246 87 1MB
German Pages 234 Year 2018
Schriftenreihe Die politischen Parteien der Bundesrepublik Deutschland Herausgegeben von Univ.-Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte NRW School of Governance Universität Duisburg-Essen
Karl-Rudolf Korte | Dennis Michels | Jan Schoofs Niko Switek | Kristina Weissenbach
Parteiendemokratie in Bewegung Organisations- und Entscheidungsmuster der deutschen Parteien im Vergleich
Nomos
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8329-7974-4 (Print) ISBN 978-3-8452-4285-9 (ePDF)
Redaktion: Dennis Michels M.A. und Dr. Niko Switek (Institut für Politikwissenschaft, NRW School of Governance, Universität Duisburg-Essen) 1. Auflage 2018 © Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2018. Gedruckt in Deutschland. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
5
Inhaltsverzeichnis
1.
Innenansichten von Parteien
2.
Stand der Parteienorganisationsforschung
12
2.1
Ideologisches und programmatisches Fundament
18
2.2
Demokratische Führung
24
2.3
Fragmentierung und Faktionalismus
32
2.4
Prekäre Stabilität
35
2.5
Impulse aus der Organisationsumwelt
39
3.
9
Parteien als Mitgliederorganisationen
44
3.1
Parteimitglieder als Fundament der Parteiendemokratie 3.1.1 Normativ-institutionelle Umweltbedingungen 3.1.2 Formen und Hintergründe des parteibezogenen Engagements 3.1.3 Nutzen und Kosten der Parteimitgliedschaft 3.1.4 Mitglieder als potenzielle Organisationsressource
44 44
3.2
Krise der Mitgliederparteien
54
3.3
Wandel der Mitgliederparteien 3.3.1 Öffnung 3.3.2 Demokratisierung Programmatische Entscheidungen Personelle Entscheidungen Satzungsentscheidungen Koalitionsentscheidungen Partizipation von Mitgliedern auf Parteitagen: Mitgliederversammlungen und Antragsrecht 3.3.3 Digitalisierung
58 58 61 65 66 67 68
Mitgliederorganisation mit Zukunft?
75
3.4
48 49 52
68 70
6 Inhaltsverzeichnis
4.
Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung 4.1
4.2
4.3
5.
Entscheidungsprozesse zwischen Hierarchie und Verhandlung 4.1.1 Zusammensetzung der Parteiführung 4.1.2 Steuerungsversuche und verhandelnde Moderation der Parteiführung CDU, CSU und SPD: Zentralisierung und Hierarchie in den Volksparteien FDP und Grüne: Integrationsprozesse zwischen Flügeln, Faktionen und Landesverbänden in den mittelgroßen Parteien Die Linke: Pluralismus und Heterogenität in einer gespaltenen Partei
78 80 83 88 90
97 104
Typen von Entscheidungen 4.2.1 Personelle Entscheidungen Öffentliche Ämter Kandidatennominierung in Wahlkreisen Landeslisten Bundesminister, Fraktionsvorsitzende, Kanzlerkandidaten Parteiinterne Spitzenämter: Parteivorsitz und Vorstand 4.2.2 Programmatische Entscheidungen Unterschiedlicher Stellenwert von Grundsatzprogrammen Wahlprogramme Programmarbeit in den innerparteilichen Willensbildungsprozessen 4.2.3 Strategische Entscheidungen
108 111 111 112 117
Externe Impulse und Kontextfaktoren 4.3.1 Machtkonjunkturen 4.3.2 Krisen und Skandale 4.3.3 Mediendemokratie
154 154 161 162
Wähler und Organisation von Wahlkämpfen
120 121 132 134 140 141 146
166
7 Inhaltsverzeichnis
6.
7.
5.1
Entwicklung der Wählerstruktur
167
5.2
Wahlbeteiligung, Wahlergebnisse und Zugewinne für neue Parteien
171
5.3
Wahlkampforganisation 2017
185
5.4
Rolle von TV-Debatten im Wahlkampf
189
5.5
TV-Duelle zwischen Professionalisierung, Personalisierung und Digitalisierung
194
Fazit und Schlussfolgerungen: Wie organisiert entscheiden Parteien?
199
Literatur
213
8
9
1. Innenansichten von Parteien
Parteien polarisieren wieder. Durch den Globalisierungsschub des Sommers 2015 hat sich die Gesellschaft in Deutschland verändert. Mit der historisch hohen Zahl von Flüchtlingen änderten sich Inhalte und Stil der politischen Debatte umfassend, der Alltag in Deutschland ist wieder politisierter. Nicht nur konnte sich eine neue Partei parlamentarisch etablieren, auch die etablierten Parteien sahen sich mit neuen Herausforderungen konfrontiert, die grundlegend ihr Selbstverständnis wie Aspekte ihrer Responsivität betrafen.1 Identitäts- und Sicherheitsfragen werden die Mobilisierung der kommenden Zeit prägen, wobei sich abzeichnet, dass sich mehr Bürger2 als bisher an den Wahlen beteiligen. Parteien sind immer Abbild der Gesellschaft. Sie sind zunächst Problemlösungsagenturen und Machterwerbsorganisationen. Darüber hinaus sind sie Lebensstilbastionen, Gesinnungsgemeinschaften, Rechthabervereinigungen, die zur modernen politischen Willensbildung in einer freiheitlichen Demokratie unverzichtbar sind. Parteien sind nicht nur lernend unterwegs, um Mehrheiten zu organisieren. Sie ändern sich in ihrer Zusammensetzung von Mitgliedschaften und der Strukturierung von internen Willensbildungsprozessen. In postheroischen Zeiten greift keine Hierarchie. Da sind Mitgliederentscheide eher en vogue. Andererseits lassen Krisenzeiten – mit notwendig eiligem hierarchischem Entscheidungsmanagement – Parteimitglieder und Parteibasis zuschauend und staunend zurück. Die Entscheidungskulturen der Parteien sind eingewoben in gesellschaftliche und politisch-kulturelle Veränderungsprozesse. Wie entscheiden Parteien in so einer Gemengelage? Das war in der Gesamtreihe über die Parteien in Deutschland das erkenntnisleitende Interesse. Wenig überraschend lautet ein Fazit, dass das Politikmanagement der Parteien heterogen ausfällt.3 Zugleich gilt auf der anderen Seite, dass sie
1 Vgl. Bieber et al. 2017: 1ff. 2 Zur Verbesserung der Lesbarkeit wird in diesem Band in Bezug auf Einzelpersonen und Personengruppen durchgehend die männliche Form verwendet, wobei sich die Angaben immer auf Angehörige aller Geschlechter beziehen. 3 Grundsätzlich zum Politikmanagement in Deutschland vgl. Korte/Fröhlich 2009.
1. Innenansichten von Parteien
trotz fragmentierter Organisation4 mit stimmungsflüchtigen Machtgrundlagen5 entscheidungsfähig sind. Die Bände über die einzelnen Parteien in der Reihe dokumentieren anschaulich Stile und Modi der Entscheidungsfindung sowie den jeweils unterschiedlichen Grad der Beteiligung von Mitgliedern an diesen Entscheidungen.6 Einige Mechanismen des innerparteilichen Entscheidens sind dabei bereits bekannt und gut erforscht. Längerfristige historisch-kulturelle Prägemuster überlagern häufig die aktuelle Entscheidungskultur in den Parteien. So zeigen die Bände gut, dass trotz personeller Wechsel an der Spitze der Parteien Kontinuitäten des Politikmanagements sichtbar blieben. Zugleich stellen sie Phasen heraus, in denen individuelle Akteure von zentraler Bedeutung für Richtungsentscheidungen der Parteien waren. Erweitert man solche Analysezugänge durch systematische Betrachtungen der Innenansichten der Macht, können aussagekräftige Muster des innerparteilichen Entscheidens nachgewiesen werden.7 Das gilt gleichermaßen für Personal-, Programm- und Strategieentscheidungen.8 Der vorliegende Band nimmt mit einer vergleichenden Perspektive eine Zusammenführung der Ergebnisse vor. Anhand der Erkenntnisse aus den Bänden zeichnen wir Organisations- und Entscheidungsmuster der deutschen Parteien nach. Zunächst legen wir in einem theoretisch-konzeptionellen Kapitel dar, welchen Fragen die Parteiorganisationsforschung in unserem Verständnis nachgeht, welche theoretischen Annahmen sie zugrunde legt und welche Antworten auf die Bedingungen kollektiven Handelns einer Parteiorganisation sie gibt. Im dritten Kapitel werfen wir einen Blick auf den Status als Mitgliederparteien und die damit verbundenen Parteireformen, die häufig als Reaktion auf Krisensituationen angegangen oder als Initiative innerparteilicher Akteure forciert werden, die damit nicht selten ihre eigene Position in der Partei verbessern wollen. Das vierte Kapitel fasst die Ergebnisse der Einzelbände in parteiübergreifenden Mustern vor dem Hintergrund der konzeptionellen Überlegungen und den Besonderheiten von Mitgliederorganisationen systematisch zusammen. Im letzten Kapitel nehmen wir die Dimension der Wahl als zentralem Hand4 Vgl. Jun/Höhne 2010. 5 Vgl. Grasselt/Korte 2007. 6 Die Auswahl der untersuchten Parteien in diesem Band (CDU, CSU, SPD, FDP, Grüne, Linke) folgt den erschienenen Bänden der Reihe Die politischen Parteien der Bundesrepublik Deutschland des Nomos-Verlages. 7 Häufig werden diese Innenansichten der Macht auch als Mikropolitik bezeichnet; vgl. Schmid 2011, Switek 2014, Wiesendahl 2010. 8 Vgl. Harmel/Janda 1994 und Kapitel 4.2 in diesem Band.
10
1. Innenansichten von Parteien
lungsfeld von Parteien in den Blick. Wir fragen nach den Konsequenzen der historischen Bundestagswahl 20179 und skizzieren den Zusammenhang von innerparteilichen Strukturen und der Organisation von Wahlkämpfen.
9 Vgl. Korte/Schoofs 2018.
11
12
2. Stand der Parteienorganisationsforschung
Da Parteien im politischen Betrieb moderner Demokratien die wohl wichtigsten Akteure bilden, haben sie entsprechend hohe Aufmerksamkeit von der politikwissenschaftlichen Forschung erhalten. Die wissenschaftliche Betrachtung von Parteien kennt dabei zwei grundsätzlich unterschiedliche Perspektiven: Einerseits der breitere Blick auf Parteien als Akteure in einem System und andererseits der Blick auf oder in die Parteien als Organisationen. Die Parteiensystemforschung interessiert sich beispielsweise für die Zahl der relevanten Parteien in einem Staat (Fragmentierung), deren inhaltliche Nähe oder Distanz zueinander (Polarisierung) oder thematisiert die Zusammenarbeit von Parteien bei der Regierungsbildung (Segmentierung).10 Letzteres schlägt eine Brücke zur Koalitionsforschung, die sich genau auf diesen nicht spannungsfreien Aspekt der Kooperation von Konkurrenten fokussiert.11 Die Parteiorganisationsforschung hingegen zielt auf einzelne Parteien als Untersuchungsgegenstand. Im Kern geht es dabei häufig um Fragen der innerparteilichen Demokratie, womit zugleich normative Überlegungen ins Spiel kommen. Die Frage, wie demokratisch Parteien aufgebaut sind, liegt nah an Überlegungen, wie sie aufgebaut sein sollten. Das ist wiederum abgeleitet von ihrer zentralen Stellung bei der politischen Willensbildung in demokratischen Staaten. Sie fungieren als Transmissionsriemen zwischen Gesellschaft und Staat und nur, wenn Demokratie in Parteien existiert, kann in dieser Logik die Demokratie als Ganzes funktionieren. Dabei war die Einschätzung des wohl ersten Parteienforschers Michels eine pessimistische. Anhand einer Analyse der sozialdemokratischen Partei im deutschen Kaiserreich kam er zu dem Ergebnis, dass sich selbst in einer nach demokratischen Prinzipien verfassten Partei (mit Parteiversammlungen und gewählten Anführern) zwangsläufig eine Elite herausbildet, die in ihrem eigenen Interesse handelt und unabhängig von Wünschen der Parteimitglieder agiert. Entsprechend formulierte er sein ehernes Ge10 Vgl. Detterbeck 2011. 11 Vgl. Switek 2013.
2. Stand der Parteienorganisationsforschung
setz der Oligarchie.12 Dieser in der Folge oft aufgegriffene Befund wurde von Eldersveld zumindest relativiert, der in seiner Studie US-amerikanischer Parteien nicht eine machtvolle Parteispitze identifizierte, sondern mehrere Machtzentren auf unterschiedlichen Ebenen der Partei.13 Er prägte daher den Begriff von Parteiorganisationen als Stratarchien. Neben einer normativen Perspektive findet sich in vielen Fällen eine funktionale Betrachtungsweise. Indem Parteien als Akteure in einem Subsystem des gesamten politischen Systems gesehen werden, rücken deren Funktionen und Leistungen in den Mittelpunkt, welche sie für das Gesamtsystem erbringen. Entsprechend existieren einige Arbeiten, die versuchen, die Tätigkeiten von Parteien in Form von Funktionskatalogen zu erfassen.14 Hier ergibt sich wiederum eine Schnittstelle zur parteienrechtlichen Literatur, die vor allem auf die Regulierung von Parteien als besonders staatsnahen und damit einflussreichen Organisationen abhebt. So ist in Deutschland der organisatorische Spielraum der Parteien durch die Vorgaben von Parteien- und Wahlgesetzen deutlich beschränkt.15 Trotz der Fülle der Parteienliteratur sind Arbeiten mit einem fokussierten Blick auf Parteien als Organisationen und die in ihnen ablaufenden Entscheidungsprozesse immer noch rar gesät. Ende der 1990er Jahre beschrieb Lawson prägnant diese Forschungslücke: „What has been lacking thus far [...] are works that explore the internal dynamics of political parties with the intention of finding out how parties really work. It is not hard to find out how many officers there are, what the formal rules are, how often meetings are held, and the multitude of details regarding how the party says it runs itself. Such information is useful, but what we really need are studies by authors sensitive to the ways in which power is developed and exercised within the parties. Who is trying to do what – within the party and by the means of the party – and how successful are they?“16
Diesem Zitat liegt eine Unterscheidung zugrunde, die bedeutsam für die in dieser Reihe erschienen Bände ist. Die Parteisatzungen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben sind als Information erforderlich, um die in einer Partei definierten Ämter und Aufgaben sowie die Regeln für den Ablauf von Entscheidungen zu kennen. Aber sie reichen eben nicht aus, um zu verstehen, welche Akteure sich in der Partei in den Auseinandersetzungen 12 13 14 15 16
Vgl. Michels 1911. Vgl. Eldersveld 1964. Vgl. von Beyme 2002, Wiesendahl 2006a. Vgl. Scarrow 2005, Merten 2007, Bukow 2013a. Lawson 1994: X.
13
2. Stand der Parteienorganisationsforschung
und Konflikten um Themen und Personen mit welchen Strategien durchsetzen. Hier kommt die Frage der tatsächlichen Macht ins Spiel, die nur in Teilen an formalen Führungspositionen hängt.17 Wie wird diese Macht in einer Partei aufgebaut und eingesetzt? Im Kontext einer Parteiorganisation geht es dabei erschwerend um einen doppelten Machtbegriff. Über das Engagement und die Karriere in einer Partei gelangen Akteure in einflussreiche und machtvolle Positionen, mit denen sie nicht nur in die Partei und auf die Handlungen der Parteimitglieder wirken können, sondern über welche sie im Zweifel mit der Partei als kollektivem Akteur auch gesamtgesellschaftliche Regeln beeinflussen können. Diese beiden Dimensionen sind in den konkreten Entscheidungsprozessen häufig parallel zu denken: Das innerparteiliche Handeln der Akteure ist nicht auf ein rationales Aufeinandertreffen entlang satzungsgemäß definierter Regeln zu reduzieren – es geht um unterschiedliche Ziele und Interessen (für die Organisation als Ganzes wie für die individuellen Akteure), es geht um umkämpfte Entscheidungen und den Gewinn von Mehrheiten und Gefolgschaft. Wie entscheiden Parteien? Wie handeln die aus Individuen zusammengesetzten Parteien kollektiv?18 Ein solche Perspektive markiert eine Schnittstelle der Parteienforschung zur Organisationstheorie, -soziologie und -psychologie.19 Während letztere drei sich grundsätzlich für die Bedingungen der Zusammenarbeit von Akteuren im Rahmen einer Organisation interessieren und ein umfassendes und teilweise konkurrierendes Angebot an theoretischen Modellen zusammengetragen haben, liefert die Parteienforschung das Wissen um die Spezifika von Parteiorganisationen als demokratisch verfassten Entitäten. In einer solchen Forschungsrichtung liegt der Fokus auf innerorganisatorischen Akteuren, ihren Strategien und Instrumenten. Ausgangspunkt ist die Annahme der Freiheit des Individuums im Handlungsrahmen einer demokratisch verfassten Organisation. Das Ziel ist die Durchsetzung der eigenen Ziele und Interessen sowohl für den Einzelnen selbst, wie auch als kollektiver Akteur für die programmatischen Parteiziele. In der Organisationstheorie passt zu diesen Prämissen und Fragen vor allem der Strang mikropolitischer Ansätze.20 Nicht nur markiert der Präfix Mikro den Fokus auf Akteuren und ihren kleinteiligen Interaktionen untereinander, der Politik-Begriff wurde genau deshalb adaptiert, um die 17 18 19 20
Vgl. Switek 2014. Vgl. Treibel 2012. Vgl. Bogumil/Schmid 2001. Vgl. Matys 2006.
14
2. Stand der Parteienorganisationsforschung
machtpolitische Dimension innerorganisatorischen Handelns hervorzuheben. Stammt das Konzept ursprünglich aus der Organisationssoziologie, werden die damit verbundenen theoretischen Annahmen über das Innenleben von Organisationen seit einiger Zeit auch für politikwissenschaftliche Zusammenhänge eingesetzt: „Mikropolitologie ist ein theoretisches Konzept, das Interaktionen von individuellen und/oder korporativen Akteuren in politischen Organisationen und in politischen Institutionen empirisch untersucht, typologisiert, generalisiert und bestimmte Politikergebnisse mittels kausaler Mechanismen zu erklären versucht. Hierbei konzentriert sich die Mikropolitologie auf die Konflikt- und Konsensprozesse in Organisationen [...].“21
Ein solcher Ansatz bietet sich bei Parteien an, weil Wandlungsprozesse in ihnen unübersichtlich verlaufen und nicht auf ein Entscheidungsergebnis hin determiniert sind.22 Das Binnenleben wird als Arena permanenter Machtkämpfe begriffen. Im Fokus steht die Interessenpolitik im Kleinen – Widerstand und Blockaden, Koalitionsbildung und Kuhhandel sowie Interessenkompromisse bestimmen demzufolge Verlauf und Ergebnis innerparteilicher Entscheidungsprozesse.23 Damit weitet sich der Blick von den eigentlichen Entscheidungen auf den gesamten Prozess des verbindlichen Entscheidens mit seinen unterschiedlichen Phasen wie Vorbereitung, Herstellung, Rechtfertigung und Umsetzung.24 Eine ähnliche analytische Brille hatten alle Bände der Parteienreihe bei der Betrachtung ihres jeweiligen Gegenstandes auf, indem sie etwa unter anderem einzelne prominente Akteure in den Blick genommen und deren Leitungs- und Führungskompetenzen sowie Regierungsstile analysiert haben. Sie fragten nach der Folgebereitschaft der Parteimitglieder bei unterschiedlichen Politikinhalten und Entscheidungen sowie allgemein nach den Mechanismen des Zusammenhalts in einer hochgradig fragmentierten Organisation. Während sich ein organisationstheoretischer Kern zum Verständnis von Akteuren in ihrem Handlungsspielraum in einer verfassten Organisation unabhängig von der konkreten Organisationsform beschreiben und diskutieren lässt, machen die Bände zugleich die besonderen Ausprägungen von Parteiorganisationen sichtbar. Notwendig leitet sich das von ihrer Teilnahme an Wahlen ab, zugleich existieren für Parteien spezifische staatliche Reglementierungen. Parteien müssen externe Vorgaben 21 22 23 24
Rüb 2013: 339. Vgl. Wiesendahl 1998: 140ff. Vgl. Wiesendahl 2010: 53f. Vgl. Rüb 2013: 345.
15
2. Stand der Parteienorganisationsforschung
beim Aufbau erfüllen (wobei sie aber durchaus selbst an diesen Vorgaben mitwirken). Entsprechend existieren viele Verbindungen zum Parteienrecht und zur Satzungsanalyse. Die Satzung als formale Organisationsstruktur ist ein zentrales Element, um den Ablauf innerparteilicher Entscheidungen nachvollziehen zu können.25 Aber letztlich bildet sie eben nur einen Teil als Handlungsrahmen oder Opportunitätsstruktur ab. Bei aller Betonung innerorganisatorischer Prozesse darf nicht unterschlagen werden, dass selbstverständlich das Umfeld von Parteien einzubeziehen ist. Das Innenleben reagiert auf Impulse aus der Umwelt. Eine massive Wahlniederlage kann sich als Schub für programmatischen oder organisatorischen Wandel auswirken.26 Die Positionen der Konkurrenten im Parteiensystem sind von Relevanz für die eigenen Positionen. Mit dem kleinteiligen Fokus auf Akteuren wirken diese Impulse aber nie deterministisch, sondern immer nur vermittelt, das heißt, wenn sie in der Parteiorganisation aufgegriffen werden. Mit Blick auf die Ergebnisse der zahlreichen Arbeiten, die sich – explizit oder implizit – einer entsprechenden Forschungsperspektive zu Parteien verschrieben haben, werden im Folgenden fünf Punkte herausgestellt, die aus theoretischer Perspektive zentral das Innenleben von Parteien sowie deren Willensbildungs- und Entscheidungsfindungsprozesse bestimmen. Die fünf Punkte beschreiben die Essenz einer mikropolitisch-fundierten Parteienorganisationsforschung und geben als verdichtete Merkmale Auskunft über den Ablauf innerparteilicher Entscheidungsprozesse. Sie helfen, den systematischen Vergleich der Ergebnisse der Einzelbände zu gliedern, eignen sich aber insgesamt als Raster für die Betrachtung von Parteien über den deutschen Fall hinaus. Erstens handelt es sich bei Parteien in besonderem Maße um ideologisch fundierte Organisationen. Die in schriftlichen Programmen niedergelegten Inhalte, Ziele und Forderungen in Kombination mit den Einstellungen und Positionen der Parteimitglieder spannen einen Handlungsrahmen auf. Dieser Rahmen ist alles andere als klar abgegrenzt, denn zentrale Begrifflichkeiten und Grundwerte unterliegen stets der Auslegung, Deutung sowie Transformation in konkrete Politikangebote. Ein Austreten aus diesem Raum ist möglich, kann aber für die Parteiorganisation schwerwiegende Konsequenzen haben (zum Beispiel der Verlust von Mitgliedern oder Wahlniederlagen). Da Parteien Repräsentanten gesellschaftlicher
25 Vgl. Scarrow/Webb/Poguntke 2017. 26 Vgl. Janda et al. 1995.
16
2. Stand der Parteienorganisationsforschung
Konflikte sind, können sie den abgesteckten Rahmen nur in Teilen selbst verändern und unterliegen in bestimmten Punkten längerfristigen Entwicklungspfaden, die sich nur langsam und schleichend wandeln. Zweitens sind Parteien durch die Vorgabe der Besetzung aller relevanten Ämter durch Wahlen polyarchisch überformt.27 Die wie in jeder anderen Organisation angelegte Hierarchie befindet sich in einem Spannungsverhältnis mit demokratischen Vorgaben. Führung in einer Parteiorganisation ist damit latent prekär. Die Führungsspitze einer Partei muss bei der Leitung der Organisation Folgebereitschaft generieren und die beiden Gesichter einer Partei von professionellen Berufspolitikern und ehrenamtlichen Amateuren reflektieren.28 Worauf stützt sich dennoch die Macht der gewählten Führungsspitze? Wie bröckelt sie? Und was bedeuten die in fast allen Parteien sichtbaren Tendenzen zum Ausbau partizipatorischer Instrumente für die Möglichkeiten von Steuerung und Führung? Drittens lässt sich eine Partei nicht als monolithischer Akteur, sondern vielmehr als Allianz von Untergruppen verstehen.29 In einer Partei existieren verschiedene Gruppen, die sich nach unterschiedlichen Kriterien formieren, die aber im Hinblick auf das Gesamtziel der Organisation – mehr oder weniger – interagieren. Die Interaktionen zwischen diesen Gruppen können dabei kooperativ bis konfliktiv ausfallen. Harte Auseinandersetzungen gefährden Stabilität und Einheit der Partei, andererseits hat das Beispiel der frühen Grünen30 gezeigt, dass selbst heftige innerparteiliche Kämpfe nicht zu Untergang oder Auflösung führen müssen. Bei der Alternative für Deutschland (AfD) ist gerade zu beobachten, wie schwer es für eine neu formierte Partei ist, sich über Landesverbände, Fraktionen in den Landtagen und schließlich eine Bundestagsfraktion als stabile und handlungsfähige Mehr-Ebenen-Organisation zu etablieren. Von Interesse sind dabei die Mechanismen der losen Koppelung31 dieser Untergruppen und wie diese interagieren. Dabei ist sowohl die horizontale Dimension (zum Beispiel inhaltliche Strömungen) wie die vertikale (zum Beispiel Führungsspitze auf Bundesebene und Ortsvereine) zu berücksichtigen.
27 28 29 30
Vgl. Schimank 2002. Vgl. Treibel 2012. Vgl. Sartori 2005. Zur Verbesserung der Lesbarkeit werden die Partei und die Mitglieder von Bündnis 90/Die Grünen dem allgemeinen Sprachgebrauch folgend in diesem Band teilweise vereinfacht als „Grüne“ oder „die Grünen“ bezeichnet sowie die Partei und die Mitglieder von DIE LINKE als „Linke“ oder „die Linke“. 31 Vgl. Wiesendahl 1998.
17
2. Stand der Parteienorganisationsforschung
Viertens bedingen diese drei aufgeführten Punkte eine fluide Stabilität. Parteien unterliegen einem kontinuierlichen Wandel. Mit der ständigen Neuinterpretation programmatischer Grundlagen, mit dem Kommen und Gehen von Parteimitgliedern und mit dem Wechsel von der Opposition in die Regierung und zurück verändert sich eine Partei. Zwar sozialisiert sie neu eintretende Mitglieder in ihrem Sinne,32 aber ein kontinuierlicher drift33 kann dadurch nicht aufgehalten werden. Von Interesse sind die Mechanismen dieses Wandels. Wie bilden sich informale Regeln in einer Parteiorganisation heraus und wann verstetigen sich diese in formale Regeln? Wie variieren die informellen Regeln nach ihrer Verbindlichkeit und wodurch ergibt sich diese?34 Schließlich gilt es fünftens, die Umwelt von Parteiorganisationen mit einzubeziehen. Parteien bewegen sich genauso wenig wie andere Organisationen im luftleeren Raum. In demokratisch verfassten Systemen ist die Konkurrenz im Parteiensystem zwingend notwendig, sodass es immer ähnlich geformte und ähnlichen staatlichen Vorgaben unterliegende Konkurrenten gibt, die auf eine Partei von außen einwirken. Hier stellen sich Fragen nach organisationalem Lernen und den Mustern von Anpassung an Mitbewerber. Wann werden neue Positionen oder Praktiken aufgegriffen? Schließlich sind auch Wahlen externe Ereignisse, die Rückwirkungen auf den Ablauf von Entscheidungen in Parteien haben. Eine krachende Wahlniederlage mag einen programmatischen Wandel oder eine personelle Erneuerung befeuern, und auch der Eintritt in eine Regierung verändert die Machtarchitektur einer Partei entscheidend. Diese fünf Punkte werden im Folgenden als zentrale Merkmale von Parteiorganisationen auf einer theoretisch-abstrakten Ebene beschrieben und sie helfen in den folgenden Kapiteln, die Erkenntnisse der einzelnen Parteienbände der Reihe sinnvoll zusammenzufassen und systematisch vergleichend zu analysieren. 2.1 Ideologisches und programmatisches Fundament Die US-amerikanische Forschung konzeptionalisierte Parteien anfangs vorrangig als Zusammenschluss von Personen, die Ämter anstreben, und die sich in ihrem Angebot an die Wähler an den politischen Einstellungen
32 Vgl. Wiesendahl 1996. 33 Vgl. Ortmann 2010. 34 Vgl. Grunden 2011.
18
2. Stand der Parteienorganisationsforschung
der gesellschaftlichen Mitte orientieren.35 In der europäischen Tradition der Parteienforschung dachte man hingegen von Anfang meist ein ideologisches Fundament mit. Zwar kategorisierte man konservative Strömungen, die auf eine Verteidigung der bestehenden Ordnung hinwirkten, als eher lose verbundene Honoratiorenparteien, aber neben diesen fanden sich andere Massenparteien mit gestalterischen, reformistischen und revolutionären Zielen.36 In diesem Sinne waren Parteien immer auch Programmparteien, die mit einer bestimmten inhaltlichen Stoßrichtung gegründet wurden und mit dieser bei Wahlen zu reüssieren versuchten. Die Wurzeln der europäischen Parteien liegen in den großen Ideologien des 19. Jahrhunderts, auf welche die Namen der konservativen, liberalen, sozialistischen und kommunistischen Parteien immer noch verweisen. Lipset und Rokkan zeigten als erste, wie die mit diesen Ideologien verknüpften gesellschaftlichen Konflikte (cleavages) die Parteiensysteme der Demokratien Westeuropas entscheidend und nachhaltig prägten.37 Nicht zwingend laufen solche Konflikte auf eine Parteigründung hinaus. Einerseits bedarf es einer Gruppe Gleichgesinnter, die eine Repräsentationslücke aktiv besetzt, andererseits stellt sich dabei stets die Frage, inwieweit die Mitbewerber im Parteiensystem überhaupt Raum für neue Konkurrenten lassen. So war in Deutschland trotz durchaus euroskeptischer Einstellungen in Teilen der Bevölkerung der auf nationale Souveränität pochende Pol der Konfliktlinie zur europäischen Integration lange unbesetzt. Erst im Rahmen der Eurokrise gelang es Bernd Lucke, mit der Alternative für Deutschland in diesem Feld ein für einige Wähler attraktives Angebot zu schaffen.38 In jedem Fall ist es in der Parteienforschung gängige Praxis, die Positionen von Parteien in nationalen Parteiensystemen entlang zentraler Konfliktlinien zu charakterisieren. Eine solche Darstellung ist vielschichtiger als eine reine Links-Rechts-Achse, welche häufig unterschiedliche Konfliktdimensionen überlagert. Die gesellschaftlichen Konfliktstrukturen variieren in den Ländern Europas. In Deutschland wird das Parteiensystem vorrangig durch eine sozioökonomische Achse von Marktfreiheit und staatlicher Intervention einerseits und eine kulturelle Achse mit einem libertären und einem autoritären Pol andererseits strukturiert.39 Zwar sind 35 36 37 38 39
Vgl. Downs 1957. Vgl. Detterbeck 2011. Vgl. Lipset/Rokkan 1967, Eith/Mielke 2001. Vgl. Franzmann 2017. Vgl. Korte 2009.
19
2. Stand der Parteienorganisationsforschung
diese Achsen äußerst stabil, allerdings können neue Konflikte hinzutreten. Im Rahmen des Wertewandels der 1970er Jahre bildete sich eine neue Konfliktlinie zwischen materialistischen und postmaterialistischen Werten heraus, welche letztlich die Entstehung und Etablierung grüner Parteien beförderte.40 Auch im Hinblick auf die fortschreitende europäische Integration wird diskutiert, inwieweit sich diese als neuer stabiler Konflikt fassen lässt. Anders als in Deutschland existieren in vielen anderen europäischen Ländern bereits länger euroskeptische bis eurofeindliche Parteien, deren Forderungen von einem Rückbau der Integration bis hin zu einem Austritt aus der Europäischen Union reichen. Neuere Ansätze sehen in der Kontroverse über die Frage zur Zukunft des europäischen Projekts eine tiefergehende Spaltung der Gesellschaft. So spricht Merkel etwa vom Gegensatz von (nationalen) Kommunitarismus und Kosmopolitismus.41 Entlang einer ähnlichen Logik erklären Vehrkamp und Wegschaider den erfolgreichen Einzug der AfD in den Bundestag bei der Wahl 2017 mit einem grundsätzlichen Konflikt zwischen Modernisierungsgewinnern und Modernisierungsverlierern.42 Die in der Sozialstruktur verankerten Konfliktlinien eröffnen den Parteien Ansatzpunkte und Chancen zum Aufbau und Erhalt einer Stammwählerschaft. Dabei ist es unverzichtbar, dass die Parteien diese politischen Zweckbündnisse in regelmäßigen Abständen inhaltlich-programmatisch bestätigen oder entsprechend der aktuellen politischen Gesamtsituation neu interpretieren.43 „Versäumen es die Parteien über einen längeren Zeitraum hinweg, die politischen Interessen ihrer potenziellen Wähler öffentlichkeitswirksam glaubhaft zu artikulieren bzw. in der Regierungsverantwortung in konkrete Politik umzusetzen, ist ein Rückgang von parteipolitischer Unterstützung und ein Bedeutungsverlust von Parteibindungen keineswegs überraschend – oder schicksalhaft gar dem ‚sozialen Wandel’ oder ‚Zeitgeist’ zuzurechnen.“44
Das heißt, Parteien übersetzen in ihrer Programmarbeit ideologische Fundamente jeweils in konkrete Politikziele.45 Sie sind nicht auf die Rolle als passives Sprachrohr zu reduzieren, sondern sie interpretieren und entwickeln grundlegende politische Werte (zum Beispiel Gerechtigkeit, Gleichheit, Freiheit) auf eine kohärente und systematische Art.46 Sie ermögli40 41 42 43 44 45 46
Vgl. Inglehart 1983, Switek 2015. Vgl. Merkel 2017a. Vgl. Vehrkamp/Wegschaider 2017. Vgl. Eith 2003: 45. Eith 2003: 45. Vgl. Anan 2017. Vgl. Bonotti 2011: 21.
20
2. Stand der Parteienorganisationsforschung
chen damit eine Verbindung unterschiedlicher Aspekte der politischen Welt über Themen und Zeit hinweg. Bonotti charakterisiert Parteien daher als bilingual, da sie gleichzeitig über allgemeine und spezifische Prinzipien sprechen können, gewissermaßen als Brücke zwischen Parteilichkeit und Einheit.47 Während die Wahlforschung nach dem Einfluss der Parteipositionen auf die Wahlentscheidung fragt, sind für die Koalitionsforschung die damit zu ermittelnden Distanzen von Interesse – aus Perspektive der Parteiorganisationsforschung kommen hier vor allem drei Punkte zum Tragen. Erstens hängt die Entscheidung für den Eintritt in eine Partei unter anderem an dem programmatischen Angebot.48 Zugleich werden neugewonnene Mitglieder im Sinne dieser Ziele sozialisiert.49 Die Ziele und Themen fungieren als einigendes Band für die in einer Partei aktiven (und auch inaktiven) Individuen. Gerade vor dem Hintergrund einer hochgradig fragmentierten Organisationsform und den zwei Welten von Freiwilligenund Berufspolitikerpartei bilden Ideologie und Programmatik eine einigende Klammer. In den Augen der Unterstützer sorgt die Ideologie für die Identität der Organisation.50 Ehrenamtliche Tätigkeiten werden erbracht, weil man an das gemeinsame Ziel glaubt und nicht, weil man dafür entlohnt wird. „The organizational ideology is thus the primary source of collective incentives.“51 Zugleich gilt: Je länger ein Mitglied sich in einer Partei engagiert und je mehr es tatsächlich Gremienarbeit leistet, umso mehr formt die Partei dessen Sicht auf die Welt und die politischen Probleme. Akteure erlangen mit der Zeit eine „Parteibrille“, die ihnen hilft, komplexe Problemlagen zu ordnen und zu verstehen. Bei dem Blick in eine Partei muss das dem Forscher bewusst sein, weil der Ablauf interner Entscheidungsprozesse somit nur bedingt objektivierbaren oder abstrakten Kriterien unterliegt. In diesem Sinne sind – zweitens – gerade die Prozesse der Programmfestlegung zentral für Parteien.52 Hier verständigen sich die Mitglieder über ihre eigene Identität und verhandeln mit anderen Mitgliedern über ihre politischen Einstellungen. Durch die Mitwirkung an solchen Prozessen verstehen sich Mitglieder – vor allem, wenn sie einfache Basismitglie-
47 48 49 50 51 52
Vgl. Bonotti 2011: 22. Vgl. Spier et al. 2011. Vgl. Wiesendahl 1996. Vgl. Panebianco 1988: 11. Panebianco 1988: 11. Vgl. Däubler 2012.
21
2. Stand der Parteienorganisationsforschung
der sind – als Teil der Organisation. Sie können auf Parteitagen mit Änderungsanträgen an der Programmformulierung teilnehmen oder in Mitgliederentscheiden direkt über Sachfragen mit befinden. Durch die Programmformulierung erfüllen Parteien die Funktion der Interessenaggregation, in dem nicht nur Interessen addiert und vorgebracht werden, sondern diese durch Deliberation und Kompromiss auf einheitliche Positionen verdichtet werden. Selbst wenn sich Mitglieder mit ihren Präferenzen nicht im Endergebnis wiederfinden, stärken die Möglichkeiten der Partizipation das Zugehörigkeitsgefühl und die Loyalität. Wuttke, Jungherr und Schoen zeigen beispielsweise in ihrer Analyse einer Abstimmung im Berliner Landesverband der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands (CDU) über die Frage der Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften zur Ehe, dass die Durchführung beziehungsweise Teilnahme an einer solchen Befragung - unabhängig vom Ausgang - die Zufriedenheit der Mitglieder erhöht und in der Folge für ein aktiveres Parteiinnenleben sorgt.53 Gerade die detaillierte Analyse dieser Prozesse mit Deutung, Auslegung und Festlegung von Politikinhalten ist für Parteienforscher von großem Interesse, zugleich liegen hier bislang nur wenige detaillierte Studien vor. Schließlich können sich die ideologischen Fundamente drittens auf den Aufbau der Parteiorganisation auswirken.54 Wie bereits beschrieben, waren in der Frühphase der europäischen Demokratisierung die konservativen, meist staatsnahen Parteien in der Regel lose Vereinigungen einflussreicher Bürger, während die Herausforderer wie sozialistische und kommunistische Parteien häufig hochgradig institutionalisierte Massenparteien waren, die sich auf ihre Mitgliederbasis als Ressource und Gegenpol im Einsatz gegen die überlegene staatliche Gewalt stützten.55 Auch bei den Grünen bedingte das programmatische Grundprinzip der Basisdemokratie, dass man beim Aufbau der Parteiorganisation gezielt andere Wege ging.56 Es wurden zahlreiche organisatorische Instrumente implementiert, um die Herausbildung einer starken Führungsschicht zu verhindern (zum Beispiel Rotationsprinzip, Öffentlichkeit von Sitzungen, Facharbeitergehalt für Abgeordnete). Selbst wenn die Regeln heute nicht mehr gelten, bleiben Spuren dieser Vorstellungen in der grünen Organisationskultur verankert.57 53 54 55 56 57
Vgl. Wuttke/Jungherr/Schoen 2017. Vgl. Blank 2009. Vgl. Alemann 2003. Vgl. Poguntke 1987, Raschke 1993. Vgl. Switek 2012.
22
2. Stand der Parteienorganisationsforschung
Die Piratenpartei, die zumindest zeitweise in mehreren Landtagen in Deutschland vertreten war, griff diese Vorstellung in gewisser Weise wieder auf, indem sie vor dem Hintergrund der technischen Neuerungen ebenfalls einen neuen Parteityp bilden wollte.58 Das Selbstverständnis sah vor, dass Mitglieder durch Online-Partizipation und Konzepte wie Liquid Democracy und Liquid Feedback ständig aktiv (oder zumindest durch kurzfristige Delegation) in die Programmformulierung eingebunden sind.59 Der Fall der Piratenpartei zeigt durch ihr Scheitern aber genauso deutlich, dass Parteiorganisationen mehr sind als die Summe von Verfahren, um zu politischen Positionen zu kommen. Auf der anderen Seite haben die etablierten Parteien einiges von den Piraten aufgegriffen, indem sie Experimente mit internet-gestützten Beteiligungsverfahren oder internen Parteinetzwerken wagen.60 Ohnehin unterliegen sie einer schleichenden Modernisierung und Digitalisierung, da letztlich auch die Mitglieder sich verstärkt über entsprechende Kanäle austauschen und koordinieren. Zu beobachten ist dabei, wie Parteien hinsichtlich dieser neuen Technologien voneinander lernen – sowohl von Konkurrenten als auch innerhalb der Landesgliederungen einer Partei. Hinsichtlich ihrer ideologischen Grundierung lassen sich Parteien somit als „säkulare Kirche“61 oder „Weltanschauungspartei“62 bezeichnen. Parteien weisen grundsätzlich eine hohe programmatische Stabilität auf.63 Das heißt aber nicht, dass gar kein Wandel stattfindet oder möglich ist. Häufig ergibt sich dieser schleichend, etwa unter Einfluss eines sich ändernden Zeitgeistes.64 Ein anderes Muster ist der Wandel aufgrund von Zwängen des Regierungshandelns – hier ergeben sich gelegentlich besonders radikale Politikwechsel.65 Schließlich zeigen Studien, dass es gerade nach einem Wechsel von der Regierung zurück in die Opposition meist eine nachholende Überarbeitung der Programmatik im Sinne einer Aufarbeitung der Regierungszeit gibt.66 Auf der anderen Seite ist nicht zu unterschätzen, dass Parteien durchaus aktiv ihre Position verschieben können – etwa um sich strategisch neue Wählerschichten zu erschließen. In diese 58 59 60 61 62 63 64 65 66
Vgl. Bieber/Leggewie 2012. Vgl. Vogelmann 2012. Vgl. Gerl/Marschall/Wilker 2016, Korte 2012c. Hartmann 2013: 130. Weber 2002: 839. Vgl. Janda et al. 1995. Vgl. Anan 2017. Vgl. Rüb 2014b. Vgl. Anan 2017.
23
2. Stand der Parteienorganisationsforschung
Richtung geht beispielsweise der länderübergreifend abgestimmte Versuch einiger sozialdemokratischer Regierungsparteien, Anfang der 2000er Jahre einen neuen Weg für die Parteifamilie vorzuschlagen (Schröder-BlairPapier und Dritter Weg).67 Zwei Punkte sind bei der Verdichtung einer Partei auf eine programmatische Position zu beachten: Erstens gilt – wie in Kapitel 2.3 noch ausführlich dargelegt wird –, dass Parteien in Deutschland über eine föderale Struktur verfügen, sich also aus eigenständigen Landesverbänden zusammensetzen. Die Landesparteien können durchaus abweichende Positionen von der Gesamtlinie der Partei aufweisen.68 Das hat einerseits Konsequenzen für Wahlentscheidungen und Koalitionsbildungen in den Ländern, verweist aber zugleich auf die notwendige Integrationsaufgabe der Bundespartei, die verschiedenen Profile in einer geteilten Identität zusammenzuführen. Das kann sich schwierig gestalten, wenn beispielsweise wie bei der Linkspartei die Landesverbände in den alten und neuen Bundesländern äußerst divergierende Profile besitzen.69 Auf einen weiteren Punkt weisen Harmel et al. hin, die anhand von kodierten Wahlprogrammen der Frage nach dem Zusammenhang von Salienz (das heißt der Betonung einzelner Themen und Streitfragen) und Position (das heißt der Richtung) nachgehen.70 Sie finden Hinweise dazu, dass sich Parteien im Hinblick auf ihre Wahlprogramme strategisch zweigleisig verhalten, indem sie Signale gegenüber ihrer Mitgliedschaft senden, die aber nicht zwingend denen nach außen zu den Wählern gesendeten entsprechen müssen. 2.2 Demokratische Führung „Eine Organisation ist, akteurtheoretisch betrachtet, zunächst eine bestimmte Art von Konstellation individueller Akteure: ihrer Mitglieder. Diese Konstellation kann einen korporativen Akteur bilden und besitzt dann mehr oder weniger Handlungsfähigkeit.“71 Wie handelt eine solche aus zahlreichen Individuen zusammengesetzte Entität? Nach Mayntz und Scharpf existieren zur Herstellung kollektiver Handlungsfähigkeit drei grundsätzliche Modi, wobei der Modus der Hierarchie Organisationen prägt:72 Entscheidungsbefugnisse über das Handeln aller Beteiligten lie67 68 69 70 71 72
Vgl. Fröhlich 2000. Vgl. Bräuninger/Debus 2012. Vgl. Oppelland/Träger 2014. Vgl. Harmel et al. 2016. Schimank 2002: 2. Vgl. Mayntz/Scharpf 1995.
24
2. Stand der Parteienorganisationsforschung
gen bei einer übergeordneten Leitungsinstanz. Das gilt auch für Partei-Organisationen, wobei hier die Hierarchie polyarchisch überformt ist, da die Zielsetzungen an gemeinsame Interessen der Mitglieder rückgebunden bleiben. Donges weist darauf hin, dass die kollektive Handlungsfähigkeit bei Parteien in verstärktem Maße von den anstehenden Aufgaben abhängt und stets wieder neu organisiert werden muss: „So schaffen es Parteien nur temporär, kollektive Handlungsfähigkeit aufrecht zu erhalten, beispielsweise während einer [Wahl-]Kampagne.“73 In jedem Fall sind Parteien der Kategorie Interessenorganisation zuzurechnen: „Individuelle Einflusspotenziale wie Macht, Geld oder Wissen werden durch den organisatorischen Zusammenschluss gebündelt und können daher effektiver für die Durchsetzung der je individuellen, aber gemeinsamen Interessen eingesetzt werden (...).“74 Die ursprüngliche Ranggleichheit aller Mitglieder wird bei dem Zusammengehen in einer Organisation durch eine Führung und repräsentativ-demokratische Verfahren ersetzt. „Was es an Führungspositionen gibt, wird durch Entscheidungen vonseiten der dieser Führung Unterworfenen bestimmt, ebenso wie – in Form von Wahlen – die personelle Besetzung dieser Positionen.“75 Panebianco sieht als Konsequenz dieses Vorgehens ein letztlich unauflösbares Dilemma: Die Hierarchisierung sorgt einerseits für eine Entwertung der unteren Ebenen, ist aber andererseits zwingend notwendig, um überhaupt eine Arbeitsfähigkeit der Organisation sicherzustellen.76 Aus dem Wechselspiel zwischen Führung und Basis ergibt sich die bereits angeführte Dynamik, dass sich die Parteiführung als Oligarchie verselbständigt und von ihrer „Basis“ entfernt.77 Die möglichen Reaktionsstrategien der Mitgliedschaft unterscheiden sich je nachdem, welcher der beiden Welten diese angehören (Panebianco spricht fließender von einem Partizipationskontinuum78). Für Berufspolitiker ist es eine potenziell verlustreiche Entscheidung, die Organisation zu verlassen, sodass meist mit einer parteiinternen Gegenmobilisierung oder dem Aufbau von eigenen Unterstützernetzwerken reagiert wird. Die einfachen Parteimitglieder wählen hingegen oft den Austritt (exit) und seltener die Strategie des Widerspruchs (voice).79 Beides zusammengenommen kann in großen Zahlen 73 74 75 76 77 78 79
Donges 2010: 70. Schimank 2002: 6. Schimank 2002: 10. Vgl. Panebianco 1988: 28. Vgl. Michels 1911. Vgl. Panebianco 1988: 26. Vgl. Hirschman, 1970.
25
2. Stand der Parteienorganisationsforschung
die Parteiführung durchaus unter Druck setzen. Die seit den 1990er Jahren kontinuierlich fallenden Mitgliederzahlen der beiden deutschen Großparteien CDU und SPD befeuern beispielsweise regelmäßige Debatten über notwendige Parteireformen oder Konsequenzen eines möglichen Endes der Volksparteien.80 Die kollektive Handlungsfähigkeit ist hierdurch nie völlig ungefährdet: „Führung muss durch eigenes Verhalten und dessen Inszenierung dafür sorgen, dass die ‚Basis' bei der Stange bleibt“81, mit anderen Worten Legitimationsbeschaffung betreiben. Die Komplexität von Parteien als Organisationen spiegelt sich im breiten Spektrum der Antworten, die auf die Frage nach der Handlungsfähigkeit als kollektiver Akteur bisher gegeben wurden. Zwar beschränken sich die im Folgenden dargestellten Erklärungsansätze nicht auf Handlungsfähigkeit oder Entscheidungsprozesse im engeren Sinne, sondern beschreiben stärker die Parteiorganisation als Ganzes. Dennoch umfassen sie dabei auch immer Aussagen über die Wege der Entscheidungsfindung und die Herstellung von Handlungsfähigkeit. Wie bereits angeführt, nahm Eldersveld sich der Oligarchie-These von Michels an, fand in seiner Studie zu US-amerikanischen Parteien allerdings nicht die eine machtvolle zentrale Parteielite, sondern mehrere Führungszirkel auf unterschiedlichen Ebenen. Seinem Modell nach bilden sich in Parteien verschiedene Machtzentren heraus, weswegen sie treffender als Stratarchien zu charakterisieren sind.82 Die oberste Führungsspitze einer Partei verfügt zwar über die Autorität, für die Organisation als Ganzes zu sprechen, doch ihre Kontrollmöglichkeiten über die Untereinheiten sind letztlich gering. Eine effiziente, durchgreifende Parteiführung ist kaum möglich. Die fehlenden Möglichkeiten zur zentralen Steuerung griffen neuere Arbeiten auf, indem sie zuspitzend von Parteien als fragmentierten, lose gekoppelten Anarchien83 oder organisierten Anarchien84 sprechen. Wir stimmen der Aussage, dass Parteien „an konventionellen Standards des Organisierens gemessen, unorganisiert [sind]“85 grundsätzlich zu. Doch der Begriff Anarchie „(...) impliziert freilich einen Mangel an interner Formalisierung und Integration der einzelnen Parteifragmente, der in der Realität westeuropäischer Parteien eher die Ausnahme als die Regel ist (...)“86 und vernachlässigt einer80 81 82 83 84 85 86
Vgl. Wiesendahl 2006b. Schimank 2002: 15. Vgl. Eldersveld 1964. Vgl. Wiesendahl 1998. Vgl. Schmid 1990. Wiesendahl, 1998: 242. Poguntke 2000: 34.
26
2. Stand der Parteienorganisationsforschung
seits die Bindekraft der formalen Parteiorganisation sowie andererseits das Strukturierungspotenzial informeller Netzwerke oder Gruppen. Dementsprechend knüpfen die einzelnen Bände der Parteienreihe bei der Analyse des Ablaufs von Entscheidungsprozessen und der an ihnen beteiligten Akteure in den deutschen Parteien vor allem an das Modell von Eldersveld an. Streng genommen ist die stratarchische Einordnung der Parteien dabei nur eine Dimension seines theoretischen Ansatzes. Vier weiterführende Beschreibungen bietet er auf Grundlage seiner empirischen Studie an: „The party is an open, clientele-oriented structure, permeable at its base as well at its apex, highly preoccupied with the recruitment of 'deviant' social categories, and willing to provide mobility and access for these categories into the major operational and decisional centers of the structure. The party is also a 'stratarchical' control structure, rather than an elitist command structure. Power is devolved and proliferated to echelon commands, decision-making is autonomized at the lower reaches of the structure, and deference is not exclusively upward, but reciprocal. In addition, the party structure must be visualized as a tenuous alliance of socio-economic subcoalitions with varying degrees of subgroup cohesion, identification, and interaction, subcoalitions which exist in a mutually exploitative relationship to the party, and with varying potentials for disloyalty and disaffection. Finally, we see the party, not as a singular body of elitists, but as an aggregate of career classes performing differential structural functions, yet not molded into a hierarchy of subelites whose power prerogatives and structural status are closely determined by a top leadership group.”87
Erstens sind die Grenzen zwischen Partei und Umwelt fließend. Für ein Verständnis des Parteiinnenlebens müssen relevante Umwelten wie Vorfeldorganisationen, Öffentlichkeit, Wähler und Medien hinzugezogen werden. Zweitens bilden sich in einer Partei verschiedene Führungsgruppen und Machtzentren heraus. Zwar verfügt die Parteispitze über Einfluss, sie steht jedoch in einem latenten Konflikt mit anderen Parteiebenen. Eine hierarchische top-down Steuerung ist nicht möglich. Daran schließt sich drittens an, dass eine Partei als Allianz aus einzelnen Gruppen zu verstehen ist. Diese Untergruppen umfassen einerseits formale Gremien und Organe (wie etwa Parteivorstände, Parteitage, Landesverbände), können darüber hinaus auch weniger formale oder informelle Faktionen oder Strömungen sein. Das ist insofern zentral, da diese subcoalitions (formal und informell) einflussreiche Akteure im Entscheidungsprozess sind. Schließlich gliedert sich die Mitgliedschaft einer Partei in unterschiedliche Typen: 87 Eldersveld 1964: 526f.
27
2. Stand der Parteienorganisationsforschung
Ein einfaches, passives Basismitglied hat zwar das Potenzial, durch voice oder exit Einfluss ausüben, der Handlungsspielraum von hauptamtlichen Parteifunktionären, Parteitagsdelegierten oder Parteivorständen fällt aber ungleich größer aus. Gleichzeitig können sich die Zielsetzungen der Gruppen deutlich unterscheiden. Während ein Parteitagsdelegierter möglicherweise das Ziel verfolgt, eine bestimmte Position durchzusetzen (policyseeking), spielen etwa bei einem Abgeordneten Überlegungen zu seiner beruflichen Zukunft im politischen Handeln potenziell eine größere Rolle (office-seeking). Während das theoretische Modell von Eldersveld vor allem auf die Parteiorganisation fokussiert und auf die machtvollen Positionen der Anführer einzelner innerparteilicher Gruppierungen abhebt, ergänzen Katz und Mair in ihrem analytischen Konzept einer Partei das Handlungsfeld der parlamentarischen Vertretung beziehungsweise die von einer Partei besetzten Regierungsämter.88 Sie unterscheiden drei Gesichter einer Partei: party central office, party in public office, party on the ground. Diese Unterscheidung beruht auf der Überlegung, dass je nach betrachteter Arena unterschiedliche Interessen und Handlungslogiken im Vordergrund stehen. Bei Mandatsträgern und gegebenenfalls Regierungsmitgliedern bedingen die Parlaments- beziehungsweise Regierungsarbeit sowie die Abhängigkeit von Wahlen eine pragmatische Orientierung, während die Parteiführungsstäbe ein Interesse an der Sicherung von organisatorischen Ressourcen für den eigenen Apparat und ein anderes Aufgabenspektrum (zum Beispiel Wahlkampfführung, Mitgliederverwaltung, Programmarbeit, Schulung von Parteifunktionären) haben.89 Der hauptamtliche Parteiapparat ist im Parteiorganisationsalltag funktional und handlungstheoretisch als Kern der Parteiorganisation zu verstehen.90 Allerdings zeigt sich seit einiger Zeit ein Trend zur Auslagerung bestimmter Aufgaben:91 Erstens findet eine Verlagerung in die stark gewachsenen Mitarbeiterstäbe der Fraktionen sowie die politischen Stiftungen statt. Zweitens wird bei der Wahlkampf- und Kampagnenarbeit auf Unterstützung externer Agenturen und Demoskopie-Institute zurückgegriffen. Strenggenommen sollte man eher davon sprechen, dass externe Kompetenz temporär ergänzend in die Geschäftsstellen implementiert wird, was zu einer „doppelten Professionali-
88 89 90 91
Vgl. Mair 1994, Katz 2002. Vgl. Poguntke 2000: 33. Vgl. Bukow 2013: 162. Vgl. Bukow 2013: 165f.
28
2. Stand der Parteienorganisationsforschung
sierung“92 führt. Drittens wird in geringen Teilen das administrative Organisationsmanagement selbst ausgelagert, wobei hier vor allem parteieigene Ausgründungen vorzufinden sind. Trotz der analytischen (und verfassungsrechtlich gebotenen) Trennung in Spitze der Parteiorganisation im engeren Sinne und Führungspersonal in öffentlichen Ämtern findet sich in der Praxis eine starke personelle Verflechtung zwischen diesen beiden Arenen. Im Gegensatz hierzu wird die Mitgliederorganisation in erster Linie von der inhaltlichen Orientierung der einfachen Parteimitglieder geprägt. Diese sind nur gelegentlich aktiv und bringen sich mehr in Wahlkampfzeiten ein – sie erfüllen letztlich eine Brückenfunktion zwischen der Gesellschaft beziehungsweise Wählerschaft als Ganzem und der Führungsspitze einer Partei, indem sie als eine Art Resonanzboden wirken.93 Diese analytische Dreiteilung überschneidet sich mit einer Charakterisierung der Mitgliedertypen:94 Aus unterschiedlichen Beitrittsmotiven resultieren unterschiedliche Interessen und Ziele der Parteimitglieder. Während Parteiführung und Mandatsträger als Parteieliten ein hohes Aktivitätsniveau haben und ihnen aufgrund ihrer Position hohes Einflusspotenzial zukommt (zum Beispiel Zugang zu Medien, Agenda-Setting, Parteitagsregie), stehen für die einfachen Mitglieder oft Inhalte oder allgemeine Motive (Ideologie, demokratische Pflicht) oder sogar politikferne Gesichtspunkte (Sozialisation, Geselligkeit) im Vordergrund.95 So sind in den deutschen Parteien der weitaus größte Teil der Mitglieder ausschließlich passive Beitragszahler,96 deren tatsächlicher Einfluss auf die Entscheidungsprozesse in regulären Zeiten gering ausfällt. Dennoch können diese erstens in unruhigen Zeiten eines Kurswechsels potenziell mobilisiert werden, zugleich stellen die Parteien zweitens mit dem verstärkten Einsatz direktdemokratischer Instrumente vermehrt Partizipationsmöglichkeiten zur Verfügung (zum Beispiel Wahl der Spitzenkandidaten bei den Grünen oder die Mitgliederentscheide der SPD über den Eintritt in die Große Koalition; siehe Kapitel 4). Vor diesen organisationsspezifischen Rahmenbedingungen sind nach Lösche vor allem drei Strategien erkennbar, mit denen die Parteivorsitzenden dennoch eigene Machtressourcen ausbauen und über welche sie sich
92 93 94 95 96
Detterbeck 2002: 124. Vgl. Poguntke 2000. Vgl. Alemann 2003: 144ff. Vgl. Biehl 2005. Vgl. Alemann 2003: 144f.
29
2. Stand der Parteienorganisationsforschung
den Zugriff auf die Partei sichern – also politische Führung leisten:97 erstens die Personalunion zentraler Ämter, zweitens der Aufbau informeller Netzwerke über die verschiedenen Parteiebenen hinweg sowie drittens die Unterstützung durch einen engen Kreis loyaler Berater („Küchenkabinett“).98 Die Positionsverflechtung sieht Herzog ebenfalls als wichtiges Strukturmerkmal der politischen Führung in deutschen Parteien:99 Über Ämterkummulation wird ein Führungsgremium, wie beispielsweise ein Parteivorstandsamt, vertikal über verschiedene Ebenen und horizontal in verschiedenen Funktionsbereichen mit anderen Zentren der soziopolitischen Machtstruktur verzahnt. Seine empirische Analyse der deutschen Parteivorsitzenden verdichtet Lösche parteiübergreifend in drei Typen politischer Führung: charismatisch, organisatorisch-bürokratisch und präsidial. Wiesendahl hingegen bestimmt über den Führungsstil hinaus den Einfluss parteiinterner Positionen vor allem über die daran geknüpften Machtmittel und -ressourcen (zum Beispiel Kontrolle von Ein- und Austritt; Bestimmung von Verhaltensnormen; Auslegung und Anwendung von Entscheidungsregeln; Pflege, Vermittlung und Interpretation parteispezifischer Werte, Symbole und Traditionen).100 Allerdings rücken neuere Arbeiten davon ab, ausschließlich die Rolle der politischen Führung in den Blick zu nehmen, und ergänzen die weiteren Akteure in der Partei als Führungsadressaten.101 Sowohl die Adressaten als heterogene und nicht monolithisch geschlossene Gruppe wie auch die Parteispitze als engerer Führungskern müssen dabei jeweils für die konkreten Untersuchungszeiträume definiert werden. Treibel sieht beispielsweise für die FDP von 2001 bis 2011 ein vorrangig individuelles Führungsregime durch den machtvollen und unangefochtenen Vorsitzenden Guido Westerwelle.102 Hier wäre beispielsweise zu fragen, inwieweit die vor allem von Christian Lindner initiierte und vorangetriebene personelle und programmatische Erneuerung der Liberalen nach dem Scheitern an der Fünfprozenthürde bei der Bundestagswahl 2013, die 2017 mit dem Wiedereinzug in den Bundestag belohnt wurde, nun wieder als ein ähnliches Führungsregime eingeordnet werden kann.
97 98 99 100 101 102
Vgl. Lösche 2005. Vgl. zum „Küchenkabinett“ auch Grunden 2009. Vgl. Herzog 1997: 311f. Vgl. Wiesendahl 1980: 268. Vgl. Treibel 2014a. Vgl. Treibel 2013.
30
2. Stand der Parteienorganisationsforschung
Das zeigt zugleich, dass die Führungs- und Steuerungsmöglichkeiten je nach betrachteter Situation variieren. Das Verhalten individueller Akteure kann einen Unterschied gerade in Krisensituationen (wie bei einer massiven Wahlniederlage) machen und weniger in der Routinepolitik, wo institutionelle Regeln und eingeübte Prozeduren den Handlungskorridor abstecken.103 Insgesamt wird durch die Ausführungen deutlich, dass für die Parteien als Akteure in der politischen Sphäre sehr spezifische Bedingungen gelten, die sich trotz einer ähnlichen hierarchischen Struktur etwa von der Leitung von Unternehmen grundsätzlich unterscheiden: „Im Gegensatz zur ökonomischen Führung, heißt Führung in der Politik vor allem öffentliche Exponiertheit und tägliche Mehrheitsbildung aus sehr unterschiedlichen Interessengruppen. Zudem sind Loyalitäten in der Politik nur auf Zeit geliehen. Politische Führung ist deshalb häufig eher pragmatische Moderation als hierarchische Steuerung. Es gilt die Sachrationalität der geplanten Maßnahme mit der politischen Vermittlungs- und Durchsetzungsrationalität abzuwägen.“104
Die Position des Parteivorsitzenden lässt sich nicht trennen von den im ersten Punkt angeführten inhaltlichen Standpunkten einer Partei. Wie ein Programmdokument im besten Fall die Vielfalt einer Partei aggregiert, muss auch die Parteispitze unterschiedliche Ausrichtungen in der Partei repräsentieren. Gerade die großen Catch-All-Parteien versammeln eine heterogene Mitgliedschaft, bei der jede Untergruppierung sich ihre eigenen Ziele als Priorität der Partei wünscht.105 Allerdings finden sich einige bemerkenswerte Unterschiede zwischen den Parteien:106 Während in der SPD Kandidaten in parteiinternen Wahlen für den Vorsitz weniger Stimmen bekommen, wenn sie von der mittigen Parteilinie abweichen, gilt das für die CDU nicht. Zugleich immunisiert der Regierungsstatus gegen einen Popularitätsverlust durch Abweichungen – ein weiterer Hinweis darauf, wie eine Regierungsbeteiligung auf die Willensbildung- und Entscheidungsfindung in Parteien zurückwirkt. Ein anderes Muster findet sich hinsichtlich der in einer Partei vertretenen Koalitionspräferenzen. Neue Regierungsbündnisse sind in der Regel vor Wahlen bei Parteianhängern unpopulär, erst mit der tatsächlichen Umsetzung steigen in der Regel die
103 104 105 106
Vgl. Glaab 2013. Grasselt/Korte 2007: 195. Vgl. Kirchheimer 1990. Vgl. Greene/Haber 2014.
31
2. Stand der Parteienorganisationsforschung
Zustimmungswerte.107 Es liegt an der Parteiführung, hier innerparteilich um Mehrheiten zu werben und eine Akzeptanzbasis für neue Bündnisse zu schaffen. Unabhängig von parteispezifischen Mustern der demokratischen Führung findet sich eine umfassendere und länderübergreifende Entwicklung hinsichtlich von Kontrolle und Einflussmöglichkeiten auf innerparteiliche Entscheidungsprozesse, was unter dem Begriff der Kartellpartei zusammengefasst wurde.108 Durch die Anlehnung an den Staat generieren Mandatsträger und Regierungsvertreter durch die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen innerparteilich Einfluss, wodurch wiederum Parteigremien und Parteifunktionäre geschwächt werden. 2.3 Fragmentierung und Faktionalismus In den beiden vorherigen Punkten klang bereits an, dass sich eine Partei erstens nur bedingt auf eine einzelne politische Position reduzieren lässt und dass zweitens die streng-hierarchische Führung der Organisation von oben nicht möglich ist. Unter anderem liegt das an der geschilderten, hochgradigen Fragmentierung des Innenlebens einer Parteiorganisation. Diese Komplexität äußert sich in zwei Dimensionen: Einerseits ist dies ein zwangsläufiges Resultat der Stellung als Verbindungsglied zwischen Gesellschaft und Staat im politischen System und den damit zusammenhängenden Bedingungen der deutschen Parteiendemokratie. Eine Partei umfasst meist die formal getrennten Sphären von Parteiorganisation und ihren Vertretern in öffentlichen Ämtern. Die formale Parteiorganisation wiederum spiegelt den föderalen Ausbau des politischen Systems, indem sie in eigenständige Landesverbände untergliedert ist. Diese haben wiederum eigene Führungsstrukturen und korrespondierende parlamentarische Vertretungen. Sind Landesparteien an einer Landesregierung beteiligt, so wirken sie über den Bundesrat an der Gesetzgebung auf Bundesebene mit. Hierdurch ergibt sich eine Spannung zwischen den Positionen der Bundespartei, die alle Landesgliederungen integrieren muss, und den Positionen einer Landespartei, welche auf die spezifischen Bedingungen des Bundeslands Rücksicht zu nehmen hat.109 Gerade bei den kleineren Parteien ergibt sich hierdurch ein erhöhter Abstimmungsbedarf. Exemplarisch hierfür lassen sich Bündnis 90/Die Grünen anführen, die seit der Bundestags107 Vgl. Switek 2013. 108 Vgl. Detterbeck 2002. 109 Vgl. Bräuninger/Debus 2012.
32
2. Stand der Parteienorganisationsforschung
wahl 2013 ihre Beteiligungen an Landesregierungen eine Zeit lang kontinuierlich ausgebaut hatten (teilweise in neuen, bislang nicht praktizierten Formaten), wodurch die Koordinationsrunde vor Bundesratssitzungen sich mehr und mehr institutionalisierte und dadurch die innerparteiliche Machtbalance verschob.110 Andererseits ist über die formalen Trennungslinien einer Partei hinaus der Blick auf die informellen Regelsysteme lohnenswert. Ohnehin rückt der mikropolitische Blick die Akteure in den Mittelpunkt und fragt nach ihren Strategien und Präferenzen. Das ist oftmals kontextabhängig, sodass anhand konkreter Prozesse der Ausgang rekonstruiert und erklärt werden kann. Aber es existieren auch stabilere und längerfristige informelle Strukturierungselemente, die prozess-übergreifend auf die Entscheidungsfindung in Parteien wirken. Parteien weisen – wie alle anderen Organisationen – neben ihrer formalen organisatorischen Struktur informelle Beziehungssysteme, Verfahrensweisen und Normen auf: „innerhalb des durch die formalen Strukturen gesetzten Rahmens entwickeln politische Organisationen informelle Prozesse und Machtzentren, beispielsweise durch die Ausbildung innerparteilicher Gruppierungen, die bei einer vollständigen Analyse innerparteilicher Entscheidungsabläufe berücksichtigt werden müssen.“111 Ein solches Verständnis einer Partei als Koalition von Gruppen stellt auch Sartori in den Mittelpunkt seines Untersuchungsansatzes: „Whatever the organisational – formal and informal – arrangement, a party is an aggregate of individuals forming constellations of rival groups. [...] And these inner-party divisions, along with the kind of interactions thus resulting, are in themselves a distinct and crucial area of concern.“112 Ein entsprechender Faktionalismus in Parteien stellt eine Form der Konfliktorganisation dar, durch den innerparteiliche Akteure kollektiv handeln, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Dabei besteht eine Wechselwirkung von parteiinternen Gruppen und Gesamtpartei: einerseits fragmentieren Strömungen, Flügel und Netzwerke die Partei nach Inhalten und Loyalitätsgruppen, andererseits verbinden und strukturieren sie gleichzeitig den Akteur Partei. Als Faktion wird jede parteiinterne Gruppierung bezeichnet, „[...] die über eine gewisse Zeit besteht, über ein Minimum an eigenständiger Organisation verfügt, ein gemeinsames Gruppenbewusstsein aufweist, gemeinsame politische Ziele, seien dies sachliche, personelle oder gruppenspezifische 110 Vgl. Jungjohann 2016. 111 Poguntke 2001: 2. 112 Sartori 2005: 64.
33
2. Stand der Parteienorganisationsforschung Interessen, innerhalb der Partei aktiv verfolgt, d.h. Einfluss auf diesbezügliche Entscheidungen nimmt, und daher sich als Block innerhalb der Partei abhebt.“113
Während Panebianco innerparteiliche Gruppen entlang ihres Organisationsgrades in die Kategorien tendencies und factions teilt,114 erfassen Köllner und Basedau die wesentlichen Merkmale von Faktionen analog zu den Beschreibungsmerkmalen von Parteiensystemen: Fragmentierung (Anzahl, Größenverhältnis, vertikale Tiefe), Institutionalisierung (formaler Organisationsgrad, Dauerhaftigkeit, Geschlossenheit) und Polarisierung (Schärfe der Auseinandersetzungsmuster, ideologische Entfernungsbeziehungen, Dynamik).115 Faktionen erfüllen in ihren Augen drei zentrale Funktionen:116 sie vertreten parteiexterne Interessen und Gruppen (Repräsentation), sie vertreten und vermitteln Ideologien, Programme und politische Anliegen (Artikulation) und sie vergeben Posten und Ressourcen für Personen (Distribution). Darüber hinaus können Faktionen emotionale und soziale Bedürfnisse ihrer Mitglieder befriedigen, dem Informationsaustausch dienen oder allgemeine Koordinations- und Managementaufgaben erfüllen. Beller und Belloni gehen in ihrer Analyse soweit, aus dem Blickwinkel des Modus des politischen Wettbewerbs den Unterschied zwischen Parteien und Faktionen so gut wie vollständig einzuebnen: „[...] parties (and there are many types of parties) and factions (the many types of factions) are equally to be understood as varieties of organizations of political competition.“117 Faktionen schaffen somit Struktur, indem sie Regeln aufstellen, an denen sich die innerparteilichen Akteure orientieren.118 Die Regeln können je nach Typ der Gruppierung unterschiedlich ausgeprägt sein: Eine schwach organisierte Strömung mit einer Führung auf ad-hoc-Basis mag ihre Forderungen in einer Partei nur schwerlich durchsetzen oder sanktionieren können, während eine institutionalisierte Faktion mit schriftlich festgelegten Positions- und Aufgabenzuweisungen, gruppeninternen Regeln und Prozeduren routinisierter Art und eigenen Publikationen als machtvoller Faktor bei einer innerparteilichen Entscheidungsfindung nicht umgangen werden kann.
113 114 115 116 117 118
Köllner/Basedau 2006: 14. Vgl. Panebianco 1988: 60f. Vgl. Köllner/Basedau 2006: 18f. Vgl. Köllner/Basedau 2006: 19. Beller/Belloni 1978: 447. Vgl. Köllner/Basedau 2006: 14.
34
2. Stand der Parteienorganisationsforschung
Die Auswirkungen von Faktionalismus auf die Entscheidungsprozesse hängen dabei von der Ausprägung und der konkret betrachteten Situation ab. Das Spektrum reicht von einer Moderation parteiinterner Spannungen und Stärkung der Kohäsion bis zur dysfunktionalen Lähmung der Partei.119 Obwohl Faktionalismus in der Regel nicht demokratisch strukturiert ist, kann er einen Beitrag zur innerparteilichen Demokratie leisten, indem er etwa die Monopolisierung der Kommunikationsströme verhindert.120 Maor kommt in einer vergleichenden Studie zu dem kontraintuitiven Ergebnis, dass dezentralisierte und faktionalisierte Parteien Vorteile bei der Koalitionsbildung und -stabilität haben, da sie besser mit der Kooperation verbundene parteiinterne Konflikte aushalten können.121 Zu einem ähnlich positiven Resultat kommen Dewan und Squintani: „We conclude that the existence of ideological factions may benefit a party: It provides a means to tie uninformed or extremist politicians to more moderate and informed faction leaders.“122 Ein treffendes Beispiel hierfür ist die CDU, bei welcher sich bei ihrer Gründung gleich mehrere Konfliktlinien manifestierten:123 die Spannung zwischen Zentrum und Peripherie, die sich in einem Gegeneinander der Landesverbände ausdrückte, Fragen zum Verhältnis von Kirche und Staat (zum Beispiel die Rolle von Konfessionsschulen), und schließlich dem Kapitalismus und dem Sozialismus zuneigende Lager. Diese gesellschaftliche Vielfalt wurde erfolgreich über Vereinigungen und Sonderorganisationen kanalisiert, so zum Beispiel die Repräsentation der protestantischen Minderheit im parteiinternen evangelischen Arbeitskreis (AEK). Die Kehrseite des Erfolgs der heterogenen Sammelpartei bildete eine gewisse Behäbigkeit, da die Berücksichtigung möglichst vieler Gruppeninteressen zu Lasten andere Funktionen der Partei vor allem an der Regierung ging (geringe Flexibilität und Inkrementalismus im policy output).124 2.4 Prekäre Stabilität Ein Wesensmerkmal von Parteien ist es, dass sie sich letztlich in einem stetigen Wandel befinden. Dieser ist häufig schleichend und unterschwellig sowie nur selten radikal. Zudem spielt er sich in unterschiedlichen Di119 120 121 122 123 124
Vgl. Köllner/Basedau 2006: 24. Vgl. Beyme 2000: 153. Vgl. Maor 1998. Dewan/Squintani 2016. Vgl. Dümig/Trefs/Zohlnhöfer 2006. Vgl. Dümig/Trefs/Zohlnhöfer 2006: 129.
35
2. Stand der Parteienorganisationsforschung
mensionen ab, sodass etwa das programmatische Fundament stabil bleibt, während sich umfangreiche organisatorische oder personelle Veränderungen ergeben. Entsprechend existiert als Unterzweig der Parteienforschung der party change-Strang, der sich explizit mit Bedingungen, Prozessen und Konsequenzen dieses Wandels auseinandersetzt.125 Einer Erklärung für diesen Wandel – wie er sich letztlich in allen anderen Organisationsformen abspielt – kommt man mit der fokussierten Betrachtung von formeller und informeller Dimension auf die Spur. Formale Regeln sind die schriftlich fixierten Regeln einer Organisation, das heißt die Satzungen oder Geschäftsordnungen als Verfahrensregelungsinstrumente, aber auch die vergangenen Beschlusssammlungen. Die Fiktion akteurloser Sozialität des Autopoiesis-Konzepts von Luhmann bringt zwar entsprechend die organisatorische Formalstruktur prägnant auf den Punkt, blendet aber einen großen Teil der informalen Organisation aus.126 Zunächst verfügen Regeln selten über eine offensichtliche Bedeutung und benötigen immer eine Auslegung. Wer über diese Auslegung entscheidet, hat eine hervorgehobene Position in der Partei und kann zugleich passiv Abweichungen tolerieren.127 Downs spricht hier von der Institutionalisierung der Abweichung von geschriebenen Normen.128 In diesem – und aus Perspektive der Mikropolitik entscheidenden – Bereich kommt dabei eingespielten persönlichen Beziehungen und Vertrauen in bestimmte Personen eine zentrale Rolle zu. Die kollektive Handlungsfähigkeit einer Partei fußt ebenso auf weicheren, weniger starren, aber dennoch geteilten und anerkannten Regeln. Auch wenn diese nicht formal fixiert sind, entfalten diese eine hohe Bindungswirkung. Die in einer Partei vorhandenen Faktionen, Flügel und Strömungen wurden bereits angeführt, hierzu lassen sich aber auch Proporzregeln für die Verteilung von Ämtern zählen, wie etwa die verpflichtenden Abgaben von Mandatsträgern an ihre Partei.129 Die informellen Regeln variieren nach Verbindlichkeit.130 In jedem Fall sind sie leichter zu ändern als formale Regeln, bei denen meist die Änderungsverfahren ebenfalls formal festgelegt sind. Grundsätzlich zeigt sich das Muster, dass informelle Regeln formale ergänzen oder überlagern und
125 126 127 128 129 130
Vgl. Harmel/Janda 1994. Vgl. Schimank 2002: 20. Vgl. Panebianco 1988: 35. Vgl. Downs 1967: 62. Vgl. Bolleyer 2012. Vgl. Grunden 2011.
