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German Pages 248 Year 2013
Schriften zum Betreuungsrecht Band 1
Patientenverfügungen psychisch kranker Personen und fürsorglicher Zwang
Von Jens Diener
Duncker & Humblot · Berlin
JENS DIENER
Patientenverfügungen psychisch kranker Personen und fürsorglicher Zwang
Schriften zum Betreuungsrecht Herausgegeben von Adrian Schmidt-Recla und Bernd-Rüdiger Kern
Band 1
Patientenverfügungen psychisch kranker Personen und fürsorglicher Zwang
Von Jens Diener
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristenfakultät der Universität Leipzig hat diese Arbeit im Wintersemester 2012/2013 als Dissertation angenommen.
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© 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 2197-1447 ISBN 978-3-428-14130-2 (Print) ISBN 978-3-428-54130-0 (E-Book) ISBN 978-3-428-84130-1 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorbemerkung der Herausgeber Mit der vorliegenden Studie eröffnen die Herausgeber die „Schriften zum Betreuungsrecht“. Diese Schriftenreihe ist notwendig, weil das private und das öffentliche Fürsorge-, Betreuungs- und Unterbringungsrecht, insoweit es sich auf volljährige Personen bezieht, binnen historisch kurzer Frist eine praktische Relevanz gewonnen hat (und infolge der Veralterung der Gesellschaft weiter gewinnen wird), die bislang nicht nennenswert kritisch-wissenschaftlich begleitet wird. Zwar hat das Thema „Patientenverfügung“ in den vergangenen Jahren einige Dissertationsschriften hervorgebracht und zwar existieren einige Kommentarwerke – vor allem aus hoch verdienter Praktikerhand. Aber: Sowohl Grundfragen als auch charakteristische Spezialprobleme des materiellen und des prozessualen Fürsorge-, Betreuungs- und Unterbringungsrechts sind bislang wenig monographisch untersucht. Was ebenfalls fehlt, sind kritische Blicke auf die Rechtstatsachen, sowohl im Bereich der Betreuungsarbeit als auch in der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Vorzüge und Schwächen des geltenden Fürsorge- und Betreuungsrechts, das sich vor mehr als zwanzig Jahren von der Entmündigung lösen und an deren Stelle das neue Paradigma von der helfenden Unterstützung setzen wollte, sind ohne diese kritische Reflexion nicht genügend erkennbar. Band 1 eröffnet die Schriftenreihe mit einem Thema, das genau an der Schnittstelle der Diskurse angesiedelt ist. Während die Diskussionen um die Patientenverfügung sich seit etwa 2009 beruhigten, rissen die UN-Behindertenrechtskonvention und das BVerfG kurz danach Lücken in das bisherige Modell der Behandlung psychisch kranker, volljähriger Personen. Es sind dogmatische Grundpfeiler, die hier ins Wanken gerieten und die durch eine Verzahnung der Argumentationsstränge wieder gefestigt werden könnten. Diesen Versuch unternimmt der Eröffnungsband der Schriftenreihe; weitere Arbeiten werden folgen. Die Herausgeber danken dem Verlag Duncker & Humblot und seinem Geschäftsführer Dr. Florian R. Simon, LL.M., für den Rahmen, der sich mit der Schriftenreihe für die kritische Reflexion über Grundfragen des Fürsorge- und Betreuungsrechts eröffnet und der dazu beitragen kann, ein noch weitgehend unerschlossenes Rechtsgebiet zu kultivieren. Leipzig, im Juni 2013
Adrian Schmidt-Recla Bernd-Rüdiger Kern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2012/2013 von der Juristenfakultät der Universität Leipzig als Dissertation angenommen. Zu Beginn der Arbeit war nicht absehbar, welche Dynamik der Themenkomplex „Patientenverfügung und fürsorglicher Zwang“ im Allgemeinen gewinnen wird. Erst nach den Entscheidungen des BVerfG vom 23. März 2011 und vom 12. Oktober 2011 zur Verfassungswidrigkeit verschiedener landesgesetzlicher Eingriffsgrundlagen zur Zwangsbehandlung konnte erahnt werden, in welcher historischen Umbruchphase sich das Recht der Zwangsbehandlung – sowohl öffentlich-rechtlich als auch betreuungsrechtlich – befindet. Wenige Wochen nach Einreichung der Arbeit überschlugen sich die Ereignisse: Der BGH griff mit Beschluss vom 20. Juni 2012 die vom BVerfG vorgegebene Linie auf und erklärte in Abkehr zu seiner durchaus noch jungen Rechtsprechung aus dem Jahre 2006 die Zwangsbehandlung auf Grundlage des Betreuungsrechts für unzulässig. Der Gesetzgeber hat hierauf mit dem Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme vom 18. Februar 2013 – in Kraft seit dem 26. Februar 2013 – reagiert und eine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage zur medizinischen Zwangsbehandlung in das BGB eingefügt. Davon unabhängig wurde durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20. Februar 2013 in die durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts geschaffene Rechtslage im praktischen Ergebnis abermals eingegriffen. Dieses durchaus widrige Umfeld stellte für die vorliegende Arbeit eine erhebliche Herausforderung dar. Um die Nußschale der Dissertation bis zur abschließenden Veröffentlichung durch die stürmische See zu steuern, wurden die skizzierten aktuellen Entwicklungen im erforderlichen Umfang aufgegriffen und eingearbeitet. Nicht mehr berücksichtigt werden konnte das Werk von Götz, „Die rechtlichen Grenzen der Patientenautonomie bei psychischen Erkrankungen“, da die Arbeiten am Manuskript bei Erscheinen bereits abgeschlossen waren. Großer und nicht genug zu betonender Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Schmidt-Recla, der mir stets als kritischer und motivierender Diskussionspartner zur Verfügung stand. Herrn Prof. Dr. Kern danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. In privater Hinsicht danke ich meiner Frau Anne, die mir den notwendigen zeitlichen Freiraum zur Erstellung der Arbeit ermöglichte, was bei einer jungen Familie mit Kindern keinesfalls selbstverständlich ist. Saarbrücken, im Mai 2013
Jens Diener
Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Die Entwicklung des Rechts der Patientenverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Rechtslage vor dem 1. September 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Diskussion in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff der Patientenverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dogmatische Einordnung der Patientenverfügung . . . . . . . . . . . . . . . c) Wirksamkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Anwendungssituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Entwicklung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) BGHSt 32, 367 – sog. Wittig Fall, Urteil vom 4. Juli 1984 . . . . . . . b) BGHSt 40, 257 – sog. Kemptener Urteil vom 13. September 1994 . . c) BGHZ 154, 205 – sog. Lübecker Fall, Beschluss vom 17. März 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) BGHZ 163, 195 – sog. Traunsteiner Fall, Beschluss vom 8. Juni 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Analyse der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Zusammenfassende Bewertung des Diskussionsstandes . . . . . . . . . . II. Das Gesetzgebungsverfahren vorbereitende Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Arbeitsgruppe 2003 „Patientenautonomie am Lebensende“ . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Thesen zum Selbstbestimmungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Thesen zu Inhalt, Form und Verbindlichkeit von Patientenverfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Besonderheiten in Bezug auf psychische Erkrankungen . . . . . . . . . . e) Zusammenfassende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zwischenbericht „Patientenverfügungen“ vom 13. September 2004 aa) Wirksamkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verbindlichkeit und Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sachbericht vom 6. September 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Besonderheiten in Bezug auf psychische Erkrankungen . . . . . . . . . .
24 24 24 25 25 28 29 30 30 32 32 33 34 35 36 38 39 39 39 39 41 42 43 44 44 45 47 47 48 48
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Inhaltsverzeichnis e) Zusammenfassende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stünker-Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wirksamkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Reichweite des Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Besonderheiten in Bezug auf psychische Erkrankungen . . . . . . . . . . 3. Bosbach-Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wirksamkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Reichweite des Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Besonderheiten in Bezug auf psychische Erkrankungen . . . . . . . . . . 4. Zöller/Faust-Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wirksamkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Reichweite des Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Besonderheiten in Bezug auf psychische Erkrankungen . . . . . . . . . . 5. Beschlussempfehlungen und Bericht des Rechtsausschusses . . . . . . . . . 6. gesetzgeberisches Leitbild – Beratungen im Plenum . . . . . . . . . . . . . . . . a) Orientierungsdebatte zum Thema Patientenverfügungen am 29. März 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des Stünker-Entwurfs am 26. Juni 2008 . . . . . . . . . . c) Erste Beratung der Entwürfe Bosbach und Zöller/Faust am 21. Januar 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zweite und dritte Beratung der Entwürfe am 18. Juni 2009 . . . . . . . 7. Zusammenfassende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
C. Die Rechtslage nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts unter besonderer Berücksichtigung der Patientenverfügung von psychisch kranken Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anwendbarkeit des Rechts der Patientenverfügung bei psychischen Krankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Begriff der psychischen Krankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das medizinische Verständnis des Begriffs „psychische Krankheit“ . . . 2. Das juristische Verständnis des Begriffs „psychische Krankheit“ . . . . . a) Begriff im BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Begriff in den Unterbringungsgesetzen der Länder . . . . . . . . . . . . . . c) Begriff in der Europäischen Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Sachverständige in Schnittstellenfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49 50 50 50 50 51 51 53 53 53 53 54 56 56 56 56 57 58 58 59 59 60 61 62 62
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Inhaltsverzeichnis
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a) Das Erfordernis medizinischen Sachverstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfahrensrechtliche Absicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begriff der Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB . . . . . . . . IV. Wirksame Errichtung und Widerruf einer Patientenverfügung . . . . . . . . . . 1. Volljährigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schriftliche Festlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einwilligungsfähigkeit im Zeitpunkt der Errichtung . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Zustand der Einwilligungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Begriffliche Einschränkungen der Gestaltungsmöglichkeiten . . . . . . . . a) Das Bestimmtheitserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Unmittelbarkeitserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Widerruf der Patientenverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erfordernis der Einwilligungsfähigkeit für den Widerruf . . . . . . . . . b) Möglichkeit des Ausschlusses der Widerrufsmöglichkeit . . . . . . . . . V. Die Durchsetzung des in der Patientenverfügung festgehaltenen Willens . . 1. Das sog. „Vier-Augen-Prinzip“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgangsposition nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Veränderte Rechtslage nach dem Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20. Februar 2013 . . . . . 2. Vermeidung der Einrichtung einer Betreuung durch Vorsorgevollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vorausverfügungen nach § 1901a Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Problematik der Notfallmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgangsposition nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Veränderte Rechtslage nach dem Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20. Februar 2013 . . . . . 5. Genehmigung des Betreuungsgerichts bei ärztlichen Maßnahmen . . . . VI. Zusammenfassung und Bewertung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . .
72 74 76 78 78 78 79 84 85 85 89 89 89 94 101 101
D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen gegen psychisch kranke Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen des Selbstbestimmungsrechts 1. Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
101 104 107 109 110 110 117 120 122 126 126 129 130 134 135 136
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Inhaltsverzeichnis 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 III. Möglichkeiten antizipierter Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Patientenverfügungen im Sinne des § 1901a Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . 2. Vorausverfügungen gemäß § 1901a Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vorausverfügungen gemäß § 1901 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verhältnis des § 1901 Abs. 3 BGB zu §§ 1901a ff. BGB . . . . . . . . . b) Der „Wunsch-Wohl-Konflikt“ in § 1901 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . 4. Behandlungsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwangsmaßnahmen auf Grundlage des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Betreuerbestellung nach § 1896 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einrichtung eines Einwilligungsvorbehalts nach § 1903 Abs. 1 BGB . . 3. Unterbringungen gemäß § 1906 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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a) Unterbringung wegen Eigengefährdung, § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB . . aa) Einflussnahme durch eine Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einflussnahme durch eine Vorausverfügung gemäß § 1901a Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Einflussnahme durch eine Vorausverfügung gemäß § 1901 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Verfassungsmäßigkeit des gefundenen Ergebnisses . . . . . . . . . . (1) Die Prämissen Broseys – Schärfung der Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Herleitung des Selbstbestimmungsrechts in den zu beurteilenden Fällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unterbringung zur Untersuchung des Gesundheitszustands, zur Heilbehandlung oder zur Vornahme eines ärztlichen Eingriffs, § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einflussnahme durch eine Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einflussnahme durch eine Vorausverfügung gemäß § 1901a Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Einflussnahme durch eine Vorausverfügung gemäß § 1901 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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dd) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Unterbringungsähnliche Maßnahmen gemäß § 1906 Abs. 4 BGB . . . . . a) Freiheitsentzug durch Sedierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einflussnahme durch eine Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einflussnahme durch Vorausverfügungen gemäß § 1901a Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
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cc) Einflussnahme durch Vorausverfügungen gemäß § 1901 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 b) Freiheitsentzug durch mechanische Vorrichtungen oder auf „andere Weise“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 V.
5. Zusammenfassung zu den Zwangsmaßnahmen auf Grundlage des BGB 176 Zwangsmaßnahmen auf Grundlage der Unterbringungsgesetze der Länder (ohne verfahrensrechtliche Zwangsmaßnahmen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 2. Verhältnis der öffentlich-rechtlichen Unterbringung zur Unterbringung auf Grundlage des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 3. Einwirkungsmöglichkeiten auf das Recht der öffentlich-rechtlichen Unterbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 a) Die Eingriffsgrundlage setzt die Einwilligung des Betreuers voraus; bei der in Rede stehenden Maßnahme handelt es sich um eine medizinische Maßnahme (Fallgruppe 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 b) Die Eingriffsgrundlage setzt die Einwilligung des Betreuers voraus; bei der in Rede stehenden Maßnahme handelt es sich nicht um eine medizinische Maßnahme (Fallgruppe 2) . . . . . . . . . . . . . . . . 185 c) Die Einwilligung des Betreuers ist keine Tatbestandsvoraussetzung der Eingriffsgrundlage; bei der in Rede stehenden Maßnahme handelt es sich um eine medizinische Maßnahme (Fallgruppe 3) . . . . . 185 d) Die Einwilligung des Betreuers ist keine Tatbestandsvoraussetzung der Eingriffsgrundlage; bei der in Rede stehenden Maßnahme handelt es sich nicht um eine medizinische Maßnahme (Fallgruppe 4) . . 186 4. Einflussmöglichkeiten auf die öffentlich-rechtliche Unterbringung . . . 187 a) Situation in den Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 b) Anwendbarkeit des § 1901a BGB am Beispiel des § 10 Abs. 2 PsychKG Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 c) Einflussnahme durch Vorausverfügungen außerhalb des Anwendungsbereichs des § 1901a BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 aa) Unterbringung wegen Fremdgefährdung gemäß § 10 Abs. 2 Alt. 2 PsychKG Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 bb) Unterbringung wegen Selbstgefährdung gemäß § 10 Abs. 2 Alt. 1 PsychKG Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 5. Einflussnahme auf die Zwangsbehandlung nach dem PsychKG . . . . . . 191 a) Situation in den Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 b) Verfassungsmäßigkeit der Eingriffsgrundlagen – Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 aa) Beschluss vom 23. März 2011, Az: 2 BvR 882/09 . . . . . . . . . . . 193 bb) Beschluss vom 12. Oktober 2011, Az: 2 BvR 633/11 . . . . . . . . 194
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Inhaltsverzeichnis cc) Rückschlüsse aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf die Eingriffsgrundlagen für Zwangsbehandlungen im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung . . . . . . . . 195 c) Auswirkungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf den Fortgang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 d) Anwendbarkeit des § 1901a BGB auf die Fallgruppen 1 und 3 . . . . 199 e) Einflussnahme auf die Zulässigkeit einer Maßnahme nach der Fallgruppe 3 durch Vorausverfügungen außerhalb des Anwendungsbereichs des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 aa) Verstoß gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 bb) Ergebnis der Grundrechtsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 f) Zusammenfassung der Einflussnahmemöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . 203 6. Einflussnahme auf die Zwangsernährung nach dem PsychKG . . . . . . . 204 a) Situation in den Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 b) Auswirkungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf die Zulässigkeit der Zwangsernährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 c) Auswirkungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf den Fortgang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 d) Einflussnahme durch Patientenverfügungen oder sonstige Vorausverfügungen auf Zwangsernährungen nach den Unterbringungsgesetzen der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 e) Zusammenfassung der Einflussnahmemöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . 206 7. Einflussnahme auf unterbringungsähnliche Maßnahmen nach dem PsychKG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 a) Situation in den Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 b) Anwendbarkeit des § 1901a BGB am Beispiel des § 31 PsychKG Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 c) Einflussnahme auf die Zulässigkeit einer Maßnahme nach § 31 PsychKG Sachsen durch Vorausverfügungen außerhalb des Anwendungsbereichs des § 1901a BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 aa) Maßnahmen, die für den Zweck der Unterbringung unerlässlich sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 bb) Maßnahmen zur Vermeidung oder Beseitigung einer erheblichen Störung der Sicherheit und Ordnung des Krankenhauses 209 cc) Gefahr von Flucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 dd) Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen . . . . . . . . . . . . . . 210 ee) Gefahr der Selbsttötung oder Selbstverletzung . . . . . . . . . . . . . . 210 d) Zusammenfassung der Einflussnahmemöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . 211 8. Zusammenfassung zu den Zwangsmaßnahmen auf Grundlage der Unterbringungsgesetze der Länder (ohne verfahrensrechtliche Maßnahmen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
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VI. Verfahrensrechtliche Maßnahmen nach dem FamFG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundsatz der Amtsermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entscheidungserheblichkeit der zu ermittelnden Tatsachen . . . . . . . b) Erforderlichkeit der Ermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auswirkungen der Zulässigkeit der materiellen Maßnahme auf die Zulässigkeit der verfahrensrechtlichen Zwangsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anwendbarkeit des § 1901a BGB auf verfahrensrechtliche Zwangsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Einflussnahme auf die Zulässigkeit einer verfahrensrechtlichen Maßnahme durch Vorausverfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beschluss zur Einholung eines Sachverständigengutachtens nach § 280 FamFG oder § 321 FamFG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Untersuchungsanordnung durch den Sachverständigen nach § 283 Abs. 1 S. 1 FamFG oder § 322 FamFG i.V. m. § 283 Abs. 1 S. 1 FamFG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beobachtung zur Vorbereitung eines Gutachtens im Rahmen einer Unterbringung zur Begutachtung nach § 284 Abs. 1 S. 1 FamFG oder § 322 FamFG i.V. m. § 284 Abs. 1 S. 1 FamFG . . . . . . . . . . . . . d) Kein Wertungswiderspruch zur Rechtslage hinsichtlich der Sedierung nach § 1906 Abs. 4 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zusammenfassung zu den verfahrensrechtlichen Maßnahmen nach dem FamFG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Verfahrensrechtliche Maßnahmen nach den Unterbringungsgesetzen der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorgerichtliche Verfahrensregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Situation in den Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Möglichkeiten der Einflussnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Regelungen hinsichtlich einer Eingangsuntersuchung . . . . . . . . . . . . . . . a) Situation in den Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einflussnahme auf die Zulässigkeit der Eingangsuntersuchung . . . . 3. Zusammenfassung zu den verfahrensrechtlichen Maßnahmen nach den Unterbringungsgesetzen der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Metareflexion der gefundenen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Praktische Konsequenz der gefundenen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Zusammenfassung der gefundenen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Betreuerbestellung und Einwilligungsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwangsbehandlung und Zwangsernährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Unterbringungsähnliche Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verfahrensrechtliche Zwangsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
212 212 213 213 213 213 214 215 217
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218 219 219 220 220 220 220 221 221 221 222 223 223 223 224 225 225 225 225 226
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E. Zusammenfassung und Bewertung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . 227 I. Zusammenfassende Bewertung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 II. Zusammenfassende Bewertung der Einflussnahmemöglichkeiten von psychisch kranken Menschen durch das Abfassen einer Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügung auf staatliche Zwangsmaßnahmen . . . . . . 230 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
A. Einleitung Wenn Menschen über Patientenverfügungen diskutieren, dauert es in aller Regel nicht lange, bis sich die Thematik auf einige konsensfähige Thesen kanalisiert: Eine „Apparatemedizin“ möchte niemand. Ebenso wenig gefällt Menschen die Vorstellung, irgendwann „nur an Schläuchen zu hängen“ und „dahinzuvegetieren“. Auch wenn die Verwendung solcher unscharfer Begriffe und Schlagwörter der sachlichen Diskussion wenig bis überhaupt nicht zuträglich ist, wird dennoch deutlich, was die Menschen bei der Diskussion um Patientenverfügungen am meisten umtreibt: Im Fokus der Überlegungen steht stets die Frage, wie man mit einem Menschen umgehen soll, der unheilbar erkrankt ist und dessen Tod in naher Zukunft zu erwarten ist. Hiermit eng verknüpft ist die Frage des Abbruchs lebenserhaltender Maßnahmen bei Menschen mit infauster Prognose. Der Gesetzgeber hat diese Thematik aufgegriffen und durch das am 1. September 2009 in Kraft getretene Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts1 die Patientenverfügung gesetzlich geregelt. Neben der Schaffung von mehr Rechtssicherheit für alle Beteiligten verfolgt das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts auch den Zweck, das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen zu stärken und ihm zu erhöhter Beachtung zu verhelfen.2 Der Einzelne soll sich nunmehr darauf verlassen können, dass die Regelungen in seiner Patientenverfügung Beachtung finden. In § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB wird der Begriff der Patientenverfügung legal definiert. Hiernach ist eine Patientenverfügung die schriftliche Festlegung eines einwilligungsfähigen Volljährigen, ob er für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt. Liegt keine Patientenverfügung vor oder treffen die Festlegungen einer Patientenverfügung nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu, hat der Betreuer gemäß § 1901a Abs. 2 S. 1 BGB die Behandlungswünsche und den mutmaßlichen Willen des Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob er die Einwilligung in eine ärztliche Maßnahme nach Abs. 1 erteilt.3 Gemäß § 1901a Abs. 3 BGB gelten die Festlegungen in Patientenverfügungen unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung. 1 2 3
Vom 29. Juli 2009, BGBl. I 2009, 2286. BT-Drs. 16/8442, S. 3. Vgl. hierzu die Übersicht bei Ihrig, Notar 2009, 380, 382.
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A. Einleitung
Ob tatsächlich für sämtliche Bereiche die durch die Regelung erhoffte Rechtssicherheit eingetreten ist, wird im Schrifttum bereits bezweifelt4 und bleibt abzuwarten. Durch das klare Bekenntnis des Gesetzgebers zu einer Verbindlichkeit der Festlegungen in einer Patientenverfügung unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung dürfte jedoch die vor Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts geführte breite Diskussion5 über Reichweite und Verbindlichkeit von Patientenverfügungen und den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen jedenfalls in Bezug auf diese Fragestellung etwas verstummen.6 Unabhängig davon steht jedoch zu erwarten, dass sich – wie oftmals nach der Kodifizierung einer Sachmaterie – bestehende Diskussionen verlagern und andere Problemfelder des neuen Gesetzes auftun.7 Dies vorangestellt, verfolgt die vorliegende Arbeit zwei Ziele: – Zum einen soll im Allgemeinen untersucht werden, ob das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts tatsächlich die erforderliche Rechtssicherheit in Bezug auf den Umgang mit Patientenverfügungen gebracht hat und zu einer Stärkung des Selbstbestimmungsrechts führt. Sollten sich bei der Untersuchung „Schwachstellen“ oder Problemfelder des neuen Gesetzes auftun, werden diese herausgearbeitet und bewertet. – Zum anderen widmet sich die vorliegende Arbeit im Besonderen einer Thematik, die in der Diskussion über Patientenverfügungen bislang, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat8: Patientenverfügungen von psy4
Vgl. Spickhoff, FamRZ 2009, 1949, 1957; Renner, ZNotP 2009, 371. Vgl. zum umfangreichen Schrifttum nur beispielhaft Baumann/Hartmann, DNotZ 2000, 594; Becker-Schwarze, FPR 2007, 52; Eisenbart, Patienten-Testament und Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten; Füllmich, Der Tod im Krankenhaus und das Selbstbestimmungsrecht des Patienten; ders., NJW 1990, 2301; Geißendörfer, Die Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen an den Grenzen des Rechts; Hahne, FamRZ 2003, 1619; Hartmann, NStZ 2000, 113; Höfling, NJW 2009, 2849; ders., FPR 2007, 67; ders., JuS 2000, 111; Holzhauer, FamRZ 2006, 518; Kreß, ZRP 2009, 69; Kutzer, ZRP 2008, 197; ders., ZRP 2005, 277; ders., FPR 2004, 683; Langenfeld, Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung und Patientenverfügung nach dem neuen Betreuungsrecht; Laufs, NJW 1999, 1758; Lipp, FamRZ 2004, 317; Müller, DNotZ 2010, 169; dies., ZEV 2008, 583; Olzen, ArztR 2001, 116; ders., JR 2009, 354; Olzen/Metzmacher, FPR 2010, 249; Otto, NJW 2006, 2217; Röver, Einflußmöglichkeiten des Patienten im Vorfeld einer medizinischen Behandlung; Saueracker, Die Bedeutung des Patiententestamentes in der Bundesrepublik Deutschland aus ethischer, medizinischer und juristischer Sicht; Schöllhammer, Die Rechtsverbindlichkeit des Patiententestaments; Schumacher, FPR 2010, 474; 115; Schmidt-Recla, MedR 2008, 181; Spickhoff, FamRZ 2009, 1949; ders., AcP 208, 345; ders., NJW 2000, 2297; Schumann, Dignitas – Voluntas – Vita; Uhlenbruck, MedR 1992, 134; Vossler, ZRP 2002, 295; Wagenitz, FamRZ 2005, 669. 6 So auch Lange, ZEV 2009, 537, 543. 7 Ebenfalls diese Einschätzung äußernd Renner, ZNotP 2009, 371. 8 Vgl. zum Beginn einer diesbezüglichen Diskussion Marschner, R&P 2000, 161; Zinkler, R&P 2000, 165. 5
A. Einleitung
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chisch kranken Menschen und deren Einfluss auf staatliche Zwangsmaßnahmen. Im Kern soll es um die Frage gehen, ob und inwieweit psychisch kranke Menschen durch das Abfassen einer Patientenverfügung oder einer sonstigen Vorausverfügung staatliche Zwangsmaßnahmen verhindern können. Die Arten der in Betracht kommenden Zwangsmaßnahmen sind hierbei äußerst vielfältig. Im Interesse der Konzentrierung auf die Kernproblematik wird sich in vorliegender Arbeit jedoch auf die Untersuchung von Zwangsmaßnahmen auf Grundlage des BGB9, Zwangsmaßnahmen auf Grundlage der Unterbringungsgesetze der Länder10 und verfahrensrechtliche Zwangsmaßnahmen auf Grundlage des FamFG11 beschränkt. Nicht erörtert werden Maßnahmen, die eine Anlasstat voraussetzen, insbesondere Zwangsmaßnahmen auf Grundlage des Gesetzes zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter (Therapieunterbringungsgesetz) und Zwangsmaßnahmen im Rahmen des Maßregelvollzugs. Auch die verschiedenen Möglichkeiten der Selbstbestimmung können nach ihrer Art und rechtlichen Einordnung weiter unterschieden werden. Neben der definitionsgemäßen Patientenverfügung nach § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB12 können 9 Konkret kommen nach dem BGB die Einrichtung einer Betreuung gegen den (unfreien) Willen nach § 1896 Abs. 1 BGB, die Einrichtung eines Einwilligungsvorbehalts nach § 1903 Abs. 1 BGB, die Unterbringung wegen Selbstgefährdung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB, die Unterbringung zur Untersuchung, zur Heilbehandlung oder zur Vornahme eines ärztlichen Eingriffs nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB sowie die unterbringungsähnlichen Maßnahmen nach § 1906 Abs. 4 BGB in Betracht. 10 Auf Grundlage der Unterbringungsgesetze der Länder kommen die Unterbringung wegen Eigengefährdung (in Sachsen auf Grundlage des § 10 Abs. 2 Alt. 1 PsychKG Sachsen) oder Fremdgefährdung (in Sachsen auf Grundlage des § 10 Abs. 2 Alt. 2 PsychKG Sachsen), die Behandlung ohne Einwilligung des Patienten (in Sachsen auf Grundlage des § 22 Abs. 1 S. 2 PsychKG Sachsen), die Ernährung gegen den Willen des Patienten (in Sachsen auf Grundlage des § 22 Abs. 3 PsychKG Sachsen) oder andere unterbringungsähnliche Manahmen, wie die Fesselung (in Sachsen auf Grundlage des § 31 Abs. 1 oder Abs. 2 PsychKG Sachsen) in Betracht. Des Weiteren sehen die Unterbringungsgesetze mancher Länder auch verfahrensrechtliche Befugnisse des sozialpsychiatrischen Dienstes oder der sonstigen Behörden (in Sachsen auf Grundlage des § 13 PsychKG Sachsen) sowie eine Eingangsuntersuchung (in Sachsen auf Grundlage des § 20 PsychKG Sachsen) nach Zuführung zur Unterbringung vor. 11 In verfahrensrechtlicher Hinsicht kommen nach dem FamFG die Vorführung zur Anhörung vor das Gericht auf Grundlage des § 278 Abs. 5 FamFG für das Betreuungsverfahren und auf Grundlage des § 319 Abs. 5 FamFG für das Unterbringungsverfahren, der Beschluss zur Einholung eines Sachverständigengutachtens auf Grundlage des § 280 Abs. 1 FamFG für das Betreuungsverfahren und auf Grundlage des § 321 Abs. 1 FamFG für das Unterbringungsverfahren, die Untersuchungsanordnung und die Vorführung zu einer Untersuchung durch den Sachverständigen auf Grundlage des § 283 Abs. 1 FamFG für das Betreuungsverfahren und auf Grundlage des § 322 FamFG für das Unterbringungsverfahren und die Unterbringung zur Begutachtung auf Grundlage des § 284 Abs. 1 FamFG für das Betreuungsverfahren und auf Grundlage des § 322 FamFG für das Unterbringungsverfahren in Betracht. 12 Vgl. hierzu S. 76 ff.
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auch Festlegungen, die den Anforderungen des § 1901a Abs. 1 BGB nicht genügen, als Behandlungswünsche gemäß § 1901a Abs. 2 BGB beachtlich sein. Auch § 1901 Abs. 3 BGB ist Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen. Danach hat der Betreuer Wünschen des Betreuten zu entsprechen, soweit dies dessen Wohl nicht zuwiderläuft und dem Betreuer zuzumuten ist. Eine weitere – nicht gesetzlich geregelte – Möglichkeit, Festlegungen zur Beachtung im Zustand der Einwilligungsfähigkeit zu treffen, stellen Behandlungsvereinbarungen zwischen dem Patienten und dem Arzt dar. Die Problematik der antizipierten Selbstbestimmung bei psychisch kranken Menschen, vor allem durch Patientenverfügungen, ist erst nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts verstärkt ins Bewusstsein der Öffentlichkeit13 gerückt und hat nunmehr auch in der Fachliteratur einen ersten Niederschlag gefunden14. Vor allem durch die Regelung des § 1901a Abs. 3 BGB, wonach Patientenverfügungen unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung gelten, hat die Diskussion an besonderer Dynamik gewonnen. Auch die Ausführungen in der Begründung des Gesetzentwurfs bergen weiteren „Zündstoff“ für die Diskussion. So soll nach dem Willen des Gesetzgebers das Selbstbestimmungsrecht das Recht zur Selbstgefährdung bis hin zur Selbstaufgabe und damit auch auf Ablehnung lebensverlängernder Maßnahmen unabhängig von der ärztlichen Indikation der Behandlung einschließen.15 Der Staat habe in diesen Fällen weder das Recht noch die Pflicht zum Schutze des Menschen vor sich selbst.16 Jeder Mensch habe dem Staat gegenüber zwar ein Lebensrecht, jedoch keine Lebenspflicht.17 Angesichts dieser deutlichen Ausführungen in der Begründung des Gesetzentwurfs wundert es nicht, dass teilweise pauschal das Ende jeglicher „Zwangspsychiatrie“ ausgerufen wurde.18
13 Vgl. nur Artikel von Zeug, „Nicht gegen meinen Willen“, Zeit Online, http:// www.zeit.de/2010/37/M-Patientenverfuegung, Abruf vom 31. Mai 2012. 14 Vgl. nur die Aufsätze von Brosey, BtPrax 2010, 161; Grözinger/Olzen/Metzmacher/Podoll/Schneider, Der Nervenarzt 2011, 57; Olzen/Schneider, MedR 2010, 745; im Übrigen auch Olzen, „Die Auswirkungen des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes (Patientenverfügungsgesetz) auf die medizinische Versorgung psychisch Kranker“, Gutachten 2009, einsehbar unter http://www.dgppn.de/fileadmin/user_upload/_medien/ download/pdf/stellungnahmen/2010/stn-2010-04-15-anh-gutachten-prof-olzen-pat-vg. pdf, Abruf vom 31. Mai 2012. 15 BT-Drs. 16/8442, S. 8. 16 BT-Drs. 16/8442, S. 9. 17 BT-Drs. 16/8442, S. 9. 18 Erklärung der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener, der Irren-Offensive, des Landesverbandes Psychiatrie-Erfahrener Berlin-Brandenburg, des Landesverbandes Psychiatrie-Erfahrener NRW, des Werner-Fuss-Zentrums und der Antipsychiatrischen und betroffenenkontrollierte Informations- und Beratungsstelle, abrufbar unter http://www.patverfue.de/dokumente/erklaerung.pdf, Abruf vom 28. Dezember 2011.
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Fraglich ist jedoch, ob das gesetzgeberische Leitbild des vollumfänglich selbstbestimmten Menschen19 Geltung in Bezug auf alle Lebenssachverhalte beanspruchen kann. Insbesondere im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen können durch die gesetzgeberische Grundentscheidung erhebliche praktische Probleme auftreten. Das Leitbild des vollumfänglich selbstbestimmten Menschen eckt nämlich dort mit der Realität an, wo Menschen konstitutionelle Defizite aufweisen, deren Folgen bislang durch fürsorgliche Maßnahmen aufgefangen oder zumindest abgemildert wurden. Zudem ist bei den zu beurteilenden Lebenssachverhalten zu berücksichtigen, dass der Individualbereich auch unmittelbare Bezüge zu öffentlich-rechtlichen Schutzgütern, namentlich dem Schutz des Lebens aufweisen kann. Das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen und die Verpflichtung des Staates zum Schutze des Lebens können in bestimmten Fallkonstellationen gegenläufig sein und in ein Spannungsverhältnis treten. Kann eine psychisch kranke Person also nach neuer Rechtslage durch das Verfassen einer Patientenverfügung oder einer sonstigen Vorausverfügung eine Zwangsbehandlung oder eine Zwangsunterbringung verhindern? Sind Betreuer oder Vorsorgebevollmächtigte, Ärzte und auch Richter möglicherweise sogar verpflichtet, sehenden Auges eine beispielsweise akut suizidgefährdete Person sich selbst zu überlassen, wenn dies dem vorher in einer Patientenverfügung festgehaltenen Willen entspricht? Kann es ein Recht auf freiverantwortliches Sterben geben? Oder ist auch das Selbstbestimmungsrecht einer Person – trotz fehlender gesetzlicher Reichweitenbegrenzung der Patientenverfügung – Dispositionsschranken unterworfen, die es erlauben, sich in bestimmten Fällen über eine Patientenverfügung hinwegzusetzen? War sich der Gesetzgeber insgesamt darüber bewusst, welche Auswirkungen die fehlende Reichweitenbegrenzung auf den Bereich der psychischen Erkrankungen hat, oder gingen Überlegungen in diese Richtung im Eifer der Diskussion unter? Die vorliegende Arbeit versucht diese Fragen zu beantworten. Die Untersuchung nimmt hierbei folgenden Gang: Zunächst wird in Kapitel B. die Entwicklung des Rechts der Patientenverfügung bis zum Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts dargestellt. Ausgehend von einer knappen Aufbereitung der in der Literatur vorherrschenden Diskussion, wird die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dargestellt, der mangels damals bestehender gesetzlicher Regelung, erhebliche Bedeutung zukam. Der Diskussionsstand wird sodann zusammenfassend bewertet. Im Anschluss daran werden das Gesetzgebungsverfahren vorbereitende Materialien ausgewertet, namentlich die Ergebnisse der Arbeitsgruppe 2003 „Patientenautonomie am Lebensende“ und der Enquete-Kommission „Ethik und Recht 19 Vgl. hierzu von Sachsen Gessaphe, Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter für eingeschränkt Selbstbestimmungsfähige, S. 56 f.
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der modernen Medizin“. Bereits hier wird ein besonderes Augenmerk auf die Frage gelegt, welche Besonderheiten in Bezug auf Patientenverfügungen von psychisch kranken Menschen sich aus den Materialien herleiten lassen. Der Auswertung der vorbereitenden Materialien folgt eine Untersuchung des Gesetzgebungsverfahrens. Hierbei werden die verschiedenen Gesetzentwürfe sowie die Beschlussempfehlungen und der Bericht des Rechtsausschusses dargestellt und bewertet. Anschließend erfolgt eine Auswertung der einschlägigen Plenarprotokolle. Auch hier erfolgt die Auswertung stets vor dem Hintergrund der Frage, ob der Gesetzgeber Besonderheiten in Bezug auf Patientenverfügungen von psychisch kranken Menschen in seine Entscheidungsfindung mit einbezogen hat. Die Ergebnisse werden einer zusammenfassenden Bewertung unterzogen. In Kapitel C. wird sodann die Rechtslage nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts dargestellt. Die Problematik der Patientenverfügungen von psychisch kranken Menschen findet hierbei besondere Berücksichtigung. Ausgehend von einer Überprüfung der grundsätzlichen Anwendbarkeit der §§ 1901a ff. BGB auf Patientenverfügungen von psychisch kranken Menschen, widmet sich die Erörterung zunächst dem Begriff der „psychischen Krankheit“, dem je nach betroffener Disziplin eine unterschiedliche Bedeutung zukommen kann. Sodann wird die Legaldefinition der Patientenverfügung in § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB näher erörtert. Im Anschluss daran werden die Voraussetzungen für eine wirksame Errichtung und den Widerruf einer Patientenverfügung gesondert untersucht. Nachdem die Tatbestandsvoraussetzungen einer wirksamen Patientenverfügung unter Berücksichtigung der Besonderheiten bei Patientenverfügungen von psychisch kranken Menschen einer Klärung zugeführt wurden, wird die Frage behandelt, wie der in der Patientenverfügung festgehaltene Wille praktisch durchgesetzt wird. Einen besonderen Raum nimmt hierbei die Untersuchung des sog. „Vier-Augen-Prinzips“ ein. Auch die Problematik der Anwendbarkeit der Patientenverfügung auf sog. Notfallmaßnahmen bedarf hier besonderer Betrachtung und Erörterung. Im Anschluss werden die Änderungen in Bezug auf das Genehmigungserfordernis bei ärztlichen Maßnahmen in der gebotenen Knappheit erörtert. Das Kapitel schließt mit einer Zusammenfassung und Bewertung der wesentlichen Ergebnisse, wobei insbesondere die Frage beantwortet werden soll, ob und inwieweit das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts geeignet ist, Rechtssicherheit zu schaffen und das Selbstbestimmungsrecht zu stärken. Etwaige „Schwachstellen“ des Gesetzes werden aufgezeigt. Kapitel D. stellt das „Herzstück“ der Arbeit dar, in dem die Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen gegen psychische kranke Menschen untersucht werden und Grenzen der Selbstbestimmung durch Patientenverfügungen oder sonstige Vorausverfügungen herausgearbeitet werden. Ausgehend von einem allgemeinen Problemaufriss werden zunächst die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen des Selbstbestimmungsrechts erörtert. Sodann
A. Einleitung
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folgt eine zunächst abstrakte Darstellung der Möglichkeiten antizipierter Selbstbestimmung. Nachdem diese Vorarbeiten geleistet sind, werden die einzelnen Zwangsmaßnahmen im Detail, aufgeschlüsselt nach Zwangsmaßnahmen auf Grundlage des BGB, Zwangsmaßnahmen auf Grundlage der Unterbringungsgesetze der Länder, verfahrensrechtliche Zwangsmaßnahmen nach dem FamFG und den verfahrensrechtlichen Maßnahmen auf Grundlage der Unterbringungsgesetze der Länder in den Blick genommen. Für jede einzelne Zwangsmaßnahme wird gesondert untersucht, wie eine psychisch kranke Person durch das Abfassen einer Patientenverfügung oder einer sonstigen Vorausverfügung auf deren Zulässigkeit Einfluss nehmen kann. Die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtmäßigkeit medizinischer Zwangsbehandlungen20 findet hierbei im erforderlichen Umfang Berücksichtigung. Die gefundenen Ergebnisse werden sodann einer Metareflexion unterzogen und im Anschluss zusammenfassend dargestellt. In Kapitel E. erfolgt eine Zusammenfassung und Bewertung der wesentlichen Ergebnisse der Arbeit. Es wird zunächst abschließend beurteilt, ob das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts tatsächlich die erforderliche Rechtssicherheit im Umgang mit Patientenverfügungen gebracht hat. Sodann werden die Einflussnahmemöglichkeiten von psychisch kranken Menschen durch das Abfassen einer Patientenverfügungen oder einer sonstigen Vorausverfügung auf staatliche Zwangsmaßnahmen zusammenfassend dargestellt und bewertet. Die Arbeit schließt mit einem Ausblick auf die praktischen Herausforderungen, die die gefundenen Ergebnisse für Ärzte und Betreuer mit sich bringen.
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BVerfG, NJW 2011, 2113; BVerfG, NJW 2011, 3571.
B. Die Entwicklung des Rechts der Patientenverfügung I. Die Rechtslage vor dem 1. September 2009 1. Allgemeines Wie bereits in der Einleitung angerissen wurde, war die Diskussion um die Thematik Patientenverfügung und auch des Abbruchs lebensverlängernder Maßnahmen geprägt von erheblicher Unsicherheit. Neben der Schwierigkeit und Sensibilität der Materie in tatsächlicher Hinsicht1, lag dies unter anderem auch an einer wenig durchschaubaren Rechtslage. Mangels gesetzlicher Regelung und aufgrund uneinheitlicher Literaturstimmen wurde der Rechtsprechung in diesem Bereich besondere Beachtung geschenkt.2 Da wesentliche Entscheidungen des Bundesgerichtshofs3 in entscheidenden Punkten Raum für Interpretationen ließen, trug die Rechtsprechung jedoch nicht zur Aufklärung der Rechtslage bei, sondern verstärkte die bereits bestehende Unsicherheit.4 Der Ruf nach dem Gesetzgeber wurde laut.5 Neben der unklaren Gesetzeslage wurde teilweise6 auch das Demokratieprinzip angeführt, um den gesetzgeberischen Handlungsbedarf zu untermauern. Dem Richter müssten in einer Demokratie, in der die Staatsgewalt vom Volke beziehungsweise den von ihm gewählten Abgeordneten ausgeht, für die Entscheidung 1 Zutreffend Spickhoff, NJW 2000, 2297, wonach das Thema ebenso Grundfragen des menschlichen Zusammenlebens und menschliche Urängste berührt, wie es rechtsdogmatisch und rechtspolitisch von erheblichem Interesse ist. 2 Vgl. auch Höfling, FPR 2007, 67. 3 BGHSt 40, 257; BGHZ 154, 205. 4 Vgl. hierzu auch Becker-Schwarze, FPR 2007, 52; Höfling, FPR 2007, 67; SchmidtRecla, MedR 2008, 181, 184; Spickhoff, FamRZ 2009, 1949; Uhlenbruck, NJW 2003, 1710; Höfling/Rixen, JZ 2003, 884, die ausführen, der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 17. März 2003 führe das Sterbehilferecht in eine theoretische Ausweglosigkeit, die die ohnehin bestehenden Entscheidungsnöte von Ärzten, Betreuern und Vormundschaftsrichtern verschärfe. 5 Vgl. beispielhaft Hufen, Patientenverfügung und passive Sterbehilfe: Der verfassungsrechtliche Rahmen, in: Albers, Patientenverfügungen, S. 93, 95; Verrel, Probleme und Zukunftsperspektiven der Patientenverfügung, in: Albers, Patientenverfügungen, S. 198, 202 f.; Becker-Schwarze, FPR 2007, 52; Kutzer, ZRP 2008, 197; ders., ZRP 2005, 227; Otto, NJW 2006, 2217; Schmidt-Recla, MedR 2008, 181, 185; Beschluss III. 1.2 des 63. Deutschen Juristentages, FamRZ 2000, 1485; im Übrigen hierzu auch Albrecht/Albrecht, Die Patientenverfügung, S. 10 f. 6 Kutzer, ZRP 2005, 277.
I. Die Rechtslage vor dem 1. September 2009
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grundrechtsrelevanter, das Leben der Bürger existentiell betreffender Probleme, gesetzliche Leitlinien zur Entscheidungsfindung gegeben werden.7 Die Thematik der Verbindlichkeit und Reichweite von Patientenverfügungen tangiert Fragen des Zivilrechts, des Strafrechts und auch des öffentlichen Rechts, insbesondere des Verfassungsrechts.8 Entsprechend vielfältig und umfangreich ist auch das Schrifttum.9 Ein Großteil der Beiträge erörtert die Thematik im Zusammenhang mit dem Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen.10 Zentrale Streitpunkte, die vor Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts diskutiert wurden, sind der Begriff der Patientenverfügung, die Wirksamkeitsvoraussetzungen sowie die Bindungswirkung und Reichweite der Patientenverfügung. 2. Diskussion in der Literatur11 a) Begriff der Patientenverfügung Ein einheitliches Begriffsverständnis einer „Patientenverfügung“ gab es vor dem Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts nicht.12 7
Kutzer, ZRP 2005, 277. Vgl. hierzu auch Verrel, in: Verrel/Simon, Patientenverfügungen, S. 20 ff.; zum Interessengeflecht auch Probst, FF 2010, 144. 9 Vgl. nur beispielhaft Becker-Schwarze, FPR 2007, 52; Diederichsen, Bemerkungen zu Tod und rechtlicher Betreuung, in: Festschrift für Schreiber, S. 646 ff.; Eisenbart, Patienten-Testament und Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten; Füllmich, Der Tod im Krankenhaus und das Selbstbestimmungsrecht des Patienten; ders., NJW 1990, 2301; Geißendörfer, Die Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen an den Grenzen des Rechts; Hahne, FamRZ 2003, 1619; Hartmann, NStZ 2000, 113; Höfling, NJW 2009, 2849; ders., FPR 2007, 67; ders., JuS 2000, 111; Holzhauer, FamRZ 2006, 518; Jäger, Die Patientenverfügung als Rechtsinstitut zwischen Autonomie und Fürsorge, in: Festschrift für Wilfried Küper zum 70. Geburtstag, S. 209, der ausführt, die juristische Literatur, die sich mit dem Thema Patientenverfügung beschäftigt sei mittlerweile unüberschaubar geworden; Kreß, ZRP 2009, 69; Kutzer, ZRP 2008, 197; ders., ZRP 2005, 277; ders., FPR 2004, 683; Langenfeld, Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung und Patientenverfügung nach dem neuen Betreuungsrecht; Laufs, NJW 1999, 1758; Lipp, FamRZ 2004, 317; Müller, DNotZ 2010, 169; dies., ZEV 2008, 583; Olzen, ArztR 2001, 116; ders., JR 2009, 354; Olzen/Metzmacher, FPR 2010, 249; Otto, NJW 2006, 2217; Röver, Einflußmöglichkeiten des Patienten im Vorfeld einer medizinischen Behandlung; Saueracker, Die Bedeutung des Patiententestamentes in der Bundesrepublik Deutschland aus ethischer, medizinischer und juristischer Sicht; Schöllhammer, Die Rechtsverbindlichkeit des Patiententestaments; Schumacher, FPR 2010, 474; 115; Schmidt-Recla, MedR 2008, 181; Spickhoff, FamRZ 2009, 1949; ders., AcP 208, 345; ders., NJW 2000, 2297; Schumann, Dignitas – Voluntas – Vita; Uhlenbruck, MedR 1992, 134; Vossler, ZRP 2002, 295; Wagenitz, FamRZ 2005, 669. 10 Zu dieser Feststellung gelangen auch Olzen/Metzmacher, FPR 2010, 249. 11 Vgl. zu den Eckpunkten der Diskussion auch Wolf, Patientenverfügungen zwischen Autonomie-Ethos und Nützlichkeitsdenken – Eine Einleitung, in: Hager, Die Patienten8
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B. Die Entwicklung des Rechts der Patientenverfügung
Neben dem Begriff „Patientenverfügung“ 13 wurden auch die Begriffe „Patiententestament“ 14, „Patientenbrief “ 15 oder auch „Living Will“ 16 verwendet, ohne dass eine wesentliche inhaltliche Differenzierung mit diesen Bezeichnungen verbunden war.17 Teilweise wurde zwischen Patientenverfügungen im engeren Sinne und Patientenverfügungen im weiteren Sinne unterschieden.18 Mit Patientenverfügungen im engeren Sinne waren instruktionale Voraussetzungen des Patienten gemeint, die den Adressaten – im Regelfall den behandelnden Arzt – für eine bestimmte Situation anweisen, eine eingeleitete Behandlung zu modifizieren, zu begrenzen oder zu beenden.19 Als Variante der Patientenverfügung im weiteren Sinne wurde verfügung, S. 12 ff.; ebenfalls aufschlussreich hierzu ist die Dokumentation zum 63. Deutschen Juristentag in Leipzig, FamRZ 2000, 1483 ff. 12 Vgl. zur Entstehungsgeschichte der Patientenverfügung und der Begrifflichkeit auch Geißendörfer, Die Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen an den Grenzen des Rechts, S. 331 f.; zu den unterschiedlichen Begriffen auch Uhlenbruck, MedR 1992, 134. 13 So beispielsweise Baumann/Hartmann, DNotZ 2000, 594, 603; Roth, JZ 2004, 494, 495; Lange, Inhalt und Auslegung von Patientenverfügungen, S. 35; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, S. 206 ff.; Pardey, Betreuungs- und Unterbringungsrecht, S. 38 ff.; Neuner, Die „Patientenverfügung“ im privatrechtlichen System, in: Albers, Patientenverfügungen, S. 113; Taupitz, in: Brugger/Haverkate, Grenzen als Thema der Rechts- und Sozialphilosophie, S. 112 ff.; ders., Empfehlen sich zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie am Lebensende, in: Verhandlungen des Dreiundsechzigsten Deutschen Juristentages, Band I, S. A 106 ff.; Vossler, FamRB 2003, 158; Wagenitz, FamRZ 2005, 669. 14 Statt vieler zum Beispiel Eisenbart, Patienten-Testament und Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten; Laufs, NJW 1998, 3399, 3400; Langenfeld, Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung und Patiententestament nach dem neuen Betreuungsrecht; Saueracker, Die Bedeutung des Patiententestamentes in der Bundesrepublik Deutschland aus ethischer, medizinischer und juristischer Sicht; Schöllhammer, Die Rechtsverbindlichkeit des Patiententestaments; Kern, NJW 1994, 753, 757; Kern, in: Lippert/ Kern, Arbeits- und Dienstrecht der Krankenhausärzte von A–Z, S. 141 f.; Deutsch, NJW 1979, 1905, 1908; Uhlenbruck, Patiententestament, Betreuungsverfügung und Vorsorgevollmacht: Zur Selbstbestimmung im Vorfeld des Todes, in: Berliner Medizinethische Schriften, Heft 8, S. 10. 15 Kern, NJW 1994, 753, 757; Harder, ArztR 1991, 11, 13; Uhlenbruck, NJW 1978, 566. 16 Zum Beispiel Füllmich, Der Tod im Krankenhaus und das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, S. 45 ff.; ders., NJW 1990, 2301, 2302; Röver, Einflußmöglichkeiten des Patienten im Vorfeld einer medizinischen Behandlung, S. 31 ff.; Deutsch, NJW 1979, 1905, 1908; Uhlenbruck, Patiententestament, Betreuungsverfügung und Vorsorgevollmacht: Zur Selbstbestimmung im Vorfeld des Todes, in: Berliner Medizinethische Schriften, Heft 8, S. 10. 17 Vgl. zur Entstehungsgeschichte der Patientenverfügung und der Begrifflichkeit auch Geißendörfer, Die Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen an den Grenzen des Rechts, S. 331 f.; zu den unterschiedlichen Begriffen auch Uhlenbruck, MedR 1992, 134. 18 So Höfling, JuS 2000, 111, 115. 19 Höfling, JuS 2000, 111, 115.
I. Die Rechtslage vor dem 1. September 2009
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die sog. Vorsorgemacht20 genannt, mit der eine dritte Person zur Vornahme behandlungsbezogener Anordnungen ermächtigt wird, für den Fall, dass der Ermächtigende selbst in eine Lage gerät, in der ihm aus tatsächlichen Gründen die selbständige Vornahme und Durchsetzung der erwünschten Anordnung verwehrt ist. Auch wurde die Betreuungsverfügung, die an das Vormundschaftsgericht21 gerichtete Vorschläge des potentiell zu Betreuenden zur Auswahl eines Betreuers enthält, zur Patientenverfügung im weiteren Sinne gezählt.22 Trotz vieler Unstimmigkeiten im Detail, lassen sich jedoch aus den verschiedenen Literaturstimmen gemeinsame Grundgedanken herauslesen. Zum einen bestand Einigkeit darüber, dass es sich bei Patientenverfügungen weder um Verfügungen noch um Testamente im rechtstechnischen Sinne handelte.23 Auch bestand hinsichtlich des Zwecks einer Patientenverfügung Konsens. Mit einer Patientenverfügung möchte eine Person bestimmte Willensäußerungen für den Fall festhalten, dass die Fähigkeit einen freien Willen zu bilden und zu äußern bei ihr nicht mehr gegeben ist. Patientenverfügungen wurden daher auch nach damaligem Begriffsverständnis vorrangig verfasst, um Medizinern bestimmte medizinische Maßnahmen zu untersagen.24 Etwas allgemeiner formuliert, dien20
Bezogen auf die heutige Terminologie ist offenbar die Vorsorgevollmacht gemeint. Jetzt Betreuungsgericht. 22 Höfling, JuS 2000, 111, 115. 23 Vgl. hierzu auch Baumann/Hartmann, DNotZ 2000, 594, 603; Eisenbart, Patienten-Testament und Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten, S. 16; Harder, ArztR 1991, 11, 13; Langenfeld, Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung und Patiententestament nach dem neuen Betreuungsrecht, S. 178; Neuner, Die „Patientenverfügung“ im privatrechtlichen System, in: Albers, Patientenverfügungen, S. 113; Olzen, ArztR 2001, 116, 122; Saueracker, Die Bedeutung des Patiententestamentes in der Bundesrepublik Deutschland aus ethischer, medizinischer und juristischer Sicht, S. 25; Schöllhammer, Die Rechtsverbindlichkeit des Patiententestaments, S. 16; Spann, MedR 1983, 13; Spickhoff, NJW 2000, 2297, 2301; Taupitz, Empfehlen sich zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie am Lebensende, in: Verhandlungen des Dreiundsechzigsten Deutschen Juristentages, Band I, S. A 106; Kern, in: Lippert/Kern, Arbeits- und Dienstrecht der Krankenhausärzte von A–Z, S. 141 ff.; Uhlenbruck, Patiententestament, Betreuungsverfügung und Vorsorgevollmacht: Zur Selbstbestimmung im Vorfeld des Todes, in: Berliner Medizinethische Schriften, Heft 8, S. 10. 24 Roth, JZ 2004, 494, 495; Baumann/Hartmann, DNotZ 2000, 594, 603 ff.; Füllmich, NJW 1990, 2301, 2302; Hartmann, NStZ 2000, 113; Höfling, JuS 2000, 111, 115; Hufen, NJW 2001, 849, 856; Jäger, Die Patientenverfügung als Rechtsinstitut zwischen Autonomie und Fürsorge, in: Festschrift für Wilfried Küper zum 70. Geburtstag, S. 210; Meier, BtPrax 1994, 190, 192; Pardey, Betreuungs- und Unterbringungsrecht, S. 38; Vossler, FamRB 2003, 158; Laufs, NJW 1999, 1758, 1762; Olzen, JR 2009, 354, 355; Schmidt-Recla, MedR 2008, 181, 183; Spickhoff, AcP 208, 345, 404; ders., NJW 2000, 2297, 2301; Taupitz, Empfehlen sich zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie am Lebensende, in: Verhandlungen des Dreiundsechzigsten Deutschen Juristentages, Band I, S. A 106; Wagenitz, FamRZ 2005, 669; Lipp, Patientenautonomie und Lebensschutz, S. 21 f.; zur speziellen Problematik der Patientenverfügung zur Sterbehilfevorsorge Diederichsen, Bemerkungen zu Tod und rechtlicher Betreuung, in: Festschrift für Schreiber, S. 646 ff. 21
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B. Die Entwicklung des Rechts der Patientenverfügung
ten Patientenverfügungen – ebenso wie heute – der Absicherung der Patientenautonomie und der Gewährleistung ihrer Verwirklichung.25 b) Dogmatische Einordnung der Patientenverfügung Auch in Bezug auf die dogmatische Einordnung der Patientenverfügung26 wurden unterschiedliche Auffassungen vertreten. Teilweise wurde vertreten, es handele sich um Willenserklärungen.27 Nach anderer Auffassung28 war die Patientenverfügung nichts anderes als eine vorweggenommene Einwilligung, die das Ausmaß des ärztlichen Verhaltens leiten sollte, wenn der Zustand der Einwilligungsunfähigkeit eintritt. Nach dieser Auffassung teilt die Patientenverfügung die Rechtsnatur der Einwilligung selbst. Es handele sich demnach nicht um eine Willenserklärung. Auch wenn die Frage der dogmatischen Einordnung zunächst rein akademischer Natur erscheint, kann sie dennoch in Einzelfällen im Bereich der Anforderungen an die Wirksamkeit Auswirkungen haben, da Geschäftsfähigkeit und Einwilligungsfähigkeit unterschiedlich beurteilt werden können.29 In aller Regel wird jedoch in den praktischen Ergebnissen ein Gleichlauf gegeben sein.30
25 So auch Roth, JZ 2004, 494, 495; Baumann/Hartmann, DNotZ 2000, 594, 603 ff.; Jäger, Die Patientenverfügung als Rechtsinstitut zwischen Autonomie und Fürsorge, in: Festschrift für Wilfried Küper zum 70. Geburtstag, S. 210; Taupitz, Empfehlen sich zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie am Lebensende, in: Verhandlungen des Dreiundsechzigsten Deutschen Juristentages, Band I, S. A 106; Geißendörfer, Die Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen an den Grenzen des Rechts, S. 332; Höfling, JuS 2000, 111, 115; ebenso Olzen, JR 2009, 354, 355; Meier, BtPrax 1994, 190, 192. 26 Zur Rechtsnatur von Patientenverfügungen vgl. auch Lange, Inhalt und Auslegung von Patientenverfügungen, S. 36 ff.; Roth, JZ 2004, 494, 496 f.; Taupitz, Empfehlen sich zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie am Lebensende, in: Verhandlungen des Dreiundsechzigsten Deutschen Juristentages, Band I, S. A 106 f. 27 Höfling, JuS 2000, 111, 116; Schmidt-Recla, MedR 2008, 181, 183. 28 Roth, JZ 2004, 494, 497; Geißendörfer, Die Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen an den Grenzen des Rechts, S. 340; Neuner, Die „Patientenverfügung“ im privatrechtlichen System, in: Albers, Patientenverfügungen, S. 113; Spickhoff, AcP 208, 345, 404; Becker-Schwarze, Integration privatrechtlicher Elemente der Patientenverfügung in das Geflecht übergreifender Normen, in: Albers, Patientenverfügungen, S. 137 f.; Uhlenbruck, MedR 1992, 134, 135 f. 29 Vgl. auch Schmidt-Recla, MedR 2008, 181, 183. 30 Geißendörfer, Die Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen an den Grenzen des Rechts, S. 347 lässt daher die Frage der konkreten Einordnung offen, da der Patientenverfügung nach allen diesbezüglich vertretenen Auffassungen ein gewisser Rechtscharakter und unbedingte rechtliche Beachtlichkeit zugesprochen wird.
I. Die Rechtslage vor dem 1. September 2009
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c) Wirksamkeitsvoraussetzungen Auch die Wirksamkeitsvoraussetzungen waren in der Literatur und auch in der Praxis31 umstritten. Während teilweise eine mündliche Patientenverfügung als grundsätzlich wirksam erachtet wurde32, sahen andere33 nur die schriftlich niedergelegte Patientenverfügung als wirksam an. Weitgehende Einigkeit bestand darin, dass eine Patientenverfügung nur von einer einwilligungsfähigen Person verfasst werden konnte.34 Eine vorherige ärztliche Beratung sowie die regelmäßige Aktualisierung wurden häufig empfohlen.35 Ob dessen Fehlen jedoch zur Unwirksamkeit der Patientenverfügung führt, wurde uneinheitlich beurteilt.36 31 Zur uneinheitlichen Beurteilung der Anforderungen an die Wirksamkeit aus Sicht der deutschen Vormundschaftsrichterinnen und Vormundschaftsrichter vgl. Höfling, FPR 2007, 67. 32 Geißendörfer, Die Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen an den Grenzen des Rechts, S. 67; Kutzer, FPR 2004, 683, 688; Müller, ZEV 2008, 583, welche diesen Punkt als unstrittig ansieht; Roth, JZ 2004, 494, 497; Olzen, ArztR 2001, 116, 122 empfiehlt Schriftform, ohne dass davon die Wirksamkeit der Patientenverfügung abhängen soll; ebenso Uhlenbruck, MedR 1992, 134, 138; Schöllhammer, Die Rechtsverbindlichkeit des Patiententestaments, S. 54; im Übrigen auch Spickhoff, Patientenverfügungen und Patientenautonomie zwischen Rechtsdogmatik, Rechtspolitik und Rechtswirklichkeit, in: Kingreen/Laux, Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs 2008, S. 103, 119, wobei dieser aus Beweisgründen die schriftliche Abfassung empfiehlt. 33 Verrel, Probleme und Zukunftsperspektiven der Patientenverfügung, in: Albers, Patientenverfügungen, S. 208; Füllmich, NJW 1990, 2301, 2302; Hartmann, NStZ 2000, 113; Vossler, FamRB 2003, 158, 159 führt hierzu aus, die schriftliche Abfassung müsse bereits zur Beweissicherung erfolgen, soweit nicht zwingende Gründe entgegen stehen. Aus diesen Ausführungen lässt sich nicht entnehmen, ob die Schriftform zwingend sein soll; für Erfordernis der Schriftform wohl auch Schmidt-Recla, MedR 2008, 181, 183. 34 Becker-Schwarze, FPR 2007, 52, 53; Hartmann, NStZ 2000, 113; Höfling, JuS 2000, 111, 116; Kutzer, FPR 2004, 683, 685; Lange, Inhalt und Auslegung von Patientenverfügungen, S. 94 f.; Müller, ZEV 2008, 583; Olzen, ArztR 2001, 116, 123; Olzen/ Metzmacher, FPR 2010, 249; Schmidt-Recla, MedR 2008, 181, 183; zum Problem der Einwilligungsfähigkeit vgl. auch Spickhoff, AcP 208, 345, 384; ders., NJW 2000, 2297, 2299. 35 Vossler, FamRB 2003, 158, 159; Höfling, JuS 2000, 111, 116; nach Laufs, NJW 1999, 1758, 1762 wirken „Patiententestamente“ als Indiz um so mehr, je zeitnaher sie abgefasst wurden und je konkreter sie die kritische Lage vorwegnehmen; Müller, ZEV 2008, 583, empfiehlt gar eine notarielle Beurkundung; Olzen, ArztR 2001, 116, 123 und Schmidt-Recla, MedR 2008, 181, 184 empfehlen eine regelmäßige Aktualisierung. 36 Berger, JZ 2000, 797, 801 hält eine Aufklärung für erforderlich; Lange, Inhalt und Auslegung von Patientenverfügungen, S. 97 f., unterscheidet danach, ob sich die Patientenverfügung inhaltlich lediglich als Behandlungsverbot oder als Einwilligungsverfügung darstellt. Bei einer Einwilligungsverfügung könne auf eine Aufklärung nicht verzichtet werden, wobei jedoch auch in diesem Fall ein Verzicht auf die Aufklärung möglich sein müsse; Müller, ZEV 2008, 583 sieht es als unstrittig an, dass die Patientenverfügung nicht von der vorherigen ärztlichen Aufklärung abhängig ist; auch Neuner, Die „Patientenverfügung“ im privatrechtlichen System, in: Albers, Patientenverfügungen, S. 128 hält eine Aufklärung für nicht erforderlich; ebenso Verrel, Probleme und Zu-
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d) Anwendungssituationen Auch hinsichtlich der Frage, in welchen Situationen Patientenverfügungen überhaupt Anwendung finden sollen, bestand keine Einigkeit. Während eine Auffassung eine Relevanz nur in den Fällen des Einsetzens des Sterbevorgangs bejahte37, trat eine andere Auffassung für eine generelle Anwendungsmöglichkeit unabhängig vom Krankheitsverlauf ein38. e) Bindungswirkung Die Frage der Bindungswirkung von Patientenverfügungen gehörte zu den am heftigsten umstrittenen Punkten in der literarischen Diskussion.39 Dies vor allem kunftsperspektiven der Patientenverfügung, in: Albers, Patientenverfügungen, S. 209 f.; Olzen/Metzmacher, FPR 2010, 249 stellen fest, dass hinsichtlich der Entbehrlichkeit der ärztlichen Beratung und regelmäßigen Aktualisierung Einigkeit bestand; nach Hartmann, NStZ 2000, 113, 116 wird jedoch eine Grundaufklärung durch einen Arzt zwingend vorausgesetzt. Auch müsse die Patientenverfügung in einem gewissen zeitlichen Zusammenhang zu der entscheidungsfordernden Krankheitssituation stehen; SchmidtRecla, MedR 2008, 181, 183 stellt in diesem Zusammenhang auch auf die hinreichende Aufklärung des Patienten ab. Im Falle der unzureichenden Aufklärung könne trotz allgemeiner Geschäftsfähigkeit die Einwilligungsfähigkeit fehlen, mit der Folge der Unwirksamkeit der Patientenverfügung; Schöllhammer, Die Rechtsverbindlichkeit des Patiententestaments, S. 90 hält eine ärztliche Aufklärung für entbehrlich; Schumann führt in Dignitas – Voluntas – Vita, S. 64 f. aus: „Das auf die Verfassung gegründete Erfordernis der Einwilligung des Patienten in den ärztlichen Eingriff setzt für eine in Selbstbestimmung getroffene Entscheidung voraus, dass der Patient umfassend über die ärztliche Behandlung, ihre Risiken und Folgen aufgeklärt wurde. Da dem Patienten auch die freie Entscheidung über das „Ob“ der Behandlung verbleiben muss, ist er auch über die Risiken und Folgen der Nichtvornahme der Behandlung aufzuklären; entsprechendes gilt für eine Umstellung oder den Abbruch der Therapie. (. . .) Bei einer Vorverlagerung der Entscheidung, wie sie im Rahmen der Patientenverfügung geschieht, müsste diese Aufklärung zum Zeitpunkt der Abfassung stattfinden.“; nach Spickhoff, NJW 2000, 2297, 2302 wird man jedenfalls ein durch zureichende ärztliche Aufklärung untermauertes und auf die spätere Situation hinreichend konkret zugeschnittenes „Patiententestament“ als bindend anzusehen haben. 37 Harder, ArztR 1991, 11, 18; Saueracker, Die Bedeutung des Patiententestamentes in der Bundesrepublik Deutschland aus ethischer, medizinischer und juristischer Sicht, S. 28. 38 Vossler, FamRB 2003, 158, 160; Geißendörfer, Die Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen an den Grenzen des Rechts, S. 333, die sich jedoch dafür ausspricht, Patientenverfügungen in Notfallsituationen zunächst nicht zu berücksichtigen, sondern erst dann, wenn der Patient „stabilisiert“ ist; Schöllhammer, Die Rechtsverbindlichkeit des Patiententestaments, S. 73; wohl auch Eisenbart, Patienten-Testament und Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten, S. 176 f., die alleine darauf abstellt, dass die von dem Patienten beschriebene, näher umrissene Krankheitssituation tatsächlich eintritt. 39 Vgl. zum Meinungsstand mit umfangreichen Nachweisen aus dem Schrifttum auch Lange, Inhalt und Auslegung von Patientenverfügungen, S. 37 Fn. 9; Baumann/ Hartmann, DNotZ 2000, 594, 604 ff.; Taupitz, Empfehlen sich zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie am Lebensende, in: Verhandlungen des
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deshalb, weil mit der Beantwortung der Frage das Gesamtergebnis und die Frage der Möglichkeit der wirksamen Absicherung der Patientenautonomie „steht und fällt“. Eine einheitliche Linie lässt sich – entgegen der Äußerung in manchen Beiträgen40 – nicht aus der Literatur herauslesen.41 Äußerungen, welche der Patientenverfügung jegliche Beachtlichkeit versagen42, finden sich dennoch eher selten. Auch der Gedanke Hartmanns43, wonach es mangels gesetzlicher Regelung letztlich allein im Ermessen des behandelnden Arztes liegt, ob er die schriftlichen Anordnungen in einer Patientenverfügung für verbindlich hält oder nicht, hat in der Literatur keinen Anklang gefunden. Unterschiedlich beurteilt wurde in der Literatur insbesondere der Grad der Bindungswirkung. Während eine Auffassung44 von einer Bindungswirkung im Dreiundsechzigsten Deutschen Juristentages, Band I, S. A 108 ff.; zur medizinethischen Diskussion über die Bindungswirkung von Patientenverfügungen vgl. May, Patientenverfügungen zwischen den medizinethischen Prinzipien Patientenautonomie und Fürsorge, in: Albers, Patientenverfügungen, S. 62 ff. 40 Nach Müller, ZEV 2008, 583 ist die grundsätzliche Bindungswirkung unstrittig. 41 Zutreffend daher Baumann/Hartmann, DNotZ 2000, 594, 604, wonach sich entgegen anderslautenden Behauptungen im Schrifttum eine herrschende Meinung nicht feststellen lässt. 42 Opderbecke, MedR 1985, 23, 26; so wohl auch Spann, MedR 1983, 13, 16; die Äußerungen Füllmichs in NJW 1990, 2301, 2302 sind zu dieser Frage etwas unklar. Einerseits wird ausgeführt, der Patientenverfügung komme in Deutschland keine rechtliche Bindungswirkung zu. Andererseits soll durch eine Patientenverfügung der in der Praxis übliche Umweg über die Befragung von Angehörigen des Patienten und die daran anschließende Konstruktion einer mutmaßlichen Einwilligung vermieden werden. An anderer Stelle spricht sich auch Füllmich hingegen für eine grundsätzliche Bindungswirkung im Sinne eines Anhaltspunkts für die Ermittlung des mutmaßlichen Willens aus, vgl. hierzu Füllmich, Der Tod im Krankenhaus und das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, S. 79; Jäger, Die Patientenverfügung als Rechtsinstitut zwischen Autonomie und Fürsorge, in: Festschrift für Wilfried Küper zum 70. Geburtstag, S. 214 ff., 224 geht zwar von einer grundsätzlichen Verbindlichkeit aus. Allerdings solle die Patientenverfügung dann keine Bindungswirkung entfalten, wenn sich deren Inhalt normativ als antizipativer Suizid trotz wiederherstellbarer Autonomie darstelle, bei dem der Arzt nur als (sei es auch unterlassender) Vollstreckungshelfer in Erscheinung trete. 43 Hartmann, NStZ 2000, 113, 114, wobei an späterer Stelle des Aufsatzes auch von einer Verbindlichkeit der Patientenverfügung unter Einhaltung bestimmter Wirksamkeitsvoraussetzungen ausgegangen wird. 44 Berger, JZ 2000, 797, 800 f.; Kutzer, ZRP 2005, 277, 278; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, S. 206 f.; ders., FamRZ 2004, 317, 320; ders., Freiheit und Fürsorge: Der Mensch als Rechtsperson, S. 220; Otto, NJW 2006, 2217, 2219; Röver, Einflußmöglichkeiten des Patienten im Vorfeld einer medizinischen Behandlung, S. 165; Schmidt-Recla, MedR 2008, 181, 183; Sternberg-Lieben, NJW 1985, 2734, 2737; Taupitz, in: Brugger/Haverkate, Grenzen als Thema der Rechts- und Sozialphilosophie, S. 114; ders., Empfehlen sich zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie am Lebensende, in: Verhandlungen des Dreiundsechzigsten Deutschen Juristentages, Band I, S. A 108 f.; Uhlenbruck, NJW 1978, 566, 569; Baumann/Hartmann,
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Sinne der Konservierung eines geäußerten tatsächlichen Willens ausgeht, kommt der Patientenverfügung nach anderer Auffassung45 lediglich Indizwirkung bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens zu. Die Stärke des Indizes wurde hierbei vielfach durch Heranziehung einer „je-desto-Formel“ beurteilt. Je kürzer die Äußerungen zurückliegen und je vergleichbarer die in der Patientenverfügung geschilderte Situation mit der tatsächlichen ist, desto weiter sollte die Indizwirkung reichen.46 Je nach Stärke der Indizwirkung wurde auch teilweise eine Vermutungswirkung in Bezug auf den in der Patientenverfügung geäußerten Willen für möglich gehalten.47 3. Entwicklung der Rechtsprechung a) BGHSt 32, 367 – sog. Wittig Fall, Urteil vom 4. Juli 1984 Im sog. Wittig Fall hatte der dritte Strafsenat des Bundesgerichtshofs aus strafrechtlicher Perspektive über die Verpflichtung eines Arztes zur Vornahme von Rettungsmaßnahmen bei Antreffen eines bewusstlosen Patienten nach einem Suizidversuch zu entscheiden. Aus dem Blickwinkel des Rechts der Patientenverfügung sind die Ausführungen des Bundesgerichtshofs zum Selbstbestimmungsrecht von Interesse. Der Bundesgerichtshof hat ausgeführt, dass sich der behandelnde Arzt jedenfalls dann nicht allein nach dem vor Eintritt der Bewusstlosigkeit erklärten Willen DNotZ 2000, 594, 610, die ebenfalls von einer grundsätzlichen Bindungswirkung ausgehen. Allerdings habe der Betreuer unter Berücksichtigung aller Umstände zu entscheiden, ob ein „hypothetischer Widerruf“ der Patientenverfügung erfolgt sei; differenzierend nach dem konkreten Inhalt der Patientenverfügung Lipp, Patientenautonomie und Lebensschutz, S. 22; nach Deutsch, NJW 1978, 1905, 1909 soll zwar auch eine frühere Verweigerung der Zustimmung zu einem Eingriff grundsätzlich verbindlich sein. Erfolge sie jedoch entgegen der überwiegenden Ansicht und in Widerspruch zum Heilungsauftrag des Mediziners, so sei sie nur so lange wirksam, als die Umstände, die bei der antizipierten Verweigerung gegeben oder vorherzusehen waren, fortbestehen. Seien sie nicht mehr gegeben, so trete die mutmaßliche Einwilligung an die Stelle der verweigerten. Dies sei der Preis, der für den extremen Individualismus gegenüber dem ärztlichen Heilungsauftrag zu zahlen sei. 45 Fröschle, JZ 2000, 72, 76; Füllmich, Der Tod im Krankenhaus und das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, S. 79; Harder, ArztR 1991, 11, 16; Höfling, JuS 2000, 111, 116; Langenfeld, Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung und Patiententestament nach dem neuen Betreuungsrecht, S. 182; Laufs, NJW 1999, 1758, 1762; ders., NJW 1998, 3399, 3340; Meier, BtPrax 94, 190, 192; Olzen, ArztR 2001, 116, 121; Spickhoff, Patientenverfügungen und Patientenautonomie zwischen Rechtsdogmatik, Rechtspolitik und Rechtswirklichkeit, in: Kingreen/Laux, Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs 2008, S. 103, 117; ders., NJW 2000, 2297, 2302; Verrel, MedR 1999, 547, 548. 46 Höfling, JuS 2000, 111, 116; Laufs, NJW 1998, 3399, 3340; Spickhoff, NJW 2000, 2297, 2299. 47 Spickhoff, NJW 2000, 2297, 2302; vgl. auch Verrel, MedR 1999, 547, 548.
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richten darf, wenn der ohne den ärztlichen Eingriff dem sicheren Tod preisgegebene Suizident bei Antreffen des Arztes schon bewusstlos war. In dieser Situation habe der Arzt vielmehr in eigener Verantwortung eine Entscheidung über die Vornahme oder Nichtvornahme auch des nur möglicherweise erfolgreichen Eingriffs zu treffen. Der Arzt dürfe hierbei berücksichtigen, dass es keine Rechtsverpflichtung zur Erhaltung eines erlöschenden Lebens um jeden Preis gebe. Angesichts des bisherige Grenzen überschreitenden Fortschritts medizinischer Technologie bestimme nicht die Effizienz der Apparatur, sondern die an der Achtung des Lebens und der Menschenwürde ausgerichtete Einzelfallentscheidung die Grenze ärztlicher Behandlungspflicht. b) BGHSt 40, 257 – sog. Kemptener Urteil vom 13. September 1994 In dem sog. Kemptener Urteil aus dem Jahre 1994 hatte der erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs über die Strafbarkeit des Abbruchs einer ärztlichen Behandlung zu entscheiden. Der Bundesgerichtshof nahm zunächst eine Abgrenzung der Fälle des Abbruchs lebenserhaltender Maßnahmen zu denen der sog. passiven Sterbehilfe vor. Passive Sterbehilfe setze voraus, dass das Grundleiden eines Kranken nach ärztlicher Überzeugung unumkehrbar, also irreversibel sei, einen tödlichen Verlauf angenommen habe und der Tod in kurzer Zeit eintreten werde. Erst in diesem Stadium sei erlaubt, auf lebensverlängernde Maßnahmen wie Beatmung, Bluttransfusionen oder künstliche Ernährung zu verzichten. In dem zu entscheidenden Fall hatte der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt. Die Betroffene war, abgesehen von der Notwendigkeit künstlicher Ernährung, lebensfähig. Der Bundesgerichtshof ordnete den Fall daher nicht als Sterbehilfe, sondern als einen Abbruch einer einzelnen lebenserhaltenden Maßnahme ein. Der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen – im konkreten Fall die Einstellung künstlicher Ernährung – sei bei entsprechendem Patientenwillen als Ausdruck seiner allgemeinen Entscheidungsfreiheit und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit grundsätzlich anzuerkennen. Auch in dieser Situation sei das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu achten, gegen dessen Willen eine ärztliche Behandlung grundsätzlich weder eingeleitet noch fortgesetzt werden dürfe. An die Voraussetzungen für die Annahme eines mutmaßlichen Einverständnisses des entscheidungsunfähigen Patienten seien im Interesse des Schutzes menschlichen Lebens in tatsächlicher Hinsicht allerdings strenge Anforderungen zu stellen. Entscheidend sei der mutmaßliche Wille des Patienten im Tatzeitpunkt, wie er sich nach sorgfältiger Abwägung aller Umstände darstelle. Hierbei seien frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen des Kranken ebenso zu berücksichtigen wie seine religiöse Überzeugung, seine sonstigen persönlichen Wertvorstellungen, seine altersbedingte Lebenserwartung oder das Erleiden von
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Schmerzen. Objektive Kriterien, insbesondere die Beurteilung einer Maßnahme als gemeinhin „vernünftig“ oder „normal“ sowie den Interessen eines verständigen Patienten üblicherweise entsprechend, haben keine eigenständige Bedeutung. Sie könnten lediglich Anhaltspunkte für die Ermittlung des individuellen hypothetischen Willens sein. Ließen sich auch bei der gebotenen sorgfältigen Prüfung konkrete Umstände für die Feststellung des individuellen mutmaßlichen Willens des Kranken nicht finden, so könne und müsse auf Kriterien zurückgegriffen werden, die allgemeinen Wertvorstellungen entsprächen. Dabei sei jedoch Zurückhaltung geboten. Im Zweifel habe der Schutz menschlichen Lebens Vorrang vor persönlichen Überlegungen des Arztes, der Angehörigen oder anderen beteiligten Personen. In dem zu entscheidenden Fall lehnte der Bundesgerichtshof die Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung auf der Grundlage der bis dahin getroffenen Feststellungen ab, da hinreichend sichere Anhaltspunkte fehlten. Auch zur Frage des Erfordernisses der vormundschaftlichen Genehmigung einer ärztlichen Maßnahme hat der Bundesgerichtshof Stellung genommen und festgestellt, dass zur Wirksamkeit der Einwilligung in den Abbruch einer Behandlungsmaßnahme die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts erforderlich sei. Zwar sei die Vorschrift des § 1904 BGB nach dem Wortlaut auf den tödlich verlaufenden Abbruch nicht unmittelbar anwendbar, da sie nur aktive ärztliche Maßnahmen wie Untersuchungen, Heilbehandlungen oder Eingriffe umfasse. Nach ihrem Sinn und Zweck müsse sie jedoch in Fällen der Sterbehilfe jedenfalls dann erst recht entsprechend anzuwenden sein, wenn die ärztliche Maßnahme in der Beendigung einer bisher durchgeführten lebenserhaltenden Behandlung bestehe und der Sterbevorgang noch nicht unmittelbar eingesetzt habe. Wenn schon bestimmte Heileingriffe wegen ihrer Gefährlichkeit der alleinigen Entscheidungsbefugnis des Betreuers entzogen seien, dann müsse dies umso mehr für Maßnahmen gelten, die eine ärztliche Behandlung beenden sollen und mit Sicherheit binnen kurzem zum Tod des Kranken führen. c) BGHZ 154, 205 – sog. Lübecker Fall, Beschluss vom 17. März 2003 Der Bundesgerichtshof grenzte zunächst unter Bezugnahme auf das Kemptener Urteil48 die Fälle der passiven Sterbehilfe von Fällen des Abbruchs lebenserhaltender Maßnahmen ab. Während in den Fällen der passiven Sterbehilfe das unumkehrbare Grundleiden einen tödlichen Verlauf genommen haben müsse oder zu erwarten sein müsse, dass der Tod in kurzer Zeit eintrete, habe das unumkehrbare Grundleiden in den Fällen des Abbruchs lebenserhaltender Maßnahmen noch nicht zum Einsetzen des Sterbevorganges geführt. 48
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Der Bundesgerichtshof führte sodann aus, dass aus dieser objektiven Eingrenzung der zulässigen passiven Sterbehilfe folge, dass für ein Verlangen des Betreuers, eine medizinische Behandlung einzustellen, kein Raum sei, wenn das Grundleiden des Betroffenen noch keinen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen habe und durch die Maßnahme das Leben des Betroffenen verlängert oder erhalten werde. Daraus lasse sich jedoch nicht herleiten, dass das Verlangen des Betreuers, die künstliche Ernährung des Betroffenen einzustellen, jedenfalls insoweit einer vormundschaftsgerichtlichen Überprüfung entzogen sei, als die medizinischen Voraussetzungen, unter denen ein solches Verlangen rechtlich überhaupt erst zulässig wäre, in Frage stünden. Ein vormundschaftsgerichtliches Verfahren böte vielmehr – im Gegenteil – die Möglichkeit, verantwortlich zu prüfen, ob der rechtliche Rahmen für das Verlangen des Beteiligten überhaupt eröffnet sei. Dies wäre immer dann zu verneinen, wenn eine letzte Sicherheit, dass die Krankheit des Betroffenen einen irreversiblen und tödlichen Verlauf angenommen habe, nicht zu gewinnen wäre. Der Bundesgerichtshof stimmte jedoch mit dem Oberlandesgericht insoweit überein, dass § 1904 BGB für eine vormundschaftsgerichtliche Überprüfung des Verlangens des Betreuers, die künstliche Ernährung des Betroffenen einzustellen, keine Rechtsgrundlage hergebe. Auch eine analoge Anwendung dieser Einzelvorschrift könne für sich genommen eine solche Aufgabenzuweisung an das Vormundschaftsgericht schwerlich begründen. Die fehlende Möglichkeit einer analogen Heranziehung schließe jedoch die Befugnis des Senats nicht aus, für die verweigerte Einwilligung des Betreuers in eine lebensverlängernde oder -erhaltende Behandlung oder Weiterbehandlung eines nicht einwilligungsfähigen Betroffenen im Wege einer Fortbildung des Betreuungsrechts eine vormundschaftsgerichtliche Prüfungszuständigkeit zu eröffnen. Im vorliegenden Fall ergebe sich eine solche aus einer Gesamtschau des Betreuungsrechts und einem unabweisbaren Bedürfnis, mit den Instrumenten dieses Rechts auch im Grenzbereich menschlichen Lebens und Sterbens für alle Beteiligten rechtlich verantwortbare Antworten zu finden. d) BGHZ 163, 195 – sog. Traunsteiner Fall, Beschluss vom 8. Juni 2005 Im Jahre 2005 hatte der Bundesgerichtshof Gelegenheit, zu den Voraussetzungen des Abbruchs lebenserhaltender Maßnahmen genauer Stellung nehmen zu können. Unter Bezugnahme auf den Lübecker Fall in BGHZ 154, 205 führte der Bundesgerichtshof aus, dass die mit Hilfe einer Magensonde durchgeführte künstliche Ernährung ein Eingriff in die körperliche Integrität sei und deshalb der Einwilligung des Patienten bedürfe. Eine gegen den erklärten Willen des Betroffenen durchgeführte künstliche Ernährung sei folglich eine rechtswidrige Handlung,
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deren Unterlassung der Patient analog § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB in Verbindung mit § 823 Abs. 1 BGB verlangen könne. Dies gelte auch dann, wenn die begehrte Unterlassung zum Tode des Patienten führen würde. Das Recht des Patienten zur Bestimmung über seinen Körper mache Zwangsbehandlungen, auch wenn sie lebenserhaltend wirkten, unzulässig. Auch habe die Weigerung des Betreuers, in eine weitere künstliche Ernährung des Klägers durch die Beklagte einzuwilligen, in dem zu entscheidenden Fall keiner vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedurft. Dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn der behandelnde Arzt eine lebenserhaltende oder -verlängernde Maßnahme für medizinisch geboten oder vertretbar erachtet hätte und sie deshalb angeboten und der Betreuer sich diesem Angebot verweigert hätte. Ein solcher, die Kontrollzuständigkeit des Vormundschaftsgerichts auslösender Konflikt habe hier nicht bestanden. Der Betreuer und der behandelnde Arzt hätten sich übereinstimmend gegen eine weitere künstliche Ernährung des Klägers entschieden. Das Beharren des Pflegeheimes, die künstliche Ernährung des Betroffenen entgegen der ärztlichen Anordnung fortzusetzen, begründe keine dem Widerstreit von ärztlicher Empfehlung und Betreueranordnung vergleichbare Konfliktsituation. Der Kläger könne jedoch dann nicht die Einstellung der Ernährung durch das Pflegeheim verlangen, wenn das Pflegepersonal dadurch eine strafbare Handlung vornehmen würde. Niemand dürfe zu unerlaubten Handlungen gezwungen werden. Allerdings seien die strafrechtlichen Grenzen einer Sterbehilfe im weiteren Sinn, auf die das klägerische Verlangen abziele, dem Senat bislang nicht hinreichend geklärt. Sie seien jedoch für die Entscheidung des Falles von Bedeutung. Die Beklagte könne nämlich nicht zivilrechtlich zu einem Verhalten verurteilt werden, mit dem die Organe und Beschäftigten der Beklagten Gefahr liefen, sich zu den Geboten des Strafrechts in Widerspruch zu setzen. Der Bundesgerichtshof sah von einer weiteren Stellungnahme ab, da seiner Auffassung nach das zu entscheidende Verfahren im Hinblick auf die allein noch zu treffende Kostenentscheidung keinen geeigneten Rahmen biete, die Frage nach diesen Grenzen abschließend zu beantworten. e) Analyse der Rechtsprechung Es gelingt nicht, aus den dargestellten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs eine einheitliche Linie zur Behandlung der Fälle des Abbruchs oder der Nichtvornahme lebenserhaltender Maßnahmen herauszulesen.49 Liest man die Entscheidung des ersten Strafsenats aus dem Jahre 1994, so scheint der Bundesgerichtshof zunächst eine praktikable Lösung für die Behand49 Vgl. zum Stand der Diskussion auch Jäger, Die Patientenverfügung als Rechtsinstitut zwischen Autonomie und Fürsorge, in: Festschrift für Wilfried Küper zum 70. Geburtstag, S. 212 ff.
