251 84 20MB
German Pages 392 Year 2009
Frühe Neuzeit Band 140 Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext Herausgegeben von Achim Aurnhammer, Wilhelm Kühlmann, Jan-Dirk Müller, Martin Mulsow und Friedrich Vollhardt
Karl Möseneder
Paracelsus und die Bilder Über Glauben, Magie und Astrologie im Reformationszeitalter
Max Niemeyer Verlag Tübingen 2009
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-484-36640-4
ISSN 0934-5531
© Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2009 Ein Imprint der Walter de Gruyter G m b H & Co. K G http://www. niemeyer. de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz: Johanna Boy, Brennberg Druck und Einband: Hubert & Co., Göttingen
Vorwort Vorliegende Arbeit entstand mit vielfacher Hilfe. Gedankliche Förderung erfuhr sie vor allem durch Gespräche mit Prof. Dr. Christian Hecht, der auch wertvolle Literaturhinweise gab. Auf unterschiedliche Weise unterstützt haben die Forschungen weiter die Kollegen Prof. Dr. Heidrun Stein-Kecks, Prof. Dr. Hans Dickel und Prof. Dr. Bernd Hamm sowie Tessa Theisen, die hier stellvertretend für die studentischen Hilfskräfte am Erlanger Institut für Kunstgeschichte genannt sei. Verdienste im Hinblick auf die Herstellung eines verwertbaren Manuskriptes erwarben sich Dr. Bettina Keller und Johanna Ziegler. Allen Genannten gilt mein aufrichtiger Dank. Für die großzügige finanzielle Unterstützung bei der Drucklegung bin ich dem Universitätsbund Erlangen-Nürnberg und der Dr. Alfred Vinzl-Stiftung an der gleichen Universität sehr verpflichtet. Herrn Prof. Dr. Wilhelm Kühlmann (Heidelberg) und den anderen Herausgebern danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe »Frühe Neuzeit«. Im Max Niemeyer Verlag haben sich Birgitta Zeller-Ebert und Daniela Zeiler durch die sorgfältige Betreuung Verdienste erworben. Erlangen, im Juli 2009
Κ. M.
Inhalt
Vorwort
VII
1. Einleitung
1
2. Epochale Bezugsfelder: Martin Luther, Albrecht Dürer und Hermes Trismegistos
7
3. Reformatorische Bildkritik und exegetische Zeitdiagnose in theologisch-polemischen Schriften a) Gegen den Bildgebrauch der »Mauerkirche« für Bilder als der »laien pücher« b) Kleriker als lebendige Götzenbilder c) Der sakrale Bildgebrauch als Superstition und die Kraft des Glaubens d) Die Bilderkritik im Psalmenkommentar und der Aufruf zur christlichen Bildung e) Prophetische Traumbilder als Gegenwartskritik f) Nichts kommt ohne Vorboten g) Zusammenfassung 4.
Der »Liber de imaginibus«: »Die bilderkunst gehet aus der magica« a) Neue und alte Zielsetzungen b) Prophetische und prognostische Bilder c) Ursprung und Geschichte der Götzenbilder d) Aichemistische Korrespondenzen e) Entwurf einer heraldisch fundierten Bildhermeneutik f) Exkurs über die Bildsprache der »Practica« des Paracelsus.... g) Himmelserscheinungen als übernatürliche Vorzeichen h) »chiromantia ist der magica ABC« i) Über natürliche und künstliche »gamahei« und über »characteres« j) Die Kraft des Glaubens und der Imagination: Vom »homunculus« zur »exaltation« k) Zusammenfassung
21 21 32 42 52 57 63 67
71 71 81 96 98 103 107 113 122 130 144 159
VIII 5.
Bilder in der »Astronomia magna« a) Die vier Bereiche der Astronomie b) Die »Artes humanae« c) Die »Artes aethereae« d) Zu einigen Spezifika der enzyklopädischen Konzeption
163 163 167 183 194
Anhang Paracelsus »Liber de imaginibus«
196
Literaturverzeichnis
209
Abbildungsnachweise
273
Abbildungen
275
Namensregister
381
1. Einleitung Als streitbarer Erneuerer der ärztlichen Wissenschaft zu Beginn der Frühen Neuzeit ist Paracelsus (1493/4-1541) ein exponierter Forschungsgegenstand vor allem der Medizin- und Pharmaziegeschichte. 1 Eindringliche Untersuchungen zeigten indes, daß sein medizinisch-therapeutisches Denken, also Paracelsus ureigenste Domäne, 2 nicht unabhängig von seiner theologischen Grundhaltung und ihren sozialethischen Implikationen gesehen werden kann. 3 Tatsächlich zählt Paracelsus als eminent produktiver biblizistischer Laientheologe zum »radikalen Flügel« der Reformation. 4 Sich selbst nannte er »beider arznei doctor«, also Doktor der Leib- und der Wundarznei. Damit rekurrierte er auf einen Titel, der ihm von der Universität Ferrara (um 1515) verliehen worden wäre.5 Mit dem behaupteten Titel »der heiligen schrift professor« apostrophierte er indes nicht einen erworbenen akademischen Grad, sondern seine als charismatisch empfundene Sendung zum Apostelamt, gleichsam in radikaler und deshalb für ihn signifikanter Umsetzung und Steigerung der Aussage Martin Luthers, »eynen doctorn der heyligenn schrifft wirt dir niemandt machenn, denn allein der heylig geyst vom hymel«.6 Aus seinen Vorstellungswelten ebensowenig isolierbar sind ferner kosmologische Theoreme. 7 Kurzum, Paracelsus ist nicht nur eine Größe der Medizin- und der Reformationsgeschichte, sondern auch der Philosophie- und der Wissenschaftshistorie. 8 Ergänzung fanden die Konturierungen der Person durch Forschungen zur innovativen, freilich oftmals rätselhaften Diktion Hohenheims innerhalb des Frühneuhochdeutschen, vor allem hinsichtlich ihrer Originalität und Ver-
1 2 3
4
5
6 7 8
Weimann 1963. - Paulus 1997. - Naber 1998. - Benzenhöfer 2002, 2005. Paracelsus 1. Paracelsus 1952. - Vgl. Goldammer 1986. - Fussler 1986. - Biegger 1990, 23ff. - Weeks 1997. Paracelsus 2. - Zum Begriff der »radikalen Reformation«: Williams 1962, 195ff., 325ff., 508ff. - Goertz 1978, 2002. - Zur Theologie des Paracelsus: Török 1946. - Bunners 1961. Benrath 1980. - Rudolph 1984, 1993. - Biegger 1990. - Gause 1994. - Haas 1994. Burckhardt 1914. - Bittel 1943, 158. - Blaser 1979, 68f„ 106. - Gantenbein 1997, 23. Dagegen: Keil 1999, 81, 89, der in Paracelsus vor allem einen Wundarzt erblickt. Luther WA, Bd. 6, 460. - Vgl. Goldammer 1986, 34ff. - Stollber-Rilinger 2003, 274. Goldammer 1953, 1971. - Paget 1962, 1982. Cassirer 1922, 220f. - Weinhandl 1944. - Braun 1956. - Webster 1982. - Gerl 1989, 78ff. Blümlein 1992. - Wollgast 1993, 647ff. - Vasoli 2002, 385ff. - Schmidt-Biggemann 1998, 286ff.
2 ständlichkeit als Fachsprache. 9 Zunehmend kritische und differenzierende Zugänge widmeten sich ferner der Frage, in welchem Ausmaß Paracelsus ambitiöse Bestrebungen auf dem Felde der Heilkunst tatsächlich neu waren beziehungsweise umgesetzt wurden. 10 Diese Beiträge berühren sich teils mit erhellenden Untersuchungen über die in manchen Selbststilisierungen grundgelegte und keineswegs frei von Mystifikationen, Idealisierungen und ideologischen Vereinnahmungen verlaufende Rezeption in der älteren und jüngeren Vergangenheit. Besonders mißbräuchlich war der Umgang mit Paracelsus in der Zeit des Nationalsozialismus." Sein unruhiges Leben, die Verbindung zur Alchemie und dem Okkulten sowie die Lehre von den Elementargeistern 12 ließen Paracelsus überdies zu einer literarischen Gestalt werden, zunächst als Adressat von Spott- und Huldigungsgedichten, später dann, in anekdotischen Randzonen, als Scharlatan oder mit unheimlichen Kräften begabter Sucher, schließlich als problembeladener Magier, seinem Zeitgenossen Dr. Faust nicht unähnlich. 13 Lyrik, Erzählungen, Romane, Theaterstücke, Opern und Filme haben sich seiner angenommen. 14 In die Kunstgeschichte ist Paracelsus auf mancherlei Weise eingegangen. Rückt man die wenig spektakulären Illustrationen des Petrarca-Meisters (Abb. 1) zur »Grossenn Wundartzney«, dem einzigen umfangreichen zu Lebzeiten (1536) erschienenen und für Bader und Wundärzte bestimmten Werk,15 zur Seite, so interessierte vor allem die in verschiedenen Medien mehr oder weniger authentisch wiedergegebene Porträtgestalt. 16 Herausragend aus der Fülle ein Quentin Massys zugeschriebenes, freilich nur mutmaßliches Bildnis, das in zwei Kopien des 17. Jahrhunderts - eine von der Hand des Peter
9
10
11 12
13
14
15 16
Pörksen 1984, 89f.: »Es gibt kaum einen wissenschaftlichen Autor, der den deutschen Wortschatz derartig erweitert hat, wie der im Grenzgebiet zwischen Alchemie und Heilkunst angesiedelte Paracelsus.« - Vgl. Eis 1965. - Teile 1981. - Boehm-Bezing 1966. - Blaser 1980. - Weimann 1993. - Burger 1984, 105f. - Pörksen 1994, 1995. - Kuhn 1996. - Keil 1999. - Kühlmann 2002. Vgl. etwa die Studien von Proksch 1911, 1912. - Keil 1995 (Krankheiten). - Dilg, Rudolph 1995. - Benzenhöfer 2002, 152ff. mit weiterer Literatur. Domandl 1977. - Benzenhöfer 1991 und 1993 (Paracelsusbild). Vgl. z.B. Heinrich Heines »Elementargeister«, die in Paracelsus grundgelegt sind: Heine 1987, 9ff„ 457ff. Den ersten Vergleich mit Faust hatte 1539 der Wormser Arzt Philipp Bergardi angestellt: Sudhoff 1907, 103f.- Bartscherer 1911. - Baron 1980. - Zu Faust vgl. Kiesewetter 1921. Henning 1966-1976. Weinmann 1961, 1993. - Goldammer 1980. - Frenzel 1983, 591f. - T e i l e 1982. - Zimmermann 1995. - Rueb 1995, 302ff. - Fellmeth 1997. - Meier 2004, 388ff. - Verschiedene Textbeispiele versammelt Geerk 1992, 403ff. Tschinkel 1981. - Benzenhöfer 1989. Braun 1988. - Hannesschläger 199, 1994. - Müller-Jahncke 1991. - Geissmar 1993, 71ff. Paulus 1997, lOlff.
3 Paul Rubens - erhalten ist und auch in Kupferstichform verbreitet wurde.17 Als Repräsentant der Heilkunst18 erschien Paracelsus natürlich auch in Historiengemälden und Epochendarstellungen, etwa in Wilhelm von Kaulbachs untergegangenem Wandgemälde »Zeitalter der Reformation« (ab 1843).19 Werner Tübke wies dem Hohenheimer im Panorama von Bad Frankenhausen (voll. 1989) eine vergleichsweise prominente Stellung zu (Abb. 2): Mit Schädelchirurgie beschäftigt, umsteht er in einer Reihe mit Geistesgrößen der Renaissance - in der Mitte Luther und Dürer - den Lebensbrunnen. Darüber erscheint in der Hauptachse der symmetrisch abgeklärten Komposition der revolutionäre Bauernführer und Theologe Thomas Müntzer, zuoberst aber jener Sonnenhalo, der 1525 unheilverkündend am Mittag vor der Entscheidungsschlacht im thüringischen Bauernkrieg am Himmel erschienen war.20 Auf Paracelsus bezogen sich auch verschiedene andere Künstler der Moderne: Kandinsky etwa mögen Vorstellung Hohenheims vom siderischen Leib nicht unbekannt geblieben sein.21 In Oskar Schlemmers »Der Gesetzgeber« (1923) betiteltem Porträt erscheint er als ideale »Verkörperung des geistbeherrschten und zugleich kosmisch gebundenen Menschentyps«.22 Andre Breton interessierte sich für Paracelsus kosmologische Anthropologie in seiner »L'art magique« (1957), Joseph Beuys für die Signaturenlehre hinsichtlich einer alternativen ganzheitlichen Naturwissenschaft.23 Emil Schumacher benannte eine seiner feurigen Assemblagen nach dem Arzt und Naturphilosophen usw. Die geistesgeschichtlich orientierte Kunstgeschichtsschreibung des letzten Jahrhunderts erblickte in Paracelsus wiederholt einen Inspirator epochal kennzeichnender Phänomene. So wollte man in den »allbewegten«, »kosmisch durchpulsten« Gemälden Albrecht Altdorfers und der sog. Donauschule zumindest Korrespondenzen mit seinen Gedanken erkannt haben.24 Zudem wurden Bezüge zwischen der physiognomisch geprägten Signaturenlehre des Paracelsus und Pflanzendarstellungen beziehungsweise Holzskulpturen der
17
18 19 20
21 22 23
24
Osten 1968. - Bosque 1975, 246ff. - Kat. Ausst. Rubens 1977, 83. - Jaffe 1989, Nr. 472. Heinen 2004, 75f., 173. So etwa in einer flämischen Allegorie des 17. Jahrhunderts: Blaser 1982. Menke-Schwinghammer 1994, 58ff. Meißner, Murza 1995, 129f. - Vgl. Leopold von Ranke in seiner »Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation«: »Die müntzerischen Inspirationen, die sozialistischen Versuche der Wiedertäufer und die paracelsischen Theorien entsprechen einander sehr gut; vereinigt hätten sie die Welt umgestaltet«: Ranke 1933, 293. Zimmermann 2002, Bd. 1, 269ff. Maur 1979, Bd. 1, 126ff., 148ff. Breton 1991, 23. - Beuys 2000,476f. - Vgl. Murken 1979, 28. -Zoller 1994. -Allgemeiner über die moderne Paracelsus-Rezeption: Geerk 1992, 387ff. Hartlaub 1954. - Benesch 1965 (1945), 47, 52, 58. - Behling 1957, 124ff., 168. - Stange 1964, 36. - Wood 1993, 26, 47. - Stadlober 2006, 50, 361.
4 deutschen Renaissance hergestellt.25 In noch riskanterer Weise erwog man Zusammenhänge mit den surrealistisch anmutenden allegorischen Gemälden des Arcimboldo: Sie zeigen Menschenköpfe, die aus den Objekten komponiert wurden, die den vier Elementen oder Jahreszeiten entsprechen. 26 Angesichts der Vielzahl postulierter Bezüge und Interessen, Paracelsus hermeneutisch fruchtbar zu machen, bleibt es erstaunlich, daß der mit seinem Namen verbundene zentraler Bildertraktat - der frühestens 1529 abgefaßte und 1572 erstmals gedruckte »Liber de imaginibus« - nahezu unbeachtet blieb.27 Freilich ist in diesem Text, anders als vielleicht aus moderner Position zu erwarten, nicht etwa von Porträts, Historiengemälden oder von Malerei insgesamt die Rede - etwa im Sinne von Leon Battista Albertis epochemachender Abhandlung »De pictura«, 1435/36 verfaßt und 1540 - ein Jahr vor Paracelsus Tod - erstmals in Basel erschienen. 28 Außerhalb des neuzeitlichen Kunstbegriffs und der kanonischen Dreiteilung in Architektur, Malerei und Plastik denkend und argumentierend, äußert sich der mutmaßliche Autor Paracelsus nämlich nicht eigentlich zur Malerei, sondern in einem umfassenderen Sinn zu Bildern - gleichgültig ob zwei- oder dreidimensional, ob von Menschen, der Natur oder der Gottheit geschaffen. Zu den »imagines« werden Artefakte wie Gemälde oder Holzschnitte und Statuetten ebenso gezählt wie Träume und Naturgebilde: Steine, Pflanzen, Landschaften oder Himmelserscheinungen. Was sie verbindet, ist die Annahme, mit Kräften - »virtutes« - ausgestattet zu sein und damit über die Wirkmöglichkeiten der von Alberti erörterten Gemälde hinauszureichen, nämlich Abwesendes zu vergegenwärtigen sowie Belehrung des Geistes und Bewegung des Gemütes zu bewirken. Ein weiterer von Alberti mit Blick auf die antike Rhetorik der Malerei zuerkannter Effekt, die Erweckung sinnlichen Genusses durch Schönheit, fehlt bei Paracelsus bezeichnenderweise überhaupt.29 So sind denn die Ahnen des auf neuartige Weise synthetisierenden und das zeitgenössische Bilddenken reflektierenden »Liber de imaginibus« auch weniger in der Kunstliteratur 30 zu finden als im Schrifttum der sog. okkulten Wissenschaften, d.h. in einer Literatur, die die in der Natur verborgenen Kräfte zu erkunden und anzuwenden sucht.31 Mit anderen Worten: etwa in Traktaten zur astrologischen Bilderlehre,32 zur Medizin
25 26 27 28 29
30 31 32
Baxandall 1980, 32, 34, 160ff., 212ff. - Hendrix 1993, 60f. - Büchsei 2002, 30f. Müller-Jahncke 1984, 2187f. - Ohly 1999, 87ff. Paracelsus 1/XII, 359ff. Alberti 2000. - Vgl. Kristeller 1975. Alberti spricht zwar auch von einer »geradezu göttlichen Kraft« der Malerei, Abwesende, etwa Verstorbene, zu vergegenwärtigen, doch in einem deutlich weniger spezifischen Sinn als Paracelsus: Alberti 2000, 234f. - Vgl. Arasse 1998. - Bätschmann 2001, 111, 116. - Ders. 2002. Schlosser 1924. Magia naturalis 1978. - Scienze 1982. - Occult 1984. - Okkulte Wissenschaften 1992. Weill-Parot 2002.