36
2. Stand der Parteienorganisationsforschung
sich mit der Zeit formalisieren. Gerade dieses Spannungsverhältnis ist ursächlich für einen stetigen Wandlungsprozess. Das Pendel darf allerdings nicht zu weit in die andere Richtung ausschlagen: „Genauso unvollständig ist aber eine seit der Entdeckung von Informalität diese Seite von Organisationen verabsolutierende Sicht – als bestünde alles organisatorische Geschehen nur aus persönlichen Beziehungen und mikropolitischen Spielen. Es gibt die Formalstruktur, und sie ist auch nicht beliebig manipulierbar oder bloße Fassade, sondern eine sehr spürbare Prägung des Handelns von Organisationsmitgliedern.“131 Die formale Parteiorganisation stellt Akteuren einerseits Handlungsressourcen zur Verfügung und prägt andererseits deren Handlungen. Gerade die Verselbständigung der formalen Verhaltenserwartungen stellt kollektive Handlungsfähigkeit her. Sie kann aber auch zu dysfunktionaler Rigidität führen, in welchem Fall reaktionsfähige Informalität wichtig wird.132 Nur unter Einbeziehung beider Dimensionen kann der Ablauf der Entscheidungsprozesse in einer Partei und die Durchsetzung getroffener Entscheidungen verstanden werden. Rüb sieht als Gemeinsamkeit mikropolitischer Ansätze, dass diese eine starre Trennung in formale und informale Politik verwerfen und stattdessen die routinisierte und faktische Anwendung von Regeln in den Mittelpunkt stellen.133 Von Interesse sind dabei häufig destruktive Momente, in denen Akteure mit ihren Interessen die Regeln unterminieren, wie kreative Momente, in denen sich der Freiheitswille und das schöpferische Potenzial menschlichen Handelns realisiert. Für diesen Punkt gilt, dass Parteireformen als Veränderung der Organisationsverfasstheit kritische Phasen darstellen, weil dort temporäre Kompromisse aufgeschnürt werden und sich ein Gelegenheitsfenster für neue Regeln und damit neue Machtstrukturen ergibt. Es geht nie ausschließlich um eine sachorientierte Anpassung an neue Gegebenheiten, die involvierten Akteure haben immer auch Aufstiegs- und Karrierechancen sowie die Konsequenzen für innerorganisatorische Positionen im Blick. Organisationsfragen sind Machtfragen. Rye sieht hier seiner Konzeptionalisierung von Macht in Parteien nach zwei unterschiedliche Modi am Werk.134 Die Veränderung von Regeln fällt in die Kategorie der strategischen Machtanwendung, da durch Organisationsreformen längerfristig die Verfahren modifiziert werden, wie eine Gruppe ihre Ziele über die anderer Parteiakteure 131 132 133 134
Schimank 2002: 21. Vgl. Schimank 2002: 34. Vgl. Rüb 2013: 344. Vgl. Rye 2015.
37
2. Stand der Parteienorganisationsforschung
stellen kann (er zeigt das am Beispiel der Labour Party und der von Tony Blair initiierten Parteireformen, bei der es vor allem um eine Entmachtung der einflussreichen Gewerkschaften ging). Nach der Reform werden neue Regeln dann allgemein anerkannte Grundlage und es setzt eine Routinisierung ein. In der Folge geht es um die Ausübung administrativer Macht, welche Parteimitglieder diszipliniert und kontrolliert: „Its effect is to control and direct the actions of individuals and cohere them to the administrative machine and (thus) the organisation’s goals – e.g. winning elections and forming and sustaining governments.“135 Genauer in den Blick zu nehmen ist für ihn dabei die Balance zwischen der Parteibürokratie und dem politischen Aktivismus der Mitglieder: Je größer der administrative Anteil, umso mehr dreht sich das Innenleben um den Selbsterhalt der Organisation und weniger um die politischen Ziele. Die Spannung zwischen den beiden Dimensionen wird zu bestimmten Zeitpunkten besonders relevant, wie etwa beim erstmaligen Einzug in ein Parlament. Der Eintritt in die hochgradig verregelte Sphäre und die ständige Interaktion mit den dort bereits länger vertretenen Konkurrenten übt Druck auf in der außerparlamentarischen Opposition aufgebauten Strukturen aus. Am Beispiel der Grünen lässt sich das eindrucksvoll nachzeichnen,136 einer ähnlichen Herausforderung sieht sich die AfD gegenüber.137 Ein zweiter Kipppunkt ist der Eintritt in eine Landes- oder Bundesregierung. Gerade bei kleineren Parteien geraten die Routinen unter den Druck ergänzender Abstimmungsregeln mit dem Koalitionspartner.138 Die Praxis zur Verabschiedung von Koalitionsverträgen als Grundlage der Regierungsarbeit geht in Deutschland etwa gerade auf die FDP zurück, die damit 1961 bei der Verlängerung der Zusammenarbeit mit der Union ihre Machtposition festschreiben wollte.139 Zugleich verändert der Koalitionsausschuss als informelles Abstimmungsgremium die Machtbalance innerhalb der Parteien. „In Praktiken gedacht ist diese Form des Koalitionsmanagements eine Verhandlung, konkret eine Mischung aus negativer Koordination, Bargaining und positiver Koordination, wobei bei Dominanz letzterer ein Regierungsprogramm sachlicher und problemangemessener wäre als bei den anderen beiden Verhandlungstypen.“140 Gleiches gilt für
135 136 137 138 139 140
Rye 2015: 1061. Vgl. Hüllen 1990. Vgl. Schroeder et al. 2017. Vgl. Rudzio 2005, Florack 2013. Vgl. Rüb 2014a: 74. Rüb 2014a: 74 (Hervorhebung im Original).
38
2. Stand der Parteienorganisationsforschung
die im Zuge von Koalitionsverhandlungen vorgenommene Aufteilung und Besetzung von Ministerien. Auf dem Weg zu ihrer ersten Regierungsbeteiligung hatten Bündnis 90/Die Grünen zwar viele ihrer basisdemokratischen Instrumente im Bund abgeschafft, dennoch veränderten sich parteiinterne Abstimmungs- und Kommunikationsprozesse massiv dadurch, dass die beiden Strömungsfürsten Joschka Fischer und Jürgen Trittin 1998 auf Ministerposten wechselten.141 In der Regel richten Koalitionsregierungen eine Art Koalitionsausschuss ein, in dem die Spitzenrepräsentanten der Parteien und der Fraktionen zentrale Richtungsentscheidungen treffen.142 Die Entwicklungslinien lassen sich dabei häufig als zyklische Muster des Aufstiegs und Falls von Regierungen nachzeichnen, die parteiübergreifende Ähnlichkeiten zeigen.143 2.5 Impulse aus der Organisationsumwelt Der Blick in die Partei kann nicht unabhängig von äußeren Impulsen geschehen. Parteien sind nicht hermetisch abgeriegelte Entitäten, stattdessen verfügen sie über fluide Organisationsgrenzen. Parteien sind als soziale Organisationen in der Gestaltung ihrer Organisationsstrukturen nicht autonom; sie sind vielfältigen Einflüssen ihrer relevanten gesellschaftlichen Umwelten unterworfen. Es existieren zwar Ansätze, die in einem sehr engen Sinne nur den hauptberuflichen Teil einer Parteiorganisation inklusive der Partei in öffentlichen Ämtern als eigentlichen Kern definieren, und bereits die Parteibasis als erste engere Umwelt betrachten. Wir folgen diesem Verständnis allerdings nicht und zählen auch die lokalen Gliederungen (party on the ground) mit hinzu. Das Umfeld umfasst demnach Konkurrenten, Medien, Öffentlichkeit, Wähler sowie Rahmenbedingungen des politischen Systems.144 Auf den Zusammenhang von gesellschaftlichen Konfliktlinien und programmatischer Positionierung haben wir bereits hingewiesen (siehe auch Kapitel 5). In einer längerfristigen Betrachtung schrumpft allerdings in den meisten Ländern die Intensität der Anbindung der Parteien an spezifische gesellschaftliche Gruppen: „Given the erosion of cleavage politics and the consequent weakening of social group identities, parties maintain more of an ‚arms-length’ relationship with societies than in the heyday of 141 142 143 144
Vgl. Raschke 2001. Vgl. Rudzio 2005, Miller 2011. Vgl. Hirscher/Korte 2001. Vgl. Poguntke 2000.
39
2. Stand der Parteienorganisationsforschung
the mass party.“145 Auf der einen Seite erhöht das den programmatischen Spielraum der Parteispitze, auf der anderen Seite werden Abstürze oder katastrophale Niederlagen dadurch wahrscheinlicher. Zugleich findet sich eine gegenläufige Bewegung: Schon seit langer Zeit kooperieren nationale Parteien in internationalen Verbünden, in welchen sie sich über programmatische Fragen austauschen und die gewissermaßen eine institutionalisierte Form einer Parteifamilie darstellen.146 Sind diese Verbünde eher lose Koordinations- und Diskussionsplattformen, haben sie sich auf europäischer Ebene als so genannte Europarteien inzwischen stärker den Charakteristika nationaler Parteiorganisationen angenähert.147 Diese transnationalen Parteiverbünde verfügen über klassische Parteigremien wie Vorstand und Parteitag sowie Parteizentralen in Brüssel. Auch wenn ihre Mitglieder wiederum selbst Parteien sind, organisieren sie Prozesse der innerparteilichen Willensbildung und legen zu den Europawahlen Wahlprogramme vor.148 Bei der Europawahl rückten sie vor allem in den Fokus, weil sie die erstmals aufgestellten europaweiten Spitzenkandidaten kürten.149 Für die deutschen Parteien stellt vor allem die Wiedervereinigung eine Zäsur dar. Die westdeutschen Parteiorganisationen fusionierten entweder mit den entsprechenden Parteien in den neuen Bundesländern oder gründeten dort neue Strukturen. In den meisten Fällen bedeutete das einen massiven Mitgliederzuwachs, die Mitgliederzahlen normalisierten sich aber in der Folge wieder auf das Vor-Wende-Niveau. Insgesamt zeigt sich eine erstaunliche Resilienz und Adaptionsfähigkeit; bei den beiden Großparteien CDU und SPD finden sich keine bleibenden Spuren in den Organisationsstrukturen.150 Bei allen Parteien konzipierte man die im Zuge der Parteifusionen notwendigen Satzungsänderungen als Übergangsregelungen mit meist kurzen Fristen.151 Letztlich galt damit für das Parteiensystem das gleiche wie für die staatliche Institutionenordnung Westdeutschlands, die ohne nennenswerte Veränderungen auf die neuen Bundesländer ausgeweitet wurde. Dennoch finden sich weiterhin einige Trennlinien zwischen den Parteiensystemen der neuen und alten Bundesländer: Erstens zeigt dies die Stellung der Linkspartei, die in Ostdeutschland meist Volksparteicharakter hat, in Westdeutschland hingegen meist nur eine kleine 145 146 147 148 149 150 151
Webb 2002: 454. Vgl. Jun/Höhne 2012. Vgl. Mittag/Steuwer 2010. Vgl. Switek 2016. Vgl. Kaeding/Switek 2015. Vgl. Grabow 2000. Vgl. Poguntke 1997.
40
2. Stand der Parteienorganisationsforschung
Splitterpartei ist (abgesehen vom Saarland). Eine ähnliche Spaltung deutete sich zweitens bei der Bundestagswahl 2017 hinsichtlich des Wahlergebnisses der AfD an, die in den neuen Bundesländern deutlich stärker abschnitt. Nicht nur indirekt über das Setzen eines Rahmens für die Parteien wirken gesellschaftliche Verhältnisse auf Parteien und ihre Organisationsformen ein. Viel unmittelbarer wirken sich gesellschaftlich gewachsene Ansprüche auf Mitentscheidung, auf Einbeziehung, auf Information und Inklusion auf das innerparteiliche Politikmanagement aus: „Wenn heute internetbasiert und online angetrieben ein Recht auf Feedback in der Politik eingefordert wird, dann deutet dies an, wie plebiszitäre Wünsche gesamtgesellschaftlich wirken.“152 Auch die Stellung der Parteivorsitzenden kann abhängig von externen Faktoren schwächer oder stärker ausfallen. „The more the party is a ‚community of fate’, a community defined by a specific identity that has no equivalent in the external market, the stronger are the leaders’ positions in the vertical power games.“153 So stellte es sich etwa bei Gründung der Grünen dar, die mit ihrem postmaterialistischen und ökologischen Angebot ein Alleinstellungsmerkmal besaßen, was den Aktivisten einen Wechsel erschwerte.154 Auch die Logiken der Mediendemokratie wirken in die Parteien hinein. Während die Tendenzen der Medien zur Personalisierung von Themen und Konflikten die Position einzelner Führungspersonen stärken und besonders den Typus charismatischer Führung befördern, finden sich gleichzeitig subtilere Veränderungen. Unter dem kritischen Blick der medialen Beobachter werden etwa Parteitage zunehmend durchgeplant und inszeniert, um Geschlossenheit und Verhandlungsstärke zu demonstrieren.155 Offene Diskussionen und Streit bilden ein Risiko. Schon die Terminierung der Parteitage leitet sich teilweise von Medienlogiken ab. Einerseits sind Parteiversammlungen fester Bestandteil der Wahlkampfplanung, umso wichtiger sind also die von ihnen ausgehenden positiven Signale. Andererseits kalkulieren die Parteien – mit Blick auf ihre Wettbewerber – mit Medien-Agenda und Nachrichtenwert, wie es Leif anschaulich an einem Beispiel aus der Zeit der Kanzlerschaft Gerhard Schröders ausführt: „Nachdem die SPD-KAMPA von den CDU-Plänen für eine ‚Ost-Initiative’ er152 153 154 155
Korte 2012a: 269. Panebianco 1988: 31. Vgl. Switek 2015. Vgl. Müller 2002.
41
2. Stand der Parteienorganisationsforschung
fuhr, platzierte sie ihren ‚Ost-Parteitag’ unmittelbar nach den bekannten Terminen, um so den ‚drive der Konkurrenz’ zu bremsen.“156 Die Herausforderung für die Parteien besteht darin, sich an die ständig fluktuierenden und sich wandelnden externen Rahmenbedingungen anzupassen und diese in ihren längerfristigen Strategien aufzugreifen. Die hohe Komplexität fordert daher ausgeprägte Risikokompetenzen der Parteien, sowohl stabile Entwicklungen zu erkennen und zu extrapolieren wie auch für die Bearbeitung unvorhergesehener Ereignisse zumindest über einen Mechanismus oder Rahmen zu verfügen.157 Auf gesellschaftliche Großtrends wie den Wandel gesellschaftlicher Konflikte, die Bevölkerungsentwicklung, die Reform des Wohlfahrstaats und die zunehmende Einbettung in ein europäisches Institutionensystem können die Parteien programmatisch wie organisatorisch reagieren, aber die damit verbundenen Konsequenzen und Herausforderungen wie abnehmende Parteibindung, sinkende Mitgliederzahlen, eingeschränkte Steuerungskompetenzen und vor allem in Deutschland die Erosion der Volksparteiendemokratie verringern zugleich den Manövrierraum.158 Ohne Frage haben die Parteien dabei bislang eine hohe Adaptionsfähigkeit an gesellschaftliche Verschiebungen und Veränderungen bewiesen: „On the whole parties have adopted and survived as organizations, remodelling themselves to the needs of an era in which patterns of linkage and communication between parties and social groups have been transformed.“159 Damit ist das Feld für den Blick ins Innere der Parteiorganisation bereitet. Auf Basis der zugrundeliegenden Frage nach Organisations- und Entscheidungsmustern der deutschen Parteien richten wir den Blick nun zunächst auf den Zustand und fortlaufenden Wandel der Parteien als Mitgliederorganisationen, denn die Mitglieder prägen die Rationalität der deutschen Parteiorganisation grundlegend (Kapitel 3). Anschließend richtet sich der Fokus auf die durch Steuerungsversuche der Parteiführung beeinflussten innerparteilichen Entscheidungsprozesse (Kapitel 4). Das Kapitel behandelt zum einen den hierarchischen Überbau, welcher der demokratischen Mitgliederorganisation gegenübersteht, das heißt die Zusammensetzung der Parteiführung. Zum anderen gilt die Aufmerksamkeit in diesem Kapitel den Entscheidungsprozessen im Zusammenspiel zwischen Mitgliedern, Parteiführung und äußeren Einflüssen. Abschließend erfolgt 156 157 158 159
Leif 2002: 143. Vgl. Korte 2011b. Vgl. Delhees et al. 2008. Webb 2002: 444.
42
2. Stand der Parteienorganisationsforschung
der erweiterte Blick hin zur Wahlkampforganisation der deutschen Parteien (Kapitel 5). Wahlergebnisse und Wählerstrukturen der in dieser Reihe behandelten Parteien werden dargelegt und die Frage thematisiert, inwieweit klassische Erklärungsansätze das gewandelte Wählerverhalten noch einordnen können. Gerade vor dem Hintergrund der im Kontext der Bundestagswahl 2017 viel zitierten ‚Protestwähler’, sich wandelnder Konfliktlinien sowie schwindender Parteibindung und -identifikation lassen sich auch Veränderungen im Bereich der Wahlkampfstrategien, -organisation und -instrumente auf Seiten der Parteien aufzeigen. Die bereits erläuterten fünf Merkmale der Parteiorganisation bilden die notwendige Hintergrundfolie. Denn nur durch das Drehen und Wenden des Untersuchungsgegenstandes Parteiorganisation per Blick von unten, Blick von oben und Blick nach außen, wird der Komplexität der Organisations- und Entscheidungsmuster der deutschen Parteien im Vergleich hinreichend Rechnung getragen.
43
44
3. Parteien als Mitgliederorganisationen
Die deutschen Parteien sind Mitgliederorganisationen. Ihre Mitglieder bewegen sich in den von den Parteien angebotenen Strukturen, zugleich bilden sie gerade selbst die Partei. Welche Rolle spielen die Mitglieder in den deutschen Parteien? Wie sind ihre Beteiligungsmöglichkeiten an den innerparteilichen Entscheidungsprozessen je nach Partei ausgestaltet und welche Instrumente werden wie genutzt? 3.1 Parteimitglieder als Fundament der Parteiendemokratie In der deutschen Demokratie nehmen die politischen Parteien eine privilegierte Stellung ein, die sich grundsätzlich aus ihrer Funktion als Bindeglied zwischen der gesellschaftlichen und der staatlichen Sphäre ergibt. Sie genießen einen besonderen Zugang zu staatlichen Organen und kommen in den Genuss finanzieller Zuwendungen. Die Erfüllung dieser ihnen zugeschriebenen Funktion ruht dabei in großem Maße auf ihrem Charakter als Mitgliederorganisationen.160 Im Anschluss an die Überlegungen zu den Besonderheiten von Parteien als Freiwilligenorganisationen mit einer demokratisch legitimierten Führung skizzieren wir im Folgenden die spezifischen Rahmenbedingungen der deutschen Parteien als Mitgliederparteien und erläutern ausgehend von den Erkenntnissen der Einzelbände einige grundsätzliche Entwicklungspfade. 3.1.1 Normativ-institutionelle Umweltbedingungen Ein Fundament der deutschen Parteiendemokratie ist die individuelle, freiwillige und formell institutionalisierte Parteimitgliedschaft. Nur natürliche Personen können eine Parteimitgliedschaft erwerben. Dem Parteiengesetz nach sind Parteien in Deutschland „Vereinigungen von Bürgern“ (§ 2 Absatz 1 PartG). Mitgliedschaften kollektiver Akteure sind damit ausdrücklich ausgeschlossen. Darüber hinaus beruht das Mitgliedschaftsverhältnis auf beidseitiger Freiwilligkeit. Auf der einen Seite verfügt jedes Individu160 Vgl. Volkmann 2013.
3.1.1 Normativ-institutionelle Umweltbedingungen
um über die Freiheit, Mitglied in einer Partei seiner Wahl zu werden und entscheidet selbst, ob es am innerparteilichen Leben teilnimmt. Einzig die Aberkennung des aktiven oder passiven Wahlrechts durch einen Richterspruch steht einer Parteimitgliedschaft im Wege. In diesem Falle endet auch eine bereits bestehende Mitgliedschaft.161 Der Freiwilligkeitsgrundsatz begründet auf Seite des Mitglieds außerdem sein uneingeschränktes Austrittsrecht.162 Auf der anderen Seite haben die Parteien die Freiheit, im Rahmen ihrer satzungsmäßigen Bestimmungen autonom über die Aufnahme von Mitgliedern zu entscheiden und Aufnahmegesuche ohne eine Begründung abzulehnen. Lediglich Aufnahmesperren in Form eines generellen Aufnahmestopps sind verboten. Die Parteien können in ihrer Satzung sogar Aufnahmebedingungen festlegen. Wenngleich für eine Parteimitgliedschaft weder ein bestimmtes Mindestalter noch die deutsche Staatsangehörigkeit erforderlich ist,163 sind entsprechende Einschränkungen zulässig und bei den Parteien auch üblich. So setzt eine Mitgliedschaft bei den beiden Unionsparteien sowie der FDP die Vollendung des 16. Lebensjahres voraus. Bei der SPD und der Linken liegt die Altersgrenze beim vollendeten 14. Lebensjahr. Die Grünen sehen als einzige der großen Parteien kein Mindestalter für eine Mitgliedschaft vor. Für Ausländer ist eine Mitgliedschaft bei SPD, Grünen und Linken möglich. Die drei übrigen Parteien knüpfen die Mitgliedschaft von Personen, die keine EU-Bürgerschaft besitzen, an einen Wohnsitz in Deutschland. Weitergehende Einschränkungen ergeben sich aus Unvereinbarkeitsregelungen. Alle Parteien schließen die Mitgliedschaft in einer anderen Partei aus. Die einzige Ausnahme bilden die Grünen, wo die Landesverbände eine Doppelmitgliedschaft mit dem Neuen Forum in ihren Landessatzungen zulassen können.
161 Vgl. Kersten/Rixen 2009: 227. 162 Vgl. Lenski 2011: 77. 163 Allerdings müssen Parteien in Deutschland überwiegend aus Deutschen bestehen (§ 2 Abs. 3 S. 1 PartG.).
45
46
3. Parteien als Mitgliederorganisationen
Tabelle 1: Wesentliche Mitgliedschaftsvoraussetzungen CDU
CSU
SPD
Grüne
Linke
FDP
Mindestalter
Vollendetes 16. Lebensjahr
Vollendetes 16. Lebensjahr
vollendetes 14. Lebensjahr
Keine Beschränkung
vollendetes 14. Lebensjahr
vollendetes 16. Lebensjahr
Ausländer
Nicht-EUBürger: Mitgliedschaft möglich, wenn seit 1 Jahr Wohnsitz in BRD
Nicht-EUBürger: Mitgliedschaft möglich, wenn seit 3 Jahren Wohnsitz in BRD
Keine Beschränkung
Keine Beschränkung
Keine Beschränkung
Ausländer: Mitgliedschaft, wenn i.d.R. seit 2 Jahren Wohnsitz in BRD
Quelle: Eigene Darstellung. Daten: aktualisiert aus Bukow 2013a: 148.
Die Mitgliederrechte sind streng egalitär geregelt. Alle Mitglieder verfügen über das gleiche aktive und passive Wahlrecht, wobei dessen Ausübung an die Erfüllung der Beitragspflicht geknüpft werden kann. Darüber hinaus schützt das Parteiengesetz das einzelne Mitglied vor willkürlichen Eingriffen in seine Rechte. Ordnungsmaßnahmen, wie beispielsweise die Enthebung von einem Parteiamt oder die Aberkennung des passiven Wahlrechts, sind nur bei der Verletzung von Loyalitätspflichten gegenüber der Parteiorganisation möglich. Besonders hohe Hürden sind für einen Parteiausschluss vorgesehen: Der Ausschluss setzt einen vorsätzlichen und schwerwiegenden Verstoß gegen die Satzung einer Partei, gegen ihre zentralen Organisationsprinzipien oder gegen ihre inhaltlich-programmatischen Grundsätze voraus. Darüber hinaus muss durch das Fehlverhalten ein schwerer politischer oder materieller Schaden für die Partei entstanden sein. Ein präventiver Ausschluss von unliebsamen Mitgliedern ist unzulässig.164 Über den Ausschluss entscheidet ein Schiedsgericht, für das wiederum rechtsstaatliche Verfahrensvorschriften gelten. Der Staat legt den Parteien eine mitgliedergetragene innerparteiliche Willensbildung und Entscheidungsfindung auf: Die maßgebliche Macht in einer Partei muss bei ihren Mitgliedern liegen. Um dies zu gewährleisten, trifft das Parteiengesetz eine Reihe von Vorkehrungen.165 So muss die gebietliche Gliederung der Parteien dem einzelnen Mitglied eine „angemessene Mitwirkung an der Willensbildung der Partei“ ermöglichen (§ 7 Ab164 Vgl. Kersten/Rixen 2009. 165 Vgl. Bäcker 2011.
3.1.1 Normativ-institutionelle Umweltbedingungen
satz 1 PartG), wobei in der Praxis neben der räumlichen Ausdehnung der kleinsten Gliederungseinheit auch deren Mitgliederzahl zu berücksichtigen ist.166 Zur Ausübung kollektiver Handlungsfähigkeit schreibt das Parteiengesetz (§ 8 Absatz 1 PartG) vor, dass auf jeder Gebietsebene Vorstand und Mitgliederversammlung als notwendige Organe einzurichten sind. Während auf der untersten Ebene tatsächlich Mitgliederversammlungen möglich sind (und praktiziert werden), halten die Parteien ab der zweithöchsten Ebene in der Regel Vertreterversammlungen bzw. Delegiertenversammlungen ab, deren Mitglieder von den jeweilig untergeordneten Gebietseinheiten bestimmt werden (zum Beispiel wählen die Mitglieder in den Ortsverbänden die Delegierten für die Kreisverbände, etc.). Dies ist im Parteiengesetz ausdrücklich vorgesehen. Sofern Vertreterversammlungen durchgeführt werden, dürfen ihr neben den gewählten Mitgliedern lediglich bis zu 20 Prozent weitere stimmberechtigte Mitglieder angehören, für die jedoch eine Mitgliedschaft in der Partei obligatorisch ist. Die Delegiertenversammlungen werden als Parteitage bezeichnet und tagen mindestens alle zwei Jahre, da ihre Mitglieder für höchstens diese Periode gewählt werden. Sie sind oberstes Beschlussfassungsorgan der jeweiligen Gebietsebene, werden in der Regel vom Vorstand geleitet und fassen Beschlüsse auf Antrag und per Mehrheitsentscheidung ihrer Mitglieder. Das Antragsrecht ist bei Parteitagen so auszugestalten, dass eine „demokratische Willensbildung“ gewährleistet ist (§ 15). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Organe einer Partei nur mit Mitgliedern besetzt sein dürfen – auch für die Vorstandsmitglieder ist die Mitgliedschaft eine zwingende Voraussetzung.167 Seiner Präferenz für eine mitgliedergetragene innerparteiliche Willensbildung und Entscheidungsfindung verleiht der Staat insbesondere dadurch Ausdruck, dass er Parteimitgliedern eine Reihe von Exklusivrechten garantiert.168 Das Parteiengesetz weist dem Parteitag die alleinige Sachentscheidungskompetenz über die Satzung, die Beitragsordnung, die Schiedsgerichtsordnung, das Programm sowie die Auflösung und die Verschmelzung mit anderen Parteien zu. Außerdem legt er wesentliche Personalentscheidungskompetenzen wie die Wahl des Vorstands, die Wahl der Mitglieder etwaiger anderer Organe sowie die Wahl der Vertreter in den
166 Vgl. Lenski 2011: 87. 167 Vgl. Gehse 2010. 168 Vgl. Bäcker 2011, Lenski 2011: 106.
47
3. Parteien als Mitgliederorganisationen
Organen höherer Gebietsverbände (insbesondere Delegierte) in die Hände der Mitglieder. Dass der Gesetzgeber der formellen Parteimitgliedschaft einen herausgehobenen Stellenwert beimisst, findet seinen Niederschlag außerdem in der staatlichen Parteienfinanzierung. So erhalten die Parteien für jeden Euro, den ihnen ein Mitglied als Beitrag zahlt, weitere 45 Cent vom Staat, wobei nur Zuwendungen bis zu 3.300 Euro je natürliche Person berücksichtigt und etwaige Mandatsträgerbeiträge oder Spenden gleichsam auf den individuellen Gesamtbetrag angerechnet werden. Weiterhin fördert der Staat die Parteimitgliedschaft, indem er die steuerliche Absetzbarkeit von Mitgliedsbeiträgen und Spenden in einem gewissen Umfang ermöglicht. 3.1.2 Formen und Hintergründe des parteibezogenen Engagements Wenngleich die Parteiendemokratie die Bereitschaft ihrer Bürger zum parteibezogene Engagement voraussetzt, beschränkt sich die Parteimitgliedschaft in Deutschland auf eine überschaubare Personengruppe: Von etwa 1.000 Deutschen sind im Schnitt nur 15 Personen Mitglied in einer politischen Partei.169 Davon entfallen circa 1.181.440 Mitglieder auf CDU, SPD, CSU, Grüne, FDP und Linke (siehe Abbildung 1). Von den Mitgliedern nimmt, wie die deutsche Parteimitgliederstudie 2009 empirisch nachwies,170 nur eine Minderheit aktiv am innerparteilichen Leben teil. Knapp die Hälfte der Mitglieder in den Parteien sind völlig oder weitestgehend inaktiv. Sie sind entweder reine Karteileichen oder beteiligen sich lediglich punktuell. Daneben lassen sich mit den Versammlungsbesuchern (17 Prozent), den Geselligkeitsorientierten (14 Prozent) und den Ämterorientierten (22 Prozent) drei verschiedene Aktivitätstypen identifizieren. Die Parteien sind insbesondere von der letzten Gruppe abhängig, denn sie tragen mit ihren freiwilligen und unentgeltlichen Leistungen maßgeblich zur Aufrechterhaltung des Parteibetriebs in der Fläche bei
169 Vgl. Vetter/Remer-Bollow 2017: 140. 170 Vgl. Klein/Alemann/Spier 2011, Spier 2011.
48
3.1.3 Nutzen und Kosten der Parteimitgliedschaft
und dienen als Personalreservoir für innerparteiliche Ämter und öffentliche Mandate.171 Abbildung 1: Mitglieder nach Parteien (Stand: 2016)
Quelle: Eigene Darstellung. Daten: Niedermayer 2017.
Warum treten Menschen einer Partei bei? Und warum nehmen sie am innerparteilichen Leben teil? Bei einer Suche nach einer Antwort auf diese Fragen geraten insbesondere individuelle Motive in den Blick:172 Die Mitgliedschaft in einer Partei und die Teilnahme am Parteileben sind, so die theoretische Prämisse, mit einer Nutzenerwartung verknüpft. 3.1.3 Nutzen und Kosten der Parteimitgliedschaft Mit Niedermayer173 lassen sich expressive und instrumentelle Anreize für parteibezogenes Engagement unterscheiden.174 Das Engagement in Parteien ist expressiv motiviert, wenn es sich aus einer gefühlsmäßigen Bindung zur Parteiorganisation speist. In diese Kategorie fallen zum einen Nutzenerwartungen, denen emotionale Bedürfnisse eines Individuums zugrunde liegen. Ein solcher affektiver Nutzen der Parteimitgliedschaft kann sich 171 Eine ausführliche Übersicht zu den Leistungen der Mitglieder für ihre Parteiorganisationen geben wir im folgenden Kapitel. 172 Vgl. Klein 2006, Niedermayer 2009, Hoffmann 2011. 173 Vgl. Niedermayer 2009: 90f. 174 Das Modell von Niedermayer fokussiert ursprünglich nur die Motive für den Parteibeitritt. Wir nutzen es auch zur theoretischen Reflektion von innerparteilicher Aktivität. Vgl. ähnlich Klein 2006.
49
3. Parteien als Mitgliederorganisationen
beispielsweise auf eine charismatische Führungsfigur beziehen. Individuen verleihen durch die Mitgliedschaft ihrer Unterstützung für eine Partei und ihre Politiker Ausdruck. Auch die Symbole einer Partei können affektive Motive befriedigen. Expressive Motive können darüber hinaus in Form von verinnerlichten Verhaltenserwartungen auftreten. Es können generational vererbte Parteibindungen, milieubezogene Sozialisationserfahrungen oder demokratische Beteiligungsnormen Motivation sein, die insofern normativ begründet ist. Zum anderen kann die Parteimitgliedschaft der Befriedigung eines sozialintegrativen Bindungsbedürfnisses dienen. Parteien sind „Orte politischer Vergemeinschaftung“175, sodass der Bezug zu einer innerparteilichen Gruppe als geselliges Beisammensein zum positiven Anreiz wird. Während die expressiv motivierte Mitgliedschaft in einer Partei aus Sicht des Individuums einen Eigenwert besitzt, hat die instrumentell motivierte Mitgliedschaft einen Mittelcharakter, das heißt, dass „der Parteibeitritt also das Mittel zur Erreichung positiv bewerteter Zwecke darstellt.“176 Ein Beispiel dafür sind wertbezogene Anreize: „Wertbezogene Anreize sind gegeben, wenn die Parteimitgliedschaft als Mittel zur besseren Unterstützung bzw. Verwirklichung von Wertorientierungen, also den vom Individuum gewünschten Gestaltungsprinzipien der Gesellschaft und des politischen Systems, angesehen wird.“177 Diese beziehen sich damit auf die Ausübung politischer Gestaltung mithilfe der Partei. Die politischen Anreize können weiter unterschieden werden in ziel- oder prozessbezogene Anreize. Eine zielbezogene politische Motivation liegt dann vor, wenn ein Individuum mit seiner Parteimitgliedschaft zur Verwirklichung von erstrebenswert erachteten ideologischen Prinzipien oder konkreten Maßnahmen beizutragen versucht. Im Gegensatz dazu zielt eine prozessbezogene politische Motivation vorrangig auf eine „kognitiv[e] Verarbeitung und Durchdringung des politischen Prozesses“178, das heißt auf die Anhäufung von Wissen und Verständnis, was wiederum eine Teilnahme am politischen Diskurs ermöglicht. Schließlich kann eine instrumentell begründete Parteiangehörigkeit auf materielle Motive zurückgeführt werden. Handlungsleitend ist in diesem Fall das Streben nach unmittelbaren persönlichen Vorteilen, die dem Einzelnen durch seine Mitgliedschaft in einer politischen Partei zufließen. Diese selektiven Vorteile können gratifikations175 176 177 178
Wiesendahl 2012: 126. Niedermayer 2009: 91. Niedermayer 2009: 92. Niedermayer 2009: 92.
50
3.1.3 Nutzen und Kosten der Parteimitgliedschaft
oder positionsbezogen sein. Vorteile in Form von Gratifikationen sind monetärer Natur oder Dienstleistungen. Positionsbezogene Vorteile können dagegen Ämter und Mandate sein, oder aber der Ausbau von Kontakten und Netzwerken zur Förderung der eigenen Karriere in der Partei. Allerdings ist der Nutzen der Parteimitgliedschaft nur die eine Seite der Medaille bei der Erklärung von parteibezogenem Engagement. Auf der anderen Seite ist das parteibezogene Engagement mit Kosten verbunden, die sich negativ auf die individuelle Entscheidung zum Engagement auswirken können. Zu den Beitritts- bzw. Verbleibekosten zählen insbesondere die monetären Kosten, die ein Parteimitglied in Form von Mitgliedsbeiträgen zu tragen hat. Alle Parteien verlangen einen Mindestbeitrag, der zwischen 1,50 Euro (Linke) und 8 Euro (FDP) monatlich liegt. Tabelle 2: Mindestbeiträge Jahr
CDU
CSU
SPD
Grüne
Linke
FDP
72€
70€
60€
mindestens 1 % vom Nettoeinkommen
18€
96€
Quelle: Eigene Darstellung: Daten: Parteisatzungen.
Darüber hinaus kann die Parteimitgliedschaft mit Reputationskosten einhergehen.179 Angesichts der abnehmenden Akzeptanz von politischen Parteien geraten Mitglieder zumindest potenziell unter einen Rechtfertigungsdruck.180 Außerdem kann die Mitgliedschaft in bestimmten Parteien gesellschaftlich stigmatisiert sein. Dies ist in Deutschland vor allem im Falle von rechtsradikalen Parteien anzunehmen. Eine besondere Relevanz erhielten die innerparteilichen Beitritts- und Verbleibekosten 1972 durch den deutschen Staat selbst: Mit dem sogenannten Radikalenerlass wurde ein Verbot der Beschäftigung von Verfassungsfeinden im öffentlichen Dienst angestrebt, wobei zwar nicht ausschließlich, aber insbesondere Parteimitglieder unter Verdacht der Radikalität gerieten und mit Berufsverboten zu rechnen hatten.181 Als Partizipationskosten werden weiterhin Kosten bezeichnet, die auftreten, wenn der oben beschriebene Nutzen nur eintritt, wenn das Parteimitglied aktiv am Parteileben teilnimmt.182 Die Op179 Bei den Reputationskosten handelt es sich um eine Ergänzung zu den ursprünglich von Niedermayer identifizierten Kostenarten. 180 Vgl. Scarrow 2015: 134f. 181 Vgl. Zoll 2010. 182 Vgl. Niedermayer 2009: 94.
51
3. Parteien als Mitgliederorganisationen
portunitätskosten umfassen die für die Partei insgesamt aufgewendete Zeit und Energie, welche gelegentlich auch als Arbeitsleid der Mitarbeit in Parteigremien und unentgeltlich erbrachten Dienstleistungen charakterisiert wird. Aus Perspektive des Individuums verkörpert die Aktivität in Parteien insofern „eine organisierte, dauerhaft gebundene und ideologisch ausgerichtete Vergemeinschaftungsform politischer Partizipation mit hohem direkten politischen Einflussnahmepotenzial“183, deren Kosten und Nutzen sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. 3.1.4 Mitglieder als potenzielle Organisationsressource Die Organisationslogik der deutschen Parteien ist von dem Streben zur Ausweitung ihrer Basis geprägt. Parteien werben aktiv um Mitglieder und binden diese in ihre Organisationsaktivitäten ein, weil ihre Mitglieder für die Aufrechterhaltung des Parteibetriebs und die Erfüllung ihrer Organisationszwecke eine unverzichtbare Organisationsressource darstellen.184 Die Notwendigkeit einer Mitgliederbasis ist zum einen den an die Parteien gerichteten normativ-institutionellen Erwartungen geschuldet. Mitglieder sind für Parteien eine Legitimationsquelle: „Je mehr Mitglieder in einer Partei organisiert sind und je mehr Mitspracherechte sie haben, desto demokratischer legitimiert ist der Anspruch dieser Partei auf Mitwirkung an der Volks- und Staatswillensbildung.“185 Der Mitgliederreichtum einer Partei signalisiert ihre Verwurzlung in der Gesellschaft,186 wobei insbesondere für die Volksparteien eine breite Vielfalt sozialer Gruppen von Bedeutung ist.187 Darüber hinaus begründet die Teilhabe von Mitgliedern an den Entscheidungen ihrer Partei überhaupt erst die herausgehobene Position der Parteien in der deutschen Demokratie.188 Auch aus anderen Gründen sind Mitglieder von Bedeutung. Ungeachtet der inzwischen recht umfangreichen Parteienfinanzierung189 leisten sie mit ihren Zuwendungen als Finanziers einen wesentlichen Beitrag zur finanziellen Ausstattung ihrer Parteien. Insbesondere Mitgliedsbeiträge stel183 Wiesendahl 2013: 96. 184 Vgl. Scarrow 1996: 40-50, Scarrow 2015: 101-127, Detterbeck 2005, Klein/Alemann/Spier 2011. 185 Groh 2012: 788. 186 Vgl. Poguntke 2000. 187 Vgl. Detterbeck 2011: 137. 188 Vgl. Detterbeck 2005: 67. 189 Vgl. Cordes 2002, Naßmacher 2002.
52
3.1.4 Mitglieder als potenzielle Organisationsressource
len aus Perspektive der Parteien als regelmäßige Zuwendung eine vergleichsweise verlässliche Einnahmequelle dar. Die Beiträge der Mitglieder machen zwischen einem Fünftel (CSU) und einem Drittel (Linke) der Gesamteinnahmen aus (siehe Tabelle 3), wobei diese in erster Linie bei den unteren Parteigliederungen verbleiben und daher für die regionalen und lokalen Gebietsverbände der Parteien unverzichtbar sind.190 Eine breite Basis von Beitragspflichtigen ist auch deshalb für die deutschen Parteien erstrebenswert, weil der Anteil der staatlichen Parteienfinanzierung die parteieigene Finanzierung nicht übersteigen darf. Tabelle 3: Anteil der Mitgliedsbeiträge an den Gesamteinnahmen der Parteien 2015
CDU
CSU
SPD
Grüne
Linke
FDP
26,67 %
16,57 %
31,62 %
22,15 %
33,47 %
25,07 %
Quelle: Eigene Darstellung. Daten: Rechenschaftsberichte der Parteien.
Mitglieder bilden außerdem einen Rekrutierungspool für die Besetzung von innerparteilichen Funktionen und von Mandaten im öffentlichen sowie im semi-öffentlichen Bereich. Vetter und Remer-Bollow schätzen die Zahl der Berufspolitiker in Deutschland auf knapp 2.600 Parlamentarier, hinzu kommen noch einmal knapp 2.600 hauptamtliche Bürgermeister, die Parteimitglied sind.191 Ebenfalls hierzu lassen sich Personen zählen, die Funktionärsaufgaben in der Partei übernehmen sowie Mitarbeiter von Abgeordneten, persönliche Referenten, Fraktionsmitarbeiter und weitere Mitarbeiter der Partei, die ebenfalls in großen Teilen in der Partei sozialisiert sind und aus ihrem Rekrutierungspool stammen. Durch ihren freiwilligen und unentgeltlichen Einsatz als Helfer leisten Mitglieder einen wichtigen Beitrag zum Bestehen und Funktionieren ihrer Partei. Trotz der unbestreitbaren Professionalisierungstendenzen ist ihr Arbeitseinsatz zur Aufrechterhaltung der flächendeckenden Parteiorganisation unerlässlich und auch im Wahlkampf sind Parteien für eine breite Mobilisierung auf ehrenamtliche Helfer angewiesen (siehe Kapitel 5).192 Parteimitglieder sind im Kontext von Wahlen noch aus einem anderem Grund von Bedeutung. Aus Sicht der Parteiorganisation sind sie loyale Wähler, die sich wegen ihrer mutmaßlich engen Parteibindung vergleichs190 Vgl. Detterbeck 2005. 191 Vgl. Vetter/Remer-Bollow 2017: 138f. 192 Vgl. Scarrow 2015: 103-109.
53
3. Parteien als Mitgliederorganisationen
weise einfach mobilisieren lassen.193 Als Botschafter ihrer Partei in der gesellschaftlichen Sphäre verbreiten sie Ideen und ideologisch-programmatische Standpunkte in ihrem sozialen Umfeld und wirken so als Multiplikatoren in die Bevölkerung hinein. Andererseits nehmen sie Ideen, Meinungen und Anliegen aus ihrem Umfeld auf und speisen sie wiederum in die Partei ein, die so ihre Funktion der Interessensartikulation und -aggregation wahrnehmen kann.194 3.2 Krise der Mitgliederparteien Jahrzehntelang galt die Mitgliederpartei in Deutschland als Erfolgsmodell. Seit Gründung der Bundesrepublik bis zur Wiedervereinigung 1990 wuchs die Gesamtzahl der Parteimitglieder insgesamt an, Phasen des starken Wachstums waren vor allem in den 1970er Jahren zu beobachten (siehe Abbildung 2). Der sprunghafte Anstieg der Mitgliederzahlen der westdeutschen Parteien durch Vereinigungen mit ihren ostdeutschen Pendants konnte jedoch nur kurzfristig darüber hinwegtäuschen, dass mit der Wiedervereinigung das Modell der Mitgliederpartei zunehmend unter Druck geriet. Seit 1990 ist für die meisten Parteien ein kontinuierlicher Rückgang bei den Mitgliederzahlen zu verzeichnen. Den drastischsten Mitgliederverlust hat Die Linke zu schultern: Von 1990 bis 2016 verlor sie knapp 80 Prozent ihrer Mitglieder. Auch die FDP (-68 Prozent), die SPD (-54 Prozent) und die CDU (-45 Prozent) erleben einen dramatischen Rückgang. Die Verluste der CSU sind mit knapp einem Viertel weniger Mitgliedern vergleichsweise moderat. Einzig Bündnis 90/Die Grünen profitieren seit ihrer Gründung zu Beginn der 1980er Jahren von einem fast durchgehenden Anstieg der Mitgliederzahlen. Sie konnten die Zahl ihrer Mitglieder im Vergleich zu 1990 bis dato nahezu verdoppeln. Verluste verzeichneten die Grünen vor allem in Krisensituationen wie beim Austritt des Fundi-Flügels nach einer Parteireform 1991 oder beim Auslandseinsatz der Bundeswehr im Kosovo-Konflikt 1998 und 1999. Das Ausmaß des Schwundes variiert zwischen den Parteien (CDU und SPD verlieren stärker als die CSU) und es finden sich über die Grünen hinaus vereinzelt auch Jahre mit steigenden Zahlen, wie etwa bei der FDP 2016. Die AfD zog als Neugründung viele Mitglieder an. Nach Abgang der Gründergene-
193 Vgl. Detterbeck 2005. 194 Vgl. Gauja 2013.
54
3.1.4 Mitglieder als potenzielle Organisationsressource
ration um Bernd Lucke verlor sie etwa ein Fünftel ihrer Mitglieder, erreichte aber bis 2016 wieder mehr als eine Verdoppelung.195 In der Nahaufnahme entpuppt sich der Mitgliederverlust als Nachwuchskrise:196 Die deutschen Parteien leiden an einer zu geringen Anzahl von Neuzugängen, um die Austritte und Todesfälle zu kompensieren. So traten von 2008 bis 2016 zwar 431.293 Menschen einer der Parteien bei, doch im gleichen Zeitraum verloren die Parteien circa 573.00 Mitglieder (davon knapp 403.000 aufgrund von Austritten und 170.000 durch Todesfälle).197 Abbildung 2: Mitgliederentwicklung der deutschen Parteien
Quelle: Eigene Darstellung. Daten: Niedermayer 2017 (Mitgliederzahl zum 31. Dezember eines Jahres).
Bei der Suche nach den Ursachen geraten die organisationsbezogene Angebotsseite und die gesellschaftsbezogene Nachfrageseite in den Blick.198 Bezogen auf die Nachfrageseite werden gesellschaftliche und politischkulturelle Wandlungsprozesse für die nachlassende Bindungskraft der Parteien verantwortlich gemacht. Im Kern wird dabei eine Entwertung der Parteimitgliedschaft angenommen. Niedermayer nennt als ersten Faktor 195 Vgl. Niedermayer 2017: 371. 196 Vgl. Wiesendahl 2013, Dose/Fischer 2013. 197 Vor 2010 war der Ausweis der Todesfälle wegen fehlender Angaben einiger Landesverbände nicht vollständig möglich; vor 2011 war die Herausrechnung der expliziten Austritte aus den sonstigen Abgängen (insbesondere Karteibereinigungen) nicht möglich (Zahl für 2010 war daher überhöht); vgl. hierzu Niedermayer 2017. 198 Vgl. Biehl 2017: 231-233, Young 2013: 72-76.
55
3. Parteien als Mitgliederorganisationen
für den Wandel der Nachfrageseite die abnehmende soziale Integration: Die Individualisierung der Gesellschaft und die Erosion der sozialmoralischen Milieus bedingen eine Abnahme des politischen Konformitätsdrucks sozialer Gruppen und damit auch eine Abnahme der Beitrittsanreize.199 Somit überstieg bereits ab den 1980er Jahren die Zahl der Austritte die der Eintritte. Der gesellschaftliche Wandel auf der Nachfrageseite zeigt sich außerdem darin, dass sich gewandelte Partizipationsnormen einer zunehmend postmateriellen Gesellschaft nicht in den veralteten Organisationsmustern der Parteien widerspiegeln. Insbesondere jüngere Bürger bevorzugen kurzfristige, ungebundene, themenbezogene Engagements vor festen Mitgliedschaften und Vereinsstrukturen in Parteien.200 Zudem hat das wachsende Angebot alternativer Partizipationsmöglichkeiten das mitgliedschaftsgebundene Engagement in Parteien unattraktiv werden lassen: In Bürgerinitiativen und neuen sozialen Bewegungen gibt es Partizipationsangebote, die dem gesellschaftlichen Trend entsprechen und die Parteien noch „altbackener“ aussehen und Bürger vor einem Beitritt zurückschrecken lassen. Und nicht zuletzt spielt auf der Nachfrageseite die gewachsene Konkurrenz unpolitischer Freizeitangebote eine Rolle. Die Attraktivität eines Parteiengagements verblasst gegenüber neuen Möglichkeiten der Freizeitgestaltung, insbesondere im Zusammenhang mit modernen Massenmedien wie Fernsehen und Internet. Diese Entfremdung von politischen Parteien kann bis hin zur negativen gesellschaftlichen Konnotation des Engagements in Parteien reichen, sodass letztlich das Modell der repräsentativen Parteiendemokratie in Frage gestellt wird. Mit dem Aufkommen der AfD deutet sich aber eine andere Entwicklung an: Die neue Partei mobilisiert viele Unzufriedene und Enttäuschte, die sich von den etablierten Parteien abgewendet haben und die in einer radikalen Opposition eine willkommene Engagement-Option sehen. Allerdings ist es oft schwer, diese Aktivisten an eine Partei zu binden oder diese in innerparteiliche Willensbildung zu integrieren – wie auch das Beispiel der Piratenpartei gezeigt hat. Das Einlassen auf Deliberation und Kompromiss fiel vielen Neu-Mobilisierten und Protest-Aktivisten schwer, was in Verbindung mit den ungewöhnlichen und auf Online-Partizipation abstellenden Organisationsstrukturen letztlich zum Scheitern der Partei mit beitrug.
199 Vgl. Niedermayer 2009: 112. 200 Vgl. Niedermayer 2009: 113.
56
3.1.4 Mitglieder als potenzielle Organisationsressource
Angebotsseitige Erklärungen verorten die Ursache für die Nachwuchskrise in den organisationsbezogenen Merkmalen der Parteien. Im Zusammenhang mit der neuen gesellschaftlichen Partizipationskultur kann nicht bestritten werden, dass die Parteien sich nur schwerfällig anpassen und damit eine chronische Anreizschwäche entwickelt haben. Sie bieten schlicht nicht ausreichend attraktive politische Beteiligungsmöglichkeiten für Bürger mit gewachsenen Ansprüchen. Zwar zeigen sich seit Anfang der 2000er Jahre Versuche in verschiedenen Parteien, ihre Organisationsstruktur zu reformieren. Diese scheitern jedoch regelmäßig am Widerstand der mittleren Parteieliten, die in einer wachsenden Partizipation einfacher Mitglieder ihre exklusive Einflusssphäre, z.B. bei der Personalauswahl und in Programmprozessen, gefährdet sehen. Weiterhin spielt auf der Angebotsseite eine zunehmende Entideologisierung eine Rolle, die laut Merkel insbesondere die Volksparteien betrifft.201 Die beiden deutschen Volksparteien CDU und SPD, die sich nach Kriegsende langsam zu solchen entwickelten, bewegten sich ab den 1960er Jahren schrittweise auf die ideologisch-programmatische Mitte des Parteiensystems zu, was in Bezug auf die CDU als „Sozialdemokratisierung“ und in Bezug auf die SPD als „Verbürgerlichung“ beschrieben wurde. Mit der Abschwächung der ideologisch-programmatischen Gegensätze nahm auch die Bipolarität der beiden großen Parteien langsam ab: Aus den ideologisch stark gegensätzlichen Positionen wurde in beiden großen Parteien zunehmend eine programmatische Betonung von Wohlstandsmehrung und sozialer Sicherheit. Am deutlichsten wurde das in der SPD mit dem Anschluss an den sogenannten „dritten Weg“ der europäischen Sozialdemokratie unter Gerhard Schröder sowie in der CDU unter Angela Merkel, die der Partei ein deutlich liberaleres und sozialeres Profil gab. Die Entideologisierung ist auch als Folge der fortschreitenden Globalisierung zu verstehen, in der der Druck zu marktkonformer Wirtschaftspolitik wächst und weniger Gestaltungsspielraum lässt. Zugleich dominierte gerade in jüngerer Zeit Politik im Krisenmodus („Finanzkrise“, „Wirtschaftskrise“, „Flüchtlingskrise“), die sich insbesondere unter Bundeskanzlerin Angela Merkel als pragmatische Reaktion auf plötzlich auftretende Ereignisse entwickelte, ohne langfristige Ziele, gesellschaftsreformerische Modelle oder Visionen anzubieten. Für Mitglieder mit instrumentell-wertbezogenen Erwartungen, insbesondere zielorientierte politische Gestaltungserwartungen an die Partei, führt dieser Politikmodus zu Frustration und Distanzierung. 201 Vgl. Merkel 2017b.
57
3. Parteien als Mitgliederorganisationen
3.3 Wandel der Mitgliederparteien Die Debatte um den (drohenden) Niedergang der deutschen Mitgliederparteien bildet den Hintergrund für eine Reihe von Parteireformen202, die sich zu drei parteiübergreifenden Trends verdichten lassen:203 Erstens öffnen sich Parteien für Nichtmitglieder, zweitens demokratisieren sie ihre Beteiligungsarchitekturen und drittens digitalisieren sie ihre Mitgliederorganisation. 3.3.1 Öffnung Dass in den vergangenen Dekaden parteiübergreifend ein wachsendes Bestreben zu erkennen ist, Organisationsstrukturen zugunsten von Interessierten ohne Parteibuch zu öffnen, verwundert nicht: Nichtmitglieder sind aus Perspektive der Parteien potenzielle Wähler, Unterstützer und Mitglieder.204 Rechtlich sind einer umfangreichen Beteiligung von Nichtmitgliedern allerdings Grenzen gesetzt. Dem Diktum der mitgliedergetragenen Willensbildung und Entscheidungsfindung folgend, muss die maßgebliche Macht in einer Partei bei ihren Mitgliedern liegen. Aus diesem Grund sind von vornherein einige Entscheidungsgegenstände von der Mitwirkung von Nichtmitgliedern, wie die stimmberechtigte Teilnahme an Mitglieder- und Vertreterversammlungen, ausgeschlossen.205 Eine gleichberechtigte Mitarbeit von Nichtmitgliedern ist außerdem aus funktionalen Erwägungen nicht unproblematisch, denn das Modell der Mitgliederpartei basiert ja gerade auf der Gewährung von exklusiven Teilhaberechten für Parteiangehörige. In anderen Worten: Parteien, die ihre Strukturen zu großzügig öffnen, sägen an dem Ast, auf dem sie sitzen. Mit Ausnahme der FDP, bei der die Mitgliedschaft nach den Satzungen der Landesverbände oder der Auslandsgruppen erworben wird (§ 3 Absatz 1), bieten inzwischen alle großen Parteien in ihren Bundessatzungen Alternativen zur ordentlichen Mitgliedschaft an.206 Am weitesten gehen dabei die Grünen. Sie bieten allen Interessierten – explizit auch den Mitgliedern anderer Parteien – eine sogenannte freie Mitarbeit an. Freie Mitarbei202 Jun definiert Parteireformen als „alle planvollen, auf strategische Entscheidungen zurückzuführenden Veränderungen der Organisationsstrukturen einer Partei, die unmittelbar das Binnenleben betreffen“; Jun 2009: 188. 203 Vgl. die Überblicke bei Wiesendahl 2006b, Jun 2009, Bukow 2009a, Bukow 2009b. 204 Vgl. Bukow 2013a: 154. 205 Vgl. Bäcker 2011: 152. 206 Vgl. Bukow 2013a: 156. Anders als im Ausland, Young 2013: 67f. Für weitere Formen der Bindung von Nicht-Mitgliedern an die Parteiorganisation vgl. Scarrow 2015: 26-34.
58
3.3.1 Öffnung
ter können sich an der parteilichen Willensbildung beteiligen und haben das Recht auf umfassende Information über die Angelegenheiten der Partei. Sie dürfen zwar keine Parteifunktion ausüben und nicht stimmberechtigt in die Entscheidungsgremien entsendet werden, allerdings Mandate auf Wahllisten übernehmen und stimmberechtigt in die Bundesarbeitsgemeinschaften delegiert werden. Nach einjähriger Inaktivität endet die freie Mitarbeit. Weiterhin haben die Grünen eine Fördermitgliedschaft für einen Jahresbeitrag ab 15 Euro geschaffen, die lediglich als regelmäßige Spende an die Partei zu verstehen ist, für die die Fördermitglieder im Gegenzug mit dem Mitgliedermagazin und Infomaterialien zur Arbeit der Partei versorgt werden. Außerdem bieten die Grünen eine beitragsfreie Probemitgliedschaft an. Probemitglieder können an allen Mitglieder- und Delegiertenversammlungen der Partei teilnehmen. Sie haben dort Redeund Antragsrecht, an Wahlen und Abstimmungen können Probemitglieder allerdings nicht teilnehmen. Die SPD bietet zwei Alternativen: Den Status der sogenannten Unterstützer hat die SPD im Zuge ihrer jüngsten Parteireform 2011 geschaffen.207 Für einen Jahresbeitrag von 30 Euro (bzw. 12 Euro für Juso-Mitglieder) genießen Unterstützer volle Mitgliedsrechte in einer Arbeitsgemeinschaft und/oder einem Themenforum, verfügen in den Gliederungen der Partei aber weder über das aktive noch das passive Wahlrecht. Weiterhin bietet die SPD Bürgern für 30 Euro im Jahr den Beitritt als Gastmitglied an, was Teilnahme-, Rede-, und Antragsrecht auf Mitgliederversammlungen und aktives und passives Wahlrecht auf Projektgruppen beschränkt. Die Gastmitgliedschaft endet nach einem Jahr und kann einmalig um ein weiteres Jahr verlängert werden. In der Linken können Gastmitglieder zeitlich unbegrenzt und beitragsfrei in den Gliederungen und Zusammenschlüssen tätig werden, wenn diese der Übertragung von Mitgliederrechten an sie zustimmen. Nicht übertragbar sind allerdings das Stimmrecht bei Mitgliederentscheiden sowie „bei Entscheidungen über Satzungsangelegenheiten, über Finanzordnungen, Finanzpläne, die Verwendung von Finanzen und Vermögen und über Haftungsfragen“208, außerdem weder aktives noch passives Wahlrecht. Nicht davon berührt ist das Recht bei Wahlen zu Parlamenten, kommuna-
207 Vgl. Bukow 2013b. 208 Vgl. § 5 der Bundessatzung der Linken unter: https://www.die-linke.de/fileadmin/download/ grundsatzdokumente/bundessatzung/aktuell/bundessatzung_bielefeld2015_din_a4.pdf (abgerufen am 13.12.2017).
59
60
3. Parteien als Mitgliederorganisationen
len Vertretungskörperschaften und sonstigen öffentlichen Ämtern nominiert zu werden. Tabelle 4: Voraussetzungen für Gast- und Probemitgliedschaften CDU
CSU
SPD
Grüne
Linke
Dauer
bis 12 Monate
Gastmitgliedschaft: bis 12 Monate Probemitgliedschaft: bis 24 Monate
bis 24 Monate
bis 6 Monate
keine Regelung
Kosten
beitragsfrei
Beitrag für Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise
30 Euro/Jahr (Jusos: 12 Euro/Jahr)
beitragsfrei
beitragsfrei (keine Regelung)
Quelle: Eigene Darstellung. Daten: Bukow 2013a: 157.
Auch die Unionsparteien bieten Gastmitgliedschaften an. Seit einer Reform des Statuts auf dem Karlsruher Parteitag im Jahr 1995 kann, wer nicht bereits über eine Mitgliedschaft in einer anderen Partei oder in einer mit der CDU konkurrierenden Gruppierung verfügt, Gastmitglied werden. Gastmitglieder haben das Recht, an Mitgliederversammlungen der Partei teilzunehmen. Sie haben dort zwar kein Stimmrecht und kein aktives oder passives Wahlrecht, dafür aber Rede- Antrags- und Vorschlagsrecht. Die Gastmitgliedschaft ist beitragsfrei und endet nach Ablauf eines Jahres. In der CSU ist die Gastmitgliedschaft identisch zur Regelung in der CDU. Außerdem können Bürger Mitglieder in den Arbeitskreisen und Arbeitsgemeinschaften werden, ohne gleichzeitig in die CSU einzutreten. In diesem Fall werden dort höhere Beiträge fällig (derzeit: 20 Euro im Jahr), als wenn gleichzeitig die Mitgliedschaft in der CSU besteht. Seit 2014 ist eine auf zwei Jahre beschränkte Probemitgliedschaft für Angehörige von Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreisen sowie der Jungen Union an die Zahlung des Beitrags für die Mitgliedschaft in diesen Organisationsstrukturen geknüpft. Sie endet nach spätestens zwei Jahren und beinhaltet alle Rechte der vollen Mitgliedschaft, außer dem Stimmrecht und dem aktiven und passiven Wahlrecht. Insgesamt ist den Gast- und Probemitgliedschaften der deutschen Parteien keine revolutionäre Bedeutung zuzumessen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass sie im Vergleich zur Vollmitgliedschaft nur begrenzte Rechte gewähren. Gast- und Probemitgliedschaften stellen vielmehr einen erleichterten Einstieg in die Vollmitgliedschaft dar, mit dem Ziel die Beitritts- und Verbleibekosten sukzessive über einen mehrstufigen Einstieg in
3.3.2 Demokratisierung
die Vollmitgliedschaft zu senken. Im Stile einer „Reformmode“209 haben die Parteien sich wechselseitig die Öffnung für Nichtmitglieder voneinander abgeguckt, ohne dabei große Sprünge in Richtung eines neuen Typus der Mitgliederpartei zu wagen.210 Denn trotz dieser zaghaften Öffnung bildet die formale, dauerhafte und kostenpflichtige Mitgliedschaft – nicht zuletzt aufgrund der normativ-institutionellen Erwartungen an die Parteien – nach wie vor die wesentliche Grundlage der parteipolitischen Engagements.211 3.3.2 Demokratisierung Die Teilhabe der Parteimitglieder an den innerparteilichen Entscheidungsprozessen erfolgt überwiegend im Rahmen einer repräsentativdemokratischen Binnenstruktur, die stark durch die stratarchische Organisationsform der Partei gekennzeichnet ist. Alle Ebenen und Gliederungen besitzen eine relativ hohe Autonomie und versuchen, ihre Interessen von der untersten Ebene über Delegierte in die höheren Ebenen zu tragen. Den Alltag der mitgliedergetragenen Willensbildung und Entscheidungsfindung prägt daher das „ortsbasierte Delegiertenprinzip“212. Das Delegiertenprinzip begründet die Machtbasis der mittleren Parteieliten, denen über Kompetenzen bei der Aufstellung von Kandidaten für öffentliche Ämter (siehe Kapitel 4.2.1) und Antragsrecht auf Parteitagen weitreichende Mitbestimmung bei der innerparteilichen Willensbildung zugesichert wird. Die Basis bleibt traditionell davon abgekoppelt und damit im geselligkeitsorientierten kommunalen Vereinsleben verhaftet, das höchstens indirekte Mitbestimmung für einfache Mitglieder ermöglicht. Die Reduktion auf das Recht an Debatten teilnehmen zu dürfen, ohne allerdings nachvollziehen zu können, ob diese jemals in Entscheidungen auf höheren Ebenen transferiert werden, birgt ein hohes Frustrationspotenzial für einfache Mitglieder und damit die Gefahr, der Austrittsschwelle näher zu kommen.213 Die Krise der Mitgliederpartei erhöht den Reformdruck, der darauf abzielt, durch neue Partizipationsangebote die instrumentellen Anreize der Mitgliedschaft zu erhöhen.214 In allen Parteien gab es in den vergangenen Dekaden daher vielfältige Bestrebungen, dem einzelnen Mitglied mehr 209 210 211 212 213 214
Bukow 2013a: 156. Vgl. Bukow 2013a: 156. Vgl. Bukow 2009a: 116f. Alemann/Laux 2012: 258. Vgl. Decker/Küppers 2015: 244. Vgl. Florack/Grunden/Korte 2005: 102ff.
61
3. Parteien als Mitgliederorganisationen
unmittelbare Beteiligungsmöglichkeiten einzuräumen. Der Trend geht zu „Mitmach-Parteien“.215 Einen wesentlichen Schwerpunkt der jüngeren Parteireformen bildete die Verankerung direktdemokratischer Instrumente in die Parteistatuten.216 Damit wird zugleich die bevorzugte Stellung der Delegierten als entscheidungsbefugte Repräsentanten der Basis infrage gestellt, was bei Orts-, Kreis- und Bezirksverbandsvorsitzenden mindestens auf Vorbehalte, häufiger allerdings auf offenen Widerstand stößt. Die Parteiführung steht permanent unter Verdacht, mit der Stärkung direktdemokratischer Elemente in ihrer Partei eine Zentralisierung der Macht zu betreiben, da sie damit die als einflussreich geltende mittlere Funktionärsebene umgehen könnte.217 Der Widerspruch der Funktionärsebene konnte die eingeläuteten Reformen dennoch nicht gänzlich verhindern. Die Parteiführungen sind zunehmend erfolgreich mit dem Versuch, die innerparteiliche Willensbildung und Entscheidungsfindung in größerem Maße an einfache Mitglieder zu übertragen. Mit der konsultativen Mitgliederbefragung und dem verbindlichen Mitgliederentscheid haben sich dabei zwei unterschiedliche Modelle etabliert, die von den deutschen Parteien in unterschiedlichem Maße angewendet werden.218 Die Christdemokraten haben traditionell Vorbehalte gegenüber der Stärkung der Teilhabe für Mitglieder. Auf dem Karlsruher Parteitag 1995 wurde zwar die Möglichkeit geschaffen, eine Mitgliederbefragung zur Wahl des Parteivorsitzenden durchzuführen, die aber nicht obligatorisch ist. Auf dem Leipziger Parteitag 2003 folgte schließlich die Regelung, dass auf Kreisebene Mitglieder- statt Delegiertenversammlungen abgehalten werden können und Sachfragen in der Partei einer Mitgliederbefragung unterzogen werden dürfen. Bemerkenswert war weiterhin die Öffnung des Initiativrechtes bei Mitgliederbefragungen. „Mitgliederbefragungen auf Bundes-, Landes-, oder Kreisebene können [seitdem] von einem Drittel der nachgeordneten Gebietsverbände beantragt werden, wenn der jeweilige Vorstand mit absoluter Mehrheit zustimmt.“219 Seit 2017 können Mitglieder Sachanträge auf Parteitagen stellen, wenn sie ein bestimmtes Quorum (je nach Ebene des Parteitages) erreichen.220
215 216 217 218 219 220
Vgl. Schoofs/Altenburger/Dedic 2015. Vgl. Wiesendahl 2006b, Jun 2009, Decker/Küppers 2015, Bovermann 2005. Vgl. Decker/Küppers 2015: 244. Vgl. Bovermann 2005. Decker/Küppers 2015: 247 und § 6a des Statuts der CDU. Vgl. § 6 Absatz 4 des Status der CDU, online verfügbar unter: https://www.cdu.de/system/td f/media/statutenbroschuere.pdf?file=1 (abgerufen am 14.12.2017).
62
3.3.2 Demokratisierung
Bei der CSU gab erst das schlechte Ergebnis der bayerischen Landtagswahl im Jahr 2008 mit dem einhergehenden Verlust der absoluten Mehrheit den Anstoß zu Organisationsreformen. Nach einem innerparteilichen Diskussionsprozess wurde 2010 auf dem Münchener Parteitag die Möglichkeit der Konsultation, also der Mitgliederbefragung zu Sach- und Personalfragen auf allen Parteiebenen beschlossen. Allerdings bleibt das Initiativrecht dem Landesvorstand oder einem Drittel der untergeordneten Gebietsverbände vorbehalten. Beachtlich ist: Mitgliederentscheide sind in beiden Unionsparteien weiterhin nicht vorgesehen, womit sie die Ausnahme unter den hier betrachteten Parteien bilden. Ebenso wie in der CSU gab auch in der FDP eine Krise in Form eines großen Wählerstimmenverlustes den Anstoß zum Wandel. Der verpasste Einzug in den Bundestag 2013 erhöhte den Reformdruck massiv, sodass auf dem Parteitag in Berlin Ende 2013 die Anwendungsmöglichkeiten der bereits 1997 eingeführten Mitgliederentscheide zu Sachfragen auch auf Personalfragen ausgedehnt wurden. Zukünftig sollten auch die Spitzenkandidaten der Bundestagswahl per Mitgliederentscheid gewählt werden können. Allerdings blieben Entscheide über Vorsitz und Vorstände sowie öffentliche Wahlämter ausdrücklich ausgeschlossen. Bereits vier Jahre vor der CDU beschloss die FDP darüber hinaus, einfachen Mitgliedern Antragsrecht auf Parteitagen zu gewähren, wenn sie 250 Unterstützerunterschriften zusammentragen.221 Die SPD vollzog bereits auf dem Wiesbadener Parteitag 1993 eine Änderung ihres Parteistatus, um eine stärkere Partizipation einfacher Mitglieder zu ermöglichen. Seitdem wurde das Statut mehrfach geändert, sodass inzwischen der Kanzlerkandidat in einer Urwahl bestimmt werden kann und Parlamentskandidaten von Mitgliedervollversammlungen gewählt werden können.222 In einer weiteren Reformrunde ab 2009 zeigte sich, dass eine vollständige Abkehr vom Delegiertenprinzip noch immer unerwünscht war und stattdessen sanfte Reformen der Beteiligungsrechte vorangebracht wurden. So wurde beschlossen, dass ein Mitgliederentscheid durchgeführt wird, wenn sich auf dem Parteitag mehr als eine Person um den Parteivorsitz bewirbt. Das gilt allerdings nicht für die stellvertretenden Vorsitzenden und die Vorstände. Trotz der vordergründig wesentlich weitreichenderen Rechte für Mitglieder der Sozialdemokraten im Vergleich zu den Unionsparteien ist beachtlich, dass sich die Partei der Ein-
221 Vgl. Decker/Küppers 2015: 248. 222 Decker/Küppers 2015: 245.
63
64
3. Parteien als Mitgliederorganisationen
führung von Mitgliederbefragungen erwehrte, da die Funktionäre der mittleren Parteiebene die Gefahr sahen, dass die Parteiführung dieses Instrument taktisch zur Erlangung von direkter Legitimation für Entscheidungen durch die Basis nutzen könnte, wodurch ihnen selbst ein Einflussverlust drohte.223 Bei den Grünen und auch den Linken verlief der Reformweg umgekehrt: Weitreichende Befugnisse der Mitglieder wurden nach und nach zurückgenommen, womit eine Anpassung an die Praxis anderer Parteien vollzogen wurde. Allerdings bleibt bei den Grünen beispielsweise der Mitgliederentscheid in allen Sach- und Personalfragen weiterhin uneingeschränkt möglich. Auch bei der Linken gibt es diesen uneingeschränkten Mitgliederentscheid bereits seit dem Gründungsstatut der PDS von 1991, allerdings erst seit 2014 auch zu innerparteilichem Spitzenpersonal. Anfangs weitreichende Befugnisse für Nichtmitglieder nahm die Linke sukzessive zurück. Tabelle 5: Formen plebiszitärer Mitgliederbeteiligung Sachfragen
Mitgliederbefragung
Mitgliederentscheid
CDU, CSU, FDP
SPD, FDP, Grüne, Linke
Kandidaten für öffentliche Ämter
SPD, Grüne, Linke
Spitzenkandidaten / Kanzlerkandidaten
CSU, FDP
SPD, FDP, Grüne, Linke
Parteivorsitz / Parteivorstand
CDU, CSU
SPD*, Grüne, Linke
Quelle: Eigene Darstellung; * nur Parteivorsitz und nur, wenn mehr als ein Kandidat antritt
Die Hürden für diese Partizipationsmöglichkeiten unterscheiden sich mit Blick auf den Gegenstandsbereich, die Initiierung und das geforderte Quorum. Insgesamt gilt, dass die Partizipationsrechte der Mitglieder dann als besonders ausgeprägt bewertet werden können, wenn sie nicht nur abstimmen, sondern auch Entscheidungsfragen initiieren dürfen.224 Nur bei den beiden Unionsparteien ist das nicht der Fall. Bei der SPD liegt die Hürde hier bei 10 Prozent, bei Grünen, Linken und FDP etwas niedriger bei 5 Prozent der Mitglieder. 223 Decker/Küppers 2015: 245f. 224 Vgl. Morlok/Streit 1996, Morlok 2012.
3.3.2 Demokratisierung
Die tatsächliche Bilanz der Anwendung von Instrumenten der direkten Mitgliederbeteiligung ist durchwachsen. Mit Ausnahme der CDU haben inzwischen alle Parteien auf ihrer höchsten Organisationsstufe Mitgliedervoten durchgeführt.225 Zwei der insgesamt 14 Mitgliedervoten waren obligatorische Mitgliederentscheide im Sinne von § 6 Absatz 2 des Parteiengesetzes. Sie müssen als Ausnahme behandelt werden, da sie keine Mitgliederentscheide darstellen, die zur Ausweitung der Partizipationsrechte der einfachen Mitglieder beschlossen wurden, sondern vom Parteiengesetz auferlegte Abstimmungen der Mitglieder zur Auflösung eines Gebietsverbandes oder der gesamten Partei sowie zum Zusammenschluss mit anderen Parteien widerspiegeln.226 Die Parteifusionen von Bündnis 90 mit den Grünen zur neuen Partei Bündnis 90/Die Grünen im Jahr 1993 sowie die Fusion der von der ehemaligen PDS umbenannten Linkspartei.PDS und der Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit WASG zur Partei Die Linke im Jahr 2007 lassen sich in diesem Sinne als obligatorische Mitgliederentscheide einordnen. Die verbleibenden zwölf Mitgliedervoten betreffen innerparteiliche Sach- oder Personalfragen. Gegliedert nach verschiedenen Entscheidungstypen (siehe auch Kapitel 4.2) wird im Folgenden dargestellt, wo die Mitglieder an programmatischen und personellen Entscheidungen sowie Entscheidungen zur Reform der Organisationsstruktur und Koalitionsentscheidungen beteiligt wurden. Programmatische Entscheidungen Bislang wurden Mitgliedervoten von den Parteien insbesondere zur Klärung programmatischer Positionen genutzt. Hier finden sich die häufigsten Abstimmungen und Befragungen. So verabschiedete die Linke im Jahr 2011 ihr Grundsatzprogramm per Mitgliederentscheid, bei dem sich mehr als die Hälfte der Parteimitglieder beteiligten und mit großer Mehrheit für dessen Annahme votierte.227 Die FDP nutzte in ihrer Parteigeschichte sogar bereits drei Mal Mitgliedervoten in Bezug auf programmatische Entscheidungen.228 Im Jahr 1995 entschieden die Mitglieder über den Großen Lauschangriff, bei dem sich die Mehrheit der teilnehmenden Mitglieder für den Lauschangriff aussprach, was den Rücktritt von Justizministerin
225 Einen Überblick zu personalbezogenen Mitgliedervoten in den Landesverbänden bietet Detterbeck 2014. 226 Vgl. Limpert 2009, Morlok/Streit 1996. 227 Vgl. Oppelland/Träger 2014: 109. 228 Vgl. Treibel 2014a: 219-228.