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lung der Fälle gefunden zu haben. In dem Urteil ist eine klare Abgrenzung der Fälle der passiven Sterbehilfe zu den Fällen des Abbruchs lebenserhaltender Maßnahmen erfolgt. Beiden Fallkonstellationen ist gemein, dass das Grundleiden unumkehrbar ist. Als taugliches Abgrenzungskriterium der Fälle zieht der Bundesgerichtshof sodann den tödlichen Verlauf beziehungsweise die Erwartung des zeitnahen Todes heran. Ist dieses Kriterium gegeben, so handelt es sich um einen Fall der passiven Sterbehilfe. In den Fällen des Abbruchs lebenserhaltender Maßnahmen ist es hingegen noch nicht zum Einsetzen des Sterbevorganges gekommen. Lediglich in den Fällen der passiven Sterbehilfe sei dem Arzt erlaubt, den Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen wie Beatmung, Bluttransfusionen oder künstliche Ernährung einzustellen. In den Fällen des Abbruchs lebenserhaltender Maßnahmen komme es hingegen auf den mutmaßlichen Willen der betroffenen Person an, an dessen Annahme erhöhte Anforderungen zu stellen sind. Die in diesem Urteil durchaus noch praktisch handhabbare Linie hat der zwölfte Zivilsenat des Bundesgerichtshofs durch den Beschluss vom 12. März 2003 konterkariert.50 Abgesehen davon, dass hinsichtlich des Genehmigungserfordernisses teilweise unterschiedliche Voraussetzungen aufgestellt wurden, ist die Abgrenzung der Fälle der passiven Sterbehilfe zu denjenigen des Abbruchs lebenserhaltender Maßnahmen verwässert worden. Zwar geht der Zivilsenat im Ansatz zutreffend davon aus, dass im Sinne der Einheit der Rechtsordnung ein Gleichklang der Beurteilung im Zivilrecht und im Strafrecht erfolgen muss. Der Zivilsenat zieht jedoch aus dem Kemptener Urteil den Schluss, dass für das Verlangen des Betreuers, eine medizinische Behandlung einzustellen, kein Raum ist, wenn das Grundleiden des Betroffenen noch keinen irreversiblen tödlichen Verlauf 51 angenommen hat und durch die Maßnahme das Leben des Betroffenen verlängert oder erhalten wird. Eine Einstellung lebenserhaltender Maßnahmen wäre immer dann unzulässig, wenn eine letzte Sicherheit, dass die Krankheit des Betroffenen einen irreversiblen und tödlichen Verlauf angenommen hat, nicht zu gewinnen wäre. Dieses vom Zivilsenat im Jahre 2003 zusätzlich aufgestellte Postulat findet jedoch im Kemptener Urteil aus dem Jahre 1994 keine Grundlage. Der Strafsenat hat vielmehr im Kemptener Urteil ausgeführt, dass angesichts der besonderen Umstände des dort gegebenen Grenzfalls ausnahmsweise ein zulässiges Sterbenlassen durch Abbruch einer ärztlichen Behandlung oder Maßnahme nicht von
50 Vgl. hierzu auch Höfling/Rixen, JZ 2003, 884, die ausführen, der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 17. März 2003 führe das Sterbehilferecht in eine theoretische Ausweglosigkeit, die die ohnehin bestehenden Entscheidungsnöte von Ärzten, Betreuern und Vormundschaftsrichtern verschärfe; Uhlenbruck, NJW 2003, 1710. 51 Vgl. zu diesbezüglichen Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Begriffsinhalts Höfling/Rixen, JZ 2003, 884, 886 f.
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vornherein ausgeschlossen ist, sofern der Patient mit dem Abbruch mutmaßlich einverstanden ist. Auch in dieser Situation sei das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu achten, gegen dessen Willen eine ärztliche Behandlung grundsätzlich weder eingeleitet noch fortgesetzt werden darf. In dem Kemptener Urteil wurde gerade kein tödlicher Verlauf der Krankheit vorausgesetzt, um die Zulässigkeit der Maßnahme zu begründen. Der zwölfte Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte sodann in dem Verfahren aus dem Jahre 2005 die Möglichkeit gehabt, klarstellende Feststellungen zu treffen. In Abkehr von der Rechtsprechung aus dem Jahre 2003 besann sich der Bundesgerichtshof völlig zu Recht wieder auf einen zivilrechtlichen Ansatz, was sich bereits durch die hervorgehobenen Anspruchsgrundlagen des § 1004 BGB und § 823 Abs. 1 BGB ergibt. Von dem im Jahre 2003 zusätzlich aufgestellten Postulat des irreversibel tödlichen Verlaufs ist in der Entscheidung aus dem Jahre 2005 keine Rede mehr. Der Beschluss aus dem Jahre 2005 stellt somit eine stillschweigende Korrektur und Abkehr der Rechtsprechung aus dem Jahre 2003 dar. Ausdrücklich ausgesprochen hat dies der Bundesgerichtshof allerdings nicht. Zudem wurde auch im Jahre 2005 das Verhältnis zum Strafrecht nicht abgeklärt. Es verwundert vor diesem Hintergrund nicht, dass die Ansicht der Divergenz zwischen zivilrechtlicher und strafrechtlicher Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch nach der Entscheidung aus dem Jahre 2005 fortbestand.52 f) Zusammenfassende Bewertung des Diskussionsstandes Nach der Analyse der Rechtsprechung im Bereich des Abbruchs lebenserhaltender Maßnahmen lässt sich nicht nur aus praktischer Sicht feststellen, dass ein weitgehend unbefriedigender Zustand herrschte.53 Gerade an neuralgischen Punkten bestand weitgehende Rechtsunsicherheit. Über Ärzten und Betreuern, aber auch über dem Pflegepersonal, schwebte stets das Damoklesschwert der Strafbarkeit, was sachliche und der Situation angemessene Entscheidungen jedenfalls erschwerte. Die Literatur hatte zwar durchaus praktikable Lösungsansätze entwickelt.54 Auch war es in praktischer Hinsicht in aller Regel unerheblich, ob man die Bin-
52 Vgl. zur Darstellung der Entwicklung auch BGHSt 55, 191, wo unter Berücksichtigung des § 1901a BGB eine Abgrenzung zum Strafrecht vorgenommen wird. 53 So auch Höfling/Rixen, JZ 2003, 884, 887, 893; Uhlenbruck, NJW 2003, 1710. 54 Vgl. nur Höfling, JuS 2000, 111, 116; Kutzer, ZRP 2005, 277; Laufs, NJW 1999, 1758, 1762; Olzen, ArztR 2001, 116, 121; Otto, NJW 2006, 2217, 2219; Schmidt-Recla, MedR 2008, 181, 183; Schumann, Dignitas – Voluntas – Vita, S. 64 ff.; Spickhoff, Patientenverfügungen und Patientenautonomie zwischen Rechtsdogmatik, Rechtspolitik und Rechtswirklichkeit, in: Kingreen/Laux, Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs 2008, S. 103, 117; ders., NJW 2000, 2297, 2302.
II. Das Gesetzgebungsverfahren vorbereitende Materialien
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dungswirkung mit einer fortwirkenden Willensäußerung55 oder einer Indizwirkung56 begründet, solange man die Bindungswirkung an sich bejaht. Die Rechtsunsicherheit bei den betroffenen Personen aber auch bei den Gerichten57, konnte dadurch jedoch nicht vollends beseitigt werden.
II. Das Gesetzgebungsverfahren vorbereitende Materialien 1. Arbeitsgruppe 2003 „Patientenautonomie am Lebensende“ a) Allgemeines Die damalige Bundesjustizministerin Zypries setzte im September 2003 eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe „Patientenautonomie am Lebensende“ ein. Ziel der Beratungen der Arbeitsgruppe war, Fragen der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen zu diskutieren und Eckpunkte für die Abfassung einer Patientenverfügung zu erarbeiten sowie zu prüfen, ob Gesetzesänderungen in diesem Bereich erforderlich erscheinen und hierfür Vorschläge zu unterbreiten. Die Arbeitsgruppe wurde vom Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof a. D. Kutzer geleitet. Ihr gehörten Vertreterinnen und Vertreter der Ärzteschaft und der Patienten, der Wohlfahrtspflege, der Hospizbewegung und der Kirchen sowie der Konferenz der Justizministerinnen und -minister und der Konferenz der für das Gesundheitswesen zuständigen Ministerinnen und Minister der Länder an. Am 10. Juni 2004 fasste die Arbeitsgruppe die Ergebnisse der Beratungen zu den ethischen, rechtlichen und medizinischen Aspekten in Verbindung mit Patientenverfügungen thesenhaft in einem Bericht zusammen. Auch enthält der Bericht Textbausteine zur Erstellung einer individuellen, schriftlichen Patientenverfügung sowie Vorschläge für Änderungen im Betreuungsrecht und im Strafrecht. b) Thesen zum Selbstbestimmungsrecht Die Zusammenschau der Thesen zum Selbstbestimmungsrecht ergibt eine klare Abschichtung der maßgeblichen Kriterien zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit ärztlicher Eingriffe. 55 Kutzer, ZRP 2005, 277, 278; Otto, NJW 2006, 2217, 2219; Schmidt-Recla, MedR 2008, 181, 183. 56 Höfling, JuS 2000, 111, 116; Laufs, NJW 1999, 1758, 1762; Olzen, ArztR 2001, 116, 121; Spickhoff, Patientenverfügungen und Patientenautonomie zwischen Rechtsdogmatik, Rechtspolitik und Rechtswirklichkeit, in: Kingreen/Laux, Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs 2008, S. 103, 117; ders., NJW 2000, 2297, 2302. 57 Bezeichnend hierfür erscheinen die Ausführungen des Bundesgerichtshofs in BGHZ 163, 195, 200 f., wonach die strafrechtlichen Grenzen der Sterbehilfe im weiteren Sinne dem Senat nicht hinreichend geklärt erscheinen, jedoch für die Beurteilung der zivilrechtlichen Verhaltenspflichten relevant sind.
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Die Arbeitsgruppe stellt zunächst fest, dass das Recht zur Selbstbestimmung über den eigenen Körper zum Kernbereich der durch das Grundgesetz geschützten Würde und Freiheit des Menschen zählt.58 Im Falle der Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen bedarf nach Auffassung der Arbeitsgruppe folgerichtig jeder ärztliche Eingriff der Einwilligung nach zuvor erfolgter ärztlicher Aufklärung59, unabhängig davon, ob er der Lebensverlängerung oder Lebenserhaltung oder der palliativmedizinischen Versorgung dient.60 Der Patient kann nach dieser Ansicht die Vornahme oder die Fortsetzung einer lebenserhaltenden oder lebensverlängernden Behandlung auch dann ablehnen, wenn deren Beginn oder Fortsetzung ärztlich indiziert ist. Eine Reichweitenbegrenzung ist den Thesen der Arbeitsgruppe nicht zu entnehmen. Die Möglichkeit der Ablehnung der ärztlichen Maßnahme soll vielmehr ohne Rücksicht darauf gelten, ob die Krankheit bereits einen unumkehrbar tödlichen Verlauf genommen hat und der Tod nahe bevorsteht.61 Auch für den Fall, dass trotz Einwilligungsfähigkeit ein Betreuer oder Bevollmächtigter vorhanden ist, soll allein die Einwilligung oder Ablehnung der betroffenen Person maßgeblich sein.62 Auch wenn der Betroffene seine Einwilligungsfähigkeit verliert, soll nach den Ergebnissen der Arbeitsgruppe eine frühere Willensbekundung fortgelten, falls keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Betroffene sie widerrufen hat.63 Eine eigene Vertreterentscheidung soll hier nicht maßgeblich sein.64 Der Betreuer oder Bevollmächtigte soll an den Willen gebunden sein und diesem Ausdruck und Geltung verschaffen.65 Ist eine fortwirkende frühere Willensbekundung des nunmehr einwilligungsunfähigen Betroffenen nicht bekannt oder nicht eindeutig, soll sich die Zulässigkeit der ärztlichen Behandlung nach dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen beurteilen.66 Auch hier soll der Betreuer oder Bevollmächtigte auch dann die Zustimmung zu einer lebenserhaltenden oder lebensverlängernden ärztlichen Behandlung wirksam verweigern können, wenn das Grundleiden der betroffenen Person noch keinen irreversibel tödlichen Verlauf angenommen hat und dies dem mutmaßlichen Willen der betroffenen Person entspricht.67
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These II. 1. a). Wobei ein Verzicht auf eine ärztliche Aufklärung möglich sein soll, vgl. These II. 2.1. b). 60 These II. 2.1. a). 61 These II. 2.1. d). 62 These II. 2.3.1. 63 These II. 2.2.1. a). 64 These II. 2.3.2. a). 65 These II. 2.2.1. b). 66 These II. 2.2.2. a). 67 These II. 2.2.2. d). 59
II. Das Gesetzgebungsverfahren vorbereitende Materialien
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Nur dann, wenn keine frühere Willensbekundung der betroffenen Person vorliegt und auch kein behandlungsbezogener mutmaßlicher Wille feststellbar ist, soll der Betreuer oder Bevollmächtigte entsprechend dem Wohl der betroffenen Person entscheiden können. Erst hier soll dem Lebensschutz Vorrang eingeräumt werden.68 Die Verweigerung der Einwilligung des Betreuers oder Bevollmächtigten in die Einleitung oder Fortführung lebenserhaltender Maßnahmen soll der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bedürfen, es sei denn, der Betreuer hat mit dem Arzt und dem Behandlungsteam Einvernehmen darüber erzielt, dass dies dem erklärten oder mutmaßlichen Willen der betroffenen Person entspricht.69 c) Thesen zu Inhalt, Form und Verbindlichkeit von Patientenverfügungen Nach Auffassung der Arbeitsgruppe können Patientenverfügungen Festlegungen in Form von voraus erteilten Einwilligungen in die Einleitung, den Umfang oder die Beendigung bestimmter Maßnahmen, Ablehnungen bestimmter Maßnahmen und Anweisungen an behandelnde Ärzte und das Behandlungsteam enthalten. Daneben sollen jedoch auch Bitten oder bloße Richtlinien für deren Entscheidung sowie Wertvorstellungen der betroffenen Person in eine Patientenverfügung aufgenommen werden können.70 Adressat einer Patientenverfügung sollen in erster Linie Ärzte und das Behandlungsteam sein. Zusätzlich soll sich die Patientenverfügung an einen Betreuer oder Bevollmächtigten richten können und Anweisungen oder Bitten zur Auslegung und Durchsetzung der Patientenverfügung enthalten.71 Die Errichtung einer Patientenverfügung soll formfrei möglich sein.72 Die betroffene Person muss bei Abfassung oder Bestätigung der Verfügung einwilligungsfähig gewesen sein.73 In der Verfügung festgehaltene Einwilligungen in Eingriffe in die körperliche Integrität sollen jedoch nur wirksam sein, wenn ihnen eine ärztliche Aufklärung vorausgegangen ist, es sei denn die betroffene Person hat darauf verzichtet.74 Die Wirksamkeit der Ablehnung bestimmter Maßnahmen soll jedoch nach Auffassung der Arbeitsgruppe nicht von einer vorausgegangenen ärztlichen Aufklärung abhängen.75 68 69 70 71 72 73 74 75
These II. 2.2.3. These II. 2.4. a). These III. 1. b). These III. 1. c). These III. 2. a). These III. 3. a). These III. 3. c). These III. 3. d).
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B. Die Entwicklung des Rechts der Patientenverfügung
Festlegungen in einer Patientenverfügung sollen jederzeit formlos abgeändert oder widerrufen werden können, wobei für die Abänderung oder den Widerruf die Einwilligungsfähigkeit der betroffenen Person Voraussetzung sein soll.76 Allerdings sollen Festlegungen dann nicht bindend sein, soweit aufgrund konkreter Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass die betroffene Person sie zum Behandlungszeitpunkt nicht mehr gelten lassen will.77 Eine Aktualisierungspflicht der Patientenverfügung soll nicht bestehen.78 d) Besonderheiten in Bezug auf psychische Erkrankungen Besonderheiten in Bezug auf Patientenverfügungen von psychisch kranken Menschen enthält der Bericht der Arbeitsgruppe nicht. Jedoch wird im Bereich der Thesen zur Sterbehilfe im Strafrecht auf die Problematik der psychischen Krankheiten in Bezug auf die Verpflichtung zur Verhinderung eines Suizids im Rahmen einer Fußnote eingegangen.79 In These II. 2.6. d) wird zunächst festgehalten, dass ein Arzt gehalten ist, einen Suizid im Rahmen der ärztlichen Möglichkeiten zu verhindern. Entschließe sich ein Patient jedoch, trotz aller ärztlicher Bemühungen nach freiverantwortlicher Überlegung dazu, ihr oder sein Leben selbst zu beenden, so soll keine ärztliche Verpflichtung bestehen, gegen den ausdrücklichen Willen der oder des Betroffenen lebenserhaltend einzugreifen.80 Die Arbeitsgruppe führt sodann in der Fußnote zur genannten These aus: „Ohne einen Suizid ethisch oder rechtlich werten zu wollen, ist die Arbeitsgruppe der Auffassung, dass niemand, insbesondere weder ein Arzt noch ein naher Angehöriger, mit den Mitteln des Strafrechts gezwungen werden sollte, einen schwer leidenden Menschen in der von ihm selbst und freiverantwortlich gewählten Stunde des Todes allein zu lassen und ihn zum Weiterleben zu nötigen. Dagegen stellt die Arbeitsgruppe eine strafbewehrte Hilfeleistungspflicht nicht in Frage, soweit der Suizident, etwa wegen hirnorganischer Schäden oder psychiatrischer Befunde, den Entschluss zum Suizid nicht freiverantwortlich fassen konnte. Frau Dr. Beykirch, Frau Graf und Frau Dr. Knüppel haben dieser These mit folgender Begründung nicht zugestimmt: „Durch diese Regelung wird dem Schwerkranken implizit neben allen Möglichkeiten einer Sterbebegleitung die Option eines Suizids eröffnet. Dies kann zu einem nicht verantwortbaren – auch von Dritten ausübbaren – zusätzlichen Druck auf Menschen führen, die sich in einer stark belastenden Lebenssituation befinden.“
Trotz der auf den ersten Blick deutlichen Ausführungen in Bezug auf die abgelehnte Verpflichtung zur Verhinderung eines Suizids, verbleiben auf den zwei76 77 78 79 80
These III. 3. f). These III. 3. h). These III. 3. g). Fn. 12 des Berichts der Arbeitsgruppe. These II. 2.6. d).
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ten Blick Unklarheiten, wenn man die Brücke zu Patientenverfügungen von psychisch kranken Menschen zu schlagen versucht. Zwar soll im Falle der freiverantwortlichen Überlegung keine ärztliche Verpflichtung zur Suizidverhinderung bestehen. Eine Hilfeleistungspflicht wird jedoch nicht in Frage gestellt, soweit der Suizident wegen hirnorganischer Schäden oder psychiatrischer Befunde den Entschluss zum Suizid nicht freiverantwortlich fassen konnte. Die letztlich interessante und entscheidende Frage bleibt hiermit jedoch unbeantwortet. Wie ist zu beurteilen, wenn der nunmehr aufgrund einer psychischen Krankheit einwilligungsunfähig gewordene Patient in einer wirksam errichteten Patientenverfügung jegliche Behandlung ablehnte und ausdrücklich festhielt, dass dies auch dann gelten soll, wenn eine erhebliche Suizidgefahr besteht? Auch wenn dies theoretisch erscheinen mag, ist auch der Fall denkbar, dass der einwilligungsunfähig gewordene psychisch kranke Patient seine Suizidabsicht ausdrücklich in die wirksame Patientenverfügung aufgenommen hat. Die Arbeitsgruppe geht auf diese Fragestellungen nicht explizit ein. Nimmt man jedoch die These zur Fortwirkung des in einer Patientenverfügung festgehaltenen Willens81 ernst, so kann folgerichtig allein die nachträglich eingetretene Einwilligungsunfähigkeit die zuvor erfolgte freiverantwortliche Entschlussfassung nicht beseitigen. Dies müsste umso mehr gelten, wenn bei einer nachträglich eingetretenen Einwilligungsunfähigkeit im Falle des Vorliegens einer Willensbekundung sogar eine Vertreterentscheidung nicht maßgeblich sein soll.82 Auch die Erläuterungen zu den Vorschlägen zur Gesetzesänderung im Strafrecht legen diesen Rückschluss nahe. Die Arbeitsgruppe hat ausgeführt, dass für einen rechtlich zulässigen Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen nicht der Stand des Krankheitsverlaufs maßgebend sein soll, sondern allein der erklärte oder sogar auch der mutmaßliche Wille des Patienten, sofern sich dieser anhand konkreter Anhaltspunkte ermitteln lässt.83 Da die Ausführungen der Arbeitsgruppe jedoch lediglich in Bezug auf die strafrechtliche Beurteilung zur Verhinderung des Suizids erfolgten, bleibt fraglich, ob die Arbeitsgruppe die letzte Konsequenz aus der Fortwirkung des einmal geäußerten Willens bei Vorliegen einer psychischen Erkrankung tatsächlich mit dieser Reichweite gezogen hätte. e) Zusammenfassende Bewertung Die von der Arbeitsgruppe gefundenen Ergebnisse stellen – auch gemessen am Maßstab der Literaturmeinungen und Rechtsprechung – das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen weit in den Vordergrund. 81 82 83
These II. 2.2.1. a). These II. 2.3.2. a). Bericht der Arbeitsgruppe S. 54.
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B. Die Entwicklung des Rechts der Patientenverfügung
Zusammenfassend sind folgende Punkte besonders hervorzuheben: – Eine Reichweitenbegrenzung soll es nicht geben, so dass die Patientenverfügung nicht nur auf die Fälle des Einsetzens des Sterbevorganges oder des zu erwartenden alsbaldigen Todes beschränkt wird. Bei Vorliegen einer wirksamen Willensbekundung soll allein der fortgeltende Wille maßgeblich sein. Folgerichtig dürfte eine Betreuerbestellung auch nicht notwendig sein. – Der Begriff der Patientenverfügung ist relativ weit gefasst, so dass auch einfache Wünsche und Anweisungen zur Behandlung darin aufgenommen werden können. Etwas außergewöhnlich dürfte sein, dass sich nach Auffassung der Arbeitsgruppe die Patientenverfügung in erster Linie an den Arzt richtet und erst in zweiter Linie an den Betreuer oder Bevollmächtigten. Unter Berücksichtigung der Annahme der Arbeitsgruppe, dass die Betreuerbestellung jedoch nicht zwingend notwendig ist, sondern die ursprüngliche Erklärung der betroffenen Person fortwirkt, erscheint dies jedoch nachvollziehbar. – Eine Unterscheidung der Wirkungen der Patientenverfügung nach der Art der Erkrankung wird von der Arbeitsgruppe nicht vorgenommen. Besondere Wirksamkeitsvoraussetzungen in Bezug auf Patientenverfügungen von psychisch kranken Menschen enthält der Bericht nicht. Lediglich im Bereich der strafrechtlichen Beurteilung wird in Bezug auf die Frage der Verpflichtung zur Verhinderung eines Suizids auf psychische Erkrankungen am Rande eingegangen. Die Frage, welche Auswirkungen eine Patientenverfügung von psychisch kranken Personen auf diese Fallkonstellationen hat, wird indes nicht explizit beantwortet. 2. Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ a) Allgemeines Bereits mit Beschluss des Deutschen Bundestages vom 24. März 200084 wurde eine erste Enquete-Kommission unter dem Titel „Recht und Ethik der modernen Medizin“ eingesetzt. Die erste Kommission hatte den Auftrag, unter Berücksichtigung ethischer, verfassungsrechtlicher, sozialer, gesetzgeberischer und politischer Aspekte die Fortschritte der Medizin, die Forschungspraxis sowie die daraus resultierenden Fragen und Probleme zu untersuchen und grundlegende und vorbereitende Arbeiten für notwendige Entscheidungen des Deutschen Bundestages zu leisten. Im Vordergrund der Arbeiten standen die Themenbereiche Reproduktionsmedizin und Embryonenschutz, angewandte medizinische Forschung, neue diagnostische und therapeutische Methoden und genetische Daten. Auf Fragen der Patientenverfügung ging die erste Kommission nur äußerst knapp 84
BT-Drs. 14/3011.
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ein.85 Nennenswerte Ergebnisse zu diesem Themenbereich wurden von der ersten Kommission nicht erarbeitet. In der nachfolgenden Legislaturperiode wurde mit Beschluss des Deutschen Bundestages vom 18. Februar 200386 eine weitere Enquete-Kommission, diesmal unter dem leicht abgewandelten Titel „Ethik und Recht der modernen Medizin“, eingesetzt. Diese zweite Kommission sollte unter anderem87 wichtige Entwicklungen in der biowissenschaftlichen und medizinischen Forschung, in der Diagnostik, Prävention und Therapie darstellen, unter Einbeziehung ethischer, rechtlicher, sozialer und politischer Aspekte bewerten und Vorschläge für gesellschaftliches Handeln, insbesondere des Gesetzgebers, erarbeiten. Darüber hinaus sollten Grenzen medizinischen Handelns bei Forschung, Diagnostik und Therapie definiert werden, die sich aus dem verfassungsrechtlichen Gebot zur unbedingten Wahrung der Menschenwürde und der Grundrechte ergeben. Im Rahmen eines Schwerpunktes „Menschenwürdig leben bis zuletzt“ hat die Kommission auch das Thema Patientenverfügung behandelt, da dieses im Gesamtkonzept der Sterbebegleitung und Palliativmedizin gesehen werden müsse.88 Aufgrund der Neuwahl zum Deutschen Bundestag musste die Enquete-Kommission ihre Arbeit jedoch ein Jahr früher als vorgesehen beenden. Wichtige Fragen, die noch zur Beratung anstanden, konnten daher nicht mehr bearbeitet werden. Ein Schlussbericht mit inhaltlichen Empfehlungen konnte daher nicht mehr erarbeitet werden.89 Um die Ergebnisse der Arbeiten zusammenzufassen, hat die Kommission jedoch am 6. September 2005 einen Bericht über den Stand der Arbeiten vorgelegt.90 In Bezug auf die Thematik der Patientenverfügung konnte bereits am 13. September 2004 ein Zwischenbericht vorgelegt werden.91 b) Zwischenbericht „Patientenverfügungen“ vom 13. September 2004 92 Auch die Enquete-Kommission geht in ihren ethischen Überlegungen davon aus, dass das Recht auf Selbstbestimmung ein fundamentales Menschenrecht ist.93 Neben der Achtung der Selbstbestimmung des Patienten müsse jedoch der Umgang mit nicht mehr äußerungsfähigen Menschen stets auch an deren Wohl
85 86 87 88 89 90 91 92 93
BT-Drs. 14/9020, S. 199 f. BT-Drs. 15/464. Zu den weiteren Aufgaben im Einzelnen BT-Drs. 15/464, S. 1. Vgl. BT-Drs. 15/3700, S. 5. Vgl. auch BT-Drs. 15/5980. BT-Drs. 15/5980. BT-Drs. 15/3700. BT-Drs. 15/3700. BT-Drs. 15/3700, S. 9.
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B. Die Entwicklung des Rechts der Patientenverfügung
orientiert sein.94 Dies könne im Extremfall auch heißen, dass Entscheidungen gegen den Wortlaut von – möglicherweise ungeschickt formulierten – Patientenverfügungen getroffen werden müssen und richtig sein können.95 Es wurden verschiedene Punkte aufgegriffen und diskutiert, durch die Bedenken gegen das Abfassen einer Patientenverfügung aufkommen können. Als Problemfelder wurden – die mangelnde Vorhersehbarkeit der konkreten zukünftigen Situation96, – die mangelnde direkte Kommunikation von Patient und Arzt beim Abfassen der Patientenverfügung97, – der fehlende Entwicklungsprozess einer konkreten Entscheidung98, – sich wandelnde Werte, Einstellungen und Entscheidungen in verschiedenen Lebensphasen99, – Patientenverfügungen als „Türöffner“ zur aktiven Sterbehilfe100 und – Patientenverfügungen bei Nichtsterbenden101 dargestellt, ohne dass eine abschließende Einschätzung erfolgte. In Bezug auf die Rechtslage stellte die Kommission fest, dass diese in vielen Punkten nicht abschließend geklärt sei.102 Dies betreffe sowohl die strafrechtliche als auch die zivilrechtliche Seite und nicht zuletzt das Verhältnis zwischen Strafrecht und Zivilrecht. Die Enquete-Kommission sah im Ergebnis gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Ergebnisoffen wurden sodann verschiedene Regelungsoptionen vorgestellt und die jeweiligen Vor- und Nachteile erörtert.103 Hervorgehoben wurden Fragen zur Reichweite, der Verbindlichkeit, zu Wirksamkeitsvoraussetzungen, zur Gültigkeitsdauer und zum Erfordernis der Hinterlegung. Erst am Ende des Zwischenberichts erfolgt in den Schlussfolgerungen und Empfehlungen eine konkrete Festlegung beziehungsweise Bevorzugung einzelner Optionen.
94
BT-Drs. 15/3700, S. 9. BT-Drs. 15/3700, S. 9. 96 BT-Drs. 15/3700, S. 10. 97 BT-Drs. 15/3700, S. 11. 98 BT-Drs. 15/3700, S. 11. 99 BT-Drs. 15/3700, S. 12. 100 BT-Drs. 15/3700, S. 13. 101 BT-Drs. 15/3700, S. 13. 102 BT-Drs. 15/3700, S. 21. 103 BT-Drs. 15/3700, S. 30 ff. 95
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aa) Wirksamkeitsvoraussetzungen Die Enquete-Kommission empfahl dem Deutschen Bundestag gesetzlich zu regeln, dass eine Patientenverfügung schriftlich niedergelegt sein muss und eine Unterschrift enthalten muss. Zudem sollte sie ein Datum enthalten.104 Mit der Schriftlichkeit als Wirksamkeitsvoraussetzung solle die Klärung der Frage erleichtert werden, ob überhaupt eine Patientenverfügung vorliegt oder nicht und was der Patient gesagt hat. Mündliche Erklärungen bärgen zudem in sich eine große Gefahr von Missverständnissen, Erinnerungslücken, Missdeutungen und Übereilung. Allerdings seien nichtschriftliche Willensäußerungen keineswegs unbeachtlich. Sie müssten vielmehr als Indiz bei der Ermittlung des geäußerten oder mutmaßlichen Willens des Patienten beachtet werden.105 Eine Aktualisierung der Patientenverfügung sei zwar keine Wirksamkeitsvoraussetzung, jedoch empfehlenswert106, ebenso ein ärztliches Aufklärungs- und Beratungsgespräch107. Der Widerruf einer Patientenverfügung solle jederzeit formlos möglich sein.108 bb) Verbindlichkeit und Reichweite Die Enquete-Kommission war der Ansicht, dass der in einer Patientenverfügung geäußerte Wille für die Weiterbehandlung im Zustand der Einwilligungsunfähigkeit grundsätzlich verbindlich sei, wenn die Verfügung freiwillig und im Zustand der Einwilligungsfähigkeit abgegeben wurde.109 Die Feststellung der (theoretischen) Verbindlichkeit sei in den meisten Fällen jedoch nicht ausreichend zur Umsetzung des Willens des Patienten. Entscheidend sei die praktische Umsetzung des Willens in der konkreten Behandlungssituation und die Prüfung, ob eine Willensänderung erfolgt sei, da der aktuelle Wille vor der in einer Patientenverfügung geäußerten Erklärung Vorrang habe. Im Zweifel müsse immer die Weiterbehandlung zum Schutz des Lebens Vorrang haben.110 Eine Vorsorge für den Fall der Einwilligungsunfähigkeit könne allerdings nicht unabhängig vom Stand des Krankheitsverlaufes gelten. Eine Beschränkung der Reichweite sei verfassungsrechtlich möglich und ethisch geboten.111 Die En104 105 106 107 108 109 110 111
BT-Drs. 15/3700, S. BT-Drs. 15/3700, S. BT-Drs. 15/3700, S. BT-Drs. 15/3700, S. BT-Drs. 15/3700, S. BT-Drs. 15/3700, S. BT-Drs. 15/3700, S. BT-Drs. 15/3700, S.
40. 41. 42. 41. 42. 37. 37. 37.
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B. Die Entwicklung des Rechts der Patientenverfügung
quete-Kommission empfahl daher dem Deutschen Bundestag, im Rahmen einer gesetzlichen Regelung die Gültigkeit von Patientenverfügungen, die einen Behandlungsabbruch oder -verzicht vorsehen, der zum Tode führen würde, auf Fallkonstellationen zu beschränken, in denen das Grundleiden irreversibel sei und trotz medizinischer Behandlung nach ärztlicher Erkenntnis zum Tode führen werde.112 Wenn es um die Verweigerung der Aufnahme oder Fortsetzung einer medizinisch indizierten lebenserhaltenden Maßnahme gehe, solle zudem durch eine gesetzliche Regelung sichergestellt werden, dass der Betreuer oder Bevollmächtigte durch ein Konsil beraten wird.113 Auch sollte geregelt werden, dass die Ablehnung der Einwilligung in eine medizinisch indizierte Maßnahme durch den Betreuer oder Bevollmächtigten der Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht bedürfe.114 c) Sachbericht vom 6. September 2005 Der Sachbericht vom 6. September 2005 enthält Berichte in Bezug auf die verschiedenen Themengruppen der Enquete-Kommission. Über den Zwischenbericht „Patientenverfügung“ vom 13. September 2004 hinausgehende Ausführungen zur Thematik der Patientenverfügungen enthält der Sachbericht nicht. Es wurde jedoch festgestellt, dass die Themengruppe „Menschenwürdig leben bis zuletzt“ das Thema „Patientenverfügungen“ umfassend bearbeitet habe und die Kommission die Thematik abschließend beraten konnte und in Form des Zwischenberichts die Ergebnisse dem Deutschen Bundestag übergeben konnte.115 d) Besonderheiten in Bezug auf psychische Erkrankungen Besonderheiten oder eine eingehende Auseinandersetzung mit Patientenverfügungen in Bezug auf psychische Erkrankungen enthält weder der Zwischenbericht noch der Sachbericht. Gelegenheit zur Befassung mit der Thematik war indes durchaus vorhanden. So wird sich im Sachbericht im Rahmen der ethischen Überlegungen mit der Problematik der Patientenverfügungen von Nichtsterbenden auseinandergesetzt.116 Als nichtsterbende Menschen in diesem Sinne werden jedoch nur solche mit infauster Prognose und solche mit schwerst zerebraler Schädigung und anhaltender Bewusstlosigkeit wie z. B. Wachkomapatienten bezeichnet. Menschen mit anderen psychischen Erkrankungen, also solchen, die nicht mit einem völligen intel112 113 114 115 116
BT-Drs. 15/3700, S. BT-Drs. 15/3700, S. BT-Drs. 15/3700, S. BT-Drs. 15/5980, S. BT-Drs. 15/3700, S.
38. 43. 44. 67. 13.
II. Das Gesetzgebungsverfahren vorbereitende Materialien
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lektuellen Ausfall verbunden sind, unterfallen dieser Personengruppe jedoch in aller Regel nicht. Auch im Rahmen der Darstellung der geltenden Rechtslage im Zwischenbericht wird in Bezug auf die Grenzen der Selbstbindung dargelegt, dass im Bereich der Psychiatrie auch eine sog. positive Selbstbindung möglich ist, dass also im Vorhinein festgehalten werden kann, welche Behandlungen die betroffene Person wünscht.117 Eine nähere Auseinandersetzung mit der Problematik erfolgt jedoch nicht, so dass allenfalls der Rückschluss gezogen werden kann, dass die Kommission davon ausging, dass Patientenverfügungen auch in der Psychiatrie eine irgend geartete Wirkung entfalten können. e) Zusammenfassende Bewertung Auch die Enquete-Kommission hat die Problematik der Patientenverfügungen in erster Linie in Zusammenhang mit dem Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen diskutiert. Mit Patientenverfügungen von psychisch Kranken und in diesem Zusammenhang auftretenden spezifischen Problemen wurde sich nicht dezidiert auseinandergesetzt. Andererseits enthalten die Ausführungen der Enquete-Kommission auch keine ausdrücklichen Einschränkungen der in Betracht kommenden Erkrankungen. Vom Ansatz her denkbar sind daher auch Patientenverfügungen von psychisch Kranken, wobei die Reichweitenbegrenzung von Patientenverfügungen selbstverständlich auch für diese Fallgruppen gelten soll. Da psychische Erkrankungen jedoch in den wenigsten Fällen trotz medizinischer Behandlung nach ärztlicher Erkenntnis zum Tode führen, würden Patientenverfügungen, so wie sie von der Enquete-Kommission empfohlen wurden, in der Praxis der Behandlung von psychisch kranken Menschen eine weit untergeordnete Rolle spielen. Vergleicht man die Ergebnisse der Enquete-Kommission mit denen der Arbeitsgruppe „Patientenautonomie am Lebensende“ so kann man erhebliche Unterschiede feststellen. In der Praxis am meisten relevant ist die von der Enquete-Kommission empfohlene Reichweitenbegrenzung auf Fallkonstellationen, in denen das Grundleiden irreversibel ist und trotz medizinischer Behandlung nach ärztlicher Erkenntnis zum Tode führen wird. Auch in den Wirksamkeitsvoraussetzungen differieren die gefundenen Ergebnisse erheblich. Während eine Patientenverfügung nach den Ausführungen der Arbeitsgruppe aus dem Jahre 2003 grundsätzlich formfrei errichtet werden kann, schreibt die Enquete-Kommission die Schriftform als Wirksamkeitsvoraussetzung zwingend vor. Allgemein kann festgehalten werden, dass die Enquete-Kommission neben dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen auch das objektive Wohl der betrof117
BT-Drs. 15/3700, S. 18.
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B. Die Entwicklung des Rechts der Patientenverfügung
fenen Person als maßgebliches Kriterium mehr ins Blickfeld rückt. Die Möglichkeiten der Selbstbestimmung sind nach den Empfehlungen der Enquete-Kommission enger gefasst. Die Ausführungen der Enquete-Kommission werden weitgehend vom Grundsatz „im Zweifel für das Leben“ geprägt.
III. Das Gesetzgebungsverfahren 1. Allgemeines118 In der vom sog. Fraktionenzwang befreiten Abstimmung im Bundestag am 18. Juni 2009 standen den Abgeordneten letztlich vier verschiedene Optionen offen. Neben einem Antrag, welcher sich insgesamt gegen eine gesetzliche Regelung der Patientenverfügung aussprach119, lagen drei Gesetzentwürfe120 vor, welche eine gesetzliche Regelung der Patientenverfügung vorsahen. Die unterschiedlichen Entwürfe wurden nach Abgeordneten benannt, welche die jeweilige Position vertraten.121 In der Abstimmung am 18. Juni 2009 wurde letztlich der sog. Stünker-Entwurf unter Berücksichtigung der durch den Rechtsausschuss empfohlenen Änderungen122 mehrheitlich angenommen. 2. Stünker-Entwurf 123 Der Stünker-Entwurf wurde nach erster Beratung im Plenum am 26. Juni 2008 in die Ausschüsse überwiesen.124 Die zweite und dritte Beratung erfolgte gemeinsam mit den anderen Entwürfen am 18. Juni 2009.125 a) Begriff Nach dem Stünker-Entwurf sind Patientenverfügungen schriftliche Festlegungen eines einwilligungsfähigen Volljährigen für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittel118 Vgl. zum Gesetzgebungsverfahren auch die Darstellungen von Schwab, MüKo BGB, § 1901a Rn. 1; Renner, ZNotP 2009, 371, 372; Albrecht/Albrecht, Die Patientenverfügung, S. 11 ff. 119 BT-Drs. 16/13262. 120 BT-Drs. 16/8442; BT-Drs. 16/11360; BT-Drs. 16/11493. 121 Stünker-Entwurf, Bosbach-Entwurf und Zöller/Faust-Entwurf. 122 BT-Drs. 16/13314. 123 BT-Drs. 16/8442. 124 Plenarprotokoll 16/172, S. 18274. 125 Plenarprotokoll 16/227.
III. Das Gesetzgebungsverfahren
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bar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt.126 b) Wirksamkeitsvoraussetzungen Als Wirksamkeitsvoraussetzung ist – neben der Einwilligungsfähigkeit bei Abfassung der Patientenverfügung – die Schriftform vorgesehen.127 Auch muss der Verfasser der Patientenverfügung volljährig sein.128 Eine Pflicht zur regelmäßigen Aktualisierung der Verfügung oder zu einer ärztlichen Beratung vor deren Abfassung besteht nicht, wenngleich dies sehr empfohlen wurde.129 Ein formloser Widerruf der Patientenverfügung soll jederzeit möglich sein.130 Aber auch für den Fall, dass keine definitionsgemäße Patientenverfügung vorliegt oder die Festlegungen einer Patientenverfügung nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen, hat der Betreuer unter Beachtung des mutmaßlichen Willens zu entscheiden.131 Bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens sind frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen, sonstige persönliche Wertvorstellungen und das Schmerzempfinden des Betroffenen zu berücksichtigen.132 c) Reichweite des Selbstbestimmungsrechts Der Stünker-Entwurf verfolgt einen sehr liberalen Ansatz. Das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen erlangt eine sehr starke Ausprägung. Nach dem Entwurf entfaltet eine Patientenverfügung unmittelbare Bindungswirkung.133 Es wird klargestellt, dass für die Beachtlichkeit des festgestellten Pa126
BT-Drs. 16/8442, S. 4, 12 ff. BT-Drs. 16/8442, S. 12 f. 128 BT-Drs. 16/8442, S. 12 f. 129 BT-Drs. 16/8442, S. 14 schränkt den Grundsatz des fehlenden Beratungserfordernisses jedoch ein. Soweit eine Patientenverfügung eine Einwilligung in eine ärztliche Maßnahme enthalte, sei diese nur wirksam mit vorangegangener ärztlicher Aufklärung oder bei erklärtem Aufklärungsverzicht. Enthalte eine Patientenverfügung keinen ausdrücklichen Verzicht auf eine ärztliche Aufklärung, sei die Patientenverfügung in diesen Fällen nur als Indiz für den mutmaßlichen Willen zu werten. Ablehnungen ärztlicher Maßnahmen sollen hingegen auch ohne ärztliche Beratung oder Verzicht hierauf unmittelbare Bindungswirkung entfalten, da die Wirksamkeit der Ablehnung ärztlicher Maßnahmen auch bei Einwilligungsfähigen nicht von einer ärztlichen Beratung oder Aufklärung abhänge. 130 BT-Drs. 16/8442, S. 13. 131 BT-Drs. 16/8442, S. 4, 15 f. 132 BT-Drs. 16/8442, S. 4, 15. 133 BT-Drs. 16/8442, S. 11. 127
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B. Die Entwicklung des Rechts der Patientenverfügung
tientenwillens nicht nach Art und Stadium der Erkrankung differenziert werden darf.134 Ebenso wie der entscheidungsfähige Patient ohne Rücksicht auf die Art und das Stadium seiner Krankheit selbst über die Zulässigkeit einer ärztlichen Maßnahme entscheiden kann, erfordere der das Betreuungsrecht prägende Grundsatz der Selbstbestimmung, dass auch der festgestellte Wille des entscheidungsunfähigen Betroffenen in allen Lebensphasen zu beachten sei.135 Auch schwerstkranke Menschen müssten die Gewissheit haben können, dass ihnen einerseits medizinisch sinnvolle Maßnahmen nicht vorenthalten werden und sie andererseits keine Zwangsbehandlungen erdulden müssen.136 Das Selbstbestimmungsrecht schließe auch das Recht zur Selbstgefährdung bis hin zur Selbstaufgabe und damit auch auf Ablehnung lebensverlängernder Maßnahmen unabhängig von der ärztlichen Indikation der Behandlung ein.137 Bejahe man eine Behandlungspflicht außerhalb einer bestimmten Reichweite des Patientenwillens, zwinge man den Patienten nicht nur, sich einem medizinischen Eingriff zu unterziehen, dem er sich nicht unterziehen will, sondern man zwinge ihn auch, die Risiken dieses Eingriffs zu tragen, die er nicht tragen will.138 Auch dürfe das Risiko einer möglichen Fehleinschätzung in der Patientenverfügung nicht als Argument dafür benutzt werden, sich über den Patientenwillen hinwegzusetzen. Die Abwägung zwischen Chancen und Risiken eines Eingriffs und die darauf basierende Behandlungsentscheidung müsse deshalb demjenigen überlassen bleiben, der die Risiken der Entscheidung zu tragen hat – dem Patienten selbst oder seinem Vertreter, der den festgestellten Behandlungswillen des Betroffenen respektiert.139 Jedoch gelte das Selbstbestimmungsrecht auch nicht schrankenlos.140 Der Staat sei vielmehr auch zum Schutze des Lebens verpflichtet, so dass auch eine Tötung auf Verlangen verboten sei. Davon zu unterscheiden sei jedoch die Ablehnung einer medizinischen Maßnahme oder die Untersagung ihrer Fortführung in einer Patientenverfügung. Der Staat habe in diesen Fällen weder das Recht noch die Pflicht zum Schutze des Menschen vor sich selbst. Jeder Mensch habe dem Staat gegenüber zwar ein Lebensrecht, jedoch keine Lebenspflicht.141
134 135 136 137 138 139 140 141
BT-Drs. 16/8442, S. 12, 16. BT-Drs. 16/8442, S. 12. BT-Drs. 16/8442, S. 12. BT-Drs. 16/8442, S. 8. BT-Drs. 16/8442, S. 17. BT-Drs. 16/8442, S. 17. BT-Drs. 16/8442, S. 9. BT-Drs. 16/8442, S. 9.
III. Das Gesetzgebungsverfahren
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d) Besonderheiten in Bezug auf psychische Erkrankungen Besonderheiten in Bezug auf psychische Erkrankungen enthält der StünkerEntwurf nicht. Da jedoch ausdrücklich festgehalten ist, dass Patientenverfügungen unabhängig von der Art und dem Stadium der Erkrankung gelten, sind die Regelungen auch auf psychische Erkrankungen anwendbar. Mit hieraus resultierenden Folgeproblemen setzt sich der Entwurf – auch nicht ansatzweise – auseinander. 3. Bosbach-Entwurf 142 Der Bosbach-Entwurf wurde nach erster Beratung am 21. Januar 2009 in die Ausschüsse überwiesen.143 Die zweite und dritte Beratung erfolgte gemeinsam mit den anderen Entwürfen am 18. Juni 2009.144 a) Begriff Nach dem Bosbach-Entwurf sind Patientenverfügungen Wünsche zur Behandlung und Entscheidungen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte oder bestimmbare medizinische Maßnahmen, die eine einwilligungsfähige Person in schriftlicher Form für den Fall ihrer Einwilligungsunfähigkeit geäußert hat.145 b) Wirksamkeitsvoraussetzungen Als Wirksamkeitsvoraussetzung ist – neben der Einwilligungsfähigkeit bei Abfassung der Patientenverfügung – die Schriftform vorgesehen.146 Der Widerruf einer Patientenverfügung soll jederzeit formlos möglich sein. Geschäfts- oder Einwilligungsfähigkeit ist für den Widerruf nicht erforderlich.147 Nicht schriftlich fixierte Wünsche des Betroffenen haben zwar nicht die sondere Verbindlichkeit einer Patientenverfügung. Auch sie sind aber nicht beachtlich, sondern Indizien für den mutmaßlichen Willen und die Wünsche Betroffenen, denen der Betreuer zu entsprechen hat, soweit dies dem Wohl Betroffenen nicht zuwiderläuft und dem Betreuer zuzumuten ist.148
142 143 144 145 146 147 148
BT-Drs. 16/11360. Plenarprotokoll 16/199, S. 21511. Plenarprotokoll 16/227. BT-Drs. 16/11360, S. 4, 18. BT-Drs. 16/11360, S. 18. BT-Drs. 16/11360, S. 18. BT-Drs. 16/11360, S. 13.
beundes des
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B. Die Entwicklung des Rechts der Patientenverfügung
Für die Beachtlichkeit von Wünschen und Entscheidungen in einer Patientenverfügung, die auf den Abbruch oder die Nichtvornahme lebenserhaltender medizinischer Maßnahmen gerichtet sind, stellt der Entwurf zusätzliche Erfordernisse auf, welche nachfolgend unter dem Gesichtspunkt der Reichweite des Selbstbestimmungsrechts erörtert werden. c) Reichweite des Selbstbestimmungsrechts Der Entwurf nimmt eine umfassende Differenzierung hinsichtlich der Reichweite der in einer Patientenverfügung festgehaltenen Wünsche und Entscheidungen vor. In einer sog. einfachen Patientenverfügung149, zu deren Errichtung lediglich die Einwilligungsfähigkeit und die Schriftform erforderlich ist, sollen Wünsche zur Behandlung und Entscheidungen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte oder bestimmbare medizinische Maßnahmen festgehalten werden können, welche nach Verlust der Einwilligungsfähigkeit fortgelten. Enthält jedoch eine Patientenverfügung Wünsche und Entscheidungen, die auf den Abbruch oder die Nichtvornahme lebenserhaltender medizinischer Maßnahmen gerichtet sind, stellt der Entwurf für deren grundsätzliche Verbindlichkeit zusätzliche formelle Voraussetzungen auf. Erforderlich ist, dass – der Errichtung der Patientenverfügung eine ärztliche Aufklärung über die Möglichkeiten medizinischer Behandlung und die Folgen eines Abbruchs oder der Nichtvornahme der medizinischen Maßnahme, die das eingetretene Krankheitsbild umfasste, zeitnah vorausgegangen ist, – sie nach Belehrung über die rechtlichen Wirkungen und Widerrufsmöglichkeiten zur Niederschrift vor einem Notar errichtet wurde, und die Beurkundung nicht länger als fünf Jahre zurückliegt und – darin auf eine von dem Arzt gefertigte Dokumentation über die Aufklärung verwiesen wird, die der Patientenverfügung beigefügt ist.150 Dasselbe soll gelten, wenn der Betroffene eine solche „qualifizierte“ Patientenverfügung151 schriftlich bestätigt hat und die Bestätigung nicht länger als fünf Jahre zurückliegt oder wenn er sie nicht mehr bestätigen kann, weil er nachträglich die Einwilligungsfähigkeit verloren hat. 149 Die Bezeichnung „einfache“ Patientenverfügung wird in dem Gesetzeswortlaut des Entwurfs nicht verwendet und dient hier lediglich zur Vereinfachung der Darstellung. 150 BT-Drs. 16/11360, S. 19 f. 151 Die Bezeichnung „qualifizierte“ Patientenverfügung wird in dem Gesetzeswortlaut des Entwurfs nicht verwendet und dient hier lediglich zur Vereinfachung der Darstellung.
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Ausnahmsweise können jedoch auch „einfache“ Patientenverfügungen Bindungswirkung für die Fälle des Abbruchs oder die Nichtvornahme lebenserhaltender medizinischer Maßnahmen entfalten. Im Vergleich zur „qualifizierten“ Patientenverfügung wird jedoch zusätzlich verlangt, – dass nach ärztlicher Überzeugung eine unheilbare, tödlich verlaufende Krankheit vorliegt oder – der Betroffene ohne Bewusstsein ist, nach ärztlicher Überzeugung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit trotz Ausschöpfung aller medizinischen Möglichkeiten das Bewusstsein niemals wiedererlangen wird und – eine Behandlung für diesen Zustand ausdrücklich untersagt hat.152 Sämtliche Arten der Patientenverfügung stehen zudem unter weiteren Vorbehalten. So sind Wünsche und Entscheidungen einer Patientenverfügung nicht verbindlich, wenn sie erkennbar in Unkenntnis der Möglichkeiten medizinischer Behandlung oder späterer medizinischer Entwicklungen abgegeben wurden und anzunehmen ist, dass der Betroffene bei deren Kenntnis eine andere Entscheidung getroffen hätte.153 Wünsche und Entscheidungen, die auf eine unerlaubte Handlung gerichtet sind oder gegen die guten Sitten verstoßen, sind nichtig.154 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Bosbach-Entwurf die Pflicht des Staates zum Schutze des menschlichen Lebens gleichberechtigt neben dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen berücksichtigt. Wie jedes Grundrecht sei auch das Selbstbestimmungsrecht nicht schrankenlos gewährleistet, sondern nur, soweit nicht die Rechte anderer verletzt oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstoßen werde.155 Zu diesen Rechtsgütern zähle auch die Schutzpflicht des Staates für das Leben und die Achtung des Lebens als Wert der Gemeinschaft.156 Zwar müsse unter dem Aspekt der Menschenwürde und Eigenverantwortung der dem Tod Geweihte über ein ihm gemäßes Sterben bestimmen können, doch stoße sein Recht auf die ebenfalls der Menschenwürde verpflichtete Verantwortung des Arztes und der Angehörigen, auf Erhaltung seines Lebens hinzuwirken, wenn der Mensch nicht mehr eigenverantwortlich entscheiden kann.157 Das subjektive Recht auf Autonomie beim Sterben gelte nicht absolut, sondern stehe in einem Spannungsverhältnis zu objektiven Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 GG.158
152 153 154 155 156 157 158
BT-Drs. 16/11360, S. 20 f. BT-Drs. 16/11360, S. 21 f. BT-Drs. 16/11360, S. 22. BT-Drs. 16/11360, S. 11. BT-Drs. 16/11360, S. 11. BT-Drs. 16/11360, S. 11. BT-Drs. 16/11360, S. 11.
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B. Die Entwicklung des Rechts der Patientenverfügung
Die Reichweitenbegrenzung von Verfügungen über den Abbruch oder die Nichtvornahme lebenserhaltender medizinischer Maßnahmen ohne vorausgegangene ärztliche Aufklärung finde demnach ihre Rechtfertigung in dem Gesichtspunkt der Fürsorge und des Lebensschutzes.159 Eine gesetzliche Regelung, die Patientenverfügungen ohne Beratung oder Reichweitenbegrenzung für verbindlich erklärte, würde zu einer Verabsolutierung des Selbstbestimmungsgedankens unter Vernachlässigung der Schutzpflicht für das Leben führen.160 d) Besonderheiten in Bezug auf psychische Erkrankungen Besonderheiten in Bezug auf psychische Erkrankungen enthält auch der Bosbach-Entwurf nicht. Da jedoch hinsichtlich der Wirksamkeit einer Patientenverfügung keine Differenzierung hinsichtlich der Art der Erkrankung vorgenommen wird, ist von der grundsätzlichen Anwendbarkeit auf psychische Erkrankungen auszugehen. Im Mittelpunkt der Diskussion stand auch im Bosbach-Entwurf die Problematik der Patientenverfügung am Lebensende.161 Mit Problemen der Patientenverfügung bei psychischen Erkrankungen setzt sich der Entwurf nicht – auch nicht ansatzweise – auseinander. 4. Zöller/Faust-Entwurf 162 Der Zöller/Faust-Entwurf wurde nach erster Beratung am 21. Januar 2009 in die Ausschüsse überwiesen.163 Die zweite und dritte Beratung erfolgte gemeinsam mit den anderen Entwürfen am 18. Juni 2009.164 a) Begriff Nach dem Zöller/Faust-Entwurf sind Patientenverfügungen Erklärungen zur Behandlung und Entscheidungen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte oder bestimmbare medizinische Maßnahmen, die eine einwilligungsfähige, natürliche Person geäußert hat.165 b) Wirksamkeitsvoraussetzungen Nach dem Zöller/Faust-Entwurf soll die Patientenverfügung in schriftlicher Form verfasst werden und angegeben werden, zu welcher Zeit und an welchem 159 160 161 162 163 164 165
BT-Drs. 16/11360, S. 20. BT-Drs. 16/11360, S. 3. Vgl. BT-Drs. 16/11360, S. 8 ff. BT-Drs. 16/11493. Plenarprotokoll 16/199, S. 21511. Plenarprotokoll 16/227. BT-Drs. 16/11493, S. 5, 11.
III. Das Gesetzgebungsverfahren
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Ort sie verfasst wurde. Auch soll sie in regelmäßigen Abständen aktualisiert werden.166 Durch die Ausgestaltung der Vorschrift als Soll-Bestimmung wird deutlich, dass die Errichtung einer Patientenverfügung grundsätzlich auch formfrei möglich sein soll. Damit können auch Aussagen, die auf Tonträgern, Videos oder ähnlichen Medien dokumentiert sind, verbindliche Patientenverfügungen darstellen. Darüber hinaus soll auch die mündlich geäußerte Erklärung als Patientenverfügung wirksam sein.167 Der Widerruf der Patientenverfügung soll jederzeit formlos durch ausdrückliches oder auch konkludentes Verhalten möglich sein, wobei es nicht auf das Vorliegen der Einwilligungsfähigkeit, sondern auf den natürlichen Willen des Patienten ankommen soll.168 Dem zu ermittelnden mutmaßlichen Willen des Betroffenen soll dieselbe Bedeutung zukommen, wie dem ausdrücklich erklärten Willen.169 c) Reichweite des Selbstbestimmungsrechts Nach dem Zöller/Faust-Entwurf ist die Verbindlichkeit des Patientenwillens nicht abhängig von Art oder Stadium der Erkrankung.170 Der Entwurf spricht sich daher gegen die sog. Reichweitenbegrenzung aus.171 Eine solche stelle ein Werturteil über das Leben mit Krankheit in der Endphase dar.172 Dadurch, dass mit einer Reichweitenbegrenzung nur über das Leben mit Krankheit in der Endphase verfügt werden dürfe, werde das Leben mit Krankheit in einer Endphase als weniger schützenswert im Vergleich zu allen anderen Lebensphasen degradiert.173 Allerdings sei die Umsetzung des Patientenwillens des entscheidungsunfähigen Patienten kein Automatismus, weder wenn er in einer Patientenverfügung niedergelegt ist, noch wenn der mutmaßliche Wille maßgeblich ist. Nicht eine Reichweitenbegrenzung der Patientenverfügung schütze den Patienten vor Druck, Täuschung oder Übereilung, sondern der dialogische Umsetzungsprozess der Patientenverfügung zwischen Arzt und rechtlichem Vertreter in der konkreten Behandlungssituation.174 Demnach habe der Arzt nach dem Entwurf bei der Er166 167 168 169 170 171 172 173 174
BT-Drs. 16/11493, S. 11. BT-Drs. 16/11493, S. 11. BT-Drs. 16/11493, S. 8, 11. BT-Drs. 16/11493, S. 11. BT-Drs. 16/11493, S. 9, 11. BT-Drs. 16/11493, S. 9. BT-Drs. 16/11493, S. 9. BT-Drs. 16/11493, S. 9. BT-Drs. 16/11493, S. 9.
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B. Die Entwicklung des Rechts der Patientenverfügung
örterung einer medizinisch indizierten Maßnahme mit dem Patientenvertreter darzulegen, ob diese aus seiner Sicht vom Patientenwillen abgedeckt ist.175 d) Besonderheiten in Bezug auf psychische Erkrankungen Auch der Zöller/Faust-Entwurf enthält keine Besonderheiten in Bezug auf psychische Erkrankungen. Aufgrund des Geltungsbereichs der Patientenverfügung unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung ist jedoch von der Anwendbarkeit der Patientenverfügung im Sinne des Entwurfs auch auf psychische Erkrankungen auszugehen. Mit daraus resultierenden Folgeproblemen setzt sich der Entwurf nicht – auch nicht im Ansatz – auseinander. 5. Beschlussempfehlungen und Bericht des Rechtsausschusses176 Der Rechtsausschuss hat in Bezug auf die verschiedenen Gesetzentwürfe kleinere Änderungsvorschläge unterbreitet und im Übrigen einvernehmlich empfohlen, eine Entscheidung im Plenum des Deutschen Bundestages herbeizuführen. Die Änderungen in Bezug auf den Stünker-Entwurf 177 beruhten auf einem Änderungsantrag der Initiatoren des Entwurfs178, den der Ausschuss aufgegriffen hat. Neben kleineren redaktionellen Anmerkungen und verfahrensrechtlichen Änderungen wurde in materieller Hinsicht vorgeschlagen, eine Regelung in das Gesetz aufzunehmen, wonach niemand zur Errichtung einer Patientenverfügung verpflichtet werden könne.179 Des Weiteren wurde die Einführung einer Regelung angeregt, wonach zwischen behandelndem Arzt und dem Betreuer oder Bevollmächtigten ein Gespräch zur Feststellung des Patientenwillens stattzufinden hat.180 In Bezug auf den Bosbach-Entwurf 181 wurden lediglich kleinere redaktionelle Dinge angemerkt. In Bezug auf den Zöller/Faust-Entwurf 182 wurde im Wesentlichen eine konkretisierende Regelung zur Feststellung des mutmaßlichen Willens der Person vorgeschlagen.183 Des Weiteren wurde eine ärztliche Beratung vor Abfassung der
175 176 177 178 179 180 181 182 183
BT-Drs. 16/11493, S. 9. BT-Drs. 16/13314. BT-Drs. 16/8442. Ausschussdrucksache Nr. 16(6)310(neu). BT-Drs. 16/13314, S. 11, 20. BT-Drs. 16/13314, S. 11, 20. BT-Drs. 16/11360. BT-Drs. 16/11493. BT-Drs. 16/13314, S. 16, 23.
III. Das Gesetzgebungsverfahren
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Patientenverfügung als Soll-Bestimmung und damit zusammenhängende weitere Vorschriften vom Ausschuss empfohlen.184 Auf die Thematik der Patientenverfügung von psychisch Kranken Personen nimmt der Rechtsausschuss keinen Bezug. Probleme diesbezüglich sind in der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Rechtsausschusses nicht ansatzweise erörtert. 6. gesetzgeberisches Leitbild – Beratungen im Plenum a) Orientierungsdebatte zum Thema Patientenverfügungen am 29. März 2007 185 Zur Vorbereitung des Gesetzgebungsverfahrens fand am 29. März 2007 eine Orientierungsdebatte im Plenum statt. Im Mittelpunkt der Diskussion stand auch hier die Frage der Reichweitenbegrenzung. Auch wurde die Thematik Patientenverfügung vor allem in Bezug auf Schwerstkranke und Sterbende erörtert. Das zum Ausdruck gekommene Meinungsbild ist äußerst heterogen. Als neuralgische Punkte einer Patientenverfügung ohne Reichweitenbegrenzung wurden häufig Fälle des Wachkomas und der schwersten Demenz angesehen, bei denen der Sterbevorgang nicht eingesetzt hat und die betroffene Person in der Patientenverfügung jegliche Behandlung ablehnte.186 Die spezifische Problematik der Patientenverfügungen von suizidalen psychisch kranken Personen wurde lediglich beiläufig erörtert. Die Abgeordnete Knoche hat sich für eine Reichweitenbegrenzung in Bezug auf diese Erkrankungen ausgesprochen und hierzu ausgeführt: „Ganz anders denke ich über schwere Demenz, tiefe Depression, schizophrene oder manische Schübe und über Wachkoma. Allesamt sind das schwere Krankheitsbilder, die oft zwingend einer Behandlung in dieser existenziellen Notlage bedürfen. Hier kann das Freiheitssubjekt nicht als Begründung für Behandlungsverzicht greifen. Das möchte ich all den Damen und Herren des Deutschen Juristentages sagen. Die Entscheidung zum Suizid kann nicht als Form von Freiheit und Autonomie qualifiziert werden. Das halte ich nachgerade für unverantwortlich.“ 187
Auch im Redebeitrag von Gehb wird auf die Problematik des Suizides näher eingegangen. Gehb führte aus: 184
BT-Drs. 16/13314, S. 16, 23. Plenarprotokoll 16/91. 186 Vgl. beispielhaft den Redebeitrag von Klöckner, Plenarprotokoll 16/91, S. 9151, den Redebeitrag von Weiß, Plenarprotokoll 16/91, S. 9152 und den Redebeitrag von Geis, Plenarprotokoll 16/91, S. 9279. 187 Plenarprotokoll 16/91, S. 9127. 185
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B. Die Entwicklung des Rechts der Patientenverfügung „Der Gesetzgeber hat de lege lata durchaus Grenzen für die Selbstbestimmung gesetzt. Wenn man sieht, dass jemand, der, aus welchen Gründen auch immer, selbstmordgeneigt ist, von einem Dach springen will, dann geht man nicht teilnahmslos vorbei und sagt sich, das ist nun einmal sein letzter Wille, und das ist Selbstbestimmung, sondern dann versucht man, ihn davon abzubringen, und es werden zum Beispiel Sprungtücher aufgespannt.“ 188
In den Übrigen Redebeiträgen wird – abgesehen von den Fällen des Wachkomas und der Demenz – auf spezifische Problematiken in Bezug auf psychische Erkrankungen nicht nennenswert eingegangen. b) Erste Beratung des Stünker-Entwurfs am 26. Juni 2008 189 In der ersten Beratung am 26. Juni 2008 haben sich elf Abgeordnete mit Redebeiträgen zu Wort gemeldet. Im Mittelpunkt der Diskussion stand auch hier vor allem die Frage der Reichweitenbegrenzung, also ob die Regelungen in einer Patientenverfügung unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung gelten sollen oder nur für den Fall, dass das Leiden einen irreversibel tödlichen Verlauf genommen hat. Das zum Ausdruck gekommene Meinungsbild ist auch hier sehr heterogen. Auffallend ist, dass die Ausführungen sämtlicher Redner auf die Situation von Schwerkranken oder Sterbenden bezogen sind. Auch sofern Fallbeispiele vorgestellt wurden, standen Problematiken wie Wachkoma, Notfallmedizin oder Demenzerkrankungen und das Legen einer Ernährungssonde im Vordergrund.190 Eine detaillierte weitere Auseinandersetzung mit der spezifischen Problematik der Patientenverfügungen von psychisch kranken Personen erfolgte in der Aussprache nicht. Allerdings wurde von einigen Rednern die Thematik Zwangsbehandlung in allgemeiner Form angesprochen.191 Kauch, der den Stünker-Entwurf befürwortete, hat in seinem Redebeitrag hierzu ausgeführt: „Wir geben der Selbstbestimmung im Zweifel Vorrang vor anderen Überlegungen, seien sie auch noch so fürsorglich motiviert. Das ist die eigentliche Trennlinie in der Debatte über Patientenverfügungen: Die eine Seite nimmt fürsorglichen Paternalismus auch mit Zwangsbehandlungen in Kauf, die andere Seite vertraut auf die Kraft und die Urteilsfähigkeit des Menschen. Um es klar zu sagen: Wir haben keine naive Vorstellung von Selbstbestimmung. Beim Verfassen einer Patientenverfügung besteht 188
Plenarprotokoll 16/91, S. 9137. Plenarprotokoll 16/172. 190 Vgl. zum Beispiel die Redebeiträge von Kauch, Plenarprotokoll 16/172, S. 18262 f., Klöckner, Plenarprotokoll 16/172, S. 18269 ff., Göring-Eckardt, Plenarprotokoll 16/172, S. 18271 f., und Faust, Plenarprotokoll 16/172, S. 18273 f. 191 Vgl. hierzu die Redebeiträge von Kauch, Plenarprotokoll 16/172, S. 18262 f., und Bender, Plenarprotokoll 16/172, S. 18266 f. 189
III. Das Gesetzgebungsverfahren
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eine gewisse Unsicherheit. Man weiß nicht genau, was in Zukunft sein wird. Der voraus verfügte Wille ist immer schwächer als der aktuelle verfügte. Was aber ist die Alternative? Die Alternative zum voraus verfügten Willen der eigenen Person ist die Entscheidung eines Dritten. Die Alternative ist im Zweifel eine Fremdbestimmung auch unter Inkaufnahme einer Zwangsbehandlung. Das ist aus meiner Sicht nicht akzeptabel; auch für die große Mehrheit meiner Fraktion ist das keine Lösung.“ 192
Auch das Spannungsfeld der Patientenverfügung ohne Reichweitenbegrenzung und der Schutzpflicht des Staates wurde von einigen Rednern aufgegriffen.193 Während sich Stünker für einen Vorrang des Selbstbestimmungsrechts aussprach194, sieht Grübel im Stünker-Entwurf den Lebensschutz nicht ausreichend berücksichtigt.195 Patientenverfügungen ohne Reichweitenbegrenzung seien eine ganz scharfe Waffe, die der Mensch gegen sich selber richte.196 c) Erste Beratung der Entwürfe Bosbach und Zöller/Faust am 21. Januar 2009 197 Auch in der ersten Beratung der Entwürfe Bosbach und Zöller/Faust nahm die Thematik des Abbruchs lebenserhaltender Maßnahmen großen Raum ein. Großer Streitpunkt war auch bei dieser Diskussion die Frage der Reichweitenbegrenzung und die Verknüpfung der Reichweite der Patientenverfügung mit bestimmten formellen Wirksamkeitsvoraussetzungen, wie im Bosbach-Entwurf vorgesehen. Dem Bosbach-Entwurf wurde eine Verrechtlichung der letzten Lebensphase und eine Entmenschlichung vorgeworfen.198 Der Entwurf sei zudem nicht praktikabel.199 Es sei letztlich ein Beschäftigungsprogramm für Vormundschaftsgerichte und Notare.200 Wesentlicher Kritikpunkt am Entwurf Zöller/Faust, der auch auf den StünkerEntwurf zutrifft, war, dass der Entwurf den zuvor verfügten Willen mit dem aktu192
Plenarprotokoll 16/172, S. 18262. Vgl. zum Beispiel die Redebeiträge von Stünker, Plenarprotokoll 16/172, S. 18260, und Grübel, Plenarprotokoll 16/172, S. 18263 f. 194 Stünker hat im Plenarprotokoll 16/172, S. 18261 hierzu ausgeführt: „Diese Garantie der Selbstbestimmung vermag auch die wie auch immer geartete Lebensschutzpflicht des Staates nicht zu relativieren, geschweige denn zu negieren. Über seine leiblich-seelische Integrität bestimmen zu können, gehört zum ureigenen Bereich der Personalität des Menschen. In diesem Bereich ist man aus Sicht des Grundgesetzes frei, seine Maßstäbe zu wählen, nach ihnen zu leben, nach ihnen zu entscheiden. Der Einzelne hat ein Recht auf Leben, aber nicht die Pflicht zu leben.“ 195 Vgl. Plenarprotokoll 16/172, S. 18264. 196 Vgl. Plenarprotokoll 16/172, S. 18264. 197 Plenarprotokoll 16/199. 198 Plenarprotokoll 16/199, S. 21494 f. 199 Plenarprotokoll 16/199, S. 21495. 200 Plenarprotokoll 16/199, S. 21496. 193
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B. Die Entwicklung des Rechts der Patientenverfügung
ellen Willen gleichsetze, was oftmals nicht zutreffend sei.201 Auch wurde kritisiert, dass der im Voraus ohne ärztliche Beratung festgehaltene Wille nur schwerlich Ausfluss der Selbstbestimmung sein kann. So hat Fricke in seinem Redebeitrag diesbezüglich ausgeführt, wer nicht wisse, was er tue, handele letztlich nicht frei, sondern in Dunkelheit.202 Spezifische Besonderheiten in Bezug auf psychische Erkrankungen wurden auch hier nicht nennenswert diskutiert. Als problematische Fälle und als Argument gegen die Entwürfe Zöller/Faust und Stünker wurden jedoch Demenzfälle203 und die Wiederbelebung und Beatmung junger Akut-Patienten geschildert.204 d) Zweite und dritte Beratung der Entwürfe am 18. Juni 2009 205 Die Debatte in der zweiten und dritten Beratung der Gesetzentwürfe war ebenfalls vor allem auf die Frage des Abbruchs lebensverlängernder Maßnahmen und der Reichweitenbegrenzung der Patientenverfügung fokussiert. Wesentliche neue – über die bisherigen Beratungen hinausgehende – Aspekte wurden nicht vorgebracht. Nennenswerte Ausführungen zu Besonderheiten bei psychischen Erkrankungen wurden auch in dieser Beratung nicht getätigt.206 7. Zusammenfassende Bewertung Nach Auswertung der Gesetzesmaterialien kann festgestellt werden, dass der Gesetzgeber die Problematik der Patientenverfügungen von psychisch kranken Personen nicht detailliert behandelt hat. Lediglich im Rahmen der Orientierungsdebatte am 29. März 2007 wurde von einer Rednerin auf spezifische Probleme der Selbstgefährdung von psychisch kranken Menschen eingegangen207, welche die Bedenken jedoch in der späteren Beratung nicht mehr vorbrachte. Leitender – die gesamte Diskussion durchdringender – Wille des Gesetzgebers war, Regelungen zur Behandlung von Maßnahmen am Lebensende zu schaffen. Als neuralgischer Punkt in der Diskussion hat sich die Reichweitenbegrenzung, also die Frage herauskristallisiert, ob Festlegungen in Bezug auf den Abbruch
201
Plenarprotokoll 16/199, S. 21493. Plenarprotokoll 16/199, S. 21500. 203 Plenarprotokoll 16/199, S. 21501. 204 Plenarprotokoll 16/199, S. 21510. 205 Plenarprotokoll 16/227. 206 Als Problemfälle wurden hingegen Komafälle angesehen, vgl. hierzu den Redebeitrag von Montag, Plenarprotokoll 16/227, S. 25105. 207 Plenarprotokoll 16/91, S. 9127. 202
III. Das Gesetzgebungsverfahren
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lebenserhaltender Maßnahmen auch dann möglich sein sollen, wenn der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt hat und ein Zustand besteht, bei dem nicht in allzu naher Zeit mit dem Tod zu rechnen ist. Als problematisch wurden in diesem Zusammenhang vor allem die Fälle der Demenz und des Wachkomas angesehen. Der Gesetzgeber hat sich letztlich für den sog. Stünker-Entwurf und damit gegen eine sog. Reichweitenbegrenzung einer Patientenverfügung entschieden. Auch wenn der Fall der psychischen Krankheit nicht der Standardfall war, den der Gesetzgeber im Hinterkopf hatte, kann man nicht von vorne herein eine Anwendbarkeit der neuen Regelungen auf Patientenverfügungen von psychisch Kranken Personen verneinen. Es ist vielmehr umgekehrt festzustellen, dass der Gesetzgeber von einer Anwendbarkeit unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung ausging und psychische Erkrankungen nicht von dieser Regelung ausgenommen hat. Raum für eine teleologische Reduktion der unbeschränkten Reichweite besteht nach den Gesetzesmaterialien nicht. Die konkreten Folgen der neuen Rechtslage für Patientenverfügungen von psychisch Kranken Personen müssen daher in jedem Einzelfall durch Prüfung der einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen konkret beurteilt werden.
C. Die Rechtslage nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts unter besonderer Berücksichtigung der Patientenverfügung von psychisch kranken Menschen I. Anwendbarkeit des Rechts der Patientenverfügung bei psychischen Krankheiten § 1901a Abs. 3 BGB ist vom Wortlaut her eindeutig: „Die Absätze 1 und 2 gelten unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung des Betreuten.“ Die Analyse des Gesetzgebungsverfahrens im vorangegangenen Kapitel hat gezeigt, dass es zwar dem Gesetzgeber vorrangig darum ging, Regelungen zur Behandlung von Maßnahmen am Lebensende zu schaffen. Dennoch sind psychische Erkrankungen nicht explizit vom Anwendungsbereich des Rechts der Patientenverfügung ausgenommen worden. Der Gesetzgeber betonte vielmehr mehrmals die Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts in allen Lebenslagen.1 Raum für eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs und einer Differenzierung zwischen psychischen und sonstigen Erkrankungen besteht daher nicht.2 Auch Erwägungen hinsichtlich des Schutzzwecks einer Patientenverfügung von psychisch Kranken, bei der es regelmäßig nicht um Entscheidungen zwischen Leben und Tod, sondern um die Umstände des Weiterlebens geht, sind nicht geeignet, den eindeutigen Wortlaut des Gesetzes in Frage zu stellen.3 Olzen/Schneider4 halten dem zutreffend einen Erst-Recht-Schluss entgegen: Wenn sogar über das Lebensende verbindlich verfügt werden kann, gelte dies erst Recht für die Umstände des Weiterlebens. Die §§ 1901a ff. BGB sind daher auch auf Patientenverfügungen von psychisch kranken Menschen anwendbar.5
1
BT-Drs. 16/8442, S. 7 ff., 12, 16 f. Vgl. bereits S. 63. 3 So auch Olzen/Schneider, MedR 2010, 745, 747. 4 Olzen/Schneider, MedR 2010, 745, 747. 5 So auch Brosey, BtPrax 2010, 161, 162; Olzen/Schneider, MedR 2010, 745, 747; Lipp, Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 17 Rn. 179; zur alten Rechtslage bereits Marschner, R&P 2000, 161, 162 f. 2
II. Begriff der psychischen Krankheit
65
II. Begriff der psychischen Krankheit Für den Begriff der psychischen Krankheit gibt es keine allgemein anerkannte Definition. Zudem wird der Begriff sowohl im medizinischen6 als auch im juristischen Bereich7 verwendet, ohne dass der Begriffsinhalt stets deckungsgleich ist. Vor allem im Strafrecht herrscht ein jahrhundertelanger Streit um den „juristischen“ und den „psychiatrischen“ Krankheitsbegriff, der vor allem bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit von Bedeutung ist.8 Neben dem Kompetenzstreit zwischen Richter, Ärzten und Psychologen bei der Schuldfähigkeitsbeurteilung9, ging es bei den Streitigkeiten auch um die Frage der strafrechtlichen Anerkennung bestimmter psychiatrisch beschriebener Zustände und deren Folgen auf die materielle Beurteilung der Schuldfähigkeit10. Eine erschöpfende Darstellung des historischen Hintergrundes der Begriffsstreitigkeiten würde den für die vorliegende Arbeit gesteckten Rahmen sprengen. Nachfolgend soll sich daher im Wesentlichen auf eine Momentaufnahme des Verständnisses des Begriffs der „psychischen Krankheit“ aus medizinischer sowie juristischer Sicht beschränkt werden. 1. Das medizinische Verständnis des Begriffs „psychische Krankheit“ Ohne dass dies in Betreuungs- und Unterbringungsverfahren verpflichtend wäre11 und ohne dass es irgendeine Indizwirkung für den im Gesetz verwendeten 6 Vgl. zur Entwicklung des psychiatrischen Krankheitsbegriffs Schmidt-Recla, Theorien zur Schuldfähigkeit, S. 95 ff.; von Sachsen Gessaphe, Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter für eingeschränkt Selbstbestimmungsfähige, S. 30 ff.; Verrel, Schuldfähigkeitsbegutachtung und Strafzumessung bei Tötungsdelikten, S. 20 f.; Marschner, in: Marschner/Volckart/Lesting, Freiheitsentziehung und Unterbringung, A Rn. 102 ff. 7 Vgl. zur Entwicklung des juristischen Krankheitsbegriffs Schmidt-Recla, Theorien zur Schuldfähigkeit, S. 89 ff.; Marschner, in: Marschner/Volckart/Lesting, Freiheitsentziehung und Unterbringung, A Rn. 102 ff. 8 Vgl. hierzu ausführlich Schmidt-Recla, Theorien zur Schuldfähigkeit, S. 109 ff. 9 Der Streit um die Frage, wer letztlich entscheiden solle, wenn es darum ging, den Normalen von dem psychisch Kranken zu unterscheiden, wurde als „bellum omnium contra omnes“ bezeichnet. Vgl. hierzu im Einzelnen Schmidt-Recla, Theorien zur Schuldfähigkeit, S. 109 ff. 10 Vor allem der Zustand der sog. „mania sine delirio“, die im Allgemeinen verstanden wurde als Wahnsinn ohne Verstandesverrückung, führte zur Eskalation des Streits, da die Berücksichtigung solcher Umstände oftmals zur Straflosigkeit geführt hätte. Hierzu im Einzelnen Schmidt-Recla, Theorien zur Schuldfähigkeit, S. 111 ff.; im Übrigen auch Verrel, Schuldfähigkeitsbegutachtung und Strafzumessung bei Tötungsdelikten, S. 20 f. 11 A. A. offenbar BGH, FamRZ 2011, 637, 638; Bohnert, in: Hahne/Munzig, Beck’scher Online-Kommentar FamFG, § 280 Rn. 42, die davon ausgehen, dass die Klassifizierung der Diagnose im Gutachten erforderlich ist. Eine Stütze im Gesetz findet diese Auffassung hingegen nicht.
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C. Rechtslage nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts
Begriff der psychischen Krankheit hätte12, werden in der medizinischen Praxis psychiatrische Diagnosen oft in Anlehnung an die von der Weltgesundheitsorganisation herausgegebene Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, sog. ICD-1013, gestellt.14 Die psychischen Krankheiten sind im fünften Kapitel der ICD-10 unter F00–F99 enthalten. Das Kapitel gliedert sich in folgende Gruppen, die jeweils nochmals genauer spezifiziert sind: F00–F09 Organische, einschließlich symptomatischer psychischer Störungen, F10–F19 Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen, F20–F29 Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen, F30–F39 Affektive Störungen, F40–F48 Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen, F50–F59 Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren, F60–F69 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen, F70–F79 Intelligenzstörungen, F80–F89 Entwicklungsstörungen, F90–F98 Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend, F99–F99 Nicht näher bezeichnete psychische Störungen. In den einzelnen Unterabschnitten werden die einzelnen Krankheitsbilder genauer beschrieben, wodurch zum einen dem Arzt die genaue Diagnose erleichtert werden soll und zum anderen auch einheitliche Diagnosemerkmale weitgehend sichergestellt werden sollen. Zur Beschreibung des Krankheitsbildes Schizophrenie ist beispielsweise in Kapitel V Abschnitt F20.- erläutert: „Die schizophrenen Störungen sind im allgemeinen durch grundlegende und charakteristische Störungen von Denken und Wahrnehmung sowie inadäquate und verflachte Affekte gekennzeichnet. Die Bewusstseinsklarheit und intellektuellen Fähigkeiten sind in der Regel nicht beeinträchtigt, obwohl sich im Laufe der Zeit gewisse 12
Vgl. hierzu auch Marschner, Psychisch Kranke im Recht, S. 16 f. Die Abkürzung ICD steht für „International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems“, die Ziffer 10 bezeichnet die 10. Revision der Klassifikation. 14 Gemäß § 295 Abs. 1 S. 2 SGB V sind die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen sogar verpflichtet, die Diagnosen in bestimmten Bescheinigungen nach der Internationalen Klassifikation der Krankheiten in der jeweiligen vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit herausgegebenen deutschen Fassung, derzeit die ICD-10-GM Version 2012, zu verschlüsseln. Diese Verpflichtung besteht jedoch nur in Bezug auf die in § 295 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB V aufgeführten Unterlagen und kann nicht auf das Betreuungsrecht übertragen werden. 13
II. Begriff der psychischen Krankheit
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kognitive Defizite entwickeln können. Die wichtigsten psychopathologischen Phänomene sind Gedankenlautwerden, Gedankeneingebung oder Gedankenentzug, Gedankenausbreitung, Wahnwahrnehmung, Kontrollwahn, Beeinflussungswahn oder das Gefühl des Gemachten, Stimmen, die in der dritten Person den Patienten kommentieren oder über ihn sprechen, Denkstörungen und Negativsymptome.“
Für den Richter ist die ICD-10 jedoch nur von begrenztem Interesse, da deren Mehrwert im Wesentlichen in der Beschreibung eines Krankheitsbildes und einer Klassifizierung der Diagnose besteht. Eine Quantifizierung der mit einer Krankheit verbundenen Einschränkungen nimmt die ICD-10 indes nicht vor.15 So lässt sich beispielsweise die Frage, ob eine Person einwilligungsfähig ist oder nicht, alleine aus der ICD-10 nicht beantworten.16 Ergänzt wird der Katalog der ICD-10 jedoch durch den ebenfalls durch die Weltgesundheitsorganisation herausgegebenen Katalog ICF17. Während die ICD10 Gesundheitsprobleme klassifiziert, werden in der ICF Funktionsfähigkeit und Behinderung, verbunden mit einem Gesundheitsproblem bewertet.18 Mit Hilfe der ICD-10 wird mithin eine Diagnose von Krankheiten, Gesundheitsstörungen oder anderen Gesundheitszuständen gestellt, und diese Information wird mit zusätzlichen Informationen zur Funktionsfähigkeit, welche die ICF liefert, erweitert.19 Informationen über Diagnosen (ICD-10) in Verbindung mit Informationen über die Funktionsfähigkeit (ICF) liefern somit ein breiteres und angemesseneres Bild über die Gesundheit von Menschen, welches zum Zwecke der Entscheidungsfindung herangezogen werden kann.20 Auch wenn sich in der ICF dafür ausgesprochen wird, ICD-10 und ICF gemeinsam zu verwenden, ist die Verwendung der ICF weitaus seltener. In der gerichtlichen Praxis spielt die ICF keine nennenswerte Rolle.21 Teilweise werden – ebenfalls ohne verfahrensrechtliche Verpflichtung – die Diagnosen auch in Anlehnung an die deutsche Ausgabe des von der Amerikani15
Vgl. auch Schmidt-Recla, Theorien zur Schuldfähigkeit, S. 233. Zum begrenzten Nutzen der ICD-10 für die Beurteilung der Schuldfähigkeit vgl. Schmidt-Recla, Theorien zur Schuldfähigkeit, S. 233 ff. 17 Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit; engl.: International Classification of Functioning, Disability and Health. 18 Vgl. ICF, Stand 2005, Deutsche Übersetzung vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information, DIMDI, S. 9. 19 ICF, Stand 2005, Deutsche Übersetzung vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information, S. 10. 20 ICF, Stand 2005, Deutsche Übersetzung vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information, S. 10. 21 Diese Feststellung soll indes nicht als Kritik verstanden werden, da es durchaus sinnvoll erscheint, von Standardisierungsbestrebungen in Fällen, in denen Zwangsmaßnahmen im Raum stehen, nur zurückhaltend Gebrauch zu machen. Den Umständen des Einzelfalls und der Vielgestaltigkeit der Lebenssachverhalte kann durch eine eingehende persönliche Anhörung durch den Richter besser Rechnung getragen werden, als durch eine Kategorisierung des Grades einer möglichen Beeinträchtigung. 16
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schen Psychiatrischen Vereinigung22 herausgegebenen Diagnostischen und Statistischen Handbuchs Psychischer Störungen23, abgekürzt DSM-IV, gestellt. 2. Das juristische Verständnis des Begriffs „psychische Krankheit“ Auch in juristischer Hinsicht gibt es keinen einheitlichen Begriff der psychischen Krankheit.24 Der Begriff wird vielmehr im BGB25, in verschiedenen Unterbringungs- oder Psychisch-Kranken-Gesetzen der Länder26 sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention27 gebraucht. a) Begriff im BGB Der Begriff der psychischen Krankheit ist weder im BGB definiert, noch gibt es für ihn eine allgemein anerkannte Definition.28 Allerdings wird der Begriff der psychischen Krankheit in § 1896 Abs. 1 S. 1 BGB verwendet, so dass es naheliegt, zur Begriffsbestimmung auf die Entstehungsgeschichte des § 1896 BGB zu rekurrieren. Der Begriff der psychischen Krankheit wurde durch das Gesetz zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige (Betreuungsgesetz – BtG) vom 12. September 1990 (BGBl. I S. 2002) mit Wirkung vom 1. Januar 1992 in das BGB eingefügt. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird der Begriff der psychischen Krankheit erläutert. Danach sind als psychische Krankheiten anzusehen: – körperlich nicht begründbare (endogene) Psychosen, – seelische Störungen als Folge von Krankheiten oder Verletzungen des Gehirns, von Anfallsleiden oder von anderen Krankheiten oder körperlichen Beeinträchtigungen (körperlich begründbare – exogene – Psychosen), 22
Engl.: American Psychiatric Association. Engl.: Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders. 24 Marschner, Psychisch Kranke im Recht, S. 16. 25 Vgl. zum Beispiel § 1896 Abs. 1 BGB oder § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB. 26 Vgl. § 1 Abs. 2 UBG Baden-Württemberg; Art. 1 Abs. 1 UBG Bayern; § 1 Abs. 2 PsychKG Berlin; § 1 Abs. 2 PsychKG Brandenburg; § 1 Abs. 2 PsychKG Bremen; § 1 Abs. 2 PsychKG Hamburg; § 1 Abs. 1 FrhEntzG Hessen; § 1 Abs. 2 PsychKG Mecklenburg-Vorpommern; § 1 Nr. 1 PsychKG Niedersachsen; § 1 Abs. 2 PsychKG NordrheinWestfalen; § 1 Abs. 2 PsychKG Rheinland-Pfalz; § 1 UBG Saarland; § 1 Abs. 2 PsychKG Sachsen; § 1 Nr. 1 PsychKG Sachsen-Anhalt; § 1 Abs. 2 PsychKG SchleswigHolstein; § 1 Abs. 2 PsychKG Thüringen. 27 Art. 5 Abs. 1 e) Alt. 2 EMRK. 28 Vgl. auch BayObLG, FamRZ 2002, 494; Marschner, Psychisch Kranke im Recht, S. 16; zum Krankheitsbegriff nach BGB auch Marschner, in: Marschner/Volckart/Lesting, Freiheitsentziehung und Unterbringung, A Rn. 107 ff. 23
II. Begriff der psychischen Krankheit
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– Abhängigkeitskrankheiten (Alkohol- und Drogenabhängigkeiten), – Neurosen und Persönlichkeitsstörungen (Psychopathien).29 Die Aufzählung in der Gesetzesbegründung ist allerdings nicht als abschließend zu verstehen. Der Gesetzgeber hat vielmehr in der Begründung des Gesetzentwurfs ausgeführt, dass die Begrifflichkeit gegenwärtiger Fachterminologie entspricht30, so dass der Begriff der psychischen Krankheit im BGB nicht von dem medizinischen Befund abgekoppelt werden kann. Es ist daher zulässig und auch notwendig, auf die anerkannten Krankheitsbilder der Psychiatrie zurückzugreifen31, auch wenn die medizinische Einschätzung freilich nicht alleiniges Kriterium sein kann.32 Gestützt wird diese Auffassung durch die verfahrensrechtliche Regelung des § 280 FamFG, wonach vor der Bestellung eines Betreuers ein Gutachten einzuholen ist. Der Sachverständige soll hierbei gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 FamFG Arzt für Psychiatrie oder Arzt mit Erfahrungen auf dem Gebiet der Psychiatrie sein. Gemäß § 280 Abs. 3 Nr. 3 Alt. 2 FamFG hat sich das Gutachten auch auf den psychiatrischen Zustand des Betroffenen zu erstrecken. Aufgabe des Sachverständigen ist daher eine mögliche psychische Krankheit fachpsychiatrisch zu konkretisieren sowie deren Auswirkungen auf die kognitiven und voluntativen Fähigkeiten des Betroffenen darzulegen.33 b) Begriff in den Unterbringungsgesetzen der Länder Die Unterbringungsgesetze der Länder enthalten großteils Legaldefinitionen des Begriffs „psychisch Kranke“. Ein Vergleich der Gesetze zeigt, dass die Begriffsbestimmungen hierbei nicht immer einheitlich sind. Teilweise wird im Wesentlichen auf das Vorhandensein einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Störung von erheblichem Ausmaß abgestellt.34 Im Gesetz wird mithin zwischen geistigen oder seelischen Krankheiten einerseits und geistigen oder seelischen Störungen andererseits unterschieden. Angesichts des29 BT-Drs. 11/4528, S. 116; vgl. hierzu auch Müller, Betreuung und Geschäftsfähigkeit, S. 113 ff. 30 BT-Drs. 11/4528, S. 116. 31 So auch Jürgens, Betreuungsrecht, § 1896 Rn. 4. 32 Vgl. hierzu auch BVerfGE 58, 208, 226: „Wenn auch der zur Entscheidung über die Anordnung einer Freiheitsentziehung berufene Richter die Frage, ob eine Person an einer Geisteskrankheit leidet und welche Auswirkungen und Bedeutung dies hat, regelmäßig nur mit Hilfe eines ärztlichen Sachverständigen beurteilen kann, so ist er doch nicht verpflichtet, die Begriffswelt des Arztes zu übernehmen, die teils weiter, teils aber auch enger sein kann als die juristischen Begriffe, die bei der Gesetzesanwendung allein zugrunde zu legen sind.“ 33 Vgl. BayObLG, FamRZ 2002, 494. 34 Vgl. § 1 Abs. 2 UBG Baden-Württemberg; § 1 UBG Saarland; § 1 Abs. 2 PsychKG Schleswig-Holstein; § 1 Abs. 2 PsychKG Thüringen.
