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German Pages 736 Year 1893
Pandekten Von Ferdinand Regelsberger
Erster Band
Duncker & Humblot reprints
Systematisches Handbuch der
Deutschen Rechtswissenschaft. Unter Mitwirkung der
Professoren
Dr.
H. Brunner
in B e r l i n ,
Dr. E. Brunnenmeister
in
Wien,
Dr. 0. Billow in Heidelberg, Dr. V. Ehrenberg in Göttingen, Dr. 0. Gierke in Berlin, des General-Procurators Dr. J. Glaser i n Wien, der Professoren Dr. C. S. Grünhut
i n Wien, Dr. A. Haenel in Kiel, Dr. A. Heusler in Basel, Dr. R. v. Jhering in Göttingen, Dr. P. Krüger in Bonn, Dr. F. V. Martitz in Tübingen, Dr. 0. Mayer in Strassburg, Dr. L. Mitteis in Prag, Dr. Th. Mommsen in Berlin, Dr. F. Oetker in Rostock, Dr. M. Pappenheim in Kiel, Dr. F. Regelsberger in Göttingen, Dr. W. v. Roh-
land in Freiburg i. B., Dr. R. Sohm in Leipzig, Dr. A. Wach in Leipzig, Dr. R. Wagner in Leipzig, Dr. B. Windscheid i n Leipzig, Dr. M. Wlassak in Breslau
herausgegeben von
Dr. K a r l
Binding,
Professor in Leipzig.
Erste Abteilang, siebenter Teil, erster Band:
F. R e g e l s b e r g e r ,
Pandekten.
Ii a n d I.
Leipzig·,
Verlag
v o n D u η ο k e r ά H u in b l o t . 1893.
Pandekten. Von
Dr. Ferdinand Regelsberger, Professor an der Univers) lüt Güttingen.
Erster Band.
Leipzig. V e r l a g von D u n c k e r 1893.
& H u m b 1 ο t.
Das Recht der Übersetzung bleibt vorbehalten.
Oskar Bülow in treuer
Freundschaft
zugeeignet.
V o r w o r t .
Als ich vor Jahren den Auftrag zur Bearbeitung des Pandektenrechts für das systematische Handbuch der deutschen Rechtswissenschaft übernahm, erging es mir wie dem Wanderer, der zum erstenmal seine Schritte dem Hochgebirge zuwendet. Von fern erscheinen ihm die Höhen mäfsig, sie zu erklimmen und zu überschreiten, eine nicht zu schwierige Leistung. Aber das Bild ändert sich, je mehr er dem Grundstock nahe rückt, die Berge wachsen vor seinem Blick, Terrasse baut sich hinter Terrasse auf, und der frohe Wagemut läuft Gefahr, in sein Gegenteil umzuschlagen. Es mag manchen befremden, dafs von Schwierigkeiten ein Bearbeiter spricht, der denselben Stoff kraft seines Berufs seit mehr als drei Jahrzehnten Jahr für Jahr vorgetragen hat. Aber der gewissenhafteste Lehrer wird den Unterschied empfinden, der zwischen der Entwicklung der Gedanken vor einem beschränkten Hörerkreis und ihrer Festlegung für die Öffentlichkeit besteht. Die Weite des Auditoriums verstärkt das Gefühl der Verantwortlichkeit, es drückt das Bewufstsein, wie viel nachhaltiger im Schlimmen wie im Guten das gedruckte Wort wirkt als das den Lippen entflossene. Bei der Darstellung des sogenannten allgemeinen Teils der Pandekten, womit sich der gegenwärtige Band ausschliefslich beschäftigt, traten namentlich zwei Schwierigkeiten entgegen. Die eine liegt in der Notwendigkeit, die allgemeinen rechtswissenschaftlichen Begriffe zu entwickeln. Der Pandektist als solcher bringt dafür nicht mehr Beruf und Befähigung mit als der Vertreter irgend eines andern Zweigs der Rechtswissenschaft. Wer diese Aufgabe gedeihlich lösen will, mufs auf einer höhern Warte stehn und alle einzelnen Disciplinen gleichmäfsig beherrschen, ein Ziel, das bei der heutigen Erweiterung und Vertiefung der rechtswissenschaftlichen Fächer schwer erreichbar ist. Die andere Schwierigkeit besteht innerhalb der Pandektenlehre. Die Ausscheidung eines allgemeinen Teils hat seine volle Berechtigung. Es soll nicht blofs eine Vereinfachung des Stoffs erzielt, es sollen die Grundlinien gezeichnet werden, die für die mannigfaltigen, niemals erschöpfend darzustellenden privatrechtlichen Verhältnisse gelten. Aber bei diesem Bestreben schleicht sich nur zu leicht die
VIII
Vorwort.
Versuchung ein, in unbegründeter Weise zu verallgemeinern, indem man sich der ganzen Tragweite eines Satzes nicht bewufst wird. Ich suchte in dieser Richtung mit aller Vorsicht vorzugehn, aber ich bin keineswegs sicher, dafs es mir überall gelungen ist, die Klippe zu vermeiden. Lehr- und Handbücher bauen sich zum überwiegenden Teil auf den bisherigen wissenschaftlichen Leistungen auf. Ihre Verfasser sind den Bienen vergleichbar, die aus Blumen und Blüten den Honig saugenr um ihn gesammelt der Welt zu überliefern. Um so mehr scheinen Gerechtigkeit und Dankbarkeit zu fordern, dafs für jeden entlehnten Gedanken die Quelle angegeben werde. Indes vollkommen läfst sich dies überhaupt nicht durchführen. Aber dafs es auch nur in dem Umfang geschieht, wie es mustergültig im Windscheidschen Lehrbuch vorliegt, kann nicht für jede Gesamtbearbeitung unabweisbares Gebot sein. Andre Bücher andre Aufgaben. Ich glaubte mich in dieser Hinsicht beschränken zu sollen, um für eine etwas mehr als lehrbuchartige Ausführung Raum zu behalten. Nichts lag mir ferner als fremdes Gut für eigne Ware auszugeben, und ich verzichte von vornherein auf jeden Widerspruch, wenn jemand irgend einen in dem Buch enthaltenen Gedanken als sein geistiges Eigentum in Anspruch nimmt. Reichhaltiger ist die Rechtsprechung angeführt. Es leitete mich dabei die Erwägung, dafs jeder Lehrsatz sein richtiges Verständnis erst findet, wenn er an der konkreten Erscheinung des Lebens angeschaut wird, und dafs darin zugleich der beste Prüfstein für seine Tauglichkeit liegt. In diese leibhaftige Welt kann meines Erachtens nicht früh genug eingeführt werden. Ich darf nicht stillschweigend über den Umstand hinweggehnr dafs in dem vorliegenden Buch zu dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich keine Stellung genommen ist. Es ist dies unterblieben nicht aus mangelndem Interesse an dem grofsen nationalen Werk, sondern in der Überzeugung, dafs sich die schwierigen legislativen Fragen in einigermafsen befriedigender Weise nicht so nebenbei anläfslich der Darstellung des geltenden Rechts behandeln lassen. Das mufs besondern Unternehmungen vorbehalten bleiben. Nicht blofs die Bücher haben ihre Schicksale, auch die Menschen, welche die Bücher schreiben. In glücklicheren Tagen bin ich an die Bearbeitung dieses Buchs gegangen, um den einzigen Sohn und die treue Lebensgefährtin ärmer schliefse ich es ab. Möchten sich die Spuren dieser Schicksalsschläge nicht allzutief in das Werk eingegraben haben. G ö t t i n g e n , Herbstferien 1893. F. R.
Inhaltsverzeichnis. Einleitung.
Vom Pandektenrecht im allgemeinen. Seite
§
1.
§
2.
§ 3. § 4. § 5. § 6. § 7. § 8.
1. Die Rezeption des römischen und kanonischen Rechts in Deutschland 3—13 2. Begriff des Pandektenrechts 14—18 3. Die Quellen des Pandektenrechts. a) Römisches Recht 18—24 b) Kanonisches Recht 24—26 c) Einheimisches Recht 26—29 d) Das Verhältnis der Pandektenrechtsquellen zu einander . . 29—32 4. Die Litteratur des Pandektenrechts. a) Die innern Strömungen 33—46 b) Die Büchergattungen 46—54
Erstes Buch. Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts. Erster Abschnitt. Vom Rechte und den Rechten im allgemeinen· § 9. § 10. §11. § 12. § 13. § 14. § 15. § 16.
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
I. G r u n d b e g r i f f e . Begriff des Rechts Recht, Sittlichkeit, Sitte Recht und Billigkeit Positives Recht und Naturrecht Rechtsverhältnis und Rechtsinstitut Das subjektive Recht Das Rechtssubjekt Die Rechtspflicht II.
V o n den R e c h t s n o r m e n A.
§ 17. 1. § 18. 2. 3. § 19. § 20.
57—60 60-63 63—67 68—71 71—74 74—77 77—79 79-82
insonderheit.
Die Entstehungsgründe.
Überblick Das Gesetz Das Gewohnheitsrecht. a) Gewohnheitsrecht und Gewohnheit b) Erfordernisse der Entstehung
82—89 90—92 93—94 94—97
Inhaltsverzeichnis. Seite
§ § § § §
21. c) Beweis der Gewohnheitsrechtssätze 22. d) Gewohnheitsrecht, Herkommen, Observanz, Geschäftsübung. 23. 4. Verhältnis von Gewohnheitsrecht und Gesetz 24. 5. Die Autonomie 25. 6. Juristenrecht, Gerichtsgebrauch
§ 26. § 27. § § § § §
28. 29. 30. 31. 32.
§ 33. § 34. § 35. § 36. § 37. § 38. § 39. § 40. § § § § § §
41. 42. 43. 44. 45. 46.
B. Aufhebung der Rechtssätze C. Die Gegensätze unter den Rechtsnormen. 1. Begriffsentwickelnde, verneinende, gebietende, verbietende, gewährende Rechtssätze 2. Öffentliche und Privatrechtssätze 3. Gemeines und partikuläres Recht 4. Allgemeiner Rechtssatz und Individualrechtssatz, Privilegien . 5. Regelmäfsiges und Sonderrecht 6. Ermächtigendes, ergänzendes, zwingendes Recht D. Anwendung des Rechts. 1. Die Aufgabe der Rechtsanwendung 2. Die Feststellung des Daseins eines Rechtssatzes 3. Die Auslegung der Rechtssätze. a) Wissenschaftliche Auslegung und Legalinterpretation. . . b) Die Hilfsmittel der wissenschaftlichen Auslegung . . . . c) Ausdehnende und einschränkende Auslegung. Argumentum a contrario 4. Analogie E. Das internationale Privatrecht. 1. Überblick 2. Die 5 Grundzüge 3. Die Anwendung. a) Rechts- und Handlungsfähigkeit b) Die Form der Rechtsgeschäfte c) Die dinglichen Rechte. d) Die Obligationen e) Die Familienrechtsverhältnisse f) Das Erbrecht. F. Die zeitliche Herrschaft der Privatrechtsnormen.
§ 47. 1. Die Grundzüge § 48. 2. Die Anwendung III. § 49. § 50. § 51. § 52. § 53.
1. 2.
§ 54. 1. § 55. 2.
98 99—102 102—105 105—106 107—109 109—112
112—114 114—117 117—121 121—126 126—128 128—131 131—134 134—140 140—144 145—151 152—155 155-161 161—164 164—168 168—169 170—171 171—172 172—176 176—181 181—184 184—191 191—195
V o n den s u b j e k t i v e n Rechten.
A. Öffentliche und Privatrechte . . . . 195—197 B. Die Arten der Privatrechte . . . . 197—205 C. Allgemeine Eigenschaften der Privatrechte . . 205—212 D. Die Ansprüche. Recht, Anspruch, Actio 212—219 Arten der Privatrechtsansprüche 219—228 E. Ausübung der Rechte. Begriff, Umfang, Vertretung 228—231 Die Kollision der Rechte in der Ausübung 232—233
Inhaltsverzeichnis. Zweiter Abschnitt. § 56. § 57.
§ 58. § 59. § 60. § 61. § 62. § 63. § 64. § 65. §66. § 67. S 68. § 69.
§ § § § §
Seite
Von den Personen.
I. R e c h t s s u b j e k t , P e r s o n , R e c h t s f ä h i g k e i t . II. H a n d l u n g s f ä h i g k e i t , V e r f ü g u n g s f ä h i g k e i t . ΙΠ. D i e n a t ü r l i c h e n Personen. A. Dasein der natürlichen Persönlichkeit.
. .
284—239 239—241
1. Anfang 241—245 2. Ende. a) Im allgemeinen 245-247 b) Früherzeitigkeit des Todes 247—248 c) Die Todeserklärung 248—253 B. Rechtlich erhebliche Eigenschaften und Stellungen der Menschen. 1. Das Geschlecht 254 2. Das Alter 254—258 3. Die Gesundheit 258—260 4. Die Verschwendungssucht 261—262 5. Die Ehre 263-266 6. Die Staats- und Standesangehörigkeit . 266—270 7. Das Religionsbekenntnis 270—271 8. Die Hausunterthänigkeit 271—272 C. Rechtlich erhebliche allgemeine Beziehungen der Menschen. 1. Verwandtschaft und Schwägerschaft.
70. 71. 72. 73. 74. 2.
a) Agnation und Kognation b) Eheliche Verwandtschaft c) Uneheliche Verwandtschaft d) Die Schwägerschaft Wohnsitz. An- und Abwesenheit
272—276 276—281 281—283 283—284 285-288
IV. D i e j u r i s t i s c h e n Personen. A. Begriff und Arten. § 75. 1. Begründung § 76. 2. Abweichende Ansichten
289—297 298-302
§ 85. § 86.
B. Die Körperschaften. 1. Die Entstehung. a) Die Grundlage b) Erwerb der Rechtsfähigkeit 2. Streitiges Gebiet . 3. Arten der Korporationen 4. Rechtsfähigkeit der Korporation 5. Die Korporationsorgane 6. Die Handlungs- und insonderheit die Deliktsfähigkeit der Korporationen 7. Die innern Rechtsverhältnisse der Korporationen. Die korporativen Rechte und Pflichten 8. Veränderung und Untergang der Korporationen 9. Schicksal des Vermögens einer untergegangenen Korporation
331—333 334—337 337—341
§87.
C. Die Anstalten und Stiftungen. 1. Die unselbständigen Anstalten und Stiftungen
341—344
§ § § § § § §
77. 78. 79. 80. 81. 82. 83.
§ 84.
302—306 306—312 312—317 317—320 320—322 322-326 326—331
I n h a l t s v e r z e i c h n i s . Seit"
§ 88. § 89. § 90. § 91. § 92. § 93.
§ 94. § 95. § 96. § 97. § 98. § § § § §
99. 100. 101. 102. 103.
§ 104. § 105. § 106. g § § § § §
107. 108. 109. 110. 111. 112.
§ § § § §
113. 114. 115. 116. 117.
2. Die selbständigen Anstalten und Stiftungen, a) Entstehung. aa) Die Grundlage bb) Der Rechtssatz b) Rechtsfähigkeit, Handlungsfähigkeit, Organe und Genufssubjekte c) Öffentliche und private Anstalten und Stiftungen . . . . d) Veränderung e) Untergang der Anstalten und Stiftungen und Schicksal des Vermögens nach dem Untergang Dritter Abschnitt. Die Rechtsobjekte· I. B e g r i f f u n d A r t e n II. V e r m ö g e n , S o n d e r v e r m ö g e n . . . III. D i e (Sachen. A. Begriff der Sache B. Sacheinheit, Gesamtsache, Sachidentität . . C. Rechtlich erhebliche Eigenschaften der Sachen. 1. Bewegliche und unbewegliche Sachen, bewegliches und unbewegliches Vermögen 2. Vertretbarkeit 3. Verbrauchbarkeit 4. Teilbarkeit D. Hauptsache und Nebensache, Sachbestandteil und Zubehör E. Erzeugnisse und Früchte einer Sache . . F. Das Geld. 1. Begriff des Gelds 2. Das Metallgeld 3. Das Papiergeld G. Rechtsverhältnisse an den dem Verkehr entzogenen Sachen, 1. Rechtsfähigkeit und Verkehrsfähigkeit der Sachen . . . . 2. Die allgemeinen Sachen 3. Die geheiligten Sachen 4. Der menschliche Körper 5. Die verbotenen Sachen 6. Die öffentlichen Sachen . . 7. Sachen im Gemeingebrauch. a) Wesen des Gemeingebrauchs b) Schutz des Gemeingebrauchs c) Die Sondernutzungsrechte an Sachen im Gemeingebrauch d) Die öffentlichen Wege e) Die Gewässer
Vierter Abschnitt« Die juristischen Thatsachen· I. I m a l l g e m e i n e n . § 118. A. Thatbestand und Rechtsfolge . . . . B. Die Erwerbsthatsachen. § 119. 1. Die Arten des Erwerbs § 120. 2. Die Arten des abgeleiteten Erwerbs
344-849 349-351 351-353 353—354 354—355 355—356 357—361 361—365 365—368 368—374
374—378 378—380 380—382 382-384 385—392 392—396 396-399 399—402 403—405 405—406 407—408 409 -413 413—414 414—415 415—418 418—426 426—428 429—480 4 3 0 - 431 431—435
436—440 440—442 442—444
Inhaltsverzeichnis.
XIII Seit*
§ 121. § 122. § 123. § § § § §
124. 125. 126. 127. 128.
§ 129. § § § § §
130. 131. 132. 133. 134.
§ 135. § 136. § 137. § 138.
§ 139. § 140. § 141. § 142. § 143.
§ § § § §
144. 145. 146. 147. 148.
§ 149. § 150.
§151.
C. Die Veränderungs- und Aufhebungsthatsachen. 1. Objektive Veränderung. Hemmungsgründe 2. Die Succession 3. Veräufserung, Verwirkung, Verzicht D. Die Zeit 1. Die Bestimmung der Zeit 2. Die Berechnung der beweglichen Zeit 3. Verjährung und Befristung 4. Die unvordenkliche Verjährung E. Irrtum und Nichtwissen II. D i e j u r i s t i s c h e n H a n d l u n g e n . A. Begriff und Arten B. Die Fähigkeit zu juristischen Handlungen. Allgemeines 1. Jugendliches Alter 2. Hausunterthänigkeit 3. Geistige und körperliche Gebrechen 4. Entmündigung wegen Verschwendung C. Die Rechtsgeschäfte. 1. Der Begriff 2. Die Willensäufserung. a) Das Wesen b) Formelle Willensäufserungen c) Formlose, ausdrückliche und stillschweigende Willensäufserungen . d) Übereinstimmung von Wille und Erklärung. aa) Die Erscheinungen der Abweichung bb) Die rechtliche Behandlung. «) Der Standpunkt im allgemeinen ß) Scherz. Mentalreservation. Simulation. Fiduziarische Geschäfte. Rechtsgeschäftliche Schleichwege γ) Der Geschäftsirrtum und das Mifsverständnis . . e) Die Beweggründe. aa) Eintiufs der Beweggründe im allgemeinen und des Irrtums insonderheit bb) Die Drohung. «) Begriff ß) Wirkung cc) Der Betrug 3. Allgemeine Erfordernisse der Rechtsgeschäfte 4. Die Hauptarten der Rechtsgeschäfte 5. Der Vertrag. a) Begriff b) Antrag und Annahme 6. Besonders geartete Rechtsgeschäfte, a) Die bedingten Rechtsgeschäfte. aa) Begriff der Bedingung
445—446 446—448 448—453 453—456 456—460 460—464 464—468 468—472 472—476 477-478 478-483 483—484 484—485 485—487 487—492 492—494 494—502 502—506 506—511 511—515 515—520 520—526
526—528 529—532 532—535 535—538 538—541 541—543 543—546 546—556
556—559
Inhaltsverzeichnis.
xrv
Seite
§ 152. § 158. § 154. § 155. § 156. § 157. § 158. §159. § 160. § 161. § 162. § 163. § 164. § 165. § 166. § 167. § 168. § 169. § 170. § 171. § 172. § 173. § § § §
174. 175. 176. 177.
bb) Arten der Bedingungen cc) Die Zulässigkeit der Bedingungen dd) Die Entscheidung der Bedingung ee) Wirkung der Bedingung. «) Während der Schwebe ß) Wirkung der Entscheidung b) Das befristete Rechtsgeschäft. aa) Begriff, Arten und Zulässigkeit der Zeitbestimmungen bb) Wirkung der Zeitbestimmung 7. Die Stellvertretung. a) Begriff b) Abgrenzung der Stellvertretung c) Stellvertreter und Ersatzmann d) Die Zulässigkeit der Stellvertretung e) Die Vollmacht f) Die nachträgliche Genehmigung 8. Inhalt der Rechtsgeschäfte. a) Einteilung der Bestandteile b) Die Auflage. . c) Die Zweckbestimmung bei Vermögenszuwendungen . . . d) Die Schenkung. aa. Begriff bb. Die Schenkungsbeschränkungen cc. Besondere Arten der Schenkung e) Der Vergleich. aa. Begriff und Erfordernisse bb. Wirkung und Anfechtung. f) Das Anerkenntnis 9. Die Mangelhaftigkeit der Rechtsgeschäfte. a) Begriff, Nichtigkeit und Anfechtbarkeit b) Nachträgliche und teilweise Mangelhaftigkeit, Konversion c) Heilung der Mangelhaftigkeit 10. Die Auslegung der Rechtsgeschäfte
560—568 564—567 567-569 569—571 571—574 575—577 577—580 580-586 586—588 589—591 591—592 592—596 596—601 601—603 603-607 607—610 610—614 614—619 619—621 621—625 625—627 627-630 631—636 636—639 639—641 641—643
D. Die unerlaubten Handlungen. § 178. § 179.
1. Unrecht, Delikt, Strafe, Schadenersatz 2. Arten und Grade der Verschuldung. Gewalt III.
§ 180.
643—647 Zufall und höhere
Endigungsgründe allgemeiner
647—653 Art.
A. Die Konkurrenz der Rechtsansprüche
653—655
B. Die Verjährung der Rechtsansprüche. § 181. § 182. §183. § 184. § 185.
1. Grundgedanke und Gegenstand . 2. Geschichtliche Entwicklung und Umfang 3. Voraussetzungen. a) Beginn der Verjährung b) Verjährungslauf, Hindernisse • c) Dauer und Beweis der Verjährung ;
655—657 657—659 659—662 662-665 665—666
Inhaltsverzeichnis.
X Seite
§ 186. 4. Wirkung der Anspruchsverjährung § 187. 5. Die Verjährung der Einreden Fünfter Abschnitt. § 188.
666—668 668-669
Der Rechtsschutz.
I. D i e A r t des R e c h t s s c h u t z e s im a l l g e m e i n e n .
. 670—672
II. Die R e c h t s s c h u t z a r t e n im e i n z e l n e n . § 189.
A.
Sicherung der Rechte
§ 190.
B.
Die Selbsthilfe
672—675 . 675—677
C. Die gerichtliche Durchführung der Rechte. fc 191. § 192. § 193. § 194. § 195. § § i §
196. 197. 198. 199.
§ 200. § 201. § 202.
1. Die Klage 2. Verteidigung gegen die Klage. a) Exceptio und Einrede b) Das Zurückbehaltungsrecht 3. Die Einwirkung der Prozefseröffnung auf das materielle Rechtsverhältnis 4. Der Beweis 5. Das Urteil. a) Wesen der Rechtskraft b) Gegenstand der Rechtskraft c) Subjektiver Umfang der Rechtskraft 6. Der Schiedsspruch D. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. 1. Begriff und Voraussetzungen 2. Die Restitutionsgründe insonderheit 3. Umfang der Wiedereinsetzung
678—681 681—686 687—689 689—692 693—698 698—702 702—707 708—709 710—711 711—714 714—716 716—717
Erklärung der Abkürzungen. Es sind angeführt: 1. die Lehr- und Handbücher des römischen und des deutschen Privatrechts von Arndts, Baron, Bekker, Beseler, Böcking, Brinz, Dernburg, Keller, Kieruiff, Roth, Savigny, Sintenis, Vangerow, Wächter, Wendt, Windscheid nur mit dem Namen ihrer Verfasser; ebenso das System des österreichischen allgemeinen Privatrechts von Dr. Joseph Unger wie die Theorie und Praxis des heutigen gemeinen preufsischen Privatrechts von Förster-Eccius; 2.
die Zeitschriften (vgl. S. 53 fg.) : Arch. f. bürg. R. = Archiv für bürgerliches Recht herausg. von Kohler und Ring. Arch. f. prakt. RW. = Archiv für praktische Rechtswissenschaft. Bekkers Jahrb. = Jahrbuch des gemeinen deutschen Rechts herausg. von Bekker und Muther. Giefsner Z. = Zeitschrift für Civilrecht und Prozefs herausg. von Linde. Grünhuts Z. = Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht herausg. von Grünhut. Jherings Jahrb. = Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts herausg. von Jhering, sowie die Fortsetzung : Jherings Jahrbücher etc. Krit. Überschau = Kritische Überschau der deutschen Gesetzgebung und Rechtswissenschaft herausg. von Arndts, Bluntschli, Pözl. Krit. VJSchr. = Kritische Vierteljahrsschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft herausg. von Mitgliedern der Münchner Juristenfakultät. Z. f. RG. = Zeitschrift für Rechtsgeschichte herausg. von Bruns, Roth, Böhlau. Z. d. Sav.-St. RA. = Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung. 3. Urteilssammlungen : RGE. = Entscheidungen des Reichsgerichts in Civilsachen herausg. von Mitgliedern des Gerichtshofs. ROHG. = Entscheidungen des Reichsoberhandelsgerichts herausg. von Räten des Gerichtshofs. Seuff. = J. A. Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten. 4. Gesetze und Gesetzbücher: CPO. = Deutsche Civilprozefsordnung. HGB. = Deutsches Handelsgesetzbuch. KKO. = Deutsche Reichskonkursordnung. RG. = Deutsches Reichsgesetz. RGewO. = Gewerbeordnung für das Deutsche Reich. Sächs. GB. = Bürgerliches Gesetzbuch für das Königreich Sachsen. StGB. = Deutsches Reichsstrafgesetzbuch. StPO. = Deutsche Reichsstrafprozefsordnung.
Berichtigung sinnstörender Fehler. Seite 3 12 16 17 24 29 30 32 32 33 34 - 35 71 89 98 99 - 108 - 115 - 142 - 155 - 173 - 192 - 197 - 200 - 204 - 214 - 224 - 225 - 237 - 246 - 259 - 281 - 284 - 301 - 324 - 325 - 341 - 345
-
351 351 361
Zeile 1 V. U. - 21 V. U. 4 V. U. 6 V. U. 1 V. α. 6 V. 0. - 17 V. U. 8 V. U. 7 V. U. 1 V. 0. 6 V. U. 8 V. U. - 12 V. 0. 5 V. 0. 7 V. 0. 2 Y. U. - 11 γ. 0. - 22 ν. 0. - 19 v. 0. - 16 γ. ο. - 11 Y. 0. 9 v. 0. • 6 γ. 0. - 14 γ. U. 3 ν. U. - 17 Υ, 0. - 20 ν. 0. 8 ν. U. - 17 Υ. U. - 22 ν. 0. - 20 ν. U. - 16 ν. U. - 11 Υ. 0. 5 Υ. U. - 13 ν. 0. - 14 Υ. 0. - 12 ν. 0. - 17 ν. 0.
-
Egyptien statt Egyptienne. Aufnahme Ausnahme. des Erben desselben. 1804 1803. XXII XII. Reich Recht. § 3 § 4. mit cit. vor „§ 25" einzuschalten „wegen". 4 statt 1. § 3 § 4. Z. Gesch. sich andere sich andern. VI I I I 4. § 33 § 34. C. 6. 35 ?5. streiche „nach". I I I C, 3. I I C. 2. statt Rechtsaussprüche Rechtsansprüche. sind ist. I I I Β. 1 II. hinter „Rechte" einzuschalten „ der Mitglieder" versuchen statt ersuchen. ihn. sie II III. streiche publica. vindictam vidictam. A. I 61 60. lichten leichten. L. C. 1. unter. und 2. schalte ein vor „quod" kommen kommt. statt körperschaftliche körperliche. 75 77 Postsparkassen - Orts-,, Fabriks-, Baukrankenkassen nach RG. Y.. 15. Juni 1893. objekte. Subjekte 10 ν. 0. streiche 1. 18 ν. U. 121. 8 ν. 0. 122
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v. v. v. v. v. v. v. v. v. v. v. v. v.
o. o. o. u. u. o. o. u. o. u. o. u. u.
97 sein streiche 20. flumine 8 II 15 15 II 1 44 VIII 16 126
statt -
98. ihr. loco. 18 I. 18. 18. I I A. 41. N. 23. 46. 125
1 v. o. der andern. dieser 7 v. u. 11, 7 11, 1. 8. 8 v. u. 3 15 v. u. nach „Erscheinungen" schalte ein „der Abweichung" • 6 statt 16. 9 u. u. 8 v. u. 20 23. 17 v. o. 3. y 8 13 v. u. 10. 12 v. o. er. sie 11 v. u. sie die. 1 18 v. o. 11. 19 v. u. L. 3 § 3 L. § 3. 2 v. u. § 23 § 2. 2 v. o. VII 7. C. 9 v. o. 3. D. 15 v. u. 4. E. 5 v. o. 5. 13 v. o. 25 45. 11 y. u. 28, 7 28. 5. 16 v. u. negativ notwendige fälschlich negativ un* mögliche. 15 v. o. potestative positive. 18 v. u. streiche von. 15 v. o. schalte ein § 59, 60. • 2 17 v. o. 3 12 v. u. dessen. deren 19 v. o. 73. Β. 1 5 v. o. streiche B. 22 v. u. ignorari ignorare. 18 v. o. vor I I 2 schalte ein § 171. 23 v. o. streiche 2. II. statt 16 v. o. 3 18 v. o. 184 189.
E i n l e i t u n g .
Zum Pandektenrecht im allgemeinen.
B i n d i n g , Handbuch. I. 7. I : R e g e l s b e r g e r , Pand. I .
1
§ 1.
1. Die Rezeption des römisehen und kanouisehen Rechts in Deutschland*. Bei keinem Volke, das nicht in völliger Abgeschlossenheit lebt, vermag sich die Rechtsbildung dem Einflufs des Rechts anderer Völker zu entziehen. Wie viel die Römer den Griechen, diese den Phönikern, Ägyptern und Babyloniern verdanken, können wir zur Zeit mehr ahnen als klar überschauen; es ist jedenfalls mehr als man bisher anzunehmen geneigt war 1 . Hierin äufsert sich das allgemeine Gesetz der Kulturübertragung. Dafs sich die Rechtsentwicklung in Deutschland nicht unabhängig von fremdem Recht vollzogen hat, ist daher nichts eigentümliches. Eigentümlich ist aber das Mafs und die Art der Abhängigkeit. Bis *) S t o b b e , Geschichte der deutschen Rechtsquellen I S. 609—655 (1860) I I S. 1 - 4 1 3 (1864); dazu M u t h e r , Z. f. RGesch. IV S. 380-445; F r a n k l i n , Beiträge zur Geschichte der Rezeption des röm. Rechts (1863); C. A. S c h m i d t , Die Rezeption des röm. Rechts in Deutschland (1868); darüber S t o b b e , Kr. VJSchr. X I S. 1—33; S t ö l z e l , Die Entwicklung des gelehrten Richtertums in deutschen Territorien 2 Bde. (1872); darüber St i n tz i n g, Histor. Z. (v. Sybel) XXX S. 408—433; Sohm, Grünhuts Z. I I S. 246—265 (1874); M o d d e r m a n n , Die Rezeption des röm. Rechts. Autorisierte Ubersetzung mit Zusätzen von Karl S c h u l z (1875); darüber F i t t i n g , Grünhut's Z. I I S. 768—791; M u t h e r , Zur Geschichte der Rechtswissenschaft und der Universitäten in Deutschland (1876); O t t , Beiträge zur Rezeptionsgeschichte des römisch-kanonischen Prozesses in den böhmischen Ländern (1879); L a b and, Über die Bedeutung der Rezeption des röm. Rechts für das deutsche Staatsrecht (Strafsburger Rektoratsrede (1880); S t i n t z i n g , Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft I (1880); dazu Bö h l au, Kr. YJSchr. X X I I I S. 525—577. Vgl. K a u f m a n n , Geschichte der deutschen Universitäten Bd. 1 Kap. 1 (1888); S c h r ö d e r , Deutsche Rechtsgeschichte § 66. 1 Beachtenswert, aber nicht frei von Übertreibungen E . R e v i l l o u t , Les Obligations en Droit Egyptienne comparé aux autres droits de l'antiquité. Paris 1886. 1*
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Einleitung.
Vom Pandektenrecht im allgemeinen.
auf den heutigen Tag bilden den gröfseren Teil des bei uns geltenden Privatrechts Rechtssätze, welche auf aufserdeutschern Boden erwachsen sind, und gelten in der ihnen dort gegebenen Gestalt, nicht durch die Münzstätte der heimischen Gesetzgebung umgeformt. Gerade derjenige Teil des Privatrechts, welcher unter dem Namen Pandektenrecht zusammengefafst wird, ruht überwiegend auf römischem, in kleinerem Umfang auf kanonischem Recht. Der geschichtliche Vorgang, durch welchen römisches und kanonisches Recht diese beherrschende Stellung im Rechte Deutschlands erlangt haben, ist kein einfacher. Wie er sich nicht blofs über Jahrzehnte sondern über Jahrhunderte erstreckt, so setzt er sich aus zahlreichen inneren und äufseren Umständen zusammen. Im ganzen vollzieht sich die sogenannte Rezeption für die beiden fremden Rechtskörper gleichzeitig und durch dieselben bewegenden Kräfte. Ihre Betrachtung führt in die Zeit des Mittelalters und zwar nach Italien. In Italien hatte das römische Recht auch nach Untergang des weströmischen Reichs nicht aufgehört, geltendes Recht und Gegenstand der Behandlung auf Rechtsschulen zu sein. Selbst die Gestalt, welche das römische Recht durch die gesetzgeberische Thätigkeit des oströmischen Kaisers Justinian empfangen, hatte sich in Italien im Gefolge und unter dem Schutz der byzantinischen Waffen eingebürgert und nach dem Verschwinden der oströmischen Herrschaft in Kraft erhalten. Unterstützt von der Anschauung, dafs das römische Recht, weil von den Vorfahren der damaligen Träger der römischen Kaiserkrone geschaffen, ein dem ganzen imperium romanum gemeinsames, das gemeine kaiserliche Recht sei, begünstigt von den Kaisern, weil ihren Machtbestrebungen förderlich, und willig aufgenommen von dem sich reich entfaltenden Verkehrsleben, war das römische Recht zum herrschenden Recht in Italien geworden und besafs, wenn wir von dem auf eine besondere Lebenssphäre begrenzten Lehenrecht absehen, nur einen Mitbewerber um die Herrschaft, das unter dem Einflufs der christlichen Kirche im Abendlande entstandene kanonische Recht. Aber gerade im Privatrecht, wo der Schwerpunkt des römischen Rechts lag, stellte das kanonische Recht keine erschöpfenden Bestimmungen auf, und die es getroffen, fufsten zum gröfsten Teil auf römischem Recht. So bestand im ganzen zwischen den beiden Rechtskörpern kein feindlicher Gegensatz, sondern eine Verbindung, die in der Folge dem römischen Recht bei der Verbreitung aufserhalb der apenninischen Halbinsel ein wichtiges Förderungsmittel wurde. Der Aufschwung in der praktischen Geltung des römischen Rechts hing eng zusammen mit einem Aufschwung in der wissenschaftlichen
Die Rezeption des röm. und kanon. Rechts in Deutschland.
§ 1.
5
Pflege des Rechts. Mit dem Ende des elften Jahrhunderts beginnt die Blüte der italienischen Rechtsschulen, allen voran Bologna2. Sie kam nicht allein Italien zu gute. Der Ruf der dortigen Rechtslehrer zog zahlreiche Angehörige der meisten anderen europäischen Staaten an, nicht zum wenigsten aus Deutschland3. Als anwendbares und anzuwendendes Recht wurden römisches und kanonisches Recht gelehrt, nicht als ein besonderes Recht Italiens sondern als gemeinsames Recht und zwar was das römische Recht anlangt, des ganzen möglichst weit gefaisten römischen Reichs, das kanonische als Recht der gesamten abendländischen Christenheit. Ja für das römische Recht bildete sich in den juristischen Kreisen die Anschauung heraus, dafs es der Ausdruck der allen Völkern gemeinsamen Rechtsvernunft, das absolut richtige und mafsgebende Recht sei. In diesem Sinn nahmen die Hörer die Lehren vom römischen und kanonischen Recht auf und brachten ihre Kenntnisse nach der Rückkehr in die Heimat in mannigfachen praktischen Stellungen zur Verwertung. Dafs dies möglich war, dafs nicht jeder Versuch, nach fremdem Recht zu urteilen, auf unüberwindlichen Widerstand stiefs, dazu wirkte eine Reihe von Umständen zusammen, wovon nur die offenstliegenden erwähnt werden können. Seit die deutschen Könige regelmäfsig Träger der römischen 2 Über das Verhältnis der Glossatorenjurisprudenz zu der früheren (vorbolognesischen) beginnt sich das Dunkel mehr und mehr zu lichten, wenn auch ein abschliefsendes Urteil noch immer nicht möglich ist. S avign y s bahnbrechende Forschungen (Geschichte des röm. Rechts im Mittelalter 1. Aufl. 6 Bde. 1815 bis 1831, 2. Aufl. 1834—1851) haben durch die Untersuchungen von S t i n t z i n g , F i c k e r , F i t t i n g , L a n d s b e r g , C o n r a t u. a. wichtige Ergänzung und zum Teil Berichtigung erfahren. Einen Überblick über den gegenwärtigen Stand giebt die treffliche Schrift von F i t t i n g , Die Anfänge der Rechtsschule zu Bologna {der Universität zu Bologna aus Anlafs der Feier ihres achthundertjährigen Bestehens gewidmet 1888). Dazu Luigi Chiapelli, Lo Studio Bolognese nelle sue origini e nei suoi rapporti colla scienza pre-irneriana. Pistoia 1888. Beide Schriften besprochen von L a n d s b e r g , Z. d. Sav.-St. IX R. A. S. 406fg; ferner C o n r a t , Geschichte der Quellen und Litteratur des röm. Rechts im früheren Mittelalter Bd. I (1889—91). Über den Zusammenhang des Aufschwungs in der wissenschaftlichen Behandlung des Rechts mit der allgemeinen wissenschaftlichen Entwicklung im M. A. vgl. K a u f m a n n , Gesch. der deutschen Univ. I S. 12 fg. S. 38 fg., S. 77 fg. 3 Nähere Aufschlüsse über die Zeit von 1289—1562 giebt jetzt folgendes Werk: „Acta nationis Germanicae Universitatis Bononiensis ex archetypis tabularii Malvezziani jussu instituti Germanici Savignyani edid. E. Friedlaender et C. Malagola. Berol. 1887." Über das Verzeichnis von Perugia aus den Jahren 1511—1656 S t ö l z e l Note * a. a. O. I I S. 9. Ein anderes Verzeichnis bei M u t her a. a. 0 . S. 399 fg.
6
Einleitung.
Vom Pandektenrecht im allgemeinen.
Kaiserkrone waren, fand die Vorstellung Eingang, dafs das deutsche Reich die Fortsetzung des alten römischen Reichs sei, und dafs derngemäfs das römische Recht als gemeines kaiserliches Recht im ganzen Umfang des Reichs verbindliche Kraft besitze4. Diese Anschauung war nicht die Rezeption5 — denn sie bestand schon lange vor dem 15. Jahrhundert, wo erst die deutlichen Spuren von der Herrschaft des römischen Rechts beginnen — aber sie war ein förderndes Moment im Rezeptionsprozefs. Ueberdies wurde die Frage nach der verbindlichen Kraft einer Rechtsnorm für eine bestimmte Örtlichkeit in den damaligen Gerichten nicht ängstlich erwogen, was mit der freieren Stellung des Schöffen gegenüber dem positiven Rechtsstoff zusammenhängt6. Wie der Sachsenspiegel aufserhalb des Sachsengebiets als Fundgrube richterlicher Entscheidungsnormen verwertet wurde, so war auch die Berufung auf Normen des römischen Rechts nichts so auffallendes, als es vom heutigen Standpunkt erscheint. Und diese Normen kamen in vieler Beziehung einem lebhaften Bedürfnis entgegen. Man darf gewifs von dem Zustand des deutschen Privatrechts vor der Aufnahme des römischen nicht so gering denken, als dies bis auf die neuern germanistischen Forschungen üblich war 7 . Aber man mufs einräumen, dafs die Fortbildung des Rechts mit der mächtigen Entwicklung des wirtschaftlichen Lebens nicht gleichen Schritt gehalten hatte. Bei der Unthätigkeit der Gesetzgebung, bei dem Mangel einer Rechtswissenschaft fiel die Fortbildung des Rechts allein der Rechtsanwendung anheim und diese lag in den Händen ungelehrter und zwar in jeder Gemeinde andrer Leute 8 . Es ist bezeichnend, dafs von den Städten aus sich die Übung 4 Eine gedrängte Zusammenstellung der Belege bei M o d d e r m a n n - S c h u l z S. 30-35. 5 A. M. B r i n z § 1 N. 13fg. Aber ein Recht, welches sich seine Geltung erst erringen mufs, ist kein geltendes Recht, was auch immer Gelehrte und Mächtige darüber denken. Auch die Unterscheidung von B r u n n e r (Holtzend. Encykl. Geschichte und Quellen des deutschen Rechts § 26) zwischen theoretischer und praktischer Rezeption ist unhaltbar. Vgl. S ohm, Grünhuts Ζ. I S. 250; S t i n t z i n g , Macht und Recht (Bonner Rektoratsrede 1876) S. 17. 6 S t i n t z i n g , Gesch. der Rechtsw. I S. 39fg. 7 Ein umfassendes Bild giebt jetzt das Werk von H e u s 1er, Institutionen des deutschen Privatrechts 2 Bde. 1885, 1886. 8 Zu der folgenden Darstellung über die Umwandlung des deutschen Gerichtswesens und über ihren Zusammenhang mit der Einbürgerung des fremden Rechts ist zu vgl. das in Note * angeführte Werk von S t ö l z e l , welches hierüber neues Licht verbreitet hat. Vgl. auch S t i n t z i n g , Gesch. der deutschen Rtsw. I S. 49fg.
Die Rezeption des röm. und kanon. Rechts in Deutschland. § 1.
7
verbreitete, bei Rechtshändeln den gelehrten Juristen aufzusuchen, ursprünglich um seinen rechtlichen Rat einzuholen, dann um ihm die Sache zur schiedsrichterlichen Aburteilung zu unterbreiten. Dieses Vertrauen wendete sich in der Landschaft den rechtsgelehrten, vom Landesherrn ernannten Amtleuten zu, welche für die Verwaltung und Polizei und keineswegs für die Rechtspflege angestellt waren. Es verschlug wenig, dafs der Spruch des Amtmanns, formell betrachtet, kein Gerichtsurteil war; für die Verwirklichung hatte er die Mittel in der Hand. So vollzog sich ohne jeden gesetzgeberischen Eingriff ein Übergang — wie man ihn genannt hat — von den ungelehrten Gerichten zu den gelehrten Nichtgerichten. Eine solche Entwicklung läfst sich ohne fühlbare Unvollkommenheit im damaligen Rechtszustand nicht denken. Die Schöffengerichte wurden aber nicht blofs vielfach bei Seite geschoben, sie erfuhren zum Teil selbst eine Umbildung. Der Beamte, welcher ehedem nur das Gericht hegte und das Urteil vollstreckte („richtete"), nahm jetzt an der Urteilsschöpfung selbst Teil, der Beamte war aber in der Regel ein geschulter Jurist. Und wo der Vorsitzende nicht mit juristischer Bildung ausgerüstet war, versah sich das Gericht mit einem rechtskundigen Schreiber, dessen Einflufs auf die Rechtsprechung nicht geringer angeschlagen werden darf 9 . In einer Zeit, wo rechtsgelehrte Sachwalter in den Gerichten auftraten, wo rechtsgelehrte in lateinischer Sprache verfafste Gutachten zur Vorlage kamen, wo rechtsgelehrte Notare die Urkunden fertigten, da reichte die Rechtskenntnis des gemeinen Mannes nicht mehr aus. Den Druck, welchen schon diese Thatsachen auf das Schöffentum übte, verstärkte eine Neuerung in der Gerichtsverfassung der Territorien. Mit dem Aufkommen der Schriftlichkeit im Prozess wurden von dem Landesherrn Gerichte höherer Instanz eingerichtet, an welche gegen die Urteile der Untergerichte appelliert werden konnte. In den Obergerichten herrschte das gelehrte Richtertum vor. Es begreift sich, dafs unter diesen Umständen das Schöffengericht das Zutrauen 9
Wer die Rolle kennt, welche noch heutzutage der Gerichtsschreiber in den ländlichen Gerichten der Schweiz spielt, wird die Bedeutung ihrer Vorgänger im deutschen Schöffengericht nicht unterschätzen. Uberhaupt bietet die Rechtsentwicklung, welche sich seit etwa sechs Jahrzehnten in der deutschen Schweiz vollzieht, überraschende und belehrende Analogieen zu der Rezeption des römischen Rechts in Deutschland im 15. und 16. Jahrhundert. Um den Einflufs der damaligen doctores juris zu begreifen, braucht man nur die Wirksamkeit des Romanisten K e l l e r und seiner auf deutschen (und deutsch-schweizerischen) Universitäten gebildeten Landsleute zu verfolgen.
Einleitung.
8
Vom Pandektenrecht im allgemeinen.
in seine Fähigkeit verlor und nicht selten, sei es auf Parteiantrag oder aus eigner Entschliefsung die Akten an eine Juristenfakultät oder an einen rechtsgelehrten Schöppenstuhl versandte, um ein Urteil zu erlangen, welches dann vom versendenden Gericht als sein Urteil verkündigt wurde 10 . Rechtsgelehrt heifst in damaliger Zeit des römischen und kanonischen Rechts kundig. Zur Verbreitung der Kenntnis des fremden Rechts, wenn auch nur für das nächste praktische Bedürfnis, trugen zahlreiche populär gehaltene Schriften über das Recht bei, welche am Ende des 15. und in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts als Klagspiegel, Laienspiegel und unter anderen Bezeichnungen in Deutschland sehr verbreitet waren 11 . Der wissenschaftliche Wert dieser Schriften ist nicht hoch anzuschlagen. Auch wurde dadurch ein Halbgelehrten- und Halbwissertum gezüchtet, das in vieler Beziehung schädlich wirkte und zu berechtigten Klagen Anlafs bot 12 . Allein dieses Halbgelehrtentum lieferte die Handlanger, welche die Bekanntschaft mit dem fremden Recht in die breiteren Schichten des Volkes trugen und dessen Anwendung in den Gerichten ermöglichten. Auf eine höhere Stufe hob sich der Durchschnitt der deutschen Juristen erst, als auf den deutschen Universitäten unter dem Einflufs des Humanismus der Rechtsunterricht sich vervollkommnete und die wissenschaftliche Kraft mehr dem römischen Recht zugewandt wurde als dem bis dahin bevorzugten kanonischen13. Der Rechtszustand der Übergangszeit war kaum befriedigender als der vorausgehende. Ob fremdes Recht und wie viel davon zur Anwendung kam, hing im einzelnen Rechtsstreit man kann sagen vom Zufall ab. Die Kenntnis des fremden Rechts war nicht überall verbürgt, noch weniger die Kenntnis des einheimischen. Und doch sollte dieses in erster Linie zur Anwendung kommen, und das fremde 10
S t ö l z e l I § 10. Hierüber handelt in trefflicher Weise die Schrift von S t i n t z i n g , Geschichte der populären Litteratur des römisch-kanonischen Rechts in Deutschland am Ende des fünfzehnten und im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts (1867). Einen Überblick giebt die Einleitung S. XX—LH ; über die besonders einflufsreichen „richterlichen Klagspiegel" und über den „Layenspiegel" von U l r i c h Τ engl er Kap. 6 und 7. Kürzer S t i n t z i n g , Gesch. der deutsch. Rechtsw. I S . 43fg., 77fg. 12 Man lese bei S t i n t z i n g , Pop. Litter. S. XXX, wie bitter sich darüber M e l a n c h t h o n äufserte. Dazu S t i n t z i n g , Gesch. der Rechtsw. I S. 74. 13 Von der Gründung der deutschen Universitäten (erste Prag 1348, in demselben Jahrhundert noch Wien, Heidelberg, Köln, Erfurt) bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts wurden an keiner deutschen Universität ununterbrochen Vorlesungen über römisches Recht gehalten. Stobbe, Rechtsquellen I I S. 9fg. 11
Die Rezeption des röm. und kanon. Rechts in Deutschland.
§
1
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nur in die Lücke treten. Das subjektive Ermessen des gelehrten Urteilers erzeugte eine andere, aber nicht minder empfindliche Unsicherheit als die frühere Schöffenwillkür 14. Diesem Übel suchte die Gesetzgebung abzuhelfen, beschränkt die Gesetzgebung des Reichs — ihr umfassendstes Werk ist die peinliche Gerichtsordnung Karls V, 1532 — eingreifender die Territorialgesetzgebung durch die Stadtrechtsreformationen und die Landrechte aus dem 15. und 16. Jahrhundert 15. Bei der Auseinandersetzung zwischen fremdem und einheimischem Rechtsstoff trug, was das Privatrecht anlangt, das fremde Recht den Löwenanteil davon. Mit dem 16. Jahrhundert ist die Geltung des römischen und kanonischen Rechts für und in Deutschland zur zweifellosen Thatsache geworden. Die fremden Rechte beherrschten die gerichtliche Praxis, sie wurden als „unser" Recht gelehrt und in allen Kreisen des Volkes als solches angesehen. Damit war die Rezeption vollzogen. Vergebens hat man nach einem gesetzgeberischen Akt gesucht, welcher den fremden Rechten die äufsere Verbindlichkeit für Deutschland verliehen hat 16 . Die Gründung des Reichskammergerichts 1495 und die in der Kammergerichtsordnung getroffene Bestimmung, dafs das Gericht nach des Reiches und geschriebenem Rechte urteilen und zur Hälfte mit gelehrten Juristen besetzt werden solle 17 , ist nur ein Beweis dafür, wie weit damals die Einbürgerung der fremden Rechte bereits vorgeschritten war; die Gesetzgebung mufste mit dieser Thatsache rechnen. Dafs diese Gründung den Rezeptionsprozess wesentlich förderte, soll damit nicht in Abrede gestellt sein. Römisches und kanonisches Recht führen ihre positive Geltung in Deutschland auf die allmählich erstarkende und praktisch bethätigte Überzeugung zurück, dafs in ihnen ein für ganz Deutschland subsidiär geltendes Recht enthalten sei. Sie sind für uns Gewohnheitsrecht18 und zwar gleichzeitig u S t i n t z i n g , Macht und Recht S. 17fg. und über die Stellung, welche U l r i c h Z a s i u s (Zäsy 1461—1535), einer der hervorragendsten deutschen Juristen aus der Rezeptionszeit, zum deutschen Recht einnahm, Derselbe, Gesch. der deutsch. Rechtsw. I S. 167 fg. 15 Stobbe, Rechtsquellen I I S. 206fg. 16 In der Rezeptionszeit herrschte die Legende, dafs das justinianische Recht durch ein Gesetz Kaiser Lothars II. zum Reichsrecht erhoben worden sei. Sie wurde ganz besonders durch die geschichtlichen Untersuchungen von H. C o n r i n g (1606—1681) gestürzt. S t i n t z i n g , Gesch. der deutschen Rechtsw. I I S. 172fg. 17 Im Jahr 1521 wurde bestimmt, dafs auch die andere der Ritterschaft vorbehaltene Hälfte „der Rechte gelehrt" sein soll „sofern man die haben kann." S t o b b e , Rechtsquellen I I S. 83fg. 18 Für das kanonische gilt dies jedoch nur beschränkt. Diejenigen Vorschriften, welche die Regelung kirchlicher Verhältnisse zum Gegenstand haben, be-
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Einleitung.
Vom Pandektenrecht im allgemeinen.
aufgenommen, wenn auch erst das kanonische und später das römische Recht Vorspann leistete. Welch wichtige Rolle in diesem geschichtlichen Vorgang die Juristen spielten, geht aus der bisherigen Darstellung hervor. Man darf sie aber nicht übertreiben und sagen, die Juristen hätten unserm Volk ein Recht aufgedrängt, von welchem es nichts wissen wollte. Wie gering denkt man bei solcher Anschauung von der geistigen Kraft der Nation. Wie sehr werden dabei die tieferliegenden Motoren in Grundgedanken und Strebungen des Mittelalters 19 verkannt, wie das volkstümliche Element, das bei der Bewegung mitwirkte 20 . Gewifs sind schwere und zum Teil begründete Klagen über das fremde Recht mitten aus dem Volke erhoben worden. Gewifs ist mit der Überflutung durch den fremden Rechtsstoff manch lebenskräftiges einheimisches Recht geknickt oder lange Zeit unterdrückt worden. Allein jene Klagen richteten sich überwiegend gegen eine plumpe rücksichtslose Anwendung durch die damaligen Romanisten, und noch niemals haben sich gewaltige Kulturprozesse ohne „Ruinen und Leichenfelder" vollzogen. Ob die Aufnahme der fremden Rechte für unsere nationale Entwicklung ein Glück oder ein Unglück war, ist eine müfsige Frage. Die Aufnahme ist eine Thatsache, die eben so wenig rückgängig gemacht werden kann, als die Aufnahme des übrigen geistigen Schatzes des Altertums 21 . Statt Hosianna auf der einen und Kreuzige auf der andern Seite zu rufen, haben wir unsere Kräfte zu vereinigen, um diese Thatsache für unser Volk möglichst nutzbringend zu machen. Die Kenntnis des römischen Rechts schöpften die deutschen Juristen der Reformationszeit nicht sowohl aus dem Justinianischen Gesetzeswerk als aus den Schriften der italienischen Juristen, insonderheit der sogenannten Postglossatoren (§. 7). Hier fand sich aber nicht das reinrömische Recht vorgetragen sondern das römische Recht, angepafst den veränderten Verhältnissen des damaligen praktischen Lebens und erfafst unter der Einwirkung von germanischen Rechtssafsen kraft der Autorität der Kirchengewalt Geltung. S t i n t z i n g , Gesch. der deutsch. Rechtsw. I S. 37fg.-, G i e r k e , Das deutsche Genossenschaftsrecht I I I S. 647 (1881). 19 K a u f m a n n a. a. 0. S. 12fg. 20 S t i n t z i n g , Pop. Litter. S. XXVI. 21 J a k o b G r i m m , Rede in der Frankfurter Germanistenversammlung. Abgedruckt in Auswahl kleiner Schriften S. 337 : „Das römische Recht. . . gewaltsam von uns auszuscheiden, scheint mir ein ungeheurer und fast so unerträglicher Purismus, als wollte ein Engländer den Gedanken durchführen, dafs es noch möglich sei, die romanischen Wörter aus dem Englischen zu drängen und blofs die Wörter deutschen Ursprungs zu behalten."
Die Rezeption des röm. und kanon. Rechts in Deutschland.
§ 1.
anschauungen. Es ist nicht zu bezweifeln, dafs diese Verarbeitung dem römischen Recht den Weg in die deutsche Rechtspraxis ebnen mufste, weil sie in vielen Beziehungen den thatsächlichen Zuständen mehr entsprach, als das reine römische Recht 22 . Aber wiederum geht die Behauptung zu weit, dafs wir nicht das römisch-Justinianische Recht rezipiert hätten sondern den usus modernus der damaligen italienischen Juristen, dafs demnach die heutige Rechtsanwendung das römische Recht nicht im corpus juris civilis sondern bei den Postglossatoren aufzusuchen hätte 23 . Wem man die Geltung beiinafs und und was man anzuwenden glaubte, das war die Justinianische Gesetzgebung. Die Litteratur der Italiener diente damals, wie heute die Lehr- und Handbücher des Pandektenrechts, nur als Hilfsmittel, wenn auch in der Regel als mechanisches Hilfsmittel für die Erkenntnis des Justinianischen Rechts. Niemals ist diese Litteratur zu der formalen Geltung erstarkt wie die Schriften der römischen Juristen im spätem römischen Reich. Damit soll nicht geleugnet werden, dafs manche bei uns gültige Abänderung des römischen Rechts auf die italienische Jurisprudenz des Mittelalters zurückgeht und dafs die Kommentare von Bartolus, Baldus u. a. für die Erkenntnis des geltenden Rechts eine vielleicht bisher zu wenig gewürdigte Bedeutung besitzen24. Die fremden Rechte wurden in dem Sinn aufgenommen, dafs ihre Rechtssätze „unbeschadet des Ansehens der guten Gewohnheiten und Statuten" der einzelnen deutschen Rechtsgebiete anzuwenden sind. Sie erlangten mithin nur subsidiäre Geltung gegenüber dem einheimischen nicht blofs gemeinen sondern auch partikulären Recht. Daran wurde gegenüber abweichenden Bestrebungen der Romanisten festgehalten 25. 22 S t i n t z i n g , Gesch. d. deutsch. Rechtsw. I S. 111 fg.; K a u f m a n n , Gesch. d. deutsch. Univ. I S. 77. 23 Diese Meinung, schon früher von S e i d e n s t i c k e r , Jurist. Fragm. (1802) I I S. 188 fg. aufgestellt, von S a v i g n y I S. 68 N. 2 bekämpft, hat in neuerer Zeit wieder lebhaftere Vertretung gefunden: D e l b r ü c k , Die dingliche Klage des deutschen Rechts (1857) S. 88 fg.; S ohm, Grünhuts Ζ. I S. 258; K a r s t e n , Die Lehre vom Vertrag bei den italienischen Juristen des Mittelalters (1882) S. X I X ; G i e r k e , Das deutsche Genossenschaftsrecht I I I S. 646 und Naturrecht und deutsches Recht S. 21. Mafsvoll wie immer S t i n t z i n g , Gesch. d. deutsch. Rechtsw. I S. 49; L a n d s b e r g , Glosse des Accursius S. 1 N. 3. Vgl. auch W ä c h t e r § 11 (I S. 57); B e k k e r § 3 Beil. I. 24 S a v i g n y , Gesch. d. röm. R. i. M. A. V I c. 47 a. E.: „Mehr als wir glauben, hat von den jetzt geltenden Theorieen in jener Zeit seine Wurzel." Praktisch verwertet ist dieser Gedanke von F i t t i n g , Das peculium castrense in seiner geschichtl. Entwicklung und heutigen gemeinrechtl. Geltung (1871) S. 528 fg. 26 Auch dafür liegt ein Vorgang in Italien vor. F i t t i n g , Grünhut's Z. I I S. 783 fg.
Einleitung.
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Pandektenrecht im allgemeinen.