65
3. Parteien als Mitgliederorganisationen
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zur Folge hatte. Zwei Jahre später lehnte die Mehrheit die vom damaligen Generalsekretär Guido Westerwelle betriebene Aussetzung der Wehrpflicht ab. Weil das erforderliche Quorum in der Abstimmung verfehlt wurde, wurde der Mitgliederentscheid allerdings letztlich als Befragung gewertet. Während diese beiden Mitgliederentscheide vom Bundesvorstand initiiert wurden, war der dritte, 2011 durchgeführte, Mitgliederentscheid zum Euro-Rettungsschirm von der Gruppe des Liberalen Aufbruchs um Frank Schäffler als Mitgliederbegehren initiiert. Er erzielte die notwendigen 3.400 Unterstützungsunterschriften zur erfolgreichen Initiative, jedoch sprach sich in der anschließenden Abstimmung die Mehrheit für den Alternativantrag der Parteiführung aus. Außerdem wurde das notwendige Quorum für die Gültigkeit des Entscheids verfehlt, sodass er letztlich ebenfalls als Befragung gewertet wurde. Die Grünen entschieden sich im Jahr 2013 dafür, ihre Mitglieder über die hervorzuhebenden Themen für den Bundestagswahlkampf abstimmen zu lassen, was eine hohe Beteiligungsrate nach sich zog.229 Und schließlich führte die CSU im Jahr 2016 ein Mitgliedervotum durch, was zwar nicht in Form eines Entscheides, aber dafür einer Befragung angelegt war. Sechs Jahre, nachdem das Instrument in das CSU-Statut aufgenommen wurde, sprach sich die Parteibasis in der Mitgliederbefragung für eine Forderung nach bundesweiten Volksentscheiden aus. Personelle Entscheidungen Bei personellen Entscheidungen gab es bisher drei Mitgliedervoten, wovon zwei die Spitzenkandidaten der Grünen bei Bundestagswahlen betrafen und das andere Votum bereits 1993 von der SPD als erstmalige Urwahl eines Parteivorsitzenden initiiert wurde. Nach dem Rückzug von Björn Engholm als Parteivorsitzender der SPD im Zusammenhang mit der Barschel-Affäre beschloss die SPD aufgrund der Wettbewerbssituation um die Nachfolge im Parteivorsitz, die Mitglieder entscheiden zu lassen, wobei sich der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Rudolf Scharping mit 40,3 Prozent gegen den späteren Bundeskanzler Gerhard Schröder (33,2 Prozent) und Heidemarie Wieczorek-Zeul (26,5 Prozent) durchzusetzen vermochte.230 Im Gegensatz zur Ebene der Landesverbände, wo Vorsitzende häufiger per Mitgliedervotum gekürt werden,231 ist dieser Vorgang 229 Vgl. Switek 2015: 179, Träger 2015. 230 Vgl. Schieren 1996: 216f. 231 Vgl. Detterbeck 2014.
66
3.3.2 Demokratisierung
auf Bundesebene bislang die Ausnahme geblieben. Ohnehin stellt das Parteiengesetz die Wahl des Parteivorstandes unter den Parteitagsvorbehalt, ein Mitgliedervotum kann damit lediglich empfehlenden Charakter für die Delegierten haben.232 Der dem Mitgliederentscheid folgende Sonderparteitag der SPD in Essen fühlte sich jedoch an das Votum der SPD-Mitglieder gebunden und wählte Scharping zum Vorsitzenden. Rechtlich zulässig sind hingegen Mitgliederentscheide zur Wahl eines Spitzenkandidaten für Wahlen. Als einzige Partei machten bislang die Grünen von dieser Möglichkeit Gebrauch. Sie bestimmten ihre SpitzenDuos für die Bundestagswahlen 2013 und 2017 mithilfe von Mitgliederentscheiden. Beide Abstimmungen sorgten für eine Überraschung: Nach dem Votum im Jahr 2012 wurde nicht wie erwartet die Parteivorsitzende Claudia Roth, sondern Katrin Göring-Eckardt zur Spitzenkandidatin neben Jürgen Trittin gewählt.233 Beim Mitgliederentscheid zur Bundestagswahl 2017 lag Cem Özdemir nur 75 Stimmen vor seinem Mitbewerber Robert Habeck. Auch diesmal setzte sich Göring-Eckardt im innerparteilichen Mitgliedervotum durch. Satzungsentscheidungen Ihre Satzung änderten bisher nur Grüne und Linke per Mitgliederentscheid. Allerdings unterliegen Satzungsänderungen in dieser Hinsicht einem Vorbehalt: Das Parteiengesetz schreibt wie auch bei der Wahl von Parteivorständen einen Parteitagsbeschluss vor, daher gelten die Mitgliedervoten lediglich als Empfehlung.234 Die Linke beschloss 2010 in Bezug auf ihre Doppelspitze der Parteivorsitzenden, dass mindestens eine Frau als Vorsitzende gewählt werden muss.235 Die Grünen gaben 2003 die Entscheidung über die Lockerung der verpflichtenden Trennung von Amt und Mandat an ihre Mitglieder weiter. Obwohl die Entscheidung als Abbau von basisdemokratischen Regeln in der Partei verstanden werden muss, sprach sich die Basis in dem Entscheid für die Änderung des Parteistatuts aus, was als Hinweis darauf verstanden wird, dass die Basis häufig weniger ideologische Positionen vertritt, als die Parteitagsdelegierten.236
232 233 234 235 236
Vgl. Morlok/Streit 1996. Vgl. Switek 2015: 179. Vgl. Morlok/Streit 1996. Vgl. Oppelland/Träger 2014: 109f. Vgl. Switek 2015: 131.
67
3. Parteien als Mitgliederorganisationen
Koalitionsentscheidungen Als bisher einmalig gilt der Mitgliederentscheid der SPD aus dem Jahr 2013 über den erneuten Eintritt in die Große Koalition.237 Bereits fünf Tage nach dem Wahlabend beschloss der einberufene Parteikonvent die Entscheidung über einen möglichen Koalitionsvertrag mit der Union in die Hände der Mitglieder zu legen, nachdem der Parteivorsitzende Gabriel bereits einige Jahre zuvor die Durchführung von Mitgliedervoten zu wichtigen Fragen gefordert hatte. Mit diesem Schritt zielte Gabriel insbesondere darauf ab, den Widerstand gegen die erneute Große Koalition in den Reihen der mittleren Funktionäre und Parteitagsdelegierten zu umgehen, was schließlich gelang. Diese Ausweitung von Mitgliederentscheiden auf ausgehandelte Koalitionsverträge macht seitdem Schule: Während der Sondierungsgespräche nach der Bundestagswahl 2017 zu einer möglichen Jamaika-Koalition kündigten auch FDP und Grüne ein Mitgliedervotum zu einem möglicherweise ausgehandelten Koalitionsvertrag an. Letztlich kam es dazu allerdings nicht, da die FDP vorzeitig aus den Sondierungen ausstieg und die Koalition damit verhinderte. Und auch die anschließenden Sondierungen zwischen den bisherigen Regierungspartnern Union und SPD standen erneut in diesem Zeichen. Nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen stimmten 66 Prozent der SPD-Mitglieder einer Fortführung der Großen Koalition zu. Partizipation von Mitgliedern auf Parteitagen: Mitgliederversammlungen und Antragsrecht Nach Betrachtung der Mitgliedervoten folgt ein abschließender Blick auf die Ausweitung von Beteiligungsrechten auf Parteitagen. Einer der Kernbereiche des ortsbasierten Delegiertenprinzips ist die Teilnahme auf Parteitagen, die rechtlich das höchste Beschlussfassungsorgan der Partei darstellen. Auch hier zeichnet sich ein Wandel in Richtung mehr Basisdemokratie ab. Das ortsbasierte Delegiertenprinzip erfährt eine weitere Einschränkung durch neue Mitgliederrechte auf Parteitagen. Zwar hat bislang keine der hier in den Blick genommenen Parteien das Mitgliederprinzip bei Bundesparteitagen eingeführt, allerdings werden auf den unteren Ebenen immer häufiger Mitgliederversammlungen abgehalten, vor allem wer-
237 Vgl. Dose 2014.
68
3.3.2 Demokratisierung
den Direktkandidaten für Parlamentswahlen in vielen Fällen von Mitgliederversammlungen bestimmt (siehe Kapitel 4.2.1).238 Tabelle 6: Mitgliederrecht auf Parteitagen CDU
CSU
SPD
Grüne
Linke
FDP
Typ
Vertreterversammlung
Vertreterversammlung
Vertreterversammlung
Vertreterversammlung
Vertreterversammlung
Vertreterversammlung
Antragsrecht für Mitglieder
500 Mitglieder (nur Sachanträge)
Nein
Nein
20 Mitglieder
Nein
250 Mitglieder
Quelle: Eigene Darstellung. Daten: Parteisatzungen.
Auf Bundesparteitagen räumen CDU, FDP und Grüne ihren Mitgliedern mittlerweile ein direktes Antragsrecht ein (siehe Tabelle 6). Dazu muss eine bestimmte Anzahl von Unterstützerunterschriften gesammelt werden. Bei den Grünen besteht mit einer benötigten Anzahl von 20 Mitgliedern die niedrigste Hürde für einen Mitgliederantrag auf einem Bundesparteitag. Die FDP führte 2013 die so genannte Basisinitiative ein, mit der 250 Mitglieder gemeinsam Anträge und Vorschläge zur Wahl unterbreiten können. Die CDU hat im Zuge ihrer jüngsten Parteireform Meine CDU 2017 die Möglichkeit des Mitgliedsantrags auf Bundesparteitagen geschaffen.239 Bei den Christdemokraten können 500 Mitglieder gemeinsam einen Sachantrag an den Bundesparteitag stellen.240 Insgesamt kann man von einer sehr zaghaften Einführung basisdemokratischer Elemente in den Entscheidungsprozessen der deutschen Parteien sprechen, die allerdings keine Ablösung des repräsentativen Systems darstellen. Insbesondere bei Unionsparteien ist ein nur sehr verhaltener Wandel des ortsbasierten Delegiertenprinzips zu beobachten. Einige Elemente liegen im Trend: Die wiederholten Ankündigungen von SPD, Grünen und FDP, ausgehandelte Koalitionsverträge einem Mitgliederentscheid zu unterziehen, wie die SPD dies 2013 und 2018 bereits praktizierte, zeigen dies deutlich. Obwohl die Grünen ebenso wie die Linken einige basisdemokratische Elemente wieder abgeschafft haben, kann von einem
238 Vgl. Reiser 2011, Höhne 2017. 239 Vgl. CDU 2015. 240 Das gilt nicht nur für den Bundesparteitag, sondern für alle Parteiversammlungen bis zur Kreisebene.
69
3. Parteien als Mitgliederorganisationen
zaghaften ergrünen der anderen Parteien gesprochen werden, die sich langsam in Richtung mehr Basisdemokratie öffnen. Allerdings bestehen weiterhin große Vorbehalte, nicht nur in der Parteiführung, sondern besonders bei den mittleren Parteieliten, die einen Machtverlust befürchten. Ob die Reformen daher geeignet sind, neue Parteimitglieder durch ausgeweitete Partizipationsangebote anzuwerben, bleibt mindestens fraglich. 3.3.3 Digitalisierung Neben der Öffnung und Demokratisierung zeichnet sich in allen großen Parteien eine zunehmende Digitalisierung ihrer Mitgliederorganisation ab. Medien- und kommunikationstechnologische Innovationen waren immer schon ein wichtiger Treiber des organisationsbezogenen Parteiwandels. Die Verbreitung von Printmedien, Hörfunk und Fernsehen hatte – nicht nur in Deutschland – einen tiefgreifenden Einfluss auf die Außen- und Binnenkommunikation der politischen Parteien.241 Wie Parteien mithilfe des Internets völlig neue Rekrutierungs-, Mobilisierungs- und Involvierungspotenziale realisieren können, zeigt exemplarisch die im Jahr 2006 gegründete Piratenpartei. Ihr Modell einer onlinegestützten Basisdemokratie setzte auf eine weitreichende digitale Integration der Parteibasis mithilfe von kollaborativen Arbeitsplattformen wie der Online-Enzyklopädie PiratenWiki und der Software LiquidFeedback.242 Die Digitalisierung der Mitgliederorganisation ist beileibe kein neues Phänomen. Seit den 1990er Jahren experimentieren die deutschen Parteien mit internetbasierten Anwendungen.243 Vor allem in Wahlkämpfen waren immer neue digitale Innovationsschübe zu beobachten.244 Vorbild für den heutigen Einsatz von digitalen Mitteln im Wahlkampf war der US-Präsidentschaftswahlkampf 2008, der auf eine massive Online-Kampagne setzte.245 Zuletzt machte beispielsweise die von der CDU im Haustür-Wahlkampf benutzte App connect17 Schlagzeilen.246 Als entscheidender Schritt zum Durchbruch in Deutschland erwies sich in einer frühen Phase 241 Vgl. Jun/Borucki/Reichard 2013, Donges 2008. Otto Kirchheimer schreibt der Verbreitung des Fernsehens eine wesentliche Bedeutung für die Entwicklung der Parteien zu „catch-all parties“ zu; vgl. Kirchheimer 1965. 242 Vgl. Bieber/Lewitzki 2012: 225, Bullwinkel/Probst 2014. 243 Vgl. Marschall 2013. Administration, Ausstattung der Parteizentralen mit moderner Informations- und Kommunikationstechnik, vgl. für die CDU und die SPD Bogumil/Lange 1991, Lange 1994. 244 Vgl. zu digitalen Wahlkämpfen in Deutschland z.B. Schweitzer/Albrecht 2011. 245 Vgl. Reichard/Borucki 2015: 399. 246 Vgl. Kolb 2017.
70
3.3.3 Digitalisierung
des digitalisierten Wahlkampfes die Einrichtung von parteibezogenen Websites. War ihre Funktionalität zunächst weitestgehend auf die einseitige Bereitstellung von Informationen für Interessierte, Parteifunktionäre und einfache Mitglieder beschränkt, entwickelten sich die Internetpräsenzen der Parteien in kurzer Zeit zu umfangreichen und multifunktionalen Web-Portalen.247 Eine ähnliche Entwicklung nahmen die Mitte der 1990er Jahre eingerichteten Mitgliedernetze. Die parteieigenen Intranets waren zunächst als Kontaktpunkt und Informationsarchiv konzipiert worden. Inzwischen erlauben sie vielfältige Möglichkeiten zum Austausch in der Partei-Community. Beide Entwicklungen hatten zur Folge, dass schnelle, direkte Kommunikation zwischen dem Parteimanagement und der Basis möglich wurde, ohne dass diese durch die Medien gefiltert und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wurde, wobei allerdings eine deutliche Tendenz zur top-down Kommunikation der Parteiführung und der Geschäftsstelle deutlich wurde.248 Mit Blick auf die Digitalisierung der Mitgliederorganisation zeichnen sich zwei jüngere Entwicklungstendenzen ab.249 Zum einen setzen die Parteien verstärkt auf das Internet, um neue Mitglieder zu rekrutieren. Auf den Webpräsenzen führen mehr oder weniger prominent platzierte Links zu webbasierten Beitrittsformularen, die den Parteieintritt gegenüber dem papiergebundenen Mitgliederantrag vereinfachen sollen. Auch für alternative Formen der Anbindung wie Unterstützer- und Gastmitgliedschaften wird auf diese Weise offensiv geworben. Zum anderen reichern die Parteien ihre Beteiligungsarchitekturen mit digitalen Komponenten an.250 Ein Element sind dabei netzbasierte Parallelstrukturen als ortsunabhängige und dauerhafte virtuelle Parteiverbände.251 Bereits im Jahr 1995 hatten die Sozialdemokraten den sogenannten virtuellen Ortsverein ins Leben gerufen. In der parteiinternen Struktur hat sich diese Innovation allerdings nicht durchsetzen können. Ein ähnliches Schicksal teilt der im Jahr 2000 gegründeten FDP LV Net bei den Liberalen.252 Trotz seines Anspruchs, der Internet-Landesverband seiner Partei zu sein, kam er nie über den Status einer liberalen Vorfeldorganisation hinaus. Inzwischen verfügt auch die CSU mit ihrem CSUnet, welches sich
247 248 249 250 251 252
Vgl. Bieber 1999, Bieber 2002, Kaiser 1999. Vgl. Marschall 2001: 41. Vgl. Marschall 2013. Vgl. Marschall 2013, Bieber 2014. Vgl. Bukow 2013a: 126-130, Marschall 2013, Marschall 2001. Vgl. Treibel 2014a: 100.
71
3. Parteien als Mitgliederorganisationen
selbst als virtueller Verband und Arbeitskreis für Netzpolitik der CSU beschreibt, über einen virtuellen Parteiverband. Dass eine nachhaltige Integration dieser virtuellen Parteiverbände in die analoge Parteistruktur bislang scheiterte, liegt einerseits an rechtlichen Schranken. Das Parteiengesetz schreibt den Parteien eine territoriale Gliederung ihrer Strukturen vor, Parteimitgliedschaften sind an die unterste lokale Gliederungseinheit gekoppelt. Andererseits kommen innerparteiliche Akzeptanzprobleme erschwerend hinzu.253 Im Jahr 2000 experimentierte der Landesverband Baden-Württemberg der Grünen zudem mit einem virtuellen Parteitag.254 Der Landesparteitag wurde vollständig online abgehalten, indem die Regeln des gewöhnlichen Parteitags auf die Internetplattform übertragen wurden: Mitglieder konnten gemeinsam online Anträge stellen, welche das Präsidium auf Zulässigkeit überprüfte und über welche letztlich in Online-Abstimmungen von den stimmberechtigten Delegierten entschieden wurde. Es zeigte sich, dass der Parteitag mit zehn Tagen wesentlich länger dauerte als OfflineParteitage und auch weitere Ausweitungen stattfanden, da Themen parallel und ohne Redezeitbegrenzung diskutiert werden konnten. Die virtuelle Umsetzung stärkte außerdem die kommunikative Steuerungsfähigkeit der Parteiführung. Der Mehrwert der Virtualisierung eines Parteitages stand damals ebenso wie heute zur Diskussion. Es konnte keine nennenswert höhere Partizipation festgestellt werden, es zeigten sich online genauso wie offline ungleiche Wahrnehmungschancen von Parteimitgliedern in verschiedenen hierarchischen Positionen und es wurde zumindest vermutet, dass nicht die Gesamtheit der Beiträge in Diskussionsforen als Entscheidungsgrundlage der Delegierten wahrgenommen werden konnte. Das Experiment fand daher keine nennenswerten Nachahmer, wobei zu bedenken ist, dass mit der Digitalisierung aller gesellschaftlichen Bereiche die Akzeptanz virtueller Parteitage künftig eher steigen dürfte. Die bislang nur zaghaft betriebene Einführung dieser internetbasierten Parallelstrukturen wird von punktuellen Angeboten zur onlinegestützten Mitgliederbeteiligung begleitet. Ebenfalls im Jahr 2000 ermöglichte die CDU im Vorfeld ihres Parteitages zum Thema Bildung eine Online-Diskussion über ausgewählte Themen im Mitgliedernetz mit anschließender Abstimmungsmöglichkeit.255 Die Ergebnisse der Diskussionen und Abstimmungen wurden den Delegierten des folgenden, regulären (Off253 Vgl. Bukow 2013a, Bieber 2014, Marschall 2013: 283. 254 Vgl. Marschall 2001: 42. 255 Vgl. Marschall 2001: 42.
72
3.3.3 Digitalisierung
line-)Parteitages vorgelegt, die sie als unverbindliche Empfehlung in ihre Abstimmungsentscheidung einfließen lassen konnten. Ein jüngeres Beispiel ist der „onlineantrag.spd.de“. Im Vorfeld des SPD-Bundesparteitags im Dezember 2011 konnten sich Mitglieder und Nicht-Mitglieder auf einer modifizierten Adhocracy-Plattform256 an der Erarbeitung des Kapitels „Arbeit und Wirtschaft in der Digitalen Gesellschaft“ beteiligen, indem sie Vorschläge erstellten, bearbeiteten, kommentierten und über sie abstimmten. Obwohl die SPD auf ihrer Website und über ihren YouTube-Kanal für das Projekt warb, war das Interesse gering: Es registrierten sich 408 Teilnehmer, von denen wiederum nur 44 Prozent auf der Plattform aktiv waren.257 Der Parteivorstand integrierte schließlich nur einen Teil der Online-Beschlüsse in seinen Leitantrag „Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität in der Digitalen Gesellschaft“. Im großen Stil kamen kollaborative Online-Plattformen erstmals im Bundestagswahlkampf 2013 zum Einsatz.258 Sie ermöglichten die unmittelbare, orts- und zeitunabhängige Mitwirkung an der Wahlprogrammformulierung, was mehrere Parteien zu nutzen versuchten. Die CDU bot die Möglichkeit, über eine frei zugängliche Online-Plattform programmatische Anregungen zu insgesamt acht Themenbereichen abzugeben. In einem zweiten Verfahrensschritt konnten im Mitgliedernetz CDUplus zu rund 45 thesenartig formulierten Programmpunkten Änderungsvorschläge eingestellt, kommentiert und einzelne Themen gemäß ihrer Bedeutsamkeit bewertet werden. Der erste offizielle Programmentwurf der FDP wurde auf der Plattform meinefreiheit.de zur Debatte gestellt. Verknüpft war dies mit einer Abstimmungsmöglichkeit über die Änderungsvorschläge. Nachdem der Parteivorstand einen überarbeiteten Entwurf als Leitantrag für den Bundesparteitag in Nürnberg beschlossen hatte, wurde dieser erneut auf der Online-Plattform zugänglich gemacht. Änderungsanträge für den Parteitag konnten in diesem Rahmen beraten und debattiert werden. Die Linke nutzte die Plattform Adhocracy, auf der bereits vor Erstellung des ersten Entwurfs inhaltliche Vorschläge unterbreitet, diskutiert und einer Abstimmung unterzogen werden konnten. Die zweite Phase erlaubte die Beratung des vorläufigen Programms. Die Linke stellte, wie die FDP, den vom Parteivorstand verabschiedeten Leitantrag für ihren Parteitag eben256 Bei Adhocracy handelt es sich um eine kostenlose Beteiligungsplattform im Internet, die speziell für die Zwecke der Politikformulierung und Online-Abstimmungen entworfen wurde. 257 Vgl. Hanel/Marschall 2012: 18. 258 Vgl. Korte/Schoofs 2013, Bieber 2014, Träger 2015.
73
3. Parteien als Mitgliederorganisationen
falls zur Debatte und erlaubte die Erstellung von konkreten Änderungsanträgen. Den Grünen diente eine Online-Plattform zur Vorbereitung ihres Mitgliederentscheids über ihr Kurz-Regierungsprogramm. Sie bot die Option, sich im Vorfeld über die zur Wahl stehenden Projekte zu informieren, diese zu diskutieren, zu bewerten und für sie um Unterstützung zu werben. In die Programmformulierung der Parteien über Online-Plattformen waren auch Nicht-Mitglieder eigebunden. Allerdings unterlag ihre Beteiligung gewissen Einschränkungen. Die Parteien gewährten ihren eigenen Mitgliedern Sonderrechte. Die CDU verlagerte die zweite Phase ihrer Online-Beteiligung in das mitgliederinterne CDUplus und stellte dort ein breiteres Textangebot als in der ersten Phase zur Disposition. Bewertungen der Parteimitglieder wurden bei der FDP stärker gewichtet als die Bewertungen der Nicht-Mitglieder; Änderungen des offiziellen Leitantrags im zweiten Verfahrensschritt konnten nur von Mitgliedern vorgenommen werden. Ähnlich verfuhr Die Linke: In den ersten beiden Phasen waren die Nicht-Mitglieder den Mitgliedern gleichgestellt. Die in der dritten Phase mögliche Abstimmung über die Änderungsanträge für den Parteitag war demgegenüber ausschließlich den Parteimitgliedern vorbehalten. Eine vergleichbare Einschränkung nahmen Die Grünen vor. Sie gewährten Nicht-Mitgliedern auf ihrer Online-Plattform zum Mitgliederentscheid lediglich Leserechte. Insgesamt betrachtet zeigen sich bei der Digitalisierung der Mitgliederpartei viele Experimente, die die traditionellen Parteistrukturen bisher allerdings eher ergänzen, als dass sie diese ersetzen. Eine aktuelle Studie von Gerl, Marschall und Wilker zu einer Online-Beteiligungsplattform des Landesverbandes NRW der Grünen legt zudem nahe, dass digital gestützte Partizipation in Parteien weder von neuen, noch von andere Parteimitgliedern genutzt wird, als denjenigen, die sich auch offline an der Parteiarbeit beteiligen.259 Sie stellen in der Studie außerdem fest, „dass anfängliche Erwartungen, mit neuen internetbasierten Partizipationskanälen neue Gruppen erreichen zu können, durch empirische Studien weitestgehend widerlegt wurden.“260 Die darin angesprochene, so genannte Mobilisierungsthese stellen sie damit infrage: „Für die Parteiendemokratie eröffnen das Internet und insbesondere die Möglichkeiten des Web 2.0 die Chance, innerparteiliche Demokratie zu stärken und Menschen für die Partizipati-
259 Vgl. Gerl/Marschall/Wilker 2016: 136. 260 Gerl/Marschall/Wilker 2016: 119.
74
3.3.3 Digitalisierung
on in Parteien zu mobilisieren. Tatsächlich [...] sind diese Mobilisierungskapazitäten jedoch begrenzt.“261 Auch eine Untersuchung der internen Vernetzung der SPD auf der Social Media-Plattform Twitter bestätigt die These eines grundlegenden Wandels der Mitgliederpartei durch die Digitalisierung nicht. Ziel der Untersuchung war es, festzustellen, inwiefern sich offline bestehende, innerparteiliche Beziehungsmuster zwischen Parteigliederungen auf verschiedenen föderalen Ebenen online spiegeln. Reichard und Borucki fanden heraus, dass sich die „Zweiteilung in eine kommunale und regionale Organisation einerseits und einer national-professionellen Ebene andererseits aus netzwerkanalytischer Perspektive [auch online feststellen lassen]“262, auch wenn kleinere Durchbrechungen der offline-Strukturen auffielen. Generell fehlt es weiterhin an grundlegenden und umfassenden Studien zur Wirkung der Digitalisierung auf Parteiorganisationen. Insbesondere Untersuchungen zur sich stetig ausweitenden internen und externen Kommunikation auf Social Media-Plattformen wie Facebook oder Twitter verspräche lohnenswerte Erkenntnisse für innerparteiliche Organisations- und Entscheidungsmuster. Und nicht zuletzt drängt die Digitalisierung als Metatrend des gesellschaftlichen Wandels nicht nur die etablierten, in den Parteienbänden untersuchten Parteien zum Wandel, sondern bringt auch neue Parteien hervor, die als „digital natives“ seit ihrer Gründung digitalisierte Organisations- und Kommunikationsstrukturen zu nutzen wissen. Die Piratenpartei ist als Pionier einer weitreichend digitalisierten Parteiorganisation unumstritten, aber auch die AfD nimmt insbesondere in Bezug auf digitale Kommunikation per Social Media-Plattformen eine Vorreiterrolle ein,263 deren grundlege Untersuchung noch aussteht. 3.4 Mitgliederorganisation mit Zukunft? Die detaillierte Betrachtung der Mitglieder der deutschen Parteien und der vergleichende Blick auf die einzelnen Bände der Parteienreihe hat deutlich gemacht, dass die Parteien alles in allem auf die vielfältigen Leistungen ihrer Mitglieder angewiesen sind. Die Rolle und Aufgaben der Mitglieder lassen sich nur partiell kompensieren, was insbesondere selbst für wählerorientierte Parteien gilt.264 Hinzu kommt aber der letztlich voluntative 261 262 263 264
Gerl/Marschall/Wilker 2016: 135f. Reichard/Borucki 2015: 416. Vgl. Lehmann 2017. Vgl. Detterbeck 2005.
75
3. Parteien als Mitgliederorganisationen
Charakter der Parteimitgliedschaft. Parteien sind damit verbunden mit zwei wesentlichen Herausforderungen konfrontiert: Zum einen ein grundsätzliches Freiwilligkeitsproblem, das heißt niemand kann zum Beitritt bzw. zum Engagement gezwungen werden. Zum anderen ergibt sich zwangsläufig ein Fluktuations- bzw. Kontinuitätsproblem.265 Die Parteien sind in dieser Hinsicht einem zweifachen Druck ausgesetzt: Einerseits leiden sie an einer Nachwuchskrise, andererseits sind sie aufgrund ihrer Organisationsmerkmale nur bedingt in der Lage, diese Krise aus eigener Kraft zu beheben.266 Die potenziellen Mitglieder wiederum können aus der Mitgliedschaft Nutzen ziehen, doch dieser Nutzen lässt sich auch auf anderem Wege realisieren, sie verfügen vermehrt über Alternativen zum parteipolitischen Engagement. Das gilt beispielsweise für die Konkurrenz durch Nichtregierungsorganisationen. Fokussiert man den Verlauf und das Resultat der Parteireformen, so zeigen die Fälle eher eine sanfte Evolution statt eine tiefgreifende Revolution. Gerade bei den Unionsparteien findet sich eine „aufgeklärte Beharrung“267 sowie eine schrittweise Modernisierung. Auffällig ist der grüne Exzeptionalismus: Die Grünen legten in ihrer Gründungsphase viele organisatorische Regeln äußerst abweichend von denen der etablierten Parteien fest. Zwar finden sich noch Reste des basisdemokratischen Prinzips, aber mit der Zeit gab es eine erkennbare Rücknahme und einen Rückbau zahlreicher, letztlich als dysfunktional eingestufter Elemente. Trotz einer sich abzeichnenden partiellen Angleichung der Parteien bleiben Differenzen bestehen. Eine ähnliche Entwicklung ist bei der Partei Die Linke zu beobachten. Wie vollziehen sich nun vor diesem Hintergrund die Entscheidungsprozesse in einer demokratisch organisierten Mitgliederorganisation? Das folgende Kapitel ergänzt den Blick von unten durch einen Blick von oben: Den Blick der Parteiführung. Denn trotz demokratisch verfasster Organisationsbasis geben sich Parteien aus organisationalen Notwendigkeiten heraus einen hierarchischen Überbau, der Führungsfunktionen wahrnimmt. Das eröffnet Fragen danach, wie stark Steuerungsversuche von oben im Angesicht innerparteilicher Demokratie in den verschiedenen Parteien stattfinden und welche Aussicht auf Erfolg sie haben. Außerdem stellt sich die Frage nach dem Prozess: Welche Prägung erhalten innerparteiliche
265 Vgl. Wiesendahl 1998. 266 Vgl. Bukow 2009a. 267 Dürr 2011.
76
3.3.3 Digitalisierung
Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse von unten, von oben, oder auch von außen, das heißt durch externe Umwelteinflüsse?
77
78
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
Die ausgehend vom Stand der Parteienorganisationsforschung entwickelten fünf Merkmale von Parteiorganisationen (siehe Kapitel 2) spannen einen theoretischen Rahmen zur Analyse der innerparteilichen Willensbildung und Entscheidungsfindung auf: Parteien gelten als Weltanschauungsgemeinschaften mit ihrer demokratisch-überlagerten Hierarchie, die sich als fragmentierte Allianz von Untergruppen in einem ständigen Spannungsverhältnis zwischen Formalität und Informalität befinden und sich in Interaktion mit ihrer Umwelt kontinuierlich wandeln. In diesem Rahmen bewegen sich die Mitglieder der Partei, entsprechend ihren unterschiedlichen Rollen und Typen: sie gestalten Entscheidungen, wirken an diesen mit oder ratifizieren diese als staunendes Publikum. Wie helfen uns der theoretische Rahmen sowie das Wissen um den Charakter einer Mitgliederorganisation, das Entscheiden der deutschen Parteien CDU, CSU, SPD, FDP, Grüne und Linke zu entschlüsseln? Und wie ergänzt die Perspektive der Parteiführung das Gesamtbild? Mit wechselnden Blicken zwischen der Mesoebene der Parteiorganisation und der Mikroebene der individuellen Akteure sollen im Folgenden vor dem Hintergrund dieser fünf Merkmale ausgewählte „Handlungen, Praktiken und Strategien von Akteuren“268 in den sechs Parteien beleuchtet werden, anhand welcher sich die komplexen Prozesse der Entscheidungsfindung sinnvoll strukturieren lassen. Die Handlungen und Strategien hängen dabei von den Inhalten der betrachteten Prozesse ab: die Personalaufstellung gehorcht anderen Logiken als die Programmformulierung. Übergeordnetes Ziel der innerparteilichen Akteure und Gruppen bleibt es aber, ihre politischen Interessen durchzusetzen und die Anforderungen von Staat und Gesellschaft gemäß ihrem Anspruch in Parteienstaat und Parteiendemokratie zu verwirklichen.269 Da wir im Folgenden eine Prozessperspektive einnehmen, erfolgt die Betrachtung nicht statisch entlang der fünf Merkmale, sondern wird in 268 Treibel 2012: 22. 269 Zur Unterscheidung von Parteienstaat und Parteiendemokratie siehe Wiesendahl 2016: 22ff.
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
einem ersten Punkt entlang des in allen Bändern zu identifizierenden Spektrums der Entscheidungsmodi von Hierarchie bis Verhandlung betrachtet. In einem zweiten Punkt analysieren wir, inwieweit sich Muster abhängig vom Inhalt der Entscheidung identifizieren lassen. Schließlich gehen wir am Ende auch der Frage von externen Impulsen und Einflüssen nach. In einem ersten Schritt geht es um innerparteiliche Entscheidungsprozesse zwischen Hierarchie und Verhandlung. Hier verdichten wir die Merkmale der demokratischen Hierarchie und des informellen Einflusswettbewerbs der innerparteilichen Teilgruppen in der Frage nach der Steuerungsfähigkeit der Parteiführung gegenüber der restlichen Partei. Diese wird noch immer vor dem Hintergrund der Oligarchiethese von Michels270 gestellt, der von zentralisierter Führung ausgeht, und dem Gegenentwurf der Stratarchie von Eldersveld271, der eine Dezentralisierung der Macht konstatiert. Bei jeder in den Blick genommenen innerparteilichen Entscheidung muss die informelle Dimension mitgedacht werden, da Akteure bei jeder Entscheidung dem formellen Rahmen informelle Praktiken in Form von Absprachen und Aushandlungen vorschalten.272 Diese vorgeschalteten Aushandlungen reduzieren Erwartungsunsicherheit und tragen der Tatsache Rechnung, dass innerparteiliche Entscheidungen keine rein technischen Abläufe sind, sondern politische Interessen einer Vielzahl von Akteuren beinhalten. Diese müssen zur Wahrung von Machtbalancen sorgfältig gegeneinander austariert werden, da sie von den notwendigen, aber nicht hinreichenden formalen Regeln nicht vollständig abgebildet werden können.273 Parteien als Stratarchien von Einflussträgern und Subeliten mit lokalen Machtbasen, die auch im Zustand einer „lose verkoppelten Anarchie“274 beschrieben werden, beinhalten eine „Vielzahl von unterschiedlichen Gruppen, Flügeln, Faktionen und Subeinheiten, die partiell rivalisieren oder Koalitionen schmieden, um ihre innerparteiliche Durchsetzungsfähigkeit zu erhöhen.“275 In diesem Zustand der relativen Autonomie der einzelnen Parteigliederungen können weder die Akteure der Par270 Vgl. Michels 1911. 271 Vgl.Eldersveld 1964 und Detterbeck 2016: 118. 272 Der hier genannte formelle Rahmen umfasst z.B. das Gebot innerparteilicher Demokratie, den föderalen Aufbau von Parteien sowie die Verantwortlichkeit aller Parteigremien gegenüber dem Parteitag als höchstes Entscheidungsgremium (vgl. dazu Korte/Fröhlich 2009: 146f.). Rechtliche Vorschriften finden sich in Art. 21 GG, dem Parteiengesetz von 1967 sowie den Statuten der Parteien. 273 Vgl. Grunden 2013: 222. 274 Vgl. Wiesendahl 2006a: 36. 275 Jun 2010: 14.
79
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
teiführung sich gegenseitig steuern, noch die Parteiführung gegenüber den mittleren Parteieliten oder der Parteibasis absolute Kontrolle ausüben: Er macht informelle Kompromissfindung und kollektive Aushandlung, vor allem zwischen der Parteiführung und anderen innerparteilichen Eliten, zwingend.276 Zweitens richten wir den Blick auf die Unterscheidung von Entscheidungsprozessen in den drei verschiedenen Entscheidungstypen um Personen, Programmatik und Strategie, mit denen Parteien konfrontiert sind. Die Frage nach Entscheidungstypen verbindet das Merkmal der Weltanschauungsgemeinschaft mit der Frage nach den Machtstrukturen. Die Aushandlung von programmatischen Positionen in Grundsatz- und Wahlprogrammen ist ein Schlüsselprozess, der die gesamte Komplexität der Entscheidungslogik von Parteien ans Licht bringt, da er die „Seele“ der Partei berührt: Gemeint sind Organisationskultur und ideologische Parteiidentität, die Mitglieder bindet und sozialisiert sowie Loyalitäten durch Partizipation und Interessensaggregation schafft. Die Analyse von Entscheidungstypen verspricht daher insbesondere Erkenntnisse zu den Entscheidungsorten und Entscheidungswegen, die durch die verschiedenen Akteure der Allianz von Untergruppen in unterschiedlichem Maße geprägt werden. In einem dritten Schritt betrachten wir das Merkmal der Umwelteinflüsse, um die Auswirkungen externer Faktoren wie Machtkonjunkturen, Krisen oder Medieninteraktion auf den Entscheidungsprozess zu analysieren. Fließende Grenzen zwischen der inneren Parteiorganisation und ihrer Umwelt bedingen, dass Entscheidungsprozesse sich verändern, wenn externe Einflüsse auf die Parteiorganisation einwirken. Die Betrachtung dieser Umweltfaktoren ist bei der Analyse der Entscheidungsstrukturen in Parteien daher zwingend einzubeziehen. 4.1 Entscheidungsprozesse zwischen Hierarchie und Verhandlung Die vertikale Fragmentierung der Partei hat zu einer Zweiteilung zwischen geselligkeitsorientierten, freiwillig im Ortsverband organisierten Mitgliedern der Parteibasis und Berufspolitikern in Parlamenten, Regierungen und Parteizentralen geführt, die „unterschiedliche Organisationsrationalitäten“277 verfolgen. Für viele einfache Parteimitglieder beschränkt sich das Parteileben in der Regel auf lokale Kontexte und kennt kaum Interak276 Vgl. Weigl 2013: 17f. 277 Jun 2010: 15.
80
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
tion mit anderen Parteiebenen. Jenseits dieser Grenze beginnt die „elektoral-professionelle Profipartei“278. Am anderen Ende, an der Spitze der Berufspolitiker, zeigt sich darüber hinaus eine weitere Abgrenzung eines Führungszirkels um einflussreiche Personen der party in public office und des party central office herum, die sich vom Rest der Partei abkoppeln und innerparteiliche Entscheidungsprozesse zu zentralisieren versuchen. Dazwischen befindet sich die mittlere Funktionärsebene mit gewählten und entsandten Mitgliedern der verschiedenen föderalen Ebenen der Partei. Die Parteispitze genießt privilegierten Zugang zu den Medien, den sie nicht nur zur externen, sondern genauso zur parteiinternen Kommunikation verwendet, um ihre Deutungen und Ideen zu verkünden, ohne dass eine regelmäßige Diskussion darüber mit dem Rest der Partei stattfinden muss. Die digitalen Medien werden zwar zur externen Kommunikation, nicht aber innerhalb von Parteien bisher in ausreichendem Maße genutzt, um diese Kommunikationslücke, die auch eine Machtlücke ist, zu schließen.279 Ohne verallgemeinern zu können, wer zum engeren Kreis der Spitze der Berufspolitiker einer Partei gehört, wird oft schlicht als die Parteiführung bezeichnet. Grob lassen sich die Mitglieder der Parteiführung in Mitglieder der party in public office, also Mandatsträger und Regierungsmitglieder sowie Mitglieder des party central office, also die von der Gesamtpartei beziehungsweise dem Parteitag gewählten Repräsentanten des Parteivorstandes im Parteihauptquartier und einige hauptamtliche Mitarbeiter dort unterscheiden. Darunter gibt es häufig Personen, die die beiden „Gesichter“ der Partei in Personalunion verbinden.280 Weder sind allerdings alle diesen „Gesichtern“ zuzurechnenden Personen Teil der Parteiführung, noch müssen Mitglieder der Parteiführung zwangsläufig diesen Gliederungen angehören. Es wäre weiterhin ein Irrtum anzunehmen, dass das meist vom Parteitag als Vorstandsausschuss gewählte Präsidium eins zu eins der Parteiführung entspräche. Das Präsidium koordiniert zwar die Tagespolitik, ist aber eher als „Forum für Aushandlungsprozesse“281 zwischen verschiedenen Parteigliederungen auf vertikalen und horizontalen Ebenen – wie den Sonder- und Nebenorganisationen und den Parteiflügeln – zu verstehen. Entscheidungen sind teils ausgelagert und beteiligte Personen der Parteiführung müssen nicht zwangsläufig Mitglieder des Präsidiums sein, 278 279 280 281
Jun 2010: 15. Vgl. Jun 2010: 15. Vgl. Jun 2010: 22f. Jun 2010: 26.
81
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
ebenso wie nicht alle Mitglieder des Präsidiums automatisch entscheidenden Einfluss in der Partei haben.282 Die jeweilige Zusammensetzung und Steuerungsversuche der Parteiführung in Verhandlungsmodi zwischen Hierarchie und Verhandlung aufzudecken sowie die Wege zur Herstellung von Geschlossenheit und kollektiven Entscheidungen zwischen „Vetospieler[n]“ und „Mitregenten“283 anhand der großen deutschen Parteien darzustellen, ist Ziel der folgenden Ausführungen. Es stehen sowohl einzelne Personen, aber auch Personengruppen und formale und informelle Strukturen im Fokus, da die Forschung zu politischer Führung gezeigt hat, dass die persönlichen Eigenschaften und Führungsqualitäten von Führungspersonen zwar relevant sind, aber nur im Zusammenspiel mit strukturellen Handlungskontexten wirkmächtig werden.284 Weiterhin handeln politische Führungsakteure, wie beispielsweise Parteivorsitzende, „im Rahmen und im Namen von Kollektivakteuren wie Regierungen, Fraktionen oder Parteien“285, sodass zwar die herausragende Position von einzelnen Akteuren betont wird, aber bei Führungsentscheidungen von der Parteiführung beabsichtigt undurchsichtig bleibt, welcher Akteur der Parteiführung wie viel Anteil an einer Entscheidung hat. Auch muss immer berücksichtigt werden, dass zwar Strukturen relativ stabil sind, aber sich über Zeit durch wechselndes Personal mit deren Führungspraktiken auch die Führungsdynamiken in der Partei insgesamt verändern. So kommt Jun zu dem Schluss, dass die Lokalisierung der Macht anhand der einzelnen Personen der Parteiführung in einer Partei nur durch die Einzelfallbetrachtung erfolgen kann.286 Die sechs Bände der Reihe Die politischen Parteien der Bundesrepublik Deutschland haben zentrale Erkenntnisse zu Führungsmustern in CDU, CSU, SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke herausgearbeitet, die in den folgenden Ausführungen an geeigneten Stellen einfließen.287 In einem Zweischritt betrachten wir nun zunächst die Zusammensetzung der verschiedenen Parteiführungen, um sich anschließend der Frage zu widmen, mit welchen innerparteilichen Gegenspielern sie es bei Versuchen der hierarchischen Steuerung zu tun haben. 282 283 284 285 286 287
Vgl. Jun 2010: 26,. Korte/Fröhlich 2009: 38. Vgl. Glaab 2013: 350. Glaab 2013: 351. Vgl. Jun 2010:. Vgl. Walter/Werwath/D’Antonio 2014 zur CDU, Weigl 2013 zur CSU, Grunden/Janetzki/ Salandi 2017 zur SPD, Treibel 2014a zur FDP, Switek 2015 zu den Grünen und Oppelland/ Träger 2014 zur Linken.
82
4.1.1 Zusammensetzung der Parteiführung
4.1.1 Zusammensetzung der Parteiführung Die beiden „Gesichter“ des party central office und der party in public office verschmelzen bei CDU, CSU, SPD und FDP zur Parteiführung. Bei den Grünen zeigt sich eine starke Stellung der party in public office gegenüber des party central office. Zudem begünstigt hier eine informell stark von Flügelzugehörigkeiten strukturierte Parteiorganisation die Beeinflussung durch einzelne Führungspersonen.288 In ähnlicher Weise ist diese Strukturierung nach Flügeln und Führungspersonen in öffentlichen Ämtern nur bei der Linken zu beobachten, bei der allerdings die Länderebene eine geringere Rolle spielt, als bei den Grünen. In CDU, CSU, SPD und FDP bildet sich in der Regel ein Führungszirkel um das Parteipräsidium mit dem Parteivorsitzendem, den stellvertretenden Parteivorsitzenden und dem Generalsekretär. In der SPD war mit der Abschaffung des Präsidiums 2011 eine informellere Parteispitze entstanden,289 die nach der Wiedereinführung des Präsidiums 2013 wieder formalisiert wurde. Für die FDP ist es nicht ungewöhnlich, dass in Oppositionszeiten die eigentliche Parteiführung nur aus dem Parteivorsitzenden und seinen Stellvertretern sowie dem Generalsekretär besteht, oder aber erweitert wird durch den Fraktionsvorsitzenden im Bundestag.290 Auch in der CDU und der SPD wird die Parteispitze ergänzt um die Fraktionsvorsitzenden im Bundestag sowie Ministerpräsidenten und Bundesminister – sie bilden in wechselnden Machtverhältnissen zwischen diesen Polen die Parteiführung.291 Die CSU hat in Zeiten, in denen der Parteivorsitz mit dem bayerischen Ministerpräsidentenamt in Personalunion geführt wird, eine herausgehobene und mächtige Person an der Spitze.292 Als Ministerpräsident steht sie der Landespolitik und der machtvollen CSU-Landtagsfraktion vor, als Parteivorsitzender ist sie Sprachrohr der Partei im Bund, womit häufig die Beteiligung an zentralen Entscheidungen der Bundesregierung einhergehen. Außerdem hat sie Zugriff auf alle zentralen Schaltstellen der Partei und des Landes Bayern, wie Parteizentrale und Staatskanzlei, weshalb eine Person selten beide Ämter zugleich erhält,293 sondern sich zumeist erst in einem Amt bewähren muss – ein Luxus, den an288 289 290 291
Vgl. Switek 2015: 176. Vgl. Spier/Alemann 2013: 448. Vgl. Treibel 2014a: 240ff, Dittberner 2010: 173. Vgl. Walter/Werwath/D’Antonio 2014: 77, Grunden/Janetzki/Salandi 2017: 75ff, Treibel 2014a: 120f. 292 Vgl. Weigl 2013: 91. 293 Vgl. Weigl 2013: 94.
83
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
dere Parteien so nicht kennen, da die CSU bisher faktisch ein Abonnement auf das Ministerpräsidentenamt hatte. Auch in CDU, SPD und FDP ist die Ämterhäufung an der Parteispitze die Regel, sodass Parteivorsitz und stellvertretender Vorsitz häufig in Personalunion mit Kanzlerschaft, einem Bundesministeramt, einem Ministerpräsidentenamt oder dem Fraktionsvorsitz im Bundestag ausgeübt wird – in der CDU noch häufiger als in der SPD.294 Die Ämterhäufung ist eine strukturelle Parallele zwischen den beiden Großparteien, die innerparteiliche Macht und Deutungshoheit gegenüber den Medien in wenigen Händen an der Parteispitze vereinen. Der Unterschied ist allerdings, dass diese Machtkonzentration in der CDU als Vorteil angesehen und daher begrüßt wird, in der SPD hingegen meist kritisch beäugt wird.295 Bei den Christdemokraten gruppierte sich das Präsidium lange Jahre (bis inklusive 2017) um die Parteivorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel, die fast ausschließlich loyale Unterstützer um sich herum versammelte, darunter Bundesminister, Ministerpräsidenten und Landesvorsitzende aus verschiedenen Bundesländern, der Generalsekretär Peter Tauber, Kanzleramtschef Peter Altmaier sowie der Unions-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Volker Kauder.296 Der Wahlerfolg der Partei war stark mit der Kanzlerin verknüpft, die daher die zentrale Stellung in der Partei einnahm.297 Allerdings war Merkel keineswegs Alleinherrscherin, sondern pflegte eine größere Abstimmungs- und Diskussionsfreude als der langjährige Parteivorsitzende Helmut Kohl Anfang der 1990er Jahre.298 In der SPD war seit der Übernahme des Parteivorsitzes durch Martin Schulz sowie seiner Kanzlerkandidatur im Jahr 2017 von einer Führungsgruppe auszugehen, die sich aus einigen einflussreichen Personen aus den Gruppen der Ministerpräsidenten, Landesvorsitzenden, Bundesministern und dem Fraktionsvorstand des Bundestages zusammensetzte, wobei Schulz und seine stellvertretenden Vorsitzenden im Zentrum standen. Vor dem Wechsel des Parteivorsitzes von Sigmar Gabriel zu Schulz, der zu einer größeren Machtverteilung führte, galt Gabriel als unangefochtene Führungsperson in der SPD, insbesondere nach dem Rückzug des Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück 2013 und dem gezwungenermaßen eher
294 295 296 297 298
Vgl. Bösch 2013: 213. Vgl. Zolleis/Schmid 2015: 28. Vgl. Zolleis/Schmid 2015: 27, Bösch 2013: 207. Vgl. Zolleis/Schmid 2015: 26. Vgl. Bösch 2013: 214.
84
4.1.1 Zusammensetzung der Parteiführung
überparteilich agierenden Außenminister und anschließenden Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier.299 Bei den Christsozialen aus Bayern war der Parteivorsitzende Horst Seehofer lange uneingeschränktes Machtzentrum seiner Partei. Hatte er nach seinem Amtsantritt noch mit Vorbehalten und Konkurrenz durch den aufstrebenden Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg zu kämpfen, so etablierte sich Seehofer spätestens nach zu Guttenbergs Rücktritt aufgrund der Plagiatsaffäre 2011 in doppelter Machtfunktion als bayerischer Landesvater und personifizierter Wahrer bayerischer Interessen im Bund.300 Seitdem war er der „starke und alternativlose erste Mann der CSU“301. Gestützt wurde er von seinem faktisch selbst ausgewählten Generalsekretär, lange Zeit Andreas Scheuer, der ihm loyal zur Seite stand.302 Seine Autorität bröckelte aber mit dem Bundestagswahlergebnis 2017, welches gerade für die CSU in Bayern historisch schlecht ausfiel. Seehofers ewiger Konkurrent Markus Söder nutzte das Gelegenheitsfenster und leitete einen Wechsel im Amt des Ministerpräsidenten ein. Für Seehofer war es ein Abschied auf Raten, da er zunächst noch Parteivorsitzender blieb. Bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag 2013 war die Führungsstruktur der FDP stark geprägt von ihrer langjährigen Regierungsbeteiligung. Präsidiumsmitglieder waren häufig die Bundesminister der Liberalen, die sich beispielsweise in den Jahren von 2009 bis 2013 zur wöchentlichen Koordination mit dem stellvertretenden Regierungssprecher, dem Fraktionsvorsitzenden, dem parlamentarischen Geschäftsführer und dem Generalsekretär der Partei trafen und alle maßgeblichen Entscheidungen der Partei koordinierten.303 Nach dem Wiedereinzug der FDP in den Bundestag 2017 war zu erwarten, dass der Parteivorsitzende Christian Lindner entweder als Fraktionsvorsitzender oder Bundesminister die traditionelle Doppelfunktion an der Parteispitze fortführen würde. Nach dem Scheitern der Sondierungsverhandlungen zur Jamaika-Koalition nahm er wie erwartet die Doppelfunktion aus Parteivorsitz und Fraktionsvorsitz ein. Unter seinem Vorsitz versammelten sich im FDP-Präsidium, das als zentrales Machtzentrum auszumachen war, neben der Generalsekretärin Nicola Beer vor allem Landesvorsitzende und Mitglieder von Landesregierungen. 299 300 301 302 303
Vgl. Spier/Alemann 2015: 64. Vgl. Weigl 2013: 96f. Weigl 2015: 85. Vgl. Weigl 2013: 97. Vgl. Treibel 2014a: 130f.
85
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
Praktisch alle Entscheidungen wurden traditionell im FDP-Parteipräsidium beraten und vorentschieden.304 Der Parteivorsitzende Lindner prägte und führte die Partei nach der Übernahme des Vorsitzes stark, häufig in Absprache mit seinen stellvertretenden Parteivorsitzenden Wolfgang Kubicki, Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Katja Suding, die seinen Kurs grundsätzlich stützten.305 Bei den Grünen und den Linken ist die Parteiführung hingegen nicht ausschließlich im Präsidium zu verorten, welches in diesen Parteien auch nicht als Präsidium bezeichnet wird. Da im Regelfall keine Personalunion zwischen Parteivorsitzenden und Fraktionsvorsitzenden des Bundestages besteht und letztere nicht Mitglieder der leitenden Parteigremien Parteivorstand (Grüne) oder Geschäftsführender Vorstand (Linke) sind,306 verteilen sich die Einflussmöglichkeiten auf die Parteiorganisation bereits durch die formale Machtdiffusion stärker auf mehrere Schultern und sind schwieriger zu koordinieren. Nur unter Oskar Lafontaine vereinte die Linke kurzzeitig in der Phase nach der Fusion von PDS und WASG 2007-2009 den Parteivorsitz und den Fraktionsvorsitz im Bundestag, in beiden Ämtern aber jeweils als Doppelspitze. In der Regel bleiben in beiden Parteien die party in public office vom party central office getrennt und die Parteivorsitzenden sind stärker zur Aushandlung und Kompromissen mit anderen einflussreichen Parteigliederungen gezwungen. Bei den Grünen waren dies bisher insbesondere die beiden Fraktionsvorsitzenden des Bundestags, einflussreiche Mitglieder von Landesregierungen und zwischen 1998 und 2005 auch Mitglieder der Bundesregierung. In Wahlkampfzeiten wird die Unübersichtlichkeit der dezentralen Machtverteilung durch die Aufstellung von Spitzenkandidaten kompensiert, ein informelles Amt, dessen Kandidatenkreis sich zumeist aus den beiden Parteivorsitzenden und den beiden Fraktionsvorsitzenden sowie falls vorhanden Bundesministern, Ministerpräsidenten oder prominenten Landesvertretern zusammensetzt.307 Die von der Basis per Urabstimmung 2013 und 2017 gewählten Spitzenkandidaten drücken der Partei im Wahlkampf ihren Stempel auf, erlangen öffentlich höhere Aufmerksamkeit, um der Medienlogik im Wahlkampf stärker Rechnung zu tragen, sind aber zugleich Teil eines hinter ihnen stehenden Teams aus Parteivorsitzenden und Fraktionsvorsitzen-
304 305 306 307
Vgl. Treibel 2014a: 120f. Vgl. Niedermayer 2015: 129f. Diese Gremien entsprechen in etwa dem Präsidium anderer Parteien. Vgl. Switek 2015: 238f.
86
4.1.1 Zusammensetzung der Parteiführung
den.308 Bei den Linken üben traditionell Führungspersonen der beiden großen Flügel „Reformer“ und „Orthodoxe“ sowie ebenfalls die beiden Fraktionsvorsitzenden im Bundestag Einfluss auf zentrale Entscheidungen aus und sind damit Teil der Parteiführung. Die Rolle der Parteivorsitzenden ist sowohl bei den Linken wie auch bei den Grünen als erheblich schwächer im Vergleich zu den anderen betrachteten Parteien einzuschätzen, da sie einem rivalisierenden Machtzentrum in der Fraktion gegenüberstehen und keinerlei Kontrolle gegenüber den sehr autonom agierenden Ländern ausüben können. In beiden Parteien zeigte sich in der Vergangenheit häufig, dass die Fraktionsvorsitzenden sich als zweites Machtzentrum neben den Parteivorsitzenden etablierten und teils sogar mehr Einfluss auf die Partei auszuüben vermochten als die Parteivorsitzenden.309 Bei der Linken schrieb sich dieses Schema nach der Übernahme der Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl 2017 durch die beiden Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch gegen anfänglichen Widerstand, insbesondere der Parteivorsitzenden Katja Kipping, fort.310 Bei den Grünen waren 2017 neben dem baden-württembergischen Ministerpräsident Kretschmann vor allem die beiden Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl, Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt, als Führungspersonen auszumachen, die sich durch ihre Nominierung per Urabstimmung die Legitimation der Basis sicherten. Dies offenbart eine Besonderheit der Grünen: Basisdemokratische Instrumente wie Mitgliederentscheide oder Urwahlen bringen weiterhin für die Parteispitze unkontrollierbare Elemente in die Führungsstruktur ein. Auch wenn die Parteispitze vor solchen Entscheidungen versucht, die Basis zu beeinflussen, können sie als echte offene Entscheidungssituationen bewertet werden, die für Überraschungen sorgen können, wie zum Beispiel bei der Wahl von Katrin Göring-Eckardt statt Claudia Roth zur Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl 2013 oder bei der Wahl von Cem Özdemir zum Spitzenkandidaten 2017, der nur sehr knapp und unvorhersehbar gegen seinen innerparteilichen Konkurrenten Robert Habeck gewann.311 Göring-Eckardt und Özdemir repräsentierten im Wahlkampf 2017 zwar den traditionellen Geschlechterproporz der Grünen, wurden aber beide dem Realo-Flügel der Grünen zugerechnet, was auf eine gewisse Dominanz des Flügels in der Partei hinwies. 308 309 310 311
Vgl. Switek 2015: 275ff. Vgl. Switek 2015: 146, Oppelland/Träger 2014: 126f, Decker 2017. Vgl. Hagen 2016. Vgl. Switek 2015: 179.
87
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
Regierungsvertreter der Länderebene spielen in Oppositionszeiten eine besondere Rolle, daher waren seit 2011 auch der einzige grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann sowie seit 2012 der stellvertretende Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Robert Habeck, dem engeren Führungszirkel zuzurechnen. Der generelle Trend des Machtzuwachses der Länderebene in Oppositionszeiten wird unten im Abschnitt zu Machtkonjunkturen näher beleuchtet (siehe Kapitel 4.3.1). Habeck kandidierte nach den gescheiterten Sondierungsgesprächen zur Jamaika-Koalition im Anschluss an die Bundestagswahl 2017 folgerichtig für den Parteivorsitz und wurde zum Nachfolger des langjährigen Vorsitzenden Özdemir gewählt. Wiederum bemängelten parteiinterne Kritiker, dass die neuen Parteivorsitzenden Habeck und Annalena Baerbock beide dem realpolitischen Flügel zuzurechnen seien, konnten sich mit ihren Einwänden jedoch nicht durchsetzen. Für einen Ausgleich gegenüber dem dominierenden realpolitischen Flügel sorgte bei den Grünen lange Zeit der ehemalige Bundesminister Jürgen Trittin, der als Vertreter der Parteilinken in zentrale Entscheidungen einbezogen wurde. Allerdings wurde die mögliche Regierungsbeteiligung der Grünen im Bund 2017 als letzte Chance für Trittin bezeichnet, aus einem Bundesministeramt heraus Einfluss auf die Partei auszuüben, was durch das Scheitern der Sondierungen letztlich misslang und Versuche einer Machtbalance des linken Flügels weiter schwächte. 4.1.2 Steuerungsversuche und verhandelnde Moderation der Parteiführung Die Zusammensetzung der Parteiführung beeinflusst zwar das Machtgefüge der Partei, ist aber keineswegs gleichzusetzen mit unkontrollierter und ungehemmter Machtausübung durch die Führungspersonen. Denn obwohl die Parteiführung an zentralen Schaltstellen der Parteiorganisation sitzt und auch über die Medien Deutungshoheit und Einfluss nach innen und außen geltend machen kann,312 kommt sie nicht umhin, sich in der eigenen Partei gegen Wettbewerber in den Gremien und Gliederung zur Erlangung von Kontrolle über Entscheidungen durchsetzen zu müssen.313 Jun stellt fest, dass hinsichtlich „Machtverteilungsstruktur und Kontrollspanne eine Partei nicht hierarchisch strukturiert“ und „Machtkonzentration kaum durchsetzbar“ ist, sodass sich „Einflusspotenziale über verschiedene Stu-
312 Vgl. Glaab 2013: 354f. 313 Vgl. Detterbeck 2011: 105.
88
4.1.2 Steuerungsversuche und verhandelnde Moderation der Parteiführung
fen und Zentren streuen“314. In Anlehnung an Erkenntnisse aus der Regierungsforschung315 kann davon gesprochen werden, dass die Parteiführung formale oder informelle „Vetospieler“316 beachten muss, die als „Nebenregierungen“317 Einfluss geltend machen wollen und einer moderierenden und verhandelnden Einbindung bedürfen, um Steuerung zu ermöglichen. Sie sind insbesondere in den vertikalen und horizontalen Organisationsgliederungen oberhalb der Parteibasis zu finden. Konkret sind das in den deutschen Parteien insbesondere Vertreter der Flügel oder Strömungen, Vertreter der formalen funktionalen Gliederungen (Unter-, Sonder- und Nebenorganisationen), Ministerpräsidenten und Mitglieder von Landesregierungen sowie hochrangige Mitglieder der Bundestagsfraktion. Darüber hinaus lohnt der Blick auf die Parteitage, die formal das oberste Entscheidungsgremium aller Parteien darstellen. Nur wenn die Parteiführung in der Lage ist, den Parteitag in ihrem Sinne zu gestalten und zu kontrollieren, lassen sich richtungsweisende personelle und programmatische Entscheidungen der Partei in die gewünschte Richtung lenken. Andernfalls entscheiden die Delegierten des Parteitages im Sinne der innerparteilichen Demokratie per Mehrheitsentscheid. Trotz der auf die Außendarstellung gegenüber den Medien bedachten Parteitagsregie der Parteiführung, die in allen Parteien mehr oder minder zum Tragen kommt, ist bei genauem Blick feststellbar, welche Gegenspieler der Parteiführung sich mit Anträgen und Diskussionen in Stellung zu bringen versuchen. Denn der Parteitag kann selbst zur Nebenregierung werden, wenn er sich nicht von der Parteiführung disziplinieren lässt und eigene Mehrheiten für Anträge aus seiner Mitte organisiert. Vorweg lässt sich in Bezug auf alle Parteien bereits feststellen: Die Landesverbände und auch die Bundestagsfraktion gelten in allen Parteien als sehr unabhängig von den Parteigremien der Bundesebene.318 Allerdings sorgen personelle Verschränkungen mit der Parteiführung in Vorstand und Präsidium dafür, dass sie moderierend eingebunden werden und in Entscheidungsprozessen ein Mitspracherecht erhalten. Ihr Einfluss unterscheidet sich von Partei zu Partei und von Landesverband zu Landesverband stark, auch abhängig davon, ob die Parteien auf Bundesebene Regierungsverantwortung innehaben oder in der Oppositionsrolle sind (siehe 314 315 316 317 318
Jun 2010: 14. Vgl. Korte/Grunden 2013. Korte/Fröhlich 2009: 37f. Korte/Fröhlich 2009: 38, 180. Vgl. Poguntke 2002: 260f.
89
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
Kapitel 4.3.1). Generell beharren die Landesverbände allerdings auf ihrer autonomen Rolle, was sich im Verhältnis zur Bundespartei in leicht abweichender Programmatik und Eigenständigkeit bei strategischen Koalitionsentscheidungen äußert.319 In der Gesamtschau zeigt sich bei der Frage nach Steuerungsversuchen und moderierender Verhandlung der Parteiführung ein differenziertes Bild. Die Parteiorganisationen von CDU, CSU und SPD wirken tendenziell stark durch ihre Parteiführung beeinflusst, mit kleineren Abstrichen bei der SPD. FDP und Grüne zeigen eine etwas größere Dezentralisierung der Macht, jedoch mit unterschiedlichen Tendenzen: Während die FDP phasenweise etwas stärker von oben gesteuert wird, weist die Partei der Grünen in spezifischen Situationen einen stärkeren Einfluss von anderen Parteigliederungen und der Basis auf, sodass die Herstellung von Geschlossenheit zur größeren Herausforderung wird. Als noch weniger zentralisiert und stärker heterogen kann die Linke bezeichnet werden, was sich nur in sehr spezifischen personellen Konstellationen kurzzeitig ändert. CDU, CSU und SPD: Zentralisierung und Hierarchie in den Volksparteien Wie verlaufen Steuerungsversuche der Parteiführung und moderierende Aushandlung von Interessen in CDU, CSU und SPD? Die Bände zu den Parteien charakterisieren diese als stark zentralisiert, was sich in einem häufig auftretenden hierarchischen Entscheidungsmuster zeigt. Das liegt zunächst an der hohen Professionalisierung der Parteien, die über ihre Bundesgeschäftsstellen und moderner Ansprache der Medien, zu denen sie bevorzugten Zugang haben, in die Partei hinein kommunizieren. So umgehen sie die ehemals einflussreichen mittleren Parteifunktionäre, die häufig als Filter oder Korrektiv des Austausches zwischen Parteiführung und Parteibasis agierten.320 Die CDU baute unter der Parteivorsitzenden Angela Merkel321, die CSU unter Parteichef Seehofer322 und die SPD unter dem ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder323 die Hauptgeschäftsstelle zu einem modernen Strategie- und Kommunikationszentrum aus, das Basis und Öffentlichkeit gleichermaßen anspricht und für die Po-
319 320 321 322 323
Vgl. Poguntke 2002: 262. Vgl. Walter/Werwath/D’Antonio 2014: 80, Weigl 2013: 217f. Vgl. Walter/Werwath/D’Antonio 2014: 141. Vgl. Weigl 2015: 83. Vgl. Grunden/Janetzki/Salandi 2017: 81f.
90
4.1.2 Steuerungsversuche und verhandelnde Moderation der Parteiführung
sitionen der Parteiführung wirbt. Der Zugang zu den Medien garantiert ihnen Deutungshoheit, welche die mittleren Parteieliten in dem Maße nicht erreichen oder einfangen können. Sowohl für die SPD wie auch für die CDU wurde festgestellt, dass die mittlere Funktionärsebene durch „modernisierte Medienkommunikation“324 teils entmachtet wurde, sodass die Führung mehr Spielraum hat und Entscheidungen größtenteils ohne Rücksicht auf die mittlere Führungsebene ausüben kann.325 Das gilt zum Teil auch für die CSU, in der allerdings die Landtagsabgeordneten als Filter zur Basis eine einflussreiche Stellung gegen die Umgehungsversuche der Parteiführung verteidigen.326 Weiterhin hat in den letzten Jahren bei den Sozial- und den Christdemokraten die Flügelstruktur stark an Einfluss verloren. In der CDU haben sich Flügelkämpfe, wie ehemals zwischen wirtschaftsliberalen und sozialkonservativen Gruppen, insbesondere aufgrund anhaltender Wahlerfolge aufgelöst. Die Siege bei den Bundestagswahlen 2005, 2009, 2013 und – wenngleich eingeschränkt – 2017 befriedigen (noch) den Wunsch der Partei nach Gestaltungsmöglichkeiten und Status der zentralen staatstragenden Partei. Außerdem galt der Kurs der Parteiführung um Kanzlerin Merkel lange Jahre als sehr erfolgreich und daher hinreichend legitimiert, sodass unter den mittleren Parteieliten insgesamt die Kritik stark ab- und Loyalität stark zunahm.327 Viele unzufriedene Rechtskonservative wanderten in die neue Partei AfD ab, wodurch der pragmatische Kurs der Kanzlerin größtenteils Konsens wurde. Nach vielen Regierungsjahren der CDU unter Merkel wurde teils in Anlehnung an die Spätphase der Regierungszeit unter Helmut Kohl wieder vom „Kanzlerwahlverein“ CDU gesprochen, geprägt von programmatischer Innovationsarmut, hoher strategischer Professionalität und einem „erklärungsarmen Pragmatismus“328 als passgenaue Strategie für Herausforderungen des Regierens in Zeiten der Globalisierung.329 Die Schwesterpartei CSU kennt keine Flügel, sondern nur Interessensgruppen, die seit jeher bei großer programmatischer Kontinuität zum Ausgleich geführt werden, was die Bildung stabiler Lager verhindert.330 Die Mitglieder von Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreisen haben nur so viel Einfluss auf die Willensbildung, wie ihre Vorsit324 325 326 327 328 329 330
Jun 2013: 399. Vgl. Jun 2013: 399f, Walter/Werwath/D’Antonio 2014: 80. Vgl. Weigl 2013: 233f. Vgl. Tils/Raschke 2013: 21, Walter/Werwath/D’Antonio 2014: 157. Korte/Switek 2013: 8. Vgl. Zolleis/Schmid 2015: 26f. Vgl. Weigl 2013: 51.
91
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
zenden in höheren Gremien geltend machen können – im Zweifelsfall behält die Parteiführung ihnen gegenüber die Oberhand.331 In der SPD ist der Einfluss der Parteiflügel um die „Parlamentarische Linke“ und den konservativen „Seeheimer Kreis“ auf die Ausrichtung der Partei hingegen traditionell stark, was die Parteiführung bei ihrer Kursbestimmung niemals außer Acht lassen kann.332 In dieser Hinsicht ist die SPD weniger von oben steuerbar als beispielsweise CDU oder CSU. Allerdings nahmen Flügelkämpfe, besonders in den führenden Parteigremien, in den Regierungsjahren der großen Koalitionen 2005-2009 und 2013-2017 ebenfalls stark ab, was unterschiedliche Ursachen hat:333 beispielsweise ließ sich eine strategische Allianz der Flügel zur Stärkung der Gesamtpartei ausmachen, die nach großen Stimmverlusten bei Bundestagswahlen und den Verlust der Konkurrenzfähigkeit zur CDU den Konsolidierungskurs suchte. Weiterhin erfasste auch die Flügel der SPD, insbesondere in den Großen Koalitionen, ein Regierungspragmatismus, der aufgrund der Umsetzung vieler sozialdemokratischer Projekte durch die Bundesregierungen 1998-2009 und 2013-2017 den programmatischen Streit abmilderte – auch wenn vereinzelte Kompromisse mit dem Koalitionspartner CDU kritisiert wurden. Nicht zuletzt führte die personelle Konstanz unter dem langjährigen Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel 2009-2017 nach einer Phase häufiger Umbrüche zu einer Abnahme des Flügelstreits, da er die Partei in ruhigeres Fahrwasser führte. Die innerparteiliche Beliebtheit des Parteivorsitzenden Martin Schulz ab März 2017 und die gute Vernetzung der neuen Fraktionsvorsitzenden Andrea Nahles waren diesem Umstand weiter zuträglich, da sie den seit langem schwächeren linken Flügel wie den lange Zeit prägenden Seeheimer Kreis gleichermaßen ansprachen. Als Nebenregierungen konnten die Flügel daher bis Ende 2017 nicht bezeichnet werden, was sich allerdings bei strittigen programmatischen Neuausrichtungen ändern könnte. Insbesondere die großen Stimmverluste bei der Bundestagswahl 2017 bargen das Potenzial, erneut Unruhe in das Machtgefüge einkehren zu lassen. Ob zentrale Entscheidungen wie in den Regierungsjahren weiterhin ohne größeren Widerstand von oben nach unten verlaufen werden, blieb nach der Bundestagswahl zunächst abzuwarten, auch weil nach der Wahl unmittelbar ein Erneuerungsprozess auf die Agenda gesetzt wurde.
331 Vgl. Weigl 2013: 280f. 332 Vgl. Grunden/Janetzki/Salandi 2017: 21, 70. 333 Vgl. Grunden/Janetzki/Salandi 2017: 97, Jun 2013: 392.
92
4.1.2 Steuerungsversuche und verhandelnde Moderation der Parteiführung
Weitere potenzielle Vetospieler sind für die Führungen der CDU und SPD traditionell die Ministerpräsidenten oder stellvertretenden Ministerpräsidenten der Bundesländer, die in der Vergangenheit bestärkt durch Wahlerfolge immer wieder bundespolitische oder gesamtparteiliche Ambitionen hegten und die Parteiführung herausforderten.334 Allerdings zeigte sich, dass insbesondere in der CDU im Jahr 2017 keine Vetomacht von dieser Seite zu erwarten war. Angela Merkel hatte ehemalige Herausforderer wie Roland Koch aus Hessen oder Christian Wulff aus Niedersachsen bereits politisch überlebt,335 andere Ministerpräsidenten wie Volker Bouffier in Hessen oder die 2017 neu ins Amt gelangten Ministerpräsidenten Armin Laschet in Nordrhein-Westfalen und Daniel Günther in SchleswigHolstein und auch alle weiteren Ministerpräsidenten hegten (noch) keine bundespolitischen Ambitionen und traten nicht als Rivalen der Parteivorsitzenden auf.336 Die Niederlagenserie bei Landtagswahlen 2010-2013 mit Machtverlusten in fünf Bundesländern schwächte das Gewicht der CDULandesvorsitzenden in der Partei erheblich.337 Wahlerfolge in NordrheinWestfalen, Schleswig-Holstein und im Saarland 2017 bargen zumindest das Potenzial, eine Trendwende und damit eine Machtverschiebung zugunsten der Ministerpräsidenten einzuleiten. Allerdings war zunächst anzunehmen, dass einige Zeit notwendig sein würde, bis diese sich im innerparteilichen Machtgefüge stärker etablierten. Als aufstrebendes Talent wurde seit einigen Jahren häufig Finanzstaatssekretär Jens Spahn bezeichnet. Allerdings waren seine häufig stärker konservativen Positionen im Jahr 2017 in der Partei (noch) nicht mehrheitsfähig, weswegen sein Einfluss auf die Willensbildung der CDU weiterhin begrenzt blieb. In der SPD zeigte sich in den letzten Jahren ein ähnliches Bild, das sich nach der Wahlniederlage 2017 jedoch zunächst zu ändern schien: Die Ministerpräsidenten gelten seit jeher zwar als Machtfaktoren, gleichzeitig sind sie allerdings in die Parteiführung eingebunden.338 Sie bildeten 2017 gemeinsam mit dem Parteivorsitzenden Schulz, mit den Bundesministern der Großen Koalition 2013-2017, der Fraktionsvorsitzenden Nahles und einigen weiteren eine Führungsgruppe, die sich nicht gegenseitig herausforderte. Die SPD musste 2017 einige empfindliche Niederlangen bei Landtagswahlen, insbesondere im als „Stammland“ bezeichneten Nord334 335 336 337 338
Vgl. Neumann 2013. Vgl. Zolleis/Schmid 2015: 28. Vgl. Bösch 2013: 207. Vgl. Zolleis/Schmid 2015: 29f. Vgl. Jun 2013: 398f.
93
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
rhein-Westfalen hinnehmen. Diese schwächten das Gewicht der Landesverbände im innerparteilichen Machtgefüge zusätzlich. Wie nach dem letzten Verlust der Regierungsmehrheit in NRW 2005 folgte auch 2017 eine herbe Wahlniederlage im Bund, was 2005 eine jahrelang anhaltende Krise der SPD zur Folge hatte.339 Wie lange sich der Neuaufstellungsprozess der SPD nach der Wahlniederlage 2017 hinziehen würde, blieb nach der Wahl zunächst abzuwarten. Bei den ersten personellen Entscheidungen nach der Bundestagswahl konnte beobachtet werden, dass die Parteiführung weiterhin hierarchisch von oben entschied. Die rhetorisch vorgebrachte Erneuerung, Verjüngung und Verweiblichung war zunächst nicht zu sehen. Bezüglich einer möglichen Neuausrichtung der Programmatik könnte sich dies allerdings ändern, da mehr und mehr Sozialdemokraten einen offenen Willensbildungsprozess forderten, der den Ministerpräsidenten, Flügelvertretern und womöglich auch der Basis mehr Mitsprache einräumen würde. Und auch die personelle Zusammensetzung der Parteiführung wurde in verschiedenen Gliederungen der Partei nach der Wahlniederlage vielfach kritisiert und infrage gestellt. Da es in der CSU aufgrund ihrer „janushaften Doppelköpfigkeit als Regional- und gleichzeitig Bundespartei“340 (außer in Bayern) keine Ministerpräsidenten oder Landesvorsitzenden gibt, die der Parteiführung als Vetospieler begegnen könnten, stellen die bayerischen Bezirksvorsitzenden eine Art funktionales Äquivalent dar.341 Die zehn Bezirksvorsitzenden repräsentieren die sieben bayerischen Bezirke und drei Städte (München, Augsburg, Region Nürnberg/Fürth/Schwabach) und sind qua Amt Mitglieder im Parteivorstand. Mittlerweile gilt das Amt eines Bezirksvorsitzenden als Karrieresprungbrett, zumal es eine landespolitische Hausmacht begründet.342 Hinsichtlich der innerparteilichen Machtverteilung wurde trotz ihrer Bedeutung für das regionale Selbstverständnis der Partei festgestellt, dass sie bestenfalls als „Anwartschaft“343 des Machtzentrums anzusehen sind, da sie zwar in landespolitischen Proporzfragen berücksichtigt werden müssen und gewisse mediale Aufmerksamkeit genießen, aber bei tagesaktuellen Entscheidungen von der Parteiführung übergangen werden können. Die Krise nach dem Verlust der absoluten Mehrheit bei der Landtagswahl 2008, die Unsicherheit und Kritik auslöste und zur Ablösung von 339 340 341 342 343
Vgl. Spier/Alemann 2015: 53f. Weigl 2015: 87. Vgl. Weigl 2013: 87. Vgl. Weigl 2013: 88f. Weigl 2013: 281.
