthaft spielen dürfen. Quelle: Schmidt, Donat: »Spielend philosophieren – Das Spiel als Medium des Philosophierens«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 37, 2015, Heft 4: Spielend philosophieren, S. 3–8.
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Koch, Michael; Ott, Florian: Gamification – Steigerung der Nutzungsmotivation durch Spielkonzepte, Universität der Bundeswehr, München 2012, auf: https://www.academia.edu/1925073/ Gamification_Steigerung_der_Nutzungsmotivation_durch_Spielkonzepte (Stand:01.11.2019). Ein sehr ausgefeiltes und in anderen Kontexten spannendes Konzept ist »World of Classcraft« – vgl. http://www.classcraft.com/de/ (Stand: 01.11.2019).
Der Einsatz von Spielen im Philosophie- und Ethikunterricht Jörg Peters Spiele in der philosophie-didaktischen Literatur1 Es wird immer populärer, Spiele im Philosophie- bzw. Ethikunterricht einzusetzen: Betrachtet man die philosophischen Schulbücher von den 1970er bis zur Mitte der 1990er Jahre, so wird schnell klar, dass der Philosophieunterricht (nahezu) ausschließlich in der Vermittlung der Theorien der großen Philosophen bestand. So reihte sich Text an Text, während Formen der methodischen Unterstützung, die den Schülerinnen und Schülern eventuell zu einem besseren Verständnis von abstrakten Inhalten hätten verhelfen könnten, praktisch nicht zu finden sind. Erst als die philosophischen und ethischen Fächer der Sekundarstufe I ab Mitte der 1990er Jahre mehr und mehr in den Fokus des philosophie-didaktischen Interesses rückten, begann ein Wandel im Denken der Philosophie-Didaktiker einzusetzen. Auf einmal schossen unterschiedliche Methoden – z. B. der Einsatz von Bildern, Filmen, Gedankenexperimenten, Dilemmata, Jugendbüchern, Comics etc. – wie Pilze aus dem Boden. Die Suche nach Möglichkeiten, philosophische Gedanken, Probleme oder Fragestellungen so aufzuarbeiten, dass sich schon junge Schülerinnen und Schüler auf zugängliche Weise mit abstrakten Ideen und Positionen auseinandersetzen können, ist bis heute nicht abgerissen. So spielt mittlerweile auch der Einsatz von Spielen im Philosophie- und Ethikunterricht eine Rolle. Neben Seminaren, die sowohl an Universitäten2 als auch in der Lehrerweiter- 3 und Lehrerfortbildung4 zum Thema angeboten werden, müssen Fach- und Schulbücher sowie fach
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Ursprünglich sollte dieser Beitrag auch einen Abschnitt über »Spiele in Schulbüchern« enthalten. Da sich dieses Thema aber als äußerst komplex darstellte, ist darauf verzichtet worden. Grundsätzlich kann aber konstatiert werden, dass es erstaunlich ist, wie viele »Spiele« in Schulbüchern angeboten werden. Dabei sind nur jene Schulbücher durchgesehen worden, die in NordrheinWestfalen in den Sekundarstufen I und II zum Einsatz kommen dürfen. Die Mehrzahl der Spiele finden sich – und das ist wiederum weniger erstaunlich – in den Schulbüchern für die Sekundarstufe I, während sie in den Werken für die Sekundarstufe II eher spärlicher vertreten sind. Man denke z. B. an die Seminare, die Donat Schmidt seit vielen Jahren regelmäßig an der TU Dresden anbietet. Martina und Jörg Peters boten vom Schuljahr 1999/2000 bis zum Schuljahr 2005/06 sowie Klaus Draken und Jörg Peters vom Schuljahr 2006/07 bis zum Schuljahr 2016/17 im Rahmen des einjährigen Zertifikatskurses Praktische Philosophie für die Bezirksregierung Düsseldorf regelmäßig den Baustein Philosophieren mit Spielen an. Der Fachverband Philosophie, Landesverband Berlin, bot am 12. September 2014 durch den da-
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didaktische Zeitschriften als wichtigste Quellen angesehen werden, um an Spiele zu gelangen, die sich für den Einsatz im Philosophie- bzw. Ethikunterricht eignen. Aber nicht jedes Buch und nicht jedes Spiel, das mit dem Label »philosophisch« versehen ist, ist auch philosophisch ausgerichtet. Ein Negativbeispiel ist das von Margarete Wenzel verfasste Buch Philosophische Spiele für Groß und Klein. Die Schwierigkeiten, die dieses Buch in sich birgt, detailliert zu schildern, würde an dieser Stelle zu viel Raum einnehmen. Dennoch soll zumindest auf drei grundlegende Probleme hingewiesen werden: 1. Im Titel bringt Wenzel zum Ausdruck, dass der Leser im Buch »philosophische Spiele« finden wird. Was aber ist ein philosophisches Spiel? Was macht ein Spiel zu einem philosophischen? Diese grundlegenden Fragen werden von der Autorin nicht nur nicht gestellt, sie versucht noch nicht einmal, ihnen ansatzweise auf die Spur zu kommen. Außerdem wird an keiner Stelle des Buches deutlich, welches Ziel mit den sogenannten »philosophischen Spielen« eigentlich verfolgt wird. 2. Von den 132 »Spielen«, die im Buch vorgestellt werden, können m. E. nur einige wenige tatsächlich als »Spiele« bezeichnet werden, es sei denn, Malen, Basteln und Schreiben gehören zu den zentralen Aspekten eines Spiels. Natürlich können all diese Merkmale in Spielen partiell auftauchen – dies soll nicht bestritten werden. Aber es kann nicht das generelle Wesensmerkmal von Spielen sein, seinem Spielpartner zu erklären, was man mit seinem Haiku, seinem Bild oder einem durch Basteln zufällig entstandenen Gegenstand zum Ausdruck bringen will. Wenn bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht geschehen, dann wird aber spätestens an jener Stelle deutlich, dass Philosophie in diesem Buch zu etwas Beliebigem verkommt, wenn Wenzel jeden Menschen als Philosophen bezeichnet 5 und zudem noch herausstellt: »Was die Spiele […] [in diesem Buch] philosophisch macht, ist die Grundstimmung, eine Fülle von Möglichkeiten auszubreiten und einfach zuzulassen, sich mit dieser breiten Palette zu befassen, damit umzugehen.« 6 Dass den vorgestellten Spielen Beliebigkeit anhaftet, liegt darin begründet, dass den einzelnen »Spielen« ein Bezugsrahmen fehlt. So wird nach der Durchführung eines »Spiels« weder untersucht, ob und welche philosophischen Implikationen es enthält, noch wird die ihm eventuell zugrundeliegende philosophische Theorie entfaltet oder die erzielten Ergebnisse auf eine philosophische Position übertragen. Da kein Bezug zur Philosophie in irgendeiner Form vorliegt, stellt sich die Frage nach der philosophischen Relevanz der angeführten Spiele.
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maligen Landesvorsitzenden, André Schneider, einen Workshop mit dem Titel Spiele im Philosophie- und Ethikunterricht auf der Tagung Vom Elfenbeinturrm ins Klassenzimmer – Methoden im Philosophie- und Ethikunterricht an. Wenzel, Maragete: Philosophische Spiele für Groß und Klein, Don Bosco Verlag, München 1995, S. 9. Ebd., S. 15.
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3. Die in dem Buch enthaltenen Spiele sollen – so verkündet der Titel – »für Groß und Klein« geeignet sein. Leider werden aber nur solche »Spiele« beschrieben, die die Autorin mit Erwachsenen an einer österreichischen Volkshochschule durchgeführt hat7, so dass sich dem Leser nicht erschließt, welche Spiele sich für Kinder bzw. Jugendliche eignen. Ein weiteres Buch, das ebenfalls beansprucht, philosophische Spiele vorzustellen, stammt von Barbara Brüning und trägt den Titel Philosophische Spiele für den Ethikund Philosophieunterricht. Aber auch Brüning zeigt nicht dezidiert auf, was das Eigentümliche eines philosophischen Spiels ist. Ihr Anliegen besteht vielmehr darin, Schülerinnen und Schülern im Wahrnehmen und Beobachten, im begrifflichen Arbeiten, im Argumentieren, im Führen von Sokratischen Gesprächen und im Experimentieren mit Gedanken zu schulen 8 . Damit bewegt sie sich aber nicht mehr im Bereich des Spiels, sondern vielmehr in anderen für den Philosophie- und Ethikunterricht relevanten Methoden und Verfahren. Dass sich dieses Problem wie ein roter Faden durch das Buch zieht, kann an dem von der Didaktikerin sogenannten Spiel »Wichtige Gedanken von Texten erfassen« illustriert werden. Die Anweisungen lauten folgendermaßen: »Dieses Spiel wird in Partnerarbeit gespielt. Jeweils zwei Schülerinnen und Schüler lesen den gleichen Text und notieren sich die wichtigsten Gedanken. Danach tauschen sie die Zettel aus und tragen gegenseitig vor, was der andere geschrieben hat, und zwar nach folgendem Schema: – Du hast geschrieben, dass ... – Immanuel Kant meint … – Ich stimme damit überein/nicht überein, weil … Anschließend sollen die Partner versuchen, sich auf wesentliche Gedanken zu einigen, danach wird im Plenum weiter darüber diskutiert. Das Spiel hat die Funktion, sich über wichtige Gedanken von Texten zu verständigen und nach dem Austausch einen Konsens über die wesentliche Aussage des Textes zu finden9.« Es ist offensichtlich, dass es sich bei diesem Beispiel nicht um ein Spiel handelt, sondern um den Austausch von Gedanken zu einem Text in Partnerarbeit. In dieser Arbeitsphase sollen die Schülerinnen und Schüler den Text erfassen und Begründungen für ihre Interpretation des Textes anführen, die von einem Gesprächspartner bestätigt oder abgelehnt werden. Kurz: Das Erfassen des Textes, das hier als Spiel verkauft wird, ist die unverzichtbare Voraussetzung für einen philosophischen Austausch und kann somit nicht als Spiel betrachtet werden.
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Ebd., S. 11. Vgl. Brüning, Barabara: Philosophische Spiele für den Ethik- und Philosophieunterricht in der Sekundarstufe I, Militzke Verlag, Leipzig 22008, S. 8 ff. Ebd., S. 36 f.
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Das Buch Spielend philosophieren von Silke Pfeiffer und Christian Klager ist bislang das einzige auf dem philosophie-didaktischen Markt, das im Titel nicht behauptet, es würden philosophische Spiele präsentiert. Es stellt sich nach den bisherigen Ausführungen sowieso die Frage, ob es so etwas wie ein »philosophisches Spiel« überhaupt gibt oder ob wir nicht vielmehr darin übereinkommen müssen, dass sich nur »bestimmte« Spiele eignen, um durch sie zu philosophischen Problemen bzw. Fragen hingeführt zu werden, oder dass durch Spiele eine Grundlage zur Besprechung von philosophischen Theorien geschaffen wird. Pfeiffer und Klager folgen diesem Ansatz zu Recht, denn sie möchten erreichen, dass Schülerinnen und Schüler über das Spiel in eine philosophische Diskussion eintreten. Dies kann etwa durch die Auswertung eines Spiels oder durch die Reflexion über das, was das Spiel in Bezug auf eine Theorie oder Fragestellung geleistet hat, geschehen. So sinnvoll der gewählte Ansatz auch ist, so erfüllen die von den beiden Autoren ausgewählten Spiele diese Aufgabe nicht immer. Sie folgen derselben Fehlinterpretation wie Wenzel und Brüning, indem sie den Begriff des Spiels zu weit fassen, wodurch nahezu alles als Spiel gelten kann. Ein solcher Spielebegriff ist aber bedenklich. Da auch in ihrem Buch primär Methoden als Spiele ausgegeben werden, scheint mir Donat Schmidts Feststellung, das Spielend philosophieren »eine Lücke in der philosophiedidaktischen Praxisliteratur [fülle]«10 , zu weit gegriffen, gleichwohl man dem Dresdner Didaktiker zugestehen muss, dass die beiden Autoren auf schülerorientieren Unterricht setzen und das Philosophieren in kantischer Tradition vor Augen haben11. Einige für den Unterricht brauchbare Spiele – manche für die Sekundarstufe I, manche für die Sekundarstufe II – enthält das Heft Spielend leben der didaktischen Zeitschrift Ethik und Unterricht12 . Beispielhaft sei hier das von Thomas Nisters vorgestellte Spiel Homo homini piscis angeführt13 , bei dem die Schülerinnen und Schüler der Oberstufe selbst Planspiele entwickeln sollen, indem sie den Fragen nachgehen, unter welchen Bedingungen vier fiktive Fischarten friedlich in einem Aquarium zusammenleben und unter welchen unter ihnen Krieg herrscht. Nachdem die Schülerinnen und Schüler ihre Planspiele entwickelt und gespielt sowie ihre Beobachtungen ausgewertet haben, werden die erzielten Ergebnisse auf den Menschen übertragen. Auf diese Weise sollen die Schülerinnen und Schüler einen ersten Zugang zur politischen Philosophie erfahren und dort insbesondere in die Naturzustandstheorie von Thomas Hobbes eingeführt werden.
Schmidt, Donat: »Rezension zu Silke Pfeiffer/Christian Klager: Spielend philosophieren. Leipzig: Militzke 2012. 126 Seiten«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 37, 2015, Heft 2: Moralische Urteilsbildung, S. 116. 11 Vgl. ebd. 12 Ethik und Unterricht 29, 2007, Heft 3: Spielend leben. 13 Nisters, Thomas: »Homo homini piscis«, in: ebd., S. 10–14. Gute Spielideen finden sich auch in dem Aufsatz von David Sandmaier: »Spielvorlagen dem Ethikunterricht anpassen«, in: ebd., S. 27–31. 10
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Dieses Spiel erfüllt m. E. die Bedingungen, die an ein Spiel gestellt werden müssen, das – in Anlehnung an die zuvor genannten Kriterien – seinen Platz im Philosophie- bzw. Ethikunterricht finden soll. Fasst man das bisher Gesagte zusammen, so lassen sich folgende sechs Punkte konstatieren: 1. Es ist sinnvoll, ein Spiel im Unterricht dann einzusetzen, wenn die Schülerinnen und Schüler dadurch zu neuen Erkenntnissen gelangen (Intention). 2. Dementsprechend muss ein im Unterricht eingesetztes Spiel auf einen Zweck gerichtet sein (Zielorientiertheit). 3. Das Spiel muss im Unterricht von den Schülerinnen und Schülern gespielt werden (praktische Ausführung). 4. Die Schülerinnen und Schüler tauschen sich über das Spiel aus (Auswertung). 5. Das Spiel wird auf eine philosophische Theorie oder Position übertragen oder bezogen (theoretische Anwendung). 6. Die Schülerinnen und Schüler nehmen Stellung zur gelernten Theorie und/oder bewerten sie (Reflexion).
Ein Praxisbeispiel Am Gefangenendilemma-Spiel soll verdeutlicht werden, wie die sechs angeführten Aspekte im Unterricht umgesetzt werden können. Die Frage, ob Egoismus grundsätzlich etwas Schlechtes ist, kann mit einem an das Gefangenendilemma der Spieltheorie anknüpfenden Spiel beantwortet werden (= Intention und Zielgerichtetheit). Die theoretische Grundlage dafür bildet folgendes von Douglas R. Hofstadter entwickeltes Szenario: Sie besitzen sehr viel Geld und möchten damit Diamanten erwerben. Aus diesem Grund arrangieren Sie mit einem Diamantenhändler ein für beide Seiten befriedigendes Tauschgeschäft. Der Tauschhandel muss aber aus irgendeinem Grund im Geheimen stattfinden. Sie kommen überein, dass jeder von Ihnen einen Sack an einem vereinbarten Ort im Wald deponiert und man den Sack des anderen an dessen Versteck abholt. Sowohl Sie als auch Ihr Händler sind außerdem sehr daran interessiert, mit dem, was der andere anzubieten hat, regelmäßig beliefert zu werden. Vor der ersten Transaktion verabreden Sie also, auf Lebenszeit einmal pro Monat einen Tausch durchzuführen, ohne den anderen je zu Gesicht zu bekommen. Keiner von Ihnen hat die leiseste Ahnung, wie alt der andere ist oder wie er aussieht. Also wissen Sie auch nicht, wie lange Ihre lebenslange Übereinkunft dauern mag. Immerhin können Sie davon ausgehen, dass sie wenigstens ein paar Monate, wahrscheinlich aber einige Jahre Bestand hat. Beim ersten Tauschhandel bringen Sie einen vollen Sack, und der Händler tut das gleiche, obwohl sowohl Sie als auch der Händler überlegt haben, ob es nicht in jedem Fall günstiger wäre, einen leeren Sack im angegebenen Versteck zu deponieren. Alles ist eitel Freude – einen Monat lang. Dann beginnt das Spielchen von vorn:
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Bringen Sie einen leeren oder vollen Sack? Jeden Monat müssen Sie neu entscheiden, ob Sie »mogeln« und einen leeren Sack bringen oder »kooperieren« und einen vollen Sack hinterlassen.14 Bei Hofstadters Dilemma handelt es sich um eine Modifikation des Gefangenendilemmas. Die Bezeichnung »Gefangenendilemma« stammt daher, dass diese Entscheidungssituation zuerst am Beispiel zweier Gefangener diskutiert wurde, die vor der Frage stehen, ob sie ein ihnen zur Last gelegtes, aber nicht nachweisbares schweres Verbrechen abstreiten (was für beide eine geringe Strafe wegen unerlaubten Waffenbesitzes zur Folge hätte) oder ob sie es eingestehen sollen (wodurch einer von ihnen die Chance hätte, als Kronzeuge aus dem Gefängnis freizukommen). Dieser Dilemmatyp wird im Folgenden als Spiel dargestellt. Durch das Spiel lassen sich Erkenntnisse gewinnen, ob Kooperation für Egoisten von Vorteil sein kann. Das Gefangenendilemma-Spiel15 Vorbereitung: Es werden alle Schülerinnen und Schüler in Gruppen zu je drei Spielern aufgeteilt. Danach wird die Geschichte von den beiden Händlern erzählt, damit die Situation klar ist, in der sich die Spielenden befinden werden. Zwei Spielerinnen bzw. Spieler verkörpern die Tauschhändler (eine die Geldbesitzerin bzw. einer den Geldbesitzer und eine die Diamantenhändlerin bzw. einer den Diamantenhändler) und eine Spielerin bzw. ein Spieler die Bank. Außerdem werden noch für jede Gruppe zwei rote und zwei schwarze Spielkarten sowie ein Blatt Papier und ein Stift benötigt. Spielanleitung: Jeder Spieler hat zwei Karten auf der Hand, eine rote und eine schwarze oder eine, die die Aufschrift ZUSAMMENARBEITEN trägt, während auf der anderen ZUSAMMENARBEIT VERWEIGERN steht. Jeder Spieler legt eine der beiden Karten verdeckt auf den Tisch, so dass der andere Spieler durch den Zug nicht beeinflusst werden kann. Die Bank deckt die Karten auf und zahlt dem Resultat entsprechend Gewinne aus oder zieht Verluste ein (siehe Tabelle). Die Spannung ergibt sich daraus, dass Gewinn und Verlust für die einzelne Spielerin bzw. den einzelnen Spieler nicht nur von der Karte abhängt, die sie bzw. er selbst ausgespielt hat, sondern auch von der Karte der bzw. des anderen. Umsetzung: Als Spielkarten können z. B. die Karten eines Skatspiels benutzt werden. Jeder Spieler erhält eine »rote« und eine »schwarze« Karte. »Schwarz« bedeutet: ZUSAMMENARBEITEN, »rot« bedeutet: ZUSAMMENARBEIT VERWEIGERN.
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Nach: Hofstadter, Douglas R.: »Metamagikum. Kann sich in einer Welt voller Egoisten kooperatives Verhalten entwickeln?«, in: Spektrum der Wissenschaften 6, 1983, Heft 8, S. 8–14: S. 8–9, der das Problem in Bezug auf das Gefangenendilemma dort noch schärfer fasst. Das von Jörg Peters und Bernd Rolf entwickelte Spiel findet sich in: Peters, Jörg; Rolf, Bernd: Ethik aktuell. Texte und Materialien zur Klassischen und Angewandten Ethik, C. C. Buchner, Bamberg 2002, S. 26–27.
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Der Inhaber der Bank trägt auf dem zur Verfügung gestellten Blatt in zwei Spalten die Namen der Spieler ein, notiert die bei jedem Spielzug erzielten Gewinne und Verluste und addiert sie zum Schluss. Ziel des Spiels: Sieger ist der Spieler oder die Spielerin, der/die am Ende des Spiels das meiste Geld aufweisen kann. Gespielt werden insgesamt 20 Runden. Mögliche Resultate: 1. ZUSAMMENARBEI TEN + ZUSAMMENARBEI TEN:
Die Bank zahlt jeder Spielerin bzw. jedem Spieler 300 € (als Belohnung für die Kooperation).
2. ZUSAMMENARBEI T VERWEIGERN + ZUSAMMENARBEI T VERWEIGERN: Die Bank zieht von jeder Spielerin bzw. jedem Spieler (als Bestrafung für beiderseitiges Verweigern) 50 € ein. 3. ZUSAMMENARBEI TEN + ZUSAMMENARBEI T VERWEIGERN: Die Bank schreibt derjenigen bzw. demjenigen, die bzw. der die Zusammenarbeit verweigert, einen Gewinn von 500 € gut. Die Spielerin bzw. der Spieler, die bzw. der zusammenarbeiten wollte, verliert; sie bzw. er erleidet einen Verlust von 100 €, den die Bank in Form eines Bußgeldes einzieht. Nach dem Spielen von 20 Runden (= praktische Ausführung) werden die einzelnen Gruppenergebnisse an die Tafel geschrieben: Zunächst berichtet jede Gruppe, wie das Spiel verlaufen ist. Danach begründet jede Gruppe sowohl das Spielergebnis von Spieler A als auch das von Spieler B. Schließlich wird ein vorbereitetes Schaubild gezeigt, das die Extremwerte ausweist, die hätten erzielt werden können. Dieses Schaubild wird in Beziehung zu dem der erspielten Resultate gesetzt (= Auswertung):
Spieler/in A
Spieler/in B
Kooperation (20 x)
+ 6.000 €
Kooperation (20 x)
+ 6.000 €
Keine Kooperation (20 x)
– 1.000 €
Keine Kooperation (20 x)
– 1.000 €
Keine Kooperation (20 x)
+ 10.000 €
Kooperation (20 x)
– 2.000 €
Kooperation (20 x)
– 2.000 €
Keine Kooperation (20 x)
+ 10.000 €
Die Schülerinnen und Schüler erkennen sofort, dass kein Spieler die maximale Ausbeute von + 10.000 € erhalten wird, weil der Tauschpartner sich nicht ständig hintergehen lassen wird. Dementsprechend wird auch der negative Höchstwert von – 2.000 € nicht erreicht. Ebenso schließen die Schülerinnen und Schüler aus, dass es eine dauerhafte Nicht-Kooperation geben könnte, bei der beide Parteien ausschließlich negative Resultate einfahren. In beiden beschriebenen Fällen werden
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die Tauschaktionen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit recht früh abgebrochen, weil für mindestens einen Spieler kein positives Ergebnis zu erzielen ist. Interessanterweise zahlt es sich aus, zu kooperieren. In diesem Fall profitieren nämlich beide Tauschpartner und erzielen das für beide Parteien bestmögliche Ergebnis von je + 6.000 €. Dieses Prinzip nennt man T I T FOR TAT16 , was so viel wie »Wie du mir, so ich dir« oder »Zug um Zug« heißt. Spielerinnen oder Spieler, die sich nach der TIT-FOR-TAT-Strategie richten, werden grundsätzlich mit einem kooperativen Spielzug beginnen. Die andere Spielerin bzw. der andere Spieler macht dann den jeweils letzten Zug nach. So wird sich, wenn man unendlich oft spielt, bei ständiger Kooperation das beste Resultat erzielen lassen. Mit diesen Kenntnissen wird deutlich, dass die erzielten Gewinne in den gespielten 20 Runden besser hätten ausfallen können17. Wenn man die Schülerinnen und Schüler fragt, wie das Ergebnis wohl bei nur einem einzigen Tauschhandel ausfallen wird, so ist ihnen schnell klar, dass es in diesem Fall vorteilhaft ist, einen leeren Sack im Versteck zu hinterlassen. Zwar bekomme ich (wahrscheinlich) auch nichts, aber ich verliere auch nichts. Da ich – egal wie der andere Händler sich entscheidet – mit dem Deponieren eines leeren Sacks auf alle Fälle ein für mich gutes Resultat erziele werde, werde ich dementsprechend am vereinbarten Ort einen leeren Sack hinterlassen. Schaut man noch einmal auf eine begrenzte Anzahl von Tauschaktionen, wie dies im Spiel simuliert wird, kommen die Schülerinnen und Schüler zu dem Schluss, man müsse ab der 13. Runde damit rechnen, dass die andere Spielerin bzw. der andere Spieler nicht mehr kooperiert, um für sich einen größeren Vorteil herauszuholen. Je weiter man sich der letzten Runde nähert, umso wahrscheinlicher ist es, dass einer der beiden Spielerinnen bzw. Spieler den Kooperationsgedanken aufgeben wird. Für die letzte Runde gilt, dass man besser nicht mehr kooperiert, will man den größtmöglichen Gewinn für sich verbuchen (= theoretische Anwendung). Was lernen die Schülerinnen und Schüler aus diesem Spiel? Sie lernen erstens Verhaltensstrategien des Menschen kennen, mit denen sie tagtäglich konfrontiert werden. Durch das Spiel erhalten sie eine Möglichkeit, diesen Verhaltensstrategien zu begegnen. Zweitens lernen sie, dass der wahre Egoist kooperiert. Wer für sich den größten Vorteil erzielen will, lässt sich auf den anderen ein, wer dagegen meint, sich gegen den anderen stellen zu müssen, wird oftmals als Verlierer vom Platz gehen (= Reflexion).
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TIT FOR TAT geht auf den russisch-amerikanischen Mathematiker Anatol Rapaport zurück, der die Strategie in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelte. Diese Strategie ist erst 1984 durch die Darstellung von Robert Axelrod in seinem Buch The Evolution of Cooperation bekannt geworden ist. Ich spiele dieses Spiel seit über 20 Jahren mit Schülerinnen und Schülern und Lehrerinnen und Lehrern. In der gesamten Zeit hat nur eine einzige Gruppe das Prinzip TIT FOR TAT angewandt. Sie hatte nämlich erkannt, dass sich nur so das optimale Resultat erzielen lässt.
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M 1 Douglas R. Hofstadter: Egoismus und kooperatives Verhalten18
Angenommen, Sie besitzen große Mengen irgendeines Gutes (Geld zum Beispiel) und möchten für eine bestimmte Menge eines anderen Gutes (Briefmarken, Lebensmittel, Diamanten) erwerben. Also arrangieren Sie mit dem einzigen Händler für dieses Gut, den Sie kennen, ein beide Seiten befriedigendes Tauschgeschäft. Aus irgendeinem Grund muss der Tauschhandel jedoch im Geheimen stattfinden. Sie kommen überein, dass jeder von Ihnen einen Sack an einem vereinbarten Ort im Wald deponiert und den Sack des anderen an dessen Versteck abholt. Ihnen beiden ist auch klar, dass Sie sich nie begegnen und keine weiteren Geschäfte miteinander machen werden. Unter diesen Umständen muss jeder von Ihnen natürlich befürchten, dass der an dere einen leeren Sack da lässt. Keine Frage: Wenn Sie beide volle Säcke depon ieren, wird jeder zufriedengestellt; aber ebenso selbstverständlich wird der noch mehr zu friedengestellt, der seinen Teil umsonst erhält. Die Versuchung, einen leeren Sack zu hinterlassen, ist daher groß. Ja, man kann sogar scheinbar zwingend so argumentie ren: »Wenn der Händler einen vollen Sack bringt, ich aber einen leeren abgestellt habe, bin ich fein raus; denn dann kriege ich das, was Ich wollte, umsonst. Aber auch wenn der Händler einen leeren Sack zurücklässt, war es besser, auch einen leeren Sack deponiert zu haben; denn dann bin ich wen igstens nicht übers Ohr gehauen worden. Ich habe zwar nichts bekommen, aber auch nichts verloren. Wie es aussieht, bin ich mit einem leeren Sack in jedem Fall also besser dran, egal wozu sich der Händler entschließt. Folglich depon iere ich einen leeren Sack.« Der Händler, der ja mehr oder weniger im gleichen Boot sitzt (wenn auch am an deren Ende), hat sich mittlerweile dasselbe überlegt. Auch er ist zu dem Schluss ge kommen, am besten nichts in den Sack zu tun. Und so deponieren Sie beide auf Grund Ihrer (scheinbar) unfehlbaren Logik einen leeren Sack - und gehen beide leer aus. Traurig, traurig: denn wenn Sie kooperiert hätten, hätten Sie beide bekommen, was Sie wollten. […] Angenommen, sowohl Sie als auch Ihr Händler sind sehr daran interessiert, mit dem, was der andere anzubieten hat, regelmäßig beliefert zu werden. Vor der ersten Transaktion verabreden Sie also, auf Lebenszeit einmal pro Monat einen Tausch durchzuführen. Auch diesmal rechnen Sie nicht damit, den anderen je zu Gesicht zu bekommen. Ja, keiner von Ihnen hat die leiseste Ahnung, wie alt der andere ist. Also wissen Sie auch nicht, wie lange Ihre lebenslange Übereinkunft dauern mag. Immer hin können Sie davon ausgehen, dass sie wen igstens ein paar Monate, wahrschein lich aber einige Jahre Bestand hat. Was nun machen Sie diesmal beim ersten Tausch? Einen leeren Sack zu depo nieren, wäre eine ausgesprochen fiese Art, eine Beziehung anzuknüpfen, und wohl Hofstadter, Douglas R.: »Metamagikum. Kann sich in einer Welt voller Egoisten kooperatives Verhalten entwickeln?«, a. a. O., S. 8–9.
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kaum geeignet, eine Vertrauensbasis zu schaffen. Angenommen also, Sie bringen einen vollen Sack, und der Händler tut das gleiche. Alles ist eitel Freude - einen Mo nat lang. Dann beginnt das Spielchen von vorn: leerer oder voller Sack? Jeden Monat müssen Sie neu entscheiden, ob Sie »mogeln« (einen leeren Sack bringen) oder »kooperieren« (einen vollen Sack hinterlassen). Angenommen, eines Monats – völlig unerwartet – legt Sie Ihr Händler herein. Wie reagieren Sie? Hat er in Ihren Augen nun für immer alle Glaubwürdigkeit ver loren, so dass Sie in Zukunft nur noch leere Säcke deponieren, also praktisch den Handel platzen lassen? Oder tun Sie so, als sei nichts gewesen, und halten sich Ihrer seits weiter an die Abmachung? Oder versuchen Sie, den Händler durch eigene Ver tragsbrüche zu bestrafen? Wie viele? Einen? Zwei? Eine willkürliche Zahl? Eine Zahl, die mit der Zahl seiner Vertragsbrüche wächst? Wie weit gehen Sie in Ihrem Zorn?
M 2 Spielkarten für TIT FOR TAT
Vorderseite schwarz
Vorderseite rot
Rückseite
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M 3 Spielplan
Runde
Spielerin/Spieler A:
Spielerin/Spieler B:
01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 Gesamtergebnis Quelle: Peters, Jörg: »Der Einsatz von Spielen im Philosophie- und Ethikunterricht«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 37, 2015, Heft 4: Spielend philosophieren, S. 80–87 (vom Autor für diesen Band überarbeitet).
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P I E LE FÜR DI E S S E K UNDA R S T UFE N I UND I I
Spielvorlagen dem Ethikunterricht anpassen David Sandmaier
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ndlich mal wieder anders unterrichten! Endlich mal nicht das übliche Unterrichtsanfangsritual feiern! Endlich sich mal über die sich nach dem Mitgebrachten streckenden Schülerinnen- und Schülerhälse freuen. Endlich mal (wieder) gefragt werden, was es heute »gibt«. Endlich mal wieder Spannung im Unterricht – und das nur durch den Einsatz eines Spiels. Aber es ist nicht nur die Motivation und die Abwechslung, d. h. das methodische Moment, das den Einsatz eines Unterrichtsspiels begründet. Wie in den folgenden Hinweisen deutlich wird, eignen sich Spiele auch dazu, Rollen(verhalten) und die damit verbundenen Perspektiven, Funktionen und Haltungen auszuprobieren, zu thematisieren und in einer Reflexion zu kritisieren. Gerade für den Ethikunterricht ist dabei das fiktionale »Erleben« oder »Erfahren« des Nicht-Wirklichen wesentlich, weil dadurch ein gedankliches Transzendieren des Bestehenden (Situationen der absoluten Gleichheit, des konsequenten Verzichts, des Friedens, des Weltuntergangs usw.) angeregt werden kann. Je nach thematischem Zusammenhang oder nach dem tatsächlichen Spielverlauf werden sich diese Aspekte anbieten oder sie werden sogar notwendig sein. Das Unterrichtsspiel gewinnt dadurch einen didaktischen und überhaupt pädagogischen Wert. Aber wie lässt sich ein passendes Spiel für den aktuellen Stoff des Ethikunterrichts finden? Eines, das dem Charakter der Lerngruppe entspricht. Eines, das die Schülerinnen und Schüler weder unter- noch überfordert. Eines, zu dem es mindestens einen passenden Anschlusstext gibt. Ein passendes Spiel lässt sich – allerdings mit ein wenig Umgestaltung – leicht aus bestehenden Spielen gewinnen. Daher sollen im Folgenden einige simple Methoden vorgestellt werden, die Hilfestellung beim Einstieg in die Umgestaltung von Spielentwürfen bieten.
Didaktische Analyse Es stellt sich als wesentlich schwieriger dar, ein passendes Spiel zum aktuellen Unterrichtsstoff zu finden, als einen passenden Unterrichtsstoff einem irgendwie interessant erscheinenden Spiel zuzuordnen. Zwei Gründe sind dafür ausschlaggebend. 1. Es werden nur sehr wenige Spiele zu Inhalten des Ethikunterrichts überhaupt entwickelt und veröffentlicht. Es fehlt zudem an Schlagworten und Katalogen für eine Suche nach solchen Spielen. 2. Die Inhalte zugänglicher Spiele sind weniger wesentlich als vielmehr deren sozio-psychologisches Moment. Die didak-
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tische Analyse wird sich in einer Vielzahl der Spiele darauf richten, welche Stoffgebiete sich durch deren Einsatz thematisieren lassen. Das Thema des hergebrachten Spiels lässt sich hierfür leicht variieren.
Rollen, Situationen und Verlauf ändern Ein wesentliches Instrument der Spieladaption ist die Veränderung von Rollen und Situationen. Daraus entspringen zwei Vorteile: Der erste Vorteil besteht darin, dass die Veränderung von Rollen und Situationen ein recht flexibles Moment darstellt, denn in der Regel ist es von untergeordneter Bedeutung, ob eine Spielfigur König, Geschäftsführer, Lehrer oder – des Spaßfaktors wegen – der Oberschlumpf ist. Hier ist es lediglich wichtig, dass die Figuren ungleich mit Macht, Funktion oder Aufgabe ausgestattet sind. Dasselbe gilt für die situative Gestaltung des Spiels. Es ist häufig nicht ausschlaggebend, worüber im Spiel gestritten werden soll, sondern vielmehr, dass gestritten wird. Es ist nicht maßgeblich, was befohlen werden darf, sondern dass etwas befohlen wird. Es interessiert nicht, welche Aufgabe in einer bestimmten Zeit zu erledigen ist, sondern ob es irgendeine solche Aufgabe gibt. Machtkonstellationen, Aufgabenverteilung, Konfliktstruktur können Parameter eines Spiels sein, die sich leicht an die verschiedensten Unterrichtsgegenstände anpassen lassen. Mal behält man eine bestimmte Konfliktart bei, mal nimmt man einen Wechsel vor. Mal wird man ein leitendes Kollektiv besser gebrauchen können, mal einen Alleinherrscher. Mal wird sich eine Science-Fiction-Situation anbieten, mal eine Historisierung der Situation etc. Ein zweiter Vorteil dieser offenen Anlage der Spielentwürfe liegt in der einfach zu bewerkstelligenden Anpassung des Anspruchsniveaus: Ist in der Spielbeschreibung klischeehaft ein Verteilungskonflikt zweier benachbarter Gemeinden Ursache des daraufhin einsetzenden Handelns, lässt sich dies im Ethikunterricht der Sekundarstufe II beispielsweise in der Konkurrenzsituation zweier Global Players oder in dem von Huntington prophezeiten Clash of Civilizations theoretisch »durchspielen«. In der Sekundarstufe I werden sich andere näher liegende Inter-Gruppen-Konflikte als geeignet erweisen. Ein vorgegebener Ablauf kann meist leicht im Sinne der erstrebten Ziele verändert werden. Nicht zuletzt darf es sich dabei auch um Ziele des Unterrichtsverlaufs handeln. Bestimmte Spielphasen können natürlich komprimiert oder gar übergangen werden. Im noch vorzustellenden Spiel Wer wird der dickste Bauer? können beispielsweise die Spielrunden (jede Spielrunde stellt ein Wirtschaftsjahr dar) gekürzt oder zu anderen Blöcken zusammengefasst werden, um auf diese Weise mehr (oder weniger) Gelegenheit für eine Abstimmung zwischen den Spielgruppen zu geben.
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Anspruchsniveau anpassen Das bekannte Möbelpacker-Diskussionsspiel habe ich mehrfach in der gewerblichen Berufsschule zur Frage des gerechten Lohns spielen lassen. Dabei habe ich feststellen müssen, dass sich dieses Spiel für diese Schulform nicht besonders gut eignet. Bei diesem Spiel ist ein Umzugshonorar von 1000 Euro unter fünf Beschäftigten eines Möbeltransportunternehmens zu verteilen, die unterschiedliche Eigenschaften und Befindlichkeiten (Fleiß, Kummer, Verantwortungsbewusstsein, Geschlecht etc.) und Fähigkeiten (fahren, tragen, verwalten, finanzieren etc.) aufweisen. Dem zu konstituierenden Selbstwertgefühl der Schülerinnen und Schüler entsprang beinahe ausnahmslos und ausschließlich eine an der körperlichen Anstrengung orientierte Leistungsgerechtigkeit. Was zeigt sich hier? Wesentlich für die erhoffte Wirkungen eines Spiels – gemeint sind Motivation, Betroffenheit, Perspektivität etc. – ist ein angemessenes Spielniveau. Keinesfalls darf der Eindruck bei den Spielerinnen und Spielern entstehen, sie seien beispielsweise einem Experiment der Lehrkraft ausgesetzt oder sie würden in einer für sie undurchsichtigen Situation bei ihrem Scheitern beobachtet. Wer nicht versteht, was er tun soll, verweigert sich: Ein Spiel, das zu einfach oder zu anspruchsvoll angelegt ist, macht keinen Spaß und vermindert das Engagement. Den Anspruch einer Spielkonzeption kann man zuerst einmal durch Förderung oder Beeinträchtigung des Spaßfaktors anpassen. Zu viel Albernheit wird reifere Schülerinnen und Schüler eher abschrecken: Vor den Peers will man eventuell eher durch Coolness und Unantastbarkeit wirken. Zu kopflastige Themen und Spielregeln schrecken wiederum andere ab. Aber in einer albernen Spielsituation lässt sich eine als albern empfundene Rolle mitunter ganz leicht ausfüllen. Vielleicht haben Ihre Schülerinnen und Schüler keine Lust, als Päpstin bzw. Papst oder als Kardinälin bzw. Kardinal einer ethischen Debatte zu weltbewegenden Themen beizuwohnen, dafür aber als »Miraculix der Druide« oder als »Oberhäuptling der transafrikanischen Polytheisten«. Vielleicht genügt es auch schon, wenn sich eine Schülerin bzw. ein Schüler einen eigenen Amtsnamen als Päpstin bzw. Papst wählen darf, wenn es um die Sicht des Katholizismus geht. Hierbei muss allerdings auch beachtet werden, dass Klischees nicht unangemessen verwendet werden: Nur innerhalb einer klar humorvollen, deutlich kontra-realistischen Deklaration wird die Gefahr vermieden, Vorurteile zu kolportieren und damit diskursfähig zu machen. Das oben verwendete Beispiel des afrikanischen Häuptlings berührt m. E. bereits die Grenzlinie zum Bornierten. Brisant wird dieser Aspekt, wenn sich Schüler*innen mit den Rollenbezeichnungen gemeint fühlen (können). Spiele werden anspruchsvoller, wenn man die Spielerinnen und Spieler eines Sinnes oder sogar mehrerer Sinne beraubt. Augenbinden sind hierfür das einfachste Mittel. Nach der Durchführung eines solchen Spiels bedarf es der Reflexion über die Bedeutung der Sinne sowie die Auswirkungen des Fehlens von einem oder mehrerer Sinne.
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Auch die Behinderung der Kommunikation für alle oder nur für bestimmte Spielrollen kann zur Gestaltung des Spiels beitragen und das Anspruchsniveau heben oder senken. Inwieweit dürfen Mitspielerinnen und -spieler miteinander sprechen, verhandeln, sich informieren? Ist die Kommunikation wechselseitig erlaubt oder darf sie nur in eine Richtung betrieben werden? Welche Sprechakte sind erlaubt? Sind nur Fragen oder nur Aussagen zulässig? Wer darf initiierend sprechen? Zuletzt sei das erzählerische Eingreifen angeführt, das eine – auch spontane – Justierung des Spielniveaus erlaubt. Ähnlich den Ereigniskarten in manchem Planspiel können für befürchtete Fehlentwicklungen eines Unterrichtsspiels schildernde, berichtende oder erzählende (auch »stimmungsmachende«) Texte vorbereitet werden. Zeigen sich die Spielerinnen und Spieler als zu gemächlich, weil sie unterfordert sind, so kann die Spielleiterin bzw. der Spielleiter die Robinson-CrusoeSituation durch ein aufziehendes Unwetter um eine Zeitvorgabe verschärfen. In Situationen, in denen die Schülerinnen und Schüler sich eher überfordert äußern, kann ein erklärender Zeitungsbericht (beim Möbelpackerspiel etwa mit der Schlagzeile »Regierung diskutiert über Mindestlohn-Modelle«) weiterhelfen. Kontroverse Zitate, polemische Spitzen oder einseitige Definitionen heben mitunter das Reflexionsniveau der Spielerinnen und Spieler und damit auch den Anspruch des Spiels.