Es leuchtet ein, dafs durch diese Beschränkung die Aufnahme ihre gefährlichsten Spitzen für das nationale Rechtsleben verlor, indem ein sehr bewegliches Mittel geboten war, um dem Eindringen fremdartiger Normen einen Riegel vorzuschieben. In der That ist zu keiner Zeit der ganze Inhalt der Justinianischen Gesetzgebung bei uns in Geltung getreten, ganze Rechtsinstitute und viele Einzelbestimmungen blieben ausgeschlossen. Dies gilt selbst für das Privatrecht, welches verhältnifsmäfsig die vollkommenste Herrschaft erlangte. Trotzdem ist es nicht richtig, zu sagen, dafs den Gegenstand der Rezeption die einzelnen Rechtssätze als solche gebildet haben und nicht die Justinianische Gesetzgebung im ganzen (in complexu)26. Das römische Recht führt seine Geltung in Deutschland auf die durch die Anwendung in den Gerichten bethätigte allgemeine Anschauung zurück, dafs die Gesetzsammlung Justinians als geschriebenes kaiserliches Recht überall normgebend sei, wo es an einheimischen Rechtssätzen gebricht und soweit es die Verschiedenheit der Verhältnisse zuläfst. Seit Jahrhunderten hat man sich in der Rechtspflege wie in der Rechtslehre auf Vorschriften des corpus juris civilis bezogen, weil sie im corpus juris civilis stehn, und der Zweifel an der Geltung wurde im einzelnen Fall nur darauf gegründet, dafs gerade dieser Rechtssatz nachweisbar von der Ausnahme ausgeschlossen wurde. Diese Anschauung beherrschte auch die Reichs- und Landesgesetzgebung. Sie fand ihren Ausdruck in dem Satz: Qui jus Romanum allegat, habet fundatam intentionem27. Übrigens überschätze man nicht die praktische Bedeutung der Streitfrage. Die Prüfung, ob ein Rechtssatz positive Geltung habe, fällt in die Amtsaufgabe des Richters (§ 33). Der Richter mufs sich darüber vor der Anwendung des Rechtssatzes mit allen ihm zugäng26
Eine alte Streitfrage. Für die Singularrezeption u. a. L e i s t , Dogmat. Analyse S. 12; B e s e l e r § 8; D e r n b u r g I § 4. Für die Rezeption in complexu u. a. W ä c h t e r , Gemeines Recht Deutschlands S. 186fg. und Pand. I S. 54fg.; W i n d s c h e i d , § 2 N. 1, 2; B e k k e r § 3 N. i., R o t h § 1; Stobbe, Deutsch. PR. § 4; S t i n t z i n g , Histor. Z. v. Sybel X X I X S. 425: „Die Rezeption des römischen Rechts als eines Ganzen (ist) keineswegs durch die Rezeption der einzelnen Rechtssätze bedingt, da sie sich nicht vollzogen hat vom einzelnen zum allgemeinen, sondern umgekehrt." S. 428. Sehr verständig handelt darüber Joh. S c h i l t e r (1632—1705) in Exercitat. ad pand. I I addit. ad § XII, mitgeteilt bei S t i n t z i n g , Gesch. d. deutsch. Rechtsw. I I S. 187fg. 27 Die Angriffe von C o n r i n g und T h o m a s i u s haben ihn nicht aus dem Sattel zu heben vermocht. S t o b b e , Rechtsquellen I I S . 423; S t i n t z i n g , Gesch. d. deutsch. Rechtsw. I I S. 16—19, 178—188.
Die Rezeption des röm. und kanon. Rechts in Deutschland.
§ 1.
13
liehen Mitteln Gewiisheit zu verschaffen suchen, und darf sich nicht auf den bequemen Standpunkt zurückziehn, dafs er den Rechtssatz als gültig zu behandeln habe, so lange ihm nicht das Gegenteil nachgewiesen ist. Andrerseits liest und hört man nicht, dafs die Anhänger der Singularrezeption für jeden Satz aus der Justinianischen Gesetzsammlung, den sie verwerten, den Nachweis seiner besondern Aufnahme beibringen. Sie verfahren in dieser Hinsicht ziemlich ebenso wie ihre Gegner. Ganz besonders ist aber zu erwägen : Mit der Komplexualrezeption des römischen Rechts hat die Rechtsentwicklung in Deutschland nicht abgeschlossen. Das deutsche Rechtsleben arbeitet seit Jahrhunderten an der Aufgabe, das fremde Element mit dem einheimischen zu verschmelzen, das fremdartige auszuscheiden, das angemessene in heimische Form umzugiefsen und damit die Aufnahme innerlich zu vollenden28. An die äufsere Rezeption hat sich eine innere gereiht. In beiden herrschen verschiedene Richtungen vor. Während jene das fremde Recht zum Siege führte, ist diese dem einheimischen günstig. Erst schüchtern im usus modernus, dann mächtiger in den Kodifikationen dieses Jahrhunderts, gefördert von der aufblühenden Wissenschaft des deutschen Rechts hat diese Entwicklung nicht blofs einzelne Bestimmungen sondern ganze Institute des römischen Rechts aus dem Besitz gesetzt und die deutschen Prinzipien wieder zur Geltung gebracht, am vollkommensten im Sachenrecht. In dem zweiten Rezeptionsprozefs stehen wir noch mitten inne. Die im Flufs begriffene deutsche Civilgesetzgebung29 wird darin einen wichtigen Fortschritt begründen, die letzte Abrechnung wird auch sie nicht bringen, so gewaltig ist der Stoff, den unser Volk vor Jahrhunderten aufgenommen hat. 28 Ein Beispiel, wie sauer manchem römischen Rechtssatz das Leben auf deutschem Boden gemacht wurde, liefert die dogmengeschichtliche Darstellung der Lehre von der insula in flumine nata von P. Z i r n d o r f e r , Z. d. Sav. St IV R. A. S. 233 fg. 29 Es liegt zur Zeit vor der „Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich. Erste Lesung. Ausgearbeitet durch die von dem Bundesrate berufene Kommission" 1888 in 2164 Paragraphen. Dazu 5 Bände von (nichtamtlichen) Motiven. Ferner der Entwurf eines Einführungsgesetzes zum bürgerlichen Gesetzbuche. Nebst Motiven 1888. Endlich der Entwurf einer Grundbuchordnung und Entwurf eines Gesetzes betreffend die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen. Nebst Motiven 1889. Eine neue Kommission ist mit der zweiten Lesung beschäftigt.
Einleitung.
14
Pandektenrecht im allgemeinen.
§ 2.
2. Begriff des Pandektenrechts. I. Pandekten bezeichnet ursprünglich einen Teil der Justinianischen Gesetzgebung (§ 3). Was heutzutage Pandektenrecht genannt wird, begreift teils mehr teils weniger. Das heutige Pandektenrecht umfafst nur Privatrecht, während die Justinianischen Pandekten (Digesten) sich über alle Teile des vorchristlichen römischen Rechts verbreiten. Das heutige Pandektenrecht umfafst aber auch Privatrechtsnormen, welche nicht den Justinianischen Pandekten, zum Teil nicht einmal der Justinianischen Gesetzgebung angehören. Dieser Sprachgebrauch erklärt sich aus dem Entwicklungsgang, welchen die wissenschaftliche Behandlung des römischen Rechts in Deutschland genommen hat. Von Italien her hatte sich auf den deutschen Universitäten für den Rechtsunterricht die sog. e x e g e t i s c h e Methode eingebürgert. Es wurde in den Vorlesungen der Text der beiden Rechtssammlungen, des corpus juris civilis und corpus juris canonici zu Grunde gelegt und Stelle für Stelle erläutert. Da die Gesetzgebung Justinians keinen Teil des Rechts ausschlofs, so erstreckte sich der Lehrgang des römischen Rechts über das gesamte für ganz Deutschland geltende Recht. Ausgenommen waren das Kirchenrecht, welches seine Grundlage nicht im römischen Recht hatte und -in den Vorträgen über kanonisches Recht zur Darstellung kam, und das Lehnrecht, für welches eine besondere Rechtsquelle in den libri feudorum vorhanden war (§ 3). Die neben dem fremden Recht in Geltung gebliebenen einheimischen Rechtssätze wurden, soweit sie überhaupt Beachtung fanden, in die Vorträge über römisches Recht verwebt und als blofse Beschränkungen oder Erweiterungen dieses Rechts behandelt. Die Verbindung so verschiedener Rechtsteile im Unterricht war ebensosehr ein Hindernis für die gleichmäfsige Pflege der einzelnen Teile, da das römische Recht für sie in sehr verschiedenem Umfang Bedeutung gewonnen hatte, als es den Einblick in den innern Zusammenhang eines jeden einzelnen erschwerte. Das Privatrecht überwog, die anderen Teile kamen nur kümmerlich zur Berücksichtigung1. Vom Ausgang des 16. Jahrhundert an vollzog sich eine Wandlung. Im Unterricht wie in der litterarischen Bearbeitung des Rechts 1
Noch Giphanius (1534—1609) klagt, dafs in den akademischen Vorlesungen nur das Privatrecht berücksichtigt werde. S t i n t z i n g , Gesch. d. deutsch. Rechtsw. I S. 663.
Begriff des Pandektenrechts.
§ 2.
15
griff eine systematische Gliederung des Stoffs, eine Teilung nach Materien Platz. Strafrecht, Prozess, öffentliches Recht wurden Gegenstand besonderer Behandlung. Den Vorlesungen über römisches Recht verblieb nur das Privatrecht, allerdings das gesamte Privatrecht ohne Unterschied, ob einheimischen oder fremden Ursprungs. Die systematische Richtung führte innerhalb des Privatrechts zum Verlassen der exegetischen Methode und zur Erörterung des Rechtsstoffs nach dem innern Zusammenhang der Rechtssätze. Freilich war man darin vorerst noch bescheiden. Vielfach begnügte man sich mit der Anordnung der Materien, welche sich aus der Bücher- und Titelfolge in einem der Justinianischen Rechtsbücher, insbesondere in den Digesten oder Pandekten ergab, sog. L e g a l o r d n u n g 2 . Pandectae oder jus Pandectarum wurde die Bezeichnung für das gesamte in Deutschland geltende, aus römischen, kanonischen und einheimischen Bestandteilen gemischte Privatrecht. Seitdem das römische Recht nicht mehr um seine Anerkennung zu kämpfen hatte, fing die Jurisprudenz in Deutschland an, dem deutschen Recht gröfsere Aufmerksamkeit zuzuwenden und in unbefangenerer Weise die Gebietsauseinandersetzung zwischen fremdem und einheimischem Recht zu pflegen. Dahin drängte auch die Verbindung, in welcher damals Theorie und Praxis standen. Es kam zu einer stärkern Durchsetzung des Pandektenrechts mit deutschrechtlichen Elementen, eine Veränderung, welche auch in den Büchertiteln Usus modernus pandectarum ( S a m u e l S t r y k 1640—1710) oder Jurisprudentia Romano-Germanica forensis (Georg Adam S t r u v e — der Vater — 1619-1692) Ausdruck fand 3. Die Ausbildung der systematischen Behandlung und das Anschwellen des deutschrechtlichen Bestandteils im Privatrecht führten a Von nachhaltigem Einflufs ist hierfür M a t t h ä u s W e s e n b e c k (1531 bis 1586) gewesen. S t i n t z i n g , a. a. O. I S. 351 fg. 3 S t i n t z i n g a. a. 0. I I S. 1—31: „Man konnte bisher nur von einer Rechtswissenschaft in Deutschland sprechen; das 17. Jahrhundert erfüllte die Aufgabe, eine deutsche Rechtswissenschaft [nicht zu verwechseln mit einer Wissenschaft des deutschen Rechts] zu begründen." Wissenschaftlich brach den Bann H e r m a n n Conring(1606—1681; S t o b b e , Hermann C o n r i n g , der Begründer der deutschen Rechtswissenschaft. Breslauer Rektoratsrede 1870; S t i n t z i n g a. a. 0. I I S. 165 bis 188'. Als treue Sammler und Einführer deutschen Rechtsstoffs ragen hervor Bened i k t C a r p z o w (1595—1666 S t i n t z i n g a. a. 0. I I S. 55—100), D a v i d M e v i u s (1609—1670, S t i n t z i n g I I S. 112-139), Gg. Adam S t r u v e ( S t i n t z i n g I I S. 146—164), Samuel S t r y k (siehe Text), J o h a n n S c h i l t e r (1632—1705) C h r i s t i a n T h o m a s i u s (1655—1728, Stobbe, Rechtsqu. I I S. 420fg., D e r n burg, Thomasius und die Stiftung der Universität Halle 1865).
16
Einleitung.
Pandektenrecht im allgemeinen.
zur Aussonderung des letztern vom Pandektenrecht. Seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts verbreitete sich auf den deutschen Universitäten die Übung, über die noch in Geltung befindlichen Institute des deutschen Rechts selbständige Vorlesungen zu veranstalten 4; bald kam es zur Gründung eigener Lehrstühle für deutsches Recht. Die Scheidung des gemeinen in Deutschland geltenden Privatrechts in den römischrechtlichen Teil oder das Pandektenrecht und in den deutschrechtlichen oder das deutsche Privatrecht, jus germanicum, hat sich im akademischen Unterricht und in der wissenschaftlichen Bearbeitung bis heute erhalten. Sie war eine Notwendigkeit, denn ohne sie hätte sich die Wissenschaft des deutschen Rechts nimmermehr zu der Ebenbürtigkeit emporarbeiten können, welche ihr heute unbestritten zukommt. Sie hat zweifellos auch für eine tiefere Erfassung des römischen Rechts Früchte getragen. Aber die Vorteile wurden schwer bezahlt mit einer Entfremdung zwischen Theorie und Praxis, welche beiden nachteilig wurde. Der Praktiker, in den Zweifel versetzt, ob gilt was der Romanist oder das was der Germanist als gemeines Recht vorträgt, kehrte beiden den Rücken, und die Theorie verlor den fruchtbarsten Nährboden, die Praxis. In der That, so selbständig und ohne Fühlung wie bisher können auf die Dauer die beiden Schwesterwissenschaften nicht neben einander hergehen, ohne dafs unsere nationale Rechtsentwicklung Schaden leidet. Glücklicherweise ist eine Wendung zum bessern bereits angebahnt. Die wissenschaftliche Bearbeitung der wichtigern deutschen Partikularrechte wie des auf dem Handelsgesetzbuch fufsenden deutschen Handelsrechts hat ein gemeinsames Feld geschaffen und gemeinsame Probleme gestellt. Diese Annäherung wird mit dem Inkrafttreten eines deutschen Civilgesetzbuchs verstärkt und — in so weiter Ferne dies auch stehen mag — vollendet werden. H. Für die Verteilung des Stoffs zwischen den Pandekten und dem deutschen Privatrecht ist die Herkunft nicht der Rechtssätze, sondern der Rechtsinstitute bestimmend. Alle Rechtsinstitute, welche in der jetzt geltenden Gestalt ihre Wurzel im römischen Recht haben, gehören den Pandekten an, nebst den Änderungen, welche sie durch neuere Rechtsquellen erfahren haben5. Ebenso werden römische 4 Zuerst geschehen von Georg Beyer (1665—1714, Stobbe a. a, 0. I I S. 423) im Jahre 1707 in Wittenberg. 5 Pandektenrechtssätze sind z. B. der Grundsatz von der allgemeinen Verbindlichkeit formloser Verträge, von der Haftung desselben für die Schadenersatzansprüche aus Delikten des Erblassers, die Sonderrechtsnachfolge in Forderung und Schuld, obwohl von alledem in dem corpus juris civilis das Gegenteil aufgestellt ist.
Begriff des Pandektenrechts.
§ 2.
17
Rechtssätze im deutschen Privatrecht vorgetragen, wenn sie auf die Ausbildung eines deutschrechtlichen Instituts eingewirkt haben, z. B. bei dem Rechtsinstitut der Familienfideikommisse oder der Erbverträge. Dem deutschen Privatrecht sind überdies zugewiesen das Lehnrecht, obwohl die Hauptquelle desselben vom Ausland stammt (libri feudorum), ferner diejenigen Rechtsinstitute und Rechtsteile, welche dem neueren Rechtsverkehr ihre Ausbildung verdanken : Handelsrecht, Wechselrecht, Urheberrecht, Versicherungsrecht, Genossenschaftsrecht u. s. w. Aber schon droht dieser Zuwachs die Nähte des deutschen Privatrechts zu sprengen. Handels- und Wechselrecht haben die Loslösung schon durchgeführt. Das „Immaterialgüterrecht" (§ 50 VI) ringt noch um seine Selbstständigkeit und bereits steht ein „modernes Verkehrsund Transportrecht" in Sicht0. III. Die vorherrschende Bezeichnung für den römischrechtlichen Bestandteil des in Deutschland geltenden gemeinen Privatrechts ist P a n d e k t e n oder P a n d e k t e n r e c h t . Andre nennen ihn heut i g e s römisches Recht, im Gegensatz zum unveränderten oder reinen römischen Recht7. Nicht zubilligen ist, weil zu viel besagend, der Ausdruck gemeines C i v i l r e c h t ; freilich kann man gegen die Bezeichnung „Deutsches Privatrecht" für den deutschrechtlichen Bestandteil den gleichen Vorwurf erheben. IV. Wichtiger als die geschilderte Umbildung des Begriffs des Pandektenrechts ist für das Schicksal freilich nicht blofs des Pandektensondern auch des sog. deutschen Privatrechts die Zurückdrängung auf dem äufseren Geltungsgebiet. Die Partikulargesetzgebung in Deutschland hat während und nach der Aufnahme der fremden Rechte für ihr Gebiet die Vorherrschaft vor diesen Rechten behauptet, aber bis Segen das Ende des vorigen Jahrhunderts unter Anerkennung der subsidiären Gültigkeit des „gemeinen" Rechts. Seitdem aber sind mehrere partikularrechtliche Kodifikationen erschienen, welche das gemeine Recht jeder formellen Gültigkeit innerhalb ihres Gebiets entkleidet haben : das Allgemeine Landrecht für die preulsischen Staaten 1794, das in den deutschen Ländern des linken Rheinufers geltende französische Gesetzbuch, code civil oder code Napoléon, von 18038, 6
M e i l i , Das Recht der modernen Verkehrs- und Transportanstalten 1888. So hat S a v i g n y sein berühmtes Werk betitelt: System des heutigen römischen Rechts. 8 Im Grofsherzogtum Baden gilt der Code civil in einer deutschen Übersetzung mit einzelnen Abweichungen als Badisches Landrecht seit 1810. Dasselbe 7
H i n d i n g , Handbuch.
I. 7. I : R e g e l s b e r g e r . Pand. I.
2
18
Einleitung.
Pandektenrecht im allgemeinen.
das Österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch von 1811, das Bürgerliche Gesetzbuch für das Königreich Sachsen 18639. Wo die Partikulargesetzgebung nicht bis zum völligen Ausschlufs des Pandektenrechts vorgeschritten ist, hat sie durch Neugestaltung grofser Rechtsinstitute, z. B. des Pfandrechts, der thatsächlichen Anwendung desselben erheblichen Abbruch gethan. Mit der Durchführung der im Werk begriffenen Kodifikation des Civilrechts für das Deutsche Reich wird das Pandektenrecht seine Eigenschaft als unmittelbare Quelle richterlicher Entscheidungsnormen völlig verlieren. Es wird aber die wichtige Bedeutung behalten, welche es schon bisher in den Ländern des kodifizierten Rechts besafs, wissenschaftliches Hilfsmittel für die Erkenntnis des geltenden Civilrechts zu sein. Denn Partikular- wie Reichsgesetzgebung schöpfen im Bereiche des Privatrechts zum gröfsten Teil aus dem Pandektenrecht. Dies ist der bleibende praktische Wert. Es wird aber das römische Recht auch nicht aufhören, einen hervorragenden Rang in den Mitteln für die juristische Erziehung einzunehmen, wie die alten Klassiker für die allgemeine Bildung. 3. Die Quellen des Pandektenrechts. § 8. a.
Römisches Recht.
Die Betrachtung über die geschichtliche Herausbildung des Pandektenrechts (§ 2) hat gelehrt, dafs die Pandektenrechtssätze auf einen sehr verschiedenen Ursprung zurückgehn: der gröfste Teil auf römisches Recht, ein kleiner auf die kanonische Rechtsbildung, ein erheblicher wieder auf einheimische Rechtserzeugung. Trotz dieser mannigfaltigen Zusammensetzung seines Quellenkreises hat das Pandektenrecht darin gegenüber dem deutschen Privatrecht eine günstigere Lage, dafs seine Rechtssätze überwiegend in geschlossenen Gesetzbüchern niedergelegt sind. Darumist dem Pandektenrecht die Eigenschaft eines praktisch anwendbaren Rechts nie bestritten worden, während die unmittelbare praktische Geltung dem deutschen Privatrecht selbst von den Germanisten nicht durchweg zuerkannt wird \ erkennt dem römischen Recht, nicht den sonstigen Quellen des gemeinen Rechts subsidiäre Geltung zu. R o t h § 21. 9 Nach Einwohnern berechnet steht das Rechtsgebiet des gemeinen Rechts mit 14 Millionen den Rechtsgebieten der kodifizierten Rechte mit 28 Mill, gegenüber. So R o t h § 1 N. 1. 1 Über den gegenwärtigen Stand S t o b b e § 10 Anmerkung.
Die Quellen des Pandektenrechts.
Römisches Recht.
§ 3.
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I. Die Quelle des bei uns geltenden r ö m i s c h e n Rechts ist das Gesetzgebungswerk des oströmischen Kaisers Justinian I. (reg. von 527—565). Die jetzt dafür übliche Bezeichnung corpus juris civilis stammt nicht von Justinian ; sie wurde beiläufig in der bolognesischen Rechtsschule und nachher gebraucht, ständig erst, seit Dionysius Gothofredus seiner zum erstenmal 1583 erschienenen Gesamtausgabe der Justinianischen Rechtsbücher den Titel: corpus juris civilis in IV partes distinctum gab. Die vier Teile, in welche das corpus juris civilis zerfällt, sind: Institutiones, Digesta seu Pandectae, Codex (sc. constitutionum), Novellae (sc. constitutiones)2. Der umfassende gesetzgeberische Plan, welcher bald nach Antritt der Regierung von Justinian in Angriff genommen und in wenigen Jahren durchgeführt wurde, war nicht auf eine materielle Umbildung des überkommenen Rechts gerichtet sondern auf eine leichter zu beherrschende Zusammenstellung des Rechtsstoffs, der in den Schriften der klassischen Juristen und in unzähligen Kaiserkonstitutionen zerstreut war. Kompilation oder Inkorporation, nicht Kodifikation ist der Charakter des damals geschaffenen Gesetzeswerks. Die kompilatorische Natur tragen am reinsten Digesten und Codex an sich. Beide enthalten eine möglichst wortgetreue Auswahl und zwar die Digesten von Stellen aus den Schriften der römischen Juristen, der Codex von Konstitutionen der römischen Kaiser bis auf Justinian herab. Formell selbständig, aber im engen Anschlufs an ältere Werke 3 sind die Institutionen verfafst als gedrängte Übersicht über Digesten- und Codexrecht und zur Einführung in das Studium von beiden. Jedes dieser drei Werke bildet ein Ganzes, ein Rechtsbuch. Aber auch alle drei sollen nach dem bestimmten Ausspruch des kaiserlichen Gesetzgebers als ein einheitliches Gesetzeswerk behandelt werden, obwohl sie zu verschiedener Zeit veröffentlicht wurden und in Wirksamkeit traten 4 . 2
Über die Geschichte der Justinianischen Gesetzgebung wird verwiesen auf die Werke über römische Rechtsgeschichte und Institutionen. Ausführlich handelt jetzt darüber K r ü g e r , Geschichte der Quellen und Litteratur des röm. Rechts 1888]§ 42—53. 8 Hauptsächlich benutzt sind die Institutionen und die Res cottidianae von Gaius. 4 Die Digesten wurden am 16. Dezember 533 veröffentlicht und mit Gesetzeskraft vom 30. Dezember 533 an versehen, der Codex d. h. der nach Vollendung der Digesten umgearbeitete Codex veröffentlicht am 16. November 534, mit Gesetzeskraft vom 29. Dezember 534, die Institutionen veröffentlicht am 21. November 533, mit Gesetzeskraft vom 30. Dezember 533. 2*
Einleitung.
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Pandektenrecht im allgemeinen.
Zu diesen drei Rechtsbüchern stehn die Novellen nach Form und Inhalt im Gegensatz. Sie sind einzelne für sich erlassene Gesetze % bestimmt, materiellen Mängeln des in den drei Rechtsbüchern enthaltenen Rechts abzuhelfen und Lücken auszufüllen. Sie verbreiten sich daher nicht über das ganze Recht, sie bilden kein in sich abgeschlossenes Rechtsbuch. Weil bei der Rezeption in Deutschland dem römischen Recht; nur in der Fassung der Justinianischen Gesetzgebung die Eigenschaft einer Quelle richterlicher Entscheidungsnormen beigelegt wurde, so besitzen für uns die Überlieferungen von römischem Recht sowohl aus der Zeit vor Justinian, jus antejustinianum, als aus der Gesetzgebung und Jurisprudenz im byzantinischen Reich nach Justinian, jus graecoromanum, nur die Bedeutung von wissenschaftlichen Hilfsmitteln sowohl für die Feststellung des Textes als für die Erkenntnis des Sinnes des Justinianischen Rechts6. Sie sind rechtswissenschaftliche Quellen, nicht Rechtsquellen. II. Die rechtsverbindliche Kraft des corpus juris civilis stützt sich für uns nicht unmittelbar auf die Gesetzgebungsgewalt des Kaisers Justinian sondern auf die gewohnheitsrechtliche Aufnahme in Deutsehland. Diese Aufnahme hat sich nicht auf den ganzen Inhalt des corpus juris civilis erstreckt. Es blieben ausgeschlossen: 1. alle Rechtssätze, welche römische, für Deutschland fremde Lebensformen regeln: Sklaverei und die damit zusammenhängenden Freilassung und Patronat, dann Kolonat, Konkubinat, Stipulation, militia, infamia, tutoris auctoritas, peculium, profecticium u. a. Wie die Erfahrung aller Zeiten lehrt, bleibt selbst der Befehl des Gesetzgebers toter Buchstabe, wenn dafür die Voraussetzungen im wirtschaftlichen Leben und in der Sitte des Volkes fehlen 7. Um so weniger werden sich unter solchen Umständen Rechtssätze im Weg der thatsächlichen Übung einbürgern. Indes gelten Rechtssätze, welche in Regelung eines für uns unpraktischen Rechtsinstituts vorgetragen sind, dann, wenn sie sich als Anwendung eines allgemeinen Grundsatzes darstellen und nicht der 5
Die seit A. Contius (1571) in den Ausgaben des corpus jur. civ. übliche Sammlung zählt 168 Novellen. Nur 155 davon gehören Justinian an, 7 seinen Nachfolgern, 3 sind Erlasse von praefecti praetorio, 3 kommen doppelt vor. I)ic Contianische Ordnung hat jedoch Z a c h a r i a e in der am Ende dieses Paragraphen erwähnten Novellenausgabe verlassen und die rein chronologische zu Grunde gelegt. 6 Dasselbe gilt von den kirchenrechtlichen Sammlungen, welche Restandteile des corpus juris civ. in sich aufgenommen haben. B r i n z § 6. 7 Ein Beispiel der Erbschatz des preufs. Ldr. II, 1 § 276 fg.
Die Quellen des Pandektenrechts.
misches Recht
§
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besondern Natur des Instituts entnommen sind. Daher würde eine Ausgabe des corpus juris civilis mit Weglassung z. B. des vom Sklavenrecht handelnden 40. Buchs der Digesten auch für den Gebrauch in den Gerichten wertlos sein. 2. Es hat auch eine Anzahl andrer Rechtssätze des corpus juris civilis keine Anerkennung erlangt. Freilich ist von den Rechtssätzen, welche man unter diese Gruppe zu stellen pflegt, leichter zu sagen, dafs sie nicht gelten, als dafs sie nie Geltung besessen haben. Für den Mangel der Aufnahme hat sich im Lauf der Zeit ein äufseres Erkennungszeichen herausgebildet, der Mangel einer Glosse. Die bolognesischen Rechtslehrer des 12. und 13. Jahrhunderts, die sog. Glossatoren haben sich der Einsicht nicht verschliefsen können, dafs bei den veränderten Verhältnissen nicht alle Vorschriften des corpus juris civilis praktische Anwendung finden können. Sie haben dieser Überzeugung im einzelnen Fall dadurch Ausdruck verliehen, dafs sie die Stelle nicht mit einer Anmerkung, Glosse, versahen. Die Autorität der Glossatoren hat ihren Einflufs auf das Urteil von der Brauchbarkeit eines römischen Rechtssatzes bei den Italienern und den Deutschen nicht verfehlt und in Deutschland unter manchen Kämpfen zur Anerkennung des Satzes geführt : nur die glossierten Stellen sind leges usu receptae, oder nach der seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts üblichen Fassung: quidquid non agnoscit glossa, nec agnoscit forum (curia) 8. Mafsgebend ist dafür die glossa ordinaria, d. h. die Zusammenstellung der Glosse aus den Werken sämtlicher Glossatoren durch (Franciscus?) Accursius (etwa 1182—1260)9. Es zeugt nicht gerade von wissenschaftlicher Tiefe, dafs die Regel nicht blofs auf die von den Glossatoren übergangenen Stellen erstreckt wurde, sondern auch auf die ihnen unbekannt gebliebenen und erst später entdeckten10. Doch ist die Einbufse, den innern Wert gemessen, nicht grofs 11. * Den Nimbus des hohen Alters dieser Rechtsregel zerstreut zu haben, ist das Verdienst der Schrift von L a n d s b e r g , Über die Entstehung der Regel Quidquid non agnoscit glossa, nec agnoscit forum 1879. Dazu S t i n t z i n g , Gesch. d. deutsch. Rechtsw. II, S. 19 fg.; B r i n z , Krit. VJSchr. XXII, S. 565 fg.; D e g e n k o l b in Z. d. Sav.-St. V I I R. A. S. 141. 9 L a n d s b e r g , Die Glosse des Accursius S. 22, 52fg. 10 Es sind dies die griechischen Konstitutionen des Codex, im 16. Jahrhundert wieder aufgefunden und eingestellt, sogenannte leges restitutae, und eine Anzahl Novellen (34). 11 Nichtglossiert a) in den Institutionen nichts; b) in den Digesten L. 7 § 5, L. 8 - 1 1 de bon. damn. 48, 20 L. 10—19 de interdict, et releg. 48, 22 (in der Mommsenschen Digestenausgabe mit * bezeichnet); c) im Codex gegen 200 meiet
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Einleitung.
Pandektenrecht im allgemeinen.
Die durch die Glossatorenautorität bestimmte Schranke betrifft indes nur den U m f a n g des Quellenmaterials. Für den Wortlaut des Textes wie für die Auslegung haben die Leistungen der bolognesischen Rechtsschule nie eine andere als wissenschaftliche Bedeutung besessen. Mit Unrecht werden Ausnahmen behauptet, bald für die lateinische Übersetzung der wenigen griechischen Digestenstellen12, bald für den lateinischen Text der Novellen, welcher den Glossatoren vorlag, die sog. versio vulgata, oder umgekehrt für den uns überlieferten griechischen Text 1 3 . Die Glossatoren haben nur das Wort des Kaisers Justinian für bindend angesehen und auf der Suche nach demselben die Textesüberlieferung der Veränderung unterworfen. Es ist nicht nachzuweisen, dafs die Folgezeit diesen Standpunkt verlassen habe. Der Text des ganzen corpus juris civilis untersteht der Kritik im Sinne einer auf Herstellung des ursprünglichen Gesetzeswortlauts gerichteten wissenschaftlichen Thätigkeit (§ 34). III. Durch die Glossatoren sind den Justinianischen Rechtsbüchern 13 Konstitutionen der deutschen Kaiser Friedrich I. (2) und Friedrich IL (11) eingefügt worden und mit diesen in Deutschland zur Geltung gelangt, obwohl sie zunächst für Italien erlassen waren. Die Glossatoren haben damit nur einer Aufforderung der Kaiser Folge geleistet, daran aber um so weniger Bedenken getragen, da ihnen diese Kaiser als Nachfolger Justinians erschienen und ihre Konstitutionen als neue Novellen. Es führen diese nichtjustinianischen Zutbaten den Namen Authenticae Fridericianae 14. Sie sind nicht zu verwechseln ursprünglich griechische Konstitutionen (Verzeichnis bei A r n d t s § 2 A. o b ; V a n g e r o w § 6 A. 1 III); d) von den 168 Novellen 72 (Verz. bei A r n d t s g 2 Α. 3 c.; V a n g e r o w § 6 Α. 1 I V ; W i n d s c h e i d § 3 N. 6a). 12 S a v i g n y I S. 67. Die Übersetzung stammt von Burgundio Pisanus (f 1194). Mommsen in seiner Digestenausgabe praef. p. X L V I und Vol. I additam. p. 35 sq. 13 Die Novellen sind von Justinian überwiegend in griechischer Sprache erlassen, nur wenige lateinisch, noch weniger in beiden Sprachen. K r ü g e r a. a. 0. § 48. Die Glossatoren besafsen und benützten eine Sammlung von 134 Novellen (liber Authenticorum oder Authenticum) durchweg in lateinischer Sprache, also zum gröfsten Teil in Übersetzung (versio vulgata). Die im 16. Jahrhundert entdeckten vollständigeren Sammlungen enthalten durchweg griechischen Text, also zum Teil Übersetzung. Wir haben aber keine Gewähr dafür, dafs in diesen Sammlungen der Text der ursprünglich griechischen Novellen unverdorben überliefert ist; die versio vulgata fufst nachweisbar an manchen Stellen auf einem von jenem verschiedenen griechischen Text. B i e n er, Geschichte der Novellen S. 257 fg. Unbedingte Echtheit kann daher keine Überlieferung für sich in Anspruch nehmen. V a n g e r o w § 6 A. 2.
Die Quellen des Pandektenrechts.
misches Recht
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mit anderen Einschiebseln im Codex, welche gleichfalls Authenticae heifsen — es war dies die Glossatorenbezeichnung für die Novellen· Die Authentiken der zweiten Art sind Auszüge aus Novellen, welche, von Glossatoren verfaist, den dadurch abgeänderten Codexstellen des leichteren Überblicks wegen angehängt wurden und so in die meisten gedruckten Ausgaben des corpus juris civilis übergingen 15. Da sie nur wissenschaftliches Werk sind, so hat ihr Inhalt gegenüber ihrer Quelle, der Novelle, keine selbständige Bedeutung. IV. Ausgaben des corpus juris civilis 16 giebt es glossierte, d. h. mit der glossa ordinaria des Accursius versehene, und nichtglossierte ; die letzte glossierte ist im Jahr 1627 erschienen. Mit der Glosse dürfen andre Noten, die «îanchen Ausgaben beigefügt sind, nicht verwechselt werden. An Zuverlässigkeit des Textes stehen sich die verschiedenen Ausgaben nicht gleich. Allen früheren ist infolge der umfassendsten Benutzung aller Hilfsmittel der Kritik überlegen die neueste Ausgabe, welche unter der Führung von Th. Mom m sen veranstaltet ist und wobei Mom m sen selbst die Digesten, P a u l K r ü g e r die Institutionen und den Codex, R. S c h o e l l die Novellen zur Bearbeitung übernommen haben. Erschienen sind von M o m m s en Digesta Justiniani Augusti vol. I, II, 1868, 1870 (mit reichem kritischen Apparat), von K r ü g e r Justiniani Institutiones 1867 und Codex Justinianus 1877 (mit gleichem Apparat). Diese Recensionen sind mit kürzeren kritischen Noten vereinigt im Corpus juris civilis, editio stereotypa vol. I, II. An diese Ausgabe schliefst sich die Bearbeitung der Novellen von R. S c h ö l l an, es sind davon 1880—1891 5 Fascikel erschienen, enthaltend Nov. 1—134. Das Werk sieht demnach seiner baldigen Vollendung entgegen17. Eine grofse Verbreitung hatte bisher das Corpus juris civilis, herausgegeben von den Gebrüdern A. und M. K r i e g e l (Institutionen und Digesten), Ε. H err mann (Codex), 14
Ein Verzeichnis giebt A r n d t s § 2 A. 4. Beisp. Auth. Frid. I Sacramenta puberum ad C. 1 si adv. vend. 2 27 [28]. In der Stereotypausgabe des Codex Just, von K r ü g e r sind die Authentiken in den Appendix I I (p. 510—513) gestellt. 15 Eine Zusammenstellung bei K r ü g e r in seiner Codexausgabe a. a. 0 . Eine gewisse Berühmtheit hat die Auth. Si qua mulier ad C. 22 ad St. Veil. 4, 29 erlangt. 16 Über die Handschriften und Ausgaben der Justinianischen Rechtswerke handelt ausführlich S p a n g e n b e r g , Einleitung in das Röm. Just. Rechtsbuch 1817, kürzer B ö c k i n g , Pand. I, Anhang V. 17 Über die Bedeutung der neuen Edition des corpus jur. civ. R u d o r f f , Z. f. RG. VI, S. 418 fg. ; M e i s c h e i d e r , Krit. V JSchr. XII, S. 143 fg. ; Z a c h a r i a e, ebenda X V I S. 221 fg., XX S. 188fg., dazu K r ü g e r , ebenda S. 597fg.
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Einleitung.
Pandektenrecht im allgemeinen.
E. Osenbrüggen (Novellen), zuerst 1833—43 und wiederholt abgedruckt. Eine neue Ausgabe der Novellen liegt vor von Zachariae von L i n g e n t h a l Imper. Justiniani Novellae 2 vol. 1881 18 . § 4. b. Kanonisches R e c h t * .
Aus dem Schoise der christlichen Kirche ging im Mittelalter eine eigne Rechtsbildung hervor, jus canonicum genannt, indem canones alle durch geistliche Autorität festgestellten Rechtsvorschriften heiisen. Diese Rechtsbildung beschränkte sich nicht auf die Regelung der innern kirchlichen Verhältnisse. Infolge der einflufsreichen Stellung der Träger der Kirchengewalt, insonderheit des Papstes, veranlafst durch die ausgedehnte kirchliche Gerichtsbarkeit, erstreckte sie sich auch auf weltliche Angelegenheiten und griff in alle Teile des Rechts ein, auch in das Privatrecht, nicht in erschöpfender Weise, sondern nur mit vereinzelten Bestimmungen. Für die Kirche und ihre Organe war das kanonische Recht vermöge der gesetzgebenden Macht der obersten Kirchengewalt verbindlich; in den geistlichen Gerichten wurde in erster Linie danach geurteilt. Mit der Verbreitung des gelehrten Richtertums fand dasselbe auch in den weltlichen Gerichten neben dem römischen Recht Anwendung und hat sich in dieser Geltung, abgesehen von den rein kirchlichen Satzungen, trotz des Widerstrebens der Reformatoren erhalten 1 . So ist das kanonische Recht Quelle unseres gemeinen Rechts geworden. Die Aufnahme wurde dadurch begünstigt, dafs das kanonische Recht vielfach germanische Rechtsgedanken zur Ausprägung gebracht hat und in manchen Verhältnissen wie z. B. im Besitzschutz dem Bedürfnis im höhern Mafs entgegenkam als das römische Recht. Die Anerkennung als gemeinrechtliche Quelle ist aber dem kanonischen Recht nur insoweit zuteil geworden, als es in den nachbenannten vier Sammlungen, dem sog. corpus juris canonici clausuni enthalten ist 2 . 18
K r ü g e r , Krit. VJSchr. XXIV, S. 36fg. * Ma a f sen, Geschichte der Quellen und Litteratur des kanonischen Rechts I (1870 unvollendet); S c h u l t e , Geschichte der Quellen und Litteratur des kanonischen Rechts 3 Bde. (1875—80). Kürzer: I l i n s c h i u s in Holtz. Encyklop., Geschichte und Quellen des kanonischen Rechts; H ü b 1er, Kirchliche Rechtsquellen (1888) § 12—18; R i c h t e r . Lehrbuch des Kirchenrechts § 54—58, 79. 1 S t i n t z i n g , Gesch. d. deutsch. Rechtsw. I S. 273. 2 Die Einteilung in corpus juris canonici clausum und non clausum (letzteres die Extravagantes Johannis X I I und die Extravagantes communes enthaltend) be-
Die Quellen des Pandektenrechts.
n i s c h e s Recht
§ .
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1. Das Decretum Gratiani, auch décréta, corpus decretorum genannt; decretum bedeutet die kirchliche Entscheidung. Es ist verfafst von dem Mönch Gratianus in Bologna etwa zwischen 1139—1150 als Privatarbeit in der Absicht, den Einklang der in den verschiedenen kirchlichen Quellen enthaltenen Aussprüche nachzuweisen, daher ein weiterer Titel: concordantia discordantium canonum. Gratian ging dabei in der Art zu Werke, dais er das damals geltende kirchliche Recht in eigner Erörterung darstellte und seine Sätze mit zahlreichen Beweisstellen aus der Bibel, den Kirchenvätern, Konzilienschlüssen und päpstlichen Entscheidungen belegte. Nur diese Beweisstellen (canones) haben verbindliche Kraft, nicht die Gratianischen Ausführungen (dicta Gratiani) und auch jene nur insoweit, als sie, abgesehen von der Aufnahme in das Decretum, die Natur von Rechtssätzen besitzen. Das D e c r e t u m zerfällt in drei Teile (partes). Der erste Teil besteht aus 101 distinetiones (Abschnitte) mit Unterabteilungen (canones). Es wird citiert: c. (anon) 3 Dist. (D.) XXI. Der zweite Teil enthält 36 causae (Rechtsfälle); jeder Rechtsfall ist in quaestiones (Rechtsfragen) zerlegt, jede Rechtsfrage mit den canones beantwortet. Es wird citiert: can. 2 causa I qu. 7. Eine Ausnahme macht causa XXXIII quaestio 3 ; sie enthält eine Abhandlung über das Bufswesen (de poenitentia) und zerfällt selbst wieder in distinetiones und canones; citiert: can. 2 Dist. 1 de poenit. Der dritte Teil besteht aus 5 Distinktionen, ähnlich dem ersten, und wird zum Unterschied von diesem mit dem Beisatz de consecratione citiert. 2. Die D e k r e t a l e n G r e g o r IX., eine Sammlung päpstlicher Erlasse auf Anlafs des genannten Papstes veranstaltet und von ihm 1234 mit Aulserkraftsetzung der fünf damals vorhandenen Privatsammlungen von Dekretalen veröffentlicht, daher auch liber Extra (sc. decretum Grat.) d. h. einziges Buch neben dem Dekret, genannt. Die Gregorianischen Dekretalen sind eingeteilt in 5 Bücher (Judex, Judicium, Clerus, Connubia, Crimen), jedes Buch in mehrere mit kurzer Inhaltsbezeichnung versehene Titel, in die Titel sind die Dekretalen (capita) nach der Reihenfolge ihrer Urheber eingereiht. Es wird citiert: cap. 3 X. (i. e. Extra) de successionibus 3, 27. 3. Der liber sextus (sc. decretalium) von Bonifacius VIII 1298, gleichfalls eine amtliche Sammlung, bestimmt als Fortsetzung und Ergänzung zu den fünf Büchern der Gregorianischen Sammlung, daher der Name, aber selbst in 5 Bücher, dann in tituli und capita eingeteilt. Man citiert: cap. 2 in V I 0 de censibus 3, 20. zeichnet I I üb 1er a. a. 0. S. 32 als sachlich zutreffend, formell auf einem Mifsverständnis beruhend. Vgl. auch M e u r e r , Krit. VJSchr. XXXIII, S. 153.
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Einleitung.
Pandektenrecht im allgemeinen.
4. Die Clementinae (se. constitutiones) von Clemens V, eine Sammlung der Beschlüsse des Konzils zu Vienne (1311) und der eignen Dekretalen dieses Papstes, von ihm selbst 1313, aber in der gegenwärtigen Gestalt durch seinen Nachfolger 1317 veröffentlicht. Die Einteilung ist die gleiche wie in den vorgenannten Sammlungen. Citiert wird: cap. 2 in Clem. (oder auch Clem. 2) de testibus 2,8. Auf spätere Sammlungen (Extravagantes Johannis XXII und Extravagantes communes) hat sich die Rezeption in Deutschland nicht erstreckt. Für die Ausbildung des Ehesehl iefsungsrechts sind die Beschlüsse des Tridentiner Konzils (1545—1563) und zwar sessio XXIV de matrimonio einflufsreich geworden, aber sie haben nie gemeinrechtliche Geltung erlangt. Ausgaben des corpus juris canonici aus der neueren Zeit: von Aem. R i c h t e r 1839 2 Bde. und von E. F r i e d b e r g 1881 2 Bde. Auch für das corpus juris canonici ist die Aufnahme des Ganzen (in complexu) nicht gleichbedeutend mit der Aufnahme aller einzelnen Sätze. Aber hier fehlt ein äufseres Merkmal der Gültigkeit, ähnlich dem quidquid non agnoscit glossa etc. Die Frage ist für jeden Rechtssatz aus den besonderen Verhältnissen zu lösen, im Zweifel zu Gunsten der Geltung (§ 6). § 5. c. Einheimisches Recht.
Die Pandektenrechtssätze einheimischen Ursprungs haben nicht eine einheitliche Grundlage wie der römische und kanonische Bestandteil. Sie stammen aus den Gesetzen des ehemaligen deutschen Reichs, aus Gewohnheitsrecht, das sich seit der Rezeption der fremden Rechte gebildet hat, aus der Gesetzgebung des neuen deutschen Reichs. I. Die G e s e t z g e b u n g des a l t e n deutschen Reichs hat sich mit den Verhältnissen des bürgerlichen Rechts wenig befafst. Daher verdankt das Pandektenrecht den Reichsordnungen, Beichsschlüssen, Reichsabschieden nur vereinzelte Vorschriften, am meisten der Reichspolizeiordnung von 1577 für das Vormundschaftsrecht 1. 1
Zu erwähnen sind aufserdem: Die Notariatsordnung (Kölner Reichsabschied) von 1512 über die Form der Rechtsgeschäfte, namentlich der Testamente ; der Reichsabschied von 1529 über die Erbteilung unter Geschwisterkindern ; die Reichspolizeiordnung von 1548 für das Vormundschaftsrecht. Beste Ausgabe der Reichsgesetze : Neue und vollständige Sammlung der Reichsabschiede Frankfurt a. M. 1747 4 Teile in 2 Bänden (Stobbe, Rechtsqu. I S. 459 fg.). Die privatrechtlichen Vorschriften
Die Quellen des Pandektenrechts.
Einheimisches Recht
§ 5.
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Die Auflösung des deutschen Reichs im Jahre 1806 hat die Geltung der privatrechtlichen Bestimmungen der Reichsgesetze nicht aufgehoben. II. Ungleich ergiebiger hat sich für das Pandektenrecht die G e w o h n h e i t s r e c h t s b i l d u n g erwiesen, namentlich in der Form des Gerichtsgebrauchs. Hier fanden, so lange die Gesetzgebung unthätig blieb, das nationale Rechtsbewufstsein und die moderne Rechtsanschauung Ausdruck. Es sind auf diesem Wege nicht blofs einzelne Rechtsvorschriften und Umbildungen römischer Überlieferung entstanden z. B. Cession und Stellvertretung, sondern auch neue Rechtsinstitute, z. B. Verschollenheit, Testamentsexekutoren, Erbverträge. Freilich, wenn schon jedes Urteil, ob ein Satz zum Gewohnheitsrecht erstarkt ist, Schwierigkeit bietet (§ 19 fg.), so erfordert die Feststellung, dafs ein Gewohnheitsrecht auf der breiten Grundlage des gemeinen Rechts ruhe, besondere Umsicht und tieferes Eingehen. Für die frühere Zeit sind dafür die Schriften der sog. Praktiker des 17. und 18. Jahrhunderts einflufsreich geworden, welche aus den Entscheidungen hervorragender Gerichte und aus der Spruchpraxis der deutschen Juristenfakultäten schöpften. Seitdem ist wesentlich Zeitschriften die Aufgabe zugefallen, die Rechtssätze aus den Erkenntnissen höherer Gerichtshöfe mit den erheblichen Entscheidungsgründen zur allgemeinen Kenntnis zu bringen. Damit ist aber dieser Rechtsstoff nicht erschöpft. Es lebt daneben so mancher Rechtssatz, wie jeder fühlt und findet, der gewisse Vorschriften des fremden Rechts an dem in Übung stehenden Rechte prüft. Zwar begegnet das Rechtsgefühl als Mafsstab des geltenden Rechts einem nicht unbegründeten Mifstrauen. Aber der Vorwurf rein subjektiver Anschauung oder der Verwechselung des Wünschbaren mit dem Seienden verliert seine Berechtigung, wenn die erforderliche Verkörperung deutschen Rechtsbewufstseins aus der vorwaltenden Richtung der Partikulargesetzgebung, aus der Handhabung des Rechts im Geschäftsleben, aus Urkunden und sonstigen Zeugnissen, kurz mit den Mitteln nachgewiesen wird, auf welche vorwiegend das sog. deutsche Privatrecht angewiesen ist. III. Seit der Auflösung des alten bis zur Entstehung des neuen deutschen Reichs fehlte ein staatsrechtliches Organ für die Schaffung gemeinen Rechts in Deutschland. Weder der deutsche Bund, welcher von 1815 —1866 die Glieder des vormaligen Reichs zu einem politischen Ganzen verband, noch die aus der Deutschen Nationalversammlung sind zusammengestellt bei G e r s t l a c h e r , Handbuch der deutschen Reichsgesetze, Karlsruhe 1786—94 im 10. Bd. Eine Übersicht giebt G e n g i e r , Lehrb. d. deutsch. Privatr. S. 35 fg.
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Einleitung.
Pandektenrecht im allgemeinen.
zu Frankfurt a. M. (1848, 1849) hervorgegangene deutsehe Centraigewalt besafsen gesetzgebende Befugnis; sie konnten nur die Anregung zu gemeinsamen Gesetzen der Bundesstaaten geben. So entstanden die Allgemeine Deutsche Wechselordnung, ein Erzeugnis der ersten Deutschen Nationalversammlung und der deutschen Centralgewalt, sowie das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch, hervorgegangen aus einer vom deutschen Bundestag berufenen Kommission (Nürnberger Handelsgesetzgebungskommission). Ihre Geltung als Gesetze haben Wechselordnung und Handelsgesetzbuch in den deutschen Staaten zunächst durch die Landesgesetzgebung erlangt 2. Eine neue fruchtbare und eigenartige Rechtsquelle ist mit der Gründung des jetzigen Deutschen Reichs eröffnet worden. Schon seinem Vorläufer, dem Norddeutschen Bund war das Recht der Gesetzgebung über gewisse Rechtszweige, darunter das Obligationen-, Handels- und Wechselrecht zugesprochen mit der Wirkung, dal's die Bundesgesetze den Landesgesetzen vorgehen sollten. Die gesetzgebende Gewalt des neuen Reichs wurde ursprünglich in demselben Umfang festgestellt (Reichsverfass. Art. 2, 4), dann aber durch das Reichsgesetz vom 20. Dezember 1873 auf das gesamte bürgerliche Recht erstreckt. Schon ist eine Anzahl von Reichsgesetzen privatrechtlichen Inhalts erschienen. Die umfassendsten sind das deutsche Handelsgesetzbuch und die deutsche Wechselordnung, welche aus Landesgesetzen zu Reichsgesetzen erhoben und damit der Abänderung durch die Landesgesetzgebung in den dieser nicht ausdrücklich vorbehaltenen Punkten entrückt wurden 3. Tiefer greifende Abänderungen des Handelsgesetzbuchs enthalten die Reichsgesetze über die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften vom 11. Juni 1870 und 18. Juli 1884. Das wichtige Reichsgesetz vom 4. Juli 1868 über die Erwerbs· und Wirtschaftsgenossenschaften ist bereits ersetzt durch das Reichsgesetz desselben Betreffs vom 1. Mai 1889. Die Ordnung von Materien, welche bis dahin auch im Landesrecht nicht oder nur unvollkommen geregelt waren, führten ein die Reichsgesetze über den Schutz des Urheberrechts an Schriftwerken, Abbildungen, musikalischen Kompositionen und dramatischen Werken, an Werken der bildenden Künste, an Mustern und Modellen, vom 11. Juni 1870, 9. und 10. Januar 1876, 2 H a h n , Kommentar z. HG Buch Einleit § 13, 14; G o l d s c h m i d t , Handb. des Handelsr. § 16, 26, 28. 3 Zuerst durch ein norddeutsches Bundesgesetz vom 5. Juni 1869, dann Reichsverf. U. Art. 80 Nr. 15, RG. v. 22. 5Xpril 1871 (für Bayern) und v. 19. Juni 1872 (für Elsafs-Lothringen).
Die Quellen d. Pandektenrechts. Das Verh. d. Pand.-Rechtsqu. zu ein. § 6.
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ferner das Markenschutzgesetz vom 30. November 1874 und die Patentgesetze vom 25. Mai 1877 und vom 7. April 1891. Erwähnung verdient auch die Konkursordnung'vom 10. Febr. 1877 wegen ihrer vielen privatrechtlichen Bestimmungen4. Das hervorragendste Erzeugnis der Reichsgesetzgebung wird das Bürgerliche Gesetzbuch für das deutsche Recht werden, dessen Vollendung in sicherer Aussicht steht (§ 1 a. E.) § i). d. Das Verhältnis der Pandektenrechtsquellen z u einander.
Bei der geschilderten Zusammensetzung des Quellenmaterials kann es nicht fehlen, dafs für manchen Thatbestand z. B. über Ersitzung, Pfandbestellung, Zinsnehmen sich in mehreren Bestandteilen Regeln finden. Wenn diese Regeln Abweichendes bestimmen, so ist nur ein Doppeltes möglich: es gilt eine von ihnen oder keine. Im allgemeinen wird das Verhältnis widerstreitender Rechtsvorschriften durch die zwei Grundsätze beherrscht: die jüngere Rechtsvorschrift hebt die damit unvereinbare ältere auf; gleichaltrige unvereinbare Rechtsvorschriften heben sich gegenseitig auf. Die Anwendung auf das Pandektenrecht ist an sich nicht zweifelhaft (§ 26), zweifelhaft aber für einige Gruppen das Altersverhältnis. Es sind folgende Widerstreitsfälle zu unterscheiden: 1. Die e i n h e i m i s c h e n R e c h t s q u e l l e η haben den Vorrang vor den fremden. Hiefür ist neben dem Alter, das wegen der Unbestimmtheit der Rezeptionszeit zuweilen nicht festgestellt werden kann, die subsidiäre Geltung des römischen und kanonischen Rechts entscheidend. Innerhalb der einheimischen Rechtssätze giebt das Alter den Ausschlag. Von Bestimmungen der alten Reichsgesetze hat die deutsche Praxis manche beseitigt1, von der ältern Praxis manches die neuere. Weit einschneidender wirkt die neue Reichsgesetzgebung. Das neue Reichsrecht besitzt nicht blofs den Vorrang der Entstehungszeit, 4 Eine sehr verdienstliche systematische Zusammenstellung der privatrechtlichen Vorschriften in den neuen Reichsgesetzen giebt Man d r y , Der civilrechtlichc Inhalt der Reichsgesetze 1. Aufl. 1878, 2. Aufl. 1882, 3. Aufl. 1885. 1 Das reichsgesetzliche Verbot, die gegen einen Christen bestehende Forderung an einen Juden zu cedieren (Reichsabschied von 1551 § 9, Reichs-Polizei-O. von 1577 Tit. 20 § 4), wurde von der Praxis beseitigt. S t o b b e § 46 IX. Hartnäckiger hat sich die Preisbeschränkung für den Verkauf von Früchten auf dem Halm erwiesen. S t o b b e § 184 N. 3.
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Einleitung.
Pandektenrecht im allgemeinen.
sondern es schliefst im Gegensatz zum bisherigen gemeinen Recht alles entgegenstehende gegenwärtige und spätere Landesrecht aus, soweit nicht im Reichsgesetz selbst eine Ausnahme gemacht ist (§ 29). 2. Römisches und kanonisches Recht stammen aus verschiedener Zeit. Aber als Quellen des Pandektenrechts sind sie gleichalterig vermöge der gleichzeitigen Rezeption in Deutschland (§ 1). Mafsgebend ist nun nicht blofs dafs, sondern wie sie bei uns aufgenommen wurden. In diesem Punkt äufserte die italienische Jurisprudenz einen bestimmenden Einflufs. Für Italien war das kanonische Recht das jüngere und ging dem römischen vor. In diesem Sinn wurde das Verhältnis auch bei der Anwendung in Deutschland aufgefaft. Demnach enthält bei den nicht gerade zahlreichen Abweichungen zwischen römischem und kanonischem Recht das letztere die geltenden Vorschriften 2. Indes nicht ohne Ausnahme; bei einzelnen Widerstreitsfällen hat das römische Recht den Sieg davon getragen, so namentlich in der Regelung des Zinswesens, wobei die Reichsgesetzgebung mitwirkte. 3. Auch die Bestandteile der J u s t i n i a n i s c h e n Gesetzg e b u n g 3 wurden bei uns in dem Verhältnis und in dem Umfang aufgenommen, wie sie für Italien in Geltung waren; so erschienen sie als gemeines kaiserliches Recht. In Italien stützte sich die Geltung auf die Einführung durch Justinian. Sein Gesetzbefehl ist daher für das Verhältnis der einzelnen Stücke entscheidend. Wie bereits erwähnt (§ 4), sind die No ν e i l en als einzelne Gesetze nach den drei geschlossenen Rechtsbüchern erlassen. Hier kommt daher der Satz von der aufhebenden Kraft der jüngeren Rechtsvorschrift zur ungeschmälerten Geltung und zwar für das Verhältnis sowohl der Novellen zu den drei Rechtsbüchern als der Novellen unter sich. Dagegen besitzt keines der drei Rechtsbücher einen Vorrang vor den andern trotz der Verschiedenzeitigkeit ihres Inkrafttretens (§ 3 N. 4). Es folgt dies schon aus der allgemeinen Richtung dieser Gesetzgebung. Nicht neues Recht sollte geschaffen sondern nur die Grundlage des bestehenden festgestellt und vereinfacht werden. Wie wunderlich wäre auch der Wechsel im Vorrang. Als Digesten und Institutionen Gesetzeskraft erlangten, war ein Codex vorhanden. 2
Beispiele: bona fides bei der Anspruchsveijährung, Fortdauer der bona fides bei der Ersitzung, eidliche Einwilligung der Frau in die Veräufserung des Dotalgrundstücks. 8 T h i b a u t , Civil. Abhandl. (1814) S. 79-107; S a v i g n y I § 41—45.
Die Quellen d. Pandektenrechts. Das Yerh. d. Pand.-Rechtsqu.zuein. § 6.
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Dieser Codex wurde kurz darauf durch einen neuen im wesentlichen kaum veränderten Codex ersetzt. Es würden nach jener Annahme eine Zeit lang Digesten und Institutionen dem Codex, dann aber der Codex den beiden andern Rechtsbüchern vorgegangen sein. Überdies hat Justinian ausdrücklich verordnet, dafs die tria volumina als eine einheitliche Schöpfung behandelt werden sollen. Allerdings sind die fraglichen Äufserungen in Konstitutionen enthalten, welche das Verhältnis zum alten Codex betrafen (C. Deo auct. § 11, C. Tanta § 12, 20, 23). Allein durch die Aufnahme in den neuen Codex (C. 1, 2 de vet. jure enucl. 1, 17), wurde die Beziehung auf diesen übertragen 4. Von manchen widerstreitenden Sätzen enthält erkennbar nur der eine das geltende Recht, während der andere veraltetes Recht vorträgt. Es gilt dies vor allem von den nicht zahlreichen dem revidierten Codex einverleibten Konstitutionen, welche Justinian in der Zeit vom Abschlufs der Digesten(16. Dezember 533 bis zur Vollendung des neuen Codex 16. Novbr. 534) erlassen hat. Mit ihnen war eine Änderung des Rechtszustands beabsichtigt, wie er in Institutionen und Digesten festgestellt war 5 . Es gilt aber auch von einigen andern Stellen. Die Justinianische Kompilation müfste nicht Menschenwerk sein, wenn sich nicht bei der Bearbeitung des aus verschiedenen Entwicklungsperioden des römischen Rechts stammenden massenhaften Stoffs manche Sätze eines später verlassenen Standpunkts eingeschlichen hätten. Hat nun die Kompilation zugleich das neuere Recht zum Wort gelassen, so dürfen beide Aussprüche nicht als gleichwertig behandelt werden ; es ist dem jüngern Recht die Geltung zuzuerkennen, die es bis zur Herstellung der Rechtsbücher hatte. Freilich darf nur aus triftigen Gründen angenommen werden, dafs ein Satz blofs einem Versehn der Kompilaforen seine Aufnahme verdankt und ihrem Sinn gemäfs nicht aufrecht zu erhalten ist 6 . 4 A. M. W ä c h t e r I S. 118; dagegen A d o l f S c h m i d t , Zur Lehre vom Gewohnheitsrecht (Leipz. Dekanatsprogramm 1881) S. 23; D e r n b u r g l § 10 N. 3. 5 Sicher stammen aus der Zwischenzeit von den Konstitutionen, die in das Privatrecht einschlagen: C. 12 de repud. 5, 17, C. 31 de testam. 6, 23, C. un. de caduc, toll. 6, 51, C. 15 de legit. her. 6, 58. S a v i g n y , I § 43 N. g führt noch an: C. 2 de jurej. propt. cal. 2, 58 [59], C. un. de lat. lib. toll. 7, 6. Dagegen K r ü g e r in seiner Codexausgabe zu diesen Stellen und in Quellen und Litteratur des röm. Rechts § 42 a. E. 6 Gegenüber L. 34 pr. mand. 17, 1 (Afric.) ist L. 15 R. C. 12, 1 (Ulp.) Ausdruck einer fortgeschrittenen Rechtsentwicklung. In L. 6 § 4 rer. amot. 25, 1 dürfte den Kompilatoren die versteckte Abweichung von C. 3 rer. amit. 5, 21 kaum zum Bewufstsein gekommen sein. C. 2 § 1 R. V. 3, 32 enthält geltendes Recht gegenüber § 30 J. R. D. 21 und L. 7 § 12 ARD. 41, 1. W i n d s c h e i d , § 188 N. 21. Auf dem im Justinianischen Recht verlassenen Prinzip der prozessualischen
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Einleitung.