94
4.1.2 Steuerungsversuche und verhandelnde Moderation der Parteiführung
Parteichef Erwin Huber führte, konnte mit der Rückgewinnung der Alleinregierung Bayerns nach der Landtagswahl 2013 überwunden werden.344 Der neue Parteivorsitzende und Ministerpräsident Horst Seehofer genoss spätestens seit dieser Wahl die nötige Rückendeckung und Handlungsspielräume, um die Partei nach seinen Vorstellungen zu steuern, auch wenn das oftmals ein einbindendes Moderieren verschiedener Interessen implizierte und keineswegs als alleinige autoritäre Entscheidungsmacht missverstanden werden sollte.345 Nach dem schlechten Abschneiden der CSU bei der Bundestagswahl 2017 wurden diese festen Strukturen allerdings wieder infrage gestellt. Mit Blick auf die Landtagswahl in Bayern 2018 blieb den Christsozialen nicht viel Zeit, um die Ursachen aufzuarbeiten und die Geschlossenheit hinter der Parteiführung wiederherzustellen. Seehofer geriet als Parteivorsitzender und Ministerpräsident unter Druck. Nach wochenlangem Ringen schloss er schließlich einen Burgfrieden mit seinem innerparteilichen Konkurrenten Markus Söder. Während Seehofer Parteivorsitzender bleibt, gibt er das Ministerpräsidentenamt noch vor der Landtagswahl 2018 ab, so dass Söder sich vom bayerischen Landtag zum Ministerpräsidenten wählen lassen und als Amtsinhaber in die Landtagswahl gehen kann. Bei den Unter-, Neben- und Sonderorganisationen der Unionsparteien und der Sozialdemokraten gab es lange Zeit keine Gruppierung, die aktiv den Konflikt mit der Parteiführung suchte oder Entscheidungen blockieren konnte. Zwar verfügen CDU und SPD aufgrund ihres historischen Ursprungs als große Mitgliederparteien mit gesamtgesellschaftlichem Anspruch über ein wesentlich größeres Netz von Vorfeldorganisationen als beispielsweise FDP und Grüne, jedoch haben diese mittlerweile ausschließlich die Aufgabe, ihre gesellschaftlichen Segmente an die Partei zu binden und die Parteilinie nach außen zu tragen.346 Eine Ausnahme bilden zuletzt wieder die Jungsozialisten in der SPD, die bereits in der Vergangenheit höchst kritisch gegenüber ihrer Parteiführung auftraten, dann allerdings einige Jahre unauffälliger wurden. Wirkten sie zu Beginn des Jahres 2017 noch sehr zufrieden mit dem Parteivorsitzenden Schulz und stützten dessen Kurs, so änderte sich dies nach der Bundestagswahl 2017 und insbesondere nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen, als Schulz und die SPD-Parteispitze sich für die Option einer Großen Koalition öffneten, was die Jusos strikt ablehnten. Bereits während der Sondie344 Vgl. Weigl 2015: 75. 345 Vgl. Weigl 2015: 77, Weigl 2013: 134. 346 Vgl. Poguntke 2002: 258.
95
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
rungsgespräche warb insbesondere ihr Vorsitzender Kevin Kühnert mit der Kampagne #NoGroKo für eine Absage an eine erneute Große Koalition und erzielte einen Achtungserfolg, als ca. 43% der Delegierten eines Sonderparteitages gegen die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit CDU/CSU votierten und damit eine nur sehr knappe Abstimmungsniederlage einfuhren. Die Junge Union gilt als verhältnismäßig unkritisch gegenüber ihrer Parteiführung und fungiert eher als Karrieresprungbrett in der Partei.347 Darüber hinaus gelten andere Vereinigungen oder Arbeitsgruppen mehr als Impulsgeber für programmatische Arbeit denn als Vetospieler.348 Dabei hat der Einfluss der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) stark abgenommen, der Einfluss der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung (MIT) etwas zugenommen, ohne jedoch maßgeblicher Faktor in zentralen Entscheidungsprozessen geworden zu sein.349 In der CSU setzt die Junge Union zwar Akzente in Abgrenzung zur Parteiführung und muss über die Mitgliedschaft im Parteipräsidium gehört werden, sie tritt dennoch größtenteils loyal gegenüber der Parteiführung auf.350 Ein Blick auf die Parteitage der beiden großen Parteien CDU und SPD sowie der CSU gibt weiteren Aufschluss über die Steuerfähigkeit der Parteiführung. Parteitage der CDU und der CSU werden geradezu traditionell streng durch Präsidium und Vorstand überwacht und durch eine Parteitagsregie so vorbereitet, dass kein Streit entstehen kann.351 Mit dem Ziel, den Medien ein perfekt inszeniertes Bild zu liefern, werden Anträge von der eingesetzten Antragskommission vorsortiert und nur solche zur Abstimmung freigegeben, die unstrittig sind. Diskussionen sind unerwünscht. Auch personelle Entscheidungen werden lange vor dem Parteitag informell ausgehandelt und den Delegierten dann nur noch zur Absegnung vorgelegt. Ziel des Parteitages ist es zu vermeiden, dass die Partei von den Medien als streitend und damit handlungs- und politikunfähig dargestellt wird, da Streit in der Medienlogik nicht als konstruktiv, sondern stets als skandalös dargestellt wird. Dies gelang CDU und CSU in den letzten Jahren mit großem Erfolg. Parteitagsdelegierte haben praktisch wenig Einfluss auf Entscheidungen und tragen fast alle Beschlüsse der Parteiführung
347 348 349 350 351
Vgl. Bösch 2013: 215. Vgl. Jun 2013: 399. Vgl. Bösch 2013: 215. Vgl. Weigl 2013: 137f. Vgl. Weigl 2013: 141ff.
96
4.1.2 Steuerungsversuche und verhandelnde Moderation der Parteiführung
mit.352 Bei der SPD zeigt sich ein ähnliches Bild: Parteitage sind in der SPD ebenso wie in der Union streng durchchoreografiert: Anträge werden im Vorfeld durch die Antragskommission vorsortiert und es erfolgen Abstimmungsempfehlungen zur Beeinflussung der Delegierten hinsichtlich ihrer Entscheidungen.353 Die Parteiführungen aller drei Parteien haben daher bei der Steuerung ihrer Partei auf Parteitagen die Zügel fest in der Hand, mittlere Parteieliten und Basis haben fast keinerlei Einfluss auf zentrale Entscheidungen. Turbulent ging es zuletzt lediglich in der SPD beim Bonner Sonderparteitag im Januar 2018 zu, der über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit den Unionsparteien zur Bildung einer neuen Bundesregierung entschied. Die knappe Zustimmung offenbarte eine gespaltene Partei und machte deutlich, dass die Parteiführung die Delegierten nicht mehr ohne Weiteres zur geschlossenen Zustimmung zu ihren Entscheidungen bewegen konnte. FDP und Grüne: Integrationsprozesse zwischen Flügeln, Faktionen und Landesverbänden in den mittelgroßen Parteien Die Organisations- und Entscheidungsmuster von Grünen und FDP unterscheiden sich in einigen Punkten erheblich von denen der Union und der SPD. Im Gegensatz zu CDU, CSU und SPD zeigt sich ein differenzierteres Bild hinsichtlich der Frage, wie stark hierarchisch die Parteiführungen von oben entscheiden können, ohne dabei auf Widerstände zu treffen. Es sind stärker moderierend einbindende Entscheidungsmuster zu beobachten. Die Professionalisierung der Partei hinsichtlich Medienkommunikation kann zunächst als hoch eingestuft werden. FDP und Grüne haben genauso wie CDU, CSU und SPD ihre Parteizentralen zu modernen Kommunikationszentren zur Unterstützung der Parteiführung ausgebaut und sichern sich damit oftmals Deutungshoheit gegenüber den mittleren Parteieliten und der Basis.354 Im Jahr 2013 war das Wahlkampfbudget der Grünen etwas höher als das der FDP und der Linken, die Zusammenarbeit mit externen Werbeagenturen im Wahlkampf ist bei Grünen und FDP gleichermaßen mittlerweile erprobt und routiniert.355 In der FDP ist die Parteizentrale
352 353 354 355
Vgl. Walter/Werwath/D’Antonio 2014: 78f, Bösch 2013: 214, Weigl 2013: 141ff. Vgl. Grunden/Janetzki/Salandi 2017: 70. Vgl. Switek 2015: 145f, Dittberner 2010: 180ff, 190. Vgl. Probst 2015: 147, Dittberner 2010: 184, bezüglich des Wahlkampfbudgets vgl. Spiegel Online 2013.
97
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
etwas dünner besetzt und schwächer ausgestattet als in den beiden großen Parteien CDU und SPD.356 Ihre Kapazität bleibt von der Finanzlage der Partei abhängig, die nach dem verpassten Einzug in den Bundestag 2013 starke Einbußen hinnehmen musste.357 Dennoch wird sie für die innerparteiliche Kommunikation, die Organisation von Parteitagen und die Vorbereitung von Wahlkämpfen genutzt und ist damit professionelles Instrument der innerparteilichen Willensbildung, welches direkt der Parteiführung untersteht.358 Nach dem Ausscheiden aus Regierung und Bundestag 2013 wurde sie umso wichtiger, da sie dem Parteivorsitzenden Lindner als einzige Machtressource verblieb, allerdings mit drastisch gekürzten Ressourcen.359 Auch die Parteizentrale der Grünen hat trotz Professionalisierung innerparteilich einen schweren Stand: Im Vergleich zum Apparat der Bundestagsfraktion und im Falle der Regierungsbeteiligung auch im Vergleich zur Ministerialbürokratie ist die Parteizentrale als ressourcenschwach und wenig einflussreich zu bezeichnen.360 Für beide Parteizentralen gilt: Sie sind professionelle Hilfsmittel der Parteiführung bei Steuerungsversuchen in die Partei hinein, können aber weniger Wirkung entfalten als die Hauptquartiere von CDU und SPD. Bereits hinsichtlich der Flügel- und Strömungsstruktur zeigen sich große Unterschiede zwischen den beiden Parteien. Während in der FDP ähnlich zur CDU und zur SPD der Flügelkampf stark abgenommen hat, ist er bei den Grünen stark prägend und in Machtfragen unumgänglich. In der FDP standen sich in der Vergangenheit wirtschaftsliberale und stärker sozialliberal orientierte Mitglieder im programmatischen Wettbewerb gegenüber, was sich zuletzt bei der Erarbeitung des Grundsatzprogrammes von 2012 zeigte.361 Seit die Mitglieder des sozialliberalen Flügels mit dem Übertritt der FDP von der sozialliberalen Koalition in die schwarz-gelbe Koalition 1982 größtenteils aus der Partei ausgetreten waren, galt er jedoch als stark geschwächt und kaum organisiert.362 Wirklichen Flügelstreit gibt es in der FDP im Jahr 2017 demnach nicht mehr. Mit der Verabschiedung des Grundsatzprogrammes von 2012, das vom damaligen Generalsekretär und späteren Parteivorsitzenden Christian Lindner geprägt wurde und das vormals dominant neoliberale Programm durch eher sozial356 357 358 359 360 361 362
Vgl. Dittberner 2010: 186, 190. Vorländer 2013a: 279. Vgl. Treibel 2014a: 123f. Vgl. Braun 2013. Vgl. Switek 2015: 146. Vgl. Treibel 2014a: 78. Vgl. Dittberner 2010: 228f.
98
4.1.2 Steuerungsversuche und verhandelnde Moderation der Parteiführung
liberale Komponenten wie Fairness, Chancen, Toleranz und Solidarität ergänzte, bestätigte sich der grundsätzlich wirtschaftsliberale Kurs, der lediglich thematisch etwas verbreitert wurde. Ursächlich war dafür weniger ein Parteikonsens als vielmehr der Neuaufbau der Partei nach dem Absturz 2013 durch Parteichef Lindner, dessen präferierter Kurs zum Wohle der Partei im Rahmen der Neuaufstellung akzeptiert wurde.363 Dieser Kurs führte die FDP in Landtagswahlen beispielsweise in NordrheinWestfalen und Schleswig-Holstein 2017 wieder zu Wahlerfolgen, wobei diese zumindest teilweise auf die Beliebtheit der beiden Spitzenkandidaten Christian Lindner (Nordrhein-Westfalen) und Wolfgang Kubicki (Schleswig-Holstein) zurückzuführen waren. Insgesamt musste die Parteiführung der FDP im Jahr 2017 nicht mit Gegenwind von Flügelvertretern oder anderen organisierten Interessensvertretern rechnen, was sich bei größeren Wahlniederlagen oder einer dauerhaften Oppositionsrolle möglicherweise wieder ändern könnte.364 Bei den Grünen hingegen prägen die beiden Strömungen der „Realos“ und „Linke“ die Entscheidungsfindung alleine deshalb bereits stark, weil Strömungszugehörigkeiten bis in die Parteispitze üblich sind. Strukturierte, informelle Loyalitäten und Vorabsprachen haben sich bis in die höchsten Führungskreise der Partei etabliert und prägen den Entscheidungsprozess nachhaltig.365 Daher kann die Parteiführung nicht ohne Berücksichtigung der Strömungen entscheiden und muss bei Missachtung von Strömungsinteressen mit heftiger Kritik und Gegenwehr rechnen. Das schränkt die Steuerungsversuche der Parteiführung, die ohnehin auf viele Schultern verteilt ist und deshalb stark ausgleichend und verhandelnd agieren muss, weiter ein. Einflussreiche Flügelvertreter sind bei den Grünen als Vetospieler einzustufen, finden ihre höchsten Repräsentanten aber meist ohnehin in der Parteispitze wieder. Hinsichtlich des Einflusses von Landesregierungen und Landesverbänden zeigt sich ein ähnliches Bild bei FDP und Grünen: In beiden Parteien sind die Landesverbände relativ autonom und historisch bedingt programmatisch heterogen.366 In der FDP prägen die Landesverbände speziell personelle Entscheidungen durch informelle Proporzregeln erheblich mit. Vor wichtigen Personalentscheidungen werden die Landesvorsitzenden ins Parteipräsidium eingeladen, um dort über die Verteilung der Ämter abzu363 364 365 366
Vgl. Niedermayer 2015: 129f. Vgl. Dittberner 2010: 230. Vgl. Switek 2015: 166f. Vgl. Probst 2013a: 175, Treibel 2014a: 100f.
99
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
stimmen.367 Dabei stehen die beiden größten Landesverbände NordrheinWestfalen und Baden-Württemberg traditionell in Rivalität zueinander, da führende Mitglieder beider Verbände immer wieder bundespolitische Ambitionen hegen und wichtige Posten mit Mitgliedern ihres Landesverbandes besetzen wollen.368 Darüber hinaus haben auch die an Landesregierungen beteiligten FDP-Landesminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten Einfluss auf die Willensbildung und Entscheidungsfindung, insbesondere bei Bund-Länder-Koordinationstreffen vor Bundesratssitzungen, in denen sie mit dem Bundesvorstand zusammentreffen und Entscheidungen abstimmen.369 Vor allem der baden-württembergische und der nordrhein-westfälische Landesverband können deshalb als Vetospieler betrachtet werden, die bei zentralen Entscheidungen einbezogen werden müssen. Hierarchische Entscheidungen durch die Parteiführung von oben sind hier kaum möglich. Bei den Grünen sticht besonders der Landesverband Baden-Württemberg mit dem ersten und bisher einzigen grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann heraus. Er ist bei den Grünen derart einflussreich, dass er eher als der Parteiführung zugehörig bezeichnet werden müsste, denn als Vetospieler derselben. Als Ersatz für das nicht vorhandene Parteipräsidium und teils zur Kompensation der Machtdiffusion durch die kollektive Führung konstituierten sich mit der Zeit Ersatztreffen von Führungspersonen der Partei, die informell zentrale Entscheidungen vorbesprechen. Als einflussreich wird mittlerweile die so genannte „G-Runde“ eingeschätzt, ein Treffen zur Vorbesprechung von Bundesratssitzungen unter der Leitung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann.370 Beteiligt sind neben Vertretern der grün mitregierten Länder die Vorsitzenden der Bundestagsfraktion und die Parteivorsitzenden. Die Runde ist allerdings deutlich länder- und exekutivdominiert, was den generellen Trend der Machtverschiebung von der Bundestagsfraktion zur Länderebene bei Entscheidungsprozessen der Grünen widerzuspiegeln scheint – auch als Konsequenz aus den großen Stimmverlusten bei der Bundestagswahl 2013 und der folgenden Rolle als kleinste Oppositionspartei im Bundestag, die Partei- und Fraktionsvorsitzende geschwächt hat.371 Es bleibt festzuhalten, dass die Grünen inzwischen keine zentralen Entscheidungen vorbei an den mitre367 368 369 370 371
Vgl. Treibel 2014a: 120f. Vgl. Treibel 2014a: 101. Vgl. Treibel 2014a: 103. Vgl. Switek 2015: 159. Vgl. Probst 2015: 157.
100
4.1.2 Steuerungsversuche und verhandelnde Moderation der Parteiführung
gierten Ländern treffen können, wobei davon auszugehen ist, dass Kretschmann selbst Steuerungsversuche unternimmt und nicht nur als reiner Vetospieler auftritt. Sowohl in der FDP wie auch bei den Grünen haben daher die Landesverbände und Landesregierungen eine starke Stellung im Entscheidungsprozess ihrer Parteien. Entscheidungsmuster sind deshalb tendenziell stärker dezentralisiert als bei Union und SPD. Beim Blick auf Sonder-, Unter- und Nebenorganisationen von Grünen und FDP sticht ins Auge, dass lediglich die Jungen Liberalen als Jugendorganisation der FDP Einfluss auf Entscheidungen geltend machen können. Auf Parteitagen stellen sie teils bis zu einem Viertel der Delegierten und halten genau wie die Landesverbände der FDP vorab Koordinationstreffen ab, um Mehrheiten für ihre Anträge zu gewinnen.372 In der FDP kämpfen daher neben den beiden Landesverbänden Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg die Jungen Liberalen (JuLis), die sich selbst als 17. Landesverband bezeichnen, um Einfluss gegenüber der Parteiführung. Sie sind im Bundesvorstand und im Präsidium vertreten und strukturieren Entscheidungsprozesse auf dem Bundesparteitag maßgeblich vor.373 Trotz alledem gelten die JuLis als weitestgehend konform mit der Linie der Parteiführung, da sie kaum alternative Positionen zur offiziellen Parteilinie entwickeln,374 wie das teils bei SPD, Grünen und Linken der Fall ist. Die Parteiführung steht vor der Aufgabe, ähnlich wie die der SPD gegenüber ihren Flügeln, Interessen der Landesverbände und der JuLis zu integrieren, um sich ausreichende Legitimation für zentrale Entscheidungen einzuholen. Daher können sie zumindest bei einzelnen Entscheidungen von der Parteiführung nicht übergangen werden, da sie in der Lage sind, der Parteiführung auf Parteitagen Abstimmungsniederlagen zuzufügen. Die Grüne Jugend und auch andere parteinahe Organisationen wie die Heinrich-Böll-Stiftung bei den Grünen oder die Friedrich-Naumann-Stiftung bei der FDP sowie die Organisationen des Liberalen Vorfeldes oder die Bundesarbeitsgemeinschaften der Grünen haben praktisch keinen Einfluss auf zentrale Entscheidungen. Sie werden eher zur langfristigen programmatischen Expertise herangezogen.375 Parteitage der FDP sind im Vergleich zu Union und SPD weniger streng durch die Parteiführung kontrolliert.376 Die Wahl der zu behandelnden An372 373 374 375 376
Vgl. Treibel 2014a: 105f. Vgl. Treibel 2014a: 100f. Vgl. Dittberner 2010: 193. Vgl. Dittberner 2010: 199, Switek 2015: 150ff, 185f. Vgl. Treibel 2014a: 96ff.
101
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
träge und deren Reihenfolge wird durch das so genannte Alex-Müller-Verfahren festgelegt, bei dem die Delegierten wählen können, welche Anträge sie behandeln möchten – die übrigen Anträge werden in andere Gremien verschoben. Allerdings werden beispielsweise Anträge zu Wahlprogrammen federführend durch vom Vorstand eingesetzte Fachausschüsse erarbeitet, deren Vorschlägen die Delegierten zumeist folgen. Hier steuert die Parteiführung demnach mit. Im Unterschied zu CDU und SPD, bei denen die Parteitagsregie und die strenge Choreografie das zentrale Steuerungsinstrument der Parteiführung auf Parteitagen ist, versucht die Parteiführung der FDP ihre Parteitage eher durch Einforderung von Gefolgschaft über eigene öffentliche Beiträge in die gewünschten Bahnen zu lenken. Sie unterliegt daher einer größeren Gefahr einer Abstimmungsniederlage, wenn sich einflussreiche Gruppen wie beispielswiese die JuLis oder große Landesverbände gegen sie stellen. Hierarchisch gesteuerte Entscheidungen der Parteiführung sind in der FDP selten, sie treten fast ausschließlich bei der Bestimmung des neuen Parteivorsitzenden oder Koalitionsentscheidungen auf. 377 Andere personelle oder aber programmatische Entscheidungen bedürfen einer Aushandlung zwischen der Parteiführung und den innerparteilichen Vetospielern, wie zum Beispiel den Landesverbänden oder den JuLis.378 Somit wird klar, dass insbesondere Parteitage der FDP sich wesentlich weniger steuern lassen als beispielsweise bei CDU und SPD. Lediglich kurz vor Wahlen zeigen sich die Delegierten auf Bundesparteitagen der FDP im Angesicht von führungszentrierten Entscheidungen ähnlich diszipliniert wie die der großen Parteien, um den Medien und Wählern ein Bild der Geschlossenheit zu vermitteln.379 Bei den Grünen ist der als „Bundesversammlung“ oder „Bundesdelegiertenkonferenz“ bezeichnete Parteitag insbesondere hinsichtlich richtungsweisender programmatischer Entscheidungen als eigenständiger und schwerer steuerbar einzustufen als die Parteitage von CDU, SPD und FDP.380 Die Machtdiffusion auf viele Schultern der Parteiführung bewirkt von vornherein eine schwächere Kontrollfähigkeit über den Parteitag, da sich der Parteivorstand bereits im Wettbewerb mit Fraktionsvorsitzenden und Landesvertretern behaupten muss und mit weniger Ressourcen ausgestattet ist als die Parteipräsidien anderer Parteien. Entscheidungsmuster sind mithin stärker dezentralisiert. Daher wird versucht, Konflikte inner377 378 379 380
Vgl. Treibel 2014a: 152. Vgl. Treibel 2014a: 175, 203f. Vgl. Treibel 2014a: 93. Vgl. Poguntke 2002: 265.
102
4.1.2 Steuerungsversuche und verhandelnde Moderation der Parteiführung
halb der kollektiven Parteiführung im Parteirat beizulegen.381 Da dies nicht immer gelingt, ist bei den Grünen immer wieder zu erleben, wie sich ein Parteitag gegen eine in sich zerstrittene Parteiführung und deren informelle Vorabsprachen durchsetzt.382 Das tritt besonders in Oppositionszeiten zutage, da sich zu der Zeit Macht, Einfluss und Führungsanspruch nicht um die Bundesminister herum sammeln, sondern gleichmäßiger auf Fraktion, Parteivorstand und Landesvertreter verteilt sind und zwischen diesen Gruppen Rivalitäten schaffen. Daher sind offene Parteitage, bei denen Parteivorstand und Parteiführung Abstimmungsniederlagen bei ihren Anträgen hinnehmen müssen, bei den Grünen keine Seltenheit. Die Antragskommission gibt im Gegensatz zu Parteitagen von anderen Parteien keine Abstimmungsempfehlungen und übt damit keinen Steuerungsversuch im Namen des Parteivorstandes aus.383 Vor Parteitagen werden einige Diskussionspunkte bewusst offengelassen, um dem Diskussionsbedürfnis der Delegierten Rechnung zu tragen. Kritische Punkte oder weitreichende Entscheidungen werden jedoch vorab von der Parteiführung beseitigt, häufig in bilateralen Gesprächen mit Antragsstellern zu konfliktreichen Fragen.384 Die parteikulturelle Tradition der basisdemokratischen, diskussionsfreudigen, rebellischen und elitenkritischen Partei trägt allerdings dazu bei, dass sich Delegierte regelmäßig gegen die Parteiführung stellen.385 Ebenso wie die SPD verstehen sich die Grünen als Programmpartei, was die Parteiführung vor die Herausforderung stellt, die gewünschte Ausrichtung des Programms stark zu rechtfertigen, da die Partei hier große Mitsprache und Diskussionen um Inhalte erwartet.386 Die Parteiführung versucht daher als Steuerungsinstrument auf Parteitagen, ähnlich wie die Parteiführung der FDP, mit rhetorischem Geschick und Aufrufen zu Gefolgschaft Einfluss auszuüben und den Parteitag zu steuern.387 Das Ziel ist, ein Bild der Geschlossenheit nach außen zu vermitteln, was durch die Unberechenbarkeit des Parteitages allerdings ständig zur Herausforderung wird.388 Gelingt es der Parteiführung, innerlich Geschlossenheit herzustellen, die Flügel zu integrieren und durch informelle Vorabsprachen Mehr-
381 382 383 384 385 386 387 388
Vgl. Switek 2012: 147f. Vgl. Switek 2012: 148. Vgl. Switek 2015: 137f. Vgl. Switek 2015: 247f, 269, 348. Vgl. Poguntke 2002: 265. Vgl. Switek 2015: 207. Vgl. Switek 2012: 148. Vgl. Switek 2015: 137f.
103
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
heiten auszuhandeln, so ist auch bei den Grünen die Beeinflussung des Parteitages durch die Parteiführung möglich.389 Insgesamt zeigt sich, dass die Parteiführungen von FDP und Grünen sich stärkeren Aushandlungszwängen ausgesetzt sehen, als die Parteiführungen der Sozialdemokraten und der Unionsparteien. Vetospieler wie die Landesverbände oder die JuLis und eine nur eingeschränkte Steuerbarkeit der Parteitage erschweren hierarchische Entscheidungsmuster der Parteiführungen, die sich nur mit klug organisierten Mehrheiten, rhetorischem Geschick und hin und wieder autoritär eingeforderter Gefolgschaft bei zentralen Entscheidungen in der Partei durchsetzen können. Die Linke: Pluralismus und Heterogenität in einer gespaltenen Partei Die Parteiführung der Linken hat es mit sehr starken Strömungsstrukturen innerhalb ihrer „Weltanschauungspartei“390 zu tun. Sie steht vor der ständigen Herausforderung, die teils radikal unterschiedlichen Weltbilder und programmatischen Vorstellungen zu integrieren, um die Partei handlungsfähig zu machen. Der ausgeprägte innerparteiliche Pluralismus, manifest in den zahlreichen innerparteilichen Zusammenschlüssen, gilt als Erbe der PDS, das durch Parteireformen eingedämmt werden sollte, was allerdings kaum gelang.391 Offene Konflikte sind gängiges Muster der innerparteilichen Willensbildung.392 Meist hängt es sehr stark von der Persönlichkeit und Integrationsfähigkeit der Personen in der Parteiführung ab, ob die Partei ihrer Führung folgt. Gelingt es, die verschiedenen innerparteilichen Zusammenschlüsse und Gruppierungen entweder durch persönliche Autorität oder durch Formelkompromisse zum Ausgleich zu bringen, so besteht die Chance einer Einflussnahme und Richtungsbestimmung der Personen an der Spitze der Partei, wie es beispielsweise Lothar Bisky, Gregor Gysi oder Oskar Lafontaine zeitweise gelang.393 Gelingt dies allerdings nicht, so gipfeln Entscheidungsfindungsprozesse häufig im offenen Streit, der die Parteiführung schädigen, Wahlniederlagen verursachen und die Partei insgesamt an den Rand des Zerbrechens führen kann.394 Insbesondere die beiden Flügel „Reformer“ und „Orthodoxe“ sind als Vetospieler zu bezeichnen, welche die Parteiführung bei allen zentralen 389 390 391 392 393 394
Vgl. Switek 2012: 148. Oppelland/Träger 2014: 179. Vgl. Jesse/Lang 2012: 245f. Vgl. Oppelland/Träger 2014: 161. Vgl. Jesse/Lang 2012: 121, 136. Vgl. Oppelland/Träger 2014: 167f.
104
4.1.2 Steuerungsversuche und verhandelnde Moderation der Parteiführung
Entscheidungen einbeziehen muss, um Akzeptanz für ihre Entscheidungen zu erlangen.395 Die beiden Flügel pflegen ein großes wechselseitiges Misstrauen, was es der Parteiführung zusätzlich schwer macht, Entscheidungsprozesse an sich zu ziehen.396 So schwelt beispielsweise ein ausgeprägter Dauerstreit über die programmatische Ausrichtung der Partei (unter anderem über Regierungsbeteiligungen auf Bundesebene oder Auslandseinsätze der Bundeswehr) und über die ideologische Frage, ob das kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftssystem reformiert werden kann oder bekämpft werden sollte.397 Die Zweiteilung in die Flügel ist eng verbunden mit der Zweiteilung in alte und neue Bundesländer, wobei die ostdeutschen Landesverbände in der Tradition der SED-Nachfolgepartei PDS überwiegend den pragmatischen, reformorientierten Flügel unterstützen und die von linksradikalen Splittergruppen geprägten Landesverbände in Westdeutschland den orthodoxen Flügel stützen. In den westdeutschen Landesverbänden herrscht gar noch größere Heterogenität, da sich dort auch ehemalige Sozialdemokraten und Gewerkschafter wiederfinden, die aus Protest gegen die Hartz-IV-Gesetze die neue Partei WASG gründeten, die 2007 mit der PDS zur Linken fusionierte.398 Die programmatische Zweiteilung ist aus historischen Gründen mithin fast deckungsgleich mit der regionalen Zweiteilung der Partei. Neugebauer und Stöss sprechen mit Blick auf den Ost-West-Konflikt in der Partei gar von „zwei Parteien in einer“399. Die Zweiteilung überlagert alle Personal-, Programm- und Strategiefragen und resultiert in Proporzregeln und entsprechendem Wahlverhalten – eine Integration der beiden Flügel gleichermaßen ist nur sehr schwer möglich, eine Steuerung der Partei von oben daher erschwert.400 Personalentscheidungen, besonders für Spitzenpositionen, werden bei der Linken immer auch als wegweisende Richtungsentscheidungen interpretiert, sodass der innerparteiliche Richtungsstreit von vornherein mit in die Parteiführung getragen wird.401 Bei der Wahl von Parteivorsitz und Vorsitz der Bundestagsfraktion wird streng darauf geachtet, dass die jeweilige Doppelspitze mit je einem Vertreter der Reformer/Ostdeutschen und einem Vertreter der Orthodoxen/Westdeutschen besetzt wird. Auf diese Weise 395 396 397 398 399 400 401
Vgl. Oppelland/Träger 2014: 116ff. Vgl. Oppelland/Träger 2014: 180. Vgl. Jesse/Lang 2012: 112, Oppelland/Träger 2014: 130ff. Vgl. Neugebauer/Stöss 2015: 167. Neugebauer/Stöss 2015: 166. Vgl. Oppelland/Träger 2014: 158ff, Neugebauer/Stöss 2015: 167. Vgl. Oppelland/Träger 2014: 154.
105
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
verfestigt sich der ideologische Richtungsstreit auch strukturell in der Parteispitze.402 Nur besondere Konstellationen dieser vier Spitzenpositionen oder die Dominanz einer herausragenden Persönlichkeit kann dieser Konfliktstruktur kollektive Handlungsfähigkeit entgegensetzen. Andernfalls sind die Entscheidungsmuster fast ausschließlich durch Wettbewerb, Aushandlungen und Kompromisssuche zwischen den Flügeln geprägt, die als extrem starke Vetospieler anzusehen sind. Nur wenigen Parteivorsitzenden gelang es, die Flügel zum Ausgleich zu führen und Entscheidungen zu prägen, welche die gesamte Partei mittrug und zufrieden stellte. Zu nennen ist hier Gregor Gysi,403 der durch persönliche Autorität, gewonnen durch die Rettung der PDS in die Zeit nach der DDR, Legitimation für hierarchische Entscheidungen erlangte. Lothar Bisky404 konnte als ruhiger Kompromissfinder, konsequenter Reformer und Schützer ostdeutscher Interessen nach dem Erstarken der westdeutschen Fundamentaloppositionellen integrierend agieren. Schließlich feierte Oskar Lafontaine405 mit hartem, fast autoritären Führungsstil Wahlerfolge und sammelte mit seinem Kurs gegen die SPD und ihre Agenda-Politik Legitimation und innerparteiliche Autorität. Als Unterorganisationen der Linken gelten die formellen innerparteilichen Zusammenschlüsse, die Interessen verschiedener mit der Partei verbundenen Gruppen repräsentieren. Unter den 24 anerkannten und neun weiteren Zusammenschlüssen finden sich beispielsweise politisch-programmatische Vertretungen, wie die BAG Hartz IV oder die BAG Betrieb und Gewerkschaft, gesellschaftliche Gruppen vertretende Zusammenschlüsse wie die BAG Senioren, Berufszusammenschlüsse wie die BAG Rote Reporterinnen und Reporter und nicht zuletzt ideologische Zusammenschlüsse, die für verschiedene Weltanschauungen kämpfen, wie die Antikapitalistische Linke, das Forum Demokratischer Sozialismus, die Kommunistische Plattform oder die Sozialistische Linke.406 Die meisten der Zusammenschlüsse waren bereits in der früheren PDS aktiv.407 Sie gelten mit Blick auf ihre häufig geringen Mitgliedszahlen von wenigen hundert Personen und angesichts des alles überlagernden Flügelstreits allerdings als einflusslos und sind daher bei der Frage nach Vetospielern der 402 403 404 405 406
Vgl. Jesse/Lang 2012: 271. Vgl. Oppelland/Träger 2014: 168f. Vgl. Oppelland/Träger 2014: 172ff. Vgl. Jesse/Lang 2012: 121, 143, Oppelland/Träger 2014: 177f. Vgl. Oppelland/Träger 2014: 113ff, aktuell auch unter: https://www.die-linke.de/partei/parte istruktur/zusammenschluesse/ (abgerufen am: 18.9.2017). 407 Vgl. Jesse/Lang 2012: 246.
106
4.1.2 Steuerungsversuche und verhandelnde Moderation der Parteiführung
Parteiführung zu vernachlässigen. Die Ausnahme: Manche Zusammenschlüsse sind stark mit einem der beiden Flügel verbunden, wie die Kommunistische Plattform oder die Antikapitalistische Linke mit den Orthodoxen oder das Forum Demokratischer Sozialismus mit den Reformern, und gelten in diesem Sinne als einflussreiche Vetospieler.408 Teils sind Spitzenpolitiker der Linken Mitglieder von Zusammenschlüssen, was die Zusammenschlüsse aufwertet und insgesamt einflussreicher macht.409 Die Jugendorganisation „Linksjugend [´solid]“ gilt in beiden Flügeln als wenig beachtet, da die Partei im Osten tendenziell überaltert und im Westen stark im Gewerkschaftsmilieu verankert ist, wohingegen die Linksjugend durch konsequenten Antikapitalismus den Orthodoxen näher steht.410 Traditioneller Gegenspieler der Parteivorsitzenden ist die Bundestagsfraktion der Linken. Allerdings war sie im Jahr 2017 nicht mehr als Vetospieler zu betrachten, sondern aufgrund des Machtzuwachses gegenüber den Parteivorsitzenden selbst als Teil der Parteiführung zu bezeichnen, die die Partei nach ihren Vorstellungen zu steuern und zentrale Entscheidungen an sich zu ziehen versuchte.411 Insbesondere die beiden Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch übten massiven Einfluss auf die Partei aus und galten häufig als einflussreicher als die Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger.412 Im Gegensatz zu den anderen Parteien hat der Parteitag der Linken eine besondere Zusammensetzung: Neben einer ehemaligen Übergangsregelung zur paritätischen Besetzung des Parteitages mit Delegierten aus West- und Ostdeutschland, was faktisch eine Überrepräsentation der westdeutschen Mitglieder bedeutete, dürfen auch die innerparteilichen Zusammenschlüsse und die Jugendorganisation „Linksjugend [´solid]“ Delegierte entsenden und haben damit bereits formell Einfluss auf die Willensbildung.413 Überlagert werden die Parteitage von der Flügelrivalität zwischen Reformern und Orthodoxen, sodass eine Kontrolle des Parteitages durch die Parteiführung wiederum nur möglich ist, wenn sie die Flügel erfolgreich einbindet. Persönlichkeiten wie Gysi, Bisky und Lafontaine gelang dies aufgrund persönlicher Autorität bisweilen, Parteivorsitzende wie Gabriele Zimmer, Gesine Lötzsch und Klaus Ernst scheiterten daran.414 Gilt 408 409 410 411 412 413 414
Vgl. Oppelland/Träger 2014: 115f. Vgl. Jesse/Lang 2012: 260. Vgl. Jesse/Lang 2012: 245. Vgl. Oppelland/Träger 2014: 126f, Jesse/Lang 2012: 141. Vgl. Decker 2017. Vgl. Oppelland/Träger 2014: 104f. Vgl. Jesse/Lang 2012: 145f.
107
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
die Parteiführung auf Parteitagen nicht als ausreichend autoritär, so ist es in der Vergangenheit teils zu informellen Kompromissen zwischen den Flügelvertretern gekommen, wie etwa auf dem Parteitag von Erfurt 2011, auf dem das neue Grundsatzprogramm in intensiver Aushandlung der Flügelvertreter beschlossen wurde, um keinen endgültigen öffentlichen Bruch der Partei zu riskieren.415 Wie in anderen Parteien ist es häufig der externe Druck bevorstehender Wahlen, der die Parteitagsdelegierten zur Einigung zwingt, um die Außendarstellung der Partei nicht zu ruinieren. Gelingt dies allerdings ebenfalls nicht, enden Parteitage häufig in Dissens und Streit, was das Versagen der Parteiführung bei der Herstellung von Geschlossenheit und kollektiver Handlungsfähigkeit deutlich macht. Prominentes Beispiel hierfür ist der Flügelstreit vor der Bundestagswahl 2002, der verhinderte, dass die Linke rechtzeitig zur Wahl ein aktualisiertes Grundsatzprogramm verabschieden konnte und bei der anschließenden Wahl an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte.416 Insgesamt wird deutlich, dass nur herausragende Persönlichkeiten der Parteiführung es bisher schaffen konnten, die Partei zumindest teilweise in gewünschte Richtungen zu lenken und hierarchische Entscheidungen zu treffen. Fehlt es der Parteiführung an außergewöhnlicher Autorität, so ist die Linke aufgrund des dauerhaften Flügelstreits nahezu unfähig, überhaupt kollektive Entscheidungen zu treffen. Entscheidungen fallen häufig in offenen Kampfabstimmungen und in Verbindung mit Machtkämpfen um die Neubesetzung von Spitzenämtern, die gleichzeitig immer programmatische Richtungsentscheidungen sind. Entscheidungsmuster der Linken sind daher als stark dezentralisiert, gehemmt durch Vetospieler und stark abhängig von der Zusammensetzung ihres Führungspersonals zu bezeichnen. 4.2 Typen von Entscheidungen Parteien sind Weltanschauungsgemeinschaften, die im Modus der demokratischen Hierarchie entscheiden. Während die Parteiführung versucht, gegenüber den verschiedenen Untergruppen und Parteigliederungen hierarchische Steuerung auszuüben, bewegt sie sich zwischen Formalität und Informalität und muss oft verhandelnd integrieren, wenn innerparteiliche Vetospieler Entscheidungen zu blockieren drohen. Allerdings sind Steuerungsversuche zwischen Hierarchie und Aushandlung auch abhängig vom 415 Vgl. Oppelland/Träger 2014: 161f. 416 Vgl. Oppelland/Träger 2014: 71f.
108
4.1.2 Steuerungsversuche und verhandelnde Moderation der Parteiführung
Typ der Entscheidung. Allein die Analyse der Machtbeziehungen zwischen der Parteiführung und Führungsadressaten, die ihrerseits versuchen, Einfluss geltend zu machen, reicht nicht aus. Zwar gibt sie bereits tiefe Einblicke hinter die Kulissen der innerparteilichen Willensbildung und Entscheidungsfindung, indem zentrale Akteure und Gruppen beleuchtet werden. Trotzdem kann innerparteiliche Willensbildung und Entscheidungsfindung nur verstanden werden, indem der spezifische Weg verschiedener Entscheidungstypen nachgezeichnet wird, da je nach Entscheidungstyp noch einmal neue Prozesse und Entscheidungsorte ans Licht kommen, die auch Dynamiken der Willensbildung jenseits der Parteiführung offenbaren. Das Merkmal der Partei als Allianz fragmentierter Untergruppen veranschaulicht dies: Die Parteiführung bemüht sich nach Kräften, ihren Handlungsspielraum maximal auszudehnen und durch informelle Vorentscheidungen Zugriff auf die Schaltstellen der Macht zu erlangen. Im komplexen System der Partei gibt es dennoch für die Parteiführung unerreichbare Nischen, weil die Statuten und die etablierte Parteitradition ihr in bestimmten Prozessen den Zugang verwehren. Der Charakter der Partei als nur lose verkoppelte, in gewisser Weise sogar anarchische Stratarchie begünstigt diesen Zustand erheblich. Insbesondere mittlere Parteieliten, wie Kreis-, Bezirks- oder Landesvorstände, bilden eigene Netzwerke und Loyalitäten in den unteren Parteiebenen heraus, die ihnen Deutungshoheit und Einfluss in der Willensbildung gegenüber den einfachen Mitgliedern der Basis sichern. Diese versuchen sie nicht nur im Hinblick auf die Parteiideologie und Programmatik, sondern auch bezüglich personeller Entscheidungen und Begünstigung einzelner persönlicher Karrieren auszuspielen. Nur eine Reform der Parteiorganisation, bildlich gesprochen der Spielregeln, könnte das ändern, was auch der Grund dafür ist, dass Parteiführungen verschiedener Parteien in den letzten Jahren Organisationsreformen durchzusetzen versucht haben. Sowohl Angela Merkel scheiterte allerdings größtenteils als neue Parteivorsitzende der CDU 2001/2002,417 wie auch Sigmar Gabriel als neuer Parteivorsitzender der SPD 2009,418 daran, die Ebene der Funktionäre, also der mittleren Parteieliten zugunsten eines stärkeren Einflusses der Basis zu entmachten. Viele innerparteiliche Entscheidungswege, insbesondere bei der Personalauswahl, weisen eine erstaunliche Stabilität und nur zaghaften Wandel über Jahrzehnte hinweg
417 Vgl. Walter/Werwath/D’Antonio 2014: 127ff. 418 Vgl. Grunden/Janetzki/Salandi 2017: 122f.
109
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
auf, was zunehmend die Frage aufwirft, ob die innerparteilichen Entscheidungsmuster den gewachsenen Anforderungen an Transparenz und Mitgestaltung in der Gesellschaft überhaupt noch entsprechen.419 Tabelle 7: Typen von Entscheidungen Personelle Entscheidungen
Programmatische Entscheidungen
Strategische Entscheidungen
Öffentliche Ämter: – Direktkandidaten in den Wahlkreisen – Landeslisten – Bundesminister, Spitzenkandidaten, Fraktionsvorstände
– Grundsatzprogramm – Wahlprogramm
– Koalitionsaussagen – Sondierungsgespräche – Koalitionsverhandlungen – Wahlkampfstrategien
Innerparteiliche Ämter: – Spitzenämter der Partei (Vorstand, Parteivorsitz) Quelle: Eigene Darstellung
Entscheidungstypen oder -inhalte sind zu differenzieren in, erstens, personelle Entscheidungen, das heißt die Kandidatenaufstellung für öffentliche oder innerparteiliche Ämter, zweitens, programmatische Entscheidungen bei der Formulierung von neuen Grundsatzprogrammen und Wahlprogrammen und, drittens, strategische Entscheidungen, also Koalitionsaussagen und Beschlüsse zur Aufnahme von Sondierungsgesprächen und Koalitionsverhandlungen nach Wahlen. Auch Konzepte und Pläne für den Wahlkampf sind strategische Entscheidungen (siehe Kapitel 5). Je nach Entscheidungsinhalt lassen sich in den verschiedenen Parteien unterschiedliche formale und informelle Prozesse beobachten, die vor einer Entscheidung ablaufen. Die bereits betrachteten Steuerungsversuche der Parteiführung gegenüber der restlichen Parteiorganisation spielen eine Rolle, kommen aber je nach Entscheidungstyp in unterschiedlicher Intensität zum Tragen.
419 Vgl. Höhne 2017: 245.
110
4.2.1 Personelle Entscheidungen
4.2.1 Personelle Entscheidungen Personelle Entscheidungen beziehen sich auf die Rekrutierung von Personal für Ämter. Zu unterscheiden ist die Auswahl von Kandidaten für öffentliche Ämter (Aufstellung von Direktkandidaten in Wahlkreisen, Erstellung von Landeslisten, Bestimmung der Fraktionsvorstände und Ministerämter) gegenüber der Auswahl von Kandidaten für parteiinterne Ämter (insbesondere Spitzenpositionen in Vorstand und Präsidium). Es wird in den folgenden Ausführungen deutlich, dass die innerparteiliche Willensbildung nicht immer von Seiten der Parteiführung gesteuert wird, also von oben nach unten verläuft, sondern mittlere Parteieliten und auch die Basis bei der Kandidatenaufstellung für öffentliche Ämter entscheidend sind.420 Entscheidungen über innerparteiliche Spitzenämter können hingegen zumeist als hierarchisch-führungszentrierte Entscheidungen der Parteiführung bezeichnet werden.421 Öffentliche Ämter Die Auswahl der Kandidaten für öffentliche Ämter lässt Rückschlüsse auf die innerparteiliche Machtverteilung zu.422 Wo wird über die Kandidaten entschieden? Wie stark versucht die Parteiführung darauf Einfluss auszuüben und wer ist stimmberechtigt? Da die Nominierung in einem als aussichtsreich geltenden Wahlkreis oder die Platzierung auf einem vorderen Listenplatz einen sicheren Einzug ins Parlament bedeuten können, entscheidet die Kandidatenaufstellung über politische Karrieren und die Zusammensetzung parlamentarischer Gruppen und ist somit eine machtvolle Funktion in der Partei. Nach dem deutschen Wahlrecht werden die Abgeordneten des Bundestags in personalisierter Verhältniswahl mit geschlossenen Listen gewählt: Die Hälfte der Abgeordneten wird als Direktkandidaten in Wahlkreisen gewählt, die andere Hälfte wird nach prozentualem Anteil durch die Landeslisten der Parteien aufgefüllt.423 In Bezug auf die innerparteilichen Entscheidungsprozesse bedeutet das: Die Aufstellung von Wahlkreiskandidaten muss getrennt von der Zusammenstellung von Landeslisten betrachtet werden, da es sich um zwei verschiedene innerparteiliche Prozesse handelt. Die dennoch vorhandenen Schnittpunkte zwischen den beiden Pro420 421 422 423
Vgl. Korte 2017a: 60. Vgl. Treibel 2013: 363. Vgl. Detterbeck 2011: 108. Vgl. Reiser 2013: 130.
111
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
zessen werden an den passenden Stellen der Einzelbetrachtungen der beiden Prozesse ergänzt. Zusätzlich muss vorweg betont werden, dass Nominierungsprozesse in den betrachteten Parteien naturgemäß einen unterschiedlichen Stellenwert haben, da aufgrund des Mehrheitswahlrechts in den Wahlkreisen unter Berücksichtigung der historisch-geographischen Besonderheiten nur CDU, CSU, SPD und Linke eine realistische Chance auf den Gewinn von Wahlkreisen haben.424 Die Ausnahme bildet der einzige von den Grünen seit 2002 gehaltene Wahlkreis Berlin-Friedrichshain – Kreuzberg – Prenzlauer Berg Ost. Auch der AfD gelang es bei der Bundestagswahl 2017, in Sachsen drei Direktmandate zu erringen. Daher hat für CDU, CSU, SPD und teils die Linke die Nominierung von Wahlkreiskandidaten einen höheren Stellenwert, als für Grüne und FDP, die öffentliche Ämter fast ausschließlich mit Kandidaten ihrer Landeslisten besetzen. Für die Linke gilt die Einschränkung, dass der Anteil der Abgeordneten, die über die Landeslisten in den Bundestag einziehen wesentlich höher ist, als bei CDU, CSU und SPD, bei denen die direkt gewählten Abgeordneten einen großen Anteil ihrer im Bundestag vertretenen Abgeordneten ausmachen.425 Kandidatennominierung in Wahlkreisen Um zu gewährleisten, dass die Kandidatenaufstellung der Parteien genau wie die spätere Wahl selbst nach demokratischen Grundsätzen abläuft, macht das Parteiengesetz detaillierte Vorschriften. Es legt die Parteien bei der Kandidatenaufstellung auf die Entscheidung durch Delegiertenversammlungen der Wahlkreise fest. In vielen Wahlkreisen wird die Kandidatenauswahl noch weiter geöffnet, das heißt auf Mitgliederversammlungen vorgenommen, die hunderte oder gar bis über tausend Mitglieder umfassen. Die Entscheidung, ob eine Delegierten- oder Mitgliederversammlung als Nominierungskonferenz fungiert, wird in den meisten Fällen der Wahlkreisebene selbst überlassen.426 In einer umfassenden Untersuchung zur Kandidatenaufstellung vor der Bundestagswahl 2017 konnte Höhne hier deutliche Unterschiede zwischen den Parteien feststellen:427 Während SPD und CSU fast ausnahmslos auf Delegiertenversammlungen setzten, 424 Vgl. Höhne 2017: 234. 425 Für die Wahlperiode 2013-2017 hat Benjamin Höhne errechnet, dass in der CDU-Fraktion 75 Prozent der Abgeordneten direkt gewählt wurden, in der CSU 80 Prozent und in der SPD 30 Prozent; vgl. Höhne 2017: 234. 426 Vgl. Höhne 2017: 235. 427 Vgl. Höhne 2017: 236f.
112
4.2.1 Personelle Entscheidungen
wurden bei der CDU über 60 Prozent der Nominierungskonferenzen als Mitgliederversammlungen abgehalten,428 bei FDP, Grünen und Linken sogar fast ausnahmslos Mitgliederversammlungen genutzt. Bereits in den 1960er und 1970er Jahren wurde festgestellt, dass in der Mehrheit der Fälle die Nominierung eines Kandidaten in einem Wahlkreis entscheidender auf dem Weg ins Parlament ist als die Wahl selbst, da die meisten Wahlkreise als sicher gelten, das heißt mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhersehbar ist, welche Partei den Wahlkreis gewinnen wird.429 Zurecht wurde daher bereits früh der Fokus auf die innerparteilichen Prozesse zur Kandidatennominierung gelegt. Auch wenn seitdem durch volatileres Wahlverhalten und ein verändertes Parteiensystem mit gestiegener Anzahl von Parteien die Beurteilung schwieriger wird, was ein sicherer Wahlkreis ist,430 gelten viele Wahlkreise weiterhin als sicher.431 Der politische Wettbewerb findet daher in zwei Arenen statt: Sowohl zwischen den Parteien wie auch innerhalb von Parteien.432 Wo ist die Entscheidungsmacht in der Partei zu verorten? In allen Parteien werden die Direktkandidaten der Wahlkreise für Bundestags- und Landtagswahlen auf Delegierten- oder Mitgliederversammlungen der Wahlkreise bestimmt, welche einen oder mehrere Kreisverbände der Partei umfassen können.433 Bereits vor diesen Nominierungskonferenzen finden Vorentscheidungen statt, deren Ablauf allerdings bisher nur unzureichend erforscht ist.434 Höhne stellt fest, dass parteipolitische Erfahrung, Loyalität zur eigenen Partei und ein „Einpassen in innerparteiliche Machtgefüge“435 entscheidend sind für die Nominierung für öffentliche Ämter, wohingegen inhaltliche Positionen nachrangig sind. Speziell für die Nominierung als Wahlkreiskandidat seien „Verlässlichkeit, innerparteiliches Langfristengagement und vor allem die individuelle Professionalität“436 entscheidende Voraussetzung im innerparteilichen Wettbewerb. Über diese Hinweise hinaus ist nur wenig Konkretes rund um die Vorentscheidungen bekannt. Die Aufstellung von Kandidaten für öffentliche Ämter sei MikroPolitik, die im Einzelfall untersucht werden müsse, da meist „um den Be428 429 430 431 432 433 434 435 436
Vgl. Turner 2013: 121, 126. Vgl. Reiser 2013: 131. Vgl. Reiser 2013: 132. Vgl. Korte 2017a: 60f. Vgl. Reiser 2013: 130. Vgl. Korte/Fröhlich 2009: 147, Reiser 2013: 132. Vgl. Höhne 2017: 234. Höhne 2017: 239. Höhne 2017: 239f.
113
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
ginn, die nächste Stufe, die Fortsetzung, das Abklingen oder das Ende einer politischen Karriere“437 gerungen werde. Nur wenige Erkenntnisse sind verallgemeinerbar, sollen aber genau deshalb hier nicht vorenthalten werden. Die Entscheidungsmacht der mittleren Parteieliten und Funktionäre wird bei der Rekrutierung politischen Nachwuchses in den Parteien als sehr hoch eingeschätzt, insbesondere bei den Prozessen im Vorfeld der Nominierungskonferenzen.438 Einflussversuche der Bundes- oder Landesebene auf die Auswahlprozesse finden so gut wie nicht statt und da wo sie stattgefunden haben, waren sie meist erfolglos – die mittlere Funktionärsebene konnte ihre Vormachtstellung bisher erfolgreich verteidigen.439 Spitzenpolitiker der Bundesebene versuchen zwar immer wieder, die eigene Aufstellung in einem sicheren Wahlkreis ihrer Partei zu erreichen, um sich die (erneute) Mitgliedschaft im künftigen Parlament abzusichern. Häufig wird dies von den eigenständig agierenden Delegierten des Wahlkreises allerdings durch die Aufstellung eines lokal verwurzelten und engagierten Kandidaten durchkreuzt.440 Als Kuriosum galt beispielsweise bei der Bundestagswahl 2017, dass der Spitzenkandidat der CSU, Joachim Herrmann, trotz Platz eins auf der Landesliste den Einzug in den Bundestag verpasste, da die CSU aufgrund vieler gewonnener Wahlkreise bei gleichzeitig schwachem Zweitstimmenergebnis ausschließlich Direktkandidaten in den Bundestag entsandte und Herrmann von den lokalen Parteieliten keine Kandidatur in einem Wahlkreis zugestanden bekommen hatte.441 Die Auswahl der Kandidaten auf der Wahlkreisebene unterliegt einer stark informellen Prägung. Zum Zeitpunkt der formalen Abstimmung der Delegierten steht oft nur noch ein Kandidat zur Auswahl, der sich zuvor im innerparteilichen Wettbewerb die meisten Unterstützer gesichert und zumeist bereits ein langjähriges Engagement in den Parteigliederungen vorzuweisen hat.442 Vor der Bundestagswahl 2009 hatten im innerparteilichen Wettbewerb nur 23 Prozent der Wahlkreiskandidaten überhaupt einen Gegenkandidaten zum Zeitpunkt der Wahl der Delegierten auf der Nominierungskonferenz.443 Reiser hat in einer Studie zur Kandidatenno437 438 439 440 441 442 443
Höhne 2017: 244. Vgl. Zolleis/Schmid 2013: 427, Weigl 2013: 87, 280f. Vgl. Treibel 2012: 10f, Bukow/Poguntke 2013: 187, Poguntke 2002: 266. Vgl. Korte 2017a: 61. Vgl. Reuters 2017. Vgl. Grunden/Janetzki/Salandi 2017: 82f, Bukow/Poguntke 2013: 187f. Vgl. Treibel 2012: 11.
114
4.2.1 Personelle Entscheidungen
minierung vor der Bundestagswahl 2009 Erkenntnisse gewonnen, die erklären, wann ein innerparteilicher Wettbewerb um eine Wahlkreiskandidatur stattfindet.444 Gravierende Unterschiede zwischen den Parteien gab es nicht, die Prozesse ähneln sich stark. Sie konnte aufzeigen, dass in über 90 Prozent der Nominierungskonferenzen kein innerparteilicher Wettbewerb stattfand, wenn der Amtsinhaber noch einmal antrat.445 Eine Kandidatur gegen den Amtsinhaber galt innerparteilich sogar als unangebracht und unsolidarisch und könnte daher langfristig negative Konsequenzen für den Herausforderer haben. Bei der Betrachtung der informellen Prozesse vor der Nominierungskonferenz konnte allerdings doch ein verborgener innerparteilicher Wettbewerb um den Amtsinhaber herum beobachtet werden: Dass ein Amtsinhaber seine Kandidatur bereits vor der öffentlichen Bekanntgabe zurückziehe, wenn es starken innerparteilichen Widerstand im Vorfeld der Kandidatenaufstellung gebe, ist üblich.446 Das ermögliche dem Amtsinhaber einen gesichtswahrenden Rückzug ohne öffentliche Abstimmungsniederlage. Es ist daher davon auszugehen, dass der Amtsinhaber mit den Kreisverbandsvorsitzenden des Wahlkreises, dem Herausforderer und anderen einflussreichen Funktionären vor der Nominierungskonferenz informelle Gespräche und Verhandlungen um die Kandidatur führt. In fast der Hälfte der Fälle galt 2009 im innerparteilichen Nominierungsprozess der Wahlkreis als vakant, da der Amtsinhaber nicht mehr antrat oder der Kandidat der eigenen Partei bei der vorherigen Wahl den Wahlkreis nicht hatte gewinnen können.447 In diesen Wahlkreisen konnte wesentlich mehr innerparteilicher Wettbewerb beobachtet werden als in den Wahlkreisen, in denen der Amtsinhaber noch einmal antrat. In etwa der Hälfte (52 Prozent) dieser Wahlkreise gab es mehr als einen innerparteilichen Kandidaten auf der Nominierungskonferenz. Betrachtet man wiederum die vorgelagerten Prozesse, so kann man sogar von einem noch größeren innerparteilichen Wettbewerb um die Aufstellung als Direktkandidat sprechen, da der Prozess mehrstufig organisiert ist. Die formale Nominierungskonferenz stellt nur die letzte Stufe dieses Prozesses dar. Denn die Kandidaten ziehen in so genannten „Tingeltouren“ lange vor der Nominierungskonferenz durch die Ortsverbände, woraufhin der jeweilige Ortsverband „seinen“ Delegierten per Abstimmung auf die Stimmabgabe 444 445 446 447
Vgl. Reiser 2013. Vgl. Reiser 2013: 134. Vgl. Reiser 2013: 136. Vgl. Reiser 2013: 137.
115
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
für einen der Kandidaten auf der späteren Nominierungskonferenz festlegt. Zeichnen sich aufgrund der Festlegungen der Ortsverbände bereits deutliche Mehrheiten für einen der Kandidaten ab, so ziehen andere Kandidaten ihre Bewerbung oftmals bereits vor der Nominierungskonferenz zurück, um keine öffentliche Abstimmungsniederlage auf der Konferenz zu riskieren, was wiederum einen Imageschaden nach sich ziehen könnte. Insbesondere wenn mehrere Kreisverbände sich in einem Wahlkreis auf einen Kandidaten einigen müssen, findet in den mehrstufigen Verfahren ein großer Wettbewerb um die Kandidatur statt, die auf der Nominierungskonferenz dann aber ebenso aus dem Blickfeld gerät, wenn durch die vorgelagerten Prozesse bereits alle anderen Kandidaten ihre Kandidatur zurückgezogen haben und auf der Nominierungskonferenz nur noch der übrig gebliebene Kandidat abgesegnet wird.448 Man kann mithin davon sprechen, dass die Basis über die Tingeltouren zumindest indirekt Mitspracherecht bei der Kandidatenauswahl besitzt – eine der wenigen innerparteilichen Entscheidungsprozesse, bei denen das überhaupt der Fall ist. Starker informeller Einfluss durch Absprachen und Vorbestimmungen kommt allerdings vonseiten der Funktionäre, sodass nur sehr vorsichtig von wirklichem Einfluss der Basis gesprochen werden kann. Trotzdem gibt es Ausnahmen: Da die Nominierung von Direktkandidaten für Bundestagswahlen bei CDU, FDP, Grünen und Linken größtenteils auf Mitgliederversammlungen statt Delegiertenversammlungen durchgeführt wird, hat die Basis hier direkteren Einfluss.449 An dieser Stelle zeigt sich, dass Parteiorganisationen in der Tat Stratarchien mit eigenständigen, untergeordneten Machtzentren entsprechen,450 die sich einer zentralen Führung entziehen und autonom nebeneinander existieren: Die Kandidatenaufstellung für öffentliche Ämter ist exklusive Machtsphäre der Parteifunktionäre, der mittleren Parteieliten und teils der Basis, die sich dem Einfluss der Parteiführung entzieht.451 Mithin zeigt sich, dass innerparteiliche Willensbildung keineswegs ausschließlich von oben nach unten verläuft, sondern beispielsweise in der Kandidatenkür nach völlig anderen innerparteilichen Entscheidungsmustern abläuft, wie sie hier bereits ansatzweise dargestellt wurden.
448 449 450 451
Vgl. Reiser 2013: 138. Vgl. Bukow/Poguntke 2013: 187f. Vgl. Eldersveld 1964, Wiesendahl 2006a: 36. Vgl. Zolleis/Schmid 2015: 31, Zolleis/Schmid 2013: 427.
116
4.2.1 Personelle Entscheidungen
Landeslisten Die Zusammensetzung der Landeslisten für Bundestagswahlen wird in allen Parteien formal auf Landesparteitagen beschlossen.452 Allein aufgrund der großen Mitgliederzahlen sind Mitgliederversammlungen auf Landesebene in den meisten Fällen faktisch unmöglich, daher sind Delegiertenversammlungen (Landesparteitage) das Mittel der Wahl.453 Die Zusammenstellungen der Landeslisten bieten zumindest den Landesvorständen somit ein wenig mehr informelle Steuerungsmöglichkeiten, da sie die Liste mit Vertretern von Bezirken oder Regionen zuvor informell aushandeln.454 Höhne beschreibt treffend: „Das Personalmanagement für eine Liste gleicht einem Agglomerat multipler Repräsentationsansprüche, austariert innerhalb eines mehr oder minder fragilen, häufig nur temporär bestehenden Machgefüges.“455 Das bedeutet für potenzielle Listenkandidaten: Es geht neben einer Qualifizierung über langjähriges Parteiengagement mittlerweile in allen Parteien um die Beachtung des Regionalproporzes auf der Liste, da jede Region oder jeder Bezirk die Chance auf einen Vertreter im Bundestag wahren möchte.456 Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kreis oder Bezirk ist ein entscheidendes Argument für die Nominierung auf einem aussichtsreichen Listenplatz.457 Außerdem legen (fast) alle Parteien nach dem Vorbild der Grünen mittlerweile eine Frauenquote oder andere Regeln zur Verbesserung der Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen fest, die allerdings unterschiedlich ausfallen.458 Bei den Grünen wird jeder zweite Platz einer Frau zugesprochen (in der Regel alle ungeraden Plätze, beginnend bei eins), bei der Linken gilt eine sehr ähnliche Quote von 50 Prozent (allerdings ohne Regeln für die Reihenfolge), bei der SPD müssen beide Geschlechter auf der Liste mit mindestens 40 Prozent vertreten sein (ebenfalls ohne Reihenfolge). In der CDU gilt ein unverbindliches Quorum: Der erste Wahldurchgang muss bei allen Wahlen ab der Kreisverbandsebene aufwärts einen Frauenanteil von einem Drittel aufweisen, um gültig zu sein, die weiteren Wahlgänge gelten ohne Quorum. Die CSU verlangt seit einigen Jahren eine Quote von 40 Prozent für alle innerparteilichen Spitzenämter, 452 453 454 455 456 457 458
Vgl. Treibel 2012: 11. Vgl. Höhne 2017: 238. Vgl. Bukow/Poguntke 2013: 187f. Höhne 2017: 240f. Vgl. Poguntke 2002: 266. Vgl. Höhne 2017: 242. Vgl. Korte 2017a: 62.
117
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
das heißt in ihrem Vorstand und den Bezirksvorständen. Viel entscheidender ist allerdings, dass die Quote von 40 Prozent auf Kreisebene unverbindlich ist. Die Direktkandidaten der Wahlkreise werden zum Großteil von Männern nominiert, was faktisch die Frauenquote für die Wahl der Abgeordneten zum Bundestag aushebelt, da aus Bayern fast ausschließlich Direktkandidaten einziehen. Die Ausnahme bildet die FDP: sie lehnt Frauenquoten mit Verweis auf einen freien Leistungswettbewerb ab. Es ist erwähnenswert, dass bei der Listenaufstellung Fachkompetenz, Fraktionsplanung nach bevorstehenden Aufgaben, Strömungs- oder Flügelzugehörigkeit oder das Alter des Kandidaten in keiner Partei primäre Kriterien für die Kandidatennominierung sind und stattdessen Binnenabwägungen dominieren.459 Zwischen der Kandidatenaufstellung der Wahlkreise und der Erstellung der Landeslisten gibt es Schnittpunkte, da zumeist nur einen aussichtsreichen Listenplatz erhält, wer zuvor auch als Direktkandidat nominiert wurde.460 Wie Höhne herausstellte, galt das auch bei der Bundestagswahl 2013, bei der der Anteil der Doppelkandidaturen in Wahlkreisen und auf Landeslisten bei 86 Prozent lag.461 Ursache dafür ist, dass Kandidaten, die im Wahlkreis nominiert wurden, meist über die erwähnten Tingeltouren die Basis hinter sich bringen konnten und daher als Listenkandidaten geeignet scheinen. Daher finden in der Regel erst die Kandidatenaufstellungen der Wahlkreise und anschließend die Zusammenstellung der Landeslisten statt. Insbesondere bei den kleineren Parteien, die wenig Aussichten auf die Erringung eines Direktmandates haben, gibt es normalerweise einen großen Wettbewerb um die vorderen, aussichtsreichen Listenplätze.462 Eine Besonderheit zeigt sich bei den Grünen darin, dass die Vergabe der Listenplätze nicht nach Vorlage eines mit den Untergliederungen ausgehandelten Listenentwurfes des Parteivorstandes erfolgt, sondern mehrfache Bewerbungen auf einzelne Listenplätze und sogar Kampfkandidaturen keine Seltenheit sind.463 Wie bei Wahlkreiskandidaturen versuchen in allen Parteien Spitzenpolitiker ihren Einzug ins Parlament über aussichtsreiche Listenplätze abzusichern.464 Überraschungen sind dabei auch hier nicht ausge-
459 460 461 462 463 464
Vgl. Höhne 2017: 241, 244. Vgl. Bukow/Poguntke 2013: 187f. Vgl. Höhne 2017: 242. Vgl. Treibel 2012: 11. Vgl. Switek 2015: 248f. Vgl. Korte 2017a: 61.
118
4.2.1 Personelle Entscheidungen
schlossen: Teils verweigern die Bezirks- oder Kreisverbandsdelegierten populären Politikern einen der vorderen Plätze der regionalen Kandidatenauswahl, um ihnen einen Denkzettel zu verpassen. Das kann in der Aushandlung der Landesliste mit den anderen Bezirks- und Landesvertretern die Konsequenz haben, dass sie durch einen hinteren Listenplatz den Einzug ins Parlament zu verpassen drohen, sollten sie außerdem kein Direktmandat erringen.465 Die formale Wahl der Kandidaten für jeden einzelnen Listenplatz auf dem Parteitag ist wiederum häufig mehr ein Schauspiel für die Medien als eine offene Wahl. Mit einem eindrucksvollen Wahlergebnis bei der Nominierung der Spitzenkandidaten auf den vordersten Listenplätzen soll öffentliche Aufmerksamkeit geschaffen und signalisiert werden, dass die Partei geschlossen hinter ihrem Spitzenpersonal steht. Die eigentliche Zusammenstellung der Liste ist bereits einige Zeit vorher geschehen. Auch auf die Zusammensetzung der Landeslisten hat die Parteiführung auf der Bundesebene demnach wenig Einfluss. Nochmal muss an dieser Stelle betont werden, dass in Bezug auf die Besetzung öffentlicher Ämter über Wahlkreiskandidaten oder Landeslisten Kreisverbände und Bezirksverbände als „regionale Machtzentren der Parteien“466 zu bezeichnen sind. Die innerparteilichen Entscheidungsmuster werden in Personalfragen entscheidend durch sie geprägt und weisen darüber hinaus einen hohen Autonomiegrad der Parteigliederungen bei diesen Entscheidungen auf, die von der Parteiführung nicht beeinflusst werden können. Die Entscheidungswege sind meist verborgen und potenzielle Wettbewerber ziehen ihre Kandidaturen regelmäßig bereits nach informellen Aushandlungen oder Tingeltouren lange vor der Nominierungskonferenz wieder zurück, sodass dort häufig nur noch ein Kandidat zur Wahl steht. Echte innerparteiliche Demokratie spielt daher wohl häufig nur am Rande eine Rolle.467 Allerdings gilt diese Feststellung nur in etwas abgeschwächter Form auch für die kleineren Parteien, die wenig Aussichten auf Direktmandate haben, da hier die Landespartei und deren Führung in Verhandlung mit den Kreis- und Bezirksverbandsvertretern Einfluss auf die Zusammenstellung der Landeslisten nimmt, die die einzige Möglichkeit für Kandidaten darstellen, ins Parlament einzuziehen. Faktisch zur Verfügung stehen im Wettbewerb nur die Listenplätze und Direktmandate, auf denen nicht erneut der Amtsinhaber kandidiert und Chancen auf No465 Vgl. Korte 2017a: 61f. 466 Höhne 2017: 242. 467 Vgl. Höhne 2017: 244f.
119
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
minierung haben nur diejenigen, die per langjähriger „Ochsentour“ oder kurzfristiger Tingeltour „parteipolitisches Kapital“468 ansammeln konnten, wie es Höhne treffend ausdrückt. Bundesminister, Fraktionsvorsitzende, Kanzlerkandidaten Bundesminister werden formal ausschließlich vom Bundeskanzler sowie in der Praxis auf Vorschlag der Parteivorsitzenden der Koalitionspartner eingesetzt (jeder Koalitionspartner bestimmt das Personal für die in den Koalitionsverhandlungen für sich ausgehandelten Ressorts selbst) – informell gibt es innerparteiliche Proporzregeln nach Herkunft und Flügeln oder Strömungen sowie Einflussversuche von konkurrierenden Machtzentren wie beispielsweise der Fraktionsspitze. Außerdem stammen die eingesetzten Minister meist selbst aus dem Parteivorstand oder leitenden Positionen der Bundestagsfraktion.469 Die Entscheidung über die Bundesminister ist damit Domäne der Parteiführung. Ein Alleinstellungsmerkmal in diesem Aufstellungsprozess zeigt sich bei der FDP: Sie lässt bereits seit langem den Bundesvorstand und die gesamte Bundestagsfraktion auf einem Sonderparteitag über die Nominierung von Bundesministern abstimmen.470 Erkenntnisse zur Ministeriumsverteilung stammen aus der Regierungsund Koalitionsforschung. Pappi, Schmitt und Linhart haben empirisch nachgewiesen, dass die Anzahl der Ministerien pro Koalitionspartner (auf Bundes- und Landesebene) meist genau dem Anteil der Parlamentssitze entspricht, auch wenn man den Ministerien unterschiedliche Bedeutung zuschreibt und dementsprechend unterschiedlich gewichtet.471 Sie stellen weiterhin fest, dass die verschiedenen Parteien bestimmte Ministerien bevorzugen, wie etwa die Grünen das Umweltministerium die SPD das Arbeitsministerium oder etwa liberale Parteien wie die FDP das Wirtschaftsund Finanzministerium, da sie durch die damit einhergehende Gestaltungsmacht ihre Wählerklientel besser zufriedenstellen können.472 Fest steht, dass aufgrund der unterschiedlichen Weltanschauungen und unterschiedlichen Präferenzen Verhandlungsmöglichkeiten zwischen den Parteien entstehen, wobei Koalitionen aus Sicht des großen Koalitionspart-
468 469 470 471 472
Höhne 2017: 244. Vgl. Treibel 2012: 11. Vgl. Treibel 2014a: 93f, Treibel 2012: 11. Vgl. Pappi/Schmitt/Linhart 2008: 324. Vgl. Pappi/Schmitt/Linhart 2008: 325f.
120
4.2.1 Personelle Entscheidungen
ners nicht wahrscheinlicher werden, wenn sie mehr Ministerien besetzen können, sondern wenn sie für sie wichtigere Ministerien besetzen können.473 Auch weiteres innerparteiliches Führungspersonal wie Fraktionsvorsitzende oder die Nominierung des Kanzlerkandidaten werden informell durch wenige Akteure der Parteiführung vorentschieden und anschließend in formalen Gremien abgesegnet.474 Die Grünen tragen ihrer basisdemokratischen Tradition Rechnung, indem sie ihre Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl seit 2013 per Urwahl aller Mitglieder entscheiden lassen.475 Die Entscheidung bleibt dabei offen und die Parteiführung übt keine Kontrolle aus, sodass auch knappe Ergebnisse der Normalfall sind. Vor der Bundestagswahl 2017 setzte sich der Parteivorsitzende Cem Özdemir mit nur wenigen Stimmen Vorsprung gegen den stellvertretenden Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, Robert Habeck, durch. Es ist nicht zu unterschätzen, dass echte Urwahlen dieses Typs in besonderer Weise die innerparteilichen Entscheidungsmuster prägen, da sie sich dem Einfluss der Parteiführung entziehen und der Basis die Entscheidungsmacht in die Hand legen. Überraschungen sind daher die Regel und der bedeutsame Flügelproporz wird dadurch ausgehebelt: Die Spitzenkandidaten der Bundestagswahl 2017, Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt, spiegelten zwar den Geschlechterproporz wider, waren aber beide dem „Realo“Flügel zugehörig, was die innerparteiliche Machtbalance zu deren Gunsten verschob. Parteiinterne Spitzenämter: Parteivorsitz und Vorstand Von besonderer Brisanz ist die Entscheidung über parteiinterne Spitzenämter, da diese zentralen Zugriff auf weitreichende Entscheidungen für die gesamte Partei haben. Es hat sich bereits im Abschnitt zur Zusammensetzung der Parteiführung gezeigt: In CDU, CSU, SPD und FDP sitzen zahlreiche öffentliche Mandatsträger im Parteivorstand – teils gewählt durch den Parteitag, teils aufgrund ihrer öffentlichen Ämter, wie Bundeskanzler, Bundesminister, Ministerpräsidenten oder Fraktionsvorstände (beziehungsweise Landesgruppenvorsitzende in der CSU) kooptiert als sogenannte ex-officio-Mitgliedschaft.476 Statt der Mitgliedschaften qua Amt 473 474 475 476
Vgl. Pappi/Schmitt/Linhart 2008: 326, 339. Vgl. Treibel 2013: 360. Vgl. Korte 2017a: 63. Vgl. Treibel 2014a: 120f, Treibel 2012: 12.
