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German Pages 330 Year 2007
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1052
Personenbezogene Massenkommunikation als verfassungsrechtliches Problem Das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Konflikt mit Medien, Kunst und Wissenschaft
Von Sophie-Charlotte Lenski
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
SOPHIE-CHARLOTTE LENSKI
Personenbezogene Massenkommunikation als verfassungsrechtliches Problem
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1052
Personenbezogene Massenkommunikation als verfassungsrechtliches Problem Das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Konflikt mit Medien, Kunst und Wissenschaft
Von Sophie-Charlotte Lenski
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin hat diese Arbeit im Jahre 2006 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-12357-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die folgende Arbeit wurde im Sommersemester 2006 von der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität Berlin als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im April 2006 abgeschlossen, später erschienene Literatur und Rechtsprechung konnte vereinzelt berücksichtigt werden. Die Arbeit entstand während meiner Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Prof. Dr. Michael Kloepfer. Ihm danke ich sehr herzlich für die wissenschaftliche Förderung sowie die Betreuung und Begutachtung dieser Arbeit. Mein besonderer Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich Battis für die freundliche und äußerst zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Danken möchte ich weiterhin der Konrad-Redeker-Stiftung, insbesondere Herrn Dr. Peter-Andreas Brand, die durch ihre unbürokratische Förderung mir diejenigen Freiräume gewährt hat, die das zügige Entstehen dieser Arbeit erst ermöglicht haben. Schließlich gilt mein besonders herzlicher Dank Herrn PD Dr. Matthias Rossi, der durch zahlreiche Anregungen sowie manche Diskussionen maßgeblich zum Gelingen der Arbeit beigetragen hat.
Berlin, im September 2006
Sophie-Charlotte Lenski
Inhaltsübersicht
Einleitung ......................................................................................................................23
Erstes Kapitel Die grundgesetzliche Freiheit der Massenkommunikation
28
A. Bestandsaufnahme .....................................................................................................29 B. Meinungsfreiheit und Kommunikation ......................................................................35 C. Kommunikation durch Presse, Rundfunk, Film .........................................................61 D. Kommunikation durch Kunst.....................................................................................75 E. Wissenschaftskommunikation..................................................................................102
Zweites Kapitel Auslegung und Ermittlung des Kommunikationsinhalts
110
A. Sprachwissenschaft und Semiotik............................................................................111 B. Signifikat, Signifikant und Code..............................................................................113 C. Die vielschichtigen Codes der Medienkommunikation............................................120 D. Die freien Codes der Kunstkommunikation.............................................................131 E. Die strikten Codes der Wissenschaftskommunikation .............................................135
Drittes Kapitel Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht als Kommunikationsrestriktionsrecht 139 A. Struktur und Inhalt...................................................................................................139 B. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ...................................................144 C. Selbstdarstellungsrecht.............................................................................................150 D. Ehrschutz .................................................................................................................162 E. Codespezifische Grundrechtsbeeinträchtigungen.....................................................167
8
Inhaltsübersicht
F. Kommunikationsfördernde Funktion .......................................................................170 G. Verschränkungen und Konflikte ..............................................................................173
Viertes Kapitel Konfliktlösung durch Abwägung
176
A. Grundrechtsabwägung und mittelbare Drittwirkung................................................176 B. Interessenausgleich durch Gesetz ............................................................................182 C. Abwägungsvorgaben der Rechtsprechung ...............................................................195 D. Abstrakte Gewichtung der Grundrechte ..................................................................205 E. Konkrete Abwägung der Grundrechte......................................................................209
Fünftes Kapitel Lösung des Grundrechtskonflikts durch Straf- und Zivilrecht
250
A. Straf- und Zivilrecht als Mittel der Konfliktlösung..................................................251 B. Schutzbereichsbestimmung des Kommunikationsgrundrechts ................................267 C. Auslegung des Kommunikationsinhalts...................................................................273 D. Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.........................................284 E. Abwägung auf der Ebene der Rechtswidrigkeit .......................................................286
Zusammenfassende Thesen........................................................................................288
Literaturverzeichnis ...................................................................................................302 Sachverzeichnis...........................................................................................................321
Inhaltsverzeichnis
Einleitung ......................................................................................................................23
Erstes Kapitel Die grundgesetzliche Freiheit der Massenkommunikation
28
A. Bestandsaufnahme .....................................................................................................29 I. Einheitliches Kommunikationsgrundrecht der Meinungsfreiheit ..........................29 II. Diffuses Bild der Kunstkommunikation...............................................................31 III. Fehlende Abgrenzung im Einzelfall....................................................................32 IV. Kapitulation der Dogmatik .................................................................................34 B. Meinungsfreiheit und Kommunikation ......................................................................35 I. Sender und Empfänger ..........................................................................................35 II. Form und Inhalt....................................................................................................36 1. Meinungsfreiheit als Kommunikationsfreiheit ...............................................36 2. Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen .......................................39 a) Anwendbarkeit der Kategorisierung .........................................................39 b) Vollständigkeit der Kategorisierung .........................................................42 c) Wahrheitsanspruch von Tatsachenbehauptungen......................................44 d) Tatsachenbehauptungen und fiktionale Realität .......................................46 e) Informationsweitergabe jeder Art .............................................................47 3. Unwahre Tatsachenbehauptungen..................................................................47 a) Freies gesellschaftliches Klima.................................................................49 b) Wahrheit als systemfremde Kategorie ......................................................50 c) Ausschluss des gesellschaftlichen Wahrheitsdiskurses.............................51 III. Funktion der Kommunikationsfreiheit ................................................................53 1. Individuelle Funktion .....................................................................................53
10
Inhaltsverzeichnis a) Ausdruck der Persönlichkeit .....................................................................53 b) Arbeit an der eigenen Identität..................................................................54 2. Gesellschaftliche Funktion .............................................................................56 a) Diskurs über das Gemeinwohl ..................................................................56 b) Entscheidungen in der demokratischen Legitimationskette ......................57 c) Kontrolle und Legitimation.......................................................................58 d) Kommunikative Dimension ......................................................................59
C. Kommunikation durch Presse, Rundfunk, Film .........................................................61 I. Individuelles Kommunikationsgrundrecht.............................................................61 1. Ursprung des objektiv-rechtlichen Gehalts ....................................................61 2. Gefahrenpotentiale objektiv-rechtlicher Gehalte............................................62 3. Untrennbarkeit der subjektiv-rechtlichen Gehalte..........................................64 II. Form der Kommunikation ....................................................................................65 1. Naturwissenschaftliche Schutzbereichsbestimmung ......................................66 2. Funktionale Schutzbereichsbestimmung ........................................................67 a) „Dynamischer“ Rundfunkbegriff ..............................................................67 b) Neue Medien.............................................................................................69 c) Keine feste Abgrenzung............................................................................70 3. Einheitliche Schutzbereichsbestimmung ........................................................70 III. Inhalt der Kommunikation ..................................................................................72 1. Einheitliche Auslegung ..................................................................................72 2. Inhaltliche Kongruenz zur Meinungsfreiheit..................................................73 IV. Spezifische Medienfreiheit .................................................................................74 D. Kommunikation durch Kunst.....................................................................................75 I. Die „Undefinierbarkeit“ der Kunst ........................................................................76 1. Ideengeschichtlicher Hintergrund ..................................................................76 2. Historische Erfahrung, zeitgenössische Bedeutung........................................77 3. Vormodernes Verständnis des Kunstsystems .................................................79 II. Kunst als Kommunikation....................................................................................81 III. Inhalt und Form der Kunstkommunikation .........................................................84 1. Bisherige Ansätze...........................................................................................85
Inhaltsverzeichnis
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2. Inhalt der Kunstkommunikation.....................................................................85 3. Form der Kunstkommunikation .....................................................................86 a) Begriff der Form .......................................................................................87 b) Non-Verbalität ..........................................................................................88 c) Unübertragbarkeit .....................................................................................89 d) Befreiung von Konsens.............................................................................92 4. Kitsch, Design und Trivialität ........................................................................93 a) Abgrenzung als wertender Eingriff? .........................................................93 b) Abgrenzung aufgrund subjektiver Maßstäbe?...........................................95 5. Gelingen als systeminterne Unterscheidung...................................................96 6. Subsumtion im Einzelfall ...............................................................................97 7. Ideolektischer Kunstbegriff............................................................................98 IV. Grundrechtliche Funktion ...................................................................................99 1. Schutz von Werk- und Wirkbereich ...............................................................99 2. Erweiterung der Kommunikationsbasis .......................................................100 3. Möglichkeit der Selbstbeobachtung .............................................................101 E. Wissenschaftskommunikation..................................................................................102 I. Forschung, Wissenschaft und Lehre ....................................................................103 1. Begriff der Wissenschaft..............................................................................103 2. Wissenschaftliche Lehre ..............................................................................104 3. Umfassendes wissenschaftliches Kommunikationsrecht..............................104 II. Form und Inhalt von Wissenschaftskommunikation ..........................................106 III. Grundrechtliche Funktion .................................................................................106 1. Individuelle Funktion ...................................................................................107 2. Gesellschaftliche Funktion...........................................................................108
Zweites Kapitel Auslegung und Ermittlung des Kommunikationsinhalts
110
A. Sprachwissenschaft und Semiotik............................................................................111 I. Inhalt und Gegenstand der Semiotik....................................................................112 II. Sprache als Zeichensystem.................................................................................113
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Inhaltsverzeichnis
B. Signifikat, Signifikant und Code..............................................................................113 I. Zeichen und Sinn .................................................................................................114 II. Codes und Subcodes...........................................................................................115 1. Denotative Codes .........................................................................................115 2. Konnotative Codes .......................................................................................116 3. „Bedeutungs-Baum“.....................................................................................117 III. Auswahl der Codes ...........................................................................................118 C. Die vielschichtigen Codes der Medienkommunikation............................................120 I. Der Durchschnittsempfänger als theoretisches Konstrukt ...................................120 1. Die Objektivierung der Subjektivität............................................................120 2. Die Unentbehrlichkeit des Durchschnittsempfängers...................................121 II. Wissensschatz und Kommunikationszusammenhang.........................................122 1. Der Kommunikationszusammenhang...........................................................122 2. Das Hintergrundwissen ................................................................................123 a) Angenommenes und tatsächliches Wissen..............................................124 b) Der Einfluss der Medien auf den Wissensschatz ....................................125 III. Ideologie als Codeauswahlkriterium .................................................................126 1. Codeauswahl durch Ideologie ......................................................................126 2. Die fehlende Ideologie des Durchschnittsempfängers..................................127 IV. Mehrdeutigkeit als Auslegungsergebnis ...........................................................128 V. Kreativer Sprachgebrauch als Sonderfall? .........................................................129 D. Die freien Codes der Kunstkommunikation.............................................................131 I. Der Ideolekt des Kunstwerks ...............................................................................131 II. Die alltagssprachliche Decodierung von Kunst..................................................132 1. „Reale“ und „ästhetische“ Wirklichkeit .......................................................133 2. Soziale Ausstrahlung durch denotative Codes .............................................133 E. Die strikten Codes der Wissenschaftskommunikation .............................................135 I. Ausdifferenzierte denotative Codes .....................................................................136 II. Fehlende konnotative Codes...............................................................................136 III. Codeauswahl in der Wissenschaftskommunikation ..........................................137
Inhaltsverzeichnis
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Drittes Kapitel Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht als Kommunikationsrestriktionsrecht 139 A. Struktur und Inhalt...................................................................................................139 I. Schutz der engeren persönlichen Lebenssphäre...................................................140 II. Fallgruppen ........................................................................................................141 1. Kommunikationsrelevanz der Fallgruppen ..................................................142 2. Kategorisierung............................................................................................143 B. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ...................................................144 I. Dogmatische Stellung..........................................................................................145 II. Schutzgut............................................................................................................146 1. Umfassender Informationsschutz .................................................................146 2. Fixierte Informationen .................................................................................147 3. Aktivierung durch Kommunikation .............................................................147 III. Kommunikationsspezifische Beeinträchtigungen .............................................148 IV. Reduzierung auf fehlende Sozialadäquanz?......................................................149 V. Umfassendes Kommunikationsrestriktionsrecht ................................................150 C. Selbstdarstellungsrecht ............................................................................................150 I. Darstellung der eigenen Person ...........................................................................150 1. Abgrenzung zur informationellen Selbstbestimmung ..................................151 2. Schutz vor Falschdarstellung .......................................................................151 3. Sozialer Geltungsanspruch...........................................................................152 a) Der „selbst definierte soziale Geltungsanspruch“ ...................................152 b) Vermittlung des eigenen Persönlichkeitsbilds ........................................153 II. Schutz des Images ..............................................................................................154 1. Image und Persönlichkeit .............................................................................155 a) Neue Qualität der Selbstdarstellung........................................................155 b) Trennung von Image und Person ............................................................157 2. Image als Vermögenswert ............................................................................159 3. Parallele zum Urheberrecht..........................................................................160 III. Keine eigenständige Fallgruppe ........................................................................161 D. Ehrschutz .................................................................................................................162
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Inhaltsverzeichnis I. Ehrschutz jenseits von Art. 2 Abs. 1 GG .............................................................162 II. Schutzgut............................................................................................................163 1. Innere und äußere Ehre ................................................................................164 2. Personaler und sozialer Geltungswert ..........................................................165 III. Kommunikationsspezifische Beeinträchtigungen .............................................165 1. Kommunikation als einzige Verletzungshandlung .......................................166 2. Abgrenzung zur informationellen Selbstbestimmung ..................................166
E. Codespezifische Grundrechtsbeeinträchtigungen.....................................................167 I. Zuordnung der Codes ..........................................................................................168 II. Grundrechtsspezifische Bedeutung ....................................................................169 III. Systematisierung des Konflikts .........................................................................169 F. Kommunikationsfördernde Funktion........................................................................170 I. Individuelle Funktion...........................................................................................170 II. Gesellschaftliche Funktion .................................................................................171 G. Verschränkungen und Konflikte ..............................................................................173 I. Verschränkungen im Schutzbereich.....................................................................173 II. Konflikte durch wechselseitige Beeinträchtigungen...........................................174 III. Gemeinsamkeiten in der Funktionserfüllung ....................................................174
Viertes Kapitel Konfliktlösung durch Abwägung
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A. Grundrechtsabwägung und mittelbare Drittwirkung................................................176 I. Anwendbarkeit im Privatrechtsverhältnis ............................................................177 II. Abwägung als Konfliktlösungsmodell................................................................178 1. Notwendigkeit der Abwägung......................................................................179 2. Methode der Abwägung ...............................................................................180 B. Interessenausgleich durch Gesetz.............................................................................182 I. Interessenausgleich im Zivilrecht ........................................................................182 1. Recht am eigenen Bild .................................................................................183 2. Gegendarstellungsrecht ................................................................................184 II. Interessenausgleich im öffentlichen Recht .........................................................185
Inhaltsverzeichnis
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1. Bundesrecht..................................................................................................186 a) Bundesarchivgesetz.................................................................................186 b) Stasi-Unterlagen-Gesetz .........................................................................187 c) Umweltinformationsgesetz .....................................................................188 d) Informationsfreiheitsgesetz.....................................................................189 2. Landesrecht ..................................................................................................190 a) Landesarchivgesetze ...............................................................................190 b) Landesinformationsfreiheitsgesetze........................................................192 c) Landespressegesetze ...............................................................................192 III. Interessenausgleich im Strafrecht......................................................................193 1. Nebenstrafrecht ............................................................................................193 2. Strafgesetzbuch ............................................................................................194 IV. Systematische Analyse .....................................................................................195 C. Abwägungsvorgaben der Rechtsprechung ...............................................................195 I. Bisherige Rechtsprechung ...................................................................................195 1. Vorhandene Kritik........................................................................................196 2. Empirische Tendenzen .................................................................................197 II. Entwickelte Kriterien .........................................................................................198 1. Kriterien aus dem Bereich des Persönlichkeitsrechts ...................................198 a) Personen der Zeitgeschichte....................................................................198 b) Sphärentheorie ........................................................................................199 2. Kriterien aus dem Bereich der Kommunikationsgrundrechte ......................201 a) Sorgfalts- und Recherchepflichten ..........................................................201 b) Tatsachenbehauptungen und Werturteile................................................202 c) Schmähkritik und Formalbeleidigung.....................................................203 d) Recht zum Gegenschlag..........................................................................203 e) Abbild und Urbild...................................................................................203 3. Allgemeine verfassungsrechtliche Kriterien ................................................204 D. Abstrakte Gewichtung der Grundrechte ..................................................................205 I. Wertrangordnung der Grundrechte? ....................................................................205 II. Abstrakte Gleichwertigkeit.................................................................................206
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Inhaltsverzeichnis 1. Gleichwertigkeit der Grundrechte ................................................................206 2. Sonderrolle der Menschenwürde..................................................................207
E. Konkrete Abwägung der Grundrechte......................................................................209 I. Ziel der Abwägung ..............................................................................................210 II. Spezifizierung des Konflikts ..............................................................................211 III. Objektive Kriterien ...........................................................................................212 1. Wahrheit und Authentizität ..........................................................................212 a) Anwendbarkeit des Wahrheitsbegriffs ....................................................213 b) Relativität der Wahrheit..........................................................................214 c) Anwendbarkeit auf verschiedene Kollisionsfälle ....................................216 2. Gesellschaftliche Relevanz...........................................................................217 a) Entwicklung in der deutschen Grundrechtsdogmatik..............................218 b) Intervention des EGMR ..........................................................................220 c) Reaktion der deutschen Lehre .................................................................222 d) Verfassungsrechtliche Wertigkeit verschiedener Informationsinteressen ......................................................................223 e) Keine unzulässige Inhaltskontrolle .........................................................225 f) Drei-Ebenen-Modell................................................................................227 g) Anwendbarkeit auf verschiedene Kollisionsfälle....................................228 IV. Kriterien aus der Sphäre des Kommunizierenden .............................................230 1. Art der Informationserlangung.....................................................................230 a) Rechtswidrig erlangte Informationen......................................................231 b) Besonders starke Grundrechtsbeeinträchtigungen ..................................232 c) Ungewissheit des Wahrheitsgehalts ........................................................234 d) Anwendbarkeit auf verschiedene Kollisionsfälle....................................234 2. Ziel der Informationsweitergabe ..................................................................235 a) Keine Berücksichtung der Kommunikationsintention.............................235 b) Ausnahmefall des Grundrechtsmissbrauchs............................................236 V. Kriterien aus der Sphäre des Betroffenen...........................................................237 1. Vorverhalten des Betroffenen.......................................................................237 a) Kommunikationsrelevanz des Vorverhaltens..........................................237
Inhaltsverzeichnis
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b) Fehlende gesetzgeberische Entscheidung ...............................................238 c) Grundrechtsverwirkung durch Grundrechtsgebrauch?............................240 d) Das Persönlichkeitsrecht als grundrechtsgegenläufiges Prinzip .............241 2. Sphären des Persönlichkeitsrechts................................................................242 a) Gemeinsamer Nenner..............................................................................243 b) Intimsphäre .............................................................................................243 c) Privatsphäre ............................................................................................244 d) Sozialsphäre............................................................................................245 e) Fließender Übergang...............................................................................245 f) Anwendbarkeit auf verschiedene Kollisionsfälle ....................................246 3. Doppelstufiges Drei-Ebenen-Modell............................................................246 4. Kunst- und Wissenschaftsfreiheit im Drei-Ebenen-Modell..........................248
Fünftes Kapitel Lösung des Grundrechtskonflikts durch Straf- und Zivilrecht
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A. Straf- und Zivilrecht als Mittel der Konfliktlösung..................................................251 I. Strafrechtliche Sanktionen...................................................................................251 1. Beleidigung ..................................................................................................252 a) Objektiver Tatbestand .............................................................................252 b) Weitere Voraussetzungen .......................................................................253 2. Üble Nachrede..............................................................................................254 a) Objektiver Tatbestand .............................................................................254 b) Weitere Voraussetzungen .......................................................................256 3. Verleumdung................................................................................................256 II. Zivilrechtliche Ansprüche ..................................................................................257 1. Unterlassung ................................................................................................258 2. Schadenersatz und Geldentschädigung ........................................................259 a) Schadenersatz..........................................................................................260 b) Geldentschädigung .................................................................................261 3. Berichtigung.................................................................................................262 III. Auswirkungen auf die Grundrechtsfunktionen..................................................263
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Inhaltsverzeichnis 1. Auswirkungen auf das freie gesellschaftliche Klima....................................264 2. Unterscheidung nach Zukunfts- und Vergangenheitsbezogenheit................265 3. Rückwirkungen auf die Vorsatz- bzw. Verschuldensebene..........................266
B. Schutzbereichsbestimmung des Kommunikationsgrundrechts ................................267 I. Medienfreiheit .....................................................................................................267 II. Wissenschaftsfreiheit..........................................................................................268 III. Kunstfreiheit .....................................................................................................268 1. Ideolektischer Kunstbegriff..........................................................................269 2. Kriterium der Erkennbarkeit ........................................................................270 3. Anleihen am Leben und Ideolekt des Kunstwerks .......................................270 4. Subsumtion im Einzelfall .............................................................................271 C. Auslegung des Kommunikationsinhalts...................................................................273 I. Ermittlung der Signifikate ...................................................................................273 II. Unterteilung nach denotativen und konnotativen Codes ....................................274 III. Auswahl der relevanten Signifikate ..................................................................275 1. Hintergrundwissen und Kommunikationszusammenhang............................275 2. Modifizierungen bei Kunst- und Wissenschaftskommunikation..................276 IV. Das Problem der Mehrdeutigkeit ......................................................................278 1. Unterschiedliche Auslegungsmaßstäbe? ......................................................279 2. Lösung auf der Vorsatz- bzw. Verschuldensebene.......................................281 a) Auswirkungen im Zivilrecht ...................................................................282 b) Auswirkungen im Strafrecht ...................................................................283 D. Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.........................................284 I. Tatbestandsmäßigkeit im Zivilrecht.....................................................................284 II. Tatbestandsmäßigkeit im Strafrecht ...................................................................285 E. Abwägung auf der Ebene der Rechtswidrigkeit .......................................................286
Zusammenfassende Thesen........................................................................................288
Literaturverzeichnis ...................................................................................................302 Sachverzeichnis...........................................................................................................321
Abkürzungsverzeichnis a.A. a.F. ABl. Abs. AfP AIG Bbg AK-GG Alt. Anl. AöR ArbEG ARSP Art. ausf. BAG BAGE BArchG BayObLG BayObLGSt BayVBl. BB Bd. BDSG Beschw. BGB BGBl. BGH BKAG bspw. BT-Drs. BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE BZRG d.h. DDR ders. dies. DM DÖV DuD
andere Ansicht alte Fassung Amtsblatt Absatz Archiv für Presserecht Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz Brandenburg Alternativkommentar zum Grundgesetz Alternative Anlage Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitnehmererfindergesetz Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Artikel ausführlich Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bundesarchivgesetz Bayerisches Oberstes Landesgericht Entscheidungssammlung des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen Bayerische Verwaltungsblätter Der Betriebs-Berater Band Bundesdatenschutzgesetz Beschwerde Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt (seit 1951: Teil I u. II) Bundesgerichtshof Bundeskriminalamtgesetz beispielsweise Drucksachen des Deutschen Bundestages Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bundeszentralregistergesetz das heißt Deutsche Demokratische Republik derselbe dieselbe(n) Deutsche Mark Die Öffentliche Verwaltung Datenschutz und Datensicherheit
20 DVBl. EG EGMR EMRK Entsch. EuGRZ EWG EWiR f. ff. FAZ FG Fn. FS GA GewO GG ggf. GRUR GRUR Int. GRUR-RR GS h.M. hrsg. Hrsg. HS. HdBStR HdbVerfR i.d.F. i.e.S. IFG IFG Bln IFG NRW IFG-ProfE IFG SH i.V.m. J. Jb. JöR JR Jura JuS JW JZ K&R Kap. KG
Abkürzungsverzeichnis Deutsches Verwaltungsblatt Europäische Gemeinschaft(en) Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäische Menschenrechtskonvention Entscheidung Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht folgende; für fortfolgende Frankfurter Allgemeine Zeitung Festgabe Fußnote Festschrift Goldammers Archiv für Strafrecht Gewerbeordnung Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht – Internationaler Teil Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht – Rechtsprechungs-Report Gedächtnisschrift herrschende Meinung herausgegeben Herausgeber Halbsatz Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. v. Josef Isensee und Paul Kirchhof Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. v. Ernst Benda, Werner Maihofer und Hans-Jochen Vogel in der Fassung im engeren Sinne Informationsfreiheitsgesetz des Bundes Berliner Informationsfreiheitsgesetz Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen Professorenentwurf eines Informationsfreiheitsgesetzes Informationsfreiheitsgesetz für das Land Schleswig-Holstein in Verbindung mit Jahr; Jahre Jahrbuch Jahrbuch des öffentlichen Rechts Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kommunikation & Recht Kapitel Kammergericht
Abkürzungsverzeichnis KJ KUG KUR LG lit. LK-StGB LKV LMG LPG Ls. m. abw. M. MDR MMR MüKo m.w.N. n.F. NJ NJW NJW-RR Nr. Nrn. NStZ NStZ-RR NVwZ OLG OVG RG RGBl. RGRK RGSt RGZ Rn. S. s. s.o. s.u. Slg. sog. StGB StPO StUG StVG u.a. UFITA UIG UIGKostV UIRL UrhR Urteil v.
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21
22 VersR VG vgl. VVDStRL WissR WRP WRV z.B. z.T. ZaöRV ZEuP ZIP Zs. ZStW ZUM ZUM-RD
Abkürzungsverzeichnis Versicherungsrecht Verwaltungsgericht vergleiche Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Wissenschaftsrecht Wettbewerb in Recht und Praxis Weimarer Reichsverfassung zum Beispiel zum Teil Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für europäisches Privatrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht Rechtsprechungsdienst
Einleitung Als zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Verschlüsselung zur dichterischen Praxis wurde,1 war es Thomas Mann, der mit seinem Roman „Die Buddenbrooks“ diese Entwicklung zu einem vorläufigen literarischen Höhepunkt brachte. Denn Mann wollte mit diesem Werk mehr als den „Verfall einer Familie“ schildern. Ihm selbst galt der Roman als eine „Seelengeschichte des deutschen Bürgertums, von der nicht nur dieses selbst, sondern auch das europäische Bürgertum überhaupt sich angesprochen fühlen konnte.“2 Um diese Seelengeschichte mit Leben zu füllen, bediente sich der Künstler des vorgefundenen geistigen Materials, das ihm seine engere Umwelt bot. Er verarbeitete seine Eindrücke, Erlebnisse und Ansichten vom Lübecker Bürgertum des ausgehenden 19. Jahrhunderts, um so seine „persönlich-familiären Erfahrungen“ zum Roman zu stilisieren.3 Thomas Mann bezog sich so offensichtlich auf reale menschliche Vorbilder aus seiner Umwelt, „daß es zuweilen geradezu verwundert, warum er sich überhaupt die Mühe macht, die Namen der Orte und Menschen zu verändern.“4 Nach Erscheinen des Romans kursierten in Lübeck deshalb verschiedenste „Entschlüsselungslisten“, mit denen die Romanfiguren tatsächlich lebenden Personen gleichgesetzt wurden.5 Trotz der mitunter wenig schmeichelhaften Darstellung der Figuren und der vermeintlichen Rückschlüsse, die diese auf die realen Vorbilder ermöglichte, verlief die Auseinandersetzung der betroffenen, sich portraitiert gesehenen Verwandten und Bekannten Thomas Manns ausschließlich auf der gesellschaftlichen Ebene.6 Zu einer juristischen Auseinandersetzung kam es nie. Trotz gewisser Ähnlichkeiten in der Fallgestaltung war seinem Sohn Klaus Mann ein anderes Schicksal beschieden, als er im Jahr 1936 sein Werk „Mephisto“ als „Roman einer Karriere“ veröffentlichte. In der Darstellung seines Protagonisten Hendrik Höfgen, der als begabter Schauspieler im Pakt mit den Machthabern des nationalsozialistischen Deutschlands seine künstlerische Kar––––––––––– 1
Vgl. zu dieser Entwicklung Rösch, Clavis scientiae, S. 182 ff. Th. Mann, zitiert nach Jens (Hrsg.), Kindlers Literatur Lexikon, S. 62. 3 Th. Mann, in: ders., Essays, Bd. 6, S. 160 (171). 4 de Mendelssohn, in: Bludau/Heftrich/Koopmann (Hrsg.), Thomas Mann 18751975, S. 606 (610 f.). 5 Diese in der Stadtbibliothek Lübeck verwahrten Dokumente sind abgedruckt bei Dräger (Hrsg.), Buddenbrooks, S. 21 ff. 6 Bestes Beispiel dafür ist die Annonce, die Friedrich Mann am 28.10.1913 in den „Lübeckischen Anzeigen“ veröffentlichen ließ, wiedergegeben in Th. Mann, Briefe 1889-1936, S. 386. 2
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riere rücksichtslos vorantreibt und so erst zum Preußischen Staatsrat und schließlich zum Generalintendanten der Preußischen Staatstheater aufsteigt, lassen sich deutliche Parallelen zum Leben Gustav Gründgens erkennen, dem ehemaligen Schwager Klaus Manns. Und in der Tat benutzte Klaus Mann das Leben Gründgens als Rohstoff, aus dem heraus er seinen Roman erfand. Indes stellt „Mephisto“ keinesfalls ein exaktes Portrait Gründgens dar. Klaus Mann selbst führte zu dem Verhältnis der realen Person zur literarischen Figur aus: „Der ruchlos brillante, zynisch rücksichtslose Karrieremacher, der im Mittelpunkt meiner Satire steht, mag gewisse Züge von einem gewissen Schauspieler haben [...]. Ist der Staatsrat und Intendant Hendrik Höfgen, dessen Roman ich schrieb, ein Porträt des Staatsrates und Intendanten Gustaf Gründgens, mit dem ich als junger Mensch bekannt war? Doch nicht ganz. Höfgen unterscheidet sich in mancher Hinsicht von meinem früheren Schwager. Aber angenommen sogar, daß die Romanfigur dem Original ähnlicher wäre, als sie es tatsächlich ist, Gründgens könnte darum immer noch nicht als der 'Held' des Buches bezeichnet werden. Es geht in diesem zeitkritischen Versuch überhaupt nicht um den Einzelfall, sondern um den Typ. Als Exempel hätte mir genauso gut ein anderer dienen können. Meine Wahl fiel auf Gründgens – nicht, weil ich ihn für besonders schlimm gehalten hätte [...], sondern einfach, weil ich ihn zufällig besonders genau kannte. Gerade in Anbetracht unserer früheren Vertrautheit erschien mir seine Wandlung, sein Abfall so phantastisch, kurios, unglaubhaft, fabelhaft genug, um einen Roman darüber zu schreiben.“7 Später ergänzte der Autor sein Werk deshalb um einen Vorspruch: „Alle Personen dieses Buches stellen Typen dar, nicht Porträts.“ Gleichwohl sah der Erbe Gründgens, als der Roman 1963 erstmals in der Bundesrepublik Deutschland erscheinen sollte, in der Veröffentlichung des Buches das postmortale Persönlichkeitsrecht seines Adoptivvaters verletzt. In einem bis dahin einmaligen Rechtsstreit versuchte er, die Verbreitung des Romans zu verhindern, und obsiegte mit diesem Begehren schließlich vor dem Bundesgerichtshof.8 Die Verfassungsbeschwerde des Verlags, der die Rechte an dem Roman des mittlerweile verstorbenen Autors besaß, blieb ohne Erfolg.9 Dieses abweisende Urteil markiert nicht nur einen Meilenstein im Verhältnis von Recht und Kunst, indem es sich so weit in den originären Bereich der Kunst vorwagt, wie es in der juristischen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nicht vorgekommen war. Vor allen Dingen aber setzte es Maßstäbe für das Verhältnis von Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht im Spannungsfeld von Realität und Fiktion, die bis heute maßgebend und dominierend sind.
––––––––––– 7 8 9
K. Mann, Der Wendepunkt, S. 335. BGHZ 50, 133. BVerfGE 30, 173.
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Wie grundlegend und tiefgreifend die juristische Wertung dieses Verhältnisses vor allen Dingen die künstlerische Gattung der Literatur betrifft, lässt sich abstrakt erahnen, wenn man den Worten John Updikes Glauben schenkt, dass kaum eine Geschichte in Druck geht, ohne dass ein lebendes Modell gekränkt oder verletzt wird, ein Mensch, der sich nur allzu richtig wiedergegeben sieht und doch nicht richtig genug.10 Konkret betrachten lässt sich ihre Bedeutung an den in jüngerer Zeit vermehrten Rechtsstreitigkeiten, deren vorläufigen Höhepunkte das Verfahren um den Vertrieb des Romans „Esra“ von Maxim Biller bildet. In dem Roman, der die Liebesbeziehung des Ich-Erzählers zur Ex-Frau seines besten Freundes schildert, die maßgeblich durch das Verhältnis zu deren Mutter dominiert wird, sahen sich die ehemalige Geliebte Billers und ihre Mutter in unzulässiger Weise portraitiert. Auch sie obsiegten mit ihrem Begehren, die Verbreitung des Romans zu verhindern, letztinstanzlich vor dem Bundesgerichtshof.11 Und auch in diesem Fall untersagte das Gericht einen Roman als Schlüsselroman, der doch kein Schlüsselroman sein wollte, sah Personen portraitiert, wo doch nur Typen gemeint war. Denn auch für Biller soll doch „Literatur [...] nichts anderes [sein] als eine stetige, ewige Recherche des menschlichen Daseins, der Geschichte des Einzelnen, einer Gruppe, eines Volkes, ja der ganzen Menschheit“, und damit letztlich „die Suche nach uns selbst“.12 Die zunehmende Entwicklung, Privates und Persönliches in stärker oder weniger stark verfremdeter Form zu veröffentlichen und dadurch rechtliche Konflikte mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auszulösen, ist keineswegs der Kunstgattung Literatur und noch nicht ein Mal der Kommunikationsgattung Kunst vorbehalten. Seit längerem existiert in allen Bereichen der Massenmedien ein gefestigter Trend, Privates öffentlich zu machen.13 Die Massenmedien bedienen sich in zunehmender Form des Mediums der Personalisierung, um Aufmerksamkeit für ihre Programminhalte zu erringen.14 Es existiert mittlerweile eine ganze Industrie, die allein von diesem Sektor des massenmedialen Marktes lebt.15 Allein der rechtliche Maßstab, mit dem die solcherart journalistische Verarbeitung von Persönlichkeitsbildern in der Öffentlichkeit gemessen wird, scheint im Vergleich zum Bereich der Kunst ein anderer zu sein. Denn während das Verhältnis des Persönlichkeitsschutzes zur Kunstfreiheit, deren Schrankenlo––––––––––– 10
So zitiert bei Hage, Der Spiegel Nr. 41 v. 6.10.2003, S. 158. BGH, NJW 2005, S. 2844 ff. 12 Biller, Interview mit Josef Bielmeier v. 11.10.1999 im Bayerischen Rundfunk, . 13 Vgl. zu dieser Entwicklung Ladeur, ZUM 2004, S. 426 (427); Imhof (Hrsg.), Die Veröffentlichung des Privaten – die Privatisierung des Öffentlichen; Roessler, Der Wert des Privaten; Ariès/Duby (Hrsg.), Historie de la vie privée. 14 Vgl. Bolz, Eine kurze Geschichte des Scheins, passim; Luhmann, Die Realität der Massenmedien, S. 111. 15 Vgl. etwa nur Wolf, The Entertainment Economy, passim. 11
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sigkeit Art. 5 Abs. 3 GG statuiert, in der Rechtspraxis von einem deutlichen Vorrang des Persönlichkeitsschutzes geprägt ist, scheint im Verhältnis zur Meinungs- und Pressefreiheit, denen Art. 5 Abs. 2 GG unter anderem das Recht der persönlichen Ehre als explizite Schranke entgegensetzt, in vielen Bereichen ein Präjudiz für die Zulässigkeit auch persönlichkeitsrechtsrelevanter Äußerungen erkennbar zu sein. Die grundsätzliche „Vermutung für die Freiheit der Rede in allen Bereichen“,16 die das Bundesverfassungsgericht aus der besonderen Bedeutung der Meinungsfreiheit in der freiheitlichen Demokratie herleitet, scheint so in weiten Teilen auch gegenüber der Gewährleistung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu gelten. Insbesondere Personen des öffentlichen Lebens – in der Zivilrechtsprechung durch die Figur der Person der Zeitgeschichte umschrieben – müssen nach den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts ein Höchstmaß an Öffentlichkeit ihrer Person in berichterstattenden wie in unterhaltenden Beiträgen dulden. Wort- wie Bildbeiträge in den Massenmedien sollen immer auch dann zulässig sein, wenn sie den Prominenten in alltäglichen oder privaten Zusammenhängen zeigen, und zwar unabhängig davon, ob die betreffende Person aufgrund historischer oder politischer Zusammenhänge oder allein aufgrund ihres Status und ihrer Bedeutung allgemeine öffentliche Aufmerksamkeit findet.17 Die Öffentlichkeit einer Person wird so zum selbstreferentiellen System: Steht jemand in der Öffentlichkeit, besitzt er öffentliche Aufmerksamkeit und besteht ein öffentliches Interesse an ihm, so darf auch öffentlich über ihn berichtet werden. Er ist gefangen in einer öffentlichen Rolle, aus der er kaum noch entkommen kann. Zwar wurde in dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jüngst vom EGMR ein Verstoß gegen Art. 8 EMRK und damit eine Völkerrechtsverletzung ausgemacht.18 Welche Auswirkungen diese Entscheidung allerdings auf die deutsche Rechtspraxis haben wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch ungewiss. Wie lässt sich dieser Ungleichlauf des Persönlichkeitsschutzes in Literatur und Journalismus erklären? Wie lässt sich sein so unterschiedliches Gewicht mit der Grundrechtsdogmatik des Art. 5 GG vereinbaren? Welche Rolle spielt das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Konflikt mit der Freiheit der Massenmedien im Spannungsfeld von Kunst, Unterhaltung und Information? Der Lösung dieser Fragestellungen begegnet die Arbeit in den ersten vier Kapiteln auf abstrakter Ebene, bevor im fünften Kapitel auf konkreter Ebene die einfachgesetzlichen, straf- und zivilrechtlichen Instrumente der Konfliktlösung untersucht werden. Dafür nimmt die Arbeit zunächst eine grundlegende Betrachtung und Neukonzeptionierung der grundgesetzlichen Freiheit der Massenkommunikation in Hinblick auf die Meinungs-, Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG und die Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG ––––––––––– 16 17 18
BVerfGE 7, 198 (208). Wegeweisend insofern BVerfGE 101, 361. EGMR, NJW 2004, S. 2647 ff.
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vor (Kapitel 1). Anschließend stellt sie sich der Frage nach der Auslegung und Ermittlung des Kommunikationsinhalts der solcherarts grundrechtlich geschützten Äußerungen. Denn nur auf der Basis einer grundrechtlich einwandfreien Inhaltsermittlung kann die grundlegende Frage entschieden werden, ob im konkreten Fall ein Konflikt der grundrechtlich geschützten Kommunikation mit anderen Rechtspositionen überhaupt vorliegt. Für diese im Vergleich zu anderen grundrechtlichen Gewährleistungen einzigartige Methode werden die kommunikationstheoretischen Modelle der Semiotik in die rechtswissenschaftliche Auslegungsmethodik eingeführt, um zu einem umfassenden, wissenschaftlich fundierten Auslegungsmodell im rechtswissenschaftlichen Kontext zu gelangen (Kapitel 2). Auf dieser Grundlage erfolgt sodann die Analyse von Inhalt und Struktur des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Hinblick auf diejenigen Aspekte, die mit den solcherart ermittelten Kommunikationsinhalten in Konflikt geraten können. Dabei werden die spezifischen Aspekte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Kommunikationsrestriktionsrecht herausgearbeitet und systematisiert (Kapitel 3). In einem letzten Schritt auf der abstrakten Ebene werden schließlich die Kriterien untersucht, mit denen auf der Ebene der Grundrechtskollision, isoliert von etwaigen straf- oder zivilrechtlichen Handlungsmechanismen, der Ausgleich zwischen den im Einzelfall in Konflikt stehenden Interessen vorgenommen werden kann. Dabei wird im Ergebnis ein doppelstufiges Drei-Ebenen-Modell entwickelt, mit dessen Hilfe die grundrechtlich notwendige Abwägung differenzierter, systematischer und im Einzelfall gerechter und vorhersehbarer vorgenommen werden kann (Kapitel 4). Im Anschluss an diese abstrakten Erkenntnisse werden im letzten Teil der Arbeit die konkreten staatlichen Reaktionsmechanismen untersucht, die im Konflikt zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auf der einen Seite und den Medienfreiheiten sowie der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit auf der anderen Seite zur Verfügung stehen. Dabei werden nicht nur die im abstrakten Teil entwickelten Modelle in Hinblick auf Inhaltsermittlung, Konfliktanalyse und Grundrechtsabwägung in die konkreten einfachgesetzlichen Maßnahmen eingepasst, sondern auch die besonderen Rückwirkungen des Verfassungsrechts auf die Auslegung des einfachen Rechts untersucht und dargestellt (Kapitel 5).
Erstes Kapitel
Die grundgesetzliche Freiheit der Massenkommunikation Die Kommunikation über Massenmedien unterscheidet sich von anderen Formen der Kommunikation vor allem dadurch, dass sie keine Interaktion unter Anwesenden zwischen Sender und Empfänger ermöglicht.1 Es handelt sich somit um eine einseitige Übermittlung von Daten an einen größeren, nicht ohne weiteres überschaubaren Personenkreis.2 Der grundrechtliche Schutz dieses Kommunikationsverhaltens findet seine zentrale Verankerung in den Gewährleistungen des Art. 5 GG, der in seinem Absatz 1 zunächst die klassischen Kommunikationsfreiheiten der Meinungsund Pressefreiheit sowie die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film verfassungsrechtlich verankert. Doch auch die in Absatz 3 gewährleistete Kunst- und Wissenschaftsfreiheit gehört in diesen Zusammenhang. Zwar liegt bei diesen Grundrechtsgewährleistungen prima vista der Schwerpunkt des geschützten Verhaltens weniger auf der Kommunikation als auf der Produktion von geistigen Inhalten künstlerischer oder wissenschaftlicher Natur. Wie noch zu zeigen sein wird, hat die (mitgeschützte) Verbreitung dieser Inhalte aber eine derart entscheidende Bedeutung im Rahmen ihres Grundrechtsschutzes, dass beide Grundrechte durchaus in das System der Kommunikationsfreiheiten miteinbezogen werden können, wie dies bereits ihre Stellung im Normtext anlegt. Darüber hinaus gehören zur grundgesetzlichen Kommunikationsverfassung3 auch noch die Grundrechte der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit.4 Diese können in diesem Zusammenhang aber außer Betracht bleiben, weil sie gerade den Bereich der direkten Kommunikation und nicht der Kommunikation mittels Massenmedien schützen. Als maßgeblich für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Massenkommunikation erweisen sich also abschließend die Freiheitsgewährleistungen des Art. 5 GG. ––––––––––– 1
Luhmann, Die Realität der Massenmedien, S. 10 f. Vgl. Jarass, Die Freiheit der Massenmedien, S. 29 ff.; Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 5 Abs. I, II Rn. 51; ähnlich auch Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 5 I, II Rn. 86. 3 Vgl. zum Begriff Scholz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 9 Rn. 9. 4 Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 8 Rn. 2; vgl. auch Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 8 Rn. 15; Bauer, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 9 Rn. 20. 2
A. Bestandsaufnahme
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A. Bestandsaufnahme Aufgrund der erheblichen Zunahme von Sende- wie Empfangskapazitäten seit Inkrafttreten des Grundgesetzes5 hat sich das System der (öffentlichen) Kommunikation mittels Massenmedien in hohem Maße ausdifferenziert. Diese Ausdifferenzierung umfasst etwa die Erschließung neuer Kommunikationsmedien, aber auch eine Ausweitung der Themen, über die Massenkommunikation stattfindet sowie schließlich die Entwicklung neuer Kommunikationsstrukturen innerhalb der bestehenden Medien.6 Umso mehr nimmt es deshalb Wunder, dass im gleichen Zeitraum die juristische Dogmatik der Kommunikationsfreiheiten des Art. 5 GG an Ausdifferenziertheit verloren hat. In der Rechtswissenschaft hat sich vielmehr eine umgekehrt proportionale Entwicklung gezeigt, hin zu einer simpleren Struktur, mit der Kommunikation erfasst wird, einfacher vor allem auch, als dies der variantenreiche Wortlaut vermuten lassen könnte.
I. Einheitliches Kommunikationsgrundrecht der Meinungsfreiheit Diese Entwicklung zeigt sich zum einen in der Vereinheitlichung der kommunikationsspezifischen Schutzbereiche des Art. 5 Abs. 1 GG. Zwar hat sich zunächst an der grundsätzlichen Unterscheidung zwischen Presse, Rundfunk und Film sowie Meinungsäußerungen als solcher wenig geändert. Trotz der abstrakt unterschiedlichen Schutzbereiche läst sich allerdings eine zunehmende Vereinheitlichungstendenz ausmachen. Betrachtet man die gängigen abstrakten Definitionen, so sind unter Meinungen im Sinne des Art. 5 Abs. 1 GG zunächst Werturteile zu verstehen, d.h. Äußerungen des Dafürhaltens, die durch die subjektive Beziehung zwischen dem Sprecher und seiner Aussage gekennzeichnet sind.7 Weiterhin ist aber anerkannt, dass darüber hinaus auch solche Tatsachenbehauptungen dem Schutz der Meinungsfreiheit unterfallen, die der Meinungsbildung dienen können.8 Dabei unterscheiden sich Tatsachen von Meinungsäußerungen dadurch, dass sie einer Überprüfung auf ihren Wahrheits- und Richtigkeitsgehalt, mithin dem Beweis zugänglich sind.9 Ein Ausschluss aus dem Schutzbereich gilt für Tatsachenäußerungen nach herrschender Meinung lediglich dann, wenn sie ––––––––––– 5 Vgl. grundlegend zur Entwicklung seit dem 17. Jahrhundert Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, passim. 6 Vgl. etwa zur so entstandenen neuen „Unterhaltungsöffentlichkeit“ Ladeur, NJW 2004, S. 393 (394); ders., NJW 2000, S. 1977 (1979). 7 Vgl. BVerfGE 7, 198 (210); 61, 1 (8); 71, 162 (179); Grimm, NJW 1995, S. 1697 (1698). 8 BVerfGE 90, 1 (14 f.); BVerfG, NJW 2003, S. 1855 (1855). 9 BVerfGE 90, 241 (247); BVerfG, NJW 2003, S. 1855 (1855).
Kap. 1: Die grundgesetzliche Freiheit der Massenkommunikation
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erwiesen unwahr sind und die Unwahrheit dem Äußernden bekannt ist oder bereits zum Zeitpunkt der Äußerung unzweifelhaft feststeht.10 Der so definierten Meinungsfreiheit stehen die Gewährleistungen der Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gegenüber. Die Abgrenzung dieser Kommunikationsfreiheiten untereinander sowie in Bezug auf die Meinungsfreiheit vollzieht sich anhand des Übertragungsmediums. So wird der von der Pressefreiheit geschützte Bereich definiert als die Gesamtheit aller für die Öffentlichkeit bestimmten Druckerzeugnisse.11 Unter Rundfunk versteht man die Verbreitung von Informationen aller Art für eine unbestimmte Anzahl von Personen mit Hilfe elektromagnetischer Wellen.12 Unter Film wird schließlich die Übermittlung von Gedankeninhalten durch bewegte Bilderreihen, die zur Projektierung bestimmt sind, verstanden.13 Diese scheinbare Differenz zwischen den verschiedenen Gewährleistungen löst sich allerdings dadurch auf, dass der eigentliche Kommunikationsakt, der mittels der derart beschriebenen Medien vollzogen wird, in der jüngeren Dogmatik ausschließlich der Meinungsfreiheit zugeordnet wird,14 während die Gewährleistungen des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG lediglich die die Kommunikation vorbereitenden sowie begleitenden Tätigkeiten umfassen sollen. Darüber hinaus sollen diese speziellen Schutzbereiche erst dann eröffnet sein, wenn die über einzelne Meinungsäußerungen hinausreichende Bedeutung der Presse (bzw. des Rundfunks oder Films) für die individuelle und öffentliche Meinungsbildung in Rede steht.15 Die Kommunikationsfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG reduzieren sich somit auf eine einzelne zentrale Kommunikationsfreiheit – die Meinungsfreiheit – flankiert von weiteren Grundrechtsgewährleistungen, die lediglich die institutionalisierte Infrastruktur bestimmter Kommunikationsmedien betrifft. Dies gilt umso mehr, als auch die Beschaffung von allgemein zugänglichen Informationen durch Presse und Rundfunk, als Gegenpol zur Kommunikation und dieser vorverlagert, nach neuerer Rechtsprechung nunmehr ebenfalls nur noch der ––––––––––– 10
BVerfGE 99, 185 (197). Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 5 I, II Rn. 68; Jarass/Pieroth, GG, Art. 5 Rn. 20; Kunig, Jura 1998, S. 5899 (390 f.). 12 Bullinger, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdBStR VI, § 142, Rn. 4. 13 Bullinger, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdBStR VI, § 142, Rn. 3, 83; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 580; Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. I, Art. 5 Rn. 61; ausführlich Reupert, NVwZ 1994, S. 1155 (1155). 14 BVerfGE 97, 391 (400); BVerfG, NJW 2004, S. 590 (591); BVerfG, 6.9.2004, AZ: 1 BvR 1279/00. Ohne nähere Begründung bereits BVerfGE 86, 1. Von einem in den Schutz der Pressefreiheit eingebetteten Schutz der Meinungsfreiheit sprechen hingegen BVerfGE 102, 347 (359); 107, 275 (280). Diese Entwicklung kritisierend Hillgruber/Schemmer, JZ 1992, S. 946, Fn. 11; Ladeur, NJW 2000, S. 1977 (1977). 15 BVerfGE 85, 1 (12 f.); 95, 28 (34); 97, 391 (400). 11
A. Bestandsaufnahme
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Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, nicht mehr jedoch den spezifischen Grundrechten des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG unterfällt.16
II. Diffuses Bild der Kunstkommunikation Verstärkt wird die zurückgehende rechtliche Ausdifferenzierung der Kommunikation im Bereich der Kunstfreiheit durch die Bewegungsunfähigkeit, in die sich die Dogmatik zwischen der „Unmöglichkeit, Kunst generell zu definieren“,17 und der Notwendigkeit, Kunst als Rechtsbegriff einer justitiablen Definition zu unterwerfen,18 manövriert hat. So diffus ist die Vorstellung davon, was Kommunikation durch Kunst ist, dass eine einheitliche Definition in der juristischen Wissenschaft nicht besteht. Diese Unmöglichkeit einer einheitlichen Definition qualifiziert das Bundesverfassungsgericht sogar als Wesensmerkmal der Kunst, in dem es konstatiert: „Wie weit die Kunstfreiheitsgarantie der Verfassung reicht und was sie im Einzelnen bedeutet, lässt sich nicht durch einen für alle Äußerungsformen künstlerischer Betätigung und für alle Kunstgattungen gleichermaßen gültigen allgemeinen Begriff umschreiben.“19 Statt dessen behilft es sich damit, verschiedene Erklärungsmodelle zu bemühen, die je nach Fallgestaltung alternativ oder kumulativ zur Anwendung kommen. So wird nach dem materiellen Kunstbegriff jede freie schöpferische Gestaltung als Kunst definiert, in der durch das Medium einer Formensprache persönliche Erlebnisse zur unmittelbaren Anschauung gelangen.20 Ansatzpunkt für eine Qualifizierung als Kunst ist hier also der Kommunikationsakt des Künstlers über innere Vorgänge mittels der Form. Dem formalen Kunstbegriff zufolge liegt das Wesentliche eines Kunstwerkes darin, dass bei formaler, typologischer Betrachtung die Gattungsanforderungen eines bestimmten Werktyps, wie etwa des Malens, Bildhauens oder Dichtens, erfüllt sind.21 Entscheidend ist demnach somit nur die Wahl einer Form, die anerkanntermaßen der Kunst zugeordnet wird, womit die Definition ––––––––––– 16
Vgl. BVerfGE 104, 44 (59). BVerfGE 67, 213 (225); 75, 369 (377). Für ein generelles Definitionsverbot hingegen Knies, Schranken der Kunstfreiheit als verfassungsrechtliches Problem, S. 218; Hoffmann, NJW 1985, S. 237 (238). 18 BVerfGE 67, 213 (225); 75, 369 (377); vgl. auch Isensee, AfP 1993, S. 619 (623). 19 BVerfGE 30, 173 (183 f.); 67, 213 (224). 20 BVerfGE 30, 173 (188); 67, 213 (225); 75, 369 (377); Scholz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 5 Abs. 3, Rn. 24, 29; vgl. auch Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 5 III (Kunst) Rn. 18. 21 BVerfGE 67, 213 (226 f.); Müller, Freiheit der Kunst als Problem der Grundrechtsdogmatik, S. 41 f.; Knies, Schranken der Kunstfreiheit als verfassungsrechtliches Problem, S. 219. 17
Kap. 1: Die grundgesetzliche Freiheit der Massenkommunikation
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sich als Tautologie darstellt, indem sie schlicht auf außerrechtliche Maßstäbe dessen, was als Kunst anerkannt ist, verweist. Der offene Kunstbegriff schließlich sieht das kennzeichnende Merkmal der künstlerischen Gestaltung in der „Mannigfaltigkeit ihres Aussagegehaltes, die es ermöglicht, der Darstellung im Wege einer fortgesetzten Interpretation immer weiter reichende Bedeutungen zu entnehmen, so dass sich eine praktisch unerschöpfliche vielstufige Informationsvermittlung ergibt.“22 Maßgeblich ist nach diesem Begriff somit allein die Bedeutungsvielfalt der über die Kommunikation vermittelten Daten. Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Folge beschreiben all diese Modelle Teilaspekte des Kunstsystems und enthalten so „tragfähige Gesichtspunkte, die in ihrer Gesamtheit im konkreten Einzelfall eine Entscheidung ermöglichen, ob ein Sachverhalt in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG fällt.“23 Mit dieser weiten Alternativformel wird eine ausdifferenzierte Betrachtung der Kunst in Abgrenzung zu anderen Kommunikationsformen schon aufgrund der unscharfen Grenzziehung unmöglich. Denn wie soll ein Kommunikationsphänomen juristisch präzise aufgearbeitet werden können, wenn nicht einmal die Beschreibung des Phänomens gelingt?
III. Fehlende Abgrenzung im Einzelfall Neben der umfassenden Meinungsfreiheit sowie der diffusen Kunstfreiheit verbleibt der Dogmatik noch die Wissenschaftsfreiheit als spezielles Kommunikationsrecht. Diese ist nach wie vor klar dadurch abgegrenzt, dass sie den ernsthaften und planmäßigen Versuch zur Ermittlung von Wahrheit darstellt, und somit als Tätigkeit verstanden wird, die das Ziel hat, in methodischer, systematischer und nachprüfbarer Weise neue Erkenntnisse zu gewinnen.24 Dabei verdeutlicht nicht nur die mitgewährleistete Freiheit der Lehre den kommunikationsspezifischen Aspekt dieses Grundrechts. Auch über diesen Aspekt hinaus ist die Vermittlung der wissenschaftlichen Erkenntnisse umfassend von der Wissenschaftsfreiheit gewährleistet,25 so dass das Grundrecht zu Recht seine Stellung in Art. 5 GG behaupten kann.
––––––––––– 22
BVerfGE 67, 213 (227), unter Rückgriff auf v. Noorden, Die Freiheit der Kunst nach dem Grundgesetz und die Strafbarkeit der Verbreitung unzüchtiger Darstellungen, S. 87. 23 BVerfGE 67, 213 (225 f.). 24 BVerfGE 35, 79 (113); 47, 327 (367); 90, 1 (11); Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 621. 25 BVerfGE 35, 79 (112 f.); Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art 5 III (Wissenschaft) Rn. 20; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 623.
A. Bestandsaufnahme
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Selbst diese geringe Ausdifferenzierung zwischen den drei Grundrechten verliert jedoch zunehmend an Unterscheidungskraft. Denn neben der Dogmatik ist es vor allen Dingen auch die Rechtsprechungspraxis, die die rechtliche Bewertung von Massenkommunikationsphänomenen einer ausdifferenzierten Betrachtung entzieht, indem sie eine klare Unterscheidung zwischen den verschiedenen von der Verfassung geschützten Kommunikationsformen am Einzelfall überhaupt nicht mehr vornimmt. Trotz – oder gerade wegen – der weiten und undifferenzierten Schutzbereiche neigt die Rechtsprechung in zunehmendem Maße dazu, eine eindeutige Subsumtion der Lebenssachverhalte zu vermeiden und sich statt dessen auf die Meinungsfreiheit als lex generalis und damit jedenfalls einschlägigen Prüfungsmaßstab zurückzuziehen.26 Lediglich in Fällen, in denen die Einschlägigkeit des speziellen Grundrechtes offensichtlich und unbestritten ist, wird die Spezialität gegenüber der Meinungsfreiheit betont.27 Eine andere Möglichkeit, der Abgrenzung der einzelnen Kommunikationsfreiheiten voneinander zu entgehen, wird für die Praxis darüber hinaus darin gesehen, den konkreten Schutzbereich im Einzelfall nur hypothetisch darauf zu prüfen, ob die verfassungsrechtlichen Schranken im Falle der Einschlägigkeit des Grundrechts eingreifen würden, um dann dahinstehen zu lassen, ob das geprüfte Verhalten tatsächlich dem Grundrechtstatbestand unterfällt.28 Die dem Grundrechtsgebrauch entgegenstehenden verfassungsrechtlich geschützten Interessen werden dabei derart hoch gewichtet, dass das Überwiegen jeder Kommunikationsfreiheit – egal welcher – ausgeschlossen wird. Dieser Ansatz führt, genau wie der zuvor beschriebene, zu dem Ergebnis, dass eine Auseinandersetzung mit den spezifischen Merkmalen der jeweils geschützten Kommunikationsbereiche gänzlich unterbleibt.29 Selbst zwischen den drei verbliebenen speziellen Kommunikationsfreiheiten wird somit auf eine Unterscheidung zunehmend verzichtet, wodurch das abgestufte grundrechtliche Konstrukt des Art. 5 GG in der Praxis als zunehmend obsolet erscheint. Es bleibt ein vereinheitlichter Schutzbereich der Meinungs-
––––––––––– 26 Vgl. etwa BVerfG, NJW 2004, S. 590 f.; NJW 2002, S. 3767 f.; NJW 2001, S. 591 ff.; NJW 1998, S. 1386 f.; NJW 1994, S. 1784; BVerfGE 86, 1 (9); 68, 226 (233); BGH, AfP 2004, S. 51; ZUM 2004, S. 212 ff.; JZ 1994, S. 413 ff.; NJW 1993, S. 1194; LG Berlin, AfP 1997, S. 735; die Frage offenlassend, ob neben der Rundfunk- bzw. Filmfreiheit noch die Kunstfreiheit Anwendung findet BVerfGE 35, 202 (244); 87, 209 (232). Zustimmend Zöbeley, NJW 1985, S. 254 (257); ders., NJW 1998, S. 1372 (1373). 27 So für die Kunstfreiheit bezüglich eines Theaterstücks Heiner Müllers BVerfG, NJW 2001, S. 598. 28 So für die Kunstfreiheit Zöbeley, NJW 1985, S. 254 (257); ders., NJW 1998, S. 1372 (1373). 29 Kritisch in diese Richtung deutet auch – als allgemeine Tendenz in der Grundrechtsdogmatik – Kahl, Der Staat 43 (2004), S. 167 (180).
Kap. 1: Die grundgesetzliche Freiheit der Massenkommunikation
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freiheit, unter den sämtliche Erscheinungsformen der Massenkommunikation einheitlich gefasst und an ihm gemessen werden.30
IV. Kapitulation der Dogmatik Die juristische Dogmatik hat somit auf die Realität der sich verändernden Kommunikationsprozesse mit Rückzug reagiert. Der zunehmenden Ausdifferenzierung des Kommunikationssystems folgt eine abnehmende Beschreibung dieser Phänomene, der zunehmenden Vielfalt des Massenmediensystems eine Vereinheitlichung und Vereinfachung der juristischen Sachverhalte. Diese antizyklische Entwicklung resultiert aus einer mangelnden rechtlichen Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Gegebenheiten und damit aus einer Kapitulation vor der Realität. Sie hat zur Folge, dass die modernen Formen der Massenkommunikation mit einem einheitlich groben juristischen Maßstab gemessen werden und eine werk- bzw. kommunikationsgerechte und -spezifische Betrachtungsweise unterbleibt, obwohl das Grundgesetz eindeutig eine Differenz vorsieht. Diese Praxis wird den aktuellen Kommunikationsstrukturen nicht gerecht und vermag deshalb Konflikte immer weniger zufriedenstellend zu lösen. Soll also der Kommunikation durch Massenmedien, wie sie heute vorgefunden werden können, auf rechtlicher Ebene adäquat begegnet werden, ist es zunächst erforderlich, diesen Prozess umzukehren. Es gilt daher, die Grundrechtsgewährleistungen des Art. 5 GG einer neuen, ausdifferenzierten Betrachtung zu unterziehen.31 Ausgehend vom Wortlaut der Norm sollen so unter Berücksichtigung der individuellen wie der kollektiven, gesellschaftlichen Funktionen32 der verschiedenen Formen der Massenkommunikation die grundgesetzlichen Kommunikationsfreiheiten in die Realitäten unserer Mediengesellschaft einpasst werden.
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Damit nähert sich die verfassungsrechtliche Praxis zunehmend der Rechtslage an, wie sie in der EMRK normiert ist. Auch hier wird in Art. 10 EMRK lediglich die Freiheit der Meinungsfreiheit im denkbar weitesten Sinne geschützt. Darunter fallen nicht nur Massenkommunikation genau wie Individualkommunikation. Auch die Kunstfreiheit (EGMR, NJW 1989, S. 379) sowie die Wissenschaftsfreiheit (Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 5 III (Wissenschaft) Rn. 7) werden von ihr umfasst. 31 Ähnlich auch Ladeur/Gostomzyk, NJW 2005, S. 566 (569). Möllers, NJW 2005, S. 1973 (1973 f.), sieht eine entsprechende Entwicklung der Ausdifferenzierung und gleichzeitiger Einengung der grundrechtlichen Schutzbereiche zumindest im Bereich der Art. 8, 12 und 13 GG in der jüngeren Rechtsprechung des BVerfG bereits veranlagt. 32 Jarass, Die Freiheit der Massenmedien, S. 124, spricht diesbezüglich auch vom normativem Sinn der Grundrechtsgewährleistung.
B. Meinungsfreiheit und Kommunikation
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B. Meinungsfreiheit und Kommunikation Ausgangspunkt einer solchen Neubeschreibung muss dabei zunächst das Grundsystem der grundrechtlich geschützten Kommunikation sein. Dieses Grundmodell der (Massen-) Kommunikation besteht in einer Datenübertragung vom Sender zum Empfänger mittels bestimmter Kommunikationsformen. Das Phänomen der Massenkommunikation lässt sich dementsprechend – wie jede andere Kommunikation auch – vereinfacht zerlegen in die Komponenten Sender, Empfänger, Form und Inhalt.33
I. Sender und Empfänger Keine Probleme bereitet dabei zunächst die grundrechtliche Beschreibung von Sender und Empfänger. Potentielle Sender im Rahmen des durch Art. 5 GG rechtlich konstituierten Kommunikationssystems sind alle Träger der einschlägigen Grundrechte. Darunter fallen zunächst alle natürlichen Personen, Art. 5 GG umfasst insofern nur Jedermanngrundrechte bzw. Menschenrechte.34 Darüber hinaus sind über Art. 19 Abs. 3 GG auch inländische juristische Personen in den Schutzbereich und damit in den potentiellen Senderkreis miteinbezogen, da die Grundrechte des Art. 5 GG dem Wesen nach auf sie anwendbar sind.35 Da sich das Grundgesetz zu der Frage möglicher Empfänger von grundrechtlich geschützter Kommunikation zunächst nicht verhält, ist dieser Kreis im Sinne einer größtmöglichen Freiheitsgewährleistung so weit wie möglich zu ziehen und umfasst insofern zunächst alle potentiellen Kommunikationsempfänger im Geltungsbereich des Grundgesetzes, d.h. neben natürlichen und juristischen Personen gleich welcher Herkunft auch sonstige Personengemeinschaften, sofern diese im technischen Sinne die Möglichkeit haben, Empfänger von Datenübertragungen gleich welcher Art zu sein. Sind also Sender und Empfänger für alle (Massen-) Kommunikationsfreiheiten auf diese Weise einheitlich zu bestimmen, muss sich die Ausdifferenzierung des durch Art. 5 GG geschützten Kommunikationssystems anhand der Merkmale Form und Inhalt vollziehen, die es im Folgenden für die verschiedenen ––––––––––– 33 Diese vereinfachte Darstellung soll keineswegs darüber hinwegtäuschen, wie umstritten die exakte Definition des Begriffs der Kommunikation tatsächlich ist. Merten, Kommunikation, S. 168 ff., etwa listet eine Summe von 160 wissenschaftlichen Definitionen des Phänomens der Kommunikation auf. Die Feinheiten dieser Definitionsunterschiede sind jedoch für die grundrechtliche Betrachtung der Massenkommunikation nicht von Bedeutung. 34 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 5 I, II Rn. 114; Jarass/Pieroth, GG, Art. 5 Rn. 8; Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 5 I, II Rn. 16. 35 Schmidt-Jortzig, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdBStR, Bd. 6, § 141 Rn. 15; Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 5 I, II Rn. 17 m.w.N.
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Kap. 1: Die grundgesetzliche Freiheit der Massenkommunikation
grundrechtlich geschützten Bereiche zu unterscheiden und zu beschreiben gilt.36
II. Form und Inhalt Ausgangspunkt dieser Ausdifferenzierung kann und muss die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG sein. Ihr wird nicht nur von der Dogmatik der Rechtsprechung eine Spezialität in Bezug auf die Verbreitung von Inhalten gegenüber den anderen Gewährleistungen des Art. 5 Abs. 1 GG attribuiert. Selbst ohne diese – umstrittene – Konkurrenzlösung ist doch anerkannt, dass die Meinungsfreiheit als allgemeinste Gewährleistung die Freiheit der zwischenmenschlichen Kommunikation sichert und somit als „Urgrundrecht“ zu Art. 5 Abs. 1 GG angesehen werden kann.37 Sie bildet daher die Basis für alle kommunikationsspezifischen Grundrechtsgewährleistungen und damit auch für die grundrechtliche Betrachtung der Massenmedien, die im Folgenden beschrieben werden soll.
1. Meinungsfreiheit als Kommunikationsfreiheit Betrachtet man die Anforderungen, die der Schutzbereich der Meinungsfreiheit an Form und Inhalt der geschützten Kommunikation stellt, so ist zunächst festzustellen, das die Form der Kommunikationsleistung für den weiten grundrechtlichen Schutz der Meinungsfreiheit keinerlei Rolle spielt. Sie kann in jeder beliebigen Art manifestiert oder auch ohne Manifestierung schlicht geäußert werden, verbal erfolgen oder auch andere Mitteilungsstrukturen wie Gesten oder bildliche Symbole verwenden. Die Aufzählung der verschiedenen Verbreitungsarten im Normtext hat somit nur eine beispielhafte, keinesfalls aber eine limitierende Funktion.38 Jede Form der Entäußerung kann in den Schutzbereich fallen. ––––––––––– 36 Hingegen lehnt Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, S. 176, eine Unterscheidung von Form und Inhalt in der Dogmatik der Meinungsfreiheit gänzlich ab und hält dies mit dem Sondervotum in BVerfGE 42, 143 (158) für eine „gefährliche Praxis“. Diese Ansicht beruht aber auf einer Verallgemeinerung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in der es Beschränkungen der Form einer Äußerung für weniger einschneidend hält als solche des Inhalts, BVerfGE 42, 143 (150). Unabhängig davon, ob diese Ansicht geteilt, oder als „gefährlich“ eingestuft wird, vermag eine solche Ablehnung doch nicht die völlige Aufgabe der Unterscheidung zu begründen. Denn unstreitig ist ein Unterschied zwischen Form und Inhalt von Äußerungen vorhanden, der dementsprechend in einer Grundrechtsdogmatik der Kommunikationsfreiheiten – mit welchen Schlussfolgerungen auch immer – zu berücksichtigen ist. 37 Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Art. 5 I, II Rn. 1. 38 Schmidt-Jortzig, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdBStR, Bd. 6, § 141 Rn. 11.
B. Meinungsfreiheit und Kommunikation
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Weniger eindeutig ist hingegen die Beschreibung des möglichen Inhalts der durch die Meinungsfreiheit geschützten Kommunikation. Der Wortlaut als solcher bezieht in seinen Schutzbereich ausschließlich Meinungen als schützenswerten Inhalt möglicher Äußerungen ein. Nur die Freiheit, seine Meinung zu äußern, wird von der Norm ausdrücklich gewährleistet. Bei strenger Wortlautauslegung könnte man also zu dem Schluss gelangen, dass Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG nur das „relativ sublime Bedürfnis des Menschen zur Weitergabe der Ergebnisse eigener Gedankenarbeit privilegiert“, das „vitalere und ursprünglichere Mitteilungsbedürfnis“ in Bezug auf Geschehen in seiner Umwelt aber „missachtet“.39 Wie oben bereits angedeutet ist heute jedoch anerkannt, dass neben reinen Werturteilen als Meinungsäußerungen auch Tatsachenbehauptungen in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit fallen. Dies gilt zumindest für solche Tatsachenbehauptungen, die grundsätzlich einen Beitrag zur Meinungsbildung leisten können und nicht zum Zeitpunkt der Äußerung erwiesen unwahr sind oder deren Unwahrheit dem Entäußerer zumindest bekannt ist. Da aber jede Tatsachenbehauptung die Möglichkeit der Bildung von Werturteilen beinhaltet (und sei es durch die einfach Meinungsbildungsoperation, die entsprechende Tatsache positiv oder negativ zu bewerten), sind damit alle Tatsachenäußerungen in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit einbezogen, soweit es sich nicht um erwiesene Falschaussagen oder bewusste Lügen handelt.40 Die Meinungsfreiheit ist damit bereits in der bestehenden Praxis zu einer umfassenden Kommunikationsfreiheit geworden. Für die Begründung dieser weiten Auslegung des Schutzbereiches41 werden zwei verschiedene Lösungsmodelle vertreten. Vor allem in der Literatur ist der Ansatz verbreitet, den Einschluss von Tatsachenbehauptungen in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit mit der Unmöglichkeit der Trennung der Äußerung von Tatsachen und Meinungen zu begründen.42 Inwiefern diese Annahme zutrifft und insofern als Argument herangezo––––––––––– 39 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 5 I, II Rn. 67; Degenhardt, in: Dolzer (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 I, II Rn. 137 f.; Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 5 I, II Rn. 54. 40 Lediglich Merten, DÖV 1990, S. 761 (763), will reine Faktenverbreitungen aus dem Schutzbereich ausschließen, da diese zum einen weniger als Ausdruck der Persönlichkeit angesehen werden könnten, und zum anderen, da die Gefahr staatlicher Verfolgung bei reiner Tatsachenverbreitung geringer sei. Schon dieses letzte Argument kann aufgrund der Brisanz unbequemer Wahrheiten und Enthüllungen für politische Machthaber nicht überzeugen. Unter Bezugnahme auf das Volkszählungsurteil des BVerfG, die sich allerdings lediglich die negative Meinungsfreiheit bezieht, will auch SchmidtJortzig, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdBStR, Bd. 6, § 141 Rn. 19, zumindest eine rein automatische Faktenwiedergabe aus dem Schutzbereich ausnehmen, ohne jedoch darlegen zu können, warum diese nichts zur Meinungsbildung beiragen können. 41 Ob es sich wirklich um eine „dogmatische Ergänzung“ handelt, wie Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, S. 239, meint, mag an dieser Stelle dahingestellt bleiben. 42 Vgl. Herzog, in: Maunz/ Dürig (Hrsg.), GG, Art. 5 I, II Rn. 51; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 19; Wendt, in: v. Münch/Kunig
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Kap. 1: Die grundgesetzliche Freiheit der Massenkommunikation
gen werden kann, soll an anderer Stelle vertieft werden.43 Entscheidender ist hier statt dessen der auch von der Rechtsprechung verfolgte Weg, die Inbezugnahme von Tatsachenbehauptungen mit einer teleologischen Auslegung des Tatbestandes zu begründen44 und somit maßgeblich auf den Zweck der Grundrechtsgewährleistung abzustellen. Ausgangspunkt dieser Argumentation ist dabei der Normzweck der Gesamtheit der Gewährleistungen von Art. 5 Abs. 1 GG in ihrem Zusammenhang, so dass an diesem Punkt Aspekte des überkommenen Verständnisses auch der Informations-, der Presse-, Rundfunk- sowie der Filmfreiheit zum Tragen kommen. Diesen Normzweck der Kommunikationsfreiheiten beschreibt das Bundesverfassungsgericht als „die Sicherung eines freiheitlichen Lebensklimas, die in der Gegenwart ohne freie Kommunikation nicht denkbar ist,“45 und stellt damit auf Aspekte ab, die weit über das Äußern der individuellen Meinung als „unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft“46 hinausgehen. Nicht nur die Persönlichkeit des Einzelnen und seine individuelle Möglichkeit, diese in Meinungsäußerungen kundzutun, sondern vielmehr das gesamte gesellschaftliche Klima des Zusammenlebens im modernen Verfassungsstaat soll durch die Kommunikationsfreiheiten gefördert und geschützt werden. Gerade dieser letzte Aspekt könnte nicht in ausreichender Weise gewährleistet werden, wenn – wie der Wortlaut es nahe legt – nur Meinungsäußerungen vom besonderen Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG umfasst würden. Erst durch ein umfassenderes Verständnis der Meinungsfreiheit im Sinne eines „Rechts der freien Rede“47 wird man dem Zweck der Grundrechtsgewährleistung daher gerecht. Rückbezogen auf die Frage nach dem möglichen Inhalt von Kommunikation, die durch die Meinungsfreiheit geschützt wird, heißt dies also, dass dieser ebenfalls – in einem ersten Schritt – als denkbar weit verstanden werden muss. Handelt es sich wirklich um ein „Recht der freien Rede“, so kann zunächst kein Inhalt aus dem Bereich der geschützten Kommunikation ausgeschlossen sein. ––––––––––– (Hrsg.), GG, Art. 5 Rn. 9; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 1, Art. 5 I, II Rn. 45 ff.; Degenhart, in: Dolzer (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 I, II Rn. 138; Schmitt-Glaeser, AöR 113 (1988), S. 52 (74); Friauf/Höfling, AfP 1985, S. 249 (253). Ähnlich, wenn auch eine Möglichkeit der Abgrenzung theoretisch bejahend Schmidt-Jortzig, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdBStR, Bd. 6, § 141 Rn. 19. 43 S.u. S. 39 ff. 44 So die Rechtsprechung zusammenfassend Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 5 Rn. 9; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 19; Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, S. 243. 45 BVerfGE 35, 202 (225). 46 BVerfGE 7, 198 (208). 47 Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 5 I, II Rn. 55; vgl. auch SchulzeFielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 5 I, II Rn. 66; Degenhardt, in: Dolzer (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 I, II Rn. 100; Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 5 Rn. 9.
B. Meinungsfreiheit und Kommunikation
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In Rechtsprechung und Literatur haben sich dennoch Fallgruppen entwickelt, die den Bereich des Inhalts der Kommunikation eingrenzen. Dies betrifft zum einen die in der dargestellten Diskussion schon angelegte bipolare Einteilung der möglichen Kommunikationsinhalte in Werturteile und Tatsachenbehauptungen, zum anderen den bereits erwähnten Ausschluss solcher Tatsachenbehauptungen aus dem Schutzbereich, die zum Zeitpunkt der Entäußerung erwiesen unwahr sind oder deren Unwahrheit dem Entäußerer bekannt ist.
2. Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen Vor allem in der Rechtsprechung, aber auch in der Literatur, hat sich die Praxis herausgebildet, die Inhalte jeder wie auch immer gearteten Kommunikation nach einem binären Schema entweder der Kategorie Tatsachenbehauptung oder der Kategorie Werturteil zuzuordnen. Dass eine solche Unterscheidung vom Normtext des Art. 5 Abs. 1 GG nicht vorgegeben und insofern rein dogmatischer Natur ist, das Grundrecht also eigentlich ohne Differenzierung dieser beiden Kategorien gewährleistet ist, erkennt dabei zwar auch das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich an.48 Dennoch wird an der Zweiteilung in der Praxis festgehalten. Dabei bestehen an dieser bipolaren Struktur Zweifel sowohl in Hinblick auf ihre Anwendbarkeit auf alle Formen der geschützten Kommunikation als auch in Hinblick auf ihre Geeignetheit, innerhalb der verschiedenen Kommunikationsformen alle möglichen Inhalte zu erfassen.
a) Anwendbarkeit der Kategorisierung Schon der Wortlaut der Kategorisierung macht deutlich, dass diese zur Beschreibung von verbalen Äußerungen entwickelt worden ist. Meinungen werden in Worten wiedergegeben und Tatsachen in Worten beschrieben. Diese einseitige Inbezugnahme sprachlicher Äußerungen mag der Tatsache geschuldet sein, dass vor allem die Rechtsprechung es meist mit sprachlichen Äußerungen zu tun hat.49 Nicht verkannt werden darf dabei aber, dass schon das Grundgesetz selbst mit der Kategorie der Äußerung durch Bilder ausdrücklich nicht-sprachliche Aussagen in Bezug nimmt und in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit explizit einbezieht, für die die überkommene Unterscheidung allerdings zu versagen scheint. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht anerkannt, dass Meinungsäußerungen auch durch Bildnisse und damit allein auf optischem Wege verbreitet werden können.50 Wie sich diese allerdings von ––––––––––– 48 49 50
BVerfGE 61, 1 (7). So die Einschätzung von Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, S. 121. BVerfGE 30, 336 (352); 71, 162 (175); 102, 347 (359); 107, 275 (280).
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Kap. 1: Die grundgesetzliche Freiheit der Massenkommunikation
Tatsachenbehauptungen durch Bilder abgrenzen, hat es dabei jedoch offen gelassen.51 Dabei könnte man gerade bei Fotografien und Filmbildern zunächst vermuten, dass sie als Abbilder der Realität am ehesten Tatsachenbehauptungen entsprechen. In diesem Sinne wären sie wahr, wenn sie die Wirklichkeit unverfälscht, d.h. real abbildeten, und unwahr, wenn sie eben kein authentisches, sondern ein verfälschtes Bild der Wirklichkeit darböten, ihr Inhalt also so verändert wäre, dass eine Situation gezeigt würde, die in der Realität kein Äquivalent hätte.52 Trotzdem würde eine solche Betrachtung der vielschichtigen Kommunikation durch Bilder nicht gerecht. Denn zum einen verkennt sie, dass gerade bei Bildern – noch stärker als bei Tatsachenbehauptungen – die Auswahl des aufgenommenen und veröffentlichten Motivs eine immense subjektive Bedeutung hat, die sich auf den Ausdruck der Bildkommunikation überträgt.53 Durch die Auswahl eines einzigen Motivs aus einer unendlichen Anzahl möglicher Einstellungen desselben Ereignisses trifft der Aufnehmende eine subjektive Auswahlentscheidung. Er bestimmt die Perspektive, aus der das Ereignis aufgenommen wird, und den Ausschnitt, den er dem Betrachter zeigt. Der konkrete, real gesehene Augenblick wird als „beziehungsloser und freischwebender Partikel“54 festgehalten. Ein und dieselbe Realität kann so auf derart unterschiedliche Weisen abgebildet werden, dass man sie kaum miteinander in Verbindung bringen, geschweige denn sie für identisch halten würde.55 Trotzdem sind beide Bilder in gleichem Maße „wahr“, denn sie bilden die Realität wirklichkeitsgetreu ab. Dieses Kriterium der Wahrheit stimmt jedoch nicht mit dem von Tatsachenbehauptungen überein, denn es ermöglicht die gleichzeitige Wahrheit von Bildern, die sich im verbalen Sinne „widersprechen“. Wenn aber das verbale Kriterium der Wahrheit nicht auf Bilder übertragbar ist, so kann auch die Kategorie der Tatsachenbehauptungen nicht auf diese passen.56 Hinzu kommt, dass Bilder nicht nur eine vorgefundene Realität, sondern auch eine gestellte, inszenierte Realität abbilden können.57 Unter der Voraussetzung seiner Authentizität ist jedes gestellte Bild auch „wahr“, da es wirk––––––––––– 51 Vgl. dazu für das Strafrecht auch die Ausführungen von Hilgendorf, Tatsachenaussagen und Werturteile im Strafrecht, S. 155 ff. 52 Ähnlich, diese Unterscheidung aber wieder einschränkend BVerfG, AfP 2005, S. 171. 53 Vgl. dazu am Beispiel des Fernsehens Eco, Zufall und Handlung. Fernseherfahrung und Ästhetik, in: ders., Das offene Kunstwerk, S. 186 ff. Allgemein dazu Nordemann, Die künstlerische Fotografie als urheberrechtlich geschütztes Werk, S. 91 m.w.N. 54 Sonntag, Über Fotografie, S. 28. 55 Vgl. dazu anschaulich den Ausstellungskatalog der Ausstellung „Bilder, die lügen“, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hg.), Bilder, die lügen, passim. 56 A.A. Beater, AfP 2005, S. 133 (135). 57 Hierauf weist auch Kadner, Die Vereinbarkeit von Fotomontagen mit dem Recht am eigenen Bild, S. 152, hin.
B. Meinungsfreiheit und Kommunikation
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lichkeitsgetreu abbildet, was – zum Zwecke der Fertigung dieses Bildes – in der Realität arrangiert wurde und somit tatsächlich bestanden hat.58 Gleichzeitig ist es insofern „unwahr“, als es eine Realität abbildet, die ohne das Erstellen des Bildes selbst niemals entstanden wäre. Die „Unwahrheit“ eines solchen Bildes im eigentlichen Sinne entsteht erst dadurch, dass es mit Worten auf eine Weise beschrieben wird, die nicht der Realität entspricht, in dem etwa behauptet wird, es handle sich um eine zufällig aufgenommene und keine gestellte Szene, oder indem Ort oder Zeit der Aufnahme falsch angegeben werden. Der Wahrheitsgehalt des Bildes als solchem ändert sich dadurch jedoch nicht. Es bildet ab, was jeder zu einer gewissen Zeit, an einem gewissen Ort aus einer gewissen Perspektive in der Realität hätte wahrnehmen können. Bilder lügen nicht und sie lügen doch, indem sie die Realität auf eine Art und Weise abbilden, die als unwahr, als unecht empfunden wird. Genau so wie ein einzelnes Wort nie selbst als wahr oder unwahr bezeichnet werden kann, sondern immer erst in seinem Bedeutungszusammenhang zu Lüge oder Wahrheit wird, hat auch das Bild als solches keinen feststellbaren Wahrheitswert im Sinne einer Tatsachenbehauptung.59 Wenn Bilder auf diese Art und Weise also nicht einem Wahrheitsbeweis im klassischen Sinne zugänglich sind, läge somit die Vermutung nahe, dass sie sich ausnahmslos in die Kategorie der Meinungsäußerungen einfügen lassen. Denn Bilder sind durch die Auswahl des Motivs so sehr subjektiv geprägt, dass sie als von Elementen der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt angesehen werden könnten. Dabei ist aber zu beachten, dass Kennzeichen jeder Meinungsäußerung der subjektive Bezug zwischen dem Einzelnen und dem Gegenstand seiner Äußerung ist,60 während in Abgrenzung dazu bei Tatsachenbehauptungen die Beziehung zwischen der Äußerung und der Realität im Vordergrund steht.61 Ein Bild hat aber die stärkste Beziehung zur Realität, die man sich in diesem Zusammenhang vorstellen kann, da es sie, sei es auch nur in einem Ausschnitt, wirklichkeitsgetreu abbildet, ohne ihr eine eigene direkte Stellungnahme hinzufügen zu können. Wie sehr die Auswahl des Realitätsausschnitts dabei auch subjektiv geprägt und für die Bildkommunikation entscheidend sein mag, das Bild beschreibt die Realität und ist dieser insofern vollständig verhaftet. ––––––––––– 58
In diesem Sinne ist wohl auch die Aussage von Wanckel/Nitschke, Foto- und Bildrecht, Rn. 247, zu verstehen, dass Fotoveröffentlichungen vom Betrachter grundsätzlich als Abbildung eines tatsächlichen Geschehens verstanden werden. 59 So auch v. Becker, AfP 2005, S. 247 (250). Auch Kadner, Die Vereinbarkeit von Fotomontagen mit dem Recht am eigenen Bild, S. 156, stellt insofern in Bezug auf den „Wahrheitsgehalt“ eines Bildes auf die durch das Bild erfolgte Verfälschung des tatsächlichen Sachverhalts ab. Auch Siebrecht, Ehrenschutz und Massenmedien, S. 95, stellt daher bei der Frage nach der ehrverletzenden Wirkung eines Bildnisses maßgeblich auf den Kontext ab. 60 BVerfGE 33, 1 (14); BVerfGE 90, 241 (247). 61 BVerfGE 90, 241 (247).
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Kap. 1: Die grundgesetzliche Freiheit der Massenkommunikation
Eine Ausnahme davon liegt lediglich dann vor, wenn die Bilder derart systematisch zusammengestellt und ausgewählt sind, dass sie im Rahmen einer festgelegten Bildsprache einen von der Darstellung der Realität losgelösten Bedeutungsinhalt als Symbole einer vorher definierten optischen Semantik haben, wie dies etwa bei Bilderrätseln der Fall ist. Dies wird jedoch als absoluter Ausnahmefall zu betrachten sein. Dass Bilder gleichwohl im Schutzbereich der Meinungsfreiheit einen nicht zu unterschätzenden Stellenwert haben, ist der Tatsache geschuldet, dass sie trotz fehlender Zuordenbarkeit in die Kategorien Werturteile und Tatsachenbehauptungen einen erheblichen Einfluss auf die individuelle Meinungsbildung haben. Die Realität, die dem Betrachter auf Bildern präsentiert wird, prägt sein Bild von der Welt, seine Betrachtung der Wirklichkeit. Aufgrund der Bilder, die er sieht, bildet er sich eine Meinung, bezieht einen Standpunkt zu den Dingen, die dargestellt werden. Diese Meinungsbildung kann aber nie in schlichter Übernahme der Meinung des Urhebers des Bildes erfolgen, da eine solche eindeutige Meinung durch ein Bild gerade nicht kommuniziert wird. Sie ist nur möglich, indem der Betrachter die optische Wahrnehmung ergänzt – sei es durch zusätzlich übermittelte Informationen in Form eines Begleittextes, sei es durch Inbezugnahme eigener Erfahrungen oder eigenen Hintergrundwissens. Die meinungsbildende Funktion von Bildern ist damit weit komplexer und subtiler, als dies durch eine Beschreibung als Meinungsäußerung möglich wäre. Sie sind somit weder Tatsachenbehauptungen noch Meinungsäußerungen und doch essentieller Bestandteil des Schutzes der durch die Meinungsfreiheit geschützten Kommunikation.
b) Vollständigkeit der Kategorisierung Doch selbst wenn man sich von der – sicher speziellen – Form der Bildkommunikation wieder den sprachlichen Äußerungen zuwendet, erscheint nicht nur die Abgrenzung von Meinungsäußerungen und Tatsachenbehauptungen als zunehmend schwierig – nicht zuletzt auch deshalb, weil beide selten in isolierter Form, sondern vielmehr oft zusammen, durchmischt und durchwirkt in Äußerungen auftreten.62 Auch stellt sich heraus, dass eine vollständige Erfassung aller verbalen Kommunikation durch diese Kategorien nicht erfolgen kann. Denn nicht alle Äußerungsformen gehen tatsächlich in der Einteilung von Meinungsäußerung und Tatsachenbehauptung auf.63 ––––––––––– 62 Grimm, NJW 1995, S. 1697 (1699); vgl. auch Luhmann, Die Realität der Massenmedien, S. 71: „Realereignisse und Meinungsereignisse werden auf diese Art und Weise ständig durchmischt und bilden für das Publikum dann eine zähflüssige Menge, in der man noch Themen, aber nicht mehr die Herkunft der Information unterscheiden kann.“ 63 Grimm, NJW 1995, S. 1697 (1699).
B. Meinungsfreiheit und Kommunikation
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Ein Beispiel dafür bildet etwa das Stellen von Fragen, das in der alltäglichen Massenkommunikation eine nicht unbedeutende Rolle spielt.64 Selbst wenn man zwischen offenen und rhetorischen Fragen unterscheidet und letzteren einen Aussagecharakter zubilligt, der je nach Fallgestaltung unter die Kategorie Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung subsumiert werden kann,65 ist eine solche Beschreibung für offene Fragen doch nie adäquat.66 Fragen dienen entweder der Aufklärung von Tatsachen und sind in diesem Zusammenhang zwar tatsachenhaltig, nicht aber selbst Tatsachenbehauptungen, da sie zwar der Ermittlung der Wahrheit dienen, selbst aber nie wahr oder falsch sein können.67 Oder aber sie fordern den Äußerungsempfänger zu einer eigenen Meinungsbildung auf, d.h. sie geben ihm eine Basis für eine eigene Positionierung zu einem bestimmten Thema. Das macht sie aber wiederum ebenfalls nicht zu Meinungsäußerungen, da die Fragen selber zwar eine zugrundeliegende Meinung mittelbar zum Ausdruck bringen können, aber gerade nicht Ausdruck einer eigenen Stellungnahme sind.68 Welche Funktion die offene Frage also auch haben mag, weder die Beschreibung als Tatsachenbehauptung noch die als Meinungsäußerung wird ihr gerecht. Eine abschließende Beschreibung auch verbaler Kommunikation durch diese beiden Kategorien erweist sich damit als nicht möglich.69 Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass es Äußerungen gibt, die von den Gerichten in ständiger Rechtsprechung als Tatsachenbehauptungen eingestuft werden, die zwar – im juristischen, nicht jedoch im naturwissenschaftlichen Sinne – einem Wahrheitsbeweis zugänglich sind, bei denen eine tatsächliche Beweiserhebung aber der Äußerung dennoch in keiner Weise gerecht wird und zu einer vollständigen Aufklärung des Sachverhaltes auch nicht beitragen kann. ––––––––––– 64
Vgl. dazu BVerfGE 85, 23 (31), das Fragen ausdrücklich aus der Kategorisierung von Tatsachenbehauptungen und Werturteilen ausnimmt. 65 BVerfG, NJW 2003, 660; BVerfGE 85, 23. 66 Anders Soehring/Seelmann-Eggebert, NJW 2005, S. 571 (573), die offene Fragen immer als Meinungsäußerungen einstufen wollen. Ungenau insofern die Terminologie des BVerfG, NJW 2003, S. 660; BVerfGE 85, 23 (32), das offene Fragen den Werturteilen zumindest gleichstellt. 67 Grimm, NJW 1995, S. 1697 (1699 f.). Dies gilt selbst dann, wenn die Frage auf einer unrichtigen Tatsachenlage basiert. 68 Strukturell ähnelt diese Form der Kommunikation somit der gerade beschriebenen Kommunikation durch Bilder. 69 Ein weiteres Beispiel zeigt sich etwa in der Praxis der Gerichte, die grundsätzlich an der Zweiteilung der Äußerungen in Meinungen und Tatsachen festhalten. So hat das KG Berlin bei der Beurteilung der Frage, ob eine natürliche Person als Vorlage für eine Romanfigur deutlich erkennbar sei, betont, dass es sich hierbei um eine Frage handele, die zwar mittels der Sachkenntnis des Gerichts zu beurteilen sei (womit es sich nicht um eine Meinungsäußerung handeln kann), diese aber dem Beweis nicht zugänglich sei (womit es sich nicht um eine Tatsachenbehauptung handeln kann), KG Berlin, AfP 2004, S. 371 (372). Somit hat das Gericht hier implizit für eigene Zwecke eine Durchbrechung der Zweiteilung anerkannt. Vgl. zu der Problematik der Übereinstimmung von „Abbild“ und „Urbild“ unten S. 203.
Kap. 1: Die grundgesetzliche Freiheit der Massenkommunikation
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Das gilt vor allem für die sogenannten inneren Tatsachen, d.h. das Vorliegen oder Nichtvorliegen bestimmter Beweggründe, Absichten und Einschätzungen, mithin also für das Bestehen einer bestimmten Meinung einer Person. Auch wenn man sich auf den Standpunkt stellt, solche inneren Tatsachen seien zumindest einem Indizienbeweis zugänglich,70 mag die Sinnhaftigkeit eines solchen Beweises doch in Frage stehen. Denn durch den Transfer einer Meinung auf die Tatsachenebene ändert sich ihr höchst subjektiver und der Außenwelt in gewisser Hinsicht eben verschlossener Charakter nicht. Die persönliche Meinung kann zwar ihren Ausdruck in der Außenwelt finden. Aus diesem Ausdruck auf ihr tatsächliches inneres Vorliegen zu schließen, kann aber nie zu einer Gewissheit führen und damit auch nicht zu einer endgültigen Sicherheit im Sinne eines wissenschaftlichen Beweises, denn nur der Betroffene selbst hat letztlich die Kenntnis darüber, inwiefern bestimmte innere Tatsachen vorliegen oder nicht. Eine (Indizien-)Beweiserhebung darüber mag deshalb möglich sein, ihr Wert für eine Meinungsbildung anderer Personen erscheint aber mehr als zweifelhaft. Auch hier bewegen sich Äußerungen somit in einem Schnittfeld zwischen Meinungsäußerungen und Tatsachenbehauptungen, ohne einer der beiden Kategorien sinnvoll zugeordnet werden zu können.
c) Wahrheitsanspruch von Tatsachenbehauptungen Aber selbst für äußere Tatsachen, die einem objektiven Zugang zum Wahrheitsbeweis unterliegen, scheint eine Beschreibung über die Wahrheit oder Unwahrheit zum Teil fragwürdig. Denn eine solche Erörterung des Wahrheitsgehaltes macht nur für solche Tatsachenbehauptungen Sinn, die nicht nur einem Beweis zugänglich sind, sondern die im Rahmen ihrer Entäußerung überhaupt einen gewissen Anspruch auf Übereinstimmung mit der Wahrheit erheben. Auch wenn dies bei vielen Arten der (Massen-)Kommunikation vorausgesetzt werden kann, ist dieser Anspruch jedoch in keinem Fall auf jede Form der Kommunikation verallgemeinerungsfähig. Dies zeigt sich vor allem an Tatsachenbehauptungen ähnlichen Darstellungen etwa satirischer Art, die bewusst mit dem Mittel der Übertreibung arbeiten und – unabhängig davon, ob sie in diesem Rahmen als Kunst zu qualifizieren sind oder nicht – davon ausgehen, dass diese Übertreibung vom Rezipienten erkannt und in Rechnung gestellt wird, dass er also der oberflächlichen Aussage gerade keinen Wahrheitsanspruch beimisst. Sie stellen zwar Behauptungen auf, die einem Wahrheitsbeweis grundsätzlich zugänglich wären, setzen sich diesem aber von vorneherein deshalb nicht aus, weil sie einen Wahrheitsanspruch eben nicht erheben. Schon vor dem Reichsgericht war daher anerkannt, dass die wörtliche (oder bildliche) Aussage ihres satirischen Gewandes „ent––––––––––– 70
So BVerfG, NJW 2003, S. 1855 (1855).
B. Meinungsfreiheit und Kommunikation
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kleidet“ werden müsse, um die dahinter liegende Aussage nach den bekannten Maßstäben von Tatsachenbehauptungen oder Werturteilen zu beurteilen.71 Auf diese Art und Weise werden Form und Inhalt auseinanderdividiert, wobei der Inhalt nach dieser Unterscheidung in die Kategorien der Meinungsäußerung oder Tatsachenbehauptung eingeordnet wird. Doch auch die Form selber, die „Einkleidung“, unterfällt als solche unzweifelhaft dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit.72 Eine Einstufung der Form selbst in die bekannten Kategorien wird dabei aber in der Regel nicht vorgenommen und fällt auch zunehmend schwer. Denn bei der äußeren Form der Mitteilung wird es sich in der Regel um eine Behauptung handeln, die zwar an Gegebenheiten in der realen Welt anknüpft. Wie bereits dargelegt, hat sie aber gerade nicht den Anspruch, diese wirklichkeitsgetreu wiederzugeben. Aus diesem Grund lässt sie sich in der Kategorie der Tatsachenbehauptung nicht sachgerecht beschreiben, stellt in der Regel aber auch kein reines Werturteil dar. Ein ähnliches Phänomen zeigt sich aber auch im Bereich der Werbung, die heute einen nicht unerheblichen Teil der ausgestrahlten Massenkommunikation bildet. Zwar sind dieser Kommunikationsform wettbewerbsrechtlich bestimmte Grenzen gesteckt.73 Innerhalb dieses Rahmens ist aber festzustellen, dass auch die Werbung keinen Anspruch auf Glaubwürdigkeit im engeren Sinne erhebt.74 Dadurch, dass sie ihr Motiv – das Anpreisen von Produkten, um die Kaufentscheidung des Konsumenten zu beeinflussen – offen legt, ist allen Beteiligten und damit auch dem Kommunikationsempfänger klar, dass sich die in der Werbung gemachten Aussagen nicht um einen möglichst großen Wahrheitsgehalt, sondern um eine möglichst positive Darstellung des beworbenen Produkts bemühen. Auch hier besteht somit ein Konsens darüber, dass die gemachten Aussagen, auch wenn sie nicht primär Elemente der Meinung enthalten, doch keine realitätsgetreue Abbildung der Wirklichkeit sind, so dass sie zwar theoretisch einem Wahrheitsbeweis zugänglich sind, dieser sich aber aufgrund des mangelnden Wahrheitsanspruchs als vollständig nutzlos erweisen würde. Auch diese Aussagen scheinen daher mit der Kategorisierung als Tatsachenbehauptungen im Ergebnis unzutreffend beschrieben, auch hier versagt die Zweiteilung der Äußerungsinhalte in die beschriebenen Kategorien.
––––––––––– 71
RGSt 62, 183 ff.; darauf aufbauend grundlegend BVerfGE 75, 369 (377); 86, 1
(12 f.). 72
BVerfGE 42, 143 (150). Allerdings sind diese wiederum im Lichte der Meinungsfreiheit auszulegen, vgl. dazu BVerfGE 102, 347; 107, 275; 107, 275. 74 Vgl. dazu Luhmann, Die Realität der Massenmedien, S. 85 ff. 73
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Kap. 1: Die grundgesetzliche Freiheit der Massenkommunikation
d) Tatsachenbehauptungen und fiktionale Realität Nicht zuletzt verschließt sich auch der gesamte Bereich der fiktionalen Unterhaltung einer Einteilung in die Kategorien der Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen, und zwar bereits losgelöst von der Frage, ob es sich dabei im konkreten Fall um Kunst handelt oder nicht.75 Fiktionale Unterhaltung grenzt auf optische und/oder akustische Weise einen Rahmen ab, in dem eine eigene, fiktionale Realität parallel zur „realen“ Realität gilt.76 Diese fiktionale Realität unterliegt aufgrund ihrer Verselbständigung anderen Gesetzen, Regeln und Wahrscheinlichkeiten, als dies für die „reale“ Realität der Fall ist. Dabei mag es zwar Durchbrechungen, Anleihen, Ähnlichkeiten zur „wirklichen“ Welt geben.77 Dies überträgt aber nicht auch die Regeln dieser wirklichen Welt auf die Fiktion. Die Regeln, denen die fiktionale Welt unterworfen ist, bleiben unabhängig und selbständig in dem Rahmen, der ihnen durch die Abgrenzung zur Wirklichkeit gegeben ist. Dies impliziert aber wiederum, dass Äußerungen in dieser fiktionalen Welt auch nur an den durch die Fiktion innerhalb ihres Realitätskonstruktes geschaffenen Wahrheitsmaßstäben gemessen werden können. Sie an den Wahrheiten der wirklichen Welt zu messen, wäre zwar möglich, würde jedoch aufgrund der Herauslösung aus dem korrespondierenden Realitätskonstrukt zur Verzerrung des Aussagegehalts führen. Insofern können die Kommunikationsinhalte von fiktionaler Unterhaltung mit dem Begriff der Tatsachenbehauptung nicht adäquat beschrieben werden. Auch die Kategorie der Meinungsäußerung vermag diese Äußerungsform nicht treffend wiederzugeben. Zwar sind fiktive Kommunikationsinhalte durch die kreative Eigenleistung des Schöpfers stark subjektiv geprägt. Dies heißt jedoch nicht, dass jede einzelne Äußerung in diesem Kontext als Ausdruck des Dafürhaltens oder der Stellungnahme angesehen werden könnte. Selbst dort, wo fiktionalen Figuren Werturteile in den Mund gelegt werden, sind diese in keiner Weise mit Meinungsäußerungen des Urhebers gleichzusetzen, und zwar selbst dann nicht, wenn die Fiktion aus der Perspektive eines Ich-Erzählers dargestellt wird.78 Denn auch die Werturteile der fiktionalen Figuren entspannen sich in der beschriebenen fiktionalen Welt, mit fikti––––––––––– 75 Dabei ist vorausgesetzt, dass nicht jede Form von Fiktion allein durch den kreativen Gestaltungsakt automatisch als Kunst zu betrachten ist. So aber Eickmeier/Eickmeier, ZUM 1998, S. 1 (5). Wie hier BVerfG, 1 BvR 1279/00, v. 06.09.2004. Vgl. zum Kunstbegriff sogleich S. 75 ff. 76 Luhmann, Die Realität der Massenmedien, S. 98. 77 Nicht zuletzt, um das Verstehen zu ermöglichen, vgl. Luhmann, Die Realität der Massenmedien, S. 99, unter Verweis auf Diderot, Eloge de Richardson, in: ders., Œvre, S. 1089 (1094). 78 Bedenklich insofern LG München, ZUM 2004, S. 234 (237), das Ich-Erzähler und Autor des Romans „Esra“ ohne weiteren Begründungsaufwand gleichsetzt und die geschilderten Ereignisse auf Übereinstimmung mit der Wirklichkeit und somit letztlich auf Wahrheit untersucht.
B. Meinungsfreiheit und Kommunikation
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onalen Regeln, durch fiktionale Personen, in fiktionalen Zusammenhängen. In der Kategorie von Meinungsäußerungen der „wirklichen“ Welt lassen sie sich nicht ohne Sinnentstellung beschreiben. Auch für diese Art von Äußerungen stellt sich somit weder die Kategorie der Tatsachenbehauptung, noch die der Meinungsäußerung als passend heraus.
e) Informationsweitergabe jeder Art Zusammenfassend lässt sich demnach festhalten, dass die binäre Einteilung in Tatsachenbehauptungen und Werturteile weder auf alle von der Meinungsfreiheit geschützten Kommunikationsformen anwendbar ist noch alle von der Meinungsfreiheit in einem umfassenden Sinn als Recht der freien Rede geschützten Kommunikationsinhalte zu erfassen vermag. Auch wenn diese Kategorisierung deshalb für die Auslegung von Äußerungen oder im Rahmen der Abwägung als Kriterium u.U. hilfreich sein mag,79 stellt sie sich für die Beschreibung des Schutzbereiches als ungeeignet dar. Die möglichen Inhalte von Kommunikation, die durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt wird, müssen daher weit umfassender beschrieben werden. Um das vom Bundesverfassungsgericht hervorgehobene freie geistige Klima in der Gesellschaft hervorbringen, fördern und schützen zu können, muss in inhaltlicher Hinsicht jede Art der kommunikativen Informationsweitergabe80 als von der Meinungsfreiheit geschützt angesehen werden. Unerheblich für den Grundrechtsschutz ist daher nicht nur, ob eine Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational, wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos ist,81 sondern auch, ob es sich um eine Wertung, eine Stellungnahme, eine Beurteilung, eine Tatsachenbehauptung, eine reine Datenwiedergabe oder irgendeine andere Form menschlicher Äußerung handelt. Sofern der Äußerung nur irgendein Informationswert zugesprochen werden kann, wird sie vom Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützt.
3. Unwahre Tatsachenbehauptungen Zu problematisieren bleibt bei diesem weiten Verständnis des Inhalts geschützter Äußerungen schließlich noch, inwiefern auch Tatsachenbehauptun––––––––––– 79
Siehe dazu unten S. 184. Der Begriff der Information wird dabei im Folgenden pragmatisch verstanden und nicht in seiner trennscharfen Abgrenzung zum Begriff des Datums. Zur begrifflichen Unterscheidung von Daten und Informationen vgl. bspw. Schoch, VVDStRL 57 (1998), S. 158 (167); Kloepfer, Informationsrecht, § 1, Rn. 58; Albers, Rechtstheorie 33 (2002), S. 61 (74). 81 BVerfGE 33, 1 (14 f.); 61, 1 (7); 90, 241 (247). 80
Kap. 1: Die grundgesetzliche Freiheit der Massenkommunikation
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gen, deren Unrichtigkeit entweder zum Zeitpunkt der Äußerung erwiesen oder aber dem Entäußerer bewusst ist, unter den Schutzbereich der Meinungsfreiheit fallen können. Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass derartige Äußerungen nicht vom Schutz der Meinungsfreiheit umfasst werden, da sie zu der verfassungsrechtlich vorausgesetzten Meinungsbildung nichts beitragen könnten: Unrichtige Information sei kein schützenswertes Gut.82 Ihren Ursprung fand diese Rechtsprechung in dem Konflikt zwischen Meinungsfreiheit und allgemeinem Persönlichkeitsrecht. Ausgangspunkt war die sog. BöllWalden-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die auf eine Urteilsverfas83 sungsbeschwerde Heinrich Bölls zurückging. Dieser hatte vor den Zivilgerichten im Ergebnis erfolglos versucht, den Sender Freies Berlin sowie den zuständigen Redakteur Matthias Walden wegen eines in der Tagesschau ausgestrahlten Kommentars auf Schmerzensgeld in Anspruch zu nehmen. In diesem Kommentar wurde Böll – unzutreffend, da sinnentstellend aus dem Kontext gerissen – zitiert mit der Bezeichnung des Rechtsstaates als „Misthaufen“, in dem er nur „Reste verfaulender Macht“ sähe, „die mit rattenhafter Wut verteidigt“ würden. Das Bundesverfassungsgericht führte aus, dass zwar die im Kommentar vertretenen Ansichten des Redakteurs dem Schutz der Meinungsfreiheit unterfielen, nicht jedoch die unrichtigen Zitate Bölls, die als falsche Tatsachenbehauptungen nicht grundrechtlich schützenswert seien. Weitere Bedeutung bekam der tatbestandliche Ausschluss unwahrer Tatsachenbehauptungen bei der Frage des grundrechtlichen Schutzes der „Auschwitzlüge“, d.h. der Leugnung der Judenverfolgung im Dritten Reich, die als solche ebenfalls als erwiesen unwahre Tatsachenbehauptung nach der Rechsprechung des Bundesverfas84 sungsgerichts nicht dem Schutz der Meinungsfreiheit unterfällt. Selbst wenn sie jedoch durch eine untrennbare Verquickung mit Meinungsäußerungen dem Schutzbereich zuzurechnen ist, wird ein Verbot der Äußerung durch die Kollision wiederum mit dem Persönlichkeitsrecht der in Deutschland lebenden Juden – anders insofern 85 als die Fallgestaltung bei der Leugnung der deutschen Kriegsschuld – als gerechtfertig angesehen.
Auch in der Literatur wird dieser Ansicht zum Teil gefolgt.86 Dies geht soweit, dass aufgrund der Funktion der Meinungsfreiheit für die öffentliche Meinungsbildung und damit für den demokratischen Staat ein Einschluss von unwahren Tatsachenbehauptungen in den Schutzbereich sogar als mit Art. 20 Abs. 1 GG unvereinbar angesehen wird.87 Diese Ansicht begegnet jedoch in dreierlei Hinsicht Bedenken. Sie verringert zum einen die von Literatur und Rechtsprechung selbst hervorgehobene Bedeutung der Schaffung eines freien gesellschaftlichen Klimas durch die Möglich––––––––––– 82
BVerfGE 54, 208 (219); 61, 1 (8); 85, 1 (15); 90, 241 (247). BVerfGE 54, 208. 84 BVerfGE 90, 241. 85 Vgl. dazu BVerfGE 90, 1. 86 Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 27; Degenhardt, in: Dolzer (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 I, II Rn. 103. 87 So Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 5 I, II Rn. 147. 83
B. Meinungsfreiheit und Kommunikation
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keit jederzeitiger freier Meinungsäußerung. Sie führt zum anderen mit dem Begriff der Wahrheit eine in gewisser Weise systemfremde Kategorie in die Dogmatik der Meinungsfreiheit ein. Zum dritten verhindert sie durch staatliche Wertung dessen, was als wahr bzw. unwahr angesehen wird, genau den gesellschaftlichen Wahrheitsdiskurs, den die Meinungsfreiheit eigentlich herstellen soll.
a) Freies gesellschaftliches Klima Sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur ist anerkannt und wird immer wieder betont, dass die Meinungsfreiheit dazu beitragen kann und soll, ein – für die Demokratie essentielles – freiheitliches gesellschaftliches Klima zu schaffen und zu erhalten, in dem sich jedermann – vorbehaltlich der Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG – ausdrücken und äußern können soll, wie es ihm beliebt.88 Zu dieser Prämisse setzen sich die Stimmen in gewisser Weise in Widerspruch, die unwahre Tatsachenbehauptungen von vorne herein aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit ausschließen wollen. Denn zum einen kann ein wirklich freies Klima ungehinderter Möglichkeiten der Kommunikationsäußerungen nur dann entstehen, wenn wirklich alle Äußerungen grundsätzlich geschützt sind, unabhängig von ihrer Einordnung als Tatsachenbehauptung und unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt. Zu einer umfassenden Äußerungsfreiheit muss auch die Freiheit gehören, Dinge zu äußern, die man selber für falsch hält oder die nach allgemeinen Maßstäben anerkanntermaßen für falsch gehalten werden. Ein umfassendes Recht der freien Rede kann nur dann als umfassend verstanden werden, wenn auch der Kommunikationsprozess desjenigen geschützt ist, der die anerkannte Unwahrheit eben nicht anerkennt oder diese schlicht nicht wahrhaben will. Zum anderen erscheint in diesem Zusammenhang auch die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellte Prämisse, dass unwahre Tatsachenbehauptungen zur Meinungsbildung nichts beitragen könnten und schon deshalb – trotz des zu schaffenden freien gesellschaftlichen Klimas – aus dem Schutzbereich auszuschließen seien, zweifelhaft angesichts der Feststellung, dass es zumindest in Bezug auf Werturteile, d.h. Meinungen i.e.S., auf die Richtigkeit und Unrichtigkeit für ihren grundrechtlichen Schutz gerade nicht ankommt. Dies impliziert nämlich, dass auch solche Meinungen grundrechtlich geschützt sind, die auf einer falschen Tatsachengrundlage beruhen. Wenn also in einem vom Verfassungsstaat zu gewährleistenden freiheitlichen gesellschaftlichen Klima notwendigerweise auch solche Meinungen geschützt sind, die unsinnig, auf falscher Tatsachengrundlage gebildet oder gar widersprüchlich erscheinen, so kann dieser Schutz nicht indirekt dadurch relativiert werden, dass die Informationen, ––––––––––– 88
S.o. S. 38.