Pandektenrecht im allgemeinen.
Einfacher liegt die Sache bei den Stellen, welche bewufst als veraltetes Recht zur Erläuterung des geltenden aufgenommen wurden. Dieses Verfahren ist nur für die Institutionen bezeugt und nachweisbar 7 . Aber deswegen darf nicht überall die widerstreitende Institutionenstelle als historische Bemerkung behandelt werden. Zuweilen enthält sie das geltende Recht gegenüber einem Digestensatz8. Es ist weiter zu beachten. Alle einzelnen Sätze sind in ihrem Zusammenhang mit dem übrigen Inhalt der Kompilation aufzufassen. Es ist insbesondere bei Digestenstellen nicht schlechthin der Sinn entscheidend, welcher dem Excerpt von seinem Urheber, dem betreffenden römischen Juristen beigelegt wurde. Demgemäfs wird sich der Einklang nicht selten auf dem Wege herstellen lassen, dafs der eine Ausspruch als Regel, der andere als Ausnahme gefafst 9, oder dafs einem der beiden Aussprüche eine andere Beziehung gegeben wird 1 0 . Immerhin bleiben noch manche Stellen, sei es desselben sei es verschiedener Rechtsbücher übrig, welche jeder Vereinigung spotten, obwohl uns Justinian das Gegenteil versichert n . Hier greift der oben erwähnte zweite Grundsatz platz: sie heben sich gegenseitig auf und es ist ebenso zu verfahren, wie wenn für dieses thatsächliche Vorkommnis nichts bestimmt wäre. Die Rechtsanwendung ist verwiesen auf die Analogie (§ 38). Danach kann sich der Inhalt des einen der widerstreitenden Sätze als mafsgebende Norm ergeben, so dafs er zur Geltung kommt, nur nicht kraft seiner positiven Aufstellung. Konsumtion beruht C. 4 depos. 4, 34; sie ist nicht verbindlich. Car us, Die selbständige Klagbarkeit der Zinsen (Hall. Dissert. 1876) S. 37. Α. M. K r ü g e r , Consumtion und Rechtskraft S. 211. Andre Beispiele bei Savigny I § 45 N. d. 7 Const. Imper, (prooemium Inst.) § 5: in quibus breviter expositum est, et quod antea obtinebat et quod postea. . . illuminatum est. So löst sich der Widerstreit zwischen § 39 J. R. D. 2, 1 und L. 3 § 1 J. F. 49, 14; B r i n ζ 2. Aufl. § 148 Ν. 49. 8 Beisp. § 34 J. R. D. 2, 1 gegenüber L. 23 § 3 R. V. 6, 1 — § 14 J. de legat. 2, 20 gegenüber L. 82 pr. de legat. II. 9 Beisp. L. 38 C. Ε 18, 1, L. 17 pr. St. Veil. 16 1 mit L. 5 § 5, L. 32 § 26 de clonat. i. v. 24, 1; L. 27 de usurp. 41, 3 mit L. 11 pro emtore 41, 4; L. 32 § 4 ad leg. Falc. 35, 2 cit. L. 25 § 1 eod. 10 So ist L. 12 § 1 A.R.D. 41, 1 (Callistr.), § 25 J. R. D. 2, 1 von der blofsen Vermischung zu verstehen. F i t t i n g , Civ. Arch. 48, S. 324. 11 C. 2 § 15 de vet. jur. enucl. 1, 17: Contrarium autem aliquid in hoc codice positum nullum sibi locum vindicabit nec invenitur, si quis subtili animo diversitatis rationes excutiet. Aber man vergl. dagegen: L. 9 § 4 de publ. in rem act. 6, 2 (Ulp.) mit L. 31 § 2 A.R.V. 19, 1 (Nerat.); W i n d s c h e i d § 199 N. 13; L. 41 de pign. act. 13, 7 (Paul.) mit L. 22 de pign. 20, 1 (Mod.); W i n d s c h e i d
Die Litteratur des Pandektenrechts.
Die inneren Strömungen.
§ 7.
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1. Die Litteratur des Pandektenrechts. § 7· a. Die inneren S t r ö m u n g e n * .
Seit dem Aufschwung der Rechtswissenschaft im Mittelalter lösen sich innerhalb derselben fast stetig zwei Richtungen ab, von denen die eine als theoretische, die andere als praktische bezeichnet werden mag. Jene legt den Schwerpunkt in die Ergründung des reinen römischen Rechts, versenkt sich in dessen Quellen, voraussetzend dafs oder unbekümmert ob die Ergebnisse dem geltenden Recht entsprechen. Der anderen ist es in erster Linie um die praktische Anwendbarkeit zu thun, sie sucht eine Auseinandersetzung der römischen Rechtssätze mit späterer Rechtsbildung, wobei sie freilich nicht selten die letztere in die ersteren hineinliest. Jene hat den unbefangenem Blick für das römische Recht, diese für die Bedürfnisse des zeitigen Rechtslebens voraus. Die erstere führt zu einer Entfremdung zwischen Theorie und Praxis, diese läuft Gefahr, in einen dürren Pragmatismus auszuarten. Die Vereinigung der Lichtseiten beider Richtungen mit Vermeidung der damit verbundenen Nachteile ist das Ideal für die wissenschaftliche Pflege des Rechts. So sehr indes der Wechsel in der Richtung den Fortschritt der Entwicklung verlangsamt hat, ausgeschlossen hat er ihn nie völlig. Keine Epoche ist ganz auf den Standpunkt einer früheren zurückgesunken, jede hat Förderung von der in der Mitte liegenden empfangen, wie der folgenden geboten. § 230 N. 9, L. 11 § 3 ad leg. Aq. 9, 2 (Ulp.) mit L. 51 pr. § 2 eod. (Jul.); W i n d s c h e i d § 258 N. 15; L. 18 pr. R. C. 12, 1 (Ulp.) mit L. 36 ARD. 41, 1 (Jul.); W i n d s c h e i d § 172 N. 15. * S a v i g n y , Geschichte des röm. Rechts im Mittelalter 2. Aufl. 7 Bde. 1834—51; B e t h m a n n - H o l l w e g , Der Civilprozefs des gemeinen Rechts VI. 1. 1874; S t i n t z i n g , Wendungen und Wandlungen der deutschen Rechtswiss. Festrede 1879 und Geschichte der deutschen Rechtsw. I (1880) I I 1 (1884); G i e r k e , Naturrecht und deutsches Recht. Rektoratsrede 1883; L a n d s b e r g , Die Glosse des Accursius 1883 S. 1—81 (eine treffliche Übersicht über die Geschichte der Glossatoren- und Postglossatorenschule); K a r i o w a , Röm. Rechtsgeschichte I (1885) S. 1 — 24; K a u f m a n n , Geschichte der deutschen Universitäten I (1888) S. 38fg. (belehrend für den Zusammenhang der Entwicklung der Rechtswissenschaft mit der Scholastik). Für die Gelehrtengeschichte: H a u b o l d , Institutiones juris romani litterariae 1. (einz.) Bd. 1809; H u g o , Lehrbuch der Geschichte des röm. Rechts seit Justinian oder der jurist, und meist civilist. gelehrten Geschichte 1830; G o l d S c h m i d t , Encyklopädie der Rechtswissensch. 1862 ; R i v i e r, Introduction historique au droit romain (1881) p. 558—637. B i n d i n g , Handbuch, I. 7. I : If e g e l s b e r g e r , Pand. I.
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Einleitung.
Pandektenrecht im allgemeinen.
Ein Urteil über die wissenschaftliche Richtung ist uns zuerst für die Zeit der G l o s s a t o r e n möglich, d. h. für die Zeit der italienischen Rechtslehrer vom Ende des 11. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts. Die Glossatoren erblickten ihre Aufgabe darin, den in der Justinianischen Gesetzgebung niedergelegten reichen Stoff dem Verständnis ihrer Zeit zu erschliefsen, durch Feststellung der Texte einen sichern Grund für die Auslegung zu gewinnen, die in den einzelnen Bestandteilen zerstreuten, auf den ersten Blick abweichenden Aussprüche in Einklang zu bringen, mittelst Unterscheidungen, formalen Schlufsfolgerungen, Setzung von Fällen den Inhalt zu entwickeln und durch Ableitung allgemeiner Regeln die Beherrschung des Ganzen zu erleichtern. Ihr Blick geht über Justinian nicht zurück, sie behandeln das in der Kompilation enthaltene Recht als seine Schöpfung. Sie schliefsen zwar das den veränderten Lebensverhältnissen Unangemessene von ihrer Darstellung aus, ohne aber das seitdem entstandene in Anwendung befindliche Recht mehr als blofs streifend zu berücksichtigen Diese Beschränkung hinsichtlich des Quellenmaterials ist nicht blofs begreiflich, sie war, wenn etwas erkleckliches geleistet werden sollte, notwendig. Und die Glossatoren haben erkleckliches geleistet. Ihre Auslegung des Justinianischen Rechts stellt ihrem Scharfsinn, ihrem juristischen Takt, ihrer Herrschaft über den umfangreichen Stoff ein glänzendes Zeugnis aus, zumal wenn man die unzureichenden Hilfsmittel, den damaligen mangelhaften Stand sprachlicher und geschichtlicher Kenntnisse erwägt Sie bildet noch heutzutage einen Born, aus dem die Wissenschaft des römischen Rechts schöpft. Das können und müssen wir, die wir längst die Zeit der blinden Vergötterung der Glosse hinter uns haben, neidlos und unumwunden anerkennen. Jederzeit werden auf der Ehrentafel der romanistischen Jurisprudenz stehen die Namen: Irnerius (starb nach 1125), Bulgarus, Martinus, Jacobus, Hugo (die sog. quatuor doctores um die Mitte und in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts), Rogerius (zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts), Placentinus (starb 1192), Johannes Bassianus (Zeitgenosse des vorigen), Azo (starb um 1230), Pillius (starb nach 1205), Hugolinus (starb nach 1233), Francisais Accursius (Verfasser der glossa ordinaria, siehe § 4 N. 9) 2 . 1 Es finden sich bei ihnen nur geringe Spuren von lombardischem Recht und kaum mehr als oberflächliche Bemerkungen über kanonisches Recht. L a n d s b e r g a. a. 0. S. 36 fg. 2 Zu vgl. das Urteil von S t i n t z i n g , Gech. d. deutsch. Rechtsw. I S. 102fg.; L a n d s b e r g , Die Glosse des Accursius § 3. Die Neuerschliefsung der Original-
Die Litteratur des Pandektenrechts.
Die inneren Strömungen.
§ 7.
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Die auf die Glossatoren folgende, im 14. und 15. Jahrhundert blühende, gleichfalls Italien angehörige Juristenschule bildet zu jenen in ihrer Stärke und Schwäche so ziemlich das Gegenstück. Die P o s t g l o s s a t o r e n , wie diese Rechtslehrer nach ihrer zeitlichen Erscheinung, oder K o m m e n t a t o r e n , wie sie nach der überwiegenden Beschaffenheit ihrer theoretischen Werke genannt werden, stehen, was die Auffassung des römischen Rechts anlangt, im Banne der Glosse. Nicht der Gesetzestext bildet den Gegenstand ihrer Durchforschung, sie glossieren die Glosse und bald die Glossen zu den Glossen3. Das Verständnis des reinen römischen Rechts verdankt ihnen wenig Förderung. Dagegen erschliefsen sie sich in ganz anderm Umfang der Thatsache, dafs in ihrem Lande neben der Justinianischen Gesetzgebung Rechtsnormen in Geltung sind, sie ziehen das kanonische Recht sowie die damals in Italien geltenden statutarischen Rechte heran und streben eine Vermittelung zwischen dem römischen und dem neuern Recht an, eine Anpassung des erstem an die damaligen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zustände. Freilich wird die Autorität des römischen Rechts nicht selten gewahrt, indem man ihm unrömische Gedanken unterschiebt 4. Mit dem lombardischen und kanonischen Recht finden germanische Rechtsanschauungen stärkern Einflufs. Durch diese praktische Richtung haben die Postglossatoren trotz des wissenschaftlichen Minderwerts ihrer Schriften, trotz der Weitspurigkeit und echt scholastischen Wort- und Begriffsspalterei für den Gang der Rechtsentwicklung hohe Bedeutung gewonnen. Durch sie ist dem römischen Recht der Weg in die übrigen Länder Europas geebnet und die Rechtsanwendung lange Zeit beherrscht worden (§ 1 N. 22). Zu nennen sind: Odofredus (starb 1265) Durantis (Verfasser des viel verbreiteten speculum judiciale, daher speculator 1237—96), Cinus (1270—1336), Bartolus de Sassoferrato (1314—57, der bedeutendste unter den Postglossatoren, mit besonders offenem Blick für das praktische Leben), Baldus de Ubaldis (1327—1400), Paulus de Castro (starb 1441), Jason de Mayno (1435—1519). glossen, welche eben erst in der Entstehung begriffen ist, scheint das bisherige günstige Urteil ungleich zu steigern. L a n d s b e r g , Gesch. d. Sav. St. R. Α. IX S. 415 fg. 3 Vgl. die Äufserung eines Schriftstellers des 15. Jahrhunderts, mitgeteilt von S a v i g n y a. a. Ο. V S. 299 N. g. aus S a r t i , De claris Archigymn. Bonon. professoribus I p. 139 : Scribunt nostri doctores moderni lecturas novas, in quibus non glossant glossas sed glossarum glossas. 4 Ein Beispiel bei F i t t i n g , Das castrense peculium S. 549 A. 4. Vgl. auch S t i n t z i n g , Gesch. d. deutsch. Rechtsw. I S. 112.
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Einleitung.
Pandektenrecht im allgemeinen.
Mittlerweile hatten die Kenntnis des klassischen Altertums, die Sprach- und die Geschichtswissenschaft einen mächtigen Aufschwung genommen. Der Humanismus mit seiner Begeisterung für die Antike, mit seinem Kampf gegen Scholastik und Autoritätsglauben ergriff auch die Jurisprudenz. Man kehrte wieder zu den Quellen des römischen Rechts zurück, wendete die gröfste Sorgfalt der Herstellung eines reinen und vollständigen Textes zu, spürte emsig andern Überlieferungen römischen Rechts nach, suchte den Inhalt des corpus juris civilis mit Hilfe der vermehrten sprachlichen Kenntnisse und vom Standpunkt der geschichtlichen Entwicklung nicht mehr als ein Erzeugnis des sechsten Jahrhunderts unter Verwertung der neu erschlossenen Quellen zu betrachten. Neben der exegetischen Behandlung bricht sich die systematische Bahn. Die Darstellung ist gereinigt von dem Wust von Distinktionen und Subdistinktionen und bewegt sich in vornehmer Sprache. Der Boden, auf welchem die Rechtswissenschaft in diesem neuen Geist gepflegt wurde, war vorwiegend Frankreich 5. Die französische Rechtsschule des 16. und 17. Jahrhunderts hat sich für das Eindringen in das römische Recht grofse und bleibende Verdienste erworben. Savigny nennt sie die glänzendste Epoche der neuern Jurisprudenz G. Sie hat in Jacobus Cujacius (Cujas 1522—90)7 vielleicht den gröfsten Exegeten, in Hugo D o n e l l u s (Doneau 1527—91)8 den gröfsten Dogmatiker aufzuweisen. Neben diesen Meistern sind zu erwähnen 9 : A n d r e a s A l c i a t u s (1492—1550, Italiener von Geburt, lehrte lange Jahre in Frankreich und arbeitete der neuen Richtung vor), F r a n c i s c u s Connanus (1508—51, Verfasser eines Pandektensystems), F r a n c i s c u s D u a r e n u s (1509—59, mit Erfolg in der Reform des Rechtsunterrichts thätig), A n t o n i u s C o n t i us (Le Conte 1517— 78, verdient um die Herstellung eines bessern Quellentextes), F r a n c i s c u s Hotoma η us (1524—90, „ein Gelehrter ersten Rangs"), 5
Über fragliche italienische Vorgänger L a n d s b e r g , Krit. VJSchr. XXV S. 179 fg. 6 S a v i g n y , Vermischte Schriften IV S. 175. 7 B e r r i a t - S a i n t - P r i x , l'histoire de Cujas 1821 (ein Anhang zu dessen histoire du droit romain); in deutscher Übertragung von S p a n g e n b e r g , Jacob Cujas und seine Zeitgenossen 1822. Dazu S a v i g n y a. a. 0. S. 173—194. 8 E y s s e l , Doneau, sa vie et ses ouvrages 1860, eine von der Akademie in Dijon gekrönte Preisschrift; S t i n t z i n g , Hugo Donellus in Altdorf 1869 und Gesch. d. deutsch. Rechtsw. I S. 375-77; R a t j e n , Z. f. RGescli. V I I I S. 283-89. Donell verbrachte einen nicht unbeträchtlichen Teil seines Lebens in Deutschland, wo er auch begraben liegt. 9 S t i n t z i n g , Gesch. d. deutsch. Rechtsw. I Kap. X.
Die Litteratur des Pandektenrechts.
Die inneren Strömungen.
§
7 . 3 7
B a r n a b a s B r i s s o n i u s (1531—91, Verfasser des schätzenswerten lexikographischen Werks De verborum significatione), A n t o n i u s F ab e r (Favre 1557 —1627 , „von tiefeindringendem Scharfsinn"), D i o n y s i u s G o t h o f r e d u s (Godefroi 1549—1622, der erste, welcher die Justinianischen Gesetzeswerke als Ganzes unter clem Titel corpus juris civilis herausgab) und dessen ungleich bedeutenderer Sohn Jacobus G o t h o f r e d u s (1587—1652, berühmt durch seinen Kommentar zum Codex Theodosianus). Aber nicht blofs die Vertreter der antiquarisch - kritischen Richtung, deren vornehmster C u j a c i u s war, sondern auch die Systematiker, wie D o n e l l u s hatten — echte Jünger des Humanismus — ein Auge nur für das reine römische Recht und trugen dasselbe als geltendes Recht vor, unbeirrt von den Zuständen und Bedürfnissen des praktischen Lebens10. So ist es gekommen, dafs die grofsartigen Leistungen der französischen Schule, der sog. eleganten Jurisprudenz, auf die Rechtsanwendung ihrer Zeit fast ohne Einflufs geblieben sind n . Im Geiste des Humanismus bearbeiteten das römische Recht gleichzeitige Juristen anderer Länder: in S p a n i e n A n t o n i u s A u g u s t i n u s (1517—86, Quellenkritiker), in D e u t s c h l a n d U l r i c h Ζ a si us (Zäsy 1461 — 1535, neben Alciat der mutige Vorkämpfer für die Verbindung von Humanismus und Jurisprudenz 1 2 , doch nicht ohne Verständnis für das praktische Leben und für fortgeltendes deutsches Recht), Gregor H a l o a n d e r ( M e i t z e r aus Zwickau 1501—31, um die kritische Bearbeitung der Justinianischen Rechtsquellen hochverdient) 1 3 , Johann O l d e n d o r p (aus Hamburg 1480[?] —1567, schneidiger Gegner der Kommentatorenjurisprudenz, von naturrechtlicher Färbung, einflufsreich durch seine reformatorischen Bestrebungen in Schule und Praxis), M a t t h ä u s Wesenbeck (1531—86, in Antwerpen geboren, aber in seinen reiferen Jahren ausschliefslich auf 10
Nur H o t o m a nus wagte in seinem Antitribonian gegen den reinen Romanismus anzukämpfen, wurde aber dafür von Humanisten wie S cal i g er hart angelassen. Vgl. B a r o n , Franz Hotmanns Antitribonian (Berner Gratulationsschrift zum 800jähr. Jubiläum von Bologna 1888). 11 Ein Beispiel dafür, wie Theorie und Praxis ihre selbständigen Wege wandelten, giebt B u c h k a , Die Lehre von der Stellvertretung S. 157 fg. 12 Seinen Standpunkt gegenüber der italienischen Kommentatorenjurisprudenz zeichnet ein Brief an seinen Schüler B o n i f a c i u s A m e r b a c h in Basel von 1530: Perpetua pestis in jure nostro; quod textibus non possumus, id testibus velle convincere. Mihi nec Accursius curae est nec Bartolus nec Baldus, nisi quatenus jure fundati sunt. S t i n t z i n g , Ulrich Zasius 1857 und Gesch. d. Rechtsw. I S. 96, 155—172. 13 S t i n t z i n g , Gesch. d. Rechtsw. I S. 180—209.
Einleitung.
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Pandektenrecht im allgemeinen.
deutschen Universitäten thätig, von nachhaltigem Einflufs auf die methodische Behandlung des Rechts [§ 2 Ν 2] nimmt zwischen den Verehrern der italienischen Praktiker und den Juristen der humanistischen Richtung eine vermittelnde Stellung ein) 14 , H e r m a n n V u l t e j u s (1555—1638, Hesse von Geburt und langjähriger Marburger Professor), R e i n e r Bac h off von E c h t (1575—1635, in Leipzig geboren, guter Jurist, schwacher Charakter). Von Frankreich übernahmen die Führung in der eleganten Jurisprudenz die Niederlande: A r n o l d V i n n i u s (1558—1657), U l r i c h H u b e r (1636—1694), Johannes V o ë t (1647—1714), G e r h a r d N o o d t (1647—1725), A n t o n Schulting(1659—1734), C o r n e l i u s van B y n k e r s h o e k (1673—1743)1δ. Doch erreichte die holländische Schule bei aller Gelehrsamkeit und Gründlichkeit ihre französischen Vorgänger nicht an geistigem Schwung und grofsen Gesichtspunkten. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts trat in der wissenschaftlichen Pflege des Rechts in Deutschland eine Wendung ein, welche sich durch stärkere Betonung der praktischen Seite des Rechts und durch geringeres Interesse für die Quellenkritik und Erkenntnis des reinen römischen Rechts kennzeichnet. Es entstand eine jurisprudentia theoretico-practica. . Zwar war in Deutschland die Kluft zwischen Theorie und Praxis nie so weit wie in Frankreich. Die deutschen Rechtsgelehrten standen in den mannigfachsten Lebensstellungen mit der Rechtsanwendung in unmittelbarer Verbindung als Mitglieder der Spruch- oder Richterkollegien, als Konsulenten und Räte im fürstlichen und städtischen Regiment. Zahlreiche litterarische Erzeugnisse, Konsilien und Observationen, Quästionen und Decisionen aus dem 16. und der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts verdanken ihre Entstehung teils der reichskammergerichtlichen Justiz (berühmt die Observationes des Joachim M y n s i n g e r von F r u n d e c k , 1514—88, und des Andreas G a i l l , 1526—87) le , teils der Rechtsprechung in den deutschen Territorien, so von Sachsen, dessen Praxis besonders für den Prozefs einflufsreich war (Hauptvertreter die Juristenfamilie P i s t o r i s , davon wieder H a r t m a η η P. 1543—1601), von Württemberg (hervorragend für das Civilrecht J o h a n n H a r p p r e c h t , 1560 bis 1639), sowie einiger süddeutscher Länder (Andreas Perneder aus Bayern, starb um 1540, „ein gelehrter Praktiker", Johann 14
S t i n t z i n g , Gesch. d. Rechtsw. I S. 351—366, 452—465, 683-687. Über deutsche Rechtsgelehrte, welche damals in Holland thätig waren, berichtet L a n d s b e r g bei S t i n t z i n g , Gesch. I I S. 254 fg. 16 B u r c k h a r d , Andreas Gaill. Würzburger Rektoratsrede 1887. 16
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F i c h a r d aus Frankfurt a. M., 1512—81, Verfasser des Solmser Landrechts und der Frankfurter Reformation) 17. Da die italienische Doktrin mit ihrer ausgebildeten Kasuistik dem praktischen Bedürfnisse entgegenkam, so hielt die damalige deutsche Jurisprudenz die Schriften der Kommentatoren mehr in Ehren als die französische Rechtsschule18. Aber sie blieb nicht in den Geleisen der Kommentatoren stecken. Sie vollführte eine für die Rechtsentwicklung in Deutschland bedeutungsvolle Aufgabe, indem sie den durch die neuere Gesetzgebung geschaffenen und einer unbefangenem Beobachtung des Rechtslebens entgegentretenden einheimischen Rechtsstoff in die wissenschaftliche Arbeit einbezog, unter dem Antrieb der Forderung der Praxis zwischen den verschiedenen Elementen des gemeinen Rechts vermittelte und das römische Recht den deutschen Verhältnissen anzupassen suchte. Im weitern Verlauf führte jene Thätigkeit zu der eigentümlichen Mischung fremden und einheimischen Rechts, welche im usus modernus pandectarum ihren bezeichnenden Ausdruck fand. Den schon früher (§ 2 N. 3) genannten Vertretern dieser Richtung sind beizufügen: Justus H e n n i n g Böhmer (1674—1749), Joh. G Ott l i e b Heineccius (1681—1741), A u g u s t i n von Leyser (1683—1752), F r i e d r . Esaias von P u f e n d o r f (1707—85, nicht zu verwechseln mit dem berühmten Naturrechtslehrer Samuel von P., einem Grofsonkel des Civilisten), Gg. L u d w i g Böhmer (1715—97, Sohn des vorgenannten J. H. B.), Joh. Aug. H e l l f e l d (1717—82), L u d w . Jul. F r i e d r . H ö p f n e r (1743—97), C h r i s t . F r i e d r . G l ü c k (1755—1831, Verfasser eines bändereichen und doch unvollendeten Pandektenkommentars), Was aber die Jurisprudenz durch die Arbeiten dieser Juristen an Breite gewann, ging ihr an Tiefe verloren. Es fehlte ihnen die Fähigkeit, den Rechtsstoff in seiner geschichtlichen Entwicklung zu erfassen. Im Verständnis des römischen Rechts blieben sie abhängig von ihren Vorgängern, für die Quellenkritik leisteten sie nichts, die verschiedenartigen Elemente des Rechts wurden ohne Sinn für ihre Eigentümlichkeit oft in ganz äufserlicher Weise aneinander gereiht 19 . 17
S t i n t z i n g a. a. O. I S. 485fg., 547—572, 687—698, 573—579, 586—601. Vgl. das Urteil von W e s e n b e c k bei S t i n t z i n g a. a. 0. S. 362, und doch trat gerade W. thatkräftig für die Abschüttelung des mos Italicus im Rechtsunterricht auf. 19 S a v i g n y , Der 10. Mai 1788 (Vermischte Schriften IV S. 197) urteilt: „Das Übel bestand darin, dafs man den positiven Stoff ohne kritische Prüfung und Sonderung seiner Bestandteile zu einem scheinbaren Ganzen für praktische Zwecke verarbeitet hatte. Einer überlieferte dem andern die tote Masse, in jeder Hand 18
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Einleitung.
Pandektenrecht im allgemeinen.
So manche Golclkörner praktischer Rechtsvernunft liegen in ihren Schriften, so manches Zeugnis nationaler Rechtsanschauung, aber zerstreut und versteckt unter unwissenschaftlichem Beiwerk. Aus dieser \rerflachung wurde die Civilrechtswissenschaft auch nicht durch jene geistige Strömung befreit, welche seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts einen Umschwung hervorgebracht hatte, durch die Theorie des Naturrechts. Im Gegenteil mulste die Freude an der Durchdringung des überlieferten Stoffs leiden unter dem Einflufs einer Lehre, nach welcher das wahre Recht nicht in den Gesetzen zu finden ist, sondern sich dem denkenden Geist unmittelbar aus der menschlichen Vernunft ergiebt, ein allgemeines Menschheitsrecht, für alle Völker und Zeiten gleich, wie die menschliche Vernunft selbst 20 . Zur Herrschaft ist diese Theorie im Bereich des Privatrechts nie gelangt. Sie hat stärkere Spuren in der Gesetzgebung zurückgelassen (preufsisches Landrecht und österreichisches Gesetzbuch), als in der Jurisprudenz. Wiederum wie im 16. Jahrhundert empfing die Rechtswissenschaft Fortbewegung und Verjüngung durch das Zurückgehn auf das reine römische Recht. Der unter L e s s i n g s und K a n t s Führung erwachsene kritisch-philosophische Geist liefs die Unfruchtbarkeit und Verirrung der damals in der Jurisprudenz herrschenden Methode erkennen. Es war zunächst Gustav Hugo (geb. 1764 in Lörrach, von 1788 bis 1844, seinem Todesjahr, Professor in Göttingen), welcher die Schäden aufdeckte und auf kritische Sonderung und Säuberung hindrängte. Aber nachhaltiger und umfassender wurde der Kampf gegen die herrschende Richtung aufgenommen von K a r l F r i e d r i c h v o n S a v i g n y (geb. 21. Januar 1779 in Frankfurt a. M., Professor in Marburg, Landshut und dann in Berlin von der Gründung der Universität bis 1842, wo er am 25. Oktober 1861 starb) 21 . Mit ihm wurden unvermerkt neue Irrtümer hinzugefügt, und selbst die Besseren vermochten es nicht, dem traditionellen Ansehen der falschen Methode sich zu entziehen." 20 Die Lehre wurde zuerst von dem Niederländer H u g o G r o t i u s (1583 bis 1645) entwickelt, fand aber in Deutschland zahlreiche Anhänger und manchen hervorragenden Vertreter ζ. B. Samuel v. P u f e n d o r f (1632—94). 21 Uber Savignys Leben und Bedeutung für die Wissenschaft: A r n d t s , Krit. VJSchr. I V Abh. 1; J h e r i n g in seinen Jahrb. V Abh. 7; R u d o r f f , Z. f. RGesch. I I S. 1—69; S t i n t z i n g in den Preufs. Jahrb. Bd. IX — sämtlich unmittelbar nach Savignys Tod geschrieben. — B e t h m a n n - H o l l w e g in Z. f. RGesch. V I S. 42—81 (1867); dann die zahlreichen Festreden aus Anlafs des hundertjährigen Geburtstags von S a v i g n y , worüber B r i n z , Krit. VJSchr. X X I S. 471 fg., X X I I S. 161 fg. berichtet. Neuestens L a n d s b e r g , Allg. Deutsch. Biographie Bd. XXX.
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§
7 . 4 1
beginnt eine neue Epoche in der Privatrechtswissenschaft. Savigny machte nicht blofs gegen den öden Dogmatismus der Pandektisten Front sondern auch gegen die in weiten Kreisen geteilte Überzeugung von der willkürlichen Erzeugung des Rechts durch die Findigkeit des Gesetzgebers. S a v i g n y s Standpunkt in der Rechtswissenschaft wurzelte in seiner Gesamtanschauung vom Volks- und Staatsleben: Die Menschheit vollführt ihr Dasein in natürlich-sittlichen Verbänden, welche aufserhalb menschlicher Willkür durch innere Notwendigkeit gegeben sind. Ebenso erwächst jede rechtliche Ordnung aus und mit den natürlich-sittlichen Grundlagen wesentlich durch eine still wirkende Macht, den Volksgeist, von dem das Recht ein Erzeugnis ist wie Sprache, Sitte, Religion, und in dessen Dienst selbst die bewufste Rechtssetzung steht. Das Recht der Gegenwart ist eine Entwicklung des Rechts der früheren Zeit, ein Ring in der grofsen Kette, welche die Zeitalter und ihre Schöpfungen mit einander verbindet. In diesem lebendigen Zusammenhang mufs das Recht erfafst, aus der Durchdringung des in der Vergangenheit Entstandenen das Urteil gewonnen werden, was in der Jetztzeit gilt. Dem römischen Recht ist diese Durchdringung noch nicht zu teil geworden, darum zurück zu den Quellen. Sie müssen durchforscht werden mit den Hilfsmitteln, welche Geschichte und Philologie der Jurisprudenz reichen. Von der wissenschaftlichen Arbeit, nicht von der Gesetzgebung hat der kranke Rechtszustand Heilung zu erwarten, denn diese geht immer bei jener zu Borg 22 . Unter dieser Fahne sammelte sich eine Anzahl hervorragender Kräfte zu der Aufgabe, das römische Recht in geschichtlichem Sinn 22 S a v i g n y hat dieses Programm förmlich entwickelt in der Schrift: Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (1. Aufl. 1814, 3. Aufl. 1840) und später in der Vorrede zum ersten Band seines System des heutigen römischen Rechts (1840). Seine Berechtigung, in dieser Frage so mitzusprechen, hatte er sich schon früher erworben durch die in sieben Auflagen erschienene Monographie „Das Recht des Besitzes" 1. A. 1803, worin er schon vollständig mit der bisherigen Methode gebrochen und sich, obwohl erst 24 Jahre alt, als Meister der Wissenschaft bewährt hatte. Vgl. das neidlose, den Rezensenten wie den Rezensierten ehrende Urteil T h i b a u t s . Die Schrift S a v i g n y s , Vom Beruf unserer Zeit war nämlich hervorgerufen durch eine von warmer Vaterlandsliebe durchwehte Schrift von T h i b a u t : Über die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland 1. Aufl. 1814, 3. Aufl. 1840. Ob Savigny auch unserer Zeit den Beruf zur Gesetzgebung absprechen würde? Nach seinen Vordersätzen mufste er es jeder Zeit. So richtig B r i n z , Festrede zu Savignys lOOjährigem Geburtstag S. 8.
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Einleitung.
Pandektenrecht im allgemeinen.
zu bearbeiten, daher die h i s t o r i s c h e Schule genannt 23 : Georg F r i e d r . Pu cht a (geb. 1798 in Kadolzburg im bayrischen Franken, gest. in Berlin 1846, der „gewaltige Systematiker" und noch unerreichte Darsteller der römischen Rechtsgeschichte)24, F r i e d r . L u d w . K e l l e r (geb. 1799 in Zürich, gest. als Berliner Professor 1860, Meister auf dem Gebiet des römischen Civilprozesses) 25, A u g u s t von B e t h m a n n - H o l l w e g (geb. 1795 in Frankfurt a. M., gest. 1877, als Rechtslehrer und in hervorragender Staatsstellung thätig, ein Geistesverwandter seines Landsmannes Savigny), E d u a r d B ö c k i n g (geb. 1800 in Trarbach, gest. 1870 in Bonn, Jurist und Philologe, um die Rechtswissenschaft verdient durch die Herausgabe vieler alter Juristenschriften, wie durch seine eigenartigen dogmatischen Werke), F r i e d r . B l u h m e (auch Blume, geb. 1797 in Hamburg, gest. 1874 in Bonn, hat seinen Namen mit der Kritik römischer und germanischer Rechtsquellen bleibend verbunden), Ad. F r i e d r . R u d o r f f (geb. 1803, gest. 1873 in Berlin, der gelehrte emsige Sammler rechtsgeschichtlichen Materials) 27 , P h i l . E d u a r d Huschke (geb. 1801 in Minden, gest. 1886 in Breslau, ein in Kritik und Exegese hervorragender Romanist)28. Zwei Zeitgenossen Savignys, welche nicht seine Schüler genannt werden können, aber nach der bessern Methode arbeiteten und sich auszeichneten, waren Joh. C h r i s t i a n Hasse (geb. 1779 in Kiel, gest. 1830 in Bonn, dessen Monographie „Die Kulpa des römischen Rechts", 1. Aufl. 1815, 2. besorgt durch B e t h m a n n H o l l w e g 1838 von bleibendem Werte ist) und C h r i s t i a n F r i e d r . M ü h l e n b r u c h (geb. 1785 in Rostock, gest. 1843 in Göttingen, bekannt durch seine in drei Auflagen 1817, 1824, 1836 erschienene „Lehre von der Cession der Forderungsrechte" und durch die treffliche Fortsetzung des Glückschen Pandektenkommentars). Auf den Ergebnissen der historischen Schule ruht das in 7 Auflagen verbreitete 23 Hierüber S a v i g n y , Z. f. gesch. Rechtsw. I Abh. 1 und in der Vorrede zum System S. I X — L ; T h i b a u t , Civ. Arch. X X I Abh. 16 (1838); B l u n t s c h l i , Die neuern Rechtsschulen der deutschen Juristen 2. Aufl. 1862; S. J. H i n g s t , Proeve eener geschiedenis der historische school. 1859. 24 Nachrufe von S t a h l und W e t z e i l , abgedruckt in P u c h t a s Kleinen Civilistischen Schriften, herausgeg. v. R u d o r f f (1851) S. III—LH. 26 B l u n t s c h l i , Krit. VJSchr. I I I S. 1—25; A l o i s von O r e l l i , Rechtsschulen und Rechtslitteratur der Schweiz S. 58 fg. 26 S t i n t z i n g , Allg. Deutsche Biographie I I S. 734 und 785. 87 B r i n z , Krit. VJSchr. X X I S. 1—14. 38 S c h i r m e r , Civ. Arch. 70 S. 163-8.
Die Litteratur des Pandektenrechts.
Die inneren Strömungen.
§
7 . 4 3
Lehrbuch der Pandekten von K a r l A d o l f von V a n g e r o w (geb. 1808 im Kurhessischen, gest. 1870 in Heidelberg, gefeierter Dozent) 29 . Durch die vereinte Thätigkeit dieser und anderer Männer ist unsere Kenntnis vom römischen Recht ebenso erweitert als vertieft worden. Unterstützt durch die glückliche Entdeckung der Institutionen des Gaius — von Niebuhr 1816 — wurde der Bau des klassischen römischen Civilprozesses den Blicken enthüllt und damit ein wichtiger Schlüssel für das Verständnis des materiellen Rechts gewonnen. Unsere historische Schule erinnert nach Richtung und Erfolg an die französische Rechtsschule des 16. Jahrhunderts. Hier wie dort die gleiche Geisteskraft, die gleiche Gelehrsamkeit, die gleiche Verwertung der historischen und philologischen Kenntnisse bei der Bearbeitung des alten und immer wieder jungen Ackerfelds, Verbindung von Exegese und Dogmatik, Pflege der systematischen Seite des Rechts. Aher hier wie dort führte die Freude am Erkennen zu einem einseitigen Interesse für das Erkannte, die Gröfse des römischen Rechts fesselte und blendete die Arbeiter, nur mit dem Unterschied, dafs vor drei Jahrhunderten die Theorie die Praxis ihrem Schicksal überliefs, während die Unserigen die römischen Rechtssätze schlechthin als die heutigen lehrten, ohne Rücksicht darauf, dafs die Rechtsentwicklung nicht Jahrhunderte lang stille steht und dafs das römische Recht bei uns einen Kampf mit dem einheimischen zu bestehen hatte, aus dem es nicht immer siegreich oder wenigstens nicht ohne Einbufse hervorging. Abänderungen des römischen Rechts wurden als Mifsverständnisse desselben bei Seite geschoben. S a v i g n y hat die historische Schule gegen den Vorwurf einseitiger Romanisierung wiederholt in Schutz genommen, und im Programm der Schule lag sie gewifs nicht. Aber er selbst hat sich in seiner Lehre vom Besitz davon nicht frei gehalten. Erst im System des heutigen römischen Rechts hat er mit dem römischen Recht eine Abrechnung gehalten, welche Anhänger und Gegner überraschte. Eine andere Gefahr wurde glücklich vermieden. Die reiche Ernte, welche die Pflege des römischen Rechts eintrug, konnte leicht die noch zarte Pflanze der germanistischen Forschung ersticken. Zu derselben Zeit aber und in demselben Geist wie S a v i g n y trat K a r l F r i e d r . E i c h h o r n (geb. 1781 in Jena, gest. nach dem Rückzug aus jeder akademischen und praktischen Stellung 1854) 30 als Neuerer für die Wissenschaft vom deutschen Rechte auf, und zwar mit solchem 29
Vgl. die Schrift: In memoriam! Vangerow und Mohl. 1876. F r a n k e n , Romanisten und Germanisten (1882) S. 35—52. Andre Litteratur giebt S t o b b e , § 16 N. 24, 25. 30
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Einleitung.
Pandektenrecht im allgemeinen.
nachhaltigen Erfolg, dafs er sich mit Savigny in die Ehre teilt, Begründer der neuern deutschen Rechtswissenschaft zu sein 31 . Es fehlte nicht an solchen, welche der historischen Schule geradezu den Fehdehandschuh hinwarfen. Erwähnung verdient J. F. K i e r u l f f , welcher dem corpus juris civilis die formal bindende Kraft bestreitend von der Theorie die Entwicklung der Grundbegriffe „welche in der Gegenwart allgemeine Anerkennung geniefsen" unter Vergleichung mit dem römischen Recht und Sonderung der römischen Substanz von dem praktischen Recht der Jetztzeit fordert (vgl. dessen Theorie des Gemeinen Civilrechts Bd. I 1839, Allgemeine Einleitung S. IX—XXXII). Das etwas verschwommene Programm hat wenig Anklang gefunden, ja man darf bezweifeln, ob sein Urheber selbst imstande gewesen wäre, nach Mafsgabe desselben einen wirklichen Neubau aufzuführen. Was der erste und einzige Band giebt — er kommt über die allgemeinen Lehren nicht hinaus — ist ob der scharfen Erfassung der Rechtsbegriffe von bleibendem Wert, enthält aber so wenig Programmjurisprudenz, dafs es in jedes andere Pandektenlehrbuch pafste 32. Mit weniger Emphase, aber nachhaltigerer Wirkung haben Andere freiere Stellung zur historischen Schule genommen, indem sie den Veränderungen des römischen Rechts in der Gegenwart und den Bedürfnissen des Rechtslebens einen unbefangeneren Blick entgegenbrachten. Hier sind zu nennen: K a r l Gg. (von) W ä c h t e r (geb. 1798 in Marbach am Neckar, gest. 1880 in Leipzig, gleich ausgezeichnet als Romanist wie als Kriminalist, als Lehrer wie als Schriftsteller 33); L u d w i g (Ritter von) A r n d t s (geb. 1803 zu Arnsberg, gest. 1878 in Wien, der neben der rechtsgelehrten Forschung der Neugestaltung 31 Die Geistesverwandtschaft und Gleichheit des Ziels hat die beiden Männer zur Gründung der Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft geführt, in der Romanisten und Germanisten gleichmäfsig zum Worte kommen sollten. (Bemerkenswerte Vorrede zum ersten Band von Savigny). In den von 1815—50 erschienenen 15 Bänden erhielten die Romanisten bald das Übergewicht, bis sich die Germanisten völlig zurückzogen. Eine Erneuerung erfuhr der Gedanke in der 1861 begonnenen Zeitschrift für Rechtsgeschichte, welche nach Erscheinen von 13 Bänden seit 1880 als Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte mit einer gewissen Selbständigkeit der romanistischen und der germanistischen Abteilung fortgesetzt wird (bis .jetzt 13 Bde). 32 Pu c h t a § 9 a, der scharfe Kritiker, urteilt: „ein bedeutendes Werk, dessen Verfasser sicher imstande war, durch Abstreifung eines gewissen, wenn der Ausdruck erlaubt ist, Cynismus der Paradoxie, welcher richtige Gedanken in das Gewand des Extrems zu kleiden liebt, etwas durchweg Vorzügliches zu leistend S3 W i n d s c h e i d , Carl Georg von Wächter 1880, Oskar von W ä c h t e r (Sohn), Carl Georg von Wächter, Leben eines deutschen Juristen 1881.
Die Litteratur des Pandektenrechts.
Die inneren Strömungen.
§
7 . 4 5
des Rechts durch die Gesetzgebung warmes Interesse widmete 34 ); K a r l Gg. B r u n s (geb. 1816 in Helmstädt, gest. 1880 in Berlin, Meister im Gebiet der Rechtsgeschichte und Rechtsdogmatik)35. Einen besonderen Rang nimmt A l o i s (von) B r i n z ein (geb. 1820 im bayerischen Allgäu, gest. 1887 in München). In der Grundauffassung auf dem Boden der historischen Schule stehend wurde er durch seinen kritisch scharfen Blick und seine Unbefangenheit in der Quellenforschung vielfach aus den Geleisen derselben hinausgeführt. Überall ist Brinz eigenartig und tiefgründend 36. In der Reihe unserer verstorbenen Geisteshelden darf der Name eines Mannes nicht fehlen, obwohl der Schwerpunkt seines Wirkens nicht auf dem Gebiet des praktischen Rechts lag : R 0 d e r i c h S t i n t z i n g (geb. 1825 in Altona, gest. 1883 als Bonner Professor), der feinsinnige Kenner und klassische Bearbeiter der Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft3 7 . · Der vorstehende Überblick war längst verfafst, als der Tod zwei Männer vom irdischen Schauplatz abrief, welche in den letzten Jahrzehnten die hervorragendsten Vertreter unserer Civilrechtswissenschaft waren: R u d o l f von J h e r i n g (geb. 1818 in Aurich, gest. 1892 in Göttingen) und B e r n h a r d W i n d scheid (geb. 1817 in Düsseldorf, gest. 1892 in Leipzig) 38 . Über ihre Hauptwerke S. 52 und S. 51. Die deutsche Rechtswissenschaft steht vor einem Wendepunkt. Über kurz oder lang wird ein bürgerliches Gesetzbuch für das deutsche Reich in Kraft treten. Es fehlt nicht an solchen, welche von der „Einfangung des Rechts in Paragraphen" eine Schädigung, wo nicht das Grab der wissenschaftlichen Pflege des Rechts erblicken. Indes läfst sich die Gefahr vermeiden, wenn der neue Stoff nicht als ein Ding für sich behandelt wird, sondern als ein Glied in der Entwicklungskette, welche die Gegenwart mit der Vergangenheit verbindet. Die Wirkung, welche die Kodifikation des Handelsrechts auf die wissenschaftliche Bearbeitung dieses Rechtszweigs geäufsert hat, sowie die 34
B r i n z , Krit. VJSchr. X X I S. 1 - 1 4 . D e g e n k o l b , Civ. Arch. 74 Abh. 13 und im Sonderabdruck. 30 E x n e r , Erinnerung an Brinz, Wien 1888; K n o l l , Alois Brinz, Denkrede, Prag 1888 (behandelt B. als Politiker); R e g e l s b e r g e r , Krit. VJSchr. XXX S. 1—20. Vgl. auch (Münchener) Allgemeine Zeitung 1888 Nr. 17, 18, 21, 23. 37 W a c h , Krit. VJSchr. X X V I S. 161—180. 38 Joli. Em. K u n t z e , Jhering, Windscheid, Brinz 1892. A. M e r k e l , Jhering in Jherings Jahrb. für d. Dogm. d. Privatr. X X X I I S. 6—40. 35
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Einleitung.
Pandektenrecht im allgemeinen.
neueren Darstellungen der kodifizierten Partikularrechte berechtigen zu der Erwartung, dafs wenn erst der unvermeidliche Schwall von Kommentarlitteratur überwunden ist, die deutsche Civilrechtswissenschaft aus der neuen Aufgabe einen neuen Aufschwung empfangen wird.
§ 8. b. Die B ü c h e r g a t t u n g e n * .
I. A.
Exegetische
Werke.
Über das ganze corpus juris civilis·
In erster Linie sind zu nennen nicht blofs wegen ihres Alters die in den Glossen niedergelegten Exegesen der Bologneser Rechtslehrer (§ 7). Sie sind bis jetzt im wesentlichen nur in der Accursischen Verarbeitung, glossa ordinaria seu Accursiana, zugänglich. Doch ist schon der Anfang gemacht, das voraccursische Glossenmaterial aus den Handschriften hervorzuholen und der Wissenschaft eine „unübersehbare Masse edelsten Stoffs" zuzuführen 1. Eine grofse Zahl von Stellen des corp. jur. civ. sind behandelt in den Werken des „als Exegeten unerreichten" Jacobus Cujacius (S. 36). Zur leichteren Auffindung das Promptuarium univ. oper. Jac. Cujacii von Dominicus Albanensis 2 torn. (Neap. 1763 und Mut. 1795)2. B.
Über einzelne Teile·
1. I n s t i t u t i o n e n . Die Reihe der zahlreichen exegetischen Kommentare eröffnet eine griechische Bearbeitung der Institutionen, im Abendland unter der Bezeichnung Paraphrasis bekannt und gewöhnlich dem Mitverfasser der Justinianischen Institutionen Theophilus zugeschrieben3, jedenfalls nahe an die Verabfassung der Institutionen selbst heranreichend. Eine viel verbreitete, mit lateinischer Übersetzung versehene Ausgabe ist von Reitz, Theophili antecessoris para* S p a n g e n b e r g , Einleitung in das Römisch-Justinianische Rechtsbuch(1817), ein wegen seiner reichen Materialiensammlung noch heute schätzenswertes Buch. Einen guten Überblick giebt B r i n z , 2. Aufl. § 7—16. 1 L a n d s b e r g , Z. d. Sav. St. IX RA. S. 415 fg.; P e s c a t o r e , Die Glossen des Irnerius (1888). 2 T h i b a u t , Civ. Arch. X I I I S. 193—205, 452 fg. 3 Erhebliche Zweifel gegen die Urheberschaft des Theophilus spricht aus Ferrini in den Prolegomenon seiner Ausgabe der paraphrasis; es stimmten ihm darin bei der gründliche Kenner der byzantinischen Rechtslitteratur, Z a char i ä von L i n g e n t h a l , Z. d. Sav. St. V RA. S. 272 fg., und K r ü g e r , Geschichte der Quellen und Litteratur des RRs. S. 362.
Die Litteratur des Pandektenrechts.
Die
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§
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7
phrasis graeca 1751 2 tom., eine neue kritische von Ferrini, Institutionum graeca paraphrasis 1884 sq. In der neueren Zeit hat einen umfassenden Kommentar begonnen, aber nicht vollendet S c h r ä d e r , Corp. jur. civ. recens., perpetuo comm. instrux. torn. I 1832. 2. Digesten. Hervorragend, wenn gleich nicht die gesamten Digesten umfassend, sind: A. Faber, Rationalia in pandectas 5 tom. 1619—1626 und 1659—1663, D o n e l l u s , Comm. in quosdam titulos dig. und Cujacius, Tractatus ad Africanum; aus der neueren Zeit: W. F r a n c k e , Exegetisch-dogmatischer Kommentar über den Pandektentitel de Hereditatis Petitione 1864, B e t h m a n n - H o l l w e g , Das zwanzigste Buch der Pandekten. Erstes (und einziges) Heft 1877. 3. Codex. Azo (S. 34), lectura ad Codicem; Vorlesungen über die 9 ersten Titel 4 ; Donellus, Comment, ad Codic. Justin, partes. Für die aus dem Theodosianischen in den Justinianischen Codex übergegangenen Konstitutionen Jac. Gothofredus (S. 37), Codex Theodosianus cum perp. comment. 1665, neue Ausgabe von Ritter 1736—1745. 4. N o v e l l e n . Rittershusius (Rittershausen 1560—1613), Jus Justinianum h. e. Novellarum expositio methodica, zuerst 16155. Exegetische Arbeiten, welche sich nicht an eine durch das corpus juris civilis bestimmte Reihenfolge halten, wurden häufig unter den Titeln observationes, emendationes, interpretationes veröffentlicht. Berühmt Cujacii Observationum et emendationum libri XXVIII. Einen, wenn auch nicht vollständigen Nachweis über die vorhandenen Erklärungen von Stellen des corpus juris civilis liefert: S c h i m m e l p f e n g , Hommel redivivus oder Nach Weisung der bei den vorzüglichsten älteren und neueren Civilisten vorkommenden Erklärungen einzelner Stellen des corpus juris civilis. 3 Bde. 1858, 1859. Für die Erkenntnis der wissenschaftlichen Bewegung innerhalb der römischen Jurisprudenz und der Eigenart des einzelnen juristischen Schriftstellers sind sehr förderlich die sog. Palingenesieen. Sie geben eine Zusammenstellung der in den Justinianischen Digesten enthaltenen Auszüge aus den Juristenschriften nach Verfasser und Werk. C. F. H o m m e l , Palingenesia librorum juris veterum 3 tom. 1767, 68, jetzt überholt durch L e n e l , Palingenesia juris civilis vol. duo 1889. Eine vorzügliche Unterstützung bei der Auslegung bieten zwei Werke, welche die verschiedenen Bedeutungen der in den römischen Rechtsquellen verwendeten Ausdrücke in alphabetischer Ordnung dar* „Der Wert dieses Werks ist ungemein hoch anzuschlagen." Gesch. d. röm. Rechts i. Μ . Α. V Kap. 37. r> Hierüber S t i n t z i n g , Gesch. d. deutsch. Rechtsw. I S. 416 fg.
Savigny
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Einleitung.
Das Pandektenrecht im allgemeinen.
stellen : Barnabas Brissonius (S. 37), De verborum quae ad jus civile pertinent significatione, zuerst 1559, zum drittenmal herausgegeben und erheblich vermehrt von J. G. Heineccius 1743; Dirksen, Manuale latinitatis fontium jur. civ. Rom. 1837. Es giebt ein eigenes Wörterbuch für die römischen Rechtsquellen : H e u m a n n , Handlexikon zum corp. jur. civ. (später: zu den Quellen des römischen Rechts) I.A. 1845, 7. A. 1891. Noch mehr suchen das Verständnis der Justinianischen Gesetzessammlung Übersetzungen in die Landessprache zu erleichtern. Aus der neuern Zeit: Das corpus jur. civ. ins Deutsche übersetzt von einem Verein Rechtsgelehrter und herausgegeben von O t t o , S c h i l l i n g und S i n t e n i s 7 Bde. 1830—1833. Zur Popularisierung des römischen Rechts haben die Übersetzungen nichts, zur Förderung seiner wissenschaftlichen Erkenntnis nicht viel beigetragen. Wer aus den Quellen schöpfen will, darf sie nicht durch die Brille des Übersetzers betrachten. II. S y s t e m a t i s c h e Werke über das ganze Pandektenrecht. A.
Nach der Leçalordnung.
1. Der I n s t i t u t i o n e n t i t e l : H ö p f n e r , Theoretisch - praktischer Kommentar über die Heineccischen Institutionen, 1. Aufl. 1783, 8. Aufl. 1833 7 . 2. Der D i g e s t e n t i t e 1. Bis in das 18. Jahrhundert beherrschten den akademischen Unterricht und gaben Anstois zu einer eignen Litteratur: Wesenbeck (S. 37), Paratitla in pandectas, später Cominentarius in Pandectas jur. civ. et Codicis Justin, libros VIII, zuerst 1563, T r e u t i e r (1567—1607), Selectarum disputationum ad jus civ. Justin. L libris comprehensum, L a u t e r b a c h (1618—1678) Compendium juris, 9 Aufl. von 1679—1744, und Collegium theoretico-practicum ad L Pandectarum libros 3 vol. 1690—1711, später noch 5 Aufl., letzte 17848. Diese Stoffeinteilung ragt noch in unser Jahrhundert herein durch folgendes Werk: Chr. Friedrich G l ü c k (1755—1831), Ausführliche Erläuterung der Pandekten nach Hellfeld, ein Kommentar („Glücks Kommentar"). Begonnen 1790 und von Glück bis zum 34. Band 6
Über frühere Versuche S p a n g e n b e r g , Einleitung S. 345 fg. S a v i g n y , Vermischte Schriften IV S. 202 urteilt darüber: durch gute klare Darstellung wirklich lesbar, aber von den Schwächen seines Zeitalters keineswegs frei. 8 S t i n t z i n g , Gesch. d. Rechtsw. I S. 356 fg., 465 fg., 655 I I S. 139 fg. 7
Die Litteratur des Pandektenrechts.
Die
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§ .
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(lib. XXVIII tit. 2) geführt. Fortgesetzt erst von M ü h l e n b r u c h von 1832—1843 bis zum 43. Band (lib. XXIX tit. 6), dann von F e i n von 1851—53, 44. und 45. Band (lib. XXIX tit. 7). Nunmehr teilten sich mehrere Gelehrte in die Weiterführung: A r n d t s lieferte die Bände 46—48 (1868—78), die Lehre von den Vermächtnissen (libr. XXX—XXXII) behandelnd, aber nicht vollendend; hieran schliefst sich S a l k o w s k i , Die Lehre von den Vermächtnissen Teil IV 1889; B. W. L e i s t Serie der Bücher XXXVII und XXXVIII, fünf Teile 1870—79; B u r c k h a r d , Serie der Bücher XXXIX und XL, drei Teile 1871—81 (die drei ersten Titel des 39. Buchs enthaltend); C z y h l a r z , Serie der Bücher XLI und XLII, bis jetzt ein Teil 1887; U b b e l o h d e , Serie der Bücher XLIII und XLIV, bis jetzt zwei Teile 1889 und 1890. Was von G l ü c k selbst geliefert wurde, hat fast nur Wert als Repertorium über die ältere Litteratur 9 . Gerade diesen Dienst leisten die neueren Bearbeitungen nicht, sie entschädigen aber durch die Selbständigkeit der Behandlung. B. Nach selbständiger Ordnung.
Nicht der erste 10, aber weitaus der bedeutendste unter den Schriftstellern der früheren Jahrhunderte, welche sich vom Gerippe der Institutionen und Digestentitel lossagten, ist Hugo D o n e l l u s (S. 36) mit seinem Werk Commentarii juris civilis libri XXVIII, von Buch 17 an aus seinen Vorarbeiten durch Scipio G e n t i i i s , seinen Altdorfer Kollegen zusammengestellt11. Neueste Ausgabe von König und Bucher 1801—34 in 16 Bänden. Nur einen Auszug enthält: H i l l i g e r , Donellus enucleatus 2 Bde. 1610 u. öfter. Im 17. und 18. Jahrhundert sind mehrere Bearbeitungen des Pandektenrechts nach selbständiger Ordnung erschienen und teilweise sehr beliebt gewesen, so die Jurisprudentia Romano - Germanica forensis von G. A. Struve zuerst 1712 zuletzt 1801 hat 18 Auflagen erlebt von 1670—1771 1 2 , die Oeconomia juris ad usum hodiernum accommodata von J. G. B e r g e r 1801. Sie haben die Systematik nicht erheblich gefördert. Bessere Leistungen treten erst mit dem Ende des vorigen Jahr9
S a v i g n y a. a. 0.: „an Geist und Geschmack Höpfner nicht zu vergleichen." Über Franc. Connanus (1508—1551) vgl. R a t j e n , Z. f. RG. V I I I S. 282. 11 S t i n t z i n g , Hugo Donellus in Altdorf S. 41: „Donells Werk steht in seiner Zeit und Art einzig da". Derselbe Gesch. d. Rechtsw. I S. 379fg.; R a t j e n , a. a. 0. S. 286 fg. 12 S t i n t z i n g , Gesch. d. Rechtsw. I I S. 157 fg. 10
B i n d i n g , Handbuch. I. 7. 1: R e g e l s b e r g o r , Pand. I .