121
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
lädt die SPD ihre Ministerpräsidenten zu Vorstandssitzungen hinzu. Weitere Mitglieder sind meistens Vertreter von Jugend-, Unter- oder Sonderorganisationen. Genau wie der Vorstand bei CDU, CSU, SPD und FDP werden auch die Vorstände bei Grünen (Parteirat) und Linken (Parteivorstand) formal vom Parteitag gewählt. Das Parteiengesetz legt in Paragraph 11 fest, dass sich die Vorstände in allen Parteien in jedem zweiten Kalenderjahr zur Wiederwahl stellen müssen.477 Zum Zeitpunkt der formalen Bestätigung des Spitzenpersonals auf dem Parteitag steht die Zusammensetzung des neuen Vorstandes in allen Parteien jedoch in der Regel bereits fest, da Spitzenämter informell vor dem Parteitag ausgehandelt werden.478 Einspruch der Delegierten wird lediglich über niedrige Zustimmungsraten ausgedrückt (siehe Tabelle 7).479 Die Zustimmungsraten bei der Vorstandswahl in CDU und CSU sind traditionell am höchsten und erreichen regelmäßig 70 bis 95 Prozent, bei der Wahl des Parteivorsitzenden regelmäßig sogar zwischen 90 und 100 Prozent. In der SPD äußern sich Unmut und innerparteiliche Unzufriedenheit mit dem Parteivorsitzenden in schlechteren Zustimmungsraten um die 70 bis 75 Prozent, die in der Union faktisch nicht vorkommen. Dort gelten Zustimmungsraten von knapp unter 90 Prozent bereits als Vertrauensverlust für den Kandidaten, da die Delegierten auch in unruhigen Zeiten höhere Abstimmungsdisziplin zeigen, als in anderen Parteien, insbesondere um der Öffentlichkeit größere Geschlossenheit zu demonstrieren. Es ist größtenteils Konsens, dass Streitigkeiten intern geklärt werden. Anders in der SPD: Bei den Sozialdemokraten wurde beispielsweise Sigmar Gabriel wegen anhaltend schlechter Umfrageergebnisse 2015 mit nur 74,3 Prozent der Stimmen als Parteivorsitzender der SPD bestätigt – ein klares Zeichen der Unzufriedenheit.480 Gegenteilig bemerkenswert war dagegen die Wahl des neuen Parteivorsitzenden und designierten Kanzlerkandidaten Martin Schulz im März 2017, der mit dem einmaligen Ergebnis von 100 Prozent der Parteitagsdelegierten gewählt wurde, was die innerparteiliche Euphorie um seine Person treffend widerspiegelte. Bei den Grünen sind hingegen Zustimmungsraten von 70 bis 80 Prozent bei der (Wieder-)Wahl der Parteivorstände gängig, da sie die historischtraditionelle kritische Haltung der Delegierten gegenüber ihrer Parteifüh477 Vgl. § 11 PartG, beispielsweise unter https://www.gesetze-im-internet.de/partg/__11.html (abgerufen am: 18.9.2017), Woyke 2013: 117, Poguntke 2002: 263. 478 Vgl. Woyke 2013: 124. 479 Vgl. Walter/Werwath/D’Antonio 2014: 78, Grunden/Janetzki/Salandi 2017: 79f. 480 Vgl. ZEIT Online 2015a.
122
4.2.1 Personelle Entscheidungen
rung ausdrücken. Die circa 77 Prozent für Cem Özdemir galten 2015 als solides Ergebnis, die 68 Prozent für Simone Peter hingegen als „Dämpfer“481. Die vorab getroffene Entscheidung durch die Führungsgremien wird demnach generell mitgetragen, wobei die Delegierten der Unionsparteien zur Herstellung des Bildes einer geschlossenen Partei disziplinierter die Vorentscheidung der Parteiführung mittragen, als die kritischere SPD oder die Grünen. Bei FDP und Linken sind Zustimmungsraten zwischen 80 und 90 Prozent die Regel, Werte darunter gelten als innerparteiliche Unzufriedenheit, Werte darüber als Zeichen der Rückendeckung für die Parteiführung. Ausnahmen gibt es nur bei offenen Entscheidungssituationen mit einer echten Wahl der Delegierten, bei der mehrere Kandidaten gegeneinander antreten. Diese „Kampfkandidaturen“ gelten in der Öffentlichkeit als Hinweis auf die innere Zerstrittenheit der Partei und ihrer Führung, die sich nicht informell vorab auf einen Kandidaten einigen konnte. Die Wahlergebnisse zeigen dann gewöhnliche Ergebniswerte einer mehr oder minder knappen absoluten Mehrheitsentscheidung, das heißt etwa zwischen 50 bis 70 Prozent. Der CDU sind Kampfabstimmungen um den Parteivorsitz fremd, in CSU, SPD und FDP gab es sie bisher nur einmalig: bei den Christsozialen verlor 2007 Erwin Huber gegen Horst Seehofer, bei der SPD 1995 Rudolf Scharping gegen Oskar Lafontaine und bei der FDP setzte sich im gleichen Jahr Wolfgang Gerhardt gegen Jürgen Möllemann durch. Das magere Ergebnis Otto Graf Lambsdorffs 1991, gerade einmal 67 Prozent, war als Abstrafung der innerlich zerstrittenen Delegierten der FDP zu verstehen.482
481 Vgl. ZEIT Online 2015b. 482 Vgl. Bannas 1991.
123
2001
2000
1999
1998
1997
1996
1995
1994
1993
1992
96% (Merkel)
93,4% (Schäuble)
95,5% (Kohl)
94% (Kohl)
91% (Kohl)
98,5% (Kohl)
1990
1991
CDU
Jahr
97% (Stoiber)
93% (Stoiber)
85% (Waigel)
95% (Waigel)
94% (Waigel)
93% (Waigel)
CSU
89% (Schröder)
76% (Schröder)
93% (Lafontaine)
63% (Lafontaine)*
78,5% (Scharping), 84% (Scharping)
97,5% (Engholm)
SPD
89% (Westerwelle)
85% (Gerhardt)
86% (Gerhardt)
57% (Gerhardt)*
88% (Kinkel)
67% (Lambsdorff)
85% (Lambsdorff)
FDP
Tabelle 8: Zustimmungsraten bei Wahlen des/der Parteivorsitzenden seit 1990
91,5% (Roth)
82% (Künast), 73% (Kuhn)
84% (Röstel), 75% (Radcke)
70% (Röstel), 71% (Trittin)
51% (Sager)*, 85% (Trittin)
77% (Birthler), 75% (Volmer)
53% (Weiske)*, 60% (Volmer)*
?% (Rühle),?% (Damus), 54% (Ströbele)*
Grüne
93% (Zimmer)
89% (Bisky)
88% (Bisky)
83% (Bisky)
92% (Bisky)
79% (Gysi)
Linke (ehem. PDS)
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
124
2014
2013
2012
2011
2010
2009
97% (Merkel)
98% (Merkel)
90% (Merkel)
95% (Seehofer)
90% (Seehofer)
88% (Seehofer)
90% (Seehofer)
2008
95% (Merkel)
58% (Huber)*
93% (Merkel)
93% (Stoiber)
97% (Stoiber)
CSU
2007
2006
2005
2004
88% (Merkel)
94% (Merkel)
2002
2003
CDU
Jahr
84% (Gabriel)
92% (Gabriel)
94% (Gabriel)
85% (Müntefering)
95,%% (Beck)
95% (Beck)
99% (Platzeck)
95% (Müntefering)
81% (Schröder)
SPD
79% (Lindner)
95% (Rösler)
96% (Westerwelle)
88% (Westerwelle)
80% (Westerwelle)
80% (Westerwelle)
FDP
76% (Peter), 71% (Özdemir)
88% (Roth), 83% (Özdemir)
79% (Roth), 88,5% (Özdemir)
83% (Roth), 79% (Özdemir)
66,5% (Roth), 72% (Bütikofer)
78% (Roth), 86% (Bütikofer)
90% (Bütikofer), 75% (Beer)
Grüne
77% (Kipping), 90% (Riexinger)
67% (Kipping)*, 53% (Riexinger)*
93% (Lötzsch), 75% (Ernst)
81% (Bisky), 78,5% (Lafontaine)
84% (Bisky), 88% (Lafontaine)
88,5% (Bisky)
90% (Bisky)
78% (Bisky)
69% (Zimmer)*
Linke (ehem. PDS)
4.2.1 Personelle Entscheidungen
125
89,5% (Merkel)
CDU
84% (Seehofer)
87% (Seehofer)
CSU 92% (Lindner)
FDP
100% (Schulz), 82% 91% (Lindner) (Schulz)
74% (Gabriel)
SPD 68% (Peter), 77% (Özdemir)
Grüne
74% (Kipping), 78,5% (Riexinger)
Linke (ehem. PDS)
Quelle: Eigene Darstellung. Daten: Parteitagsprotokolle und Medienberichte. Anmerkung: * mit Gegenkandidat („Kampfabstimmung“).
2017
2016
2015
Jahr
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
126
4.2.1 Personelle Entscheidungen
Da bei der Zusammensetzung des Vorstandes in allen Parteien der regionale Proporz eine große Rolle spielt, lädt beispielsweise die Parteiführung der SPD um den Parteivorsitzenden, den Fraktionsvorsitzenden und die Bundesminister im Vorfeld von Vorstandswahlen Vertreter der Landesverbände ein und handelt die Vergabe der Spitzenposten mit ihnen aus.483 Auch in der CDU ist der regionale Proporz sowie der Ausgleich zwischen Interessensgruppen ein strenges Gebot bei der Wahl von Parteivorständen und in ähnlicher Art auch bei der Wahl von Fraktionsvorständen.484 Nur im Krisenfall wird die Proporzregel teils missachtet, so geschehen im Zuge der Neusortierung des CDU-Fraktionsvorstandes während der Spendenaffäre.485 Allerdings zeigte sich, dass selbst im Moment der Führungslosigkeit in der CDU die Einigung über die Proporzregeln bei der Wahl des Parteivorstandes (im Gegensatz zum Fraktionsvorstand) zwischen Landesverbänden und Interessensgruppen erhalten blieb, da diese informelle Abmachung zum Ausgleich verschiedener innerparteilicher Gruppierungen tief in der Parteitradition verankert ist.486 In der CSU ist der regionale Proporz im Vorstand bereits durch die Organisationsstruktur gegeben, da die Bezirksvorsitzenden qua Amt Vorstandsmitglieder sind.487 Generell gilt für die CSU, dass Personalentscheidungen für Spitzenämter informell zwischen dem Parteivorsitzenden und einzelnen Präsidiumsmitgliedern vorbesprochen werden, um Mehrheiten für die eigenen Präferenzen zu generieren und die Machtbalance zwischen den Parteigliederungen nicht zu gefährden.488 In der FDP gilt ebenso der regionale Proporz als strenges Kriterium bei der Neuwahl von Parteivorständen. Die Landesvorstände werden ähnlich wie in der SPD von der Parteiführung zur Präsidiumssitzung hinzugeladen, um die Neusortierung des Vorstandes informell abzustimmen und erst später vom Parteitag absegnen zu lassen.489 Als Besonderheit gilt allerdings, dass die Landesverbände aus Nordrhein-Westfalen und BadenWürttemberg traditionell eine Vormachtstellung gegenüber anderen Landesverbänden innehaben und zugleich in Rivalität um die höchsten Ämter stehen.490 So zeigt sich in der FDP regelmäßig ein Wettbewerb dieser Lan483 484 485 486 487 488 489 490
Vgl. Grunden/Janetzki/Salandi 2017: 75, 77. Vgl. Walter/Werwath/D’Antonio 2014: 74, 103, 108, Zolleis/Schmid 2015: 31. Vgl. Walter/Werwath/D’Antonio 2014: 103. Vgl. Walter/Werwath/D’Antonio 2014: 103. Vgl. Weigl 2013: 88f. Vgl. Weigl 2013: 211f. Vgl. Treibel 2014a: 120f, 174f. Vgl. Treibel 2014a: 101.
127
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
desverbände, dessen Ausgang auch davon abhängt, wie der jeweilige Landesverband in der vorangegangenen Landtagswahl abgeschnitten hat. Die beiden Landesverbände müssen von der Parteiführung ebenso zwingend eingebunden werden wie die Jugendorganisation der Jungen Liberalen. Die JuLis verstehen sich selbst als 17. Landesverband und können aufgrund ihrer großen Mitgliedszahlen auf Parteitagen eigene Mehrheiten organisieren. Sie halten im Vorfeld von Parteitagen eigene Delegiertentreffen ab und koordinieren ihr Abstimmverhalten.491 Ihre Vertreter müssen daher von der Parteiführung ebenfalls gehört werden, wenn auch sich ihr Einfluss meist stärker auf programmatische Fragen konzentriert als auf personelle. Die Vergabe von Spitzenämtern bei den Grünen wird trotz basisdemokratischer Tradition mittlerweile wie in den anderen Parteien vor dem Parteitag informell ausgehandelt und vorentschieden. Frühere parteiinterne Regelungen zur Verhinderung einer Machtkonzentration, wie beispielsweise die Rotationsregel oder die Trennung von Amt und Mandat, wurden mit der Zeit verändert und teils vollständig abgeschafft. Die Grünen haben die Vorteile einer Anpassung ihrer Parteiorganisation an die anderen Parteien erkannt und behalten ihr basisdemokratisches Erbe häufig nur noch rein symbolisch oder in schwacher Form bei.492 Die Trennung des Parteivorsitzes von Fraktionsvorsitz oder Bundesministeramt bleibt aber weiterhin bestehen und zementiert die kollektive Führung. Die Parteiführung hat bei der Aushandlung der Mitglieder des Bundesvorstandes und des Parteirates starken Einfluss und muss neben regionalen Zugehörigkeiten (wie in anderen Parteien) auch Flügelzugehörigkeiten von „Linken“ und „Realos“ und thematische Expertise in die Proporzregeln einbeziehen.493 Der starke Einfluss der Flügel ist in der Art ebenso bei den Linken zu finden, bei denen wie bei den Grünen Flügel- oder Strömungszugehörigkeiten bis in die Parteispitze üblich sind.494 Bei den Linken geht der Einfluss der Flügel allerdings noch erheblich weiter: Personalentscheidungen werden immer gleichzeitig als programmatische Richtungsentscheidungen verstanden, die bei der Linken ohnehin stark polarisieren, sodass heftig um Spitzenpositionen gerungen wird. Kandidaturen für Spitzenämter werden von der jeweils anderen Strömung immer als programmatische Vorstöße gewertet, wie zum Beispiel als der Reformer Dietmar Bartsch 2011 491 492 493 494
Vgl. Treibel 2014a: 95. Vgl. Probst 2013a: 175. Vgl. Switek 2015: 139. Vgl. Switek 2015: 178, Oppelland/Träger 2014: 154.
128
4.2.1 Personelle Entscheidungen
bekannt gab, für den Parteivorsitz zu kandidieren, was die Orthodoxen Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht zum Anlass nahmen, Lafontaine als Gegenkandidaten in Stellung bringen zu wollen, was zunächst misslang, letztlich aber in der erfolgreichen Durchsetzung von Bernd Riexinger als informeller Vertreter Lafontaines per Kampfabstimmung gegen Bartsch resultierte.495 Die Landesverbände sind überwiegend mit den Strömungen verknüpft, sodass regionaler Proporz fast immer auch einen ideologisch-programmatischen Proporz bedeutet. Als die ostdeutsche Reformerin Katja Kipping 2012 zur Parteivorsitzenden gewählt wurde, versammelten sich die westdeutschen Landesverbände, die zum Großteil der Strömung der Orthodoxen nahestehen, hinter dem von Oskar Lafontaine ins Rennen geschickten Kandidaten Riexinger, um den Reformer Dietmar Bartsch als zweiten Parteivorsitzenden zu verhindern.496 Personelle Entscheidungen sind bei der Linken potenzielle Kampfabstimmungen, da hier Kompromisse wesentlich schwieriger zu realisieren sind als bei der Formulierung programmatischer Positionen.497 Zum Abschluss der Betrachtung von Entscheidungsprozessen über innerparteiliche Spitzenämter ist die Frage weiterhin offen, wie der Parteivorsitzende ausgetauscht wird. Alle Parteivorsitzenden müssen sich aufgrund der vorgeschriebenen innerparteilichen Demokratie regelmäßig zur Wiederwahl auf dem Parteitag stellen. Meist handelt es sich dennoch nicht um offene Entscheidungssituationen, sondern um die Bestätigung einer Einigung, die zwischen Akteuren an der Parteispitze gefallen ist. Fast immer steht nur ein Kandidat bei der offiziellen Wahl auf dem Parteitag zur Auswahl, nur in Ausnahmefällen hat es in der Geschichte der Parteien Kampfabstimmungen um den Parteivorsitz gegeben.498 Die informellen Regeln beim Austausch des Parteivorsitzenden sind komplex: Allen Parteien ist gemein, dass Parteivorsitzende ihren Hut nehmen müssen, wenn ihre Autorität durch ein einschneidendes Ereignis, wie eine verlorene bedeutsame Wahl oder ein Skandal, in den sie verwickelt sind, derart beschädigt ist, dass rivalisierende Eliten in der Parteiführung oder den mittleren Parteieliten ihnen keine Gefolgschaft mehr leisten, sondern sie parteiintern oder sogar öffentlich massiv kritisieren und einen Nachfolger in Stellung bringen. Der Wechsel des Parteivorsitzes soll in den Parteien einen Neuanfang signalisieren. Die letztliche Entscheidung 495 496 497 498
Vgl. Oppelland/Träger 2014: 156ff. Vgl. Oppelland/Träger 2014: 158ff. Vgl. Oppelland/Träger 2014: 164f. Vgl. Woyke 2013: 124.
129
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
über die Amtsaufgabe des Parteivorsitzenden und die Kür des Nachfolgers fällt in einer informellen Runde, die nur die engsten Parteiführer und die Herausforderer umfasst, bevor die Entscheidung in offiziellen Gremien, wie dem Vorstand, abgesegnet wird.499 Dennoch führt nicht jede Wahlniederlage umgehend zum Austausch des Parteivorsitzes. Entscheidend ist, ob innerparteiliche Rivalen glaubhaft Unterstützermehrheiten in der Partei und insbesondere ihren Führungsgremien hinter sich scharen können, die im Wettbewerber einen besseren Parteivorsitzenden sehen, als den amtierenden. Wichtig für den Herausforderer ist, dass er als designierter Parteivorsitzender über langjährige politische Erfahrung in öffentlichen oder parteiinternen Ämtern verfügt und ein hohes Amt innehat, Netzwerke oder eine Hausmacht wie einen starken Landesverband oder die Bundestagsfraktion hinter sich weiß und parteiintern hohes Ansehen genießt.500 Häufig wechselt der Parteivorsitz beispielsweise im Zuge eines Generationswechsels nach einer verlorenen Bundestagswahl (oder im Falle der CSU nach einer verlorenen Landtagswahl). Im Einzelnen kann der Wechsel des Parteivorsitzes in den deutschen Parteien dennoch sehr unterschiedlich ablaufen. Exemplarisch für die sehr individuellen Abläufe sollen folgende illustrierende Beispiele des Wechsels an der Parteispitze von Gabriel zu Schulz in der SPD 2017 und von Schäuble zu Merkel im Jahr 2000 stehen. In der SPD hatte der Wechsel des Parteivorsitzes einen langen Vorlauf. Der langjährige Parteivorsitzende Sigmar Gabriel wurde bis Ende 2016 als wahrscheinlicher Kanzlerkandidat seiner Partei für die Bundestagswahl im folgenden Jahr gehandelt. Aufgrund dauerhaft niedriger Umfrageergebnisse vor der Bundestagswahl 2017 verzichtete er letztlich zugunsten des Präsidenten des Europaparlamentes, Martin Schulz, auf die Kanzlerkandidatur. Schulz wurden parteiintern wie öffentlich bessere Chancen im Wettbewerb mit der seit zwölf Jahren amtierenden Kanzlerin Angela Merkel zugesprochen, auch da Gabriel als Vizekanzler wenig Angriffsmöglichkeiten auf die Regierungspolitik hatte, die er selbst mit verantwortete. Um den innerparteilich und öffentlich recht unbeschriebenen Kandidaten Schulz mit der nötigen Unterstützung der Partei und der notwendigen innerparteilichen Autorität auszustatten, erklärte Gabriel darüber hinaus den Verzicht auf den Parteivorsitz zugunsten von Schulz, der Anfang 2017 mit 499 Exemplarisch hat Treibel diesen Prozess für die FDP dargestellt; vgl. Treibel 2014: 174. Bezüglich der SPD sprechen Spier und Alemann von einer „Selbstnominierung“ der neuen Parteispitze um den Parteivorsitzenden Gabriel 2009; Spier/Alemann 2015: 51. 500 Vgl. Treibel 2014a: 238f, Switek 2015: 295.
130
4.2.1 Personelle Entscheidungen
spektakulären 100 Prozent der Delegiertenstimmen zum neuen Parteivorsitzenden gewählt wurde. Die Entscheidung fällte letztlich Gabriel allein und wählte damit seinen Nachfolger in Form einer hierarchischen Entscheidung völlig ohne Einfluss der Partei, deren Unterstützung er mit Hilfe einer Umfrage unter SPD-Sympathisanten korrekt antizipierte.501 Die Parteivorsitzende der CDU, Angela Merkel, gelangte durch besondere Umstände ins Amt. Der nach der verlorenen Bundestagswahl 1998 von dem amtierenden Parteivorsitzenden Helmut Kohl bereits langfristig als Nachfolger erkorene Wolfgang Schäuble hatte keine innerparteilichen Rivalen, als er 1998 den Parteivorsitz übernahm.502 In einer der Phase der Neuorientierung war es dem schier uneingeschränkt die Partei dominierenden Parteivorsitzenden Kohl überlassen, alleine über seine Nachfolge zu entscheiden. Schäuble vereinte in der Tradition der Ämterhäufung als Oppositionsführer Parteivorsitz und Fraktionsvorsitz in seiner Person und installierte Merkel als seine Generalsekretärin.503 Bis dahin wirkte der Wechsel des Vorsitzes durch autoritäre Entscheidung des alten Parteivorsitzenden Kohl klar geregelt und folgerichtig. Die Partei folgte dieser Entscheidung. Allerdings erschütterte der Parteispendenskandal, in den auch Schäuble verwickelt war, die CDU massiv. Schäuble war gezwungen, im Zuge der massiven Kritik vor allem jüngerer aufstrebender Parteimitglieder Parteivorsitz und Fraktionsvorsitz niederzulegen, um das Vertrauen der Partei in ihre Führung wiederherzustellen.504 Die zum Dialog über die programmatische Ausrichtung der Partei eingerichteten Regionalkonferenzen an der Basis der Partei wurden urplötzlich zu Diskussionsforen über die personelle Neuausrichtung umgedeutet, da sich in der Phase der Konsolidierung noch kein Nachfolger Schäubles in Stellung gebracht hatte. Die Folge war eine Aushebelung des etablierten Willensbildungsprozesses: Statt der Kür des Parteivorsitzenden durch oberste Parteigremien fand eine Art Plebiszit an der Basis statt, was die Landesvorsitzenden und die mittleren Parteieliten machtlos zurückließ.505 Es kristallisierte sich bald eine Präferenz der Basis für die Generalsekretärin Angela Merkel heraus, die sich strategisch klug und sehr deutlich von Helmut Kohl distanzierte und mit ihrer schonungslosen Art an der Basis überzeugen konnte.506 Die
501 502 503 504 505 506
Vgl. ZEIT Online 2017. Vgl. Walter/Werwath/D’Antonio 2014: 90. Vgl. Walter/Werwath/D’Antonio 2014: 92f. Vgl. Walter/Werwath/D’Antonio 2014: 101. Vgl. Zolleis/Schmid 2013: 426. Vgl. Walter/Werwath/D’Antonio 2014: 101f.
131
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
Medien nahmen die Impulse der Basis auf und der Druck auf die Delegierten wuchs, Merkel auf dem Parteitag im April 2000 zu ihrer neuen Vorsitzenden zu wählen, was letztlich auch geschah. 4.2.2 Programmatische Entscheidungen Parteien sind Weltanschauungsgemeinschaften, das heißt ideologisch fundierte Organisationen, die Inhalte, Ziele und Forderungen schriftlich in Programmen ausformulieren. Ihr ideologischer Ursprung sind gesellschaftliche Konfliktlinien (cleavages), die über Jahrhunderte hinweg einem steten Wandel unterliegen (siehe Kapitel 2). Daher bedürfen auch die Grundwerte und Kernkonzepte der Partei als Repräsentanten gesellschaftlicher Konflikte stets einer neuen, zeitgemäßen Auslegung, die Spielräume für Interpretationen und damit auch für Politikwechsel lässt. Hier ist äußerste Vorsicht geboten, denn Parteimitglieder beobachten die Übersetzungen der Grundwerte in Programme kritisch.507 Verlässt die Partei bei der Formulierung ihres Programms den gemeinsamen ideologischen Rahmen aus Grundwerten und der Summe der Einstellung der Mitglieder, können die Mitglieder und auch die Wähler enttäuscht zurückbleiben und im Extremfall ihre Bindung zur Partei aufgeben. Wir haben bereits in den vorherigen Kapiteln festgestellt, dass Mitglieder ihre Entscheidung zum Beitritt zu einer Partei vom programmatischen Angebot abhängig machen und von ihr ideologisch sozialisiert werden (siehe Kapitel 2.1 und Kapitel 3.1.3). Im Programmformulierungsprozess treten die Mitglieder regelmäßig in Austausch über ihre Einstellungen und verdichten sie über eine deliberative Aushandlung und Kompromissfindung zu gemeinsamen Positionen. Wichtiger als die exakte Repräsentanz jeder einzelnen Position ist der Aushandlungsprozess selbst, der über die Partizipation der Mitglieder ein Gefühl der Teilhabe am Ergebnis schafft und dadurch Loyalität erzeugt. Daher ist der Programmprozess für die Parteiführung nicht nur gegenüber den Wählern im Sinne eines programmatischen Wahlangebotes relevant, sondern hat als partizipativer Prozess noch höhere Bedeutung nach innen, das heißt zur dauerhaften Bindung der Mitglieder an die Partei. Schließlich können die ideologischen Grundwerte der Partei auf den Organisationsaufbau und die innerparteilichen Prozesse einwirken. So waren nach Gründung der Bundesrepublik die bürgerlich-konservativen Parteien im Gegensatz zu ihren Konkurrenten auf der 507 Vgl. Jun 2010: 17.
132
4.2.2 Programmatische Entscheidungen
linken Seite des ideologischen Spektrums eher lose Zusammenschlüsse einflussreicher Bürger. Es dauerte Jahrzehnte, bis sich beispielsweise die CDU eine stärker mitgliederbasierte Organisationsstruktur gab, da alte gesellschaftliche Bindungen zunehmend schwanden, was durch eine vergrößerte formale Mitgliederbasis aufgefangen werden sollte.508 Programmatische Entscheidungen sollen im weiteren Verlauf zuerst anhand von Grundsatzprogrammen dargestellt werden, da sie als zentrale Dokumente und Ausdruck des programmatischen innerparteilichen Willens gelten. Grundsatzprogramme sollen die grundlegenden ideologischprogrammatischen Leitlinien einer Partei für circa ein oder zwei Dekaden festhalten und in dreifacher Funktion nach innen integrierend, nach außen abgrenzend gegenüber anderen Parteien sowie werbend gegenüber den Wählern wirken.509 Als „zeithistorische Analysen der gesellschaftlichen Herausforderungen“510 übersetzen sie die ideologischen Leitlinien der Partei in politische Programmatik. Sie werden nach einem langen Austauschprozess der verschiedenen Parteigliederungen auf einem Parteitag beschlossen.511 Darüber hinaus beziehen sich programmatische Entscheidungen auf die Erarbeitung von Wahlprogrammen, die aktuellere, tagespolitische Fragen aufgreifen und vor Bundestagswahlen die Forderungen und Vorhaben für die nächste Legislaturperiode festhalten. Zusätzlich zu Wahlprogrammen verabschieden Parteien bisweilen kurz vor Wahlen so genannte Aktionsprogramme oder Sofortprogramme, die meist auf ein Themengebiet begrenzt sind und Forderungen aus dem Wahlprogramm mehr Nachdruck verleihen sollen, oder aber Punkte enthalten, die nach einer möglichen Regierungsübernahme umgehend umgesetzt werden sollen.512 Sie zielen auf den Wähler ab und können als Zusatzdokumente zu Wahlprogrammen bezeichnet werden. Grundsatzprogramme halten bei CDU und FDP eher den aktuellen Diskussionsstand um große programmatische Linien fest und sind weniger zukunftsgerichtet als die Grundsatzprogramme von SPD und Linken, die häufig progressiv Vorstellungen von Gesellschaftsreformen artikulieren und darüber leidenschaftlich debattieren. Die Grünen tendieren zwar in eine ähnliche Richtung wie Sozialdemokraten und Linke, aktuali-
508 509 510 511 512
Vgl. Schönbohm 1985. Vgl. Merz/Regel 2013: 213ff. Merz/Regel 2013: 215. Vgl. Bukow/Poguntke 2013: 188. Vgl. Merz/Regel 2013: 215.
133
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
sieren ihr Grundsatzprogramm aber selten, sodass häufig veraltete Forderungen (zumindest schriftlich) lange bestehen bleiben. Wahlprogramme genießen in allen Parteien einen hohen Stellenwert, da sie Wähler mobilisieren sollen und Grundlage für eine etwaige Regierungsbeteiligung oder zumindest die parlamentarische Arbeit der folgenden Legislaturperiode sind. Innerparteilich werden SPD, Grüne und Linke bei der Programmarbeit von Auseinandersetzungen in ihren Flügeln geprägt, was bei CDU, CSU und FDP nicht der Fall ist. In letzteren kommt das Programm mehr über einen moderierenden Ausgleich verschiedener Interessensgruppen bei starker Steuerung durch die Parteiführung zustande. Zwar bewegen sich insbesondere SPD und Grüne auch in diese Richtung, müssen allerdings häufiger mit verhärteten Fronten rechnen, welche in der Linken sogar der Normfallfall sind. Unterschiedlicher Stellenwert von Grundsatzprogrammen Alle deutschen Parteien werden als Programmparteien bezeichnet, da Programme bei ihnen im internationalen Vergleich einen hohen Stellenwert genießen.513 Allerdings sind große Differenzen zwischen den Parteien erkennbar: Bezüglich der Grundsatzprogramme wurde festgestellt, dass sie in den verschiedenen Parteien offenbar sehr unterschiedliche Stellenwerte genießen.514 Bei der CDU haben Programmpapiere einen niedrigeren Stellenwert als bei anderen Parteien. Historisch gesehen ist die Partei schon immer vielmehr pragmatisch als ideologisch in ihrem Verständnis von Politik und bewertet Parteiprogramme daher nachrangig, argumentieren Walter, Werwath und D’Antonio.515 Die Christdemokratie profitierte anfänglich vom Erbe des politischen Katholizismus mit seiner breiten Vereins- und Verbändestruktur, sodass sie auf eine Massenbewegung zurückgreifen konnte, die den Aufbau einer Massenmitgliedschaft in der Partei obsolet machte.516 Anders als Sozialdemokraten und Kommunisten repräsentierte sie weniger die sozio-ökonomische Konfliktlinie in der Gesellschaft, sondern machte „klassenübergreifende“ Angebote. Die Identität mit der Partei wurde über soziokulturelle, überkonfessionell christlich-bürgerliche Werte hergestellt und statt eines parteiübergreifend diskutierten, reformorientier513 514 515 516
Vgl. Merz/Regel 2013: 212. Vgl. Bukow/Poguntke 2013: 188. Vgl. Walter/Werwath/D’Antonio 2014: 20f. Vgl. Bösch 2013:203, Zolleis/Schmid 2013: 418f.
134
4.2.2 Programmatische Entscheidungen
ten Programmes wurden die staatspolitischen Vorstellungen der früheren katholischen Zentrums-Partei übernommen, die für Funktionäre in lokalen Gliederungen hinreichend flexibel blieben. Erst als die traditionellen gesellschaftlichen Verbindungen verblassten, sah sich die Partei gezwungen, sich organisatorisch zu professionalisieren und programmatisch stärker zu positionieren, was auch als „zweite Parteigründung“ bezeichnet wird.517 Der Gang in die Opposition 1969 gab der innerparteilichen Programmdiskussion einen Schub, der im Berliner Programm als Vorläufer eines Grundsatzprogrammes mündete. Dieses historische Erbe scheint nachzuwirken. Parteiprogramme dienten in der CDU bis heute vor allem dazu, den Stand des innerparteilichen Diskussionsprozesses auf den Punkt zu bringen und verlieren daher schnell an Gültigkeit, so Zolleis und Schmid.518 Nicht verwunderlich ist daher, dass das erste echte Grundsatzprogramm der CDU von 1978 datiert.519 Laut Bösch stellt der intensive Prozess zur Erarbeitung des Grundsatzprogrammes von 1978 noch immer eine Ausnahme dar.520 Auf die Programmatik der CDU in der Ära Merkel bezogen stellen Zolleis und Schmid die These auf, dass programmatische Beschlüsse weiterhin vorrangig auf Machterhalt und Wettbewerbsfähigkeit auf dem politischen Markt zielten und erst an zweiter Stelle darauf, traditionellen innerparteilichen Wertvorstellungen Ausdruck zu verleihen.521 Die Repräsentation bürgerlicher Wert- und Gesellschaftsvorstellungen in der Regierung entspricht dem Anspruch von Wählern und Mitgliedern gleichermaßen. Kontroverse programmatische Auseinandersetzungen sind daher insbesondere vor Wahlen nicht zu erwarten. Programme spiegeln bürgerlich-konservative Ordnungsvorstellungen wieder und lassen Spielraum für tagespolitische Entscheidungen. Die CSU ging in Bayern einen ähnlichen Weg der Etablierung als überkonfessionelle, christlich-bürgerliche Partei, die es zudem auch schaffte, die vormals gespaltene Bauernschaft Bayerns hinter sich zu vereinen und so die Konkurrenz im Parteienwettbewerb schnell und nachhaltig zu überwinden. Bereits ab Mitte der 1950er Jahre setzte eine starke Professionalisierung ein, die den Übergang von der Honoratiorenpartei zur bayerischen Volkspartei besiegelte, die bei nur sehr schleichendem programmatischen Wandel zur Anpassung an den Zeitgeist bis heute den Anspruch geltend 517 518 519 520 521
Vgl. Zolleis/Schmid 2013: 422. Vgl. Zolleis/Schmid 2013: 427f. Vgl. Zolleis/Schmid 2013: 417. Vgl. Bösch 2013: 211. Vgl. Zolleis/Schmid 2013: 432.
135
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
macht, als einzig legitimer Wahrer bayerischer Interessen im Bund und Europa aufzutreten.522 Regelmäßig aktualisierte Grundsatzprogramme dienten seit jeher der zeitgemäßen Auslegung der Grundwerte. Sie beinhalten sanfte aber stetige Reformansprüche, die das christliche Wertefundament noch wesentlich stärker als die CDU zur Grundlage haben und die Gesellschaft im Sinne katholischer Soziallehre und evangelischer Sozialethik verändern wollen.523 Der Rückgriff auf den christlichen Konsens bedingt große programmatische Kontinuität, die zwar ebenso wie die CDU auf dauerhafte staatspolitische Verantwortung abzielt, dabei aber wesentlich stärker als ideologische Reformagenda zu verstehen ist. Demgegenüber genießt die Erarbeitung neuer Grundsatzprogramme bei Sozialdemokraten, Grünen und Linken einen sehr hohen Stellenwert und zieht insbesondere aufgrund der stärkeren Rolle der programmatisch divergierenden Parteiflügel in den drei Parteien üblicherweise große Debatten nach sich. Programmatische Diskussionen werden intensiv geführt, da sich die Parteien stärker als reformorientierte Programmparteien verstehen, die gesellschaftlichen Wandel nach ihren Vorstellungen vorantreiben wollen.524 Mittlere Parteieliten und die Basis beobachten kritisch, ob die Parteiführung die ideologischen Grundwerte und Ansprüche an gesellschaftliche Reformen Regierungskompromissen oder taktischen Überlegungen zur Erschließung neuer Wählerschichten opfert.
522 Vgl. Weigl 2013: 469ff. 523 Vgl. Weigl 2013: 478. 524 Vgl. Grunden/Janetzki/Salandi 2017: 60.
136
„Die Ordnung“ 2016
„Chancen für alle! In Freiheit und Verantwortung gemeinsam Zukunft gestalten" 2007
Grundsatzprogramm der CSU von 1993
Quelle: Eigene Darstellung
„Freiheit und Sicherheit“ 2007
„Freiheit in Verantwortung“ 1994
Grundsatzprogramme: Ludwigshafener Programm 1978
Berliner Programm, erster und zweiter Entwurf 1968 und 1971
Hamburger Programm 1953 Kieler Thesen 1977
Freiburger Thesen 1971
Grundsatzprogramme: Berliner Programm 1957
Vorläufer: Bremer Plattform 1949
FDP
Hamburger Programm 2007
Das liberale Manifest Heidelberger Programm 1985 1925 Wiesbadener GrundsätGodesberger Programm ze 1997 1959 Karlsruher FreiheitstheBerliner Programm sen 2012 1989
Görlitzer Programm 1921
Erfurter Programm 1891
Grundsatzprogramm der CSU von 1986
Grundsatzprogramm der CSU von 1976
Gothaer Programm 1875
Grundsatzprogramm der CSU von 1957
Ahlener Programm und Düsseldorfer Leitsätze 1947 und 1949
Eisenacher Programm 1869
Grundsatzprogramm der CSU von 1946
Vorläufer: Neheim-Hüstener Programm 1946
SPD
CSU
CDU
Tabelle 9: Grundsatzprogramme der Deutschen Parteien
„Die Zukunft ist Grün“ 2002
Saarbrücker Programm 1980
Grüne
Programm der Partei DIE LINKE „Erfurter Programm“ 2011
Programm der PDS „Chemnitzer Programm“ 2003
Grundsatzprogramme: Programm der PDS 1993
Vorläufer: Programm der PDS 1990
Linke/PDS
4.2.2 Programmatische Entscheidungen
137
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
In der SPD spiegeln sich innerparteiliche Diskussionsprozesse um Grundwerte und anzustrebende Gesellschaftsreformen in den Grundsatzprogrammen wider, wie Spier und Alemann herausgearbeitet haben.525 Das Godesberger Programm von 1959 hatte für die Partei herausragende Bedeutung. Es beendete den jahrelangen Diskussionsprozess um das Verhältnis zum Marxismus, indem der demokratische Sozialismus künftig nicht mehr im Marxismus begründet liegen sollte und die SPD sich wirtschaftspolitisch zur sozialen Marktwirtschaft bekannte. Mit dem Berliner Programm von 1989 öffnete sich die Partei schließlich den Neuen Sozialen Bewegungen, entfernte sich vom Wachstumsglauben und verschrieb sich postmaterialistischen Werten wie dem Umweltschutz. Das Hamburger Programm von 2007 integrierte die wirtschafts- und sozialpolitische Neuausrichtung der Schröder-Regierung, die bereits seit 2002 zu heftigen innerparteilichen Diskussionen geführt hatte und bis heute nicht vollständig zum innerparteilichen Konsens geworden ist. Das Programm gilt daher als programmatischer Flügelkompromiss, der in der Regierungszeit bis 2017 Bestand hatte und seit der Wahlniederlage neu aufzubrechen drohte. Bei den Grünen resultierten verschiedene gesellschaftliche Reformvorstellungen zwischen den anfänglich extrem heterogenen Gründungsgruppen aus den Neuen Sozialen Bewegungen, linkssozialistischen und bürgerlichökologisch orientierten Mitgliedern in heftigen programmatischen Auseinandersetzungen rund um den Gründungsparteitag 1980, auf dem sich die Partei ihr erstes Grundsatzprogramm gab, mit dem der Streit allerdings noch lange nicht beendet war.526 Es enthielt viele radikale ökologische und pazifistische Forderungen, deren Umsetzungsweg unklar war, weshalb es eher als Ausdruck des Selbstverständnisses einer Alternative zu allen anderen Parteien zu interpretieren ist, denn als konkretes Reformprogramm.527 Weitere interne Auseinandersetzungen um die Ausrichtung der Partei zwischen „Realos“ und „Fundamentalisten“ sowie eine zunächst misslungene Vereinigung mit den ostdeutschen Grünen und Bürgerbewegungen aus Bündnis 90 in den 1980er und Anfang der 1990er Jahre verhinderten zunächst eine kohärente programmatische Neuausrichtung.528 Die schließlich doch gelungene Vereinigung mit Bündnis 90, erste Regierungsbeteiligungen auf Landesebene und 1998 auf Bundesebene gingen mit einer Zunahme von Pragmatismus und einer Konsolidierung vieler 525 526 527 528
Vgl. Spier/Alemann 2013: 453. Vgl. Probst 2013b: 513. Vgl. Probst 2013b: 526. Vgl. Probst 2013b: 514f.
138
4.2.2 Programmatische Entscheidungen
programmatischer Positionen einher, sodass 2002 letztlich ein neues Grundsatzprogramm als Zwischenfazit einer mehr als 20 Jahre dauernden programmatischen Diskussion beschlossen werden konnte. Das Ergebnis war eine Verbindung von Ökologie mit sozialer Marktwirtschaft und einem Bekenntnis zu Freiheit als Selbstbestimmung und damit eine Abkehr von radikalen Positionen.529 Der Flügelstreit ist seitdem allerdings nicht beendet und die Grünen kämpfen weiterhin um eine programmatische Neuausrichtung in einem Grundsatzprogramm, das mittlerweile bereits wieder über 15 Jahre lang nicht erneuert wurde. In der Linken ist heftiger Streit in der Programmarbeit der Normalfall, da die Partei noch immer verschiedene Weltanschauungen in ihren Strömungen vereint, die teils als unvereinbar gelten.530 Zunächst galt es 1989/1990 im Zuge der Überführung der ehemaligen DDR-Staatspartei SED in die neue Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) einen Bruch mit der alten Ideologie zu vollziehen und ein zeitgemäßes Politikangebot im neuen Parteienwettbewerb der DDR bei der Wahl im März 1990 zu präsentieren, um die Partei vor dem Untergang zu retten. In ihrem ersten, noch provisorischen Grundsatzprogramm vom Februar 1990 präsentierte sich die PDS daher als Interessensvertretung der ostdeutschen Bevölkerung bei der bevorstehenden Wiedervereinigung mit einer Kombination aus kommunistischer, sozialdemokratischer und grüner Programmatik.531 Eine leicht veränderte programmatische Mischung aus Sozialismus, ostdeutscher Interessensvertretung und dem Protest als einzige Systemopposition im wiedervereinigten Deutschland sicherte ihr das Überleben in den ersten Jahren nach der Wende. Auch die folgenden Grundsatzprogramme als gesamtdeutsche Partei 1993 und 2003 setzten weiter in scharfer Rhetorik auf Systemopposition, Abschaffung des kapitalistischen Wirtschaftssystems und Anwaltschaft ostdeutscher Interessen und schrieben die Position der PDS mit dieser programmatischen Verengung als ostdeutsche Regionalpartei fest, die im Westen nur als Splittergruppe existierte.532 Innerparteilich tobten weiterhin harte Auseinandersetzungen der stark heterogenen ideologischen Gruppen um den künftigen Kurs. Insbesondere die Frage nach möglichen Regierungsbeteiligungen (auf Bundesebene) oder Fundamentalopposition lähmt die Partei bis heute. Programmatische Beschlüsse bleiben häufig Formelkompromisse, die ohne Aus529 530 531 532
Vgl. Probst 2013b: 527. Vgl. Oppelland/Träger 2014: 111. Vgl. Oppelland/Träger 2014: 52f. Vgl. Oppelland/Träger 2014: 62f.
139
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
sicht auf Regierungsverantwortung im Bund auch im aktuellsten Grundsatzprogramm der neu formierten Linken von 2011 die einzige Möglichkeit bleiben, die Partei vor dem Zerbrechen zu bewahren. Grundsatzprogramme sind in der Linken daher höchst umkämpft und gelten im Flügelstreit zwischen Reformern und Orthodoxen als richtungsweisende Festschreibungen von höchster Relevanz. Die FDP betrachtet wiederum – ähnlich wie die CDU – das Grundsatzprogramm als Hilfe zur Stimmenmaximierung, was sich im Gegensatz zu den Christdemokraten jedoch mit dem bereits mehrfach aufgetretenen „Überlebenskampf“533 begründet. Dieser ließ der Partei häufig keine andere Wahl, als sich durch programmatische Erneuerungen, beispielsweise in den 1990er und den 2010er Jahren, aus existentiellen Krisen zu befreien. Dabei ging es allerdings weniger um die programmatische Substanz, wie die Verengung auf das Thema Steuersenkungen Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre zeigte, als vielmehr um einen Imagewandel.534 Das aktuelle Grundsatzprogramm der Karlsruher Freiheitsthesen von 2012, das unter Federführung des damaligen Generalsekretärs und jetzigen Parteivorsitzenden Christian Lindner entstand, stellt einen Versuch dar, die Partei programmatisch zu verbreitern, ist aber ebenso wie das vorherige Parteiprogramm im Krisenmoment aus Überlebenswillen auf dem Wählermarkt entstanden.535 Wahlprogramme Wahlprogramme haben in allen Parteien eine große Bedeutung, da sie mit tagesaktuellen Forderungen öffentlichkeitswirksam Werbung für die Wahl der eigenen Partei machen sollen. Ihre Gültigkeit entspricht der Dauer der Legislaturperiode. Die Ziele des Wahlprogrammes sind in Anlehnung an die vielfältigen Ziele einer Partei heterogen.536 Neben der Wählermobilisierung dienen sie auch als Richtschnur für die Zeit nach der Wahl und damit auch als Verhandlungsgrundlage für eventuelle Koalitionsverhandlungen.537 Außerdem sollen sie das Partizipationsbedürfnis der eigenen Basis befriedigen und dadurch die innerparteiliche Demokratie stärken.
533 534 535 536 537
Vorländer 2013b: 500. Vgl. Vorländer 2013b: 501. Vgl. Vorländer 2013b: 505. Vgl. Merz/Regel 2013: 216. Vgl. Däubler 2012: 334.
140
4.2.2 Programmatische Entscheidungen
In fast allen Parteien werden Wahlprogramme auf Wahlparteitagen, meist im gleichen Jahr der Wahl, verabschiedet. Däubler hat in einer Untersuchung zur Erstellung von Wahlprogrammen vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg 2006 einen ähnlichen Ablauf bei allen Parteien feststellen können: „In allen Parteien setzte die Parteiführung ein Komitee ein, das für die Vorbereitung des Programms zuständig war und – von existierendem Material ausgehend und unter Beteiligung anderer innerparteilicher Akteure – einen Entwurf produzierte. Die Parteiführung überarbeitete diese Fassung und schlug die resultierende Version dem Parteitag zur Annahme vor.“538 Es ist davon auszugehen, dass in sehr ähnlicher Art und Weise viele Wahlprogramme entstehen. Bemerkenswert war, dass in allen Parteien, die bereits vor der Wahl im Parlament vertreten waren, die Fraktion großen Anteil an der Programmerarbeitung hatte und außerdem bestehendes Material wie alte Wahlprogramme und Parteitagsbeschlüsse als Grundlage dienten.539 Die Unionsparteien erarbeiten in der Regel ein gemeinsames Wahlprogramm, das dann von kleineren Gremien verabschiedet wird, wie beispielsweise vor der Bundestagswahl 2009 durch eine gemeinsame Sitzung der Parteivorstände von CDU und CSU.540 In allen Parteien ergibt sich durch die Aufstellung von Spitzenkandidaten vor der Bundestagswahl die Besonderheit, dass das Wahlprogramm auf die Spitzenkandidaten zugeschnitten sein muss, oder zumindest nicht im Gegensatz zu Positionen stehen darf, die die Spitzenkandidaten im Wahlkampf vertreten. Im Folgenden soll ein Blick auf die innerparteilichen Prozesse bei der Entstehung von Programmen insbesondere Aufschluss darüber geben, welche informellen Institutionen Einfluss haben und wie die Parteiführung versucht, Steuerung auszuüben. Programmarbeit in den innerparteilichen Willensbildungsprozessen Grundsatz- und Wahlprogramme entstehen häufig lange vor den Parteitagen, auf denen sie medienwirksam beschlossen werden. Da in allen Parteien eine Programmkommission (oder Grundsatzkommission) den ersten Entwurf erstellt, ist die Zusammensetzung und die Arbeit dieser Programmkommission von besonderem Interesse.541 Geleitet wird sie meis538 539 540 541
Däubler 2012: 340. Vgl. Däubler 2012: 340. Vgl. Bukow/Poguntke 2013: 189, Merz/Regel 2013: 217. Vgl. Detterbeck 2011: 116.
141
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
tens vom Generalsekretär der Partei, weitere Mitglieder sind Vertreter der verschiedenen Unter-, Sonder- und Nebenorganisationen wie Jugendorganisationen, Vereinigungen, Arbeitsgemeinschaften oder Zusammenschlüssen. Auf diese Weise soll bereits vor der Abstimmung auf dem Parteitag ein innerparteilicher Konsens erreicht werden, um Streitigkeiten im Lichte der Öffentlichkeit zu vermeiden.542 Die programmatische Willensbildung und Umsetzung in Programmpapiere umfasst fast alle Parteigliederungen, wird aber gleichzeitig von der Parteiführung mehr oder minder moderiert und gesteuert. Dabei zeigen sich Besonderheiten in allen Parteien, die im Folgenden näher beleuchtet werden. CDU, CSU und FDP achten auf einen programmatischen Ausgleich zwischen ihren Parteigliederungen. In der CDU werden daher insbesondere die eher lose mit der Partei assoziierten Vereinigungen gehört, die ihre Interessen in den Programmpapieren widergespiegelt sehen wollen. Ihr Einfluss ist begrenzt, Ausnahmen bilden am ehesten noch die Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung (MIT) und die Junge Union (JU), die so weit über Kompromisse eingebunden werden, dass kein Streit entsteht.543 Die Parteiführung der CSU, insbesondere ihr Parteivorsitzender, bindet moderierend die CSU-Landtagsfraktion, die CSU-Landesgruppe im Bundestag, die thematischen Arbeitskreise und die Arbeitsgemeinschaften (wie Junge Union und Frauen Union) ein. Dabei werden Austausch und informelle Kompromissverhandlungen zugelassen, solange nach außen Geschlossenheit demonstriert wird.544 Allerdings stellt der Parteivorsitzende meist lange zuvor selbst die Weichen für grundlegende Richtungsentscheidungen, die er teils über die Medien vorwegnimmt oder auf Vorstandsklausurtagungen so bespricht, wie sie sich zuvor in informeller Runde vor dem Gremium als Mehrheitsentscheidung ergeben haben.545 Von der Partei wird ihm meist zugestanden, auch im Alleingang grundlegende Politikwechsel einzuleiten und flexibel auf tagespolitische Entwicklungen zu reagieren, solange sie nicht das Wertefundament der Partei untergraben und nicht zu häufig auftreten.546 Es wird vom CSU-Chef geradezu erwartet, dass der sich als visionärer Ideengeber inszeniert, der eine Idee für die Zukunft Bayerns entwickelt, die Tradition und Moderne verbindet, wie es 542 543 544 545 546
Vgl. Treibel 2012: 13f. Vgl. Bösch 2013: 215. Vgl. Weigl 2013: 151. Vgl. Weigl 2013: 201f., 205. Vgl. Weigl 2013: 237f.
142
4.2.2 Programmatische Entscheidungen
Strauß, Stoiber und auch Seehofer gelang.547 Macht er in diesem Sinne Entscheidungen zur Chefsache, so kann er mit gewissem Risiko die Programmatik seiner Partei stark steuern.548 Auch in der FDP haben die Vereine und Organisationen des lose verbundenen liberalen Vorfeldes zwar programmatische Interessen, aber mit Ausnahme der Jungen Liberalen wenig Einfluss.549 Interessen der JuLis werden im Falle größerer Abweichungen von der Linie der Parteiführung zu einem Konsens verhandelt. In CDU und FDP haben die von den Vorständen eingesetzten Bundesfachausschüsse (CDU) beziehungsweise Fachausschüsse (FDP) den größten Anteil an der vom Vorstand kontrollierten Programmarbeit, da sie die ersten Entwürfe für die Kapitel der Programmpapiere schreiben. Durch die leitende Funktion des Generalsekretärs in der Programmkommission sichern sich die Parteiführungen weiterhin Einfluss auf alle zentralen programmatischen Fragen und die Wahrung des innerparteilichen Friedens durch Kommunikation mit den mittleren Parteieliten und der Basis. Die Programmkommission sortiert darüber hinaus die Anträge der Delegierten vor dem Programmparteitag vor und gibt Abstimmungsempfehlungen im Sinne der Parteiführung.550 In der FDP wählen die Delegierten im partizipativen Alex-Müller-Verfahren selbst, welche Anträge diskutiert werden sollen, wobei die Anträge der vom Vorstand kontrollierten Fachausschüsse weiterhin die besten Chancen auf Behandlung haben, da bereits viele Delegierte daran beteiligt waren.551 Drohen Anträge der Parteiführung eine Abstimmungsniederlage zuzufügen, schaltet sich in der FDP der Parteivorsitzende oder andere Präsidiumsmitglieder ein und halten mit Redebeiträgen ein Plädoyer für ihre Linie, der die Delegierten dann gewöhnlicherweise auch folgen.552 Die Linie der Parteiführung bestimmt demnach größtenteils das Programm. In der CDU gab es bei der Ausarbeitung des Grundsatzprogrammes 2007 zudem die Besonderheit, dass auf Dialogtouren und Regionalkonferenzen die Parteiführung in direkten Kontakt mit der Basis trat, um ihre Linie zu vermitteln. Ziel war weniger die Diskussion bereits feststehender zentraler Punkte, sondern das Werben für Akzeptanz für die vorgegebene Linie unter Umgehung des filternden Einflusses der mittleren Parteieliten.553 Pro547 548 549 550 551 552 553
Vgl. Weigl 2013: 180ff. Vgl. Weigl 2013: 184. Vgl. Treibel 2014a: 105f. Vgl. Walter/Werwath/D’Antonio 2014: 149. Vgl. Treibel 2014a: 97f. Vgl. Treibel 2014a: 96. Vgl. Walter/Werwath/D’Antonio 2014: 147ff.
143
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
grammatische Neuerungen werden seitdem in der CDU nicht mehr von Gremien erarbeitet, sondern von der Parteiführung vorgegeben, über die Programmkommission, Regionalkonferenzen und die Medien den Parteigliederungen und der Basis vermittelt und abschließend von den Delegierten abgenickt.554 In der FDP hat zudem die Bundestagsfraktion einigen Einfluss auf die Programmarbeit, da die Arbeitskreise der Fraktion große Expertise generieren und über den Fraktionsvorsitzenden einfließen lassen.555 Sie unterliegen aber ebenfalls zu großen Teilen der Kontrolle der Parteiführung. In den „linken“ Parteien SPD, Grüne und Linke ist programmatischer Streit in den Flügeln der jeweiligen Partei ein typisches Muster, bei dem es darum geht, welcher Teil der gesellschaftlichen Realität akzeptiert wird und welcher nach den eigenen ideologisch-programmatischen Vorstellungen verändert werden kann.556 Programmatische Impulse kommen daher häufig aus den Flügeln und informellen Strömungen der Partei, die versuchen die inhaltliche Ausrichtung der Partei insgesamt zu prägen.557 In der SPD stehen sich das „Forum Demokratische Linke“ beziehungsweise die „Parlamentarische Linke“ und der „Seeheimer Kreis“ sowie seit einiger Zeit die „Netzwerker“ gegenüber558, bei den Grünen „Realos“ (bzw. „Reformer“) und „Linke“ (bzw. „Fundis“)559 und bei der Linken „Reformer“ und „Orthodoxe“560. In den drei Parteien ist die programmatische Prägung durch die informellen Flügel stärker als durch die formalen Einrichtungen der Partei, wie den Arbeitsgemeinschaften (SPD), der Vorfeldorganisationen und Bundesarbeitsgemeinschaften (Grüne) und der Zusammenschlüsse (Linke) und auch stärker als die formalen programmatischen Einrichtungen der Fraktion in Arbeitsgruppen (SPD) oder Arbeitskreisen (Grüne, Linke).561 Zwar tragen die formalen Einrichtungen ebenfalls zur Textproduktion bei und können Inhalte über Anträge auf den Parteitagen einbringen, Mehrheiten erlangen sie allerdings nur durch die Unterstützung der Flügel.
554 555 556 557 558 559 560 561
Vgl. Zolleis/Schmid 2013: 426. Vgl. Treibel 2014a: 125ff. Vgl. Grunden/Janetzki/Salandi 2017: 21. Vgl. Grunden/Janetzki/Salandi 2017: 64. Vgl. Grunden/Janetzki/Salandi 2017: 84. Vgl. Switek 2015: 175f. Vgl. Oppelland/Träger 2014: 116. Vgl. Grunden/Janetzki/Salandi 2017: 84f, Switek 2015: 166, Oppelland/Träger 2014: 111ff.
144
4.2.2 Programmatische Entscheidungen
In der SPD ist der Flügelstreit derzeit eher schwach ausgeprägt und beschränkt sich auf wirtschafts- und sozialpolitische Themen.562 In der Vergangenheit war der Flügelstreit der SPD für die Programmarbeit sehr prägend, insbesondere nach den Verlusten bei den Bundestagswahlen 2005 und 2009, die wiederholt in der Streitfrage endeten, ob die Hartz-IV-Reformen als sozialpolitische Einschnitte unzumutbar seien oder als erfolgreiche Regierungspolitik galten.563 Unter dem Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel glich sich die programmatische Steuerung der SPD eher der Struktur von CDU, CSU und FDP an. Flügelkämpfe flauten ab und auch die Parteiführung der SPD steuerte stark über die Antragskommission, gab Abstimmungsempfehlungen, kommunizierte ihre Linie über die Medien in die Partei und band die Flügel in informellen Treffen ein.564 Die Grünen unterscheiden sich diesbezüglich bereits deshalb von der SPD, da die Strömungszugehörigkeiten bis in die Parteispitze etabliert sind und Entscheidungen der Parteiführung demnach auch Flügeleinflüssen unterliegen.565 Einigen sich die Spitzenvertreter der Flügel, so hat ein Antrag gute Chancen auf Annahme auf dem Parteitag.566 Allerdings hat der Konflikt zwischen Flügeln auch bei den Grünen zuletzt abgenommen und tritt stärker bei personellen Entscheidungen zutage.567 Auf Parteitagen zu Wahlprogrammen ergibt sich daher eine besondere Situation: Die Antragskommission der Grünen sortiert die Anträge zwar vor, gibt aber keine Abstimmungsempfehlungen.568 Widersprüchliche Anträge müssen von der Antragskommission integriert werden. Weicht ein Antrag stark von der Linie der Parteiführung ab, wird dies im Vorfeld der Parteitage informell zwischen Parteiführung und Antragsteller geklärt, um keinen offenen Streit und die damit kritische Medienberichterstattung zu riskieren.569 Außerdem können Spitzenkandidaten der Grünen in Wahlkampfzeiten argumentieren, dass das Wahlprogramm mit ihren persönlichen Präferenzen vereinbar sein muss. Allerdings gilt das mehr für kritische Einzelfragen, wie zum Beispiel als der grüne Spitzenkandidat Kretschmann im badenwürttembergischen Landtagswahlkampf ausschloss, dass er ein Kruzifix-
562 563 564 565 566 567 568 569
Vgl. Grunden/Janetzki/Salandi 2017: 84f. Vgl. Spier/Alemann 2015: 51f. Vgl. Grunden/Janetzki/Salandi 2017: 69f, 77, Spier/Alemann 2015: 53. Vgl. Switek 2015: 178. Vgl. Switek 2015: 140. Vgl. Switek 2015: 176. Vgl. Switek 2015: 137f. Vgl. Switek 2015: 247f.
145
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
Verbot in Schulen mittragen würde.570 Um der basisdemokratischen Tradition und dem Bedürfnis der Delegierten nach Kontroverse und Diskussion dennoch nachzukommen, werden einige inhaltliche Punkte bewusst offengelassen, was auf Parteitagen immer wieder für Überraschungen sorgt. Allerdings bezieht sich das lediglich auf nachrangige programmatische Fragen, da alle brisanten Forderungen vorab informell ausgehandelt wurden.571 Die Linke schafft es nur, ihren Flügelstreit zu bändigen, wenn die Parteivorsitzenden große Integrationskraft und Autorität besitzen. Ist die Parteiführung stark, so kann sie der Partei mit Hilfe persönlicher Autorität programmatisch den Stempel aufdrücken, wie es zum Beispiel Lothar Bisky, Gregor Gysi oder Oskar Lafontaine gelang.572 Auch moderierend und einbindend, wie unter Katja Kipping und Bernd Riexinger vor der Bundestagswahl 2013 kann das gelingen.573 Die Parteiführung unter Kipping/ Riexinger hat die Partei wieder in etwas ruhigere Fahrwasser geführt, ihre Integrationskraft gilt als verhältnismäßig hoch.574 Ist die Parteiführung allerdings schwach, so bleibt als Ausweg nur, dass die Flügelvertreter programmatische Positionen informell aushandeln und sich auf Kompromisse einigen, was wie beim Erfurter Grundsatzprogramm 2011 durchaus gelingen kann, als Sahra Wagenknecht für die Orthodoxen und Matthias Höhn für die Reformer sich zum Wohle der Partei einigten.575 Der Parteiführung unter Gesine Lötzsch und Klaus Ernst blieb jedoch nur die moderierende Zuschauerrolle. Können sich die Flügelvertreter wiederum nicht einigen, so enden programmatische Vorstöße regelmäßig im Streit, der die Partei stark schädigt und an den Rand des Zerbrechens führt.576 4.2.3 Strategische Entscheidungen Als dritter Entscheidungstyp neben personellen und programmatischen Entscheidungen sind strategische Entscheidungen von Parteien von besonderem Interesse. Wir fokussieren uns auf Koalitionsaussagen im Wahlkampf und Entscheidungen zur Aufnahme von Sondierungsgesprächen und Koalitionsverhandlungen nach der Wahl, weil sie herausragende Be570 571 572 573 574 575 576
Vgl. Switek 2015: 294. Vgl. Switek 2015: 247f. Vgl. Oppelland/Träger 2014: 167f. Vgl. Tils/Raschke 2013: 27, Oppelland/Träger 2014: 181. Vgl. Neugebauer/Stöss 2015: 171. Vgl. Oppelland/Träger 2014: 162f. Vgl. Oppelland/Träger 2014: 71f.
146
4.2.3 Strategische Entscheidungen
deutung für die Ziele der Partei und auch weitreichende Konsequenzen für die innerparteiliche Organisation haben, so unter anderem Personalentscheidungen oder den programmatischen Kurs der Partei. Deutschland gilt als Koalitionsdemokratie, alle Parteien sind nach der Wahl auf Koalitionen angewiesen, sofern sie sich an der Regierung beteiligen wollen.577 Dabei zeichnet sich trotz der generellen Praxis von Koalitionssignalen578 seit der Bundestagswahl 2009 der Trend ab, dass analog zur Etablierung des Vielparteiensystems auf Bundesebene immer weniger Koalitionsaussagen getroffen werden, um sich Machtoptionen nach der Wahl nicht zu verbauen.579 Es kann vermutet werden, dass Koalitionsaussagen auch zukünftig mehr Ausnahme als Regel werden und somit Sondierungsgespräche und Koalitionsverhandlungen als strategische Entscheidungen stärker in den Mittelpunkt rücken. Koalitionsoptionen sowie Vor- und Nachteile von Koalitionssignalen werden in allen Parteien auf Parteitagen zwar diskutiert, sind informell aber stark geprägt durch autonome Entscheidungen der Parteiführung bei gleichzeitig starker Kommunikation in die Partei hinein. Sondierungsgespräche, Koalitionsverhandlungen und Koalitionsbildungen sind informelle Prozesse, die weder im Grundgesetz, noch im Parteiengesetz vorgesehen sind.580 Bisher war bei diesem Entscheidungstyp die Parteiführung der Alleinentscheider.581 Die Parteitage folgten der Parteiführung in Sachen Koalitionssignalen meist kritiklos, um Geschlossenheit zu signalisieren und der Partei kurz vor der Wahl keinen Imageschaden durch Streitigkeiten zuzufügen. Bei der Aufnahme von Sondierungsgesprächen und Koalitionsverhandlungen agierte die Parteiführung bisher autonom und legte dem Parteitag (oder aber allen Mitgliedern, wie die SPD 2013, oder nur dem Vorstand, wie CDU und CSU 2013582) den ausgehandelten Koalitionsvertrag anschließend zur Absegnung vor. Noch nie hat ein Vorstand, Parteitag oder Mitgliederentscheid einer Partei die Zustimmung anschließend verweigert.583 Mittlere Parteieliten und Basis waren bis 2013 von der Entscheidung faktisch meist ausgeschlossen.584
577 578 579 580 581 582 583 584
Vgl. Korte/Fröhlich 2009: 96ff, Decker/Jesse 2013: 9. Vgl. Decker 2009. Vgl. Schoofs 2013: 6. Vgl. Horst 2015: 865. Vgl. Switek 2013: 280, 283. Vgl. Horst 2015: 862. Vgl. Treibel 2012: 14. Vgl. Treibel 2012: 14.
147
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
Nach der Bundestagswahl 2017 zeigten sich allerdings einige Neuerungen: Bei den Grünen entschied ein „kleiner Parteitag“, der Länderrat, nach der Wahl über die Aufnahme von Sondierungsgesprächen mit Union und FDP mit dem Ziel einer so genannten Jamaika-Koalition, die letztlich bereits nach den Sondierungen scheiterte. Das weitere Verfahren sollte beinhalten, dass nach den Sondierungen ein Bundesparteitag über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen entscheide und abschließend ein Mitgliederentscheid über den ausgehandelten Koalitionsvertrag stattfinde. Auch die FDP wollte den ausgehandelten Koalitionsvertrag ihren Mitgliedern zur Zustimmung vorlegen. Die CSU plante eine Abstimmung eines Parteitages oder ebenfalls aller Mitglieder über den Vertrag. Und auch die CDU wollte einen Sonderparteitag über den Vertrag abstimmen lassen. Mithin zeigt sich eindeutig eine Öffnung des Entscheidungstyps für neue Beteiligungen: Die einmal erstrittenen Zustimmungsrechte der Delegierten und der Basis werden in Zukunft kaum rückgängig gemacht werden können, sodass zu erwarten ist, dass die Entscheidungskompetenz sich hier nachhaltig verschiebt und die Parteiführung ihr Entscheidungsmonopol abgibt. Bei CDU, CSU und FDP herrschte bisher weitestgehend ein Konsens darüber, dass strategische Entscheidungen der Parteiführung überlassen werden und hierarchisch von oben entschieden werden.585 Zwar führte die FDP 2005 und 2009 Sonderparteitage zu Koalitionsaussagen durch, die Parteiführung machte dennoch Vorgaben, denen die Partei folgte, um kurz vor der Wahl Geschlossenheit zu demonstrieren.586 Bei den Verhandlungen über die Große Koalition 2013 war zu beobachten, dass die Landesvertreter von CDU und SPD eine wichtige Rolle einnahmen und in vielen Arbeitsgruppen tonangebend waren: Die SPD versuchte durch die Einbindung ihrer Ministerpräsidenten auf deren Kapazitäten zur Generierung inhaltlicher Expertise in den Landesministerien zurückzugreifen, um das Defizit gegenüber den durch CDU-Minister besetzten Bundesministerien der vorherigen schwarz-gelben Koalition auszugleichen.587 Es waren darüber hinaus die Sozialdemokraten und nicht die von basisdemokratischer Tradition geprägten Grünen, die als absolutes Novum einen Schritt in Richtung mehr innerparteiliche Demokratie wagten, als sie nach der Bundestagswahl 2013 die Koalitionsentscheidung für ihre Ba-
585 Vgl. Treibel 2014a: 152, D’Antonio/Werwath 2012: 47, Sturm 2014: 209. 586 Vgl. Treibel 2014a: 93f., 175. 587 Vgl. Sturm 2014: 218.
148
4.2.3 Strategische Entscheidungen
sis öffneten.588 Da es um die unbeliebte Neuauflage der großen Koalition ging, sollte der ausgehandelte Koalitionsvertrag den Mitgliedern zur Abstimmung vorgelegt werden, sodass die Basis darüber entscheiden konnte, ob in ausreichender Form sozialdemokratische Projekte wiederzufinden seien. Die eigentlich als Notlösung geltende Große Koalition erforderte intensive Kommunikation der Parteiführung in Richtung der Mitglieder, um sie von dieser Entscheidung zu überzeugen.589 Nach der Wahl beschloss der Parteikonvent im Einklang mit dem Willen der Parteiführung um dem Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel die Aufnahme von Sondierungsgesprächen mit der Union und die Durchführung eines Mitgliedervotums zur Absegnung des Koalitionsvertrages vor Eintritt in die Koalition.590 Nichtdestotrotz steckte einiges Kalkül hinter dieser Öffnung der Entscheidung für die Mitglieder. Die Idee zum Mitgliedervotum stammte ebenfalls aus der Parteiführung, die damit vor allem diejenigen Parteimitglieder einhegen und überzeugen wollte, die eine erneute Große Koalition ablehnten. Außerdem sollte der potenzielle Koalitionspartner CDU/CSU bereits während der Koalitionsverhandlungen unter Druck gesetzt werden, sozialdemokratische Positionen in ausreichendem Maße zu akzeptieren, da der gesamte Koalitionsvertrag sonst an den Mitgliedern der SPD hätte scheitern können. Sie nutzte den Mitgliederentscheid als klugen Schachzug und behielt die strategische Entscheidung über den Eintritt in die Koalition faktisch bei sich, da der Parteivorsitzende Gabriel unter Akzeptanz eines Risikos darauf baute, dass er zu seinen Gunsten ausfallen würde. Ein Scheitern hätte höchstwahrscheinlich ein Abdanken der Parteiführung und das Karriereende Gabriels nach sich gezogen, der Ausgang war bis zuletzt offen.591 Um das Risiko des Scheiterns nach Möglichkeit zu minimieren, griff die Parteiführung auf Regionalkonferenzen zurück, die der einseitigen Kommunikation von der Parteispitze in Richtung Parteibasis dienten, um diese von dem Vorhaben zu überzeugen und zu sondieren, ob das Mitgliedervotum Erfolg haben würde.592 So zeigt sich in der Gesamtschau, dass die strategische Entscheidung über Sondierungsgespräche und Koalitionsverhandlungen faktisch auch in der SPD stets bei der Parteiführung
588 589 590 591 592
Vgl. Grunden/Janetzki/Salandi 2017: 64. Vgl. Horst 2015: 862. Vgl. Grunden/Janetzki/Salandi 2017: 130ff. Vgl. Spier/Alemann 2015: 65. Vgl. Hilmer/Merz 2014: 203.
149
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
blieb und die Öffnung der Entscheidung für die Basis vorrangig unter taktischen Gesichtspunkten geschah.593 Die faktische Dominanz der Parteiführung zeigte sich auch bereits bei den Sondierungen, die durch wechselseitige Zugeständnisse zwischen dem SPD-Parteivorsitzenden Gabriel und dem CSU-Vorsitzenden Seehofer 2013 erfolgreich gestaltet werden konnten. Weiterhin offenbarte die Zusammensetzung der Verhandlungsgruppen in den Koalitionsverhandlungen die alleinige Entscheidungsmacht der Parteiführung: Neben den drei Parteivorsitzenden Merkel, Gabriel und Seehofer wurde eine Steuerungsgruppe aus den Generalsekretären von CDU (Gröhe), CSU (Dobrindt) und SPD (Nahles) sowie dem Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) und dem parlamentarischen Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann, eingerichtet, die die Verhandlungen maßgeblich gestalteten. Sie leiteten eine größere Runde von 15 Personen, die neben den Parteivorsitzenden und der Steuerungsgruppe aus den beiden Fraktionsvorsitzenden und der CSU-Landesgruppenchefin (Kauder, Steinmeier, Hasselfeldt), dem hessischen Ministerpräsidenten (und stellvertretenden Parteivorsitzenden der CDU) Volker Bouffier, der nordrhein-westfälischen Ministerpräsidentin (und stellvertretenden Parteivorsitzenden der SPD) Hannelore Kraft, der stellvertretenden Parteivorsitzenden der CSU, Barbara Stamm, und der SPD-Schatzmeisterin Barbara Hendricks bestand. Eine noch größere Runde von Bundespolitikern teilte sich in Arbeitsgruppen auf, welche die Vorarbeit für die Entscheidungen in der kleinen Runde, der Steuerungsgruppe und zwischen den Parteivorsitzenden leistete. Dabei verblieb die Aushandlung der strittigsten Fragen und Entscheidungen bei den Parteivorsitzenden.594 Aufgrund der kollektiven Führung bei den Grünen mit getrennten Parteivorsitzenden und Fraktionsvorsitzenden sowie Spitzenkandidaten im Wahlkampf, stellt sich die Frage, wer welchen Einfluss bei Koalitionsentscheidungen ausübt. Zunächst ist allerdings festzuhalten, dass trotz basisdemokratischen Erbes die Entscheidung über Sondierungen und Koalitionen auch bei den Grünen in den Händen der Parteiführung verbleibt, so beispielsweise bei den Koalitionseintritten 1998 und 2002 und auch in jüngerer Vergangenheit bei den Sondierungsgesprächen mit der Union 2013, zu denen zusätzlich der grüne Ministerpräsident Kretschmann und 593 Vgl. Horst 2015: 866. Detterbeck postuliert außerdem, dass diese Einschätzung theoretisch von der Kartellpartei-These gestützt wird, die darin einen allgemeinen Trend in der Entwicklung des neuen Parteientypus sieht; vgl. Detterbeck 2016: 117. 594 Vgl. Horst 2015: 859f, Sturm 2014: 211ff.
150
4.2.3 Strategische Entscheidungen
die stellvertretende Ministerpräsidentin Nordrhein-Westfalens, Sylvia Löhrmann, stießen.595 Bei den bisherigen Koalitionen mit der SPD sind die Delegierten der Führung bei der Bestätigung des ausgehandelten Koalitionsvertrages auf dem Parteitag gefolgt. Aufgrund der Brisanz der neuen Koalitionsoption Schwarz-Grün im Bund setzte sich der Länderrat 2013 mit der Forderung gegenüber der Parteiführung durch, in mögliche Koalitionsverhandlungen mit der Union einbezogen zu werden, wozu es letztlich allerdings nicht kam.596 Tonangebend sind in den Verhandlungen in erster Linie die Parteivorsitzenden, die für das Wahlergebnis verantwortlich gemacht werden, daher die Sondierungsgespräche und Koalitionsverhandlungen führen und dabei die Fraktionsvorsitzenden und die Spitzenkandidaten, so sie nicht ohnehin Parteivorsitzende oder Fraktionsvorsitzende sind, einbeziehen. Die Grünen versuchen auf diese Weise einen Ausgleich herzustellen zwischen der unverfälschten Parteiideologie, die eher durch die Parteivorsitzenden eingebracht wird und dem notwendigen (Regierungs-)Pragmatismus, der in der Verhandlungsrunde durch die darin geübten Fraktionsvorsitzenden vertreten wird.597 Da die Spitzenkandidaten im Wahlkampf öffentlichkeitswirksam für die gesamte Partei sprechen, spielen ihre eigenen Koalitionspräferenzen nach der Wahl eine gewichtige Rolle598: Beispielsweise war Winfried Kretschmann in den Landtagswahlkämpfen in Baden-Württemberg 2011 und 2016 einer Koalition mit der Süd-West-CDU zugeneigt, was zunächst auf einigen Widerstand in der eigenen Partei stieß, sich letztlich aber als erfolgreich erwies. Kretschmann ist seit 2011 Ministerpräsident, zunächst in einer Koalition mit der SPD, seit 2016 mit der CDU als Juniorpartner. Allerdings machte er gegenüber seiner Partei das Zugeständnis, dass er im Wahlkampf nicht offen für eine Koalition mit den Christdemokraten warb, sondern diese lediglich nicht ausschloss. In ähnlicher Weise agierte der Spitzenkandidat Cem Özdemir im Bundestagswahlkampf 2017, der bereits 2013 für eine Koalition mit der CDU plädiert hatte. Durch die Erprobung von schwarz-grünen beziehungsweise grünschwarzen Koalitionen auf Länderebene in Hessen und Baden-Württemberg haben die Vorbehalte des linken Flügels gegen die neue Machtoption abgenommen, sodass die Parteiführung mittlerweile weitestgehend ohne Protest aus der Partei koalitionsoffen in den Bundestagswahlkampf ziehen 595 596 597 598
Vgl. Probst 2015: 155, Switek 2015: 141. Vgl. Switek 2015: 148f. Vgl. Switek 2015: 146. Vgl. Switek 2015: 277f.