Kap. 1: Die grundgesetzliche Freiheit der Massenkommunikation
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die zur Bildung solcher „unrichtigen“ Meinungen führen, aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit ausgeschlossen werden. Vielmehr muss dem Einzelnen gerade auch die Möglichkeit gegeben werden, sich eine unsinnige, irrationale oder unrichtige Meinung zu bilden. Dies soll aber gerade verhindert werden, wenn falsche Tatsachenbehauptungen aus dem Schutzbereich ausgeschlossen werden. Die „unrichtige“ Meinung wird damit zwar selbst noch geschützt, der Basis ihrer Bildung aber der grundrechtliche Schutz entzogen. Das angemahnte freiheitliche gesellschaftliche Klima kann auf diese Weise nur unvollständig geschaffen werden.
b) Wahrheit als systemfremde Kategorie Daran anschließend zeigt sich auch die zweite Schwäche des Ausschlusses unwahrer Tatsachenbehauptungen aus dem Schutzbereich. Indem Äußerungen nach dem Kriterium der Wahrheit oder Unwahrheit aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit ausgeschlossen werden, wird systematisch auf alle Äußerungsformen das Schema angewandt, das eigentlich dem speziellen Bereich der Wissenschaftskommunikation eigen ist, die sich über genau dieses Problem der Wahrheitssuche definiert und konstituiert.89 Und in der Tat wird in der Praxis bei dem Ausschluss von Tatsachenbehauptungen aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit aufgrund erwiesener Unwahrheit auch auf fachspezifische wissenschaftliche Erkenntnisse zur Ermittlung von Wahrheit oder Unwahrheit zurückgegriffen. Dabei hat schon das Reichsgericht anerkannt, dass auch wissenschaftliche Untersuchungen immer nur zu einer „relativen Wahrheit“ führen.90 Zwar werden im Allgemeinen wissenschaftliche Erkenntnisse tatsächlich für authentische Realitätserkenntnisse gehalten. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die wissenschaftliche Betrachtung eben nur eine Art ist, die Realität und ihre Wahrheiten zu erfassen. Auch wenn die Auffassung verbreitet ist, dass durch Wissenschaft die Realität besser erkannt werden könne als durch andere Methoden, heißt dies doch im Ergebnis nur, die wissenschaftliche Konstruktion mit einer anderen zu vergleichen und sie in diesem Vergleich für authentischer zu halten.91 Darüber hinaus darf in diesem Zusammenhang auch nicht verkannt werden, dass wissenschaftliche Wahrheiten trotz aller Universalitätsansprüche keineswegs feststehende Größen sind, dass die Wahrheitssuche der Wissenschaft also ––––––––––– 89
Vgl. dazu unten S. 106 f. RGZ 84, 294 (296 f.). Dies ist letztlich ein Problem der modernen Gesellschaft, denn „die moderne Gesellschaft [erzwingt] mit ihrem weit ausgedehnten historischen und kulturell-vergleichenden Wissen sich selbst zur Anerkennung der Realität aller Weltanschauungen und damit allen Wissens.“ Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 15. 91 Vgl. Luhmann, Die Realität der Massenmedien, S. 20. 90
B. Meinungsfreiheit und Kommunikation
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nie abgeschlossen ist.92 Durch wissenschaftlichen Fortschritt, durch neue Erkenntnisse oder schlicht durch den Durchbruch einer vorherigen Mindermeinung kann das, was einstmals nach wissenschaftlichen Kriterien als erwiesen unwahr galt, sich später als durchaus zutreffend und demnach wahr herausstellen. Man würde den Grundrechtsschutz somit also letztlich einem flexiblen Maßstab anvertrauen, wollte man „unwahre“ Tatsachenbehauptungen von vorne herein aus dem Schutzbereich ausschließen.93 Eine solche Ungewissheit oder Flexibilität mag zwar im Bereich der Kollision mit anderen Rechtsgütern hingenommen werden müssen. Zur Begrenzung des Schutzbereiches kann sie jedoch nicht herangezogen werden. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass selbst im Bereich der Wissenschaftsfreiheit, dem das Schema der Wahrheit gerade entlehnt ist, auch irrige oder fehlerhafte Forschungsansätze geschützt werden.94 Dies bedeutet, dass auch innerhalb des originären Bereiches der Wahrheitssuche unwahre Erkenntnisse oder Behauptungen explizit mitgeschützt werden. Vor diesem Hintergrund nach wissenschaftlichen Kriterien als unwahr bewertete Äußerungen aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit auszulassen, würde sich somit als Widerspruch innerhalb der Systematik des Art. 5 GG sowie zum Wissenschaftsbegriff des Grundgesetzes darstellen.
c) Ausschluss des gesellschaftlichen Wahrheitsdiskurses Drittens und letztens spricht gegen eine Ausgrenzung unwahrer Tatsachenbehauptungen aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit vor allem bereits die hinter dieser Schutzbereichsverengung liegende ratio, die in Rechtsprechung und Literatur zum Ausdruck kommen. Denn dem einengenden Verständnis des Schutzbereichs liegt der Gedanke zugrunde, „dass der gesellschaftliche Meinungs- und Willensbildungsprozess – d.h. die deutende, erklärende, verstehende und wertende Aneignung der ‚Welt‘ – nicht die falschen Inputs“ erhalten solle,95 dass also der „Verfassungsstaat als Forum der Wahrheitssuche“96 zu organisieren sei. Dieser Gedanke widerspricht jedoch zutiefst „der
––––––––––– 92
Vgl. Oppermann, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdBStR VI, § 145 Rn. 10. Auch das BVerfG selbst bezeichnet im Zusammenhang der Wissenschaftsfreiheit die Wahrheit als „etwas noch nicht ganz Gefundenes und nie ganz Aufzufindendes“, BVerfGE 35, 79 (113). 93 Vgl. auch Stürner, JZ 1994, S. 865 (872), „Ein gerichtliches Verfahren kann die öffentliche Auseinandersetzung um die Wahrheit regelmäßig nicht ersetzen.“ 94 BVerfGE 90, 1 (12); Bethge, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 5, Rn. 206. 95 Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, S. 283. 96 Häberle, Wahrheitsprobleme im Verfassungsstaat, S. 86.
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liberalen Logik der Selbstorganisation von Öffentlichkeit, in die der Staat nur ausnahmsweise und mit guten Gründen intervenieren sollte.“97 Wenn das Bundesverfassungsgericht selbst statuiert, dass das Grundrecht der Meinungsfreiheit zum einen gewährleisten will, „dass jeder frei sagen kann, was er denkt,“ zum anderen aber auch der „Ermittlung der Wahrheit dienen“ soll,98 so statuiert es damit selbst, dass diese Wahrheitsermittlung ein gesellschaftlicher Prozess ist, der sich im Rahmen einer umfassenden Kommunikationsfreiheit für jeden Beteiligten zu entwickeln vermag. Es ist gerade Sinn und Aufgabe einer funktionierenden Öffentlichkeit, im Wettbewerb der Äußerungen die überzeugenden Meinungen und die überzeugenden Tatsachen herauszukristallisieren. Dass dies nicht immer zur Findung der Wahrheit im wissenschaftlichen Sinne, sondern eben auch zur gesellschaftlichen Etablierung wissenschaftlich widerlegbarer Grundannahmen führt, zeigt eine Vielzahl von „populären Irrtümern“, deren Unwahrheit zwar als bewiesen angesehen werden kann, die sich aber hartnäckig im Rahmen der gesellschaftlichen Kommunikation als wahr – oder zumindest als glaubwürdig – halten. Wollte man allerdings die staatlicherseits für unwahr befundenen Tatsachenbehauptungen aus diesem freien Diskurs ausschließen, um die gesellschaftliche Kommunikation von Falschinformationen freizuhalten, hieße das letztlich, dass der gesellschaftliche Diskurs der Wahrheitsfindung von vorne herein um die Kommunikationsinhalte verkürzt würde, die vom Staat als unwahr eingestuft wurden. Auf diese Weise würde an die Stelle der gesellschaftlichen Wahrheitsfindung eine staatliche Wahrheitsfindung gesetzt. Diese Wahrheitsfindung von oben nach unten scheint deutlich weniger mit dem Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 2 GG vereinbar, als ein Schutz von falschen Tatsachenbehauptungen im gesellschaftlichen Diskurs, in den sie sich – wie alle anderen Kommunikationsäußerungen auch – im Wettbewerb der Meinungen zu beweisen haben. Erst dann, wenn die wissenschaftlich betrachtet falsche Äußerung in Konflikt mit anderen Rechtsgütern gerät, kann der Staat eingreifen und eine ausgleichende Lösung finden. Von vorne herein jedoch die unwahren Tatsachenbehauptungen aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit auszuschließen, hieße, das zu schaffende freie gesellschaftliche Klima wieder staatlich zu reglementieren, was dem Zweck der Gewährleistung der Meinungsfreiheit zuwider läuft. Die Einschränkung des Schutzbereichs in Bezug auf unwahre Tatsachenbehauptungen ist daher aufzugeben: Jede Äußerung mit Informationsgehalt muss durch die Meinungsfreiheit geschützt werden.99
––––––––––– 97
Ladeur, NJW 2004, S. 393 (396). BVerfGE 42, 163 (171). 99 So im Ergebnis auch Schmidt-Jortzig, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdBStR, Bd. 6, § 141 Rn. 20. 98
B. Meinungsfreiheit und Kommunikation
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III. Funktion der Kommunikationsfreiheit Aufbauend auf diesem Verständnis des Schutzbereichs der Meinungsfreiheit, lässt sich nun die spezifische grundrechtliche Funktion der Meinungsfreiheit als Kommunikationsfreiheit in Bezug auf den Schutz von Massenkommunikation beschreiben, deren Verständnis grundlegende Bedeutung bei der Abwägung mit anderen Rechtsgütern – und hier vor allem mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht – zukommt. Dabei kann zwischen der subjektiven, also individuellen, auf den Grundrechtsträger bezogenen Funktion und der objektiven, gesellschaftlichen Funktion unterschieden werden.100
1. Individuelle Funktion Der einzelne Grundrechtsträger wird durch die abstrakte Gewährung der Meinungsfreiheit in zweierlei Hinsicht besonders geschützt. Zum einen erhält er selbst die grundrechtliche Freiheit, sich auszudrücken und seine Meinung umfassend zu äußern. Zum anderen garantiert die Meinungsfreiheit ihm ein gesellschaftliches Umfeld, in dem ein vielfältiges und lebendiges Kommunikationsangebot existiert. Mit diesen beiden Zwecken korrespondieren auch die beiden Funktionen, die die Meinungsfreiheit in individueller Hinsicht erfüllt. Sie ermöglicht zum einen den Ausdruck der Persönlichkeit jedes Einzelnen, zum anderen ermöglicht sie, an der eigenen Persönlichkeit bzw. der eigenen Identität durch das bestehende Kommunikationsangebot zu arbeiten.
a) Ausdruck der Persönlichkeit Zunächst steht insofern der Aspekt der Meinungsfreiheit im Vordergrund, der den kommunikativen Ausdruck „im Interesse der Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen“101 und „als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft“102 schützt. Neben der „Sicherung einer staatsfreien Privatsphäre“,103 in der sich jeder äußern können soll, wie es ihm beliebt, soll auch die Möglichkeit des Einzelnen geschützt werden, sich kommunikativ ––––––––––– 100 Diese auch vom BVerfG von vorne herein verfolgte „Doppelbegründung“ ist hingegen in der amerikanischen Dogmatik bis heute umstritten, vgl. Grimm, NJW 1995, S. 1697 (1698). Ebenfalls einer Doppelbegründung folgt der EGMR, Plon (Société) ./. France, Urt. v. 18.5.2004, § 42: „La liberté d’expression constitue l’un des fondements essentiels d’une société démocratique et l’une des conditions primordiales de son progrès et de l’épanouissement de chacun.“ 101 BVerfGE 82, 272 (281); vgl. auch Gallwas, NJW 1992, S. 2785 (2786). 102 BVerfGE 7, 198 (208). 103 Grimm, NJW 1995, S. 1697 (1698).
Kap. 1: Die grundgesetzliche Freiheit der Massenkommunikation
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selbst zu entfalten,104 sich in der Gesellschaft und deren Öffentlichkeit zu präsentieren und zu artikulieren, um auf diese Weise letztlich seine eigene Persönlichkeit in der Gemeinschaft kommunizieren zu können. Diese Komponente des Rechts auf Ausdruck der eigenen Persönlichkeit besitzt insofern große funktionelle Ähnlichkeiten zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht,105 mit dem es doch gleichzeitig so oft in Konflikt gerät. In Bezug auf die hier untersuchten Phänomene der Massenkommunikation stellt sich jedoch heraus, dass dieser Aspekt der Grundrechtsfunktion aufgrund der spezifischen Kommunikationsform in den Hintergrund treten muss. Denn aufgrund der bei Massenkommunikation immanenten Entfernung und der dadurch bedingten Entfremdung des Senders vom Empfänger tritt die persönlichkeitsrelevante Komponente deutlich zugunsten einer gewissen Abstraktion und Anonymität zurück. Der einzelne Entäußerer spielt im Rahmen der Massenkommunikation eine deutlich geringere Rolle als im Rahmen der Individualkommunikation, seine Äußerungen werden im Allgemeinen weniger auf ihn selbst und sein Persönlichkeitsbild als auf das abstrakte, die Äußerung vermittelnde Medium bezogen. Dies ist nicht zuletzt auch der Tatsache geschuldet, dass in der Praxis hinter Kommunikationsinhalten im Rahmen von Massenkommunikation in der Regel nicht nur einzelne Individuen stehen, sondern ein komplexes System von Entscheidungsgremien vorhanden ist, die die tatsächlich veröffentlichten Inhalte lenken, auswählen und bearbeiten.106 Der individuelle, persönliche Ausdruck des Einzelnen hat dabei zwar noch einen gewissen Platz, wird aber weit in den Hintergrund gedrängt.
b) Arbeit an der eigenen Identität Gewichtiger ist insofern die zweite individuelle Funktion, die die Gewährleistung der Meinungsfreiheit erfüllt: die Möglichkeit der Arbeit an der eigenen Identität.107 Diese Funktion wird weniger von der Freiheit der Individualkommunikation als vor allen Dingen von der Freiheit der Massenmedien erfüllt. Ihr Schwerpunkt liegt ebenfalls im Bereich der Persönlichkeitsbildung und ist insofern nahe verwandt mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Im Gegensatz zur erstgenannten Funktion bezieht sich diese allerdings nicht auf den Entäußerer, sondern auf den Empfänger der Kommunikation.
––––––––––– 104 105 106
Vgl. Ladeur/Gostomzyk, JuS 2002, S. 1145 (1146). Vgl. dazu näher unten S. 170. Vgl. Gerhardt/Kepplinger/Maurer, Klimawandel, FAZ Nr. 74 v. 31.3.2005,
S. 40. 107 Vgl. auch Neben, Triviale Personenberichterstattung als Rechtsproblem. Ein Beitrag zur Grenzziehung zwischen Medienfreiheit und Persönlichkeitsschutz, S. 56.
B. Meinungsfreiheit und Kommunikation
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Die Massenmedien kommunizieren dem Beobachter heute weit mehr als singuläre Informationen zu ausgewählten Themen. Sie erschaffen und kommunizieren dem Empfänger eine vollständige Welt, die er passiv zwar ausführlich beobachten kann, die sich aber – bis auf wenige Ausnahmen – einer Interaktion, einer Teilnahme an ihr selbst verschließt. Durch diese umfassende Beobachtbarkeit geben die Massenmedien dem Kommunikationsempfänger die Möglichkeit, sich in dieser von ihr dargestellten Welt selbst zu verorten.108 Der Rezipient kann die dargestellte Welt beschreiben, beurteilen oder sie mit sich selbst und seiner Lebenswelt vergleichen. Und im Gegensatz zur Betrachtung seiner wirklichen Lebenswelt und zu direkter Individualkommunikation ist er bei allen diesen Operationen keiner Konsenszumutung ausgesetzt, kann sich also zur dargestellten Welt frei positionieren, wie es ihm beliebt. Auf diese Art und Weise wird ihm eine Schemabildung ermöglicht, innerhalb der er sich selbst beschreiben kann und die ihm so eine Arbeit an der eigenen „Identität“ ermöglicht.109 Diese Schemabildung erfüllt dabei eine essentielle Funktion, denn „angesichts der Unbeobachtbarkeit der Welt und der Intransparenz der Individuen für sich selbst und für andere ist eine Schemabildung unvermeidlich. Ohne sie gäbe es kein Gedächtnis, keine Information, kein Abweichen, keine Freiheit.“110 Die Massenmedien bieten dem Konsumenten somit eine gänzlich neue und einzigartige Möglichkeit der Selbstbeschreibung und damit der Selbstdarstellung, die im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts besonders geschützt ist und seine entscheidende Rolle vor allem aus der Nähe zur Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG zieht.111 Damit ersetzen sie funktionell eine Vielzahl von Schemata, die im Prozess der Auflösung von sozialen wie regionalen Gesellschaftsstrukturen verloren gegangen sind. Die Selbstverortung und Identitätsfindung des Einzelnen kann insofern – vermittelt durch die Massenmedien – deutlich egalitärer und damit letztlich demokratischer erfolgen, weil sie nicht mehr an Kriterien wie regionale, ethnische oder soziale Herkunft, Religion, Bildungsniveau oder Einkommen angelehnt erfolgen muss. Auch hier zeigt sich somit in Wechselwirkung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht eine besondere Funktion der Freiheit der Massenkommunikation, die in dieser Art und Weise von Individualkommunikation nicht geleistet werden kann.
––––––––––– 108 Auch Di Fabio, AfP 1999, S. 126 (126) betont, dass die Unterhaltungsmedien dem Menschen heute ein gutes Stück gelebter Gesellschaft ersetzen. Vgl. auch ders., Bitburger Gespräche 1999, Bd. 1, S. 159 (160). 109 Luhmann, Die Realität der Massenmedien, S. 115. 110 Luhmann, Die Realität der Massenmedien, S. 203. 111 Vgl. dazu unten S. 139 ff.
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Kap. 1: Die grundgesetzliche Freiheit der Massenkommunikation
2. Gesellschaftliche Funktion Doch auch jenseits des Individuellen erfüllt die umfassende Gewährleistung der Meinungsfreiheit wichtige Funktionen. Die betrifft zum einen ihre politische Dimension. Sie trägt nicht nur essentiell zur notwendigen Vorformung des politischen Willens bei, indem sie einen Diskurs über das Gemeinwohl ermöglicht und damit Entscheidungen im Rahmen der demokratischen Legitimationskette zum Teil erst ermöglicht. Darüber hinaus leistet sie auch einen wichtigen Beitrag zur Kontrolle und Legitimation staatlicher Entscheidungsprozesse. Auf der anderen Seite enthält sie aber auch eine kommunikative Dimension, die nicht nur dem Individuum, sondern auch der Gesellschaft als ganzer dient.
a) Diskurs über das Gemeinwohl Zunächst erfüllt die Meinungsfreiheit im demokratischen Verfassungsstaat eine politische Funktion.112 Sie stellt sich für eine freiheitliche und demokratische Staatsordnung als „schlechthin konstituierend“ dar.113 Denn der freie, ungehinderte gesellschaftliche Kommunikationsprozess einer freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung,114 den die Meinungsfreiheit in allen ihren Ausprägungen gewährleistet, ist unerlässlich in einer demokratischen Ordnung zur Ermittlung des durch den Verfassungsstaat zu gewährleistenden Gemeinwohls.115 Das Gemeinwohl in einer Demokratie ist nämlich keine feststehende, vorfindbare Größe, sondern vielmehr „Gegenstand einer prozeduralen Herstellung im Prozess der öffentlichen Meinungsbildung, der nicht nur ein Kampf der Ideen, sondern auch der Interessen ist.“116 Dieser Prozess der öffentlichen Meinungsbildung, der eben – unter anderem – der Herausbildung einer öffentlichen Meinung über das Gemeinwohl dient, kann nur durch einen umfassenden Schutz von öffentlicher Kommunikation erfolgen, wie die Meinungsfreiheit ihn gewährleistet. Der Kommunikationsprozess selbst ist in diesem Kontext also der zu schützende und zu fördernde Prozess, dem die Meinungsfreiheit funktionell dient. Eng verknüpft mit diesem Aspekt ist der zweite politische Aspekt, den die Meinungsfreiheit sichern soll. Wie bereits beschrieben, ist es Aufgabe und Funktion der Meinungsfreiheit, ein offenes gesellschaftliches Klima zu erzeu––––––––––– 112 Vgl. dazu schon für die Gewährleistung in der WRV Smend, VVDStRL 4 (1927), S. 44 (50). 113 BVerfGE 7, 198 (208); vgl. etwa auch Kloepfer, „Innere Pressefreiheit“ und Tendenzschutz im Lichte des Artikels 10 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten. 114 BVerfGE 57, 295 (318f.); 73, 118 (152); 83, 238 (295 ff.); 90, 60 (87). 115 Vgl. auch Schubert, Verbotene Worte?, S. 148. 116 Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, S. 64.
B. Meinungsfreiheit und Kommunikation
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gen, das für die Demokratie ebenso essentiell ist wie die diskursive Erörterung des Gemeinwohls. Dieses gesellschaftliche Klima bildet die „Grundlage für angstfreie Spontanität und Expressivität“,117 die ihrerseits wiederum unablässliche Voraussetzung für eine demokratische Willensbildung ist. Dem eigentlichen Kommunikationsprozess über Gemeinwohlbelange vorgelagert schützt die Meinungsfreiheit somit bereits die Grundlage, um überhaupt in einen solchen Prozess eintreten zu können, nämlich die Angstfreiheit und das Bewusstsein der jederzeitigen und spontanen Möglichkeit des kommunikativen Ausdrucks in der Gesellschaft. Erst ein solches Klima eröffnet allen Bürgern den Zugang zu dem oben beschriebenen Prozess der demokratischen Willensbildung und lässt sie somit erst als Souverän den Ausgangspunkt staatlicher Entscheidungsprozesse bilden.118 Die Meinungsfreiheit hat auf gesellschaftlicher Ebene somit zunächst eine zutiefst politische und demokratische Funktion. Dabei hebt sich hier die Funktion der Freiheit der Massenmedien noch nicht deutlich von der Funktion der Freiheit der Individualkommunikation ab: Beide tragen gleichermaßen – wenn auch auf unterschiedliche Weise – sowohl zum offenen Kommunikationsklima in der Gesellschaft als auch zum öffentlichen Diskurs bei.
b) Entscheidungen in der demokratischen Legitimationskette Diese allgemeine Funktion der Vorformung des politischen Willens in Hinblick auf Fragen des Allgemeinwohls wird ergänzt und erweitert durch die besondere Funktion der Freiheit der Massenkommunikation in Bezug auf Demokratieprinzip und dem ihm innewohnenden Gedanken der Volkssouveränität. Wenn alle Staatsgewalt gem. Art. 20 Abs. 2 GG vom Volke ausgeht und von diesem in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt wird, so stellt sich die konkrete Wahlentscheidung des Bürgers, d.h. die Manifestierung einer Meinung über die im demokratischen Prozess vorgesehenen Wahlen und Abstimmungen, als essentieller Bestandteil des demokratischen Verfassungssystems dar. Als dem Wahl- bzw. Abstimmungsakt vorgelagerter Schritt erweist sich somit die individuelle Meinungsbildung über genau diese Fragen als notwendige Voraussetzung des demokratischen Prinzips. Und genau in diesem Bereich erfüllen die Massenkommunikationsmittel eine ihrer wichtigsten Aufgaben. Denn eine Meinungsbildung des Einzelnen über die dem demokratischen Prozess unterfallenden Entscheidungen erfordert wenigstens ein Mindestmaß an Tatsachen––––––––––– 117
Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, S. 65. Vgl. Schmidt-Jortzig, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdBStR, Bd. 6, § 141 Rn. 7. Die staatsorganisationsrechtliche Basis dafür findet sich in Art. 20 II 1 GG, der statuiert, dass alle Staatgewalt vom Volke ausgeht, sowie in Art. 21 I 1 GG, der die „politische Willensbildung des Volkes“ auch, aber eben nicht nur in die Hände der politischen Parteien legt. 118
Kap. 1: Die grundgesetzliche Freiheit der Massenkommunikation
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kenntnissen über die zu beurteilenden Abläufe. Durch den Bedeutungsverlust der parlamentarischen Plenardebatten in der modernen Demokratie ist diese Tatsachenkenntnis nach den faktischen Gegebenheiten der Gesellschaft im erheblichen Maße von den Informationen abhängig, die durch die Massenkommunikationsmittel vermittelt werden.119 Erst die Reichweite und Schnelligkeit der modernen Massenkommunikationsmittel ermöglichen, erzwingen aber auch die laufende, tägliche Stellungnahme, die in einem ständigen Integrationsprozess zur Kristallisation der öffentlichen wie der individuellen Meinung führt.120 Bereits aus diesem Gesichtspunkt des Beitrages zu einer staatsrechtlich notwendigen Willensbildung kommt den Massenmedien daher eine politisch und „staatsethisch“ kaum zu überschätzende Funktion zu.121
c) Kontrolle und Legitimation Doch auch darüber hinaus leisten die Massenkommunikationsmedien einen unersetzlichen Beitrag für das Funktionieren der modernen Demokratie.: „In der repräsentativen Demokratie steht die Presse [...] als ständiges Verbindungsund Kontrollorgan zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern in Parlament und Regierung.“122 Die Massenmedien kontrollieren also die Vertreter des Volkes und ermöglichen gleichzeitig eine Kontrolle durch die sie legitimierenden Wähler, indem sie eine informationelle Verbindung zwischen Wähler und Gewähltem herstellen. Dies soll nicht nur eine unerlässliche Vertrauensbasis zwischen den Beteiligten herstellen und sichern, sondern genau dadurch auch die Legitimation der demokratischen Vertreter durch die Bürger verstärken.123 Der für eine Legitimation staatlicher Entscheidungen nötige Kommunikationsprozess zwischen den Herrschaftsunterworfenen und dem Staat124 kann so durch die Massenmedien aufrecht erhalten werden. Die Freiheit der Massenmedien stellt auf diese Art und Weise eine Ergänzung dar zur weitgehenden Öffentlichkeit, die für die Legislative durch Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG gewährleistet ist und für die Judikative – zumindest im Sinne einer Saalöffentlichkeit – zwar nicht ausdrücklich festgeschrieben wurde, deren ––––––––––– 119
Vgl. Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdBStR II, § 36 Rn. 65. Scheuner, DÖV 1958, S. 641 (643); Hesse, VVDStRL 17 (1959), S. 1 (11, 23); BVerfGE 8, 104 (113). 121 Vgl. bezogen auf die Presse BVerfGE 50, 234 (239 f.); 52, 283 (296); bezogen auf den Rundfunk BVerfGE 73, 118 ff.; 97, 228 (255 f.); ferner Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 5 I, II Rn. 44; Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 5 I, II Rn. 119. 122 BVerfGE 20, 162 (175). 123 Scheuner, VVDStRL 22 (1965), S. 1 (29); vgl. auch Kloepfer, Presse-Grosso unter dem Schutz von Verfassungsrecht und Europarecht, S. 49 f. 124 Vgl. Menzel, Legitimation staatlicher Herrschaft durch Partizipation Privater?, S. 79; Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten, S. 29. 120
B. Meinungsfreiheit und Kommunikation
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Verfassungsrang aber heute anerkannt ist.125 Sie steht damit auch in Zusammenhang mit der Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, dass das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG auch ein „allgemeines Öffentlichkeitsprinzip“ umfasst.126 Diese Öffentlichkeit wird von den Massenmedien weitergetragen und ermöglicht somit jenseits der rein abstrakten Möglichkeit der Teilnahme an öffentlichen Sitzungen des Bundestages oder Gerichtsverhandlungen einem weitaus breiteren Spektrum an Rezipienten die Möglichkeit der Information über Maßnahmen der staatlichen Gewalt. Auch wenn dabei dem konkreten Übertragungsvorgang durch die Massenmedien keine legitimierende sondern lediglich eine legitimationsstützende Funktion zukommt,127 erhöht rein abstrakt die Freiheit der massenmedialen Kommunikation und damit die jederzeitige Möglichkeit der Berichterstattung doch die Legitimation der staatlichen Akteure, so dass einer umfassenden Kommunikationsfreiheit auch diesbezüglich eine essentielle Funktion im demokratischen Staatswesen zuteil wird.
d) Kommunikative Dimension Doch auch über diese politische Funktion im engeren Sinne hinaus erfüllt die Meinungsfreiheit als umfassende Kommunikationsfreiheit wichtige gesellschaftliche Funktionen, die in der Rechtswissenschaft meist vernachlässigt werden. Denn durch die sich im Rahmen der Kommunikationsfreiheit entwickelnde Pluralität und Präsenz der Massenmedien werden in gewisser Hinsicht erst die Voraussetzungen für eine gesellschaftsweite Kommunikation auf individueller Ebene geschaffen. Damit Kommunikation innerhalb einer menschlichen Gemeinschaft funktioniert, ist nicht nur der gute Willen der am Kommunikationsakt Beteiligten, sondern auch die Verfügbarkeit eines bestimmten Hintergrundwissens erforderlich.128 Denn jedes Verstehen einer kommunikativen Äußerung wird auf der Seite des Kommunikationsempfängers durch die Einsetzung der zugehörigen „Szenographie“ bestimmt, d.h. durch den Zusammenhang zwischen Welt- und Handlungswissen einerseits und Textverstehen andererseits.129 Damit also ein „Verstehen“ zwischen Entäußerer und Kommunikationsempfänger möglich wird, müssen beide ein gemeinsames Welt- und Handlungswissen teilen, denn nur so kann die „Szenographie“, die der Entäußerer mit seinem Kommunikati––––––––––– 125 Vgl. BVerfGE 70, 324 (358); 103, 44 (63); Pieroth, in: Erichsen/Kollhosser/Welp (Hrsg.), Recht der Persönlichkeit, S. 249 (255). 126 Erstmals BVerfGE 20, 162 (178); vgl. auch BVerfGE 70, 324 (358); deutlich nun BVerfGE 103, 44 (63). 127 Vgl. dazu am Beispiel der Öffentlichkeit der Verwaltung instruktiv Rossi, Informationszugangsfreiheit und Verfassungsrecht, S. 319 ff. 128 Eco, Die Grenzen der Interpretation, S. 351. 129 Eco, Lector in fabula, S. 100.
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Kap. 1: Die grundgesetzliche Freiheit der Massenkommunikation
onsakt beschreiben will, mit der „Szenographie“, die der Kommunikationsempfänger beim Verstehen der Äußerung vor Augen hat, übereinstimmen. Dieses gemeinsame Welt- und Handlungswissen mag in kleinen menschlichen Gemeinschaften noch relativ einfach durch Individualkommunikation herzustellen sein.130 Und so verfügen auch in der Tat kleine soziale Einheiten meist über individuelles Hintergrundwissen, das ein Verstehen jenseits der gesellschaftlich etablierten Kommunikation ermöglicht. Im gesamtgesellschaftlichen System des Verfassungsstaates ist die Bereitstellung eines gemeinsamen Welt- und Handlungswissens jedoch allein durch direkte soziale Interaktion nur noch sehr rudimentär möglich. Deshalb kommt den Massenmedien bei der Bereitstellung dieses kollektiven Hintergrundwissens eine, wenn nicht die entscheidende Bedeutung zu.131 Die Massenmedien stellen durch ihr umfangreiches Kommunikationsangebot die Voraussetzungen für weitere, individuelle Kommunikation bereit, ohne dass diese eigens mitkommuniziert werden müsste. Ihre Funktion liegt somit in kommunikativer Hinsicht in dem durch sie erzeugten „Gedächtnis“. Dieses Gedächtnis besteht für das Gesellschaftssystem darin, dass bei jeder Kommunikation bestimmte Realitätsmaßnahmen, die durch die Massenmedien kommuniziert worden sind, als bekannt vorausgesetzt werden können.132 Die Massenmedien stellen somit ein gemeinsames Welt- und Handlungswissen, ein geteiltes Hintergrundwissen zur Verfügung und schreiben dieses fort, so dass von diesem Wissen im weiteren Prozess der gesellschaftlichen Kommunikation ausgegangen werden kann. Durch die Gewährung umfassender Kommunikationsfreiheiten für die Massenmedien wird somit auch sichergestellt, dass ein „kommunikatives Gedächtnis“ jenseits regionaler oder sozialer Gruppen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene entsteht und ein umfangreiches Verstehen der Individuen im Verfassungsstaat möglich wird. Dieses Verstehen ist nicht nur Voraussetzung für eine den demokratischen Staat konstituierende Gemeinschaft der Bürger133 einerseits und für die Gewährleistung des sozialen Friedens andererseits,134 sondern wiederum konstitutive Voraussetzung für den bereits oben beschriebenen, im demokratischen Rechtsstaat essentiellen Prozess des öffentlichen Diskurses zur politischen Willens- und Meinungsbildung.135 ––––––––––– 130 Vgl. Ladeur, AfP 1993, S. 531 (532), unter Verweis auf Jacques, L'Espace logique de l'interlocution, S. 202, sowie Waldenfels, Philosophische Rundschau 1989, S. 218 (226). 131 Hoffmann-Riem spricht diesbezüglich von „Orientierungs- und Qualifikationswissen“, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider/Stein (Hrsg.), AK-GG, Art. 5 I, II Rn. 11. Vgl. auch Jarass, Die Freiheit der Massenmedien, S. 189 f. 132 Luhmann, Die Realität der Massenmedien, S. 120 f. 133 Vgl. Grimm, JZ 1995, S. 581 (588). 134 Vgl. auch Dahrendorf, in: Frisé (Hrsg.), Vom Geist der Zeit, S. 95 f. 135 Letztlich korrespondiert diese besondere Funktion mit der Erkenntnis, dass Kommunikation nicht nur Sprache voraussetzt, sondern diese gleichzeitig auch erst
C. Kommunikation durch Presse, Rundfunk, Film
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C. Kommunikation durch Presse, Rundfunk, Film Der Meinungsfreiheit als umfassendster Kommunikationsfreiheit steht im Rahmen des Art. 5 Abs. 1 GG die Pressefreiheit sowie die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG entgegen. Diese Grundrechtsgewährleistungen haben mit der Meinungsfreiheit nicht nur systematisch wie inhaltlich die meisten Schnittpunkte. Trotz oder gerade aufgrund dieser Schnittpunkte sind sie auch am schwierigsten von ihr abzugrenzen.
I. Individuelles Kommunikationsgrundrecht In immer stärkerem Maße wird die Abgrenzung zwischen der Meinungsfreiheit und den Medienfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG daher nicht innerhalb des geschützten Kommunikationssystems selbst, sondern anhand des Merkmals der Kommunikation vorgenommen. Der individuelle Kommunikationsvorgang mittels Presse, Rundfunk oder Film wird so zunehmend dem Schutz der spezifischen Grundrechtsgewährleistung entzogen und nur noch der Meinungsfreiheit zugeordnet. Vor allem das Bundesverfassungsgericht erkennt somit dem Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG mittlerweile im Ergebnis die Funktion als individuelles Kommunikationsgrundrecht ab.136 Von Bedeutung soll in diesem Zusammenhang dann nur noch die objektiv-rechtliche Seite der Medienfreiheiten sein, die den Kommunikationsvorgang abstrakt und damit losgelöst vom individuellen Grundrechtsträger schützt.
1. Ursprung des objektiv-rechtlichen Gehalts Ihren Ursprung hat diese Entwicklung in der sogenannten SpiegelEntscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in der das Gericht zum ersten Mal die objektiv-rechtlichen Gehalte des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG herausarbeitete und betonte. Der Entscheidung lag eine Verfassungsbeschwerde zugrunde, mit dem sich der Spiegel-Verlag gegen die Durchsuchung der Verlagsräume, die Beschlagnahme verschiedener Unterlagen sowie gegen die Verhaftung des Herausgebers und der führenden Redakteure wandte. Ursache dafür war ein redaktioneller Beitrag im Spiegel, der sich nicht nur politisch mit der damaligen Rüstungspolitik kritisch auseinandersetzte, sondern dabei auch interne Details über die militärische Ausstattung der Bundeswehr
––––––––––– schafft, vgl. Druey, Information als Gegenstand des Rechts, S. 28, unter Verweis auf Merten, Kommunikation, S. 118; Watzlawick/Beavin/Jackson, Menschliche Kommunikation, S. 61 ff. 136 S.o. S. 29 f. Vgl. allgemein auch Kloepfer, in: Prütting (Hrsg.), Probleme des Zugangs zu den Medien und Telekommunikationseinrichtungen sowie Fragen der Zugangssicherung, 2004, S. 3 (8).
Kap. 1: Die grundgesetzliche Freiheit der Massenkommunikation
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veröffentlichte. Durch diese Vorgänge entstand der Verdacht des Landesverrats, der die angegriffenen Maßnahmen auslöste.
In diesem Urteil führt das Gericht aus, dass die Pressefreiheit eine objektivrechtliche Seite habe, die das Institut „Freie Presse“ garantiere. Der Staat sei – unabhängig von subjektiven Berechtigungen Einzelner – verpflichtet, in seiner Rechtsordnung überall dort, wo der Geltungsbereich einer Norm die Presse berührte, dem Postulat ihrer Freiheit Rechnung zu tragen. Als Folgerungen daraus seien die Freiheit der Gründung von Presseorganen, der freie Zugang zu den Presseberufen sowie Auskunftspflichten der öffentlichen Behörden zu gewährleisten. Eine Pflicht des Staates, Gefahren abzuwehren, die einem freien Pressewesen aus der Bildung von Meinungsmonopolen erwachsen könnten, dachte das Bundesverfassungsgericht dabei an.137 Später konkretisiere das Bundesverfassungsgericht diesen Gedanken dahingehend, dass der originäre Schutzbereich der Pressefreiheit (nur) dann berührt sei, „wenn es um die im Pressewesen tätigen Personen in Ausübung ihrer Funktion, um ein Presseerzeugnis selbst, um seine institutionell-organisatorischen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen sowie um die Institution einer freien Presse überhaupt geht.“138 Die gedankliche Basis findet das Modell der objektiv-rechtlichen Gehalte von Grundrechtsgewährleistungen dabei in dem Bestreben, über subjektive Rechte hinaus Staat und Gesellschaft in einer Art und Weise einander zuzuordnen, dass die größtmögliche gesellschaftliche und individuelle Freiheit gewährleistet wird. Dieser Aspekt ist vor allen Dingen dann wichtig, wenn die bestehende Ordnung dieses größtmögliche Freiheitsprogramm gerade noch nicht verwirklicht ist, Staat und Gesellschaft also noch am Anfang der Umsetzung der Idee der Freiheit stehen. Dies ist auch der Grund, warum in der heutigen Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland die objektivrechtlichen Gehalte von Grundrechten – wohl mit Ausnahme des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG – tendenziell eine geringere Rolle spielen und auch spielen können. Denn wenn eine Freiheitsordnung eingerichtet ist und die einzelnen Bürger subjektive Rechte haben, dann genügt es für die juristische Freiheitsverwirklichung, solche subjektiven Rechte zu verfolgen.139
2. Gefahrenpotentiale objektiv-rechtlicher Gehalte Doch auch unabhängig von der schwindenden Bedeutung objektivrechtlicher Grundrechtsgehalte bleibt zu berücksichtigen, dass dieses Konstrukt in einer bestehenden freiheitlichen Staats- und Gesellschaftsordnung auch er––––––––––– 137 138 139
BVerfGE 20, 162 (175 f.). BVerfGE 85, 1 (12 f.). Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten, S. 32.
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hebliche freiheitsgefährdende Potentiale mit sich bringt, wie sich besonders am objektiv-rechtlichen Verständnis von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG zeigt. Dieses Verständnis der Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit begreift die Bereiche als „öffentliche Aufgabe“,140 die es zu sichern gelte. Nach diesem Verständnis soll die objektiv-rechtliche Seite dieser Grundrechte dazu dienen, die pluralitätssichernde individuelle Verbreitungsfreiheit gegen Gefährdungen abzustützen.141 Löst man aber auf diese Weise den objektiven Gehalt des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG von der subjektiven Kommunikationsfreiheit, auf der sie fußt, so entstehen für diese subjektive Freiheit zwei Bedrohungsszenarien. Zum einen droht diese Konstruktion, den grundrechtsberechtigten Einzelnen im Dienste des Grundrechtes in die Pflicht zu nehmen und ihn so von der Seite des Grundrechtsberechtigten (auch) auf die Seite des durch die Grundrechte Verpflichteten zu ziehen. Als Kehrseite von verschiedenen mit dieser Stellung verbundenen Privilegien müsste der Grundrechtsträger, der von seinem Recht Gebrauch macht, auch bestimmte staatliche Bindungen in Kauf nehmen.142 Diese Inpflichtnahme des Einzelnen widerspricht aber nicht nur dem Gedanken des Freiheitsrechts, sondern beeinträchtigt vor allem den freien Prozess der Meinungsäußerung und Meinungsbildung, der den Massenkommunikationsfreiheiten gerade ihre Bedeutung, ihren Status als „Freie Presse“ gibt. Das andere Gefährdungspotential liegt in dem Bild eines Massenkommunikationssektors, in den der Staat regulierend eingreifen darf und sogar muss, um das, was als freie Presse und freie Berichterstattung betrachtet wird, durch staatliche Intervention zu erhalten und damit letztlich selbst zu regeln.143 Auch dieses Szenario eines regulierend in den Kommunikationsprozess eingreifenden Staates birgt für den gerade zu fördernden freien Kommunikationsprozess und seine für den demokratische Staatsordnung konstituierende Bedeutung nicht unerheblichen Gefahren.144 Sie vermag lediglich da zu überzeugen, wo es um den Konflikt verschiedener konkreter subjektiver Interessen geht, der im Einzelfall durch staatliche Intervention gelöst werden muss. Als objektive Maßgabe ohne Bezug zum eigentlichen Kommunikationsprozess erscheint dieses Konzept hingegen nicht als tragfähig, da es die zu schützende freie und damit auch staatsfreie gesellschaftliche Kommunikation eher zu gefährden als zu schützen geeignet ist. ––––––––––– 140
Groß, AfP 2005, S. 142 (143), betont, es handele sich hier um eine öffentliche Aufgabe im soziologischen Sinne, nicht um eine staatliche Aufgabe. 141 Schmitt, in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze, S. 140 (171), der insoweit von institutionellen Garantien spricht. 142 Vgl. dazu Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 5 I, II Rn. 122, unter Verweis auf Ridder, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Band 2, S. 257. 143 In diesem Sinne Scheuner, VVDStRL 22 (1968), S. 1 (69 f.). 144 So auch Bullinger, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.) HdBStR VI, § 142 Rn. 147.
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3. Untrennbarkeit der subjektiv-rechtlichen Gehalte Darüber hinaus stellt es sich aber auch praktisch als unmöglich heraus, die objektiv-rechtliche Seite der Kommunikationsgrundrechte von dem subjektiven Recht auf Kommunikation und dem mit ihm verbundenen und durch ihn gewährleisteten Kommunikationsprozess zu lösen.145 Dies verdeutlicht schon die Aufzählung des Bundesverfassungsgerichts, mit der die Komponenten des objektiv-rechtlichen Gehaltes des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG begründet werden sollen. Denn die angeführten Beispiele des Schutzes der im Pressewesen tätigen Personen in Ausübung ihrer Funktion, des Presseerzeugnisses selbst sowie seiner institutionell-organisatorischen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen sind nicht nur eng mit dem eigentlichen Kommunikationsvorgang verbunden. Sie sind vielmehr weit darüber hinausgehend ohne diesen eigentlich subjektiv-rechtlich geschützten Kommunikationsprozess schlicht nicht denkbar. Dies wird im Übrigen auch durch die vom Bundesverfassungsgericht selbst aufgestellte Maxime deutlich, dass die objektivrechtlichen Gehalte letztlich dem subjektiven Grundrechtsschutz dienen.146 Schließlich kann auch die gesellschaftliche Bedeutung der Kommunikationsfreiheiten keine isolierte Betrachtung des Art. 5 Abs. 1 S. 2 rechtfertigen, die der Norm in Bezug auf den Kommunikationsprozess lediglich objektivrechtliche Gewährleistungen entnimmt. Wie bereits in Bezug auf die Meinungsfreiheit betont, erfüllen zwar die Kommunikationsfreiheiten des Art. 5 GG eine Fülle von Funktionen, die weit über die Gewährleistung der individuellen Freiheit sich zu äußern in den gesellschaftlichen und politischen Bereich hineinreichen. Diese „soziologische Breitenwirkung“ darf aber nicht als institutionelle Garantie missverstanden werden.147 Denn Ausgangspunkt all dieser Funktionen ist und bleibt die individuelle Freiheit des Einzelnen zur Kommunikation. Diese individuelle Freiheit kann – und muss – zwar durch ihre gesellschaftliche Breitenwirkung in ihrer grundrechtlichen Bedeutung gestärkt werden.148 Eine solche Stärkung kann und muss aber erst dann zu Tage treten, wenn die Freiheit – sei es durch Grundrechte Dritter, sei es durch direkte staatliche Intervention – beeinträchtigt wird. In diesem Rahmen muss dann die besondere Funktion der Kommunikationsfreiheiten berücksichtigt werden. Eines Rückgriffs auf einen institutionellen Charakter des Grundrechts bedarf es dafür jedoch nicht.149 ––––––––––– 145
So auch Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 290. 146 BVerfGE 57, 295 (320); so auch Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten, S. 37. 147 Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 5 I, II Rn. 13. 148 Vgl. dazu auch Flitsch, Die Funktionalisierung der Kommunikationsgrundrechte, passim, insbesondere S. 75 f. 149 So auch Starck, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdBStR II, § 29 Rn. 39.
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Eine etwas andere Rolle spielt in diesem Zusammenhang lediglich die Rundfunkfreiheit, da diese – im Gegensatz zu den anderen Verbreitungsarten über Massenkommunikationsmittel – technisch auf die begrenzte Ressource der Sendefrequenz angewiesen ist, die staatlich verwaltet und vergeben wird. Aufgrund der digitalen Kompressionstechniken, die technisch immer weitergehende Möglichkeiten zur Verbreitung von Rundfunk bzw. rundfunkähnlichen Programmen bieten, ist jedoch der Zugang zu Senderessourcen schon dabei, sich so zu verändern, dass die Bedeutung einer öffentlichen Rundfunkordnung zunehmend sinkt.150 Dies liegt nicht zuletzt auch daran, dass das staatliche Monopol auf Telekommunikationsleitungen seit dem Jahr 1996 aufgehoben ist,151 insofern also auch rein faktisch keine allein vom Staat beherrschte Rundfunkordnung im weiteren Sinne mehr besteht, sondern zumindest im Bereich der kabelgebundenen Datenübertragung echter Wettbewerb besteht.
Die Konstruktion einer rein objektiv-rechtlichen Bedeutung der Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit trägt demnach nicht. Nicht nur vermag die Konstruktion des objektiv-rechtlichen Gehalts des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG neben einer subjektiv-rechtlichen Gewährleistung kaum zu überzeugen. Vor allen Dingen aber kann auch eine Loslösung des objektiv-rechtlichen Gehaltes von seinem subjektiv-rechtlichen Ursprung nicht überzeugen. Denn der Ausgangspunkt jeder Grundrechtsgewährleistung bleibt die Freiheit des Einzelnen, im Fall der Medienfreiheiten aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG also die Freiheit, mittels Presse, Rundfunk und Film zu kommunizieren. Ein institutioneller Grundrechtsüberbau ist daher nicht notwendig, um die Freiheit der Massenkommunikation zu schützen, wenn nur der subjektiv-rechtliche Schutzbereich adäquat konturiert ist.152 Und dieser subjektiv-rechtliche Schutzbereich sichert im Bereich der Medienfreiheiten die Kommunikation mittels Presse, Rundfunk und Film.
II. Form der Kommunikation Die Abgrenzung der Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit untereinander vollzieht sich genau wie die Abgrenzung von der Meinungsfreiheit bereits dem Wortlaut des Grundgesetzes nach anhand der Kommunikationsform. Denn die drei medialen Freiheiten aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG definieren sich nicht über die Art der verbreiteten Information, sondern über die Art der Verbreitung, wobei – zusammengefasst – die Kommunikation in körperlicher Form der Presse, die unkörperliche Verbreitung mittels elektromagnetischer Wellen dem ––––––––––– 150
Vgl. dazu etwa Bullinger, AfP 1996, S. 1 (1); frühzeitig bereits auch Schlink/Wieland, Jura 1985, S. 570 (571). 151 Die Liberalisierung erfolgte durch Erlass des Telekommunikationsgesetzes v. 25.6.1996, BGBl. I S. 1120. 152 So für die Wissenschaftsfreiheit Nettesheim, DVBl. 2005, S. 1074 (1079); kritisch zur Leistungsfähigkeit eines institutionellen Ansatzes in der Grundrechtsdogmatik auch Mager, Einrichtungsgarantien, passim.
Kap. 1: Die grundgesetzliche Freiheit der Massenkommunikation
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Rundfunk und die ortsgebundene Projektion von Bewegtbildern für Anwesende dem Film zuzuordnen ist.153
1. Naturwissenschaftliche Schutzbereichsbestimmung Der klassischen Schutzbereichsdefinition liegt dabei zunächst eine rein naturwissenschaftliche Betrachtungsweise zugrunde. Wendet man diese jedoch konsequent, streng naturwissenschaftlich an, so stellt sich bald heraus, wie unzulänglich diese auf die Medienlandschaft reagiert, die nun am Ende einer über 50jährigen Entwicklung seit Inkrafttreten des Grundgesetzes besteht. Dies wird besonders deutlich bei der Betrachtung der Definition des Rundfunks als Verbreitung von Informationen mit Hilfe elektromagnetischer Schwingungen. Schwingungen sind im naturwissenschaftlichen Sinne definiert als Bewegungen einer Größe eines physikalischen Systems mit Umkehr der Bewegungsrichtung.154 Elektromagnetische Schwingungen zeichnen sich dadurch aus, dass das relevante physikalische System dabei ein elektromagnetisches Feld ist, in dem die magnetische Feldstärke variiert. Bei genauer Betrachtung heißt dies, dass jede Form der digitalen Datenübertragung der Definition von vorne herein nicht unterfallen kann. Denn die digitale Datenübertragung definiert sich gerade dadurch, dass sie stufenförmig ist und nur diskrete, d.h. nicht stetig veränderliche Werte annimmt.155 Bei strenger Anwendung der überkommenen Definition des Rundfunkbegriffs können somit z.B. weder das (digital) über das Internet verbreitete Radioprogramm noch die digital terrestrische Fernsehübertragung vom Schutzbereich der Rundfunkfreiheit umfasst werden, da es sich gerade nicht um eine Informationsverbreitung mittels elektromagnetischer Wellen handelt. Diese – heute überaus gängigen – Formen der Rundfunkverbreitung wären demnach lediglich der Meinungsfreiheit, nicht aber der spezifischen Rundfunkfreiheit zuzuordnen. Letztendlich korrespondiert diese naturwissenschaftliche Schutzbereichsbestimmung der Rundfunkfreiheit mit dem Gedanken einer technisch durch den Staat zu sichernden Rundfunkordnung. Denn (nur) bei der Informationsübertragung durch elektromagnetische Schwingungen entsteht das Phänomen, dass aufgrund der knappen, zu dieser Übertragung erforderlichen Frequenzen eine staatliche Ressourcenverteilung notwendig ist, um einen freien und fairen Kommunikationsprozess überhaupt zu gewährleisten. Da aber genau dieser Bereich notwendiger staatlicher Frequenzverwaltung durch die zunehmende Digitalisierung der Datenübertragung immer mehr an Bedeutung verliert, wird ––––––––––– 153 154 155
Bullinger, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdBStR VI, § 142 Rn. 5. Stichwort „Schwingung“, in: Der Brockhaus in fünf Bänden, Bd. 4, S. 4177. Stichwort „digital“, in: Der Brockhaus in fünf Bänden, Bd. 1, S. 960.
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somit auch der Schutzbereich der Rundfunkfreiheit bei rein naturwissenschaftlicher Betrachtung zunehmend kleiner.
2. Funktionale Schutzbereichsbestimmung Dieses rein technische Ergebnis, das eine Abgrenzung für den Außenstehenden oft als zufällig erscheinen lässt, wird meist als unbefriedigend empfunden. Aus diesem Grund wird die naturwissenschaftliche Betrachtung zunehmend von einer funktionalen Sichtweise abgelöst, ohne dass sich dafür jedoch ein fester Maßstab, geschweige denn eine neue Schutzbereichsdefinition herausgebildet hätte.156 Ausgehend von der Schutzbereichsdefinition des Rundfunks wird lediglich betont, dass die Abgrenzung der verschiedenen Grundrechtsgehalte schwerpunktmäßig auf einer Betrachtung der kulturellen Phänomene157 und nicht mehr auf dem rein fernmeldetechnischen oder sonstigen Übertragungsvorgang liegen müsse.
a) „Dynamischer“ Rundfunkbegriff Als Vorreiter dieser phänomenologischen Betrachtungsweise des Schutzbereichs von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG hat sich das Bundesverfassungsgericht erwiesen. Im Laufe seiner neueren Rechtsprechung hat es einen „dynamischen“ Rundfunkbegriff158 aufgestellt, den es weitestgehend von der rein naturwissenschaftlichen Betrachtung loslöst und vielmehr auf inhaltliche Kriterien abstellt. So wird etwa für das Fernsehen159 sowie den Bildschirm- und Videotext160 unbestritten angenommen, dass diese unabhängig von der konkreten Verbreitungsform dem Rundfunkbegriff unterfallen. Zunehmend wird dies auch für sonstige rundfunkähnliche Kommunikationsarten angenommen, wie etwa Me––––––––––– 156 Einen Vorstoß diesbezüglich wagt lediglich Hoffmann-Riem, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider/Stein (Hrsg.), AK-GG, Art. 5 I, II Rn. 145, der mit der Feststellung, die Rundfunkfreiheit ziele „auf die Freiheit der öffentlichen Verbreitung für die Allgemeinheit geeigneter und bestimmter Informationen in Form von Darbietungen in Wort, Ton und Bild durch Telekommunikationsanlagen“ eine Neubeschreibung der Rundfunkfreiheit vorlegt, ohne diese jedoch im eigentlichen Sinne als neue Definition zu verstehen. 157 Vgl. dazu BVerfGE 12, 205 (229); freilich vermag der Begriff der Kultur hier nur als Abgrenzungsmerkmal zur rein technischen Seite, nicht jedoch als allgemeines Kennzeichnungsmerkmal des Rundfunks zu überzeugen, vgl. insofern auch kritisch zu dieser Terminologie Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, S. 317 f. 158 So Eberle, CR 1996, S. 193 (194); Ricker, NJW 1997, S. 3199 (3199 f.); Michel, MMR 2005, S. 284 (284). 159 BVerfGE 12, 205 (226); 57 (318 ff.); 73, 118 (125); 95, 220 (234); 97, 298 (310 ff.). 160 BVerfGE 74, 297 (352).
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diendienste auf Abruf.161 Zur Begründung führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass zwischen den als „Rundfunk“ und den als „rundfunkähnliche Kommunikation“ bezeichneten Sendungen zumindest in den Punkten, die unter dem Blickwinkel des Art. 5 Abs. 1 GG allein entscheidend sein könnten, kein wesentlicher Unterschied bestünde, denn diese Punkte seien in dem Inhalt der Sendungen und den am Kommunikationsprozess Beteiligten zu sehen. Sowohl beim Rundfunk als auch bei der rundfunkähnlichen Kommunikation würden Sendungen gleichen Inhalts verbreitet; hier wie dort seien die Veranstalter und eine unbestimmte Vielzahl von Zuschauern oder Hörern beteiligt; hier wie dort treffe der Teilnehmer Auswahlentscheidungen durch Ein- und Ausschalten.162 Aufbauend auf dieser Rechtsprechung distanzierte sich das Bundesverfassungsgericht später ganz von einem festen verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriff: „Der verfassungsrechtliche Begriff des Rundfunks lässt sich nicht abschließend definieren. Sein Gehalt kann sich vielmehr bei tatsächlichen Veränderungen in dem von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten Sozialbereich wandeln. Soll die Rundfunkfreiheit unter den Bedingungen raschen technischen Wandels ihre normative Kraft bewahren, dann darf bei der Bestimmung von Rundfunk nicht nur an eine bereits eingeführte Technik angeknüpft werden. Andernfalls könnte sich die grundrechtliche Gewährleistung nicht auf jene Bereiche erstrecken, in denen gleichfalls die Funktion des Rundfunks, wenn auch mit neuen Mitteln, erfüllt würde. Zur Gewährleistung freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung bedarf es deshalb der Schutzwirkungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG auch bei den neuen Diensten.“163 Damit spricht das Bundesverfassungsgericht zwar die Unzulänglichkeit der rein technischen Abgrenzung im Rahmen des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG an, ohne sich aber zu einer gänzlichen Neubestimmung des Schutzbereiches der Rundfunkfreiheit durchzuringen.164 Der auf Inhalt und Funktion abstellende, „dynamische“, eine feste Definition ablehnende Rundfunkbegriff bleibt insofern vage. Warum ein solcher vager Begriff des Rundfunks nicht tragfähig sein kann, zeigt sich vor allen Dingen dann, wenn man die Rundfunkfreiheit nicht mehr isoliert, sondern in ihrem Zusammenhang mit den anderen Kommunikationsfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG begreift.
––––––––––– 161
BVerfGE 74, 297 (352). BVerfGE 74, 297 (352). 163 BVerfGE 83, 238 (302), unter Verweis auf BVerfGE 74, 297 (350 f.). 164 Grzeczick, AöR 123 (1998), S. 174 (175), spricht davon, der Rundfunkbegriff müsse durch Auslegung immer neu bestimmt werden. 162
C. Kommunikation durch Presse, Rundfunk, Film
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b) Neue Medien Die Schwierigkeit einer festen Definition angesichts des zunehmenden technischen Wandels zeigt sich nicht nur im Bereich des Rundfunks, sondern in allen Bereichen der sogenannten Neuen Medien, d.h. in Bezug auf die durch technische Weiterentwicklung neu geschaffenen Formen der Datenübertragung und Informationsübermittlung, wenn diese in das herkömmliche Modell des medialen Grundrechtsschutzes mit einbezogen werden sollen. Durch sie werden nämlich die traditionellen Verbreitungsmedien von Presse, Rundfunk und Film auf eine Art und Weise miteinander vermischt, dass eine Zuordnung zu den einzelnen Grundrechtsgewährleistungen anhand fest abgegrenzter und abstrakt definierter Kriterien zunehmend unmöglich erscheint. Ein anschauliches Beispiel dafür ist etwa das Verbreiten von Zeitungs- und Zeitschrifteninhalten über das Internet. Zum Teil werden diese Internetpublikationen aufgrund der inhaltlichen Identität gegenüber den Printmedien der Pressefreiheit zugeordnet,165 andere sehen sie von einem weit gefassten Schutzbereich der Rundfunkfreiheit abgedeckt,166 während streng genommen eigentlich allein der Schutzbereich der Meinungsfreiheit einschlägig sein dürfte.167 Noch deutlicher zeigt sich das Dilemma scheinbar willkürlicher Abgrenzung, wenn man sich dem Bereich der technischen Verbreitung von Filmen zuwendet. Werden diese vor Ort zur Vorführung gebracht, so ist für diesen Vorgang – und zwar unabhängig davon, auf welche technische Weise die Projizierung der Bilder erfolgt – die Filmfreiheit einschlägig. Wird der Film auf einem Datenträger gespeichert und verbreitet, so ist aufgrund der Körperlichkeit des Speicherungsmediums die Pressefreiheit berührt.168 Wird der Film allerdings von einem Anbieter als „video on demand“ angeboten,169 offeriert also jemand die Möglichkeit, den Film über Telekommunikationsleitungen elektronisch abzurufen, so ist die Zuordnung umstritten. Entweder fasst man diese Verbreitungsform aufgrund der technischen Verbreitungsart unter den Rundfunkbegriff170 und setzt sich dabei ggf. über die technisch enge, digitale ––––––––––– 165 Kloepfer, Informationsrecht, § 3 Rn. 93 f.; Bullinger, AfP 1996, S. 1 (3 f.); Lerch, CR 1997, S. 261 (265 ff.). 166 Hoffmann-Riem, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider/Stein (Hrsg.), AK-GG, Art. 5 I, II Rn. 150; Jarass, AfP 1998, S. 133 (136 f.). 167 Was wiederum nach der herrschenden Meinung zu Unterschieden im Schutz der Inhalte führen würde, da bei den Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 S. 2 im Gegensatz zur Meinungsfreiheit anerkannt ist, dass Tatsachenbehauptungen einen eigenständigen Schutz genießen und nicht lediglich aufgrund ihrer Bedeutung für Meinungsäußerungen mitgeschützt sind. 168 Bullinger, in: Löffler (Hrsg.), Presserecht, § 1 Rn. 68 ff.; ders., AfP 1996, S. 1 (3). 169 Vgl. zur steigenden Bedeutung solcher Onlinedienste in der Praxis Zimmer, Media Perspektiven 1995, S. 476 ff. 170 So wohl BVerfGE 83, 238 (302), 74, 297 (350 f.).
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Datenübertragung ausschließende Definition des Rundfunks sowie das Erfordernis eines größeren Publikums für die konkrete Übertragung hinweg. Oder aber man sieht in derartigen Diensten einen „modernisierten Pressevertrieb“, ein Surrogat für den körperlichen Vertrieb, der aus diesen funktionalen Gründen unter die Pressefreiheit zu subsumieren wäre,171 und setzt damit den hergebrachten Begriff der Presse außer Kraft. Ohne Kunstgriffe bei der Subsumtion ließe sich diese Form der Datenverbreitung lediglich unter die Meinungsfreiheit fassen, was allerdings wiederum aufgrund der Nähe zu den sonst unter Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gefassten Kommunikationsformen auf Unbehagen stößt.
c) Keine feste Abgrenzung Gerade angesichts des Postulats, dass innerhalb der Systematik des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG allein der Inhalt der Sendungen und die am Kommunikationsprozess Beteiligten für eine Abgrenzung der Schutzbereiche maßgeblich sein können, stellt sich die Abgrenzung der verschiedenen Verbreitungsformen somit auch anhand einer funktionalen Betrachtungsweise als schwierig, wenn nicht unlösbar dar. Zwar kann eine funktionale Betrachtungsweise Anhaltspunkte für eine Abgrenzung der unterschiedlichen von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gewährleisteten Grundrechtstatbestände bieten. Zu eindeutigen oder zumindest immer nachvollziehbaren Ergebnissen führt sie hingegen nicht. Denn eine funktionale Abgrenzung der verschiedenen Grundrechtsgewährleistungen voneinander basiert letztlich auf der Inbezugnahme traditioneller Vorstellungen davon, was Presse, Rundfunk und Film sind. Genau diese traditionellen Vorstellungen werden aber durch immer weitergehende technische Veränderungen systematisch erodiert, nicht zuletzt auch wegen der neuen Einheitlichkeit von Netz und Endgerät bei den verschiedensten Diensten, die eine Unterscheidung tatsächlich praktisch oft unmöglich machen.172 Bei einer funktionalen Betrachtungsweise der verschiedenen durch Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG geschützten Medien fehlt es insofern mittlerweile schon an einem zuverlässigen Maßstab, anhand dessen eine eindeutige Abgrenzung erfolgen könnte.
3. Einheitliche Schutzbereichsbestimmung Auf dieser Basis stellt sich eine Ausdifferenzierung der Kommunikationsformen innerhalb des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG nach naturwissenschaftlichen,
––––––––––– 171
So Bullinger, AfP 1996, S. 1 (3); Gersdorf, Der verfassungsrechtliche Rundfunkbegriff im Lichte der Digitalisierung der Telekommunikation, S. 147. 172 Holznagel, NJW 2002, S. 2351 ff.
C. Kommunikation durch Presse, Rundfunk, Film
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funktionalen oder anderen Aspekten im Ergebnis als kaum mehr sinnvoll dar.173 Die im Wortlaut der Verfassungsnorm vorgesehene Dreiteilung des Schutzes der medialen Kommunikation hat sich schlicht überholt. Denn die Ursache für die sich heute als zersplittert bzw. uneinheitlich und willkürlich darstellende Schutzbereichsabgrenzung ist vor allen Dingen in der Zeit zu sehen, der das Grundgesetz entstammt. Bei Ausarbeitung des Grundgesetzes war der gegenwärtige Stand der technischen Entwicklung nicht einmal im Ansatz abzusehen oder zu erahnen.174 Vielmehr waren zum damaligen Zeitpunkt mit den Verbreitungsmedien Druckpresse, Rundfunk (als Hörfunk) sowie Film (hier war vor allem an die Wochenschau gedacht worden175) die damals bekannten Massenmedien abschließend aufgezählt. Die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit des Aufkommens weiterer technischer Verbreitungsformen in der Zukunft war somit schlicht unberücksichtigt geblieben. Die ursprüngliche Intention, den Schutz medialer Kommunikation besonders hervorzuheben und nicht lediglich der Meinungsfreiheit zu unterstellen, indem die bekannten Instrumente massenmedialer Kommunikation explizit in den Wortlaut mit aufgenommen wurden, hat sich somit aufgrund der technischen Entwicklung in ihr Gegenteil verkehrt. Gerade der ursprüngliche Ansatz, Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG als umfassendes Recht der Kommunikation mittels Massenmedien zu konzipieren, führt daher dazu, dass die rein am Wortlaut orientierte Auslegung der Grundrechte, mit der drei Verbreitungsmethoden herausgehoben und einem separaten Schutz unterstellt werden, heute nicht mehr überzeugen kann. Denn sachlich lässt sich die Hervorhebung der Kommunikation durch verkörperte Gedankeninhalte, elektromagnetische Schwingungen oder Bewegtbilder gegenüber neuen technischen Verbreitungsformen im juristischen Sinne nicht mehr begründen: Weder verändert sich durch die andere technische Verbreitung die Schutzbedürftigkeit des Verhaltens, noch die individuelle oder gesellschaftliche Funktion, die der Grundrechtsgebrauch erfüllt. Eine an der ratio der Grundrechtsgewährleistung orientierte Auslegung muss sich daher heute vom strengen Wortlaut lösen. Sie muss nicht nur die begriffliche Sonderung der einzelnen medialen Freiheiten zugunsten einer einheitlichen Betrachtungsweise aufgeben; vielmehr obliegt es ihr auch, in einer für weitere technische Entwicklungen offenen Weise die bereits bestehenden sowie die möglicherweise noch entstehenden „neuen Medien“ in den Schutzbereich der medialen Freiheiten im Sinne einer medienübergreifenden Kommunikationsfreiheit mit einzubeziehen. In Hinblick auf die Kommunikationsform ist daher jede einseitige Verbreitung von Inhalten dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 ––––––––––– 173
In diese Richtung auch Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdBStR II, § 36 Rn. 10. 174 Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdBStR II, § 36 Rn. 10. 175 Vgl. Reupert, NVwZ 1994, S. 1155 (1155).
Kap. 1: Die grundgesetzliche Freiheit der Massenkommunikation
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S. 2 GG zuzuordnen, die mittels technischer Hilfsmittel an einen größeren, nicht unbedingt überschaubaren Personenkreis erfolgt, d.h. jede Form der (technischen) Massenkommunikation.176
III. Inhalt der Kommunikation Der solcherart gewonnenen Einheitlichkeit der Form im Rahmen des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG ist nun der Inhalt der Kommunikation entgegenzustellen, die durch die Grundrechtsgewährleistung geschützt ist. In bezug auf inhaltliche Kriterien scheinen nämlich – will man dem ersten Augenschein des Wortlauts trauen – vom Grundgesetzgeber durchaus unterschiedliche Anforderungen an die verschiedenen Gewährleistungen gestellt worden zu sein. Während in Bezug auf die Presse schlicht allgemein deren Freiheit statuiert wird, gilt dies bezüglich der anderen Verbreitungsformen nur in Hinblick auf eine Berichterstattung, die mittels Rundfunk und Film erfolgt. Diese Fassung der Vorschrift entstand im Parlamentarischen Rat erst im Verlauf der Beratungen: In den vorhergehenden Entwürfen war noch eine einheitliche Beschreibung des Grundrechts im Sinne einer Freiheit der Berichterstattung durch Presse, Rundfunk und Film vorgesehen.177
1. Einheitliche Auslegung Dieser scheinbare Ungleichlauf wird in der Praxis durch eine faktische Gleichsetzung der Berichterstattungsfreiheiten mit der Pressefreiheit aufgelöst. Dabei wird die wesensmäßige Identität zur Pressefreiheit betont, die vor allen Dingen durch die meinungsbildende Wirkung des Rundfunks und des Films entsteht. Diese stehe funktionell der Wirkung der Presse in nichts nach: Jedes Programm habe schon durch die getroffene Auswahl und die Gestaltung der Sendung eine bestimmte meinungsbildende Wirkung, so dass Information und Meinung genauso durch ein Fernsehspiel oder eine Musiksendung vermittelt werden könnten wie durch Nachrichten oder politische Kommentare.178 In der Tat kann eine unterschiedliche Behandlung des Inhalts der Pressefreiheit gegenüber der Rundfunk- und Filmfreiheit genauso wenig überzeugen wie eine nach technisch veralteten Kriterien vorgenommene Abgrenzung der Kommunikationsform. Denn auch nach inhaltlichen Kriterien stellen sich die verschiedenen Medien zunehmend als wesensmäßig identisch dar; durch die in der Praxis zunehmende Überschneidung der einzelnen Programmbereiche so––––––––––– 176 177 178
So auch Jarass, Die Freiheit der Massenmedien, S. 194. Vgl. JöR NF 1, S. 80. Vgl. BVerfGE 12, 205 (260); 31, 314 (326); 35, 202 (222).
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wie den zunehmenden Vertrieb identischer Inhalte über unterschiedliche Medien erscheinen die Kommunikationsprozesse mittels der verschiedenen Medien mittlerweile als derart kongruent, dass eine Unterscheidung der Schutzniveaus nach inhaltlichen Kriterien kaum als zielführend erscheint. Auch der Inhalt der durch Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG geschützten Kommunikation muss somit einheitlich für alle Formen der Kommunikation durch Massenmedien ausgelegt werden. Zu klären bleibt in diesem Zusammenhang jedoch, wie in dem einheitlichen Schutzbereich das Definitionskriterium der Berichterstattung zu behandeln und zu fassen ist.
2. Inhaltliche Kongruenz zur Meinungsfreiheit Von Rechtsprechung und Literatur wird das Merkmal der Berichterstattung fast einhellig so weit ausgelegt oder derart reduziert, dass ihm bei der Auslegung der Vorschrift praktisch keine Bedeutung mehr zukommt.179 Eine Ausweitung des Kriteriums auf die Pressefreiheit oder eine einschränkende Auslegung derselben wird übereinstimmend abgelehnt.180 Begründet wird diese weite Auslegung des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG zunächst und vordergründig mit den Abgrenzungsschwierigkeiten, die sich bei den unscharfen Begrifflichkeiten ergeben, mit denen das Kriterium der Berichterstattung gefasst werden kann.181 Vor allen Dingen aber wird als Argument gegen das inhaltliche Kriterium der Berichterstattung zur Beschreibung der Presse-, Rundfunk- oder Filmfreiheit zweierlei angeführt: zum einen die umfassende Bedeutung der Medienfreiheiten für den öffentlichen Meinungsbildungsprozess, die nicht auf die Verbreitung bestimmter inhaltlicher Beiträge begrenzt werden könne, zum anderen die von einem zu engen Grundrechtsverständnis ausgehende Gefahr der staatlichen Bewertung von Kommunikationsprozessen.182 Zwar vermag das Argument, die Einführung inhaltlicher Kriterien in die Grundrechtsbetrachtung würde einer staatlichen Bewertung von Kommunikati––––––––––– 179 Vgl. BVerfGE 59, 231 (257 f.); 73, 118 (152); 97, 228 (257); Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 5 I, II Rn. 134; Bullinger, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdBStR VI, § 142 Rn. 3, 83. 180 Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 5 I, II Rn. 128; Scheuner, VVDStRL 22 (1965), S. 1 (12, 64); Lenz, JZ 1963, S. 338 (339 f.); Schnur, VVDStRL 22 (1965), S. 100 (105). A.A. lediglich Klein, in: v. Mangoldt/Klein (Hrsg.), GG, 2. Aufl., der den Inhalt der Pressefreiheit auf die Veröffentlichung „politisch-kulturell-weltanschaulicher Nachrichten“ beschränken wollte, seine Ansicht allerdings in der folgenden Auflage bereits wieder aufgab. 181 So Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 5 I, II Rn. 128. 182 Vgl. etwa nur BVerfGE 97, 228 (257); 101, 361 (389 f.) unter Verweis auf Berg/Kiefer (Hrsg.), Massenkommunikation, Band V, passim bzw. Pürer/Raabe, Medien in Deutschland, Band 1, S. 309 f.; ferner Janisch, AfP 2000, S. 32 (32); SchulzeFielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 5 I, II Rn. 45.
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onsinhalten gleichkommen, nicht ganz zu tragen und wird deshalb spätestens bei der Frage der Berücksichtigung inhaltlicher Kriterien in der Lösung grundrechtlicher Konfliktsituation zu widerlegen sein.183 Richtig bleibt jedoch, dass das Merkmal der Berichterstattung, wie es für den Rundfunk und den Film aufgestellt wurde, in seinem einstigen Verständnis heute genauso überholt ist wie die explizite Aufzählung der drei Verbreitungsmedien Presse, Rundfunk und Film. Es entstammt einer Zeit, in der eine Unterhaltungsöffentlichkeit, wie sie heute besteht und die sich vielleicht nicht ohne weiteres im herkömmlichen Wortsinne des Begriffs Berichterstattung wiederfindet, noch nicht bestand und vor allen Dingen auch noch nicht vorhersehbar war. Auch hier wurde somit vom Grundgesetzgeber eine Ausdrucksweise gewählt, die aufgrund der damaligen Verhältnisse Vollständigkeit suggerieren sollte, von der gesellschaftlichen Realität aber mittlerweile überholt worden ist. Um dem Bild der umfassenden Medienfreiheiten, die durch die Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit gewährleistet werden sollten, Rechnung zu tragen, muss das Merkmal der Berichterstattung daher denkbar weit ausgelegt werden. Der Bereich möglicher Inhalte, die von der Medienfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gedeckt sind, ist somit mit dem Spektrum der durch die Meinungsfreiheit geschützten Inhalte kongruent.184 Er umfasst jede Äußerung, solang sie nur irgendeinen Informationsgehalt aufweist.
IV. Spezifische Medienfreiheit Die Grundrechtsgewährleistung des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG ist somit als einheitliche und spezifische, gegenüber der Meinungsfreiheit spezielle Medienfreiheit, d.h. als umfassende Freiheit der Kommunikation mittels Massenmedien zu begreifen. Aufgrund der spezifischen Besonderheiten dieser Kommunikationsform im Gegensatz zur Individualkommunikation kann sie dementsprechend auch als „Freiheit massenkommunikativer Vermittlung“ bezeichnet werden.185 Ihre besondere Hervorhebung und Eigenständigkeit ergibt sich aus den bereits erläuterten besonderen Funktionen, die die Freiheit der Massenmedien im demokratischen Verfassungsstaat erfüllt.186 In individueller Hinsicht wird durch sie dem Einzelnen ein Kommunikationszusammenhang vorgestellt, der ihm die Arbeit an der eigenen Identität ermöglicht und erleichtert. ––––––––––– 183
S.u. S. 225. A.A. Jarass, Die Freiheit der Massenmedien, S. 196, der den Inhalt der geschützten Kommunikation in Hinblick auf die besondere Funktion der Aktualvermittlung, auf Inhalte mit einem gewissen aktuellen Zeitbezug beschränken will, gleichwohl jedoch in dieser Einschränkung keine echte inhaltliche Beschränkung sehen will. 185 Vgl. Jarass, Die Freiheit der Massenmedien, S. 188. 186 S.o. S. 53 184
D. Kommunikation durch Kunst
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In gesellschaftlicher Hinsicht schützt und fördert die Medienfreiheit den gesellschaftlichen Diskurs über Gemeinwohlbelange, der für die Willensbildung des Volkes in der Demokratie unerlässlich ist. In ganz besonderer Weise trägt die Medienfreiheit dabei dazu bei, dass die Bürger mit den notwendigen Informationen versorgt werden, die ihnen die Entscheidungen, die sie im Rahmen der Ausübung der Staatsgewalt treffen müssen, erst ermöglichen. In den Bereichen, in denen die Massenmedien über formal-demokratische Inhalte berichten, d.h. über solche Inhalte, die im Zusammenhang mit einer Entscheidung im Rahmen der demokratischen Legitimationskette stehen, wird die Funktion ihrer Freiheitsgewährleistung somit in ganz besonderer Weise durch das Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 2 GG angereichert. Darüber hinaus und eng verbunden mit diesem Gedanken kommt den Massenmedien ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Kontrolle und nachträglichen Legitimation staatlicher Entscheidungen zu. Sie schützen und stützen somit nicht nur den originären Legitimationsprozess des Volkes gegenüber dem Staat, sondern wirken auch im Nachgang dieses Prozesses an der Einhaltung des demokratischen Prinzips mit. Zuletzt wird durch die Medienfreiheit und die durch sie ermöglichte Kommunikation der Massenmedien auch das notwendige Welt- und Handlungswissen als Hintergrundwissen bereitgestellt, das die (Individual-)Kommunikation in der Gemeinschaft des Verfassungsstaates erst ermöglicht. Im hier untersuchten Bereich der Massenkommunikation wird die Meinungsfreiheit insofern durch die Medienfreiheit vollständig verdrängt; ihr verbleibender Schutzgehalt im Bereich der Individualkommunikation ist insofern im Folgenden nicht mehr von Bedeutung. Neben die Gewährleistungen der Medienfreiheit treten jedoch die besonderen Gewährleistungen des Art. 5 Abs. 3 GG, die nicht nur besonders geschützt sind, sondern an deren tatbestandliches Vorliegen auch besondere und ausdifferenzierte Anforderungen zu stellen sind.
D. Kommunikation durch Kunst Wenn aus dem weiten Schutzbereich der Meinungsfreiheit, den diese zur Erfüllung ihrer vielfältigen Funktionen gewährleistet, eine Ausdifferenzierung des Kommunikationssystems anhand der spezifischen Gewährleistungen des Art. 5 GG erfolgen soll und aus der Gesamtheit grundrechtlich geschützter Kommunikationsprozesse, die von der Meinungsfreiheit als umfassender Äußerungsfreiheit gewährleistet werden, der Bereich der Kunstkommunikation, d.h. der Kommunikation durch und mittels der Kunst, herausgelöst und eigenständig definiert wird, stellen sich bereits im Ansatz dieses Vorhabens grundlegende Bedenken aus Literatur und Rechtsprechung entgegen, die ein solches Vorhaben scheitern lassen könnten. Dies betrifft zum einen die Formel von der Unmöglichkeit, Kunst generell zu definieren (1), sowie der Frage, ob Kunst überhaupt als Kommunikation qualifiziert werden kann (2). Erst nachdem diese
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Kap. 1: Die grundgesetzliche Freiheit der Massenkommunikation
grundlegenden Bedenken ausgeräumt sind, erfolgt daher im Dienste einer Ausdifferenzierung des Kommunikationssystems in Art. 5 GG eine Beschreibung der spezifischen Kommunikationsformen und -inhalte im Bereich der Kunst (3), an die sich eine Betrachtung der grundrechtlichen Funktion anschließt (4).
I. Die „Undefinierbarkeit“ der Kunst
1. Ideengeschichtlicher Hintergrund Die Formel von der „Undefinierbarkeit“ der Kunst wird sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur immer wieder herangezogen um darzulegen, warum eine exakte Schutzbereichsbestimmung für den Lebensbereich Kunst nicht möglich sei. Ideengeschichtlich lässt sich diese Lehre auf die Philosophie Wittgensteins zurückführen.187 Dieser hat für den Begriff des Spiels aufzuzeigen versucht, dass keineswegs alle Dinge, die mit einem Begriff bezeichnet werden, eine gemeinsame Eigenschaft haben müssen; vielmehr sei es als Grund für die sprachliche Übereinkunft ausreichend, dass alle gleichartig bezeichneten Dinge durch ein Netz von „Familienähnlichkeiten“ zusammenhingen.188 Im alltäglichen Sprachgebrauch werde das Wort „Spiel“ zwar ganz selbstverständlich benutzt im festen Glauben, es handle sich um einen scharf abgegrenzten Begriff, denn ein Spiel werde in jedem Fall vom Beobachter als solches erkannt. In Wirklichkeit seien die Grenzen dieses Begriffes aber gar nicht gezogen, der Gebrauch des Wortes sei insofern ungeregelt, ohne dass dies dem konsensualen Gebrauch entgegenstünde.189 Dieses Gedankengut wird nun teilweise vom philosophischen Begriff des Spiels auf den rechtswissenschaftlichen Begriff der Kunst übertragen. Es könne, so die diesbezüglich vertretene Ansicht, keinesfalls davon ausgegangen werden, dass alle empirischen Befunde, die unter den Begriff des Kunstwerks fallen, deswegen auch mindestens eine gemeinsame Eigenschaft hätten, durch welche sie sich von anderen Phänomenen unterschieden. Die bisherigen Definitionsansätze gingen daher schon von einer falschen Prämisse aus. Auch im Rahmen der Kunst gebe es vielmehr nur eine Reihe von „Familienähnlichkeiten“, die einer umfassenden (rechtlichen) Definition des Begriffes Kunst jedoch unzugänglich seien.190 ––––––––––– 187 So die Analyse von Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, S. 393, unter Verweis auf Weitz, Journal of Aesthetics and Art Criticism 15 (1956), S. 27 ff., sowie Mandelbaum, American Philosophical Quarterly 2 (1965), S. 219 ff. Aus rechtswissenschaftlicher Sicht vgl. Zöbeley, NJW 1998, S. 1372 (1372). 188 Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, §§ 65 ff. 189 Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 68. 190 Zöbeley, NJW 1998, S. 1372 (1372).
D. Kommunikation durch Kunst
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Diese Übertragung leidet jedoch an zwei konstruktiven Mängeln: Zum einen verkennt sie die Divergenz zwischen philosophischer und rechtswissenschaftlicher Definition von Begriffen. Denn so, wie Wittgenstein die Ungeregeltheit des Begriffes Spiel in der Alltagssprache herleitet, ließe sich auch die Ungeregeltheit für eine Vielzahl anderer Begriffe darlegen, die in der Alltagssprache keiner Definition in diesem Sinne zugänglich sein mögen, gleichzeitig aber als Rechtsbegriffe verwendet und als solche definiert werden. Denn es macht gerade das Wesen des Rechts aus, dass es abgegrenzte Lebenssachverhalte mittels der Sprache einer Regelung unterzieht und damit Begriffe innerhalb seines Systems autonom definiert ohne auf absolute Kongruenz mit der Alltagssprache angewiesen zu sein.191 Zum anderen übersieht diese gedankliche Übertragung, dass auch Wittgenstein eine Gemeinsamkeit der Elemente, die unter dem selben Begriff verbunden werden, gerade anerkennt, denn diese liegt in der gedanklichen Operation, mit der die von ihm so bezeichneten „Familienähnlichkeiten“ erkannt und die Elemente verbunden werden. Wenn Wittgenstein also davon spricht, dass insofern keine Regel für die Verwendung des Begriffs existiere, so muss diese Aussage auf das Fehlen einer sprachlichen Regel reduziert werden. In der Tat ist die verbale Bezeichnung der Elemente mit demselben Begriff das sprachliche Ergebnis einer nicht-sprachlichen Operation. Dies schließt jedoch die Möglichkeit nicht generell aus, dass diese Operation nicht auch verbal wenn schon nicht definiert, so doch beschrieben werden kann. Welche besonderen Probleme sich dabei aus der Non-Verbalität der Operation ergeben können, wird an anderer Stelle noch zu erläutern sein.192
2. Historische Erfahrung, zeitgenössische Bedeutung Doch ganz unabhängig von dieser Kritik hat in Literatur und Rechtsprechung die Lehre von der Undefinierbarkeit der Kunst nicht dazu geführt, dass der grundrechtlich geschützte Bereich der Kunst nicht mehr beschrieben würde. Ganz im Gegenteil, gleichzeitig mit der Formel von der Unmöglichkeit der Definition wird zugleich das Gebot betont, den Schutzbereich der Kunst bei der konkreten Rechtsanwendung zu bestimmen.193 Dieser scheinbare Widerspruch führt zu dem oben beschriebenen Unwillen der Rechtsprechung und Teilen der ––––––––––– 191 Vgl. Grewendorf, in: ders. (Hrsg.), Rechtskultur als Sprachkultur, S. 11 (33); Bierwisch, in: Grewendorf (Hrsg.), Rechtskultur als Sprachkultur, S. 42 (47 f.). Triviales Beispiel dafür ist etwa der zivilrechtliche Begriff der Sache, der im alltäglichen Sprachgebrauch weit mehr umfasst, als die von § 90 BGB in Bezug genommenen körperlichen Gegenstände und ebenfalls einer Definition im Sinne Wittgensteins schwer zugänglich wäre, ohne dass von einer Undefinierbarkeit im Zivilrecht ausgegangen würde. 192 Vgl. dazu unten S. 97. 193 BVerfGE 64, 213 (225); 75, 369 (377).
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Literatur, dem verfassungsrechtlichen Begriff der Kunst einen eindeutigen definitorischen Rahmen zu geben. Diese Zurückhaltung lässt sich unabhängig des philosophischen Hintergrundes vor allen Dingen historisch erklären. Unter Rekurs darauf, dass die Gewährleistung der Kunst unter dem Eindruck der leidvollen Erfahrungen, die Künstler während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft haben hinnehmen müssen, in das Grundgesetz aufgenommen worden ist, wird konstatiert, dass die Kunstfreiheitsgarantie weder durch wertende Einengung des Kunstbegriffs noch durch erweiternde Auslegung oder Analogie aufgrund der Schrankenregelung anderer Verfassungsbestimmungen eingeschränkt werden dürfe.194 Statt dessen wird auf die Eigengesetzlichkeit der Kunst verwiesen, die es zu beachten gelte, auf die vom Kunstsystem selbst geschaffenen Strukturmerkmale und Gesetzmäßigkeiten, die ihren Geltungsgrund außerhalb des staatlichen Rechtshorizontes hätten und vom Staat weder ratifiziert noch sanktioniert noch exekutiert werden könnten.195 Diese Vorsicht, mit der einer klaren verfassungsrechtlichen Abgrenzung des Kunstbegriffs begegnet wird, führt dazu, dass eine fast unüberschaubare Menge an Kommunikationsvorgängen in den Schutzbereich der Kunstfreiheit einbezogen und damit der Schrankentrias des Art. 5 Abs. 2 GG entzogen wird. In der Tat sind in der Rechtsprechung praktisch keine Beispiele zu finden, in der eine behauptete Eröffnung des Schutzbereichs der Kunstfreiheit für den konkreten Fall unzweifelhaft abgelehnt wurde.196 Je weiter aber die Kunstfreiheit auf diese Weise in den Schutzbereich der anderen Kommunikationsgrundrechte ausgedehnt wird, desto größer wird die Notwendigkeit, der Kunstfreiheit den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG äquivalente Grenzen zu ziehen, was zwar nicht unmittelbar zu einem qualifizierten Gesetzesvorbehalt für die Gewährleistungen des Art. 5 Abs. 3 GG führt, die eigentlich besonders zu schützende – weil vorbehaltlos gewährleistete – Kunstfreiheit jedoch einem gänzlich unspezifischen und letztlich unkalkulierbarem Richtervorbehalt unterwirft.197 Diese bereits oben beschriebene Nivellierung von kommunikationsbezogenen Grundrechten vermag die Eigenständigkeit der Kunstfreiheit gegenüber der Meinungsäußerungs- und Medienfreiheit kaum mehr zu begründen198 und führt so ––––––––––– 194
BVerfGE 30, 173 (191); 67, 213 (224). BVerfGE 67, 213 (224); Isensee, AfP 1993, S. 619 (621). 196 Das einzige Beispiel, bei dem die Kunsteigenschaft konsequent, aber praktisch ohne Begründung abgelehnt wird, ist die Kunstkritik, vgl. BVerfG, NJW 1993, S. 1462; Kastner, NJW 1995, S. 822 (827). Kritisch dazu Gouanalakis, NJW 1995, S. 809 (811). Ein weiteres der wenigen Beispiele, in denen der Schutzbereich der Kunstfreiheit abgelehnt wird, findet sich in BVerfG v. 06.09.2004, AZ 1 BvR 1279/00, für eine berichterstattende Rundfunksendung, in die sketchartige Szenen eingebaut waren. 197 Ladeur/Gostomzyk, ZUM 2004, S. 426 (433 f.). Auf die allgemeine Entwicklung in der Grundrechtslehre bezogen in diese Richtung auch Böckenförde, Der Staat 42 (2003), S. 165 (168 f.). 198 Ladeur/Gostomzyk, ZUM 2004, S. 426 (434). 195
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im Ergebnis zu einem geringeren grundrechtlichen Schutzniveau für die Kunst, als dies bei Anwendung eines eindeutigen, feststehenden rechtlichen Kunstbegriffs der Fall wäre.199 Insofern erweist sich die vermeintliche Liberalität gegenüber der Kunstwelt als Pyrrhussieg, weil durch die mangelnde Abgrenzung des rechtlich gefassten Lebensbereichs Kunst die Eigenständigkeit dieses Rechtsbegriffs bis hin zur Unkenntlichkeit abgeschwächt wird.200 Statt größtmöglicher Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit ist somit eine zunehmende Unselbständigkeit der Kunst im grundrechtlichen System, verbunden mit einer Unterwerfung unter die (fremden) Regeln anderer Kommunikationsgrundrechte – vor allem der Meinungsfreiheit – das Ergebnis dieser Maxime der Undefinierbarkeit von Kunst. Denn letztlich gilt: „Was der Staat nicht definieren kann, das kann er nicht schützen“.201
3. Vormodernes Verständnis des Kunstsystems Darüber hinaus geht die Gefahrenanalyse, auf die sich diese Meinung stützt, von falschen Prämissen aus, genauer gesagt von einem überholten Verhältnis des Kunstsystems zu anderen Gesellschaftssystemen und vor allem zum politischen System und zum Rechtsystem. Mit der Annahme, ein einengender rechtlicher Kunstbegriff würde die Eigenständigkeit des Kunstsystems gefährden, greift die Rechtsprechung konzeptionell auf ein vormodernes Kunstverständnis zurück. In dieser Konzeption von Kunst, die bis in die Frühphase der bürgerlichen Gesellschaft hinein vorherrschte, war der Kunst als dem – vornehmlich visuellen – Kommunikationsmittel schlecht hin erklärtermaßen eine didaktische Funktion zugewiesen, die vor allem religiöse, politische und moralische Wertvorstellungen in gefühlseinprägsamer Weise einem bestimmten Adressatenkreis übermitteln sollte.202 Aufgrund dieser Einengung des Kommunikationsinhaltes von Kunst, der nicht autonom ausgewählt, son––––––––––– 199
Eindrucksvolle Beispiele dafür sind etwa die Fälle der zivilrechtlichen Untersagung der Romane „Esra“ von Maxim Biller und „Meere“ von Alban Nikolai Herbst sowie des Lyrikbandes „Als ich das erste Mal mit einem Jungen im Bett lag“ von Birgit Kempker, vgl. BGH, NJW 2005, S. 2844 ff.; KG Berlin, AfP 2004, S. 371 ff.; LG Essen, Das Schreibheft, Heft 55, November 2000. 200 Vgl. allgemein zur Schwächung des Verfassungsrechts durch Überdehnung auch Kloepfer, JZ 2003, S. 481 (484). 201 Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte?, S. 35; Kirchhof, NJW 1985, S. 225 (227); für die Gewissensfreiheit auch Bethge, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdBStR VI, § 137 Rn. 8. Vgl. auch Wandtke, ZUM 2005, S. 769 (769), der sich zwar auf der einen Seite der These von der Undefinierbarkeit der Kunst anschließt, gleichzeitig aber betont, dass der verfassungsrechtliche Kunstbegriff einer Subsumtion zugänglich sein muss. 202 Schneider, in: Belting (Hrsg.), Kunstgeschichte. Eine Einführung, S. 306 (306 f.); zur religiösen Funktion Busch (Hrsg.), Eine Geschichte der Kunst im Wandel ihrer Funktionen, S. 27 ff. Vgl. allgemein auch Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 97.
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dern durch andere Systeme vorgegeben wurde, bestand tatsächlich eine inhalt203 liche Abhängigkeit der Kunst vor allem von der Kirche und dem Staat. Erst der Staat bzw. die Kirche gaben der Kunst ihre edukative Funktion und damit ihr Wesensmerkmal. Unter diesen Voraussetzungen hatte jeder Ausschluss aus dem Kunstbegriff seitens des Staates eine tatsächlich existenzbedrohende Wirkung auf das Kunstsystem. Die moderne Kunst hingegen sieht sich einer solchen Gefahr nicht mehr entgegen. Das Grundgesetz findet ein ausdifferenziertes Kunstsystem innerhalb der Gesellschaft bereits vor. Die Kunst gibt sich ihre Inhalte selbst, ohne auf eine fremdbestimmte didaktische Funktion zurückgreifen zu müssen. Sie generiert ihre eigenen Regeln selbst und existiert autonom neben anderen Funktionssystemen. Hegel hat in diesem Verlust der fremdbestimmten Funktion das Ende der Kunst ausmachen wollen,204 tatsächlich markiert er allerdings den Beginn der Kunst in ihrem modernen Verständnis, das auch dem Kunstbegriff des Grundgesetzes zugrunde liegt. Die oben betonte Eigengesetzlichkeit der Kunst, ihre gesellschaftliche Unabhängigkeit vom Staat, ist demnach nichts, was der moderne Staat erst gewährleisten muss, sondern etwas, das er als bereits gegeben annehmen kann und muss. So fanden auch die politischen Angriffe auf die Kunst des 20. Jahrhunderts, auf die die Rechsprechung rekurriert, eine Situation vor, in der die Autonomie der Kunst bereits durchgesetzt war. Die politische Gewalt, die unter diesen Voraussetzungen angewendet werden musste, um Kunst zu verhindern, konnte bestimmte Kunstkommunikation unterbinden oder politisch gewollt selbst Kunst inszenieren, auf dessen Inhalte sie so Einfluss nahm; das Kunstsystem als ausdifferenziertes Ganzes ließ sie damit aber unberührt.205 Die Bedrohung der modernen Kunst durch den Staat geht somit nicht in erster Linie von einem zu engen Kunstverständnis aus. Schließlich will das Recht durch seinen Kunstbegriff nicht festlegen, was phänomenologisch überhaupt unter Kunst verstanden werden kann, sondern lediglich erklären, was im Rahmen der Verfassung rechtlich als Kunst anzuerkennen ist.206 Zur Verfassungsnorm selbst gehört insofern eben gerade nicht ein Normbereich im Sinne Müllers als der „Ausschnitt sozialer Wirklichkeit in seiner Grundstruktur, den das Normprogramm aus dem allgemeinen Regelungsbereich der Rechtsnorm aus––––––––––– 203
Vgl. Liessmann, Philosophie der modernen Kunst, S. 13; Hauser, Kunst und Gesellschaft, S. 153 ff.; ders., Soziologie der Kunst, 3. Aufl. 1988, S. 289 ff.; dagegen die Möglichkeiten gewisser Individualität anerkennend Grimm, VVDStRL 42 (1984), S. 47 (48). 204 Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik I, S. 24 ff. 205 Vgl. Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, S. 300. Noch weiter geht in diesem Zusammenhang Isensee, AfP 1993, S. 619 (621), der statuiert, dass der Beweis dafür, dass Kunst unter den Bedingungen grundrechtlicher Freiheit reifere Früchte trägt als unter staatlicher Unterdrückung, noch ausstehe, und insofern auf Thomas Mann und Egon Friedell verweist. 206 Dierksmeier, JZ 2000, S. 883 (888).
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wählend zu bestimmen erlaubt.“207 Lediglich in den Fällen, in denen der rechtlich in Bezug genommene Ausschnitt der sozialen Wirklichkeit selbst rechtserzeugt ist, verschmilzt dieser mit der Rechtsnorm zu einer Einheit. In den Fällen allerdings, in denen rechtliche Regeln zwar auf einen bereits bestehenden, außerrechtlichen Ausschnitt sozialer Wirklichkeit Bezug nehmen, diesen aber nicht erschaffen, mögen zwar gegenseitige Wechselwirkungen zwischen Rechtsnorm und sozialer Wirklichkeit bestehen, also zwischen dem rechtlichen Bereich, den eine bestimmte Norm abgrenzt und definiert, und der kulturellen und sozialen Einheit, auf die sie Bezug nimmt. Beide Bereiche existieren aber unabhängig voneinander.208 Weder kann daher die soziale und kulturelle Entwicklung definitiv festlegen, was unter der rechtlichen Einheit zu verstehen ist, die eine bestimmte Norm kreiert, noch hat die Rechtsnorm die Kraft oder die Aufgabe, den sozialen Bereich, auf den sie Bezug nimmt, abschließend zu definieren.209 Aus diesem Grund kann auch eine rechtliche Definition der rechtlichen Einheit „Kunst“ das autonome Kunstsystem, wie es in der sozialen Wirklichkeit besteht, nicht (mehr) gefährden. Größere Gefahren gehen – wie gezeigt – von einer fehlenden rechtlichen Definition aus, da diese den eigentlich verfassungsrechtlich intendierten starken Schutz im Vergleich zu den anderen Grundrechten nivelliert. Es gilt also, sich von der Formel der Undefinierbarkeit der Kunst zu verabschieden210 und einer eindeutigen, handhabbaren Schutzbereichdefinition den Weg zu bereiten.
II. Kunst als Kommunikation In den vorgehenden Ausführungen wurde als Prämisse selbstverständlich vorausgesetzt, dass es sich bei Kunst um eine Form der Kommunikation handelt. Dies ist jedoch keineswegs unumstritten. So wird z.T. der Kunstfreiheit ihre Eigenschaft als Kommunikationsgrundrecht derart abgesprochen, dass ihre Stellung in Art. 5 GG als Fremdkörper bezeichnet wird,211 oder der Kunstcharakter eines Werkes gerade daran festgemacht, dass es keine Stellung zu irgendwelchen Problemen bezieht.212 Auch die Formel des Bundesverfassungs––––––––––– 207
Müller/Christensen, Juristische Methodik, Bd. 1, Rn. 232. In diese Richtung geht auch Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 69, in seiner Interpretation des Begriffs; vgl. auch Pieroth/Schlink, Rn. 197. 209 In diese Richtung auch Böckenförde, Der Staat 42 (2003), S. 165 (174); zustimmend Hoffmann-Riem, Der Staat 43 (2004), S. 203 (215). 210 So auch deutlich Würkner, NJW 1988, S. 317 (318); von „unerträglicher Rechtsunsicherheit“ spricht v. Noorden, Die Freiheit der Kunst nach dem Grundgesetz, S. 62. In diese Richtung bereits Lerche, BayVBl. 1974, S. 177 (178). 211 Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 5 I, II Rn. 1. 212 BVerwGE 1, 303 (305). 208
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gerichts ist zumindest mehrdeutig, wenn es davon spricht, dass Kunst nicht primär Mitteilung sei, „sondern Ausdruck, und zwar unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers.“213 Würde man der Kunst jedoch eine kommunikative, mitteilende, d.h. Informationen übermittelnde Funktion absprechen, so hieße das, sie auf eine rein dekorative oder aber eine mystische Funktion zu beschränken. Dass das Bild einer rein dekorativen Funktion der Kunst den Schutzbereich der grundrechtlichen Kunstfreiheit nicht zu beschreiben vermag, ergibt sich ohne weiteres aus Wortlaut und Geschichte der Norm. Größere Aufmerksamkeit verdient hingegen die mystische Funktion, die Kunst unter Umständen auszeichnen kann. Denn in der Tat ist eine gesellschaftliche Entwicklung hin zur Mystifizierung bzw. zur Re-Mystifizierung zumindest der Werke der bildenden Kunst seit längerem ersichtlich. Während im 19. Jahrhundert die Entmystifizierung aufgrund der abnehmenden Bedeutung der technisch-handwerklichen Seite der bildenden Kunst begann,214 sind es heute die neuen Mittel der (Bild-)Reproduktion, die eine ReMystifizierung der Kunst vorantreiben. Denn diese technischen Mittel ermöglichen es, jedes Kunstwerk an verschiedensten Orten gleichzeitig in den verschiedensten Bedeutungszusammenhängen wiederzugeben. Dadurch wird einerseits die Einzigartigkeit und Exklusivität des Kunstwerkes zerstört bzw. einem Bedeutungswandel unterzogen. Die Einzigartigkeit des Originals liegt nunmehr darin, das Original eines reproduzierten oder zumindest reproduzierbaren Werkes zu sein, nicht mehr aber in der Einzigartigkeit des bildlichen Ausdrucks oder des Dargestellten selbst.215 Damit liegt andererseits die Hauptbedeutung des Kunstwerks nicht mehr darin, was es ausdrückt, sondern in der mystifizierten Vorstellung dessen, was es ist: Die Bedeutung des Kunstwerks wird auf diese Weise losgelöst von seiner gegenständlichen Verkörperung und damit als Information übertragbar.216 Ähnliche Überlegungen ließen sich auch für die Kunstgattungen Musik, Theater und Tanz anstellen, deren Verkörperung in Form der Aufführung ebenfalls der medialen Reproduzierbarkeit unterfällt, damit ebenfalls ihre Bedeutung als originäre und vor allem exklusive Inhaltsvermittlung verliert und sich so einem Prozess der Mystifizierung ausgesetzt sieht. Lediglich im Bereich der Literatur ist ein solcher Prozess deshalb nicht zu verzeichnen, weil diese von vorneherein als Kunstgattung mit ihrer eigenen Reproduzierbarkeit gearbeitet ––––––––––– 213
BVerfGE 30, 173 (189); 67, 213 (226). Vgl. Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik I, S. 142: „Die eigentümliche Art der Kunstproduktion füllt unser höchstes Bedürfnis nicht mehr aus; wir sind darüber hinaus, Werke der Kunst göttlich verehren und sie anbeten zu können.“ 215 Vgl. Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, S. 17. 216 Berger, Sehen. Das Bild der Welt in der Bilderwelt, S. 21, 25. 214
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hat und auf diese angewiesen war, das Original also nie eine solche exklusive Vermittlungsaufgabe hatte, wie dies in den anderen Kunstgattungen der Fall war. So sehr also auf diese Art und Weise in zunehmendem Maße die Medien „durch Vervielfältigung, Verbreitung und Veröffentlichung eine unentbehrliche Mittlerfunktion zwischen Künstler und Publikum ausüben“217 und damit in der Kunstvermittlung eine geradezu überragende Rolle spielen,218 bleiben doch zwei Grundsätze zu konstatieren: Zum einen setzt die Mittlerfunktion der reproduzierenden Medien gerade voraus, dass es sich bei Kunst um Kommunikation handelt, denn wenn die Kunstwerke nicht selbst Informationen vermitteln, nicht kommunizieren würden, könnten die Medien allein durch Reproduktion der Kunstwerke auch selber keine Kommunikation betreiben. Zum anderen bleibt es dabei, dass der Ursprung dieser Kommunikation in der Kunst selbst zu suchen ist. Selbst wenn das Kunstwerk also durch Reproduktion seine eigene Informationsübermittlung mit anderen Medien teilt und sich so die Information vom verkörperten Werk löst, bleibt es doch der Ausgangspunkt der so vermittelten Kommunikation und als solcher maßgeblich und unentbehrlich. Geht man also von dieser Art der Vermittlung aus, kann es an der kommunikativen Funktion von Kunst keine Zweifel geben.219 Diese Kommunikation ist auch nicht etwa eine Nebenfunktion ästhetischer Gestaltung. Vielmehr werden Kunstwerke ausschließlich als Mittel der Kommunikation hergestellt: Anstelle von Worten und grammatischen Regeln werden Kunstwerke verwendet, um Informationen auf eine Weise mitzuteilen, die verstanden werden kann.220 Auf diese Art und Weise kommunizieren Kunstwerke nicht nur Gedanken, die auch anders übertragen werden könnten, sondern vor allem solche Ideen, deren Kommunikation sich ohne Kunst als unmöglich erweisen würde.221
––––––––––– 217
BVerfGE 36, 321 (331); 77, 240 (251). Deshalb werden sie als eigenständige Grundrechtsträger mittlerweile auch in den Schutzbereich des Grundrechts miteinbezogen, vgl. BVerfGE 36, 321 (331); 77, 240 (251); aus der Literatur Scholz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 5 III Rn. 36; Würkner, NJW 1988, S. 327 (328). 219 So im Ergebnis auch BVerfGE 75, 369 (377); Henschel, NJW 1990, S. 1937 (1943). Damit wird der Wahrheitsästhetik etwa von Adorno eine Absage erteilt, der erklärt: „... kein Kunstwerk ist in Kategorien der Kommunikation zu beschreiben und zu erklären.“ Adorno, Ästhetische Theorie, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 7, S. 167. Wie hier Schmücker, Was ist Kunst?, S. 270 ff. 220 Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, S. 39, 41. 221 Richardson, A Discourse on the Dignity, Certainty, Pleasure and Advantage of the Science of a Connoisseur, in ders., The Works, S. 241 (247). 218
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Vor allem aber wird die Kommunikationsfunktion der Kunst schließlich deutlich, wenn man ihre „Nutzlosigkeit“222 bzw. ihre Selbstzweckhaftigkeit223 in Rechnung stellt.224 Dies zeigt sich im besonderen Maße daran, dass sogar der Künstler selbst nie Nutznießer seiner eigenen Arbeit sein kann. Nicht nur der Schriftsteller schafft seine Texte nicht deshalb, um sie selbst zu lesen, kann also keine Produkte für den eigenen Bedarf herstellen.225 Für jeden Künstler gilt, dass er sein Kunstwerk zwar selbst behalten, für unverkäuflich erklären, ja sogar gänzlich von der Öffentlichkeit ausschließen und ihm damit seine Funktion nehmen kann, und trotzdem das Werk nie für sich selbst schafft, denn nie ist ein eigenes Kunstwerk für ihn so wie für jeden anderen Betrachter. Und dies lässt sich ausschließlich durch die Mitteilung erklären, die jedem Kunstwerk immanent ist, die sich eben nicht an den Künstler selbst als Mitteilenden, sondern an einen unbestimmten Kreis der Außenwelt richtet. Der Künstler kommuniziert über sein Kunstwerk mit der Außenwelt und schließt sich damit selbst von einem Aspekt des Kunstgenusses aus. Die Kunstfreiheit ist somit ein Kommunikationsgrundrecht wie die anderen hier in Rede stehenden Grundrechte auch.226 Sie garantiert darüber hinaus auch ausschließlich eine Form der Massenkommunikation, denn durch das Kunstwerk als Medium der Mitteilung ist eine direkte Interaktion zwischen Mitteilendem und Mitteilungsempfänger gerade ausgeschlossen. Allein die besonderen Merkmale in Inhalt und Form der Kunst unterscheiden sich in ganz erheblicher Weise von anderen Arten der Massenkommunikation.
III. Inhalt und Form der Kunstkommunikation Die Frage nach Form und Inhalt der Kunstkommunikation bildet das Kernstück einer Ausdifferenzierung der Kunst aus dem Kommunikationssystem und damit den umstrittensten Punkt dieser Operation, denn die Frage danach, wie Kunst kommuniziert, ist letztlich die Frage danach, was Kunst ist, d.h. wie sie definiert oder zumindest beschrieben werden kann. ––––––––––– 222
So schon Schlegel, Die Kunstlehre, in: ders., Kritische Schriften und Briefe, Bd. 2, S. 13: „Das Schöne ist auf gewisse Weise der Gegensatz des Nützlichen“. 223 Zur Selbstzweckhaftigkeit der Kunst vgl. schon Kant, Kritik der Urteilskraft, S. 134 ff. 224 Dies bezieht sich freilich nur auf das moderne Verständnis der Kunst, vgl. Busch (Hrsg.), Eine Geschichte der Kunst im Wandel ihrer Funktionen, S. 1. 225 Sartre, Qu’est-ce que la littérature?, in: ders., Situations II, S. 91 f. 226 So im Ergebnis auch BVerfGE 77, 240 (251); aus der Literatur für die Kommunikationseigenschaft der Kunst schon Höfling, Offene Grundrechtsinterpretationen, S. 130; Ladeur, in: AK-GG, Art. 5 III Rn. 18 ff.; Hoffmann, Die Kunstfreiheitsgarantie des Grundgesetzes und die Organisierung einer Mediengewerkschaft, S. 229 ff.; Hufen, Die Freiheit der Kunst in staatlichen Institutionen, S. 108 ff., 113 ff.
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1. Bisherige Ansätze Wie sich die bisherigen Ansätze der Rechtswissenschaft zum Kunstbegriff zu den Kategorien Form und Inhalt verhalten, wurde bereits angedeutet. Der formale Kunstbegriff stellt ohne Rücksicht auf den Inhalt allein auf die Form der Kommunikation ab, definiert diese aber mittels einer Tautologie. Der materielle Kunstbegriff schränkt den Inhalt der Kunstkommunikation auf innere Vorgänge des Künstlers ein und setzt im Gegenzug auf der Seite der Form nur das Gebrauchen (irgend-)einer Formensprache voraus, d.h. die beliebige Verstofflichung des so eingegrenzten Inhaltes. Der offene Kunstbegriff schließlich lässt wiederum jede Art des Inhalts der Kunstkommunikation in seiner Definition zu, solange er nur in einer Form vermittelt wird, die diesen Inhalt in einem fortgesetzten Prozess immer weiter interpretierbar erscheinen lässt. Diese letztgenannte Formel bildet auch die Basis für neuere Ansätze in der Literatur, sich dem Kunstbegriff aus rechtlicher Sicht zu nähern, die die Kunst als kreative Kommunikation mit interpretationsfähigen Strukturen,227 als Aufruf zu einer vorwiegend sinnlich-ästhetischen Kommunikation, der auf menschliche Initiative zurückzuführen ist,228 oder als strukturell vieldeutige Kommunikation229 definieren. All diese Ansätze halten die Kunstkommunikation inhaltlich für in jeder Hinsicht offen und beschränken sich zur Definition des Phänomens auf die Beschreibung der Kommunikationsform, die als sinnlichästhetisch, strukturell vieldeutig oder als durch ihre Struktur interpretationsfähig beschrieben wird.