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Das Pandektenrecht im allgemeinen.
hunderte auf: G u s t a v Hugo (S. 40) ist der erste, welcher in den Institutionen des heutigen römischen Rechts 1789 das jetzt übliche Pandektensystem aufstellte. Er hat es freilich in den spätem Auflagen, welche unter verändertem Titel erschienen, die 7. als Lehrbuch des heutigen römischen Rechts 1826, wieder aufgegeben. Aber von Heise, Grundrifs eines Systems des Gemeinen Civilrechts, 1. Aufl. 1807 aufgenommen, ist es seitdem herrschend geworden — C. C. Hofacker, Principia jur. civ. Romano-Germanici 3 tom. 1780—98, 2. ed. 1801—03, umfafst auch das deutsche Privatrecht. Dem laufenden Jahrhundert gehören an: T h i b a u t , System des Pandektenrechts 1803 2 Bde., in 2 . - 6 . Aufl. 3 Bde., in 7 . - 9 . wieder 2 Bde., zuletzt 1846 von B u c h h o l t z herausgegeben. Das einst hochgeschätzte und viel verbreitete Buch ist jetzt veraltet. F. M a c k e l d e y (1784—1833), Lehrbuch der Institutionen des heutigen römischen Rechts 1814, später Lehrbuch des heutigen römischen Rechts 2 Bde., hat 14 Auflagen erlebt (neueste 1860—3) und ist in fast alle lebenden Sprachen übersetzt worden, hat aber in der Wissenschaft keine Spur zurückgelassen. A. S ch w ep ρ e (1783—1829), Das römische Privatrecht in seiner Anwendung auf deutsche Gerichte 1814, die vierte zum Handbuch umgeformte Ausgabe in 5 Bänden 1828—34, zum Teil besorgt von W. M e j e r. — W e n i n g - I n g e n h e i m (1790—1831), Lehrbuch des gem. Civilrechts 1822—25 3 Bde., 5. Aufl. von F r i t z 1837, 38, der auch dazu Erläuterungen, Zusätze und Berichtigungen schrieb, 1833—39. — M ü h l e n b r u c h (S. 42) Doctrina pandectarum 3 tom. 1823—25, 3. ed. 1830, 31, und Lehrbuch des Pandektenrechts 1835, 36, 4. Aufl. von M ad ai 1844. — J. A. S e u f f e r t (1794 — 1858), Praktisches Pandektenrecht 3 Bde. 1824, 25, 4 Aufl. von Ε. A. S e u f f e r t (Sohn) 1860—71. — G. F. P u c h t a (S. 42), Pandekten 1838, 4.-11. Aufl. besorgt von R u d o r f f , 12. (1877) von S c h i r m er, ein Lehrbuch im Lapidarstil, strenge Systematik, scharfe Begriffe, aber Uberschätzung des logischen Elements im Recht Dazu Ergänzung: Puchta, Vorlesungen über das heutige römische Recht, 2 Bde., nach dem Tode Puchtas herausgegeben, zuletzt in 6. Aufl. 1874. — Göschen (1778 bis 1837), Vorlesungen über das gemeine Civilrecht, aus dessen hinterlassenen Papieren herausgegeben von E r x l e b e n 3 Bde. in 5 Abt. 1838—40, 2., unveränd. Aufl. 1842, 43. — V a n g e r o w (S. 42), Leitfaden für Pandektenvorlesungen, 3 Bde., 1838—47, 2.—5. Aufl. sind unveränderte Abdrücke, seit 6. Aufl. unter dem Titel Lehrbuch der Pandekten, 7., sorgfältig bearbeitete Aufl. 1863—69, ein Grundrifs mit Ausführungen über viele Lehren, schätzbar durch die gewissenhafte Berücksichtigung der Litteratur. — K i e r u l f f ,
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Theorie des geineinen Civilrechts, 1 Bd. 1839 (unvollendet); hierüber S. 44. Von dem tiefgreifendsten und nachhaltigsten Einflufs war das Werk, mit welchem S a v i g n y (S. 40) seine Lebensarbeit abschlofs: System des heutigen römischen Rechts, 8 Bde., 1840—49, mit Register von Heuser. Die acht Bünde behandeln nur die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts. Es sind noch erschienen 2 Bde des Obligationenrechts 1851, 53 (unvollendet). - R. v. H o l z s c h u h e r (1777—1861), Theorie und Casuistik des gemeinen Civilrechts, 3 Bde., 1843—54, in der sonderbaren Form von Fragen und Antworten, 3. Aufl. besorgt von J. E. K u n t z e 1863, 64. — S i n t e n i s (1804—68), Das praktische gemeine Civilrecht, 3 Bde. 1844—51, 3. Aufl. 1868, 69. — A r n d t s , Lehrbuch der Pandekten 1850—52, 14. Aufl. 1889, seit der 10. Aufl. herausgegeben und ergänzt von Ρ faff und Hof man η; eine italienische Übersetzung mit Zuthaten von S e r a f i n i hat schon mehrere Auflagen erlebt. — B r i n z , Lehrbuch der Pandekten 1857 bis 1871 (1718 Seiten). Von der 2. wesentlich veränderten Auflage sind erschienen Bd. 1 1873 (davon eine Lieferung in 3. Aufl. 1884), Bd. 2 1879, 82, Bd. 3 Abt. 1 1886, Abt. 2 Lief. 1 1888; von der Fortsetzung besorgt durch L O t m a r , Bd. 3 Abt. 2 Lief. 2 1889, Bd. 4 Lief. 1 1892. unter den neuern Lehrbüchern in Anlage und Ausführung das selbständigste, voll Anregung, aber mit ernsten Anforderungen an den Leser. — K e l l e r , Pandekten-Vorlesungen nach seinem Tod (aber nicht nach seinem Willen) herausgegeben 1. Aufl. von F r i e d b e r g 1861, 2. von L e w i s 1866. — W i n d s c h e i d , Lehrbuch der Pandekten, 3 Bde. 1862—70, 7. Aufl. 1891: „ausgezeichnet durch selbstständige Forschung, Schärfe im Denken, Gründlichkeit und Vollständigkeit und treffende Orientierung über die neuere Litteratur" ( W ä c h t e r ) . — B a r o n , Pandekten 1872, 8. Aufl. 1893. — W ä c h t e r , Pandekten, herausgegeben von 0. v. W ä c h t e r , 2 Bde. 1880, 81, ein Abdruck der Vorlesungen des berühmten Rechtslehrers, einschliel'slich der Beilagen. — D e r n b u r g , Pandekten, 3 Bde. 1884 bis 1887, dritte Aufl. 1892. — B e k k e r , System des heutigen Pandektenrechts, Bd. 1 1886, Bd. 2 1889, noch unvollendet. — W e n d t , Lehrbuch der Pandekten 1888. — H o l d e r , Pandekten, Allgemeine Lehren 1891. — Eine kurze aber treffliche Darstellung hat B r u n s (S. 45) in der Encyklopädie von Holtzendorff geliefert unter dem Titel: Das heutige römische Recht. Beachtenswerte Bearbeitungen des reinen römischen Privatrechts, durch Ausführlichkeit den Pandektenwerken nahe kommend, sind: ß ö c k i n g (1802—70), Institutionen, Lehrbuch des römischen Privat4*
Einleitung.
52
Das Pandektenrecht im allgemeinen.
rechts, 1 Bd. 1843, in 2. Aufl. unter dem weitspurigen Titel: Pandekten des römischen Privatrechts auf dem Standpunkt unseres heutigen Rechtssystems oder Institutionen des gemeinen deutschen Civilrechts, Bd. 1: Einleitung in die Pandekten des gemeinen Civilrechts 1853, von dem besondern Teil ist nur eine Lieferung 1855 erschienen, ein scharfsinniges, auf umfassender Stoffkenntnis ruhendes, nicht gerade geschmackvoll geschriebenes Buch. — Z r o d l o w s k i , Das römische Privatrecht, 2 Bde. 1877, 80, unvollendet. — M a y n z , (Professor in Lüttich), Cours de droit Romain (früher Elements d. d. R.) 3 vol. 4ine ed. 1876 13 . Noch etwas weiter liegt vom Pandektenrecht ab, ist aber gleichwohl dafür ergiebig: A. Per ni ce, Marcus Antistius Labeo, das römische Privatrecht im 1. Jahrhundert der Kaiserzeit, 1. Bd. 1873, 2. Bd. 1878, 3. Bd. 1. Abt. 1892, unvollendet. Aus dem Rahmen der gewöhnlichen geschichtlichen wie dogmatischen Bearbeitung des römischen Rechts tritt heraus das an tiefen Einblicken in Wesen und Werden des Rechts, an neuer Beleuchtung verschiedener Rechtslehren reiche Werk von J h e r i n g , Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, Band 1, 2 (in 2 Abt.), 3. Abt. 1 (häufig Bd. 4 citiert) 1852-65, 4. Aufl. 1878—88. Auf einem noch allgemeineren Standpunkt steht desselben Verfassers Werk: Der Zweck im Recht, 2 Bde. 1877, 83, 2. Aufl. 1884, 86 1 4 . Mannigfache Bereicherung verdankt die Lehre des Pandektenrechts den systematischen Bearbeitungen 1. des Handelsrechts: T h öl (1807—84), Das Handelsrecht Bd. 1 (Das Handelsrecht i. e. S. im Gegensatz zum Wechselrecht) 1841, 6. Aufl. 1879, Bd. 3 (Das Transportgewerbe) 1880. — G o l d s c h m i d t , Handbuch des Handelsrechts Bd. I Abt. 1 1864, Abt. 2 1868, 2. Aufl. Bd. I (die frühere Abt. 1 enthaltend) 1875, Bd. I I Lief. 1 1883, 3. Aufl. Bd. I Abt. 1 1891. — Handbuch des deutschen Handels-, See- und Wechselrechts. Unter Mitwirkung Mehrerer herausgegeben von Endemann, 4 Bde. 1881—85. — B e h r e n d , Lehrbuch des Handelsrechts Bd. I 1880—91 (unvollendet). 2. von Partikularrechten: W ä c h t e r , Handbuch des im Königreich Württemberg geltenden Privatrechts, 1. Bd. (Geschichte, Quellen, Litteratur) 1839—42, 2. Bd. (Allgemeine Lehren) 1842—51. — U n g e r , System des österreichischen allgemeinen Privatrechts, Bd. I, 13
Vgl. das anerkennende Urteil von B r u n s , Krit. VJSchr. XX S. 518. Über beide Werke verbreitet sich A. Merkel in dem § 7 X. 38 angeführten Nachruf. 14
Die Litteratur des Pandektenrechts.
Die
ertung.
§
.
5
3
I I 1856—59 und seitdem in mehreren Abdrücken (Allgemeine Lehren) Bd. VI (Erbrecht) 1864. — F ö r s t e r (1819- 78), Theorie und Praxis des preufsischen Privatrechts, 4 Bde. 1865—73, von der 4. Auflage an bearbeitet und nicht unerheblich umgestaltet durch E c ci us, 6. Auflage im Erscheinen begriffen. — D e r n b u r g , Lehrbuch des preufsischen Privatrechts (später mit dem Beisatz: und der Privatrechtsnormen des Reichs), 3 Bde. 1871—80, 5. Auflage im Erscheinen. B ö h l au (1833—87), Mecklenburgisches Landrecht, 3 Bde. 1871—80, (unvollendet). III. Sammlungen von E i n z e l a b h a n d l u n g e n , Z e i t s c h r i f t e n . In den früheren Jahrhunderten traten die Einzelabhandlungen grofsenteils in der Form von akademischen Gelegenheitsschriften zu Tage. Zusammenstellungen: O t t o , Thesaurus jur. rom. continens rariora meliorum interpretum opuscula 4 tom. 1725 -29, 5 t. 1733—35, 1741—44. — M e e r m a n n , Novus thesaurus jur. civ. et can. 7 tom. cum suppl. 1751—80. — B a r t h , Sammlung auserlesener Dissertationen, 5 Bde. 1835—46. — Sammlung von Abhandlungen der Mitglieder der Leipziger Juristenfakultät 1868 fg. Zeitschriften, welche bereits abgeschlossen sind: Civilist. Magazin von Hugo, 6 Bde. 1791—1837. — Zeitschrift für Civilrecht und Prozefs („Gielsner Zeitschr.') von L i n d e , unter wechselnder Mitwirkung, 20 Bde. 1827—44. Neue Folge 20 Bde. 1845—65. — Rheinisches Museum für Jurisprudenz, 7 Bde. 1827—35. — Jahrbuch des gemeinen deutschen Rechts von B e k k e r und M u t h e r , später auch Stobbe, 6 Bde. 1857—63. Zeitschriften, welche noch im Erscheinen begriffen sind: Archiv für die Civilist. Praxis, von M i t t e r m a i e r begründet 1818 und bis zu seinem Tode (1867) geleitet, seit mehreren Jahren herausgegeben von Mitgliedern der Tübinger Juristenfakultät, bis jetzt 80 Bde. — Archiv für praktische Rechtswissenschaft, herausgegen von hessischen Praktikern seit 1852. — Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts, begründet 1857 von Gerber und J h e r i n g , vom 7. Bande an von J h e r i n g allein herausgegeben bis zu seinem Tod; von Bd. 32 an unter dem Titel: Jherings Jahrbücher u. s. w. herausgegeben von R e g e l s b e r g e r und E h r e n berg, 32. Band im Erscheinen. — Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart, herausgegeben von G r ü n h u t seit 1874. — Archiv für Bürgerliches Recht, herausgegeben von K o h l er und R i n g seit 1888. — Rechtsgeschichtliche Zeitschriften siehe § 7 N. 31.
Einleitung.
54
Das Pandektenrecht im allgemeinen.
Kritische Zeitschriften : (Münchner) Kritische Überschau der deutschen Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, herausgegeben von A r n d t s , B l u n t s c h l i und P ö z l , 6 Bde. 1853—59.— (Münchner) Kritische Vierteljahrsschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, herausgegeben von Mitgliedern der Münchner Juristenfakultät seit 1859 34 Bde. Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft, herausgegeben von B e r n h ö f t und G. Cohn, jetzt auch K o h l e r , seit 1878. Zeitschrift für internationales Privat- und Strafrecht, herausgegeben vom Oberlandesgerichtsrat Böhm seit 1891. Von auswärtigen Zeitschriften ist wegen der engen Fühlung mit der deutschen Rechtswissenschaft beachtenswert: Archivio giuridico, herausgegeben zuerst von Ellero, dann von Serafini seit 1868. Eine Sammlung von Abhandlungen enthalten auch die Rechtslexika von W e i s k e , 15 Bde. 1839—61, von H o l t z e n d o r f f , 2 Bde. 1870-73, 3. Aufl. 3 Bde. 1880, 81. IV. S a m m l u n g e n von R e c h t s s p r ü c h e n , Rechtsgutachten, Rechtsfällen. Eine in früheren Jahrhunderten sehr gepflegte Litteraturgattung 15. Zu erwähnen: D. Me v i us (1609—70), Decisiones super causis praecipuead supr. tribun. Wismariense delat. 1664—75, 10. Aufl. 1791—94. — Aug. de L e y s e r (1683 — 1752), Meditationes ad pandectas, mit den Ergänzungen 13 Bde. 1713-80. — V. G. S t r ü b e (1694 bis 1775), Rechtliche Bedenken, 5 Teile 1761 fg., Ausgabe von Spangenberg 1827 fg. — K i n d (1747—1836), Quaestiones forenses 4 tom. 1792 fg. — B. W. P f e i f f e r , Praktische Ausführungen aus allen Teilen der Rechtswissensch., 8 Bde. 1825--50. In diesem Jahrhundert gab es zunächst nur Sammlungen richterlicher Erkenntnisse für jedes einzelne oberste Gericht in Deutschland. Diesen Partikularismus durchbrochen zu haben ist das Verdienst von J. A. S e u f f e r t (S. 50) durch Begründung des „Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten" 1847, nach dem Tode Seufferts von Andern fortgesetzt, bis jetzt 48 Bde. Die wichtige Rechtsprechung des vormaligen Reichsoberhandelsgerichts ist am zuverlässigsten ersichtlich aus den von Mitgliedern des Gerichtshofes herausgegebenen „Entscheidungen des Bundes- (vom 3. Bande an Reichs-) Oberhandelsgerichts", 25 Bde. und 4 Registerbände 1870—80; die Rechtsprechung des jetzigen Reichsgerichts aus den „Entscheidungen des Reichsgerichts in Civilsachen" seit 1880, bis jetzt 29 Bde. 15
S t i n t z i n g , Gesch. d. Rechtsw. I S. 491 fg., I I S. 84 fg., 118%.
Erstes
Buch.
Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
Erster Abschnitt.
Vom Rechte und den Rechten im allgemeinen. I.
Grundbegriffe.
§ 1.
Begriff des Rechts*.
D i e Rechte ruhen sämtlich auf dem Boden des Rechts. Das will besagen : was jemand an Rechtsbefugnissen (Recht im subjektiven Sinne) zusteht, hat er vermöge der Anerkennung in den Rechtssatzungen (Recht im objektiven Sinne). Der Darstellung der Rechte mufs daher vorausgehen die Erörterung über das Wesen des Rechts i. obj. Sinne, über die Entstehung, die Aufhebung, die Arten und die Anwendung der Rechtssätze. Diese Lehren sowie die Lehre vom Wesen der Rechte sind kein ausschliefsliches Besitztum der Pandekten, sie gehören der allgemeinen Rechtslehre an. Da aber diese Disciplin bei der juristischen Ausbildung noch immer nicht so sicheren Fufs gefafst hat als wünschenswert ist, so pflegt jenen allgemeinen Lehren bei der Darstellung des * An der Aufgabe, den Rechtsbegriff festzustellen, haben sich Philosophen und Juristen beteiligt. Die Litteratur ist daher aufserordentlich reichhaltig. Zu nennen sind a) von rechtsphilosophischen Werken K a n t , Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Einleitung. F i c h t e , Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre 1. Hauptstück. H e g e l , Grundlinien der Philosophie des Rechts, Einleitung. S t a h l , Die Philosophie des Rechts Bd. I I Abt. 1 Buch 2; T r e n d e l e n b u r g , Naturrecht auf dem Grunde der Ethik § 45—51; L a s son, Rechtsphilosophie § 3, 5 fg. Manche Goldkörner in R ü m e l i n , Reden und Aufsätze, namentlich I I S. 317—349; b) von juristischen Werken: B i e r l i n g , Zur Kritik der juristischen Grundbegriffe I (1877) I I (1883); J h e r i n g , Zweck im Recht I Kap. V I I I (1. Aufl. 1877, 2. Aufl. 1884); T h o n , Rechtsnorm und subjektives Recht (1878); D a h n , Die Vernunft im Recht (1879); A. M e r k e l , Juristische Encyklopädie § 1—80 (1885) und in der 5. Auflage von H o l t z e n d o r f f s Encyklopädie S. 5—44.
58
Erstes Buch.
Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
Pandektenrechts eine eingehendere Betrachtung gewidmet zu werden. Freilich bekommen sie dadurch eine gewisse einseitige Beleuchtung, dafs sie im besonderen Hinblick auf die Erscheinungen im Gebiete des Privatrechts behandelt werden. I. Alles Recht ist nur für die Menschen und durch die Menschen vorhanden. Vom Wesen des Menschen ist daher auszugehen, um zum Wesen des Rechts vorzudringen. Unter den mannigfachen Seiten, welche das Wesen des Menschen der Betrachtung bietet, ist eine, dafs die Menschen ihr Leben in mannigfachen Verbindungen untereinander, in Gemeinschaften vollführen. Schon mit der Geburt tritt der Mensch in den Kreis der Familie, er wird Glied eines Volks und Staats, einer Gemeinde, einer religiösen Gemeinschaft u. s. w. Diese und andere Verbindungen heben den Menschen auf eine höhere Stufe des Daseins und ermöglichen ihm die Entwicklung seines geistigen und sittlichen Wesens. Unus homo, nullus homo. Zusammenleben erheischt Ordnung. Denn Leben bedingt Bethätigung des Willens in der Aufsenwelt. Täglich, stündlich treten wir in Beziehungen zu anderen Menschen. Damit die Anderen neben und gleich ihm bestehen können, mufs jeder von seiner natürlichen Freiheit opfern; damit die Gemeinschaft gedeihen und Allen ihre schützende und fördernde Hand reichen kann, mufs ihr jeder einen Teil seiner Kräfte zur Verfügung stellen. Abgrenzung der Einzelsphären und Verbindung der Einzelkräfte zur Herstellung eines gesicherten Gemeinzustands ist die Aufgabe der ordnenden Macht. Die Aufsuchung der Linie für das Verhalten im Gemeinleben kann weder der Einsicht noch dem guten Willen der Einzelnen überlassen bleiben. Das Zusammenleben ist durch Normen bedingt, welche unabhängig von der Überzeugung des Einzelnen, dafs sie gerecht und zweckmäfsig sind, Befolgung fordern und die mit der Macht zur Bewährung ausgerüstet sind. Kurz : die Normen müssen gesetzt (positiv) und von zwingender Kraft sein. Diese gesetzte verpflichtende Ordnung innerhalb eines durch bestimmte Thatsachen geschlossenen Gesellschaftsverbands ist die Rechtsordnung oder das Recht (sc. i. obj. S.). Im Recht wirken somit das Prinzip der Ordnung und das Prinzip der Freiheit zusammen. Das Recht unterwirft zur Aufrichtung einer Ordnung in der Gemeinschaft den Willen der Einzelnen festen Normen. Es gewährleistet aber auch den Einzelnen innerhalb gewisser Grenzen freie Willensbethätigung.
Vom Rechte u. d. Rechten im allgemeinen. Begriff d. Rechts. § 9.
59
Die Rechtsordnung ist aber nicht blofs Herrscherin und zwingende Macht, sie ist auch Lehrmeisterin und Erzieherin. Sie tritt nicht wie das dunkle Verhängnis an den Menschen, sie spricht mit ihren Vorschriften zu ihm und will in erster Linie sein Verhalten lenken. Erst wo der Gehorsam versagt wird, entwickelt sie die Mittel ihrer Macht H. Das Recht ist den Menschen gesetzt, aber es wurzelt nicht aufserhalb der Menschheit. Die Rechtsordnung ist ein Erzeugnis des menschlichen Geistes, nicht des einzelnen Menschen sondern der Gemeinschaft, nicht der Gemeinschaft aller Menschen sondern der gröfseren Verbände, in welche sich die Menschheit gliedert, vor allein der Volks- und Staatsgemeinschaften. Das Recht ist ein Ergebnis des in die Menschen gelegten sittlichen Triebs nach Ordnung des Zusammenlebens und der in der Gemeinschaft sich bildenden vernünftigen Auffassung der Lebensverhältnisse, ihres sittlichen, wirtschaftlichen, socialen Zwecks: es ist die vernünftig-sittliche Regelung des Gemeinlebens. In dem Zusammenhang des Rechts mit der Beschaffenheit der Lebensverhältnisse und ihrer Spiegelung im Bewufstsein des Volks und der Zeit liegt seine geschichtliche und nationale Bedingtheit. Die Rechtsordnung wird bestimmt durch die Interessen der Gesamtheit, denn die Erhaltung und Vervollkommung der Gemeinschaft, incolumis civium conjunctio, ist ihr Zweck. Aber die Gesamtheit besteht aus lebendigen Gliedern. Die Glieder sind die Einzelmenschen und die untergeordneten Personenverbände. Soll das Ganze gedeihen, so mufs den Gliedern das für die Entfaltung des Individuallebens erforderliche Mafs freier Bewegung gewährt werden. Zwischen den beiden entgegengesetzten Richtungen in der Ausgestaltung der gesellschaftlichen Lebensordnung, der individualistischen und der socialistischen den rechten Weg zu finden, ist die schwierige Aufgabe der Rechtsbildung. III. Mit den Ausdrücken Rechtsordnung und Recht bezeichnen wir bald die ordnende Macht, bald das Geordnete. Es giebt eine Rechtsordnung im subjektiven und im objektiven Sinne. Zur Herstellung der Ordnung giebt jene Macht Vorschriften, zu deren Erhaltung dient ihr nötigenfalls der Zwang. Die Vorschriften stammen vom Recht und schaffen Recht, heifsen daher Rechtsvorschriften; sie sind gesetzt vom Recht und setzen Recht, heifsen daher Rechtssätze; sie geben clem Verhalten der Menschen rechtlich Mafs und Ziel, 1
Über den im Stillen waltenden friedlichen Einflufs des Rechts H a m a c k e r , Internationales Privatrecht S. 15 und A. M e r k e l , Jurist. Encyklop. § 22—59. Vgl. auch unten § 27 I I a. E.
60
Erstes Buch.
Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
heifsen darum Rechtsnormen und Rechtsregeln. Diese Vorschriften Sätze, Normen, Regeln bilden das Recht im o b j e k t i v e n Sinne. IV. Das Ganze, wie die Glieder einer Rechtsgemeinschaft bedürfen zur Befriedigung ihrer Lebensinteressen in mannigfacher Art einer gesicherten Macht über Dinge der Aufsenwelt, über Menschen und Sachen. Das objektive Recht bestimmt die Bedingungen, unter welchen es solche Macht anerkennt und schützt. Durch Erfüllung der Bedingungen entstehen rechtlich anerkannte und geschützte Machtsphären. Unsere Sprache verwendet gleich der lateinischen dasselbe Wort zur Bezeichnung der Regel wie des Geregelten; wir nennen eine von der Rechtsordnung gewährleistete Machtsphäre ein Recht (z. B. Wegerecht, jus eundi agendi per fundum). Das Recht in diesem Sinne hat immer eine unmittelbare Beziehung zu einem Subjekte, welches als sein Träger erscheint, daher Recht im s u b j e k t i v e n Sinn. Da die dem Berechtigten zuerkannte Machtsphäre innerhalb des Gemeinwesens liegt, so begründet die Berechtigung des Einen eine Einschränkung und Verpflichtung Andrer. Dieselbe Quelle, welche das Recht erzeugt, erzeugt die R e c h t s p f l i c h t . Rechtssatz, Berechtigung, Rechtspflicht stehen in engster Verbindung. Jener bildet die objektive, die beiden letztern die subjektive Seite im Gesamtbegriff des Rechts. Keine kann ohne die andere bestehen. § 10.
2. Recht, Sittlichkeit, Sitte*. Forderungen für das Thun und Lassen der Menschen stellt nicht allein das Recht auf, sondern auch die Sittlichkeit (Moral) und die Sitte. Neben den Gesetzen des Rechts giebt es Gesetze der Sittlichkeit und der Sitte. Alle drei Gesetzesarten wenden sich an den Willen des Menschen, enthalten ein Sollen, haben daher die Fähigkeit zur Selbstbestimmung nach vernünftigem Ermessen zur Voraussetzung und sind der Übertretung zugänglich. Hierin liegt ihr Unterschied vom sog. Naturgesetz, * P u c h t a , Instit. I § 7 und Vorl. § 20; S t a h l , Rechtsphilos. I I Abt. 1 Buch 2 Kap. 1; T r e n d e l e n b u r g , Naturrecht § 14, 15, 45, 46; H ä l s c h n e r , Gerichtssaal X X I S. 31 fg.; B i e r l i n g , Kritik der Grundbegriffe I S 168 fg.: J h e r i n g , Der Zweck im Recht I I A. M e r k e l , Jurist. Encykl. § 68—80. Eine gute Übersicht über die Theorien vom Verhältnis des Rechts zur Moral giebt L a s s o n , System der Rechtsphilos. § 1 Anm. 1, § 13 Anm. 7. Dazu R ü m e l i n , Reden und Aufsätze 1 S. 62—87, I I S. 317—349.
Vom Rechte α. d. Rechten im allgemeinen. Recht, Sittlichkeit, Sitte. § 10.
61
ein Ausdruck, womit nur die Wahrnehmung von einem notwendigen Thatsachenzusammenhang bezeichnet wird, nicht ein Richtmafs des Willens. Alle drei sind Erzeugnisse menschlicher Gemeinschaft, wenn sie auch nicht immer aus denselben Gemeinschaftskreisen hervorgehen und in der Form der Entstehung von einander abweichen. Daher stehen alle drei unter dem Einflufs der Gliederung der Menschheit in die volksmäfsigen, staatlichen und religiösen Verbände und unterliegen dem Wandel in der Zeit. Sie sind auf den untern Entwicklungsstufen der Völker noch ungeschieden ; der Sonderungsprozefs vollzieht sich aber bei dem einen Volke rascher (ζ. B. bei den Römern) als bei andern. Recht, Sittlichkeit und Sitte haben das Endziel gemeinsam: sittliche \'ervollkommnung der Menschheit. Aber sie vollführen diese Aufgabe auf verschiedenen Wegen und mit verschiedenen Mitteln. I. Die Gebote der Sittlichkeit suchen in erster Linie die Gesinnung des Menschen zu bestimmen, nur mittelbar den Willen. Daher ist ihre Erfüllung nur möglich als Ausflufs des innern Wohlgefallens an der Verwirklichung des Guten. Die Außenseite des menschlichen Verhaltens wiegt in der Wagschale der Sittlichkeit nicht mit; Wohlthätigkeit ist sittlich oder unsittlich, je nachdem sie die Liebe zum Nebenmenschen oder eigennützige Berechnung zur Triebfeder hat. Dem Rechte ist die Gesinnung des Handelnden nicht gleichgültig, aber nicht das zunächst entscheidende. Ihm geschieht genüge, wenn das äufsere Verhalten des Menschen mit seinen Geboten in Einklang gesetzt wird. Erst wo dieser Einklang fehlt, kann auch die Gesinnung des Handelnden zur rechtlichen Würdigung kommen, am umfassendsten im Strafrecht Darum ist mit den Geboten des Rechts der äufsere Zwang vereinbar, welcher den Geboten der Sittlichkeit widerstrebt; die erzwungene Pflichterfüllung entbehrt des sittlichen Werts. Darum kann dem Rechte gemäfs sein, was sittlich verwerflich ist: non omne quod licet honestum est. Wer darin eine Unvollkommenheit des Rechts erblickt, verkeünt die Teilung der Aufgaben. Nicht das Recht allein hat die Menschen einer höhern Daseinsstufe entgegenzuführen. Wer vor dem Richterstuhl des Rechts bestanden hat, ist noch nicht jeden Richters ledig. Aber Selbständigkeit, nicht Gegensätzlichkeit ist das Verhältnis, welches dem Wesen von Recht und Sittlichkeit entspricht. Das Rechtswidrige kann nur dann sittlich gerechtfertigt sein, wenn das Recht auf gefährliche Abwege geraten ist (Revolution gegen schweren
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Erstes Buch.
Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
Miisbrauch des Rechts), und was die Sittlichkeit verletzt, sollte nie den Inhalt eines Rechtsgebots bilden. Noch mehr: Recht und Sittlichkeit sind auf gegenseitige Unterstützung angewiesen. Wo die Bande der Rechtsordnung sich lösen, wird sittliche Verwilderung einreifsen. Umgekehrt würde das Recht, dem die Macht der Sittlichkeit nicht zu Hilfe kommt, mit den Mitteln der Gewalt allein sich vergeblich zu behaupten suchen1. „Wenn das Rechtsgesetz nicht in die Gesinnung der Bürger aufgenommen wird und aus ihr Kräfte zieht, so ist es gebrechlich wie Holz, welches keine Säfte mehr hat." ( T r e n d e l e n b u r g . ) Das Recht ist allenthalben, im öffentlichen wie im Privatrecht, im Familien- wie im Vermögensrecht von sittlichen Prinzipien durchzogen, ohne dafs es im Normenkreis der Sittlichkeit aufgeht 2. Auch sind die Grenzen zwischen beiden Gebieten stets flüssig. Was gestern noch blofses Gebot der Sittlichkeit war, kann heute zur Rechtspflicht erhoben sein (z. B. Versicherung der Arbeiter gegen Unfälle durch den Fabrikherrn), und umgekehrt (z. B. Aufhebung der Strafe für eigenmächtige Rechtsbefriedigung). II. Näher den Vorschriften des Rechts als den Geboten der Sittlichkeit stehen die Regeln der S i t t e , d. h. des Anstands, der Höflichkeit, des äufseren Brauchs im Verkehr. Wie jene beruhen sie mehr auf äufserer Feststellung; daher kann auch der normal angelegte und entwickelte Mensch sich mit der Berechtigung von solchen Vorschriften in Widerspruch befinden, was bei den Geboten der Sittlichkeit ausgeschlossen ist. Wie jene zielen sie auf Herstellung eines äufseren Zustands, auf ein gesellschaftliches Verhalten ab. Darum widerstrebt ihrer Natur nicht die äufsere Erzwingung. Allerdings stehen ihnen nicht so starke Zwangsmittel zur Seite wie den Vorschriften des Rechts; sie sind im wesentlichen auf den Nachdruck beschränkt, welchen die Achtung vor der öffentlichen Meinung und eine gewisse gesellschaftliche Selbsthilfe (Abbruch des Verkehrs u. s. w.) auszuüben vermögen. Dies genügt für die Vorschriften der Sitte, denn ihrem Schutz ist das für das Zusammenleben minder wichtige 1
Die Einseitigkeit in der Erfassung der Dinge und die Unerschrockenheit in Ziehung der Folgen, welche die Stärke und Schwäche bei F i c h t e bilden, haben ihn (Naturrecht § 4) zu dem bedenklichen Satz geführt: „Das Recht mufs sich erzwingen lassen, wenn auch kein Mensch einen guten Willen hätte . . . Physische Gewalt und sie allein giebt ihm (dem Recht) auf diesem Gebiete die Sanktion." 2 Hierzu den schönen Ausspruch von Papinian in L. 15 de condic. inst. 7: Quae facta laedunt pietatem existimationem verecundiam nostram et ut generaliter dixerim, contra bonos mores fiunt, nec facere nos posse credendum est.
Vom Rechte u. d. Rechten im allgemeinen. Recht und Billigkeit. § 11.
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Verhalten anvertraut, im Gegensatz zu den Lebensinteressen der Gemeinschaft, deren Wahrung die Aufgabe des Rechts bildet. Immerhin besteht mannigfache Berührung zwischen Sitte und Recht. So kann Verletzung der durch die Sitte gebotenen Achtung z. B. vor den Frauen zur rechtlich strafbaren Beleidigung werden 3. III. Ob die Erzwingbarkeit ein unentbehrliches Moment im Begriff der Rechtsvorschrift sei, darüber wird unter Philosophen und Juristen gestritten. Die Meinungsverschiedenheit ist wesentlich auf eine ungenaue Fragestellung zurückzuführen. Nimmt man Zwang in dem weiten Sinn des Ausschlusses freien Beliebens, so fehlt er auch den Geboten der Sittlichkeit nicht, denn mein Gewissen und was auf mein Gewissen einstürmt, zwingt mich, so und nicht anders zu handeln. Die Frage kann daher nur sein : gehören dem Rechtsgebiete nur diejenigen Gebote, Ansprüche, Pflichten an, gegen deren Verletzung ein äufserlich geordneter Zwang, ein Gericht und die Macht zur Durchführung des Richterspruchs, kurz ein Gerichtszwang besteht? So gestellt mufs die Frage vereint werden. Es fehlt der Gerichtszwang nicht blofs einzelnen Rechtsvorschriften, z. B. über die Verpflichtung des Monarchen zur Beobachtung der Staatsverfassung, er fehlt einem ganzen Rechtsteil, dem Völkerrecht 4. Das sind unvollkommenere Rechtssätze und Rechtsteile, aber sie liegen nicht aufserhalb des Rechts5. Der rechtlich geordnete Zwang ist demnach nur ein regelmäfsiger Begleiter der Rechtsvorschriften, ihre höhere Bewährung, nach der selbst die unvollkommeneren Rechte streben.
§ 11.
3. Recht und Billigkeit*. Im einzelnen Menschen wie in der Gesamtheit der in rechtlicher Gemeinschaft Stehenden lebt neben dem Bewufstsein vom geltenden Recht eine Empfindung der Befriedigung oder Nichtbefriedigung an 3
Virgines appellare, adsectari . . . adversus bonos mores hujus civitatis L. 15 § 2, 5, 6, 15—23 de injur. 47, 10. 4 H o l t z e n d o r f f , Handb, d. Völkerrechts I § 21, 22. 5 Dem Völkerrecht von manchen bestritten z. B. L a s son, Rechtsphilos. § 36 A. 2. Auch R i i m e l i n I I S. 324 nennt es eine Mischung von Recht und Brauch. * T h ö l , Einleitung § 38, 40; T r e n d e l e n b u r g , Naturrecht § 83; L e i s t , Civilistische Studien Heft IV S. 190 fg., 209 fg.; J h e r i n g , Zweck I ; Ρ f a f f und H o f m a n n , Kommentar I S. 206 fg. und Exkurse I S. 350—53; R ü m e l i n , Reden und Aufsätze I I S. 176—202; A . M e r k e l , Encyklopädie §24—41 und in Holtzendorffs Encyklopädie 5. Aufl. S. 13fg., 22fg.; U b b e l o h d e , Über Recht und Billigkeit 1887 (Sammlung wissensch. Vorträge von Virchow und Holtzendorff N. F. 2.
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Erstes Buch.
Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
seiner praktischen Wirkung, ein Urteil über die Angemessenheit und Zuträglichkeit des einzelnen Rechtssatzes und seiner Anwendung. Dieser Gradmesser ist das Gefühl der Gerechtigkeit, welches schöpft aus den herrschenden sittlichen Anschauungen, aus der Einsicht in das Wesen und die Bedürfnisse der einzelnen Lebensverhältnisse wie in das Interesse der Gesamtheit. Unser Gerechtigkeitsgefühl wird zwar in hohem Mafse durch unsere Vorstellung von der Zweckgemäfsheit bestimmt, aber nicht ausschliefslich. Die Überzeugung, nicht von der Zweckwidrigkeit sondern von der Menschenunwürdigkeit hat die Sklaverei in Nordamerika gestürzt \ Das Gerechtigkeitsgefühl fordert von der Rechtsbildung zur Festigung des Gemeinzustands durchgreifende, über das Sonderinteresse hinwegschreitende Mafsnahmen, aber auch Schonung und Förderung des Besonderen, Festhaltung an der Regel des Rechts und zugleich Berücksichtigung der an der Einzelerscheinung heraustretenden Eigentümlichkeiten. Das Gerechtigkeitsgefühl in der zweiten Richtung fällt zusammen mit dem Gefühl der B i l l i g k e i t . Der Billigkeit entspricht diejenige Behandlung eines praktischen Verhältnisses, welche seiner Eigenart „gerecht" wird, indes immer mit der Richtung auf das Milde, Schonende, Humane2. Harte Strafen gegen die Dynamithelden fordert unser Gerechtigkeits-, nicht unser Billigkeitsgefühl. Dagegen empfinden wir als unbillig, dafs den auf fremde Hilfe angewiesenen Bevormundeten die nachteiligen Folgen eines Rechtsgeschäfts ebenso treffen wie eine der Wahrung ihrer rechtlichen Interessen selbst mächtige Person. Gerechtigkeit und Billigkeit sind demnach sittliche Mafsstäbe, welche wir an Rechtssätze und Rechtssprüche anlegen. Jedes positive Recht strebt danach, sich mit den herrschenden Vorstellungen von Gerechtigkeit und Billigkeit in Einklang zu setzen, das Recht in der Jugendzeit der Völker nicht minder als das entwickelte Recht. Einer spätem Zeit dünkt nur das einer früheren Serie Heft 16). Über die aequitas der Römer: A l b r e c h t , Die Stellung der röm. Äquitas in der Theorie des Civilrechts 1834; J h e r i n g , Geist § 29; V o i g t , Die Lehre vom jus naturale aequum et bonum und vom jus gentium der Römer I S . 11 fg. ; I l i l d e n b r a n d , Geschichte und System der Rechts- und Staatswissenschaft § 150-152. 1 Dafs sich Zweckmäfsigkeit und Gerechtigkeit nicht decken, aber auch nicht gegenüberstehen, führt gut aus M e r k e l a. a. 0. 2 Dies betont richtig, wenn auch zu einseitig L e i s t , a. a. 0. S. 190. Daher wechselt mit aequum das Wort humanuni L. 3 de officio praet. 1, 14 L. 24 de constit. pec. 13, 5 L. 85 [84] de hered. instit. 28, 5 L. 51 § 1 de fidej. 46, 1 u. n.
Vom Rechte
. d. Rechten im allgemeinen. Recht
ilikeit. § 1 .
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Epoche entstammende vielfach als streng, unbeugsam, rücksichtslos (directum, strictum, asperum), welches in das milde, gemäfsigte, billige (mite, moderatum, aequum) übergeführt werden müsse. Allein die Lebensverhältnisse unterliegen einer ständigen Änderung, wie auch unser Urteil von ihrem Zweck und den Bedingungen ihrer gedeihlichen Entwicklung. Dafs Recht und Billigkeit nicht selten auseinandergehn, dafs ein Rechtsspruch von unbezweifelter Richtigkeit (summum jus) eine schwere Verletzung des Gerechtigkeitsgefühls (summa injuria) bilden kann 3 , hat einen doppelten Grund. Einmal besitzen die Rechtssätze ein stärkeres Beharrungsvermögen als die Lebensverhältnisse und die Anschauung der Menschen von ihnen. Der Zwiespalt zwischen dem zeitigen Rechtszustand und dem Gerechtigkeitsgefühl der Gegenwart mufs erst recht zum Bewufstsein gekommen sein, bis die rechtschaffenden Mächte zur Thätigkeit angeregt werden; je schwerfälliger das Organ der Rechtsbildung ist, um so länger wird der Zwiespalt dauern. In Rom war Jahrhunderte hindurch das prätorische Edikt stets bereit, der veränderten Rechtsanschauung in neuer Rechtssetzung Ausdruck zu verleihen, und als dieser Mund, die viva vox populi verstummte, führte die Jurisprudenz mittelbar und unmittelbar die Entwicklung im Sinne der aequitas weiter. Dieser stetigen ebenmäfsigen Fortbildung nach den Anforderungen des veränderten Lebens und Zeitbewufstseins verdankt das römische Recht nicht zum wenigsten seine Vollkommenheit. Insoweit erscheint die Billigkeit als Ausdruck des werdenden, nach Anerkennung ringenden Rechts im Gegensatz zu dem überkommenen, als drückend empfundenen Rechts, jus strictum. Jener Zwiespalt hat seinen Grund aber auch in der logischen Natur des Rechts. Um das Gemeinleben in seiner unübersehbaren und nicht voraussehbaren Mannigfaltigkeit zu beherrschen, ist das positive Recht genötigt, für seine Vorschriften aus den Erscheinungen dee Lebens gewisse regelmäfsig wiederkehrende Merkmale heraus zu greifen und als Voraussetzung für die Rechtsfolge, für das Gebot, Verbot oder die Ermächtigung hinzustellen. Unsere Rechtssätze sind in ihrer überwiegenden Mehrheit an einen allgemeinen Thatbestand angeknüpft (§ 30). Es liegt nun in der Bestimmung des Rechtssatzes, 3 Saepe enim accidit, ut quis jure civili teneatur, sed iniquum sit eum judicio condemnari. Gai. IV 116.
H i n d i n g , Handbuch. I. 7. I : R e g e l s b e r g e r , Pand. I .
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Erstes B c h .
Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
alle Vorkommnisse seiner Regelung zu unterwerfen, in welchen sich sein allgemeiner Thatbestand und kein anderer rechtlicher Thatbestand verwirklicht findet. Die dem einzelnen Vorkommnis anhaftenden thatsächlichen Besonderheiten bleiben unberücksichtigt. Kurz, das Recht generalisiert und mufs generalisieren 4. Bis zu einem gewissen Grade findet dabei auch unser Gerechtigkeitsgefühl Befriedigung. Die erbarmungslose Ungleichheit der Natur findet auf dem Gebiete des Rechts eine gewisse Milderung, wenn z. B. alle Menschen rechtsfähig erklärt sind, ob krank oder gesund, ob alt oder jung, ob arm oder reich, ob hoch oder niedrig. Allein unsere Befriedigung an der gleichförmigen Unterwerfung hört auf, wenn Besonderheiten am Einzelfall sich finden, welche in der Wagschale des generalisierenden Rechtssatzes nicht wiegen, aber für unser Gefühl erheblich genug sind, um die Unterordnung unter die Rechtsregel als Härte erscheinen zu lassen. Wer versprochen hat, mufs zahlen. Gewifs. Aber auch derjenige, welcher versprochen hat, um ein Darlehn zurückzuerstatten, welches ihm nie gegeben wurde? Den nie vollständig zu überwindenden Widerstreit zwischen der gleichförmigen Anwendung der Rechtsregel und der Billigkeit sucht das positive Recht wenigstens durch verschiedene Malsregeln zu vermindern : 1. Durch Erhebung von thatsächlichen Besonderheiten zur Voraussetzung besonderer Rechtsfolgen, z. B. SC. Macedonianum,Velleianum, beneficium divisionis, exceptio doli; 2. durch Verzicht auf genaue Bestimmung der Rechtsfolge im Rechtssatz und Überweisung der Bestimmung für den Einzelfall an das richterliche Ermessen, z. B. bonae fidei judicium (quantum aequius melius est N m A 0 dare oder quidquid N i n A 0 dare facere oportet ex fide bona), Strafrahmen bei den Kriminalstrafen, actio injuriarum aestimatoria5 ; 3. durch Einrichtungen, nach welchen gewissen Organen (Richter, Staatsoberhaupt) die Macht zusteht, einen Fall der Herrschaft der Rechtsregel ganz oder teilweise zu entziehen (restitutio in integrum im Civil-, Begnadigung im Strafrecht) 6. 4
L. 3 - 6 de legib. 1, 3. P l a t o , Politicus 294. L o t h a r S e u f f e r t , Über richterliches Ermessen 1880 (Giefsner Rektoratsrede). Über das officium judicis im bonae fidei judicium L e η el, Exceptionen S. 80 fg. Noch weiter ging das Ermessen des rechtspflegenden Magistratus bei den leges imperfectae. 6 In England hat das gleiche Streben zur Aufstellung eigner Billigkeitsgerichtshöfe (courts of equity) geführt. R ü t t i m a n n , Der englische Civilprozefs S. 4 fg. r>
Vom Rechte u. d. Rechteil im allgemeinen. Recht u. Billigkeit. § 11.
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Noch mehr vermag zur Ausfüllung der Kluft eine vom rechten Geist erfüllte, vom Bann der Buchstabenherrschaft und einer formalen juristischen Logik freie Rechtsanwendung beizutragen. Der Richter hat im Urteil auf Grund der im Rechtssatz ausgesprochenen allgemeinen Norm für das zu beurteilende Verhältnis die individuelle Norm zu schaffen. Da ist in vielen Fällen genügend Raum, um den Rechtsspruch allen Seiten des Verhältnisses, soweit sie dem abwägenden Verstand erheblich erscheinen, anzupassen. Bonus judex varie ex personis causisque constituet (Cels. L. 38 R. V. 6, 1). Freilich darf sein Urteil nicht einem seiner Gründe unbewufsten Gefühl oder einer weichlichen Nachgiebigkeit verfallen, die in der Regel mehr Wunden schlägt als heilt 7 . Es mufs das Ergebnis einer Gesamtanschauung des einzelnen Falls sein, auf einer genauen Würdigung aller Eigentümlichkeiten und ihrer rechtlichen Bedeutung, auf einer Prüfung des Zwecks und der daraus folgenden Bedingung einer gerechten Ordnung beruhen8. Die Billigkeit ist kein Rechtsprinzip, aus dem sich praktische Rechtssätze unmittelbar ableiten lassen. Wir können die Zahl der natürlichen Verbindlichkeiten nicht nach Billigkeitsgesichtspunkten erweitern und auf den Satz keine Verurteilung gründen, dafs niemand sich auf Kosten eines Andern bereichern dürfe. Aber wir werden die vielen Rechtsbestimmungen, welche aus Erwägungen der Billigkeit hervorgegangen sind, in ihrem Geiste anwenden, wenn wir das Ergebnis am Richtmals der Billigkeit messen. Von hier fällt z. B. ein Licht auf die Frage, ob die Rückforderung einer nichtgeschuldeten Zahlung durch die Entschuldbarkeit des Irrtums bedingt ist 9 . Die aequitas war das belebende Element in der römischen Jurisprudenz. Die römischen Juristen bezeichnen das jus als ars boni et aequi und sich als Priester 10 . In der That waren sie Meister dieser Kunst, wahre Priester der aequitas und sind darum unsere Vorbilder. Die neuere Gesetzgebung hat aber in den Gegensatz von common-law-courts und equity-courts tief eingeschnitten. S c h u s t e r , Die bürgerliche Rechtspflege in England S. 9—13. 7 Derselbe Celsus, dem der oben angeführte Ausspruch angehört, klagte nach L. 91 § 3 V. 0. 45, 1, dafs in quaestione de bono et aequo plerumque sub auctoi itate juris scientiae perniciose erratur. •s Tryphon. L. 31 § 1 depos. 16, 3: totius rei aequitatem (sc. intuemur), quae ex omnibus personis, quae negotio isto continguntur, impletur. Ulp. L. 14 § 13 de relig. 11, 7 Pap. L. 12 rem pup. salv. 46, 6.
Geist I I I § 60 bei Note 445. Übrigens schon früher, aber wie es scheint, ohne Beachtung gefunden zu haben, B a h r , Rechtsstaat (1864) S. 52 N. 11.
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Erstes Buch.
Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
Das Wort Interesse ist mehrdeutig : subjektiv bezeichnet es das Begehren nach einem Vorteil (Genufs), objektiv den Vorteil, auf den das Begehren gerichtet ist 6 . Legt man nun auch bei jener Begriffsbestimmung den objektiven Sinn zu Grunde, so ist der Vorteil Zweck des Rechts und als solcher für das Wesen des Rechts zweifellos erheblich ; auf den (typischen) Zweck (wirtschaftliche Ausbeute einer Sache, Wiedererlangung einer verliehenen Sache, Schadenersatz u. s. w.) ist das Recht zugeschnitten. Aber das Wesen des Rechts geht im Zweck nicht auf. Wesen des Rechts ist Macht oder Mächtigkeit, das Recht ist die Macht zur Befriedigung eines anerkannten Interesses7. Es kommt hinzu : Das subjektive Recht ist nicht der einzige Weg zum rechtlichen Schutz von Interessen. Ein Gesetz, welches den Impfzwang anordnet, schützt mein Interesse an der Fernhaltung einer Pockenansteckung, die sog. lex Julia de fundo dotali schützt das Interesse der Frau, das sog. formelle Noterbrecht das Interesse der sui, und doch entspricht diesem Interessenschutz kein subjektives Recht8. Hier wie dort verwirklicht sich der Schutz ohne jedes Zuthun des Geschützten. Ein subjektives Recht liegt nur dann vor, wenn die Rechtsordnung die Verwirklichung des anerkannten Zwecks dem Beteiligten überläfst und ihm zu diesem Behuf eine rechtliche Macht zuerkennt. Erst dadurch wird ein Sonderrechtskreis geschaffen, in welchem der Einzelne das bestimmende Element bildet 9 . 2. Der Sprachgebrauch verwendet das Wort Recht auch für dasjenige Handelnkönnen und Handelndürfen, welches einer Person niemals selbständig sondern nur als Ausflufs eines Rechts zukommt, z. B. das Nutzungs-, Veräufserungs-, Kompensationsrecht. Genauer sind das R e c h t s b e f u g n i s s e 1 0 . Die Rechte sind die Glieder der menschlichen Lebensordnung, zuständliche Wesen, die Befugnisse dagegen Ausstrahlungen der Rechte. Man kann die Rechte Befugnis6
L e o n h a r d , Irrtum S. 113 N. 3. Vgl. jetzt auch J h e r i n g , Der Besitzwille S. 25 N. 1 und B i n d i n g , Normen 2. Aufl. I S. 356. 7 Das Macht- (Andere sagen: Willens-)moment betonen: B r u n s , Holtzend. Encyklop.: Das heut. röm. Privatr. (§ 13) R o s i n a. a. O.; A. M e r k e l , Jur. Encykl. § 159 und bei Holtzendorff § 21; B e k k e r § 18 Beil. I ; B e r n a t z i k , a. a. 0. § 12 (S. 260 bzw. 92). Zu weit geht L a b a n d , Staatsr. 2. Aufl. I S. 63. 8 Übrigens von J h e r i n g nicht verkannt. Vgl. Geist I I I § 61 im Anfang. 9 B e r n a t z i k a. a. 0. S. 232 (64). 10 Auch die Quellen gebrauchen dafür den Ausdruck jus. Gai. I, 2, 6: jus edicendi L. 1 pr. de offic. eius 1, 21 L. 4 pr. si serv. vind. 8, 5 u. a. Aber auch potestas und facultas Gai. IV 123 L. 5 § 14 [L. 6 § 12] de neg. gest. 3, 5 u. sonst.
Vom Rechte u. d. Rechten im allgem.
s Rechtssut.
§ 1.
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eentren nennen, nur nicht Befugnissummen, denn Eigentum, väterliche Gewalt u. s. w. sind Einheiten, nicht blofse Summenbezeichnungen11. Man spricht freilich von Befugnis auch da, wo etwas nicht verboten ist, z. B. jedermann hat die Befugnis Schmetterlinge zu fangen. Es sind dies die actes de pure faculté et de simple tolérance des französischen Rechts. 3. Von den subjektiven Rechten sind ferner zu unterscheiden die r e c h t l i c h e n E i g e n s c h a f t e n der Subjekte. Rechts-, Handlungs-, Verfügungsfähigkeit sind Voraussetzungen für das Erwerben, Haben, Übertragen u. s. w. von Rechten, sind aber so wenig selbst Rechte, als ihre thatsächlichen Grundlagen, wie Mündigkeit, Grofsjährigkeit u. s. w. 1 2 . Die Verwechslung der Begriffe von Rechten und rechtlichen Eigenschaften hat z. B. in der Lehre von der Anwendung neuer Gesetze Verwirrung angerichtet (§ 48). 4. Uber das Verhältnis von Recht und Anspruch siehe § 52. § 15. 7. Das Rechtssubjekt *. I. Wir bezeichneten das subjektive Recht als einen Inbegriff von mehr oder weniger Befugnissen zur Sicherung eines Interesses, als einen Machtkreis oder als eine Macht, dieses Wort im Sinne nicht der subjektiven Befähigung sondern der objektiven Zuständigkeit genommen. Ein jeder solche Machtkreis ist an ein Subjekt angeschlossen. Dieses Subjekt ist der Träger des Rechts, das Rechtssubjekt, der Berechtigte. Mit diesem Begriff ist wohl verträglich, dafs die im Recht enthaltenen Befugnisse von einem Andern als dem Rechtsträger bethätigt werden, dafs z. B. der Vormund die dem Mündel als Eigentümer zukommende Veräufserungsbefugnis ausübt. Allerdings setzt die Aus11 Vgl. B r i n z , 2. Aufl. § 64. B i n d i n g , Normen 2. Aufl. I S. 343 nennt den Gegensatz zu den Rechtsbefugnissen Rechtsgewalten. 12 Auch dafür verwenden die Römer jus z. B. jus suffragii et honorum, commercium est emendi vendendique invicem jus, Ulp. XIX 5; dagegen: Conubium est uxoris jure ducendae facultas. Unser „passives Wahlrecht" ist eine Wahlfähigkeit. Die Versicherungspflichtigkeit im Sinn der neuern socialpolitischen Gesetze ist eine rechtliche Eigenschaft. R o s i n , Recht der Arbeiterversicherung I S. 434. * J h e r i n g , Geist I I I § 61; B e k k e r , Jher. Jahrb. X I I Abh. 1 und Pand. § 19 (hiezu L. S e u f f e r t , Krit. VJSchr. X X I X S. 51); B i e r l i n g , Kritik der jur. Grundbegriffe I I S. 74 fg.; A. M e r k e l , Jurist. Encyklopädie § 171—190.
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Erstes Buch.
Die allgemeinen Lehren (les Pandektenrechts.
Übung des Rechts durch einen Andern als den Rechtsträger eine rechtliche Beziehung zwischen beiden durch Vollmacht voraus. Dadurch unterscheidet sie sich von der thatsächlichen Anmaisung einer Einwirkung auf das Rechtsobjekt. Da nun die Vollmacht nicht notwendig auf einem Willensakt des Berechtigten beruht, sondern auch von der öffentlichen Gewalt (Amt) oder unmittelbar vom Gesetz ausgehn kann, so ist es nicht begriffswidrig, handlungsunfähigen Menschen wie Geisteskranken und Kindern Rechte zuzuschreiben1. Mit der Anknüpfung an ihre Person wird die Genufsquelle trotz Wechsels der Ausübungsvertreter für sie erhalten. Allerdings Rechte, welche eine Willensbethätigung zur Erzielung des Genusses erheischen, aber eine Ausübung durch Andere nicht zulassen, kann der Handlungsunfähige entweder überhaupt nicht haben, z. B. politisches Wahlrecht, oder nur im ruhenden Zustand, z. B. Vormundschaft. II. In der Regel ist das Recht an denjenigen angeschlossen, dem das dadurch zu schützende Interesse zukommt. Rechtsträger und Interessenträger sind regelmäfsig ein Subjekt. Indes ist der Zusammenhang kein notwendiger. Er ist noch nicht gelöst, aber gelockert, wenn die Rechtsausübung einem Andern zu eignem Vorteil (in rem suam) überlassen ist; denn immerhin findet dabei auch das Interesse des Berechtigten noch Befriedigung. Es kommen aber Rechte vor, welche dem Berechtigten im ausschliefslichen Interesse eines Andern zustehen. Der Rechtsträger ist hier ein Anderer als der Interessenträger. Solche Rechtsträger sind die fiduziarisch Berechtigten, die Treuenhänder (trustees). III. Nach der bisherigen Ausführung scheint für das Dasein des subjektiven Rechts ein Rechtsträger unentbehrlich, die Annahme eines subjektlosen subjektiven Rechts ein Widerspruch in sich selbst. Gleichwohl begegnen uns Erscheinungen, welche alle Merkmale eines subjektiven Rechts in sich vereinigen mit der einen Ausnahme des Rechtsträgers. Vom positiven Recht wird nämlich zuweilen der als Recht einer Person ins Leben getretene Zustand nach Wegfall des bisherigen Subjekts bis zum Erwerb durch ein anderes erhalten 2, oder 1 So kann jemand ein Jagdrecht haben, der die Jagd nicht ausüben darf, der Monarch ist Subjekt der Gerichtsbarkeit, aber die Ausübung ausschliefslich bei den Gerichten. 2 Über den Unterschied zwischen dem zu einer liegenden Erbschaft gehörigen und einem derelinquierten Sklaven spricht sich Pomponius L. 36 de stipul. serv. 45, 3 aus: alter hereditatis jure retinetur . . . alter voluntate domini derclictus non potest ad usum eius pertinere, a quo relictus est. Andre Beispiele nach römischem Recht die Kriegsgefangenschaft des A'ermögensinhabers L. 1 de captivis 49, 15, nach Prokulianischer Ansicht das Vindikationslegat Gai. 11 200.
Vom Rechte u. d. Rechten im allgem.
e Rechtsit.
§ 1.
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selbst die Entstehung eines solchen Rechtszustandes zunächst ohne Subjekt anerkannt 3. Stirbt der Inhaber eines Rechts, ohne sofort beerbt zu werden, so tritt der Aufsenwelt gegenüber in dem Rechtszustand keine Änderung ein. Auch haben Erwerbungen zu Gunsten einer liegenden Erbschaft alle Wirkungen eines Rechts. Selbst an der Möglichkeit für die Ausübung solcher Rechte fehlt es nicht. Wie man diese Erscheinungen bezeichnet, ob als subjektlose Rechte4 oder als passive Seite der Rechte5 oder als objektiven Rechtsbestand6, ist nebensächlich. Der Kern ist, dafs vom positiven Recht konkrete Machtkreise anerkannt und geschützt werden, die zur Zeit des Trägers entbehren. Es beruht auf einer Täuschung, wenn man durch die Fiktion eines Subjekts über die Unregelmäfsigkeit hinwegzukommen glaubt. Die Fiktion schafft keine Wirklichkeit, sondern bekundet gerade ihren Mangel. Die Vorstellung von subjektlosen Rechten wird weniger befremden, wenn wir erwägen, dafs sie nur Durch- und Übergangserscheinungen sind — man kann sie Rechte nennen, die ihren Herrn erwarten — und dafs ferner subjektlos nur solche Rechte bestehen können, welche eine unmittelbare Beziehung des Berechtigten zu einem Ding aufser ihm enthalten; das Recht an Freiheit, Ehre, körperlicher Unversehrtheit u. ä. ist ohne Subjekt undenkbar 7.