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C. Rechtslage nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts
sen, dass im ICD-10 nicht zwischen psychischen „Krankheiten“ und psychischen „Störungen“ differenziert wird, sondern vielmehr auch die Gruppe der psychischen „Störungen“ 35 einen Unterfall der psychischen „Krankheiten“ darstellen, bedarf diese gesetzgeberische Differenzierung näherer Betrachtung. Es erscheint naheliegend, dass der Gesetzgeber psychische Störungen als weniger gravierend als psychische Krankheiten ansah, weshalb beim Vorliegen einer (nur) psychischen Störung als zusätzliches Tatbestandsmerkmal hinzukommen muss, dass diese von erheblichem Ausmaß sein muss. Krankheitsbilder wie zum Beispiel Persönlichkeitsstörungen erfüllen somit – unabhängig von der medizinischen Einordnung als Krankheit – nur dann den jeweiligen Tatbestand, wenn sie ein erhebliches Ausmaß erreicht haben. Auch wenn das Tatbestandsmerkmal „erhebliches Ausmaß“ seinerseits erheblichen Auslegungsspielraum beinhaltet, erscheint es in aller Regel dann erfüllt, wenn mit der Persönlichkeitsstörung ein nennenswerter Verlust der Selbstkontrolle einhergeht. Teilweise wird in den Unterbringungsgesetzen der Länder auch das Vorhandensein einer Psychose oder einer psychischen Störung, die in ihren Auswirkungen einer Psychose gleichkommt, gesondert hervorgehoben.36 Trotz des ausdrücklichen Hervorhebens der Psychose sollte damit keine Einschränkung hinsichtlich der in Frage kommenden Krankheitsbilder verbunden sein. Vielmehr werden auch hier die psychischen Störungen nochmals aufgegriffen. Als zusätzliches Merkmal muss jedoch hier hinzukommen, dass diese in ihren Auswirkungen einer Psychose gleichkommen. Es ist somit auch nach dieser Begriffsbestimmung nicht jede Persönlichkeitsstörung geeignet, eine Unterbringung zu begründen. Es bedarf auch hier der Feststellung besonderer Merkmale. c) Begriff in der Europäischen Menschenrechtskonvention Der Begriff „psychisch Kranke“ wird auch in Art. 5 Abs. 1 e) Alt. 2 EMRK verwendet. Allerdings regelt Art. 5 Abs. 1 e) Alt. 2 EMRK lediglich, dass bei psychisch Kranken die Freiheit entzogen werden kann, ohne hierfür genauere Voraussetzungen zu bestimmen. Durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wurde die Regelung konkretisiert.37 Die Frei35 Wie zum Beispiel die Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen nach F60–F69 ICD-10 oder die nicht näher bezeichneten psychischen Störungen nach F99. 36 Vgl. § 1 Abs. 2 PsychKG Berlin; § 1 Abs. 2 PsychKG Brandenburg; § 1 Abs. 2 PsychKG Bremen; § 1 Abs. 2 PsychKG Hamburg; § 1 Abs. 2 PsychKG MecklenburgVorpommern; § 1 Abs. 2 PsychKG Nordrhein-Westfalen; § 1 Abs. 2 PsychKG Rheinland-Pfalz; § 1 Nr. 1 PsychKG Sachsen-Anhalt. 37 Vgl. grundlegend hierzu EGMR, Urteil vom 24. Oktober 1979, BeschwerdeNr. 6301/73, Winterwerp ./. Niederlande; diese Kriterien ebenfalls aufgreifend BVerfG, NJW 2011, 1931, 1943.
II. Begriff der psychischen Krankheit
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heitsentziehung bei psychisch Kranken ist daher nur unter drei Voraussetzungen, den sog. Winterwerp-Kriterien38, zulässig.39 Es muss daher – verlässlich nachgewiesen sein, dass eine psychische Störung vorliegt, – die psychische Störung muss eine zwangsweise Unterbringung erfordern und – die Freiheitsentziehung darf nur so lange andauern, wie die Krankheit und die Notwendigkeit der Unterbringung fortbestehen.40 Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 4. Mai 2011 zur Verfassungswidrigkeit der Sicherungsverwahrung die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aufgegriffen und hierzu Folgendes ausgeführt: „Das für diese Gewährleistung, soweit hier von Belang, zentrale Tatbestandsmerkmal des „unsound mind“ setzt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte voraus, dass es sich um eine zuverlässig nachgewiesene psychische Störung („true mental disorder“) handelt, die eine zwangsweise Unterbringung erfordert („warranting compulsory confinement“), und die fortdauert („the validity of continued confinement must depend upon the persistence of such a disorder“) (vgl. grundlegend EGMR, Urteil vom 24. Oktober 1979, Beschwerde-Nr. 6301/73, Winterwerp ./. Niederlande, Rn. 39; s. zuletzt EGMR, Urteil vom 21. Juni 2005, Beschwerde-Nr. 517/02, Kolanis ./. Vereinigtes Königreich, Rn. 67). Eine abschließende Definition des Begriffs „true mental disorder“ existiert nicht (vgl. EGMR, Urteil vom 24. Oktober 1979, Beschwerde-Nr. 6301/73, Winterwerp ./. Niederlande, Rn. 37). Lediglich sozial abweichendes Verhalten stellt allerdings keine Störung im Sinne dieser Vorschrift dar (vgl. EGMR a. a. O., Rn. 37). Eine dissoziale Persönlichkeitsstörung oder eine Psychopathie („anti-social personality“ oder „psychopathic disorder“) können jedoch darunter fallen (vgl. EGMR, Urteil vom 20. Februar 2003, Beschwerde-Nr. 50272/99, Hutchison Reid ./. Vereinigtes Königreich, Rn. 19; s. auch Prior, Mentally disordered offenders and the European Court of Human Rights, International Journal of Law an Psychiatry 30 [2007], S. 546 [548]; Bartlett/Lewis/ Thorold, Mental Disability and the European Convention on Human Rights, 2007, S. 43).“ 41
Bestimmt man den Begriffsinhalt der psychischen Krankheit unter Berücksichtigung der Winterwerp-Kriterien, so wird auch hier deutlich, dass nicht jegliche Diagnose einer psychischen Krankheit im Sinne der ICD-10 ausreicht, um das Vorliegen einer psychischen Krankheit im Sinne des Art. 5 Abs. 1 e) Alt. 2 EMRK zu begründen. Erforderlich ist auch hier eine psychische Krankheit von 38
Vgl. hierzu auch Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 5 Rn. 43 ff. Vgl. grundlegend hierzu EGMR, Urteil vom 24. Oktober 1979, BeschwerdeNr. 6301/73, Winterwerp ./. Niederlande. 40 Vgl. EGMR, Urteil vom 24. Oktober 1979, Beschwerde-Nr. 6301/73, Winterwerp ./. Niederlande; vgl. hierzu ebenfalls Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 5 Rn. 43 ff. 41 BVerfG, NJW 2011, 1931, 1943. 39
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einigem Gewicht („true mental disorder“). Eine genaue Grenzziehung im Einzelfall ist indes schwierig. Neben der Diagnose dürfte jedoch vor allem auch der Schwere der Erkrankung ein erhebliches Gewicht zukommen. Jedenfalls in den Fällen des Verlustes der Steuerungsfähigkeit und der Selbstkontrolle ist das Tatbestandsmerkmal erfüllt. d) Zusammenfassung Zusammenfassend kann man festhalten, dass kein Gleichlauf des Verständnisses des Begriffs der psychischen Krankheit in der medizinischen und juristischen Fachterminologie gegeben ist. Selbst im juristischen Bereich existiert keine einheitliche Definition dessen, was unter einer psychischen Krankheit genau zu verstehen ist. In den Unterbringungsgesetzen der Länder und in der EMRK bestehen über das Erfordernis der medizinischen Diagnose hinausgehende Anforderungen, die im jeweiligen Einzelfall genau zu prüfen sind.42 Am ehesten angenähert an das medizinische Begriffsverständnis ist das Verständnis im BGB, da ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs auf die anerkannten Krankheitsbilder der Psychiatrie Bezug genommen wird.43 Eine zusätzliche Grenze besteht jedoch freilich auch im BGB durch das ungeschriebene Erfordernis der Verhältnismäßigkeit, so dass auch hier das Vorliegen einer leichten psychischen Krankheit in aller Regel keine staatlichen Zwangsmaßnahmen legitimieren kann.44 3. Der Sachverständige in Schnittstellenfunktion a) Das Erfordernis medizinischen Sachverstandes Auch wenn die juristische Begriffsbestimmung der psychischen Krankheit nicht deckungsgleich mit der medizinischen ist, kann der Richter die Beurteilung des Gesundheitszustands nicht ohne Hinzuziehung medizinischen Sachverstands vornehmen.45 Gleichwohl bleibt es originäre Aufgabe des Richters, festzustellen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen einer Norm vorliegen.46 Nur er ist aufgrund
42 Vgl. zu diesbezüglichen Auslegungsgrundsätzen Marschner, in: Marschner/Volckart/Lesting, Freiheitsentziehung und Unterbringung, A Rn. 113 ff. 43 BT-Drs. 11/4528, S. 116. 44 Vgl. hierzu auch BVerfGE 58, 208, 226 f. 45 Vgl. hierzu auch Brosey, BtPrax 2011, 141; Schmidt-Recla, MüKo FamFG, § 280 Rn. 1, der die sachverständige Begutachtung des Zustands der betroffenen Person zutreffend als Herzstück des Betreuungsverfahrens bezeichnet; allgemein zur Rolle des medizinischen Sachverständigen Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, S. 428 ff. 46 Schmidt-Recla, MüKo FamFG, § 280 Rn. 6.
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seiner Ausbildung befähigt, einen Lebenssachverhalt unter den Tatbestand zu subsumieren und hieran anschließend die Rechtsfolge festzustellen.47 In der Theorie ist die Kompetenzverteilung daher denkbar einfach: Zur Aufklärung der medizinischen Fragen holt der Richter ein medizinisches Sachverständigengutachten ein. Sofern er das Sachverständigengutachten nachvollziehen kann und es für überzeugend hält, legt er die gefundenen Feststellungen seiner Subsumtion unter die jeweils einschlägigen Rechtsnormen zu Grunde. Die Praxis zeigt jedoch, dass das Zusammenspiel der Disziplinen Recht und Medizin keineswegs so einfach ist, wie es theoretisch trennscharf dargestellt werden kann.48 Die Ursachen hierfür sind vielfältig: Für eine fruchtbare Verständigung zwischen Arzt und Richter ist es bereits vom Ausgangspunkt her wenig förderlich, wenn in zentralen Fragen, wie zum Beispiel der Bestimmung des Begriffs der psychischen Krankheit, kein vollkommener Konsens besteht. Bei der Beurteilung von psychischen Krankheiten kommt hinzu, dass Krankheiten des Willens, des Denkens und des Fühlens nicht ohne eine Vorstellung davon, was Wille, Denken, Fühlen richtigerweise sein soll, diagnostiziert werden können. Auch wenn in Evidenzfällen hierüber breiter Konsens besteht49, so kann dies in Grenzfällen durchaus eine schwer zu objektivierende Unwägbarkeit darstellen50. Hinzu kommt, dass die zu klärenden juristischen Begriffe oftmals einer normativ-wertenden Ausfüllung bedürfen, was den Sachverständigen mitunter überfordern kann.51 Da eine einfache schematische Lösung der aufgezeigten Problematik nicht existieren dürfte, sollen nachfolgend – unabhängig von der verfahrensrechtlichen Absicherung – lediglich verschiedene Gesichtspunkte aufgezeigt werden, die sich einer Problemlösung zumindest etwas annähern. Von besonderer Wichtigkeit erscheint zum einen, dass sich die handelnden Personen über ihre Aufgabenverteilung bewusst sind: Es muss klar sein, dass die
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Schmidt-Recla, MüKo FamFG, § 280 Rn. 6. Vgl. hierzu auch Bauer/Hasselbeck, FuR 1994, 293, 295 ff. 49 So erscheint es mir evident, dass beispielsweise das Hören imperativer Stimmen oder Halluzinationen auf das Vorliegen einer psychischen Krankheit hindeuten. 50 Hervorzuheben ist hierbei insbesondere die Fallgruppe der Persönlichkeitsstörungen. Auch wenn in einigen Unterbringungsgesetzen (beispielsweise § 1 Abs. 2 PsychKG Berlin oder § 1 Abs. 2 PsychKG Brandenburg) versucht wird, diese Fallgruppe etwas einzuengen, indem in den Tatbestandsvoraussetzungen ausgeführt wird, dass psychische Störungen in ihren Auswirkungen einer Psychose gleichkommen müssen, erscheint mir die Grundproblematik nicht gelöst. Die Problematik dürfte sich damit wohl eher dahingehend verlagern, dass fraglich bleibt, ab wann eine Persönlichkeitsstörung genau einer Psychose gleichkommt. 51 Die wohl am praxisrelevantesten Beispiele dürften die Frage nach dem freien Willen oder der Einwilligungsfähigkeit sein. 48
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Beurteilung medizinischer Fragen Aufgabe des Sachverständigen und die juristische Subsumtion Aufgabe des Richters ist.52 Sodann sollten die handelnden Personen ein besonderes Augenmerk auf ihre Kommunikation legen: Der Richter soll die aufzuklärenden Fragen soweit wie möglich präzise ausformulieren.53 „Worthülsen“ in der Fragestellung sollen vermieden werden. Normativ wertende Begrifflichkeiten sollen – soweit möglich – umschrieben werden. Zur besseren Aufklärung des Sachverhalts und zur Vermeidung von Kommunikationsdefiziten oder Missverständnissen sollten auch Nebenfragen gestellt werden.54 Der Arzt sollte seinerseits bei der Abfassung des Gutachtens Wert auf Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit legen. Auch er sollte – soweit möglich und tunlich – auf medizinische Fachbegriffe verzichten und diese in allgemein verständlicher Form erläutern. Wenn es um die Beurteilung normativer Begrifflichkeiten geht, soll er die Tatsachen, die der Beurteilung zu Grunde liegen, darstellen, und erläutern, unter welchen Gesichtspunkten die Beurteilung in normativer Hinsicht erfolgte. Beim Auftreten von Zweifeln an der Fragestellung soll der Arzt eine klärende Rücksprache mit dem Richter nehmen. Schlussendlich müssen sich die handelnden Personen ihrer besonderen Verantwortung in dem Verfahren bewusst sein. Die Verantwortung des Sachverständigen ist nicht dadurch geschmälert, dass der Richter die Letztentscheidung trifft. Umgekehrt darf der Richter aber auch nicht die Einschätzung des Sachverständigen unreflektiert übernehmen.55 Nur so können Fehlerquellen und Missverständnisse weitestgehend vermieden werden. b) Verfahrensrechtliche Absicherung Die Bedeutung des medizinischen Sachverstandes für Verfahren, in denen Zwangsmaßnahmen im Raum stehen, kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber das Erfordernis der Einholung eines Sachverständigengutachtens in § 280 FamFG und § 321 FamFG ausdrücklich geregelt hat. Überdies beinhalten die Vorschriften in § 280 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, Abs. 3 FamFG und § 321 Abs. 1 S. 2 bis 4 FamFG auch bestimmte Anforderungen an Inhalt und Qualität der Sachverständigengutachten und an die Qualifikation der Person des Sachverständigen. 52 Vgl. zur Bindung des Gerichts an die Aussagen des Sachverständigen Schmidt-Recla, MüKo FamFG, § 280 Rn. 6; zu Formen der Kooperation vgl. auch Bauer/Hasselbeck, FuR 1994, 293, 297 f. 53 Zur Formulierung etwaiger Hauptfragen siehe Schmidt-Recla, MüKo FamFG, § 280 Rn. 7. 54 Zur Formulierung etwaiger Nebenfragen siehe Schmidt-Recla, MüKo FamFG, § 280 Rn. 7. 55 So auch Marschner, in: Marschner/Volckart/Lesting, Freiheitsentziehung und Unterbringung, A Rn. 98, wonach es Aufgabe des Richters ist, ärztlichen Gutachten richterliche Kontrolle entgegenzusetzen.
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§ 280 FamFG regelt hierbei die Einholung eines Sachverständigengutachtens vor Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts, während § 321 FamFG die Einholung des Gutachtens vor einer Unterbringungsmaßnahme betrifft.56 Beiden Fällen ist gemein, dass der Sachverständige den Betroffenen vor der Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen und zu befragen hat. Auch soll in beiden Fällen der Sachverständige Arzt für Psychiatrie sein.57 Sofern dies nicht der Fall ist, muss für den Bereich der Unterbringungsmaßnahmen gemäß § 321 Abs. 1 S. 4 Hs. 2 FamFG der Arzt jedenfalls Erfahrungen auf dem Gebiet der Psychiatrie haben. Für den Bereich der Anordnung einer Betreuung oder eines Einwilligungsvorbehalts verbleibt es auch hier gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 FamFG bei der Soll-Bestimmung, so dass der Sachverständige ein Arzt mit Erfahrungen auf dem Gebiet der Psychiatrie sein soll. Hinsichtlich der inhaltlichen Anforderungen geht der Wortlaut der Vorschrift des § 280 FamFG über den des § 321 FamFG hinaus, indem in § 280 Abs. 3 FamFG verschiedene Bereiche gesondert aufgeführt sind, auf die sich das Gutachten erstrecken muss.58 Das Gutachten hat sich danach auf das Krankheitsbild einschließlich der Krankheitsentwicklung (Nr. 1), die durchgeführten Untersuchungen und die diesen zu Grunde gelegten Forschungserkenntnisse (Nr. 2), den körperlichen und psychiatrischen Zustand des Betroffenen (Nr. 3), den Umfang des Aufgabenkreises (Nr. 4) und die voraussichtliche Dauer der Maßnahme (Nr. 5) zu erstrecken.59 Diese Anforderungen helfen dem Gericht, seiner aus dem Amtsermittlungsgrundsatz erwachsenden Pflicht, das Gutachten auf seine wissenschaftliche Begründung, seine innere Logik und seine Schlüssigkeit hin zu überprüfen, nachzukommen.60 In dem Gutachten müssen daher Art und Ausmaß der Erkrankung im Einzelnen anhand der Vorgeschichte, der durchgeführten Untersuchungen und der sonstigen Erkenntnisse dargestellt und wissenschaftlich begründet werden.61 Der Richter muss insbesondere die durchgeführten Untersu56 Vgl. zum Verfahren auch Müther, FamRZ 2010, 857; Schmidt-Recla, MüKo FamFG, § 280 Rn. 1 f.; ders., MüKo FamFG, § 321 Rn. 1 f.; zum Sachverständigengutachten im Verfahren über die Aufhebung oder Verlängerung der Betreuung vgl. auch Diener, BtPrax 2012, 58. 57 Vgl. zur Qualifikation des Sachverständigen Brosey, BtPrax 2011, 141, 142; zum Begriff des Sachverständigen vgl. im Übrigen Schlund, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 116 Rn. 1 ff. 58 Vgl. hierzu auch Brosey, BtPrax 2011, 141, 142; Müther, FamRZ 2010, 857, 859. 59 Vgl. auch BGH, FamRZ 2011, 637. 60 Schmidt-Recla, MüKo FamFG, § 280 Rn. 18; Diener, BtPrax 2012, 58; ebenso BGH, FamRZ 2011, 637; BGH, NJW 2012, 317, 318; vgl. auch BVerfGE 58, 208, 226 f. 61 BGH, FamRZ 2011, 637; nach BGH, NJW 2012, 317, 318 gelten diese formalen Anforderungen auch in den Fällen, in denen die Einholung eines Sachverständigengutachtens – wie zum Beispiel im Verfahren der Aufhebung der Betreuung nach § 294
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chungen des Sachverständigen und das gefundene Ergebnis nachvollziehen können und verstanden haben. Auf der gefundenen Grundlage hat sich das Gericht sodann eine eigene Meinung zu bilden.62 Aber auch bei der Einholung eines Sachverständigengutachtens auf Grundlage des § 321 FamFG folgt aus der Pflicht des Gerichts zur Amtsermittlung nach § 26 FamFG, dass das Gericht maßgeblichen Einfluss auf die inhaltliche Qualität des Sachverständigengutachtens und seine Aussagekraft im Hinblick auf die Beurteilung der materiell-rechtlichen Unterbringungsvoraussetzungen nehmen muss, indem es dem Sachverständigen geeignete Beweisfragen stellt.63 Auch im Rahmen des § 321 FamFG gelten für die gerichtliche Überprüfungspflicht keine Besonderheiten, so dass das Gutachten ebenfalls auf seine innere Logik und seine Schlüssigkeit überprüft werden muss. Für den Inhalt des Gutachtens nach § 321 FamFG können daher die Grundsätze des § 280 FamFG entsprechend herangezogen werden.64
III. Begriff der Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB Der Begriff der Patientenverfügung ist mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts in § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB legal definiert worden. Eine Patientenverfügung ist demnach die schriftliche Festlegung eines einwilligungsfähigen Volljährigen für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt. Entsprechend der Legaldefinition handelt es sich bei einer Patientenverfügung demnach nicht um eine Verfügung im rechtstechnischen Sinne, auch nicht um eine Verfügung von Todes wegen.65 Vor dem Hintergrund des vor Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts vorherrschenden Verständnisses des Begriffes „Patientenverfügung“ erscheinen vor allem zwei Punkte bemerkenswert: Zum einen ist der Anwendungsbereich – im Gegensatz zum bisher vorherrschenden BegriffsverFamFG oder im Verfahren zur Verlängerung der Betreuung gemäß § 295 Abs. 1 S. 2 FamFG – nicht obligatorisch ist. Ausreichend für das Eingreifen der formalen Anforderungen ist, dass das Gericht ein Sachverständigengutachten tatsächlich eingeholt hat und seine Entscheidung darauf stützt; vgl. hierzu auch Diener, BtPrax 2012, 58. 62 BGH, FamRZ 2011, 637; im Übrigen auch BayObLG, FamRZ 2011, 1403; zum Verhältnis des Sachverständigen zum Gericht vgl. auch Schlund, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 117 Rn. 1 ff.; im Übrigen auch Diener, BtPrax 2012, 58 f. 63 Vgl. auch Brosey, BtPrax 2011, 141, 142; Budde, in: Keidel, FamFG, § 321 Rn. 2. 64 So auch Schmidt-Recla, MüKo FamFG, § 321 Rn. 11, der ergänzend hierzu ausführt, dass Methodentransparenz und Evidenzbasierung auch für das Unterbringungsgutachten ein selbstverständliches Gebot wissenschaftlicher Ehrlichkeit sind. 65 Vgl. auch Spickhoff, FamRZ 2009, 1949, 1950.
III. Begriff der Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB
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ständnis – auf Entscheidungen in Bezug auf ärztliche Maßnahmen beschränkt. Zum anderen sind selbst in Bezug auf ärztliche Maßnahmen nicht alle Festlegungen in einer Vorausverfügung auch definitionsgemäße Patientenverfügungen.66 Wie sich aus dem Wortlaut des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB ergibt, müssen die Festlegungen nämlich in Bezug auf „bestimmte“ Untersuchungen erfolgen, so dass einige Willensbekundungen in Zusammenhang mit einer zukünftigen ärztlichen Behandlung nach dem Willen des Gesetzgebers vom Begriff der Patientenverfügung von vornherein nicht umfasst sind.67 In Abweichung zum bisherigen Begriffsverständnis stellen daher allgemeine Richtlinien für eine künftige Behandlung oder allgemeine Behandlungswünsche, wie z. B. über die Art und Weise oder den Ort der Behandlung, keine Patientenverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB dar. Ob die Einführung dieses „neuen“ Begriffs der Patientenverfügung dem Ziel des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts, nämlich der Schaffung von Rechtssicherheit in diesem Bereich, förderlich ist, darf bezweifelt werden.68 Die „verengte“ Begriffsbestimmung führt insbesondere dazu, dass es auch andere Arten von Vorausverfügungen gibt, die zwar keine begriffliche Patientenverfügung darstellen, jedoch keineswegs unbeachtlich sind. Vorausverfügungen, die den Anforderungen des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB nicht genügen, können nämlich im Rahmen des § 1901a Abs. 2 BGB als Behandlungswünsche oder als Umstände zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens bei der Entscheidung durch den Betreuer oder Bevollmächtigten zu beachten sein. Auch können vom Betroffenen vor Einwilligungsunfähigkeit festgehaltene Wünsche über § 1901 Abs. 3 BGB für den Betreuer Bindungswirkung entfalten. Hinsichtlich der Terminologie gilt daher nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts Folgendes: Der Begriff „Vorausverfügung“ umschreibt – ohne dass das Gesetz den Begriff aufgreift – als Oberbegriff sämtliche Festlegungen eines Betroffenen für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit, demnach auch (aber nicht nur) definitionsgemäße Patientenverfügungen. Wenn von der „Patientenverfügung“ gesprochen wird, ist damit die Patientenverfügung nach § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB gemeint. Für Festlegungen, die über § 1901a Abs. 2 BGB oder § 1901 Abs. 3 BGB beachtlich sein können, kann der Begriff der Patientenverfügung hingegen nicht mehr verwendet werden. Da jedoch auch diese Formen der Wunschäußerung Festlegungen eines Betroffenen für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit enthalten, stellen sie sonstige Vorausverfügungen dar. 66
Vgl. hierzu auch Locher, FamRB 2010, 56, 58; Brosey, BtPrax 2009, 175 f. Vgl. hierzu auch BT-Drs. 16/8442, S. 13; im Übrigen zum Bestimmtheitserfordernis auch S. 85 ff. 68 Ebenso Renner, ZNotP 2009, 371, 374; a. A. Lange, ZEV 2009, 537, 542, der die Regelung begrüßt, da damit das „Formularunwesen“ eingeschränkt werde. 67
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C. Rechtslage nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts
Der Begriff der Patientenverfügung bereitet in Bezug auf psychische Krankheiten keine spezifischen Probleme. Psychische Krankheiten können jedoch in Bezug auf die einzelnen Tatbestandsmerkmale einer Patientenverfügung Auswirkungen haben, was nachfolgend untersucht wird.
IV. Wirksame Errichtung und Widerruf einer Patientenverfügung 1. Volljährigkeit Gemäß § 2 BGB tritt die Volljährigkeit mit der Vollendung des achtzehnten Lebensjahres ein. Ein Minderjähriger kann daher auch bei Einhaltung aller übrigen Voraussetzungen keine wirksame Patientenverfügung errichten.69 Die dadurch bestehende Ungleichbehandlung zwischen Minderjährigen und Volljährigen dürfte jedoch vorrangig der Verankerung der Patientenverfügung im Betreuungsrecht geschuldet sein.70 Beim Bestehen einer Betreuung nach Eintritt der Volljährigkeit können jedoch die Festlegungen in einer alleine aufgrund der damaligen Minderjährigkeit des Verfassers unwirksamen Patientenverfügung Auswirkungen auf die Ermittlung des mutmaßlichen Willens haben.71 Praktisch bedeutsam ist auch die Frage, ob die von einem Minderjährigen verfasste zunächst unwirksame Patientenverfügung mit Eintritt der Volljährigkeit konvalesziert.72 Spezifische Besonderheiten in Bezug auf die Patientenverfügung von psychisch kranken Menschen wirft das Tatbestandsmerkmal indes nicht auf, so dass es einer weiteren Vertiefung der angedeuteten Problemfelder an dieser Stelle nicht bedarf. 2. Schriftliche Festlegung Auch das Schriftformerfordernis bereitet bei Patientenverfügungen von psychisch kranken Menschen keine besonderen Schwierigkeiten.73 Es kann hier auf 69 Zur Frage der Verfassungsgemäßheit dieser Regelung Sternberg-Lieben/Reichmann, NJW 2012, 257, 258 ff.; Rieger, FamRZ 2010, 1601, 1603; Schumacher, FPR 2010, 474, 478; Beermann, FPR 2010, 252 f.; Spickhoff, Medizinrecht, § 1901a BGB Rn. 5; Spickhoff, FamRZ 2009, 1949, 1950; Renner, ZNotP 2009, 371, 377; kritisch zum Volljährigkeitserfordernis auch Albrecht/Albrecht, Die Patientenverfügung, S. 54 f.; zur Frage der Einwilligungsfähigkeit bei Minderjährigen siehe Kern, NJW 1994, 753, 755. 70 So kommt nach § 1896 Abs. 1 BGB auch eine Betreuung nur bei Volljährigkeit in Betracht. Vgl. hierzu auch Verrel, in: Verrel/Simon, Patientenverfügungen, S. 29; Putz, FPR 2012, 13, 16. 71 Vgl. hierzu Spickhoff, FamRZ 2009, 1949, 1951. 72 Bejahend Diederichsen, Palandt, § 1901a Rn. 10; im Ergebnis ebenso Schwab, MüKo BGB, § 1901a Rn. 10, wonach die Patientenverfügung „im betreuungsrechtlichen Sinne erst nach Erreichen der Volljährigkeit zum Einsatz kommen kann“. 73 Auch bei nicht psychisch Kranken dürfte das Erfordernis der Schriftform wenig Schwierigkeiten bereiten. Auch schreibunfähige Personen können durch notarielle Be-
IV. Wirksame Errichtung und Widerruf einer Patientenverfügung
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die Regelung des § 126 Abs. 1 BGB zurückgegriffen werden74, wonach die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet werden muss. Gemäß § 126 Abs. 4 BGB kann die schriftliche Form auch durch eine notarielle Beurkundung gemäß § 128 BGB ersetzt werden. Da das Gesetz in § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB keine weiteren Einschränkungen bezüglich der Schriftform enthält, ist gemäß § 126 Abs. 3 BGB auch die Ersetzung der Schriftform durch die elektronische Form gemäß § 126a Abs. 1 BGB75 möglich. Die praktische Bedeutung der Ersetzung der Schriftform durch die elektronische Signatur dürfte jedoch eher gering sein. Eine notarielle Beurkundung zur Ersetzung der Schriftform ist hingegen weit verbreitet. Spezifische Probleme in Bezug auf Menschen mit psychischen Erkrankungen treten hier jedoch nicht auf, so dass die Problematik nicht weiter vertieft werden soll. 3. Einwilligungsfähigkeit im Zeitpunkt der Errichtung Im Gesetzeswortlaut wird der Begriff der Einwilligungsfähigkeit nicht definiert. Aus der Begründung des Gesetzentwurfs ergibt sich jedoch, dass von der Begrifflichkeit des geltenden Rechts ausgegangen wird.76 Zur Begriffsbestimmung wird im Wesentlichen auf die Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige (Betreuungsgesetz – BtG) vom 12. September 1990 (BGBl. I S. 2002)77 verwiesen.78 Danach kommt es im Gegensatz zum Abschluss des zivilrechtlichen Behandlungsvertrages für die Einwilligung nicht auf die Geschäftsfähigkeit des Betroffenen an, sondern auf die natürliche Einsichts- und Steuerungsfähigkeit,79 weil die Einwilligung keine rechtsgeschäftliche Willenserklärung80, sondern ein auf die Gestattung eines Eingriffs gerichteter Realakt ist. Die Einwilligungsfähigkeit setzt sich damit aus einem kognitiven Element, der Einsichtsfähigkeit, und einem urkundung unter Hinzuziehung von Schreibzeugen in entsprechender Anwendung des § 25 BeurkG eine Patientenverfügung niederlegen. Vgl. hierzu Rieger, FamRZ 2009, 1601, 1602; ebenfalls Albrecht/Albrecht, Die Patientenverfügung, S. 57. 74 Vgl. auch BT-Drs. 16/8442, S. 13; Brosey, BtPrax 2009, 175, 176. 75 Erforderlich wäre danach, dass der Aussteller der Erklärung dieser seinen Namen hinzufügt und das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versieht. 76 BT-Drs. 16/8442, S. 9. 77 BT-Drs. 11/4528, S. 71 f. 78 BT-Drs. 16/8442, S. 9. 79 BT-Drs. 16/8442, S. 9, 12 f.; BT-Drs. 11/4528, S. 71; vgl. auch Verrel, in: Verrel/ Simon, Patientenverfügungen, S. 29; von Storch, Der „fürsorgliche“ Entzug von Grundrechten, S. 7; im Übrigen bereits Kern/Laufs, Die ärztliche Aufklärungspflicht, S. 24. 80 So bereits Kern, NJW 1994, 753; ebenso Kern/Laufs, Die ärztliche Aufklärungspflicht, S. 29.
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C. Rechtslage nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts
voluntativen Element, der Steuerungsfähigkeit zusammen.81 Zusammenfassend ist daher einwilligungsfähig, wer Art, Bedeutung und Tragweite – auch der Risiken – der Maßnahme zu erfassen und seinen Willen hiernach zu bestimmen vermag.82 Die bloße Äußerungsfähigkeit genügt demnach nicht. Auch wenn die vorgenommene Begriffsdefinition auf den ersten Blick befriedigend erscheint, ist deren Anwendung in der Praxis nicht unproblematisch. Die Beurteilung der Frage, wann im Einzelfall Einwilligungsfähigkeit vorliegt, kann bereits bei nicht betreuten Personen Schwierigkeiten bereiten.83 Bei psychisch kranken Personen sind diese Schwierigkeiten weitaus größer, da die Art der Erkrankung häufig die Geistestätigkeit beeinträchtigt.84 Als weitere Schwierigkeit bei der Beurteilung des Tatbestandsmerkmals der Einwilligungsfähigkeit kommt hinzu, dass auf den Zeitpunkt der Errichtung der Patientenverfügung, der möglicherweise noch nicht einmal exakt bekannt ist, abgestellt werden muss. In der Praxis drängt sich daher die Frage auf, ob in jedem Fall, in dem eine Patientenverfügung zur Anwendung gelangen soll, die Frage der Einwilligungsfähigkeit bei Errichtung positiv festgestellt werden muss, oder ob – sofern keine konkreten Anhaltspunkte vorliegen – von der Erfüllung des Tatbestandsmerkmals ausgegangen werden kann. Den Gesetzesmaterialien zum Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts ist eine Antwort nicht zu entnehmen.85 In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist zunächst der Amtsermittlungsgrundsatz in § 26 FamFG zu beachten, wonach dem Gericht die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen von Amts
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Von Storch, Der „fürsorgliche“ Entzug von Grundrechten, S. 7. BT-Drs. 16/8442, S. 9, 13; BT-Drs. 11/4528, S. 71; Schwab, MüKo BGB, § 1901a Rn. 9; mit geringen sprachlichen Abweichungen so bereits Müller, Betreuung und Geschäftsfähigkeit, S. 6; Taupitz, in: Brugger/Haverkate, Grenzen als Thema der Rechtsund Sozialphilosophie, S. 95; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern, § 139, Rn. 43; Kern/Laufs, Die ärztliche Aufklärungspflicht, S. 24; Kern, in: Lippert/Kern, Arbeits- und Dienstrecht der Krankenhausärzte von A–Z, S. 40; Uhlenbruck, MedR 1992, 134, 136; von Storch, Der „fürsorgliche“ Entzug von Grundrechten, S. 7; Marschner, Psychisch Kranke im Recht, S. 25; im Übrigen auch ständige Rechtsprechung seit BGHZ 29, 33, 36; hinsichtlich weiterer Definitionsmöglichkeiten vgl. Habermeyer, BtPrax 2010, 69, 70 f. 83 Vgl. auch BT-Drs. 11/4528, S. 71; vgl. auch bereits Taupitz, in: Brugger/Haverkate, Grenzen als Thema der Rechts- und Sozialphilosophie, S. 96; zur Bedeutung der Einwilligungsfähigkeit für die Anordnung einer Betreuung vgl. auch Habermeyer, BtPrax 2010, 69, 70. 84 Vgl. hierzu auch Schünemann, VersR 1981, 306; zur Frage der Einwilligungsfähigkeit bei psychisch Kranken vgl. ebenfalls die Fallbeispiele in Kern/Laufs, Die ärztliche Aufklärungspflicht, S. 26 ff. 85 Die Einzelbegründung zu § 1901a Abs. 1 BGB in BT-Drs. 16/8442, S. 12 f. enthält keine näheren Ausführungen zu dieser Frage. 82
IV. Wirksame Errichtung und Widerruf einer Patientenverfügung
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wegen obliegt. Über die Notwendigkeit der Erhebung von Informationen entscheidet es daher nach pflichtgemäßem, teilweise gebundenem Ermessen.86 Die Pflicht zur Amtsermittlung kann jedoch nicht dazu führen, dass in jedem Fall der Frage der Einwilligungsfähigkeit bei der Errichtung der Patientenverfügung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nachgegangen werden muss. Dem steht das Leitbild des BGB entgegen, das – jedenfalls bei Volljährigkeit – im Grundsatz von einem frei selbstbestimmten und damit auch einwilligungsfähigen Menschen ausgeht.87 In Fällen, in denen keinerlei Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die betroffene Person im Zeitpunkt der Errichtung der Patientenverfügung einwilligungsunfähig gewesen sein könnte, darf der Richter daher davon ausgehen, dass das Merkmal der Einwilligungsfähigkeit bei Errichtung erfüllt ist.88 Das Leitbild des BGB kann jedoch dann nicht zur Begründung herangezogen werden, wenn die betroffene Person bekanntermaßen an einer Erkrankung leidet, die Auswirkungen auf ihre Geistestätigkeit haben kann. Gerade für diesen Personenkreis ist eine genaue Prüfung des Vorliegens des Tatbestandsmerkmals der Einwilligungsfähigkeit im Zeitpunkt der Errichtung notwendig, insbesondere um eine Selbstschädigung durch eine (unwirksame) Patientenverfügung auszuschließen. Alleine die Tatsache, dass der Betroffene unter Betreuung steht und der Aufgabenkreis der Gesundheitssorge angeordnet wurde, reicht jedoch nicht aus, um die fehlende Einwilligungsfähigkeit zu begründen.89 Auch kann eine allgemeine Beurteilung des Vorliegens der Einwilligungsfähigkeit bezogen auf verschiedene Arten psychischer Erkrankungen aufgrund der Unterschiedlichkeit der einzelnen Krankheitsverläufe und Personen nicht vorgenommen werden.90 Des Weiteren muss stets berücksichtigt werden, dass es jedenfalls in Bezug auf das Merkmal der Einwilligungsfähigkeit nicht auf den aktuell vorgefundenen Geisteszustand ankommt, sondern auf den Zeitpunkt der Errichtung der Patientenverfügung. Der aktuelle Zustand kann daher lediglich einen Anhaltspunkt bieten. Wesentlich erscheint auch, ob es sich bei der Erkrankung 86
BR-Drs. 309/07, S. 409. So im Ergebnis auch Zimmermann, Vorsorgevollmacht Betreuungsverfügung Patientenverfügung für die Beratungspraxis, S. 220; zum gesetzlichen Leitbild Taupitz, in: Brugger/Haverkate, Grenzen als Thema der Rechts- und Sozialphilosophie, S. 94; von Sachsen Gessaphe, Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter für eingeschränkt Selbstbestimmungsfähige, S. 56 f. 88 Zumal es sich bei dem zu beurteilenden Personenkreis um Volljährige handelt, da ansonsten bereits keine definitionsgemäße Patientenverfügung vorläge; im Ergebnis ebenso Brosey, BtPrax 2010, 161, 163; Zimmermann, Vorsorgevollmacht Betreuungsverfügung Patientenverfügung für die Beratungspraxis, S. 220. 89 So auch Brosey, BtPrax 2010, 161, 163. 90 Vgl. auch Kern, NJW 1994, 753, 756; Kern, in: Lippert/Kern, Arbeits- und Dienstrecht der Krankenhausärzte von A–Z, S. 40. 87
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um eine sich bereits chronifizierte Erkrankung handelt – in diesen Fällen kann je nach Krankheitsbild wohl eher von einer dauerhaften Einwilligungsunfähigkeit ausgegangen werden – oder ob die Erkrankung erstmals aufgetreten ist. Auch kann das Merkmal der Einwilligungsfähigkeit nach Schwere und Kompliziertheit eines Eingriffs weiter differenziert werden.91 So ist möglich, dass die Einwilligungsfähigkeit einer Person in Bezug auf bestimmte einfach nachvollziehbare Maßnahmen gegeben ist, während sie bei anderen – komplizierteren oder risikoreicheren – Operationen fehlen kann.92 Es gibt also (zumindest bei Volljährigen) grundsätzlich keine generelle Einwilligungsfähigkeit oder Einwilligungsunfähigkeit. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz bilden lediglich die Fälle des völligen intellektuellen Ausfalls oder des Fehlens jeder Einsichtsfähigkeit, wie zum Beispiel im Fall des Wachkomas.93 Alleine aus der Ablehnung einer medizinisch indizierten Behandlung durch einen – nicht notwendigerweise psychisch – Kranken kann indes kein unmittelbarer Rückschluss auf die Einwilligungsfähigkeit gezogen werden.94 Auch ist unerheblich, ob die Verfügung unvernünftig oder selbstgefährdend ist.95 Es kommt einzig darauf an, ob der Betroffene eine eigenverantwortliche Entscheidung treffen konnte.96 Die Ursachen für eine von den Mitmenschen mitunter nicht nachvollziehbare Ablehnung sind äußerst vielfältig97 und können beispielsweise in der Religion oder Weltanschauung, in der Tradition, in der Familie oder schlicht im Eigensinn des Patienten liegen.98 Eine kausale Verknüpfung mit einer (psychischen) Krankheit muss hierbei keineswegs vorliegen.99 Dennoch kann bei psychisch kranken Menschen, die eine notwendige Behandlung ablehnen, die Wahrscheinlichkeit einer krankheitsbedingten Weigerung höher sein als bei psychisch gesunden Menschen.100 Dies liegt insbesondere bei denjenigen Krankheitsbildern 91
So auch BT-Drs. 11/4528, S. 71. BT-Drs. 11/4528, S. 71. 93 Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 385; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 818. 94 So auch von Storch, Der „fürsorgliche“ Entzug von Grundrechten, S. 8; Schweitzer, FamRZ 1996, 1317, 1319; einen solchen Rückschluss scheint jedoch LG Bochum in FamRZ 2010, 1471 vorzunehmen, indem es ausführt: „Die Erklärung von Juli 2009 zeigt, dass dem Betroffenen die Krankheitseinsicht vollständig fehlt“, wobei der konkrete Wortlaut der Erklärung nicht im Sachbericht ausgeführt ist. 95 Brosey, BtPrax 2010, 161, 163; Marschner, Psychisch Kranke im Recht, S. 25; Schweitzer, FamRZ 1996, 1317, 1319. 96 Brosey, BtPrax 2010, 161, 163; von Storch, Der „fürsorgliche“ Entzug von Grundrechten, S. 8. 97 Vgl. zu möglichen Gründen einer Behandlungsverweigerung auch von Storch, Der „fürsorgliche“ Entzug von Grundrechten, S. 76 ff. 98 Schünemann, VersR 1981, 306, 308. 99 So auch Schünemann, VersR 1981, 306, 308; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 818; von Storch, Der „fürsorgliche“ Entzug von Grundrechten, S. 6. 100 So auch Schünemann, VersR 1981, 306, 308. 92
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nahe, die unmittelbare Auswirkungen auf das Denken und die Wahrnehmung haben, wie z. B. schizophrene Störungen.101 Diese höhere Wahrscheinlichkeit darf indes nicht zu einem Automatismus bei der Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit führen. Auch psychisch kranke Menschen können ebenso wie psychisch gesunde Menschen102 – völlig außerhalb der Erkrankung liegende – Gründe haben103, eine indizierte Behandlung abzulehnen.104 Man kann jedoch festhalten, dass die Kriterien, nach denen die Einwilligungsfähigkeit festgestellt werden soll, letztlich aus dem medizinischen Bereich kommen, weshalb bei der Beurteilung von Zweifelsfällen in jedem Fall ärztlicher Sachverstand notwendig ist.105 Der Richter wird daher bei Bedenken an der Einwilligungsfähigkeit im Zeitpunkt der Errichtung die Frage regelmäßig durch die Einholung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens klären müssen. Eine eigene Beurteilung der Zweifelsfälle ohne Hinzuziehung medizinischen Sachverstandes wird dem Richter regelmäßig aus Gründen der Pflicht zur Amtsermittlung nach § 26 FamFG und damit der Pflicht zur hinreichend sicheren Tatsachenaufklärung verwehrt sein. Die Anforderungen an die sachverständigen Ausführungen hängen hierbei vom Einzelfall ab.106 Zwingend erforderlich ist jedoch, dass die Angaben schlüssig und nachvollziehbar sind und der Richter in die Lage versetzt wird, die Einschätzung des Arztes zumindest in Grundzügen zu überprüfen. Der Richter muss in jedem Fall verstanden haben, wie der Arzt zu seiner Einschätzung gekommen ist. Auszugehen ist zunächst jedoch auch hier vom Grundsatz des selbstbestimmten Menschen. Stellt der Sachverständige jedoch die Einwilligungsunfähigkeit 101 Ein Auszug der Definition der Schizophrenie nach der ICD-10, Kapitel V, F20.lautet: „Die schizophrenen Störungen sind im allgemeinen durch grundlegende und charakteristische Störungen von Denken und Wahrnehmung sowie inadäquate oder verflachte Affekte gekennzeichnet. Die Bewusstseinsklarheit und intellektuellen Fähigkeiten sind in der Regel nicht beeinträchtigt, obwohl sich im Laufe der Zeit gewisse kognitive Defizite entwickeln können. Die wichtigsten psychopathologischen Phänomene sind Gedankenlautwerden, Gedankeneingebung oder Gedankenentzug, Gedankenausbreitung, Wahnwahrnehmung, Kontrollwahn, Beeinflussungswahn oder das Gefühl des Gemachten, Stimmen, die in der dritten Person den Patienten kommentieren oder über ihn sprechen, Denkstörungen und Negativsymptome.“ 102 Man denke etwa an die Ablehnung einer Bluttransfusion durch bestimmte Religionsgruppen; vgl. hierzu auch Jäger, Die Patientenverfügung als Rechtsinstitut zwischen Autonomie und Fürsorge, in: Festschrift für Wilfried Küper zum 70. Geburtstag, S. 223. 103 Vgl. zu möglichen Gründen einer Behandlungsverweigerung auch von Storch, Der „fürsorgliche“ Entzug von Grundrechten, S. 76 ff. 104 Vgl. auch Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 818. 105 Vgl. auch BGHZ 29, 46, 51. 106 Vgl. hierzu auch S. 72 f.
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der betroffenen Person im Zeitpunkt der Errichtung fest, so muss dies gesondert begründet werden. Sofern der Sachverständige aus dem aktuellen Zustand des Betroffenen Rückschlüsse zieht, muss dies ebenfalls – z. B. durch das Vorliegen einer chronischen Erkrankung – untermauert werden. Sinnvoll erscheint hier auch möglicherweise früher erhobene Befunde heranzuziehen, sofern die Person bereits des Öfteren in psychiatrischen Einrichtungen untergebracht wurde. Auch ein Gespräch mit Angehörigen kann helfen, die Persönlichkeit und Weltanschauung des Betroffenen besser einzuschätzen, was zur Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit hilfreich sein kann. Sollte schließlich zur notwendigen Überzeugung die Einwilligungsunfähigkeit im Zeitpunkt der Errichtung feststehen, liegt keine wirksame Patientenverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB vor. Dies hat jedoch nicht die völlige Bedeutungslosigkeit der (unwirksamen) Patientenverfügung zur Folge. Die antizipierte Erklärung im Sinne des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB wird vielmehr ein Behandlungswunsch nach § 1901a Abs. 2 BGB oder ein wichtiger konkreter Anhaltspunkt für die Ermittlung des mutmaßlichen Willens.107 4. Der Zustand der Einwilligungsunfähigkeit Der Begriff der Einwilligungsunfähigkeit ist das Gegenstück der Einwilligungsfähigkeit. Negativ umschrieben ist Einwilligungsunfähigkeit als das Nichtvorliegen von Einwilligungsfähigkeit zu verstehen, so dass auf obige Ausführungen verwiesen werden kann. Auch hier hat die Beurteilung stets in Bezug auf die konkret anstehende Maßnahme, die einer Einwilligung bedarf, zu erfolgen. Die grundsätzlichen Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Fähigkeit zur Einwilligung von psychisch kranken Personen gelten auch hier. Es muss auch hier differenziert und abgeschichtet werden, welche Verhaltensweisen krankheitsbedingt sind und welche möglicherweise auch unvernünftig erscheinende Verhaltensweisen krankheitsunabhängig sind. Im Gegensatz zur Ermittlung der Einwilligungsfähigkeit im Zeitpunkt der Errichtung der Patientenverfügung kommt es zur Beurteilung der Einwilligungsunfähigkeit jedoch auf den aktuellen Zustand des Betroffenen an, da nur im Falle der aktuellen Einwilligungsunfähigkeit die Patientenverfügung überhaupt zum Tragen kommt. Es besteht also ein entscheidender Vorteil: Der Richter (und auch der Arzt) muss demnach nicht einen Geisteszustand in der Vergangenheit beurteilen, sondern den „Jetzt-Zustand“ des Betroffenen. In der Praxis dürfte daher die Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmals erheblich weniger problematisch sein, als die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit bei Errichtung der Patientenverfü-
107 So auch Brosey, BtPrax 2010, 161, 163; vgl. im Übrigen hierzu auch S. 109 f. und S. 139 f.
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gung. Je nach Schwere der Erkrankung und des akuten Zustands kann das aktuelle Vorliegen der Einwilligungsunfähigkeit auch evident sein. Jedenfalls aber hat der Arzt die Möglichkeit, notwendige Untersuchungen oder Explorationen des Betroffenen durchzuführen. Der Richter hat die Möglichkeit, sich durch eine persönliche Anhörung des Betroffenen einen unmittelbaren Eindruck zu verschaffen, was die Entscheidungsfindung erheblich erleichtert. Auch bei dem Merkmal der Einwilligungsunfähigkeit wird deutlich, dass der Gesetzgeber die Fälle der Einwilligungsunfähigkeit aufgrund einer psychischen Krankheit für praktisch wenig relevant gehalten hat. Es wird vielmehr davon ausgegangen, dass es der Regelfall ist, dass sich der nicht mehr einwilligungsfähige Patient nicht mehr äußern kann.108 In den Fällen der psychischen Erkrankungen ist dieser Regelfall jedoch gerade umgekehrt, da sich die betroffenen Personen in aller Regel durchaus äußern können.109 5. Begriffliche Einschränkungen der Gestaltungsmöglichkeiten Eine weitere Einschränkung der Gestaltungsmöglichkeiten durch Patientenverfügungen ist in dem Tatbestandsmerkmal „bestimmte zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe“ enthalten. a) Das Bestimmtheitserfordernis Da die Festlegungen in Bezug auf „bestimmte“ Untersuchungen erfolgen müssen, sind nach dem Willen des Gesetzgebers einige Willensbekundungen im Zusammenhang mit einer zukünftigen ärztlichen Behandlung vom Begriff der Patientenverfügung von vornherein nicht umfasst.110 Allgemeine Richtlinien für eine künftige Behandlung oder allgemeine Behandlungswünsche, wie z. B. über die Art und Weise oder den Ort der Behandlung, stellen daher keine Patientenverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB dar. In der Begründung des Gesetzentwurfs werden folgende Formulierungen als Beispiel für die fehlende Bestimmtheit einer allgemeinen Richtlinie für eine künftige Behandlung angeführt: „Wenn ich einmal sehr krank und nicht mehr in der Lage bin, ein für mich erträgliches umweltbezogenes Leben zu führen, möchte ich würdevoll sterben dürfen.“ 111 108
BT-Drs. 16/8442, S. 9. Auch in den praktisch bedeutsamen Fällen der Einwilligungsunfähigkeit aufgrund einer Demenzerkrankung ist regelmäßig die Äußerungsfähigkeit noch gegeben, so dass Zweifel an der gesetzgeberischen Einschätzung bestehen. 110 BT-Drs. 16/8442, S. 13; vgl. hierzu auch Zimmermann, in: Damrau/Zimmermann, Betreuungsrecht, § 1901a Rn. 5; Spickhoff, Medizinrecht, § 1901a BGB Rn. 7; Rieger, FamRZ 2009, 1601, 1603 f.; vgl. zum Begriff der Patientenverfügung bereits S. 76 ff. 111 BT-Drs. 16/8442, S. 13. 109
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C. Rechtslage nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts „Wenn keine Aussicht auf Besserung im Sinne eines für mich erträglichen und umweltbezogenen Lebens besteht, möchte ich keine lebensverlängernden Maßnahmen.“ 112 „Wenn ich einmal dement bin, will ich keine lebenserhaltenden Maßnahmen.“ 113
Als Beispiel für die fehlende Bestimmtheit allgemeiner Behandlungswünsche, wie z. B. über die Art und Weise oder den Ort der Behandlung, führt die Begründung des Gesetzentwurfs folgende Formulierung an: „Ich möchte von Herrn Dr. X im Krankenhaus Y behandelt werden.“ 114
Der Verfasser trägt nach der gesetzgeberischen Konzeption somit das Risiko einer fehlenden Bindungswirkung aufgrund nicht hinreichend konkreter Formulierungen.115 Ob dies dem Ziel des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts, nämlich der Schaffung von Rechtssicherheit in diesem Bereich, förderlich ist, darf bezweifelt werden.116 Festlegungen, die nicht in Bezug auf „bestimmte“ Untersuchungen erfolgen, sind nach dem Willen des Gesetzgebers jedoch nicht gänzlich unbeachtlich. Sie sind vielmehr im Rahmen des § 1901a Abs. 2 BGB als Behandlungswünsche oder als Umstände zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens bei der Entscheidung durch den Betreuer oder Bevollmächtigten zu beachten.117 Begriffliche Patientenverfügungen sind sie dennoch nicht. Innerhalb des § 1901a BGB hat sich der Gesetzgeber daher für eine „abgestufte“ Ausgestaltung der Beachtlichkeit von Festlegungen des Betroffenen entschieden. Dies wäre rechtstechnisch auch dadurch möglich gewesen, dass man begrifflich – wie dies überwiegend vor Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts verstanden wurde – schriftliche Festlegungen stets als Patientenverfügungen bezeichnet. Innerhalb einer solchen „weiten“ Patientenverfügung hätte man den Grad der Beachtlichkeit nach dem Merkmal der hinreichenden Bestimmtheit der Festlegung staffeln können. Zwar wäre dadurch in der Sache keine weiterreichende Rechtssicherheit entstanden, da das Merkmal der Bestimmtheit nach wie vor beurteilt werden müsste. Jedoch wären durch das neue Gesetz auftretende Missverständnisse hinsichtlich der Begrifflichkeit ausgeräumt.
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BT-Drs. 16/8442, S. 14. BT-Drs. 16/8442, S. 15. 114 BT-Drs. 16/8442, S. 13. 115 BT-Drs. 16/8442, S. 14. 116 So auch Spickhoff, FamRZ 2009, 1949, 1951; vgl. auch Schumacher, FPR 2010, 474, der gar eine Gefährdung der Umsetzung des Patientenverfügungsgesetzes durch den Bestimmtheitsgrundsatz annimmt; Beermann, FPR 2010, 252 ff.; ebenfalls kritisch Renner, ZNotP 2009, 371, 376. 117 Hierzu im Einzelnen auf S. 109 f. und S. 139 f. 113
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Die Tatbestandsmerkmale „Untersuchungen seines Gesundheitszustands“, „Heilbehandlungen“ und „ärztliche Eingriffe“ schränken die Möglichkeiten der Festlegung bestimmter Dinge in Patientenverfügungen – über das Bestimmtheitserfordernis hinausgehend – weiter ein. Die Begründung des Gesetzentwurfs setzt sich mit den Begriffsbestimmungen dieser Merkmale nicht näher auseinander. Da jedoch bereits § 1904 Abs. 1 BGB diese Begrifflichkeiten ebenso enthält, kann zur Konkretisierung auch auf die Ergebnisse der zu dieser Vorschrift verfassten Literatur zurückgegriffen werden: Eine Untersuchung des Gesundheitszustands wird demnach definiert als diagnostisches oder anamnestisches Verfahren, unabhängig davon, ob es mit einer körperlichen Untersuchung oder einem körperlichen Eingriff verbunden ist oder nicht.118 Unter dem Begriff der Heilbehandlung versteht man der Sache nach alle Eingriffe und therapeutischen Maßnahmen, die am Körper eines Menschen vorgenommen werden, um Krankheiten (physische und psychische Störungen pathologischer Art), Leiden (länger andauernde Beeinträchtigungen des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens), Körperschäden (nichtkrankhafte Entstellungen), körperliche Beschwerden oder seelische Störungen nicht krankhafter Natur zu verhüten, zu erkennen, zu heilen oder zu lindern.119 Auch alternative Behandlungsmethoden jeglicher Art fallen unter diesen Begriff, so dass § 1904 BGB auch für Heilpraktiker von Bedeutung ist.120 Unter einem ärztlichen Eingriff wird im Sinne eines Auffangtatbestands jede Maßnahme verstanden, die die körperliche Unversehrtheit verletzt, ohne dass da-
118 Jaschinsky, Juris-Praxiskommentar BGB, § 1904 Rn. 54 f., der als Beispiele eine Endoskopie (Ausleuchten und Inspektion von Körperhohlräumen und Hohlorganen mit Hilfe eines röhren- oder schlauchartigen Instruments), eine Katheterisierung (Einführen eines röhren- oder schlauchartigen Instruments in Hohlorgane oder Gefäße, um Inhalte zu entnehmen oder abzulassen bzw. Substanzen einzubringen), eine Lumbalpunktion (Verfahren zur Gewinnung von Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit – liquor cerebrospinalis – mittels einer Hohlnadel), eine Subokzipitalpunktion (Punktion unterhalb des Hinterkopfes zur Gewinnung des liquor cerebrospinalis) oder eine Ventrikelpunktion (Punktion der Hirnkammern zur Druckentlastung) anführt; Schwab, MüKo BGB, § 1904 Rn. 25. 119 Kern, Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 50 Rn. 3; vgl. zur Begrifflichkeit auch BGH, NJW 1978, 1206, wonach es jedenfalls dann an einem Heileingriff fehlt, wenn der Eingriff nicht – auch nicht aus Gründen der Vorsorge – indiziert ist; mit geringen sprachlichen Abweichungen auch Jaschinsky, Juris-Praxiskommentar BGB, § 1904 Rn. 56 ff., der als Beispiele eine Herzoperation, Transplantationen, neurochirurgische Operationen, gefäßchirurgische Eingriffe, Operationen am offenen Thorax, Amputationen, Elektrokrampftherapie, Chemotherapie, Strahlenbehandlung sowie Behandlungen mit bestimmten Medikamenten anführt; Schwab, MüKo BGB, § 1904 Rn. 25. 120 Schwab, MüKo BGB, § 1904 Rn. 25; wobei nicht verkannt werden darf, dass Heilpraktiker die Heilkunde unter grundlegend anderen rechtlichen Voraussetzungen als Ärzte ausüben; vgl. hierzu Laufs, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 10.
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mit eine medizinisch indizierte Untersuchung oder Heilbehandlung verbunden ist.121 Allgemein kann im Übrigen festgehalten werden, dass sich der Wortlaut der Vorschrift auf ärztliche Maßnahmen und nicht auf Krankheiten bezieht.122 Es geht daher nicht um die Beschreibung von Krankheitsbildern, sondern um eine Beschreibung von konkreten Behandlungssituationen und die hierbei zu treffenden Maßnahmen.123 Besonderheiten hinsichtlich des Maßstabes der Bestimmtheit oder der Auslegung der Merkmale „Untersuchungen seines Gesundheitszustands“, „Heilbehandlungen“ oder „ärztliche Eingriffe“ bestehen bei Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht. Es kommt daher stets auf die Festlegungen im Einzelfall und deren konkrete Bestimmtheit an. Jedenfalls die Angabe eines konkreten Medikationswunsches oder eine konkrete Ablehnung näher bezeichneter Medikamente genügen den Bestimmtheitsanforderungen des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB. Gerade bei Menschen mit psychischen Krankheiten erscheinen solch konkrete Festlegungen nicht fernliegend.124 Oftmals verfügen psychisch kranke Menschen bereits über relevante Erfahrungen aufgrund vorangegangener Klinikaufenthalte.125 Die Wirkweise verschiedener Medikamente einschließlich möglicherweise auftretender Nebenwirkungen ist ihnen daher häufig bekannt, so dass sie konkrete Vorstellungen davon haben, in welche Behandlung sie einwilligen oder welche Behandlung sie ablehnen möchten.126 Aber auch die pauschale Ablehnung einer bestimmten Medikamentengruppe, wie zum Beispiel Neuroleptika im Falle einer akuten Krise, genügt den Bestimmtheitsanforderungen. Die Anforderungen an die Bestimmtheit müssen zwar angesichts des Wortlauts des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB ernst genommen werden. Von den Betroffenen allerdings die genaue Angabe des Präparattyps oder des Wirkstoffs zu verlangen, würde jedoch den Wortlaut überspannen.127 Ob und inwieweit durch Patientenverfügungen im Sinne des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB oder durch beachtliche Festlegungen gemäß § 1901a Abs. 2 BGB staatliche Zwangsmaßnahmen gegen psychisch kranke Personen ausgeschlossen wer121 Jaschinsky, Juris-Praxiskommentar BGB, § 1904 Rn. 59 f., der als Beispiele die Anlage einer PEG-Sonde, Impfungen, Blut- und Organspenden, kosmetische Operationen oder Schwangerschaftsabbrüche anführt; Schwab, MüKo BGB, § 1904 Rn. 25. 122 So auch Schumacher, FPR 2010, 474, 475. 123 Schumacher, FPR 2010, 474, 475. 124 Vgl. auch Brosey, BtPrax 2010, 161. 125 Vgl. auch Brosey, BtPrax 2010, 161. 126 Vgl. auch Brosey, BtPrax 2010, 161. 127 Für eine weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Bestimmtheit auch Schumacher, FPR 2010, 474, 475; Renner, ZNotP 2009, 371, 376.
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den können oder unzulässig sind, wird an späterer Stelle128 – jeweils konkret in Bezug auf die einzelnen Zwangsmittel – beurteilt werden. b) Das Unmittelbarkeitserfordernis Durch das Tatbestandsmerkmal „zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende“ werden Regelungen in Patientenverfügungen ausgeschlossen, die sich auf unmittelbar bevorstehende, also konkret und zeitnah durchzuführende ärztliche Maßnahmen beziehen.129 Die Begründung des Gesetzentwurfs legt nahe, dass die Vorschrift vorrangig klarstellenden Charakter haben soll. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird ausgeführt: „So kann beispielsweise die zeitnahe Einwilligung in einen mit einer Anästhesie verbundenen ärztlichen Eingriff nach wie vor auch mündlich erklärt werden. Sie bleibt auch dann wirksam, wenn der durch die Einwilligung legitimierte ärztliche Eingriff erst vorgenommen wird, wenn der Patient durch gegebenenfalls vor dem Eingriff verabreichte Beruhigungsmittel oder anästhesiebedingt nicht mehr einwilligungsfähig ist (z. B. mündliche Einwilligung in eine Operation am Vortag des Eingriffs).“ 130
Der Gesetzgeber wollte mit dieser Klarstellung offenbar einer – ohne diese Formulierung möglichen – Auslegung entgegentreten, wonach auch in den Fällen, in denen der Patient kurz vor dem Haupteingriff einwilligungsunfähig wird, eine Patientenverfügung notwendig wäre. Besonderheiten in Bezug auf Patientenverfügungen von psychisch kranken Menschen bestehen hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals nicht. 6. Widerruf der Patientenverfügung a) Erfordernis der Einwilligungsfähigkeit für den Widerruf Bereits vor Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts war umstritten, ob der Betroffene für den Widerruf einer Patientenverfügung noch einwilligungsfähig sein muss.131 Als Hauptargument gegen das Erfor128
Vgl. hierzu unter Kapitel D. Vgl. BT-Drs. 16/8442, S. 13; hierzu ebenfalls Spickhoff, Medizinrecht, § 1901a BGB Rn. 8. 130 BT-Drs. 16/8442, S. 13. 131 Für das Erfordernis der Einwilligungsfähigkeit Wagenitz, FamRZ 2005, 669, 671; Beschluss III 4.3 der zivilrechtlichen Abteilung des Dreiundsechzigsten Deutschen Juristentages 2000, FamRZ 2000, 1484, 1485; gegen das Erfordernis der Einwilligungsfähigkeit Taupitz, in: Brugger/Haverkate, Grenzen als Thema der Rechts- und Sozialphilosophie, S. 122; ders., Empfehlen sich zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie am Lebensende, in: Verhandlungen des Dreiundsechzigsten 129
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dernis der Einwilligungsfähigkeit wurde hierbei vorgebracht, dass es dem Betroffenen aufgrund seines Persönlichkeitsrechts möglich sein müsse „bis zuletzt“ in wenn auch einwilligungsunfähigem, aber doch noch äußerungsfähigem Zustand aufgrund deutlich erkennbaren (aktuellen) Willens eine entgegenstehende frühere verbindliche Entscheidung aufzuheben und stattdessen die Grundsätze des mutmaßlichen Willens zum Tragen kommen zu lassen.132 Kern dieses Arguments ist letztlich das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen sowie ein besserer Lebens- und Gesundheitsschutz bei indizierten Maßnahmen, mithin verfassungsrechtliche Erwägungen. Einen „Mittelweg“ im Streit um die Einwilligungsfähigkeit für den Widerruf einer Patientenverfügung stellt die Auffassung von Lipp dar, der zwar für den Widerruf die Einwilligungsfähigkeit fordert, jedoch den Betreuer für verpflichtet hält, die Patientenverfügung zu widerrufen oder zu ändern, wenn anzunehmen ist, dass dies dem Willen des Patienten entspricht.133 Auch durch die gesetzliche Verankerung der Patientenverfügung durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts ist der Streit um das Erfordernis der Einwilligungsfähigkeit für den Widerruf einer Patientenverfügung nicht beigelegt.134 Ausgangspunkt für die Streitentscheidung nach der neuen Rechtslage ist zunächst der Wortlaut des § 1901a Abs. 1 S. 3 BGB, wonach Patientenverfügungen jederzeit formlos widerrufen werden können.135 Deutschen Juristentages, Band I, S. A 117 f.; Neuner, Die „Patientenverfügung“ im privatrechtlichen System, in: Albers, Patientenverfügungen, S. 123 f. 132 So Taupitz, in: Brugger/Haverkate, Grenzen als Thema der Rechts- und Sozialphilosophie, S. 122; ders., Empfehlen sich zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie am Lebensende, in: Verhandlungen des Dreiundsechzigsten Deutschen Juristentages, Band I, S. A 117 f., wonach das (abzulehnende) Erfordernis der Einwilligungsfähigkeit für den Widerruf in letzter Konsequenz bedeute, dass man den Betroffenen in brutaler Endgültigkeit an seinem eigenen früher geäußerten Willen festhalte. 133 Lipp, Freiheit und Fürsorge: Der Mensch als Rechtsperson, S. 219 f., der ergänzend ausführt, dass mit der Sicherung und der Änderung einer Patientenverfügung durch die Betreuung die zentralen Einwände gegen ihre rechtliche Verbindlichkeit entfallen; in Bezug auf die neue Rechtslage die Pflicht zum Widerruf durch den Betreuer weiter bejahend Lipp, Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 17 Rn. 171. 134 Gegen das Erfordernis der Einwilligungsfähigkeit nach neuer Rechtslage Schumacher, FPR 2010, 474, 476; Beermann, ZFE 2009, 333, 335; für das Erfordernis der Einwilligungsfähigkeit nach neuer Rechtslage Zimmermann, in: Damrau/Zimmermann, Betreuungsrecht, § 1901a Rn. 53; Schwab, MüKo BGB, § 1901a Rn. 35; Spickhoff, Medizinrecht, § 1901a BGB Rn. 20; Spickhoff, FamRZ 2009, 1949, 1955; Coeppicus, NJW 2011, 2085, 2089; Olzen/Schneider, MedR 2010, 745; Albrecht/Albrecht, Die Patientenverfügung, S. 63; Diederichsen, Palandt, § 1901a Rn. 25; Wilckens, MDR 2011, 143, 144, der gar das Vorliegen von Geschäftsfähigkeit fordert; Probst, FF 2010, 144, 147, der jedoch etwas unpräzise von „Widerrufsfähigkeit“ spricht. 135 Vgl. zur Möglichkeit eines Teilwiderrufs Ihrig, Notar 2009, 380, 383.
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Der Wortlaut des Gesetzes („jederzeit formlos“) scheint hier auf den ersten Blick für die Vertreter der Auffassung zu sprechen, die keine Einwilligungsfähigkeit für den Widerruf voraussetzen.136 Bei genauerem Hinsehen ist dies jedoch nicht der Fall: So dient der Zusatz „formlos“ lediglich der Klarstellung, dass es für den Widerruf einer Patientenverfügung, im Gegensatz zu deren Errichtung, keiner Schriftform bedarf.137 Der Widerruf der Patientenverfügung kann daher zum Beispiel auch mündlich oder durch nonverbales Verhalten erfolgen; die Willensänderung muss lediglich hinreichend deutlich zum Ausdruck kommen.138 Auch der Zusatz „jederzeit“ dürfte letztlich keine Aussage über das Erfordernis der Einwilligungsfähigkeit für den Widerruf treffen, sondern lediglich klarstellen, dass in zeitlicher Hinsicht – auch im Falle des Vorliegens aller übrigen Voraussetzungen – keine Präklusion dieses Rechts139 eintreten kann. Im Ergebnis dürfte es daher bei dem allgemeinen Rechtsgedanken verbleiben, dass der Widerruf einer Patientenverfügung als „actus contrarius“ 140 denselben Wirksamkeitsvoraussetzungen unterliegt, wie die Errichtung einer Patientenverfügungen141, weshalb Einwilligungsfähigkeit für den Widerruf zu fordern ist.142 136 Schumacher, FPR 2010, 474, 476; Beermann, ZFE 2009, 333, 335; nicht ganz eindeutig hierzu Brosey, BtPrax 2010, 161, 164; nach Lipp, Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 17 Rn. 171 sowie in Freiheit und Fürsorge: Der Mensch als Rechtsperson, S. 219 f. soll der Vertreter in Fällen der Willensänderung bei Einwilligungsunfähigkeit verpflichtet sein, die Patientenverfügung zu widerrufen; jedenfalls das Erfordernis der Geschäftsfähigkeit verneinend Renner, ZNotP 2009, 371, 377; offen lassend Beermann, FPR 2010, 252, 254; Lange, ZEV 2009, 537, 541; Locher, FamRB 2010, 56, 58 f.; bereits zur alten Rechtslage das Erfordernis der Einwilligungsfähigkeit für den Widerruf verneinend Taupitz, in: Brugger/Haverkate, Grenzen als Thema der Rechts- und Sozialphilosophie, S. 122; ders., Empfehlen sich zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie am Lebensende, in: Verhandlungen des Dreiundsechzigsten Deutschen Juristentages, Band I, S. A 117 f.; ebenso Neuner, Die „Patientenverfügung“ im privatrechtlichen System, in: Albers, Patientenverfügungen, S. 123 f. 137 BT-Drs. 16/8442, S. 13. 138 BT-Drs. 16/8442, S. 13. 139 Etwa bei Aufnahme in ein Pflegeheim. 140 Schwab, MüKo BGB, § 1901a Rn. 35; Olzen/Schneider, MedR 2010, 745. 141 Als Argument für das Erfordernis der Einwilligungsfähigkeit ziehen Olzen/ Schneider, MedR 2010, 745 des Weiteren einen Vergleich mit der Vorschrift des § 1905 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB heran, die für eine Sterilisation des einwilligungsunfähigen Betreuten voraussetzt, dass diese seinem (natürlichen) „Willen“ nicht widerspricht. Das Fehlen einer solchen Regelung in § 1901a Abs. 1 BGB lasse den Schluss zu, dass der Gesetzgeber einen natürlichen Willen für den Widerruf einer Patientenverfügung gerade nicht ausreichen lassen wollte. Zwar erscheint dieser Rückschluss rein methodisch durchaus zulässig. Letztlich überzeugend ist er dennoch nicht, da § 1905 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB einen derart exzeptionellen Ausnahmetatbestand darstellt, dass sich Vergleichsschlüsse nur schwer ziehen lassen dürften. Dem Gesetzgeber aus dem Zusammenspiel der Vorschriften einen entsprechenden Regelungswillen zu unterstellen, erscheint mir fernliegend. 142 So im Ergebnis auch Schwab, MüKo BGB, § 1901a Rn. 35; Spickhoff, Medizinrecht, § 1901a BGB Rn. 20; Spickhoff, FamRZ 2009, 1949, 1955; Coeppicus, NJW
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Es erscheint unmittelbar einleuchtend, dass man nur dann etwas widerrufen kann, wenn man auch die Einsichtsfähigkeit besitzt, um Inhalt und Ausmaß seiner Erklärung zu verstehen. Die Auffassung, die auf das Erfordernis der Einwilligungsfähigkeit verzichtet, muss sich entgegenhalten lassen, auch dann einen Widerruf anzunehmen, wenn der Betroffene möglicherweise noch nicht einmal weiß, dass er einmal eine Patientenverfügung errichtet hat. Auch wird der Betroffene in vielen Situationen geistig nicht mehr in der Lage sein, überhaupt vom Ansatz her zu erfassen, was eine Patientenverfügung sein soll. Hier einen Widerrufswillen des Betroffenen anzunehmen, bewegt sich im Bereich der Fiktion. Entsprechende Kritik kann auch am Ansatz von Lipp143 geübt werden144, da auch der Betreuer bei einem Widerruf der Patientenverfügung für den Betroffenen von einem diesbezüglichen Willen des einwilligungsunfähigen Patienten ausgehen müsste. Auch die Argumente, die in Bezug auf die alte Rechtslage gegen das Erfordernis der Einwilligungsfähigkeit sprachen145, greifen in Bezug auf die neue Rechtslage nicht Platz. In Bezug auf die alte Rechtslage wurde befürchtet, dass durch das Erfordernis der Einwilligungsfähigkeit für den Widerruf der Patientenverfügung, jegliche Äußerung einer einwilligungsunfähigen Person unbeachtlich wäre.146 Der Betroffene würde in brutaler Endgültigkeit an seinem eigenen frü2011, 2085, 2089; Olzen/Schneider, MedR 2010, 745; Zimmermann, Vorsorgevollmacht Betreuungsverfügung Patientenverfügung für die Beratungspraxis, S. 218; Albrecht/Albrecht, Die Patientenverfügung, S. 63; Diederichsen, Palandt, § 1901a Rn. 25; Wilckens, MDR 2011, 143, 144, der gar das Vorliegen von Geschäftsfähigkeit fordert; Probst, FF 2010, 144, 147, der jedoch etwas unpräzise von „Widerrufsfähigkeit“ spricht; in Bezug auf die alte Rechtslage bereits Wagenitz, FamRZ 2005, 669, 671; Beschluss III 4.3 der zivilrechtlichen Abteilung des 63. Deutschen Juristentages 2000, FamRZ 2000, 1484, 1485. 143 Lipp, Freiheit und Fürsorge: Der Mensch als Rechtsperson, S. 219 f.; in Bezug auf die neue Rechtslage die Pflicht zum Widerruf durch den Betreuer weiter bejahend Lipp, Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 17 Rn. 171. 144 Auch erscheint vom Ansatz zweifelhaft, ob die Patientenverfügung überhaupt vom Betreuer widerrufen werden kann, da es sich um eine höchstpersönliche Erklärung handeln dürfte; vgl. zur Höchstpersönlichkeit der Patientenverfügung Renner, ZNotP 2009, 371; Lange, Inhalt und Auslegung von Patientenverfügungen, S. 165; zum Ausschluss der Vertretungsbefugnis bei Rechtshandlungen mit höchstpersönlicher Natur von Sachsen Gessaphe, Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter für eingeschränkt Selbstbestimmungsfähige, S. 154 ff. 145 Vgl. hierzu Taupitz, in: Brugger/Haverkate, Grenzen als Thema der Rechts- und Sozialphilosophie, S. 122; ders., Empfehlen sich zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie am Lebensende, in: Verhandlungen des Dreiundsechzigsten Deutschen Juristentages, Band I, S. A 117 f., wonach das (abzulehnende) Erfordernis der Einwilligungsfähigkeit für den Widerruf in letzter Konsequenz bedeute, dass man den Betroffenen in brutaler Endgültigkeit an seinem eigenen früher geäußerten Willen festhalte. 146 Taupitz, in: Brugger/Haverkate, Grenzen als Thema der Rechts- und Sozialphilosophie, S. 122; ders., Empfehlen sich zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie am Lebensende, in: Verhandlungen des Dreiundsechzigsten Deutschen Juristentages, Band I, S. A 117 f.
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her geäußerten Willen festgehalten werden, was vor allem aus Gründen des Persönlichkeitsrechts nicht hingenommen werden könne.147 Diese nach alter Rechtslage befürchtete Gefährdungslage bei Annahme des Erfordernisses der Einwilligungsfähigkeit für den Widerruf besteht jedoch nach der Ausgestaltung der §§ 1901a ff. BGB nicht. Auch wenn für den Widerruf einer Patientenverfügung die Einwilligungsfähigkeit gefordert wird, bedeutet dies keineswegs, dass die Äußerungen eines einwilligungsunfähigen Patienten unbeachtlich sind.148 Der Betreuer ist vielmehr ausweislich des Wortlauts des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB im Falle des Vorliegens einer Patientenverfügung verpflichtet zu prüfen, ob die Festlegungen in der Patientenverfügung auf die aktuelle Lebensund Behandlungssituation zutreffen. Dies schließt auch die Prüfung ein, ob das aktuelle Verhalten des nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten konkrete Anhaltspunkte dafür zeigt, dass er unter den gegebenen Umständen den zuvor schriftlich geäußerten Willen nicht mehr gelten lassen will und ob der Betroffene bei seinen Festlegungen diese Lebenssituation mitbedacht hat.149 Nur dann, wenn die Festlegungen in der Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen, hat der Betreuer diesen gemäß § 1901a Abs. 1 S. 2 BGB Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Steht demnach der aktuell geäußerte Wille eines einwilligungsunfähigen im Widerspruch zu den Festlegungen in der Patientenverfügung, darf der Betreuer diese nicht umsetzen.150 Der aktuell geäußerte Wille der einwilligungsunfähigen Person ist in diesem Fall vorrangig zu berücksichtigen.151 Teilweise wird auch die hier vertretene Auffassung als problematisch erachtet, da von Gegnern der Patientenverfügung entsprechende Umstände für ein Abweichen von den Festlegungen leicht unterstellt werden könnten.152 Zwar mag hierin tatsächlich eine Schwachstelle liegen, die das Selbstbestimmungsrecht gefährden kann. Die Kritik ist jedoch auch dann angebracht, wenn man für den Widerruf keine Einwilligungsfähigkeit fordern will. Auch dann können entsprechende Umstände und Äußerungen des einwilligungsunfähigen Patienten für einen Widerruf der Patientenverfügung leicht unterstellt werden. Die Kritik ließe sich nur dann entkräften, wenn man konsequenterweise von einer rechtlichen Unbeachtlichkeit 147 Taupitz, in: Brugger/Haverkate, Grenzen als Thema der Rechts- und Sozialphilosophie, S. 122; ders., Empfehlen sich zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie am Lebensende, in: Verhandlungen des Dreiundsechzigsten Deutschen Juristentages, Band I, S. A 117 f. 148 Vgl. hierzu auch Schwab, MüKo BGB, § 1901a Rn. 35; Spickhoff, Medizinrecht, § 1901a BGB Rn. 20; im Übrigen auch Jox, in: Schildmann/Fahr/Vollmann, Entscheidungen am Lebensende: Ethik, Recht, Ökonomie und Klinik, S. 73–90. 149 BT-Drs. 16/8442, S. 14 f. 150 So auch Schwab, MüKo BGB, § 1901a Rn. 35. 151 So auch Schwab, MüKo BGB, § 1901a Rn. 35. 152 Vgl. Schumacher, FPR 2010, 474, 476.
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der Äußerungen eines einwilligungsunfähigen Patienten ausgehen würde, was zu barbarischen Ergebnissen führen und mit dem Recht auf Menschenwürde und der staatlichen Pflicht zum Lebensschutz nicht mehr zu vereinbaren wäre. Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass für den Widerruf einer Patientenverfügung Einwilligungsfähigkeit erforderlich ist. Äußerungen des Einwilligungsunfähigen können den Betreuer jedoch veranlassen, den Festlegungen in der Patientenverfügung nicht Geltung zu verschaffen. b) Möglichkeit des Ausschlusses der Widerrufsmöglichkeit Praktische Probleme können in der Praxis jedoch die Fälle bereiten, in denen der Betroffene in der Patientenverfügung vorsorglich einen eigenen Widerruf ausgeschlossen hat.153 Sofern damit auch die Widerrufsmöglichkeit bei vorhandener Einwilligungsfähigkeit ausgeschlossen werden soll, ist diese Festlegung unwirksam und daher unbeachtlich.154 Ein Verzicht auf die Möglichkeit, privatautonom zu handeln, ist nicht möglich155, da die Privatautonomie bereits vom Ansatz her nicht der Dispositionsbefugnis des Betroffenen unterliegt.156 Ein Verzicht auf die Einwilligungsfähigkeit ist daher – ebenso wie ein Verzicht auf die Geschäftsfähigkeit – nicht möglich. Näher erörterungsbedürftig ist jedoch die Frage, ob in einer Patientenverfügung verbindliche Festlegungen in Bezug auf die Beachtlichkeit von Äußerungen im einwilligungsunfähigen Zustand erfolgen können und ob diese den Arzt oder den Betreuer binden können.157 Unbedenklich sind in diesem Zusammenhang zunächst Anweisungen des Betroffenen, die lediglich die Art und Weise der Ermittlung des aktuellen Willens betreffen. Folgende Formulierung, die auch in der Broschüre „Patientenverfü-
153 Vgl. hierzu auch Brosey, BtPrax 2010, 161, 164; Coeppicus, NJW 2011, 2085, 2089 ff. 154 So auch Brosey, BtPrax 2010, 161, 164; Wagenitz, FamRZ 2005, 669, 671; Lipp, Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 17 Rn. 181; Roth, JZ 2004, 494, 496; ebenso in Bezug auf Regelungen im Rahmen einer Vorsorgevollmacht Lipp, Freiheit und Fürsorge: Der Mensch als Rechtsperson, S. 202 ff. 155 Ein gesetzlich geregeltes Beispiel dieses Grundsatzes ist in § 2302 BGB enthalten, wonach sich niemand verpflichten kann, eine Verfügung von Todes wegen nicht wieder aufzuheben. 156 Roth, JZ 2004, 494, 496. 157 Vgl. hierzu auch Jox, in: Schildmann/Fahr/Vollmann, Entscheidungen am Lebensende: Ethik, Recht, Ökonomie und Klinik, S. 73, 86; Roth, JZ 2004, 494, 496 f.; zum medizinethischen Hintergrund der Bindungswirkung von Patientenverfügungen auch May, Patientenverfügungen zwischen den medizinethischen Prinzipien Patientenautonomie und Fürsorge, in: Albers, Patientenverfügungen, S. 62 ff.