Auswertung und Transfer Im Anschluss an die Spielsituation bedarf es sowohl einer Auswertung als auch eines Transfers auf eine Modellsituation. Spiele wie die beiden im Folgenden vorzustellenden ermöglichen eine Fülle von Interpretationen. Dies kann beispielsweise genauso das Verhalten der Spielerinnen und Spieler betreffen wie die Frage nach vergleichbaren Situationen in der Wirklichkeit. In Unterrichtssituationen, die in der Art eines Planspiels eher auf bestimmte Situationen eingehen möchten, bietet sich die Lenkung des auswertenden Unterrichtsgesprächs durch geeignete Anschlusstexte an. Das Spiel Der blinde Fürst wurde im freien Problemgespräch (an einer beruflichen Schule) meist auf betriebliche Zusammenhänge übertragen. Als Anschlusstext bietet sich z. B. Platons Beschreibung des idealen Herrschers aus seinem Hauptwerk Politeia an (M5).1 Das Gespräch wird so auf politische Ethik und anthropologische Aspekte fokussiert. Im Anschluss an das Spiel Der dickste Bauer bieten sich neben Auszügen aus Das Prinzip Verantwortung von Hans Jonas oder Eine Theorie der Gerechtigkeit von John Rawls (Generationengerechtigkeit, Unzulänglichkeit der Nahbereichsethik, Nachhal-
1
Das Spiel Der blinde Fürst ist im Hinblick auf Platons Darstellung eines idealen Herrschers konzipiert worden. Vgl. Platon: Sämtliche Dialoge, hrsg., eingel. mit Anmerkungen und einem Register versehen von Apelt, Otto, in Verbindung mit Hildebrandt, Kurt; Ritter, Constantin; Schneider, Gustav, 7 Bde., Bd. 5: Der Staat, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1988, Buch 5, 473 b–e (S. 213–214) und Buch 6, 484 b–d (S. 225–226).
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tigkeit) auch Zeitungsartikel an, die auf die im Weiteren zu analysierenden Probleme (etwa Treibhauseffekt, Artensterben, Atommüll-Lagerung) aufmerksam machen. Formal lässt sich das Dargestellte folgendermaßen zusammenfassen: · Spiele auf Zielrichtung und Flexibilität hin sichten · Spielvorlagen prüfen 1. A uswahl im Hinblick auf Inhaltsfeld
· Rollen
· Kognitiver Anspruch
· Transferplanung
· Situationen
· Spaßfaktor
· Spielverlauf
· Kommunikations formen
· Suche nach Anschlusstexten
2. Inhaltliche A npassung
3. Niveauanpassung
4. Einpassung in den konkreten Unterricht
Beispiele aus dem Unterricht 1. Der dickste Bauer – Ein Spiel zum Allmendedilemma Das Spiel Der dickste Bauer thematisiert das Allmendedilemma.2 Es handelt sich hierbei um ein Diskussionsspiel, das entweder von einer Schülerin oder einem Schüler bzw. von der den Kurs leitenden Lehrkraft moderiert wird. Zugrunde liegt ein Spiel namens Gewinnt so hoch ihr könnt!, bei dem in Teambildungssituationen zum Beispiel das Gewinnstreben einzelner (Teil-)Gruppen zum Nachteil des Gesamtvorteils problematisiert wird. Gespielt wird mit vier Schülergruppen (A bis D), die jeweils in der Rolle eines Agrarbetriebes – z. B. eines Bauernhofes – agieren. Alle Bauernhöfe sind gleich groß und haben in allen Bereichen identische Ausgangsbedingungen. Betrachtet man den Aufbau des Spiels, so stellt man fest, dass es sich um ein reduziertes Planspiel handelt, da die Aufgabe der Schülergruppen im Wesentlichen darin besteht, Entscheidungen zu treffen. Konkret haben die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeiten, zwischen drei verschieden intensiven Nutzungsweisen zu wählen (jede Gruppe erhält drei Nutzungskarten mit dem Buchstaben G für »gering«, M für »mäßig« und S für »stark«), mit denen sie die Allmende des spätmittelalterlichen Gemeinwesens, dem sie angehören, ausbeuten können. Ausgegangen wird dabei von einer Leistungskraft der Allmende von insgesamt 200 Einheiten. Je nach Nutzungsweise wird dieser Ausgangswert unterschiedlich stark gemindert. Die Schülerinnen und Schüler führen in jeder Spielrunde in ihren jeweiligen Gruppen eine Entscheidung herbei, in welchem Maße sie die Allmende auszubeuten gedenken. Nach Möglichkeit sollte keine der Gruppen erfahren können, auf welche Weise die konkurrierenden Gruppen die Allmende nutzen wollen. Jede Spiel-
2
Bonus, Holger, Häder, Michael: »Allmendedilemma«, in: Korff, Wilhelm; Beck, Lutwin; Mikat, Paul (Hrsg.): Lexikon der Bioethik, 3 Bde., Bd. 1: A–F, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1998, S. 12–13.
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runde sollte – mit Ausnahme der beiden ersten – die Dauer von einer Minute nicht überschreiten. Nachdem in jeder Spielrunde alle Gruppen ihre Entscheidungen getroffen haben, legen sie die Karte, die ihre Wahl symbolisiert (also entweder »G«, »M« oder »S«) verdeckt auf den Tisch und halten diese nach Aufforderung durch die Spielleiterin bzw. den Spielleiter hoch. Die einzelnen Ergebnisse werden in irgendeiner Form (Tafel, Folie, Laptop/Tablet) für alle sichtbar in einer Spieltabelle festgehalten.3 Aufgrund der angegebenen Daten wird die Veränderung der Allmende in jeder Runde (also für jedes Jahr) neu berechnet. Wesentlicher Bestandteil des Spiels ist die pauschale Abgabe von zehn Einheiten, die jeder Bauer jährlich zu leisten hat. Die Abgaben werden für die Pflege und Regeneration der Allmende benötigt. Doch genau diese Abgaben sind es, die die einzelnen Bauern in eine Dilemmasituation treiben: Für die zu leistenden Abgaben will der (mittelalterliche) Landwirt natürlich so viel Ertrag wie irgend möglich für sich verbuchen. Soll sich die geleistete Arbeit für ihn lohnen, muss er eine nachhaltige Zerstörung der Allmende durch Überweidung in Kauf nehmen. Wählen beispielsweise alle vier Gruppen bereits in der ersten Runde die starke Nutzungsweise »S«, so würde die Allmende um 80 Einheiten in der Ertragsmöglichkeit gemindert. 40 Einheiten werden allerdings für die Regeneration investiert, sodass die Minderung tatsächlich nicht 80, sondern »nur« 40 Einheiten beträgt. Die zweite Spielrunde beginnt dementsprechend lediglich mit einer maximalen Leistungskraft von 160 Einheiten. Diese Spielweise lässt sich also fünfmal wiederholen, bevor die Allmende nachhaltig zerstört ist. Um dem vorzubeugen, sind zwei Bauernkonferenzen vorgesehen, bei denen die Oberbauern der vier Gruppen zu einer kurzen (ca. zweiminütigen) strategischen Besprechung zusammenkommen – meist zu einem Zeitpunkt, bei dem die Schäden der Allmende bereits deutlich am Stand der Einheiten abzulesen sind. In dieser Besprechung werden unter anderem die Themen Allgemeinwohl, Konkurrenz, Eifer, Vertrauen, Bedürfnisse und Bedarf verhandelt. Die Schülerinnen und Schüler werden mit großer Wahrscheinlichkeit an diesem Punkt eine eindämmende Maßnahme beschließen, z. B. dass alle Bauernhöfe (= alle Gruppen) sich zwei Runden lang darauf beschränken, die Allmende lediglich gering zu nutzen. An diese Vorgaben hält sich dann aber in der Regel (mindestens) eine der Gruppen nicht. Die »falsch« spielende Gruppe sichert sich auf diesem Wege einen großen Spielvorteil, denn in dieser Runde wird wohl nur der hinterhältigste Bauer dicker. Wie die Reaktionen der übrigen Gruppen auf ein solches Vorgehen ausfallen dürften, kann ein jeder wohl leicht erahnen. In Bezug auf die Auswertungsmöglichkeiten dieses Spiels soll hervorgehoben werden, dass sich alle denkbaren Spielausgänge im Ethikunterricht thematisieren lassen, denn sowohl der Bereich der Nahethik personaler Tugenden (z. B. Vertrauen und Hilfsbereitschaft versus Heimtücke) als auch die Problembereiche der ethischen Makroebene (etwa Klimawandel, Marktwirtschaft, Sozialversicherung, Glo
3
Vgl. den Spielplan auf S. 98.
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balisierung oder Verteilungsgerechtigkeit) bieten sich für die weitere Gestaltung einer Unterrichtsreihe an. Im Anschluss an dieses Spiel können beispielsweise Passagen aus Hans Jonas’ Das Prinzip Verantwortung herangezogen werden, um Problemfelder der Nachhaltigkeit menschlichen Handelns bzw. Fragen der menschlichen Verantwortung zu thematisieren (M2). Andere Texte, die ebenfalls die hier zugrundeliegende Problematik aufgreifen, finden sich beispielsweise in Konrad Lorenz’ Acht Todsünden der zivilisierten Menschheit (M3) oder in der von John Rawls formulierten Kritik des Utilitarismus, die in seinem Hauptwerk Eine Theorie der Gerechtigkeit enthalten ist (M4).
Spielablauf »Der dickste Bauer«
1 In den einzelnen Spielgruppen einigen sich die Schülerinnen und Schüler, wie die Allmende im anstehenden Wirtschaftsjahr genutzt werden soll. Die entsprechende Nutzungskarte (»G«, »M« oder »S«) wird bereitgehalten.
2 Die Spielgruppen zeigen nach Aufforderung durch die Spielleitung gleichzeitig ihre Nutzungskarten. Die einzelnen Werte werden dann für alle sichtbar in eine Spieltabelle eingetragen (z. B.: 0 x »G« = 0; + 3 x »M« = 30; + 1 x »S« = 20; Summe »Nutzung«: 50 Einheiten).
3 Anschließend werden jeder Bauerngruppe 10 Einheiten, also insgesamt 40 Einheiten zur »Allmenden-Pflege« gutgeschrieben.
4 Aus der Differenz ergibt sich die Belastung der Allmende für das zurückliegende Wirtschaftsjahr und die daraus resultierende neue Leistungsfähigkeit für das kommende Jahr. Bezogen auf das gewählte Beispiel bedeutet das: Zu konstatieren sind 50 Einheiten »Nutzung«, von denen 40 Einheiten »Pflege« abgezogen werden müssen. Es bleibt eine Differenz von 10 Einheiten bestehen, was bedeutet, dass die Allmende im kommenden Wirtschaftsjahr nur noch eine Leistungsfähigkeit von 190 Einheiten besitzt.
5 Die Schritte 1–4 werden jeweils bis zur ersten und zweiten Bauernkonferenz wiederholt. Eventuell werden auch noch die Spielrunden 9 und 10 durchgeführt, bevor ein Endergebnis feststeht.
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2. Der blinde Fürst Diese Spielkonzeption zeigt, wie mit relativ einfachen Ergänzungen und Änderungen ein für die Wirtschaft konzipiertes Spiel in eines für den Ethikunterricht umwandeln kann. Das ursprüngliche Spiel ist so konzipiert, dass die Spielerinnen und Spieler mit verbundenen Augen aus einem zu einer Schlinge geknoteten Seil ein Quadrat formen müssen. Dieses Spiel stammt aus dem Bereich der ManagementFortbildung und wird dort eigentlich zum Training kommunikativer Fähigkeiten eingesetzt. Die hier vorliegende Variante des Spiels wird durch eine Differenzierung der Rollen angereichert: Es gibt eine direktive Rolle, die durch unterschiedliche Benennung leicht die Spielsituation in verschiedenste Kontexte verlagert. Zudem wird eine Ungleichheit unter den untergeordnet agierenden Spielerinnen und Spielern geschaffen, indem (maximal) zwei von ihnen – ohne das Wissen der anderen – in ihren Wahrnehmungsmöglichkeiten nicht eingeschränkt sind. Eine Schiedsrichterin oder ein Schiedsrichter ist nötig, um das Erreichen des Ziels, die Formierung eines Quadrats, festzustellen. Die Kurslehrerin bzw. -lehrer sollte für die nötige Sicherheit im Klassenraum sorgen: So ist z. B. ausreichend Platz nötig, damit die Spielerinnen und Spieler während der Spielphase vor Stolperfallen oder Fehltritten jeglicher Art bewahrt werden. Als Auswertungsmöglichkeiten bieten sich im Anschluss an das Spiel unter anderem folgende Fragen an: Was haben die einzelnen Spielerinnen und Spieler während des Spiels wahrgenommen? Wie haben sie sich gefühlt? Wie hätten sie am liebsten agiert? Die gemachten Erfahrungen lassen sich auf Staat und Gesellschaft oder Betrieb/Behörde übertragen: Wer entsprach welchen Rollen?4 Die Frage nach den gewünschten Eigenschaften guter Führungskräfte ist auch in der betrieblichen Personallehre aktuell. So könnte beispielsweise die Rezension des Buches von Susanne Reinker eine solche Diskussion eröffnen (M6).
4
Der oben skizzierte Transfer der Spielsituation auf ethisch relevante Situationen kann zum Beispiel mithilfe eines stark gekürzten Auszuges aus dem 6. Buch von Platons Politeia erfolgen, der die notwendigen Eigenschaften eines Staatsführers erörtert.
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Spielablauf »Der blinde Fürst« MATER I AL UND ZEI T
• 10 m langes Seil, das an den Enden verknotet wird, • 8 Augenbinden, • 2 Auftragskärtchen (für den Staatslenker und die Schiedsrichterin bzw. den Schiedsrichter), • 15 Minuten Spieldurchführung mit anschließendem Auswertungsgespräch. ROLLEN
• 1 »Staatslenker« oder ähnliche Führungsrolle, dem die Augen verbunden werden, • 1 Schiedsrichter, • 7 Mitspieler mit verbundenen Augen und 1 Sehender. AUF TR AG
Alle Mitspieler greifen das Seil mit der rechten Hand und formen daraus ein Qua drat. REGELN
1. Der Auftrag wird dem Staatslenker bzw. der Staatslenkerin (vor Verbinden der Augen) und dem Schiedsrichter gezeigt. 2. Den folgenden Anweisungen des dann blinden Staatslenkers bzw. der dann blinden Staatslenkerin gehorchen die Mitspielerinnen und Mitspieler, die den Auftrag nicht kennen dürfen, bis der Schiedsrichter entscheidet, dass er erfüllt ist. 3. Die Mitspielerinnen und Mitspieler dürfen einzeln mit der Staatslenkerin bzw. dem Staatslenker sprechen, aber nicht untereinander. Wichtig ist eine Formulierung, die Fragen an die Staatslenkerin bzw. den Staatslenker grundsätzlich zulässt. So bleibt später die Möglichkeit zu erfragen, weshalb der Spielauftrag nicht erfragt wurde. 4. Ein bis zwei Mitspielerinnen oder Mitspieler spielen sehend (evtl. auf besonderer Anweisung der Spielleitung und ohne Wissen der anderen Mitspieler!).
A
C
gering 0
Bauer A
B
+ – 100 ________________
Erg.
10
9
8
7
6
5
4
3
2
1
Jahr
D
Ʃ
B
Ʃ
A
B
C
stark 20 D
Ʃ
+ – 100 ________________
Bauer C
BAUERNKONFERENZ
BAUERNKONFERENZ
D
Bauer B
C
mäßig 10
+ – 100 ________________
A
Nutzung
Allmende-Nutzung
Nutz.
Kapazität = 200 – Rundenergebnis
Bauer D + – 100 ________________
Pflege (4 x 10) 40/Jahr
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M 1 Tabelle zum Planspiel Wer wird der dickste Bauer?
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M 2 Bedürfniswirtschaft contra Profitwirtschaft. Bürokratie contra Unternehmertum5
Der Irrationalität einer vom Profitstreben beherrschten Wirtschaft kann der Sozi alismus das Versprechen einer größeren Rationalität […] entgegenstellen. Zentrale Planung gemäß den kollektiven Bedürfnissen sollte vielen Verschleiß der Wettbe werbsmechanik und den meisten Unfug der auf Verbraucherkitzel zielenden Markt produktion vermeiden können, also dem materiellen Wohlstand mit größerer Spar samkeit bezüglich der Naturreserven dienen. Da Verschwendung in dieser Hinsicht eine der Wunden der uns beschäftigenden Situation ist, läge hier ein wichtiger Vor teil der nicht gewinnorientierten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Praktisch und nach bisheriger Erfahrung allerdings wird der logisch so bestechende Vorteil mindestens teilweise aufgewogen durch die wohlbekannten Defekte einer zentralis tischen Bürokratie […]. Klar ist, daß wie die richtigen Entscheidungen der Spitze sich mit größerer Sicherheit durch den ganzen Wirtschafts- und Sozialkörper durchset zen können, auch die Irrtümer hier eine ähnlich riesige Auswirkung haben müssen: und bei Erstickung der Initiative ›von unten‹ und Entwöhnung von der Gabe der Improvisation in der Gesamtbevölkerung sind hier die Heilmittel weniger zur Hand als im flexibleren, immer noch einigermaßen offenen Wettbewerbssystem des Ka pitalismus. In Sachen der Güterversorgung schneidet zweifellos der letztere bisher besser ab, allerdings um den Preis jener unstatthaft werdenden Verschwendung […]. Die Profitwirtschaft, um ihr das Ihre zu geben, hat hier Posten nicht nur gegen son dern auch für sich: wie sie einerseits zwar durch Anstachelung der Bedürfnisse zur Verschwendung am Gebrauchsende treibt, so hat sie andererseits in dem Interesse an der Kostensenkung ein inneres Motiv zur Sparsamkeit an der Quelle, das durch Wettbewerb vollends zwingend wird. […] Dennoch, so muß man wohl sagen, ist an und für sich der Bedürfnismaßstab eine bessere (weil in sich rationalere) Voraussetzung für Rationalität als der Profitmaßstab. […] Alles hängt davon ab, was als Bedürfnis gilt […], wo denn je nachdem, wie ratio nal oder irrational es dabei zugeht, ob die Gegenwart oder die Zukunft das Urteil beherrscht und nach welchem Gesichtspunkt die letztere, wie groß oder verzichtwil lig der nationale Egoismus ist, […] auch die tollste Verschwendung endlicher Ressour cen auf Kosten der Gesamtökologie herauskommen kann. Sicher ist nur, daß der Fortfall des Profitmotivs wenigstens einen Zwang zur Verschwendung besetigt, näm lich den zur Schaffung von künstlichen Absatzkapazitäten für zunächst gar nicht gewünschte, ja nicht einmal gekannte Güter.
5
Jonas, Hans: Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, st 1085, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 1984, S. 260–262.
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M 3 Konrad Lorenz: Im Gleichgewicht?6
Es ist ein weitverbreiteter Irrglaube, dass »die Natur« unerschöpflich sei. Jede Tier-, Pflanzen- oder Pilzart – denn alle drei Sorten Lebewesen gehören zum großen Rä derwerk – ist an ihre Umgebung angepasst, und zu dieser Umgebung gehören selbst verständlich nicht nur die anorganischen Bestandteile einer bestimmten Örtlichkeit, sondern ganz ebenso alle ihre anderen Bewohner. Alle Lebewesen eines Lebensrau mes sind also aneinander angepasst. Dies gilt auch für jene, die einander scheinbar feindlich gegenüberstehen, wie etwa das Raubtier und seine Beute, der Fresser und der Gefressene. […] Ganz selbstverständlich hat der Fresser ein brennendes Interesse am Weiterleben der Art von Beute, von der er lebt, sei es Tier oder Pflanze. […] Das Raubtier kann […] sein Beutetier niemals ausrotten, das letzte Paar der Räuber würde schon lange verhungert sein, ehe es dem letzten Paar der Beute-Art auch nur begeg net wäre. […] Es kommt nur selten vor, dass die Vermehrung eines Tieres unmittelbar von der Menge der vorhandenen Nahrung geregelt wird. Dies wäre nämlich im Interesse des Ausbeutenden wie in dem des Ausgebeuteten gleicherweise unökonomisch. Ein Fi scher, der vom Ertrage eines Gewässers lebt, tut gut daran, dieses stets nur so weit auszufischen, dass die überlebenden Fische eben noch das Maximum an Nachkom menschaft hervorbringen, das die abgefischte Menge wieder ergänzt. […] Die Ökologie des Menschen verändert sich um ein Vielfaches schneller als die aller andern Lebewesen. Das Tempo wird ihr vom Fortschritt seiner Technologie vorgeschrieben […]. Daher kann der Mensch nicht umhin, tiefgreifende Veränderun gen und allzu oft den totalen Zusammenbruch der Biozönosen zu verursachen, in und von denen er lebt. Eine Ausnahme hiervon machen nur ganz wenige »wilde« Stämme, wie z. B. gewisse Urwaldindianer Südamerikas, die als Sammler und Wild beuter leben, oder die Bewohner mancher ozeanischen Inseln, die ein wenig Acker bau treiben und im Wesentlichen von Kokosnüssen und Meerestieren leben. Solche Kulturen beeinflussen ihr Biotop nicht anders, als Populationen einer Tierart es tun. Dies ist die eine theoretische Art, in welcher der Mensch mit seinem Biotop im Gleichgewicht leben kann, die andere besteht darin, dass er sich als Ackerbauer und Viehzüchter eine ganz auf seine Bedürfnisse zugeschnittene Biozönose schafft, […]. Dies gilt für manche alte Bauernkulturen, in denen Menschen viele Generationen lang auf demselben Land sitzen, es lieben und auf Grund ihrer recht guten, in der Praxis erworbenen ökologischen Kenntnisse der Scholle zurückgeben, was sie von ihr empfingen. Der Bauer weiß nämlich etwas, was die gesamte zivilisierte Menschheit vergessen zu haben scheint, nämlich dass die Lebensgrundlagen des Planeten nicht unerschöpf
6
Lorenz, Konrad: Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit, SP 50, Piper Verlag GmbH, München 1985. S. 23 – 28.
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lich sind. […] Indem die zivilisierte Menschheit die lebende Natur, die sie umgibt und erhält, in blinder und vandalischer Weise verwüstet, bedroht sie sich mit ökologi schem Ruin. Wenn sie diesen erst einmal ökonomisch zu fühlen bekommt, wird sie ihre Fehler leicht erkennen, aber sehr wahrscheinlich wird es dann zu spät sein. Am wenigsten aber merkt sie, wie sehr sie im Verlaufe dieses barbarischen Prozesses an ihrer Seele Schaden nimmt.
M 4 John Rawls: Eine Kritik des Utilitarismus7
Wir müssen uns jetzt dem Problem der Gerechtigkeit zwischen den Generationen zuwenden. […] Es erlegt jeder ethischen Theorie eine ernste, wenn nicht unerfüllbare Bewährungsprobe auf. […] Wie ich schon sagte, gibt eine ethische Theorie einen Gesichtspunkt an, unter dem politische Programme zu beurteilen sind; und oft kann die Falschheit einer vorgeschlagenen Lösung auf der Hand liegen, ohne dass eine bessere Möglichkeit so leicht zu erkennen wäre. So scheint es etwa keinem Zweifel zu unterliegen, dass das klas sische Nutzenprinzip bei Fragen, die mehrere Generationen betreffen, in die Irre leitet. […] Da es keinen Grund für die Minderbewertung künftigen Wohlergehens in Form einer reinen Zeitpräferenz gibt, ist es umso wahrscheinlicher, dass die größeren Vorteile für die zukünftigen Generationen fast alle heutigen Opfer aufwiegen. […] So kann der Utilitarismus von den ärmeren Generationen schwere Opfer zugunsten späterer verlangen, die viel besser dran sind. Doch dieser Nutzenkalkül, nach dem die Nachteile einiger von den Vorteilen anderer aufgewogen werden, scheint im Falle verschiedener Generationen noch weniger berechtigt als für gleichzeitig Lebende. […] Es ist eine Naturtatsache, dass die Generationen über die Zeit verteilt sind und die wirtschaftlichen Vorteile nur in eine Richtung fließen. Daran lässt sich nichts än dern, und damit entsteht kein Gerechtigkeitsproblem. Gerecht oder ungerecht ist, wie sich die Institutionen angesichts natürlicher Beschränkungen verhalten und was sie aus den geschichtlichen Möglichkeiten machen. Wenn alle Generationen […] Ge winn haben sollen, müssen sich die Beteiligten offenbar auf einen Spargrundsatz einigen, der dafür sorgt, dass jede Generation ihren gerechten Teil von den Vorfahren empfängt und ihrerseits die gerechten Ansprüche ihrer Nachfahren erfüllt. Der ein zige Austausch zwischen den Generationen ist gewissermaßen ein fiktiver in der Form von Ausgleichsregelungen, die im Urzustand mit einem gerechten Spargrund satz getroffen werden könnten. […]
7
Rawls, John: Eine Theorie der Gerechtigkeit, übers. von Vetter, Hermann, stw 271, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 1979, S. 319, 321, 322, 323, 324, 325 und 326.
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Auf dem Weg zu einem gerechten Spargrundsatz (oder besser zu Bedingungen für einen solchen) müssen sich die Beteiligten fragen, wie viel sie in jedem Entwick lungsstadium zu sparen bereit wären, falls alle anderen Generationen nach demsel ben Grundsatz gespart haben und sparen werden. […] [S]tellen wir uns vor, dass die Beteiligten sich fragen, was Angehörige aufeinander folgender Generationen in je dem Entwicklungsstadium vernünftigerweise voneinander erwarten können. Sie versuchen zu einem gerechten Sparplan zu kommen, indem sie abwägen, wieviel sie für ihre näheren Nachkommen zu sparen bereit wären und zu welchen Ansprüchen sie sich gegenüber ihren näheren Vorfahren berechtigt fühlen. […] In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Theorie der Gerechtigkeit als Fairness von utilitaristischen Auffassungen. […]
Der gerechte Spargrundsatz lässt sich als eine Übereinkunft zwischen den Gene rationen bezüglich der fairen Aufteilung der Lasten auffassen, die aus der Errichtung und Erhaltung einer gerechten Gesellschaft entstehen. […] Doch auf jeden Fall braucht man nicht immerfort zu maximieren. […] Man darf nicht glauben, eine ge rechte und gute Gesellschaft müsse mit einem hohen materiellen Lebensstandard verbunden sein. Die Menschen wünschen sich sinnvolle Arbeit in freier Verbindung mit anderen im Rahmen gerechter Grundinstitutionen.
M 5 Platon: Die Eigenschaften eines Herrschers8 Sokrates befindet sich im Gespräch mit Glaukon.
Sokrates: Wenn es solche Menschen gibt, die das ewig unwandelbare Sein zu er fassen vermögen, und solche, welche im mannigfaltigen und wandelbaren Sein her umtappen, so folgt natürlich nun die weitere Frage: Welche von beiden Klassen soll nun Führer des Staates sein? […] Sonach ist notwendig, […] uns über ihren eigentli chen Charakter zu unterrichten. […] Nun denn, in betreff der wahren wissenschaftli chen Charaktere müssen wir doch bereits über diese erste Eigenschaft einverstanden sein, dass sie immer Lust und Liebe haben müssen zu solchem Lerngegenstande, der ihnen den Schleier zu lüften vermag von jenem Sein, das ewig ist und keiner Ver änderung unterworfen ist durch Entstehen und Vergehen? […] Und doch wohl auch darüber, […] dass sie Lust und Liebe haben zu allen möglichen Zweigen jenes Seins, dass sie weder einen kleinen noch einen größeren, weder einen mehr oder minder geachteten Teil davon mit Wissen und Willen unbeachtet lassen […] Nicht zu täu
8
Platon: Der Staat, vollständige Neuausgabe, übers. von Teuffel, Wilhelm Siegmund (Buch I–V) und Wiegand, Wilhelm (Buch VI–X), hrsg. von Guth, Karl-Maria, Sammlung Hofenberg im Verlag der Contumax GmbH & Co, KG (der Text folgt der Ausgabe: Platon: Sämtliche Werke, Lambert Schneider, Berlin 1940), Berlin 2016, Buch VI, 484b–487a (S. 178–182).
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schen und wissentlich auch die Täuschung sich nicht beikommen zu lassen, sondern sie zu hassen, dagegen Wahrheit zu lieben. Ist es also möglich, dass ein und derselbe Charakter ein Freund der Weisheit und ein Freund der Täuschung ist? […] Die dritte Eigenschaft eines solchen ist also denn besonnene Mäßigung und Abwesenheit aller Gewinnsucht; denn die Triebfedern, deretwegen man mit so großem Kraftaufwand nach Geld und Gut strebt, dürfen bei keinem in der Welt weniger die Tätigkeit be stimmen als bei einem solchen. […] Viertens muss man auch auf folgende Eigenschaft sehen, wenn du den angeborenen Charakter eines wahren Freundes der Weisheit und den des falschen unterscheiden willst: Dass dir in ihm nicht niederträchtige Gemein heit stecke! Denn im größten Widerspruch steht gemeine Kleingeisterei mit einer Seele, die Natur und Geist in ihrer Allgemeinheit und Gesamtheit stets zu erfassen streben soll. […] Dem Geiste, der die Naturgabe einer großartigen Denkart und die eines Blickes in die gesamte Zeit und in das gesamte Sein hat, wird dem wohl nun das menschliche Leben als etwas Großes vorkommen können? Also auch den Tod wird ein solcher nicht für etwas Schreckliches halten? Eine von Geburt feige und niederträchtige Seele also kann demnach mit wahrer Wissenschaft offenbar nichts zu schaffen haben. […] Wenn einer nun hübsch mäßig, nicht habsüchtig, nicht nie derträchtig, kein Windbeutel, kein Feigling ist, könnte der wohl je unverträglich oder ungerecht im Verkehr werden? […] Bei Beobachtung einer Seele, ob sie eine wahre Freundin der Weisheit sei oder nicht, musst du natürlich also fünftens auch auf diese Eigenschaft von ihrer Jugend an sehen, ob sie gerecht und human, oder ob sie unverträglich und roh ist. […] Und gewiss wirst du auch die sechste Eigenschaft nicht außer Acht lassen wollen: Ob er Gelehrigkeit oder Ungelehrigkeit hat; oder er wartest du, dass einer etwas ordentlich lieben werde, bei dessen Verrichtung er mit Schmerzen arbeitet und mit gar geringen Fortschritten? […] Jetzt von der siebenten Eigenschaft! Wenn er von dem, was er gelernt hat, nichts behalten könnte, weil er voll von Vergesslichkeit wäre, muss da sein Kopf vom Wissen nicht leer bleiben? […] Bei nutzlosen Anstrengungen wird er natürlich wohl in den Fall kommen müssen, dass er sich sowohl wie auch eine solche Beschäftigung hasst? […] Eine vergessliche Seele also dürfen wir niemals unter die Jünger der wahren Wissenschaft aufnehmen, son dern wir müssen verlangen, dass sie ein gutes Gedächtnis haben. […] Achtens dürfen wir wohl den Satz aufstellen: Die Eigenschaft einer den Künsten und Musen abge neigten und alles Maßes ermangelnden Natur hat auch nur zur Maßlosigkeit ihren Zug. […] Wahrheit aber hältst du für verwandt mit Maßlosigkeit oder mit Maßhaltigkeit? Sokrates: Einen angeborenen inneren Sinn für Maß und schöne Form müssen wir daher neben den anderen Eigenschaften als achte verlangen; diesem Sinne wird dann der angeborene Trieb den Weg zur Schauung des Wesenhaften eines jeden Dinges leicht machen. Glaukon: Allerdings. […]
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Sokrates: Und so von Geburt aus begabten Männern, fuhr ich fort, wenn sie über dies sowohl an Bildung wie an Alter die höchste Reife erreicht haben, würdest du diesen nicht einzig und allein unseren Staat anvertrauen?
M 6 Heike Rudolf: Sind Führungskräfte blind für Mitarbeiteranliegen?9
In ihrem Buch Rache am Chef [spürt Susanne Reinker] den kleineren und größeren Cheffehlern nach […] Reinker will deutlich machen, [dass] aus den vielen kleinen Garstigkeiten im Umgang mit Mitarbeitern […] den Unternehmen massiver wirt schaftlicher Schaden [erwächst], der sich gesamtwirtschaftlich auf Milliardenhöhe summiert. […] Reinker hat fünf typische Problemzonen von Chefs herausgearbeitet: Bereiche, in denen viele von ihnen immer wieder Fehler machen und damit für ihre Mitarbeiter langsam, aber sicher zu Katastrophenchefs oder »masters of disasters« werden. Oft genug handelt es sich um Kleinigkeiten, die schließlich nicht nur zu einer vergifteten Atmosphäre im Büro führen, sondern auch Arbeitsunlust und Rachegedanken pro vozieren. Dazu gehört nicht nur der unterbelichtete Umgang mit Emotionen, man gelndes Lob oder das fehlende »Dankeschön«, wenn die Sekretärin durch nicht ganz freiwillige Überstunden ihren Feierabend geopfert hat. Dazu gehören ebenso auch kapitale und ständig wiederholte Fehler in der Kommunikation: »Die meisten Kata strophenchefs gehen seltsamerweise wie selbstverständlich davon aus, dass ihre ver balen Verlautbarungen absolut eindeutig und umfassend sind und daher von den Untergebenen auch 1:1 verstanden werden.« […] Außerdem werde »der Inhalt oft von nicht-sprachlichen Aspekten wie Körpersprache und Tonfall überlagert«, analysiert Reinker. Die Folge: Missverständnisse in der Kommunikation zwischen Chef und Mitarbeitern sind nicht selten, eher sogar die Regel. Reinker spricht damit auch eine kritische Schlagseite der üblichen Karrieremuster an: Wegen technisch herausragen der Leistungen werden Mitarbeiter zu Chefs befördert, die im Bereich Personalfüh rung blutige Anfänger sind – und sich zu allem Überfluss noch als hartnäckig trai ningsresistent erweisen. Quelle: Sandmaier, David: »Spielvorlagen dem Ethikunterricht anpassen«, in: Ethik & Unterricht 18, 2007, Heft 3: Spielend leben, S. 27–31 (vom Autor für diesen Band überarbeitet).
9
Rudolf, Heike: »Rache ist süß – Rache am Chef. Die unterschätzte Macht der Mitarbeiter – das neue Buch von Susanne Reinker«, auf: http://www.changex.de/Article/article_2573 (Stand: 16.05.2020).
Neue Spiele braucht das Land Die Entwicklung von Spielideen und ihre Umsetzung als Lernaufgabe Katja Andersson
D
em Spielen im Unterricht kann eine besondere Bedeutung zukommen, weil die Schülerinnen und Schüler soziale Erfahrungen sammeln, erworbenes Wissen anwenden und üben und weil eine ganzheitliche Lernsituation geschaffen wird, die es ermöglicht, dass Haltungen und Einstellungen zu Tage treten und in diesem Rahmen auch »bearbeitet« werden können. Hilbert Meyer stellt fest: »Spielen im Unterricht ist nicht zweckfrei, sondern ein zielgerichteter Versuch zur Entwicklung der sozialen, kreativen, intellektuellen und ästhetischen Kompetenzen der [Schülerinnen und] Schüler.«1 Auch wenn die Lernaufgabe, ein Spiel zu entwickeln, nicht zweckfrei ist, so bietet sie doch gestalterische Möglichkeiten besonderer Art. Die Schülerinnen und Schüler erweitern sowohl ihre Darstellungs- als auch ihre Schreibkompetenz, da sie angehalten sind, nicht nur eine Idee zur Umsetzung zu bringen, sondern auch eine treffende Anleitung zu verfassen. Schülerinnen und Schüler müssen Lernfortschritte und -defizite erkennen können. So muss das zu entwickelnde Spielmaterial eine selbständige Lernkontrolle ermöglichen, und idealiter steht am Ende der Themeneinheit und dem Ausprobieren der Spiele auch eine Auswertungsphase im Sinne einer Meta-Kommunikation: Kommt bei den entwickelten Ideen etwas heraus, was man tatsächlich spielen kann, so kann man den Produkten die Lernentwicklung und den Spaß ansehen. Unterrichtsinhalte, die sonst flüchtig bearbeitet werden, werden durch ein Spiel, das selbst erdacht ist, intensiver behandelt, da das Durchdenken einer Spielidee und ihrer Inhalte den Aneignungsprozess verlangsamt. Im vorgestellten Unterrichtskontext wurde die Lernaufgabe »Ein Spiel entwickeln« im Rahmen der Themeneinheit Religionen verstehen lernen eingebettet. Es ist denkbar, dies auf geeignete andere Themenbereiche zu übertragen. Die Schülerinnen und Schüler entwickeln die Spielidee für ein Interaktionsspiel, das als medienunabhängiges, zunächst zweckfreies Spielen aus der Freizeit bekannt ist, sich an Spannung, Spaß und Erholung orientiert und zur Auseinandersetzung mit Spielpartnern anregt. Dabei ist davon auszugehen, dass die Schülerinnen und Schüler – sofern sie nicht etwas komplett Neues entwickeln – Ideen verwenden, die sich an bekannten, evtl. kommerziellen Spielen orientieren. Beispiele hierfür können sein:
1
Hilbert Meyer: Unterrichtsmethoden; 2 Bde., Teil II: Praxisband; Cornelsen Verlag Scriptor GmbH, Berlin 112000, S. 344.
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Katja Andersson
¬ Abwandlungen von Formaten wie Stadt, Land, Fluss (z. B. Symbol, Kennzeichen, Speise, Besonderheit, Feste, Rituale …) ¬ Memory, selbst hergestellt mit Begriffen und Symbolen aus dem Wissensfundus über die Religionen ¬ komplexe Lernspiele, bekannt von Formaten wie Trivial Pursuit, indem eigene Fachbereiche benannt werden (z. B. Symbol, Feste und Feiertage, heilige Orte, Lebensregeln, Essen und Trinken …) und dazu Fragekarten geschrieben werden. In diesem Unterrichtsvorhaben sollten die Schülerinnen und Schüler angehalten werden, ein komplexes Regelspiel zu entwickeln, wobei es sich nicht ausschließt, unterschiedliche Formate miteinander zu verbinden. Es hat sich gezeigt, dass die Schülerinnen und Schüler zunächst häufig die ihnen bekannten Spiele verändern und erst anschließend etwas Neues erfinden. Dies macht deutlich, dass sie hinreichend Spielerfahrungen mitbringen, um Spielstrukturen zu erkennen, diese von einander zu unterscheiden und darüber hinaus in der Lage sind, anhand von Kriterien eigene Spiele zu kreieren.
Einbettung in die Unterrichtseinheit Die Unterrichtseinheit Religionen verstehen lernen ist konzipiert für die Jahrgänge 7/8 und nähert sich über die allgemeinen Fragen »Was ist Religion?« und »Wo begegnet uns Religion im Alltag?« den Schwerpunkten »Leben in einer christlich geprägten Kultur« und »Vielfalt des Glaubens«. Hier steht, im Rückgriff auf die Jahrgänge 5/6 und die Behandlung der monotheistischen Religionen, das Zusammenleben mit dem Islam im Vordergrund und – vorbereitend auf die Jahrgänge 9/10 – werden Buddhismus und Hinduismus in ihrer Unterschiedlichkeit zu Christentum, Judentum und Islam angelegt. Die zu behandelnden Fragen orientieren sich dabei vor allem an den wichtigsten Orten der jeweiligen Religionen, zu denen inhaltliche Fragen beispielhaft geklärt und vertieft werden können. Städte wie Rom, Mekka, Jerusalem, die iranische Stadt Ghom, das indische Varanasi, der Berg Kailash oder der Adams Peak (Sri Pada) in Sri Lanka werden so zu heiligen Stätten, die das Gesicht der jeweiligen Religion zeigen und – wie im Fall von Jerusalem und dem Adams Peak – auch die Möglichkeit bieten, gezielt über Gemeinsamkeiten und Schnittstellen nachzudenken.
Wie entwickeln Schülerinnen und Schüler ein eigenes Spiel im Rahmen der Lernaufgabe? Gelerntes Wissen wiederzugeben, ist nicht allzu schwer; zu wissen, wie man es anschaulich und konkret darstellt, ist hingegen eine geforderte Kompetenz unseres Faches. Beide Ebenen lassen sich durch die Entwicklung eines Spiels verknüpfen. Grundlage der zu entwickelnden Spielideen sind die im Verlauf der Unterrichtsein-
Neue Spiele braucht das Land
111
heit kennengelernten Besonderheiten der Religionen sowie die zu den Religionen gehörenden heiligen Orte. Es bietet sich an, diese Lernaufgabe in Kleingruppen erarbeiten zu lassen; auch dies hat einen besonderen Wert für das soziale Lernen, da die Schülerinnen und Schüler ihre Ideen miteinander besprechen und gemeinsam zu einer alle zufriedenstellenden Lösung kommen müssen. Selbstverständlich dürfen über die bloßen Unterrichtsinhalte hinaus auch weitere Stätten und in früheren Jahrgängen bereits erworbenes Wissen mit einbezogen werden. Den Schülerinnen und Schülern sollten die im Bewertungsbogen (M3) aufgestellten Kriterien transparent gemacht werden. Basis der Spiele ist ein differenzierter Umgang mit den Religionen, der Besonderheiten verdeutlicht, Gegensätze veranschaulicht und Gemeinsamkeiten hervorhebt. Am Ende jeder Doppelstunde können die Schülerinnen und Schüler ihrem Spiel einen Aspekt hinzufügen. Die Verknüpfung von Kenntnissen und produktorientierter Darstellung geschieht durch die Zusammenführung von deskriptivem Wissen und seiner Bedeutung in einem zugänglichen Spielekontext. Während ein Arbeitsblatt, das beispielsweise Tipps für das Entstehen eines Spiels enthält, zur Erleichterung für die Erledigung der Lernaufgabe beitragen mag (M1), kann ein anderes Arbeitsblatt mit Formulierungsvorschlägen für das Verfassen einer spielerfreundlichen Herangehensweise nützlich sein (M2). Es hat sich gezeigt, dass gezielte Ideen für eine konkrete Umsetzung erst entstehen, wenn die heiligen Orte ins Spiel kommen und den Schülerinnen und Schülern damit die Struktur des Spiels klarer wird. Spiele, die von Schülerinnen und Schülern entwickelt wurden und Titel tagen wie Weltreise der Religionen, Das Geheimnis der heiligen Orte oder Religions-Safari, zeigen, wie gern die Orientierungshilfe über die heiligen Stätten aufgegriffen worden ist.