5 und zur Chiromantik oder in Lapidarien, die Anweisungen zur Verfertigung von Amuletten und Talismanen geben - insgesamt also, so würde Paracelsus sagen, in Texten der »artes magicae«. Freilich mit der Einschränkung, daß sie der »magia naturalis« folgen und Distanz zur dämonisch durchsetzten »magia illicita« oder »superstitiosa« halten.33 Tatsächlich erörtert Paracelsus im »Liber de imaginibus« zwei Hauptziele der Magie, nämlich durch die Auslegung sich darbietender Phänomene und Zeugnisse vor allem in die Zukunft blicken und wirkmächtige Bilder erstellen zu können. Diese ikonische Ausrichtung unterscheidet ihn etwa von seinem älteren Zeitgenossen, dem Pforzheimer Humanisten Johannes Reuchlin, der als christlicher Kabbaiist auf die Kraft des wundertätigen Wortes (»vis verborum«) setzte. 34 Alles in allem ist der instrumenteile, also keinesfalls ästhetische Bildbegriff des Paracelsus durch eine Weite und Praxisnähe gekennzeichnet, die dem landläufigen Verständnis der modernen Kunstwissenschaft fremd ist.35 So darf der »Liber de imaginibus« als ein herausragender Referenztext der historischen Bildwissenschaft außerhalb und vor der Etablierung der neuzeitlichen kunstwissenschaftlichen Gattungssystematik gelten. Der Text des - wie es scheint - ersten umfassenden Bildertraktats in deutscher Sprache steht im Mittelpunkt vorliegender Untersuchung. Ausgriffe in zugehörige Gedankenkomplexe des riesigen und noch keineswegs vollständig kritisch edierten Textcorpus des Arztes, Naturphilosophen und Theologen sollen das Verständnis erleichtern und vertiefen. Am Anfang sind indes Paracelsus Stellungnahmen zur theologisch fundierten Bilderfrage der Reformation und zu biblisch begründeten kritischen Zeitdiagnosen zu erörtern. Die überwiegend polemischen Texte bezeugen für sich genommen die eigenwillige Position im Konfessionalisierungsprozeß, geben aber auch Hilfestellungen, um das Neuartige und Spezifische des bislang disparate Stränge verbindenden »Liber de imaginibus« deutlich werden lassen. Überboten wird sein innovativer Systematisierungsansatz in der späten »Astronomia magna«, dem Versuch einer enzyklopädischen Zusammenführung von teils älteren, teils neu erfundenen Wissenschaften und Künsten, die Mittel zur Erkenntnis und Bewältigung der Welt und zur Gewinnung des Seelenheiles anbieten. In diesem berühmtesten Werk des Paracelsus ist von Bildern nun weniger unter dem Begriff der »Magie« als von verschiedenartigen, Himmel und Erde strukturierenden »Astronomien« die Rede. Vorliegende Untersuchung widmet sich also der Bilderfrage, wie sie in drei Textformen
33
34
35
Zum einschlägigen Magiebegriff vgl. Müller-Jahncke 1979 und 1985, 33ff. - Goldammer 1991. - Webster 1994. - Clark 1997, 214ff„ 233ff. - Zambelli 2002. Reuchlin 1494, 1517. - Vgl. Zika 1998. - Zu Paracelsus' Auffassung von Kabbala: Pagel 1982, 213ff. - Kilcher 1998, 126ff„ 231 ff., 266f„ 276f. Metzler Lexikon 2003, 43ff., 56ff.
6 greifbar ist: zunächst in Paracelsus verschiedenartig orientierten theologischpolemischen Schriften, dann umfassend und detailliert in der alte und neue Bildvorstellungen zusammenführenden Synopse des »Liber de imaginibus«, schließlich im übergreifenden Entwurf eines christlich-hermetischen Universalsystems.
2. Epochale Bezugsfelder: Martin Luther, Albrecht Dürer und Hermes Trismegistos 1527 bestellte der Magistrat von Basel Theophrastus Bombast von Hohenheim - erst später sollte er sich, vermutlich den Familiennamen gräcolatinisierend, Paracelsus nennen - zum Stadtarzt und gab ihm damit die Gelegenheit, an der Universität medizinische Vorlesungen zu halten.1 Damit schien für den 1493/94 in Einsiedeln als Höriger des Abtes (»Gotteshausmann«)2 Geborenen ein langes Wanderleben zu Ende zu gehen. Es hatte ihn - nach ersten Kenntnisvermittlungen durch den Vater Wilhelm von Hohenheim, seit 1502 als angesehener Wundarzt in Villach tätig,3 und der vielleicht um 1515 in Ferrara erfolgten Promotion - angeblich durch ganz Europa geführt, von England bis Portugal, von Frankreich bis Litauen.4 Ein früherer Versuch, den für die Epoche nicht untypischen Status eines vagantischen Gelehrten und Feldarztes abzulegen, war in Salzburg wegen der Verwicklung in den »Bauernkrieg«5 gescheitert: 1525 hatte Hohenheim die Bischofsstadt fluchtartig verlassen.6 Von Straßburg, wo er das Bürgerrecht erworben hatte, war er dann 1526 zur Behandlung des renommierten Buchdruckers Johannes Froben nach Basel gerufen worden, wo sich auch vielversprechende Kontakte zu Erasmus von Rotterdam und den Brüdern Amerbach entwickelten.7 Die Gründe für das Scheitern auch in Basel sind vor allem in den gespannten Beziehungen zur medizinischen Fakultät zu suchen. So mußte dem Kollegium Hohenheims die am 9. Juni 1527 veröffentliche lateinische Vorlesungseinladung, die »Intimatio«, als Provokation erscheinen. Der neue Dozent versprach nämlich, die Medizin »in ihren ursprünglichen lobenswerten Zustand zurückzuführen« und »von den schwersten Irrtümern« zu reinigen.8 Er dächte nicht daran, wie die akademische Schulmedizin nach »den Regeln der Alten« zu verfahren, also den Autoritäten Hippokrates, Galen oder 1 2 3 4 5
6 7 8
Bittel 1945. - Blaser 1979, 1987. - Gilly 1994. Bingisser 1995. - Dopsch 2004. Bittel 1953. - Neumann 1993. Paracelsus 1/X, 19f. - Schwedt 1993. - Benzenhöfer 2002, 27ff. Tatsächlich war der Konflikt von den Bergwerken in Gastein und Rauries ausgegangen: Franz 1975. - Blickle 1981. - Dopsch 1982. Kramml 1994. - Dopsch 1994 (Reformation). Trillitzsch 1986. - Fussler 1986, 48ff. - Hieronymus 2005, Bd. 1, 375ff„ 388ff. Paracelsus 1/IV, 3f. - Sudhoff 1936, 27ff.
8 Avicenna zu folgen und die überkommene Säfte- und Temperamentenlehre oder Humoralpathologie weiter zu verbreiten.9 Hohenheim wollte sich vielmehr ausschließlich nach jenen Regeln richten, »welche wir aus der Natur der Dinge und eigenen Erwägungen gewonnen und in langer Übung und Erfahrung bewährt gefunden haben«.10 Dieses Wissen hätte er nicht »alein bei den doctoren« erworben, sondern auch bei »scherern, badern, gelerten erzten, weibern, Schwarzkünstlern [...], bei den alchimisten, bei den klöstern, bei edlen und unedlen, bei den gescheiden und einfeltigen«.11 Damit stellte der streitbare Arzt selbstbewußt der philologischen, weil überwiegend am Schrifttum antiker Autoritäten orientierten Schulmedizin sein eigenes Reformprogramm gegenüber, das im Sinne des Topos »ratio et experimentum« auf Autopsie, Augenschein und Naturbetrachtung, kurzum der Lektüre des »Buches der Natur« gründen sollte.12 Gegen Lebensende, in den um 1537/38 verfaßten »Septem Defensiones«, der ersten in deutscher Sprache formulierten wissenschaftlichen Verteidigung, parallelisierte Paracelsus den unterstellten Verrat der zeitgenössischen Ärzte an der Medizin gar mit dem Verrat des Judas an Jesus Christus. 13 Tatsächlich sollte Paracelsus dynamische Auffassung von Lebensvorgängen, die er vor allem im Widerspruch zur aristotelischen Naturdoktrin formulierte, zur Auflösung alter Denkstrukturen beitragen, unter anderem durch die Fortentwicklung einer prozessualen Interpretation von Krankheiten und die Forcierung der bereits in Ausbildung begriffenen alchemischen Arzneimittelherstellung beziehungsweise pharmazeutischen Chemie (Iatrochemie). Nicht die Goldmacherei, die die Alchemie in Scharlatanerieverdacht gebracht hatte, interessierte ihn, sondern die Spagyrik, also die Gewinnung von Arzneien durch Trennen und Vereinigen (»alchimia qua ars spagyrica«) im Sinne einer gottgefälligen Fortführung des Schöpfungsplanes. Denn die Natur »gibt nichts an tag, das auf sein stat vollendet sei, sonder der mensch muß es vollenden, dise Vollendung heißet alchimia.«14
9
10 11 12
13
14
Schöner 1964. - Rothschuh 1978, 185ff. - Siraisi 1987, 73f. - Goltz 1992. - Böhme, Böhme 1996, 204ff. - Hieronymus 2005, Bd. 1. - Keil 2005 mit weiterer Literatur. - Allgemein zur Renaissance-Medizin: Cunningham 2002. Paracelsus 1/ IV, 3f. - Sudhoff 1936, 27ff. - Goldammer 1981. Paracelsus 1 / X , 20. Zur »Erfahrenheit«: Metzke 1961, 20ff. - Schipperges 1982 und 1988, 22f. - Blümlein 1992, 23ff. - Briese 1996. - Zur Bedeutung des Augenscheins: Pörksen 1998, 5f. - Zur Buchmetapher bei Paracelsus: Curtius 1973, 325. - Geyer 2001, Bd. 2, 35ff. Paracelsus 1/XI, 123ff„ 146. - Paracelsus 1955, 51f. - Vgl. Zanier 1988, 7ff. - Pörksen 1994, 52f. und 2003. - Gasal 1997. - Zur ärztlichen Ethik des Paracelsus: Schefer 1989. Gantenbein 1998. Paracelsus 1/VIH, 181. - Vgl. Goltz 1970 und 1972, 366ff. - Schneider 1972. - Debus 1977, Bd. 1, 45ff. - Rothschuh 1978, 94ff., 139ff., 212ff„ 264ff. - Pagel 1982, 273ff. - Blümlein 1986, 37ff. - Bianchi 1987, 31ff. - Benzenhöfer 1989, 71ff. - Müller-Jahncke, Paulus 1993. Bianchi 1994. - Teile 1994 (Alchemiker). - Müller-Jahncke, Friedrich 1996, 62f. - Haage
9 Paracelsus verfolgte sein Ziel im vergleichsweise offenen Rahmen einer Korrespondenzenlehre nach dem Grundsatz der bereits dem Mittelalter bekannten »Tabula Smaragdina« - dem sagenhaft in einer Pyramide überlieferten Testament des Hermes Trismegistos, des dreimal mächtigen Hermes: »Was oben ist, das ist auch unten«.15 Diese aus der Antike übernommene Vorstellung wurde u.a. durch figurale Schemata dokumentiert, in denen die Glieder und Organe des Menschen den sieben Planeten (Planeten-Melothesie) oder dem Zodiakus (Tierkreiszeichenmann) zugeordnet erscheinen (Abb. 3), so etwa auch in der als Schulbuch gebrauchten »Margarita Philosophica« (1503) des Kartäusermönches und Beichtvaters Maximilian I., Gregor Reisch. 16 Paracelsus wollte diese Form der astrologischen Heilkunde unter anderem im Sinne der Alchemie neu verstanden wissen. So müsse die wahre Medizin das akademisches Denken mit gradibus und complexionibus, humoribus und qualitatibus« aufgeben und der »arznei art erkennen nach dem gestirn, das also oben und unden astra sind, und dieweil die arzni nichts sol one den himel, so muß sie durch den himel gefürt werden, so ist sein fürung nichts als allein, das du ir hinweg nemest die erden; dan der himel regirt sie nicht, allein sie sei dan gescheiden von ir. so du nun sie gescheiden hast, so ist die amzei in dem willen der gestirne und wird vom gestirn gefürt und geleitet, das also zum hirn gehört, das wird zum hirn durch luna gefürt, was zum milze gehört, wird zum milze durch den saturnum gefürt, was zum herzen gehört, wird durch solem zum herzen geleit. 17
Der gute Arzt, so lautete eine Folgerung, müsse auch ein guter Astronom sein und um die Stellung des Menschen im Kosmos Bescheid wissen (Iatromathematik). In der späten »Astronomia magna« wird Paracelsus dann anthropozentristisch formulieren, daß »die ganz machina mundi den menschen umgibt, und der mensch ist im mitten der centrum aller creaturen [...] so gehent die äußern sphaer und cirkel al in den centrum«. Mit anderen Worten, »der mensch ist microcosmus. er ist quintum esse totius machinae mundi, er ist der centrum, in den alle sphaer ir radios gießen«.18 Diese Auffassung des Menschen als Mittelpunkt und Quintessenz des Kosmos wird auch für die Bilderlehre des Paracelsus von Bedeutung sein. Die Beziehung zur Astralwelt manifestiert sich bei Paracelsus auch in der Konzeption vom dreifachen Leib.19 Der Menschen bestünde nämlich aus
15 16
17 18
19
1996, 176ff„ 192ff. - Ders. 1997, 1999, 2005. - Kahn 2007. - Zur Laboratoriumstechnik von Alchemisten im 16. Jahrhundert allgemeiner: Soukup, Mayer 1997. Ruska 1926. - Crisciani 1995, 177ff. - Teile 1997. Reisch 1503, fol. Ρ 3r. - Vgl. zur Astromedizin: Müller-Jahncke 1985, 135ff. - Keil, Lenhardt, Weißer 1981-1983. - Weißer 2005. Paracelsus 1/VIII, 183f. - Vgl. Ders. 1/1, 208. Ders. 1/XII, 454. - Vgl. Allers 1944. - Müller-Jahncke 1985, 67ff. - Blümlein 1986, 143ff. Wegener 1988, 56ff. - Anrieh 1989, 31ff. - Böhme 1989. - Haas 1991-92. - North 1995. Weder 1999. Vgl. Rudolph 1994.