151
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
kann.599 Das hat zur Folge, dass die Parteiführung keine prinzipielle Gegnerschaft zu erwarten hat, wenn sie die neue Machtoption Schwarz-Grün oder Schwarz-Gelb-Grün („Jamaika“) auch im Bund in Erwägung zieht. Allerdings bedingen Koalitionssignale jenseits von Rot-Grün noch immer größeren Rechtfertigungsdruck.600 Erfahrungen der Landesebene zeigen den Grünen: Eine vorsichtige Kommunikation in die Partei hinein ist oberstes Gebot in strategischen Fragen, alleine bereits aus dem Grund, dass vor der Wahl keine widersprüchlichen Koalitionssignale gesendet werden dürfen, um nicht an Glaubwürdigkeit einzubüßen.601 Als Sonderfall muss bei der Frage nach Koalitionsentscheidungen im Bund weiterhin die Linke betrachtet werden. Trotz Regierungsbeteiligungen auf Länderebene in den neuen Bundesländern, in Thüringen sogar unter Führung des Ministerpräsidenten Bodo Ramelow als stärkste Partei, ist eine Regierungsbeteiligung im Bund weiterhin ein innerparteilicher Streitpunkt. Der Flügelstreit beeinflusst mithin auch strategische Entscheidungen in der Linken stark. So lehnen große Teile des Flügels der Orthodoxen Regierungsbeteiligungen deshalb weiterhin ab, weil sie das kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftssystem nicht für reformierbar und eine Mitwirkung in staatlichen Institutionen daher für falsch halten.602 Sie sehen ihre Aufgabe ausschließlich darin, gesellschaftlichem Protest eine Stimme im Parlament zu geben. Die pragmatischeren Reformer, die mehrheitlich aus den neuen Bundesländern stammen, argumentieren hingegen, dass zur Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen Regierungsverantwortung übernommen werden muss, auch wenn dabei inhaltliche Kompromissen in Kauf zu nehmen sind.603 Zuletzt hat sich die Linke auf eine Strategie eingependelt, die dem orthodoxen Flügel durch verbale Bekenntnisse zur Opposition entgegenkommt, faktisch aber die Zusammenarbeit mit Grünen und SPD sucht.604 Jesse und Lang beschreiben diese Strategie als „Gratwanderung zwischen der (eher radikalen) Demonstration sozialistischer Ideen und der (eher moderaten) Demonstration politischer Verlässlichkeit“605. So zeigte sich die Linke in Hessen nach der Landtagswahl 2008 dazu bereit, eine rot-grüne Landesregierung zu tolerieren und tat dies in Nordrhein-Westfalen 599 600 601 602 603 604 605
Vgl. Jungjohann 2016: 15. Vgl. Switek 2015: 218. Vgl. Switek 2015: 252f. Vgl. Oppelland/Träger 2014: 116, 130. Vgl. Oppelland/Träger 2014: 141. Vgl. Oppelland/Träger 2014: 147. Jesse/Lang 2012: 277.
152
4.2.3 Strategische Entscheidungen
2010-2012 tatsächlich, obwohl beide Landesverbände unter starkem Einfluss des orthodoxen Flügels stehen.606 Auf Bundesebene wurden im Bundestagswahlkampf 2013 Koalitionssignale der Parteiführung in Richtung SPD und Grünen von den Orthodoxen toleriert, da Sozialdemokraten und Grüne eine Zusammenarbeit mit der Linken bereits ausgeschlossen hatten und eine Regierungsbeteiligung damit praktisch ausgeschlossen war. Im Bundestagswahlkampf 2017 zeigte sich insbesondere unter dem stärkeren Einfluss der Fraktionsvorsitzenden und Spitzenkandidaten Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch, dass erneut Koalitionssignale gesendet wurden, diese aber mit so starken inhaltlichen Bedingungen verknüpft wurden, dass die Bildung einer Koalition erheblich erschwert, wenn nicht sogar unmöglich gewesen wäre. Da eine rot-rot-grüne Mehrheit nach der Wahl aufgrund von schwachen Umfragewerten der Sozialdemokraten bereits im Vorfeld sehr unwahrscheinlich schien und sich die Linke um Geschlossenheit im Wahlkampf bemühte, hielt sich Kritik an den Koalitionssignalen in Grenzen. Würde die Koalitionsentscheidung tatsächlich in greifbare Nähe rücken, ist mit neu aufbrechenden, heftigen innerparteilichen Streitigkeiten zu rechnen.607 Entscheidend in strategischen Fragen scheinen einmal mehr die Fraktionsvorsitzenden Wagenknecht und Bartsch, die sich bei der Aufstellung der Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl 2017 gegen die Parteivorsitzende Kipping durchsetzen konnten. Im Falle realistisch scheinender Sondierungsgespräche müssten sie allerdings einige Integrationsarbeit in die eigene Partei hinein, besonders in Richtung des orthodoxen Flügels, leisten, da es bei der Frage nach einer Regierungsbeteiligung keinen Formelkompromiss, sondern nur ein ja oder nein geben kann.608 Es ist in den Ausführungen zu personellen, programmatischen und strategischen Entscheidungen deutlich geworden, wo die Parteiführung der jeweiligen Parteien das Heft des Handelns in der Hand hält, wo sie zumindest Steuerungsversuche unternimmt, wo sie moderierend einbindet und wo Entscheidungen vollständig von ihr entkoppelt sind. Entscheidungswege und -orte konnten beleuchtet werden, um innerparteiliche Willensbildungs- und Entscheidungsmuster zwischen Hierarchie und Aushandlung zu verdeutlichen. Im dritten Schritt dieses Kapitels folgt nun die Betrachtung von parteiexternen Faktoren, das heißt insbesondere Umwelteinflüs-
606 Vgl. Oppelland/Träger 2014: 152. 607 Vgl. Oppelland/Träger 2014: 153f. 608 Vgl. Oppelland/Träger 2014: 164f, Decker 2017.
153
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
sen, die beschriebenen komplexen Entscheidungsprozesse zusätzlich beeinflussen und einige der Parameter entscheidend verändern. 4.3 Externe Impulse und Kontextfaktoren Impulse und Kontextfaktoren wirken als Stimuli auf die Parteiorganisation, die in ihrer Entscheidungsstruktur abhängig ist von „organisationsexternen und -internen Faktoren“609. Parteiinterne Netzwerke, Steuerungsstrukturen, Entscheidungsorte und Verläufe von Willensbildungsprozessen haben wir bisher dargestellt. Ein vollständiges Bild ergibt sich jedoch erst, wenn die Interaktion mit den eingangs beschriebenen organisationsexternen Faktoren hinzugezogen werden. Wahlen und ihre Ergebnisse beeinflussen die parteiinterne Organisation und damit auch die Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse ebenso wie externe Schocks, Skandale und Krisen, aber auch die ständige Interaktion mit den Medien. Folgende drei organisationsexterne Kontextbedingungen und ihr Wirken auf die innerparteiliche Machtverteilung und Prozesse der Entscheidungsfindung stellen wir stellvertretend dar: erstens Machtkonjunkturen, zweitens Krisen und Skandale sowie drittens Medieninteraktion. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll anhand der einzelnen Bände vergleichend einige exemplarische Erkenntnisse liefern, wie externe Faktoren das Innenleben der deutschen Parteien beeinflussen. Dadurch soll der Blick dafür geschärft werden, wie dynamisch sich Macht, Einfluss und Gelegenheitsstrukturen in Parteien verschieben und folglich auch Willensbildung und Entscheidungsfindung prägen. 4.3.1 Machtkonjunkturen Ist der Wahlkampf gefochten und das Ergebnis steht fest, finden sich die Parteien in unterschiedlichen Rollen wieder. In der „Koalitionsrepublik Deutschland“610 finden sich große Koalitionspartner, kleine Koalitionspartner und Oppositionsparteien. Es finden sich Parteien, die in Regierungsverantwortung bleiben, solche die neu in Regierungsverantwortung gelangen, solche die von der Regierung in die Opposition wechseln und solche die vor und auch nach der Wahl die Oppositionsrolle innehaben. All diese Rollen und Rollenwechsel haben als Kontextfaktoren unterschiedliche Auswirkungen auf die Prozesse innerparteilicher Willensbil609 Vgl. Jun 2010: 13. 610 Korte 2017b: 6.
154
4.3.1 Machtkonjunkturen
dung und Entscheidungsfindung. Wichtig ist dabei auch, ob eine Partei relativ zur vorangegangenen Wahl Stimmen verloren oder hinzugewonnen hat, das heißt ob sie gefühlter Sieger oder Verlierer der Wahl ist. Es zeigt sich, dass Parteien in Regierungsverantwortung eine starke Prägung durch die party in public office, ihre öffentlichen Mandatsträger, erfahren. Die Mehrheitsfraktionen, die die Regierung tragen und mit ihr die „Regierungsformation“611 bilden, haben eine „gouvernementale Mitverantwortung“612, das heißt sie delegieren die politische Führung an die Regierungsmitglieder. Die starke Hinwendung der Regierungsparteien zum Staat sowie ihr Zugriff auf staatliche Ressourcen, zum Beispiel der Ministerialbürokratie und auch der privilegierte Zugang zu den Medien, schafft Einflussvorteile der party in public office gegenüber dem party central office.613 Grunden hat herausgearbeitet, dass „Parteien im Regierungsalltag hinter Regierungsakteure zurücktreten“614. Erklärtes Ziel dieses Prozesses ist, dass Regierungsvertreter ihre Ämter zum Wohle der Partei nutzen sollen, das heißt Inhalte umsetzen sollen (policy-seeking) und dadurch mit Blick auf die nächste Wahl neue Stimmen für sich gewinnen sollen (voteseeking). Parteizentralen erhalten dann eine größtenteils auf den Wahlkampf eingeschränkte Funktion und werden von innerparteilichen Entscheidungsprozessen teils ausgeschlossen.615 Das hat allerdings erhebliche Folgen für die innerparteiliche Willensbildung: Programmatische Impulse stammen in Regierungsparteien zum Großteil aus der Ministerialbürokratie, sodass die Bedeutung der Parteigremien sich verringert und sie größtenteils als nachträgliche Legitimationsstelle für die Initiativen der Regierung fungiert.616 Das Machtzentrum der Partei verschiebt sich temporär, die Partei und auch die Fraktion agieren in Regierungszeiten wie eine Art Aufsichtsrat eines Konzerns: Wenn Umfragewerte dauerhaften Tiefstand anzeigen oder Wahlniederlagen eintreten, schreitet die Partei ein, übt starke Kontrolle über den Kurs der Regierenden, agiert als Vetospieler und bildet im Extremfall das Kabinett um.617 Die Dominanz der party in public office und die Kontrollfunktion der anderen Parteigliederungen in Regierungszeiten kann bei allen vergangenen Regierungsparteien CDU, CSU, SPD, FDP und Grünen gleicherma611 612 613 614 615 616 617
Vgl. Grunden 2009: 65. Korte/Fröhlich 2009: 96. Vgl. Detterbeck 2016: 116. Grunden 2009: 152. Vgl. Detterbeck 2016: 116f. Vgl. Grunden 2009: 152. Vgl. Grunden 2009: 92, 152.
155
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
ßen beobachtet werden. In der CDU war die Loyalität zu Kanzlerin Merkel spätestens seit 2005 durch wiederholte Wahlerfolge und die dauerhafte Stellung als stärkste Regierungspartei sehr groß.618 Der Kurs der Partei war mindestens bis 2017 klar von der exekutivdominierten Parteiführung vorgegeben, die aus Akteuren gebildet wurde, die in Personalunion im Präsidium sowie im Kanzleramt und diversen Bundesministerien sowie Staatskanzleien verschiedener Bundesländer saßen und gestützt wurden durch ihre Bundestagsfraktion. Die Partei nahm sich stark zurück, wobei anzumerken ist, dass dies kein Dauerzustand ist, sondern sich das Machtgefüge ändern könnte, sobald Wahlniederlagen eintreten. Nach den starken Verlusten für CDU und CSU bei der Bundestagswahl 2017 beispielsweise, schienen Selbstverständlichkeiten im langjährigen Machtgefüge der Partei zunehmend infrage gestellt. Auch die SPD ist traditionell stark exekutivgesteuert durch Bundesminister, Ministerpräsidenten der Länder und die Fraktion im Bundestag. Eine Ausnahme bildete im Jahr 2017 der Parteivorsitzende Schulz, der aus wahltaktischen Gründen im Bundestagswahlkampf 2017 ohne öffentliches Amt besser zur Attacke auf die Regierungspartner CDU/CSU geeignet war, als die Amtsinhaber der Koalitionsregierung. Die Partei verhielt sich im Wahlkampf trotz schlechter Umfragewerte ruhig, was sich in Ansätzen nach der Bundestagswahl 2017 bereits zu ändern schien, da ein historisch schlechtes Ergebnis eingefahren wurde. Noch stärker zeigte sich dieses Muster in der Regierungszeit des SPD-Kanzlers Schröder, der seiner Partei quasi im Alleingang einen radikalen Kurswechsel in der Arbeitsmarktpolitik verordnete.619 Die Partei trat hinter der Regierung zurück. Er stellte die Partei auf eine harte Probe, da die Regierungslinie teils im Widerspruch zu traditionellen Grundwerten der Parteiidentität zu stehen schien.620 Schröder warf seine gesamte Autorität und sein Amt als Bundeskanzler in die Waagschale, um bei der nachträglichen Legitimation durch die Partei nicht zu scheitern.621 Besonders interessant zu beobachten ist die Dynamik der Exekutivsteuerung der Parteien in Regierungszeiten bei den Grünen, deren Basis und Parteitagsdelegierte aus parteikulturellen Gründen sehr darauf achten, die Werte und Ideale der Partei nicht im Regierungspragmatismus zu ver-
618 619 620 621
Vgl. Tils/Raschke 2013: 21, Walter/Werwath/D’Antonio 2014: 157. Vgl. Grunden/Janetzki/Salandi 2017: 115ff. Vgl. Grunden/Janetzki/Salandi 2017: 117. Vgl. Grunden/Janetzki/Salandi 2017: 121.
156
4.3.1 Machtkonjunkturen
lieren.622 Zahlreiche Vorkehrungen wurden getroffen, um dieser Tendenz Einhalt zu gebieten, wie etwa die Trennung des Parteivorsitzes von öffentlichen Ämtern. Nichtsdestotrotz verlagerte sich das Machtzentrum auch bei den Grünen in der Regierungszeit 1998-2005 in die party in public office: Bundesaußenminister Joschka Fischer und der Fraktionsvorsitzende Rezzo Schlauch etablierten informelle Treffen mit Bundeskanzler Gerhard Schröder und steuerten von dort aus die Regierungspolitik und Parteientscheidungen. Genauso wie andere Regierungsparteien verlor die Parteizentrale mit den beiden Vorsitzenden an Einfluss und segnete bereits getroffene Entscheidungen im Nachhinein ab.623 Einmal mehr zeigt sich, dass die Grünen ihre formalen und informellen Parteistrukturen durch mehrere Reformen stark denen der anderen Parteien angepasst haben, da sich die meisten der strengen Kontrollmechanismen in der Praxis nicht auszahlten.624 Allerdings ist die Dominanz der party in public office nicht allein ein Merkmal von Regierungsparteien. Auch in der sich dauerhaft in der Opposition befindenden Linken versuchte die Fraktionsführung Einfluss über den Kurs der Partei zu erlangen und die Parteivorsitzenden zu entmachten, so etwa 2005-2009 unter den Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi und Oskar Lafontaine und auch unter den Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch, insbesondere gegenüber der Parteivorsitzenden Katja Kipping.625 Wie bei den Grünen besteht im Regelfall keine Personalunion der öffentlichen und den innerparteilichen Spitzenämter. Allerdings besteht weiterhin ein geteilter Einfluss zwischen party in public office und party central office, da der Kontextfaktor Oppositionspartei weit weniger Machtverschiebung bedingt als es Parteien in Regierungsverantwortung erfahren. Da die Partei in der Opposition nicht in Verantwortung steht, ihre Programmatik auch umzusetzen, stößt eine von den Parteigliederungen erarbeitete, stärker reformorientierte Programmatik nicht auf Widerstände eines Pragmatismus, der Regierungsparteien prägt. Die Partei hat keinen Anreiz, hinter eine Oppositionsfraktion zurück zu treten. Und die Oppositionsfraktion kann ihre Ziele der Ämtervergabe erfüllen, ohne dass sie programmatische Kompromisse eingehen müsste, da die Inhalte letztlich nicht umgesetzt werden müssen und sie sich nicht von den Wählern an der Umsetzung messen lassen muss. 622 623 624 625
Vgl. Switek 2015: 212, 356. Vgl. Switek 2015: 173f. Vgl. Probst 2013a: 175. Vgl. Oppelland/Träger 2014: 126f.
157
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
Der Kontextfaktor Regierungsbeteiligung hat allerdings noch eine weitere Auswirkung auf die innerparteiliche Willensbildung. Grunden hat festgestellt, dass „für die Trennung zwischen Regierungsmitgliedern auf der einen und Fraktion bzw. Partei auf der anderen Seite […] die schleichende ‚Sozialisation‘ von Ministern und Staatssekretären durch die eigene Bürokratie [entscheidender ist]. Im Regierungsalltag haben sie meist mehr Kontakt zu ihren Beamten als zu Parlamentariern und Funktionären der eigenen Partei. Regierungsmitglieder genießen so nicht nur einen Informationsvorsprung, sondern sie neigen auch dazu, Sachfragen vom Standpunkt der Wünsche und Interessen des eigenen Hauses zu beurteilen. Parteipolitische Logik weicht zunehmend administrativer Logik“626.
Für Regierungsmitglieder erfolgt eine Abweichung vom Kurs der Partei nicht nur aus wahltaktischen Gründen, also aus dem Willen heraus, ihr erlangtes Amt zu halten, sondern sie hat allgemein eine Art Regierungspragmatismus erfasst. Die Partei – insbesondere die Basis und die horizontalen Parteigliederungen – wachen darüber, dass die Ideale der Partei sich in der Programmatik, zum Beispiel in Programmpapieren, Parteitagsund Vorstandsbeschlüssen wiederfinden, während die Regierungsmitglieder daran interessiert sind, ihren Pragmatismus einzubringen und damit den Interessen ihres Ministeriums zu dienen sowie nichts zu versprechen, was sie im Amt nicht halten können. Der Kontextfaktor Regierungspartei kann neben der Parteikultur daher als Erklärungsversuch für die reformerische Zurückhaltung insbesondere der Unionsparteien herhalten, da diese mehr als alle anderen Parteien in Regierungsverantwortung standen, Regierungsmacht als priorisierte Zielvorstellung pflegen und langjährig durch sie geprägt sind.627 Machtkonjunkturen bringen nicht nur neue Regierungen ins Amt, sondern auch neue Oppositionskräfte hervor. Für die innere Organisation einer Partei kann eine (neu anzutretende) Oppositionsrolle insbesondere nach einer Wahlniederlage zur Zäsur werden. Machtkonjunkturen sind Medaillen mit zwei Seiten. Nur die eine Seite der Medaille sind gute Wahlergebnisse und die Erlangung von Regierungsmacht: Sie schaffen Gelegenheiten, programmatische Ziele umzusetzen sowie durch Gratifikationen und Ämtervergabe die Ziele einzelner Mitglieder zu befriedigen und auf Seiten der Parteiführung Loyalität zu generieren sowie Autorität
626 Grunden 2009: 89. 627 Vgl. Walter/Werwath/D’Antonio 2014: 155.
158
4.3.1 Machtkonjunkturen
für die Steuerung der Parteiorganisation aufzubauen. Die Parteiführung erhält mehr Entscheidungsmacht und Steuerungsfreiheit. Die andere Seite der Medaille sind Wahlniederlagen und eine möglicherweise anschließende Oppositionsrolle: Sie bieten Gründe, an der Führungsqualität der Parteiführung zu zweifeln, die durch den Verlust von Ressourcen Steuerungseinbußen hinnehmen muss. Für die vertikalen und horizontalen Gliederungen der Partei öffnet sich ein Gelegenheitsfenster, um ihren Einfluss geltend zu machen. Die Flügel können programmatische Neuausrichtungen fordern, um Wählerstimmen zurück zu gewinnen, die Landesverbände können sowohl programmatisch wie auch personell Ansprüche anmelden, um alte Führungsstrukturen aufzulösen. Anschaulich verdeutlicht werden die innerparteilichen Konsequenzen von Machtkonjunkturen in Oppositionsparteien am Beispiel der Neuorganisation der CDU nach der Übernahme des Parteivorsitzes durch Angela Merkel im Jahr 2000. Zwar befand sich die Union bereits seit 1998 wieder in der Opposition, die Parteispendenaffäre sorgte allerdings für turbulente Jahre und viele Personalrochaden, was sich erst nach der Übernahme des Parteivorsitzes durch Merkel beruhigte und die neue innerparteiliche Führungskonstellation festigte. Die Parteivorsitzende stand zunächst vor der Herausforderung, die Neuorganisation der Parteizentrale zum strategischen Zentrum zu bewältigen, sodass die Ministerpräsidenten einen Machtzuwachs in der programmatischen Willensbildung erfuhren.628 Der Verlust der Bundesministerien wertete die Landesministerien zu Zentren der Generierung von policy-Expertise auf, was sich beispielsweise in Initiativen zur Neuausrichtung der Bildungspolitik zeigte.629 Einige Zeit sorgte dies für innerparteiliches Machtgerangel, bei dem sich die Landesvorsitzenden, unter ihnen einige Ministerpräsidenten, bei der Nominierung des Unions-Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber an Stelle der Parteivorsitzenden Merkel durchsetzen konnten.630 Erst nach der verlorenen Bundestagswahl 2002 vereinte Merkel den Partei- und den Fraktionsvorsitz in Personalunion und gewann gegenüber den Landesfürsten wieder an Einfluss, auch da sie nun Zugriff auf die inhaltliche Expertise der Fraktionsmitarbeiter hatte, mehr mediale Aufmerksamkeit genoss und im Fraktionsvorstand loyale Mitstreiter installieren konnte, die ihr in informellen Runden als Machtbasis dienten.631 Die Verbindung von Parteivorsitz und 628 629 630 631
Vgl. Walter/Werwath/D‘Antonio 2014: 111f. Vgl. Walter/Werwath/D‘Antonio 2014: 112. Vgl. Walter/Werwath/D‘Antonio 2014: 115f, D’Antonio/Werwath 2012: 50. Vgl. Walter/Werwath/D‘Antonio 2014: 122, 124.
159
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
Fraktionsvorsitz ist in Oppositionszeiten ein gewichtiger Vorteil zur Steuerung und Neuausrichtung der Partei, weil durch Ämtervergabe Loyalitäten geschaffen werden können, die sich bei zentralen Richtungsentscheidungen der Parteiführung im Wettstreit mit den erstarkten Ministerpräsidenten auszahlen.632 Da die Ministerpräsidenten nach 2002 keine einheitliche Linie mehr fanden und ab 2009 einige Wahlniederlagen auf Landesebene folgten, erhielt Merkel zunehmenden Einfluss auf die programmatische Ausrichtung der Partei und legte die Grundsteine für ihre langjährige Führungsrolle.633 Auch bei den Grünen zeigten sich Machtkonjunktur-Zyklen zwischen Regierungs- und Oppositionsrolle: War in den 1990er Jahren die Fraktion stark tonangebend,634 so verlagerte sich die Entscheidungsmacht mit dem Regierungseintritt 1998 in informelle Runden der Bundesminister, insbesondere um den Außenminister Joschka Fischer.635 Der Flügelkonflikt der Partei wurde in der Regierungszeit zugunsten der „Realos“ eingefroren. Nach der Rückkehr in die Opposition war die Macht der Flügel wieder ausgeglichener und die Fraktionsvorsitzenden wurden wieder einflussreicher. Daneben haben in den letzten Jahren die Landesverbände an Einfluss gewonnen, da mehr und mehr Grüne auf Landesebene an Landesregierungen beteiligt sind.636 Seit 2011 haben die Vertreter grüner Landesregierungen unter Hinzuziehung der Fraktionsvorsitzenden und Parteivorsitzenden des Bundes die so genannte G-Runde als eine Koordinierungsrunde in Anlehnung an lange bestehende Strukturen in CDU und SPD etabliert und professionalisiert, um dem gestiegenen Koordinationsbedarf der höchst unterschiedlichen Koalitionen mit grüner Beteiligung auf Landesebene untereinander und gegenüber den Bundes-Grünen vor Bundesratssitzungen Rechnung zu tragen.637 Im Zuge der Professionalisierung dieser Koordinierungsrunde übernahmen die Vertretungen Nordrhein-Westfalens und Baden-Württembergs 2012 die Leitung, die zuvor der Bundestagsfraktion oblag. Der Einfluss der Landesverbände gegenüber der Bundestagsfraktion wuchs mithin an diesem zentralen Entscheidungsort der Partei stark an. Insbesondere der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann prägt programmatische und personelle Entscheidungen in
632 633 634 635 636 637
Vgl. D’Antonio/Werwath 2012: 43. Vgl. D’Antonio/Werwath 2012: 50f. Vgl. Switek 2015: 160. Vgl. Switek 2015: 173, 177. Vgl. Switek 2015: 159. Vgl. Jungjohann 2016: 35.
160
4.3.2 Krisen und Skandale
der G-Runde stark mit und leitet die Runde inzwischen.638 Nach dem mageren Wahlergebnis bei der Bundestagswahl 2013, der machtlosen Oppositionsrolle gegenüber einer Großen Koalition im Bund und dem folgenden Wechsel im Parteivorstand wurde die Bundesebene gegenüber der Landesebene weiter geschwächt.639 Das Ausscheiden der Grünen aus der nordrhein-westfälischen Landesregierung 2017 dürfte den Einfluss Kretschmanns in der G-Runde weiter gesteigert haben. Nur eine Regierungsbeteiligung der Bundesgrünen nach der Bundestagswahl 2017 hätte diese Einflussverschiebung wieder stärker in Richtung der Bundesebene bewegen und die Machtkonjunktur um einen weiteren Wechsel ergänzen können, was mit dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen allerdings ausblieb.640 4.3.2 Krisen und Skandale Ähnlich wie Machtkonjunkturen durch Wahlergebnisse wirken sich Krisen auf die innerparteiliche Organisation aus – zumal besonders schlechte Wahlergebnisse als innerparteiliche Krisen interpretiert werden können. Abseits von Wahlergebnissen gibt es andere Ereignisse, die das innerparteiliche Gefüge erschüttern, wie etwa der Parteispendenskandal der CDU kurz vor der Jahrtausendwende oder der erstmalig verpasste Einzug der FDP in den Bundestag 2013, der wiederum direkte Folge des historisch schlechten Wahlergebnisses und dennoch ein zusätzlicher Schock war. Krisen können Führungsstrukturen infrage stellen. Gleichzeitig gilt: Krisensituationen schaffen Gelegenheitsfenster für politische Führung.641 Es lassen sich kaum allgemeingültige Aussagen über die Auswirkungen von Krisen auf die innerparteiliche Organisation treffen, da sie stark von der Art der Krise und den Umständen der involvierten Individuen abhängt. Die Autorität von einzelnen Führungspersonen oder einer ganzen Führungsgeneration kann infrage gestellt werden, da insbesondere unter den aktiven Mitgliedern der Eindruck entsteht, dass die zentralen Ziele der Partei in nachhaltiger Gefahr sind, wie der verpasste Einzug der FDP in den Bundestag 2013 zeigt. Nach der historischen Zäsur des Scheiterns an der Fünf-Prozent-Hürde bei der Bundestagswahl 2013 ergaben sich zunächst zwangsläufig Ver638 639 640 641
Vgl. Switek 2015: 159. Vgl. Jungjohann 2016: 46. Vgl. Jungjohann 2016: 58. Vgl. Glaab 2013: 355.
161
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
schiebungen in der innerparteilichen Organisation und Machtverteilung: Die fünf FDP-Bundesministerien waren ebenso Geschichte wie die FDPFraktion mit ihren 93 Parlamentariern und circa 500 Mitarbeitern, was das schlagartige Verschwinden von einflussreichen Quellen inhaltlicher Expertise bedeutete.642 Auch die politische Führung der Partei zog ihre Konsequenzen, indem der Parteivorsitzende Rösler ebenso wie das gesamte Präsidium und der Vorstand seinen Rücktritt einreichte, was einem innerparteilichen Erdbeben gleichkam. Die Aussichten auf den Verlust der medialen Sichtbarkeit im Parlament und den Verlust von personellen und finanziellen Ressourcen machten eine vollständige Neusortierung des innerparteilichen Gefüges unabdingbar.643 Es war folgerichtig, dass eine Aufwertung der Landesverbände stattfand, die die Lücke in der Führung zu schließen versuchten. Der nordrhein-westfälische Fraktions- und Landesvorsitzende Christian Lindner wurde neuer Parteivorsitzender und machte damit seinen Kurs des ausgeglichenen Liberalismus gegenüber dem stärker marktradikalen Kurs anderer Parteimitglieder zur Parteilinie. Die Partei folgte ihm, wählte seine Unterstützer Wolfgang Kubicki und MarieAgnes Strack-Zimmermann als stellvertretende Vorsitzende sowie Nicola Beer als neue Generalsekretärin und machte damit die personelle und auch leichte programmatische Neuausrichtung perfekt, die bereits durch das von Lindner als Generalsekretär ausgearbeitete Grundsatzprogramm von 2012 angeklungen war.644 Die Rückfalloption auf die Landesverbände als Machtfaktoren nach dem Schock des Ausscheidens aus dem Bundestag verschob damit die innerparteilichen Abläufe zur Willensbildung temporär, was sich nach dem Wiedereinzug in den Bundestag 2017 möglicherweise erneut in Richtung einer Dominanz der party in public office auf Bundesebene mit einem Fraktionsvorsitzenden Christian Lindner verändern könnte. 4.3.3 Mediendemokratie Medienkompetenz gilt in der Mediendemokratie als Machtfaktor.645 Politische Akteure ringen um Deutungshoheit, werben um Zustimmung ihres Publikums und zielen damit auf die Machtressource Legitimation.646 Aber
642 643 644 645 646
Vgl. Niedermayer 2015: 127. Vgl. Niedermayer 2015: 127. Vgl. Niedermayer 2015: 129f. Vgl. Korte/Fröhlich 2009: 100. Vgl. Grunden 2009: 97.
162
4.3.3 Mediendemokratie
nicht nur die Kommunikation von Politikern über ausdifferenzierte und zunehmend auch webbasierte, soziale Medien hat sich verändert. Korte und Fröhlich haben herausgestellt, dass die Mediendemokratie als externer Faktor Einfluss auf die innere Organisation von Parteien hat, sie prägt Entscheidungsstrukturen auf zwei Arten mit:647 Erstens bedingt sie eine Machtverschiebung von den mittleren Parteieliten hin zur Parteiführung. Politikvermittlung und mit ihr einhergehende Legitimitätsbeschaffung wird zunehmend direkt über die Medien praktiziert, insbesondere über Statements im Fernsehen und im Internet. Das entwertet das Delegiertenwesen der Partei, das in der Vergangenheit als Filter zwischen Parteiführung und Basis beziehungsweise Wählern fungierte und den politischen Deutungen der Parteiführung eine Zwischenebene einschob, auf der eigene Interessen einfließen konnten. Funktionäre, Gremien und Delegierte haben diese Kontrollfunktion eingebüßt, da sich die Rezipienten der politischen Statements mittlerweile stärker am medienvermittelten Meinungsklima orientieren. Zweitens wird die politische Diskussion allgemein stärker durch eine Fernseh- und Medienrealität bestimmt. Insbesondere programmatische Diskussionen stehen unter starkem Einfluss der Medienberichterstattung, die zu Personalisierung und Zuspitzung neigt, um ihrer eigenen Aufmerksamkeitslogik648 zu entsprechen. Im Gegenzug versuchen Parteien sich daran anzupassen, indem sie Darstellungs- und Showpolitik intensivieren, was zulasten programmatischer Unterschiede und ideologischen Diskussionen geht. Wahltaktische Ziele gewinnen so ein größeres Gewicht gegenüber inhaltlichen Debatten und Programmen. Die beiden Punkte zusammenfassend führt Grunden weiter aus, dass insbesondere die Beschleunigung der Medienberichterstattung „die Trennungslinie zwischen Parteibasis und Regierungsmitgliedern bzw. Parteispitze weiter vertieft“649 hat, da die mittlere Funktionärsebene nicht mit dem Tempo der Mediendemokratie mithalten kann. Langwierige programmatische Diskussionen in Gremien werden auf der Überholspur der Statements von Spitzenpolitikern in Interviews und Talkshows entwertet und ohne Kontrollmöglichkeit der Parteigliederungen zur Legitimation durch die Wählerschaft freigegeben. Die Digitalisierung könnte diesen Trend
647 Vgl. Korte/Fröhlich 2009: 101. 648 Grunden erläutert die Funktionslogik der Medien, die in Bezug auf politische Botschaften auch ökonomischen Gesichtspunkten folgt: „Die Reichweite und der Neuigkeitswert einer politischen Botschaft finden genauso Berücksichtigung, wie die anvisierten Zielgruppen und die formatgerechte Präsentation“; Grunden 2009: 98. 649 Grunden 2009: 92.
163
4. Interaktionsmuster der Willensbildung und Entscheidungsfindung
noch verstärken. Verlierer der professionalisierten Medieninteraktion ist daher die Mitgliederorganisation in unteren Gliederungsebenen bis zur Basis. Als „dezentrale Amateurvereinigung“650 ist sie der Medienpräsenz der Parteispitzen nicht gewachsen. Zudem wird Druck auf die Delegierten ausgeübt, der Linie der Parteiführung zu folgen, da in der Medienlogik öffentliche Diskussionen um Aussagen der Parteiführung umgehend als Kritik an der Autorität der Person dargestellt werden, was das Bild der Partei in der Öffentlichkeit weiter beschädigt. Dennoch darf der Einfluss der Medien nicht überschätzt werden. „Mediendemokratie ist kein Synonym zur Mediokratie“651, in der politische Macht von den Medien dominiert und gesteuert wird. Zwar sind Politiker gezwungen, darstellerisch tätig zu werden und ihre Strategien an Medienund Aufmerksamkeitslogik anzupassen. Dennoch sind die Mechanismen der Willensbildung und Entscheidungsfindung zu einem wesentlich größeren Teil von den hier bereits ausführlich erläuterten innerparteilichen Strukturen abhängig, als vom Umweltfaktor Mediendemokratie: „Noch ersetzt die Talkshow nicht den Ortsverein.“652 Um den Umwelteinfluss der Medieninteraktion besser zu kontrollieren und wahltaktische Ziele nicht zu gefährden, vergrößert sich die Lücke zwischen Entscheidungs- und Darstellungspolitik: Es erfolgt eine Verlagerung von Entscheidungen in nichtöffentliche Gremien. Die reale Entscheidung kann in einem informellen Telefonat, bei einem Frühstück oder am Rande einer Besprechung gefallen sein, die formale Vorstandssitzung dient häufig lediglich der Absegnung und der Einigung auf die gemeinsame Sprachregelung. Echte Entscheidungssituationen verlagern sich in informelle Runden. Auch nimmt die Parteiführung per Telepolitik Entscheidungen über die Medien vorweg, um direkte Legitimation durch die Wählerschaft zu erhalten und die eigenen Parteigremien zu umgehen. Die nachgelagerten Parteigremien akzeptieren das, um öffentliche Geschlossenheit zu demonstrieren, obwohl es zulasten einer breiteren Partizipation und damit der innerparteilichen Demokratie geht.653 Ein Beispiel aus der Regierungspraxis veranschaulicht dies: In der dritten Großen Koalition (2013-2017) wurde mit Blick auf die Medienlogik fast ein Jahr lang auf die Einberufung eines Koalitionsausschusses verzichtet, da allein die Einberufung dieses informellen Klärungstreffens in 650 651 652 653
Vgl. Poguntke 2002: 273. Grunden 2009: 98 (Hervorhebung im Original). Korte/Fröhlich 2009: 102. Vgl. Grunden 2009: 92.
164
4.3.3 Mediendemokratie
den Medien bereits als Zeichen für Unstimmigkeiten zwischen den Koalitionspartnern gegolten hätte. An Stelle des Koalitionsausschusses trafen sich die drei Parteivorsitzenden Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel in nichtöffentlicher, informeller Runde, um Absprachen zu treffen. Die Parteivorsitzenden konnten darauf bauen, dass ihre Parteien ihnen folgen würden, sodass mit Blick auf die Medieninterpretationen auf den Koalitionsausschuss verzichtet worden ist. Erst als der Klärungsbedarf zwischen den Führungsmitgliedern so stark anwuchs, dass ein Treffen sich nicht mehr vermeiden ließ, wurde der Ausschuss einberufen, wobei gegenüber der Presse lanciert wurde, dass es sich nur um eine Plauderrunde handele, die keine Tagesordnung besäße.654
654 Vgl. Horst 2015: 857, Bannas 2014.
165
166
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen
Wie bereits vielfach angeklungen, bilden die Wähler die zentrale Umwelt für Parteien. Sie entscheiden an der Wahlurne über die Gewichte zwischen den Parteien und über die Ausgangssituation für die Regierungsbildung. Es wurde bereits thematisiert, dass die Parteien auf der einen Seite Einflüssen unterliegen, die sie selbst nicht steuern können. Gesellschaftliche Konflikte und gesellschaftlicher Wandel folgen eigenen Gesetzmäßigkeiten, dasselbe gilt für die Aufmerksamkeit und Bedeutung einzelner Themen. Auf der anderen Seite sind Parteien nicht determiniert von diesen Entwicklungen. Ob und wie ein gesellschaftlicher Konflikt aufgegriffen oder wie ein virulentes Thema in der Parteiprogrammatik behandelt wird, bleibt Sache der Parteien. Externe Einflüsse werden in der Parteiorganisation verarbeitet, gefiltert und gedeutet. Der Zusammenhang von Wählerebene und Parteiorganisation zeigt sich am deutlichsten in Wahlkampfzeiten an Fragen der Wahlkampforganisation. Hier treffen Parteiakteure entlang der für den Wahlkampf geschaffenen Organisationsstrukturen Entscheidungen über die Wähleransprache. Wie insgesamt in der Parteiorganisation zeigen sich im Kleinen die Merkmale einer Partei als Ganzes, wenn, um nur ein Beispiel zu nennen, die parteiinternen hauptamtlichen Kommunikationsexperten mit Hilfe externer Dienstleister und Agenturen Strategien entwickeln, bei denen aber wiederum Vertreter der Parteigruppierungen mitreden wollen. Somit besteht ein zirkulärer Zusammenhang: Veränderungen im Parteiensystem und in der parteiinternen Organisation hängen mit verändertem Wahlverhalten zusammen, das aber zugleich auf Veränderung der Wahlkampforganisation und -strategien auf Seiten der Parteien reagiert. Das folgende Kapitel zeigt diesen Zusammenhang in einem Dreischritt auf: Zunächst legen wir dar, wie die Wahlergebnisse und die Wählerstruktur der Parteien des Bundestags sich seit 1949 gewandelt haben und thematisieren, wie weit die vier klassischen Ansätze zur Einordnung von Wählerverhalten heute noch greifen können. Das soziologische und das sozialpsychologische Erklärungsmodell, das Modell des rationalen Wählers sowie das Modell der sozialen Milieus stoßen vor dem Hintergrund der viel zitierten Protestwähler, sich wandelnder gesellschaftlicher Kon-
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen
fliktlinien sowie schwindender Parteibindung und -identifikation an ihre Grenzen. In einem zweiten Schritt werden die theoretischen Schlussfolgerungen mit den Resultaten der Bundestagswahl 2017 und den sich daraus ergebenden Veränderungen für die deutsche Parteiendemokratie kontrastiert, um schließlich einen Einblick in die parteiinternen Reaktionen auf diese Veränderungsprozesse zu geben: veränderte Wahlkampfstrategien, -organisation und -instrumente im Bundestagswahlkampf 2017, mit einem Schwerpunkt auf der Einordnung des TV-Duells, das in der Forschung als Kristallisationspunkt des Wahlkampfs gesehen wird. 5.1 Entwicklung der Wählerstruktur Blicken wir auf die Entwicklung der Parteiendemokratie in Deutschland stellen sich zunächst einige grundsätzlich Fragen: Wie haben sich Wahlergebnisse und Wählerstruktur der deutschen Parteien seit ihrem jeweiligen Eintritt in den Bundestag gewandelt? Und wie kann man den Wandel im Wahlverhalten (noch) erklären, wenn Parteibindung und -identifikation nachlassen und die Frage wer mit wem koalieren kann, zunehmend wahlentscheidend wird? Für die Beantwortung dieser Fragen existiert nicht die Theorie menschlichen Verhaltens. Soll Verhalten erklärt werden, so ist eher der Verlauf der Entscheidungsfindung vor dem Hintergrund kurz- oder langfristiger, emotionaler und rationaler, bewusster und unbewusster Einflüsse zu untersuchen, als die Entscheidung selbst. Nur auf diesem Weg können Erklärungen aus der Wahlsoziologie für die parteiinterne strategische Entwicklung des Wahlkampfes nutzbar gemacht werden. Zu diesem Zweck haben sich vier Erklärungsmodelle zum Wählerverhalten etabliert, die zwar teilweise aufeinander aufbauen, jedoch deutlich unterschiedliche Schwerpunkte655 setzen: erstens das soziologische Erklärungsmodell, zweitens das sozialpsychologische Erklärungsmodell, drittens das Modell des rationalen Wählers (rational-choice) sowie viertens das Modell der sozialen Milieus. Der soziologische oder sozialstrukturelle Erklärungsansatz von Wählerverhalten unterteilt sich in das mikrosoziologische Erklärungsmodell auf der einen Seite, das vor allem mit dem Namen des Soziologen Lazarsfeld und dessen Mitarbeitern Berelson und Gaudet (Columbia University) ver-
655 Vgl. zur ausführlichen Darlegung der vier Erklärungsmodelle und zum „Wert der Wahl in einer Demokratie“: Weissenbach/Korte 2006.
167
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen
bunden ist,656 und auf der anderen Seite dem makrosoziologischen Erklärungsansatz von Lipset und Rokkan, die auf Lazarsfelds Erkenntnissen aufbauen und Wahlverhalten auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene betrachten.657 Die 1890 von Simmel aufgestellte Theorie der sozialen Kreise658 bildet die Grundlage des mikrosoziologischen Ansatzes, der ursprünglich den Wechsel politischer Einstellungen und Wahlabsichten im Laufe des US-Präsidentschaftswahlkampfes untersuchen sollte. Mehrere soziale Kreise – wie Familie, Freundeskreis oder Arbeitsplatz – umgeben das Individuum. Diese Annahme hat Lazarsfeld auf den Wähler übertragen, der sich demzufolge in bestimmten Kontexten bewegt. Die individuelle Wahlentscheidung ist nach Lazarsfeld beeinflusst von sozioökonomischem Status, Religionszugehörigkeit und Wohnort. Werden die Normen dieser sozialen Kreise eingehalten, so erfolgen positive Sanktionen in Form von Integration. Da die im sogenannten ‚Columbia Modell’ suggerierte Homogenität der Gruppen in modernen Gesellschaften de facto nicht gegeben ist, der Einzelne aber mit seiner Umwelt in einem spannungsfreien Verhältnis leben möchte, ergibt sich zudem ein negativer Anpassungsdruck, der sich kontrollierend auf das Verhalten des Wählers auswirkt. Diese Zugehörigkeit zu unterschiedlichen, manchmal diametral entgegengesetzten sozialen Einflusskreisen wird als cross pressure bezeichnet:659 „Je gleichgerichteter die Wahlnormen derjenigen Gruppen, denen der einzelne Wähler angehörte, desto geringer die Wahrscheinlichkeit einer individuell abweichenden Wahlentscheidung. Überlagerten sich beim Wähler jedoch einander widersprechende Loyalitätsforderungen (…), reagierte er im Allgemeinen mit der Reduzierung des politischen Interesses und der zeitlichen Herauszögerung der Wahlentscheidung.“660
Der Schwerpunkt dieses Erklärungsmodells liegt auf dem Individuum als Mittelpunkt konzentrischer sozialer Einflusskreise. Stabiles, über längere Zeiträume konstantes Wahlverhalten kann hiermit gut veranschaulicht werden – jedoch wird es kurzfristigen Veränderungen im Wahlverhalten nicht gerecht.
656 657 658 659 660
Vgl. Lazarsfeld/Berelson/Gaudet 1944. Vgl. Lipset/Rokkan 1967. Vgl. Simmel 1890. Vgl. Roth 1998: 23ff. Korte 2005: 89.
168
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen
Der makrosoziologische Ansatz von Lipset und Rokkan hebt die Gruppenkonflikte des mikrosoziologischen Ansatzes auf die Ebene grundsätzlicher gesellschaftlicher Konflikte, die es in einer Demokratie im Gleichgewicht zu halten gilt. Da die grundsätzlichen Spaltungen in der Geschichte aller Gesellschaften Europas in unterschiedlicher Art und Weise die Quelle für das Aufkommen nationaler Parteiensysteme waren, galt es „ein allgemeines Modell zu finden, das den Übergang von der ‚Struktur der Spaltungen über das System der Parteien bis hin zu den Verteilungen individueller Verhaltensweisen’ ermöglicht“661. Vier dieser Spaltungen – cleavages oder Konfliktlinien – stehen hierbei im Mittelpunkt der Betrachtung: erstens herrschende, zentrale Elite (Zentrum) vs. abhängige ethnische, sprachliche und religiöse Bevölkerungsgruppen in den Regionen (Peripherie); zweitens säkularisierender Machtanspruch des Staates (Staat) vs. historisch erworbene Privilegien der Kirche (Kirche); drittens agrarische (Land) vs. kommerziell-industrielle Interessen (Stadt) sowie viertens besitzende Klasse (Kapital) vs. Arbeiterklasse (Arbeit). Der sozialpsychologische oder auch individualpsychologische Ansatz analysiert den Wähler im Gegensatz zum soziologischen Ansatz nicht in seinem gesellschaftlichen Kontext, sondern rückt das Individuum selbst in den Fokus. Nach Ansicht der Ann Arbor School hat die individuelle Wahrnehmung und Entscheidung einen ausschlaggebenden Stellenwert bei der Wahl. Zudem nimmt die individuelle Parteiidentifikation Einfluss auf die Wahlentscheidung. Es sind also unterschiedliche lang- und kurzfristige Einflüsse auf den Einzelnen und nicht mehr soziostrukturelle Determinanten, die eine Rolle spielen. Mittels der drei Einflussfaktoren Parteiidentifikation, Kandidatenorientierung und Orientierung an Sachfragen möchte der sozialpsychologische Ansatz kurzfristige Wahlentscheidungen erklären. Hierbei ist die Variable Parteiidentifikation der Kern des Ansatzes: „Die PI [Parteiidentifikation] als eine Art psychologische Parteimitgliedschaft ist demzufolge als Destillat eines Kausaltrichters (funnel of causality) zu verstehen, in den als vorgelagerte Faktoren die persönlichen Erfahrungen und politischen Orientierungen des bisherigen Lebens eingeflossen sind.“662 Das heißt, die Parteiidentifikation – als dauerhafte, fortwährende Orientierung – bleibt häufig in der Familie, überträgt sich also von Generation zu Generation und ver-
661 Rokkan, zit. nach: Roth 1998: 28. 662 Roth 1998: 37.
169
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen
festigt sich zudem mit steigendem Alter. Nur bei einschlägigen persönlichen oder politischen Ereignissen räumt der sozialpsychologische Ansatz einen Wandel der Parteiidentifikation ein. Im Zentrum des Rational-Choice-Ansatzes, des rationalen Wahlverhaltens, steht das individuelle Kosten-Nutzen-Kalkül. Es sind also weniger sozialstrukturelle Variablen oder eine starke Parteibindung, die wahlentscheidend wirken, sondern das rationale Urteil mündiger Bürger. Nach Key, der an vorangegangen Erklärungsansätzen den Mangel – ja sogar die Abwertung – menschlicher Rationalität kritisiert, entscheidet der Einzelne für sich im Rückblick über seine Wahl, indem er abwägt, ob die zuletzt regierende Partei ihm und seinem Land gute oder schlechte Dienste geleistet hat.663 Fallen diese Überlegungen – und durchaus auch der Vergleich zur vorhergehenden Regierung – positiv aus, entscheidet sich der Wähler bewusst für eine Wiederwahl oder eben nicht. Bei der Wahlentscheidung des rationalen Wählers spielen sowohl perzipierte als auch antizipierte Ergebnisse der Politik eine Rolle. Während Keys Modell, als ein Ansatz des rationalen Wählers, ausschließlich die Summe aller Leistungen der Regierung für wahlentscheidend befindet, differenzieren andere Modelle nach Politikfeldern. Ein Klassiker der Rational-Choice-Ansätze ist Downs ökonomische Theorie der Demokratie um den egoistischen homo oeconomicus, der stets seine eigenen Interessen verfolgt und andere diesen im Zweifel unterordnet.664 Der rationale Wähler wählt nach Downs also jene Partei, die für ihn den größten Nutzen bewirkt. Nicht das politische Konzept steht im Mittelpunkt der Wählerentscheidung, sondern der individuelle, größtmögliche Nutzen, den diese Partei abwirft. Diese Modelle konnten in vergangenen Wahlanalysen immer wieder ihre Bedeutung unter Beweis stellen.665 Unter der Oberfläche bleibt jedoch häufig der Einbezug von regionalen Unterschieden, sozialen Milieus, veränderten Verhaltensweisen und Einstellungen der Wähler vor dem Hintergrund eines sich vollziehenden Wertewandels. Mit dem Ansatz der sozialen Milieus versucht seit den 1980er Jahren das Sinus-Institut, diese Lücke zu schließen, indem es die Wähler neun sozial-moralischen Milieus zuteilt und somit einen neuen Zugang zu der Erklärung von Wahlverhalten eröffnet.666 Hierbei entsprechen die sozialen 663 664 665 666
Vgl. Key 1961. Vgl. Downs 1957. Vgl. Falter/Schoen 2014. Vgl. Bremer/Lange-Vester 2007.
170
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen
Milieus nicht zwingend ökonomisch definierten sozialen Schichten, sondern identifizieren sich durch eine fundamentale Wertorientierung, die Einfluss nimmt auf persönlich vorherrschende Lebensstile und Lebensstrategien. Werden diese klassischen Erklärungsansätze des Wählerverhaltens der Entwicklung der Wählerstruktur der deutschen Parteien seit ihrem Eintritt in den Bundestag (noch) gerecht? Welche Rolle spielt der Wandel gesellschaftlicher Konflikte, Veränderung in der Parteibindung und -identifikation und veränderte Koalitionsoptionen der Parteien bei der Einschätzung der Wählerstruktur – und daraus folgend für die innerparteiliche Entscheidung für oder gegen eine Wahlkampfstrategie? 5.2 Wahlbeteiligung, Wahlergebnisse und Zugewinne für neue Parteien Zunächst ist festzuhalten, dass die Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen (siehe Abbildung 3) seit ihrem Höhepunkt mit 91,1 Prozent im Jahr 1972 auf Beteiligungswerte zwischen 70 und 83 Prozent in den Jahren 1990 bis 2017 gesunken ist. Die Wahljahre 2009 (70,8 %) und 2013 (71,5 %) verzeichnen dabei den Tiefstand der Beteiligung bei Bundestagswahlen. Der Wettbewerb zur Bundestagswahl 2017 zwischen sechs (bzw. inklusive der CSU zwischen sieben) Parteien hat sich offenbar auf die Wahlbeteiligung ausgewirkt und markiert nun mit 76,2 Prozent Beteiligung eine deutliche Trendwende nach oben. Allerdings existieren regionale Unterschiede: Niedrigere Beteiligungsquoten sind meistens in den neuen Ländern zu finden. Vor allem in Mecklenburg-Vorpommern (70,9 Prozent) und in Sachsen-Anhalt (68,1 Prozent) fiel auch diesmal die Beteiligung sehr niedrig aus.667 Die höchsten Wahlbeteiligungsquoten weisen mit 78,1 Prozent in Bayern und 78,3 Prozent in Baden-Württemberg die südlichen Länder auf. Inwieweit ist die Steigerung bei der Wahlbeteiligung auf die neue Partei AfD zurückzuführen? Mobilisierende Wirkung haben rechtspopulistische Parteien dann, wenn sie Positionen einnehmen, die andere Parteien vernachlässigen.668 So sind Nichtwähler besonders häufig niedriger gebildet, einkommensschwach und erwerbslos oder in prekären Arbeitsverhältnissen zu finden.669 Analysen der Bundestagswahl 2013 haben gezeigt, dass 667 Vgl. Dinter et al. 2017. 668 Vgl. Mouffe 2005. 669 Vgl. Kaeding et al. 2016.
171
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen
Parteien ihre Aktivitäten in den Stadtvierteln, in denen besonders viele Nichtwähler wohnen, deutlich zurückfahren und in beteiligungsstärkeren Gegenden intensiver Wahlkampf betreiben.670 Wähler reagieren auf dieses Angebotsdefizit und wählen dann die Partei, die ihnen räumlich wie auch inhaltlich näher ist. Somit können rechtspopulistische Parteien nicht nur Protestwähler mobilisieren, sondern zusätzliche Bürger, die vormals in der Parteienlandschaft keine Heimat gefunden hatten. Durch ihre stark von den etablierten Parteien divergierende Programmatik sorgen sie außerdem dafür, dass der Wettbewerb um die Wahl als polarisierter wahrgenommen wird, was den Wahlberechtigten suggeriert, dass nun mehr auf dem Spiel steht.671 Abbildung 3: Beteiligung an Bundestagswahlen
Quelle: Eigene Darstellung. Daten: Bundeswahlleiter.
Eine langfristige Übersicht über die Wahlergebnisse und die Wählerstruktur der deutschen Parteien seit ihrem Eintritt in den Bundestag ermöglicht einen empirischen Zugang zu Fragen nach Veränderung in Parteibindung und -identifikation und veränderten Koalitionsmöglichkeiten (siehe Abbildung 4).
670 Vgl. Roßteutscher/Schäfer 2016: 466. 671 Vgl. Immerzeel/Pickup 2015: 353.
172
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen
Abbildung 4: Ergebnisse ausgewählter Parteien bei Bundestagswahlen (Zweitstimmen, 1949-2017 in Prozent)
Quelle: Eigene Darstellung. Daten: Bundeswahlleiter.
Niedermayer teilt die Entwicklung des deutschen Parteiensystems in sechs Phasen ein.672 Nach der nationalsozialistischen Diktatur und dem Zweiten Weltkrieg beginnt die Wiederbelebung des freien Parteienwettbewerbs in der Bundesrepublik Deutschland mit einer Neuformierungsphase. Während einige Parteien (wie SPD und KPD) an die Weimarer Republik anknüpfen, gibt es auch erfolgreiche Neugründungen. Vor allem die CDU legt mit der Öffnung über ihr katholisches Kernmilieu hinaus zu christlich-religiös orientierten Wählern sowie mit dem Mittelweg einer sozialen Marktwirtschaft ein Fundament ihres Erfolgs. Auch die Liberalen überwanden mit der neugegründeten FDP ihre traditionelle Spaltung. In den ersten Bundestag zogen zehn Parteien ein. Mit zwei Dritteln der Mandate für CDU/CSU und SPD sowie einem Ergebnis von 13 Prozent für die FDP zeichnete sich bereits früh eine Zweiparteiendominanz in einem Dreiparteiensystem ab. An die Neuformierung schloss eine Phase der Konsolidierung an, bei dem die Zahl der im Parlament vertretenen Parteien, die Fragmentierung sowie die Polarisierung abnahmen und sich eine gewisse Asymmetrie zugunsten der Union herausbildete. Als „Wahlwunder“ wird in der Literatur 672 Vgl. Niedermayer 2013.
173
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen
häufig der triumphale Wahlsieg der Union 1953 bezeichnet.673 Mit 45,2 Prozent der Stimmen erreichte die Union eine knappe absolute Mehrheit der Mandate. Als Regierungspartei nutzte die Union den gesellschaftlichen Wandel für sich und absorbierte mit einer Integrationsstrategie das bürgerlich-konservative Kleinparteienspektrum. Die Sozialdemokratie konnte ihre Stimmenanteile parallel dazu kontinuierlich ausbauen. Mit dem Bad Godesberger Grundsatzprogramm von 1959 vollzog die SPD zugleich einen ideologischen Wandel und verkörperte mehr pragmatisch-linke Positionen. Beide Parteien entwickelten sich in der Folge zu schichtübergreifenden und mitgliederstarken Großparteien (auch catch-all parties oder Volksparteien genannt674). Die Sozialistische Reichspartei (als Sammelbecken ehemaliger Nationalsozialisten) und die Kommunistische Partei Deutschlands wurden vom Bundesverfassungsgericht verboten. In den sechziger und siebziger Jahren schloss sich die Phase eines Dreiparteiensystems (teilweise auch als Zweieinhalb-Parteiensystem bezeichnet) an, in der zwischen 87 und 94 Prozent der Mandate auf die beiden Großparteien CDU/CSU und SPD entfielen. Die Bedeutung der kleineren FDP zeigte sich aber bei der Regierungsbildung, da aufgrund fehlender absoluter Mehrheiten stets Koalitionen notwendig waren. Galten anfangs Union und Liberale als ‚natürliche’ Koalitionspartner, öffnete sich die FDP nach der ersten Großen Koalition hin zur Sozialdemokratie. In den 1980er vollzog sie wiederum den Schwenk zurück zur Union, mit der sie dann vier Legislaturperioden gemeinsam regierte. Entsprechend wurden die Liberalen als Königsmacher oder Zünglein an der Waage, im negativen Sinne aber auch als „Umfallerpartei“675 charakterisiert. In den 1980er Jahren deutet sich mit der Etablierung der Grünen eine Pluralisierung an. SPD und Union zeigten Mobilisierungsschwächen, von denen vor allem die kleineren Parteien profitierten. Die aus den Studentengruppen, Neuen Sozialen Bewegungen, Bürgerinitiativen und zerfallenden linken Kleinparteien entstehenden Grünen lehnten anfangs Regierungsbeteiligungen ab, entsprechend konfliktbeladen fielen die ersten Landesregierungen mit der SPD aus. 676 Vor allem durch die deutsche Wiedervereinigung ergab sich ein Schub für das Parteiensystem. Für die erste gesamtdeutsche Bundestagswahl 1990 wurde eine Sonderregelung getroffen: Bundesrepublik und ehemalige DDR galten als getrennte Wahlgebie673 674 675 676
Vgl. Korte 2017a: 47. Vgl. Kirchheimer 1965. Treibel 2014a: 82. Vgl. Switek 2015.
174
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen
te.677 Das hatte zur Folge, dass die kandidierenden Parteien nur in einem Gebiet mit ihren Stimmen die Fünfprozentmarke überschreiten mussten, um in den Bundestag einziehen zu können. Diese Regelung, die dazu gedacht war, Parteien, die nur in den neuen Bundesländern kandidierten oder sich dort besonders engagierten, den Einzug in den Bundestag zu erleichtern, wurde zum Rettungsanker für eine Partei, die in den alten Bundesländern schon etabliert war: Da Bündnis 90/Die Grünen aus Ost und Die Grünen West keine Listenverbindung eingegangen waren und die WestGrünen im Gegensatz zu ihren ostdeutschen Parteifreunden die Fünfprozenthürde nicht bewältigten, war die Bundestagspolitik von Bündnis 90/ Die Grünen ausschließlich eine Sache der ostdeutschen Abgeordneten. Die Herausbildung der PDS als Nachfolgerin der ehemaligen Staatspartei der DDR (SED) markierte den Beginn einer allmählichen Herausbildung eines fluiden Fünfparteiensystems. Durch die Fusion der PDS mit der SPD-Abspaltung WASG gelang der Partei der Sprung in die alten Bundesländer (wobei in der Partei weiterhin ein starkes innerparteiliches Ost-West-Gefälle existiert). Durch die Etablierung der Grünen bzw. Bündnis 90/Die Grünen sowie der PDS bzw. der Linken veränderten sich programmatische Rahmenbedingungen wie Koalitionsmöglichkeiten: Während die 60er und 70er lange vom „Zweieinhalb-Parteiensystem“ bestehend aus CDU/CSU, SPD und FDP geprägt waren, manifestierte sich mit dem Eintreten der Grünen in den Bundestag ein „Zwei-Blöcke-System“ (CDU/CSU und FDP vs. SPD und Bündnis 90/Die Grünen), das ab 1990 mit Eintritt der PDS in den Bundestag aufgeweicht wurde.678 In den Jahren 1998 und 2002 erzielten SPD und Grüne eine Regierungsmehrheit, seitdem sind die Chancen auf eine rot-grüne Mehrheit allerdings rapide gesunken und scheinen nach der Bundestagswahl 2017 insbesondere aufgrund der Schwäche der Sozialdemokratie weiter entfernt denn je. Die von Niedermayer gewählte Beschreibung fluide bezieht sich dabei auf mehrere Charakteristika:679 Die Wähler fühlen sich weniger an einzelne Parteien gebunden und sind eher bereit, ihr Wahlverhalten zu ändern. Dadurch steigt die Volatilität, was die Mehrheitsverhältnisse nach Wahlen unberechenbarer macht. In der Konsequenz werden dadurch auch die Machtoptionen fluider. Auf Ebene der Bundesländer, die gewissermaßen als „Testlabore“ gelten, experimentierten die Parteien mit neuen Bündniskonstellationen und Regierungsformaten. Niedermayer konstatiert bereits für 2009 677 Vgl. Korte 2017a: 49. 678 Vgl. Oppeland/Träger 2014. 679 Vgl. Niedermayer 2013: 120f.
175
176
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen
einen Typwechsel des deutschen Parteiensystems hin zu einem pluralistischen System.680 Zwar sank 2013 noch einmal die Zahl der Fraktionen im Bundestag auf vier, allerdings gelang der FDP 2017 die Rückkehr ins Parlament und auch die 2013 gegründete AfD schaffte im zweiten Anlauf den Sprung über die Fünfprozenthürde. Erstmals seit 1953 setzt sich der Bundestag damit wieder aus sechs Fraktionen zusammen (siehe Abbildung 5). Die Konsequenzen für die Regierungsbildung wurden direkt sichtbar: Vor dem Hintergrund des anfänglichen Widerstrebens der SPD gegenüber einer Fortsetzung der Großen Koalition sondierten Union, FDP und Grüne über die Premiere einer so genannten Jamaika-Koalition auf Bundesebene. Nach dem Scheitern der Sondierungen ließen die Mehrheitsverhältnisse zwischen den sechs Fraktionen nicht viele Optionen, sodass die SPD unter starken Druck geriet, sich trotz ihrer mehrfachen Absagen doch noch für eine Fortsetzung der Großen Koalition zu öffnen, die mittlerweile auf nur noch etwa 53,5 Prozent der Stimmen zusammengeschrumpft war. Abbildung 5: Im Bundestag vertretene Fraktionen (1949-2017) ´49
´53
´57 ´61 ´65 ´69 ´72 ´76 ´80 ´83 ´87 ´90 ´94
´98
´02
´05 ´09 ´13
´17
Christlich-Demokratische Union Deutschlands / Christlich-Soziale Union Bayern Sozialdemokratische Partei Deutschlands Freie Demokratische Partei Deutsche Partei Zentrum KPD
GB/BHE
Grüne / Bündnis 90/Die Grünen PDS / LINKE AfD
BP WAV DKP/DR P SSW
Quelle: Dinter et al. 2017: 59. Anmerkung: KPD – Kommunistische Partei Deutschlands; BP – Bayernpartei; WAV – Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung; DKP/DRP – Deutsche Konservative Partei/Deutsche Rechtspartei; SSW – Südschleswigscher Wählerverband; GB/BHE – Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten; PDS / Linke – Partei des Demokratischen Sozialismus / Linkspartei; AfD – Alternative für Deutschland.
Ob sich ein ‚fluides Sechsparteiensystem’ langfristig institutionalisieren wird, bleibt abzuwarten. Die Tatsache jedoch, dass nach der Bundestags-
680 Vgl. Niedermayer 2013: 124f.
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen
wahl 2017 mit CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/ Die Grünen, Linke, FDP und AfD sechs Parteien (bei separater Betrachtung der CSU sogar sieben Parteien) in den 19. Deutschen Bundestag eingezogen sind (siehe Abbildung 6), hat nicht nur die Struktur der Parteiendemokratie in Deutschland verändert. Diese Veränderung der Vielfalt und Konkurrenz im Parteiensystem und nicht zuletzt das Agenda-Setting einer neuen Partei rechts von der CDU/CSU681 in der deutschen Parteiendemokratie hat sich unmittelbar auf die Wahlkampforganisation und die strategischen Wahlkampfentscheidungen der Parteien im Vorfeld der Wahl ausgewirkt. Abbildung 6: Sitzverteilung nach der Bundestagswahl 2017
Quelle: Deutscher Bundestag.
Wie aufgezeigt, haben sich die deutsche Parteiendemokratie und das Parteiensystem seit 1949, ebenso wie die Koalitionsoptionen der einzelnen Parteien kontinuierlich gewandelt. Gerade bei den neu hinzugekommenen Parteien Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen können wir einen Wandel der Wählerschaft, der Über- und Unterrepräsentation unterschiedlicher sozialer Gruppen sowie eine Veränderung der Hochburgengebiete feststellen. Im Folgenden werden die Ergebnisse bei Bundestagswahlen nach Alter und Geschlecht je Partei betrachtet, um einen Überblick über die Wählerstruktur der in dieser Reihe behandelten Parteien zu bekommen. Einerseits werden dadurch spezifische Konstitutionsbedingungen für die Mitgliedschaft wie auch für die Entscheidungsfindung einer Partei sichtbar, ande681 Vgl. Böhmer/Weissenbach 2018.
177
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen
rerseits stellen sich dadurch Fragen der Repräsentation und sozialen Verankerung.682 Abbildung 7: Ergebnisse bei Bundestagswahlen nach Altersgruppen und Geschlecht (CDU/CSU, seit 1972)
Quelle: Eigene Darstellung. Daten: Bundeswahlleiter.
Bei den Unions-Wählern wird auf den ersten Blick deutlich, dass die CDU vor allem bei älteren Wählern durchgehend überdurchschnittlich abschneidet (siehe Abbildung 7). Vor allem bei Wählerinnen über 60 Jahre finden sich gute Werte. Hier erzielte man seit 1972 fast regelmäßig eine absolute Mehrheit. Nach 1990 verliert die Union allerdings erkennbar an Zuspruch bei den Über-Sechzigjährigen. Jedoch zeigte sich bei den Wählerinnen hier bereits ab 2005 eine Trendumkehr, was möglicherweise Angela Merkel als erster weiblicher Kanzlerin geschuldet ist. In der Altersgruppe von 45-60 sind Wählerinnen und Wähler im Zeitverlauf ohne große Divergenzen nah beisammen. Auf- und Abschwünge vollziehen sich symmetrisch. Weniger attraktiv ist die Union hingegen bei Jungwählern zwischen 18 bis 25 und 25 bis 35, wo sie unterdurchschnittlich abschneidet. Insbesondere jüngere Wähler, welche die CDU 2009 nicht wiedergewählt haben, sind dabei sogar der Gruppe der langfristig verlorenen Wähler zuzuordnen.683 Auch in diesen Altersgruppen erreicht die Union aber mehr weibli682 Vgl. Wiesendahl 2017. 683 Vgl. Kulick 2011: 208.
178
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen
che als männliche Wähler. Bei der Bundestagswahl 2017 zeigten sich beim Wahlverhalten nach sozialen Gruppen keine Überraschungen.684 Das bekannte Muster wird bestätigt, indem die Union umso besser abschneidet, je älter die Wähler sind. Allerdings verlor sie überdurchschnittlich bei den Wählern mittleren Alters und hier vor allem bei den Männern. Dilling betrachtet die sozialstrukturelle Zusammensetzung des CDUVorstands über Zeit und thematisiert, inwieweit Repräsentationsgarantien dabei helfen, innerparteiliche Spannungen zu entschärfen und bestimmte Gruppen stärker an die Partei zu binden.685 Diese dienen als Signal an bestimmte Wählergruppen und sind Reaktionen auf sich verändernde politische Konfliktlinien und Themen. Der Frauenanteil im CDU-Bundesvorstand nahm mit dem Aufkommen der Frauenbewegung und der Grünen zu, das konfessionelle Gleichgewicht ließ hingegen mit dem Abflauen des Konfessionskonflikts nach: „Schließlich unterstreicht die regionale Integrationskraft des Parteivorstandes und die Überrepräsentation kleinerer, vor allem ostdeutscher, Landesverbände die föderale Struktur der CDU. Im Beobachtungszeitraum waren Frauen, Protestanten und Ostdeutsche im CDU-Bundesvorstand dadurch weniger stark unterrepräsentiert als dies von der Zusammensetzung der Mitgliedschaft her zu erwarten gewesen wäre.“686
Bei der SPD fielen die Abweichungen zwischen den Altersgruppen seit 1972 deutlich geringer aus als bei der Union (siehe Abbildung 8). Bei der Bundestagswahl 1987 war ihr Ergebnis beispielsweise für alle Altersstufen so gut wie ausgeglichen. Auffällig ist die Entwicklung bei den 25 bis 35-jährigen männlichen Wählern. In den 1970er Jahren schnitt die SPD dort überdurchschnittlich gut ab, nach 1990 verlor sie in dieser Gruppe rapide an Zustimmung. Vor allem die Wahl 2009 sticht heraus, da die SPD dort vor allem bei der Gruppe der Jungwähler massiv an Zuspruch verlor. 2009 und 2013 schnitt sie bei männlichen und weiblichen Wählern über 60 Jahre besonders gut ab, wodurch sich die SPD der Wählerstruktur der Union annäherte. Das sind ähnliche Prozesse, wie sie sich auch bei der SPD-Mitgliedschaft zeigen687: Mehr als die Hälfte der sozialdemokratischen Mitglieder ist inzwischen über sechzig Jahre alt, nicht einmal zwölf Prozent sind unter 36 Jahre alt. Sozialstrukturell dominieren mittlerweile Rentner und Pensionäre: 684 685 686 687
Vgl. Neu/Pokorny 2017: 22. Vgl. Dilling 2017. Dilling 2017: 116. Vgl. Micus/Walter 2017: 72f.
179
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen „Wie auch schon bei den CDU-Wählern, sind auch die loyalen SPD-Wähler die vergleichsweise ältesten und mit 54 Jahre nur geringfügig jünger als die loyalen CDU-Wähler. Die langfristig abgewanderten SPD-Wähler sind mit durchschnittlich 47 Jahren die jüngste Gruppe und die kurzfristig abgewanderten liegen mit durchschnittlich 51 Jahren ziemlich genau zwischen den beiden Gruppen.“688
Abbildung 8: Ergebnisse bei Bundestagswahlen nach Altersgruppen und Geschlecht (SPD, seit 1972)
Quelle: Eigene Darstellung. Daten: Bundeswahlleiter.
Bei der Bundestagswahl 2017 verlor die SPD gleichmäßig über alle Altersgruppen hinweg deutlich an Zuspruch. Allerdings fielen die Verluste bei den männlichen Wählern etwas größer aus als bei den Wählerinnen.
688 Vgl. Kulick 2011: 209.
180
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen
Abbildung 9: Ergebnisse bei Bundestagswahlen nach Altersgruppen und Geschlecht (FDP, seit 1972)
Quelle: Eigene Darstellung. Daten: Bundeswahlleiter.
Bei der Schicksalswahl 2013, bei welcher der FDP erstmals seit Gründung der Bundesrepublik nicht der Einzug in den Bundestag gelang, gestaltet sich der Absturz der Partei in der Wählergunst in allen Altersgruppen gleich massiv. Bemerkenswert dabei ist aber, dass die Partei rein auf die männlichen Wähler bezogen die Fünfprozenthürde übersprungen hätte. Es waren die weiblichen Wähler, bei denen die Partei 2013 unterdurchschnittliche Werte erzielte. Das ist ein Muster, was sich seit 1972 durch die Wahlergebnisse der FDP zieht. Einzig bei der Bundestagswahl 1980 war die Partei für weibliche Wähler durchgehend attraktiver als für männliche Wähler. In den 1970er Jahren verfügten die Liberalen über eine hohe Attraktivität bei Jungwählern, vor allem in der Altersgruppe zwischen 25 und 35 Jahren. In den 1980er und 1990er Jahren verschob sich das in die Gruppen der 35 bis 45-jährigen und 45 bis 60-jährigen, erst 2005 und 2009 wuchsen wieder die Sympathien bei den Jungwählern – hier allerdings verstärkt bei den männlichen Wählern. Bemerkenswert bei dem gelungenen Wiedereinzug in den Bundestag 2017 ist der massive Zuwachs an männlichen jungen Wählern. In der Altersgruppe der 18 bis 25jährigen erzielte die neu aufgestellte FDP ein Ergebnis von 16,7 % (6 Prozentpunkte über ihrem Gesamtergebnis). Auch 2017 zeigt sich wieder,
181
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen
dass die Liberalen bei männlichen Wählern überdurchschnittlich abschneiden, wobei sich dieser Effekt in höheren Altersgruppen abschwächt. Abbildung 10: Ergebnisse bei Bundestagswahlen nach Alter und Geschlecht (Bündnis 90/Die Grünen, seit 1980)
Quelle: Eigene Darstellung. Daten: Bundeswahlleiter.
Fragen der Gleichstellung von Frau und Mann berühren den Kern der grünen Parteiidentität. Das äußert sich nicht nur durch inhaltliche Schwerpunktsetzungen in Grundsatz- und Wahlprogrammen von Bündnis 90/Die Grünen, sondern auch in den Organisationsstrukturen. Gerade die von den feministischen Wurzeln abgeleiteten organisatorischen Instrumente wurden in den zahlreichen Reformrunden der Partei nicht angetastet.689 Noch immer legen die Grünen eine strenge Quotierung von Ämtern und Listen zugrunde. Weiterhin gibt es bei der Bundespartei einen eigenen Bundesfrauenrat zur Koordination frauenpolitischer Arbeit. Beides führt zu erkennbaren Konsequenzen für den Frauenanteil in der Wählerschaft, in der Parteimitgliedschaft und in der Bundestagsfraktion der Grünen. Hinsichtlich einer Repräsentationslogik deutet sich ein bemerkenswerter Zusammenhang an:690 Seit der ersten Bundestagswahl stieg der Anteil weiblicher Wähler kontinuierlich an (mit der einzigen Ausnahme der Wahl 2002) und lag ab 1990 stets über 50 Prozent. Es ist anzunehmen, 689 Vgl. Probst 2013b. 690 Vgl. Switek 2017.
182
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen
dass die hohe Zahl weiblicher Bundestagsabgeordneter zu einer hohen Attraktivität der grünen Partei bei weiblichen Wählern führt. Dieser Zusammenhang zeigt sich allerdings am deutlichsten zwischen Mandatsträgern und Wählern, wohingegen der Frauenanteil in der Parteimitgliedschaft fast 20 Prozentpunkte niedriger ausfällt.691 Verknüpft man die Merkmale Geschlecht und Alter, so zeigt sich, dass vor allem in den jungen Altersgruppen von 18 bis 35 Jahren mehr Frauen als Männer die Grünen wählten. In den höheren Altersgruppen lag hingegen der Anteil der männlichen Wähler über den weiblichen. Bei der Bundestagswahl 1980, der ersten bei der die Grünen antraten, waren 43 Prozent der grünen Wähler zwischen 18 und 24 Jahre alt.692 In der Folge fiel dieser Wert ab, 1983 und 1987 waren es jeweils 10 Prozentpunkte weniger. Während 1998 immerhin noch ein Fünftel der Wähler jünger als 25 Jahre war, schrumpfte dieses Wählersegment auf knapp über 10 Prozent. Bei den höheren Altersgruppen bildet sich erkennbar ein Alterungsprozess in der Wählerschaft ab. Bei den Bundestagswahlen 2009 und 2013 bildeten erstmals die Wähler zwischen 45 und 60 mit 34 bzw. 37 Prozent die größte Gruppe. Bis einschließlich 1990 hatte deren Anteil noch nur knapp im zweistelligen Bereich gelegen. Die Wähler ab 60 Jahren bildeten fast zwanzig Jahre die kleinste Gruppe in der grünen Wählerschaft, erst 2002 gab es eine Verdoppelung auf 15 Prozent, wodurch die Gruppe der Jungwähler erstmals an die letzte Stelle rückte. Der Anteil der älteren Wähler stieg langsam weiter an. Bei der letzten Wahl 2013 war diese Gruppe immerhin schon die zweitstärkste. Die Altersstruktur der Grünen-Wähler bei der Bundestagswahl 2013 bestätigt die Annahmen von Klein zum Wahlverhalten von Grünen-Wählern.693 Die Grünen waren besonders attraktiv für jüngere Wähler, während in den beiden Altersgruppen von 60 bis 70 Jahren und 70 Jahre und älter die Bereitschaft zur Wahl der Grünen unterdurchschnittlich ausfiel. Am stärksten waren die Grünen in der Altersgruppe der 45 bis 60-Jährigen, was als Bestätigung des Effekts einer Sozialisierung in den Generationen der außerparlamentarischen Opposition bzw. der Neuen Sozialen Bewegungen gesehen werden kann. Bei der Bundestagswahl 2017 knüpften die Grünen wieder an ihre alte Stärke bei den Jungwählern an. Vor allem in der Altersgruppe der 18 bis 25-Jährigen erreichen die Grünen einen überproportionalen Anstieg, bei den Wählerinnen in dieser Gruppe erzielen sie mit 17,8 % ihr bestes 691 Vgl. Switek 2015. 692 Vgl. Switek 2017. 693 Vgl. Klein 2009.