2. Inhalt der Kunstkommunikation In der Tat kann die Einschränkung des Inhalts der Kunstkommunikation auf innere Vorgänge des Künstlers nicht überzeugen. Dies folgt nicht nur aus der Unbestimmtheit dieses Begriffs. Zwar könnte man in dieser Formel einen Hinweis darauf sehen, dass im Gegensatz zu anderen Kommunikationsfreiheiten die Kunst keine Tatsachenbehauptungen aufstellen kann, solche demnach also auch nicht tauglicher Inhalt von Kunstkommunikation sein können.230 Diese Eigenschaft der Kunstkommunikation wird jedoch nicht durch die inhaltliche Beschränkung auf „innere“ Vorgänge des Künstlers beschrieben: Zwischen ––––––––––– 227
Würkner, Das Bundesverfassungsgericht und die Freiheit der Kunst, S. 127. Mahrenholz, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), HdbVerfR, S. 1289 (1301). 229 Denninger, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdBStR VI, § 146 Rn. 17. 230 Dies folgt daraus, das Tatsachenbehauptungen dem Beweis, das heißt der Verifizierung oder Falsifizierung zugänglich sein müssen, Kunstwerke aber nicht mit dem Code wahr/unwahr zu beschreiben sind. Vgl. zum Verhältnis von Kunst und Wahrheit und damit letztlich zwischen Kunst und Philosophie Liessmann, Philosophie der modernen Kunst, S. 14 ff., sowie ausführlich Lypp, Die Erschütterung des Alltäglichen, S. 10 ff. 228
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Tatsachen auf der einen und „Eindrücken, Erfahrungen und Erlebnissen“231 auf der anderen Seite besteht nämlich keinesfalls eine binäre Alternativität, so dass der Ausschluss des einen Kommunikationsmusters die alleinige Präsenz des anderen bedeuten würde. Kommunikationsinhalte können ohne weiteres auch anderen, nicht auf diese Weise umschriebenen Kategorien unterfallen. So gebraucht das Bundesverfassungsgericht selbst – als Anhänger des materiellen Kunstbegriffs – die Kategorie der Meinungsäußerung (und nicht die der „inneren Vorgänge“) in Abgrenzung zur Kategorie der Tatsachenbehauptungen. Gleichzeitig bezieht es aber die Kategorie der Meinungsäußerung durch Kunst, und damit den ganzen Bereich der engagierten Kunst, uneingeschränkt in den materiellen Kunstbegriff mit ein.232 Damit setzt es sich nicht nur in Widerspruch zu seiner eigenen Definition und erweist sich somit bezüglich seines inhaltlichen Kriteriums als wenig konsequent, es zeigt vielmehr selber auf, dass es eine inhaltliche Beschränkung der grundrechtlichen geschützten Kunstkommunikation nicht geben kann. Auch die Kunstfreiheit gewährleistet – ähnlich wie die Meinungsfreiheit – „mittelbaren Schutz innerer Geistesfreiheit durch unmittelbaren Schutz äußerer Ausdruckformen menschlicher Geistestätigkeit.“233 Eine inhaltliche Beschränkung des möglichen Inhaltes wäre mit diesem Konzept nicht vereinbar. So wie die Meinungsfreiheit als umfassendes Recht der freien Rede keinen Beschränkungen in Hinblick auf den Kommunikationsinhalt unterliegt, so ist auch die Kunst in der Wahl ihres Inhaltes frei.234 Was mit Hilfe dieser Form transportiert wird, ist insofern für die Gewährung grundrechtlichen Schutzes unerheblich.
3. Form der Kunstkommunikation Lässt sich das Feld möglicher Inhalte von Kunstkommunikation somit nicht einschränkend beschreiben, muss die Besonderheit dieser Kommunikation in ihrer Form zu finden sein. Dabei bedarf schon der Begriff der Form selbst in Bezug auf Kunstkommunikation einer näheren Betrachtung. Denn weder lässt sich diese – entgegen der formalen Kunstdefinition – aus einer bereits beste––––––––––– 231
BVerfGE 75, 369 (377). BVerfGE 30; 173 (190 f.); 67, 213 (228); 75, 369 (377). 233 v. Noorden, Die Freiheit der Kunst nach dem Grundgesetz und die Strafbarkeit der Verbreitung unzüchtiger Darstellungen, S. 74 f. 234 So im Ergebnis auch Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 5 III (Kunst) Rn. 24; Scholz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 5 III Rn. 30. Hingegen will Dierksmeier, JZ 2000, S. 883 (888), „solches Verhalten, das begrifflich ausschließlich als eine absolute Negation von Würde erfasst werden kann,“ aus dem Schutzbereich der Kunstfreiheit ausschließen und insofern den Inhalt möglicher Kunstkommunikation verengen. Ein Kommunikationsakt, der dieser Definition unterfällt und somit nur eine denkbare Auslegung hat, fällt unter dem hier vertretenen Verständnis von Kunst aber bereits aufgrund mangelnder künstlerischer Form nicht in den Schutzbereich des Art. 5 III GG. 232
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henden Aufzählung möglicher Kunstformen herauslesen, noch lässt sie sich – wie etwa bei der Medienfreiheit235 – durch rein technische Übertragungsformen beschreiben. Es ist also zunächst zu klären, was unter dem Phänomen der Form, der oben bezeichneten Verstofflichung des Inhalts, der „Äußerung des inneren Inhalts“236, zu verstehen ist.
a) Begriff der Form Dabei ist zunächst zu betonen, dass die Form des Kunstwerks keineswegs mit ihrer körperlichen Präsenz, ihrer dinglichen Erscheinung gleichgesetzt werden kann. Diese Beschreibung mag zwar noch im Rahmen der bildenden Künste zu akzeptablen Ergebnissen kommen, scheitert aber bei praktisch allen anderen Arten der Kunstkommunikation. So lässt sich etwa ein Musikstück mit Hilfe von Noten auf Papier dinglich fixieren, die tatsächliche Form der Musik lässt sich jedoch durch diese Verkörperung, die sich letztlich aus Symbolen (den Noten) für das eigentliche Werk (den Klang) zusammensetzt, nicht erfassen. Gleiches lässt sich etwa für Videokunst sagen, bei der der Datenträger genauso wenig die Form des Kunstwerkes darstellt wie im Bereich der Textkunst das gedruckte Buch die Form des Werkes bildet.237 Es bedarf somit eines abstrakteren, nicht-materiellen Verständnisses, um dem Begriff der künstlerischen Form näher zu kommen. Die etwas ältere Lehre betrachtete die Form noch als geordneten Zusammenhang von Elementen und setzte damit den Begriff der Form mit dem der Gestalt gleich.238 Den Gegenbegriff dazu bildete der Zufall im dem Sinne, dass das gemeinsame Auftreten nicht formgebundener Elemente rein zufällig erfolgt.239 Aber auch diese Beschreibung setzt mit der Gegenseite des Zufalls noch eine zu strenge Grenze und legt den Schwerpunkt zu sehr auf die (inhaltliche) Ordnung der Elemente. Die Form ist daher noch allgemeiner zu fassen: Sie kann beschrieben werden als die Markierung einer Unterscheidung, eine Transformation unbestimmbarer in bestimmbare Komplexität.240 Jede Form ist daher Differenz, sie markiert das in sie Eingeschlossene, grenzt es ab von der Außenseite und fixiert durch genau diese Unterscheidung den Inhalt, die innere Aussage des Kunstwerks. ––––––––––– 235
S.o. S. 30. Kandinsky, Über das Geistige in der Kunst, S. 69. 237 Ähnlich dazu wird etwa auch im (einfachgesetzlichen) Urheberrecht unterschieden zwischen dem urheberrechtlichen Werk als immaterieller Schöpfung und dem Werkstück als körperliche Ausdrucksform. Vgl. Loewenheim, in: Schricker (Hrsg.), Urheberrecht, § 2 Rn. 10. 238 Eco, Das offene Kunstwerk, S. 30. 239 Vgl. dazu Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, S. 48 f. 240 Luhmann, in: ders. (Hrsg.), Unbeobachtbare Welt, S. 7 (10); ders., Die Kunst der Gesellschaft, S. 48 ff., unter Verweis auf Brown, Law of Forms, passim. 236
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Die Form des Kunstwerks bildet somit die sinnlich wahrnehmbare Fixierung des Kunstwerks, in dem sie eine Unterscheidung in der Außenwelt und von der Außenwelt vornimmt. Und genau durch die Wahrnehmung dieser Fixierung vollzieht sich der Kommunikationsprozess im Rahmen der Kunst, der somit von der Form und durch diese bestimmt wird.
b) Non-Verbalität Jede durch ein Kunstwerk getroffene Formentscheidung ist in ein bestimmtes Medium eingelassen. Dies können gegenständliche, greifbare Medien sein wie etwa der Marmor des Bildhauers oder die Farbe und Leinwand des Malers, aber auch nicht-greifbare Medien wie etwa die Tonalität der Musik oder die Sprache der Literatur. Das besondere an der Verarbeitung dieser Medien durch die künstlerische Formentscheidung liegt darin, dass sie sich die Medien außerhalb ihres gewöhnlichen Bedeutungszusammenhangs im Alltag zunutze macht. Das bedeutet zunächst, dass sie die im gewöhnlichen Bedeutungszusammenhang etablierten semantischen Regeln des Mediums verletzt oder zumindest variiert.241 Die Mitteilung des Kunstwerks lässt sich nicht über die Anwendung der außerkünstlerisch etablierten Bedeutungsmuster erschließen. Vielmehr sucht die Kunst ein anderes, nichtnormales, irritierendes Verhältnis von Wahrnehmung und Kommunikation, und dies wird kommuniziert, indem eine Differenz von Mitteilung und Information geschaffen wird.242 Im Ergebnis bedeutet diese Art der irritierenden, anders- und neuartigen Verwendung eines Mediums, dass die Kunst ein eigenständiges Mitteilungssystem etabliert und sich dessen bedient. Die Kunst stellt damit ein funktionales Äquivalent zur Sprache dar – und zwar gerade auch dann, wenn sie sich der Sprache als Medium bedient.243 Denn auch die Sprache, derer sich der Künstler im Rahmen von Textkunst bedient, wird ausschließlich als Medium wie jedes andere verwendet, als etwas, was der Künstler in der Welt vorfindet, etwas, an dem er seine Formentscheidung vollzieht, ohne dabei die etablierten semantischen Regeln dieses Rohmaterials zu beachten. Dies ist für den Bereich der Lyrik besonders evident, gilt aber auch für jeden anderen Bereich der Textgestaltung, sofern es sich eben um eine Form der Kunstkommunikation handelt. ––––––––––– 241
Schmücker, Was ist Kunst?, S. 274; vgl. auch Eco, Das offene Kunstwerk,
S. 169. 242
Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, S. 42. Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, S. 36. Vgl. auch Eco, Das offene Kunstwerk, S. 124, „Der moderne Dichter legt ein System vor, das nicht mehr das der Sprache ist, in der er sich ausdrückt, doch auch keiner inexistenten Sprache angehört: er führt Modelle organischer Unordnung in ein System ein, um dessen Informationsmöglichkeiten zu erhöhen.“ 243
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Die Kommunikation durch Kunst erfolgt somit immer non-verbal. Die Kunst benutzt ein Mitteilungssystem parallel zur Alltagssprache. Sie mag zwar deren Medien teilen, nie aber deren semantischen Code. Die Zeichen, derer sich die Kunst bei der Herstellung der Form, bei der Fixierung des Unterschiedes, den sie in das Medium einlässt, bedient, müssen daher einer anderen als einer alltagssprachlichen oder alltagsmedialen Erklärung zugänglich sein.
c) Unübertragbarkeit Sind die so beschriebenen Zeichen innerhalb der künstlerischen Form also non-verbaler Natur, stellt sich die Frage, wie sie dann im Medium der Sprache reformuliert werden können, sich also mithilfe der Sprache wiederum darstellen und beschreiben lassen. Ein Erklärungsmodell für diese sprachliche Spezifikation der Zeichen bietet von Noorden mit der Begründung des bereits oben erläuterten offenen Kunstbegriffs. Die Beschreibung der durch die Künstler verwendeten Zeichen bildet – insofern weit über die von Rechtsprechung und Literatur rezipierte Kurzformel der „Mannigfaltigkeit des Aussagegehalts“ hinausgehend – das Kernstück seines Ansatzes, der deshalb auch als zeichentheoretisch bezeichnet wird. Demnach bedient sich der Künstler in seinem Werk solcher stofflicher Zeichen, „die Bedeutung zu vermitteln geeignet sind, wobei die Bedeutungsentfaltung wesentlich auf der intersubjektiven Symbolfunktion der die Darstellung komponierenden Zeichen für beliebige Vorstellungsinhalte beruht. Die stofflichen Zeichen erhalten dann dadurch einen Sinn und können ihn vermitteln, dass in einem Zeichen- bzw. Sprach- oder Bildsystem gemeinsame semantische Regeln für ihren Gebrauch auf die vermittelten Sachverhalte bestehen und angewendet werden.“244 Mit diesem Bild wird die Form als Arrangement von Zeichen beschrieben, deren Anwendung festen Regeln unterliegt, so dass das Kunstwerk, sofern man in Kenntnis dieser Regeln ist, wieder dechiffriert und in andere (meist verbale) Kommunikationsformen übertragen werden kann. Das Ergebnis dieser Dechiffrierung muss dann dem Anspruch unterliegen, die wahre, die richtige Aussage des Kunstwerkes zu sein. Die „Mannigfaltigkeit des Aussagegehalts“ kann sich demnach nur auf die Anzahl der Aussagen beziehen, die durch die Symbole innerhalb eines Kunstwerks gewonnen werden, nie aber auf die Anzahl der Aussagen desselben Symbols, da diesem ein eindeutiger Aussagegehalt zugewiesen ist. Diese Annahme wird auch außerhalb der Rechtswissenschaften zum Teil gestützt, indem insofern der Kunstkritik eine „Übersetzungsleistung“245 ––––––––––– 244
v. Noorden, Die Freiheit der Kunst nach dem Grundgesetz und die Strafbarkeit der Verbreitung unzüchtiger Darstellungen, S. 82. 245 Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, S. 244.
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zugewiesen wird, die diese zur „Vermittlerin zwischen Kunstproduzenten und -rezipienten“246 macht. Kunstwerke werden auf diese Art und Weise als symbolische Artikulationen verstanden, deren Gehalt in die „normale Sprache“ gleichsam übersetzt werden kann.247 Dieses Verständnis des Symbolgebrauchs innerhalb der (modernen) Kunst greift somit auf die Idee einer „Didaktik“ von Kunst zurück, wie sie vom Mittelalter bis weit ins 18., zum Teil ins 19. Jahrhundert hinein existierte und eine überlieferte, relativ feststehende Ikonographie für zahllose, insbesondere christliche Themen bereithielt.248 Das Kunstwerk wird demnach als Einheit einer Vielzahl von Zeichen aufgefasst, deren Bedeutung festgelegt und in die Alltagssprache übertragbar ist. Die Annahme, dass eine solche feststehende Ikonographie nicht nur in der modernen Kunst, sondern vor allem für alle Bereiche und jedes von der Kunst verwendete Symbol existiert, muss jedoch gleich aus mehreren Gründen unplausibel erscheinen. Zum einen erklärt sie nicht, warum Menschen überhaupt und trotz der heute bestehenden anderen Möglichkeiten der massenwirksamen und wohl auch massenwirksameren Ideenvermittlung Erfahrungsgehalte in Kunstwerken niederlegen.249 Die Annahme nämlich, jedes Kunstwerk würde sich alltagssprachlich reformulieren lassen, spricht der Kunst ihre Einzigartigkeit als Kommunikationsmittel ab, da ihr Kommunikationsgehalt ohne Übersetzungsverlust in jedes andere Kommunikationsmedium übertragen werden könnte. Damit reduziert diese Theorie die Eigenart und Einzigartigkeit der Kunst wiederum auf eine entweder rein dekorative oder mystische Funktion, was dem Phänomen der Kunstkommunikation in keiner Weise gerecht werden kann.250 Zum anderen kann diese These von der Übersetzbarkeit von Kunstkommunikation auch nicht erklären, warum in den einschlägigen Wissenschaften genau diese Dechiffrierung der Kunstwerke praktisch nie zu allgemein anerkannten und (mehr oder weniger) unumstrittenen Ergebnissen führt, sondern zu jedem Kunstwerk zumindest theoretisch eine fast unerschöpfliche Vielzahl von Interpretationen existiert, die zwar einen unterschiedlichen Plausibilitätsanspruch haben mögen, in keinem Fall jedoch mit einem absoluten und unumstößlichen Wahrheitsanspruch auftreten. Dies lässt zwar das tatsächliche Bestehen einer einzig richtigen Dechiffrierung nicht völlig unmöglich erscheinen. Denn das Wesen der Wissenschaft ist gerade dadurch geprägt, dass sie die gefundenen Ergebnisse immer wieder hinterfragt und so auf der Suche nach der Wahrheit immer wieder sich widersprechende, unterschiedliche wissenschaftliche Ergebnisse erlangt werden, ohne dass dadurch die Existenz der Wahrheit ––––––––––– 246
Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 1, S. 229 f. Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, S. 244; s.a. ders., Die Neue Unübersichtlichkeit, S. 238. 248 Busch, in: Busch (Hrsg.), Eine Geschichte der Kunst im Wandel ihrer Funktionen, S. 5 (8). 249 Schmücker, Was ist Kunst?, S. 284. 250 S.o. S. 81 ff. 247
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im naturwissenschaftlichen Sinne in Frage gestellt würde. In einem Fall wie dem hiesigen, bei dem es um die Auffindung eines behaupteten, vom Menschen selbst geschaffenen Codierungsschlüssels geht, lässt es dessen Existenz aber zumindest als sehr fragwürdig erscheinen. Vor allem aber verkennt diese Auffassung die Trennung von psychischen und sozialen Systemen, die im Rahmen der Kunstkommunikation eine ganz besondere Bedeutung haben. Das, was der Betrachter an dem Kunstwerk durch dessen non-verbale Kommunikation wahrnimmt, formiert sich zunächst auf rein psychischer Ebene im Inneren des Beobachters. Dieses psychische System bleibt jedoch für das soziale System, für die Sprachgemeinschaft, die ein gemeinsames Hintergrundwissen über die Bedeutung der verbal ausgetauschten Zeichen teilt, unzugänglich. Die beiden Systeme bleiben getrennt und diese Trennung kann auch von der Kunst nicht aufgehoben werden.251 Dies korrespondiert mit der sprachtheoretisch anerkannten Feststellung, „dass Denken und Sprechen, dass Bewusstsein und Kommunikation nicht identisch sind.“252 Die Wahrnehmung des Kunstwerks erfolgt somit auf reiner Gedankenebene, die eben nicht sprachlich operiert. Diese psychische Wahrnehmung lässt sich nur dadurch vom Betrachter wieder verbalisieren, dass er seine Beobachtungen mit seinem individuellen Erfahrungsschatz an sinnlicher Wahrnehmung anreichert, abgleicht und diese Wahrnehmung dann in möglichst große Parallelität setzt zu den Zeichen, die ihm das Medium der Sprache zur Verfügung stellt. Das verbalisierte Ergebnis dieses Übersetzungsprozesses ist dann auf der einen Seite angereichert durch die spezifische Wahrnehmungsweise des Betrachters und die individuellen Erfahrungselemente, die er seiner Übersetzung unausweichlich beimischt. Es ist auf der anderen Seite all derer Elemente entreichert, die kein Äquivalent in der Sprache besitzen. Und in der Tat lassen sich eben nicht alle Sinneswahrnehmungen unzweideutig mittels des Mediums der Sprache beschreiben. Dafür ist die Sprache, so komplex ihr Zeichensystem auch ausgebildet sein mag, niemals komplex genug. Dies zeigt sich nicht zuletzt auch daran, dass diese Bedeutungsentreicherung nichts ist, was sich ausschließlich im Bereich der Übersetzung von Kunst- in Sprachkommunikation ergibt. Selbst innerhalb der Sprachkommunikation, bei der Übersetzung von Texten in eine andere Sprache, ergibt sich dasselbe Phänomen. Auch hier ist der Zeichengebrauch unterschiedlicher Sprachgemeinschaften eben gerade nicht identisch, so dass bei jeder Übertragung in ein anderes verbales Zeichensystem bestimmte Informationen – und
––––––––––– 251
Vgl. Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, S. 82. Feilke/Schmidt, in: Trabant (Hrsg.), Sprache denken, S. 269 (269). Anders lediglich Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 329, der die Sprache für das „Vehikel des Denkens“ hält. 252
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seien es Nuancen – unwiederbringlich verloren gehen.253 Die Kunst stellt somit letztlich nur die Steigerung dieses Phänomens dar. Sie transportiert Ideen auf eine Art, die von keiner Sprache völlig erreicht und verständlich gemacht werden kann.254
d) Befreiung von Konsens Diese Unübersetzbarkeit der künstlerischen Aussage, die Unübertragbarkeit in ein anderes Kommunikationsmedium rückt wiederum die Bedeutung der künstlerischen Form in den Mittelpunkt. Denn die Form stellt damit die Differenz dar, die das Kunstwerk als „singuläres Zeichen [...], das als solches eigens produziert werden muss,“255 mit einem „privaten und individuellen Code“256 erscheinen lässt. Durch die Fixierung der Form wird die Unabhängigkeit von der Übertragung in die Alltagssprache erst ermöglicht, denn nur sie lässt zu, dass verschiedene Rezipienten am selben Objekt Beobachtungen vornehmen können, ohne auf eine sprachliche Vermittlung angewiesen zu sein. Damit macht die künstlerische Form nicht nur die Übertragbarkeit in Sprache obsolet. Sie ersetzt auch die Übereinstimmung der Meinungen, das Erfordernis des Konsenses über ein bestimmtes Kunstwerk. Durch die Fixierung des Kunstwerkes in der Form kann jeder Betrachter zu ganz anderen Urteilen, Bewertungen und Erlebnissen kommen, ohne sich dabei vom Kunstwerk selbst zu entfernen.257 Dabei kann er die Anfangsintention und die Aussage des Künstlers teilen und nachempfinden oder nicht und bleibt doch immer der Formentscheidung des Künstlers verhaftet. Denn Resultat der Fixierung in der Form und gleichzeitig Voraussetzung für die beschriebene Non-Verbalität der Kommunikation ist das Phänomen, dass an die Stelle einer festgelegten alltagssprachlichen Semantik auf diese Weise der persönliche Erfahrungsschatz tritt, die individuelle Imagination des Rezipienten, mittels derer er das Kunstwerk betrachtet und auf seine einzigartige Weise entschlüsselt und interpretiert. Diese Eigenart der Form hat auf die Mitteilung des Künstlers durch das Kunstwerk daher die Auswirkung, dass sie durch ihre fehlende Verpflichtung auf das Medium der Alltagssprache andere Kommunikationsformen an Ausdrucksmöglichkeiten bei weitem übersteigt und letztlich nur durch zwei Faktoren begrenzt ––––––––––– 253
Vgl. dazu etwa nur die Übersichten der unterschiedlichen Bedeutungen der Wortabgrenzungen Holz/Baum/Wald in verschiedenen Sprachen bei Eco, Einführung in die Semiotik, S. 86. 254 Kant, Kritik der Urteilskraft, S. 250. 255 Schmücker, Was ist Kunst?, S. 276. 256 Eco, Das offene Kunstwerk, S. 124; vgl. auch ders., Einführung in die Semiotik, S. 139: „Es handelt sich um eine Botschaft, die den Code in Frage stellt, weil sie eine unvorhergesehene Art hat, die Signale zu kombinieren.“ 257 Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, S. 124.
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wird: durch die konkrete Formentscheidung die er trifft, die „Materialität der Manifestation“ auf der einen Seite und die „zuschießende Imagination“258 des Rezipienten auf der anderen Seite.259 Innerhalb dieser Grenzen sind Aussage des Künstlers und Verstehen des Betrachters praktisch frei. Bei der Identifizierung eines Kunstwerkes kann es demnach nicht – wie bei von Noorden – darum gehen, eine besondere künstlerische Zeichensprache auszumachen, zu deren Erkennen es nur ausreichender Fachkenntnisse bedarf, so dass es ein Kunstwerk letztlich dadurch ausgezeichnet ist, „dass in einer geschlossenen Darstellung eine Bedeutungsquantität vermittelt wird, die sich [...] bei einer mehrstufigen Reflexion voll entfaltet.“ 260 Ganz im Gegenteil. Die Identifikation eines Kunstwerkes kann immer nur über ein Beobachten zweiter Ordnung erfolgen,261 über ein Beobachten des Beobachtens insofern, als dass es darauf ankommt, wie Künstler und Betrachter das Artefakt, um dessen Kunsteigenschaft es geht, wahrnehmen. Und diese Beobachtung erfolgt letztlich derart, dass der Beobachter des Kunstwerks bei der Betrachtung zwar weiß, dass ihm eine Mitteilung gemacht wird, über deren Inhalt aber nichts anderes mit Bestimmtheit in Erfahrung bringen kann, als dass es ihn gibt.262
4. Kitsch, Design und Trivialität Dieser Begriff von Kunst kann durchaus als selektiv verstanden werden. Er schließt solche Artefakte, die sich zwar eines Mediums bedienen, das auch anerkannte Kunstgattungen benutzen, aber entweder überhaupt keinen oder aber keinen den oben entwickelten Kriterien entsprechenden Kommunikationsprozess in Gang setzen, aus dem Kunstbegriff bewusst aus. Damit spricht er vielem, was heute von den Gerichten noch unter dem verfassungsrechtlichen Begriff der Kunst subsumiert wird, diesen Status ab.263
a) Abgrenzung als wertender Eingriff? Dieser Begriff von Kunst sieht sich somit potentiell mit dem Vorwurf konfrontiert, genau die Gefahr zu verwirklichen, die das Bundesverfassungsgericht ––––––––––– 258
Jauss, Literaturgeschichte als Provokation, S. 241. Schmücker, Was ist Kunst, S. 277. 260 v. Noorden, Die Freiheit der Kunst nach dem Grundgesetz und die Strafbarkeit der Verbreitung unzüchtiger Darstellungen, S. 89, Hervorhebung durch Verfasser. 261 Vgl. Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, S. 119. 262 Schmücker, Was ist Kunst?, S. 283; vgl. auch Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, S. 76. 263 Was nicht heißt, dass derartige Werke nicht anderen Grundrechten, etwa der Medien-, Meinungs- oder auch der Berufsfreiheit unterfallen können. 259
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bereits sehr früh für die Kunstfreiheit ausgemacht hat, nämlich „die Kunstfreiheitsgarantie durch wertende Einengung des Kunstbegriffs“ einzuschränken264 oder, noch deutlicher, normative Vorschriften darüber aufzustellen, was als Kunst akzeptiert werden soll und was nicht.265 In der Tat sah sich schon der offene Kunstbegriff häufig ähnlicher Kritik gegenübergestellt. So wird sein Kriterium der Vieldeutigkeit zum Teil pauschal dahingehend kritisiert, dass es bei weitem nicht alles erfasse, was phänomenologisch als Kunst aufzufassen sei, auf der anderen Seite aber durchaus nicht-künstlerische Objekte in den grundrechtlichen Schutzbereich mit einbeziehe.266 Etwas konkreter werfen andere Stimmen dem offenen Kunstbegriff vor, indirekt Qualitätsmaßstäbe anzulegen, denn sein Ausschluss von vordergründiger oder trivialer Unterhaltung aus dem Kunstbegriff sei jedenfalls dann nicht haltbar, wenn die betreffenden Werke formal betrachtet als Kunst einzustufen seien.267 Im Ergebnis fußen diese Kritiken letztlich auf der Vorstellung, dass alles als Kunst begriffen werden müsse, was nur irgendwie einem selbständigen Schöpfungsakt entspringt.268 Damit nähern sie den verfassungsrechtlichen Kunstbegriff dem urheberrechtlichen Werkbegriff an269 und lehnen somit letztlich eine verfassungsrechtliche Trennung von Kunst auf der einen Seite und Kunsthandwerk, Design, Kitsch und trivialer Unterhaltung auf der anderen Seite ab. Genau dieser Kritik muss sich auch der oben entwickelte Kunstbegriff stellen, ist er doch nach diesen Kriterien noch enger als der zeichentheoretische Ansatz, schließt also mindestens im gleichen Maße triviale oder zu rein dekorativen Zwecken erstellte Artefakte aus dem Kunstbegriff aus. Dass jedoch ein klarer, fest umrissener und damit automatisch auch exkludierender Kunstbegriff keineswegs zu einer Aushöhlung des Schutzes der Kunst führt, sondern vielmehr erst die Voraussetzung für einen effektiven Schutz darstellt, wurde oben bereits erläutert.270 Darüber hinaus muss beachtet werden, dass diese Abgrenzung der Kunst von ihren trivialen, d.h. weniger oder gar nicht ausdruckvermittelnden Nachbardisziplinen keineswegs eine Unterscheidung ist, die im Rahmen des juristischen Diskurses erstmalig auftritt. Vielmehr ist es das Kunstsystem selbst, dass sich auf diese Art und Weise von anderen Systemen abgrenzt und genau durch diese Abgrenzung letztlich seine Eigenständigkeit bewahrt, ––––––––––– 264
BVerfGE 30, 173 (191). So Zöbeley, NJW 1998, S. 1372 (1373), für alle Formen essentialistischer Theorien über Kunst unter Verweis auf Lüdeking, Analytische Philosophie der Kunst, S. 192. 266 So Dierksmeier, JZ 2000, S. 883 (886); Zöbeley, NJW 1985, S. 254 (256). 267 So Henschel, NJW 1990, S. 1937 (1939). 268 So etwa Eickmeier/Eickmeier, ZUM 1998, S. 1 (4); ähnlich Karpen/Hofer, JZ 1992, S. 951 (952); OLG Stuttgart, NJW 1989, S. 396 (396). 269 Ausdrücklich das UrhG in Bezug nehmend, den Kunstbegriff aber sogar weiter fassend OLG Stuttgart, NJW 1989, S. 396 (396). 270 S.o. S. 76 ff. 265
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indem es sich gegen Überfremdung zur Wehr setzt.271 Denn auch innerhalb des Kunstsystems gilt die Maxime, dass ein zu indifferentes Bild des eigenen Sujets eine Abgrenzung nach innen wie nach außen unmöglich macht und damit letztlich die Eigenständigkeit des Systems in Frage stellt. Kunst und Kitsch sind daher auch im verfassungsrechtlichen Diskurs zu trennen und voneinander abzugrenzen, denn nur so vermag die Kunst ihre grundrechtlich hervorgehobene Position in Abgrenzung zu anderen Grundrechtsgewährleistungen zu verteidigen.272
b) Abgrenzung aufgrund subjektiver Maßstäbe? Und trotzdem bleibt auch nach dieser strengen Trennung der Kunst vom Kitsch eine mehr oder weniger große Zone, in der die Abgrenzung zwischen Kunstwerk und Unterhaltung uneindeutig oder zumindest nicht offensichtlich ist.273 Dies ist letztlich der Tatsache geschuldet, dass jedes Kunstwerk auch trivial rezipierbar ist. Durch die fehlende Festlegung von Kunstwerken auf ein Bedeutungsmuster, auf eine Interpretationsmöglichkeit und eine Aussage, kann jedes Kunstwerk auch derart aufgefasst werden kann, dass es eben trivial kommuniziert, d.h. nur eine einzelne Aussage vermittelt, verbale Mitteilungen benutzt und/oder einen reverbalisierbaren Inhalt hat.274 Auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung stellt sich die Kunsteigenschaft somit als extrem subjektivierbar und von der Einstellung des Betrachters abhängig dar. Dieses Phänomen wird noch dadurch verstärkt, dass die Unterhaltung sich z.T. ganz bewusst zum einen solcher Strukturen bedient, die ursprünglich im Kunstsystem verortet waren, zum anderen aber auch die Kunstwerke selbst, die durch ihre jederzeitige Reproduzierbarkeit insofern technisch uneingeschränkt verfügbar sind, in ihre Trivialstruktur einbindet. Die Unterhaltung lehnt sich an das Kunstsystem an und erschwert somit bisweilen die Differenzierung oder macht es dem Betrachter zumindest leichter, an eine triviale Struktur des Kunstwerks zu glauben. Mit dieser Feststellung wird jedoch keineswegs die Kunsteigenschaft eines Werkes in das Belieben des Betrachters gestellt. Die triviale Rezipierung ist ––––––––––– 271
Vgl. Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, S. 300. Exemplarisch sind dafür der bereits erwähnte Ansatz von Knies, Schranken der Kunstfreiheit als verfassungsrechtliches Problem, S. 217 f., der zwar die Kunst an sich sogar für undefinierbar hält, als Konsequenz den besonderen Schutz des Art. 5 III GG aber nur als institutionelle Garantie anerkennt und dem Künstler nur den Schutz des Art. 5 I GG zukommen lassen will. Beisel, Die Kunstfreiheitsgarantie des Grundgesetzes und ihre strafrechtlichen Grenzen, S. 390, plädiert sogar ganz für die Abschaffung der Kunstfreiheit, da diese heute im Rahmen der verfassungsimmanenten Schranken ohnehin mindestens so eingeschränkt würde wie die Meinungsfreiheit. 273 Vgl. Luhmann, Die Realität der Massenmedien, S. 124. 274 Vgl. dazu auch Fuchs, Avantgarde und erweiterter Kunstbegriff, S. 35. 272
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eben eine der möglichen, die das Kunstwerk anbietet. Selbst wenn es auf diese Weise betrachtet wird, bleibt es aber Kunstwerk – unveränderlich und unabhängig davon, was der Beobachter in ihm sieht. Durch die Manifestation in und mit Mitteln der künstlerischen Form macht sich das Kunstwerk von den äußeren Umständen unabhängig. Seine Kunsteigenschaft ändert sich weder durch den Betrachter, der es sieht, noch durch den Zusammenhang, in dem es steht.275 Die Abgrenzung zum Trivialen, zum Kitsch bleibt somit absolut und haftet dem Kunstwerk unveränderlich an.
5. Gelingen als systeminterne Unterscheidung Von der Frage nach der Trivialität ist schließlich noch das Kriterium des künstlerischen Gelingens zu unterscheiden. In diesem Zusammenhang muss auch die Frage beantwortet werden, welchen Einfluss dieses auf einen derart gefassten Kunstbegriff hat. In der Tat wird nämlich mitunter betont, dass die Kunstfreiheit keineswegs nur den künstlerischen Erfolg im Sinne eines gelungenen Werkes, sondern auch gerade das reine Bemühen um ein solches schütze.276 Dafür ist es aber zunächst erforderlich, zu spezifizieren, was genau unter dieser Unterscheidung zu verstehen ist. Das Kriterium des Gelingens kann nämlich auf zwei verschiedene Weisen begriffen werden: entweder als systeminterne Unterscheidung innerhalb des Kunstsystems oder als externe Unterscheidung, um das System selbst von der Außenwelt abzugrenzen. Auch wenn die bisherigen Ansätze, diese Unterscheidung zu benennen, durchaus den Eindruck erwecken, als sei das Gelingen das Kriterium, mit dem sich das Kunstsystem von der Außenwelt abgrenzt, kann eine solche Auffassung doch schon deshalb nicht überzeugen, weil dann die Einbeziehung des misslungenen Kunstwerks in den Schutzbereich der Kunstfreiheit jegliche Schutzbereichsdefinition wieder aushöhlen würde. Denn wenn auch das, was nicht in den grundrechtlichen Schutzbereich fällt, allein durch das subjektive Bemühen, den Tatbestand zu erfüllen, in seinen Schutz erhoben würde, so führte das letztlich zu einer ebensolchen Beliebigkeit wie das völlige Fehlen oder die fehlende Abgegrenztheit einer Schutzbereichsdefinition. Darüber hinaus macht ein solcher Begriff des künstlerischen Gelingens auch insofern keinen Sinn, als es sich ja gerade um die Beurteilung des Gelingens ––––––––––– 275 Anders Isensee, AfP 1993, S. 619 (624). Dies bedeutet freilich nicht, dass nicht ein gleicher Gegenstand durch verschiedenste Umstände ein Mal ein Kunstwerk sein kann und ein Mal nicht. Allein die Identität des dinglichen Artefaktes reicht insofern nicht aus, um einen Gegenstand ebenfalls zur Kunst zu machen. Ein Kunstwerk ist insofern „ein materielles Objekt plus x“, vgl. hierzu Danto, Die Verklärung des Gewöhnlichen, S. 17 ff., 23. 276 OLG Stuttgart, NJW 1989, S. 396 (396).
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oder Misslingens eines Kunstwerkes und nicht jeden beliebigen Artefaktes handelt. Um also überhaupt beurteilen zu können, ob ein Werk als Kunstwerk gelingt oder nicht, muss daher immer von der Prämisse ausgegangen werden, dass es sich überhaupt um ein Kunstwerk handelt und dementsprechend kunstspezifische Maßstäbe angelegt werden können. Die Beurteilung, ob ein Kunstwerk gelungen ist, kann daher immer nur seine Stimmigkeit bei der künstlerischen Formentscheidung betreffen und damit letztlich eine Bewertung darstellen, für wie aussagekräftig, inhaltsreich, harmonisch oder innovativ das Werk gehalten wird. Und in diesem Sinne ist in der Tat hervorzuheben, dass auch das misslungene, das heißt das unstimmige Kunstwerk eben Kunstwerk ist und daher den Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG genießt.277 Es bleibt aber dabei, dass diese Unterscheidung eine rein systeminterne ist, die somit für die juristische Erfassung des Systems selbst keine Bedeutung haben kann. Ist ein Kunstwerk auf die oben beschriebene Weise als solches ausgemacht, spielt seine Gelungenheit somit keine Rolle mehr und kann als verfassungsrechtlichen Kriterium außer Betracht bleiben.278
6. Subsumtion im Einzelfall Die gerade entwickelte Beschreibung von Kunst liefert somit ein ausdifferenziertes Beschreibungsmodell, mit dem auf theoretischer Ebene dem rechtswissenschaftliche Begriff der Kunst begriffen werden kann. Überträgt man ihn von der wissenschaftlichen Ebene auf die Rechtsanwendung im Einzelfall, so ist jedoch einzugestehen, dass das sich unendlich wiederholenden Scheitern der Praxis bei der Anwendung jedes Kunstbegriffs, bei der Subsumtion eines konkreten Artefakts sowohl unter eine der traditionellen Definitionen des Bundesverfassungsgerichts als auch unter jede der immer wieder neu entwickelten Ansätze, auch durch dieses Erklärungsmodell nicht ganz aufgelöst werden kann. Ganz im Gegenteil: Das Scheitern in der Praxis stellt sich vielmehr als direkte Konsequenz seiner Anwendung dar. Denn die juristische Subsumtion eines Lebenssachverhaltes unter eine vorgegebene sprachliche Definition ist ein Vorgang, der mit dem Medium der Sprache operiert. Die Rechtswissenschaft ist insofern im doppelten Sinne eine „Sprachwissenschaft“, als dass sie nicht nur bei der Formulierung ihrer Ergebnisse auf die Sprache angewiesen ist,279 sondern vielmehr die Sprache im Rahmen ihrer geläufigen semantischen Regeln gerade den Gegenstand ihrer Wissenschaft ausmacht. Durch eine solche ––––––––––– 277
Vgl. insofern auch Wandtke, ZUM 2005, S. 769 (769), der betont, dass es bei der Definition des verfassungsrechtlichen Kunstbegriffs um die Unterscheidung zwischen Kunst und Nicht-Kunst geht. 278 Vgl. zur Paralleldiskussion in Bezug auf die Wissenschaftsfreiheit in Bezug auf das Kriterium des Einhaltens bestimmter Standards guter wissenschaftlicher Praxis Ruffert, VVDStRL 65 (2005), S. 146 (156 f.). 279 So wie jede Wissenschaft, vgl. unten S. 104 f.
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verbale Operation allerdings darzulegen, dass und warum es sich bei einer bestimmten Art der Kommunikation um eine non-verbale und nicht verbalisierbare Mitteilung handelt, erscheint in der Tat paradox und stellt sich somit als unmöglich dar. Das ist der Grund, warum die Rechtswissenschaft als verbal agierendes System in der Praxis am Kunstbegriff letztlich scheitert. Das heißt indes nicht, dass eine Entscheidung darüber, ob ein Werk sich als Kunst darstellt oder nicht, von vorneherein unmöglich wäre. So wie die (verbale) Beschreibung der Kunst abstrakt und die (non-verbale) Betrachtung der Kunst konkret möglich ist, so ist natürlich – auf non-verbaler Ebene – auch zweifelsfrei der Abgleich der Beobachtung mit der Beschreibung und damit schließlich eine Subsumtion unter den Kunstbegriff möglich. Nur die Reverbalisierung dieser Subsumtion weist Lücken auf und kann damit letztlich nie vollständig erklären, warum das Werk den oben beschriebenen Kriterien als Kunstwerk genügt. Ein Stück des konkreten Phänomens Kunst bleibt damit unerklärlich und entzieht sich so im Ergebnis auch dem juristischen Zugang. Allerdings entbindet dies den Rechtsanwender im konkreten Fall nicht davon, eine Entscheidung über die Kunsteigenschaft zu treffen und diese so gut wie es geht verbal darzulegen. Es zwingt ihn aber auch, der Non-Verbalität des Mediums sowohl bei der Subsumtion als auch später bei einer eventuellen Abwägung mit kollidierenden Verfassungsgütern Rechnung zu tragen. Denn nur unter Berücksichtigung der dargelegten Besonderheiten dieser Kommunikationsform Kunst kann eine werkgerechte rechtliche Beurteilung erfolgen, die der verfassungsrechtlich verbürgten Freiheit der Kunst zur vollen Geltung verhilft.
7. Ideolektischer Kunstbegriff Fasst man diese soeben entwickelten Kriterien zur Ausdifferenzierung der Kunstkommunikation aus den anderen kommunikationsspezifischen Gewährleistungen des Art. 5 GG zusammen, so lässt sich die entwickelte Definition als ideolektischer Kunstbegriff beschreiben. Kunst ist demnach jede Form der Kommunikation, deren Mitteilung sich eines singulären und individuellen, nonverbalen Codes – eben eines Ideolekts – bedient, der allein im Werk selbst angelegt ist, so dass sich die eigentliche Botschaft als nicht re-verbalisierbar sowie als weder konsensbedürftig noch endgültig konsensfähig darstellt. Jedes Kunstwerk spricht seine eigene Sprache, es zeichnet sich gerade durch diese eigene Sprache aus und grenzt sich durch sie von anderen Formen der Kommunikation ab. Damit erschafft es in jedem einzelnen Fall eine individuelle und einzigartige Form der Kommunikation, die alle anderen Möglichkeiten hergebrachter Kommunikation übersteigt und die Kommunikationsbasis auf eine genuin neue Art und Weise erweitert.
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IV. Grundrechtliche Funktion Aus dieser Beschreibung des verfassungsrechtlichen Kunstbegriffes kann schließlich die Funktion abgeleitet und gefolgert werden, die der besondere grundrechtliche Schutz dieses Kommunikationsbereiches erfüllt. Dabei ist hervorzuheben, dass die Kunstfreiheit als Kommunikationsfreiheit auch und in erster Linie all die politischen, kommunikativen und identitätsbildenden Funktionen erfüllt, die bereits in Bezug auf die Meinungsfreiheit erläutert wurden. Hinzu kommen jedoch noch weitere Funktionen, die der spezifischen Ausdrucksform der Kunst geschuldet sind.
1. Schutz von Werk- und Wirkbereich Dabei soll zunächst auf die zwischen Rechtsprechung und Literatur umstrittene Frage eingegangen werden, inwiefern sich die Funktion der Kunstfreiheit in erster Linie im Werk- oder im Wirkbereich verorten lässt. Dieses Begriffspaar wurde vom Bundesverfassungsgericht zur Beschreibung des Schutzbereiches entwickelt; dabei wird unter dem Werkbereich die künstlerische Tätigkeit als solche, unter dem Wirkbereich die Darbietung und Verbreitung des Kunstwerkes verstanden.280 Ob in diesem Zusammenhang der Schwerpunkt des Grundrechtsschutzes und der Grundrechtsfunktion jedoch auf der Kunstvermittlungsfreiheit oder der Kunstschaffensfreiheit281 liegt, wird in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts scheinbar widersprüchlich beantwortet und ist auch in der Literatur umstritten. So wird einerseits statuiert, dass die Kunstfreiheit um des künstlerischen Schaffens willen gewährleistet sei und demgegenüber die Vermittlung des Kunstwerks lediglich „dienende Funktion“ habe,282 auf der anderen Seite aber in Hinblick auf die nationalsozialistische Kunstpolitik oder aber die Bedingungen der modernen „Informationsgesellschaft“ betont, dass der Wirkbereich der Kunst der Boden sei, auf dem die Freiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 GG vor allem erwachsen sei,283 um sich dann darauf zurückzuziehen, dass die Abgrenzung beider Bereiche ohnehin nicht immer möglich und im Übrigen einer Stufentheorie in Bezug auf das Grundrecht der Kunstfreiheit eine Absage zu erteilen sei.284
––––––––––– 280
Vgl. BVerfGE 30, 173 (189). So die Terminologie bei Würkner, NJW 1988, S. 327 (328). 282 BVerfGE 77, 240 (253); uneingeschränkt zustimmend Henschel, NJW 1990, S. 1937 (1941). 283 BVerfGE 30, 173 (189); Würkner, NJW 1988, S. 327 (327). 284 BVerfGE 30, 173 (189); 77, 240 (253 f.); für eine solche Stufentheorie jedoch Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Abs. 3 Rn. 303 ff.; ähnlich Scholz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 5 III Rn. 65. 281
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In der Tat kann der Prozess der Kunstkommunikation in seiner Funktion nur einheitlich durch Werk- und Wirkbereich beschrieben werden, da beides nicht nur schwer voneinander abgrenzbar ist, sondern die beiden Bereiche tatsächlich eine „unlösbare Einheit bilden,“285 die funktionell nicht sinnvoll getrennt voneinander betrachtet werden können. Denn allein der Schaffensprozess des Künstlers ist unvollständig, eine Produktion für den eigenen Bedarf daher unmöglich, weil das Kunstwerk immer auf seine Betrachter angewiesen ist.286 Kommunikation erfordert insofern mehr als das reine Senden von Informationssequenzen, als die reine Mitteilungshandlung an sich. Sie kommt vielmehr nur zustande, „wenn jemand sieht, hört, liest – und so weit versteht, dass eine weitere Kommunikation anschließen könnte.“287 Einen künstlerischen Werkbereich ohne Wirkbereich kann es daher nicht dauerhaft geben, in der Beschreibung der Funktion von grundrechtlichem Schutz der Kunst haben daher beide Ebenen gleichermaßen Berücksichtigung zu finden. Insofern ist die Kunst weder um des künstlerischen Schaffens noch um der abstrakten Sache der Kunst willen gewährleistet, sondern in der Tat „um der selbstzweckhaften Freiheit des Menschen willen, die sich in der Kunst entfaltet.“288 Diese Entfaltung des Menschen in der Kunst spielt dabei sowohl auf der Seite des Kommunikationssenders, des Künstlers also, als auch auf Seiten der Kommunikationsempfänger, der Kunstrezipienten, eine entscheidende und einzigartige Rolle.
2. Erweiterung der Kommunikationsbasis Die Besonderheiten der Kunstkommunikation, die oben auf Seiten der künstlerischen Form verdeutlicht wurden, dienen nicht nur zur Abgrenzung der Kunst von anderen Formen der (Massen-) Kommunikation. Aus ihnen wird auch deutlich, welche besondere Funktion die Kunst und ihr grundrechtlicher Schutz im gesellschaftlichen Kommunikationsgefüge wahrnehmen. Denn durch die Non-Verbalität und Unübertragbarkeit der Kunst führt sie Inhalte in die Kommunikation der Gesellschaft ein, die auf keine andere Weise sonst mitgeteilt werden könnten. „Kunst macht Wahrnehmung für Kommunikation verfügbar, und das außerhalb der standardisierten Form der Sprache.“289 Auf diese Art und Weise ist sie in der Lage, etwas prinzipiell Inkompatibles, nämlich Wahrnehmung, in den Kommunikationszusammenhang der Gesellschaft einzubeziehen.290 Dem Empfänger der Kunstkommunikation gibt sie damit – und so hat bereits Kant die Funktion der Kunst beschrieben – mehr zu denken, als sprach––––––––––– 285 286 287 288 289 290
BVerfGE 30, 173 (189); 77, 240 (254). S.o. S. 84. Luhmann, Die Realität der Massenmedien, S. 14. Isensee, AfP 1993, S. 619 (621). Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, S. 82. Baecker, Die Beobachtung der Kunst in der Gesellschaft, passim.
D. Kommunikation durch Kunst
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lich und damit begrifflich gefasst werden kann.291 Zwar erfolgt die Einbeziehung der Wahrnehmung in den gesellschaftlichen Kommunikationsprozess unvollständig und inadäquat, da sie sich wieder des unzureichenden Mittels der Sprache bedienen muss.292 Trotzdem liegt die Ursache für die besondere Funktion der Kunst gerade in dieser Trennung von psychischen und sozialen Systemen, von Wahrnehmung und Kommunikation also, die füreinander unzugänglich sind und bleiben, jedoch durch die Kunst einander in sonst ungekannter Weise angenähert werden können.293 Auf diese Art und Weise gibt sie dem Künstler als Entäußerer die Möglichkeit, sich in anderer, weiterer Form auszudrücken, als dies durch verbale Kommunikation möglich wäre. Die kommunikative Einschränkung, die durch das Medium der Sprache entsteht, wird – zumindest teilweise – aufgehoben und es können Erfahrungen und Eindrücke mitgeteilt werden, die sonst unausgesprochen bzw. unkommuniziert bleiben müssten. Gleichzeitig gibt dies dem Rezipienten die Möglichkeit, Kommunikationsinhalte zu empfangen, die ihm sonst verschlossen bleiben würden, und an geistigen Auseinandersetzungen teilzuhaben, von denen er sonst ausgeschlossen wäre.294 Auf beiden Seiten führt die Kommunikation durch Kunst insofern zu einer Erweiterung der Kommunikationsbasis und dadurch zu einer Vergrößerung sowohl der individuellen als auch der gesellschaftlichen Basis von kommuniziertem Hintergrundwissen.295
3. Möglichkeit der Selbstbeobachtung Zuletzt erhält auch die dem Persönlichkeitsrecht verwandte Funktion der Kommunikationsfreiheit, die oben in Bezug auf die Meinungsfreiheit erläutert wurde, durch die Freiheit der Kunstkommunikation eine weitere Dimension. Denn Kunstkommunikation stellt dem Rezipienten weit mehr als eine parallele Realität zur Verfügung, in der er sich zu Zwecken der eigenen Identitätsfindung und -beschreibung selbst verorten kann. Durch die Besonderheit der Kommunikation, die Mitteilung des Künstlers, von der der Empfänger nichts mit Bestimmtheit sagen kann, als dass es sie gibt, erhält der Rezipient eine aktive Rolle innerhalb des Kommunikationsprozesses, die seine eigene Person, seine ––––––––––– 291
Kant, Kritik der Urteilskraft, § 49. Vgl. für den Bereich der Malerei Baxandall, Ursachen der Bilder, S. 25: „Wir erklären nicht Bilder: wir erklären Äußerungen über Bilder – oder vielmehr, wir erklären Bilder nur insoweit, als wir sie durch irgendeine sprachliche Beschreibung oder Bestimmung hindurch betrachtet haben.“ 293 Vgl. Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, S. 82. 294 Vgl. auch Liessmann, Philosophie der modernen Kunst, S. 22. 295 Vgl. aus semiotischer Sicht dazu auch Eco, Einführung in die Semiotik, S. 192, „Jede Interpretation des Werkes veranlasst, indem es die leere und offene Form der ursprünglichen Botschaft mit neuen Bedeutungen füllt, neue Bedeutungs-Botschaften, die unsere Codes und unsere ideologischen Systeme bereichern.“ 292
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Kap. 1: Die grundgesetzliche Freiheit der Massenkommunikation
Erfahrungen, sein Hintergrundwissen, sein „Verstehen“ auf ganz andere Weise fordert und einbezieht, als dies bei nicht-künstlerischer Kommunikation der Fall ist. Das Bewusstsein von Kommunikation wird daher bei Kunst dadurch gesteigert, dass der Rezipient zwar sein Bewusstsein durch Kommunikation geführt und fasziniert weiß, gleichzeitig aber die Diskrepanz dieser Führung zu den offenen eigenen Operationsmöglichkeiten erlebt.296 Diese spezifische Beobachterrolle, die der Kunstrezipient somit einnimmt, gibt ihm die besondere Möglichkeit, sich als Beobachter zu beobachten und sich dadurch als Individuum zu erfahren.297 Über die bereits oben beschriebene identitätsbildende Funktion hinaus ermöglicht ihm dies die Arbeit an der eigenen Identität und die Konstruktion des eigenen Selbstbildes sowie des Bildes der eigenen Person innerhalb der Gesellschaft. In gewisser Weise schafft daher auch die Kunstkommunikation die Voraussetzungen, die einen individuellen Gebrauch des eigenen Persönlichkeitsrechts, wie er später noch zu erläutern sein wird, erst ermöglichen.
E. Wissenschaftskommunikation Die Wissenschaftsfreiheit nimmt unter kommunikationsspezifischen Gesichtspunkten im Gewährleistungsrahmen des Art. 5 GG eine Sonderstellung ein. Ihre Einordnung in diesen Zusammenhang drängt sich nicht in jedem Fall auf, ist sie doch in ihrer Konzeption auf die methodische Erzeugung rational abgesicherten Wissens,298 nicht aber auf einen (massenmedialen) Kommunikationsprozess gerichtet. Die Richtigkeit der Verortung der Wissenschaftsfreiheit im kommunikationsbezogenen Rahmen des Art. 5 GG ergibt sich allerdings nicht nur aus der Nähe zur Kunstfreiheit als ihrem Hauptreferenzgrundrecht.299 Sie folgt auch nicht allein aus der besonderen Stellung der Freiheit der Lehre, für die bereits bei den Beratungen zur Paulskirchenverfassung umstritten war, ob sie nicht in der Meinungs- und Pressefreiheit aufgeht.300 Vielmehr weist die Struktur der Wissenschaft als solche bereits derart große kommunikationsspezifische Bezü––––––––––– 296
Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, S. 39. Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, S. 153. 298 Vgl. Netttesheim, DVBl. 2005, S. 1072 (1072). 299 Zur Suche nach dem Hauptreferenzgrundrecht der Wissenschaftsfreiheit vgl. Blankenagel, AöR 125 (2000), 70 (72). Die bestechendste Gemeinsamkeit von Kunst und Wissenschaft liegt vor allem darin, dass in beiden Bereichen um bisher Unbekanntes geht, das auf neuen Wegen gesucht werden soll, vgl. Häberle, AöR 110 (1985), S. 329 (330 ff.). 300 Vgl. Schmidt, Die Freiheit der Wissenschaft, S. 64 ff.; Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, S. 502. 297
E. Wissenschaftskommunikation
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ge auf, dass ihre Stellung im Kontext der Kommunikationsfreiheiten nötig und möglich ist.
I. Forschung, Wissenschaft und Lehre Art. 5 Abs. 3 GG schützt dem Wortlaut nach gleichwertig nebeneinander die Wissenschaft, die Forschung und die Lehre. Diese Aufzählung ist zunächst deswegen missverständlich, als dass tatsächlich die Wissenschaft der Oberbegriff ist, der sich aus den Elementen der Forschung und Lehre zusammensetzt.301
1. Begriff der Wissenschaft Dabei ist unter dem Oberbegriff der Wissenschaft der „nach Inhalt und Form ernsthafte und planmäßige Versuch zur Ermittlung der Wahrheit“302 zu verstehen. Der Begriff der Forschung umfasst demgegenüber den eigentlichen Prozess der Informationsschöpfung oder -gewinnung bezogen auf wissenschaftliche Sachverhalte und beschreibt somit einen Ausschnitt des wissenschaftlichen Prozesses. Geschützt ist insofern jede „geistige Tätigkeit mit dem Ziele, in methodischer, systematischer und nachprüfbarer Weise neue Erkenntnisse zu gewinnen.“303 Dies beinhaltet, dass nicht eine bestimmte Auffassung von der Wissenschaft oder eine bestimmte Wissenschaftstheorie geschützt werden soll, sondern jede wissenschaftliche Tätigkeit, die die Kriterien der ernsthaften und methodischen Wahrheitssuche erfüllt.304 Der Schutz der Wissenschaftsfreiheit kommt jeder wissenschaftlichen Betätigung und jedem wissenschaftlichem Ergebnis unabhängig von ihrer Güte und ihrem Wahrheitsgehalt zugute und umfasst deshalb auch Mindermeinungen sowie Forschungsansätze und -ergebnisse, die sich als irrig oder fehlerhaft erweisen.305
––––––––––– 301 S. nur BVerfGE 35, 79 (113); Denninger, in: Denninger/HoffmannRiem/Schneider/ Stein (Hrsg.), AK-GG, Art. 5 III Rn. 13; Scholz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Art. 5 III Rn. 9, 85; Oppermann, in: Isensee/Kirchof (Hrsg.), HdBStR VI, § 145 Rn. 1; Schulze–Fielitz, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), HdbVerfR, § 27 Rn. 2; Classen Wissenschaftsfreiheit außerhalb der Hochschule, S. 75. 302 BVerfGE 35, 79 (113); 47, 327 (367); Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 5 III (Wissenschaft) Rn. 20. Kritisch zu diesem Wissenschaftsbegriff Ruffert, VVdStRL 65 (2005), S. 146 (159), der weniger die Suche nach der Wahrheit als das Generieren neuen Wissens in den Mittelpunkt der Grundrechtsgewährleistung stellen will. Vorsichtig in diese Richtung auch Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Abs. 3 Rn. 353. 303 BVerfGE 35, 79 (113); 47, 327 (367); 71, 162 (176). 304 BVerfGE 35, 79 (113); 43, 242 (267); 88, 129 (136). 305 BVerfGE 90, 1 (12); Bethge, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 5, Rn. 206.
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Kap. 1: Die grundgesetzliche Freiheit der Massenkommunikation
2. Wissenschaftliche Lehre Der Begriff der Lehre umfasst demgegenüber die der Forschung komplementäre Seite der wissenschaftlichen Informationsvermittlung, nämlich „die wissenschaftlich fundierte Übermittlung der durch die Forschung gewonnenen Erkenntnisse“,306 also die „erläuternde Darlegung wissenschaftlicher Erkenntnisse durch qualifizierte Interpreten“.307 Die einschränkenden Merkmale der wissenschaftlichen Fundiertheit bzw. der qualifizierten Interpreten, die den Schutzbereich der Lehrfreiheit definieren, machen dabei deutlich, dass vom Schutzumfang des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG nur die wissenschaftliche Lehre, die im Zusammenhang mit der Forschung des Lehrenden steht, umfasst wird.308 Dies schließt allerdings auch die Weitergabe fremder Forschungen mit ein.309 Insofern sind an die Lehre im Sinne des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG keine besonderen Anforderungen in Hinblick auf die Form der Kommunikation zu stellen. Es handelt sich lediglich um eine inhaltliche Bestimmung der geschützten Kommunikation. Wenn man nach dieser Definition den Begriff der Lehre allein an inhaltlichen Kriterien seitens des Senders festmachen und somit allein die Wissenschaftlichkeit der kommunizierten Ergebnisse sowie den Zusammenhang mit der eigenen Forschung für die Definition genügen lassen würde, würde damit letztlich jede Kommunikation wissenschaftlicher Inhalte im Zusammenhang mit der eigenen wissenschaftlichen Tätigkeit zur Lehre. Auch das Publizieren von wissenschaftlichen Aufsätzen in Fachzeitschriften würde dann diesem Teilbereich der Wissenschaftsfreiheit unterfallen.
3. Umfassendes wissenschaftliches Kommunikationsrecht Ob ein so weites Verständnis des Begriffs der Lehre vom Wortlaut noch gedeckt ist, erscheint zweifelhaft. Dem natürlichen Wortsinn des Begriffs könnte es deshalb unter Umständen geschuldet sein, die Schutzbereichsdefinition der Lehrfreiheit um den Aspekt des zu spezifizierenden Kommunikationsempfängers im Sinne eines wissenschaftlich Lernenden zu erweitern. Doch unabhängig davon, ob man einer solchen einschränkenden Betrachtung der Lehrfreiheit folgt oder nicht, bleibt doch in jedem Fall festzuhalten, ––––––––––– 306
BVerfGE 35, 79 (113). Losch, Wissenschaftsfreiheit, Wissenschaftsschranken, Wissenschaftsverantwortung, S. 55. 308 Scholz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Art. 5 III Rn. 85; Jarass/Pieroth, Art. 5 Rn. 76; Oppermann, in: Isensee/Kirchof (Hrsg.), HdBStR VI, § 145 Rn. 30; Schulze–Fielitz, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), HdbVerfR, § 27 Rn. 5. 309 Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Abs. 3 Rn. 226; Jarass/Pieroth, GG, Art. 5 Rn. 77 a. 307
E. Wissenschaftskommunikation
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dass die Wissenschaftsfreiheit als Ganze in jedem Fall die Kommunikation wissenschaftlicher Inhalte im Zusammenhang mit der eigenen Forschungstätigkeit umfassend und in ihrer ganzen Breite schützt – unabhängig von einer Verortung dieses Aspekts in dem klassischen Bereich der Lehrfreiheit. Dies ergibt sich dann entweder durch eine Subsumtion dieses ganzen Bereiches unter den Begriff der Lehre, oder aber durch die Anerkenntnis der Tatsache, dass Lehre und Forschung den Begriff der Wissenschaft insofern nicht vollständig umfassen, sondern nur wichtige und elementare Teilgewährleistungen darstellen. Zusätzlich zu dem eigentlichen Bereich der wissenschaftlichen Forschung sowie der Lehre nach ihrem engen Verständnis ist dann eben auch die wissenschaftliche Kommunikation neben der Lehre und in Zusammenhang mit der Forschung geschützt. Dies ist letztlich dem Begriff der Wissenschaft und ihrer grundrechtlichen Normierung in der Wissenschaftsfreiheit geschuldet. Denn ein Forscher, der nicht publiziert, ist als Wissenschaftler inexistent.310 Wissenschaftsfreiheit und Publikationsfreiheit sind untrennbar miteinander verbunden,311 Wissenschaft ohne Mitteilung ist nicht denkbar.312 Doch auch neben diesem reinen ergebnisvermittelnden Aspekt, der nach herkömmlichem Verständnis an den Abschluss einer Forschungsarbeit anknüpft, hat die Kommunikation durch die neueren Rahmenbedingungen des Wissenschaftssystems bereits innerhalb des wissenschaftlichen Forschungsvorgangs selbst eine konstituierende Bedeutung, die zunehmend auch in das Blickfeld der Verfassungsrechtswissenschaft gerät. Wissenschaftliche Forschung basiert gerade in ihrer heutigen Form bereits ihrem Ansatz nach auf gedanklichem Austausch, auf dem Aufgreifen der Ergebnisse anderer Wissenschaftler und deren Weiterentwicklung, auf der gemeinschaftlichen wissenschaftlichen Arbeit und Erarbeitung neuer Erkenntnisse. Nur in einem solchen Kommunikations- und Handlungszusammenhang kann Wissenschaft sich daher letztendlich entfalten, der wissenschaftliche Prozess ist von Kommunikation gekennzeichnet und hängt seiner Natur nach von ihr ab.313 Die Kommunikation und auch die massenmediale Kommunikation ist somit wesentlicher Bestandteil des Gewährleistungsbereichs der Wissenschaftsfreiheit.314 Ihre Gewährleistung fügt sich nahtlos in den bereits beleuchteten Rahmen des Art. 5 GG ein. Auf dieser Grundlage kann daher auch anhand der ––––––––––– 310
Rehbinder, FS Hubmann, S. 359 (366). Hansen, GRUR Int. 2005, S. 378 (379). 312 Kimminich, WissR 1985, S. 116 (132). 313 Trute, Die Forschung zwischen grundrechtlicher Freiheit und staatlicher Institutionalisierung, S. 64 ff.; Nettesheim, DVBl. 2005, S. 1072 (1076); Ruffert, VVdStRL 65 (2005), S. 146 (154). Auch im europäischen Verfassungsvergleich dominiert bei der Gewährleistung der Wissenschaftsfreiheit daher der Gesichtspunkt freier Kommunikation, vgl. Groß, Die Autonomie der Wissenschaft im europäischen Rechtsvergleich, S. 116 f. 314 Vgl. ausführlich auch Hübner, WissR 2005, S. 35 (41 ff.). 311
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Kap. 1: Die grundgesetzliche Freiheit der Massenkommunikation
selben Merkmale von Form und Inhalt die Struktur der Wissenschaftskommunikation beschrieben werden.
II. Form und Inhalt von Wissenschaftskommunikation Zusammenfassend lässt sich die von der Wissenschaftsfreiheit umfasste und durch sie essentiell mitgeschützte Kommunikation beschreiben als die umfassende Vermittlung solcher Erkenntnisse, die in methodischer, systematischer und nachprüfbarer Weise neu gewonnen wurden, sowie die Vermittlung solcher Inhalte, die nicht selbst diesen Maßstäben genügen, deren Kommunikation aber Teil eines Prozesses ist, der der Wissenschaft und somit letztlich der ernsthaften und planmäßigen Wahrheitssuche dient. Die Form der Kommunikation spielt für den Schutz dabei keine Rolle. Und auch der geschützte Inhalt von Wissenschaftskommunikation ist grundsätzlich insofern genauso weit wie der Inhalt der Meinungsfreiheit zu verstehen, als dass er Tatsachen, Werturteile sowie alle anderen, nicht dieser Kategorisierung unterfallenden Äußerungen umfasst. Auch die Wahrheit der wissenschaftlichen Behauptung spielt keine Rolle: Denn wenn auch irrige oder fehlerhafte Forschungsergebnisse geschützt sind, ist auch deren Verbreitung, die sich letztlich als Kommunikation unrichtiger Informationen darstellt, vom Schutz der Wissenschaftskommunikation umfasst. Das inhaltliche Kriterium, das die Freiheit der Wissenschaftskommunikation jedoch von der Meinungsfreiheit abgrenzt, ist die systeminterne Unterscheidung wahr/unwahr, auf der sie basiert. Ähnlich wie das Kriterium des Gelingens in Bezug auf die Kunst315 dient es also gerade nicht dazu, das Wissenschaftssystem nach außen von anderen Systemen abzugrenzen, sondern vielmehr innerhalb des Systems eine Unterscheidung vorzunehmen, über das sich das System selbst definiert. Sobald ein Kommunikationsinhalt diesem inneren Unterscheidungsmuster – mit dem erforderlichen Maß an Methodik, Systematik und Nachprüfbarkeit – unterfällt, ist er also als Wissenschaftskommunikation vom Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG umfasst.
III. Grundrechtliche Funktion Der Endzweck der Wissenschaft ist Wahrheit.316 Dieses Ziel, dem sich jede wissenschaftliche Arbeit widmet, ist deshalb schon in der Schutzbereichsdefinition untrennbar mit dem Wissenschaftsbegriff verknüpft. Trotz dieser eindeutigen Zielbestimmung sind die grundrechtlichen Funktionen, die die Wissen––––––––––– 315 316
S.o. S. 96. Lessing, Gesammelte Werke, Bd. 5, S. 21.
E. Wissenschaftskommunikation
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schaftsfreiheit übernimmt, die Gründe also, aus denen sie gewährleistet sind, vielfältig. Sie lassen sich – ähnlich wie bei den bereits beschriebenen Grundrechtsgewährleistungen – unterteilen in solche Faktoren, die in ihrer Schutzrichtung auf das einzelne Individuum abstellen, und solchen Faktoren, die ihre Wirkung in Bezug auf die Gesellschaft als ganzer erfüllen.
1. Individuelle Funktion Wenn die Wissenschaftsfreiheit mitunter als die intellektuelle Seite der Glaubens- und Gewissensfreiheit beschrieben wird,317 so macht dies deutlich, in welch starkem Maße auch die Wissenschaftsfreiheit in erster Linie – und trotz des mitunter sehr starken Fokus auf ihre objektiv-rechtlichen Gehalte318 – eine die individuelle Freiheit schützende Grundrechtsgewährleistung ist. Erstes und wichtigstes Ziel der Wissenschaftsfreiheit ist daher die Gewährleistung jenes Freiraums, „den der (neugierige und wissbegierige) Mensch bei der Entdeckung der Welt und dem Versuch ihrer Erklärung benötigt.“319 Diese Sichtweise auf die Wissenschaftsfreiheit lässt sich bis auf die aristotelische Metaphysik zurückführen.320 In dieser Dimension gibt die Wissenschaftsfreiheit dem Einzelnen die Möglichkeit, seinem individuellen Streben nach Wahrheit nachzugehen und sich in dieser Wahrheitssuche zu entfalten. Sie sichert und gewährleistet auf diese Art und Weise die Freiheit des Denkens genauso wie die „Wissenschaft als Lebensform“.321 Auch in Hinblick auf die Wissenschaftsfreiheit wird also die enge Verbindung der individuellen Funktion der speziellen Grundrechtsgewährleistung zur Persönlichkeit des Einzelnen, zu seiner Persönlichkeitsbildung und damit auch zu seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht deutlich. Die (wissenschaftliche) Suche nach der Wahrheit ist insofern zwar nicht unmittelbarer Ausdruck der Persönlichkeit, wohl aber ist sie mittelbarer Ausdruck nicht nur einer Geisteshaltung, sondern auch eines inneren Strebens nach Wahrheit. Die Wissenschaft dient daher zwar nicht in expressiver Hinsicht der Selbstdarstellung, ermöglicht
––––––––––– 317 Zwirner, AöR 98 (1973), S. 313 (314 f.); Schmidt, Die Freiheit der Wissenschaft, S. 26 ff. 318 Vgl. nur BVerfGE 35, 79 (114); 43, 242 (267); 66, 155 (177); 85, 360 (384); 88, 129 (136 f.); 93, 85 (95); 94, 268 (285). 319 Nettesheim, DVBl. 2005, S. 1072 (1074). Vgl. ähnlich auch Bayertz, ARSP 2000, S. 303 (304). 320 Aristoteles, Metaphysik I 1, 980 a 1. 321 Zu diesem Begriff etwa nur Häberle, JöR n.F. 52 (2004), S. 155 ff.; Classen, Wissenschaftsfreiheit außerhalb der Hochschule, S. 91 ff.; zusammenfassend auch Ruffert, VVdStRL 65 (2005), S. 146 (165).
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Kap. 1: Die grundgesetzliche Freiheit der Massenkommunikation
aber gleichwohl die Selbstentfaltung des Einzelnen in einem bestimmten gesellschaftlichen Zusammenhang.322
2. Gesellschaftliche Funktion Diese individuelle Funktion wird ergänzt durch die gesellschaftliche Funktion, die die Gewährleistung der Wissenschaftsfreiheit im demokratischen Verfassungsstaat erfüllt. Denn der Wissenschaft kommt eine Schlüsselfunktion für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung zu.323 Die Gewährleistung der individuellen Freiheit, Wissenschaft zu betreiben und voranzubringen, bringt Innovationen in Bereichen wie Ökonomie, Technik und Wirtschaft hervor, die für die Entwicklung der Gesellschaft als solcher eine wegweisende Bedeutung haben.324 Insofern ist es auch zu einseitig, die Nutzenfunktion der Wissenschaftsfreiheit allein im Prozess wirtschaftlicher Entwicklung zu verorten.325 Zwar mag man in der Tat daran zweifeln, ob die moderne Wissenschaft heute noch in der Lage ist, wesentliche Beiträge zur Sinnstiftung des Gemeinwesens beizutragen,326 dem Menschen etwas über den Sinn der Welt zu lehren und ihm Orientierung zu geben.327 Allein der mögliche Verlust einer solchen umfassenden Sinnstiftungsfunktion kann doch eine rein wirtschaftliche Sichtweise auf die Funktion der Wissenschaftsfreiheit noch nicht rechtfertigen. Denn eine solche Betrachtung würde nicht nur die Bedeutung der (naturwissenschaftlichen) Grundlagenforschung, sondern auch die besondere Funktion der schöngeistigen Forschung ignorieren, denen beiden im engeren Sinne ein direkter wirtschaftlicher Nutzen nicht zugesprochen werden kann und die dennoch eine elementare Bedeutung im Rahmen der Wissenschaft als ganzer und deshalb auch bei der Betrachtung der Wissenschaftsfreiheit haben. Die gesellschaftliche Funktion der Wissenschaftsfreiheit ist insofern mehrschichtig zu sehen. Sie liegt zum einen in dem Wissensfortschritt, den eine Gesellschaft als ganze durch die wissenschaftliche Betätigung Einzelner erreicht.328 Durch das originäre Schaffen neuen Wissens reichert jede wissenschaftliche Betätigung den Wissensschatz einer Gesellschaft an und vergrößert damit nicht nur die gemeinsame Kommunikationsbasis, sondern gibt Anknüp––––––––––– 322
Vgl. BVerfGE 35, 79 (114). BVerfGE 35, 79 (114). 324 Vgl. Ruffert, VVdStRL 65 (2005), S. 146 (169 ff.). 325 So aber Nettesheim, DVBl. 2005, S. 1072 (1075). 326 So aber Ruffert, VVdStRL 65 (2005), S. 146 (170). 327 Skeptisch bereits Weber, in: ders., Gesamtausgabe, Abteilung I, Bd. 17, S. 92. 328 Vgl. zur Bedeutung von Wissen und Information im Rahmen der Wissenschaftsfreiheit auch Blankenagel, Wissenschaft zwischen Information und Geheimhaltung, S. 65 ff. 323
E. Wissenschaftskommunikation
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fungspunkte für vielfältigen anderen Grundrechtgebrauch, aber auch für eine weitere wissenschaftliche Verarbeitung der Erkenntnisse, die durch die Gewährung der Wissenschaftsfreiheit zutage getreten sind. An diesen Wissensfortschritt als solchen schließen sich aber auch andere Formen des Fortschritts, etwa im technischen, medizinischen oder eben auch im ökonomischen Bereich an. Auch diese praktischen Auswirkungen der Wissenschaftsfreiheit stellen im gesamtgesellschaftlichen Kontext eine Funktion der Wissenschaftsfreiheit dar und runden das vielfältige Bild der grundrechtlichen Funktionen ab, denen die Wissenschaftsfreiheit verpflichtet ist.
Zweites Kapitel
Auslegung und Ermittlung des Kommunikationsinhalts Die konkreten Inhalte von Kommunikationsvorgängen sind – das wurde im ersten Kapitel gezeigt – für den grundrechtlichen Schutz der Kommunikation nach Art. 5 GG unerheblich. Lediglich abstrakte inhaltliche Kriterien werden angeführt und benutzt, um innerhalb der Systematik der Kommunikationsfreiheiten eine Ausdifferenzierung vorzunehmen. Auf welche konkrete Art und Weise der Inhalt eines Kommunikationsvorgangs diesen Kriterien entspricht, ist jedoch für die Zuordnung zum Schutzbereich zunächst belanglos. Diese Inhaltsblindheit der Kommunikationsgrundrechte hat allerdings dort ihre Grenzen, wo die geschützte Kommunikation mit anderen Rechtsgütern in Konflikt gerät. Denn ein solcher Konflikt, dessen Vorliegen für jeden Einzelfall gesondert geprüft werden muss, ist in der Regel ein inhaltlicher Konflikt: Kollidieren Kommunikationsfreiheiten mit anderen Rechtsgütern, so wird es dabei fast ausschließlich um den Inhalt der Mitteilung, selten jedoch um das strukturelle Ob oder das Wie des Kommunikationsvorgangs gehen. Um überhaupt entscheiden zu können, ob ein Konflikt der grundrechtlich geschützten Kommunikation mit anderen Rechtspositionen vorliegt, ist es daher notwendig, den individuellen Inhalt der Mitteilung für den Einzelfall zu ermitteln; erst auf dieser Basis kann überhaupt ein Interessenausgleich stattfinden.1 Damit stellt dieser spezifische Konflikt höhere Anforderungen an die juristische Konfliktlösung, als dies bei anderen Grundrechten der Fall ist. Zwar ist auch sonst in jedem Konflikt widerstreitender grundrechtlich geschützter Interessen das Herausarbeiten einer Spannungslage letztlich Ergebnis einer Interpretation, nämlich des sachgerechten Ausschöpfens und Umreißens des grundrechtlichen Schutzbereiches.2 Und auch dabei geht es letztlich um ein Auslegen von Kommunikationsäußerungen, nämlich um die Auslegung der Äußerungen des Grundgesetzes selbst.3 Bei den Kommunikationsgrundrechten schließt sich an diese Ebene der Auslegung jedoch eine zweite Ebene der Auslegung an. Auf dieser zweiten Ebene ––––––––––– 1
So auch ausdrücklich BVerfG, NJW 2006, S. 207 (208). Ossenbühl, DVBl. 1995, S. 904 (908). 3 Vgl. dazu etwa nur Zippelius, Juristische Methodenlehre, Kapitel III; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Kapitel 4; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Bd. 1, Rn. 489 f. 2
A. Sprachwissenschaft und Semiotik
111
wird nicht mehr untersucht, welchen Inhalt die normative Äußerung des Art. 5 GG hat und ob die konkrete Kommunikationsäußerung dem dadurch definierten Schutz unterfällt. Vielmehr muss ermittelt werden, welchen Inhalt die geschützte Kommunikationsäußerung selbst hat, damit auf dieser Grundlage beurteilt werden kann, ob von ihr eine Beeinträchtigung anderer grundrechtlich geschützter Positionen ausgeht. Die dabei anzuwendende Methode unterscheidet sich erheblich von der ausgefeilten Methodik juristischer Deutung von normativen Äußerungen und muss daher auf andere, neue, vor allem auch interdisziplinäre Ansätze zurückgreifen.
A. Sprachwissenschaft und Semiotik Soweit in der juristischen Wissenschaft überhaupt interdisziplinäre Ansätze zur Ermittlung von Kommunikationsinhalten im Rahmen des Art. 5 GG verfolgt werden, beschränken sich diese Bemühungen in aller Regel auf sprachwissenschaftliche oder sprachphilosophische Erkenntnisse.4 Diese Methode greift jedoch bei näherer Betrachtung zu kurz. Denn eine sprachwissenschaftliche oder sprachphilosophische Betrachtung ist per definitionem auf sprachliche Kommunikation begrenzt. Dies zeigt sich bereits in Hinblick auf den grundlegenden und in der Mehrzahl der Fälle in Bezug genommenen Schutz der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Die Unzulänglichkeit eines rein sprachwissenschaftlichen Ansatzes wird hier schon am Normtext selbst deutlich, der explizit Meinungsäußerung durch Bilder, also nicht-sprachliche Kommunikation in Bezug nimmt und in den Schutzbereich mit einbezieht. Aber auch alle anderen nicht ausdrücklich aufgezählten und gleichwohl mitgeschützten Formen der Meinungsäußerung können sich durchaus anderer als sprachlicher Mittel für ihren Kommunikationsakt bedienen und sind daher allein mit den Mitteln sprachwissenschaftlicher oder sprachphilosophischer Erkenntnisse nicht hinreichend genau zu erklären. Vor allen Dingen aber stellt sich ein solcher Ansatz für eine umfassende, alle Teilbereiche des Art. 5 GG betreffende Betrachtung der Auslegungsmethodik als unzureichend, wenn nicht als ungeeignet dar. Dies wird besonders deutlich angesichts dessen, dass der gesamte Bereich der Kunstkommunikation sich auf non-verbaler Ebene bewegt. Eine Auslegung solcher Kommunikationsinhalte mithilfe sprachwissenschaftlicher Erkenntnisse stellt sich bereits im Ansatz als unmöglich dar. Möglich ist lediglich die sprachwissenschaftlich determinierte Auslegung der in die Sprache übertragenen Kunstkommunikation, die jedoch
––––––––––– 4 So vor allen Dingen Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, S. 122 ff.; vgl. auch Grewendorf, in: ders. (Hrsg.), Rechtskultur als Sprachkultur, S. 11 ff.; Bierwisch, in: Grewendorf (Hrsg.), Rechtskultur als Sprachkultur, S. 42 ff.
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Kap. 2: Auslegung und Ermittlung des Kommunikationsinhalts
keinesfalls identisch ist mit dem Inhalt des Kunstwerks, sondern selbst lediglich das Ergebnis einer vorangegangenen Auslegungsoperation ist. Aufgrund des Inhalts und der Systematik der durch Art. 5 GG geschützten Kommunikation ist es daher notwendig, einen weitreichenderen wissenschaftlichen Ansatz zur Ermittlung des Kommunikationsinhaltes zu wählen, als die Sprachwissenschaft, Sprachphilosophie oder Linguistik ihn anbieten kann. Um den Inhalt grundrechtlich geschützter Äußerungen ermitteln und auslegen zu können, soll daher in einem grundlegenden Ansatz auf die „universale Metawissenschaft“5 der Semiotik zurückgegriffen werden.6
I. Inhalt und Gegenstand der Semiotik Auch wenn es innerhalb der Semiotik im Einzelnen Uneinigkeiten über Umfang und Abgrenzung der eigenen Wissenschaft gibt, lässt sich doch zunächst als kleinster gemeinsamer Nenner einer Definition festhalten, dass die Semiotik die Wissenschaft von den Zeichen ist.7 Im weiteren Sinne lässt sich ihr Gegenstandsbereich wie folgt beschreiben: „Die Semiotik untersucht als Wissenschaft von den Zeichenprozessen alle Arten von Kommunikation und Informationsaustausch zwischen Menschen, zwischen nichtmenschlichen Organismen und innerhalb von Organismen. Sie umfasst also zumindest teilweise die Gegenstandsbereiche der meisten Geistes- und Sozialwissenschaften sowie der Biologie und Medizin.“8 Nicht alle Bereiche dieser umfassenden Wissenschaft sind für die vorliegende Untersuchung relevant. Allein maßgeblich ist im Folgenden lediglich die Anthroposemiotik als Wissenschaft der Gesamtheit der menschlichen artspezifischen Signalsysteme.9 Dieser Ansatz korrespondiert deckungsgleich mit der Weite des von Art. 5 GG geschützten Kommunikation, die letztlich jede Äußerung mit Informationsgehalt umfasst,10 also jede Art spezifischen menschlichen Zeichengebrauchs. Diese umfassende Betrachtung menschlicher Signalsysteme, die durch die Semiotik erfolgen kann, ermöglicht so eine erschöpfende Betrach––––––––––– 5
Holenstein, in: ders. (Hrsg.), Roman Jacobson. Semiotik, S. 9 (13). Bisherige interdisziplinäre Untersuchungen zum Bereich Recht und Semiotik beziehen sich weitgehend auf Aspekte des Rechts als Kommunikationsprozess, d.h. vor allem auf semiotische Gesichtspunkte im Bereich der Gesetzgebung, nicht jedoch auf die rechtliche Beurteilung von Kommunikationsprozessen, vgl. van Schooten (Hrsg.), Semiotics and legislation; Jackson, Making sense in law. 7 Morris, Signification and Significance, S. 1; Prieto, in: Martinet (Hrsg.), Le langage, S. 93 (93); Todorov, in: Ducrot/Oswald/Todorov, Dictionaire encyclopédique des sciences du langage, S. 113 (113); Sebeok, Theorie und Geschichte der Semiotik, S. 15. 8 Zur Einleitung, Zeitschrift für Semiotik 1 (1979) S. 1. 9 Sebeok, Theorie und Geschichte der Semiotik, S. 17. 10 S.o. S. 47. 6
B. Signifikat, Signifikant und Code
113
tung der grundrechtlich geschützten Kommunikation anhand eines einheitlichen Maßstabs, ohne auf den Teilbereich der Sprache beschränkt zu sein.11
II. Sprache als Zeichensystem Die besondere Bedeutung, die der Sprache in der menschlichen Kommunikation zukommt, soll durch diesen Ansatz jedoch keineswegs verkannt oder geschmälert werden. Auch soll und kann keineswegs ausgeschlossen werden, dass nicht auch Erkenntnisse aus der Linguistik als eigentlicher Sprachwissenschaft zur Auslegung von Kommunikation im grundrechtlichen Kontext herangezogen werden können. Denn die Sprache ist ein System von Zeichen, die Ideen ausdrücken, wie auch andere Zeichensysteme, etwa grafische Symbole oder Gesten dies tun; und sie ist und bleibt sogar das wichtigste dieser Systeme.12 Semiotische Ansätze schließen daher sprachwissenschaftliche Forschungsergebnisse keineswegs aus. Sprache kann vielmehr als eigenständiges Zeichensystem Gegenstand semiotischer Untersuchungen neben anderen Zeichensystemen sein.13 Als Teilgebiet der Semiotik kann die Linguistik somit zwar wertvolle Erkenntnisse im Bereich der Kommunikationsgrundrechte liefern, deckt jedoch den grundrechtlich geschützten Bereich nicht hinreichend ab. Erst ein umfassender Ansatz zur Betrachtung menschlicher Kommunikationsphänomene, wie ihn die Semiotik liefert, kann in seiner Vielfalt somit einer übergreifenden Betrachtung des Art. 5 GG gerecht werden.
B. Signifikat, Signifikant und Code In dem zu Anfang dieser Untersuchung benutzten Kommunikationsmodell wurden die Kommunikationsprozesse abstrakt zerlegt in die Elemente Sender, Empfänger, Form und Inhalt. Zur grundsätzlichen Beschreibung und Ausdifferenzierung des Kommunikationsschutzes im Grundgesetz hat sich dieses Modell bewährt. Es bietet jedoch keine Lösungsansätze um zu erklären, auf welche ––––––––––– 11 Insofern geht Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, S. 125, fehl, wenn er die Semiotik als „sprachwissenschaftliche Disziplin“ bezeichnet und für eine juristische Betrachtung der Dogmatik der Meinungsfreiheit als ungeeignet verwirft. Die Ansicht von Klaus/Buhr, Philosophisches Wörterbuch, S. 1096, nach der Semiotik die „allgemeine Theorie der sprachlichen Zeichen“ sei, ist insofern vereinzelt geblieben und findet innerhalb der Disziplin keinen Widerhall. 12 de Saussure, Cours de linguistique générale, S. 33; ders., Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, S. 19. Damit wird Sprache hier im verbreiteten Sinne des Wortes gebraucht, nicht wie bei Chomsky, Semiotica 25, S. 31 (34), der unter Sprache Zeichensysteme allgemein versteht. 13 Nöth, Handbuch der Semiotik, S. 253.
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Kap. 2: Auslegung und Ermittlung des Kommunikationsinhalts
Art genau die Botschaft zum Empfänger gelangt, wie der Kommunikationsinhalt also mittels der Form transportiert wird.
I. Zeichen und Sinn Ausgangspunkt einer solchen Untersuchung ist zunächst das Grundphänomen, dass ein Zeichen – sei es sprachlich, sei es nicht-sprachlich – nicht als untrennbare Einheit verstanden werden kann, sondern aus verschiedenen Komponenten besteht. Dieser Unterschied zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem bildet den Ursprung semiotischer Forschung.14 Die Terminologie für diese Phänomene ist im Einzelnen uneinheitlich und differiert innerhalb der verschiedenen semiotischen Ansätze,15 die für die hier vorgenommene grundlegende Betrachtung jedoch ohne Relevanz sind. Den Begrifflichkeiten Ecos und de Saussures folgend, soll hier grundlegend unterschieden werden zwischen dem Signifikant und dem Signifikat, die zusammen die Einheit des Zeichens bilden. Unter dem Signifikanten ist – zeichentheoretisch gesprochen – der Zeichenträger zu verstehen, das bezeichnende Element. Dieser Signifikant wird in eine semasiologische, eine bezeichnende Beziehung zum Signifikat gesetzt, zum Inhalt des Zeichens, seiner Bedeutungsseite.16 Das Signifikat darf dabei nicht verwechselt werden mit dem gegenständlichen Objekt, das allgemein mit einem bestimmten Zeichen inhaltlich verbunden wird. Vielmehr ist das Signifikat als die kulturelle Einheit zu verstehen, die mit dem Signifikanten – auf noch zu klärende Weise – verbunden ist. So ist etwa das Signifikat für das Wort (d.h. für den Signifikant) „Hund“ nicht ein gegenständlicher Hund oder die Gesamtheit aller gegenständlichen Hunde, sondern die kulturelle Einheit, die eben im Deutschen mit „Hund“ bezeichnet wird, die sich allerdings auch nicht ändert, wenn sie mit „dog“, „chien“ oder „cane“ bezeichnet wird. Noch deutlicher wird diese Bedeutung der kulturellen Einheit bei divergierender interkultureller Betrachtung, also etwa, wenn man die kulturelle Einheit betrachtet, die im Deutschen mit dem Wort „Schnee“ bezeichnet wird. Bei den ––––––––––– 14 Wie im Übrigen auch den Ursprung linguistischer Forschung. Die klassische Unterscheidung erfolgt hier nach „Sinn“ und „Bedeutung“, vgl. Frege, in: Patzig (Hrsg.), Gottlob Frege. Funktion, Begriff, Bedeutung, S. 18 (26 f.). Zu anderweitiger Terminologie innerhalb der Linguistik vgl. die Übersicht bei Wunderlich, Grundlagen der Linguistik, S. 242. 15 Vgl. die tabellarische Übersicht bei Nöth, Handbuch der Semiotik, S. 92. 16 Eco, Das offene Kunstwerk, S. 113; de Saussure, Grundfrage der allgemeinen Sprachwissenschaft, S. 136. Diese Differenzierung hat eine bis in die Antike reichende Tradition und findet sich in unterschiedlichen Spielarten bereits bei den Stoikern wieder, vgl. Coseriu, Die Geschichte der Sprachphilosophie von der Antike bis zur Gegenwart, S. 699.
B. Signifikat, Signifikant und Code
115
Eskimos besteht hier nicht nur eine, sondern es bestehen vier kulturelle Einheiten und damit vier Signifikante und d.h. vier Wörter für das Objekt, das in den meisten westlichen Kulturen als Einheit begriffen wird.17 Der Gedanke des Objektes, das z.T. in den semiotischen Modellen als „referent“ eingeführt wird, soll hier hingegen nicht verwendet werden. Nicht nur, dass ihm im Zusammenhang dieser juristischen Untersuchung keine eigenständige Bedeutung zukommen würde. Auch inhaltlich ist dieses Konzept nicht überzeugend, da es von der kulturellen Determination von Kommunikation ablenkt.18 Das „semiotische Dreieck“,19 dessen Bild oft in diesem Zusammenhang verwendet wird, wird also aufgelöst zunächst in eine bipolare Struktur zwischen Signifikat und Signifikant.
II. Codes und Subcodes Damit ein Zeichen verständlich wird, damit also vom Empfänger einer Kommunikationsbotschaft ein Signifikant einem Signifikaten zugeordnet werden kann, bedarf es einer Anzahl irgendwie gearteter Regeln, auf die sich der Sender stützen kann. Es ist eine der Grundannahmen der Semiotik, dass unter jedem Kommunikationsprozess diese Regeln – oder Codes – existieren und dass sie auf irgendeiner kulturellen Übereinkunft beruhen.20 Der Code setzt also fest, dass ein bestimmter Signifikant ein bestimmtes Signifikat bezeichnet.
1. Denotative Codes Für jeden Signifikanten existiert zunächst mindestens ein denotativer, sachlich-beschreibender Code, der diesen mit einer kulturellen Einheit, dem Signifikat, zu einem Zeichen verbindet. Für sprachliche Kommunikation werden die denotativen Codes weitgehend – wenn auch nicht vollständig – in Wörterbucheinträgen beschrieben, indem die durch den Code zugewiesenen kulturellen Einheiten wiederum mit dem Mittel der Sprache umschrieben werden.21 Die Bedeutung dieser Unterscheidung kann an Beispielfällen aus der Rechtsprechungspraxis des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf die Meinungsfreiheit verdeutlicht werden, etwa bei der Äußerung „Soldaten sind Mörder“22 ––––––––––– 17
Vgl. zu diesen Beispielen Eco, Einführung in die Semiotik, S. 75. Vgl. zur Kritik eingehend Eco, Einführung in die Semiotik, S. 69 ff. 19 Vgl. dazu auch Peirce, Collected Papers, Bd. 2, § 228. 20 Eco, Einführung in die Semiotik, S. 20. 21 Vgl. zur Heranziehung dieser in Wörterbüchern festgeschriebenen denotativen Code in der gerichtlichen Praxis anschaulich BVerfGE 85, 1 (18 ff.). 22 BVerfGE 93, 266. 18
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Kap. 2: Auslegung und Ermittlung des Kommunikationsinhalts
oder „Die CSU ist die NPD Europas“.23 Im ersten Beispiel existiert für den Signifikant „Mörder“ zunächst der fachsprachliche Code, der dem Begriff diejenige kulturelle Einheit zuweist, die § 211 Abs. 2 StGB – wiederum mittels sprachlicher Zeichen – definiert als einen Menschen, der einen anderen unter Verwirklichung eines Mordmerkmales tötet. Daneben existiert ein allgemeinerer, alltagssprachlicher denotativer Code für diesen Signifikanten. Das Signifikat, das dieser Code dem Signifikanten „Mörder“ zuweist, kann ganz allgemein als Person, die einen anderen Menschen tötet, beschrieben werden.24 Für den Signifikanten „NPD“ im zweiten Beispiel existiert hingegen vordergründig zunächst nur ein einziger denotativer Code. Dieser weist den Begriff dem Signifikat zu, der die Partei, die unter dem Namen Nationaldemokratische Partei Deutschlands auftritt, als kulturelle Einheit fasst. Selbst hier existieren allerdings weitere Codes, etwa ein fachwissenschaftlich molekularbiologischer, der dem Signifikanten die kulturelle Einheit „Nuclear Protein Database“,25 d.h. eine wissenschaftliche Datenbank über Zellkern-Proteine, entsprechen lässt. In der Tat wird es in der Mehrzahl der Fälle so sein, dass es für einen Signifikant mehrere denotative Codes gibt, die ihm jeweils ein anderes Signifikat zuweisen, lediglich die Bekanntheit und Gebräuchlichkeit der verschiedenen denotativen Codes variiert.
2. Konnotative Codes Auf diese denotativen Codes bauen weitere, oft optionale Subcodes auf, die als konnotative Codes bezeichnet werden. Diese assoziativen, wertenden, subjektiven Codes sind bestimmten, aber nicht notwendigerweise allen Gruppen von Benutzern des selben Zeichensystems eigen.26 Welche konnotativen Codes existieren, hängt von einer Vielzahl teils individueller, teils gesellschaftlicher Komponenten ab und ist – deutlich stärker als bei denotativen Codes – auch zeitlich veränderlich. Bezogen auf die geschilderten Beispiele existiert etwa zum alltagssprachlichen denotativen Code für den Signifikanten „Mörder“ ein konnotativer Code, der den Begriff mit Signifikaten wie „sittlich nicht zu rechtfertigendes Handeln“,27 „Strafwürdigkeit“ oder „Verbrecher“ verbindet. In Bezug auf den Signifikaten „NPD“ existieren unter dem alltagssprachlichen denotativen Code ––––––––––– 23
BVerfGE 61, 1. Vgl. BVerfGE 93, 266 (307). Dieser allgemeine Gebrauch des Begriffs „Mörder“ in der Umgangssprache beruht darauf, dass das Substantiv „Totschläger“ in der Alltagssprache schlicht nicht verwandt wird. 25 Vgl. . 26 Eco, Das offene Kunstwerk, S. 117. 27 BVerfGE 93, 266 (297). 24
B. Signifikat, Signifikant und Code
117
konnotative Codes, die dem Begriff Signifikate wie (politisch) „ultrarechts“,28 „verfassungswidrig“ oder „einer menschenverachtenden Ideologie folgend“ zuordnen. Gerade dieses letzte Beispiel zeigt eindrucksvoll, wie abhängig konnotative Codes von gesellschaftlichen Umständen und Ereignissen ist und wie variabel und unbeständig diese Codes selbst in der juristischen Beurteilung dadurch sein können. So wurde in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1982 bei der Auslegung der Äußerung die CSU sei die „NPD Europas“, der Begriff NPD ausschließlich mit der Verortung im äußersten rechten Spektrum der Parteienlandschaft verbunden.29 Andere Konnotation des Begriffs NPD wurden zum damaligen Zeitpunkt nicht mit in die Auslegung einbezogen. Aus heutiger Sicht könnte eine solche Betrachtung des Wortgebrauchs kaum noch überzeugen. Aufgrund des gescheiterten Parteiverbotsverfahrens gegen die NPD sowie des darauf bezogenen Stimmungs- und Meinungswandels in der Bevölkerung sind heute auch die anderen, negativeren Konnotationen in der Öffentlichkeit so verankert, dass diese bei der erneuten Beurteilung einer solchen Aussage zwingend Berücksichtigung finden müssten und die gerichtliche Beurteilung in der äußerungsrechtlichen Streitigkeit wahrscheinlich anders ausfallen lassen müssten. Neben diesen gesamtgesellschaftlichen Codes in ihrer Abhängigkeit vom Zeitgeist können darüber hinaus aber auch ganz andere konnotative Codes innerhalb einer bestimmten Sprechergruppe existieren, welche die Möglichkeiten einer Auslegung zusätzlich erweitern. So wird der Signifikant „NPD“ für ein Mitglied der Partei etwa Konnotate wie „politische Heimat“, „tragfähige politische Konzepte“ oder „politische Rettung Deutschlands“ assoziieren.30
3. „Bedeutungs-Baum“ Aufgrund der Unterschiedlichkeit und Vielfalt, die einen Signifikant innewohnen kann, ergibt sich somit jeweils eine Vielzahl denotierter und konnotierter Signifikate. Bei jeder Auswahl eines Codes ergeben sich weitere auszuwählende Subcodes, die sich weiter verzweigen und jedem Signifikaten eine unterschiedlich große Anzahl möglicher Bedeutungen offerieren.31 In einer Baumstruktur entsteht auf diese Art und Weise ein „Bedeutungs-Baum“, dessen Entscheidungsalternativen auf der Auswahl der verschiedenen denotativen und konnotativen Codes und ihren Subcodes liegen. ––––––––––– 28
BVerfGE 61, 1 (10). BVerfGE 61, 1 (10). 30 Vgl. für einen ähnlichen Fall etwa Grewendorf, in: ders. (Hrsg.), Rechtskultur als Sprachkultur, S. 11 (15 f.). 31 Vgl. die grafische Darstellung bei Eco, Einführung in die Semiotik, S. 113. 29
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Kap. 2: Auslegung und Ermittlung des Kommunikationsinhalts
Diese Überlegung untermauert im Übrigen auch die bereits oben dargelegte These von der Unabgrenzbarkeit von Tatsachenbehauptungen und Werturteilen. Denn der unauflösbare Zusammenhang von denotativ und konnotativ zugeordneten Signifikaten zeigt, dass es keine Tatsachenbehauptung gibt, an die nicht auch auf irgendeine Weise assoziative, wertende Elemente gekoppelt werden könnten. Eine Einordnung als Tatsachenbehauptung oder Wertung kann demnach nur danach erfolgen, ob die denotativen oder die konnotativen Codes bei der konkreten Inhaltsermittlung in den Vordergrund gestellt werden. So hat das Bundesverfassungsgericht etwa auch in dem „Soldaten sind Mörder“-Fall die Aussage nicht mithilfe des denotativen umgangsprachlichen Codes entschlüsselt, der den Äußerungen den Sinn verliehen hätte, dass alle Soldaten Personen sind, die einen Menschen getötet haben. Diese Auslegung hätte die Äußerungen zu unwahren Tatsachenbehauptungen gemacht. Vielmehr hat das Gericht das soziale Unwerturteil in den Vordergrund gestellt und die Aussagen so zu Werturteilen erklärt. Dieses soziale Unwerturteil des sittlich verwerflichen Tuns ist mit dem Signifikanten „Mörder“ aber nur durch einen konnotativen Code verbunden. Da jedoch jede Denotation immer auch verschiedene Konnotationen nach sich ziehen kann, ist es letztlich lediglich eine Frage der Schwerpunktsetzung, ob die denotativen oder konnotativen Beziehungen in den Vordergrund treten, ob eine Äußerung also als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil anzusehen ist. Aufgrund des Umfanges des „Bedeutungs-Baums“ jedes Signifikanten sind jedenfalls grundsätzlich für jede Äußerung beide Kategorien potentiell einschlägig.
III. Auswahl der Codes Welche Bedeutung ein Ausdruck tatsächlich im konkreten Fall hat, d.h. wie eine Äußerung im juristischen Sinne auszulegen ist, hängt also davon ab, welche Codes zur Entschlüsselung des der Botschaft zugrundeliegenden Zeichens ausgewählt werden.32 Die Auswahl des Codes, um eine Botschaft mit Sinn zu erfüllen, erfolgt dabei anhand einer Reihe von Umständen, die unter zwei allgemeine Kategorien gefasst werden können: die Kommunikationssituation und die Gesamtheit des Wissensschatzes, der es dem Empfänger ermöglicht, Wertungen und interpretative Auswahlen vorzunehmen.33 Auch in der Rechtsprechung der Fachgerichte, der des Bundesverfassungsgerichts sowie in der Literatur werden diese Ansätze berücksichtigt. So wird der Kommunikationszusammenhang als ständiges – wenn auch in der konkre––––––––––– 32
Vgl. dazu auch Beater, AfP 2005, S. 227 (229 f.). Eco, Einführung in die Semiotik, S. 67; vgl. auch ders., Die Grenzen der Interpretation, S. 351, unter Verweis auf Bar-Hillel, in: Linguaggi nella società e nella tecnica, S. 269 (271), sowie Barsch, Zeitschrift für Semiotik 1990, S. 229 (232). 33
B. Signifikat, Signifikant und Code
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ten Anwendung nicht unumstrittenes – Auslegungsmerkmal für alle Bereiche des Art. 5 GG herangezogen.34 Auch der Wissensschatz der Empfänger wird dadurch in die Auslegung einbezogen, dass aus juristischer Sicht auf den „objektiven Empfängerhorizont“ bzw. auf die Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums abgestellt wird.35 Neben diesen beiden Aspekten hat das Bundesverfassungsgericht darüber hinaus einen weiteren, juristisch wertenden Aspekt der Auslegung in seine Rechtsprechungspraxis eingeführt. Wenn mehrere Deutungen objektiv möglich sind, so dürfe in der Beurteilung, ob eine Kollision mit anderen Rechtsgütern vorliegt, nicht die Auslegung, die zu einer Kollision führt, ausgewählt werden, ohne die anderen Auslegungsmöglichkeiten unter Angabe überzeugender Gründe auszuschließen.36 Im Ergebnis stellt das Bundesverfassungsgericht damit ein Dogma der äußerungsfreundlichen, Grundrechtskollisionen vermeidenden Auslegung auf. Wie sich dieser Grundsatz jedoch zu der Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont verhält, bleibt dabei weitgehend ungeklärt.37 Im Ergebnis stellen sich diese bisher vor allen Dingen in der Kasuistik des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Auswahlmuster als wenig systematisch dar. Aufbauend auf der im ersten Kapitel erfolgten Beschreibung der spezifischen Grundrechtsgewährleistungen des Art. 5 GG soll deshalb ein grundlegendes Modell dafür entwickelt werden, welche Auswahlmechanismen zur Bestimmung eines Codes bei der Auslegung grundrechtlich geschützter Kommunikationsinhalte heranzuziehen sind. Aufgrund der spezifischen Unterschiede ist dabei auch hier zwischen den verschiedenen grundrechtlich geschützten Bereichen zu trennen. Dabei wird zunächst die umfassende Gewährleistung der Medienfreiheit untersucht, da sie aufgrund ihrer Allgemeinheit übergreifend für alle Formen der Massenkommunikation Erkenntnisse bietet, mit der die Struktur der Medienkommunikation und ihrer Auslegung, d.h. der Mechanismus der Codeauswahl durch den Empfänger, grundlegend erarbeitet werden kann. Von dieser allgemeinen Systematik ausgehend können dann die spezifischen Bereiche der Kunstkommunikation sowie schließlich der Wissenschaftskommunikation untersucht werden.
––––––––––– 34 BVerfGE 67, 213 (228); 94, 1 (10 f.); 102, 347 (367); BVerfG, NJW 2001, S. 596 (597); BGH, ZUM 2004, S. 211 (212); ZUM 2004, S. 212 (213 f.); Scholz/Konrad, AöR 123 (1998), S. 60 (71); Otto, NStZ 1985, S. 213 (214); Grewendorf, in: ders. (Hrsg.), Rechtskultur als Sprachkultur, S. 11 (14). 35 BVerfGE 108, 282 (305); 93, 266 (295); BVerfG, 1 BvR 417/98 vom 19.02.2004; BGH, ZUM 2004, S. 212 (213 f.); Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, Kap. 4 Rn. 4; einschränkend LG Berlin AfP 2004, S. 287 (289). 36 BVerfGE 43, 130 (136 f.); 82, 43 (52 f.); 82, 272 (280 f.); 85, 1 (13 f.). 37 Kritisch dazu auch Scholz/Konrad, AöR 123 (1998), S. 60 (71 ff.).
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Kap. 2: Auslegung und Ermittlung des Kommunikationsinhalts
C. Die vielschichtigen Codes der Medienkommunikation I. Der Durchschnittsempfänger als theoretisches Konstrukt Die Auswahl der Codes durch den Empfänger, die es ihm ermöglichen, ein Zeichen zu entschlüsseln und damit die von ihm ausgehende Botschaft zu verstehen, erfolgt – das wurde oben bereits beschrieben38 – vor allen Dingen durch die Kriterien des Kommunikationszusammenhangs und des Hintergrundwissens, 39 über das der Empfänger verfügt. Der Vorgang des Verstehens und damit der Codeauswahl setzt somit beim Individuum selbst an.40 Sowohl der Wissensschatz als solcher als auch die Einschätzung des Kommunikationskontextes sind von subjektiven Merkmalen des Empfängers abhängig.
1. Die Objektivierung der Subjektivität Diese individualbezogene Struktur des Verstehens macht es für die Rechtswissenschaft schwierig, eine abstrakte, allgemeingültige Auslegung grundrechtlich geschützter Meinungsäußerungen im weiteren Sinne vorzugeben und bei der grundrechtlichen Betrachtung heranzuziehen. In Literatur und Rechtsprechung hat sich daher die Figur des Durchschnittsempfängers als theoretische Instanz objektivierter Subjektivität herausgebildet.41 Dabei ist dieser Durchschnittsempfänger tatsächlich nicht nur insoweit ein theoretisches Konstrukt, als dass mit ihm keine real existierende Person korrespondiert. Er kann sich auch keineswegs derart auf empirische Ergebnisse der Demoskopie berufen, dass ihm zumindest eine statistische Existenz zugebilligt werden könnte. Trotzdem geht es zu weit, den Durchschnittsleser schlicht mit dem erkennenden Gericht – bzw. mit dem Rechtswissenschaftler, der den konkreten Fall untersucht, – gleichzusetzen.42 Denn es ist keineswegs der Erfahrungs- und Wissenshorizont des Juristen, der bei einer Auslegung nach dem Horizont des Durchschnittsempfängers zugrundegelegt werden kann. Dies ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass es in der Deutung der zahlreichen juristischen Fachbegriffe, die im Rahmen von kommunikativen Äußerungen gebraucht werden, keineswegs die juristische Fachsprache ist, die der Auslegung zugrunde gelegt und ––––––––––– 38
S.o. S. 118. Diese Feststellung korrespondiert mit der besonderen Funktion der Kommunikationsfreiheiten, die auch darin liegt, ein gemeinsames Hintergrundwissen bereitzustellen, und so ein gemeinsames Verstehen einer Gesellschaft erst ermöglicht, s.o. S. 59. 40 Vgl. dazu kritisch Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 20. 41 S.o. Fn. 35. 42 So aber Seibert, in: Grewendorf (Hrsg.), Rechtskultur als Sprachkultur, S. 332 (339). 39
C. Die vielschichtigen Codes der Medienkommunikation
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dem Durchschnittsempfänger in den Mund gelegt werden könnte.43 Die Sicht des Juristen ist somit nicht für die Deutung des Inhaltes selbst maßgeblich, sondern nur für die Deutung dessen, wie nach seiner Einschätzung der fiktive Durchschnittsempfänger eine Aussage versteht. Dennoch ist ein Zusammenhang zwischen Durchschnittsempfänger und auslegendem Jurist in individueller Hinsicht gegeben. Denn bezüglich der angenommenen Rezeption des Kommunikationskontextes sowie des angenommenen Hintergrundwissens des Empfängers ist der deutende Jurist letztlich durch seine eigene Wahrnehmungsfähigkeit und sein eigenes Hintergrundwissen begrenzt.
2. Die Unentbehrlichkeit des Durchschnittsempfängers Damit wird offenbar, dass das dogmatische Konstrukt des Durchschnittsempfängers, wenn man sich seiner zur Auslegung von Meinungsäußerungen bedient, durchaus Schwächen besitzt. Denn es vermag die grundlegende Unmöglichkeit, den Akt des Verstehens zu objektivieren und damit einer juristischen Betrachtung und letztlich Wertung zuzuführen, nicht zu überwinden. Dennoch und trotz dieser Unzulänglichkeiten stellt sich das Modell in der juristischen Betrachtungsweise als unentbehrlich dar, um eine einseitige und unausgewogene Deutung grundrechtlich geschützter Äußerungen zu verhindern und damit letztlich einen effektiven Grundrechtsschutz zu sichern.44 Denn wenn der Rechtswissenschaftler ermitteln soll, welchen Inhalt eine Äußerung hat, wenn er also selbst die denotativen und konnotativen Codes auswählt, nach denen er das ihm vorliegende Zeichen entschlüsseln will, so stehen ihm lediglich zwei Auswahlmechanismen zur Verfügung. Entweder er greift auf sein eigenes Verstehen, d.h. auf die von ihm selbst aufgrund seines Hintergrundwissens und seiner Beurteilung des Kommunikationszusammenhangs ausgewählten Codes zurück. Oder er versucht, die Codes so auszuwählen, wie eben der fiktive Durchschnittsempfänger es mit seinem Wissen und seiner Beurteilung des Zusammenhangs tun würde. Eine Auslegung nach dem Verständnis eines realen Empfängers scheitert rein tatsächlich bereits daran, dass dieses Verstehen allein im Inneren des Empfängers stattfindet und auch nur begrenzt kom-
––––––––––– 43
Vgl. dazu insbesondere die „Soldaten sind Mörder“-Entscheidung, BVerfGE 93,
266. 44
Insofern darf die Figur des Durchschnittsleser nicht dazu instrumentalisiert werden, eine einseitige, undifferenzierte Auslegung unter Hinweis auf eine scheinbare Offensichtlichkeit des Auslegungsergebnisses zu rechtfertigen. Allein vom Anspruch her beinhaltet die Konstruktion jedenfalls nicht automatisch ein „rezeptionsästhetisches Instrument für die Austreibung von Textkonstitution und Kontext, von sozialer und psychischer Geschichte“, wie Brüggemann, alternative 1979, S. 22 (24 f.), unter Hinweis auf ein Urteils des Landgerichts Göttingen meint.
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Kap. 2: Auslegung und Ermittlung des Kommunikationsinhalts
munizierbar ist.45 Zum anderen scheitert es in dem hier untersuchten Bereich der Massenkommunikation auch daran, dass es einen spezifischen Empfänger gerade nicht gibt, sondern sich die Kommunikation per definitionem an einen größeren, nicht konkret bestimmbaren Personenkreis als Empfänger richtet. Die Fiktion eines objektiven Durchschnittsempfängers stellt sich somit als unentbehrlich dar, um eine Auslegung jenseits des subjektiven Verstehens des mit dem Fall befassten Juristen zu ermöglichen.