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gung“ des Bundesministeriums der Justiz angeführt wird158, ist daher ohne weiteres zulässig und möglich: „Wenn ich meine Patientenverfügung nicht widerrufen habe, wünsche ich nicht, dass mir in der konkreten Anwendungssituation eine Änderung meines Willens unterstellt wird. Wenn aber die behandelnden Ärztinnen und Ärzte/das Behandlungsteam/ mein(e) Bevollmächtigte(r)/Betreuer(in) aufgrund meiner Gesten, Blicke oder anderen Äußerungen die Auffassung vertreten, dass ich entgegen den Festlegungen in meiner Patientenverfügung doch behandelt oder nicht behandelt werden möchte, dann ist möglichst im Konsens aller Beteiligten zu ermitteln, ob die Festlegungen in meiner Patientenverfügung noch meinem aktuellen Willen entsprechen.“
Problematisch sind im Gegensatz zu diesem Beispiel jedoch Festlegungen in Patientenverfügungen, die jegliche Möglichkeit der Abweichung aufgrund des aktuellen Willens ausschließen. Wenn bei Beachtung solcher Festlegungen der aktuell geäußerte Wille einer einwilligungsunfähigen Person tatsächlich unbeachtlich sein sollte, würde dies zu ethisch äußerst bedenklichen Ergebnissen führen. Können die augenscheinliche Freude an Musik, Krankengymnastik und Besuchen und ein klar erkennbarer Lebenswille eines einwilligungsunfähigen Menschen unbeachtlich sein, weil dies zuvor in einer Patientenverfügung festgelegt wurde?159 Sollen ihm deshalb bestimmte medizinisch lebensnotwendige Maßnahmen, wie zum Beispiel das Legen einer PEG-Sonde, verweigert werden können und gar müssen?160 Aus dem allgemeinen Verhältnis zwischen dem „freien“ Willen und dem sog. „natürlichen“ Willen, der auch im Zustand der Einwilligungsunfähigkeit weiter fortbestehen kann, lässt sich eine eindeutige Antwort auf die Frage entgegen teilweise vertretener Auffassung161 nicht entnehmen. Zwar haben Äußerungen eines autonomen Willens ein stärkeres theoretisches Gewicht als Äußerungen eines „natürlichen“ Willens, weil sie ein höheres Maß an volitionaler162 Freiheit und
158 Vgl. Broschüre „Patientenverfügung“ des BMJ, Stand Oktober 2011, S. 27 f.; im Übrigen zu diesem Beispiel auch Schumacher, FPR 2010, 474, 476. 159 Zu diesem Beispiel auch Jox, in: Schildmann/Fahr/Vollmann, Entscheidungen am Lebensende: Ethik, Recht, Ökonomie und Klinik, S. 73, 86; zu einem ähnlichen Beispiel Coeppicus, NJW 2011, 2085, 2089 ff.; vgl. ebenfalls Verrel, in: Verrel/Simon, Patientenverfügungen, S. 33 f. 160 Zu diesem Beispiel auch Jox, in: Schildmann/Fahr/Vollmann, Entscheidungen am Lebensende: Ethik, Recht, Ökonomie und Klinik, S. 73, 86. 161 Wilckens, MDR 2011, 143, 145; auch Coeppicus, NJW 2011, 2085, 2086 f. geht ohne Weiteres von einem Vorrang des „freien“ Willens aus. Dem Betroffenen sollten jedoch Nahrung und Flüssigkeit wahrnehmbar hingestellt werden. Wenn dieser dann erkennbar essen und trinken wolle, sei „das zu akzeptieren“. Die Lösung Coeppicus wird zwar durchaus der ethischen Problematik gerecht. Sie bietet jedoch keine Lösung für den Fall, dass der Betroffene körperlich nicht in der Lage ist, selbst zu essen und zu trinken, obwohl sein natürlicher Wille dies äußert. 162 Volition bezeichnet in der Psychologie den Prozess der Bildung, Aufrechterhaltung und Realisierung von Absichten.
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Rationalität beinhalten.163 Hieraus den Schluss zu ziehen, dass der in der Patientenverfügung festgehaltene Wille dem aktuellen Willen eines Einwilligungsunfähigen stets vorgeht, erscheint jedoch zu weitgehend, da auch diesem „natürlichen“ Willen, wie sich unter anderem aus § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB und § 1905 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB ergibt, jedenfalls in den Fällen, in denen kein anderer Wille feststellbar ist, durchaus rechtlich relevante Bedeutung zukommt. Auch die zeitliche Rangfolge der beiden Äußerungen führt nicht zu einem eindeutigen Ergebnis, da der „natürliche Wille“ zwar aktueller ist, aber im Gegensatz zur Meinungsänderung in unserem Alltagsleben nicht den früheren Willen aufnimmt und wandelt, sondern dem früheren Willen etwas Zweites hinzufügt.164 Der natürliche Wille ist daher kein minus gegenüber dem freien Willen, sondern vielmehr ein aliud.165 Zur Auflösung dieses Verhältnisses schlägt Jox166 als aus seiner Sicht ethisch plausibelste Lösung vor, dass der Patient selbst die Priorität der verschiedenen Willensarten vorgibt. Zur Autonomie einer Person gehörten nämlich auch die Fähigkeit und die Verpflichtung, die Grenzen dieser Autonomie festzulegen.167 Jede Patientenverfügung sollte daher nach Jox168 einen reflexiven Metabezug beinhalten, für den er folgenden Passus beispielhaft vorschlägt: „Wenn ich nicht mehr in der Lage sein sollte, die Bedeutung medizinischer Eingriffe zu verstehen oder abwägend über solche Eingriffe zu urteilen, so kann es geschehen, dass meine Verhaltensäußerungen als ein Wille gedeutet werden, der nicht mit dieser Patientenverfügung übereinstimmt. Dann sollen die Personen, die für mich entscheiden, dennoch nach dieser Patientenverfügung entscheiden.“ 169
Auch wenn dieser Vorschlag auf den ersten Blick pragmatisch erscheint, führt er in der praktischen Anwendung nicht wesentlich weiter. Zum einen ist damit nicht die Frage beantwortet, wie in den Fällen zu verfahren ist, in denen eine Patientenverfügung diese Klausel nicht enthält. Zum anderen geht diese Formu-
163 So auch Jox, in: Schildmann/Fahr/Vollmann, Entscheidungen am Lebensende: Ethik, Recht, Ökonomie und Klinik, S. 73, 85. 164 Jox, in: Schildmann/Fahr/Vollmann, Entscheidungen am Lebensende: Ethik, Recht, Ökonomie und Klinik, S. 73, 86; vgl. hierzu auch Merkel, Ethik in der Medizin 2004, 298, 299, 303. 165 A. A. Wilckens, MDR 2011, 143, 145, der von einer Vorrangigkeit des freien Willens gegenüber dem natürlichen Willen ausgeht. 166 Jox, in: Schildmann/Fahr/Vollmann, Entscheidungen am Lebensende: Ethik, Recht, Ökonomie und Klinik, S. 73, 88. 167 So Jox in: Schildmann/Fahr/Vollmann, Entscheidungen am Lebensende: Ethik, Recht, Ökonomie und Klinik, S. 73, 88. 168 Jox, in: Schildmann/Fahr/Vollmann, Entscheidungen am Lebensende: Ethik, Recht, Ökonomie und Klinik, S. 73, 88. 169 Oder für den umgekehrten Fall „von dieser Patientenverfügung abweichend entscheiden dürfen“.
IV. Wirksame Errichtung und Widerruf einer Patientenverfügung
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lierung implizit von der zumindest zweifelhaften Prämisse aus, dass der autonome Wille gegenüber dem „natürlichen“ Willen stets vorrangig ist. Nimmt man hingegen kein grundsätzliches Überordnungsverhältnis des autonomen Willens an, drängt sich die Frage auf, ob der Betroffene durch Kundgabe seines „natürlichen“ Willens nicht auch von dieser autonom willensbestimmten Rangfolgenfestlegung (konkludent) abweichen kann. Die Möglichkeit der von Jox vorgeschlagenen Rangfolgenfestlegung erscheint im Übrigen auch in ethischer Hinsicht bedenklich. Je nach Fallkonstellation könnte die Patientenverfügung dadurch zur Waffe gegen eine einwilligungsunfähige Person werden, an der trotz Vorhandensein erheblicher Lebensfreude keine lebenserhaltenden Maßnahmen vorgenommen werden.170 Die Patientenverfügung könnte dadurch zu einer „Versklavung des Betroffenen in einer späteren Lebensphase“ führen.171 Offenkundig wird diese Problematik, wenn man gedanklich die Person in einwilligungsfähigem Zustand von der Person im nicht einwilligungsfähigen Zustand trennt.172 Würde die Entscheidung gegen lebensverlängernde Maßnahmen trotz Lebensfreude ohne konkrete Patientenverfügung etwa von einer dritten Person oder einem Betreuer getroffen werden, besteht Einigkeit, dass dieser offensichtlich ungeeignet wäre und unverzüglich abberufen werden müsste. Nur weil im Beispielsfall letztlich personale – in Bezug auf die Maßnahme nicht jedoch (untechnisch) geistige173 – Identität vorliegt, sollen hiergegen keine Bedenken bestehen. Dieses Ergebnis vermag nicht zu überzeugen. Der Gedanke der Bilokalisation ist freilich nicht unangreifbar. So wird hiergegen eingewandt, dass dieser mit der evidenten Tatsache, dass es sich eben doch biologisch um ein und dieselbe Person handelt, nicht zu vereinbaren ist.174 Dieser Einwand kann jedoch durch eine normative Betrachtungsweise, die bei der Beurteilung der ethischen Bedenken ohne weiteres zulässig ist, erheblich entkräftet werden. So entspringt die Legitimationswirkung der Patientenverfügung letztlich nicht aus dem Körper als physischem Gebilde, der alleine eine solche Verfügung 170 Vgl. zu verschiedenen Fallkonstellationen auch Merkel, Ethik in der Medizin 2004, 298, 300. 171 So Merkel, Ethik in der Medizin 2004, 298, 302; vgl. hierzu auch Roth, JZ 2004, 494, 497, der ausführt, der Betroffene würde sich zum Gefangenen seiner eigenen Erklärung machen. 172 Vgl. zum Gedanken der Bilokalisation auch Merkel, Ethik in der Medizin 2004, 298, 303, der vor allem die Frage der Zurechnung aufwirft; im Übrigen auch Jox, in: Schildmann/Fahr/Vollmann, Entscheidungen am Lebensende: Ethik, Recht, Ökonomie und Klinik, S. 73, 86 f. 173 Sofern man davon ausgeht, dass der „natürliche“ Wille ein aliud zum autonomen Willen ist. 174 Jox, in: Schildmann/Fahr/Vollmann, Entscheidungen am Lebensende: Ethik, Recht, Ökonomie und Klinik, S. 73, 87.
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C. Rechtslage nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts
mangels intellektueller Gedankenentfaltung nicht verfassen könnte.175 Architekt der Patientenverfügung ist vielmehr der Gedankengang und die Reflexion des Verfassers, die in deren Ausformulierung münden. Hinsichtlich dieser schriftlich festgehaltenen Überzeugungen hat jedoch die jetzige Person mit der vorherigen im aufgezeigten Beispielsfall nichts mehr gemein.176 Ebenso wie es unbestreitbar ist, dass es sich biologisch um dieselbe Person handelt, dürfte unbestreitbar sein, dass ein intellektueller Bezug zu einer zeitlich vorangegangenen Patientenverfügung fehlt, wenn die betroffene Person von deren Existenz keine Kenntnis mehr hat und auch die Festlegungen in keiner Weise mehr nachvollziehen und beurteilen kann. Nach der anschaulichen Darstellung Merkels liegt die Rechtfertigung der vorrangigen Beachtlichkeit des natürlichen Willens in diesen Fällen darin, „dass der Körper, den die Wirkungen der PV treffen sollen, nun zu einem personalen Ich „gehört“, das genau in den entscheidenden Hinsichten ein anderes ist, als jenes, das die Verfügung ehedem verfasst hat.“ 177
Das Gegenargument der biologischem Identität trotz geistiger Diskontinuität kann überdies durch folgende Überlegung weiter entkräftet werden: Wenn man lediglich auf den Körper als physisches Gebilde aus Fleisch und Blut abstellt, so ist festzuhalten, dass dieser letztlich zweifelhafte Signale sendet. Einerseits liegt die autonom verfasste Patientenverfügung vor. Andererseits äußert der Körper jedoch klare Anzeichen, dass er diese Festlegungen nicht mehr gelten lassen möchte. Wenn jedoch von der Rechtsordnung gefordert wird, dass ein Körper aufgrund einer Äußerung dem Tod überlassen werden soll, dann muss diese von dem Körper herrührende Äußerung zumindest klar und unmissverständlich sein. Wirft jedoch die Person hinsichtlich dessen, was sie will, selbst Zweifel auf, weil sie im einwilligungsfähigen Zustand eine Patientenverfügung errichtet hat, im einwilligungsunfähigen Zustand aber compliance mit der zuvor abgelehnten ärztlichen Maßnahme zeigt, muss es beim Grundsatz in dubio pro vita sein Bewenden haben. Unabhängig von dem Gedanken der Bilokalisation ist meines Erachtens die Lösung des aufgezeigten Beispielsfalles letztlich in der Auslegung des Tatbestandsmerkmals „auf die aktuelle Lebenssituation zutreffen“ in § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB und der Grenze des Selbstbestimmungsrechts zu suchen.
175 So auch Merkel, Ethik in der Medizin 2004, 298, 304, der hierzu Folgendes ausführt: „Denn PVen beziehen sich zwar auf den (späteren) Umgang mit dem Menschen aus Fleisch und Blut, sie werden aber nicht von einem Körper in seinen biologischen, sondern von einer Person in ihren „geistigen“ Eigenschaften verfasst. Und sie zielen grundsätzlich allein auf die Durchsetzung der Vorstellungen und Werte, die diese geistige Person ausmachen, nicht dagegen auf die Garantie von biologischen Eigenschaften, die jenen Körper konstituieren.“ 176 Ebenso Merkel, Ethik in der Medizin 2004, 298, 304. 177 Merkel, Ethik in der Medizin 2004, 298, 305.
IV. Wirksame Errichtung und Widerruf einer Patientenverfügung
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In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es zu diesem Punkt: „Er hat in diesen Fällen nach § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB-E zu prüfen, ob die Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutrifft, ob sie für diese Situation eine Entscheidung über die anstehende ärztliche Maßnahme enthält und ob sie noch dem Willen des Patienten entspricht. Diese Prüfung umfasst alle Gesichtspunkte, die sich aus der aktuellen Lebens- und Behandlungssituation des Betroffenen ergeben. Das schließt auch die Prüfung ein, ob das aktuelle Verhalten des nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten konkrete Anhaltspunkte dafür zeigt, dass er unter den gegebenen Umständen den zuvor schriftlich geäußerten Willen nicht mehr gelten lassen will und ob der Betroffene bei seinen Festlegungen diese Lebenssituation mitbedacht hat.“ 178
Der Gesetzgeber ging mithin davon aus, dass die Patientenverfügung noch dem (aktuellen) Willen des Betroffenen entsprechen muss.179 Wilckens zieht aus dieser Passage der Begründung des Gesetzentwurfs zwar den Schluss, dass die Bindungswirkung der Patientenverfügung grundsätzlich auch gegenüber dem späteren abweichenden Willen des nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten Vorrang hat.180 Dieser Schluss erscheint allerdings nicht zwingend und ist bei genauerer Betrachtung im Ergebnis abzulehnen. Die zitierte Passage aus der Begründung des Gesetzentwurfs ist vielmehr so zu verstehen, dass das Einbeziehen der Lebenssituation durch den Betroffenen notwendige Bedingung für die Verbindlichkeit der Patientenverfügung in der konkreten Situation überhaupt ist. Der von Wilckens zur Untermauerung seiner Auffassung angeführte Halbsatz „und ob der Betroffene bei seinen Festlegungen diese Lebenssituation mitbedacht hat“ bezieht sich nach richtigem Verständnis nicht auf den unmittelbar vorangegangenen Halbsatz, sondern vielmehr auf den vorangegangenen Satz. Dies wird auch dadurch deutlich, dass auf den vorangegangenen Satz ausdrücklich Bezug genommen wird.181 Die Voraussetzungen der Verbindlichkeit der Patientenverfügung sind daher nach richtigem Verständnis – das Zutreffen auf die bestimmte Lebens- und Behandlungssituation, – die Entscheidung über die anstehende ärztliche Maßnahme und – die Übereinstimmung mit dem aktuellen Willen des Patienten.182 Darüber hinaus ist zwingende Voraussetzung, dass der Betroffene die konkrete Lebenssituation bei seinen Festlegungen mitbedacht hat.
178 179 180 181 182
BT-Drs. 16/8442, S. 14 f. In Bezug auf die alte Rechtslage auch Roth, JZ 2004, 494, 496 f. Wilckens, MDR 2011, 143, 145. „Das schließt auch die Prüfung ein, ob“ in BT-Drs. 16/8442, S. 15. BT-Drs. 16/8442, S. 14.
100 C. Rechtslage nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts
Anhaltspunkte für den weiteren Rückschluss Wilckens, dass ein entgegenstehender Wille dann unbeachtlich sein soll, wenn diese Situation in der Patientenverfügung mitbedacht wurde, bestehen nach dem Inhalt der Gesetzesbegründung und der zitierten Passage nicht. Die fehlende Möglichkeit der Festlegung der Unbeachtlichkeit des aktuellen Willens ergibt sich auch aus folgenden Erwägungen: Wenn der Betroffene in einer Patientenverfügung die Unbeachtlichkeit seines „natürlichen“ Willens verfügt, schließt er damit in weiten Teilen die Prüfungsmöglichkeit des Betreuers hinsichtlich der aktuellen Lebenssituation aus. Der Betreuer wäre daher im Wesentlichen darauf beschränkt, die Einschlägigkeit der Behandlungssituation zu prüfen. Dies hätte zur Folge, dass die Patientenverfügung einen partiellen Automatismus hinsichtlich der Einschlägigkeit der Lebenssituation auslöst, den der Gesetzgeber durch die starke Stellung des Betreuers gerade vermeiden wollte.183 Die Festlegungen in einer Patientenverfügung können jedoch nicht dazu führen, dass dadurch eine Beschneidung des Verfahrens zur Feststellung der Einschlägigkeit der aktuellen Lebenssituation erfolgt. Das nicht der Dispositionsbefugnis des Betroffenen unterliegende Verfahren hat gerade jene Schutzfunktion, die ausschließen soll, dass die Patientenverfügung zur „Waffe gegen sich selbst“ wird. Auch wenn der Betreuer aufgrund des Metabezuges in der Patientenverfügung feststellt, dass der Betroffene die aktuelle Situation des entgegenstehenden Willens mitbedacht hat, wird der natürliche Wille demnach nicht unbeachtlich. Dies folgt unmittelbar daraus, dass der autonome Wille gerade kein maius des „natürlichen“ Willens, sondern ein aliud dazu ist.184 In dem natürlichen Willen des viel zitierten lebensfrohen Demenzkranken kann daher auch das „nicht mehr gelten lassen Wollen“ eines in der Patientenverfügung festgelegten Metabezuges über dessen Unbeachtlichkeit zu sehen sein. Zusammenfassend kann daher Folgendes festgehalten werden: Autonomer Wille und „natürlicher“ Wille stehen in keinem Über- oder Unterordnungsverhältnis. Der „natürliche“ Wille ist ein aliud zum autonomen Willen. Aus diesem Grund und aufgrund der konkreten Ausgestaltung des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB kann der Betroffene daher keine Festlegungen in Bezug auf die Unbeachtlichkeit des „natürlichen“ Willens treffen. Das „nicht Entgegenstehen“ des „natürlichen“ Willens ist ungeschriebenes negatives Tatbestandsmerkmal in § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB für die Verbindlichkeit der Festlegungen in der Patientenverfügung. Spezifische – über die aufgezeigten Punkte hinausgehende – Besonderheiten treten bei Patientenverfügungen von psychisch kranken Menschen in Bezug auf
183 184
Dies ergibt sich auch aus der Einfügung des § 1901b BGB. Vgl. hierzu bereits S. 96.
V. Die Durchsetzung des in der Patientenverfügung festgehaltenen Willens
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den Widerruf von Patientenverfügungen nicht auf, so dass darauf nicht näher eingegangen wird.
V. Die Durchsetzung des in der Patientenverfügung festgehaltenen Willens 1. Das sog. „Vier-Augen-Prinzip“ Bei der Diskussion des sog. „Vier-Augen-Prinzips“ geht es um die Frage, wer beim Vorliegen einer Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügung letztverbindlich entscheidet, ob eine ärztliche Maßnahme vorgenommen wird oder nicht. Konkret geht es darum, ob der Arzt ohne Hinzuziehung eines Betreuers alleine (zwei Augen) entscheiden kann oder ob er verpflichtet ist, einen Betreuer hinzuzuziehen (vier Augen). Dieses Problem ist vor allem in denjenigen Fällen relevant, in denen zum Zeitpunkt der fraglichen Behandlungsmaßnahme keine rechtliche Betreuung zugunsten des Patienten besteht. Wie zu zeigen sein wird, hat der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechte der Patientinnen und Patienten vom 20. Februar 2013185 in die durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts geschaffene Rechtslage eingegriffen und durch eine schuldrechtliche Regelung jedenfalls im praktischen Ergebnis auf die betreuungsrechtlichen Vorschriften der §§ 1901a ff. BGB eingewirkt. Hierzu im Einzelnen: a) Ausgangsposition nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts Vergleicht man zunächst § 1901a Abs. 1 BGB mit § 1901a Abs. 2 BGB, so wird deutlich, dass den Festlegungen in Abs. 1 unmittelbare Bindungswirkung zukommt. Die in der Patientenverfügung festgehaltene Erklärung des Betroffenen im Sinne des Abs. 1 wirkt daher originär fort. Trifft sie auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zu, ist eine weitere Einwilligung oder Nichteinwilligung des Betreuers oder Bevollmächtigten in die anstehende Maßnahme nicht erforderlich, da der Betreute diese Entscheidung bereits selbst – nämlich unmittelbar in der Patientenverfügung – getroffen hat und diese für den Betreuer bindend ist.186 Dem Betreuer kommt dann (lediglich) eine Kontrollfunktion zu. Es obliegt ihm zu prüfen, ob die Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen.187 185
BGBl. I 2013, S. 277 ff. BT-Drs. 16/8442, S. 14. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs hat die Regelung dennoch eher klarstellenden Charakter. Dies sei notwendig, weil zum Teil Rechtslehre und Rechtsprechung auch Patientenverfügungen, welche die konkrete Behandlungssituation beträfen, nur als ein Indiz für den Patientenwillen ansähen. 187 Vgl. zur Umsetzung einer Patientenverfügung in der Praxis Bühler/Stolz, BtPrax 2009, 261. 186
102 C. Rechtslage nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts
Auch im Rahmen des § 1901a Abs. 1 BGB konnte aufgrund der gesetzlichen Zuweisung der Kontrollfunktion nicht von einer Betreuerbestellung abgesehen werden.188 Gesetzgeberisches Leitbild nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts war vielmehr das „Vier-Augen-Prinzip“, das heißt, sowohl Arzt als auch Betreuer legen die Patientenverfügung aus.189 Sofern Diederichsen190 seine gegenteilige Auffassung damit begründet, der Sinn einer Patientenverfügung sei es gerade, im Rahmen ihres Geltungsbereichs eine Betreuung überflüssig zu machen191, so überzeugte dies jedenfalls in Bezug auf die „alte Rechtslage“ nicht. Zum einen bestanden diesbezüglich bereits aufgrund des Wortlauts des § 1901a Abs. 1 S. 2 BGB, wonach der Betreuer dem Willen des 188 Ebenso Stolz, BtPrax 2011, 103, 104; Diehn/Rebhan, NJW 2010, 326, 329; Müller, DNotZ 2010, 169, 174; Olzen/Metzmacher, JZ 2011, 318 f.; Olzen/Schneider, MedR 2010, 745, 746; Ihrig, Notar 2009, 380, 384 ff.; Albrecht/Albrecht, Die Patientenverfügung, S. 20 ff., die zutreffend darauf hinweisen, dass die auf Empfehlung des Rechtsausschusses eingeführte Vorschrift des § 1901b BGB den Graben zwischen der auf die reine Selbstbestimmung fokussierten Meinung und der auf die Flexibilisierung der Verfügung durch den Vertreter setzenden Ansicht überbrückt hat. Das Verfahren verringere daher erheblich das Kommunikationsdefizit zwischen dem Arzt und dem nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten; im Ergebnis das Erfordernis der Betreuerbestellung ebenfalls bejahend Zimmermann, Vorsorgevollmacht Betreuungsverfügung Patientenverfügung, S. 222 f.; a. A. Putz, FPR 2012, 13, 16; Schwab, MüKo BGB, § 1901a Rn. 33; Coeppicus, NJW 2011, 2085, 2086 f.; Kutzer, MedR 2010, 531, 532; Diederichsen, Palandt, § 1901a Rn. 15; differenzierend hierzu Diekmann, BtPrax 2011, 185, 186; Renner, ZNotP 2009, 371, 375, der in Fällen des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB im Gegensatz zu denen des § 1901a Abs. 2 BGB eine Betreuerbestellung für entbehrlich hält; Rieger, FamRZ 2009, 1601, 1606; Spickhoff, Medizinrecht, § 1901a BGB Rn. 16; zur Notwendigkeit der Bestellung eines Betreuers trotz Patientenverfügung in Bezug auf die alte Rechtslage differenzierend Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, S. 211, der zutreffend darauf hinweist, dass die Notwendigkeit der Bestellung eines Vertreters von der Notwendigkeit der Einwilligung des Vertreters für eine einzelne ärztliche Maßnahme strikt zu trennen ist. Für die Erteilung oder Versagung der Einwilligung selbst sei jedoch keine Betreuerbestellung notwendig, sofern eine solche hinreichend konkret in der Patientenverfügung enthalten sei; vgl. im Übrigen hierzu auch ders., Patientenautonomie und Lebensschutz, S. 32 f.; ebenfalls diese Frage in Bezug auf die alte Rechtslage bejahend Albers, Inter- und intradisziplinäre Bausteine der gesetzlichen Regulierung von Patientenverfügungen, in: Albers, Patientenverfügungen, S. 31 f.; Baumann/Hartmann, DNotZ 2000, 594, 600; unklar in Bezug auf die neue Rechtslage Probst, FF 2010, 144, 146, der ausführt, dass ohne Betreuer zweifelsohne ein vom Gesetz vorausgesetzter Dialogpartner fehle. Andererseits spreche jedoch der Charakter als im Voraus erklärter Willenskundgabe gegen die Unbeachtlichkeit der Patientenverfügung. 189 Hierfür spricht auch BT-Drs. 16/8442, S. 11 sowie BT-Drs. 16/13314, S. 6, wonach (auch) der Betreuer den Willen des Patienten zu ermitteln habe; vgl. im Übrigen auch BGH, NJW 2011, 161; BGH, NJW 2010, 2963; für eine engere Auslegung, wonach grundsätzlich nur der Betreuer und nicht auch der Arzt den Willen des Patienten zu prüfen hat vgl. Ihrig, Notar 2009, 380, 386. 190 Diederichsen, Palandt, § 1901a Rn. 15; in Bezug auf die alte Rechtslage so bereits Diederichsen, Bemerkungen zu Tod und rechtliche Betreuung, in: Festschrift für Schreiber, S. 649, 652. 191 So im Übrigen unter Hinweis auf Diederichsen im Grundsatz auch Spickhoff, Medizinrecht, § 1901a BGB Rn. 16.
V. Die Durchsetzung des in der Patientenverfügung festgehaltenen Willens
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Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen hat, erhebliche Zweifel. Zum anderen diente eine Patientenverfügung alleine – jednefalls vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte der Patientinnen und Patienten – nicht dazu, eine Betreuerbestellung zu vermeiden. Hierfür ist vielmehr auch im Gesetz192 das Institut der Vorsorgevollmacht vorgesehen.193 Der Grundsatz des „Vier-Augen-Prinzips“ wurde im Gesetzgebungsverfahren durch die erst auf Empfehlung des Rechtsausschusses eingefügte Vorschrift des § 1901b BGB unterstrichen.194 Die Vorschrift dient dazu, den dialogischen Prozess zwischen dem Betreuer und Arzt sowie bestimmten weiteren Personen im Gesetz zu verankern.195 § 1901b Abs. 1 BGB verdeutlicht den zu beachtenden Ablauf und die Aufgaben von behandelndem Arzt und Betreuer im Falle einer Einwilligungsunfähigkeit des Patienten.196 Auf erster Stufe prüft der Arzt im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose des Patienten, welche ärztliche Maßnahme indiziert ist.197 Auf zweiter Stufe steht die Erörterung dieser indizierten Maßnahme zwischen dem Betreuer und dem behandelnden Arzt unter Berücksichtigung des nach § 1901a BGB festgestellten Patientenwillens.198 Sowohl Arzt als auch Betreuer mussten sich daher nach der Grundkonzeption des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts mit den Regelungen in einer Patientenverfügung auseinandersetzen.199 Ausnahmen von diesem Grundsatz des „Vier-Augen-Prinzips“ sah das Gesetz nicht vor, so dass der Arzt bei Nichtbestehen einer Betreuung oder einer Vorsorgevollmacht regelmäßig200 verpflichtet war, bei Gericht eine Betreuung anzuregen.201 § 1901b Abs. 2 BGB weitet den Grundsatz des „Vier-Augen-Prinzips“ gar auf ein „Viel-Augen-Prinzip“ aus. Sofern es ohne erhebliche Verzögerungen möglich ist, soll bei der Feststellung des Patientenwillens oder der Behandlungswünsche 192
Vgl. vor allem § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB, im Übrigen auch § 1901a Abs. 5 BGB. So im Ergebnis auch Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, S. 211. 194 BT-Drs. 16/13314, S. 11. 195 BT-Drs. 16/13314, S. 20; zur Diskussion um die Erforderlichkeit eines Konsils zwischen Ärzten und Angehörigen in Bezug auf die alte Rechtslage vgl. auch Albers, Inter- und intradisziplinäre Bausteine der gesetzlichen Regulierung von Patientenverfügungen, in: Albers, Patientenverfügungen, S. 34. 196 BT-Drs. 16/13314, S. 20; vgl. zur zweistufigen Prüfung auch Roglmeier, FPR 2010, 282, 284. 197 BT-Drs. 16/13314, S. 20; vgl. hierzu auch die Übersicht bei Ihrig, Notar 2009, 380, 386. 198 BT-Drs. 16/13314, S. 20; vgl. hierzu auch die Übersicht bei Ihrig, Notar 2009, 380, 386. 199 So auch Roglmeier, FPR 2010, 282, 285. 200 Zur Problematik der Notfallmaßnahmen auch S. 110 ff. 201 A. A. Empfehlungen der Bundesärztekammer und der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer zum Umgang mit Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung in der ärztlichen Praxis, Deutsches Ärzteblatt 2010, S. A877, A879. 193
104 C. Rechtslage nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts
oder des mutmaßlichen Willens auch nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen des Betreuten Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden. Wie sich aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt, kann von der Beteiligung dieser Personen bei eilbedürftigen Maßnahmen abgesehen werden.202 Auch der zweite Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in seinen Entscheidungen vom 25. Juni 2010203 und vom 10. November 2010204 das „Vier-Augen-Prinzip“ ausdrücklich hervorgehoben. b) Veränderte Rechtslage nach dem Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20. Februar 2013 205 Der Gesetzgeber hat mit dem Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten einen neuen Untertitel „Behandlungsvertrag“ in das BGB eingefügt.206 Zielsetzung war unter anderem, die bisherigen richterrechtlich entwickelten Grundsätze des Arzthaftungs- und Behandlungsrechts zu kodifizieren.207Auf den ersten Blick lässt sich daher ein Zusammenhang zwischen dem Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten zum Betreuungsrecht nicht ohne weiteres erkennen. Befasst man sich indes genauer mit den einzelnen Vorschriften, so fällt § 630d Abs. 1 S. 2 BGB n. F. ins Auge, der das Einwilligungserfordernis für den Fall regelt, dass der Patient einwilligungsunfähig ist. Die Vorschrift lautet: „Ist der Patient einwilligungsunfähig, ist die Einwilligung eines hierzu Berechtigten einzuholen, soweit nicht eine Patientenverfügung nach § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB die Maßnahme gestattet oder untersagt.“
202
So auch BT-Drs. 16/13314, S. 20. In BGH, NJW 2010, 2963, 2967 führt der Bundesgerichtshof hierzu aus: „Die Verfahrensregeln der §§ 1901a ff. BGB, insbesondere das zwingend erforderliche Zusammenwirken von Betreuer oder Bevollmächtigtem und Arzt sowie gegebenenfalls die Mitwirkung des Betreuungsgerichts, sichern die Beachtung und Einhaltung dieser Maßstäbe.“ 204 In BGH, NJW 2011, 161, 162 f. hat der Bundesgerichtshof hierzu ausgeführt: „Gemäß § 1901a Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB ist nur der Betreuer bzw. Bevollmächtigte (§ 1901a Abs. 5 BGB) befugt, die Übereinstimmung der Festlegungen in der Patientenverfügung mit der aktuellen Lebens- und Behandlungssituation des Patienten zu prüfen und auf dieser Grundlage dem Willen des Patienten gegebenenfalls Geltung zu verschaffen. Darüber hinaus setzt die Entscheidung über einen Behandlungsabbruch gemäß § 1901b Abs. 1 BGB zwingend ein Zusammenwirken von Betreuer bzw. Bevollmächtigtem und Arzt voraus. Danach prüft der behandelnde Arzt in eigener Verantwortung, welche ärztliche Behandlung im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose des Patienten indiziert ist und erörtert dies mit dem Betreuer unter Berücksichtigung des Patientenwillens als Grundlage für die zu treffende Entscheidung.“ 205 BGBl. I 2013, S. 277 ff. 206 BT-Drs. 17/10488, S. 5 ff. 207 BT-Drs. 17/10488, S. 9. 203
V. Die Durchsetzung des in der Patientenverfügung festgehaltenen Willens
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Die Einholung der Einwilligung eines hierzu Berechtigten ist damit nicht erforderlich, wenn eine Patientenverfügung nach § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB vorliegt, welche die in Rede stehende medizinische Maßnahme gestattet oder untersagt.208 Mit anderen Worten begeht der Arzt, der beim Vorliegen einer Patientenverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB nicht eine Betreuerbestellung anregt und diesen nicht konsultiert, keine Pflichtverletzung des Behandlungsvertrages. Von der Erforderlichkeit der Hinzuziehung eines Betreuers – wenn auch nur mit Kontrollfunktion in Bezug auf das Zutreffen auf die Lebens- und Behandlungssituation – ist gegenläufig zu § 1901a Abs. 1 BGB und § 1901b BGB in § 630d Abs. 1 S. 2 BGB keine Rede mehr. Zwar könnte man versuchen, spitzfindig dergestalt zu argumentieren, dass auch diese Regelung dem „Vier-Augen-Prinzip“ nicht zuwiderlaufe. Denn immerhin nimmt der Betreuer auch im Anwendungsbereich des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB keine Einwilligung oder Versagung der Einwilligung vor. Auch dort übt er „nur“ eine Kontrollfunktion aus. Einer solchen Argumentation steht jedoch der weitere Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens entgegen, da der Bundesrat die Problematik erkannt hat und im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens auf Empfehlung des Rechtsausschusses zu § 630d Abs. 1 BGB einen entsprechenden Änderungsantrag formuliert hat.209 In dem Beschluss des Bundesrates wurde unter anderem vorgeschlagen, in § 630d Abs. 1 S. 2 BGB n. F. klarzustellen, dass die Vorschriften der §§ 1901a und 1901b BGB unberührt bleiben.210 Begründet wurde dies damit, dass die Rechtslage beim Vorliegen einer Patientenverfügung durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts abschließend geregelt wurde und in diese Rechtslage nicht eingegriffen werden solle.211 Durch eine Klarstellung würde sichergestellt werden, dass das vom Gesetzgeber in den §§ 1901a und 1901b BGB geregelte ausdifferenzierte Verfahren zur Feststellung der Einschlägigkeit einer Patientenverfügung – damit ist das „Vier-Augen-Prinzip“ gemeint – eingehalten werde.212
208 Zur Beurteilung der Frage, ob eine wirksame Gestattung des Eingriffs erfolgt ist, ist auch im Rahmen der Festlegungen von Patientenverfügungen zu beachten, dass die Einwilligung in eine ärztliche Maßnahme der ärztlichen Aufklärung bedarf, um wirksam zu sein. In der Begründung des Gesetzentwurfs zum Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts, BT-Drs. 16/8442 auf Seite 14 heißt es hierzu ausdrücklich: „Soweit daher eine Patientenverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB eine Einwilligung in eine ärztliche Maßnahme enthält, ist diese nur wirksam mit vorangegangener ärztlicher Aufklärung oder bei erklärtem Aufklärungsverzicht.“ Auch mit dem Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten wurde hieran festgehalten, wie sich aus BT-Drs. 17/10488, S. 23 ergibt. 209 BR-Drs. 312/12 (B), S. 10 f. 210 BR-Drs. 312/12 (B), S. 11. 211 BR-Drs. 312/12 (B), S. 11. 212 BR-Drs. 312/12 (B), S. 11.
106 C. Rechtslage nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts
Der Bundestag hat den Änderungsantrag des Bundesrates indes nicht aufgegriffen. In der Gegenäußerung der Bundesregierung hierzu wird zur Begründung ausgeführt, der Vorschlag des Bundesrates sei insoweit missverständlich, als durch die von ihm vorgeschlagenen Verweise der unzutreffende Eindruck entstehen könne, dass es im Falle einer vorliegenden Patientenverfügung zwingend eines Bevollmächtigten oder der Bestellung eines Betreuers bedürfe.213 Dies sei jedoch vom Gesetzgeber seinerzeit mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts nicht intendiert gewesen.214 Die Bundesregierung bringt mit der Gegenäußerung klar zum Ausdruck, dass ihrer Auffassung nach der Arzt beim Vorliegen einer Patientenverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB nicht verpflichtet ist, bei Gericht eine Betreuung anzuregen. Hiermit ist jedoch noch keine Aussage darüber getroffen, ob der Arzt beim Bestehen einer Bevollmächtigung oder einer Betreuung die Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB ohne Rücksprache mit dem Bevollmächtigten oder dem Betreuer umsetzen darf. Aufgrund der klaren Regelung in § 630d Abs. 1 S. 2 BGB n. F. wird man eine Verpflichtung des Arztes zur Heranziehung eines bereits bestehenden Bevollmächtigten oder Betreuers nicht unmittelbar aus dem Behandlungsvertrag herleiten können. Andererseits existiert die Vorschrift des § 1901b BGB und wird auch durch die Vorschriften der § 630a ff. BGB n. F. grundsätzlich nicht abbedungen oder eingeschränkt, da ansonsten für § 1901b BGB kein praktisch nennenswerter Anwendungsbereich verbliebe. Dies bedeutet, dass eine Verpflichtung des Arztes zum dialogischen Prozess unmittelbar aus § 1901b BGB folgt, auch wenn davon aufgrund des klaren Wortlauts des § 630d Abs. 1 S. 2 BGB n. F. die Wirksamkeit der Einwilligung aus der Patientenverfügung beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 1901a Abs. 1 BGB nicht abhängt.215 Im Ergebnis scheint es daher gerechtfertigt, nunmehr von einem „eingeschränkten Vier-Augen-Prinzip“ zu sprechen. Zusammenfassend kann damit die Rechtslage nach dem Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten wie folgt skizziert werden: Der Arzt ist in Abkehr zur originären Rechtslage nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts aufgrund des nunmehr geltenden § 630d Abs. 1 S. 2 BGB n. F. nicht verpflichtet, bei Gericht eine Betreuung anzuregen, soweit eine Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB die Maßnahme gestattet oder untersagt. Existiert jedoch ein Bevollmächtigter oder ein Betreuer, so resultiert eine grundsätzliche Verpflichtung des Arztes zum dialogischen Prozess zwischen Arzt und Bevollmächtigtem oder Betreuer aus § 1901b BGB. 213
BT-Drs. 17/10488, S. 54 f. BT-Drs. 17/10488, S. 55. 215 Dies hat natürlich auch zur Folge, dass sich ein Arzt, der bei gegebenen Voraussetzungen des § 1901a Abs. 1 BGB aber unter Verstoß gegen § 1901b BGB einen Eingriff vornimmt, nicht strafbar macht. 214
V. Die Durchsetzung des in der Patientenverfügung festgehaltenen Willens
107
Abschließend sei klarstellend darauf hingewiesen, dass es natürlich nur dann nicht der Anregung einer Betreuung bedarf, wenn eine definitionsgemäße Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB vorliegt und damit auch dem Bestimmtheitserfordernis hinsichtlich der Festlegungen Genüge getan ist.216 Für den Fall, dass „lediglich“ eine den Maßstäben des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB nicht genügende Vorausverfügung vorliegt, verbleibt es bei der Verpflichtung des Arztes eine Betreuung anzuregen, da im Unterschied zu § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB im Rahmen des § 1901a Abs. 2 BGB die legitimierende Einwilligung unmittelbar vom Betreuer erst abgegeben wird. Bevor sich der Arzt daher darauf einlässt, ohne Anregung einer Betreuung einen Eingriff vorzunehmen oder zu unterlassen, muss er sich sicher sein, dass die Festlegungen in der Patientenverfügung nach § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB auch hinreichend bestimmt sind. 2. Vermeidung der Einrichtung einer Betreuung durch Vorsorgevollmacht Auch im Rahmen des § 1901a BGB gilt die Regelung des § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB, wonach eine Betreuerbestellung dann nicht erforderlich ist, wenn die Angelegenheiten durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können. Gemäß § 1901a Abs. 3 BGB gelten die Vorschriften des § 1901a Abs. 1 bis Abs. 3 BGB für Bevollmächtigte entsprechend. Klar ist damit, dass für die Einrichtung einer Betreuung kein Raum verbleibt, wenn eine umfassende Vorsorgevollmacht vorliegt und die bevollmächtigte Person auch zur Ausübung der Vollmacht geeignet ist. Zudem ist die Einrichtung einer Betreuung nach der veränderten Rechtslage aufgrund des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten in Bezug auf eine bestimmte medizinische Maßnahme nicht (mehr) erforderlich, wenn diesbezüglich eine Patientenverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB vorliegt.217 Fraglich ist jedoch, ob und inwiefern in einer Vorausverfügung gleich welcher Art dem Vorsorgebevollmächtigten verbindliche Anweisungen zur Ausübung einer Vorsorgevollmacht gegeben werden können und ob eine solche Vollmacht aus sich heraus geeignet ist, die Erforderlichkeit der Einrichtung einer Betreuung entfallen zu lassen. Vor allem bei Mustern für Vorausverfügungen von psychisch kranken Menschen finden sich auch eingearbeitete Vorsorgevollmachten, welche
216 Enthält die Patientenverfügung eine Einwilligung in eine ärztliche Maßnahme, ist diese zudem nur wirksam mit vorangegangener ärztlicher Aufklärung oder bei erklärtem Aufklärungsverzicht, vgl. insoweit BT-Drs. 16/8442, S. 14 sowie BT-Drs. 17/10488, S. 23. Liegt keine Aufklärung oder ein Aufklärungsverzicht vor, kann die in der Patientenverfügung erklärte Einwilligung keine tragfähige Grundlage des Eingriffs sein. Die Wirksamkeit der Ablehnung einer ärztlichen Maßnahme hängt hingegen nicht von einer ärztlichen Aufklärung ab, vgl. BT-Drs. 16/8442, S. 14. 217 Vgl. zum insoweit eingeschränkten „Vier-Augen-Prinzip“ bereits S. 101 ff.
108 C. Rechtslage nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts
nur unter der ausdrücklichen Bedingung erteilt werden, dass die Festlegungen in der jeweiligen Verfügung exakt eingehalten werden.218 Zwar sind auch im Falle der Erteilung einer Vollmacht bestimmte Weisungen des Vollmachtgebers zulässig und auch durchaus üblich.219 Eine vollständige Bindung des Vorsorgebevollmächtigten an die Festlegungen in einer Vorausverfügung mit der Folge, dass ein Betreuer nicht mehr bestellt werden könnte, ist jedoch aus zwei Gründen nicht möglich: Zum einen bestehen bereits erhebliche Zweifel daran, ob es sich bei einer solchen Form der „Vorsorgevollmacht“ tatsächlich um eine Vollmacht im Rechtssinne handelt. Es liegt nahe, in diesen Fällen das Vorliegen einer Vollmacht zu verneinen, da faktisch eine reine Botenstellung vorliegt. Dem Bevollmächtigten bleibt keinerlei eigener Entscheidungsspielraum, was aber notwendig wäre, um die Mittelsperson nicht als Boten, sondern als Vertreter ansehen zu können.220 Auch die Fallgruppe des Vertreters mit gebundener Marschroute221 scheint hier nicht einschlägig. Zwar kommt es nach allgemeiner Auffassung für die Abgrenzung im Detail darauf an, wie der Vertreter nach außen hin auftritt.222 Da die in der Patientenverfügung enthaltene Vorsorgevollmacht jedoch den beteiligten dritten Personen (beispielsweise Ärzten) vorliegt, handelt es sich regelmäßig zumindest auch um einen Fall der Außenvollmacht, bei der die fehlende Entscheidungsbefugnis des „Vertreters“ offenkundig ist. Zum anderen erfüllt eine solche bedingte Vorsorgevollmacht auch nicht die Anforderungen des § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB. Sowohl nach dem Wortlaut als auch nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift ist eine Betreuung nur dann nicht erforderlich, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten „ebenso gut“ wie durch einen Betreuer besorgt werden können.223 Im Falle des Bevollmächtigten ohne jegliche faktische Entscheidungsbefugnis ist dies jedoch nicht der Fall. Auch im Anwendungsbereich des § 1901a BGB wollte der Gesetzgeber – was sich auch aus der Existenz des § 1901b BGB ergibt – grundsätzlich keinen Automatismus der Festlegungen in der Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügung auslösen. Die aus § 1901a BGB resultierenden Pflichten des Betreuers sollten vielmehr als Schutzmechanismus fungieren, um zu verhindern, dass die Patientenverfügung oder Vorausverfügung zur „Waffe gegen 218 So zum Beispiel in dem Muster unter http://www.patverfue.de/dokumente/pat verfue.pdf, Abruf vom 11. April 2011. 219 Vgl. auch § 166 Abs. 2 BGB, der die Möglichkeit der Weisungserteilung voraussetzt. 220 Ellenberger, Palandt, Einf. v. § 164 Rn. 11; Schramm, MüKo BGB, § 164 Rn. 50. 221 Vgl. auch Schramm, MüKo BGB, § 164 Rn. 50. 222 Vgl. statt vieler Ellenberger, Palandt, Einf. v. § 164 Rn. 11. 223 Hierzu auch Lipp, Freiheit und Fürsorge: Der Mensch als Rechtsperson, S. 194 ff.; von Sachsen Gessaphe, Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter für eingeschränkt Selbstbestimmungsfähige, S. 214 ff.
V. Die Durchsetzung des in der Patientenverfügung festgehaltenen Willens
109
sich selbst wird“.224 Da diese Aufgaben des Betreuers durch einen zwingend gebundenen Vorsorgebevollmächtigten nicht wahrgenommen werden könnten, können die Angelegenheiten mithin nicht „ebenso gut“ durch diesen Bevollmächtigten erledigt werden.225 Um dem Willen des Betroffenen möglichst nahe zu kommen, erscheint es jedoch naheliegend, die (fehlgeschlagene) Vorsorgevollmacht zumindest als Betreuungsverfügung auszulegen, so dass in Betracht kommt, die Person, die der Patient als Vorsorgebevollmächtigten wählen wollte, als Betreuer zu bestellen. Selbstverständlich ist jedoch auch in diesem Fall die Eignung der in Frage kommenden Person zwingende Voraussetzung, wie sich bereits aus § 1897 Abs. 1 BGB ergibt. 3. Vorausverfügungen nach § 1901a Abs. 2 BGB Der Anwendungsbereich des § 1901a Abs. 2 BGB ist dann eröffnet, wenn keine oder keine wirksame Patientenverfügung vorliegt oder die Festlegungen einer Patientenverfügung nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Eine unmittelbare Fortwirkung von Erklärungen des Betroffenen nach § 1901a Abs. 2 BGB besteht im Gegensatz zu den Festlegungen in § 1901a Abs. 1 BGB nicht. Dem Betreuer kommt in diesen Fällen nicht lediglich eine Kontrollfunktion zu. Er entscheidet vielmehr selbst originär – natürlich unter Berücksichtigung der Behandlungswünsche oder dem mutmaßlichen Willen –, ob er in eine bestimmte ärztliche Maßnahme einwilligt oder sie untersagt. Zur Feststellung des mutmaßlichen Willens bedarf es nach der Begründung des Gesetzentwurfs individueller, konkreter, aussagekräftiger Anhaltspunkte.226 Aussagekräftige Anhaltspunkte für die Ermittlung des mutmaßlichen Willens können nach § 1901a Abs. 2 S. 3 BGB frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen des Patienten, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten sein. Während im ursprünglichen Entwurf auch das Schmerzempfinden des Betreuten mögliches Kriterium sein sollte227, wurde in der letztlich Gesetz gewordenen Ausschussfassung darauf verzichtet228. In der 224 Vgl. zum (eingeschränkten) „Vier-Augen-Prinzip“ bereits S. 101 ff.; davon getrennt zu prüfen ist selbstverständlich die Frage, ob beim Vorliegen einer hinreichend bestimmten Patientenverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB die Einrichtung einer Betreuung überhaupt erforderlich ist. 225 Im Ergebnis ebenso KG, FamRZ 2007, 580; Pardey, Betreuungs- und Unterbringungsrecht, S. 38. 226 BT-Drs. 16/8442, S. 15, wobei auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in BGHSt 35, 246, 249; 40, 257 rekurriert wird. 227 BT-Drs. 16/8442, S. 4. 228 BT-Drs. 16/13314, S. 10.
110 C. Rechtslage nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts
Begründung der Beschlussempfehlung wird ausgeführt, dass das Schmerzempfinden eines Patienten derart subjektiv sei, dass es durch einen außen stehenden Dritten kaum beurteilt werden könne.229 Als ausdrückliches Kriterium für die Ermittlung des mutmaßlichen Willens sei es deshalb ungeeignet.230 Auch wenn dies keinen Niederschlag im Gesetzeswortlaut gefunden hat, enthält die Begründung des Gesetzentwurfs auch eine Beweislastregel in Zweifelsfällen. Kann ein auf die Durchführung, die Nichteinleitung oder die Beendigung einer ärztlichen Maßnahme gerichteter Wille des Betreuten auch nach Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisse nicht festgestellt werden, gebiete es das hohe Rechtsgut auf Leben, entsprechend dem Wohl des Betreuten zu entscheiden und dabei dem Schutz seines Lebens Vorrang einzuräumen.231 4. Problematik der Notfallmaßnahmen Auch in Bezug auf die Problematik der Notfallmaßnahmen hat der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20. Februar 2013232 in die durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts geschaffene Rechtslage jedenfalls im praktischen Ergebnis eingegriffen. Nachfolgend soll daher zunächst die ursprünglich geschaffene Rechtslage dargestellt werden, bevor im Anschluss auf die aktuellen Änderungen eingegangen wird. a) Ausgangsposition nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts Als gravierende Schwäche des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts wurde kritisiert, dass es keine explizite Regelung für die Fälle enthalte, in denen (noch) kein Betreuer bestellt wurde und eine Vorsorgevollmacht nicht besteht.233 Auszugehen war nach der Grundkonzeption des Gesetzes auch hier zunächst vom Grundsatz des (uneingeschränkten) „Vier-Augen-Prinzips“ 234, so dass in Eilfällen im Wege der einstweiligen Anordnung ein vorläufiger Betreuer zu bestellen war. Fraglich war jedoch, welcher Maßstab galt, wenn auch die Einrichtung einer Betreuung im Wege der einstweiligen Anordnung nicht abgewartet werden 229
BT-Drs. 16/13314, S. 20. BT-Drs. 16/13314, S. 20. 231 BT-Drs. 16/8442, S. 16; zum „Wohl“ des Betreuten vgl. im Übrigen auch S. 141 ff. 232 BGBl. I 2013, S. 277 ff. 233 Olzen/Schneider, MedR 2010, 745, 746. 234 Zum „Vier-Augen-Prinzip“ vgl. S. 101 ff. 230
V. Die Durchsetzung des in der Patientenverfügung festgehaltenen Willens
111
konnte. Vor allem bei Notfällen, bei denen sofortiges Handeln notwendig ist, drängte sich die Frage auf, ob der Arzt Festlegungen in Patientenverfügungen auch ohne Prüfung durch einen Betreuer berücksichtigen darf oder gar muss oder ob es bei dem Verfahren gemäß § 1901a BGB und § 1901b BGB bleibt.235 Die im Schrifttum geäußerten Auffassungen zu dieser Frage waren geteilt. Eine Auffassung236 bejahte die unmittelbare Bindungswirkung einer Patientenverfügung als antizipierte Erklärung auch gegenüber dem Arzt. Begründet wurde dies mit dem Charakter einer vorweggenommenen Einwilligung oder auch Begrenzung der Einwilligung237 aber auch mit dem verfassungsrechtlich verbürgten Selbstbestimmungsrecht des Patienten aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG238. Auch das Bundesministerium der Justiz239 sowie die Bundesärztekammer240 schlossen sich dieser Auffassung an. Die Gegenauffassung lehnte die Befugnis des Arztes zur Willensermittlung in Eilsituationen und damit zur eigenverantwortlichen Umsetzung der Festlegungen in Patientenverfügungen hingegen ab.241 Ohne Einwilligung des Betreuers oder Bevollmächtigten dürfe der Arzt keine medizinisch indizierte Maßnahme unter235 Vgl. zur Problematik Stolz, BtPrax 2011, 103, 104; Diehn/Rebhan, NJW 2010, 326, 329; Müller, DNotZ 2010, 169, 172 f.; Olzen/Schneider, MedR 2010, 745, 746; Schumacher, FPR 2010, 474, 477; Spickhoff, FamRZ 2009, 1949, 1953. 236 Schwab, MüKo BGB, § 1901a Rn. 38; Coeppicus, NJW 2011, 2085, 2086 f.; Kutzer, MedR 2010, 531, 532; Diederichsen, Palandt, § 1901a Rn. 24; Müller, DNotZ 2010, 169, 178; Schumacher, FPR 2010, 474, 477; Spickhoff, FamRZ 2009, 1949, 1953 f.; wohl auch Verrel, in: Verrel/Simon, Patientenverfügungen, S. 39 f.; differenzierend nach Festlegungen gemäß § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB und solchen gemäß § 1901a Abs. 2 BGB Renner, ZNotP 2009, 371, 375; Zimmermann, in: Damrau/Zimmermann, Betreuungsrecht, § 1901a Rn. 56, 83 ff. bejaht zwar das grundsätzliche Erfordernis der Bestellung eines Betreuers, möchte jedoch in Eilfällen hierfür eine Ausnahme zulassen. 237 Spickhoff, FamRZ 2009, 1949, 1953 f., der sich jedoch für eine abgestufte Verbindlichkeit ausspricht. Während hinreichend bestimmte Festlegungen nach § 1901a Abs. 1 BGB den Arzt unmittelbar binden sollen, soll bei pauschal formulierten Erklärungen, die unter § 1901a Abs. 2 BGB fallen, der Grundsatz „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“ gelten; im Ergebnis ebenfalls in dieser Art differenzierend Renner, ZNotP 2009, 371, 375. 238 Müller, DNotZ 2010, 169, 175. 239 Vgl. die Broschüre des BMJ „Patientenverfügung“, Stand Oktober 2011, S. 12, die gar darauf hinweist, dass eine Missachtung dieses Patientenwillens als Körperverletzung strafbar sein kann. 240 Vgl. Empfehlungen der Bundesärztekammer und der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer zum Umgang mit Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung in der ärztlichen Praxis, Deutsches Ärzteblatt 2010, S. A877, A879, wobei im Widerspruch zum Grundsatz des „Vier-Augen-Prinzips“ sogar die grundsätzliche Notwendigkeit der Anregung einer Betreuung verneint wird. 241 Diehn/Rebhan, NJW 2010, 326, 329; Grözinger/Olzen/Metzmacher/Podoll/ Schneider, Der Nervenarzt 2011, 57, 58 f.; Olzen/Schneider, MedR 2010, 745, 746; wohl im Ergebnis auch Olzen/Metzmacher, JZ 2011, 318 f.; differenzierend Stolz, BtPrax 2011, 103, 104 ff.
112 C. Rechtslage nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts
lassen, auch wenn eine Patientenverfügung vorliege, die einen entsprechenden Willen des Betroffenen nahelege.242 Die §§ 1901a ff. BGB seien als abschließende Regelung zu den Rechtsproblemen der Patientenverfügung bewusst in das Betreuungsrecht eingefügt worden.243 Eine Zuständigkeit des Arztes im Hinblick auf die Willensermittlung des Patienten sei nicht vorgesehen.244 Im Übrigen ergebe sich dies auch aus systematischen Erwägungen.245 Gemäß § 1901b Abs. 2 BGB könne in Eilfällen der Betreuer davon absehen, nahe Angehörige zu beteiligen, wenn dies die Entscheidung erheblich verzögern würde.246 Der Gesetzgeber habe daher Eilfälle in seine Überlegungen einbezogen.247 Da aber in § 1901b Abs. 1 S. 2 BGB für die dort vorgeschriebene Willensermittlung durch den Betreuer eine entsprechende Regelung fehle, habe der Gesetzgeber auch in dringenden Fällen keine Abweichung von dem vorgeschriebenen Verfahren gewollt.248 Die Durchführung des in §§ 1901a ff. BGB vorgesehenen Verfahrens sei daher Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Einwilligung selbst.249 Eine Entscheidung des Streitstands war schwierig, da die Argumente beider Auffassungen nicht von der Hand zu weisen waren. Auch eine Analyse des Wortlauts des Gesetzes und der Begründung des Gesetzentwurfs brachte nicht die notwendige Klarheit. So sprach (und spricht) der Wortlaut des § 1901a Abs. 1 S. 1 und S. 2 BGB gegen eine unmittelbare Bindungswirkung gegenüber dem Arzt bei Notfallmaßnahmen. „Der Betreuer“ (und gerade nicht der Arzt alleine) prüft, ob die Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen.250 Des Weiteren hat „der Betreuer“ gegebenenfalls dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Auch bei Festlegungen nach § 1901a Abs. 2 BGB soll es „der Betreuer“ sein, der die Behandlungswünsche und den mutmaßlichen Willen des Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden hat, ob er in eine ärztliche Maßnahme einwilligt oder sie untersagt. Anhaltspunkte dafür, dass der Arzt befugt ist, für den Betroffenen eine Vertreterhandlung in welcher Form auch immer vorzunehmen, bestanden nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht.251 Ähnlich verstand auch der Bundesgerichtshof die grundsätzliche
242 243 244 245 246 247
Diehn/Rebhan, NJW 2010, 326, 329. Olzen/Schneider, MedR 2010, 745, 746. Olzen/Schneider, MedR 2010, 745, 746. Olzen/Schneider, MedR 2010, 745, 746. Olzen/Schneider, MedR 2010, 745, 746. Olzen/Schneider, MedR 2010, 745, 746 unter Hinweis auf BT-Drs. 16/13314,
S. 20. 248 249 250 251
Olzen/Schneider, MedR 2010, 745, 746 f. Diehn/Rebhan, NJW 2010, 326, 329. Vgl. hierzu auch BGH, NJW 2011, 161, 162 f.; BGH, NJW 2010, 2963, 2967. So auch Diehn/Rebhan, NJW 2010, 326, 329.
V. Die Durchsetzung des in der Patientenverfügung festgehaltenen Willens
113
Aufgabenverteilung zwischen Betreuer und behandelndem Arzt, wenn er – jedoch nicht in Bezug auf Notfallmaßnahmen – ausführte: „Für die Feststellung des Patientenwillens als Grundlage für den rechtfertigenden Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen sehen die §§ 1901a und 1901b BGB daher grundsätzlich folgendes Verfahren vor: Gemäß § 1901a I 1 und 2 BGB ist nur der Betreuer bzw. Bevollmächtigte (§ 1901a V BGB) befugt, die Übereinstimmung der Festlegungen in der Patientenverfügung mit der aktuellen Lebens- und Behandlungssituation des Patienten zu prüfen und auf dieser Grundlage dem Willen des Patienten gegebenenfalls Geltung zu verschaffen. Darüber hinaus setzt die Entscheidung über einen Behandlungsabbruch gem. § 1901b I BGB zwingend ein Zusammenwirken von Betreuer bzw. Bevollmächtigtem und Arzt voraus. Danach prüft der behandelnde Arzt in eigener Verantwortung, welche ärztliche Behandlung im Hinblick auf den Gesundheitszustand und die Prognose des Patienten indiziert ist und erörtert dies mit dem Betreuer unter Berücksichtigung des Patientenwillens als Grundlage für die zu treffende Entscheidung.“ 252
Auch das systematische Argument von Olzen/Schneider253 aus der Formulierung des § 1901b Abs. 2 BGB ergebe sich, dass der Gesetzgeber die Problematik der Eilmaßnahmen gesehen und bewusst nicht geregelt habe (und damit doch im negativen Sinne geregelt habe), war auf den ersten Blick nachvollziehbar. Dafür, dass der Gesetzgeber die Problematik der Eilmaßnahmen gesehen hatte, sprach auch eine Auswertung der Beratungsprotokolle im Plenum. In Bezug auf den Stünker-Entwurf254 wurde mehrfach diskutiert, ob dieser einen Automatismus enthalte, dergestalt, dass in jedem Falle die Festlegungen der Patientenverfügung ohne jegliche Möglichkeit der Abweichung umgesetzt werden. Von den Befürwortern des Stünker-Entwurfs wurde ein solcher Automatismus stets zurückgewiesen, wobei teilweise der Prozess des Zusammenwirkens zwischen Arzt und Betreuer besonders hervorgehoben wurde.255 Dennoch wurde von den Gegnern 252
BGH, NJW 2011, 161, 162 f. Olzen/Schneider, MedR 2010, 745, 746 f. 254 BT-Drs. 16/8442. 255 Stünker hat im Plenarprotokoll 16/172, S. 18261 hierzu ausgeführt: „Die Patientenverfügung ist vom Arzt und Betreuer oder Bevollmächtigten gemeinsam auszulegen. Jede Patientenverfügung ist zu interpretieren; es gibt keinen Automatismus, dass das, was in der Patientenverfügung steht, eins zu eins umgesetzt wird. Der in der Patientenverfügung niedergelegte Wille ist nur dann umzusetzen, wenn er auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutrifft – was zu prüfen ist. Arzt und Betreuer oder Bevollmächtigter müssen dies einvernehmlich feststellen.“; Kauch hat im Plenarprotokoll 16/172, S. 18263 hierzu ausgeführt: „Erstens haben wir durchgesetzt, dass eine Patientenverfügung nur dann Gültigkeit hat, wenn der Vertreter geprüft hat, ob sie noch dem aktuellen Willen des Patienten entspricht.“; Reimann hat im Plenarprotokoll 16/172, S. 18267 hierzu ausgeführt: „Denn entgegen vielfachen Behauptungen soll nicht einfach dass, was in der Patientenverfügung steht, ohne Prüfung übernommen werden. In der konkreten Erkrankungssituation des Patienten müssen Arzt und Betreuer bzw. Bevollmächtigter feststellen, ob die Patientenverfügung, erstens, auf die aktuelle Lebenssituation und Behandlungssituation zutrifft, ob sie, zweitens, für diese Situation eine Entscheidung über die anstehende ärztliche Maßnahme enthält und ob sie, drittens, noch 253
114 C. Rechtslage nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts
des Stünker-Entwurfs kritisiert, dass nach dem Stünker-Entwurf ein solcher Automatismus nicht ausgeschlossen werden könne.256 Auch die Problematik der Notfallmaßnahmen wurde in Bezug auf den Stünker-Entwurf ausdrücklich angesprochen.257 Gegen eine Anwendbarkeit der §§ 1901a ff. BGB vor Betreuerbestellung sprach auch, dass die Vorschrift des § 1901b BGB im ursprünglichen Gesetzentdem aktuellen Willen des Patienten entspricht.“; Strässer hat im Plenarprotokoll 16/ 199, S. 21496 hierzu ausgeführt: „Es geht nicht darum – das hat Kollege Kauch, wie ich finde, völlig zu Recht gesagt –, hier einen Automatismus in Gang zu setzen. Ich verweise, weil ich diese Diskussion teilweise nicht verstehe, sehr deutlich auf das, was in unserem Gesetzentwurf in § 1901b Abs. 1 und Abs. 2, auf den ich noch zu sprechen komme, steht. Dieser bewirkt genau das Gegenteil von Automatismus. Dort steht ganz klar, dass in jeder Situation, in der mit einer schriftlichen Patientenverfügung gearbeitet werden muss, der Betreuer zu entscheiden hat, ob das, was darin niedergelegt ist, sowohl dem Willen des Patienten als auch seiner konkreten Lebens- und Behandlungssituation entspricht. Das ist kein Automatismus, sondern eine Überprüfung des Willens des Patienten. Ich denke, das ist eine Form des Selbstbestimmungsrechts, die wir zu akzeptieren haben.“; Montag hat im Plenarprotokoll 16/199, S. 21503 hierzu ausgeführt: „Ich will, um den Irrtum auch von dieser Stelle aus in aller Klarheit und Ruhe auszuräumen, sagen: In unserem Gesetzentwurf steht, dass dann – ich kürze ab –, wenn eine Patientenverfügung vorliegt, der Betreuer prüft, ob die Festlegungen der Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Diese Prüfung beinhaltet eine Einzelfallprüfung mit all den Elementen, die der Kollege Zöller ausführlich aufgeführt hat. Erst wenn diese Prüfung beendet ist und der Betreuer die Entscheidung getroffen hat, dass zwischen dem Text der Patientenverfügung und der konkreten Lebenssituation eine Einheit besteht, dann hat der Betreuer der Patientenverfügung Geltung zu verschaffen. Das ist das Gegenteil von einem Automatismus, und so steht es in unserem Entwurf.“ 256 Knoche hat im Plenarprotokoll 16/199, S. 21497 hierzu ausgeführt: „Der Stünker-Entwurf ist in seiner vorgelegten Form – nicht in den heute gegebenen Interpretationen – aufgrund von drei entscheidenden Punkten für uns nicht akzeptabel. Erstens. Er wird dem Kernbestand individueller Lebensgestaltung insofern nicht gerecht, als er eben die Befürchtung dass ein Automatismus eintreten kann, nicht entscheidend entkräften kann.“ 257 Kauch hat im Plenarprotokoll 16/199, S. 21494 hierzu ausgeführt: „Weder der Entwurf von Herrn Zöller und Herrn Faust noch der Entwurf von Herrn Stünker und mir beinhaltet einen Automatismus für die Patientenverfügung. Ich habe gehört, Herr Bosbach habe heute einigen Journalisten gesagt: Eine junge Radfahrerin, die stürzt und aufgrund ihrer Verletzungen ins Koma fällt, würde nach unserem Gesetzentwurf nicht behandelt werden, wenn sie vorher in einer Patientenverfügung festgelegt hat, dass sie in diesem Falle nicht behandelt werden möchte. – Das ist natürlich Unsinn.“; Bosbach hat im Plenarprotokoll 16/199, S. 21510 hierzu ausgeführt: „Nun gibt es Fälle, in denen Kreislaufstillstand oder Herzversagen vorliegen und die Reanimation notwendig ist. Nehmen Sie nur einmal das Beispiel Herzstillstand/Reanimation. Sie fordern, dann einen Beratungsprozess in Gang zu setzen. Es gibt aber Situationen, in denen Sie spontan entscheiden müssen: Reanimiere ich – Ja oder Nein? In einer solchen Situation nützt Ihnen kein Betreuer und kein Vormundschaftsgericht, sondern Sie müssen spontan handeln. Wenn Sie nun feststellen – und diese Antwort ist mir sehr sympathisch –: Selbstverständlich gibt es Fallkonstellationen, wo wiederbelebt bzw. künstlich beatmet werden muss und in denen der Satz keine Gültigkeit haben kann, dann differenzieren Sie doch nach Art und Stadium der Erkrankung. Genau das Gegenteil steht in Ihrem Gesetzentwurf drin.“
V. Die Durchsetzung des in der Patientenverfügung festgehaltenen Willens
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wurf 258 nicht enthalten war und gerade aus Klarstellungsgründen auf Empfehlung des Rechtsausschusses eingefügt wurde.259 Dies alles sprach dafür, den Anwendungsbereich der Vorschriften der §§ 1901a ff. BGB auf diejenigen Situationen zu beschränken, in denen ein Betreuer oder ein Bevollmächtigter existiert. Der Arzt war damit verpflichtet – soweit kein sofortiges Handeln notwendig ist – im Falle des Vorliegens einer Patientenverfügung beim Betreuungsgericht die Einrichtung einer Betreuung anzuregen. Dennoch überzeugte die Auffassung, der Arzt könne in Notfällen, in denen keine Zeit für eine Betreuerbestellung besteht, eine Patientenverfügung völlig außer Acht lassen, nicht. Der Auffassung lag der Ansatz zu Grunde, die Regelungen der §§ 1901a ff. BGB seien abschließend konzipiert, mit der Folge, dass außerhalb deren Anwendungsbereich Patientenverfügungen unbeachtlich sind.260 Abgesehen davon, dass gegen eine völlige Unbeachtlichkeit einer Patientenverfügung in Notfallsituationen verfassungsrechtliche Bedenken bestehen und bestanden261, erschien dieser Rückschluss auch keineswegs zwingend. Naheliegender war davon auszugehen, dass der Gesetzgeber für diese Fälle bewusst keine Regelung, auch nicht durch beredtes Schweigen, treffen wollte. Hierfür sprach allgemein der Zweck des Gesetzes, bei dem es vorrangig um die Stärkung und nicht um die Schwächung des Selbstbestimmungsrechts der Betroffenen ging.262 Des Weiteren konnte auch die Formulierung des § 1901a Abs. 1 S. 2 BGB herangezogen werden, wonach der Betreuer dem Willen des Betreuten (lediglich) Ausdruck und Geltung zu verschaffen hat. Die Einwilligung im Rahmen des § 1901a Abs. 1 BGB wurde und wird daher gerade nicht durch den Betreuer, sondern unmittelbar durch den Betroffenen abgegeben.263 Insofern kam der Entscheidung des Betreuers auch keine konstitutiv rechtfertigende Wirkung zu.264 Innerhalb des Anwendungsbereichs des § 1901a Abs. 1 BGB hat der Betreuer daher keine materielle, sondern lediglich eine verfahrensrechtliche Bedeutung bei der Ermittlung und Durchsetzung des Patientenwillens.265 Es bedurfte daher besonderer Gründe anzunehmen, dass die vorhandene Erklärung des Betroffenen außerhalb des Verfahrens des § 1901a BGB unbeachtlich sein soll. Im Ergebnis erschien daher folgender Ansatz sinnvoll: §§ 1901a ff. BGB waren nach der Grundkonzeption des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreu258 259 260 261 262 263 264 265
BT-Drs. 16/8442. BT-Drs. 16/13314, S. 20. Für den abschließenden Charakter Olzen/Schneider, MedR 2010, 745, 746. Hierzu auch Müller, DNotZ 2010, 169, 175. Vgl. BT-Drs. 16/8442, S. 12. BT-Drs. 16/8442, S. 14. A. A. Diehn/Rebhan, NJW 2010, 326, 329. So auch Müller, DNotZ 2010, 169, 177.
116 C. Rechtslage nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts
ungsrechts erst ab Betreuerbestellung anwendbar. Dies galt auch für Notfallmaßnahmen, in denen ein Betreuer aufgrund der Eilsituation nicht bestellt werden kann. Die §§ 1901a ff. BGB konnten in diesen Fällen nicht – auch nicht analog – herangezogen werden. Dennoch durfte der Arzt das Vorliegen einer Patientenverfügung nicht unberücksichtigt lassen. Ihm halfen zwar nicht die Vorschriften der §§ 1901a ff. BGB weiter. Da diese jedoch nicht abschließend konzipiert waren, war der Arzt angehalten, unter Berücksichtigung der Festlegungen in der Patientenverfügung den mutmaßlichen Willen des Betroffenen zu ermitteln. Dies führte praktisch dazu, dass für Ärzte in besagten Notfallmaßnahmen faktisch der Rechtszustand bestand, der auch ohne die Regelungen der §§ 1901a ff. BGB bestehen würde. Hinsichtlich der Frage, wie der Arzt den mutmaßlichen Willen zu ermitteln hat, konnten daher die Grundsätze der Rechtsprechung266 vor Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts herangezogen werden. Allerdings hat der Bundesgerichtshof im Kemptener Urteil267 ausgeführt, dass an die Voraussetzungen für die Annahme eines mutmaßlichen Einverständnisses des entscheidungsunfähigen Patienten im Interesse des Schutzes menschlichen Lebens in tatsächlicher Hinsicht strenge Anforderungen zu stellen sind. Entsprechendes musste daher auch für die Annahme einer mutmaßlichen Verweigerung der Einwilligung gelten. Entscheidend war demnach der mutmaßliche Wille des Patienten, wie er sich nach sorgfältiger Abwägung aller Umstände darstellte.268 Nach den Ausführungen des Bundesgerichtshofs waren hierbei frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen des Kranken ebenso zu berücksichtigen wie seine religiöse Überzeugung, seine sonstigen persönlichen Wertvorstellungen, seine altersbedingte Lebenserwartung oder das Erleiden von Schmerzen.269 Dass diese Kriterien auch bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens im Rahmen des § 1901a Abs. 2 S. 3 BGB herangezogen werden müssen, führte nicht zur Anwendbarkeit dieser Vorschrift. Dies war lediglich dem Umstand geschuldet, dass der Gesetzgeber hinsichtlich dieser Kriterien gerade die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aus dem Kemptener Urteil aufgegriffen hat.270 In praktischer Hinsicht bedeutete dies, dass der Arzt die Patientenverfügung zur Kenntnis nehmen musste und unter Berücksichtigung sämtlicher relevanten Umstände prüfen musste, ob die Festlegungen zweifellos zutreffen. Dies wird umso eher der Fall sein, je genauer die konkrete Situation und der bevorstehende
266 Vgl. zur Entwicklung der Rechtsprechung vor Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts S. 32 ff. 267 BGHSt 40, 257, 263. 268 BGHSt 40, 257, 263. 269 BGHSt 40, 257, 263; im Einzelnen dazu S. 33 ff. 270 Vgl. BT-Drs. 16/8442, S. 15.
V. Die Durchsetzung des in der Patientenverfügung festgehaltenen Willens
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Eingriff in der Patientenverfügung beschrieben sind.271 Führte die Ermittlung des mutmaßlichen subjektiven Willens unter Auslegung der Patientenverfügung und Berücksichtigung aller sonstigen Begleitumstände nicht zu einem eindeutigen Ergebnis, so war der Arzt verpflichtet, diejenige Behandlung vorzunehmen, die dem objektiven mutmaßlichen Willen entspricht.272 Es galt der Grundsatz „in dubio pro vita“.273 b) Veränderte Rechtslage nach dem Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20. Februar 2013 274 Wie bereits herausgearbeitet wurde, ist das „Vier-Augen-Prinzip“ durch die Einführung des § 630d Abs. 1 S. 2 BGB n. F. eingeschränkt worden. Sofern eine hinreichend bestimmte Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB vorliegt und noch kein Betreuer bestellt ist, ist der Arzt nach dem oben Gesagten nicht verpflichtet, bei Gericht eine Betreuung anzuregen. Liegt indes ein Schriftstück vor, welches den Anforderungen des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB nicht genügt, jedoch gemäß § 1901a Abs. 2 BGB beachtlich sein kann, so bleibt es bei der grundsätzlichen Verpflichtung des Arztes, eine Betreuung anzuregen. Dieses Ergebnis bedarf in Bezug auf Notfallmaßnahmen genauerer Betrachtung, da der Arzt in vielen Fällen aufgrund des schlechten Gesundheitszustandes des Betroffenen schlichtweg nicht die Zeit hat, eine vorläufige Betreuung anzuregen275 und ein Gespräch zur Feststellung des Patientenwillens gemäß § 1901b BGB zu führen. Abstrakt können zunächst Konstellationen bei noch nicht bestehender Bevollmächtigung oder Betreuung von denen unterschieden werden, in denen bereits eine Bevollmächtigung oder Betreuung besteht. Diese Situationen können jeweils nochmals abgeschichtet werden, je nachdem, ob die Festlegungen in der Vorausverfügung hinreichend bestimmt sind, um § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB zu genügen oder nicht (dann läge ein Fall des § 1901a Abs. 2 BGB vor). Hierzu im Einzelnen: 271 Insofern dürfte diese Auffassung in den praktischen Ergebnissen jedenfalls nahe an die Auffassung Spickhoffs in: FamRZ 2009, 1949, 1953 f. herankommen, der sich für die Anwendbarkeit des § 1901a BGB auf Notfallsituationen ohne Betreuer ausspricht, jedoch nur den Festlegungen nach § 1901a Abs. 1 BGB im Gegensatz zu denjenigen nach § 1901a Abs. 2 BGB unmittelbare Bindungswirkung zukommen lassen will. 272 Vgl. zu dieser Zweifelsregel auch BGHSt 40, 257, 263. 273 Auch in haftungs- und strafrechtlicher Hinsicht sollte der Arzt bei Zweifeln stets die Lösung wählen, die zur Erhaltung des Lebens der betreffenden Person führt, da der Vorwurf einer fahrlässigen Tötung ungleich schwerer wiegt, als der einer fahrlässigen Körperverletzung. 274 BGBl. I 2013, S. 277 ff. 275 Wobei nicht verkannt werden darf, dass die Einrichtung einer vorläufigen Betreuung äußerst schnell, also innerhalb weniger Stunden, erfolgen kann.
118 C. Rechtslage nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts
Besteht keine Bevollmächtigung oder Betreuung und liegt eine hinreichend bestimmte Patientenverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB vor, die die medizinische Maßnahme gestattet276 oder untersagt, ist aufgrund des neu eingefügten § 630d Abs. 1 S. 2 BGB n. F. das „Vier-Augen-Prinzip“ nicht anwendbar. Der Arzt kann und muss daher sein Handeln in diesen Fällen, an den Festlegungen der Patientenverfügung ausrichten. Dies bedeutet im Extremfall, dass er aufgrund des Vorliegens einer hinreichend konkreten, die Maßnahme ablehnenden, Patientenverfügung einen möglicherweise lebensrettenden Eingriff nicht vornehmen darf, auch wenn die betroffene Person in Folge dessen stirbt. Besteht keine Bevollmächtigung oder Betreuung und liegt keine hinreichend bestimmte, den Maßstäben des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB genügende Vorausverfügung vor, so ist zunächst festzuhalten, dass weder eine unmittelbar vom Betroffenen verfasste Einwilligung noch eine Ablehnung vorliegt. Läge kein unaufschiebbarer Eilfall vor, wäre der Arzt daher verpflichtet, bei Gericht eine Betreuung anzuregen, damit der Betreuer sodann als Berechtigter nach den Grundsätzen des § 1901a Abs. 2 BGB entscheiden könnte, ob er in die Maßnahme einwilligt oder sie untersagt. Mit § 630d Abs. 1 S. 4 BGB n. F. wurde nun eine Regelung für ebendiese Fälle geschaffen. Kann demnach die Einwilligung (eines zu bestellenden Betreuers) für eine unaufschiebbare Maßnahme nicht rechtzeitig eingeholt werden, so darf diese ohne Einwilligung durchgeführt werden, wenn sie dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht. Hinsichtlich der Frage, wie der Arzt den mutmaßlichen Willen zu ermitteln hat, können die Grundsätze der Rechtsprechung277 vor Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts herangezogen werden. Näherer Betrachtung bedarf schließlich die Konstellation, in der bereits ein Betreuer oder Bevollmächtigter besteht und in denen eine hinreichend bestimmte Patientenverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB vorliegt, die die Maßnahme gestattet oder untersagt. Läge keine Notfallmaßnahme vor, so müsste zunächst gemäß § 1901b Abs. 1 BGB nach dem (nur noch eingeschränkten) „VierAugen-Prinzip“ zwischen Arzt und Betreuer oder Bevollmächtigten278 ein Ge276 Zur Beurteilung der Frage, ob eine wirksame Gestattung des Eingriffs erfolgt ist, ist auch im Rahmen der Festlegungen von Patientenverfügungen zu beachten, dass die Einwilligung in eine ärztliche Maßnahme der ärztlichen Aufklärung bedarf, um wirksam zu sein. In der Begründung des Gesetzentwurfs zum Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts, BT-Drs. 16/8442 auf Seite 14 heißt es hierzu ausdrücklich: „Soweit daher eine Patientenverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB eine Einwilligung in eine ärztliche Maßnahme enthält, ist diese nur wirksam mit vorangegangener ärztlicher Aufklärung oder bei erklärtem Aufklärungsverzicht.“ Auch mit dem Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten wurde hieran festgehalten, wie sich aus BT-Drs. 17/10488, S. 23 ergibt. 277 Vgl. zur Entwicklung der Rechtsprechung vor Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts S. 32 ff. 278 § 1901b Abs. 1 BGB gilt gemäß § 1901b Abs. 3 BGB für Bevollmächtigte entsprechend.
V. Die Durchsetzung des in der Patientenverfügung festgehaltenen Willens
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spräch zur Feststellung des Patientenwillens stattfinden. Fraglich ist somit, ob die Festlegungen in der Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB auch dann für das Handeln des Arztes verbindlich sind, wenn in unaufschiebbaren Eilfällen sofortiges Handeln oder Nichthandeln aufgrund der Patientenverfügung geboten ist und damit aus tatsächlichen Gründen keine Zeit zur Durchführung des Gesprächs zur Feststellung des Patientenwillens gemäß § 1901b BGB besteht. Liest man § 630d Abs. 1 S. 2 BGB n. F. so scheint das Ergebnis eindeutig zu sein: Sofern eine hinreichend konkrete Patientenverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB vorliegt, muss sich der Arzt danach richten. Das Gesetz unterscheidet in § 630d Abs. 1 S. 2 BGB insoweit nicht nach Eilfällen oder sonstigen Fällen. Auch kann aus § 630d Abs. 1 S. 3 BGB n. F. nichts Anderweitiges hergeleitet werden, da mit weitergehenden Anforderungen an die Einwilligung im Sinne dieser Vorschrift gerichtliche Genehmigungserfordernisse, wie beispielsweise in den Fällen der §§ 1904, 1905, 1906 BGB gemeint sind.279 Aus Perspektive des Behandlungsvertrages kann zudem argumentiert werden, dass der Arzt, der sich beim Vorliegen einer hinreichend konkreten Patientenverfügung (entsprechend dem Wortlaut des § 630d Abs. 1 S. 2 BGB n. F.) danach richtet, insoweit keine Pflichtverletzung des Behandlungsvertrages begeht. Im Ergebnis führt dies dazu, dass das „Vier-Augen-Prinzip“ auch in denjenigen Fällen nicht anwendbar und damit eingeschränkt ist, in denen zwar ein Betreuer oder Bevollmächtigter existiert, jedoch sofortiges Handeln oder Nichthandeln aufgrund der Patientenverfügung geboten ist und keine Zeit für das Gespräch zur Feststellung des Patientenwillens gemäß § 1901b Abs. 1 BGB besteht. Auch diese Wertung entfernt sich von der Grundkonzeption des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts, zumal in § 1901b Abs. 2 BGB auch Eilfälle in die Erwägungen des Gesetzgebers miteinbezogen wurden. Was bleibt, ist ein schwerlich aufzulösender Widerspruch, wenn man § 630d Abs. 1 S. 2 BGB n. F. und § 1901b Abs. 1 BGB vor dem Hintergrund der unaufschiebbaren Eilfälle parallel liest. Nach dem oben Gesagten ist jedoch § 630d Abs. 1 S. 2 BGB gegenüber § 1901b Abs. 1 BGB in unaufschiebbaren Eilfällen der Vorrang einzuräumen. Verbleibender Anwendungsbereich des § 1901b Abs. 1 BGB in den Fällen einer hinreichend konkreten Patientenverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB sind demnach lediglich solche Konstellationen, in denen bereits ein Betreuer oder Bevollmächtigter existiert und es zudem der Gesundheitszustand des Betroffenen erlaubt, die ärztliche Entscheidung bis zur Durchführung des Gesprächs zur Feststellung des Patientenwillens zurückzustellen.280 Der Vollständigkeit halber sei noch jene Konstellation erwähnt, in denen ein Betreuer oder Bevollmächtigter existiert, die Festlegungen in der Vorausverfü-
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BT-Drs. 17/10488, S. 23. Überspitzt könnte man daher sagen, dass § 1901b Abs. 1 BGB auf „Kaffee-undKuchen-Konstellationen“ beschränkt ist. 280
120 C. Rechtslage nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts
gung jedoch nicht hinreichend konkret im Sinne des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB sind. Eine unmittelbar fortwirkende Einwilligung oder Ablehnung liegt in diesem Fall nicht vor und die Einwilligung des Berechtigten kann in unaufschiebbaren Eilfällen nicht rechtzeitig eingeholt werden. Demnach liegt ein Fall des § 630d Abs. 1 S. 4 BGB n. F. vor, wonach der Eingriff ohne Einwilligung durchgeführt werden darf, wenn er dem mutmaßlichen Willen, den der Arzt zu ermitteln hat, entspricht. Hinsichtlich der Frage, wie der Arzt den mutmaßlichen Willen zu ermitteln hat, können wiederum die Grundsätze der Rechtsprechung281 vor Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts herangezogen werden. 5. Genehmigung des Betreuungsgerichts bei ärztlichen Maßnahmen Bereits vor Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts bedurfte die Einwilligung des Betreuers in bestimmte medizinische Maßnahmen der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts.282 Gemäß § 1904 Abs. 1 S. 1 BGB a. F. galt das Genehmigungserfordernis bei Untersuchungen des Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztlichen Eingriffen, wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute aufgrund der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. Nach § 1904 Abs. 1 S. 2 BGB a. F. durfte die Maßnahme ohne Genehmigung nur durchgeführt werden, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden war. § 1904 Abs. 1 BGB a. F. wurde durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts nur geringfügig redaktionell geändert. Der Begriff Vormundschaftsgericht wurde lediglich durch den des Betreuungsgerichts ersetzt.283 Eine wesentliche und auch praktisch sehr bedeutsame Änderung ist jedoch durch den neu eingefügten § 1904 Abs. 2 BGB vollzogen worden. Hiernach bedarf die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff grundsätzlich der Genehmigung des Betreuungsgerichts, wenn die Maßnahme medizinisch angezeigt ist und die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute aufgrund des Unterbleibens der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. Eine Ausnahme hierzu regelt der ebenfalls neu eingefügte § 1904 Abs. 4 BGB. Eine gerichtliche Genehmigung ist danach ausnahmsweise nicht erforderlich, wenn zwischen Betreuer und behandelndem Arzt Einvernehmen darüber besteht,
281 Vgl. zur Entwicklung der Rechtsprechung vor Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts S. 32 ff. 282 Heute Betreuungsgericht. 283 BT-Drs. 16/13314, S. 21.