183
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen
Ergebnis. Mit zunehmenden Alter schnitten die Grünen schlechter ab, stets blieben sie dabei aber attraktiver bei Frauen. Einzig in der Gruppe der Über-Sechzigjährigen männlichen Wähler hätte die Partei mit 4,6 % die Fünfprozenthürde verfehlt. Abbildung 11: Ergebnisse bei Bundestagswahlen nach Alter und Geschlecht (Die Linke, seit 1990)
Quelle: Eigene Darstellung. Daten: Bundeswahlleiter.
In der Wählerschaft der PDS waren bei den ersten Wahlen nach der Wiedervereinigung einige soziale Gruppen deutlich überrepräsentiert: Wähler mit hohen Bildungsabschlüssen, mit höherem Alter, konfessionslose Wähler und Beamte.694 Die leichte Überrepräsentanz jüngerer Wähler bei der Bundestagswahl 1994 blieb ein Einzelphänomen, das später nicht mehr zu beobachten war. Nach und nach glichen sich die Unterschiede der Wahlergebnisse bei den Generationen denen der anderen Parteien an. Die Wählerschaft der Linkspartei war in den sozialstrukturellen Variablen danach recht ausgeglichen, weder zwischen den Altersgruppen – im Westen war die Gruppe der über 60-Jährigen und im Osten die Gruppe der unter 30Jährigen etwas unterrepräsentiert – noch zwischen den Geschlechtern gab es gravierende Unterschiede:
694 Vgl. Oppelland/Träger 2014: 186.
184
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen „Die PDS verfügte in den 15 Jahren ihres Bestehens über eine stabile Stammwählerschaft, die ihr in der frühen Phase das Überleben sicherte und bei der anschließenden Entwicklung zur ostdeutschen Regionalpartei (bzw., wenn man so will, zur ostdeutschen Volkspartei) das Fundament des wahlpolitischen Erfolges bildete. Diese Stammwähler zeichneten sich durch eine Reihe gemeinsamer sozialstruktureller Merkmale aus. Das sind hauptsächlich ein überdurchschnittliches Bildungsniveau, ein etwas überdurchschnittliches Alter und damit einhergehend eine weitgehend in der DDR erfolgte Sozialisation; [...] alles zusammen deutet darauf hin, dass es sich im Wesentlichen um Menschen handelte, die dem früheren System mehr oder weniger nahe standen.“695
Bei der Bundestagswahl 2017 deutete sich ein Wandel der Wählerschaft der Linkspartei an. Waren zuvor meist die älteren Alterskohorten leicht überrepräsentiert, kehrte sich dieses Bild 2017 um. Sowohl bei den männlichen wie weiblichen Wählern der Altersgruppen 18 bis 25 und 25 bis 35 erzielt die Partei zweistellige Resultate, während sie in höheren Altersstufen nur einstellige Zustimmungsraten erhielt. 5.3 Wahlkampforganisation 2017 Gerade im Bundestagswahlkampf 2017 war erkennbar, wie die komplexe Herausforderung, die Ursachen von Wählerverhalten zu erklären, dazu geführt hat, dass die deutschen Parteien bei der Entscheidung für oder gegen eine Wahlkampfstrategie, Wahlumfragen eine große Bedeutung beigemessen haben.696 Ob die parteiinterne Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Wahlkampfinstrument ausfällt, hängt also stark mit den Ergebnissen der Meinungsforscher (sowie der Interpretation dieser Ergebnisse durch die Journalisten) bei der Befragung der wahlberechtigten Bevölkerung hinsichtlich der Images von Kandidaten und Parteien sowie der Sonntagsfrage zusammen: Von der Entscheidungsfrage, wer Spitzenkandidat der Kampagne werden soll, bis hin zum Grad der Personalisierung im Wahlkampf, des Einsatzes von Print- versus TV- versus Onlineformaten, des Tür-zu-Tür-Wahlkampfes sowie der inhaltlichen Schwerpunktsetzung in TV-Duellen und Diskussionsrunden. Auch für die „Psyche“ des Wahlkampfes und der Spitzenkandidaten selbst, so Martin Schulz, sei das „Momentum“, das Gefühl des Aufstiegs, wichtig.697 „Öffentlich mögen Politiker die Bedeutung von Umfragen herunterspielen. In Wahrheit gibt es 695 Vgl. Oppelland/Träger 2014: 203. 696 Vgl. zum Zusammenhang von Demoskopie und Einstellungen der Bürgerinnen und Bürger: Faas/Krewel 2017. 697 Schulz zitiert nach Feldenkirchen 2017:18.
185
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen
nicht Wichtigeres.“698 Auch als Berater im Wahlkampf treten Meinungsforscher auf, wie man es im Wahlkampf unter anderem an dem Ratschlag zur „asymmetrischen Demobilisierung“ erkennen konnte. Neben der Macht der Meinungsforschung sind im Vergleich der Strategien der deutschen Parteien im Bundestagswahlkampf 2017 besonders drei Aspekte aufgefallen. Erstens räumten vor allem SPD, CDU/CSU und FDP ihren Spitzenkandidaten in klassischen Kampagnenformaten wie Plakaten und Spots viel Platz ein.699 Der Trend zur Personalisierung stieg hier im Vergleich zum Vorwahlkampf nochmal an. Der personalisierte Wahlkampf wurde dabei sowohl in klassischen Medienformaten vorangetrieben, wie TV-Diskussionsrunden zwischen den Spitzenkandidaten der kleinen Parteien, dem TV Duell zwischen den beiden Kanzlerkandidaten Angela Merkel und Martin Schulz oder Fernsehformaten, die Angela Merkel und Martin Schulz getrennt voneinander mit Publikumsfragen in Kontakt brachten. Gerade die Parteien, die anstrebten (wieder) neu in den Deutschen Bundestag einzuziehen, die FDP und die AfD, organisierten ihren personalisierten Wahlkampf zudem verstärkt über soziale Medien als digitalen Wahlkampf. Zweitens gab es aber auch in der klassischen Kampagnenorganisation der Parteien Veränderungen im Vergleich zum Bundestagswahlkampf 2013: So wurde das Instrument des Tür-zu-Tür-Wahlkampfes vor allem bei CDU und SPD verstärkt eingesetzt und professionalisiert.700 Die CDU-Wahlkämpfer übten im Konrad-Adenauer-Haus an einem Haustür-Simulator und setzten die App „connect17“ ein701 und auch die SPD entwickelte eine „Tür-zu-Tür-App“ für Laptop, Computer oder Smartphone702. Drittens kämpften nahezu alle Parteien um die frühen Briefwahlstimmen der Wahlbevölkerung und unterstrichen diese Strategie mit entsprechender Plakatierung zwei bis vier Wochen vor dem Wahltermin, sodass man 2017 vom Novum des Briefwahl-Campaigning sprechen kann. Als Höhepunkt des personalisierten Wahlkampfes gilt jedoch noch immer das Aufeinandertreffen der Spitzenkandidaten der beiden großen Parteien im TV-Duell. Aus diesem Grund legen wir im Weiteren den Fokus auf die Bedeutung des TV-Duells zwischen Merkel und Schulz im Wahl-
698 699 700 701 702
Feldenkirchen 2017:18. Vgl. Schicha/Skroblies 2017. Vgl. Hegelich 2017. Vgl. Vates 2017. Vgl. Theiling 2017.
186
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen
kampf 2017 sowie auf das Zusammenspiel von parteiinterner Duell-Strategie und externen Organisationsfaktoren. Drei Wochen vor der Bundestagswahl, am 3. September 2017, trafen die Spitzenkandidaten der beiden großen Parteien CDU und SPD im TVDuell aufeinander, um die zentralen Themen des Bundestagswahlkampfes 2017 in 90 Minuten live vor laufenden Kameras zu diskutieren. Die ARD, RTL, SAT.1 und das ZDF stellten schließlich mit Sandra Maischberger, Peter Kloeppel, Claus Strunz und Maybrit Illner einerseits die Moderatoren für das Diskussionsformat, zum anderen übertrugen alle vier Sender das Duell. In der Reihe vieler anderer Fernsehformate war das TV-Duell des 3. Septembers das einzige Format, in dem Angela Merkel und Martin Schulz direkt aufeinandertrafen. Die Resonanz war mit einer Zahl von 16,11 Millionen Zuschauern immens (siehe Abbildung 12). Abbildung 12: Anzahl der Fernsehzuschauer bei den TV-Duellen der Kanzlerkandidaten 2009-2017 (in Millionen)
Quelle: Quotenmeter, Statista 2017.
Parteiintern laufen die strategischen Vorbereitungen für das Duell gemeinsam mit Medienexperten bereits Wochen vorher an. Zwei Tage vor dem Aufeinandertreffen der Spitzenkandidaten beginnt – zumindest im Fall des Spitzenkandidaten Martin Schulz – das fokussierte Abschlusstraining für
187
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen
das Duell.703 Strategischer Zielpunkt, Messlatte für die eigenen „Performance“ und Erklärinstrument für das Verhalten der Wählerinnen und Wähler sind auch bei diesem Wahlkampfformat die Blitzumfragen im Anschluss an das Duell sowie die von ihnen geprägte mediale Nachberichterstattung. Dass die Parteien, das Wahlkampfteam und die Spitzenkandidaten einerseits dem TV-Duell als Wahlkampfinstrument das Potenzial eines Wendepunktes im Wahlkampf zusprechen und andererseits der Demoskopie im Anschluss an das „Event“ ausschlaggebenden Einfluss auf die Wahlentscheidung der Bürgerinnen und Bürger beimessen, ist in einer Äußerung von Martin Schulz im Anschluss an das TV-Duell ablesbar: „Wenn wir diese Woche keine Bewegung in die Umfragen kriegen, dann ist das Ding gelaufen. Dann müssen wir uns damit abfinden, dass wir das Ding verloren haben.“704 Ebenso beachtenswert wie die eigentliche TV-Debatte ist die Phase der Organisation und der Absprachen im Vorfeld. Das Beispiel des Duells 2017 zeigt plakativ, wie sich parteiinterne Wahlkampfstrategie von Herausfordererseite, Amtsinhaberseite und Medienlogik entgegenstehen können. Entgegen des Wunsches der vier Fernsehanstalten, das Fernsehformat offener, spontaner und mit mehr Raum zur konfrontativen Diskussion zwischen den Kandidaten zu gestalten sowie mit mehr Zeit am Stück für je ein Moderatorenpaar zum kritischen Nachfragen, führten die Vorabsprachen mit den Vertretern der Spitzenkandidaten dazu, dass das Duell nach dem Modell des Jahres 2013 praktiziert wurde: Vier Themenblöcke mit abwechselnden Fragen der Moderatoren strukturierten den Abend. Eine Publikumsbegleitung oder Zuschauerfragen waren nicht vorgesehen. Themen wie Klima, Digitalisierung oder Familie und Beruf wurden vernachlässigt. Außenpolitische Themen und Fragen der Flüchtlingssituation in Deutschland – also Felder, in denen sich die Positionen von Angela Merkel und Martin Schulz im Wahlkampf nur in Nuancen unterschieden und kein offener Konflikt zu erwarten war – bestimmten den Ablauf. Für die Zuschauer konnten wirkliche parteipolitische Unterschiede nur einem kurzen „Ja-Nein-Frage-Antwort“-Block klar ersichtlich werden – der das einzige Novum beim diesjährigen Duell darstellte. Als Raum verdichteter, höchst intensiver Wahlkampfkommunikation war das Kanzlerduell eine eigene kleine Kampagne im Gesamtwahlkampf. Die Forschung zu TV-Duellen zeigt, dass die Debatten eine Vielzahl von
703 Vgl. Feldenkirchen 2017: 22. 704 Zitiert nach Feldenkirchen 2017: 25.
188
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen
Funktionen erfüllen. Die Spitzenkandidaten versuchen damit die beträchtliche Zahl noch unentschlossener Wähler zu überzeugen, auf den letzten Metern des Wahlkampfendspurts Journalisten für sich zu gewinnen und den Ton der Medienberichterstattung zu ihren Gunsten zu verbessern oder aber bestehende Sympathien für einen Kandidaten zu verstärken. Auch im Bundestagswahlkampf 2017 fieberten Parteien, Journalisten und nicht zuletzt Wählerinnen und Wähler auf das Duell drei Wochen vor dem Urnengang hin.705 Der Auftritt der beiden Kandidaten und ihre Argumentation traten aber angesichts zweier organisatorischer Streitpunkte in den Hintergrund: Vor dem Duell wurde die vermeintliche Einflussnahme der Amtsinhaberin Angela Merkel auf die Gestaltung des Formats breit kritisiert.706 Im Nachgang der Debatte wurde wiederum dem Moderatorenteam eine einseitige und populistische Themen- und Fragenauswahl vorgeworfen.707 All das verdeutlicht mehrere Punkte: Obwohl die Kommunikations- und Politikwissenschaft mehrfach nachweisen konnte, dass TV-Debatten demokratisches Potenzial besitzen und Wähler sowohl informieren wie auch mobilisieren können, treten die Argumente der Kandidaten in der öffentlichen Debatte vor und nach den Duellen häufig in den Hintergrund. Obwohl es sich um das vermutlich wichtigste Wahlkampfereignis handelt, wurde die Planung und Organisation zwischen den ausstrahlenden Sendern und den Parteien aber lange nicht beachtet. Dabei wird schon länger argumentiert, dass angesichts der Bedeutung der Duelle klare Regeln und transparente Entscheidungen notwendig sind.708 Nicht zuletzt spiegelt sich auch im TV-Duell ein Wandel von Wahlkämpfen und Wahlkampfstrategien der Parteien wider. Populismus, Polarisierung und Big Data als große Trends der jüngsten Wahlkämpfe in Europa und Amerika bilden die Hintergrundfolie auch für den Bundestagswahlkampf 2017. 5.4 Rolle von TV-Debatten im Wahlkampf Das TV-Duell ist nicht nur ein wichtiges Wahlkampfinstrument für die Parteien.709 Es ist auch ein Fernsehformat mit demokratischem Potenzial. Denn die Bedeutung und die Effekte von Fernsehdebatten sollten nicht un-
705 706 707 708 709
Vgl. Caspari 2017. Vgl. Deutscher Journalisten-Verband 2017. Vgl. Koldehoff 2017, Hildebrand 2017. Vgl. Bieber 2016. Vgl. zu diesen Ausführungen Dinter/Weissenbach 2017.
189
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen
terschätzt werden. Die politik- und kommunikationswissenschaftliche Forschung hat vielfältige Antworten auf die Fragen gefunden, ob Debatten als Hilfestellung für Wähler dienen, welche Effekte sie auf Wahlentscheidung und Wahlbeteiligung sowie mediale Berichterstattung haben und welche Strategien in den Sendungen von Kandidaten und Parteien verwendet werden. Allem voran lässt sich feststellen, dass Fernsehdebatten das Potenzial besitzen, die Images der Kandidaten und auch die Wahlabsichten der Zuschauer zu ändern. Maurer und Reinemann kamen zu dem Schluss, dass das Kanzlerduell im Bundestagswahlkampf 2005 das Zünglein an der Waage war. Wie viel Einfluss eine Debatte auf den Wahlausgang hat, hängt dabei aber vom Zeitpunkt und der Ausgangslage vor dem Duell ab. Allgemein können sich Kandidaten bei einem guten Auftritt einen Imagegewinn, nur in deutlich geringerem Maße einen Stimmgewinn erhoffen.710 Am meisten profitieren die weniger bekannten Kandidaten, die sich mit den Duellen Aufmerksamkeit verschaffen können und so häufig ihr Image aufbessern – einen Imageverlust haben aber auch Amtsinhaber in der Regel nicht zu befürchten.711 Viel wichtiger ist aber, dass die Politikwissenschaft auch positive Effekte der Debatten auf die Demokratie feststellen konnte. Fernsehdebatten können die Einstellung der Zuschauer zum politischen System verbessern, Informationen über Politik im Allgemeinen und die Kandidaten im Besonderen vermitteln und Zuschauer zur Wahlteilnahme motivieren.712 Besonders bei politisch eher uninteressierten Zuschauern können die TV-Duelle daher wie eine Art „Lehrstunde der Demokratie“ wirken.713 Dadurch, dass sich diese Rezipienten nach den Debatten subjektiv kompetenter fühlen und auch objektiv mehr Wissen erlangen, bekommen sie das Gefühl, dass politische Akteure responsiv handeln.714 Vor allem deshalb wird TV-Debatten ein „demokratisches Potenzial“ zugesprochen.715 Einige Studien haben aber auch gegenteilige Ergebnisse hervorgebracht. Sicher ist jedoch ohne Frage, dass die positive Wirkung von TV-Duellen auf die demokratische Kultur auch von der Gestaltung, den Inhalten und dem Verhalten der Kandidaten abhängen.
710 Vgl. Maurer/Reinemann 2007: 246. 711 Vgl. Blais/Perella 2008: 460. 712 Vgl. Wald/Lupfer 1978, Holbrook 1999, Maier/Faas/Maier 2013, Dinter/Weissenbach 2015. Mit gegenteiligen Ergebnissen: Weaver/Drew 2006. 713 Vgl. Holbrook 1999, Maurer/Reinemann 2007. 714 Vgl. Maier/Faas/Maier 2013: 90. 715 Vgl. Maurer/Reinemann 2007.
190
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen
Neben den Debatteneffekten auf Wähler lassen sich auch im Verhalten von Medien und Kandidaten bzw. Parteien rund um die Ausstrahlung von TV-Debatten spezifische Muster erkennen. Erstens lässt sich feststellen, dass über die TV-Debatten sehr breit und intensiv berichtet wird. Als Reaktion auf die Duelle intensiviert sich die Wahlkampfberichterstattung aber nicht nur, sie stellt sogar noch stärker als ohnehin personenbezogene Faktoren ins Zentrum. Die Inhalte der Debatten spielen häufig nur eine untergeordnete Rolle in der Berichterstattung. So konnte gezeigt werden, dass sich Journalisten in der politischen Berichterstattung durch die Einführung von Fernsehdebatten stärker auf Kriterien der Kandidatenbewertung wie Aussehen und Medienperformance beziehen.716 Damit geht einher, dass Journalisten scheinbar das Informationspotenzial von Debatten unterschätzen, da sie nur wenig über die Inhalte der Debatten berichten und sich vielmehr der Frage widmen, welcher Kandidat die Debatte gewonnen hat.717 Weil sich das Fernsehformat mit seinem gegenüberstellenden Setting besonders gut für Berichte im Stil der Sportberichterstattung eignet – allein die Bezeichnung „Duell“ zeigt bereits diese Zuspitzung – ändert die TV-Debatte häufig auch den Ton der Berichterstattung, in der von „Gewinnern“, „Punktsiegen“, „schlechten Ausgangslagen“ oder einer „Rückkehr in den Ring“ die Rede ist. Aber nicht nur Medien, sondern auch die Kandidaten selber fiebern auf das Duell hin, das häufig als Wendepunkt oder Gamechanger gesehen wird. Die Kandidaten, so lässt sich zweitens beobachten, verwenden wiederum ein komplexes Set an Strategien, bei denen faktenorientierte Informationen gleichermaßen wie Emotionen relevant sind. Zunächst sind die Aussagen der Kandidaten in den Debatten in der Regel eher auf Fakten als auf die eigene Person bezogen,718 während rhetorisch Humor und der Ausdruck von Emotionen eine wichtige Rolle spielen.719 Welche Argumentationsstrategie Kandidaten anwenden, ist wiederum stark von der Position der Kandidaten abhängig. Während Herausforderer vornehmlich Angriffsstrategien verwenden, versuchen Amtsinhaber eine positive Bilanz ihrer Leistungen zu ziehen bzw. sich zu verteidigen. Aber auch Herausforderer setzen auf die Leistungsbilanzstrategie, indem sie herausstel-
716 Vgl. Reinemann/Wilke 2007. In ähnlicher Weise: Maurer/Reinemann 2007, Lemert/ Wanta/Lee 1999, Benoit/Stein/Hansen 2004. 717 Vgl. Reinemann 2007: 169ff. 718 Vgl. Benoit et al. 2002, Müller 2003, Maurer 2007. 719 Vgl. Smith/Voth 2002, Müller 2003, Gordon/Miller 2004, Maurer 2007, Weissenbach 2015.
191
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen
len, wie sie im Falle eines Erfolgs handeln würden.720 Allerdings hängen Inhalt und Strategien der Kandidaten sehr stark von der jeweiligen Kampagne ab. Zudem reagieren die Debattenteilnehmer häufig ausweichend und bleiben in ihren Aussagen vage. So wird das Format gerne dafür kritisiert, dass es keinen echten Austausch der Argumente zwischen den Kandidaten ermöglicht, sondern eher eine Abfrage oder „gemeinsame Pressekonferenz“ mit Amtsinhaber und Herausforderer ist. In diesem Fall seien die Debatten günstige Werbemöglichkeiten für die Kandidaten.721 Obwohl also nachgewiesen ist, dass TV-Duelle in vielfältiger Weise, direkt und indirekt Wählerinnen und Wähler beeinflussen und sie damit ein wichtiger Bestandteil von Wahlkämpfen sind, findet die Planung und Organisation der Debatten größtenteils unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Von den Verhandlungsprozessen zwischen den Teams der Spitzenkandidaten und den Fernsehsendern bekommen die Zuschauerinnen und Zuschauer meist wenig mit. Aber allein schon die Frage, wer überhaupt an einer Debatte teilnehmen darf, ist höchst brisant. Dabei hat sich in Deutschland die Tradition eingespielt, dass TV-Duelle auf Bundes- wie auf Landesebene zwischen dem Amtsinhaber und dem aussichtsreichsten Herausforderer ausgetragen werden. Weil CDU und SPD traditionell die größten Chancen zugeschrieben werden, später den Kanzler oder Ministerpräsidenten zu stellen, handelt es sich in den meisten Fällen um ein Duell zwischen dem Spitzenpersonal dieser beiden Parteien. In Baden-Württemberg führte das 2011 dazu, dass der spätere Ministerpräsident Winfried Kretschmann von Bündnis 90/Die Grünen nicht am Duell teilnehmen durfte. Die Grünen lagen in Umfragen zwar in etwa gleichauf mit der SPD – dennoch wollte man am vermeintlich medientauglicheren Zweierformat festhalten. Dass die kleineren Parteien beim Quotenrenner TV-Duell kein Mitspracherecht haben, ruft viele Kritiker des Formats auf den Plan. Denn, so lautet der Vorwurf, die nach dem Vorbild der amerikanischen presidential debates gestalteten Kanzlerduelle passen zwar zu einer Präsidentschafts-, aber nicht unbedingt zur Verhältniswahl zum Deutschen Bundestag. Die kleineren Parteien haben deshalb bereits mehrfach versucht, sich einen Platz am Tisch der „Großen“ zu erkämpfen. Im Wahlkampf 2017 verfassten die Parteichefs der Grünen, der Linken und der FDP beispielsweise einen offenen Brief an die veranstaltenden Sender. Aber weder der rechtli720 Vgl. Schrott/Lanou: 1992, Benoit 2004, Maurer/Reinemann 2007: 69ff., Müller 2003, Maurer 2007: 41ff. 721 Vgl. Jackson-Beeck/Meadow 1979, Auer 1962, Blitzer/Rueter 1980.
192
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen
che Weg noch die öffentliche Kritik der „kleinen“ Parteien hatten bisher Erfolg. Denn für die ausstrahlenden Sender ist das medienwirksamere Zweierformat genauso attraktiv wie für CDU und SPD, die sich so einen Aufmerksamkeitsvorteil verschaffen können. Andererseits wird häufig kritisiert, dass die Organisation der Duelle nicht unabhängig und transparent von neutraler Stelle beaufsichtigt wird. Bieber schlägt daher vor, ähnlich wie in den USA auch in Deutschland angestoßen durch die Landesmedienanstalten verbindliche Kriterien zwischen erfahrenen Journalisten, Kampagnenmanagern und Politikern sowie Debattenforschern auszuhandeln, die dann auf die Durchführung angewendet werden könnte.722 Bisher ist in Deutschland aber „[das prominenteste und reichweitenstärkste Format im Medienwahlkampf] von den eng kooperierenden Akteuren der beiden stärksten politischen Kräfte [dominiert]“, „die Möglichkeit einer Einflussnahme auf das Format auf wenige Akteure limitiert“ sowie „das bereits vorherrschende Primat der Parteiund TV-Eliten zementiert“.723 Bieber kommt zu dem Schluss, dass die Debatten in Deutschland nicht wie in den USA im Dreieck von Politik, Medien und Bürgern stattfinden,724 sondern ausschließlich in einer „‚gebrochenen‘ Agenda verharren“725. Nicht zuletzt diese Ausführungen zeigen, dass die Organisation von TV-Debatten ein lohnenswertes Forschungsfeld ist, in dem sich „Grundstrukturen im Beziehungsgeflecht der [...] ‚Mediendemokratie‘ aufzeigen lassen“726. Die wenigen Einblicke in der Forschungsliteratur zeigen bisher, dass Teile der Regeln und des Settings der Duelle in Verhandlungen zwischen den Sendern sowie den beteiligten Parteien geschehen. Inhalte der Sendung werden vornehmlich durch die Redaktionen bestimmt.727 Ein Beispiel, wie die Planung des Fernsehformats anders stattfinden kann, ist die TV-Debatte zur Europawahl 2014.728 Zwar fanden die Aushandlungsgespräche auch hier zwischen der Union der austragenden Sender und den Parteien statt. Allerdings wurde die Organisation durch das Europaparlament angestoßen und begleitet. Auf diesem Weg fanden viele Regeln der parlamentarischen Debatte auch Eingang in das Fernsehformat. Die häufige Kritik am Einfluss von Amtsinhabern auf die Gestaltung der TV-Duelle oder an der Themenauswahl der Sender und 722 723 724 725 726 727 728
Vgl. Bieber 2016. Bieber 2010: 257. Vgl. Jackson-Beeck und Meadow 1979. Bieber 2010: 257. Bieber 2010: 241. Für das TV-Duell in Baden-Württemberg 2011 siehe Krafft/Zaiss 2011. Vgl. Dinter und Weissenbach 2015.
193
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen
Moderatoren belegen, dass die Frage der Planung der Duelle ein weiterhin kontroverses Feld bleiben wird. Diese Debatte ist vor allem vor dem Hintergrund der prominenten Stellung des Formats mit Mobilisierungs- und Informationsfunktion im Wahlkampf umso bedeutender. 5.5 TV-Duelle zwischen Professionalisierung, Personalisierung und Digitalisierung Wahlkampagnen sind Hochzeiten der politischen Kommunikation. Parteien, Wähler und Massenmedien bilden zusammen das sogenannte Wahlkampfdreieck. Mit ihrer Stimmabgabe übertragen Wähler Macht an Parteien und Politiker. Die Wahlentscheidung wird dabei insbesondere von der langjährigen Parteineigung oder -identifikation beeinflusst. Aber auch aktuelle, kurzfristigere Einstellungen zu den Parteien spielen eine wichtige Rolle. Letztere haben vor allem auf die immer größer werdende Gruppe der Wechselwähler und Unentschlossenen eine große Wirkung. Weil die Stammwählerschaft der Parteien bei Bundestagswahlen entsprechend immer kleiner wird und die langfristigen Faktoren der Wahlentscheidung an Bedeutung verlieren, werden die mittel- und kurzfristigen Faktoren und damit der Wahlkampf an sich wichtiger.729 Das TV-Duell kann einer der wichtigsten dieser kurzfristigen Faktoren sein, weil es generell mehr Zuschauer vor die Bildschirme holt als jedes andere Wahlkampfinstrument und darüber hinaus auch besonders attraktiv für unentschlossene und politisch eher uninteressierte Wähler ist. Um die Stammwähler zu mobilisieren und Unentschlossene zu überzeugen, kommunizieren Parteien im Wahlkampf direkt, aber vor allem medienvermittelt mit der Wählerschaft.730 Darum hat auch die Selektion und Interpretation der Wahlkampfereignisse durch Journalisten einen indirekten Einfluss auf die Wahlentscheidung. Das TV-Duell nimmt hier eine herausragende Stellung ein. Denn anders als in der sonstigen Berichterstattung bietet es den Kandidaten viel Raum, die eigenen Botschaften zu vermitteln, ohne dabei der direkten journalistischen Selektion unterworfen zu sein – wenngleich keinesfalls unterschätzt werden sollte, wie einflussreich das Verhalten der Moderatoren auf die Inhalte der Debatten ist. Die Anzahl der Moderatoren, deren Frageverhalten und natürlich die Themenauswahl haben enormen Einfluss auf Inhalte und Redefluss des Duells. Von ihnen ist letztlich abhängig, wie viel Raum den Kandidaten geboten wird 729 Vgl. Brettschneider 2015, Korte 2017a. 730 Vgl. Korte 2017a.
194
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen
und manchmal auch, wie sehr überhaupt ein Austausch zwischen den Kandidaten entsteht. Ganz allgemein hat sich das Beziehungsgeflecht zwischen Wählern, Politikern und Massenmedien in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder gewandelt. Früher waren Wahlkämpfe von den Parteien geprägt, sie fanden in den Wahlkreisen und auf der Straße statt. Durch Flugblätter, Plakate sowie Zeitungsanzeigen und abhängig von einem starken Engagement der Parteimitglieder, warben die Parteien um Wählerstimmen. Heute werden Wahlkämpfe mit den Begriffen der Professionalisierung und Personalisierung beschrieben, das Internet wird zum immer wichtigeren Schauplatz.731 Allein das TV-Duell ist einer der deutlichsten Ausdrücke der Personalisierung moderner Wahlkämpfe. In den Debatten stehen einzelne Politiker und ihre Argumente im Mittelpunkt. Sie sind damit Symbol der medialen Fokussierung auf politisches Spitzenpersonal. Dieser Trend lässt sich auch beim Wahlkampfmanagement der Parteien beobachten. Zwar ist es nicht neu, dass die Kandidaten der beiden großen Parteien im Zentrum der Kampagnen zur Bundestagswahl stehen – die CDU setze mit dem Slogan „Auf den Kanzler kommt es an“ bereits 1969 auf die Person Kurt Georg Kiesinger, die SPD erfand 1961 das Konzept des „Kanzlerkandidaten“ und stellte mit Willy Brandt das erste Mal einen solchen auf.732 Dennoch sind Spitzenkandidaten vor Wahlen auch in Deutschland noch wichtiger geworden und genauso zentral sind die Duelle in vielen Kampagnen. Aber nicht nur das Wahlkampfmanagement der Parteien und die Berichterstattung in den Medien wurde personalisiert. Auch die individuelle Wahlentscheidung der Bürgerinnen und Bürger richtet sich immer stärker an Personen aus. So spielen Sympathien für die Spitzenkandidaten eine immer größere Rolle für die Wahlentscheidung, während die Positionen der Parteien in dieser Hinsicht an Einfluss verloren haben.733 Trotz der großen Bedeutung der Spitzenkandidaten gilt gerade für die parteiinternen Wahlkampf-Entscheidungen bei Bundestagswahlen, dass es nicht ausreicht, charismatisches und beliebtes Personal in das Zentrum eines Wahlkampfs zu stellen. Politiker müssen, so eine Grundregel politischer Kommunikation, immer mit für den Wähler interessanten Themen verbunden werden, um zu punkten.734 Was eben diese Themen sind, ist schwer vorherzusagen und von vielen Einflüssen abhängig. Trotzdem ver731 732 733 734
Vgl. Korte 2017a, Brettschneider 2015. Vgl. Römmele 2017. Vgl. zusammenfassend Römmele 2017: 133f., 138. Vgl. Korte 2017a.
195
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen
suchen Parteien und Kandidaten, die aus ihrer Sicht wichtigen Themen stark zu machen. Das Kanzlerduell ist eine Gelegenheit für die Spitzenkandidaten von CDU und SPD, gezielt Kernthemen aus ihren Wahlprogrammen zu betonen. Neben dem Versuch, jene Themen hervorzuheben, die für die jeweiligen Parteien zentral sind und in denen ihnen große Kompetenz zugeschrieben wird – dem sogenannten Agendasetting –, versuchen Parteien auch Debatten um Probleme, die nicht zu ihren Kernkompetenzen zählen oder in denen sie keine Lösungen anbieten können, Aufmerksamkeit zu entziehen. Diese Kommunikationsstrategie nennt man Agendacutting. Weil die Themenagenda von Medien und Wählern von vielen Einflüssen abhängig ist, sind diese Strategien nur begrenzt einsetzbar. Sehr häufig ist es ohnehin so, dass Themen durch äußere Ereignisse eine besondere Bedeutung in Wahlkämpfen erhalten und jene Parteien, deren Argumente und Positionen durch die so entstandenen öffentlichen Debatten unterstützt werden, auf der Agenda zu „surfen“ versuchen.735 Das Duell zwischen Angela Merkel und Peer Steinbrück zur Bundestagswahl 2013 ist ein Beispiel dafür, wie sowohl das Agendasetting als auch -cutting in einem TV-Duell zum Tragen kommen kann. Während Steinbrück es schaffte, die Frage sozialer Gerechtigkeit in den letzten Wochen vor der Wahl wieder in den medialen Fokus zu rücken, blieb Merkel vor allem mit dem Satz: „Sie kennen mich“, und einer auffälligen Kette in Schwarz, Rot und Gold in Erinnerung. Das aufgrund der Kette entstandene Internet-Meme fand viel Anklang und lenkte wiederum von Themen des Duells ab.736 Dieses Beispiel zeigt aber auch, dass nicht nur die klassische Berichterstattung über die Duelle, sondern auch die Diskussionen über sie in sozialen Netzwerken Teil von Kampagnen geworden sind. Dem Wahlkampf im Internet kommt ohnehin eine immer größere Bedeutung zu – nicht zuletzt deshalb, weil es zu einer immer wichtigeren Informationsquelle für Wähler geworden ist. Die Parteien nutzen vor allem die günstigen und sehr flexiblen Werbemöglichkeiten. Die vielen Daten, die Nutzer sozialer Netzwerke preisgeben und von den Betreibern für Werbezwecke zur Verfügung gestellt werden, ermöglichen es auch, datenbasierten Wahlkampf und auf kleinste Zielgruppen zugeschnittene Kampagnen zu gestalten. Dieses sogenannte Microtargeting ist vor allem in den USA bereits ein beliebtes Instrument.737 Psychologisches Microtargeting soll nicht zuletzt dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump zum Sieg 735 Vgl. zum Themenmanagement in Wahlkämpfen Brettschneider 2015. 736 Vgl. Brettschneider 2015. 737 Vgl. zum Online-Wahlkampf Brettschneider 2017: 150f.
196
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen
verholfen und das Referendum zum Brexit maßgeblich beeinflusst haben. Auch wenn die Strategien der beratenden Marketingfirmen sicher ein wichtiger Teil der Kampagnen waren, ist aber die Einschätzung, die Wahlen wären durch datenbasierte Manipulationen gewonnen worden, zu weit gegriffen.738 In Deutschland sind die Möglichkeiten für zielgenaue Werbung stärker begrenzt, als beispielsweise in den USA, weil der deutsche Datenschutz dem Direktmarketing Grenzen setzt. Zwei andere Varianten des Wahlkampfs mit sozialen Netzwerken und Big Data sind aber auch für die Bundestagswahl durchaus relevant geworden. Zum einen nutzen die deutschen Parteien die großen Datenmengen, um in ihren Haustürwahlkämpfen gezielt Straßenzüge zu identifizieren, in denen sie Bürger vermuten, die sie mit ihren Ideen in einem direkten Gespräch mit dem Wahlkreiskandidaten überzeugen können. Zum anderen nutzen die Parteien soziale Netzwerke, um ihre eigenen Anhänger zu mobilisieren und die einzelnen Wahlkampfveranstaltungen von der höchsten bis zur niedrigsten Parteiebene abzustimmen und zu organisieren. Ein Beispiel, in dem diese beiden Aspekte verbunden wurden, ist die App „connect17“, mit der die CDU Wahlhelfer im Haustürwahlkampf gezielt in erfolgversprechende Straßenzüge schickte und die angemeldeten Helfern dann Punkte für ihre Aktivitäten bekamen.739 Gerade das Microtargeting und der Social-MediaWahlkampf zeigen, dass sich das Beziehungsgeflecht zwischen Wählern, Parteien und Massenmedien verschoben hat und die direkte Kommunikation über soziale Netzwerke den Parteien neue Möglichkeiten bietet.740 Diese Entwicklung berücksichtigen die Kampagnen-Macher der Parteien natürlich auch beim TV-Duell. In der Echtzeitkommunikation über das Duell auf dem Second-Screen sind deshalb besonders viele Unterstützer der Kandidaten aktiv, um deren Auftritt zu unterstützen und so zu helfen, die Deutungshoheit über Gewinner und Verlierer des Duells zu erlangen. Ein weiterer Trend, der sich bei vielen europäischen Wahlen sowie der amerikanischen Präsidentschaftswahl abgezeichnet hat, ist die Polarisierung von Parteien und Wählern sowie die Zunahme populistischer Stilmittel. Dass durch populistische Parteien immer extremere Positionen in politische Debatten einfließen, lässt sich beispielsweise in Frankreich, den Niederlanden und Österreich beobachten.741 Auch für die Bundestagswahl 2017 gilt, dass die AfD zu einer stärkeren Polarisierung des lange als kon738 739 740 741
Vgl. Strathmann 2017. Vgl. Kolb 2017. Vgl. Brettschneider 2017. Vgl. Brettschneider 2017: 151f.
197
5. Wähler und Organisation von Wahlkämpfen
fliktarm beschriebenen Wahlkampfs geführt hat. Ein populistisches Stilmittel, das vor der Bundestagswahl von vielen Parteien und Journalisten befürchtet wurde, waren reichweitenstarke und gezielt verbreitete Falschmeldungen. Diese sogenannten Fake News wurden das erste Mal im Zuge der Trump-Kampagne bei der amerikanischen Präsidentschaftswahl diskutiert. Generell zeichnet sich Populismus durch eine ausgeprägte Kritik an den bestehenden Eliten und einer antipluralistischen Ausrichtung aus. Populistische Parteien erheben den Anspruch, den „wahren Willen des Volkes“ zu vertreten.742 Es lassen sich viele Beispiele dafür finden, dass Polarisierung und Populismus in vielen Ländern auch Eingang in TV-Debatten fanden. Bei der Bundespräsidentenwahl in Österreich traten beispielsweise der Grüne Alexander van der Bellen und der populistische FPÖ-Kandidat Norbert Hofer gegeneinander an und sorgten mit einer Debatte unter der Gürtellinie für einen Eklat. Mit Marie Le Pen und Donald Trump waren auch in Frankreich und den USA populistische Akteure Teilnehmer der Duelle. Das Kanzlerduell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz fand jedoch zwischen den Kandidaten der beiden etablierten Regierungsparteien statt. Einen indirekten Einfluss auf das Kanzlerduell hatte die stärkere Polarisierung und der veränderte Ton der politischen Debatte aber durchaus – allein die Themenauswahl der Moderatoren und Redaktionen wurde im Nachhinein als einseitig und populistisch kritisiert.743 Politische Kampagnen unterliegen also seit einigen Jahrzehnten einem starken Wandlungsprozess. Soziale Netzwerke, Populismus und zunehmende Polarisierung verändern die Wahlkämpfe, die ohnehin bereits stark professionalisiert und personalisiert sind. TV-Duelle können in diesen Wahlkämpfen ein zentrales Element sein, von dem sich beispielsweise „unterlegene“ Kandidaten eine Wende erhoffen oder neue und bestehende Wählergruppen mobilisiert werden sollen. Wie groß die Bedeutung dieses Fernseh-Ereignisses ist, hängt aber auch davon ab, wie der Wahlkampf vor dem Duell verlaufen ist, wie offen die Sendung für die Kandidaten gestaltet ist und wie deren Argumente und Auftreten in der Nachberichterstattung und sozialen Netzwerken aufgenommen wird.
742 Vgl. Mudde 2007. 743 Vgl. Hildebrand 2017, Koldehoff 2017.
198
199
6. Fazit und Schlussfolgerungen: Wie organisiert entscheiden Parteien?
Studien zu Parteien heben in der Regel immer auf deren zentrale Stellung ab – auch wir haben dies am Anfang dieses Bandes getan. Zugleich macht die detailliertere und fokussierte Betrachtung von Parteien und der mikropolitisch angelegte Blick in die Parteiorganisation hinein deutlich, wie sehr diese zentrale Stellung auch ein Rätsel darstellt: In den fragmentierten, faktionalisierten, informell strukturierten Parteien finden sich zwischen Führung und Basis genügend Punkte, die gegen Stabilität und Konstanz sprechen. Genau diesem Rätsel haben sich die einzelnen Bände der Parteienreihe gewidmet. Das Innenleben von Parteien stand im Mittelpunkt, indem der Frage nachgegangen wurde, wie sich die zahlreichen Akteure und Strukturierungen zu einem handlungsfähigen Ganzen fügen. Die Bände spielten das nicht im luftleeren Raum durch, sondern widmeten sich dafür einer Auswahl von konkreten Entscheidungsprozessen. Einerseits treten Muster dadurch klarer zu Tage, andererseits variieren die Entscheidungsmodi eben je nach Inhalt des betrachteten Politikprozesses. Der vorliegende Band wiederum nahm eine Zusammenstellung und Systematisierung der Befunde der Einzelbände vor. Ein Kernergebnis, das dem Blick in die Partei zunächst zu widersprechen scheint, ist die Bedeutung der Umweltdimension. Das leitet sich aber von dem Wesensmerkmal von Parteien ab, die als Organisation Gesellschaft und Staat verbinden. Parteien sind Grenzorganisationen: Sie treten in Wahlen an und ihr Gewicht, ihre Stellung hängt daran, wie viele Bürger zur Wahl gehen und wie diese ihre Stimmen verteilen. Ihre Mitglieder sind immer auch Bürger. Innerparteiliche Demokratie ist kein insulares Ereignisfeld. Sie ist eingebunden in politisch-kulturelle und gesellschaftliche Veränderungen. Die Konsequenz für uns war es, weniger ausschließlich nach Stabilität in den Organisationen selbst zu suchen, sondern zugleich danach zu fragen, welche Mechanismen Parteien entwickelt haben, um auf Veränderungen in der Umwelt bzw. der Gesellschaft zu reagieren. Andere Arbeiten knüpfen Erfolg und Adaptionsfähigkeit beispielsweise an die
6. Fazit und Schlussfolgerungen
Existenz eines strategischen Zentrums744 oder an die aufgebaute Risikokompetenz745. Nicht alle gesellschaftlichen Entwicklungen sind dabei für Parteien von gleicher Relevanz. Es geht für sie – als Bestandteil der Risikokompetenz – gerade darum zu identifizieren, welche Innovationen und Veränderungen sie bedrohen (z.B. abnehmende Parteibindung) oder umgekehrt möglicherweise eine Chance darstellen (z.B. steigende Partizipationswünsche). Zugleich spielt die engere Umwelt eine entscheidende Rolle. Zwar haben die Bände der Reihe den Blick in die einzelnen Parteien gerichtet, sie sind dabei aber nie ohne Verweise auf die anderen Akteure im Parteiensystem ausgekommen, sei es wegen der Schilderung von Koalitionsbildungen, Auswirkungen eines programmatischen Wandels eines Mitbewerbers oder dem Aufkommen neuer Konkurrenten. Parteien sind Teil eines Spielfeldes mit anderen Parteien, zu denen sie sich positionieren und auf die sie reagieren müssen, von denen sie aber zugleich auch lernen können. Der zusammenfassende Blick dieses Schlussbandes zeigt klar, dass sich Herausforderungen für Parteien und Bedingungen des Parteienwettbewerbs in Deutschland in den letzten Jahren stark gewandelt haben. Der aktuelle Befund ist eindeutig: Die Wahrnehmung von Verschiedenheit und Differenz hat im politischen Bewusstsein der Bürger zugenommen. Das gilt national wie europaweit. Das bleibt jedoch nicht auf Politikinhalte oder Gesellschaftsvorstellungen beschränkt, sondern zielt tiefergehend auf die Ausgestaltung und Verfasstheit des politischen Systems selbst. Die Substanzverluste der Demokratie haben sich verstärkt und die Gesprächsstörung zwischen Politik und Bürgern ausgeweitet. Die etablierte Politik wird in einigen Teilen der Bevölkerung pauschal mit (Vor-)Verachtung konfrontiert. Aus Politik- und Politikerverdrossenheit ist messbar Politikverachtung geworden. Das ist nicht ohne gewisse Ironie, da das Konzept der repräsentativen Demokratie ursprünglich gerade eine präzise Antwort auf Verschiedenheit war. Anders als noch im überschaubaren attischen Stadtstaat muss eine moderne Demokratie auf Größe reagieren, strukturell zu Flächenstaaten passen und mit Vielfalt umgehen können. Wenn heute mehr Differenz und Vielfalt als Problem wahrgenommen werden, dann steckt darin auch ein Zeichen für die Krise der politischen Repräsentation. Viele Bürger fühlen sich in ihrer Vielfalt nicht ausreichend in den Parlamenten repräsentiert. Sie zweifeln an der Legitimität der Entscheidungen.
744 Vgl. Raschke/Tils 2013. 745 Vgl. Korte 2011b.
200
6. Fazit und Schlussfolgerungen
Politiker wiederum werden mit Verachtung konfrontiert, wenngleich sie sich bemühen, stellvertretend für die Zivilgesellschaft Probleme zu lösen. Diese Verschiebungen der politischen Einstellungen äußern sich an der Wahlurne. Letztlich liegt es am Wähler, dass aus einem ehemals beschaulichen Parteiensystem inzwischen ein komplexer Parteien- und Koalitionsmarkt entstanden ist. Da sind zunächst die Nichtwähler, die immer dann anwachsen, wenn es nichts zu entscheiden gibt, weder eine inhaltliche noch eine personelle Polarisierung zur Wahl steht oder die Proteststimmung niederschwellig ist.746 Ihr Anteil nahm bis 2016 stetig zu, sodass letztlich immer weniger Wähler über immer mehr entscheiden. Allerdings zeigt sich auch, dass durch die neue Politisierung der Gesellschaft in Folge der Flüchtlingsthematik die Wahlbeteiligungen wieder deutlich ansteigt. Von denjenigen, die wählen gehen, wechseln aber vermehrt viele die Parteifarben. Der Anteil der Wechselwähler bei Bundestagswahlen hat sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt. Spektakulär legen sich insbesondere unpolitische Gesinnungswähler erst wenige Stunden vor der Wahl fest. Sie sind wie Flugsand und können bei knappen Mehrheiten den Ausschlag geben. Der Trend bleibt: Wählerische Wähler wählen! Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Denn trotz Volatilität auf dem Wählermarkt bleibt es bei einer messbaren Rechts-Links-Präferenz des Wählers. Nichts ist so konstant wie die Absicht, die jeweilige Lagerordnung zu bestätigen, so weichgespült das Lager auch sein mag. Noch immer ist die Parteibindung – als Ausdruck der Kontinuität sozialer Interessenlagen – wahlentscheidender als die Sympathie für Personen.747 Wähler vertrauen auf verlässliche, wiedererkennbare Orientierungspunkte und finden in den Parteifarben die jeweiligen Filter. So kann die Wahlforschung in der Summe vielfältige Daten für die Wahlkampfzentralen liefern. Doch die Botschaft ist uneindeutig: Stabile Ambivalenzen und ein geradezu rührender Charme von Anachronismen gehören zum Profil der Wähler. Zugleich wächst der Anspruch der Bürger, sich über Wahlen hinaus in den politischen Prozess einzubringen. Die Begründung von politischen Entscheidungen in Landesparlamenten und dem Bundestag reicht vielen nicht mehr aus. Sie zweifeln an der Repräsentativität der gefällten Entscheidungen. Sie akzeptieren die Legitimation durch die etablierten Verfahren immer weniger; die Suche nach neuer Akzeptanz, nach aufgewerteter Legitimation hat begonnen.748 Um keine Missverständnisse aufkom746 Vgl. Korte 2010b. 747 Vgl. Debus/Müller 2013. 748 Vgl. Leggewie 2013.
201
6. Fazit und Schlussfolgerungen
men zu lassen: Nur ein kleiner Teil will sich überhaupt politisch einbringen.749 Die Mehrzahl der Bürger ist mit dem Prinzip hoch zufrieden, ihren politischen Einfluss repräsentativ zu delegieren – schon aus Zeitgründen. Wie dann letztlich die Entscheidungen in den Parteien fallen, hat in der Regel nur einen begrenzten Aufmerksamkeitswert für durchschnittlich an der Politik interessierte Bürger. Doch für diejenigen, die sich politisch engagieren möchten, hängt – wie die einzelnen Parteienbände aufzeigen – die Qualität einer Entscheidung davon ab, ob sie die Chance hatten, daran in irgendeiner Form beteiligt zu sein. Das ist der sogenannte Prozess-Nutzen der Demokratie.750 Unabhängig davon, ob die Mitglieder am Ende mit dem Ergebnis der Entscheidung einverstanden sind, steigt deren subjektives Wohlbefinden erkennbar an, wenn sie am Prozess der Entscheidungsfindung beteiligt werden.751 Der Prozess-Nutzen ist insofern wichtiger im Hinblick auf die Zufriedenheit von Mitgliedern als der Ergebnis-Nutzen. Wie in diesem Band noch einmal klar herausgestellt wurde, bleiben Parteimitglieder das Fundament der Parteiendemokratie, denn Parteien sind abhängig von ihren Mitgliedern. Insofern nehmen die Parteien diesen Umweltimpuls auf und leiten einen sanften Wandel ein, wenn auch mit einigem Widerstreben, insbesondere der mittleren Parteieliten. Der subtile Widerstand und die ambivalente Haltung resultieren aus einem Dilemma: Durch die zunehmende Beschleunigung gesellschaftlicher und politischer Prozesse steigt der Druck auf die Parteispitzen752, sie spüren daher eine Spannung zwischen reaktionsschneller Effizienz und mitnehmender Legitimität. Die Zeitkrise des Politischen treibt alles an: Verschiedene Zeitstrukturen stehen in einem Wettbewerb zwischen der repräsentativen und der direkten Demokratie. Regieren im Minutentakt kennzeichnet das Politikmanagement der (Spitzen-)Akteure. Die Grenzen des Leistungsvermögens der bestehenden politischen Institutionen werden auch daran sichtbar, dass sich Tendenzen der Selbstentmachtung der Parlamente durch Räte und Kommissionen ebenso ausweiten, wie die Privatisierung von Problemlagen.753 Parteien leiden an dem dadurch verursachten permanenten Kommunikationsstress. Alles, was sie tun, ist unter Echtzeitbedingungen sogleich öffentlich. Parteipolitische Führung, die sich auch neuen Beteiligungsformaten von Nichtmitgliedern stellen will, gerät 749 750 751 752 753
Vgl. Schäfer 2010, Schäfer 2011. Vgl. Leggewie 2011. Vgl. Wuttke/Jungherr/Schoen 2017. Vgl. Rosa 2017. Vgl. Korte 2008: 59-72, Korte/Fröhlich 2009.
202
6. Fazit und Schlussfolgerungen
unter zusätzlichen Partizipations- und Leistungsdruck, was erneut institutionelles Lernen fördert. Robust erscheinen die Parteien, wenn es darum geht, im Wettbewerb der Ereignisdichte noch reaktionsfähig zu bleiben. Die inhaltlichen Auseinandersetzungen um Fragen von Vielfalt, Differenz, Integration und Zuwanderung wurden bereits angesprochen. Sie dominierten in den letzten Jahren die mediale Agenda und die Wahrnehmung der Bürger sowie damit auch den Bundestagswahlkampf 2017. Allerdings weist die Bedeutung dieses Themenfelds über die politikinhaltliche Dimension hinaus auf einen grundsätzlicheren Konflikt. Noch immer gruppiert sich das deutsche Parteiensystem um drei wichtige große gesellschaftspolitische Konfliktlinien: Um die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums, um kulturelle Differenzen der politischen Partizipation (libertär oder autoritär?), um das relative Gewicht von Staat und Markt. Wohlfahrtsstaatliche Themen im Sinne eines „Weiter so!“ entscheiden weiterhin die Wahlen in Deutschland. Gerechtigkeits- und Bürgerrechtsthemen haben traditionell eher geringe Mobilisierungschancen. Das Primat der sozialen und wirtschaftlichen Sicherheit bleibt wahlentscheidend: tiefe Sehnsucht nach Sicherheit (objektive Sicherheitslage und subjektives Sicherheitsgefühl). Die Regierung soll sicherheitskonservativ möglichst vor den Unbilden der Zukunft schützen. Doch seit einiger Zeit kommt eine neue, vierte gesellschaftspolitische Konfliktlinie wirkungsmächtig hinzu. Es ist das ideologische Konfliktpotenzial zwischen kosmopolitischen und kommunitaristischen Werten.754 Gemeint ist das Spannungsfeld zwischen globalisierten Weltbürgern und nationalkonservativen Gemeinschaften. Kommunitaristische Einstellungen favorisieren Zugehörigkeit und Mitgliedschaft in nationalen und kommunalen Kontexten. Kosmopolitische Einstellungen betonen hingegen universelle Verpflichtungen. Da können dann neobiedermeierliche Rückzüge und kulturelle Schutzargumente des eigenen Marktes einem internationalen Freihandelsabkommen wie TTIP entgegenstehen. Da wird die innere Globalisierung – auch als humanitäre Aufgabe immer mehr Flüchtlinge aufzunehmen – infrage gestellt. Letztlich triumphiert im nationalen Kommunitarismus die Volksgemeinschaft gegenüber internationalen Verpflichtungen. Bewegungen und Parteien, die auf diese neue Konfliktlinie der Demokratie eingehen, füllen eine Repräsentationslücke, die von den etablierten Parteien nicht abgedeckt wird. Doch es wäre vereinfacht zu sagen, hier stehen Globalisierungsgewinner gegen Globalisierungsverlierer, die Guten 754 Vgl. Merkel 2015: 492, Kriesi et al. 2006.
203
6. Fazit und Schlussfolgerungen
gegen die Schlechten. Die gesellschaftspolitische Konfliktlinie orientiert sich eher an den Globalisierungsverängstigten. Damit wird deutlich, dass die Dimension des Konfliktes nicht ab-, sondern eher noch zunehmen wird. Doch der Bedarf gerade in der Angst-Mitte der bürgerlichen Wähler für eine Partei, die diese gesellschaftspolitische Konfliktlinie aktiv bedient, wächst. Eine Parlamentarisierung solcher Frust-Ventil-Parteien setzt bislang voraus, dass sie weitgehend ohne dumpfen rechtsextremen Duktus daherkommen. Die globalisierungsverängstigen bürgerlichen Wähler vermissen zudem ein Angebot jenseits der kulturellen Hegemonie der etablierten Parteien. Es ist ein Unbehagen gegen das, was mit „Exzessen der Grünwerdung“755 beschrieben wurde: die Überhöhung der Political Correctness, dem Glauben an die Erziehbarkeit der Bürger und der Neigung, von sich, als den tonangebenden Milieus, auf andere zu schließen. Diese kulturelle Gegen-Hegemonie bricht sich Bahn bei Protestwählern, die diffus gegen das Etablierte und das Elitäre votieren. Bei den Wahlerfolgen der AfD manifestierte sich allerdings eine neue Variante des Protestwählers. Diese neuen Protestwähler aus der Mittelschicht sind emotional verlässlich. Diese Partei wird gewählt, obwohl das Personal weitgehend unbekannt ist, das Programm widersprüchlich daherkommt. Sie lebt von der Provokation der anderen Parteien, die ihr fast täglich den Gefallen tun, auf diese einzugehen und zu reagieren. Sie agiert mit fliegenden Zielen, je nachdem, womit man Tabubrüche spontan erzielen kann. Eurorettungskritik, Flüchtlingszahlen, Anti-Islam – bis zur Bundestagswahl 2017 waren viele Themen en Vogue. Dabei agiert die AfD nicht nur auf den Wellen einer antielitären Wut, nutzt einen antipluralistischen Impuls, sondern sie definiert auch, wer drinnen und wer draußen sein sollte, wer dazugehört und wer nicht. Bei den bislang etablierten Parteien sind die Guten immer die Europäer, die Schlechten sind diejenigen, welche Halt im Nationalen suchen. Aber auch diese beinahe arrogante Alternativlosigkeit der moralisierten Mitte, die Heimatverbundenheit als rückständig kritisiert, verliert Stück für Stück an Wirkungsmacht. Das spricht nicht gegen gute Gründe einer europäischen Vergemeinschaftung. Doch die etablierten Parteien versuchen, verloren gegangenes Terrain zurückzuerobern und mit den Themen sozialer sowie innerer Sicherheit nationale Kompetenzfelder zu besetzen. Die europäische Integration wird seit dem Brexit deutlicher politisiert. So könnte es den etablierten Parteien gelingen, Wählern eine Heimat abseits des Protests zu bieten. 755 Di Lorenzo 2016.
204
6. Fazit und Schlussfolgerungen
Sowenig der Zeitgeist im Moment für die Stabilisierung von Mitgliederorganisationen spricht, so sehr gelang es der AfD doch, innerhalb kürzester Zeit eine hohe Zahl von Mitgliedern anzuziehen. Der Protest wollte schnell und zügig politische Partei werden. Diejenigen, die sich politisch engagieren wollen, suchen nach Formaten konkreter Teilnahme – keiner Simulation von Beteiligung. Anders wäre der rasche Gründungsprozess der AfD nicht erklärbar. Interessanterweise wollen sie dabei Partei sein und gleichzeitig mit Modellen direkter Demokratie die Entscheidung von Parteien aushebeln. Die Parteien, mit denen sich die Parteienreihe beschäftigt hat, sind aber alles andere als passive Beobachter dieser Entwicklung. In ihren Reaktionen zeigen sich Konturen strategischer Entscheidungen, eines Komplexitätsmanagements und vorhandener Risikokompetenz. Zunächst entsteht eine Angebotslücke dadurch, dass die traditionellen Parteien machtarrogant bestimmte Themen ausschließen – wie vor längerer Zeit ökologische Fragen oder vor kürzerer Zeit die Dimension digitaler Lebenswelten. Neue Parteien nutzen diese Lücke. Um auf dem Wählermarkt zu punkten, holen die anderen Parteien aber zügig auf. Sie surfen mit auf den Erfolgswellen der neuen Partei. Sie sind Themen-Diebe. Hier zeigt sich die extreme Lernfähigkeit von Parteien. Anders als noch bei den Grünen oder Piraten gibt es im Umgang mit den Erfolgen der AfD jedoch weitaus höhere Hürden und komplexere Lernkurven, um die Erfolgsthemen zu übernehmen. Da ist zunächst in Teilen rechtsradikales, antisemitisches, völkisches Gedankengut, was keine etablierte Partei übernehmen wird. Da finden sich Volksverhetzung und Gewaltaufrufe, für die das Strafrecht gilt. Hier zeigen sich die traditionellen Parteien geschlossen abwehrbereit. Lernen können die anderen Parteien jedoch vom Duktus in Alternativen zu denken. Wieso gab und gibt es angeblich keine Alternativen zum Euro-Rettungs-Kurs? Wieso konnten einige EU-Länder Grenzen schließen und andere nicht? Wieso lassen sich nicht Lösungen anbieten, die unbegrenzte Freizügigkeit von Personen zeitweise einhegen? Wieso werden Bürgermeister überhört, die mit der sozialen Ungleichheit zwischen Stadtteilen und Problembezirken überfordert sind? Auch der Brexit kam im Mainstream der etablierten Parteien nicht vor. Mit ihm setzt nun ein Umdenken durch Lerneffekte bei den Bundestagsparteien ein. Weitere Erfolge der Rechtspopulisten werden deshalb maßgeblich vom Agieren der anderen Parteien abhängig sein. Und da gibt es aktuell viel zu beobachten. Das gilt vor allem für moralische Höhenflüge der Mitte-Parteien. Wer das in großen Teilen antipluralistische Programm der aufstrebenden Popu-
205
6. Fazit und Schlussfolgerungen
listen kritisierte, tat dies bislang häufig im Gestus des Besserwissers. Populistische Parteien sind nicht nur anti-elitär: „Wir gegen oben!“ Sie sind auch antipluralistisch, weil sie das Wir immer nur auf sich selbst beziehen.756 Wir bedeutet danach der wahre Volkswille. Doch auch liberale Demokraten, die das offene Gesellschaftsmodell verteidigen, verfallen ebenso oft in moralisch abgrenzende Kategorien, die herablassend auf protestbereite Wähler wirken. So sollte der Satz „Wir schaffen das“ die gleiche moralische Qualität haben, wie die Umkehrung „Wir schaffen das nicht“. Wer politische Alternativen nicht denkt, benennt und sich erst im Anschluss argumentativ stark für eine Richtung entscheidet, stärkt den Protest gegen die Alternativlosigkeit. Dass sich alle Alternativen nur im Kontext des Grundgesetzes und damit der Menschwürde bewegen, begrenzt normativ den Gedankenraum, aber sicher nicht die politische Lernkurve. Im Moment ist spürbar, wie sich das neue Denken in Alternativen und ohne Hypermoral ausbreitet. So wird die Lernkurve der Parteien greifbar: Die etablierten Parteien übernehmen keineswegs das antipluralistische Freund-Feind-Denken der Populisten, aber sie prüfen – vor allem in den Landtagen und im neuen Bundestag (19. Legislatur) – ihre Standpunkte, sie suchen den politischen Streit. Offene Gesellschaften sind liberal. Das setzt aber politisierte Alternativen immer voraus, über die laut gestritten werden muss – auch über unplausible Argumente. Jeder öffentlich ausgetragene Konflikt schwächt Kritiker der Alternativlosigkeit, wenn Alternativen zwischen Inländern und Inländern diskutiert werden. Die neue Protestpartei könnte im fluiden Parteiensystem an Zustimmung verlieren, nicht durch die Anbiederung oder therapeutische Hilfs-Versuche der anderen Parteien, die Angst-Mitte zu verstehen, sondern durch Abrüsten des moralischen Hochmuts. Populistische Volksbelauscher überrascht man mit argumentativer Augenhöhe, neugierigem Zuhören und mutiger Zuversicht. Voraussetzung bleibt allerdings, dass sich das potenzielle Wählerklientel überhaupt noch einer öffentlichen Auseinandersetzung stellt. Das deutsche Parteiensystem ist wandlungsfähig.757 Die Wahlbürger erkennen in den ehemals großen Volksparteien immer weniger liebgewonnene mitte-zentrierte Angebote. Die Erosion der Volksparteien ist somit auch Ausdruck einer Repräsentationslücke. Die politische Mitte sortiert sich neu. Was die einen an Themenhoheit verlieren, gewinnen die anderen hin-
756 Vgl. Müller 2016. 757 Vgl. Korte 2017a.
206
6. Fazit und Schlussfolgerungen
zu. Das Parteiensystem als ein System kommunizierender Röhren ist lebendig geblieben. Die systematische Analyse hat gezeigt, wie die Parteien mit Organisationsreformen auf veränderte Erwartungshaltungen reagieren. Hier lassen sich unterschiedliche Stoßrichtungen erkennen: Partizipativer – im Sinne direkter Beteiligungschancen? Deliberativer – im Sinne kommunikativer Austausch- und Willensbildungsprozesse? Liberaler – im Sinne einer Intensivierung der Verfahren der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie? Idealerweise verbindet eine Wiederbelebung der Parteiendemokratie alle drei Richtungen. Dass dies gegenwärtig nicht ausreichend der Fall ist, gehört zum Befund der Krise. Doch als Ausweg könnte die Stärkung von Parteien in mehrfacher Hinsicht Lösungspotenzial enthalten. Zunächst gilt es dabei, die in ein Ungleichgewicht geratende Verschränkung von administrativer Macht und gesellschaftlicher Basis der Parteien zu korrigieren. Die Parteien experimentieren etwa mit einer Erweiterung ihres Mitgliederkonzeptes um flexible Aktivistenkonzepte, um die Gesellschaft und ihre Assoziationen in den eigenen Willensbildungsprozess wieder zu integrieren.758 Statt auf aktive Mitglieder zu warten, könnten andernorts engagierte Bürger als Experten an der eigenen Willensbildung beteiligt werden. Grundsätzlich sind parteipolitisches und zivilgesellschaftliches Engagement keine Gegensätze. Im Gegenteil: Es ist das dauerhafte Bemühen, konkurrierende Partikularinteressen in gesellschaftliche Allgemeinanliegen zu überführen. Der sanfte Wandel zu mehr direkter Demokratie in den Parteien ist Ausdruck einer gewandelten Einstellung zur Repräsentation, denn Parteien bilden die Gesellschaft ab. Die ergebnisorientierte Mitwirkung der Bürger im Sinne einer modernen Partizipation, der sich die Parteien stellen müssen (Einbindung von Nichtwissenskulturen und Gestaltungsöffentlichkeiten, institutionelle Fantasien in der Verzahnung parlamentarischer und außerparlamentarischer Prozesse), sichert nicht nur langfristig die Legitimität der Entscheidung. Zudem steigt die Qualität der Entscheidung, wenn nicht nur über Wissen, sondern auch über Partizipation und Teilhabe neue Akteure mit eingebunden werden.759 Die Entscheidungszumutungen gegenüber den Politikern werden, wenn sich unterschiedliche Kreise in differenzierten Formaten darin wiederfinden, erträglicher für die politischen Akteure. Wenn Krisenmanagement gravierende tägliche Entscheidungen
758 Vgl. Mielke 2009. 759 Vgl. Leggewie/Welzer 2009: 138-149, Alemann/Strünck 1999.
207
6. Fazit und Schlussfolgerungen
verlangt, nutzt die diskursive Rückbindung an Öffentlichkeiten der Feinjustierung plebiszitärer Bedürfnisse. Risikokompetenz der Akteure in einer Regierung würde mithin im Prozess des Verkoppelns760 prozessualer Logiken beziehungsweise unterschiedlicher Entscheidungsarenen bestehen. Parteien wären aktive Spieler in all diesen Arenen, wenn sie auch als Netzwerkparteien ihre Zukunft gestalten. Zurzeit wollen die Parteien durch Partizipationsanreize den Mehrwert einer Parteimitgliedschaft erhöhen. Sie versuchen, sich neue gesellschaftliche Netzwerke zu erschließen, um ihre Problemlösungskompetenzen zu erweitern und ihre gesellschaftliche Verankerung zu erhalten.761 Professionelle Beratung soll das Wissen über kommunalpolitische Sachfragen erhöhen und die Kommunikationsfähigkeiten regionaler Untergliederungen stärken. Dass die Professionalisierung der kommunalen Ebene aber auch zu einer Zentralisierung und damit zu einer Schwächung der Mitgliederpartei führen kann, macht zugleich deutlich, dass die Zukunft der Parteien nicht eindeutig vorgezeichnet ist. Ob die Rückkehr des Plebiszitären tatsächlich zu einer neuen Beteiligungs-Architektur bei den etablierten Parteien führt, bleibt im Moment noch abzuwarten. Zugleich zeigen die Reformbemühungen, dass die Parteien offenbar ihre Grenzen erkennen. Im Parteienstaat-Konzept sehen sie sich für alles zuständig und dehnen ihren Einflussbereich stetig aus – was zweifelsohne nicht mehr zeitgemäß ist. Die Parteien legen sich Selbstbeschränkungen auf. So gilt die Angebotslücke der etablierten Parteien systemimmanent und lässt sich in Teilen nicht schließen. Die Pluralisierung von Lebensstilen und die Individualisierung der Gesellschaft lassen sich auf dem Parteienmarkt überhaupt nur bedingt abbilden. Die Parteien verstehen sich selbst eben nicht als Anbieter für jeweilige individuelle Bedürfnisse. Sie sind in ihrem eigenen Selbstverständnis Organisationen für konzeptionelle Gesellschaftsentwicklungen, nicht für individuelle. Sie bieten den Mitgliedern eine Art Plattform zur Mitarbeit und bleiben auf Eingaben ihrer Mitglieder angewiesen. Dabei schmälert ein taktischer Teil-Rückzug nicht ihre grundsätzliche Bedeutung. Parteien sind es, die in Wahlen antreten. Trotz abnehmender Wahlbeteiligung ist die Repräsentativität des Wählerwillens bei Wahlen weitaus höher als bei allen anderen Formen politischer Beteiligung. Es lässt sich nachweisen, dass alternative Partizipationsformen das Ideal politischer Gleichheit gefährden.762 In weitaus höherem 760 Vgl. Rüb 2008: 102-105. 761 Vgl. Böschen et al. 2008, Grunden/Korte 2011. 762 Vgl. Schäfer 2010, Schäfer 2011.
208
6. Fazit und Schlussfolgerungen
Maße als Wahlen sind alle anderen Formen der politischen Beteiligung sozial verzerrt. Wahlen garantieren relativ gleiche Zugangschancen, weil der individuelle Aufwand gering ist. Alle anderen Beteiligungsformen verlangen dagegen mehr Zeitaufwand, mehr Bildung oder gar zur Mobilisierung auch Geld. 763 Die Forschung konnte nachweisen, wie die Qualität der Demokratie sinkt, wenn der Wahlakt im Falle einer Ausweitung von alternativen Verfahren eine immer geringere Rolle spielt. Zentraler ist jedoch der Qualitätsverlust in der Demokratie durch NichtWahl. Denn auch zunehmende Nichtwähler verzerren das Ergebnis der Wahl unter sozialstrukturellen Gesichtspunkten. Das untere Einkommensdrittel geht nur noch rudimentär zur Wahl und beteiligt sich auch nicht an anderen politischen Partizipationsformaten. Da die soziale Ungleichheit in Deutschland zunimmt, hat das langfristig große Wirkungen auf die Qualität der Demokratie.764 Parteien sind nicht nur das kleinere Übel im Hinblick auf geringere soziale Verzerrungen der Ergebnisse der Politik; sie können über ihre Beteiligung an Wahlen auch aktiv dazu beitragen, Politik für diejenigen repräsentativ zu machen, denen ganz offensichtlich die Ressourcen für Teilhabe fehlen. In Deutschland hat Parteienkritik eine lange Tradition.765 Doch trotz aller auch berechtigten Detailkritik: Parteien stehen für die modernste Form politischer Willensbildung in repräsentativen Demokratien. Wer sollte stellvertretend für sie an freien Wahlen teilnehmen? Welche anderen repräsentativen Gruppen wären gleichermaßen politisch legitimiert, Entscheidungen für uns zu treffen? Wie könnten wir ohne Parteien politische Teilhabe fair organisieren, die nicht nur spontane Betroffenheit widerspiegelt? Die Parteien reagieren auf die Herausforderungen von Geschwindigkeit, Zeitdruck, Komplexität und Risiko. Sie bleiben Mittler und Transmissionsriemen beim Komplexitätsmanagement von Entscheidungen. Da Parteien das Personal für die politischen Spitzenämter stellen, sind sie relevant, wenn es sich um potenzielle Handlungsanleitungen im Umfeld einer sich entwickelnden Risikokompetenz dreht. Die volle Kraft durch Responsivität der Parteien wird man nutzen können, wenn man die konzeptionellen Suchbewegungen in Richtung einer Re-Integration in die Willensbildungsprozesse der Parteien lenkt.766 Denn die Parteiendemokratie 763 764 765 766
Vgl. Schäfer 2010: 151. Vgl. Schäfer 2010, Faas/Siri 2017: 254. Vgl. Hofmann 1992, Rüttgers 2012. Vgl. Grunden/Korte 2011: 90.
209
6. Fazit und Schlussfolgerungen
hat als „Schleuse“ zwischen Staat und Gesellschaft nach wie vor großes Leistungspotenzial. Für die kontinuierliche Aggregation und Integration von Werten und Interessen, ihre Überführung in staatliches Handeln und für die Möglichkeit der Verortung demokratischer Verantwortung existieren bisher keine Alternativen. Ohne das Dach gemeinsamer Grundüberzeugungen muss das Wirkungsspektrum einer politikbezogenen Gesellschaftsberatung begrenzt bleiben. Erst wenn gemeinsame Werte mit lebensweltlichen Erfahrungen und wissenschaftlicher Expertise zusammengeführt werden, entfaltet sie ihr volles Potenzial. Dies können Parteien leisten. Wenn Risiko, etwa aufgrund Komplexität oder Zeitdruck, zum Regelfall der Politik mutiert, könnte zukunftsfähige Politik auch Konsequenzen auf die Struktur der Entscheidungen haben. Zukunftsfähigkeit könnte darin bestehen, grundsätzlich lernend, fehlerfreundlich und somit stets reversibel zu handeln.767 Die Qualität von Entscheidungsprozessen kann sich dadurch verbessern, weil auch die Fehlerfreundlichkeit von Entscheidungen in und zwischen den Parteien kommuniziert werden müsste. Die Mitgliederparteien haben sich noch nicht aufgegeben. Auch das Konzept von Volksparteien hat in Zeiten antipluralistischer Stimmungen eine besondere demokratiefördernde Funktion. Denn die Kernkompetenz von Volksparteien besteht darin, Konflikte von berechtigten, aber divergierenden Interessen auszutarieren. Damit werden diese Interessenunterschiede zum Gemeinwohl hin ausgeglichen. Das ist unerlässlich in einer Demokratie, die repräsentativ verfasst ist. Schließlich reagieren die Parteien auf die Verschiebungen des Wählermarktes auf der parlamentarischen Ebene mit der Öffnung für neue Regierungsbündnisse. Innerhalb der tradierten parteipolitischen Lager sind keine Bündnisse mehr kalkulierbar mehrheitsfähig.768 Ehemals große Volksparteien haben sich in den letzten Jahren häufig im Bund und in den Ländern von Sieg zu Sieg geschrumpft. Bei der Bundestagswahl 2017 kommt eine Große Koalition nur noch knapp auf eine Mehrheit der Sitze, sie entspricht damit vielmehr inzwischen einer regulären kleinen Koalition. Mittlerweile reichen sogar gelegentlich, wie der Blick in einige Landtage zeigt, Koalitionen aus Union und SPD nicht mehr aus, um mehrheitsfähig zu werden. Bunte Koalitionsmuster kennzeichnen deshalb die Vielfalt von Mehrheitsfraktionen in deutschen Parlamenten. Fünf und Sechs-ParteienParlamente in den Ländern kreieren eine bunte Republik. Postmoderne
767 Vgl. Welzer 2010. 768 Vgl. Korte 2017a.
210
6. Fazit und Schlussfolgerungen
Regierungsbildungen (Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen oder lagerübergreifende Koalitionen) und Siege der mittelgroßen Parteien (Baden-Württemberg) zeigen diesen Wandel.769 Die Parteien zeigen sich insofern beweglich, wenn es darum geht, aus dem Wählerauftrag am Wahltag eine Regierungsmehrheit zu bilden. Wird das Kurzfristige, das Flüchtige, das Unerwartete, die Permanenz des Dynamischen zum bleibenden Kennzeichen? Nicht die Wähler haben bei der Bundestagswahl 2017 über die Zusammensetzung der kommenden Bundesregierung entschieden, diese Wahl treffen alleine die Parteien. Denn je koalitionsoffener sie agieren, desto wahrscheinlicher tragen sie die neue Regierung. Nur mit der AfD will bislang niemand koalieren. Alle Anderen sind zumindest offen für bunte und Viel-Parteien-Koalitionen. Dass für neue Bündnisformate durchaus hohe Hürden bestehen und es hier kein Determinismus zur Regierungsbildung gibt, haben die gescheiterten Jamaika-Sondierungen gezeigt. Dennoch gilt, dass gute Wahlergebnisse nicht mehr zwingend entscheidend sein müssen, um mitregieren zu können. Wichtiger ist, die Koalitionsoptionen pragmatisch möglichst offen zu halten. Mehrheiten können sich mit einer Obama-Strategie ergeben: durch das Sammeln von Minderheiten. Zusammenfassend können wir uns somit auf das Unerwartete im zukünftigen Parteienwettbewerb der digitalen Demokratie einstellen. Komplexe Systeme wie unsere Demokratie führen zu emergenten Strukturen:770 Die Summe des Parteien-, Koalitions- und Wählermarktes enthält überraschende Ergebnisse, die sich keineswegs in den Einzelteilen bereits verbergen. Die politische Stabilität unserer Demokratie ist durch diese Entwicklungen nicht gefährdet. Wer mit Neuwahlen rechnet, gewöhnt sich routiniert an rasche Wechsel. Wer stimmungsflüchtige Machtgrundlagen fürchtet, kann digital darauf reagieren. Wer am Delegations- und Repräsentationsprinzip für Willensbildung und Entscheidungsfindung festhält, sollte zeitgleich Kulturen des Mitentscheidens und ein Recht auf Feedback fördern. Wer die Labilität schätzt, freut sich über Neuanfänge. Trotz aller Unübersichtlichkeit bleibt eine erfreuliche Konstante: Die Parteien sind in der Mehrheit immer noch politisch extrem mitte-zentriert und weit entfernt vom antimodernen Rechtspopulismus. Innerparteiliche Demokratie ist zwar nicht der Antriebsmotor all dieser Veränderungen. Aber das veränderte Teilhabe-Bedürfnis wird von den Parteiführungen antizipiert.