Würdigung der entwickelten Spiele Eine besondere Würdigung erfahren die Spiele, wenn sie ausgetauscht und gespielt werden. Es bietet sich an, den Schülerinnen und Schülern einen Bewertungsbogen (M3) anzubieten, auf dem sie ihren Mitschülerinnen und -schülern kriterienorientiert Rückmeldungen zu ihren Produkten geben können. Die Lehrkraft kann als Letzter diesen Bewertungsbogen ausfüllen und an die Gruppen zurückleiten. Diese Art der Bewertung ermöglicht durchaus die Benotung eines Gruppenprodukts. Eine Abschlussdiskussion über die Erfahrungen beim Entwickeln der Spielideen und dem Spielen der Produkte ihrer Mitschülerinnen und -schüler leitet darüber hinaus den Fokus nochmals auf den besonderen Wert der Lernaufgabe.
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Katja Andersson
M 1 So entsteht euer Spiel
1. Bildet Gruppen von 3–4 Schülerinnen und Schülern. Euer Spiel ist das Gemeinschaftsprodukt einer Kleingruppe. 2. Diskutiert in der Gruppe eine Spielidee, wägt dazu Für und Wider ab. Besprecht auch, welche Idee sich gut umsetzen lässt. 3. Am Ende jeder Doppelstunde erhaltet ihr etwas Zeit, um aus den Unterrichtsinhalten gemeinsam Ideen für euer Spiel abzuleiten. Macht euch dazu Notizen in eure Mappe. 4. Entwickelt einen Spielplan und ggf. weitere Materialien (z. B. Fragekarten), die ihr für euer Spiel benötigt, und gestaltet euer Spiel ansprechend. Verteilt dazu die Aufgaben an einzelne Gruppenmitglieder. 5. Verfasst gemeinsam eine Spielanleitung, die es anderen ermöglicht, euer Spiel umzusetzen. Nutzt dazu das Arbeitsblatt als Gedankenstütze. 6. Überprüft euer Spiel am Ende, indem ihr es selbst spielt. Sollten euch Fehler oder ungeklärte Fragen auffallen, verbessert eure Ideen. Für Schnelle: Recherchiert weitere Aspekte, die ihr in euer Spiel einfließen lassen könnt, dies können weitere Besonderheiten der besprochenen Religionen sein oder weitere heilige Orte.
Checkliste Wir haben uns gemeinsam auf eine Spielidee geeinigt. Wir haben unserem Spiel am Ende jeder Doppelstunde inhaltliche Ideen hinzugefügt. Wir haben einen Spielplan und Materialien entwickelt. Dazu wurden Aufgaben an Einzelne verteilt. Wir haben eine Spielanleitung verfasst und sie unserem Spiel hinzugefügt. Wir haben unser Spiel am Ende auf seine richtigen Inhalte und die Spielbarkeit hin überprüft.
Neue Spiele braucht das Land
M 2 Eine Spielanleitung verfassen
Name des Spiels: 1. Allgemeines Anzahl der Mitspielerinnen und Mitspieler
Wie viele Personen können mitspielen?
Materialien
Was wird benötigt, um das Spiel spielen zu können? (z. B. Spielbrett, Würfel, Spielkarten, Figuren …)
Vorbereitung
Was muss getan werden, bevor man anfangen kann zu spielen? 2. Erklärung
Spielablauf
Wer fängt an? (z. B. der jüngste/älteste Spieler) Wie wird das Spiel gespielt?
Formulierungshilfen Einleitung
Hauptteil
Schluss
• Zu Beginn … • Als Erstes … • Zuerst … • Begonnen wird so: … • …
• Dann … • A ls Nächstes … • Nun … • Jetzt … • …
• Zum Schluss … • Schließlich … • A ls Letztes … • A bschließend … • …
Personen
• die Mitspielerin / der Mitspieler • die Mitspieler • die Spielerin / der Spieler • die Spieler • jede Spielerin / jeder Spieler • jede Person • jede / jeder • man (Dann muss man…) • …
Ende des Spiels
Wann ist das Spiel zu Ende? Ihr könnt z. B. so beginnen: • »Das Spiel ist zu Ende, wenn …«
Ziel des Spiels
Worauf kommt es bei dem Spiel an? Ihr könnt etwa so beginnen: • »Ziel des Spiels ist es, …« oder • »Es kommt darauf an, dass …«
113
Autorin für diesen Band überarbeitet).
Eure Spielidee, der Titel, die Spielform, Design und Aufbereitung sowie die Materialien (z. B. Karten etc.) sind ansprechend gestaltet und passen gut zusammen.
UMSET ZUNG (einfache Wertung)
Ihr habt sauber und ordentlich gearbeitet.
Euer Text ist fehlerfrei (Rechtschreibung, Zeichensetzung, Grammatik).
Eure Spielanleitung ist nachvollziehbar aufgebaut und verständlich.
ANLEI TUNG (einfache Wertung)
Die Inhalte eures Spiels zeigen, was ihr gelernt habt.
Euer Spiel bietet Überraschungen und macht auch beim zweiten Spielen noch Spaß.
In eurem Spiel hat jeder die gleichen Chancen zu gewinnen.
Euer Spiel ist spannend, die Regeln ermöglichen es allen, mitzudenken, auch wenn sie gerade nicht an der Reihe sind.
Euer Spiel ermöglicht einen schnellen Einstieg ins Spielen und ist leicht erlernbar.
Euer Spiel ist klar ausgerichtet. Es ist ein Taktikspiel, ein Wissensspiel oder ein Spiel, das auf Glück setzt.
Euer Spiel ist originell. Es kombiniert Elemente von Spielen neu oder ist sogar eine ganz neue Idee.
INHALT (doppelte Wertung)
Die Lösung eurer Lernaufgabe erfüllt folgende Kriterien:
SPIEL DER GRUPPE:
J J J
Erläuterungen und Tipps 114 Katja Andersson
M 3 Bewertungsbogen
Quelle: Andersson, Katja: »Neue Spiele braucht das Land. Die Entwicklung von Spielideen und ihre
Umsetzung als Lernaufgabe«, in: Ethik & Unterricht 23, 2013, Heft 3: Lernaufgaben, S. 11–15 (von der
Das Argumentationsspiel Anita Rösch, Jörg Peters
Ziel des Spiels Das Team, das die meisten Punkte für Argumente sammelt, gewinnt das Spiel. Spielregeln Es werden (möglichst gleichstarke) Teams mit jeweils drei, vier oder fünf Mitglie1 dern (je nach Kursgröße) gebildet. Es müssen so viele (möglichst gleich große) Teams vorhanden sein, dass jeweils zwei gegeneinander spielen können. Jeder Spieler zieht eine der 32 Zitatkarten. 2 Das Team mit dem jüngsten Mitglied darf das Argumentationsspiel beginnen. 3 Es werden so viele Runden gespielt, dass jedes Team zu all seinen Zitatkarten 4 wahlweise Argumente oder Gegenargumente vortragen kann. Das Team, das beginnen darf, wählt eine seiner Zitatkarten aus. 5 Das Team entscheidet innerhalb von 30 Sekunden, ob es die Position des Denkers 6 oder eine Gegenposition vertreten will. Das Team äußert seine Argumente, wobei der Reihe nach jedes Mitglied ein Ar7 gument nennen muss. Die Runde endet, sobald ein Argument doppelt genannt worden ist, dem Team innerhalb von 60 Sekunden keine weiteren Argumente einfallen oder das Team die Runde selbst als beendet erklärt. Das andere Team hört genau zu, notiert die einzelnen Argumente und überprüft 8 sie auf Stichhaltigkeit. Jedes anerkannte Argument wird mit einem Punkt bewertet. Sollte ein Argument 9 abgelehnt werden, muss das gegnerische Team dies plausibel begründen. Das gegnerische Team wählt nun seinerseits eine Zitatkarte und beginnt seine q Spielrunde. Es werden so viele Runden gespielt, bis jedes Team all seine Zitatkarten eingew setzt hat. Nach Abschluss aller Spielrunden werden die Punkte gezählt und die Sieger ere mittelt.
116
Anita Rösch, Jörg Peters
Nach Abschluss des Spiels wird in einer Metareflexion das Argumentationsverhalten der Teams gemeinsam reflektiert. Für dieses Spiel lassen sich auch leicht Kartensätze zu anderen für den Philosophie- bzw. Ethikunterricht relevanten Bereichen erstellen, wie beispielsweise zur klassischen oder angewandten Ethik, politischen Philosophie, Erkenntnis- oder Wissenschaftstheorie. Auf den folgenden zwei Seiten sind Miniaturen aller 32 Spielkarten des Argumentationsspiels abgebildet, die in Originalgröße zum Ausdrucken und Ausschneiden heruntergeladen werden können.
Das Argumentationsspiel
CICERO (106–43 v. Chr.)
»Der Mensch ist das voraus schauende, verständige, […] einfühlungsfähige, von planender Vernunft erfüllte Lebewesen.«
A R ISTOTELES (384 – 322 v. Chr.)
JOSÉ ORTEGA Y GASSET (1883–1955)
»Der Mensch ist das Wesen, das dazu verurteilt ist, Notwendigkeit in Freiheit umzusetzen.«
NICOLAS CH A MFORT (1741 – 1794)
K A R L M A R X (1883–1955)
BENJA MIN FR A NK LIN (1706–1790)
»Der Mensch ist ein Werk zeug herstellendes Tier.«
DAV ID H UME (1711 – 1776)
»Alle Menschen streben von Natur aus nach Wissen.«
»Durch die Leidenschaften lebt der Mensch; durch die Vernunft existiert er bloß.«
»Gewohnheit ist der große Führer im Menschenleben.«
JEA N-PAU L SA RTR E (1905 – 1980)
THOM AS HOBBES (1588 – 1679)
JOH A NNES V ILHELM JENSEN (1873 – 1950)
»Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt.«
PROTAGOR AS (490 – 411 v. Chr.)
»Der Mensch ist das Maß aller Dinge.«
»Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.«
»Zu den Tieren gehen heißt, sich heimbegeben.«
JOH A NN GOT TFR IED HER DER (1744 – 1803)
IMM A N U EL K A NT (1724 – 1804)
»Der Mensch ist der erste Freigelassene der Schöpfung. Er steht aufrecht.«
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»Der Mensch kann nur Mensch werden durch Erziehung. Er ist nichts, als was die Erziehung aus ihm macht.«
»Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.«
FR IEDR ICH NIETZSCHE (1844 – 1900)
»Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Tier und Übermensch – ein Seil über einem Abgrunde.«
SIGMU ND FR EU D (1856 – 1939)
»Die Absicht, dass der Mensch glücklich sei, ist im Plan der Schöpfung nicht enthalten.«
A LDOUS H U X LEY (1894 – 1963)
»Der Mensch ist eine in der Knechtschaft seiner Organe lebende Intelligenz.«
118
NIKOLAUS VON K U ES (1401 – 1464)
Anita Rösch, Jörg Peters
JOH A NN WOLFGA NG VON GOETHE (1749 – 1832)
»Der Mensch ist ein kleiner Gott.«
»Es irrt der Mensch, solang’ er strebt.«
FR IEDR ICH ENGELS (1820 – 1895)
M A X SCHELER (1874 – 1928)
»Die Arbeit hat den Menschen selbst geschaffen.«
A R NOLD GEHLEN (1904 – 1976)
»Der Mensch ist im Gegensatz zu allen höheren Säugern hauptsächlich durch Mängel bestimmt.«
M A RTIN HEIDEGGER (1880 – 1976)
»Der Mensch zeigt sich als Seiendes, das redet.«
»Der Mensch ist der Neinsagenkönner.«
FJODOR DOSTOJEWSK I (1821 – 1881)
FR IEDR ICH SCHILLER (1759 – 1805)
»Der Mensch ist das Wesen, welches will.«
PAU L ER NST (1866-1933)
»Der Mensch ist das Tier, das sich selbst belügt.«
STA NISLAW JER Z Y LEC (1909 – 1966)
ARTHUR SCHOPENHAUER (1788 – 1860)
»Dem Menschen ist das Prügeln so natürlich wie den reißenden Tieren das Beißen und dem Hornvieh das Stoßen.«
HELMU TH PLESSNER (1892 – 1952)
»Der Mensch ist das exzen trische Tier, das lachen und weinen kann.«
WER NER SOMBA RT (1863 – 1941)
»Der Mensch ist der undankbare Zweibeiner.«
»Der Mensch ist die Dornenkrone der Schöpfung.«
»Der Mensch ist das Wesen, das sich langweilt.«
AU R ELI US AUGUSTIN US (354 – 430)
NICOLA I H A RTM A NN (1882 – 1950)
ER NST CASSIR ER (1887 – 1943)
»Der Mensch ist ein vernunftbegabtes und sterbliches Sinnenwesen.«
»Der Mensch ist das aus sich selbst heraus gefährdete Tier.«
»Der Mensch ist das animal symbolicum, das kulturschaffende Wesen.«
Das Auktionsspiel Gerhard Gräber
D
as »Auktionsspiel« soll Schülerinnen und Schülern auf experimentell-spielerische Weise den Grundgedanken von Michael Walzers Gerechtigkeitstheorie, der sich im System der komplexen Gleichheit widerspiegelt, vermitteln. Walzer hat seine Lehre insbesondere in seinem Hauptwerk Sphären der Gerechtigkeit vorgestellt.
Einfache Gleichheit und komplexe Gleichheit Der Grundgedanke von Walzers Gerechtigkeitskonzeption lässt sich ungefähr so beschreiben: Es gibt keinen einheitlichen Maßstab für Gerechtigkeit. In verschiedenen gesellschaftlichen Sphären gelten je verschiedene Gerechtigkeitsstandards. Jede Gerechtigkeitsfindung funktioniert nach je spezifischen Regeln und Gesetzen. Ungerechte Verhältnisse entstehen genau dann, wenn Güter unterschiedlicher Sphären nach ein und demselben Prinzip verteilt werden: Gilt beispielsweise für die Sphäre von Geld und Waren der freie Markt als angemessenes Verteilungsprinzip, so ist es einsichtig, dass die Sphäre von Verwandtschaft und Liebe oder die Sphäre der politischen Macht oder der öffentlichen Ämter nicht auf der Ebene von Angebot und Nachfrage gerecht geregelt werden können. Walzer möchte das egalitäre Verteilungsprinzip der einfachen Gleichheit ersetzen durch einen Verteilungspluralismus, ein System komplexer Gleichheit. Darunter versteht er eine gerecht organisierte Gesellschaft, in der eine Trennung der verschiedenen Verteilungssphären berücksichtigt wird: Güter unterschiedlicher Sphären werden aus unterschiedlichen Gründen mittels unterschiedlicher Verfahren unterschiedlichen Personengruppen zugeteilt. Entscheidend dabei ist – sollen gerechte gesellschaftliche Verhältnisse erreicht werden –, dass das Gut einer bestimmten Sphäre nicht tendenziell zum dominanten Gut aller Sphären und somit der gesamten Gesellschaft wird. Wenn z. B. mit dem Gut »politische Macht" zugleich die Verfügungsgewalt über andere Güter verbunden wäre, wie etwa eine bessere schulische Ausbildung für die eigenen Kinder, eine bessere medizinische Versorgung, unternehmerische Vorteile etc., so würde »politische Macht" zum dominanten Gut. Eine Gesellschaft, die ein solches Vorgehen systematisch zuließe, endete mit sehr großer Wahrscheinlichkeit in einer Tyrannei.
120
Gerhard Gräber
Ziel des Auktionsspiels Das hier vorgeschlagene Auktionsspiel soll Schülerinnen und Schülern zum Grundgedanken der Walzer’schen Gerechtigkeitstheorie auf experimentell-spielerische Weise hinführen. Dabei sollte ihnen zunächst zu Beginn des Unterrichts nur gesagt werden, dass sie in dieser Stunde Teilnehmerinnen und Teilnehmer an einem Experiment zu Fragen der Verteilungsgerechtigkeit sind. Die Besprechung von Walzers System der komplexen Gleichheit erfolgt erst nach der Auswertung des Spiels anhand zentraler Textstellen aus seinem Hauptwerk Sphären der Gerechtigkeit (M7). Spielverlauf – Teil A
Alle Schülerinnen und Schüler eines Philosophie- oder Ethik-Kurses der Qualifi! kationsphase1 nehmen an dem Spiel teil. Vom Spiel ausgenommen werden lediglich die beiden Schülerinnen und/oder Schüler, die als Spielleitung fungieren. Aufgrund der ihnen zugeschriebenen Rolle gehört es zu ihren Aufgaben, sowohl als Auktionatoren als auch als Auswerter der Bewertungsbögen tätig zu sein.
Alle auf der Auktion angebotenen Waren entstammen der Lebenswelt der Schü@ lerinnen und Schüler. Dabei handelt es sich um einen Laptop, einen Gaming-PC der neuesten Generation, ein Surfbrett mit Segel, einen Interrail Bahnpass, eine Urlaubsreise in die Karibik, ein hochwertiges Rennrad, einen Motorroller, einen gut erhaltenen Gebrauchtwagen, einen größeren Rassehund, ein Jahr freien Eintritt in ein Kino, ein Jahr freien Theaterbesuch im Staatstheater, ein Smartphone mit Zweijahresvertrag, eine Bücherkiste mit allen Bestsellern der letzten zwei Jahre, einmal so viel Kleidung aus dem Lieblingsbekleidungsgeschäft mitnehmen zu dürfen, wie man tragen kann, ein eigenes Pferd mit Stallplatz, einen 75Zoll- Fernseher, ein Jahresabo für alle TV-Streaming-Dienste (Netflix, Prime, Sky etc.), ein Paar Schuhe von Manolo Blahnik oder Cristian Louboutin, unbegrenzt Musik auf Spotify herunterladen zu dürfen, ein Meet-and-Greet mit einem Star, einen sicheren Studienplatz im Fach Medizin, eine größere Briefmarkensammlung, einen Logenplatz beim Lieblingsfußballverein, ein Bild eines bekannten Künstlers, ein Jahr freien Eintritt bei Open-Air-Konzerten, freien Eintritt bei allen Veranstaltungen der nächsten Olympiade und eine Jahreseintrittskarte für einen Freizeitpark. 2
# Jede Mitspielerin und jeder Mitspieler erhält eine Güterliste (M1) und bewertet die aufgeführten Waren mit persönlichen Zufriedenheitspunkten auf einer Skala von 1 bis 5 Punkten. Die Vergabe von 1 Punkt bedeutet, dass der Besitz dieses Gutes die Spielerin bzw. den Spieler »nicht zufrieden« stellt, während 5 Punkte signalisieren, dass sie bzw. er durch den Besitz dieses Gutes ihren bzw. seinen Zustand als »sehr zufrieden« einstuft. Nachdem die persönlichen Bewertungs
1 2
Je nach Bundesland beginnt die Qualifikationsphase mit der Jahrgangstufe 11 oder 12. Je nach Anzahl der mitspielenden Schülerinnen und Schüler bedarf es einer Erweiterung der Güterliste.
Das Auktionsspiel
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bögen personalisiert ausgefüllt worden sind, werden sie der Spielleitung zur Auswertung übergeben. Auf diese Weise lässt sich feststellen, welche Güter welchen Wert innerhalb einer Gesellschaft – hier wird die Gesellschaft durch den »Philosophie-« bzw. »Ethikkurs« repräsentiert – einnehmen. Diese Werte können anschließend mit dem persönlichen Zufriedenheitszustand verglichen werden.
Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhalten den gleichen Anteil an Spielgeld $ (M6): Bei Gütern der oberen Preisklassen benötigen die Mitspielerinnen und Mitspieler schon ein Budget von 10.000 €, damit sie sich einen solchen überhaupt leisten können. Wird ein preiswerteres Gut ins Auge gefasst, muss – sofern sich nicht allzu viele Personen für diesen Gegenstand interessieren – eine geringere Summe zu dessen Ersteigerung aufgebracht werden. Entscheidend ist, dass jede Spielerin bzw. jeder Spieler mit dem ihr bzw. ihm zur Verfügung stehenden Geld nicht mehr als insgesamt drei Güter ersteigern darf.
Die Spielleitung versteigert in einer ersten Runde jene Waren, die auf der Güter% liste 1 stehen. Alle Spielerinnen und Spieler erhalten diese Liste, auf der auch das Mindestgebot für jedes Gut aufgeführt ist (M2).
Wenn alle von den Mitspielerinnen und Mitspielern gewollten Güter versteigert ^ sind, teilt die Spielleitung zunächst die von ihr berechneten durchschnittlichen Zufriedenheitswerte zu jedem Gut mit. Damit die Werte allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern zur Verfügung stehen, werden sie an der Tafel, über eine Folie oder über Laptop bzw. Tablet sichtbar gemacht (M3). Darüber hinaus werden auch noch jeder Spielerin und jedem Spieler ihre bzw. seine jeweiligen Zufriedenheitspunkte mitgeteilt und diese mit dem durchschnittlichen Zufriedenheitsgrad verglichen. Im Anschluss wird darüber gesprochen, was die Ergebnisse in Bezug auf Einzelpersonen einerseits und auf eine Gesellschaft andererseits aussagen.
Eventuell bietet sich an dieser Stelle noch eine Tauschrunde an, in der die Spie& lerinnen und Spieler untereinander ihre Güter – zu von ihnen bestimmbaren Konditionen – tauschen können. Die Auswertungsphase soll dann zeigen, ob die Zufriedenheit innerhalb der Gesellschaft ausgeglichener gestaltet oder vielleicht insgesamt sogar angehoben werden konnte.
122
Gerhard Gräber
Spielverlauf – Teil B
Es wird eine neue Güterliste ausgeteilt (M4). Zu den bisherigen Gütern werden ! folgende hinzugefügt: der Sohn bzw. die Tochter des Bürgermeisters sein, Freundschaft mit einer Mitspielerin oder einem Mitspieler pflegen, Vorsitzende bzw. Vorsitzender der Jugendorganisation einer Partei sein, Amt der Schülersprecherin bzw. des Schülersprechers innehabe, ein sehr gutes Abiturzeugnis erhalten. 3
Es wird zunächst so verfahren wie im Spielverlauf des A-Teils: Es werden wieder @ die persönlichen Zufriedenheitsgrade bestimmt und an die Spielleitung weitergeleitet.
Danach werden die Güter erneut versteigert. Allerdings sind bei der Durchfüh# rung der zweiten Auktionsrunde folgende Zusatzregeln zu beachten: ¬ Die neuen Güter gelten wie Joker: Mit ihnen kann man jede Geldsumme überbieten. ¬ Jedes neue Gut kann genau einmal als Joker eingesetzt werden. ¬ Jedes neue Gut kann durch einen anderen Joker neutralisiert werden. ¬ Ein Joker berechtigt dazu, ein Gut eines der Mitspielerinnen bzw. Mitspieler in Besitz zu nehmen. Ausgenommen von dieser Regel sind – aufgrund der Neutralisationsregel – Joker-Güter. ¬ Die zweite Auktionsrunde ist beendet, wenn keine Geschäfte mehr getätigt werden oder eine zeitlich vorgegebene Frist abgelaufen ist.
Der erste Teil der Auswertungsphase kann so verlaufen, wie im A-Teil (M5). Da$ nach ist es sinnvoll, die Ergebnisse der beiden Spielverläufe miteinander zu vergleichen, um zu sehen, welche Auswirkungen der Einsatz der Joker-Güter einerseits in Bezug auf die Zufriedenheit der Einzelnen und andererseits in Bezug auf die Gesellschaft hatte. Es wird erwartet, dass die Zufriedenheitsverteilung im Spielverlauf des B-Teils wesentlich größere Differenzen aufweist als im A-Teil. Die Schüler werden durch das Spiel nicht nur erkennen, dass es sinnvoll ist, bestimmte Güter von der Möglichkeit, sie durch Geld zu erwerben, auszuschließen, um gerechte Verhältnisse zu erreichen, sondern auch Begründungen dafür anführen. Mit dieser Vorentlastung kann eine Grundlage geschaffen werden, um in die Auseinandersetzung mit Michael Walzers System der komplexen Gleichheit einzusteigen. Quelle: Gräber, Gerhard: »Das Auktionsspiel. Ein experimenteller Zugang zu Michael Walzers Theorie der Gerechtigkeitssphären«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 23, 2001, Heft 3: Individualität und Gemeinsinn, S. 197–198 (vom Autor für diesen Band überarbeitet).
3
Diese Liste kann beliebig ergänzt werden.
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Das Auktionsspiel
M 1 Zufriedenheitsskala 1 Das Auktionsspiel – Zufriedenheitsskala 1 Punkte zu versteigernde Güter
Laptop ein Gaming-PC der neuesten Generation ein Surfbrett mit Segel freier Eintritt bei allen Sportveranstaltungen der nächsten Olympiade ein Jahr freier Eintritt bei Open-AirKonzerten eine Jahreseintrittskarte für einen Freizeitpark ein Jahr freier Theaterbesuch im Staatstheater ein Interrail Bahn-Pass eine Urlaubsreise in die Karibik ein Motorroller ein hochwertiges Rennrad ein gut erhaltener Gebrauchtwagen ein größerer Rassehund ein Jahr freier Eintritt in ein Kino ein Bild eines bekannten Künstlers ein Logenplatz beim Lieblingsfußballverein eine größere Briefmarkensammlung ein sicherer Studienplatz im Fach Medizin Meet-and-Greet mit einem Star unbegrenzt Musik auf Spotify herunterladen ein Paar Schuhe von Manolo Blahnik oder Cristian Louboutin ein Jahresabo für alle TV-StreamingDienste (Netflix, Prime, Sky etc.) ein 75-Zoll-Fernseher ein eigenes Pferd mit Stallplatz aus dem Lieblingsgeschäft so viel Kleidung mitnehmen zu dürfen, wie man auf einmal tragen kann eine Bücherkiste mit allen Bestsellern der letzten zwei Jahre ein Smartphone mit Zweijahresvertrag
1 nicht zufrieden
2 bedingt zufrieden
3 zufrieden
4 recht zufrieden
5 sehr zufrieden
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Gerhard Gräber
M 2 Versteigerung 1 Das Auktionsspiel – Versteigerung 1 Zu versteigernde Güter
Mindestgebot
Laptop
1.500 €
ein Gaming-PC der neuesten Generation
2.500 €
ein Surfbrett mit Segel
1.500 €
freier Eintritt bei allen Sportveranstaltungen der nächsten Olympiade
2.500 €
ein Jahr freier Eintritt bei Open-Air-Konzerten
2.000 €
eine Jahreseintrittskarte für einen Freizeitpark
1.000 €
ein Jahr freier Theaterbesuch im Staatstheater
1.000 €
ein Interrail-Bahnpass
1.500 €
eine Urlaubsreise in die Karibik
2.500 €
ein Motorroller
3.000 €
ein hochwertiges Rennrad
2.000 €
ein gut erhaltener Gebrauchtwagen
6.000 €
ein größerer Rassehund
1.000 €
ein Jahr freier Eintritt in ein Kino
1.000 €
ein Bild eines bekannten Künstlers
4.000 €
ein Logenplatz beim Lieblingsfußballverein
5.000 €
eine größere Briefmarkensammlung
2.500 €
ein sicherer Studienplatz im Fach Medizin
6.000 €
Meet-and-Greet mit einem Star
2.000 €
unbegrenzt Musik auf Spotify herunterladen
1.000 €
ein Paar Schuhe von Manolo Blahnik oder Cristian Louboutin
3.000 €
ein Jahresabo für alle TV-Streaming-Dienste (Netflix, Prime, Sky etc.)
1.000 €
ein 75-Zoll-Fernseher
2.500 €
ein eigenes Pferd mit Stallplatz
5.000 €
aus dem Lieblingsgeschäft so viel Kleidung mitnehmen zu dürfen, wie man auf einmal tragen kann
3.000 €
eine Bücherkiste mit allen Bestsellern der letzten zwei Jahre
1.500 €
ein Smartphone mit Zweijahresvertrag
2.500 €
Das Auktionsspiel
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M 3 Auswertungstabelle Das Auktionsspiel – Auswertungstabelle für die Spielleitung Güter Laptop ein Gaming-PC der neuesten Generation ein Surfbrett mit Segel freier Eintritt bei allen Sportveranstaltungen der nächsten Olympiade ein Jahr freier Eintritt bei Open-AirKonzerten eine Jahreseintrittskarte für einen Freizeitpark ein Jahr freier Theaterbesuch im Staatstheater ein Interrail Bahnpass eine Urlaubsreise in die Karibik ein Motorroller ein hochwertiges Rennrad ein gut erhaltener Gebrauchtwagen ein größerer Rassehund ein Jahr freier Eintritt in ein Kino ein Bild eines bekannten Künstlers ein Logenplatz beim Lieblings fußballverein eine größere Briefmarkensammlung ein sicherer Studienplatz im Fach Medizin Meet-and-Greet mit einem Star unbegrenzt Musik auf Spotify herunterladen ein Paar Schuhe von Manolo Blahnik oder Cristian Louboutin ein Jahresabo für alle TV-StreamingDienste (Netflix, Prime, Sky etc.) ein 75-Zoll-Fernseher ein eigenes Pferd mit Stallplatz aus dem Lieblingsgeschäft so viel Kleidung mitnehmen zu dürfen, wie man auf einmal tragen kann eine Bücherkiste mit allen Bestsellern der letzten zwei Jahre ein Smartphone mit Zweijahresvertrag
Einzelwerte der Spielerinnen und Spieler
Ø
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Gerhard Gräber
M 4 Zufriedenheitsskala 2 Das Auktionsspiel – Zufriedenheitsskala 2 Punkte zu versteigernde Güter
Laptop ein Gaming-PC der neuesten Generation ein Surfbrett mit Segel freier Eintritt bei allen Sportveranstaltungen der nächsten Olympiade ein Jahr freier Eintritt bei Open-Air-Konzerten eine Jahreseintrittskarte für einen Freizeitpark ein Jahr freier Theaterbesuch im Staatstheater ein Interrail Bahnpass eine Urlaubsreise in die Karibik ein Motorroller ein hochwertiges Rennrad ein gut erhaltener Gebrauchtwagen ein größerer Rassehund ein Jahr freier Eintritt in ein Kino ein Bild eines bekannten Künstlers ein Logenplatz beim Lieblingsfußballverein eine größere Briefmarkensammlung ein sicherer Studienplatz im Fach Medizin Meet-and-Greet mit einem Star unbegrenzt Musik auf Spotify herunterladen ein Paar Schuhe von Manolo Blahnik oder Cristian Louboutin ein Jahresabo für alle TV-Streaming-Dienste (Netflix, Prime, Sky etc.) ein 75-Zoll-Fernseher ein eigenes Pferd mit Stallplatz aus dem Lieblingsgeschäft so viel Kleidung mit nehmen zu dürfen, wie man auf einmal tragen kann eine Bücherkiste mit allen Bestsellern der letzten zwei Jahre ein Smartphone mit Zweijahresvertrag der Sohn bzw. die Tochter des Bürgermeisters sein Freundschaft mit einer Mitspielerin oder einem Mitspieler pflegen Vorsitzende bzw. Vorsitzender der Jugend organisation einer Partei sein das Amt der Schülersprecherin / des Schüler sprechers innehaben ein sehr gutes Abiturzeugnis
1 nicht zufrieden
2 3 4 5 bedingt zufrieden recht sehr zufrieden zufrieden zufrieden
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Das Auktionsspiel
M 5 Versteigerung 2 Das Auktionsspiel – Versteigerung 2 zu versteigernde Güter
Mindestgebot
Laptop
1.500 €
ein Gaming-PC der neuesten Generation
2.500 €
ein Surfbrett mit Segel
1.500 €
freier Eintritt bei allen Sportveranstaltungen der nächsten Olympiade
2.500 €
ein Jahr freier Eintritt bei Open-Air-Konzerten
2.000 €
eine Jahreseintrittskarte für einen Freizeitpark
1.000 €
ein Jahr freier Theaterbesuch im Staatstheater
1.000 €
ein Interrail Bahnpass
1.500 €
eine Urlaubsreise in die Karibik
2.500 €
ein Motorroller
3.000 €
ein hochwertiges Rennrad
2.000 €
ein gut erhaltener Gebrauchtwagen
6.000 €
ein größerer Rassehund
1.000 €
ein Jahr freier Eintritt in ein Kino
1.000 €
ein Bild eines bekannten Künstlers
4.000 €
ein Logenplatz beim Lieblingsfußballverein
5.000 €
eine größere Briefmarkensammlung
2.500 €
ein sicherer Studienplatz im Fach Medizin
6.000 €
Meet-and-Greet mit einem Star
2.000 €
unbegrenzt Musik auf Spotify herunterladen
1.000 €
ein Paar Schuhe von Manolo Blahnik oder Cristian Louboutin
3.000 €
ein Jahresabo für alle TV-Streaming-Dienste (Netflix, Prime, Sky etc.)
1.000 €
ein 75-Zoll-Fernseher
2.500 €
ein eigenes Pferd mit Stallplatz
5.000 €
aus dem Lieblingsgeschäft so viel Kleidung mitnehmen zu dürfen, wie man auf einmal tragen kann
3.000 €
eine Bücherkiste mit allen Bestsellern der letzten zwei Jahre
1.500 €
ein Smartphone mit Zweijahresvertrag
2.500 €
der Sohn bzw. die Tochter des Bürgermeisters sein
7.000 €
Freundschaft mit einer Mitspielerin oder einem Mitspieler pflegen
7.000 €
Vorsitzende bzw. Vorsitzender der Jugendorganisation einer Partei sein
7.000 €
das Amt der Schülersprecherin bzw. des Schülersprechers innehaben
7.000 €
ein sehr gutes Abiturzeugnis
7.000 €
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Gerhard Gräber
M 6 Spielgeld
500-Euro-Spielgeldscheine können kostenlos bei der Deutschen Bundesbank heruntergeladen bzw. ausstanzbare Vorlagen bestellt werden: https://www.bundesbank.de/de/publikationen/schule-und-bildung.
M 7 Michael Walzer: Sphären der Gerechtigkeit4
Die menschliche Gesellschaft ist eine Distributions-, eine Verteilungsgemeinschaft. Damit ist zwar nicht alles über sie gesagt, aber doch das Wesentliche, denn es sind tatsächlich der gemeinsame Besitz, die Verteilung und der Tausch von Dingen, die uns zweckhaft zusammenführen. […] Die Idee der distributiven Gerechtigkeit betrifft aber nicht nur das Haben, sondern ebenso sehr das Sein und das Tun. Sie ist mit der Produktion ebenso eng verknüpft wie mit der Konsumtion [Verbrauch] und rnit Identität und Status nicht minder eng als rnit Grundbesitz, Kapital oder persönlicher Habe. Unterschiedliche politische Ordnungen und unterschiedliche Ideologien erzwingen bzw. rechtfertigen unter schiedliche Verteilungen von Zugehörigkeit oder Mitgliedschaft, von ritueller Her ausgehobenheit und göttlicher Gnade, von Verwandtschaft und Liebe, von Wissen, Reichtum, physischer Sicherheit, Arbeit und Muße, von Gratifikation und Sanktionen sowie von einer Vielzahl von Gütern, die wir uns sehr viel konkreter und materieller vorstellen dürfen – wie z. B. Nahrung, Wohnung, Kleidung, Beförderung, medizi nische Versorgung. Und dieser Vielfalt von Gütern entspricht eine Vielfalt von Dis tributionsverfahren Distributionsagenten und Distributionskriterien. […] Dabei lässt sich allerdings kein singulärer Zugangspunkt zu dieser Welt der dis tributiven Arrangements und Ideologien ausmachen, denn es hat niemals ein uni verselles Tauschmittel gegeben. Seit dem Niedergang der Tauschwirtschaft, des Na turaltauschs, ist das Geld zwar das allgemeinste und gebräuchlichste Medium, aber die alte Maxime, der zufolge es Dinge gibt, die für Geld nicht zu haben sind, ist nicht nur normativ, sondern auch sachlich nach wie vor richtig. Was käuflich sein soll und was nicht, ist etwas, worüber stets und zu allen Zeiten die Menschen entscheiden und worüber sie bisher in vielerlei Weise entschieden haben. […] Es hat niemals ein singuläres Kriterium oder ein singuläres Set von miteinander verknüpften Kriterien gegeben, die für alle Verteilungsvorgänge gleichermaßen ge golten hätten. Verdienst, Eignung, Abstammung und Geblüt, Freundschaft, Bedürfnis und Bedarf, freier Austausch, politische Loyalität und demokratische Entscheidung, sie alle hatten und haben, miteina nder verwechselt und vermengt und von konkurrie
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Walzer, Michael: Sphären der Gerechtigkeit. Ein Plädoyer für Pluralität und Gleichheit, übers. von Hanne Herkommer. Fischer Taschenbuch Verlag 1998, S.26–28 und S. 36.
Das Auktionsspiel
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renden Gruppen ins Feld geführt, im schwierigen Nebeneinander mit zahllosen wei teren Einflusskomponenten ihren je speziellen Stellenwert im Gesamtgeschehen. […] Das je einzelne soziale Gut oder Set von Gütern konstituiert gewissermaßen seine eigene Distributionssphäre, innerhalb deren sich nur ganz bestimmte Kriterien und Arrangements als angemessen und dienlich erweisen. Was es gibt, sind (wenn auch umstrittene, so doch in etwa erkennbare) Maßstäbe für das je einzelne soziale Gut und die je einzelne Distributionssphäre in der je ein zelnen Gesellschaft; und diese Maßstäbe werden häufig dadurch verletzt, dass mäch tige Männer und Frauen willkürlich Güter für sich usurpieren und in Sphären ein dringen, in denen sie nichts zu suchen haben.
M 8 Michael Walzer: Komplexe Gerechtigkeit5
Die Argumentation zugunsten von komplexer Gleichheit hat ihren Ausgangspunkt in unserem Verständnis – und damit meine ich unser aktuelles, konkretes, positives und spezielles Verständnis – von den verschiedenen Sozialgütern. Von hier aus schreitet sie fort zu einer Erklärung der Art und Weise, in der wir uns vermittels dieser Güter aufeinander beziehen. Einfache Gleichheit impliziert einfache Distribu tionsverhältnisse, soll heißen, wenn ich meinerseits 14 Hüte besitze und Sie Ihrerseits ebenfalls 14 Hüte besitzen, dann sind wir beide, Sie und ich, gleich. Wenn die Hüte dazuhin dominant sind, hängt auch alles W eitere an ihnen als dominantem Gut, weil sich in diesem Fall unsere Gleichheit auf alle Sphären des sozialen Lebens er streckt. Aus der Sicht, die ich hier zu vertreten gedenke, besitzen wir allerdings nur die gleiche Anzahl von Hüten, und es ist wenig wahrscheinlich, dass Hüte sich über einen Iängeren Zeitraum hinweg als dominantes Gut halten werden. Gleichheit ist eine komplexe Relation zwischen Menschen, vermittelt durch die Güter, die sie er zeugen, miteinander gemein haben und unter sich verteilen; eine Identität der Be sitztümer erfordert sie nicht. Und so ist es denn nur natürlich, dass die Diversität der Distributionskriterien groß ist, ebenso so groß wie die sich in ihnen widerspiegelnde Vielfalt der sozialen Güter. Die Argumentation zugunsten der komplexen Gleichheit ist von Pascal in einer seiner Pensees in bestechender Weise formuliert worden. »Die Tyrannei besteht in dem Verlangen, überall und auch außerhalb seines eige nen Bereichs zu herrschen. Verschiedene Gruppen: Starke, Schöne, Kluge, Fromme, jede herrscht bei sich zu Haus und nicht anderswo. Und mitunter treffen sie aufeinander, und der Starke und der Schöne schlagen sich völlig töricht darum, wer Herr des andern sein solle,
5
Ebd., S. 47–50.