V. Die Durchsetzung des in der Patientenverfügung festgehaltenen Willens
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dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1901a BGB festgestellten Willen des Betreuten entspricht. Da § 1904 Abs. 1 S. 1 BGB lediglich die Einwilligung des Betreuers in die besagten Maßnahmen regelt, war vor Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts nicht vollkommen klar, ob auch die Versagung der Einwilligung des Betreuers in die genannten Maßnahmen der gerichtlichen Genehmigung bedurfte. Auch in diesem Punkt war die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht ganz einheitlich.284 Der erste Strafsenat bejahte im Kemptener Urteil285 die entsprechende Anwendbarkeit des § 1904 Abs. 1 BGB a. F. und begründete dies mit einem ErstRecht-Schluss. Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift müsse sie in Fällen der Sterbehilfe jedenfalls dann – erst recht – entsprechend anzuwenden sein, wenn die ärztliche Maßnahme in der Beendigung einer bisher durchgeführten lebenserhaltenden Behandlung bestehe und der Sterbevorgang noch nicht unmittelbar eingesetzt habe.286 Wenn schon bestimmte Heileingriffe wegen ihrer Gefährlichkeit der alleinigen Entscheidungsbefugnis des Betreuers entzogen sind, dann müsse dies umso mehr für Maßnahmen gelten, die eine ärztliche Behandlung beenden sollen und mit Sicherheit binnen kurzem zum Tode des Kranken führen.287 Der zwölfte Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte hingegen im Lübecker Fall die Möglichkeit einer analogen Anwendung des § 1904 Abs. 1 BGB auf die Fälle der Versagung der Einwilligung abgelehnt. Der Schutz eines heilungsfähigen Patienten vor dem Einsatz riskanter medizinischer Mittel sei etwas völlig anderes als die medizinische Versorgung eines tödlich und unheilbar erkrankten Menschen.288 § 1904 BGB wolle dem Betroffenen Leben und Gesundheit erhalten, der geforderte Behandlungsabbruch will sein Leben gerade beenden.289 Beide Ziele stünden sich nicht in einem „maius“ und „minus“ gegenüber; sie seien miteinander inkomparabel und deshalb einem „erst recht“ – Schluss nicht zugänglich.290 Trotz abgelehnter Möglichkeit des Analogieschlusses hat der zwölfte Senat des Bundesgerichtshofs das Erfordernis der betreuungsgerichtlichen Genehmigung im Ergebnis im Wege richterlicher Rechtsfortbildung bejaht. Dies ergebe sich aus einer Gesamtschau des Betreuungsrechts und dem unabweisbaren Bedürfnis, mit den Instrumenten dieses Rechts auch auf Fragen im Grenzbereich menschlichen Lebens und Sterbens für alle Beteiligten rechtlich 284 Vgl. hierzu insbesondere BGHSt 40, 257 und BGHZ 154, 205; im Übrigen hierzu auch Spickhoff, FamRZ 2009, 1949, 1955. 285 BGHSt 40, 257, 262. 286 BGHSt 40, 257, 262. 287 BGHSt 40, 257, 262. 288 BGHZ 154, 205, 220. 289 BGHZ 154, 205, 220. 290 BGHZ 154, 205, 220.
122 C. Rechtslage nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts
verantwortbare Antworten zu finden.291 Von diesem Grundsatz des Genehmigungserfordernisses machte allerdings auch der zwölfte Zivilsenat des Bundesgerichtshofs eine Ausnahme. So sei für eine Einwilligung des Betreuers in eine lebensverlängernde oder -erhaltende Behandlung von vornherein kein Raum, wenn ärztlicherseits eine solche Behandlung nicht angeboten wird – sei es, dass sie nach Auffassung der behandelnden Ärzte von vornherein nicht indiziert ist, sinnlos geworden oder aus sonstigen Gründen nicht möglich ist.292 Demnach bedurfte es nur in Konfliktsituationen zwischen Arzt und Betreuer der Anrufung des Betreuungsgerichts. Mit der Neuregelung des § 1904 BGB hat der Gesetzgeber diese vom zwölften Zivilsenat des Bundesgerichtshofs aufgestellten Grundsätze weitgehend kodifiziert.293 Eine gerichtliche Genehmigung ist gemäß § 1904 Abs. 4 BGB daher nur noch bei Abweichung der Einschätzung von Arzt und Betreuer notwendig. Über die Kodifizierung der Rechtsprechung des zwölften Zivilsenates hinaus, wurde mit § 1904 Abs. 4 BGB aber auch die Genehmigungspflicht des § 1904 Abs. 1 BGB eingeschränkt. Auch die Einwilligung bedarf künftig nicht mehr der Genehmigung, sofern zwischen Arzt und Betreuer Einigkeit besteht, dass die Erteilung der Einwilligung dem nach § 1901a (Abs. 1 oder Abs. 2) BGB festgestellten Willen des Betreuten entspricht. Auch wenn die Änderung auf den ersten Blick geringfügig erscheint, wurde damit letztlich der ursprüngliche Zweck der Vorschrift, nämlich der Schutz des Betroffenen vor unkontrolliertem Zusammenwirken von Betreuer und Arzt294 auf den Kopf gestellt. Völlig „schutzlos“ bleibt der Betroffene jedoch auch nach neuer Rechtslage nicht. Ohne dass dies Niederschlag im Gesetzeswortlaut gefunden hat, geht die Begründung des Gesetzentwurfs immerhin davon aus, dass – unabhängig von dem Bestehen oder Nichtbestehen des Genehmigungserfordernisses – jeder Dritte aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes eine betreuungsgerichtliche Kontrolle in Gang setzen kann.295
VI. Zusammenfassung und Bewertung der wesentlichen Ergebnisse Nach dem Ergebnis der Untersuchung kann festgehalten werden, dass §§ 1901a ff. BGB auf Patientenverfügungen von psychisch kranken Menschen anwendbar sind. 291
BGHZ 154, 205, 221. BGHZ 154, 205, 225. 293 Vgl. auch Spickhoff, FamRZ 2009, 1949, 1956; Brosey, BtPrax 2009, 175, 177; zu den rechtlichen Wirkungen der Genehmigung eines Behandlungsabbruchs vgl. im Übrigen Coeppicus, NJW 2011, 2085, 2087 f. 294 Zum ursprünglichen Zweck vgl. Kern, Ärzteblatt Sachsen 2008, 410, 413. 295 BT-Drs. 16/8442, S. 19. 292
VI. Zusammenfassung und Bewertung der wesentlichen Ergebnisse
123
In der medizinischen und juristischen Fachterminologie besteht jedoch kein einheitliches Verständnis des Begriffs der psychischen Krankheit. Selbst im juristischen Bereich existiert keine einheitliche Definition dessen, was genau unter einer psychischen Krankheit zu verstehen ist. Der Richter wird daher nicht umhin kommen, bei der Beurteilung des Tatbestandsmerkmals zur Aufklärung der medizinischen Komponenten ein Sachverständigengutachten einzuholen. Darüber hinaus sind die Besonderheiten des Begriffsverständnisses der jeweils zu prüfenden Anspruchsgrundlage hinreichend zu berücksichtigen. Der Begriff der Patientenverfügung ist mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts in § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB legal definiert worden. Demnach sind Patientenverfügungen schriftliche Festlegungen eines einwilligungsfähigen Volljährigen für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt. Da die Festlegungen in Bezug auf „bestimmte“ Untersuchungen erfolgen müssen, sind nach dem Willen des Gesetzgebers einige Willensbekundungen im Zusammenhang mit einer zukünftigen ärztlichen Behandlung vom Begriff der Patientenverfügung von vornherein nicht umfasst. Die Festlegungen in Patientenverfügungen unterliegen zwar keiner Reichweitenbegrenzung, was sich ausdrücklich aus § 1901a Abs. 3 BGB ergibt. Durch die begriffliche Einschränkung in Form des Bestimmtheitserfordernisses wird jedoch der Anwendungsbereich von Patientenverfügungen in erheblichem Maße eingeengt. Des Weiteren führt dies dazu, dass sich der Begriff der Patientenverfügung nach der Legaldefinition nicht mit demjenigen Begriffsverständnis deckt, wie es zuvor in der öffentlichen und fachöffentlichen Diskussion vorherrschend war. Es liegt auf der Hand, dass durch diesen begrifflichen Wandel Missverständnisse im Umgang mit der „Patientenverfügung“ nicht lange auf sich warten lassen werden.296 In Bezug auf die Frage der wirksamen Errichtung einer Patientenverfügung wird in der Praxis vor allem die Feststellung des Tatbestandsmerkmals der Einwilligungsfähigkeit im Zeitpunkt der Errichtung Probleme bereiten. In Zweifelsfällen wird der Richter daher auch hier nicht umhin kommen, die medizinischen Fragen durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens aufzuklären. Für den Fall, dass es an einem der Tatbestandsmerkmale einer wirksamen Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB fehlt, kann die antizipierte Erklärung einen Behandlungswunsch im Sinne des § 1901a Abs. 2 BGB oder ein wichtiger konkreter Anhaltspunkt für die Ermittlung des mutmaßlichen Willens sein. Für den Widerruf einer Patientenverfügung ist Einwilligungsfähigkeit erforderlich. Äußerungen des Einwilligungsunfähigen können den Betreuer jedoch veran296 Ebenso Renner, ZNotP 2009, 371, 374; a. A. Lange, ZEV 2009, 537, 542, der die Regelung begrüßt, da damit das „Formularunwesen“ eingeschränkt werde.
124 C. Rechtslage nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts
lassen, den Festlegungen in der Patientenverfügung jedenfalls vorübergehend nicht Geltung zu verschaffen. Eine wesentliche „Schwachstelle“ des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts zeigte sich bei der Problematik der Notfallmaßnahmen, bei denen alleine aus zeitlichen Gründen ein Betreuer nicht bestellt werden kann. Gesetzgeberisches Leitbild der §§ 1901a ff. BGB war das „Vier-Augen-Prinzip“, wonach sowohl Arzt als auch Betreuer die Patientenverfügung auszulegen haben. Der Gesetzgeber hatte insoweit lediglich den „Idealfall“ vor Augen, in denen der Arzt und der Betreuer – gegebenenfalls gemäß § 1901b Abs. 2 BGB unter Hinzuziehung von Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen – in aller Ruhe das Für und Wider einer Maßnahme unter Berücksichtigung der Patientenverfügung abwägen können. Ein Blick auf die in der Praxis problematischen Fälle zeigte jedoch, dass durch die Beschränkung des Anwendungsbereichs auf die Zeit ab Betreuerbestellung, das eigentliche „Thema“ verfehlt wurde. Rechtssicherheit und die Achtung des Selbstbestimmungsrechts sind nämlich dort am wichtigsten, wo die Schaffung vollendeter Tatsachen droht. Die problematischsten Fälle in der Praxis sind mithin die Notfallmaßnahmen, in denen gerade keine Zeit verbleibt, einen Betreuer oder vorläufigen Betreuer zu bestellen und in denen sofort gehandelt werden muss. Genau in diesen Fällen fanden jedoch nach der Grundkonzeption des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts – entgegen der Auffassung des Bundesministerium der Justiz297 sowie der Bundesärztekammer298 – die Vorschriften der §§ 1901a ff. BGB keine Anwendung. Die Patientenverfügung in § 1901a Abs. 1 BGB stellte diesbezüglich im Ergebnis lediglich eine „Placebo-Verfügung“ dar, da hinsichtlich der Verbindlichkeit der Vorausverfügung faktisch der Rechtszustand vor dem Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts fortbestand. Hinsichtlich Notfallmaßnahmen wurde das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts seinem erklärten Ziel der Schaffung von Rechtssicherheit und der Stärkung des Selbstbestimmungsrechts daher nicht gerecht. In Bezug auf die Frage der Durchsetzung der Festlegungen in einer Patientenverfügung hat der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten in die durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts geschaffene Rechtslage – bewusst oder unbewusst – jedenfalls im praktischen Ergebnis eingegriffen, was auch unmittelbare Auswirkung auf die Rechtslage in Bezug auf unaufschiebbare Eilmaßnahmen hat. Während nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts das uneingeschränkte „VierAugen-Prinzip“ galt, wurde dies nunmehr in erheblichem Maße eingeschränkt. 297
Vgl. die Broschüre des BMJ „Patientenverfügung“, Stand Oktober 2011, S. 12. Vgl. Empfehlungen der Bundesärztekammer und der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer zum Umgang mit Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung in der ärztlichen Praxis, Deutsches Ärzteblatt 2010, S. A877, A879. 298
VI. Zusammenfassung und Bewertung der wesentlichen Ergebnisse
125
Die Frage, ob für die Durchsetzung der Festlegungen in einer Vorausverfügung eine Betreuerbestellung notwendig ist, hängt nunmehr maßgeblich davon ab, ob es sich um hinreichend bestimmte Festlegungen im Sinne des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB handelt oder nicht. Für den Fall, dass eine hinreichend bestimmte Patientenverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB vorliegt und keine Betreuung besteht, kann und muss sich der Arzt danach richten. Er ist in diesen Fällen nicht (mehr) verpflichtet, bei Gericht eine Betreuung anzuregen. Für den Fall, dass bereits eine Betreuung besteht, hat der Arzt mit dem Betreuer gemäß § 1901b BGB ein Gespräch zur Feststellung des Patientenwillens führen. In unaufschiebbaren Eilsituationen, in denen der Arzt sofort entscheiden muss, ob gehandelt wird oder nicht, ist ein Gespräch mit dem Betreuer jedoch aus praktischen Gründen nicht möglich und daher vom Gesetz auch nicht mehr gefordert. Liegt keine hinreichend bestimmte – den Anforderungen des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB genügende – Vorausverfügung vor, so ist der Arzt verpflichtet, bei Gericht eine Betreuung anzuregen. Kann jedoch eine Einwilligung für eine unaufschiebbare Maßnahme nicht rechtzeitig eingeholt werden, darf sie ohne Einwilligung durchgeführt werden, wenn sie dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen entspricht. Jedenfalls in Bezug auf Notfallmaßnahmen wird die nun geschaffene Rechtslage den praktischen Gegebenheiten besser gerecht. Die Bestellung eines Betreuers kann durch die Errichtung einer Vorsorgevollmacht durch den Betroffenen verhindert werden. Die Vorsorgevollmacht muss jedoch inhaltlich so ausgestaltet sein, dass dem Bevollmächtigten ein hinreichender Gestaltungsspielraum verbleibt, um die Angelegenheiten „ebenso gut“ wie durch einen Betreuer zu erledigen. Hinsichtlich des Erfordernisses der gerichtlichen Genehmigung bei bestimmten gefährlichen ärztlichen Maßnahmen hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des zwölften Zivilsenates weitgehend kodifiziert. Eine gerichtliche Genehmigung besagter Maßnahmen ist daher nur noch bei Abweichung der Einschätzung von Arzt und Betreuer notwendig.
D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen gegen psychisch kranke Menschen I. Allgemeines Die Problematik der antizipierten Selbstbestimmung bei psychisch kranken Menschen, vor allem durch Patientenverfügungen, ist nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts verstärkt ins Bewusstsein der Öffentlichkeit1 gerückt und hat nunmehr auch in der Fachliteratur ihren ersten Niederschlag gefunden2. Vor allem durch die Regelung des § 1901a Abs. 3 BGB, wonach Patientenverfügungen unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung gelten, hat die Diskussion an besonderer Dynamik gewonnen. Auch die Ausführungen in der Begründung des Gesetzentwurfs bergen weiteren „Zündstoff“ für die Diskussion. So soll nach dem Willen des Gesetzgebers das Selbstbestimmungsrecht das Recht zur Selbstgefährdung bis hin zur Selbstaufgabe und damit auch auf Ablehnung lebensverlängernder Maßnahmen unabhängig von der ärztlichen Indikation der Behandlung einschließen.3 Der Staat habe in diesen Fällen weder das Recht noch die Pflicht zum Schutze des Menschen vor sich selbst.4 Jeder Mensch habe dem Staat gegenüber zwar ein Lebensrecht, jedoch keine Lebenspflicht.5 Auch wenn teilweise bereits pauschal das Ende jeglicher „Zwangspsychiatrie“ ausgerufen wird6, bedarf die Thematik näherer Betrachtung. Um ein umfassendes Bild der aktuellen Rechtslage zu bekommen, muss jede in Betracht kommende 1 Vgl. nur Artikel von Zeug, „Nicht gegen meinen Willen“, Zeit Online, http:// www.zeit.de/2010/37/M-Patientenverfuegung, Abruf vom 31. Mai 2012. 2 Vgl. nur die Aufsätze von Brosey, BtPrax 2010, 161; Grözinger/Olzen/Metzmacher/Podoll/Schneider, Der Nervenarzt 2011, 57; Olzen/Schneider, MedR 2010, 745; im Übrigen auch Olzen, „Die Auswirkungen des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes (Patientenverfügungsgesetz) auf die medizinische Versorgung psychisch Kranker“, Gutachten 2009, einsehbar unter http://www.dgppn.de/fileadmin/user_upload/_medien/ download/pdf/stellungnahmen/2010/stn-2010-04-15-anh-gutachten-prof-olzen-pat-vg. pdf, Abruf vom 31. Mai 2012; vgl. in Bezug auf die alte Rechtslage bereits Marschner, R&P 2000, 161. 3 BT-Drs. 16/8442, S. 8. 4 BT-Drs. 16/8442, S. 9. 5 BT-Drs. 16/8442, S. 9. 6 Erklärung der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener, der Irren-Offensive, des Landesverbandes Psychiatrie-Erfahrener Berlin-Brandenburg, des Landesverbandes Psychiatrie-Erfahrener NRW, des Werner-Fuss-Zentrums und der Antipsychiatrischen und betroffenenkontrollierte Informations- und Beratungsstelle, abrufbar unter http://www.patverfue.de/dokumente/erklaerung.pdf, Abruf vom 28. Dezember 2011.
I. Allgemeines
127
Zwangsmaßnahme isoliert betrachtet und die Auswirkungen der antizipierten Selbstbestimmung auf die Eingriffsgrundlage untersucht werden. Im Rahmen dieser Prüfung müssen zudem die verschiedenen Arten der antizipierten Selbstbestimmung weiter abgeschichtet werden. Die Arten der in Betracht kommenden Zwangsmaßnahmen sind äußerst vielfältig. Vom Ansatz differenziert werden können hier Zwangsmaßnahmen auf Grundlage des BGB, Zwangsmaßnahmen auf Grundlage der Unterbringungsgesetze der Länder, aber auch Zwangsmaßnahmen im jeweiligen Verfahrensrecht auf Grundlage des FamFG. Konkret kommen nach dem BGB – die Einrichtung einer Betreuung gegen den (unfreien) Willen nach § 1896 Abs. 1 BGB, – die Einrichtung eines Einwilligungsvorbehalts nach § 1903 Abs. 1 BGB, – die Unterbringung wegen Selbstgefährdung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB, – die Unterbringung zur Untersuchung, zur Heilbehandlung oder zur Vornahme eines ärztlichen Eingriffs nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB sowie – die unterbringungsähnlichen Maßnahmen nach § 1906 Abs. 4 BGB in Betracht. Auf Grundlage der Unterbringungsgesetze der Länder kommen – die Unterbringung wegen Eigengefährdung7 oder Fremdgefährdung8, – die Behandlung ohne Einwilligung des Patienten9, – die Ernährung gegen den Willen des Patienten10 oder – andere unterbringungsähnliche Maßnahmen, wie die Fesselung11, in Betracht. Des Weiteren sehen die Unterbringungsgesetze mancher Länder auch verfahrensrechtliche Befugnisse des sozialpsychiatrischen Dienstes oder der sonstigen Behörden12 sowie eine Eingangsuntersuchung13 nach Zuführung zur Unterbringung vor. In verfahrensrechtlicher Hinsicht kommen nach dem FamFG – die Vorführung zur Anhörung vor das Gericht auf Grundlage des § 278 Abs. 5 FamFG für das Betreuungsverfahren und auf Grundlage des § 319 Abs. 5 FamFG für das Unterbringungsverfahren, 7
In Sachsen auf Grundlage des § 10 Abs. 2 Alt. 1 PsychKG Sachsen. In Sachsen auf Grundlage des § 10 Abs. 2 Alt. 2 PsychKG Sachsen. 9 In Sachsen auf Grundlage des § 22 Abs. 1 S. 2 PsychKG Sachsen. 10 In Sachsen auf Grundlage des § 22 Abs. 3 PsychKG Sachsen. 11 In Sachsen auf Grundlage des § 31 Abs. 1 oder Abs. 2 PsychKG Sachsen. 12 In Sachsen auf Grundlage des § 13 PsychKG Sachsen. 13 In Sachsen auf Grundlage des § 20 PsychKG Sachsen. 8
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
– der Beschluss zur Einholung eines Sachverständigengutachtens auf Grundlage des § 280 Abs. 1 FamFG für das Betreuungsverfahren oder auf Grundlage des § 321 Abs. 1 FamFG für das Unterbringungsverfahren, – die Untersuchungsanordnung und die Vorführung zu einer Untersuchung durch den Sachverständigen auf Grundlage des § 283 Abs. 1 FamFG für das Betreuungsverfahren und auf Grundlage des § 322 FamFG für das Unterbringungsverfahren und – die Unterbringung zur Begutachtung auf Grundlage des § 284 Abs. 1 FamFG für das Betreuungsverfahren und auf Grundlage des § 322 FamFG für das Unterbringungsverfahren in Betracht.14 Auch die verschiedenen Möglichkeiten der Selbstbestimmung können nach ihrer Art und rechtlichen Einordnung weiter unterschieden werden. Neben der definitionsgemäßen Patientenverfügung nach § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB15 können auch Festlegungen, die den Anforderungen des § 1901a Abs. 1 BGB nicht genügen, als Behandlungswünsche gemäß § 1901a Abs. 2 BGB beachtlich sein.16 Auch § 1901 Abs. 3 BGB ist Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen. Danach hat der Betreuer Wünschen des Betreuten zu entsprechen, soweit dies dessen Wohl nicht zuwiderläuft und dem Betreuer zuzumuten ist. Eine weitere – nicht gesetzlich geregelte – Möglichkeit, Festlegungen zur Beachtung im Zustand der Einwilligungsfähigkeit zu treffen, stellen Behandlungsvereinbarungen zwischen dem Patienten und dem Arzt dar. Im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Dimension des Selbstbestimmungsrechts soll zunächst – unabhängig von der Regelung der §§ 1901a ff. BGB – umrissen werden, zu welchen Grundrechtsnormen das Selbstbestimmungsrecht einen spezifischen Bezug aufweist.17 Im Anschluss daran wird auf die verschiedenen Möglichkeiten antizipierter Selbstbestimmung eingegangen. Kern des Kapitels wird sodann die Prüfung sein, ob und wieweit Betroffene durch Vorausverfügungen auf die Zulässigkeit der einzelnen Zwangsmaßnahmen Einfluss nehmen können.
14 Vgl. zu den Zwangsmitteln im Betreuungs- und Unterbringungsverfahrensrecht im Einzelnen auch Schmidt-Recla/Diener, FamRZ 2010, 696. 15 Vgl. zum Begriff der Patientenverfügung nach § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB S. 76 ff. 16 Vgl. hierzu die Übersicht bei Ihrig, Notar 2009, 380, 382. 17 Vgl. zum verfassungsrechtlichen Rahmen auch die Ausarbeitungen von Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung, S. 50 ff.; Panagopoulou-Koutnatzi, Die Selbstbestimmung des Patienten, S. 26 ff.
II. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen des Selbstbestimmungsrechts 129
Auch wenn verfahrensrechtliche Zwangsmittel in der Praxis den materiellrechtlichen Zwangsmaßnahmen vorausgehen, werden die diesbezüglichen Einflussnahmemöglichkeiten erst im Anschluss an die Prüfung der materiellrechtlichen Anspruchsgrundlagen untersucht. Dies hat den Hintergrund, dass die Zulässigkeit einer materiellrechtlichen Maßnahme die Zulässigkeit eines verfahrensrechtlichen Zwangsmittels von vorne herein beeinflussen kann. Wenn nämlich feststeht, dass eine materiellrechtliche Maßnahme unzulässig ist, werden auch die verfahrensrechtlichen Zwangsmittel zur Aufklärung der sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen oder zur Durchsetzung der Maßnahme nicht rechtmäßigerweise erfolgen können. Bei der Prüfung der Möglichkeiten der Einflussnahme auf die einzelnen Zwangsmittel soll auf die praktischen Schwierigkeiten hinsichtlich der wirksamen Errichtung einer Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügung nicht mehr gesondert eingegangen werden.18 Vielmehr soll im Interesse der Fokussierung auf die Kernproblematik das Vorliegen einer wirksamen Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügung unterstellt werden.
II. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen des Selbstbestimmungsrechts „Allerdings kommt die Berücksichtigung eines solchen (individuell-)mutmaßlichen Willens nur hilfsweise in Betracht, wenn und soweit nämlich eine im einwilligungsfähigem Zustand getroffene ,antizipative‘ Willensbekundung des Betroffenen – mag sie sich als Einwilligung in oder als Veto gegen eine bestimmte medizinische Behandlung darstellen – nicht zu ermitteln ist. Liegt eine solche Willensäußerung, etwa – wie hier – in Form einer sogenannten ,Patientenverfügung‘, vor, bindet sie als Ausdruck des fortwirkenden Selbstbestimmungsrechts, aber auch der Selbstverantwortung des Betroffenen den Betreuer; denn schon die Würde des Betroffenen (Art. 1 Abs. 1 GG) verlangt, daß eine von ihm eigenverantwortlich getroffene Entscheidung auch dann noch respektiert wird, wenn er die Fähigkeit zu eigenverantwortlichem Entscheiden inzwischen verloren hat.“ 19
Liest man obige Ausführungen des Bundesgerichtshofs im Lübecker Fall20, also vor Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts, so drängt sich der Eindruck auf, das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen entspringe unmittelbar und einzig der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG. Nimmt man dieses Ergebnis unreflektiert hin, so wäre dies gleichbedeutend mit einer uneingeschränkten Reichweite des Selbstbestimmungsrechts.
18 19 20
Vgl. hierzu bereits S. 78 ff. BGHZ 154, 205, 217. BGHZ 154, 205.
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
Eine solche Betrachtungsweise greift jedoch sichtlich zu kurz. Hinsichtlich der Frage, wie weit das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen gehen kann, kommt es vielmehr darauf an, in Bezug auf welche Sachmaterie der Einzelne die Selbstbestimmung ausübt.21 Um im Rahmen der Prüfung der Einflussnahmemöglichkeiten durch Vorausverfügungen auf die aufgeführten Zwangsmittel eine genaue Grenzziehung zu ermöglichen, soll im Folgenden zunächst umrissen werden, aus welchen verfassungsrechtlichen Normen das Selbstbestimmungsrecht grundsätzlich22 hergeleitet werden kann.23 1. Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) Mit dem Recht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 GG) wird die biologischphysische Existenz jedes Menschen vom Zeitpunkt ihres Entstehens an bis zum Eintritt des Todes unabhängig von den Lebensumständen des Einzelnen, seiner körperlichen und seelischen Befindlichkeit, gegen staatliche Eingriffe geschützt.24 Das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 GG) beinhaltet die menschliche Gesundheit im biologisch-physiologischen Sinne25, das psychische Wohlbefinden, soweit es um körperliche Schmerzen ver21 Klar wird dieses Ergebnis, wenn man sich die Anschnallpflicht in Kraftfahrzeugen aus § 21a StVO vor Augen führt, die freilich unabhängig vom Einverständnis des Kraftfahrzeugführers gilt. Allerdings ist diese Pflicht nicht im Hinblick auf eine Selbstverpflichtung zum Schutz des eigenen Lebens verfassungsgemäß, sondern im Hinblick auf die Lasten der Gemeinschaft; vgl. hierzu auch Panagopoulou-Koutnatzi, Die Selbstbestimmung des Patienten, S. 44; in Bezug auf die Schutzhelmpflicht vgl. auch BVerfGE 59, 275; im Übrigen auch Schwabe, JZ 1998, 66, 69. 22 Im Interesse der Konzentration auf die Kernproblematik werden Bezüge des Selbstbestimmungsrechts zu weiteren Grundrechten in besonderen Fallkonstellationen, wie etwa der Selbstschädigung als Ausdruck der Glaubens-, Gewissens-, Bekenntnisund Religionsausübungsfreiheit, Selbstschädigung als Ausdruck der Meinungsfreiheit oder Selbstschädigung als Ausdruck der Berufsfreiheit in der Darstellung außer Acht gelassen. Vgl. zu diesen besonderen Fallkonstellationen Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes vor Selbstschädigung, S. 31 ff. 23 Vgl. zum verfassungsrechtlichen Rahmen auch die Ausarbeitungen von SchulerHarms, Maßstabs- und Koordinationsleistungen des Verfassungsrechts bei der gesetzlichen Regulierung von Patientenverfügungen, in: Albers, Patientenverfügungen, S. 72 ff.; Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung, S. 50 ff.; Panagopoulou-Koutnatzi, Die Selbstbestimmung des Patienten, S. 26 ff.; Taupitz, in: Brugger/Haverkate, Grenzen als Thema der Rechts- und Sozialphilosophie, S. 86 ff.; zum verfassungsrechtlichen Rahmen bei einer gesetzlichen Regulierung von Patientenverfügungen vgl. auch Albers, Inter- und intradisziplinäre Bausteine der gesetzlichen Regulierung von Patientenverfügungen, in: Albers, Patientenverfügungen, S. 17 ff. 24 BVerfGE 115, 118, 139; hierzu auch Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 81 f. 25 BVerfGE 56, 54, 73 f.
II. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen des Selbstbestimmungsrechts 131
gleichbare Wirkungen geht26 und die körperliche Integrität als solche, auch wenn der Eingriff zu keinen Schmerzen führt.27 Träger des Grundrechts ist jede natürliche Person, unabhängig vom aktuellen Geisteszustand.28 Unmittelbarer Ausfluss des Rechts auf körperliche Unversehrtheit ist, dass ein Eingriff in die körperliche Integrität ohne Einwilligung des Betroffenen grundsätzlich nicht vorgenommen werden darf.29 Aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG resultiert zunächst eine Schutzpflicht für den Staat, das Leben und die körperliche Unversehrtheit des Einzelnen zu schützen.30 Diese beinhaltet nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Pflicht des Staates, sich gegenüber Gefährdungen oder Angriffen schützend vor das Leben zu stellen.31 Die Grundrechtsnormen enthalten demnach „nicht nur subjektive Abwehrrechte des Einzelnen gegen den Staat, sondern sie verkörpern zugleich eine objektive Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt und Richtlinien und Impulse für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung gibt (BVerfGE 7, 198 [205] – Lüth –; 35, 79 [114] – Hochschulurteil – mit weiteren Nachweisen).“ 32
Die Pflicht des Staates, das Leben zu schützen, geht hierbei jedoch nicht soweit, den Grundrechtsträger mit allen möglichen Mitteln am Sterben zu hindern.33 Der natürliche Sterbevorgang selbst ist vielmehr – verstanden als Teil des Lebens – kein Angriff auf das Leben, den es zu verhindern gälte, so dass der
26
BVerfGE 56, 54, 75. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 83; vgl. auch Hufen, Patientenverfügungen und passive Sterbehilfe: Der verfassungsrechtliche Rahmen, in: Albers, Patientenverfügungen, S. 92. 28 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 84. 29 BVerfGE 89, 120, 130; Roth, JZ 2004, 494, 495; Laufs, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 57 Rn. 15; Marschner, Psychisch Kranke im Recht, S. 24; Taupitz, in: Brugger/Haverkate, Grenzen als Thema der Rechts- und Sozialphilosophie, S. 86 f.; Hufen, Patientenverfügungen und passive Sterbehilfe: Der verfassungsrechtliche Rahmen, in: Albers, Patientenverfügungen, S. 92; zu den Grenzen ärztlicher Behandlungspflicht auch Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 50 Rn. 6 ff.; vgl. auch Kirsch, Rechtsgrundlagen der stationären und ambulanten psychiatrischen Zwangsbehandlung im Betreuungsrecht, S. 77; Uhlenbruck, Patiententestament, Betreuungsverfügung und Vorsorgevollmacht: Zur Selbstbestimmung im Vorfeld des Todes, in: Berliner Medizinethische Schriften, Heft 8, S. 4. 30 BVerfGE 115, 320, 346; vgl. auch Panagopoulou-Koutnatzi, Die Selbstbestimmung des Patienten, S. 43; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 91. 31 BVerfGE 39, 1, 42; 53, 30, 57; 88, 203, 251; vgl. hierzu auch Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung, S. 198 ff.; kritisch hierzu auch Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 126 ff. 32 BVerfGE 39, 1, 41; vgl. hierzu auch Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung, S. 198 ff. 33 So auch Becker-Schwarze, Integration privatrechtlicher Elemente der Patientenverfügung in das Geflecht übergreifender Normen, in: Albers, Patientenverfügungen, S. 135; Uhlenbruck, MedR 1992, 134, 135. 27
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
Schutzbereich des Rechts auf Leben in diesem Fall bereits vom Ansatz her nicht eröffnet ist.34 So erwächst aus dem Recht auf Leben insbesondere nicht das Recht oder die Verpflichtung des Staates, beim Vorliegen einer schweren Erkrankung gegen den freien Willen des Betroffenen stets eine Heilbehandlung durchzuführen.35 Auch ist der Arzt im Rahmen eines Behandlungsvertrages nicht berechtigt oder gar verpflichtet, den Patienten entgegen seinem frei geäußerten Willen zu behandeln.36 Das Recht des Einzelnen eine Heilbehandlung abzulehnen, oder genauer gesagt, seine Zustimmung zur Heilbehandlung frei willensbestimmt zu versagen, ist hierbei unmittelbarer Ausfluss der Abwehrfunktion des Rechts auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 GG.37 Wird die Zustimmung zu einer Heilbehandlung frei willensbestimmt verweigert, so kann eine zwangsweise Heilbehandlung in diesen Fällen auch nicht über einen Rückgriff auf die Pflicht zum staatlichen Lebensschutz gerechtfertigt werden. Aus diesem Ergebnis jedoch den Schluss zu ziehen, aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG erwachse ein umfassendes Selbstbestimmungsrecht in Bezug auf sämtliche Lebenssachverhalte, erscheint zu weitgehend.38 Das Recht, die Zustimmung zu einem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit nicht zu erteilen, resultiert in diesen Fällen unmittelbar aus dem Recht auf körperliche Unversehrtheit als Abwehrrecht. Das diesbezügliche Selbstbestimmungsrecht besteht daher – eng themenbezogen – alleine in Bezug auf solche Maßnahmen, mit denen ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit verbunden ist. Eine darüber hinausgehende Wirkung kommt diesem Recht – jedenfalls unmittelbar aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG folgend – nicht zu. In diesem Sinne hat auch das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das bei einer Zwangsbehandlung betroffene Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG die körperliche Integrität des Grundrechtsträgers und damit auch das „diesbezügliche“ Selbstbestimmungsrecht schützt.39 Die dogmatische Grundlage des Selbstbestimmungsrechts hängt damit unmittelbar von dem Lebenssachverhalt ab, der durch die selbstbestimmten Äußerungen geregelt werden soll.40 34 Im Ergebnis so auch Becker-Schwarze, Integration privatrechtlicher Elemente der Patientenverfügung in das Geflecht übergreifender Normen, in: Albers, Patientenverfügungen, S. 135; ebenso Wagenitz, FamRZ 2005, 669, 670. 35 Vgl. hierzu auch Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 50 Rn. 7; Lipp, Patientenautonomie und Lebensschutz, S. 5; Uhlenbruck, MedR 1992, 134, 135. 36 Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 50 Rn. 7; Baumann/Hartmann, DNotZ 2000, 594, 598. 37 Vgl. auch Taupitz, in: Brugger/Haverkate, Grenzen als Thema der Rechts- und Sozialphilosophie, S. 86 f.; Uhlenbruck, MedR 1992, 134, 135. 38 Vgl. hierzu auch Kirsch, Rechtsgrundlagen der stationären und ambulanten Zwangsbehandlung im Betreuungsrecht, S. 78. 39 BVerfG, NJW 2011, 2113; BVerfG, NJW 2011, 3571. 40 Vgl. auch Schwabe, JZ 1998, 66, 68 f.
II. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen des Selbstbestimmungsrechts 133
Aus diesem Gedanken folgt, dass mit dem Recht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 GG, die Zustimmung zu einem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit zu versagen, nicht das Recht verknüpft ist, sich selbst durch sein Verhalten schädigen zu dürfen.41 Der Wunsch sich selbst zu schädigen hat vielmehr keinerlei Bezug zu der Frage der Zulässigkeit eines Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit durch Dritte. Auch ergibt sich aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG kein Recht auf Selbsttötung. Die Auffassungen in der Literatur zur Frage eines Rechts auf Selbsttötung aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG sind uneinheitlich.42 Teilweise wird ein solches Recht – unmittelbar aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG folgend – bejaht.43 Nach der Gegenauffassung gehört ein solches Recht auf Selbsttötung oder Selbstschädigung indes nicht zum Schutzgegenstand des Rechts auf Leben oder körperliche Unversehrtheit.44 Der zweiten Auffassung ist der Vorzug zu geben, da das Grundrecht auf Leben in seiner primären Funktion als Abwehrrecht allein darauf gerichtet ist, den Bestand des individuellen Lebens als geschütztes Rechtsgut zu sichern.45 Selbiges gilt für das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, das ebenfalls primär als Abwehrrecht fungiert. Es bestehen keine durchgreifenden Gründe den Wortlaut der Vorschrift extensiv auszudehnen und aus dem „Recht auf Leben“ und dem 41 So auch Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes vor Selbstschädigung, S. 71 f. 42 Vgl. zum Streitstand etwa Müller-Terpitz, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band VII, § 147 Rn. 104; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 209 ff.; Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes vor Selbstschädigung, S. 67 ff.; Littwin, Grundrechtsschutz gegen sich selbst, S. 27 f.; Panagopoulou-Koutnatzi, Die Selbstbestimmung des Patienten, S. 31 ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, Rn. 419; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, S. 1055; Sachs, in: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band IV/1, S. 148 f. 43 Kämpfer, Die Selbstbestimmung Sterbewilliger, S. 177 ff.; Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung, S. 220 ff., 250 f.; Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, Rn. 419. 44 Müller-Terpitz, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band VII, § 147 Rn. 104; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 100; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, S. 1054; Sachs, in: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band IV/1, S. 148; Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes vor Selbstschädigung, S. 67 ff., 72; Otto, Recht auf den eigenen Tod? Strafrecht im Spannungsverhältnis zwischen Lebenserhaltungspflicht und Selbstbestimmung, S. D 11 f.; Uhlenbruck, Patiententestament, Betreuungsverfügung und Vorsorgevollmacht: Zur Selbstbestimmung im Vorfeld des Todes, in: Berliner Medizinethische Schriften, Heft 8, S. 4; ders., MedR 1992, 134, 135; Schwabe, JZ 1998, 66, 69; ders., Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 38 f., 59; wohl auch Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 211 Fn. 404, der im Falle des Scheiterns einer Rechtfertigung einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG annimmt. 45 Vgl. auch Sachs, in: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band IV/1, S. 148; im Ergebnis so auch Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 58 f.
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
„Recht auf körperliche Unversehrtheit“ ein „Recht auf Selbsttötung“ oder ein „Recht auf Selbstschädigung“ herauszulesen.46 Insbesondere besteht auch kein praktisches Bedürfnis für eine solche Ausweitung des Anwendungsbereichs des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, da ebenso befriedigende Ergebnisse auch bei einer Einordnung des Selbstbestimmungsrechts in Art. 2 Abs. 1 GG ggf. i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG erzielt werden können. 2. Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) Auch wenn man – wie vorliegend – der Auffassung folgt, die das Recht auf Selbsttötung oder Selbstschädigung als Ausfluss des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verneint, wird dadurch nicht etwa jedwedes Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Person in Bezug auf das Leben negiert. Das Selbstbestimmungsrecht ist insoweit vielmehr Ausfluss der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG oder des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG.47 Die Zulässigkeit der Verhinderung eines Suizides oder einer Selbstschädigung hängt danach von dem Ergebnis der Abwägung zwischen dem Recht auf Selbstbestimmung und der Pflicht des Staates zum Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG48 ab. Im Rahmen einer solchen Abwägungsentscheidung ist allerdings der Entscheidungsfreiheit des Betroffenen großes Gewicht zuzuerkennen.49 Ist die Person im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte und hat die Person die Entscheidung über ihre Selbsttötung frei und selbstverantwortlich treffen können, so wird das Recht des Staates zur Hinderung des Suizidenten an seinem Vorhaben weit überwiegend verneint.50 Ein Eingreifen bedürfe in diesen Fällen einer gesetzlichen Grundlage 46 Vgl. auch Schwabe, JZ 1998, 66, 69; Otto, Recht auf den eigenen Tod? Strafrecht im Spannungsverhältnis zwischen Lebenserhaltungspflicht und Selbstbestimmung, S. D 11 f. 47 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 100; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 211; Schwabe, JZ 1998, 66, 69; Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes vor Selbstschädigung, S. 84 f., 85 ff., 100 f.; Otto, Recht auf den eigenen Tod? Strafrecht im Spannungsverhältnis zwischen Lebenserhaltungspflicht und Selbstbestimmung, S. D 11 ff.; Sachs, in: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band IV/1 S. 148. 48 Vgl. zur objektiven Grundrechtsordnung und der Schutzpflicht für das Leben auch Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung, S. 197 ff. 49 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 100; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 211; Schwabe, JZ 1998, 66, 70. 50 Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung, S. 205 ff., 251; Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes vor Selbstschädigung, S. 103; Müller-Terpitz, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band VII, § 147 Rn. 104; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 211; Sachs, in: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band IV/1, S. 148 f.; Schwabe, JZ 1998, 66, 70.
II. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen des Selbstbestimmungsrechts 135
und müsste sich anhand von anderen Gesichtspunkten als dem Schutz des Lebens des Betroffenen rechtfertigen lassen.51 Der „objektive Wertgehalt“ des Grundrechts dürfe nicht gegen die subjektive Selbstbestimmung des Grundrechtsträgers ausgespielt werden.52 Dem Lebensgrundrecht könne kein dahingehender objektiv-rechtlicher Gehalt zugeschrieben werden.53 Hat die Person, die sich selbst schädigen möchte, hingegen nicht die Einsichtsfähigkeit, eigenverantwortlich über die Nutzung ihrer grundrechtlich geschützten Interessen zu entscheiden, so wird ihr durch einen staatlichen Eingriff, der die Selbstschädigung verhindert, auch keine diesbezügliche Freiheit genommen.54 3. Allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) Ein Teilbereich des Art. 2 Abs. 1 GG erfährt als „allgemeines Persönlichkeitsrecht“ einen besonderen Schutz und ist im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung zu einem eigenen Grundrecht weiterentwickelt worden.55 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dient das allgemeine Persönlichkeitsrecht insbesondere dazu, neuartigen Gefährdungen zu begegnen, zu denen es im Zuge des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und gewandelter Lebensverhältnisse kommen kann.56 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet in Konkretisierung der Menschenwürde die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen.57 Es hat eine lückenschließende Funktion und schützt Elemente der Persönlichkeit, die nicht Gegenstand der besonderen Freiheitsgarantien des Grundgesetzes sind, diesen aber in ihrer konstituierenden Bedeutung für die Persönlichkeit nicht nachstehen.58 Im Schutzbereich der speziellen Freiheitsrechte ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht somit nachrangig, gegenüber der allgemeinen Handlungsfreiheit hingegen aufgrund der Bezüge zur Menschenwürde lex specialis.59 51
Vgl. auch Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 120 f. Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 211. 53 Sachs, in: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band IV/1, S. 148. 54 Schwabe, JZ 1998, 66, 70; Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 121 f. 55 Vgl. hierzu zum Beispiel BVerfGE 35, 202, 219; 79, 256, 268; 90, 263, 270; 101, 361, 380; 120, 274, 302; im Übrigen Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 36; Kirsch, Rechtsgrundlagen der stationären und ambulanten Zwangsbehandlung im Betreuungsrecht, S. 84 f. 56 BVerfGE 54, 148, 153; 65, 1, 41; 118, 168, 183. 57 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 36. 58 BVerfGE 99, 185, 193; 114, 339, 346; 118, 168, 183. 59 BVerfGE 109, 279, 326; 115, 166, 189; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 38. 52
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
Die Zuordnung eines konkreten Rechtsschutzbegehrens zu den verschiedenen Aspekten des Persönlichkeitsrechts soll sich daher vor allem nach der Art der Persönlichkeitsgefährdung, die den konkreten Umständen des Einzelfalls zu entnehmen ist, richten.60 In Bezug auf das Selbstbestimmungsrecht bedeutet dies Folgendes: – Soweit die Frage der Erteilung einer Zustimmung oder Versagung der Zustimmung zu einem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit im Raum steht, ist für einen Rückgriff auf ein Selbstbestimmungsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG oder Art. 2 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG kein Raum. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ist insoweit das vorrangig zu berücksichtigende Grundrecht. – Soweit die Frage im Raum steht, woraus sich ein Selbstbestimmungsrecht außerhalb des Rechts auf körperliche Unversehrtheit herleiten lässt, ist zu differenzieren. Grundsätzlich folgt ein allgemeines Selbstbestimmungsrecht aus der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG. Konsequenterweise unterliegt dieses allgemeine Selbstbestimmungsrecht auch den Schranken der allgemeinen Handlungsfreiheit. Nur dann, wenn die in Rede stehende Materie Bezüge zur Menschenwürde aufweist und die engere persönliche Lebenssphäre betrifft, erwächst das Selbstbestimmungsrecht aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. 4. Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) Zur Umschreibung des Inhalts der Menschenwürdegarantie hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung die sog. Objektformel entwickelt.61 Ein Verstoß gegen die Menschenwürde liegt danach vor, wenn der Mensch zum bloßen Objekt staatlichen Handelns gemacht wird, mit dem nach Belieben verfahren werden kann.62 Das Bundesverfassungsgericht hat indes ebenso festgestellt, dass der Leistungskraft der Objektformel Grenzen gesetzt sind.63 Der Mensch sei vielmehr nicht selten bloßes Objekt nicht nur der Verhältnisse und der gesellschaftlichen Entwicklung, sondern auch des Rechts, dem er sich zu fügen hat.64 Die Menschenwürde werde daher nicht schon dadurch verletzt, dass jemand zum Adressaten von staatlichen Maßnahmen wird, wohl aber dann, wenn durch die Art der ergriffenen Maßnahme die Subjektqualität des Betroffenen grundsätzlich in Fra60 61 62 63 64
BVerfGE 118, 168, 183 f.; 101, 361, 380; 106, 28, 39. BVerfGE 7, 198, 205; 27, 1, 6; 45, 187, 228; 87, 209, 228; 109, 133, 149. BVerfGE 78, 209, 228. BVerfGE 109, 279, 312; 30, 1, 25. BVerfGE 109, 279, 312.
II. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen des Selbstbestimmungsrechts 137
ge gestellt wird.65 Dies sei dann der Fall, wenn die Behandlung durch die öffentliche Gewalt die Achtung des Wertes vermissen lässt, der jedem Menschen um seiner selbst willen zukommt.66 Wann eine Verletzung der Menschenwürde vorliege, lasse sich zudem nicht generell sagen, sondern immer nur in Ansehung des konkreten Falles.67 Allgemeine Formeln wie die, der Mensch dürfe nicht zum bloßen Objekt der Staatsgewalt herabgewürdigt werden, könnten lediglich die Richtung andeuten, in der Fälle der Verletzung der Menschenwürde gefunden werden könnten.68 Entsprechend diesen wenig konturenreichen Feststellungen zum Inhalt und zur Reichweite der Garantie der Menschenwürde, lässt sich ein eigenständiges – unmittelbar und alleine aus der Menschenwürde erwachsendes – umfassendes Selbstbestimmungsrecht nicht herleiten.69 Die Menschenwürde flankiert jedoch in einem engen Teilbereich die allgemeine Handlungsfreiheit und das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Sofern sich thematische Schnittstellen mit der allgemeinen Handlungsfreiheit auftun, ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG Ausfluss dieser wertenden Überlagerung durch die Menschenwürde. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistet daher – ausgehend von der Objektformel – in Bezug auf die Selbstbestimmung des Patienten nur, dass der Patient kein bloßes Objekt staatlichen Zwangs sein darf.70 5. Zusammenfassung Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass das Recht einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit abzulehnen, unmittelbar aus dem Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 GG folgt. Insoweit schützt Art. 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 GG auch das Recht auf diesbezügliche Selbstbestimmung, so dass es der Entscheidungsfreiheit des Einzelnen obliegt, ob er in einen medizinischen Eingriff einwilligt oder die Einwilligung versagt. Einen Anspruch auf Selbsttötung oder Selbstschädigung beinhaltet das Recht auf Leben und das Recht auf körperliche Unversehrtheit hingegen nicht. Das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen in Bezug auf sonstige Sachmaterien, also ohne Bezug zur körperlichen Unversehrtheit, ist ebenfalls verfassungsrechtlich geschützt. Grundsätzlich ist das Selbstbestimmungsrecht diesbezüglich Ausfluss der allgemeinen Handlungsfreiheit und findet seine dogmatische Grundlage in Art. 2 Abs. 1 GG. Sofern der Sachverhalt jedoch Bezüge zur Menschen65 66 67 68 69 70
BVerfGE 109, 279, 312 f. BVerfGE 109, 279, 313. BVerfGE 30, 1, 25. BVerfGE 30, 1, 25. So auch Panagopoulou-Koutnatzi, Die Selbstbestimmung des Patienten, S. 69. Vgl. auch Panagopoulou-Koutnatzi, Die Selbstbestimmung des Patienten, S. 69.
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
würde aufweist, insbesondere dann, wenn der Bereich engerer persönlicher Lebensführung betroffen ist, erwächst das diesbezügliche Selbstbestimmungsrecht dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, welches in seinem Anwendungsbereich als lex specialis der allgemeinen Handlungsfreiheit vorgeht. Ob das Selbstbestimmungsrecht aus dem Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 GG), der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) oder dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) erwächst, ist daher nicht allgemeingültig festzustellen, sondern vielmehr in Bezug auf den konkreten Einzelfall zu ermitteln.
III. Möglichkeiten antizipierter Selbstbestimmung 1. Patientenverfügungen im Sinne des § 1901a Abs. 1 BGB Die in der Öffentlichkeit wohl am meisten diskutierte Form der Vorsorge ist die Patientenverfügung. Der Gesetzgeber hat die Begrifflichkeit – teilweise in Abweichung zum bisherigen Begriffsverständnis – in § 1901a Abs. 1 BGB legal definiert. Eine Patientenverfügung ist danach die schriftliche Festlegung eines einwilligungsfähigen Volljährigen für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt.71 Gemäß § 1901a Abs. 3 BGB gelten die Festlegungen in einer Patientenverfügung unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung. Obwohl der Gesetzgeber sich damit gegen eine Reichweitenbegrenzung von Patientenverfügungen entschieden hat, ergibt sich eine Begrenzung – zwar nicht der Reichweite, jedoch des Anwendungsbereichs – unmittelbar aus der Legaldefinition des § 1901a Abs. 1 BGB selbst. So können darin nicht etwa allseits verbindliche Wünsche in sämtlichen Lebenslagen oder konturenlose Anweisungen erfolgen. Patientenverfügungen im Sinne des § 1901a Abs. 1 BGB können vielmehr von vorne herein nur Einwilligungen oder Untersagungen in Bezug auf bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen des Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe enthalten.72 Diese begriffliche Einschränkung des Anwendungsbereichs der Patientenverfügung widerspricht zwar dem vor Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts vorherrschenden Begriffsverständnis. Sie 71
Vgl. hierzu bereits S. 76 ff. Vgl. zu den begrifflichen Einschränkungen auch S. 85 ff.; vgl. im Übrigen hierzu auch Hoffmann/Klie, Freiheitsentziehende Maßnahmen im Betreuungs- und Kindschaftsrecht, S. 16. 72
III. Möglichkeiten antizipierter Selbstbestimmung
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steht jedoch im Einklang mit der im Gesetzgebungsverfahren und in der parlamentarischen Diskussion vorherrschenden Fokussierung auf die Selbstbestimmung durch Patientenverfügungen in Bezug auf Maßnahmen am Lebensende, bei denen es sich regelmäßig um Untersuchungen des Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe handelt. Welche Auswirkungen die begriffliche Einschränkung in Bezug auf die Einwirkungsmöglichkeiten auf staatliche Zwangsmaßnahmen hat, wird in Zusammenhang mit der jeweiligen Zwangsmaßnahme untersucht werden. 2. Vorausverfügungen gemäß § 1901a Abs. 2 BGB Festlegungen oder Äußerungen des Betroffenen, die den Anforderungen des § 1901a Abs. 1 BGB nicht genügen, können gemäß § 1901a Abs. 2 BGB beachtlich sein. Auch für § 1901a Abs. 2 BGB besteht keine Reichweitenbegrenzung, wie sich aus § 1901a Abs. 3 BGB ergibt. Die wesentlichen Unterschiede zwischen § 1901a Abs. 1 BGB und § 1901a Abs. 2 BGB – insbesondere in Bezug auf die Bindungswirkung – wurden bereits oben erörtert, so dass hierauf nicht näher eingegangen wird.73 Hervorzuheben ist jedoch, dass die Möglichkeiten der Selbstbestimmung auf Grundlage des § 1901a Abs. 2 BGB ebenso wie Festlegungen nach § 1901a Abs. 1 BGB einer Beschränkung im Anwendungsbereich unterliegen, wie sich aus dem Wortlaut des § 1901a Abs. 2 BGB ergibt. Zwar gilt das Bestimmtheitserfordernis des § 1901a Abs. 1 BGB nicht im Rahmen des § 1901a Abs. 2 BGB, so dass der Betreuer auch unkonkrete Behandlungswünsche beachten muss. Auch müssen nach § 1901a Abs. 2 S. 3 BGB frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen berücksichtigt werden. All dies entfaltet jedoch über § 1901a Abs. 2 BGB keineswegs Bindungswirkung in Bezug auf sämtliches Betreuerhandeln. Wie sich aus dem Wortlaut des § 1901a Abs. 2 S. 1 BGB ergibt, dient dies lediglich der Schaffung einer Grundlage für die Entscheidung des Betreuers, ob er in eine ärztliche Maßnahme nach § 1901a Abs. 1 BGB einwilligt oder sie untersagt. Auch wenn die Begründung des Gesetzentwurfs dazu schweigt, was unter einer ärztlichen Maßnahme nach Abs. 1 zu verstehen ist74, legt die Systematik der Vorschrift nahe, dass eine ärztliche Maßnahme in diesem Sinne als Oberbegriff zu verstehen ist und die in § 1901a Abs. 1 BGB genannten Untersuchungen des Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe umfasst. Zusammenfassend kann daher auch in Bezug auf § 1901a Abs. 2 BGB festgehalten werden, dass zwar keine Reichweitenbegrenzung in materieller Hinsicht 73
Vgl. hierzu im Einzelnen S. 109 f. Die Einzelbegründung hierzu in BT-Drs. 16/8442, S. 15 f. enthält keine nähere Erläuterung. 74
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
besteht, jedoch der Anwendungsbereich von vorne herein nur in Bezug auf Einwilligungen in die genannten oder Untersagungen der genannten ärztlichen Maßnahmen eröffnet ist. Welche Auswirkungen die begriffliche Einschränkung in Bezug auf die Einwirkungsmöglichkeiten auf staatliche Zwangsmaßnahmen hat, wird in Zusammenhang mit der jeweiligen Zwangsmaßnahme untersucht werden. 3. Vorausverfügungen gemäß § 1901 Abs. 3 BGB Eine weitere Verpflichtung zur Beachtung von Wünschen des Betroffenen ist in § 1901 Abs. 3 S. 1 BGB geregelt. Die Vorschrift wurde bereits mit dem Gesetz zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige in das BGB eingefügt.75 Sie regelt die allgemeinen Pflichten des Betreuers und steht daher auch in systematischer Hinsicht vor den Regelungen über die Patientenverfügung in §§ 1901a ff. BGB. Nach § 1901 Abs. 3 S. 1 BGB hat der Betreuer Wünschen des Betreuten zu entsprechen, soweit dies dessen Wohl nicht zuwiderläuft und dem Betreuer zuzumuten ist. Gemäß § 1901 Abs. 3 S. 2 BGB gilt dies auch für Wünsche, die der Betreute vor der Bestellung des Betreuers geäußert hat, es sei denn, dass er an diesen Wünschen erkennbar nicht festhalten will. Nach der ausdrücklichen Begründung des Gesetzentwurfs sollen hierdurch auch gesunden und nichtbehinderten Menschen Möglichkeiten eröffnet werden, für den Fall der Betreuungsbedürftigkeit Vorsorge zu treffen.76 Der Anwendungsbereich des § 1901 Abs. 3 BGB ist vom Wortlaut her umfassend. Es ist lediglich allgemein von Wünschen des Betroffenen die Rede, so dass diese keineswegs konkret formuliert sein oder sich auf bestimmte Maßnahmen beziehen müssen. Ein Bestimmtheitserfordernis – etwa wie es in § 1901a Abs. 1 BGB aufgestellt ist – ist der allgemeinen Regelung des § 1901 Abs. 3 BGB fremd. Des Weiteren bestehen auch keine Formvorschriften, die für die Beachtlichkeit des Willens eingehalten werden müssen. Wünsche können daher sowohl schriftlich als auch mündlich oder gar nonverbal geäußert werden. Auch enthält die Vorschrift des § 1901 Abs. 3 BGB – jedenfalls dem Wortlaut nach – keine Differenzierung nach der Art des Betreuerhandelns. a) Verhältnis des § 1901 Abs. 3 BGB zu §§ 1901a ff. BGB Trotz des weiten Anwendungsbereichs nach dem Wortlaut, ergibt sich aus der Auslegung und Systematik des Gesetzes, dass ein Rückgriff auf die allgemeine 75 Vgl. BT-Drs. 11/4528, S. 133, wobei die Regelung damals noch in § 1901 Abs. 2 BGB zu finden war. 76 BT-Drs. 11/4528, S. 134.
III. Möglichkeiten antizipierter Selbstbestimmung
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Regelung des § 1901 Abs. 3 BGB ausgeschlossen ist, wenn es sich um einen Sachverhalt handelt, der in den Anwendungsbereich des § 1901a Abs. 1 oder Abs. 2 BGB fällt.77 Konkret bedeutet dies, dass für die Frage der Einwilligung oder Untersagung der Einwilligung in Untersuchungen des Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe – soweit der Anwendungsbereich der §§ 1901a ff. BGB vom Ansatz her eröffnet ist78 – alleine die Regelungen der §§ 1901a ff. BGB maßgeblich sind.79 Der Vorrang des § 1901a Abs. 1 und Abs. 2 BGB resultiert daraus, dass diese Vorschriften die genannten Fälle explizit aufgreifen und auch zu diesem Zweck überhaupt erst durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts in das BGB eingefügt wurden. Auch in materieller Hinsicht besteht ein wesentlicher Unterschied in der Behandlung der Fälle des § 1901a Abs. 1 und Abs. 2 BGB im Vergleich zu denen des § 1901 Abs. 3 BGB. § 1901a Abs. 1 und Abs. 2 BGB gelten gemäß § 1901a Abs. 3 BGB unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung. Im Gegensatz hierzu steht jedoch die Regelung des § 1901 Abs. 3 BGB unter einem doppelten Vorbehalt. Der Betreuer hat den Wünschen des Betroffenen nur zu entsprechen, soweit dies dessen Wohl nicht zuwiderläuft. Zudem muss dies auch dem Betreuer zumutbar sein. Eine Übertragung dieser Begrenzung auf die Fälle des § 1901a Abs. 1 und Abs. 2 BGB wäre mit der Regelung des § 1901a Abs. 3 BGB evident unvereinbar. Ein Rückgriff auf § 1901 Abs. 3 BGB kann jedoch nur insoweit ausgeschlossen sein, wie der Anwendungsbereich des § 1901a BGB reicht. Außerhalb der Entscheidung über die Einwilligung oder die Versagung der Einwilligung in Untersuchungen des Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe muss daher nach wie vor die Regelung des § 1901 Abs. 3 BGB herangezogen werden. Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass § 1901a BGB zur Regelung des § 1901 Abs. 3 BGB in seinem Anwendungsbereich lex specialis ist. Eine weitere Sperrwirkung entfaltet § 1901a BGB gegenüber § 1901 Abs. 3 BGB nicht. b) Der „Wunsch-Wohl-Konflikt“ in § 1901 Abs. 3 BGB Wie bereits erörtert, steht die Verpflichtung des Betreuers, den Wünschen des Betreuten zu entsprechen, nach § 1901 Abs. 3 S. 1 BGB unter dem Vorbehalt, dass dies dem Wohl des Betroffenen nicht zuwiderläuft und dem Betreuer zuzumuten ist. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs sollte mit der Formulierung 77
Vgl. auch Lange, ZEV 2009, 537, 541; Ihrig, Notar 2009, 380, 382. Problematisch kann dies wiederum bei Notfallmaßnahmen sein. Vgl. hierzu S. 110 ff. 79 Ihrig, Notar 2009, 380, 382. 78
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
in § 1901 Abs. 3 S. 1 BGB ein Mittelweg gefunden werden zwischen einer engeren Lösung, die Wünsche des Betreuten nur bei wichtigen Angelegenheiten berücksichtigt, und weitergehenden Vorschlägen, wonach Wünsche des Betreuten lediglich bei der Gefahr einer schweren Selbstschädigung unbeachtlich sein sollen.80 Die Schranke der Zumutbarkeit für den Betreuer erscheint in Bezug auf Maßnahmen gegen den Willen des Betroffenen von geringer praktischer Bedeutung. Der Gesetzgeber wollte durch dieses Kriterium lediglich sicherstellen, dass überzogene Anforderungen des Betreuten etwa an die Dauer des täglichen Betreuungsaufwandes außer Betracht bleiben.81 Anders verhält es sich hingegen mit der Beschränkung durch das Wohl des Betreuten, wenn Maßnahmen gegen oder ohne den Willen des Betreuten vorgenommen werden sollen. Die Frage, wann sich der Betreuer über die Wünsche des Betroffenen hinwegsetzen darf und wo mithin diese „Wohl-Schranke“ zu ziehen ist, bedarf daher näherer Erläuterung.82 Der Gesetzgeber hat den Begriff des Wohls in § 1901 Abs. 2 S. 2 BGB etwas konkretisiert. Danach gehört zum Wohl des Betreuten auch die Möglichkeit, im Rahmen seiner Fähigkeiten sein Leben nach seinen eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten. Hieraus ergibt sich, dass der Begriff des Wohls in § 1901 BGB nicht mit dem objektiven Wohl gleichzusetzen ist. Dennoch bereitet die genaue Bestimmung des Begriffsinhalts im Einzelfall Schwierigkeiten83, was der Gesetzgeber jedoch ausdrücklich in Kauf genommen hat. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird hierzu ausgeführt:
80 In BT-Drs. 11/4528, S. 133 wird diesbezüglich ergänzend ausgeführt: „Wenn schon bei wichtigen Angelegenheiten, die mit erheblichen Risiken für den Betreuten verbunden sein können, dessen Wunsch nicht ohne weiteres übergangen werden darf, so besteht erst recht kein Anlaß, diesen Wunsch dort unbeachtlich zu lassen, wo die Angelegenheit weniger wichtig und die Gefahr einer Selbstschädigung des Betreuten deshalb geringer ist. Allerdings erscheint es auch nicht angezeigt, Wünsche des Betroffenen nur dann außer Betracht zu lassen, wenn die Gefahr einer schweren Selbstschädigung besteht. Der Betreuer wäre dann nämlich nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, dem Betreuten zu einer Selbstschädigung die Hand zu reichen, wenn sich der zu erwartende Schaden in Grenzen hält. Dies kann nicht Sinn der mit der Betreuerbestellung verbundenen staatlichen Hilfe sein.“ 81 In BT-Drs. 11/4528, S. 134 wird diesbezüglich ausgeführt: „So würde es z. B. mit dem Wohl des Betreuten durchaus in Einklang stehen, wenn dieser täglich mehrere Stunden mit dem Betreuer über seine Angelegenheiten sprechen will. Solchen Wünschen soll sich der Betreuer entziehen können.“ 82 Hierzu auch bereits Lipp, Freiheit und Fürsorge: Der Mensch als Rechtsperson, S. 149 ff.; Müller, Betreuung und Geschäftsfähigkeit, S. 204 ff., 211 ff.; vgl. zum Begriff des Wohls auch Diekmann, BtPrax 2011, 185, 187 f.; Seitz, BtPrax 2005, 170 ff. 83 Vgl. hierzu auch Lipp, Freiheit und Fürsorge: Der Mensch als Rechtsperson, S. 149 ff.
III. Möglichkeiten antizipierter Selbstbestimmung
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„Es ist zwar nicht zu verkennen, dass der Begriff des ,Wohles‘ ein sehr allgemeiner ist. Dennoch wird man auf diesen Begriff, der auch im Recht der elterlichen Sorge und im Recht der Vormundschaft über Minderjährige überragende Bedeutung besitzt, nicht verzichten können. Eine nähere Konkretisierung erscheint angesichts der Vielfalt der Fallgestaltungen – von Ausnahmefällen abgesehen (hierzu die in § 1905 E enthaltene Regelung über die Einwilligung in eine Sterilisation und die in § 1906 E enthaltene Regelung über die Unterbringung) – nicht möglich. Es erscheint jedoch sinnvoll, im Satz 2 ergänzend klarzustellen, daß zum Wohl des Betreuten auch die Möglichkeit gehört, im Rahmen seiner Fähigkeiten sein Leben nach seinen eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten. Von den Betroffenen wird des Öfteren zu Recht darüber geklagt, daß dieser Gesichtspunkt in der Praxis nicht immer hinreichend beachtet wird. So wird bei der Vermögenssorge nicht selten die Erhaltung und Mehrung des Vermögens mit dem Wohl des Betroffenen gleichgesetzt und sein Wunsch nach einem vertretbaren Luxus übergangen. Betreuer und im Rahmen ihrer Beratungs-, Überwachungs- und Genehmigungstätigkeit auch die Gerichte dürfen nicht außer acht lassen, dass das Wohl des Betreuten nicht ausschließlich objektiv bestimmt werden kann, sondern auch dadurch beeinflußt wird, inwieweit seine verbliebenen Fähigkeiten und die sich hieraus ergebenden Wünsche und Vorstellungen ernstgenommen werden.“ 84
Mit Urteil vom 22. Juli 2009 hat sich der Bundesgerichtshof mit der Grenzziehung dieser „Wohl-Schranke“ grundlegend auseinander gesetzt.85 Ausgehend vom Wortlaut des § 1901 Abs. 2 S. 2 BGB stellte der Bundesgerichtshof zunächst fest, dass ein Wunsch nicht bereits dann im Sinne des § 1901 Abs. 3 S. 1 BGB dem Wohl des Betreuten zuwiderläuft, wenn er dessen objektivem Interesse widerspricht. Ein beachtlicher Gegensatz zwischen Wohl und Wille des Betreuten entstehe erst dann, wenn die Erfüllung der Wünsche höherrangige Rechtsgüter des Betroffenen gefährden oder seine gesamte Lebens- und Versorgungssituation erheblich verschlechtern würde.86 In Bezug auf die Lebens- und Versorgungssituation konkretisiert der Bundesgerichtshof seine Ausführungen dahingehend, dass der Betreuer einen Wunsch des Betreuten nicht wegen Vermögensgefährdung ablehnen darf, solange dieser sich von seinen Einkünften und aus seinem Vermögen voraussichtlich bis zu seinem Tod wird unterhalten können.87 Andererseits soll jedoch eine Selbstschädigung des Betreuten in Bezug auf seine Vermögenssituation dann nicht mehr hingenommen werden können, wenn dessen Unterhalt bis zu seinem Tod infolge einer Maßnahme des Betreuers nicht mehr gesichert ist.88 Sofern nach diesen Kriterien ein Wunsch des Betreuten im Grundsatz beachtlich sei, stehe der Vorrang des Willens oder Wunschs vor dem Wohl unter drei 84 85 86 87 88
BT-Drs. 11/4528, S. 133. BGHZ 182, 116. BGHZ 182, 116, 125. BGHZ 182, 116, 126. BGHZ 182, 116, 127.
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
weiteren Voraussetzungen: Der Wunsch dürfe nicht Ausdruck der Erkrankung des Betreuten sein, der Wunsch müsse Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts des Betreuten sein89 und der Wunsch müsse auf ausreichender tatsächlicher Grundlage gefasst worden sein.90 Setzt man sich mit den vom Bundesgerichtshof aufgestellten Kriterien näher auseinander, so wird deutlich, dass die Frage der freien Willensbestimmung eine lediglich sekundäre Rolle gespielt hat. Zwar ist für einen Vorrang des Wunschs vor dem Wohl erforderlich, dass der Wunsch nicht Ausdruck der Erkrankung ist und sich als Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts darstellt. Das Vorliegen dieser Kriterien reicht jedoch für sich allein genommen nicht aus, um den „WunschWohl-Konflikt“ zu Gunsten des Wunsches zu entscheiden. Vielmehr steht unter Anlegung der Kriterien des Bundesgerichtshofs auch in diesen Fällen die Wunschbeachtungspflicht unter dem zusätzlichen Vorbehalt, dass sie nicht höherrangige Rechtsgüter des Betroffenen gefährdet oder seine Lebens- und Versorgungssituation erheblich verschlechtert. Brosey hält dieses Ergebnis für verfassungswidrig, da es mit dem Selbstbestimmungsrecht des Betreuten und dem Gleichbehandlungsgrundsatz unvereinbar sei.91 In Bezug auf die hier in Rede stehenden Zwangsmaßnahmen der Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB und die unterbringungsähnlichen Maßnahmen nach § 1906 Abs. 4 BGB i.V. m. § 1906 Abs. 1 BGB muss die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Betrachtungsweise des Bundesgerichtshofs in dem Urteil vom 22. Juli 200992 nicht entschieden werden. Der Gesetzgeber hat nämlich, wie sich aus dem Wortlaut des § 1906 Abs. 1 BGB ergibt, im Rahmen der Unterbringungsmöglichkeit nach § 1906 Abs. 1 BGB den „Wunsch-Wohl-Konflikt“ gesetzlich geregelt, indem er die Fälle der Erforderlichkeit der Unterbringung zum Wohle des Betreuten ausdrücklich aufgeführt hat.93
89 In Abgrenzung hierzu führt der Bundesgerichtshof in BGHZ 182, 116, 127 aus: „Der Vorrang des Willens des Betreuten gilt im übrigen nur für solche Wünsche, die Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts des Betreuten sind; sie dürfen sich nicht nur als bloße Zweckmäßigkeitserklärung erklären lassen, die der Betreute angestellt hat, um über diese Vorstufe sein eigentliches – weitergehendes – Ziel zu erreichen.“ 90 BGHZ 182, 116, 127. 91 Brosey, BtPrax 2010, 16, 17 f.; auch nach Lipp, Freiheit und Fürsorge: Der Mensch als Rechtsperson, S. 161 soll es zur Beurteilung der Wunschbeachtungspflicht nicht darauf ankommen, ob der Wunsch auf einen vertretbaren Luxus gerichtet ist oder seine Verwirklichung einen Zugriff auf die Substanz des Vermögens erfordert oder seine Verwirklichung die zukünftige Versorgung des Betreuten gefährdet. Entscheidend könne nur sein, ob und inwieweit der das Vermögen gefährdende Wunsch des Betreuten auf seiner eingeschränkten Eigenverantwortlichkeit beruht und deshalb der Schutz des Betreuers erforderlich ist. 92 BGHZ 182, 116. 93 Vgl. hierzu auch BT-Drs. 11/4528, S. 133.
III. Möglichkeiten antizipierter Selbstbestimmung
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§ 1906 Abs. 1 BGB enthält zwar keine Definition des Wohl-Begriffs, allerdings wird dieser darin konkretisiert.94 § 1906 Abs. 1 BGB umfasst zwei Alternativen, in denen eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, zum Wohl des Betreuten erforderlich sein soll. Der Wortlaut des § 1906 Abs. 1 BGB nimmt indes keinen Bezug zur Berücksichtigungsfähigkeit der Wünsche des Betroffenen, so dass diese jedenfalls bei wortgenauer Anwendung der Vorschrift außer Betracht zu bleiben haben. Ob dennoch – über den Wortlaut der Vorschrift hinaus – weitere Zulässigkeitshürden für die Unterbringung bestehen und ob und gegebenenfalls wie der Einzelne auf die Zulässigkeit der Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB Einfluss nehmen kann, wird im Rahmen der Prüfung der Maßnahme im Einzelnen zu erläutern sein. 4. Behandlungsvereinbarungen Eine Behandlungsvereinbarung enthält Erklärungen und Absprachen zwischen dem Patienten und einer psychiatrischen Klinik für den Fall einer stationären Behandlung in einer akuten Krise.95 Diese bauen in aller Regel auf Erfahrungen in Bezug auf bereits erfolgte psychiatrische Behandlungen und Klinikaufenthalte auf und können auf die Besonderheiten der jeweiligen Klinik abgestimmt werden. Auch können in geeignetem Umfeld etwaige verletzende Erfahrungen besprochen werden und gemeinsam Lösungen gesucht werden, wie angemessen mit zukünftigen Krisen umgegangen werden kann.96 Der wesentliche Unterschied zu einseitigen Erklärungen auf Seiten der Betroffenen oder einseitigen Bemühungen der Pfleger und Ärzte besteht im partnerschaftlichen Umgang miteinander und dem gemeinsamen Bestreben, die Bedingungen für Aufnahmen und Behandlungen in der Akutpsychiatrie zu verbessern.97 Wie der Begriff der „Vereinbarung“ bereits impliziert, setzt eine Behandlungsvereinbarung das Einverständnis sowohl des Betroffenen als auch der jeweiligen Klinik voraus. Die Klinik kann sich daher in Behandlungsvereinbarungen verpflichten, bestimmte Behandlungsmethoden nicht anzuwenden oder dem Betroffenen bestimmte Medikamente nicht zu verabreichen. In Behandlungsvereinbarungen können auch beispielsweise Kontakt- und Besuchswünsche oder Absprachen zu Medikamenten und Darreichungsformen enthalten sein. 94 Vgl. hierzu auch BT-Drs. 11/4528, S. 133, wonach der Begriff des Wohles in § 1906 BGB als Ausnahmefall näher konkretisiert wurde; so auch Hoffmann/Klie, Freiheitsentziehende Maßnahmen im Betreuungs- und Kindschaftsrecht, S. 29. 95 Vgl. auch Marschner, Psychisch Kranke im Recht, S. 35; Zinkler, R&P 2000, 165, 166. 96 Vgl. auch Voelzke, in: Dietz/Pörksen/Voelzke, S. 20; Zinkler, R&P 2000, 165, 166. 97 Vgl. auch Dietz/Pörksen, in: Dietz/Pörksen/Voelzke, S. 9; Zinkler, R&P 2000, 165, 166.
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
Unmittelbare Bindungswirkung entfaltet die Behandlungsvereinbarung als schuldrechtliche Abrede jedoch naturgemäß nur zwischen den Parteien, die die Vereinbarung geschlossen haben. Darüber hinaus können einzelne Festlegungen in dem „Mantel“ einer Behandlungsvereinbarung definitionsgemäße Patientenverfügungen darstellen, wenn diese die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB erfüllen.98 Im Übrigen können die Festlegungen in Behandlungsvereinbarungen auch über § 1901a Abs. 2 BGB oder § 1901 Abs. 3 BGB für das Handeln des Betreuers beachtlich sein. In der nachfolgenden Untersuchung sollen die schuldrechtlichen Wirkungen von Behandlungsvereinbarungen außer Betracht bleiben. Im Fokus sollen vielmehr die Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung stehen, die unabhängig von einer Willenserklärung der Klinik sind. Sofern die Festlegungen in Behandlungsvereinbarungen Patientenverfügungen im Sinne des § 1901a Abs. 1 BGB, Behandlungswünsche gemäß § 1901a Abs. 2 BGB oder Wünsche gemäß § 1901 Abs. 3 BGB darstellen – was im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln ist – sind diese unter Zugrundelegung der jeweils einschlägigen Kriterien beachtlich. Der Charakter der Festlegung ändert sich mit anderen Worten nicht dadurch, dass er in einer Behandlungsvereinbarung enthalten ist.
IV. Zwangsmaßnahmen auf Grundlage des BGB Der vorliegenden Arbeit liegt ein weites Begriffsverständnis der Zwangsmaßnahmen zu Grunde. Insbesondere werden auch die Betreuerbestellung nach § 1896 Abs. 1 BGB und die Einrichtung eines Einwilligungsvorbehalts gegen den (unfreien) Willen des Betroffenen als Eingriff99 und in Folge dessen als Zwangsmaßnahme begriffen. Zwar wird in der Literatur teilweise die Eingriffsqualität des Betreuungsverhältnisses mit der Begründung verneint, die Betreuerbefugnisse seien Mittel zur Durchsetzung oder Ersetzung suspendierter Autonomie des Betroffenen.100 Die Betreuerbefugnisse organisieren nach diesem sog. Aufbaumodell101 die unvollkommene Autonomie der betroffenen Person rechtlich und verwirklichen deren Selbstbestimmung.102 Die Anknüpfung an eine Krankheit oder Behinderung in § 1896 Abs. 1 BGB begründe oder rechtfertige damit nicht die Bestellung eines Betreuers, sondern beschränke sie.103 98
Zu den einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen S. 78 ff. So auch Schmidt-Recla/Diener, MedR 2013, 6, 7. 100 Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 95 f.; ders., FamRZ 2012, 669, 675; ders., BtPrax 2005, 6, 7. 101 Zur diesbezüglichen Begrifflichkeit Schmidt-Recla/Diener, MedR 2013, 6, 7. 102 Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 95 f.; ders., FamRZ 2012, 669, 675; ders., BtPrax 2005, 6, 7. 99
IV. Zwangsmaßnahmen auf Grundlage des BGB
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Das Aufbaumodell vermag indes nicht zu überzeugen.104 Durch die Einrichtung einer Betreuung oder eines Einwilligungsvorbehalts wird in Grundrechte des Betroffenen eingegriffen, wobei die Rechtfertigung dieser Eingriffe durch Fürsorgeerwägungen geprägt ist.105 Es ist wenig überzeugend, diese Grundstruktur durch dogmatische Kunstgriffe zu überformen. Evident wird der Eingriffscharakter, wenn man einen Perspektivenwechsel vornimmt und sich gedanklich in die Betroffenenrolle versetzt. Alleine die Rechtsfolge, dass eine andere Person mit Wirkung für und gegen einen selbst ohne Zustimmung im Außenverhältnis rechtswirksam handeln kann, rechtfertigt die Annahme eines Eingriffs in die Rechte des Betroffenen. Gefolgt wird in nachfolgenden Ausführungen mithin dem sog. Eingriffsmodell106, dem sich nunmehr auch das Bundesverfassungsgericht107 und der Bundesgerichtshof 108 angeschlossen haben. 1. Betreuerbestellung nach § 1896 Abs. 1 BGB Wenn eine Betreuung nicht besteht und eine Patientenverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB vorliegt, die hinreichend bestimmte Festlegungen in Bezug auf eine in Rede stehende medizinische Maßnahme beinhaltet, wirkt die Einwilligung oder Versagung der Einwilligung unmittelbar fort, so dass insoweit eine Betreuerbestellung mangels Erforderlichkeit einer Betreuung nicht erfolgen kann. Der Betroffene hat in Bezug auf die in Rede stehende Maßnahme seine Angelegenheiten bereits selbst – nämlich in der Patientenverfügung – geregelt, so dass die Einrichtung einer Betreuung insoweit109 nicht notwendig ist. Näherer Betrachtung bedarf jedoch die Frage, ob als unmittelbarer Inhalt einer Patientenverfügung (oder auch einer sonstigen Vorausverfügung) eine Betreuerbestellung wirksam abgelehnt werden kann.110 Diesbezüglich ist von Folgendem auszugehen: Voraussetzung für die Bestellung eines Betreuers ist zunächst gemäß § 1896 Abs. 1 BGB, dass ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann. Auch wenn diese Voraussetzungen ge-
103 Lipp, FamRZ 2012, 669, 675; kritisch zur Auffassung des Aufbaumodells und explizit zu dieser Begründung Schmidt-Recla/Diener, MedR 2013, 6, 8 (dort Fn. 15). 104 Vgl. im Einzelnen hierzu Schmidt-Recla/Diener, MedR 2013, 6, 8, 11. 105 So auch Schmidt-Recla/Diener, MedR 2013, 6, 11. 106 Zur Begrifflichkeit Schmidt-Recla/Diener, MedR 2013, 6, 7. 107 BVerfG, NJW 2011, 3571, 3572; BVerfG, NJW 2011, 2113. 108 BGH, NJW 2012, 2967. 109 Ob in Bezug auf andere Angelegenheiten eine Betreuerbestellung notwendig ist, muss selbstverständlich gesondert und unabhängig hiervon beurteilt werden. 110 Beispielsweise durch die Formulierung „Eine Betreuerbestellung lehne ich ab.“
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
geben sind, darf jedoch gemäß § 1896 Abs. 1a BGB gegen den freien Willen des Betroffenen ein Betreuer nicht bestellt werden.111 Die Vorschrift des § 1896 Abs. 1a BGB wurde erst durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts in das BGB eingefügt.112 Da bereits vor Inkrafttreten dieses Gesetzes anerkannt war, dass eine Betreuung gegen den freien Willen ausscheidet, dient § 1896 Abs. 1a BGB vornehmlich der Klarstellung.113 Ohne dass dies im Gesetzeswortlaut explizit zum Ausdruck kommt114, bezieht sich § 1896 Abs. 1a BGB offensichtlich auf den Zeitpunkt der Beurteilung der Notwendigkeit der Betreuerbestellung. Die Tatsache, dass der Betroffene möglicherweise zu einem früheren Zeitpunkt, als er noch einen freien Willen bilden konnte, eine Betreuung ablehnte, ist daher im Rahmen des § 1896 Abs. 1a BGB unerheblich. Ein solcher Wille kann daher – unabhängig vom Fehlen der sonstigen Voraussetzungen des § 1901a BGB – auch nicht in einer Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügung konserviert werden. Dies folgt auch aus dem Zweck des Betreuungsrechts, denjenigen Personen, die ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst wahrnehmen können, Beistand in Form von Rechtsfürsorge zu leisten.115 Die Möglichkeit der Besorgung seiner Angelegenheiten muss daher jedem Menschen, sei es persönlich, durch einen Vertreter oder durch sonstige Hilfen, zu jedem Zeitpunkt gewährleistet sein. Auch im Interesse der Funktionsfähigkeit des Rechtsverkehrs kann hierauf nicht verzichtet werden. Ließe man solche vorsorglichen Erklärungen mit einer pauschalen Ablehnung einer Betreuung zu, so käme dies einer Abbedingung der Vorschriften der §§ 1896 ff. BGB gleich, die jedoch nicht zur Disposition des Einzelnen stehen. Der Verzicht auf eine etwa erforderliche Teilnahme am Rechtsverkehr durch einen Vertreter im Falle der eigenen Handlungsunfähigkeit ist daher – ebenso wie ein Verzicht auf die Geschäftsfähigkeit – nicht möglich. Dieser allgemeine Zweck des Betreuungsrechts hat auch in der Regelung des § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB seinen Niederschlag gefunden, wonach eine Betreuung nicht erforderlich ist, soweit die Angelegenheiten des Volljährigen durch einen Bevollmächtigten oder durch andere Hilfen ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können.116 Hierdurch kommt eindeutig zum Ausdruck, dass eine 111 Vgl. zur Problematik der Bestimmung des „freien Willens“ Laufs, MedR 2011, 1; Habermeyer, BtPrax 2010, 69. 112 Vgl. BT-Drs. 15/2494, S. 27 f. 113 Vgl. hierzu Bieg, Juris-Praxiskommentar BGB, § 1896 Rn. 36. 114 Auch die Begründung des Gesetzentwurfs enthält hierfür keine ausdrückliche Regelung, vgl. BT-Drs. 15/2494, S. 28. 115 Vgl. ausführlich zur Funktion der Betreuung Lipp, Freiheit und Fürsorge: Der Mensch als Rechtsperson, S. 22 ff., 40 ff., 75 ff.; im Übrigen ders., BtPrax 2005, 6. 116 Vgl. hierzu auch Diekmann, BtPrax 2011, 185; Kern, MedR 1991, 66, 67; vgl. zum Erforderlichkeitsgrundsatz im Rahmen einer bestehenden Betreuung Lipp, BtPrax 2005, 6, 8; ausführlich zum Grundsatz der Erforderlichkeit auch von Sachsen Gessaphe,
IV. Zwangsmaßnahmen auf Grundlage des BGB
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„Vakuumsituation“, bei der niemand für eine hilfsbedürftige Person handeln kann, nicht eintreten kann. Es können insoweit drei Situationen unterschieden werden: Sofern sonstige Hilfen ausreichen, um die Angelegenheiten des Betroffenen adäquat zu besorgen, bedarf es weder der Handlung eines Vorsorgebevollmächtigten noch eines Betreuers.117 Sofern sonstige Hilfen nicht ausreichen und ein Vorsorgebevollmächtigter die Angelegenheiten adäquat erledigen kann, bedarf es ebenfalls keiner Betreuung. Erst dann, wenn weder sonstige Hilfen ausreichen, noch die Angelegenheiten durch einen Bevollmächtigten erledigt werden können, ist die Einrichtung einer Betreuung notwendig.118 Die Tatsache, dass die Einrichtung einer Betreuung nicht in einer Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügung pauschal abgelehnt werden kann, ergibt sich des Weiteren aus dem Zweck des § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB. Um die Einrichtung einer Betreuung zu verhindern, sieht das Gesetz gerade die Möglichkeit der Errichtung einer Vorsorgevollmacht vor, wobei auch diese der Bestellung eines Betreuers dann nicht entgegensteht, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet.119 Die Patientenverfügung dient demgegenüber nicht dazu, die Einrichtung einer Betreuung zu verhindern. Sie ist vielmehr vorrangig an den Betreuer oder Vorsorgebevollmächtigten adressiert, der die Festlegungen in der Patientenverfügung beachten und gegebenenfalls durchsetzen soll. Im Übrigen spricht auch der Wortlaut und Zweck des § 1901a Abs. 1 und auch Abs. 2 BGB gegen die Möglichkeit, die Einrichtung einer Betreuung durch die Errichtung einer Patientenverfügung verhindern zu können. Sowohl § 1901a Abs. 1 BGB als auch § 1901a Abs. 2 BGB beziehen sich eindeutig auf Situationen, in denen es um die Erteilung oder Versagung der Einwilligung in eine bestimmte noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchung des Gesundheitszustands, Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff geht. Die Patientenverfügung hat daher bereits vom Ansatz her einen anderen Gegenstand als die Betreuerbestellung. Für eine extensive Auslegung des Wortlauts des § 1901a Abs. 1 BGB ist daher kein Raum. Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass durch das Abfassen einer Patientenverfügung die Einrichtung einer Betreuung unmittelbar nicht verDer Betreuer als gesetzlicher Vertreter für eingeschränkt Selbstbestimmungsfähige, S. 214 ff.; speziell zur Subsidiarität der Betreuung ders., Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter für eingeschränkt Selbstbestimmungsfähige, S. 248 ff.; im Übrigen auch Müller, Betreuung und Geschäftsfähigkeit, S. 128 ff.; Schwab, MüKo BGB, § 1896 Rn. 4; Bienwald, Staudinger BGB, § 1896 Rn. 103 ff. 117 Zu den sonstigen Hilfen vgl. auch Diekmann, BtPrax 2011, 185, 186 f. 118 Vgl. hierzu auch Bienwald, Staudinger BGB, § 1896 Rn. 103 ff., 114 ff. 119 BGH, NJW 2011, 2135.
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
hindert werden kann. Geeignetes Institut hierfür ist alleine die Vorsorgevollmacht120, wobei auch diese der Bestellung eines Betreuers dann nicht entgegensteht, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen.121 Allenfalls mittelbar kann durch hinreichend bestimmte Festlegungen in Bezug auf eine medizinische Maßnahme in einer Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB eine Betreuerbestellung verhindert werden, nämlich dann, wenn aufgrund der Festlegungen keine Notwendigkeit einer Betreuerbestellung mehr besteht. 2. Einrichtung eines Einwilligungsvorbehalts nach § 1903 Abs. 1 BGB Auch die Einrichtung eines Einwilligungsvorbehalts kann durch die Errichtung einer Patientenverfügung nicht wirksam verhindert werden. In Parallele zur Frage, ob die Einrichtung einer Betreuung verhindert werden kann, ergibt sich dieses Ergebnis auch hier aus dem Wortlaut des § 1901a Abs. 1 und Abs. 2 BGB. § 1901a BGB regelt lediglich den Fall der Einwilligung oder Versagung der Einwilligung in bestimmte ärztliche Maßnahmen. Bei der Frage der Errichtung eines Einwilligungsvorbehalts geht es jedoch gerade nicht um Einwilligungen oder Versagung der Einwilligung in bestimmte ärztliche Maßnahmen. Im Fokus der Vorschrift des § 1903 Abs. 1 BGB stehen vielmehr rechtsgeschäftliche Willenserklärungen. Die Einrichtung eines Einwilligungsvorbehalts kann daher bereits vom Ansatz her nicht durch eine Patientenverfügung verhindert werden. 3. Unterbringungen gemäß § 1906 Abs. 1 BGB § 1906 Abs. 1 BGB nennt in Nr. 1 und Nr. 2 verschiedene Gründe, weshalb die Unterbringung des Betroffenen zu dessen Wohl erforderlich ist. Hinsichtlich der Frage, welchen Einfluss der Betroffene im Vorfeld auf die Zulässigkeit einer Maßnahme nehmen kann, ist zwischen den einzelnen Unterbringungsarten zu unterscheiden. a) Unterbringung wegen Eigengefährdung, § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB Eine Unterbringung auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist nur zulässig, solange sie zum Wohl des Betroffenen erforderlich ist, weil aufgrund einer psychischen Krankheit oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt. Zwar verlangt § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB – im Gegensatz zur öffentlich-recht120 121
Vgl. hierzu auch Roglmeier, FPR 2010, 282. BGH, NJW 2011, 2135.