§ 16. 8. Die Rechtspflicht In den Vorschriften, was der Einzelne im Gemeinleben unter rechtlichem Schutze darf und was er mit rechtlicher Wirkung kann, erschöpft sich die Rechtsordnung nicht. Schon darum nicht, weil in 3 L. 3 § 6 L. 20 [21] § 1 de negot. gest. 3, 5 L. 14 I L P. 5, 3 L. 13 § 2 ad leg. Aq. 9, 2. 4 W i n d s c h e i d , Aktio S 237 fg. u. Pand. § 49 N. 2, 3. Ob es subjektlose Rechte giebt, ist eine in neuerer Zeit viel behandelte, nicht gerade fruchtbare, weil wesentlich terminologische Streitfrage. Vgl. die Litteraturnachweise bei W i n d s c h e i d , § 49 N. 3. Man darf die sogenannten juristischen Personen nicht hereinziehen. Vgl. § 75. r> J h e r i n g , Jahrb. X S. 387fg. 6 B e k k er § 18 Beil. I I I mit sehr beachtenswerter Ausführung. 7 In umfänglicherem Mafse nimmt die sogenannte Zweckvermögenstheorie subjektlose Rechte an. Darüber § 76. * W ä c h t e r , Württ. PR. I I § 33; B r i n z , 1. Aufl. S. 1152 fg., 2. Aufl. § 455; J h e r i n g , Zweck im Recht (1. A.) I S. 72; B i e r l i n g , Kritik der jur. Grundbegriffe § 114—116, 139 fg.; A. M e r k e l , Jurist. Encyklopädie § 165.
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Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
der Schaffung einee Machtkreises für den Einen die Notwendigkeit liegt, alle Andern, welche in diesen Machtkreis gezogen sind oder störend eingreifen können, zu dem entsprechenden Handeln oder zur Unterlassung der Störung zu verpflichten. Als Erzeugnisse der Rechtsordnung treten neben die Rechte die Rechtspflichten, neben die Willensstärkung die Willensgebundenheit. I. Die Rechtspflicht oder das vom positiven Recht bestimmte Soll ist in der Regel nur die Kehrseite des subjektiven Rechts. Dem Rechte, welches unmittelbar Macht über Personen giebt, steht gegenüber die Pflicht der letztern, bestimmtes zu leisten oder zu unterlassen, oder sich sonst den Anordnungen des Berechtigten gemäfs zu verhalten. Hinter den Rechten an unpersönlichen Objekten steht das Gebot an alle andern Menschen, sich jedes Eingriffs in diesen Rechtskreis zu enthalten, der mannigfachen aus dem Nachbar-, dem Gemeinschaftsverhältnisse entspringenden Pflichten u. a. nicht zu gedenken. Aber dafs jeder Rechtspflicht ein subjektives Recht entspreche, bewährt sich gleichwohl nicht. Wo ist das Recht, welches die Zwölftafelbestimmung erzeugt: patronus si clienti fraudem fecerit, sacer esto? oder das Fideikommifs der Freiheit? 1 Welchem Recht steht gegenüber die Pflicht des Erblassers zur Erwähnung der Noterben?2 oder des Staats zur Instandhaltung der öffentlichen Verkehrswege? oder gar die Pflicht des Staatsoberhaupts zur Beobachtung der Verfassung? Diese Beispiele, welche sich unschwer vermehren liefsen, lehren, dafs man sich hüten mufs, überall ein subjektives Recht zu unterstellen, wo eine Rechtspflicht vorliegt, oder der Pflicht wegen des Mangels eines gegenüberstehenden subjektiven Rechts die Natur einer Rechtspflicht abzusprechen. Die Rechtspflicht oder Personengebundenheit ohne entsprechendes subjektives Recht hat ihr Seitenstück in der rechtlichen Gebundenheit von Sachen, welche sich nicht mit einer gegenüberstehenden Berechtigung deckt, wie bei den Sachen im Gemeingebrauch (§113 IX). Wo nun auch Recht und Pflicht sich entsprechen, da ist das Verhältnis nicht immer das gleiche. Häufig stellt sich die Pflicht als die Folge des Rechts dar; es kommt aber auch vor, dafs das Recht die Folge der Pflicht ist und dafs die letztere den Schwerpunkt bildet, z. B. die Alimentations- und Dotationspflicht 8. 1
L. 50 § 1 H. P. 5, 3 L. 7 de annuis leg. 33, 1 L. 92 de condic. et dem. 35, 1. H o f m a n n , Krit. Studien im Röm. R. S. 197. 3 B r i n z a. a. 0. und § 492 Ziff. 4 u. 5; M a n d r y , Familiengüterrecht I S. 231 fg. 2
Vom Rechte u. d. Rechten im allgem.
e Rechtsit.
§ 1.
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II. Die Pflicht erheischt wie das Recht einen Träger, einen Verpflichteten. Aber es wiederholt sich hier die Erscheinung, dafs vom positiven Recht ein Zustand, der ein tragendes Subjekt voraussetzt, trotz vorübergehenden Mangels des Subjekts als rechtlicher anerkannt und geschützt wird, hier also ein Pflichtkreis ohne zeitigen Verpflichteten. Die Schuld geht nicht unter, wenn der Schuldner stirbt, ohne sofort beerbt zu werden; durch die Geschäftsführung zu Gunsten einer liegenden Erbschaft wird eine Forderung auf Auslagenvergütung begründet, obwohl zur Zeit ein Schuldner nicht vorhanden ist 4 . Die Erfüllung vieler, nicht aller Rechtspflichten, läfst eine Vertretung zu. Insoweit ist auch die Verpflichtung Handlungsunfähiger möglichδ. In der Regel sind Recht und Pflicht an verschiedene Personen verteilt. Doch kann was Recht ist zugleich Pflicht sein6. Es ist hier nicht gedacht an die sittliche Pflicht des Menschen, von einer rechtlichen Macht nur denjenigen, aber auch denjenigen Gebrauch zu machen, welchen ein sittlich gerechtfertigtes Interesse gebietet. Diese Pflicht besteht bei allen Rechten, auch bei denjenigen, welche der Berechtigte „um seiner selbst willen" hat. Wohl aber kommen Rechte vor, bei welchen das rechtliche Thundürfen zum rechtlichen Thunsollen erhoben ist, ζ. B. das Erziehungsrecht des Vaters, das politische Wahlrecht des Staatsbürgers. Es sind dies Rechte, welche dem Berechtigten zur Verwirklichung nicht eines eigenen, sondern — mindestens vorwiegend — eines fremden Interesses verliehen sind. Mit dem Wesen solcher Rechte steht daher nicht in Widerspruch, dafs die Nichtausübung mit Bufse bedroht ist. III. Den Römern fehlt eine einheitliche Bezeichnung für Rechtspflicht. Obligatio umfafst selbst von den privatrechtlichen Pflichten nur einen Teil, einen andern das ein ethisches Moment in sich schliefsende, über das Rechtsgebiet hinausreichende officium 7 . Aber auch damit ist der Kreis der Rechtspflichten nicht erschöpft. Weder 4
L. 24 de novat. 46, 2 L. 20 [21] § 1, 2 de negot. gest. 3, 5 L. 11 pr. de pecun. const. 13, 5 L. 3 pr. de pecul. 15, 1. r> L. 3 § 4 de negot. gest. 3, 5. 6 Vgl. T h o n , Rechtsnorm S. 125 fg. 7 Das officium des arbiter qui arbitrium recepit L. 3 § 1 de receptis 4, 8, des tutor und curator L. 31 § 14 de aed. ed. 21, 1, des Erblassers gegen die Pflichtteilsberechtigten L. 2 de inoff. testm. 5, 2, die familienrechtlichen officia, worüber B r i n z und M a n d r y a. a. 0 . ; auch B r i n z , Festgabe für Planck (1887) S. 23; Pernice, Labeo I S. 411, N. 15. R i n d i n g , Handbuch. I. 7. I : R e g e l s W r g e r , Pand. I.
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Erstes Buch.
Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
unter obligatio noch unter officium fallen die Pflichten des Besitzers einer fremden Sache zur Herausgabe8, des Eigentümers eines mit servitus oneris ferendi belasteten Gebäudes zur Ausbesserung9, des Fiduziars zum Erbschaftsantritt nach dem SC. Pegasianum, die Pflichten aus dem Nachbar- und dem Miteigentumsverhältnisse u. a . 1 0
I I . Von den Rechtsnormen insonderheit. A.
Die Entstelumgsgründe. § 17.
1. Überblick *. Dafs die Völker und alle gröfseren dauernden menschlichen Gemeinschaften durch äufserlicb verbindende Normen beherrscht werden, ist eine offenliegende Thatsache. Aber woher kommen diese Normen ? Die Antwort: von der gesetzgebenden Gewalt, kann nur einer oberflächlichen Betrachtung genügen. Ganz abgesehen von der heiklen Frage, ob die gesetzgebende Gewalt nicht selbst eine Einrichtung des Rechts ist, so befinden sich allenthalben zahlreiche Rechtssätze in Geltung, welche nicht der Gesetzgeber geschaffen hat, welche nicht einmal nachweislich zu seiner Kenntnis gelangt sind. Es giebt dem8
Womit sich eine obligatorische Pflicht verbinden kann. K u n t z e , Die Obligationen im röm. und heut. Recht (1886) S. 37 fg. Steht auch die Pflicht des Besitzers zur Exhibition aufserhalb der obligatio? Bejaht von B r i n z I I § 324 N. 40—47. 9 Wenigstens in der Auffassung der römischen Jurisprudenz. J h e r i n g in seinen Jahrb. X S. 554 fg. 10 H a r t m a n n , Die Obligation S. 141 fg. * Hugo in seinem Civilistischen Magazin Bd. IV Abh. 4: „Die Gesetze sind nicht die einzige Quelle der juristischen Wahrheiten" (1813). S a v i g n y , Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (1814 3. Aufl. 1840) und System I § 7—11; P u c h t a , Gewohnheitsrecht I S. 133—180 und Institutionen § 10—12; E. M e i e r , Die Rechtebildung in Staat und Kirche (1861); dazu R e g e l s b e r g e r , Krit. VJSchr. I V S. 321—348 und S c h e u r l , Z. f. Kirchenr. I I S. 184 fg., I I I S. 30 fg. 387 fg.; A d i c k e s , Die Lehre von den Rechtsquellen (1872), dazu B r i n z , Krit. VJSchr. XV S. 162—165; B i e r l i n g , Kritik der jurist. Grundbegriffe I (1877); J h e r i n g , Zweck im Recht I Kap. V I I I ; Z i t e l m a n n , Civ. Arch. L X V I S. 323-468 (1883); A. S. S c h u l t z e , Privatrecht und Prozefs in ihrer Wechselbeziehung I (1883); S t u r m , Recht und Rechtsquellen (1883); L e i s t , Gräkoitalische Rechtsgeschichte (1884) S. 479fg.; B i n d i n g , Handbuch des Strafrechts I § 40—42; A. M e r k e l , Jurist. Encyklopädie § 102—121; Gneist in Juristische Abhandlungen der Berl. Fak. Festgabe für Beseler (1885) S. 223—252; R ü m e l i n , Jher. Jahrb. X X V I I Abh. 3 (1889); Schuppe, Das Gewohnheitsrecht (1890).
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nach mehrere Entstehungsgründe der Rechtsnormen. Welche sind diese? Und besitzen sie eine gemeinsame Urquelle? I. Tiefer als die Früheren sind diesen Fragen Savigny und Puchta nachgegangen. Ihre Ansicht hat lange Zeit die Jurisprudenz beherrscht und findet noch jetzt Anhänger. Das Recht — so lehren sie — hat wie die Sitte und Sprache seinen Ursprung in der geistigen Schaffungskraft der Volksgemeinschaft. Innerhalb der Gemeinschaft bildet sich eine einheitliche Überzeugung von der Ordnung des Zusammenlebeos. Diese Überzeugung kommt zur Erscheinung am unmittelbarsten und unverfälschtesten in dem gleichförmigen über einen längeren Zeitraum sich erstreckenden Verhalten der Volksgenossen (Gewohnheitsrecht), dann in der Thätigkeit der gesetzgebenden Gewalt (Gesetzesrecht), endlich in der wissenschaftlichen und praktischen Behandlung des Rechts (Recht der Wissenschaft). Aber Gewohnheit, Gesetz und Jurisprudenz sind nur Äufserungsformen für das in der unsichtbaren Werkstätte zur Ausbildung gediehene Recht. Diese Theorie führt die Rechtsbildung auf eine tiefere Grundlage zurück. Das ist ihr Vorzug gegenüber der ältern mechanischen Anschauung von der Rechtsentstehung. Allein sie leidet an mehr als einer Schwäche. Vor allem bleibt unerklärt die Rechtsbildung innerhalb solcher menschlicher Gemeinschaften, welche der volksmäfsigen Unterlage entbehren, z. B. bei den grofsen christlichen Religionsgenossenschaften. Nicht minder die Entstehung des Völkerrechts. Man müfste daher wenigstens die rechtbildenden Kreise weiter fassen und der Volksverbindung gewisse andere Gemeinschaften gleichstellen l . Dann giebt man sich einer Täuschung hin mit der Annahme, dafs in dem Volksgeist ohne alle Veräufserlichung vollkommen reife Rechtssätze zur Entstehung gelangen. Selbst beim einzelnen Menschen gewinnt erfahrungsgemäfs ein Gedanke feste Gestalt und Bestand erst mit der Ausprägung in Wort und That, und nicht selten entspricht unsere Äufserung nicht ganz dem Gedankenbild, welchem wir Ausdruck zu verleihen suchten. Um wieviel mehr bei dem vielköpfigen Personenkreis, welcher die Volksgemeinschaft bildet. Und wenn auch die Überzeugung gebildet ist: hat sie für sich 1
Auf diese Weise suchte die Auffassung der historischen Schule zu ergänzen R e g e l s b e r g e r , Krit. VJSchr. IV S. 342fg. Mit Recht bemerkt B i n d i n g , Handbuch I § 40 N. 1, dafs die Frage noch nicht genügend untersucht ist, in welchen Kreisen sich Recht bilden könne. Vgl. was das Gewohnheitsrecht anlangt, G η eist a. a O. S. 231. 6*
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die Fähigkeit, das als Recht Erkannte zur beherrschenden Macht zu erheben? Vom Recht ist aber der Machtbegriff untrennbar. In der Vorstellung der historischen Schule von der Rechtsbildung liegt die Übertreibung eines richtigen Gedankens, der aus der nachstehenden Betrachtung erhellen wird. Beliebt ist die Herleitung des Rechts aus dem Willen der Gemeinschaft 2. Gemeinschaft ist ein unbestimmter Begriff. Eben deshalb läfst sich schwer darüber rechten, ob dieses Ding einen Willen haben kann und hat. Es mufs aber auch bezweifelt werden, dafs alle Rechtsnormen ihre Geltung auf einen Willensakt zurückführen : wer will das Gewohnheitsrecht?3 Recht ist Macht, aber nicht jede Macht ist Wille, z. B. nicht die Macht der Gewohnheit. II. An jedem Rechtssatze lassen sich zwei Seiten unterscheiden : er sagt etwas Juristisches aus und er „setzt" das Gesagte als „Recht" 4 . Das erstere Moment teilt der Rechtsatz mit jedem andern Satz von juristischem Inhalt, das andere ist ihm eigentümlich. Die Untersuchung über die Entstehung der Rechtssätze wird sich daher die zwei Fragen zu stellen haben: Woher kommt der Inhalt der Rechtssätze? oder genauer: Woher kommt der Stoff für den Inhalt der Rechtssätze? Woher ihre verbindliche Kraft? A. Es ist früher ausgeführt worden, dafs die thatsächliche Beschaffenheit der Lebensverhältnisse, ihr wirthschaftlicher und sittlicher Zweck, der Zusammenhang des einzelnen Lebensverhältnisses mit dem Gemeinzustand bis zu einem gewissen Grade hier mehr, dort weniger die notwendige oder zweckmässige rechtliche Ausgestaltung bestimmen. Da diese Anforderungen an die Rechtsbildung nicht blofs ein theoretisches Interesse bieten, sondern das praktische Bedürfnis geordneten Zusammenlebens berühren, so wird die Aufmerksamkeit aller Denkenden darauf gelenkt, mit Unterschied im einzelnen nicht blofs nach der Schärfe des Blicks sondern auch nach der besonderen Lebenslage, welche den Einen diesem, den Andern jenem Verhältnis näher rückt. Unter den Gliedern eines nationalen, staatlichen, religiösen, socialen Verbands bilden sich Ansichten über die rechtliche Ordnung bestimmter Verhältnisse, ursprünglich vielleicht sehr verschieden, aber allmählich 2 Von den Neueren B i n d i n g , Handb. § 40: „Alles objektive Recht ist erklärter Gemeinwille." E i s e l e , Civ. Arch. L X I X S. 289. 3 Darauf giebt uns allerdings B i n d i n g a. a. O. S. 202, 211 fg. eine Antwort: der Gesetzgeber. Aber diese Antwort ist unhaltbar. Siehe Seite 86. 4 Ähnlich unterscheiden L a b and, Staatsrecht 1. Aufl. § 56, 2. Aufl. § 54 für das Gesetz, Gesetzesinhalt und Gesetzesbefehl; B i n d i n g , Handb. § 40: Rechtsgedanke und Rechtswille; A. M e r k e l in Holtzend. Encykl. 5. Aufl. S. 6fg.
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gewinnt eine die Oberhand über die andere, sie wird innerhalb des Rechtskreises zur herrschenden, so dafs sie als die Anschauung der Gesamtheit bezeichnet werden darf. Je lebhafter die Überzeugung, wie es Rechtens sein soll, um so leichter setzt sie sich um in die Überzeugung, dafs es so ist: es bildet sich ein Rechtsbewulstsein der Gesamtheit5. Es besteht demnach das Ding, in welchem die historische Schule den Untergrund alles Rechts erblickt. Aber es besteht nicht in dem Umfang, welchen ihm jene Ansicht beimifst. Der Gesetzgeber findet bei neu zu ordnenden Verhältnissen gar nicht häufig eine feste Überzeugung der Gesamtheit vor. Er sieht sich meistens genötigt, unmittelbar aus der Quelle zu schöpfen, an der jene sich nährt, aus den natürlichen Forderungen der Lebensverhältnisse mit Berücksichtigung der Erfahrung, welche etwa in andern Ländern vorliegt. Wie vollkommen auch aus diesem Stoff sich der Inhalt für Rechtssätze zu entwickeln vermag, Rechtssätze entstehn erst durch die Bekleidung des Inhalts mit verbindlicher Kraft. Daher die weitere Frage : B. Woher kommt die verbindliche Kraft der Rechtssätze? 1. Die vornehmste Aufgabe der Staatsgewalt ist die Herstellung und Aufrechthaltung einer rechtlichen Ordnung für das Gemeinleben. Zur Lösung dieser Aufgabe kommt ihr die Befugnis zu, allgemein verbindliche Normen aufzustellen. Es ist die Gesetzgebungsbefugnis der Staatsgewalt. Eine Art Selbstgesetzgebungsrecht üben auch kleinere innerhalb des Staats sich bewegende genossenschaftliche Verbände wie die Gemeinden. Freilich steht diese Rechtserzeugungsbefugnis oder Autonomie immer in Abhängigkeit von der allgemeinen Staatsgesetzgebung und kann sich jenseits der von ihr gezogenen Grenzen nicht bethätigen (§ 24). Eine eigentümliche Stellung nimmt die bewufste Rechtsetzung derjenigen christlichen Kirchengemeinschaft ein, welche eine die staatlichen Schranken durchbrechende rechtliche Einigung erlangt hat, der katholischen Kirche. Sie steht nicht unter der Staatsgewalt, nur kann der Staat zur Aufrechthaltung der von ihm für notwendig erachteten 5
Über den Entwicklungsgang handelt gut Post, Einleitung in das Studium der ethnologischen Jurisprudenz S. 21. Auch Z i t e l m a n n , Civ. Arch. L X V I S. 419 fg. kommt trotz aller dialektischen Zergliederung zur Anerkennung von „Dingen, welche durch eine Vielheit von Einzelnen gebildet werden und doch etwas anderes sind als die Summen der Einzelnen." Welche Macht die Einsicht in das Bedürfnis der Ordnung im Völkerrecht äufsert, darüber vgl. H o l t z e n d o r f f im Handb. des Völkerrechts I § 24.
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Ordnung für sein Gebiet die Vollstreckung kirchlicher Satzungen verbieten. 2. In allen Rechtsgebieten gewahren wir für manche Verhältnisse eine Regelung, welche nicht auf bewufster Anordnung durch ein hiezu ermächtigtes Organ beruht und doch dem Gesetze gleich in und aufserhalb der Gerichte geachtet wird. Im Rechte Roms vor der Zwölftafelgesetzgebung war die Zahl der Gesetze verschwindend klein, ebenso im ältern deutschen Recht. Hier tritt uns die eigentümliche Wahrnehmung entgegen: was innerhalb eines bestimmten Personenkreises Viele längere Zeit gleichmäfsig in ihrem Verhalten beobachtet haben, wird in der Anschauung der Glieder dieses Kreises zur verbindlichen Regel, auf dem Gebiet der Sitte wie des Rechts. Es wirken zusammen das in jeder Gemeinschaft lebendige Gefühl von der Notwendigkeit einer bestimmten Ordnung, die Erleichterung, welche die Nachahmung gewährt, und auf dem Gebiete des Rechts die Idee der Gerechtigkeit, welche im gleichen Fall gleich zu handeln gebietet. So gewinnen Normen ohne absichtliche Satzung infolge der dauernden Bethätigung eine Macht über den Willen der Rechtsgenossen, welche dem Ansehn der Gesetze nicht nachsteht. Der Einzelne kann sich über sie nur mit derselben Überwindung hinwegsetzen wie über die Vorschrift des Gesetzes6. Ob man in der Gemeinschaft der Genossen nur das Subjekt erblickt, von welchem das Gewohnheitsrecht herausgearbeitet wird — wie hier — oder ob man einen Willen der Gemeinschaft als schöpferisches Agens annimmt, ist eine Frage der Psychologie ohne juristische Bedeutung. Man hat die Gestaltung des Gewohnheitsrechts auf eine Genehmigung durch den Gesetzgeber zurückgeführt 7. Diese Ansicht stöfst auf die erheblichsten Bedenken. Vor allem sieht sie sich zur Annahme einer stillschweigenden Gesetzgebung gedrängt, da zahlreiche Gewohnheitsrechte ohne ein bestätigendes Wort des Gesetzgebers bestehen. Eine stillschweigende Gesetzgebung hat es nie gegeben und giebt es am wenigsten heutzutage. Ferner, jede Genehmigung beruht auf einem Willensakt. Wollen setzt Bewufstsein von dem zu Wollenden voraus. Es ist aber mehr als unwahrscheinlich, mindestens nicht nachweisbar, dafs der Gesetzgeber von jedem, auch ganz par6
Auch R ü m e l i n a. a. O. S. 247 nennt die Übung eine sociale Macht. Vgl. auch Z i t e l m a n n a. a. O. S. 459. 7 Im vorigen Jahrhundert war sie herrschend. Die historische Schule hat sie gestürzt. In neuerer Zeit taucht sie wieder auf: B i n d i n g , Handb. d. Strafr. I S. 202, 211 fg.; R ü m e l i n a. a. 0. S. 186fg.; der letztere operiert mit dem unfafsbaren Staatswillen.
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tikulären Gewohnheitsrecht je Kenntnis genommen hat. Bei Licht betrachtet, erweist sich die unterstellte Genehmigung als Fiktion 8 . 3. Nichts ist auf den ersten Blick auifallender, als dafs die Jurisprudenz zu den Rechtsquellen gerechnet wird, dafs man dem Gesetzes- und Gewohnheitsrecht ein Recht der Wissenschaft, Juristenrecht zur Seite stellt 9 . Der theoretische wie der praktische Jurist arbeiten — so scheint es — nur mit gegebenem Stoff, jener mit der Darstellung, dieser mit der Anwendung des Gesetzes- und Gewohnheitsrechts, beide sind Diener, nicht Schöpfer des Rechts. Indes einer genaueren Betrachtung enthüllt sich ein anderes Bild. Nehmen wir ein Beispiel. Nach dem Reichsgesetz über den Wucher vom 24. Mai 1880 macht sich des Wuchers schuldig, wer unter Ausbeutung der Notlage, des Leichtsinns oder der Unerfahrenheit eines Andern für ein Darlehn oder eine Stundung sich oder einem Dritten Vermögensvorteile versprechen läfst, welche den üblichen Zinsfufs dergestalt übersteigen, dafs nach den Umständen des Falls die Vermögensvorteile in auffälligem Mifsverhältnisse zu der Leistung stehn. Was ist Notlage? Nur die Gefahr zu verhungern? oder auch die Gefährdung der Ehre z. B. durch Verfall eines Ehrenscheins? Ist es Ausbeutung, wenn jemand sich Zinsen in Höhe der Summe bedingt, welche das vorgeschossene Geld in seinem Gewerbe abgeworfen hätte? Genügt die Überschreitung an sich oder mufs sie durch Betrug oder Drohung erzielt sein ? 1 0 Auf diese und viele andere Fragen giebt das Gesetz keine Antwort, wohl aber der Richter (im gegebenen Fall) und die wissenschaftliche Darstellung des Rechts ; sie stellen für diese vom Gesetzgeber nicht geregelten Thatbestände Normen auf. Richtet man vollends den Blick auf neuentstandene Lebensformen, mit denen sich die Gesetzgebung noch nicht befafst hat und für die eine Gewohnheitsrechtsbildung noch nicht möglich war (Telephonbetrieb, Postanweisung, Rückversicherung, Abzahlungsgeschäft u. s. w.) oder auf Gebiete des Rechts, wo die Gesetzgebung nur unvollkommen wirken kann, z. B. internationales Privatrecht: so wird die Be8 B i e r l i n g , Kritik I S. 25fg.; Z i t e l m a n n a. a. 0. S. 361 fg. Sie sind von R ü m e l i n S. 206, 212 fg., 240 fg. nicht widerlegt. 9 Zu dem Folgenden vgl. B ü l o w , Gesetz und Richteramt (1885); F r a n k e n , Vom Juristenrecht(1889); K o h l e r , Jher. Jahrb. XXV Abh. 4 (1889); M u r o m t z e f f , Was heifst Rechtsdogmatik? Aus dem Russischen übersetzt von E s m a r c h (1885) S. 7, 27 fg. 10 RGE. XXV Nr. 36 S. 179, Seuff. X L V I 86. Ein anderes Beispiel: Was ist mechanische Vervielfältigung im Sinne des Reichsgesetzes über das Urheberrecht vom 11. Juni 1870? RGE. X X V I I Nr. 15 S. 63.
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hauptung nicht mehr befremden, dafs ein ganz erheblicher Bestandteil unsres Rechtsnormenschatzes der Entwicklung durch die Jurisprudenz sein Dasein verdankt 11 . Angesichts dieser Erscheinungen erweisen sich die gewönlichen Einwände gegen die rechtschöpferische Thätigkeit der Jurisprudenz als hinfällig, wie dafs sie nur vorhandene Regeln aufdecke, nicht neue erzeuge, oder dafs sie nicht nach freiem Ermessen des Nützlichen und Zweckmäfsigen Rechtssätze aufstellen könne, wobei man übersieht, dafs auch der Gesetzgeber mit gegebenen Thatsachen rechnen mufs und dafs vielfach Jurist und Gesetzgeber aus demselben Born schöpfen, der Natur der Sache. Man darf auch nicht sagen, die Jurisprudenz fördere nur Rechtsansichten zu Tage, nicht Rechtssätze. Der Richter urteilt nicht nach Rechtsansichten sondern nach Rechtssätzen, und der Dogmatiker will nichts als den Inhalt des objektiven Rechts entwickeln, also Rechtssätze. Aber ein Unterschied ist allerdings zwischen den Erzeugnissen der Gewohnheitsrechtsbildung und der Gesetzgebung einerseits und der Jurisprudenz andrerseits. Gesetz und Gewohnheitsrecht verpflichten zur Anerkennung und Befolgung vermöge ihres Ursprungs. Was dagegen der hervorragendste Theoretiker als Rechtssatz aufgestellt hat, schöpft seine verbindliche Kraft lediglich aus seiner wissenschaftlichen Wahrheit und unterliegt daher der freien kritischen Prüfung. Dasselbe gilt von dem in einem lichterlichen Urteil entwickelten Rechtssatz für jede anderweite Anwendung. Demnach ist die Jurisprudenz Rechtsquelle, aber sie erzeugt nur Rechtssätze minderen Grads. 4. Im Gebiet des Staats- und Völkerrechts tritt uns noch eine andere Rechtsquelle entgegen, der V e r t r a g . Unter unsern Augen wird stetig durch Übereinkunft der dem europäisch - amerikanischen Kulturkreise angehörigen Staaten oder wenigstens der sog. Grofsmächte das Völkerrecht erweitert (Pariser Vertrag von 1856, Genfer Konvention, Congokonferenz u. ä.). Man spricht von Beschlüssen, in Wirklichkeit sind es Verträge, weil durch die Genehmigung aller beteiligten Staaten bedingt. Der Vertrag, sonst nur bekannt als Quelle von Rechtsverhältnissen, erscheint hier als Quelle von Rechtsnormen. In ähnlicher Anwendung treffen wir den Vertrag im Gebiete des 11
S t i n t z i n g , Macht und Recht S. 21: „Gemeines Recht in Deutschland ist drei Jahrhunderte lang dasjenige gewesen, was die Jurisprudenz als solches lehrte." Er weist auf die Gestalt des Strafrechts am Ende des vorigen Jahrhunderts im Vergleich mit der peinlichen Gerichtsordnung Karls V. hin, eine Weiterbildung ausschliefslich durch Wissenschaft und Praxis.
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§ 17.
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Staatsrechts. Durch Vertrag werden Staatenbünde und Bundesstaaten geschaffen (der Deutsche Bund von 1815, das Deutsche Reich von 1870). Und ein Seitenstück bietet selbst das Privatrecht in dem \'ertrag, wodurch die Verfassung einer frei gebildeten Korporation festgestellt wird (Organisationsvertrag vgl. § 77 I I I 4). Der Vertrag bedarf aber einer anderweitigen Stütze für seine Verbindlichkeit. Der privatrechtliche findet sie in dem Satze des Privatrechts: pacta sunt servanda, der öffentlichrechtliche in der Anerkennung der Verbindlichkeit durch die im friedlichen Verkehr stehenden Staaten. Und diese Anerkennung beruht nicht auf dem Flugsand augenblicklicher Stimmung oder Berechnung, sondern hat tiefere Wurzeln in der Einsicht von der Notwendigkeit einer festen Ordnung des Verkehrs oder eines engeren staatlichen Zusammenschlusses 1 2 . III. Die Ausführung über die Rechtsquellen läfst sich in folgende Sätze zusammenfassen : 1. Die verbindliche Kraft der Rechtssätze hat verschiedenen G r u n d : Gesetzgebung, Gewohnheitsrechtsbildung, Jurisprudenz und (in beschränktem Mafse) Vertrag. Ein einheitlicher Ursprung (Volksgeist, Staatsgewalt, Natur der Sache, Anerkennung) ist nicht vorhanden. 2. Die verbindliche Kraft der Rechtssätze ist dem Grade nach verschieden. Es giebt Rechtssätze mit voller (äufserer) Geltungskraft (Gesetz, Gewohnheitsrecht), und Rechtssätze mit minderer (blofs innerer) Geltungskraft (Juristenrecht). 3. In der Welt des Rechts giebt es nirgends schroffe Scheidungen. Die Gewohnheitsrechtsnorm strebt dahin, im Gesetze Befestigung zu erlangen, das Gesetz, in gewohnheitlich erprobtes Recht überzugehn ( L e i s t ) . Die wissenschaftlichen Rechtssätze liefern der Gesetzgebung den Hauptstoff, nicht wenige erstarken zum Gewohnheitsrecht. Das Gewohnheitsrecht kommt nur selten ohne die Mitwirkung der anwendenden und darstellenden Jurisprudenz zur Entstehung, und diese übt auch einen mächtigen bestärkenden fort- und umbildenden Einflufs auf das Gesetzesrecht. 12
Gut H o l t z e n d o r f f , Handbuch des Völkerrechts I § 24, aber die Anerkennung als selbständige Rechtsquelle neben dem Vertrag fasssend. Gegen die Anerkennung und für die Staats vertrage als Völkerrechtsquelle: B r i e , Theorie der Staatenverbindungen (1886) S. XXXIX fg. Vgl. auch L a m m a s c h , Krit. VJSchr. X X X I S. 423. Über die Mitwirkung religiöser Vorstellungen L e i s t , Gräco-ital. Rechtsgesch. S. 646 fg. — Ein neuerer Schriftsteller, B i e r l i n g a. a. Ο. führt die positive Geltung aller Rechtssätze auf die Anerkennung durch die zum beherrschten Kreise gehörigen Personen zurück. Um diese Vorstellung für das Gesetzesrecht zu retten, mufs er sich mit einer unbewufsten und unfreiwilligen Anerkennung bescheiden, ein Beweis für die Übertreibung eines richtigen Gedankens.
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§ 18.
2. Das Gesetz *. Im Gesetz findet die Rechtsbildung ihre augenfälligste Erscheinung, und da sie auch die überwiegende ist, wenn man vom Juristenrecht absieht, dem ja nicht allgemein Rechtsnormeigenschaft zuerkannt wird, so erklärt sich der verbreitete Sprachgebrauch, jeden Rechtssatz ohne Rücksicht auf seine Herkunft Gesetz zu nennen In der genaueren Rechtssprache ist aber Gesetz nur die auf bewufster Anordnung, auf Satzung, beruhende Rechtsnorm, ja noch enger nur die Rechtsetzung der Staatsgewalt im Gegensatz zu den Erzeugnissen der Autonomie, welche auch aus einem Willensakt hervorgehn (§ 24). I. Die Bedingungen für die gültige Entstehung eines Gesetzes werden durch die Verfassung eines jeden Staats bestimmt. Sie sind heutzutage andre als im römischen Reich und sind auch in den heutigen Staaten verschieden. Die allgemeinen Grundzüge sind folgende. 1. Die Anordnung mufs von dem durch die Staatsverfassung zur Aufstellung allgemein verbindlicher Normen ermächtigten Organ ausgegangen sein. Die gesetzgebende Gewalt ist Bestandteil der Staatsgewalt, kommt daher vor allem dem Träger der Staatsgewalt, dem Staatsoberhaupt zu, kann aber in beschränktem Umfang auch andern Organen eingeräumt sein. Im Deutschen Reich wie in den monarchischen deutschen Einzelstaaten — mit Ausnahme der beiden Mecklenburg — ist das Staatsoberhaupt bei dem Erlafs von Gesetzen an die Mitwirkung einer Volksvertretung gebunden (konstitutionelle Monarchie), sei es bei allen Gesetzen oder bei Gesetzen bestimmten Inhalts2. * L a b a n d , Das Staatsrecht des Deutschen Reichs 1. Aufl. I I § 56—61, 2. Aufl. I § 54—59 und im Handbuch des öffentl. Rechts I I S. 70 fg. (wo auch reiche Litteraturnachweise). H ä n e l , Gesetz im formellen und materiellen Sinne in den Studien zum deutschen Staatsrecht I I S. 140 fg. (1888); Pf a ff und H o f m a n n , Komm. I S. 126 ff. 1 Selbst der Sprache des Gesetzgebers ist diese Anwendung nicht fremd. Einführ. Ges. zum HandelsGB. v. 7. Juni 1869 § 3 73. 1. Einführ.-Ges. z. CPO. § 12 : „Gesetz im Sinne der CPO. und dieses Gesetzes ist jede Rechtsnorm." Einf.-Ges. zur StrafPO. § 7 und zur KKO. § 2. Ebenso ist sicher, dafs die Bestimmung der ReichsVU. Art. 2: „Die Reichsgesetze gehen den Landesgesetzen vor" das gesamte Landesrecht umfafst. 2 ReichsVU. Art. 5: Die Reichgesetzgebung wird ausgeübt durch den Bundesrat und den Reichstag. Preufs. VU. Art. 62: „Die gesetzgebende Gewalt wird gemeinschaftlich durch den König und durch zwei Kammern geübt. Die Überein-
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est.
§ 1.
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2. Die gesetzgeberische Willensbildung mufs auf dem von der Verfassung vorgeschriebenen Weg stattgefunden haben. Bei Gesetzen, deren Erlafsan die Zustimmung der Volksvertretung gebunden ist, mufs a. innerhalb der Volksvertretung die verfassungsmäfsige Beratung und Genehmigung des Gesetzesvorschlags erfolgt 3 und b. dem so beschlossenen Gesetz vom Staatsoberhaupt die Gesetzeskraft oder Sanktion erteilt sein4. Im Deutschen Reich sanktioniert der Bundesrat, in den monarchischen Bundesstaaten der Landesherr. 3. Das von der Volksvertretung genehmigte und vom Staatsoberhaupt sanktionierte Gesetz erlangt Rechtsverbindlichkeit erst durch die V e r k ü n d i g u n g oder P u b l i k a t i o n 5 . Vorher ist eine Übertretung dieses Gesetzes selbst von demjenigen nicht möglich, welcher den Inhalt des Gesetzes und die Sanktion kennt. Die Befugnis zur Verkündigung hat in den deutschen monarchischen Einzelstaaten der Monarch, im Reich der Kaiser. Als Mittel dient heutzutage die Presse. Es bestehen für diesen Zweck besondere Blätter, im Reich das Reichsgesetzblatt, in den Einzelstaaten unter verschiedener Bezeichnung. 4. Mit der Verkündigung ist die Gesetzeserlassung vollendet. Nicht notwendig aber tritt das verkündete Gesetz sofort in Wirksamkeit 6. Es wird nicht selten dafür ein späterer Zeitpunkt festgestellt, in der Regel um dem Publikum die Möglichkeit zu geben, sich mit dem Inhalt des Gesetzes vor seinem Inkrafttreten bekannt zu machen. In der Zwischenzeit (vacatio legis) besteht das Gesetz zu Recht (formelle Gesetzeskraft) und kann daher nur wie ein in Geltung befindliches abgeändert werden. Stimmung des Königs und beider Kammern ist zu jedem Gesetz erforderlich. α Bayr. VU. Tit. V I I § 2. Über die andern deutschen VUU. giebt Nachweise G. A. Z a c h a r i a e , Deutsches Staatsrecht 3. Aufl. § 116 N. 6. 3 Für Verfassungsänderungen bestehen meistens erschwerende Vorschriften. Preufs. VU. Art. 107: zwei Abstimmungen in einem Zwischenraum von wenigstens 21 Tagen. Bayr. VU. Tit. X § 7. Die ReichsVU. hat die Erschwerung in den Bundesrat verlegt. Art. 78. Vgl. auch Art. 5. 4 Eine staatsrechtliche Theorie unterscheidet zwischen Feststellung des Gesetzesinhalts und Erteilung des Gesetzesbefehls und beschränkt die Mitwirkung der Volksvertretung auf die Feststellung des Gesetzesinhalts. S o L a b a n d , Staatsrecht § 54 (56), dagegen G i e r k e in Schmollers Jahrb. V I I S. 1174fg. 5 Manche bezeichnen diesen Akt mit Promulgation. Aber dieser Ausdruck wird von Andern für die Unterzeichnung der Gesetzesausfertigung durch das Haupt der vollziehenden Gewalt verwendet. L a band a. a. 0. Ziff. 4 § 55 (57) Ziff. III. 6 ReichsVU. Art. 2 bestimmt für Reichsgesetze, dafs in Ermangelung einer anderen Festsetzung im verkündeten Gesetz die verbindliche Kraft mit dem 14. Tage nach Ausgabe des betreffenden Gesetzblatts beginnt.
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II. In allen Staaten mit Volksvertretung ist in beschränktem Umfang dem Staatsoberhaupt oder selbst gewissen Behörden die Befugnis eingeräumt, allgemein verbindliche Normen ohne Mitwirkung der Volksvertretung zu erlassen. Die Bezeichnung für diese Rechtschaffung ist V e r o r d n u n g , übrigens ein Ausdruck, der auch für die von der vollziehenden Gewalt ausgehenden allgemeinen Verwaltungsvorschriften gebraucht wird. Die Rechtsverordnungen, nicht die Verwaltungsverordnungen, sind Gesetze im weiteren Sinn und stehn den unter ständischer Zustimmung entstandenen, den Gesetzen i. e. S. gegenüber7. Den Umfang des Rechtsverordnungsrechts bestimmt die Verfassung eines Staats. Er beschränkt sich in der Regel auf genauere Bestimmungen über die Ausführung eines Gesetzes i. e. S. (Ausführungsoder Vollzugsverordnungen). Darüber hinaus besteht in manchen Staaten ein Notverordnungsrecht (Preufs. V. U. 63). Die deutsche Reichsverfassung hat ein Recht zum Erlafs von Rechtsverordnungen weder aufgestellt noch ausgeschlossen. Es kann für einen bestimmten Fall durch Reichsgesetz eingeräumt werden dein Bundesrat, dem Kaiser, Reichsbehörden, z. B. dem Reichskanzler, Bundesregierungen 8. III. Ein in Kraft getretenes Gesetz verliert seine Geltung nicht durch den Wegfall der Gesetzgebungsgewalt, welcher es seine Entstehung verdankt. So gelten noch heute Gesetze des alten deutschen Reichs und im Königreich Preufsen hannoversche, kurhessische, nassauische Gesetze. IV. Die gesetzliche Neugestaltung der gesamten Rechtsverfassung eines Staats oder eines ganzen Rechtsteils (Civil-, Straf-, Prozefsrecht u. s. w.) heifst K o d i f i k a t i o n . Die gesetzliche Regelung eines Rechtsinstituts oder eines einzelnen Rechtspunkts heiJst fragment a r i s c h e Gesetzgebung. Von der Kodifikation ist wieder zu unterscheiden die I n k o r p o r a t i o n . Hier trifft der Gesetzgeber aus dem im Lauf langer Zeit massenhaft angewachsenen Rechtsstoff eine Auslese mit der Bestimmung, dais fortan nur das Aufgenommene Geltung besitzen soll. Eine Kodifikation war die Zwölftafelgesetzgebung, eine Inkorporation die Herstellung von Digesten und Codex. 7 Giebt es Gesetze, welche keine Rechtssätze aufstellen, sogenannte Gesetze im formellen Sinn? Bejaht von L a b a n d a. a. 0. § 56(58), verneint von H ä n e l , Studien II, 2. 8 L a b a n d , § 58 (59) I I u. III. RGE. XXIV. N. 1 S. 3.
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3. Das Gewohnheitsrecht*. § 19. a.
Gewohnheit und Gewohnheitsrecht.
Von altersher haben sich die Menschen den Forderungen gebeugt, welche Herkommen und Brauch in Sitte und Recht („Wohnheit und Sede") an ihr Verhalten stellen. Sobald sich einmal bei einem Volk die Scheidung von Sitte und Recht vollzogen hat, wird eine genaue Feststellung der Merkmale des Gewohnheitsrechts, der Bedingung für seine Entstehung und der Abgrenzung gegen verwandte Erscheinungen Bedürfnis. Die Lösung dieser Aufgabe ist aber durch die Erledigung der Vorfrage bedingt, welche Bedeutung die Gewohnheit für die Gewohnheitsrechtsbildung hat. Zwei Ansichten stehn sich gegenüber. Nach der einen, der altern Theorie erzeugt die Gewohnheit das Recht. Der einmalige Vorgang erwecke Nachfolge und die bleibende Nachfolge bilde das Recht. Gewohnheitsrecht wäre demnach nichts als Gewöhnung, wie sie sich auch bei den Tieren findet 1. Aber noch mehr: diese Auffassung mufs die Antwort auf die Frage schuldig bleiben, warum das, was aus Gefälligkeit, Zuneigung, Ehrerbietung gleichförmig beobachtet wird, nicht zum Recht erwächst, warum die Ärzte trotz langer Übung kein Recht auf Honorierung über die Taxe, die Kinder, Ehegatten und Freunde keinen Anspruch auf Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke erwerben. Dieser Theorie gegenüber lehrt die historische Schule, die Gewohnheit sei kein Entstehungselement sondern nur Erkenntnismittel für das Gewohnheitsrecht. In der stillen Werkstätte des Volksgeistes gedeihe der Rechtssatz zur vollen Reife und als fertiges Erzeugnis trete er bei der ersten Anwendung in die Erscheinung. Die Rolle der Gewohnheit, welche die ältere Theorie überschätzt, wird hier unterschätzt. Jeder Gedanke erhält erst durch die Ausprägung in Wort oder That seine fertige Gestalt. Um wie viel mehr die einen gröfsern Kreis von Personen beherrschende Überzeugung. Mit der * P u c h t a , Das Gewohnheitsrecht I (1828), II, (1837); S a v i g n y , I § 12, 18, 25, 27; Β eseler, Volksrecht und Juristenrecht (1843). Hiegegen ist gerichtet die Recension von P u c h t a in Richter und Schneider Jahrb. für wissensch. Kritik 1844 Nr. 1—4; darauf Β e s e l e r , Nachtrag zu Volksrecht und Juristenrecht (1844), wogegen wieder T h ö 1, Volksrecht, Juristenrecht, Genossenschaften, Stände, Gemeines Recht (1846). Z i t e l m a n n , G n e i s t und R ü m e l i n an den in § 7 Note * a. 00. 1 Consuetudo revertendi Gai. I I 68.
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Anwendung einer Norm in einem Rechtsgeschäft oder richterlichen Urteil setzt die Bildung des Gewohnheitsrechts ein, die wiederholte praktische Verwertung führt den darin niedergelegten Rechtsgedanken in das allgemeine Bewufstsein über, die Anwendung selbst arbeitet an der Herausbildung des Inhalts mit. Als Willkür und Nichtrecht beginnt die Norm ihr Leben, in der Übung erprobt sie ihre innere Berechtigung und erobert das Bewufstsein der Gemeinschaft, dieses selbst aber bewährt im zähen Festhalten sein Dasein und seine Stärke. Darum verlangen die Römer eine longa, diuturna, inveterata; tenaciter servata, antiquitus probata consuetudo und nennen das Gewohnheitsrecht ein jus quod usus comprobavit2. Vor der Gewohnheit (Übung) kein Gewohnheitsrecht3. In der Gewohnheitsrechtsbildung wirken demnach Inneres und Äufseres zusammen : die Überzeugung von der Rechtsnatur der Norm und die Bethätigung der Überzeugung in der Anwendung.
§ 20. b.
Erfordernisse der Entstehung.
Ein Gewohnheitsrechtssatz entsteht, indem in bestimmten Lebensverhältnissen eine Norm so lange Zeit gleichförmig in der Überzeugung ihrer Rechtsgültigkeit angewendet wird, dafs diese Überzeugung zur herrschenden wird. Wie mufs nun die Übung, wie die Rechtsüberzeugung beschaffen sein? I. Übung ist die längere Zeit hindurch fortgesetzte gleichförmige Bethätigung einer Norm. 1. Weder die Zahl der Anwendungsfälle noch der Zeitraum, über welchen sie sich zu erstrecken haben, lassen sich ziffernmäfsig bestimmen. Das Urteil darüber kann immer nur aus dem Gesamteindruck geschöpft werden, welcher sich aus der Würdigung verschiedener Umstände ergiebt: räumliche Ausdehnung der Übung, das mehr oder minder häufige Vorkommen des zu regelnden Verhältnisses, die allgemeine Lage eines Volks, die zuweilen für die Aufnahme der betreffenden Rechtsüberzeugung empfänglicher macht1 u. a. 2 § 9 J. de jure natur. 1, 2 L. 32—26 de legib. 1, 3 C. 3 quae sit longa consuet. 8. 52 [53]'. 3 Gerade umgekehrt T h ö l : „Es giebt keine ungesprochene Sprache und keine ungeübte Sitte, wohl aber ein ungeübtes Recht" (womit das Gewohnheitsrecht gemeint ist). Unrichtig mit bedenklicher Folge Seuff. I I I 293. Richtig RGE. XX Nr. 68 S. 305. 1 Unter der Nachwirkung der nationalen Bewegung von 1848 hat in einigen deutschen Staaten die von der deutschen Nationalversammlung in Frankfurt a. M.
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Schwierigkeit hat von jeher ein Ausspruch des kanonischen Rechts bereitet: eine consuetudo könne bestehendem Recht nicht Abbruch thun, nisi . . . legitime sit praescripta (cap. ult. X de consuet. 1, 4). Dafs damit auf die Zeit für die Verjährung von Rechten hingewiesen wird und zwar auf die gegenüber Rechten der Kirche bestehende vierzigjährige Verjährung, ist bei einer vorurteilslosen Auslegung nicht abzulehnen. Aber es ist damit nur eine negative Schranke aufgestellt: eine Übung unter 40 Jahren kommt gegenüber Rechten der Kirche nicht in Betracht. Nichts rechtfertigt, mehr hinter dem Ausspruch zu suchen. Es steht demnach mit dem früher Entwickelten nicht in Widerspruch 2. 2. Die Anwendung mufs gleichförmig sein. Gleichförmigkeit ist nicht Ausnahmslosigkeit. Es genügt, dais die Wagschale der Anwendungsfälle erheblich tiefer steht als die andere 3. 3. Eine Ansicht darüber, wie eine gewisse Art von Lebensverhältnissen rechtlich geordnet ist, wird sich in der Regel nur bei denjenigen Personen bilden, welche in den betreffenden Lebensverhältnissen selbst stehn oder vermöge ihres Berufs sich damit zu befassen haben : in Handelsverhältnissen bei den Kaufleuten, in bäuerlichen bei den Landwirten, in Bausachen bei Gebäudeeigentümern und Bauleuten u. s. w. Es genügt zur Entstehung eines Gewohnheitsrechts, dafs in dem beteiligten Personenkreise die Überzeugung von dem Bestehn der Norm herrscht. Allen diesen Kreisen treten diejenigen zur Seite, welche aus der Anwendung oder Darstellung des Rechts einen Lebensberuf machen, die Juristen. Es ist daher erklärlich, dafs gerade im Juristenstand solche herrschende Überzeugungen sich bilden, selbst abgesehn von Dingen, welche sich der aufsergerichtlichen Ordnung entziehen, wie z. B. Ehescheidungsgründe. Aber deshalb das Gewohnheitsrecht zu scheiden in ein Volks- und in Juristengewohnheitsrecht, ist unberechtigt. Der Jurist steht nicht aufserhalb seines Volks, er ist wie jeder andere Volksgenosse von den in seinem Volk herrschenden geistigen Strömungen beherrscht und die im Juristenstand beschlossene und von der damaligen Centraigewalt verkündigte Allgemeine Deutsche Wechselordnung in kurzer Zeit gewohnheitsrechtliche Geltung verlangt. G o l d S c h m i d t , Handb. des Handelsr. § 12, N. 34. — Vgl. auch Seuff. XIX 211 RGE. I I Nr. 49 S. 182. 2 Die Ansichten sind verschieden. Im Ergebnis kommen die meisten mit dem Text überein. Savigny I S. 154fg.; W i n d s c h e i d , § 16 Nr. 1, Seuff. I I I 255, 256, I I X I X 211. Manche erkennen die Verjährungszeit als positive Bestimmung für die Gewohnheitsrechtsbildung an, aber mit Beschränkung auf kirchliche Rechtsverhältnisse. P u c h t a , Gewohnh. I I S. 95fg., 279fg.; W ä c h t e r I S. 105, Seuff. I I I 292. 3 Seuff. V I I 279 RGE. X X V I Nr. 35 S. 195.
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sich vollziehende geistige Thätigkeit ist ein Bestandteil des gesamten Geisteslebens eines Volks 4 . Die Unterscheidung ist nur erfunden, um das römische Recht als ein Joch darzustellen, welches die Juristen dem völlig passiv sich verhaltenden deutschen Volk aufgelegt haben. II. In der Übung tritt nicht blofs das Recht sondern auch die Sitte zu Tage. Rechterzeugend wirkt die Übung nur dann, wenn sie aus dem Bewufstsein der Handelnden hervorgegangen ist, damit in Anwendung des bestehenden Rechts zu handeln, nicht blofs in der Meinung, dafs es zweckmäfsig sei so zu verfahren, oder dafs es so Rechtens sein sollte. Das ist es, was die Neueren opinio necessitatis nennen, eine Bezeichnung, die im Grunde nur für zwingende Rechtssätze pafst. Über das Dasein dieses Erfordernisses läfst die Anwendung in den Gerichten keinen Zweifel. Bei aufsergerichtlichen Anwendungsfällen mufs um so sorgfältiger untersucht werden, ob nicht Gefälligkeit, Ehrerbietung oder ähnliche Triebfedern das Verhalten bestimmten5. III. Wer, wie hier geschehn, die Entstehung des Gewohnheitsrechts nicht vor die Übung verlegt, wer ferner für die rechterzeugende Kraft der Übung die Uberzeugung fordert, dafs Recht sei, wonach gehandelt wurde: der kann in dem Irrtum der Übenden, dafs Recht sei, was sie befolgen, kein Hindernis der Gewohnheitsrechtsbildung erblicken. Sämtliche die Entstehung begründenden Anwendungsfälle beruhen auf diesem Irrtum, es müiste sich denn um blofse gewohnheitsrechtliche Bekräftigung eines sonst entstandenen Rechtssatzes handeln. Gleichwohl stellt die herrschende Meinung das weitere Erfordernis auf, dafs der Überzeugung der Übenden nicht ein Irrtum zu Grunde gelegen hat G . Unter den Gründen ist allein von Bedeutung das Bedenken, dafs ohne das genannte Erfordernis jede irrtümliche Gesetzesauslegung verbindliche Kraft gewinnen würde, wenn sie lange 4
Übereinstimmend das Urteil eines erfahrenen Praktikers C o i t h , Civ. Arch. L X X V I S. 206. Zu weit geht F r a n k e n , Vom Juristenrecht S. 8fg. mit der Behauptung, dafs alles Gewohnheitsrecht Juristenrecht sei. 5 Seuff. I 308 X X I X 106, XXXIV mit der zu beachtenden Nachschrift. 6 Statt Vieler W i n d s c h e i d , § 16 N. 3, welcher jedoch Einschränkungen macht. Dagegen haben sich erklärt Z i t e l m a n n a. a. O. S. 323fg.; R ü m e l i n a. a. 0. S. 220fg.; D e r n b u r g I § 27 N. 4. Über die der herrschenden Ansicht entsprechende Praxis des Reichsgerichts vgl. die Kritik von Z i t e l m a n n S. 324 fg. ; das Reichsgericht hat daran festgehalten. RGE. X I I Nr. 71 S. 292 XXVI Nr. 62 S. 223.
Vom Hechte u. d. Rechten im allgem. Erfordernisse d. Entstehung. §20.
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gleichmäfsig festgehalten wurde 7 . Hierüber ist jedoch zu bemerken. Die Festhaltung einer falschen Gesetzesauslegung kann verschiedenen Grund haben: entweder man beugt sich dem vermeintlichen Machtspruch des Gesetzgebers, obwohl man die Unzuträglichkeit des Ergebnisses empfindet — ein Beispiel bietet die frühere Auslegung von C. 8 de novat. 8, 41 [42] 8 — oder es ist eine mit der Auslegung übereinstimmende Rechtsanschauung vorhanden, welche die Brille des Auslegers trübt und ihn verführt, in das Gesetz hineinzulesen, was sein Rechtsbewufstsein erfüllt — ein Beispiel der Satz : dies interpellât pro homine. — Im ersten Fall entbehrt die falsche Gesetzesauslegung der verbindlichen Kraft, im zweiten tritt in ihr ein wahres Gewohnheitsrecht zur Erscheinung9. Die Unterscheidung mag zuweilen schwierig sein, das ist kein Beweis für ihre Unrichtigkeit. IV. Unmoralisches und was gegen die Grundlagen der bürgerlichen Ordnung verstöfst, wird auch durch lange Übung nicht zum Recht. Dies ist der richtige Kern des zuweilen erwähnten Erfordernisses der Rationabiii tat 1 0 . Es greift öfters innerhalb eines Stands oder einer Berufsklasse in einem Punkt eine laxe Anschauung Platz, welche unter den Gliedern dieses Kreises eine zweifellose Gesetzesübertretung nicht mehr als solche empfinden läfst. Die lange Übung deckt sie nicht mit dem Schild des Rechts11. Ebenso könnte nicht als Gewohnheitsrecht angesehen werden, wenn in einer Gegend eine weitgehende Beschränkung in der Wahl des Berufs oder in der Gründung wirtschaftlicher Selbständigkeit üblich wäre 12 . 7
Eine ganz unverdiente Rolle spielt bei dieser Streitfrage L. 39 de legib. 1, 3, denn der Ausspruch kehrt sich nur gegen die analoge Anwendung eines Rechtssatzes, welcher non ratione introductum sed errore primum, deinde consuetudine obtentum est. Vgl. L. 14—16 eod. Ausführlich Z i t e l m a n n , S. 344fg. W e n d t , Jher. Jahrb. X X I I S. 324 entledigt sich der Stelle mit der Behauptung, sie enthalte nur einen Lehrsatz, nicht einen Rechtssatz. 8 Noch von V a n g e r o w § 619 und T h ö l , Handelsr. § 120 N. 15 vertreten. 9 Gut Seuff. X V 217 (Stuttg.). Vgl. ferner Seuff. XXXV 299 u. Nachw. 10 Arg. C. 2 quae sit longa consuet. 8, 52 [53J cap. ult. X de consuet. 1, 4. 11 Davon gilt der Satz der Nov. 134 c. 1 : Quae male excogitata sunt, ea nec longa consuetudine confirmari volumus. „Ein Brauch, defs Bruch mehr ehrt als die Befolgung." (Hamlet). 12 Seuff. I 307 X 2 X L I V 268 X L V I 116 a. E. ; P u c h t a a. a. 0. I I S. 49 fg.; H o l t z e n d o r f f im Handb. d. Völkerr. I S. 94; R ü m e l i n a. a. O. S. 224.
B i n d i n g . Handbuch. I. 7. I : R e g e l s b e r g e r , Fand. 1.
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§ 21. c.
Beweis der Gewohnheitsrechtssätze * .
Das Gewohnheitsrecht tritt ohne einen äufseren Stempel der Beglaubigung in die Erscheinung. Daher sind hier Zweifel über das Dasein eines Rechtssatzes weit häufiger als beim Gesetz. I. Hierbei ist vor allem festzuhalten, dafs auch auf das Gewohnheitsrecht der Grundsatz Anwendung findet: jura novit curia (§ 34 IIB). Man hat in früherer Zeit behauptet, das Gewohnheitsrecht stehe unter den Regeln des Thatsachenbeweises, weil es selbst eine Thatsache sei. Das ist verkehrt ; in demselben Sinne wie die Gewohnheitsrechtsbildung ist auch die Schaffung eines Gesetzes eine Thatsache. Der falschen Ansicht steht jetzt auch CPO. § 265 entgegen1. Aber als Gehilfen in der Ermittelung können die Parteien dem Richter zur Seite treten. II. Der Beweis kann mittelbar oder unmittelbar geführt werden. Mittelbar durch Darlegung der einzelnen Anwendungsfälle, unmittelbar durch Aussagen, dafs das Gewohnheitsrecht bestehe. Für den mittelbaren Beweis genügt die gewöhnliche Beschaffenheit der Beweismittel (Wahrnehmungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit der Zeugen, Echtheit der Urkunden u. s. w.). Der unmittelbare Beweis enthält ein rechtliches Urteil des Zeugen oder des Verfassers der Urkunde 2 ; der Wert hängt davon ab, dafs dem Urheber des Urteils vermöge seiner Bildungsstufe, seiner Lebensstellung, seiner Erfahrung ein Urteil darüber zugetraut werden kann, ob eine rechtsverbindliche Gewohnheit besteht3. Unter den Urkunden nehmen den ersten Rang richterliche Erkenntnisse ein, in welchen auf Grund einer vorgängigen Untersuchung das fragliche Gewohnheitsrecht anerkannt wurde (L. 34 de legib. 1, 3). Sprichwörter sind von zweifelhaftem Wert 4 . * Τ h o l , Handelsr. I § 12, 13. Seuff. X L V I I 1 (RG.) u. Nachw. 2 Die altdeutschen Weistümer waren Aussagen glaubwürdiger rechtskundiger Personen über geltendes Recht, abgegeben auf amtliche Anfrage. 3 Daher ist die Eideszuschiebung als Beweismittel ausgeschlossen. CPO. § 410. Vgl. auch Seuff. XIX 105 u. Nachw. 4 Stobbe § 23 N. 18. 1
Vom Rechte u. d. Rechten im allgem. Gewohnheitsrecht etc.