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Gerhard Gräber
denn ihre Herrschaft ist unterschiedlicher Art. Sie können sich nicht verständi gen, und ihr Fehler ist, überall herrschen zu wollen. Nichts kann das, nicht einmal die Macht, sie hat nichts in dem Königreich der Gelehrten zu bestellen; … Tyrannei. Also sind solche Reden falsch und tyrannisch: Ich bin schön, also muß man mich fürchten – ich bin stark, also muß man mich lieben – ich bin … Tyrannei ist: auf eine Weise haben zu wollen, was man nur auf andere haben kann. Verschiedenes fordern die verschiedenen Vorzüge: Das Gefallende ver pflichtet zur Liebe, die Macht verpflichtet zur Furcht, das Wissen verpflichtet zu glauben« [Pensée Nr. 332]. Marx stellt in seinen Frühschriften eine ähnliche Überlegung an; vielleicht war es der zitierte Gedanke Pascals, der ihn dazu veranlasste: »Setze den Menschen als Menschen und sein Verhältnis zur Welt als ein menschli ches voraus, so kannst du Liebe nur gegen Liebe austauschen, Vertrauen nur gegen Vertrauen etc. Wenn du die Kunst genießen willst, musst du ein künstlerisch ge bildeter Mensch sein; wenn du Einfluss auf andere Menschen ausüben willst, musst du ein wirklich anregend und fördernd auf andere Menschen wirkender Mensch sein … Wenn du liebst, ohne Gegenliebe hervorzurufen, d. h., wenn dein Lieben als Lieben nicht die Gegenliebe produziert, wenn du durch deine Lebensäußerung als liebender Mensch dich nicht zum geliebten Menschen machst, so ist deine Liebe ohnmächtig, ein Unglück« [Ökonomisch-philosophische Manuskripte, MEW, Erg.-Bd. 1, S. 567]. Dies sind keine einfachen, leicht eingängige Gedanken […]. An dieser Stelle möchte ich jedoch etwas Einfacheres und Schematischeres versuchen, nämlich eine Überset zung der vorgetragenen Überlegungen in die Begriffe, die ich bislang bereits benutzt habe. Der erste und wichtigste Punkt in der von Pascal wie auch von Marx geführten Argumentation besteht in der Feststellung, persönliche Qualitäten und soziale Güter hätten ihre je eigenen Operationssphären, in denen sie ihre Wirkung frei, spontan und rechtmäßig entfalteten. Es gebe impulsive oder natürliche Umwandlungen, die sich sozusagen logisch aus der sozialen Bedeutung spezieller Güter ergäben und da mit jedermann intuitiv einleuchteten. So gesehen appellieren die Überlegungen der beiden Denker an unser ganz normales Alltagsverständnis; doch ist dies nicht alles, denn sie richten sich auch gegen unsere allgemeine Ergebung in unrechtmäßige Umwandlungsmuster. D. h., sie sind auch ein Appell, aus unserer Ergebung doch Un mut und Groll werden zu lassen. Es stimmt etwas nicht, so macht Pascal deutlich, mit der Umwandlung von Macht in Glauben. Politisch gesprochen bedeutet er uns, dass kein Herrscher, nur weil er mächtig ist, auch das Recht hat, über unsere Ansich ten zu bestimmen. Noch kann er, wie Marx hinzufügt, einen berechtigten Anspruch darauf erheben, uns in dem zu beeinflussen, was wir tun und lassen. Wenn ein Herr
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scher dies wolle, dann müsse er überzeugend, ideenreich, begeisternd usw. sein. Diese Gedanken bedürfen, um wirksam werden zu können, eines gemeinsamen Verständ nisses von Wissen, Einfluss und Macht. Soziale Güter haben soziale Bedeutungen; ihre, der Bedeutungen, Erklärung ist es, die uns den Weg weist zur distributiven Gerechtigkeit. Forschen wir also nach den internen Prinzipien der je einzelnen Dis tributionssphäre. Die zweite Überlegung der beiden Denker besagt, dass die Missachtung dieser internen Prinzipien nichts anderes sei als Tyrannei. Ein Gut in ein anderes umzu wandeln, wenn es zwischen beiden keine innere Verbindung gebe, heiße, in eine Sphäre einzudringen, in der eine andere Gruppe von Personen zu bestimmen habe. Innerhalb der je einzelnen Sphären sei das Monopol nämlich durchaus nicht unge hörig. So spreche beispielsweise nichts dagegen, dass überzeugende, ideenreiche Männer und Frauen (Politiker) nach politischer Macht strebten. Hingegen sei der Gebrauch von politischer Macht zum Zwecke der Erlangung von anderen Gütern ein tyrannischer Gebrauch. Hier wird eine alte Definition von Tyrannei verallgemeinert: Fürsten, so heißt es in zahlreichen mittelalterlichen Texten, werden dann zu Tyran nen, wenn sie das Eigentum ihrer Untertanen an sich raffen oder in deren Familien leben eind ringen. Anders gesagt, im politischen Leben – aber auch jenseits davon – begünstigt die Herrschaft über Güter die Herrschaft über Menschen. Das System der komplexen Gleichheit ist das Gegenteil von Tyrannei. Es erzeugt ein Netz von Beziehungen, das Dominanz und Vorherrschaft verhindert. Formal ge sprochen bedeutet komplexe Gleichheit, dass die Position eines Bürgers in einer be stimmten Sphäre oder hinsichtlich eines bestimmten sozialen Guts nicht unterhöhlt werden kann durch seine Stellung in einer anderen Sphäre oder hinsichtlich eines anderen sozialen Guts. So kann Bürger X Bürger Y bei der Besetzung eines politi schen Amtes vorgezogen werden mit dem Effekt, dass die beiden in der Sphäre der Politik nicht gleich sind. Doch werden sie generell solange nicht ungleich sein, wie das Amt von X diesem keine Vorteile über Y in anderen Bereichen verschafft, also etwa eine bessere medizinische Versorgung, Zugang zu besseren Schulen für seine Kinder, größere unternehmerische Chancen usw. Solange das Amt kein dominantes Gut ist, ist es nicht allgemein konvertierbar; die es innehaben, stehen – zumindest potentiell – in einem Verhältnis der Gleichheit zu den von ihnen regierten oder ver walteten Männern und Frauen. Quelle: Gräber, Gerhard: »Das Auktionsspiel. Ein experimenteller Zugang zu Michael Walzers Theorie der Gerechtigkeitssphären«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 23, 2001, Heft 3: Individualität und Gemeinsinn, S. 197–198 (vom Autor für diesen Band überarbeitet und erweitert).
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PL A N S P I E LE
Spielend philosophieren Planspiele als philosophische Bildungschance Stefanie Pagel
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pielen und Lernen sind keine Gegensätze, sondern vielmehr komplementäre Ebenen eines zeitgemäßen Bildungsbegriffs.1 Das philosophische Spiel als Berührungspunkt von fachphilosophischer Reflexion und praktischem Tätigsein hält zunehmend Einzug in den Ethik- und Philosophieunterricht, scheitert jedoch oftmals nicht nur an nicht vorhandenen Spielvorlagen und mangelndem Mut, sondern an fehlender fachdidaktischer Reflexion, die eine unterrichtspraktische Umsetzung begünstigt. Der folgende Beitrag diskutiert exemplarisch die philosophiedidaktischen Potenziale des Planspiels Terra Nova. Wir machen die Welt über die Konzep tionen von Gerechtigkeit nach Chaim Perelman.
Das Planspiel im Ethik- und Philosophieunterricht Fachwissenschaftliche Kontextualisierung Johan Huizingas anthropologische Grundbestimmung des Menschen als homo ludens weist das Spiel als elementaren Beitrag zur Entwicklung der eigenen Persönlichkeit aus. Als freiwillige, regelgeleitete und auf Raum und Zeit begrenzte Handlung impliziert das Spiel intrinsische Motivation. Daraus resultiert die Möglichkeit, Fähigkeiten bewusst in einer der tatsächlichen Realität differenten Wirklichkeit auszuprobieren. 2 Diese darin enthaltene Handlungsfreiheit bietet nicht nur eine Möglichkeit spielerischer Erprobung, sondern weist Spielen als Kulturtechnik aus. Das Spiel als autonome Selbstwerdung 3 kann den Ethik- und Philosophieunterricht dieserart bereichern, dass einer Verkopfung des Lernprozesses durch ein ganzheitliches Nach-Erleben des philosophischen Lerninhalts entgegengewirkt werden kann. Daran anknüpfend zeigt Eugen Fink das mannigfaltige Potential des Spiels als
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Vgl. Klippert, Heinz: Planspiele. 10 Spielvorlagen zum sozialen, politischen und methodischen Lernen in Gruppen, Pädagogik praxis, Beltz Verlag, Weinheim/Basel 52008. S. 9. Vgl. Huizinga, Johan: Homo ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, übers. von Nachod, H., mit einem Nachwort von Flitner, Andreas, rde 21, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 222011, S. 37. Vgl. Marcuse, Herbert: »Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft«, in: Marcuse, Herbert: Schriften, 9 Bde., Band 7, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1989.
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Stefanie Pagel
»Gipfel humaner Souveränität« 4 : Der Mensch genießt im Spiel die Aufhebung der Beschneidung möglicher Freiheiten und kann somit Erfahrungen sammeln, die ihm in der realen Welt verwehrt bleiben.
Strukturmerkmale des Planspiels Anknüpfend an einen erweiterten Lernbegriff und eine damit einhergehende Kompetenzorientierung im Lehr- und Lernprozess stellt das Planspiel als fach- und sachbezogenes Entscheidungs-, Kommunikations- und Interaktionsspiel5 eine Symbiose von Spielen und Lernen, von Re-, De- und Konstruktion von Wissen dar. Spielerisch setzen sich die Teilnehmer im Sinne konstruktivistischer Lerntheorien mit konfliktären bzw. problemhaltigen Situationen innerhalb eines durch Regeln festgelegten Kontextes unter einer bestimmten Zielsetzung aktiv kollektiv und individuell handelnd auseinander.6 Da die komplexe Wirklichkeit vereinfacht wird, damit die Schülerinnen und Schüler die Problemsituation gemeinsam bewältigen können, ergibt sich ein Spannungsfeld: Obschon ein reales Problem Ausgangspunkt des Lernprozesses ist, muss die Komplexität dennoch in besonderem Maße reduziert werden. Dabei müssen wesentliche Aspekte der Wirklichkeit herausgearbeitet werden, sodass die Schülerinnen und Schüler das Spiel praktisch nachvollziehen und spielen können. Daher werden Planspiele oftmals in Anlehnung an Thomas Morus’ Utopia als Inselspiel konzipiert. Somit wird eine Reduzierung realgesellschaftlicher Komplexität gewährleistet, ohne das Spielziel zu nivellieren. In drei Phasen des Spiels können philosophische Kompetenzen adäquat gefördert werden. 7 Philosophieren statt Philosophie ist das fachdidaktische Potential des Planspiels: Primäres Ziel des Spiels ist nicht die Vermittlung von Bildungsgut, sondern das aktive, kritische Philosophieren, das durch die Förderung philosophischer Kompetenzen ermöglicht wird. Die Schülerinnen und Schüler analysieren in der Anregungs- und Suchphase das ethische Problem, indem sie dieses nicht nur beschreiben, analysieren und reflektieren, sondern auch Argumente und Begründungen ausweisen, den eigenen Standpunkt kritisch hinterfragen und somit eigene Interessen und Zielsetzungen aus einer vorgegebenen Perspektive begründen (Urteilskompetenz). Hinzu kommt – besonders zu Beginn des Spiels – die Notwendigkeit, wesentliche Inhalte von unwesentlichen zu unterscheiden und die Informationen und Argumente kritisch zu prüfen (Orientierungskompetenz). Dabei analysieren die
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Fink, Eugen: »Spiel als Weltsymbol«, in: Fink, Eugen: Eugen Fink Gesamtausgabe, 20 Bde., Bd. 7, Verlag Karl Alber, Freiburg 2010, S. 11–29: S. 24. Vgl. Klippert, Heinz: Planspiele. 10 Spielvorlagen zum sozialen, politischen und methodischen Lernen in Gruppen, a. a. O., S. 11. Vgl. Rebmann, Karin: Planspiel und Planspieleinsatz. Theoretische und empirische Explorationen zu einer konstruktivistischen Planspieldidaktik, Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2001, S. 10. In Anlehnung an Klippert, Heinz: Planspiele. 10 Spielvorlagen zum sozialen, politischen und methodischen Lernen in Gruppen, a. a. O., S. 25.
Spielend philosophieren
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Anregungsphase
Suchphase
Entscheidungsphase
Bewusstmachung des philosophischen Problems (Urteilskompetenz) ▪ Erarbeitung der ethischen Position (Orientierungskompeten, Textkompetenz) ▪ Klärung der eigenen Interessen und Zielsetzungen (Urteilskompetenz)
Suche nach Lösungsstrategien (Urteilskompetenz, Textkompetenz) ▪ Konsultation anderer Spielgruppen und Suche nach Koalitionspartner (soziale Kompetenz) ▪ Verhandlungsaufnahme mit ausgewählten Spielgruppen (soziale Kompetenz)
Beurteilung der eruierten Problemlösungsansätze (Urteilskompetenz) ▪ Entscheidung für eine zu verfolgende Problem lösungsstrategie ▪ abschließende Konferenz mit dem Ziel einer Lösungsfindung (soziale Kompetenz, Urteilskompetenz)
Schülerinnen und Schüler einerseits begriffliche Strukturen, beispielsweise durch die Wiedergabe zentraler Begriffe oder durch das Erstellen einer möglichen Definition eines Begriffs, und andererseits argumentative Strukturen eines Textes, wie die Identifikation von Thesen und Begründungen und die Rekonstruktion des argumentativen Systems (Textkompetenz). Vor allem während der abschließenden Konferenz üben die Schülerinnen und Schüler ihre soziale Kompetenz sowohl argumentativ, zum Beispiel durch die klare Darstellung der eigenen Position und der logischen und plausiblen Begründung des Standpunktes, als auch im Gesprächsverhalten, indem sie Gesprächsregeln einhalten, Rollen übernehmen, Toleranz für das konkurrierende Gegenüber zeigen und aktiv zuhören. Sich reflexiv über den Sprachgebrauch zu verständigen, Begriffe und Argumente zu rekonstruieren und Vorannahmen zu explizieren, verstärkt eine konstruktivistische Analyse der Planspielsituation. Im besonderen Maße wird auch die Dialektik gefördert, indem die Schülerinnen und Schüler dazu aufgefordert werden, radikal Kritik an anderen Gerechtigkeitskonzeptionen zu üben sowie Widersprüche und Defizite aufzudecken, um den eigenen Standpunkt weiterzuentwickeln.
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Stefanie Pagel
Planspiel Terra Nova. Wir machen die Welt Fachwissenschaftliche und fachdidaktische Vorüberlegungen »Gerechtigkeit« gehört zu jenen Begriffen, die in gesellschaftlichen Diskursen inflationär und gleichzeitig ohne scharfe Definition verwendet wird. So stellen Elisabeth Niejahr und Marc Brost in einem Artikel über das Leistungsprinzip in Deutschland fest, dass es »eine Flut unterschiedlicher Gerechtigkeitsbegriffe [gibt]: Generationengerechtigkeit, Chancengerechtigkeit, Bedarfsgerechtigkeit, Zeitgerechtigkeit, Geschlechtergerechtigkeit, Bildungsgerechtigkeit. Je heftiger die Deutschen in den vergangenen Jahren über Verteilung stritten, desto mehr Kategorien wurden erfunden.« 8 Der abstrakte Gerechtigkeitsbegriff und dessen daraus resultierende Umstrittenheit durch Mehrdeutigkeit spricht indes dagegen, ihn als Grundnorm gesellschaftlichen Zusammenlebens zu konstatieren. Das aristotelische suum quique offenbart das Problem: Was steht einem Menschen zu? Und wer entscheidet, was einem zusteht? Gerechtigkeit kann aus philosophischer Perspektive nur als Plural gedacht werden, um religiösen, weltanschaulichen, politischen und kulturellen Vorverständnissen Rechnung zu tragen. Eine Unterscheidung der Vielzahl der Gerechtigkeitsvorstellungen nahm der polnisch-belgische Moral- und Rechtsphilosoph Chaim Perelman vor, indem er in seinem Werk De la justice sechs Kriterien von Gerechtigkeit festhält: das Gleichheitsprinzip ( Jedem das Gleiche), das Bedürfnisprinzip ( Jedem gemäß seiner Bedürfnisse), das Leistungsprinzip ( Jedem gemäß seiner Werke), das Vertragsprinzip ( Jedem gemäß des ihm vom Gesetz Zugeteilten), das Statusprinzip ( Jedem gemäß seines Ranges) und das Einsatzprinzip ( Jedem gemäß seines Verdienstes). Diese Vielzahl existierender Konzeptionen, die sich oftmals antinomisch verhalten, sollen im Planspiel problematisiert werden. Den Schülerinnen und Schülern muss eben dieser kognitive Konflikt der Begriffsbedeutungen exemplarisch und erfahrbar dargestellt werden: Nur durch eine starke kognitive Dissonanz hinsichtlich eines als lösenswert erachteten Problems eröffnet sich ein Spannungsfeld unterschiedlicher Meinungen und epistemische Neugier, die das Planspiel fruchtbar machen. Im Planspiel soll den Schülerinnen und Schülern der Raum gegeben werden, sich intensiv mit unterschiedlichen Standpunkten und lebensweltlichen Problemen verschiedener Rollen vertraut zu machen, sodass eine anschließende Reflexion von einer »erspielten Erfahrungsbasis« ausgehen kann.
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Vgl. Niejahr, Elisabeth; Brost, Marc: »Der deutsche Widerspruch«, in: Die ZEIT 19/2007, Ausgabe vom 03.05.2007, auch auf ZEIT ONLINE unter: http://www.zeit.de/2007/19/Gerechtigkeit (Stand: 30.05.2020).
Spielend philosophieren
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Vor dem Einsatz des Planspiels Das Planspiel Terra Nova. Wir machen die Welt kann ab Jahrgangsstufe 9 eingesetzt werden. Zum besseren Eintauchen in die Spielsituation ist eine vorherige Sensibilisierung des problematischen Gerechtigkeitsbegriffs durch aktuelle politische und gesellschaftliche Diskussionen sinnvoll, um die Lebensweltrelevanz und die Notwendigkeit der philosophischen Auseinandersetzung hervorzuheben. Um das Spiel durchführen, muss für jede Spielgruppe ein Dossier erstellt werden, das wesentliche Informationen sowohl zum Problem als auch zum Ziel sowie zu den Spielabläufen und Arbeitsaufgaben enthält. Darüber hinaus sichert es im besonderen Maße das zielorientierte und produktive Arbeiten. Die Spielmaterialien müssen zudem in ausreichender Anzahl (farbig) kopiert und gegebenenfalls laminiert werden. Zwei Spielerinnen und/oder Spieler werden zum Organisationsteam ernannt. Dessen Aufgabe besteht darin, eine anstehende Inselkonferenz vorzubereiten und sie zu leiten.
Einstieg Mit Hilfe einer Fantasiereise werden die Schülerinnen und Schüler in das Spiel eingeführt und ihnen ein Überblick über die Situation auf der Insel gegeben. Anschließend wird das Planspiel sowohl inhaltlich als auch methodisch vorgestellt. Wichtig ist hierbei eine prägnante Darstellung der Problemsituation und des Ziels, das darauf zugespitzt wird, dass eine Lösung für ein friedliches Zusammenleben – trotz konträrer Auffassungen von Gerechtigkeit – gefunden werden soll. Erst wenn den Schülerinnen und Schülern die Notwendigkeit des Lernwegs (Inselverfassung und Inselorganisation für ein friedliches Zusammenleben) transparent ist, können sie sich auf die inhaltliche Auseinandersetzung mit den jeweiligen Texten einlassen. Das Textmaterial (Spielablauf und -regeln, Arbeitsaufgaben, philosophische Texte) stellt die Grundlage für das Erreichen einer angemessenen Reflexionstiefe bei der gemeinsamen Problemlösung dar. Die Schülerinnen und Schüler werden in Gruppen eingeteilt. Innerhalb der Gruppen nehmen sie ihre Rollen als Inselbewohner ein und verschmelzen zu einer Einheit, was dadurch deutlich wird, dass jede Gruppe ein anderes Wappen erhält. Auf diese Weise soll signalisiert werden, dass die einzelnen Gruppen unterschiedliche Gerechtigkeitskonzeptionen vertreten und in Konkurrenz zueinander stehen. Die Stämme beginnen nun mit dem Lesen »ihres« philosophischen Textes und der Bearbeitung der Arbeitsaufträge und sind angehalten, den eigenen Arbeitsprozess ab sofort zu protokollieren. Diese Protokolle dienen später zur inhaltlichen und methodischen Reflexion des Planspiels. Eine ähnliche Funktion können auch Visualisierungen (z. B. Plakate oder Übersichten) einnehmen. Während die einzelnen Stämme nun beginnen, sich inhaltlich mit je einer Gerechtigkeitsauffassung auseinandersetzen, die die Basis ihrer Inselverfassung darstellt,
140
Stefanie Pagel
bereitet derweil das Organisationsteam die Inselkonferenz vor. Auf der Konferenz sollen nämlich alle Gerechtigkeitsmodelle bzw. Inselverfassungen so vorgestellt werden, dass alle Gruppen einen Überblick über sie erhalten. Einteilung der Schülerinnen und Schüler in ein Organisationsteam und sechs Spielgruppen Spieleinführung
Unterrichtseinstieg durch eine Fantasiereise Vorstellung des Planspiels ▪ Darstellen des Problems ▪ Überblick über Spielsituation und -material
Informationsphase
Analyse der Ausgangssituation ▪ Austausch in Gruppen ▪ Klärung offener Fragen
Erarbeitung Nach der Lesephase und dem Austausch über den jeweiligen Inhalt der Gerechtigkeitsvorstellungen soll jede Gruppe ihr weiteres Vorgehen planen. Die Strukturierung der Inselorganisation wird dabei durch das Erstellen von Plakaten beziehungsweise Schaubildern visuell unterstützt. Anschließend besteht die Möglichkeit, Verhandlungen mit anderen Stämmen aufzunehmen, um Kooperationsmöglichkeiten auszuloten und gegebenenfalls Bündnisse zu schließen. Die Kooperationsphase darf nur wenige Minuten in Anspruch nehmen, damit die (eventuell) erzielten Ergebnisse in die Arbeit der einzelnen Gruppen eingearbeitet werden können. Im Überblick:
Lesephase
Sammlung von Informationen ▪ Lesen des Textdossiers ▪ Antizipieren wesentlicher Inhalte
Meinungsbildung
Maßnahmen, Ziele, Aufgaben diskutieren ▪ Ideensammlung zu Inselverfassung ▪ Erstellen eines Konzepts für die Inselverfassung ▪ Strukturierung der Inselorganisation
Kooperationsmöglichkeit
Verhandlungen mit anderen Stämmen ▪ Auslotung von Kooperationsmöglichkeiten ▪ Schließen von Bündnissen
Meinungsbildung
Konzeptualisierung der Argumentation ▪ Sammlung der Argumente für den eigenen Standpunkt und gegen fremde Standpunkte ▪ Visualisierungen (Plakate, Schaubilder etc.)
Spielend philosophieren
141
Präsentation der Ergebnisse Bevor die Schülerinnen und Schülern zur Inselkonferenz zusammentreten, sind sie gehalten, ihre erarbeiteten Argumente zu strukturieren, Gruppensprecher für die Eröffnungsplädoyers zu bestimmen und die erarbeiteten Visualisierungen zu fixieren. Währenddessen bereitet das Organisationsteam die Inselkonferenz räumlich vor, indem sie eine der Diskussionsform förderliche Sitzordnung herstellt, technische Hilfsmittel installiert (Beamer, Overheadprojektor etc.) und den Arbeitsprozess der Schülerinnen und Schüler beendet. Das Organisationsteam begrüßt zu Beginn der Konferenz die Teilnehmer und erläutert den Konferenzablauf. Einzelne Mitglieder der Stämme erhalten nun Raum für die Darstellung ihrer Stammesargumentation und stellen wesentliche Inhalte der von ihnen konzipierten Inselverfassung und des Aufbaus der Inselgesellschaft vor. Hier ist es sinnvoll, zeitliche Vorgaben für die Eingangsstatements festzusetzen, um eine Konzentration auf Wesentliches zu gewährleisten. Anschließend ist es unter der Leitung des Organisationsteams Ziel der Diskussion, eine gemeinsame Verfassung auszuloten. Dabei legen die einzelnen Stämme ihre Argumente dar, kritisieren konträre Meinungen und ermitteln Gemeinsamkeiten. Zeitgleich halten sowohl das Organisa tionsteam als auch einzelne Stammesmitglieder die Diskussionsbeiträge zur Ergebnissicherung und Reflexion des Planspiels schriftlich fest. In einer abschließenden Rekapitulation der Konferenzergebnisse wird das Organisationsteam feststellen, dass das angestrebte Ziel, eine für alle Stämme gültige Inselverfassung aufzustellen, entweder erreicht worden ist, oder aber, dass das anvisierte Ziel – aus zu benennenden Gründen – (noch) nicht in Sichtweite ist.
Vorbereitung der Konferenz
Sachliche und methodische Vorbereitung ▪ Strukturierung der Argumente ▪ Bestimmung von Gruppensprechern für die Eröffnungsplädoyers ▪ Festlegung der Gruppensitzordnung ▪ Fixierung der Visualisierungen Begrüßung und einleitende Worte ▪ Begrüßung der Konferenzteilnehmer ▪ Konferenzablauf, -regeln und -ziele darstellen Eröffnungsplädoyers ▪ Darstellung der Verfassungskonzepte der einzelnen Stämme
Durchführung der Konferenz
Diskussion um Inselverfassung und -aufbau ▪ argumentative Auslotung der Regeln des Zusammenlebens ▪ schriftliche Fixierung der Ergebnisse Rekapitulation der Konferenzergebnisse und Ausblick ▪ Zusammenfassung der Ergebnisse (mündlich, schriftlich) ▪ eventuelle Vertagung der Konferenz bzw. Weiterleitung von Verantwortlichkeiten
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Stefanie Pagel
Die Reflexion Zum Schluss des Planspiels sollen die Schülerinnen und Schüler reflektieren, was sie gelernt haben, wie sie gelernt haben, wo sie eigene Stärken und Schwächen im Arbeitsprozess ausmachen und welche Konsequenzen sie daraus für ihr weiteres Lernverhalten ziehen. Hinsichtlich des inhaltlichen Feedbacks mit dem Ziel der zusammenfassenden Rekapitulation sowie der Kritik und Bewertung des Spielverlaufs und der erzielten Ergebnisse ist es förderlich, von den Schülerinnen und Schülern zunächst ein spontanes Feedback einzuholen (Blitzlicht, Sonne, Interviews, Schreiben von Rezensionen etc.). Anschließend erfordert es für die Anknüpfung an weitere Themen des Lernbereichs ein detailliertes Feedback zu einzelnen Spielschritten. Dabei muss Wert auf die inhaltliche Tiefgründigkeit gelegt werden, um zu vermeiden, dass die Schülerinnen und Schüler ausschließlich die im Stamm erarbeitete Gerechtigkeitskonzeption wahrnehmen oder sich fachliche Defizite oder Unklarheiten festigen. Fruchtbar ist hier die Nutzung der Protokolle der Stämme und des Organisationsteams zur besseren Nachvollziehbarkeit des Arbeitsprozesses. Neben der inhaltlichen Reflexion ist die Einschätzung des Arbeitsverhaltens, der sozialen Kompetenzen und Selbstständigkeit für das zukünftige Lern- und Arbeitsverhalten essentiell. Daran anknüpfend werden in den nachfolgenden Stunden weitere philosophische Themen des Lernbereichs erarbeitet, beispielsweise die kritische Auseinandersetzung der Justitia als Sinnbild von Gerechtigkeit, die distributive und kommutative Gerechtigkeit bei Aristoteles oder der Widerstreit von Naturrecht und Positivem Recht. Die Implementierung dieses Unterrichtsschrittes gewährleistet, das Planspiel nicht als isoliertes Moment zu betrachten, sondern die inhaltliche Relevanz für den weiteren Lernweg aufzuzeigen. Inhaltliche Reflexion ▪ Rekapitulation, Kritik und Bewertung des Spielverlaufs und der erzielten Ergebnisse Spielauswertung
Fachliche Defizite und Unklarheiten klären Methodische Reflexion ▪ Einschätzung des Arbeitsverhaltens mit Hilfe der Protokolle zum Arbeitsprozess
Anknüpfung an weitere philosophische Themen des Lernbereichs
Spielend philosophieren
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Didaktische Potentiale des Planspiels Lernchancen im Planspiel Spielerisch wird den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit gegeben, Erfahrungen zu sammeln, die ihnen im realen Leben mitunter verwehrt bleiben. Dabei zeichnet sich das Planspiel durch seine Ganzheitlichkeit und den abwechslungsreichen Spielverlauf mit verschiedenen Medien und Methoden, dem Ausprobieren und Nach-Erleben aus und kann so den Spaß am Philosophieren fördern. Gleichzeitig werden ethisch-philosophische Basiskompetenzen, vor allem aber die Urteilskompetenz erfahr- und erlebbar gemacht – ein Umstand, der in diesem Maße nur selten mit anderen Methoden erreicht wird.
Didaktische und methodische Anschlussüberlegungen Einsatzmöglichkeiten im Unterricht Aufgrund der anspruchsvollen Komplexität des Planspiels, die sowohl eine bereits hohe Kompetenzentwicklung als auch methodische Fertigkeiten voraussetzt, ist der Einsatz im Unterricht meines Erachtens erst ab Klassenstufe 9 sinnvoll. Generell kann das Planspiel sowohl zur Erarbeitung philosophischer Theorien als auch zu deren Anwendung und kritischer Reflexion eingesetzt werden.
Hinweise zur Bewertung Schülerinnen und Schüler in der komplexen Spielsituation angemessen zu bewerten, stellt eine nicht zu leugnende Schwierigkeit dar. Die im Bildungsprozess geforderten und geförderten philosophischen Kompetenzen wie Text-, Urteils-, Orientierungs- und interdisziplinäre Methodenkompetenz9 können jedoch sowohl ergebnis- als auch prozessorientiert bewertet werden. Bei beiden Formen der Bewertung sollten folgende Aspekte eine Rolle spielen: der Themenbezug bzw. die Problemerfassung, die Arbeitsweise in der Gruppe, die inhaltliche Erarbeitung der Position, das Eingehen auf Argumente des Gegenübers sowie die inhaltliche und formale Qualität der eigenen Diskussionsbeiträge.
9
Vgl. Schmidt, Donat, von Ruthendorf, Peter: Philosophieren messen. Leistungsbewertung im Philosophie- und Ethikunterricht, Militzke Verlag, Leipzig 2013.
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Das Planspiel als philosophische Bildungschance? Philosophisches Lernen durch selbsttätiges und selbstbestimmendes Entdecken und Erkennen (Konstruktion), durch Erschließung von Inhalten, nicht durch Reproduktion, sondern durch individuellen Sinnaufbau und das Einlassen auf andere Perspektiven (Dekonstruktion), befähigt die Schülerinnen und Schüler zum aktiven Philosophieren. Im Kleinen werden im Planspiel komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge simuliert, die die Schülerinnen und Schüler befähigen, sich mit gesellschaftlichen Realitäten kritisch auseinanderzusetzen. Gemäß dem kantischen Postulat, Philosophieren statt Philosophie zu lernen, kann das Planspiel als Anwendungsmöglichkeit von Problemlösungen, als Reflexions- und Diskursraum betrachtet werden, der nicht nur eine Polyperspektivität und somit ethische Reflexionsfähigkeit auf philosophische Probleme schult, sondern Philosophieren erlebbar macht. Den Schülerinnen und Schülern, die das Planspiel Terra Nova durchführen, werden durch die Konnexion von Denken und Handeln in besonderem Maße die Vielschichtigkeit und Grenzen des Gerechtigkeitsbegriffs bewusst, den sie anschließend auf andere gesellschaftliche Problemfelder transferieren können. Die enorme Bedeutungsvielfalt des Begriffs, den sie modellhaft im Planspiel kennenlernen, sensibilisiert sie für eine kritische Reflexion gesellschaftlicher Diskurse. Durch das Spiel und die damit einhergehenden Erfahrungen kann es gelingen, philosophische Bildung nachhaltig zu gestalten.
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M 1 Einführung
Du erwachst von den ersten Strahlen der Sonne, die du auf deiner Haut spürst. Du riechst die warme, salzige Luft, hörst die Möwen über dir, liegst auf warmem, weichem Sand. Kleine Wellen rollen an den Strand und bringen ein paar Muscheln mit. Du weißt nicht, wie du hierhergekommen bist, was passiert ist … Es ist wie ein Schleier des Nichtwissens, der deinen Geist umnebelt. Deine Vergangenheit, deine Familie, deine Freunde, dein Leben – an all das kannst du dich nur noch vage und verschwommen erinnern. Ein Gedanke kommt dir aber immer wieder: Irgendetwas ist damals in deiner Heimat passiert, und du musstest fliehen. Und nun bist du hier … Aber du bist nicht allein: Neben dir siehst du einige Bekannte, aber auch viele Fremde, die du noch nie in deinem Leben gesehen hast – zumindest glaubst du das, denn genau wissen kannst du es aufgrund deines löchrigen Gedächtnisses nicht. Du siehst dich um: Scheinbar bist du auf einer Insel gelandet. Hinter dem Strand erstreckt sich ein Dschungel mit dichten Palmen, aus denen das Gezwitscher vieler Vögel dringt, dahinter kannst du einige Berge erkennen. So idyllisch es auf dieser Insel auch zu sein scheint, so schwierig gestaltet sich die Situation. Du und deine Mitgestrandeten, ihr seid offensichtlich die einzig Lebenden hier auf der Insel. Und es ist nun eure Aufgabe, euer Zusammenleben friedlich zu gestalten. Das klingt jedoch einfacher, als es tatsächlich ist. Denn obwohl die Vergangenheit nur bruchstückhaft vorhanden ist, so hat jeder von euch doch ein Dokument bei sich gefunden – vermutlich aus der Heimat. Doch nicht alle haben das gleiche Dokument. Ihr bemerkt, dass es vier unterschiedliche Schriften sind, Schriften, die in deiner Heimat die Grundlage für das gemeinschaftliche, friedliche Zusammenleben waren. Ihr seid aber in der Gruppe der Verbliebenen dazu aufgefordert, euer Zusammenleben zu organisieren, euch mit den anderen Stämmen, die nicht aus eurer Heimat kommen, zu verständigen und eine gemeinschaftliche Verfassung für euer Inselleben zu gestalten. Nun gilt es also, hier das gemeinsame Leben friedvoll zu gestalten – hier auf Terra Nova …
M 2 Spielregeln
¬ Das Spiel wird über mehrere zeitlich festgelegte Phasen gespielt. ¬ Die Spielleitung / das Organisationsteam besteht aus zwei Personen. ¬ Jeder direkte Kontakt zwischen den Spielgruppen während des Spiels ist – mit Ausnahme der Suche nach Koalitionspartnern – bis zur Konferenz untersagt. ¬ Alle Entscheidungen und Handlungen der Gruppe werden schriftlich festge halten. ¬ Die Spielleitung / das Organisationsteam hat das Recht, bei der Arbeit in den einzelnen Spielergruppen anwesend zu sein.
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M 3 Arbeitsaufgaben der Stämme für die Gestaltung von Terra Nova
Euer Ziel für die Zeit auf Terra Nova ist es, eine gemeinsame Inselverfassung zu erarbeiten, mit der alle Stämme zufrieden sind, und den Aufbau und die Organisation der Inselgesellschaft zu gestalten. Dazu erhaltet ihr folgende Aufgaben, die ihr in eurem Stamm gemeinsam bewältigen müsst. Phase
Aufgabe
Erarbeitungsphase
Ihr habt bei eurer Ankunft auf Terra Nova eine alte Schrift bei euch gefunden, die in eurer Heimat als Basis des Zusammenlebens diente. Lest sie in Einzelarbeit und notiert euch zunächst wichtige Schlüsselbegriffe aus dem Text. Arbeitet anschließend gemeinsam die Hauptthesen der Schrift heraus, die als Grundlage für euren Vorschlag einer Inselverfassung und des Aufbaus der Inselgesellschaft fungieren soll, und haltet eure Ergebnisse schriftlich fest.
Präsentationsphase
Präsentiert zu Beginn der Inselkonferenz eure Inselverfassung, die ihr in euren Stämmen entwickelt habt. Findet einen Kompromiss über die Inselverfassung und die Organisation des gemeinschaftlichen Insellebens, mit der alle Stämme zufrieden sind, und schreibt sie auf. Ein Mitglied jedes Stammes erstellt ein Diskussionsprotokoll, um die Argumentation der Stämme und die Ergebnisse der Inselkonferenz festzuhalten.
M 4 Stamm A: Jedem das Gleiche
Chaim Perelman: Was ist Gerechtigkeit?
Chaim Perelman stellt vor der Analyse der Gerechtigkeitsidee Folgendes grundsätzlich fest:
Ein jeder wird eine Konzeption von Gerechtigkeit verteidigen, die ihm Recht gibt und seine Gegner in eine ungünstige Lage bringt. Und wenn man sich sagt, dass seit Tausenden von Jahren alle Gegner in öffentlichen und privaten Auseinandersetzun gen, in Kriegen, Revolutionen, Prozessen und Interessenkonflikten immer verkünden und sich bemühen zu beweisen, dass die Gerechtigkeit auf ihrer Seite sei, dass man
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jedes Mal, wenn man auf einen Schiedsrichter rekurriert, die Gerechtigkeit anruft, so wird man auf der Stelle der unwahrscheinlichen Vielfalt der Sinngehalte, die man mit diesem Begriff verbindet, bewusst und auch der außerordentlichen Verwirrung, die durch ihren Gebrauch hervorgerufen wird. […] Jedem das Gleiche! Gemäß dieser Konzeption müssen alle Wesen, die man betrachtet, in der gleichen Weise behandelt werden, ohne irgendeiner der Besonderheiten, durch welche sie sich unterscheiden, Rechnung zu tragen. Ob man nun jung oder alt ist, krank oder ge sund, reich oder arm, tugendhaft oder straffällig, von Stand oder nicht, weiß oder schwarz, schuldig oder unschuldig, es ist gerecht, dass alle in der gleichen Weise behandelt werden, ohne jegliche Zurücksetzung, ohne jeden Unterschied. Quelle: Perelman; Chaim: Über die Gerechtigkeit, übers. von Blüm, Ulrike (S. 9–84) und Ballweg, Ottmar (S. 85–163), eingel. von Viehweg, Theodor, BsR 45, Verlag C. H. Beck Verlag, München 1967, S. 15–16 und S. 16.
M 4 Stamm B: Jedem gemäß dem ihm durch Gesetz Zugeteilten
Chaim Perelman: Was ist Gerechtigkeit?
Chaim Perelman stellt vor der Analyse der Gerechtigkeitsidee Folgendes grundsätzlich fest:
Ein jeder wird eine Konzeption von Gerechtigkeit verteidigen, die ihm Recht gibt und seine Gegner in eine ungünstige Lage bringt. Und wenn man sich sagt, dass seit Tausenden von Jahren alle Gegner in öffentlichen und privaten Auseinandersetzun gen, in Kriegen, Revolutionen, Prozessen und Interessenkonflikten immer verkünden und sich bemühen zu beweisen, dass die Gerechtigkeit auf ihrer Seite sei, dass man jedes Mal, wenn man auf einen Schiedsrichter rekurriert, die Gerechtigkeit anruft, so wird man auf der Stelle der unwahrscheinlichen Vielfalt der Sinngehalte, die man mit diesem Begriff verbindet, bewusst und auch der außerordentlichen Verwirrung, die durch ihren Gebrauch hervorgerufen wird. […] Jedem gemäß dem ihm durch Gesetz Zugeteilten Wenn man der Formel »das was jedem Menschen zukommt« einen juristischen Sinn beimisst, gelangt man zu der Schlussfolgerung, dass gerecht sein heißt, einem jeden Wesen das zuzugestehen, was das Gesetz ihm zumisst. Diese Konzeption erlaubt uns zu sagen, dass ein Richter gerecht ist, das heißt red lich, wenn er in den gleichen Situationen die gleichen Gesetze anwendet (in paribus
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paria iura). Gerecht sein heißt, die Gesetze des Landes anwenden. Diese Konzeption der Gerechtigkeit wirft sich im Gegensatz zu den vorangegangenen nicht als Richter über das positive Recht auf, sondern begnügt sich damit, es anzuwenden. Es erhellt von selbst, dass diese Konzeption in ihrer Anwendung genauso viele Varianten zulässt, wie es verschiedene Gesetzgebungen gibt. Jedes Rechtssystem lässt eine Gerechtigkeit zu, die sich auf dieses Recht bezieht. Das, was in der einen Gesetz gebung gerecht sein kann, kann in einer anderen ungerecht sein: in der Tat, gerecht sein heißt, die Regeln eines bestimmten Rechtssystems anwenden, ungerecht sein heißt, sie in ihrer Anwendung verdrehen. Quelle: Perelman; Chaim: Über die Gerechtigkeit, übers. von Blüm, Ulrike (S. 9–84) und Ballweg, Ottmar (S. 85–163), eingel. von Viehweg, Theodor, BsR 45, Verlag C. H. Beck Verlag, München 1967, S. 15–16 und S. 19–20.
M 4 Stamm C: Jedem gemäß seinem Rang
Chaim Perelman: Was ist Gerechtigkeit?
Chaim Perelman stellt vor der Analyse der Gerechtigkeitsidee Folgendes grundsätzlich fest:
Ein jeder wird eine Konzeption von Gerechtigkeit verteidigen, die ihm Recht gibt und seine Gegner in eine ungünstige Lage bringt. Und wenn man sich sagt, dass seit Tausenden von Jahren alle Gegner in öffentlichen und privaten Auseinandersetzun gen, in Kriegen, Revolutionen, Prozessen und Interessenkonflikten immer verkünden und sich bemühen zu beweisen, dass die Gerechtigkeit auf ihrer Seite sei, dass man jedes Mal, wenn man auf einen Schiedsrichter rekurriert, die Gerechtigkeit anruft, so wird man auf der Stelle der unwahrscheinlichen Vielfalt der Sinngehalte, die man mit diesem Begriff verbindet, bewusst und auch der außerordentlichen Verwirrung, die durch ihren Gebrauch hervorgerufen wird. […] Jedem gemäß seinem Rang Das ist eine aristokratische Konzeption der Gerechtigkeit. Sie besteht darin, die We sen nicht gemäß der dem Individuum eigenen Kriterien zu behandeln, sondern nach ihrer Zugehörigkeit zu dieser oder jener bestimmten Kategorie von Wesen. Quelle: Perelman; Chaim: Über die Gerechtigkeit, übers. von Blüm, Ulrike (S. 9–84) und Ballweg, Ottmar (S. 85–163), eingel. von Viehweg, Theodor, BsR 45, Verlag C. H. Beck Verlag, München 1967, S. 15– 16 und S. 17–18.
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M 4 Stamm D: Jedem gemäß seinen Verdiensten
Chaim Perelman: Was ist Gerechtigkeit?
Chaim Perelman stellt vor der Analyse der Gerechtigkeitsidee Folgendes grundsätzlich fest:
Ein jeder wird eine Konzeption von Gerechtigkeit verteidigen, die ihm Recht gibt und seine Gegner in eine ungünstige Lage bringt. Und wenn man sich sagt, dass seit Tausenden von Jahren alle Gegner in öffentlichen und privaten Auseinandersetzun gen, in Kriegen, Revolutionen, Prozessen und Interessenkonflikten immer verkünden und sich bemühen zu beweisen, dass die Gerechtigkeit auf ihrer Seite sei, dass man jedes Mal, wenn man auf einen Schiedsrichter rekurriert, die Gerechtigkeit anruft, so wird man auf der Stelle der unwahrscheinlichen Vielfalt der Sinngehalte, die man mit diesem Begriff verbindet, bewusst und auch der außerordentlichen Verwirrung, die durch ihren Gebrauch hervorgerufen wird. […] Jedem gemäß seinen Verdiensten Hier haben wir nun eine Konzeption der Gerechtigkeit, die nicht mehr die Gleichheit aller fordert, sondern eine Behandlung, die dem eigentlichen Wert proportional ist, nämlich dem Verdienst der menschlichen Person. Wie aber soll man dieses Verdienst definieren? Welches allgemein Maß soll man finden für Verdienst oder Versagen der verschiedenen Wesen? Gibt es überhaupt ein derartiges allgemeines Maß? Welches sind die Kriterien, die man bei der Bestimmung dieses Verdienstes beachten muss? Muss man dem Resultat der Handlung Rechnung tragen, der Absicht, dem vollbrach ten Opfer, und ich welchem Maße soll dies geschehen? Für gewöhnlich lässt man nicht nur alle diese Fragen unbeantwortet, sondern man stellt sie sich erst gar nicht. Quelle: Perelman; Chaim: Über die Gerechtigkeit, übers. von Blüm, Ulrike (S. 9–84) und Ballweg, Ottmar (S. 85–163), eingel. von Viehweg, Theodor, BsR 45, Verlag C. H. Beck Verlag, München 1967, S. 15–16 und S. 16–17.