IV. Zwangsmaßnahmen auf Grundlage des BGB
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lichen Unterbringung – keine akute, unmittelbar bevorstehende Gefahr für den Betreuten.122 Notwendig ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allerdings eine ernstliche und konkrete Gefahr für dessen Leib oder Leben, wobei die Anforderungen an die Voraussehbarkeit einer Selbsttötung oder einer erheblichen gesundheitlichen Eigenschädigung nicht überspannt werden dürfen.123 aa) Einflussnahme durch eine Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 BGB In einer Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 BGB kann der Betroffene festlegen, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt. Nach dem Wortlaut dieser Legaldefinition kann daher eine Unterbringung auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB nicht verhindert werden, da es sich bei der isolierten Maßnahme der Unterbringung nicht um eine ärztliche Maßnahme handelt.124 Diejenigen Handlungen, die durch eine Patientenverfügung wirksam unterbunden werden können, sind für die Beurteilung der Frage, ob eine Unterbringung auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB erfolgen kann, keine Tatbestandsvoraussetzungen und daher unerheblich. Der Anwendungsbereich des § 1901a Abs. 1 BGB ist in Bezug auf die isolierte Maßnahme der Unterbringung nicht eröffnet. Auch besteht bei gegebener Sachlage kein Raum für eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 1901a Abs. 1 BGB auf die isolierte Maßnahme der Unterbringung. Zwar könnte man eine vergleichbare Interessenlage durchaus in Erwägung ziehen. So wäre der Zweck des Rechts der Patientenverfügung, das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen zu stärken, ebenso gewährleistet, wenn man die Festlegungen in Patientenverfügungen auf § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB anwenden würde. Für eine Vergleichbarkeit der Interessenlagen spricht zudem, dass die Verweigerung einer notwendigen ärztlichen Maßnahme im Ergebnis einer Selbstschädigung gleichkommt, so dass die Fälle der Verweigerung der ärztlichen Maßnahme mit der Verweigerung einer Unterbringung zur Abwendung einer Selbstgefährdung normativ vergleichbar sind.125 Gegen die Vergleichbarkeit der beiden Sachlagen könnte man indes einwenden, dass die von den in Rede stehenden Maßnahmen betroffenen Grundrechte unterschiedlich sind. Während es bei Fest122
BGH, FamRZ 2010, 365, 366; Bienwald, FPR 2012, 4, 7. BGH, FamRZ 2011, 1141, 1142; BGH, FamRZ 2010, 365, 366. 124 Zu diesem Ergebnis gelangen auch Grözinger/Olzen/Metzmacher/Podoll/Schneider, Der Nervenarzt 2011, 57, 61; ebenso Olzen/Schneider, MedR 2010, 745, 748; Brosey, BtPrax 2010, 161, 166, die jedoch für den Fall einer eigenverantwortlichen Entscheidung die Unzulässigkeit einer Unterbringung aus § 1901 Abs. 3 BGB herleitet. 125 Für eine vergleichbare Interessenlage auch Olzen, Die Auswirkungen des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes (Patientenverfügungsgesetz) auf die medizinische Versorgung psychisch Kranker, Gutachten 2009, S. 37. 123
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
legungen in § 1901a Abs. 1 BGB um die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts in Bezug auf ärztliche Maßnahmen geht und damit das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 GG betroffen ist, geht es bei einer Unterbringung gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB um das Grundrecht auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG. Im Ergebnis kommt es jedoch auf die Frage der Vergleichbarkeit der Interessenlagen nicht entscheidungserheblich an. Für einen Analogieschluss fehlt es nämlich jedenfalls an einer planwidrigen Unvollständigkeit. Aufgrund des Ganges des Gesetzgebungsverfahrens126 und der differenzierten Ausgestaltung sowie der systematischen Abschichtung der Verbindlichkeitsgrade in den Vorschriften der § 1901a Abs. 1 BGB, § 1901a Abs. 2 BGB und § 1901 Abs. 3 BGB steht fest, dass sich der Gesetzgeber im Einzelnen darüber bewusst war, welche Festlegungen in Patientenverfügungen gemäß § 1901a Abs. 1 BGB getroffen werden können und welche nicht. Dies steht auch im Einklang mit der getroffenen Feststellung127, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung der Regelungen über die Patientenverfügung vornehmlich medizinische Maßnahmen am Lebensende im Auge hatte. Das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen in Bezug auf medizinische Maßnahmen sollte durch das Recht der Patientenverfügung gestärkt, jedoch nicht völlig schrankenlos auf alle anderen Bereiche ausgedehnt werden. So ist zwar in § 1901a Abs. 3 BGB geregelt, dass die Festlegungen in einer Patientenverfügung unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung gelten. Diese fehlende Reichweitenbegrenzung besteht jedoch selbstverständlich nur im Rahmen des Anwendungsbereichs des § 1901a Abs. 1 und Abs. 2 BGB, wie sich auch aus der ausdrücklichen Verweisung in § 1901a Abs. 3 BGB ergibt. Eine Ausweitung des Anwendungsbereichs des § 1901a Abs. 1 BGB war nicht beabsichtigt. Eine Regelungslücke liegt demnach nicht vor.128 Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass eine Unterbringung auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB nicht durch das Abfassen einer Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 BGB verhindert werden kann. bb) Einflussnahme durch eine Vorausverfügung gemäß § 1901a Abs. 2 BGB Auch außerhalb einer Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 BGB können Festlegungen über § 1901a Abs. 2 BGB beachtlich sein.129 Jedoch kann auch 126
Vgl. hierzu S. 50 ff. Vgl. hierzu S. 62 f. 128 Zu diesem Ergebnis gelangen auch Olzen/Schneider, MedR 2010, 745, 748; ebenso Olzen, Die Auswirkungen des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes (Patientenverfügungsgesetz) auf die medizinische Versorgung psychisch Kranker, Gutachten 2009, S. 37. 129 Vgl. hierzu bereits S. 109 f. und S. 139 f. 127
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durch Festlegungen oder vom Betreuer ermittelte Anhaltspunkte zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens auf Grundlage des § 1901a Abs. 2 BGB eine Unterbringung gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB nicht verhindert werden. Ebenso wie § 1901a Abs. 1 BGB ist auch § 1901a Abs. 2 BGB in seinem Anwendungsbereich – wie sich auch hier eindeutig aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt – auf die Frage der Einwilligung oder Versagung der Einwilligung in ärztliche Maßnahmen beschränkt. Der Betreuer hat zwar zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens sämtliche Anhaltspunkte, insbesondere frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige Wertvorstellungen des Betreuten zu berücksichtigen. Dies alles dient jedoch nur der Schaffung der geeigneten Grundlage für die Entscheidung, ob er in eine ärztliche Maßnahme nach § 1901a Abs. 1 BGB einwilligt oder sie untersagt. Da es sich bei der Unterbringung jedoch nicht um eine ärztliche Maßnahme handelt, kann durch Festlegungen oder Anhaltspunkte gemäß § 1901a Abs. 2 BGB eine Unterbringung gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB nicht verhindert werden. Raum für eine Analogie besteht auch hier nicht. Insoweit kann die Begründung, mit der die analoge Anwendung des § 1901a Abs. 1 BGB abgelehnt wurde, entsprechend herangezogen werden. cc) Einflussnahme durch eine Vorausverfügung gemäß § 1901 Abs. 3 BGB Fraglich ist, ob Festlegungen in Vorausverfügungen, durch die eine Unterbringung wegen Selbstgefährdung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB abgelehnt wird, über § 1901 Abs. 3 BGB für den Betreuer beachtlich sind, so dass es diesem verwehrt wäre, eine Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB zu veranlassen.130 Nach § 1901 Abs. 3 S. 1 BGB hat der Betreuer Wünschen des Betreuten zu entsprechen, soweit dies dessen Wohl nicht zuwiderläuft und dem Betreuer zuzumuten ist.131 Für die Frage, ob eine Unterbringung wegen Selbstgefährdung auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB möglich ist, kommt es daher im Kern auf die Reichweite dieser Pflicht zur Beachtung der Wünsche an. Zunächst ist vom Ausgangspunkt her festzuhalten, dass § 1901 Abs. 3 BGB im vorliegenden Fall nicht von § 1901a Abs. 1 oder Abs. 2 BGB verdrängt wird. Wie bereits oben ausgeführt132, reicht die Sperrwirkung des § 1901a BGB gegenüber der allgemeinen Regelung des § 1901 Abs. 3 BGB nur soweit, wie überhaupt dessen Anwendungsbereich eröffnet ist. Da es jedoch in der vorliegenden Fall130 Brosey, BtPrax 2010, 161, 166 bejaht dies, sofern die Ablehnung auf einer eigenverantwortlichen Entscheidung beruht. 131 Vgl. hierzu bereits S. 141 ff. 132 Vgl. hierzu bereits S. 140 f.
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konstellation nicht um die Entscheidung über die Erteilung oder Versagung der Einwilligung in eine ärztliche Maßnahme geht, ist der Anwendungsbereich des § 1901a Abs. 1 und Abs. 2 BGB nicht berührt. Zu beachten ist jedoch, dass die Regelung des § 1901 Abs. 3 BGB nicht isoliert betrachtet werden kann. Wie sich aus der Entstehungsgeschichte des § 1901 Abs. 3 BGB ergibt, ist die Frage, was letztlich unter dem Wohl des Betroffenen zu verstehen ist, für den Fall der Unterbringung in § 1906 Abs. 1 BGB als Ausnahmefall konkretisiert worden.133 Dies ergibt sich auch aus dem Wortlaut des § 1906 Abs. 1 BGB, wonach eine Unterbringung beim Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 „zum Wohl des Betreuten erforderlich ist“. Unabhängig von der allgemeinen Grenzziehung des „WunschWohl-Konflikts“ in § 1901 Abs. 3 BGB hat der Gesetzgeber diese Grenze für den Fall der Unterbringung demnach ausdrücklich vorgezeichnet. Die Unterbringung ist somit stets dann zum Wohl des Betreuten erforderlich, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1906 Abs. 1 BGB vorliegen. Auch kann die Vorschrift des § 1906 Abs. 1 BGB nicht einschränkend dahingehend ausgelegt werden, dass unabhängig von der typisierten Wohlgrenze in § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB und § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB eine ungeschriebene und zudem uneingeschränkte Pflicht zur Beachtung der Wünsche besteht.134 Der Gesetzgeber war sich vielmehr durchaus bewusst, dass sowohl durch die Wohlschranke in § 1901 Abs. 3 BGB als auch durch die Typisierung des Begriffs des Wohls in § 1906 Abs. 1 BGB, das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen eingeschränkt wird. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird insoweit ausgeführt: „Allerdings erscheint es auch nicht angezeigt, Wünsche des Betroffenen nur dann außer Betracht zu lassen, wenn die Gefahr einer schweren Selbstschädigung besteht. Der Betreuer wäre dann nämlich nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, dem Betreuten zu einer Selbstschädigung die Hand zu reichen, wenn sich der zu erwartende Schaden in Grenzen hält. Dies kann nicht Sinn der mit der Betreuerbestellung verbundenen staatlichen Hilfe sein.“ 135
Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass der Betroffene eine auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB erforderliche Unterbringung auch durch eine in einem Zustand der freien Willensbestimmung getroffene Vorausverfügung nicht abwenden kann. Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Frage der Beachtlichkeit von Wünschen des Betroffenen im 133 Vgl. BT-Drs. 11/4528, S. 133; so auch Hoffmann/Klie, Freiheitsentziehende Maßnahmen im Betreuungs- und Kindschaftsrecht, S. 29; vgl. hierzu auch S. 144. 134 A. A. Brosey, BtPrax 2010, 161, 166, wonach eine im selbstbestimmten Zustand verfasste Vorausverfügung auch im Falle des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB beachtlich sein soll. 135 BT-Drs. 11/4528, S. 133.
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Rahmen des § 1901 Abs. 3 BGB.136 Der Bundesgerichtshof hat – freilich in Bezug auf § 1901 Abs. 3 BGB – ausgeführt, dass ein Wunsch zwar nicht bereits dann im Sinne des § 1901 Abs. 3 S. 1 BGB dem Wohl des Betroffenen zuwiderläuft, wenn er dessen objektivem Wohl widerspricht.137 Ein beachtlicher Gegensatz zwischen Wohl und Wille des Betreuten entstehe vielmehr erst dann, wenn die Erfüllung der Wünsche höherrangige Rechtsgüter des Betroffenen gefährden oder seine gesamte Lebens- und Versorgungssituation erheblich verschlechtern würde.138 Da es jedoch bei der Frage der Unterbringung auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB um die Abwendung der Gefährdung höherrangiger Rechtsgüter des Betroffenen, nämlich Leib und Leben geht, wären Wünsche des Betroffenen wohl – unabhängig von der gesetzlichen Konkretisierung der WohlSchranke in § 1906 Abs. 1 BGB – auch im Rahmen des § 1901 Abs. 3 BGB unbeachtlich. Legt man die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Bezug auf § 1901 Abs. 3 BGB zu Grunde, so ergibt sich ein weiteres Erst-Recht-Argument gegen die Berücksichtigung vorausverfügter Wünsche im Rahmen des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Der Bundesgerichtshof hat ausgeführt, dass eine Selbstschädigung des Betreuten in Bezug auf seine Vermögenssituation dann nicht mehr hingenommen werden kann, wenn dessen Unterhalt bis zu seinem Tod infolge einer Maßnahme des Betreuers nicht mehr gesichert ist.139 Wenn sich der Betreuer somit bereits aufgrund von Vermögensinteressen über Wünsche des Betroffenen hinwegsetzen darf, dann muss dies erst recht dann gelten, wenn höherrangige Rechtsgüter des Betroffenen wie Leib und Leben gefährdet sind. Im Ergebnis kann daher festgehalten werden, dass der Betroffene eine Unterbringung wegen Selbstgefährdung auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB nicht durch das Abfassen einer Vorausverfügung verhindern kann. dd) Verfassungsmäßigkeit des gefundenen Ergebnisses Gegen das gefundene Ergebnis werden teilweise verfassungsrechtliche Bedenken erhoben. Brosey führt aus, dass es die Würde des Menschen gebiete, sein im einwilligungsfähigen Zustand ausgeübtes Selbstbestimmungsrecht auch dann noch zu respektieren, wenn er zu einer eigenverantwortlichen Entscheidung nicht mehr in der Lage ist.140 Nach Brosey soll es für den Beispielsfall, dass der Betreute für den Fall eines Suizides vorsorglich verfügt hat, unbedingt sterben zu wollen, auf 136 137 138 139 140
BGHZ 182, 116. BGHZ 182, 116, 125. BGHZ 182, 116, 125. BGHZ 182, 116, 127. Brosey, BtPrax 2010, 161, 166 unter Verweis auf BGHZ 154, 205.
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zweierlei ankommen.141 Der Suizid dürfe nicht krankheits- oder behinderungsbedingt sein, sondern müsse auf einer eigenverantwortlichen Entscheidung beruhen.142 Daneben müsse feststehen, dass der Betreute weiterhin erkennbar an diesem Wunsch festhalten will.143 Die Auffassung Broseys ist im Ergebnis abzulehnen. Zwar verfolgt sie zunächst – in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs144 – den zutreffenden Ansatz, dass das Selbstbestimmungsrecht auch Ausfluss der Menschenwürde sein kann und in diesen Fällen auch im einwilligungsunfähigen Zustand beachtet werden muss. Eine Ablehnung der Unterbringungsmöglichkeit der Betroffenen nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB lässt sich jedoch bei genauerer Betrachtung hieraus nicht herleiten. Insbesondere ist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Beachtlichkeit von Patientenverfügungen aus dem Jahre 2003 im Lübecker Fall145 nicht auf die vorliegende Fallkonstellation der Unterbringung bei Selbstgefährdung übertragbar. Die Hinderung des Betroffenen, sich krankheitsbedingt selbst zu schädigen oder gar zu töten, stellt keinen ungerechtfertigten Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht dar.146 Hierzu im Einzelnen: (1) Die Prämissen Broseys – Schärfung der Betrachtungsweise Hat der Betreute für den Fall eines Suizides vorsorglich verfügt, unbedingt sterben zu wollen, so steht die Beachtlichkeit einer Vorausverfügung nach Brosey unter zwei Prämissen: – Der Suizid dürfe nicht krankheits- oder behinderungsbedingt sein, sondern müsse auf einer eigenverantwortlichen Entscheidung beruhen und – es müsse feststehen, dass der Betreute weiterhin erkennbar an diesem Wunsch festhalten will.147 Führt man sich nochmals die genauen Tatbestandsvoraussetzungen für eine Unterbringung auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB vor Augen, so sind die von Brosey aufgestellten Prämissen zumindest etwas unklar. Wenn man davon ausgeht, dass mit „der Suizid“ die Vornahme der Handlung gemeint ist, die nach der Intention des Suizidenten unmittelbar zum Tode führen soll, so handelt es sich bei den von Brosey beurteilten Fällen bereits vom Ansatz her nicht um 141
Brosey, BtPrax 2010, 161, 166. Brosey, BtPrax 2010, 161, 166. 143 Brosey, BtPrax 2010, 161, 166. 144 BGHZ 154, 205, 217. 145 BGHZ 154, 205. 146 So auch Taupitz, in: Brugger/Haverkate, Grenzen als Thema der Rechts- und Sozialphilosophie, S. 92 f., der dies unabhängig von der Frage der Krankheitsbedingtheit des Selbstschädigungsentschlusses annimmt. 147 Brosey, BtPrax 2010, 161, 166. 142
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die hier in Rede stehenden Fallkonstellationen der Unterbringung auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Eindeutige Tatbestandsvoraussetzung einer Unterbringung auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist nämlich, dass „auf Grund“ einer psychischen Krankheit oder geistigen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt. Die psychische Krankheit oder die geistige oder seelische Behinderung muss mithin für die Gefährdungslage kausal sein. Fälle der sog. „Bilanzselbsttötung“, d. h. in denen die Selbsttötungshandlung frei willensbestimmt vorgenommen wird, sind daher bereits vom Ansatz her nicht von § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB umfasst.148 Die hier zu entscheidende Frage, ob Vorausverfügungen, durch die eine Unterbringung abgelehnt wird, beachtlich sind, bezieht sich daher stets nur auf solche Fälle, in denen zwar im Zeitpunkt der Errichtung der Vorausverfügung die freie Willensbestimmung möglich war, der Betroffene jedoch im Zeitpunkt der Gefährdungslage diese erst durch seine psychische Krankheit oder geistige oder seelische Behinderung verursacht. In diesen Fällen ist klar, dass das zum Tode führende Verhalten des Suizidenten nicht mehr frei willensbestimmt, sondern vielmehr ausdrücklich krankheitsbedingt erfolgt. Deutlich wird dies, wenn man sich die Beziehung zwischen einem Willensentschluss und einer tatsächlichen Handlung vor Augen führt. Ein Willensentschluss kann zunächst losgelöst von einer tatsächlichen Handlung betrachtet werden und muss nicht zwingend in eine solche münden. Umgekehrt jedoch ist Grundlage einer tatsächlichen Handlung – von Reflexen einmal abgesehen – ein Willensentschluss. Dieser Willensentschluss wiederum kann grundsätzlich frei willensbestimmt oder krankheitsbedingt sein. Bezogen auf die hier zu entscheidenden Fälle kann daher abgeschichtet werden: Wenn eine Person in einer Vorausverfügung in einem geistig gesunden Zustand einen Willen äußert, so ist damit noch nicht die Vornahme einer auf diesem Willen beruhenden Handlung verbunden. Nur wenn die Person den freien Willensentschluss auch frei willensbestimmt durch Vornahme des selbstgefährdenden Verhaltens umsetzt, besteht für eine Unterbringung auf § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB kein Raum. Dieses Ergebnis folgt jedoch nicht aus dem Vorliegen einer Vorausverfügung, sondern unmittelbar aus der Anwendung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB, da eine Unterbringung auf dieser Grundlage nur dann möglich ist, wenn die in dem zu beurteilenden Zeitpunkt vorliegende Selbstgefährdung „aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung“ erfolgt.149 Die vom Ansatz her überhaupt für eine Unterbringung im Rahmen des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB in Rede stehenden Fälle sind daher immer solche, in denen eine Person gerade nicht mehr in der Lage ist, einen freien Willensentschluss tatsächlich umzusetzen, sondern insoweit nur noch krankheitsbedingt handeln kann. 148 149
Vgl. auch Schwab, MüKo BGB, § 1906 Rn. 16. Vgl. hierzu auch Schwab, MüKo BGB, § 1906 Rn. 16.
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Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1906 Abs. 1 S. 1 BGB vor, ist daher einzig verbleibende Streitfrage, ob der Betroffene durch eine frei willensbestimmt verfasste Vorausverfügung den Staat verpflichten kann, ihn nicht an einem späteren krankheitsbedingten selbstschädigenden oder selbsttötenden Verhalten zu hindern. (2) Herleitung des Selbstbestimmungsrechts in den zu beurteilenden Fällen Der Bundesgerichtshof hat im Lübecker Fall150 das Selbstbestimmungsrecht als Ausfluss der Menschenwürde angesehen. Eine „Patientenverfügung“ binde in diesen Fällen als Ausdruck des fortwirkenden Selbstbestimmungsrechts, aber auch der Selbstverantwortung des Betroffenen den Betreuer; denn schon die Würde des Betroffenen (Art. 1 Abs. 1 GG) verlange, dass eine von ihm eigenverantwortlich getroffene Entscheidung auch dann noch respektiert werde, wenn er die Fähigkeit zu eigenverantwortlichem Entscheiden inzwischen verloren hat.151 Die Willensbekundung des Betroffenen für oder gegen bestimmte medizinische Maßnahmen dürfe deshalb vom Betreuer nicht durch einen „Rückgriff auf den mutmaßlichen Willen“ des Betroffenen „korrigiert“ werden, es sei denn, dass der Betroffene sich von seiner früheren Verfügung mit erkennbarem Widerrufswillen distanziert oder die Sachlage sich nachträglich so erheblich geändert hat, dass die frühere selbstverantwortlich getroffene Entscheidung die aktuelle Sachlage nicht umfasst.152 Die Ausführungen des Bundesgerichtshofs zum Selbstbestimmungsrecht im Lübecker Fall sind nicht auf die hier in Rede stehenden Fallkonstellationen übertragbar. Während es im Lübecker Fall um die Frage ging, ob eine eigenverantwortliche Entscheidung in Bezug auf eine medizinische Maßnahme unter Rückgriff auf einen mutmaßlichen Willen übergangen werden darf, geht es bei Fällen des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB darum, ob psychisch kranke Menschen, die sich selbst gefährden, zur Eigensicherung untergebracht (nicht notwendigerweise zwangsbehandelt) werden dürfen. Während im ersten Fall eine Krankheit besteht und der Betroffene lediglich wünscht, in einen bestehenden Krankheitsverlauf nicht einzugreifen, ist es im zweiten Fall der Betroffene selbst, der krankheitsbedingt durch sein Verhalten153 die Schädigung verursacht. Im ersten Fall wird 150
BGHZ 154, 205. BGHZ 154, 205. 152 BGHZ 154, 205, 217. 153 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt die Gefahr für Leib und Leben nicht notwendigerweise ein zielgerichtetes Verhalten des Betreuten voraus, so dass auch eine völlige Verwahrlosung ausreichen kann, wenn damit eine Gesundheitsgefahr durch körperliche Verelendung und Unterversorgung verbunden ist; vgl. hierzu BGH, FamRZ 2011, 1141, 1142; ebenso BGH, FamRZ 2010, 365, 366. 151
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einem gegebenen Zustand, nämlich der Krankheit, seinen Lauf gelassen. Im Falle der krankheitsbedingten Selbstgefährdung hingegen will der Betroffene durch seine Vorausverfügung Sicherungsmaßnahmen untersagen, obwohl das Verhalten, das es letztlich zu beurteilen gilt, keinesfalls selbstbestimmt, sondern gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB krankheitsbedingt sein muss. Aus der unterschiedlichen Sachlage folgt zudem, dass auch die dogmatischen Wurzeln des Selbstbestimmungsrechts – die stets sachverhaltsbezogen ermittelt werden müssen154 – unterschiedlich sind. Bei dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall ging es um die Frage des Abbruchs lebenserhaltender Maßnahmen. Das Selbstbestimmungsrecht hatte in diesem Fall – über die Grundlage des Rechts auf körperliche Unversehrtheit hinausgehend – einen spezifischen Bezug zur Menschenwürde, da es um Grundfragen der menschlichen Existenz ging. Im Falle des Betroffenen, der sich krankheitsbedingt selbst schädigen möchte, ist dieser enge Bezug zur Menschenwürde – jedenfalls in Bezug auf die zu beurteilende Maßnahme – hingegen nicht gegeben. Vielmehr kann hier weiter abgeschichtet werden. Zwar weist der freie Wille, sterben zu wollen, auch hier einen unmittelbaren Bezug zur Menschenwürde auf, da es um Grundfragen der menschlichen Existenz geht. In diesen freien Willen wird jedoch im Falle der Unterbringung auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB nicht eingegriffen. Es wird lediglich ein Verhalten verhindert, welches krankheitsbedingt und daher definitionsgemäß nicht frei willensbestimmt sein kann. Die freie Willensbestimmung selbst ist daher durch die Maßnahme der Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB bei genauerem Hinsehen nicht berührt. Mit anderen Worten: Durch die Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB wird der Betroffene nicht daran gehindert, eine Handlung vorzunehmen, die einem frei willensbestimmten Entschluss entspringt, da er zu einer frei willensbestimmten Handlung jedenfalls im zu beurteilenden Zeitpunkt nicht mehr fähig ist. Er wird lediglich daran gehindert, einen krankheitsbedingten Entschluss umzusetzen. Das durch die psychische Krankheit oder geistige oder seelische Behinderung verursachte selbstgefährdende Verhalten des Betroffenen kann in diesen Fällen nicht durch das Selbstbestimmungsrecht legitimiert werden, da insoweit von einem frei willensbestimmten Verhalten nicht die Rede sein kann.155 Die Substanz des vorher festgehaltenen frei bestimmten Willens besteht bei genauerem Hinsehen darin, den bloßen Freiheitsentzug zu untersagen. Einen unmittelbaren Bezug zur Menschenwürde weist das Selbstbestimmungsrecht in diesem Fall jedoch – und hierin liegt der dogmatische Unterschied zum Lübecker Fall – nicht auf. Der Wille, mit dem der Freiheitsentzug abgelehnt wird, ist hier vielmehr Ausfluss der 154
Vgl. hierzu S. 137 f. Littwin, Grundrechtsschutz gegen sich selbst, S. 45; vgl. auch Schwabe, JZ 1998, 66, 70. 155
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allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG. Mit der Eingriffsgrundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB kann hier jedoch in die allgemeine Handlungsfreiheit in gerechtfertigter Weise eingegriffen werden. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs in Art. 2 Abs. 1 GG (und auch in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ergibt sich hierbei aus dem öffentlichen Schutzauftrag des Staates vor Gefährdungslagen und der Schutzpflicht des Staates für das Leben156, die sich materiell-rechtlich in § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB wiederspiegelt.157 Zwar ist die Verpflichtung zum Schutze des Lebens zuvörderst an die Träger öffentlicher Gewalt adressiert.158 Allerdings greift ihr Schutz auch dann ein, wenn der Staat sich einer Privatperson bedient, um öffentliche Aufgaben, wie hier die Fürsorge wahrzunehmen.159 Der krankheitsbedingte Willensentschluss, sich selbst Schaden zuzufügen, ist normativ mit einer Schädigung durch Dritte oder einer Schädigung durch Zufall vergleichbar. Sollte der Einzelne in diesen Fällen untersagen können Schutzmaßnahmen zu ergreifen, so ginge diese Festlegung evident über die Selbstbestimmung des Einzelnen hinaus. Dem Einzelnen würde hierdurch eine Erweiterung seines Rechtskreises zuteil, die weder durch das Selbstbestimmungsrecht noch durch die Menschenwürde legitimiert sein kann. Versucht man hier 156 Hierzu auch von Storch, Der „fürsorgliche“ Entzug von Grundrechten, S. 39 ff., 44; Taupitz, in: Brugger/Haverkate, Grenzen als Thema der Rechts- und Sozialphilosophie, S. 93, wonach gar „überwiegende Gemeinwohlinteressen“ ausreichen sollen; in Bezug auf die alte Rechtslage auch bereits Marschner, R&P 2000, 161, 163, wonach die Wünsche solange als bindend anzusehen sind, als keine höherwertigen Rechtsgüter (z. B. das Leben des Betroffenen) gefährdet sind; a. A. Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 121 f., 134, wonach eine Befugnis des Staates zum Schutz des Menschen vor sich selbst aus der Lehre von der objektiven Wertordnung, wie sie das Bundesverfassungsgericht versteht, nicht hergeleitet werden könne. Ausnahmen von der grundsätzlichen Unzulässigkeit staatlichen Schutzes des Menschen vor sich selbst nimmt jedoch auch Hillgruber bei psychisch Kranken an, sofern die Fähigkeit zur freien Willensbildung fehlt. Im Falle des Vorliegens einer die Hilfemaßnahme untersagenden Vorausverfügung, soll jedoch jedenfalls dann, wenn es auf den mutmaßlichen Willen ankommt, ein Eingreifen zum Schutze der Person vor sich selbst unzulässig sein. 157 Vgl. zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen auch Schwab, MüKo BGB, § 1906 Rn. 13. 158 BGHZ 145, 297, 304. 159 BGHZ 145, 297, 304; grundlegend hierzu bereits BVerfGE 58, 208, 224 ff., wonach die Vorschriften des bürgerlichen Rechts betreffend die „Vormundschaft über geisteskranke Personen“ trotz ihrer Zuordnung zum Privatrecht auch Elemente öffentlicher Fürsorge enthalten. Zumal unter der Geltung des Sozialstaatsgedankens (Art. 20 Abs. 1, 28 GG) sei kein Grund ersichtlich, der es hindern könnte, die Fürsorge für die Bürger, die hilfsbedürftig sind, weil sie psychisch krank sind, als staatliche Aufgabe auszugestalten; ebenfalls in diese Richtung BT-Drs. 11/4528, 133, wonach mit der Betreuerbestellung eine „staatliche Hilfe“ verbunden ist; ebenso Marschner, R&P 2005, 47, 48; ausdrücklich für eine direkte Grundrechtsbindung des Betreuers von Storch, Der „fürsorgliche“ Entzug von Grundrechten, S. 30 ff.; kritisch hierzu Lipp, BtPrax 2006, 62, 64 sowie Tietze, BtPrax 2006, 131, 133 ff., die das Betreuungsverhältnis als rein privatrechtliches Rechtsverhältnis einordnen; ebenso Schwab, MüKo BGB, § 1896 Rn. 72.
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eine Parallele zu den Fällen der Heilbehandlung zu ziehen, so erscheint die Konstellation am ehesten mit Situationen vergleichbar, in denen eine Person in einer Vorausverfügung eine medizinisch nicht indizierte Behandlung fordert. Dass auch eine solche Festlegung nicht mehr vom Selbstbestimmungsrecht gedeckt ist, steht außer Frage.160 Auch ergibt sich eine andere Beurteilung nicht aus dem sog. „Recht zur Krankheit“. Zum einen wird die Krankheit selbst durch die Unterbringung alleine nicht beseitigt, da auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB alleine keine Behandlung der Krankheit sondern lediglich die Selbstsicherung durch Freiheitsentzug erfolgt. Zum anderen ist auch dieses „Recht zur Krankheit“ nicht grenzenlos gewährleistet.161 Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Recht in Bezug auf die Unterbringung psychisch Kranker wegen Selbstgefährdung auf Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung162 wie folgt konkretisiert: „Eine derartige Maßnahme ist nicht nur dann zulässig, wenn sie der Schutz der Allgemeinheit verlangt, sondern sie kann sich auch durch den Schutz des Betroffenen rechtfertigen. Zwar steht es unter der Herrschaft des Grundgesetzes in der Regel jedermann frei, Hilfe zurückzuweisen, sofern dadurch nicht Rechtsgüter anderer oder der Allgemeinheit in Mitleidenschaft gezogen werden (vgl. BVerfGE 22, 180 (219 f.); 30, 47 (53 f.)). Nur wenn überwiegende Belange des Gemeinwohls, wie sie mit den Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG bestimmt sind, es zwingend gebieten, muß der Freiheitsanspruch des einzelnen insoweit zurücktreten. Das Gewicht, das dem Freiheitsanspruch gegenüber dem Gemeinwohl zukommt, darf aber nicht losgelöst von den tatsächlichen Möglichkeiten des Fürsorgebedürftigen bestimmt werden, sich frei zu entschließen. Bei psychischer Erkrankung wird die Fähigkeit zur Selbstbestimmung häufig erheblich beeinträchtigt sein. In solchen Fällen ist dem Staat fürsorgerisches Eingreifen auch dort erlaubt, wo beim Gesunden Halt geboten ist. Die Erkenntnis, daß es das Recht ermöglichen muß, den Willen des psychisch Kranken durch die bessere Einsicht des für ihn Verantwortlichen zu ersetzen, hat ihren Niederschlag seit jeher in den Vorschriften des bürgerlichen Rechts betreffend die Vormundschaft über geisteskranke Personen gefunden, die trotz ihrer Zuordnung zum Privatrecht auch Elemente öffentlicher Fürsorge enthalten. Zumal unter der Geltung des Sozialstaatsgedankens (Art. 20 Abs. 1, 28 GG) ist kein Grund ersichtlich, der es hindern könnte, die Fürsorge für die Bürger, die hilfsbedürftig sind, weil sie psy160 Spickhoff, NJW 2000, 2297; Laufs, NJW 1996, 763; Lipp, Patientenautonomie und Lebensschutz, S. 13; Baumann/Hartmann, DNotZ 2000, 594, 597; Zimmermann, in: Damrau/Zimmermann, Betreuungsrecht, § 1901a Rn. 4; Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 50 Rn. 1, der zutreffend ausführt, dass Art und Umfang der ärztlichen Leistung regelmäßig vom Arzt bestimmt werden. Zum Inhalt des Arztvertrages im Übrigen ders., in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 50 Rn. 1 ff. 161 Vgl. auch Schwab, MüKo BGB, § 1906 Rn. 17. 162 Da jedoch lediglich auf die Konstellation der Selbstgefährdung abgestellt wurde, sind die Grundsätze auch auf die Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB übertragbar; im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht in NJW 1998, 1774 f. die Grundsätze auch bei einer einstweiligen Unterbringung eines psychisch Kranken nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB angewendet; vgl. hierzu auch von Storch, Der „fürsorgliche“ Entzug von Grundrechten, S. 12.
162
D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
chisch krank sind, als staatliche Aufgabe auszugestalten. Die Fürsorge der staatlichen Gemeinschaft schließt auch die Befugnis ein, den psychisch Kranken, der infolge seines Krankheitszustands und der damit verbundenen fehlenden Einsichtsfähigkeit die Schwere seiner Erkrankung und die Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen nicht zu beurteilen vermag oder trotz einer solchen Erkenntnis sich infolge der Krankheit nicht zu einer Behandlung entschließen kann, zwangsweise in einer geschlossenen Anstalt unterzubringen, wenn sich dies als unumgänglich erweist, um eine drohende gewichtige gesundheitliche Schädigung von dem Kranken abzuwenden.“ 163
Auch unter Berücksichtigung dieses Rechts zur Krankheit ist ein Eingriff in die körperliche Bewegungsfreiheit durch § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB somit zulässig. Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich ausgeführt, dass das Gewicht, das dem Freiheitsanspruch gegenüber dem Gemeinwohl zukommt, nicht losgelöst von den tatsächlichen Möglichkeiten des Fürsorgebedürftigen bestimmt werden kann, sich frei zu entschließen. Zwar kann die Festlegung in einer Vorausverfügung sterben zu wollen, eine solche frei willensbestimmte Entscheidung darstellen. Die zu beurteilende Handlung, die der Staat verhindern will, ist jedoch nicht mehr frei willensbestimmt.164 Genau in Bezug auf dieses krankheitsbedingte Verhalten ist der Betroffene somit tatsächlich – und darauf kommt es an – nicht mehr frei willensbestimmt, weshalb das Verhalten auch nicht als Ausdruck von Selbstbestimmung unbedingt anzuerkennen ist.165 Auch hier wird nochmals der Unterschied zu einer vorab festgehaltenen Versagung der Einwilligung in einen Heileingriff deutlich. Die vorab festgehaltene Versagung der Einwilligung kann durchaus bei Eintritt der Einwilligungsunfähigkeit fortwirken. Die Frage, ob ein freier Willensentschluss zur Vornahme einer Selbsttötungshandlung in diesem Sinne „konserviert“ werden kann, ist hiervon strikt zu trennen und im Übrigen durch die faktischen Gegebenheiten – da der Willensentschluss ja tatbestandlich krankheitsbedingt sein muss – eindeutig widerlegt. Was bei genauerem Hinsehen übrig bleibt, ist letztlich die Vornahme des Realaktes selbst. Diesen jedoch vorab in einer Vorausverfügung konservieren zu können, wäre bloße Fiktion. Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass das gefundene Ergebnis mit der Verfassung in Einklang steht. 163
BVerfGE 58, 208, 224 ff. Vgl. hierzu auch Schwabe, JZ 1998, 66, 70. 165 Etwas unklar hierzu Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 121 f., der zwar im Grundsatz von der Unbeachtlichkeit des entgegenstehenden natürlichen Willens des Kranken ausgeht, jedoch ohne weitere Differenzierung nach der Art der Maßnahme die Beachtlichkeit einer die Maßnahme untersagende Vorausverfügung annimmt. Als Beispiel führt Hillgruber hier jedoch nicht Fälle der Unterbringung, sondern Fälle der Heilbehandlung an, in denen auch nach hier vertretener Auffassung ein Hinwegsetzen über die in der Vorausverfügung verankerte Versagung der Einwilligung nicht möglich ist. 164
IV. Zwangsmaßnahmen auf Grundlage des BGB
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ee) Zusammenfassung Weder durch Patientenverfügungen im Sinne des § 1901a Abs. 1 BGB, noch durch Festlegungen gemäß § 1901a Abs. 2 BGB oder durch sonstige Wünsche gemäß § 1901 Abs. 3 BGB kann der Einzelne eine Unterbringung wegen Selbstgefährdung auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB verhindern. b) Unterbringung zur Untersuchung des Gesundheitszustands, zur Heilbehandlung oder zur Vornahme eines ärztlichen Eingriffs, § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB Für eine Unterbringung gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist erforderlich, dass eine Untersuchung des Gesundheitszustands (Alt. 1) oder eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff (Alt. 2) ohne die Unterbringung nicht durchgeführt werden kann und der Betreute aufgrund der psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann. Des Weiteren muss die Unterbringung „zur Abwendung eines drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens“ erfolgen. Über den ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift hinaus gingen einige Ansichten in der Literatur und Rechtsprechung davon aus, dass § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB zudem eine geeignete Ermächtigungsgrundlage für die Zwangsbehandlung einwilligungsunfähiger Betroffener gegen deren natürlichen Willen während der gerichtlich genehmigten stationären Unterbringung darstellt.166 Durch die Ent166 Vgl. noch BGHZ 166, 141, 149 ff.; OLG München, FamRZ 2005, 1196, 1198; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24. Juli 2003, Az: I-25 Wx 73/03; OLG Schleswig, FamRZ 2002, 984, 985; Diekmann, BtPrax 2010, 53, 57; Zimmermann, in: Damrau/ Zimmermann, Betreuungsrecht, § 1906 Rn. 47; Dodegge, NJW 2006, 1627, 1629; Pardey, Betreuungs- und Unterbringungsrecht, S. 126 ff.; Probst, Betreuungs- und Unterbringungsverfahren, S. 353; Elsbernd/Stolz, BtPrax 2008, 57, 60; Müller, Bamberger/ Roth, BGB, § 1906 Rn. 13; Jaschinsky, Juris-Praxiskommentar BGB, § 1906 Rn. 67 ff.; Sonnenfeld, Betreuungs- und Pflegschaftsrecht, S. 120; vgl. hierzu auch Lipp, JZ 2006, 661, 663 f., der davon ausgeht, dass § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB keine Ermächtigungsgrundlage für die Zwangsbehandlung enthält. Nach Lipp unterwirft § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB die Anordnung des Betreuers lediglich der Genehmigung des Betreuungsgerichts und stellt materielle Vorgaben für diese Entscheidung auf. Ermächtigungsgrundlage für die Zwangsbehandlung bleibe hierbei jedoch § 1901 Abs. 3 S. 1 BGB. Im praktischen Ergebnis in Bezug auf die stationäre Zwangsbehandlung wirken sich die unterschiedlichen Begründungsansätze hingegen nicht aus, so dass die Problematik nicht weiter vertieft wird; ebenso ders., in: BtPrax 2006, 62, 64, wobei ergänzend ausgeführt wird, das Betreuungsverhältnis sei rein privatrechtlicher Natur, weshalb der Betreuer einer Ermächtigungsgrundlage für die Ausübung von Zwang nicht bedürfe; ebenso Tietze, BtPrax 2006, 131, 133 ff.; a. A. Heide, Medizinische Zwangsbehandlung, S. 158 ff., der von einer fehlenden Ermächtigungsgrundlage ausgeht; ebenso von Storch, Der „fürsorgliche“ Entzug von Grundrechten, S. 12 f., 68; Olzen/Van der Sanden, JZ 2007, 248, 250; Marschner, BtPrax, 2006, 125, 130; ders., R&P 2005, 47, 48 ff.; ebenfalls kritisch Olzen/Metzmacher, BtPrax 2010, 233, 236 f. sowie Bienwald, FPR 2012, 4, 8; ebenfalls
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
scheidung des Bundesgerichtshofs vom 20. Juni 2012167 und die Reaktion des Gesetzgebers hierauf durch das Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme vom 18. Februar 2013168 – in Kraft seit dem 26. Februar 2013 – dürfte dieser Streit jedoch beigelegt sein. In § 1906 Abs. 3 BGB n. F. sind die Voraussetzungen einer der Zulässigkeit einer ärztlichen Zwangsmaßnahme im Rahmen der Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB nunmehr explizit geregelt, so dass es eines Rückgriffs auf § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB als originäre Eingriffsgrundlage für die Zwangsbehandlung nicht mehr bedarf. Während eine Unterbringung auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB den Zweck verfolgt, eine Selbstgefährdung zu verhindern, soll durch eine Unterbringung auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff ermöglicht werden. Da somit die Rechtfertigung der Unterbringung gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB darin besteht, dem Betroffenen eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff zukommen zu lassen, scheidet eine Unterbringung auf dieser Grundlage immer dann aus, wenn eine solche Maßnahme – aus welchen Gründen auch immer – nicht durchgeführt werden kann. Der Bundesgerichtshof hat diesbezüglich in seinem Beschluss vom 1. Februar 2006 ausgeführt, dass eine medizinische Maßnahme nur dann als notwendig im Sinne vom § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB angesehen werden kann, wenn sie rechtlich zulässig ist.169 Demgemäß könne der Betreute auf dieser Rechtsgrundlage nur untergebracht werden, wenn er während der Unterbringung auch behandelt werden darf.170 Mit Beschluss vom 28. Dezember 2009 führte der Bundesgerichtshof zu dieser Thematik weiter aus: „Wie die dargestellten Regelungen zeigen, kommt die Genehmigung einer Unterbringung nicht in Betracht, wenn eine angestrebte Heilbehandlung – aus welchen Gründen auch immer – nicht oder nicht mehr durchgeführt wird. Deshalb darf eine bereits erteilte Genehmigung nicht länger aufrechterhalten werden, wenn der Betreute bereits untergebracht ist, sich aber sodann herausstellt, dass die in der Unterbringungseinrichtung tätigen Ärzte eine Heilbehandlung für medizinisch nicht geboten erachten und eine solche Behandlung deshalb nicht durchführen. In einem solchen Fall von einer fehlenden Ermächtigungsgrundlage ausgehend LG Stuttgart, Beschluss vom 16. Februar 2012, Az: 2 T 35/12; AG Frankfurt, Beschluss vom 29. Februar 2012, Az: 49 XVII HOF 399/12; AG Ludwigsburg, Beschluss vom 30. Januar 2012, Az: 8 XVII 58/12; AG Bremen, Beschluss vom 16. Januar 2012, Az: 41 XVII A 89/03; AG Bremen, Beschluss vom 16. Dezember 2012, Az: 44 XVII L 141/05; AG Ludwigsburg, Beschluss vom 18. Mai 2011, Az: 8 XVII 257/11. 167 BGH, NJW 2012, 2967. 168 BGBl. I 2013, 266 f. 169 BGHZ 166, 141, 152. 170 BGHZ 166, 141, 152.
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,läuft‘ die Unterbringung, die allein der Durchführung der Heilbehandlung dienen soll, offenkundig ,leer‘ mit der Folge, dass die Genehmigung der Unterbringung jedenfalls in der konkreten Unterbringungseinrichtung nicht länger aufrecht erhalten werden darf. (. . .) Die bloße ,Chance‘ der Betreuten, eine ,bestehende Erkrankung behandeln zu lassen‘, vermag die Unterbringung der Betreuten allein nicht zu rechtfertigen (Senatsbeschluss vom 1. Februar 2006 – XII ZB 236/05 – NJW 2006, 1277, 1280).“ 171
Aufgrund dieses Rechtsreflexes der Zulässigkeit der Vornahme ärztlicher Maßnahmen auf die Zulässigkeit der Unterbringung muss nachfolgend zweierlei untersucht werden. Zum einen ist zu prüfen, ob Betroffene durch Vorausverfügungen generell eine Unterbringung ablehnen können. Zum anderen muss untersucht werden, ob die Möglichkeit der Ablehnung ärztlicher Maßnahmen durch Vorausverfügungen besteht. aa) Einflussnahme durch eine Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 BGB Da sich Festlegungen in § 1901a Abs. 1 BGB definitionsgemäß stets nur auf die Erteilung oder Versagung der Einwilligung in Untersuchungen des Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe beziehen können, ist es nicht möglich, durch das Verfassen einer Patientenverfügung isoliert eine Unterbringung auszuschließen. Auch besteht nach dem oben Gesagten kein Raum, § 1901a Abs. 1 BGB auf Unterbringungen analog anzuwenden.172 Im Rahmen der Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB besteht jedoch – im Gegensatz zur Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB – die Besonderheit, dass die Zulässigkeit der Unterbringung mit der Zulässigkeit der Vornahme einer Untersuchung des Gesundheitszustands, einer Heilbehandlung oder eines ärztlichen Eingriffs „steht und fällt“.173 Die Erteilung oder Versagung der Einwilligung in genau diese Maßnahmen stellt jedoch genau den Kernbereich dar, der durch Festlegungen in Patientenverfügungen geregelt werden kann. Dies bedeutet, dass der Betroffene zwar nicht die Unterbringung auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB isoliert ausschließen kann. Er kann jedoch mittelbar durch Festlegungen in Patientenverfügungen, mit denen die ärztlichen Maßnahmen, die im Rahmen der Unterbringung vorgenommen werden sollen, wirksam ausgeschlossen werden, auf die Zulässigkeit der Unterbringung Einfluss nehmen.174 171
BGH, FamRZ 2010, 202, 203. Vgl. hierzu bereits S. 151 f.; zur Prüfung der Analogievoraussetzungen auch Olzen, Die Auswirkungen des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes (Patientenverfügungsgesetz) auf die medizinische Versorgung psychisch Kranker, Gutachten 2009, S. 34 ff. 173 BGH, FamRZ 2010, 202, 203; BGHZ 166, 141. 174 So im Ergebnis wohl auch Hoffmann/Klie, Freiheitsentziehende Maßnahmen im Betreuungs- und Kindschaftsrecht, S. 17. 172
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Wenn somit eine wirksame Patientenverfügung vorliegt und der Betroffene wirksam175 die in Rede stehenden Untersuchungen des Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe ausgeschlossen hat, dann kann auch die Unterbringung auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht zulässigerweise erfolgen.176 Aufgrund der fehlenden Möglichkeit der Vornahme ärztlicher Maßnahmen würde diese ins Leere laufen.177 Eine Zwangsbehandlung entgegen den Festlegungen einer Patientenverfügung darf nicht erfolgen. Auch ergibt sich nichts Gegenteiliges aus dem seit dem 26. Februar 2013 in Kraft getretenen Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsbehandlung.178 Zwar ist nunmehr in § 1906 Abs. 3 BGB n. F. eine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage zur Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme179 geregelt. Für eine Einwilligung des Betreuers ist jedoch kein Raum, wenn eine Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 BGB vorliegt, die den Eingriff untersagt, oder wenn sich ein dahingehender mutmaßicher Wille des Patienten nach § 1901a Abs. 2 BGB feststellen lässt. Der Betreuer ist vielmehr an die Festlegungen in der Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 BGB und die über § 1901a Abs. 2 BGB getroffenen Festlegungen gebunden und darf sich über diese nicht hinwegsetzen. Neben dem Zweck des § 1901a BGB folgt dies auch daraus, dass § 1906 Abs. 3 BGB n. F. weder systematisch noch grammatisch eine Einschränkung des § 1901a BGB erkennen lässt.180 Auch der Gesetzgeber hat dies so gesehen, was sich aus der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme ausdrücklich ergibt.181 Auf Seite 7 der Begründung des Gesetzentwurfs ist ausgeführt: „Sofern eine auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffende wirksame Patientenverfügung vorliegt, hat der Betreuer dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen, § 1901a Abs. 1 BGB. Liegt keine Patientenverfügung vor, oder treffen die Festlegungen nicht auf die aktuelle Lebens- und Behand175
Zum Bestimmtheitsgebot vgl. auch S. 85 ff. Zu diesem Ergebnis kommen auch Brosey, BtPrax 2010, 161, 166; Grözinger/ Olzen/Metzmacher/Podoll/Schneider, Der Nervenarzt 2011, 57, 62; Olzen/Schneider, MedR 2010, 745, 748; Olzen, Die Auswirkungen des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes (Patientenverfügungsgesetz) auf die medizinische Versorgung psychisch Kranker, Gutachten 2009, S. 36. 177 Vgl. auch BGH, FamRZ 2010, 202, 203; im Übrigen auch S. 164 f. 178 BGBl. I 2013, 266 f. 179 Der Begriff der ärztlichen Zwangsmaßnahme ist in § 1906 Abs. 3 BGB n. F. zudem legal definiert worden, als eine ärztliche Maßnahme nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB, die dem natürlichen Willen des Betroffenen widerspricht. Der Gesetzgeber verwendet damit in § 1906 Abs. 3 BGB n. F. nunmehr wie selbstverständlich den Begriff des „natürlichen Willens“, der – so die Begründung des Gesetzentwurfs auf S. 7 – dem Willen des Betreuten nach § 1905 Abs. 1 Nr. 1 BGB entsprechen soll. 180 Was im Übrigen auch verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen würde. 181 BT-Drs. 17/11513, S. 7. 176
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lungssituation zu, ist der Betreuer bei seiner Entscheidung an die Behandlungswünsche und den mutmaßlichen Willen des Betreuten gebunden, § 1901a Abs. 2 BGB. Maßstab der Entscheidung ist damit, wie der Betreute für sich entschieden hätte, wenn er einwilligungsfähig wäre.“
Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass auch eine ärztliche Zwangsbehandlung nach § 1906 Abs. 3 BGB n. F. durch eine Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 BGB oder Festlegungen, die nach § 1901a Abs. 2 BGB beachtlich sind, verhindert werden kann. Mittelbar kann daher auch die Zulässigkeit einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB ausgeschlossen werden, da für diese kein Raum ist, wenn eine ärztliche Maßnahme nicht zulässigerweise erfolgen kann. bb) Einflussnahme durch eine Vorausverfügung gemäß § 1901a Abs. 2 BGB § 1901a Abs. 2 BGB ist auf die Entscheidung des Betreuers zugeschnitten, ob er in ärztliche Maßnahmen nach § 1901a Abs. 1 BGB einwilligt oder sie untersagt. Entsprechend kann auch durch Äußerungen des Betroffenen, die für die Ermittlung des mutmaßlichen Willens relevant sind, eine Unterbringung nicht isoliert ausgeschlossen werden. Etwas anderes gilt jedoch auch hier hinsichtlich der Zulässigkeit der Vornahme einer Untersuchung des Gesundheitszustands, einer Heilbehandlung oder eines ärztlichen Eingriffs. Wenn nämlich aufgrund von Äußerungen oder anderen konkreten Anhaltspunkten der mutmaßliche Wille des Betroffenen im Sinne des § 1901a Abs. 2 BGB feststeht und ärztliche Maßnahmen auf dieser Grundlage abgelehnt werden, können die ärztlichen Maßnahmen auch nicht im Rahmen einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB erfolgen. Dies hat im Gleichlauf zu den Festlegungen gemäß § 1901a Abs. 1 BGB mittelbar die Unzulässigkeit der Unterbringung auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB zur Folge, da diese, wie bereits erörtert, dann unzulässig ist, wenn die in Rede stehenden ärztlichen Maßnahmen tatsächlich nicht durchgeführt werden können. Auch kann – trotz der nunmehr geschaffenen ausdrücklichen Eingriffsgrundlage in § 1906 Abs. 3 BGB n. F. – eine ärztliche Zwangsmaßnahme entgegen Festlegungen, die über § 1901a Abs. 2 BGB beachtlich sind, nicht erfolgen. § 1901a BGB ist insoweit vorrangig vom Betreuer zu beachten.182 Die Zulässigkeit einer Unterbringung auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB kann daher mittelbar auch durch Äußerungen des Betroffenen, die für die Ermittlung des mutmaßlichen Willens nach § 1901a Abs. 2 BGB relevant sind, ausgeschlossen sein.
182
BT-Drs. 17/11513, S. 7.
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
cc) Einflussnahme durch eine Vorausverfügung gemäß § 1901 Abs. 3 BGB Fraglich ist, ob durch geäußerte Wünsche des Betroffenen, die über § 1901 Abs. 3 BGB für das Betreuerhandeln beachtlich sind, eine Unterbringung gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB ausgeschlossen werden kann. Das wäre dann der Fall, wenn entweder die Unterbringung isoliert oder aber die Zulässigkeit der Vornahme von ärztlichen Maßnahmen ausgeschlossen werden könnte. Die Beantwortung der Frage ergibt sich unmittelbar aus der Festlegung des Anwendungsbereichs des § 1901 Abs. 3 BGB und dem Verhältnis dieser Vorschrift zu § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB einerseits und § 1901a Abs. 1 und Abs. 2 BGB andererseits. Die Möglichkeit, eine Unterbringung aufgrund von Wünschen gemäß § 1901 Abs. 3 BGB zu verhindern, scheidet hiernach aus. Zwar wird – bezogen auf die Frage der Ablehnung der Unterbringung isoliert – die Vorschrift des § 1901 Abs. 3 BGB nicht durch § 1901a Abs. 1 oder Abs. 2 BGB verdrängt, da es nicht um die Erteilung oder Versagung der Einwilligung in Bezug auf medizinische Maßnahmen geht. Der Gesetzgeber hat allerdings in § 1906 Abs. 1 BGB eine Konkretisierung des Wohl-Begriffs für die Frage der Unterbringung vorgenommen, die es zu beachten gilt.183 Die Unterbringung auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist daher immer dann „zum Wohl des Betreuten erforderlich“, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen. Hinsichtlich der Begründung kann im Übrigen auf obige Ausführungen zur Wunschbeachtungspflicht im Rahmen einer Unterbringung gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB184 verwiesen werden, da die Rechtslage insoweit vergleichbar ist. Raum für eine einschränkende Auslegung der Vorschrift des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB besteht – ebenso wie bei § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB – nicht. Auch können medizinische Maßnahmen nicht durch Anwendung der Vorschrift des § 1901 Abs. 3 BGB ausgeschlossen werden. Wie bereits oben erörtert185, sind die Regelungen des § 1901a Abs. 1 und Abs. 2 BGB in ihrem Anwendungsbereich lex specialis zu § 1901 Abs. 3 BGB. In Bezug auf die Möglichkeit der Vornahme medizinischer Maßnahmen wie der Untersuchung des Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe, richtet sich die Frage der Zulässigkeit und der Einflussnahmemöglichkeiten durch Vorausverfügungen einzig nach § 1901a Abs. 1 und Abs. 2 BGB. Ein Rückgriff auf § 1901 Abs. 3 BGB ist in diesem Rahmen nicht möglich. Hieraus folgt, dass durch Wünsche, die grundsätzlich nach § 1901 Abs. 3 BGB beachtlich sind, medizinische Maßnahmen jedenfalls nicht aufgrund der Vorschrift des § 1901 Abs. 3 BGB ver183 184 185
Vgl. BT-Drs. 11/4528, S. 133; im Übrigen hierzu bereits S. 144. Vgl. hierzu S. 153 ff. Vgl. S. 140 f.
IV. Zwangsmaßnahmen auf Grundlage des BGB
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hindert werden können.186 Konsequenterweise kann daher über § 1901 Abs. 3 BGB auch nicht im Wege des Rechtsreflexes der Unzulässigkeit etwaiger ärztlicher Maßnahmen auf die Zulässigkeit der Unterbringung Einfluss genommen werden. Über die Vorschrift des § 1901 Abs. 3 BGB kann daher eine Unterbringung gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht verhindert werden. dd) Zusammenfassung Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Betroffene die Möglichkeit hat, durch eine Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 BGB oder durch Äußerungen, die über § 1901a Abs. 2 BGB beachtlich sind, eine Unterbringung auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB im Ergebnis zu verhindern. Zwar besteht nach geltender Rechtslage keine Möglichkeit, die Unterbringung isoliert in einer Vorausverfügung zu untersagen. Der Betroffene kann jedoch über § 1901a Abs. 1 oder Abs. 2 BGB die Vornahme von ärztlichen Maßnahmen – auch solchen über § 1906 Abs. 3 BGB n. F. – unterbinden. Da diese die Grundlage und auch Rechtfertigung der Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB darstellen, hat dies die Unzulässigkeit der Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB zur Folge. Die Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB läuft ohne die Möglichkeit der Vornahme ärztlicher Maßnahmen ins Leere, mit der Folge, dass eine Unterbringung auf dieser Grundlage im Ergebnis nicht genehmigt werden kann. 4. Unterbringungsähnliche Maßnahmen gemäß § 1906 Abs. 4 BGB Gemäß § 1906 Abs. 4 BGB gelten die Absätze 1 bis 3 des § 1906 BGB entsprechend, wenn dem Betreuten, der sich in einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhält, ohne untergebracht zu sein, durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll.187 Durch den Verweis in § 1906 Abs. 4 BGB auf § 1906 Abs. 1 BGB gelten die Tatbestandsvoraussetzungen für die Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB für die unterbringungsähnlichen Maßnahmen des § 1906 Abs. 4 BGB entsprechend. 186 Davon unberührt bleibt natürlich die Frage, ob diese Wünsche im Rahmen von § 1901a Abs. 1 oder Abs. 2 BGB beachtlich sind und ob über diese Vorschriften die ärztlichen Maßnahmen verhindert werden können. 187 Vgl. zu Regelungsansätzen freiheitsentziehender Maßnahmen vor Einführung des Betreuungsrechts, Schumacher, Freiheitsentziehende Maßnahmen mit mechanischen Mitteln bei der Betreuung gebrechlicher Menschen, S. 34 ff.; zu den Auswirkungen freiheitsentziehender Maßnahmen auf die Persönlichkeit behinderter Menschen vgl. Wojnar, BtPrax 1997, 92.
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
Im Gegensatz zur Unterbringungsmöglichkeit des § 1906 Abs. 1 BGB kann jedoch bezüglich der Frage der Zulässigkeit unterbringungsähnlicher Maßnahmen weiter nach der Art der in Rede stehenden Maßnahme differenziert werden. Neben mechanischen Vorrichtungen, wie zum Beispiel Bettgitter, Therapietisch und Bauchgurt, kommt auch eine Ruhigstellung durch Medikamente, sog. Sedierung, oder eine Freiheitsentziehung auf andere Weise, wie zum Beispiel durch Festhalten des Betreuten in Betracht.188 Ob auch die Ausstattung mit einer Personenortungsanlage, wie z. B. einem Funkchip, zu diesen Maßnahmen zählt, ist umstritten.189 Im Folgenden ist daher gedanklich eine zweistufige Prüfung vorzunehmen. Auf erster Stufe muss untersucht werden, ob die in Betracht kommende Maßnahme von vorne herein – demnach unabhängig vom Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 1906 Abs. 1 BGB – ausgeschlossen werden kann. Nur wenn dies nicht der Fall ist, sind auf einer zweiten Stufe die Möglichkeiten der Einflussnahme durch Vorausverfügungen auf die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1906 Abs. 4 i.V. m. Abs. 1 BGB zu prüfen. a) Freiheitsentzug durch Sedierung Hinsichtlich der Sedierung ist zu beachten, dass die Verabreichung des Medikaments den Zweck verfolgen muss, den Betreuten in seiner Bewegungsfreiheit einzuschränken.190 Eine Hinderung am Verlassen des Aufenthaltsortes lediglich als Nebenfolge eines aus sonstigen Gründen verordneten Medikaments unterfällt nicht § 1906 Abs. 4 BGB.191 Insbesondere sog. palliative Sedierungen – auch terminale Sedierungen genannt – bei schwerkranken und sterbenden Menschen, die das Ziel verfolgen das Bewusstseinsniveau zu reduzieren, um unerträgliche Symptome und Belastungen effektiv zu lindern, sind daher keine Sedierungen im Sinne des § 1906 Abs. 4 BGB.192 Das Erfordernis der gewollten Einschränkun188 Vgl. zu den einzelnen in Betracht kommenden Maßnahmen Bienwald, in: Staudinger, § 1906 Rn. 43; Guy, BtPrax 2005, 214 f.; Dodegge, MDR 1992, 437, 438 f.; Schumacher, Freiheitsentziehende Maßnahmen mit mechanischen Mitteln bei der Betreuung gebrechlicher Menschen, S. 25 ff.; Hoffmann/Klie, Freiheitsentziehende Maßnahmen im Betreuungs- und Kindschaftsrecht, S. 19 f.; zu freiheitsentziehenden Maßnahmen gegen nicht betreute Personen wegen Selbstgefährdung vgl. Riedel, BtPrax 2010, 99. 189 Vgl. hierzu auch Bienwald, in: Staudinger, § 1906 Rn. 43. 190 Vgl. auch OLG Hamm, BtPrax 1997, 162, 163; ebenso Bienwald, in: Staudinger, § 1906 Rn. 43; Jaschinsky, Juris-Praxiskommentar BGB, § 1906 Rn. 91; Guy, BtPrax 2005, 214, 216 f.; kritisch in Bezug auf die Verabreichung von Psychopharmaka im Rahmen von freiheitsentziehenden Maßnahmen Wojnar, BtPrax 1997, 92, 97. 191 Vgl. auch OLG Hamm, BtPrax 1997, 162, 163; ebenso Bienwald, in: Staudinger, § 1906 Rn. 43; Jaschinsky, Juris-Praxiskommentar BGB, § 1906 Rn. 91; Guy, BtPrax 2005, 214, 216 f.; Dodegge, MDR 1992, 437, 438. 192 Vgl. zur palliativen Sedierung Pakaki/Riedel/Stolz, BtPrax 2010, 156.
IV. Zwangsmaßnahmen auf Grundlage des BGB
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gen der Bewegungsfreiheit bei Sedierungen nach § 1906 Abs. 4 BGB ergibt sich unmittelbar aus dem Wortlaut der Vorschrift, wonach durch die Verabreichung der Medikamente „die Freiheit entzogen werden soll“. Sedierungen im Sinne des § 1906 Abs. 4 BGB verfolgen daher nicht den Zweck der Heilbehandlung. aa) Einflussnahme durch eine Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 BGB Der Betroffene kann gemäß § 1901a Abs. 1 BGB in Patientenverfügungen Festlegungen treffen, ob er in bestimmte Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt. Fraglich ist, ob eine Sedierung unter einen dieser Begriffe subsumiert werden kann. Da mit einer Sedierung nicht der Gewinn neuer Erkenntnisse über den Gesundheitszustand des Betroffenen bezweckt wird, handelt es sich nicht um eine Untersuchung des Gesundheitszustands. Da unmittelbares Ziel einer Sedierung auch nicht die Heilung des Betroffenen ist, liegt auch keine Heilbehandlung vor. Fraglich ist jedoch, ob die Sedierung unter den Begriff des „ärztlichen Eingriffs“ subsumiert werden kann. Zwar ist in der Begründung des Gesetzentwurfs zum Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts diese Frage nicht ausdrücklich beantwortet worden.193 Auch ist eine genaue Definition des Begriffs des ärztlichen Eingriffs den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen.194 Es ist jedoch zunächst nach allgemeinem Begriffsverständnis davon auszugehen, dass ein ärztlicher Eingriff im Sinne eines Auffangtatbestandes jede Maßnahme umfasst, die die körperliche Unversehrtheit verletzt, ohne dass damit notwendigerweise eine medizinisch indizierte Untersuchung oder Heilbehandlung verbunden ist.195 Da somit bereits die Untersuchung des Gesundheitszustands sowie die Heilbehandlung unter den Begriff des ärztlichen Eingriffs zu subsumieren ist, dient die Nennung im Gesetz gerade dazu auch solche Maßnahmen zu erfassen, deren kurativer Zweck fehlt oder zumindest zweifelhaft ist.196 Die Sedierung als Freiheitsentziehung durch Medikamente kann somit unter den Begriff des ärztlichen Eingriffs subsumiert werden. Konsequenterweise hat dies zur Folge, dass eine Sedierung als „ärztlicher Eingriff“ durch Festlegungen in einer wirksamen Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 BGB untersagt werden kann.197
193
Vgl. BT-Drs. 16/8442, S. 13. Vgl. BT-Drs. 16/78842, S. 13; BT-Drs. 11/4528, S. 140 ff. 195 So auch Schwab, MüKo BGB, § 1904 Rn. 25; ebenso Jaschinsky, Juris-Praxiskommentar BGB, § 1904 Rn. 59. 196 So auch Jaschinsky, Juris-Praxiskommentar BGB, § 1904 Rn. 60. 197 Im Ergebnis so auch Brosey, BtPrax 2010, S. 161, 166. 194
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
Olzen/Schneider treten dieser Auffassung entgegen.198 Nach Olzen ist der Begriff des „ärztlichen Eingriffs“ in § 1901a Abs. 1 BGB aufgrund des Sinn und Zwecks der Vorschrift dergestalt einschränkend auszulegen, als damit nur solche ärztliche Eingriffe gemeint sind, die eine ärztliche Behandlung vorbereiten.199 Der Begriff des „ärztlichen Eingriffs“ in § 1901a Abs. 1 BGB sei somit als „ärztlicher Eingriff, der Heilzwecken dient“ zu verstehen.200 Entgegen der Auffassung von Olzen/Schneider bestehen jedoch keine überzeugenden Gründe, eine Sedierung auf Grundlage des § 1906 Abs. 4 BGB vom Anwendungsbereich des § 1901a Abs. 1 BGB auszunehmen. Die Auffassung Olzen/ Schneiders entspringt deren Prüfung der Problematik, ob Betroffene durch das Abfassen einer Patientenverfügung eine psychiatrische Untersuchung gemäß § 280 Abs. 2 FamFG oder § 321 Abs. 1 S. 2 FamFG, demnach eine verfahrensrechtliche Maßnahme, verhindern können.201 Diesbezüglich argumentieren Olzen/Schneider, dass eine verfahrensrechtliche Untersuchung des Gesundheitszustands gerade auch der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen dienen kann, da bei Feststellung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit die Betreuerbestellung oder weitere Maßnahmen ausscheiden.202 Die Untersuchungen auf Grundlage des Verfahrensrechts hätten demnach eine andere Zielrichtung als Untersuchungen im Sinne des § 1901a Abs. 1 BGB.203 Damit gehe einher, dass es sich um ein Verfahren von Amts wegen handele, das auf Anordnung des Gerichts eingeleitet und auch von diesem erzwungen werden könne.204 Der Charakter dieses Verfahrens ebenso wie der Umstand, dass die Regeln im Verfahrensrecht zeitgleich mit den §§ 1901a ff. BGB in das Gesetz eingefügt wurden,
198 Olzen/Schneider, MedR 2010, 745, 748; ebenso Olzen, Die Auswirkungen des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes (Patientenverfügungsgesetz) auf die medizinische Versorgung psychisch Kranker, Gutachten 2009, S. 39. 199 Olzen, Die Auswirkungen des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes (Patientenverfügungsgesetz) auf die medizinische Versorgung psychisch Kranker, Gutachten 2009, S. 30. 200 Olzen/Schneider, MedR 2010, 745, 748; ebenso Olzen, Die Auswirkungen des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes (Patientenverfügungsgesetz) auf die medizinische Versorgung psychisch Kranker, Gutachten 2009, S. 39. 201 Olzen/Schneider, MedR 2010, 745, 748; ebenso Olzen, Die Auswirkungen des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes (Patientenverfügungsgesetz) auf die medizinische Versorgung psychisch Kranker, Gutachten 2009, S. 26 ff. 202 Olzen/Schneider, MedR 2010, 745, 748; ebenso Olzen, Die Auswirkungen des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes (Patientenverfügungsgesetz) auf die medizinische Versorgung psychisch Kranker, Gutachten 2009, S. 30. 203 Olzen/Schneider, MedR 2010, 745, 748; ebenso Olzen, Die Auswirkungen des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes (Patientenverfügungsgesetz) auf die medizinische Versorgung psychisch Kranker, Gutachten 2009, S. 30. 204 Olzen, Die Auswirkungen des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes (Patientenverfügungsgesetz) auf die medizinische Versorgung psychisch Kranker, Gutachten 2009, S. 30.
IV. Zwangsmaßnahmen auf Grundlage des BGB
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sprächen ebenfalls dafür, dass die verfahrensrechtlichen Eingriffsmöglichkeiten des Gerichts nicht vom Willen des Betroffenen beeinflusst werden können, der sich nur im Hinblick auf ärztliche Behandlungsmaßnahmen durchsetze.205 Der Auffassung Olzen/Schneiders ist zunächst zuzugeben, dass die Frage, ob § 1901a Abs. 1 und Abs. 2 BGB auf verfahrensrechtliche Befugnisse des Gerichts nach dem FamFG anwendbar ist und diese möglicherweise einschränken kann, tatsächlich problematisch ist und näher Betrachtung bedarf.206 Entgegen der Auffassung Olzen/Schneiders besteht jedoch kein Anlass, das bei der Prüfung der Einflussnahmemöglichkeiten in Bezug auf verfahrensrechtliche Maßnahmen gefundene Ergebnis unmittelbar auf die Sedierung gemäß § 1906 Abs. 4 BGB zu übertragen.207 Die Argumentation, die zum Auslegungsergebnis von Olzen/Schneider führt, ist auf Maßnahmen nach § 1906 Abs. 4 BGB bereits deshalb nicht übertragbar, da es sich bei diesen Maßnahmen gerade nicht um verfahrensrechtliche Maßnahmen nach dem FamFG, sondern um Maßnahmen auf Grundlage des BGB handelt. Der Anwendungsbereich des § 1901a Abs. 1 BGB wird daher durch die von Olzen/Schneider gefundene Auslegung des Begriffs des „ärztlichen Eingriffs“ in unangemessener Weise eingeschränkt. Richtigerweise ist die Frage der Anwendbarkeit der § 1901a Abs. 1 und Abs. 2 BGB auf verfahrensrechtliche Maßnahmen nach dem FamFG 208 von der Frage der Anwendbarkeit des § 1901a Abs. 1 BGB auf die Sedierung nach § 1906 Abs. 4 BGB zu trennen. In Bezug auf § 1906 Abs. 4 BGB bleibt es daher bei dem gefundenen Ergebnis, dass der Freiheitsentzug durch Medikamente einen ärztlichen Eingriff im Sinne des § 1901a Abs. 1 BGB darstellt. Eine Sedierung gemäß § 1906 Abs. 4 BGB kann daher durch hinreichend bestimmte Festlegungen in einer Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 BGB untersagt werden. Da somit eine Sedierung bereits vom Ansatz her untersagt werden kann, erübrigt sich an dieser Stelle die Prüfung auf zweiter Stufe, ob der Betroffene durch Vorausverfügungen auf die Voraussetzungen des § 1906 Abs. 1 BGB Einfluss nehmen kann.
205 Olzen, Die Auswirkungen des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes (Patientenverfügungsgesetz) auf die medizinische Versorgung psychisch Kranker, Gutachten 2009, S. 30. 206 Vgl. zur Untersuchung der Einflussnahmemöglichkeiten auf verfahrensrechtliche Maßnahmen S. 212 ff. und S. 220 ff. 207 So aber im Ergebnis Olzen/Schneider, MedR 2010, 745, 748; Olzen, Die Auswirkungen des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes (Patientenverfügungsgesetz) auf die medizinische Versorgung psychisch Kranker, Gutachten 2009, S. 39. 208 Vgl. zur Erörterung dieser Frage S. 214 f.
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
bb) Einflussnahme durch Vorausverfügungen gemäß § 1901a Abs. 2 BGB § 1901a Abs. 2 BGB verweist hinsichtlich der „ärztlichen Maßnahmen“ auf § 1901a Abs. 1 BGB. Demnach kann der Betreuer unter Berücksichtigung der Behandlungswünsche oder des mutmaßlichen Willens auch in einen „ärztlichen Eingriff“ im Sinne des § 1901a Abs. 1 BGB einwilligen oder die Einwilligung versagen. Da es sich bei der Verabreichung von Medikamenten zum Zwecke des Freiheitsentzuges – wie bereits erörtert – um einen solchen „ärztlichen Eingriff“ handelt, kann auch hier bei Vorliegen der entsprechenden Tatbestandsvoraussetzungen des § 1901a Abs. 2 BGB eine Sedierung ausgeschlossen sein. Da somit auch über § 1901a Abs. 2 BGB eine Sedierung bereits vom Ansatz her untersagt werden kann, erübrigt sich auch hier die Prüfung auf zweiter Stufe, ob der Betroffene durch Vorausverfügungen auf die Voraussetzungen des § 1906 Abs. 1 BGB Einfluss nehmen kann. cc) Einflussnahme durch Vorausverfügungen gemäß § 1901 Abs. 3 BGB Die Freiheitsentziehung durch Medikamente kann durch Behandlungswünsche gemäß § 1901 Abs. 3 BGB209 nicht unmittelbar untersagt werden, da diese Vorschrift insoweit von den spezielleren Vorschriften des § 1901a Abs. 1 und Abs. 2 BGB verdrängt wird. Wie bereits an anderer Stelle erörtert, ist für eine Anwendbarkeit des § 1901 Abs. 3 BGB immer dann kein Raum, wenn es sich um einen Sachverhalt handelt, der § 1901a Abs. 1 oder Abs. 2 BGB unterfällt.210 Da die Sedierung einen ärztlichen Eingriff im Sinne des § 1901a Abs. 1 BGB darstellt, ist insoweit ein Rückgriff auf § 1901 Abs. 3 BGB ausgeschlossen. Aber auch mittelbar kann eine Sedierung nicht durch Behandlungswünsche gemäß § 1901 Abs. 3 BGB ausgeschlossen werden.211 In Bezug auf § 1906 Abs. 4 i.V. m. § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ergibt sich dies daraus, dass auch im Rahmen des Freiheitsentzuges durch Medikamente die Konkretisierung des Wohl-Begriffs in § 1906 Abs. 4 i.V. m. Abs. 1 Nr. 1 BGB vorrangig maßgeblich ist.212 In Bezug auf Maßnahmen auf Grundlage des § 1906 Abs. 4 i.V. m. Abs. 1 Nr. 2 BGB folgt dies wiederum daraus, dass § 1901 Abs. 3 BGB hinsichtlich der Einflussmöglichkeiten auf die Zulässigkeit einer Untersuchung des Gesundheitszu209 Davon unberührt bleibt selbstverständlich die Frage, ob diese Wünsche nicht über § 1901a Abs. 1 oder Abs. 2 BGB berücksichtigt werden müssen. 210 Vgl. hierzu bereits S. 140 f. 211 Davon unberührt bleibt selbstverständlich auch hier die Frage, ob diese Wünsche nicht über § 1901a Abs. 1 oder Abs. 2 BGB berücksichtigt werden müssen. 212 Vgl. zur Thematik der Konkretisierung des Wohl-Begriffs auch S. 144.
IV. Zwangsmaßnahmen auf Grundlage des BGB
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stands, einer Heilbehandlung oder eines ärztlichen Eingriffs von § 1901a Abs. 1 oder Abs. 2 BGB verdrängt wird.213 Im Ergebnis kann ein Freiheitsentzug durch Medikamente auf Grundlage des § 1906 Abs. 4 BGB weder unmittelbar noch mittelbar über die Vorschrift des § 1901 Abs. 3 BGB ausgeschlossen sein. b) Freiheitsentzug durch mechanische Vorrichtungen oder auf „andere Weise“ Hinsichtlich der Möglichkeiten der Einflussnahme in Vorausverfügungen auf unterbringungsähnliche Maßnahmen durch mechanische Vorrichtungen oder auf „andere Weise“ kann aufgrund der vergleichbaren Sachlage im Wesentlichen auf die oben gefundenen Ergebnisse in Bezug auf die Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Zulässigkeit einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB zurückgegriffen werden.214 Da es sich bei unterbringungsähnlichen Maßnahmen durch mechanische Vorrichtungen oder auf „andere Weise“ nicht um eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff handelt, kann weder über § 1901a Abs. 1 BGB noch über § 1901a Abs. 2 BGB unmittelbar auf die Zulässigkeit dieser Maßnahmen Einfluss genommen werden. Auch über die Regelung des § 1901 Abs. 3 BGB kann eine Einflussnahme nicht erfolgen, da hinsichtlich der Zulässigkeit dieser Maßnahmen auch hier über § 1906 Abs. 4 i.V. m. Abs. 1 BGB eine gesetzliche Konkretisierung des „Wohl-Begriffs“ erfolgte, die es zu beachten gilt. Der Gesetzgeber hat daher – ebenso wie bei § 1906 Abs. 1 BGB unmittelbar – auch im Rahmen der unterbringungsähnlichen Maßnahmen nach § 1906 Abs. 4 BGB den Wunsch-Wohl-Konflikt einer gesetzlichen Regelung zugeführt, die der allgemeinen Regel des § 1901 Abs. 3 BGB vorrangig ist. Eine unmittelbare Einflussnahme durch Vorausverfügungen auf die Zulässigkeit von unterbringungsähnlichen Maßnahmen durch mechanische Vorrichtungen oder auf „andere Weise“ scheidet daher aus. Fraglich ist jedoch, ob über Vorausverfügungen eine mittelbare Einflussnahme auf die Zulässigkeit der Maßnahmen möglich ist. In Bezug auf die Eingriffsgrundlage des § 1906 Abs. 4 i.V. m. Abs. 1 Nr. 1 BGB ist dies zu verneinen, da die Maßnahmen, auf die über § 1901a Abs. 1 oder Abs. 2 BGB Einfluss genommen werden kann, nicht zu den Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift zählen. Anders ist dies jedoch auch hier hinsichtlich der Einflussnahmemöglichkeit auf unterbringungsähnliche Maßnahmen auf Grundlage des § 1906 Abs. 4 i.V. m. 213 214
Vgl. hierzu ausführlich S. 140 f. Vgl. hierzu S. 163 und S. 169.
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
Abs. 1 Nr. 2 BGB.215 Da über § 1906 Abs. 4 BGB die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB Anwendung finden, ist für die Zulässigkeit der unterbringungsähnlichen Maßnahme entscheidend, ob eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff in rechtlich zulässiger Weise durchgeführt werden kann. Diese Maßnahmen, die letztlich die unterbringungsähnliche Maßnahme auf Grundlage des § 1906 Abs. 4 i.V. m. § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB legitimieren, können jedoch ihrerseits durch das Abfassen einer Patientenverfügung oder durch Äußerungen, die über § 1901a Abs. 2 BGB beachtlich sind, untersagt werden. Als Rechtsreflex entfällt damit – in Parallele zur Rechtslage bei der Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB216 – die Zulässigkeit der unterbringungsähnlichen Maßnahme durch mechanische Vorrichtungen oder auf „andere Weise“. Im Ergebnis können Betroffene daher durch das Abfassen einer Patientenverfügung oder Äußerungen, die über § 1901a Abs. 2 BGB beachtlich sind, die Zulässigkeit einer unterbringungsähnlichen Maßnahme durch mechanische Vorrichtungen oder auf „andere Weise“ auf Grundlage des § 1906 Abs. 4 i.V. m. Abs. 1 Nr. 2 BGB ausschließen. 5. Zusammenfassung zu den Zwangsmaßnahmen auf Grundlage des BGB Weder die Betreuerbestellung nach § 1896 Abs. 1 BGB noch die Einrichtung eines Einwilligungsvorbehalts gemäß § 1903 Abs. 1 BGB kann durch das Abfassen einer Patientenverfügung oder einer sonstigen Vorausverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 2 BGB unmittelbar ausgeschlossen werden. Allenfalls mittelbar kann durch hinreichend bestimmte Festlegungen in Bezug auf eine medizinische Maßnahme in einer Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB eine Betreuerbestellung verhindert werden, nämlich dann, wenn aufgrund der Festlegungen keine Notwendigkeit einer Betreuerbestellung mehr besteht. Hinsichtlich der Einflussnahmemöglichkeiten auf die Zulässigkeit einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB ist zu differenzieren: Eine Einflussnahmemöglichkeit durch Patientenverfügungen im Sinne des § 1901a Abs. 1 BGB oder sonstige Vorausverfügungen im Sinne des § 1901a Abs. 2 BGB auf die Zulässigkeit einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist nicht möglich. Im Gegensatz dazu kann jedoch eine Unterbringung auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB durch das Abfassen einer Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 BGB oder Äußerungen, die über § 1901a Abs. 2 215 Vgl. insoweit zu den Einflussnahmemöglichkeiten in Bezug auf eine Unterbringung auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB S. 163 ff. 216 Vgl. auch BGH, FamRZ 2010, 202, 203; BGHZ 166, 141, 152; im Übrigen hierzu S. 163 ff.
V. Zwangsmaßnahmen auf Grundlage der Unterbringungsgesetze der Länder 177
BGB beachtlich sind, im Ergebnis wirksam ausgeschlossen werden. Eine ärztliche Zwangsmaßnahme kann durch eine Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 BGB und eine Vorausverfügung gemäß § 1901a Abs. 2 BGB untersagt werden. Hinsichtlich der Einflussnahmemöglichkeiten auf die Zulässigkeit unterbringungsähnlicher Maßnahmen nach § 1906 Abs. 4 BGB ist zu differenzieren: Der Freiheitsentzug durch Medikamente, sog. Sedierung, kann durch das Abfassen einer Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 BGB oder durch Äußerungen, die über § 1901a Abs. 2 BGB beachtlich sind, wirksam ausgeschlossen werden. Bei unterbringungsähnlichen Maßnahmen durch mechanische Vorrichtungen oder auf „andere Weise“ ist nach der Eingriffsgrundlage zu unterscheiden. Maßnahmen auf Grundlage von § 1906 Abs. 4 i.V. m. Abs. 1 Nr. 1 BGB können nicht durch Vorausverfügungen ausgeschlossen werden. Bei unterbringungsähnlichen Maßnahmen durch mechanische Vorrichtungen oder auf „andere Weise“ auf Grundlage des § 1906 Abs. 4 i.V. m. Abs. 1 Nr. 2 BGB ist dies hingegen durch Patientenverfügungen gemäß § 1901a Abs. 1 BGB oder durch Äußerungen, die über § 1901a Abs. 2 BGB beachtlich sind, möglich.
V. Zwangsmaßnahmen auf Grundlage der Unterbringungsgesetze der Länder (ohne verfahrensrechtliche Zwangsmaßnahmen) 1. Allgemeines Das Unterbringungsrecht unterliegt als besonderes Gefahrenabwehrrecht der Gesetzgebungskompetenz der Länder.217 Dem entsprechend gibt es in jedem Bundesland ein eigenes Gesetz über die Unterbringung von psychisch kranken Personen.218 Die aufgrund der Gesetze in Betracht kommenden Maßnahmen sind weitgehend gleich. Zu nennen sind insbesondere – die Unterbringung wegen Eigengefährdung219 oder Fremdgefährdung220, – die Behandlung ohne Einwilligung des Patienten221, 217 Vgl. auch den rechtsgeschichtlichen Überblick zum Recht der öffentlich-rechtlichen Unterbringung und Zwangsbehandlung in Heide, Medizinische Zwangsbehandlung, S. 22 ff.; zum geschichtlichen Hintergrund auch Marschner, in: Marschner/Volckart/Lesting, Freiheitsentziehung und Unterbringung, B Rn. 2 ff. 218 Die Bezeichnung der jeweiligen Gesetze ist unterschiedlich. Überwiegend werden die Gesetze als Psychisch-Kranken-Gesetze (PsychKG) bezeichnet. In Baden-Württemberg, Bayern und dem Saarland heißen die Gesetze Unterbringungsgesetze (UBG). Hessen bezeichnet das Gesetz als Freiheitsentziehungsgesetz (FrhEntzG). 219 In Sachsen auf Grundlage des § 10 Abs. 2 Alt. 1 PsychKG Sachsen. 220 In Sachsen auf Grundlage des § 10 Abs. 2 Alt. 2 PsychKG Sachsen. 221 In Sachsen auf Grundlage des § 22 Abs. 1 S. 2 PsychKG Sachsen.