II. Wissensschatz und Kommunikationszusammenhang Nimmt man also das Konstrukt des Durchschnittsempfängers trotz seiner strukturellen Schwächen an, muss auf dieser Basis ermittelt werden, wie der Wissensschatz und die Bewertung des Kommunikationszusammenhanges bei dem fingierten Durchschnittsempfänger bestimmt werden können.
1. Der Kommunikationszusammenhang Am einfachsten stellt sich die Ermittlung der Perspektive des fiktiven Durchschnittsempfängers für den Kommunikationszusammenhang dar. Hier kann noch am einfachsten die Situation vom konkreten Beobachter losgelöst werden und für einen fingierten Idealbetrachter der Kontext der Mitteilung ermittelt und für die Codeauswahl berücksichtigt werden. Als solche verobjektivierten Komponenten des Kommunikationszusammenhangs, die der auslegende Jurist nicht seinem vorhandenen Wissen gemäß zugrunde legen kann, sondern auch aktiv ermitteln muss, gehört zunächst der Zweck, der mit der Äußerung verfolgt wird und in dessen Kontext sie dementsprechend zu sehen ist.46 Weiterhin muss die Gesamtdarstellung der gemachten Äußerung berücksichtigt werden: Eine einzelne Äußerung darf nicht losgelöst von den Äußerungen betrachtet werden, in deren unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang sie steht.47 Die Einheit einer Äußerung darf insofern ––––––––––– 45
Auf dieser Erkenntnis beruht auch die informationswissenschaftliche Differenzierung zwischen Datum und Information, bei der dem Datum eine objektive Bedeutung zukommt, während die Information als Resultat der Verarbeitung von Sinneswahrnehmungen begriffen wird. Vgl. etwa Rossi, Informationszugangsfreiheit und Verfassungsrecht, S. 19 f.; Windsheimer, Die Information als Interpretationsgrundlage für die subjektiven öffentlichen Rechte des Art. 5 I GG, S. 18; Albers, in: Haratsch/Kugelmann/Repkewitz (Hrsg.), Herausforderungen an das Recht der Informationsgesellschaft, S. 113 (121); Trute, JZ 1998, S. 822 (825); Gröschner, VVDStRL 63 (2003), S. 344 (359); Rossen-Stadtfeld, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungskontrolle, S. 117 (119). 46 Vgl. BVerfGE 107, 275 (283). 47 Vgl. BVerfGE 67, 213 (229).
C. Die vielschichtigen Codes der Medienkommunikation
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nicht künstlich auseinandergerissen und unterschiedlichen Codes unterworfen werden. Schließlich darf auch ein gewisser zeitgeschichtlicher Bezug der Äußerung nicht verkannt werden. Auch der politische und soziale Kontext einer Äußerung sind insofern zu berücksichtigen.48 Grundsätzlich ist dabei keineswegs auf den „flüchtigen Leser“ bzw. den flüchtigen, beiläufigen, nicht sonderlich aufmerksamen Empfänger abzustellen, der den Kontext oder Gesamtzusammenhang nicht hinreichend wahrnehmen und berücksichtigen will.49 Vom fingierten Durchschnittsempfänger kann vielmehr erwartet werden, dass er durchschnittlich aufmerksam und durchschnittlich informiert diese Kriterien im Rahmen seiner Möglichkeiten berücksichtigt. Verschärfungen oder Erweiterungen dieses Grundsatzes können sich lediglich aus den genannten Kriterien selbst ergeben. Zielt also etwa in einer Druckpublikation eine Schlagzeile gerade darauf ab, durch ihr Aufmerksamkeitspotential auch und gerade den flüchtigen Leser anzusprechen,50 so ist dieser Umstand im Rahmen des mit der Äußerung verfolgten Zweckes, der wiederum den Zusammenhang der Mitteilung beeinflusst, maßgeblich zu berücksichtigen. Steht hingegen eine Äußerung im Zusammenhang einer Fachpublikation zur Prüfung, so können sowohl der Zweck der Mitteilung als auch der fachspezifische Gesamtzusammenhang, in dem sie steht, es erforderlich machen, nicht den durchschnittlichen Konsumenten beliebiger Medienprodukte, sondern den angesprochenen fachkompetenten, besonders kundigen Durchschnittsempfänger aus dem Fachpublikum als entscheidenden Maßstab heranzuziehen.51 Maßgeblich bleiben insofern die genannten Kriterien zur Ermittlung des Kommunikationszusammenhangs, die wiederum auf die Bestimmung des Durchschnittsempfängers zurückwirken.
2. Das Hintergrundwissen Komplexer zu beurteilen und stärker von den individuellen Merkmalen des Empfängers abhängig ist hingegen das Hintergrundwissen, das ebenfalls eine entscheidende Rolle bei der Codeauswahl – sei es in Bezug auf die denotativen, sei es in Bezug auf die konnotativen Codes – spielt. Das Hintergrundwissen des Kommunikationsempfängers, das für das Verstehen einer Mitteilung bestimmend ist, unterscheidet sich strukturell von dem Kriterium des Kommunikationszusammenhangs dadurch, dass es vom eigentli––––––––––– 48 Otto, NStZ 1985, S. 213 (214). Vgl. zur Loslösung einer Äußerung aus dem Kontext aus staatsorganisationsrechtlicher Perspekte auch jünst BVerfG, Urt. v. 25.8.2005, 2 BvE 4/05, abweichende Meinungs Absatz-Nr. 214. 49 Kritisch bereits BVerfGE 43, 130 (139 f.); vgl. auch Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung. Handbuch des Äußerungsrechts, Kap. 5 Rn. 4. 50 Vgl. BGH, NJW 2004, S. 1034 f. 51 So auch Beater, AfP 2005, S. 227 (229).
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Kap. 2: Auslegung und Ermittlung des Kommunikationsinhalts
chen Kommunikationsvorgang selbst unabhängig ist. Aus dieser Loslösung vom eigentlichen Kommunikationsakt ergeben sich daher für dieses Merkmal zwei besondere, über die vorgenannten hinausgehende Problemfelder: die Divergenz zwischen angenommenem und tatsächlichem Wissen sowie der Einfluss der Medien selbst auf das tatsächlich vorhandene Hintergrundwissen.
a) Angenommenes und tatsächliches Wissen Wird für den fiktiven Durchschnittsempfänger der Kommunikationszusammenhang ermittelt, so sind die entscheidenden Faktoren, die dieses Kriterium bestimmen, objektiv ermittelbar. Zwar mag der eine oder andere Empfänger bestimmte Umstände nicht selbst wahrgenommen haben. Die tatsächlichen Kommunikationsumstände knüpfen aber an rein reale Gegebenheiten an, für die der subjektive Akt der Wahrnehmung zumindest nicht konstituierend ist. Diese Situation ist jedoch auf das für den Verstehensakt verfügbare Hintergrundwissen nicht übertragbar. Das Hintergrundwissen – und zwar sowohl dasjenige des Senders, der sich zur Verschlüsselung seiner Mitteilung eines Codes bedient, als auch dasjenige des Empfängers, der zur Entschlüsselung der Zeichen ebenfalls einen Code benutzt – ist individuell verschieden und vor allen Dingen für den Kommunikationspartner vollkommen undurchsichtig. Der Kommunikationssender nimmt daher, wenn er eine Mitteilung macht, nur an, dass das Hintergrundwissen des Empfängers ihm ermöglicht, diejenigen Codes zur Entschlüsselung auszuwählen, die er selbst zur Verschlüsselung benutzt hat. Besteht jedoch eine Divergenz zwischen diesem angenommenen und dem tatsächlichen Wissen, so benutzt der Empfänger andere Codes zur Entschlüsselung, als dies vom Sender vorgesehen war. Divergiert das angenommene und tatsächliche Wissen so stark, dass der Empfänger weder die Codes des Senders, noch eigene Codes auf die Botschaft anwenden kann, so wird eine Entschlüsselung der Zeichen gänzlich unmöglich. Die Botschaft wird zum „Rauschen“.52 Die Divergenz zwischen angenommenem und tatsächlichem Wissen stellt somit bei jeder Form der Kommunikation, insbesondere aber bei der Massenkommunikation, gleichermaßen einen Verständnisfaktor wie auch ein Verständnishindernis dar. Durch die fehlende direkte Interaktion von Sender und Empfänger bei der Massenkommunikation verstärkt sich dieses Problem und stellt daher besondere Herausforderungen an die für die juristische Auslegung notwendige Bestimmung des Wissensschatzes des Durchschnittsempfängers.
––––––––––– 52
Vgl. Eco, Einführung in die Semiotik, S. 193 f.
C. Die vielschichtigen Codes der Medienkommunikation
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b) Der Einfluss der Medien auf den Wissensschatz Dieses Phänomen wird allerdings im Bereich der Massenmedien durch einen Vorgang modifiziert, der bereits in Hinblick auf die Funktion der Gewährleistung der (Massen-)Kommunikationsfreiheiten erläutert wurde. Denn die Massenmedien sind nicht nur auf ein bestehendes gemeinsames Hintergrundwissen der am Kommunikationsprozess Beteiligten passiv angewiesen. Vielmehr stellen sie ein gemeinsames Welt- und Handlungswissen, ein geteiltes Hintergrundwissen gerade selbst zur Verfügung und schreiben dieses fort, damit von diesem Wissen im weiteren Prozess der gesellschaftlichen Kommunikation ausgegangen werden kann.53 Insofern ist es richtig zu behaupten, dass die Massenkommunikation in ihrer heutigen Form nicht nur die Empfangs- und Sendebedingungen, sondern auch gerade den Sinn der Botschaft verändert.54 Die Medien schaffen somit selbst das Hintergrundwissen, das ein Verstehen ihrer Zeichen ermöglicht. Über den konkreten Kommunikationszusammenhang hinaus wird so der große Kontext der Medienkommunikation als solcher zum Kriterium für die Entschlüsselung der Medienbotschaft. Die Medien schaffen selbst die Voraussetzungen für ein Verstehen ihrer Zeichen, indem sie durch frühere Kommunikation das Hintergrundwissen der Empfänger und damit letztlich sowohl den Gesamtschatz verfügbarer Codes als auch die Eindeutigkeit der Codeauswahl vergrößern. Maßgebliche Quelle für die Bestimmung des Hintergrundwissens des Durchschnittsempfängers ist somit neben den allgemeinen Quellen des durchschnittlichen Wissensschatzes der Bevölkerung insbesondere der von den Medien produzierte globale Informationszusammenhang. Dabei kann selbstverständlich keine vollständige Kenntnis des vom jeweiligen Medium verbreiteten Programms verlangt werden. Entscheidend ist vielmehr, dass allein der medienunerfahrene Konsument nicht als Maßstab für vorhandenes Hintergrundwissen herangezogen werden kann. Insofern ist grundsätzlich auf einen durchschnittlichen Medienkonsumenten abzustellen, so dass vorhandene Schemata in der Medienkommunikation, wiederkehrende Inhalte und häufig verwendete Formate als bekannt vorrausgesetzt werden können. Singuläre Erscheinungen hingegen, noch nicht eingespielte Konzepte und andere neue mediale Erscheinungen können nicht dem bestehenden Wissensschatz des Durchschnittsempfängers zugeordnet werden. Die Medien können daher nicht völlig frei den Bedeutungshintergrund ihrer eigenen Kommunikation bestimmen. Ein Mindestmaß an Eingespieltheit ist notwendig, um ein entsprechendes medial vermitteltes Hintergrundwissen beim Durchschnittsempfänger zu fingieren.
––––––––––– 53 54
S.o. S. 59. Eco, Einführung in die Semiotik, S. 26.
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Kap. 2: Auslegung und Ermittlung des Kommunikationsinhalts
III. Ideologie als Codeauswahlkriterium Diese Kriterien des Kommunikationszusammenhanges und des Hintergrundwissens, die jede Codeauswahl des Individuums beeinflussen und daher auch bei der fingierten Codeauswahl des Durchschnittsempfängers ihren Durchschlag finden müssen, bilden eine solide Grundlage, aufgrund derer die konkrete Auslegung einer grundrechtlich geschützten Äußerung erfolgen kann. Gerade in Bezug auf die denotativen Codes wird man in der weitaus größten Zahl der Fälle daher auf dieser Basis zu einem zufriedenstellenden Ergebnis kommen. Der sachlich-beschreibende Inhalt einer Äußerung wird mittels der genannten Kriterien in aller Regel ohne Zweifel zu erkennen sein. Hinsichtlich der konnotativen Codes werden jedoch auch diese Kriterien nicht in allen Fällen so eindeutige Ergebnisse liefern können, dass nur noch eine mögliche Decodierung in Frage kommt. Bleiben auf dieser Basis mehrere Decodierungsmöglichkeiten bestehen, können die genannten Kriterien daher zwar eine Grundlage für die Auslegung bilden, geben aber eine eindeutige Interpretation aus der Sicht des Durchschnittsempfängers immer noch nicht vor.
1. Codeauswahl durch Ideologie In den Fällen, in denen trotz Berücksichtigung des Kommunikationszusammenhangs sowie des verfügbaren Hintergrundwissens mehrere Decodierungsalternativen verbleiben, muss daher noch ein weiteres Kriterium herangezogen werden, um eine endgültige Auswahlentscheidung in Hinblick auf die Codes – vor allen Dingen die konnotativen Codes – treffen zu können. Eine verbindliche Interpretation setzt insofern einen zusätzlichen, ergänzenden Maßstab voraus. Im Bereich der Kommunikation mit natürlichen Personen wird diese Stellung von der individuellen Ideologie des Empfängers eingenommen. Denn neben seinem Wissensschatz und dem Zusammenhang, in dem die Kommunikation steht, greift der Empfänger im Prozess natürlichen kommunikativen Verstehens vor allen Dingen auf seine eigene partielle Weltanschauung zurück, um die Subcodes auszuwählen, die auf die Botschaft konvergieren soll.55 Je offener die Botschaft dabei gegenüber verschiedenen Decodierungen ist, desto mehr wird die Codeauswahl letztlich von diesen ideologischen Voraussetzungen des Empfängers beeinflusst.56 Soll daher eine abstrakte juristische Deutung auch solcher offener Botschaften verbindlich erfolgen, muss die Frage beant––––––––––– 55
Eco, Einführung in die Semiotik, S. 169; ausführlich auch ders., in: Linguaggi nella società e nella tecnica, S. 129 ff. 56 Eco, Einführung in die Semiotik, S. 168.
C. Die vielschichtigen Codes der Medienkommunikation
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wortet werden, welcher Ideologie der juristisch fingierte Durchschnittsempfänger folgen bzw. welche Ideologie ihm zugeschrieben werden soll.
2. Die fehlende Ideologie des Durchschnittsempfängers Oberstes Gebot bei der Beantwortung dieser Frage muss allerdings sein, dass durch die Auslegung der Kommunikationsäußerung und eine damit etwa verbundene Ideologieauswahl in Hinblick auf den Durchschnittsempfänger nicht die Meinungsneutralität des Grundrechtsschutzes verletzt wird, die bei einer dogmatischen Betrachtung der Kommunikationsgrundrechte des Art. 5 GG oberste Maxime sein muss.57 Unter dem Gesichtspunkt könnte es zunächst als gangbar erscheinen, die oben bereits angeführten Merkmale der Durchschnittlichkeit des Durchschnittsempfängers auch auf den Bereich der Ideologie anzuwenden. Dem Durchschnittsempfänger müsste insofern eine „durchschnittliche“ Ideologie zugestanden und zuerkannt werden. Diese Operation scheitert allerdings an dem Wesen der Ideologie.58 Denn eine Ideologie selbst kann zwar dem Mehrheitsgeist entsprechen oder widersprechen. Sie kann von der Mehrheit der Bevölkerung oder einer bestimmten Bevölkerungsgruppe getragen oder abgelehnt werden. Sie bleibt aber als solche immer ein einheitliches, feststehendes geschlossenes Welt- und Gedankenbild, das einer Durchschnittsbildung nicht zugänglich ist. Denn durch eine solche Durchschnittsbildung würde man gerade die Geschlossenheit des Weltbildes aufheben und der Ideologie eines ihrer konstitutiven Merkmale nehmen. Eine „Durchschnittsideologie“ kann es somit nie geben, auch der Durchschnittsempfänger kann insofern nicht mit ihr ausgestattet sein. Für die letzte Stufe der Auslegung einer Kommunikationsäußerung bedeutet dies, dass hier entweder am Durchschnittsempfänger dadurch festgehalten wird, dass ihm eine Ideologie der Mehrheit unter Ausschluss anderer Ideologien zugewiesen wird, oder er ideologiefrei bleiben muss und somit für die letzte Hürde der Decodierung von Äußerungen nicht mehr erfolgreich herangezogen werden kann. Eine Betrachtung und Decodierung jeglicher grundrechtlich geschützter Äußerung aus dem Blickwinkel der Mehrheitsideologie heraus würde aber letztlich einen massiven Eingriff in die Freiheit des Einzelnen bedeuten, auch jenseits feststehender oder mehrheitsfähiger Ideologievorgaben Codes zu benutzen und sich so seiner Meinung zu entäußern. Eine Auslegung der Äußerung nach der ideologischen Mehrheit würde damit dem Wesen der Kommunikationsfreiheiten strikt widersprechen und letztlich mit der Maxime des meinungsneutralen Schutzes nicht in Einklang zu bringen sein. ––––––––––– 57
Vgl. dazu Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 5 I, II Rn. 45. Vgl. zum – umstrittenen – Begriff der Ideologie Eco, Linguaggi nella società e nella tecnica, S. 129 (130). 58
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Kap. 2: Auslegung und Ermittlung des Kommunikationsinhalts
Um daher dem Wesen der Kommunikationsfreiheiten und ihren besonderen Funktionen sowohl in individueller als auch in gesellschaftlicher Hinsicht hinreichend Rechnung zu tragen, darf eine Auslegung grundrechtlich geschützter Äußerungen somit immer nur ohne Berücksichtigung ideologischer Codeauswahlmechanismen erfolgen. Der Durchschnittsempfänger muss ideologiefrei sein.
IV. Mehrdeutigkeit als Auslegungsergebnis Eine letztverbindliche, objektive Auslegung massenmedial vermittelter Kommunikationsinhalte ist daher nicht bei allen Äußerungen möglich, ohne kommunikationsfremde Kriterien zur Inhaltermittlung heranzuziehen. Auch das vom Bundesverfassungsgericht herangezogene Kriterium der „Meinungsfreundlichkeit“59 bezieht insofern Wertungen außerhalb des Kommunikationsprozesses mit ein und stellt insofern selbst letztlich eine (verfassungsrechtlich begründete) Ideologie des Durchschnittsempfängers auf, die jedoch ebenfalls nicht in jedem Fall zu verfassungsrechtlich gewünschten Ergebnissen führt.60 Die Mehrdeutigkeit einer Äußerung muss insofern auch im Verfassungsrecht als kommunikationsimmanentes Phänomen hingenommen werden. Nicht jeder Äußerung kann im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Auslegung ein eindeutiger Inhalt beigemessen werden. Bleibt eine Äußerung nach den oben dargestellten Auslegungskriterien mehrdeutig, lassen sich ihr also durch gleichermaßen plausibel ausgewählte Codes verschiedene, sich widersprechende Signifikate zuordnen, so ist sie in den weiteren verfassungsrechtlichen Beurteilungsprozess als mehrdeutig, d.h. mit ihren verschiedenen Auslegungsvarianten einzustellen. Führt auch nur eine der verbleibenden Auslegungsvarianten zu einer Kollision mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, so liegt auf objektiver Ebene ein Grundrechtskonflikt vor. Inwiefern diese Auslegungsvariante der mehrdeutigen Äußerung dem Entäußerer auch tatsächlich subjektiv vorgehalten werden kann, ist auf abstrakt verfassungsrechtlicher Ebene nicht zu klären, sondern bleibt insofern der Klärung durch die (verfassungskonform ausgelegten) Instrumente des einfachen Rechts vorbehalten.61
––––––––––– 59
S.o. Fn. 36. Deshalb ist das Bundesverfassungsgericht in seiner jüngeren Rechtsprechung von diesem Kriterium auch wieder abgerückt, vgl. BVerfG, NJW 2006, S. 207 ff., ausdrücklich auch BVerfG, 1 BvR 49/00 v. 24.05.2006, Absatz-Nr. 63. 61 S.u. S. 278 ff. 60
C. Die vielschichtigen Codes der Medienkommunikation
129
V. Kreativer Sprachgebrauch als Sonderfall? Es kann zurecht behauptet werden, dass in diesem Auslegungsmodell, das bis zur Schwelle der ideologischen Auslegung vom fingierten Durchschnittsempfänger als maßgeblichem Empfängerhorizont ausgeht, die sozialen und regelhaften Modelle in der Sprache sowie in den anderen Zeichenmodellen betont werden.62 Soweit ein Durchschnittsempfänger in den Bereichen des Kommunikationszusammenhanges und des Hintergrundwissens bestimmt werden kann, gilt eben der durchschnittliche Zeichengebrauch als maßgeblich, nicht die ganz außergewöhnliche, neuartige Kommunikationsart oder gar der Ideolekt des Kommunizierenden. Diese Sichtweise erfährt nun zum Teil mit dem Argument Kritik, dass sie die Möglichkeit des kreativen Sprachgebrauches systematisch ausschließe. Beim ersten Gebrauch eines kreativen Sprachmusters entstehe eine semantische Differenz zwischen eben diesem Sprachgebrauch und der Standardbedeutung bzw. dem Verständnishorizont des Hörers. Diese semantische Differenz werde in der juristischen Deutungspraxis ausgeblendet, wenn einseitig auf den Verständnishorizont des Durchschnittsempfängers abgestellt werde.63 Dies führe im Ergebnis zu der Annahme innerhalb der juristischen Deutungspraxis, dass jenseits des in einer Sprachgemeinschaft Üblichen nichts gesagt und „gemeint“ werden könne, was im offensichtlichen Widerspruch zur tatsächlichen menschlichen Erfahrung mit Kommunikation stünde.64 Diese Kritik lässt jedoch zwei Gesichtspunkte außer Acht und kann deshalb nicht durchdringen. Zum einen verkennt sie, dass mit einer Konstruktion des Durchschnittsempfängers keineswegs die Tatsache ausgeblendet wird, dass eine Botschaft in unterschiedlicher Weise und eben auch mit neuen, ungewöhnlichen Codes formuliert sein und dementsprechend unterschiedliche Bedeutungen haben kann. Würde diese Dimension unberücksichtigt bleiben, bedürfte es einer Auslegung im eigentlichen Sinne gar nicht, da ohnehin nur ein Sinn möglich und objektiv richtig wäre. Durch den Vorgang der Auslegung erkennt die Rechtswissenschaft somit gerade die Möglichkeit verschiedener Bedeutungsmuster an. Allein im Rahmen des Konfliktes mit anderen Rechtsgütern muss sie sich dabei – in dem oben gezogenen Rahmen – für eine Deutungsmöglichkeit entscheiden, um die Äußerung überhaupt rechtlich handhabbar zu machen.65 Dass dieselbe Botschaft auch andere mögliche Bedeutungsmuster haben kann, wird dabei jedoch keineswegs aberkannt. ––––––––––– 62
So in Bezug auf die Figur des Durchschnittsempfängers in der Rechtsprechung Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, S. 126. 63 Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, S. 139. 64 Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, S. 142. 65 Dies erkennt Rühl zwar auch an, liefert aber im Ergebnis kein Modell, um aus juristischer Sicht mit dem von ihm aufgeworfenen Phänomen des kreativen Sprachgebrauchs umzugehen, vgl. Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, S. 186 ff.
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Kap. 2: Auslegung und Ermittlung des Kommunikationsinhalts
Vor allem aber verkennt diese Kritik den Unterschied zwischen „rulegoverned creativity“ und „rule-changing creativity“,66 den Unterschied also zwischen sprachlicher Kreativität im Sinne Humboldts,67 die sich innerhalb der bestehenden Regeln bewegt, und derjenigen, die die bestehenden Regeln verändert. Arbeitet der Kommunikationssender nämlich innerhalb der festgelegten Regeln, innerhalb bestehender Codes also, und entwickelt in diesem Rahmen kreative Elemente, so kann auch diese Form der kreativen Kommunikation aufgrund ihrer Regeldominiertheit vom fingierten Durchschnittsempfänger verstanden werden, ohne dass die befürchtete „semantische Lücke“ entsteht. Die kreative Kommunikation wird somit rezipiert wie jede andere Form der Kommunikation auch. Verlässt der Sender allerdings die bestehenden Pfade der Kommunikation und bricht bewusst ihre Regeln, um mit dem Material, das ihm die Sprache bietet, etwas Neues zu schaffen, dann kann dieser Äußerung zwar in der Tat nicht mehr mit der Figur des Durchschnittsempfängers sachgerecht begegnet werden. Allerdings gilt es für diese Fälle sprachlicher Kreativität – aber auch der Kreativität bezüglich anderer Zeichensysteme – zu beachten, dass genau diese Fälle regeldurchbrechender Gestaltungskraft den Prototyp der ästhetischen Botschaft darstellen und damit nicht mehr (nur) von der Meinungs- bzw. der Medienfreiheit umfasst sind, sondern sich vielmehr mit dem hier vertretenen Kunstbegriff decken. Gerade für diesen Bereich gelten aber ohnehin nicht mehr die einfachen Auslegungsregeln der massenmedialen Kommunikation, sondern es müssen eigene, kunstspezifische Kriterien bei der Auslegung berücksichtigt werden, welche die Besonderheiten ästhetischer Kommunikation aufgreifen und sachgerecht in die Interpretation einfließen lassen.68 Erst wenn sich der ästhetische Zeichengebrauch selbst wieder in die bestehenden Codes als festes Zeichen einfügt, den Code also anreichert, verändert sich dieser Zeichengebrauch von der regelverletzenden und -verändernden Kreativität zur regeldominierten Kreativität und wird wieder mit den bestehenden Regeln und damit letztlich auch mit der Figur des Durchschnittsempfängers fassbar.69 Dieses System entspricht letztenendes nur einer gerechten Risikoverteilung zwischen dem Kommunikationssender und dem potentiell durch den Kommunikationsvorgang in seinen Rechten verletzten Dritten. Bedient sich der Sender alltagssprachlicher Kommunikationsmittel, so trägt er innerhalb des oben gesteckten Rahmens, der insbesondere den vom ihm ausgewählten Kommunikationszusammenhang sowie das von ihm einzuschätzende Hintergrundwissen der Empfänger beinhaltet und insofern von ihm stark beeinflusst werden kann, ––––––––––– 66
Vgl. zu diesem Unterschied Eco, Einführung in die Semiotik, S. 143. Maßgeblich sind insofern seine ethnolinguistischen Arbeiten, vgl. etwa nur v. Humboldt, Schriften zur Sprachphilosophie, S. 368 (416). 68 S. dazu sogleich S. 131 ff. 69 Vgl. Eco, Einführung in die Semiotik, S. 191 ff. 67
D. Die freien Codes der Kunstkommunikation
131
selbst das Risiko dafür, dass sein kreativer aber regeldominierter Sprachgebrauch als Verletzung der Rechtsgüter eines Dritten aufgefasst werden muss. Erst wenn dieser Rahmen überschritten wird, d.h. insbesondere wenn eine rechtsgutverletzende Auslegung nur unter Rückgriff auf ideologische Codeauswahlkriterien erfolgen kann, oder sich eine alltagssprachliche Auslegung aufgrund der künstlerischen Form der Botschaft ganz verbietet, wird er von diesem Risiko befreit. Die ästhetische, kreative Kommunikation wird auf diese Art und Weise weder verkannt noch falschen Maßstäben unterworfen, sondern vielmehr gerade sachgerecht ihren Eigenarten entsprechen aufgelöst.
D. Die freien Codes der Kunstkommunikation Die besonderen Regeln für die Auslegung ästhetischer Botschaften, d.h. von Kommunikation durch und mittels Kunst haben ihren Ausgang in der Rechtswissenschaft am Beispiel der Satire genommen. Hier hat sich zuerst die Erkenntnis durchgesetzt, dass die künstlerische Äußerung wie jede andere Äußerung auch nicht nur auf ihren vordergründigen Inhalt, sondern auch auf ihren „Kern“ hin untersucht werden muss.70 Mittlerweile sind Ansätze zu einer solchen Deutung auch für andere Kunstgattungen erkennbar,71 allerdings bisher noch wenig ausgearbeitet und dogmatisch auf noch sehr unsichere Füße gestellt.
I. Der Ideolekt des Kunstwerks Die Kommunikation durch und mittels Kunst wurde beschrieben als Mitteilung, die sich eines singulären und individuellen, non-verbalen Codes bedient, der allein im Werk selbst angelegt ist.72 Das Kunstwerk bedient sich also weder denotativer noch konnotativer Codes, die in irgendeinem anderen Zusammenhang bereits bestehen. Vielmehr benutzt es die bereits bestehenden Codes, die bestehenden Regeln, um diese zu brechen. Und aus diesem Regelbruch, aus diesem neuen, unerwarteten Arrangement des vorgefundenen Materials entsteht der künstlerische Ideolekt, d.h. der private und individuelle Code des einzelnen Kunstwerks.73 Wie bereits bei der Definition des Kunstbegriffes beschrieben, stellt diese strukturelle Besonderheit der non-verbalen, individuellen und nicht konsensbe––––––––––– 70 Vgl. BVerfGE 75, 369 (377 f.); 86, 1 (12); mit Verweis auf RGSt 62, 183; Gouanalakis, NJW 1995, S. 809 (813); Hillgruber/Schemmer, JZ 1992, S. 946 (946). 71 Vgl. BVerfG, NJW 2001, S. 596; v. Becker, AfP 2001, S. 466 (468); Buscher, NVwZ 1997, S. 1057 (1062). 72 S.o. S. 98. 73 Eco, Einführung in die Semiotik, S. 151; ders., Das offene Kunstwerk, S. 124.
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Kap. 2: Auslegung und Ermittlung des Kommunikationsinhalts
dürftigen Codes der Kunstkommunikation die Rechtswissenschaft, die als System auf Sprache basiert, vor große Herausforderungen. Dies betrifft zum einen die Schwierigkeit, mithilfe sprachlicher Mittel überhaupt das Vorliegen eines solchen kunstspezifischen, d.h. ästhetischen Codes extrapolieren und beschreiben zu können. Zum anderen stellen sich diese Herausforderungen aber auch an die Beschreibung des auf diese Weise ausgemachten ästhetischen Codes und damit an die Auslegung des Inhalts der Kunstkommunikation. Bereits oben wurde betont, dass die ästhetische Botschaft, die künstlerische Kommunikation, durch ihre Fixierung in der Form von der Notwendigkeit des sonst für Kommunikation unerlässlichen Konsenses befreit ist. Das Verständnis und die Aussage des Kunstwerkes sind praktisch frei. Gerade dieses Phänomen beruht letztlich auf der Besonderheit des werkeigenen Codes, mit dem die Kunst arbeitet. Denn die einzige Referenz auf den werkeigenen Code, die eine Entschlüsselung ermöglicht, ist das Kunstwerk selbst in seiner nach außen manifestierten Form. Es handelt sich somit bei jedem ästhetischen Code um ein abgeschlossenes, selbstreferentielles System. Von außen kann ein solches selbstreferentielles System nie vollständig entschlüsselt werden. Zwar sind Annäherungen, Deutungen und Auslegungen möglich. Eine vollständige, eindeutige und einzig richtige Entschlüsselung des ästhetischen Codes kann aber nie – und auch und gerade nicht durch die Methoden der Rechtswissenschaft – letztverbindlich erfolgen. Denn „ein Kunstwerk bedeutet etwas, ohne dass es seine Bedeutung objektiv im Sinne eines Anzeichens, absolut im Sinne einer metaphysischen Wahrheit oder subjektiv im Sinne beliebiger Projektionen des Rezipienten genannt werden könnte.“74 Was das Kunstwerk letztlich bedeutet, kann nie abschließend ermittelt werden. Der ästhetische Code, der Ideolekt des Kunstwerks, bleibt somit auch im Verfassungsrecht eine unbekannte Größe.
II. Die alltagssprachliche Decodierung von Kunst Trotz dieser Unmöglichkeit, den Ideolekt des Kunstwerks zu entschlüsseln, und trotz der weit verbreiteten Ansicht, Kunst könne nicht generell definiert werden,75 hat sich die Ansicht, Kunst könne nicht generell interpretiert werden, bisher in der rechtwissenschaftlichen Diskussion nicht durchsetzen können. Vor allem die Gerichte unternehmen daher im Rahmen der Fallentscheidung immer wieder Versuche, eine juristisch tragfähige Auslegung des konkret zu beurteilenden Kunstwerks festzulegen.
––––––––––– 74 75
Schmücker, Was ist Kunst?, S. 272. S.o. S. 76 ff.
D. Die freien Codes der Kunstkommunikation
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1. „Reale“ und „ästhetische“ Wirklichkeit Dabei wird zwar grundsätzlich anerkannt, dass Kunst insofern nicht mit alltagssprachlichen Codes dechiffriert werden kann, als dass sie zunächst vornehmlich als ästhetische Realität wirkt. Gleichzeitig wird aber von der Rechtsprechung und der herrschenden juristischen Lehre betont, dass jedes Kunstwerk dennoch sozialbezogene Wirkungen entfalte, die „reale“ und die „ästhetische“ Welt im Kunstwerk also eine Einheit bilden.76 Dies führt im Ergebnis dazu, dass unter Hinweis auf diese „reale Welt“ im Kunstwerk die Zeichen, derer sich das Werk bedient, nach alltagssprachlichen Codes dechiffriert und auf ihre Botschaft hin untersucht werden. Dem Kunstwerk wird dadurch ein fremder Code aufgezwungen, der eine Inhaltsauslegung im eigentlichen Sinne nicht ermöglicht. Diese soziale Wirklichkeit, die von einem Kunstwerk ausgeht und überhaupt erst die Möglichkeit schafft, das Werk an alltagsprachlichen Codes zu messen, stellt grundsätzlich eine Erscheinung außerhalb des Werkes selbst dar. Eine werkgerechte Interpretation – wie sie in der Rechtsprechung immer wieder gefordert wird77 – kann auf ihrer Grundlage nicht erfolgen. Dennoch ist das ihr zugrundeliegende Phänomen Grundvoraussetzung und elementarer Bestandteil jedes Kunstwerks und direkte Folgerung aus der dargestellten Einzigartigkeit des ästhetischen Ideolekts. Denn aufgrund dieser Struktur besteht im Rahmen des Kunstwerks zwischen dem Zeichen und dem Bezeichneten keine natürliche Beziehung, die ein Verstehen ohne weiteres ermöglichen würde. Also muss stattdessen eine andere Garantie dafür, dass der Empfänger die Botschaft erhält, mit einbezogen werden, und diese liegt in der Ähnlichkeit des Kunstwerks im Verhältnis zu dem, was es bezeichnet, in der Imitation der Natur. Ein Kunstwerk kann daher nur verstanden werden, wenn für Wiedererkennbarkeit, für ausreichende Redundanzen gesorgt ist.78 Diese Redundanzen sind es, die auf der einen Seite das Verstehen des Kunstwerks ermöglichen, auf der anderen Seite aber gerade auch das Missverstehen des Kunstwerkes fördern, indem sie die Möglichkeit zur Anwendung alltagssprachlicher, nicht kunst-spezifischer Codes erst schaffen.
2. Soziale Ausstrahlung durch denotative Codes Wenn also aus juristischer Sicht der Konflikt eines durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützten Kunstwerkes mit anderen Grundrechtsgewährleistungen zu be––––––––––– 76 Grundlegend BVerfGE 30, 173 (194); zustimmend Kastner, NJW 1982, S. 601 (601 f.). 77 BVerfGE 30, 173 (188); 75, 369 (376); 83, 130 (148); BGH, NJW 1983, S. 1194 (1195). 78 Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, S. 281.
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Kap. 2: Auslegung und Ermittlung des Kommunikationsinhalts
trachten und zu lösen ist, so steht die Rechtswissenschaft in einem Spannungsfeld. Auf der einen Seite darf sie dem Kunstwerk nicht durch Anwendung eines alltagssprachlichen Codes eine Bedeutung beimessen, die dem Werkinhalt aus kunstbezogener Sicht nicht gerecht wird. Auf der anderen Seite aber darf sie diese ästhetische Ebene des Kunstwerkes auch nicht so weit von der gesellschaftlichen Ebene, auf der schließlich auch das Rechtssystem operiert, lösen, dass schon aufgrund der Unmöglichkeit verbindlicher Auslegung ein Grundrechtskonflikt der Kunst mit anderen Grundrechten ausnahmslos verneint würde und die Kunstfreiheit so bereits auf Tatbestandsebene einen absoluten Vorrang genösse, den die Verfassung ihr nicht zuschreibt.79 Oberste Maxime bei der Lösung dieses Konflikts muss jedoch bleiben, dass die Auslegung als solche offen ist. Eine Dechiffrierung des Kunstwerkes mit einem anderen Code als seinem eigenen – nicht eindeutig bestimmbaren – Ideolekt darf nicht als Auslegungsergebnis in die juristische Wertung eingehen.80 Der eigentliche Inhalt, die Botschaft des Kunstwerks muss für den Juristen somit unantastbar bleiben. Denn wenn im Rahmen der Kunstfreiheit eine Gefahr der normativen Verengung des Schutzes dieses vorbehaltlos gewährten Grundrechts besteht, so liegt diese eben nicht in einer einengenden, restriktiven Schutzbereichsdefinition für die Kunst, sondern genau hier in einer sachfremden, kunstgerechte Maßstäbe außer Acht lassenden juristischen Inhaltsermittlung, die am Wesen des Kunstwerks vorbei geht. Dennoch kann der vom Kunstwerk selbst hergestellte Bezug seiner „anderen“, ästhetischen Welt zu unserer „eingeübten“ Welt nicht ganz außer Betracht bleiben, wenn die Rechtswissenschaft nicht vor der „Eigengesetzlichkeit“ der Kunst kapitulieren will. Indes muss diese Inbezugnahme der „sozialen Realität“ der Kunst zwei Anforderungen genügen. Zum einen darf ihr Wesen nicht verkannt werden, d.h. sie darf immer nur als soziale Realität, nie als Inhalt des Kunstwerkes in die Abwägung mit anderen Rechtsgütern einfließen. Zum anderen darf der Zurechnungszusammenhang dieser sozialen Auswirkung von Kunst nicht zu weit gespannt werden. Insofern können die denotativen Codes der Alltagssprache noch zur Ermittlung dessen, welche Auswirkungen ein Kunstwerk auf der nicht-ästhetischen Ebene hat, herangezogen werden. Denn die denotativen Codes sind letztlich so weit objektivierbar und so universell, dass sie als sachlich-beschreibendes Grundmaterial, aus dem der Künstler schöpft, diesem zumindest als Ausstrahlungswirkung seiner Arbeit zugerechnet werden können. Benutzt der Künstler als Material, aus dem er schöpft, also etwa Symbole verfassungsfeindlicher Organisationen,81 stellt er eine Person durch Masken82 ––––––––––– 79
S.u. S. 206 ff. So im Ergebnis auch Ladeur, NJW 2004, S. 393 (398); ähnlich auch BVerfGE 30, 173, abweichende Meinung S. 203 ff. 81 Vgl. etwa BVerfGE 77, 240. 80
E. Die strikten Codes der Wissenschaftskommunikation
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oder Zeichnungen83 bildlich dar oder nennt er eine Person beim Namen,84 so kann die Darstellung bzw. Zurschaustellung selbst als soziale Ausstrahlung des Kunstwerks in die juristische Betrachtung einer etwaigen Kollision mit anderen Rechtsgütern einfließen. Ist aber bereits der Bezug zu einer Person nur über Assoziationen, also über konnotative Codes, möglich, oder geht es um die rein wertende Betrachtung der Darstellung, die ebenfalls nur über konnotative Codes erfolgen kann, so müssen diese Ebenen des Kunstwerks in der juristischen Abwägung unberücksichtigt bleiben. Nur so kann der Weite des Inhalts eines Kunstwerkes Rechnung getragen werden. Die reine Assoziation oder die Phantasie des Empfängers, die zwar in der Kommunikationsäußerung ihren Auslöser finden mag, mit dieser aber nur durch kommunikationsfremde und insbesondere sehr subjektive Aspekte verbunden ist, kann jedoch nicht als Maßstab für die Auslegung herangezogen werden. Spekulationen und Phantasie dürfen nicht zur Grenze der Kunstfreiheit erhoben werden.85 Der weite Freiraum, der auf diese Weise der Kunst in inhaltlicher Hinsicht gelassen wird, lässt sich letztlich durch den engen ideolektischen Kunstbegriff rechtfertigen, ist aber auch eine direkte Folge aus ihm. Denn auf der einen Seite stellt er sicher, dass nur in Bezug auf diejenigen Artefakte ein Verbot der verbindlichen Auslegung sowie der Berücksichtigung alltagssprachlicher konnotativer Codes besteht, deren Eigenart eine solche Behandlung zwingend erfordert. Die Gefahr der Grenzenlosigkeit der Kunstfreiheit im Verhältnis zu anderen Grundrechten kann so ausgeschlossen werden. Auf der anderen Seite erfordert er eben auch, dass Kunstwerke auf diese spezielle Art und Weise in der Auslegung und damit letztlich in der Abwägung mit anderen Grundrechten behandelt werden, damit die Kunstfreiheitsgarantie nicht durch eine sachfremde Auslegung entwertet wird. Kunstbegriff und Auslegungsregeln stehen somit in einem untrennbaren Zusammenhang, die nur in ihrer Gesamtheit ein vollständiges Bild für den Grundrechtsschutz der Kunst liefern.
E. Die strikten Codes der Wissenschaftskommunikation Die durch die Wissenschaftsfreiheit grundrechtlich geschützte spezifische Wissenschaftskommunikation kennt zwei verschiedene Ausprägungsmuster. Entweder werden solche Erkenntnisse, die in methodischer, systematischer und nachprüfbarer Weise neu gewonnen wurden, mittels kommunikativer Zeichensysteme vermittelt. Oder aber es werden solche Inhalte kommuniziert, die nicht ––––––––––– 82
Vgl. BVerfGE 67, 213. Vgl. BVerfGE 75, 369. 84 Vgl. LG Essen, Das Schreibheft, Heft 55, November 2000. 85 Ladeur/Gostomzyk, ZUM 2004, S. 426 (434); sehr bedenklich deshalb etwa KG Berlin, AfP 2004, S. 371 (373), das darauf abstellt, ob in dem Rezipienten „eine Vorstellung erweckt wird.“ 83
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Kap. 2: Auslegung und Ermittlung des Kommunikationsinhalts
selbst diesen strengen Maßstäben genügen, deren Kommunikation aber Teil eines Prozesses ist, der der Wissenschaft und somit letztlich der ernsthaften und planmäßigen Wahrheitssuche dient. Die Zeichensysteme, die sich die Wissenschaft dabei zunutze macht, können eine gewisse Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit gegenüber anderen Zeichensystemen geltend machen. Zwar gibt es durchaus auch Anleihen, und zwar sowohl solche der Wissenschaftssprache bei der Alltagssprache als auch umgekehrt Anleihen der Alltagssprache bei der Wissenschaftssprache.86 Dennoch geben die spezifischen Merkmale und Voraussetzungen der Wissenschaft der auf sie bezogenen Kommunikation eine besondere Prägung, die ein eigenständiges Zeichensystem generiert.
I. Ausdifferenzierte denotative Codes Eine Form der Kommunikation, die der Wahrheitssuche dient oder aber Ergebnisse der eigenen Wahrheitssuche vermittelt, ist auf möglichst große Exaktheit angewiesen. Nur durch die Möglichkeit einer exakten kommunikativen Vermittlung kann überhaupt Wahrheit im wissenschaftlichen Sinn gefunden und vermittelt werden. Dies bedeutet für das der Wissenschaftskommunikation zugrundeliegende Zeichensystem, dass feste denotative Codes bestehen müssen, die eine möglichst eindeutige Verbindung zwischen Signifikant und Signifikat herstellen. Dieses Kriterium der Eindeutigkeit verlangt wiederum eine möglichst große Anzahl von Signifikanten, da nur so Zweideutigkeit in den Bezeichnungen vermieden werden kann. Dabei ist allerdings zu beachten, dass nicht jede Wissenschaftsdisziplin dieselben denotativen Codes verwendet. Der selbe Signifikant kann vielmehr in unterschiedlichen Wissenschaften unterschiedliche Bedeutungen haben, also von zwei verschiedenen, vom Wissenschaftssektor abhängenden denotativen Codes zwei völlig unterschiedlichen Signifikaten zugewiesen werden. Insofern ist die Wissenschaftsdisziplin ein, wenn nicht der entscheidende Faktor für die Auswahl des entsprechenden Codes, berührt die Struktur des jeweiligen wissenschaftsfachspezifischen Zeichensystems aber nicht.
II. Fehlende konnotative Codes Die strukturelle Besonderheit von Wissenschaftskommunikation liegt aber weniger in dieser ausdifferenzierten, exakten Form der denotativen Codes. Das bezeichnende Merkmal dieser Kommunikationsform liegt vielmehr in der Aus––––––––––– 86
Vgl. dazu ausführlich Pörksen, Wissenschaftssprache und Sprachkritik, S. 265 ff.
E. Die strikten Codes der Wissenschaftskommunikation
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schließlichkeit der Indienstnahme denotativer Codes unter Ausschluss aller konnotativen Codes begründet. Wenn die Wissenschaft die Wahrheit ermitteln und weitertragen will, so ist bereits in der Natur der diese Tätigkeit begleitenden Kommunikation das ausschließlich sachlich-beschreibende, denotative Element angelegt. Wahrheitsermittlung ist auf Sachlichkeit, auf Objektivität angewiesen. Assoziative, wertende, subjektive Elemente haben in diesem Rahmen keinen Platz. Ob eine nach wissenschaftlichen Methoden als wahr ermittelte Erkenntnis daher positiv oder negativ bewertet wird und welche Assoziationen sie beim Empfänger der Information auslöst, ist deshalb aus rein wissenschaftlicher Perspektive irrelevant, da sie auf den Vorgang der Wahrheitssuche selbst keinerlei Einfluss hat. Innerhalb der Wissenschaftskommunikation sind konnotative Codes somit inexistent. Es handelt sich um ein System, das allein mit denotativen Codes arbeitet und kommuniziert. Natürlich bedeutet dies nicht, dass nicht auch die in der Wissenschaftskommunikation verwendeten Signifikante über konnotative Codes, d.h. in subjektiv-wertender Weise, mit anderen als den denotierten Signifikaten verbunden werden können. Dies erfolgt aber ausschließlich über externe, nicht wissenschaftsspezifische Codes. Wenn also etwa – um ein Beispiel aus der Rechtsprechungspraxis zu bemühen – in einer historischen Forschungsarbeit als ein Ergebnis der Wahrheitssuche festgestellt wird, eine bekannte historische Persönlichkeit habe dem Milieu des Schwarzmarkts der Nachkriegszeit angehört,87 so konnotiert diese Aussage zwar in der Alltagssprache eine Reihe negativer, moralisch-wertender Signifikate. Im Allgemeinen werden dem Begriff des Schwarzmarktes konnotierte Signifikate wie „moralisch-verwerfliche Geschäftemacherei“ oder „Ausnutzung der Notsituation anderer Menschen“ folgen. Insofern kann die wissenschaftliche Aussage selbst als ehrenrührig empfunden werden. Allerdings sind diese Signifikate allein durch umgangssprachliche Codes, nicht jedoch durch wissenschaftliche – oder hier spezifischer: geschichtswissenschaftliche – Codes mit dem Signifikant „Schwarzmarkt“ konnotiert. Der wissenschaftliche, historische Befund allein erfolgt völlig wertungsfrei.
III. Codeauswahl in der Wissenschaftskommunikation Sollen wissenschaftliche Kommunikationsaussagen im Grundrechtskonflikt ausgelegt und gedeutet werden, soll also ein Code zur Entschlüsselung der verwendeten Kommunikationszeichen gefunden werden, so ist zunächst unter Berücksichtigung der Wissenschaftsdisziplin und des spezifischen Kontextes der denotative Code zu ermitteln, der zur Entschlüsselung der Botschaft heran––––––––––– 87
Vgl. zu diesem Fall OLG Düsseldorf, NJW-RR 2000, S. 321 ff.
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Kap. 2: Auslegung und Ermittlung des Kommunikationsinhalts
zuziehen ist. Dabei muss vor allem auch der Kommunikationsakt selbst sowie der ihn umgebende Forschungszusammenhang berücksichtigt werden. Denn gerade in der Wissenschaft werden für immer weitere, neu auftretende Phänomene und damit neu auftretende Signifikate intern ständig neue Codes geschaffen, die alte oder neue Signifikanten diesen neuartigen Phänomenen zuweisen. Aufgrund der in der Natur der Wissenschaft liegenden Vielzahl und Exaktheit der Codes kann dabei auf denotativer Ebene auf eine so sichere Basis von Codes zurückgegriffen werden, dass Zweideutigkeiten im Rahmen der Wissenschaftskommunikation meist ausschließbar sein werden. Nicht zur Auslegung herangezogen werden können hingegen die konnotativen Codes, die für die Signifikanten der Wissenschaftssprache existieren. Denn mit ihnen würden letztlich wissenschaftsfremde Kriterien an die Wissenschaftskommunikation angelegt. Oberstes Gebot einer grundrechtsgerechten Auslegung von Kommunikationsinhalten muss aber immer die Beachtung der spezifischen Kommunikationsstruktur sein. Die Assoziation des Kommunikationsempfängers, die außerhalb der Prozesse der Wissenschaftskommunikation liegt, kann dem wissenschaftlich Kommunizierenden daher nicht zugeschrieben werden. Sie muss bei der Auslegung unberücksichtigt bleiben.
Drittes Kapitel
Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht als Kommunikationsrestriktionsrecht Mit der Auslegung einer grundrechtlich geschützten Äußerung, durch die ihr juristisch relevanter Inhalt ermittelt wird, ist die erste Stufe zur Ermittlung und Beschreibung einer Kollision von Rechtsgütern bzw. von Grundrechtpositionen erklommen. Im Ergebnis kann eine Kollision allerdings nur durch einen zweiten Schritt tatsächlich festgestellt werden, nämlich durch eine abstrakte wie konkrete Analyse desjenigen Rechtsgutes bzw. Grundrechts, mit dem der Interessenkonflikt mutmaßlich besteht. Soll also der Konflikt der Kommunikationsfreiheiten aus Art. 5 GG mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht untersucht werden, so bedarf es zunächst einer abstrakten Betrachtung und Beschreibung dieses Grundrechts und der in ihm enthaltenen Gewährleistungen. Auf dieser Grundlage kann dann das Feld skizziert werden, auf dem sich die potentiellen Grundrechtskonflikte bewegen.
A. Struktur und Inhalt Das allgemeine Persönlichkeitsrecht findet sich im Text des Grundgesetzes nicht ausdrücklich als Grundrecht normiert. Art. 2 Abs. 1 GG schützt dem Wortlaut nach lediglich „die freie Entfaltung der Persönlichkeit“, was in erster Linie einem Aktivitätsschutz in Hinblick auf die Persönlichkeitsentfaltung entspricht.1 Mit diesem Aktivitätsschutz in Hinblick auf die Persönlichkeit muss zur vollständigen grundrechtlichen Absicherung der Persönlichkeitsentfaltung ein passivisch strukturierter Integritätsschutz korrespondieren, der weniger den Ausdruck der Persönlichkeit in der Gesellschaft als vielmehr den Bestand der Persönlichkeit als solcher, die sowohl Voraussetzung als auch wiederum Ergebnis der Selbstentfaltung des Einzelnen ist, schützt. Diesen notwendigen ergänzenden Schutz bietet das allgemeine Persönlichkeitsrecht.
––––––––––– 1 Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 2 I Rn. 16. Auch in BVerfGE 54, 148 (153) wird unter Verweis auf BVerfGE 6, 32, das „aktive“ Moment betont.
140 Kap. 3: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als Kommunikationsrestriktionsrecht
I. Schutz der engeren persönlichen Lebenssphäre Das allgemeine Persönlichkeitsrecht kann als eigenständiges Grundrecht aus der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG2 hergeleitet werden.3 Der Inbezugnahme der Menschenwürdegarantie kommt bei dieser Herleitung jedoch keinesfalls eine solche schutzbereichsbestimmende Wirkung zu, dass sich ihre Unverletzlichkeit auch auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht übertragen würde. Art. 1 Abs. 1 GG ist deshalb in diesem Zusammenhang bloße „Interpretationsrichtlinie“ bzw. „programmatische Leit- und Auslegungsrichtlinie“ für Art. 2 Abs. 1 GG.4 Als „unbenanntes“ Freiheitsrecht ergänzt das allgemeine Persönlichkeitsrecht die speziellen, aktivgeprägten, „benannten“ Freiheitsrechte wie etwa die Gewissensfreiheit oder die Meinungsfreiheit, die ebenfalls konstituierende Elemente der Persönlichkeit schützen.5 Im Sinne des obersten Konstitutionsprinzips der „Würde des Menschen“ dient sein Schutz daher der Gewährleistung der engeren persönlichen Lebenssphäre des Einzelnen und der Erhaltung ihrer Grundbedingungen, die sich durch die traditionellen konkreten Freiheitsgarantien nicht abschließend erfassen lassen, insbesondere auch in Hinblick auf moderne Entwicklungen und die mit ihnen verbundenen neuen Gefährdungen für den Schutz der menschlichen Persönlichkeit.6 Es umfasst somit nicht nur ganz allgemein den Schutz von denjenigen Elementen der Persönlichkeit, die nicht Gegenstand eines speziellen Freiheitsrechtes sind.7 Vielmehr ergänzt es den aktivgeprägten, verhaltensbezogenen Persönlichkeitsschutz der speziellen Freiheitsrechte und der allgemeinen Handlungsfreiheit um ein passivisches, ruhendes Element, das nicht an einem konkreten Handeln des Einzelnen innerhalb der Gesellschaft, sondern an der Gewährleistung der Persönlichkeit in ihrem Bestand orientiert ist. ––––––––––– 2
Vgl. etwa Schmalz, Grundrechte, Rn. 419; Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 2, Rn. 63; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 2 I Rn. 50; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Rn. 15. 3 BVerfGE 27, 1 (6 f.); 35, 202 (219); 54, 148 (153); 72, 155 (170); 82, 236 (269); 90, 263 (270); v. Arnauld, ZUM 1996, S. 286 (286); Vogelgesang, Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, S. 127 f.; Kunig, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 1 Rn. 10; zur Entwicklung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch in der Zivilrechtsprechung vgl. etwa Jarass, NJW 1989, S. 857 ff.; ders., in: Erichsen/Kollhosser/Welp, Recht der Persönlichkeit, S. 89 ff.; Brandner, JZ 1983, S. 689 ff.; Heinz, AfP 1992, S. 234 ff. 4 Vgl. etwa Schmalz, Grundrechte, Rn. 419; Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 2, Rn. 63; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 2 I Rn. 50; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Rn. 15. 5 Vgl. Schmit Glaeser, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdBStR VI, § 129 Rn. 3. 6 BVerfGE 54, 148 (153). 7 BVerfG, NJW 2000, S. 1021 (1021).
A. Struktur und Inhalt
141
Im Einzelnen bleibt der konkrete Gewährleistungsbereich dieses anerkannten Grundrechts jedoch eher unbestimmt.8 Dies liegt vor allen Dingen daran, dass seine Existenz und damit letztlich sein Schutzbereich von seiner Funktion aus begründet wird.9 Das Bundesverfassungsgericht sieht es daher auch als der Eigenart des allgemeinen Persönlichkeitsrechts geschuldet an, dass der Inhalt des geschützten Rechts nicht abschließend umschrieben werden kann, sondern seine Ausprägungen jeweils anhand des zu entscheidenden Falles herausgearbeitet werden müssen.10
II. Fallgruppen Die Einteilung der Fallgruppen, aus denen sich der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts konstituiert, erfolgt nicht immer einheitlich.11 Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Eppler-Entscheidung eine Kategorisierung in vier Untergruppen vorgenommen:12 zum ersten den Bereich der Privatsphäre, Geheimsphäre und Intimsphäre,13 zum zweiten das Recht der persönlichen Ehre sowie das Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person,14 weiterhin das Recht am eigenen Bild und am gesprochenen Wort15 sowie zuletzt und unter bestimmten Umständen das Recht, von der Unterschiebung nicht getaner Äußerungen verschont zu bleiben.16 Später wurde im Volkszählungsurteil noch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Unterfall des allgemeinen Persönlichkeitsrechts explizit anerkannt.17
––––––––––– 8
Rühl, in: Albers/Heine/Seyfarth (Hrsg.), Beobachten – Entscheiden – Gestalten, S. 79 (80); vgl. auch ders., Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, S. 92. 9 Vgl. dazu Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts, S. 98. 10 BVerfGE 54, 148 (153 f.). 11 Vgl. als Beispiele verschiedener Kategorisierungen etwa nur Jarass, NJW 1989, S. 857 (858 f.); Wanckel, Persönlichkeitsschutz in der Informationsgesellschaft, S. 87; Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdBStR VI, § 129 Rn. 30. 12 BVerfGE 54, 148 (154). 13 Unter Verweis auf BVerfGE 27, 1 (6); 27, 344 (350 f.); 32, 373 (379); 34, 238 (245 f.); 47, 46 (73); 49, 286 (298). 14 Unter Verweis auf BVerfGE 35, 202 (220). 15 Unter Verweis auf BVerfGE 34, 238 (246). 16 Unter Verweis auf BVerfGE 34, 269 (282 f.). Vgl. zu dieser Kategorisierung auch Hubmann, FS Obermayer, S. 43 (44 f.). 17 BVerfGE 65, 1 (43).
142 Kap. 3: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als Kommunikationsrestriktionsrecht
1. Kommunikationsrelevanz der Fallgruppen Diese genanten Fallgruppen können nun zunächst auf ihre Kommunikationsrelevanz hin untersucht werden, d.h. auf ihre abstrakte Eignung, mit einem grundrechtlich durch die Kommunikationsfreiheiten geschützten Verhalten in Konflikt zu geraten. Denn nur wenn ein Teilbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts überhaupt kommunikationsrelevante Aspekte beinhaltet und damit abstrakt geeignet ist, in Konflikt mit Art. 5 GG zu geraten, kann dieser Teilbereich auch in concreto für eine Abwägung mit diesen Grundrechtsgewährleistungen von Bedeutung sein. Entscheidend im vorliegenden Zusammenhang sind somit nur diejenigen Aspekte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, die einen Schutz vor dem „kommunikativen Zugriff der Öffentlichkeit“18 bieten. Dieser kommunikationsspezifische Schutzaspekt ist jedoch in fast allen Bereichen des Persönlichkeitsrechtes verankert. Nicht zu Unrecht wird deswegen aufgrund der engen Verflechtung davon gesprochen, das allgemeine Persönlichkeitsrecht gehöre in gewisser Weise zu den „Grundstrukturen“ der Grundrechtsdogmatik der Meinungsfreiheit.19 Lediglich in der ersten Fallgruppe, die den Schutz von Privat-, Geheim- und Intimsphäre verbürgt, können Aspekte ausgemacht werden, die keinen Bezug zu Kommunikationsäußerungen haben. Dieser Bereich schützt nämlich zunächst grundsätzlich nur einen abgeschirmten Bereich privater Lebensgestaltung,20 geschützt wird also ein autarker Privatbereich vor der Einsicht- und Kenntnisnahme durch Dritte.21 Davon umfasst sind etwa Aspekte sexueller Selbstbestimmung22 oder der räumliche Privatbereich als solcher.23 Diese Gewährleistungen bieten zwar einen Schutz vor der Kenntnisnahme Dritter, d.h. vor der Erlangung solcher Informationen, die die engere persönliche Lebenssphäre betreffen. Die Weitergabe solcher Informationen bzw. die Abwehr eines solchen Verhaltens wird von ihrem Gewährleistungsgehalt allerdings im engeren Sinn nicht umfasst. Kommunikationsspezifische Schutzaspekte bestehen aus diesem Grund in diesem Teilbereich nicht. Lediglich vereinzelt wurde diese Fallgruppe in der Rechtsprechung in Überschneidung zu den anderen Fallgruppen mitunter derart ausgeweitet, dass nicht nur der Schutz vor Kenntnisnahme von Sachverhalten aus dem Privatbereich, sondern auch deren Verbreitung und Verwertung unter diesen Aspekt fallen solle.24 Indes lässt sich diese Einordnung dadurch erklären, dass sie einer Zeit ––––––––––– 18 19 20 21 22
Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, S. 95. Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, S. 89. BVerfGE 57, 170 (177 ff.); 90, 255 (261 f.). Kunig, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 2 Rn. 32. BVerfGE 47, 46 (73); 49, 286 (298); 60, 123 (134); vgl. auch BVerwGE 36, 53
(57 f.). 23 24
BVerfGE 34, 238 (246). BVerfGE 18, 146 (147); 80, 367 (373 ff.).
A. Struktur und Inhalt
143
entstammt, in der das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dogmatisch noch nicht entwickelt worden war. Nach heutigen Maßstäben sind diese Fälle des Verwertens und Verbreitens privater bis intimer Informationen hingegen vollständig von diesem Recht umfasst und bedürfen keiner Verortung mehr in der erstgenannten Fallgruppe.25 Kommunikationsrelevante Untergruppen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bilden daher nach der Unterteilung des Bundesverfassungsgerichts nur das Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person inklusive des Ehrschutzes, das Recht am eigenen Bild und am gesprochenen Wort, der Schutz vor Falschzitaten sowie schließlich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Für diese Gruppen soll folgend eine von den konkreten Einzelfällen losgelöstere Kategorisierung gefunden werden.
2. Kategorisierung Bei dem Versuch einer solchen Strukturierung ist zunächst auffällig, dass die obige Aufzählung strukturell sehr unterschiedliche Fallgruppen vereint. Während das Recht auf Ehre und Selbstdarstellung sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung relativ abstrakt sehr große Bereiche des Schutzes durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht beschreiben, greifen das Recht am eigenen Bild und am gesprochenen Wort sowie der Schutz vor Falschzitaten eher Einzelfälle des Persönlichkeitsschutzes heraus, um sie gesondert hervorzuheben. In der Tat lassen sich diese letztgenannten Fälle problemlos unter die beiden erstgenannten Kategorien subsumieren. Denn nach den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts selbst besteht der Schutz vor Falschzitaten darin, den Grundrechtsträger davor zu bewahren, „dass ihm Äußerungen in den Mund gelegt werde, die er nicht getan hat und die seinen von ihm selbst definierten sozialen Geltungsanspruch beeinträchtigen.“26 Ein solches Falschzitat beeinträchtige darüber hinaus „das Recht der zitierten Person am eigenen Wort, zu dem es gehört, selbst zu bestimmen, wie sie sich Dritten oder der Öffentlichkeit gegenüber darstellen will.“27 Der Schutz vor Falschzitaten stellt sich somit dezidiert als Unterfall des Verfügungsrechts über die Darstellung der eigenen Person dar. Das gleich gilt für den Aspekt des Rechts am eigenen Wort, der vor Verfremdungen desselben schützt und damit die Kehrseite des positiven Verfügungsrechts über das eigene gesprochene Wort darstellt. Der Aspekt des Rechts am eigenen Wort und am eigenen Bild hingegen, der das positive Verfügungsrecht über diese Güter bzw. das Restriktionsrecht über dieselben beinhaltet, stellt sich letztlich als Unterfall des Rechts auf informatio––––––––––– 25
Vgl. zur Überschneidung der Fallgruppen auch Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 2 I Rn. 51 f. 26 BVerfGE 54, 208 (217). 27 BVerfGE 54, 208 (218) unter Verweis auf BGHZ 13, 334 (338 f.).
144 Kap. 3: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als Kommunikationsrestriktionsrecht
nelle Selbstbestimmung dar.28 Denn sowohl das eigene Bild als auch das gesprochene Wort stellen persönliche Daten dar, fixierte Informationen über die Person, um derer Bild bzw. Wort es geht. Dass das Verfügungsrecht über diese Informationen dann letztlich nur ein Unterfall des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung darstellt, wird auch aus den Formulierungen des Bundesverfassungsgerichts deutlich. Wenn nämlich das Recht am eigenen Bild beinhaltet, dass „jedermann grundsätzlich selbst und allein bestimmen [darf], ob und wieweit andere sein Lebensbild im ganzen oder bestimmte Vorgänge aus seinem Leben öffentlich darstellen dürfen,“29 und das Recht am eigenen Wort die Befugnis jedes Einzelnen enthält „selbst und allein [zu] bestimmen, wer sein Wort aufnehmen soll sowie ob und von wem seine [...] Stimme wieder abgespielt werden darf,“30 so stellen sich diese Gewährleistungen eben nur als Unterfall des Rechts dar, „grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen,“31 des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung also.32 Somit verbleiben als kommunikationsrelevante Fallgruppen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, als Fallgruppen also, die in Konflikt mit den Grundrechten aus Art. 5 GG treten und gegebenenfalls zu einer Einschränkung dieser Freiheiten führen können, nur das Recht auf informationelle Selbstbestimmung auf der einen Seite sowie das Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person sowie der Ehrschutz auf der anderen Seite. Um zu ermitteln, welche konkreten Konfliktpotentiale diese beiden Gewährleistungen in Hinblick auf Art. 5 GG beinhalten, ist es erforderlich, ihre Struktur und ihren Inhalt einer genauen Prüfung zu unterziehen.
B. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung unterscheidet sich von den anderen Teilgewährleistungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zunächst dadurch, dass sein Inhalt nicht nur anhand bestimmter Fallgruppen entwickelt und ausdifferenziert wurde, sondern sein Schutzbereich einer abschließenden abstrakten Definition zugänglich ist. In diesem Sinne schützt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung die Befugnis des Einzelnen, „grundsätzlich ––––––––––– 28
Vgl. auch Glaus, Das Recht am eigenen Wort, S. 84 ff. A.A. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 2 I Rn. 53, der diesen Bereich hingegen vollständig dem Recht auf Selbstdarstellung unterstellen will. 29 BVerfGE 35, 202 (220). 30 BVerfGE 34, 238 (246). 31 BVerfGE 65, 1 (43). 32 Auf diese Parallele weist – noch vor Entwicklung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung – in Hinblick auf ein etwaiges „Datenschutzgrundrecht“ auch Kloepfer, Datenschutz als Grundrecht, S. 37 f., hin.
B. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
145
selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.“33
I. Dogmatische Stellung Auch wenn der Inhalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung auf diese Weise klar umrissen werden kann, ist die Stellung des Rechts doch umstritten. Dies lässt sich in erster Linie dadurch erklären, dass diese Gewährleistung vom Bundesverfassungsgericht zu einem Zeitpunkt entwickelt worden ist, als die Dogmatik des allgemeinen Persönlichkeitsrechts schon weitgehend ausgebildet war, die speziellen Aspekte vor allen Dingen des Datenschutzes in dieser Systematik aber noch nicht hinreichend berücksichtig wurden.34 Wie sich die alten ausgearbeiteten Fallgruppen in diesen neuen Aspekt des Persönlichkeitsschutzes eingliedern sollten, ließ das Gericht dabei zunächst ungeklärt. Aufgrund dieser Entwicklung wird zum Teil behauptet, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung liege „quer“ zu den zuvor anerkannten Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.35 Würde man dieser Ansicht folgen, müsste eine Unterordnung der bestehenden Fallgruppen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unter das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vor vorneherein ausscheiden. Tatsächlich stellt aber das Recht auf informationelle Selbstbestimmung genau wie die anderen Aspekte des Persönlichkeitsschutzes auch ein Mittel zum Schutz der Privatsphäre im weiteren Sinne dar,36 schützt also dasselbe Rechtsgut und liegt deshalb keineswegs „quer“ zu den anderen Teilaspekten. Deshalb erkennt auch das Bundesverfassungsgericht seine Bedeutung jenseits des ursprünglich maßgeblichen Bereiches der automatisierten Datenverarbeitung für andere Bereiche des Persönlichkeitsschutzes ausdrücklich an.37 Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist somit als ein gleichwertiger Teil des ––––––––––– 33 BVerfGE 65, 1 (43); 78, 77 (84 ff.); Simitis, NJW 1984, S. 398 (399); Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 2 I Rn. 52; Jarass, in: Erichsen/Kollhosser/Welp (Hrsg.), Recht der Persönlichkeit, S. 89 (94); Kunig, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 2 I Rn. 38. 34 Vgl. zur Verortung „datenschützender“ Aspekte in verschiedenen grundrechtlichen Schutzbereichen vor Entwicklung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung Gallwas, Der Staat 18 (1979), S. 507 ff. Besonders deutlich wird dies in BVerfGE 34, 269 (292 f.), wo das Bundesverfassungsgericht aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht die Befugnis ableitet, selbst darüber zu befinden, ob und in welcher Form Vorgänge des Privatlebens der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. 35 Kunig, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 2 I Rn. 38; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 2 I Rn. 52; vgl. auch Kloepfer/Breitkreuz, DVBl. 1998, S. 1149 (1150). 36 Schnitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdBStR VI, § 129 Rn. 76; Simitis, in: Simitis (Hrsg.), BDSG, Einleitung Rn. 31; Berg, JöR nF 33 (1984) S. 63 (71). 37 BVerfGE 78, 77 (84); 84, 192 (194); 89, 69 (82). Kritisch zu den anfänglichen Unklarheiten diesbezüglich nach dem Volkszählungsurteil Schlink, Der Staat 25, S. 233 (238).
146 Kap. 3: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als Kommunikationsrestriktionsrecht
allgemeinen Persönlichkeitsrechts anzusehen. Seine Entwicklung stellt keineswegs einen Widerspruch zur bisherigen Dogmatik dar. Vielmehr wurde durch sie ein Überbegriff geschaffen, in dem die bisherigen Fallgruppen zum großen Teil aufgehen, der also die bisherige Dogmatik vorantreibt und weiterentwickelt.
II. Schutzgut Schutzgut des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist zunächst die persönliche, die personenbezogene Information im nicht-technischen Sinne bzw. die individuelle Verfügungsbefugnis über diese. Unter Informationen in diesem nicht-technischen Sinne sind fixierte Angaben über eine Person bzw. über einen Sachverhalt mit personalem Bezug zu verstehen, die unabhängig von einer Person existieren, welche diese Kenntnis hat.38
1. Umfassender Informationsschutz Nicht erforderlich für den Schutz durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist hingegen, dass sich die betreffende Information als Datum in einer Datei befindet. Einschränkungen des Schutzbereiches auf diesen rein datenschutzrechtlichen Aspekt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung werden zum Teil damit begründet, dass mit dem Ziel der Einheitlichkeit der Rechtsordnung eine terminologische Angleichung zu den Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes erforderlich sei.39 Doch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts stellt weit mehr dar als ein Recht auf Datenschutz und vor allen Dingen mehr als eine verfassungsrechtliche Verankerung der Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes dar. Zwar wurde das Grundrecht vom Bundesverfassungsgericht anhand einer datenschutzrechtlichen Problematik im Volkszählungsurteil entwickelt. Die Möglichkeiten und Gefahren der automatisierten Datenverarbeitung haben aber die Notwendigkeit eines Schutzes personenbezogener Daten nur deutlich hervortreten lassen, sie sind jedoch weder Grund noch Ursache der Schutzbedürftigkeit.40 Jede personenbezogene Information kann also unabhängig von der Art ihrer Speicherung Schutzgut des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sein. ––––––––––– 38 Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdBStR VI, § 129 Rn. 77; Kunig, Jura 1993, S. 595 (599). 39 So ausdrücklich Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdBStR VI, § 129 Rn. 78; ähnlich Kunig, Jura 1993, S. 595 (599 f.). 40 BVerfGE 78, 77 (84).
B. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
147
2. Fixierte Informationen Geschützt sind damit im Ergebnis alle Angaben über Personen oder personenbezogene Sachverhalte, sofern sie nur irgendwie als Information fixiert sind. Auf die konkrete Art bzw. Form der Information kommt es dabei nicht an. Die Art und Weise möglicher Informationsfixierung macht dabei erneut eine starke Parallele des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zu den Kommunikationsfreiheiten aus Art. 5 GG, insbesondere zur Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG deutlich. Denn durch die Meinungsfreiheit wird die Informationsverbreitung mittels Wort, Schrift, Bild oder auf andere Weise geschützt. Dieser Kommunikationsprozess, diese Verbreitung der Information stellt dabei gleichzeitig einen, wenn nicht den wichtigsten Prozess der Fixierung eines Datums dar, der die Information dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung unterfallen lässt. Genauso wenig wie es bei der Meinungsfreiheit auf die konkrete Form der Äußerung ankommt, um den grundrechtlichen Schutz zu bejahen, kommt es beim Recht auf informationelle Selbstbestimmung auf die Form der Fixierung an, die eine personenbezogene Information zum Schutzgut des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung werden lässt.
3. Aktivierung durch Kommunikation Bereits im Bereich des Schutzgutes zeigt sich daher eine essentielle Wechselwirkung zwischen den Kommunikationsgrundrechten auf der einen Seite und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung auf der anderen Seite. In gewisser Weise führen die Kommunikationsfreiheiten, die so oft in Widerstreit mit den Persönlichkeitsrechten und insbesondere dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung treten, nämlich erst zu einer Aktivierung genau dieses Rechts. Denn dadurch, dass eine bestimmte Information zum Gegenstand einer Kommunikationsäußerung gemacht wird – die automatisch in irgendeiner Weise dem Schutz von Art. 5 GG unterfällt – verlässt sie den Bereich des reinen, unfixierten Gedankens, der frei ist und nicht in den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung fällt. Durch die Einspeisung in den Kommunikationsprozess wird die Information aber gerade so fixiert, dass sie ein relevantes, vom Schutz umfasstes Datum darstellt. Die Ausübung der Kommunikationsfreiheit zieht somit die Aktivierung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zwingend nach sich. Im Spannungsverhältnis zwischen Kommunikationsgrundrechten und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird somit jeder Kommunikationsinhalt zum Schutzgut des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in seiner besonderen informationsspezifischen Ausprägung, der Angaben zu Personen oder zu personenbezogenen Sachverhalten enthält. Neben dem großen Feld schriftli-
148 Kap. 3: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als Kommunikationsrestriktionsrecht
cher oder mündlicher sprachlicher Informationsweitergabe über persönliche Sachverhalte ist somit etwa auch die Veröffentlichung von Bildern, die Personenbezug aufweisen, vom Recht auf informationelle Selbstbestimmung umfasst.
III. Kommunikationsspezifische Beeinträchtigungen Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist – noch stärker als andere Freiheitsrechte – als klassisches Abwehrrecht ausgestattet, mit dem eine aktive Komponente der Grundrechtsausübung nicht korrespondiert.41 Wenn seine Gewährleistung nämlich verstanden werden kann als „Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner Daten zu bestimmen,“42 so beinhaltet diese Selbstbestimmungskompetenz kein handlungsbezogenes Element, sondern lediglich den abwehrrechtlichen Gehalt des Schutzes „des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten.“43 In Konflikt mit den kommunikationsspezifischen Grundrechtsgewährleistungen aus Art. 5 GG kann das allgemeine Persönlichkeitsrecht nur im Bereich des Schutzes vor der Weitergabe der Informationen geraten. Dabei findet eine enge Verknüpfung zwischen Grundrechtsaktivierung und Grundrechtseinschränkung statt. Dadurch, dass eine personenbezogene Information im Rahmen eines Kommunikationsprozesses weitergegeben wird, wird das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im gleichen Zeitpunkt aktiviert wie beeinträchtigt. Aktiviert wird das Recht dadurch, dass die Information durch die Weitergabe fixiert wird und dadurch erst dem Schutzbereich unterfällt. Beeinträchtigt wird es dadurch, dass die durch den Kommunikationsvorgang fixierte Information gleichzeitig weitergegeben und damit der Selbstbestimmung des Grundrechtsträgers entzogen wird. In jeder Weitergabe personenbezogener Informationen liegt somit eine Beeinträchtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, die den Konfliktpunkt zwischen diesem Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und den Grundrechten aus Art. 5 GG markiert.
––––––––––– 41 Dies macht gerade seine Abgrenzung zur allgemeinen Handlungsfreiheit aus, s.o. S. 139. Vgl. dazu auch Grimm, Karlsruher Forum 1996, S. 3 (16). 42 BVerfGE 65, 1 (43). 43 BVerfGE 65, 1 (43); 67, 100 (143); 77, 1 (46); vgl. zu den einzelnen Verarbeitungsschritten auch Bizer, Forschungsfreiheit und Informationelle Selbstbestimmung, S. 155 ff.
B. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
149
IV. Reduzierung auf fehlende Sozialadäquanz? Angesichts dieses immens weiten Schutzbereiches, der praktisch jede personenbezogene Kommunikation als eine Beeinträchtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und damit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erscheinen lässt, stellt sich die Frage, ob dieser Schutzbereich nicht eingeengt werden muss, um den für die Gesellschaft so lebensnotwendigen Bereich der Kommunikation nicht ganz abzuschnüren. Dies gilt gerade für den Bereich der zwischenmenschlichen Kommunikation über personenbezogenen Informationen, der gemeinhin unter dem Begriff des Klatsches zusammengefasst werden kann. Klatsch hat innerhalb eines Gemeinwesens traditionellerweise die Funktion, Moral und soziale Ordnung aufrechtzuerhalten.44 Diese Aufgabe kann zwar sicherlich kritisch hinterfragt werden und unterfällt im Übrigen auch einem zunehmend geänderten gesellschaftlichen Verständnis, das im Rahmen stärkerer Individualisierung die Freiheit des Einzelnen gerade über die moralische Kontrolle durch die Gemeinschaft stellt. Dennoch gehört ein gewisses Maß an zwischenmenschlichem kommunikativem Austausch auch und gerade im Bereich des Klatsches zu den gesellschaftlichen Grundvoraussetzungen, die Art. 5 GG gewährleisten soll. Darüber hinaus wurzelt dieser Bereich der Kommunikation so tief in der Gesellschaft, dass er einer rechtlichen Regelung bzw. einem rechtlichen Ausgleich nur schwerlich zugänglich sein wird.45 Aus diesem Grund könnte es als notwendig erscheinen, das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung in Konfliktfällen mit den Kommunikationsfreiheiten auf den Schutz vor solchen persönlichkeitsrechtsrelevanten Kommunikationsvorgängen zu beschränken, die sich nicht im Rahmen der Sozialadäquanz halten.46 Indes würde die Einfügung eines solch vagen, unbestimmten und im Übrigen unbeständigen Merkmals in den Schutzbereich einen so großen Unsicherheitsfaktor bereits in den Schutzbereich implementieren, dass ein zuverlässiger, umfassender Grundrechtsschutz nicht mehr gewährleistet wäre.47 Eine Einengung des Schutzbereiches nach diesen Kriterien muss daher unterbleiben. Dies folgt nicht zuletzt auch aus dem Gedanken, dass mit einer Vorab-Limitierung von Grundrechtstatbeständen schon deshalb besonders behutsam umgegangen ––––––––––– 44 Vgl. Zimmermann, 68 Cornell Law Review (1983), S. 291 (326 ff.); Post, 77 California Law Review (1989), S. 957 (995 f.). 45 Ladeur, AfP 2004, S. 292 (293); Ladeur/Gostomzyk, NJW 2005, S. 566 (568). 46 Eine ähnliche Konstruktion wird etwa von der Rechtsprechung im Bereich der Berufsfreiheit gewählt, wenn das Schutzgut hier auf erlaubte (BVerfGE 14, 19 [22]) bzw. nicht schlechthin gemeinschädliche (BVerwGE 22, 286 [288 f.]) Tätigkeiten beschränkt wird. 47 So für den Parallelfall der Berufsfreiheit auch Umbach, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG, Art. 12 Rn. 42; Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 12 Rn. 51; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 12 Rn. 6; Scholz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 12 Rn. 18.
150 Kap. 3: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als Kommunikationsrestriktionsrecht
werden muss, weil sonst auf die Feinsteuerungsmöglichkeit der Schrankenlimitierung verzichtet würde.48 Fragen der Sozialadäquanz sowie der hinzunehmenden Bagatelleingriffe sind demnach auch bei einem weiten Verständnis des Schutzbereiches keineswegs aus der Grundrechtsprüfung ausgeschlossen. Sie sind vielmehr im Rahmen der Abwägung bei der Grundrechtskollision zu berücksichtigen, wo sie aufgrund der flexibleren verfügbaren Instrumente deutlich sachgerechter in ihrer Unbestimmtheit gelöst werden können.
V. Umfassendes Kommunikationsrestriktionsrecht Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vermittelt dem Einzelnen also die umfassende Befugnis zur Bestimmung über seine (fixierten) personenbezogenen Daten. Da durch Kommunikation über solche Informationen nicht nur das Datum selbst eine Fixierung erhält und damit unter Umständen überhaupt erst dem Schutzbereich unterfällt, sondern auch zum Gegenstand der Verfügungsgewalt Dritter gemacht wird, enthält das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eine starke kommunikationsrestringierende Komponente, die den Konflikt zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und den Kommunikationsfreiheiten aus Art. 5 GG in diesem Bereich markiert. Durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird damit umfassend der „Schutz des Einzelnen vor dem kommunikativen Zugriff der Öffentlichkeit“49 gewährleistet.
C. Selbstdarstellungsrecht An diesen weiten Schutz, den das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bietet, schließt sich als zweite von der Rechtsprechung entwickelte Fallgruppe das Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person, kurz: das Selbstdarstellungsrecht an.
I. Darstellung der eigenen Person Ausgangspunkt für die aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitete Befugnis, selbst über die Darstellung der eigenen Person zu entscheiden, ist der Grundsatz, dass „jedermann [...] grundsätzlich selbst und allein bestimmen
––––––––––– 48
Vgl. dazu auch Kloepfer, in: FS Lerche, 1993, S. 755 (759); ders., in: FG 25 Jahre BVerfG, Bd. 2, 1976, S. 405 (407). 49 Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, S. 95.
C. Selbstdarstellungsrecht
151
[darf], ob und wieweit andere sein Lebensbild im ganzen oder bestimmte Vorgänge aus seinem Leben öffentlich darstellen dürfen.“50
1. Abgrenzung zur informationellen Selbstbestimmung Aus dieser Formulierung wird bereits deutlich, dass der größte Bereich dieser sehr früh vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Fallgruppe des allgemeinen Persönlichkeitsrechts heute vom Recht auf informationelle Selbstbestimmung abgedeckt wird. Sofern es um die Verbreitung personenbezogener Informationen geht, ist das Selbstdarstellungsrecht zwar grundsätzlich zunächst betroffen. Es wird aber vom Recht auf informationelle Selbstbestimmung als spezifische Ausformung des Rechts auf Selbstdarstellung51 verdrängt.52 Der ursprüngliche Anwendungsbereich des Rechts auf Selbstdarstellung ist somit zumindest deutlich verkleinert worden.53
2. Schutz vor Falschdarstellung Offen ist dabei jedoch noch, wie sich in diesem Zusammenhang der Bereich des Schutzes vor Falschdarstellungen verhält, der einen zentralen Punkt des Rechts auf Selbstdarstellung ausmacht. Denn das Recht auf Selbstdarstellung schützt insbesondere davor, dass Äußerungen des Einzelnen, die er abgegeben hat, verfälscht wiedergegeben werden oder ihm Äußerungen, die er nicht gemacht hat, unterschoben werden.54 Allerdings stellt auch eine falsche Information darüber, was eine Person geäußert hat bzw. dass sie überhaupt eine bestimmte Äußerung getätigt hat, eine personenbezogenen Information dar. Allein die Unrichtigkeit der Information – sei sie bezogen auf den Inhalt der Äußerung, sei sie bezogen auf deren Urheber – ändert an dieser Qualifizierung nichts. Auch das Bundesverfassungsgericht hat daher den Schutz vor der Unterstellung von (so) nicht getätigten Äußerungen in die Nähe des Rechts am eigenen Wort gerückt.55 Das Recht vor Unterstellung nicht getätigter Äußerungen stellt so die Kehrseite, die negative Komponente des Rechts am eigenen Wort dar. Ebenso verhält es sich für das Recht am eigenen Bild. Auch hier schützt das ––––––––––– 50
BVerfGE 35, 202 (220). Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdBStR, § 129 Rn. 77. 52 A.A. Papier, Bitburger Gespräche Jb. 1995, Bd. 2, S. 25 (27), der umgekehrt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Unterfall des Rechts auf Selbstdarstellung begreift. 53 Vgl. zur Entwicklung auch Albers, Informationelle Selbstbestimmung, S. 222 ff. 54 BVerfGE 82, 236 (269); vgl. auch BVerfGE 54, 208 (217 f.); 54, 148 (155). 55 BVerfGE 54, 148 (155); 54, 208 (217). 51
152 Kap. 3: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als Kommunikationsrestriktionsrecht
allgemeine Persönlichkeitsrecht „vor der Verbreitung eines technisch manipulierten Bildes, das den Anschein erweckt, ein authentisches Abbild einer Person zu sein,“56 und damit vor einer falschen Darstellung der Person in bildlicher Hinsicht. Alle diese Fälle haben somit im Grunde die Verbreitung von personenbezogenen Informationen – sei es mit Mitteln der Sprache, sei es mit anderen Mitteln – zum Gegenstand und wurzeln damit letztlich im Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Die besondere persönlichkeitsrechtsverletzende Wirkung, die von einer falschen, unrichtigen, wahrheitswidrigen Darstellung ausgeht, ändert dabei an dem zugrundeliegenden Konflikt und seiner Einordnung in die Dogmatik des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zunächst nichts. Ihr kann lediglich später im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Interessen Bedeutung beikommen. Im Grundsatz bleibt jedoch festzuhalten, dass der gesamte Bereich des Schutzes vor falscher Darstellung der Person vom Recht auf informationelle Selbstdarstellung umfasst wird und daher in dieser neuen vom Bundesverfassungsgericht geschaffenen Fallgruppe des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aufgeht.
3. Sozialer Geltungsanspruch Als letzte Untergruppe der Verfügungsbefugnis über die Darstellung der eigenen Person verbleibt noch der vom Bundesverfassungsgericht ebenfalls in Verbindung mit der Unterstellung nicht getätigter Äußerungen entwickelte „selbst definierte soziale Geltungsanspruch“ auf seine Eigenständigkeit hin zu untersuchen.57
a) Der „selbst definierte soziale Geltungsanspruch“ Dieser in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelte Teilrechtsgehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wurzelt in dem Gedanken, dass es „nur Sache der einzelnen Person selbst sein [kann], über das zu bestimmen, was ihren sozialen Geltungsanspruch ausmachen soll; insoweit wird der Inhalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts maßgeblich durch das Selbstverständnis seines Trägers geprägt.“58 Er fußt letztlich auf einem Verständnis der Menschenwürde, das davon ausgeht, die Würde müsse durch ––––––––––– 56
BVerfG, DVBl. 2005, S. 635 (635). BVerfGE 54, 148 (155); 54, 208 (217). 58 BVerfGE 54, 148 (155); zustimmend Wellbrock, Persönlichkeitsschutz und Kommunikationsfreiheit, S. 157, die diese Problematik alllerdings im Rahmen des Schutzbereichs der Ehre problematisiert. 57
C. Selbstdarstellungsrecht
153
Identitätsbildung und Selbstdarstellung erst gewonnen werden59 bzw. konstituiere sich „erst in sozialer Anerkennung durch positive Bewertung von sozialen Achtungsansprüchen.“60 Führt man diesen Gedanken jedoch zu Ende, so ergibt sich daraus, dass der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bei konsequenter Anwendung dieses Paradigmas soweit subjektiviert würde, dass ihm in der objektiv angelegten Werteordnung der Grundrechte kaum ein angemessener Platz zuteil werden könnte. Wenn dem Einzelnen uneingeschränkt die Herrschaftsbefugnis darüber zustehen würde, wie die Gesellschaft ihn wahrzunehmen hat und welcher Geltungsanspruch ihm durch die Gesellschaft zuteil wird, so würde das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht nur zu einem „Recht der Lüge und Verstellung“.61 Es würde auch letztendlich bereits seiner Natur nach notwendigerweise in Konflikt mit den Freiheiten aller anderen Personen innerhalb des Gemeinwesens treten. Denn deren Persönlichkeitsrechte garantieren gerade auch, sich selbst eine eigenen Meinung und ein eigenes Bild über die entsprechende Person zu bilden. Und aus dieser Gesamtheit der individuellen Meinungen folgt erst der soziale Geltungsanspruch, der insofern gerade nicht allein von der Definition des Betroffenen abhängen kann. In der Freiheit, selbst zu entscheiden, wie man anderen Personen gegenüber agieren, wie man sich ihnen gegenüber darstellen will, liegt somit zugleich die Folge begründet, die Risiken dieser Selbstdarstellung selbst tragen zu müssen.62
b) Vermittlung des eigenen Persönlichkeitsbilds Aus diesem Grund ist das Bundesverfassungsgericht in der Folgezeit von der von ihm selbst entwickelten Formel wieder abgerückt. Statt vom „selbst definierten soziale Geltungsanspruch” spricht es nun davon, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch die Freiheit des Einzelnen umfasst, selbst zu bestimmen, welches Persönlichkeitsbild er von sich vermitteln will. Dabei wird betont, dass dies gerade kein Recht darauf umfasst, dass Äußerungen, die tatsächlich gefallen sind und in der authentischen Form auch zum Gegenstand einer Deutung und Einschätzung ihrer Auswirkungen auf Dritte gemacht werden, in einer bestimmten Art und Weise gedeutet und verstanden werden.63 Ein allge-
––––––––––– 59
Vgl. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 1 Rn. 41, zur Rechtsphilosophie Kants Rn. 11 ff.; grundlegend Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 53 ff. 60 Hofmann, AöR 118 (1993), S. 353 (364). 61 Brossette, Der Wert der Wahrheit im Schatten des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, S. 18 f. 62 Schlink, Der Staat 28, S. 233 (243). 63 BVerfGE 82, 236 (269).
154 Kap. 3: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als Kommunikationsrestriktionsrecht
meines und umfassendes Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person wird vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht nicht umfasst.64 Damit reduziert sich aber die entwickelte Fallgruppe des sozialen Geltungsanspruchs wieder auf den Schutz solcher Lebensbereiche, die bereits von anderen Fallgruppen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfasst werden. Dies betrifft insbesondere das Recht am eigenen Wort und am eigenen Bild in seiner positiven wie seiner negativen Ausformung, aber auch die anderen allgemeinen Gewährleistungsgehalte des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Denn es ist gerade das Wesen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, durch die Verfügungsbefugnis über die eigenen personenbezogenen Informationen selbst entscheiden zu können, welche persönlichen Daten die Umwelt erhält und damit selbst über das vermittelte Persönlichkeitsbild zu bestimmen. Die eigenständige Bedeutung der Fallgruppe, die die Vermittlung des eigenen Persönlichkeitsrechts umfasst, entfällt somit vollständig, die Fallgruppe geht im Recht auf informationelle Selbstbestimmung auf.
II. Schutz des Images Dem Recht auf Selbstdarstellung in seinem rein passivischen Verständnis kommt also aufgrund der Weite des Schutzes durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht keine eigenständige Bedeutung in der Kategorisierung derjenigen Teilgehalte zu, die kommunikationsrestringierende Wirkung entfalten können. In seiner Konstruktion verweist das Recht auf Selbstdarstellung teilweise aber auf aktivgeprägte Elemente des Persönlichkeitsschutzes, die wiederum nicht durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht, sondern durch die allgemeine Handlungsfreiheit geschützt sind.65 Denn das Recht auf Selbstdarstellung ist nicht denkbar ohne das Recht, aktiv an der eigenen Selbstdarstellung zu arbeiten, sich selbst also der Gesellschaft zu präsentieren und in ihr an dem vermittelten Selbstbild zu arbeiten. Dieses Recht ist seinerseits wieder sehr stark mit den Kommunikationsfreiheiten verknüpft. Denn eine aktive Vermittlung des eigenen Persönlichkeitsbilds erfolgt auch und schwerpunktmäßig über Kommunikation. Als Ergebnis dieser aktiven Selbstdarstellung entsteht somit ein stark durch Kommunikation geprägtes Persönlichkeitsbild des Einzelnen in der Gesellschaft, das im Allgemeinen einen sehr engen Bezug zum engeren Bereich der persönlichen Lebensgestaltung hat und in diesem aufgeht. Im Einzelfall kann sich dieses Persönlichkeitsbild in der Gesellschaft aber auch so weit von der engeren Persönlichkeitssphäre entfernen, dass eine Verselbständigung dieses gesellschaftlichen Persönlichkeitsbildes entsteht. Tritt eine solche Verselbstän––––––––––– 64 65
BVerfGE 101, 361 (380). S. dazu bereits o. S. 139.
C. Selbstdarstellungsrecht
155
digung ein, stellt sich die Frage, inwiefern diese zweite Ebene der Persönlichkeit ebenfalls durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder durch andere Grundrechtspositionen gegen bestimmte Kommunikationsäußerungen geschützt wird, wo also ein kommunikationsrestringierender Gehalt in Hinblick auf dieses Persönlichkeitsbild normativ verankert werden kann. Gerade in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung und in der Literatur zeichnet sich zunehmend eine Entwicklung ab, diesen Gehalt im allgemeinen Persönlichkeitsrecht zu verorten und ihm so eine weitere, selbständige Fallgruppe angedeihen zu lassen. Geschützt ist in diesem Sinne dann das Image einer Person als neuartiges Produkt einer Mediengesellschaft, in der Persönlichkeitsaspekte sich zum einen immer stärker in der Öffentlichkeit von ihrem Träger verselbständigen und gleichzeitig auch immer mehr einer Vermarktung durch den Betroffenen unterliegen.
1. Image und Persönlichkeit Der Begriff des Image einer Person bezeichnet dabei zunächst das Ergebnis der eigenen Selbstdarstellung, die regelmäßig in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts fällt. Die Besonderheit, die in der Figur des Images im Gegensatz zur bereits bekannten Figur der Selbstdarstellung liegt und die seine rechtliche Bewertung zunehmend ins Blickfeld rücken lässt, ist die besondere Rolle der Massenmedien, die dem Image heute eine andere Qualität verleihen, als die Selbstdarstellung alter Prägung sie beanspruchen konnte. Sie ermöglichen und verstärken insbesondere auch erst die Verselbständigung dieses Persönlichkeitsbildes gegenüber seinem personalen Träger auf eine Weise, die eine unterschiedliche rechtliche Betrachtung beider Komponenten erfordert. Das Image stellt sich somit dar als „ein Persönlichkeitsbild, das primär in den Massenmedien aufgebaut und verändert wird, und zwar unter maßgeblicher Beteiligung der Träger selbst.“66
a) Neue Qualität der Selbstdarstellung Die neue Qualität, die dieses Image im Vergleich zur alten Selbstdarstellung aufweist, liegt dabei zum einen in der Art der massenmedialen Verbreitung begründet, die rein räumlich bereits eine zunehmende Trennung des Images von der eigentlich mit dem Image verbundenen Person ermöglicht. Die Eigenständigkeit des mediengeprägten Bildes gegenüber dem nicht veröffentlichten Teil der Persönlichkeit nimmt somit durch die Imagebildung über Massenmedien auf eklatante Weise zu. ––––––––––– 66
Ladeur, NJW 2000, S. 1977 (1981).
156 Kap. 3: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als Kommunikationsrestriktionsrecht
Zum anderen resultiert diese neue Qualität auch aus der veränderten Funktion, die dem Image im Vergleich zur herkömmlichen Selbstdarstellung zukommt. Das „öffentliche Ansehen einer Person“, d.h. ihr mediengerecht produziertes Image, dient völlig anderen Zwecken als ihr privates Ansehen: Während das private Ansehen, die private Selbstdarstellung, die ursprünglich vom Bundesverfassungsgericht in den Blick genommen worden ist, normalerweise den sozialen Integrationsstatus einer Person in einer Gesellschaft umschreibt, wirkt das Image vornehmlich instrumental bei der „rhetorischen“ Einflussnahme einer Person auf das kollektive Verhalten einer Gemeinschaft.67 Dieses gewünschte Verhalten, auf das Einfluss genommen werden soll, kann etwa ein politisches Verhalten der Gesellschaft sein, insbesondere also das Verhalten bei Wahlentscheidungen im demokratischen Prozess. Denn tatsächlich gewinnt das Image von am politischen Prozess Beteiligten immer mehr an Bedeutung, auch die Politik wird zunehmend von den Zwängen zur Erzeugung von Aufmerksamkeit und Prominenz beherrscht.68 Politik wird der Öffentlichkeit nicht mehr nur durch die Massenmedien bekannt gegeben. „Seit es die Massenmedien gibt, sind sie zum eigentlichen Forum der Politik geworden. Die Politik bezieht aus den Medien ihre Themen und will in ihnen verkauft sein. Ja, mehr noch: Sie wird in den und für die Medien gemacht.“69 Die Art und Weise, wie der im politischen Prozess stehende Politiker sein Image, das Bild der Öffentlichkeit von seiner Funktion, verkauft und gestaltet, bestimmt somit maßgeblich über seinen politischen Erfolg und damit auch über den Erfolg der von ihm vertretenen politischen Ideen und Inhalte.70 Das gewünschte kollektive Verhalten, auf das durch das Image Einfluss ausgeübt werden soll, kann aber auch – und hier wird sein tatsächlicher Schwerpunkt liegen – in wirtschaftlichen Betätigungsweisen, vor allem im Konsumverhalten liegen. Zum Teil wird dieser Gedanke sogar zu der Behauptung ausgeweitet, dass die Notwendigkeit, ein mediengerechtes Image zu erzeugen, die ganze Wirtschaft durchdringe und sie zu einer „Entertainment Economy“ mache.71 Auch wenn man solchen weitreichenden These nicht folgen mag, bleibt doch zu konstatieren, dass das Image einer Person zunehmend zum Wirtschaftsgut geworden ist,72 und zwar unabhängig davon, auf welche Art und Weise die ––––––––––– 67
Heinz, AfP 1999, S. 332 (332). Ladeur, NJW 2000, S. 1977 (1979). 69 Franck, Ökonomie der Aufmerksamkeit, S. 69. 70 Vgl. dazu etwa Schwartzenberg, Politik als Showgeschäft, S. 203. 71 Wolf, The Entertainment Economy, passim. 72 Vgl. dazu nur jüngst etwa BGHZ 143, 214; Gregoritza, Die Kommerzialisierung von Persönlichkeitsrechten Verstorbener, S. 18 ff.; allgemein dazu Frömming/Peters, NJW 1996, S. 958 (960). Zur Kommerzialisierung einer Person mittels des Markenrechts vgl. auch Steinbeck, FS Bartenbach, S. 333 ff.; dies., JZ 2005, S. 552 ff. 68
C. Selbstdarstellungsrecht
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Fähigkeit, Einfluss auf das Verhalten anderer Personen zu nehmen, genutzt wird. Ganz gleich, ob das eigene Image insofern zur Beeinflussung politischer, wirtschaftlicher oder etwa auch sozialer Verhaltensweisen eingesetzt wird, erfüllt es neben der Funktion der inhaltlichen Einflussnahme auf die Gemeinschaft vor allen Dingen auch die Rolle als geldwertes Gut für den Träger des Images selbst.73 Beide dieser genannten Funktionen gehen somit weit über die Bedeutung hinaus, die das Bundesverfassungsgericht bisher in dem Recht auf Selbstdarstellung der eigenen Person in Zusammenhang mit ihrem sozialen Geltungsanspruch gesehen hat.
b) Trennung von Image und Person Diese Neukonzeption der Selbstdarstellung von Personen wirft die Frage auf, wie dieses extrem extrovertierte, durch die Medien konstruierte Persönlichkeitsbild sich zu den überkommenen Vorstellungen des Persönlichkeitsrechts als sehr stark introvertiertem, im engen Zusammenhang mit der Menschwürde stehendem Recht verhält. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu – wenn auch ohne Inbezugnahme des Konstrukts des Images einer Person – wegweisend Stellung genommen. Nach seiner Rechtsprechung entfällt der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, „wenn sich jemand selbst damit einverstanden zeigt, dass bestimmte, gewöhnlich als privat geltende Angelegenheiten öffentlich gemacht werden [...]. Der verfassungsrechtliche Privatsphärenschutz aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG ist nicht im Interesse einer Kommerzialisierung der eigenen Person gewährleistet.“74 Dogmatisch bewerkstelligt das Gericht damit zweierlei. Zum einen engt es den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts derart ein, dass es die kommerziellen, wirtschaftlich verwertbaren Aspekte der Persönlichkeit aus dieser Grundrechtsgewährleistung kategorisch ausschließt. Insofern koppelt es das verfassungsrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht im Zivilrecht, aus dem es ursprünglich hervorgegangen ist, noch einmal deutlich ab. Denn dort sind auch die vermögenswerten Bestandteile des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als solches geschützt.75 ––––––––––– 73
Vgl. zur „Vermarktungsfähigkeit“ des Images von Politikern etwa nur OLG Hamburg, ZUM 2005, S. 164 ff. 74 BVerfGE 101, 361 (385). 75 Vgl. BGHZ 143, 214. Vgl. zu diesem Dualismus auch Forkel, in: Lindenmaier/Möhring (Hrsg.), Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, § 823 (Ah) BGB Nr. 132. Gleichwohl sind auch im Zivilrecht die materiellen und ideellen Komponenten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht so eng verknüpft, wie dies etwa beim Urheberrecht der Fall ist, vgl. Jung, Die Vererblichkeit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, S. 241 f.
158 Kap. 3: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als Kommunikationsrestriktionsrecht
Zum anderen greift es indirekt wieder den Gedanken der Selbstdefinition im Bereich der Selbstdarstellung und damit den Gedanken der individuellen Bestimmung des Schutzbereiches des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf. Denn nicht nur die Kommerzialisierung, die auf einer individuellen Entscheidung der betroffenen Person beruht, wird aus dem Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ausgeklammert. Auch überall dort, wo private Dinge ohne wirtschaftlichen Hintergrund bewusst mit Hilfe der Massenmedien öffentlich gemacht werden, soll der Schutz aus Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG versagt werden. Im Ergebnis ist diese Rechtsprechung daher der Grundstein dafür, das mediengeformte und -gerechte Image vom durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützten Bereich der Person zu trennen. Und in der Tat hat der Vorgang, wenn sich jemand selbst als „Produkt“ erschafft – sei es als politisches Produkt, sei es als wirtschaftliches Produkt –, nichts mehr zu tun mit der engeren persönlichen Lebenssphäre und der Erhaltung und Gewährleistung ihrer Grundbedingungen, die das eigentliche Schutzgut des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ausmachen.76 Entscheidet sich eine Person also, selbst einen Teil ihrer persönlichen Lebenssphäre derart in die Öffentlichkeit zu stellen, dass ein solches Image losgelöst von ihrer eigentlichen Persönlichkeitsstruktur entsteht, so unterfällt der Schutz des Images selbst nicht mehr dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.77 Freilich kann eine solche Trennung niemals so absolut sein, dass es zwischen dem Image und der Person keine Überschneidungspunkte mehr gäbe. In jedem Image, dass ja auf der Persönlichkeit des Betroffenen aufbaut, liegen Elemente der Persönlichkeit begründet, die trotz der Vermarktung der Person so persönlich sind, dass sie dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unterfallen müssen.78 Wo diese Bereiche allerdings liegen, entscheidet die Person durch ihr Verhalten selbst. Dort, wo der Betroffene durch intensive Bildung eines Images Teile seiner Selbstdarstellung von seiner engeren Persönlichkeitssphäre ablöst, bestimmt er selbst die Grenze seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Mit der Annahme einer solchen Grenzziehung zulasten des Persönlichkeitsschutzes muss allerdings vorsichtig umgegangen werden. Nicht jedes beliebige Auftreten in der Öffentlichkeit kann zur Annahme einer solchen Schutzreduktion führen. Erst dort, wo eine gezielte, über längere Zeit andauernde Imagebildung unter bewusster Ausnutzung der Medienwirkung stattfindet, kann von einer solchen Ablösung ausgegangen werden, die zu einer Reduktion des Schutzes durch die betroffene Person selbst führt. ––––––––––– 76
S.o. S. 140. In diese Richtung auch Kübler, Bitburger Gespräche 1999, Bd. 1, S. 35 (44), der statuiert, dass der Reputation einer „public figure“ kein Zuweisungsgehalt eingeräumt werden dürfe und sich insoweit auch ein Rückgriff auf die Menschenwürde strikt verbiete. 78 Vgl. auch Ladeur, NJW 2000, S. 1977 (1982). 77
C. Selbstdarstellungsrecht
159
2. Image als Vermögenswert Eine solche Herauslösung aus dem Gewährleistungsbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts stellt sich gerade aufgrund der völlig unterschiedlichen Konzeption des Images und des verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsschutzes als unvermeidlich dar. Indes muss eine solche Reduzierung des Schutzbereiches nicht automatisch bedeuten, dass das Image einer Person damit aus grundrechtlicher Sicht schutzlos gestellt würde. Wenn das Bundesverfassungsgericht statuiert, das allgemeine Persönlichkeitsrecht sei „nicht im Interesse einer Kommerzialisierung der eigenen Person gewährleistet,“79 so bereitet es den Weg dafür, die Kommerzialisierung des Images einem anderen, deutlich sachnäheren Grundrecht zu unterstellen: der Eigentumsgarantie aus Art. 14 GG.80 Art. 14 GG schützt „alle vermögenswerten Rechte [...], die dem Berechtigten in der Weise zugeordnet sind, dass er die damit verbundenen Befugnisse nach eigenverantwortlicher Entscheidung zu seinem privaten Nutzen ausüben darf.“81 Entscheidend und schutzbereichsbestimmend sind somit die Verfügungsbefugnis und die Privatnützigkeit einer vermögenswerten Rechtsposition.82 Beide Kriterien werden durch die vermögenswerten Bestandteile des eigenen Images erfüllt,83 und zwar unabhängig davon, ob das Image tatsächlich für wirtschaftliche Zwecke genutzt oder aber aus anderen, etwa politischen Gründen geschaffen wird. Maßgeblich ist insofern allein die Möglichkeit, nicht die tatsächliche Vornahme der Vermarktung. Auch die Tatsache, dass diese vermögenswerten Bestandteile des Images im Zivilrecht als Teil des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfasst werden,84 vermag die verfassungsrechtliche Zuordnung der Rechtsposition zu Art. 14 GG und nicht zum verfassungsrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrecht eher zu stützen als zu widerlegen. Denn diese Anerkennung belegt gerade, dass das Recht am Image als privatnütziges vermögenswertes Recht gesetzlich ausgestaltet ist und damit im Verfassungsrecht dem Schutz des Art. 14 GG unterfällt. Auch diese eigentumsrechtliche Seite des Images, die Kommerzialisierung der Persönlichkeit also, tritt wiederum – und in erster Linie – mit den Kommu––––––––––– 79
BVerfGE 101, 361 (385). Vorsichtig in diese Richtung auch Ladeur, ZUM 2000, S. 879 ff.; sowie Stürner, JZ 2004, S. 1018 (1020), der in diesem Zusammenhang bezüglich der jetzigen Rechtsprechung von einer „Zwangsenteignung der Privatsphäre“ spricht. Ausführlich aus zivilrechtlicher Sicht dazu Claus, Postmortaler Persönlichkeitsschutz im Zeichen allgemeiner Kommerzialisierung, S. 173 ff. 81 Vgl. bspw. BVerfGE 83, 201 (208). 82 Vgl. dazu die Ausführungen von Glos, Der Schutz obligatorischer Rechte durch die Eigentumsgarantie, S. 96 ff. 83 Auch wenn im Einzelnen die Modalitäten der Nutzbarkeit unter Lebenden noch nicht abschließend geklärt sind, vgl. Seemann, Prominenz als Eigentum, passim; Götting, Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte, passim. 84 Vgl. nur BGHZ 143, 214; ausführlich dazu auch Ullmann, WRP 2000, S. 1049 ff. 80
160 Kap. 3: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als Kommunikationsrestriktionsrecht
nikationsfreiheiten aus Art. 5 GG in Konflikt.85 Auch hier muss ein schonender Ausgleich zwischen beiden grundrechtlich geschützten Rechtsgütern gefunden werden, wobei wiederum in einem ersten Schritt die Inhalte der in Streit stehenden Kommunikationsäußerungen zu ermitteln sind und danach auf der Basis der Bedeutung der einzelnen Grundrechte im abstrakten wie konkreten Sinne eine Abwägung stattzufinden hat. Da es sich in diesen Konstellationen jedoch nicht mehr um den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, sondern um den des Eigentums handelt, muss dabei jedoch auf separate Maßstäbe zurückgegriffen werden, die im Einzelnen nicht Gegenstand dieser Untersuchung sein werden.
3. Parallele zum Urheberrecht In systematischer Hinsicht ähnelt diese Zweiteilung des Schutzes des (verfassungsrechtlichen) allgemeinen Persönlichkeitsrechts der verfassungsrechtlichen Betrachtung der zivilrechtlichen Konzeption des Urheberrechts. Denn auch das Urheberrecht ist mit seiner vermögensrechtlichen Seite Immaterialgüterrecht, hinsichtlich des Schutzes der ideellen Urheberinteressen aber Persönlichkeitsrecht.86 Dabei lassen sich materielle und ideelle Interessen auch im Urheberrecht schwerlich streng voneinander trennen. Vielmehr verfolgt der Urheber in der Regel neben seinen wirtschaftlichen Interessen auch ideelle Ziele, will also etwa mit seinem Werk Ehre und Ansehen gewinnen oder belehrend und erbauend wirken.87 Aufgrund dieser unaufhebbaren Verklammerung persönlichkeitsrechtlicher und vermögensrechtlicher Elemente88 und der damit verbundenen Unmöglichkeit der klaren Trennung materieller und ideeller Interessen des Urhebers89 folgt die herrschende Urheberrechtslehre daher einer monistischen Theorie und sieht sowohl die ideellen als auch die wirtschaftlichen Interessen in einem einheitlichen Recht verwirklicht.90 Auch im Bereich des Urheberrechts wird diese zivilrechtliche Einheitlichkeit im Verfassungsrecht jedoch aufgelöst. Auch hier wird der vermögenswerte Teil
––––––––––– 85
Vgl. Ullmann, WRP 2000, S. 1049 (1053); Ladeur, ZUM 2000, S. 879 ff. Vgl. Schricker, in: ders. (Hrsg.), Urheberrecht, Einleitung Rn. 21. 87 Rehbinder, Urheberrecht, Rn. 75. Insofern setzt sich der Urheber durch die Veröffentlichung gerade auch dem Risiko des Angriffs auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht durch die Kritik an dem Werk aus, vgl. nur Gregoritza, Die Kommerzialisierung von Persönlichkeitsrechten Verstorbener, S. 29 m.w.N. 88 So schon BGH, GRUR 1955, S. 201 (205). 89 Ausführlich dazu Strömholm, Le droit moral de l'auteur en droit allemand, français et scandinave, Bd. 2, S. 15 ff. 90 Vgl. ausführlich Rehbinder, Urheberrecht, Rn. 28, mit ausdrücklichem Hinweis auf die Anwendung der monistischen Theorie im Persönlichkeitsrecht. 86
C. Selbstdarstellungsrecht
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des Urheberrechts der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG unterstellt,91 während das Urheberpersönlichkeitsrecht durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützt wird.92 Auf die hierzu entwickelten Maßstäbe kann also auch im Bereich der vermögenswerten wie ideellen Gehalte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zurückgegriffen werden.93 Dabei ist allerdings zu betonen, dass die beiden Bereiche des Urheberrechts und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts trotz ihrer Ähnlichkeiten – zumindest zivilrechtlich – insofern strikt voneinander zu trennen sind, als dass der Mensch und damit auch sein Image selbst nicht sein eigenes Werk sein kann und insofern auch keinen urheberrechtlichen Schutz genießt.94 Trotzdem kann das Urheberrecht insbesondere auch für die Abgrenzung der ideellen und kommerziellen Aspekte der Persönlichkeit Anhaltspunkte geben, wobei sich beide Seiten auch aus verfassungsrechtlicher Sicht durchaus innerhalb eines rechtlichen Lebenssachverhaltes überschneiden können. Grundsätzlich zeigt die Parallele zum Urheberrecht aber, dass eine verfassungsrechtlich zweigeteilte Betrachtung nicht nur unproblematisch möglich, sondern sogar aufgrund der unterschiedlichen dogmatischen Konzeptionen der verschiedenen Grundrechte geboten und sachgerecht ist.