M 4 Stamm E: Jedem gemäß seinen Bedürfnissen
Chaim Perelman: Was ist Gerechtigkeit?
Chaim Perelman stellt vor der Analyse der Gerechtigkeitsidee Folgendes grundsätzlich fest:
Ein jeder wird eine Konzeption von Gerechtigkeit verteidigen, die ihm Recht gibt und seine Gegner in eine ungünstige Lage bringt. Und wenn man sich sagt, dass seit Tausenden von Jahren alle Gegner in öffentlichen und privaten Auseinandersetzun
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gen, in Kriegen, Revolutionen, Prozessen und Interessenkonflikten immer verkünden und sich bemühen zu beweisen, dass die Gerechtigkeit auf ihrer Seite sei, dass man jedes Mal, wenn man auf einen Schiedsrichter rekurriert, die Gerechtigkeit anruft, so wird man auf der Stelle der unwahrscheinlichen Vielfalt der Sinngehalte, die man mit diesem Begriff verbindet, bewusst und auch der außerordentlichen Verwirrung, die durch ihren Gebrauch hervorgerufen wird. […] Jedem gemäß seinen Bedürfnissen Anstatt die Verdienste des Menschen oder seine Leistung zu berücksichtigen, versucht diese Konzeption der Gerechtigkeit vor allem die Leiden zu vermindern, die sich aus der Unmöglichkeit, die lebenswichtigen Bedürfnisse zu befriedigen, ergeben. Hierin nähert sich die Konzeption der Gerechtigkeit am meisten unserem Begriff der Nächstenliebe. Es versteht sich von selbst, dass diese Fassung, um sozial anwendbar zu sein, auf formalen Kriterien der Bedürfnisse eines jeden beruhen muss. Quelle: Perelman; Chaim: Über die Gerechtigkeit, übers. von Blüm, Ulrike (S. 9–84) und Ballweg, Ottmar (S. 85–163), eingel. von Viehweg, Theodor, BsR 45, Verlag C. H. Beck Verlag, München 1967, S. 15– 16 und S. 18.
M 4 Stamm F: Jedem gemäß seinen Werken
Chaim Perelman: Was ist Gerechtigkeit?
Chaim Perelman stellt vor der Analyse der Gerechtigkeitsidee Folgendes grundsätzlich fest:
Ein jeder wird eine Konzeption von Gerechtigkeit verteidigen, die ihm Recht gibt und seine Gegner in eine ungünstige Lage bringt. Und wenn man sich sagt, dass seit Tausenden von Jahren alle Gegner in öffentlichen und privaten Auseinandersetzungen, in Kriegen, Revolutionen, Prozessen und Interessenkonflikten immer verkünden und sich bemühen zu beweisen, dass die Gerechtigkeit auf ihrer Seite sei, dass man jedes Mal, wenn man auf einen Schiedsrichter rekurriert, die Gerechtigkeit anruft, so wird man auf der Stelle der unwahrscheinlichen Vielfalt der Sinngehalte, die man mit diesem Begriff verbindet, bewusst und auch der außerordentlichen Verwirrung, die durch ihren Gebrauch hervorgerufen wird. […] Jedem gemäß seinen Werken Diese Konzeption von der Gerechtigkeit verlangt ebenfalls keine gleiche, sondern eine proportionale Behandlung. Nur ist das Kriterium kein moralisches mehr, denn
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es berücksichtigt weder die Absicht noch die gebrachten Opfer, sondern einzig und allein das Resultat seiner Handlung. Indem dieses Kriterium die den Handelnden betreffenden Anforderungen aufgibt, stellt es uns zwar in moralischer Hinsicht weniger zufrieden, doch wird seine An wendung unendlich viel leichter, und an Stelle eines fast nicht zu verwirklichen Ideals ermöglicht diese Konzeption von Gerechtigkeit in den meisten Fällen, lediglich die Maß, Zahl und Gewicht unterworfenen Elemente zu berücksichtigen. Auf dieser Konzeption, die übrigens mehrere Varianten zulässt, basieren die Entlohnung der Arbeiter nach Stunden und pro Stück, ferner die Examina und Wettbewerbe, bei de nen man, ohne sich um die geleistete Anstrengung zu kümmern, nur das Ergebnis, die Antwort des Kandidaten, die Arbeit, die er vorgelegt hat, berücksichtigt. Quelle: Perelman; Chaim: Über die Gerechtigkeit, übers. von Blüm, Ulrike (S. 9–84) und Ballweg, Ottmar (S. 85–163), eingel. von Viehweg, Theodor, BsR 45, Verlag C. H. Beck Verlag, München 1967, S. 15– 16 und S. 17–18.
M 5 Diskussionspunkte für eure Inselverfassung (Vorschläge)
Leben alle die Stämme gleichberechtigt auf der Insel? Wer entscheidet über die Verteilung der Güter? Welche Rechte und Pflichten haben die Inselbewohner? Wie werden Konflikte gelöst? Wer entscheidet im Zweifelsfall? Wie werden die zur Verfügung stehenden Rohstoffe verteilt? Nach welchem Maßstab wird über die Güterverteilung entschieden? Gibt es ein Inseloberhaupt oder mehrere Inseloberhäupter? Wie erhalten sie ihr Amt? Und für wie lange?
M 6 Arbeitsaufgaben des Organisationsteams
Eure Aufgabe ist es, im Vorfeld der Konferenz eine passende Diskussionsform zu wählen. Denkanstöße hinsichtlich verschiedener Diskussionsformen findet ihr hier. Ihr könnt aber jede andere Diskussionsform wählen, die ihr entweder im Internet recherchiert oder euch selbst ausgedacht habt. Während der Inselkonferenz werdet ihr die Diskussionsleitung mit dem Ziel übernehmen, eine gemeinsame, für alle Stämme zufriedenstellende Verfassung sowie die damit verbundene Organisation des Insellebens schriftlich zu fixieren. Erarbeitet hierfür Diskussionsregeln, deren Verbindlichkeit ihr den Stämmen zu Beginn der Konferenz vorstellt.
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Stefanie Pagel
Diskussionsformen 1. D I E D E B AT T E Beschreibung: Die Moderatoren eröffnen die Diskussion, begrüßen die Teilnehmer, verweisen auf die Spielregeln und nennen das Thema der Debatte. Anschließend halten die verschiedenen Gruppen ein Plädoyer und werben um Zustimmung. Die Moderatoren leiten die sich anschließende Diskussion zwischen den Gruppen. Jede Gruppe hält abschließend ein Schlussplädoyer, indem sie nochmals ihre Position verdeutlichen. Am Ende der Debatte wird abgestimmt und die neue Inselverfassung verabschiedet.
2. DIE PODIUMSDISKUSSION Beschreibung: Die Moderatoren eröffnen die Diskussion, begrüßen die Teilnehmer, verweisen auf die Spielregeln und nennen das Thema der Debatte. Anschließend diskutieren die jeweils ausgewählten Vertreter der Gruppen im Podium. Die anderen Gruppenmitglieder sind Beobachter. Am Ende der Podiumsdiskussion wird eine neue Inselverfassung verabschiedet.
3 . D I E A M E R I K A N I S C H E D E B AT T E Beschreibung: Die Moderatoren eröffnen die Diskussion, begrüßen die Teilnehmer, verweisen auf die Spielregeln und nennen das Thema der Debatte. Ein Mitglied jeder Gruppe findet sich am runden Tisch ein und beginnt mit der Darlegung der Standpunkte. Auf die freien Plätze können sich Mitglieder der Gruppen setzen, wenn sie etwas anmerken möchten. Hierbei ist eine Zeitbegrenzung festzulegen. Die Diskussion findet lediglich zwischen den Mitgliedern des runden Tisches, geleitet von den Moderatoren, statt. Am Ende der Amerikanischen Debatte wird eine neue Inselverfassung verabschiedet.
Quelle: Ströhla, Stefanie: »Planspiele als philosophische Bildungschance am Beispiel des Inselspiels ›Terra Nova‹«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 37, 2015, Heft 4: Spielend philosophieren, S. 38–47 (von der Autorin für diesen Band überarbeitet).
Homo homini piscis oder Krieg und Frieden im Aquarium Thomas Nisters
W
arum kommt es zwischen Menschen zum Streit? Welche Ursachen befördern umgekehrt ein friedliches Zusammenleben? Das Spiel, das hier vorgestellt wird, kann genutzt werden, um Schülerinnen und Schüler der Stufen 8 bis 10 dazu einzuladen, über diese Fragen nachzudenken. Hier aber soll das Spiel als Einstieg in naturzustandstheoretische Erörterungen und die damit verbundene einschlägige Textlektüre in der Qualifikationsphase dienen. Doch zunächst geht es nicht um Menschen, sondern um Fische. Diese werden unter veränderbaren Bedingungen in Aquarien gehalten. Die Schülerinnen und Schüler sollen in verschiedenen Arbeitsgruppen das hier vorzustellende Planspiel spielen und gegebenenfalls auch weiterentwickeln. Die Fragen, die es dabei zu untersuchen gilt, lauten: Unter welchen Bedingungen werden die Fische friedlich zusammenleben? Unter welchen Bedingungen herrscht Krieg im Aquarium? Wer lediglich einen groben Überblick über das Spiel erhalten möchte, kann sich auf das Lesen des Haupttextes konzentrieren, da in ihm ausschließlich die zentralen Aspekte des Planspiels dargestellt werden. Dagegen zeigt der Nebentext – grau unterlegt – einerseits die Schwierigkeiten auf, die bei der Durchführung des Spiels auftreten können. Andererseits unterbreitet er Angebote, um mögliche Probleme, die während des Spiels entstehen können, zu vermeiden bzw. zu lösen.
Fische Die Fische unterscheiden sich in zwei Hinsichten: Unterschied 1: Es gibt sowohl große als auch kleine Fische. Unterschied 2: Es gibt sowohl gutartige als auch bösartige Fische. Kombiniert man nun die Kategorien »groß« bzw. »klein« mit »gutartig« bzw. »bösartig«, dann ergeben sich folgende vier Fischtypen:
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Thomas Nisters
Fische
bösartig
gutartig
Bösbarsche
Gutkarpfen
Schlimmranhas
Liebrellen
groß
klein
Den Schülern und Schülerinnen fallen sicher griffigere Namen für diese vier Fischarten ein. Auf jeden Fall empfiehlt es sich, den Fischtypen Namen zu geben, weil es sowohl die weitere Kommunikation innerhalb der einzelnen Gruppen als auch während der Auswertungsphase im Plenum erleichtert. Es kann sein, dass die Schülerinnen und Schüler die oben vorgestellten Unterscheidungen bedenkenlos übernehmen und mit diesen vier einfachen Fischarten das Spiel durchführen. Es ist aber auch möglich, dass sie die vorgenommenen Einteilungen kritisieren, weil die Unterscheidungsmerkmale nicht eindeutig festgelegt sind: Sofern die Schülerinnen und Schüler die Termini »gutartig« und »bösartig« in Frage stellen, ergeben sich daraus drei verschiedene Konsequenzen, wobei allerdings nur Option 3 der Frage Rechnung trägt, wie sich das gemeinsame Leben der Fische im Aquarium gestaltet. Option 1 Die Frage, was denn genau unter »gutartig« bzw. »bösartig« zu verstehen sei, könnte von den Schülerinnen und Schülern zum Anlass genommen werden, eine Begriffsbestimmung vornehmen zu wollen. Da ein solches Vorgehen aber den Rahmen der Unterrichtssequenz sprengen und die Intention des Planspiels untergraben würde, sollte möglichst darauf verzichtet werden. Option 2 Die Frage nach der Bedeutung von »gutartig« bzw. »bösartig« wird an die einzelnen Spielgruppen zurückgegeben. Die Schülerinnen und Schüler sollen die fraglichen Begriffe selbst inhaltlich füllen. Dabei sollen sie aber beachten, dass die Begriffsbestimmung eindeutig und verständlich formuliert werden. Schülerin-
Homo homini piscis oder Krieg und Frieden im Aquarium
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nen und Schüler können den einzelnen Begriffen etwa folgende Bedeutung zuschreiben: Für einen bösartigen Fisch – wie beispielsweise den Bösbarsch – könnte gelten: ¬ Er setzt seine Interessen stets über die Interessen anderer. Die Befriedigung seiner Bedürfnisse hat unbedingt Vorrang. Wenn sich ihm etwa die Chance bietet, mehr zu fressen als er zum Leben benötigt, dann wird er dies ohne zu zögern tun. Er wird sich nicht davon abhalten lassen, doppelt so viel zu fressen wie nötig, selbst dann nicht, wenn andere am Hungertuch nagen oder gar an Unterernährung sterben sollten. Ihm ist ein Plus auf seinem Lustkonto wichtiger, als Schaden zu fremden Gunsten zu vermeiden. ¬ Fremder Schaden bereitet ihm Lust. Folglich hat er Spaß daran, andere Fische zu schädigen. Für einen gutartigen Fisch – wie etwa den Gutkarpfen – könnte gelten: ¬ Er hat einen Blick für fremde Bedürfnisse. Er wägt ab, wie groß sein eigener Vorteil und wie groß fremder Nachteil ist. Er wird gerne auf eine luxuriöse Extra-Futtereinheit verzichten, sofern einem Artgenossen durch seinen Verzicht der sichere Hungertod erspart bleibt. ¬ Er setzt sich grundsätzlich für das Wohl der anderen Fische ein. Im äußersten Fall opfert er sogar sein eigenes Leben. Option 3 Wenn man das Problem der Gut- bzw. Bösartigkeit der Fische ausklammert, bleiben nur »große (starke)« und »kleine (schwache)« Fische erhalten. Doch auch diese Unterscheidung entpuppt sich auf den zweiten Blick als erläuterungsbedürftig, handelt es sich doch um relative Begriffe. Ihre Bedeutung ergibt sich nämlich nur aus dem Bezug auf anderes, wie die folgenden Beispiele deutlich machen: Fisch 1 ist im Vergleich zu Fisch 2 als schwach zu bezeichnen, sofern Fisch 2 Fisch 1 etwa in einem Kampf oder einem Wettrennen besiegt hat. Oder: Fisch 1 ist im Vergleich zu Fisch 2 als schwach zu bezeichnen, sofern Fisch 2 als erster in jenem Ziel ankommt, das beide Fische angestrebt haben, obwohl nur einer von beiden es erreichen konnte.
Bevölkerungen Im Aquarium gibt es insgesamt 16 Möglichkeiten der Beschaffenheit der Population. Wie sich die einzelnen Bevölkerungszusammensetzungen gestalten können, zeigt das nachfolgende Schaubild. Dabei bedeutet »+«: »Diese Fischart kommt vor«, und »–« heißt: »Diese Fischart fehlt.« Wie viele Exemplare von jeder Fischart ins Aquarium gesetzt werden, wird ausgewürfelt.
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Die 16 denkbaren Fälle können auf 12 Fälle reduziert werden: ¬ Fall 16 bedeutet ein leeres Aquarium und braucht daher nicht weiter berücksichtigt zu werden. ¬ Fall 4 und Fall 13 sind gleich zu behandeln: Große böse Fische verhalten sich zu großen guten Fischen so wie kleine böse Fische zu kleinen guten Fischen. ¬ Fall 14 entspricht Fall 8: Es macht keinen Unterschied, ob kleine böse Fische auf kleine böse Fische oder große böse Fische auf große böse Fische treffen. ¬ Fall 12 und Fall 15 sind nicht unterscheidbar, weil eine Population nur großer guter Fische sich so verhalten wird wie eine Population nur kleiner guter Fische. Die Gleichsetzung der Fälle setzt ansonsten gleiche Bedingungen voraus. Die Fallreduktion kann den Lerngruppen überantwortet werden. Fall
Bösbarsche
Gutkarpfen
Schlimmranhas
Liebrellen
1
+
+
+
+
2
+
+
+
–
3
+
+
–
+
4
+
+
–
–
5
+
–
+
+
6
+
–
+
–
7
+
–
–
+
8
+
–
–
–
9
–
+
+
+
10
–
+
+
–
11
–
+
–
+
12
–
+
–
–
13
–
–
+
+
14
–
–
+
–
15
–
–
–
+
16
–
–
–
–
Futter Drei Fälle sind zu unterscheiden: 1. Es gibt mehr Futter für das Überleben aller Fische im Aquarium als unbedingt nötig ist. 2. Es gibt genau die Futtermenge, die für das Überleben aller Fische im Aquarium nötig ist. 3. Es gibt weniger Futter für das Überleben aller Fische im Aquarium als mindestens nötig wäre.
Homo homini piscis oder Krieg und Frieden im Aquarium
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Es gibt mindestens die beiden folgenden Arten an Überfluss: 1a. D ie Fische befinden sich im Schlaraffenland. Sie können so viel Futter zu sich nehmen, dass niemals ein Mangel an ihrer Lebensgrundlage eintreten könnte. 1b. Es gibt zwar so viel Futter, dass alle mehr fressen können, als sie zum Überleben brauchen. Aber das Surplus ist doch so knapp bemessen, dass die hemmungslose Völlerei einiger besonders gieriger Bösbarsche die Unterernährung oder sogar den Tod einiger Gutkarpfen zur Folge hat. Der Mangel weist dagegen acht Formen auf. Unter der Voraussetzung, dass ein großer Fisch vier und ein kleiner Fisch zwei Pellets an Futter pro Tag benötigt, ergeben sich folgende Situationen: Zahl der Zahl der eingesetzten eingesetzten großen Fische kleinen Fische
Zahl der Pellets, die pro Tag ins Aquarium gegeben werden
Fall
Wie viele große Fische können überleben?
Wie viele kleine Fische können überleben?
A
keiner
keiner
2
4
1
B
keiner
nicht alle und nicht keiner
2
4
2
C
keiner
alle
1
1
2
D
nicht alle und nicht keiner
keiner
E
nicht alle und nicht keiner
nicht alle und nicht keiner
10
20
8
F
nicht alle und nicht keiner
alle
10
2
8
G
alle
keiner
H
alle
nicht alle und nicht keiner
1
10
4
¬ Fall D ist unerfüllt: Wenn schon kein kleiner Fisch überleben kann, dann kann erst recht kein großer Fisch überleben. ¬ Fall G ist unerfüllt: Wenn alle großen Fische überleben können, dann kann wenigstens ein kleiner Fisch überleben. ¬ Den Fall, dass alle großen und alle kleinen Fische überleben können, ist auszuschließen, weil es sich hierbei um keinen Fall von Mangel handelt. In Bezug auf die Fütterung der Fische soll für das vorliegende Szenario das Folgende gelten: Die Fische werden mit Pellets gefüttert. Wenn man von einem Aquarium von der Größe eines Fußballfeldes ausgeht, dann spielen der Ort und die Zeit der Fütterung dann eine Rolle, wenn den Fischen Merkmale wie Intelli-
158
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genz, Lernfähigkeit oder Geschwindigkeit zugeschrieben werden, es sich also nicht mehr um einfache, sondern um komplexe Fische handelt. Was die Fütterungszeit angeht, sind drei Fälle zu erörtern: ¬ Die Fütterung erfolgt täglich zur gleichen Zeit. ¬ Die Fütterung erfolgt nicht zur gleichen Zeit. ¬ Wenn die Fütterungszeit wechselt, dann kann sie entweder nach einer Regel – z. B. jeden Tag eine Stunde später – oder nicht nach einer Regel wechseln. Ein Zufallsgenerator könnte beispielsweise den Zeitpunkt bestimmen. Ähnliches gilt für den Ort der Fütterung: ¬ Er bleibt stets gleich oder ¬ er wechselt regelmäßig bzw. unregelmäßig.
Ein Demonstrationsbeispiel Jetzt kann das Spiel beginnen. Die Lerngruppe wird in Spielgruppen eingeteilt. Jeder Gruppe wird ein Aquarium zugewiesen. Dies kann auf die Weise geschehen, dass die Lehrerin oder der Lehrer bestimmte Startbedingungen festlegt. Die jeweiligen Ausgangslagen werden gezielt an Gruppen verteilt oder ausgelost. Eine Alternative zu der vorgeschlagenen Vorgehensweise könnte darin bestehen, dass die einzelnen Spielgruppen die Fische, die in ihrem Aquarium beheimatet sein sollen, selbst zusammenstellen. Dies hat eventuell den Vorteil, dass die einzelnen Gruppen mit speziell von ihnen arrangierten Konstellationen spielen können. Je nach Spielvariante wird für jede bzw. von jeder Gruppe vor Beginn des Spiels die Konstellation der Fischpopulation festgehalten, mit der sie spielen wird. – Welche Fischarten setzt ihr ins Aquarium? – Wie viele Exemplare pro Art kommen in eurem Aquarium vor? – Wieviel Futter erhalten die Fische? Entweder zeichnet sich jede Gruppe ihre Startpopulation auf ein Plakat oder es existiert Spielmaterial, so dass jede Spielgruppe ihre Population in Form von Pappfischen vor sich liegen hat (Vorlagen der Fische können heruntergeladen werden). Die Schülerinnen und Schüler erfahren erst zu diesem Zeitpunkt, dass die Aufgabe, die sie zu lösen haben, lautet: »Was passiert in den nächsten 10 Tagen in eurem Aquarium? Führt ein Beobachtungstagebuch!« Für die hier vorzustellende Demonstration werden 3 Bösbarsche, 2 Gutkarpfen und 10 Liebrellen ins Aquarium gesetzt: Ein Bösbarsch oder ein Gutkarpfen benötigen zum Überleben je 4 Pellets (Fischfutter) pro Tag, eine Liebrelle dagegen nur 2 Pellets. An stets gleichem Ort zur stets gleichen Zeit werden täglich 8 Pellets ins Wasser geworfen. Die Beobachtungen, die jede Gruppe für jeden der zehn Tage macht, können beispielsweise in folgender Form festgehalten werden:
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Erster Tag 15 Fische stürzen sich auf 8 Pellets. Keiner wird satt. Jeder der Bösbarsche verspeist zusätzlich noch je drei Liebrellen. Zweiter Tag Der frühe Vogel fängt den Wurm: Ein Bösbarsch frühstückt die letzte Liebrelle. Um 21:30 Uhr treffen sich die drei Bösbarsche. Ihr Plan: Sobald die Pellets ins Wasser plumpsen, halten abwechselnd zwei Bösbarsche die beiden Gutkarpfen in Schach, derweil einer frisst. Die beiden Gutkarpfen gehen leer aus. Drei Bösbarsche teilen sich 8 Pellets. Dritter bis fünfter Tag Wie am zweiten Tag werden die ohnehin ausgezehrten Gutkarpfen von den Bösbarschen abgedrängt. Am fünften Tag verenden sie mangels Futter. Mittlerweile haben sich zwei Bösbarsche verbündet: Abwechselnd halten sie den dritten Bösbarsch vom Fressen ab, während der andere seinen Hunger stillt. Sechster Tag Den ausgestoßenen Bösbarsch treibt der Hunger dazu, von den Kadavern der Gutkarpfen zu fressen. Er stirbt an Fischvergiftung. Siebenter Tag Die beiden verbliebenen Bösbarsche teilen sich eifersüchtig die acht Pellets. Nachdem die Gruppen ihre Szenarien durchgespielt haben, trägt jede Spielgruppe ihre Beobachtungen vor. Es ist gut möglich, dass eine Gruppe sich nicht auf einen Verlauf einigen kann. In diesem Falle können alternative Verläufe vorgestellt werden. Bei der Präsentation sollten die Spieler darstellen, warum ein Spieler die Verlaufsoption 1, ein anderer die Verlaufsoption 2 favorisiert hat.
Komplexe Fische in komplexen Aquarien Sobald die Schülerinnen und Schüler beginnen, die Szenarien durchzuspielen, werden sie wahrscheinlich bewusst oder unbewusst ihre Fische mit weiteren Merkmalen ausstatten: Die Fische können sich fortbewegen; sie können kommunizieren; sie können ihre Außenwelt wahrnehmen. Es stellt sich die Frage, welche Merkmale der Fische und der Umwelt Einfluss auf den Spielverlauf genommen haben. Über die möglichen Faktoren sollte in der Auswertung des Spiels im Plenum gesprochen werden, nicht nur, weil die Schülerinnen und Schüler dadurch unterschiedliche Spiele gespielt haben, sondern vor allem, weil viele der Aspekte noch eine Rolle im Verlauf der beispielsweise im Bereich der politischen Philosophie durchzuführenden Unterrichtsreihe spielen könnten. Denkt man in diesem Zusammenhang etwa an die Theorien der Kontraktualisten (Hobbes, Locke, Rousseau), so werden die Schülerinnen und Schüler zu einem späteren Zeitpunkt feststellen, dass aufgrund der gesetzten Prämissen die Vertragstheoretiker bestimmte Ergebnisse erlangt ha-
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Thomas Nisters
ben, so wie auch sie nur zu bestimmten Resultaten kommen konnten, weil sie den Fischen bzw. der Umwelt bestimmte Merkmale zugesprochen haben. Die Merkmale werden daher für die weitere Arbeit in der Unterrichtsreihe schriftlich fixiert. Dies kann klassisch an der Tafel oder auf einer Wandzeitung, aber auch über Tablet und Beamer geschehen. An Fischmerkmalen ist zu erwarten: ¬ Denk- und Lernfähigkeit ¬ Beweglichkeit ¬ Wehrhaftigkeit ¬ Stoffwechselgeschwindigkeit ¬ Kommunikationsfähigkeit ¬ Fortpflanzungsfähigkeit ¬ Geschlechterunterschiede Folgende Umweltbedingungen könnten notiert werden: ¬ Jahreszeiten und Temperaturwechsel ¬ Krankheiten ¬ Fütterungszeiten und -orte ¬ Verstecke ¬ Größe des Aquariums
Menschen Ist das menschliche Verhalten mit dem Verhalten der Fische aus dem Planspiel vergleichbar? Lassen sich die Ergebnisse der einzelnen Planspiele auf Gruppen von Menschen übertragen? Welche Faktoren begünstigen ein friedliches Zusammenleben unter Menschen? Welche Gründe können eine Rolle spielen, dass ein friedlicher Zustand untergraben wird? Diese Frage schließen sich unmittelbar an das Planspiel an und führen direkt in das Inhaltsfeld »Zusammenleben in Staat und Gesellschaft« und dort wiederum in die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Individualinteresse und dem Gesellschaftsvertrag als Prinzip staatsphilosophischer Legitimation. Um den Übergang vom Spiel zu staatsphilosophischen Theorien einzuleiten, bietet es sich an, mit zwei Sätzen über einfache Fische zu beginnen: Satz 1: Wenn die Fische im Überfluss auf das zurückgreifen können, was sie benötigen, um ihre physische Existenz zu sichern, dann leben sie friedlich zusammen. Satz 2: Wenn die Fische nicht auf das zurückgreifen können, was sie benötigen, um ihre physische Existenz zu sichern, dann leben sie nicht (mehr) friedlich zusammen.
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Für Menschen mag eine Abwandlung von Satz 2 gelten: Satz 2a: Wenn Menschen nicht auf das zurückgreifen können, was sie benötigen, um ihre physische Existenz zu sichern, dann steigt die Gefahr, dass sie nicht friedlich zusammenleben. Und auch Satz 1 wäre für Menschen abzuwandeln: Satz 1a: Wenn für Menschen das, was sie zum Leben benötigen, in ausreichender Menge oder gar im Überfluss vorhanden ist, dann steigt die Chance, dass sie friedlich zusammenleben. Diese Sätze müssen in den folgenden Unterrichtsstunden auf ihre Richtigkeit, auf ihre Plausibilität überprüft werden. Dazu bieten sich, wie schon an anderer Stelle hervorgehoben, insbesondere die Naturzustandslehren von Thomas Hobbes und John Locke an. Die Annahme, dass Menschen zwar nicht wie einfache, wohl aber vielleicht wie komplexe Fische funktionieren, ist keinesfalls abwegig. So darf der Satz »Homo homini piscis« wenigstens eingeschränkte Gültigkeit beanspruchen. Quelle: Nisters, Thomas: »Homo homini piscis oder: Krieg und Frieden im Aquarium«, in: Ethik & Unterricht 18, 2007, Heft 3: Spielend leben, S. 10–14 (vom Autor für diesen Band überarbeitet).
Wirthiko – Ein Planspiel zur Wirtschaftsethik Laura Marks, Konrad Valtin
I
n dem Planspiel Wirthiko treffen Schülerinnen und Schüler Entscheidungen aus der Rolle einer Unternehmerin oder eines Unternehmers heraus, indem sie zwischen vorgegebenen Handlungsalternativen wählen. Es handelt sich zumeist um Dilemmasituationen, in denen sie überlegen müssen, ob sie ökologisch, sozial gerecht oder gewinnorientiert handeln wollen. Ziel des ab Jahrgangsstufe 10 einsetzbaren Spiels ist eine möglichst differenzierte Auseinandersetzung der Schülerinnen und Schüler mit eigenen und gesellschaftlichen Normen und Werten, indem sie sich zu Moral und Gerechtigkeit positionieren. Die Rollenübernahme begünstigt eine kritische Reflexion, wobei die verschiedenen Prototypen ökonomischen Handelns bewusst vereinfacht und polarisierend abgebildet sind.
Planspiele als Methode im Philosophieunterricht Unterricht soll auf Nachhaltigkeit zielen und kompetenzorientiert gestaltet sein. Ein lebensweltnaher Unterricht erhöht dabei die Motivation der Schülerinnen und Schüler, aktiv am Lernprozess teilzunehmen. Handlungsorientierter Unterricht fördert das eigenständige Lernen, hilft dabei, komplexe Zusammenhänge zu erkennen und bereits Gelerntes in der Praxis umzusetzen. Mit Planspielen kann man diesen Anforderungen in besonderem Maße gerecht werden.1 Das Planspiel stellt eine modellhafte Abbildung der Realität dar und ermöglicht in einer fiktiven Welt eine Auseinandersetzung mit komplexen Abläufen, Zusammenhängen oder Problemstellungen. Die Szenarien und Entscheidungsmöglichkeiten sind dabei vereinfacht, übersichtlich und lebensnah dargestellt sowie knapp, verständlich und prägnant formuliert. Da beim Planspiel die Konzentration verstärkt bei den Handlungs- und Entscheidungsprozessen liegt, erscheint es als für den Ethikunterricht in besonderem Maße geeignet. Die Schülerinnen und Schüler erleben durch den Rollenspielcharakter einen PerspektivenwechseI und haben die Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen, die sie in der Realität so eventuell nicht fällen könnten oder würden. Das Planspiel ermöglicht Probehandeln, bei dem keine Konsequenzen über das Spiel hinaus befürchtet werden müssen. Die Schülerinnen und Schüler können auf diese Weise ihre
1
Vgl. Rebmann, Karin: Planspiel und Planspieleinsatz. Theoretische und empirische Exploration zu einer konstruktivistischen Planspieldidaktik, Verlag Dr. Kovač, Hamburg 2001, S. 10.
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Laura Marks, Konrad Valtin
eigene Position mit den neuen Erfahrungen abgleichen und so ihr eigenes Verhalten reflektieren.
Das Planspiel Wirthiko Im Planspiel Wirthiko2 werden die Schülerinnen und Schüler zu Unternehmern. Sie übernehmen einen von vier vorgegebenen Charakteren und vertreten dessen Wertvorstellungen. Im Spielverlauf müssen sie dann Entscheidungen zu realistischen Geschäftssituationen fällen. Sie wählen dafür eine der zwei bis drei vorgegebenen Handlungsalternativen auf den Ereigniskarten. Die Ereignisse sind dabei so gewählt, dass es sich überwiegend um Dilemmata handelt. Je nachdem wie die Spielerin bzw. der Spieler sich nach ihrem bzw. seinen Charaktervorgaben verhält, kann sie bzw. er entweder höhere Gewinne erzielen oder Wertmarken für Umweltbewusstsein oder soziale Gerechtigkeit erhalten. Darüber hinaus nimmt eine fünfte Schülerin oder ein fünfter Schüler die Rolle einer beobachtenden Person ein. Diese verfolgt zudem einen reduzierten staatlichen Kontrollauftrag. Im Rahmen des Spiels erhalten die Schülerinnen und Schüler durch praxisnahe und teilweise lebensweltorientierte Szenarien einen Einblick in die Probleme und Zusammenhänge der realen Arbeitswelt. Die auf den Aktionskarten beschriebenen Fälle stellen eine vereinfachte Abbildung der Wirklichkeit dar. Die Schülerinnen und Schüler sollen sich im Spiel der Komplexität wirtschaftlicher Entscheidungen bewusst werden und im besten Fall Rückschlüsse für ihre eigenen Entscheidungen und Handlungen ziehen. Im Fokus stehen wirtschaftsethische Normen und Werte.
Rahmenbedingungen und Spielutensilien Wirthiko ist so konzipiert, dass eine sinnvolle didaktische Aufbereitung in einer 90-minütigen Unterrichtseinheit möglich ist. Die reine Spielzeit lässt sich dabei frei wählen, sollte jedoch zwischen 20 und 40 Minuten liegen. Die untere Grenze ist notwendig, damit das Ziel der einzelnen Charaktere für alle Spielteilnehmer deutlich wird und sich auch bei den Wertebalken abzeichnet. 40 Minuten sollten nicht überschritten werden, um genügend Zeit für die Auswertung des Spiels, die Positionierung zu den gefällten Entscheidungen und die Reflexion der Schülerinnen und Schüler zu haben. Das bereitzustellende Material ist überschaubar: Es sind Aktionskarten mit Szenarien und Aktionskarten für Beobachter (Staat) nötig, wobei erstere gleichzeitig
2
Wirthiko ist ein Silbenwort eines Kompositums. Es setzt sich aus Teilen der Wörter: Wirtschaft, Ethik und Risiko zusammen. Die Spielerinnen und Spieler müssen im Spiel Entscheidungen treffen, die fast immer auch eine ethische Komponente enthalten. Zudem tragen sie durch die Rollenübernahme das unternehmerische Risiko und wägen ihre Entscheidungen unter den Gesichtspunkten von Werten, Chancen und Risiken ab.
Wirthiko – Ein Planspiel zur Wirtschaftsethik
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das Spielfeld bilden. Jeder Spieler, der einen Charakter übernimmt, bekommt eine Zielvorgabe mit kurzer Beschreibung des Charakters, einen Wertebalken und eine Spielfigur. Darüber hinaus werden pro Gruppe ein Würfel, die Wertmarken für Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit sowie Münzen für alle Spielerinnen und Spieler benötigt.
Spielziel und Charaktere Privatvermögen
Umweltschutz
soziale Gerechtigkeit
Geld des Unternehmens
Ziel des Spiels ist es, dass die Wertebalken der Spielerinnen und Spieler möglichst mit den Verteilungen der jeweiligen Zielvorgaben des Informationsblattes übereinstimmen, so dass die Schülerinnen und Schüler die Charaktere ihrer Mitspielerinnen und Mitspieler beschreiben und bestimmen sowie sagen können, was für den jeweiligen Charakter im Leben besonders wichtig ist. Das Spiel endet mit Ablauf der festgelegten Spielzeit. Der Kapitalist verfolgt das Ziel, einen hohen Gewinn zu erzielen. Wichtig für ihn sind lediglich der Unternehmensgewinn und das Privatvermögen. Der Geldgewinn steht für ihn an erster SteIle. Der Umweltschutz und die soziale Gerechtigkeit sind für diesen Charakter nur von Bedeutung, sofern sie sich positiv auf den persönlichen Gewinn auswirken.
Der umweltbewusste Unternehmer versucht stets die unternehmerischen Tätigkeiten mit dem Umweltschutz zu vereinbaren und nachhaltig zu handeln. Bei ihm steht der Umweltschutz über allem, dies darf sich auch durchaus gewinnreduzierend auswirken. Jedoch ist auch er natürlich gewissen wirtschaftlichen Zwängen unterworfen.
Der Familienunternehmer
Für den Pragmatiker
versucht ebenfalls den Gewinn zu optimieren. Umweltschutz wird beachtet, wenn es Mitarbeiter oder Menschen aus dem näheren Umfeld des Unternehmers betrifft. Die soziale Gerechtigkeit spielt eine wichtige Rolle für den Familienunternehmer; er kennt seine Mitarbeiter persönlich, daher ist ihm ein angenehmes Arbeitsklima ebenso wichtig wie sein guter Ruf.
hingegen ist eine gute Balance zwischen dem unternehmerischen Erfolg, dem Umweltschutz, der sozialen Gerechtigkeit und dem Privatvermögen relevant. Er entscheidet nach der Moral, solange der Preis dafür nicht zu hoch ist.
Im Anschluss an die Spielzeit bietet sich eine kritische Bestimmung, Interpretation und Reflexion der einzelnen Charaktere an. Die Schülerinnen und Schüler können im Gruppengespräch die anderen Charaktere bestimmen und beschreiben, wie sie sich in ihrer eigenen Rolle gefühlt haben, und ihr eigenes Handeln kritisch reflektieren. Die Beschreibungen der verschiedenen Unternehmertypen (Charaktere) auf den jeweiligen Informationsblättern lauten folgendermaßen:
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Den Spielerinnen und Spielern sind die unterschiedlichen Charaktere und auch ihre Zuordnung während des Spiels nicht bekannt; sie dürfen diese ihren Mitspielerinnen und Mitspielern nicht verraten. Bis zum Spielende bleibt geheim, welche Spielerin bzw. welcher Spieler welcher Unternehmer ist. Die Schülerinnen und Schüler handeln nach den Prinzipien ihrer Charaktere und treffen ihre Entscheidungen gemäß den Prioritäten ihrer Rolle. Die Zielvorgabe auf den Informationsblättern dient dabei als Orientierung und Richtwert für den gesamten Spielverlauf. Die Beobachterin bzw. der Beobachter fungiert zusätzlich als Bank, d. h., sie bzw. er verteilt die Münzen oder Wertmarken und zieht die Lebenshaltungskosten ein. Darüber hinaus verfügt sie bzw. er über Aktionskarten, die es ihr bzw. ihm ermöglichen, ins Spielgeschehen einzugreifen. So kann beispielsweise eine Spielerin oder ein Spieler einen Bonus oder staatlichen Zuschuss in Form von Münzen erhalten, wenn zehn Umweltwertmarken gesammelt wurden. Sollte eine Spielerin bzw. ein Spieler bei sozialer Gerechtigkeit mit zehn Marken im Minus sein, so muss er oder sie z. B. aussetzen, da die Angestellten streiken. Die Strafen oder Förderungen sollen das Handeln reglementieren und das Spiel auf diese Weise näher an die Realität heranführen.
Spielvorbereitung Die Aktionskarten mit den verschiedenen Szenarien bilden das Spielfeld. Sie werden gemischt und mit der Textseite nach unten in beliebiger Reihenfolge kreisförmig auf einem Tisch verteilt. Eine frei gewählte Karte ist das Startfeld. Alle weiteren Spielutensilien befinden sich auf dem Tisch. Jede Gruppe erhält die vier Zielvorgaben, jede Spielerin bzw. jeder Spieler wählt eine der geheimen Vorgaben aus und liest diese für sich. Die Beobachterin bzw. der Beobachter kann sich währenddessen die Aktionskarten durchlesen, die er bzw. sie in gewissen Momenten spielen muss, um den staatlichen Kontrollauftrag zu erfüllen. Jede Spielerin bzw. jeder Spieler platziert einen Wertbalken vor sich und erhält fünf Münzen Privatvermögen und fünf Münzen als Unternehmenskapital. Diese platziert sie bzw. er entsprechend über dem Wertbalken. Wertmarken für den Umweltschutz und die soziale Gerechtigkeit werden zu Beginn nicht verteilt.
Spielablauf Zunächst wird eine Startspielerin bzw. ein Startspieler bestimmt. Dies kann man auswürfeln oder anders festlegen (z. B. durch das Alter). Die erste Spielerin bzw. der erste Spieler würfelt und setzt seine Spielfigur der Würfelzahl entsprechend vom Startfeld ausgehend im Uhrzeigersinn. Er bzw. sie nimmt die Karte auf und liest das Szenario und die möglichen Handlungsalternativen laut vor. Die darauf beschriebenen Szenarien und Entscheidungssituationen sind vielfältig und orientieren sich, wenn auch teilweise stark vereinfacht, an der Realität. Für den Entschei-
Wirthiko – Ein Planspiel zur Wirtschaftsethik
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dungs- und Lernprozess sowie die Reflexion und das Auswertungsgespräch ist gerade dieses Faktum von großer Bedeutung. Die Schülerinnen und Schüler sollen autonom und selbstorganisiert als Unternehmer auf die jeweiligen Problemstellungen reagieren. Zum Abschluss des Spiels reflektieren und bewerten sie dann ihr Verhalten, ihre Entscheidungen sowie die Wirkzusammenhänge. Nachdem eine Spielerin oder ein Spieler die Szenarien laut vorgelesen hat, fällt sie bzw. er seine Entscheidung nach den Prioritäten und Wertvorstellungen des zugelosten Charakters. Im Anschluss erhält die Spielerin oder der Spieler die jeweiligen Marken oder Münzen von der Bank oder bezahlt den entsprechenden Geldbetrag oder gibt die entsprechende Anzahl an Wertmarken an die Bank. Anschließend ist die nächste Spielerin bzw. der nächste Spieler an der Reihe. Sobald alle einmal gewürfelt, gesetzt und gehandelt haben, ist ein Monat vergangen, und jede Spielerin und jeder Spieler muss nun eine Münze Lebenshaltungskosten an die Bank entrichten. Darüber hinaus können die Spielerinnen und Spieler sich den Gewinn aus ihrem Unternehmen auszahlen lassen und zu dem Balken Privatvermögen hinzufügen. Es gilt dabei, dass bei bis zu fünf Münzen vom Geld des Unternehmens eine Münze zum Privatvermögen gelegt werden kann. Ab acht Münzen vom Geld des Unternehmens können drei Münzen zum Privatvermögen dazu gelegt werden, ab zehn Münzen fünf Münzen. Ein Wechsel des Geldes von Privatvermögen zum Geld des Unternehmens ist jederzeit möglich. Im Verlauf des Spiels kann jede Spielteilnehmerin bzw. jeder Spielteilnehmer bei den Werten Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit auch in den Minusbereich gelangen. Die Marken werden dann nicht über den Balken, sondern unterhalb des Balkens angeordnet. Bei Privatvermögen und Geld des Unternehmens ist dies nicht zulässig. Daraus folgt, dass jede Spielerin und jeder Spieler über den gesamten Zeitraum des Spiels liquide sein und auf dieser Grundlage seine bzw. ihre Entscheidungen bedenken und treffen muss. So kann es dazu kommen, dass sich eine Spielerin bzw. ein Spieler aus wirtschaftlicher Notwendigkeit gegen die Präferenzen und Wertvorstellungen ihres bzw. seines Charakters entscheiden muss. Besonders die zu leistenden Lebenshaltungskosten am Ende jeder Runde sollten die Spielerinnen und Spieler hierbei beachten.