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
– die Ernährung gegen den Willen des Patienten222 oder – andere unterbringungsähnliche Maßnahmen, wie die Fesselung223. Um die Einflussnahmemöglichkeiten durch Vorausverfügungen auf die Zwangsmaßnahmen nach den Unterbringungsgesetzen der Länder zu untersuchen, muss zunächst allgemein das Verhältnis der Zwangsmaßnahmen auf Grundlage des BGB zu denen nach den Unterbringungsgesetzen der Länder geklärt werden. Im Anschluss daran ist zunächst allgemein zu erörtern, an welchen Stellen das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts auf das Recht der öffentlich-rechtlichen Unterbringung einwirken kann. Nach einer kurzen Darstellung der Situation in den Ländern werden die Einflussnahmemöglichkeiten hinsichtlich der einzelnen Maßnahmen am Beispiel des PsychKG des Freistaats Sachsen untersucht. 2. Verhältnis der öffentlich-rechtlichen Unterbringung zur Unterbringung auf Grundlage des BGB Das Rangverhältnis der öffentlich-rechtlichen Unterbringung zur Unterbringung auf Grundlage des BGB ist in Literatur und Rechtsprechung nicht abschließend geklärt.224 Ein Teil der Literatur und Rechtsprechung vertritt die Auffassung, dass die landesrechtliche Regelung in diesen Fällen hinter dem Bundesgesetz zurücktreten muss und daher die Unterbringung auf Grundlage des BGB vorrangig ist.225 Die Gegenauffassung geht hingegen von einer grundsätzlichen Gleichrangigkeit der Eingriffsgrundlagen aus.226 222
In Sachsen auf Grundlage des § 22 Abs. 3 PsychKG Sachsen. In Sachsen auf Grundlage des § 31 Abs. 1 oder Abs. 2 PsychKG Sachsen. 224 Vgl. zum Streitstand Olzen, Die Auswirkungen des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes (Patientenverfügungsgesetz) auf die medizinische Versorgung psychisch Kranker, Gutachten 2009, S. 41. 225 LG Mönchengladbach, FamRZ 2003, 115, wobei lediglich entschieden wurde, dass die öffentlich-rechtliche Unterbringung im Falle des Bestehens einer Unterbringung auf Grundlage des BGB als subsidiär zurücktritt. Unabhängig von der Subsidiaritätsfrage dürfte jedoch eine Unterbringung auf Grundlage der Unterbringungsgesetze in diesen Fällen bereits mangels Erforderlichkeit ausscheiden; Klüsener/Rausch, NJW 1993, 617, 622, die angeben, Judikatur und Literatur verträten einheitlich die Auffassung, dass die öffentlich-rechtliche Unterbringung regelmäßig hinter der zivilrechtlichen Unterbringung als das mildere Mittel zurücktrete. Als Quellenangabe hinsichtlich der Judikatur wird hier lediglich BayObLG, FamRZ 1990, 1154 angeführt, wobei diese Entscheidung allerdings zur Frage der Nachrangigkeit der Entscheidungen auf Grundlage des § 1846 BGB erging und daher zur Frage des allgemeinen Rangverhältnisses der öffentlich-rechtlichen Unterbringung zur Unterbringung auf Grundlage des BGB wenig aufschlussreich ist. 226 OLG Schleswig-Holstein, BtPrax 2008, 43, 45; OLG Hamm, FamRZ 2007, 934, 936; von Storch, Der „fürsorgliche“ Entzug von Grundrechten, S. 23 f.; Bienwald/Sonnenfeld/Hoffmann, § 1906 Rn. 1 ff.; Deinert, BtPrax 2000, 191, 192; Dodegge/Zimmermann, § 11 Rn. 17; Marschner, in: Marschner/Volckart/Lesting, Freiheitsentziehung und Unterbringung, A 135 ff. 223
V. Zwangsmaßnahmen auf Grundlage der Unterbringungsgesetze der Länder 179
Die besseren Gründe sprechen für eine Gleichrangigkeit der beiden Unterbringungsmöglichkeiten. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Von der Frage des Rangverhältnisses abzugrenzen ist zunächst der Fall, in denen bereits eine Unterbringung besteht und die Zulässigkeit der jeweils anderen Unterbringungsmaßnahme im Raum steht. Richtigerweise kommt hier mangels Erforderlichkeit eine weitere Unterbringung nach der jeweils anderen Rechtsnorm nicht in Betracht. Im Kern des Streits stehen mithin lediglich die Fälle, in denen noch keine Unterbringung besteht und in denen eine Selbstgefährdung vorliegt und daher vom Grundsatz her sowohl eine Unterbringung auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB als auch eine Unterbringung auf Grundlage der Unterbringungsgesetze der Länder227 in Betracht kommt. Da beide Gesetze formell ordnungsgemäß zu Stande kamen, ist zunächst vom Grundsatz her von einer Gleichrangigkeit der Normen auszugehen.228 Eine abweichende Einschätzung bedarf besonderer Begründung, die hier jedoch letztlich nicht durchgreift. Insbesondere steht dem Landesgesetzgeber auch die notwendige Gesetzgebungskompetenz für den Erlass des Unterbringungsgesetzes zu. Zwar hat auch das Recht der öffentlich-rechtlichen Unterbringung einen Fürsorgecharakter, so dass es insoweit grundsätzlich dem Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung in Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG (öffentliche Fürsorge) unterfallen könnte. Auch hat der Bund durch das Betreuungsrecht, welches sowohl unter den Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (Bürgerliches Recht) als auch unter den Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG (öffentliche Fürsorge) fällt229, in diesem Bereich von der konkurrierenden Gesetzgebung Gebrauch gemacht. Die Unterbringungsgesetze der Länder verfolgen jedoch über den Fürsorgegedanken hinaus den Zweck der Gefahrenabwehr, wobei dem Bund insoweit in diesem Bereich keine Gesetzgebungskompetenz zusteht. Um diesen Zweck der Gefahrenabwehr adäquat erreichen zu können, bedarf es einer Regelungsbefugnis der Unterbringung auch in den Fällen, in denen abstrakt wegen Selbstgefährdung auch eine Unterbringung auf Grundlage des BGB in Betracht käme. Es ist nicht ausreichend, die öffentlichen Schutzgüter – zu denen auch das Leben des Einzelnen zählt – alleine in die Verantwortung eines vorrangig entscheidungsbefugten Betreuers zu geben.230 227
In Sachsen auf Grundlage des § 10 Abs. 2 PsychKG Sachsen. Vgl. auch Marschner, in: Marschner/Volckart/Lesting, Freiheitsentziehung und Unterbringung, A 135. 229 BT-Drs. 11/4528, S. 100; vgl. hierzu auch Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 2, Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 Rn. 62. 230 Vgl. insoweit auch BVerfGE 58, 208, 228: „Die unzweifelbare Notwendigkeit zusätzlicher staatlicher Eingriffsmöglichkeiten ergibt sich schon aus dem unzureichenden Schutz der Allgemeinheit vor gemeingefährlichen Geisteskranken, den das Zivilrecht 228
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
Aufgrund der überwiegend unterschiedlichen Zweckrichtung verbleibt dem Landesgesetzgeber daher die Gesetzgebungskompetenz. Auch ergibt sich ein Vorrang der Unterbringung nach den Vorschriften des BGB nicht aus dem Übermaßverbot. Nach richtigem Verständnis stellt eine Unterbringung nach BGB nicht von vorne herein ein milderes Mittel im Vergleich zur Unterbringung nach den Unterbringungsgesetzen der Länder dar. Zwar ist der Unterbringung nach BGB in aller Regel231 eine Betreuerentscheidung vorgelagert. Andererseits ist jedoch eine Betreuung ihrerseits wiederum mit einem Eingriff in die Rechte des Betroffenen verbunden, die nicht unberücksichtigt bleiben kann. Insbesondere bei einer kurzfristigen Krisenintervention, auf die die Unterbringungsgesetze der Länder zugeschnitten sind, erscheint eine Betreuerbestellung – nur für den Aufgabenkreis der Unterbringung – unverhältnismäßig. Die mit einer Betreuung verbundene stigmatisierende Wirkung sollte hier tunlichst vermieden werden. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass auch im Falle der öffentlich-rechtlichen Unterbringung eine vorgelagerte Instanz – nämlich die Unterbringungsbehörde – die Notwendigkeit der Unterbringung prüft und ggf. einen Antrag stellt232, was als adäquater Ausgleich für die Betreuerentscheidung angesehen werden kann. Auch das Bundesverfassungsgericht sieht in einer Unterbringung auf Grundlage des BGB nicht stets ein milderes Mittel.233 Das Bundesverfassungsgericht hat insoweit in Bezug auf den Maßregelvollzug ausgeführt: „In Teilen der Literatur wird bei Zwangsbehandlungen die Einschaltung eines Betreuers als verfassungsrechtlich geboten angesehen oder angenommen, dass einer betreuungsrechtlichen Lösung jedenfalls von Verfassungs wegen Vorrang einzuräumen sei vor der Ersetzung der Entscheidung des Einwilligungsunfähigen durch eine staatliche Behörde (vgl. Tietze, a. a. O., S. 66 ff.; Popp, a. a. O., S. 75 f.; Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 55 ff., 134 f.; ders., BtPrax 2005, S. 6 [7]; Rinke, NStZ 1988, S. 10 [14]; a. A. Volckart/Grünebaum, a. a. O., Rn. 369; Heide, a. a. O., S. 229; Stalin-
bietet, sie erschöpft sich jedoch nicht im Sicherungsgedanken (vgl. Saage/Göppinger, a. a. O., III, Rdnr. 19). Denn ebenso wie der pflichtvergessene Vormund, der die erforderliche Unterbringung des Kranken versäumt, die Sicherheit der Allgemeinheit gefährden kann, kann er die den Umständen nach dringend gebotene Fürsorge für sein Mündel vermissen lassen und dem Schutzbefohlenen dadurch schweren Schaden zufügen.“ Zwar wird diese Entscheidung teilweise als Beleg für die Subsidiarität der öffentlichrechtlichen Unterbringung angeführt, so z. B. von Klüsener/Rausch, NJW 1993, 617, 622. Dies erscheint jedoch fehlerhaft, da das Bundesverfassungsgericht zu dieser Frage ausdrücklich nicht Stellung genommen hat. Das Bundesverfassungsgericht hat diesbezüglich in BVerfGE 58, 208, 230 ausgeführt: „Ebenso kann offenbleiben, ob der Landesgesetzgeber als befugt anzusehen wäre, nicht nur subsidiäres Recht in Kraft zu setzen.“ 231 Von Fällen des § 1846 BGB einmal abgesehen. 232 § 13 Abs. 6 S. 1 PsychKG Sachsen. 233 BVerfG, NJW 2011, 2113.
V. Zwangsmaßnahmen auf Grundlage der Unterbringungsgesetze der Länder 181 ski, BtPrax 2000, S. 59 ff. [61 f.]; Hoffmann, R&P 2005, S. 52 ff.). Das Maßregelvollzugsrecht kann die Einschaltung eines Betreuers durch entsprechend extensive Einwilligungserfordernisse solcher Art, dass bei fehlender Zustimmung des Betroffenen selbst die ersetzende Einwilligung eines Betreuers erforderlich und ausreichend ist, sicherstellen. Eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit, die Rechte des Betroffenen gerade auf diese Weise zu schützen, besteht jedoch nicht. Für den Betroffenen wird der Eingriff, der in einer medizinischen Zwangsbehandlung liegt, nicht dadurch weniger belastend, dass gerade ein Betreuer ihr zugestimmt hat. Die entscheidende objektive Schutzwirkung, die in der Einschaltung eines externen Dritten liegt, kann nicht allein auf diese Weise, sondern auch mit anderen Mitteln erreicht werden. Es sind keine durchgreifenden Gründe ersichtlich, deretwegen eine Betreuerlösung von Verfassungs wegen vorzugswürdig wäre beispielsweise gegenüber einem Richtervorbehalt, wie ihn die Rechtsordnung andernorts für weitaus weniger gravierende Eingriffe vorsieht (§ 81a Abs. 2 StPO), oder gegenüber der Beteiligung einer anderen neutralen Stelle (Ombudsperson, sonstige Behörde), die auch die Aufgabe haben könnte, sicherzustellen, dass die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes nicht aufgrund von Beeinträchtigungen des Betroffenen unterbleibt. Zwar kann für den Betroffenen eine Milderung der Fremdbestimmung darin liegen, dass bei der Auswahl des Betreuers auf seine Wünsche und auf vorhandene Bindungen Rücksicht zu nehmen ist (s. i. E. § 1897 Abs. 4, 5 BGB). Die Realisierung dieses Vorteils stößt aber, gerade bei im Maßregelvollzug Untergebrachten, häufig auf praktische Hindernisse, weil geeignete Personen aus dem persönlichen Umfeld nicht verfügbar sind. Zudem können andere Lösungen mit gewichtigen anderen Vorteilen verbunden sein oder verbunden werden.“ 234
Die diesbezüglichen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts sind auch in Bezug auf die öffentlich-rechtliche Unterbringung zutreffend. Im Ergebnis spricht daher auch das Übermaßverbot nicht für einen Vorrang der Unterbringung auf Grundlage des BGB. Auch die Landesgesetze enthalten keine grundsätzlichen Nachrangregelungen. Zwar ist teilweise bestimmt, dass eine Unterbringung nach dem Landesgesetz ausscheidet, wenn Betroffene bereits nach § 1906 BGB untergebracht sind.235 Diese Regelungen haben angesichts des Umstands, dass es im Falle einer bereits erfolgten Unterbringung an der Erforderlichkeit einer weiteren Maßnahme fehlt, jedoch lediglich klarstellenden Charakter. Einen grundsätzlichen Nachrang des Rechts der öffentlich-rechtlichen Unterbringung normieren diese hingegen nicht. 234
BVerfG, NJW 2011, 2113. § 1 Abs. 3 PsychKG Nordrhein-Westfalen, wobei § 10 Abs. 2 PsychKG Nordrhein-Westfalen zudem feststellt, dass § 1906 BGB unberührt bleibt; § 11 Abs. 2 PsychKG Rheinland-Pfalz; ähnlich enthalten Art. 1 Abs. 2 UBG Bayern; § 8 Abs. 2 PsychKG Berlin, § 9 Abs. 3 PsychKG Hamburg; § 10 Abs. 3 PsychKG Sachsen; § 11 Abs. 2 PsychKG Sachsen-Anhalt und § 8 Abs. 3 PsychKG Thüringen die Feststellung, dass eine Unterbringung nach dem Landesgesetz nicht erfolgen kann, wenn bereits eine Unterbringung auf Grundlage der StPO (teilweise auch des StGB) erfolgt ist. 235
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
In vielen Unterbringungsgesetzen der Länder wird die Gleichrangigkeit der Unterbringung nach Landesrecht mit der Unterbringung auf Grundlage des BGB vielmehr ausdrücklich festgestellt.236 Zusammenfassend kann daher festgestellt werden, dass die Unterbringung auf Grundlage des BGB und die Unterbringung auf Grundlage der Unterbringungsgesetze der Länder gleichrangig sind. 3. Einwirkungsmöglichkeiten auf das Recht der öffentlich-rechtlichen Unterbringung Die Vorschriften der §§ 1901a ff. BGB wurden durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts in das BGB eingefügt.237 Im Gesetzgebungsverfahren spielten die Auswirkungen dieses Gesetzes auf das Recht der öffentlich-rechtlichen Unterbringung keine Rolle. Dies mag zum einen dem Umstand geschuldet sein, dass das Recht der öffentlich-rechtlichen Unterbringung der Gesetzgebungskompetenz der Länder unterfällt. Zum anderen war tragender Leitgedanke und Zweck der Einfügung der §§ 1901a ff. BGB, die Möglichkeiten der Selbstbestimmung in Bezug auf medizinische Maßnahmen am Lebensende rechtssicherer zu gestalten und das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen in Bezug auf diese Maßnahmen zu stärken. Da es sich bei den Maßnahmen nach dem Recht der öffentlich-rechtlichen Unterbringung in aller Regel nicht um medizinische Maßnahmen am Lebensende sondern um Krisenintervention handelt, ist dieser Themenbereich dem Blick des Gesetzgebers entrückt. Weder in den Gesetzesmaterialien noch im Gesetzestext finden sich daher Ausführungen zu den Auswirkungen der §§ 1901a ff. BGB auf das Recht der öffentlich-rechtlichen Unterbringung. Auch die Unterbringungsgesetze der Länder verhalten sich in aller Regel nicht ausdrücklich zu dieser Frage. Teilweise wird jedoch in den Unterbringungsgesetzen der Länder auf den Willen oder die Wünsche des Betroffenen Bezug genommen. So ist nach § 2 S. 2 PsychKG Bremen der Wille und die Wünsche von Betroffenen „zu achten“. Nach § 2 S. 1 PsychKG Nordrhein-Westfalen ist auf den Willen des Betroffenen „besondere Rücksicht zu nehmen“. Nach § 2 S. 2 PsychKG Rheinland-Pfalz „soll“ den Wünschen der psychisch kranken Person „soweit wie möglich Rechnung getragen werden“. Nach § 2 S. 3 PsychKG Rheinland-Pfalz gilt dies auch für Wünsche, die vor Beginn der Maßnahme geäußert wurden, es sei denn, die Person will erkennbar hieran nicht festhalten. Der Begriff der Patientenverfügung ist einzig im PsychKG des Landes Schleswig-Holstein enthalten. Gemäß dessen § 1 Abs. 2 S. 2 soll den Wünschen nach 236 § 1 Abs. 3 UBG Baden-Württemberg; § 14 Abs. 2 PsychKG Niedersachsen; § 10 Abs. 2 PsychKG Nordrhein-Westfalen; § 4 Abs. 2 UBG Saarland; § 11 Abs. 2 PsychKG Sachsen-Anhalt; § 7 Abs. 3 PsychKG Schleswig-Holstein. 237 Vgl. zum Gesetzgebungsverfahren im Detail S. 50 ff.
V. Zwangsmaßnahmen auf Grundlage der Unterbringungsgesetze der Länder 183
Hilfen entsprochen werden. Diese Wünsche sollen nach § 1 Abs. 2 S. 3 PsychKG Schleswig-Holstein nach Möglichkeit in einer Patientenverfügung vor Behandlungsbeginn festgehalten werden. Der Begriff der Patientenverfügung in § 1 Abs. 2 S. 3 PsychKG Schleswig-Holstein ist hierbei jedoch nicht deckungsgleich mit dem in § 1901a Abs. 1 BGB. § 1 Abs. 2 PsychKG Schleswig-Holstein geht davon aus, dass in Patientenverfügungen Wünsche nach Hilfen festgehalten werden können. Dies ist jedoch bei Patientenverfügungen nach § 1901a Abs. 1 BGB, die definitionsgemäß auf Festlegungen in Bezug auf die Erteilung oder Versagung der Einwilligung in medizinische Maßnahmen beschränkt sind, gerade nicht möglich. Auch ergibt sich eine andere Bewertung nicht aus der Verwendung desselben Begriffs im Gesetzestext. Zum einen entstammen das BGB und das PsychKG Schleswig-Holstein dem Willen unterschiedlicher Gesetzgeber. Zum anderen war die Formulierung aus dem PsychKG Schleswig-Holstein bereits vor Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts in dem Gesetz enthalten. Es kann daher festgehalten werden, dass es an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung der Auswirkungen der §§ 1901a ff. BGB auf das Recht der öffentlich-rechtlichen Unterbringung fehlt. Aufgrund des Fehlens einer solchen Regelung kann daher auch keine generelle Aussage der Auswirkungen von Vorausverfügungen auf Maßnahmen nach den Unterbringungsgesetzen der Länder getroffen werden. Diese sind vielmehr anhand der jeweiligen Eingriffsgrundlage und deren Tatbestandsvoraussetzungen im Einzelnen zu prüfen. Evident ist, dass sich die Frage der Auswirkungen von Vorausverfügungen auf das Recht der öffentlich-rechtlichen Unterbringung nur in den Fällen stellt, in denen der Betroffene einwilligungsunfähig ist. In der nachfolgenden Prüfung wird dies daher als gegeben unterstellt. Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Maßnahmen muss sich zudem stets vor Augen gehalten werden, dass die Vorschriften der §§ 1901a ff. BGB nur im Rahmen ihres Anwendungsbereichs unmittelbare Auswirkungen haben können. Dies bedeutet, dass die §§ 1901a ff. BGB nur bei medizinischen Maßnahmen überhaupt Relevanz entfalten. Sofern keine hinreichend bestimmte Patientenverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB, sondern (lediglich) eine Vorausverfügung gemäß § 1901a Abs. 2 BGB vorliegt, ist jedenfalls für eine unmittelbare Auswirkung zudem erforderlich, dass bereits eine Betreuung besteht. Festlegungen im Rahmen des § 1901a Abs. 2 BGB sind nämlich – wie sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und der Entstehungsgeschichte des Gesetzes ergibt238 – unmittelbar an den Betreuer adressiert, der die Festlegungen beachten und gegebenenfalls durchsetzen muss. Außerhalb einer Betreuung ist Vorschrift des § 1901a 238
Vgl. zum „Vier-Augen-Prinzip“ S. 101 ff.
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
Abs. 2 BGB nicht anwendbar.239 Dieser im Anwendungsbereich des BGB geltende Grundsatz muss erst recht im Anwendungsbereich der Unterbringungsgesetze der Länder gelten. Unmittelbare Auswirkungen auf Maßnahmen auf Grundlage der Unterbringungsgesetze der Länder haben die Vorschriften der §§ 1901a ff. BGB jedenfalls stets dort, wo der sachliche Anwendungsbereich des § 1901a Abs. 1 und 2 BGB eröffnet ist und zudem im Tatbestand einer Vorschrift des jeweiligen Unterbringungsgesetzes an das Einverständnis des Betreuers angeknüpft wird.240 Sofern im Tatbestand einer Vorschrift nicht an eine Betreuerentscheidung angeknüpft wird, ist für eine unmittelbare Auswirkungsmöglichkeit maßgeblich, ob ein Fall des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB oder ein Fall des § 1901a Abs. 2 BGB vorliegt, da nur Festlegungen im Rahmen des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB unabhängig von einer Betreuerbestellung und Anknüpfung an eine Betreuerentscheidung unmittelbar beachtlich sind. Davon unabhängig ist für Festlegungen nach § 1901a Abs. 2 BGB natürlich stets zu prüfen, ob diese zwar nicht unmittelbar aufgrund dieser Vorschrift, jedoch mittelbar aus sonstigen Gründen, namentlich dem Verfassungsrecht im Ergebnis Beachtung finden müssen. Abstrakt können damit folgende Fallgruppen unterschieden werden: a) Die Eingriffsgrundlage setzt die Einwilligung des Betreuers voraus; bei der in Rede stehenden Maßnahme handelt es sich um eine medizinische Maßnahme (Fallgruppe 1) Anschauliches Beispiel für eine Eingriffsgrundlage dieser Fallgruppe ist – unabhängig von der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift – § 22 Abs. 2 PsychKG Sachsen: „Ärztliche Eingriffe und Behandlungsverfahren im Sinne des Absatzes 1, die mit einem operativen Eingriff oder einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit verbunden sind, sind nur nach rechtswirksamer Einwilligung des Patienten oder, falls er die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und der Einwilligung nicht beurteilen kann, des gesetzlichen Vertreters erlaubt.“
§ 1901a Abs. 1 und Abs. 2 BGB finden auf Eingriffsgrundlagen dieser Fallgruppe unmittelbare Anwendung.241 Der Betreuer ist an die Festlegungen in der Vorausverfügung gebunden und muss diesen Ausdruck und Geltung verschaffen.
239
Vgl. zu dieser Problematik bereits S. 110 ff. So im Ergebnis auch Hoffmann/Klie, Freiheitsentziehende Maßnahmen im Betreuungs- und Kindschaftsrecht, S. 17. 241 So auch Hoffmann/Klie, Freiheitsentziehende Maßnahmen im Betreuungs- und Kindschaftsrecht, S. 17. 240
V. Zwangsmaßnahmen auf Grundlage der Unterbringungsgesetze der Länder 185
Lehnt der Betroffene in der Vorausverfügung die in Rede stehende Maßnahme ab, so muss der Betreuer seine Einwilligung hierzu verweigern. Die Maßnahme kann daher nicht zulässigerweise erfolgen.242 b) Die Eingriffsgrundlage setzt die Einwilligung des Betreuers voraus; bei der in Rede stehenden Maßnahme handelt es sich nicht um eine medizinische Maßnahme (Fallgruppe 2) Das PsychKG Sachsen enthält keine Eingriffsgrundlage, die der abstrakten Fallgruppe 2 zugeordnet werden kann. Die Praxisrelevanz der Fallgruppe ist daher gering. Zur Veranschaulichung kann jedoch § 29 Abs. 4 S. 4 des PsychKG des Landes Sachsen-Anhalt genannt werden, der das Einsichtsrecht des Ausschusses für Angelegenheiten der psychiatrischen Krankenversorgung in Krankenunterlagen regelt243, und wie folgt lautet: „Krankenunterlagen dürfen nur mit Einwilligung des Betroffenen oder seines gesetzlichen Vertreters zur Einsichtnahme vorgelegt werden.“
Weder § 1901a Abs. 1 BGB noch § 1901a Abs. 2 BGB ist auf Eingriffsgrundlagen der Fallgruppe 2 anwendbar, da es nicht um die Entscheidung über die Erteilung oder die Versagung der Einwilligung in ärztliche Maßnahmen geht. Etwaige Festlegungen oder Wünsche des Betroffenen in Vorausverfügungen sind für den Betreuer jedoch über die allgemeine Vorschrift des § 1901 Abs. 3 BGB zu beachten. Die Reichweite dieser Wunschbeachtungspflicht muss der Betreuer jedoch auch hier anhand der „Wohl-Schranke“ ermitteln.244 Auch sind gesetzliche Konkretisierungen des Wohl-Begriffs, wie sie zum Beispiel die Vorschrift des § 1906 Abs. 1 BGB enthält, vom Betreuer – soweit einschlägig – vorrangig zu beachten.245 c) Die Einwilligung des Betreuers ist keine Tatbestandsvoraussetzung der Eingriffsgrundlage; bei der in Rede stehenden Maßnahme handelt es sich um eine medizinische Maßnahme (Fallgruppe 3) Beispielhafte Eingriffsgrundlage für diese Fallgruppe ist – wiederum unabhängig von der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Norm – die Regelung über die Eingangsuntersuchung in § 20 S. 1 PsychKG Sachsen. § 20 S. 1 PSychKG Sachsen lautet:
242 So auch Hoffmann/Klie, Freiheitsentziehende Maßnahmen im Betreuungs- und Kindschaftsrecht, S. 17. 243 Vgl. hierzu auch mit leichten sprachlichen Abweichungen die Regelung in § 36 Abs. 2 PsychKG Bremen. 244 Vgl. hierzu S. 141 ff. 245 Vgl. hierzu S. 144 f.
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
„Wer aufgrund dieses Gesetzes durch Gerichtsbeschluss eingewiesen oder untergebracht ist, ist unverzüglich nach seiner Aufnahme in das Krankenhaus ärztlich zu untersuchen.“
§ 1901a Abs. 1 und Abs. 2 BGB sind hier zwar im Grundsatz anwendbar, da eine medizinische Maßnahme in Rede steht. Da die Einwilligung des Betreuers jedoch nicht zu den Tatbestandsvoraussetzungen der Eingriffsgrundlage zählt, ist für die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit maßgeblich, ob eine Patientenverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB oder eine Vorausverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 2 BGB vorliegt. Nur im Falle des Vorliegens einer hinreichend bestimmten Patientenverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB haben die Festlegungen unabhängig von der Anknüpfung an eine Einwilligung des Betreuers unmittelbare Relevanz. Davon unabhängig ist jedoch auch beim Nichtvorliegen einer hinreichend bestimmten Patientenverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB die Frage zu prüfen, ob die Festlegungen einer Vorausverfügung gemäß § 1901a Abs. 2 BGB nicht aus anderen Gründen berücksichtigt werden müssen. Es muss daher untersucht werden, ob sich das verfassungsrechtliche Gebot der Achtung des Selbstbestimmungsrechts in Bezug auf medizinischen Maßnahmen auf die Zulässigkeit der Maßnahme auswirkt. Insbesondere muss erörtert werden, ob die von der Rechtsprechung vor Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts entwickelten Grundsätze auf diese Fallgruppe entsprechend angewandt werden können. d) Die Einwilligung des Betreuers ist keine Tatbestandsvoraussetzung der Eingriffsgrundlage; bei der in Rede stehenden Maßnahme handelt es sich nicht um eine medizinische Maßnahme (Fallgruppe 4) Anschauliches und überaus praxisrelevantes Beispiel für eine Eingriffsgrundlage dieser Fallgruppe ist § 10 Abs. 2 PsychKG Sachsen, der wie folgt lautet: „Eine Unterbringung ist nur zulässig, wenn und solange ein psychisch kranker Mensch infolge seiner psychischen Krankheit sein Leben oder seine Gesundheit erheblich und gegenwärtig gefährdet oder eine erhebliche und gegenwärtige Gefahr für bedeutende Rechtsgüter anderer darstellt und die Gefahr nicht auf andere Weise abwendbar ist.“
§ 1901a Abs. 1 und 2 BGB ist auf diese Fallgruppe nicht anwendbar. Da es sich nicht um medizinische Maßnahmen handelt, ist der Anwendungsbereich des § 1901a BGB nicht eröffnet. Ob dennoch Festlegungen in Vorausverfügungen quasi als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung Beachtung finden, richtet sich daher alleine nach Verfassungsrecht, namentlich der Frage, ob das gefundene Ergebnis mit dem Recht auf Selbstbestimmung der Person vereinbar ist. Dies wird in Bezug auf die konkrete Maßnahme näher zu erörtern sein.
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4. Einflussmöglichkeiten auf die öffentlich-rechtliche Unterbringung a) Situation in den Ländern Die Rechtslage in den einzelnen Ländern ist – trotz begrifflicher Unterschiede im Detail – relativ homogen. In allen Ländern besteht die Möglichkeit der öffentlich-rechtlichen Unterbringung wegen Eigengefährdung und wegen Fremdgefährdung.246 Die Tatbestandsvoraussetzungen variieren jedoch insoweit, als dass begrifflich teilweise unterschiedliche Anforderungen insbesondere an den Grad der Gefährdung gestellt werden.247 246 Vgl. zu Prognosemethoden in Bezug auf die Gefährdungslagen im Unterbringungsrecht Marschner, in: Marschner/Volckart/Lesting, Freiheitsentziehung und Unterbringung, A 116 ff. 247 In Baden-Württemberg ist gemäß § 1 Abs. 4 UBG Baden-Württemberg erforderlich, dass die Person ihr Leben oder ihre Gesundheit „erheblich gefährdet“ oder die Person eine „erhebliche gegenwärtige Gefahr“ für Rechtsgüter anderer darstellt; in Bayern ist erforderlich, dass die Person gemäß Art. 1 Abs. 1 S. 1 UBG Bayern „in erheblichem Maß“ die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet oder gemäß Art. 1 Abs. 1 S. 2 UBG Bayern sein Leben oder „in erheblichem Maß“ seine Gesundheit gefährdet; nach § 8 Abs. 1 PsychKG Berlin ist erforderlich, dass Betroffene „ernsthaft“ ihr Leben, ihre Gesundheit oder besondere bedeutende Rechtsgüter anderer „in erheblichem Maße“ gefährden; in Brandenburg ist für eine Unterbringung wegen Eigengefährdung gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 PsychKG Brandenburg erforderlich, dass das Leben oder die Gesundheit der psychisch kranken Person „ernsthaft gefährdet“ ist. Für eine Unterbringung wegen Fremdgefährdung ist in Brandenburg gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 PsychKG Brandenburg erforderlich, dass eine „unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ besteht; in Bremen kann eine Unterbringung erfolgen, wenn gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 1 PsychKG Bremen eine „gegenwärtige Gefahr“ für das Leben oder die Gesundheit der Person oder gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 2 PsychKG Bremen eine „gegenwärtige Gefahr“ für die Gesundheit, das Leben oder andere bedeutende Rechtsgüter Dritter besteht; in Hamburg ist für eine Unterbringung gemäß § 9 Abs. 1 PsychKG Hamburg erforderlich, dass eine „gegenwärtige Gefahr“ besteht, dass die Person sich selbst oder eine andere Person erheblich schädigt; in Hessen ist gemäß § 1 Abs. 1 FrhEntzG Hessen erforderlich, dass eine „erhebliche Gefahr“ für die Mitmenschen droht oder gemäß § 1 Abs. 2 FrhEntzG Hessen die Person eine „Gefahr für sich selbst“ darstellt und die Gefährdung erheblich ist; in Mecklenburg-Vorpommern ist gemäß § 11 Abs. 1 PsychKG Mecklenburg-Vorpommern erforderlich, dass die „gegenwärtige erhebliche Gefahr“ einer Selbstschädigung oder für die öffentliche Sicherheit besteht; nach § 16 PsychKG Niedersachsen muss von der Person eine „gegenwärtige Gefahr“ für sich oder andere ausgehen; in NordrheinWestfalen muss für eine Unterbringung gemäß § 11 Abs. 1 PsychKG Nordrhein-Westfalen „gegenwärtig“ eine erhebliche Selbstgefährdung oder eine „erhebliche Gefährdung“ bedeutender Rechtsgüter anderer vorliegen; im Saarland ist erforderlich, dass die Person gemäß § 4 Abs. 1 UBG Saarland ihr Leben, ihre Gesundheit bedeutende eigene oder bedeutende Rechtsgüter Dritter „in erheblichem Maße“ gefährdet; in Rheinland-Pfalz ist gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 PsychKG Rheinland-Pfalz erforderlich, dass die Person ihr Leben, ihre Gesundheit oder besonders bedeutende Rechtsgüter anderer „gegenwärtig in erheblichem Maße gefährdet“; in Sachsen ist gemäß § 10 Abs. 2 PsychKG Sachsen erforderlich, dass die Person ihr Leben, oder ihre Gesundheit „erheblich und gegenwärtig gefährdet“ oder „eine erhebliche und gegenwärtige Gefahr“ für bedeutende Rechtsgüter anderer darstellt; in Sachsen-Anhalt ist erforderlich, dass gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
Da jedoch die gesetzlichen Anforderungen an den Grad der Gefährdung offenkundig nicht durch eine Vorausverfügung beeinflusst werden können, soll vorliegend auf die diesbezüglichen begrifflichen Unterschiede in den jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen nicht näher eingegangen werden. b) Anwendbarkeit des § 1901a BGB am Beispiel des § 10 Abs. 2 PsychKG Sachsen Die Voraussetzungen der Unterbringung von psychisch Kranken sind in Sachsen in § 10 Abs. 2 PsychKG Sachsen geregelt. Hiernach ist eine Unterbringung nur zulässig, wenn und solange ein psychisch kranker Mensch infolge seiner psychischen Krankheit sein Leben oder seine Gesundheit erheblich und gegenwärtig gefährdet oder eine erhebliche und gegenwärtige Gefahr für bedeutende Rechtsgüter anderer darstellt und die Gefahr nicht auf andere Weise abwendbar ist. Die Maßnahme der Unterbringung kann in die Fallgruppe 4 eingeordnet werden.248 § 1901a BGB ist demnach auf die Unterbringung nach § 10 Abs. 2 PsychKG Sachsen nicht anwendbar, da es sich bei der Unterbringung für sich genommen nicht um eine medizinische Maßnahme handelt.249 Eine öffentlich-rechtliche Unterbringung kann daher bereits vom Ansatz her nicht durch eine Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 BGB ausgeschlossen werden, da der Anwendungsbereich des Rechts der Patientenverfügung nicht eröffnet ist. Gleiches gilt für Äußerungen, die über § 1901a Abs. 2 BGB für den Betreuer beachtlich sind. c) Einflussnahme durch Vorausverfügungen außerhalb des Anwendungsbereichs des § 1901a BGB Fraglich ist, ob durch sonstige Vorausverfügungen, die nicht unter § 1901a BGB fallen, auf die Zulässigkeit einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung Einfluss genommen werden kann. PsychKG Sachsen-Anhalt eine „gegenwärtige, erhebliche Gefahr“ besteht, dass die Person sich schwerwiegende gesundheitliche Schäden zufügt oder gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 2 PsychKG Sachsen-Anhalt eine „gegenwärtige erhebliche Gefahr“ für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung besteht; in Schleswig-Holstein ist gemäß § 7 Abs. 1 PsychKG Schleswig-Holstein erforderlich, dass die Person ihr Leben, ihre Gesundheit oder Rechtsgüter anderer „erheblich gefährdet“; in Thüringen ist gemäß § 7 Abs. 1 PsychKG Thüringen erforderlich, dass die Person ihr Leben, ihre Gesundheit oder bedeutende Rechtsgüter anderer „erheblich gefährdet“. 248 Vgl. S. 186. 249 Dies gilt auch für die Unterbringungsmöglichkeiten nach dem Unterbringungsgesetz der anderen Bundesländer, da kein Land an eine Betreuerentscheidung anknüpft und die Unterbringungsmaßnahme für sich genommen keine medizinische Maßnahme darstellt.
V. Zwangsmaßnahmen auf Grundlage der Unterbringungsgesetze der Länder 189
Da die Unterbringungsmöglichkeit nach § 10 Abs. 2 PsychKG Sachsen unabhängig von dem Bestehen einer rechtlichen Betreuung ist, kann die Regelung des § 1901 Abs. 3 BGB – die sich nach dem Wortlaut ausdrücklich an den Betreuer richtet – zur Beantwortung der Frage nicht herangezogen werden. Die Wunschbeachtungspflicht steht systematisch im Betreuungsrecht. Gründe, diese Regelung als allgemeinen Grundsatz auf das Recht der öffentlich-rechtlichen Unterbringung zu übertragen, bestehen nicht. Im Übrigen kommt bei der Maßnahme der Unterbringung hinzu, dass auch im Rahmen einer BGB-Unterbringung auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB der Betroffene diese nicht durch eine Vorausverfügung verhindern kann, da der Wohl-Begriff des § 1901 Abs. 3 BGB durch § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB eine gesetzliche Konkretisierung erfahren hat, die es zu beachten gilt. Die Gründe, die zur Unzulässigkeit einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung aufgrund einer Vorausverfügung führen können, können daher nicht im BGB, sondern allenfalls im Verfassungsrecht, namentlich dem Recht auf Selbstbestimmung, gefunden werden. Hinsichtlich der Frage der Beachtlichkeit der Vorausverfügungen aus Gründen des verfassungsrechtlich verankerten Selbstbestimmungsrechts kann zunächst zwischen Maßnahmen, die in der Fremdgefährdung legitimiert sind und solchen aufgrund einer Selbstgefährdung unterschieden werden. aa) Unterbringung wegen Fremdgefährdung gemäß § 10 Abs. 2 Alt. 2 PsychKG Sachsen Die öffentlich-rechtliche Unterbringung wegen Fremdgefährdung kann nicht durch das Abfassen einer Vorausverfügung ausgeschlossen oder eingeschränkt werden.250 Die Unterbringung wegen Fremdgefährdung nach § 10 Abs. 2 Alt. 2 PsychKG dient als Vorschrift aus dem Gefahrenabwehrrecht dem Schutz der Rechtsgüter Dritter. Dieser Schutzzweck kann jedoch nicht aus Gründen des Rechts auf Selbstbestimmung des Einzelnen eingeschränkt werden, da die Rechte Dritter unter keinem Gesichtspunkt der Dispositionsbefugnis des Betroffenen unterliegen. Das Recht auf Selbstbestimmung findet vielmehr seine Grenze dort, wo Rechtsgüter Dritter betroffen sind. Eine selbstbestimmte Gefährdung Dritter akzeptiert die Rechtsordnung nicht. Die öffentlich-rechtliche Unterbringung wegen Fremdgefährdung ist daher auch bei Bestehen einer Vorausverfügung, in der die Unterbringung abgelehnt wird, uneingeschränkt möglich. 250 So auch Grözinger/Olzen/Metzmacher/Podoll/Schneider, Der Nervenarzt 2011, 57, 62; Olzen/Schneider, MedR 2010, 745, 751; Brosey, BtPrax 2010, 161, 167; Olzen, Die Auswirkungen des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes (Patientenverfügungsgesetz) auf die medizinische Versorgung psychisch Kranker, Gutachten 2009, S. 48.
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bb) Unterbringung wegen Selbstgefährdung gemäß § 10 Abs. 2 Alt. 1 PsychKG Sachsen Weniger eindeutig ist die Frage, ob der Betroffene durch eine Vorausverfügung eine Unterbringung wegen Selbstgefährdung auf Grundlage des § 10 Abs. 2 Alt. 1 PsychKG Sachsen wirksam ausschließen kann. In Parallele zur Rechtslage bei der Unterbringung wegen Selbstgefährdung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB geht es auch hier letztlich um die Problematik der Grenzziehung des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen. Es ist auch hier zunächst von dem Grundsatz auszugehen, dass der in einer Vorausverfügung festgehaltene freie Wille auch im einwilligungsunfähigen Zustand beachtet werden muss.251 Eine zwingende Möglichkeit der Ablehnung einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung wegen Selbstgefährdung resultiert hieraus jedoch nicht. Insoweit kann die Argumentation bezüglich der fehlenden Möglichkeit der Ablehnung einer Unterbringung wegen Selbstgefährdung auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB252 auf hiesige Rechtsfrage übertragen werden. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Auch im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung wegen Selbstgefährdung ist Tatbestandsvoraussetzung, dass die psychische Krankheit die Ursache der Selbstgefährdung darstellt. Fälle der sog. „Bilanzselbsttötung“ unterfallen auch hier nicht dem Tatbestand. Die bestehende Gefährdungslage resultiert damit mitnichten aus einem selbstbestimmten Entschluss. Sie ist vielmehr auch hier normativ mit einer Schädigung durch Dritte oder Zufall vergleichbar. Das Selbstbestimmungsrecht kann jedoch – wie bereits oben gezeigt253 – nicht dazu führen, den Staat zur Duldung einer krankheitsbedingten – und somit gerade nicht frei willensbestimmten – Selbstschädigung oder Selbsttötung zu verpflichten. Mehr noch als bei einer Unterbringung auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB tritt im Übrigen bei der öffentlich-rechtlichen Unterbringung wegen Selbstgefährdung der öffentlich-rechtliche Schutzauftrag des Staates zur Erhaltung des Lebens zu Tage. Würde man die Möglichkeit einer Unterbringung wegen Selbstgefährdung in diesen Fällen verneinen, so hätte sich die psychisch kranke Person faktisch ihres Grundrechts auf Leben begeben. In Anbetracht der Tatsache, dass das zur Selbstgefährdung führende Verhalten alleine krankheitsbedingt ist, kann das Selbstbestimmungsrecht einen solchen Zustand nicht rechtfertigen.
251 252 253
BGHZ 154, 205, 217. Vgl. zur Argumentation im Einzelnen S. 153 ff. Vgl. hierzu im Einzelnen S. 153 ff.
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d) Ergebnis Es kann daher festgehalten werden, dass psychisch kranke Menschen eine öffentlich-rechtliche Unterbringung nicht durch das Abfassen einer Patientenverfügung oder einer sonstigen Vorausverfügung verhindern können. Dies gilt sowohl für die Unterbringung wegen Fremdgefährdung als auch für die Unterbringung wegen Selbstgefährdung. 5. Einflussnahme auf die Zwangsbehandlung nach dem PsychKG a) Situation in den Ländern Im Vergleich zur Rechtslage in Bezug auf die Unterbringung ist die Rechtslage in Bezug auf die Zwangsbehandlung nach den Unterbringungsgesetzen der Länder wesentlich heterogener. Zwar finden sich in allen Unterbringungsgesetzen Eingriffsgrundlagen zur Zwangsbehandlung von psychisch Kranken.254 Die jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen weisen jedoch erhebliche Unterschiede auf. Insbesondere hinsichtlich der bedeutenden Frage, ob für die Behandlung im Grundsatz das Einverständnis des Betroffenen oder seines gesetzlichen Vertreters erforderlich ist, kann kein einheitliches Bild festgestellt werden. Im Wesentlichen unterschieden werden kann zwischen Eingriffsgrundlagen, die grundsätzlich das Einverständnis des Betroffenen oder des gesetzlichen Vertreters erfordern255, und solchen, bei denen das Einverständnis nur ausnahmsweise erforderlich ist256. Auch in den Ländern, die grundsätzlich vom Erfordernis der Einwilligung ausgehen, enthält das Gesetz Ausnahmen, in denen eine Behandlung auch ohne Einwilligung erfolgen kann.257 Meist ist dies der Fall bei dem Bestehen der Gefahr 254 § 8 UBG Baden-Württemberg (vgl. hierzu jedoch BVerfG, NJW 2011, 3571); Art. 13 UBG Bayern; § 10 PsychKG Berlin; § 18 PsychKG Brandenburg; § 22 PsychKG Bremen; §§ 16, 17 PsychKG Hamburg; § 17 FrhEntzG Hessen (vgl. hierzu LG Darmstadt, Beschluss vom 19. Dezember 2011, Az: 5 T 646/11); § 23 PsychKG Mecklenburg-Vorpommern; § 21 PsychKG Niedersachsen; § 18 PsychKG Nordrhein-Westfalen; § 20 PsychKG Rheinland-Pfalz; § 13 UBG Saarland; § 22 PsychKG Sachsen; § 17 PsychKG Sachsen-Anhalt; § 14 PsychKG Schleswig-Holstein; § 12 PsychKG Thüringen. 255 § 30 Abs. 2 S. 1 PsychKG Berlin; § 18 Abs. 2 S. 1, 2 PsychKG Brandenburg; § 22 Abs. 2 PsychKG Bremen; § 23 Abs. 2 S. 1 PsychKG Mecklenburg-Vorpommern; § 21 Abs. 2 S. 1, 2 PsychKG Niedersachsen; § 18 Abs. 3 S. 1, 2 PsychKG NordrheinWestfalen; § 13 Abs. 1 S. 1 UBG Saarland; § 22 Abs. 1 S. 1 PsychKG Sachsen; § 14 Abs. 4 PsychKG Schleswig-Holstein; § 12 Abs. 2 PsychKG Thüringen. 256 Art. 13 Abs. 2 UBG Bayern; § 8 Abs. 2 S. 2 UBG Baden-Württemberg; § 17 S. 3 FrhEntzG Hessen; § 16 Abs. 1 S. 2 PsychKG Hamburg, der als zusätzliche Voraussetzung die Anordnung und die Leitung der Maßnahme durch den Arzt aufstellt; § 20 Abs. 3 PsychKG Rheinland-Pfalz; § 17 Abs. 6 S. 1 PsychKG Sachsen-Anhalt. 257 § 30 Abs. 2 S. 2 PsychKG Berlin; § 18 Abs. 2 S. 4 PsychKG Brandenburg; § 22 Abs. 3 PsychKG Bremen; § 23 Abs. 2 S. 2 PsychKG Mecklenburg-Vorpommern; § 21
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
einer erheblichen Schädigung der Gesundheit oder für das Leben des Betroffenen.258 Von dieser Ausnahme wird jedoch vielmals eine weitere Ausnahme für ärztliche Eingriffe und Behandlungsverfahren gemacht, die mit Lebensgefahr oder einer erheblichen Gefahr für die Gesundheit verbunden sind, so dass es in diesen Fällen beim Erfordernis der Einwilligung verbleibt.259 Auch in den Ländern, in denen kein grundsätzliches Einwilligungserfordernis besteht, ist für diese Fälle ausnahmsweise ein Einwilligungserfordernis vorgesehen.260 In Thüringen sind Eingriffe, die mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit verbunden sind oder welche die Persönlichkeit tiefgreifend und auf Dauer schädigen könnten, gar unzulässig.261
Abs. 3 PsychKG Niedersachsen; § 18 Abs. 4 PsychKG Nordrhein-Westfalen; § 13 Abs. 2 UBG Saarland; § 22 Abs. 1 S. 1 PsychKG Sachsen; § 14 Abs. 4 PsychKG Schleswig-Holstein; § 12 Abs. 3 PsychKG Thüringen. 258 § 30 Abs. 2 S. 2 PsychKG Berlin und § 18 Abs. 2 S. 4 PsychKG Brandenburg sprechen insoweit von „unaufschiebbaren Behandlungsmaßnahmen“; nach § 22 Abs. 3 PsychKG Bremen ist eine Behandlung ohne Einwilligung bei gegenwärtiger Gefahr für das Leben oder die Gesundheit des Patienten oder Dritter zulässig; nach § 23 Abs. 2 S. 2 PsychKG Mecklenburg-Vorpommern ist eine Behandlung ohne Einwilligung zulässig, wenn sich der Betroffene in einem Zustand befindet, in dem ohne sofortige Behandlung eine erhebliche und unmittelbare Gefahr für Leben oder Gesundheit der kranken Person oder Dritter besteht; sehr weitgehend ist die Rechtslage in § 21 Abs. 3 PsychKG Niedersachsen, wonach die untergebrachte Person eine Heilbehandlung zu dulden hat, wenn diese notwendig ist, um diejenige Krankheit oder Behinderung zu heilen oder zu lindern, wegen derer sie untergebracht ist, oder die Gesundheit anderer zu schützen; nach § 18 Abs. 4 PsychKG Nordrhein-Westfalen ist eine Behandlung gegen den Willen der Person oder des gesetzlichen Vertreters nur in den Fällen von Lebensgefahr, von erheblicher Gefahr für die eigene und für die Gesundheit anderer Personen zulässig; nach § 13 Abs. 2 UBG Saarland sind medizinische Eingriffe oder Behandlungsmaßnahmen ohne Einwilligung nur zulässig, wenn mit einem Aufschub eine akute Gefahr für das Leben oder eine schwerwiegende und dauernde Gesundheitsbeeinträchtigung verbunden ist; gemäß § 22 Abs. 2 S. 2 PsychKG Sachsen ist eine Behandlung ohne Einwilligung nur zulässig, wenn durch den Aufschub das Leben oder die Gesundheit des Patienten erheblich gefährdet wird; nach § 14 Abs. 4 PsychKG Schleswig-Holstein sind ärztliche Eingriffe nur dann ohne Einwilligung zulässig, wenn sie erforderlich sind, um von dem untergebrachten Menschen eine nicht anders abwendbare gegenwärtige Gefahr einer erheblichen Schädigung seiner Gesundheit oder für sein Leben abzuwenden; nach § 12 Abs. 3 PsychKG Thüringen ist eine Behandlung ohne die Einwilligung der untergebrachten Person oder ihres Betreuers bei gegenwärtiger Gefahr für das Leben oder die Gesundheit des Patienten oder Dritter zulässig. 259 § 30 Abs. 3 PsychKG Berlin; § 23 Abs. 2 PsychKG Mecklenburg-Vorpommern; § 20 Abs. 3 PsychKG Rheinland-Pfalz; § 22 Abs. 2 PsychKG Sachsen; § 14 Abs. 3 PsychKG Schleswig-Holstein; nach § 18 Abs. 3 PsychKG Brandenburg soll die Maßnahme jedoch dann wiederum ohne Einwilligung vorgenommen werden können, wenn mit einem Aufschub Gefahr verbunden ist. 260 Art. 13 Abs. 3 UBG Bayern; § 8 Abs. 3 UBG Baden-Württemberg; § 17 S. 2 FrhEntzG Hessen (vgl. hierzu LG Darmstadt, Beschluss vom 19. Dezember 2011, Az: 5 T 646/11); § 16 Abs. 2 PsychKG Hamburg; § 20 Abs. 3 PsychKG Rheinland-Pfalz; § 17 Abs. 5 PsychKG Sachsen-Anhalt. 261 § 12 Abs. 4 PsychKG Thüringen.
V. Zwangsmaßnahmen auf Grundlage der Unterbringungsgesetze der Länder 193
b) Verfassungsmäßigkeit der Eingriffsgrundlagen – Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht hat in jüngster Zeit mit zwei Entscheidungen zur Thematik der Zwangsbehandlung für Aufsehen gesorgt.262 Es ist davon auszugehen, dass die Entscheidungen Anlass für die Länder sein werden, die jeweiligen Eingriffsgrundlagen in Bezug auf die Zwangsbehandlung im Rahmen des Maßregelvollzugs aber auch im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung anzupassen. Hierzu im Einzelnen: aa) Beschluss vom 23. März 2011, Az: 2 BvR 882/09263 Das Verfahren hatte eine Verfassungsbeschwerde betreffend die Zwangsbehandlung eines im Maßregelvollzug Untergebrachten auf Grundlage des § 6 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 MVollzG Rheinland-Pfalz zum Gegenstand. Die vom Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung getroffenen allgemeinen Feststellungen sind jedoch auf die Zwangsbehandlung im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung übertragbar. § 6 Abs. 1 MVollzG Rheinland-Pfalz lautet wie folgt: „Operative Eingriffe, Behandlungen und Untersuchungen, die mit einem wesentlichen gesundheitlichen Risiko oder einer Gefahr für das Leben des untergebrachten Patienten verbunden sind, sind nur mit seiner Einwilligung zulässig; sonstige operative Eingriffe, Behandlungen und Untersuchungen sind ohne Einwilligung des untergebrachten Patienten zulässig bei Lebensgefahr, bei schwerwiegender Gefahr für die Gesundheit des untergebrachten Patienten oder bei Gefahr für die Gesundheit anderer Personen. Im übrigen können Behandlungen und Untersuchungen zur Erreichung des Vollzugsziels ohne Einwilligung des untergebrachten Patienten durchgeführt werden; zum allgemeinen Gesundheitsschutz oder zur Hygiene sind sie zulässig, wenn sie nicht mit einem Eingriff verbunden sind.“
Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass § 6 Abs. 1 S. 2 MVollzG Rheinland-Pfalz mit Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar und nichtig ist. Für die in Rede stehende Zwangsbehandlung fehle es daher an einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden gesetzlichen Grundlage. Das Bundesverfassungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Zwar könne zur Rechtfertigung einer Zwangsbehandlung grundsätzlich das grundrechtlich geschützte Freiheitsinteresse des Untergebrachten selbst aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG herangezogen werden, da der Betroffene ohne Behandlung seine Entlassungsperspektive verschlechtere. Eine Rechtfertigung komme jedoch nur dann in Betracht, wenn der Untergebrachte zur Wahrnehmung dieses Interesses infolge krankheitsbedingter Unfähigkeit zu verhaltenswirksamer 262 263
BVerfG, NJW 2011, 2113; BVerfG, NJW 2011, 3571. BVerfG, NJW 2011, 2113.
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
Einsicht – kurz: krankheitsbedingter Einsichtsunfähigkeit – nicht in der Lage sei. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer medizinischen Zwangsbehandlung mit dem Ziel, den Betroffenen entlassungsfähig zu machen, habe daher strikt dessen krankheitsbedingte Unfähigkeit zu verhaltenswirksamer Einsicht – kurz: krankheitsbedingte Einsichtsunfähigkeit – zur Voraussetzung.264 Auch ergäben sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit weitere – über das Erfordernis krankheitsbedingter Einsichtsunfähigkeit – hinausgehende Anforderungen. Diese beträfen insbesondere die Art und Dauer der Behandlung, die ärztliche Aufklärung, die Ankündigung, Anordnung und Überwachung der Maßnahme sowie die Dokumentation und die verfahrensmäßigen Sicherungen. Schließlich müssten die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Eingriffs in einer gesetzlichen Grundlage hinreichend klar und bestimmt geregelt sein.265 Die Betroffenen müssten die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach ausrichten können.266 Auch die gesetzesausführende Verwaltung müsse für ihr Verhalten steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe vorfinden.267 Die Anforderungen an den Grad der Klarheit und Bestimmtheit seien hierbei umso strenger, je intensiver der Grundrechtseingriff ist, den eine Norm vorsieht.268 Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass unter Berücksichtigung dieser aufgestellten Maßstäbe § 6 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 MVollzG Rheinland-Pfalz keine ausreichende gesetzliche Grundlage für eine Zwangsbehandlung darstellt. Insbesondere fehle es an einer gesetzlichen Regelung des bei Zwangsbehandlungen zur Erreichung des Vollzugsziels unabdingbaren Erfordernisses krankheitsbedingt fehlender Einsichtsfähigkeit.269 bb) Beschluss vom 12. Oktober 2011, Az: 2 BvR 633/11270 Das Verfahren hatte eine Verfassungsbeschwerde betreffend die Zwangsbehandlung eines im Maßregelvollzug Untergebrachten auf Grundlage des § 8 Abs. 2 S. 2 des baden-württembergischen UBG zum Gegenstand. § 8 Abs. 2 des baden-württembergischen UBG lautet: „Der Untergebrachte ist über die beabsichtigte Untersuchung oder Behandlung angemessen aufzuklären. Er hat diejenigen Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen zu dulden, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich sind, um die Krankheit zu untersuchen und zu behandeln, soweit die Untersuchung nicht unter Absatz 3 fällt.“ 264 265 266 267 268 269 270
BVerfG, NJW 2011, 2113, 2116. BVerfG, NJW 2011, 2113, 2119. BVerfG, NJW 2011, 2113, 2119. BVerfG, NJW 2011, 2113, 2119. BVerfG, NJW 2011, 2113, 2119. BVerfG, NJW 2011, 2113, 2119. BVerfG, NJW 2011, 3571.
V. Zwangsmaßnahmen auf Grundlage der Unterbringungsgesetze der Länder 195
Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass § 8 Abs. 2 S. 2 des badenwürttembergischen UBG mit Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar und nichtig ist. Für die in Rede stehende Zwangsbehandlung fehle es daher an einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden gesetzlichen Grundlage. Zur Begründung der Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht im Wesentlichen auf die Entscheidungsgründe des Beschlusses vom 23. März 2011271 Bezug genommen. Auch § 8 Abs. 2 S. 2 UBG Baden-Württemberg könne bereits deshalb keine geeignete Eingriffsgrundlage darstellen, da nach dieser Vorschrift die medizinische Zwangsbehandlung des Untergebrachten zur Erreichung des Vollzugsziels nicht, wie verfassungsrechtlich geboten, auf die Fälle seiner krankheitsbedingt fehlenden Einsichtsfähigkeit begrenzt ist. cc) Rückschlüsse aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf die Eingriffsgrundlagen für Zwangsbehandlungen im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung Die jüngste Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt einen „Paukenschlag“ in Bezug auf Zwangsbehandlungen im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung272 dar.273 Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 23. März 2011274 insbesondere zwei Voraussetzungen aufgestellt, die eine verfassungsgemäße Eingriffsgrundlage erfüllen muss. Zum einen müssen neben den unmittelbaren materiellen Eingriffsvoraussetzungen auch weitere wesentliche zur Wahrung der Grundrechte notwendige verfahrensrechtliche Eingriffsvoraus-
271
BVerfG, NJW 2011, 2113. Auch die Diskussion darüber, ob § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB eine hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage zur Zwangsbehandlung nach BGB darstellt, wurde durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts neu entfacht. Der Bundesgerichtshof hat nunmehr in NJW 2012, 2012, 2967 in Abkehr zu seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB keine geeignete Eingriffsgrundlage darstellt. Vgl. zu dieser Diskussion auch Bienwald, FPR 2012, 4, 8; ebenfalls von einer fehlenden Ermächtigungsgrundlage ausgehend LG Stuttgart, Beschluss vom 16. Februar 2012, Az: 2 T 35/12; AG Frankfurt, Beschluss vom 29. Februar 2012, Az: 49 XVII HOF 399/12; AG Ludwigsburg, Beschluss vom 30. Januar 2012, Az: 8 XVII 58/ 12; AG Bremen, Beschluss vom 16. Januar 2012, Az: 41 XVII A 89/03; AG Bremen, Beschluss vom 16. Dezember 2012, Az: 44 XVII L 141/05; AG Ludwigsburg, Beschluss vom 18. Mai 2011, Az: 8 XVII 257/11. 273 Vgl. auch den Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 2011, Az: 2 BvR 2362/11 wonach jedenfalls nachdem durch den Senatsbeschluss vom 23. März 2011, Az: 2 BvR 882/09 die wesentlichen Anforderungen an die gesetzlichen Grundlagen einer Zwangsbehandlung geklärt sind, von den Fachgerichten erwartet wird, dass sie diese bei Entscheidungen, die die Zwangsbehandlung von Untergebrachten betreffen, von Amts wegen im Auge behalten und entsprechend verfahren. 274 BVerfG, NJW 2011, 2113. 272
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
setzungen im Gesetz verankert werden.275 Zum anderen muss auch das unabdingbare Erfordernis krankheitsbedingt fehlender Einsichtsfähigkeit gesetzlich geregelt sein.276 Vor allem im Hinblick auf das Erfordernis der gesetzlichen Verankerung der krankheitsbedingt fehlenden Einsichtsfähigkeit bestehen erhebliche Bedenken, ob die Eingriffsgrundlagen in den Unterbringungsgesetzen der Länder den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen.277 Insbesondere auch in den Ländern, die grundsätzlich vom Erfordernis der Einwilligung ausgehen, enthält das Gesetz Ausnahmen, in denen eine Behandlung auch ohne Einwilligung erfolgen kann.278 Meist ist dies der Fall bei dem Bestehen der Gefahr einer erheblichen Schädigung der Gesundheit oder für das Leben des Betroffenen.279 Von dieser Ausnahme wird zwar vielmals eine weitere Ausnahme für ärztliche Eingriffe und Behandlungsverfahren gemacht, die mit Lebensgefahr oder einer erheblichen Gefahr für 275
BVerfG, NJW 2011, 2113, 2117 ff. BVerfG, NJW 2011, 2113, 2119. 277 Vgl. hierzu auch Olzen/Metzmacher, BtPrax 2011, 233, 236; vgl. in Bezug auf § 17 S. 1 und S. 2 FrhEntzG Hessen bereits LG Darmstadt, Beschluss vom 19. Dezember 2011, Az: 5 T 646/11. 278 § 30 Abs. 2 S. 2 PsychKG Berlin; § 18 Abs. 2 S. 4 PsychKG Brandenburg; § 22 Abs. 3 PsychKG Bremen; § 23 Abs. 2 S. 2 PsychKG Mecklenburg-Vorpommern; § 21 Abs. 3 PsychKG Niedersachsen; § 18 Abs. 4 PsychKG Nordrhein-Westfalen; § 13 Abs. 2 UBG Saarland; § 22 Abs. 1 S. 1 PsychKG Sachsen; § 14 Abs. 4 PsychKG Schleswig-Holstein; § 12 Abs. 3 PsychKG Thüringen. 279 § 30 Abs. 2 S. 2 PsychKG Berlin und § 18 Abs. 2 S. 4 PsychKG Brandenburg sprechen insoweit von „unaufschiebbaren Behandlungsmaßnahmen“; nach § 22 Abs. 3 PsychKG Bremen ist eine Behandlung ohne Einwilligung bei gegenwärtiger Gefahr für das Leben oder die Gesundheit des Patienten oder Dritter zulässig; nach § 23 Abs. 2 S. 2 PsychKG Mecklenburg-Vorpommern ist eine Behandlung ohne Einwilligung zulässig, wenn sich der Betroffene in einem Zustand befindet, in dem ohne sofortige Behandlung eine erhebliche und unmittelbare Gefahr für Leben oder Gesundheit der kranken Person oder Dritter besteht; sehr weitgehend ist die Rechtslage in § 21 Abs. 3 PsychKG Niedersachsen, wonach die untergebrachte Person eine Heilbehandlung zu dulden hat, wenn diese notwendig ist, um diejenige Krankheit oder Behinderung zu heilen oder zu lindern, wegen derer sie untergebracht ist, oder die Gesundheit anderer zu schützen; nach § 18 Abs. 4 PsychKG Nordrhein-Westfalen ist eine Behandlung gegen den Willen der Person oder des gesetzlichen Vertreters nur in den Fällen von Lebensgefahr, von erheblicher Gefahr für die eigene und für die Gesundheit anderer Personen zulässig; nach § 13 Abs. 2 UBG Saarland sind medizinische Eingriffe oder Behandlungsmaßnahmen ohne Einwilligung nur zulässig, wenn mit einem Aufschub eine akute Gefahr für das Leben oder eine schwerwiegende und dauernde Gesundheitsbeeinträchtigung verbunden ist; gemäß § 22 Abs. 2 S. 2 PsychKG Sachsen ist eine Behandlung ohne Einwilligung nur zulässig, wenn durch den Aufschub das Leben oder die Gesundheit des Patienten erheblich gefährdet wird; nach § 14 Abs. 4 PsychKG Schleswig-Holstein sind ärztliche Eingriffe nur dann ohne Einwilligung zulässig, wenn sie erforderlich sind, um von dem untergebrachten Menschen eine nicht anders abwendbare gegenwärtige Gefahr einer erheblichen Schädigung seiner Gesundheit oder für sein Leben abzuwenden; nach § 12 Abs. 3 PsychKG Thüringen ist eine Behandlung ohne die Einwilligung der untergebrachten Person oder ihres Betreuers bei gegenwärtiger Gefahr für das Leben oder die Gesundheit des Patienten oder Dritter zulässig. 276
V. Zwangsmaßnahmen auf Grundlage der Unterbringungsgesetze der Länder 197
die Gesundheit verbunden sind, so dass es in diesen Fällen beim Erfordernis der Einwilligung verbleibt.280 Dies ändert jedoch nichts an dem Umstand, dass in anderen Fällen nach wortlautgenauer Anwendung der Vorschrift eine Behandlung auch ohne Einwilligung – und vor allem unabhängig von der Fähigkeit des Betroffenen zur Einsicht in die Behandlung – erfolgen kann. Ein solches Ergebnis steht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts281 mit der Verfassung nicht in Einklang. Diese weitreichende Feststellung soll nachfolgend am Beispiel des § 22 PsychKG Sachsen näher erörtert werden:282 Betrachtet man zunächst die Struktur der Vorschrift, so ist im Grundsatz gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 PsychKG Sachsen davon auszugehen, dass zu allen erforderlichen Behandlungsmaßnahmen grundsätzlich das Einverständnis des Patienten oder seines gesetzlichen Vertreters einzuholen ist. Von diesem Grundsatz bildet § 22 Abs. 1 S. 2 PsychKG Sachsen eine Ausnahme. Liegt danach eine wirksame Zustimmung des Betroffenen oder eine Einwilligung des Betreuers mit dem Aufgabenkreis der Gesundheitsfürsorge nicht vor, so dürfen die Behandlung und die dafür notwendigen Untersuchungen ohne Einwilligung des Patienten nur durchgeführt werden, wenn durch den Aufschub das Leben oder die Gesundheit des Patienten erheblich gefährdet wird. Sofern ärztliche Maßnahmen nach § 22 Abs. 1 S. 1 PsychKG Sachsen oder § 22 Abs. 1 S. 2 PsychKG Sachsen jedoch mit einem operativen Eingriff oder einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit verbunden sind, sind diese gemäß § 22 Abs. 2 PsychKG Sachsen generell nur nach wirksamer Einwilligung des Patienten oder seines gesetzlichen Vertreters erlaubt. Die Maßnahmen können mithin danach unterschieden werden, ob eine Einwilligung des Betroffenen oder seines gesetzlichen Vertreters erforderlich ist oder nicht. Hält man sich die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an eine verfassungsgemäße Eingriffsgrundlage vor Augen, so sind insbesondere die Maßnahmen auf Grundlage des § 22 Abs. 1 S. 2 PsychKG Sachsen problematisch. Zwar ist die Vorschrift insoweit als Ausnahme ausgestaltet, als dass auf das Erfordernis der Einwilligung des Betroffenen oder seines gesetzlichen Vertreters nur dann verzichtet werden kann, wenn durch den Aufschub der Maßnahme das Leben oder die Gesundheit des Patienten erheblich gefährdet wird. Zudem ist 280 § 30 Abs. 3 PsychKG Berlin; § 23 Abs. 2 PsychKG Mecklenburg-Vorpommern; § 20 Abs. 3 PsychKG Rheinland-Pfalz; § 22 Abs. 2 PsychKG Sachsen; § 14 Abs. 3 PsychKG Schleswig-Holstein; nach § 18 Abs. 3 PsychKG Brandenburg soll die Maßnahme jedoch dann wiederum ohne Einwilligung vorgenommen werden können, wenn mit einem Aufschub Gefahr verbunden ist. 281 BVerfG, NJW 2011, 2113. 282 Die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift nicht abschließend entscheidend BVerfG, Beschluss vom 10. Februar 2012, Az: 2 BvR 228/12 sowie BVerfG, BtPrax 2012, 61.
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
auch bei Maßnahmen auf Grundlage des § 22 Abs. 1 S. 2 PsychKG Sachsen eine Einwilligung des Patienten oder gesetzlichen Vertreters erforderlich, wenn die ärztlichen Eingriffe und Behandlungsverfahren mit einem operativen Eingriff oder einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit verbunden sind. Dies bedeutet jedoch im Umkehrschluss, dass Maßnahmen, die nicht mit einem operativen Eingriff oder einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit verbunden sind, stets dann ohne Einwilligung zulässig sind, wenn durch den Aufschub der Maßnahme das Leben oder die Gesundheit des Patienten erheblich gefährdet wird. Die Zulässigkeit dieses Eingriffs ist nach der Ausgestaltung der Eingriffsgrundlage mithin unabhängig von der krankheitsbedingten Einsichtsunfähigkeit des Betroffenen. Anders formuliert, kann der Betroffene bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 22 Abs. 1 S. 2 PsychKG Sachsen auch dann gegen seinen Willen behandelt werden, wenn er noch die zu einer Einwilligungsfähigkeit erforderliche Einsicht besitzt und den Eingriff daher frei willensbestimmt ablehnt. Genau dies steht jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts283 nicht mit der Verfassung im Einklang. Auch kann diesen Mängeln der gesetzlichen Regelung nach den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts nicht im Wege verfassungskonformer Auslegung abgeholfen werden.284 Die verfassungsrechtlichen Defizite können vielmehr – so das Bundesverfassungsgericht – nur durch den Gesetzgeber behoben werden.285 Zusammenfassend kann danach festgehalten werden, dass (auch) § 22 Abs. 1 S. 2 PsychKG Sachsen verfassungswidrig und somit nichtig ist.286 c) Auswirkungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf den Fortgang der Untersuchung Das Vorhaben, die Möglichkeiten der Einflussnahme durch Patientenverfügungen und sonstige Vorausverfügungen auf Zwangsbehandlungen nach dem PsychKG zu untersuchen, erweist sich vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts287 als schwierig. Da nach der hier vertretenen Auffassung § 22 Abs. 1 S. 2 PsychKG Sachsen bereits aufgrund der fehlenden Kodifizierung des Erfordernisses der krankheitsbedingten Einsichtsunfähigkeit verfassungswidrig ist288, kann bereits aus diesem Grund eine Zwangsbehandlung auf Basis dieser Eingriffsgrundlage nicht zulässigerweise erfolgen. 283
BVerfG, NJW 2011, 2113. BVerfG, NJW 2011, 2113. 285 BVerfG, NJW 2011, 2113. 286 Siehe zur Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit des § 22 PsychKG Sachsen nunmehr auch ausdrücklich BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2013, Az: 2 BvR 228/12. 287 BVerfG, NJW 2011, 2113. 288 Vgl. hierzu auch BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2013, Az: 2 BvR 228/12. 284
V. Zwangsmaßnahmen auf Grundlage der Unterbringungsgesetze der Länder 199
Auch wenn sich damit eine Prüfung der Einflussnahmemöglichkeiten durch Patientenverfügungen und sonstige Vorausverfügungen auf die Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen nach dieser Vorschrift erübrigt haben dürfte, bleibt die grundsätzliche Frage, ob und inwieweit Patientenverfügungen oder sonstige Vorausverfügungen bei Zwangsbehandlungen berücksichtigt werden müssen, offen. Alleine die Feststellung der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 2 PsychKG Sachsen erscheint vor diesem Hintergrund unbefriedigend. Spätestens dann, wenn die Länder die Regelungen über die Zwangsbehandlung nach den Unterbringungsgesetzen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angepasst haben und das Erfordernis der krankheitsbedingten Einsichtsunfähigkeit ausdrücklich in die Gesetze aufgenommen wurde, wird die Frage der Einflussnahmemöglichkeiten durch Patientenverfügungen oder sonstige Vorausverfügungen auf die Zulässigkeit der Zwangsbehandlung wieder aufkommen. Im Folgenden wird daher insoweit eine abstrakte Prüfung der Einflussnahmemöglichkeiten durch Patientenverfügungen und sonstige Vorausverfügungen auf Zwangsbehandlungen im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung vorgenommen, als dass das Vorliegen einer wirksamen, den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden, Eingriffsgrundlage unterstellt wird. Hierbei wird sich obiger Fallgruppeneinteilung bedient289, wobei zwei Konstellationen näher erörtert werden sollen: Zum einen wird die Einflussnahmemöglichkeit auf Zwangsbehandlungen auf der Grundlage der Fallgruppe 1, bei denen im Tatbestand der Eingriffsgrundlage an die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters angeknüpft wird, untersucht. Im Anschluss daran erfolgt die Prüfung der Einflussnahmemöglichkeiten auf die Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen auf Grundlage der Fallgruppe 3, die im Tatbestand der Eingriffsgrundlage keine Einwilligung des Betreuers vorsehen.290 Unterstellt wird zudem, dass im Zeitpunkt der Vornahme des Eingriffs der Betroffene krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage ist, selbst die erforderliche Einwilligung zu erteilen oder zu versagen. Weitere Prämisse der nachfolgenden Untersuchung ist, dass durch den Aufschub der Behandlung das Leben oder die Gesundheit des Patienten erheblich gefährdet wird. d) Anwendbarkeit des § 1901a BGB auf die Fallgruppen 1 und 3 Hinsichtlich der Maßnahmen der Fallgruppe 1 (medizinische Maßnahme, Einwilligung des Betreuers Voraussetzung) findet § 1901a Abs. 1 und Abs. 2 BGB unmittelbar Anwendung. Liegt mithin eine wirksame Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 BGB, in der die medizinische Maßnahme abgelehnt wird, vor, so 289
Vgl. S. 184 ff. Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müsste in diesen Eingriffsgrundlagen dann das Erfordernis der krankheitsbedingten Einsichtsunfähigkeit ausdrücklich enthalten sein. 290
200
D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
ist der Betreuer gehalten, den in der Patientenverfügung festgehaltenen Willen zu beachten und durchzusetzen.291 Gleiches gilt für Äußerungen, die über § 1901a Abs. 2 BGB beachtlich sind, und mit denen die in Rede stehenden medizinischen Maßnahmen abgelehnt werden. Der Betreuer darf daher in diesen Fällen die erforderliche Einwilligung nicht erteilen.292 Da die Einwilligung in den Fällen der Fallgruppe 1 eine Tatbestandsvoraussetzung für die Eingriffsgrundlage darstellt, kann die medizinische Maßnahme nicht zulässigerweise erfolgen. Weniger eindeutig ist die Rechtslage in Bezug auf Maßnahmen nach der Fallgruppe 3 (medizinische Maßnahme, Einwilligung des Betreuers keine Voraussetzung), bei denen jedenfalls im Tatbestand eine Einwilligung des Betreuers nicht vorausgesetzt wird. § 1901a Abs. 1 und Abs. 2 BGB sind hier zwar im Grundsatz anwendbar, da eine medizinische Maßnahme in Rede steht. Da die Einwilligung des Betreuers jedoch nicht zu den Tatbestandsvoraussetzungen der Eingriffsgrundlage zählt, ist für die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit maßgeblich, ob eine Patientenverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB oder eine Vorausverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 2 BGB vorliegt. Nur im Falle des Vorliegens einer hinreichend bestimmten Patientenverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB haben die Festlegungen unabhängig von der Anknüpfung an eine Einwilligung des Betreuers unmittelbare Relevanz. Als Zwischenergebnis kann daher festgehalten werden, dass durch eine Patientenverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB die Maßnahme verhindert werden kann. Davon unabhängig ist jedoch auch beim Nichtvorliegen einer hinreichend bestimmten Patientenverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB die Frage zu prüfen, ob die Festlegungen einer Vorausverfügung gemäß § 1901a Abs. 2 BGB nicht aus anderen Gründen berücksichtigt werden müssen, was nachfolgend untersucht wird. e) Einflussnahme auf die Zulässigkeit einer Maßnahme nach der Fallgruppe 3 durch Vorausverfügungen außerhalb des Anwendungsbereichs des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB Fraglich ist, ob durch eine sonstige Vorausverfügung, die den Anforderungen des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB mangels hinreichender Bestimmtheit nicht genügt, auf die Zulässigkeit einer Maßnahme nach der Fallgruppe 3 Einfluss genommen werden kann.
291 So auch Hoffmann/Klie, Freiheitsentziehende Maßnahmen im Betreuungs- und Kindschaftsrecht, S. 17. 292 So auch Hoffmann/Klie, Freiheitsentziehende Maßnahmen im Betreuungs- und Kindschaftsrecht, S. 17.
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Da sich eine Pflicht zur Beachtung einer Vorausverfügung außerhalb des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB nicht unmittelbar aus der Eingriffsgrundlage ergibt, kann diese lediglich aus übergeordneten Gründen, namentlich aus dem Verfassungsrecht, hergeleitet werden. Nachfolgend muss daher untersucht werden, ob die Zwangsbehandlung entgegen einer Vorausverfügung verfassungsgemäß ist. aa) Verstoß gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Eine medizinische Zwangsbehandlung stellt – wie auch das Bundesverfassungsgericht in jüngster Zeit ausführte293 – einen Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG dar. Auch steht dem Eingriffscharakter nicht entgegen, dass die ärztliche Behandlung zum Zwecke der Heilung vorgenommen wird.294 Die Eingriffsqualität entfällt auch nicht bereits dann, wenn der Betroffene der abgelehnten Behandlung keinen physischen Widerstand entgegensetzt, insbesondere kann das bloße Aufgeben einer bestimmten Form des Protests nicht ohne Weiteres als Zustimmung gedeutet werden.295 Auch die krankheitsbedingte Einsichtsunfähigkeit eines Untergebrachten ändert nichts am Eingriffscharakter.296 Kern des Rechts auf körperliche Unversehrtheit ist, grundsätzlich selbst bestimmen zu dürfen, wann der Staat in die körperliche Unversehrtheit eingreifen darf und wann nicht.297 Dem Einzelnen steht es daher grundsätzlich von Verfassungs wegen frei, die Zustimmung zu einem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit zu erteilen oder aber zu versagen. Zu dem traditionellen Gehalt des Rechts auf körperliche Unversehrtheit gehört daher auch der Schutz gegen staatliche Zwangsbehandlung.298 Allerdings ist das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nicht schrankenlos gewährleistet.299 Vielmehr kann gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG in dieses Recht aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden. Der Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit ist hierbei zunächst geeignet und erforderlich, da durch die Maßnahme eine bestehende Gefahr für das Leben und die Gesundheit des Betroffenen abgewendet wird und mildere Mittel nicht ersichtlich sind. Insbesondere stellt die Unterbringung allein kein 293 294 295 296 297 298 299
S. 30.
BVerfG, NJW 2011, 2113. BVerfG, NJW 2011, 2113; BVerfGE 89, 120, 130; BVerfG, NJW 1997, 3085. BVerfG, NJW 2011, 2113. BVerfG, NJW 2011, 2113. BVerfG, NJW 2011, 2113. BVerfG, NJW 2011, 2113; BVerfGE 79, 174, 201. Vgl. hierzu auch Panagopoulou-Koutnatzi, Die Selbstbestimmung des Patienten,
202
D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
gleich geeignetes Mittel dar, da hierdurch die Gefährdung, die durch den Aufschub der Behandlung entsteht, nicht abgewendet werden kann. Der vorgenommene Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG muss jedoch seinerseits wiederum dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Verfassungsgemäßer Zweck der Eingriffsgrundlage ist, eine erhebliche Gefährdung für das Leben oder die Gesundheit des Patienten zu verhindern. Die Eingriffsgrundlage hat offensichtlich fürsorglichen Charakter. Bei der Frage, ob ein solcher fürsorglicher Eingriff verhältnismäßig ist, kann die Fähigkeit des Betroffenen in Bezug auf die in Rede stehende Maßnahme eine frei verantwortliche Entscheidung zu treffen, nicht unberücksichtigt bleiben.300 Lehnt daher der Betroffene frei willensbestimmt den Eingriff in die körperliche Unversehrtheit ab, so kann eine zwangsweise Heilbehandlung nicht mit paternalistischen Erwägungen gerechtfertigt werden.301 Auch wenn der Staat der Auffassung ist, er wüsste besser, welche Behandlung zum Wohle des Betroffenen notwendig ist, gehört es zum Kernbereich des Rechts auf körperliche Unversehrtheit die Zustimmung auch zu solche Eingriffen verweigern zu dürfen. Eine aufgezwängte Heilbehandlung entgegen dem freien Willen des Betroffenen ist daher unzulässig. Fraglich ist, ob dies auch dann gilt, wenn der Betroffene im Zeitpunkt der Vornahme der Maßnahme krankheitsbedingt einsichtsunfähig ist, jedoch eine im Zustand der freien Willensbestimmung verfasste Vorausverfügung vorliegt, durch die die in Rede stehende Maßnahme abgelehnt wird. Der einzige Punkt, der in diesem Fall einer Unzulässigkeit der Zwangsbehandlung im Wege stehen könnte, wäre die zeitliche Diskrepanz, mit der die Zustimmung zu dem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit untersagt wird. Insofern ist vordergründig eine Parallele zu den Fällen zu erkennen, in denen der Betroffene in einer Vorausverfügung eine Unterbringung zum Selbstschutz abgelehnt hat. Da nach hier vertretener Auffassung302 eine Unterbringung wegen Selbstgefährdung auf Grundlage des § 10 Abs. 2 PsychKG Sachsen nicht wirksam durch das Abfassen einer Vorausverfügung verhindert werden kann, bedarf es besonderer Gründe, im Falle der Ablehnung einer Heilbehandlung anders zu entscheiden. Diese besonderen Gründe sind vorliegend jedoch gegeben, da der Inhalt der jeweiligen Vorausverfügung wesensverschieden ist. Während es im Fall der Ablehnung einer Heilbehandlung um den unmittelbaren Kernbereich des Rechts auf körperliche Unversehrtheit geht, steht im Falle der Ablehnung der Unterbringung – die im Übrigen isoliert keinen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar300
Vgl. hierzu bereits BVerfGE 58, 208, 225. So auch Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 101; ebenso Popp, Zwangsbehandlung von psychisch Kranken im Betreuungsrecht, S. 78. 302 Vgl. hierzu S. 190 f.; zur Unterbringung wegen Selbstgefährdung auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB vgl. S. 150 ff. 301
V. Zwangsmaßnahmen auf Grundlage der Unterbringungsgesetze der Länder 203
stellt – die Forderung an den Staat im Raum, den Betroffenen nicht an einem krankheitsbedingten selbstschädigenden Verhalten zu hindern. Während bei der Ablehnung einer Heilbehandlung die Versagung der Zustimmung durchaus fortwirkt und daher ein Rückgriff auf einen mutmaßlichen Willen oder eine gesetzliche Duldungspflicht ausgeschlossen ist, kann ein freier Willensentschluss sich selbst zu schädigen nicht dazu führen, dass der Staat einen Menschen daran hindern darf, sich krankheitsbedingt – und genau hier liegt die Differenzierung – einen Schaden zuzufügen. Für staatlichen Paternalismus ist kein Raum, wenn ihm ein freier Wille des Betroffenen entgegensteht. Wenn es indes darum geht, ein selbstschädigendes Verhalten zu unterbinden, welches auf einem krankheitsbedingten Willensentschluss beruht, ist Raum für paternalistisches Staatshandeln gegeben. Um es nochmals zu verdeutlichen: Im Falle einer Verhinderung einer krankheitsbedingten Selbstschädigung durch Unterbringung (nicht Zwangsbehandlung) entgegen einer frei willensbestimmt verfassten Vorausverfügung wird der Betroffene nicht daran gehindert, eine frei willensbestimmte Handlung, sondern eben nur eine krankheitsbedingte Handlung vorzunehmen. Die Absicht, eine krankheitsbedingte erheblich selbstschädigende Handlung vornehmen zu dürfen, ist jedoch nicht schutzwürdig. Bei der Versagung der Heilbehandlung hingegen ist eine weitere Handlung des Betroffenen, die verhindert werden könnte, nicht ersichtlich. Es bleibt vielmehr beim Fortwirken des Willens, der weiterhin als Ausfluss des Rechts auf körperliche Unversehrtheit zu respektieren ist. bb) Ergebnis der Grundrechtsprüfung Es kann daher festgehalten werden, dass eine Zwangsbehandlung entgegen einem aktuell geäußerten oder vorher in einer wirksamen Vorausverfügung festgehaltenen freien Willen einen nicht gerechtfertigten Verstoß gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG darstellt. Der Einzelne kann daher durch das Abfassen einer wirksamen Vorausverfügung eine Zwangsbehandlung verhindern. Für eine Zwangsbehandlung ist immer dann kein Raum, wenn ein entgegenstehender freier Wille des Betroffenen – sei es durch aktuelle Äußerung oder durch Vorausverfügung – feststeht. f) Zusammenfassung der Einflussnahmemöglichkeiten Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass Zwangsbehandlungen, die den Zweck verfolgen, das Leben oder die Gesundheit des Betroffenen zu schützen, durch das Abfassen von Vorausverfügungen wirksam verhindert werden können. In der untersuchten Fallgruppe 1 folgt dieses Ergebnis unmittelbar aus der Vorschrift des § 1901a BGB, da der Tatbestand der Eingriffsgrundlage an eine
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
Betreuerentscheidung anknüpft. Der Betreuer ist gemäß § 1901a Abs. 1 oder ggf. auch Abs. 2 BGB an die Festlegungen des Betroffenen gebunden und hat diesen Geltung zu verschaffen. Bei Zwangsbehandlungen in der Fallgruppe 3 folgt dieses Ergebnis im Falle des Vorliegens einer Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB aus dieser Vorschrift und im Falle des Vorliegens einer (nur) sonstigen Vorausverfügung gemäß § 1901a Abs. 2 BGB unmittelbar aus dem Verfassungsrecht. Aus dem Recht auf körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ergibt sich, dass für eine fürsorgliche Zwangsbehandlung dann kein Raum ist, wenn der Betroffene diese Behandlung frei willensbestimmt – sei es aktuell oder in einer Vorausverfügung – abgelehnt hat. 6. Einflussnahme auf die Zwangsernährung nach dem PsychKG a) Situation in den Ländern Die meisten Unterbringungsgesetze der Länder enthalten keine speziellen Regelungen zur Frage der Zulässigkeit der Zwangsernährung.303 Lediglich die Unterbringungsgesetze Bremens, Sachsens, Sachsen-Anhalts und Thüringens enthalten entsprechende Vorschriften.304 Die Zulässigkeitsvoraussetzungen weichen nur geringfügig voneinander ab. Während in Bremen eine Ernährung gegen den Willen des Betroffenen nur zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr für das Leben des Betroffenen zulässig ist305, ist in Sachsen306, Sachsen-Anhalt307 und Thüringen308 neben einer Gefahr für das Leben auch eine Gefahr für die Gesundheit des Untergebrachten ausreichend. b) Auswirkungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf die Zulässigkeit der Zwangsernährung Die oben aufgezeigte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts309 hat auch unmittelbare Auswirkungen auf die Zulässigkeit der Zwangsernährung in 303 So in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein. 304 § 22 Abs. 6 PsychKG Bremen; § 22 Abs. 3 PsychKG Sachsen; § 17 Abs. 7 PsychKG Sachsen-Anhalt; § 12 Abs. 5 PsychKG Thüringen. 305 § 22 Abs. 6 PsychKG Bremen. 306 § 22 Abs. 3 PsychKG Sachsen erfordert eine gegenwärtige erhebliche Gefahr für das Leben oder die Gesundheit. 307 § 17 Abs. 7 PsychKG Sachsen-Anhalt erfordert eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit des Untergebrachten. 308 § 12 Abs. 5 PsychKG Thüringen erfordert eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit des Patienten. 309 Vgl. S. 193 ff.
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den Ländern. Da die Zwangsernährung einen Unterfall der Zwangsbehandlung darstellt, können die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Anforderungen an die Verfassungsmäßigkeit einer Eingriffsgrundlage zur Zwangsbehandlung auf Eingriffsgrundlagen betreffend einer Zwangsernährung übertragen werden. Konkret bedeutet dies, dass – um den Anforderungen der Verfassung Genüge zu tun – im Tatbestand der Eingriffsgrundlage geregelt sein muss, dass eine Zwangsbehandlung stets nur in den Fällen der krankheitsbedingten Einsichtsunfähigkeit in Betracht kommt. Gemessen hieran, stellen die Vorschriften zur Zwangsernährung in den Unterbringungsgesetzen der Länder – sofern diese gesondert geregelt sind310 – keine ausreichende gesetzliche Grundlage für den Eingriff dar. Insbesondere ist in keiner der Eingriffsgrundlagen das Erfordernis der krankheitsbedingten Einsichtsunfähigkeit geregelt. § 12 Abs. 5 PsychKG Thüringen regelt zwar, dass die Einrichtung zur Durchführung einer Zwangsernährung nicht verpflichtet ist, solange von einer freien Willensbestimmung des Patienten ausgegangen werden kann. Eine Eingrenzung der Tatbestandsvoraussetzungen dergestalt, dass die Maßnahme entgegen einer frei willensbestimmten Äußerung unzulässig ist, ergibt sich hieraus jedoch nicht. Zusammenfassend kann man daher festhalten, dass die bestehenden Vorschriften zur Zwangsernährung den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügen. c) Auswirkungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf den Fortgang der Untersuchung Das Vorhaben, die Möglichkeiten der Einflussnahme durch Patientenverfügungen und sonstige Vorausverfügungen auf die Zulässigkeit der Zwangsernährung nach dem PsychKG zu untersuchen, erweist sich vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – in Parallele zur Sachlage bei der Zwangsbehandlung – als schwierig. Da nach der hier vertretenen Auffassung § 22 Abs. 3 PsychKG Sachsen bereits aufgrund der fehlenden Kodifizierung des Erfordernisses der krankheitsbedingten Einsichtsunfähigkeit verfassungswidrig ist, kann bereits aus diesem Grund eine Zwangsernährung auf Basis dieser Eingriffsgrundlage nicht zulässigerweise erfolgen. Um jedoch unabhängig von der aktuellen Formulierung der Vorschrift des § 22 Abs. 3 PsychKG Sachsen die Einflussnahmemöglichkeiten durch Patientenverfügungen oder sonstige Vorausverfügungen auf Zwangsernährungen prüfen zu können, soll nachfolgend das Vorliegen einer wirksamen, den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden, Eingriffsgrundlage unterstellt werden. Auch hier soll sich obiger Fallgruppeneinteilung bedient werden311, wobei auch hier zwei Kon310 311
So lediglich in Bremen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Vgl. S. 184 ff.