10 einem »elementischen« Leib, der »viehische« Züge aufweise, und einem »gestirnten« oder »siderischen« Leib, der der oberen Sphäre zugehöre und von der Astronomie geleitet werde. Beide seien indes vergänglich und sollten in Erfüllung einer ethischen Verpflichtung durch eine gelebte Gottebenbildlichkeit (Gen 1, 26-27) gemäß der jüdisch-christlichen Tradition überhöht werden: dan das tierisch ist nichts anders, als alein die biltnus der erden, die zergehet, aber die biltnus gottes zergeht nit, dan got ist ewig, also verstehet disen sprach: der weisman, das ist der mein der aus gütlicher Weisheit lebet in der biltnus, derselbig herschet über den gestirnten und elementischen leib. Aber beider biltnus sol der mensch gnug tun. 20
Die Ablehnung, ja Verhöhnung der neuartigen Gedanken in der Person Hohenheims wurde in Basel öffentlich, als an einem Wintersonntagmorgen des Jahres 1528 ein anonym verfaßtes Schmähgedicht an Türen von Kirchen und der Burse zu lesen war. Darin wurde der Rebell, u.a. durch Anspielung auf den Namen Theophrastus (»der göttlich Beredte«), als Cacophrastus (»der Dreckredner«) verunglimpft. »Deiner tölpelhaften Zunge fehlten lateinische Worte, und dein zusammengestohlenes Zeug ließ dich im Stich« war in dem Pamphlet zu lesen.21 Provozierend auf die medizinische Fakultät der Universität Basel hatte offenbar auch gewirkt, daß Hohenheim seine Vorlesung über den Kreis immatrikulierter Studenten hinaus für Bader und Chirurgen, ja für jedermann anbot und sich statt des gewohnten Lateins teils des Deutschen alles in allem wohl einer Mischung aus Umgangssprache und lateinischem Fachvokabular - bediente.22 Mit der Absage an das zeitgenössische, von der griechisch-lateinischen Antike geprägte Wissenssystem änderte sich somit auch die Nomenklatur. Zudem mußte der Gebrauch des Deutschen, und das heißt hier wohl auch der Anschluß an die mittelalterliche volkssprachliche Sachliteratur, für die altgläubige Universität jener Jahre nicht nur als akademischer Affront, sondern auch als Zustimmung zur neuen Lehre Martin Luthers erscheinen - 1526 hatte Johannes Oekolampadius, der Reformator Basels, in der St. Martinskirche erstmals die Psalmen in deutscher Sprache singen lassen.23 Beides, der schroffe Wille zur grundlegenden Erneuerung und die zumindest partielle Verwendung der Umgangssprache in der Lehre, trug dazu bei, Hohenheims erste Universitätsauftritte zu Luthers fünfundneunzig Thesen
20
21 22
23
Paracelsus 1/XII, 41f., 22: »was vom fleisch ist, das ist tierisch und hangt allen tieren an; was vom gestirn ist, das ist menschlich, und was vom geist gottes ist, das ist nach der biltnus«. - Zur traditionellen Gottebenbildlichkeit: Mussner, Lakner 1960; bei Paracelsus: Sartorius von Waltershausen 1936, 35ff. - Kämmerer 1971, 45f. - Müller-Jahncke 1985, 67ff. - Weder 1999, 9f., 28, 33, 46. Blaser 1954, 1963. - Hieronymus 2005, Bd. 1, 381ff. Bittel 1945, 19f. - Goltz 1972, 343. - Blaser 1979, 42f. - Pörksen 1994, 64f„ 74. - Kuhn 1996, 27f. - Rietsch 2002, 118ff. - Zu den Lateinkenntnissen Hohenheims: Rhein 1993, 56f. - Keil 1995, 22, 33. - Hieronymus 1998, 38. - Zum deutschsprachigen Fachschrifttum in der frühen Neuzeit vgl. Teile 1988. Bittel 1945, 19.
11 gegen den Ablaßhandel 1517 in Parallele zu setzen.24 Gefördert wurde der plakative Vergleich mit dem Kirchenreformator dadurch, daß Hohenheim am 24. Juni 1527 auf dem Basler Marktplatz, gleichsam zum Zeichen der Mißachtung der herkömmlichen Medizin, »die summa der biicher in sanct Johannis feuer« warf, »auf das alles unglück mit dem rauch in luft gang, und also ist gereiniget worden die monarchei«.25 Sebastian Franck berichtete bald danach, daß sich darunter »der Avicenna«, also ein traditionelles Medizinerlehrbuch, befunden hätte; Hohenheim wäre ein »seltsamer wunderlicher Mann, der fast alle Doctores und Scribenten in Medicinis verlacht«.26 Diese aufsehenerregende Bücherverbrennung gemahnte natürlich an die demonstrative Geste, mit der Luther der Androhung des Kirchenbannes begegnete, als er 1520 in Wittenberg vor dem Elstertor die päpstliche Bulle, Bände des kanonischen Rechts und Schriften seiner Gegner ins Feuer warf. Hohenheim wird davon zumindest durch seinen Famulus Ulrich Gyger, der in Wittenberg studierte, gewußt haben.27 Jedenfalls trugen diese Affronts gegenüber dem Althergebrachten dazu bei, daß der reformerische Arzt bereits von Zeitgenossen, erst recht aber von der Geschichtsschreibung, als ein zweiter Luther, als »Lutherus medicorum« apostrophiert wurde.28 Das Prädikat fand allerdings nicht die Zustimmung Hohenheims. Zwar hatte er, einer der eifrigsten Bibelexegeten der Reformation, wenn der Schein nicht trügt, seine Auslegung der ersten Kapitel des Matthäusevangeliums im März 1525 an Luther, Bugenhagen und Melanchton gesandt,29 also zunächst durchaus die Nähe des Wittenbergers gesucht.30 Doch bald distanzierte er sich und behauptete: ich bin nit Lutherus, ich bin Theophrastus, und bin der Theophrastus, den ir zu Basel Cacophrastum hießen. [ . . . ] meint ir, ich sei allein Lutherus? dieweil ich über das, so eim christen zustat, sonderlich mit mererm ampt dan ein apostel begabt (das ist mit der arznei, philosophei, astronomei, alchimei) und soll nur Lutherus sein? ich wird im und euch zu arbeiten geben! du weißt wol, ich laß Lutherum sein ding verantworten; ich will das mein selbst verantworten; dan er sol mir nicht ein rinken auftun in meinen schuhen, warumb tunt irs? darumb, ir verhoffent, Luther wird verbrennt und Theophrastus sol auch verbrennt werden. 31
24 25 26 27 28
29 30
31
Blaser 1979, II6f. Paracelsus 1/VIII, 58. - Rafetzeder 1988, 86f. Franck 1536, Bd. 1, fol. 279r. - Geerk 1992, 87. - Hieronymus 2005, Bd. 1, 418. Blaser 1981, 55f. 1 585 verglich der englische Schriftsteller Robert Bostocke Paracelsus mit Luther, Melanchton, Zwingli, Calvin und Kopernikus: Debus 1977, 69. - Vgl. weiter: Kieser 1817,43. - Häußler 1830, 337ff. - Lessing 1839, 52f. - Aus neuerer Sicht zum Vergleich Luthers mit Paracelsus: Rudolph 1981, 34ff. - Nutton 1995. - Haage 1995. - Domandl 1995. - Weeks 1997, 9ff. Rhein 1991, 63f. - Gause 1993, 162ff. - Rietsch 2002, l l f f . Ins Reich der Fabel gehört, daß Paracelsus Luther 1537 vom Fieber geheilt hätte: Gruppe 1974, 300. Paracelsus 1/VIII, 43f., vgl. 38, 62f. - Zum gesteigerten Selbstbewußtsein des Paracelsus: Goldammer 1964, 13. - Stoll 1987.
12 So schreibt er gleichermaßen trotzig und selbstbewußt wie ängstlich 1529/30 in Beratzhausen. Als radikaler Reformator und polemischer Kirchenkritiker möchte er - ähnlich wie Sebastian Franck - seine selbständige Position zwischen den sich ausformulierenden Glaubensrichtungen behaupten: »will nicht baptistisch, lutherisch &c sein«.32 Trotz oder auch wegen der divergierenden theologischen Vorstellungen - sie manifestierten sich unter anderem in einer spezifischen Mariologie 33 - hat Paracelsus, ähnlich wie der wegweisende humanistische Ankläger kirchlicher Mißstände und Verkehrungen im Frömmigkeitsleben, Erasmus von Rotterdam, die römische Kirche niemals verlassen. Die verlorene kirchliche Einheit beklagte er immer wieder aufs Neue.34 1567 wird ein Parteigänger den mancherorts offenbar als Neutralisten wahrgenommenen Paracelsus konsequent als einen »Catholischen vnd Euangelischen Artzte« bezeichnen. 35 Vielleicht eingedenk der trüben Basler Erfahrungen - der Aufenthalt war Anfang 1528 wie zuvor in Salzburg mit einer überstürzten Abreise zu Ende gegangen - betonte Hohenheim fortan die »liberalitet«, also die Freiheit und Unabhängigkeit des Berufs: »so soll aber der, dem got gab und reichtumb geben hat, keins andern sein, sonder sein selbs eigen herr und wille und herz«.36 Auf seine eigene Person bezogen, konkretisierte sich dieser Wunsch nach Selbstbestimmung in der Wahl der Devise »Alterius non sit qui suus esse potest« - »Eins andern Knecht soll niemant sein / Der für sich bleiben kann allein«. Vielfach abgewandelt, schimmert diese selbstbewußte Grundhaltung in etlichen Textstellen durch: »darumb aber das ich allein bin, das ich neu bin, das ich deutsch bin, verachten drumb meine Schriften nit und lasset euch nicht abwendig machen, dan hie herdurch muß die kunst der arznei gehen und gelernt werden und sonst durch kein andern weg nit.«37 Die Devise - als Quelle konnte eine mittelalterliche Tierfabelsammlung nachgewiesen werden38 - bekrönt auch das Porträt des Monogrammisten AH (Abb. 4). Der Kupferstich entstand 1540 und wurde für zahlreiche der überlieferten Bildnisse typenbildend. 39 Der in einen Waffenrock gehüllte kleine, am Brustkorb verwachsene Mann mit gewaltigem, nur von einem Haarkranz bedeckten Schädel 40 umfaßt das Adelsschwert - einen Zweihänder, von dem
32
33 34 35 36 37 38 39 40
Paracelsus 2/III, 195. - Ders, 2/ΓΙ, 438. - Vgl. das ähnlich pointierte Lied des Sebastian Franck »Von den vier zwiträchtigen Kirchen, deren jede die andere verdammet« in: Wakkernagel 1865-1875, Bd. 3, 817f. Biegger 1990, 1993. Zu Erasmus: Oelrich 1961, 119f. - Holeczek 1984, 151f. Kühlmann, Teile 2004, 620. Paracelsus 2/ I, 157f. - Ders. 2/11, 6. - Paracelsus 1993, 280. Paracelsus 1/VIH, 201. Blaser 1979, 9ff. - Blaser 1984, 11. Paracelsus 1/ XII, XVIII. - Ficker 1971. - Hannesschläger 1994, 218. Zum Aussehen vgl. Keil 1995, 21f.
13 es heißt, daß es ihm von einem Folterknecht oder Henker überlassen worden wäre und dem landfahrenden Arzt das Aussehen eines Fuhrknechts verliehen hätte.41 Die zweite lateinische Inschrift des Porträtstiches ergänzt das auf Selbständigkeit zielende erste Lebensmotto durch den Verweis auf zwei außerhalb der Person stehende polare Mächte: »Alles Gute wird von Gott vollendet, unvollendet bleibt es vom Teufel«.42 In einer lateinischen Fassung war diese Sentenz auch auf dem Grabmal zu lesen, das man Hohenheim nach dem Tod 1541 auf dem Salzburger Sebastiansfriedhof errichtet hatte.43 Gestorben ist Paracelsus wahrscheinlich an einer Überdosis Quecksilber, mit der er eine lebensbedrohliche Entzündung im Mittelohr zu kurieren versuchte 44 - er, dessen toxikologisches Prinzip »alein die dosis macht das ein ding kein gift ist« zum meistzitierten Wort seines Textcorpus aufsteigen sollte.45 Gleichfalls vom Teufel ist in der Inschrift eines weiteren künstlerisch eher bescheidenen, geistesgeschichtlich aber aufschlußreichen Bildnisses (Abb. 5) des Jahres 1572 die Rede. Es weist in den Konturen auf eine Darstellung zurück, die 1538 vielleicht für die Drucklegung der »Kärntner Schriften« vom Monogrammisten AH gefertigt wurde (Abb. 6). 46 Nun erhielt sie durch den Nürnberger Kupferstecher und Verleger Balthasar Jenichen einen Textzusatz, der Paracelsus mit Albrecht Dürer parallelisiert. 47 Der Maler selbst wiederum war zuvor von Conrad Celtis mit Albertus Magnus rühmend verglichen worden und hatte auch sonst vielfältige literarische Würdigung erfahren 48 Matthis Quad von Kinckelbach wird 1606 die Gegenüberstellung Dürers und Paracelsus in sein vielteiliges, der Rühmung und der Apologie des Verstorbenen gewidmetes Flugblatt (Abb. 7) aufnehmen. 49 Paracelsus, der um den außerordentlichen Rang des hochgeschätzten Nürnberger Künstlers offenbar wußte, erwähnt Dürer im Textkorpus selbst als einen einer bestimmten Himmelskonstellation verdankten Maler, als »filius adoptivus zur kunst«. 50 Die
41 42 43 44
45 46 47
48
49 50
Blaser 1979, 37, 73 Anm. 43. - Bittel 1945, 22. Vgl. dazu die Überlegungen von Sartorius von Waltershausen 1936, 150ff. Dopsch 1994, 255. Kritscher, Hauser, Reiter, Szilvässy, Vycudilik 1993. - Harrer 1994. - Kritscher, Szvilässy, Vycudilik 1994. Paracelsus 1/XI, 138. - Dazu zuletzt: Papadopoulos 2004. Sudhoff 1936, 151f. Rupprich 1956-1969, Bd. 1, 319. - Schuster 1983, 142f. - Köpfe 1983, 262f. - Hannesschläger 1994, 220. - Kat. Ausst. Paracelsus 1993, Amsterdam, 13ff. - Eine Aquatintaradierung von Karl Mayer nach dem Jenichenstich bildet das Titelblatt zu Lessing 1839. Rupprich 1956-1969, Bd. 1, 190ff„ Bd. 3, 460. - Wuttke 1967, 323. - Rohowski 1994, 217. - Lüdecke, Heiland 1955, 17ff. Gilly 1993, 18f. Paracelsus 1/ XI , 275f. - Ders. XII, 109f. - In Dürers Familienchronik findet sich für den 21. Mai 1471, den Geburtstag Albrecht Dürers, folgende Randbemerkung eingefügt: »Theophrastus schreibt, das in A. D. geburtsstundt alle planeten vber der erden in ihrer erhöhung gestanden«: Rupprich 1956-1969, Bd. 1, 29.
14 Inschrift des Jenichenstichs also lautet: »Gleich wie Dvrer itidr molerei,/ also dieser inn der ercznerei, vor in vnd nach in niemand drad/ in irer kuns gegleichet hat,/ mvst es darvm vom tevfel sein/ das sei ferne, och nein och nein«. Eine Absicht des Textes war - neben der ehrenden Vergleichung - also offenbar, bereits zu Lebzeiten erhobene Anschuldigungen, Paracelsus stünde mit dem Teufel im Bunde, zurückzuweisen sowie neueren Häresievorwürfen zu begegnen. 51 Links und rechts neben dem Profilkopf liest man die nach dem 1. Korintherbrief (12, 4) formulierten Worte: »Es sind den menschen ma/ ncherlei gabe(n) geben von g/ott, einem iedem nach s/einer wirckung, aber d/urch einen geist. I:/Corint:12«. Damit werden die ärztliche Kunst und die Kunst der Malerei offenbar in apologetischer Absicht als Gaben des Heiligen Geistes, als göttliche Charismen sowohl in ihrer Diversität als auch in ihrer Einheit vorgestellt, einer Einheit, die ein kleinformatiger Zusatz am rechten Bildrand noch verdeutlicht. Denn dort finden sich unterhalb des bekannten Dürermonogramms und des Namens Theophrastus die Worte: »moln un(d) ercznereien/ ine kvnst. 1572«. Ist bei dieser Formulierung an die Gestalt des Evangelisten Lukas, des biblischen Arztes (Kol 14, 14) und Malerpatrons zu denken? 52 Im Jenichenstich werden jedenfalls Malerei und Medizin als miteinander verbundene und gnadenhaft verliehene Künste angesprochen beziehungsweise Dürer und Hohenheim als Manifestationen der gemeinsamen göttlichen Kraft vorgestellt. Damit wurden offenbar die Künste als Gaben des Hl. Geistes gerechtfertigt - auch Dürer kein fremder Gedanke, wie die Reinschrift der Vorrede zur Proportionslehre von 1523 beweist: »Dorum helft üben hern vnd frewnt, gebt miltiglich heraws dy gaben gottes, dy jn ewch gössen sind, awff das gott jn ewch geert werd vnd den prüdem zw gut kum.«53
51
52
53
Paracelsus 1/VIII, 157f. - Vgl. Ders. IX, 348. - Ders. XII, 12f. - Goldammer 1991, 109f. Gilly 1996, 430ff. - Bogner 1996. - Benzenhöfer 1997, 69. - Kauertz 2003, 83ff. King 1985. - Ein Gemälde (um 1553) des Maerten van Heemskerck, das sich seit dem späten 16. Jahrhundert im Nürnberger Rathaus befand, zeigt den Heiligen Lukas auf exemplarische Weise als Madonnenmaler vor einem antikischen Statuenhof mit den Attributen seiner medizinischen Tätigkeit, darunter den Traktaten des Galenus, Nikandros und Dioskurides sowie einer Armillarsphäre, die auf die astronomischen Dimension der Heilkunst hinweist: Großhans 1980, 195ff. - Kraut 1986, 86ff. - Asemissen, Schweikhart 1994, 46f. Rupprich 1956-69, Bd. 2, 152f„ Bd. 3, 167. - Vgl. Schrade 1934. - Rupprich 1959. - Die gleiche Meinung vertritt der Bischof von Chiemsee Berthold Pürstinger in der ersten katholischen Dogmatik, mit der protestantischen Ansätzen und den Bilderstürmern begegnet wird. Pürstinger 1852 (1528), 591 f.: »wie ain yeder gechickt oder fähig ist gotlichs einflusz, jn yedem erscheinen heiliges geistes gäbe, anfancklich zu gotes ere, nachuologend zuo gemainem nutz, nit zuo aigner ere. Wie paulus beschreibt. Ainem wirt geben gnad zereden von der weiszhait oder von der erkantnuss, dem andern wirt geben der glaub. Ainem wirt geben kunst der artzney, [...]. Dieweil nu got zuo pildnuss seiner gütlichen kunst, beschaefft vnd gibt dem menschen sein kunst, on zweifei daz er dieselb brawchen soelle, sonderlich zuo der ere gottes.« - Die Berufung auf den Hl. Geist ist freilich älter: Konrad von Megenberg etwa sprach die israelitischen Steinschneider als vom Hl. Geist geleitet: Megenberg 2003, 466.