§ 22.
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§ 22. d. Gewohnheitsrecht,
Herkommen,
Observanz,
Geschäfteübung*.
I. Herkommen (was hergebracht ist) und Observanz (was beobachtet zu werden pflegt) bedeuten an sich so viel wie Gewohnheit, d. h. ein gleichförmiges Verhalten. In Anwendung auf rechtliche Vorgänge sind daher Herkommen und Observanz vielfach nur andere Ausdrücke für Gewohnheitsrecht. Und zwar besteht eine Neigung des Sprachgebrauchs, jene Bezeichnungen auf dasjenige Gewohnheitsrecht zu beschränken, welches entweder auf einen engen Raum oder auf einen bestimmten Personenkreis begrenzt ist, oder sich autonomisch zur Regelung innerer Korporationsverhältnisse gebildet hat 1 (§ 24). Immerhin ist dabei Herkommen (Observanz) als Quelle von Rechtssätzen aufgefafst. Es wird aber Herkommen auch im Sinn der Begründung von Rechtsverhältnissen durch längere thatsächliche Ausübung einer Befugnis, z. B. eines Wegerechts gebraucht. Herkommen ist hier gleichbedeutend mit Ersitzung oder unvordenklicher Verjährung (von Manchen materielles oder attributives Herkommen genannt)2. Hier ist es Quelle subjektiven Rechts. Herkommen im objektiven und im subjektiven Sinne berühren sich nicht selten sehr nahe, denn auch die aufsergerichtliche Übung eines Gewohnheitsrechtssatzes erscheint regelmäfsig in der Bethätigung einer Befugnis, nämlich der aus dem Rechtssatz fliefsenden Befugnis. Aber die Unterscheidung ist wichtig, da beide Rechtsvorgänge verschiedene Entstehungserfordernisse haben, da ferner der Richter gegenüber der Berufung auf einen Rechtssatz eine andere Stellung einnimmt, als bei der Behauptung eines Rechtsverhältnisses (§ 33 II). Die Frage mufs im einzelnen Fall so gestellt werden: Ist nach dem thatsächlichen Vorbringen die unmittelbare Quelle der in Anspruch genommenen Berechtigung ein besonderer * P u c h t a , Gewohnheitsrecht I I § 11: S a v i g n y I S. 98—100; A r n o l d , Prakt. Erörterungen Nr. X I X : Einiges zur näheren Festsetzung des Begriffs des Herkommens. 1 Seuff. X I X 104, RG. X I Nr. 43 S. 213, X I I Nr. 71 S. 293 — S a v i g n y S. 98 N. f. — P u c h t a a. a. 0.; B ä h r , Urteile des Reichsgerichts S. 18—20 und Krit. VJSchr. XXX S. 329. — Vgl. auch B ö h l au, Mecklenb. Landr. § 65: Stobbe § 23 N. 8; R o t h § 44 N. 14—16, Motive I S. 10. 2 In den Rechtsquellen kommt consuetudo in ähnlicher Verwendung vor: consuetudo in illis lapidicinis L. 13 § 1 comm. praed. 8, 4 longi temporis consuetudinem vicem servitutis obtinere 6, 1 de serv. 3, 34. Zweifelhaft habendi consuetudo in L. 20 pr. S. P. U. 8, 2; Th. Mommsen ad h. 1. *
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Rechtssatz oder ein nach den Regeln des allgemeinen Rechts entstandenes Rechtsverhältnis. Für die Verjährung spricht im Zweifel der Umstand, dafs die Übung nur ein Verhältnis unter individuell bestimmten Personen oder die Rechtslage einer bestimmten Sache betrifft, da gewohnheitsrechtliche Individualrechtssätze zwar nicht unmöglich, aber doch äufserst selten sind (§ 30 N. 9) 3 . Dagegen wird in der Regel ein Gewohnheitsrecht anzunehmen sein, wenn die Begründung eines individuellen Rechts oder einer individuellen Verpflichtung für einen Kreis von Personen in Frage steht, welcher nicht ein Rechtssubjekt (juristische Person) darstellt und nicht blofs einen Rechtsinhaber mit seinen Rechtsnachfolgern umfafst 4. II. Die Übung im Sinn des gleichförmigen Handelns gewinnt in rechtlichen Dingen auch Bedeutung für die Feststellung des Inhalts von Rechtsgeschäften. Was bei einer gewissen Art von Geschäften regelmäfsig gethan oder bestimmt zu werden pflegt, bildet den Geschäftsgebrauch, die Geschäftsübung, mos, consuetudo5, z.B. das Dinggeld dem die Miete antretenden Dienstboten zu überlassen, bei Barzahlung einen Rabatt zu gewähren. Der Geschäftsgebrauch ist ein individueller oder ein allgemeiner, je nachdem er sich aus den gleichmäfsigen Handlungen einer einzelnen Person oder eines Personenkreises (der Bewohner einer Gegend, der Mitglieder einer Erwerbsklasse u. s. w.) zusammensetzt. Insofern sich der Geschäftsgebrauch auf rein thatsächliche Dinge bezieht (z. B. Einrichtung der Buchhaltung, Art der Verpackung), was man Geschäftssitte zu nennen pflegt, kommt er hier nicht in Betracht. Der Grund, warum das bei der Ordnung von rechtlichen Verhältnissen Beobachtete, der rechtsgeschäftliche Gebrauch, Erheblichkeit besitzt, liegt in der Erfahrung, dafs die Menschen ohne Grund vom Üblichen nicht abzuweichen pflegen, dafs ferner die Urheber eines Rechtsgeschäfts über solche Punkte, für welche sie sich der bestehenden Übung anschliefsen, häufig eine ausdrückliche Bestimmung unterlassen, weil sie diese Ordnung für selbstverständlich erachten. 3
L. 13 § 1 comm. praed. 8, 4 C. 1 de serv. 3, 34; A r n o l d a. a. 0. Hierher gehören m. E. die Fälle Seuff. I 3, I I 122, IX 116, X 190, X I 2, XIX 1, X X V I I I 98, XXIX 209, X X X V I 172. RG. X I Nr. 43 S. 212, X I I Nr. 71 S. 292. 4 L e o n h a r d , Verhandl. des XVI. Deutschen Juristentags (1882) I S. 285fg. Seuff. I I I 1, 98, 256; IV 94; XIV 3, 193; XIX 104; X X I 10, 201; X X I I I 177; X X X I I I 199; X X X V I I 179. 6 G o l d s c h m i d t , Handb. des Handelsr. § 35 Ziff. 2; L a b a n d , Z. f. HR. X V I I Abh. 5; E n d e m a n n , Handb. des Handelsr. I S. 45fg., I I S. 391 fg.; L e o n h a r d , Irrtum bei nichtigen Verträgen S. 222fg.
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§
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Dies berechtigt nicht blofs, unklare Ausdrücke in einem Rechtsgeschäft nach dem individuellen oder allgemeinen Sprachgebrauch auszulegen (auslegende Wirkung) 0 , sondern auch bezüglich aller derjenigen Punkte eines Geschäfts, welche nicht ausdrücklich geregelt sind, das Übungsgemäfse als gewollt anzusehn (ergänzende Wirkung) 7 . 1. Der Geschäftsgebrauch bildet eine Ergänzung nicht des Parteiwillens sondern nur seines Ausdrucks. Er kann daher für die Ermittelung des besondern Geschcäftsinhalts nur unter der Voraussetzung verwertet werden, dafs der Wille des oder der Verfügenden auf das Übliche gerichtet war. Der Mangel eines entgegengesetzten Willensausdrucks reicht nicht hin, weil er auch im Fehlen jedes Parteiwillens hinsichtlich des betreffenden Punkts seinen Grund haben kann. In diese Lücke zu treten, kommt nur der Rechtsvorschrift zu. Die Frage ist also nicht so zu stellen : Würden die Parteien im Einklang mit der bestehenden Geschäftsübung verfügt haben, wenn der fragliche Punkt ihrer Aufmerksamkeit nicht entgangen wäre? sondern vielmehr: War diese Regelung von den Parteien gewollt und ein förmlicher Ausdruck nur aus Bequemlickheit oder weil selbstverständlich unterlassen?8 Allerdings entspringt aus dem allgemeinen Geschäftswillen eine Vermutung für das Dasein des besondern Geschäftswillens. Wo aber ein förmlicher Ausdruck für eine Willensbestimmung vorgeschrieben ist, hat die Ergänzung aus dem Geschäftsgebrauch keinen Raum9. 2. Die Annahme eines auf die Geschäftsübung bezüglichen Willensentschlusses setzt die Kenntnis des Verfügenden von dieser Geschäftsübung voraus. Aber erforderlich ist die Kenntnis nur vom Dasein einer einschlagenden Geschäftsübung, nicht von ihrem Inhalt; eine Partei kann sich auch einer ihr unbekannten Regel unterwerfen 10. 6 L. 50 § 3 de legat. I. L. 34 R. J. 50, 17 L. 21 § 1 i. f. qui testam. facere 28, 1. 7 Auch ohne ausdrückliche Zusicherung konnte der Käufer das Versprechen des Eviktionsersatzes fordern L. 31 § 20 de aed. ed. 21, 1 L. 6 de evict. 21, 2. Haben die Parteien den Zinsfufs nicht bestimmt, so gilt der ortsübliche als vereinbart. L.. 1 pr. de usur. 22, 1. 8 Zu weit geht ROHG. X X I I Nr. 86 S. 371. Vgl. jedoch L e o n h a r d , Irrtum S. 224 fg. !> Nach allgemeiner Übung zahlen Kaufleute ihre Wechselschulden am Ort ihrer Handelsniederlassung. Trotzdem wäre ein Wechsel ungültig, wenn der Zahlungsort nicht einmal aus einer Ortsangabe bei dem Namen oder der Firma des Bezogenen ersichtlich wäre wegen Wechsel-Ord. Art. 4 Ziff. 8. Dagegen greift die auslegende Wirkung auch hier Platz z. B. bei der Klausel „hier und aller Orten." Reh b e i η , A 11g. Deutsche WO. Art. 4 Anm. 36. — 10 L. 7 § 1 C. E. 18, 1 L. 48 AEV. 19, 1.
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Ja noch mehr: wer in einen bestimmten geschäftlichen Verkehr eintritt, kann sich hinterher auf die Unkenntnis einer Geschäftsübung nicht berufen, sofern die mit ihm verkehrenden Personen seine Kenntnis vorausgesetzt haben und zu dieser Voraussetzung berechtigt waren. Das Wissensollen steht hier dem Wissen gleich 11 . 3. Der Geschäftsgebrauch unterscheidet sich demnach vom Gewohnheitsrecht begrifflich und praktisch 12. Begrifflich: er beruht auf einer Massenerscheinung, wobei der Grund des Handelns gleichgültig ist. Man schliefst sich dem herrschenden Stil an, nicht im Gefühl der Unterworfenheit, sondern in Erwägung der Nützlichkeit oder aus Bequemlichkeit. Praktisch : a. Als (unausgesprochener) Parteiwille geht die Geschäftsübung der ergänzenden Rechtsnorm vor und zwar selbst da, wo das Gewohnheitsrecht gegenüber dem Gesetz ausgeschlossen ist 1 8 . b. Das Dasein des Geschäftsgebrauchs hat der Richter nicht von Amtswegen zu erforschen. c. Die Frage, welcher örtliche Geschäftsgebrauch malsgebend ist, bestimmt sich nicht nach den Regeln über das anzuwendende örtliche Recht. § 23. 4. Verhältnis von Gesetz und Gewohnheitsrecht *. Dafs Gewohnheitsrecht durch ein neues Gesetz aufgehoben werden kann, ist nie bezweifelt worden. Dagegen sind die Meinungen geteilt, ob neues Gewohnheitsrecht die Kraft habe, Gesetzesrecht aufser Geltung zu setzen. 11 Wer sich in Börsengeschäfte einläfst, mufs wissen, dafs es allgemeine Börsenbedingungen giebt, welchen er sich unterwirft, wenn sie nicht durch Vereinbarung ausgeschlossen werden. ROHG. V I I Nr. 1 S. 14, V I I I Nr. 65 S. 257, XV Nr. 71 S. 251 Seuff. XL. 299. 12 ROHG. V Nr. 7 S. 34 Seuff. X X X V I I 173 (RG.). 13 Nach HGB. Art. 1 finden Handelsgewohnheitsrechte keine Anwendung, wenn der Thatbestand im Handelsgesetzbuch geregelt ist. Dies steht der Berücksichtigung der Handelsgebräuche nicht entgegen. ROHG. V Nr. 42 S. 185, VI Nr. 83 S. 370, V I I I Nr. 65 S. 255 Seuff. X L 299. * P u c h t a , Gewohnheitsrecht I I S. 199fg.; B e s e l e r , Verhandl. des V. Deutsch. Jur. Tags (1864) I S. 102 fg.; A d i c k es, Zur Lehre von den Rechtsquellen (1872) § 7; Z o l l , Jher. Jahrb. X I I I Abh. 10 (1874); S t u r m , Der Kampf des Gesetzes mit der Rechtsgewohnheit (1877) S. 23fg.; A d o l f S c h m i d t , Zur Lehre vom Gewohnheitsrecht (Leipz. Programm 1881); Esser, Die derogatorische Kraft des Gewohnheitsrechts (1889).
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§ 3.
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Wer in der Volksgesamtheit den Schöpfer alles Rechts erblickt und in Gesetz wie Gewohnheitsrechtsbildungen nur verschiedene Äufserungsformen für das schon vorher entstandene Recht, gelangt folgerichtig zur Ebenbürtigkeit beider Rechtsquellen und mithin zur Bejahung der aufgeworfenen Frage. Umgekehrt, wer die Geltung des Gewohnheitsrechts auf die Genehmigung des Gesetzgebers zurückführt. Beide Ausgangspunkte sind falsch (§ 17). Damit entfallen die Folgerungen. Man hat gesagt, ein Gesetzgeber überschreite die ihm gezogenen Schranken und schaffe einen unverbindlichen Gesetzesinhalt, wenn er Normen über die Entstehung oder die Stärke des Gewohnheitsrechts aufstelle 1. Diese Theorie zerschellt an der Thatsache, dafs noch kein Richter gewagt hat und in Zukunft wagen wird, sich z. B. über Art. 1 des HGB's. als unverbindlichen Gesetzesinhalt hinwegzusetzen. Solche aprioristischen Erwägungen verschlagen nicht. Die Frage ist lediglich nach dem positiven Recht zu entscheiden. Das gemeine Recht ergiebt Folgendes. 1. In der Justinianischen Gesetzsammlung ist die abändernde Kraft des Gewohnheitsrechts grundsätzlich2 und in zahlreichen Anwendungen anerkannt 3. Das Gegenteil scheint freilich eine Codexstelle zu enthalten4. Allein man erwäge. Die Konstitution ist ein Reskript, also gegeben aus Anlafs eines einzelnen Falls. Sie stammt von Konstantin, also aus einer Zeit, wo von einer das ganze Reich umfassenden Gewohnheitsrechtsbildung nicht die Rede sein konnte. Consuetudo geht mithin hier auf ein partikuläres Gewohnheitsrecht, während lex im damaligen Sprachgebrauch ein allgemeines Reichsgesetz bedeutet. Die Konstitution sagt demnach: ein allgemeines Reichsgesetz kann durch partikuläre Gewohnheitsrechtsbildung nicht durchbrochen werden. Erwägt man noch, dafs die damaligen Reichsgesetze nicht blofs subsidiär gelten sollten, sondern durchgreifend gleiche Ordnung schaffen wollten, so ist der Widerspruch mit den Äufserungen in Institutionen und Digesten beseitigt5. 1
E i s e l e , Civ. Arch. L X I X S. 289. L. 32 g 1 de legib. 1, 3 § 11 J de jure nat. 1, 2 Const Deo auetore § 10. 3 § 3 J. de libert. 1, -5 § 7 de injur. 4, 4 L. 27 § 4 ad leg.· Aq. 9, 2 L. 1 § 1 de interrog. in jure 11, I C . un. § 1 de cad. toll. 6, 51. Dazu Gai. I, 111 II. 103 Ulp. 1, 8. 4 C. 2 quae sit longa consuet. 8, 52 [53]: Consuetudinis ususque longaevi non vilis auetoritas est, verum non usque adeo sui valitura momento, ut rationem vincat aut legem. Constantinus a. 319. 5 Der Text folgt in der Erklärung der Stelle im wesentlichen Savigny I Beil. II. Vgl. M i t t e i s , Reichsrecht und Volksrecht S. 163. Andere suchen den 2
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Wie man sich aber auch mit dem Inhalt der Codexstelle auseinandersetzen mag: die spätere Rechtsentwicklung war der Geltung des Konstantinischen Gesetzes im Sinne der Machtlosigkeit des Gewohnheitsrechts gegenüber dem Gesetzesrecht nicht günstig. Schon das kanonische Recht hat den Satz abgeschwächt6, und in Deutschland sind viele römische Gesetze und manche Gesetze des alten deutschen Reichs durch Gewohnheitsrecht abgeändert worden 7. 2. Das deutsche Handelsgesetzbuch verfügt in Art. 1, dafs Handelsgewohnheitsrecht, altes wie neues, in Handelssachen nur insoweit in Anwendung komme, als das Gesetzbuch keine Bestimmung enthält. Ebenso schliefsen die deutschen Partikularrechtskodifikationen die aufhebende Kraft des Gewohnheitsrechts gegenüber dem Gesetzesrecht aus8. Dieser Gesetzesbefehl ist so verbindlich wie jeder andere9, und in Wirklichkeit haben sich ihm die Gerichte jederzeit gefügt 10. Es erweist sich hier die Überlegenheit der organisierten Macht über die unorganisierte. Indes darf die Überlegenheit nicht überschätzt werden. Es giebt verschiedene Kanäle, durch welche eine lebendige Rechtsüberzeugung sich dem Gesetz gegenüber Geltung zu verschaffen vermag. Sie wird die Gesetzesauslegung beeinflussen und durch Umdeutung des Gesetzesinhalts, durch Hineintragung von Unterschieden, durch Aufstellung von Ausnahmen u. s. w. eine Gesetzesänderung dem Anstois auf anderm Wege zu beseitigen. P u c h t a , Vorl. I Beil. I : consuetudo sei ein blofs thatsächlicher Gebrauch. B r i n z § 33 N. 4 und A d o l f S c h m i d t a. a. 0. : Das Gewohnheitsrecht werde nur für nicht stärker als das Gesetzesrecht erklärt. B ä h r , Urteile S. 186: consuetudo ususque longaevus gehe auf den Gerichtsgebrauch; K e l l e r § 3 N. 7; Z o l l a. a. 0. S. 424; R ü m e l i n , Jher. Jahrb. X X V I I S. 224 erkennen einen Widerstreit an. Weitere Stimmen bei Esser a. a. 0. S. 4 fg. 6 Cap. ult. X de consuet. 1, 4. Das Reichsgericht (Entsch. V Nr. 34 S. 134) findet darin eine Aufhebung der Verordnung Konstantins. Dafs das Mittelalter über Gesetz und Gewohnheit anders dachte, als dem Kaiser Konstantin unterstellt wird, ergeben Feud. lib. I I tit. 1 und Schwabenspiegel c. 40. 7 Es genügt an die gewohnheitsrechtliche Umbildung der Rechtssätze über die Stellvertretung, über die Verträge zu Gunsten Dritter, der Haftung des Erben für die Deliktsschulden des Erblassers zu erinnern. Vgl. auch Seuff. XV 217, X X I I I 219, X X X I I I 92. 8 Preufs. Ldr. Einleit. § 3, 60: Österr. GB. § 9, 10; Bad. Ldr. Satz 6 d.; Sächs. GB. § 28. 9 L a b a n d , Staatsr. § 57 I I I (1. A. § 60 II); Z o l l a. a. 0. S. 446 fg. Vgl. aber Note 1. 10 Pfaff und H o f m a n n , Komm. I S. 216; W ä c h t e r , WPR. I I S. 36 fg.
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§
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Erfolge nach erzielen. Es fehlt dafür nicht an Beispielen11. Dann aber kann im Lauf der Zeit der Gesetzesbefehl selbst seine Kraft verlieren, überwunden durch dieselbe Macht, welcher er bisher entgegengetreten war. Nur ist die Ansicht abzulehnen, dafs eine einzelne Gewohnheitsrechtsbildung für sich das gesetzliche Verbot durchbrechen könne. Wie läfst sich die Überzeugung der Übenden feststellen, dafs in diesem Fall der gesetzliche Ausschlufs nicht gelten soll 12 .
§ 24. 5.
Die Autonomie
Wie im lateinischen Wort lex und im deutschen Wort Herkommen prägt sich im Kunstausdruck Autonomie die Verwandtschaft zwischen den verschiedenen Arten rechtsordnender Thätigkeit aus. Autonomie wird genannt: A. Die Regelung eines einzelnen Rechtsverhältnisses durch Rechtsgeschäft, das Privatverfügungsrecht, die Privatautonomie. In diesem Sinn gehört die Autonomie nicht unter die Entstehungsgründe der Rechtssätze, sie entlehnt ihre Geltung selbst einem (dispositiven) Rechtssatz (§ 32). B. Die Gesetzgebungsgewalt von Staaten, welche als Glieder eines gröfsern staatlichen Verbandes zugleich der Gesetzgebungsgewalt des höhern Verbands unterworfen sind 1 . Die Erzeugnisse dieser Gesetzgebungsgewalt sind allgemeine Gesetze in dem § 18 geschilderten Sinn. C. Die Rechtssetzungsbefugnis körperschaftlicher Verbände und 11 So die Behandlung des Lebensversicherungsvertrags nach preufsischem Landrecht. D e r n b u r g , Preufs. PR. I I § 20. Über die Bedrohung des HGB. Art. 219 vgl. Eug. W o l f , Arch, für bürg. R. I I I S. 337 fg. 12 Die bekämpfte Ansicht vertritt W i n d s c h e i d § 18 N. 3. • G e r b e r , Civ. Arch. X X X V I I Abh. 2 und Jher. Jahrb. I I I Abh. 6; K. Ma u r e r, Krit. Überschau I I S. 229fg.; B r u n n e r in Holtzendorffs Rechtslexikon s. v. Autonomie. P f a f f und H o f m a n n , Komm. I S. 251 fg.; B ö h l au, Mecklenb. Landr. § 56—60. Vgl. auch die Lehrbücher über deutsches Privatrecht. 1 In diesem Sinn nennt L a b a n d , Staatsr. I S. 104 fg. 1. Aufl. S. 107 fg. die gesetzgebende Gewalt der deutschen Einzelstaaten Autonomie. In Österreich wird das neben der Reichsgesetzgebung bestehende Gesetzgebungsrecht der einzelnen „Königreiche und Länder" Autonomie genannt. P f a f f und H of mann a. a. Ο. S. 255. Hierher gehört auch das eigentümliche Gesetzgebungsrecht der Städte Wismar und Rostock. B ö h l a u a. a. 0. § 59.
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Die allgemeinen Lehren
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ähnlicher geschlossner Kreise mit Beschränkung auf ihre innern Angelegenheiten2. Ob die Autonomie in dieser dritten Bedeutung den Quellen des objektiven Rechts beizuzählen sei, ist streitig, aber wohl zu bejahen. 1. Mit dem Begriff der Körperschaft ist eine Gewalt des Ganzen über seine Mitglieder notwendig verbunden. Die Körperschaft regelt ihre innern Verhältnisse durch das Statut (die Satzungen), es greift auch die ordnende Macht der Gewohnheit ein (Observanz). Wer in der Körperschaft steht, ist dem jeweiligen Grundgesetz unterworfen, er mag den Inhalt billigen oder mifsbilligen. Wer einer statutarischen Vorschrift über sich keine Herrschaft einräumen will, dem bleibt nur der Austritt offen, wie dem mit den Gesetzen seines Staats unzufriedenen Bürger die Auswanderung. Hierin liegt der Punkt, welcher diese autonome Ordnung von der vertragsmäfsigen Regelung unterscheidet und der staatlichen Gesetzgebung nähert. Das ist mehr als rechtsgeschäftliche Privatverfügungsgewalt 3 , das ist Schaffung objektiver Rechtsnormen. Die Einschränkung der körperschaftlichen Autonomie durch die staatliche Gesetzgebung spricht nicht dagegen. Selbst abgesehn von der heiklen Frage, ob sich nicht im Widerspruch mit dem staatlichen Willen Recht, wenn auch nicht vor den Gerichten des Staats verfolgbares Recht, bilden könne4, so ist das, was unter Nichthinderung der übergeordneten Macht geschieht, nicht ihr Werk. Die Familien des hohen Adels besitzen das Recht, in Hausgesetzen über Familiengüter, Eheschliefsung, Vormundschaft, Erbrecht Normen aufzustellen, welche für alle Familienglieder verbindend sind, und zwar selbst unter Verdrängung zwingender allgemeiner Gesetze5. Auch diese rechtliche Macht geht über die Privatverfügungsgewalt hinaus. 2
Über Autonomie kirchlicher Korporationen P f a f f und H o f m a n n a. a. O. S. 258 fg. RGE. X X I I I Nr. 5 S. 26. 3 Auf diesen Gesichtspunkt will G e r b e r a. a. 0. die Autonomie herabdrücken, wogegen aber M a u r e r a. a. 0. überzeugend aufgetreten ist. Nicht einmal für die Ordnungsmacht der Privatkorporationen reicht diese Auffassung aus. A. M. S t o b b e § 20 a. E. Vgl. aber B o l z e , Der Begriff der juristischen Person S. 168 fg. ; G i e r k e , Genossenschaftstheorie S. 152 N. 1 Seuff. IX 7, X I I I 124, X X X V I I I 2 RGE. V Nr. 32 S. 120. Eine Anwendung auf die Satzungen der reichsgesetzlichen Berufsgenossenschaften bei M e n z e l , Arch. f. bürg. R. I S. 339. 4 T h o n , Grünhuts Ζ. V I I S. 243; B e r n a t z i k , Arch. f. öffentl. R. V S. 243. 5 Anerkannt in der deutschen Bundesakte v. 1815 Art. 14, welcher mit der Auflösung des Bunds die Geltung nicht verloren hat. RGE X X V I Nr. 26 S. 161. Zum Ganzen S t o b b e § 20.
Vom Rechte u. .
Vom Rechte u. d. Rechten im allgem.
l l .
echt
etc.
§ 30.
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Gesetzgebung bestehende Rechte nur aus triftigen Gründen beseitigen s o l l , ist ein Gebot der Sittlichkeit und politischen Klugheit: falsch dagegen, dafs sie es nur aus bestimmten Gründen k a n n 1 5 . Dem Mifsbrauch müssen andere Kräfte entgegenwirken. Ob ein anderes zur Verleihung eines Privilegs ermächtigtes Organ zur Entziehung befugt ist, mufs nach dem Staatsrecht jedes Landes beantwortet werden. An sich liegt in dem Recht der Verleihung das Recht zur Entziehung nicht. Hiemit hängt die Frage zusammen, ob bei der Aufhebung eines Privilegs durch gesetzgeberischen Akt der Geschädigte einen Ersatzanspruch habe, vorausgesetzt, dafs die Aufhebung weder durch sein Verhalten veranlafst, noch bei der Verleihung vorbehalten war, sondern aus Rücksichten des gemeinen Besten getroffen wurde. Aus einem allgemeinen privatrechtlichen Gesichtspunkt, Rechtsgeschäft oder Delikt, läfst sich der Anspruch nicht herleiten 16, ein positiver Rechtssatz dieses Inhalts ist im gemeinen Recht nicht nachzuweisen. Dafs die Billigkeit für eine Entschädigung in den meisten Fällen spricht, wenn dem Einzelnen im Interesse der Allgemeinheit ein Opfer auferlegt wird, soll nicht in Abrede gestellt werden 17. b. Für alle durch Privilegium begründeten Rechte wird behauptet, dafs sie durch Verzicht, Verjährung wie durch Mifsbrauch der Ausnahmsstellung untergehn. Mit Unrecht. Die Einwirkung von Verzicht und Verjährung auf ein durch Privilegium erworbenes Recht bestimmt sich durch die Gattungseigenschaft dieses Rechts, ob Eigentum, Servitut u. s. w., der Ursprung ist dafür gleichgültig18. Der 15
RGE. I X Nr. 62 S. 235. Man könnte an die Analogie der Enteignung denken, aber die Enteignung führt zu einer Rechtsübertragung, hier dagegen wird einem Recht der Boden entzogen. Vgl. das ausführlich begründete Erkenntnis in Seuff. X X X V I I 224 (Jur. Fak. Jena); ferner XXIV 37 (Stuttg.). 17 Die Staatsrechtslehrer sind im allgemeinen der Anerkennung eines Ersatzanspruchs günstiger als die Civilisten, machen es sich aber mit der rechtlichen Begründung etwas leicht. So auch Z a c h a r i a e , Deutsches Staats- und Bundesrecht I I § 151. Eine Entschädigungspflicht für alle Fälle der Vermögensbeeinträchtigung durch Rechtsänderung würde an der Undurchführbarkeit scheitern. Dies mag für die Aufstellung eines allgemeinen Rechtssatzes vorsichtig machen. Gegen die Ersatzpflicht K i e r u l f f S. 60; G ö p p e r t , Jher. Jahrb. X X I I S. 154 fg. Seuff. XIX 213, X L I 111, X L V I 164 (RG.). Dafür RGE. X I I Nr. 1 S. 3 (Seuff. X L I 20). Vgl. auch G i e r k e , Genossenschaftstheorie S. 801. Für das preufsische Recht übereinstimmend D e m b ü r g , Preufs. PR. I § 25 a. E., § 33 N. 2. Geneigter ist der Entschädigungspflicht die bayerische Praxis. R o t h , Bayr. Civ. R. § 37 (1. Aufl. § 35) II. 18 P u c h t a § 31 N. o. A. M. K i e r u l f f S. 63. 16
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Mifsbrauch der Ausnahmsstellung kann nur einen Anstofs zur Entziehung geben, begründet aber nicht unmittelbar die Verwirkung. § 31. 5. Regelmäfsiges und Sonderrecht*. I. Die römischen Juristen bezeichnen eine Anzahl von Rechtssätzen als jus singulare und stellen sie dem jus commune gegenüber \ Paulus giebt vom jus singulare eine Definition 2 und sagt in Übereinstimmung mit andern Juristen davon aus, dafs es sich nicht zur analogen Anwendung eigne3. Um dieser praktischen Eigentümlichkeit willen ist man von jeher dem Begriff des jus singulare nachgegangen, ohne aber zu einer einheitlichen Auffassung zu gelangen, trotz der Definition des Paulus oder wegen derselben. Es läfst sich nämlich unschwer erweisen, dafs die Begriffsbestimmung des Paulus einerseits nicht auf sämtliche Rechtssätze pafst, welche in den Quellen als jura singularia bezeichnet werden, und dafs sie andrerseits auf Rechtssätze Anwendung findet, für welche in den Quellen nirgends die Bezeichnung jus singulare vorkommt. Das Kodizillarrecht wird jus singulare genannt, ebenso das Soldatentestament, obwohl sie keine Abweichung von einem Prinzip enthalten, also nicht contra tenorem rationis angehn. Umgekehrt streiten SCm Macedonianum und SCm Velleianum „contra tenorem rationis", aber so freigebig die Neueren dafür mit der Bezeichnung jus singulare sind, in den Quellen sucht man sie in dieser Anwendung vergeblich. Kurz, der Definitionsversuch des Paulus erweist sich als verfehlt. Er ist unverbindlich, weil er durch die in den Quellen enthaltenen Einzelerscheinungen widerlegt wird 4 . Jus * J h e r i n g , Geist I I § 39 bei N. 494; S c h a r l a c h , Civ. Arch. L X I I Abh. 13; E i s e l e , Jher. Jahrb. X X I I I S. 119-132, XXIV S. 499; R e g e l s b e r g e r , Streifzüge im Gebiete des Civilr. (Festgabe der Göttinger Jur.-Fak. für Jhering) S. 45—59fg.; P f a f f und H o f m a n n , Komm. I S. 301 fg. 1 Gai. I I I 114 L. 2, 3, 11 pr. de testam. mil. 29, 1 L. 15 de reb. cred. 12, 1 L. 2 § 2 de jure codic. 29, 7 L. 23 § 3 de fideic. libert. 40, 5 L. 23 § 1 L. 44 § 1 de poss. 41, 2 L. 44 § 3 de usurp. 41, 3 L. 37 J. F. 49, 14 u. a. 2 L. 16 de legib. 1, 3: Jus singulare est, quod contra tenorem rationis propter aliquam utilitatem auctoritate constituentium introductum est. 3 L. 14, 15 de legib. 1, 3 L 23 § 3 de fideic. libert. 40, 5 L. 162 R.'J. 50, 17. 4 Nach D e r n b u r g I § 3 3 h a t Paulus bei der Definition nur Rechtssingularitäten im Auge, die als „Rudimente der Vergangenheit" nicht analog verwertet werden dürfen. Mit dieser Auffassung wird dem Paulus keine Ehre erwiesen. E i s e l e a. a. 0. S. 131 fg.; R e g e l s b e r g e r S. 49.
Vom Rechte u. d. Rechten im allgem. Regelmäfsiges u. Sonderrecht. §31.
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singulare in den Quellen ist nichts weiter als ein Sonderrecht für eine bestimmte Klasse von Personen, Sachen, Rechtsgeschäften oder Rechtsverhältnissen. Aber auch vom römischen Sprachgebrauch abgesehen, läfst sich ein tieferer Unterschied zwischen Regelrecht und Sonderrecht nicht herausstellen. Die Versuche der Neueren lehren dies. Die meiste Verbreitung hat die Ansicht, das jus singulare sei das prinzipwidrige Recht, indem es einen Bruch in die folgerichtige Anwendung eines Rechtsprinzips enthalte und selbst nicht auf einem rechtlichen Grundgedanken, sondern auf blofser Zweckmäfsigkeitsrücksicht beruhe 5. Daraus erkläre sich seine Untauglichkeit zur analogen Erweiterung. Allein es ist nicht richtig, dafs die prinzipwidrigen Rechtssätze prinziplos seien. Sie haben vielmehr ihr eignes Prinzip (ratio), welches auch allmählich zur vollkommeneren Geltung sich entwickelt6. Daher ist der Begriff des prinzipwidrigen Rechts mindestens unfruchtbar 7. Wir müssen uns gleich den Römern bei dem äufserlichen Gegensatz von Regelrecht und Sonderrecht bescheiden8. II. Die Abweichung des Sonderrechts von der gemeinen Regel kann für den engern Kreis eine Bevorzugung oder eine Zurücksetzung begründen. Die Bevorrechtung, welche das begünstigende Sonderrecht gewährt, wird Rechtswohlthat, beneficium juris genannt, auch Privilegium 9, nicht zu verwechseln mit der Ausnahmsberechtigung auf Grund eines Individualrechtssatzes (§ 30 I I 2). Von den Rechtswohlthaten gilt der doppelte Satz : sie unterliegen dem Verzicht (L. 41 de minor. 4, 4 L. 69, 156 § 4 R.J. 50, 17) und werden durch unwürdiges Verhalten verwirkt (L. 10 § 1 de fidejuss. 46,1). Unter Umständen kann die Berufung auf den Verzicht aus6
T h ö l , Einleitung § 39; J h e r i n g , Geist a. a. 0.; W i n d s c h e i d § 29; E i s e l e a. a. 0 . ; H o l d e r § 13. Eigentümlich S a v i g n y I S. 61: „Rechtssätze, welche nicht auf dem reinen Rechtsgebiet entsprungen sind." Was ist reines Rechtsgebiet? 6 K i e r u l f f S. 34, 48. 7 Übereinstimmend K e l l e r § 7; P f a f f und H o f mann a. a. 0. Annähernd B r i n z § 25. A u c h D e r n b u r g I § 33 findet im jus singulare aufser den „Rechtssingularitäten" (Note 4) nur Sonderrechte. Für unpraktisch erklärt den Begriff S c h a r l a c h a. a. 0. Über ihn E i s e l e S. 120, 127. 8 Der im Text vertretene Standpunkt ist ausführlicher begründet in meiner Note * erwähnten Abhandlung. 9 Privilegium militis L. 15 de subst. 28, 6 Privilegium fisci L. 37 J. F. 49, 14. Man spricht von Konkursprivilegien, vom Privileg des Minderjährigen u. ä.
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Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
geschlossen sein, weil sie eine Unsittlichkeit enthalten würde (L. 14 § 1 sol. matr. 24,3). Über und gegen den Satz: privilegiatus contra aeque privilegiatuni jure suo uti non potest vgl. § 55 a. Ε. § 32. 6. Ermächtigendes, ergänzendes, zwingendes Recht*. In allen Teilen des Rechts, am umfassendsten im Gebiete des Privatrechts steht den beteiligten Personen die Befugnis zu, ihre Lebensverhältnisse innerhalb gewisser vom positiven Recht vorgezeichneten Schranken nach eigner Willensentschliefsung rechtlich zu gestalten, ζ. B. das Schicksal ihres Vermögens nach ihrem Tode zu bestimmen, den Umfang der Haftung des Verkäufers gegenüber dem Käufer und und umgekehrt abzustecken. Das Mittel zur Bethätigung dieser rechtschöpferischen Macht sind die Rechtsgeschäfte (Verträge, letztwillige Verfügungen u. s. w.). Durch das Rechtsgeschäft wird dem einzelnen Lebensverhältnis seine Norm gegeben (lex rei suae dicta). In der That bezeichnet man die Privatverfügungsmacht als Autonomie, es ist die Privatautonomie (§ 24). Aber nur in der Körperwelt kann der Mensch durch seine Kraftentfaltung allein Wirkungen hervorbringen, das ideale Bereich des Rechts wird ihm erst durch die Hilfe des positiven Rechts zugänglich. So schöpft auch die Privatverfügungsmacht ihren rechtsgestaltenden Einflufs aus dem positiven Recht; was sie zu ordnen vermag-, vermag sie nur kraft des positiven Rechts und darum nichts gegen dasselbe. Dies führt: 1. auf eine Gruppe von Rechtssätzen, welche bestimmen, dafs Geschäfte gewisser Art unter Beobachtung gewisser Bedingungen die beabsichtigte Regelung erzeugen sollen. Es sind dies die e r m ä c h t i g en d e η Rechtssätze Ihr Inhalt ist nicht selten allgemein : uti legassit, * B ü l o w , Civ. Arch. L X I V Abh. 1, insbesondere S. 71—93; S t a m m l e r ebenda L X I X S. 1 4 - 2 9 ; T h u d i c h u m , Jher. Jahrb. X X I I I S. 148—154. 1 E i s e l e , Civ. Arch, L X I X S. 329. Im Widerspruch mit dem herrschenden Sprachgebrauch nimmt B ü l o w a. a. 0. für diese Rechtssätze den — übrigens nicht quellenmäfsigen — Ausdruck dispositives Recht in Anspruch, davon ausgehend, dafs mittelst derselben die Rechtsordnung sich die rechtsgeschäftlichen Verfügungen aneigne und durch den Mund der verfügenden Privatpersonen das einzelne Lebensverhältnis selbst regle. Indes ist die Vorstellung, dafs sämtliche, auch die nicht ganz sauberen Rechtsgeschäfte vom positiven Rechte ausgehen, weder natürlich noch ansprechend und die Abweichung vom Sprachgebrauch mifslich.
Vom echte u. d. Rechten im allgem.
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ita jus esto2, oder pacta conventa servabo3, ferner die vielen mittelbaren Bekräftigungen: nisi aliud convenit (actum est), nisi voluntas testatoris (contrahentium) refragatur u. a. 4 . Diese eigentümliche Er scheinung ist der Grund, warum sie sich leicht der Wahrnehmung entziehen. Nun unterlassen nicht selten die Beteiligten, durch Rechtsgeschäft einen Thatbestand zu regeln, der nicht ungeregelt bleiben kann z. B. das Schicksal des Vermögens einer Person nach ihrem Tode. Hieraus erwächst der Rechtsordnung die weitere Aufgabe, 2. Rechtssätze aufzustellen, welche derartige Thatbestände in Ermangelung einer rechtsgeschäftlichen Regelung rechtlich bestimmen. Die Zahl dieser Rechtssätze ist im Gebiete des Privatrechts grofs, ihre Bezeichnung aber schwankend; am verbreitetsten ist der Ausdruck dispositives Recht (Note 1), daneben kommt vor: ergänzendes, nachgiebiges, subsidiäres, nicht zwingendes, vermittelndes Recht. Die letzterwähnte Bezeichnung geht von der Vorstellung aus, dafs das positive Recht mit diesen Rechtssätzen nur dem mutmafslichen Parteiwillen Ausdruck verleihe. Allein gerade diese Vorstellung trifft auf eine grofse Zahl von ergänzenden Rechtsvorschriften überhaupt nicht zu und ist bei andern wenigstens ungenau. Das ergänzende Recht greift nämlich in zweifacher Weise ein: a. wenn eine rechtsgeschäftliche Verfügung vorliegt, welche nicht für alle Punkte Vorsorge getroffen hat, zur Ergänzung der rechtlichen Regelung z. B. es ist ein Kauf abgeschlossen ohne Verabredung darüber, wen der Schaden trifft, falls die Sache vor Ablieferung an den Käufer durch Zufall untergeht; b. wenn jede rechtsgeschäftliche Verfügung fehlt, in Ersetzung derselben z. B. die Intestaterbfolge, das eheliche Güterrecht, die gesetzliche Berufung zur Vormundschaft. Nur die Recbtssätze zur Vervollständigung der lückenhaften privatautonomen Ordnung entnehmen ihren Inhalt häufig demjenigen, was um2
Gai I I 224: idque lex X I I tabularum permittere videbatur rlq. Ulp. X I 14. In diesem Gedankengang sagt Ulp. anderwärts (L. 130 V. S. 50, 16), man könne auch von der testamentarischen Erbschaft behaupten, dafs sie kraft Gesetzes zukomme. 3 L. 7 § 7, 16 L. 27 § 4 de pact. 2, 14 L. 12 § 1 de pact, dotal. 23, 4. Ganz eigentümlich war die altrömische Befugnis des Erbauers eines Grabmals, jeden, der dasselbe verletzen würde, mit einer Geldstrafe zu belegen. J. M e r k e l , Gött. Festgabe für Jhering S. 79 fg. 4 L. 5 § 14 i. f. commod. 13, 6 L. 4 § 2 de substit. 28, 6 C. 6 locati 4, 65. Über das Handelsgesetzbuch G o l d s c h m i d t , Handb. § 33 N. 31. l i i n d i n g , Handbuch.
I. 7. I : R e g e l s b e r g o r , Pand. I.
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sichtige redliche Leute darüber zu bestimmen pflegen. Aber auch sie bezwecken zuweilen, einem geschäftlichen Schlendrian oder einer sonstigen Gefahr einen Damm entgegenzusetzen, ohne doch bis zum Ausschlufs abweichender Privatbeliebung vorzuschreiten, z. B. die Feststellung einheitlicher Mietziele für ein gröfseres Gebiet, die strenge Haftung der Gastwirte und Frachtführer. Selbst bei den auf der durchschnittlichen Erfahrung fufsenden Rechtsvorschriften darf die Anwendung im einzelnen Fall nicht auf den Willen der Parteien zurückgeführt werden. Hierin liegt ein Unterschied gegenüber der Geschäftsübung (§ 22 II). 3. Das Bereich der privatautonomen Rechtsgestaltung findet seine Grenze in der Aufgabe der Rechtsordnung, die Interessen der Gesamtheit gegenüber dem Sonderinteresse zur Geltung zu bringen, die sittlichen und wirtschaftlichen Grundlagen des Zusammenlebens zu wahren. Diese Rücksicht führt dahin, dafs in dem Gebiet des öffentlichen Rechts die unmittelbare ausschliefsliche Ordnung der Verhältnisse durch die Rechtssätze vorherrscht 5 . Aber selbst im Privatrecht fehlt es an zwingenden Rechtsvorschriften nicht, trotzdem dafs hier, vom Familienrecht abgesehen, das Privatinteresse im Vordergrund steht. Auch hier gebieten sittliche Rücksichten, der Schutz des Schwächeren, die Sicherheit des Verkehrs, kurz das gemeine Beste, manche Rechtsbestimmung aufzustellen, deren Anwendung im einzelnen Fall durch Privatbeliebung nicht verdrängt werden kann, so die Vorschriften über Rechts- und Handlungsfähigkeit, über die Form gewisser Rechtsgeschäfte, über die Voraussetzungen für den Erwerb von Rechten, über Schenkung unter Ehegatten, Noterbrecht und viele andere. Sonach tritt dem ermächtigenden und ergänzenden Recht das zwingende oder absolute Recht gegenüber, in den Quellen meistens jus publicum genannt6, hie und da auch jus commune7. Nur auf die ergänzenden Rechtssätze bezieht sich das Rechtssprichwort: Willkür (Gedinge) bricht Recht. Es ist übrigens nicht h
Der Spielraum der Privatbeliebung wird aber hier nicht selten verkannt. Den Nachweis fuhrt für das Civilprozefsrecht B ü l o w , Handb. I S. 116. 0 L. 38 de pact. 2, 14; Jus publicum privatorum pactis mutari non potest. L. 7 § 6 de donat. i. v. e. u. 24, 1 L. 3 qui testam. fac. 28, 1 L. 1 § 9 de magistr. conv. 27, 8 L. 15 § 1 ad leg. Falc. 35, 2 L. 42 de oper. lib. 38, 1 L. 45 § 1 R. J. 50, 17 C. 4 [3] i. f. de naut. foen. 4, 33. 7 L. 7 § 16 de pact. 2, 14. In demselben Sinn wird in L. 49 § 2 de fidej. 46, 1 juris forma gebraucht und in L. 12 § 1 de pact. dot. 23, 4 jus der voluntas contrahentium gegenübergestellt.
Vom Rechte α. d. Rechten im allgem. Die Aufg. d. Rechtsanwendung. § 33.
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immer leicht zu erkennen, ob ein Rechtssatz ergänzender oder zwingender Natur ist 8 . 4. Der Gegensatz unter den Rechtsnormen nach dem Mafse ihrer Verbindungskraft ist bisher nur in der Beziehung der Rechtsnormen auf die Privatpersonen betrachtet worden. Eine ähnliche Verschiedenheit besteht auch rücksichtlich der Verbindungskraft für den Richter. Nicht alle Rechtssätze zeichnen dem Richter eine absolute Richtschnur vor: manche stellen die Rechtsgestaltung in sein mehr oder minder freies Ermessen9. Aber hinter diesen für den Richter ermächtigenden Rechtssätzen steht nur selten ein ergänzender Rechtssatz, weil dem Richter, ungleich dem Privatbeteiligten, von der Ermächtigung Gebrauch zu machen nicht blofs Recht sondern auch Pflicht ist.
Ό.
Anwendung des Rechts.
§ 33. 1. Die Aufgabe der Rechtsanwendung. I. Nach einer idealen Anschauung erhalten alle Lebensverhältnisse, welche überhaupt der Herrschaft des Rechts unterliegen (§ 13), ihre rechtliche Gestalt sofort bei der Entstehung. Sofort werden sie von den zu dieser Zeit und an diesem Ort geltenden Rechtsvorschriften ergriffen und rechtlich geordnet. Kommt es zu einem Rechtsstreit, so hat der Richter die vorhandene rechtliche Beschaffenheit zu erforschen und das Ergebnis im Urteil auszusprechen, ein „Erkenntnis" zu fällen 1. Diese Betrachtung enthält eine Wahrheit, nur nicht die ganze Wahrheit. Es ist wahr, dafs unsere äufsern Lebensverhältnisse Rechts8 L. 1 § 10 de oper. nov. nunt. 39, 1 L. 27 R. J. 50, 17. Eine von den Gerichten verschieden beantwortete Frage ist, ob ein Erblasser mit Erfolg bestimmen könne, dafs das von ihm Zugewandte den Gläubigern des Bedachten verschlossen sein soll. Dafür Seuff. XV 139 (München), XXX 43 (Berlin). Dagegen Seuff. I I I 86 (Lübeck), X L 213 (RG.). Für die Bejahung auch M ü h l e n b r u c h , Glücks Komm. X X X V I I S. 447 Seuff. Pand. § 657 N. 5. 9 B ü l o w a. a. O. S. 15 fg. Die Zahl dieser ermächtigenden Rechtssätze ist im Gebiet des Prozefs- und des Strafrechts gröfser als im Privatrecht, wo die Parteiermächtigung eine gröfsere Rolle spielt. Privatrechtliche Beispiele liefern die obligationes bonae fidei, die gerichtliche Auseinandersetzung einer Vermögensgemeinschaft. 1 Einen trefflichen Ausdruck giebt dieser Auffassung G ö p p e r t , Jher. Jahrb. X X I I S. 108 fg. Ähnlich von der D e c k e n , Das vorbestimmte Recht (1888) S. 17, 30. Vgl. aber auch S c h l o f s m a n n , Jher. Jahrb. X X V I I S. 18fg. 9*
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Verhältnisse nicht erst von dem Tage an sind, wo sie Gegenstand einer richterlichen Entscheidung werden, und nicht allein darum, weil sie es werden können. Hieraus erklärt sich, warum die Rechtsverhältnisse in der Regel nach denjenigen Rechtsnormen zu beurteilen sind, welche zur Zeit ihrer Entstehung in Kraft standen. Es übersieht aber jene Betrachtung oder bringt nicht zum Ausdruck, dafs die generalisierende und abstrahierende Rechtsvorschrift die Gestalt des individuellen Lebensverhältnisses nur bis zu einem gewissen Grade vorherbestimmen kann, dafs hier mehr dort weniger der ausführenden Hand des Richters überlassen bleibt (§ 17 I I 3, § 25), dafs die Gesetzesnorm zuweilen nur sehr schwache Umrisse vorzeichnet. Doch wäre dies auch in vollkommnerem Mafse der Fall, die richterliche Aufgabe wird durch eine der äufsern Wahrnehmung sich entziehende Verwirklichung des Rechts um nichts erleichtert. Um zu erkennen, was Rechtens ist, mufs der Richter denselben mühsamen Weg wandeln, als wenn er erst jetzt das Lebensverhältnis nach Malsgabe der Rechtsvorschriften zu gestalten hätte. Vor eine ähnliche Aufgabe sieht sich jeder gestellt, der, er mag Jurist oder Laie sein, in eignem Interesse oder für Andere ein gewisses Verhältnis durch Rechtsgeschäft ordnen soll. Denn auch hier müssen die vom positiven Recht gezogenen Schranken beachtet und die Verfügungen so getroffen werden, dafs die gewünschten Rechtsfolgen eintreten und die unerwünschten fern gehalten werden. Zwischen jener erkennenden und dieser, man kann sagen notariellen Thätigkeit des Juristen steht das gerichtliche Eingreifen zur Lösung oder Umwandlung von bestehenden Rechtsverhältnissen, wie in den Teilungsprozessen, wo der Richter die Auseinandersetzung einer Gemeinschaft vollzieht, in den Scheidungsprozessen, wo er das unheilbar kranke eheliche Verhältnis löst, in der Ergänzung der elterlichen Heiratsbewilligung u. a. Das Urteil schafft hier nicht blofs dem praktischen Erfolge nach sondern bestimmungsmäfsig neuen Rechtsboden. II. Wir betrachten die Anwendung des Rechts bei der Entscheidung eines Rechtsstreits. Um diese Aufgabe zu lösen, mufs der Richter ein Doppeltes kennen: die thatsächliche Grundlage des zu beurteilenden Verhältnisses (factum) und den Rechtssatz oder die Rechtssätze, unter denen dasselbe steht (jus). Die Stellung des Richters den beiden Voraussetzungen gegenüber ist im Verfahren über Privatrechtsstreitigkeiten verschieden. A. Die thatsächlichen Grundlagen erforscht der Civil-Richter nicht von Amtswegen. Es ist Sache der Parteien, diese Thatsachen dem
Vom Rechte u. d. Rechten im allgem. Die
fed.
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§ 33.
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Richter vorzutragen und zu beweisen, sofern dieselben ungewifs sind und auf Ereignissen oder Zuständen beruhen, deren sinnliche Wahrnehmung dem Richter verschlossen ist. So wenigstens nach dem heutzutage geltenden und in Deutschland seit langem eingebürgerten Prozefssystem, der sog. Verhandlungsmaxime. B. Die Kenntnis der Rechtssätze dagegen wird vom Richter gefordert und bei ihm vorausgesetzt, jura novit curia. Der Richter hat im einzelnen Fall zu ermitteln, welche Rechtsvorschriften auf das zu beurteilende Sachverhältnis in Anwendung zu kommen haben, und ist hierin von den Ausführungen der Parteien unabhängig. Selbst die übereinstimmende Berufung der Parteien auf einen unrichtigen Rechtssatz oder auf einen unrichtigen Inhalt des an sich zutreffenden Rechtssatzes bindet den Richter nicht, es müfste sich denn darin der Verzicht auf die einer Partei zustehende Rechtsbefugnis aussprechen. Darin besteht auch für das Gewohnheitsrecht keine Ausnahme (§21 I). Die Anforderung, welche sich damit an den Richter erhebt, ist bedeutend, und es erhellt daraus die Wichtigkeit einer gründlichen juristischen Bildung für eine befriedigende Ausübung des ihm anvertrauten Amts. Indes auch die Zumutung der Rechtskenntnis hat ihre Grenzen. Es darf vom Richter die Kenntnis von ausländischem Recht und von inländischem nicht aufgezeichneten Partikularrecht billigerweise nicht gefordert und bei ihm nicht vorausgesetzt werden. Trotzdem steht er diesen Rechtssätzen grundsätzlich nicht andere gegenüber. Er mufs von Amtswegen für deren Ermittelung thätig sein. Nur kann er dabei die Mitwirkung der Parteien in Anspruch nehmen und über einen ausländischen Rechtssatz, über ein Statut oder partikuläres Gewohnheitsrecht Beweis auferlegen. Damit wird nicht die Anwendung des Rechtssatzes vom Ergebnis des Parteibeweises schlechthin abhängig, jede ihm sonst zukommende Kenntnis mufs der Richter verwerten, der Rechtssatzbeweis ist nicht nach den Grundsätzen des Thatsachenbeweises zu behandeln. Darum mufs die Berufung darauf, dafs hier ausländisches oder statutarisches oder partikuläres Recht zur Anwendung komme, im ganzen Lauf des Prozesses gehört werden. Dieser Standpunkt hat jetzt durch § 265 CPO. äufsere Bekräftigung erhalten 2. 2
CPO. § 265 : „Das in einem andern Staat geltende Recht, die Gewohnheitsrechte und Statuten bedürfen des Beweises nur insofern als sie dem Gericht unbekannt sind. Bei Ermittelung dieser Rechtsnormen ist das Gericht auf die von den Parteien beigebrachten Beweise nicht beschränkt. Es ist befugt, auch andere Erkenntnisquellen zu benutzen und zum Zweck solcher Benutzung das Erforderliche anzuordnen." Über die Anwendung auswärtigen Rechts handeln ausführlich B a r , Das internat. Privat- und Strafrecht (1862) § 32, Theorie und Praxis des
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Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
III. Die drei unscheinbaren Worte jura novit curia sind inhaltsschwer. Sie besagen, dafs der Richter, um einen Satz als Entscheidungsnorm seinem Urteil zu Grunde zu legen, wissen und erforderlichenfalls sich vergewissern mufs: 1., dafs dieser Satz geltender Rechtssatz ist, 2., dafs das zu beurteilende Streitverhältnis unter der Herrschaft dieses Rechtssatzes steht3 und 3., was der Sinn dieses Rechtssatzes ist. Es eröffnen sich somit der richterlichen Untersuchung drei Richtungen: Feststellung des Daseins eines Rechtssatzes, örtliche und zeitliche Anwendbarkeit desselben, Auslegung des Rechtssatzes. Wegen des Zusammenhangs der dritten mit der ersten Aufgabe wird sie in der folgenden Darstellung der zweiten vorangeschickt.
§ 34. 2. Die Feststellung des Daseins eines Rechtssatzes. Jedes Dasein setzt sich zusammen aus Entstehung und Fortdauer» I. Die Erfordernisse für die gültige Entstehung von Gesetzen und Gewohnheitsrechten sind oben bei der Untersuchung über die Rechtsquellen (§ 18, 20) erörtert. Die Aufgabe des Richters, auf Grund von Rechtssätzen zu erkennen, begründet für ihn die Befugnis und Pflicht, das Dasein dieser Erfordernisse bei der Anwendung einer Entscheidungsnorm zu prüfen. Dies gilt für das Gewohnheitsrecht wie für das Gesetzesrecht. Eine besondere Tragweite hat dieses richterliche Prüfungsrecht nach den gegenwärtigen staatsrechtlichen Einrichtungen bei Gesetzen. Gewisse allgemeine Anordnungen erheischen die Zustimmung der Volksvertretung, andre nicht (Gesetz und Verordnung); für manche Gesetze bestehen besondere Entstehungsbedingungen (Verfassungsgesetze). Einige Staatsverfassungen gestatten der Staatsregierung, in aufserordentlichen Lagen einseitig Anordnungen zu erlassen, welche normal an die Genehmigung der Volksvertretung gebunden sind, sog. Notverordnungen (§ 18). Hiezu kommt jetzt die Eingrenzung der Landesgesetzgebung durch die Reichsgesetzgebung (§ 29). Über den internat. Privatr. (2. Aufl. von dem erstangeführten Werk 1889) I § 37—40 und in Holtzendorifs Rechtsencyklop. 5. A. S. 728; G o l d s c h m i d t , Handbuch § 38 N. 13 fg. Dort finden sich auch Angaben über anderweitige Litteratur und die Praxis. 8 RGE. X X I Nr. 30 S. 175.