III. Keine eigenständige Fallgruppe Im Ergebnis kommt daher der von der Rechtsprechung entwickelten Fallgruppe des Selbstdarstellungsrechts als Unterfall des allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Konflikt mit den Kommunikationsfreiheiten aus Art. 5 GG keine eigenständige Bedeutung mehr zu. Der größte Teil dessen, was zunächst unter diesem Aspekt subsumiert wurde, wird heute vom umfassenden Recht auf informationelle Selbstbestimmung umfasst, das durch seinen informationsrestringierenden Gehalt dem Einzelnen die Möglichkeit gibt, selbst darüber zu entscheiden, welche seiner personenbezogenen Informationen der Öffentlichkeit zugänglich sein sollen und so zur Formung seiner Selbstdarstellung in der Gesellschaft beitragen können. Weitere Aspekte der Selbstdarstellung sind über diesen Aspekt hinaus zwar ebenfalls geschützt, unterfallen aber nicht der Gewährleistung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Dies gilt zum einen für die aktivische Seite der Selbstdarstellung, die entweder unter die Kommunikationsfreiheiten des Art. 5 GG ––––––––––– 91
BVerfGE 49, 382; ausführlich dazu Fechner, Geistiges Eigentum und Verfassung, passim. 92 Rehbinder, Urheberrecht, Rn. 106. 93 Vgl. insofern beispielweise für das Entstehen des vermögenswerten Persönlichkeitsrechts unabhängig von der Vermarktungsbereitschaft des jeweiligen Individuums Ullmann, WRP 2000, S. 1049 (1053). 94 Vgl. LG Hamburg, NJW-RR 2000, S. 267 (268); Schmidt, UFITA 77 (1976), S. 1 (20f.); Möhring/Nicolini, Urhebergesetz, § 1 Rn. 2.
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oder aber unter die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG fällt. Zum anderen gilt dies aber auch für die Vermarktung und den sonstigen Schutz des mittels Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit hergestellten Images, das durch die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG geschützt wird. Der umfassende Schutz des Selbstdarstellungsrechts der Person ist heute somit auf verschiedene Grundrechtsgewährleistungen verteilt. Im Weiteren wird dabei nur der persönlichkeitsrechtsrelevante Teil im engeren Sinne, der vollständig dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung unterfällt, als Faktor im Konflikt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit den Kommunikationsfreiheiten von Bedeutung sein.
D. Ehrschutz Als letzte zu behandelnde Fallgruppe des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, die potentiell mit Art. 5 GG in Konflikt geraten kann, verbleibt schließlich noch der Ehrschutz, der seine grundlegende Bedeutung auch durch die Begründung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nicht verliert.
I. Ehrschutz jenseits von Art. 2 Abs. 1 GG Im Gegensatz zu den anderen Komponenten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts findet sich die Ehre als Rechtsgut im Grundgesetz jenseits des Art. 2 Abs. 1 GG ausdrücklich normiert. Art. 5 Abs. 2 GG nennt das Recht der persönlichen Ehre neben den allgemeinen Gesetzen und den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend als qualifizierte Grundrechtsschranke zu den Grundrechtsgewährleistungen des Art. 5 Abs. 1 GG und verdeutlicht damit erneut, in wie engem Zusammenhang Kommunikation und Ehrschutz zueinander stehen. Auch wenn Art. 5 Abs. 2 GG in Bezug auf die Ehre nicht wie beim Jugendschutz von den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Ehre, sondern schlicht vom „Recht der Ehre“ spricht,95 ist doch auch für Einschränkungen zu diesem Zwecke zwingend ein ausdrückliches Gesetz erforderlich.96 Als wegweisend für die Bestimmung dessen, was das verfassungsrechtliche Recht der Ehre umfasst, hat sich deshalb die straf- und zivilgerichtliche Judikatur insbesondere zu den strafrechtlichen Ehrschutzdelikten in den §§ 185 ff. StGB er-
––––––––––– 95
Vgl. zu dieser Unterscheidung v.d.Decken, NJW 1983, S. 1400 (1402). BVerfGE 33, 1 (16 f.); Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 5 I, II Rn. 119; Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 5 Rn. 82; Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 5 I, II Rn. 247. 96
D. Ehrschutz
163
wiesen:97 „Dem Schutz der Ehre dienen vor allem die strafgesetzlichen Bestimmungen über die Beleidigung (§§ 185 ff. StGB). Die von den zuständigen Gerichten einwandfrei getroffene Feststellung eines Verstoßes gegen diese Bestimmungen aktualisiert die verfassungsrechtliche Grenze der Meinungsfreiheit jeweils im Einzelfall.“98 Doch auch wenn das Grundgesetz die Ehre als Rechtsgut auf diese Art und Weise ausdrücklich normiert,99 stellt es damit doch keinesfalls eine eigenständige subjektive Rechtsposition oder gar ein eigenständiges Grundrecht auf.100 Vielmehr bleibt das Rechtsgut der Ehre grundrechtlich im allgemeinen Persönlichkeitsrecht verankert, das Art. 5 Abs. 2 GG lediglich konkretisiert.101 Die separate Normierung des Ehrschutzes hat daher bei rein dogmatischer Betrachtung insofern lediglich deklaratorischen Charakter, als dass sie nur eine ohnehin bestehende verfassungsimmanente Schranke der Kommunikationsgrundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG hervorhebt und benennt. Die Bedeutung dieser deklaratorischen Festschreibung liegt dann lediglich darin, die schon angedeutete und im Weiteren noch auszuführende funktionelle Verschränkung von Ehrschutz auf der einen Seite und den Kommunikationsfreiheiten auf der anderen Seite auch im Text des Grundgesetzes zu verdeutlichen.
II. Schutzgut Das Schutzgut des „Rechts der Ehre“ besteht in der persönlichen Ehre des Einzelnen.102 Was genau unter diesem Gut zu verstehen ist, wird dabei allerdings aus isoliert verfassungsrechtlicher Sicht kaum spezifisch untersucht. Vielmehr wird hier meist auf die im Zivil- und vor allem Strafrecht entwickel––––––––––– 97
Selbstverständlich werden das Recht der Ehre sowie die anderen Komponenten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch durch andere – nicht nur strafrechtliche – Normen geschützt, vgl. dazu im Einzelnen u. S. 182 ff. 98 BVerfGE 19, 73 (74). 99 Vgl. auch Nipperdey, in: Bettermann/Nipperdey (Hrsg.),Die Grundrechte, Band 4 Teilband 2, S. 845 f.; Schmid, Freiheit der Meinungsäußerung und strafrechtlicher Ehrenschutz, S. 15. 100 So auch ausdrücklich Kübler, NJW 1999, S. 1281 (1285). Missverständlich insofern v.d. Decken, NJW 1983, S. 1400 (1402). 101 Schmidt-Jortzig, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdBStR, § 141 Rn. 48; SchulzeFielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 5 I, II Rn. 119; kritisch dazu Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 5 I, II Rn. 294a, der die Frage der Abgrenzung von allgemeinen Persönlichkeitsrecht und Ehre offen lassen will. 102 Wobei unter Umständen über natürliche Personen hinaus auch juristische Personen als Kapitalgesellschaften oder Personenmehrheiten sich auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht (und damit wohl auch auf das Recht auf Ehre) berufen können, vgl. für das Recht am gesprochenen Wert BVerfGE 106, 28. Auch im Strafrecht ist beispielsweise die Beleidigungsfähigkeit von Personenmehrheiten anerkannt, vgl. nur Lenckner, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), StGB, vor §§ 185 ff., Rn. 3 m.w.N.
164 Kap. 3: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als Kommunikationsrestriktionsrecht
ten Ehrbegriffe verwiesen.103 Ein solcher Rückgriff auf die dogmatischen Vorarbeiten aus dem einfachen Recht ist deshalb zulässig und sachgerecht, weil die zivil- und strafrechtlichen Bestimmungen nicht nur gerade in besonderer Weise dem Schutz des verfassungsrechtlichen Gutes der Ehre dienen. Darüber hinaus weist der Begriff der Ehre in den einfachgesetzlichen Normen auch eine besondere „Verfassungsgebundenheit“104 auf, der einen Rückgriff des Verfassungsrechts auf die gefundenen Begrifflichkeiten erlaubt.
1. Innere und äußere Ehre Vor allem in der älteren straf- und zivilrechtlichen Literatur und Rechtsprechung findet sich zur Beschreibung des einfachrechtlichen Ehrbegriffs die Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Ehre.105 Unter der inneren Ehre wurde dabei der innere Wert eines Menschen verstanden, der sich letztlich auf seine Würde und damit auf Art. 1 Abs. 1 GG zurückführen lässt. Die äußere Ehre hingegen schützt das Ansehen in den Augen der Anderen, d.h. innerhalb der menschlichen Gesellschaft.106 Diese letztgenannte äußere Komponente des Ehrbegriffs weist große Parallelen auf zu der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten und später wieder aufgegebenen Figur des „selbst definierten sozialen Geltungsanspruchs“. In einem Konzept, in dem das allgemeine Persönlichkeitsrecht die Herstellung sowie die Sicherung dieses Anspruchs sichert, würde die Ehre somit in ihrer Form als äußere Ehre die Unverletzlichkeit dieses Anspruchs schützen. Indes begegnet diese Vorstellung vom Ehrbegriff denselben grundlegenden Bedenken wie die Konstruktion des selbst definierten sozialen Geltungsanspruchs. Denn in Bezug auf die Ehre kann der „gute Ruf“ nur insoweit Schutz verdienen, als er auch tatsächlich verdient ist.107 Insofern kann auch hier die Verortung eines Achtungs- oder Geltungsanspruchs in dem Begriff der Ehre nicht überzeugen. Zu Recht ist diese Zweiteilung daher mittlerweile von der herrschenden Meinung aufgegeben worden.
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Vgl. nur Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 5 I, II Rn. 289. Regge, in. Joecks/Miebach (Hrsg.), MüKo StGB, vor §§ 185 ff. Rn. 13. 105 Vgl. zusammenfassend Regge, in. Joecks (Hrsg.), Münchner Kommentar zum StGB, vor §§ 185 ff. Rn. 18; Lenckner, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), StGB, vor §§ 185 ff. Rn. 1. 106 BayOLGE 86, 192. 107 Lenckner, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), vor §§ 185 ff. Rn. 1, unter Verweis auf BGHSt 11, 71. 104
D. Ehrschutz
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2. Personaler und sozialer Geltungswert Statt dessen wird heute nach dem sogenannten normativen Ehrbegriff unter Ehre der personale und soziale Geltungswert des Einzelnen verstanden.108 Geschützt wird dadurch im weitesten Sinne die soziale Anerkennung des Schutzgutinhabers.109 Die Ehre bezeichnet insofern den auf die Würde gegründeten, einem Menschen berechtigterweise zustehenden Geltungswert bzw. der daraus folgende Anspruch, nicht unverdient herabgesetzt zu werden.110 Aus dieser Beschreibung wird – wie schon bei der Aufteilung in innere und äußere Ehre – die besondere Nähe des Rechtsguts der Ehre zu der Menschenwürdegarantie aus Art. 1 Abs. 1 GG deutlich. Dort, wo die Würde eines Menschen i.S.d. Art. 1 Abs. 1 GG verletzt ist, liegt immer auch eine – nicht rechtfertigungsfähige – Verletzung seiner Ehre vor.111 Doch nicht überall dort, wo die Ehre eines Menschen betroffen ist, muss auch zwangsläufigerweise seine Würde verletzt werden. Dies folgt nicht zuletzt aus dem zum einen sehr restriktiven, zum anderen vor allen Dingen auch sehr staatsfixierten Verständnis der Menschenwürde, wenn das Vorliegen einer Beeinträchtigung allgemein auf die Kurzformel gebracht wird, dass der Mensch zum Objekt staatlichen Handelns gemacht wird.112 Insofern hat das vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht umfasste Recht der persönlichen Ehre zwar einen besonderen Bezug zur Menschenwürdegarantie, lässt sich aber nicht vollständig mit ihr gleichsetzen. Auch jenseits dieses Kerngehalts existiert somit ein Bereich personalen und sozialen Geltungswerts der Person, der vor den Zugriffen anderer geschützt wird.
III. Kommunikationsspezifische Beeinträchtigungen Aufgrund der Schwierigkeit, das durch die Ehre geschützte Rechtsgut abschließend für den Einzelfall zu bestimmen, wird der Schutzbereich daher in der Praxis in erster Linie mittelbar durch Bestimmung möglicher Eingriffshandlungen definiert. Eine Verletzung der Ehre liegt danach in der „Herabsetzung“
––––––––––– 108
Regge, in. Joecks/Miebach (Hrsg.), Münchner Kommentar zum StGB, vor §§ 185 ff. Rn. 25 ff.; Lenckner, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), StGB, vor §§ 185 ff. Rn. 1; in diese Richtung auch di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 2 I Rn. 169. 109 Vgl. Mackeprang, Ehrenschutz im Verfassungsstaat, S. 27 ff. 110 Lenckner, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), StGB, vor §§ 185 ff. Rn. 1 m.w.N. 111 Vgl. insofern maßgeblich BVerfGE 75, 369. 112 BVerfGE 27, 1 (6); 28, 386 (391); 45, 187 (228); 50, 125 (133); 50, 166 (175); 72, 105 (116).
166 Kap. 3: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als Kommunikationsrestriktionsrecht
der betroffenen Person,113 etwa wenn ihr Mängel nachgesagt werden, die, wenn sie vorlägen, den Geltungsanspruch mindern würden.114
1. Kommunikation als einzige Verletzungshandlung Diese Definition offenbart, dass das Recht der Ehre nicht nur in ganz besonders starkem Maße mit den Kommunikationsfreiheiten in einem widerstreitenden Verhältnis verbunden ist. Weit darüber hinaus gehend ist eine Verletzung der Ehre durch einen anderen als einen kommunikativen Akt erst gar nicht möglich. Denn nur durch die Kommunikation einer Herabsetzung kann eine Beeinträchtigung des Geltungswerts des Einzelnen – in der Öffentlichkeit wie gegenüber sich selbst – überhaupt stattfinden. Das gilt in offensichtlicher Weise für verbale Herabsetzungen, die einen Angriff auf die Ehre darstellen. In gleicher Weise trifft dies aber auch auf non-verbale Arten der Ehrverletzung zu: Nur wenn durch die non-verbale Aktion ein herabwürdigender Inhalt (mit-) kommuniziert wird, kann der Geltungswert einer Person beeinträchtigt werden. Wo Kommunikation nicht stattfindet, kann auch kein Angriff auf die Ehre vorliegen.115
2. Abgrenzung zur informationellen Selbstbestimmung Damit bleibt zu klären, wie sich diese ehrverletzenden, den Geltungswert beeinträchtigen Kommunikationsakte von solchen Äußerungen unterscheiden, die das Recht auf informationelle Selbstbestimmung beeinträchtigen. Denn auf den ersten Blick scheint hier eine relativ große Überschneidung der beiden Bereiche dahingehend vorzuliegen, dass in beiden Fallgruppen Informationen über eine Person ohne oder gegen deren Willen von einem Dritten weitergegeben werden. Wie insbesondere das Recht am eigenen Wort und am eigenen Bild als Unterfall des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zeigen, können auch in diesem Bereich reine Datenwiedergaben – seien die wiedergegebenen Informationen zutreffend oder unzutreffend – als ehrenrührig angesehen werden oder zumindest einen ehrverletzenden Einschlag haben.116 Trotzdem ist ein klarer Unterschied zwischen den beiden Arten der Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung in Hinblick auf die jeweiligen Kommunikati––––––––––– 113
BVerfGE 54, 208 (218). BGH, NJW 1989, S. 3028 (3028). 115 Dementsprechend wird auch in allen strafrechtlichen Ehrschutzdelikten ein kommunikativer Akt als geschriebene oder ungeschriebne Voraussetzung anerkannt, vgl. für die Beleidigung etwa nur Lenckner, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), StGB, § 185 Rn. 2. 116 Vgl. etwa nur BVerfGE 54, 148; 54, 208; 99, 185. 114
E. Codespezifische Grundrechtsbeeinträchtigungen
167
onsinhalte festzumachen. Denn das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützt grundsätzlich vor solchen Kommunikationsäußerungen, die allein personenbezogenen Daten im engeren Sinne weitergeben, d.h. Informationen, die sich alleine auf den Persönlichkeitsrechtsträger, nicht aber auf die kommunizierende Person beziehen. Diejenigen Kommunikationshalte, vor deren Weitergabe das Recht der Ehre schützt, haben hingegen eine andere Struktur. Zwar beziehen sie sich zunächst auf die Person des Ehrträgers und weisen insofern eine gewisse Ähnlichkeit zu personenbezogenen Informationen auf. Tatsächlich liegt ihr Informationsgehalt aber nicht in der Weitergabe von Daten über den Beschriebenen, sondern von Informationen über den Äußernden selbst. Denn die Informationen über eine Person, die mittels einer Herabsetzung oder durch das Nachsagen von Mängeln erfolgen, sind in erster Linie Informationen darüber, wie der Entäußernde die betreffende Person sieht und beurteilt. Der Maßstab, der an die Beschreibung der Person angelegt wird, ist insofern von vorne herein kein objektiver, sondern ein höchst subjektiver und gibt dementsprechend in erster Linie Informationen Preis über die innere Einstellung des Kommunizierenden. Es handelt sich daher nicht um personenbezogene Daten über den Ehrträger, sondern vielmehr um Informationen über subjektive Einschätzungen des Äußernden. Nur durch die Kundgabe solcher Einschätzungen, die die betroffene Person in ihrem sozialen oder persönlichen Geltungswert herabsetzen, kann damit letztlich ein Angriff auf die Ehre vorliegen. Die Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und in das Recht der Ehre überschneiden sich insofern nicht. Zwar können im Einzelfall konkrete Äußerungen beide Grundrechtspositionen beeinträchtigen. Gleichwohl bleibt eine dogmatische Trennung der beiden Bereiche möglich und im Übrigen auch nötig.
E. Codespezifische Grundrechtsbeeinträchtigungen Das allgemeine Persönlichkeitsrecht kann also an zwei Punkten mit den kommunikationsspezifischen Gewährleistungen des Art. 5 GG in Konflikt treten: im weiten Bereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung sowie im Bereich des Schutzes der persönlichen Ehre. Ob ein Konflikt im Einzelfall vorliegt, hängt dabei vom konkreten, durch Auslegung zu ermittelnden Inhalt der Kommunikationsäußerung ab. In Bezug auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung entsteht ein Konflikt dabei immer dann, wenn die Auslegung ergibt, dass durch die Äußerung personenbezogene Informationen über Dritte weitergegeben werden. In Bezug auf das Recht der persönlichen Ehre entsteht ein Konflikt immer dann, wenn die Auslegung ergibt, dass mit der Äußerung eine Geringschätzung, eine Abwertung oder eine sonstige Herabsetzung des Geltungswerts des Betroffenen durch den Entäußernden vorgenommen wurde.
168 Kap. 3: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als Kommunikationsrestriktionsrecht
I. Zuordnung der Codes Ausgehend von dieser Systematik kann wiederum eine Verbindung zu den Erkenntnissen gezogen werden, die im zweiten Kapitel bezüglich der Auslegung von Kommunikationsinhalten erlangt wurden. Denn die unterschiedlichen Kommunikationsinhalte, die möglicherweise das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzten, können verschiedenen Arten von Codes zugeordnet werden, mit denen die Kommunikationsbotschaft entschlüsselt wird. Dies betrifft zunächst solche Kommunikationsinhalte, die personenbezogene Informationen offenbaren, also in Konflikt mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung geraten. Eine solche Offenbarung personenbezogener Informationen spielt sich auf rein sachlicher, objektiver Ebene ab und besitzt insofern keinen subjektiven, wertenden Einschlag. Die Frage, ob eine bestimmte Äußerung die Bekantgabe personenbezogener Informationen enthält, kann daher im Rahmen der Auslegung allein mithilfe der Anwendung denotativer Codes beantwortet werden. Nur durch diese sachlich-beschreibende Art der Entschlüsselung kann ermittelt werden, ob sachliche Informationen über eine dritte Person in der konkreten Äußerung weitergegeben werden. In bezug auf solche Kommunikationsinhalte, die mit dem Recht der persönlichen Ehre in Konflikt treten, stellt sich die Situation hingegen gerade umgekehrt dar. Ob eine Geringschätzung, eine Abwertung oder eine sonstige Herabsetzung des Geltungswerts des Betroffenen mit einer Kommunikationsäußerung vorgenommen wird, ist eine Frage, die anhand subjektiver, assoziativer Kriterien beantwortet werden muss. Die Auslegung einer Äußerung in Hinblick auf einen etwaigen Konflikt mit dem Recht der persönlichen Ehre kann dementsprechend allein anhand konnotativer Codes erfolgen. Nur die Dechiffrierung nach einem solchen Code kann überhaupt zu einem Auslegungsergebnis führen, dass die Äußerung in Konflikt zur Ehre des Betroffenen treten lässt. Auch auf dieser Basis wird noch ein mal die klare Abgrenzung der kommunikationsspezifischen Verletzungen der verschiedenen Aspekte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts deutlich. Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts sind insofern einer der beiden Komponenten immer eindeutig zuzuordnen. Da allerdings manche Äußerungen sowohl mithilfe denotativer als auch mithilfe konnotativer Codes ausgelegt werden können und auf diese Art und Weise erst ihren vollen, zusammengesetzten Bedeutungsgehalt entfalten, kann ein und dieselbe Äußerung durch mehrere Sinnkomponenten, die wiederum zu mehreren Beeinträchtigungskomponenten führen, auch in Konflikt mit beiden Gehalten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts geraten.
E. Codespezifische Grundrechtsbeeinträchtigungen
169
II. Grundrechtsspezifische Bedeutung Bezogen auf die spezifischen Erkenntnisse, die bereits über die Auslegungsmöglichkeit in Hinblick auf die einzelnen Kommunikationsgrundrechte gewonnen wurden, ergibt sich daraus nun ein spezifisches Bild möglicher Konfliktpotentiale zwischen den verschiedenen Grundrechtsgewährleistungen. Sowohl in Bezug auf die Wissenschaftsfreiheit als auch in Bezug auf die Kunstfreiheit wurde erläutert, dass eine Auslegung der Kommunikationsinhalte (bzw. der sozialen Ausstrahlungswirkung) aufgrund der spezifischen Besonderheiten der geschützten Lebensbereiche allein aufgrund von denotativen Codes erfolgen darf. Im Konflikt mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgt daraus, dass eine Beeinträchtigung durch diese beiden Kommunikationsfreiheiten einzig und allein den Bereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung betreffen kann. Denn eine Beeinträchtigung des Rechts der persönlichen Ehre würde die Berücksichtigung derjenigen Auslegungsergebnisse erfordern, die die Anwendung konnotativer Codes liefert, was für die Wissenschafts- und die Kunstfreiheit aber ausdrücklich ausgeschlossen wurde. Eine Kollision zwischen dem Recht der persönlichen Ehre und den durch Art. 5 Abs. 3 GG gewährleisteten Grundrechten scheidet somit in jeder Betrachtung von vorne herein aus. Ein Konflikt kann immer nur mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung entstehen. Lediglich im Bereich der durch Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG geschützten Medienfreiheit kann somit ein Konflikt sowohl mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung als auch mit dem Recht der persönlichen Ehre entstehen.117 Umgekehrt heißt dies, dass das Recht der persönlichen Ehre im Beeich der Massenkommunikation ausschließlich durch solche kommunikativen Äußerungen beeinträchtigt werden kann, die im Rahmen des Schutzes der Medienfreiheit getan werden. Andere Konfliktmöglichkeiten müssen im besonderen Spannungsverhältnis zwischen Ehrschutz und massenmedialen Kommunikationsfreiheiten ausscheiden.
III. Systematisierung des Konflikts Der mögliche Konflikt zwischen den Kommunikationsgrundrechten aus Art. 5 GG in ihren die Massenkommunikation schützenden Gehalten auf der einen Seite und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auf der anderen Seite kann aufgrund dieser Betrachtungen deutlich systematisiert und in seiner Komplexität erheblich reduziert werden. An die Stelle einer Vielzahl von Aspekten ––––––––––– 117 In diese Richtung deutet auch das Bundesverfassungsgericht, wenn es in BVerfGE 93, 266 (290) statuiert, dass das Recht der persönlichen Ehre vor allen Dingen durch Meinungsäußerungen – im engeren Sinne – verletzt werden kann.
170 Kap. 3: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als Kommunikationsrestriktionsrecht
des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, die in eine Fülle von Konflikten mit den verschiedenen Aspekten des Art. 5 GG geraten können, entsteht auf diese Art und Weise eine einfache Matrix, die das mögliche Konfliktpotential beschreibt. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht teilt sich in nur zwei Untergruppen auf, die mit den kommunikationsspezifischen Gewährleistungen des Art. 5 GG in Konflikt geraten können: das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das Recht der persönlichen Ehre. In bezug auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung können dabei Konflikte mit allen drei für die Massenkommunikation relevanten Bereichen des Art. 5 GG entstehen, d.h. mit der Medienfreiheit sowie der Freiheit von Wissenschaft und Kunst. Das Recht der Ehre hingegen kann nur mit der Medienfreiheit kollidieren. Die Anzahl abstrakt möglicher Konfliktsituationen reduziert sich auf diese Art und Weise auf vier Fallgruppen, anhand derer der gesamte Konflikt festgemacht und analysiert werden kann.
F. Kommunikationsfördernde Funktion Bevor jedoch im Einzelnen untersucht wird, wie diese derart systematisierten Konflikte im Einzelfall gelöst werden können, ist vorher noch auf die grundrechtlichen Funktionen einzugehen, welche die Gewährleistung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfüllt. Auch hier kann insofern zwischen der individuellen Funktion und der gesellschaftlichen Funktion unterschieden werden.
I. Individuelle Funktion Dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, das die engere persönliche Lebenssphäre sowie deren Grundvoraussetzungen schützt,118 ist noch stärker als andere Grundrechte seiner Konzeption nach zunächst eine auf das Individuum fokussierte Funktion zugewiesen. Dies liegt nicht zuletzt in seiner Verankerung auch in der Menschenwürdegarantie begründet. Ziel des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist es, die autonome Selbstbestimmung des Einzelnen zu schützen, seine personale Identität und Integrität.119 Anders formuliert: die grundrechtliche Gewährleistung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dient dem Menschengeist und seiner Selbstentfaltung, wie er im abendländischen Kulturbewusstsein verankert ist.120 ––––––––––– 118
S.o. S. 140. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 2 I Rn. 16; vgl. auch Schwerdtner, Das Persönlichkeitsrecht in der deutschen Zivilrechtsordnung, S. 93. 120 Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdBStR VI, § 129 Rn. 1; unter Verweis auf Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, passim. 119
F. Kommunikationsfördernde Funktion
171
Ob man wirklich so weit gehen will, die Funktion des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch in der Verhinderung dessen zu sehen, dass das Ansehen des Einzelnen geschmälert und dadurch seine sozialen Kontakte geschwächt und infolgedessen sein Selbstwertgefühl untergraben wird, wie das Bundesverfassungsgericht es angedeutet hat,121 mag an dieser Stelle dahinstehen. Zwar ist es richtig, dass sich die Persönlichkeit nie völlig abgeschottet, sondern immer nur im Wechselspiel mit dem Umfeld entwickelt und entfaltet, so dass dem Ansehen innerhalb der Gesellschaft eine besondere Bedeutung für die engere persönliche Lebenssphäre zukommt. Ob allerdings tatsächlich die Erhaltung sozialer Kontakte vom Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gedeckt sein kann, erscheint fraglich.122 Wenn überhaupt, könnte in einem solchen Schutz des Selbstbewusstseins eher ein Nebeneffekt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts liegen. In jedem Fall lässt sich festhalten, dass die individuelle Funktion, die dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auf diese Art und Weise zukommt, aufs Engste mit derjenigen Funktion verknüpft ist, die die Gewährleistung der verschiedenen Kommunikationsfreiheiten in individueller Hinsicht erfüllen soll.123 Denn wenn man berücksichtigt, dass die Freiheit der Kommunikation „im Interesse der Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen“124 gewährleistet und „als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft“125 geschützt wird, so wird auch in funktionaler Hinsicht erneut deutlich, in wie starkem Maße Kommunikationsfreiheit und allgemeines Persönlichkeitsrecht sich nicht nur als widerstreitende Interessen gegenüberstehen, sondern in ihrem subjektiven Gewährleistungsgehalt grundlegend voneinander abhängig sind.
II. Gesellschaftliche Funktion Dieser Befund wird noch verstärkt, wenn man neben der individuellen auch die gesellschaftliche Funktion berücksichtigt, die die Gewährleistung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfüllt. Denn wie bei den Kommunikationsfreiheiten ist die Funktion des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht nur auf das einzelne Rechtssubjekt, sondern auch auf die Gemeinschaft im demokratischen ––––––––––– 121
BVerfGE 99, 185 (194). Eine ähnliche Diskussion existiert in Bezug auf die Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG. Hier wird in der Literatur z.T. auch der teilhabende zwischenmenschliche Kontakt (vgl. Kniesel, NJW 2000, S. 2857 [2858]) bzw. der Schutz vor staatlicher Isolation (vgl. Pieroth/Schlink, Rn. 693, unter Hinweis auf Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 8 Rn. 13) als vom Schutzbereich umfasst angesehen. 123 Vgl. dazu o. S. 53. 124 BVerfGE 82, 272 (281); vgl. auch Gallwas, NJW 1992, S. 2785 (2786). 125 BVerfGE 7, 198 (208). 122
172 Kap. 3: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als Kommunikationsrestriktionsrecht
Verfassungsstaat als Ganzes bezogen. In diesem Sinne lassen sich zwei Aspekte unterscheiden: zum einen die soziale Friedensfunktion, zum anderen die kommunikationsfördernde und -sichernde Funktion des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Die soziale Friedensfunktion wird dabei in erster Linie vom Recht der persönlichen Ehre erfüllt. Denn die Gewährleistung der Ehre ist letztlich ein Ausdruck des Verhältnisses der gegenseitigen Anerkennung der Bürger untereinander und damit ein wesentliches Merkmal des staatlichen Friedenszustandes.126 Da ein solcher Friedenszustand elementare Voraussetzung für ein soziales und politisches Gemeinwesen ist, wird die persönliche Ehre des einzelnen Staatsbürgers auf diese Art und Weise zu einem für die Demokratie geradezu konstituierenden Begriff.127 Die Wertschätzung des Mitmenschen untereinander sichert somit die Grundlage einer friedlichen menschlichen Gemeinschaft, auf die sich der demokratische Verfassungsstaat gründen kann.128 Daneben können die Gehalte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gerade dadurch, dass sie eine auf das Individuum bezogene kommunikationsrestringierende Wirkung haben, im Ergebnis aber auch dazu dienen, den gesamtgesellschaftlichen Kommunikationsfluss und -zusammenhang zu sichern. Dies gilt in ganz besonderem Maße in Hinblick auf die massenmediale Kommunikation und ihre spezifische Verwertung von personenbezogenen Daten und Personenbildern. Denn immer dort, wo sich die Massenmedien einer Person als Gegenstand ihrer Kommunikation bedienen, machen sie den Betroffenen im Ergebnis zum Objekt dieser Mitteilung. Zum Subjekt der Kommunikation kann er allein deshalb schon nicht werden, weil ihm in aller Regel die Möglichkeit fehlt, auf gleicher medialer Ebene kommunikativ zu reagieren. Durchbrochen wird dieses System lediglich durch das Gegendarstellungsrecht, das zwar einfachgesetzlich gewährleistet wird, in seinen Grundzügen jedoch gerade dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht entspringt und durch dieses geboten ist.129 In dieser Funktion und dieser Gewährleistung, die es dem Einzelnen ermöglicht, sich in den massenmedialen Kommunikationsprozess einzuschalten, dient das allgemeine Persönlichkeitsrecht also gerade dazu, „die Offenheit des Kommunikationsprozesses zu gewährleisten, indem es rechtlich gesicherte Möglichkeiten bereitstellt, die verhindern, dass der Kommunikationsprozess autoritativ geschlossen wird.“130 Es gibt so dem Einzelnen die Möglichkeit, in ––––––––––– 126
Wolff, ZStW 81 (1969), S. 886 (889 f.). Zöbeley, NJW 1985, S. 254 (257). 128 Für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird dies sicher insofern nicht im gleichen Maße gelten, als dass auch und gerade die Beeinträchtigung dieses Rechts in Form des Klatsches Grundlage einer bestimmten Form der sozialen Gemeinschaft sein kann, s.o. S. 149. 129 Dem Staat obliegt insofern eine Schutzpflicht, vgl. BVerfGE 73, 118 (201). 130 Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, S. 111. 127
G. Verschränkungen und Konflikte
173
die konkreten massenmedialen Kommunikationsakte, die inhaltlich seine eigene Person betreffen, auf gleicher Ebene einzugreifen und sie entsprechend den eigenen Vorstellungen inhaltlich zu beeinflussen. Auch und gerade im engen Bereich der Massenmedien werden so externe Einflüsse und somit die Vielfältigkeit der Kommunikation gewährleistet. In diesem Sinne ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht daher nicht nur ein zur Meinungsfreiheit gegenläufiges Prinzip, sonders es gehört auch zu den Voraussetzungen eines freien Kommunikationsprozesses.131
G. Verschränkungen und Konflikte Die Wechselwirkungen, die auf diese Art und Weise zwischen den Gewährleistungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und den Kommunikationsgrundrechten aus Art. 5 GG entstehen, sind außerordentlich komplex. Sie allein als „zwei Seiten der gleichen Medaille“ zu bezeichnen, wie es für die verwandten Aspekte der Informationsfreiheit und des Datenschutzes bisweilen plakativ getan wird,132 greift insofern deutlich zu kurz. Vielmehr können Beziehungen, Verschränkungen und Konflikte der beiden Arten von Grundrechtsgewährleistungen auf mehreren Ebenen auftreten und sich dort ganz unterschiedlich auswirken.
I. Verschränkungen im Schutzbereich Die Schutzbereiche der Kommunikationsfreiheiten auf der einen und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf der anderen Seite stehen ihrer Konzeption nach grundsätzlich entgegengesetzt zueinander. Während die Kommunikationsfreiheiten gerade die Freiheit des Informationsflusses gewährleisten sollen, stellt sich das allgemeine Persönlichkeitsrecht in den hier betrachteten Teilaspekten als Kommunikationsrestriktionsrecht dar. Die beiden Grundrechtspositionen schützen demnach gerade entgegengesetzte und daher miteinander schon aus strukturellen Gründen oft in Konflikt tretende Freiheitsbetätigungen. Dennoch existieren in einem kleinen Teilbereich auch Verschränkungen der beiden Schutzbereiche, die aus der Struktur des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung resultieren. Denn Voraussetzung für den Schutz eines Datums durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist, dass das Datum in irgendeiner Form fixiert wird und somit die reine innere Gedankenwelt ––––––––––– 131
Kübler, AfP 1995, S. 629 (631 f.); vgl. auch Stürner, JZ 1994, S. 865 (872). Vgl. schon den 14. Tätigkeitsbericht des hessischen Datenschutzbeauftragten Simitis, HessLT-Drs. 11/5232 v. 24.01.1986, Pkt. 11.1.1.; sowie Schwan, Amtsgeheimnis oder Aktenöffentlichkeit, S. 215; Schindel, DuD 1991, S. 591 (594); Gola, NJW 1993, S. 3109 (3111); Schoch/Kloepfer, IFG-ProfE, Einl., Rn. 31 f. 132
174 Kap. 3: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als Kommunikationsrestriktionsrecht
eines Menschen verlässt. Eine solche Fixierung erfolgt auch und maßgeblich durch Weitergabe der Information an Dritte, d.h. durch Kommunikation, die wiederum von den Gewährleistungen des Art. 5 GG geschützt wird. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird insofern zum Teil durch das eigentlich gegenläufige Prinzip der freien Kommunikation erst aktiviert. Die gegensätzlichen Schutzbereiche der beiden Grundrechtsgewährleistungen verschränken sich auf diese Art und Weise.
II. Konflikte durch wechselseitige Beeinträchtigungen Der Schwerpunkt der wechselseitigen Beziehungen liegt dennoch in den Konflikten, die aufgrund ihrer entgegengesetzten Schutzgehalte zwischen den beiden Grundrechtsgewährleistungen entstehen. Vor allem das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist dabei durch seinen restringierenden Gehalt in seinen Beeinträchtigungsmöglichkeiten aufs Engste mit den Kommunikationsfreiheiten verknüpft. Denn während die Kommunikationsfreiheiten durch eine Vielzahl von Maßnahmen auch nicht-informationsrestringierenden Gehalts beeinträchtigt werden kann, ist eine Beeinträchtigung der informationsrestringierenden Gehalte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eben nur durch einen Informationsfluss möglich, dessen wichtigsten Fall die Kommunikation darstellt. Zumindest in Bezug auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sind deshalb Konstellationen denkbar, in denen dieser Teilbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch anderen Freiheitsgebrauch als den der Kommunikationsfreiheiten beeinträchtigt wird. Dies kann etwa durch Datenerhebung oder Datenspeicherung der Fall sein, die nicht zwangsläufig in einen Kommunikationsprozess münden müssen. In der Tat wird der weitaus größte und auch bedeutendste Teil der Beeinträchtigungen sich jedoch im Konflikt mit den Kommunikationsfreiheiten abspielen. Anders sieht es hingegen für das Recht der persönlichen Ehre aus. Eine Beeinträchtigung dieses Schutzgutes kann denknotwendigerweise ausschließlich durch einen Kommunikationsakt erfolgen. Auf diese Art und Weise sind Ehrschutz und Kommunikationsfreiheiten als entgegengesetzte Pole untrennbar miteinander verbunden.
III. Gemeinsamkeiten in der Funktionserfüllung Auch wenn das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die Kommunikationsfreiheiten auf diese Art und Weise meist in Konflikt miteinander geraten, darf doch zuletzt nicht übersehen werden, dass sie trotz ihrer ganz unterschiedlichen Schutzrichtung teilweise dieselben Funktionen erfüllen. Denn die wechselseitigen Beziehungen der beiden Gewährleistungen verschränken sich im Ergebnis
G. Verschränkungen und Konflikte
175
erst zu einem Gesamtsystem, das sowohl der freien Kommunikation, als auch der freien Persönlichkeitsentfaltung dient. Die Funktion der Erhaltung und Förderung eines freien Kommunikationsprozesses133 auf der einen Seite wird nämlich durch persönlichkeitsrechtsrelevante Aspekte dadurch gefördert, dass das Persönlichkeitsrecht bei der Kommunikation über eine bestimmte Person dem Betroffenen nicht nur das Recht geben kann, eine solche Kommunikation zu verhindern, sondern auch die Befugnis, sich aufgrund dieser Berichterstattung mit einem eigenen Inhalt in die Kommunikation einzuschalten. Auf diese Art und Weise wird die Breite und Offenheit des Kommunikationsprozesses gerade in Hinblick auf die massenmediale Kommunikation gesichert. Im Gegenzug dazu eröffnet die Gewährleistung der Kommunikationsfreiheit dem Einzelnen gerade die Möglichkeit, sich in jeder erdenklichen Form nicht nur auszudrücken, sondern auch als Person darzustellen. Damit trägt sie entscheidend zur Entfaltung der eigenen Persönlichkeit im öffentlichen Raum bei. Dieses Recht zur Selbstdarstellung gehört zwar aufgrund seiner aktivischen Prägung nicht im eigentlichen Sinne zum engeren Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, ist auf der anderen Seite aber Grundvoraussetzung für die Persönlichkeitsentwicklung, die wiederum die elementare Basis des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bildet. An diese Bereitstellung der Basis zur Persönlichkeitsentwicklung knüpft im Übrigen auch eine weitere Funktion der Kommunikationsfreiheiten an: die Möglichkeit der Identitätsbildung. Gerade die Massenmedien stellen durch ihre Kommunikation Formate zur Verfügung, die dem Einzelnen die Identitätsbildung und damit letztlich die Selbstfindung und -erfindung ermöglichen. Insofern tragen auch die Kommunikationsfreiheiten funktionell zur Schaffung und Erhaltung der Voraussetzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bei. Das Verhältnis zwischen Kommunikationsfreiheiten und allgemeinem Persönlichkeitsrecht mit dem Bild der Medaille zu beschreiben, führt insofern tatsächlich nicht weiter. Die Verschränkungen, Konflikte aber auch Beeinflussungen der beiden Rechtspositionen sind dafür deutlich zu komplex. In der Tat können aber beide Freiheiten nicht ohne die jeweils andere gedacht werden. Trotz aller Gegensätze und Konflikte bleiben die Freiheit der Kommunikation und das allgemeine Persönlichkeitsrecht auf vielschichtige Weise untrennbar miteinander verbunden.
––––––––––– 133 Der allerdings nicht Selbstzweck ist, sondern wiederum anderen, teilweise auch persönlichkeitsrecbtsrelevanten Zwecken dient.
Viertes Kapitel
Konfliktlösung durch Abwägung Der Befund, dass die Gewährleistung der Kommunikationsgrundrechte und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bereits ihrer Struktur nach in einer Vielzahl von Fällen zu Konflikten führt, lässt sich ideengeschichtlich auf zwei Entwicklungen in der Grundrechtsdogmatik zurückführen: zum einen auf die Abkehr von dem Gedanken, der Grundrechtsschutz würde ausschließlich eine abwehrrechtliche Dimension enthalten, zum anderen auf die damit verbundene Ausweitung des Grundrechtsschutzes auf Konflikte zwischen den Bürgern, die sogenannte mittelbare Drittwirkung. Durch die erste Entwicklung wurde das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner passivischen Struktur dogmatisch überhaupt erst ermöglicht. Denn nur dann, wenn Grundrechte mehr als reine Abwehrrechte sind, können Schutzgehalte wie die Befugnis, selbst über die eigenen Daten zu bestimmen, sowie das Recht der persönlichen Ehre in seiner ganzen Statik grundrechtlich abgesichert werden. Diese Entwicklung eröffnet wiederum die Möglichkeit, aufgrund des weiteren Verständnisses des Grundrechtsschutzes auch das Verhältnis zwischen zwei Grundrechtsberechtigten in den vom Grundrechtsschutz umfassten Bereich mit einzubeziehen, und weitet auf diese Art und Weise den möglichen Kollisionsbereich der beiden Grundrechtsgewährleistungen erst auf das Maß aus, das den Konflikt als so brisant erscheinen lässt.
A. Grundrechtsabwägung und mittelbare Drittwirkung Stehen zwei Grundrechtsgewährleistungen im Konflikt miteinander, so wird diese Situation terminologisch meist unter die Schlagworte „Grundrechtskollision“ oder „Normenkonflikt“ gefasst, die sich in diesem Zusammenhang aufdrängen.1 Bei näherer Betrachtung stellt sich diese Beschreibung indes als ungenau dar. Denn keineswegs geraten die beiden Grundrechtsgewährleistungen allein auf der Ebene des Normtextes in Konflikt miteinander. Der Konflikt bzw. die Kollision tritt erst in einer bestimmten Entscheidungs- und Anwendungssituation auf, wenn nämlich beide Normen auf einen Sachverhalt zutreffen und ––––––––––– 1
Vgl. dazu nur Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, S. 381.
A. Grundrechtsabwägung und mittelbare Drittwirkung
177
zu unvereinbaren Rechtsfolgen führen.2 In Bezug auf die hier in Rede stehenden Grundrechte tritt eine solche Situation dann ein, wenn auf der einen Seite eine grundrechtsberechtigte Person eine Äußerung tätigt bzw. tätigen will – und dafür automatisch den Schutz der Kommunikationsgrundrechte in Anspruch nehmen kann –, während eine andere Person aufgrund ihres Rechts auf informationelle Selbstbestimmung oder ihres Rechts auf persönliche Ehre einen Anspruch darauf hat, dass genau diese Kommunikationsäußerung unterbleibt.
I. Anwendbarkeit im Privatrechtsverhältnis Diese Betrachtung macht deutlich, dass sich der Konflikt zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und den Kommunikationsfreiheiten aus Art. 5 GG in erster Linie zwischen Privaten abspielt, d.h. zwischen Grundrechtsträgern, die prinzipiell nicht selbst grundrechtsverpflichtet sind.3 Eine Ausnahme gilt lediglich in den Fällen, in denen im genannten Konflikt der Kommunizierende, dem die Gewährleistungen des Art. 5 GG zugute kommen, eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist, die sich dennoch ausnahmsweise auf Grundrechte berufen kann. Dies ist etwa anerkannt für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten, Opernhäuser oder Theater: sie können trotz ihrer staatlichen Organisationsform dem Staat gegenüber die Gewährleistung des Art. 5 GG machen.4 Doch unabhängig von der Frage, ob in den Fällen, in denen diese juristischen Personen des öffentlichen Rechts grundrechtlich geschützte Äußerungen tätigen, die in Konflikt mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht einer Person geraten, ein direkter staatlicher Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen vorliegt oder nicht, bemisst sich auch in diesen Konstellationen die Beurteilung des Konflikts nach dem Zivilrecht und muss gerichtlich auch auf dem Zivilrechtsweg verfolgt werden.5 Die rechtliche Beurteilung dieser Fälle und die Beurteilung der Fallgestaltungen, in denen sich lediglich Privatrechtssubjekte als Grundrechtsträger gegenüberstehen, erfolgt somit weitestgehend nach den selben Maßstäben. ––––––––––– 2 Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, S. 381, unter Verweis auf Fohmann, EuGRZ 1995, S. 49 (51, 54); Enderlein, Abwägung in Recht und Moral, S. 51 ff.; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 77; ders., in: ders., Recht, Vernunft, Diskurs, S. 52 (57 f.); Wiederin, Rechtstheorie 1990, S. 311 f. 3 A.A. lediglich BAGE 1, 185 (193 f.), das von einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte auch im Privatrechtsverhältnis ausgeht. 4 Scholz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 5 III Rn. 47; Starck, in: v. Mangold/Klein/Starck, GG, Art. 5 III Rn. 202; Hufen, Die Freiheit der Kunst in staatlichen Institutionen, passim. 5 Vgl. BVerwG, JZ 1995 S. 401 f., das die Frage nach dem Vorliegen eines Grundrechtseingriffs nicht abschließend beantwortet, allerdings auch in diesem Zusammenhang von einer Grundrechtskollision spricht.
178
Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
Die zivilrechtlichen Normen, nach denen sich die konkreten Konflikte bemessen, stellen sich dementsprechend auch als „Einfallstor“ dar, über das die Grundrechte im Zivilrechtsverhältnis ihre Wirkung entfalten. Denn bei der Anwendung zivilrechtlicher Vorschriften hat jeder Rechtsanwender im konkreten Fall „kraft Verfassungsgebot zu prüfen, ob die von ihm anzuwendenden materiellen zivilrechtlichen Vorschriften [...] grundrechtlich beeinflusst sind; trifft das zu, dann hat er bei Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften die sich hieraus ergebende Modifikation des Privatrechts zu beachten.“6 Diese mittelbare Drittwirkung der Grundrechte setzt demnach an bestehende gesetzliche Regelungen an, um den auf dieser Grundlage bestehenden Spielraum mit dem normativen Gehalt der Grundrechte auszufüllen. Das Zivilrecht erfüllt in diesem Sinne die Aufgabe der „die Ausübung der Grundrechte abstützenden multipolaren Rechtsinfrastruktur.“7 Es stellt damit den Rahmen dar, innerhalb dessen der Konflikt der grundrechtlich geschützten Positionen im Einzelfall gelöst werden kann und muss.8
II. Abwägung als Konfliktlösungsmodell Auf welche Art und Weise und mit welchen Mitteln dieser Konflikt innerhalb des zivilrechtlichen Rahmens einer Lösung zugeführt werden kann, hat das Bundesverfassungsgericht bereits frühzeitig in seiner Lüth-Entscheidung beantwortet und als Instrument der Konfliktlösungsmodell die „Güterabwägung“ angewandt.9 Danach muss das Recht zur Kommunikationsäußerung zurücktreten, wenn schutzwürdige Interessen eines anderen von höherem Rang durch die Betätigung der Kommunikationsfreiheit verletzt würden. Ob solche überwiegenden Interessen anderer vorliegen, ist auf Grund aller Umstände des Falles zu ermitteln.10 Die Abwägung erscheint hier somit als Methode der Rechtsgewinnung,11 um einen in der Methodik verfassungsrechtlich nicht vorgeschriebenen, gleichwohl aber unerlässlichen Ausgleich zu finden.
––––––––––– 6
BVerfGE 7, 198 (206). Ladeur, Kritik der Abwägung in der Grundrechtsdogmatik, S. 64. 8 Vgl. ausführlich zur Bedeutung der mittelbaren Drittwirkung gerade auch für die Konstruktion der Grundrechte als Abwehrrechte Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S. 233 ff. 9 Freilich ist dieses Instrument keine Erfindung des Bundesverfassungsgerichts, wie Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 13, zutreffend bemerkt, sondern seit langem ein Bestandteil der juristischen Methodenlehre, vgl. nur Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 404 ff. Zur internationalen Dimension der Abwägung vgl. Hubmann, FS Schnorr von Carolsfeld, S. 173 (174). 10 BVerfGE 7, 198 (210 f.). 11 Ossenbühl, DVBl. 1995, S. 904 (904) m.w.N. 7
A. Grundrechtsabwägung und mittelbare Drittwirkung
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1. Notwendigkeit der Abwägung Auch in der Verfassungsrechtswissenschaft ist heute die Notwendigkeit einer solchen Abwägung zur Lösung grundrechtlicher Interessenkonflikte im Prinzip weitestgehend akzeptiert und anerkannt.12 Trotzdem ist die Debatte nach wie vor von Skepsis geprägt. Aufgrund seiner fehlenden Verankerung im Verfassungstext13 wird das Verfahren als „Achillesverse der gesamten Grundrechtsdogmatik“14 charakterisiert, seine „begrenzte Kalkulierbarkeit und Rationalisierbarkeit“15, mithin sogar seine „Unkalkulierbarkeit“16 beklagt. Auch wird als Kritikpunkt an dem Verfahren die Versuchung angeführt, bei der Abwägung „den eigenen gesellschaftspolitischen Vorlieben zu frönen und die Rechenschaft darüber zu vernachlässigen, ob die Heranziehung des genutzten Konzepts verfassungsrechtlich legitimiert ist.“17 Diese Kritik gipfelt schließlich in dem Vorwurf, das Abwägen entbehre der rationalen und verbindlichen Maßstäbe.18 In der Tat wohnt die Gefahr mangelnder Objektivität der Abwägung als Mittel der Rechtsfindung immer inne. Weil die Abwägung für die Lösung grundrechtsspezifischer Interessenkonflikte unersetzbar ist, muss diese Gefahr jedoch hingenommen und so weit wie möglich reduziert werden. Denn eine Alternative dazu, den konkreten Interessensausgleich mittels einer Abwägung zu finden, um so auch im Privatrechtsverhältnis den Grundrechten ihre Ausstrahlungswirkung beikommen lassen zu können, ist bisher nicht gefunden. Insbesondere vermag das Vertrauen auf die Selbstorganisation und Selbstorientierung der Grundrechtsbetroffenen, im hier behandelten Fall also auf die Selbstorganisation und Selbstorientierung des Mediensystems,19 den Konflikt widerstreitender Grundrechtspositionen nicht befriedigend zu lösen. Denn es verweist den Interessenwiderstreit aus dem rechtlichen Raum lediglich zurück in die Gesellschaft,20 hebt die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte weitgehend auf und ––––––––––– 12
Vgl. zusammenfassend Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2, S. 814 ff. 13 Eine Ausnahme bildet insofern lediglich Art. 14 Abs. 3 S. 3 GG, der vorsieht, dass die Enteignungsentschädigung „unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten“ zu bestimmen ist. Allerdings handelt es sich bei dieser Form der Abwägung nicht um eine Methode der Rechtsfindung, wie dies bei der Abwägung zweier im konkreten Fall kollidierender Grundrechtspositionen der Fall ist, vgl. Ossenbühl, DVBl. 1995, S. 904 (905). 14 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2, S. 650. 15 Schulze-Fielitz, JZ 1994, S. 902 (904). 16 Isensee, AfP 1993, S. 619 (625). 17 Hoffmann-Riem, AöR 128, S. 173 (197). 18 Schlink, FS 50 J. BVerfG, S. 445 (460 ff.) 19 Ladeur, Kritik der Abwägung in der Grundrechtsdogmatik, S. 71. 20 So ausdrücklich Ladeur, NJW 2004, S. 393 (396).
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Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
überlässt damit die Durchsetzbarkeit der geschützten Grundrechtspositionen im Endeffekt allein dem freien Spiel der Kräfte. Um also eine Balance zu finden zwischen den Gefahren, die von der Abwägung als Konfliktlösungsmodell ausgehen, und der Notwendigkeit, dieses Modell mangels Alternativen in der Praxis anwenden zu müssen, muss zum ersten der methodische Ansatz des Instruments „Abwägung“ geklärt werden, um dann ein Gerüst entwickeln zu können, anhand dessen das Instrument im Einzelfall angewendet werden kann. Nur auf diese Weise kann die „Zauberformel“21 Abwägung ihres mystischen Gewandes entkleidet und auf dem Boden juristischer Tatsachen einer objektiven Handhabung zugefüht werden. Auf diese Weise soll die Methode einer „unvermittelten einzelfallbezogenen Güter- und Interessenabwägung“, als die sich die Abwägung im negativsten Fall darstellen kann, ersetzt werden durch eine Konstruktion, in der „unter Berücksichtigung der Besonderheiten der zu beurteilenden Sachverhalte und der Bedeutung der Grundrechte [...] Grundsätze entwickelt werden, welche die Entscheidung des Einzelfalles normativ zu leiten imstande sind.“22
2. Methode der Abwägung In einem deskriptiven Sinne kann Abwägung zunächst verstanden werden als eine Methode, einander gegenüberstehende Verfassungsgüter verhältnismäßig, d.h. proportional zu gewichten.23 In diesem Sinne taucht sie systematisch in erster Linie als dritte Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung auf, bei der die Proportionalität der Zweck-Mittel-Relation mit diesem Instrument gemessen bzw. beurteilt wird.24 In diesen klassischen Fällen der Verhältnismäßigkeit ist im Rahmen der Abwägung zu prüfen, ob die eingesetzten Mittel noch in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel stehen.25 Indes trifft diese Beschreibung allein die Fälle, in denen die Perspektive der Abwägung sich auf einen Grundrechtseingriff im eigentlichen Sinne bezieht. Nur in solchen Konflikten zwischen Staat und Bürger lässt sich eine Eingriffsperspektive bilden, aus der heraus eine Zweck-Mittel-Relation im eigentlichen, engeren Sinne gebildet werden kann. Kollidieren jedoch ausschließlich private, ––––––––––– 21 Ossenbühl, DVBl. 1995, S. 904 (905), unter Verweis auf Arndt, NJW 1966, S. 869 (871). 22 BVerfGE 66, 116 (138). 23 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2, S. 818; Ossenbühl, DVBl. 1995, S. 904 (906). Zu den verschiedenen, auch außerjuristischen Bedeutungen des Begriffs der Abwägung vgl. ausführlich Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, S. 387 ff. 24 Vgl. nur Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 15 f.; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2, S. 818. 25 BVerfGE 92, 277 (326).
A. Grundrechtsabwägung und mittelbare Drittwirkung
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grundrechtsgeschützte Interessen miteinander, so kann eine solche Prüfung allein deshalb nicht sachgerecht sein, weil in einem solchen Modell sonst immer einer der beiden Grundrechtsträger im Rahmen der Prüfung der ZweckMittel-Relation seinen Grundrechtsgebrauch gegenüber dem Grundrechtsgebrauch des anderen Grundrechtsträgers rechtfertigen müsste. Ein solcher Rechtfertigungszwang kann aber angesichts der Gleichberechtigung, mit der sich die Grundrechtspositionen gegenüberstehen, grundsätzlich keinem der beiden Grundrechtsträger auferlegt werden. Im Rahmen der Abwägung zwischen kollidierenden Grundrechtspositionen ist daher nicht auf das der Verhältnismäßigkeitsprüfung eigene Prüfungsschema der angemessenen Zweck-Mittel-Relation abzustellen, sondern vielmehr auf das Instrument des proportionalen Ausgleichs, das auch bei Konflikten zwischen Grundrechtsträgern funktional identisch bleibt,26 auch wenn es in diesem Kontext mit den Begriffen „schonendster Ausgleich“, „praktische Konkordanz“ oder „Wechselwirkung“ bezeichnet werden mag.27 Die Abwägung stellt sich somit im Sinne einer „doppelten Verhältnismäßigkeitsprüfung“ letztlich als Gewichtung der verschiedenen kollidierenden Interessen dar, die symmetrisch aufeinandertreffen, d.h. bei denen eine Situation der Waffengleichheit zwischen den Konfliktparteien besteht.28 Im Rahmen dieser Gewichtung muss dann festgestellt werden, auf welche Weise eine Situation geschaffen werden kann, die angesichts des Konflikts beiden Positionen zur bestmöglichen Geltung verhelfen kann.29 Welche Grundrechtspositionen dabei im konkreten Fall miteinander kollidieren, ist für die abstrakte Systematik der Abwägung ohne Belang. Insbesondere ist es unerheblich, ob es sich bei der mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in Widerstreit stehenden Kommunikationsfreiheit um eine solche handelt, die dem Schrankenvorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG unterliegt, oder um ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 GG. Denn in jedem Fall geht es in der vorliegenden Konstellation allein um eine Abwägung im Rahmen verfassungsimmanenter Schranken, so dass der Schrankenvorbehalt, mit dem die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG versehen sind, zwar den konkreten Inhalt, nicht aber die Methode der Abwägung verändern kann.30
––––––––––– 26 Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 214 f.; Ossenbühl, DVBl. 1995, S. 904 (906 f.). 27 Vgl. Lerche, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdBStR V, § 122 Rn. 3 ff. 28 Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 215. 29 Vgl. auch Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, S. 160. 30 Ladeur, ZUM 2004, S. 426 (433); Hillgruber/Schemmer, JZ 1992, S. 946 (949).
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Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
B. Interessenausgleich durch Gesetz Welchen Inhalt ein optimaler Güterausgleich zwischen den konkret betroffenen Kommunikationsfreiheiten und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht haben kann und haben sollte, bestimmt sich in erster Linie nach den einschlägigen gesetzlichen Regelungen, insbesondere also den Normen des Zivilrechts. Die Wertungsentscheidungen, die hier vorgenommen werden, haben vor allen Dingen deswegen eine so entscheidende Bedeutung, weil der Güterausgleich zwischen kollidierenden Grundrechtspositionen in erster Linie eine Aufgabe des Gesetzgebers ist und von ihm wahrgenommen werden soll. Denn der kollisionslösende Entscheidungsspielraum, der bei einer Abwägung entsteht, enthält Momente politischer Gestaltung, die nur von diesem wahrgenommen werden kann.31 Darüber hinaus kommt der Gesetzgeber mit einer legislativen Ausgleichsentscheidung nicht zuletzt auch seiner Schutzpflicht nach, die es ihm auferlegt, den Bürger vor Eingriffen Dritter in seine Grundrechte zu bewahren.32 Neben den Normen des Zivilrechts, die den privatrechtlichen Konflikt der beiden Grundrechtsträger unmittelbar regeln, sind daneben aber auch die Lösungsansätze im öffentlichen Recht sowie im Strafrecht zu berücksichtigen. Zwar liegt in diesen Fällen keine direkte Konfliktlösung des Gesetzgebers für den Widerstreit der privatrechtlichen Interessen vor. Die Wertentscheidungen, die der Gesetzgeber in diesen Normen getroffen hat, können dennoch wesentliche Anhaltspunkte für eine ausgewogene und interessengerechte Lösung im Einzelfall geben.
I. Interessenausgleich im Zivilrecht Mit den Mitteln des Zivilrechts hat der Gesetzgeber solche Konstellationen einer ausgleichenden Lösung zugeführt, in denen die grundrechtlich geschützten Interessen zweier Grundrechtsträger unmittelbar miteinander konfligieren, in denen sich also das Interesse des Kommunizierenden, eine bestimmte Äußerung zu tätigen, und das Interesse des Persönlichkeitsrechtsträgers, die öffentliche Verbreitung eines bestimmten Kommunikationsinhalts zu verhindern, entgegenstehen. Der größte Teil dieser Fälle hat dabei in der Zivilgesetzgebung keine ausdrückliche und spezielle Regelung erfahren. Etwaige grundrechtssichernde Ansprüche werden daher meist über eine entsprechende Anwendung ––––––––––– 31 Vgl. Isensee, AfP 1993, S. 619 (628); Hubmann, Wertung und Abwägung im Recht, S. 67. Zur Weite des Entscheidungsspielraums bei der gesetzgeberischen Lösung grundrechtlicher Güterkollisionen vgl. auch Messerschmidt, Gesetzgebungsermessen, S. 361 ff. 32 Vgl. dazu ausführlich Stern, Staatsrecht, Band III/1, S. 931 ff.; explizit für den Konflikt zwischen Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht Hillgruber/Schemmer, JZ 1992, S. 946 (947).
B. Interessenausgleich durch Gesetz
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der §§ 823, 1004 BGB gelöst.33 Diese Normen sind indes derart allgemein, dass ihnen keinerlei gesetzgeberische Maßstäbe für einen grundrechtsgerechten Interessenausgleich entnommen werden können. Die für die Beurteilung der hieraus resultierenden Unterlassungs-, Gegendarstellungs- und Schadensersatzansprüche notwendige Abwägung wird somit allein durch die in der Rechtsprechung entwickelten Rechtsfiguren und Abwägungsmuster bestimmt.34 Spezifische, den Konflikt zwischen Kommunikationsfreiheiten und Persönlichkeitsrecht betreffende Bestimmungen finden sich jedoch für das Recht am eigenen Bild in §§ 22, 23 KUG35 sowie im presserechtlichen Gegendarstellungsanspruch.
1. Recht am eigenen Bild Das Recht am eigenen Bild als Teil des (zivilrechtlichen wie verfassungsrechtlichen) allgemeinen Persönlichkeitsrechts wird umfassend durch § 22 KUG geschützt. Danach dürfen Bildnisse von Personen bis 10 Jahre nach deren Tod ohne deren Einwilligung (oder nach dem Tod der ihrer Angehörigen) nicht veröffentlicht werden. Ausnahmen davon normiert § 23 KUG für vier Fallgruppen: Ausgenommen sind zum einen Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte, zum anderen Bilder, auf denen Personen nur als Beiwerk erscheinen, weiterhin Bilder von Versammlungen und Aufzügen sowie zuletzt Bilder, deren Veröffentlichung einem höheren Interesse der Kunst dient, sofern es sich nicht um Auftragsarbeiten handelt. Diese Ausnahmen werden aber wiederum eingeschränkt für Fälle, in denen durch die Veröffentlichung ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten verletzt wird. Die gesetzgeberische Abwägung misst somit dem Persönlichkeitsrecht ein grundsätzlich geringeres Gewicht zu bei zeitgeschichtlichem Bezug, bei Bagatelleingriffen, bei Geschehnissen, in deren Zusammenhang sich der Betroffene selbst in die Öffentlichkeit begeben hat, sowie in Fällen, in denen es sich beim kollidierenden Rechtsgut um die Kunstfreiheit handelt, es sei denn, durch einen Auftrag wurde ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Künstler und Abgebildetem geschaffen.36 Eine Ausweitung auf Bildnisse, die nicht künstlerischen, sondern wissenschaftlichen Zwecken dienen, ist zwar vom Gesetzeswortlaut nicht vorgesehen. Eine analoge Anwendung wird aber vor allem in ––––––––––– 33
S.u. S. 257 ff. Vgl. dazu sogleich S. 195 ff. 35 Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie (Kunsturhebergesetz – KUG) vom 9.1.1907, RGBl. 1907 S. 7; aufgehoben am 1.1.1966 durch das Urheberrechtsgesetz vom 9.9.1965 (BGBl. I 1965, S. 1273) bis auf den Schutz von Bildnissen, zuletzt geändert durch Gesetz vom 16.02.2001, BGBI. I S. 280. 36 Vgl. hierzu Gerstenberg/Götting, in: Schricker (Hrsg.), Urheberrecht, § 23 KUG Rn. 30. 34
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Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
Hinblick auf die Gesetzesmaterialien bejaht.37 Insofern wird hier – in dieser Form einmalig – der gesetzgeberische Wille deutlich, die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit gegenüber der Presse- bzw. Meinungsfreiheit zu privilegieren. Nicht unerwähnt bleiben darf an dieser Stelle jedoch, dass es sich bei dem Urheber dieses gesetzgeberischen Willens noch um den vorkonstitutionellen Gesetzgeber handelt – das KUG stammt in dieser Form aus dem Jahr 1907.
2. Gegendarstellungsrecht Neben den zivilrechtlichen Ausgestaltungen des Rechts am eigenen Bild besteht als spezifisches zivilrechtliches Instrument in diesem Zusammenhang noch der presserechtliche Gegendarstellungsanspruch, der zwar in den – eigentlich dem öffentlichen Recht zuzuordnenden – Landespressegesetzen normiert ist, dessen prozessuale Durchsetzung mittlerweile allerdings durch die ordentliche Gerichtsbarkeit gewährt wird,38 so dass die früher umstrittene Frage nach der Rechtsnatur des Anspruchs mittlerweile zugunsten des Zivilrechts entschieden wurde.39 § 11 LPG40 gibt jeder Person das Recht, in den Fällen, in denen sie durch eine in einem periodischen Druckwerk aufgestellte Tatsachenbehauptung betroffen ist, von dem verantwortlichen Redakteur oder Verleger den Abdruck einer Gegendarstellung zu verlangen. Ein Anspruchsausschluss besteht lediglich, sofern der Betroffene kein berechtigtes Interesse an der Gegendarstellung hat, wenn der Umfang der Gegendarstellung nicht angemessen ist oder die Gegendarstellung ausschließlich den geschäftlichen Interessen dient. Auf den Wahrheitsgehalt der ursprünglichen Tatsachenbehauptung sowie der Gegendarstellung kommt es hingegen nicht an. Eine Ausnahme gilt lediglich, wenn die Gegendarstellung offensichtlich unwahr ist, da der Betroffene dann an ihr kein berechtigtes Interesse haben kann.41 Als abwägungsrelevantes Kriterium im Gegendarstellungsrecht stellt sich somit die Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen dar: Bei ersteren normiert der Gesetzgeber ein stärkeres Gewicht des Persönlichkeitsrechts, das nur bei offensichtlicher Wahrheit bzw. Unwahrheit gegenüber der Pressefreiheit wieder gemindert ––––––––––– 37
Vgl. Gerstenberg/Götting, in: Schricker (Hrsg.), Urheberrecht, § 23 KUG Rn. 32. § 11 IV LPG in Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Thüringen, § 10 III LPG Bayern, § 10 IV LPG in Berlin, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, § 10 V LPG Sachsen, § 12 IV LPG Brandenburg; § 10 IV LMG in Rheinland-Pfalz und dem Saarland. 39 Vgl. ausführlich Sedelmeier, in: Löffler (Hrsg.), Presserecht, § 11 LPG Rn. 33 ff. 40 Bzw. § 10 LPG in Bayern, Berlin, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, § 12 LPG in Brandenburg; § 10 LMG in Rheinland-Pfalz und dem Saarland. 41 Sedelmeier, in: Löffler (Hrsg.), Presserecht, § 11 LPG Rn. 63. 38
B. Interessenausgleich durch Gesetz
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werden kann. Bei letzteren hingegen ist das gesamte Gegendarstellungsrecht unanwendbar, der Schutz des Persönlichkeitsrechts tritt hier also zurück.
II. Interessenausgleich im öffentlichen Recht Im öffentlich-rechtlichen Bereich entsteht eine – gesetzlich zu lösende – Kollision von Persönlichkeitsrechten und Kommunikationsfreiheiten in der Regel nur dann, wenn der Staat Inhaber personenbezogener Informationen ist, auf die Dritte zugreifen und die sie möglicherweise veröffentlichen wollen. Dabei ist zu beachten, dass allein die Nicht-Gewährung des Zugangs zu öffentlichen Informationen noch keinen Eingriff in die speziellen Kommunikationsgrundrechte darstellt, da ein grundrechtlicher Informationsanspruch weder durch Art. 5 Abs. 1 S. 2 begründet wird noch direkt aus Art. 5 Abs. 3 GG folgt.42 Vielmehr ist der eigentliche durch die Grundrechtsgewährleistungen geschützte Kommunikationsakt nur mittelbar und insofern betroffen, als dass die notwendige Vorstufe zur Informationsweitergabe eingeschränkt wird. Wenn hier trotzdem die gesetzlichen Abwägungsmuster auch für diese Fälle des Informationszugangs bzw. der Informationsverwehrung im öffentlichen Recht dargestellt werden, so ist dies der Tatsache geschuldet, dass der Gesetzgeber in diesen Fällen zwar keine Grundrechtskollision im eigentlichen Sinne lösen musste, die grundrechtlich durch die Kommunikationsfreiheiten geschützten Belange aber durchaus in seine gesetzgeberischen Erwägungen im Sinne eines möglichst schonenden Interessenausgleichs einbezogen hat.43 Allerdings beinhalten nicht alle Informationsansprüche gegen den Staat eine solche kommunikationsgrundrechtliche Komponente.44 Auswirkungen auf die Presse- oder Wissenschaftsfreiheit können hier zwar im Einzelnen bestehen,45 stellen sich aber nicht als typische Konstellationen in diesem Bereich dar. Im Folgenden sollen daher lediglich die Ansprüche untersucht werden, die für den Bereich der Wissenschaft und der Presse im weiteren Sinne spezielle Relevanz besitzen.46 ––––––––––– 42
Vgl. dazu Lenski, LKV 2004, S. 114 (114 f.); zum Informationsanspruch der Presse aus Grundrechten grundlegend BVerfGE 103, 44; zur Frage der Wissenschaftsfreiheit als Informationszugangsrecht verneinend BVerwG, NJW 1986, S. 1277. 43 Vgl. etwa nur die amtliche Begründung zum Entwurf des Fünften Änderungsgesetzes zum StUG, BT-Drs. 14/9216, S. 5. 44 So etwa der ganze Bereich des Register- sowie des Prozessrechts. Vgl. die umfassende Übersicht bei Kloepfer, Informationsrecht, § 10 Rn. 28 ff. 45 Vgl. etwa für die Grundbucheinsicht durch Pressevertreter BVerfG, NJW 2001, S. 503 ff.; besondere Forschungsklauseln enthalten etwa auch § 42a BZRG; § 29 BKAG; § 38 StVG; § 150b GewO; § 476 StPO. 46 Ein spezifisch für die Kunstfreiheit interessierendes Informationsrecht ist dagegen – nicht zuletzt aufgrund der geringeren Bedeutung der Informationserhebung in diesem Bereich – nicht ersichtlich. Insoweit bestimmte Informationsansprüche aller-
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Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
1. Bundesrecht Auf bundesgesetzlicher Ebene besteht eine solche Konstellation vor allem in Bezug auf die Benutzung von Archivgut, die zum einem durch das (allgemeine) Bundesarchivgesetz,47 zum anderen durch das (spezielle) Stasi-UnterlagenGesetz48 geregelt ist, eingeschränkt auch für die Informationsansprüche aus dem Umweltinformationsgesetz49 und dem Informationsfreiheitsgesetz.50
a) Bundesarchivgesetz In Bezug auf das Archivgut des Bundes, das grundsätzlich dem Bundesarchivgesetz unterfällt, hat der Gesetzgeber in § 5 Abs. 1, 2 BArchG die grundlegende Regelung getroffen, dass Aktenbestände mit personenbezogenen Daten auch ohne Einwilligung des Betroffenen von jedermann eingesehen werden dürfen, sobald 30 Jahre seit dem Tod des Betroffenen verstrichen sind. Eine Verkürzung dieser Schutzpflicht kann gem. § 5 Abs. 5 BArchG in zwei Fälle gewährt werden: Wenn die Benutzung für ein wissenschaftliches Forschungsvorhaben oder zur Wahrnehmung berechtigter Belange unerlässlich ist, kann Zugang zu den personenbezogenen Archivbeständen gewährt werden, sofern eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange durch angemessene Maßnahmen, insbesondere durch Vorlage anonymisierter Reproduktionen, ausgeschlossen werden kann. Geringer fällt der Schutz für Personen der Zeitgeschichte51 und Amtsträger in Ausübung ihres Amtes aus. Bei Archivgut, das solche Personen betrifft, können die Schutzfristen schon verkürzt werden, wenn ihre schutzwürdigen Belange angemessen berücksichtigt werden. Auch wenn die Details dieser Regelungen einer (verfassungskonformen) Auslegung bedürfen,52 werden die generellen Abwägungsmaßstäbe des Gesetzgebers am Wortlaut deutlich: Der Schutz des Persönlichkeitsrechts verliert zum einen bei ––––––––––– dings kein spezifisches wissenschaftliches oder publizistisches Interesse voraussetzen, können sich grundsätzlich jedoch auch Künstler auf diese Normen berufen, wobei dann im Einzelfall dem Gewicht der Kunstfreiheit Rechnung zu tragen wäre. 47 Gesetz über die Sicherung und Nutzung von Archivgut des Bundes (Bundesarchivgesetz – BArchG) vom 6.1.1988, BGBl. I S. 62, zuletzt geändert durch Gesetz vom 5.6.2002, BGBl. I S. 1782. 48 Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Stasi-Unterlagen-Gesetz – StUG) vom 20.12.1991, BGBl I S. 2272, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.08.2003, BGBl. I S. 1654. 49 Umweltinformationsgesetz v. 22.12.2004, BGBl I S. 3704. 50 Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (Informationsfreiheitsgesetz – IFG) vom 5.9.2005, BGBl. I S. 2722. 51 Vgl. zu diesem Begriff, der sich aus der Rechtsprechung zu § 23 KUG entwickelt und dadurch eine Normierung im BArchG erfahren hat u. S. 198. 52 Vgl. dafür etwa Manegold, Archivrecht, S. 287 ff.
B. Interessenausgleich durch Gesetz
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Amtsträgern53 und Personen der Zeitgeschichte, zum anderen im Bereich des postmortalen Persönlichkeitsrechts mit zunehmendem zeitlichen Abstand an Gewicht.
b) Stasi-Unterlagen-Gesetz Eine etwas andere Regelung wurde durch das StUG für diejenigen Archivunterlagen geschaffen, die aus den Beständen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR und seiner Vorläufer- und Nachfolgeorganisationen in den Besitz der sogenannten Gauck-Behörde54 gelangt sind. Aufgrund der Besonderheit der (überwiegend) rechtsstaatswidrigen Erlangung der Informationen in den Aktenbeständen normiert bereits § 5 Abs. 1 StUG ein generelles Verwendungsverbot personenbezogener Informationen, die im Rahmen der zielgerichteten Informationserhebung oder Ausspähung des Betroffenen gewonnen worden sind, zum Nachteil dieser Personen. In teilweiser Abkehr von diesem Grundsatz55 sehen die §§ 32 und 34 StUG besondere Zugangsrechte von Wissenschaftlern und Journalisten zu personenbezogenen Akten zu. Ihnen sind – zum Zwecke der politischen und historischen Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes – auch personenbezogene, nicht-anonymisierte Akten ohne Einwilligung des Betroffenen zur Verfügung zu stellen, wenn es sich entweder um Unterlagen über ehemalige Mitarbeiter oder Begünstigte des Staatssicherheitsdienstes handelt oder die personenbezogenen Informationen Personen der Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen oder Amtsträger im Rahmen ihrer zeitgeschichtlichen Rolle, Funktions- oder Amtsausübung betreffen. Eine Bereitstellung der Akten scheidet lediglich in den Fällen aus, in denen durch die Verwendung der Akten überwiegende schutzwürdige Interessen der Betroffenen beeinträchtigt werden. Insbesondere ist bei dieser Abwägung zu berücksichtigen, ob die Informationserhebung erkennbar auf einer Menschenrechtsverletzung beruht. 56 Die – sogar im Wortlaut – identischen ––––––––––– 53 Sofern diese sich in Ausübung ihres Amtes überhaupt auf diesen Grundrechtsschutz berufen können. Gegen einen solchen Schutz etwa Drohla, NJW 2004, S. 418 (429); Manegold, Archivrecht, S. 289 ff. 54 D.h. des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik. 55 Vgl. zum Widerspruch in der gesetzlichen Systematik Lenski, LKV 2004, S. 114 (116), sowie ausführlich Benda/Umbach, Stasi-Akten und das Persönlichkeitsrecht von Politikern, S. 34 ff. 56 Dieses Tatbestandsmerkmal nutzte das BVerwG, um das Gesetz verfassungskonform auszulegen: Der Begriff der Menschenrechtsverletzung sei denkbar weit auszulegen und umfasse – abgesehen von verbotenen Verhörmethoden – das Eindringen in die (räumliche) Privatsphäre, darüber hinaus jede Verletzung des Rechts am gesprochenen Wort, auch außerhalb der Privaträume in dienstlichen Büro- und Sitzungsräumen. Nicht als Menschenrechtsverletzung anzusehen sei hingegen die Spionage, auf die jedoch § 32 I 3 StUG entsprechende Anwendung finden müsse, BVerwG, NJW 2004, S. 2462 (2467 f.).
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Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
Kriterien stellt das StUG auch für die Veröffentlichung der so erlangten Materialien durch die Wissenschaftler bzw. Journalisten auf. Zur Durchsetzung dieses Veröffentlichungsverbotes enthält das StUG jedoch nur sehr eingeschränkte Sanktionsmöglichkeiten.57 Zwar bestehen an dieser – erst seit September 2002 geltenden – Fassung des StUG erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken.58 Die vom Gesetzgeber intendierte Abwägungsvorgabe ist jedoch klar ersichtlich:59 Bei Amtsträgern, Personen der Zeitgeschichte, Inhabern politischer Funktionen sowie ehemaligen Stasi-Mitarbeitern und sonstigen Begünstigten hat das Persönlichkeitsrecht von vorneherein ein geringeres Gewicht. Lediglich die besonders rechtsstaatsoder menschenrechtswidrige Art der Informationserlangung kann dem Persönlichkeitsrecht wieder mehr Gewicht zugemessen.
c) Umweltinformationsgesetz Das Umweltinformationsgesetz als erstes Informationsfreiheitsgesetz in Deutschland enthält zwar keine besonderen Akteneinsichtstatbestände für Wissenschaftler oder Journalisten – liegt seine Besonderheit doch gerade darin, einen Informationsanspruch gegen die Verwaltung bezüglich Informationen über die Umwelt voraussetzungslos zu gewähren. Gleichwohl können sich auch diese Personengruppen auf den durch das Gesetz gewährten Informationsanspruch berufen.60 Insofern sind aufgrund der Weite des Anspruchs die Abwägungsvorgaben auch für die hier betrachtete Kollision interessant. In der Tat ist der Tatbestand zum Schutz personenbezogener Daten im UIG jedoch – insofern korrespondierend mit der Weite des Anspruchs – sehr vage gehalten. Der Informationsanspruch ist gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1 UIG ausgeschlossen, wenn durch das Bekanntwerden der Informationen personenbezogene Daten offenbart und dadurch schutzwürdige Interessen der Betroffenen beeinträchtigt würden, sofern nicht das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe überwiegt. Eine gesetzgeberische Wertung lässt sich dieser Formulierung nicht entnehmen, insbesondere erfolgt hier keine pauschale Herabwürdigung des ––––––––––– 57
S.u. S. 193. Vgl. Lenski, LKV 2004, S. 114 ff.; Benda/Umbach, Stasi-Akten und das Persönlichkeitsrecht von Politikern, passim; a.A. Drohla, NJW 2004, S. 418 ff.; für die Verfassungsmäßigkeit unter der Bedingung der sehr einschränkenden Auslegung der Herausgabetatbestände BVerwG, NJW 2004, S. 2462 ff. 59 Vgl. auch die amtliche Begründung des Änderungs-Gesetzes-Entwurfs, BT-Drs. 14/9219, S. 5. 60 Auch wenn der Anspruch für Wissenschaftler bedeutender sein dürfte als für Journalisten, da diese i.d.R. bereits einen Informationsanspruch aus den Landespressegesetzen (s.u. S. 192) haben dürften, der zudem nicht mit der Kostenfolge des § 1 I UIGKostV ausgestattet ist, vgl. auch Rossi, Informationsfreiheit und Verfassungsrecht, S. 159 ff. 58
B. Interessenausgleich durch Gesetz
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Persönlichkeitsrechts in Bezug auf bestimmte Fall- oder Personengruppen. Zu erklären ist dies in erster Linie damit, dass der Gesetzgeber mit dieser Norm nicht eigengestalterisch tätig geworden ist, sondern lediglich Art. 4 Abs. 1 lit. f) der Umweltinformationsrichtlinie61 umgesetzt hat,62 in der ebenfalls keine weitere Differenzierung innerhalb des Schutzes personenbezogener Daten vorgenommen wird.
d) Informationsfreiheitsgesetz Noch weiter als das Umweltinformationsgesetz geht das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes, das seit dem 1.1.2006 jedermann einen voraussetzungslosen Anspruch auf Zugang zu allen Informationen gewährt, die bei Behörden des Bundes vorhanden sind. Regelungen zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts finden sich hier in § 5 IFG, der an den Bestimmungen des UIG ausgerichtet ist. Nach seinem Absatz 1 darf Zugang zu personenbezogenen Daten nur gewährt werden, soweit das Informationsinteresse des Antragstellers das schutzwürdige Interesse des Dritten am Ausschluss des Informationszugangs überwiegt oder der Dritte eingewilligt hat. Im Gegensatz zu den Bestimmungen des UIG wird diese Regelung allerdings durch die Norm weiter spezifiziert.63 So ist das Überwiegen der Interessen des Antragstellers generell ausgeschlossen bei Informationen aus Unterlagen, die mit dem Dienst- oder Amtsverhältnis oder einem Mandat des Betroffenen in Zusammenhang stehen, d.h. bei Personalakten im weiteren Sinne.64 Demgegenüber normiert § 5 Abs. 3 IFG eine Vermutungsregel zugunsten des Informationsinteresses des Antragstellers in Bezug auf solche personenbezogenen Daten, die sich auf die Angabe auf Name, Titel, akademischen Grad, Berufs- und Funktionsbezeichnung, Büroanschrift und -telekommunikationsnummer beschränken, wenn der Betroffene als Gutachter, Sachverständiger oder in vergleichbarer Weise eine Stellungnahme in einem Verfahren abgegeben hat. Beziehen sich derartige Daten auf einen Amtsträger und sind demnach ––––––––––– 61
Richtlinie 2003/4/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 28.01.2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates, ABl. EG Nr. L 41 v. 14.02.2003, S. 26. 62 Zwar stellt Art. 3 Abs. 2 UIRL dem Wortlaut nach eine Kann-Vorschrift bezüglich der Normierung des persönlichkeitsschützenden Ausnahmetatbestandes dar. Da auch auf Gemeinschaftsebene der Schutz personenbezogener Daten grundrechtlich ausgestaltet ist, ist die Bestimmung gemeinschaftsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass eine Umsetzungspflicht besteht, vgl. Turiaux, UIG, § 8 Rn. 2; eine Gemeinschaftsgrundrecht auf Datenschutz bejahend, die Frage der Umsetzungspflicht aber offenlassend Erichsen, NVwZ 1992, S. 409, 412 f. 63 Vgl. dazu auch Schoch/Kloepfer, IFG-ProfE, § 7 Rn. 8. 64 Vgl. Rossi, IFG, § 5 Rn. 28. Missverständlich insofern Schmitz/Jastrow, NVwZ 2005, S. 984 (993), die von einer Vermutungsregel sprechen.
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Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
Ausdruck und Folge der amtlichen Tätigkeit, ordnet § 5 Abs. 4 IFG sogar eine generelle Zugänglichkeit der Informationen an. Wie das Bundesarchivgesetz und das Stasi-Unterlagen-Gesetz geht demnach auch das Informationsfreiheitsgesetz von einem geringeren Schutzniveau des allgemeinen Persönlichkeitsrechts für Amtsträger und vergleichbare Personen aus, wenn die Beeinträchtigung im Zusammenhang mit ihrer Amtsausübung steht. Eine Ausnahme gilt lediglich in Bezug auf Personalakten. Hiermit greift der Gesetzgeber jedoch lediglich die Regelung der § 90 Abs. 1 BBG, § 13 BAT/BAT-O und § 13a MT Arb/MT Arb-O auf,65 die für das Verhältnis von Kommunikationsfreiheit und Persönlichkeitsschutz allerdings keine besondere Bedeutung haben.
2. Landesrecht Auf landesrechtlicher Ebene finden sich zum einen Parallelvorschriften zu den auf Bundesebene für die Bundesbehörden geregelten Informationsansprüchen, namentlich die Landesarchivgesetze sowie die in einzelnen Ländern erlassenen Informationsfreiheitsgesetze. Daneben existiert – ohne bundesrechtliches Äquivalent66 – in allen Ländern ein spezifischer Informationsanspruch der Presseorgane gegenüber Behörden aus dem jeweiligen Landespressegesetz.
a) Landesarchivgesetze Die Archivgesetze der Länder weisen zwar zum Teil in Einzelpunkten voneinander bzw. vom BArchG abweichende Regelungen in Bezug auf die Archivbenutzung auf. Diese lassen sich allerdings bei systematischer Betrachtung ohne Weiteres in verschiedene Fallgruppen zusammenfassen.67 Erste Unterschiede sind in Bezug auf den Zugangsanspruch erkennbar: Die meisten Landesgesetze machen bereits den Zugangsanspruch zu den Archivalien von der Glaubhaftmachung eines berechtigen Interesses abhängig, das vor allem wissenschaftliche und publizistische Zwecke umfasst.68 Auch bei den Sperrfristen ––––––––––– 65
Vgl. BT-Drs. 15/4493, S. 13. Ein presserechtlicher Informationsanspruch gegen Bundesbehörden besteht somit ausschließlich in Hinblick auf Art. 3 I GG in Form eines Anspruchs auf willkürfreie Entscheidung, wenn anderen Medienvertretern die Informationen zugänglich gemacht werden, vgl. Kloepfer, Informationsrecht, § 10 Rn. 76. 67 Eine ausführliche Darstellung der landes- und bundesgesetzlichen Bestimmungen gibt Manegold, Archivrecht, S. 254 ff. 68 Landesarchivgesetze in: Baden-Württemberg § 6 I; Bayern Art. 10 II 1; Brandenburg § 9 I 1; Bremen § 7 I 1; Hamburg § 5 I; Hessen § 14 S. 1; Mecklenburg66
B. Interessenausgleich durch Gesetz
191
für die Nutzung personenbezogenen Archivguts existieren Abweichungen. Die meisten Gesetze sehen nur eine zehnjährige Sperrfrist nach dem Tod des Betroffenen vor,69 nur in drei Ländern gilt – wie im Bund – eine 30-jährige Frist.70 Auch eine Möglichkeit der Verkürzung, zum Teil sogar der Aussetzung der Sperrfristen für Amtsträger sowie Personen der Zeitgeschichte gibt es – bei unterschiedlichen Formulierungen – in vielen, aber nicht in allen Landesarchivgesetzen.71 Schließlich sind unterschiedliche Regelungen zur Akteneinsicht zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung normiert. Während die meisten Gesetze auch in diesen Fällen einen Aktenzugang nur ermöglichen, wenn die Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange ausgeschlossen ist,72 ist in anderen Ländern nur eine angemessene Berücksichtigung der entgegenstehenden schutzwürdigen Belange erforderlich.73 Schließlich ist in einer Reihe von Ländern die Benutzung möglich, sofern die Durchführung des Forschungsvorhabens die schutzwürdigen Belange erheblich überwiegt.74 Damit sind auch auf Landesebene die Abwägungskriterien mit denen auf Bundesebene weitestgehend identisch: Zunehmender Zeitabstand nach dem Tod sowie die Eigenschaft als Amtsträger oder Person der Zeitgeschichte verringern (meist) das Schutzniveau des Persönlichkeitsrechts. Im Gegensatz zur Regelung des Bundesarchivgesetzes sehen die Landesarchivgesetze aber zum Teil die Möglichkeit vor, ––––––––––– Vorpommern § 9 I 1; Niedersachsen § 5 I 1; Nordrhein-Westfalen § 7 I 1; RheinlandPfalz § 3 I; Sachsen § 9 I; Sachsenn-Anhalt § Thüringen § 16 I 1; anders nur in Berlin (§ 8 I) und Schleswig-Holstein (§ 9 I). 69 Landesarchivgesetze in: Baden-Württemberg § 6 II 3; Bayern Art. 10 III 2; Berlin § 8 III; Brandenburg § 10 III; Bremen § 7 II 2; Hamburg § 5 II Nr. 2; Hessen § 15 I 3; Mecklenburg-Vorpommern § 10 I 3; Niedersachsen § 5 II 4; Nordrhein-Westfalen § 7 II 3; Sachsen § 10 I 3; Sachsen-Anhalt § 10 III 2; Schleswig-Holstein § 9 III 3; Thüringen § 17 I 2. 70 Landesarchivgesetze in Rheinland-Pfalz § 3 III 2; Saarland § 11 III 1; SachsenAnhalt § 10 III 2. 71 Eine Aussetzung der Sperrfrist für Amtsträger sehen die Landesarchivgesetze in Berlin (§ 8 Abs. 6), Brandenburg (§ 10 Abs. 8), Hamburg (§ 5 Abs. 2 Nr. 5), Hessen (§ 15 Abs. 2), Mecklenburg-Vorpommern (§ 10 Abs. 3 Nr. 2), Sachsen (§ 10 Abs. 2 S. 2) und Schleswig-Holstein (§ 9 Abs. 4 Nr. 4) vor. Eine Verkürzungsmöglichkeit beinhalten die Gesetze in Rheinland-Pfalz (§ 3 Abs. 4 Nr. 3 S. 2) und Sachsen-Anhalt (§ 10 Abs. 4 Nr. 3). Keine Amtsträgerklauseln enthalten die Gesetze in BadenWürttemberg, Bayern, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Niedersachsen, Thüringen. Regelungen über den Wegfall oder die Verkürzung der Sperrfristen für Personen der Zeitgeschichte enthalten die Landesgesetze in Rheinland-Pfalz (§ 3 Abs. 4 Nr. 3 S. 2), Sachsen-Anhalt (§ 10 Abs. 4 Nr. 3), Brandenburg (§ 10 Abs. 8) und Thüringen (§ 17 Abs. 5 Nr. 1). 72 So die Regelungen in Bayern (§ 10 Abs. 4), Berlin (§ 8 Abs. 4), MecklenburgVorpommern (§ 10 Abs. 4), Nordrhein-Westfalen (§ 7 Abs. 4 lit. b), Rheinland-Pfalz (§ 3 Abs. 3 Nr. 3), Sachsen-Anhalt (§ 10 Abs. 4). 73 So in Baden-Württemberg (§ 65 Abs. 4), Hamburg (§ 5 Abs. 4), Niedersachsen (§ 5 Abs. 5 Nr. 2) und Schleswig-Holstein (§ 9 Abs. 6 Nr. 2). 74 Entsprechende Regelungen finden sich in Brandenburg (§ 10 Abs. 9 Nr. 3), Bremen (§ 7 Abs. 4 Nr. 3), Hessen (§ 15 Abs. 4 S. 2), Saarland (§ 11 Abs. 5 Nr. 3), Sachsen (§ 10 Abs. 4 S. 2) und Thüringen (§ 10 Abs. 5).
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Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
dass auch bei besonders wichtigen wissenschaftlichen Forschungsvorhaben das Persönlichkeitsrecht unter Umständen an Gewicht verlieren kann.
b) Landesinformationsfreiheitsgesetze Informationsfreiheitsgesetze wurden bisher nur in den Ländern Berlin, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein erlassen. Zur Frage der Herausgabe von personenbezogenen Daten erschöpfen sich diese in der Generalklausel, dass eine Weitergabe ausgeschlossen ist, sofern nicht ein besonderes Interesse des Informationsbegehrenden im Einzelfall geltend gemacht wird und die schutzwürdigen Interessen des Betroffenen nicht entgegenstehen.75 Lediglich in Berlin besteht darüber hinaus eine Vermutung für das fehlende Entgegenstehen der Interessen des Betroffenen, wenn es sich bei den Daten um Namen, Titel, akademische Grade, Berufe, innerdienstliche Funktionsbezeichnungen, dienstliche Anschriften und Rufnummern von Amtsträgern handelt.
c) Landespressegesetze Die Pressegesetze der Länder normieren hingegen ausnahmslos einen spezifischen Informationsanspruch der Presse gegenüber den (Landes-) Behörden.76 Die Formulierungen zum Ausschluss dieses Anspruchs sind weitestgehend wortgleich: Die behördliche Informationsweitergabe ist ausgeschlossen, wenn dadurch ein schutzwürdiges privates Interesse verletzt würde.77 Eine etwas andere Formulierung besteht in Hessen und Thüringen, wo der Anspruch auf personenbezogene Informationen ausgeschlossen ist, wenn kein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit an deren Bekanntgabe besteht.78 Lediglich in Bayern fehlt eine spezielle Regelung zum Schutz personenbezogener Daten. Art. 4 Abs. 2 S. 2 LPG Bayern enthält nur einen weiten Ausschlusstatbestand für alle Fälle, in denen beamtenrechtliche oder sonstige gesetzliche Vorschriften eine Verschwiegenheitspflicht normieren. Zumindest in der Anwendung der Norm ––––––––––– 75
§ 6 I IFG Bln; § 15 II AIG Bbg; § 9 IFG NW; § 12 IFG S-H. § 4 LPG in Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen, Sachsen, Art. 4 LPG Bayern, § 3 LPG Hessen, § 3, § 5 LMG Saarland, § 6 LMG Rheinland-Pfalz. 77 Wortgleich insofern § 4 II Nr. 3 LPG in Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, SchleswigHolstein, Sachsen, Sachsen-Anhalt, § 4 II Nr. 4 LPG Berlin und § 4 III Nr. 2 LPG Mecklenburg-Vorpommern. 78 § 4 II Nr. 2 LPG Thüringen, § 3 I Nr. 2 LPG Hessen. 76
B. Interessenausgleich durch Gesetz
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besteht jedoch kein sachlicher Unterschied zu den anderen Vorschriften.79 Eine Besonderheit enthält noch das sächsische Landespressegesetz, das in § 4 Abs. 2 Nr. 2 explizit das Entgegenstehen von Vorschriften über den Persönlichkeitsschutz als Ausschlussgrund für den Informationsanspruch nennt. Da ein Verstoß gegen solche Vorschriften wie etwa § 22 KUG aber ausnahmslos auch eine Verletzung schutzwürdiger privater Interessen darstellt, hat die Norm insofern rein deklaratorischen Charakter.80 Auch die Landespressegesetze kennen somit nur die Kategorien des schutzwürdigen bzw. berechtigten Interesses als Tatbestandsmerkmal, anhand derer eine Abwägung vorgenommen, aber nicht vorweggenommen wird. Dabei mögen die Formulierungen in Hessen und Thüringen aufgrund des Wortlautes prima vista eine stärkere Gewichtung des Persönlichkeitsschutzes nahe legen, da sich hier nicht die privaten Interessen als schutzwürdig, sondern die öffentlichen Interessen als berechtigt beweisen müssen. Eine Vermutungsformel lässt sich jedoch keiner der beiden Formulierungen entnehmen – in allen Fällen erfolgt eine gleichberechtigte Abwägung der entgegenstehenden Belange, die der Pressegesetzgeber insofern der Verwaltung und mittelbar den Gerichten überlässt.
III. Interessenausgleich im Strafrecht Im Strafrecht ist schließlich zu unterscheiden zwischen zwei verschiedenen Konstellationen: der strafrechtlichen Sanktionierung eines Verstoßes gegen eine zivil- oder öffentlich-rechtliche Norm im Nebenstrafrecht sowie der eigenständigen Aufstellung strafrechtlicher Verbote im StGB, die dem Schutz des Persönlichkeitsrechts dienen.
1. Nebenstrafrecht Strafrechtliche Sanktionen von Verstößen gegen die oben dargestellten Normen finden sich ausschließlich im KUG sowie im StUG. § 33 KUG bewehrt die Verbreitung eines Bildnisses entgegen der §§ 22, 23 KUG mit einer Strafandrohung von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder Geldstrafe. § 44 StUG enthält eine Strafandrohung von Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe für eine Wortlautveröffentlichung aus personenbezogenen StasiUnterlagen.81 Die sinngemäße Weitergabe des Akteninhaltes ist jedoch nicht ––––––––––– 79
Wenzel, in: Löffler (Hrsg.), Presserecht, § 4 LPG Rn. 106. Wenzel, in: Löffler (Hrsg.), Presserecht, § 4 LPG Rn. 106, hält sie insofern für „überflüssig“. 81 Dies gilt jedoch nur für Unterlagen über Betroffene oder Dritte i.S.d. StUG, d.h. nicht für ehemalige Mitarbeiter oder Begünstige des Staatssicherheitsdienstes. 80
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Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
mit Strafe bedroht. Da in diesen Fällen die Strafvorschrift keine eigene Abwägung der widerstreitenden Interessen vornimmt, sondern nur an eine bereits bestehende Abwägung anknüpft, lassen sich hieraus keine gesetzlichen Abwägungskriterien ableiten.
2. Strafgesetzbuch Im StGB finden sich (eigenständige) persönlichkeitsrechtsschützende Vorschriften im 14. Abschnitt über die Beleidigung sowie im 15. Abschnitt über die Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereiches. Eine erste Interessengewichtung findet sich dabei bereits im Bereich der Schutzgüter. Strafrechtlichen Schutz genießt die persönliche Ehre durch §§ 185-189 StGB, das nicht öffentlich gesprochene Wort durch § 201 StGB, der – im räumlichen Sinne – höchstpersönliche Lebensbereich durch den neu eingefügten § 201a StGB sowie ein begrenzter Teilaspekt82 des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung in § 202a StGB.83 Weiterhin werden in § 188 StGB die üble Nachrede und die Verleumdung gegen eine politische Person des öffentlichen Lebens unter eine erhöhte Strafandrohung gestellt.84 Dies ist insofern bemerkensweit, als dass diese Vorschrift die einzige Norm darstellt, in der die Eigenschaft als Person des öffentlichen Lebens persönlichkeitsrechtsverstärkend und nicht verkürzend wirkt. Gewichtungsverluste des Persönlichkeitsrechts hingegen lassen sich in den Ausnahmen von der Strafbarkeit ausmachen. Diese Abwägungsmuster zugunsten einer – wie auch immer gearteten – Veröffentlichung finden sich im 15. Abschnitt nur in § 201 Abs. 2 S. 3 für die Fälle, in denen die Mitteilung zur Wahrnehmung überragender öffentlicher Interessen gemacht wird. Bei den Beleidigungsdelikten ist zum einen hervorzuheben, dass die Entäußerung einer erwiesen wahren Tatsache als solche nie strafbar ist.85 Weiterhin sind gem. § 193 StGB solche Taten von der Strafbarkeit ausgenommen, die künstlerische oder wissenschaftliche Leistungen bewerten, sowie Äußerungen, die zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht werden.86 ––––––––––– 82
Geschützt sind nämlich nur Daten, die gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind. 83 Weiterhin existiert in §§ 202, 206 StGB ein spezieller Schutz des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses, der zwar auch Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist, aber grundrechtlich durch Art. 10 GG geschützt sind. 84 Dies gilt, soweit das Delikt aus Beweggründen begangen wird, die mit der öffentlichen Stellung des Beleidigten zusammenhängen, und die Tat geeignet ist, sein öffentliches Wirken erheblich zu erschweren. 85 Es sei denn, die Form oder die Umstände der Entäußerung stellen eine eigenständige Beleidigung dar, § 192 StGB. 86 Auch dies gilt wiederum nicht, wenn die Form oder die Umstände der Entäußerung eine eigenständige Beleidigung darstellen.
C. Abwägungsvorgaben der Rechtsprechung
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IV. Systematische Analyse Generell ist somit in der Gesetzgebung die Tendenz zu erkennen, die Grundrechtsabwägung nur in Form von sehr grob umrissenen Generalklauseln – etwa durch unbestimmte Rechtsbegriffe wie „überwiegende schutzwürdige Interessen“ – vorwegzunehmen. Der Rechtsprechung wird insofern ein recht weiter Auslegungs- und Abwägungsspielraum belassen, den diese auch zu einer umfassenden Fallgruppenbildung genutzt hat. Bemerkenswert sind dabei die Tendenzen in der neueren Archivgesetzgebung, die erst von der Rechtsprechung entwickelte Figur der Person der Zeitgeschichte einfachgesetzlich zu normieren, so dass eine Rückkopplung zwischen Gesetzesauslegung und Rechtsetzung entsteht. Ein geschlossenes Bild oder auch nur ein erkennbares Abwägungsmuster ergibt sich aus der Analyse der Rechtsetzungspraxis allerdings nicht. Vielmehr kann zum Teil sogar dasselbe Kriterium in einem Zusammenhang persönlichkeitsrechtsverkürzend, im anderen persönlichkeitsrechtsstärkend wirken. Diese scheinbare Uneinheitlichkeit ist zum einen sicherlich der Tatsache geschuldet, dass die betrachteten Gesetze einen Querschnitt aus einer fast hundertjährigen Rechtsetzungsgeschichte bilden. Zum anderen resultiert sie aus der Unterschiedlichkeit der politischen Materien und deren Brisanz, die durch die jeweiligen (Spezial-)Gesetze geregelt werden.87 Spätestens mit der Auslegung der Generalklauseln durch die Rechtsprechung fließen aber in die konkrete Abwägung letztlich im Wesentlichen die gleichen Kriterien mit ein. Dies führt zu einem erheblichen Bedeutungsgewinn der Kasuistik, die sich in einer zunehmenden Ausdifferenzierung niederschlägt.
C. Abwägungsvorgaben der Rechtsprechung
I. Bisherige Rechtsprechung Der sich ausweitende Trend, auf der einen Seite Privates – und das heißt auch Privates anderer Personen – öffentlich zu machen88 und auf der anderen Seite (vermeintliche) Persönlichkeitsrechtsverletzungen auf juristischem Wege entgegenzutreten,89 führt zu einer zunehmend unübersehbaren Fülle vor allem zivilgerichtlicher Entscheidungen, in denen das allgemeine Persönlichkeitsrecht ––––––––––– 87 Man vergleich etwa nur den völlig unspektakulären Erlass des BArchG mit der politisch heftig debattierten und umstrittenen Verabschiedung und späteren Änderung des StUG. 88 S.o. S. 25. 89 Vgl. Ladeur, ZUM 2004, S. 426 (428); ders., NJW 2004, S. 393 (393).
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Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
mit den verschiedenen Kommunikationsfreiheiten innerhalb des gerade beschriebenen rechtlichen Rahmens abgewogen wird. Dabei betrifft der ganz überwiegende Teil dieser Entscheidungen den Konflikt mit der Pressefreiheit,90 vereinzelt kommen Entscheidungen aus dem Bereich der Kunstfreiheit hinzu; der Konflikt mit der Wissenschaftsfreiheit ist hingegen bisher nur sehr selten Gegendstand gerichtlicher Auseinandersetzungen geworden. Nicht selten werden derartige Entscheidungen nach Erschöpfung des Zivilrechtswegs mit der Urteilsverfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht angegriffen, das allerdings derartige Fälle mittlerweile wegen fehlender grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Bedeutung sowie mangelnder Erfolgsaussichten überwiegend nicht mehr zur Entscheidung annimmt.91 Dabei kann die Frage, in welchem Maße die Auslegung und Abwägung innerhalb der fachgerichtlichen Rechtsprechung überhaupt einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegen darf, an diesem Punkt dahinstehen92 und einer ersten Bestandsaufnahme der vor allem verfassungsgerichtlich entwickelten Abwägungsmuster weichen.
1. Vorhandene Kritik Dabei fällt zunächst auf, dass in wenig anderen Bereichen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts so viel Kritik erfahren hat wie in dem Konfliktfeld von Kommunikationsfreiheit und Persönlichkeitsschutz.93 Allerdings gilt diese Kritik in erster Linie den erzielten Ergebnissen der konkreten Abwägung im Einzelfall und hat deshalb noch nicht zu einer grundsätzlichen Neubestimmung des verfassungsrechtlichen Abwägungsmaßstabs geführt: Denn am Ergebnis allein lässt sich die Richtigkeit der Abwägungsentscheidung häufig nicht ablesen, weil sie das Produkt einer komplexen Inbezugnahme unterschiedlicher kollidierender Rechtsgüter und -prinzipien ist oder zumindest sein soll.94 Die bisher von der Rechtsprechung herausgebildeten Fallgruppen und Abwägungskriterien bleiben daher trotz aller Kritik der erste Anknüpfungspunkt in der bestehenden Dogmatik, auch wenn es sie danach kritisch zu untersuchen gilt.
––––––––––– 90 Oder aber den mit der Meinungsfreiheit, sofern Gerichte dieses auch bei Presseerzeugnisses als lex specialis ansehen, s.o. S. 29. 91 Vgl. nur aus jüngerer Zeit BVerfG, NJW 2004, S. 590 f.; NJW 2000, S. 2191; NJW 2000, S. 2191 f.; NJW 2000, S. 2192 f.; NJW 2000, S. 2193 f.; NJW 2000, S. 2194; NJW 2000, S. 2194 f.; NJW 2000, S. 1026; NJW 1994, S. 1784 f.; NJW 1993, S. 1462 f. 92 Vgl. dazu ausführlich Hoffmann-Riem, AöR 128 (2003), S. 173 (190 ff.); Scholz/Konrad, AöR 123 (1998), S. 60 (76 ff.). 93 Hoffmann-Riem, AöR 128 (2003), S. 173 (174). 94 Hoffmann-Riem, AöR 128 (2003), S. 173 (199).
C. Abwägungsvorgaben der Rechtsprechung
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2. Empirische Tendenzen Zuvor soll aber ein kurzer Blick auf die Frage geworfen werden, wie die so heftig kritisierten Ergebnisse der Rechtsprechung in der Gesamtschau ausfallen, welches Grundrecht sich also in der Praxis am ehesten durchzusetzen vermag. Besonders bei der Pressefreiheit lässt sich eine solche Tendenz allerdings gerade nicht ausmachen: Die Fälle des Überwiegens der Pressefreiheit und der des Überwiegens des Persönlichkeitsrechts stehen sich etwa gleichbedeutend gegenüber,95 nicht zuletzt deshalb wird die Rechtsprechung in diesem Bereich auch oft als unvorhersehbar kritisiert.96 Anders stellt es sich für die Kunstfreiheit dar: Vor allem in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist ein Trend erkennbar, dem Persönlichkeitsrecht in Abwägung mit der Kunstfreiheit den Vorrang zu geben.97 Für den Konflikt mit der Wissenschaftsfreiheit lässt sich ebenfalls keine Tendenz erkennen – die geringe Anzahl zu diesem Thema entschiedener Fälle lässt eine entsprechende Aussage bisher nicht zu.98 Hinzu kommen die Fälle, in denen die Gerichte eine eindeutige Zuordnung zu einem spezifischen durch Art. 5 GG geschützten Grundrecht nicht vornehmen, sondern als jedenfalls einschlägiges Auffanggrundrecht die Meinungsfreiheit als Prüfungsmaßstab heranziehen. In diesen Fällen lässt sich eine deutliche Tendenz erkennen, das Persönlichkeitsrecht hinter dem Recht der freien Meinungsäußerung zurücktreten zu lassen.99
––––––––––– 95
Beispiele für ein Überwiegen der Pressefreiheit etwa BVerfG, NJW 2001, S. 1921 ff.; NJW 2001, S. 503 ff.; NJW 2000, S. 2189 f.; NJW 2000, S. 2192 f.; NJW 2000, S. 1026; BGH, ZUM 2004, S. 207 ff.; Beispiele für ein Überwiegen des Persönlichkeitsschutzes BVerfG, NJW 2000, S. 2191; NJW 2000, S. 2193 f.; NJW 2000, S. 2194 f.; NJW 2001, S. 1921 f.; BVerfGE 97, 125. 96 S.o. S. 179. 97 Vgl. etwa BVerfG, NJW 1988, S. 328 f.; BVerfGE 30, 173; 75, 369; KG Berlin, AfP 2004, S. 371 ff.; OLG Karlsruhe, NJW 1994, S. 1963 f.; OLG Köln, NJW 1992, S. 2641 f.; OLG Hamburg, AfP 2004, S. 375; LG München, ZUM 2004, S: 234 ff.; LG Berlin, AfP 2004, S. 287 ff.; für ein Überwiegen der Kunstfreiheit jedoch BVerfGE 67, 213; OLG Stuttgart, NJW 1989, S. 396 f.; für ein Überwiegen der Kunstfreiheit bei Abwägung mit dem postmortalen Persönlichkeitsrecht KG Berlin, AfP 1997, S. 926 ff.; für ein Überwiegen der Kunstfreiheit, ohne dass diese aber abschließend von der Meinungsfreiheit abgegrenzt würde BGH, NJW 1983, S. 1194 f.; tritt die Kunstfreiheit jedoch mit anderen verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern wie dem Jugendschutz oder dem Staat und seinen Einrichtungen in Konflikt, so obsiegt sie in der konkreten Abwägung meist, vgl. BVerfG, NJW 2001, S. 596 ff.; BVerfGE 77, 240; 83, 130. 98 Für das Überwiegen der Wissenschaftsfreiheit (allerdings gegenüber dem postmortalen Persönlichkeitsschutz) OLG Düsseldorf, NJW-RR 2000, S. 321 ff.; für das Überwiegen des Persönlichkeitsrechts OVG Koblenz, DVBl. 1983, S. 600 ff. 99 In diesem Sinne z.B. BVerfG, NJW 2004, S. 590 f.; NJW 2002, S. 3767 f.; NJW 2001, S. 591 ff.; NJW 1998, S. 1386 f.; BVerfGE 86, 1; BGH, ZUM 2004, S. 212 ff.; JZ 1994, S. 413 ff.
Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
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II. Entwickelte Kriterien In der Gesamtschau der Abwägungen ergibt sich das Bild einer mehr oder weniger großen Anzahl von Fallgruppen, die wenn auch kein geschlossenes dogmatisches Konzept, so doch ein sich verdichtendes kasuistisches Gerüst bilden.100 Dabei kann unterschieden werden zwischen den Kriterien, die eine Gewichtung des Persönlichkeitsrechts vornehmen, solchen Maßstäben, die im Bereich der Kommunikationsfreiheiten anzusiedeln sind sowie schließlich solchen Anforderungen an die Abwägung, die sich aus allgemeinen, nicht grundrechtsspezifischen Verfassungsnormen ergeben.