15 Im »Liber de artium inventione« hatte Paracelsus selbst deutlich gemacht, daß alle Handwerke und Künste von Gott kämen, der damit seine Schöpfung vorantreibe. Jene, bei denen der entsprechende Same aufgehe, würden sogar zu Heiligen: einer hat das gefunden der ander das. [...] das sind die rechten heiligen, so die hantwerk eren sollen, die ir hantwerken gefunden haben und dem es got geben hat. denn das sind die bewerten, das sind die rechten, von denen der ursprung kompt und die got mit seim selbs samen beweiset, den er in sie als in sein auserwelten garten geseet hat [...] dan der muß ie got sonderlich gefallen, dem er das gibt, und durch den ers leßt in die weit komen. 54
Die vielfältigen Tätigkeiten seien darauf angelegt, zusammenzuwirken und einen lebendigen Organismus auszubilden. So hat Gott »den maler beschaffen und im alle färben anzeigt und die hant gefürt, das also subtil herfür ist komen, das einer an ein want abgemalt mag werden, und der gleichen wird das zimer so geschickt gemacht, das aus groben holz hübsch arbeit wird, und also alle ding der hantwerken eins in das ander gehenkt und an ein ander, das ie eins das ander brauchen muß.«55 Offenbar hat also ein Anhänger des Paracelsus im Jenichenstich diese Konzeption der künstlerischen und handwerklichen Gottesgaben auf den Protagonisten der Neuerungen selbst projiziert und durch die Parallelisierung mit Dürer rechtfertigend und rühmend personalisiert. Bekräftigt wird der Vergleich sowohl mit dem Glaubensreformator als auch mit dem Renaissancemaler auf überraschende Weise 1587 durch den nüchternen Straßburger Baumeister und Kartographen Daniel Specklin. Als Eintragung für das Jahr 1517 überliefert seine Chronik nämlich die Weissagung, »dass sich drey erneuerungen zutragen werden, 1. mit D. Luther in dem Gottesdienst, 2. mit Theophrasto in der Artzney, 3. mit Albrecht Dürer in allerley künsten«. 56 Damit waren also Luther, Paracelsus und Dürer zu einem Dreigestirn der Erneuerung am Beginn der Neuzeit formiert. Darin und nicht minder durch die Aufnahme in eine Serie von acht bronzenen Bildnismedaillons (Abb. 8), die der Nürnberger Bildhauer Georg Schweigger 1638 im Zuge einer Dürerrenaissance rückblikkend auf die Reformation und den Humanismus fertigte, spiegelt sich der wachsende Ruhm des zu Lebzeiten gescheiterten Arztes. Paracelsus steht nun in einem deutschen Pantheon in einer Reihe mit Albrecht Dürer, den Kaisern Maximilian I. und Karl V., Martin Luther, Philipp Melanchton, Willibald Pirckheimer und Erasmus von Rotterdam. 57
54 55 56 57
Paracelsus 1/XIV, 252f. - Vgl. Wegener 1988, 77f. - Rueb 1995, 36ff. Paracelsus 1/XIV, 254. Specklin 1890, 487, Nr. 2212. Kat. Ausst. Von allen Seiten schön 1995, 542f.
16 Die zunehmenden Würdigungen - Giordano Bruno etwa läßt Paracelsus 1587 als einzigen Arzt neben Hippokrates thronen 58 - sind Phänomene der etwa 1560 beginnenden Ausbildung des bald europaweit faßbaren Paracelsismus. Diese Bewegung läßt sich als eine abseits der akademischen Welt stehende und entsprechend oft und massiv angefeindete wissenschaftlichtheosophische Oppositionsbewegung begreifen, in größerem Rahmen auch als eine deutsche Ausprägung des Hermetismus, das heißt als Erneuerung und Weiterführung jenes offenen hellenistisch-synkretistischen Denkens, in dem, unter Bezug auf den legendären ersten Alchemisten Hermes Trismegistos,59 sich Theologie, Philosophie und Magie als komplementäre Elemente versammelten. Im weiteren Rahmen einer »Philosophia perennis« ging es also darum, 60 die göttliche Offenbarung der Bibel (»revelatio«) mit den vorgeblich seit Urzeiten bestehenden und somit den Anfängen nahen Weisheitstraditionen (»sapientia«) in einen homogenen Theoriezusammenhang zu bringen.61 Konkretion fand diese Zusammenführung monotheistischer Schöpfungstheologie, neuplatonisch fundierter Kosmologie und christlicher Heilsgeschichte u.a. in der Figur des »Magus« - so etwa die Vorstellung des wegbereitenden Marsilio Ficino und eben auch des Paracelsus.62 Über seine Zugänge zu hermetischen Gedankenkomplexe und somit auch zur Ausbildung einer Art Gelehrtenreligion in Distanz zu jedweder Orthodoxie und dogmatischen Festlegungen bestehen einige Unklarheiten. Jedoch ist evident, daß Paracelsus von seinen Anhängern als »Trismegistus Germanicus« gerühmt wurde - in Wort und Bild (Abb. 9).63 Eine maßgebliche Rolle bei der Ausbildung des Paracelsismus spielte Adam von Bodenstein, der Sohn des Lutherwidersachers und Bilderfeindes
58 59 60 61
62
63
Bruno 1879-91, Bd. 2/2 234. - Schmidlin 1994, 68f. - Vgl. Yates 1964. Szydlo 1998. Schmidt-Biggemann 1998. Zum Hermetismus bzw. Paracelsismus: Sheppard 1988. - Debus, Merkel (Hrsg.) 1988. Debus 1991. - Telle 1994. - Telle 1994 (Alchemie), 209f. - Pagel 1984. - Liedtke 1996, 21ff. - Corpus Hermeticum Deutsch 1997. - Holzhausen 1997. - Schott, Zinguer 1998. Grell (Hrsg.) 1998. - Gentile, Gilly 1999. - Bachmann 2000. - Kühlmann 2001. - Kühlmann, Teile 2001, Iff., 18f., mit weiterer Literatur. - Dies. 2004. - Trepp, Lehmann (Hrsg.) 2001. Gilly, van Heertum (Hrsg.) 2002. - Mulsow (Hrsg.) 2002. - Wollgast 2005, 657ff. - Kahn 2007. Vgl. die definitorische Annäherung an den Paracelsismus von Hugh Trevor-Roper 1998, 119: »An amalgam of medieval alchemy and neoplatonic ideas developed in a mystical German context, it was expressed in oracular style and a novel, enigmatic language by an egomanic genius.« Unter dem Begriff »Esoterik« behandeln die Phänomene u.a.: Faivre, Voss 1995. - Faivre 1996. - Neugebauer-Wölk 2000. Ficino 1576, 498ff. - Ders. 2002, 398ff. - Vgl. Buhler 1990. - Allgemeiner: Copenhaver 1988. - Flint 1991. Der anonyme Kupferstich erschien erstmals in der pseudoparacelsischen »Kleinen Handund Denckbibel« 1684 bei Andreas Luppius in Leipzig: Hannesschläger 1994, 228. - Vgl. auch das Titelblatt zu Johann Husers Ausgabe der »Chirurgischen Bücher und Schrifften«, Straßburg 1605: Paracelsus 1589-1605, Bd. 6. - Vgl. Faivre 1995, 136. - Gentile, Gilly 1999, 302ff. - Schütze 1991.
17 Karlstadt. Der Leibarzt des Pfälzer Kurfürst Ottheinrich in Heidelberg, vom überzeugten Galenisten zum glühenden Anhänger spagyrischer Medizin gewandelt, sah sich als Vollstrecker der von Paracelsus inaugurierten Wende in der Heilkunst und verfaßte zum besseren Verständnis und zur Verbreitung seiner Lehre ein erstes »paracelsisches« Wörterbuch. 64 Bodenstein scheiterte in Basel ähnlich wie sein Vorbild: 1564 schloß ihn die medizinische Fakultät aus, weil er »sich der Theophrastischen falschen leer anhengig gemacht« hätte.65 Daß die Erneuerung der Medizin dennoch voranschritt, war in hohem Maß das Verdienst des protestantischen Verlegers Pietro Perna, eines italienischen Emigranten. Er brachte in Basel eine Anzahl von Manuskripten zum Druck 66 - zu Lebzeiten Hohenheims waren nur vier medizinische, aber etliche astronomisch-prognostische Schriften erschienen.67 Ansonsten mißlangen vorerst die Bemühungen, das ungewöhnlich große, in seinem Umfang vermutlich nur von Luther übertroffene deutschsprachige Werk in Druck zu bringen. Immerhin hatte aber Paracelsus letzter Salzburger Landesherr, Bischof Herzog Ernst von Bayern, dafür gesorgt, daß die von Paracelsus an verschiedenen Orten in Verwahrung gegebenen Manuskripte durch die eingesetzten Testamentvollstrecker gesammelt wurden. 68 Die Ausgangslage für Perna war nicht einfach, denn Paracelsus - bereits 1530 nachweisbar als Adept der »Schwarzen Kunst« verdächtigt 69 - hatte Häresievorwürfen zu widerstehen, mit denen ihn Apologeten beider Konfessionen überzogen. Eine theologische Verdammung seiner neuartigen Denkmodelle erfolgte 1561 durch den Züricher Stadtarzt Konrad Gesner, der auch behauptete, Paracelsus sei »sicherlich auch ein gottloser Mensch und Magier gewesen, der Handel mit dem Teufel trieb«.70 Die Verteidigung des Paracelsus gegen jeden Teufelsdienst im Jenichenstich 1572 sowie im Flugblatt des Matthis Quad von Kinckelbach 1606 darf sicherlich auch vor dem Hintergrund entsprechender Anschuldigungen gelesen werden. Dazu kamen die detaillierten Vorwürfe als gottloser Trunkenbold, die sein ehemaliger Famulus Johannes Oporinus wohl 1565 gegen den Verstorbenen in einem Brief formuliert hatte,71
64 65 66
67 68 69
70
71
Bodenstein 1574. Gilly 1977, 96. Rotondo 1974. - Gilly 1977, 60ff. - Gantenbein 1996. - Hieronymus 1998. - Perini 2002, dazu Gilly in: Kühlmann, Teile 2004, 745ff. - Kahn 2007, 103ff. Benzenhöfer 1993, 1 Iff. und 2005. - Baron 1995 Domandl 1977, 17ff. Paracelsus 1/VIII, 112: »Hieraus nun ermessent, ir auditores, ir leser, mit was grund sie und ich gegen einander standen, ob ich mein grund aus doller weis hab oder aus der schwarzen kunst, oder aus dem teufel, wie sie sagen.« - Vgl. ebd., 33, 157. - Goldammer 1991, 109f. »Theophrastus vero certo impius homo et magus fuit, et cum daemonibus communicavit«, zit. nach Gilly 1994, 430f. - Vgl. Webster 1990. - Allgemeiner zur Bewertung von Magie: Peters 1978. Schubert, Sudhoff 1889, 79ff. - Domandl 1975. - Benzenhöfer 1989. - Gilly 1994 (Theophrastia), 434, 474. - Gilly 2001, 13f. - Benzenhöfer 2002, 64ff.
18 sowie Anschuldigungen der Ketzerei. Sie gründeten in seiner unorthodoxen Bibelauslegung, besonders aber in der Abendmahls- und Zweileiberlehre. 72 Ablehnung fanden die paracelsischen Ansichten auch in Wittenberg durch Caspar Peucer, den Schüler und Schwiegersohn Melanchtons. 73 Ihre eindringlichste Verurteilung verfaßte indes 1571-1573 der reformierte Heidelberger Arzt und Theologe Thomas Erastus in den vierteiligen »Disputationes de medicina nova Philippi Paracelsi«. Ihn hatten vor allem die dogmatisch angreifbaren schöpfungsgeschichtlichen Aussagen und der Materietheorie soweit irritiert, daß er sogar die Todesstrafe für Paracelsisten forderte.74 Etwa 1580 erschien Paracelsus Name erstmals auf einem Indexplakat, 1596 im Appendix zum tridentinischen Index. Damit war kirchlich untersagt, von diesem »Häresiarch« auch nur eine Zeile zu lesen. Das Anathema, das bis 1897 bestand, scheint indes unter katholischen gelehrten Schriftstellern kaum bekannt gewesen zu sein.75 Pernas Verlagsprogramm richtete sich mittelbar gegen den Anspruch der etablierten Kirchen, als die einzigen Repräsentanten der richtigen Gotteserkenntnis zu wirken. Es förderte »die freien experimentellen Forschungen gegen die Autorität des Aristoteles und des Galen, die als die verbindlichen Interpreten der Natur in den Universitäten galten. [...] Das Überdenken der Religion und Wissenschaft im Lichte der wahren Magie der Alten, das heißt, die Verknüpfung der hermetischen Tradition mit der experimentellen Naturwissenschaft des Paracelsus«, war ebenso sein Ziel, wie »die Natur oder große Welt zu durchschauen und zu durchdringen und deren Kurs zu erläutern, gegebenenfalls zu korrigieren oder gar wiederherzustellen. Darauf nämlich lief im Wesentlichen das neuplatonisch-magische Weltbild hinaus, das Paracelsus als theoretischer Rahmen« diente. Die eigentliche Häresie, gegen die sich Theologen und akademische Wissenschaftler wandten, bestand also darin, daß ein christlich fundierter Hermetismus dank der weitgespannten Konzeptionen des Paracelsus nicht wie bislang ein geduldeter Nebenweg der Welterkenntnis blieb, sondern sich selbst als eine Form devianter und rivalisierender Religiosität anbot.76
72 73 74
75
76
Bogner 1991. Roebel 2004, 66ff. Erastus 1571-73, Bd. 1,2; Bd. 4, 12: »Quippe Magiae impiae cultures sunt plerique; omnes cum magistro suo Paracelsi sectatores: ideoque mirum videri non debet cuiquam, quod barbaris et in tartaro natis delectantur nominibus et characteribus«. - Pagel 1982, 311 ff. - Kühlmann, Teile 1985, 265ff., 285ff. - Gunnoe 1994, 1998. - Gilly 2002. - Kühlmann 2006. - Auf Erastus aufbauend, klagt auch Johann Freitag in Helmstedt Paracelsus des Teufelspaktes an und erwähnt zudem seine mangelnde Frömmigkeit und Gelehrsamkeit: Kauertz 2001, 187ff. - Zur Verurteilung von Paracelsus an der Universität Paris: Kahn 2001. Reusch 1883-1885, Bd. 1,497. - Bogner 1994, 494, 501. - Mahlmann-Bauer 2005, 164f. Zur Tradition der Verurteilung von »Magiern« als Häresiarchen: Peters 1978. - Stoyanov 2001. Gilly 1977, 65f„ 71f.