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Umfang des richterlichen Prüfungsrechts bestehn Meinungsverschiedenheiten. Scheiden wir Bestrittenes und Unbestrittenes. 1. Es ist unbestritten, oder heutzutage kaum mehr bestritten, a. dafs dem richterlichen Prüfungsrecht untersteht: aa. ob die Landesgesetzgebung bei Erlassung eines Gesetzes sich innerhalb der ihr durch die Reichsgesetzgebung gezogenen Schranken gehalten habe 1 ; bb. ob ein Erlafs, welcher sich als Verordnung darstellt, in das gesetzlich feststehende Bereich des Verordnungsrechts und zwar in die Verordnungszuständigkeit des erlassenden Organs falle (materielle Rechtsgültigkeit oder Gesetzmäfsigkeit der Verordnung) 2 ; cc. ob bei Gesetzen und Verordnungen die erforderliche Publikation vorliegt 3 ; und dafs dagegen b. bei Notverordnungen der richterlichen Prüfung die Frage entzogen ist, ob ein Notfall vorlag 4. 2. Bestritten ist, ob dem Richter die Befugnis zusteht, über die verfassungsmäfsige Entstehung gehörig verkündeter Gesetze zu befinden 5 . Die Anhänger der verneinenden Ansicht weisen vor allem auf die Gefahr für den Bestand und Erfolg der Gesetze hin, welche mit einem 1 G i e r k e in Schmollers Jahrb. V I I S. 1189; J e l l i n e k , Gesetz und Verordnung (1887) S. 399 fg.; B r i e , Arch, für öffentl. R. IV S. 53. 2 L a b a n d , Staatsrecht I S. 609 (1. A. I I S. 87); R o s i n , Das Polizeiverordnungsrecht in Preufsen S. 189; B r i e a. a. O. S. 52 RG. XXIV Nr. 1 S. 3. Dieses Recht ist selbst in Österreich anerkannt, wo für Gesetze das richterliche Prüfungsrecht ausgeschlossen ist. P f a f f und H o f m a n n , Komm. I S. 133 fg. In Preufsen besteht eine Ausnahme für „gehörig verkündete königliche Verordnungen", für deren Rechtsgültigkeit das Prüfungsrecht ausschliefslich den Kammern zugewiesen ist. Preufs. VU. Art. 106. 3 RGE. V I I I Nr. 1 S. 3; B r i e a. a. 0. S. 52. 4 G η ei s t , Verhandl. des IV. deutschen Jur.-Tags I S. 230: P l a n c k Jher. Jahrb. IX S. 361 fg. 6 Über die ältere Litteratur berichtet Z a c h a r i a e , Deutsches Staats- und Bundesrecht 3. Aufl. (1867) I I § 175 N. 12; die neuere (bis 1881) verzeichnet E m s t M e i e r in Holtzendorffs Rechtslexikon Art. Prüfungsrecht. In der jüngsten Zeit sind hauptsächlich aufgetreten a) als Gegner dieses Prüfungsrechts L a b a n d , Staatsrecht I S. 551 fg. (II S. 43fg.); J e l l i n e k a. a. 0. S. 401 fg.; b) als Verteidiger G n e i s t a. a. 0. S. 212 fg.; P l a n c k a. a. 0. S. 288 fg.; G i e r k e a. a. Ο. S. 1186 fg.; Ε. M e i e r a. a. 0.; B r i e a. a. 0. S. 51 fg. Von den Gerichten haben sich erklärt a) dagegen Darmstadt Seuff. IV 250; Lübeck X X V I 99; b) Dafür: Kassel Seuff. IV 250, Lübeck IV 250 X X X I I 101, die Praxis in Bayern (Seuff. IV 250; R o t h , Bayr. Civilr. § 14, 1. Aufl. S 13), Sachsen (Seuff. V 225) und Württemberg (Seuff. V 225; W ä c h t e r , Würt. PR. I I § 7). Vgl. S t o b b e , § 26 N. 9.
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so weit gehenden Prüfungsrecht verbunden sei. Die Erfahrung in den Ländern, wo ein solches Prüfungsrecht anerkannt ist, zeigt die Grundlosigkeit dieser Befürchtung. Sie führen ferner an, die verfassungsmäfsige Entstehung werde in formell unanfechtbarer und rechtsverbindlicher Weise durch das zur Verkündung der Gesetze berufene Organ mit dem Befehl zur Ausfertigung festgestellt. Allein dem Ausfertigungsbefehl kann zwar von der Verfassung diese Bedeutung beigelegt werden, von selbst kommt sie ihm nicht zu und ist ihm in der Reichs-V.U. Art. 17 nicht zugesprochen. Indes verliert die Streitfrage wesentlich an Bedeutung, indem auch von den Anhängern des weitergehenden richterlichen Prüfungsrechts anerkannt wird, dafs a. die formell richtige Bekanntmachung, insonderheit die Erwähnung der Zustimmung der Volksvertretung eine Vermutung für die verfassungsmäfsige Entstehung begründet, welche in Ermangelung von entgegengesetzten Anhaltspunkten den Richter eines weitern Eingehens enthebt ; b. dafs diejenigen Punkte in der Gesetzeserlassung sich dem richterlichen Prüfungsrecht entziehen, deren endgültige Entscheidung gesetzlich andern Organen überwiesen ist, z. B. die Legitimation der gewählten Vertreter, die Beschlufsfähigkeit der Kammer, sowie das Vorhandensein der Mehrheit für einen Beschlufs (sog. interna corporis) 6 ; c. dafs der richterliche Ausspruch über die Verfassungsmäfsigkeit eines Gesetzes nur für den einzelnen Rechtsfall verbindliche Rechtskraft habe; es giebt in Deutschland keinen Gerichtshof, der berufen ist, die Frage allgemein zu entscheiden7. Das richterliche Prüfungsrecht erstreckt sich der richtigen Ansicht nach auch auf die Frage, ob ein Gesetz, welches unmittelbar oder mittelbar einer Verfassungsbestimmung entgegen tritt, unter den für die Abänderung der Verfassung vorgeschriebenen Bedingungen zustande gekommen ist 8 . Einzelne deutsche Verfassungen (z. B. die preufsische) ziehen dem 6
B r i e a. a. O. S. 53 N. 172, S. 54 N. 174 und S. 58—61. Ebenso selbst in Nordamerika. R i i t t i m a n n , Das nordamerikanische Bundesstaatsrecht I S. 344 fg. 8 Nachweise bei B r i e S. 61 N. 201, welcher selbst zu den Anhängern dieser Ansicht gehört. In demselben Sinn Seuff. XXXII 101 (Lübeck). Gegner hauptsächlich L a b a n d a. a. 0. I S. 558 RG. IX Nr. 62 S. 235. 7
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richterlichen Prüfungsrecht eine engere Grenze9. Unser Reichsrecht hat eine solche positive Beschränkung nicht. II. Die gegenwärtige Geltung des einmal entstandenen Rechtssatzes ist bedingt durch den Nichteintritt eines Aufhebungsgrunds (S 26). Auch hierauf hat der Richter seine Untersuchung zu erstrecken. Bei der bunten Zusammensetzung unsres Quellenkreises und bei dem Eingreifen von Reichsrecht in gemeines und partikuläres Recht bietet diese Untersuchung manche Schwierigkeit 10. III. Die meisten Rechtssätze entnehmen wir schriftlicher Mitteilung. Hier kommt es vor allem darauf an, dafs der Text der Urkunde wirklicher Gesetzestext ist, echt im Ganzen, wie in den einzelnen Bestandteilen. Die auf Ermittelung der Echtheit des Gesetzestextes gerichtete Thätigkeit heifst K r i t i k der G e s e t z e 1 1 . 1. Selbst bei den aus neuerer Zeit stammenden Gesetzen, wo die Urkunde zugänglich ist, in welcher das Gesetz verkündigt wurde, kann die Echtheit fraglich werden durch Druckfehler und durch Redaktionsversehen. a. Der Druckfehler besteht in einer Abweichung des zur Verkündung erfolgten Gesetzesabdrucks vom sanktionierten Gesetzestext12. Er fällt entweder einem Abschreiber oder einem Setzer zur Last. Der veröffentlichte Text entbehrt der Sanktion und darum der Verbindlichkeit. Die Richtigstellung kann amtlich durch das mit dem Vollzug der Gesetzesveröffentlichung betraute Organ 13 , aber auch durch die Kritik erfolgen 14. b. Das Redaktionsversehen reicht in ein früheres Stadium der Gesetzesentstehung zurück und fällt den bei der Gesetzgebung beteiligten Faktoren zur Last, indem sie entweder etwas in den Gesetzestext aufgenommen haben, was bei Überlegung von ihnen nicht aufge0 P r e u f s VU. Α. 106: „Gesetze und Verordnungen sind verbindlich, wenn sie in der vom Gesetze vorgeschriebenen Form bekannt gemacht worden sind." Ebenso Österreich. Staatsgrundgesetz Art. 7. Vgl. Stobbe § 26 N. 10. 10 Vgl. RGE. X V I Nr. 19 S. 106 fg. Bekannt ist die Streitfrage über die gegenwärtige Geltung der partikularrechtlichen Ehescheidung aus landesherrlicher Machtvollkommenheit. 11 S a v i g n y I S. 241—252. 12 Ein Beispiel liefert Militärstrafgesetzbuch § 141 Abs. 3: Festungsstrafe statt Freiheitsstrafe. Vgl. die anonyme Berichtigung im Reichsgesetzblatt 1872 S. 288. 13 Für Reichsgesetze der Reichskanzler. Jede Berichtigung sollte dessen oder seines Stellvertreters Unterschrift tragen. L a b a n d , Staatsr. I S. 563 N. 2. 14 B i n d i n g , Handb. § 98 I I ; B r i e , Arch, für öffentl. R. IV S. 23 N. 64.
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nomnien worden wäre (positives Redaktionsversehen)15, oder dafs sie etwas aus Versehen weggelassen (negatives Redaktionsversehen)16. Den Redaktionsversehen gegenüber ist für die amtliche Berichtigung kein Raum. Soll autoritativ geholfen werden, so kann es nur im Wege eines neuen Gesetzes geschehen. Von der Kritik kann die Verbesserung insoweit kommen, als sie sich aus dem Gesetze selbst oder aus dem Zusammenhang mit einem andern Gesetz ergiebt. Oder soll auch ein Schreibverstofs, der bei der Redaktion begegnet , unantastbar sein? 17 2. Einen andern Umfang hat die Kritik gegenüber der Justinianischen Gesetzgebung18. Von keinem Teil ist uns die Urhandschrift des Gesetzes überliefert. Dafs der florentinische Pandektenkodex eine solche enthalte, ist längst als Fabel erwiesen. Von keinem Teil hat ein bestimmter Text, er sei einer Handschrift, oder einer Mehrheit von Handschriften entnommen, in Deutschland gesetzliche oder gewohnheitsrechtliche Geltung erlangt. Die Kritik steht demnach der Überlieferung der Justinianischen Gesetzgebung so frei gegenüber wie der Überlieferung von andern Schriften aus dem Altertum. Sie sucht die Aufgabe zu lösen a. durch sorgfältige Prüfung des gesamten handschriftlichen Materials. Dasselbe ist ist für die einzelnen Teile des corpus jur. civ. nicht gleich reich, aber für keinen auf eine Urkunde beschränkt. Nun wollen auch unter den Handschriften die Stimmen nicht blofs gezählt sondern auch gewogen sein, die einzelnen Handschriften sind an Zuverlässigkeit sehr verschieden. Neben unabsichtlichen Fehlern z. B. Schreibversehen, falsche Auflösung von Abkürzungen haben wissentliche Textänderungen Eingang gefunden wegen vermeintlicher Unrichtigkeit der Vorlage 1 9 . 15 Auffallend im IIGB. A. 653 Abs. 2 Liegezeit statt Liegegeld. Uber ein anderes Redaktionsversehen im preufs. Gesetz vom 5. Mai 1872 über die Grundbuchordnung vgl. RGE. V I I Nr. 71 S. 250, X V I I I Nr. 64 S. 299. 16 Beisp. Militärstrafgesetzbuch § 95 und dazu die anonyme Berichtigung im RGes.-Bl. 1873 S. 138. B i n d i n g § 98 N. 9. 17 Die Frage ist streitig. S a v i g n y I S. 243; W ä c h t e r , Würt. PR. I I S. 156; Unger I § 18 ziehn die Grenze der Kritik nicht scharf genug, B i n d i n g § 98 I I zu eng. Vgl. auch P f a f f und H o f m a n n , Komm. I S. 174. Ob man das Vorgehen Kritik oder Auslegung nennt, ist gleichgültig. 18 Noch immer beachtenswert S p a n g e n b e r g , Einleitung in das RömischJustinian. Rechtsbuch (1817) S. 401 fg., aber auch S. 243—253. Ein trefflicher Überblick bei B r i n z § 7, 8. 19 Ein Beispiel: in den Text von § 4 J. de nupt. 1, 10: duorum autem fratrum vel sororum liberi vel fratris et sororis jungi possunt, schoben einige Abschreiber non ein, von der Ansicht ausgehend, dafs eine Ehe zwischen Geschwister-
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Man nennt diese Thätigkeit die d i p l o m a t i s c h e oder n i e d e r e Kritik. Die Grundsätze über die Handschriftenkritik sind nicht eigentümlich juristisch und daher hier nicht zu erörtern. Der heutige Stand dieser Lehre ist in der neuesten Ausgabe der Digesten von Th. Mommsen, der Institutionen und des Codex von K r ü g e r , der Novellen von S c h ö l l (soweit bis jetzt erschienen) verwertet 30 . b. An der handschriftlichen Beglaubigung darf die Kritik nicht haften bleiben, wenn verschiedene Lesarten in gleicher Beglaubigung überliefert sind, da nur eine echt sein kann. Aber auch über die handschriftliche Überlieferung hinauszugehn ist die Kritik berechtigt und verpflichtet, wenn innere Gründe gegen die Richtigkeit des überlieferten Textes sprechen. Hier beginnt das Bereich der höheren Kritik, welche nach den Regeln der Sprach- und Denkgesetze den Wortlaut festzustellen sucht. Sie ist unbedenklich als w ä h l e n d e Kritik, d. h. bei Feststellung des Textes durch Auswahl unter den gleich glaubhaft überlieferten Lesarten ; denn die wählende Kritik hat noch immer die Überlieferung unter den Füfsen 21. Sie ist erlaubt, aber mit grofser Vorsicht zu üben, wenn sie entgegen der handschriftlichen Überlieferung den Text bestimmt, sog« Konjekturalkritik. Die Versuchung liegt nahe, subjektive Schwierigkeiten des Interpreten auf Rechnung einer Textverderbnis zu setzen und den richtigen Wortlaut durch einen vermeintlichen zu ersetzen. Immerhin: abusus non tollit usum. Doch gilt das Wort S a v i g n y s : „Mit Regeln ist bei dieser Art der Kritik wenig auszurichten, die Hauptsache beruht auf einem durch anhaltendes Quellenstudium ausgebildeten kritischen Blick und auf einem behutsamen sich selbst mifstrauenden Wahrheitssinn 2 2 . t t kindern unstatthaft sei. Das war für ihre Zeit richtig, jedoch auf Grund einer Vorschrift des kanonischen Rechts. Man sieht, es ist nicht immer gut, wenn der Abschreiber denkt. 20 Sehr lehrreich für die Textkritik überhaupt, sowie für die Kritik des .Justinianischen Gesetztextes insonderheit sind die Vorreden von M o m m s e n und K r ü g e r zu ihren Ausgaben; dazu K r ü g e r , Kritik des Justinianischen Codex 1867, ferner in Z. f. RG. V I I I S. 1 fg., X I S. 166 fg. und in krit. VJSchr. XX S. 597 fg., letztere Abhandlung eine Erwiderung auf die Besprechung der Codexausgabe durch Z a c h a r i a e von L i n g e n t h a l in krit. VJSchr. X V I S. 221 fg., XX S. 188 fg. 21 Beispiel L. 57 mandati 17, 1: inutiliter und non inutiliter. Die für dieselbe Stelle von B r i n z § 178 N. 61 vorgeschlagene Änderung von detur in denegetur lallt unter die Konjekturalkritik; sie ist hier nicht gerechtfertigt, da derselbe Sinn auch bei Festhaltung von detur zu gewinnen ist. 22 Beispiele zulässiger Änderung: L. 65 de procur. 3, 3: absentem in absens, L. 41 i. f. de minor, 4, 4: venditor in emtor L. 94 pr. de condic. et dem.
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3. Die Auslegung der Rechtssätze *. § 35. a.
W e s e n der Auslegung.
Wissenschaftliche Auslegung u n d
Legalinterpretation.
I. Der Gesetzestext ist das Gesetz in seiner sinnlichen Erscheinung. Er ist der Körper eines geistigen Inhalts, die Schale, in der uns eine praktische Vorschrift vorgelegt wird. Man nennt den geistigen Inhalt den Sinn des Gesetzes (mens, sententia, vis ac potestas legis), weniger gut Gedanke, weil ein denkendes Subjekt fehlt. Den Sinn eines Gesetzes mufs jeder sich zum Bewufstsein bringen, der nach dem Gesetze leben, richten oder, was Recht ist, schildern will. Die auf Ermittelung des Sinns gerichtete Thätigkeit ist die A u s l e g u n g des Gesetzes, interpretatio legis. 35, 1: si cum cessent dies in si decesserit Titius, L. 4 § 19 de usurp. 41, 3: si consumti sint in si non summisit ( J h e r i n g in s. Jahrb. X I I S. 314 fg.), L. 1 § 6 de superfic. 43, 18: petitori in creditori. F u c h s , Krit. Studien zum Pandektentext (1867); H u s c h k e , Zur Pandektenkritik (1875). Eine bedenkliche Verwertung *der höhern Kritik findet sich in A mann, Die Grundsätze der heutigen Pandektenkritik geprüft an der sog. lex Gallus (1878); hierüber B r i n z , Krit. VJSchr. XX S. 177 fg. * Es giebt wenige Kapitel in der Rechtslehre, wo die Theorie so weit hinter der Praxis, das Wissen hinter dem Können zurückbleibt als in der Auslegung. Sie teilt darin das Schicksal der Sprache: viele Menschen sprechen richtig, ohne sich der Sprachgesetze bewufst zu sein. Die Schwierigkeit für die Theorie liegt im Stoff, in der Unbegrenztheit der Hilfsmittel, in der Mannigfaltigkeit der Anwendung. An Versuchen, die leitenden Gesichtspunkte in Lehrsätze zu fassen, hat es in älterer und neuerer Zeit nicht gefehlt. Man hat daraus einen besondern Zweig der Rechtslehre gebildet, die j u r i s t i s c h e H e r m e n e u t i k . Sie ist heutzutage „in Mifskredit gekommen", nicht ohne ihre Schuld. Dafs die Grenzen sehr verschieden gezogen wurden, dafs regelmäfsig die Kritik der Gesetze, zuweilen sogar die Auslegung der Rechtsgeschäfte darin erörtert wurde, dafs die Einen sich auf die Auslegung der Justinianischen Gesetzgebung beschränkten, die Andern die Aufgabe allgemeiner erfafsten, das war das geringere Übel. Viel mehr hat zu jener Geringschätzung die meist hölzerne und schablonenhafte Behandlung beigetragen. Ein Bild von dem älteren Stand der Lehre giebt G l ü c k I § '^9—37, 70—81. Einen wesentlichen Fortschritt bezeichnen die gleichzeitig erschienenen Bearbeitungen der Lehre von K i e r u l f f S. 18—41 und S a v i g n y § 32 —37. Aus früherer Zeit noch beachtenswert: T h i b a u t , Theorie der logischen Auslegung 1799 2. Aufl. 1806. Von den späteren Ausführungen: W ä c h t e r , Würt. PR. I I § 23—26; T h ö l § 58 bis 63, 66, der jedoch das geschichtliche Element völlig übergeht; A. M e r k e l in Holtzendorffs Strafrecht I I S. 65 fg., IV S. 73 fg.; P f a f f und H o f m a n n , Komm. I S. 166-189; W a c h , Handb. § 2 0 - 2 2 : B i n d i n g , Handb. § 95—100: K ö h l e r , Grünhuts Ζ. X I I I S. 1—61.
Vom Redite u. ROHG. X I Nr. 43 S. 120 XIV Nr. 113 S. 357, RGE. X I Nr. 60 und 61 Seite 269. 6 Dahin gehört auch die Rübenlieferungspflicht der Aktionäre von Zuckerfabriken. Über diese Frage giebt es eine eigene Litteratur, die neueste Abhandlung ist von L i p p m a n n , Z. f. HR. X X X I X S. 126—215. 7 Daher kann z. B. ein Aktionär gegen die Forderung auf Aktieneinzahlung nicht mit einer Forderung kompensieren, die er aus einem andern Rechtsgrund gegen die Aktiengesellschaft erworben hat. RGE. V I Nr. 18 S. 70 X V I I I Nr. 1 S. 1 fg. XIX Nr. 24 S. 126, Aktiennovelle v. 1884 Art. 184c—219. 8 Über die Beweislast bei der Frage, ob Einzel- oder Korporationssonderrecht Seuff. X L I I I . 88.
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§ 85. Veränderung und Untergang der Korporationen*.
Die Änderungen, welche im Korporationsorganismus eintreten, betreffen entweder die Mitgliederzahl oder die sachliche Grundlage oder den Zweck oder die Organisation. Mit manchen ist der Fortbestand der K. verträglich, andere führen deren Untergang herbei. Zu diesen, man kann sagen organischen Endigungsgründen kommt die absichtliche Vernichtung durch Selbstauflösung und durch Aufhebung seitens einer übergeordneten Macht. I. Von einer Änderung in der Mitgliederzahl kann den Fortbestand nur gefährden der gänzliche Wegfall oder eine Minderung der Mitglieder. 1. Dafs mit dem Wegfall aller Mitglieder die K. erlischt, gleichviel ob der Wegfall im Aussterben oder Austritt seinen Grund hat, scheint selbstverständlich. Gleichwohl findet sich die Behauptung, dafs nur ein dauernder Wegfall diese Wirkung habe1. Allein was heifst dauernd? Und dann liegt dabei wohl eine Verwechslung zu Grunde. Es kann durch Gesetz oder autonome Bestimmung vorgesehn sein, dafs das Vermögen einer durch Mitgliedermangel erloschenen K. für eine künftig entstehende gleichartige Körperschaft erhalten bleibe. Damit wird aber nicht der Korporation sondern ihrem Vermögen eine Fortdauer gesichert nach Art der liegenden Erbschaft 2. Eine etwa entstehende gleichartige Korporation ist nicht die Fortsetzung der früheren und erwirbt das von dieser stammende Vermögen nach Analogie des Erbgangs3. 2. Für manche K. ist gesetzlich besimmt, dafs die Auflösung verfügt werden mufs, wenn die Mitgliederzahl unter eine bestimmte Summe sinkt 4 . Bei andern kann eine erhebliche Minderung der Mitgliederzahl die Verwirklichung des Gemeinzwecks ausschliefsen. An sich ist der Fortbestand möglich, wenn noch zwei Mitglieder vorhanden * B r i n z 1. A. S. 1137- 1150 2. A. § 454; G i e r k e , GTheorie S. 809 bis 854. 1 S a v i g n y I I S. 280; W i n d s c h e i d § 61 N. 3. 2 In Verkennung des Wesens der Stiftung nehmen einige eine Verwandlung der K. in eine Stiftung an. Allein das Vermögen hat in der Zwischenzeit nur Erhaltungszweck. Vgl. oben § 75 III. 3 Sachlich übereinstimmend, in der Zurechtlegung abweichend J h e r i n g in seinen Jahrb. X S. 433 fg.; B e k k e r § 65 Beil. I ; G i e r k e S. 834 fg. 4 Genossenschaftsges. v. 1889 § 78 (wenn unter 7), Krankenvers.-Gesetz § 47 wenn dauernd unter 50).
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sind, nicht aber mit einem einzigen. Auch davon wird das Gegenteil behauptet teils auf Grund einer falsch ausgelegten Stelle im römischen Recht5, teils auf Grund einer Erwägung, die einen richtigen Kern hat. Mit einem Mitglied bleibt nämlich die Möglichkeit der Erneuerung. Wird sie verwirklicht, so stellt sich dies der praktischen Anschauung als Wiederbelebung der bisherigen K. dar, und die juristische Behandlung würde übel thun, aus doktrinären Gründen davon abzuweichen. Aber es ist in Abrede zu stellen, dafs das einzige Mitglied die volle Korporationsgewalt besitze, Statutenänderung treffen und sich etwa das Vermögen in die Hände spielen könne6. II. Sachlich bedingte K. (§ 77 VII) verlieren den Bestand mit der Zerstörung ihrer sachlichen Grundlage. Diese Zerstörung wird bei Erwerbskorporationen durch den Konkurs herbeigeführt 7, nicht schon durch Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung. III. Auf bestimmte Zeit begründete K. endigen mit Ablauf der Zeit. Eine Verlängerung der Dauer kann sich an den Sonderrechten der Mitglieder brechen8. Auch die Durchführung der verfassungsmäfsigen Aufgabe sowie die eintretende Unmöglichkeit ihrer Verwirklichung setzen der K. ein naturgemäfses Ende. Doch sind in beiden Ereignissen wegen der Unsicherheit des Endpunktes nur Anlässe zu einem Aufhebungsakt, nicht Aufhebungsthatsachen zu erblicken 9. IV. Die Korporationsautonomie umfafst auch die Befugnis zu Verfassungsänderungen. Aber diese Befugnis ist nicht unbeschränkt. Sie findet ihre Schranken teils in gebietenden Gesetzesbestimmungen, teils in den Grundlagen der Verfassung und bei manchen K. auch in den Sonderrechten der Mitglieder, z. B. der Aktionäre. Demnach r>
In L. 7 § 2 quod euiusc. univ. 3, 4 sagt Ulpian, dafs das letzte Mitglied in Angelegenheiten der K. klagen und verklagt werden kann. Damit wird nicht der Fortbestand der K. anerkannt. 6 B ö h l a u , Rechtssubjekt u. Personenrolle S. 49 fg.; G i e r k e S. 835 fg.; B r i n z 2. A. § 454 N. 2, 3. Beisp.: Erwerb sämtlicher Anwesen in einer Gemeinde durch dieselbe Person. Seuff. XXIX 73. Vereinigung aller Aktien oder aller Kuxe einer Gesellschaft in derselben Hand. G i e r k e S. 838, RGE. X X I I I Nr. 43 S. 202. 7 Bei einigen knüpft sich die Aufhebung schon an die Eröffnung des Konkurses. HGB. A. 242 Z. 1 (dazu Seuff. X L I 165 X L I I I 201), Genoss.-Ges. 1889 § 94, RG. über die eingeschriebenen Hilfskassen § 29, Nov. zur RGewerbeO. von 1886 § 104 rn. 8 RGE. V I Nr. 32 S. 120. Zu allgemein T h ö l , Handelsr. § 174. 9 Für Aktiengesellschaften einverstanden Seuff. X X X V I I 55; G i e r k e S. 843 N. 3, 4, sonst abweichend. Die meisten Schriftsteller finden in den genannten Ereignissen Aufhebungsthatsachen.
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kann die Frage, inwieweit eine Änderung im Zweck der K. oder in ihrer Organisation zulässig ist, nur für die einzelnen K. nach Beschaffenheit der Änderung beantwortet werden. V. Die Selbstauflösung kann mittelbar durch freiwilligen Austritt aller Mitglieder herbeigeführt werden. Allein wer ausscheidet, verliert jeden aus dem Korporationsverband fliefsenden Anspruch auf das Vermögen. Darum hat die Frage praktischen Wert, ob die Auflösung durch Korporationsbeschlnfs bewirkt werden kann. Die Meinungen sind darüber sehr geteilt. Einige verneinen es schlechthin mit Berufung darauf, dafs auch eine natürliche Person nicht durch blofse Erklärung ihre Persönlichkeit vernichten könne 10 . Dabei wird übersehn, dafs es sich bei der Aufhebung durch Korporationsbeschlufs nicht blofs um Abstreifung der Rechtsfähigkeit, sondern um die Auflösung des Trägers derselben, des socialen Körpers handelt. Andere fordern für die Selbstauflösung Einstimmigkeit11. Man scheint damit die Minderheit gegen eine Vergewaltigung durch die Mehrheit schützen zu wollen, bedenkt aber nicht, dafs mit dem Erfordernis der Einstimmigkeit die Mehrheit der Vergewaltigung durch die Minderheit, ja durch einen Einzigen ausgesetzt wird. Es wird auch angeführt, dafs die überstimmte Minderheit die K. fortsetzen könne 12 . Das beruht auf Täuschung. Was man Fortsetzung nennt, ist Gründung einer neuen K. Auf das Vermögen der bisherigen hat die neue keinen Anspruch. Es wird ferner geltend gemacht, dafs dem Staat nicht gleichgültig sein könne, ob eine K. fortbestehe, die ein öffentliches Interesse zu verwirklichen habe. Dieses Bedenken ist berechtigt, führt aber zu einer verschiedenen Lösung der Frage für öffentliche und für Privatkorporationen. 1. Bei Privatkorporationen kann das zur Statutenänderung befugte Organ die Auflösung beschliefsen. Zuweilen bestehen für die Beschlufsfassung besondere gesetzliche oder statutarische Bestimmungen 1 3 . An die Genehmigung der Staatsgewalt ist der Beschlufs nicht gebunden14. Dies entspricht auch der Übung, die Behörden pflegen sich in die Angelegenheiten der Privatvereine nicht zu mischen15. 10
P u c h t a , Kleine Schriften S. 509. S t o b b e § 54 N. 9; D e r n b u r g I § 64; B e k k e r § 67 Beil. 12 W i n d s c h e i d § 61 N. 2. 13 HGB. A. 242 mit 215, Genoss.-Ges. 1889 § 76 mit § 16 — Nr. 14 S. 43. 14 A. M. S a v i g n y I I S. 279. Vgl. aber R o s i n , Recht der Genoss. S. 146. 15 Übereinstimmend K i e r u l f f S. 144; U n g e r , Krit. Überschau B r i n z 1. A. S. 1148 (etwas zweifelnd in 2. A. § 35 Ziff. 3); G i e r k e 11
IV D. ROHG. XX öffentlichen S. 176 fg.; S. 849 fg.
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s
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§ 86.
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2. Öffentlichen K. kommt im Zweifel die gleiche autonome Macht nicht zu. Aber das Mafs der Beschränkung ist verschieden nach der Stärke des öffentlichen Interesses an dem Bestand der K. Hat die K. geradezu eine staatliche Aufgabe zu verwirklichen wie die politischen Gemeinden, aber auch die Berufsgenossenschaften für die Unfallversicherung, so ist die Entscheidung über ihren Fortbestand ihrer Willkür entrückt. Bei andern öffentlichen K. wird das staatliche Interesse ausreichend durch eine Mitwirkung der Aufsichtsbehörde bei der Auflösung gewahrt, in der Regel in Form einer Genehmigung des Auflösungsbeschlusses 1 6 . VI. Die Staatsgewalt kann die K. im Wege der Gesetzgebung aufheben. Die Säkularisationen alter und neuer Zeit geben dafür Beispiele. Dagegen können staatliche Vollzugsorgane, Gerichte und Verwaltungsbehörden die Auflösung (Schliefsung) nur aus einem im Gesetz anerkannten Grund verfügen. Solche Gründe sind: rechtswidriges oder gemeingefährliches Gebahren, Nichterfüllung des Korporationszwecks, Antrag durch Korporationsbeschlufs, hie und da auch Verfolgung fremdartiger Zwecke17. Selbst gegenüber K., die unter Mitwirkung der Staatsbehörden zur Entstehung gelangt sind, besitzen die staatlichen Vollzugsorgane kein Auflösungsrecht nach freiem Ermessen 1 8 .
§ 86. 9. Schicksal des Vermögens einer untergegangenen Korporation*. Lange Zeit herrschte eine Theorie, die sich ebenso sehr durch ihre Einfachheit als durch ihren Widerspruch mit den Vorgängen im Leben auszeichnet. Sie lautet: Eine Korporation hat keine Erben; das bei ihrem Untergang vorhandene Vermögen fällt als bonum vacans dem Fiskus anheim1. In diesem Fall ist der Fiskus besser als sein Ruf. Man hat nicht Das Selbstauflösungsrecht ist anerkannt im sächs. Gesetz v. 15. Juni 1868 § 30 und im bayer. Gesetz v. 29. April 1869 Art. 26. 16 Näheres bei R o s i n a. a. 0. S. 146 fg.; G i e r k e S. 851 fg. 17 Genoss.-Ges. 1889 § 79, RGewerbeO. § 103, Hilfskassengesetz § 29. 18 R o s i n a. a. 0. S. 149—152; G i e r k e S. 844—849. * P u c h t a , Kleine Civil. Schriften S. 509 fg.; K i e r u l f f S. 142 fg.; U n g e r , Krit. Uberschau V I S. 178; B r i n z , 1. A. S. 1139 fg.; 2. A. § 454 I I ; B ö h l a u , Rechtssubjekt und Personenrolle S. 41 fg.; B e k k e r § 67 Beil. V ; R o s i n , Recht der öffentl. Genoss. S. 152 fg.; G i e r k e , GTheorie S. 854—905. 1 P u c h t a a. a. 0.; T h ö l , Volksr. S. 51 fg. u. Α. Dogmengeschichtliches bei G i e r k e , GRecht I I I S. 237, 412, 499. B i n d i n g , Handbuch. I. 7. 1: R e g e l s b e r g e r , Pand. I.
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Erstes Buch.
Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
gehört, dafs ein Fiskal das Vermögen eines aufgelösten musikalischen oder geselligen Vereins für die Staatskasse in Anspruch genommen hätte. Mit der quellenmäfsigen Begründung der Theorie ist es übel bestellt2, und ihre Logik leidet an falschem Ausgangspunkt. Erblosigkeit setzt die Fähigkeit voraus, beerbt zu werden; diese Fähigkeit ist für juristische Personen nicht zu erweisen3. Man könnte daher nur von Herrnlosigkeit sprechen und die Grundsätze von den erblosen Gütern analog anwenden. Aber ob das Vermögen einer untergegangenen juristischen Person herrnlos ist, oder ob es in einem andern Sinn herrnlos ist als die liegende Erbschaft, das ist Vorfrage. Die Quellen des römischen Rechts geben darüber keinen Aufschlufs. Neuere Reichgesetze treffen nur für einzelne Korporationsarten Bestimmung. Für die übrigen sind die Rechtssätze der praktischen Behandlung im Leben zu entnehmen. Sie lehnt sich an den Zusammenhang der untergegangenen K. mit physischen oder juristischen Personen an 4 und kommt danach zu einer Mannigfaltigkeit. I. Vor allem ist festzuhalten, dafs mit dem Untergang der K. nicht ein Zeifall ihres Vermögens eintritt. Die Rechte und Verbindlichkeiten bestehn mit Ausnahme der höchstpersönlichen fort, die Gläubiger können auf Befriedigung aus dem vorhandenen Vermögen klagen, die Schuldner auf Bezahlung belangt werden 5. Zweckmäfsig ist für manche K. behufs Abwicklung der Verbindlichkeiten und Auseinandersetzung unter den Erwerbsberechtigten ein besonderes Liquidationsverfahren vorgeschrieben 6. II. Hinsichtlich des Erwerbs des Vermögens ist zu unterscheiden. A. Bei einigen K. ist der Erwerb schon durch ihre Grundanlage 2 C. 5 de pagan. 1, 11 enthält eine singuläre Vorschrift über konfisziertes Vermögen heidnischer Kultusstätten. L. 3 pr. de colleg. 47, 22 räumt den Mitgliedern eines corpus illicitum das Recht ein, das zusammengebrachte Vermögen unter sich zu teilen. Die Stelle ist jedenfalls der fiskalischen Theorie nicht günstig. Über die Auslegung G i e r k e , GRecht I I I S. 183. 3 Richtig hervorgehoben von Bö h l au Seite 46 und schon von K i e r u l f f S. 143. unten. 4 Hierin liegt, wie G i e r k e , GTheorie S. 864 N. 3 bemerkt, eine Verwandtschaft dieser Vermögensnachfolge mit der Erbfolge. 5 Man kann mit L. 7 § 2 quod cuiusc. univ. 3, 4 sagen : cum stet nomen universitatis. Anwendung auf eine aufgehobene Gewerkschaft ROHG. XIX Nr. 62 S. 190 fg., auf die Volleinzahlung von Aktien einer im Konkurs befindlichen Aktiengesellschaft RGE. V I Nr. 18 S. 69. 6 Für Aktiengesellschaften HGB. A. 243—246, für eingetragene Genossenschaften Genoss.-Ges. 1889 § 80—90, für eingeschriebene Hilfskassen RG. v. 7. April 1876 § 30, 31 RGewerbeO. § 103*; G i e r k e S. 883 fg.
Von den Personen.
Schicksal des Vermögens etc.
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vorgezeichnet : das sind die Aktiengesellschaften und die Berggewerkschaften. Die Mitgliedschaft giebt ein unentziehbares Recht auf einen der Aktie oder clem Kux entsprechenden Anteil an dem Reinvermögen des aufgehobenen Verbands. Man pflegt zu sagen: das Vermögen ist schon bei Lebzeiten der K. unbeschadet seiner Einheit nach Wertanteilen der Mitglieder verteilt 7 . B. Anders liegen die Verhältnisse bei den Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften. Der Anspruch jedes Genossen auf seinen Geschäftsanteil wird auch beim Austritt aus der Genossenschaft fällig. Er bildet eine Schuld der Genossenschaft und wächst und mindert sich nicht nach dem Stand des Genossenschaftsvermögens und der Mitgliederzahl. Daher sind bei Aufhebung der Genossenschaft die Geschäftsanteile aus dem Genossenschaftsvermögen auszurichten und nur der verbleibende Rest bildet den reinen Nachlafs der Genossenschaft. Indes haben an diesen Nachlafs die letzten Genossen ein natürliches Anrecht, das auch vom deutschen Genossenschaftsgesetz § 89 anerkannt ist. C. Es kann für den Erwerb des von einer K. nachgelassenen Vermögens eine gesetzliche oder autonome Individualnorm bestehn. Nicht selten begegnet in den Statuten gemeinnütziger K. die Bestimmung, dafs das bei Auflösung der K. vorhandene Vermögen einer Korporation oder einer Anstalt zufallen soll, welche gleichartige Zwecke verfolgt. Die Gültigkeit wird nicht bezweifelt, wenn die Bestimmung schon dem Gründungsstatut einverleibt ist. Fraglich ist aber, ob eine K. nachträglich durch statutenmäfsigen Beschlufs eine derartige Verfügung treffen oder die im Gründungsstatut getroffene ändern kann. Eine solche autonome Befugnis findet vor allem eine Schranke an den unentziehbaren Sonderrechten der Mitglieder bei den unter A geschilderten K. Für einige Korporationsarten besteht eine Beschränkung kraft positiver gesetzlicher Bestimmung8. Im übrigen ist den Privatkorporationen das Bestimmungsrecht nicht zu beanstanden und soviel bekannt in der Praxis nie beanstandet worden. Da es sich nicht um Eingriffe in erworbene Rechte Einzelner handelt, so 7
Schwierigkeit macht die juristische Auffassung dieser Anteilrechte. Forderungsrecht (Stobbe § 58) ist zu wenig und Mitberechtigung im gewöhnlichen Sinn zu viel. Man mufs sagen: es ist eine Mitberechtigung eigentümlicher Art, die mit der Aufhebung der K. von der bis dahin bestehenden Gebundenheit frei wird. Vgl. B e k k e r § 68 Beil. I ; G i e r k e S. 240 fg. 279, 876. 8 Das Genoss.-Ges. v. 1889 § 89 sichert den Genossen den reinen Aktivnachlafs zu und gestattet nur die Bestimmung des Verteilungsmafsstabes durch autonome Regelung. Vgl. auch Nov. z. R.GwerbeO. v. 23. IV. 86 § 104*. 22 *
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Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
bedarf es nicht der Einstimmigkeit. Aussichten auf den Erwerb, die das bisherige Statut eröffnete, sind keine erworbenen Rechte9. Ebensowenig ist die Gültigkeit des Beschlusses von der obrigkeitlichen Genehmigung abhängig10. Von öffentlichen K. kann eine derartige Verfügung jedenfalls nur unter Gutheifsung der Aufsichtsbehörde getroffen werden. Einigen öffentlichen K. ist sogar eine statutarische Bestimmung über das Vermögen für den Auflösungsfall gesetzlich zur Pflicht gemacht. D. Wo keine der vorbespröchenen Regelungen platz greift, da scheidet sich wieder das Schicksal des Vermögens nach Privat- und nach öffentlichen K. 1. Wenn der Verein reine Privatinteressen der Mitglieder verfolgte, gleichviel ob vermögensrechtliche oder ideale, so fällt das Vermögen den letzten Mitgliedern zu und zwar im Zweifel nach Kopfteilen n . War der Zweck ein gemeinnütziger, so widerstreitet schon dem Anstandsgefühl, dafs die letzten Mitglieder das Vermögen, wenigstens insoweit es nicht aus ihren Beiträgen herrührt, einstreichen. Es ist dies auch nicht als rechtlich begründet anzusehn. Hier entspricht dem Wesen der K. dieselbe Behandlung, die für das Vermögen öffentlicher K. gilt 1 2 . 2. Das Vermögen einer öffentlichen K. fällt an den Mittelpunkt der öffentlichen Zwecke, wovon die erloschene K. einen Teil verfolgte. Es fällt an kraft des Zusammenhangs, der zwischen Individuum und Gattung besteht. Durch den Eintritt in den allgemeinen Vermögenskreis wird dem Vermögen die Bestimmung zum Dienst im öffentlichen Interesse in verwandter Richtung erhalten. Demgemäfs fällt das Vermögen von K. mit lokalen Zwecken an die Gemeinde, das Vermögen von K., die ein allgemeineres Interesse 9
A. M. W i n d s c h e i d § 62 N. 3. Die Befugnis der Privatkorporationen erkennen an K i e r u l f f S. 144; U n g e r , Krit. überschau V I S. 178; W i n d s c h e i d § 62; B ö h l a u a. a. 0. Seite 48; S t o b b e § 54 N. 17; G i e r k e S. 861 fg. Ferner das sächs. Gesetz über die juristischen Personen § 23, 53, 81, das bayer. Gesetz v. 29. IV 69 Art. 29. A. M. B e k k e r § 67 Beil. V. In Seuff. X 225 war die Verfügung eines Klosters in Frage. 11 K i e r u l f f S. 142, 145; U n g e r , a. a. 0. S. 179; J b e r i n g , Geist. I I I §61 N. 466; S t o b b e § 54 N. 19 (ausdrücklich nur für Vereine mit vermögensrechtlichen Interessen) ; B e k k e r § 67 Beil. I ; G i e r k e S. 873. Das Recht des Fiskus nehmen an W i n d s c h e i d § 62 N. 2; B r i n z 1. A. S. 1141, weniger entschieden 2. A. § 454 N. 13—16; D e r n b u r g 1 § 64 N. 6. 12 A. M. G i e r k e S. 870 Ν. 1. In Seuff. X I I I 207 wurde aus dem gemeinnützigen Zweck der erloschenen K. die Befugnis der Staatsgewalt gefolgert, das vorhandene Vermögen einem Verein mit gleichem Zweck zuzuwenden. 10
Von den Personen.
ie u n d i e
Anstalten etc.
§ 87.
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verfolgten, an den Staat. Für das Vermögen erloschener kirchlicher K. ist ein gleiches Anfallsrecht zu Gunsten des höheren kirchlichen Verbands nicht anerkannt. Es darf aber nach den zahlreichen landesgesetzlichen Vorschriften als gemeinrechtlicher Grundsatz betrachtet werden, dafs der Staat das ihm angefallene Kirchengut zu kirchlichen Zwecken zu verwenden habe 13 . C\
Die Anstalten und Stiftungen*.
§ 87. 1. Die unselbständigen Anstalten und Stiftungen. I. Wer die Absicht hat, eine Anstalt oder Stiftung ins Leben zu rufen, die auch in künftigen Zeiten wirken soll, kann, wie schon § 77 I I bemerkt, zwei Wege einschlagen. 1. Er kann das Aostalts- oder Stiftungsvermögen einer anderen Person zuwenden mit der Auflage, für die Verwirklichung des Anstaltsoder Stiftungszwecks Sorge zu tragen. 2. Er kann die Anstalt oder Stiftung zu einem für sich bestehenden Rechtswesen erheben, so dafs das Zweckvermögen der Anstalt oder Stiftung selbst gehört. Dort ist die Anstalt oder Stiftung unselbständig, hier selbständig oder eine juristische Person. Es soll zunächst das Wesen der unselbständigen Anstalt oder Stiftung untersucht werden. II. Das Rechtssubjekt, dem bei einer unselbständigen Gründung das Zweckvermögen zugewendet wird, ist in der Regel eine juristische Person, denn nur sie bietet einen dauernden Stützpunkt (Staat, Gemeinde, Kirche, Universität u. s. w.) 1 . 13 Nachweise bei M e u r e r , Begriff und Eigentümer der geheil. Sachen I I S. 430 fg. Über die positiven Vorschriften für die reichsrechtlich geregelten öffentlichen K. Rosi n a. a. O. S. 154—156. * M ü h l e n b r u c h , Rechtl. Beurteilung des Städelschen Erbfalls (1828) und in Glücks Komm. X X X I X S. 442—470 X L S. 1—108 (1837, 38); R o t h , Jher. Jahrb. I Abh. 4 (1857); D e m e l i u s ebenda IV S. 139 fg. (1861); G i e r k e , GRecht I I § 37 (1873) und GTheorie an versch. 00. (1887); S c h l o f s m a n n , Jher. Jahrb. X X V I I Abh. 1 (1889); K ö h l e r , Arch. f. bürgerl. R. I I I Abh. 4 (1891). 1 Ein Beispiel für die Zuwendung an natürliche Personen liefert das Testament des griechischen Philosophen Theophrastus. B r u n s , Z. d. Sav. St. I Rom. Abt. S. 30 fg. Häufiger waren im alten Griechenland und im kaiserlichen Rom die Gemeinden die Träger von solchen Stiftungen. Vgl. die Inschrift von Corcyra bei B r u n s S. 32, dann die Urkunden über römische Alimentenstiftungen bei B r u n s ,
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Erstes Buch.
Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
Der Empfänger wird mit der Fürsorge für die Erfüllung des Zwecks der A. oder St. belastet. Doch kann auch dies in zweifacher Weise geschehn. 1. Das Vermögen wird dem Empfänger zur völlig freien Verfügung überantwortet mit der Auflage, aus seinem Gesamtvermögen die Kosten für die Ausführung des Zwecks zu bestreiten. Hier ist die Dauer der Verpflichtung vom Schicksal des zugewendeten Vermögens unabhängig. 2. Die Anordnung geht dahin, dafs die Mittel zur Ausführung unmittelbar und ausschliefslich dem zugewendeten Vermögen entnommen werden sollen. Dadurch wird das zugewendete Vermögen zum Zweckvermögen. An diese Verschiedenheit der Zuwendung knüpft sich eine Verschiedenheit der rechtlichen Folgen2. Zwar geht in beiden Fällen das gestiftete Vermögen in das Eigentum des Empfängers über. Aber nur im ersten Fall verschmilzt es in unterschiedloser Weise mit dem übrigen Vermögen des Empfängers und wird allen Wechselfällen dieses Vermögens unterworfen 3. Anders im zweiten. Der Umstand, dafs das zugewendete Vermögen selbst unter Zwecksbestimmung gestellt ist, begründet für den Empfänger die Rechtspflicht, über das gestiftete Vermögen gesonderte Verwaltung zu führen und sich jeder nicht stiftungsgemäfsen Verwendung zu enthalten. Es hat ferner die Ansicht gute Gründe für sich, dafs das Zweckvermögen dem Zugriff von Gläubigern des Fiduziars entrückt ist, deren Ansprüche nicht aus dem Zweckvermögen erwachsen sind, dafs ferner im Konkurs des Fiduziars oder bei Verhängung einer Vermögenseinziehung für das Zweckvermögen ein Aussonderungsrecht in Anspruch genommen werden kann, da der Empfänger zwar Rechtsträger, aber nur im fremden Interesse ist 4 . Andrerseits ist der Fiduziar zur Erfüllung des Stiftungszwecks
Fontes jur. rom. p. I I c. X I I 2—4, 6, 7. Dazu B r i n z 1. A. S. 1045 und in den Berichten der Bayer. Akademie der Wissensch. Histor. Kl. 1887 S. 209 fg. Ρ er n i ce, Labeo I I I S. 150 fg. 164. 2 Dieser Punkt, obwohl von grofser praktischer Wichtigkeit, ist in der Theorie noch wenig untersucht. Befriedigend handelt davon K o h l e r a. a. 0. S. 268 fg. 280 fg. Vgl. übrigens auch B e k k e r § 69 Beil. I I I b. 8 Dies erwog der vorsichtige Plinius bei der Alimentenstiftung. Epist. V I I 18 (Bruns, Fontes p. 289): Numeres reipublicae summam? Verendum est ne dilabatur. Des agros? Ut publici neglegentur. Freilich: ist Plinius mit seinem vectigal impositum sicherer gefahren? So fragt mit Recht B r i n z 2. A. § 446 N. 14. 4 B e k k e r a. a. 0.; K o h l e r a. a. 0. 281 fg. Vgl. auch B ä h r , Urteile des Reichsger. S. 14-21.
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Die unselbständigen Anstalten etc.
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nicht mehr verpflichtet, wenn das Zweckvermögen durch von ihm nicht verschuldete Ereignisse verloren gegangen ist. Das gestiftete Vermögen hat ein gewisses rechtliches Sonderdasein in den Händen des Fiduziars 5, ist aber kein Rechtssubjekt, die dazu gehörigen Rechte und die darauf ruhenden Lasten sind nur Rechte und Lasten des Fiduziars. Darum sind Rechtsverhältnisse zwischen dem Sondervermögen und dem sonstigen Vermögen des gemeinsamen Herrn ausgeschlossen6. Über das Erfordernis der obrigkeitlichen Genehmigung vgl. § 88 a. E. III. Häufig werden Sammlungen veranstaltet und Beiträge geleistet zu einem vorübergehenden Zweck, z. B. für ein zu erstellendes Denkmal, für Abgebrannte, zum Nationaldank an einen Patrioten 7. Aus solchen Sammlungen und Gaben entsteht keine Stiftung, denn das Vermögen soll nicht einer dauernd wirkenden Einrichtung dienen. Nur in der Widmung von Vermögen zur Unterhaltung eines Denkmals läge eine Stiftung. Hiervon abgesehn sind die Rechtsverhältnisse, die sich aus derartigen Sammlungen entwickeln, je nach den Umständen verschieden. Wird der Beitrag sofort gegeben, nicht blofs versprochen, so entäulsert sich der Beitragende seines Eigentums an der hingegebenen Sache. Bei Sammlungen für gewisse Personen geht das Eigentum durch Vermittlung der Sammler auf den Destinatär über. Bei andern Sammlungen, z. B. zur Errichtung eines Denkmals, wird das Eigentum an den Beisteuern an die Sammler übertragen, allerdings nur in fiduziarischer Weise. Die Beisteuern bilden in ihrer Hand Zweckvermögen, das weder den Gläubigern der Sammler als Befriedigungsobjekt dient noch beim Konkurs eines Sammlers in die Konkursmasse fällt, bei Geld Unvermischtheit vorausgesetzt8. Das Versprechen eines Beitrags, wenn schriftlich abgegeben, Zeich5
In den Satzungen für derartige Stiftungen an der Universität Göttingen ist die regelmäfsige Formel : „Dieses Vermögen bildet unter dem Namen der N.N.'schen Stiftung einen besondern Nebenfonds der Univ. Göttingen". 6 Über ähnliche Zweckvermögen des Deutschen Reichs (Reichskriegsschatz, Reichsinvalidenfonds u. a.) L a b a n d , Deutsch. Staatsr. I I I S. 193; auf dem Gebiet des Arbeiterversicherungswesens R o s i n , Das Recht der Arbeiterversicherung I Seite 448 fg. 7 Zum folgenden: B r i n z , 1. A. S. 1020, 1062 2. A. § 440 a. E.; P u c h t a , Z. f. Gesetzgb. u. Rechtspfl. in Preufsen I I S. 473—481; B e k k e r § 112 Beil. I I ; R e g e l s b e r g e r , Streifzüge im Gebiet des Civilrechts (Gotting. Festgabe f. Jhering 1892) S. 70—78. 8 B r i n z , B e k k e r , D e r n b u r g (I § 62 N. 8) nehmen an, dafs die Gaben zunächst herrnloses Gut bilden und erst durch die Ausantwortung als Arbeitslohn, Kaufpreis oder Geschenk wieder einen Eigentümer erhalten.
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Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
nung genannt, ist Vertragsangebot oder Acceptation eines Angebots, je nachdem die Aufforderung zur Beitragsieistùng öffentlich erfolgte oder an den Versprechenden persönlich gerichtet war. Da im erstem Fall das Unterbleiben der Ablehnung zur Entstehung des Vertrags genügt, so führt das Versprechen hier wie dort nach dem regelmäfsigen Verlauf zur obligatorischen Verpflichtung auf Erfüllung. Die Gläubiger sind die Sammler der Beiträge, freilich nur als Treuhänder 9.
2. Die selbständigen Anstalten und Stiftungen, a.
Entstehung.
§ 88. aa. Die G r u n d l a g e . I. Bei allen juristischen Personen ist der Träger der Persönlichkeit ein socialer Organismus: bei Korporationen ein Personenverein, bei den Anstalten und Stiftungen eine Einrichtung, durch die in dauernder Weise ein bestimmter socialer Zweck von menschlichen Kräften verwirklicht wird (§ 75). Hierzu ist in der Regel Vermögen notwendig, aber es ist hier wie anderwärts nur Mittel zur Vollführung des Lebenszwecks seines Herrn. Die Anstalten und Stiftungen führen ihr Dasein zurück auf einen Willensakt, Errichtung, Gründung, Stiftung, in Verbindung mit der Beschaffung der erforderlichen wirtschaftlichen Grundlage. Nur einige Anstalten, z. B. die meisten Bistümer, sind aus einer geschichtlichen Entwicklung hervorgegangen und nicht einem einzelnen Schöpfungsakt entsprungen. Inhalt des Willensakts ist die Hervorrufung eines Organismus, der die dauernde Verwirklichung eines bestimmten socialen Zwecks zur Aufgabe hat. Die wirtschaftliche Grundlage kann bestehn: 1. in einer Gebäulichkeit mit der für den Anstaltszweck erforderlichen Ausstattung, z. B. ein Krankenhaus. Hierzu kommt meistens ein rentierendes Vermögen, das die Geldmittel für den Betrieb der Anstalt liefert; 2. in einer sonstigen Einrichtung, wie sie die Ausführung des Gründungszwecks erheischt z. B. bei einer Aussteueranstalt die Be9
Näheres bei R e g e l s b e r g e r a. a. 0.
Von den Personen.
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ndie
Anstalten etc.
§
8 8 . 3 5
Schaffung einer Räumlichkeit, Anlage von Büchern, Anstellung eines Verwalters. 3. in einem rentierenden Vermögen, Grundstücken, Bargeld, Forderungen, sonstigen nutzbringenden Rechten. In den beiden ersten Fällen pflegt man von Anstalten, im dritten von Stiftung zu sprechen. Die Anstalt kann ein Vorstadium durchlaufen, indem der Stifter nicht unmittelbar die äufsere Einrichtung bietet, sondern nur die Barmittel zu deren Erstellung. II. Der für die Entstehung einer (selbständigen) Anstalt oder Stiftung erforderliche Willensakt ist auf eine Wirkung eigentümlicher Art gerichtet. Er bezweckt die Erzeugung eines Rechtssubjekts und die Festlegung des Schicksals eines Vermögens in der Regel auf unbegrenzte Dauer. Wer ist zu einem solchen schöpferischen Akt befugt? Zuweilen ruft der Staat selbst eine A. oder St. ins Leben entweder unmittelbar durch Gesetz (z. B. die Reichsbank durch das RG. v. 14. März 1875) oder durch einen Verwaltungsakt (z. B. die Errichtung von Orts-, Fabrik-, Baukrankenkassen nach RG. v. 15. Juni 1883). Die meisten A. und St. haben ihren Ursprung in der Willensentschliefsung einer Privatperson, einer natürlichen oder juristischen Person. Der Stiftungsakt ist hier ein Privatrechtsgeschäft. Darin bethätigt sich allerdings eine weitgehende Machtvollkommenheit, und es fehlt nicht an Stimmen, die der Privatverfügungsmacht diese Tragweite absprechen Zwar können sie nicht in Abrede stellen, dafs zahlreiche A. und St. aus einer Privatverfügung hervorgegangen sind. Sie behaupten aber, die rechtswirkende Kraft liege nicht in dem Privatakt, sondern in der obrigkeitlichen Genehmigung. Indes, versteht man hierunter die Gutheifsung der Privatverfügung vom staatspolizeilichen Standpunkt, so ergiebt sich daraus nur, dafs die rechtschöpferische Macht des Stifters einer Beschränkung unterliegt, die übrigens ebenso für unselbständige Stiftungen gilt, nicht aber dafs die rechtschöpferische Macht fehlt. Versteht man dagegen unter der obrigkeitlichen Genehmigung die Verleihung der juristischen Persönlichkeit, so bestätigt man, was man bekämpft: denn diese Verleihung setzt einen gültigen Stiftungsakt voraus und ist nicht geeignet, einen Mangel in diesem Thatbestand zu heilen2. Also kann die Gründungsmacht nur im Stifter gesucht werden. 1
Roth, Jher. Jahrb. I S. 207. Ihm folgt Stobbe § 62 N. 2. Man mufs mit dem Urteil über die Grenzen der Privatverfügungsmacht vorsichtig sein. Wahrscheinlich beruht darauf die im Altertum verbreitete Befugnis der Errichter eines Grabdenkmals, für dessen Verletzung eine Bufse zu verordnen. J. M e r k e l , Über die sogenannten Sepulcralmulten (Gött. Festgabe für Jhering 1892) S. 83 fg. 2 RGE. V Nr. 37 S. 141.
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Erstes Buch. Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
Ist mit der Stiftung eine Vermögenswidmung verbunden, so mufs der Stifter fähig und befugt sein, die zu widmenden Vermögensstücke unentgeltlich zu veräufsern. III. Inhaltlich gehört zum Stiftungsgeschäft: 1. die Angabe des Zwecks und zwar eine für die Ausführung hinreichend genaue Angabe3. Der Zweck mufs rechtlich und sittlich erlaubt 4 und geeignet sein, ein vernünftiges Interesse zu befriedigen, er mufs auf eine unbestimmte Zahl von Individuen und auf Dauer gerichtet sein. Innerhalb dieser Schranken finden Zwecke verschiedenster Art Raum: Religion, Bildung, Wohlthätigkeit, Gemeinnützigkeit im weitesten Sinn. Der Kreis von Personen, denen die A. oder St. zu Gute kommen soll, kann weiter oder enger sein: alle Menschen, die Einwohner eines Staats oder einer Gemeinde, die Mitglieder eines Stands, eines Kollegiums, einer Familie 5 u. s. w. 2. Die Bezeichnung des für den Zweck ausgesetzten Vermögens, wo solches erforderlich ist; 3. der Willensausdruck, dafs die A. oder St. als rechtlich selbständiges Wesen bestehen soll 6 . 4. Die Ordnung der Verwaltung. Doch bewirkt der Mangel jeder Bestimmung über diesen Punkt keine Nichtigkeit des Stiftungsakts. Zuweilen greifen Vorschriften der Gesetze ergänzend ein ; sonst hat der Staat und bei örtlichen Stiftungen die Gemeinde für die Einrichtung der Verwaltung Sorge zu tragen 7. 3 Ungenügend: „Das Vermögen soll zu milden und gemeinnützigen Zwecken angewendet werden." Seuff. I 97. Dagegen kann die Bestimmung von Einzelheiten einer andern Person überlassen werden. B e k k e r § 69 n. 4 Das Obergericht von Pennsylvanien hat einer Stiftung zur Lehre des Atheismus die Anerkennung versagt. R ü t t i m a n n , Kirche und Staat in N.Amerika S. 140. 5 Die Familienstiftungen kommen in dreifacher Gestalt vor: a. Es soll der Genufs des Vermögens allen oder bestimmten Mitgliedern einer Familie gesichert werden, reine Fam.-St., im Zweck den Familienfideikommissen verwandt; b. nur ein Teil des Vermögens soll dem Genufs der Familienglieder dienen, der andere Wohlthätigkeitszwecken gewidmet sein, gemischte F.-St. c. das Vermögen soll allgemeinen Zwecken dienen und nur von Mitgliedern der Familie verwaltet werden, F.-St. im weitern Sinn. Gerber, Jher. Jahrb. I I Abh. 7; S c h e u r l , Civ. Archiv L X V I I Abh. 9. 6 Der Zweifel taucht häufig bei Schulanstalten auf. Seuff. XXXV 93 X L 273 X L I I 93, 231. 7 Pr. Ldr. I I 19 § 36; Bayer. Gem.-Ord. von 1869 Art. 65; Sächs. Ges. über die jurist. Person § 8. R o t h a. a. 0. S. 215 fg.; K o h l er S. 260 RGE. XIX Nr. 49 S. 259.
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Die selbständigen Anstalten etc.