1. Kriterien aus dem Bereich des Persönlichkeitsrechts
a) Personen der Zeitgeschichte Im Bereich des Persönlichkeitsrechts hat vor allen Dingen die Figur der absoluten bzw. relativen Person der Zeitgeschichte besondere Bedeutung erlangt. Dieses Kriterium wurde von der Zivilrechtssprechung zu § 23 KUG entwickelt und von der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zumindest ausdrücklich anerkannt.101 § 23 KUG normiert die Einschränkbarkeit des in § 22 KUG geschützten Rechts am eigenen Bild unter anderem für „Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte.“102 An diesem Tatbestandsmerkmal hat sich der Begriff der Person der Zeitgeschichte entwickelt. Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte im Sinne des Gesetzes werden verstanden als Bilder von Personen der Zeitgeschichte, also als Abbildungen oder Darstellungen von Personen, die – ständig oder vorübergehend – im Blickfeld (mindestens eines Teils) der Öffentlichkeit stehen und somit der Zeitgeschichte angehören.103 Jenseits dieses ursprünglichen Anwendungsbereiches im Rahmen der Bildveröffentlichung wird diese Figur mittlerweile auch auf andere Abwägungsvorgänge anhand anderer Normen übertragen. Dies betrifft sowohl Fälle der reinen Wortberichterstattung durch die Presse104 als auch Kollisionen des Persönlich––––––––––– 100
Kunig, Jura 1993, S. 595 (602), sieht darin das – gescheiterte – Bemühen, durch Fallgruppenbildung den Abwägungsentscheidungen eine Richtung zu geben. 101 BVerfGE 101, 361, 392; BVerfG, NJW 2001, S. 1921, Ls. 2. 102 S.o. S. 183. 103 Gerstenberg/Götting, in: Schricker (Hrsg.), Urheberrecht, § 60 / § 23 KUG Rn. 6. 104 Vgl. BVerfG, NJW 2004, S. 590 (591); NJW 2000, S. 2191 (2192); NJW 2000, S. 2193 (2193); OLG München, AfP 1981, S. 360; OLG Hamburg, AfP 1991, S. 538.
C. Abwägungsvorgaben der Rechtsprechung
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keitsrechts mit der Kunst-105 und der Wissenschaftsfreiheit.106 Auch in diesen Bereichen gilt daher zunehmend die Maxime, dass bei Personen, die im öffentlichen Leben stehen, der Schutz des Persönlichkeitsrechts ein geringeres Gewicht hat als bei solchen Personen, die nicht in der Öffentlichkeit auftreten.107 Dabei hat sich weiterhin die Differenzierung zwischen absoluten und relativen Personen der Zeitgeschichte herausgebildet. Absolute Personen der Zeitgeschichte sind solche, die sich durch Geburt, Stellung, Leistungen, Taten oder Untaten außergewöhnlich aus dem Kreis der Mitmenschen herausheben und somit im Blickfeld (mindestens eines Teils) der Öffentlichkeit stehen.108 Relative Personen der Zeitgeschichte geraten nur durch ihre Verbindung mit einer absoluten Person der Zeitgeschichte oder durch ihre Verknüpfung mit einem zeitgeschichtlichen Ereignis ins Blickfeld der Öffentlichkeit, weshalb eine einwilligungsfreie Veröffentlichung ihrer Bildnisse (bzw. eine sonstige Informationsvermittlung über die Person) auch nur in diesem Kontext zulässig ist.109 Auch diesbezüglich ist also eine weitere Abstufung im Gewicht zu erkennen, das dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in der Abwägung beigemessen wird.
b) Sphärentheorie Eng verknüpft mit der Figur der Person der Zeitgeschichte ist die vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Sphärentheorie,110 die ebenfalls der Abstufung des Gewichts des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dienen soll. Dabei wird das Persönlichkeitsrecht unterteilt in die Intimsphäre, die Privatsphäre und die Sozialsphäre. Die Intimsphäre stellt den Kernbereich privater Lebensgestaltung dar, der deshalb auch absolut geschützt und einer Abwägung insofern nicht zugänglich sein soll.111 Aufgrund dieses überragenden Gewichts wird dieser Bereich von der Rechtsprechung auch nur äußerst selten als berührt
––––––––––– 105
BVerfG, NJW 2001, S. 598 (599); KG Berlin, AfP 2004, S. 371 (373). OLG Düsseldorf, NJW-RR 2000, S. 321 (322). 107 Wie das BVerfG ausdrücklich festhält, sind diese Schemata aber in der Tat nur Abwägungskriterien, so dass eine einzelfallebezogene Abwägung nicht unterbleiben darf, BVerfGE 101, 361 (392); BVerfG, NJW 2001, S. 1921 ff. 108 Gerstenberg/Götting, in: Schricker (Hrsg.), Urheberrecht, § 23 KUG Rn. 10; Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 43. Kap. Rn. 13. 109 Gerstenberg/Götting, in: Schricker (Hrsg.), Urheberrecht, § 23 KUG Rn. 12; Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 43. Kap. Rn. 14. 110 Vgl. allgemein, nicht nur für die Kollision mit den Kommunikationsgrundrechten BVerfGE 27, 344 (351); 32, 373 (379); 33, 367 (376 f.); 34, 205 (209); 34, 238 (245); 35, 35 (39); 35, 202 (220); 38, 212 (320); 44, 353 (372 f.); 80, 367 (373 ff.); 89, 69 (82 f.), BVerfG, NJW 2000, 2189. 111 Vgl. BVerfGE 6, 32 (41); 6, 389 (433); 27, 344 (351); 32, 373 (379); 34, 238 (245); 35, 35 (39); 38, 316 (320); 54, 143 (146); 65, 1 (46); 80, 367 (373; 89, 69 (83). 106
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Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
angesehen.112 Von der Intimsphäre unterscheidet sich die Privatsphäre dadurch, dass sie trotz ihres sehr privaten Charakters einen gewissen Sozialbezug aufweist.113 Das Gewicht der Geheimhaltungsinteressen in diesem Bereich ist zwar nicht absolut, wiegt aber so schwer, dass zu einem Überwiegen entgegenstehender Interessen besonders gewichtige Gründe, meistens solche des Allgemeinwohls, erforderlich sind.114 Die Sozialsphäre schließlich umfasst einen Bereich, der aufgrund seines Öffentlichkeitsbezuges ohnehin nur so schwer von der Umwelt abzuschirmen ist, dass das Persönlichkeitsrecht hier nur ein sehr geringes Gewicht hat. Die Verknüpfung der Sphärentheorie mit der Figur der Person der Zeitgeschichte entsteht dadurch, dass ein Lebenssachverhalt umso eher der Öffentlichkeits- statt der Privatsphäre zugeordnet wird, je stärker die betreffende Person in der Öffentlichkeit steht, also Person der Zeitgeschichte ist. Um den Privatsphärenschutz gerade von Prominenten daher nicht an der Haustüre enden zu lassen, ist von der Privatsphäre nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch ein Rückzugsraum in „örtlicher Abgeschiedenheit“ umfasst, d.h. eine Situation, die zwar in der Öffentlichkeit wurzelt, bei der der Einzelne aber begründetermaßen und somit auch für Dritte erkennbar davon ausgehen darf, den Blicken der Öffentlichkeit nicht ausgesetzt zu sein.115 Wo freilich ein solcher Rückzugsraum besteht, bleibt eine Frage des Einzelfalls und ist somit letztlich einer weiten Auslegung durch die Gerichte zugänglich.116 Ausdrücklich verworfen hat das Bundesverfassungsgericht die Sphärentheorie allerdings für den Teilbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, zumindest in Bezug auf dessen datenverarbeitungsspezifischen Teil. Wieweit Informationen sensibel seien, könne unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung nicht allein davon abhängen, ob sie intime Vorgänge betreffen. Vielmehr bedürfe es zur Feststellung der persönlichkeitsrechtlichen Bedeutung eines Datums der Kenntnis seines Verwendungszusammen––––––––––– 112 Vereinzelt bleiben daher die Beispiele etwa des BGH, NJW 1983, S. 1569 (1570), der die Unterhaltung von Eheleuten in der ehelichen Wohnung hierunter fasst; anders aber schon das BVerfG, das die vertrauliche Kommunikation unter Eheleuten dem Bereich der Privatsphäre zuordnet, BVerfGE 27, 344; nach dem BAG, NJW 2000, S. 604 (605), soll der Zwang zu einer ärztlichen Untersuchung des Arbeitnehmers mit daran anschließender Offenbarungspflicht personenbezogener Gesundheitsdaten an den Arbeitgeber in diesen Bereich fallen. 113 Vgl. etwa Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Bd. 1, Art. 2 I Rn. 159. 114 Vgl. BVerfGE 27, 344 (351); 33, 367 (375); 34, 238 (248); 44, 353 (373 ff.); 80, 367 (375). 115 BVerfGE 101, 361 (383 f.). 116 Ein umstrittenes Beispiel dafür sind etwa Aufnahmen, die aus großer Distanz mit einem Teleobjektiv von außerhalb vom Inneren eines Strandbades gemacht wurden, das zwar grundsätzlich gegen Eintritt öffentlich zugänglich war, nicht zuletzt aber aufgrund der Höhe des Eintrittsgeldes einem beschränkten Publikumskreis vorbehalten blieb. Das BVerfG beanstandete die Zuordnung dieser Bilder zum Bereich der Öffentlichkeitssphäre nicht, BVerfG, NJW 2000, S. 2192 f.
C. Abwägungsvorgaben der Rechtsprechung
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hangs; ein „belangloses“ Datum könne es daher nicht mehr geben.117 Auf die Rechtsprechung zum Konflikt zwischen Persönlichkeitsrecht und Kommunikationsfreiheiten hat sich diese Feststellung aber bisher nicht ausgewirkt, so dass es insofern immer noch bei der mehr oder weniger strikten Anwendung der Sphärentheorie bleibt. Dies ist letztlich allerdings vor allen Dingen der Tatsache geschuldet, dass die Verbreitung personenbezogener Daten im Rahmen eines grundrechtlich geschützten Kommunikationsvorgangs gerade keinen Fall der elektronischen Datenverarbeitung im eigentlichen Sinne betrifft. Die Datenverarbeitung selbst, in deren Rahmen es kein „belangloses Datum“ geben kann, geht insofern entweder dem Kommunikationsvorgang voraus oder folgt ihm nach, indem Daten, die kommunikativ vermittelt wurden, elektronisch weiterverarbeitet werden. Für den eigentlichen Kommunikationsvorgang an sich spielt dieser Aspekt aber in der Tat keine Rolle, da dieser datenverarbeitungsneutral ist.
2. Kriterien aus dem Bereich der Kommunikationsgrundrechte Im Bereich der Kommunikationsgrundrechte hat die Rechtsprechung ebenfalls verschiedene Kriterien zur Gewichtung der Grundrechtsbeeinträchtigungen in Form von einzelnen Fallgruppen entwickelt. Dabei lassen sich diejenigen Kriterien, die den Kommunikationsvorgang als solchen betreffen, unterscheiden von solchen Kriterien, die der eigentlichen Äußerung vorgelagert sind.
a) Sorgfalts- und Recherchepflichten Um ein solches dem Kommunikationsvorgang vorgelagertes Kriterium handelt es sich bei dem Maßstab des Einhaltens bestimmter Sorgfalts- und Recherchepflichten bei der Informationserhebung. Verbreitet jemand negative Tatsachenbehauptungen über eine Person, so sind ihm gewisse Sorgfaltspflichten auferlegt, deren Nichteinhaltung das Gewicht der Kommunikationsfreiheit mindern kann.118 Das Ausmaß dieser Pflichten richtet sich im Einzelnen nach den Aufklärungsmöglichkeiten und ist insofern etwa für die Medien größer als für Privatleute. Je stärker somit der das Kommunikationsgrundrecht Wahrnehmende den Wahrheitsgehalt der von ihm gemachten Tatsachenbehauptung mit den ihm unter zumutbaren Bedingungen zur Verfügung stehenden Mitteln überprüft hat, desto stärkeres Gewicht hat seine Äußerung gegenüber dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen. ––––––––––– 117
BVerfGE 65, 1 (45). BVerfGE 99, 185 (197 f.), unter Aufnahme der Zivilrechtssprechung in BGH, NJW 1966, S. 2010 (2011); NJW 1987, S. 2225 (2226). 118
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Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
b) Tatsachenbehauptungen und Werturteile Dabei setzt dieses Kriterium bereits eine Unterscheidung voraus, die auch in Bezug auf die Sphäre der Äußerung selbst noch ein mal als Wertungsmaßstab herangezogen wird: die Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen.119 In diesem Rahmen hat sich die Formel entwickelt, dass bei Tatsachenäußerungen, die dem Schutzbereich des Art. 5 GG unterfallen, das Gewicht der Freiheit, sich ihrer zu entäußern, mit der Unwahrheit der Behauptung sinkt.120 Umgekehrt sollen Persönlichkeitsinteressen regelmäßig hinter der Meinungsfreiheit zurückzustehen haben, wenn die umstrittene Äußerung Tatsachen zum Gegenstand hat, die als wahr anzusehen sind.121 Bei reinen Meinungsäußerungen hingegen wird ein solches Kriterium nicht aufgestellt, nicht zuletzt auch deshalb, weil der Wahrheitsgehalt einer Meinungsäußerung nicht mit dem einer Tatsachenbehauptung übereinstimmt. Hier soll vielmehr zumindest bei einer Äußerung zu einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage die Bedeutung immer so groß sein, dass eine Vermutung für die Zulässigkeit der Äußerung spricht.122 Dabei ist allerdings zu beachten, dass das Kriterium des öffentlichen Interesses zwar immer wieder angesprochen wird und die Gerichte in ständiger Rechtsprechung hervorheben, dass es bei der Abwägung der Kommunikationsfreiheiten mit kollidierenden Persönlichkeitsrechten durchaus darauf ankommen könne, ob Fragen, die die Öffentlichkeit wesentlich angingen, ernsthaft und sachbezogen erörtert, oder lediglich private Angelegenheiten, die nur die Neugier befriedigen, ausgebreitet würden.123 Eine Bewertung, ob ein öffentliches Interesse an der konkreten Meinungsäußerung tatsächlich besteht oder nicht, wird allerdings in den einschlägigen Entscheidungen nicht vorgenommen.124 In der Rechtsprechungspraxis bleibt es somit letztlich fast uneingeschränkt bei der aufgestellten Vermutungsregel zugunsten der Meinungsäußerung.125
––––––––––– 119
Vgl. dazu sowie zur Untauglichkeit dieses Merkmals zur Beschreibung des Schutzbereichs der Meinungsfreiheit schon oben S. 39 ff. 120 BVerfGE 85, 1 (17); 90, 241 (253); BVerfG, NJW 1996, S. 1529 (1530). Auf das Kriterium der Unwahrheit stellt das BVerfG auch in seiner Mephisto-Entscheidung ab, obwohl es hier um die Darstellung in einem Roman und somit nicht um Tatsachenbehauptungen im eigentlichen Sinne geht, BVerfGE 30, 173 (198). 121 BVerfGE 97, 391 (401). 122 BVerfGE 7, 198 (212); 60, 234 (241); 66, 116 (150); 68, 226 (232); 93, 261 (294). 123 BVerfGE 34, 269 (283); 101, 361 (391); vgl. auch BGH, JZ 1994, S. 413 (415). 124 Vgl. dazu Lenski, NVwZ 2005, S. 50 (51). 125 Vgl. zur dadurch entstehenden abstrakten Gewichtung auch unten S. 205 ff.
C. Abwägungsvorgaben der Rechtsprechung
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c) Schmähkritik und Formalbeleidigung Eine Ausnahme von diesem Vorrang der Meinungsäußerung gilt lediglich in dem Bereich, in dem es sich um sog. Schmähkritik oder Formalbeleidigung handelt. Geht es dem Äußernden nicht mehr um die Äußerung in der Sache, sondern steht die Diffamierung einer Person im Vordergrund, so fällt das Gewicht seiner Kommunikationsfreiheit ebenfalls nur noch zu einem sehr geringen Maße ins Gewicht.126
d) Recht zum Gegenschlag Die äußeren Umstände der Äußerung berücksichtigt schließlich das von den Zivilgerichten entwickelte und vom Bundesverfassungsgericht aufgegriffene Recht zum Gegenschlag. Hier fließen Kriterien aus dem Äußerungskontext sowie dem Vorverhalten desjenigen ein, dessen Persönlichkeitsrecht durch die Äußerung berührt ist. Wer im öffentlichen Meinungskampf selbst einen unfairen Angriff vorgenommen und dadurch zu einem abwertenden Urteil Anlass gegeben hat, muss eine schärfere Reaktion hinnehmen, als sie sonst gebilligt worden wäre,127 wertet also das Gewicht der Äußerung, die ein anderer in Beantwortung des eigenen Angriffs tätigt, auf, bzw. das Gewicht des eigenen allgemeinen Persönlichkeitsrechts ab. Ebenfalls ein das Gewicht der Äußerungsfreiheit verstärkender Aspekt soll darin liegen, dass der Betroffene seinerseits am Prozess öffentlicher Meinungsbildung teilgenommen und sich damit freiwillig den Bedingungen des Meinungskampfes unterworfen hat.128 In besonderem Maße soll dies gelten, wenn die Äußerung im Rahmen von Auseinandersetzungen in einem Wahlkampf erfolgt, also in einer Situation, in welcher der politische Meinungskampf auf das höchste intensiviert ist.129 Auch damit legt das Bundesverfassungsgericht wiederum ein auf der Wichtigkeit der Äußerung für die öffentliche Debatte basierendes Kriterium zugrunde.
e) Abbild und Urbild Ein spezifisch für die Kunstfreiheit in Bezug auf Werke der Literatur entwickeltes Kriterium ist schließlich die Beurteilung, inwiefern sich das künstlerische, durch das Werk geschaffene „Abbild“ von dem „Urbild“ verselbständigt hat, d.h. von dem Bild der natürlichen Person, die für eine literarische Figur ––––––––––– 126
BVerfGE 61, 1 (12); 82, 272 (283 f.); BVerfG, NJW 1993, S. 1462. BVerfGE 12, 113 (131); 24, 270 (286); 54, 129 (138); BGH, NJW 1987, S. 1400 (1401). 128 BVerfGE 54, 129 (138); 61, 1 (13). 129 BVerfGE 61, 1 (11). 127
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Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
Pate stand.130 Dabei lässt sich jedoch eine klare Relation zwischen Verselbständigung des Abbildes und Zulässigkeit der künstlerischen Äußerung nicht ganz eindeutig ausmachen. Vielmehr soll anhand dieses Kriteriums zunächst festgestellt werden, ob überhaupt ein Porträt des „Urbildes“ gezeichnet wurde oder werden sollte, was dann anzunehmen sein dürfte, wenn die Verselbständigung des Abbildes als gering einzuschätzen ist. Wird eine solche Portraitierung festgestellt, kommt es aber umgekehrt insofern auf das Ausmaß der künstlerischen Verfremdung an, als dass die größere Verfremdung die größere „Verfälschung“ des Betroffenen ist und insofern wieder den Schutz des Persönlichkeitsrechts stärkt.131 Die Formel des Bundesverfassungsgerichts setzt also ein Werk voraus, das die literarische von der realen Figur nicht verselbständigt, letztere aber verfremdet. Damit wird auf einen bestimmten Bereich der fiktiven Darstellung abgestellt, in dem die reale Person noch nicht so verfremdet ist, dass eine Verselbständigung vorliegt, gleichwohl aber verfremdet genug ist, um in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt zu sein. Wird dieser Grad jedoch überschritten und die Person so weit verfremdet, dass eine Verselbständigung vorliegt, verliert der Persönlichkeitsschutz wieder an Relevanz, so dass in diesem Punkt wieder mehr Verfremdung zu weniger Persönlichkeitsschutz führt. Die Antwort auf die Frage, wo genau dieser schmale Grad fehlender Verselbständigung bei gleichzeitiger Verfremdung liegt, bleiben die Gerichte dabei schuldig. Insofern bleibt die vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Formel ein Anhaltspunkt und ein Argumentationsmuster für die konkrete Einzelabwägung, kann jedoch konkrete Richtlinien zur Durchführung derselben nicht vorgeben.
3. Allgemeine verfassungsrechtliche Kriterien Schließlich ziehen die Gerichte auch noch jene Kriterien im Rahmen ihrer Abwägungsentscheidung heran, die bei jeder Grundrechtskollision eine Rolle spielen. Dazu gehören die Ermittlung der Schwere der im konkreten Fall auf beiden Seiten vorhandenen Grundrechtsbeeinträchtigung132 sowie die gedankliche Einbeziehung milderer Mittel, d.h. solcher Einschränkungen, die den Grundrechtsgebrauch des Einen nicht wesentlich erschweren, während sie den Eingriff in das Grundrecht des Betroffenen aber minimieren.133 Die konkrete Heranziehung dieser Entscheidungsmaßstäbe, die nicht zuletzt wegen des im ––––––––––– 130
So erstmals BVerfGE 30, 173 (195); weiterhin LG München, ZUM 2004, S. 234 (237); LG Berlin, AfP 2004, S. 287 (290); vgl. v. Becker, AfP 2001, S. 466 (469 ff.). 131 BVerfGE 30, 173 (195). 132 Vgl. nur BVerfGE 67, 213 (228); 77, 240 (255). 133 Vgl. OVG Koblenz, DVBl. 1983, S. 600 ff.; BVerfG, NJW 1994, S. 1784 f.
D. Abstrakte Gewichtung der Grundrechte
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Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Verhältnismäßigkeitsprinzips geboten ist, vollzieht sich dann aber wiederum unter Heranziehung der grundrechtsspezifischen, soeben dargestellten Kriterien. Denn wann im konkreten Fall der Eingriff schwerer oder weniger schwer ist und ob ein bestimmtes Mittel tatsächlich milder aber nicht grundrechtsverkürzender wirkt, kann letztlich nur anhand bereits bestehender Gewichtungsmaßstäbe für den Einzelfall ermittelt werden.
D. Abstrakte Gewichtung der Grundrechte Sollen auf der Basis dieser Bestandsaufnahme die Kriterien systematisiert und herausgearbeitet werden, die tatsächlich in die Abwägung zwischen den Kommunikationsfreiheiten und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht mit einfließen und diese bestimmen dürfen, so stellt sich zunächst die Frage, inwiefern ein zu findender Güterausgleich abstrakte Kriterien berücksichtigen darf bzw. inwieweit er auf die Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls beschränkt ist.
I. Wertrangordnung der Grundrechte? Schon vor dem Grundgesetz hatte sich in der Weimarer Staatsrechtslehre der Gedanke einer abstrakten Wertung und Bewertbarkeit der Grundrechte in Bezug auf die Kommunikationsfreiheiten, vor allen Dingen der Meinungsfreiheit herausgebildet. So wurde das schon in der Weimarer Reichsverfassung vorhandene Kriterium der „Allgemeinheit“ von Gesetzen, die die Meinungsfreiheit beschränken durften, zum Teil dahin gedeutet, dass nur solche Gesetze als zulässige Schranken in Frage kämen, bei denen das geschützte gesellschaftliche Gut materiell höherwertig ist als die Meinungsfreiheit selbst.134 Voraussetzung für die Bestimmung eines allgemeinen Gesetzes war somit die abstrakte Wertung der Meinungsfreiheit auf der einen Seite und des jeweils kollidierenden zu schützenden Rechtsgutes auf der andere Seite. Dieser Ansatz fand auch in der bundesrepublikanischen Verfassungsrechtswissenschaft Zustimmung135 und wurde schließlich in modifizierter, mit Elementen der „Sonderrechtslehre“136 verbundener Form auch vom Bundesverfassungsgericht aufgenommen.137 Der Gedanke gipfelte in der im Lüth-Urteil ––––––––––– 134
Smend, VVDStRL 4 (1928), S. 44 (52). Scheuner, VVDStRL 22 (1965), S. 1 (81); Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG, S. 32. 136 Vgl. dazu nur etwa Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art 5 I, II Rn. 108 m.w.N. 137 BVerfGE 7, 198 (209 f.); einschränkend aber bereits BVerfGE 62, 230 (243 f.); 71, 162 (175). Eine Rückentwicklung in diese Richtung erkennen jedoch Bat135
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Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
aufgestellten, allerdings später nicht wieder aufgegriffenen Formel einer durch die Grundrechte gebildeten „Wertrangordnung“.138 In diesem Sinne wurde auch in verschiedenen Entscheidungen vor allem den Grundrechten der Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit sowie der Glaubens- und Gewissensfreiheit ein besonderes Gewicht beigemessen.139 Einen absoluten Vorrang soll in dieser Wertrangordnung jedoch lediglich die Menschenwürde genießen, die als „Wurzel aller Grundrechte“ mit keinem anderen Verfassungsgut abwägungsfähig sein soll.140
II. Abstrakte Gleichwertigkeit
1. Gleichwertigkeit der Grundrechte In der Tat stellt diese Frage der etwaigen Werteordnung einen Zentralpunkt in der Diskussion dar, die sich um die generelle Kritik an der Methode der Abwägung zur Lösung rechtlicher Interessenkonflikte rankt.141 Und tatsächlich ist den Kritikern dieses Ansatzes insofern Recht zu geben, als dass es einen verfassungsrechtlichen Vorrang einzelner Grundrechte nicht gibt und auch nicht geben kann:142 Das Grundgesetz schützt die Freiheit des Menschen universell und übergreifend, indem es ihr in seinen verschiedenen Grundrechtsgewährleistungen umfassenden Schutz bietet. Unter diesem Blickwinkel sind auch die Äußerungen des Bundesverfassungsgerichts zu verstehen, in denen die besondere Bedeutung einzelner Grundrechte hervorgehoben wird. Denn allein der abstrakte Hinweis auf die hohe Wertigkeit eines Verfassungsguts und die Notwendigkeit, seine Bedeu––––––––––– tis/Grigoleit, NJW 2004, S. 3459 (3560), in der neueren Rechtsprechung zum Versammlungsrecht, vgl. auch dies., NVwZ 2001, S. 121 (123). 138 BVerfGE 7, 198 (215). 139 Vgl. die Nachweise bei Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2, S. 818. 140 BVerfGE 75, 369 (380); 93, 266 (293); kritisch hierzu Kloepfer, FS 25 J. BVerfG, S. 405 (412); ders., FS 50 J. BVerfG, S. 77 (79), der auf die besondere Bedeutung des Grundrechts auf Leben als Vorraussetzung für alle anderen Grundrechtsgewährleistungen verweist und daraus schließt, dass auch die Menschenwürde keinen geringeren Schranken als das Recht auf Leben unterliegen kann. 141 Vgl. etwa nur Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 19, 26, 43, 153; Knies, Schranken der Kunstfreiheit als verfassungsrechtliches Problem, S. 38 ff. Mitunter wird dieses Argument allerdings auch genau ins Gegenteil verkehrt, etwa wenn eine gesetzgeberische Wertentscheidung gegenüber einer einzelfallbezogenen Abwägung als problematisch angesehen wird, wie etwa bei Brandenburger, KJ 1995, S. 351 (361). 142 Vgl. nur speziell für das Verhältnis zwischen Art. 5 GG und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht v. Gamm, NJW 1979, S. 513 (516); v. Gerlach, JZ 1998, S. 741 (750); Scholz/Konrad, AöR 123 (1998), S. 60 (105).
D. Abstrakte Gewichtung der Grundrechte
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tung nicht durch die Schrankenregelungen zu relativieren,143 lässt allein noch nicht auf seine generelle und abstrakte Höherwertigkeit schließen.144 Jedes Grundrecht muss im Rahmen von verfassungsrechtlich zulässigen oder sogar gebotenen Einschränkungen – sei es zugunsten anderer Grundrechte, sei es zugunsten anderer Rechtsgüter – seine besondere Bedeutung entfalten können ohne dass es sich dadurch in einen generell höheren Rang im Vergleich zu anderen Grundrechten erhebt. Dies gilt auch für die bisweilen insbesondere vom Bundesverfassungsgericht in ihrer Bedeutung hervorgehobene Meinungs- bzw. Pressefreiheit. Denn diese Betonung im Rahmen der Rechtsprechung stellt sich bei näherer Betrachtung inhaltlich als nichts anderes dar als der Versuch, das Problem der Unmöglichkeit letztverbindlicher Auslegungen statt auf der Ebene der Inhaltsermittlung auf der Ebene der Abwägung zu lösen. Systematisch greift dieses Instrument allerdings an der falschen Stelle an und liefert sich in der Tat dem Verdacht der einseitigen Überbewertung einzelner Grundrechte aus. Eine daraus vermeintlich folgende Höherwertigkeit einzelner Grundrechte basiert dann lediglich auf einer dogmatischen Fehlkonstruktion angesichts der Besonderheiten einzelner Grundrechtsgewährleistungen, nicht aber auf einer grundrechtlichen Wertrangordnung.
2. Sonderrolle der Menschenwürde Eine Ausnahme mag hier lediglich die Menschenwürde bilden, die das oberste Leitprinzip des Grundgesetzes,145 den Mittelpunkt des Wertsystems der Verfassung146 und in der freiheitlichen Demokratie den obersten Wert147 darstellt. Wenn man mit der herrschenden Meinung148 davon ausgeht, dass die Menschenwürde unantastbar im Sinne einer Unbeschränkbarkeit ist, so dass jeder Eingriff eine Verletzung darstellt, folgt daraus für die Abwägung, dass die Menschenwürde nicht nur als feststehende Größe in die Abwägung mit anderen Grundrechten und Verfassungsgütern eingestellt werden muss, sondern darüber hinaus muss daraus auch geschlossen werden, dass dieses abstrakte Gewicht nie
––––––––––– 143
Vgl. nur BVerfGE 35, 202 (223); 85, 1 (16). Vgl. auch Schneider, Die Güterabwägung des Bundesverfassungsgerichts bei Grundrechtskonflikten, S. 158. 145 Vgl. etwa BVerfGE 54, 153. 146 BVerfGE 35, 202 (225). 147 BVerfGE 5, 85 (204). Für weitere Nachweise vgl. Kloepfer, FG BVerfG, Bd. 2, S. 405 (411). 148 BVerfGE 93, 266 (293); Kunig, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 1 Rn. 26; Schmalz, Grundrechte, Rn. 394; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 365; Höfling, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 1 Rn. 10. 144
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Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
im konkreten Fall überwogen werden kann. Dort, wo die Menschenwürde betroffen ist, findet die Abwägung ihre Grenzen. Die normative Inbezugnahme der Menschenwürde durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht legt auf dieser Grundlage den Schritt nahe, besonders schwere Beeinträchtigungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Verletzung der Menschenwürde zu bewerten, was dann zu einem automatischen Überwiegen des Persönlichkeitsrechts ohne Abwägung im Einzelfall führte.149 Indes ist bei einer solchen Annahme Vorsicht geboten, will man sich nicht in die dogmatischen Schwierigkeiten dieser Konstruktion des allgemeinen Persönlichkeitsrechts150 verstricken. Insofern sind die Menschenwürde und das allgemeine Persönlichkeitsrecht deutlich voneinander zu trennen. Eine besonders schwere Beeinträchtigung des einen Gutes muss nicht unbedingt eine Verletzung des anderen zur Folge haben. Auch wenn Art. 1 Abs. 1 GG eine „Interpretationsrichtlinie“151 für das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist, bleibt die Schutzrichtung der beiden Gewährleistungen doch im Grundsatz eine andere: „Das Gebot der Unverletzlichkeit der Menschenwürde verbürgt Schutz vor solchen Eingriffen in die Persönlichkeitssphäre, durch die zugleich der Mensch als solcher in seinem Eigenwert, seiner Eigenständigkeit verletzt ist. Im Verhältnis zu Art. 2 Abs. 1 GG, der die freie Entfaltung der Einzelpersönlichkeit sichert, ist Art. 1 Abs. 1 GG daher weniger auf die Individualität als auf die Personalität bezogen.“152 Die Grenzen eines solchen Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, der zugleich die Menschenwürde verletzt, sind dementsprechend sehr eng zu ziehen, so dass ein solcher Fall nur in außerordentlichsten Einzelfällen anzunehmen sein wird.153 Vor allem aber darf nicht verkannt werden, dass nicht nur das allgemeine Persönlichkeitsrecht eine gedankliche Grundverankerung in der Menschenwürde besitzt, sondern auch die Kommunikationsfreiheiten einen solchen Ursprung für sich geltend machen können.154 Auch hier verbietet es sich insofern, vorschnell auf den Menschenwürdegehalt zu rekurrieren. Dies ergibt sich zum einen aus grundrechtsdogmatischer Sicht, zum anderen aber auch, weil sonst ––––––––––– 149
So ausdrücklich BVerfGE 75, 369 (380). Vgl. etwa Höfling, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 1 Rn. 58. 151 S.o. S. 139. 152 Abweichende Meinung in BVerfGE 30, 173 (214). 153 Dies ist letztlich auch eine Konsequenz aus dem Dogma der Unbeschränkbarkeit der Menschenwürde, das eine enge Grenzziehung um den Schutzbereich der Menschenwürde erzwingt. Vgl. kritisch dazu Kloepfer, FG 50 J. BVerfG, Bd. 2, S. 405 (413 ff.). 154 Auch wenn im Einzelnen umstritten sein mag, ob jedes Grundrecht einen unantastbaren, aus der Menschenwürde resultierenden Kern hat, wie Dürig, AöR 81 (1956), S. 117 ff., meint, kann dies für die Kommunikationsfreiheiten doch in jedem Fall angenommen werden, vgl. nur Scholz/Konrad, AöR 123 (1998), S. 60 (95). 150
E. Konkrete Abwägung der Grundrechte
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die Fehlerhaftigkeit einer solchen gedanklichen Konstruktion nur allzu direkt zu Tage treten würde: In den Fällen nämlich, in denen sowohl der Menschenwürdegehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als auch derjenige der Kommunikationsfreiheit berührt wäre, entstünde eine unauflösbare PattSituation. Der Konflikt wäre mit rechtswissenschaftlichen Methoden nicht mehr lösbar, die Dogmatik blockierte sich selbst. Die Menschenwürde als unabwägbares oberstes Rechtsgut der Verfassung muss daher von der Konfliktlage des allgemeinen Persönlichkeitsrechts getrennt werden. Ein nicht zu rechtfertigender Eingriff in die Menschenwürde muss als solcher erkennbar sein und kann nicht über die Ummantelung einer besonders schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung konstruiert werden, um der Abwägung der betroffenen Grundrechte zu entgehen. Im Konflikt zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und den Kommunikationsfreiheiten aus Art. 5 GG bleiben die abzuwägenden Rechtsgüter somit zunächst gleichwertig. Eine abstrakte Gewichtung der widerstreitenden Positionen kann nicht vorgenommen werden.
E. Konkrete Abwägung der Grundrechte Treten die Kommunikationsfreiheiten und das allgemeine Persönlichkeitsrecht in den verschiedensten Fallkonstellationen miteinander in Konflikt, so muss dieser Interessenwiderstreit daher im Rahmen der Abwägung anhand konkreter, individueller Kriterien erfolgen. Dies betrifft sowohl die Fälle, in denen eine spezifische gesetzliche Konfliktlösung vorgegeben wird, als auch die Konstellationen, in denen eine weite gesetzliche Bestimmung anhand von Generalklauseln ausgefüllt wird.155 Wie eine Konfliktlösung im Einzelnen erfolgen muss, erschließt sich, wenn man zunächst den Maßstab und das Ziel bestimmt, anhand derer die Abwägung vorgenommen wird, (I.) sowie die notwendigen Abgrenzungen innerhalb der Grundrechtskonflikte vornimmt, die die Voraussetzung der Einzelfallabwägung bilden (II.). Im Anschluss daran sind die konkreten Kriterien zu untersuchen, anhand derer die Abwägung im Einzelfall erfolgen kann, wobei zwischen ob––––––––––– 155 Dabei kann allerdings auch in einem abstrakt-generellen Gesetz bereits eine verbindliche, kaum noch ausfüllungsbedürftige Regelung zulässigerweise getroffen worden sein, wenn nur der gesetzliche Anwendungsbereich hinreichend konkret ist, wie dies etwa in §§ 32 ff. StUG der Fall ist. Der dort – in der alten Fassung des Gesetzes noch deutlicher – normierte Vorrang des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor den Interessen von Wissenschaftlern und Journalisten verstößt insofern keineswegs gegen das Gebot der konkreten Abwägung, wie aber beispielsweise Gouanalakis/Vollmer, AfP 1992, S. 36 (39); Schuppert, AfP 1992, S. 105 (111); Bork, ZIP 1992, S. 90 (99); meinen, sondern berücksichtigt nur im gebotenen Maße die Besonderheiten der bei der Behörde gelagerten Unterlagen und die rechtsstaatswidrige Weise ihrer Gewinnung, vgl. auch Lenski, LKV 2004, S. 114 ff.
Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
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jektiven Kriterien (III.) und subjektiven Kriterien unterschieden werden kann. Bezüglich letzter ist wiederum eine Unterscheidung in subjektive Kriterien aus der Sphäre des Kommunizierenden (IV.), subjektive Kriterien aus dem Bereich des Betroffenen (V.) und subjektive Kriterien aus der Sphäre des Kommunikationsempfängers (VI.) geboten.
I. Ziel der Abwägung Das Ziel der konkreten Abwägung zwischen den im Einzelfall kollidierenden, grundrechtlich geschützten Interessen liegt wie bei jeder Abwägung darin, einen möglichst schonenden Ausgleich, eine Optimierung des in Konflikt geratenen Grundrechtsbrauchs zu finden.156 Die „proportionale Gewichtung“157, die durch die Abwägung vorgenommen werden soll, stellt sich somit auch auf konkreter Ebene nicht als Aufstellung einer (konkreten) Wertrangordnung dar, sondern letztlich als Mittel des schonendsten Ausgleichs zwischen zwei widerstreitenden Interessen. Um einen solchen schonenden Ausgleich herzustellen, muss ein Maßstab gefunden werden, an dem die Intensität gemessen werden kann, mit der ein Ausgleich die konkreten grundrechtlichen Interessen berührt. Es läge nahe, diesen Maßstab in der konkreten Schwere der Beeinträchtigung der individuellen Interessen zu sehen: Schonend wäre danach jeweils auf beiden Seiten, was weniger stark in das betroffene Grundrecht eingreift. Indes könnte ein solcher Maßstab immer nur ausschließlich für die eine Seite des Ausgleichs, d.h. immer nur bezogen auf jeweils ein zu untersuchendes Grundrecht, gelten. Denn die Frage nach der Schwere der Beeinträchtigung lässt sich immer nur innerhalb der Betrachtung eines beeinträchtigenden Grundrechts beantworten, nie aber lässt sich so die Schwere im Vergleich zu anderen, möglicherweise ebenfalls berührten Rechten bemessen. Eine gemeinsame Maxime für den Ausgleich gerade zwischen den beiden Gütern bietet eine solche Betrachtung demnach nicht. Der gemeinsame, grundrechtsübergreifende Maßstab, an dem die Intensität der Beeinträchtigung im Rahmen eines Ausgleichs gemessen werden kann, muss demnach in seiner Abstraktion über einem rein grundrechtsspezifischen Maßstab liegen. Gleichzeitig muss er aber dennoch in der Lage sein, die spezifischen Beeinträchtigungen des Grundrechts zu messen. Diese Anforderung der nötigen Abstraktion bei gleichzeitiger spezifischer Berücksichtigung der konkreten Grundrechte erfüllt das Kriterium der maximalen Erfüllung der Grundrechtsfunktionen, wie sie im ersten Kapitel erläutert wurden. Ein möglichst schonender Ausgleich liegt dementsprechend dann vor, wenn die verschiedenen den Kommunikationsfreiheiten wie dem allgemeinen ––––––––––– 156 157
So explizit Zöbeley, NJW 1985, S. 254 (256). S.o. S. 180.
E. Konkrete Abwägung der Grundrechte
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Persönlichkeitsrecht zugedachten Funktionen in der konkreten Fallgestaltung bestmöglich erfüllt werden können und zur optimalen Geltung gelangen. Dies gilt umso mehr, als sich beide widerstreitenden Grundrechtsgewährleistungen in ihren Funktionen nicht unerheblich überschneiden, indem die Kommunikationsfreiheiten etwa persönlichkeitsfördernde und -relevante Aspekte enthalten, während das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch kommunikationsfördernde Teilfunktionen besitzt. In einem möglichst schonenden Ausgleich muss dementsprechend der Gesamtzusammenhang zwischen Persönlichkeitsentfaltung und Kommunikationsfreiheit gerade auch in ihren Wechselwirkungen maßgeblich beachtet werden. Oberstes Ziel einer Abwägung muss demnach die Erzielung eines Gleichgewichts sein, bei dem sowohl die widerstreitenden als auch die gleichlaufenden Funktionen der in Konflikt stehenden Grundrechtsgewährleistungen optimal erfüllt werden können.
II. Spezifizierung des Konflikts Die elementare Voraussetzung für diese konkrete Optimierungsleistung ist zunächst jedoch die exakte Spezifizierung der zutage tretenden Grundrechtskollision.158 In ganz besonderem Maße muss dabei berücksichtigt werden, welche konkreten Teilaspekte der Grundrechtsgewährleistungen im zu lösenden Fall aufeinandertreffen. Nach der in den ersten Kapiteln dargestellten Unterteilung können die Konstellationen, in denen Konflikte zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und den Kommunikationsfreiheiten auftreten können, je nach den konfligierenden Teilaspekten in sechs Fallgruppen unterteilt werden. Ausgangspunkt für diese Klassifizierung ist die Unterscheidung zwischen Medien-, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit auf der einen Seite, der Seite der Kommunikationsfreiheiten, und die Unterteilung in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das Recht der persönlichen Ehre auf der anderen Seite, der Seite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Jede der drei massenmedialen Teilgewährleistungen auf der Seite der Kommunikationsfreiheiten kann potentiell mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung in Konflikt geraten. Die Kommunikationsinhalte,159 die einen solchen Konflikt auslösen können, sind diejenigen Inhalte, die mittels der einschlägigen denotativen, d.h. sachlich-beschreibenden Codes aus der konkreten Aussage ermittelt wurden. Mit dem Recht der persönlichen Ehre hingegen ––––––––––– 158
Daran fehlt es, wie zu Beginn erläutert, in der Praxis bereits oft, s.o. S. 32. Der Lesbarkeit halber wird im Folgenden bei einer gemeinsamen Betrachtung der Kommunikationsfreiheiten einheitlich der Begriff des Kommunikationsinhalts als einschlägigem Auslegungsergebnis benutzt, obwohl es sich bei dem Auslegungsergebnis von künstlerischer Kommunikation nicht um den Kommunikationsinhalt, sondern nur um dessen soziale Ausstrahlung handelt. 159
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Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
kann nur die Medienfreiheit potentiell in Konflikt geraten. Kollisionen können hier aufgrund derjenigen Kommunikationsinhalte entstehen, die mittels der einschlägigen konnotativen, d.h. assoziativ-wertenden Codes ermittelt werden. Eine solche Auslegungsmöglichkeit besteht für die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit nicht, weshalb ein entsprechender Konflikt hier nicht entstehen kann. Erst wenn der konkret zu lösende Fall einer dieser Konfliktgruppen zugeordnet worden ist, kann die Abwägung der widerstreitenden Rechtspositionen beginnen. Denn erst auf der Basis einer exakten Analyse der kollidierenden Güter kann überhaupt ein Ausgleich derselben stattfinden.
III. Objektive Kriterien Teilt man die Kriterien, nach denen eine Abwägung zwischen den Kommunikationsfreiheiten und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auf dieser Basis erfolgen soll, in verschiedene Gruppen ein, so sind die objektiven Kriterien in diesem Rahmen nicht nur die im Vergleich abstraktesten, sondern zugleich auch die umstrittensten Merkmale, anhand derer ein Ausgleich gesucht werden kann. Als ein solches objektives Kriterium kommt zum einen der Wahrheitsgehalt bzw. die Authentizität eines Kommunikationsinhaltes in Betracht, zum anderen die gesellschaftliche Relevanz dieses Inhalts.
1. Wahrheit und Authentizität Die Tatsache, dass die Wahrheit einer Tatsachenbehauptung nach der herrschenden Meinung überhaupt als relevantes Kriterium in der Abwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und den Kommunikationsfreiheiten anerkannt ist,160 stellt bei näherer Betrachtung im Grunde einen dogmatischen Widerspruch in sich dar. Denn wenn auf der einen Seite nach überkommener Auffassung unwahre Tatsachenbehauptungen vom Schutz der Meinungsfreiheit explizit ausgenommen sind,161 kann streng genommen auf der anderen Seite die Wahrheit einer Tatsachenbehauptung in der Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht nicht zum Tragen kommen. Denn sie ist grundrechtlich nicht geschützt und damit auch nicht abwägungsfähig.162 Diese dogmatische Hürde wird zum Teil mit der Begründung übersprungen, im konkreten Fall könnten sich wertende und tatsächliche Elemente in einer ––––––––––– 160
S.o. Fn. 120. S.o. 47. 162 Ihren gesetzlichen Niederschlag in einer Abwägungskonstellation findet die Wahrheit deshalb einzig auch im Gegendarstellungsrecht der Landespressegesetze, wo sie in der Tat aber nicht auf der Seite der Kommunikationsfreiheiten, sondern auf der Seite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Kriterium zum Tragen kommt. 161
E. Konkrete Abwägung der Grundrechte
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Äußerung so vermengen, dass diese zwar insgesamt als Werturteil anzusehen ist, die tatsächlichen Elemente jedoch dennoch einem Wahrheitsbeweis zugänglich sein könnten, der wiederum in die Abwägung mit kollidierenden Rechtsgütern einfließen könne.163 Im Ergebnis führt dieser dogmatische Trick jedoch keineswegs zur Ausräumung der grundlegenden Zweifel an dieser Konstruktion, sondern bestärkt im Gegenteil noch die Auffassung, dass die Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen weder abschließend, noch hinreichend präzise ist, um als taugliche Beschreibung und Abgrenzung des grundrechtlichen Schutzbereichs zu dienen. Darüber hinaus belegt er auch, warum ein Ausschluss unwahrer Tatsachenbehauptungen aus dem Schutzbereich der Kommunikationsfreiheiten im Ergebnis nicht überzeugen kann. Schließt man jedoch unwahre Tatsachenbehauptungen explizit in den Schutzbereich mit ein,164 so bestehen zwar keine grundsätzlichen dogmatischen Hindernisse für die Berücksichtigung der Wahrheit als Kriterium der Auslegung. Gleichwohl müssen die grundsätzlichen Zweifel, die diesem Kriterium im Rahmen der Schutzbereichsbestimmung entgegengebracht wurden, auch im Rahmen der Abwägungsmethode berücksichtigt werden. Dies betrifft zum einen die Anwendbarkeit des Kriteriums auf nicht-sprachliche Kommunikationsäußerungen, zum anderen die generelle Schwierigkeit, Wahrheit im juristischen Kontext zu bestimmen, sowie die damit verbundene schwindende Bedeutung der Wahrheit im Kontext der Massenkommunikation.
a) Anwendbarkeit des Wahrheitsbegriffs Der Begriff der Wahrheit ist untrennbar verknüpft mit der Kategorie der Tatsachenbehauptung. Denn Tatsachenbehauptungen definieren sich gerade darüber, dass es sich um solche Kommunikationsäußerungen handelt, deren Inhalt einer Überprüfung auf seinen Wahrheits- und Richtigkeitsgehalt, mithin dem Beweis zugänglich ist.165 Überall dort, wo Kommunikation jenseits von Tatsachenbehauptungen stattfindet, kann das Kriterium der Wahrheit somit nicht angewendet werden. Da Tatsachenbehauptungen wiederum allerdings nur im Rahmen von sprachlicher Kommunikation überhaupt eine fassbare Kategorie darstellen, bedeutet dies, dass das Feld derjenigen Kommunikation, bei der ein Wahrheitsmaßstab von vorneherein nicht angelegt werden kann, denkbar groß ist.
––––––––––– 163 164 165
So ausdrücklich BVerfGE 85, 1 (17). S.o. S. 47 ff. S.o. Fn. 9.
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Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
In diesem Bereich, der vor allen Dingen durch die bildliche Kommunikation ausgemacht wird,166 kann jedoch ein anderer Maßstab angelegt werden, um die Übereinstimmung mit der Realität zu messen und letztlich in die Abwägung mit einfließen zu lassen. Maßstab hierfür ist dann nicht die Richtigkeit des Inhalts einer Kommunikationsäußerung, wie sie sich mittels sachgerechter und grundrechtsspezifischer Auslegung ergibt. Vielmehr ist die inhaltliche Ebene der Kommunikationsäußerung gerade zu verlassen, wenn auch jenseits der (verbalen) Tatsachenbehauptungen Realitätsmaßstäbe angelegt werden sollen. Maßgeblich ist dementsprechend allein noch die Form, in der die Äußerung erfolgt. Diese Form – bei Bildäußerungen also etwa die konkrete Abbildung, bei Tonäußerungen der konkrete Klang – ist dann nach dem Maßstab der Authentizität zu bemessen, um ihren Realitätsbezug zu messen. In diesem Sinne ist die Form dann authentisch, wenn sie nicht nachträglich durch solche Vorgänge verändert wurde, die außerhalb der konkret abgebildeten Realität liegen. Ein Foto ist dementsprechend beispielsweise dann authentisch, wenn es nicht nachträglich retuschiert wurde, eine Tonaufnahme dann, wenn der Ton nicht nachträglich technisch verändert wurde.167 Auf diese Art und Weise kann auch an Äußerungen jenseits der Tatsachenbehauptungen ein Realitätsmaßstab angelegt werden, ohne den unsachgerechten Wahrheitsstandard anlegen zu müssen.168
b) Relativität der Wahrheit Bei der Kategorie der Tatsachenbehauptungen, bei denen das Kriterium der Wahrheit dennoch Anwendung finden kann, stellt sich darüber hinaus zunächst das bereits geschilderte Problem, dass es in der Rechtswissenschaft und Rechtspraxis schlechterdings unmöglich ist, die Wahrheit einer Aussage letztverbindlich und zweifelsfrei festzustellen.169 Die Suche nach der Wahrheit ist vielmehr Gegenstand der Wissenschaft an sich, nicht allein der Rechtswissenschaft, die lediglich nach der Wahrheit in Bezug auf die Setzung und Anwendung von Rechtsnormen sucht.170 Und auch hier ist festzuhalten, dass die Wissenschaft sich eben durch die Wahrheitssuche, den Erkenntnisfortschritt, also einen dynamischen Prozess auszeichnet, der zwar Erkenntnisgewinne und Ergebnisse kennt, einen Endpunkt der Suche jedoch nicht zu fixieren vermag. Die Wissenschaft sucht die Wahrheit als „etwas noch nicht ganz Gefundenes und
––––––––––– 166
S.o. S. 39 ff. Dies gilt insofern auch für Tonaufnahmen von Werturteilen, als dass es in dieser Betrachtung nicht auf den Wahrheitsgehalt des Inhalts ankommt, so dass das Kriterium der Authentizität auch hier anwendbar ist. 168 In Ansätzen deutet auch BVerfG, AfP 2005, S. 171, in diese Richtung. 169 S.o. S. 50 ff. 170 Vgl. Rühl, Rechtstheorie, Rn. 291. 167
E. Konkrete Abwägung der Grundrechte
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nie ganz Aufzufindendes.“171 Der Wahrheit kann auch die Wissenschaft sich deshalb immer nur annähern, sie endgültig zu finden bleibt ihr hingegen verwehrt. Wie viel mehr muss dies erst für die Rechtsfindung gelten, die den Wahrheitsgehalt einer Tatsachenbehauptung bemessen will. Mit dieser Feststellung korrespondiert im Übrigen auch eine tatsächliche Entwicklung in der massenmedialen Praxis, in der das Kriterium der Wahrheit zunehmend an Bedeutung verliert. In der massenmedialen Kommunikation ist es auch und gerade im Bereich von Tatsachenbehauptungen zunehmend weniger wichtig, dass die Unwahrheit einer Aussage ausgeschlossen werden kann. Anders als in der Wissenschaft wird die Information nicht derart durchreflektiert, dass auf wahre Weise festgestellt werden muss, dass Unwahrheit ausgeschlossen werden kann, bevor Wahrheit behauptet wird.172 In diesem Sinne muss massenmediale Kommunikation oft nicht mehr um Glaubwürdigkeit im Sinne eines positiv erbrachten Wahrheitsbeweises bemüht sein.173 Dementsprechend ist auch das Empfängerverhalten oft gar nicht mehr von der Erwartung geprägt, dass die verbreiteten Informationen im uneingeschränkten Einklang mit der Realität stehen.174 Die These des Bundesverfassungsgerichts, dass unwahre Tatsachenbehauptungen zur öffentlichen Meinungsbildung nichts beitragen können,175 erscheint insofern angesichts der Medienrealität mehr als zweifelhaft176 und kann insofern nicht nur zur Reduzierung des Schutzbereichs, sondern auch zur Lösung des Abwägungskonflikts nichts beitragen. Diesen Schwierigkeiten muss sich der Rechtsanwender bewusst sein, wenn er einen Ausgleich zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und den Kommunikationsfreiheiten nach dem Kriterium der Wahrheit sucht. Der Maßstab ist mitunter unzuverlässig, ungenau, seine konkrete Anwendung kann sich nur allzu leicht im Nachhinein als Fehler herausstellen. Dennoch ist die Wahrheit bzw. die Authentizität als Abwägungskriterium unentbehrlich. Denn dass die Wahrheit einer Tatsachenbehauptung bzw. die Authentizität einer sonstigen Äußerung in den Abwägungsprozess mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht mit einfließen muss, ist letztlich ein Gebot, das direkt aus dem Selbstbestimmungsrecht des Menschen folgt: Nur solche Informationen, die – sei es über das Kriterium der Wahrheit, sei es über das Kriterium der Authentizität – der Realität entsprechen, gehen auf ein selbstbestimmtes, eigenverantwortliches Handeln des Einzelnen zurück, wie es sich in ––––––––––– 171 Humboldt, in: Anrich (Hrsg.), Die Idee der deutschen Universität und die Reform der deutschen Universitäten, S. 375 (379). 172 Luhmann, Die Realität der Massenmedien, S. 73 f. 173 Ladeur, NJW 2004, S. 393 (394). 174 Ladeur, NJW 2004, S. 393 (396). 175 BVerfGE 54, 208 (219); 61, 1 (8); 85, 1 (15); 90, 241 (247). 176 S. bereits oben S. 47 ff.
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Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
der Wirklichkeit manifestiert. Die Realität stellt sich insofern als die Konsequenz eigenen Handelns dar. Bei Äußerungen dagegen, die nicht mit der Realität übereinstimmen, d.h. entweder unwahr oder unauthentisch sind, verfügt der Betroffene über keinerlei Einwirkungsmöglichkeit auf diese Art von weitergegebenen Informationen. Er wird einzig und allein zum Objekt der Kommunikation. Diese Objektstellung zu verhindern, die im Extremfall die Menschenwürde des Einzelnen berühren kann, ist aber gem. Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG Aufgabe aller staatlichen Gewalt. Die mangelnde Übereinstimmung mit der Realität muss daher bei der Abwägung berücksichtigt werden, trotz und vor allen Dingen im Bewusstsein der Fehleranfälligkeit dieses Kriteriums. Trotz seines starken Bezugs zur Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG wirkt auch dieses Kriterium daher keineswegs absolut.177 Insbesondere kann nicht eindimensional nur zwischen den beiden Alternativen wahr/unwahr bzw. authentisch/unauthentisch unterschieden werden. Abzustellen ist vielmehr auf die Plausibilität der Wahrheit bzw. Authentizität.178 Mit abnehmender Plausibilität der Wahrheit bzw. der Authentizität einer Kommunikationsäußerung sinkt daher das Gewicht der Kommunikationsfreiheit im konkreten Fall – 179 es tendiert bei solchen Äußerungen, die sich auf fundierter Basis als nach allen Gesichtspunkten unwahr bzw. unauthentisch darstellen, gegen Null.180
c) Anwendbarkeit auf verschiedene Kollisionsfälle Auch wenn der Realitätsbezug nun dadurch, dass das Kriterium der Wahrheit durch den Maßstab der Authentizität ergänzt wird, jenseits von reinen Tatsachenäußerungen anwendbar ist, bleibt sein Anwendungsbereich in Hinblick auf die verschiedenen Kollisionsfälle zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und den Kommunikationsfreiheiten begrenzt. Denn die Frage nach der Wahrheit bzw. der Authentizität ist eine objektive, rein sachliche Frage, die unabhängig von subjektiven Bewertungen Einzelner beantwortet werden ––––––––––– 177
Genauso wenig wie es geeignet es, den Schutzbereich zu begrenzen. In diese Richtung deuten wohl auch BVerfGE 54, 208 (220); BGH, NJW 1977, S. 1288 (1289); Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 5 I, II Rn. 145 ff., wenn sie darauf abstellen, dass keine übersteigerten Anforderungen an die Wahrheitspflicht gestellt werden dürften. Auch Donsbach, Bitburger Gespräche 1999, Bd. 1, S. 49 (56 f.), deutet in diese Richtung, wenn er den Begriff der Wahrheit bzw. Objektivität an der Güte des Verfahrens, mittels derer die Erkenntnis ermittelt wurde, festmachen will. Vgl. grundlegend auch Popper, Logik der Forschung, passim. 179 Umgekehrt trifft es aber nicht zu, dass durch die (vermutete) Wahrheit bzw. Authentizität der Wert von einem fiktiven Punkt aus ebenfalls steigt, wie BVerfGE 97, 391 (401) meint. Vielmehr sind hier dann die anderen, noch zu erläuternden Abwägungskriterien maßgeblich. 180 So auch Schmidt-Jortzig, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdBStR VI, § 141 Rn. 20. 178
E. Konkrete Abwägung der Grundrechte
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muss.181 Deshalb kann sie sich von vorneherein nur auf solche Kommunikationsinhalte beziehen, die mittels sachlich-beschreibender, d.h. denotativer Codes ermittelt wurden. In bezug auf die möglichen Kollisionsfälle zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und den Kommunikationsfreiheiten bedeutet dies, dass das Kriterium allein in möglichen Kollisionsfällen zwischen dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und der Medien-, Kunst- oder Wissenschaftsfreiheit Anwendung finden kann. Im Konflikt des Rechts der persönlichen Ehre mit der Medienfreiheit kann der Maßstab der Wahrheit bzw. Authentizität hingegen keine Geltung beanspruchen. Zwar können grundsätzlich auch solche Äußerungen, die potentiell das Recht der persönlichen Ehre berühren, deren Inhalt also subjektivwertender Natur ist, auf ihre Authentizität182 geprüft werden. Allerdings verschiebt sich dann der Blickwinkel, unter dem die Äußerung betrachtet wird, und mit ihm der mögliche Grundrechtskonflikt. Die Authentizität einer wertenden Äußerung kann nämlich nur dann eine Rolle spielen, wenn die Äußerung selbst wiederum Gegenstand von Kommunikation wird. Die Frage ihrer Authentizität berührt dann nicht mehr das Grundrechtsverhältnis zwischen dem ursprünglich Kommunizierenden und dem durch diese Äußerung Betroffenen. Vielmehr spielt die Authentizität der Äußerung allein eine Rolle in dem Verhältnis zwischen dem sich ursprünglich Entäußernden und demjenigen Grundrechtsträger, der diese Äußerung wiedergibt. Während letzter sich in diesem Zusammenhang dann auf die Kommunikationsfreiheiten berufen kann, ist für den ersteren keine Kommunikationsfreiheit, sondern das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (in Form des Rechts am eigenen Wort) maßgeblich. Das Grundrechtsverhältnis verschiebt sich auf diese Art und Weise und kommt wieder dort an, wo das Kriterium der Wahrheit bzw. Authentizität seinen alleinigen Platz hat: im Konflikt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung mit den Kommunikationsfreiheiten.
2. Gesellschaftliche Relevanz Neben der Frage des Realitätsbezugs kommt als weiteres objektives Kriterium für die Abwägung auch der Gesellschaftsbezug des Kommunikationsinhalts und damit seine gesellschaftliche Relevanz in Betracht. Ansätze dieses Kriteriums in der kollisionslösenden Rechtsetzung finden sich vor allen Dingen in den Archivgesetzen und dem Stasi-Unterlagen-Gesetz, im Kunsturhebergesetz sowie in einzelnen Vorschriften des Strafgesetzbuches.183 Dem Grunde nach ––––––––––– 181
Dies gilt zumindest im Idealfall, wenn man von der Existenz einer objektiven Wahrheit ausgeht und das Problem der subjektiven Wahrheit hier vernachlässigt. 182 Nicht hingegen auf ihre Wahrheit. 183 S.o. S. 183 ff.
Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
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stellt sich diese Frage vor allem als Gewichtungsproblem hinsichtlich der verschiedenen gesellschaftlichen Funktionen sowie der individuellen Funktion der Kommunikationsgrundrechte dar.
a) Entwicklung in der deutschen Grundrechtsdogmatik Die besondere Bedeutung der gesellschaftlichen, vor allem der politischen Funktion im Rahmen der Kommunikationsfreiheiten beschäftigt die Verfassungsrechtslehre wie die Rechtsprechung seit langem. Sehr früh hat sich das Bundesverfassungsgericht (und mit ihm der Bundesgerichtshof) in diesem Streit dahingehend positioniert, dass es die besondere Bedeutung der demokratischen wie der gesellschaftlichen Funktion in ständiger Rechtsprechung deutlich hervorhebt und besonders gewichtet.184 Aus der fundamentalen Bedeutung, die die Kommunikationsfreiheiten für die für die demokratische Ordnung haben, folge, dass in den Fällen, in denen es um Beiträge zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage ginge, das Gewicht der Kommunikationsfreiheit so hoch sei, dass sogar eine Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede spreche.185 Dementsprechend könne es umgekehrt bei der Abwägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit den Kommunikationsfreiheiten durchaus darauf ankommen, „ob Fragen, die die Öffentlichkeit wesentlich angehen, ernsthaft und sachbezogen erörtert oder lediglich private Angelegenheiten, die nur die Neugier befriedigen, ausgebreitet werden.“186 In der Literatur ist dieser Ansatz seit jeher kritisiert worden. Neben dem Argument, dass eine solche Bevorzugung öffentlicher vor privater Meinungskundgabe im Grundgesetz keine Stütze finde,187 wurde vor allen Dingen bemängelt, dass diese Auffassung von der unzutreffenden Prämisse ausgehe, dass private Meinungsäußerungen nur eigennützigen Zielen dienen, wohingegen die Beteiligung am politischen Meinungskampf vorrangig dem Allgemeininteresse nutze und daher von höherer, weil gemeinnütziger Legitimation sei.188 Dieser Ansatz sei schon deshalb problematisch, weil das „Allgemeine“ in der freiheitlichen Ordnung niemals als „objektiv“ gelesen werden könne: „Der von der Rechtsprechung für die freiheitliche Demokratie als unabdingbar beschriebene ––––––––––– 184 185 186
Vgl. zusammenfassend Helle, EWiR 1996, S. 371 (371 f.). BVerfGE 7, 198 (212); 85, 1 (16). BVerfGE 34, 269 (283); 101, 361 (391); vgl. auch BGH, ZUM 2004, S. 207
(209). 187 Hoffmann-Riem, AöR 128 (2003), S. 173 (197 f.); Scholz/Konrad, AöR 123 (1998), S. 60 (114). Vgl. auch Ossenbühl, Bitburger Gespräche 1999, Bd. 1, S. 73 (77 ff.). 188 Scholz/Konrad, AöR 123 (1998), S. 60 (114). Vgl. auch Kepplinger, Bitburger Gespräche 1999, Bd. 1, S. 15 (16 ff.).
E. Konkrete Abwägung der Grundrechte
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Prozess gesellschaftlicher Kommunikation ist ein intersubjektiver, also ein Prozess, der aus „besonderen“ Interessenkundgebungen besteht.“189 Auf diese Kritik in ihrer grundsätzlichen Struktur hat das Bundesverfassungsgericht auf zweierlei Ebenen reagiert. Einerseits hat es zwar daran festgehalten, die besondere Bedeutung von solcher Kommunikation über die Öffentlichkeit wesentlich berührende Fragen hervorzuheben und insbesondere auch eine durch die Fachgerichte vorgenommene Bewertung und Gewichtung des Berichterstattungs- und Unterhaltungsinteresses als mit dem Grundgesetz vereinbar angesehen.190 Zum anderen hat es aber in seiner gesamten Rechtsprechung eine konkrete Gewichtung der widerstreitenden Interessen auf dieser Grundlage nie vorgenommen.191 Aus dem Kriterium für die konkrete Abwägung wurde somit letztlich wieder ein abstrakter Gewichtungsfaktor, der losgelöst vom Einzelfall nur einem Grundrecht einseitig ein besonders hohes abstraktes Gewicht verleihen sollte und damit die Grundentscheidung für eine konkrete Abwägung am Einzelfall letztlich grundlegend in Frage stellt.192 Tatsächlich durchgeführte Ansätze zur Bewertung verschiedener Informationsinteressen finden sich jedoch in der Rechtsprechung der Zivilgerichte in Bezug auf die Bildnisverwertung für kommerzielle Zwecke. In Auslegung der einschlägigen Vorschriften des Kunsturhebergesetzes zum zivilrechtlichen Schutz des Rechts am eigenen Bild193 gilt hier die Maxime, dass eine Bildnisveröffentlichung unzulässig ist, wenn ihr überwiegende Interessen des Betroffenen entgegenstehen. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn ein schutzwürdiges Interesse der Allgemeinheit nicht anzuerkennen ist.194 In der Rechtsprechungspraxis wurde dies etwa angenommen, wenn jemand durch Verwendung des Bildnisses zu Werbezwecken allein sein Geschäftsinteresse befriedigen will.195 Für die Zulässigkeit der Verbreitung ist also maßgeblich, in welchem Maße diese einem Informationsinteresse der Allgemeinheit dient.196 Die Ergebnisse, zu denen diese Rechtsprechung kommt, sind allerdings höchst unterschiedlich. So wurde etwa für das Vertreiben von Sammelbildern von Fußballspielern festgehalten, dass das Informationsinteresse, die Person im Bild vorgestellt zu bekommen, maßgeblich von der Tausch- und Sammelleidenschaft überlagert werde und deshalb kein besonderes öffentliches Interesse an der Veröffentlichung bestehe.197 Dagegen wurde der Veröffentlichung von Bildern von Fußballspielern auf einem Wandkalender ein solches Informationsinteresse zugesprochen, so dass eine Abbildung auch ohne Einwilligung des Betroffenen für zulässig gehalten wurde.198 Das Gleiche gilt für eine Sammelmünze mit dem Portrait eines bekannten Politikers,
––––––––––– 189
Grigoleit/Kersten, DVBl. 1996, S. 596 (599). BVerfG, NJW 2000, S. 2193. 191 Vgl. Lenski, NVwZ 2005, S. 50 (51). 192 Vgl. zu dieser Praxis des feststehenden Wertes der Kommunikationsfreiheiten in der Abwägung auch Ladeur, ZUM 2000, S. 879 (882). 193 S. o. S. 183. 194 OLG München, ZUM 1985, S. 452 (453); BGH, NJW 1979, S. 2203. 195 BGH, NJW 1996, S. 593 (594); NJW 1979, S. 2205 (2206); NJW 1992, S. 2084. 196 BGH, GRUR 1968, S. 652 (653). 197 OLG München, ZUM 1985, S. 452; BGH, GRUR 1968, S. 652. 198 BGH, NJW 1979, S. 2203. 190
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Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
bei dem der Bundesgerichtshof zwar die Bedeutung als Sammlerobjekt erkannte, das Informationsinteresse an der Münze als Träger von Informationen über den Abgebildeten als historische Persönlichkeit aber als vorrangig und die Veröffentlichung damit als zulässig ansah.199 Bei der Abbildung eines Musikers auf dem Cover einer (urheberrechtlich zulässigerweise) ohne seine Einwilligung vertriebenen CD mit seiner Musik hingegen sah der Bundesgerichtshof den Werbezweck derart im Vordergrund stehend, dass er eine Veröffentlichung ohne Einwilligung nicht für rechtmäßig erachtete, obwohl das zu bewerbende Produkt – die Musik des Abgebildeten – mit der Person ohnehin untrennbar verbunden war.200
Zum anderen hat das Bundesverfassungsgericht – ohne seine These von der besonderen Bedeutung gesellschaftlich relevanter Kommunikationsinhalte aufzugeben – gleichzeitig in jüngerer Zeit begonnen, auch die besondere individuelle, identitätsbildende Funktion der Kommunikationsfreiheit hervorzuheben und diesem Aspekt ebenfalls ein besonderes Gewicht zu verleihen.201 Auch ein rein unterhaltender Beitrag, d.h. ein solcher Kommunikationsinhalt, der keine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage behandelt, könne Realitätsbilder vermitteln und stelle Gesprächsgegenstände zur Verfügung, an die sich Diskussionsprozesse und Integrationsvorgänge anschließen könnten, die sich auf Lebenseinstellungen, Werthaltungen und Verhaltensmuster beziehen, und erfülle insofern wichtige gesellschaftliche Funktionen.202 In welchem Wert- oder Abwägungsverhältnis diese – zweifellos vorhandene und wichtige203 – Funktion zu der zeitgleich besonders hervorgehobenen politischen und gesellschaftlichen Funktion der Kommunikationsfreiheit stehen soll, lässt das Bundesverfassungsgericht bei dieser Neuausrichtung allerdings völlig offen.
b) Intervention des EGMR Einen neuen Impuls in dieser verfassungsrechtlichen Entwicklung löste jüngst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aus. Er verurteilte die Bundesrepublik Deutschland wegen einer Verletzung von Art. 8 EMRK aufgrund genau derjenigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, mit der die besondere Bedeutung der individuellen, identitätsbildenden Funktion der Kommunikationsfreiheiten und damit die besondere Bedeutung der Unterhaltungsmedien herausgearbeitet werden sollte.204 Der Entscheidung lag eine Individualbeschwerde von Caroline von Hannover (ehemals Caroline von Monaco) zugrunde, die diese in Hinblick auf das sogenannte „Ca-
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BGH, NJW 1996, S. 593 (595). BGH, NJW 1997, S. 1152 (1153). 201 Vgl. zur Parallelentwicklung in Bezug auf die Informationsfreiheit BVerfGE 27, 71 (81). Ausführlich dazu Rossi, Informationszugangsfreiheit und Verfassungsrecht, S. 114 ff. 202 BVerfGE 101, 361 (390). 203 S.o. S. 54. 204 EGMR, NJW 2004, S. 2647 ff. 200
E. Konkrete Abwägung der Grundrechte
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roline von Monaco II-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts205 in Straßburg eingelegt hatte. Dieses Urteil war der Schlusspunkt in einem jahrelangen Rechtsstreit zwischen Prinzessin Caroline von Monaco und dem Burda-Verlag über die Veröffentlichung von Fotos aus dem Privat- und Alltagsleben der Prinzessin in verschiedenen Boulevardmagazinen gewesen. Die Veröffentlichung der Fotos, die Caroline von Monaco bei Tätigkeiten wie beim Reiten, Radfahren, Einkaufen oder beim Restaurantbesuch zeigten, wurde von den Zivilgerichten für zulässig erachtet, ein Unterlassungsanspruch diesbezüglich wurde verneint. Die Verfassungsbeschwerde der Prinzessin hatte nur insoweit Erfolg, als sie solche Fotos betraf, die die Beschwerdeführerin beim familiären Umgang mit ihren Kindern zeigte, da hier der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch die Gewährleistung des Art. 6 GG verstärkt würde. Im Übrigen wurde die Verfassungsbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen, da die angegriffenen Entscheidungen der Zivilgerichte insoweit keinerlei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erkennen ließen. Der EGMR sah in dieser Entscheidung eine Verletzung des in Art. 8 EMRK verbürgten Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens. In der Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit, die im Rahmen des Art. 10 EMRK auch den gesamten in Deutschland durch das spezielle Grundrecht der Pressefreiheit geschützten Bereich umfasst,206 und den Grundrechten der Beschwerdeführerin aus Art. 8 EMRK könne sich das Veröffentlichungsrecht hier nicht durchsetzten. Insoweit stellte der EGMR einen Verstoß der Bundesrepublik Deutschland gegen diese Norm fest.
Die Methode des vom EGMR durchgeführten Interessensausgleichs ist dabei derjenigen des Bundesverfassungsgerichts in jeder Hinsicht ähnlich, wenn erst in abstrakter Weise die in Rede stehenden Grundrechte untersucht und sodann auf konkreter Ebene das Grundrecht auf Meinungsfreiheit sowie das auf Privatsphäre gegeneinander abgewogen werden. Auch in der abstrakten Wortwahl zeichnet sich zunächst kein deutlicher Unterschied ab,207 wenn der EGMR unter Verweis auf seine ständige Rechtsprechung betont, dass in den Fällen, in denen der Schutz des Privatlebens gegen die Freiheit der Meinungsäußerung abzuwägen ist, darauf abgestellt werden muss, „ob die Fotoaufnahmen oder Presseartikel zu einer öffentlichen Diskussion über eine Frage allgemeinen Interesses“ beitragen:208 „Nach Auffassung des Gerichtshofs ist grundsätzlich zu unterscheiden zwischen einer Berichterstattung über Tatsachen – auch umstrittene –, die einen Beitrag zu einer Diskussion in einer demokratischen Gesellschaft leisten und Personen des politischen Lebens zum Beispiel bei Wahrnehmung ihrer Amtsgeschäfte betreffen, und einer Berichterstattung über Ein––––––––––– 205
BVerfGE 101, 361 ff. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hg.), GG, Bd. 1, 1996, Art. 5 I, II Rn. 7. 207 So auch die Einschätzung von Heldrich, NJW 2004, 2634 (2636); Grabenwarter, AfP 2004, S. 309 (311). Ähnlich für die bisherige Rechtsprechung des BGH auch Zagouras, AfP 2004, S. 509 (510 f.). 208 EGMR, NJW 2004, S. 2647 (2649) in der Übersetzung von MeyerLadewig/Petzold, unter Verweis auf EGMR, Slg. 2001-I, Nrn. 59 ff.; Slg. 2000-I Nrn. 52 ff.; Entsch. v. 26.02.2002 - Beschw. Nr. 34315/96 Nrn. 33 ff. Im Original ist von „the contribution made by photos or articles in the press to a debate of general interest“ bzw. „la contribution que la parution de photos ou d’articles dans la presse apportait au débat d’intérêt général“ die Rede. 206
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Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
zelheiten des Privatlebens einer Person, die zudem, wie hier, keine solchen Aufgaben hat.“209 Im Gegensatz zum Bundesverfassungsgericht zeigt der EGMR diesen Maßstab aber nicht nur indirekt auf, sondern wendet ihn auch konkret auf den individuellen Fall an, bewertet also die Qualität des Informationsinteresses, das an den in Rede stehenden Veröffentlichungen besteht. Insofern war zu beachten, „dass im vorliegenden Fall die Veröffentlichung der umstrittenen Fotos und Artikel nur die Neugier eines bestimmten Publikums über das Privatleben der Beschwerdeführerin befriedigen wollte und trotz des hohen Bekanntheitsgrades der Beschwerdeführerin nicht als Beitrag zu irgendeiner Diskussion von allgemeinem Interesse für die Gesellschaft angesehen werden kann.“210 Mit dieser Erwägung ließ der EGMR daher die konkrete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts am Maßstab des Art. 8 EMRK scheitern.
c) Reaktion der deutschen Lehre Unabhängig von der Frage, welche Bindungswirkung diesem Urteil in Konflikt mit der Bindungswirkung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für die deutschen Gerichte zuerkannt wird,211 und unabhängig von der konkreten Weite der Entscheidungsbefugnisse des EGMR212 ist das Urteil in weiten Teilen der deutschen Verfassungsrechtslehre vor allem mit verheerender inhaltlicher Kritik aufgenommen worden. Das Urteil rüttele „an den Grundfesten unserer Kommunikationsverfassung“.213 Es verkenne, dass die Presse als „öffentlicher Wachhund“214 nicht nur über Parlamente, Pressekonferenzen und sonstige öffentliche Auseinandersetzungen wache, sondern überhaupt über das gesamte öffentliche Leben in Kunst, Kultur, Wissenschaft, Sport und Gesellschaft.215 Insofern wird erneut und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die besondere Funktion der Kommunikationsfreiheiten auch in Hinblick auf die individuelle und identitätsbildende ––––––––––– 209 EGMR, NJW 2004, S. 2647 (2649). Vgl. zur Rechtsprechung des EGMR in diesem Konflikt und zur Erkennbarkeit entsprechender Kriterien vor der Caroline von Monaco-Entscheidung auch Fahrenhorst, ZeuP 1998, S. 84 (97 ff.). 210 EGMR, NJW 2004, S. 2647 (2650) unter Verweis auf EGMR, Entsch. v. 12.12.2000 - Beschw. Nr. 54224/00; Entsch. v. 13.05.2003 - Beschw. Nr. 14929/02; Entsch. v. 01.07.2003 - Beschw. Nrn. 66910/01 und 71612/01. 211 Skeptisch insoweit BVerfGE 111, 307 (316 ff.); die Bindungswirkung mit guten Gründen bejahend hingegen Behnsen, ZaöRV 65 (2005), S. 239 (250 f.); in diese Richtung auch KG Berlin, NJW 2005, S. 605 ff. 212 Kritisch dazu etwa Scheyli, EuGRZ 2004, S. 628 ff.; Haffmeier, AfP 2004, S. 417 ff. 213 Gersdorf, AfP 2005, S. 221 (221). 214 EGMR, NJW 2004, S. 2647 (2650), „chien de garde“, „watchdog“. 215 Grabenwarter, AfP 2004, S. 309 (310).
E. Konkrete Abwägung der Grundrechte
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Dimension betont, da gerade Personen im öffentlichen Leben im weiteren Sinne nicht in ihrer politischen oder sonstigen gesellschaftlichen Funktion aufgingen, sondern auch durch ihre gesamtes Verhalten Meinungen beeinflussten, Verhaltensmuster prägten und Lebensstile vermittelten.216 Darüber hinaus wird die staatliche Bewertungskompetenz, die der Maßstab des EGMR voraussetzt, insofern scharf kritisiert, als dieser Gedanke „auf einem paternalistischen und elitäre Züge tragenden Grundrechtsverständnis“ beruhe, das mit der staatsfrei und egalitär ausgerichteten Kommunikationsverfassung des Grundgesetzes in scharfem Kontrast stehe.217 Das Gericht würde auf diese Art und Weise selbst definieren, „was legitimerweise im öffentlichen Diskurs verhandelt werden darf.“218 In abgeschwächter Form wird dieses Argument dahingehend verwandt, dass zumindest die Grenzziehung zwischen Beiträgen von allgemeinem Interesse und Beiträgen, die private Interessen berühren, am konkreten Fall schwerfallen dürfte.219
d) Verfassungsrechtliche Wertigkeit verschiedener Informationsinteressen Beide Argumentationsstränge der Kritik können jedoch entkräftet werden. Denn wenn zum ersten die besondere Berücksichtung des öffentlichen, gesellschaftlichen Interesses an einem Kommunikationsinhalt mit dem Argument abgelehnt wird, dass auch die individuellen, identitätsbildenden Komponenten jeder Kommunikation von Bedeutung sind, so wird der grundsätzliche Maßstab verkannt, der einer Berücksichtigung der verschiedenen Faktoren im Rahmen der Güterabwägung zugrunde liegt. Dadurch nämlich, dass die besondere gesellschaftliche Relevanz eines Inhaltes in die Abwägung mit kollidierenden Rechtsgütern Dritter eingestellt wird, wird denjenigen Äußerungen, die in erster Linie die individuelle, identitätsbildende Funktion der Kommunikationsfreiheiten bedienen, nämlich keineswegs ihre Wichtigkeit, geschweige denn ihre generelle Schutzfähigkeit und -bedürftigkeit aberkannt.220 Sie wird lediglich in ein Rangverhältnis zu solchen Äußerungen gestellt, an deren Inhalt (auch) ein besonderes gesellschaftliches Interesse besteht. ––––––––––– 216
Grimm, FAZ v. 14.07.2004, S. 34. Zustimmend Vetter/Warnecke, DVBl. 2004, S. 1226 (1227). 217 Gersdorf, AfP 2005, S. 221 (221 f.). 218 Halfmeier, AfP 2004, S. 417 (419). 219 Vetter/Warnecke, DVBl. 2004, S. 1226 (1227). In diese Richtung deutet auch Beuthien, K&R 2004, S. 457 (458), der das Urteil des EGMR zwar grundsätzlich begrüßt, das Abgrenzungskriterium des öffentlichen Interesses aber für zu ungenau hält und eine eigene Abgrenzung entgegensetzt, die aber wiederum am Persönlichkeitsrecht, nicht an den Kommunikationsfreiheiten ansetzt. Vgl. zu einer Kategorisierung von Personen des öffentlichen Lebens nach gesellschaftlichen Bereichen aus sozialwissenschaftlicher Sicht auch Schneider, Der Januskopf der Prominenz, S. 95 ff. 220 In diese Richtung auch Forkel, ZUM 2005, S. 192 (193).
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Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
Dass eine solche Gewichtung, die Aufstellung eines solchen Rangverhältnisses also, nicht nur zulässig, sondern auch notwendig ist, wird zum einen rein quantitativ daran deutlich, dass solche Informationen, die einem öffentlichen Interesse dienen, nicht nur eine gesellschaftliche bzw. politische Funktion erfüllen, sondern genau wie rein unterhaltende Informationen ebenfalls und zusätzlich auch individuelle Funktionen erfüllen. In Hinblick auf die grundrechtliche Funktionserfüllung leisten Kommunikationsinhalte von öffentlichem Interesse insofern nicht nur ein aliud, sondern erbringen einen echten Mehrwert. Neben diesem rein quantitativen Argument ist darüber hinaus zu beachten, dass die besondere Berücksichtigung der öffentlichen Belange innerhalb der grundrechtlich geschützten Kommunikation keineswegs willkürlich ist und durchaus ihre normative Grundlage im Grundgesetz selbst findet. Denn zumindest in dem Bereich politischer Kommunikation im engeren Sinne, d.h. der Kommunikation mit formal-demokratischen Inhalten, tritt neben das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG der besondere Gehalt des Demokratieprinzips aus Art. 20 Abs. 2 GG.221 Diese zusätzliche verfassungsrechtliche Anreicherung rechtfertigt, aber gebietet es auch, die besondere gesellschaftliche Relevanz der konkreten Kommunikationsäußerung in die Abwägung mit einzustellen.222 Zwar mag es richtig sein, dass die (Medien-) Gesellschaft selbst die Trennung zwischen Unterhaltung und Politik seit langem aufgehoben hat.223 Diese Entwicklung macht die generelle Unterscheidung dennoch keineswegs obsolet. Denn auch wenn die Medienordnung hier nicht mehr differenziert: In der politischen und vor allen Dingen in der verfassungsrechtlichen Ordnung ist die Unterscheidung unverändert essentiell. Die „Mediendemokratie“, die bisweilen ausgerufen wird,224 ist insofern – je nach Gebrauch – ein politik- oder sozialwissenschaftlicher, keinesfalls aber ein staatsrechtlicher Begriff. Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes ist auf der Unterscheidung zwischen Politik und Unterhaltung aufgebaut. Das heißt nicht, dass die Verfassungsrechtwissenschaft die tatsächlichen Entwicklungen in der Gesellschaft ignorieren darf. Sehrwohl ––––––––––– 221
Vgl. bereits oben S. 57. Keine verfassungsrechtliche Anreicherung können hingegen rein inhaltliche Staatszielbestimmungen wie der Umwelt- oder der Tierschutz haben, wie etwa das OLG Hamm, ZUM-RD 2005, S. 131 ff. meint. Denn zum einen handelt es sich hier um inhaltliche Zielvorgaben, die allein den Staat verpflichten, und nicht wie beim Demokratieprinzip um Staatsstrukturprinzipien, die in ihrer strukturellen Ausrichtung das gesamte Verfassungs- und Gesellschaftsleben maßgeblich prägen. Zum anderen handelt es sich beim Demokratieprinzip um einen verfassungsrechtlichen Wert, der essentiell auf die Kommunikationsfreiheiten angewiesen ist, was bei Staatszielbestimmungen in diese Sinne keineswegs der Fall ist. 223 So Groebel, Der Tagesspiegel v. 31.7.2005, S. 31. 224 Vgl. etwa nur Müller, Von der Parteiendemokratie zur Mediendemokratie; Schatz, Politische Akteure in der Mediendemokratie; Massing, Mediendemokratie; Jun, Der Wandel von Parteien in der Mediendemokratie; v. Alemann, Parteien in der Mediendemokratie. 222
E. Konkrete Abwägung der Grundrechte
225
darf die Verfassungsrechtswissenschaft aber Grenzen ziehen, wo solche in der Gesellschaft verschwimmen. Täte sie es nicht, würde die Verfassung im Ergebnis ihre normative Kraft verlieren.
e) Keine unzulässige Inhaltskontrolle In Hinblick auf das zweite Argument schließlich, eine Berücksichtigung der Qualität des Informationsinteresses käme einer unzulässigen Inhalts- und Niveaukontrolle von Kommunikationsinhalten durch die öffentliche Hand gleich, lassen sich große Parallelen erkennen zu der Frage, ob es der Rechtswissenschaft bzw. -praxis erlaubt ist, den Begriff der Kunst abschließend juristisch zu definieren.225 Insofern sind es auch ähnliche Gegenargumente, die diese Argumentationslinie entkräften können. Denn zum einen ist eine Bewertung und Gewichtung des Informationsinteresses keinesfalls gleichzusetzen mit einer Bewertung und Gewichtung der Qualität der tatsächlich gemachten Äußerung.226 Vielmehr stellt sich die Frage der Qualität oder des Niveaus eines Kommunikationsinhaltes ganz unabhängig und neben der Frage der Qualität des Interesses an der Information – etwa ebenso wie sich die Frage des Gelingens (bzw. des Niveaus) eines Kunstwerks keinesfalls in der Abgrenzung zu anderen, nichtkünstlerischen Werken stellt, sondern allenfalls in der (nicht juristischen) systeminternen Debatte innerhalb des Kunstsystems.227 Äußerungen von öffentlichem Interesse können in diesem Sinne fundiert recherchiert und sachlich (also nach einem gewissen Maßstab qualitativ hochwertig) genauso wie oberflächlich und polemisch dargestellt werden, ohne dass dies die Qualität des Informationsinteresses an diesen Darstellungen in irgendeiner Form beeinflussen würde. Die Berücksichtigung der gesellschaftlichen Relevanz des Themas, das durch eine Äußerung behandelt wird, stellt insofern in keinem Fall eine Niveaukontrolle hinsichtlich grundrechtlich geschützter Kommunikationsinhalte dar. Sofern hingegen eine Wertung des Informationsinteresses stattfindet, so ist auch hier auf die Ausführungen zu verweisen, die bereits in Bezug auf die Schwierigkeiten gemacht wurden, den grundrechtlichen Bereich der Kunst zu definieren: Inhaltliche Wertungen (nicht: Bewertungen im Sinne einer Niveaukontrolle) sind einem ausdifferenzierten System des Grundrechtsschutzes eigen und im Übrigen seine essentielle Voraussetzung, will man nicht den gesamten Grundrechtsschutz durch unabgegrenzte, unprofilierte Pauschalbetrachtungen nivellieren. In diesem Zusammenhang sei insofern erneut auf die neuere Entwicklung in der Dogmatik des – ebenfalls zur Kommunikationsverfassung ––––––––––– 225 226 227
S.o. S. 76 ff. So auch Stürner, AfP 2005, S. 213 (214). S.o. S. 96.
226
Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
gehörenden – Versammlungsrechts verwiesen. Hier wird seit neustem nicht erst in der Abwägung mit kollidierenden Rechtsgütern, sondern bereits im Schutzbereich und insofern konstituierend für den spezifischen Grundrechtsschutz darauf abgestellt, ob die Zusammenkunft auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet ist,228 ohne dass dies zu Verwerfungen in der Grundrechtsdogmatik geführt hätte. Auch jenseits der Frage des Grundrechtsschutzes muss aber ganz allgemein beachtet werden, dass Wertung – auch inhaltliche Wertung – keinesfalls ein Fremdkörper im Recht und eben auch nicht im System der Grundrechte ist. Ganz im Gegenteil: Recht besteht aus Wertung und kann ohne Wertung nicht sein.229 Das Recht markiert das Sollen im Gegensatz zum Sein,230 und dieses Sollen kann eben nur dann gefunden werden, wenn durch Wertung festgesetzt wird, was es ist, das sein soll. Aus diesem Grund erscheint die völlige Ablehnung jeglicher Wertungen in Hinblick auf das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an Kommunikationsäußerungen zumindest befremdlich. Somit verbleibt der Kritikpunkt, eine solche Bewertung des Informationsinteresses käme letztlich einer juristischen Fremdbestimmung darüber gleich, was legitimerweise im öffentlichen Diskurs behandelt werden darf.231 Und in der Tat könnte eine rechtliche Wertung im Extremfall zu solchen unerwünschten und mit den Kommunikationsfreiheiten unvereinbaren Konsequenzen führen.232 Allein die Einstellung des öffentlichen Gewichts eines bestimmten behandelten Themas in die Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht Dritter hat einen solchen prohibitiven Charakter jedoch nicht. Denn Kommunikationsinhalte über solche Themen, an denen kein gesteigertes öffentliches Interesse im Sinne einer gesellschaftlichen oder politischen Funktionserfüllung besteht, werden keinesfalls pauschal verboten oder gegenüber allen anderen Interessen abgewertet. Lediglich dann, wenn eine Kollision mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht Dritter entsteht, kommt dieses Kriterium im Rahmen der Abwägung ins Spiel, um einen möglichst schonenden Ausgleich zwischen den individuell kollidierenden Rechtsgütern unter Berücksichtigung gesamtgesellschaftlicher Interessen zu finden. Auf diese Art und Weise wird letztlich lediglich eine methodische Angleichung zur Behandlung des allgemeinen Persönlich––––––––––– 228
BVerfGE 104, 92 (104); BVerfG, NJW 2001, 2460 f.; OVG Münster, NVwZ 2001, S. 1316; zustimmend Wiefelspütz, NJW 2002, S. 274 (275); kritisch insofern Tschentscher, NVwZ 2001, S. 1243 (1246). 229 Vgl. etwa aus rechtsphilosophischer Sicht nur Kaufmann, Rechtsphilosophie, S. 146 f., Radbruch, Rechtsphilosophie, § 2. 230 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 10; Brinkmann, Verfassungslehre, S. 61. 231 Halfmeier, AfP 2004, S. 417 (419). 232 Lediglich Seidel, Recht und Politik 2005, S. 169 (171), spricht sich – freilich ohne dies mit der Dogmatik des Art. 5 GG in Einklang bringen zu können – sogar ausdrücklich für eine solche Fremdbestimmung aus, wenn er den „Schutz von Teilen der Öffentlichkeit vor geistiger Verflachung“ als „willkommenes Nebenprodukt des EGMRUrteils“ bezeichnet.
E. Konkrete Abwägung der Grundrechte
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keitsrechts vorgenommen, das ebenfalls in abgestufter Form, nach Persönlichkeitssphären unterteilt, in die Abwägung mit einfließt.233 Wenn die Qualität des Informationsinteresses in die Abwägung mit einbezogen wird, entsteht also keineswegs eine unzulässige Wertung des Kommunikationsinhalts durch den Rechtsanwender. Im Ergebnis wird lediglich eine abwägungstechnische Waffengleichheit zwischen den Kommunikationsfreiheiten und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht hergestellt.
f) Drei-Ebenen-Modell Entsprechend den Überlegungen zur Gewichtung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist somit auch in Hinblick auf die Kommunikationsfreiheiten ein Drei-Ebenen-Modell zu beachten. In die erste Ebene fallen dabei solche Kommunikationsäußerungen, bei denen zum Schutz des Art. 5 GG ergänzend die objektive Dimension des Demokratieprinzips hinzutritt, d.h. Kommunikationsäußerungen mit formaldemokratischem Inhalt. Diesen kommt in der Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ein besonders hohes Gewicht zu. In die zweite Ebene fallen solche Kommunikationsäußerungen, deren Inhalt zwar keine staatszentriert-demokratischen Themen im eigentlichen Sinne betrifft, aber dennoch im weiteren Sinne öffentlich relevante Bereich berührt. Dies können etwa Äußerungen aus den Bereichen Kultur, Sport, Wissenschaft oder Wirtschaft sein, die zwar nicht einer (gesamtgesellschaftlichen) demokratischen Legitimationskette unterliegen und diese auch nicht direkt Bezug nehmen, trotzdem aber für das gesellschaftliche Zusammenleben im demokratischen Verfassungsstaat in besonderer Weise inhaltsprägend sind. Auch die Kommunikation über begangene Straftaten unterfällt etwa dieser Kategorie.234 Auf diese Art und Weise erfüllen sie auch in besonderem Maß die Funktion, Anschlusskommunikation innerhalb der Gesellschaft zu ermöglichen, indem sie ein spezielles und breites gemeinsames Hintergrundwissen bereitstellen, auf das sich die Gemeinschaft berufen kann.235 Insofern nehmen solche Kommunikationsinhalte in der Abwägung ein nicht ganz so hohes Gewicht ein, wie diejenigen Inhalte der ersten Ebene, haben aber dennoch große Bedeutung. In der dritten Ebene finden sich schließlich all diejenigen Kommunikationsäußerungen wieder, die das Bundesverfassungsgericht dadurch kennzeichnet, dass sie „nur die Neugier befriedigen“236 sollen und aus diesem Grund keiner der beiden erstgenannten Gruppen zuzuordnen sind. Zwar erfüllen solche ––––––––––– 233 234 235 236
S.o. S. 199 sowie unten S. 242 ff. Vgl. dazu nur Ladeur, KUR 2006, s. 57 (58 f.). S.o. S. 59. BVerfGE 101, 361 (391).
Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
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Kommunikationsäußerungen durchaus die erläuterte identitätsbildende Funktion, indem sie es dem Einzelnen erlauben, sich in der von den Medien dargestellten Welt selbst zu verorten.237 Für die beiden anderen gesellschaftlichen Funktionen der Kommunikationsfreiheiten können sie hingegen nicht fruchtbar gemacht werden. Wie intensiv der Schutz ist, der den Kommunikationsinhalten auf den verschiedenen Ebenen gewährt ist, d.h. welches Gewicht die einzelnen Stufen in der Abwägung haben, kann nicht absolut, unabhängig von der Betrachtung des kollidierenden Persönlichkeitsrechts beurteilt werden, ohne in eine Abwägungsmethode zu verfallen, die wiederum eine der beiden abzuwägenden Größen als feststehendes Gewicht in den Ausgleich einstellt. Die Beurteilung der Schutzintensität kann daher nur relativ in Abgrenzung zu einem vergleichbaren Maßstab auf der Ebene des Persönlichkeitsrechts erfolgen. Diesen vergleichbaren Maßstab bildet der Sozialbezug, den der Lebensbereich aufweist, auf den sich die Kommunikationsäußerung bezieht. Er wird als Kriterium aus der Sphäre des Betroffenen ebenfalls in Form eines Drei-Stufen-Modells zu entwickeln und dem Maßstab der gesellschaftlichen Relevanz des Kommunikationsinhalts in Form eines doppelten Drei-Stufen-Modells gegenüberzustellen sein.238
g) Anwendbarkeit auf verschiedene Kollisionsfälle Das Kriterium der gesellschaftlichen Relevanz des Inhalts ist zunächst unabhängig von der Frage anwendbar, ob durch eine Äußerung das Recht auf informationelle Selbstbestimmung oder das Recht der persönlichen Ehre des Betroffenen berührt wird. Denn seine Applikabilität besteht sowohl für solche Fälle, in denen die Inhalte, deren gesellschaftliche Relevanz bemessen werden, mittels denotativer Codes ermittelt werden, als auch für die Fälle, in denen die Inhaltsermittlung auf der Basis konnotativer Codes erfolgt. Einschränkungen der Anwendbarkeit dieses Kriteriums bestehen allerdings auf der Seite der Kommunikationsfreiheiten im Rahmen des konkreten Konflikts. Denn wenn die gesellschaftliche Relevanz des Inhalts bemessen werden soll, so ist dies zwar für die Medien- und Wissenschaftsfreiheit zunächst problemlos möglich. Im Bereich der Kunstfreiheit scheitert dieses Kriterium allerdings an der generellen Unmöglichkeit, den Inhalt der Äußerung abschließend zu bestimmen. Da bei der Kunstfreiheit ohnehin nur die soziale Ausstrahlungswirkung des Kunstwerks, nicht aber sein eigentlicher Inhalt in die Beurteilung des Konflikts mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht mit einfließen kann, stellt sich auch im Rahmen des Abwägungsvorgangs eine Berücksichtigung des Werkinhalts als unmöglich dar. Denn unter diesen Umständen kann eine Er––––––––––– 237 238
S.o. S. 54. S.u. S. 242 ff.
E. Konkrete Abwägung der Grundrechte
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mittlung der gesellschaftlichen Relevanz des Inhalts der künstlerischen Äußerung denknotwendigerweise nicht erfolgen. Die Möglichkeit hingegen, das Kriterium der gesellschaftlichen Relevanz nicht auf den Kommunikationsinhalt, sondern auf die soziale Ausstrahlungswirkung des Kunstwerks zu beziehen, muss ebenfalls ausscheiden. Denn sie würde nicht nur das Kunstwerk wiederum an völlig werkfremden Maßstäben messen und einer Beurteilung unterziehen, die letztenendes sachfremd ist, sondern sie würde auch das entwickelte Kriterium in seinem grundlegenden Sinn verändern, da es eben darauf angelegt ist, den Inhalt einer Kommunikationsäußerung in die Abwägung mit einzubeziehen, nicht jedoch deren soziale Ausstrahlungswirkung. Schließlich kann die gesellschaftliche Relevanz des Inhalts als Kriterium in der Abwägung auch nicht ersetzt werden durch das Ansehen, das ein Kunstwerk genießt, oder die Resonanz, die es erhält.239 Zwar erscheint diese Parallele zur gesellschaftlichen Relevanz des Inhalts zunächst insofern als naheliegend, als dass mit solchen Kriterien der Maßstab des Gelingens eines Kunstwerks in die juristische Betrachtung wieder eingeführt und damit ein passender inhaltlicher Maßstab an das Kunstwerk angelegt werden kann, ohne den Inhalt an sich beschreiben zu müssen. Indes weist das inhaltliche Kriterium des Gelingens deutliche strukturelle Unterschiede zur gesellschaftlichen Relevanz des Kommunikationsinhalts auf. Denn der Maßstab der gesellschaftlichen Relevanz lässt sich in seiner Wertung zum einen auf die besondere Bedeutung des Demokratieprinzips des Grundgesetzes, zum anderen aber auch auf die Unterschiede in der Erfüllung der Funktionen, die den verschiedenen Grundrechten zugewiesen sind, zurückführen. Eine solche verfassungsrechtliche Verankerung fehlt dem Kriterium des Gelingens jedoch. Denn das Gelingen stellt eine Unterscheidung allein innerhalb des autarken Kunstsystems dar. Ob ein Kunstwerk als gelungen oder misslungen einzustufen ist, hat für die Qualität der grundrechtlichen Funktionserfüllung jedoch keinerlei Bedeutung. Es stellt somit kein funktionales Äquivalent zum Kriterium der gesellschaftlichen Relevanz des Inhalts dar und muss deshalb in der Abwägung der Kunstfreiheit mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht unberücksichtigt bleiben. Das Kriterium der gesellschaftlichen Relevanz des Inhalts bleibt somit nur in den jeweiligen Konflikten der Medien- und Wissenschaftsfreiheit mit den verschiedenen Komponenten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts anwendbar. Liegt hingegen ein Konflikt der Kunstfreiheit mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (d.h. genauer: mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung) vor, muss die gesellschaftliche Relevanz des Inhalts als Abwägungskriterium ausscheiden und kann auch nicht durch einen vergleichbaren, kunstspezifischen Maßstab ersetzt werden. ––––––––––– 239
So aber BVerfGE 83, 130 (148).
Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
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IV. Kriterien aus der Sphäre des Kommunizierenden Neben den objektiven Kriterien der Wahrheit bzw. Authentizität und der gesellschaftlichen Relevanz des Inhalts, die zwar am Einzelfall bemessen sind, sich aber in ihrer Bedeutung auf gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge beziehen, können und müssen auch subjektbezogene Kriterien der konkret am Kommunikationsprozess Beteiligten in der Abwägung berücksichtigt werden. Dabei spielen zunächst solche Kriterien eine Rolle, die aus der Sphäre des Kommunizierenden stammen und damit im Ergebnis grundlegend am Anfang des konkreten Kommunikationsprozesses stehen. Hier kann unterschieden werden zwischen dem äußeren Kriterium der Art der Informationserlangung und dem inneren Kriterium des Ziels der Informationsweitergabe.
1. Art der Informationserlangung Jedem Kommunikationsvorgang geht unweigerlich irgendeine Art der Informationsbeschaffung voraus. Nur die Informationen, die der Kommunizierende vorher gewonnen hat, kann er später selbst in einer Kommunikationsäußerung weitergeben. Das gilt sogar für Äußerungen, die nur subjektive Stellungnahmen und Wertungen enthalten, denn selbst diese bedürfen zwangsläufig eines tatsächlichen Kerns, auf den sie sich beziehen.240 Aufgrund dieser Essentialität der Informationsbeschaffung für den Kommunikationsprozess können ihre Modalitäten daher in der Abwägung mit anderen Rechtsgütern nicht unberücksichtigt bleiben. Ein besonderer Maßstab kann in Bezug auf sie aber nur dort angelegt werden, wo sie das allgemeine Maß des sozial Üblichen übersteigt. Dies betrifft zum ersten solche Fälle, in denen die Informationserlangung selbst rechtswidrig war, also unter Verstoß gegen die objektive Rechtsordnung vorgenommen wurde. Zum anderen betrifft dies Fälle, in denen die Informationserlangung zwar nicht explizit rechtswidrig war, den betroffenen Dritten in seiner durch seine Grundrechte geschützte Sphäre aber in besonders intensivem Maße beeinträchtigt hat. Zuletzt erlangt die Art der Informationsermittlung dann eine besondere Rolle, wenn die Wahrheit bzw. Authentizität der Äußerung in Frage steht und nicht zuverlässig festgestellt werden kann.
––––––––––– 240 Vgl. für den Bereich der Meinungsfreiheit zum Korrelat zwischen Meinungsbildung und Meinungsäußerung etwa Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, S. 57 f.
E. Konkrete Abwägung der Grundrechte
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a) Rechtswidrig erlangte Informationen Ebenso wie das Verbreiten unwahrer Tatsachenbehauptungen241 fällt auch das Verbreiten rechtswidrig erlangter Informationen grundsätzlich in den Schutzbereich der Kommunikationsfreiheiten.242 Auch wenn rechtswidrig erlangte Informationen, die das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines Dritten berühren, verbreitet werden, liegt also zunächst ein Interessenkonflikt zwischen zwei im konkreten Fall Grundrechtsberechtigten vor, der eines schonenden Ausgleichs bedarf.243 In einem solchen Augleich kommt allerdings der Position desjenigen Kommunizierenden, der rechtswidrig erlangte Informationen verbreiten will,244 aus drei entscheidenden Gründen von vorneherein ein nur äußerst geringes Gewicht zu. Zum ersten steht nämlich in abstrakter Hinsicht die Zulässigkeit der Veröffentlichung rechtswidrig erlangter Informationen „in einem schwerwiegenden Widerspruch mit der Unverbrüchlichkeit des Rechts, einer Grundvoraussetzung der Rechtsordnung.“245 Schon aus diesem Grund kann eine Veröffentlichung nur in besonderen Ausnahmefällen überhaupt zulässig sein. In konkreter, auf den spezifischen Konflikt bezogener Hinsicht ist zweitens zu beachten, dass eine rechtwidrige Informationsbeschaffung in aller Regel nicht nur objektives Recht verletzt, sondern gerade auch solche Normen bricht, die dem Schutz konkreter individueller Interessen dienen. Die Rechtswidrigkeit der Informationsverschaffung indiziert insofern meist einen nicht unerheblichen Eingriff in den Bereich eines anderen,246 unabhängig davon, ob dieser Bereich vom Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts umfasst wird oder nicht. Dieser zusätzliche Eingriff verstärkt das Gewicht der Schutzposition des Betroffenen in der Abwägung bzw. schwächt umgekehrt die Position desjenigen, der die rechtswidrig erlangten Informationen verbreiten will. Schließlich und drittens ist auch zu beachten, dass der parlamentarische Gesetzgeber dadurch, dass er eine bestimmte Art der Informationsbeschaffung im Wege der Rechtsetzung verboten hat, selbst eine Abwägung zwischen ver––––––––––– 241
S.o. S. 47 ff. BVerfGE 66, 116 (137); kritisch hierzu Bullinger, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdBStR V, § 142 Rn. 15. 243 Ablehnend Schmitt Glaeser, Aöär 113 (1988), S. 52 (86), der jedoch gleichzeitig die Notwendigkeit anerkennt, im Ausnahmefall die Veröffentlichung der rechtswidrig erlangten Informationen zulassen zu müssen. 244 Wobei dies in erster Linie solche Fälle betrifft, in denen der Kommunizierende selbst oder eine Person, deren Handeln ihm zurechenbar ist, den Rechtsbruch bei der Informationsbeschaffung begangen hat, vgl. Macht, AfP 1999, S. 317 (322 f.). 245 BVerfGE 66, 116 (139). 246 BVerfGE 66, 116 (139). 242
Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
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schiedenen Interessens- bzw. Grundrechtspositionen vorgenommen hat. Ob diese Interessenabwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und den Kommunikationsfreiheiten aus Art. 5 GG oder zwischen anderen Rechtsgütern oder Interessen vorgenommen wurde, ist dabei unerheblich. Entscheidend ist allein, dass diese Wertung des Gesetzgebers auch in das (weniger intensiv gesetzlich geregelte) Verhältnis zwischen diesen beiden Grundrechten einwirkt. Dabei muss der gesetzgeberischen Entscheidung in der Abwägung eine entscheidende und richtungsweisende Bedeutung zukommen. Die Veröffentlichung rechtswidrig erlangter Informationen, die einen konkreten Dritten in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht berühren, wird daher in aller Regel unzulässig sein. Nur wenn besondere, im Einzelfall überaus schwergewichtige Gründe in der konkreten Situation für die Veröffentlichung sprechen und somit das eigentlich hier so geringe Gewicht der Kommunikationsfreiheit in besonderer Weise aufwerten – etwa durch ein überragendes öffentliches Interesse an der Information247 – kann sich die Kommunikationsfreiheit in der Abwägung durchsetzen und eine Veröffentlichung als zulässig erscheinen lassen. Bei der Annahme einer solchen Ausnahme ist allerdings nicht zuletzt aus Respekt vor dem parlamentarischen Gesetzgeber äußerste Zurückhaltung geboten. Sie kann tatsächlich nur als ultima ratio eingesetzt werden.
b) Besonders starke Grundrechtsbeeinträchtigungen Doch nicht nur bei rechtswidriger Informationsbeschaffung liegen besondere Umstände vor, die das Kriterium der Informationserlangung in den Abwägungsprozess einfließen lassen können. Auch andere Arten der Informationsbeschaffung können, obwohl sie die Schwelle der Rechtswidrigkeit nicht überschreiten, derart intensiv den Grundrechtsgebrauch anderer beeinträchtigen, dass sie eine in der Abwägung zu berücksichtigende Abweichung vom sozial adäquaten Normalfall darstellen. Beispiele dafür sind etwa das konsequente, belagerungsartige Nachstellen einer Person, das die Grenze der Strafbarkeit etwa wegen Nötigung gemäß § 240 StGB oder wegen der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches nach § 201a StGB trotz der erheblichen Beeinträchtigungen nicht erreicht. Derartige Vorgänge lassen das Gewicht des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Abwägung höher erscheinen, sofern sie den Grundrechtsträger in solchen Bereichen beeinträchtigen, die durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht und vor allen Dingen durch dessen nicht kommunikationsspezifische Aspekte geschützt sind. Wird dieser Bereich der Intim- bzw. Privatsphäre,248 dieser Raum, in dem jeder die Möglichkeit hat, frei von öffentlicher Beobach––––––––––– 247 248
BVerfGE 66, 116 (139). S.o. S. 199.