19 Bald nach 1600 sollte man sie auch »Theophrastia Sancta« nennen.77 Diese Formulierung geht auf Adam Haslmayr zurück, den ersten, der öffentlich auf die noch ungedruckten Rosenkreutz-Manifeste reagiert hatte. Die »Fama Fraternitatis deß Löblichen Ordens des Rosencreutzes«, die 1614 gedruckte Gründungsschrift der Rosenkreutzer als eine der »wirkmächtigsten, von unzufriedenen Intellektuellen getragene [n] Protest- und Reformbewegung des fürstenstaatlichen Protestantismus«,78 verrät ihre Beeinflussung durch Paracelsus dadurch, daß sie allein ihn namentlich als historische Person aufführt. 79 Diese Zusammenhänge blieben seinen Gegnern natürlich nicht verborgen, wie etwa ein Kompendium des Andreas Libavius belegt.80 Im Zuge des aufblühenden Paracelsismus erschien zwischen 1589 und 1605 bei Pernas Nachfolger und Schwiegersohn Conrad Waldkirch in Basel die bis zu Sudhoffs Edition (1923-33) maßgebliche Werkausgabe. Verantwortlich für sie war der aus Glogau in Schlesien stammende und romtreue Arzt Johannes Huser. Finanziert wurde die zehnbändige Quartausgabe durch den Kölner Kurfürsten und Erzbischof Ernst von Bayern, der die an den verwandten Pfalzgrafen Ottheinrich in Neuburg an der Donau gegangenen Schriften erworben hatte.81 Wie zur Wiedergutmachung der öffentlichen Schmähung während der Basler Tage sind den Bänden panegyrische Dichtungen beigefügt.82 Auf den Abdruck des weitaus größten Teils der theologischen Schriften verzichtete man jedoch, den Interessen des Kölner Förderers entsprechend;83 ihre Veröffentlichung in Buchform begann erst im 20. Jahrhundert.84 Gleichwohl hatte auch dieses sehr umfangreiche Textcorpus vielfache Resonanz gefunden. Das theosophische Denken etwa von Valentin Weigel, Johann Arndt oder Jakob Böhme setzt Kenntnisse auch des Manuskript gebliebenen Werkes voraus.85 Gegen mögliche Kritik von Seiten der Kirche wußte sich der Katholik Huser, dem im übrigen der Protestant Paul Linck assistierte, zu schützen: Sollte in den abgedruckten Texten etwas gefunden werden, schreibt er im Vorwort zum ersten Band, »so wider die alte Catholische Religion were, so
77 78 79 80 81
82 83 84 85
Ders. 1994, 450ff. - Ders. 1994 (Haslmayr), 187ff. Kühlmann 1998 (Rosenkreutzer), 407. - Vgl. Gilly, Niewöhner 2002. Gilly 1993, 23ff. - Ders. 1995, 5. - Wehr 1980, 45. Libavius 1615. - Moran 1998. - Kühlmann 2000. Paracelsus 1589-1605. - Sudhoff 1894, 368ff. - T e i l e 1974, 1981, 1991, 2005. - Domandl 1977, 17ff. - Hieronymus 2005, Bd. 1, 685ff. Blaser 1963. Lederer 1992, 36ff. Paracelsus 2, 1923, 1955ff. Allgemein: Wollgast 1993, 247ff. - Bianchi 1995, 97ff. - Kühlmann, Teile 2001, 2004. - Zu Weigel: Pfefferl 1988. - Zu Arndt: Weber 1969, 108ff. - Schneider 1995. - Geyer 2001, Bd. 3, 108ff. - Repo 2004. - Neumann 2004, 31ff„ 65ff„ 131ff„ 155. - Zu Böhme: MillerGuinsburg 1978. - Lemper 1994. - Gott, Natur und Mensch 1994.
20 subscribier ich hierinn weder ihm noch anderen, sondern underwerffe mich der Kirchen als einer trewen Mutter gehorsamlich«.
3. Reformatorische Bildkritik und exegetische Zeitdiagnose in theologisch-polemischen Schriften Die meisten theologischen Schriften - rund hundert an der Zahl - blieben Manuskripte, und als solche wurden sie auch vereinzelt rezipiert; sie dem Druck zuzuführen, begann man erst im 20. Jahrhundert. Gliedert man das Textcorpus in Gruppen, 1 so lassen sich Bibelauslegungen, Abendmahlsschriften, Sermones und Marienschriften unterscheiden sowie Ausführungen über das »Selige Leben«, Ethisch-Soziales und Texte zu Ehe, Taufe und Buße. Die religiöse Bilderfrage, die hier interessiert, behandelte Paracelsus am intensivsten in polemischen Einzelschriften. Sie entstanden vor 1530 und sind im Zusammenhang mit reformatorischen Themen zu lesen. Erörtert wird die Bilderfrage aber auch in den Psalmenkommentaren und im Buch Daniel, dort unter dem übergeordneten Motto einer Scheidung der Geister. Im »buch der erkanndtnus« schließlich, das mit seiner Entstehungszeit etwa parallel zum »Liber der imaginibus« anzusetzen ist, also Anfang der 1530er Jahre, ist von ankündigenden Zeichen im Rahmen historischer Wandlungen die Rede.
a)
Gegen den Bildgebrauch der »Mauerkirche« für Bilder als der »laien pücher«
Hohenheims erste eingehende Stellungnahme zum kultischen Bildergebrauch findet sich im siebenten und letzten Abschnitt der reformatorisch-anklagenden Schrift »De Septem punctis idolatriae christianae«. Obwohl ungedruckt, zählte der Text während des 16. und 17. Jahrhunderts zu den bekanntesten des Laientheologen.2 Die vermutlich 1525 in Salzburg niedergeschriebenen polemischen Darlegungen über den »christlichen Götzendienst« werden in der Vorrede als schriftliche Fortführung mündlicher Auseinandersetzungen mit zwei katholischen Theologen italienischer Herkunft apostrophiert. Die Gliederung nach der Siebenzahl erfolgte vermutlich mit satirischen Absichten in Analogie zu den ehrwürdigen Septenaren der römischen Kirche, etwa den sieben Sakra-
1 2
Biegger 1990, 23ff. Paracelsus 2/III, XXVI.
22 menten oder den sieben Werken der Barmherzigkeit. Die Gesprächspartner, so ist zu erfahren, hätten Hohenheims in Wirtshäusern gemachte radikale Äußerungen als Zeugnisse seiner Trunkenheit gewertet und ihn beschuldigt, Bauern widerspenstig gestimmt und zur Änderungen ihrer traditionellen Frömmigkeitspraxis aufgefordert zu haben. 3 Diese Einleitung gab Anlaß zur Vermutung, Hohenheim sei 1525 in den Aufruhr Salzburger Bergknappen und Bauern gegen Erzbischof Matthäus Lang verwickelt gewesen. 4 Deren Anführer hatten in »Vierundzwanzig Artikeln« die Anliegen des »arm gemain Manns« gegenüber der Obrigkeit artikuliert und die Leibeigenschaft nicht wie bislang als wider »altes«, sondern, gemäß neuer reformatorischer Argumentation, als wider göttliches und natürliches Recht inkriminiert. Überdies beklagten die Rebellierenden, daß ihnen der »Weg der evangelischen Erkenntnis versperrt und verschlossen« sei. Durch die Geistlichkeit würden zudem »die götliche Wahrhait und Gerechtigkeit frävenlich, verächtlich, spötlich und gewaltiglich veracht, verworfen und under die Füß getreten«.5 Diese Klagen standen keineswegs isoliert: Bereits 1521, also vier Jahre vor den Unruhen, hatte Sebald Beham in einem satirischen Holzschnitt einen von der »Armut« getriebenen Bauern gezeigt, der einen feisten Mönch am Haar faßt und ihm die Bibel unter die Nase hält (Abb. 10). Damit sollte deutlich werden, daß der »arm gemain Mann« nun das Recht ergreift, den von den Todsünden Hoffart, Wollust und Habsucht am Skapulier gegängelten Klosterbruder auf die Wahrheit des Evangeliums hinzuweisen, das ihm selbst durch die Laienbibel zugänglich geworden sei.6 In einigen Punkten, etwa dem reformatorischen Antiklerikalismus, 7 der biblischen Grundlegung und der solidarischen Rede vom »gemeinen Mann«, 8 berühren sich diese Anwürfe nicht nur mit Gedanken Hohenheims, er weiß sie sogar durch scharfe Diktion noch zu überbieten. So darf er denn, begabt mit dem exaltierten apostolischen Sendungsbewußtsein eines religiösen Einzelgängers, als einer der aggressivsten Kritiker der römischen Kirche angesehen werden. Seine von Mündlichkeit geprägten Ausführungen sind durch eine gewisse Stoßhaftigkeit gekennzeichnet. 9 Parataktischer Satzbau und wiederkehrende Wortwahl kennzeichnen freilich auch sein später entstandenes Schrifttum; Parallelismen und Antithesenbildungen sowie Anklänge an Bibeltexte treten
3 4 5 6
7 8
9
Ders. 2/III, 5. - Kramml 1994, 183f. - Weeks 1997, 94ff. Biegger 1990, 33f. - Kramml 1994, 183f. - Dopsch 1994, 205f. - Haas 1994, 371f. Blickle 1998, 37. - Lutz 2002, 35. Pauli 1901, 392. - Zschelletzschky 1975, 222ff. - Ders. 1983, 127. - Starke 1983, 546. Goertz 1991,6f. — Zur Bibel in den Händen der Bauern vgl. Handbuch der Kirchengeschichte 1985, Bd. 4, 140f. - Buszello 1995. - Zu Franck: Müller 1993, 40. Goertz 1987. - Anticlericalism 1993, 317ff„ 535ff. Zum »gemeinen Mann«: Blickle 1975, 177f. - Schilling 1975, 237f. - Wohlfeil 1982, 283ff. - Packull 1985. Biegger 1990, 33. - Pörksen 1994, 48f.
23 unübersehbar hinzu. Man hat diesen Stil, positiv wertend, in die Tradition des »sermo humilis« gestellt, also jener praktischen Gebrauchsrhetorik der Predigt zugerechnet, die sich zum Zwecke des Lehrens und Mahnens an eine beliebige Hörerschaft richtet und durch eine demutsvolle Mischung aus niedriger volkstümlicher Rede und dunkler Erhabenheit gekennzeichnet ist.10 Die »recht ist die rhetorica, die sagt heraus, was im herzen ist. die ander rhetorica ist geschicklikeit des heimlichen liegens und blumbten liegens«, meinte Paracelsus unterscheidend.11 Im Zentrum der Attacken steht die »Mauerkirche«. Mit diesem Begriff 2 und seinem lateinischen Korrelat »ecclesia« belegt Hohenheim die seiner Ansicht nach veräußerlichte und durch Mißstände verdorbene institutionalisierte Kirche Roms. Damit folgt er im großen Rahmen der Kritik der reformatorischen Bewegung an den überbordenden »äußeren« Formen der alten Kirche. Erasmus von Rotterdam etwa hatte in diesem Sinn bereits eine religiöse Erneuerung durch spirituelle Verinnerlichung gefordert.13 Luther selbst sprach, vielleicht Paracelsus Rede von der »Mauerkirche« vorbereitend, 1520 in der Adelsschrift von den »drey mauren«. Mit ihnen hätten sich die reformunfähigen »Romanisten« umgeben. Die Erste bestünde darin, daß sich die geistliche Gewalt über der weltlichen stehend betrachte - tatsächlich seien aber alle Christen durch die Taufe geistlichen Standes; es gelte also ein allgemeines Priestertum, das nur durch die verschiedenen Aufgaben und Berufe Differenzierungen erfahre. Die zweite Mauer hätte der Papst mit seinem Anspruch errichtet, ausschließlich und allein bei der Auslegung der Schrift unfehlbar zu sein, die dritte mit dem angemaßten Vorrecht, allein ein Konzil einberufen zu dürfen. Aufgabe eines echten und freien Konzils müsse unter anderem sein, den ärgererregenden Luxus der Kurie und die Mißstände wie Seelenmessen oder Wallfahrten abzustellen - Gravamina, die Hohenheim im großen und ganzen teilte.14 10 11 12
13
14
Pörksen 1994, 80ff. im Anschluß an Erich Auerbach. Paracelsus 2/1, 105. - Kuhn 1996, 64. Die Aussage von Rudolph 1993, 57, der Begriff »Mauerkirche« sei von Franziskaner-Spiritualen des Hochmittelalters übernommen, ist bislang ohne Beleg. Bogomilen und Katharer sowie die gnostisch-manichäischen Sekte des Petrus von Bruys und Heinrich von Toulouse (1. Hälfte 12. Jahrhundert) wollte den Begriff Kirche für die Gemeinschaft der Gläubigen, nicht für die Ansammlung von Steinen verwendet wissen. Vgl. Perus Venerabiiis, Contra Petrobrusiones haereticos: »Vos dicebatis idcirco ecclesiarum aedificia destruere, quod nomen ecclesiae non structuram parietum sed congregationem fidelius signaret«. Zit. nach Döllinger 1890, 86. - Ähnlich: Feams 1968, 20. - Vgl. Sartorius von Waltershausen 1936, 186. Eire 1986, 28ff. - Vgl. Zwingiis »Schlußreden« (1523): Zwingli 1908, Bd. 2, Iff. - Fissler 1986, 236ff. - Gause 1993, 118ff. - Wollgast 1993, 117. Luther WA, Bd. 6, 404ff. - Flugschriften 1983, Bd. 2, 630ff. - Vgl. Fussler 1986, 221ff. Detaillierte Auflistungen von Mißbräuchen in der »gleißenden«, also in der katholischen Kirche enthält u.a. auch Luthers freilich erst 1530 erschienene »Vermahnung an der Geistlichen«: WA, Bd. 30/11, 237ff.
24 Der »Mauerkirche« als toter Institution stellt Hohenheim die wahre, geistige Kirche gegenüber: »Die kirch heist uf latein catolica und ist der geist aller gerechten glaubigen und ir wohnung und ir zusambkombung. und ist im heiligen geist, also daß sie alle im glauben seindt. das ist fides catolica, und besitzt kein statt.«15 Im Rahmen dieser Spiritualisierung des Kirchenbegriffs distanziert sich Hohenheim, ähnlich wie etwa Sebastian Franck,16 von der Erfordernis eines sichtbaren architektonischen und liturgischen Rahmens und verurteilt in sieben Punkten insbesondere jede Form von Werkgerechtigkeit und von Verdienstdenken. Er wendet sich gegen Kirchgang, -gebet und -gesang, Fasten und Almosen, Wallfahrten, Bruderschaften, Orden und christliches Brauchtum, kurzum gegen vieles, was die römische Kirche in der von Heilsunsicherheit geprägten Zeit an Möglichkeiten der Jenseitsvorsorge bereithielt.17 Zuletzt, im siebenten Punkt, spricht er sich mit drastischen Worten auch gegen die christlichen Zeichen und Bilder, ja gegen das Kirchengebäude samt seiner Ausstattung überhaupt aus: »Daß die tempel, glock, altar, predigstul, kreuzgang, klöster, bilder alles vom teufel gemacht sei, was im neuen testament nit begriffen werd; und die so das ufenthalten, teufel seindt und Lucifer, die am jüngsten tag zu rechten teuflen erkent werden«, lautet die entsprechende Kapitelüberschrift. 18
Als maßgeblicher Wegbereiter dieser radikalen Auffassung darf sicherlich Martin Luther gelten, der in seiner Römerbrief-Vorlesung 1515/16 gleichfalls die Kultvorschriften des Alten Bundes durch das Neue Testament aufgehoben sieht und die Notwendigkeit bestreitet, bestimmte Tage besonders zu feiern, Kirchen zu bauen oder zu schmücken. Jeder Tag sei nämlich ein Festtag, jeder Ort heilig: »omnis dies est festus [...] omnis locus est sacer«.19 Hohenheim geht in seinem spirituellen Kirchenverständnis noch über Luther hinaus, denn er verdammt das materielle Kirchengebäude als die »verflucht statt des verdambten Lucifers«, erdacht vom »irdischen Lucifer«, dem Papst nämlich. Jeder, der eine Kirche betrete, »der geht in die hellen«.20 Als teuflisch abgeurteilt werden auch die Ausstattungselemente: Alle »glocken und orgeln in der kirchen ist ein seitenspil des teufels«. Was nützt der Altar dem Glauben? Nichts, »sonder er ist ein statt, da die irdischen Lucifer iren pomp brauchen zur hellen; dann da ist nichts götlichs. das weisen ire werk aus, daß sie alle von dem teufel seindt, und aller ir ornat und meßgewand hat der
15 16 17
18 19 20
Paracelsus 2ΛΙΙ, 11. Weigelt 1972, 34ff. Vgl. zur Frömmigkeit um 1500: Oberman 1974. - Hamm 1982, 216-303. - Delumeau 1989. - Moeller 1991, 73ff. - Zschoch 2004, 282ff. - Zu den Änderungen der Reformation im Stiftungswesen und damit in den Künsten zuletzt: Scheller 2004, 24ff. Paracelsus 2/III, 50. - Vgl. Gause 1993, 118ff. Luther WA, Bd. 56, 493f. Paracelsus 2/III, 50.