Auswertung und Reflexion des Spielgeschehens Das Ende des Spiels ist mit Ablauf der Spielzeit erreicht. Im Anschluss an die Spielphase beginnt mit der Reflexions- und Diskussionsphase der zentrale Teil der Unterrichtsstunde. Die Diskussionsphase sollte wiederum in drei Phasen eingeteilt werden, wobei die ersten beiden Gesprächsrunden in jeweiligen Spielgruppen erfolgen, die letzte dagegen im Kursverband stattfinden sollte.
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Laura Marks, Konrad Valtin
In Phase 1 können folgende Impulse als Diskussionsanregungen dienen:
Identifiziert und analysiert die Rollen eurer Mitspielerinnen und Mitspieler. Erläutert, ob und inwiefern ihr euch mit euren Rollen identifizieren konntet. Stellt dar, welche Entscheidungen euch besonders schwergefallen sind und warum. Versucht einen Sieger zu ermitteln. Erläutert, welche Rolle ihr lieber eingenommen hättet. In Phase 2 sollen die Schülerinnen und Schüler nun alle Wertmarken (soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz) gegen Geldmünzen tauschen. Wertmarken im negativen Bereich sind Schulden, die die Spielerinnen und Spieler aus ihrem im Spiel erworbenen Unternehmens- oder Privatvermögen begleichen müssen. Anschließend sollen sie innerhalb ihrer Spielgruppe erneut einen Sieger bestimmen. Von dieser Maßnahme erhoffen sich die Autoren einen besonderen »Aha-Effekt«. Die Schülerinnen und Schüler bekommen so die Gelegenheit, ihre eigenen Werte zu reflektieren. Wen haben sie anfänglich wegen seiner Rolle beneidet? Welchen Stellenwert haben Geld, moralische Werte oder einfach nur die Meinung der anderen für sie? Der Tausch Werte gegen Geld ermöglicht den Schülerinnen und Schülern einen Perspektivenwechsel und eine Betrachtung der Realität unter dem Aspekt »Was wäre, wenn Werte den gleichen Wert wie Geld hätten?". Im Anschluss präsentieren die Beobachter eine kurze Zusammenfassung der Gruppendiskussionen im Plenum. Abschließend bietet sich eine Auswertung in einer Diskussionsrunde im Klassenverband oder mittels der Blitzlichtmethode an – eventuell unter folgenden Aspekten:
Erläutert, welche während des Spiels getroffene Entscheidung euch besonders in Erinnerung geblieben ist und warum. Stellt dar, ob ihr euch mit euren Rollen identifizieren konntet.
Erläutert, was hat der Tausch der Wertmarken gegen Münzen in euch ausgelöst hat. Erklärt, welche Schlüsse sich unter ethischen Gesichtspunkten aus dem Spiel ziehen lassen. Die Reflexion im Anschluss an das Planspiel ist von zentraler Bedeutung: Es werden die einzelnen Entscheidungen bzw. Handlungen und Konsequenzen diskutiert, ausgewertet und analysiert, auftretende Fragen geklärt und ein Bezug zur Realität geschaffen. Die Darlegung der eigenen Entscheidungen im Teamverband, der Austausch der Gedanken, der Fragen und der Konsequenzen ist wichtig, um das Erlernte greifbar zu machen und auf die Realität zu übertragen. Die kritische Betrachtung der eigenen Handlungsentscheidungen und der Vergleich mit den eigenen Werten ist dabei der eigentlich zentrale Aspekt dieses Spiels. Durch den hohen Diskussionsanteil und die Reflexion verschiedener Personen zu verschiedenen Charakteren lernen die Schülerinnen und Schüler unterschiedliche Perspektiven in Bezug auf Geld, Gerechtigkeit und Werte und Normen kennen.
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M 1 Spielanleitung
In diesem Spiel seid ihr Unternehmerinnen und Unternehmer mit verschiedenen Wertevorstellungen. Ziel des Spiels ist es, dass am Ende die Wertebalken möglichst der Zielvorgabe entsprechen. Um das (jeweils vorgegebene) Ziel zu erreichen, ist es wichtig, die anderen Charaktere zu interpretieren, um möglichst deren Prioritäten zu erkennen.
Jede Spielerin und jeder Spieler zieht am Anfang verdeckt einen der vier Charaktere. 1 Jede Spielerin hält ihren und jeder Spieler seinen zu verkörpernden Charakter bis zum 2 Ende des Spiels geheim.
Jeder Charakter hat bestimmte Prinzipien, nach denen er handelt. Die Spielerinnen 3 und Spieler übernehmen die jeweiligen Rollen und treffen ihre Entscheidungen nach den vorgegebenen Prioritäten, indem sie sich an der Zielvorgabe orientieren.
Aufbau des Spiels Die Karten mit den Szenarien werden mit der Textseite nach unten in beliebiger Reihenfolge im Kreis auf dem Tisch verteilt; sie bilden das Spielfeld. Eine beliebige Karte ist das Startfeld. Jede Karte, auf der eine Spielerin oder ein Spieler landet, wird umgedreht und verbleibt anschließend mit der Textseite nach oben als normales Spielfeld – ein mehrmaliger Einsatz im Spiel ist möglich. Alle Spielerinnen und Spieler starten mit 5 Münzen Privatvermögen und mit 5 Münzen Geld des Unternehmens. Eine Spielerin oder ein Spieler übernimmt die Bank – sie bzw. er verteilt die Geldmünzen und auch die Marken für Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit. Sie bzw. er ist aber nicht einer der vier Charaktere, die das Spiel spielen. Startverteilung der Wertebalken
Privatvermögen
Umweltschutz
soziale Gerechtigkeit
Geld des Unternehmens
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Spielablauf
Die Spielerin bzw. der Spieler, die bzw. der die kleinste Zahl würfelt, beginnt das 1 Spiel.
Sie oder er würfelt und setzt ihre bzw. seine Figur der Würfelzahl entsprechend 2 weiter, anschließend wählt sie oder er aus den möglichen Handlungsalternativen des auf der Karte stehenden Szenarios diejenige aus, die ihrem bzw. seinem Charakter am ehesten entspricht. Die Spielerin bzw. der Spieler erhält oder bezahlt die jeweilige Marke bzw. den jeweiligen Geldbetrag. Danach ist die nächste Spielerin bzw. der nächste Spieler an der Reihe.
Wenn alle Spielerinnen und Spieler einmal gesetzt haben, ist ein Monat vorüber. 3 Daher zahlt die Bank den erzielten Gewinn an die jeweiligen Unternehmen aus. Der Gewinn wird zum Privatvermögen gelegt. Die Übersicht zeigt, wie das Privatvermögen gehandhabt wird: ¬ Wer 1–5 Münzen mit seinem Unternehmen erwirtschaftet hat, legt 1 Münze zu seinem Privatvermögen. ¬ Wer 6–9 Münzen mit seinem Unternehmen erwirtschaftet hat, legt 3 Münzen zu seinem Privatvermögen. ¬ Wer 10 und mehr Münzen mit seinem Unternehmen erwirtschaftet hat, legt 5 Münzen zu seinem Privatvermögen.
Da jede Unternehmerin bzw. jeder Unternehmer zugleich auch ein Mensch ist, 4 fallen bei ihr bzw. ihm Lebenshaltungskosten an (Geld für den Lebensunterhalt wie Strom, Miete, Lebensmittel etc.). Daher muss jede Spielerin bzw. jeder Spieler am Ende einer Runde 1 Münze an die Bank abgeben. Anschließend beginnt die nächste Runde.
Bei den Werten Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit kann jede Spielerin bzw. 5 jeder Spieler auch ins Minus geraten – dafür legt sie bzw. er die Marken nicht über, sondern unter den Balken. Eine negative Entwicklung ist für die Bereiche Privatvermögen und Geld des Unternehmens nicht vorgesehen, weil alle Spielerinnen und Spieler zu jeder Zeit liquide sein müssen. Diesem Grundsatz folgend werden ihre Entscheidungen ausfallen, auch wenn das bedeutet, dass sie unter Umständen auch einmal gegen die Präferenzen ihres Charakters verstoßen müssen. Ein Geldtransfer von Privatvermögen zu Geld des Unternehmens ist möglich. Darüber hinaus müssen alle Spielerinnen und Spieler grundsätzlich auch die Lebenshaltungskosten, die am Ende jeder Runde fällig werden, im Blick behalten.
Das Spiel endet mit Ablauf der vereinbarten Spielzeit. 6
Wirthiko – Ein Planspiel zur Wirtschaftsethik
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M 2 Spielmaterial
Um Wirthiko spielen zu können, werden
Spielmaterial A–E
► etliche 1-, 2- oder 5-Cent-Münzen, ► 4 unterschiedliche Spielfiguren, ► 1 Würfel, ► 4 Wertebalken (Spielmaterial A), ► je 90 Wertmarken Umweltschutz (Spielmaterial B) und
soziale Gerechtigkeit (Spielmaterial C), ► 4 Darstellungen der zu spielenden Charaktere (Spielmaterial D) sowie ► 24 Szenarien (Spielmaterial E)
benötigt. Alle Materialien für das Spiel – abgesehen von den Münzen, dem Würfel und den Spielfiguren – finden sich auf den folgenden Seiten.
Spielmaterial A: Vier Wertebalken
Privatvermögen
Umweltschutz
soziale Gerechtigkeit
Geld des Unternehmens
Privatvermögen
Umweltschutz
soziale Gerechtigkeit
Geld des Unternehmens
Privatvermögen
Umweltschutz
soziale Gerechtigkeit
Geld des Unternehmens
Privatvermögen
Umweltschutz
soziale Gerechtigkeit
Geld des Unternehmens
Spielmaterial B: Wertmarken Umweltschutz
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Laura Marks, Konrad Valtin
Spielmaterial C: Wertmarken Soziale Gerechtigkeit
Spielmaterial D: Vorstellung der zu spielenden Charaktere sowie deren Zielvorgaben D E R K A P I TA L I S T Dein Ziel ist es, möglichst viel Gewinn zu erwirtschaften. Für dich zählt nur der Unternehmensgewinn und dein Privatvermögen. Alles andere sind notwendige Begleiterscheinungen, die sich dem Geldgewinn unterzuordnen haben. Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit sind für dich nur dann relevant, wenn sie sich positiv auf das Unternehmensergebnis auswirken.
Privatvermögen
Umweltschutz
soziale Gerechtigkeit
Geld des Unternehmens
D E R U M W E LT B E W U S S T E Dein Ziel ist es, unternehmerische Tätigkeit mit Umweltschutz und Nachhaltigkeit zu vereinen. Du verzichtest der Umwelt zuliebe gerne auch auf Gewinn, denn Umweltschutz hat bei dir oberste Priorität. Aber berücksichtige, dass du trotz allem Unternehmer bist und dein Unternehmen natürlich auch Geld benötigt.
Wirthiko – Ein Planspiel zur Wirtschaftsethik
Privatvermögen
Umweltschutz
soziale Gerechtigkeit
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Geld des Unternehmens
DER FAMIL IENUNTERNEHMER Dein Ziel ist es, möglichst viel Gewinn zu machen, damit es dir, deiner Familie und dem Unternehmen gut geht. Umweltschutz ist für dich nur dann interessant, wenn es den Ort deines Firmensitzes oder die Menschen, die in deiner Firma arbeiten, betrifft. Wichtig sind dir auch deine Angestellten, die du alle mit Namen kennst. Auf diese Weise zeigst du, dass dir soziale Gerechtigkeit (vor allem was deine Mitarbeiter betrifft) sehr wichtig ist. Das ist ein Grund, weshalb man dich im Ort schätzt.
Privatvermögen
Umweltschutz
soziale Gerechtigkeit
Geld des Unternehmens
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Laura Marks, Konrad Valtin
D E R P R A G M AT I K E R Dein Ziel ist es, eine möglichst gute Balance aus unternehmerischem Erfolg, Umweltschutz und sozialer Gerechtigkeit zu erlangen. Du entscheidest nach moralischen Kriterien, solange der Preis dafür nicht zu hoch ist.
Privatvermögen
Umweltschutz
soziale Gerechtigkeit
Geld des Unternehmens
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Spielmaterial E: Szenarien Der Stromkonzern bietet dir folgende Tarife an:
1 Strom aus 100 % erneuerbaren Energien ► – 1 Geld + 2 Umweltschutz
2 Strom aus konventionellen Kraftwerken ► + 1 Geld – 2 Umweltschutz Deine mittlerweile 58-jährige Sekretärin hat die Frist bei einer Auftragsbestätigung verpasst, wodurch dem Unternehmen ein Schaden von 10.000 € entstanden ist. Außerdem ist ihr Arbeitstempo zurückgegangen. Was machst du?
1 »Endlich habe ich einen Grund, ihr zu kündigen. Sie hat eh nicht mehr zügig genug gearbeitet.« ► + 1 Geld – 2 soziale Gerechtigkeit
2 »Naja, immerhin arbeitet sie seit zwanzig Jahren bei mir. Ich werde sie noch einmal deutlich darauf hinweisen und es dabei belassen. Sie ärgert sich eh schon genug über den Fehler.« ► – 1 Geld + 2 soziale Gerechtigkeit Ein Mitarbeiter bittet dich um einen Lohnvorschuss, da er im letzten Monat eine unerwartete Autoreparatur hatte und gerade knapp bei Kasse ist. Was machst du?
1 »Na hören Sie mal, was kann ich denn dafür, wenn Sie mit Ihrem Geld nicht klarkommen. Denken Sie, ich bin ein Gold esel?« (Außerdem müsstest du auf Zinsen verzichten und es fällt ein bürokratischer Aufwand an.) ► + 1 Geld – 1 soziale Gerechtigkeit
2 Du gewährst dem Mitarbeiter einen Vorschuss, denn schließlich kennst du ihn schon seit fünf Jahren. ► + 1 soziale Gerechtigkeit – 1 Geld Du brauchst ein neues Zentrallager. Es stehen folgende Grundstücke zur Debatte.
1 Grundstück 1: unmittelbar neben einem Naturschutzgebiet, aber sehr gut gelegen für einen Großteil deiner Mitarbeiter. ► + 2 soziale Gerechtigkeit – 1 Umwelt
2 Grundstück 2: liegt ca. 50 km entfernt im ländlichen Raum (sehr günstig), d. h. aber, dass auch die meisten Mitarbeiter sehr weit fahren müssen. ► + 2 Geld – 1 soziale Gerechtigkeit – 1 Umwelt
1 Werbegeschenkpaket Variante 1 beinhaltet Jojos, Kugelschreiber und Plastiktrinkflaschen. Diese werden unter schlechten Arbeitsbedingungen hergestellt. ► – 1 Geld – 1 soziale Gerechtigkeit – 1 Umwelt
2 Die zweite Variante wäre, du kaufst keine Werbeartikel, sondern spendest lieber Geld an den ortsansässigen Waldschulkindergarten. Die Regionalzeitung verfasst einen Beitrag dazu. ► – 2 Geld + 1 Umwelt + 1 soziale Gerechtigkeit Deine Firmenzentrale ist umgezogen und du verkaufst deinen fast neuwertgien Zaun, der das alte Gelände eingegrenzt hat.
1 Du könntest ihn an einen Kindergarten verkaufen, der dir aber nur 500 € bieten kann. ► + 1 Geld + 1 soziale Gerechtigkeit
2 Allerdings hättest du auch die Möglichkeit, den Zaun für 1000 € an einen Großhändler zu verkaufen. ► + 2 Geld – 1 soziale Gerechtigkeit Die Regierung möchte Engagement für Umweltschutz belohnen und zahlt dir für jede Einheit, die du beim Umweltschutz hast, eine Einheit Geld. ► Wenn dir bis jetzt der Umweltschutz eher gleichgültig war und du dich deswegen im Minusbereich befindest, musst du leider für jede Einheit im Minusbereich eine Einheit Geld an die Kasse abgeben.
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Es steht eine generelle Überholung und Erneuerung deiner technischen Geräte (PCs, Monitore etc.) in den Büroräumen an.
1 Du kannst deine alten Geräte an eine Schule in Chile spenden und somit die Bildungschancen der Kinder dort erhöhen. ► + 2 soziale Gerechtigkeit – 2 Geld
2 Du könntest deine Geräte allerdings auch einfach an einen Großhändler verkaufen. ► + 2 Geld – 2 soziale Gerechtigkeit Für eine benötigte Maschine liegen dir zwei Angebote vor:
1 Die Maschine ist sehr produktiv und würde zwei Mitarbeiter ersetzen. Sie weist allerdings ziemlich hohe Emissionswerte auf und verbraucht dazu auch noch sehr viel Energie. ► + 4 Geld – 2 soziale Gerechtigkeit – 2 Umweltschutz
2 Maschine 2 ist weniger produktiv, du könntest deshalb nicht auf deine zwei Mitarbeiter verzichten. Die Maschine ist dank eines eingebauten Filtersystems sehr umweltfreundlich bei der Produktion. ► – 2 soziale Gerechtigkeit + 2 Umweltschutz – 2 Geld Du möchtest ein Betriebsgebäude verkaufen.
1 Investor 1 bietet den höchsten Preis, allerdings ist er wegen seines unmenschlichen Geschäftsgebarens schon öfter in Verruf geraten. ► + 4 Geld – 2 soziale Gerechtigkeit
2 Investor 2 ist ein Start-up-Unternehmen im erneuerbaren Energiesektor. Gründer sind zwei junge Leute aus dem Ort, die dir allerdings nur einen niedrigeren Kaufpreis bieten können. ► + 2 Geld + 1 soziale Gerechtigkeit + 1 Umwelt
2 »Meine Mitarbeiter werden übertariflich bezahlt, ich spende das Geld lieber an ein Umweltschutzprojekt.« ► + 2 Umweltschutz – 2 Geld
3 »Die Mischung macht’s. Ich zahle einen Teil des Geldes an meine Mitarbeiter, da sie wirklich gut gearbeitet haben, der Rest fließt in das Unternehmen.« ► + 2 soziale Gerechtigkeit + 1 Geld Du bekommst von einer Firma ein neues Filtersystem angeboten. Das Filtersystem würde die Belastungen deiner Mitarbeiter und der Umwelt reduzieren, ist allerding sehr preisintensiv.
1 »Das sind genügend gute Argumente, natürlich erwerbe ich das System.« ► – 3 Geld + 2 Umweltschutz + 1 soziale Gerechtigkeit
2 »Teures System, keine Steigerung der Produktivität, ich erkenne da keinen Sinn.« ► 0 Geld – 2 Umweltschutz – 1 soziale Gerechtigkeit Du möchtest 100 Hosen produzieren lassen. Dir liegen folgende Angebote vor:
1 Firma 1 produziert dir die Hosen für 2 € je Stück, die Firma ist allerdings schon häufiger durch Kinderarbeit und Umweltverschmutzung aufgefallen. ► + 4 Geld – 2 Umwelt – 2 soziale Ger.
2 Firma 2 produziert die Hosen für 3 € je Stück, die Produktion findet in Billiglohnländern statt. Sie engagiert sich allerdings für ein Regenwaldprojekt. ► + 3 Geld + 1 Umwelt (Engagement – Transport)
3 Eigenproduktion 5 €/Hose – führt zur Einstellung von fünf Arbeitern ► + 1 Geld + 1 Umwelt + 2 soziale Ger.
Das Weihnachtsgeschäft läuft sehr gut, du überlegst den Mitarbeitern eine Prämie zu zahlen.
Dein Unternehmen hat im letzten Jahr einen Rekordgewinn eingefahren. Neben Rücklagen für Investitionen bleiben dir noch 25.000 € zur freien Verfügung. Was machst du?
1 »Meine Mitarbeiter verdienen genug Geld,
1 »Ich trage das unternehmerische Risiko,
nein, ich zahle ihnen keine Prämie.« ► – 2 soziale Gerechtigkeit + 2 Geld
aber auch meine Mitarbeiter haben sehr gute Arbeit geleistet, ich behalte 10.000 €
Wirthiko – Ein Planspiel zur Wirtschaftsethik
und verteile 15.000 € zu gleichen Teilen unter den Angestellten.« ► + 2 Geld des Unternehmens + 3 soziale Gerechtigkeit
2 »Ich behalte 10.000 € und spende 15.000 € dem WWF.« ► + 2 Geld + 3 Umwelt
3 »Ich bin der Chef, ich leite den Laden, also keine Diskussion: 25.000 € für mich.« ► + 5 Geld – 2 soziale Gerechtigkeit Du hast einen Autounfall und es läuft Öl aus. Du hast folgende Handlungsalternativen:
1 Du bezahlst ein teures Verfahren, damit die Grundwasserverschmutzung auf ein Minimum reduziert wird. ► – 1 Geld + 2 Umwelt
2 »Umwelt? Ich bezahle doch nicht 1000 € nur für diesen kleinen Fleck!« ► + 0 Geld – 2 Umwelt Du willst eine Müllwiederaufbereitungsanlage bauen. Dir stehen zwei Alternativen zur Verfügung:
1 Das Grundstück ist sehr günstig, jedoch würden viele Lkw an der Schule deiner Kinder und denen vieler Mitarbeiter vorbeifahren. ► + 2 Geld – 2 soziale Gerechtigkeit
2 Option 2 befindet sich am Stadtrand, die Transportwege wären deutlich länger. ► + 1 soziale Gerechtigkeit – 2 Umwelt – 1 Geld Du streitest dich mit der Gewerkschaft über den neuen Haustarifvertrag.
1 Du setzt eine Erhöhung der Wochen arbeitszeit um eine Stunde durch, obwohl die Produktivität gestiegen ist – aber du weißt ja nicht, was die Zukunft bringt. ► – 2 soziale Gerechtigkeit + 1 Geld
2 Du verzichtest auf einen zusätzlichen Gewinn durch eine mögliche Erhöhung der Wochenarbeitszeit, da die Mitarbeiter sehr gut gearbeitet haben. ► + 2 soziale Gerechtigkeit – 1 Geld
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Du möchtest neue Betriebskleidung kaufen. Was machst du?
1 Du fragst deine Mitarbeiter: Sie wünschen sich etwas teurere Kleidung von einem Kleinbetrieb aus der Nachbarschaft. ► + 2 soziale Gerechtigkeit – 2 Geld
2 Du bist der Chef und hast ein Angebot vorliegen, dass dir robuste, günstige, aber nicht wirklich schöne Kleidung verspricht (Verwendung vieler Chemikalien bei der Herstellung). ► – 1 soziale Gerechtigkeit – 2 Umwelt Die Regierung unterstützt sozial gerechte Unter nehmer und zahlt dir für jede Einheit sozialer Gerechtigkeit eine Einheit Geld. ► Hast du die soziale Gerechtigkeit in letzter Zeit eher vernachlässigt? Dann musst du jetzt leider für jede Einheit im Minus bereich eine Einheit Geld abgeben. Eine Betriebsreise steht an.
1 Du kannst die Variante mit der Bahn wählen: dies wäre zeitaufwändiger, du wärst an Abfahrtszeiten gebunden und könntest nicht so viele Termine wahrnehmen, aber es wäre umweltschonender. ► + 2 Umweltschutz – 1 Geld
2 Oder du fährst mit dem Auto, kommst schnell und unabhängig ans Ziel, könntest mehr Verkaufsgespräche führen. Allerdings wären die Emissionswerte höher. ► – 2 Umweltschutz 0 Geld Die Betriebskantine hat zwei Lieferanten zur Auswahl.
1 Bezug über regionale Biobauern ► + 2 Umwelt 1 soziale Gerechtigkeit – 1 Geld
2 Bezug über einen Großhändler, der seine Waren weltweit beim günstigsten Anbieter ohne Rücksicht auf Produktionsbedingungen bezieht. ► – 2 Umwelt – 1 soziale Gerechtigkeit
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Laura Marks, Konrad Valtin
Du möchtest deine Fahrzeugflotte erneuern.
1 Du bietest die Fahrzeuge zuerst deinen Angestellten zu vergünstigten Kondi tionen an. ► + 2 Geld + 2 soziale Gerechtigkeit
2 »Es ist doch egal, wer die Autos bekommt. Ich habe damals viel Geld dafür bezahlt, also möchte ich einen möglichst hohen Verkaufspreis erzielen. Ich kontaktiere einen Großhändler.« ► + 3 Geld – 1 soziale Gerechtigkeit Es gibt einen neuen Produktionsstoff, der 30 % weniger kostet. Die Unbedenklichkeit dieses Stoffes ist jedoch umstritten, außerdem werden bei der Verarbeitung deutlich mehr umweltschädliche Gase freigesetzt.
2 »Giftige Gase? Nicht bewiesene Unbedenklichkeit? Das kann ich nicht verantworten, geringerer Preis hin oder her.« ► – 2 Geld + 2 Umweltschutz Deine Mitarbeiter wünschen sich neue Büro stühle, da die jetzigen nun schon fast acht Jahre alt sind.
1 »Wenn die Mitarbeiter sich das wünschen, wird das schon angemessen sein. Die Stühle sind ja wirklich schon alt, also bestelle ich neue.« ► + 2 soziale Gerechtigkeit – 2 Geld
2 »Ich habe mir die Stühle angeschaut, und sie sehen jetzt nicht wirklich schlecht aus. Neue gibt es frühestens in zwei Jahren.« ► – 2 soziale Gerechtigkeit 0 Geld
1 »Selbstverständlich nehme ich den neuen Rohstoff, 30 % geringerer Einkaufspreis ist Grund genug.« ► + 2 Geld – 2 Umweltschutz
Quelle: Marks, Laura; Valtin Konrad: »Wirthiko – Ein Planspiel zur Wirtschaftsethik«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 37, 2015, Heft 4: Spielend philosophieren, S. 48–54 (von der Autorin und dem Autor für diesen Band überarbeitet und mit Ergänzungen versehen).
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COMPU T E R S P I E LE
Wie Videospiele den Philosophie- und Ethikunterricht bereichern können Jens Heinrich Press any key to start the game Videospiele sind längst in der Lebenswirklichkeit angekommen. Ein überwältigender Großteil heutiger Heranwachsender hat in irgendeiner Form mit Videospielen zu tun – seien es Mobile Games auf dem Smartphone oder »klassische« Spiele auf Konsolen oder dem PC. Umso erstaunlicher ist es, dass sie bislang im fachdidaktischen und schulischen Bereich kaum Beachtung erfahren haben. Zwar existiert die wissenschaftliche Disziplin der Game Studies, die sich mit den exklusiv spielerischen Qualitäten von Spielen und insbesondere Videospielen beschäftigt, dennoch ist eine didaktische Herangehensweise, die es Lehrenden ermöglicht, das enorme Potential von Videospielen in Lehr- und Lernkontexten auszuschöpfen, praktisch nicht vorhanden. Doch gerade im Hinblick auf den Lebensweltbezug ist dies geradezu fahrlässig, wenn sich die Institution Schule und die Fachdidaktik nicht von ihren Lernern entfernen möchte. Dieser Artikel versteht sich als Beitrag zu der Forschung, die es ermöglicht, Videospiele gewinnbringend in den Unterricht einbringen zu können, was zunächst noch unerschlossenes Terrain ist und daher Stolpersteine, aber auch nahezu unbegrenzte (Forschungs-)Möglichkeiten in sich birgt. Einer der ersten Schritte auf diesem Gebiet soll die Skizzierung eines unterrichtspraktischen Vorschlags zur Anwendung von Videospielen im Philosophie- bzw. Ethikunterricht mit konkretem fachdidaktischem Bezug sein. Doch worin besteht die Faszinationskraft von Videospielen? Dieser Frage soll in diesem Beitrag nachgegangen und ein konkretes unterrichtspraktisches Beispiel diskutiert werden, um das enorme Potential von Videospielen für den Philosophieund Ethikunterricht aufzuzeigen. Dazu soll wie folgt vorgegangen werden: Zunächst wird der Gegenstand der Videospiele dargestellt; dies muss jedoch in aller Kürze geschehen, da eine ausführliche Erörterung den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde und an anderer Stelle nachgelesen werden kann.1 Der Fokus liegt daher auf einer Debatte, die die Game Studies nachhaltig geprägt hat und den wesentlichen Aspekt von Videospielen aufzeigt. Im Anschluss daran soll gezeigt werden, wie sich die Erkenntnisse der Game Studies mit der philosophischen Fachdidaktik verknüpfen
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Für einen Überblick über die Forschungsbereiche und -ergebnisse der Game Studies eignet sich folgendes Werk zur Einführung: Mäyrä, Frans: An Introduction to Game Studies. Games in Culture, SAGE Publication Ltd., London 2008.
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lassen. Dazu dient der Aufsatz Didaktik der symbolischen Formen2 von Susanne Nordhofen als Grundlage, weil mit und durch ihn die fachdidaktische Begründung des Einsatzes von Videospielen im Philosophie- und Ethikunterricht erbracht werden kann. Der Vorschlag für eine Unterrichtsreihe mit Videospielen stellt den Abschluss dieses Beitrags dar und skizziert unter Einbezug der fachdidaktischen Erkenntnisse in Verknüpfung mit den Game Studies Anwendungsmöglichkeiten im Philosophiebzw. Ethikunterricht, sodass am Ende deutlich werden sollte, worin die Chancen von Videospielen im Unterricht bestehen, welche Rahmenbedingungen dafür vorherrschen müssen und dass sich über Videospiele nicht nur philosophischen Themen genähert werden kann, sondern philosophische Inhalte explizit aufgearbeitet werden können.
Level 1: Videospiele und Fachdidaktik Espen Aarseth rief 2001 die wissenschaftliche Disziplin Game Studies aus, 3 die vorher aus eher ungeordneten und orientierungslos scheinenden Einzelbeiträgen bestand und keinen auf Konsens beruhenden Namen trug. Nachdem nun ein Forum für das gemeinsame Forschungsinteresse geschaffen wurde, sahen sich die Game Studies mit einem Problem konfrontiert: »Game studies is faced with the double challenge of creating its own identity, while at the same time maintaining an active dialogue with the other disciplines.« 4 Dies zeigt sich besonders deutlich an dem Konflikt, der zwischen Narratologen und Ludologen ausgetragen wurde. Ludo logen vertreten den Standpunkt, dass Spiele, insbesondere Videospiele, nach ihren intrinsischen Kriterien und explizit ludischen Qualitäten beurteilt werden sollten. Narratologen halten dies nicht für ausgeschlossen und stimmen dem sogar weitestgehend zu, jedoch stellen sie heraus, dass die meisten Videospiele (wenn auch nicht alle) erzählerische Aspekte beinhalten und daher aus einer narratologischen Perspektive heraus betrachtet werden können. Nach einer recht kontrovers geführten Debatte herrscht nun insofern Konsens, dass Videospiele zwar Einflüsse aus anderen Medien besitzen (können), aber dennoch das ludische Potential stets Bestandteil der Reflexion sein muss, denn die exklusive Besonderheit von Videospielen besteht in ihrer Interaktivität – die Möglichkeit, direkt auf das Spielgeschehen einwirken zu können. 5
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Vgl. Nordhofen, Susanne: »Didaktik der symbolischen Formen. Über den Versuch, das Philosophieren mit Kindern philosophisch zu begründen«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 20, 1998, Heft 2: Ernst Cassirer, S. 127–132. Vgl. Aarseth, Espen: Computer Game Studies, Year One. In: Game Studies 1, 2001, auf: http:// www.gamestudies.org/0101/editorial.html (Stand: 12.04.2020). Mäyrä, Frans: An Introduction to Game Studies. Games in Culture, a. a. O., S. 5. Vgl. Breuer, Johannes: »Mittendrin – statt nur dabei. Die Interaktivität des Dispositivs Computerspiel und ihre Auswirkungen auf die Spieler«, in: Mosel, Michael (Hrsg.): Gefangen im Flow? Ästhetik und dispositive Strukturen von Computerspielen, Game Studies, Verlag Werner Hülsbusch, Boizenburg 2009, S. 181–211.
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Der bedeutende Unterschied, der Videospiele von anderen Medien abgrenzt, ist daher, dass sie dem Spieler erlauben, direkt in die dargestellte Welt einzugreifen. Diese Art der Einwirkung in die Spielwelt wird als Interaktivität verstanden, die bei Videospielen »nicht nur voluntaristisch, sondern obligatorisch« 6 ist: »Das Eingreifen der Nutzer ist zwingend notwendig, damit die Spiele funktionieren können. Somit nehmen die Spieler nicht bloß eine zentrale Beobachterperspektive ein, sondern werden gleichfalls zu einem konstitutiven Element in der Entstehung des konkreten medialen Inhalts bzw. Geschehens.« 7 Interessanterweise findet die Interaktion nicht nur zwischen der jeweiligen Hardware und dem Spieler statt, sondern überschreitet die Grenze des Dargestellten und lässt den Spieler einen Teil der Spielwelt selbst sein – er wird zu einer Machtinstanz innerhalb der virtuellen Welt. 8 Der virtuelle Raum wird dabei zu einem Feld mit verschiedenen Handlungsmöglichkeiten, in das der Spieler aktiv eingreifen muss. Die Interaktivität ermöglicht weitere Aspekte – Immersion und Agency. Die Immersion beschreibt »the sensation of being surrounded by a completely other reality, as different as water is from air, that takes over all of our attention, our whole perceptual apparatus«9. Ein Teil der Spielwelt zu sein und diese nicht nur von außen kontrollieren zu können, ermöglicht eine starke Identifikation mit den handelnden Figuren auf motivationaler und emotionaler Ebene. Die Ziele und emotionalen Bindungen der Spielfigur werden nicht ausschließlich über die Erzählung vermittelt (wie es bei Büchern und Filmen der Fall ist), sondern durch das Spielen selbst. Es handelt sich dabei nicht um eine bloße Teilhabe an den Geschehnissen, sondern um eine tatsächliche Existenz in der Spielwelt. Dadurch wird der aktive Part des Spielers an dem Geschehen und die emotionale Involvierung darin potenziert – der Spieler fühlt sich für die Spielfiguren verantwortlich.
Die »Agency is the satisfying power to take meaningful action and see the results of our decisions and choices«10 . Sie grenzt sich von der Interaktivität ab, indem sie die Entscheidungen, die der Spieler im Laufe des Spiels trifft, mit den tatsächlichen Auswirkungen auf den Spielverlauf koppelt. Von immenser Bedeutung ist daher, Ebd., S. 183. Ebd. 8 Vgl. ebd., S. 184. 9 Murray, Janet H.: Hamlet on the Holodeck. The Future of Narrative in Cyberspace, MIT Press, Cambridge, MA 42001, S. 98. 10 Ebd., S. 126. 6 7
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dass die Handlungen des Spielers spürbare, nachvollziehbare und entscheidende Auswirkungen auf die Spielwelt haben.11 Interaktivität, Immersion und Agency – stehen in reziproken Verhältnissen: Ohne Interaktivität ist es nicht möglich, die Konsequenzen der Spielerhandlungen wahrzunehmen, daher existiert ohne Interaktivität keine Agency. Ohne Agency wäre Interaktivität sinnlos, da kein persistenter Einfluss auf die Spielwelt genommen werden könnte. Bei starker Immersion hat der Spieler das Gefühl, dass seine Handlungen Gewicht besitzen und diese die Spielwelt nachhaltig beeinflussen. Das Eingreifen in die Spielwelt und das Erleben von Konsequenzen der Spielerhandlungen verstärkt dabei die Immersion. Diese Trias12 zeigt besonders deutlich, wie bedeutsam das Selber-Spielen von Videospielen ist, denn »[o]hne den Spieler existiert das Spiel nicht.«13 Inwiefern lässt sich auf Basis dieser Überlegungen ein Mehrwert für die Anwendung von Videospielen in philosophischen bzw. ethischen Kontexten finden? Im Anschluss an Susanne Nordhofen14 lässt sich die symbolische Form nicht nur in Bildern oder Bilderbüchern ausmachen, sondern ebenso in Videospielen. Videospiele stellen sich in diesem Zusammenhang als eine Mischform aus diskursiven und präsentativen Symbolen dar, da sie zum einen sukzessiv (bspw. Level für Level) durchgespielt werden müssen, zum anderen jedoch nicht ihre gesamte Bedeutung offenbaren, wenn nur ihre einzelnen Teile analysiert werden. Die genauen Anteile beider Formen können von Spiel zu Spiel variieren und lassen sich daher eher graduell als absolut zuordnen. Jedoch sind Videospiele nicht nur ein Hybrid dieser Formen, sondern fügen eine weitere Ebene der Wirklichkeitsdarstellung hinzu: Interaktivität. So sind die vom Verstand zu interpretierenden Symbole nicht statisch, sondern dynamisch, da Videospiele dem Spieler erlauben, aktiv in den »Symbolbildungsprozess«15 einzugreifen, weil die aus dem Videospiel entstehenden Bedeutungen vom Spieler veränderbar sind. Daher wird vorgeschlagen, die Nische, die Videospiele in Bezug auf die symbolischen Formen ausfüllen, als »interaktive Symbole« zu bezeichnen. Interaktive Symbole betonen die Prozesshaftigkeit der Symbolbildung. Diskursive und präsentative Symbole sind in ihrer Form eher passiv – erst der deutende Umgang lässt eine aktive Beschäftigung mit ihnen zu. Interaktive Symbole hingegen sind jedoch intrinsisch von aktiver Natur, da Subjekt (die Spielerin bzw. der Spieler) und
Vgl. Widra, Thomas: »Auf dem Weg zu wahrer »agency«. Theorie und Bestandsaufnahme der Einflussnahme auf die Handlung in Computerspielen«, in Mosel, Michael (Hrsg.): Gefangen im Flow? Ästhetik und dispositive Strukturen von Computerspielen, a. a. O., S. 29–60: S. 43. 12 Es existieren weitere Formen der Besonderheiten von Videospielen, dennoch deckt diese Trias einen großen Bereich ab, da manche Spezifika Unterformen der hier gezeigten Bereiche darstellen. 13 Mosel, Michael: »Das Computerspiel-Dispositiv. Analyse der ideologischen Effekte beim Computerspielen«, in: Mosel, Michael (Hrsg.): Gefangen im Flow? Ästhetik und dispositive Strukturen von Computerspielen, Game Studies, a. a. O., S. 153–179: S. 175. 14 Vgl. Nordhofen, Susanne: »Didaktik der symbolischen Formen. Über den Versuch, das Philosophieren mit Kindern philosophisch zu begründen«, a. a. O. 15 Calvert, Charles, Calvert, Kristina: Philosophieren mit Fabeln, Dieck Verlag, Heinsberg 2001, S. 9. 11
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Objekt (das Videospiel) in einer Tätigkeit aufeinander bezogen sind.16 Die Spielerin bzw. der Spieler und das Spiel sind nicht isoliert voneinander, sondern entwickeln erst in einem reziproken Verhältnis ihre besondere Dynamik. Die Doppelung der Spielerperspektive17 in Handelnder und Beobachtender ermöglicht dabei diesen Vorgang, da die Verbindung von Subjekt und Objekt während des Spielens äquivalent ist zu der Handlungsposition der Spielerin bzw. des Spielers im Spiel selbst (Objekt) und der Beobachterposition als Person, die das Spiel spielt (Subjekt).18 Das praktisch anwendbare Wissen, das sich die Spielerin bzw. der Spieler aneignen muss, um das Spiel zu beherrschen, erscheint dabei als eine praktische kognitive Kompetenz, die untrennbar mit dem Subjekt verbunden ist. Die Spielerin bzw. der Spieler erlangt so ein gewisses Knowhow im Spielprozess, da sie bzw. er die einzelnen Teilbereiche der verschiedenen Struktursysteme im Spiel erkennen und auf neue Situationen übertragen muss und anwenden kann, was ohne eine Übersicht über das gesamte System nicht möglich wäre.19 Interaktive Symbole bezeichnen daher zum einen den aktiven Deutungsprozess der Spielerinnen oder Spieler (da Videospiele ein Eingreifen in die Spielwelt erfordern), zum anderen die Kompetenz eines praktisch anwendbaren, übergeordneten Wissens innerhalb eines bestimmten Systems und fördern daher den strukturierten und reflexiven Umgang mit der Wirklichkeit. Zusätzlich ermöglichen Videospiele dem Spieler, mit verschiedenen Zugängen zu beispielsweise moralischen Kontexten nicht nur in Berührung zu kommen, sondern aktiv mit schwierigen Entscheidungen in geschützten Räumen zu experimentieren, sodass moralische Dilemmata in Spielen nicht nur dargestellt werden, sondern eine selbsttätige Beschäftigung mit ihnen und anschließende Entscheidungen fordern, was das praktische moralische Wissen (im Sinne der aristotelischen phronesis) stärken kann und im letzten Teil dieses Beitrags diskutiert wird. 20 Damit stehen Videospiele gleichwertig neben anderen Realitätsformen und ermöglichen einen alternativen und – als interaktive Symbole – strukturierten und metareflexiven Zugang zur Wirklichkeit, was sie für den Unterricht und die Fachdidaktik interessant macht, da so über Videospiele philosophische Themen behandelt werden können.