E. Konkrete Abwägung der Grundrechte
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tung und damit der von ihr erzwungenen Selbstkontrolle zu sein,249 durch die Informationsbeschaffung beeinträchtigt, muss dies auch für die nachgelagerte, zusätzliche und darauf aufbauende Grundrechtsbeeinträchtigung durch die Veröffentlichung der solcherart erlangten Informationen eine Rolle spielen. Die Grundrechtsbeeinträchtigung darf insofern nicht isoliert, sondern muss vielmehr in ihrem ganzen sozialen Kontext betrachtet und beurteilt werden.250 Dabei muss allerdings die Entscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers respektiert werden, der eben nur bestimmte, aber nicht alle das allgemeine Persönlichkeitsrecht nur irgendwie beeinträchtigende Arten der Informationserhebung gesetzgeberisch missbilligt hat. Eine besonders beeinträchtigungsintensive, allerdings nicht rechtswidrige Art der Informationsbeschaffung erhöht insofern zwar in der Abwägung das Gewicht des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Sie stellt jedoch nur einen Faktor unter mehreren dar. Eine ausschlaggebende Wirkung, die nur durch besondere Umstände aufgewogen werden kann, kommt ihr hingegen nicht zu. Etwas anderes gilt lediglich dann, wenn die Rechtswidrigkeit der Informationsbeschaffung allein an der mangelnden territorialen Geltung deutschen Rechts scheitert. Wurden also Informationen im Ausland auf eine Weise beschafft, die nach den Maßstäben der deutschen Rechtsordnung als rechtswidrig einzuordnen ist, so muss in der Abwägung zwischen dem durch die Kommunikationsfreiheiten geschützten Publikationsinteresse und dem durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützten Restriktionsinteresse der gleiche Maßstab angelegt werden wie bei der Entäußerung solcher Informationen, die rechtswidrig im Inland erlangt wurden. Dies ist allerdings weniger mit dem Zweck der Sanktion von im Ausland erfolgten Persönlichkeitsrechten zu begründen,251 da eine solche Funktion dem konkreten schonenden Ausgleich grundrechtlich geschützter Positionen nicht zukommen kann. Vielmehr fußt die Berücksichtung darauf, dass mit der gesetzgeberischen Entscheidung im deutschen Grundrechtsverhältnis Maßstäbe gesetzt werden, deren Gewichtung kollidierender Rechtsgüter in jedem Fall – und eben auch in Fällen mit derartigem Auslandsbezug – zu beachten sind.252 Auch in solchen Fällen ist daher das Gewicht der Kommunikationsfreiheit so gering zu gewichten, dass diese sich ––––––––––– 249
BVerfGE 101, 316 (383). In diese Richtung auch EGMR, NJW 2004, S. 2647 (2650). 251 In diese Richtung aber Grabenwarter, AfP 2004, S. 309 (313). 252 Auch die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR, deren Publizität und Publizierungsfähigkeit das StUG regelt, betreffen im Grunde einen solchen Fall der Informationsbeschaffung, die nach bundesdeutschem Recht illegal erfolgte, mangels Geltung dieses Rechts auf dem Gebiet der DDR aber im eigentlichen Sinne nicht rechtswidrig erfolgte. Die Besonderheit liegt hier aber darin, dass die Informationserlangung nicht nur gegen einfaches Recht, sondern auch gegen das Grundgesetz (im Falle der Geltung) verstoßen hätte. Aus diesem Grund ist hier auch der Gesetzgeber selbst bei der Abwägung der kollidierenden Interessen durch das StUG in viel stärkerem Maße gebunden, vgl. dazu zur Lenski, LKV 2004, S. 114 ff. 250
Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
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nur durch besondere, außergewöhnliche und überragend wichtige Umstände in der Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht durchsetzen kann.
c) Ungewissheit des Wahrheitsgehalts Ein letzter Punkt, der bezüglich der Art der Informationserlangung bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen eine Rolle spielen kann, tritt schließlich in den Fällen zu Tage, bei denen die Wahrheit bzw. Authentizität der Äußerung in Frage steht und nicht zuverlässig festgestellt werden kann. In diesen Fällen kann nämlich die Beachtung bestimmter anerkannter Sorgfaltsund Recherchepflichten ein Kriterium sein, dass die Gewichtung der Kommunikationsfreiheit im konkreten Fall beeinflusst.253 Je sorgfältiger die Informationsbeschaffung erfolgte, desto höher kann das Gewicht der Interessen des Kommunizierenden im Vergleich zu denjenigen des von der Kommunikation Betroffenen sein. Bei genauer Betrachtung dieses Maßstabs stellt sich jedoch heraus, dass es sich hierbei keineswegs um ein originäres Kriterium handelt, dass die Höherrangigkeit eines Rechtsguts im konkreten Fall selbständig zu begründen vermag. Denn allein die Einhaltung von Sorgfalts- und Recherchepflichten ist kein Wert an sich, der um seiner selbst willen in die Abwägung mit eingestellt werden soll. Vielmehr handelt es sich hierbei nur um ein Hilfskriterium, das die Beurteilung der Frage erleichtert, inwiefern eine Kommunikationsäußerung plausiblerweise als wahr bzw. als authentisch zu beurteilen ist. Eine eigenständige Bedeutung kommt diesem Maßstab daher an dieser Stelle nicht zu. Eine gesonderte Einstellung in die Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen muss daher nicht erfolgen.
d) Anwendbarkeit auf verschiedene Kollisionsfälle Jedem Kommunikationsvorgang geht irgendeine Art der Informationsbeschaffung voraus, unabhängig davon, ob diese Informationen im eigentlichen Kommunikationsakt lediglich mittels denotativer Codes sachlich-beschreibend weitergegeben werden oder ob diese Informationen lediglich die Grundlage sind für einen weiteren Informationsschöpfungsvorgang, für eine eigenständige Wertung und Beurteilung der Information, die mittels konnotativer Codes weitergegeben wird. Die besondere Verwerflichkeit der Informationsbeschaffung – sei sie objektiv rechtswidrig, sei sie lediglich besonders grundrechtsbeeinträchtigender Natur – perpetuiert sich allerdings nur in den Fällen, in denen tatsächlich die ––––––––––– 253
S.o. S. 201.
E. Konkrete Abwägung der Grundrechte
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solcherart erlangte Information weitergegeben wird. Nur in solchen Fällen darf die besondere Art der Informationsbeschaffung daher auch in die Abwägung der kollidierenden grundrechtlich geschützten Interessen mit einfließen. Der Anwendungsbereich dieses Kriteriums beschränkt sich somit allein auf die Fälle, in denen kommunikative Botschaften mittels denotativer Codes weitergegeben werden und kann sich dementsprechend nur auf die Kollision des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung mit der Medien-, Kunst- oder Wissenschaftsfreiheit beziehen. Im Konflikt mit dem Recht der persönlichen Ehre bleibt für die Berücksichtigung der Art der Informationserlangung als Kriterium in der Abwägung hingegen kein Raum.
2. Ziel der Informationsweitergabe Neben diesem objektiven, auf die äußere Sphäre des Kommunizierenden bezogenen Kriterium der Informationsbeschaffung könnten außerdem noch subjektive, auf die innere Sphäre des Kommunizierenden bezogene Kriterien für die Abwägung fruchtbar gemacht werden. Dies gilt vor allen Dingen in Hinblick darauf, dass mit allen bisher aufgeführten objektiven Kriterien, insbesondere also auch mit dem Kriterium der Wahrheit und Authentizität sowie dem Kriterium der gesellschaftlichen Relevanz, ein subjektives Kriterium korrespondiert, das den Willen bzw. das Wissen um das objektive Kriterium beschreibt.
a) Keine Berücksichtung der Kommunikationsintention Eine solche Unterscheidung und Abwägung nach der Kommunikationsintention des Grundrechtsträgers würde aber eine dem liberalen Grundrechtsverständnis vollkommen zuwiderlaufende inhaltliche Bewertung zur Grundlage haben. Maßgeblich wären nicht mehr die objektiven Auswirkungen des Grundrechtsgebrauchs, sondern seine subjektive Zweckrichtung: Es würde zwischen „gutgemeintem“ und „schlechtgemeintem“ Grundrechtsgebrauch unterschieden werden müssen, wollte man das subjektive Ziel, einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage254 oder aber die subjektive Absicht, etwas Wahres bzw. Authentisches oder etwas Unwahres bzw. Unauthentisches zu äußern, mit in die Grundrechtsabwägung einbeziehen. Für eine solche Unterscheidung ist aber in der Grundrechtsdogmatik kein Raum.255 Der Grundrechtsgebrauch des Einzelnen ist gerade unabhängig von ––––––––––– 254 255
So aber etwa BVerfGE 7, 198 (212); BGH, JZ 1994, S. 413 (415). So im Ergebnis auch Scholz/Konrad, AöR 123 (1998), S. 60 (72, 114).
236
Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
der subjektiven Intention gewährleistet, die der Grundrechtsträger mit ihr verfolgt.256 Vielmehr ist es den Grundrechtsgewährleistungen im demokratischen Verfassungsstaat gerade zueigen, dass sie auch solcherart voraussetzungslos gewährt sind, dass sie jede Art der Grundrechtsbetätigung unabhängig von ihrer – staatlich erwünschten oder auch nicht erwünschten – Zielrichtung schützen. Eine Berücksichtigung der Kommunikationsintention in der Abwägung mit kollidierenden Rechtsgütern muss daher unterbleiben.
b) Ausnahmefall des Grundrechtsmissbrauchs Eine Ausnahme gilt lediglich dort, wo Grundrechtsgebrauch in Grundrechtsmissbrauch umschlägt. Dies ist der Fall, wenn die subjektive Zielsetzung des Grundrechtsgebrauchs allein in der Einschränkung der Rechtspositionen Dritter liegt. Ein solcher Fall des Missbrauchs liegt im Konflikt zwischen den Kommunikationsfreiheiten aus Art. 5 GG und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht etwa dann vor, wenn es dem Kommunizierenden mit seiner Äußerung nicht mehr um eine Auseinandersetzung in der Sache und nicht mehr um eine Darlegung seines Standpunktes, um die Vermittlung der von ihm bereitgehaltenen Information, sondern allein um die Diffamierung und Herabsetzung, also um die bewusste Beeinträchtigung des anderen in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht geht.257 In der Rechtsprechung wird dieses Element des Missbrauchs unter den Begriffen der Schmähkritik bzw. Formalbeleidigung thematisiert und in der Abwägung berücksichtigt.258 Allein anhand dieser subjektiven Kriterien kann das Gewicht der Kommunikationsfreiheiten allerdings – entgegen der Meinung der Rechtsprechung – nicht auf ein Mindestmaß reduziert werden, will man nicht doch zumindest der Gefahr unterliegen, die Grundrechte unter den Vorbehalt opportuner Gesinnung zu stellen. Für die verletzende, grundrechtsmissbräuchliche Zielsetzung müssen sich daher eindeutige objektive Anhaltspunkte finden lassen, damit dieser Aspekt in die Abwägung mit einfließen und das Gewicht der Kommunikationsfreiheit auf ein Mindestmaß reduzieren kann. An das Vorliegen solcher Anhaltspunkte sind höchste Anforderungen zu stellen. In Zweifelsfällen ist stets davon auszugehen, dass kein missbräuchlicher Grundrechtsgebrauch vorliegt und die Kommunikationsintention des Äußernden somit keine Berücksichtigung in der Abwägung finden darf.
––––––––––– 256 Vgl. auch Rossi, Informationszugangsfreiheit und Verfassungsrecht, S. 161 ff.; vgl. auch Schoch/Kloepfer, IFG-ProfE, § 7 Rn. 14. 257 Vgl. zur zielgerichteten Grundrechtsbeeinträchtigung im Privatrechtsverhältnis auch BVerfGE 25, 256 (268 f.). 258 S.o. S. 203.
E. Konkrete Abwägung der Grundrechte
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Liegt ein Grundrechtsmissbrauch jedoch nach objektiven Anhaltspunkten zweifelsfrei vor, so kommt der Kommunikationsäußerung in der Abwägung nur ein äußerst geringes Gewicht zu, das sich nur in ganz außergewöhnlichen Ausnahmefällen gegenüber den Interessen des Persönlichkeitsrechtsträgers durchzusetzen vermag. Auftreten kann ein solcher Fall allerdings in allen möglichen Kollisionsfällen zwischen den Kommunikationsfreiheiten und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, unabhängig von den jeweils konkret betroffenen Teilbereichen.
V. Kriterien aus der Sphäre des Betroffenen Auch die Kriterien aus der Sphäre des Betroffenen sind nach objektiven Maßstäben zu bestimmen. Für subjektive Intentionen bleibt insofern kein Raum. Als mögliche objektive Anknüpfungspunkte für die Abwägung stellen sich dabei aus der Sphäre des Betroffenen sein Vorverhalten bezüglich der Kommunikationsäußerung sowie der Bereich seines Persönlichkeitsrechts, in dem er betroffen ist, dar.
1. Vorverhalten des Betroffenen So wie in der Sphäre des Kommunizierenden die Informationsbeschaffung als notwendige Vorbedingung für den Kommunikationsvorgang unter bestimmten Bedingungen in die Abwägung mit einbezogen werden kann, stellt sich auch für die Sphäre des Persönlichkeitsrechtsträgers die Frage, inwiefern sein grundrechtsbezogenes Vorverhalten als Kriterium in die Abwägung einfließen darf. Dies betrifft in erster Linie dasjenige Verhalten, das zu einer Kommunikation über den Betroffenen führt und häufig auch deren Gegenstand ist. Aufgrund der unterschiedlichen Sachverhaltsgestaltungen muss jedoch sorgfältig geprüft werden, inwiefern eine solche Berücksichtigung in dieser Form überhaupt möglich und zulässig ist.
a) Kommunikationsrelevanz des Vorverhaltens Jedes menschliche Verhalten, gleich welcher Form, kann Anlass für einen Kommunikationsvorgang geben und zu dessen Gegenstand werden. Insofern unterscheiden sich schon die Grundfeste des kommunikationsermöglichenden Vorverhaltens in Bezug auf die Sphäre des Persönlichkeitsträgers von denen hinsichtlich der Sphäre des Kommunizierenden. Denn während das Vorverhalten des Kommunizierenden, die Informationsbeschaffung also, von vorneherein auf einen späteren Kommunikationsvorgang gerichtet ist, trifft dies für das Verhalten des Persönlichkeitsrechtsträgers in der Regel nicht zu. Sein Verhal-
Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
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ten geht meist auf irgendeine Form des Grundrechtsgebrauchs zurück, dem es dient. Die Kommunizierbarkeit dieses Vorgangs ist in den allermeisten Fällen nicht sein Zweck, sondern allein dessen (unvermeidliche) Nebenwirkung. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt lediglich dort, wo das zu berücksichtigende Vorverhalten selbst kommunikationsbezogen ist. Dies ist zum einen dann der Fall, wenn der Betroffene sich in seiner Persönlichkeit bewusst inszeniert, um zum Gegenstand der Kommunikation gemacht zu werden und daraus persönliche Vorteile ziehen zu können. Diese Form des Vorverhaltens wird jedoch in der Regel dazu führen, dass auf der Seite des Betroffenen nicht mehr das allgemeine Persönlichkeitsrecht, sondern das eigentumsrechtlich geschützte Image der Person einschlägig ist,259 was zu einer anderen, hier nicht weiter verfolgten rechtlichen Beurteilung führen muss. Zum anderen liegt eine solche Ausnahme dann vor, wenn sich der Betroffene selbst direkt in einen Kommunikationsprozess eingeschaltet, diesen vielleicht sogar selbst initiiert hat. Wenn nämlich der Persönlichkeitsrechtsträger sich selbst auf die Bühne der Massenkommunikation begibt, sich selbst ihrer Waffen bedient und damit aktiv auf das Geschehen einwirkt, ist die Schutzposition seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts von vorneherein schwächer: Denn hier wird er als Person nicht schlicht zum Objekt der Kommunikation, sondern nimmt selbst gestaltend an ihr teil. In die bisherige Kasuistik hat dieser Gedanke vor allen Dingen als „Recht zum Gegenschlag“ Eingang gefunden.260 Liegt jedoch keiner dieser Ausnahmefälle auf, in denen sich der Betroffene selbst in der beschriebenen Weise in den Kommunikationsprozess einschaltet, so ist bei der Einbeziehung des Vorverhaltens des Persönlichkeitsrechtsträgers Vorsicht geboten. Das persönliche Verhalten, der Grundrechtsgebrauch des Einzelnen, muss in zurechenbarer Weise zur Vorbedingung für Kommunikation geworden sein und insofern über das „Übliche“, den alltäglichen Grundrechtsgebrauch hinausgehen. Das besondere kommunikative Interesse an dem Verhalten einer Person muss also durch objektiv nachvollziehbare Gründe in besonderer Weise gegeben sein.
b) Fehlende gesetzgeberische Entscheidung Eine weitere Problematik, die im Zusammenhang mit der Berücksichtigung des Vorverhaltens des Persönlichkeitsrechtsträgers zu beachten ist, ist das Fehlen gesetzlicher Wertungsmaßstäbe, anhand derer sich eine Gewichtung der konfligierenden Interessen in dieser Hinsicht vornehmen lassen könnte.
––––––––––– 259 260
S.o. S. 154 ff. S.o. S. 203.
E. Konkrete Abwägung der Grundrechte
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Eine Ausnahme mag hier lediglich für Amtsträger im weiteren Sinne ergeben, sofern es sich bei den in Frage stehenden Äußerungen um solche Mitteilungen handelt, die im Zusammenhang mit ihrer Amtsausübung stehen. Hier wird aus den einzelnen amtsspezifischen Regelungen sowohl des Bundesgesetzgebers als auch der Landesgesetzgeber deutlich, dass durch das besondere Verhältnis zur öffentlichen Gewalt, in dem sie als Grundrechtsträger stehen, das Schutzniveau ihres Persönlichkeitsrechts in Bezug auf dieses Verhältnis (und nur darauf) abgesenkt ist. Aus diesem Grund enthalten auch heute die meisten Gesetze, die den Zugang zu Informationen bei staatlichen Stellen regeln, Ausnahmen in Hinblick auf solche funktionsbezogenen Daten.261 Außerhalb dieser Fallgruppe könnte eine gesetzgeberische Entscheidung als Anknüpfungspunkt für ein geringeres Schutzniveau des allgemeinen Persönlichkeitsrechts allenfalls ganz allgemein in denjenigen Normen gesehen werden, die ein bestimmtes menschliches Verhalten rechtlich missbilligen. Dies könnte etwa in besonderem Maße auf Strafvorschriften zutreffen, d.h. Kommunikationsäußerungen über Straftaten und die dahinterstehenden Täter berühren. In diesem Sinne argumentiert etwa das Bundesverfassungsgericht, wenn es ausführt: „Wer den Rechtsfrieden bricht, durch diese Tat und ihre Folgen Mitmenschen oder Rechtsgüter der Gemeinschaft angreift oder verletzt, muss sich nicht nur den hierfür in der Rechtsordnung verhängten strafrechtlichen Sanktionen beugen. Er muss grundsätzlich auch dulden, dass das von ihm selbst durch seine Tat erregte Informationsinteresse der Öffentlichkeit in einer nach dem Prinzip freier Kommunikation lebenden Gemeinschaft auf dem dafür üblichen Wegen befriedigt wird.“262 Allein durch das Argument der gesetzgeberischen Entscheidung, die mit der Aufstellung eines Verbots getroffen wird, auf eine weitgehende Abwertung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Abwägung mit den Kommunikationsfreiheiten zu schließen, würde allerdings den jeweiligen Normen, die in ihrer Konzeption das Kommunikationsverhältnis in keiner Weise berühren, eine sachfremde, zusätzliche, kommunikationsspezifische Sanktionswirkung zukommen lassen, die auf diese Art vom Gesetzgeber keinesfalls konzeptioniert ist.263 Auf eine gesetzgeberische Wertung kann sich somit eine Anknüpfung an das Vorverhalten des Betroffenen in der Abwägung – bis auf den genannten Ausnahmefall – nicht stützen.
––––––––––– 261 262 263
S.o. S. 185 ff. BVerfGE 35, 202 (231 f.). Ähnlich auch Bornkamm, NStZ 1983, S. 102 (105).
Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
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c) Grundrechtsverwirkung durch Grundrechtsgebrauch? Kann eine Lösung auf einfachgesetzlicher Ebene nicht gefunden werden, ist die Verankerung des Kriteriums somit auf verfassungsrechtlicher Ebene zu suchen, stellt sich die Frage, ob sich ein bestimmtes (grundrechtlich geschütztes) Verhalten des Persönlichkeitsrechtsträgers in Bezug auf die Gewichtung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Abwägung mit Grundrechten Dritter rangmindernd auswirken kann. Damit geht es letztlich um das Problem, inwiefern der Grundrechtsgebrauch in Bezug auf spezifische Grundrechte gleichzeitig zur teilweisen Grundrechtseinschränkung im Sinne einer Grundrechtsverwirkung in Bezug auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht führen kann. Ansätze in diese Richtung finden sich bereits in der Rechtsprechung und der Literatur zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Dies betrifft vor allen Dingen die bereits erläuterte264 Figur der absoluten bzw. relativen Person der Zeitgeschichte. Wenn hier die Einschränkungen des Schutzniveaus des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch die Stellung, die Leistungen, Taten oder Untaten einer Person, bzw. durch die Verbindung mit einer anderen Person oder die Verknüpfung mit einem bestimmten Ereignis begründet wird, so sind dies im Ergebnis alles Kriterien, die an ein aktives, selbstbestimmtes Vorverhalten der betroffenen Person anknüpfen und an diesem Vorverhalten eine Einschränkung des persönlichen Schutzniveaus festmachen.265 Auch in anderen Punkten lässt sich ein solcher Gedanke erkennen, so etwa in Bezug auf die Kunstfreiheit, wenn das Bundesverfassungsgericht ausführt: „[Es ist] grundlegend zu beachten, dass mit der Veröffentlichung ein Werk nicht mehr allein seinem Inhaber zur Verfügung steht. Vielmehr tritt es bestimmungsgemäß in den gesellschaftlichen Raum und kann damit zu einem eigenständigen, das kulturelle und geistige Bild der Zeit mitbestimmenden Faktor werden. [...] Diese gesellschaftliche Einbindung der Kunst ist damit gleichzeitig Wirkungsvoraussetzung für sie und Ursache dafür, dass die Künstler in gewissem Maß Eingriffe in ihre Urheberrechte durch andere Künstler als Teil der sich mit dem Kunstwerk auseinander setzenden Gesellschaft hinzunehmen haben.“266 Auch hier führt das Gebrauchmachen des Grundrechtsträgers von seiner Kunstfreiheit dazu, dass im Umkehrschluss damit seine Urhe––––––––––– 264
S.o. S. 198. Eine Ausnahme bildet in dieser Hinsicht lediglich die Stellung als Person der Zeitgeschichte kraft Geburt, auf die allerdings in der Praxis – gerade aufgrund des besonderen Schutz von Kindern – praktisch nie rekurriert wird. Inwiefern eine solche „Abwertung“ des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Geburt überhaupt zulässig wäre, kann hier dahinstehen. Das Bundesverfassungsgericht hat sich mit dieser Frage in seiner Caroline-von-Monaco-II-Entscheidung trotz entsprechendem Vortrag der Beschwerdeführer (vgl. BVerfGE 101, 361 [375]) nicht auseinandergesetzt. 266 BVerfG, NJW 2001, S. 598 (599). 265
E. Konkrete Abwägung der Grundrechte
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berrechte, und damit sowohl sein Grundrecht aus Art. 14 GG am geistigen Eigentum als auch sein Urheberpersönlichkeitsrecht als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, aufgrund der besonderen gesellschaftlichen Relevanz seiner vorhergehenden Grundrechtsausübung an Schutzintensität verlieren. Mit dem Gedanken einer Grundrechtsverwirkung im eigentlichen Sinne lässt sich dieses Phänomen dogmatisch jedoch nicht erklären. Denn eine solche Verwirkung i.S.d. Art. 18 GG knüpft gerade nicht an einen (möglicherweise sogar gesellschaftlich bedeutenden) Grundrechtsgebrauch, sondern einzig an einen Grundrechtsmissbrauch an, der entsteht, wenn die Grundrechtsgewährleistungen zum Kampf gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung eingesetzt werden.267 Insofern müssen andere Überlegungen fruchtbar gemacht werden, die eine Berücksichtigung des Vorverhaltens des Persönlichkeitsrechtsträgers in der Abwägung mit den Kommunikationsfreiheiten dogmatisch zu begründen vermögen.
d) Das Persönlichkeitsrecht als grundrechtsgegenläufiges Prinzip Eine Begründung, warum an das Vorverhalten des Betroffenen bei der Grundrechtsabwägung angeknüpft werden kann, muss daher letztlich in der Struktur des allgemeinen Persönlichkeitsrechts selbst gefunden werden. Der Ansatz für ein entsprechendes Begründungsmodell findet sich dabei in der Struktur des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als passivisch angelegte Gewährung der engeren persönlichen Lebenssphäre und der Erhaltung ihrer Grundbedingungen.268 Denn das allgemeine Persönlichkeitsrecht stellt in seiner Funktion als Kommunikationsrestriktionsrecht seiner Konzeption nach maßgeblich auf das autarke Individuum und dessen Befugnis ab, sich in seiner Persönlichkeit vor Kenntnisnahme und anderen Beeinträchtigungen durch Dritte zu wehren. Damit markiert es in gewisser Weise einen Gegensatz dazu, dass das Grundgesetz in seiner Gesamtkonzeption und vor allen Dingen in seinen speziellen Grundrechtsgewährleistungen wie Art. 4, 5, 12, 14, GG von einem Menschenbild ausgeht, das den Teil der eigenverantwortlichen Persönlichkeit in den Vordergrund stellt, der sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft entfaltet.269 Die Gemeinschafsgebundenheit des Individuums liegt insofern der Grundrechtskon––––––––––– 267 Gröschner, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 18 Rn. 11, spricht hierbei nicht von Grundrechtsmissbrauch, sondern von Freiheitsmissbrauch, vgl. auch Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 57. 268 S.o. S. 140. 269 BVerfGE 32, 98 (107 f.); vgl. auch Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdBStR VI, § 129 Rn. 38.
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Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
zeption des Grundgesetzes in weiten Teilen zugrunde.270 Während also die speziellen Grundrechtsgewährleistungen die Entfaltung des Einzelnen in der Gesellschaft sichern, schützt das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seinem kommunikationsrestriktiven Gehalt in erster Linie die Entfaltung des Einzelnen frei von der Gesellschaft. In diesem Widerstreit erweist sich das allgemeine Persönlichkeitsrecht als ein den speziellen Grundrechtsgewährleistungen gegenläufiges Prinzip. Denn mit jedem Gebrauch eines speziellen Freiheitsrechts fügt sich der Grundrechtsträger durch seinen Freiheitsgebrauch in die Gesellschaft des demokratischen Verfassungsstaates ein und entfaltet sich in ihr. Durch diese gesellschaftliche Selbstentfaltung exportiert er damit aber automatisch auch einen Teil seiner engeren persönlichen Lebenssphäre und seines Persönlichkeitsbildes in die Gesellschaft hinein. Jeder grundrechtliche Freiheitsgebrauch vergesellschaftet somit einen Aspekt der Persönlichkeitsentfaltung und schwächt auf diese Art und Weise seine Verankerung im allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Die Frage, inwiefern das Vorverhalten des Betroffenen in die Abwägung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit den Kommunikationsfreiheiten eines anderen einbezogen werden kann, stellt sich somit letztlich als Teilbereich des klassischen Konfliktfeldes zwischen Individualitätsschutz und Gemeinschaftsbezogenheit der Grundrechte im Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar. Eine Balance zwischen diesen Polen zu finden, erweist sich dabei allerdings als weit umfangreichere Aufgabe, als sie allein in der Berücksichtigung des Vorverhaltens des Persönlichkeitsrechtsträgers liegt. Vielmehr geht dieses Kriterium auf in der Frage der Eingriffsintensität in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Hinblick auf den Sozialbezug des Individuums. Aus diesem Grund muss der Prüfungspunkt des abwägungsrelevanten Vorverhaltens letztlich aufgehen in der Frage nach den verschiedenen Sphären des Persönlichkeitsrechts und ihrer Berücksichtigung bei der Abwägung.
2. Sphären des Persönlichkeitsrechts Vor allen Dingen die Rechtsprechung ist dem Problem des Dualismus von Sozialbezug und Individualitätsschutz mit der Entwicklung verschiedener Persönlichkeitsrechtssphären begegnet, anhand derer ein Ausgleich zwischen beiden Elementen vorgenommen werden soll. Dabei gilt, dass in dem Maße, in dem der Sozialbezug einer konkreten Handlung zunimmt, in dem also der Grundrechtsträger seine eigene Individualität in die Gesellschaft hineinträgt, die Schutzintensität des allgemeinen Persönlichkeitsrechts abnimmt.271 Die ––––––––––– 270
Dürig, Gesammelte Schriften, S. 27 ff.; Peters, in: FS Laun, S. 669 (671 ff.). Vgl. zu dieser je-desto-Formel BVerfGE 89, 69 (82 f.); sowie zustimmend Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 2 I Rn. 60. 271
E. Konkrete Abwägung der Grundrechte
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Abstufungen dieses Sozialbezugs werden dabei durch die Einordnung der betreffenden Lebenssachverhalte in die Intim-, Privat- und die Sozialsphäre vorgenommen.272
a) Gemeinsamer Nenner Im Einzelnen bleiben die derart beschriebenen Sphären in der bisherigen Rechtsprechung und Lehre deutlich unscharf voneinander abgegrenzt, was auch die widersprüchliche Kasuistik in diesem Punkt erklärt. Dies liegt nicht zuletzt auch daran, dass die unbestimmten Begriffe wie „Kernbereich privater Lebensgestaltung“, „gewisser Sozialbezug“ oder „Öffentlichkeitsbezug“, die zur Abgrenzung verwendet werden, eines klar benannten gemeinsamen Nenners, eines Oberbegriffs ermangeln, anhand dessen eine Einordnung in die verschiedenen Bereiche erfolgen könnte. Nur wenn ein solcher Oberbegriff, ein gemeinsames Kriterium benannt werden kann, erscheint eine Abgrenzung der Begriffe untereinander möglich und sinnvoll. Dieses gemeinsame Kriterium, anhand dessen eine Abgrenzung und Abstufung vorgenommen werden kann, liegt in dem Maß, in dem sich der Grundrechtsträger mit den verschiedenen Elementen seiner Persönlichkeit in die Gesellschaft als ganzes begibt, sich also selbst einem solchen Sozialbezug aussetzt, wie ihn auch die Massenmedien schaffen. Dieser Sozialbezug allein ist der Maßstab, anhand dessen die verschiedenen Sphären des Persönlichkeitsrechts voneinander abzugrenzen sind.273
b) Intimsphäre Für die Intimsphäre bedeutet dies, dass sie denjenigen Bereich markiert, den der Grundrechtsträger selbst vor jeder gesellschaftlichen Einwirkung aber auch vor jeder Ausstrahlung in die Gesellschaft hinein verschließt. Dies erfordert nicht zwangsläufig, dass keinerlei andere Person an diesem Bereich teilhaben darf. Auch dann, wenn in diesen Bereich solche Personen einbezogen werden, zu denen der Betroffene „in einem besonderen, den Kernbereich betreffenden Vertrauensverhältnis steht“, etwa bei Familienangehörigen oder sonstigen engsten Vertrauten, kann der Bereich der Intimsphäre betroffen sein.274 Erforderlich ––––––––––– 272
S.o. S. 199. Auf dieser Grundlage kann auch der zurecht vorgebrachten Kritik, die Abschirmung von der Gesellschaft werde nur bereichsspezifisch gesucht und könne deshalb kein taugliches Kriterium für eine Sphärenbildung sein, begegnet werden, vgl. dazu Schlink, Der Staat 28, S. 233 (242).Denn in Hinblick auf die Massenmedien kann eine bereichsspezifische Abschottung gerade nicht erfolgen, da eine Differenzierung nach Personengruppen nicht möglich ist. 274 BVerfGE 109, 279 (319). 273
244
Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
ist nur, dass die Verbindung zu diesem Personenkreis derart eng ist, dass ein Sozialbezug im eigentlichen Sinne nicht geschaffen wird, sondern allein die ureigenste Persönlichkeitssphäre des Einzelnen betroffen ist, von der er sein gesellschaftliches Umfeld ausschließt. Gerade im Bereich der Intimsphäre sind dabei die Maßstäbe dessen, was in die Gesellschaft getragen wird und was im persönlichsten, gesellschaftsfreien Bereich des Einzelnen liegt, individuell derart unterschiedlich, dass eine einheitliche, überindividuelle Fallgruppenbildung kaum allen Lebensbereichen gerecht werden kann. Denn die unterschiedlichen menschlichen Verhaltensmuster, die jeweils die Reichweite der einzelnen Sphären, insbesondere also auch der Intimsphäre bestimmen, lassen eine generalisierende Betrachtung diesbezüglich in keiner Weise zu. In der Regel der Fälle werden jedoch Tagebuchaufzeichnungen,275 der gesundheitliche Zustand276 sowie der Bereich der Sexualität277 in den besonders geschützten Bereich der Intimsphäre fallen. Der Menschenwürdegehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts spielt in diesem Bereich der Intimsphäre eine besonders große Rolle und prägt ihn maßgeblich. Dies folgt nicht zuletzt aus dem in der Menschenwürde wurzelnden Gedanken der menschlichen Selbstbestimmung, die eben auch das Recht umfasst, die Gesellschaft von bestimmten persönlichen Lebenssachverhalten auszuschließen. Gleichwohl ist der Menschenwürdegehalt keineswegs gleichzusetzen mit dem so beschriebenen Intimbereich.278 Aus diesem Grund bietet auch die Intimsphäre keinen absoluten, von der Abwägung ausgenommenen Schutz. Das Gewicht des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in dieser Sphäre ist allerdings derart groß, dass ganz besondere und außergewöhnliche Umstände vorliegen müssen, um diesen Belang überwiegen zu können.
c) Privatsphäre Die Privatsphäre umfasst im Gegensatz dazu denjenigen Bereich menschlicher Lebensgestaltung, den der Grundrechtsträger lediglich einem begrenzten und überschaubaren Kreis von Personen zugänglich macht, zu denen aber kein unverbrüchliches Vertrauensverhältnis bestehen muss, wie dies bei der Intimsphäre der Fall ist. Der Begriff umfasst insofern das Privatleben im gewöhnlichen Wortsinn, den Bereich des menschlichen Lebens, der dem engeren sozia––––––––––– 275
Anders jedoch BVerfGE 80, 367 (373 ff.). Vgl. BAG, NJW 2000, S. 604 (605). 277 Vgl. in diese Richtung BVerfGE 88, 87 (97). Für eine Einordnung des Sexuallebens in den Bereich der Privatsphäre hingegen BVerfGE 60, 123 (134); missverständlich hingegen BVerfGE 47, 46 (73), wo die Begriffe Intimbereich und Privatsphäre synonym verwendet werden. 278 Zur Trennung von allgemeinen Persönlichkeitsrecht und Menschenwürde vgl. bereits oben S. 207 ff. 276
E. Konkrete Abwägung der Grundrechte
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len Umfeld, nicht aber der Allgemeinheit bzw. dem allgemeinen Umfeld preisgegeben wird. Dieser Bereich der Privatsphäre wiegt als engerer Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts schwer in der Abwägung, ohne dass sich aber von vorneherein ein eindeutiges Präjudiz für sein Überwiegen ausmachen ließe. Insbesondere von solchen Kommunikationsäußerungen, deren gesellschaftliche Relevanz in die erste Stufe des erläuterten Drei-Ebenen-Modells fällt,279 bei denen zum Schutz des Art. 5 GG also ergänzend die objektive Dimension des Demokratieprinzips hinzutritt, kann das Gewicht der Privatsphäre insofern überwogen werden. In anderen Fällen müssen besondere Umstände vorliegen, die das Gewicht der Kommunikationsfreiheit im Einzelfall überwiegen lassen.
d) Sozialsphäre Die Sozialsphäre schließlich umfasst all diejenigen Bereiche der Persönlichkeit, die der Grundrechtsträger in aller Regel in die Gesellschaft hineinträgt und mit seiner Außenwelt teilt. In diesem Bereich ist der Sozialbezug am größten, die Verbindung zum abgetrennten, vor Kenntnisnahme Dritter geschützten Bereich der Persönlichkeit am kleinsten. In diesem Bereich ist das Schutzniveau des allgemeinen Persönlichkeitsrechts am schwächsten, das Gewicht in der Abwägung am geringsten. Gleichwohl muss auch den Kommunikationsvorgängen über Sachverhalte aus der Sozialsphäre ein gewisses Gewicht zukommen, damit sie das wenn auch eingeschränkte, so doch vorhandene Gewicht des allgemeinen Persönlichkeitsrechts überwiegen können. Dies wird bei solchen Themen, deren gesellschaftliche Relevanz im Rahmen des DreiEbenen-Modells der ersten oder zweiten Ebene zuzuordnen ist, in aller Regel der Fall sein. Nur bei solchen Kommunikationsinhalten, die der dritten Ebene dieses Modells angehören, muss im Einzelfall und anhand anderer Kriterien entschieden werden, welches der betroffenen Rechtsgüter überwiegt.
e) Fließender Übergang Wie bei jedem Stufenmodell können sich auch bei der gerade vorgestellten, modifizierten Sphärentheorie im Einzelfall Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben. Nicht in jedem Fall wird ein Lebenssachverhalt sich eindeutig und unzweifelhaft einer der genannten Sphären zuordnen lassen.280 Diese Unschärfen erfordern es jedoch in keiner Weise, die Unterscheidung als solche zu verwerfen ––––––––––– 279
S.o. S. 227. Kritisch insoweit beispielsweise Degenhart, JuS 1992, S. 361 (364); Kunig, Jura 1993, S. 595 (602); Schlink, Die Amtshilfe, S. 192 ff. 280
Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
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und zu einer fallgruppenorientierten Verhältnismäßigkeitsprüfung zurückzukehren.281 Vielmehr kann der fließende Übergang in die Abwägung mit einbezogen werden. Die verschiedenen Sphären erweisen sich insofern als Anhaltspunkte, die eine Richtung der Abwägung vorgeben können, ohne sie aber von der Notwendigkeit zu befreien, die individuellen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. So bleibt etwa auch innerhalb der Sphären noch ein erheblicher Spielraum, anhand dessen eine Wertung vorgenommen werden kann. Die Einteilung in verschiedene Sphären kann eine konkrete Abstufung insofern nicht vorwegnehmen, macht ihre Methode aber überschaubar und orientiert sie vor allen Dingen an abstrakten Kriterien, die verlässlichere Maßstäbe setzten können als kasuistische Fallgruppen dies vermögen.
f) Anwendbarkeit auf verschiedene Kollisionsfälle Das Kriterium des Sozialbezugs, d.h. die Frage nach der betroffenen Sphäre des Persönlichkeitsrechts innerhalb dieses Drei-Ebenen-Modells, lässt sich auf alle der durch Art. 5 GG geschützten Kommunikationsäußerungen anwenden, ist also unabhängig von der Frage, ob im konkreten Fall die Medien-, Kunstoder Wissenschaftsfreiheit berührt wird. Denn in allen diesen Bereichen können die kommunizierten Informationen grundsätzlich einer der genannten Sphären zugeordnet werden. Und auch auf der Seite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, dem die Sphärenunterteilung gerade entstammt, lässt sich das Kriterium in allen Konstellationen heranziehen, ist also sowohl auf Kollisionen mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung als auch auf Konflikte mit dem Recht der persönlichen Ehre anwendbar. Der Sozialbezug der im Rahmen des Persönlichkeitsrechts betroffenen Sphäre kann dementsprechend in allen Fallkonstellationen des Konflikts zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und den massenmedialen Kommunikationsfreiheiten aus Art. 5 GG als maßgebliches Kriterium in der Abwägung herangezogen werden.
3. Doppelstufiges Drei-Ebenen-Modell In diesem so dogmatisch begründeten Abwägungsmodell hat die Figur der absoluten bzw. relativen Person der Zeitgeschichte, die über Jahrzehnte hinweg die Zivilrechtsprechung und damit mittelbar auch die Verfassungsrechtsprechung bestimmt hat, ihren Platz verloren. Dieser Verlust ist insofern aus verfassungsrechtswissenschaftlicher Sicht leicht zu verschmerzen, als dass es sich bei der Person der Zeitgeschichte ohnehin stets nur um ein richterrechtliches Kon––––––––––– 281
So aber Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 2 I Rn. 61.
E. Konkrete Abwägung der Grundrechte
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strukt der Zivilrechtsprechung gehandelt hat, deren normative Verankerung hinterfragungsfähig und hinterfragungsbedürftig ist und eine Reaktion des Gesetzgebers nur in vereinzelten Normen von zudem nur sehr spezieller Bedeutung gefunden hat. Ihre Funktion wird ersetzt durch ein doppelstufiges Drei-Ebenen-Modell, in dem die gesellschaftliche Bedeutung des Kommunikationsinhalts auf der einen Seite und der Sozialbezug der betroffenen Persönlichkeitssphäre auf der anderen Seite sich auf der Waagschale konkurrierend gegenüberstehen. Auf diese Weise werden die gesellschaftlichen Belange wie die persönlichen Belange in der Abwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und den Kommunikationsfreiheiten ausgewogen und gleichberechtigt gewichtet und einander entgegengestellt. Immer dann, wenn einer der beiden kollidierenden Belange auf einer schutzintensiveren Stufe steht als der andere, spricht eine Vermutung dafür, dass dieser Belang in der Abwägung obsiegt. Lediglich außergewöhnliche Umstände des Einzelfalls können diese Vermutung widerlegen und ein anderes Abwägungsergebnis rechtfertigen. In den Fällen allerdings, in denen sich die Belange auf Ebenen gleicher Schutzintensität gegenüberstehen, können allein die besonderen Umstände des Einzelfalls über das Ergebnis einer gerechten Abwägung entscheiden. Hierbei sind die graduellen Unterschiede innerhalb der abgegrenzten Ebenen ebenso von Bedeutung wie die sonstigen im Rahmen dieses Abwägungsmodells vorgetragenen Kriterien. Eine Lösung kann nur anhand aller individuellen Umstände ermittelt werden. Eine solche Wertung mag zwar nicht immer ebenso einfach zu handhaben sein wie die hergebrachte Figur der Person der Zeitgeschichte. Sie führt aber deswegen zu ausgewogeneren Ergebnissen, weil sie an beiden Abwägungsbelangen gleichermaßen und nicht alleine am Interesse der Öffentlichkeit an einem bestimmten Kommunikationsvorgang ansetzt. Ein wirklich schonender Ausgleich zwischen den kollidierenden Grundrechtspositionen kann nur auf eine solche, einzelfallbezogene Weise zuverlässig hergestellt werden.
4. Kunst- und Wissenschaftsfreiheit im Drei-Ebenen-Modell Das dargestellte doppelstufige Drei-Ebenen-Modell ist in seiner Unterscheidung auf Seiten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts universell auf alle Konfliktkonstellationen anwendbar. Die Dreistufigkeit, die auf der Seite der Kommunikationsgrundrechte hergestellt wird, ist gleichwohl in ihrer Struktur vor allem an die Besonderheiten der Medienfreiheiten angelehnt: Nur sie erfüllen die besondere demokratische Funktion, die einem Kommunikationsinhalt seine Verortung auf der ersten, formal-demokratischen Ebene des Modells ermöglicht. Nur sie schützen allerdings auch solche Inhalte, die in ihrer Funktionserfüllung derart reduziert sind, dass sie lediglich der dritten, untersten Ebene des Modells zugeordnet werden können.
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Kap. 4: Konfliktlösung durch Abwägung
Für die Grundrechte der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit dagegen müssen bei der Anwendung des doppelstufigen Drei-Ebenen-Modells Besonderheiten gelten. Für die Kunstfreiheit folgt dies bereits unmittelbar daraus, dass hier eine Ermittlung der gesellschaftlichen Relevanz des Inhalts nicht möglich und dieses Kriterium somit überhaupt nicht anwendbar ist. Im Übrigen ist eine solche dreistufige Ausdifferenzierung auf der Seite der Kommunikationsfreiheiten für die Kunst- und die Wissenschaftsfreiheit auch weder erforderlich noch geboten. Denn die Ebenenbildung auf der Stufe der gesellschaftlichen Relevanz dient letztlich nur dazu, die besonderen, vom Kommunikationsinhalt abhängigen und sich jeweils auf den Ebenen kumulierenden Grundrechtsfunktionen in Bezug auf die Medienfreiheiten in angemessener Weise zu berücksichtigen und in den schonenden Ausgleich zu bringen, der letztlich auf Grundlage der optimalen Funktionserfüllung vorgenommen werden soll. Weder bei der Kunst-, noch bei der Wissenschaftsfreiheit sind die besonderen, grundrechtsspezifischen Funktionen jedoch abhängig vom Inhalt der Kommunikationsäußerung. Weder die besondere, nicht zu substituierende Weise, auf welche die Kunstfreiheit die gesellschaftliche Kommunikationsbasis erweitert, noch die Schlüsselfunktion für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung, welche die Wissenschaftsfreiheit erfüllt, werden in ihren Wirkungen durch den konkreten Inhalt der Kommunikation beeinflusst. Die Bildung inhaltlicher Ebenen im Rahmen des Abwägungsprozesses kann deshalb für diese beiden Grundrechtsgewährleistungen unterbleiben. Im Rahmen der Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht wird das doppelstufige Drei-Ebenen-Modell für die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit aus diesem Grund wieder vereinfacht. Dem dreigeteilten Bereich des Persönlichkeitsrechts steht eine einheitliche Ebene der Kommunikationsgrundrechte aus Art. 5 Abs. 3 GG entgegen. Da sich diese Grundrechte in ihrer Funktionserfüllung nicht auf die zusätzliche normative Anreicherung durch das Demokratieprinzip stützen können, gleichwohl aber weitaus mehr Funktionen erfüllen, als dies für solche Kommunikationsinhalte der Fall ist, die lediglich die Neugier des Rezipienten befriedigen sollen, entsprechen sie in ihrer Wertigkeit solchen Kommunikationsinhalten, die der zweiten Stufe des Modells zuzuordnen sind. Werden im Rahmen von künstlerischer oder wissenschaftlicher Kommunikation also solche Inhalte verbreitet, die Informationen aus der Sozialsphäre des Betroffenen preisgeben, so wird in diesen Fällen im Rahmen des vereinfachten Drei-Ebenen-Modells regelmäßig das Gewicht der Gewährleistung des Art. 5 Abs. 3 GG überwiegen. Betreffen die Kommunikationsinhalte Informationen aus dem Bereich der Intimsphäre, wird sich in der Abwägung regelmäßig das allgemeine Persönlichkeitsrecht im konkreten Fall als höherwertiges Rechtsgut durchsetzen. Lediglich bei der wissenschaftlichen oder künstlerischen Verbreitung solcher Informationen, die sich im Rahmen der Sozialsphäre des Betroffenen bewegen, können wie bei den Fällen im doppelstufigen Drei-Ebenen-
E. Konkrete Abwägung der Grundrechte
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Modell, bei dem sich Belange auf gleicher Ebene entgegenstehen, allein die besonderen Umstände des Einzelfalls über das Ergebnis einer gerechten Abwägung entscheiden.
Fünftes Kapitel
Lösung des Grundrechtskonflikts durch Straf- und Zivilrecht
Das in den vorhergehenden Kapiteln vorgestellte Modell zur Lösung von Konflikten zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und den Kommunikationsfreiheiten aus Art. 5 GG will im Rahmen seiner Abstraktheit zum einen ein dogmatisch fundiertes Modell aufzeigen, anhand dessen die Konfliktlösung im Einzelfall nachvollziehbar, ausgewogen und ausdifferenziert vorgenommen werden kann, und zum anderen für diese Fälle eine Entscheidungsmaxime vorgeben. Insbesondere die fundierte Abgrenzung der einzelnen Schutzbereiche auf beiden Seiten des Konflikts sowie die methodisch interdisziplinär ausgerichtete Ermittlung des Kommunikationsinhalts, die eigenständig erfolgen und nicht mit dem Bereich der Abwägung vermengt werden darf, stellen dabei die klare Struktur her, die in der bisherigen Abwägungspraxis mitunter fehlt. Vor allem aber konnte gezeigt werden, dass der Persönlichkeitsschutz im Spannungsfeld mit Kunst, Unterhaltung und Information zwar im Ergebnis weitestgehend den gleichen Abwägungskriterien unterworfen werden kann, die Ausgangsgrundlage, auf der die Abwägung vorgenommen wird, in allen Fällen aber eine andere ist. Politiker, Popstars, Protagonisten fiktiver Erzählungen und Privatleute verdienen und bedürfen einer unterschiedlichen Behandlung ihrer Persönlichkeitsinteressen. Nur durch eine differenzierende Betrachtungsweise können hier einzelfallgerechte Lösungen gefunden werden, die mit der verfassungsmäßigen Ordnung und dem dieser zugrundeliegenden Wertmaßstab in Einklang stehen. Um die Bedeutung dieser abstrakten Kriterien fassen und ausdifferenzieren zu können, ist es zuletzt jedoch notwendig, die entwickelten verfassungsrechtlichen Maßstäbe auf die konkrete Ebene der Konfliktlösung einzupassen. Die zivil- und strafrechtlichen Instrumente, die der Verwirklichung eines effektiven Grundrechtsschutzes dienen sollen, sind dabei in das aufgezeigte verfassungsrechtliche Gerüst einzupassen. Nach einer kurzen Darstellung der wichtigsten zivil- und strafrechtlichen Konfliktlösungsinstrumente (A.) soll daher im Folgenden zunächst erläutert werden, wie in der Praxis des Straf- und Zivilrechts die Identifizierung des jeweils einschlägigen Kommunikationsgrundrechts aus Art. 5 GG zu erfolgen hat (B.). Danach werden die konkreten Schritte der Auslegung einer streitgegenständlichen Äußerung (C.) ebenso erläutert wie die verschiedenen Stufen der Persönlichkeitsrechtsverletzungen innerhalb der straf-
A. Straf- und Zivilrecht als Mittel der Konfliktlösung
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und zivilrechtlichen Tatbestände (D.). Schließlich wird dargestellt, wie sich die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung auf der Ebene der Rechtswidrigkeit in die konkrete einfachgesetzliche Prüfung einfügt (E.). Die verfassungsrechtlich determinierte Prüfung der einzelnen straf- und zivilrechtlichen Tatbestände spielt sich insofern in sechs einzelnen Prüfungsschritten ab, bei denen aufeinander aufbauend folgende Fragen beantwortet werden: Welchem Grundrecht unterfällt die zu betrachtende Äußerung? Welchen Bedeutungsgehalt kann die Äußerung bei weitestem Verständnis haben? Was bedeutet die Äußerung im konkreten Fall? Liegt eine (verfassungsrechtliche bzw. einfachgesetzliche) Persönlichkeitsrechtsverletzung vor? Sind die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen der zu prüfenden Norm erfüllt? Welches der beiden Grundrechte setzt sich schließlich im konkreten Fall in der Abwägung durch?
A. Straf- und Zivilrecht als Mittel der Konfliktlösung Auch wenn auf grundrechtstheoretischer Ebene eine Lösung des Grundrechtskonflikts zwischen allgemeinem Persönlichkeitsrecht auf der einen Seite und den Kommunikationsfreiheiten aus Art. 5 GG auf der anderen Seite entworfen werden kann, so bieten doch die Grundrechte selbst keine Mechanismen, um diese Lösung auch auf konkreter Ebene durchzusetzen. Der konkrete Interessenausgleich findet vielmehr vor allem mit den Mitteln des Straf- und Zivilrechts statt, die bestimmte einfachgesetzliche Rechtsfolgen an das Vorliegen eines Grundrechtskonflikts knüpfen. Diese Vorschriften stellen nicht nur selbst Abwägungskriterien für die Grundrechtsabwägung auf.1 Ihre Auslegung wird im Wege der mittelbaren Drittwirkung selbst wiederum maßgeblich von den Grundrechten bestimmt.2 Die abstrakten grundrechtlichen Ausführungen des in den ersten Kapiteln beschriebenen Modells stellen somit das Gerüst auf, in das sich die bestehenden gesetzlichen Regelungen in der praktischen Lösung der Grundrechtskonflikte einpassen müssen.
I. Strafrechtliche Sanktionen Im Strafrecht wird ein Ausgleich konfligierender Grundrechtsinteressen durch die Verhängung von Sanktionen zu schaffen gesucht. Im besonderen Konflikt zwischen allgemeinem Persönlichkeitsrecht und der Medien- bzw. Kunst- und Wissenschaftsfreiheit sind solche Sanktionen vor allen Dingen im ––––––––––– 1 2
S.o. S. 182 ff. S.o. S. 176 ff.
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Kap. 5: Lösung des Grundrechtskonflikts durch Straf- und Zivilrecht
14. Abschnitt des StGB in den §§ 185-200 vorgesehen. Dabei ist im Wesentlichen zwischen der Beleidigung in § 185 StGB, der üblen Nachrede in § 186 StGB und der Verleumdung in § 187 StGB zu unterscheiden.
1. Beleidigung a) Objektiver Tatbestand Gemäß § 185 StGB wird die Beleidigung mit Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bestraft. Unter Beleidigung ist dabei die vorsätzliche Kundgabe der Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung zu verstehen.3 Der objektive Tatbestand der Beleidigung erfordert als Tathandlung insofern zunächst eine Äußerung, einen kommunikativen Akt, in dem der Täter – auf welche Weise auch immer – einen gedanklichen Inhalt verbreitet, von dem eine andere Person Kenntnis erlangt.4 Dieser verbreitete gedankliche Inhalt muss ehrverletzenden Charakter haben, d.h. er muss dem sittlichen, personalen oder sozialen Geltungswert einer natürlichen5 Person zuwiderlaufen.6 Dabei hält die strafrechtliche Lehre und Rechtsprechung die – hier aufgegebene – Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen zwar grundsätzlich aufrecht, erachtet eine Beleidigung aber durch beide Äußerungskategorien grundsätzlich als möglich.7 In Abgrenzung zu den Straftatbeständen der §§ 186, 187 StGB kommt die Verwirklichung einer Beleidigung durch Kundgabe einer Tatsachenbehauptung allerdings nur in Betracht, wenn der Äußerungsempfänger auch zugleich der durch die Beleidigung verletzte Ehrträger ist.8 Weiterhin ist eine Beleidigung im Unterschied zu den Delikten der §§ 186, 187 StGB auch dann möglich, wenn die geäußerte Tatsachenbehauptung erweislich wahr ist. Wie in § 192 StGB ausdrücklich normiert, ist dies jedoch nur dann möglich,
––––––––––– 3 BGHSt 16, 58 (63); BGH, NStZ 1984, S. 216; RGSt 40, 416; 71, 159 (160); Regge, in: Joecks/Miebach (Hrsg.), MüKo StGB, § 185 Rn. 8; Hilgendorf, in: Jähnke/Laufhütte/Odersky (Hrsg.), LK-StGB, § 185 Rn. 1; Tröndle/Fischer, StGB, § 185 Rn. 1a. 4 Hilgendorf, in: Jähnke/Laufhütte/Odersky (Hrsg.), LK-StGB, § 185 Rn. 10. 5 Zwar sind grundsätzlich auch Personengemeinschaften, Verbände und politische Körperschaften beleidigungsfähig, wie sich im Umkehrschluss aus § 194 Abs. 3, 4 ergibt. Dieser Aspekt soll hier aber nicht weiter vertieft werden. 6 BGHSt 36, 148; BayObLGSt 83, 32; OLG Düsseldorf, NJW 1989, S. 3030; NJW 1992, S. 1335; Regge, in: Joecks/Miebach (Hrsg.), MüKo StGB, § 185 Rn. 9. 7 Vgl. nur Hilgendorf, in: Jähnke/Laufhütte/Odersky (Hrsg.), LK-StGB, § 185 Rn. 2 ff.; Erhardt, Kunstfreiheit und Strafrecht, S. 183. 8 Ausführlich dazu Heimbach, Die Abgrenzung der Beleidigung zu anderen Tatbeständen des StGB, S. 20 ff.
A. Straf- und Zivilrecht als Mittel der Konfliktlösung
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wenn sich die Beleidigung aus der Form der Behauptung oder Verbreitung oder aus den Umständen der Äußerung ergibt. Ob einer Äußerung tatsächlich ein im strafrechtlichen Sinne ehrverletzender Inhalt beizumessen ist, ist auch im Strafrecht durch Auslegung zu ermitteln, wobei es auf den objektiven Sinngehalt einer Äußerung, nicht auf das subjektive Verständnis des Empfängers ankommt.9 Maßgeblich soll insofern sein, wie ein verständiger Dritter unter Beachtung der Begleitumstände und des Gesamtzusammenhangs die Äußerung versteht.10 In vereinfachter Weise stellen insofern auch die strafrechtliche Literatur und Rechtsprechung bei der Auslegung auf die im zweiten Kapitel erläuterten Codeauswahlkriterien des Kommunikationszusammenhangs und des Hintergrundwissens ab. Die strafrechtliche Ehrverletzung, auf die im objektiven Tatbestand des § 185 StGB abgestellt wird, ist nach all dem nicht identisch mit einer Verletzung des Rechts der persönlichen Ehre, wie es sich als Teil des (verfassungsrechtlichen) allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellt. Vielmehr kann sich die strafrechtliche Ehrverletzung aus verfassungsrechtlicher Sicht auch als Beeinträchtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung erweisen. Dies kann etwa der Fall sein bei Verbreitung einer (unwahren) ehrenrührigen Tatsachenbehauptung oder aber bei ungenehmigter Weitergabe oder Veröffentlichung von Fotografien.11 Nicht jede Beeinträchtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung erfüllt allerdings tatsächlich den objektiven Tatbestand des § 185 StGB. Vielmehr muss die Preisgabe der Information einen besonderen Bezug zur Ehre im strafrechtlichen Sinne aufweisen. Ihr Bekanntwerden oder ihre Verbreitung muss insofern zumindest mittelbar den Achtungsanspruch des Betroffenen schmälern.12
b) Weitere Voraussetzungen Neben der Erfüllung des objektiven Tatbestandes ist zur Verwirklichung der Beleidigung gem. § 185 StGB auch das Vorliegen des subjektiven Tatbestandes erforderlich. Der Täter muss also Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale haben. Dementsprechend muss er insbesondere die Äußerung ––––––––––– 9
Regge, in: Joecks/Miebach (Hrsg.), MüKo StGB, § 185 Rn. 9. BGHSt 19, 235 (237); BayObLGSt 1996, 184 (184); BayObLG, NStZ-RR 2002, S. 210; Merz, Strafrechtlicher Ehrenschutz und Meinungsfreiheit, S. 20; Regge, in: Joecks/Miebach (Hrsg.), MüKo StGB, § 185 Rn. 9 m.w.N. Kritisch hierzu jedoch Ignor, Der Straftatbestand der Beleidigung, S. 87 ff. 11 Vgl. zum letztgenannten Fall BGHSt 9, 17; OLG Oldenburg, NJW 1963, S. 920 ( 921). 12 Vgl. zum insoweit „unvollständigen“ strafrechtlichen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch Peglau, Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch das Strafrecht, S. 42 ff. 10
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Kap. 5: Lösung des Grundrechtskonflikts durch Straf- und Zivilrecht
selbst wollen sowie um deren (objektiv) ehrverletzenden Inhalt wissen oder einen solchen zumindest für möglich halten.13 Weiterhin muss der Täter auch rechtswidrig und schuldhaft hinsichtlich der Tatbestandserfüllung handeln. Die Rechtswidrigkeit entfällt insbesondere, wenn der Täter sich auf den Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen gem. § 193 StGB berufen kann.
2. Üble Nachrede § 186 StGB bestimmt die Strafbarkeit desjenigen, der in Beziehung auf einen anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist.
a) Objektiver Tatbestand Die Tathandlung, die den objektiven Tatbestand der üblen Nachrede bildet, liegt demnach wie bei der Beleidigung auch zunächst in einer kommunikativen Äußerung. Im Gegensatz zur Beleidigung muss dieser Kommunikationsakt allerdings in Form des Behauptens oder Verbreitens einer Tatsache über einen anderen gegenüber einem Dritten gegeben sein. Erforderlich ist also zunächst die Äußerung einer Tatsache durch den Täter.14 Diese Tatsache muss durch ihn entweder behauptet oder verbreitet werden. Dabei liegt ein Behaupten einer Tatsache dann vor, wenn diese nach eigener Überzeugung als richtig dargestellt wird.15 Ein Verbreiten der Tatsache ist hingegen dann gegeben, wenn diese als Gegenstand fremden Wissens oder Behauptens weitergegeben wird, ohne dass der Äußernde jedoch für die Richtigkeit dieser Behauptung eintritt.16 Die Behauptung oder Verbreitung der Tat––––––––––– 13 BGHSt 1 291; 7, 134; BGH, GA 1963, s. 50; BayObLGSt 83, 32; OLG Zweibrücken, NJW 1986, S. 2960; Lenckner, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), StGB, § 185 Rn. 14; Tröndle/Fischer, StGB, § 185 Rn. 23. 14 Die Abgrenzung von Tatsachenbehauptungen und Werturteilen bemisst sich dabei auch im Strafrecht nach den für das Verfassungsrecht entwickelten Abgrenzungskriterien, vgl. Merz, Strafrechtlicher Ehrenschutz und Meinungsfreiheit, S. 20 ff.; ausführlich dazu Hilgendorf, Tatsachenaussagen und Werturteile im Strafrecht, S. 72 ff. 15 RGSt 38, 368; 60, 373 (374); 67, 268 (269); OLG Köln, JW 1963, S. 1634; Hilgendorf, Tatsachenaussagen und Werturteile im Strafrecht, S. 191 f.; Fuhr, Die Äußerung im Strafgesetzbuch, S. 37; Lenckner, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), StGB, § 186 Rn. 7; Tröndle/Fischer, StGB, § 186 Rn. 8. 16 RGSt 31, 63 (66); 38, 368 (369); Hilgendorf, Tatsachenaussagen und Werturteile im Strafrecht, S. 191; ders., in: Jähnke/Laufhütte/Odersky (Hrsg.), LK-StGB, § 186 Rn. 8; Regge, in: Joecks/Miebach (Hrsg.), MüKo StGB, § 186 Rn. 17.
A. Straf- und Zivilrecht als Mittel der Konfliktlösung
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sache muss „in Beziehung auf einen anderen“ erfolgen. Daraus folgt, dass – im Gegensatz zur Beleidigung – Äußerungsempfänger und verletzter Ehrträger unterschiedliche Personen sein müssen.17 Die Tatsache muss weiter geeignet sein, den Betroffenen verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. Trotz des scheinbar engen Wortlautes fallen unter diese Beschreibung grundsätzlich alle ehrenrührigen Tatsachen.18 Ein qualitativer oder quantitativer Unterschied besteht insofern zwischen den beiden Tatalternativen nicht.19 Im Gegensatz zur Beleidigung reicht bei der üblen Nachrede sogar schon eine generelle Eignung der Tatsache, an der Ehre des Betroffenen zu rühren, aus.20 Aus diesem Grund ist bei der Ermittlung der Ehrenrührigkeit der Aussage auch nicht auf die konkreten Umstände der Äußerung und den Empfängerhorizont im Einzelfall abzustellen, sondern vielmehr auf die Eignung zur Ehrenrührigkeit im Verhältnis zum Ehrträger selbst.21 Wird also etwa über eine Person behauptet oder verbreitet, sie habe als inoffizieller Mitarbeiter der Stasi gearbeitet, so ist diese Behauptung abstrakt geeignet, den Betroffenen in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen und kann den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen,22 und zwar selbst dann, wenn die Äußerung nur gegenüber einer Person geäußert wird, die selbst inoffizieller Mitarbeiter war und die Behauptung insofern nicht als ehrenrührig empfinden wird. Umstritten ist im Rahmen des Tatbestandes der üblen Nachrede, welcher Bedeutung die Nichterweislichkeit der Wahrheit der Tatsache beigemessen werden soll. Die herrschende Meinung sieht in diesem Merkmal eine objektive Bedingung der Strafbarkeit, die dementsprechend nicht vom Vorsatz des Täters umfasst sein muss, bzw. begreift umgekehrt den Wahrheitsbeweis als Strafausschließungsgrund.23 Diese Ansicht, die das Risiko der Nichterweislichkeit der Wahrheit in vollem Umfang dem Äußernden aufbürdet, ist jedoch schon früh auf Kritik gestoßen. In dem Bemühen, zu einer gerechteren Risikoverteilung zu ––––––––––– 17 Tröndle/Fischer, StGB, § 186 Rn. 10; Lenckner, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), StGB, § 186 Rn. 12; Regge, in: Joecks/Miebach (Hrsg.), MüKo StGB, § 186 Rn. 19. 18 Hilgendorf, in: Jähnke/Laufhütte/Odersky (Hrsg.), LK-StGB, § 186 Rn. 10; Lenckner, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), StGB, § 186 Rn. 5. 19 Tröndle/Fischer, StGB, § 186 Rn. 4; Regge, in: Joecks/Miebach (Hrsg.), MüKo StGB, § 186 Rn. 13; Hilgendorf, in: Jähnke/Laufhütte/Odersky (Hrsg.), LK-StGB, § 186 Rn. 10; Lenckner, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), StGB, § 186 Rn. 5. 20 Hilgendorf, in: Jähnke/Laufhütte/Odersky (Hrsg.), LK-StGB, § 186 Rn. 10; Regge, in: Joecks/Miebach (Hrsg.), MüKo StGB, § 186 Rn. 14; Lenckner, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), StGB, § 186 Rn. 5. 21 Regge, in: Joecks/Miebach (Hrsg.), MüKo StGB, § 186 Rn. 14; Lenckner, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), StGB, § 186 Rn. 5. 22 OLG Jena, OLG-NL 1999, S. 268. 23 BGHSt 11, 273 (274); Gillen, Das Verhältnis von Ehren- und Privatsphärenschutz im Strafrehct, S. 11; Tenckhoff, JuS 1988, S. 618 (622); Arzt, JuS 1982, S. 717 (721); Tröndle/Fischer, StGB, § 186 Rn. 13; Hilgendorf, in: Jähnke/Laufhütte/Odersky (Hrsg.), LK-StGB, § 186 Rn. 12; Lenckner, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), StGB, § 186 Rn. 10.
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Kap. 5: Lösung des Grundrechtskonflikts durch Straf- und Zivilrecht
gelangen, werden daher zum Teil auch die Nichterweislichkeit der Wahrheit24 bzw. die Unwahrheit der Tatsache als gewöhnliche Tatbestandsmerkmale angesehen.25 Eine weitere, sich mehr und mehr im Durchdringen befindliche Ansicht schließlich stellt hier eine vermittelnde Lösung dadurch zur Verfügung, dass nicht die Unwahrheit selbst, sondern lediglich das Verbreiten der Unwahrheit als Teil des objektiven Tatbestandes behandelt wird und dem Täter diesbezüglich mindestens sorgfaltspflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen sein muss.26
b) Weitere Voraussetzungen Auch bei der üblen Nachrede muss der Täter den subjektiven Tatbestand erfüllen, d.h. Vorsatz hinsichtlich aller objektiven Tatbestandsmerkmale haben. Er muss also insbesondere die Äußerung selbst wollen und die Geeignetheit der Äußerung zur Ehrverletzung mindestens billigend in Kauf nehmen.27 Zumindest nach der herrschenden Meinung muss er – wie gerade erläutert – die Unwahrheit der geäußerten Tatsachenbehauptung jedoch weder wissen noch wollen. Auch hinsichtlich der üblen Nachrede muss der Täter weiterhin rechtswidrig und schuldhaft handeln, wobei auch hier der besondere Rechtsfertigungsgrund des § 193 StGB einschlägig sein kann.
3. Verleumdung Nach § 187 StGB ist schließlich strafbar, wer wider besseren Wissens in Beziehung auf einen anderen eine unwahre Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen oder dessen Kredit zu gefährden geeignet ist. Der Tatbestand unterscheidet sich danach von dem der üblen Nachrede in lediglich zwei Punkten. Zum einen ist durch ihn nicht nur die (potentielle) Ehrverletzung, sondern auch die Kreditgefährdung umfasst. Da hier das Schutzgut jedoch nicht im allgemeinen Persönlichkeitsrecht liegt, soll diese Tatbestandsalternative im Folgenden nicht weiter betrachtet werden. ––––––––––– 24
Binding, Lehrbuch des Gemeinen Deutschen Strafrechts, BT I, S. 158 f. Bemmann, MDR 1956, S. 387 ff. 26 Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 168; ders., ZStW 90 (1978), S. 978 (989); ders., FS Wolff, S. 125 (140); Küpper, JA 1985, S. 453 (459); Streng, GA 1985, S. 214 (226); Wolff, ZStW 81 (1969), S. 907 ff.; Geisler, Zur Vereinbarkeit objektiver Bedingungen der Strafbarkeit mit dem Schuldprinzip, S. 437; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 298, 305 ff.; Tröndle/Fischer, § 186 Rn. 13; Regge, in: Joecks/Miebach (Hrsg.), MüKo StGB, § 186 Rn. 28. 27 Vgl. nur Regge, in: Joecks/Miebach (Hrsg.), MüKo StGB, § 186 Rn. 31 m.w.N. 25
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In der Ehrverletzungsalternative unterscheidet sich der Tatbestand der Verleumdung vom Tatbestand der üblen Nachrede daher ausschließlich dadurch, dass hier die Unwahrheit der geäußerten Tatsachenbehauptung unstreitig objektives Tatbestandsmerkmal ist, die Unwahrheit insofern nicht nur positiv bewiesen sein muss, sondern sich insbesondere auch der Vorsatz des Täters auf die Unwahrheit erstrecken muss.28 Im Übrigen müssen dieselben Voraussetzungen wie bei § 186 StGB vorliegen.
II. Zivilrechtliche Ansprüche Das Zivilrecht stellt Mittel des Ausgleichs für den Grundrechtskonflikt zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der Medien- bzw. Kunst- oder Wissenschaftsfreiheit dadurch zur Verfügung, dass es demjenigen, der durch bestimmte Veröffentlichungen in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt ist, verschiedene Ansprüche gegenüber dem Dritten einräumt.29 Diese Ansprüche sind im Wesentlichen gerichtet auf Unterlassung, Schadenersatz, Geldentschädigung und Berichtigung.30 Der Gegendarstellungsanspruch hingegen, der in der presserechtlichen Praxis ebenfalls von größter Bedeutung ist, reiht sich nicht in diese Ansprüche, die auf konkreter Ebene einen Grundrechtsausgleich schaffen, ein.31 Zwar stellt der Gegendarstellungsanspruch ebenfalls ein gesetzliches Mittel zum Schutz des Persönlichkeitsrechts dar, erschöpft sich aber nicht in dieser Funktion, sondern soll darüber hinaus auch das öffentliche Interesse an sachlich richtiger Information schützen.32 Er setzt deshalb auch keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtsrechts voraus, sondern erfordert lediglich die Verbreitung einer Tatsache, von der der Anspruchsteller betroffen ist.33 Ob das Persönlich––––––––––– 28 RGSt 32, 302; RG, JW 1937, S. 3215; Hilgendorf, in: Jähnke/Laufhütte/Odersky (Hrsg.), LK-StGB, § 187 Rn. 2; Regge, in: Joecks/Miebach (Hrsg.), MüKo StGB, § 187 Rn. 8. 29 Einen umfassenden Überblick über diese Ansprüche bieten etwa Prinz/Peters, Medienrecht, S. 272 ff.; Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, S. 371 ff. Vgl. auch Kirchhoff, Möglichkeiten einer europaweiten Vereinheitlichung des Persönlichkeitsschutzes vor der Presse, S. 85 ff. 30 Daneben können in diesem Bereich auch noch bereicherungsrechtliche Ansprüche bestehen sowie verschiedene Hilfsansprüche, die etwa auf Auskunft, Herausgabe, Vernichtung bzw. Unbrauchbarmachung oder Rückruf gerichtet sind, vgl. dazu nur Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 773 ff. 31 Auch das Bundesverfassungsgericht reiht ihn in der Stolpe-Entscheidung deshalb nicht in die Aufzählung relevanter Ansprüche ein, vgl. BVerfG, NJW 2006, S. 207 (209). 32 BVerfGE 97, 125 (146); BGH, NJW 1965, s. 1230; Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 443; ablehnend zu dieser zweiten Schutzkomponente Weimann, Identitätsschutz durch Gegendarstellung, S. 122 ff. 33 Vgl. § 11 LPG.
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Kap. 5: Lösung des Grundrechtskonflikts durch Straf- und Zivilrecht
keitsrecht des Betroffenen durch diese Veröffentlichung tatsächlich verletzt ist oder nicht, ist für das Bestehen des Anspruchs ohne Belang.34 Die besonderen grundrechtlichen Konfliktlösungsmechanismen im Widerstreit zwischen allgemeinem Persönlichkeitsrecht und Kommunikationsfreiheiten sind insofern für den Gegendarstellungsanspruch zwar auf gesetzgeberischer Ebene, nicht jedoch auf der Ebene der konkreten Normanwendung von Bedeutung.
1. Unterlassung Der Unterlassungsanspruch ist auf die Abwehr künftiger Störungen gerichtet. Für Fälle, in denen die Verletzung einer geschützten Rechtsposition zu befürchten ist, hat die Zivilrechtsprechung einen allgemeinen quasinegatorischen Anspruch aus der analogen Anwendung von § 1004 BGB abgeleitet,35 der eingreift, wenn dem Anspruchsinhaber eine Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts droht.36 Einzige Voraussetzung für den zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch aus § 1004 BGB analog ist, dass dem Anspruchsberechtigten seitens des Anspruchsverpflichteten eine hinreichend konkrete Gefahr einer zukünftigen Rechtsbeeinträchtigung in Hinblick auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht droht.37 Es muss insofern die Gefahr bestehen, dass der Anspruchsgegner in der Zukunft durch eine Äußerung in rechtswidriger Weise in das Persönlichkeitsrecht des Anspruchstellers eingreifen wird. Diese Gefahr eines Eingriffs kann entweder in Form der Erstbegehungsgefahr oder in Form der Wiederholungsgefahr vorliegen. Im erstgenannten Fall hat eine Persönlichkeitsrechtsverletzung bisher noch nicht stattgefunden und soll insofern präventiv mithilfe der vorbeugenden Unterlassungsklage verhindert werden. In der Praxis kommen derartige Fälle nur relativ selten vor,38 da die Erstbegehungsgefahr anhand konkreter Anhaltspunkte dargetan werden muss,39 was in der Regel sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich sein wird.40 ––––––––––– 34
Insofern ist auch der Ausschluss des Gegendarstellungsanspruchs bei fehlendem berechtigten Interesse des Anspruchstellers kein Kriterium, anhand dessen das Vorliegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung im eigentlichen Sinne geprüft wird. 35 Vgl. nur BGH, NJW 1997, S. 1148 (1149), NJW 1985, S. 1886; NJW 1954, S. 1404. 36 Vgl. nur zuletzt BGH, NJW 2005, S. 2844 (2845); NJW 2002, S. 2317 (2318); BGH, GRUR 1999, S. 1034. 37 BGH, NJW 1990, S. 2469 (2470) m.w.N.; Bassenge, in: Palandt (Hrsg.), BGB, § 1004 Rn. 29; Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 327; Kirchhoff, Möglichkeiten einer europaweiten Vereinheitlichung des Persönlichkeitsschutzes vor der Presse, S. 85. 38 Vgl. Prinz, NJW 1995, S. 817 (820). 39 Vgl. BGH, GRUR 1992, S. 404 (405); 1990, S. 687 (688); Funckel, Schutz der Persönlichkeit durch Ersatz immaterieller Schäden in Geld, S. 44. 40 Vgl. Kirchhoff, Möglichkeiten einer europaweiten Vereinheitlichung des Persönlichkeitsschutzes vor der Presse, S. 85.
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Von größerer Bedeutung ist insofern die Annahme einer Wiederholungsgefahr. Ihr Vorliegen wird immer dann vermutet, wenn eine rechtswidrige Veröffentlichung bereits erfolgt ist.41 Diese Vermutung kann grundsätzlich nur dadurch widerlegt werden, dass der Anspruchsverpflichtete eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung abgibt.42 Die Rechtswidrigkeit des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht wird bei § 1004 BGB grundsätzlich durch den Eingriff selbst indiziert.43 Beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht wird von diesem Grundsatz aber eine Ausnahme gemacht. Da es sich bei dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus zivilrechtlicher Sicht um ein sogenanntes Rahmenrecht handelt, ist hier die Rechtswidrigkeit von vorne herein nur gegeben, wenn sie aus einer Interessenabwägung der tangierten Rechtspositionen folgt.44 Auf ein mögliches Verschulden des Anspruchsgegners hinsichtlich der bereits begangenen oder der zu begehenden Persönlichkeitsrechtsverletzung kommt es beim Unterlassungsanspruch nicht an.45 Dem Äußernden selbst muss hinsichtlich der (zukünftigen) Äußerung insofern genauso wenig Vorsatz oder Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden können wie hinsichtlich der durch die Äußerung zu befürchtenden Persönlichkeitsrechtsverletzung.
2. Schadenersatz und Geldentschädigung Die Ansprüche auf Schadensersatz und Geldentschädigung knüpfen im Gegensatz zum Unterlassungsanspruch in ihren Rechtsfolgen nicht an ein zukünftiges Verhalten, sondern an einen in der Vergangenheit abgeschlossenen Sachverhalt an. Sowohl der Anspruch auf Schadenersatz als auch der Anspruch auf Geldentschädigung sind dabei im Ergebnis auf eine Geldzahlung des Schädigers an den Geschädigten gerichtet. In ihren Grundlagen und Voraussetzungen unterscheiden sich die beiden Ansprüche aber dennoch im Einzelnen erheblich.
––––––––––– 41
BGH, GRUR 1994, S. 913 (915); AfP 1994, S. 195 (196); NJW 1987, S. 2225 (2227); NJW 1986, S. 2503 (2505); Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 334. 42 BGH, GRUR 1997, S. 379 (380); GRUR 1996, S. 290 (291); AfP 1994, S. 138 (129); Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 337. 43 BGH, WM 1971, S. 278. 44 BGHZ 24, 72, 80; BGH, AfP 1993, S. 763; NJW 1991, S. 1532 (1533); NJW 1987, S. 2667; Wagner, in: Rebmann/Säcker/Rixecker (Hrsg.), MüKo BGB, § 823 Rn. 172; Fikentscher, Das Schuldrecht, Rn. 1225; kritisch dazu Helle, JZ 1994, S. 416 (417); Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 255. 45 BGH, NJW 1986, S. 2503 (2504); NJW 1976, S. 799 (800); Bassenge, in: Palandt (Hrsg.), BGB, § 1004 Rn. 13; Soehring, Presserecht, Rn. 30; Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 303.
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Kap. 5: Lösung des Grundrechtskonflikts durch Straf- und Zivilrecht
a) Schadenersatz Ein Anspruch auf Schadensersatz kann sich bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus § 823 Abs. 1 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG ergeben.46 Welche der beiden Alternativen des § 823 BGB dabei angewandt wird, ist davon abhängig, ob stärker das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht als sonstiges absolutes Recht i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB betont wird oder eher das verfassungsrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG hervorgehoben werden soll. Im Grundsatz dürften beide Ansprüche nicht nur zum selben Ergebnis kommen, sondern auch gleichwertig nebeneinander stehen.47 Der Schadensersatzanspruch aus § 823 setzt zunächst als haftungsbegründenden Tatbestand die rechtswidrige und schuldhafte Verletzung des (zivilrechtlichen bzw. verfassungsrechtlichen) allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Anspruchstellers voraus. Der Anspruchsgegner muss also vorsätzlich oder fahrlässig durch sein Handeln eine Persönlichkeitsrechtsverletzung herbeigeführt haben. Diese Persönlichkeitsrechtsverletzung muss auch rechtswidrig sein.48 Dabei gilt zwar auch in Bezug auf § 823 BGB grundsätzlich, dass der Verletzungserfolg seine Rechtswidrigkeit indiziert.49 Auch hier ist dieser Grundsatz jedoch in Bezug auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht durchbrochen, so dass die Rechtswidrigkeit nur gegeben ist, wenn sie aus einer Interessenabwägung der tangierten Rechtspositionen folgt.50 Auch bei diesem Anspruch wird somit der verfassungsrechtlich gebotene Güterausgleich auf der Ebene der Rechtswidrigkeit vorgenommen. Weiterhin muss die Persönlichkeitsrechtsverletzung auch adäquat kausal zu einem Schaden geführt haben. Die tatsächliche Vermögenslage des Betroffenen nach dem schädigenden Ereignis muss demnach geringwertiger sein als die Vermögenslage, die bestehen würde, wenn das Ereignis nicht eingetreten wäre.51 An einem solchen materiell messbaren Schaden wird es bei Persönlich––––––––––– 46 Die Rekurrierung auf das verfassungsrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB wird vor allen Dingen vom LG Berlin und dem KG Berlin vorgenommen, vgl. nur LG Berlin, ZUM 2005, S. 406; ZUM 2005, S. 175; ZUM-RD 2004, S. 532; AfP 2005, S. 192; KG Berlin, NJW 2005, S. 603; ZUMRD 2004, S. 399; vgl. aber auch LG Hildesheim, NJW-RR 2004, S. 1418. 47 Daneben sind auch Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 185, 186, 187 StGB oder i.V.m. §§ 22, 23 KUG denkbar. Diese Ansprüche weisen gegenüber den allgemeineren Ansprüchen aus § 823 Abs. 1 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG keinerlei Besonderheiten auf. 48 Vgl. zur Erfolgsbezogenheit des Rechtswidrigkeitsbegriffs BGH, NJW 1996, S. 3205. 49 Vgl. nur Thomas, in: Palandt (Hrsg.), BGB, § 823 Rn. 33. 50 Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 255. 51 Vgl. zu dieser „Differenzhypothese“ etwa BGH, NJW 1994, S. 2357; Heinrichs, in: Palandt (Hrsg.), BGB, vor § 249 Rn. 8 m.w.N.
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keitsrechtsverletzungen jedoch in der Praxis oft fehlen, da die Einbußen hier in der Regel lediglich immaterieller Natur sind. Ein Schaden kann aber etwa in Form des entgangenen Gewinns entstehen, wenn der Geschädigte durch die Persönlichkeitsrechtsverletzung bestimmte zu erwartende Gewinnchancen nicht realisieren konnte.52 Als wichtigstes Beispiel für Schadenspositionen, die adäquat kausal auf einer Persönlichkeitsrechtsverletzung beruhen, sind aber wohl die vorprozessual entstandenen Anwaltskosten zu nennen, die grundsätzlich in voller Höhe vom Schädiger ersetzt verlangt werden können.53
b) Geldentschädigung Neben den Anspruch auf Schadenersatz tritt der Anspruch auf Geldentschädigung, den der Bundesgerichtshof ebenfalls aus § 823 i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG herleitet.54 Auch er ist auf Zahlung einer Geldsumme gerichtet, will damit aber weder i.S.d. § 249 BGB die tatsächlich entstandenen materiellen Einbußen ausgleichen noch ein Schmerzensgeld i.S.d. § 253 Abs. 3 BGB zur Verfügung stellen.55 Der Anspruch auf Geldentschädigung ist vielmehr ein durch Richterrecht herausgebildetes Instrument, das verhindern soll, dass die Verletzung der Würde und Ehre des Menschen ohne Sanktion bleibt und der Rechtsschutz der betroffenen Person somit verkümmert.56 Die Geldentschädigung dient demnach regelmäßig zum einen der Genugtuung des Opfers, vor allem aber auch der Prävention vor weiteren zukünftigen Persönlichkeitsrechtsverletzungen.57 Ein Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung wegen einer (rechtswidrigen und schuldhaften) Persönlichkeitsrechtsverletzung besteht nach den vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätzen immer dann, wenn eine objektiv erheblich ins Gewicht fallende Persönlichkeitsrechtsverletzung vorliegt oder den Schädiger subjektiv der Vorwurf einer schweren Schuld trifft und die Persönlichkeitssphäre bei Versagen einer Entschädigung ohne zureichenden ––––––––––– 52 Vgl. etwa für den Fall einer Kündigung aufgrund unzulässiger Berichterstattung BGH, NJW 1997, S. 1148 (1150). Zu (zum damaligen Zeitpunkt) aktuellen Beispielen vgl. auch Kirchhoff, Möglichkeiten einer europaweiten Vereinheitlichung des Persönlichkeitsschutzes vor der Presse, S. 87. 53 Vgl. nur BGHZ 30, 154; OLG Saarbrücken, NJE 1997, S. 1376 (1379); LG Hamburg, AfP 1990, s. 332 (333); Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 736. 54 BGH, NJW 1996, S. 985 (987); NJW 1996, S. 984 (985); NJW 1995, S. 861 (864 f.). 55 Vgl. BGH, NJW 1996, S. 984 (985); vgl. auch Erlanger, Die Gewinnabschöpfung bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, S. 10. 56 Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 738. 57 BGH, NJW 1997, S. 1148 (1150); NJW 1996, S. 985 (987); NJW 1996, S. 984 (985); NJW 1995, S. 861 (865).
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Kap. 5: Lösung des Grundrechtskonflikts durch Straf- und Zivilrecht
Schutz bleibt.58 Ob der Eingriff derart schwerwiegend ist, dass dem Betroffenen gerechterweise für die erlittene Unbill eine Genugtuung in Geld auszusprechen ist, ist nach dem Einzelfall zu beurteilen, wobei der Grad des Verschuldens, die Art und die Schwere der Beeinträchtigung sowie die Nachhaltigkeit und Fortdauer der Interessen- und Rufschädigung zu berücksichtigen sind.59 Neben die auch für den Geldentschädigungsanspruch erforderliche Abwägung der kollidierenden Grundrechtspositionen im Rahmen der Rechtswidrigkeit tritt hier also ein besonderes Element des Ausgleichs zwischen Persönlichkeitsschutz und Kommunikationsfreiheiten. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht muss hier demnach nicht nur in der Abwägung überwiegen, sondern es lässt darüber hinaus sich auch das Erfordernis einer besonders qualifizierten Verletzung ablesen, damit ein Geldentschädigungsanspruch tatsächlich besteht.
3. Berichtigung Während der Anspruch auf Schadenersatz auf den Ausgleich der materiellen Auswirkungen der Persönlichkeitsrechtsverletzung gerichtet ist, versucht schließlich der Anspruch auf Berichtigung, die immateriellen Wirkungen der Persönlichkeitsrechtsverletzung zu beseitigen. Er ist darauf gerichtet, den Äußernden zu verpflichten, eine persönlichkeitsrechtsverletzende unrichtige Tatsachenbehauptung entweder vollständig als unrichtig zu widerrufen, oder aber – bei nur teilweiser Unwahrheit einer Aussage – die Äußerung in ihren unwahren Teilen richtig zu stellen.60 Die Rechtsgrundlage für den Berichtigungsanspruch und damit seine einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen sind umstritten. Die Rechtsprechung und die herrschende Meinung leiten ihn in analoger Anwendung des § 1004 BGB als Folgenbeseitigungsanspruch ab.61 Voraussetzungen für diesen Anspruch sind demnach die rechtswidrige Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch eine unwahre Tatsachenbehauptung, deren Wirkungen noch andauern, sowie die Geeignetheit der Berichtigung, um dieser Beeinträchtigung entgegenzuwirken.62 Ein Verschulden ist dabei jedoch – wie bei § 1004 BGB ––––––––––– 58 BGH, NJW 1996, S. 985 (986); NJW 1995, S. 861 (864); NJW 1977, 626; Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 744. 59 BGH, NJW 1985, S. 1617; BGH, NJW-RR 1988, S. 733. 60 Die Terminologie ist im Einzelnen umstritten, wird aber mittlerweile von der Rechtsprechung überwiegend in der dargestellten Form verwandt, vgl. Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 673 m.w.N. 61 Vgl. BGH, NJW 1999, S. 2736 (2737); BGHZ 128, 1 (6 ff.); BGH, NJW 1989, S. 774; Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 673; Soehring, Presserecht, Rn. 31.2; Petersen, Medienrecht, § 5 Rn. 6. 62 Vgl. BGH, NJW 1995, S. 861 (863); GRUR 1987, S. 397 (398); Primz/Peters, Medienrecht, Rn. 675.
A. Straf- und Zivilrecht als Mittel der Konfliktlösung
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generell – nicht erforderlich.63 Zum Teil wird der Berichtigungsanspruch aber auch als Schadenersatzanspruch angesehen, der sich aus §§ 823, 249 BGB herleitet.64 Die Anspruchsvoraussetzungen sind dabei weitestgehend mit denen des Anspruchs aus § 1004 BGB identisch, jedoch verlangt der Anspruch aus §§ 823, 249 BGB – wie grundsätzlich jeder deliktische Schadenersatzanspruch – ein Verschulden des Anspruchsgegners an der rechtswidrigen Persönlichkeitsrechtsverletzung.65 In diesem Streit über die Rechtsgrundlage des Berichtigungsanspruchs spiegelt sich letztlich das insgesamt bisher ungelöste Problem der Abgrenzung des verschuldensabhängigen Schadensersatzanspruches von dem verschuldensunabhängigen Folgenbeseitigungsanspruch wider.66 Denn auch die Grundregel, dass der Folgenbeseitigungsanspruch auf die Beseitigung noch bestehender Beeinträchtigungen gerichtet ist, während der Schadensersatzanspruch der Herstellung des Zustandes dient, der ohne die Schädigung bestehen würde,67 liefert im Rahmen des Äußerungsrechts kein hinreichend bestimmtes Abgrenzungskriterium. Ob ein Verschulden für den Berichtigungsanspruch erforderlich ist, oder ob allein die rechtswidrige Persönlichkeitsrechtsverletzung ausreicht, wird sich daher im Folgenden aus verfassungsrechtlichen Erwägungen, die auf das Zivilrecht zurückwirken, entscheiden lassen müssen.
III. Auswirkungen auf die Grundrechtsfunktionen Die vorgestellten Instrumente des Straf- und Zivilrechts bilden auf verschiedene Weise einen Rahmen, innerhalb dessen der verfassungsrechtlich gebotene Ausgleich zwischen den im Einzelfall konfligierenden grundrechtlich geschützten Interessen der Kommunikationsfreiheiten aus Art. 5 GG und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf möglichst schonendem Wege durchgeführt werden kann. Ziel des Ausgleichs muss dabei in jedem Fall die optimale Funktionserfüllung der Grundrechte sein.68 Damit der straf- und zivilrechtlich vorgesehene Ausgleich in verfassungsmäßiger Weise durchgeführt werden kann, ist bereits auf abstrakter Ebene eine verfassungskonforme Auslegung der verschiedenen Instrumente notwendig. Dafür ist es zunächst erforderlich, bereits auf abstrakter Ebene die Auswirkungen der einzelnen einfachgesetzlichen In––––––––––– 63
Vgl. bereits oben S. 258. Groß, Presserecht, Rn. 59; Fechner, Medienrecht, Rn. 204; Dunz, in: Schubert/Glöckner (Hrsg.), RGRK BGB, Anh. I zu § 823, Rn. 152. 65 Vgl. auch Kirchhoff, Möglichkeiten einer europaweiten Vereinheitlichung des Persönlichkeitsschutzes vor der Presse, S. 86. 66 Vgl. dazu BGH, NJW 1996, S. 845. 67 Bassenge, in: Palandt (Hrsg.), BGB, § 1004 Rn. 28. 68 S.o. S. 210. 64
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Kap. 5: Lösung des Grundrechtskonflikts durch Straf- und Zivilrecht
strumente auf die Erfüllung der im zweiten Kapitel ermittelten Grundrechtsfunktionen zu untersuchen.
1. Auswirkungen auf das freie gesellschaftliche Klima Da alle aufgezählten Instrumente zwar inhaltlich einen gleichberechtigten Ausgleich zwischen den Kommunikationsfreiheiten und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zu schaffen suchen, strukturell allerdings ausschließlich auf der Seite der Kommunikationsfreiheiten ansetzen, indem sie bestimmte Rechtsfolgen an vergangene oder künftige Äußerungen knüpfen, muss ein ganz besonderer Augenmerk auf den Risiken für die Funktionserfüllung der Kommunikationsgrundrechte liegen. Als besonders entscheidend stellen sich insofern die Auswirkungen auf das „freie gesellschaftliche Klima“ dar, das die Gewährleistung der Kommunikationsfreiheiten aus Art. 5 GG schaffen soll.69 Auch das Bundesverfassungsgericht hat daher jüngst betont, dass verschiedene straf- oder zivilrechtliche Maßnahmen nach diesem Gesichtspunkt verfassungsrechtlich unterschiedlich zu bewerten sind: Staatliche Sanktionen – unter die das Bundesverfassungsgericht nicht nur strafrechtliche Verurteilungen, sondern auch zivilrechtliche Verpflichtungen zu Schadenersatz, Geldentschädigung oder Berichtigung subsumiert – können danach über die Beeinträchtigung der individuellen Meinungsfreiheit hinaus negative Auswirkungen auf die generelle Ausübung des Grundrechts der Meinungsfreiheit (bzw. der Medienfreihehit) haben, da ihre einschüchternde Wirkung die freie Rede, freie Information und freie Meinungsbildung empfindlich berühren und damit die Meinungsfreiheit in ihrer Substanz treffen kann.70 Bei gerichtlichen Entscheidungen über die Unterlassung zukünftiger Äußerungen besteht ein gleicher Schutzbedarf für die individuelle Grundrechtsausübung und die Funktionsfähigkeit des Meinungsbildungsprozesses nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts indessen nicht.71 Denn hier wird lediglich ein bestimmtes grundrechtlich geschütztes Verhalten für die Zukunft unterbunden. Es werden jedoch keine negativen Folgen an ein bereits abgeschlossenes Verhalten des Grundrechtsträgers geknüpft, das dieser nicht mehr zu ändern in der Lage ist.
––––––––––– 69
S.o. S. 49. BVerfG, NJW 2006, S. 207 (209) unter Verweis auf BVerfGE 43, 130 (136); 54, 129 (136); 94, 1 (9). 71 BVerfG, NJW 2006, S. 207 (209). 70
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2. Unterscheidung nach Zukunfts- und Vergangenheitsbezogenheit Diese unterschiedlichen Auswirkungen auf die Funktionsausübung müssen bei der abstrakten Betrachtung der verschiedenen Instrumente bedacht werden. Missverständlich ist dabei allerdings die Terminologie des Bundesverfassungsgerichts, wenn es „Sanktionen“ von anderen Maßnahmen, d.h. im wesentlichen vom Unterlassungsanspruch, abgrenzt.72 Denn unter diesen Begriff lassen sich zwar strafrechtliche Verurteilungen sowie zivilrechtliche Verpflichtungen zu Geldentschädigung fassen, da hier tatsächlich ein bestrafendes, sanktionierendes Element der Maßnahme im Vordergrund steht. Dem zivilrechtlichen Schadenersatz und dem Berichtigungsanspruch fehlt hingegen ein solcher pönaler Charakter, da das Schadensersatzrecht des BGB auf dem Ausgleichsgedanken sowie ausnahmsweise auch auf dem Gedanken der Prävention beruht.73 Die Zubilligung von Strafschadensersatz (sog. punitive damage) ist mit den Grundgedanken des deutschen Rechts hingegen unvereinbar.74 Überzeugender scheint es daher, in Hinblick auf die Auswirkung einer Maßnahme auf das freie gesellschaftliche Klima zwischen der Vergangenheits- und Zukunftsgerichtetheit einer Maßnahme und damit zugleich zwischen ihrer spezial- und generalpräventiven Wirkung zu unterscheiden. Denn die Instrumente des Strafrechts sowie die zivilrechtlichen Instrumente des Schadensersatz-, Geldentschädigungs- und Berichtigungsanspruchs gleichen sich nicht nur insofern, als dass sie alle eine Rechtsfolge an ein bereits abgeschlossenes, vom Anspruchsverpflichteten nicht mehr zu veränderndes Verhalten knüpfen. Ihnen allen kommt vielmehr auch in ganz besonderer Weise eine generalpräventive Wirkung zu. Durch die nachteiligen Rechtsfolgen, die abgeschlossenen Persönlichkeitsrechtsverletzungen auf diese Weise folgen, sollen bewusst auch Dritte davon abgehalten werden, ähnliche Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu begehen. Diese abschreckende Wirkung ist insbesondere deshalb auch so groß, weil die genannten Instrumente ausschließlich vergangenheitsbezogen sind. Zum Zeitpunkt der Verhängung der entsprechenden Maßnahme hat der Betroffene somit keinerlei Möglichkeit mehr, durch eigenes Verhalten auf seine Situation einzuwirken. ––––––––––– 72 Teubner, AfP 2006, S. 20 (21), spricht insofern auch nicht von Sanktionen, sondern von „retrospektiven Maßnahmen“. 73 Heinrichs, in: Palandt (Hrsg.), BGB, vor § 249 Rn.. 4; vgl. auch Rohe, AcP 201 (2001), S. 117 ff. 74 Vgl. bereits Motive zu dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Bd. II, S. 17 f.; BGHZ 118, 312 (340); Oetker, in: Rebmann/Säcker/Rixecker (Hrsg.), MüKo BGB, § 249 Rn. 8; Esser/Schmidt, Schuldrecht AT, Tbd. 2, S. 169 ff.; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. I, S. 423; Lange, Schadensersatz, S. 12; Gotzler, Rechtmäßiges Alternativverhalten im haftungsbegründenden Zurechnungszusammenhang, S. 39 ff.; Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens im Bürgerlichen Recht, S. 95 ff.; Thüsing, Wertende Schadensberechnung, S. 18 ff.; Medicus, VersR 1981, S. 593 (601); kritisch allerdings Müller, Punitive Damages und deutsches Schadensersatzrecht, passim.
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Anders verhält es sich hingegen beim Unterlassungsanspruch. Dieser Anspruch wirkt allein in die Zukunft und knüpft allenfalls mittelbar über das Merkmal der Wiederholungsgefahr an ein bereits abgeschlossenes Verhalten an. Seine Wirkung ist deshalb vor allen Dingen spezialpräventiver Natur, da in erster Linie nur der Anspruchsgegner von der Tätigung einer ganz bestimmten Äußerung für die Zukunft abgehalten werden soll. Die Auswirkungen auf das freie gesellschaftliche Klima sind hier deshalb deutlich weniger einschneidend, da der Anspruchsgegner hier noch aktiv und frei verantwortlich auf seine Situation einwirken kann.
3. Rückwirkungen auf die Vorsatz- bzw. Verschuldensebene Diese besondere Interessenlage spiegelt sich nicht zuletzt auch darin wider, dass zumindest für die Erfüllung der einschlägigen Straftatbestände sowie für den Geldentschädigungs- und Schadenersatzanspruch Vorsatz bzw. Verschulden des Betroffenen erforderlich ist. Wenn er schon in der Gegenwart auf die Verhängung der staatlichen Maßnahme keinen Einfluss mehr hat, so darf ihm doch zumindest für die Vergangenheit nur ein vorsätzliches bzw. schuldhaftes Verhalten zur Last gelegt werden können. Für den Unterlassungsanspruch, der lediglich an ein zukünftiges Verhalten anknüpft, ist hingegen kein Verschulden erforderlich, da der Anspruchsgegner hier noch volle Entscheidungsfreiheit hinsichtlich seines anspruchsrelevanten Verhaltens hat. Aus diesen Überlegungen lassen sich schließlich auch Rückschlüsse auf den in diesem Zusammenhang umstrittenen Anspruch auf Berichtigung ziehen. Sind dessen Rechtsnatur und insbesondere auch das Erfordernis des Verschuldens im Zivilrecht umstritten, so muss doch aus verfassungsrechtlicher Perspektive ganz deutlich werden, dass auch bei diesem Anspruch genau wie bei den anderen Ansprüchen auf Schadenersatz und Geldentschädigung das Erfordernis des Verschuldens unerlässlich ist. Der geschilderte zivilrechtliche Streit75 muss daher bei verfassungskonformer Auslegung dahingehend entschieden werden, dass der Berichtigungsanspruch letztlich nur aus §§ 823, 249 BGB hergeleitet werden kann. Die verschuldensunabhängige Haftung aus § 1004 BGB analog muss hingegen angesichts der besonderen einschüchternden Wirkung, die auch dieser Anspruch auf die freie gesellschaftliche Meinungsbildung und -äußerung hat, als Rechtsgrundlage ausscheiden. Trifft den Verbreiter einer unwahren, persönlichkeitsrechtverletzenden Tatsachenbehauptung kein Verschulden an der Persönlichkeitsrechtsverletzung, bleibt der Geschädigte daher in seinem Schutz auf den Gegendarstellungsanspruch beschränkt.
––––––––––– 75
S.o. S. 262.
B. Schutzbereichsbestimmung des Kommunikationsgrundrechts
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B. Schutzbereichsbestimmung des Kommunikationsgrundrechts Bevor eines der gerade dargestellten zivil- oder strafrechtlichen Instrumente, das dem Ausgleich zwischen den Kommunikationsfreiheiten aus Art. 5 GG und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht dient, auf seine Tatbestandsmäßigkeit im Einzelfall überprüft werden kann, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht zunächst zu analysieren, welche der durch Art. 5 GG geschützten Kommunikationsfreiheiten im konkreten Fall auf der Seite des Entäußernden betroffen ist. Nur so kann der spezifische grundrechtliche Konflikt, der später auf der Ebene der Auslegung des Kommunikationsinhalts auf der einen Seite und auf der Ebene der Grundrechtsabwägung im Rahmen der Rechtswidrigkeitsprüfung auf der anderen Seite zu einem schonenden Ausgleich zu bringen ist, in angemessener Form berücksichtigt werden. Denn die weitere verfassungsrechtliche Betrachtung von möglicherweise einschlägigen zivil- oder strafrechtlichen Instrumenten hängt in ganz entscheidender Form davon ab, welche der Grundrechtsgewährleistungen im konkreten Fall einschlägig ist.76 Die spezifische Bestimmung des einschlägigen Schutzbereiches innerhalb des Art. 5 GG ist insofern nicht nur für die Abwägung der verschiedenen Grundrechtspositionen, sondern bereits zuvor für die Auslegung der zu überprüfenden Äußerung maßgeblich. Wollen sich die Fachgerichte also nicht im Nachhinein den Vorwurf des Bundesverfassungsgerichts gefallen lassen, sie hätten die Bedeutung der Grundrechte verkannt, müssen sie zunächst das jeweils betroffene Grundrecht erkennen und in die weiteren Überlegungen einbeziehen.
I. Medienfreiheit Dabei bereitet die konkrete Subsumtion der Medienfreiheit zunächst die geringsten Schwierigkeiten. Wenn die Medienfreiheit als Freiheit massenkommunikativer Vermittlung verstanden werden kann,77 so unterfallen ihrem Schutz zunächst alle kommunikativen Äußerungen, die mittels eines Massenkommunikationsmediums getätigt werden. Die Weite des Schutzbereiches wird hier in der Praxis kaum Abgrenzungsschwierigkeiten – etwa zur Individualkommunikation – aufkommen lassen. Unter ihn fallen daher im Fernsehen ausgestrahlte Kommentare, wie sie Gegenstand der Böll-Walden-Entscheidung78 des Bundesverfassungsgerichts wa-
––––––––––– 76 Vgl. aus der strafrechtlichen Rechtsprechung zur Notwendigkeit, die Bedeutung des Art. 5 GG bereits auf Tatbestandsebene zu berücksichtigen, etwa KG Berlin, NStZ 1992, S. 385 (386); OLG Köln, NJW 1981, S. 1280 (1281). 77 S.o. S. 74. 78 BVerfGE 54, 208, s.o. S. 48.
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Kap. 5: Lösung des Grundrechtskonflikts durch Straf- und Zivilrecht
ren, ebenso wie redaktionelle Beiträge in Printmedien79 oder Bildbeiträge in Boulevardmagazinen, wie sie zu den Caroline-von-Monaco-Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des EGMR führten.80
II. Wissenschaftsfreiheit Die Wissenschaftsfreiheit in ihrem die Massenkommunikation schützenden Teilgehalt lässt sich von diesem weiten Gehalt der Medienfreiheit noch relativ einfach abgrenzen. Ihr unterfallen all diejenigen massenmedialen Kommunikationsvorgänge, mit denen Erkenntnisse vermittelt werden, die in methodischer, systematischer und nachprüfbarer Weise neu gewonnen wurden, oder Inhalte verbreitet werden, die zwar nicht selbst diesen Maßstäben genügen, deren Kommunikation aber Teil eines Prozesses ist, der der Wissenschaft und somit letztlich der ernsthaften und planmäßigen Wahrheitssuche dient.81 In der Praxis werden in diesem Bereich vor allen Dingen wissenschaftliche (Print-) Publikationen von Bedeutung sein, in denen bestimmte Forschungsergebnisse, die einen Bezug zum Persönlichkeitsrecht Einzelner haben, veröffentlicht werden.82 Veröffentlichungen im Rahmen des Wissenschaftsjournalismus im engeren Sinne werden jedoch in aller Regel nicht der spezifischen Wissenschaftsfreiheit, sondern lediglich der allgemeinen Medienfreiheit unterfallen. Dies liegt jedoch weniger in dem breiteren, nicht unbedingt wissenschaftlich vorgebildeten Adressatenkreis dieser Kommunikationsform begründet, sondern vor allen Dingen daran, dass wissenschaftsjournalistische Beiträge in der Regel weder Ergebnis noch Teil eines eigenen wissenschaftlichen Wahrheitsfindungsprozesses sind, sondern gewöhnlich lediglich fremde wissenschaftliche Ergebnisse referieren und mitunter auch kommentieren, ohne dass sich daran jedoch ein weiterer wissenschaftlicher Prozess anschließen würde.
III. Kunstfreiheit Als am schwierigsten und ungleich folgenschwersten stellt sich in der Praxis sicherlich die Abgrenzung des Schutzbereiches der Kunstfreiheit von derjenigen der Medienfreiheit dar. Dabei wird diese Abgrenzung im Spannungsfeld mit dem Persönlichkeitsschutz – wie die vergangene Rechtsprechungspraxis zeigt – vor allen Dingen im Bereich der Literatur und nur zum Teil im Bereich der bildenden Kunst erforderlich werden. Vor allem bei Romanen wie Klaus ––––––––––– 79
Wie etwa im Fall des Deutschland-Magazin-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts, BVerfGE 42, 143. 80 S.o. S. 220. 81 S.o. S. 106. 82 So auch der Fall vor dem OLG Düsseldorf, NJW-RR 2000, S. 321 ff.
B. Schutzbereichsbestimmung des Kommunikationsgrundrechts
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Manns „Mephisto“ oder Maxim Billers „Esra“,83 aber auch bei Karikaturzeichnungen wie diejenigen des ehemaligen bayrischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß, die Gegenstand des Strauß-Karikaturen-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts84 waren, ist es daher von ganz erheblicher rechtlicher Bedeutung, ob sie dem Schutzbereich der Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG oder lediglich dem Schutz der Medienfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG unterfallen.
1. Ideolektischer Kunstbegriff Ausgangspunkt für diese Subsumtion muss der oben entwickelte ideolektische Kunstbegriff sein. Danach ist Kunst jede Form der Kommunikation, deren Mitteilung sich eines singulären und individuellen, non-verbalen Codes bedient, der allein im Werk selbst angelegt ist, so dass sich die eigentliche Botschaft als nicht re-verbalisierbar sowie als weder konsensbedürftig noch endgültig konsensfähig darstellt. Maßgeblich für die Frage, ob ein Roman oder eine Zeichnung diesem Kunstbegriff unterfällt, ist demnach, ob das Werk seine eigene Sprache spricht, ob es sich gerade durch diese eigene Sprache auszeichnet und sich durch sie von anderen Formen der Kommunikation abgrenzt.85 In Bezug auf einen Roman stellt sich insofern die Frage, ob sein eigentlicher Inhalt sich tatsächlich in den zu Papier gebrachten Worten und der mit ihnen erzählten Geschichte erschöpft, oder ob nicht hinter den fixierten Worten eine tiefere Ebene der Mitteilung liegt, die sich der verbalen Fixierung entzieht und in ihrem Gehalt für jeden Leser eigene Nuancen und eigene Eindrücke bereithält. In Bezug auf eine Abbildung stellt sich die Frage, ob sich die in dem Bild liegende Mitteilung allein auf die konkret dargestellte Situation bezieht, oder ob dahinter eine weitere Botschaft übertragen wird, die nicht mit dem darstellerischen Teil des Werkes deckungsgleich ist. Anders formuliert: Erzählt der Roman „Mephisto“ wirklich ausschließlich die Geschichte des Staatsrats und Intendanten Hendrik Höfgen? Beschreibt Maxim Biller in seinem Roman wirklich ausschließlich die Liebesgeschichte seiner Protagonisten Esra und Adam und die besondere Rolle, die dabei Esras Mutter Lale spielt? Und wollte der Karikaturist, als er die Strauß-Karikaturen schuf, wirklich nur ein willfähriges Schwein mit dem Gesicht des damaligen bayrischen Ministerpräsidenten darstellen?
––––––––––– 83 84 85
S. bereits oben S. 23 ff. BVerfGE 75, 369. S.o. S. 98.
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2. Kriterium der Erkennbarkeit An allen diesen Fragestellungen wird deutlich, in wie starkem Maße sich das von der Rechtsprechung für den Konflikt der Kunstfreiheit mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht im Bereich der Literatur entwickelte Kriterium der Erkennbarkeit zwischen „Abbild“ und „Urbild“86 bereits in die Ebene der Schutzbereichsbestimmung einpasst. Insofern ist die Frage der Erkennbarkeit eines möglichen realen Vorbilds für ein künstlerisches Produkt keineswegs eine Frage danach, ob ein Konflikt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit der Kunstfreiheit besteht, die dann mit der einfachen Formel: „Individuell betroffen ist, wer erkennbar ist. Wer nicht erkennbar ist, ist auch nicht betroffen,“87 gelöst werden könnte. Auch kann es insofern an dem Punkt nicht darum gehen, ob ein Künstler den Anspruch erhebt, eine Person wirklichkeitsgetreu wiederzugeben oder nicht.88 Vielmehr verhält es sich so, dass ein Werk, in dessen Inhalt unzweideutig und ausschließlich die Referenz zu einer bestimmten Person deutlich wird, in dem also eine Person zweifelsfrei erkennbar ist, ohne dass es bei entsprechendem Hintergrundwissen auch eine andere mögliche Deutungsvariante gäbe, schon von vorne herein nicht dem hier vertretenen Kunstbegriff unterfällt. Denn ein Roman, der lediglich die an der Oberfläche erzählte Geschichte einer – mehr oder weniger – erkennbaren Person weitergibt, ohne eine tiefere, von der verbalen Ebene losgelöste Mitteilung zu verbreiten, bedient sich eben gerade nicht eines singulären und individuellen, non-verbalen Codes, genauso wenig, wie dies eine Abbildung tut, die gerade nur den oberflächlich abgebildeten Sachverhalt darstellen will. Hätte Klaus Mann also tatsächlich nur die Geschichte Hendrik Höfgen und damit diejenige Gustaf Gründgens erzählen wollen, wäre in Maxim Billers Roman tatsächlich nur die Wiedergabe seiner eigenen Liebesgeschichte mit „Esra“ zu sehen, so würden beide Werke nicht an der Kunst-, sondern lediglich an der Medienfreiheit zu messen sein.
3. Anleihen am Leben und Ideolekt des Kunstwerks Allein die Tatsache, dass ein Kunstwerk Anleihen am Leben nimmt und dadurch Ähnlichkeiten nicht nur mit tatsächlichen Geschehnissen, sondern auch mit realen Personen produziert, reicht allerdings bei weitem nicht aus, um ihm den Schutz der Kunstfreiheit auch und gerade im Konflikt mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zu nehmen. Dies ergibt sich aus theoretischer Sicht bereits daraus, dass ein Kunstwerk auf diese Anleihen angewiesen ist, um hinreichende ––––––––––– 86
S.o. S. 203. LG München, ZUM 2004, S. 234 (236). Vgl. auch LG Berlin, AfP 2004, S. 287 (289). Zustimmend Wanckel, NJW 2006, S. 578 (579). 88 So aber Lausen, ZUM 1997, 86 (91). 87
B. Schutzbereichsbestimmung des Kommunikationsgrundrechts
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Redundanzen zu erzeugen, die erst ein Verstehen des Kunstwerks ermöglichen.89 Zum anderen folgt dies aber auch aus der praktischen Betrachtung der künstlerischen Schöpfung, die immer die Eindrücke des Künstlers und damit letztlich auch ihn selbst als Person verarbeitet und in das Kunstwerk einfließen lässt. Besonders deutlich wird dies in Romanen in der Ich-Erzählsituation, in welcher der Erzähler mit einer Figur der Erzählung identisch ist, also mit in die Handlung eintritt. Die Seinsbereiche von Erzähler und Figuren sind in diesen Fällen identisch.90 Wenn auf diese Weise zwischen dem Ich-Erzähler und dem Autor auch verschiedene biografische oder charakterliche Ähnlichkeiten auftauchen, so wird doch in einem Roman – im Gegensatz zu einer Autobiografie – der IchErzähler nie mit dem Autor des Werkes gleichzusetzen sein. Das gilt selbst dann, wenn der Autor seinen Roman als „Lebensbeichte“ bezeichnet, wie Thomas Mann dies mit seinem „Doktor Faustus“ getan hat. Denn selbst in diesem Fall sind die Verbindungen zwischen realer und ästhetischer Wirklichkeit deutlich tiefgreifender, als dies auf der reinen Ebene des Textes deutlich wird. In diesem Sinne schreibt auch Thomas Mann etwa über seine beiden Hauptfiguren Serenus Zeitblom und Adrian Leverkühn: „Zeitblom ist eine Parodie meiner selbst. In Adrians Lebensstimmung ist mehr von meiner eigenen, als man glauben sollte – und glauben soll.“91
4. Subsumtion im Einzelfall Ob ein konkretes Werk nach diesen Maßstäben dem Schutzbereich der Kunstfreiheit unterfällt, kann nur mittels einer Subsumtion geprüft werden, die im Ergebnis nicht vollständig reverbalisierbar ist, da mit Worten nicht beschrieben werden kann, warum ein bestimmter Inhalt gerade tiefer geht als das, was die Sprache in ihrer Alltagsfunktion sagen kann.92 Um für die Beispiele der Romane „Mephisto“ und „Esra“ begründen zu können, warum beide als Kunst einzustufen sind, ist es daher wohl am einfachsten, auf die Quellen der sachkundigen Beschreibung der beiden Werke zurückzugreifen und sich ihrer Sprache zu bedienen. Zum Verhältnis seiner Romanfigur Höfgen und der realen Person Gustaf Gründgens schreibt Klaus Mann selbst in seiner Autobiographie: „Es geht in diesem zeitkritischen Versuch überhaupt nicht um den Einzelfall, sondern um den Typ.“ Auf bestechend einfache Weise beantwortet er damit die Frage, ob sein „Roman einer Karriere“ tatsächlich nur die Geschichte Gründgens erzählt ––––––––––– 89 90 91 92
S.o. S. 133 f. Vgl. Stanzel, Typische Formen des Romans, S. 25 ff. Mann, Briefe an Paul Amann, S. 69. S.o. S. 97.