25 teufel erdacht«. Christus hingegen will die Gedanken »inwendig haben und nit auswendig«, also keinesfalls ablegbar wie das prunkvolle Gewand des äußeren Kults,21 meinte Paracelsus gleichfalls wohl in Anschluß an Luther, der 1519 »mit andacht des hertzenn« zu beten aufforderte. Nur dann würde der »scheyn in die warheit getzogen und das eusserlich yn das innerlich«. 22 Was nütze eine Allegorese der liturgischen Gewandung, etwa die Auslegung der zwei Spitzen einer Mitra als Hinweise auf das Alte und Neue Testament? Was »kann der narr, der es tregt, desto mehr?« 23 Ziel der reformatorischen Erneuerung müsse ein verinnerlichtes, gleichwohl weltzugewandtes und tätiges Glaubensleben sein. Das heißt, mit der Abschaffung der Kirchengebäude und Zeremonien solle die Ausbildung einer werktätigen Frömmigkeit einhergehen, die alltägliche Berufsarbeit somit als wahrhaftiger Gottesdienst erscheinen: Der tempel ligt im herzen und nit im gemäur; der ornat ligt im glauben, nit im gewand; die altär, die segen ligen in der liebe, nit in händen. die händ seindt zu der arbeit beschaffen, nit zu dem segnen, gebrauch das glid, so gott geben hat, zu deiner nahrung, zu beneidung nit; sonder gebrauchs im acker. 24
Neben einer »Individualisierung der persönlichen Glaubensüberzeugung« vertritt Hohenheim also auch die »religiöse Heiligung der diesseitigen Weltarbeit«, versteht das erneuerte Christentum als berufliche Pflichterfüllung in Liebe zu Gott und den Nächsten. Deshalb darf er als ein exponierter Vertreter jenes mentalitätsgeschichtlich fundamentalen Wandels gelten, der durch die Reformation zu Beginn der Neuzeit bewirkt wurde. 25 Auf der Basis des spirituellen Kirchenbegriffs kritisiert Paracelsus auch die exzessive Bildfrömmigkeit des Spätmittelalters. Etwa wenn er den Schmuck von Bildern verdammt: »ir zieret sie, ir leget ihn kleider an, ir stecket ihnen ring an die finger, ir henkt ihnen ketten an hals, darnach kniet ir nider darfür.« Derartiger Schmuck von Heiligenbildern, mit Vorliebe aber von Gnadenbildern, mit teils überaus kostbaren Prunkgewändern, Kronen, Kränzen, Ketten und Ringen war seit gotischer Zeit nicht selten. Aufwendige Marienmäntel des 14. Jahrhunderts in Paramentenkammern geben von dieser Frömmigkeitsform ebenso Zeugnis wie Bilddokumente. So die 1518 datierte Zeichnung wohl des Sebastian Schel (Abb. 11), die die Muttergottesfigur der Gnadenkapelle
21 22
23
24
25
Ebd., 51. Luther in der »Auslegung deutsch des Vaterunsers für die einfaltigen Laien« (1519): WA, Bd. 2, 82. Paracelsus 2/III, 52. - Zur Auslegung der Mitra als Zeichen für beide Testamente: Innocenz III. 1533, 15c. - Ders. 1898, 22f. - Ausführliche Allegoresen der Riten, des Gotteshauses und seiner Ausstattung gibt u.a. die älteste deutsche Gesamtauslegung der Messe, Erstausgabe ca. 1480: Reichert (Hrsg.) 1967. Paracelsus 2/III, 54. - Vgl. auch die sog. Kurzfassung »De re templi ecclesiastica« in: Paracelsus 2/ Supplement: Religiöse und sozialphilosophische Schriften, 33—40. Troeltsch 1911. - Selge 1996, 128.
26 von Altötting in einem vermutlich durch Stiftungen Kaiser Maximilians I. erreichten Zustand wiedergibt.26 Ist »das nit ein abgötterei«, fragt Paracelsus und verwirft die Ansicht, daß derartige Devotion der Ehre Gottes diene: »gott will, daß aus dem glauben die eher geschehe und nit aus solchen werken, er will, dass ir im glauben anbetent, nit in bildern. nicht macht euch gedächtnis vor den äugen, allein im herzen, nit ehrent mit zergenglichen dingen, - mit ewigen dingen, in den kein wurm ist!«27 Und er zögert auch nicht, die traditionell ins Treffen geführten Rechtfertigungen des Bildgebrauchs - die Eherne Schlange, die Moses auf Gottes Geheiß aufrichtete (Num 21,8), sowie den Schmuck des alttestamentarischen Tempels (3Kg 5, 15ff., 6; 7, 13ff.; IChr 3,117) - beiseite zu schieben. Paracelsus avisiert eine Schrift »De viribus veteris testamenti«, in der er seine Meinung über die tatsächliche Legitimationskraft biblisch belegten Bildgebrauchs näher erläutern würde. Zusammenfassend formuliert er: »welcher vor einem bild betet, der ist ein abgötterischer, er sei im herzen, wie er wöll und erbiet sich, wie er wöll. dann endlich kein christ, kein catholischer soll vor keinem bild beten.«28 Mit dieser Haltung vertritt Hohenheim in der Bilderfrage eine ähnlich radikale Position wie der Wittenberger Universitätsprofessor und anfängliche Mitstreiter Luthers, Andreas Bodenstein von Karlstadt. Er hatte 1519 im ersten reformatorischen Bildflugblatt (Abb. 12) mit zwei Fuhrwägen die antithetischen Bahnen der altgläubigen und der reformatorischen Bewegung einander polemisch gegenübergestellt: Während der gerechte Sünder unter dem Motto »Dein Wille geschehe« dank der göttlichen Gnade den Himmel erreicht, fährt der scholastische Theologe, dem »Eignen Will« und den guten Werken vertrauend, zur Hölle. Lucas Cranach, dessen »vortreffliche Kunst« Karlstadt 1509 poetisch pries, hatte diese mit zahlreichen Thesen und Sentenzen formulierte Kampfansage ins Bild gesetzt.29 Ungleich wirksamer als der Holzschnitt, der sogleich Luther und Dürer zur Kenntnis gebracht wurde und die Gegenpartei verärgerte, 30 wurde 1522 Karlstadts Schrift »Von abtuhung der Bylder«. In ihr erlangte, dank mehrerer Auflagen, die Kritik an der Bildverehrung, die in Wittenberg zum Bildersturm in der Pfarrkirche geführt hatte, in kürzester Zeit überregionale Bedeutung.31 Die Aufstellung von Bildwerken im Kirchenraum und ihren Schmuck verurteilte Karlstadt als Verstoß gegen das erste Gebot (Ex 20, 4), als Götzendienst, wie ihn etwa Baidung Grien in einer Illustration des Dekalogs
26 27 28 29 30 31
Dodgson 1937/38. - Vgl. Wentzel 1948. - Kobler 1999. - Trexler 1992. Paracelsus 2/III, 54f. Ebd., 55. Zschellezschky 1973. - Lucas Cranach 1953, 57f., 103. Rupprich 1956-69, Bd. 1, 264f. Bubenheimer 1988, 651. - Ullraann 1992.
27 1516 darstellte (Abb. 13).32 Die traditionelle Formulierung, daß die Ehrerbietung gegenüber dem Bild nach einem vielzitierten Wort des Hl. Basilius nicht diesem, sondern dem Urbild gelte - »honor refertur ad prototypa« lautet die Standardformel33 — wird strikt zurückgewiesen. Ferner könne aus der an Moses ergangenen göttlichen Anordnung, eine Eherne Schlange, also ein Bild aufzurichten, keine Legitimation abgeleitet werden, lobe doch die Schrift König Hiskija (2Kg 18, 4), weil er die Schlange zerstörte. Im übrigen hätten unsere Bilder »keinen ursprung von gott, ia, sie seind von got verboten«.34 Von altgläubiger Seite wurde diese Ansicht umgehend als häretisch zurückgewiesen. Der Ingolstädter Theologe Johannes Eck, der sich bereits von Karlstadts »Himmels- und Höllenwagen« getroffen sah,35 führte noch im gleichen Jahr die Inkarnation des Gottessohnes als ersten Rechtfertigungsgrund des Bildgebrauchs ins Treffen. Damit stand er in der Tradition des berühmtesten Bildapologeten der katholischen Kirche, Johannes von Damaskus (gest. um 750).36 Ferner bezeichnete Eck Christus selbst als den ersten Urheber von Bildern, hatte er doch König Abgar von Edessa und Veronica jeweils ein Bild seines Antlitzes geschenkt. Die mit den Aposteln einsetzende Bildpraxis sei uralt und werde von Kirchenvätern bestätigt. Schließlich verzichtete Eck, ebensowenig wie die nachfolgenden kontroverstheologischen Traktatisten, nicht auf den Hinweis, daß die Verehrung keineswegs dem Bild, sondern dem Urbild gelte.37 Obwohl Paracelsus den von Karlstadt erhobenen Vorwurf des Götzendienstes teilt, will er die Bilder nicht gänzlich verdammen. Trotz seiner eigenen starken Worte gestattet er ihren Gebrauch als Bücher, das heißt als didaktische Mittel zur Unterweisung von Analphabeten. Und so formuliert er, um eine scharfe Abgrenzung bemüht: »wiewol die bilder der laien pücher seindt, so soll man sie bucher lassen bleiben und nit darfür beten; allein vor gott und vor keiner seiner bildnus. dann in allen bildern ist abgötterei; sie sollen allein bücher sein und also in irem wert bleiben, nit anzubeten oder vor ihnen beten oder gott durch sie ehren, dann dieses seindt alles stück, die der teufel zuricht durch den irdischen Lucifer«, also durch den Papst. 38
32
33
34 35 36
Karlstadt 1995, 11. - Vgl. zu Illustrationen: Geffcken 1855, 53ff. - Schiller 1980-1988, Bd. 4/1, 121ff. - Zu Griens Holzschnitt für Markus von Landau, Die zehn Gebote, 1516: Mende 1978, Nr. 421. - Thum 2006, 95ff. Basileios der Große, De spiritu sancto 18, 45 (PG 32, 149). - Vgl. auch die Aussage des 2. Konzils von Nicäa 787: Denzinger, Hünermann 1999, 276f. - Chifar 1993, 126. - Uphus 2004, 202ff. Karlstadt 1995, 21. Zschelletzschky 1973, 105. Johannes von Damaskus, De imaginibus, I, 9-13; III, 18-23, hrsg. von Kotter 1975, 83ff.,
126ff. 37 38
Eck 1522 und 1533, 94ff. - Ders. 1979, 191ff. Paracelsus 2/III, 55.
28 Ob die angestrebte klare Trennung zwischen Unterrichtung einerseits und Verehrung andererseits - modern gesprochen: etwa zwischen Lehrtafel, Historiengemälde und Andachtsbild - überhaupt zu leisten wäre, bleibe angesichts der theoretischen Erörterung der Bilderfrage dahingestellt. 39 Jedenfalls hielt sich Paracelsus mit seinem Plädoyer für die Bilder als Bücher der Laien näherungsweise in jener bedeutenden Tradition, die der Kirchenvater und Papst Gregor der Großen (590-604) mit zwei Briefen an Serenus von Marseille zur Verteidigung des Bildgebrauchs begründet hatte. Der ermahnte Bischof war, motiviert durch das alttestamentarische Bilderverbot, 40 ikonoklastisch tätig geworden. Seine Zurechtweisung durch Gregor galt um 1500 längst als locus classicus zur Verteidigung der Bilder. Sie wurde von jedem katholischen Bildertheologen zitiert, auch in den Auseinandersetzungen mit dem reformatorischen Ikonoklasmus.41 »Etwas anderes ist es, eine Malerei anzubeten und eine andere Sache, durch die im Bild dargestellte Geschichte zu lernen, was anzubeten ist, denn was die Schrift den Lesenden zeigt, das zeigt die Malerei den Laien, die sie wahrnehmen. Denn in ihr sehen die Ungebildeten, was sie befolgen sollen, in ihr lesen diejenigen, die die Buchstaben nicht verstehen«, heißt es im Brief des Kirchenvaters. 42 Seine Position hatte ob ihrer Bedeutung Eingang ins Kirchenrecht, das Corpus Iuris Canonici, gefunden. 43 Daß Paracelsus trotz seines Vorbehaltes, »in allen bildern ist abgötterei«, der dominierenden abendländischen Bilderlehre folgend die Bilder als der »laien pücher« zuläßt, ist deshalb bemerkenswert, weil sich Karlstadt - selbst in einer langen mittelalterlichen Tradition der Skepsis an der bildlichen Vermittlungsform stehend44 - mit der zitierten ersten reformatorischen Schrift, die die Abschaffung von Bildern biblisch zu begründen suchte, explizit gegen die gregorianische Legitimation des kultischen Bildgebrauchs gewandt hatte. Der Bilderstürmer meinte nämlich, der Kirchenvater hätte in verwerflicher papistischer Manier »den bildern die ehere geben, die got seinem Wort geben hat«,45 eine Ansicht, die der Dresdener Hofkaplan Hieronymus Emser umgehend zurückwies. 46 Aus den Bildern könne nichts gelernt werden, denn sie seien »fleischlich« und stünden damit diametral dem »geistlichen« Wort gegenüber, meinte Karlstadt, zweifellos auf den bei Joh 6, 63 angelegten und
39 40 41
42
43 44 45 46
Vgl. zur Problematik: Noll 2004, 304f., 324f. - Slenczka 1998. Ex 20, 4f.; 34, 17; Lev 19, 4; Dtn 4, 15-19; 5, 8f. Vgl. Durandus, Rationale divinorum officiorum, I, III, η. 1 (Ed. 1995, Bd. 1, 34f.). - Zanggenried 1502, secunda pars. - Hohenlandenberg 1523. - Hecht 1997, 170. Gregor d. Gr., Epistolae, XI, 10 (CCSL, Bd. 140 A, 874); Epistulae. IX, 209 (ebd. 140 A, 768). - Vgl. Duggan 1989. - Keßler 1989. - Chazelle 1990. - Curschmann 1992. - Mariaux 1993. - Camille 1996. - Denzinger, Hünermann 1999, 217. - Faupel-Drevs 2000, 255. Corpus Iuris Canonici 1959, Bd. 1, 1360. Schnitzler 1996, 36ff. Karlstadt 1995, 17. Emser 1522, zit. nach: Flugschriften gegen die Reformation 1997, 316, 326ff. - Zu Emser: Smolinsky 1980. - Bremer 2005, 68ff.
29 für den spiritualistischen Kirchenbegriff so bedeutsamen Dualismus zwischen Geist und Fleisch rekurrierend. Selbst aus dem Bild des gekreuzigten Christus sei nichts als sein »fleischliches Leiden« zu lernen, »wie Christus seine heubt geneigt und dergleichen. Nu sagt Christus, das sein eigen fleisch nit nutz sei, sonder daz der geist nutz sei«. In der Überzeugung, daß »die bilder stum und taub seind, konden weder sehen noch hören, weder lernen oder leren und deuten auf nichts anders dan uf lauter und blos fleisch«, bestreitet Karlstadt die piktorale Verweisungskraft und postuliert die »unutzikeit der bilder«: »Drumb ists nit war, das bilder der Leien bucher seind.«47 Eine ähnliche Position vertraten die Züricher Reformatoren, die 1530 konsequenterweise Karlstadt auch eine Pfarrerstelle anboten. Im Zuge der Disputation, die in mancher Hinsicht als Anfang der reformierten Kirche verstanden werden kann, argumentierte nämlich Leo Jud 1523 unter Verweis auf das Johannesevangelium (4, 23; 6, 63), daß »alles unser anbetten sol geschehen in dem geyst und yn der warheit. Wo der geyst ist, da falt hyn alle bildnus; dann das fleisch ist nütz, der geyst aber macht lebendig«.48 Zurückgewiesen wurde ferner die Ansicht, daß die Bilder im Kirchenraum zur Belehrung eingesetzt werden könnten, sowohl von Haetzler, der Gregor in einem grundlegenden Beitrag ausdrücklich widersprach, 49 als auch von Zwingli. Er nannte den vom Kirchenvater korrigierten bilderstürmerischen Bischof Serenus von Marseille sogar einen »frommen« und »uß dem geist gottes angezündeten]« Mann. Zudem verneinte er, daß das Eigentliche, der Glaube nämlich, durch Bilder vermittelt werden könnte - sie führten nur in die »usswendige blödigheit«. Den Glauben »mögend wir ab den wenden nit erlernen, sunder wir müssend inn allein von dem genädigen ziehen gottes us sinem eignen wort lernen. [...] Also sehend wir wol usserlich, was die heiligen geton habind; aber den glouben, darus alle ding bschehen müssend, mögend uns die bild nit machen.«50 Die Gegenposition der Altgläubigen vertrat am schlagendsten Rudolf Koch, Chorherr am Großmünster, in der dritten Züricher Disputation 1524. In Kenntnis der Traktate von Johannes Eck und Hieronymus Emser gegen Karlstadt rekurrierte auch er auf die seit Jahrhunderten gebräuchlichen Rechtfertigungsgründe für Bilder, also vorrangig jene, die Gregor der Große, Johannes von Damaskus und Thomas von Aquin formuliert hatten. Sie waren auch im Doctrinale des Thomas Netter gegen Wycklif und Hus, also die Ahnen der Reformation, ins Treffen geführt worden.51
47
48 49 50 51
Karlstadt 1995, 17, 21. - Vgl. Slider 1974, 148ff. - Christensen 1979, 23ff. - Feld 1990, 119. Zwingli 1905-14, Bd. 2, 696. - Vgl. Garside 1966, 104ff. - Moeller 1991, 138ff. Haetzler 1523. - Vgl. Garside 1966, 114. Zwingli 1905-14, Bd. 2, 657, 721. - Vgl. zur Bilderlehre der Schweizer: Stirm 1977, 138ff. Emser 1511, zit. nach: Flugschriften gegen die Reformation 1997, 316, 326ff. - Egli 1879, 204ff. - Göttler 1990, 269ff.