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
stellationen näher betrachtet werden sollen: Zum einen wird die Einflussnahmemöglichkeit auf Zwangsernährungen auf der Grundlage der Fallgruppe 1, bei denen im Tatbestand der Eingriffsgrundlage an die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters angeknüpft wird, untersucht. Im Anschluss daran erfolgt die Prüfung der Einflussnahmemöglichkeiten auf die Zulässigkeit von Zwangsernährungen auf Grundlage der Fallgruppe 3, die im Tatbestand der Eingriffsgrundlage keine Einwilligung des Betreuers vorsehen.312 Unterstellt wird zudem, dass im Zeitpunkt der Vornahme des Eingriffs der Betroffene krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage ist, selbst die erforderliche Einwilligung zu erteilen oder zu versagen. Weitere Prämisse der nachfolgenden Untersuchung ist, dass durch den Aufschub der Ernährung das Leben oder die Gesundheit des Patienten erheblich gefährdet wird. d) Einflussnahme durch Patientenverfügungen oder sonstige Vorausverfügungen auf Zwangsernährungen nach den Unterbringungsgesetzen der Länder Da eine Zwangsernährung einen Unterfall der Zwangsbehandlung darstellt, kann aufgrund gleicher Vorgaben der zu prüfenden Fallkonstellationen vollumfänglich auf obiges Ergebnis313 betreffend der Zwangsbehandlung verwiesen werden. Gründe, die eine unterschiedliche Beurteilung der jeweiligen Sachverhalte rechtfertigen könnten, liegen nicht vor. e) Zusammenfassung der Einflussnahmemöglichkeiten Zusammenfassend kann daher auch hier festgehalten werden, dass Zwangsernährungen, die den Zweck verfolgen, das Leben oder die Gesundheit des Betroffenen zu schützen, durch das Abfassen von Vorausverfügungen wirksam verhindert werden können. In der Fallgruppe 1 folgt dieses Ergebnis unmittelbar aus der Vorschrift des § 1901a BGB, da der Tatbestand der Eingriffsgrundlage an eine Betreuerentscheidung anknüpft. Der Betreuer ist gemäß § 1901a Abs. 1 oder ggf. auch Abs. 2 BGB an die Festlegungen des Betroffenen gebunden und hat diesen Geltung zu verschaffen. Bei Zwangsernährungen in der Fallgruppe 3 folgt dieses Ergebnis im Falle des Vorliegens einer Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB aus dieser Vorschrift und im Falle des Vorliegens einer (nur) sonstigen Vorausverfügung gemäß § 1901a Abs. 2 BGB unmittelbar aus dem Verfassungsrecht. Aus dem Recht auf körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ergibt sich, dass für 312 Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müsste in diesen Eingriffsgrundlagen dann das Erfordernis der krankheitsbedingten Einsichtsunfähigkeit ausdrücklich enthalten sein. 313 Vgl. S. 203 f.
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eine fürsorgliche Zwangsbehandlung dann kein Raum ist, wenn der Betroffene diese Behandlung frei willensbestimmt – sei es aktuell oder in einer Vorausverfügung – abgelehnt hat. 7. Einflussnahme auf unterbringungsähnliche Maßnahmen nach dem PsychKG a) Situation in den Ländern Die Rechtslage in den Unterbringungsgesetzen der Länder ist uneinheitlich. So enthält das Freiheitsentziehungsgesetz Hessen keinerlei Regelungen in Bezug auf unterbringungsähnliche Maßnahmen. Überwiegend bestehen in den Ländern jedoch ausdrückliche Eingriffsgrundlagen für unterbringungsähnliche Maßnahmen314.315 Soweit die unterbringungsähnlichen Maßnahmen in den Gesetzen der Länder nicht explizit aufgegriffen sind, bestehen jedoch – mit Ausnahme des FrhEntzG Hessen und des PsychKG Niedersachsens316 – Regelungen über die Anwendung unmittelbaren Zwangs.317 Diejenigen Landesgesetze, die die unterbringungsähnlichen Maßnahmen ausdrücklich geregelt haben, sehen die Möglichkeit der Anwendung sowohl bei Selbst- als auch bei Fremdgefährdung vor.318 In Bayern und Baden-Württemberg findet sich keine Differenzierung zwischen Selbst- und Fremdgefährdung. In Bayern darf – nicht näher bestimmter – unmittelbarer Zwang gegen Untergebrachte angewendet werden, wenn dies zur Durchführung der Unterbringung oder einer Heilbehandlung319 oder von Maßnahmen der Sicherheit oder Ordnung in der Einrichtung erforderlich ist.320 Im Unterbringungsgesetz Baden-Württembergs findet sich lediglich die allgemeine Regelung, 314
In den Gesetzen meist als besondere Sicherungsmaßnahmen bezeichnet. § 29a PsychKG Berlin; § 21 PsychKG Brandenburg; § 31 PsychKG Bremen; § 18 PsychKG Hamburg; § 22 PsychKG Mecklenburg-Vorpommern; § 20 PsychKG Nordrhein-Westfalen; § 17 PsychKG Rheinland-Pfalz; § 31 PsychKG Sachsen; § 19 PsychKG Sachsen-Anhalt; § 16 PsychKG Schleswig-Holstein; § 14 PsychKG Thüringen. 316 In Niedersachsen ist lediglich in § 22 PsychKG allgemein die Freiheitsbeschränkung der Untergebrachten Person geregelt. Ob dies eine hinreichend konkrete Ermächtigungsgrundlage für unterbringungsähnliche Maßnahmen darstellt, darf bezweifelt werden. 317 So in Art. 19 UBG Bayern; § 12 UBG Baden-Württemberg; § 11 UBG Saarland. 318 § 29a PsychKG Berlin; § 21 PsychKG Brandenburg; § 31 PsychKG Bremen; § 18 PsychKG Hamburg; § 22 PsychKG Mecklenburg-Vorpommern; § 20 PsychKG Nordrhein-Westfalen; § 17 PsychKG Rheinland-Pfalz; § 31 PsychKG Sachsen; § 19 PsychKG Sachsen-Anhalt; § 16 PsychKG Schleswig-Holstein; § 14 PsychKG Thüringen. 319 Soweit der Betroffene zu deren Duldung verpflichtet ist. 320 Art. 19 Abs. 1 S. 1 UBG Bayern. 315
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
dass gegen Untergebrachte unmittelbarer Zwang nur dann angewendet werden darf, wenn der Untergebrachte zur Duldung der Maßnahme verpflichtet ist.321 Im Unterbringungsgesetz des Saarlandes findet sich zwar eine Differenzierung nach Selbst- oder Fremdgefährdung.322 Allerdings ist die Regelung nach dem Wortlaut nur auf unmittelbaren Zwang zur medizinischen Untersuchung und Behandlung der Person anwendbar.323 b) Anwendbarkeit des § 1901a BGB am Beispiel des § 31 PsychKG Sachsen Gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 PsychKG Sachsen darf der Patient nur solchen Sicherungsmaßnahmen unterworfen werden, die für den Zweck der Unterbringung und zur Vermeidung oder Beseitigung einer erheblichen Störung der Sicherheit oder Ordnung des Krankenhauses unerlässlich sind. Des Weiteren sind besondere Sicherungsmaßnahmen gemäß § 31 Abs. 2 PsychKG Sachsen zulässig, wenn nach dem Verhalten des Patienten oder aufgrund seines seelischen Zustands vermehrt die Gefahr von Flucht oder von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen oder von Selbsttötung oder Selbstverletzung besteht. Als besondere Sicherungsmaßnahmen kommen gemäß § 31 Abs. 1 S. 2 PsychKG Sachsen der Entzug oder das Vorenthalten von Gegenständen, die Beobachtung bei Nacht, die Absonderung von anderen Patienten, der Entzug oder die Beschränkung des Aufenthalts im Freien, die Unterbringung in einem besonders gesicherten Unterbringungsraum ohne gefährdende Gegenstände und die Fesselung in Betracht. Die besonderen Sicherungsmaßnahmen unterfallen damit der obigen Fallgruppe 4, da weder medizinische Maßnahmen im Raum stehen, noch im Tatbestand der Eingriffsgrundlage an eine Betreuerentscheidung angeknüpft wird. § 1901a Abs. 1 und 2 BGB ist auf diese Fallgruppe nicht anwendbar. Da es sich nicht um medizinische Maßnahmen handelt, ist der Anwendungsbereich des § 1901a BGB nicht eröffnet. Im Übrigen ist auch die Einwilligung eines Betreuers, der unmittelbarer Adressat der Festlegungen nach § 1901a Abs. 1 und Abs. 2 BGB ist, keine Tatbestandsvoraussetzung. c) Einflussnahme auf die Zulässigkeit einer Maßnahme nach § 31 PsychKG Sachsen durch Vorausverfügungen außerhalb des Anwendungsbereichs des § 1901a BGB Fraglich ist, ob durch eine sonstige Vorausverfügung, die nicht § 1901a BGB unterfällt, auf die Zulässigkeit einer besonderen Sicherungsmaßnahme nach § 31 321 322 323
§ 12 Abs. 1 S. 1 UBG Baden-Württemberg. § 11 Abs. 1 S. 1 UBG Saarland. § 11 Abs. 1 S. 1 UBG Saarland.
V. Zwangsmaßnahmen auf Grundlage der Unterbringungsgesetze der Länder 209
PsychKG Sachsen Einfluss genommen werden kann. Da die in § 31 Abs. 1 S. 2 PsychKG Sachsen aufgeführten Sicherungsmaßnahmen sämtlich nicht in das Recht auf körperliche Unversehrtheit eingreifen, kann sich eine Unzulässigkeit vornehmlich aus dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen ergeben. Hinsichtlich der Frage, ob eine Maßnahme, die der Betroffene in einer Vorausverfügung abgelehnt hat, gerechtfertigt ist, kann daher zunächst nach dem Zweck der Maßnahme differenziert werden. aa) Maßnahmen, die für den Zweck der Unterbringung unerlässlich sind Wie bereits oben festgestellt, kann der Betroffene die Unterbringung selbst durch das Abfassen einer Vorausverfügung nicht verhindern.324 Das Selbstbestimmungsrecht steht insoweit der Zulässigkeit der Unterbringung nicht entgegen.325 Für Maßnahmen, die für den Zweck der Unterbringung unerlässlich sind, muss daher grundsätzlich selbiges gelten, da von einer Unerlässlichkeit der Maßnahmen nur dann ausgegangen werden kann, wenn der Zweck der Unterbringung – und damit die Abwehr der krankheitsbedingten Selbstgefährdung oder der Fremdgefährdung – ohne die Maßnahmen nicht erreicht werden kann. bb) Maßnahmen zur Vermeidung oder Beseitigung einer erheblichen Störung der Sicherheit und Ordnung des Krankenhauses Auch Maßnahmen zur Vermeidung oder Beseitigung einer erheblichen Störung der Sicherheit und Ordnung des Krankenhauses kann der Betroffene nicht von vorne herein durch das Abfassen einer Vorausverfügung verhindern. Insbesondere kann das Selbstbestimmungsrecht nicht zur Begründung einer Einschränkung der Zulässigkeit der Maßnahmen angeführt werden, da der Einzelne nicht über die Sicherheit und Ordnung des Krankenhauses verfügen kann. Das Selbstbestimmungsrecht steht der Zulässigkeit einer solchen Maßnahme daher nicht entgegen. cc) Gefahr von Flucht Auch Maßnahmen zur Abwendung einer Flucht kann der Betroffene nicht durch das Abfassen einer Vorausverfügung wirksam verhindern. Die Maßnahmen dienen vielmehr dem Zweck, die Unterbringung zu ermöglichen. Wenn das Selbstbestimmungsrecht aber – wie festgestellt wurde326 – der Zulässigkeit der Unterbringung nicht entgegensteht, dann kann der Einzelne auch durch eine Vor324 325 326
Vgl. S. 191. Vgl. S. 188 ff. Vgl. S. 188 ff.
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
ausverfügung ergänzende Maßnahmen zu deren Sicherung nicht verhindern. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Maßnahmen – wie hier – nicht mit einem über die Unterbringung hinausgehenden Eingriff in die körperliche Unversehrtheit verbunden sind. Insoweit kann auf die Begründung hinsichtlich der Zulässigkeit der Unterbringung trotz entgegenstehender Vorausverfügung Bezug genommen werden.327 dd) Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen Die Rechtslage hinsichtlich der Beachtlichkeit von Vorausverfügungen bei Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen ist gleichlaufend mit der Beachtlichkeit von Vorausverfügungen bei der Unterbringung wegen Fremdgefährdung.328 Besondere Sicherungsmaßnahmen zur Verhinderung von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen können daher nicht durch das Abfassen einer Vorausverfügung verhindert werden. Die Rechte Dritter unterliegen auch hier unter keinem Gesichtspunkt der Dispositionsbefugnis des Betroffenen. Eine selbstbestimmte Gefährdung Dritter oder die Schädigung fremder Sachen akzeptiert die Rechtsordnung nicht. ee) Gefahr der Selbsttötung oder Selbstverletzung Hinsichtlich der Möglichkeiten der Einflussnahme durch Vorausverfügungen auf die Zulässigkeit von besonderen Sicherungsmaßnahmen ist zu differenzieren. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass kein Bedürfnis zum Ergreifen fürsorglicher Maßnahmen durch den Staat besteht, wenn der Einzelne in der Lage ist, seinen Willen frei zu bilden. Allerdings ist auch hier zu berücksichtigen, dass eine Unterbringung wegen Selbstgefährdung durch das Abfassen einer Vorausverfügung nicht verhindert werden kann.329 Dies wurde damit begründet, dass nach den Tatbestandsvoraussetzungen des § 10 Abs. 2 PsychKG Sachsen die Handlung, die der Staat durch die Unterbringung verhindern will, gerade nicht frei willensbestimmt, sondern vielmehr krankheitsbedingt sein muss. Entsprechendes muss auch in Bezug auf die Zulässigkeit einer besonderen Sicherungsmaßnahme wegen Gefahr der Selbsttötung oder Selbstverletzung gelten. Gefährdet der Betroffene sein Leben oder seine Gesundheit infolge der psychischen Krankheit und ist die Gefährdungslage somit nicht auf einen freien Willensentschluss des Betroffenen zurückzuführen, so kann der Betroffene die besonderen Sicherungsmaßnahmen auch nicht durch das Abfassen einer frei willensbestimmten Vorausverfügung verhindern.330 327 328 329 330
Vgl. hierzu S. 187 ff. Vgl. hierzu S. 189 f. Vgl. hierzu S. 190 f. Zur Begründung hierzu im Einzelnen S. 190 f.
V. Zwangsmaßnahmen auf Grundlage der Unterbringungsgesetze der Länder 211
Lediglich in den Fällen, in denen der Betroffene aktuell in der Lage ist, seinen Willen frei zu bilden und die Gefährdungslage diesem Willensbildungsprozess entspringt, wäre aus Gründen der Beachtlichkeit des Selbstbestimmungsrechts der Staat gehindert, gerechtfertigt durch einen Fürsorgegedanken, Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen. Beruht hingegen bereits die Unterbringung darauf, dass aufgrund des krankheitsbedingten Verhaltens des Betroffenen die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder einen Schaden zufügt, so erscheint dieser Fall äußerst theoretisch und allenfalls dann vorstellbar, wenn es einen Zustand gäbe, in dem der Betroffene sich in Bezug auf einen Willensbildungsprozess selbst krankheitsbedingt gefährdet und in Bezug auf einen anderen Willensbildungsprozess frei willensbestimmt selbst gefährdet. Ein anderer theoretisch denkbarer aber praktisch wenn überhaupt nur selten auftretender Fall wäre, dass der Betroffene wegen Fremdgefährdung untergebracht ist und sich im Rahmen der Unterbringung frei willensbestimmt selbst gefährdet. Jedoch wäre auch in diesen theoretischen Fällen, in denen sich der Betroffene im Rahmen einer zulässigen Unterbringung frei willensbestimmt selbst gefährdet, zu prüfen, ob nicht besondere Sicherungsmaßnahmen aus anderen Gründen, namentlich zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung des Krankenhauses, gerechtfertigt sein können. d) Zusammenfassung der Einflussnahmemöglichkeiten Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Zulässigkeit der besonderen Sicherungsmaßnahmen nach § 31 PsychKG Sachsen grundsätzlich nicht durch das Abfassen einer Vorausverfügung verhindert werden kann. Ausnahmen sind theoretisch allenfalls in den Fällen denkbar, in denen sich der Betroffene – im Rahmen einer zulässigen Unterbringung – frei willensbestimmt selbst gefährdet. In aller Regel käme jedoch auch dann eine besondere Sicherungsmaßnahme zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung des Krankenhauses in Betracht, so dass nach praktischem Verständnis auch in diesen Fällen die Maßnahmen durch Vorausverfügungen nicht wirksam verhindert werden können. 8. Zusammenfassung zu den Zwangsmaßnahmen auf Grundlage der Unterbringungsgesetze der Länder (ohne verfahrensrechtliche Maßnahmen) Durch das Abfassen einer Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügung kann eine öffentlich-rechtliche Unterbringung nicht verhindert werden. Dies gilt sowohl für die Unterbringung wegen Fremdgefährdung als auch für die Unterbringung wegen Selbstgefährdung. Zwangsbehandlungen und Zwangsernährungen zum Schutze des Lebens oder der Gesundheit des Betroffenen auf Grundlage der Unterbringungsgesetze kön-
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
nen hingegen durch eine im Zustand der freien Willensbestimmung verfasste Patientenverfügung oder sonstige Vorausverfügung wirksam untersagt werden. Besondere Sicherungsmaßnahmen, mit denen kein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit verbunden ist, können grundsätzlich nicht durch Vorausverfügungen untersagt werden. Ausnahmen sind theoretisch allenfalls in den Fällen denkbar, in denen sich der Betroffene – im Rahmen einer zulässigen Unterbringung – frei willensbestimmt selbst gefährdet. In aller Regel käme jedoch auch dann eine besondere Sicherungsmaßnahme zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung des Krankenhauses in Betracht, so dass nach praktischem Verständnis auch in diesen Fällen die Maßnahmen durch Vorausverfügungen nicht wirksam verhindert werden können.
VI. Verfahrensrechtliche Maßnahmen nach dem FamFG 1. Allgemeines Wie bereits oben ausgeführt, sind auch im FamFG Eingriffsgrundlagen zur Anwendung von Zwangsmitteln gegen den Betroffenen enthalten.331 In Betracht kommen die Vorführung zur Anhörung vor das Gericht auf Grundlage des § 278 Abs. 5 FamFG für das Betreuungsverfahren und auf Grundlage des § 319 Abs. 5 FamFG für das Unterbringungsverfahren, der Beschluss zur Einholung eines Sachverständigengutachtens auf Grundlage des § 280 Abs. 1 FamFG für das Betreuungsverfahren oder auf Grundlage des § 321 Abs. 1 FamFG für das Unterbringungsverfahren, die Untersuchungsanordnung und Vorführung zu einer Untersuchung durch den Sachverständigen auf Grundlage des § 283 Abs. 1 FamFG für das Betreuungsverfahren und auf Grundlage des § 322 FamFG für das Unterbringungsverfahren und die Unterbringung zur Begutachtung auf Grundlage des § 284 Abs. 1 FamFG für das Betreuungsverfahren und auf Grundlage des § 322 FamFG für das Unterbringungsverfahren. Die verfahrensrechtlichen Maßnahmen nach dem FamFG dienen der Aufklärung des Sachverhalts, der Grundlage für eine weitere Sachentscheidung auf Grundlage des BGB oder der Unterbringungsgesetze der Länder sein soll. Eine Besserung des Gesundheitszustands oder der Situation des Betroffenen ist mit den verfahrensrechtlichen Maßnahmen unmittelbar nicht bezweckt. Dies bleibt den ggf. zu treffenden weiteren Entscheidungen in materieller Hinsicht vorbehalten, dessen Tatsachengrundlage durch die Zwangsmaßnahmen nach dem FamFG gerade aufgeklärt werden soll. Im Folgenden soll untersucht werden, welchen Einfluss betroffene Personen durch das Abfassen einer Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügung 331 Vgl. zu den Zwangsmitteln im Betreuungs- und Unterbringungsverfahrensrecht auch Schmidt-Recla/Diener, FamRZ 2010, 696 ff.
VI. Verfahrensrechtliche Maßnahmen nach dem FamFG
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auf die Zulässigkeit der Zwangsmittel nehmen können. In der nachfolgenden Untersuchung soll die Zulässigkeit der Zwangsmittel an sich daher keiner grundsätzlichen Überprüfung unterzogen werden. Vielmehr wird unterstellt, dass die Zwangsmittel nach dem FamFG bei sachgemäßer Anwendung und Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich zulässig sind. Es sollen somit lediglich die Besonderheiten herausgearbeitet und überprüft werden, die sich aus dem Vorliegen einer Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügung ergeben. 2. Grundsatz der Amtsermittlung Gemäß § 26 FamFG hat das Gericht die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen. Die Entscheidungen über die Vornahme der verfahrensrechtlichen Zwangsmittel in Betreuungs- und Unterbringungssachen unterliegen daher dem Grundsatz der Amtsermittlung, dem im Gefüge des Verfahrens der Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine zentrale Bedeutung zukommt.332 a) Entscheidungserheblichkeit der zu ermittelnden Tatsachen Nach dem Wortlaut des § 26 FamFG müssen die zu ermittelnden Tatsachen entscheidungserheblich sein. Dies ist dann der Fall, wenn die zu ermittelnden Tatsachen für den Tatbestand oder die Rechtsfolge der für den jeweiligen Verfahrensgegenstand in Betracht kommenden materiellrechtlichen Norm von Bedeutung sind, also Einfluss auf das Ergebnis des Verfahrens haben können.333 b) Erforderlichkeit der Ermittlungen Die durchzuführenden Ermittlungen müssen auch erforderlich sein. Die Ermittlungen sind daher stets nur soweit einzuleiten oder durchzuführen, wie es die Sachlage im Einzelfall erfordert334, was der Richter nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden hat. 3. Auswirkungen der Zulässigkeit der materiellen Maßnahme auf die Zulässigkeit der verfahrensrechtlichen Zwangsmittel In aller Regel steht im Zeitpunkt der Vornahme der verfahrensrechtlichen Zwangsmaßnahme die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der materiellrechtlichen Maßnahme nicht fest. Die verfahrensrechtlichen Zwangsmaßnahmen dienen ge332 333 334
Borth, in: Musielak/Borth, FamFG, § 26 Rn. 1. Burschel, in: Hahne/Munzig, Beck’scher Online-Kommentar FamFG, § 26 Rn. 8. Burschel, in: Hahne/Munzig, Beck’scher Online-Kommentar FamFG, § 26 Rn. 9.
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
rade dazu, die Tatsachengrundlage für die Entscheidung über die materielle Maßnahme nach dem BGB oder den Unterbringungsgesetzen der Länder zu schaffen. Etwas anderes könnte sich jedoch in den Fällen ergeben, in denen bereits eine zweifellos wirksame Patientenverfügung oder sonstige Vorausverfügung vorliegt, aus der sich die Unzulässigkeit der beabsichtigten materiellen Maßnahme ergibt. So ist zum Beispiel der Fall denkbar, dass die Zwangsmaßnahmen zur Aufklärung der Tatsachengrundlage in Bezug auf eine Entscheidung über eine Unterbringung zur Durchführung einer Heilbehandlung auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB erfolgen sollen. Liegt hier bereits eine wirksame Patientenverfügung vor, die von vorne herein die Unzulässigkeit der Unterbringung gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB zur Folge hat, so können auch verfahrensrechtliche Zwangsmaßnahmen zur Tatsachenaufklärung in Bezug auf die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht zulässigerweise erfolgen. Grund hierfür ist, dass sich die Pflicht zur Amtsermittlung stets nur auf entscheidungserhebliche Tatsachen beziehen kann. Wenn jedoch feststeht, dass die ins Auge gefasste materiellrechtliche Maßnahme bereits aufgrund der entgegenstehenden Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügung unzulässig ist, können weitere Tatsachen, die durch die verfahrensrechtlichen Maßnahmen aufgeklärt werden sollen, nicht mehr entscheidungserheblich sein. Die Unzulässigkeit der materiellen Maßnahme hat in diesen Fällen somit im Wege des Rechtsreflexes die Unzulässigkeit der darauf bezogenen verfahrensrechtlichen Aufklärungsmaßnahme zur Folge. Auch unter Berücksichtigung des Amtsermittlungsgrundsatzes aus § 26 FamFG können die verfahrensrechtlichen Zwangsmaßnahmen in Bezug auf diese materiellrechtliche Maßnahme daher nicht erfolgen. Die nachfolgende Untersuchung bezieht sich daher lediglich auf solche Zwangsmaßnahmen, die zur Vorbereitung einer – auch bei Vorliegen einer Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügung – grundsätzlich zulässigen materiellen Maßnahme dienen. 4. Anwendbarkeit des § 1901a BGB auf verfahrensrechtliche Zwangsmaßnahmen Die Regelung des § 1901a BGB ist auf verfahrensrechtliche Zwangsmaßnahmen nicht unmittelbar anwendbar. § 1901a BGB steht systematisch im BGB, mithin im materiellen Recht, während es sich bei den Eingriffsbefugnissen aus dem FamFG ausschließlich um verfahrensrechtliche Regelungen handelt. Adressat des § 1901a BGB ist der Betreuer oder der Arzt. Abgesehen davon, dass es sich bei den in Rede stehenden Maßnahmen mit Ausnahme der Untersuchungsanordnung durch den Sachverständigen nach § 283 Abs. 1 S. 1 FamFG für das Betreuungsverfahren und § 322 FamFG i.V. m. § 283 Abs. 1 S. 1 FamFG für das Unterbringungsverfahren bereits nicht um ärztliche Maßnahmen handelt, werden die ver-
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fahrensrechtlichen Zwangsmaßnahmen vom Gericht angeordnet. Die Einwilligung des Betroffenen oder seines gesetzlichen Vertreters sind im Übrigen keine Tatbestandsvoraussetzungen für die Vornahme des konkreten Zwangsmittels.335 Auch trat das FamFG zeitgleich mit den Regelungen der §§ 1901a ff. BGB in Kraft. Sollten hier durch § 1901a BGB die Eingriffsbefugnisse nach dem FamFG eingeschränkt werden, hätte es nahe gelegen, diesbezüglich eine ausdrückliche Regelung zu treffen. Ob der Betroffene durch Vorausverfügungen Einfluss auf die Zulässigkeit einer verfahrensrechtlichen Maßnahme nach dem FamFG nehmen kann, kann sich daher nicht aus § 1901a BGB, sondern allenfalls aus übergeordnetem Recht, namentlich dem verfassungsrechtlichen Gehalt des Selbstbestimmungsrechts ergeben. 5. Einflussnahme auf die Zulässigkeit einer verfahrensrechtlichen Maßnahme durch Vorausverfügungen Zwang ist immer nur dann erforderlich, wenn sich der Betroffene weigert, freiwillig an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken. Demgemäß ist Wesen der Zwangsmittel, dass sie gegen den aktuell geäußerten Willen des Betroffenen erfolgen. Da der Sachverhalt durch die Zwangsmittel zunächst aufgeklärt werden muss, ist im Zeitpunkt der Anordnung des Zwangsmittels in aller Regel noch unklar, ob der geäußerte ablehnende Wille frei willensbestimmt oder krankheitsbedingt ist. Liegt jedoch eine wirksame Vorausverfügung vor, durch die die Zwangsmaßnahme abgelehnt wird, so steht im Gegensatz hierzu fest, dass jedenfalls zum Zeitpunkt des Abfassens der Vorausverfügung das Zwangsmittel frei willensbestimmt abgelehnt wurde. Diese Feststellung bedeutet jedoch nicht, dass diese frei willensbestimmte Ablehnung der Zwangsmittel ohne weiteres dergestalt fortwirkt, dass sie die Unzulässigkeit jeglicher Zwangsmittel zur Folge hat. Es wurde bereits festgehalten, dass die Anordnung von Zwangsmitteln dann nicht in Betracht kommt, wenn aufgrund einer Vorausverfügung bereits die Unzulässigkeit der beabsichtigten materiellen Maßnahme feststeht. In allen anderen Fällen, kann jedoch eine Vorausverfügung die Anordnung von Zwangsmitteln auf der Grundlage des FamFG nicht verhindern. Zur Begründung kann zunächst allgemein angeführt werden, dass das Verfahrensrecht im Betreuungs- und Unterbringungsverfahren als Amtsermittlungsver-
335 Mittelbar ist das Einverständnis des Betreuers – von den Fällen des § 1846 BGB einmal abgesehen – in Bezug auf die materiellen Maßnahmen auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 und Abs. 4 BGB erforderlich, da das Gericht den diesbezüglichen Antrag des Betreuers „lediglich“ genehmigt. Konkrete Tatbestandsvoraussetzung der jeweiligen verfahrensrechtlichen Eingriffsnorm ist das Einverständnis des Betreuers hingegen nicht.
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
fahren nicht der Dispositionsbefugnis der Betroffenen unterliegt. Dieses Argument – so nachvollziehbar es auch ist – hilft jedoch nicht über den Umstand hinweg, dass auch das Verfahrensrecht als einfaches Gesetzesrecht den verfassungsrechtlichen Vorgaben genügen muss. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der verfahrensrechtlichen Zwangsmaßnahmen ergibt sich jedoch aus folgenden Erwägungen: Die grundsätzliche Zulässigkeit der hier in Rede stehenden materiellen Maßnahmen336 entgegen einer Vorausverfügung wurde oben bereits erörtert und bejaht. Es wurde festgestellt, dass – sofern durch die Maßnahmen in das Selbstbestimmungsrecht eingegriffen wird – ein solcher Eingriff jedenfalls gerechtfertigt ist. Die Begründung der Rechtfertigung des Eingriffs durch die materielle Maßnahme kann auf die Rechtfertigung der verfahrensrechtlichen Zwangsmittel in Bezug auf ebendiese materielle Maßnahme übertragen werden. Eindeutig ist dieses Ergebnis, wenn durch die verfahrensrechtlichen Zwangsmittel nicht in weitere Rechtsgüter eingegriffen wird, als dies durch die materielle Maßnahme geschehen soll. Wenn also der Staat – wie oben erörtert337 – in verfassungsrechtlich zulässiger Weise durch beispielsweise eine Unterbringung in das Recht auf Freiheit des Einzelnen und die diesbezügliche Selbstbestimmung eingreifen kann, dann gilt Entsprechendes auch für jene vorbereitenden Maßnahmen, die ebenfalls „nur“ in das Recht auf Freiheit und die diesbezügliche Selbstbestimmung eingreifen. Dies ist der Fall bei der Vorführung zur Anhörung, der Vorführung zur Untersuchung und der Unterbringung zur Begutachtung, da mit diesen Zwangsmaßnahmen zunächst kein weiteres Grundrecht betroffen ist. Besonderer Betrachtung bedarf diese Feststellung jedoch dann, wenn durch die Zwangsmittel andere Rechtsgüter betroffen sind als durch die beabsichtigte materielle Maßnahme. In Betracht kommt dies bei dem Beschluss zur Einholung eines Sachverständigengutachtens nach § 280 FamFG oder § 321 FamFG, der Untersuchungsanordnung durch den Sachverständigen nach § 283 Abs. 1 S. 1 FamFG oder § 322 FamFG i.V. m. § 283 Abs. 1 S. 1 FamFG sowie der Beobachtung zur Vorbereitung eines Gutachtens im Rahmen einer Unterbringung zur Begutachtung nach § 284 Abs. 1 S. 1 FamFG oder § 322 FamFG i.V. m. § 284 Abs. 1 S. 1 FamFG. Wenn nämlich zur Aufklärung der Tatbestandsvoraussetzungen einer Unterbringung der Betroffene zwangsweise durch den Sachverständigen untersucht wird, ist von der verfahrensrechtlichen Maßnahme nicht „lediglich“ das Recht auf Freiheit betroffen, sondern durch die ärztliche Untersuchung auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Hierzu im Einzelnen:
336 Sofern die materiellen Maßnahmen aufgrund einer Vorausverfügung unzulässig sind, sind auch die diesbezüglichen verfahrensrechtlichen Zwangsmaßnahmen unzulässig, so dass diese Fallgruppe nicht mehr näher behandelt wird. 337 Vgl. S. 190 f.
VI. Verfahrensrechtliche Maßnahmen nach dem FamFG
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a) Beschluss zur Einholung eines Sachverständigengutachtens nach § 280 FamFG oder § 321 FamFG Der Beschluss zur Einholung eines Sachverständigengutachtens hat noch nicht die Pflicht des Betroffenen zur Folge, eine Untersuchung durch den Sachverständigen auch dulden zu müssen.338 Dies bleibt der Untersuchungsanordnung nach § 283 Abs. 1 S. 1 FamFG oder § 322 FamFG i.V. m. § 283 Abs. 1 S. 1 FamFG vorbehalten.339 Dennoch greift – entgegen teilweise vertretener Ansicht340 – auch bereits der Beschluss zur Einholung eines Sachverständigengutachtens in die Rechte des Betroffenen, namentlich in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, ein.341 Diesen Eingriff kann der Betroffene jedoch nicht durch das Abfassen einer Vorausverfügung verhindern. Der Eingriff ist – in Parallele zur Rechtslage ohne Vorausverfügung – gerechtfertigt. Klar wird dies, wenn man sich folgenden Vergleich vor Augen hält: Läge keine Patientenverfügung oder sonstige Vorausverfügung vor, so bestünde an der grundsätzlichen Zulässigkeit der Zwangsmaßnahme kein Zweifel. Sollte sich durch die Zwangsmaßnahme herausstellen, dass die materielle Maßnahme, deren Tatbestandsaufklärung die verfahrensrechtliche Zwangsmaßnahme dienen soll, nicht erfolgen kann, so bleibt davon die Zulässigkeit der zuvor angeordneten verfahrensrechtlichen Zwangsmaßnahme unberührt. Auch ist die Ablehnung der Zwangsmaßnahme dieser wesensimmanent. Alleine die Tatsache, dass also in einer Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügung eine Zwangsmaßnahme abgelehnt wird, macht diese keineswegs unzulässig. Entgegenstehen kann allenfalls der Umstand, dass beim Vorliegen einer wirksamen Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügung feststeht, dass jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt die Ablehnung einem freien Willen entsprang. Wenn dies jedoch nicht die Unzulässigkeit der beabsichtigten materiellen Maßnahme zur Folge hat342, steht es auch der verfahrensrechtlichen Maßnahme nicht entgegen. Als Beispiel hierfür möge man sich einen Betroffenen vorstellen, der wegen Fremdgefährdung untergebracht werden soll. Das Vorliegen einer Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügung schließt in diesem Fall die Möglichkeit der Unterbringung nicht aus. Selbstverständlich kann somit auch die verfahrensrechtliche Aufklärungsmaßnahme nicht wirksam ausgeschlossen werden.
338
Schmidt-Recla/Diener, FamRZ 2010, 696, 699. Schmidt-Recla/Diener, FamRZ 2010, 696, 699. 340 LG Saarbrücken, FamRZ 2011, 1094, 1095. 341 So auch BVerfG, FamRZ 2011, 274 m. Anmerkung Diener. 342 Nur um diese Fälle geht es hier, da anderenfalls die Zwangsmaßnahme bereits vom Ansatz her nicht mehr erforderlich sein könnte. 339
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
b) Untersuchungsanordnung durch den Sachverständigen nach § 283 Abs. 1 S. 1 FamFG oder § 322 FamFG i.V. m. § 283 Abs. 1 S. 1 FamFG Im Gegensatz zum Beschluss zur Einholung eines Sachverständigengutachtens enthält die Untersuchungsanordnung durch den Sachverständigen nach § 283 Abs. 1 S. 1 FamFG oder § 322 FamFG i.V. m. § 283 Abs. 1 S. 1 FamFG eine Duldungspflicht hinsichtlich der Untersuchung. Die Zwangsmaßnahme greift somit in das Recht auf körperliche Unversehrtheit des Betroffenen ein, was besonderer Rechtfertigung bedarf. Wenn nämlich – wie bereits erörtert343 – der Betroffene in einer Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügung die Einwilligung in einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit zur Vornahme einer Heilbehandlung untersagt hat, besteht für eine Überwindung dieses freien Willens aus paternalistischen Gründen kein Raum, da insoweit die freie Willensbestimmung fortwirkt. Dennoch ist der Eingriff im vorliegenden Fall gerechtfertigt. Bei der Untersuchung durch den Sachverständigen geht es im Gegensatz zum Heileingriff einzig darum, die Tatsachengrundlage für eine weitere Entscheidung zu schaffen. Eine unmittelbare Heilung des Gesundheitszustands ist durch die Untersuchung nicht bezweckt. Da das Vorliegen der Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügung der beabsichtigten materiellrechtlichen Maßnahme nicht von vorne herein entgegensteht344, kann auch die Zulässigkeit der verfahrensrechtlichen Aufklärungsmaßnahmen nicht durch eine Patientenverfügung oder sonstige Vorausverfügung „blockiert“ sein. Die Rechtfertigung des Eingriffs findet sich demnach gerade nicht ausschließlich in paternalistischen Erwägungen, was alleine auch nicht ausreichend wäre. Hintergrund der Rechtfertigung ist vielmehr der Zweck der beabsichtigten grundsätzlich zulässigen materiellen Zwangsmaßnahme, mithin der öffentlich-rechtliche Auftrag des Staates zum Lebensschutz. c) Beobachtung zur Vorbereitung eines Gutachtens im Rahmen einer Unterbringung zur Begutachtung nach § 284 Abs. 1 S. 1 FamFG oder § 322 FamFG i.V. m. § 284 Abs. 1 S. 1 FamFG Hinsichtlich der Rechtslage bei der Beobachtung zur Vorbereitung eines Gutachtens im Rahmen einer Unterbringung nach § 284 Abs. 1 S. 1 FamFG oder § 322 FamFG i.V. m. § 284 Abs. 1 S. 1 FamFG ergeben sich im Vergleich zur Rechtslage bei der Untersuchungsanordnung durch den Sachverständigen nach § 283 Abs. 1 S. 1 FamFG oder § 322 FamFG i.V. m. § 283 Abs. 1 S. 1 FamFG keine Unterschiede, so dass auf oben stehende Ausführungen verwiesen wird. 343
Vgl. S. 203. Nur um diese Fälle geht es hier, da anderenfalls die Zwangsmaßnahme bereits vom Ansatz her nicht mehr erforderlich sein könnte. 344
VI. Verfahrensrechtliche Maßnahmen nach dem FamFG
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d) Kein Wertungswiderspruch zur Rechtslage hinsichtlich der Sedierung nach § 1906 Abs. 4 BGB Das hier gefundene Ergebnis steht auch nicht im Widerspruch zu dem zur Frage der Zulässigkeit der Sedierung nach § 1906 Abs. 4 BGB gefundenen Ergebnis. Oben wurde festgestellt, dass durch das Abfassen einer Patientenverfügung sowohl eine Sedierung auf der Grundlage des § 1906 Abs. 4 i.V. m. § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB als auch eine Sedierung auf der Grundlage des § 1906 Abs. 4 i.V. m. § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB verhindert werden kann.345 Da jedoch die Sedierung nach § 1906 Abs. 4 i.V. m. § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ähnlich der Untersuchung durch einen Sachverständigen nach § 283 Abs. 1 S. 1 FamFG oder § 322 FamFG i.V. m. § 283 Abs. 1 S. 1 FamFG in keinem Bezug zu einem Heileingriff steht, bedarf es besonderer Begründung, weshalb die verfahrensrechtliche Zwangsmaßnahme zulässig, eine Sedierung auf Grundlage des § 1906 Abs. 4 i.V. m. § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB hingegen unzulässig sein soll. Zuzugeben ist zunächst, dass in beiden Fällen neben rein paternalistischen Erwägungen auch der öffentlich-rechtliche Auftrag des Staates zum Lebensschutz für die Rechtfertigung eines Eingriffs herangezogen werden kann. Der wesentliche Unterschied hinsichtlich der Behandlung der beiden Fälle ergibt sich jedoch aus dem einfachen Gesetzesrecht. Während bei der Beurteilung der Frage der Zulässigkeit der verfahrensrechtlichen Zwangsmaßnahmen die Vorschrift des § 1901a BGB mangels Anwendbarkeit außer Betracht bleibt, ist ebendiese Vorschrift der Grund dafür, weshalb die Sedierung auch auf Grundlage des § 1906 Abs. 4 i.V. m. § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB unzulässig ist. Die Unzulässigkeit der Sedierung auf Grundlage des § 1906 Abs. 4 i.V. m. § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ergibt sich mithin nicht unmittelbar aus dem Verfassungsrecht, sondern aus den Regelungen der Patientenverfügung nach §§ 1901a ff. BGB, die in diesem Fall die grundsätzlich nach der Verfassung gegebenen Möglichkeiten weiter einschränken. 6. Zusammenfassung zu den verfahrensrechtlichen Maßnahmen nach dem FamFG Steht aufgrund einer Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügung fest, dass eine bestimmte materiellrechtliche Maßnahme nicht zulässigerweise erfolgen kann346, so sind auch darauf gerichtete verfahrensrechtliche Zwangsmaßnahmen mangels Erforderlichkeit unzulässig. Steht jedoch eine Patientenverfügung oder eine sonstige Vorausverfügung der Vornahme einer materiellrechtlichen Maßnahme nicht entgegen, so können auch 345
Vgl. S. 170 ff. Denkbar ist dies zum Beispiel bei einer Unterbringung zur Heilbehandlung auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB. 346
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
darauf gerichtete verfahrensrechtliche Zwangsmaßnahmen nicht durch eine Patientenverfügung oder sonstige Vorausverfügung verhindert werden.
VII. Verfahrensrechtliche Maßnahmen nach den Unterbringungsgesetzen der Länder 1. Vorgerichtliche Verfahrensregeln a) Situation in den Ländern Teilweise enthalten die Unterbringungsgesetze der Länder Verfahrensregeln für den sozialpsychiatrischen Dienst oder die sonst zuständige Behörde zur Aufklärung des Sachverhalts.347 Ziel der verfahrensrechtlichen Regelungen ist es, den Betroffenen soweit erforderlich ärztlich untersuchen zu lassen, um eine geeignete Entscheidungsgrundlage zur Frage der Erforderlichkeit einer Unterbringung zu gewinnen. Die landesrechtlichen Regelungen weisen hinsichtlich der Eingriffsbefugnisse und der vorgegebenen Vorgehensweise ein relativ homogenes Bild auf. Vorgesehen ist zunächst, den Betroffenen aufzufordern sich untersuchen zu lassen oder zu einer Untersuchung vorzuladen. Leistet der Betroffene dieser Aufforderung oder der Ladung keine Folge, erfolgt in der Regel ein Hausbesuch der Behörde, teilweise bereits unter Beiziehung eines Arztes.348 Ist auch dies erfolglos, kommt nach den landesrechtlichen Eingriffsgrundlagen das Betreten der Wohnung des Betroffenen und/oder eine Vorführung in Betracht, um den Betroffenen zu untersuchen. b) Möglichkeiten der Einflussnahme Hinsichtlich der Zulässigkeit der vorgerichtlichen Verfahrensregeln in den Unterbringungsgesetzen der Länder ergeben sich im Vergleich zu den verfahrensrechtlichen Eingriffsbefugnissen auf Grundlage des FamFG keine Besonderheiten. Die Art der in Betracht kommenden Zwangsmaßnahmen ist jedenfalls im Hinblick auf die von den Maßnahmen betroffenen Grundrechte des Adressaten vergleichbar. Das oben gefundene Ergebnis in Bezug auf die verfahrensrechtlichen Zwangsbefugnisse nach dem FamFG kann daher auf die vorgerichtlichen Verfahrensregeln in den Unterbringungsgesetzen der Länder übertragen werden. 347 § 5 UBG Baden-Württemberg; Art. 7 UBG Bayern; § 7 PsychKG Bremen; § 7 PsychKG Hamburg; § 8 PsychKG Mecklenburg-Vorpommern; § 13 PsychKG Niedersachsen; § 9 PsychKG Nordrhein-Westfalen; §§ 8, 9 PsychKG Rheinland-Pfalz; § 13 PsychKG Sachsen; § 8 PsychKG Sachsen-Anhalt; § 6 PsychKG Schleswig-Holstein; § 6 PsychKG Thüringen; Die Unterbringungsgesetze der Länder Berlin, Brandenburg, Hessen und des Saarlandes enthalten keine entsprechenden Regelungen. 348 So in § 13 Abs. 3 PsychKG Sachsen – allerdings auf Anordnung des Gerichts – vorgesehen.
VII. Verfahrensrechtliche Maßnahmen der Länder
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Da eine öffentlich-rechtliche Unterbringung durch das Abfassen einer Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügung nicht verhindert werden kann, können auch darauf gerichtete vorgerichtliche verfahrensrechtliche Zwangsmaßnahmen auf Grundlage der Unterbringungsgesetze der Länder nicht in einer Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügung wirksam ausgeschlossen werden. 2. Regelungen hinsichtlich einer Eingangsuntersuchung a) Situation in den Ländern Regelungen über Eingangsuntersuchungen nach Aufnahme in die Unterbringungseinrichtung sind bei weitem nicht in allen Unterbringungsgesetzen der Länder enthalten.349 Soweit jedoch in manchen Ländern Regelungen bestehen350, dienen diese vornehmlich dazu, die Notwendigkeit der Unterbringung nochmals zu prüfen und darauf basierend ggf. einen Heilbehandlungsplan zu entwickeln. Liegen nach dem Ergebnis der Eingangsuntersuchung die Voraussetzungen der Unterbringung nicht mehr vor, so kann die Unterbringung nicht mehr weiter vollzogen werden.351 Die Eingangsuntersuchung hat damit einen Doppelcharakter. Zum einen hat sie eine verfahrensrechtliche Funktion, weil das weitere Vorliegen der Voraussetzungen der Unterbringung nochmals geprüft wird. Zum anderen hat sie insoweit eine die Heilbehandlung vorbereitende Funktion, als die Feststellungen in der Untersuchung Grundlage der weiteren Behandlungsmaßnahmen sein können. b) Einflussnahme auf die Zulässigkeit der Eingangsuntersuchung Zur Beurteilung der Zulässigkeit der Untersuchung ist nach der Zweckrichtung der Eingangsuntersuchung abzuschichten. Der aufgezeigte Doppelcharakter der Eingangsuntersuchung hat somit erhebliche Auswirkungen auf deren Zulässigkeit. 349 So finden sich in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, dem Saarland und Schleswig-Holstein keine entsprechenden Regelungen. 350 § 26 Abs. 3 PsychKG Berlin; §§ 13, 15 PsychKG Brandenburg; § 21 PsychKG Bremen; § 15 PsychKG Hamburg; §§ 15 Abs. 2, 18 PsychKG Mecklenburg-Vorpommern; § 20 PsychKG Niedersachsen; § 17 Abs. 2 PsychKG Nordrhein-Westfalen; § 20 Abs. 1 PsychKG Rheinland-Pfalz; § 20 PsychKG Sachsen; § 16 PsychKG Sachsen-Anhalt; § 11 PsychKG Thüringen. 351 § 26 Abs. 3 S. 2 PsychKG Berlin; § 13 Abs. 3 und § 15 Abs. 3 PsychKG Brandenburg; § 21 Abs. 2 PsychKG Bremen; § 15 Abs. 2 PsychKG Hamburg; § 15 Abs. 2 S. 2 und § 18 Abs. 2 PsychKG Mecklenburg-Vorpommern; § 17 Abs. 3 PsychKG NRW, wobei hiernach die Betroffenen lediglich beurlaubt werden „können“; § 20 PsychKG Sachsen, wobei hier lediglich die Verpflichtung vorgesehen ist, die Verwaltungsbehörde und das zuständige Gericht vom Ergebnis der Untersuchung in diesen Fällen zu unterrichten; § 16 Abs. 2 PsychKG Sachsen-Anhalt; § 11 Abs. 2 PsychKG Thüringen.
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
Soweit die Eingangsuntersuchung dem Zweck dient zu prüfen, ob die Voraussetzungen der Unterbringung weiter vorliegen, ist diese zulässig. Insoweit kann es keinen Unterschied machen, ob erstmals geprüft werden soll, ob die Voraussetzungen gegeben sind oder ob dies zu Beginn oder im Verlaufe der Unterbringung nochmals geschieht. Die Eingangsuntersuchung dient nämlich insoweit nicht alleine paternalistischen Zwecken, sondern zugleich auch der Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags des Staates zum Schutz des Lebens. Die §§ 1901a ff. BGB finden keine Anwendung. Soweit die Eingangsuntersuchung jedoch dem Zweck dient, die Grundlagen für eine weitere Heilbehandlung zu schaffen oder aufzuklären, ist die Eingangsuntersuchung unzulässig. Dies ergibt sich unmittelbar aus dem Recht auf körperliche Unversehrtheit und dem diesbezüglichen Selbstbestimmungsrecht. Soweit die Eingangsuntersuchung Heilbehandlungszwecken dient, könnte eine Untersuchung gegen den vorher festgehaltenen Willen des Betroffenen nur mit paternalistischen Erwägungen gerechtfertigt werden. Steht jedoch aufgrund einer Patientenverfügung oder einer sonstigen Vorausverfügung fest, dass der Betroffene die Heilbehandlung ablehnt, kann dieser vorher festgehaltene freie Wille nicht außer Acht gelassen werden. Für Paternalismus ist dann kein Raum. Auch kann der öffentlich-rechtliche Auftrag des Staates zum Schutze des Lebens nicht zur Rechtfertigung herangezogen werden, da eine Heilbehandlung zur Erfüllung dieses Auftrages nicht erforderlich ist. Eine isolierte Unterbringung würde hier vielmehr ausreichen. Es kann somit festgehalten werden, dass die Eingangsuntersuchung unzulässig ist, soweit damit eine Heilbehandlung vorbereitet werden soll. Im Ergebnis darf daher die Eingangsuntersuchung nur soweit durchgeführt werden, bis feststeht, ob die Voraussetzungen der Unterbringung weiter vorliegen. 3. Zusammenfassung zu den verfahrensrechtlichen Maßnahmen nach den Unterbringungsgesetzen der Länder Vorgerichtliche verfahrensrechtliche Zwangsmaßnahmen auf Grundlage der Unterbringungsgesetze der Länder zur Aufklärung der Tatbestandsvoraussetzungen einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung können nicht wirksam in einer Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügung ausgeschlossen werden. Entgegen den Festlegungen in einer Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügung darf eine Eingangsuntersuchung nur soweit durchgeführt werden, bis feststeht, ob die Voraussetzungen der Unterbringung weiter vorliegen. Zur Vorbereitung einer Heilbehandlung ist eine Eingangsuntersuchung bei widersprechender Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügung hingegen unzulässig.
VIII. Metareflexion der gefundenen Ergebnisse
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VIII. Metareflexion der gefundenen Ergebnisse 1. Praktische Konsequenz der gefundenen Ergebnisse Führt man sich die in diesem Kapitel gefundenen Ergebnisse vor Augen, so bedarf insbesondere eine Konstellation näherer Betrachtung: Es wurde festgestellt, dass der Betroffene durch eine Patientenverfügung jegliche Form der Zwangsbehandlung wirksam unterbinden kann. Gleichwohl besteht die Möglichkeit, den Betroffenen über § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB oder über § 10 Abs. 2 PsychKG Sachsen unterzubringen. Wenn jedoch der Betroffene untergebracht ist, ohne dass ihm eine Heilbehandlung zuteil wird, besteht die Gefahr, dass je nach Krankheitsbild mangels medikamentöser Behandlung keine Verbesserung des Gesundheitszustands des Betroffenen eintritt. Problematisch wird dies, wenn sich der Betroffene infolgedessen über einen längeren Zeitraum in einem Zustand befindet, bei dem eine fortwährende Unterbringung notwendig ist. In diesem Fall kommt die Unterbringung einer Art „Verwahrunterbringung“ gleich. Da sich die Sachlage ohne Behandlung des Betroffenen auch nicht wesentlich ändert, ist ohne Hinzutreten weiterer Umstände auch kein Ende der Unterbringung zu erwarten. Der Betroffene hätte somit durch seine Patientenverfügung seine Chancen, jemals wieder in Freiheit zu kommen, erheblich geschmälert. Nicht nur in ethischer Hinsicht erscheint dieses Ergebnis bedenklich. 2. Lösungsansätze Eine einfache Lösung dergestalt, dass man sich in diesen Fällen schlicht über die Festlegungen in der Patientenverfügung hinwegsetzt, verbietet sich. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass zur Rechtfertigung einer Zwangsbehandlung das grundrechtlich geschützte Freiheitsinteresse des Untergebrachten selbst aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG herangezogen werden kann, sofern der Untergebrachte zur Wahrnehmung dieses Interesses infolge krankheitsbedingter Einsichtsunfähigkeit nicht in der Lage ist.352 Da jedoch der Betroffene durch die Festlegungen in der Patientenverfügung bereits im Vorhinein sein diesbezügliches Selbstbestimmungsrecht ausgeübt und sich gegen eine entsprechende Behandlung ausgesprochen hat, kann in den hier problematischen Fällen der vorab erklärte Wille nicht unter Rückgriff auf paternalistische Gesichtspunkte „ausgehebelt“ werden. Dies folgt zudem daraus, dass die Freiheitsgrundrechte auch das Recht einschließen, von der Freiheit einen Gebrauch zu machen, der – jedenfalls in den Augen Dritter – den wohlverstandenen Interessen des Grundrechtsträgers zuwiderläuft.353 Es ist somit Sache des Einzelnen darüber zu entscheiden, ob er 352 353
BVerfG, NJW 2011, 2113. So ausdrücklich auch BVerfG, NJW 2011, 2113.
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
sich therapeutischen oder sonstigen Maßnahmen unterziehen will, die ausschließlich der Besserung seines Gesundheitszustandes dienen.354 Dass der Betroffene durch die Ablehnung einer Behandlung in einer Patientenverfügung seine Aussichten möglichst zeitnah in Freiheit zu kommen schmälert, ist daher hinzunehmen. Das Ergebnis verdeutlicht, dass Festlegungen in Patientenverfügungen für den Betroffenen durchaus auch nachteilige Wirkungen haben können. Die Tatsache, dass dem Betroffenen eine Behandlung nicht zuteil wird, stellt für diesen eine erhebliche faktische Belastung dar. Um die nachteiligen Auswirkungen der Patientenverfügung so gering wie möglich zu halten, sollte daher in den Fällen der potentiellen „Dauerverwahrung“ Folgendes beachtet werden: Zunächst ist – was selbstverständlich sein sollte – ein besonderes Augenmerk auf die Auslegung der Patientenverfügung, insbesondere die Frage zu legen, ob die darin enthaltenen Festlegungen die aktuelle Lebenssituation der potentiellen „Dauerverwahrung“ umfassen.355 Sollte danach die Ablehnung der Heilbehandlung zweifellos feststehen, so darf der Betroffene nicht einfach dem Schicksal dauerhafter Freiheitsentziehung überlassen werden. Es sollte vielmehr, soweit der Betroffene gesprächsfähig ist, der ernsthafte Versuch unternommen werden, die auf Vertrauen gegründete Zustimmung zur Heilbehandlung zu erreichen.356 Dass dies mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks oder sonstiger Manipulation geschehen muss, versteht sich von selbst. Auch sollte das Behandlungsangebot und der Versuch, die Zustimmung des Betroffenen zu erlangen, regelmäßig wiederholt werden. Hinsichtlich der Art und Intensität der Bemühungen kann eine „Je-desto-Formel“ herangezogen werden: Je länger der Betroffene bereits ohne Behandlung untergebracht ist, desto mehr und dringlicher sollte sich um die Zustimmung des Betroffenen bemüht werden.
IX. Zusammenfassung der gefundenen Ergebnisse Zusammenfassend kann zunächst festgehalten werden, dass die Frage der Möglichkeit, durch Patientenverfügungen oder sonstige Vorausverfügungen auf Zwangsmaßnahmen Einfluss zu nehmen, für jede Zwangsmaßnahme gesondert 354
Vgl. auch BVerfG, NJW 2011, 2113; BVerfGE 22, 180, 219 f. Nach Hoffmann/Klie, Freiheitsentziehende Maßnahmen im Betreuungs- und Kindschaftsrecht, S. 17 werde eine Auslegung der psychiatrischen Verfügung des Betroffenen in dieser Situation vielfach ergeben, dass diese auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation im Sinne des § 1901a BGB zumindest dann nicht zutreffe, wenn ihre Umsetzung – also der Verzicht auf eine Zwangsbehandlung – zu einem längeren Freiheitsentzug für den Betroffenen führe, als dies bei einer Zwangsbehandlung der Fall wäre. 356 Zur Bedeutung dieses Erfordernisses in Bezug auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Zwangsbehandlungen vgl. auch BVerfG, NJW 2011, 2113, 2116. 355
IX. Zusammenfassung der gefundenen Ergebnisse
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zu beurteilen ist. Eine pauschale Betrachtungsweise verbietet sich. Die obige Untersuchung brachte folgende Ergebnisse hervor: 1. Betreuerbestellung und Einwilligungsvorbehalt Weder die Betreuerbestellung nach § 1896 Abs. 1 BGB noch die Einrichtung eines Einwilligungsvorbehalts gemäß § 1903 Abs. 1 BGB kann durch das Abfassen einer Patientenverfügung oder einer sonstigen Vorausverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 2 BGB unmittelbar ausgeschlossen werden. Allenfalls mittelbar kann durch hinreichend bestimmte Festlegungen in Bezug auf eine medizinische Maßnahme in einer Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB eine Betreuerbestellung verhindert werden, nämlich dann, wenn aufgrund der Festlegungen keine Notwendigkeit einer Betreuerbestellung mehr besteht. 2. Unterbringung Hinsichtlich der Einflussnahmemöglichkeiten auf die Zulässigkeit einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB ist zu differenzieren: Eine Einflussnahmemöglichkeit durch Patientenverfügungen im Sinne des § 1901a Abs. 1 BGB oder sonstige Vorausverfügungen im Sinne des § 1901a Abs. 2 BGB auf die Zulässigkeit einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist nicht möglich. Im Gegensatz dazu kann jedoch eine Unterbringung auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB durch das Abfassen einer Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 BGB oder Äußerungen, die über § 1901a Abs. 2 BGB beachtlich sind, im Ergebnis wirksam ausgeschlossen werden. Eine öffentlich-rechtliche Unterbringung kann durch das Abfassen einer Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügung nicht verhindert werden. Dies gilt sowohl für die Unterbringung wegen Fremdgefährdung als auch für die Unterbringung wegen Selbstgefährdung. 3. Zwangsbehandlung und Zwangsernährung Zwangsbehandlungen und Zwangsernährungen zum Schutze des Lebens oder der Gesundheit des Betroffenen auf Grundlage des BGB und der Unterbringungsgesetze können durch eine im Zustand der freien Willensbestimmung verfasste Patientenverfügung oder sonstige Vorausverfügung wirksam untersagt werden. 4. Unterbringungsähnliche Maßnahmen Hinsichtlich der Einflussnahmemöglichkeiten auf die Zulässigkeit unterbringungsähnlicher Maßnahmen nach § 1906 Abs. 4 BGB ist zu differenzieren: Der Freiheitsentzug durch Medikamente, sog. Sedierung, kann durch das Abfassen
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D. Möglichkeiten der antizipierten Selbstbestimmung bei Zwangsmaßnahmen
einer Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 BGB oder durch Äußerungen, die über § 1901a Abs. 2 BGB beachtlich sind, wirksam ausgeschlossen werden. Bei unterbringungsähnlichen Maßnahmen durch mechanische Vorrichtungen oder auf „andere Weise“ ist nach der Eingriffsgrundlage zu unterscheiden. Maßnahmen auf Grundlage von § 1906 Abs. 4 i.V. m. Abs. 1 Nr. 1 BGB können nicht durch Vorausverfügungen ausgeschlossen werden. Bei unterbringungsähnlichen Maßnahmen durch mechanische Vorrichtungen oder auf „andere Weise“ auf Grundlage des § 1906 Abs. 4 i.V. m. Abs. 1 Nr. 2 BGB ist dies hingegen durch Patientenverfügungen gemäß § 1901a Abs. 1 BGB oder durch Äußerungen, die über § 1901a Abs. 2 BGB beachtlich sind, möglich. Besondere Sicherungsmaßnahmen auf Grundlage der Unterbringungsgesetze der Länder, mit denen kein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit verbunden ist, können grundsätzlich nicht durch Vorausverfügungen untersagt werden. Ausnahmen sind theoretisch allenfalls in den Fällen denkbar, in denen sich der Betroffene – im Rahmen einer zulässigen Unterbringung – frei willensbestimmt selbst gefährdet. In aller Regel kommt jedoch auch dann eine besondere Sicherungsmaßnahme zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung des Krankenhauses in Betracht, so dass nach praktischem Verständnis auch in diesen Fällen die Maßnahmen durch Vorausverfügungen nicht wirksam verhindert werden können. 5. Verfahrensrechtliche Zwangsmaßnahmen Steht aufgrund einer Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügung fest, dass eine bestimmte materiellrechtliche Maßnahme nicht zulässigerweise erfolgen kann357, so sind auch darauf gerichtete verfahrensrechtliche Zwangsmaßnahmen mangels Erforderlichkeit unzulässig. Steht jedoch eine Patientenverfügung oder eine sonstige Vorausverfügung der Vornahme einer materiellrechtlichen Maßnahme nicht entgegen, so können auch darauf gerichtete verfahrensrechtliche Zwangsmaßnahmen nicht durch eine Patientenverfügung oder sonstige Vorausverfügung verhindert werden. Entgegen den Festlegungen in einer Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügung darf eine Eingangsuntersuchung nur soweit durchgeführt werden, bis feststeht, ob die Voraussetzungen der Unterbringung weiter vorliegen. Zur Vorbereitung einer Heilbehandlung ist eine Eingangsuntersuchung bei widersprechender Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügung hingegen unzulässig.
357 Denkbar ist dies zum Beispiel bei einer Unterbringung zur Heilbehandlung auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB.
E. Zusammenfassung und Bewertung der wesentlichen Ergebnisse I. Zusammenfassende Bewertung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts im Allgemeinen Vor Erlass des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts bestand im Umgang mit Patientenverfügungen erhebliche Rechtsunsicherheit. Die Literatur hatte zwar durchaus praktikable Lösungsansätze entwickelt.1 Auch waren in praktischer Hinsicht dogmatische Fragen dahingehend, ob man die Bindungswirkung mit einer fortwirkenden Willensäußerung2 oder einer Indizwirkung3 begründet, in aller Regel unerheblich, solange man die Bindungswirkung an sich bejahte. Die Rechtsunsicherheit bei den betroffenen Personen aber auch bei den Gerichten4, konnte dadurch jedoch nicht vollends beseitigt werden. Das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts hat sich zum Ziel gesetzt, in diesem Bereich Rechtssicherheit zu schaffen und das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen zu stärken. Es bleibt abzuwarten, ob nach der konkreten Ausgestaltung des Gesetzes dieses Ziel erreicht werden kann. Folgende Kritikpunkte sind hervorzuheben: Zum einen ist dies die missliche Bildung des Begriffs der „Patientenverfügung“, der als Legaldefinition in § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB eingefügt wurde. Demnach sind Patientenverfügungen schriftliche Festlegungen eines einwilligungsfähigen Volljährigen für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit, ob er in 1 Vgl. nur Höfling, JuS 2000, 111, 116; Kutzer, ZRP 2005, 277; Laufs, NJW 1999, 1758, 1762; Olzen, ArztR 2001, 116, 121; Otto, NJW 2006, 2217, 2219; Schmidt-Recla, MedR 2008, 181, 183; Schumann, Dignitas – Voluntas – Vita, S. 64 ff.; Spickhoff, Patientenverfügungen und Patientenautonomie zwischen Rechtsdogmatik, Rechtspolitik und Rechtswirklichkeit, in: Kingreen/Laux, Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs 2008, S. 103, 117; ders., NJW 2000, 2297, 2302. 2 Kutzer, ZRP 2005, 277, 278; Otto, NJW 2006, 2217, 2219; Schmidt-Recla, MedR 2008, 181, 183. 3 Höfling, JuS 2000, 111, 116; Laufs, NJW 1999, 1758, 1762; Olzen, ArztR 2001, 116, 121; Spickhoff, Patientenverfügungen und Patientenautonomie zwischen Rechtsdogmatik, Rechtspolitik und Rechtswirklichkeit, in: Kingreen/Laux, Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs 2008, S. 103, 117; ders., NJW 2000, 2297, 2302. 4 Bezeichnend hierfür erscheinen die Ausführungen des Bundesgerichtshofs in BGHZ 163, 195, 200 f., wonach die strafrechtlichen Grenzen der Sterbehilfe im weiteren Sinne dem Senat nicht hinreichend geklärt erscheinen, jedoch für die Beurteilung der zivilrechtlichen Verhaltenspflichten relevant seien.
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E. Zusammenfassung und Bewertung der wesentlichen Ergebnisse
bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt. Da die Festlegungen in Bezug auf „bestimmte“ Untersuchungen erfolgen müssen, sind nach dem Willen des Gesetzgebers einige Willensbekundungen im Zusammenhang mit einer zukünftigen ärztlichen Behandlung vom Begriff der Patientenverfügung von vornherein nicht umfasst. Die Festlegungen in Patientenverfügungen unterliegen zwar keiner Reichweitenbegrenzung, was sich ausdrücklich aus § 1901a Abs. 3 BGB ergibt. Durch die begriffliche Einschränkung in Form des Bestimmtheitserfordernisses wird jedoch der Anwendungsbereich von Patientenverfügungen in erheblichem Maße eingeengt. Des Weiteren führt dies dazu, dass sich der Begriff der Patientenverfügung nach der Legaldefinition nicht mit demjenigen Begriffsverständnis deckt, wie es zuvor in der öffentlichen und fachöffentlichen Diskussion vorherrschend war. Es liegt auf der Hand, dass durch diesen begrifflichen Wandel Missverständnisse im Umgang mit der „Patientenverfügung“ nicht lange auf sich warten lassen werden, was der Erreichung des gesetzgeberischen Ziels der Schaffung der Rechtssicherheit abträglich erscheint.5 Zum anderen zeigte sich eine wesentliche „Schwachstelle“ des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts bei der Problematik der Notfallmaßnahmen, bei denen alleine aus zeitlichen Gründen ein Betreuer nicht bestellt werden kann. Gesetzgeberisches Leitbild der §§ 1901a ff. BGB war das „Vier-AugenPrinzip“, wonach sowohl Arzt als auch Betreuer die Patientenverfügung auszulegen haben. Der Gesetzgeber hatte insoweit lediglich den „Idealfall“ vor Augen, in denen der Arzt und der Betreuer – gegebenenfalls gemäß § 1901b Abs. 2 BGB unter Hinzuziehung von Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen – in aller Ruhe das Für und Wider einer Maßnahme unter Berücksichtigung der Patientenverfügung abwägen können. Ein Blick auf die in der Praxis problematischen Fälle zeigte jedoch, dass durch die Beschränkung des Anwendungsbereichs auf die Zeit ab Betreuerbestellung, das eigentliche „Thema“ verfehlt wurde. Rechtssicherheit und die Achtung des Selbstbestimmungsrechts sind nämlich dort am wichtigsten, wo die Schaffung vollendeter Tatsachen droht. Die problematischsten Fälle in der Praxis sind mithin die Notfallmaßnahmen, in denen gerade keine Zeit verbleibt, einen Betreuer oder vorläufigen Betreuer zu bestellen und in denen sofort gehandelt werden muss. Genau in diesen Fällen fanden jedoch nach der Grundkonzeption des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts – entgegen der Auffassung des Bundesministerium der Justiz6 sowie der Bundesärztekammer7 – die Vorschriften der §§ 1901a ff. BGB
5 A. A. Lange, ZEV 2009, 537, 542, der die Regelung begrüßt, da damit das „Formularunwesen“ eingeschränkt werde. 6 Vgl. die Broschüre des BMJ „Patientenverfügung“, Stand Oktober 2011, S. 12.
I. Drittes Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts im Allgemeinen
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keine Anwendung. Die Patientenverfügung in § 1901a Abs. 1 BGB stellte diesbezüglich im Ergebnis lediglich eine „Placebo-Verfügung“ dar, da hinsichtlich der Verbindlichkeit der Vorausverfügung faktisch der Rechtszustand vor dem Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts fortbestand. In Bezug auf Notfallmaßnahmen wurde das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts seinem erklärten Ziel der Schaffung von Rechtssicherheit und der Stärkung des Selbstbestimmungsrechts daher nicht gerecht. In Bezug auf die Frage der Durchsetzung der Festlegungen in einer Patientenverfügung hat der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten in die durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts geschaffene Rechtslage – bewusst oder unbewusst – jedenfalls im praktischen Ergebnis eingegriffen, was auch unmittelbare Auswirkung auf die Rechtslage in Bezug auf unaufschiebbare Eilmaßnahmen hat. Während nach dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts das uneingeschränkte „VierAugen-Prinzip“ galt, wurde dies nunmehr in erheblichem Maße eingeschränkt. Die Frage, ob für die Durchsetzung der Festlegungen in einer Vorausverfügung eine Betreuerbestellung notwendig ist, hängt nunmehr maßgeblich davon ab, ob es sich um hinreichend bestimmte Festlegungen im Sinne des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB handelt oder nicht. Für den Fall, dass eine hinreichend bestimmte Patientenverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB vorliegt und keine Betreuung besteht, kann und muss sich der Arzt danach richten. Er ist in diesen Fällen nicht (mehr) verpflichtet, bei Gericht eine Betreuung anzuregen. Für den Fall, dass bereits eine Betreuung besteht, hat der Arzt mit dem Betreuer gemäß § 1901b BGB ein Gespräch zur Feststellung des Patientenwillens führen. In unaufschiebbaren Eilsituationen, in denen der Arzt sofort entscheiden muss, ob gehandelt wird oder nicht, ist ein Gespräch mit dem Betreuer jedoch aus praktischen Gründen nicht möglich und daher vom Gesetz auch nicht mehr gefordert. Liegt keine hinreichend bestimmte – den Anforderungen des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB genügende – Vorausverfügung vor, so ist der Arzt verpflichtet, bei Gericht eine Betreuung anzuregen. Kann jedoch eine Einwilligung für eine unaufschiebbare Maßnahme nicht rechtzeitig eingeholt werden, darf sie ohne Einwilligung durchgeführt werden, wenn sie dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen entspricht. Jedenfalls in Bezug auf Notfallmaßnahmen wird die nun geschaffene Rechtslage den praktischen Gegebenheiten besser gerecht.
7 Vgl. Empfehlungen der Bundesärztekammer und der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer zum Umgang mit Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung in der ärztlichen Praxis, Deutsches Ärzteblatt 2010, S. A877, A879.
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E. Zusammenfassung und Bewertung der wesentlichen Ergebnisse
II. Zusammenfassende Bewertung der Einflussnahmemöglichkeiten von psychisch kranken Menschen durch das Abfassen einer Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügung auf staatliche Zwangsmaßnahmen Die Problematik der Patientenverfügung von psychisch kranken Menschen hat bei dem Erlass des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts keine nennenswerte Rolle gespielt. Da die Festlegungen in Patientenverfügungen nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung des § 1901a Abs. 3 BGB jedoch unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung gelten, sind die §§ 1901a ff. BGB auf Patientenverfügungen von psychisch kranken Menschen anwendbar. In Bezug auf die Frage der wirksamen Errichtung einer Patientenverfügung wird in der Praxis vor allem die Feststellung des Tatbestandsmerkmals der Einwilligungsfähigkeit im Zeitpunkt der Errichtung Probleme bereiten. Für den Fall, dass es an einem der Tatbestandsmerkmale einer wirksamen Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB fehlt, kann die antizipierte Erklärung ein Behandlungswunsch im Sinne des § 1901a Abs. 2 BGB oder ein wichtiger konkreter Anhaltspunkt für die Ermittlung des mutmaßlichen Willens sein. Für den Widerruf einer Patientenverfügung ist Einwilligungsfähigkeit erforderlich. Äußerungen des Einwilligungsunfähigen können den Betreuer jedoch veranlassen, den Festlegungen in der Patientenverfügung jedenfalls vorübergehend nicht Geltung zu verschaffen. Die Möglichkeit, durch Patientenverfügungen oder sonstige Vorausverfügungen auf Zwangsmaßnahmen Einfluss zu nehmen, ist für jede Zwangsmaßnahme gesondert zu beurteilen. Die Arbeit brachte diesbezüglich folgende Ergebnisse hervor: Weder die Betreuerbestellung nach § 1896 Abs. 1 BGB noch die Einrichtung eines Einwilligungsvorbehalts gemäß § 1903 Abs. 1 BGB kann durch das Abfassen einer Patientenverfügung oder einer sonstigen Vorausverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 2 BGB unmittelbar ausgeschlossen werden. Allenfalls mittelbar kann durch hinreichend bestimmte Festlegungen in Bezug auf eine medizinische Maßnahme in einer Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB eine Betreuerbestellung verhindert werden, nämlich dann, wenn aufgrund der Festlegungen keine Notwendigkeit einer Betreuerbestellung mehr besteht. Hinsichtlich der Einflussnahmemöglichkeiten auf die Zulässigkeit einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB ist zu differenzieren: Eine Einflussnahmemöglichkeit durch Patientenverfügungen im Sinne des § 1901a Abs. 1 BGB oder sonstige Vorausverfügungen im Sinne des § 1901a Abs. 2 BGB auf die Zulässigkeit einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB besteht nicht. Im Gegensatz dazu kann jedoch eine Unterbringung auf
II. Einflussnahmemöglichkeiten von psychisch kranken Menschen
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Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB durch das Abfassen einer Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 BGB oder Äußerungen, die über § 1901a Abs. 2 BGB beachtlich sind, im Ergebnis wirksam ausgeschlossen werden. Eine öffentlich-rechtliche Unterbringung kann durch das Abfassen einer Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügung nicht verhindert werden. Dies gilt sowohl für die Unterbringung wegen Fremdgefährdung als auch für die Unterbringung wegen Selbstgefährdung. Zwangsbehandlungen und Zwangsernährungen zum Schutze des Lebens oder der Gesundheit des Betroffenen auf Grundlage des BGB und der Unterbringungsgesetze können durch eine im Zustand der freien Willensbestimmung verfasste Patientenverfügung oder sonstige Vorausverfügung wirksam untersagt werden. Hinsichtlich der Einflussnahmemöglichkeiten auf die Zulässigkeit unterbringungsähnlicher Maßnahmen nach § 1906 Abs. 4 BGB ist zu differenzieren: Der Freiheitsentzug durch Medikamente, sog. Sedierung, kann durch das Abfassen einer Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 BGB oder durch Äußerungen, die über § 1901a Abs. 2 BGB beachtlich sind, wirksam ausgeschlossen werden. Bei unterbringungsähnlichen Maßnahmen durch mechanische Vorrichtungen oder auf „andere Weise“ ist nach der Eingriffsgrundlage zu unterscheiden. Maßnahmen auf Grundlage von § 1906 Abs. 4 i.V. m. Abs. 1 Nr. 1 BGB können nicht durch Vorausverfügungen ausgeschlossen werden. Bei unterbringungsähnlichen Maßnahmen durch mechanische Vorrichtungen oder auf „andere Weise“ auf Grundlage des § 1906 Abs. 4 i.V. m. Abs. 1 Nr. 2 BGB ist dies hingegen durch Patientenverfügungen gemäß § 1901a Abs. 1 BGB oder durch Äußerungen, die über § 1901a Abs. 2 BGB beachtlich sind, im Ergebnis möglich. Besondere Sicherungsmaßnahmen auf Grundlage der Unterbringungsgesetze der Länder, mit denen kein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit verbunden ist, können grundsätzlich nicht durch Vorausverfügungen untersagt werden. Ausnahmen sind theoretisch allenfalls in den Fällen denkbar, in denen sich der Betroffene – im Rahmen einer zulässigen Unterbringung – frei willensbestimmt selbst gefährdet. In aller Regel kommt jedoch auch dann eine besondere Sicherungsmaßnahme zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung des Krankenhauses in Betracht, so dass nach praktischem Verständnis auch in diesen Fällen die Maßnahmen durch Vorausverfügungen nicht wirksam verhindert werden können. Steht aufgrund einer Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügung fest, dass eine bestimmte materiellrechtliche Maßnahme nicht zulässigerweise erfolgen kann8, so sind auch darauf gerichtete verfahrensrechtliche Zwangsmaßnah8 Denkbar ist dies zum Beispiel bei einer Unterbringung zur Heilbehandlung auf Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB.
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E. Zusammenfassung und Bewertung der wesentlichen Ergebnisse
men mangels Erforderlichkeit unzulässig. Steht jedoch eine Patientenverfügung oder eine sonstige Vorausverfügung der Vornahme einer materiellrechtlichen Maßnahme nicht entgegen, so können auch darauf gerichtete verfahrensrechtliche Zwangsmaßnahmen nicht durch eine Patientenverfügung oder sonstige Vorausverfügung verhindert werden. Entgegen den Festlegungen in einer Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügung darf eine Eingangsuntersuchung nur soweit durchgeführt werden, bis feststeht, ob die Voraussetzungen der Unterbringung weiter vorliegen. Zur Vorbereitung einer Heilbehandlung ist eine Eingangsuntersuchung bei widersprechender Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügung hingegen unzulässig. Aus den in der Arbeit gefundenen Ergebnissen kann in Bezug auf Zwangsmaßnahmen gegen psychisch kranke Menschen ein differenziertes Fazit gezogen werden: Zwar ist es zweifelsohne unzutreffend, von einem Ende jeglicher „Zwangspsychiatrie“ zu sprechen.9 Gleichwohl ist festzuhalten, dass psychisch kranke Menschen durch das Abfassen einer Patientenverfügung oder sonstigen Vorausverfügungen in Teilbereichen einen nennenswerten Einfluss auf die Zulässigkeit staatlicher Zwangsmaßnahmen nehmen können. In praktischer Hinsicht als wesentlich hervorzuheben ist, dass jedenfalls medizinische Zwangsbehandlungen mit dem Ziel der Heilung des Patienten durch Patientenverfügungen oder sonstige Vorausverfügungen wirksam verhindert werden können. Die ethisch bedenkliche aber im Ergebnis hinzunehmende Kehrseite der Möglichkeit der Verhinderung von Zwangsbehandlungen ist, dass Fälle auftreten können, in denen Betroffene untergebracht sind, ohne dass die Möglichkeit besteht, die zur Unterbringung führende Krankheit zu behandeln. Die Unterbringung droht in diesen Fällen zu einer „Dauerverwahrung“ zu werden. Ob dieses Ergebnis normativ betrachtet der Freiheit der betroffenen Person und dem Recht auf Selbstbestimmung zuträglich ist, entzieht sich einer pauschalen Betrachtung. Aufgrund der Unterschiedlichkeit der Personen und auch des persönlichen Empfindens von Zwang, bleibt die abschließende Beurteilung den jeweils Betroffenen vorbehalten. Die beteiligten Ärzte und der Betreuer tragen insbesondere in den Fällen der potentiellen „Dauerverwahrung“ eine hohe Verantwortung. Sie stehen vor der schweren Aufgabe, einerseits die Festlegungen des Betroffenen in der Patientenverfügung zu achten, und andererseits den Betroffenen nicht einfach dem Schick9 So aber die Erklärung der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener, der Irren-Offensive, des Landesverbandes Psychiatrie-Erfahrener Berlin-Brandenburg, des Landesverbandes Psychiatrie-Erfahrener NRW, des Werner-Fuss-Zentrums und der Antipsychiatrischen und betroffenenkontrollierte Informations- und Beratungsstelle, abrufbar unter http://www.patverfue.de/dokumente/erklaerung.pdf, Abruf vom 28. Dezember 2011.
II. Einflussnahmemöglichkeiten von psychisch kranken Menschen
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sal dauerhafter Freiheitsentziehung zu überlassen. Erforderlich ist daher ein intensiver Kontakt mit dem Betroffenen mit dem Ziel – ohne Druck oder Manipulation – die auf Vertrauen gegründete Zustimmung zur Heilbehandlung zu erreichen.10 Dass dies gerade aufgrund der Symptome der psychischen Krankheit in vielen Fällen nicht gelingen wird, rechtfertigt nicht, diese Versuche einzustellen und den Betroffenen damit „aufzugeben“. Das gefundene Ergebnis unterstreicht anschaulich die hohe Verantwortung, die dem Einzelnen bei der Abfassung einer Patientenverfügung zuteil wird. Betroffene sollten sich dringend vor dem Abfassen einer Patientenverfügung über die möglichen nachteiligen Folgen ihrer Festlegungen Gedanken machen, damit die Patientenverfügung nicht „zur Waffe gegen sie selbst“ wird.
10 Zur Bedeutung dieses Erfordernisses in Bezug auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Zwangsbehandlungen vgl. auch BVerfG, NJW 2011, 2113, 2116.
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Sachverzeichnis Absonderung von anderen Patienten 208 Amtsermittlung 213 f. Anti-social personality 71 Antizipierte Selbstbestimmung 138 ff. Apparatemedizin 17 Arbeitsgruppe „Patientenautonomie am Lebensende“ 39 ff. Aufbaumodell 146 f. Bauchgurt 170 Behandlungsvereinbarungen 145 f. Beobachtung bei Nacht 208 Beobachtung zur Vorbereitung eines Gutachtens 218 Beschränkung des Aufenthalts im Freien 208 Besondere Sicherungsmaßnahmen 207, 231 Bestimmtheitserfordernis 85 ff. Betreten der Wohnung 220 Betreuerbestellung 147 ff., 176, 225, 230 Betreuungsgericht 120 Betreuungsverfügung 27, 109 Bettgitter 170 Bilanzselbsttötung 157, 190 Bilokalisation 97 ff. Bindungswirkung 30 ff. Bosbach-Entwurf 53 ff. Bote 108
Einholung eines Sachverständigengutachtens 217 Einsichtsfähigkeit 79 Einsichtsunfähigkeit 194 ff. Einstweilige Anordnung 110 Einwilligungsfähigkeit 79 ff., 89 ff. Einwilligungsunfähigkeit 84 f. Einwilligungsvorbehalt 150, 176, 225, 230 Enquete-Kommission 44 ff. Entlassungsperspektive 193, 224 Entzug oder Vorenthalten von Gegenständen 208 Fallgruppen 184 FamFG 212 ff. Fesselung 178, 208 Festhalten 170 Fluchtgefahr 209 Funkchip 170 Gefahrenabwehr 179 Genehmigungserfordernis 120 ff. Gesetzgebungsverfahren 50 ff. Gesicherter Unterbringungsraum 208 Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen 210 Grad der Gefährlichkeit 187 f.
Dauerverwahrung 224, 232 DSM-IV 68 Duldungspflicht 217 f.
Handlungsfreiheit 134 f. Hausbesuch 220 Heilbehandlungsplan 221
Eingangsuntersuchung 221 f., 226, 232 Eingriffsmodell 147
ICD-10 66 f. ICF 67
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Sachverzeichnis
Kemptener Urteil 33 f. Krankheitsbedingte Einsichtsunfähigkeit 194 ff. Krisenintervention 180, 182 Living Will 26 Lübecker Fall 34 f., 156, 158 Maßregelvollzug 193 f. Mechanische Vorrichtungen 170, 175 f., 231 Menschenwürde 136 f. Notarielle Beurkundung 79 Notfallmaßnahmen 110 ff. Öffentliche Fürsorge 179 Öffentlich-rechtliche Unterbringung 187 ff. Orientierungsdebatte 59 f. Palliative Sedierung 170 Patientenbrief 26 Patiententestament 26 f. Patientenverfügung – Antizipierte Selbstbestimmung 138 f. – Ausschluss der Widerrufsmöglichkeit 94 ff. – Begriff 76 ff. – Bestimmtheitserfordernis 85 ff. – Bilokalisation 97 ff. – Einwilligungsfähigkeit 79 ff., 89 ff., 230 – Einwilligungsunfähigkeit 84 f. – Elektronische Form 79 – Errichtung 78 ff. – Notarielle Beurkundung 79 – Notfallmaßnahmen 110 ff. – Schriftform 78 f. – Unmittelbarkeitserfordernis 89 – Vier-Augen-Prinzip 101 ff. – Volljährigkeitserfordernis 78 – Widerruf 89 ff., 230
Personenortungsanlage 170 Persönlichkeitsrecht 135 f. Persönlichkeitsstörung 70 Psychische Krankheit – Anti-social personality 71 – Begriff 65 ff. – Juristisches Verständnis 68 ff. – Medizinisches Verständnis 65 ff. – Persönlichkeitsstörung 70 – Psychische Störung 70 – Psychopathic disorder 71 – Psychose 70 – True mental disorder 71 f. – Unsound mind 71 – Winterwerp-Kriterien 71 Psychische Störung 70 Psychopathic disorder 71 Psychose 70 Recht auf Leben 130 ff. Recht zur Krankheit 161 Rechtsprechungsentwicklung 32 ff. Sachverständiger 72 ff. Schriftform 78 f. Sedierung 170 ff., 177, 219, 225, 231 Selbstbestimmung 138 ff. Selbstbestimmungsrecht 129 ff. Selbstschädigung 133 f., 156, 190, 210 f. Selbsttötung 133 f., 151, 156 f., 190, 210 f. Sicherheit und Ordnung des Krankenhauses 209 Sozialpsychiatrischer Dienst 220 Steuerungsfähigkeit 79 f. Stünker-Entwurf 50 ff. Suizid 134, 155 f. Terminale Sedierung 170 Therapietisch 170 Traunsteiner Fall 35 f. True mental disorder 71 f.
Sachverzeichnis Übermaßverbot 180 f. Unerlässliche Maßnahmen 209 Unmittelbarkeitserfordernis 89 Unsound mind 71 Unterbringung wegen Eigengefährdung 150 ff., 177, 187 ff., 225, 230 f. Unterbringung wegen Fremdgefährdung 177, 187 ff., 225, 231 Unterbringung zur Begutachtung 216, 218 Unterbringung zur Heilbehandlung 163 ff. Unterbringung zur Untersuchung des Gesundheitszustands 163 ff. Unterbringung zur Vornahme eines ärztlichen Eingriffs 163 ff. Unterbringungsähnliche Maßnahmen 169 ff., 178, 207 ff., 225, 231 Unterbringungsbehörde 180 Untersuchungsanordnung 218 Vakuumsituation 149 Verfahrensrechtliche Maßnahmen 212 ff., 220 ff., 226 Verwahrunterbringung 223 Vier-Augen-Prinzip 101 ff.
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Volljährigkeit 78 Vorausverfügung 77, 139 ff. Vorführung zur Anhörung 216, 220 Vorführung zur Untersuchung 216 Vorgerichtliche Verfahrensregeln 220 ff. Vormundschaftsgericht 120 Vorsorgemacht 27 Vorsorgevollmacht 107 ff., 149 f. Widerruf 89 ff. Winterwerp-Kriterien 71 Wittig Fall 32 f. Wohl-Begriff 142 f., 175 Wohl-Schranke 143 Wünsche 140 ff. Wunsch-Wohl-Konflikt 141 ff., 175 Zöller/Faust-Entwurf 56 ff. Zwangsbehandlung 163 f., 177, 191 ff., 225, 231 Zwangsernährung 178, 204 ff., 225, 231 Zwangsmaßnahmen 126 ff., 146 f. Zwangspsychiatrie 232 Zwischenbericht „Patientenverfügungen“ 45 ff.