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oder sogar – wie vom Bundesverfassungsgericht angenommen – eine „Schmähschrift in Romanform“93 darstellt. Keines von beidem ist der Fall. Unabhängig von der Frage etwaiger tatsächlicher oder vermuteter Ähnlichkeiten zwischen Romanfigur und historischer Persönlichkeit hat der Autor hier nicht allein den historischen Einzelfall beschrieben. Vielmehr hat er mittels der Beschreibung Höfgen eine tiefere Mitteilungsebene jenseits der verbalen Ebene geschaffen, die nicht mehr die Geschichte der Einzelperson, sondern die eines bestimmten „Typen“ erzählt. Im Umschlagtext zu Billers Roman heißt es: „In einer einfachen, virtuosen Sprache nimmt uns Maxim Biller in eine Welt mit, in der Gefühle wieder so wichtig sind wie Gedanken, in der Zuneigung und Vertrauen zu einem Geliebten etwas ersetzen sollen, woran viele zu lange und zu blind geglaubt haben: Die Glücklichmachung des Menschen durch die richtige politische und gesellschaftliche Ideologie.“94 Auch die Liebesgeschichte zwischen den Protagonisten Adam und Esra wird somit nicht selbstzweckhaftig erzählt, sondern dient nur als Kulisse, mithilfe derer auf einer tieferen Ebene eine andere Botschaft, eine eigene „Welt“ vermittelt wird. Beide Romane sind daher im hier vertretenen Sinne genau wie in den Feststellungen der Fachgerichte bzw. des Bundesverfassungsgerichts dem Schutzbereich der Kunstfreiheit zuzuordnen. Unterschiede zur bisherigen Dogmatik ergeben sich in Bezug auf diese Beispiele insofern erst auf der Ebene der Auslegung der Kunstwerke. Anders beurteilt sich dies allerdings für die bereits angesprochenen Karikaturen von Franz Josef Strauß, über deren Zulässigkeit das Bundesverfassungsgericht ebenfalls zu entscheiden hatte. Es handelt sich dabei um mehrere Karikaturen des Zeichners Rainer Hachfeld, die den ehemaligen Bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß als sich sexuell betätigendes Schwein darstellen. In der ersten der Zeichnungen kopuliert dieses Schwein mit einem richterliche Amtstracht tragenden Schwein. Eine weitere Karikatur zeigt beide Schweinegestalten – teils paarweise, teils einzeln – bei unterschiedlicher sexueller Betätigung. In einer dritten Zeichnung werden vier Schweine dargestellt, von denen drei dem jeweils vor ihm befindlichen Schwein aufreiten. Auch hier tragen zwei der Schweinegestalten die Gesichtszüge des Bayerischen Ministerpräsidenten, zwei sind mit Justizrobe und Barett bekleidet. Über der ersten Zeichnung steht: „Satire darf alles. Rainer Hachfeld auch?“ Die zweite Zeichnung hat den Begleittext: „Welches ist nun die endgültig richtige Zeichnung, Herr Staatsanwalt?“ Der dritten Karikatur ist die unvollständige Wiedergabe eines Briefes des Zeichners an die Redaktion des veröffentlichenden Magazins vorangestellt, in dem er darüber klagt, immer wieder neue Schweinchenbilder zeichnen zu müssen, weil der Bayerische Ministerpräsident keine Ruhe geben wolle.
Hier erscheint es zumindest fraglich, ob diese Karikaturen tatsächlich unter den hier vertretenen Begriff der Kunstfreiheit zu subsumieren sind. Dafür wäre es nämlich erforderlich, dass neben der oberflächlichen, auf den Ministerpräsi––––––––––– 93 94
BVerfGE 30, 173 (199). Biller, Esra, Klappentext.
C. Auslegung des Kommunikationsinhalts
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denten und die Justiz direkt bezogenen Aussage noch eine weitere Mitteilungsebene der Zeichnungen existierte, die jenseits des alltäglichen Verständnisses der Abbildungen eine eigene (Bild-) Sprache entwickelt. Ob sich den Abbildungen tatsächlich eine solche tiefere, nicht reverbalisierbare und nicht konsensbedürftige Ebene der Mitteilung entnehmen lässt, erscheint in diesem Zusammenhang mehr als zweifelhaft. Es wird daher eher davon auszugehen sein, dass diese Karikatur nicht der Kunst-, sondern lediglich der Medienfreiheit unterfällt und dementsprechend auch nicht nach kunstspezifischen, sondern nach allgemeinen medienbezogenen Auslegungskriterien zu behandeln ist.
C. Auslegung des Kommunikationsinhalts Ist die Zuordnung der im konkreten Fall streitgegenständlichen Äußerung zu einem der in Art. 5 GG enthaltenen Schutzbereiche abstrakt erfolgt, muss im konkreten straf- oder zivilrechtlichen Verfahren auf dieser Grundlage die Auslegung des Kommunikationsinhalts erfolgen. Nur auf diese Weise kann ermittelt werden, ob die konkrete Äußerung tatsächlich den straf- oder zivilrechtlichen Tatbestand erfüllt, ob also tatsächlich das zivilrechtliche Persönlichkeitsrecht verletzt ist, ob eine Beleidigung vorliegt oder ob eine Tatsache über eine Person behauptet oder verbreitet wurde, welche dieselbe verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist.
I. Ermittlung der Signifikate Zu diesem Zweck muss zunächst ermittelt werden, welche möglichen Signifikate mit den in der Äußerung benutzten Signifikanten konnotiert und denotiert werden können, d.h. welche Bedeutungen mit den benutzten Zeichenträgern verbunden und transportiert werden können. Dabei ist in diesem ersten Schritt ein denkbar weites Vorgehen notwendig, um den vollständigen möglichen Sinngehalt der Äußerung auch tatsächlich erfassen zu können. In diesem Sinne sind daher zunächst alle denkbaren Signifikate, die dem Signifikant zugewiesen werden können, zu ermitteln. In den bereits im zweiten Kapitel angeführten Beispielen „Soldaten sind Mörder“ und „Die CSU ist die NPD Europas“95 sind daher für den Signifikant „Mörder“ zunächst sowohl das Signifikat „Mensch, der einen anderen unter Verwirklichung eines Mordmerkmales tötet“, als auch das Signifikat „Person, die einen anderen Menschen tötet“, zu berücksichtigen. Weiterhin sind aber auch die Signifikate „sittlich nicht zu rechtfertigendes Handeln“, „Strafwürdigkeit“ oder „Verbrecher“ zu ermitteln. Für den Signifikant „NPD“ kann zunächst die Partei, die unter dem ––––––––––– 95
S.o. S. 115 ff.
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Namen Nationaldemokratische Partei Deutschlands auftritt, als Signifikat ermittelt werden, genauso aber auch das Signifikat „Nuclear Protein Database“, d.h. eine wissenschaftliche Datenbank über Zellkern-Proteine. Weitere Signifikate die dem Signifkat „politische Partei“ folgen, sind etwa „ultrarechts“, „verfassungswidrig“ oder „einer menschenverachtenden Ideologie folgend“; als an das Signifikat „Nuclear Protein Database“ angelehnte Signifikate lassen sich hingegen etwa Beschreibungen wie „wissenschaftlich fortschrittlich“ oder „Gentechnik“ ableiten. Im Beispiel des Romans „Mephisto“ kann der Signifikant „Hendrik Höfgen“ zum einen durchaus mit dem Signifikat der realen Person Gustaf Gründgens verbunden werden. Ebenfalls möglich ist aber eine Verbindung mit dem Signifikat „fiktive Romanfigur“ „Staatsrat“ „Intendant“, „Theaterschauspieler“, „Nationalsozialist“ oder „Mitläufer“. Im Fall der Strauß-Karikaturen können die konkreten Abbildungen als Signifikanten unter anderem mit Signifikaten wie „Der bayrische Ministerpräsident ist ein kopulierendes Schwein“, „der bayrische Ministerpräsident macht sich die Justiz untertan“ oder aber auch „politische Einflussnahme“ oder „fehlende Moral“ verbunden werden.
II. Unterteilung nach denotativen und konnotativen Codes Die dieserart ermittelten Signifikate sind dann in einem zweiten Schritt zu unterteilen in diejenigen Signifikate, die mittels denotativer, d.h. sachlichbeschreibender Codes dem Signifikant zugewiesen worden sind, und diejenigen Signifikate, die mit dem Signifikant über konnotative, d.h. assoziativ-wertendsubjektive Codes verbunden sind. Diese Unterscheidung ist essentiell für die unterschiedliche Auslegung von Kommunikationsinhalten, die lediglich der Medienfreiheit unterfallen, und denen, die unter die Kunst- oder Wissenschaftsfreiheit subsumierbar sind. Es muss also differenziert werden, ob ein ermitteltes Signifikat dem Signifikant allein auf eine rein deskriptive Art und Weise zugeordnet worden ist, oder ob es mit dem Signifikant aufgrund wertender Verständniselemente verbunden wird. In den oben angeführten Beispielsfällen lassen sich für den Signifikant „Mörder“ die Signifikate „Mensch, der einen anderen unter Verwirklichung eines Mordmerkmales tötet“ sowie „Person, die einen anderen Menschen tötet“ mittels denotativer Codes ermitteln. Die Signifikate „sittlich nicht zu rechtfertigendes Handeln“, „Strafwürdigkeit“ oder „Verbrecher“ sind dem Signifikant hingegen mittels konnotativer Codes zugeordnet, da ihre Verbindung mit dem Wort „Mörder“ das Ergebnis eines wertenden Prozesses darstellt. Dem Signifikant „NPD“ sind auf sachlich-beschreibender Ebene mittels denotativer Codes die Signifikate „Partei, die unter dem Namen Nationaldemokratische Partei Deutschlands auftritt“ sowie „Nuclear Protein Database“ und „Gentechnik“ zugeordnet. Die Signifikate „ultrarechts“, „verfassungswidrig“
C. Auslegung des Kommunikationsinhalts
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oder „einer menschenverachtenden Ideologie folgend“ bzw. „wissenschaftlich fortschrittlich“ sind mit dem Signifikant hingegen durch einen konnotativen Code verbunden. In bezug auf den Signifikant „Hendrik Höfgen“ sind die Signifikate „fiktive Romanfigur“ „Staatsrat“ „Intendant“ und „Theaterschauspieler“ mit dem Signifikant durch einen denotativen Code verbunden, da sie auf rein deskriptiver Ebene die Figur des „Hendrik Höfgen“ beschreiben. Signifikate wie „Nationalsozialist“ oder „Mitläufer“ sind hingegen mit dem Signifikanten genauso allein auf einer assoziativ-wertenden Ebene und damit durch einen konnotativen Code verbunden wie das Signifikat „Gustaf Gründgens“. Im Fall der Strauß-Karikaturen schließlich ist das Signifikat „Der bayrische Ministerpräsident ist ein kopulierendes Schwein“ mit dem Signifikant über einen denotativen Code verbunden, die Signifikate „der bayrische Ministerpräsident macht sich die Justiz untertan“, „politische Einflussnahme“ oder „fehlende Moral“ sind hingegen mit dem Signifikant konnotiert.
III. Auswahl der relevanten Signifikate Auf dieser Grundlage kann dann die Auslegung einer Äußerung im engeren Sinne erfolgen, d.h. aus den ermittelten denotierten und konnotierten Signifikaten werden diejenigen ausgewählt, die im konkreten Fall für die Auslegung herangezogen werden können. Dabei ist jedoch nach dem im zweiten Kapitel vorgestellten Modell von vorne herein zwischen solchen Äußerungen, die von der Kunst- oder Wissenschaftsfreiheit geschützt sind, und solchen Äußerungen, die lediglich der Medienfreiheit unterfallen, zu unterscheiden.
1. Hintergrundwissen und Kommunikationszusammenhang Entscheidend für die Auswahl der konkret anzuwendenden Codes im Rahmen der Auslegung und damit für die Auswahl der zu berücksichtigenden Signifikate sind in erster Linie das Hintergrundwissen des Durchschnittsempfängers sowie der Kommunikationszusammenhang der konkreten Äußerung. Ist also etwa der Satz „Soldaten sind Mörder“ auszulegen, so ist vor allen Dingen zunächst zu prüfen, in welchem Zusammenhang und in Hinblick auf welchen Adressatenkreis dieser Satz geäußert wurde. Richtet sich der Satz wie in dem vom Bundesverfassungsgericht zu entscheidenden Fall an ein allgemeines, juristisch nicht vorgebildetes Publikum im Rahmen einer politischen Protestaktion, so sind – wie vom Bundesverfassungsgericht zurecht angenommen96 – für den Signifikant „Mörder“ das denotierte Signifikat „Person, die einen anderen ––––––––––– 96
BVerfGE 93, 266 (297).
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Menschen tötet“ und damit gleichzeitig die konnotierten Signifikate „sittlich nicht zu rechtfertigendes Handeln“, „Strafwürdigkeit“ und „Verbrecher“ als Ergebnis der Auslegung heranzuziehen. Eine andere Auslegung dahingehend, dass dem Signifikant „Mörder“ tatsächlich das Signifikat „Mensch, der einen anderen unter Verwirklichung eines Mordmerkmales tötet“, könnte hingegen dann heranzuziehen sein, wenn der Begriff entweder vor einem juristisch gebildeten Publikum, z.B. in einer Fachpublikation, einem Vortrag oder in einem anderen spezifisch juristischen Kontext geäußert wird, etwa in dienstbezogenen Äußerungen eines Richters, Staatsanwalts oder Justizsprechers. Wenn in vielen Fällen dieser Prozess der Auswahl der relevanten Signifikate von einer gewissen Schwierigkeit sein wird, so gibt es gleichwohl doch auch Äußerungen, in denen die Auswahl derart eindeutig ist, dass hier kaum besonderer Begründungsaufwand besteht. In dem Beispiel des Satzes „Die CSU ist die NPD Europas“ etwa wird bereits aus dem Kontext des Satzes selbst deutlich, dass dem Signifikant „NPD“ hier zweifelsfrei das denotierte Signifikat „Partei“ und nicht das denotierte Signifikat „Nuclear Protein Database“ zuzuordnen ist. Eine besondere Prüfungsbedürftigkeit ergibt sich hier insofern lediglich in Hinblick auf die mit dem Signifikant konnotierten Signifikate. Im Gegensatz zum Zeitpunkt der Äußerung im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht Anfang der 80er Jahre dürften dabei heute dem Signifikant nicht nur das konnotierte Signifikat „ultrarechts“, sondern auch die Signifikate „verfassungswidrig“ oder „einer menschenverachtenden Ideologie folgend“ zuzuordnen sein.
2. Modifizierungen bei Kunst- und Wissenschaftskommunikation Modifizierungen dieses Schemas ergeben sich jedoch – wie im zweiten Kapitel erläutert – immer dann, wenn die auszulegende Äußerung durch die Kunst- oder Wissenschaftsfreiheit geschützt ist und damit den besonderen Merkmalen dieser Kommunikationsformen Rechnung zu tragen ist. In beiden Fällen sind nämlich zur Sinnermittlung lediglich diejenigen Signifikate heranzuziehen, die über denotative Codes mit dem Signifikanten verbunden sind. Bei der Kunstfreiheit ist dabei ergänzend zu beachten, dass es sich bei dem derart ermittelten Ergebnis keineswegs um den zweifelsfrei ausgelegten Inhalt, sondern lediglich um die soziale Ausstrahlungswirkung des Kunstwerks handelt. In dem bereits im zweiten Kapitel eingeführten Beispiel der wissenschaftlichen Publikation, in der behauptet wird, eine bekannte historische Persönlichkeit habe dem Milieu des Schwarzmarkts der Nachkriegszeit angehört,97 konnotiert der Begriff des Schwarzmarkts in dieser Aussage zwar eine Reihe negativ wertender Signifikate wie „moralisch-verwerfliche Geschäftemacherei“ oder ––––––––––– 97
S.o. S. 137.
C. Auslegung des Kommunikationsinhalts
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„Ausnutzung der Notsituation anderer Menschen“. Aufgrund der Spezifika der besonders geschützten Wissenschaftskommunikation können diese Signifikate aber nicht in die Auslegung mit einfließen. Berücksichtigt werden können hier allein die denotierten Signifikate, in diesem Fall also etwa für den Signifikant „Schwarzmarkt“ das Signifikat „illegaler Handel“. Im Beispiel des Romans „Mephisto“ schließlich bedeutet das Außerachtlassen der konnotativen Codes vor allen Dingen, dass das Signifikat „Gustaf Gründgens“ nicht dem Signifikant „Hendrik Höfgen“ zugeordnet werden kann, da es mit diesem allein auf assoziativ-wertender Ebene verbunden ist. Dadurch verliert der ganze Roman von vorne herein seinen persönlichkeitsrechtsrelevanten Bezug, da die soziale Ausstrahlung des Kunstwerks inhaltlich keinem Persönlichkeitsrechtsträger zugeordnet werden kann. Der Roman bleibt somit in der rechtlichen Beurteilung ein Stück Fiktion, der bereits tatbestandlich keine Persönlichkeitsrechtsverletzung eines Grundrechtsträgers darstellt. Anders stellt sich die Situation hingegen dar in einem Fall wie dem des Lyrikbandes „Als ich das erste Mal mit einem Jungen im Bett lag“ von Birgit Kempker,98 dessen Veröffentlichung in der ursprünglichen Form im Jahr 1999 vom LG Essen untersagt wurde.99 Der 94 Seiten starke Band der Autorin besteht aus etwa 200 Textsequenzen, von denen jede einzelne mit demselben Satz beginnt: „Als ich das erste Mal mit einem Jungen im Bett lag, war es Cornelius Busch.“ Das Werk handelt von einer Liaison zwischen dem lyrischen Ich und einem Zivildienstleistenden, der damit zugleich seiner Freundin untreu wird. Tatsächlich hatte die Schriftstellerin vor rund 25 Jahren eine Liebesbeziehung mit einem Mann namens Cornelius Busch. Dieser sah sich durch die Veröffentlichung des Textes daher in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt und setzte vor dem LG Essen nicht nur ein weiteres Verbreitungsverbot gegenüber dem Verlag, sondern auch die Pflicht zur Zahlung einer Geldentschädigung durch.100
In diesem Beispiel ist durch die Klarnennung des Namens „Cornelius Busch“ der literarischen Figur der im Kunstwerk benutzte Signifikant mit dem Signifikat, das der tatsächlichen Person Cornelius Busch entspricht, nicht (nur) über einen konnotativen Code, sondern tatsächlich über einen denotativen Code verbunden, da der Signifikant „Cornelius Busch“ zu der natürlichen Person in einer sachlich-beschreibenden Beziehung steht. Hier ist eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Betroffenen durch die literarische Publikation zumindest grundsätzlich möglich. Ob sie tatsächlich auch vorliegt, hängt von der sozialen Ausstrahlungswirkung des weiteren Werkes ab, da nur durch Auslegung der mit dem Signifikanten „Cornelius Busch“ verknüpften Signifikanten ermittelt werden kann, ob durch die Nennung des Namens im literarischen Kontext in sein Persönlichkeitsrecht überhaupt eingegriffen wird. Die ––––––––––– 98 99 100
S.o. Fn. 199. LG Essen, Das Schreibheft, Heft 55, November 2000. Vgl. Ladeur, ZUM 2004, S. 426 (430).
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Frage nach einer tatsächlichen Persönlichkeitsrechtsverletzung ist hier somit letztlich eine Frage der Auslegung des gesamten Werks. Jedoch kann in einem Kunstwerk die Identifizierung einer Person mittels denotativer Codes nicht nur allein durch die triviale Alternative der Klarnennung des Namens erfolgen. Auch bei Umbenennung des Protagonisten kann eine Identifizierung erfolgen, sofern andere Eigenschaften der künstlerischen Figur auf sachlich-beschreibender Ebene einen eindeutigen und unzweifelhaften Rückschluss auf eine bestimmte Person zulassen. So dürfte es sich etwa bei der ursprünglichen Fassung des Romans „Esra“ verhalten, in dem der Autor seine beiden Protagonistinnen als Trägerin des Bundesfilmpreises 1989 bzw. als Trägerin des alternativen Nobelpreises des Jahres 2000 charakterisiert.101 Da diese Merkmale nicht nur an die Realität anknüpfen, sondern auch auf denotativer Ebene lediglich eine natürliche Person mit dem jeweiligen Signifikant verbinden, durfte hier zurecht davon ausgegangen werden, dass grundsätzlich eine Persönlichkeitsrechtsverletzung der beiden betroffenen Frauen möglich war. Anders ist die Situation jedoch bereits für die geänderte Fassung des Romans zu beurteilen, in der der Autor statt des Bundesfilmpreises den fiktiven „Fritz-Lang-Preis“ und statt des alternativen Nobelpreises den ebenfalls erfundenen „Karl-Gustav-Preis“ nennt. Hier ist nämlich die Verbindung zu den betroffenen Personen wiederum ausschließlich auf der Basis konnotativer, nicht jedoch auf Grundlage denotativer Codes herzustellen.102 Das gilt selbst dann, wenn aufgrund der öffentlichen Berichterstattung über die Erstfassung des Romans einer breiten Masse der Öffentlichkeit dieser konnotative Code geläufig sein dürfte, da auch die weite Verbreitung des konnotativen Codes nichts an seiner Natur ändert, die eine auf ihm basierende Auslegung eines Kunstwerks immer verbietet.103
IV. Das Problem der Mehrdeutigkeit Wie bereits im zweiten Kapitel erwähnt, ist es jedoch auch auf dieser Grundlage nicht immer möglich, jeder Äußerung mittels Auslegung einen eindeutigen Inhalt zuzuweisen.104 Stets wird es – gerade im Bereich der Massekommunikation – Äußerungen geben, die mehrdeutig bleiben. Um dieses Problem der Mehrdeutigkeit verfassungsrechtlich adäquat zu lösen, hat das Bundesverfas––––––––––– 101
Vgl. LG München, ZUM 2003, S. 692 ff. In diese Richtung argumentiert auch das LG München, GRUR-RR 2004, S. 92, a.A. jedoch BGH, NJW 2005, S. 2844 (2846). 103 A.A. jedoch LG München, GRUR-RR 2004, S. 92 (93). 104 Davon zu unterscheiden sind jedoch die Fälle, in denen bereits auf Sachverhaltsebene unklar ist, in welcher Form eine Äußerung getätigt worden ist, vgl. für einen solchen Fall bspw. KG Berlin, Urt. v. 28.03.2001, Az. 1 Ss 87/00. 102
C. Auslegung des Kommunikationsinhalts
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sungsgericht jüngst in seiner Stolpe-Entscheidung105 spezifische Auslegungsvorgaben für bestimmte straf- und zivilrechtliche Maßnahmen ausgearbeitet. Ausgangspunkt für diese Entscheidung war die Äußerung eines Politikers über den ehemaligen brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe, dieser sei als IM-Sekretär „über 20 Jahre im Dienste des Staatssicherheitsdienstes tätig“ gewesen. In Hinblick auf diese Äußerung verlangte der Betroffene die zukünftige Unterlassung der Äußerung. Das Berufungsgericht legte die Aussage des Beklagten als Behauptung aus, der Ministerpräsident habe auf Grund einer ausdrücklichen oder konkludenten Verpflichtungserklärung im Auftrag des Staatssicherheitsdienstes gearbeitet und Informationen über Dritte an diesen als „Dienstherrn“ zu dessen Nutzen weitergegeben. Unter Zugrundelegung dieser Aussage gab es dem Unterlassungsbegehren statt. Der Bundesgerichtshof hingegen hielt diese Auslegung zwar für vertretbar, nahm aber als weitere Deutungsvariante an, die Äußerung enthalte die Aussage, der Ministerpräsident habe dem Staatssicherheitsdienst Dienste geleistet, indem er diesem im Rahmen seiner zu ihm bestehenden Kontakte entsprechend dessen Erwartungen Informationen über Dritte oder bestimmte Vorgänge geliefert habe; hierbei habe er in Kenntnis dessen, dass diese Informationen dem Staatssicherheitsdienst dienlich, also nützlich gewesen seien, der Sache nach wie ein Beauftragter gehandelt. Da sich dieses Verständnis der Äußerung jedenfalls nicht ausschließen lasse, hielt der Bundesgerichtshof einen Unterlassungsanspruch deshalb nicht für gegeben. Das Bundesverfassungsgericht sah in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Beschwerdeführers und hob das Urteil auf.
1. Unterschiedliche Auslegungsmaßstäbe? Angesichts der Mehrdeutigkeit der angegriffenen Äußerung im konkreten Fall weicht das Bundesverfassungsgericht in seiner Stolpe-Entscheidung von dem bisher uneingeschränkt vertretenen Grundsatz der „meinungsfreundlichen Auslegung“ ab.106 Nach diesem Grundsatz galt bisher, dass die Meinungsfreiheit durch die einfachen Gerichte verletzt wird, wenn diese bei mehrdeutigen Äußerungen diejenige Bedeutung zugrunde legen, die zu einem Konflikt mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht Dritter führt, ohne vorher mit schlüssigen Gründen Deutungen ausgeschlossen zu haben, welche diesen Konflikt nicht entstehen lassen.107 Dieses Prinzip will das Bundesverfassungsgericht nun ausdrücklich nur noch für straf- und zivilrechtliche „Sanktionen“,108 d.h. für strafrechtliche Urteile sowie die zivilrechtliche Verurteilung zu Schadenersatz, Geldentschädigung oder Berichtigung, aufrecht erhalten. Bei Unterlassungsansprüchen soll indessen nach der neuesten Rechtsprechung ein anderer Maßstab für die Auslegung von Äußerungen gelten.109 Denn hier sei im Rahmen der ––––––––––– 105 106 107 108 109
BVerfG, NJW 2006, S. 207. So auch Hochhuth, NJW 2006, S. 189 (191). Vgl. dazu nur BVerfGE 82, 43 (52); 93, 266 (295 ff.); 94, 1 (9). Zur Missverständlichkeit dieses Begriffs vgl. bereits oben S. 265. Vgl. ausdrücklich auch BVerfG, 1 BvR 49/00 v. 24.05.2006, Absatz-Nr. 64.
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rechtlichen Zuordnung von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz zu berücksichtigen, dass der Äußernde die Möglichkeit hat, sich in der Zukunft eindeutig auszudrücken und damit zugleich klarzustellen, welcher Äußerungsinhalt der rechtlichen Prüfung einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts zu Grunde zu legen ist. Ist der Äußernde nicht bereit, der Aussage einen eindeutigen Inhalt zu geben, bestehe kein verfassungsrechtlich tragfähiger Grund, von einer Verurteilung zum Unterlassen nur deshalb abzusehen, weil die Äußerung mehrere Deutungsvarianten zulässt, darunter auch solche, die zu keiner oder nur einer geringeren Persönlichkeitsverletzung führen. Der Abwägung mit dem Persönlichkeitsrecht seien daher alle nicht entfernt liegenden Deutungsvarianten zu Grunde zu legen, die dieses Recht beeinträchtigen.110 Im Ergebnis legt das Bundesverfassungsgericht daher abhängig von der Art der zugrundeliegenden Maßnahme einen unterschiedlichen Auslegungsmaßstab an die zu beurteilenden Äußerungen an. Ein und dieselbe Äußerung fließt somit in die Bewertung, ob ein strafrechtlicher Tatbestand oder die Voraussetzungen eines zivilrechtlichen Schadensersatz- oder Berichtigungsanspruchs erfüllt sind, anders ein als in die Beurteilung der Voraussetzungen eines zivilrechtlichen Unterlassungsanspruchs. Dogmatisch lässt sich diese Methodik jedoch kaum in das bisherige zivilrechtliche Anspruchs- und strafrechtliche Sanktionssystem einordnen. Insbesondere kann es nicht überzeugen, dass ein und dieselbe Äußerung bereits auf der vortatbestandlichen Ebene der Auslegung unterschiedlich behandelt wird, je nachdem, welcher Tatbestand danach an ihr geprüft werden soll. Besonders deutlich wird die Paradoxie dieses Vorgehens am Beispiel der den Unterlassungsanspruch begleitenden Hilfsansprüche.111 Denn in aller Regel wird ein Unterlassungsanspruch in der Praxis zusammen mit einem Anspruch auf Ersatz der vorprozessualen Abmahnkosten geltend gemacht werden.112 Diese Kosten entstehen als notwendige Folge, um den bestehenden Unterlassungsanspruch wirksam durchzusetzen, bleiben aber gleichwohl – auch im Falle einer späteren gerichtlichen Durchsetzung des Anspruchs – vorprozessuale Kosten, die nicht zu den Kosten des Rechtsstreits i.S. des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO gehören und deshalb auch nicht im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103, 104 ZPO, § 11 Abs. 1 Satz 1 RVG festgesetzt werden können.113 In diesem Zusammenhang entfaltet ein auf den Ersatz der Abmahnkosten gerichteter Schadensersatzanspruch eine Doppelwirkung: Zum einen kommt ihm als ––––––––––– 110
BVerfG, NJW 2006, 207 (209). Auch Teubner, AfP 2006, S. 20 (21), weist insofern ähnlich auf das Prozess- sowie das Kostenrisiko bei der Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen hin. 112 Vgl. o.S. 260. 113 BGH, WRP 2006, S. 237; so jetzt auch Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm (Hrsg.), Wettbewerbsrecht, § 12 UWG Rn. 1.92. A.A. noch KG Berlin, WRP 1982, 25; OLG Frankfurt, GRUR 1987, 654; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., Einl UWG Rn. 552 m.w.N. 111
C. Auslegung des Kommunikationsinhalts
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Schadensersatzanspruch eine generalpräventive Wirkung hinsichtlich der getätigten Äußerung zu. Zum anderen dient er aber vor allen Dingen auch der effektiven und einbußelosen Durchsetzung des lediglich spezialpräventiven Anspruchs auf Unterlassung. Legt man dem Anspruch auf Ersatz der Abmahnkosten daher – wie jedem anderen Schadensersatzanspruch auch – die meinungsäußerungsfreundliche Deutungsvariante einer Äußerung zugrunde, so folgt daraus, dass ein Betroffener bei einer mehrdeutigen Äußerung zwar gerichtlich deren Unterlassung verlangen kann, jedoch nicht den Ersatz derjenigen Kosten, die ihm vorprozessual zur Durchsetzung dieses Anspruchs entstanden sind. Legt man diesem Anspruch jedoch die Auslegungsvariante zugrunde, die zu einer Persönlichkeitsrechtsverletzung führt, folgt daraus zwar auf der einen Seite, dass der Betroffene sowohl seinen Unterlassungsanspruch durchsetzen als auch die dadurch entstandenen Abmahnkosten ersetzt verlangen kann. Dies führt jedoch innerhalb des Systems der Schadensersatzansprüche dazu, dass unterschiedliche Auslegungsergebnisse für identische Ansprüche bei verschiedenen Schadenspositionen heranzuziehen wären – eine Lösung, die mit der zivilrechtlichen Dogmatik kaum in Einklang zu bringen wäre.
2. Lösung auf der Vorsatz- bzw. Verschuldensebene Eine Lösung des Problems der Mehrdeutigkeit auf der Ebene der Auslegung scheint daher auch im Straf- und Zivilrecht nicht zu befriedigenden Ergebnissen zu führen. Wie bereits für die abstrakte verfassungsrechtliche Ebene erläutert,114 muss einer massenmedialen Äußerung daher auch auf der konkreten einfachgesetzlichen Ebene nicht zwangsläufig ein eindeutiger Inhalt zugemessen werden. Vielmehr kann eine Äußerung auch schlicht als mehrdeutig qualifiziert und in die rechtliche Betrachtung eingestellt werden, wenn sie in einer der Auslegungsvarianten geeignet ist, das Persönlichkeitsrecht eines Dritten zu verletzen. Das Vorliegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung bei Anwendung einer der möglichen Auslegungsvarianten reicht dann aus, um eine Persönlichkeitsrechtsverletzung im straf- oder zivilrechtlichen Sinn dem Grunde nach zu bejahen. Dieser weite Begriff der Persönlichkeitsrechtsverletzung, der auch die Verletzung durch mehrdeutige Äußerungen umfasst, muss gleichwohl nicht automatisch zu einer besonders starken Beeinträchtigung der Kommunikationsfreiheiten und insbesondere des freien gesellschaftlichen Klimas, das durch Art. 5 GG geschaffen werden soll, führen. Vielmehr kann und sollte die Berücksichtigung der besonderen Interessenlagen bei mehrdeutigen Äußerungen und der besonderen Gefahren für die individuelle wie kollektive Funktionserfüllung im Rahmen des Straf- und Zivilrechts auf der Ebene ansetzen, die nicht nur bereits ––––––––––– 114
S.o. S. 128 ff.
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einfachgesetzlich darauf angelegt ist, sondern auch die besondere grundrechtliche Interessenlage bestens auszugleichen vermag: die Ebene des Vorsatzes bzw. des Verschuldens. Auf dieser Ebene muss dann in besonderer Weise die Natur der mehrdeutigen Äußerung in Rechnung gestellt werden. Denn im Sinne der bereits im ersten Kapitel vorgestellten und auch vom Bundesverfassungsgericht angewandten Unterscheidung von Form und Inhalt einer grundrechtlich geschützten Äußerung115 stellt sich die mehrdeutige Äußerung letztlich dar als Verknüpfung einer einzigen Form mit (mindestens) zwei unterschiedlichen Inhalten, die – gewollt oder ungewollt – durch diese Form transportiert werden. Bei der Knüpfung rechtlicher Konsequenzen an die Äußerung einer solchen mehrdeutigen Äußerung muss deshalb gerade bei vergangenheitsbezogenen Maßnahmen besonders unterschieden werden, ob die Form vorsätzlich oder zumindest fahrlässig benutzt wurde, um als einen der mit ihr verknüpften Inhalte einen persönlichkeitsrechtsverletzenden Inhalt zu vermitteln, oder ob den Entäußernden an der persönlichkeitsrechtsverletzenden Auslegungsvariante weder Vorsatz noch Verschulden trifft.
a) Auswirkungen im Zivilrecht Wenn also das Problem der Mehrdeutigkeit von Äußerungen nicht auf der Auslegungsebene, sondern auf der Ebene von Vorsatz bzw. Verschulden gelöst wird und somit auch eine nur in einer Auslegungsvariante persönlichkeitsrechtsverletzende Äußerung als möglicherweise persönlichkeitsrechtsverletzend berücksichtigt wird, so folgt daraus für den zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch aus § 1004 BGB analog genau wie nach der Lösung des Bundesverfassungsgerichts, dass bereits eine mehrdeutige Äußerung ausreichen kann, um einen Unterlassungsanspruch zu bejahen, wenn nur die in einer Auslegungsvariante bestehende Persönlichkeitsrechtsverletzung rechtswidrig ist und im Übrigen eine Erstbegehungs- bzw. Wiederholungsgefahr vorliegt. Für die andere zivilrechtlichen Ansprüche (d.h. den Schadensersatz-, Geldentschädigungs- und Berichtigungsanspruch) ergeben sich hingegen sowohl im Vergleich zur Lösung des Bundesverfassungsgerichts als auch zur bisherigen zivilrechtlichen Dogmatik Modifizierungen. Denn auch hier wird zunächst die mehrdeutige Äußerung als in einer Auslegungsvariante persönlichkeitsrechtsverletzend in die weitere rechtliche Betrachtung eingestellt. Diese (mögliche) Persönlichkeitsrechtsverletzung muss genau wie in jedem anderen Fall auch rechtswidrig sein. Auf der Ebene des Verschuldens verändern sich jedoch in diesen Fällen die Prüfungsmodalitäten sogar an zwei Punkten. Zunächst ändert sich bereits der ––––––––––– 115
S.o. S. 35.
C. Auslegung des Kommunikationsinhalts
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Anknüpfungspunkt für ein mögliches Verschulden. Zwar bleibt es zunächst bei der Regel, dass das Verschulden nicht an die Verletzungshandlung, sondern an den Verletzungserfolg, d.h. die Persönlichkeitsrechtsverletzung selbst anknüpft.116 Durch die fehlende verbindliche Auslegung einer Äußerung auf der Tatbestandsebene ist im Falle einer mehrdeutigen Äußerung dafür aber erforderlich, dass den Entäußerer hinsichtlich der Auslegung in persönlichkeitsrechtverletzender Weise selbst ein Verschulden trifft. Dabei darf dann zum zweiten – um die vom Bundesverfassungsgericht angemahnte hinreichende Berücksichtigung der Auswirkungen auf das Klima freier Meinungsäußerung als solcher vorzunehmen – jedoch nur ein modifizierter, auf Vorsatz begrenzter Verschuldensmaßstab zur Anwendung kommen. Maßgeblich soll und darf demnach nicht mehr sein, ob der Schädiger vorsätzlich oder fahrlässig eine persönlichkeitsrechtsverletzende Äußerung getätigt hat, sondern nur noch, ob er vorsätzlich eine mehrdeutige Äußerung abgegeben hat, die in einer Auslegungsvariante persönlichkeitsrechtsverletzend ist. Mit diesem Verschuldensmaßstab wird im Ergebnis die Form-Inhalt-Unterscheidung zur vollen Geltung gebracht. Denn entscheidend ist nach diesem Modell auch bei mehrdeutigen Äußerungen nicht mehr in erster Linie die Form, sondern der Inhalt. Hat sich der Äußernde einer mehrdeutigen Form bedient, gerade um einen persönlichkeitsrechtsverletzenden Inhalt vermitteln zu können, so trifft ihn an der auf der Mehrdeutigkeit beruhenden Persönlichkeitsrechtsverletzung ein Verschulden. Wollte der Äußernde hingegen lediglich eine nicht persönlichkeitsrechtsverletzende Äußerung tätigen und hat dafür fahrlässigerweise eine mehrdeutige Form gewählt, die auch in persönlichkeitsrechtsverletzender Weise ausgelegt werden kann, so haftet er dafür nach diesem modifizierten Verschuldensmaßstab nicht. Die vergangenheitsbezogenen Maßnahmen des Schadenersatzes, der Geldentschädigung sowie der Berichtigung treffen danach nur denjenigen, der tatsächlich eine persönlichkeitsrechtverletzende Äußerung tätigen wollte. Die Balance zwischen dem besonderen Schutz des freien geistigen Klimas in der Gesellschaft auf der einen Seite und dem notwendigen Schutz des Persönlichkeitsrechts des Einzelnen auf der anderen Seite wird so in möglichst schonender Weise geschaffen. Die Möglichkeit, sich vorsätzlich hinter einer mehrdeutigen Äußerung zu verstecken, wird dem Entäußerer genommen, allein an die fahrlässige Verwendung einer mehrdeutigen Äußerung werden jedoch keine negativen rechtlichen Konsequenzen geknüpft.
b) Auswirkungen im Strafrecht Im Strafrecht ist zwar kein Verschulden hinsichtlich der Persönlichkeitsrechtsverletzung, sondern Vorsatz in Bezug auf den objektiven Tatbestand ––––––––––– 116
Vgl. statt vieler nur Thomas, in: Palandt (Hrsg.), BGB, § 823 Rn. 1.
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erforderlich. Trotzdem sind die gerade für das Zivilrecht entwickelten Maßstäbe auch hier übertragbar und anwendbar. Bei der Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit einer Äußerungshandlung kann dann bei einer mehrdeutigen Äußerung auf eine der verbleibenden Auslegungsvarianten abgestellt werden, wenn diese den Tatbestand erfüllt. In einem zweiten Schritt ist dann zu überprüfen, ob der Äußernde auch mit Vorsatz hinsichtlich aller objektiven Tatbestandsmerkmale gehandelt hat. Ist dies der Fall, folgt daraus automatisch, dass er sich auch der mehrdeutigen Form vorsätzlich bedient hat, um den in der Äußerung enthaltenden persönlichkeitsrechtsverletzenden Inhalt zum Ausdruck zu bringen. Diese besondere Berücksichtigung der Mehrdeutigkeit von Äußerungen ist zumindest in Bezug auf die üble Nachrede und die Verleumdung im Übrigen auch bereits im Wortlaut der Strafvorschriften angelegt. Erforderlich ist hier nämlich nicht, dass eine Verächtlichmachung oder eine Herabwürdigung in der öffentlichen Meinung durch die Äußerung tatsächlich stattfindet. Vielmehr reicht es aus, dass die entsprechende Äußerung geeignet ist, eine dieser beiden Folgen nach sich zu ziehen. Mit dieser Formulierung wir dem Problem der Mehrdeutigkeit an herausragender Stelle Rechnung getragen.
D. Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Wurde in der gerade beschriebenen Weise und unter besonderer Berücksichtigung des Problems der Mehrdeutigkeit der Inhalt einer straf- oder zivilrechtlich zu beurteilenden Äußerung ermittelt, so ist schließlich in einem nächsten Schritt zu bestimmen, ob dieser Inhalt – oder im Fall mehrdeutiger Äußerungen einer der möglichen Inhalte – das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen in einer tatbestandsmäßigen Weise verletzt.
I. Tatbestandsmäßigkeit im Zivilrecht Im Falle zivilrechtlicher Ansprüche ist die Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit dabei mit der verfassungsrechtlichen Prüfung der Schutzbereichsverletzung weitestgehend kongruent. Denn tatbestandliche Voraussetzung für die verschiedenen Ansprüche ist jeweils allein eine in der Vergangenheit begangene oder für die Zukunft drohende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Eine solche Verletzung ist dementsprechend sowohl durch Beeinträchtigung des Rechts der persönlichen Ehre als auch durch Beeinträchtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung möglich.
D. Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
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II. Tatbestandsmäßigkeit im Strafrecht Differenzierter stellen sich die tatbestandlichen Voraussetzungen allerdings bei den Straftatbeständen der §§ 185 ff. dar. Hier ist nicht pauschal eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erforderlich, sondern entweder eine Beleidigung oder aber das Behaupten oder Verbreiten einer Tatsache, die einen anderen verächtlich machen oder in der öffentlichen Meinung herabwürdigen kann. In Bezug auf die Beleidigung sind die tatbestandlichen Voraussetzungen dabei noch relativ einfach zu fassen, wenn hier die Kundgabe der Missachtung oder Nichtachtung gefordert wird.117 Eine Beleidigung wird demnach zunächst immer vorliegen, wenn im verfassungsrechtlichen Sinne ein Konflikt einer grundrechtlich geschützten Äußerung mit dem Recht der persönlichen Ehre vorliegt,118 wenn sich also nach dem Ergebnis der Auslegung ergibt, dass eine Äußerung mittels solcher konnotativen Codes zu entschlüsseln ist, die dem benutzten Sigfinikant einen ehrverletzenden Sinn beimessen. Auch eine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung kann allerdings tatbestandlich sein, wenn die Preisgabe der Information einen besonderen Bezug zur Ehre im strafrechtlichen Sinne aufweist. Dies ist wiederum dann der Fall, wenn eine Äußerung mittels solcher konnotativen Codes zu entschlüsseln ist, die dem benutzten Sigfinikant einen ehrverletzenden Sinn in Bezug auf den Persönlichkeitsrechtsträger zuweisen. Anders stellt sich der Tatbestand hingegen bei der üblen Nachrede und der Verleumdung dar. Hier ist es zunächst erforderlich, dass eine Tatsache über einen anderen behauptet oder verbreitet wird. Rückbezogenen auf die verfassungsrechtliche Ebene heißt dies zunächst, dass eine Äußerung vorliegen muss, die in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung einer Person eingreift, da nur dann überhaupt eine Tatsache über eine Person geäußert oder verbreitet wird. Die Äußerung muss daher nach Auslegung durch die Anwendung denotativer Codes Informationen über einen bestimmten Persönlichkeitsrechtsträger preisgeben. Allein die Preisgabe personenbezogener Informationen reicht jedoch nicht aus, um den Tatbestand der üblen Nachrede bzw. der Verleumdung zu erfüllen. Darüber hinaus muss die verbreitete Information auch geeignet sein, den Betroffenen verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. Das heißt, dass zu den in der Äußerung benutzten Signifikanten ein weiten Teilen der Öffentlichkeit bekannter konnotativer Code existieren muss, bei dessen Anwendung zur Auslegung der Äußerung der ermittelte Inhalt eine Verletzung des Rechts der persönlichen Ehre des Betroffenen darstellen muss. ––––––––––– 117 118
S.o. S. 252. Vgl. o. S. 166 ff.
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Dieser ehrverletzende Inhalt muss jedoch nicht identisch sein mit dem Ergebnis der Auslegung, wie es sich nach der oben entwickelten Methode darstellt. Denn die in Rede stehende Äußerung muss bei der üblen Nachrede und der Verleumdung gerade nicht den Betroffenen unmittelbar verächtlich machen oder herabwürdigen. Vielmehr reicht die abstrakte Eignung der Äußerung zur einer solchen Ehrverletzung zur Verwirklichung des Tatbestandes bereits aus. Denn bei der üblen Nachrede und der Verleumdung kommt es allein auf die auf die Person bezogene abstrakte Eignung zur Verächtlichmachung an, nicht jedoch auf die konkrete Eignung der Äußerung, wie sie im tatsächlichen Kontext gefallen ist.119 Der Konfliktmaßstab zwischen Äußerungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz wird dementsprechend hier einfachgesetzlich noch weiter gefasst, als dies nach verfassungsrechtlichen Maßstäben erforderlich ist, da nicht nur die konkrete Grundrechtsverletzung, sondern bereits die Grundrechtsgefährdung unter Strafe gestellt wird. Aus diesem Grund können auch Äußerungen, die dem Schutz der Kunst- oder Wissenschaftsfreiheit unterfallen und deshalb normalerweise nicht in Konflikt mit dem Recht der persönlichen Ehre geraten können, bei Erfüllung der sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen – insbesondere also bei Nichterweislichkeit der Wahrheit oder erwiesener Unwahrheit der aufgestellten Behauptung – den Straftatbestand der üblen Nachrede oder Verleumdung nach §§ 186, 187 StGB erfüllen.
E. Abwägung auf der Ebene der Rechtswidrigkeit Liegen – jenseits der (objektiven) Persönlichkeitsrechtsverletzung als solcher – die übrigen Voraussetzungen der Straftatbestände bzw. der zivilrechtlichen Ansprüche vor, so ist schließlich auf der Ebene der Rechtswidrigkeit zu überprüfen, ob sich das allgemeine Persönlichkeitsrecht im verfassungsrechtlichen Konflikt mit den Kommunikationsfreiheiten durchzusetzen vermag und eine straf- oder zivilrechtliche Sanktions- bzw. Präventionsmaßnahme verhängt werden darf. Für die Ehrschutzdelikte im vierzehnten Abschnitt des StGB hält § 193 StGB mit der Wahrnehmung berechtigter Interessen einen besonderen Rechtfertigungsgrund bereit, der letztlich eine besondere Ausprägung des Grundrechts der Meinungsfreiheit ist.120 Auch über den Wortlaut der Norm hinaus sind hier daher die widerstreitenden Grundrechte gegeneinander abzuwägen und lassen im Fall eines Überwiegens der Kommunikationsfreiheit die Rechtswidrigkeit eines objektiv und subjektiv tatbestandsmäßig erfüllten Ehrschutzdeliktes entfallen. Für die zivilrechtlichen Ansprüche ist das Erfordernis der Rechtswidrigkeit zwar nicht explizit normiert. Dennoch ergibt sich hier jedoch ––––––––––– 119
S.o. S. 254. BVerfGE 42, 143 (152); BGHSt 12, 287 (293); Tröndle/Fischer, StGB, § 193 Rn. 14 b. 120
E. Abwägung auf der Ebene der Rechtswidrigkeit
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aus allgemeinen Grundsätzen, dass die Rechtswidrigkeit Voraussetzung des Abwehr- oder Ersatzanspruches ist.121 Auch hier sind also auf der Ebene der Rechtswidrigkeit die konfligierenden Grundrechte gegeneinander abzuwägen, wobei die Rechtswidrigkeit des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht entfällt, wenn die einschlägige Kommunikationsfreiheit sich in der Abwägung durchzusetzen vermag. Damit kommen auf der Ebene der Rechtswidrigkeit schließlich die Kriterien der Wahrheit bzw. Authentizität und der Art der Informationserlangung sowie vor allem das im vierten Kapitel entwickelte doppelte Drei-Ebenen-Modell zur Anwendung. Die mittels der Auslegung ermittelten Kommunikationsinhalte sowie die mit diesen in Konflikt stehenden Persönlichkeitsinteressen des Einzelnen sind jeweils einer der beschriebenen drei Ebenen zuzuordnen. Die Kommunikationsinhalte werden dementsprechend nach ihrer gesellschaftlichen Relevanz, die Persönlichkeitsinteressen nach der Stärke des Sozialbezugs gewichtet. Dabei setzt sich grundsätzlich das Interesse auf der höheren Ebene durch und lässt dementsprechend die Rechtswidrigkeit der straf- oder zivilrechtlichen Verletzung entfallen oder bestehen bleiben.
––––––––––– 121
Thomas, in: Palandt (Hrsg.), BGB, § 823 Rn. 184.
Zusammenfassende Thesen Erstes Kapitel: Die grundgesetzliche Freiheit der Massenkommunikation 1. Massenkommunikation ist solche Kommunikation, die keine Interaktion zwischen Sender und Empfänger ermöglicht. Ihr grundrechtlicher Schutz wird abschließend durch die verschiedenen Gewährleistungen des Art. 5 GG konstituiert. 2. Der zunehmenden tatsächlichen Ausdifferenzierung massenmedialer Kommunikation steht eine abnehmende Diversifizierung des korrespondierenden Grundrechtsschutzes in der Rechtsprechungspraxis gegenüber. Diese Entwicklung äußert sich zum einen in der Vereinheitlichung der kommunikationsspezifischen Schutzbereiche des Art. 5 Abs. 1 GG: Der kommunikative Akt selbst wird nach neuerer Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr von den spezifischen Gewährleistungen des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG, sondern ausschließlich von der Meinungsfreiheit geschützt. Zum anderen wird sie deutlich in der fehlenden Abgrenzung der Gewährleistungen des Art. 5 Abs. 3 GG zur Meinungsfreiheit. Abgestellt wird oft nur noch auf das jedenfalls einschlägige Grundrecht der Meinungsfreiheit. 3. Diese abnehmende rechtliche Ausdifferenzierung wird weder dem Wortlaut des Grundgesetzes noch der Realität der Kommunikationsstrukturen gerecht und vermag deshalb Konflikte immer weniger zufriedenstellend zu lösen. Nur anhand einer ausdifferenzierten und trennscharfen Betrachtung der Schutzbereiche des Art. 5 GG kann der Kommunikation durch Massenmedien und der durch sie entstehenden Konflikte adäquat begegnet werden. 4. Ausgangspunkt dieser differenzierenden Betrachtung ist ein Kommunikationsmodell, das aus Sender, Empfänger, Form und Inhalt gebildet wird. Einheitlich für alle Grundrechtsgewährleistungen kommen dabei als potentielle Sender alle Grundrechtsträger in Bezug auf Art. 5 GG, d.h. neben den natürlichen Personen auch inländische juristische Personen, als potentielle Empfänger einheitlich alle natürlichen und juristischen Personen im Geltungsbereich des Grundgesetzes in Betracht. Die Ausdifferenzierung der verschiedenen Grundrechtsgewährleistungen muss anhand der Merkmale Form und Inhalt vorgenommen werden. 5. Die Meinungsfreiheit schützt grundsätzlich alle Kommunikationsäußerungen unabhängig von ihrer Form. In inhaltlicher Hinsicht werden von ihrem
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Schutz nicht nur Meinungsäußerungen und Tatsachenbehauptungen, sondern alle Arten der Informationsweitergabe erfasst. Auch die Verbreitung unwahrer Tatsachenbehauptungen ist somit von der Meinungsfreiheit gedeckt. 6. Die Meinungsfreiheit erfüllt in zweierlei Hinsicht eine individuelle, auf den einzelnen Grundrechtsträger bezogene Funktion. Zum einen ermöglicht sie dem Einzelnen, seine Persönlichkeit aktiv durch Kommunikation in der Gesellschaft auszudrücken und sich so selbst zu entfalten. Diese Funktion spielt jedoch im Rahmen des Schutzes der Massenkommunikation eine eher untergeordnete Rolle. Zum anderen ermöglicht sie es ihm, durch die über die Massenmedien angebotenen Kommunikationsinhalte und seine Verortung in der dargestellten Welt passiv an seiner Selbstbeschreibung, seinem Selbstbild und damit der Voraussetzung für seine Selbstdarstellung zu arbeiten. 7. In gesellschaftlicher Hinsicht erfüllt die Meinungsfreiheit eine Vielzahl von Funktionen. Zunächst ermöglicht sie in all ihren Teilgehalten denjenigen gesellschaftlichen Diskurs über das Gemeinwohl, der in Form der öffentlichen Meinungsbildung essentielle Voraussetzung für die Demokratie ist. 8. Durch die Gewährleistung der Freiheit der Massenmedien ermöglicht die Meinungsfreiheit darüber hinaus die gesellschaftsweite Informationsverbreitung, die den Einzelnen in die Lage versetzt, seine politischen Entscheidungen im Rahmen des demokratischen Legitimationsprozesses zu treffen. In dieser Bedeutung wird sie durch das Demokratieprinzip normativ angereichert. Im Anschluss daran ermöglicht sie aber auch eine weitergehende Kontrolle staatlicher Entscheidungsprozesse, indem sie das „Öffentlichkeitsprinzip“ als Teil des Demokratieprinzips weiterträgt. 9. Schließlich kommt der Meinungsfreiheit eine kommunikative Dimension zu, da sie in ihrem massenmedialen Schutzgehalt sicherstellt, dass ein gesellschaftsweit geteiltes Welt- und Handlungswissen vorhanden ist, das eine gemeinsame Kommunikation – auf massenmedialer wie auf individueller Ebene – erst ermöglicht. 10. Die Gewährleistung der Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG geht nicht in lediglich objektiv-rechtlichen Gehalten auf. Der eigentliche Kommunikationsprozess ist elementar von ihrem Schutzbereich mit umfasst. Das folgt nicht zuletzt daraus, dass sich ein objektiv-rechtlicher Gehalt schon rein tatsächlich nicht vom subjektiv-rechtlich geprägten Kommunikationsvorgang lösen lässt. 11. Die überkommene Schutzbereichsbestimmung von Presse, Rundfunk und Film hat sich aufgrund der technischen Entwicklung seit Inkrafttreten des Grundgesetzes überlebt. Weder mit einem rein naturwissenschaftlichen Verständnis noch mit einer funktionalen Betrachtungsweise können die drei Bereiche heute noch sinnvoll voneinander und von der Meinungsfreiheit abgegrenzt werden. Der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG ist deshalb und ohne Unterscheidung zwischen den verschiedenen Kommunikationsmedien einheit-
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lich als Gewährleistung der Medienfreiheit zu bestimmen. Umfasst sind der Form der Kommunikation nach alle Verbreitungsarten mittels Massenmedien. 12. In inhaltlicher Hinsicht ist die durch die Medienfreiheit geschützte Kommunikation kongruent zum Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Umfasst ist die Weitergabe jedweder Art von Information. Die Medienfreiheit stellt sich im Bereich der Massenkommunikation als spezielleres Grundrecht dar. Sie erfüllt insoweit die gleichen Funktionen wie die Meinungsfreiheit, als diese sich auf die spezielle Art der massenmedialen Verbreitung beziehen. 13. Der verfassungsrechtliche Begriff der Kunst ist definierbar und definierungsbedürftig. Die verbreitete juristische Formel von der Unmöglichkeit, Kunst generell zu definieren, geht nicht zuletzt von einem vormodernen Kunstverständnis aus und vermag der Freiheit der Kunst und ihrem verfassungsrechtlichen Schutz eher zu schaden als zu nützen. 14. Kunst ist Kommunikation. Befreit von ihren besonderen Funktionen im vormodernen Kunstverständnis dient sie angesichts ihrer „Nutzlosigkeit“ und „Selbstzweckhaftigkeit“ alleine der Mitteilung. Die Kunstfreiheit ist ein Kommunikationsgrundrecht im engeren Sinne. Da die Kunst ihren Inhalt ausschließlich mittels eines Mediums an einen unbestimmten Kreis von Mitteilungsempfängern kommuniziert, sind von der Kunstfreiheit ausschließlich Formen der Massenkommunikation umfasst. 15. Der Inhalt der durch das Kunstwerk vollzogenen Kommunikation ist für die Definition des Schutzbereichs unerheblich. Wie auch bei der Meinungsfreiheit kann grundsätzlich die Verbreitung jedes beliebigen Inhalts geschützt sein. Entscheidend für den verfassungsrechtlichen Begriff der Kunst ist allein die Form der Kommunikation. 16. Das Mitteilungssystem, dessen sich ein Kunstwerk bedient, ist in jedem Fall non-verbal. Das gilt auch und gerade bei Textkunst, also dann, wenn sich das Kunstwerk der Sprache als Medium bedient. Denn unabhängig von der Art des Mediums, in das die Formentscheidung des Kunstwerks eingelassen ist, wird dieses Medium immer in einer anderen als der herkömmlichen Weise zunutze gemacht, folgt im Falle der Textkunst also anderen als den alltagssprachlichen semantischen Regeln. Die Kunst ist ein funktionales Äquivalent zur Sprache. 17. Die Mitteilung, die ein Kunstwerk macht, ist nicht ohne Bedeutungsverlust in das Medium der Alltagssprache übertragbar. Eine feststehende Ikonographie, mit der jedes Zeichen der Kunst einem Zeichen der Alltagssprache zugeordnet werden könnte, existiert nicht. Die verbale Beschreibung des Inhalts eines Kunstwerks ist immer zugleich unvollständig auf der einen Seite und auf der anderen Seite fremdangereichert mit den besonderen Beobachtungen und Wahrnehmung des Betrachters, die dieser mitkommuniziert.
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18. Die fehlende Verbalisierbarkeit befreit die Kunstkommunikation vom Erfordernis des Konsenses innerhalb der Kommunikation. Der Konsens zwischen Sender und Empfänger wird durch die Fixierung der Formentscheidung ersetzt. Die Identifikation eines Kunstwerks im verfassungsrechtlichen Sinne kann deshalb immer nur über ein Beobachten zweiter Ordnung erfolgen, d.h. über die Analyse dessen, wie der Empfänger der Kunstkommunikation das Werk rezipiert. 19. Die konkrete Subsumtion unter die aufgestellten Definitionskriterien der Kunst muss auf einer nicht-sprachlichen Ebene erfolgen, denn mittels der Sprache kann nie adäquat beschrieben werden, ob ein nicht-verbales Mitteilungssystem bestimmten Anforderungen genügt. Die sprachliche Reformulierung der Subsumtion unter diese Merkmale ist zwar notwendig, im Ergebnis bleibt sie aber immer unvollständig. 20. Zusammenfassend lässt sich Kunst im verfassungsrechtlichen Sinne beschreiben als jede Form der Kommunikation, deren Mitteilung sich eines singulären und individuellen, non-verbalen Codes (eines Ideolekts), bedient, der allein im Werk selbst angelegt ist, so dass sich die eigentliche Botschaft als nicht re-verbalisierbar sowie als weder konsensbedürftig noch endgültig konsensfähig darstellt (ideolektischer Kunstbegriff). 21. Die Funktionen der Kunstfreiheit decken sich zunächst mit denen der Meinungsfreiheit. Darüber hinaus erweitert die Kunst die gesellschaftliche Kommunikationsbasis auf eine nicht zu substituierende Weise, denn sie macht im gesellschaftlichen Kontext Inhalte kommunizierbar, die sonst unkommuniziert bleiben müssten. Dies hat Rückwirkungen auf die Möglichkeit der Selbstbeobachtung des Einzelnen, der die Kunst und die Gewährleistung ihrer Freiheit neue Perspektiven ermöglicht. 22. Die Wissenschaftsfreiheit ist bereits in ihren strukturellen Grundzügen zutiefst kommunikationsbezogen. Sie schützt den nach Inhalt und Form ernsthaften und planmäßigen Versuch zur Ermittlung der Wahrheit. Neben dem eigentlichen Prozess der Informationsgewinnung und -schöpfung beinhaltet sie ein umfassendes wissenschaftliches Kommunikationsgrundrecht, das untrennbar mit diesem Prozess verbunden ist. 23. Die durch die Wissenschaftsfreiheit geschützte Kommunikation ist ihrem Inhalt nach definiert. Die Form der Kommunikation ist für den Schutz unerheblich. Geschützt wird solche Kommunikation innerhalb oder am Ende eines wissenschaftlichen Prozesses, die dem inneren Unterscheidungsmuster wahr/unwahr unterfällt. 24. Die Funktion der Wissenschaftsfreiheit liegt zum einen in dem Wissensfortschritt, den eine Gesellschaft als ganze durch die wissenschaftliche Betätigung Einzelner erreicht. Zum anderen liegt sie den anderen Formen des technischen, medizinischen oder ökonomischen Fortschritts, den die Wissenschaftsfreiheit in ihren praktischen Auswirkungen ermöglicht.
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Zweites Kapitel: Auslegung und Ermittlung des Kommunikationsinhalts 25. Der grundrechtliche Schutz aus Art. 5 GG erfolgt unabhängig vom konkreten Inhalt. Dennoch ist es meist der konkrete Inhalt der geschützten Äußerung, der zu einem Konflikt mit anderen Grundrechtspositionen führt. Um einen solchen Konflikt identifizieren und spezifizieren zu können, ist es erforderlich, den Inhalt der geschützten Kommunikationsäußerung durch Auslegung zu ermitteln. 26. Sprachwissenschaftliche Ansätze vermögen eine solche Auslegung nur unvollständig zu leisten, da ihre Anwendbarkeit auf Kommunikationsäußerungen mittels der Sprache beschränkt ist. Eine umfassende Auslegungssystematik ist mithilfe der universalen Metawissenschaft der Semiotik als Wissenschaft der Zeichen möglich. Mit ihr können sprachliche wie nicht-sprachliche Kommunikationsmitteilungen untersucht werden. 27. Jedes kommunikative Zeichen besteht aus den beiden Elementen des Signifikant und des Signifikats. Unter dem Signifikanten ist der Zeichenträger zu verstehen, das bezeichnende Element. Mit dem Begriff Signifikat wird der Inhalt des Zeichens, seine Bedeutungsseite, beschrieben. Beide Elemente werden in eine bezeichnende Beziehung zueinander gesetzt, wodurch sie als Einheit ein Zeichen bilden. 28. Die bezeichnende Zuordnung von Signifikant und Signifikat erfolgt durch verschiedene Codes. Diese Regeln beruhen auf einer für den Kommunikationsprozess notwendigen kulturellen Übereinkunft, auf die sich Sender und Empfänger stützen können. 29. Für jeden Signifikanten existiert mindestens ein denotativer, sachlichbeschreibender Code. Auf diesen Code bauen weitere, oft optionale Subcodes auf. Diese konnotativen, subjektiv-wertenden Codes variieren innerhalb verschiedener Gruppen von Benutzern desselben Zeichensystems und sind anhand individueller, gesellschaftlicher oder zeitlicher Komponenten höchst veränderlich. 30. Aufgrund der Vielzahl der Codes besteht für jeden Signifikanten eine Vielzahl möglicher Signifikate. Die Auslegung einer Äußerung hängt von der Auswahl des entsprechenden Codes ab. Die entscheidenden Kriterien, nach denen eine subjektive Codeauswahl erfolgt, sind der Kommunikationszusammenhang und das Hintergrundwissen. 31. Eine objektive Codeauswahl kann in Hinblick auf die Subjektivität der entscheidenden Kriterien nur mithilfe der Figur des Durchschnittsempfängers als unvollkommener theoretischer Instanz objektivierter Subjektivität erfolgen. Aus seiner Perspektive ist der Kommunikationszusammenhang sowie das verfügbare Hintergrundwissen zu ermitteln. Maßgebliche Kriterien bezüglich des Kommunikationszusammenhangs sind der Zweck der Äußerung, ihre Gesamt-
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darstellung sowie ihr zeitgeschichtlicher Bezug. Maßgebliche Quellen des Hintergrundwissens sind der durchschnittliche Wissensschatz der Bevölkerung sowie der von den Medien produzierte globale Informationszusammenhang. 32. Liefern die Kriterien des Kommunikationszusammenhangs und des Hintergrundwissens kein eindeutiges Auslegungsergebnis, kann für die weitere Auslegung der Durchschnittsempfänger nicht herangezogen werden, denn das Letztentscheidungskriterium für die Codeauswahl im Bereich des natürlichen Verstehens, die Ideologie, kann auf den Durchschnittsempfänger nicht angewendet werden. In die weitere rechtliche Betrachtung ist die Äußerung in diesen Fällen deshalb als mehrdeutig einzustellen. 33. Da jedes Kunstwerk seinen eigenen, neuen, singulären Code schafft, kann der Inhalt der Kunstkommunikation nie abschließend ermittelt werden. In die juristische Betrachtung möglicher Konflikte kann lediglich die alltagssprachliche Decodierung von Kunst einfließen, die mit dem Inhalt nicht identisch ist. Um der Eigengesetzlichkeit der Kunst Rechnung zu tragen, darf in die Konfliktanalyse lediglich diejenige alltagssprachliche Decodierung mit einfließen, die auf der Entschlüsselung mittels denotativer Codes beruht. 34. Da Wissenschaft auf Wahrheitssuche angewiesen ist, operiert die Wissenschaftskommunikation ausschließlich mit denotativen Codes. Die Anwendung konnotativer Codes auf ihre Kommunikationsinhalte ist wissenschaftsfremd. Sie darf in der Analyse der grundrechtlichen Konfliktsituationen keine Rolle spielen. Drittes Kapitel: Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht als Kommunikationsrestriktionsrecht 35. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG schützt die engere persönliche Lebenssphäre. Als Fallgruppen dieses Rechts haben sich die Bereiche der Privatsphäre, Geheimsphäre und Intimsphäre, das Recht der persönlichen Ehre sowie das Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person, das Recht am eigenen Bild und am gesprochenen Wort, das Recht, von der Unterschiebung nicht getaner Äußerungen verschont zu bleiben, und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung herausgebildet. 36. Selbständige Fallgruppen, die mit den Kommunikationsgrundrechten aus Art. 5 GG in Konflikt geraten können, bilden lediglich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, in dem das Recht am eigenen Bild, das Recht am eigenen Wort sowie der Schutz vor Falschzitaten aufgehen, sowie der Schutz der Ehre und des Selbstdarstellungsrechts der eigenen Person. 37. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützt die Verfügungsbefugnis des Einzelnen über seine personenbezogenen Daten, d.h. über alle Angaben über die Person oder personenbezogene Sachverhalte, die als
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Information fixiert sind. Diese Fixierung der Information erfolgt durch jede Form der Kommunikation. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird so durch Kommunikation z.T. erst aktiviert. In der Aktivierung liegt gleichzeitig die Beeinträchtigung, denn jede Weitergabe personenbezogener Informationen berührt den Schutzbereich dieses Grundrechts. 38. Das Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person kann als eigenständige Fallgruppe innerhalb des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht bestehen bleiben. Soweit es das Selbstdarstellungsrecht in seinem informationsrestriktiven Gehalt gewährleistet, geht es im Recht auf informationelle Selbstbestimmung auf. Die aktivgeprägten, kommunikativen Elemente des Selbstdarstellungsrechts werden durch die allgemeine Handlungsfreiheit geschützt. Das Image einer Person als Ergebnis einer medienorientierten Selbstdarstellung fällt unter die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG. 39. Die persönliche Ehre schützt im weitesten Sinne die soziale Anerkennung des Schutzgutinhabers. Sie bezeichnet den auf die Würde gegründeten, einem Menschen berechtigterweise zustehenden Geltungswert bzw. den daraus folgenden Anspruch, nicht unverdient herabgesetzt zu werden. 40. Eine Verletzung der Ehre ist ausschließlich durch einen kommunikativen Akt möglich, denn nur durch Kommunikation einer Herabsetzung kann der Geltungswert beeinträchtigt werden. Gegenstand solcher Äußerungen sind Informationen darüber, wie der Entäußernde die betreffende Person subjektiv beurteilt. 41. Wird das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch eine Kommunikationsäußerung beeinträchtigt, so spielt sich eine solche Beeinträchtigung kommunikativ auf rein sachlicher, objektiver Ebene ab. Die Identifizierung eines solchen Konflikts kann im Rahmen der Auslegung allein mithilfe der Anwendung denotativer Codes erfolgen. Eine Beeinträchtigung ist durch alle Kommunikationsgrundrechte des Art. 5 GG möglich. 42. Das Recht der persönlichen Ehre kann lediglich durch solche Kommunikationsäußerungen beeinträchtigt werden, die subjektiv-wertend agieren. Die Identifizierung eines solchen Konflikts kann im Rahmen der Auslegung allein mithilfe der Anwendung konnotativer Codes erfolgen. Eine Beeinträchtigung im Rahmen massenmedialer Kommunikation ist ausschließlich durch die Medienfreiheit möglich. 43. Die Funktion des allgemeinen Persönlichkeitsrechts liegt in individueller Hinsicht in der Gewährleistung der Selbstentfaltung des Grundrechtsträgers. Sie ist aufs Engste mit derjenigen Funktion verknüpft, die die Gewährleistung der verschiedenen Kommunikationsfreiheiten in individueller Hinsicht erfüllen soll. 44. In gesellschaftlicher Hinsicht erfüllt das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch die Gewährleistung des Rechts der persönlichen Ehre zunächst eine sozi-
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ale Friedensfunktion. Darüber hinaus kommt ihm eine kommunikationsfördernde und -sichernde Funktion zu, denn seine kommunikationsrestringierende Wirkung kann im Ergebnis auch dazu dienen, den gesamtgesellschaftlichen Kommunikationsfluss und -zusammenhang zu sichern. Viertes Kapitel: Konfliktlösung durch Abwägung 45. Der Konflikt zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und den Kommunikationsfreiheiten aus Art. 5 GG spielt sich in erster Linie zwischen Privaten ab, d.h. zwischen Grundrechtsträgern, die prinzipiell nicht selbst grundrechtsverpflichtet sind. Maßstab für die Konfliktlösung sind in erster Linie die Normen des Zivilrechts, in die das Verfassungsrecht über das Konstrukt der mittelbaren Drittwirkung einwirkt. Die Spielräume, die diese Normen lassen, werden mit dem normativen Gehalt der Grundrechte ausgefüllt. 46. Die Methode, mit der innerhalb der zivilrechtlichen Spielräume eine Konfliktlösung der widerstreitenden Interessen zu finden ist, ist die Güterabwägung zwischen den kollidierenden Interessen. Zwar haftet dieser Methode die Gefahr mangelnder Objektivität an. Aufgrund ihrer Alternativlosigkeit ist die Methode zum Interessenausgleich gleichwohl unentbehrlich. 47. Bei der Abwägung werden die einander gegenüberstehenden Verfassungsgüter verhältnismäßig, d.h. proportional gewichtet. Dabei wird wie bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung der schonendste Ausgleich ermittelt. Die kollidierenden Grundrechtspositionen stehen sich gleichwertig gegenüber. Eine Überprüfung der Zweck-Mittel-Relation wie bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung findet nicht statt, da der Grundrechtsgebrauch des einen Grundrechtsträgers kein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in die Grundrechte des anderen Grundrechtsträgers ist. 48. Der Güterausgleich im Rahmen der Abwägung bestimmt sich in erster Linie nach den einschlägigen gesetzlichen Regelungen, denn die zugrundeliegende Wertungsarbeit ist in erster Linie eine Aufgabe des Gesetzgebers. Ein gesetzesübergreifendes, universelles Abwägungsmuster ist daraus jedoch nicht erkennbar. 49. Die Kommunikationsgrundrechte aus Art. 5 GG und das allgemeine Persönlichkeitsrecht stehen in der Abwägung abstrakt gleichwertig nebeneinander. Eine Wertrangordnung, die die Höherwertigkeit einzelner Grundrechte vor anderen begründen könnte, existiert nicht. Eine Ausnahme gilt nur für die Menschenwürde, die das höchste Gut der Verfassungsordnung bildet. Sie wirkt in beiden Grundrechten als Kerngehalt gleichwertig weiter. Von einer besonders schweren Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann nicht automatisch auf eine Würdeverletzung geschlossen werden. 50. Der schonendste Ausgleich zwischen den kollidierenden Rechtsgütern ist im Rahmen der Abwägung dann gefunden, wenn die grundrechtlichen Funktio-
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nen im konkreten Fall zur optimalen Geltung gelangen. Anhand dieses Maßstabs kann die Intensität der jeweiligen Grundrechtsbeeinträchtigung gemessen und zueinander in Verhältnis gesetzt werden. 51. Als objektives Kriterium in der konkreten Abwägung muss die Wahrheit bzw. Authentizität einer Äußerung berücksichtigt werden, die zwar nicht unumstößlich festgestellt, aber auf ihre Plausibilität hin untersucht werden kann. Mit abnehmender Plausibilität der Wahrheit bzw. der Authentizität sinkt das Gewicht der Kommunikationsfreiheit im konkreten Fall. Es tendiert bei Äußerungen, die sich als unwahr bzw. unauthentisch darstellen, gegen Null. Aufgrund seines Realitätsbezuges kann dieser Maßstab allein auf Konflikte des Art. 5 GG mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung zur Anwendung kommen. 52. Als weiteres objektives Kriterium muss in der Abwägung die gesellschaftliche Relevanz des Kommunikationsinhalts eingestellt werden. Entscheidend ist dabei nicht die Qualität des konkreten Inhalts, sondern die Qualität des gesellschaftlichen Interesses an einem bestimmten Informationskomplex. Als Kriterium aus dem Bereich der Kommunikationsgrundrechte ist sie dem Kriterium des Sozialbezugs auf der Seite des Persönlichkeitsrechts entgegenzusetzen. 53. Die Art der Informationserlangung ist als Kriterium aus der Sphäre des Kommunizierenden bei der Abwägung zu berücksichtigen. War die Erlangung der später weitergegebenen Informationen rechtswidrig, kann das einschlägige Kommunikationsgrundrecht das allgemeine Persönlichkeitsrecht nur unter ganz ungewöhnlichen Umständen überwiegen. Eine besonders beeinträchtigungsintensive, allerdings nicht rechtswidrige Art der Informationsbeschaffung erhöht in der Abwägung das Gewicht des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, eine ausschlaggebende Wirkung kommt ihr jedoch nicht zu. Das Kriterium der Informationserlangung kann lediglich bei Konflikten mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung Anwendung finden. 54. Die Intention des Kommunizierenden findet in der Abwägung keine Berücksichtigung. Eine Ausnahme gilt nur dort, wo der Grundrechtsgebrauch in den Grundrechtsmissbrauch umschlägt. Lässt sich eindeutig objektiv feststellen, dass ein Grundrechtsmissbrauch vorliegt, wird das Gewicht der Kommunikationsfreiheit auf ein Mindestmaß reduziert. Im Zweifel ist nicht von einem Grundrechtsmissbrauch auszugehen. 55. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht erweist sich seiner Struktur nach als ein den speziellen Grundrechtsgewährleistungen gegenläufiges Prinzip. Denn durch jeden Freiheitsgebrauch exportiert der Grundrechtsträger einen Teil seiner engeren persönlichen Lebenssphäre in die Gesellschaft hinein und schwächt seine Verankerung im allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Das Vorverhalten des Grundrechtsträgers wird in der Abwägung daher berücksichtigt bei der Frage nach dem Sozialbezug einer bestimmten Information.
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56. Der Sozialbezug der Information bemisst sich nach einem Drei-EbenenModell, das die Bereiche der Intim-, Privat- und die Sozialsphäre umfasst. Die Intimsphäre markiert denjenigen Bereich, den der Grundrechtsträger vor jeder gesellschaftlichen Einwirkung und jeder Ausstrahlung in die Gesellschaft hinein verschließt. Ihr Gewicht kann von den Kommunikationsgrundrechten in aller Regel nicht überwogen werden. Die Privatsphäre umfasst denjenigen Bereich menschlicher Lebensgestaltung, den der Grundrechtsträger einem begrenzten und überschaubaren Kreis von Personen zugänglich macht. Ein eindeutiges Präjudiz für sein Überwiegen lässt sich nicht ausmachen. Die Sozialsphäre umfasst alle Bereiche der Persönlichkeit, die der Grundrechtsträger in aller Regel in die Gesellschaft hineinträgt und mit seiner Außenwelt teilt. Sie hat ein gewisses Gewicht, das jedoch leichter überwogen werden kann. 57. Diesem Drei-Ebenen-Modell auf der Seite des Persönlichkeitsrechts ist auf der Seite der Kommunikationsgrundrechte das Kriterium der gesellschaftlichen Relevanz entgegenzustellen, die ebenfalls anhand eines Drei-EbenenModells bemessen wird. Die erste, am stärksten geschützte Ebene wird dabei durch Kommunikationsäußerungen mit formal-demokratischen Inhalten konstituiert. Die zweite Ebene wird von solchen Kommunikationsäußerungen gebildet, deren Inhalte Bereich berühren, die öffentlich relevant sind, aber keinen formalen Demokratiebezug aufweisen. Auf der dritten Ebene stehen diejenigen Kommunikationsäußerungen, die nur die Neugier befriedigen sollen, an denen also kein qualifiziertes Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht. 58. Die gesellschaftliche Relevanz des Kommunikationsinhalts wird mit seinem Sozialbezug in einem doppelstufigem Drei-Ebenen-Modell in Verbindung gesetzt. Wenn einer der beiden kollidierenden Belange auf einer schutzintensiveren Stufe steht als der andere, spricht grundsätzlich eine Vermutung dafür, dass dieser Belang in der Abwägung überwiegt. Lediglich außergewöhnliche Umstände des Einzelfalls können diese Vermutung widerlegen und ein anderes Abwägungsergebnis rechtfertigen. Stehen sich die Belange auf Ebenen gleicher Schutzintensität gegenüber, können allein die besonderen Umstände des Einzelfalls über das Ergebnis einer gerechten Abwägung entscheiden. Die überkommene Figur der Person der Zeitgeschichte als Abwägungskriterium wird auf diese Weise obsolet. 59. Für die Grundrechte der Kunst- und der Wissenschaftsfreiheit gilt dieses doppelstufige Drei-Ebenen-Modell in vereinfachter Form. Da die grundrechtliche Funktionserfüllung dieser Gewährleistungen unabhängig vom Inhalt ist, entfällt eine inhaltliche Ausdifferenzierung im Rahmen der Abwägung. Auf der Seite der Kommunikationsgrundrechte stehen sie dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auf einer einheitlichen Stufe entgegen, die der zweiten Ebene des Modells entspricht.
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Fünftes Kapitel: Lösung des Grundrechtskonflikts durch Straf- und Zivilrecht 60. Der konkrete Interessenausgleich zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und den von Art. 5 GG geschützten Kommunikationsfreiheiten findet vor allem mit den Mitteln des Straf- und Zivilrechts statt, die bestimmte einfachgesetzliche Rechtsfolgen an das Vorliegen eines Grundrechtskonflikts knüpfen. Diese Vorschriften stellen nicht nur selbst Abwägungskriterien für die Grundrechtsabwägung auf, vielmehr wird ihre Auslegung im Wege der mittelbaren Drittwirkung selbst wiederum maßgeblich von den Grundrechten bestimmt. Als maßgebliche Vorschriften erweisen sich im Strafrecht die Straftatbestände der Beleidigung, üblen Nachrede und Verleumdung in §§ 185 ff. StGB, im Zivilrecht wird ein konkreter Ausgleich vor allen Dingen durch die Ansprüche auf Unterlassung, Schadenersatz, Geldentschädigung und Berichtigung ermöglicht. 61. Diese straf- und zivilrechtlichen Instrumente versuchen zwar inhaltlich einen gleichberechtigten Ausgleich zwischen den Kommunikationsfreiheiten und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zu schaffen, setzen strukturell allerdings ausschließlich auf der Seite der Kommunikationsfreiheiten an, indem sie bestimmte Rechtsfolgen an vergangene oder künftige Äußerungen knüpfen. Sie üben daher in eine besonders einschneidende Wirkung auf die Grundrechtsfunktion der Schaffung eines freien geistigen Klimas aus. In Hinblick auf diese Auswirkungen ist daher zwischen der Vergangenheits- und Zukunftsgerichtetheit einer Maßnahme und damit zugleich zwischen ihrer spezial- und generalpräventiven Wirkung zu unterscheiden. Die Instrumente des Strafrechts sowie die zivilrechtlichen Instrumente des Schadensersatz-, Geldentschädigungs- und Berichtigungsanspruchs sind dabei als vergangenheitsbezogen einzustufen, da sie alle eine Rechtsfolge an ein bereits abgeschlossenes, vom Anspruchsverpflichteten nicht mehr zu veränderndes Verhalten knüpfen. Ihnen kommt daher auch in ganz besonderer Weise eine generalpräventive Wirkung zu. Der Unterlassungsanspruch hingegen ist in seinen Voraussetzungen unmittelbar nur zukunftsbezogen, so dass ihm in erster Linie spezialpräventive Wirkung zukommt. 62. Diese besondere Interessenlage spiegelt sich auch darin wider, dass zumindest für die Erfüllung der einschlägigen Straftatbestände sowie für den Geldentschädigungs- und Schadenersatzanspruch Vorsatz bzw. Verschulden des Betroffenen erforderlich ist. Wenn er schon in der Gegenwart auf die Verhängung der staatlichen Maßnahme keinen Einfluss mehr hat, so darf ihm doch zumindest in der Vergangenheit nur ein vorsätzliches bzw. schuldhaftes Verhalten zur Last gelegt werden können. Für den Unterlassungsanspruch, der lediglich an ein zukünftiges Verhalten anknüpft, ist hingegen kein Verschulden erforderlich, da der Anspruchsgegner hier noch volle Entscheidungsfreiheit hinsichtlich seines anspruchsrelevanten Verhaltens hat.
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63. Aus diesem Grund muss aus verfassungsrechtlicher Perspektive auch beim Berichtigungsanspruch wie bei den anderen Ansprüchen auf Schadenersatz und Geldentschädigung ein Verschulden des Anspruchsgegners erforderlich sein. Der zivilrechtliche Streit nach der Rechtsgrundlage des Berichtigungsanspruchs muss daher bei verfassungskonformer Auslegung dahingehend entschieden werden, dass der Anspruch letztlich nur aus §§ 823, 249 BGB hergeleitet werden kann. Die verschuldensunabhängige Haftung aus § 1004 BGB analog muss hingegen angesichts der besonderen einschüchternden Wirkung, die auch dieser Anspruch auf die freie gesellschaftliche Meinungsbildung und -äußerung hat, als Rechtsgrundlage ausscheiden. 64. Wird bei der Anwendung konkreter straf- oder zivilrechtlicher Instrumente zunächst der einschlägige Schutzbereich des Art. 5 GG ermittelt, so verlagert sich für den Bereich der Kunstfreiheit nach dem ideolektischen Kunstbegriff das von der Rechtsprechung entwickelte Kriterium der Erkennbarkeit von der Ebene der Abwägung auf die Schutzbereichsebene. Denn ein Werk, in dessen Inhalt unzweideutig lediglich die Referenz zu einer bestimmten Person deutlich wird, ohne dass es bei entsprechendem Hintergrundwissen auch eine andere mögliche Deutungsvariante gäbe, unterfällt schon von vorne herein nicht dem hier vertretenen Kunstbegriff. 65. Allein die Tatsache, dass ein Kunstwerk Anleihen am Leben nimmt und dadurch Ähnlichkeiten nicht nur mit tatsächlichen Geschehnissen, sondern auch mit realen Personen produziert, reicht allerdings bei weitem nicht aus, um ihm den Schutz der Kunstfreiheit auch und gerade im Konflikt mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zu nehmen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass ein Kunstwerk auf diese Anleihen angewiesen ist, um hinreichende Redundanzen zu erzeugen, die erst ein Verstehen des Kunstwerks ermöglichen. 66. Dürfen bei der Auslegung des Inhalts eines Kunstwerks nur die denotativen Codes zur Entschlüsselung verwandt werden, so die Identifizierung einer Person und damit die Möglichkeit einer Persönlichkeitsrechtsverletzung doch nicht nur allein durch die triviale Alternative der Klarnennung des Namens erfolgen. Auch bei Umbenennung des Protagonisten kann eine Identifizierung erfolgen, sofern andere Eigenschaften der künstlerischen Figur auf sachlichbeschreibender Ebene einen eindeutigen und unzweifelhaften Rückschluss auf eine bestimmte Person zulassen. 67. Auf einfachgesetzlicher Ebene gilt wie auf verfassungsrechtlicher Ebene, dass einer massenmedialen Äußerung nicht zwangsläufig ein eindeutiger Inhalt zugemessen werden muss. Vielmehr kann eine Äußerung auch schlicht als mehrdeutig qualifiziert und in die rechtliche Betrachtung eingestellt werden, wenn sie in einer der Auslegungsvarianten geeignet ist, das Persönlichkeitsrecht eines Dritten zu verletzen. 68. Auf dieser Ebene ist dann in besonderer Weise die Natur der mehrdeutigen Äußerung in Rechnung zu stellen. Denn die mehrdeutige Äußerung stellt
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sich letztlich als Verknüpfung einer einzigen Form mit (mindestens) zwei unterschiedlichen Inhalten dar, die – gewollt oder ungewollt – durch diese Form transportiert werden. Bei der Knüpfung rechtlicher Konsequenzen an die Äußerung einer solchen mehrdeutigen Äußerung muss deshalb gerade bei vergangenheitsbezogenen Maßnahmen besonders unterschieden werden, ob die Form vorsätzlich oder zumindest fahrlässig benutzt wurde, um den mit ihr verknüpften persönlichkeitsrechtsverletzenden Inhalt zu vermitteln, oder ob den Entäußernden an der persönlichkeitsrechtsverletzenden Auslegungsvariante weder Vorsatz noch Verschulden trifft. 69. Für die Fälle mehrdeutiger Äußerungen ändern sich die Prüfungsmodalitäten eines zivilrechtlichen Anspruchs, der ein Verschulden voraussetzt, an zwei Punkten. Zunächst ändert sich bereits der Anknüpfungspunkt für ein mögliches Verschulden. Durch die fehlende verbindliche Auslegung einer Äußerung auf der Tatbestandsebene ist es im Falle einer mehrdeutigen Äußerung erforderlich, dass den Entäußerer hinsichtlich der Auslegung in persönlichkeitsrechtverletzender Weise selbst ein Verschulden trifft. Dabei darf dann jedoch nur ein modifizierter, auf Vorsatz begrenzter Verschuldensmaßstab zur Anwendung kommen. Maßgeblich soll und darf demnach nicht mehr sein, ob der Schädiger vorsätzlich oder fahrlässig eine persönlichkeitsrechtsverletzende Äußerung getätigt hat, sondern nur, ob er vorsätzlich eine mehrdeutige Äußerung abgegeben hat, die in einer Auslegungsvariante persönlichkeitsrechtsverletzend ist. 70. Für die Fälle mehrdeutiger Äußerungen im Strafrecht sind die für das Zivilrecht entwickelten Maßstäbe übertragbar. Bei der Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit einer Äußerungshandlung kann bei einer mehrdeutigen Äußerung auf eine der verbleibenden Auslegungsvarianten abgestellt werden, wenn diese den Tatbestand erfüllt. Die besondere Berücksichtigung der Mehrdeutigkeit von Äußerungen ist zumindest in Bezug auf die üble Nachrede und die Verleumdung auch bereits im Wortlaut der Strafvorschriften angelegt, da hier lediglich erforderlich ist, dass die Äußerung abstrakt geeignet ist, den sozialen Geltungsanspruch zu mindern. 71. Unabhängig von der Frage der Mehrdeutigkeit ist die Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit im Falle zivilrechtlicher Ansprüche mit der verfassungsrechtlichen Prüfung der Schutzbereichsverletzung weitestgehend kongruent. Denn tatbestandliche Voraussetzung für die verschiedenen Ansprüche ist jeweils allein eine in der Vergangenheit begangene oder für die Zukunft drohende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Eine solche Verletzung ist dementsprechend sowohl durch Beeinträchtigung des Rechts der persönlichen Ehre als auch durch Beeinträchtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung möglich. 72. Im Strafrecht liegt eine tatbestandsmäßige Beleidigung zunächst immer vor, wenn im verfassungsrechtlichen Sinne ein Konflikt einer grundrechtlich
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geschützten Äußerung mit dem Recht der persönlichen Ehre vorliegt. Auch eine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung kann allerdings tatbestandlich sein, wenn die Preisgabe der Information einen besonderen Bezug zur Ehre im strafrechtlichen Sinne aufweist. 73. Bei der üblen Nachrede und der Beleidigung muss zur Erfüllung des Tatbestandes eine Äußerung vorliegen, die in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung einer Person eingreift. Diese muss auch geeignet sein, den Betroffenen verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. Dieser ehrverletzende Inhalt muss jedoch nicht identisch sein mit dem Ergebnis der Auslegung, da es bei der üblen Nachrede und der Verleumdung allein auf die abstrakte Eignung zur Verächtlichmachung ankommt. In diesem Sinne ist nicht nur die konkrete Grundrechtsverletzung, sondern bereits die Grundrechtsgefährdung unter Strafe gestellt. Auch Äußerungen, die dem Schutz der Kunst- oder Wissenschaftsfreiheit unterfallen und deshalb normalerweise nicht in Konflikt mit dem Recht der persönlichen Ehre geraten, können bei Erfüllung der sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen daher den Straftatbestand der üblen Nachrede oder Verleumdung verwirklichen. 74. Liegen jenseits der Persönlichkeitsrechtsverletzung die übrigen Voraussetzungen der Straftatbestände bzw. der zivilrechtlichen Ansprüche vor, so ist schließlich auf der Ebene der Rechtswidrigkeit zu überprüfen, ob sich das allgemeine Persönlichkeitsrecht im verfassungsrechtlichen Konflikt mit den Kommunikationsfreiheiten durchzusetzen vermag und eine straf- oder zivilrechtliche Sanktions- bzw. Präventionsmaßnahme verhängt werden darf. Dabei sind die konfligierenden Grundrechtspositionen anhand der entwickelten Kriterien, insbesondere anhand des doppelstufigen Drei-Ebenen-Modells, gegeneinander abzuwägen.
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Sachverzeichnis Abbild 203 f., 270 f.
Auslegung 110 ff., 273 ff.
Abmahnkosten 280 f. Abwägung 178 ff.
– bei der Kunstkommunikation 131 ff., 276 ff.
– auf der Ebene der Rechtswidrigkeit 286 f.
– bei der Wissenschaftskommunikation 135 ff., 276 f.
– Methode 180 ff.
– im Strafrecht 253
– Ziel 210 f.
– meinungsfreundliche 279 f.
Abwägungskriterien
Ausstrahlungswirkung 134
– objektive 212 ff.
siehe auch soziale Ausstrahlung
– subjektive 240 ff.
Authentizität 212 ff.
Abwehrrecht 148
Autobiografie 271
Achtungsanspruch 253 Anwaltskosten 261
Bagatelleingriffe 150
ästhetische Realität 133
Bedeutungs-Baum 117 f.
Äußerungsfreundlichkeit 119
Bedeutungsseite 116
Äußerungszweck siehe Zweck
belangloses Datum 201
Aktivitätsschutz 139
Beleidigung 163, 252 f.
Allgemeines Persönlichkeitsrecht 139 ff.
– objektiver Tatbestand 252 ff.
– Fallgruppen 141 ff.
Beobachterrolle 102
– als grundrechtsgegenläufiges Prinzip 241 f.
Beobachtung zweiter Ordnung 93, 95
– Kategorisierung 143 f.
Berichterstattungsfreiheit 72
alltagssprachliche Decodierung 132 ff.
Berichterstattungsinteresse 217 ff.
Alternativformel 32
Berichtigungsanspruch 262 ff., 280 ff.
Amtsträger 186 ff., 239
Bezeichnendes 114
Anleihen am Leben 270
Bezeichnetes 114
Anthroposemiotik 112 Archivrecht 186 f., 189 f., 217
bildliche Kommunikation siehe optische Kommunikation
Auschwitzlüge 48
Bildschirmtext 67
Ausdifferenzierung 29, 33
Biller, Maxim 25, 269 ff.
Auskunftspflichten 62
Böll, Heinrich 48
Ausland 233
Böll-Walden-Entscheidung 48, 267
– subjektiver Tatbestand 253
Berichterstattung 73
Sachverzeichnis
322 Buddenbrooks 23
Drei-Ebenen-Modell 227 f.
Bundesarchivgesetz 186
– doppelstufiges 246
Bundesdatenschutzgesetz 146
– und Kunst- und Wissenschaftsfreiheit 247
Burda-Verlag 221
Durchschnittsempfänger 120 ff. Caroline-von-Monaco-Entscheidung 220 f., 268
– Ideologie 127
CD-Cover 220
„Durchschnittsideologie“ 127
– Unentbehrlichkeit 121 f.
Codeauswahl 118 ff. – bei der 131 ff.
Kunstkommunikation
Eco, Umberto 114 edukative Funktion siehe didaktische Funktion
– bei der Wissenschaftskommunikation 137 ff.
EGMR 220 ff.
Codes 115 f., 274 f.
Ehrbegriff
– denotative 115 f., 168, 221, 278
– normativer 165
– konnotative 116 f., 168
– strafrechtlicher 252
CSU 116 f., 273 ff.
Ehre 164 ff., 194 Ehrenrührigkeit
Darstellung der eigenen Person siehe Selbstdarstellung Dateien 146 Datenschutz 145 f. Demokratieprinzip 57, 59, 75, 172, 224, 229 demokratische Legitimationskette siehe Legitimationskette
– Eignung zur 255 Ehrschutz 162 ff. Ehrschutzdelikte 162 f. Eigengesetzlichkeit der Kunst 78, 80, 134 Eigentumsgarantie 159 Eindeutigkeit 136
demokratische Ordnung 218, 222
Eingriffsperspektive 180
demokratische Willensbildung siehe Willensbildung
EDV 200
demokratischer Prozess 156 Design 93 ff.
enge persönliche Lebenssphäre 140, 241
Didaktik 90
Entertainment Economy 156
didaktische Funktion 79 f.
entgangener Gewinn 261
Diffamierung 203, 236
Eppler-Entscheidung 141
digitale Kompressionstechnik 65
Erkennbarkeit 270 f.
Digitalisierung 66
Esra 25, 270 ff.
Diskurs
Exaktheit 136
Empfänger 35
– öffentlicher 57, 223 siehe auch Gemeinwohldiskurs Doktor Faustus 271
Falschdarstellung 151 f. Falschzitate 143
Sachverzeichnis
323
Familie 221, 243
– der Kunstfreiheit 99 ff.
Fernsehen 67
– der Medienfreiheit 74 f.
fiktionale Realität 46
– kommunikationsfördernde 170
Filmbilder 40
– mystische 82, 90
Filme 69
– optimale Erfüllung 211
Filmfreiheit 30, 61 ff.
– politische 56, 224
flüchtiger Leser 123 Folgenbeseitigungsanspruch 262 f.
– der Wissenschaftskommunikation 106 ff.
Form
funktionales Äquivalent 88
– der Äußerung 253, 284
Fußballspieler 219
– Begriff 87 f. – der Kunstkommunikation 86 ff.
Gauck-Behörde 187
– bei der Medienfreiheit 65 ff.
Gedächtnis 60
– bei der Meinungsfreiheit 36
Gegendarstellungsrecht 257
– der 106
Wissenschaftskommunikation
172,
182 f.,
Gegenschlag 203 f., 238
formal-demokratische Inhalte 45, 224
Geldentschädigung 261 f., 279 ff.
Formalbeleidigung 203, 236
Gelingen 96
Forschung 103
Geltungswert 252
Forschungszusammenhang 138
Gemeinschaftsbezogenheit 242
Fotografien 40
Gemeinschaftsgebundenheit 241
Fragen 43
Gemeinwohl 56, 75
freies gesellschaftliches Klima 38, 47, 49 f., 56, 264, 281 f.
Gemeinwohldiskurs 56, 75
Freiheit massenkommunikativer Vermittlung 74
Generalprävention 265 f., 281
freiheitlich demokratische Grundordnung 241
Geringschätzung 252
freiheitliches Lebensklima siehe freies gesellschaftliches Klima
Geschäftszwecke 219
Funktion – des allgemeinen Persönlichkeitsrechts 170 ff.
Generalklauseln 195 Genugtuung 261 Gesamtdarstellung 122 gesellschaftliche Einbindung der Kunst 240 gesellschaftliche Relevanz 217 ff.
– dekorative 90
Gesellschaftsbezug 217
– demokratische 218, 247
gesprochenes Wort 194
– Friedens– 172
siehe auch Recht am eigenen Wort
– gesellschaftliche 56 ff., 218, 220
Gesundheitszustand 244
– identitätsbildende 220
Gewissensfreiheit 140
– individuelle 53 ff.
Glaubwürdigkeit 45, 215
– der Kommunikationsfreiheit 53 ff.
Gründgens, Gustav 24, 271
324
Sachverzeichnis
Grundrechtsfunktion siehe Funktion Grundrechtsgebrauch 235 ff. Grundrechtsgefährdung 286 Grundrechtskollision 176 Grundrechtskonflikt – Spezifizierung 211 Grundrechtsmissbrauch 236 Grundrechtsverwirkung 240 ff. Güterabwägung siehe Abwägung guter Ruf 164 Hachfeld, Rainer 272 Hegel, Georg 80 Herabsetzung 165, 236 Hilfsansprüche 280 f. Hintergrundwissen 61, 77, 103, 125 ff., 227, 253, 275 f. höchstpersönlicher Lebensbereich 194 Humboldt, Wilhelm von 132 Ich-Erzähler 46, 271 Identität – Arbeit an der eigenen 54, 74 Identitätsbildung 153, 176 Ideolekt des Kunstwerks 131 f. Ideologie 126 ff. – und Durchschnittsempfänger 127 Ikonographie 90 Image 154 ff., 238 Imagination – zuschießende 93 Imitation der Natur 133 Immaterialgüterrecht 160 Individualitätsschutz 242 Individualkommunikation 75 Information 146 – fixierte 147
informationelle Selbstbestimmung siehe Recht auf informationelle Selbstbestimmung Informationserlangung 230 ff. – im Ausland 233 – rechtwidrige 232 f. Informationsfreiheit 30 f. Informationsfreiheitsgesetz 189 f. Informationsgesellschaft 99 Informationsweitergabe 47 Inhaber politischer Funktionen 187 Inhalt – der Kunstkommunikation 85 f. – bei der Medienfreiheit 72 ff. – bei der Meinungsfreiheit 37 ff. – der 106
Wissenschaftskommunikation
Inhaltsblindheit 110 Inhaltskontrolle 225 ff. innere Tatsachen 44 Institut „Freie Presse“ 62 inszenierte Realität 40 Inszenierung siehe Selbstinszenierung Integrationsprozesse 220 Integritätsschutz 139 Interessenausgleich – durch Gesetz 182 ff. Internetpublikationen 69 Interpretation siehe Auslegung Intimsphäre 199, 243 f. Jedermanngrundrechte 35 Kant, Immanuel 100 Kausalität 260 Kempker, Birgit, 277 Kinder 221 Kitsch 93 ff.
Sachverzeichnis Klatsch 149
Landesarchivgesetz 190 f.
Kommentare 267 Kommerzialisierung 157
Landesinformationsfreiheitsgesetze 192
Kommunikation 35
Landespressegesetze 192 f.
Kommunikationsbasis
Lebenseinstellungen 220
– Erweiterung 100, 108
legislative Ausgleichsentscheidung 182
Kommunikationsintention 235 ff. Kommunikationsrestriktionsrecht 150, 173
325
Legitimation 58 Legitimationskette 57, 75
Kommunikationsverfassung 28, 222
Lehre 104
Kommunikationszusammenhang 118, 122 f., 253, 275 f.
Linguistik 111 f., 113
Konsens
Lüth-Entscheidung 178, 205 f.
Literatur 83, 203
– Befreiung von 92 f. Kontext
Mann, Klaus 23, 270
– politischer und sozialer 123
Mann, Thomas 23, 271
siehe auch sammenhang
Kommunikationszu-
Massenkommunikation 28, 35, 74 Massenmedien 28, 155, 173
Kontrolle 58
Mediendemokratie 224
kreativer Sprachgebrauch 129 ff.
Mediendienste auf Abruf 68
Kreditgefährdung 256
Medienfreiheit 74 f., 267 f.
Kultur 227
Mediengesellschaft 155
kulturelle Einheit 114
Medienrealität 215
Kunstbegriff
Mehrdeutigkeit 128, 278 ff.
– formaler 31, 85
Meinungen 29, 37
– ideolektischer 98, 269 f.
Meinungsbildungsprozess 56
– materieller 31, 85
Meinungsfreiheit 36 ff., 75
– offener 32, 85, 89, 94
Meinungsfreundlichkeit 278 f.
– Subsumtion unter einen 97
Meinungskampf 203, 218
– zeichentheoretischer 89 Kunstfreiheit 75, 268 ff.
Menschenwürde 140, 152, 165, 206, 207 ff., 216, 244
Kunsthandwerk 94
Mephisto 23, 269 ff.
Kunstkommunikation 75 ff., 82 ff.
Missachtung 252
– Form siehe Form
mittelbare Drittwirkung 176 ff., 251
– Inhalt siehe Inhalt
Mittlerfunktion 83
Kunstsystem 80, 95
Mystifizierung 82 f.
Kunsturhebergesetz 183 f., 217 f. Kunstverständnis
Nachstellen 232
– vormodernes 79
Nationalsozialismus 78
Sachverzeichnis
326 Nebenstrafrecht 196
Presseberufe 62
Neue Medien 69, 71
Pressefreiheit 30, 61 ff.
Neugierde 202, 218 ff., 222, 227 Nichtachtung 252
Pressegesetze siehe Landespressegesetze
Niveaukontrolle 225
Presseorgane 62
Nivellierung 78
Privat- und Familienleben 222
Non-Verbalität 88 f.
Privatrechtsverhältnis 178 f.
v. Noorden, Wilhelm 89
Privatsphäre 53, 200, 233, 245 f.
Normenkonflikt 176
Produkt 158
NPD 116 f., 273 ff.
proportionaler Ausgleich 182, 211
Nutzlosigkeit der Kunst 84
Proportionalität 182
objektiv-rechtliche Grundrechtsgehalte 61 ff. – Gefahrenpotentiale 62 f. objektiver Empfängerhorizont 119
Publikationsfreiheit 105 Rahmenrecht 260
objektiver Sinngehalt 253
Realitätsbezug 215
öffentliche Aufgabe 63
Realitätsmaßstab 215
öffentlicher Wachhund 222
Recht am eigenen Bild 144, 184 f.
Öffentlichkeit 58
Recht am eigenen Wort 144
örtliche Abgeschiedenheit 200 Offenheit des Kommunikationsprozesses 172 optische Kommunikation 39, 214
Recht auf informationelle Selbstbestimmung 144 ff., 168, 195, 201 Recht der freien Rede 38 Recht zum Gegenschlag siehe Gegenschlag
Persönlichkeitsausdruck 38, 53
Rechtsprechung 196 ff.
Persönlichkeitsbild 153 f. Persönlichkeitsentfaltung 242
Prozess der öffentlichen Meinungsbildung siehe Meinungsbildungsprozess
Rechtswidrigkeit 287 108,
139,
Person der Zeitgeschichte 183 f., 186 ff., 191, 198 f., 200, 240, 246 f.
Redundanzen 133, 272 referent 115 Regulierung 63
Personalakten 189
Richtervorbehalt 78
personaler Geltungswert 165
Risikoverteilung 130, 256
Phantasie 135
Romane 272 ff.
Pluralitätssicherung 63
rule-changing creativity 130
politische Gestaltung 183
rule-governed creativity 130
postmortales Persönlichkeitsrecht 188
rundfunkähnliche Kommunikation 68
Prävention 262
Rundfunkbegriff 66
praktische Konkordanz 182
– „dynamischer“ 67
Sachverzeichnis Rundfunkfreiheit 30, 61 ff. – naturwissenschaftliche reichsbestimmung 66
327
– Auswahl 275 ff. Schutzbe-
– funktionale Schutzbereichsbestimmung 67 Rundfunkordnung 65 f.
Sinnstiftung 108 „Soldaten sind Mörder“ 116 ff., 275 ff. Sonderrechtslehre 205 Sorgfalts- und Recherchepflichten 201 f., 235 Sozialadäquanz 149
Sammelbilder 219
Sozialbezug 133, 200, 228, 242 ff.
Sammelmünze 219
soziale Ausstrahlung 133 ff.
Sanktionen 264 ff.
soziale Friedensfunktion 172
Satire 44, 131
soziale Gemeinschaft 241
de Saussure, Ferdinand 114
soziale Kontakte 171
Schadenersatzanspruch 259 ff., 279 ff.
soziale Wirklichkeit 81
Schemabildung 55
sozialer Geltungsanspruch 152 ff.
Schmähkritik 203, 236
sozialer Geltungswert 165
Schmerzensgeld 261
sozialer Integrationsstatus 156
schonender Ausgleich 210
soziales Umfeld 244 f.
Schutzbereichsbestimmung 267 ff.
Sozialsphäre 200, 245
Schutzpflichten 182
soziologische Breitenwirkung 64
Selbstbeobachtung 101 f.
Spezialprävention 266 f., 281
Selbstbestimmung 244
Sphärentheorie 199 f.
Selbstbewusstsein 171
– modifizierte 242 ff.
Selbstdarstellung 55, 154 ff.
Spiegel-Entscheidung 61
Selbstdarstellungsrecht 150 ff.
Sport 227
Selbstentfaltung siehe Persönlichkeitsentfaltung
Sprachphilosophie 111 f.
Selbstinszenierung 238 Selbstkontrolle 233 Selbstorganisation der Öffentlichkeit 52
Sprachwissenschaft 111 f. Stasi-Unterlagen-Gesetz 187, 217 Stolpe, Manfred 279 Stolpe-Entscheidung 279 ff.
Selbstzweckhaftigkeit der Kunst 84
Strafgesetzbuch 194 ff.
semantische Differenz 129
Strafrecht 162, 194 ff., 251 ff., 286 ff.
Semiotik 112 ff.
Strafschadensersatz 265
semiotisches Dreieck 115
Straftäter 239
Sendefrequenzen 65
Straftaten 239
Sender 35
Strauß, Franz Josef 272
Sexualität 244
Strauß-Karrikaturen 272 ff.
Signifikant 114
Subcodes 116
Signifikat 114, 273 f.
Szenographie 59
328
Sachverzeichnis
Tagebuch 244
Vergangenheitsbezogenheit 265 f.
Tanz 82
Verhältnismäßigkeit 181
Tatsachenbehauptungen 37 ff., 184, 202 f. 212 f., 252, 256
Verhältnismäßigkeitsprinzip 205
– unwahre 47 ff.
Verletzungserfolg 283
technische Entwicklung 71
Verletzungshandlung 283
territoriale Geltung deutschen Rechts 233
Verleumdung 256 f., 285 ff.
Theater 82 Trivialität 93 ff. Übersetzbarkeit 92 Übersetzung 91 Übertreibung 44 Üble Nachrede 254 f., 283 ff. – objektiver Tatbestand 254 ff. – subjektiver Tatbestand 256 f. Umstände siehe Kommunikationszusammenhang
Verhaltensmuster 220
Vermarktung 155 Vermögenswert 159 Vermutungsregel 202, 218 Verpflichtungen aus Grundrechten 63 Verschulden 266 f., 281 ff. verständiger Dritter 253 verständiges Publikum 119 Vertrauensverhältnis 243 video on demand 69 Videotext 67 Volkssouveränität 57
Umweltinformationsgesetz 188
Volkszählungsurteil 141, 146
Umweltinformationsrichtlinie 189
Vorsatz 266 f., 281 ff.
Unbeobachtbarkeit der Welt 55
Vorverhalten 203, 237 ff.
Unmöglichkeit, Kunst zu definieren 31, 76 ff.
Wahlentscheidungen 156
Unübertragbarkeit 89
Wahlkampf 203
Unterhaltung 224
Wahrheit 50 f., 103, 106, 212 ff., 255
Unterhaltungsinteresse 219 ff.
– Nichterweislichkeit 256
Unterlassungsanspruch 258 ff., 266, 279 ff.
– Relativität 214 ff.
Unwahrheit 256 Updike, John 25 Urbild 203, 270 f. „Urgrundrecht“ 36 Urheberpersönlichkeitsrecht 160, 241 Urheberrecht 94, 159 f., 240
– Ungewissheit der 234 Wahrheitsanspruch 44 f., 217 Wahrheitsdiskurs 51 f. Wahrheitssuche 51 f., 103, 107, 214 Walden, Matthias 48 Wandkalender 219 Wechselwirkung 181 Weimarer Reichsverfassung 205
Vereinheitlichung der kommunikationsspezifischen Schutzbereiche 29 Verfremdung 204
Welt- und Handlungswissen 59, 75, 125 Weltanschauung 126
Sachverzeichnis
329
Werbung 45, 219
Wissensschatz 119, 125
Werkbegriff 94
– Einfluss der Medien 125
Werkbereich 99
Wittgenstein, Ludwig, 76 f.
Werthaltungen 220
Wörterbuch 115
Wertrangordnung 205 Wertschätzung 172
Zeichen
Werturteile 37 ff., 202, 252
– Begriff 114
siehe auch Meinungen
– Inhalt 114
Wettbewerb der Äußerungen 52
– Wissenschaft von den 112
Widerruf 262
Zeichensystem 113
Wiedererkennbarkeit 133
Zeichnungen 269
Willensbildung 57, 75
Zeitgeschichte 184
Wirkbereich 99
zeitgeschichtlicher Bezug 123
Wirtschaft 227
siehe auch Kontext
wirtschaftliche Entwicklung 108
Zivilrecht 257 ff., 282 ff.
Wissen
Zukunftsbezogenheit 265 f.
– angenommenes 124 Wissenschaft
zuschießende Imagination siehe Imagination
– Begriff 103
Zweck 122, 235 ff.
Wissenschaftsdisziplinen 136 f. Wissenschaftsjournalismus 268 Wissenschaftskommunikation 102 ff. Wissensfortschritt 108
siehe auch Kommunikationsintention Zweck-Mittel-Relation 180