30 Luther indes wollte dem Bilderstürmer Karlstadt ebensowenig folgen, wie er die Ansicht der Züricher Reformatoren zum Bildgebrauch teilte. Seine Distanz zu Karlstadt und den von ihm initiierten Bildersturm war zunächst nicht für jedermann deutlich. Der Straßburger Franziskaner Thomas Murner etwa rechnete in seiner satirischen Schrift »Von dem großen lutherischen Narren« sie war 1522 mit vom Autor selbst entworfenen Holzschnitten erschienen - die kurz zuvor erfolgten ikonoklastischen Aktionen Martin Luther selbst zu und sah einen Zusammenhang zwischen den Angriffen gegen Kirchenausstattungen und der angestrebten Verinnerlichung der Religion: Unser hauptman luther lert, Wer ein kirchen gantz zerstört, Der hat so vil des guten gethon, Als so ein huerhuß (Bordell, Anm. des Verf.) würd zergon. Dan unß das ewanglium seit, Das die gantze cristenheit Kein ander priesterthum nit kent, Dan das er innerlichen nent, Das ist, das wir im hertzen hant.52
Tatsächlich aber verurteilte Luther in mehreren Predigten und Schriften die Ansichten seines anfänglichen Mitstreiters. In der auch gedruckt veröffentlichten Invocavitpredigt von 1522, die er wohl auch als Antwort zum Auftreten Karlstadts während des vorangegangenen Weihnachtfests in Mönchskutte und mit frisch geschnittener Tonsur hielt, behandelte er unter der Überschrift »Von Byldtnussen« die durch die Wittenberger Ereignisse virulent gewordene Bilderfrage. Er zählt die Bilder unter die Adiaphora, denn er formuliert, »wir mügen sie haben oder nicht haben, wie wol es besser were, wir hetten sie gar nicht.«53 Angesichts der biblischen Zeugnisse müsse man freilich bekennen, »das mann bilder haben und machen mag, aber anbetten sol wir sie nit, und wenn man sie anbettet, so solt man sie zerreyssen und abthun.«54 Wichtig ist Luther vor allem, daß die Stiftung von Bildwerken im Sinne der Werkgerechtigkeit und des Verdienstdenkens nicht länger als Gottesdienst angesehen werde. Dominiere diese reformatorische Grundhaltung, so verschwänden die Bilder ohnehin aus den Kirchen. »Dann wer ein byld in die kirche stelt, der meynet, er habe gotte eynen guten dienst und gut werck erzeygt, welchs dann recht abgötterey ist«. Den Bilderstürmern wirft Luther vor, unter Verkennung der Zeichenhaftigkeit etwa des Kruzifixes nicht diese größte und vornehmste Aufgabe, sondern die geringste verfolgt zu haben: Dann ich vermeyn, es sey kein mensch oder jr gar wenig, der nit den verstandt hab: das crucifix, das da steet, ist mein got nicht, dann mein got ist jm hymmel, sondern
52 53 54
Mumer 1918, 156ff., 219f. - Vgl. Wirth 1989. - Heger 1993, 302f. - Andersson 1997, 18f. Luther WA, Bd. 10, 26. - Vgl. Bei der Wieden 1999, 112ff„ 149ff. Luther WA, Bd. 10, 28.
31 nur ein zeychen. Aber des andern mißbrauchs ist die welt vol: dann wer wollte ein höltzen oder silbern bilde in der kirchen setzen, wenn er nit gedechte, got eynen dienst daran zethün.55
1524, als sich Luther in einem Brief an die sächsischen Fürsten gegen den aufrührerischen Geist wendet, unterstreicht er, daß es zuallererst darum ginge, die Herzen zu gewinnen. »Predigen und leiden ist unser ampt, nicht aber mit feusten schlahen und sich weren. Also haben auch Christus und seyne Apostel keyne kirchen zu brachen noch bilder zu hawen, sondern die hertzen gewonnen mit Gottes wort, darnach sind kirchen und bilder selbs gefallen.« 56 1525, in der Schrift gegen die den »himmlischen Propheten« zugerechneten Bilderstürmer, beschuldigt Luther den »Schwärmer« Karlstadt, die Bilder nur aus den Augen gerissen und im Herzen stehen gelassen zu haben. Und er wiederholt: »Denn wo die hertzen unterrichtet sind, das man alleyn durch den glauben Gotte gefallen und durch bilde yhm keyn gefallen geschieht, sonder eyn verlorner dienst und kost ist, fallen die leute selbs williglich davon, verachten sie und lassen keyne machen.«57 Von zentraler Bedeutung für Luther ist also die Ansicht, daß der gegen das Verdienstdenken gerichtete Glaube den Bilderkult absterben lassen würde. Rechte »abgöttische bilder und des teuffels herberge« an Wallfahrtsorten zu zerstören, sei indes löblich und gut. Ein Kruzifix oder ein Heiligenbild zu besitzen, sei aber erlaubt, sofern die Adoration unterbliebe. Zu dieser positiven Einstellung gelangt Luther, weil er Bildern eine Gedächtnisfunktion konzediert: sie seien »gedenck bilder odder zeugen bilder«.58 Ferner erkennt Luther Bildern gewissermaßen eine anthropologisch fundierte Zwangsläufigkeit zu. Sie entstünden nämlich bei der Lektüre gleichsam von selbst, »denn ich wolle, odder wolle nicht, wenn ich Christum höre, so entwirfft sich ynn meym hertzen eyn mans bilde, das am creutze hengt, gleich als sich meyn andlitz naturlich entwirfft yns wasser, wenn ich dryn sehe«. Eingedenk der Erinnerung- und Belehrungsfunktionen der Bilder - mit anderen Worten ihres Gebrauchs als der »leyen Bibel« - kann sich der Reformator schließlich nur wünschen: Ja wollt Gott, ich kund die herm und die reychen da hyn bereden, das sie die gantze Bibel ynnwendig und auswendig an den heusern fur ydermans äugen malen Hessen, das were eyn Christlich werck. 59 Und was solts schaden, ob ymand alle fumemliche geschichte der gantzen Biblia also lies nach einander malen yn ein buchlin, das ein solch buchlin eyn leyen Bibel were und hiesse? 60
55 56 57 58 59 60
Ebd., 31. Luther WA, Bd. 15, 219. Ders. WA, Bd. 18, 67. Ebd., 74f„ Luther WA, Bd. 18, 82f. - Vgl. Kaufmann 2002, 416. Luther WA, Bd. 10/2, 458.
32 Mit dieser Position zur Bilderfrage stand Luther um 1525 der Auffassung von Paracelsus ungleich näher als jener von Karlstadt.
b) Kleriker als lebendige Götzenbilder Die erste Schrift, mit der sich Paracelsus ausschließlich der aktuellen Bilderfrage zuwandte, der »Liber de imaginibus idolatriae«, entstand wohl zwischen 1525 und 1528.61 Der Text richtet sich überwiegend gegen den vorgeblich götzendienerischen Bildgebrauch der römischen Kirche, aber auch gegen die reformatorischen Auswüchse in Gestalt der Bilderstürme. Wie Luther opponiert der Hohenheimer sowohl gegen die »Papisten« wie gegen die Ikonoklasten. Doch gibt er den Kontroversen insofern eine überraschende Wendung, als er das auf die Gottesdarstellung bezogene biblische Bilderverbot62 mit vehementen Attacken gegen den geistlichen Stand innerhalb der verderbten Mauerkirche verbindet. Bereits in »De Septem punctis idolatriae christinae« hatte er den Papst als »irdisch verfluchten Lucifer« bezeichnet, der mit den Geistlichen in die Hölle gestoßen werden würde, da sie im Dienste des Teufels die Menschen verführten. 63 Nun aber wird die gleiche Invektive mit Argumenten der aktuellen Bilderfrage vorgetragen. Antipäpstliche Propaganda, die sich bereits vielfach - so etwa in einem Flugblatt mit dem als Satansgestalt zu entdeckenden Alexander VI. - des Teufelsvergleichs bedient hatte,64 reformatorischer Antiklerikalismus 65 und Bilderkritik werden also im Kampf gegen die veräußerlichte Kirche verbunden. Paracelsus beginnt seine Polemik mit der Zurückweisung der Ansicht, daß das biblische Adorationsverbot innerhalb der bestehenden kirchlichen Verhältnisse auf materielle Bildwerke zu beziehen sei. Nur ein Narr oder ein Einfältiger könne Gebilde aus Holz oder Stein anstelle der Gottheit Anbetung erweisen. 66 Damit widerspricht er der von Karlstadt, Zwingli und anderen Ikonoklasten vertretenen Meinung,67 der naive Gläubige halte das Kultbild für die Gottheit oder den Heiligen selbst. Die gleiche Ansicht hatten bereits 1522 sowohl der katholische Kontroverstheologe Hieronymus Emser als auch Luther gegen Karlstadt vorgebracht.68 Und Dürer, dem der bilderstürmende Wittenberger den Holzschnitt des »Himmels- und Höllenwagens« (Abb. 12)
61 62 63 64 65 66 67 68
Paracelsus 2/III, Iff., 27ff. - Gause 1993, 144ff. Vgl. Ex 20, 4f. - Lev 26,1. - Ps 19; 115, 4-11; 135, 15-20. - Dan 5, 4. - Apk 9,20. Paracelsus 2/III, 46ff., 16. Scribner 1994, 134f. Goertz 1987. - Scribner 1987, mit Literatur. - Vgl. zur Vorgeschichte auch Tammen 1993. Paracelsus 2/III, 277. Karlstadt 1523 (1995). - Zwingli 1906, Bd. 2, 177f., 656. Emser 1522, zit. nach: Flugschriften gegen die Reformation 1997, 314. - Luther WA Bd. 10/ 3, 31.
33
samt Auslegung sowie eine Abendmahlschrift gewidmet hatte,69 formulierte in der festen Überzeugung, daß »dy kunst des molens würt geprawcht jm dinst der kirchen« in seiner »Unterweisung der Messung« 1525: vnangesehen, das itzt bey vns vnd in vnseren zeyten die künst der malerey durch etliche seer veracht vnd gesagt will werden, die diene zu abgötterey. Dann eyn yeglich christenmensch wirdet durch gemel oder byldnüß als wenig zu einem affterglauben getzogen als eyn frumer mann zu eynem mord, daramb das er ein waffen an seiner seyten tregt. Must warlich eyn vnuerstendig mensch seyn, der gemel, holtz oder steyn anbetten wölt. Darumb gemel mehr besserung dann ergernuß bringt, so das erberlich, kunstlich vnd woll gemacht ist. 70
Das war eine klare Antwort auf Karlstadts Meinung, daß »der Schaffner eines bildes nichts ist, und daz ir allerbestes zu nicht nutz ist«.71 Manche mittelalterliche Autoren hatten im Wissen um die Kraft bildlicher Präsenz und in Sorge um die angemessene Begegnungsform die Gefahr der Idolatrie im Kirchenraum indes für nicht so gering eingeschätzt. So belehrt im venezianischen S. Marco eine zu Beginn des 16. Jahrhunderts erneuerte Inschrift über einem Mosaik des Pantokrators, das ins 12. Jahrhundert zurückweist, im Sinne der Lehre des zweiten Konzils von Nicäa 787: »Das Bild belehrt nämlich über Gott, doch ist es nicht Gott selbst./ Du sollst es betrachten, aber mit Deinem Geist sollst Du den verehren, den Du darin erkennst«.72 Daß derartige kritische Mahnungen in den Kernbezirk des spätmittelalterlichen Bilddenkens gelangten, lag auch am weitverbreiteten liturgischen Handbuch des Wilhelm Durandus, dem »Rationale divinorum officium«. In einen Merkvers gefaßt, wurde die Warnung nicht allein in kirchlichen Lehrbüchern transportiert, sondern auch wiederholt Christusdarstellungen als Inschrift beigefügt, 73 so etwa dem Triumphkreuz des 14. Jahrhunderts in der ehemaligen Abteikirche von Doberan. 74 Johannes Butzbach zitiert die Zeilenaus Durandus verkürzt gegen Ende seines 1505 verfaßten Büchleins über
69 70 71 72
73 74
Barge 1905, Bd. 1, 146. - Rupprich 1956-69, Bd. 1, 92, 264f. Ebd., Bd. 2, 113; Bd. 1, 92, 115. Karlstadt 1522 (1995), 21. »Nam deus est quod imago docet sed non deus ipsa/ hanc videas sed mente colas quod noscis in ipsa«. Ein zweiter Zweizeiler wurde gleichfalls als Inschrift auf Kultbildern angebracht: »Nec Deus est nec homo, praesens quam cemis imago, / Sed Deus est et homo, quem sacra figurat imago«. Vgl.: Bugge 1975. - Greenstein 1997, 674ff. - Schwarz 2002, 44ff. - Schnitzler 2002, 236ff. - Wolf 2002, 157ff. Göttler 1990, 266f. Der Text bei Durandus, Rationale I, III, 1 (ed. 1995, Bd. 1, 35 ) lautet: »Effigiem Christi qui transis pronus honora,/ Non tarnen effigiem sed quem designat adora./ Esse Deum ratione caret cui contulit esse/ Materiale lapis effigiale manus./ Nec deus est nec homo presens quam cernis ymago/ Sed Deus est et homo quem sacra figurat ymago«. - Die Übersetzung von Faupel-Drevs 2000, 381: »Das Bild Christi ehre, der du vorübergehst, tiefgebeut,/Aber nicht das Bild sollst du anbeten, sondern den, den es bezeichnet./ Es ist wider die Vernunft, wenn man sagt,/ Von Menschenhand geformter Stein sei Gott./ Weder Gott noch Mensch ist das Bild, das du siehst,/ Aber Gott und Mensch ist der, den das heilige Bild darstellt.«
34 die berühmten Maler - der vielleicht ersten kunstgeschichtlichen Arbeit eines Deutschen.75 Mit Johannes Ecks »Enchiridion« von 1525, einer Handreichung zur Widerlegung der Reformationstheologie, genauer der »Loci communes« des Melanchton, fand der Merkvers auch Eingang in die katholische Kontroversliteratur.76 Obwohl Paracelsus die Gefahr einer Verwechslung zwischen der Gottheit und ihrem Abbild also negiert, verwirft er das Gebet vor Bildwerken und zwar im Blick auf die für ihn abzulehnende Verinnerlichung von Äußerlichem oder Materiellem angesichts der im Gebet erforderlichen Reinheit: Denn »was einem vor den äugen ist, dasselbig lauft dem im sinn umb. also mag keiner volkomben und rein sein in seinem gebett, der da vor den bildern bettet, dann das materialische lauft ihm vor und nit der geist.« Eben daraus erwachse nämlich der oft wundersame Erfolg von Gebeten, daß durch »imaginirn geborn werden mirakel und dergleichen, und vil solcher stück aus dem abergläubischen speculirn, als der spiritus steht.«77 Verantwortlich für die mit Imagination und Autosuggestion zu verbindenden Wunder- und Heilungserlebnisse von Bilderverehrern sieht Hohenheim den genannten »geist« oder »spiritus«. Er entspringe, heißt es im um 1520 entstandenen »Volumen medicinae Paramirum«, dem menschlichen Willen und sei - etwa auf dem Felde der schwarzen Magie - imstande, einem anderen Menschen durch ein gefertigtes Bild zu schaden.78 Wird der »spiritus« aber vom Beter auf ein Bild gerichtet, so zeitige die imaginierende Kraft therapeutische Wirkung. Hohenheim versucht also zu erklären, wie dank der vor Statuen oder Gemälden ausgelösten Vorstellung beim Betrachter »Mirakel« bewirkt werden können - ein für das frühe 16. Jahrhundert überaus bemerkenswerter Denkansatz, mit dem Gnadenbildern durch den Hinweis auf gleichsam psychosomatische Prozesse die göttliche Ursächlichkeit für ein Wunder abgesprochen wird.79 Das Verbot der Bilderverehrung führt Paracelsus indes nicht zu einer generellen Ablehnung der Bilder, sondern nur zur nachdrücklichen Empfehlung eines anderen Gebrauchs. Bilder »seindt bedeutungen des, das über die Vernunft ist. nit andacht vor ihnen zu gebrauchen, sonder ein bedeutung zu sein«.80 Mit dieser Bestimmung präsentiert Hohenheim den argumentativen Hauptstrang seines Libellus: Er folgt dem Denkschema der Präfiguration oder der Typologie,81 also der biblisch begründeten (Lk 24, 44; Mt 5, 17), von
75 76 77 78 79
80 81
Butzbach 1925, 36, 52. - Zu Butzbach: Waetzoldt 1921, Bd. 1, 13f. - Butzbach 1991, 57ff. Eck 1979, 193. Paracelsus 2/III, 277. - Gause 1993, 149f. Paracelsus 1/1, 218ff. Vgl. mit Hinweisen auf spätere Manifestationen von »Imagination«: Webster 1995. - Scribner 1993. Paracelsus 2/III, 278. Vgl. Artikel »Typologie« in: Lexikon des Mittealters Bd. 8, 1997, 1133ff. - Mohnhaupt 2000.