769 Vgl. Korte 2010a, Korte 2010b. 770 Vgl. Mainzer 2008.
211
6. Fazit und Schlussfolgerungen
Parteien sind Begleiter des Wandels,771 sie sind lernende Organisationen mit extrem hoher Anpassungsflexibilität.772 Externe Schocks fördern ebenso den Wandel wie strategisch denkende Köpfe oder strategische Zentren in den Parteien. Die Parteien strotzen keineswegs vor Vitalität, zeigen sich aber extrem robust, krisenfest und wandlungsfähig. In ihren strategischen Zentren verfügen sie vielfach bereits über Risikokompetenz.773 Um Legitimität zu generieren, öffnen sie sich verstärkt auch Nichtmitgliedern.774 Es bleibt festzuhalten, dass eine innerparteiliche Demokratie unter Einbeziehung aller Mitglieder, bei der Willensbildung und Entscheidungsfindung systematisch von unten nach oben verlaufen, Illusion bleiben muss. Aber zumindest ist erkennbar auch das Gegenteil, die innerparteiliche Oligarchie, nicht Alltag in den Parteien.775 Faktisch lassen sich differenzierte Modelle herausarbeiten, wie Entscheidungen zustande kommen: zwischen dezentralen und repräsentativ-demokratischen Strukturen, in der sich Führung durch kommunikative Verfahren, aber vor allem auch durch antizipierende Reaktionen, manifestiert.
771 772 773 774 775
Vgl. Korte 2011a. Vgl. Wiesendahl 2010: 35f. Vgl. Grunden/Korte 2011: 84-89. Vgl. Jun 2010: 28-32, Alemann/Strünck 1999. Vgl. Rudzio 2015: 155.
212
213
7. Literatur
Alemann, Ulrich von / Laux, Annika 2012: Die Mitglieder als Faktor innerparteilicher Willensbildung und Entscheidungsfindung, in: Korte, Karl-Rudolf / Treibel, Jan (Hrsg.): Wie entscheiden Parteien? Prozesse innerparteilicher Willensbildung in Deutschland. ZPol Sonderband 2012, Baden-Baden, S. 249-266. Alemann, Ulrich von / Strünck, Christoph 1999: Die Weite des politischen VorRaumes. Partizipation in der Parteiendemokratie, in: Kamps, Klaus (Hrsg.): Elektronische Demokratie? Perspektiven politischer Partizipation, Opladen/ Wiesbaden, S. 21-38. Alemann, Ulrich von 2003: Das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland, Bonn. Anan, Deniz 2017: Parteiprogramme im Wandel. Ein Vergleich von FDP und Grünen zwischen 1971 und 2013, Wiesbaden. Auer, J. Jeffery 1962: The Counterfeit Debates, in: The Great Debates. Background, Perspective, Effects, hg. v. Sidney Kraus, Bloomington 1962, S. 142-150. Bäcker, Alexandra 2011: Dritte im Bunde. Zur Beteiligung von Nichtmitgliedern in politischen Parteien, in: Recht und Politik 47 (3), S. 151–159. Bannas, Günter 1991: Das schlechte Ergebnis ist dem wiedergewählten Bundesvorsitzenden der FDP völlig Wurscht, in Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4.11.1991, S. 3. Bannas, Günter 2014: Politische Plauderrunde im Kanzleramt, in: faz.net vom 6.10.2014 http://www.faz.net/aktuell/politik/erste-sitzung-des-koalitionsausschus ses-im-kanzleramt-13192660.html (Stand: 28.9.2017). Beller, Dennis / Belloni, Frank 1978: Party and Faction: Modes of Political Competition, in: Belloni, Frank / Beller, Dennis (Hrsg.): Faction Politics: Political Parties and Factionalism in Comparative Perspective, Santa Barbara, S. 417-450. Benoit, William L. / Stein, Kevin A. / Hansen, Glenn J. 2004: Newspaper coverage of presidential debates, in: Argumentation and Advocacy 41 (2004), S. 17-27. Benoit, William L. / Pier, P.M. / Brazeal, LeAnn M. / McHale, John R. / Klyukovski, Andrew / Airne, David 2002: The primary decision: A functional analysis of debates in presidential primaries, Westport. Beyme, Klaus von 2000: Parteien im Wandel: Von den Volksparteien zu den professionalisierten Wählerparteien, Wiesbaden. Beyme, Klaus von 2002: Funktionenwandel der Parteien in der Entwicklung von der Massenmitgliederpartei zur Partei der Berufspolitiker, in: Gabriel, Oscar W. / Niedermayer, Oskar / Stöss, Richard (Hrsg.): Parteiendemokratie in Deutschland, 2. Aufl.,Opladen, S. 315-339.
7. Literatur Bieber, Christoph / Blätte, Andreas / Korte, Karl-Rudolf / Switek, Niko 2017: Problem-Dimensionen: Regieren in der Einwanderungsgesellschaft, in: Dies. (Hrsg.): Regieren in der Einwanderungsgesellschaft. Impulse zur Integrationsdebatte aus Sicht der Regierungsforschung, Wiesbaden, S. 1-5. Bieber, Christoph / Leggewie, Claus (Hrsg.) 2012: Unter Piraten. Erkundungen in einer neuen politischen Arena, Bielefeld. Bieber, Christoph / Lewitzki, Markus 2012: Die Piratenpartei: Organisieren ohne Organisation?, in: Korte, Karl-Rudolf / Treibel, Jan (Hrsg.): Wie entscheiden Parteien?, Baden-Baden, S. 219–247. Bieber, Christoph 1999: Politische Projekte im Internet. Online-Kommunikation und politische Öffentlichkeit, Frankfurt. Bieber, Christoph 2002: Parteienkommunikation im Internet: Modernisierung von Mitgliederparteien?, in: Gabriel, Oscar W. / Niedermayer, Oskar / Stöss, Richard (Hrsg.): Parteiendemokratie in Deutschland, 2. Aufl., Opladen, S. 553–569. Bieber, Christoph 2010: Das „Kanzlerduell“ als Multimedia-Debatte. Politische Kommunikation und Bürgerbeteiligung zwischen TV und Internet, in: Korte, Karl-Rudolf (Hrsg.): Die Bundestagswahl 2009. Analysen der Wahl-, Parteien-, Kommunikations- und Regierungsforschung, Wiesbaden, S. 239-261. Bieber, Christoph 2014: Online-Partizipation in Parteien – Ein Überblick, in: Voss, Kathrin (Hrsg.): Internet und Partizipation, Wiesbaden, S. 173–191. Bieber, Christoph 2016: Wer darf auf die große Bühne?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 10.3.2016, S. 15. Biehl, Heiko 2005: Parteimitglieder im Wandel: Partizipation und Repräsentation, Wiesbaden. Biehl, Heiko 2017: Je kleiner, desto feiner… Mitgliederschwund und sozialer Repräsentationsverlust der Parteien, in: Wiesendahl, Elmar (Hrsg.): Parteien und soziale Ungleichheit, Wiesbaden, S. 223–241. Blais, André / Perella, Andrea M.L. 2008: Systemic Effects of Televised Candidates’ Debates, in: The International Journal of Press/Politics 13 (2008), S. 451-464. Blank, Florian 2009: Innerparteiliche Demokratie, in: Andersen, Uwe / Wichard, Woyke (Hrsg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, 6. Auflage. Aufl., Wiesbaden, S. 285-288. Blitzer, Lloyd und Rueter, Theodore 1980: Carter vs. Ford. The Counterfeit Debates of 1976, Madison. Bogumil, Jörg / Lange, Hans-Jürgen 1991: Computer in Parteien und Verbänden, Opladen. Bogumil, Jörg / Schmid, Josef 2001: Politik in Organisationen: Organisationstheoretische Ansätze und praxisbezogene Anwendungsbeispiele, Opladen. Böhmer, Anne / Weissenbach, Kristina 2018: Gekommen um zu bleiben? Zum Zusammenhang des Institutionalisierungsprozess der AfD und ihren Erfolgschancen nach der Bundestagswahl 2017, in: Korte, Karl-Rudolf / Schoofs, Jan (Hrsg.): Die Bundestagswahl 2017, Wiesbaden, i.E.
214
7. Literatur Bolleyer, Nicole 2012: The Partisan Usage of Parliamentary Salaries: Informal Party Practices Compared, in: West European Politics 35 (2), S. 209-237. Bonotti, Matteo 2011: Conceptualising Political Parties: A normative Framework, in: Politics 31 (1), S. 19-26. Bösch, Frank 2013: Christlich-Demokratische Union Deutschlands (CDU), in: Decker, Frank / Neu, Viola (Hrsg.): Handbuch der deutschen Parteien, 2. Aufl., Wiesbaden, S. 203-218. Böschen, Stefan / Kastenhofer, Karen / Rust, Ina / Soentgen, Jens / Wehling, Peter 2008: Entscheidungen unter Bedingungen pluraler Nichtwissenskulturen, in: Mayntz, Renate / Neidhardt, Friedhelm / Weingart, Peter / Wengenroth, Ulrich (Hrsg.): Wissensproduktion und Wissenstransfer, Bielefeld, S. 197-219. Bovermann, Rainer 2005: "Alle Macht den Mitgliedern"? Die Diskussion über Instrumente direkter Beteiligung in den deutschen Großparteien, in: Gawrich, Andrea / Lietzmann, Hans J. / Bleek, Wilhelm (Hrsg.): Politik und Geschichte. „Gute Politik“ und ihre Zeit. Wilhelm Bleek zum 65. Geburtstag, S. 210–220. Braun, Stefan 2013: Aderlass zum Neuanfang der FDP, in: Sueddeutsche.de http:// www.sueddeutsche.de/politik/nach-wahldebakel-aderlass-zum-neuanfang-der-fd p-1.1781012 (Stand: 15.9.2017). Bräuninger, Thomas / Debus, Marc 2012: Parteienwettbewerb in den deutschen Bundesländern, Wiesbaden. Bremer, Helmut / Lange-Vester, Andrea 2007: Soziale Milieus und Wandel der Sozialstruktur, Wiesbaden. Brettschneider, Frank 2015: Wahlkampfkommunikation 2013: Themenmanagement mit Wahlprogrammen, Plakaten und Kanzlerduell?, in: Jäckel, Michael / Jun, Uwe (Hrsg.): Wandel und Kontinuität der politischen Kommunikation, Opladen/ Berlin/Toronto, S. 45-64. Brettschneider, Frank 2017: Wahlkampf: Funktionen, Instrumente und Fake News, in: Bürger & Staat 67 (2017), H. 2, S. 146-153. Bukow, Sebastian / Jun, Uwe 2016: Parteien und moderne Staatlichkeit, in: Bukow, Sebastian / Jun, Uwe / Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Parteien in Staat und Gesellschaft. Zum Verhältnis von Parteienstaat und Parteiendemokratie, Wiesbaden, S. 3-13. Bukow, Sebastian / Poguntke, Thomas 2013: Innerparteiliche Organisation und Willensbildung, in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Handbuch Parteienforschung, Wiesbaden, S. 179-209. Bukow, Sebastian 2009a: Parteien auf dem Weg zur mitgliederbasierten Leitorganisation: Organisationsreformen zwischen Wettbewerbsdruck und institutionellen Erwartungen, in: Wetzel, Ralf / Aderhold, Jens / Rückert-John, Jana (Hrsg.): Die Organisation in unruhigen Zeiten, Heidelberg, S. 105–124. Bukow, Sebastian 2009b: Parteiorganisationsreformen zwischen funktioneller Notwendigkeit und institutionellen Erwartungen, in: Jun, Uwe / Niedermayer, Oskar / Wiesendahl, Elmar (Hrsg.): Die Zukunft der Mitgliederpartei, Leverkusen, S. 211–228.
215
7. Literatur Bukow, Sebastian 2013a: Die professionalisierte Mitgliederpartei. Politische Parteien zwischen institutionellen Erwartungen und organisationaler Wirklichkeit, Wiesbaden. Bukow, Sebastian 2013b: Die Wiederentdeckung der mitgliedschaftsbasierten Parteiorganisation: Ziele, Prozess und Ergebnisse der SPD-Parteireform 2009-2011, in: Niedermayer, Oskar / Höhne, Benjamin / Jun, Uwe (Hrsg.): Abkehr von den Parteien?, Wiesbaden, S. 231–259. Bullwinkel, Bastian / Probst, Lothar 2014: Innerparteiliche Willensbildung und Entscheidungs-prozesse durch digitale Partizipation. Ein Praxistest des Konzepts der Liquid Democracy, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 45 (2), S. 382-401. Caspari, Lisa 2017: „Schulz sollte im TV-Duell nicht mit Merkel reden", Interview mit Frank Stauss, in: Zeit Online v. 30.8.2017, http://www.zeit.de/politik/deutsch land/2017-08/bundestagswahlkampf-tv-duell-martin-schulz-frank-stauss (Stand: 18.9.2017). CDU 2015: Meine CDU 2017. Die Volkspartei (Beschluss des 28. Parteitags in Karlsruhe). Cordes, Doris 2002: Parteienfinanzierung in Deutschland: Transparenz durch Rechenschaftspflicht?, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 31 (1), S. 61-72. D’Antonio, Oliver / Werwath, Christian 2012: Die CDU: Innerparteiliche Willensbildung zwischen Gremienarbeit und Grauzone, in: Korte, Karl-Rudolf / Treibel, Jan (Hrsg.): Wie entscheiden Parteien? Prozesse innerparteilicher Willensbildung in Deutschland. ZPol Sonderband 2012, Baden-Baden S. 35-61. Däubler, Thomas 2012: Wie entstehen Wahlprogramme? Eine Untersuchung zur Landtagswahl in Baden-Württemberg 2006, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft 22 (3), S. 333-365. Debus, Marc / Müller, Jochen 2013: Lohnt sich der Sprung über den Lagergraben? Existenz und Effekte politischer Lager im bundesdeutschen Parteienwettbewerb, in: Decker, Frank / Jesse, Eckhard (Hrsg.): Die deutsche Koalitionsdemokratie vor der Bundestagswahl 2013, Baden-Baden, S. 259-278. Decker, Frank / Jesse, Eckhard 2013: Koalitionslandschaft im Wandel? Eine Einführung, in: Dies. (Hrsg.): Die deutsche Koalitionsdemokratie vor der Bundestagswahl 2013. Parteiensystem und Regierungsbildung im internationalen Vergleich, Baden-Baden, S. 9-34. Decker, Frank / Küppers, Anne 2015: Reformen der Mitgliederpartei, in: Decker, Frank (Hrsg.): Parteiendemokratie im Wandel, Baden-Baden, S. 237–260. Decker, Frank 2009: Koalitionsaussagen der Parteien vor Wahlen. Eine Forschungsskizze im Kontext des deutschen Regierungssystems, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 40 (2), S. 431-453.
216
7. Literatur Decker, Frank 2017: Die Organisation der LINKEN, Dossier Parteien in Deutschland vom 28.6.2017, Bundeszentrale für Politische Bildung http://www.bpb.de/p olitik/grundfragen/parteien-in-deutschland/die-linke/42135/organisation (Stand: 15.9.2017). Delhees, Stefanie / Korte, Karl-Rudolf / Schartau, Florian / Switek, Niko / Weissenbach, Kristina 2008: Wohlfahrtsstaatliche Reformkommunikation. Westeuropäische Parteien auf Mehrheitssuche, Baden-Baden. Detterbeck, Klaus 2002: Der Wandel politischer Parteien in Westeuropa: eine vergleichende Untersuchung von Organisationsstrukturen, politischer Rolle und Wettbewerbsverhalten von Großparteien in Dänemark, Deutschland, Großbritannien und der Schweiz, 1960-1999, Opladen. Detterbeck, Klaus 2005: Die strategische Bedeutung von Mitgliedern für moderne Parteien, in: Schmid, Josef / Zolleis, Udo (Hrsg.): Zwischen Anarchie und Strategie, Wiesbaden, S. 63-76. Detterbeck, Klaus 2011: Parteien und Parteiensystem, Konstanz und München. Detterbeck, Klaus 2014: Urwahlen in den deutschen Landesparteien, in: Münch, Ursula / Kranenpohl, Uwe / Gast, Henrik (Hrsg.): Parteien und Demokratie, Baden-Baden, S. 113-132. Detterbeck, Klaus 2016: Kartellparteien im Mehrebenensystem, in: Bukow, Sebastian / Jun, Uwe / Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Parteien in Staat und Gesellschaft. Zum Verhältnis von Parteienstaat und Parteiendemokratie, Wiesbaden, S. 111-129. Deutscher Journalisten-Verband 2017: Kanzlerduell. Veränderungen erforderlich, Pressemitteilung v. 29.8.2017, https://www.djv.de/startseite/profil/der-djv/presse bereich-download/pressemitteilungen/detail/article/veraenderungen-erforderlich. html (Stand: 18.9.2017). Dewan, Torun / Squintani, Francesco 2015: In Defense of Factions, in: American Journal of Political Science 60 (4), S. 860-881. Di Lorenzo, Giovanni 2016: Die Allmacht der Grünen, in: ZEIT Online v. 28.9.2016 http://www.zeit.de/2016/40/opposition-gruene-afd-wahl (Stand: 7.12.2017). Dilling, Matthias 2017: Die CDU. Repräsentationsgarantien und -defizite einer Volkspartei, in: Wiesendahl, Elmar (Hrsg.): Parteien und soziale Ungleichheit, Wiesbaden, S. 89-121. Dinter, Jan / Haußner, Stefan / Switek, Niko / Weissenbach, Kristina 2017: Wahlnachlese 2017: Einflussreiche Medien – Hohe Mobilisierung – Neue Partei – Schwierige Koalitionsbildung, in: Einsichten und Perspektiven: Bayerische Zeitschrift für Politik und Geschichte (4), S. 44 – 61. Dinter, Jan / Weissenbach, Kristina 2015: Alles Neu! Das Experiment TV-Debatte im Europawahlkampf 2014, in: Kaeding, Michael / Switek, Niko (Hrsg.): Die Europawahl 2014. Spitzenkandidaten, Protestparteien, Nichtwähler, Wiesbaden, S. 233-246.
217
7. Literatur Dinter, Jan / Weissenbach, Kristina 2017: Das TV Duell im Bundestagswahlkampf 2017. Stellenwert und Wirkungspotential eines Medienereignisses zum Höhepunkt des Wahlkampfes, in: Einsichten und Perspektiven, Heft 3/2017, München, S. 32-43. Dittberner, Jürgen 2010: Die FDP. Geschichte, Personen, Organisation, Perspektiven. Eine Einführung, 2. Aufl., Wiesbaden. Donges, Patrick 2008: Medialisierung politischer Organisationen. Parteien in der Mediengesellschaft, Wiesbaden. Donges, Patrick 2010: Parteikommunikation zwischen Fragmentierung und Geschlossenheit, in: Jun, Uwe / Höhne, Benjamin (Hrsg.): Parteien als fragmentierte Organisationen. Erfolgsbedingungen und Veränderungsprozesse, Opladen, S. 65-84. Dose, Nicolai / Fischer, Anne-Kathrin 2013: Mitgliederschwund und Überalterung der Parteien. Prognose der Mitgliederzahlen bis 2040, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 44 (4), S. 892-900. Dose, Nicolai 2014: Innerparteiliche Demokratie: Der Mitgliederentscheid bei der SPD, in: Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, 62 (4), S. 519-527. Downs, Anthony 1957: An Economic Theory of Democracy, New York. Downs, Anthony 1967: Inside Bureaucracy, Boston. Dümig, Kathrin / Trefs, Matthias / Zohlnhöfer, Reimut 2006: Die Faktionen der CDU: Bändigung durch institutionalisierte Einbindung, in: Köllner, Patrick / Basedau, Matthias / Erdmann, Gero (Hrsg.): Innerparteiliche Machtgruppen. Faktionalismus im internationalen Vergleich, Frankfurt/New York, S. 99-129. Dürr, Tobias 2001: Parteireform als Ritual. Die CDU zum Beispiel, in: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen 14 (3), S. 75-81. Eith, Ulrich / Mielke, Gerd (Hrsg.) 2001: Gesellschaftliche Konflikte und Parteiensysteme. Länder- und Regionalstudien, Opladen. Eith, Ulrich 2003: Entstrukturierung und Entpolitisierung durch Akteursverhalten? Politischer Wettbewerb in Deutschland und Europa, in: Glaab, Manuela (Hrsg.): Impulse für eine neue Parteiendemokratie. Analysen zu Krise und Reform, München, S. 39-65. Eldersveld, Samuel James 1964: Political parties: a behavioral analysis, Chicago. Faas, Thorsten / Krewel, Mona 2017: Eine komplexe Dreiecksbeziehung. Politik – Medien – Bürger_innen und ihre wechselseitigen Einflüsse, Bonn. Faas, Thorsten / Siri, Jasmin 2017: Soziale Ungleichheit und das Wahlbeteiligungsgefälle, in: Wiesendahl, Elmar (Hrsg.): Parteien und soziale Ungleichheit, Wiesbaden, S. 243-257. Falter, Jürgen W. / Schoen, Harald (Hrsg.) 2014: Handbuch Wahlforschung, Wiesbaden. Feldenkirchen, Markus 2017: Die Schulz Story, in: Der Spiegel, Heft 40/2017. Florack, Martin 2013: Transformation der Kernexekutive. Eine neo-institutionalistische Analyse der Regierungsorganisation in NRW 2005-2010, Wiesbaden.
218
7. Literatur Florack, Martin / Grunden, Timo / Korte, Karl-Rudolf 2005: Strategien erfolgreicher Mitgliederrekrutierung der politischen Parteien, in: Schmid, Josef / Zolleis, Udo (Hrsg.): Zwischen Anarchie und Strategie. Der Erfolg von Parteiorganisationen, Wiesbaden, S. 96-113. Franzmann, Simon / Kaiser, André 2006: Locating Political Parties in Policy Space. A Reanalysis of Party Manifesto Data in: Party Politics 12 (2), S. 163-188. Franzmann, Simon 2017: Von der Euro-Opposition zur Kosmopolitismus- Opposition. Der Fall der deutschen AfD. In: Anders, Lisa / Scheller, Henrik / Tuntschew, Thomas (Hrsg.): Parteien und die Politisierung der Europäischen Union, Wiesbaden 2017. Fröhlich, Manuel 2002: „Dritter Weg“ und „Neue Mitte“ – Gemeinsame Konsequenzen für das politische Handeln, in: Korte, Karl-Rudolf / Hirscher, Gerhard (Hrsg.): Darstellungspolitik oder Entscheidungspolitik? Über den Wandel von Politikstilen in westlichen Demokratien, München, S. 125-145. Gauja, Anika 2013: Policy Development and Intra-Party Democracy, in: Cross, William P. / Katz, Richard S. (Hrsg.): The challenges of intra-party democracy, Oxford, S. 116-135. Gehse, Oliver 2010: Vorstandsmitglieder kraft Amtes in politischen Parteien, Baden-Baden. Gerl, Katharina / Marschall, Stefan / Wilker, Nadja 2016: Innerparteiliche Demokratie 2.0? Partizipation von Parteimitgliedern im Internet. Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft 10 (Sonderheft 2/2016), S. 115–149. Glaab, Manuela 2013: Politische Führung als strategischer Faktor. Was individuelle Akteure leisten können, in: Korte, Karl-Rudolf / Grunden, Timo (Hrsg.): Handbuch Regierungsforschung, Wiesbaden, S. 349-357. Gordon, Ann / Miller, Jerry L. 2004: Values and Persuasion during the first BushGore presidential debate, in: Political Communication 21 (2004), S. 71-92. Grabow, Karsten 2000: Abschied von der Massenpartei: Die Entwicklung der Organisationsmuster von SPD und CDU seit der deutschen Vereinigung, Wiesbaden. Grasselt, Nico / Korte, Karl-Rudolf 2007: Führung in Politik und Wirtschaft, Wiesbaden. Greene, Zachary / Haber, Matthias 2014: Leadership Competition and Disagreement at Party National Congresses, in: British Journal of Political Science 46 (03), S. 611-632. Groh, Kathrin 2012: Der Wandel von Mitgliederparteien zu Wählerparteien – Setzt das Grundgesetz einen bestimmten Parteientypus voraus?, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 43 (4), S. 784-798. Grunden, Timo / Janetzki, Maximilian / Salandi, Julian 2017: Die SPD. Evolution einer Partei, Baden-Baden.
219
7. Literatur Grunden, Timo / Karl-Rudolf Korte 2011: Gesellschaftsberatung in der Parteiendemokratie – Herausforderungen, Risiken und Potenziale, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Wie Politik von Bürgern lernen kann. Potenziale politikbezogener Gesellschaftsberatung, Gütersloh, S. 62-96. Grunden, Timo 2009: Politikberatung im Innenhof der Macht. Zu Einfluss und Funktion der persönlichen Berater deutscher Ministerpräsidenten, Wiesbaden. Grunden, Timo 2011: Informelles Regieren, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft 21 (1), S. 153-185. Grunden, Timo 2013: Formales und informelles Regieren in rechtsstaatlichen Demokratien: Analysezugänge und Untersuchungsgegenstände, in: Korte, Karl-Rudolf / Grunden, Timo (Hrsg.): Handbuch Regierungsforschung, Wiesbaden, S. 219-228. Hagen, Kevin 2016: Linkes Spiel, in: Spiegel Online v. 5.12.2016 http://www.spieg el.de/politik/deutschland/sahra-wagenknecht-und-katja-kipping-linkes-spiel-vorder-bundestagswahl-2017-a-1124394.html (Stand: 15.9.2017). Hanel, Katharina / Marschall, Stefan 2012: Die Nutzung kollaborativer OnlinePlattformen durch Parteien. "Top down" oder "bottom up"?, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft 22 (1), S. 5-34. Harmel, Robert / Janda, Kenneth 1994: An integrated theory of party goals and party change, in: Journal of Theoretical Politics 6 (3), S. 259-287. Harmel, Robert / Tan, Alexander C. / Janda, Kenneth / Smith, Jason Matthew 2016: Manifestos and the "two faces" of parties: Addressing both members and voters with one document, in: Party Politics, S. 1-11. Hartmann, Jürgen 2013: Das politische System der BRD im Kontext, Wiesbaden. Hegelich, Simon 2017: #FDPleaks: Hype und Hybris im Datenwahlkampf, in Blog: http://politicaldatascience.blogspot.de/2017/08/fdpleaks-hype-und-hybris-im.htm l (11.1.2017). Herzog, Dieter 1997: Die Führungsgremien der Parteien: Funktionswandel und Strukturentwicklung, in: Gabriel, Oscar W. / Niedermayer, Oskar / Stöss, Richard (Hrsg.): Parteiendemokratie in Deutschland, Bonn, S. 301-322. Hildebrand, Kathleen 2017: Die Angst der Moderatoren vor dem Mob, in: Sueddeutsche.de v. 4.9.2017, http://www.sueddeutsche.de/medien/tv-duell-die-angstder-moderatoren-vor-dem-mob-1.3652046 (Stand: 18.9.2017). Hilmer, Richard / Merz, Stefan 2014: Die Bundestagswahl vom 22. September 2013: Merkels Meisterstück, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 45 (1), S. 175-206. Hirscher, Gerhard / Korte, Karl-Rudolf (Hrsg.) 2001: Aufstieg und Fall von Regierungen. Machterwerb und Machterosionen in westlichen Demokratien, München. Hirschman, Albert O. 1970: Exit, voice and loyalty: responses to decline in firms, organizations, and states, Cambridge.
220
7. Literatur Hoffmann, Hanna 2011: Warum werden Bürger Mitglied in einer Partei?, in: Spier, Tim / Klein, Markus / Alemann, Ulrich von / Hoffmann, Hanna / Laux, Annika / Nonnenmacher, Alexandra / Rohrbach, Katharina (Hrsg.): Parteimitglieder in Deutschland, Wiesbaden, S. 79-95. Hofmann, Gunter (Hrsg.) 1992: Die Kontroverse: Weizsäckers Parteienkritik in der Diskussion. Frankfurt a.M. Höhne, Benjamin 2017: Wie stellen Parteien ihre Parlamentsbewerber auf? Das Personalmanagement vor der Bundestagswahl 2017, in: Koschmieder, Carsten (Hrsg.): Parteien, Parteiensysteme und politische Orientierungen. Aktuelle Beiträge der Parteienforschung, Wiesbaden, S. 227-253. Holbrook, Thomas M. 1999: Political Learning from Presidential Debates, in: Political Behavior 21 (1999), H. 1, S. 67-89. Horst, Patrick 2015: Das Management der dritten Großen Koalition in Deutschland 2013 bis 2015: unangefochtene Dominanz der drei Parteivorsitzenden, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 46 (4), S. 852-873. Hüllen, Rudolf van 1990: Ideologie und Machtkampf bei den Grünen: Untersuchung zur programmatischen und innerorganisatorischen Entwicklung einer deutschen "Bewegungspartei", Bonn. Immerzeel, Tim / Pickup, Mark 2015: Populist radical right parties mobilizing ‘the people’? The role of populist radical right success in voter turnout, in: Electoral Studies 40, S. 347–360. Inglehart, Ronald 1983: Traditionelle politische Trennungslinien und die Entwicklung der neuen Politik in westlichen Gesellschaften, in: Politische Vierteljahresschrift 24 (2), S. 139-165. Jackson-Beeck, Marilyn / Meadow, Robert G. 1979: The Triple Agenda of Presidential Debates, in: Public Opinion Quarterly 43 (1979), H. 2, S. 173-180. Janda, Kenneth / Harmel, Robert / Edens, Christine / Goff, Patricia 1995: Changes in Party Identity: Evidence from Party Manifestos, in: Party Politics 1 (2), S. 171-196. Jesse, Eckhard / Lang, Jürgen P. 2012: DIE LINKE – eine gescheiterte Partei?, München. Jun, Uwe / Borucki, Isabelle / Reichard, Daniel 2013: Parteien und Medien, in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Handbuch Parteienforschung, Wiesbaden, S. 349-385. Jun, Uwe / Höhne, Benjamin (Hrsg.) 2010: Parteien als fragmentierte Organisationen. Erfolgsbedingungen und Veränderungsprozesse, Opladen & Farmington Hills. Jun, Uwe / Höhne, Benjamin (Hrsg.) 2012: Parteienfamilien. Identitätsbestimmend oder nur noch Etikett, Opladen u.a. Jun, Uwe 2009: Organisationsreformen der Mitgliederparteien ohne durchschlagenden Erfolg: Die innerparteilichen Veränderungen von CDU und SPD seit den 1990er Jahren, in: Jun, Uwe / Niedermayer, Oskar / Wiesendahl, Elmar (Hrsg.): Die Zukunft der Mitgliederpartei, Opladen, S. 187-210.
221
7. Literatur Jun, Uwe 2010: Politische Parteien als fragmentierte Organisationen im Wandel: Eine Einführung, in: Ders. / Höhne, Benjamin (Hrsg.): Parteien als fragmentierte Organisationen. Erfolgsbedingungen und Veränderungsprozesse, Opladen & Farmington Hills, MI, S. 11-34. Jun, Uwe 2013: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), in: Decker, Frank / Neu, Viola (Hrsg.): Handbuch der deutschen Parteien, 2. Aufl., Wiesbaden, S. 387-403. Jungjohann, Arne 2016: Grün regieren. Eine Analyse der Regierungspraxis von Bündnis 90/Die Grünen, Schriften zur Demokratie, Heinrich-Böll-Stiftung https:/ /www.boell.de/sites/default/files/gruen-regieren-schriften-zur-demokratie-44-jun gjohann-2016.pdf (Stand: 15.9.2017). Kaeding Michael / Haußner, Stefan / Pieper, Morten 2016: Nichtwähler in Europa, Deutschland und Nordrhein-Westfalen. Ursachen und Konsequenzen sinkender Wahlbeteiligung, Wiesbaden. Kaeding, Michael / Switek, Niko (Hrsg.) 2015: Europawahl 2014: Spitzenkandidaten, Protestparteien, Nichtwähler, Wiesbaden. Kaiser, Robert 1999: Online-Informationsangebote der Politik. Parteien und Verbände im World Wide Web, in: Kamps, Klaus (Hrsg.): Elektronische Demokratie?, Opladen, S. 175-190. Katz, Richard S. / Mair, Peter 1993: The Evolution of Party Organizations in Europe: The Three Faces of Party Organization, in: American Review of Politics 14, S. 593-617. Katz, Richard S. 2002: The Internal Life of Parties, in: Luther, Kurt Richard / Müller-Rommel, Ferdinand (Hrsg.): Political Parties in the New Europe. Political and Analytical Challenges, Oxford, S. 87-118. Kersten, Jens / Rixen, Stephan (Hrsg.) 2009: Parteiengesetz (PartG) und europäisches Parteienrecht. Kommentar, Stuttgart. Key, Valdimer Orlando Jr. 1961: Public Opinion and American Democracy, New York. Kirchheimer, Otto 1965: Der Wandel des westeuropäischen Parteiensystems, in: Politische Vierteljahresschrift 6 (1), S. 20-41. Kirchheimer, Otto 1990. The Catch-All Party, in: Mair, Peter (Hrsg.): The West European Party System, Oxford, S. 50-60. Klein, Markus / Alemann, Ulrich von / Spier, Tim 2011: Warum brauchen Parteien Mitglieder?, in: Spier, Tim / Klein, Markus / Alemann, Ulrich von / Hoffmann, Hanna / Laux, Annika / Nonnenmacher, Alexandra / Rohrbach, Katharina (Hrsg.): Parteimitglieder in Deutschland, Wiesbaden, S. 19-29. Klein, Markus 2006: Partizipation in politischen Parteien. Eine empirische Analyse des Mobilisierungspotenzials politischer Parteien sowie der Struktur innerparteilicher Partizipation in Deutschland, in: Politische Vierteljahresschrift 47 (1), S. 35-61.
222
7. Literatur Klein, Markus 2009: Die Entwicklung der grünen Wählerschaft im Laufe dreier Jahrzehnte – eine empirische APK-Analyse, in: Kaspar, Hanna / Schoen, Harald / Schumann, Siegfried / Winkler, Jürgen (Hrsg.): Politik – Wissenschaft – Medien, Wiesbaden, S. 391-401. Kolb, Matthias 2017: Mit dieser App steuert die CDU ihre Wahlhelfer, in: Süddeutsche Zeitung (sz.de) v. 16.5.2017, http://www.sueddeutsche.de/politik/landtagsw ahl-mit-dieser-app-steuert-die-cdu-ihre-wahlhelfer-1.3506830 (Stand: 20.12.2017). Koldehoff, Stefan 2017: „Das journalistische Resultat war unterdurchschnittlich", Interview mit Volker Lilienthal, Deutschlandfunk.de v. 4.9.2017, http://www.deu tschlandfunk.de/moderatoren-beim-tv-duell-das-journalistische-resultat-war.290 7.de.html?dram:article_id=395054 (Stand: 18.9.2017). Köllner, Patrick / Basedau, Matthias 2006: Faktionalismus in politischen Parteien: Eine Einführung, in: Köllner, Patrick / Basedau, Matthias / Erdmann, Gero (Hrsg.): Innerparteiliche Machtgruppen: Faktionalismus im internationalen Vergleich, Frankfurt a.M., S. 7-38. Korte, Karl-Rudolf / Fröhlich, Manuel 2009: Politik und Regieren in Deutschland: Strukturen, Prozesse, Entscheidungen, Paderborn. Korte, Karl-Rudolf / Grunden, Timo 2013 (Hrsg.): Handbuch Regierungsforschung, Wiesbaden. Korte, Karl-Rudolf / Schoofs, Jan 2018 (Hrsg.): Die Bundestagswahl 2017, Wiesbaden, i.E. Korte, Karl-Rudolf / Schoofs, Jan 2013: Wahlprogramme als Gegenstand innerparteilicher Demokratie im Bundestagswahlkampf 2013. Beteiligungsarchitekturen im Vergleich. Kurzstudie der Forschungsgruppe Regieren, in: regierungsforschung.de http://regierungsforschung.de/wahlprogramme-als-gegenstand-innerpa rteilicher-demokratie-im-bundestagswahlkampf-2013-beteiligungsarchitekturen-i m-vergleich-kurzstudie-der-forschungsgruppe-regieren/ (Stand: 7.12.2017). Korte, Karl-Rudolf / Switek, Niko 2013: Regierungsbilanz: Politikwechsel und Krisenentscheidungen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 63 (48-49), S. 3-9. Korte, Karl-Rudolf 2010a: Die Bundestagswahl 2009. Konturen des Neuen. Problemstellungen der Regierungs-, Parteien-, Wahl- und Kommunikationsforschung, in: Korte, Karl-Rudolf (Hrsg.): Die Bundestagswahl 2009. Analysen der Wahl-, Parteien-, Kommunikations- und Regierungsforschung, Wiesbaden, 9-32. Korte, Karl-Rudolf 2010b: Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland, Reihe Zeitbilder der Bundeszentrale für Politische Bildung, Bonn. Korte, Karl-Rudolf 2011a: Über die Zeitkrise im Superwahljahr 2011, in: Carta. Politik, Ökonomie, Digitale Öffentlichkeit http://carta.info/37072/ueber-die-zeitkris e-im-superwahljahr-2011 (Stand: 30.11.2017). Korte, Karl-Rudolf 2011b: Risiko als Regelfall: Über Entscheidungszumutungen in der Politik, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft 21(3), S. 465-477.
223
7. Literatur Korte, Karl-Rudolf 2012a: So entscheiden Parteien: Umfeld-Bedingungen innerparteilicher Partizipation, in: Korte, Karl-Rudolf / Treibel, Jan (Hrsg.): Wie entscheiden Parteien? Prozesse innerparteilicher Willensbildung in Deutschland. ZPol Sonderband 2012, Baden-Baden, S. 249–266. Korte, Karl-Rudolf 2012b: Verdachtsbestimmt: Die Fremdbeschreibungen der Freien Wähler durch Medien und Konkurrenten, in: Morlok, Martin / Poguntke, Thomas / Walther, Jens (Hrsg.): Politik an den Parteien vorbei. Freie Wähler und Kommunale Wählergemeinschaften als Alternative, Baden-Baden, S. 173-181. Korte, Karl-Rudolf 2012c: Der Altmaier-Effekt: Was lernen etablierte Parteien von den Piraten?, in: Bieber, Christoph / Leggewie, Claus (Hrsg.): Unter Piraten. Erkundungen in einer neuen politischen Arena, Bielefeld, S. 199-210. Korte, Karl-Rudolf 2017a: Wahlen in Deutschland. Grundsätze, Verfahren und Analysen, Reihe Zeitbilder der Bundeszentrale für Politische Bildung, 9. Aufl., Bonn. Korte, Karl-Rudolf 2017b: Was entscheidet die Wahl? Zu Themen und Wahlmotiven im Superwahljahr 2017, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 67 (38-39), S. 4-9. Krafft, Amely / Zaiss, Volker 2013: Das TV-Duell aus Sicht der Wahlkämpfer – Ein Blick in die Kampagnenpraxis, in: Bachl, Marko / Brettschneider, Frank / Ottler, Simon (Hrsg.): Das TV-Duell in Baden-Württemberg 2011. Inhalte, Wahrnehmungen und Wirkungen, Wiesbaden, S. 237-250. Kriesi, Hanspeter / Grande, Edgar / Lachat, Romain / Dolezal, Martin / Bornschier, Simon / Frey, Timotheos 2006: Globalization and the transformation of the national political space: Six European countries compared, in: European Journal of Political Research 45 (6), S. 921-956. Kulick, Manuela 2011: Absturz der Volksparteien. Eine Analyse der loyalen und ehemaligen Wählerschaft von CDU und SPD im Vergleich, in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Die Parteien nach der Bundestagswahl 2009, Wiesbaden, S. 199-219. Lange, Hans-Jürgen 1994: Responsivität und Organisation. Eine Studie über die Modernisierung der CDU von 1973-1989, Marburg. Laver, Michael / Benoit, Kenneth / Garry, John 2003: Extracting Policy Positions from Political Texts Using Words as Data, in: American Political Science Review 97 (2), S. 311-331. Lawson, Kay (Hrsg.) 1994: How political parties work. Perspectives from within, Westport. Lazarsfeld, Paul / Berelson, Bernard / Gaudet, Hazel 1994: The People’s Choice. How the Voter Makes Up his Mind in a Presidential Campaign, New York/ London. Leggewie, Claus / Welzer, Harald 2009: Das Ende der Welt, wie wir sie kannten. Klima, Zukunft und die Chancen der Demokratie, Frankfurt a. M. Leggewie, Claus 2011: Mut statt Wut. Aufbruch in eine neue Demokratie, Hamburg.
224
7. Literatur Leggewie, Claus 2013: Neue Formen der Teilhabe am Beispiel der Zukunftskammern, in: Töpfer, Klaus (Hrsg.): Verändern durch Wissen. München, S. 41-51. Lehmann, Hendrik 2017: Wie die Parteien Wahlkampf in Social Media machen, in: tagesspiegel.de v. 11.8.2017 http://www.tagesspiegel.de/politik/datenanalyse-wie -die-parteien-wahlkampf-in-social-media-machen/20151802.html (Stand: 26.1.2018). Leif, Thomas 2002: Politikvermittlung im Tal der Unterhaltung. Die Entscheidungsschwäche der Parteien begünstigt die Flucht in eine mediale Ersatzwelt, in: Nullmeier, Frank / Saretzki, Thomas (Hrsg.): Jenseits des Regierungsalltags. Strategiefähigkeit politischer Parteien, Frankfurt a.M., S. 133-148. Lemert, James B. / Wanta,Wayne / Lee, Tien-Tsung 1999: Winning by staying ahead: 1996 debate performance verdicts, in: Kaid, Lynda L. / Bystrom, Daniel G. (Hrsg.): The electronic election: Perspectives on the 1996 campaign communication, Mahwah, S. 179-189. Lenski, Sophie-Charlotte 2011: Parteiengesetz und Recht der Kandidatenaufstellung. Hand-kommentar, Baden-Baden. Limpert, Martin 2009: Das rechtliche Ende politischer Parteien. Auflösung und Verschmelzung, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 40 (1), S. 140-154. Lipset, Seymour M. / Rokkan, Stein 1967 (Hrsg.): Party systems and voter alignments: cross-national perspectives, New York. Lösche, Peter 2005: „Politische Führung" und Parteivorsitzende. Einige systematische Überlegungen, in: Forkmann, Daniela / Schlieben, Michael (Hrsg.): Die Parteivorsitzenden in der Bundesrepublik Deutschland 1949-2005, Wiesbaden, S. 349-368. Maier, Jürgen / Faas, Thorsten / Maier, Michaela 2013: Mobilisierung durch Fernsehdebatten: Zum Einfluss des TV-Duells 2009 auf die politische Involvierung und die Partizipationsbereitschaft, in: Weßels, Bernhard / Schoen, Harald / Gabriels Oscar W. (Hrsg): Wahlen und Wähler. Analysen aus Anlass der Bundestagswahl 2009, Wiesbaden, S. 79-96. Mainzer, Klaus 2008: Komplexität, Paderborn. Mair, Peter 1994: Party organization: from civil society to the state, in: Mair, Peter / Katz, Richard S. (Hrsg.): How parties organize. Change and adaptation in party organizations in Western democracies, London, S. 1-22. Maor, Moshe 1998: Parties, Conflicts and Coalitions in Western Europe. Organisational Determinants of Coalition Bargaining, London, New York. Marschall, Stefan 2001: Parteien und Internet. Auf dem Weg zu internet-basierten Mitgliederparteien?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 51 (10), S. 38-46. Marschall, Stefan 2013: „Mitgliederpartei 2.0“. Chancen und Grenzen virtueller Parteimitgliedschaft, in: Alemann, Ulrich von / Morlok, Martin / Spier, Tim (Hrsg.): Parteien ohne Mitglieder? Eine Bestandsaufnahme, Baden-Baden, S. 271-289.
225
7. Literatur Matys, Thomas 2006: Macht, Kontrolle und Entscheidungen in Organisationen. Eine Einführung in organisationale Mikro-, Meso- und Makropolitik, Wiesbaden. Maurer, Marcus / Reinemann, Carsten 2003: Schröder gegen Stoiber. Nutzung, Wahrnehmung und Wirkung der TV-Duelle, Wiesbaden. Maurer, Marcus 2007: Themen, Argumente, rhetorische Strategien. Die Inhalte des TV-Duells, in: Maurer, Marcus / Reinemann, Carsten / Maier, Jürgen / Maier, Michaela (Hrsg.): Schröder gegen Merkel. Wahrnehmung und Wirkung des TVDuells 2005 im Ost-West-Vergleich, Wiesbaden 2007, S. 33-52. Mayntz, Renate / Scharpf, Fritz W. 1995: Der Ansatz des akteurzentrierten Institutionalismus, in: Mayntz, Renate / Scharpf, Fritz W. (Hrsg.): Gesellschaftliche Selbstregelung und politische Steuerung, Frankfurt a.M., S. 39-72. Merkel, Wolfgang 2015. Ist die Krise der Demokratie eine Erfindung?, in: Merkel, Wolfgang (Hrsg.): Demokratie und Krise. Zum schwierigen Verhältnis von Theorie und Empirie, Wiesbaden, S. 473-498. Merkel, Wolfgang 2017a: Kosmopolitismus versus Kommunitarismus: Ein neuer Konflikt in der Demokratie, in: Harfst, Philipp / Kubbe, Ina / Poguntke, Thomas (Hrsg.): Parties, Governments and Elites. The Comparative Study of Democracy, Wiesbaden, S. 9-23. Merkel, Wolfgang 2017b: Der Niedergang der Volksparteien, in: faz.net v. 10.11.2017 http://www.faz.net/aktuell/politik/die-gegenwart/der-niedergang-de r-volksparteien-15258528.html (Stand: 12.12.2017). Merten, Heike 2007: Rechtliche Grundlagen der Parteiendemokratie, in: Decker, Frank / Neu, Viola (Hrsg.): Handbuch der deutschen Parteien, Wiesbaden, S. 79-113. Merz, Nicolas / Regel, Sven 2013: Die Programmatik der Parteien, in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Handbuch Parteienforschung, Wiesbaden, S. 211-238. Michels, Robert 1911: Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie: Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens, Leipzig. Micus, Matthias / Walter, Franz 2017: Vom Ende, und wie es dazu kam. Die SPD als Volkspartei, in: Wiesendahl, Elmar (Hrsg.): Parteien und soziale Ungleichheit, Wiesbaden, S. 65-88. Mielke, Gerd 2009: Parteienkrise durch Parteieliten? Anmerkungen zur Diskussion über den Niedergang der deutschen Parteien, in: Kaspar, Hanna / Schoen, Harald Schoen / Schumann, Siegfried / Winkler, Jürgen R. (Hrsg.): Politik – Wissenschaft – Medien, Wiesbaden, 377-390. Mittag, Jürgen / Steuwer, Janosch 2010: Politische Parteien in der EU, Stuttgart. Morlok, Martin / Streit, Thilo 1996: Mitgliederentscheid und Mitgliederbefragung: Rechtsprobleme direkter Demokratie in den politischen Parteien 29 (11), S. 447-455. Morlok, Martin 2012: Mehr innerparteiliche Demokratie wagen? Mehr Einfluss für die Partei-basis muss rechtlich klar geregelt sein, in: Recht und Politik 48 (2), S. 65-70.
226
7. Literatur Mouffe, Chantal 2005: The 'End of Politics' and the Challenge of Right-wing Populism, in: Panizza, Francisco (Hrsg.): Populism and the mirror of democracy, London, S. 50–71. Mudde, Cas 2007: Populist radical right parties in Europe. Cambridge. Müller, Jan-Werner. 2016: Was ist Populismus? Ein Essay, Berlin. Müller, Marion G. 2002: Parteitage in der Mediendemokratie, in: Alemann, Ulrich von / Marschall, Stefan (Hrsg.): Parteien in der Mediendemokratie, Wiesbaden, S. 147-172. Müller, Markus F. 2003: „Der oder ich!“ Eine Analyse der Kandidatenduelle im Bundestagswahlkampf 2002, in: Wüst, Andreas M. (Hrsg.): Politbarometer, Opladen, S. 295-315. Nassehi, Armin 2015: Die letzte Stunde der Wahrheit. Warum rechts und links keine Alternativen mehr sind und Gesellschaft ganz anders beschrieben werden muss, Hamburg. Naßmacher, Karl-Heinz 2002: Parteienfinanzierung in Deutschland, in: Gabriel, Oscar W. / Niedermayer, Oskar / Stöss, Richard (Hrsg.): Parteiendemokratie in Deutschland, Opladen, S. 159-178. Neu, Viola / Pokorny, Sabine 2017: Bundestagswahl in Deutschland am 24. September 2017. Wahlanalyse, Konrad-Adenauer-Stiftung, http://www.kas.de/wf/do c/kas_50152-544-1-30.pdf?170928163817 (Stand: 6.1.2018). Neugebauer, Gero / Stöss, Richard 2015: Den Zenit überschritten: Die Linkspartei nach der Bundestagswahl 2013, in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Die Parteien nach der Bundestagswahl 2013, Wiesbaden, S. 159-173. Neumann, Arijana (2013): The Federal Character of the CDU, in: German Politics, 22 (1-2), S. 134-150. Niedermayer, Oskar 2009: Der Wandel des parteipolitischen Engagements der Bürger, in: Kühnel, Steffen / Niedermayer, Oskar / Westle, Bettina (Hrsg.): Wähler in Deutschland, Wiesbaden, S. 82-134. Niedermayer, Oskar 2015: Von der dritten Kraft zur marginalen Partei: Die FDP von 2009 bis nach der Bundestagswahl 2013, in: Ders. (Hrsg.): Die Parteien nach der Bundestagswahl 2013, Wiesbaden, S. 103-134. Niedermayer, Oskar 2017: Parteimitglieder in Deutschland: Version 2017 NEU. Arbeitshefte aus dem Otto-Stammer-Zentrum, Nr. 27, Berlin. Oppelland, Torsten / Träger, Hendrik 2014: Die Linke. Willensbildung in einer ideologisch zerstrittenen Partei, Baden-Baden. Ortmann, Günther 2010: Organisation und Moral. Die dunkle Seite, Weilerswist. Panebianco, Angelo 1988: Political Parties: Organization and Power, Cambridge. Poguntke, Thomas 1987: New Politics and Party Systems: The Emergence of a New Type of Party?, in: West European Politics 10 (1), S. 76-88. Poguntke, Thomas 1997: Parteiorganisation in der Bundesrepublik Deutschland: Einheit in der Vielfalt?, in: Gabriel, Oscar W. / Niedermayer, Oskar / Stöss, Richard (Hrsg.): Parteiendemokratie in Deutschland, Bonn, S. 257-276.
227
7. Literatur Poguntke, Thomas 2000: Parteiorganisation im Wandel: gesellschaftliche Verankerung und organisatorische Anpassung im europäischen Vergleich, Wiesbaden. Poguntke, Thomas 2001: Parteiorganisationen in der Bundesrepublik Deutschland: Einheit in der Vielfalt?, KEPRU Working Papers Nr. 3, Keele European Parties Research Unit (KEPRU) http://www.keele.ac.uk/media/keeleuniversity/group/ke pru/KEPRU%20WP%203.pdf (Stand: 16.11.2017). Poguntke, Thomas 2002: Parteiorganisationen in der Bundesrepublik Deutschland: Einheit in der Vielfalt?, in: Gabriel, Oscar W. / Niedermayer, Oskar / Stöss, Richard (Hrsg.): Parteiendemokratie in Deutschland, Wiesbaden. Probst, Lothar 2013a: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne), in: Decker, Frank / Neu, Viola (Hrsg.): Handbuch der deutschen Parteien, 2. Aufl., Wiesbaden, S. 166-179. Probst, Lothar 2013b: Bündnis 90/Die Grünen (GRÜNE), in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Handbuch Parteienforschung, Wiesbaden, S. 509-540. Probst, Lothar 2015: Bündnis 90/Die Grünen: Absturz nach dem Höhenflug, in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Die Parteien nach der Bundestagswahl 2013, Wiesbaden, S. 135-158. Raschke, Joachim 1993: Die Grünen: wie sie wurden, was sie sind, Frankfurt a.M. Raschke, Joachim 2001: Die Zukunft der Grünen: "So kann man nicht regieren", Frankfurt a.M. Reichard, Daniel / Borucki, Isabelle 2015: Mehr als die Replikation organisationaler Offline-Strukturen? Zur internen Vernetzung von Parteien auf Twitter – das Beispiel SPD, in: Gamper, Markus / Reschke, Linda / Düring, Marten (Hrsg.): Knoten und Kanten III. Soziale Netzwerkanalyse in Geschichts- und Politikforschung, Bielefeld, S. 399-421. Reinemann, Carsten / Wilke, Jürgen 2007: It’s the Debates, Stupid! How the Introduction of Televised Debates Changed the Portrayal of Chancellor Candidates in the German Press, 1949-2005, in: The Harvard International Journal of Press/ Politics 12 (2007), H. 4, S. 92-111. Reinemann, Carsten 2007: Völlig anderer Ansicht. Die Medienberichterstattung über das TV-Duell, in: Maurer, Marcus / Reinemann, Carsten / Maier, Jürgen / Maier, Michaela (Hrsg.): Schröder gegen Merkel. Wahrnehmung und Wirkung des TV-Duells 2005 im Ost-West-Vergleich, Wiesbaden, S. 167-194. Reiser, Marion 2011: Wer entscheidet unter welchen Bedingungen über die Nominierung von Kandidaten? Die innerparteilichen Selektionsprozesse zur Aufstellung in den Wahlkreisen, in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Die Parteien nach der Bundestagswahl 2013, Wiesbaden, S. 237-259. Reiser, Marion 2013: Ausmaß und Formen des innerparteilichen Wettbewerbs auf der Wahlkreisebene: Nominierung der Direktkandidaten für die Bundestagswahl 2009, in: Faas, Thorsten / Arzheimer, Kai / Roßteutscher, Sigrid / Weßels, Bernhard (Hrsg.): Koalitionen, Kandidaten, Kommunikation. Analysen zur Bundestagswahl 2009, Wiesbaden, S. 129-147.
228
7. Literatur Reuters 2017: CSU-Spitzenkandidat Herrmann schafft Sprung in Bundestag nicht, in: Reuters Inlandsnachrichten v. 25.9.2017 https://de.reuters.com/article/deutsch land-wahl-csu-idDEKCN1C00KP (Stand: 30.11.2017). Römmele, Andrea 2017: Köpfe oder Themen. Konkurrenten um die Kanzlerschaft, in: Bürger & Staat 67 (2017), H. 2, S. 132-140. Rosa, Hartmut 2012: Weltbeziehungen im Zeitalter der Beschleunigung. Umrisse einer neuen Gesellschaftskritik, Berlin. Roßteutscher, Sigrid /Schäfer, Armin 2016: Asymmetrische Mobilisierung. Wahlkampf und ungleiche Wahlbeteiligung, in: Politische Vierteljahresschrift 57 (3), S. 455–483. Rüb, Friedbert 2008: Policy-Analyse unter den Bedingungen von Kontingenz, in: Toens, Katrin / Janning, Frank (Hrsg.): Die Zukunft der Policy-Forschung. Theorien, Methoden, Anwendungen, Wiesbaden, S. 88-111. Rüb, Friedbert 2013: Mikropolitologie. Auf dem Weg zu einem einheitlichen Konzept?, in: Korte, Karl-Rudolf / Grunden, Timo (Hrsg.): Handbuch Regierungsforschung, Wiesbaden, S. 339-348. Rüb, Friedbert 2014a: Informelles Regieren – oder: Vergeblicher Versuch, die Farbe eines Chamäleons zu bestimmen, in: Bröchler, Stephan / Grunden, Timo (Hrsg.): Informelle Politik. Konzepte, Akteure, Prozesse, Wiesbaden, S. 51-80. Rüb, Friedbert (Hrsg.) 2014b: Rapide Politikwechsel in der Bundesrepublik. Theoretischer Rahmen und empirische Befunde, Zeitschrift für Politik Sonderband 6, Baden-Baden. Rudzio, Wolfgang 2005: Informelles Regieren. Zum Koalitionsmanagement in deutschen und österreichischen Regierungen, Wiesbaden. Rudzio, Wolfgang 2015: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden. Rüttgers, Jürgen 2012: Parteien – übermächtig und überfordert. Zwanzig Jahre nach der Parteienkritik Richard von Weizsäckers. Marburg. Rye, Danny 2015: Political Parties and Power: A New Framework for Analysis, in: Political Studies 63, S. 1052-1069. Sartori, Giovanni 2005: Parties and Party Systems: A Framework for Analysis, Colchester. Scarrow, Susan / Webb, Paul / Poguntke, Thomas (Hrsg.) 2017: Organizing Political Parties. Representation, Participation and Power, Oxford. Scarrow, Susan 1996: Parties and their members. Organizing for victory in Britain and Germany, New York. Scarrow, Susan 2005: Implementing Intraparty Democracy, Series of the NDI about Political Parties and Democracy in theoretical and practical Perspective, National Democratic Institute for International Affairs (NDI) http://www.ndi.org/files/195 1_polpart_scarrow_110105.pdf (Stand: 16.3.2015). Scarrow, Susan 2015: Beyond party members. Changing approaches to partisan mobilization, Oxford.
229
7. Literatur Schäfer, Armin 2010: Die Folgen sozialer Ungleichheit für die Demokratie in Westeuropa, in: Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft 4 (1), S. 131-156. Schäfer, Armin 2011: Der Nichtwähler als Durchschnittsbürger. Ist die sinkenden Wahlbeteiligung eine Gefahr für die Demokratie?, in: Bytzek, Evelyn / Roßteutscher, Sigrid (Hrsg.): Der unbekannte Wähler? Mythen und Fakten über das Wahlverhalten der Deutschen, Frankfurt a.M./New York, S. 133-154. Schicha, Christian / Skroblies, Miriam 2017: Politik im Spot-Format – Rekonstruktion und Analyse von Wahlwerbespots ausgewählter Parteien zur Bundestagswahl 2017, Forschungspapier, erschienen auf: regierungsforschung.de (10.1.2018). Schieren, Stefan 1996: Parteiinterne Mitgliederbefragungen. Ausstieg aus der Professionalität? Die Beispiele der SPD auf Bundesebene und in Bremen sowie der Bundes-F.D.P., in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 27 (2), S. 214-229. Schimank, Uwe 2002: Organisationen: Akteurkonstellation – korporative Akteure – Sozialsysteme, in: Allmendinger, Jutta / Hinz, Thomas (Hrsg.): Soziologie der Organisation. Sonderheft 42/2002 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Opladen/Wiesbaden, S. 29-54. Schmid, Josef 1990: Die CDU: Organisationsstrukturen, Politiken und Funktionsweisen einer Partei im Föderalismus, Opladen. Schmid, Josef 2011: Mikropolitik – Pluralismus mit harten Bandagen?, in: Bandelow, Nils C. / Hegelich, Simon (Hrsg.): Pluralismus – Strategien – Entscheidungen, Wiesbaden, S. 324-344. Schönbohm, Wulf (1985): Die CDU wird moderne Volkspartei. Selbstverständnis, Mitglieder, Organisation und Apparat 1950-1980, Stuttgart. Schoofs, Jan / Altenburger, Sven / Dedic, Jessica 2015: Auf dem Weg zu „Mitmach-Parteien“? Herausforderungen und Maßstäbe guter Mitgliederbeteiligung. Discussion Paper des Progressiven Zentrums Berlin http://parteireform.org/2015/ 09/17/auf-dem-weg-zu-mitmach-parteien-herausforderungen-und-massstaebe-gu ter-mitgliederbeteiligung/ (Stand: 7.12.2017). Schoofs, Jan 2013: Offen für alles? Koalitionsaussagen und Koalitionssignale in Bundestagswahlprogrammen, erschienen auf: Regierungsforschung.de http://regi erungsforschung.de/wp-content/uploads/2014/05/190713regierungsforschung.de _schoofs_koalitionsaussagen.pdf (Stand: 15.9.2017). Schroeder, Wolfgang / Weßels, Bernhard / Neusser, Christian / Berzel, Alexander 2017: Parlamentarische Praxis der AfD in deutschen Landesparlamenten, WZB Discussion Paper, https://bibliothek.wzb.eu/pdf/2017/v 17-102.pdf (Stand: 10.11.2017). Schrott, Peter L. / Lanou, David J. 1992: How to Win a Televised Debate: Candidate Strategies and Voter Response in Germany, 1972-87, in: British Journal of Political Science 22 (1992), S. 445-467. Schweitzer, Eva Johanna / Albrecht, Steffen (Hrsg.) 2011: Das Internet im Wahlkampf. Analysen zur Bundestagswahl 2009, Wiesbaden.
230
7. Literatur Simmel, Georg 1890: Über soziale Differenzierung. Soziologische und psychologische Untersuchungen, Leipzig. Smith, Chris / Voth, Ben 2002: The role of humor in political argument: How “strategy” and “lockboxes” changed a political campaign, in: Argumentation and Advocacy 39 (2002), S. 110-129. Spiegel Online 2013: Millionenaufwand. SPD gönnt sich größtes Wahlkampf-Budget, in: Spiegel Online v. 12.6.2013 http://www.spiegel.de/politik/deutschland/mi llionen-aufwand-spd-goennt-sich-groesstes-wahlkampf-budget-a-905334.html (Stand: 13.9.2017). Spier, Tim / Alemann, Ulrich von 2013: Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Handbuch Parteienforschung, Wiesbaden, S. 439-467. Spier, Tim / Alemann, Ulrich von 2015: In ruhigerem Fahrwasser, aber ohne Land in Sicht? Die SPD nach der Bundestagswahl 2013, in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Die Parteien nach der Bundestagswahl 2013, Wiesbaden, S. 49-69. Spier, Tim / Klein, Markus / Alemann, Ulrich von / Hoffmann, Hanna / Laux, Annika / Nonnenmacher, Alexandra / Rohrbach, Katharina (Hrsg.) 2011: Parteimitglieder in Deutschland, Wiesbaden. Spier, Tim 2011: Wie aktiv sind die Mitglieder der Parteien?, in: Spier, Tim / Klein, Markus / Alemann, Ulrich von / Hoffmann, Hanna / Laux, Annika / Nonnenmacher, Alexandra / Rohrbach, Katharina (Hrsg.): Parteimitglieder in Deutschland, Wiesbaden, S. 97-119. Strathmann, Marvin 2017: Der geheime Facebook-Wahlkampf der Parteien, in: Sueddeutsche.de v. 20.8.2017, http://www.sueddeutsche.de/digital/bundestagswa hl-der-geheime-facebook-wahlkampf-der-parteien-1.3634351 (Stand: 18.9.2017). Sturm, Roland 2014: Die Regierungsbildung nach der Bundestagswahl 2013: lagerübergreifend und langwierig, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 45 (1), S. 207-230. Switek, Niko 2012: Bündnis 90/Die Grünen: Zur Entscheidungsmacht grüner Bundesparteitage, in: Korte, Karl-Rudolf / Treibel, Jan (Hrsg.): Wie entscheiden Parteien? Prozesse innerparteilicher Willensbildung in Deutschland. ZPol Sonderband 2012, Baden-Baden, S. 121-154. Switek, Niko 2013: Koalitionsregierungen. Kooperation unter Konkurrenten, in: Korte, Karl-Rudolf / Grunden, Timo (Hrsg.): Handbuch Regierungsforschung, Wiesbaden, S. 277-286. Switek, Niko 2014: Die Satzung ist nicht genug! Parteien unter dem Mikroskop der strategischen Organisationsanalyse, in: Bröchler, Stephan / Grunden, Timo (Hrsg.): Informelle Politik. Konzepte, Akteure und Prozesse, Wiesbaden, S. 219-244. Switek, Niko 2015: Bündnis 90/Die Grünen. Koalitionsentscheidungen in den Ländern, Baden-Baden.
231
7. Literatur Switek, Niko 2016: Inside the Europarty: research at the junction of party politics and European integration, in: Journal of European Integration 38 (6), S. 737-741. Switek, Niko 2017: Die Grünen: Vom Bürgerschreck zur bürgerlichen Partei, in: Wiesendahl, Elmar (Hrsg.): Parteien und soziale Ungleichheit, S. 145-168. Theiling, Frederik 2017: Tür-zu-Tür-App – Wie die SPD den Wahlkampf digitalisiert, in: vorwärts, https://www.vorwaerts.de/artikel/tuer-tuer-app-spd-wahlkamp f-digitalisiert (Stand: 10.1.2018). Tils, Ralf / Raschke, Joachim 2013: Strategie zählt. Die Bundestagswahl 2013, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 63 (48-49), S. 20-27. Träger, Hendrik 2015: Innerparteiliche Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse zur Bundestagswahl 2013. Eine Urwahl, zwei Mitgliederentscheide und neue Verfahren der Wahlprogrammerarbeitung, in: Korte, Karl-Rudolf (Hrsg.): Die Bundestagswahl 2013, Wiesbaden, S. 269-289. Treibel, Jan 2010: Was stand zur Wahl? Grundsatzprogramme, Wahlprogramme und der Koalitionsvertrag im Vergleich, in: Korte, Karl-Rudolf (Hrsg.): Die Bundestagswahl 2009. Analysen der Wahl-, Parteien-, Kommunikations- und Regierungsforschung, Wiesbaden, S. 89-116. Treibel, Jan 2012: Was bedeutet innerparteiliche Willensbildung?, in: Korte, KarlRudolf / Treibel, Jan (Hrsg.): Wie entscheiden Parteien? Prozesse innerparteilicher Willensbildung in Deutschland. ZPol Sonderband 2012, Baden-Baden, S. 7-34. Treibel, Jan 2013: Innerparteiliche Entscheidungsprozesse. Interne Machtverhältnisse und Modi der Entscheidungsfindung, in: Korte, Karl-Rudolf / Grunden, Timo (Hrsg.): Handbuch Regierungsforschung, Wiesbaden, S. 359-369. Treibel, Jan 2014a: Die FDP. Prozesse innerparteilicher Führung 2000-2012, Baden-Baden. Treibel, Jan 2014b: Formales und informelles Führen und Folgen in Parteien. Ein mikropolitischer Ansatz zur Analyse von internen Entscheidungsprozessen am Beispiel der FDP, in: Bröchler, Stephan / Grunden, Timo (Hrsg.): Informelle Politik. Konzepte, Akteure, Prozesse, Wiesbaden, S. 323-350. Turner, Ed 2013: The CDU and Party Organisational Change, in: German Politics 22 (1-2), S. 114-133. Vates, Daniela 2017: Peter Tauber und der Haustür-Simulator, in: Frankfurter Rundschau v. 3.4.2017 http://www.fr.de/politik/bundestagswahlkampf-2017-peter-tau ber-und-der-haustuer-simulator-a-1254408 (Stand: 10.1.2018). Vehrkamp, Robert / Wegschaider, Klaudia 2017: Populäre Wahlen. Mobilisierung und Gegenmobilisierung der sozialen Milieus bei der Bundestagswahl 2017, Bertelsmann-Stiftung, online unter: https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/f iles/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/ZD_Populaere_Wahlen_Bundestags wahl_2017_01.pdf (Stand: 11.10.2017). Vetter, Angelika / Remer-Bollow, Uwe 2017: Bürger und Beteiligung in der Demokratie, Wiesbaden.
232
7. Literatur Vogelmann, Frieder 2012: Flüssige Betriebssysteme. Liquid democracy als demokratische Machttechnologie, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 48, S. 40-46. Volkens, Andrea 2009: Die Daten des Comparative Manifestos Project, in: Schnapp, Kai-Uwe / Behnke, Natalie / Behnke, Joachim (Hrsg.): Datenwelten. Datenerhebung und Datenbestände in der Politikwissenschaft, Baden-Baden, S. 271-279. Volkmann, Uwe 2013: Die Bedeutung der Parteimitgliedschaft in der repräsentativen Demokratie des Grundgesetzes, in: Alemann, Ulrich von / Morlok, Martin / Spier, Tim (Hrsg.): Parteien ohne Mitglieder?, Baden-Baden, S. 141-159. Vorländer, Hans 2013a: Freie Demokratische Partei (FDP), in: Decker, Frank / Neu, Viola (Hrsg.): Handbuch der deutschen Parteien, 2. Aufl., Wiesbaden, S. 270-281. Vorländer, Hans 2013b: Die Freie Demokratische Partei (FDP), in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Handbuch Parteienforschung, Wiesbaden, S. 497-507. Wald, Kenneth D. / Lupfer, Michael B, 1978: The Presidential Debate As a Civics Lesson, in: Public Opinion Quarterly 42 (1978), H. 3, S. 342-353. Walter, Franz / Werwath, Christian / D‘Antonio, Oliver 2014: Die CDU. Entstehung und Verfall christdemokratischer Geschlossenheit, Baden-Baden. Weaver, David / Drew, Dan 2006: Voter Learning in the 2004 Presidential Election: Did the Media Matter?, in: Journalism & Mass Communication Quarterly 83 (2006), H. 1, S. 25-42. Webb, Paul 2002: Conclusion, in: Webb, Paul / Farrell, David / Holliday, Ian (Hrsg.): Political Parties in Advanced Industrial Democracies, Oxford, S. 438-460. Weber, Max 2002: Wirtschaft und Gesellschaft: Grundriß der Verstehenden Soziologie, Tübingen. Weigl, Michael 2013: Die CSU. Akteure, Entscheidungsprozesse und Inhalte einer Partei am Scheideweg, Baden-Baden. Weigl, Michael 2015: Etappensieg, nicht Zieleinlauf. Die CSU auf halbem Weg zur Erneuerung, in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Die Parteien nach der Bundestagswahl 2013, Wiesbaden, S. 71-101. Weissenbach, Kristina / Korte, Karl-Rudolf 2006: „Wahlsysteme und Wahltypen“: Wahlen als Qualitätskennzeichen einer Demokratie, in: Derichs, Claudia / Heberer, Thomas (Hrsg.): Wahlsysteme und Wahltypen. Politische Systeme und regionale Kontexte im Vergleich, Wiesbaden, S. 26-48. Weissenbach, Kristina 2015: Bilder von Europa. Emotionale Reaktionen auf die Eurovision Debate im Europa-Wahlkampf 2014, in: Korte, Karl-Rudolf (Hrsg.): Emotionen und Politik. Begründungen, Konzeptionen und Praxisfelder einer politikwissenschaftlichen Emotionsforschung, Baden-Baden, S. 333-348. Welzer, Harald 2010: Was Sie sofort tun können: Zehn Empfehlungen, in: faz.net v. 27.12.2010 http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/rettung-der-welt-was -sie-sofort-tun-koennen-zehn-empfehlungen-11079178.html (Stand: 30.11.2017).
233
7. Literatur Wiesendahl, Elmar 1980: Parteien und Demokratie: eine soziologische Analyse paradigmatischer Ansätze der Parteienforschung, Opladen. Wiesendahl, Elmar 1996: Parteien als Instanzen der politischen Sozialisation, in: Claußen, Bernhard / Geißler, Rainer (Hrsg.): Die Politisierung des Menschen. Instanzen der politischen Sozialisation. Ein Handbuch, Opladen, S. 401-424. Wiesendahl, Elmar 1998: Parteien in Perspektive. Theoretische Ansichten der Organisationswirklichkeit politischer Parteien, Wiesbaden. Wiesendahl, Elmar 2006a: Parteien, Frankfurt a.M. Wiesendahl, Elmar 2006b: Mitgliederparteien am Ende? Eine Kritik der Niedergangsdiskussion, Wiesbaden. Wiesendahl, Elmar 2010: Der Organisationswandel politischer Parteien. Organisations- und wandlungstheoretische Grundlagen, in: Jun, Uwe / Höhne, Benjamin (Hrsg.): Parteien als fragmentierte Organisationen. Erfolgsbedingungen und Veränderungsprozesse, Opladen, S. 35-61. Wiesendahl, Elmar 2012: Partizipation und Engagementbereitschaft in Parteien, in: Mörschel, Tobias / Krell, Christian (Hrsg.): Demokratie in Deutschland, Wiesbaden, S. 121-157. Wiesendahl, Elmar 2013: Kein Frischblut mehr. Anmerkungen zur Erforschung der Nachwuchskrise der Parteien, in: Alemann, Ulrich von / Morlok, Martin / Spier, Tim (Hrsg.): Parteien ohne Mitglieder?, Baden-Baden, S. 79-127. Wiesendahl, Elmar 2016: Der Parteienstaat im Wandel der Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland, in: Bukow, Sebastian / Jun, Uwe / Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Parteien in Staat und Gesellschaft. Zum Verhältnis von Parteienstaat und Parteiendemokratie, Wiesbaden, S. 15-50. Woyke, Wichard 2013: Stichwort: Wahlen. Ein Ratgeber für Wähler, Wahlhelfer und Kandidaten, 12. Aufl., Wiesbaden. Wuttke, Alexander / Jungherr, Andreas / Schoen, Harald 2017: More than opinion expression: Secondary effects of intraparty referendums on party members, in: Party Politics (online first). Young, Lisa 2013: Party Members and Intra-Party Democracy, in: Cross, William P. / Katz, Richard S. (Hrsg.): The challenges of intra-party democracy, Oxford, S. 65-80. ZEIT Online 2015a: Parteitag straft Gabriel ab, in: ZEIT Online v. 11.12.2015 http:/ /www.zeit.de/politik/deutschland/2015-12/sigmar-gabriel-mit-nur-74-3-prozentzum-spd-vorsitzenden-wiedergewaehlt (Stand: 12.9.2017). ZEIT Online 2015b: Özdemir zum vierten Mal als Parteichef gewählt, in: ZEIT Online v. 21.11.2015 http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-11/gruene-cem-o ezdemir-parteichef-wahl (Stand: 12.9.2017). ZEIT Online 2017: „Ja, das ist meine Pflicht als Vorsitzender“, in: ZEIT Online v. 24.1.2017 http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-01/sigmar-gabriel-spdkanzlerkandidatur (Stand: 18.9.2017).
234
7. Literatur Zoll, Ralf 2010: Der "Radikalenerlass", in: Peter Imbusch / Ralf Zoll (Hrsg.): Friedens- und Konfliktforschung. Eine Einführung, Wiesbaden, S. 485-509. Zolleis, Udo / Schmid, Josef 2013: Die Christlich-Demokratische Union Deutschlands (CDU), in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Handbuch Parteienforschung, Wiesbaden, S. 415-437. Zolleis, Udo / Schmid, Josef 2015: Die CDU unter Angela Merkel – der neue Kanzlerwahlverein?, in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Die Parteien nach der Bundestagswahl 2013, Wiesbaden, S. 25-48.
235