Vgl. Aarseth, Espen: Computer Game Studies, Year One. In: Game Studies 1, 2001, a. a. O. Vgl. Neitzel, Britta: Gespielte Geschichten. Struktur- und prozessanalytische Untersuchungen der Narrativität von Videospielen. Diss., Bauhaus-Universität Weimar, Fakultät Medien BauhausUniversität, Weimar 2000, abrufbar als PDF-Datei unter: https://e-pub.uni-weimar.de/opus4/ frontdoor/index/index/docId/69 (Stand: 12.04.2020), S. 56. 18 Vgl. ebd., S. 56–57. 19 Vgl. Gee, James Paul: What Video Games Have to Teach Us About Learning and Literacy, Revised and Updated Edition, Palgrave Macmillan, New York, NY - Basingstoke, GB 22007., S. 19–24. 20 Vgl. Schulzke, Marcus: »Moral Decision Making in Fallout«, in: Game Studies 9, 2009, Issue 2, auf: http://gamestudies.org/0902/articles/schulzke (Stand: 12.04.2020) 16 17
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Level 2: Aristotelische Tugendethik in Anwendung Aufgrund der Tatsache, dass Videospiele alltägliche Medien sind, besteht die Gefahr von Simplifizierung seitens der Lehrkräfte und Überschätzung des eigenen Wissens in Bezug auf Videospiele seitens der Schülerinnen und Schüler. Simplifizierungsgefahr besteht dann, wenn die spezifisch spielerischen Qualitäten von Videospielen außer Acht gelassen werden. Sollen beispielsweise nur narrative Mechanismen in den Spielen untersucht werden, so wird das ludische Potential nicht genutzt und der Mehrwert von Videospielen im Unterricht geht gegen Null. Ein weiteres Pro blem resultiert daraus, dass Videospiele bereits seit einiger Zeit fest im Alltag integriert und die meisten Schülerinnen und Schüler mit ihnen aufgewachsen sind. Daher besteht in den meisten Fällen die Illusion, alles über Videospiele zu wissen. Zu Anfang der Unterrichtsreihe erscheint es daher sinnvoll, den Schülerinnen und Schülern deutlich zu machen, was das Ziel der Beschäftigung von und mit Videospielen ist. Es sollte klar herausgestellt werden, dass eine Unterrichtsreihe zu Videospielen nicht bedeutet, einfach nur an den Konsolen zu sitzen, zu spielen und anschließend darüber plaudern, welche Szenen einem am besten gefallen haben. Vielmehr soll als Zielvorstellung ein Perspektivwechsel eingenommen werden. Der Perspektivwechsel soll darin bestehen, dass die Schülerinnen und Schüler von ausschließlich konsumierenden zu kompetenten Spielerinnen und Spielern avancieren, die die tieferliegenden Strukturen und Mechanismen von Videospielen erkennen und analysieren können. Dafür bietet sich zunächst eine Bestandsaufnahme des Schülervorwissens in Form von Kurzreferaten an. Die Schülerinnen und Schüler sollen ein Videospiel ihrer Wahl auf einen von der Lehrkraft vorgegebenen ludischen Aspekt hin analysieren.21 Anschließend sollen die Ergebnisse präsentiert werden. Vermutlich wird diese Analyse in einen deskriptiven und bewertenden Modus verfallen (»Zunächst ist das und das passiert … Diese Stelle hat mir nicht gefallen …«), wodurch die Defizite deutlich werden, die bei einer kritischen Analyse von Videospielen auftreten können. Durch die Referate können die Schülerinnen und Schüler an ihrem Wissensstand abgeholt werden, und die Lehrkraft kann und sollte an Spiele oder Passagen aus den Referaten anknüpfen. Der nächste Schritt besteht darin, zunächst eine theoretische Grundlage für die Beschäftigung mit Videospielen zu legen. Dies ist der wichtigste, aber zugleich auch der schwierigste Schritt, denn an dieser Stelle ist Fingerspitzengefühl gefragt, da die Gefahr besteht, die Schülerinnen und Schüler zu langweilen, da etwas an sich Spaßiges »zerredet« wird. Dieses Problem sollte eliminiert werden, indem die Theorie durch kurze Spielsessions verdeutlicht wird. Auf diese Weise wird die Theorie anschaulich dargestellt und Videospiele werden nicht zu »verkopft« angegangen. Die Schwierigkeit (und die Kunst) besteht in dem schmalen Grat zwischen Anspruch
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Denkbar wären Aspekte wie: »Inwiefern trägt das Gameplay dazu bei, emotionale Nähe zu den Figuren zu etablieren?«, »Durch welche spielerischen Mittel ›lehrt‹ das Spiel dem Spieler seine Regeln und Mechanismen?« oder »Wie kann die Spielweise dazu beitragen, dass der Spieler von der Erzählung des Spiels in den Bann gezogen wird?« Der ausgewählte Aspekt sollte beispielhaft an einer markanten Spielszene festgemacht werden.
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und Vorwissen. Um die Lerngruppe auf eine höhere Abstraktionsebene zu bringen, benötigen sie zunächst (didaktisch reduzierte) konkrete Thesen, anhand derer diskutiert werden kann, was die spezifischen Ausprägungen von Videospielen sind, um diese anschließend in den Spielen selbst identifizieren und analysieren zu können. Als theoretisches Fundament eignet sich dabei die bereits skizzierte Debatte Narratologie vs. Ludologie. Dadurch erhält die Lerngruppe einen ersten Überblick über das Forschungsfeld der Videospiele und bekommt gleichzeitig Einblick in wichtige Erkenntnisse der Game Studies, insbesondere in das, was Videospiele von anderen Medien entscheidend abgrenzt: Interaktivität. Zusätzlich erlangen die Schülerinnen und Schüler erste kriteriengeleitete Arbeitsweisen und -methoden zur Analyse von Videospielen, die ihnen dabei helfen, während der Diskussion über Videospiele nicht in einen Plauderton zu verfallen, sondern kritisch und (selbst-) reflexiv über diese zu sprechen und ihre Thesen vorzustellen und zu verteidigen. Nachdem die Grundlage zur Analyse von Videospielen gelegt wurde, müssen diese nun selbst in den Fokus gerückt werden, wodurch gleichzeitig die Philosophie Einzug erhält. Die Hauptfragen der Untersuchung lauten dabei: »Was macht das Spiel mit dem Spieler?«, »Wie wirkt das Spiel auf den Spieler?« und »Warum bzw. wie funktioniert das Spiel (in Bezug auf Level-/Gegnerdesign, Gameplaymechaniken, …)?« Zusätzliche Fragen mit philosophischer Ausprägung wären: »Welche philosophische Konzepte lassen sich im Spiel identifizieren?« oder »Inwiefern trägt das Gameplay zu einer philosophischen Fragestellung bei?« Ein geeignetes Beispiel für eine solche Reihe ist Fallout 322 , was im Folgenden in Anlehnung an Marcus Schulzke diskutiert werden soll. In diesem Spiel lassen sich konkrete ethische Fragestellungen identifizieren, die vom Spieler explizit aufgearbeitet werden müssen, um Spielfortschritt zu erzielen. Dabei wird keine bestimmte Moral propagiert, vielmehr wird der Spieler bzw. die Spielerin vor Dilemma-Situationen gestellt, mit denen er bzw. sie sich beschäftigen und über sie nachdenken muss.23 Ein interessantes Beispiel dafür stellt die Mission »Oasis« in Fallout 3 dar. Darin muss der Spieler in einer postapokalyptischen, von nuklearer Strahlung verseuchten Welt einer Person – Harold – helfen, der sich aufgrund der Strahlung in einen Baum verwandelt hat. Harold bittet den Spieler, ihn zu töten, da er große Schmerzen leidet. Um ihn herum hat sich jedoch ein Volk angesiedelt, das ihn nicht nur verehrt, sondern auch von den Bäumen, die mit Harold verbunden sind, lebt. Der Spieler hat nun mehrere Möglichkeiten, diese Situation zu überstehen, jedoch ist jede mit Schmerzen und Leid für entweder die eine oder andere Partei verbunden. Da zusätzlich noch die Sterbehilfe thematisiert wird, steht zudem die Frage im Raum, »to what extent it is worth making an individual suffer for the good of the group«. 24 Diese Art der Entscheidung ist ein integraler Bestandteil des Gameplays, weshalb sich Fallout 3 dazu eignet, moralische Fragen und Dilemmata nicht nur zu thematisieren, sondern mit ihnen zu experimentieren, da der Spieler vor die freie Wahl Fallout 3. Bethesda Game Studios. Bethesda Softworks 2008. Vgl. Schulzke, Marcus: »Moral Decision Making in Fallout«, a. a. O. 24 Ebd. 22
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gestellt wird, welchen Weg er einschlägt.25 An diesem Punkt verknüpfen sich Videospiele mit philosophischen Gedanken, denn Videospiele als interaktive Symbole ermöglichen eine freie Umgestaltung der Spielwelt und eine gleichzeitige Transferleistung auf die eigene Lebenswelt, sodass die in den Videospielen gewonnenen Erkenntnisse die Spielwelt transzendieren und für die eigene Lebenswirklichkeit fruchtbar gemacht werden können – Videospiele sind eine »embodied experience«.26 Weiterhin fördern sie tugendhaftes Handeln im aristotelischen Sinne, denn »[e]in Mensch wird sittlich durch inhaltlich vernunftgemäßes Handeln.« 27 Das heißt, dass es Videospiele durch ihr Prädikat als interaktive Symbole ermöglichen, tugendhaftes Handeln nicht nur passiv mitzuerleben, sondern in einem kontrollierten Raum selber durchzuführen. 28 Durch das Nachdenken über das dargestellte moralische Problem und anschließende Ausführen der Handlung im Spiel wird das praktisch anwendbare moralische Wissen – die phronesis – gestärkt,29 denn »it is only through constantly performing virtuous actions that virtue becomes ingrained one's character.« 30 Videospiele geben als interaktive Symbole und aufgrund der Interaktivitäts-Trias Raum für diese Handlungen: »We should see them as training grounds in which players can practice thinking about morality.« 31 Diese Spielszene ist dabei hervorragend geeignet, die Urteilskraft im Sinne der aristotelischen phronesis zu stärken, da der Spieler über die moralischen Probleme nachdenken muss, dann eine Entscheidung zu treffen hat, um schließlich mit den Konsequenzen umgehen zu können,32 »thereby making gameplay into practice for real-life moral dilemmas.« 33 Dass die Szenarien dabei meistens fantastischer Natur sind, ist für die Anwendung moralischer Überlegungen irrelevant, denn »what matters is not the realism of the narrative but the realism of the problems that it raises.« 34 In einer Unterrichtsreihe über Videospiele gehören solche Mechanismen in den Mittelpunkt der Betrachtung. Sie müssen diskutiert und kritisch hinterfragt werden. Darüber hinaus gilt es auch, das eigene Spielverhalten und die Wirkung der Spiele auf einen selbst zu reflektieren. Um dies zu gewährleisten, bedarf es des Einsatzes von Texten zu Videospielen oder von philosophischen Texten, die dieses Thema erörtern. Denn Videospiele – wie jedes andere Medium auch, sei es Text oder Film – dürfen nicht für sich alleine stehen. Sie sollen das Vehikel für das Verstehen sein und nicht das Verstehen selbst. Daher verlangen sie zwingend Raum für metareflexive Betrachtungen, der durch die Lehrkraft garantiert werden muss. 27
Vgl. ebd. Gee, James Paul: What Video Games Have to Teach Us About Learning and Literacy, a. a. O., S. 105. Lasson, Adolf: »Einleitung«, in: Aristoteles: Nikomachische Ethik, übers. und eingel. von Lasson, Adolf, Eugen Diedrichs, Jena 1909, S. XIII–XXXII: S. XXVII. 28 Vgl. Gee, James Paul: What Video Games Have to Teach Us About Learning and Literacy, a. a. O., S. 64–68. 29 Vgl. Aristoteles: Nikomachische Ethik, a. a. O. 30 Schulzke, Marcus: »Moral Decision Making in Fallout«, a. a. O. 31 Ebd. 32 Vgl. ebd. 33 Ebd. 34 Ebd. 25 26
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Nachdem diese Untersuchungen durchgeführt wurden, besitzen die Schülerinnen und Schüler nicht nur ein reichhaltiges Repertoire an Wissen und Herangehensweisen für die Analyse von Videospielen, sondern haben diese im Rahmen der Beschäftigung mit Videospielen bereits erprobt. Der Abschluss einer solchen Reihe könnte wiederum aus einem Referat bestehen, das aufgrund der erworbenen Fähigkeiten nun auch in Hinblick auf die Aufgabenstellung differenzierter ausfallen kann. Es sollte sich zeigen, dass die Schülerinnen und Schüler nun merklich reflektierter und kritischer mit dem Medium »Videospiel« umgehen und eine erweiterte fachliche Expertise aufweisen. Diese kann sich darin zeigen, dass anhand des so alltäglich gewordenen Mediums »Videospiel« durchaus komplexe Zugänge anschaulich – aber dennoch nicht verfälscht – behandelt werden können. Der Perspektivwechsel von einem rein konsumierenden Spieler zu einem kompetenten Spieler sollte sich in einer differenzierten Betrachtung von Videospielen und an einer kritischen Auseinandersetzung mit ihren Mechaniken und Strukturen zeigen.
Exit the game In diesem Beitrag wurde nur ein sehr kleiner Teil dessen angesprochen, was Videospiele eigentlich leisten können. Dennoch hat sich gezeigt, dass Videospiele durchaus Einsatzmöglichkeiten im schulischen Kontext besitzen und dass sie den Unterricht enorm bereichern können, da sie aufgrund ihrer medienspezifischen Besonderheiten eine andere Art der Wirklichkeitsdarstellung ermöglichen. Aufgrund des skizzierten Unterrichtsvorschlags mit philosophischem Unterbau offenbart sich den Schülerinnen und Schülern, dass Philosophie eine starke Alltagsrelevanz besitzt, da sich auch in Medien wie Videospielen philosophische Inhalte aufweisen lassen. Zusätzlich wurde herausgestellt, dass Videospiele durchaus in der Lage sind, auch komplexe (philosophische) Fragestellungen zu thematisieren und zu behandeln, ohne ihre Inhalte zu verfälschen. Dennoch steht die Forschung zu Videospielen im Unterricht und ihr Feldeinsatz im Unterricht noch in den Kinderschuhen. Es sollte deutlich geworden sein, dass sie ein reichhaltiges (Forschungs-) Feld beinhalten und enorme Potentiale für mehrere Fachbereiche darstellen. Dahingehende Bemühungen sind zwar zunächst noch Pionierarbeit, aber es besteht die Hoffnung, dass sich der Mut für die Erprobung von Neuem und Unbekanntem durchsetzt und der breit gefächerte Einsatz von Videospielen im Unterricht in absehbarer Zukunft kein Einzelfall mehr ist. Nicht nur die Schülerinnen und Schüler, sondern auch die Lehrkräfte können mit Sicherheit so manches lernen und mit Begeisterung an die Arbeit mit Videospielen gehen. Quelle: Heinrich, Jens: »Wie Videospiele den Philosophieunterricht bereichern können«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 37, 2015, Heft 4: Spielend philosophieren, S. 18–24 (vom Autor für diesen Band überarbeitet).
Digitale Spiele im Philosophieunterricht Ein (Bei-)Spiel für den Erstversuch Dominik Bleckmann
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igitale Spiele sind mittlerweile ein fester Bestandteil der Lebenswelt. Gleichwohl findet das Thema im Unterricht noch eine recht unausgereifte Beachtung – dies gilt ganz besonders für den Ethik- und Philosophieunterricht. Dabei gibt es eine ganze Reihe von Spielen, die geradezu dafür prädestiniert sind, dass man sie im Unterricht behandelt. Eines davon ist Drowning in Problems1 (im Folgenden: DiP), ein Spiel des amerikanischen Programmierers Markus Person alias Notch, der Urheber des bekannten und im Ausland ebenfalls im Unterricht verwendeten Spieles Minecraft.2 Neben einer Vorstellung des Spieles DiP legt der Verfasser dar, wie man digitale Spiele im Philosophieunterricht einsetzen kann.
Der Einsatz von digitalen Spielen im Philosophieunterricht Im Bereich Philosophie lassen sich vor allem die sogenannten serious games verwenden, welche eine ganze Bandbreite von lebensweltlich relevanten Themen problemorientiert aufbereiten. Dabei geht es explizit nicht um das Philosophieren über digitale Spiele, sondern um ein Philosophieren mit digitalen Spielen – was dem Unterricht durch den Spielvorgang Interaktivität verleiht. Der Vorteil einer Arbeit mit Digitalen Spielen besteht in erster Linie in der anschaulichen Darstellung von zumeist abstrakten Gedankenexperimenten. Dadurch, dass Schülerinnen und Schüler sich während des Spielens in konkreten (zuweilen ethisch relevanten) Entscheidungssituationen wiederfinden, werden sie zum Urteilen und Handeln herausgefordert. Auf diesem Wege gehen sie spielerisch mit philosophischen Problemstellungen um und reflektieren eigene Urteile sowie ihnen zugrundeliegende Einstellungen3 . Zudem können digitale Spiele helfen, den Umgang mit schwierigen Entscheidungen zu erlernen und den eigenen moralischen Kompass zu festigen4 .
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Vgl. Drowning in Problems, auf: http://game.notch.net/drowning/ (Stand: 06.02.2022). Vgl. Minecraft, auf: https://minecraft.net/ (Stand: 06.02.2022) und: Minecraft Education Edition, auf: http://minecraftedu.com/ (Stand: 06.02.2022). Vgl. Moralische Entscheidungen in Games, auf: Spieleratgeber NRW, auf: https://www.spieleratgeber-nrw.de/site.10/Moralische-Entscheidungen-in-Games.5033.de.1.html (Stand 06.02.2022). Vgl. Sind Computerspiele schlecht für das Gehirn?, auf: MDR Wissen, auf: https://www.mdr.de/ wissen/mensch-alltag/computerspiele-veraendern-gehirn-100.html (Stand: 06.02.2022).
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Mit Drowning in Problems über das Leben philosophieren Besonders limitierte Spiele5 eignen sich durch die Möglichkeit einer schnellen Einführung und eines relativ zügigen Durchspielens als Einstieg in ein Thema, als Ergänzung oder spielerischer Abschluss. Bei vielen browserbasierten serious games, so auch bei DiP, ist keine Installation notwendig, sodass man direkt in den Unterricht einsteigen kann: Man startet mit einem weißen Bildschirm, im Nichts. Dieses Nichts muss man überwinden, was im Spiel durch Klicken auf solve geschieht. Nach dem Nichts erwartet einen die eigene Nicht-Existenz, gefolgt von der Erlangung der Körperlichkeit und deren Belebung und somit der erste Schritt ins Leben. Es folgt die Geburt und die Möglichkeit der allmählichen Wissensaneignung; dies korreliert mit der Forschung zu Ungeborenen 6 . Alsbald geht es durch die verschiedenen Stadien der menschlichen Existenz, in welchen man diverse Hindernisse überwinden muss. Diese umfassen das Sammeln von Erfahrungen, das Erleben von Geborgenheit, Verlust, Arbeit und Gelderwerb, Stress, Freundschaft, Beziehungen, Eigentum und Lebensprojekten. Weiter muss der digitale Charakter scheitern, seine Anstrengungen intensivieren, einen Ambitionsverlust verkraften. Vor dem Ende spürt man das Gewicht des Lebens und Bitterkeit. Der nächste Schritt gesteht einem aber die Akzeptanz der Situation zu; dies ist der letzte Schritt, bevor man dem Tod gegenübertritt. Die im Spiel erfolgende Reduktion des Lebens auf wesentliche Elemente bringt eine scheinbar geringe Komplexität mit sich – dies erleichtert eine Auswertung des Spielgeschehens im Unterricht enorm. Die schlichte textbasierte Darstellung ohne grafische Untermalung ermöglicht eine Konzentration auf die wesentlichen Inhalte. So gelingt es durch den Einsatz von DiP beispielsweise, die Schülerinnen und Schüler für die Wahrnehmung zentraler Probleme des Lebens zu sensibilisieren sowie eine Perspektivübernahme einzufordern und trotz digitaler Distanz Empathie zu einem digitalen Charakter zu entwickeln, da man ihn zu jedem Zeitpunkt des virtuellen Lebens begleitet. DiP lässt sich im Rahmen des Unterrichts einsetzen, um wesentliche Probleme des Lebens mit den Schülerinnen und Schülern zu besprechen. Man kann beispielsweise darüber diskutieren, ob es realistisch und erstrebenswert ist, für bestimmte Lebensziele Freundschaften zu opfern. So fällt den Schülerinnen und Schülern bei DiP unweigerlich auf, dass sie Konzepte wie Familie und Freunde als Mittel zum Zweck einsetzen können, um etwa unter moralischer und ethischer Perspektive den Utilitarismus diskutieren zu können. Auch kann man die offensichtlichen Brüche und Auslassungen mit den Schülerinnen und Schülern diskutieren, um sie ähnlich der mäeutischen Methode zum Ziel
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Als »limitierte Spiele« bezeichnet man Spiele, die wenig Zeiteinsatz erfordern, aber dennoch zu den serious games gerechnet werden können. Sie benötigen keine Installation, sind kostenfrei und meist ohne Anmeldung im Browser spielbar. Vgl. Pauen, Sabina: Wie lernen Kleinkinder? Entwicklungspsychologische Erkenntnisse und ihre Bedeutung für Politik und Gesellschaft, auf: https://www.bpb.de/gesellschaft/bildung/zukunftbildung/256736/entwicklungspsychologie (Stand: 06.02.2022).
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zu führen. Ebenso wegweisend für den Philosophieunterricht ist die Frage nach dem Nutzen von Geldsystemen als erweitertem Tauschhandel. Dadurch, dass DiP stringent und doch limitiert in Darstellung und Verlauf ist, mag es düster und ausweglos auf die Spielerin bzw. den Spieler wirken, doch gerade das kann als Reflexionsanlass dienen.
Drowning in Problems im Unterricht DiP lässt sich z. B. in den Themengebieten »Lebensphasen«, »Glück«, »Determinismus« oder »Glaube« einsetzen. Wie man das Spiel nutzen kann, soll hier aber am Beispiel des Themas »Freiheit« verdeutlicht werden: Die Schülerinnen und Schüler werden mit dem tristen Ablauf des Spieles DiP konfrontiert und sollen konkrete Ergänzungen und Veränderungen zu einem individuell idealen Leben vorschlagen. In einem weiteren Schritt bedenken sie ihre eigene Lebensplanung, benennen Ziele und überlegen, wie sie sie erreichen könnten. Dadurch lernen sie an dem in DiP dargestellten, wohl nicht erstrebenswerten Lebenslauf, ihren eigenen Lebenslauf zu reflektieren und sich gegebenenfalls neue Ziele und Herausforderungen zu setzen. Zusätzlich soll sich die Wahrnehmung bezüglich der Charakterisierung als bloßes Spiel erweitern und zur Akzeptanz alternativer Lehr- und Lernmethoden beitragen. Nicht nur durch die globale Pandemie der letzten Jahre darf bezüglich digitaler Lernwelten auch in den kommenden Jahren mit einem steten Zuwachs gerechnet werden7, sondern es ist auch zu erwarten, dass die Grenze zwischen realer und digitaler Welt in Zukunft immer weiter verschwimmen wird 8 . Zunächst richten sich die Spielerinnen und Spieler ihren »Arbeitsplatz« spielbereit ein. Sie stellen Ziele zusammen, die sie momentan haben, und solche, von denen sie erwarten, sie in Zukunft zu haben. Zudem evaluieren sie gemeinsam, wie diese Ziele entstehen und ob sie persönlich, familiär, gesellschaftlich, kulturell oder anderweitig bestimmt werden. Am Ende ihrer jeweiligen Spielphase, die ungefähr 25 Minuten dauern wird, fertigen die Schülerinnen und Schüler von ihrem erarbeiteten Ergebnis einen Screenshot zur späteren Auswertung an.9 Nachdem alle Schülerinnen und Schüler das Spiel mindestens einmal durchlaufen haben, erhalten sie fünf Minuten Zeit, um ihre Eindrücke zu sammeln. Hier sollten die Schülerinnen und Schüler besonders vermerken, was sie in der Spieldar
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Vgl. Digitales Lernen nimmt stark zu. 59 % der 10- bis 15-Jährigen nutzten im ersten Quartal 2020 Lernplattformen (erstes Quartal 2019: 8 %), Pressemitteilung vom 08. Dezember 2020, auf: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/12/PD20_N081_63.html (Stand: 06.02.2022). Vgl. Cole, Tim: Digital oder virtuell – es ist doch eine Welt, Artikel vom 01. September 2013, auf: http://www.cole.de/digital-oder-virtuell-es-ist-doch-eine-welt/ (Stand: 06.02.2022). Dadurch, dass alle Errungenschaften nach dem virtuellen Tod gelöscht werden, muss der Screen shot vorher festgehalten werden. Der folgende Spielablauf kann bei gleichzeitiger Besprechung gemeinsam am Whiteboard erfolgen.
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stellung generell in Bezug auf das Leben an sich vermisst haben. Dies kann per Meldung und anhand eines Tafelbildes erfolgen oder auch stichpunktartig, um eine Diskussion anzustoßen. In der Besprechung wären unter anderem folgende Lehrerimpulse denkbar:
Nehmt Stellung zu der Frage, ob das in DiP dargestellte Leben erstrebenswert ist. Erläutert, inwiefern der zu spielende Charakter frei oder glücklich sein kann. Benennt, was ihr als wichtig bewertet, was aber nicht dargestellt wurde. Erläutert, inwiefern man bei einigen Errungenschaften im Spiel von Glück sprechen kann. Nennt weitere digitale Spiele, die ebenfalls ein virtuelles Leben darstellen. Beschreibt, welche Möglichkeiten sich dort bieten und wie ihr euch in solchen Spielen verhaltet10 . Erläutert, ob ihr versucht habt, das Spiel zu »prägen«, oder ob ihr einfach gespielt und gewartet habt, was auf euch zukommt. Stellt dar, welches Gefühl ihr bei der Darstellung der Bereiche vor »dem Leben« im Spiel hattet, wie ihr die unausweichliche Abfolge von Lebenszuständen bewertet, ob man aus dem vorgeschriebenen Ablauf seines Lebens ausbrechen kann und wer den Ablauf (m) eines Lebens bestimmt. Nach dieser Auswertung bietet sich eine Gruppenarbeitsphase mit anschließender Reflexion an. Für die Gruppenarbeitsphase sollte man die Schülerinnen und Schüler in fünf Gruppen einteilen. Jede Gruppe setzt sich mit einem der folgenden Aspekte auseinander: a) Betrachtung der spirituellen Ebenen des Spieles (vor der Geburt und nach dem Tod); b) Betrachtung der notwendigen Bedingungen für das Älterwerden; c) Betrachtung der Jugendjahre hinsichtlich Perspektive und Einflussnahme; d) Betrachtung der letzten Jahre und des Todes hinsichtlich Perspektive und Einflussnahme; e) Aufbau des Spieles (Grafik, Textgestaltung, Darbietung). Alle Gruppen erhalten ein Arbeitsblatt mit spezifischen Fragen. Besonders die letzte Gruppe soll sich mit der Frage beschäftigen, ob das Spiel DiP das Leben angemessen darstellt oder eine dystopische Betrachtung des Lebens ist. Ein besonderer Schwerpunkt liegt bei allen Aufgaben auf der Übernahme verschiedener Blickwinkel, um die Schülerinnen und Schüler für den Umgang mit anderen Lebensweisen und Erwartungen zu sensibilisieren.
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Beispiele für eher Action-lastige Spiele mit weitreichenden Entscheidungsoptionen finden sich auf: DE.Philosophicalgamer: Top 7 … Spiele voller unmöglicher Entscheidungen, auf: https:// de.philosophicalgamer.com/eigenschaften/top-7-spiele-voller-unmoglicher-entscheidungen. html (Stand 06.02.2022).
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Gruppe A (Betrachtung der spirituellen Ebenen des Spieles): 1. Stellt dar, welche Religionen ihr mit der Darstellung des Nichtgeborenseins und der Existenz nach dem Tod verbindet. 2. Wenn eure Ansichten divergieren, versucht trotzdem, euch die Möglichkeit dieser Existenzebenen vorzustellen. Welches Gefühl habt ihr dabei? 3. Erläutert, ob die Charakterentstehung wichtig für das Spiel und den Spieltitel ist. Weckt das »Erleben des Lebens« die Identifikation mit dem fiktiven Charakter? Begründet eure Auffassung.
Gruppe B (Betrachtung der notwendigen Bedingungen für das Älterwerden): 1. Erläutert, ob die Bedingungen nachvollziehbar sind. 2. Stellt dar, ob die Schritte sinnvoll gegliedert sind. 3. Versetzt euch in die Position eines Millionärs, eines Obdachlosen und eines Flüchtlings und überlegt euch deren Reaktionen und Erwartungen hinsichtlich eines solchen Lebenslaufes.
Gruppe C (Betrachtung der Jugendjahre hinsichtlich Perspektive und Einflussnahme): 1. Erläutert, ob die Bedingungen nachvollziehbar sind. 2. Stellt dar, ob die Schritte sinnvoll gegliedert sind. 3. Versetzt euch in die Lage von Personen aus eurem Umfeld. Stellt dar, wie diese reagieren würden, wenn sie für euch nur Mittel zum Zweck wären (z. B. um Erfahrungen zu sammeln).
Gruppe D (Betrachtung der letzten Jahre und des Todes hinsichtlich Perspektive und Einflussnahme): 1. Erläutert, ob man wissen kann, was einen mit Eintritt des Todes erwartet. 2. Erörtert, ob der Tod unausweichlich ist. 3. Versucht euch in eine Person hineinzuversetzen, die sich ihrem Lebensabend nähert, und stellt dar, welche Erwartungen ihr an das Verhalten dieser Person habt.
Gruppe E (Aufbau des Spieles): 1. Erläutert, ob die fehlende grafische Unterstützung eher hilfreich oder hinderlich ist. 2. Stellt dar, wie ihr die einzelnen Spielschritte grafisch unterlegen würdet. 3. Unterbreitet Vorschläge, wie man das Spiel erweitern könnte, wenn man seinen Titel von Drowning in Problems zu Lebensperspektiven ändern würde. In der Reflexionsphase der Stunde werten die Schülerinnen und Schüler die Ergebnisse der Gruppen zunächst durch eine Placemat-Neugruppierung aus und verschriftlichen sie. Hierbei soll der Fokus besonders auf dem Aspekt der Freiheit
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liegen. Abschließend sollen die Schülerinnen und Schüler noch einmal ihre Erwartungen an ein gelingendes und zufriedenes Leben darstellen. Zusätzlich kann die Lehrerin bzw. der Lehrer die Frage stellen, ob und inwiefern DiP zum Nachdenken angeregt, für das eigene Leben mehr Initiative zu ergreifen, statt sich von den Umständen bestimmen zu lassen.
Fazit Digitale Spiele im Allgemeinen und vor allem kurze browserbasierte Spiele wie DiP lassen sich gut in ein modernes Unterrichtsumfeld einbinden, ergänzen Lernmethoden wie Comicstrips, Filmausschnitte oder Rollenspielsituationen und können diese sogar oftmals in einem Medium zusammenfassen. Eine intensive Nachbesprechung von DiP ist jedoch zeitnah zwingend notwendig, da einige Schülerinnen und Schüler vor allem das Ende des Spieles als pessimistisch und bedrückend empfinden könnten. Dies liegt zum einen an der für Spiele immer noch weitgehend eher ungewöhnlichen Unvermeidbarkeit des Todes11 und zum anderen an der im Spiel neutral gehaltenen Formulierung der positiven Lebenselemente. Manch einer wird daher die kapitalistische Grundstruktur kritisieren, andere wiederum werden eine Familie oder liebgewonnene alltägliche Betätigungen vermissen. Die meisten Schülerinnen und Schüler sind aber dazu in der Lage, Verbesserungsvorschläge sowohl für das Spiel als auch für ihre persönlichen Entscheidungen abzuleiten. Darüber hinaus hilft das Spiel sich unbefangen auf den Tod einzulassen (nämlich über eine dritte Person), einen fiktiven Lebensablauf mit Vorund Nachteilen zu reflektieren und sich mit philosophischen Fragen unterschiedlichster Prägung auseinanderzusetzen. Anhand des verwendeten Beispiels kann man erkennen, dass die Schülerinnen und Schüler einen Lernzuwachs verzeichnen können. Zudem sind durch die leichte Zugänglichkeit des Spiels keine zusätzlichen Unterrichtseinheiten – etwa zur Einführung in das Spiel selbst – erforderlich. Den zeitlichen Aspekt führen Kritiker von digitalen Spielen als Unterrichtsmedium gerne als Nachteil an. Dabei gibt es eine große Bandbreite philosophischer Themen, die in digitalen Spielen Verwendung finden, sodass diese Spiele oftmals einen Gewinn für den Philosophieunterricht darstellen. Sie sind nicht nur eine weitere Quelle für philosophische Theorien oder Positionen, sondern machen durch das notwendige eigenverantwortliche Handeln den Unterricht (noch) interessanter. Quelle: Bleckmann, Dominik: »Computerspiele im Philosophieunterricht. Ein (Bei-)Spiel für den Erstversuch«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 37, 2015, Heft 4: Spielend philosophieren, S. 68–72.
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Diese wird alleine durch die Möglichkeit, einen vorherigen Spielstand zu laden, in den meisten Games negiert, um somit verschiedene Erfahrungen in vergleichbaren Situationen machen zu können oder sich taktisch, strategisch oder moralisch zu verbessern.
Philosophieren mit digitalen Spielen Leif Marvin Jost Einleitung: digitale Medien im Diskurs »Die digitale Bildung wird eines der vorrangig wichtigen Themen der Bildung in der Zukunft sein«1, konstatiert das Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen. Aufgabe aller Institutionen im Bereich Schule ist es, »Schülerinnen und Schüler zu einer verantwortungsvollen Nutzung der digit alen Medien zu befähigen« 2 und digitale Medien in den Schulalltag zu integrieren. 3 Mit dem Beschluss Bildung in der digitalen Welt der Kultusministerkonferenz im Dezember 2016 haben sich »alle Länder auf einen gemeinsamen Kompetenzrahmen im Umgang mit Medien verständigt« 4 und dazu verpflichtet, »dafür Sorge zu tragen, dass alle Schülerinnen und Schüler, die zum Schuljahr 2018/2019 in die Grundschule eingeschult werden oder in die Sekundarstufe I eintreten, bis zum Ende ihrer Pflichtschulzeit die in diesem Rahmen formulierten Kompetenzen erwerben können.« 5 Vor diesem Hintergrund setzt sich auch die Fachdidaktik Philosophie vers tärkt mit der Thematik auseinander, was sich einerseits anhand zahlreicher jüngster Publikationen, z. B. anhand des Themenhefts »Mit digitalen Medien unterrichten« der Ethik und Unterricht 1/2019, der Ausgabe »Medienalltag – Allt agsmedien« der Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 1/2019 oder des Jahrbuchs »Digital total?«, andererseits aber auch mit Blick auf fachdidaktische Tagungen, z. B. »Geist im Netz? Chancen und Gefahren von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz« im November 2019 an der Universität Duisburg-Essen 6 , belegen lässt. In Hinsicht auf die konkrete Unterrichtspraxis gilt es dabei vorrangig zu klären, wie »Philosophieunterricht unter den Bedingungen der digital-mediatisierten Welt« 7 zu gestalten ist und »welche Rolle und Funktion digitalen Medien im Philosophieunterricht zuge-
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Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen: Medien, auf: https://www. schulministerium.nrw.de/Schulsystem/Medien/index.html (Stand: 29.04.2020). Ebd. Vgl. ebd. Ebd. Ebd. Vgl. Woeller, Christiane; Jost, Leif Marvin: »›Geist im Netz? Chancen und Gefahren von Digi talisierung und künstlicher Intelligenz‹ (Tagungsbericht)«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 42, 2020, Heft 3: Lesestrategien, S. 121–122. Rath, Matthias; Marci-Boehncke, Gudrun: »Philosophieunterricht unter den Bedingungen der digital-mediatisierten Welt«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 42, 2019, Heft 1: Medienalltag – Alltagsmedien , S. 6–15.
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sprochen werden«. 8 Dabei stellt »entgegen einer gängigen Medienskepsis die alltägliche Nutzung von Medien [...] nicht nur ein Faktum, sondern zugleich eine Unausweichlichkeit [dar]« 9 , welche Philosophielehrerinnen und -lehrern in ihrer Unterrichtspraxis tagtäglich begegnet.
Videospiele als Phänomen der Lebenswelt Weitestgehend unberücksichtigt innerhalb des aktuellen Diskurses bleibt jedoch die Auseinandersetzung mit digitalen Spielen im Fachunterricht, obwohl diese eine herausragende Rolle in der Freizeitgestaltung der Jugendlichen einnehmen und die grundlegende Möglichkeit beherbergen, philosophische Bildungsprozesse ausgehend von den Lebenswelterfahrungen der Schülerinnen und Schüler zu initiieren. So attestiert z. B. die JIM-Studie 2019, eine Untersuchung des medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest, ganz grundlegend: »Digitale Spiele haben einen festen Platz im Medienalltag der 12- bis 19-Jährigen.«10 Genauer betrachtet spielen 80 % der Jungen und 44 % der Mädchen regelmäßig Videospiele, d. h. tagtäglich oder mindestens mehrmals pro Woche – und die Tendenz steigt.11 Die durchschnittliche Spieldauer der Jugendlichen beläuft sich dabei unter der Woche auf 81 Minuten pro Tag, bei Jungen sogar auf durchschnittlich 116 Minuten pro Tag. Nur 13% aller Probanden »spielen nie digital«12 , was umgerechnet auf eine durchschnittliche Schulklasse bedeutet13 , dass nur zwei bis drei unter ihnen keine direkten Er fahrungen mit Videospielen haben. Andererseits spielen ein Drittel der 12- bis 19-Jährigen jeden Tag Videospiele. Dabei geben 8 % der Jugendlichen an, beim Spielen bereits aus Versehen etwas gekauft oder abonniert zu haben, und laut der Studie erhöht ein formal niedriger Bildungshintergrund das Risiko, »in einem Spiel in eine Kauf- oder Abofalle zu tappen.«14 Hinsichtlich der grundlegenden Nutzung digit aler Spiele besteht jedoch kein signifikanter Unterschied zwischen den Schulformen, und »die Begeisterung für digitale Spiele geht mit dem Alter der Jugendlichen nur leicht zurück.«15 Des Krommer, Axel: »Philosophiedidaktik und digitale Medien. Eine kritische Bestandsaufnahme«, in: Ethik & Unterricht 30, 2019, Heft 1: Mit digitalen Medien unterrichten, S. 4–7. 9 Rath, Matthias; Marci-Boehncke, Gudrun: »Philosophieunterricht unter den Bedingungen der digital-mediatisierten Welt«, a. a. O., S. 6. 10 Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest: JIM-Studie 2019. Jugend, Information, Medien, Basisuntersuchung zum Medienumgang 12–19-Jähriger, S. 44, auf: https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/JIM/2019/JIM_2019.pdf (Stand: 28.04.2020). 11 Vgl. ebd., S. 12–14. 12 Ebd., S. 44. 13 Vgl. Statistisches Bundesamt: Schulen auf einen Blick, 2018, S. 40, auf: https://www.statistischebibliothek.de/mir/servlets/MCRFileNodeServlet/DEHeft_derivate_00035140/ (15.09.2020); dort auf: Schulen_auf_einen_Blick_2018_Web_bf.pdf (Stand: 15.09.2020). 14 Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest: JIM-Studie 2019. Jugend, Information, Medien, Basisuntersuchung zum Medienumgang 12–19-Jähriger, a. a. O., S. 48. 15 Ebd., S. 44. 8
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Weiteren fällt auf, dass sich über die Hälfte der Jungen regelmäßig, d. h. täglich oder mehrmals pro Woche, auf YouTube sogenannte »Let’s-Play«-Videos ansieht, in denen sie anderen Spielern beim »Gaming« zusehen, und dass mit 34% das digitale Spielen den größten Umfang ihrer gesamten Online-Nutzung einnimmt. Grundlegend beschreibt die Forschung zwar, dass Jungen »eine deutlich höhere Spielaffinität als Mädchen«16 zeigen, jedoch spielen auch 60% der Mädchen mindestens alle zwei Wochen digital. Während der Schulschließung im März und April 2020 – so die JIM plus 2020 Corona-Zusatzuntersuchung17 – nutzten 35 % der Jungen (fast) täglich digitale Spiele alleine. 35 % der Jungen gaben an, Videospiele (fast) tagtäglich mit Freunden zu spielen und 15 % spielten (fast) jeden Tag digital mit ihren Eltern oder Geschwistern. Auffällig ist darüber hinaus, dass 36% aller Befragten – bei Jungen sogar 57 % – Computerspiele bzw. das sogenannte »Teamspeak« dazu verwendeten, um Kontakt zu ihren Freunden zu halten.
Überblick Forschungsfeld: Videospiele im Philosophieunterricht Vereinzelte Vorschläge, wie Videospiele im Philosophieunterricht genutzt werden können, unterbreiteten Fachdidaktiker bereits vor 14 Jahren. So schlägt etwa Michael Nagenborg 2006 vor, »Computerspiele als Gegenstand der Angewandten Ethik«18 im Fachunterricht zu betrachten, und beleuchtet u. a. deren Gefahrenpotential. Felix Lund dokumentiert im selben Jahr über die Durchführung einer problem- und handlungsorientierten Unterrichtsreihe, in der die Schülerinnen und Schüler eine »philosophische Reflexionskompetenz zu Computerspielen«19 entwickeln und »ethische und erkenntnistheoretische Fragen zu Computerspielen theoretisch wie praktisch« 20 bearbeiten. Etwa zehn Jahre später erhält die Thematik erneute Aufmerksamkeit, als die ZDPE 4/2015 mit Jens Heinrichs »Wie Videospiele den Philosophieunterricht bereichern können?« 21, Dominik Bleckmanns »Computerspiele im Philosophieunterricht - Ein (Bei-)Spiel für den Erstversuch« 22 und Tobias Ebd. Vgl. Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg (LFK) und Südwestrundfunk (SWR): JIMplus 2020. Lernen und Freizeit in der Corona-Krise, S. 18 ff., auf: https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/JIM/JIMplus_2020/JIMplus_2020_Corona.pdf (Stand: 10.05.2020). 18 Nagenborg, Michael: »Computerspiele als Gegenstand der Angewandten Ethik«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 28, 2006, Heft 3: Medienethik, S. 197–208. 19 Lund, Felix G.: »Medienethik: Schüler entwickeln eine philosophische Reflexionskompetenz zu Computerspielen«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 28, 2006, Heft 3: Medienethik, S. 209–212. 20 Ebd., S. 209. 21 Heinrich, Jens: »Wie Videospiele den Philosophieunterricht bereichern können«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 37, 2015, Heft 4: Spielend philosophieren, S. 18–24. 22 Bleckmann, Dominik: »Computerspiele im Philosophieunterricht. Ein (Bei-)Spiel für den Erstversuch«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 37, 2015, Heft 4: Spielend philosophieren, S. 68–72. 16 17
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Woschs »Every day the same dream - eine Doppelstunde im Philosophieunterricht mit einem Computerspiel« 23 gleich drei Beiträge über theoretische Grundlagen sowie praktische Anwendungsbeispiele veröffentlicht. Nicht zuletzt präsentiert Maria Donick im Folgejahr in der Praxis Philosophie und Ethik eine Unterrichtseinheit zur Problemfrage, inwiefern sich PC-Wirklichkeit und Realität unterscheiden. 24
Erster Ansatz: Methodik des Philosophierens mit Videospielen Ausgehend von der aktuellen Debatte und dem bisherigen Forschungsstand wird im Folgenden ein erster Entwurf vorgestellt, wie Videospiele systematisch im Philosophieunterricht genutzt werden können. Als Ausgangspunkt fungiert dabei die Methodik des Philosophierens mit Filmen25 , welche strukturell auf das digitale Medium übertragen wird. Erklärtes Ziel ist es, eine mediumadäquate, fachspezifische und situative Nutzung von Videospielen im Fachunterricht zu ermöglichen.