35 Paulus (IKor 10, 6; 2Kor 3, 14) forcierten und von den Kirchenvätern weiterentwickelten Prämisse, daß das Alte Testament vorausdeutende Elemente enthalte, die im Neuen Testament Erfüllung finden würden. So entspräche der Erhöhung der Ehernen Schlange durch Moses (Num 21, 8 - 9 ) die Erhöhung des Menschensohnes am Kreuze (Joh 3, 14).82 Derartige Korrespondenzen als »figuren« oder »bilde« zu bezeichnen, war keine Neuerung Hohenheims, sondern die Fortführung einer Sichtweise, wie sie, gegründet auf der patristischen Exegese, etwa im 8. Jahrhundert Johannes von Damaskus in seiner Bildersystematik mit großer Folgewirkung formuliert hatte. 83 Im Spätmittelalter hatte sich das exegetische Denken und Argumentieren mittels typologischer Bildpaare unter anderem in Gestalt der Armenbibel (Abb. 14), dem Speculum humanae salvationis sowie der Concordantia caritatis niedergeschlagen. 84 Diese Systematisierungen lagen in zahlreichen Handschriften und zum Teil auch in Drucken vor.85 Sie spiegeln ein Bibel Verständnis, dem auch Luther sich nicht verschloß, und nicht nur dies, der Reformator dürfte sogar den Anstoß zu weiteren, spezifisch protestantischen Zyklen gegeben haben. 86 Sprachlich benutzte Luther neben »Bild« den Terminus »figura« der Vulgata, etwa 1523 in der Auslegung des ersten Petrusbriefes (3, 21): »das alte Testament hatt gedeuttet auff Christum das new aber gibt uns nu das, das zuvor ym Alten verheyssen und durch die figuren bedeut ist gewesen«.87 Charakteristisch für die Hermeneutik und Geschichtsauffassung des Paracelsus ist nun aber, daß er die Erfüllung vorausdeutender Elemente mit dem Neuen Testament keineswegs abgeschlossen sieht. Einlösende Konkretionen können vielmehr auch in der Gegenwart stattfinden. Und so bleibt die figurale Struktur nicht strikt auf den biblischen Bereich beschränkt: Personen und Ereignisse des Alten Testaments vermögen als Figuren oder »Realprophetien« für die christliche Heilsgeschichte bis zum Eschaton insgesamt wirksam zu werden. Wie seine mittelalterlichen Vorgänger - etwa Joachim von Fiore oder Geroh von Reichersberg - nutzt Paracelsus also halbtypologische Entsprechungen zwischen der Geschichte von Adam bis zu Jesus und der Geschichte der Kirche von Christus bis zu seiner Wiederkunft zur Bestimmung des heilsgeschichtlichen Ortes der Gegenwart und damit auch zur Kritik an
82 83
84
85 86 87
Auerbach 1967, 65ff. - Goppelt 1966. - Suntrup 1984 mit weiterer Literatur. Johannes von Damaskus, Contra imaginum calumniatores orationes tres, I, 12; III, 22 und 36; hrsg. von Kolter 1975, 86, 129, 140. - Vgl. Dierse 1972. - Chifar 1993, 119. - Hecht 1997, 46ff. Schmidt 1959, 77f. - Schröder 1977. - Wirth 1978. - Falkenau 1999, 119ff. mit weiterer Literatur. - Rehm 1999. - Munschek 2000 mit weiterer Literatur. Musper 1961, Bd. 3, e25. Ehresmann 1966-1967. - Ohly 1985. - Falkenau 1999, 140ff. Luther WA, Bd. 12, 275. - Vgl. die »Fastenpostille« von 1525: WA, Bd. 17, II, 134. - Zur Wortgeschichte: Vetter 1954, 127ff.
36 der bestehenden Ordnung. 88 Ein anschauliches, weil im Bild materialisiertes Exempel solch halbbiblischer Typologie stellt eine Mitte des 16. Jahrhunderts entstandene kolorierte Federzeichnung dar (Abb. 15), in der das Verhalten Kurfürst Moritz von Sachsen und seines Gegenspielers Johann Friedrich im Schmalkaldischen Krieg durch typologische Bezüge zu den Epochen »ante legem« und »sub gratia« nach dem Vorbild von Armenbibeln ausgelegt und geschmäht wird. So erscheint in der Mitte der dritten Spalte eine Darstellung Johann Friedrichs, der an der Tafel des Moritz von Sachsen speist. Diese zeitgenössische Episode wird im darüberliegenden Register von Jakob, der den Segen des Isaak erschleicht, im darunterliegenden von der Verräterbezeichnung des Judas während des Letzten Abendmahles begleitet und somit vernichtend kommentiert: Moritz von Sachsen, der die katholische Sache und Kaiser Karl V. in der Schlacht von Mühlberg 1547 unterstützt hatte, erscheint als Verräter, als »Judas von Meißen«. 89 Paracelsus exekutiert sein typologisch geleitetes Verständnis der Gegenwart im »Liber de imaginibus idolatriae« am Beispiel des Goldenen Kalbes (Ex 32, Iff.). 90 Die Erfüllung dieser »infernalisch Providentia« erkennt er nicht etwa in den Bildwerken der römischen Kirche oder in den »Ölgötzen« Karlstadts, denn sie beträfen und verführten wie einst im Alten Testament nur den Leib - hier kommt also die dualistische Anthropologie Hohenheims zum Tragen. Das Gleiche gelte für Zauberbilder der Gegenwart, »dann Zauberei tut der seel kein schaden, man lauf den bildern nach wie man will, wird gesund und krank, so ists nur incantatio und nit idolatria«, also nur zauberische Beschwörung und kein Götzendienst.91 Ungleich gefährlicher sei die Verführungskraft, welche die Seele im Neuen Bund bedrohe, denn die »abgötter« dieses Zeitalters wären »nicht von holz oder stein, sondern von blut und fleisch«, das heißt lebendige Bilder.92 Die allegorische Exegese eröffnet also durch ihren Rückgriff auf die alttestamentarische Präfiguration eine biblisch legitimierte Kritik der Zeitgeschichte. Konzeptionell und inhaltlich ähnlich war Paracelsus bereits im vielleicht etwas früher entstandenen »Liber de iustitia« vorgegangen.93
88
89 90 91 92 93
Classen 1960, 113, 319. - Töpfer 1964, 44f. - Ohly 1977, 372ff. - West, Zimdars-Swartz 1983, lOff. - Ohly 1988, 30,42f„ 48. - Rauh 1973. - Hoffmann 1978, 189ff. - Selge 2002, 49 Iff. Herrmann 1965. - Kat. Ausst. Glaube und Macht 2004, 214f. Paracelsus 2/III, 278. Ebd., 280. Ebd., 281. Paracelsus 2/II, 160: So schreibt er wohl mit Blick auf die in Dan 5,4 genannten Götzen: »Wiewol das holz verstanden wird, es ist nur praefigurirt durch das holz, aber die menschen werden gemeint, das holz tut kein schaden, als ir De imaginibus idolatriae hernach hören werden.« - Vgl. auch 2/1, 164f. mit Hinweis auf die Diana Ephesia nach Apg 19, 23ff.
37 Bild in diesem verwerflichen Sinn ist »iedlicher mensch, der da änderst geht denn ein mensch«. Paracelsus erläutert diese lapidare Feststellung am Beispiel von Handwerkern, die ihrem Berufsstand konform gewandet sind: »ein Schneider wie ein Schneider, und in keiner andern gestalt, dann wie sein handwerk, das sein hend gebrauchen, ausweist, auf das folgt hernach, daß das die bilder seindt, die nit also gehn, als der bapst, bischof und ires gleichen.« Die mehrschichtig anzulegende Gewandung der Kleriker entspräche nicht ihrem Beruf, sie zeige »nit inwendig hin« und sei somit »teuflisch«. 94 Denn »sie komben nit, als sie sollten, sonder sie machen vil malwerks, viel seltzamer hüet, vil seltzamer mäntel, gugel (Kapuzen), platten (Tonsuren, Anm. d. Verf.) etc., einer über den andern; von hosen, von schuhen alles gemalt ding, mit stein und perlein, seiden und dergleichen ausgenehet.«95 Paracelsus vor Augen stehen also unter anderem die mit bunten Seiden-, Gold- und Silberfäden gefertigten Stickereien an liturgischen Gewändern, vor allem an Kasein, Rauchmänteln oder Mitren. 96 Da das kunstvoll gefertigte und luxuriöse Erscheinungsbild des Klerus nicht mit seinem Inneren konform gehe, seien die Geistlichen jene Bilder, »die uns gott anzubetten verbotten und prefigurirt durch die gemelte bilder. dann es ist nur ein spiegelwerk und ein malerische fantasei. die seindts, die uns die seel verfüeren, und nit die hölzern, steinern.«97 Selbst die Gottheit hätte man mit einem derartigen Ornat wiedergegeben, meint Hohenheim in einer nicht ganz deutlichen Passage vielleicht im Hinblick auf Darstellungen Gottvaters im päpstlichen Gewand. 98 Nur zur Ablenkung von dieser tatsächlichen Idolatrie verweise der Klerus auf die »zauberischen bilder« aus Holz und Stein, die an vielbesuchten Wallfahrtsorten, wie etwa Grimmenthal oder Regensburg, anzutreffen seien.99 Luther hatte das dortige Treiben gleichfalls, wenn auch mit anderen Argumenten, kritisiert.100 Paracelsus Verdammung zugrunde liegt zunächst wohl die bei Jesus Sirach (19, 29f.) nachzulesende biblische Feststellung: »An seinem Aussehen erkennt man einen Menschen, und am Widerschein der Mienen erkennt ihn der Weise. Die Kleidung eines Mannes, das Lachen seiner Zähne und der Gang eines Menschen tun kund was an ihm ist.« Wirksam wurde ferner, eingefaßt durch
94 95 96
97 98 99 100
Paracelsus 2/III, 281, 285. Ebd., 281. Vgl. Wilckens 1991, Abb. 267, 291 f. oder auch Gründwalds Porträt (1502/04) von Albrecht von Brandenburg als Hl. Erasmus, bei dem der Erzbischof von Mainz ein Pontifikalgewand des Seidenstickers Hans Plock trägt: Schawe 2006, 160. - Pregla 2006. Paracelsus 2/III, 281. Vgl. etwa die Darstellung Gottvaters im Genter Altar der Brüder van Eyck (1432). Paracelsus 2/III, 28If. Ebd., 282. - Luther WA, Bd. 6, 445f. - Vgl. Reiter 1970. - Greiselmayer 1997. - Mötsch 2004, 41 f.
38 gesellschaftlich wirksamen Kleiderordnungen,101 die patristisch-mittelalterliche Theorie vom Zeichenwert der Kleidung. Sie forderte Angemessenheit und Wahrhaftigkeit der Träger nach ihrem Rang, ihrem Stand und ihrer Funktion. Entsprechend ausformuliert finden sich derartige Gedanken etwa bei Thomas von Aquin, der Abweichungen von der Norm, wenn sie aus Ruhmbegierde oder Heuchelei vorgenommen wurden, für sündhaft hielt, doch prächtige Kleidung für erlaubt und verdienlich erachtete, wenn sie der Würde eines Amtes oder Standes entsprächen.102 Eine Voraussetzung für die Umwertung, also Paracelsus Interpretation der Geistlichen als die verbotenen »lebentige bilder«103 des Neuen Testamentes, liegt sicher in der bereits angesprochenen Diskreditierung symbolisch-rituellen Handelns zugunsten authentischer Spiritualität, also in der Verurteilung vorgeblich oder tatsächlich unangemessener »äußerer« Repräsentations- und Frömmigkeitsformen durch die reformatorische Bewegung. 104 Erasmus von Rotterdam hatte ihr auch in diesem Falle vorgearbeitet, als er in seinem »Lob der Torheit« das Auseinanderklaffen zwischen den mittels klerikaler Gewandungen sinnbildhaft kundgetanen christlichen Ansprüchen und der tatsächlichen Praxis der hohen Geistlichkeit anprangerte. 105 1521 faßte Luther seinen theologisch-publizistischen Kampf gegen das Papsttum aufschlußreich unter dem Leitthema der Zeremonialkritik zusammen. Die eitel-pompöse Selbstdarstellung des päpstlichen Hofes und der zugehörige liturgische Formenapparat sind für ihn verwerflich: »Quales enim Episcopi, talia et opera eorum: Idola enim sunt et larvae« heißt es da. Das Zeremoniell besitzt für Luther nur dann Wahrheit und Legitimität, wenn es einem realen Gehalt entspricht. Und da das Reich Christi nicht von dieser Welt ist, kann es auf Erden auch nicht mit Pracht und Herrlichkeit in Erscheinung treten.106 Peter Vischer d. J, hat denn auch in seiner Allegorie zu Ehren Luthers (Abb. 16) - sie zeigt ihn als Herkules, der die »Jugend«, das befreite »Gewissen« und den »gemeinen Mann« zu Christus leitet - die mit Tiara und Rosenkranz verbundene »Ceremonie« unter dem gestürzten, verweltlichen Papsttum dargestellt, verbunden mit den Personifikationen von Superbia, Luxuria und Avaritia.107 Hans Sachs konfrontierte in seinem Gespräch über die Scheinwerke der Geistlichkeit einen Mönch mit dem bei Matthäus (23, 27) vorformulierten Vorwurf, daß der Gottesdienst seines Ordens »im schein außwendig heilig und gleissent« sei, »innwendig
101 102 103
104
105 106 107
Vgl. Eisenbart 1962. - Baur 1975. Thomas von Aquin, Summa theologica, II-II, 169, 1. - Staubach 2002, 35ff. Paracelsus 2/III, 284. - Über »lebende Bilder« im kirchlichen und weltlichen Festwesen des Spätmittelalters: Helas 1999. Vgl. Eire 1986, 28ff. - Scibner 1987. - Berns 1995. - Karant-Nunn 1997. - Stolberg-Rilinger 2003. Erasmus von Rotterdam 1515, 87f. - Vgl. Müller 1996, 62f„ Taf. 19f. Luther WA, Bd. 7, 762. - Vgl. Staubach 2004, 127ff. Hecht 1982, o. S.
39 aber im grund lautter wurmstichig unnd bedrieglich gespenst«.108 Angesichts solcher und ähnlicher Vorbehalte verzichteten radikalere Reformatoren wie Zwingli in Zürich (1523) und Bucer in Straßburg (1525) überhaupt auf den gottesdienstlichen Ornat, eine Entscheidung, die zweifellos auch Paracelsus bekannt war. Unter der reformierten Geistlichkeit führten derartige Entschlüsse zu Spannungen, die sich am Chorrock konkretisierten konnten. In einem gegen die Jahrhundertmitte entstandenen aufklappbaren Holzschnitt (Abb. 17) wird er als klerikales Kleidungsstück von der Mehrheit gutgeheißen, von einer Minderheit jedoch mit folgenden Worten strikt abgelehnt: »Was mus mann aber sehen an / Das vnder dieser weißen fahn / Vnder diesem Engelischen kleid / Ein schwarzer Teuffei begraben leit«.109 Die bildliche Verurteilung des bloßen äußeren Scheins ist jedoch älter. 1521 stellten Lukas Cranach beziehungsweise Philipp Melanchton und Johann Schwertfeger im »Passional Christi und Antichristi« - mit ihm wurde die antirömische Bildpolemik recht eigentlich eröffnet - dem innerlichen Reich Gottes das äußerliche des päpstlichen Antichristen gegenüber und bekräftigten auch auf bildliche Weise Luthers seit 1520 bestimmt vorgetragene Identifikation des Papsttums mit dem vor der Parusie Christi auftretenden Widersacher.110 So zeigt ein Holzschnitt Jesus (Abb. 19a, b), der mit einigen Pharisäern über den durch Menschengesetz etablierten Brauch des Händewaschens vor dem Essen disputiert, eine Begebenheit, die durch das Wort »Das Reich Gottes ist nicht in äußerlichen Gebärden« (Lk 17, 20) kommentiert wird. Das äußerliche Reich des Antichristen repräsentieren auf der Gegenseite ein thronender Papst, ein Bischof, Priester, Mönche und Nonnen in ihren diversen Gewandungen, »und nennen sich/ yre habe und gutter geystlich gut/ sich allein die christlich kirche/ die pfaffen das außerweite volck gots/ gleich sam weren die leyen nicht in der kirchen unnd gots«.111 Diese Erläuterung läßt das reformatorische Kernargument des Angriffs durchscheinen, nämlich Luthers Auffassung vom Priestertum aller Gläubigen, das durch die Taufe begründet sei: »Dem nach szo werden wir allesampt durch die tauff zu priestern geweyhet, wie sanct Peter i. Pet. ij. sagt >yhrt seit ein kuniglich priestertheum und ein priesterlich kunigreych.ας, i'xi ςίΜΑφψΰ Weρ6£ρεος toK ξνκρχΐ* Süpet , Ο'φρ ίναρίββαν; ης μμχρΑίιψ mwiiu • Λ ί'φ^'οοίΛν,ττιηΧ) Ί'άηι mtfßiv;, ' W