Videospielspezifische Ebenen Analog zur Filmarbeit im Fachunterricht bieten sich folgende drei Ebenen für eine Auseinandersetzung mit Videospielen an: 1. Videospielinhalt: Fokussiert wird auf das Sujet des Spiels. Dies können sowohl die Story, das Thema oder der Plot eines konkreten Videospiels sein, aber auch philosophische Fragestellungen, die im Spielverlauf aufgeworfen werden, oder moralische Handlungsentscheidungen, die vom Spieler getroffen werden müssen. 26 2. Videospieltechnik: Im Zentrum der Auseinandersetzung stehen die mediumspezifischen Mittel der Sinnstiftung eines Spiels. Betrachtet werden dabei nicht nur die grundlegende, d. h. (programmier-)technische Gestaltung, sondern auch alle weiteren umsetzungsbezogenen Aspekte wie z. B. lnteraktionsmöglichkeiten oder die grafische Realisierung. 3. Videospielphilosophie: Diese Ebene ist als Subdisziplin der Medienphilosophie zu begreifen, in welcher das Medium per se zum Objekt einer philosophischen Reflexion avanciert. So gilt es, sich den Spezifika des Mediums anzunähern sowie die philosophische Bedeutung des Mediums zu konturieren.
Wosch, Tobias: »›Every day the same dream‹ – eine Doppelstunde Ethikunterricht mit einem Computerspiel«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 37, 2015, Heft 4: Spielend philosophieren, S. 73–78. 24 Vgl. Donick, Mario: »Wie unterscheiden sich PC-Wirklichkeit und Realität?«, in: Praxis Philosophie und Ethik 2, 2016, Heft 2: Arbeit und Spiel, S. 25 - 31. 25 Jost, Leif Marin: Methodik des Philosophierens mit Filmen. Mediumadäquate, fachspezifische und situative Filmarbeit im Philosophieunterricht, Philosophie und Bildung, Bd. 19, LIT Verlag, Berlin 2017. 26 Die Begriffe »Spieler« und »Spielerin« werden nicht geschlechtsspezifisch verwendet. 23
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Fachspezifische Methoden Zu diesen drei videospielspezifischen Ebenen werden nun fachmethodische Zugänge angeboten. Als Grundlage hierfür dient das Integrative Methodenparadigma von Ekkehard Martens, dessen fünf Methoden »mit einer gewissen Plausibilität als vollständige Beschreibung philosophischer Methodenkompetenz«27 gelten. Sie sind curricular wirkkräftig28 , bereits gegenwärtig kanonisch29 und sichern die Fachspezifik der Methodik:30 1. phänomenologische Methode: »differenziert und umfassend beschreiben, was ich selber wahrnehme und beobachte«, 31 2. hermeneutische Methode: »das eigene Vorverständnis bewusstmachen sowie (nicht nur) philosophische Texte lesen«, 32 3. analytische Methode: »die verwendeten zentralen Begriffe und Argumente hervorheben und prüfen«, 33 4. dialektische Methode: »ein (mündliches oder schriftliches) Dialogangebot wahrnehmen, auf Alternativen/Dilemmata zuspitzen und abwägen«, 34 5. spekulative Methode: »Phantasien und Einfälle zulassen und betrachten«. 35 Martens Methodik ist induktiv, indem die fünf zunächst alltagsweltlichen Prak tiken »›Etwas wahrnehmen können‹, ›Jemanden verstehen können‹, ›Argumente und Begriffe klären können‹, ›Auseinandersetzungen führen können‹, ›Einfälle haben können‹« 36 auf das »Niveau systematischer und reflektierter Methodizität« 37 zu heben sind. Dabei bilden die fünf Methoden in ihrer Praxis eine Einheit: »Die verschiedenen Methoden stehen nicht nebeneinander, sondern sind von vornhinein miteinander vernetzt [...]. Zwar können einzelne Methoden hervorgehoben werden [...], sie stützen und ergänzen sich aber gegenseitig« 38 , sodass philosophiMartens, Ekkehard: »Wozu Philosophie in der Schule«, in: Meyer, Kirsten (Hrsg.): Texte zur Didaktik der Philosophie, UB 18723, Philipp Reclam jun., Stuttgart 2010, S. 156–172, hier S. 162. 28 Vgl. Albus, Vanessa: Kanonbildung im Philosophieunterricht. Lösungsmöglichkeiten und Aporien, Thelem, Dresden 2013, S. 526. 29 Vgl. ebd., S. 575. 30 Eine ausdifferenzierte Auseinandersetzung mit den fünf Methoden leistet etwa Jost, Leif Marvin: Methodik des Philosophierens mit Filmen, a. a. O., S. 253–256. 31 Martens, Ekkehard: Methodik des Philosophie- und Ethikunterrichts. Philosophieren als elementare Kulturtechnik, Siebert Verlag, Hannover 2003, S. 56. 32 Ebd. 33 Ebd. 34 Ebd. 35 Ebd. 36 Steenblock, Volker: Philosophische Bildung. Einführung in die Philosophie-Didaktik und Handbuch: Praktische Philosophie, Münsteraner Einführungen – Münsteraner Philosophische Arbeitsbücher, Bd. 1, LIT Verlag, Münster 62012, S. 141. 37 Ebd., S. 139. 38 Martens, Ekkehard: Methodik des Philosophie- und Ethikunterrichts. Philosophieren als elementare Kulturtechnik, a. a. O., S. 55.
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sche Bildungsprozesse »durch die Vernetzung differenter methodischer Zugänge initiiert« 39 werden.
Lehr-Lern-Situation Sowohl die Konnexion der fünf fachspezifischen Methoden als auch deren Anwendung auf die drei videospielspezifischen Ebenen ist dabei in Abhängigkeit von der konkreten unterrichtlichen Lehr-Lernsituation auszugestalten. Wie auch die Methodik des Philosophierens mit Filmen steht das hier entfaltete Philosophieren mit Videospielen demnach unter dem Signum der dialogisch-pragmatischen Philosophiedidaktik von Ekkehard Martens, infolgedessen Philosophieren als ein gemeinsamer, problemorientierter Verständigungsprozess begriffen wird40: »Dies bedeutet, dass die Situation gemeinsamer dialogischer Verständigung in Lernen und Lehren für alles Philosophieren von Anfang an konstitutiv ist und es keine ›objektiven‹ Gehalte vor und außerhalb dieser konstitutiven Situation gibt.« 41 Im Mittelpunkt des Ansatzes stehen insbesondere die fachdidaktischen Prinzipien des kantischen Selbstdenkens sowie der Problemorientierung am lebensweltlichen, aktuellen Handlungsfeld der Schülerinnen und Schüler. 42 Dies dient dem Ziel, dass die Jugendlichen »ihre eigene Situation besser verstehen und mitprägen können« 43 , demzufolge das »philosophierende Bildungssubjekt sowohl Ausgangs- als auch Zielpunkt des Ver ständigungsprozesses« 44 darstellt.
Zusammenführung Konkret für eine Methodik des Philosophierens mit Videospielen bedeutet dies, dass a) ausgehend von der spezifischen Unterrichtssituation b) eine oder mehrere videospielspezifische Ebenen sowie c) die fachdidaktischen Methoden frei ausgewählt werden können. Dementsprechend wäre es möglich, in einer Jahrgangsstufe sechs – analog zum Vorschlag von Nagenborg – eine Debatte über die Problemfrage, ob Computerspiele süchtig machen, zu führen und eine Selbstreflexion über den eigenen Videospielkonsum anzustreben, was als Anwendung der dialektischen Methode auf die Ebene Videospielphilosophie zu verstehen ist. In einer Jahrgangsstufe 10 hingegen wäre es denkbar, ausgehend von der Problemfrage »Wie wirklich ist die Wirklichkeit?« verschiedene Wirklichkeitsbegrifflichkeiten gegenüberzustellen und – in Anlehnung an den Vorschlag von Donick – die Begriffe »PC-Wirklichkeit« und »Realität« vor dem Hintergrund des Konstruktivismus zu unterscheiden, was
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Leif Marvin: Methodik des Philosophierens mit Filmen, a. a. O., S. 256. Martens, Ekkehard: Dialogisch-pragmatische Philosophiedidaktik, Hermann Schroedel Verlag KG, Hannover/Dortmund/Darmstadt/Berlin 1979, S. 68. Steenblock, Volker: Philosophische Bildung. Einführung in die Philosophie-Didaktik und Handbuch: Praktische Philosophie, a. a. O., S. 30. Vgl. Leif Marvin: Methodik des Philosophierens mit Filmen, a. a. O., S. 58 ff. Martens, Ekkehard: Dialogisch-pragmatische Philosophiedidaktik, a. a. O., S. 39. Leif Marvin: Methodik des Philosophierens mit Filmen, a. a. O., S. 59.
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Philosophieren mit digitalen Spielen
primär als analytische und hermeneutische Auseinandersetzung im Bereich der Videospielphilosophie sowie ggf. der Videospieltechnik auszuweisen ist. Die von Wosch empfohlene Arbeit an dem Computerspiel Every Day the Same Dream, welche u. a. die Fragen »Was habe ich gesehen?« 45 und »Wie habe ich mich beim Spielen gefühlt?« 46 umfasst, aber auch Aufgaben zur »Farbgestaltung, Detailreichtum und Soundtrack« 47 beinhaltet, ist demnach als phänomenologischer Zugang zum Spielinhalt sowie zur Spieltechnik zu begreifen.
Videospielinhalt HM
Videospieltechnik
AM
DM Videospielphilosophie
SM Konkrete Lehr-Lernsituation
Abb. 1: Visualisierung eines Unterrichtsvorhabens in Anlehnung an Donick entsprechend der Methodik des Philosophierens mit Videospielen.48
Um jedoch nicht nur bereits artikulierte Unterrichtsideen innerhalb der Metho dik zu verorten, sondern darüber hinaus weitere Arbeitsweisen mit Videospie len aufzuzeigen, werden im Folgenden die drei videospielspezifischen Ebenen differenzierter betrachtet. 49
Wosch, Tobias: »›Every day the same dream‹ – eine Doppelstunde Ethikunterricht mit einem Computerspiel«, a. a. O., 76. 46 Ebd. 47 Ebd. 48 Donick, Mario: »Wie unterscheiden sich PC-Wirklichkeit und Realität?«, a. a. O. 49 Grundlegend ist darauf hinzuweisen, dass die drei videospezifischen Ebenen nicht isoliert voneinander koexistieren, sondern rhizomatisch miteinander in Bezug stehen, vgl. Jost, Leif Marvin: Methodik des Philosophierens mit Filmen, a. a. O., S. 107–117. 45
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Videospielinhalt Um sich mit dem Sujet eines konkreten Videospiels auseinanderzusetzen, kann dieses a) wie im Unterrichtsentwurf von Wosch gezeigt von allen Schülerinnen und Schülern etwa im Computerraum selbst gespielt werden oder b) von jemandem »vorgespielt« werden, während sich die restliche Klasse z. B. entlang entsprechender Beobachtungsaufträge Notizen erstellt. Sollte das Spielen per se hinsichtlich des Unterrichtsziels nicht relevant sein, wenn also z. B. nicht die evozierten Gefühle, das Zeitempfinden o. Ä. reflektiert werden sollen, eignet sich c) die Nutzung von »Let’sPlay«-Videos, die der Lerngruppe bereits aus ihrer Lebenswelt bekannt sind, sowie d) der Einsatz von Screenshots. Grundlegend ist dabei anzumerken, dass je nach Spiel und Zielsetzung des Unterrichts sowohl exemplarische Spielsequenzen als auch volls tändige Spielverläufe untersucht werden können.
Sofies Welt Insbesondere für den Einsatz in der Sekundarstufe I bietet sich das genuin philosophische Computerspiel »Sofies Welt« an, in welchem der Spieler in die Welt des gleichnamigen Romans von Jostein Gaarder eintaucht und an philosophische Fragestellungen herangeführt wird. Volker Steenblock konstatiert: »Die interaktive Spiel-CD ›Sofies Welt‹ enthält – bis heute praktisch einzigartig – neben Bildern und Texten zu Philosophen, Literaturangaben, Videosequenzen und philosophische Rätsel. In Bildern und Texten werden geboten: die ›großen Fragen‹ der Philosophie, acht zentrale Epochen, 28 herausragende Philosophen und ›interaktiv‹ kann man entscheiden, wo das ›philosophische Denkabenteuer‹ weitergeht«. 50 Besonders herauszustellen ist dabei die »Philosophiekarte«, auf welcher »man die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Philosophen und den Epochen erkennen [kann]« 51, sodass sich das Computerspiel auch reihenübergreifend dazu eignet, den Lernprozess einer Klasse zu begleiten.
Lernspiele Für den Einsatz in der Erprobungsstufe ist das explizit für den Unterricht ent worfene Multimedianagebot von Planet Schule (WDR und SWR) zu empfehlen, welches kurze digitale Spiele z. B. hinsichtlich der Themen »Arbeits- und Berufswelt«, »Zeitmanagement« oder »Farbwahrnehmung« beinhaltet und zur kostenfreien Nutzung zur Verfügung steht. 52 So simuliert bspw. das interaktive Lernspiel zum »Zeitmanagement« einen Tagesablauf, in dem mehrere Aufgaben zu erfüllen sind (u. a.
Steenblock, Volker: Philosophische Bildung. Einführung in die Philosophie-Didaktik und Handbuch: Praktische Philosophie, a. a. O., S. 167–168. 51 …: Im Test: Sofies Welt. Die CD-ROM, auf: https://www.unim uenster.de/Medienpaedagogik/lesenswertes/software/sofieswelt.htm Stand: 06.05.2020). 52 Vgl. Planet Schule: Startseite, auf: https://www.planet-schule.de/ (Stand: 06.05.2020).
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Hausaufgaben machen, für eine Prüfung lernen, Freunde treffen). Der Spieler muss diese in Form von Multiple-Choice- Auswahlmöglichkeiten hierarchisieren, sodass das pädagogische Ziel darin besteht, »mit sich und seiner Arbeit zufriedener zu sein« 53 und »Zeit richtig einzuteilen und effizient zu nutzen« 54 : Denn »je nachdem, wie man sich entscheidet, verläuft der Tag unterschiedlich. Hat man den Tagesablauf durchgespielt, erhält man ein ausführliches Feedback und Tipps zum strategischen Umgang mit Zeit«. 55 Die Simulation sowie die Rückmeldungen lassen sich anschließend auf die authentischen Tagesabläufe der Lerngruppe übertragen, sodass sie in pragmatischer Hinsicht »ihre eigene Situation besser verstehen und mitprägen können«. 56
Philosophische Deutung singulärer Spielinhalte Jenseits dieser Lernspiele werden philosophische Thematiken in unzähligen digitalen Spielen verhandelt. So finden sich in der von William lrwin herausgegebenen Blackwell Philosophy and Pop Culture Series mittlerweile ganze Sammelbände z. B. zu The Legend of Zelda, BioShock oder Final Fantasy, wobei sowohl singuläre Inhalte fachspezifisch analysiert – z. B. »Free Will and Moral Responsibility in BioShock lnfinite« 57, »The Value of Art in BioShock« 58 oder »BioShock’s Meta-Narrative« 59 – als auch direkte Bezüge zu philosophischen Klassikern hergestellt werden – bspw. »BioShock as Platos Cave« 60 oder »BioShock as an lntroduction to Phenomenoloqy« 61, in Final Fantasy and Philosophy u. a. zu Nietzsche, Hume, Kant, Mill und Aristoteles.62 Ebensolche Konnexionen lassen sich im Fachunterricht gegebenenfalls unter Rückgriff auf die entsprechenden Texte sowie mit dem Ziel einer präsentativen Veranschaulichung der diskursiven Theoreme nachzeichnen, was gemäß Martens als genuin hermeneutische Praktik auszuweisen ist.
Planet Schule: Zeitmanagement (für Tablets geeignet), auf: https://www.planet-schule.de/sf/ multimedia-lernspiele-detail.php?projekt=zeitmanagement (Stand: 06.05.2020). 54 Ebd. 55 Ebd. 56 Martens, Ekkehard: Dialogisch-pragmatische Philosophiedidaktik, a. a. O., S. 39. 57 Vgl. Laas, Oliver: »Would you kindly bring us the Girl and wipe away the Debt: Free Willand Moral Responsibility in BioShock Infinite«, in: Cuddy, Luke (Ed.): BioShock and Philosophy: Irrational Game, Rational Bock, The Blackwell Philosophy and Pop Culture Series, Wiley-Blackwell, Malden, MA/Oxford/Chichester 2015, S. 58–68. 58 Rose, Jason: »The Value of Art in BioShock: Ayn Rand, Emotion, and Choice«, in: Ebd., S. 15–26. 59 Poiton, Collin: »BioShock’s Mega-Narrative: What BioShock Teaches the Gamer about Gaming«, in: Ebd., S. 3–14. 60 Travis, Roger: »BioShock as Plato’s Cave«, in: Ebd., S. 69–75. 61 Schevelier, Stefan: »Have you ever been to Rapture?: BioShock as an Introduction to Phenomenology«, in: Ebd., S. 139–149. 62 Blahuta, Jason; Beaulieu, Michel (Eds.): Final Fantasy and Philosophy: The Ultimative Walkthrough, The Blackwell Philosophy and Pop Culture Series, John Wiley & Sons, Inc., Hoboken, NJ 2009. 53
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Digitale Dystopien Aus kulturphilosophischer Perspektive können darüber hinaus digitale Utopien bzw. Dystopien wie etwa der Überwachungsstaat in Watch Dogs 2, der Wiederaufbau der Zivilisation in Death Stranding oder der Transhumanismus in Deus Ex aufgegriffen werden, da diese, verstanden als Gedankenexperiment, mögliche Entwicklungen der Menschheit visualisieren und interaktiv erfahrbar machen. Der Spieleratgeber NRW erklärt: »Watch Dogs 2 erinnert thematisch an Orwells Klassiker ›1984‹, allerdings im Spiegel der heutigen Zeit. [...] So werden auch reale Zukunftsängste der modernen Massenmedien aufgegriffen und darin zur bitteren Realität.« 63 Demzufolge können z. B. in Jahrgangsstufe EF innerhalb der Staatsphilosophie hinsichtlich »Umfang und Grenzen staatlichen Handelns« 64 oder »Freiheit und Sicherheit« 65 die unterschiedlichen Merkmale des Überwachungsstaats in Watch Dogs 2 (z. B. systematische Erfassung alltäglicher Routinen, Kameras, Smartphone-Aufzeich nungen, Erstellung digitaler Profile der Bürger usf.) beobachtet und möglichst genau beschrieben werden, um anschließend einen Vergleich der beobachteten Überwachungsmechanismen mit gegenwärtig bereits praktizierten Maß nahmen anzustreben, was sich als eine zunächst phänomenologische, alsdann hermeneutische Arbeitsweise auszeichnet.66
Moralische Handlungsentscheidungen Für den Fachunterricht besonders interessant sind des Weiteren moralische Handlungsentscheidungen in Videospielen. So setzen zahlreiche jüngere Spiele primär auf eine individuelle Entfaltung des Plots und sind (fast) volls tändig darauf ausgerichtet, dass der Spieler in Dilemmasituationen zwischen verschiedenen Handlungsoptionen wählen muss, die den weiteren Verlauf des Spiels bestimmen. Etwa muss der Spieler in der Utopie Detroit: Become Human per Knopfdruck darüber urteilen, ob er seine Gruppe trotz eines Verrats unterstützt oder sie zurücklässt, ob er zwei »Abweichler« verschont, damit jedoch die Menschheit gefährdet, oder ob er eine Androidin »tötet«, um an überlebenswichtige Informationen zu gelangen. Jede Entscheidung wird in dem sogenannten »Ablaufdiagramm« verzeichnet und damit kommentiert, wie viel Prozent der Spieler weltweit sich ebenso entschieden hat. Aufgrund des hohes Zuspruchs konnte sich unlängst bereits das Genre »Interaktiver Film« manifestieren, zu welchem neben dem oben skizzierten Detroit: Become Human z. B. die Spiele Heavy Rain oder Beyond: Two Souls des französischen Entwicklerstudios Quantic Dream, aber auch The Walking Dead, Batman: The Telltale Series oder Life ls Strange der Firma Telltale Games zählen.
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Spieleratgeber NRW: Watch Dogs 2, auf: https://www.spieleratgeber-nrw.de/Watch-Dogs-2.4925. de.1.html (Stand: 07.05.2020). Vgl. z. B. Peters, Jörg; Rolf, Bernd (Hrsg.): Philo. Einführungsphase, C. C. Buchner Verlag, Bamberg 2014, S. 91. Vgl. ebd., S. 102. Aufgrund der Altersbeschränkung ist ggf. eine Arbeit mit Screenshots zu empfehlen.
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Praxisbeispiel Hinsichtlich des Einsatzes oben genannter Spiele ist grundlegend darauf hin zuweisen, dass ein Spielen vor Ort wegen der Spiellänge sowie unter Ums tänden aufgrund der Altersbegrenzung nicht uneingeschränkt zu empfehlen ist. Sinnvoll ist jedoch eine sequenzhafte Arbeit an den visualisierten Dilemmat a und dem »Ablaufdiagramm«, sodass – etwa gemäß eines problemorientierten Unterrichts entsprechend des Bonbon-Modells von Sistermann 67 in der gymnasialen Oberstufe – im Einstieg a) in Form eines »Let’s-Play«-Videos oder anhand mehrerer Screenshots in das Szenario eingeführt wird, b) das präsentative Material von der Lerngruppe möglichst genau beobachtet, beschrieben und interpretiert wird (phänomenologisch und hermeneutisch) und c) das Ablaufdiagramm mit den beiden Optionen dazu in Bezug gesetzt wird – z. B. Androidin töten, um für die Menschheit überlebenswichtige Informationen zu erhalten, oder sie verschonen. In der Problemstellungsphase gilt es anschließend, das zugrundeliegende moralische Problem aufzudecken – z. B. ob bei der Bewertung einer Handlung die Tat an sich oder die Folgen zu berücksichtigen sind –, sodass sich die Schülerinnen und Schüler in der Phase der selbstgesteuert-intuitiven Problemlösung spontan, etwa per Handzeichen, dazu positionieren und ihre Entscheidung begründen können (dialektisch). In der Phase der angeleitet-kontrollierten Problemlösung erarbeiten die Schülerinnen und Schüler binnendifferenzierend einen gegen ihre vorherige Positionierung argumentierenden Text – z. B. aus der konsequentialistischen oder der deontologischen Ethik –, klären die Begründungsmuster und versuchen, Gegenar gumente zu konstruieren (hermeneutisch, analytisch und dialektisch). Nach der Sicherung der Hauptthesen sowie der Argumente in den beiden Texten positionieren sich die Schülerinnen und Schüler in der Stellungnahme erneut zur Problemfrage und erklären, welche Argumente sie überzeugt bzw. warum die Argumente sie nicht überzeugt haben, sodass sie ein reflektiertes, fachlich fundiertes Urteil fällen können.
Videospieltechnik Auf dieser Ebene steht die (programmier-)technische Umsetzung im Mittelpunkt der Betrachtung, sodass das Spiel als mediumspezifische Konstruktion beleuchtet wird. Dafür ist eine Auseinandersetzung mit Grundlagen der Programmierung, etwa fächerübergreifend in Kooperation mit dem Informatikunterricht, lohnenswert, jedoch keinesfalls erforderlich. Denn, wie etwa im Unterrichtsentwurf von Wosch vorgeschlagen, es ist ebenfalls eine Arbeit mit den graphischen Mitteln der Sinnstiftung möglich. Demgemäß bietet es sich grundlegend z. B. an, die durch das
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Vgl. z. B. Blesenkemper, Klaus: »Unterrichtsplanung«, in: Nida-Rümelin, Julian; Spiegel, Irina; Tiedemann, Markus (Hrsg.): Handbuch Philosophie und Ethik, 2 Bde. Bd. 1: Didaktik und Methodik, UTB 8617, Ferdinand Schöningh, Paderborn 2015, S. 315–324.
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Spiel evozierten Gefühle zu reflektieren und auf konkrete, beobachtbare Faktoren rückzubeziehen. In der Sekundarstufe I sollen die Schülerinnen und Schüler dafür beispielsweise zunächst möglichst genau beschreiben, wie sie sich beim Spielen von Every Day the Same Dream gefühlt haben (etwa traurig, deprimiert, eingeengt), anschließend die genaue Umsetzung des Spiels untersuchen und gegebenenfalls entlang eines Leitfadens analysieren (etwa 2D-Darstellung, meist nur geometrische Grundformen, nur Grautöne, melancholische Musik), um zuletzt die Wirkkraft der Gestaltung (etwa Tristesse) zu reflektieren und besser verstehen zu können. Eine solche Arbeitsweise verbindet vor allem phänomenologische und analytische Zugänge zu videospieltechnischen Elementen.
Immersion, Virtual Reality und Augmented Reality Diesseits der Gefühlsevokation bestimmt die (programmier-)technische Gestaltung jedoch auch in signifikanter Weise den Grad der Immersion, d. h. den Grad des Eintauchens in die digitale Spielwelt. Während sich z. B. bei oben genanntem Spiel aufgrund der minimalistischen Gestaltung lediglich ein schwacher immersiver Effekt einstellt, kann der Spieler bspw. in »Star Trek: Bridge Crew«, »Blade and Sorcery« oder »Boneworks« mittels einer VR-Brille eine 360 Grad um ihn herum geschlossene Spielwelt wahrnehmen und mit dieser per »Handtracking« interagieren. Bereits 2018 ist auf der Technikmesse CES der sogenannte »Teslasuit« präsentiert worden, ein Ganzkörperanzug, der »dank Motion- sowie Positional-Tracking, einem haptischen Feedback-System mit klimatischen Effekten und weiteren Features eine bisher nicht da gewesene Immersion in der virtuellen Realität erzeugen«68 will. Jenseits der technischen Ausrüstung wirken sich jedoch bereits die »Ablösung der schema tischen Graphik durch realistische Bilder«69, die Möglichkeit, sich via EgoPerspektive in die Sicht einer Figur versetzen zu lassen« 70 , sogenannte »HMDs (Head Mounted Displays)« 71 oder »der Übergang von Singleplayer- zu Multiplayerspielen« 72 auf die Intensität des immersiven Effekts aus. Ausgehend von diesen videospieltechnischen Elementen und vor dem Hin tergrund der Immersion bietet es sich an, die Konstruktion digitaler Wirklichkeiten zu thematisieren. So könnten hinsichtlich der erkenntnistheoretischen Frage »Wie wirklich ist die Wirklichkeit?« 73 – in der Jahrgangsstufe EF etwa nach der Gegenüberstellung des naiven Realismus und des Konstruktivismus – beide Positionen auf Videospiele übertragen werden, um die philosophischen Theorien vor dem Hin Grohganz, Thomas: Teslasuit: »Haptischer Ganzkörperanzug mit einzigartigen Features«, auf: VR-Nerds. A Virtual Reality Showcase, vom 09. Januar 2018, auf: https://www.vrnerds.de/teslasuithaptischer-ganzkoerperanzug-mit-einzigartigen-features/ (Stand: 08.05.2020). 69 Artikel: »Immersion«, auf: Lexikon der Filmbegriffe, auf: https://filmlexikon.uni-kiel.de/index.ph p?action=lexikon&tag=det&id=942 (Stand: 08.05.2020). 70 Ebd. 71 Ebd. 72 Ebd. 73 Vgl. z. B. Peters, Jörg; Rolf, Bernd (Hrsg.): Philo. Einführungsphase, a. a. O., S. 119. 68
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tergrund der digitalen Medienwelt zu überprüfen. Dies lässt sich konkret beispielsweise mittels eines Transfers der Weisen der Welterzeugung von Nelson Goodman auf die digitalen Konstruktionsmittel74 oder – insbesondere in kritischer Absicht – entlang Auszügen aus Markus Gabriels Warum es die Welt nicht gibt zur Wahrnehmung und Halluzination ausgestalten.75 Doch auch bereits in jüngeren Jahrgangsstufen ist eine Thematisierung der digitalen »Sinnestäuschungen« (visuelle Wahrnehmung: VR-Brille; auditive Wahrnehmung: Headset; taktile Wahrnehmung: Teslasuit) zu realisieren, wobei vor allem phänomenologische und hermeneutische Methoden auf videospieltechnische Elemente vor erkenntnistheoretischem Hintergrund angewendet werden. Unter Berücksichtigung der Augmented Reality lassen sich zahlreiche weitere epistemologische Problemstellungen für den Fachunterricht erdenken, etwa inwiefern es sich bei Augmented Reality um Realität handelt, ob wir bei Augmented Reality unseren Sinnen trauen können und welche Bedeutung der ratio zukommt (Empirismus und Rationalismus) oder wie eine Erkenntnistheorie über die konstruierte Wirklichkeit als Mischform von realer Darstellung und digitaler Erweiterung aussehen könnte. Außerdem ist eine analytische Annäherung an den Realitätsbegriff möglich, indem etwa »Virtual Reality«, »Augmented Reality«, »Wirklichkeit«, »digitale Wirklichkeit« und »Realität« geklärt und voneinander abgegrenzt werden. Diese Arbeitsweisen sind primär phänomenologischer, dialektischer, analytischer und spekulativer Natur.
Unterrichtsbeispiel Ein durchaus anspruchsvolles, aber z. B. in einer Projektwoche durchführbares Unterrichtsvorhaben kann auf die Erstellung eines eigenen philosophischen PC-Spiels zielen. So sind zahlreiche Spieleentwicklungsprogramme gegenwärtig kostenfrei erhältlich und etwa mittels Drag-and-Drop-Funktionen einfach zu bedienen. Demgemäß kann beispielsweise zur Entwicklung eines textbasierten Abenteuers das Open-Source-Tool Twine genutzt werden, um nichtlineare Geschichten – etwa mit Fokus auf moralische Dilemmata – zu programmieren. Alternativ bieten sich die Programme Playfic, TyranoBuilder oder Visual Novel Maker an, um digitale philosophische Abenteuer entlang konkreter moralischer Entscheidungsmomente kreativ zu entfalten. Ein für die Jahrgangsstufe EF geeignetes, produktionsorientiertes Unterrichts vorhaben ließe sich problemorientiert gemäß des Bonbon-Modells realisieren, indem – z. B. im Anschluss an das vorherige Unterrichtsbeispiel – die Schülerinnen und Schüler in der Hinführung verschiedene Screenshots, auf denen zu erkennen ist, dass eine Spielerin bzw. ein Spieler eine moralische Wahl treffen muss, zunächst einzeln beobachten, beschreiben und dann zusammenfassend deuten (phänome Goodman, Nelson: Weisen der Welterzeugung, übers. von Looser, Max, stw 863, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1984. 75 Gabriel, Markus: Warum es die Welt nicht gibt, Ullstein, Berlin 2013. 74
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nologisch und hermeneutisch), sodass sich in der Problemstellung die Frage herauskristallisiert, ob und, falls ja, inwiefern sich Computerspiele zur Förderung des moralischen Urteilskompetenz eignen. In der selbstgesteuert-kontrollierten Pro blemlösung können anschließend verschiedene Entscheidungssituationen erdacht und kategorisiert werden (spekulativ), um diese dann in Gruppenarbeiten in der angeleitet-kontrollierten Problemlösung in dem eigenen Videospiel zu verarbeiten. Hinzukommend ist es sinnvoll, die Lerngruppe einen Kommentar zu dem Spiel formulieren zu lassen, in dem sie a) die videospieltechnische Gestaltung der Dilemmata reflektieren und b) die Spielentwicklung unter Berücksichtigung weiterer Materialien – etwa Auszügen aus Ethik und Moral in Videospielen76 – in Bezug zur Problemfrage setzen (hermeneutisch). Nachdem in der Festigung die philosophischen Spiele präsentiert, gegebenenfalls von anderen Gruppen getestet und die Kommentare besprochen worden sind, positionieren sich die Schülerinnen und Schüler in der Stellungnahme unter Bezugnahme auf die konkreten digitalen Produkte sowie der erklärenden Texte erneut zur Problemfrage (dialektisch). Die Erstellung des Spiels dient somit nicht nur entsprechend der Anforderungen der Kultusminis terkonferenz der kreativ-produktiven Auseinandersetzung mit digital-technischen Aspekten77, sondern fungiert als Teilantwort auf eine ethische Problemfrage.
Videospielphilosophie Auf dieser Ebene gilt es, eine philosophische Reflexion über das Medium per se anzustreben, demgemäß im Fachunterricht z. B. die Bedeutung von Videospielen in gesellschaftlicher, (pop-)kultureller, kommunikativer oder lebensweltlicher Hinsicht erarbeitet werden kann. Vor allem für die Sekundarstufe I ist es grundlegend zu empfehlen, eine Selbstreflexion der Schülerinnen und Schüler über den eigenen Medienumgang zu initiieren, da ein Drittel aller Jugendlichen jeden Tag sowie 80% der Jungen und 44% der Mädchen regelmäßig Videospiele spielen. Dies erscheint nicht nur allgemeinpädagogisch sinnvoll zu sein, sondern bietet gemäß des dialogisch-pragmatischen Ansatzes die Chance, die Lerngruppe als Ausgangs- und Zieldimension des Fachunterrichts zu begreifen. Demgemäß kann z. B. ausgehend von den Fragen »Wie viel Zeit verbringe ich pro Tag mit Videospielen?«, »Warum spiele ich Videospiele?«, »Was gefällt mir dabei am meisten?« oder »Welche Gefühle empfinde ich beim digitalen Spielen?« die tägliche Mediennutzung der Jugendlichen etwa anhand von Kreisdiagrammen veranschaulicht und reflektiert, die unterschiedlichen Beweggründe des Spielens klassifiziert und gegeneinander abgewogen oder die evozierten Gefühlsregungen in Form einer Mind-Map auf konkrete
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Auer, Sabine: Ethik und Moral in Videospielen. Fallbeispiel Mass Effekt 2, Diplomica Verlag, Hamburg 2014. Vgl. Kultusministerkonferenz: Bildung in der digitalen Welt. Strategie der Kultusministerkonferenz, S. 16–19, auf: https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/PresseUndAktuelles/2018/Digitalstrategie_2017_mit_Weiterbildung.pdf (Stand: 11.05.2020).
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Auslöser rückbezogen werden. Da ferner statistisch gesehen mindestens zwei Schüler pro Klasse bereits versehentlich etwas in einem Spiel gekauft oder abonniert haben, können in Gruppenarbeiten auch handbuchähnliche »Do-and-Don’t«Ratgeber zum Umgang mit Videospielen erstellt werden, die über derartige sowie weitere Gefahren aufklären. Diese primär durch phänomenologische und dialektische Methoden initiierte Reflexion zielt auf eine bewusste und selbstregulierte Mediennutzung im Alltag und entspricht den ministeriellen Forderungen des Kompetenzbereichs »Analysieren und Reflektieren«.78
Homo ludens digital In der gymnasialen Oberstufe bietet sich ferner innerhalb des Themenfeldes »Das Selbstverständnis des Menschen« eine Auseinandersetzung mit dem »Spiel als Ursprung der Kultur« 79 an, sodass etwa Auszüge aus Johan Huizingas Homo Ludens erarbeitet und auf das digitale Medium übertragen werden können. Huizinga resümiert: »Der Form nach betrachtet, kann man das Spiel also zusammenfassend eine freie Handlung nennen, die als ›nicht so gemeint‹ [...] und trotzdem den Spieler völlig in Beschlag nehmen kann, an die kein materielles Interesse geknüpft ist und mit der kein Nutzen erworben wird, die sich innerhalb einer eigens bestimmten Zeit und eines eigens bes timmten Raums vollzieht, die nach bestimmten Regeln ordnungsgemäß verläuft und Gemeinschaftsverbände ins Leben ruft.« 80 So kann z. B. in einem ersten Schritt überprüft werden, ob die 1938 von Huizinga beschriebenen Merkmale ebenfalls auf Videospiele zutreffen, um im zweiten Schritt eine ver allgemeinernde Diskussion darüber zu führen, ob sich etwa im digitalen Zeitalter ein »Kulturgut digitales Spiel« manifestiert. Dies wäre eine zuvorderst (text-)hermeneutische, aber ebenfalls dialektische und spekulative Annährung an die kulturelle Bedeutung von Computerspielen.
Unterrichtsbeispiel Um eine einseitige Annäherung an die Thematik gemäß des Überwältigungsverbots zu vermeiden, ist zu empfehlen, ebenfalls eine kritische Auseinandersetzung mit digitalen Spielen zu führen. So kann etwa unter der Überschrift »Wenn das Spiel nicht Spiel bleibt« 81 das Suchtpotential von Computerspielen thematisiert werden, was insbesondere vor dem Hintergrund des Eskapismus oder des Hedonismus lohnenswert erscheint. Hier empfehlen sich ferner spekulative Zugänge zur Problematik, etwa ein an Robert Nozicks »Erlebnismaschine« angelehntes Gedankenexperiment.
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Vgl. ebd., S. 18–19. Vgl. z. B. Peters, Jörg; Rolf, Bernd (Hrsg.): Philo Qualifikationsphase, C.C. Buchner Verlag, Bamberg 2018, S. 30–31. Huizinga, Johan: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, übers. von Nachod, H. in Zusammenarbeit mit dem Verfasser, rde 21, Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg 10 1966, S. 20; vgl. auch Peters, Jörg; Rolf, Bernd (Hrsg.): Philo Qualifikationsphase, a. a. O., S. 31 Peters, Jörg; Rolf, Bernd (Hrsg.): Philo Qualifikationsphase, a. a. O., S. 31.
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Spätestens seit dem Amoklauf an der Columbine High School im US-Bundesstaat Colorado wird jedoch auch ein weiteres Gefahrenpotential öffentlich diskutiert: »Digital spielen – real morden?« lautet nicht nur der Titel einer lnterviewsammlung von Rainer Fromm 82 , in welcher der Politikwissenschaftler mit Experten über die Thematik spricht (u. a. mit Pädagogen, Medienpsychologen, Spieleherstellern, der Bundesprüfs telle für jugendgefährdende Schriften und der Bundeszentrale für politische Bildung), sondern eignet sich in der Sekundarstufe I auch als Diskussionsthema für die Problemfrage, ob gewaltdarstellende Videospiele verboten werden sollten. Um hier eine Horizonterweiterung der Lerngruppe zu ermöglichen, bietet sich beispielsweise folgendes problemorientiertes Unterrichtsvorhaben gemäß des Bonbon-Modells an: Die Hinführung beginnt mit einem Screenshot aus einem EgoShooter, welcher möglichst genau beobachtet und anschließend ausdifferenziert beschrieben wird (phänomenologisch). Eine anschließende Deutung, sowohl bildintern als auch nachfolgend vor medienethischem Hintergrund (hermeneutisch), führt zur Problemstellung, ob entsprechende Videospiele aufgrund ihrer Gewaltdarstellungen verboten werden sollten, zu welcher sich die Schülerinnen und Schüler in der Phase der selbstgesteuert-intuitiven Problemlösung zunächst spontan per Handzeichen positionieren und anschließend ihr Urteil argumentativ begründen (dialektisch). In der Phase der angeleitet- kontrollierten Problemlösung setzt sich die Lerngruppe arbeitsteilig mit den verschiedenen Perspektiven aus Digital spielen – real morden? sowie weiteren fachphilosophischen Standpunkten auseinander (hermeneutisch) und klärt die dort formulieren Argumentationen (analytisch), sodass letztlich eine konkrete Pro-Contra-Diskussion in Form eines Rollenspiels aus der Perspektive des jeweiligen Experten geführt werden kann (dialektisch und spekulativ). Nach der Sicherung der wichtigsten Argumente aller Positionen äußern sich die Schülerinnen und Schüler in der Stellungnahme (losgelöst von ihrer Rolle) kritisch und würdigend zu den Positionen und stellen die für sie überzeugendsten oder schwächsten Argumente heraus. Hier ist zudem ein Rückbezug auf die erste, spontane Positionierung der Lerngruppe sinnvoll, um die Lernprogression der Schülerinnen und Schüler sichtbar zu machen.
Fazit Neben diesen Beispielen, wie Videospiele entsprechend der Vorgaben der Kultusministerkonferenz insbesondere zur Förderung der Kompetenzbereiche »Analysieren und Reflektieren« sowie »Produzieren und Präsentieren« in den Fachunterricht integriert werden können 83 , lassen sich mittels der Methodik des Philosophierens mit Videospielen zahlreiche weitere mediumadäquate sow ie fachspezifische Unter Fromm, Rainer: Digital spielen - real morden? Shooter, Clans und Fragger: Videospiele in der Jugendszene, Schüren Verlag GmbH, Marburg 2002. 83 Vgl. Kultusministerkonferenz: Bildung in der digitalen Welt. Strategie der Kultusministerkonferenz, a. a. O., S. 16–19. 82
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richtsvorhaben entfalten. Daher scheint es grundsätzlich lohnenswert, die Methodik vor dem Hintergrund der bildungspolitischen Forderungen sowie unter Berücksichtigung des fachdidaktischen Diskurses weiter auszuarbeiten mit dem Ziel, dass der Fachunterricht – in den Worten Steenblocks – eine »Arbeit am Logos« und eine »reflektierte Orientierung« in der digital-mediatisierten Welt ermöglicht. Quelle: Jost, Leif Marvin: »Homo ludens digital – Erster Entwurf einer Methodik des Philosophierens mit Videospielen« in: Münnix, Gabriele; Rolf, Bernd; Albus, Vanessa (Hrsg.) Total digital?, Forum Philosophie International, Bulletin 69 ( Jahrbuch der Association International des Professeurs des Philosophie), LIT Verlag, Wien – Zürich 2020, S. 147–164.
Auswahlbibliographie Spiele im Philosophie- und Ethikunterricht
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