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IV. Das Privatstiftungsgeschäft ist entweder eine letztwillige Verfügung oder ein Rechtsgeschäft unter Lebenden. A. Der unmittelbaren Errichtung einer A. oder St. durch letztwillige Verfügung scheint sich das Bedenken entgegenzustellen, dafs Erbeinsetzung und Vermächtnis eine einsetzungsfähige Person zur Voraussetzung haben, während hier die bedachte Person durch die letztwillige Verfügung erst geschaffen werden soll. Indes hat sich schon die römische Jurisprudenz in einem verwandten Fall über den circulus vitiosus hinweggesetzt, bei der Einsetzung eines eignen Sklaven unter Hinterlassung der Freiheit 8 . Und so ist auch die Gültigkeit des letztwilligen Stiftungsgeschäfts positiv anerkannt im neuesten römischen Recht0, von der mittelalterlichen 10 und der neueren Jurisprudenz 11. Erst in der neuesten Zeit hat die Theorie Zweifel erhoben, aber im wesentlichen nur darüber, ob die letztwillige Verfügung für sich und ohne staatliche Genehmigung die A. oder St. ins Leben zu rufen vermöge. Demnach unterliegt die letztwillige Errichtung einer A. oder St. den formellen und materiellen Vorschriften über Erbeinsetzung oder Vermächtnis, je nachdem das ganze Vermögen oder eine Quote dafür gewidmet oder nur ein einzelnes oder mehrere einzelne Nachlafsstücke. Der Erwerb vollzieht sich ohne Antrittshandlung, wofür wiederum die Einsetzung des eignen Sklaven eine Analogie bietet. Es empfiehlt sich die Ernennung von Testamentsvollstreckern, obwohl nötigenfalls die Obrigkeit von Amtswegen einzugreifen hat 1 2 . B. Dafs eine A. oder St. auch durch ein Rechtsgeschäft unter Lebenden errichtet werden kann, ist allseitig anerkannt. Wenig Einverständnis besteht dagegen über die einzelnen Punkte. 1. Ist das Stiftungsgeschäft u. L. ein einseitiges Rechtsgeschäft oder ein Vertrag? Man mufs sich für das erstere entscheiden. Mit 8
L. 21, 22, 43 [42J de bered. inst. 28, 5. C. 45 [46] de episcop. 1, 3 (nicht glossiert) Nov. 131 c. 10, 11. Vgl. indes M ü h l e n b r u c h bei Glück X X X I X S. 467 X L S. 38; er hält solche letztwillige Verfügungen für Wohlthätigkeitszwecke zulässig; heutzutage ist aber der pia causa alles Gemeinnützige unterstellt. B r i n z 1. A. S. 1075 2. A. § 368 N. 42 § 434 N. 8, aber auch S t o b b e § 62 N. 9, 10. 10 G i e r k e , GRecht I I I S. 373 N. 76 S. 441 N. 114. 11 Seuff. I 97 X I 9 XIV 102 X V I 232 X V I I I 4 X X I X 149. B r i n z 1. A. S. 1090 2. A. § 446; W i n d s c h e i d § 549 N. 5; B e k k e r § 69 Beil. I I ; G i e r k e , GTheorie S. 126 N. 1; K o h l e r S. 242 N. 10. Anerkannt für das preufs. Recht im Urteil des RGerichts vom 2. Mai 1888 (Bl. f. RA. in Bayern IX, Ergänz.-Band S. 327) Sachs. GB. § 2074. 12 L. 50 i. f. H. P. 5, 3 L. 92 de condic. et dem. 35, 1; Unger I S. 350. 9
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Erstes Buch.
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wem sollte der Vertrag geschlossen werden, da das Subjekt, für das die Verfügung getroffen wird, noch nicht vorhanden ist 1 3 . Sofort erinnert die Stiftung an die römische pollicitatio zu Gunsten einer Stadtgemeinde und, sofern dadurch ein Rechtssubjekt geschaffen wird, an die servi manumissio, beides einseitige Rechtsakte14. 2. Das Stiftungsgeschäft u. L. ist als solches einer Form nicht unterworfen, aber es kann in ihm ein Rechtsgeschäft zu Tage treten, das an eine Form gebunden ist, nämlich eine Schenkung. Dies ist dann der Fall, wenn die Stiftung in einer freiwilligen Vermögenswidmung besteht und zur Bethätigung des frommen oder Wohlthätigkeits- oder Gemeinsinns des Stifters dient, nicht dagegen wenn die Stiftung die Erfüllung einer dem Stifter gemachten Auflage oder Bedingung enthält, auch nicht, wenn mit ihr ein Vermögensopfer des Stifters nicht verbunden ist (I, 2). In clem erstgenannten Fall, der die Regel bildet, ist Beschenkter die Stiftungspersönlichkeit 15. Die Schenkung ist nicht eine donatio sub modo, denn es bildet keine Auflage, wenn jemandem eine Vermögenszuwendung gemacht wird, damit er daraus die Mittel zu seinem Leben entnehme16. Hiernach bestimmt sich, ob das Stiftungsgeschäft der gerichtlichen Verlautbarung bedarf 16. 3. Der Stifter kann seine Verfügung widerrufen, so lange sie noch nicht die obrigkeitliche Bestätigung erlangt hat (V), oder wo sie nicht erforderlich ist, bis zur Herstellung der Verwaltung 17. Die thatsächliche Ausscheidung der Stiftungsgüter aus dem Vermögen des Stifters bildet kein Erfordernis für die Vollendung des Stiftungsakts 1 8 . 13 RGE. V N. 37 S. 145 meint: mit den Organen der Stiftung. Allein der Stiftungsakt soll selbst erst die Organe ins Leben rufen. Die Ausantwortung der Stiftungsgüter ist kein Bestandteil des Stiftungsakts. 14 J h e r i n g , Zweck im Recht I S. 465: „Die pollicitatio ist die Form der Stiftung unter Lebenden". Für die einseitige Natur haben sich ferner erklärt: D e m e l i u s , Jher. Jahrb. IV S. 142 fg.; B r i n z 1. A. S. 1091; G i e r k e , GTheorie S. 140; S c h l o f s m a n n , Jher. Jahrb. X X V I I S. 29; K o h l e r a. a. O. S. 230, 239. 15 Ebenso S c h l a y e r i n Sarweys Monatsschrift für die Justizpflege in Württemberg I I I S. 190. Vgl. K o h l er, Abhandl. S. 92. Dagegen nimmt Gerber, Jher. Jahrb. I I S. 363 eine eigentümliche Schenkung an unbestimmte Personen an. 16 Für die Schenkungsnatur P u c h t a , Vöries. § 28; G e r b e r a , a. 0.; B r i n z 2. Α. § 446; G i e r k e , GTheorie S. 123 Ν. 1; K o h l er, Archiv für bürgerl. Recht I I I S. 242 RGE. V Nr. 37 S. 141. Α. M. R o t h a. a. 0. S. 208; B e k k e r § 69 Beil. I § 102, Beil. I I a. Ε ; Schlo fsmann a. a. 0. S. 49. 17 R o t h a. a. 0. S. 208; K o h l e r a. a. 0. S. 229 fg.; H o l d e r , Civ. Arch. L X X I I I S. 47 fg.; S c h l o f s m a n n S. 32 fg. 18 Α. M. S c h l o f s m a n n S. 20 fg.
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Anstalten etc.
§ 89.
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V. Die unbeschränkte Stiftungsfreiheit ist vom rechtspolitischen Standpunkt nicht unbedenklich. In der Kettung eines Vermögens an einen bestimmten Zweck auf unabsehbare Zeit und in der Ausscheidung desselben aus dem freien Verkehr liegt ein volkswirtschaftlicher Nachteil, der nur dann erträglich erscheint, wenn ihm ein erheblicher Zweck gegenübersteht. Der Stifter ist aber über diesen Punkt nicht der unbefangene Richter. Aus diesem Grund ist in den deutschen Staaten durch Gesetz oder Gewohnheitsrecht die Wirksamkeit eines Stiftungsakts, der mit einer Vermögenswidmung verbunden ist, von einer obrigkeitlichen Genehmigung abhängig gemacht19. Familienstiftungen sind zuweilen ausgenommen 2 0 . Übrigens besteht das Erfordernis auch für die unselbständigen Stiftungen und selbst für Zuwendungen an bestehende A. und St. § 89. bb. Der Rechtssatz. I. Wie für die Korporationen ist für die Anstalten und Stiftungen bestritten, ob sie die Rechtsfähigkeit kraft allgemeinen Rechtssatzes haben oder nur durch besondere Verleihung erlangen. Auch hier hat die Verwechslung der Genehmigung der Stiftung mit einer Individualrechtsnorm, welche die obrigkeitlich nicht beanstandete A. oder St. zum Rechtssubjekt erhebt, eine unheilvolle Rolle gespielt. So wenig daher die aus der Stiftungswillkür entspringende Gefahr gegen die Anerkennung der allgemeinen Rechtsfähigkeit ins Feld geführt werden kann, ebenso wenig stichhaltig sind die andern Bedenken, die allgemeinen Erwägungen entnommen sind. Die Rechtfertigung der besondern Verleihung aus der Schranke der Privatverfügungsmacht beruht auf einer vorgefafsten Meinung (§ 88 II). Die Vorstellung, als ob die Persönlichkeit einer Stiftung etwas unnatürliches sei, kann nur auf dem Boden der Fiktionstheorie wachsen. Im Gegenteil, die Rechtsordnung würde mit ihrer Aufgabe in Widerspruch treten, wenn sie Lebewesen, gegen deren Unschädlichkeit, ja Nützlichkeit kein Zweifel obwaltet, durch Vorenthaltung der Rechtsfähigkeit das Dasein verkümmerte. II. In den römischen Rechtsquellen aus der christlichen Kaiserzeit sind nicht nur die Kirchen als Subjekte eignen Vermögens anerkannt, son19
Nachweise bei Stobbe § 62 N. 6; R o t h § 73 N. 16, 17. So nach dem preufs. Gesetz v. 23. Febr. 1870 § 6. Für die ältere Zeit behauptet die allgemeine Geltung der Ausnahme Scheurl, Civ. Arch. L X X V I I Seite 253, 262. — Zum Ganzen G i e r k e , GTheorie S. 84 fg.; S c h l o f s m a n n Seite 8; K o h l e r S. 234. 20
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Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
dem auch religiöse und Wohlthätigkeitsanstalten (piae causae) \ Diese Anstalten standen zwar unter der besondern Fürsorge der kirchlichen Obern, hatten aber eine von der Kirche getrennte Rechtspersönlichkeit 2 . Es findet sich keine Spur für die Annahme, dafs diese Persönlichkeit im einzelnen Fall verliehen worden ist 8 . Dafs das kanonische Recht in der Begünstigung der frommen und mildthätigen Stiftungen hinter das römische Recht nicht zurückgegangen ist, ist von vornherein wahrscheinlich und wird durch Zeugnisse bestätigt. Die vielfach vorkommende Approbation bezieht sich nur auf die Prüfung, ob der Zweck vom kirchlichen Standpunkt zulässig sei 4 . Nach römischem und kanonischem Recht lehnten sich alle Stiftungen an das starke Rückgrat der Kirche an. Diese Verbindung löste sich mit der Reformation und mit der kräftigern Entwicklung der Staatsgewalt. Aber dabei verloren die Stiftungen die einmal errungene Rechtsstellung nicht. \7ielmehr kam jetzt den gemeinnützigen zu Gute, was vorher nur für die milden zweifellose Geltung hatte. Allerdings wurde das Stiften von der Staatsgewalt einer schärferen Überwachung unterstellt, namentlich um der Häufung des Vermögens in der sog. toten Hand zu steuern. Aber das Erfordernis der confirmatio principis berührte nur die Stiftungsfreiheit, nicht den Rechtssatz, dafs die zugelassenen selbständigen A. und St. Persönlichkeit haben. Dies ist auch der Standpunkt der neueren Gesetze, wenngleich zugegeben werden mufs, dafs nicht überall das Genehmigungsrecht von der Persönlichkeitsverleihung auseinander gehalten wird 5 . Demgemäfs ist für das gemeine Recht der Satz anzuerkennen : Anstalten und Stiftungen, die als selbständige Wesen den Vorschriften des Rechts entsprechend errichtet sind, haben Rechtsfähigkeit 6. 1
Waisen-, Armen-, Krankenhäuser, Pilgerherbergen. Tit. Cod. de sacros. eccl. 1, 2 und de episcop. et cler. et orphan, et xenod. 1, 3 Nov. 131. 2 So wird auf sie die Bezeichnung corpus, auch collegium angewendet. C. 55 [57] de episc. 1, 3 Nov. 7 c. 9. B r i n z 1. A. S. 1055 fg. Schulte, Die juristische Persönlichkeit der kathol. Kirche S. 20 fg. A. M. R o t h a. a. 0. S. 200. 3 G i e r k e , GRecht I I I S. 120 N. 26 behauptet dies gleichwohl, aber ohne jeden positiven Anhalt. 4 S c h u l t e a. a. 0. S. 27—58; G i e r k e GRecht I I I S. 273, 421. B Preufs. Ldr. I I 19 § 42: „Die vom Staat ausdrücklich oder stillschweigend genehmigten Armen- und andere Versorgungsanstalten haben die Rechte moralischer Personen". Ähnlich Bayer. Gem.-Ord. von 1869 Art. 69, Bad. Gesetz vom 5. Mai 1870 § 2. 6 Ebenso ein Gutachten der Tübinger Juristenfakultät. Württ. Archiv f. Recht X I V Abt. 1 S. 73; P u c h t a § 28; A r n d t s § 46; W i n d s c h e i d § 60 Nr. 2, 3; B r i n z 1. A. S. 1069 2. A. § 441; D e r n b u r g I § 63 N. 6; Gierke, GTheorie
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Anstalten etc.
§ 90.
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III. Sobald die A. oder St. als Rechtssubjekt entstanden ist, tritt sie in die vom Stifter ihr bestimmte Vermögensgrundlage ein. Es bedarf zum Rechtserwerb nicht eines weiteren Akts, das Stiften erzeugt einen Erwerbsgrund 7. Hat der Stifter nur eine Summe bezeichnet, aus der die A. oder St. hergestellt werden soll, so bildet die Vermögensgrundlage zunächst eine Forderung gegen den Stifter oder dessen Erben. § 90. b.
Hechtsfähigkeit, Handlungsfähigkeit, Organe u n d GenufsObjekte *.
I. In der Rechtsfähigkeit stehn die Anstalten und Stiftungen den Korporationen gleich (§ 81) Die unter den Begriff der milden Stiftungen fallenden juristischen Personen geniefsen manche rechtliche Vergünstigung z. B. in der Anspruchs Verjährung und Ersitzung 2. Andrerseits ist in vielen Partikularrechten der Vermögenserwerb aus unentgeltlichen Zuwendungen bald für alle A. u. St., bald nur für die kirchlichen (tote Hand) beschränkt, eine moderne incapacitas3. H. Die rechtliche Verfassung einer A. oder St. wird in erster Linie durch die Anordnung des Stifters bestimmt, ergänzend durch Gesetz und Herkommen. Sie erstreckt sich auf die Organe, durch welche die A. oder St. thätig wird, wie auf deren Zuständigkeit, und enthält die Grundlinien für die Erfüllung des A.'s- oder St.VZwecks. I. Die zur Verwaltung erforderlichen Kräfte finden die A. und St. nicht in sich selbst vor; denn die Menschen, denen der Vorteil der A. oder St. bestimmt ist, stehn aufserhalb des Organismus. Sofern über die Berufung einer Person zur Verwaltung weder die Stiftungsurkunde noch Gesetz oder Herkommen Bestimmung trifft, liegt sie dem S. 84. Von den abweichenden Schriftstellern kämpfen die meisten in Wirklichkeit nur für ein staatliches Prüfungsrecht. M ü h l e n b r u c h , Glücks Komm. X L S. 1 fg.; K i e r u l f f S. 151; S a v i g n y I I S. 276; R o t h a. a. 0. S. 206; Stobbe § 62 Ziff. 2. Nicht klarer die Rechtsprechung: Seuff. X I 9 X V I 232 X V I I I 4. 7 Demelius, Jher. Jahrb. IV S. 146; Gierke, GTheorie S. 124 Nr. 2; K o h l e r a. a. 0. S. 239. * B r i n z 1. A. S. 1098—1137, 2. A. § 448-453. 1 Die Anerkennung der Erbfähigkeit stöfst bei ihnen auf stärkeren Widerstand. So will sie B r i n z § 368 N. 37—42 von besonderer Verleihung abhängig machen. 2 Aufzählung bei B r i n z 1. A. S. 1132 fg. 2. A. § 453; dazu Stobbe § 62 N. 15—24a. 3 Preufs. Ges. v. 23. Febr. 1870; Kahl, Die Amortisationsgesetze (1879).
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Die allgemeinen Lehren
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Staat und bei gemeindlichen A. und St. der Gemeinde ob. Die Berufung einer Privatperson durch die Stiftungsurkunde begründet, wo nicht eine andere Absicht des Stifters erhellt, ein klagbares Recht auf die Verwaltung 4, sie begründet aber keine Pflicht zur Übernahme. Der Verwalter haftet für jede schuldhafte Schädigung der juristischen Person 5. Die jeweilige Verleihung des Genusses ist hie und da besondern Personen übertragen sog. Kollatoren, Nominatoren, Präsentanten. Von der Berufung zur Kollation gilt, was über die Berufung zur Verwaltung bemerkt wurde 6. III. Was die Organe der A. oder St. in dieser Eigenschaft innerhalb ihrer Zuständigkeit thun, ist Handlung der juristischen Person. Es gelten analog die für die Korporationen entwickelten Grundsätze (§ 82, 83). Aber die Zuständigkeit der Organe und damit die Handlungsfähigkeit ist bei A. u. St. weit beschränkter. Es folgt dies aus clem beschränkteren Lebenszweck der A. u. St.; er erschöpft sich meistens in einer einzelnen Aufgabe z. B. Krankenpflege, Stipendiengewährung. Die Vermögensverwaltung geht nicht über die Erhaltung und Mehrung des Vermögens nach den Grundsätzen vorsichtiger Wirtschaft und über die stiftungsgemäfse Verwendung der Erträgnisse hinaus. Die vom Stifter gegebenen Verwaltungsregeln sind zu beachten, soweit sie sich nicht dem Stiftungszweck schädlich erweisen7. IV. Die Verwaltung der A. und St. steht nach Gesetz oder Herkommen unter der Aufsicht der Staatsgewalt. Dies ist ein Bedürfnis, denn hier fehlt die natürliche Überwachung, wie sie bei den Korporationen durch die Mitglieder stattfindet. Nur bei Familienstiftungen sind die Mitglieder der Familie in ähnlicher Weise berufene Wächter; daher ist hier auch die Staatsaufsicht nicht üblich8. Im neuesten römischen Recht gab es zum Schutz gegen ungetreue Verwalter der Stiftungen eine Popularklage (C. 45 [46] § 6 i. f. de episc. 1,3). Dies hat sich bei uns nicht eingebürgert. Bei Familienstiftungen wird jedoch den Familiengliedern eine Civilklage zuerkannt 9. Darüber hinaus giebt es nur eine Beschwerde bei der Aufsichtsbehörde. 4
Seuff. IV 251 Ziff. 8 X X 181 X X I I I 170. Ausführlich B r i n z 1. A. S. 1127 fg. 2. A. § 452, Seuff. IV 107, 116. Über die strafrechtliche Verantwortung StGB. § 266. 6 Seuff. X X I I I 170. 7 Nach Analogie von L. 5 § 8, 9 L. 47 § 1 de adm. tut. 26, 7. Über die vom Stifter angeordneten Veräufserungsverbote B r i n z 1. A. S. 1103—1107, etwas abweichend in 2. A. § 450 N. 15, 16. 8 Gerber, Jher. Jahrb. I I S. 353. 9 Seuff. XXXV 300; G e r b e r a. a. 0. S. 363. Weiter geht J h e r i n g Geist I I I im Text nach N. 470. 5
Von den Personen.
Öffentliche und private Anstalten etc.
§ 91.
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V. Was die Rechtsstellung der Personen anlangt, denen der Genufs stiftungsmäfsig bestimmt ist (Genufssubjekte, Destinatare), so geht aus früherem hervor, dafs sie nicht Eigentümer des A.'s- oder St'sVermögens sind. Sie haben nicht einmal ein Recht auf Mitwirkung bei der Verwaltung. Selbst auf die Einräumung des Genusses steht ihnen ein klagbar zu verfolgendes Recht nur unter der zweifachen Voraussetzung zu, dafs nach den Stiftungsbestimmungen alle Personen in den Genufs eintreten sollen, welche die in der Stiftung angegebenen Merkmale an sich tragen, und dafs aus den angegebenen Merkmalen sich die Individualität der Genufssubjekte mit Bestimmtheit ergiebt. Diese Voraussetzungen treffen z. B. zu bei einer Stiftung zu Gunsten aller unverheirateten weiblichen Mitglieder der Familie N. In der Regel ist aber aus dem Kreis der stiftungsmäfsig berufenen Personen eine Auswahl zu treffen z. B. ein Stipendium an einen Studierenden der Rechtswissenschaft an der Universität X., oder die stiftungsmäfsige Bezeichnung ist so allgemein, dafs eine Entscheidung notwendig wird, welche Individuen darunter fallen z. B. Stiftung zur Unterstützung der Armen einer Stadt. In beiden Fällen fehlt ein Individualrecht 10.
§ 91. c. Öffentliche u n d private Anstalten u n d Stiftungen.
Mehr als der ehemals wichtige Gegensatz von milden Stiftungen und Stiftungen zu andern Zwecken spielt im heutigen Recht der Unterschied von öffentlichen und privaten A. und St. eine Rolle. Aber die Grenze zwischen beiden steht nicht fest. Der entscheidende Punkt liegt nicht schlechthin in der Beschaffenheit des Zwecks: die Reichsbank ist trotz ihres vermögensrechtlichen Zwecks eine öffentliche Anstalt 1 und eine Seelenmefsstiftung ist trotz ihres kirchlichen Zwecks privater Natur. Auch die Mitwirkung der öffentlichen Gewalt bei der Errichtung stempelt für sich allein die Anstalt nicht zur öffentlichen 2. 10 Individualrechte sind die Fürsorgerechte aus der Invaliditäts- und Altersversicherung. R o s i n , Recht der Arbeiterversicherung S. 440, 466 fg. Zum Ganzen R o t h , Jher. Jahrb. I S. 216; J h e r i n g Geist I I I §61; S t o b b e § 62 N. 14 A. M. S a v i g n y IV S. 433. Indes L. 2 pr. si quis ordo 38, 15: ut . . . et scierit et potuerit admitterc. Ferner L. 19 § 6 L. 55 de aed. ed. 21, 1 L. 15 § 5 quod vi 43, 24. Mit dem Text W ä c h t e r § 95 N. 5; W i n d s c h e i d § 104 N. 7; D e r n b u r g I § 90 N. 5; Seuff. XXIV 5, aber auch X 31.
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Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
nähme einer gerichtlichen Handlung, wenn nach der ordentlichen Berechnung das Ende auf einen Sonn- oder Feiertag fallen würde, erst am folgenden Werktag endigen l ß . Gerichtsferien begründen die Nichteinrechnung bei Fristen unter einem Jahr; das Gegenteil könnte zum völligen Ausschlufs der Handlung führen. Dagegen mufs bei Jahresfristen jeder die gesetzlich feststehenden Gerichtsferien in Rechnung ziehn 1 7 . Tritt das Hindernis im Lauf eines Tags ein, so wird er nicht gezählt, wenn dadurch die Geschäftszeit beschränkt wird 1 8 . 3. Einige Fristen, die ununterbrochene Zeiträume bilden, haben die Eigentümlichkeit, dafs ihr Lauf erst mit der Kenntnis des Handlungspflichtigen von dem die Handlung veranlassenden Umstand beginnt, z. B. die Frist für den Erwerb des beneficium inventarii. Hier schliefst auch die unentschuldbare Unkenntnis den Beginn aus 19 . 4. Bei Fristen, die in einem Rechtsgeschäft angeordnet sind, ist in Ermanglung ausdrücklicher Bestimmung nach der Natur des Geschäfts zu bemessen, ob für die Berechnung auf Hindernisse der Handlung und auf welche Rücksicht zu nehmen ist. Bei Verträgen gebieten Treu und Glauben eine billige Auslegung20.
§ 126. r
3. \ erjähruit£ und Befristung*. I. Unter der Bezeichnung Verjährung fafst der herrschende Sprachgebrauch Rechtseinrichtungen von sehr verschiedener Beschaffenheit zusammen. Sie lassen sich auf drei Gruppen zurückführen. 16
CPO. § 200 Abs. 2; StPO. § 42. Vgl. WO. Art. 41 a. E. 92 a. E. L. 1 de div. temp, praescr. 44, 3; Seuff. XXXVIII. 95 (keine Berücksichtigung bei der Verjährung der actio quanti minoris). 18 S a v i g n y IV S. 423 N. c. 19 C. 22 § 2 de jure delib. 6, 30. Ferner § 16 J. de excus. 1, 25 (Ablehnung der Vormundschaft). Die älteren Juristen sprachen hier von tempus utile ratione initii, continuum ratione cursus. Aber diese Bestimmung des Fristbeginns hat mit dem Gegensatz von tempus continuum und t. utile nichts zu thun. 20 Anerkannt für eine kurze Anspruchsfrist in Versicherungsverträgen. ROHG. V I I I Nr. 100 S. 408, RGE. X I X Nr. 26 S. 134. — Besondere Bestimmungen über die Erfüllung handels- und wechselrechtlicher Verbindlichkeiten in HGB. Art. 329 330, WO. Art. 92 für den Fall, dafs das Ende der Frist oder der Erfüllungszeitpunkt auf einen Sonn- oder allgemeinen Feiertag fällt. * De m e l i u s , Untersuchungen aus dem römischen Civilrecht I (1856); Graw e i n , Verjährung und gesetzliche Befristung (1880); S c h w a l b ach, Jher. Jahrb. X X Abh. 6 (1882). 17
Die juristischen Thatsachen.
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§ 1 .
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1. Es wird durch die längere Bethätigung des praktischen Inhalts eines Rechts das Recht selbst begründet. Das ist die E r s i t z u n g , nach moderner Bezeichnung praescriptio adquisitiva, rechtsbegründende oder erwerbende Verjährung. Eigentums- und Servitutenersitzung sind die wichtigsten Anwendungen. 2. Das positive Recht entzieht einem Rechte darum die Anerkennung, weil es längere Zeit hindurch nicht bethätigt worden ist. Das ist die V e r j ä h r u n g im engern Sinn, die erlöschende Verjährung, praescriptio extinctiva. Darunter fallen die Anspruchsverjährung und der Servitutenuntergang durch Nichtgebrauch. Eine Mittelstellung nimmt die usucapio libertatis ein, indem die blofse Unthätigkeit des Berechtigten zum Thatbestand nicht genügt. 8. Aus dem längern Bestehn eines thatsächlichen Zustands entspringt die Vermutung, dafs er dereinst rechtmäfsig entstanden ist. Das ist die u n v o r d e n k l i c h e V e r j ä h r u n g , praescriptio immemorialis. Der Grundgedanke aller Verjährungsanwendungen ist sehr allgemein : ein menschlicher Willkür unterworfener thatsächlicher Zustand gewinnt dadurch rechtliche Anerkennung, dafs er längere Zeit unangefochten bestanden hat. Für die beiden ersten Gruppen besteht die rechtliche Anerkennung darin, dafs sich der thatsächliche Zustand in den entsprechenden Rechtszustand verwandelt, für die letzte in der Abschneidung der Frage nach der Herkunft der Berechtigung. Dieser Zusammenhang ist ein zu loser, als dafs darauf eine gemeinsame Lehre von der Verjährung gebaut werden könnte1. Den Römern war der allgemeine Begriff unbekannt. Praescriptio bedeutet in den römischen Rechtsquellen nichts andres als exceptio; nur durch einen Beisatz wie temporalis, temporis, triginta etc annorum u. ä. bekommt das Wort eine Beziehung auf die Verjährung 2. Im Sinne von Verjährung wird praescriptio schlechthin zuerst von den Glossatoren gebraucht, dann im kanonischen Recht und in ganz allgemeiner Verwendung erst von den spätem Juristen. 1
Früher dachte man darüber anders. Noch im Jahre 1827 schrieb U n t e r h o l z n e r eine „Ausführliche Entwicklung der gesamten Verjährungslehre", neue Auflage von S c h i r m er 1858. Es ist das Verdienst von S a v i g n y IV § 178, das Unhaltbare der Verallgemeinerung nachgewiesen zu haben. Er spricht sich sogar gegen die Stellung der aufgeführten Erscheinungen unter die gemeinsame Bezeichnung Verjährung aus. Dies ohne Grund. W ä c h t e r § 92 N. 6; L e o n h a r d in Verhandl. des XVI. Deutschen Juristentags I S. 275. 2 Auch in den von F i t t i n g , Ζ. f. Rechtsgesch. X S. 337 und Z. d. Sav. St. Rom. Abt. IX S. 394 aus dem Altertum nachgewiesenen Anwendungen von praescribere im Sinn von verjähren fehlt diese Verbindung nicht, ζ. B. c. 5 de injur. 9, 35.
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Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
Die Verjährung hat keineswegs bei allen Rechtsverhältnissen eine Stätte, z. B. nicht im Familienrecht. Wo sie sich findet, beruht sie auf positiver Anordnung, weder der Erwerb durch längere Ausübung noch der Untergang durch längere Nichtausübung folgt bei irgend einem Recht aus dessen Natur. Es hat sogar auf den ersten Blick etwas befremdendes, dafs lediglich um cler Dauer eines thatsächlichen Zustands willen aus dem Nichtrecht ein Recht, aus dem Recht Nichtrecht werden soll. Indes kann keine Rechtsordnung der Verjährungvöllig entbehren. Auch fehlt es ihr in einem gewissen Umfang nicht an innerer Berechtigung. Die Verjährung dient im praktischen Erfolg vielfach nicht zur Änderung, sondern zur Sicherung und Befestigung eines rechtlichen Zustands3. Nun hängt der Wert eines Rechtszustands nicht blofs davon ab, dafs ein Recht erworben oder ein Anspruch getilgt ist; es kommt eben so sehr darauf an, dafs das Eine wie das Andere im Bestreitungsfall bewiesen werden kann. Die Beweisführung wird um so schwieriger, je weiter sie von dem die Rechtswirkung erzeugenden Vorgang zeitlich abliegt; sie wird schließlich zur Unmöglichkeit. Gegen diese Gefahr gewährt die Verjährung Schutz. Allerdings kann sie auch dem Nichtberechtigten gegen den Berechtigten zu gute kommen, allein dieser nicht beabsichtigte Erfolg ist der Preis für die Erreichung des immerhin überwiegend eintretenden beabsichtigten Erfolgs. Überdies hat derjenige, gegen den der Schutz seine Spitze kehrt, meistens in der Hand, durch rechtzeitige Geltendmachung seines Rechts der Verjährung zuvor zu kommen. Es kommt folgendes hinzu: Den menschlichen Interessen wohnt ein so starker Trieb zur Verwirklichung inne, dafs Eingriffe in eine fremde Rechtssphäre auf die Dauer von dem Berechtigten nicht geduldet und dafs zustehende Befugnisse in nicht zu langer Zeit geltend gemacht zu werden pflegen. Deshalb darf aus dem Mangel dor Bekämpfung jener Handlungen auf ihre Berechtigung, aus der fortgesetzten Unterlassung der Rechtsbethätigung auf den Untergang des Rechts geschlossen werden. So erscheint auch einem natürlichen Rechtsgefühl ein von Menschen begründeter unci längere Zeit unangefochtener Zustand schon wegen dieses Bestands unanfechtbar. II. Manchen Rechten ist sofort bei ihrer Entstehung ein zeitlich begrenztes Dasein beschieden. Das sind die befristeten Rechte. Die 3 Cicero pro Caecina c. 26: usucapio . . . est finis sollicitudinis ac periculi litium. L. 1 pr. cle usurp. 41, 3 : Bono publico usucapio introducta est, ne scilicet quarundam rerum diu et fere semper incerta dominia essent. L. 2 pr. de aqua 39, 3.
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Befristung kann beruhn auf Parteibeliebung (rechtsgeschäftliche Befristung) oder auf Rechtsvorschrift (gesetzliche Befristung) 4. Ebenso kommen Erwerbsmöglichkeiten mit zeitlicher Begrenzung vor (bonorum possessio, beneficium inventarii u. a.). Ein befristetes Recht und eine befristete Erwerbsmöglichkeit erlöschen mit Ablauf der Zeit. Hierin liegt die Ähnlichkeit mit der erlöschenden Verjährung (1, 2). Aber die Tilgungsursache ist bei ihnen nicht die Unterlassung der Rechtsbethätigung sondern der Ablauf der Zeit, auf die von vornherein die Wirkung des rechtlichen Thatbestands bemessen war, man kann sagen der Verbrauch der Lebenskraft. Auf das Verhalten des Berechtigten und des Verpflichteten kommt für den Eintritt des Untergangs nichts an, er kann weder durch die sorgfältigste Ausübung des Rechts, noch durch die Anerkennung des Verpflichteten abgewendet werden, es wirken der Rechtsbefristung gegenüber weder Hemmungs- noch Unterbrechungsgründe, die bei der Verjährung so einflufsreich sind (§ 184)5. Bei den Rechten, die durch einmalige Ausübung aufgebraucht werden, wie bei den meisten positiven Obligationen ist die Grenze zwischen Verjährung und Befristung schwerer zu erkennen als bei andern Rechten. Die Untersuchung mufs im Zweifelsfall darauf gerichtet werden, ob dem Wesen der konkreten zeitlichen Begrenzung und der Absicht ihres Urhebers die Anwendung der eigentümlichen Verjährungsgrundsätze entspricht. Dem Wort Verjährung kommt keine entscheidende Bedeutung zu 6 . III. Weder Verjährung noch Befristung liegt vor, wenn zu den Voraussetzungen einer rechtlichen Wirkung gehört, dafs eine Thatsache 4 Beisp.: Die persönlichen Dienstbarkeiten, die Gesellschafts- und Auftragsobligation, das Einlösungsrecht des Verpfänders beim Zuschlag der Pfandsache an den Gläubiger, das Urheberrecht an Schriftwerken u. s. w., die Patentrechte, das Recht auf Markenschutz u. a. Antiquiert Gai. I I I 121. 5 Nach preufsischem Recht wird bei der Verjährungsfrist der Monat als Zeitraum von 30 Tagen, bei andeun Fristen von Datum zu Datum berechnet. RGE. X V I I Nr. 48 S. 206 XXIV Nr. 40 S. 200. G r a w e i n a. a. 0. S. 79—206 untersucht eingehend den praktischen Unterschied zwischen Befristung und Verjährung und kommt zu elf Unterscheidungspunkten, die aber nicht sämtlich haltbar sind. Vgl. S c h w a l b a c h a. a. 0. S. 272 fg. und B e k k e r § 38 Beil. III. 6 Die Zeitlichkeit der römischen actiones temporales ist nach D e m e l i u s a. a. 0. eine Rechtsbefristung im Gegensatz zur Theodosianischen Klageverjährung. Die Wechsel Verjährung (WO. Art. 77—80, 100) fafst Grawe i n a. a. 0. als Rechtsbefristung im Gegensatz zur deutschen Gerichtspraxis RGE. X X V I I Nr. 18 S. 78 u. Nachw. Die vertragsmäfsige Frist für die Geltendmachung eines Anspruchs aus Versicherungsverträgen ist keine Verjährung ROHG. V I I I Nr. 100 S. 409. Vglauch Bd. V Nr. 42 S. 186; RGE. IX Nr. 5 S. 33. Grawe i n S. 131 fg.
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über eine bestimmte Zeit zurückliegt oder nicht zurückliegt. So können nach Reichsrecht die Gläubiger gewisse vermögensrechtliche Verfügungen des Schuldners anfechten, wenn eine solche Verfügung innerhalb einer bestimmten Zeit von der Konkurseröffnung oder Rechtshängigkeit des Anfechtungsanspruchs rückwärts gerechnet stattgefunden hat 7 . Wie wenig hier der Gesichtspunkt der Verjährung oder Befristung zutrifft, erhellt daraus, dafs das konkursrechtliche Anfechtungsrecht während des mafsgebenden Zeitraums noch nicht entstanden ist. Gleiche Natur hat die Frist bei der exceptio non numeratae pecuniae. § 127. 4. Die unvordenkliche Verjährung*. Von der Regel, dafs die Anwendung des Verjährungsgedankens bei jedem Rechtsinstitut eine besondere Gestalt annimmt (§ 126 I), macht die unvordenkliche Verjährung eine Ausnahme. Sie erfafst zwar nicht alle Rechtsverhältnisse, aber doch eine gröfsere Zahl und erfafst sie in gleicher Art. Darum ist von ihr unter den allgemeinen Lehren zu handeln. Die unvordenkliche V. tritt auch dadurch zu allen andern Verjährungsarten in Gegensatz, dafs sie nicht auf eine feste Zeit (von 1, 3, 10 oder wieviel Jahren) eingegrenzt ist. Die Neueren nennen sie praescriptio indefinita oder immemorialis. Vereinzelte Anwendungen weisen schon die römischen Rechtsquellen auf (vetustas, cuius memoria non exstat oder cuius origo memoriam excessit). Weitere finden sich im kanonischen Recht und in den alten Reichsgesetzen, wie im altern deutschen Recht1. Seine Aus7
KKO. § 23—25; RG. v. 21. Juli 1879 über die Anfechtung von Rechtshandlungen eines Schuldners aufserhalb des Konkurses § 3, 4. RGE. X V I I Nr. 17 S. 71. K r a s n o p o l s k i , Das Anfechtungsrecht der Gläubiger S. 20. * U n t e r h o l z n e r , Verjährungslehre I § 140—150(1828, 2. Aufl. v. S c h i r m e r 1858); P f e i f f e r , Prakt. Ausführungen I I Abh. 1 V I I Nr. 8 (1828, 1844); S c h e l l i n g , Die Lehre von der unvordenklichen Verjährung (1835); A r n d t s , Beiträge I Nr. 3 (1837, Ges. Schriften I S. 77—99); S a v i g n y IV § 195—201 (1841); B u c h k a , Der unvordenkliche Besitz (1841); F r i e d l ä n d e r , Die Lehre von der unvordenklichen Zeit (1843); B u r c k h a r d , Die actio aquae pluv. arc. (Glück, Komm. Ser. 39, 40 dritter Teil) S. 362—378 (1881); Gutachten von S t r o h a l , L e o n h a r d und Pan η in Verh. des XVI. Deutschen Jur.-Tags I S. 117 fg., 241 fg., 310 fg. 1 L. 1 § ult. L. 2 pr. L. 26 de aqua 39, 3 L. 3 pr. de loc. et itin. publ. 43, 7 L. 3 § 4 de aqua cott. 43, 20 — Cap. 21, 26 X de V. S. 5, 40 cap. 1 in VIo de praescr. 2, 13 - Reichsabschiede von 1548 § 56, 59, 63, 64 und von 1576
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bildung verdankt das Institut der Theorie und Praxis des gemeinen Rechts. Hieraus erklärt sich zum Teil die wenig feste Gestalt. Aber eine gewisse Unbestimmtheit ist im Wesen der Sache begründet, wie bei der verwandten Erscheinung auf dem Gebiet der Rechtsnormenerzeugung, bei der Gewohnheitsrechtsbildung. I. Ein Zustand heifst unvordenklich, wenn er so lange besteht, dafs sein Anfang sich in das Dunkel der Vergangenheit verliert, also über Menschengedenken hinausliegt. Eine so lange Dauer rechtfertigt die Annahme, dafs der Zustand dereinst rechtmäfsig entstanden sei. Denn wäre er es nicht, so würde er aller Erfahrung nach inzwischen der Anfechtung unterlegen sein. Hieraus ergiebt sich die rechtliche Bedeutung der Unvordenklichkeit: sie ersetzt den Beweis der rechtmäfsigen Entstehung; anders ausgedrückt: sie bezeugt den Rechtszustand. Sie bezeugt den Rechtszustand, sie erzeugt ihn nicht. Darin liegt ein weiterer Unterschied von den andern Verjährungsarten. Ersitzung, Anspruchsverjährung u. s. w. sind Erwerbs- bezw. Erlöschungsgründe der Rechte, die unvordenkliche V. setzt einen Erwerbsbezw. Erlöschungsgrund voraus und stellt nur aufser Zweifel, dafs ein solcher da sei. Die Ersitzung bildet einen Klaggrund, nicht die unvordenkliche V. Zwar fehlt es nicht an Stimmen, welche für die unvordenkliche V. die Wirkung der Rechtserzeugung in Anspruch nehmen2. Sie haben aber die Beschaffenheit der Voraussetzungen und die geschichtliche Entwicklung gegen sich3. Der Unterschied der Auffassungen ist übrigens nicht blofs von theoretischer Bedeutung. Vom Standpunkt der Rechtserzeugung ergiebt die Unvordenklichkeit nur das Dasein des Rechts von der Zeit an, da ihre Voraussetzungen erfüllt sind. Nach der Rechtsbezeugungstheorie spricht die Unvordenklichkeit für das Dasein des Rechts auch in der Vergangenheit und giebt den hieraus abgeleiteten Ansprüchen eine Stütze4. Nach § 104, 105 — über die Belege aus dem altern deutschen Recht B u c h k a a. a. 0. S. 3 fg. Ob die Wurzeln des heutigen Instituts im römischen oder im deutschen Recht zu suchen sind, ist streitig. Für jenes S a v i g n y , P f e i f f e r , für dieses B u c h k a , S t o b b e § 69 N. 7. Die letztere Ansicht verdient den Vorzug. 2 P f e i f f e r I I S. 80 V I I S. 232 fg.; L e o n h a r d S.272 N. 1; W i n d s c h e i d § 113 N. 4 u. a. 3 L. 3 § 4 de aqua cott. 43, 20 : Ductus aquae, cuius origo memoriam excessit, jure constituti loco habetur. Dieselbe Auffassung weist für die deutschen Rechtsquellen S t o b b e § 69 I nach. Die Rechtsbezeugungstheorie ist jetzt in Theorie und Praxis herrschend. S a v i g n y § 201; A r n d t s a. a. 0.} B r i n z § 164 N. 14 bis 23; D e r n b u r g I § 160; B e k k e r § 39 Beil. I I ; Seuff. X X V I I I 197 (mit Nachweisen), 198, 247 Note 7 X X X I 12. 4 B e k k e r S 39 Beil. I I ; A. M. H o l d e r P. S. 197. B i n d i n g , Handbuch. I. 7. I : Regel.s b e r g e r , Pand. I.
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der andern Theorie mufs der fragliche Zustand bis in die Gegenwart hereinreichen und giebt es keinen Abschlufs in der Vergangenheit5, mufs ferner ein neues Gesetz, das die Unvordenklichkeit aufhebt, auf alle jetzt zur Entscheidung kommenden Fälle Anwendung finden 6. Für beide Fragen gelangt man vom Standpunkt der Rechtserzeugung zu einer andern Entscheidung. Man hat die Wirkung der Unvordenklichkeit eine Vermutung genannt, die den Gegenbeweis zulasse. Das beruht auf einer Verwechslung. Die Unvordenklichkeit ist eine Thatsache. Als solche unterliegt sie im Prozefs der Bestreitung und Beweisführung. In der Beweisführung kann gegenüber dem Nachweis des Daseins der Nachweis des Nichtdaseins unternommen werden. Erkennt der Richter auf Grund der Beweisführung das Dasein der Unvordenklichkeit an, so ist sie festgestellt und für einen weiteren Gegenbeweis kein Raum. Nicht blofs die Entstehung, sondern auch der Untergang und die Umwandlung eines Rechts können durch die Unvordenklichkeit bezeugt werden 7. II. Der Anfang eines Zustands liegt über Menschengedenken hinaus heifst: das Andenken an den Anfang hat sich bei den jetzt Lebenden nicht erhalten. Im Bestreitungsfall ist daher zu beweisen, dafs das jetzige Geschlecht den Anfang und ein Anderssein des Zustands weder aus eigner Wahrnehmung noch aus Mitteilung ihrer Vorfahren kennt 8 . Die Unvordenklichkeit ist ausgeschlossen, sobald für den fraglichen Zustand ein bestimmter Anfang, gleichviel aus welcher Zeit, nachgewiesen ist. Aber es mufs der Anfang dieses Zustands, nicht blofs eines Zustands dieser Art nachgewiesen sein. Der Zusammenhang wird um so fraglicher, je weiter die nachgewiesene Entstehung zeitlich abliegt. Unerheblich ist der Beweis, dafs zu irgend einer Zeit ein andrer Zustand gewesen sei, denn dies ist ohnehin gewifs. Der Zustand mufs sich ferner aus dem Beweisstoff als ein ununterbrochener ergeben9. 15
Nur die Änderung, welche die Klage hervorgerufen hat, kommt nicht in Betracht. Seuff X X I I I 208 X X X I 309 X X X V I I 130. Α. M. X I 12 X X I I I 209 X X X I 12 XXXV 185; P f e i f f e r I I S. 23; B e k k e r §39 Beil.IVa.E. Unbestimmt Seuff. X X X I I I 198. 6 Kann man sich auf unvordenkliche V. berufen, wenn ein neues Gesetz die E n t s t e h u n g von Rechten der fraglichen Art (z. B. von Weiderechten) aufgehoben hat? Verneint Seuff. X X V I I I 198. 7 Seuff. I 171 V 55 X 192 X I X 16 XX 154 X X I I 13 XXX 255 X L I 280; G i e r k e , Genoss.-Theorie S. 833 N. 1 — Seuff. V 113 IX 120 X X I I I 155. 8 L. 28 de probat. 22, 3; Seuff. I 172 X I 12 XIV 9 X X 12. 9 Blofsen Protestationen, Ladungen, selbst der Einleitung eines Prozesses über die Rechtmäfsigkeit kommt die Bedeutung einer Unterbrechung nicht zu.
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Der Beweis der Unvordenklichkeit kann durch Zeugen, durch Urkunden und selbst durch E i d 1 0 geführt werden. Dafs sich die Aussagen der Zeugen, um erheblich zu sein, über einen längern Zeitraum eigner Wahrnehmung verbreiten müssen, liegt in der Natur der Sache. Die herrschende Meinung fordert dafür ein Menschenalter und rechnet es zu 40 Jahren. Sie stellt die gleiche Forderung für die Erinnerung des vorhergehenden Geschlechts und gelangt so zu dem Satz: ein Zustand ist unvordenklich, wenn sein Anfang nicht in die letzten zwei Menschenalter fällt. Damit wird die unvordenkliche Verjährung zu einer bestimmten Verjährung von 80 Jahren 11 . Diese Einschnürung steht mit dem Wesen der Unvordenklichkeit im Widerspruch. III. Die unvordenkliche V. vermag nur solchen Zuständen Deckung zu gewähren, die ihrer Art nach unter Rechtsschutz stehn können 1 2 , ihrer äufsern Erscheinung nach auf das Dasein oder Nichtdasein eines Rechts hinweisen und einem Rechte entsprechen, das seiner Natur nach eine unvordenkliche Übung zuläfst. Ein Schlufs auf das Dasein eines Rechtszustands verbietet sich da, wo jemand gehabt, gethan, genossen oder unterlassen hat, was er ohne jedes Recht und ohne Verletzung-Peines Rechts haben, thun, geniefsen oder unterlassen konnte, von den Neueren res merae facultatis genannt: wenn z. B. seit unvordenklicher Zeit das Wasser vom obern Grundstück auf das untere im natürlichen Gerinne, nicht in einer besonders hergestellten Leitung geflossen ist, oder wenn das Wasser eines öffentlichen Flusses allein von den Eigentümern eines bestimmten Grundstücks benützt wurde 13 . Wo der Zustand oder die Ausübungshandlungen äufserlich den Eindruck einer Rechtsausübung machen, brauchen besondere diesen Charakter bestätigende Umstände nicht
Seuff. IX 252, RGE. X X I I Nr. 38 S. 188 XXIV Nr. 31 S. 168. Vgl. auch Seuff. X 232 X X X I 112. 10 Richtig gefafst enthält der Schwursatz kein Urteil, sondern die Bekundung einer Thatsache und steht daher mit CPO. § 410 nicht in Widerspruch. Die Ausführung in Seuff. X X V I 106 trifft noch heute zu. 11 Deutlich tritt dies in Seuff. XX 12 und RGE. X X I I Nr. 38 S. 188 fg. heraus. Vgl. S t r o h a l a. a. 0. S. 129 fg.; L e o n h a r d S. 297. 12 Keine unvordenkliche V. gegen ein Verbotsgesetz. Seuff. V I I 146 X 131 XXX 107. Wohl aber gegen ein Regal RGE. XXIV Nr. 31 S. 166. 13 Seuff. I 5, 183 X 261 (2. Erk.) X V I I I 116 XIX 118 XX 102 X X I 12 X X I I 11 XXIV 10 X X V I 255 X X X I 107 X X X I I 209 X X X I I I 2 X X X V I 95, 182, RGE. V I I I Nr. 34 S. 136 X V I I Nr. 29 S. 121; B u r c k h a r d a. a. 0. S. 244. 30*
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erwiesen zu werden. Besitz im wahren Sinn ist kein Erfordernis. Bittweise Gestattung schliefst die Rechtsnatur aus 14 . Ihrer Natur nach entziehn sich der unvordenklichen V. die rein persönlichen Verhältnisse, mit Ausnahme der Adelseigenschaft, die Familienverhältnisse, die nicht auf ständig wiederkehrende Leistungen gerichteten Obligationen15, nicht aber Vertretungsrechte, wenn sich auch dabei der Beweis schwierig gestaltet16. Die von Einigen versuchte Beschränkung auf Rechtsverhältnisse, die ihrer Natur und Entstehung nach „publicistisch" sind (Gemeingebrauch, Wasserablauf u. ä.) 1 7 , hat so wenig Anklang gefunden, als die behauptete Ausschliefsung aller Rechtsverhältnisse, für die eine Verjährung in bestimmter Zeit besteht18. IV. Die neueren Civilgesetzbücher (von Preufsen, Österreich, Frankreich, Sachsen) haben die unvordenkliche V. ausgeschlossen. Dies entspricht dem Zug nach möglichst scharfen Umrissen der juristischen Thatbestände. Allein das ungewönlich reiche Material, das die Sammlungen gerichtlicher Entscheidungen für das Institut bieten, legt dafür Zeugnis ab, dafs es einem praktischen Bedürfnis entgegen kommt. Dieses Bedürfnis wird durch die freie Beweiswürdigung nicht vollkommen gedeckt, und es dürfte sich unter dieser Flagge die unvordenkliche V. einschmuggeln, wenn ihr der offene Zutritt verwehrt wird.
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Irrtum und Nichtwissen *.
Ob eine Person von einem Umstand die richtige oder eine falsche oder gar keine Vorstellung hat oder hatte, kann in verschiedner Be14
S. 165.
Seuff. XIX 16 X X I I 14 X X X 3 X L I 180 X L I V 244, RGE. X X I V Nr. 31
15 Anwendung auf Obligationen: Seuff. V I I 5, 269 X I I I 127 X V I 5 X V I I I 116 X I X 104 X X X 3 XXXV 48. Ablehnend I 183. Dazu S t r o h a l a. a. 0. S. 125 und L e o n h a r d S. 263 fg., 288 fg. 16 A. M. L e o n h a r d a. a. 0., vgl. aber Seuff. XXV 8 (ausschliefsliche Gastgerechtigkeit) X L I I I 199 (ausschliefsliche Steingewinnung). 17 S a v i g n y IV S. 484 fg.; Seuff. XIV 112. Dagegen Seuff. V 250 V I 144 IX 120 X V I 173 X I X 120 X X V I I I 8. 18 Anwendung auf Servituten Seuff. I 169 V 250 XX 12; auf Reallasten XIV 272 XX 154 XXX 256 X X X I I I 119; auf das Eigentum VI 144 XXXV 185. * Tit. de juris et facti ignorantia Dig. X X I I 6 Cod. I 18. — S a v i g n y I I I Beil. V I I I (der Ausgangspunkt aller spätem Untersuchungen), dazu B e k k e r , Krit. VJSchr. I I I S. 187-201 (1861); V o i g t , Civ. Arch. L U I Abh. 16 LIV Abh. 2, 10 (1870, 1871); H o l d e r , Krit. VJSchr. XIV S. 561—583 (1872); Hesse, Jher.
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Ziehung von rechtlicher Bedeutung sein: vor allem für die Wirkung ihrer Handlungen, dann in Verhältnissen, die sich einem einheitlichen Gesichtspunkt nicht unterordnen (Lauf einer Frist, Ersitzung, Fruchterwerb, Rückforderung nichtgeschuldeter Zahlung u. a.). Die allgemeinen Grundzüge sind daher hier zu erörtern. I. Irrtum begreift im weiteren Sinne jeden Mangel richtiger Vorstellung von einem Umstand. Dieser Mangel kann bestehen in einer nicht richtigen Vorstellung (Urteil), Falschwissen oder Irrtum i. e. S., error, oder im Nichtwissen eines Umstands, wobei jede Vorstellung von ihm fehlt, Unkenntnis oder Unwissenheit (in Beziehung auf einen Umstand), ignorantia. Wer von der Verpfändung des Hauses Nr. 20 gehört hat, aber glaubt, diese Nummer führe das Haus seines Nachbars, während sie die Nummer seines Hauses ist, befindet sich im Irrtum i. e. S. Wer nicht erfahren hat, dafs das Haus Nr. 20 verpfändet wurde, befindet sich in Unkenntnis. Das Nichtwissen, ein vacuum, gewinnt dadurch Bedeutung, dafs das praktische Verhalten des Nichtwissenden ein andres wird als es bei Kenntnis des Umstands sein würde. Das Nichtwissen wird insofern zum Grund seines praktischen Verhaltens z. B. für die Unterlassung eines Einspruchs gegen die Verpfändung 1. Irrtum und Unwissenheit treffen in dem negativen Moment, Mangel des richtigen Bewufstseins zusammen. Sie unterliegen auch in den meisten Fällen derselben rechtlichen Behandlung2. Im folgenden wird unter Irrtum das Nichtwissen mitgefafst. II. Nicht überall ist von rechtlicher Bedeutung, dafs eine Person, auf die sich ein Rechtsvorgang bezieht, von einem damit im Zusammenhang stehenden Umstand nicht das richtige Bewufstsein hatte. Der Kauf eines Buchs ist z. B. vollkommen gültig, trotzdem dafs ich ihn in der falschen Vorstellung geschlossen habe, mein bisheriges Exemplar verloren zu haben. Die Fälle, in denen der Irrtum rechtlich erheblich ist, lassen sich auf zwei Gruppen zurückführen 3. Jahrb. XV Abh. 2, 4 (1877); Z i t e l m a n n , Irrtum und Rechtsgeschäft (1879) besonders S. 319 fg.; auf S. 6—14 ein guter Uberblick über die Bewegung der Forschung von Savigny an. 1 Z i t e l m a n n S. 323 fg. 2 Nicht in allen ; es ist z. B. zur Ersitzung die positive Überzeugung erforderlich, durch die Aneignung der Sache niemand materiell Unrecht zu thun, es genügt nicht die Unkenntnis vom Hindernis des Eigentumsübergangs. Zu weit geht S a v i g n y I I I S. 326, wogegen mit Recht D e r n b u r g , Preufs. PR. I § 108 N. 2 u. Pand. I § 87 N. 2; L e o n h a r d , Irrtum bei nichtigen Verträgen S. 530 fg. 3 Hiezu Z i t e l m a n n S. 343 fg.
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1. Manche Rechtsfolgen sind durch das Dasein eines Irrtunis bedingt, der Irrtum wirkt p o s i t i v (Anspruch auf Herausgabe einer nichtgeschuldeten Zahlung, ädilizische Ansprüche beim Kauf, Ersitzung, Fruchtgewinn u. a.). 2. Wo der Eintritt einer Rechtsfolge durch das Wissen eines Umstands bedingt ist, schliefst der Irrtum über diesen Umstand die Rechtsfolge aus. Der Irrtum wirkt hier n e g a t i v . So überall wo dolus oder mala fides zum Thatbestand einer Rechtsfolge gehören, ferner wo Kenntnis von einem Umstand den Lauf einer Frist oder die Anfechtbarkeit eines Rechts bedingt4. III. In seiner positiven Wirkung bringt der Irrtum dem Irrenden immer Vorteil, in der negativen meistens5. Dort führt er ihm einen Erwerb oder die Befreiung von einer Last zu, hier schützt er ihn vor einem Nachteil. Die vorteilhafte Wirkung ist aber regelmäfsig durch die Entschuldbarkeit des Irrtums bedingt6. Nur zum Ausschlufs des rechtswidrigen Bewufstseins als Thatbestandsmoments genügt jeder Irrtum 7 , ebenso ist die Berücksichtigung des absichtlich erzeugten Geschäftsirrtums von seiner Beschaffenheit unabhängig (§ 146 N. 6). Entschuldbar ist der Irrtum, der nicht auf Nachlässigkeit beruht 8. 4
L. 3 pr. ad SCm. Mac. 14, 6 L. 6 ad SCm. Veil. 16, 1 u. a. Anders L. 20 quib. mod. ususfr. 7, 4 L. 15, 16, 19, 23, 32, 34 A. v. 0. H. 29, 2 u. a. 6 Zahlreiche Anwendungen ergeben diese Regel. Gai. I I I 160 Paul. I, 7 § 2 L. 76 § 1 R. V. 6, 1 L. 3 pr. L. 19 ad SCm. Mac. 14, 6 L. 11, 17 pr. ad SCm. Veil. 16, 1 L. 15 § 1 C. E. 18, 1 L. 14 § 10 L. 55 de aed. ed. 21, 1 L. 25 pr. i. f. de probat. 22, 3 L. 44 pr. § 4 de usurp. 41, 3 L. 7 § 2 pro emtore 41, 4 L. 5 pro suo 41, 10 L. 1 § 17 de separ. 42, 6 L. 42 R. J. 50, 17 C. 5 de peric. tut. 5, 38. 7 § 1 J. vi bon. rapt. 4, 2 L. 25 § 3, 6 i. f. H. Ρ. 5, 3 L. 16 § 1 de pign. act. 13, 7. Aber selbst hier strenger L. 3 § 7 L. 4 quod vi 43, 24. Und die Unkenntnis des Strafgesetzes? Sehr bestritten. Die Frage hat für das Civilrecht kaum Bedeutung. S a v i g n y I I I S. 389 fg.; P e r n i c e , Labeo I I S. 51 fg. Für das Strafrecht L i s z t , Lehrb. d. Strafr. § 38 N. 19-26. 8 In den Quellen wird zuweilen starke Nachlässigkeit gefordert: supina crassa summa dissoluta negligentia, vana simplicitas, justissima ignorantia (L. 3 pr. ad SCm. Mac. 14, 6 L. 15 § 1 C. E. 18, 1 L. 55 de aed. ed. 21, 1 L. 6, 9 § 2 h. t. L. 1 § 17 de separ. 42, 6; dazu L. 11 § 11 de relig. 11, 1). Andrerseits wird dem Wissen schlechthin das Wissenkönnen und Wissensollen gleichgestellt (L. 19 ad SCm. Mac. 14, 6 L. 14 § 10 de aed. ed. 21, 1 L. 7 § 2 pro emtore 41, 4) und nur eine diligens, keine scrupulosa inquisitio, keine delatoria curiositas verlangt (L 6 § 2 h. t. vgl. L. 44 § 4 de usurp. 41, 3). Darum darf man nicht mit S a v i g n y I I I S. 333 die Unentschuldbarkeit auf grobe Nachlässigkeit einschränken. RG. VI Nr. 4 S. 18 Nr. 82 S. 302 V I I Nr. 1 S. 3. 6
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IV. Die römischen Juristen stellten die Regel auf: der Irrtum über Thatsachen, error facti, ist entschuldbar, der Irrtum über Rechtsvorschriften, error juris, ist unentschuldbar9. Die Regel ist nicht glücklich gefafst. Dafs jeder Irrtum über Thatsachen entschuldbar ist, widerspricht der Erfahrung ; nicht einmal eine Vermutung streitet dafür. Selbst für den Rechtsirrtum erleidet die Regel erhebliche Einschränkung. Sie geht von der Anschauung aus, dafs die Kenntnis der Rechtssätze jedermann zugänglich ist und mindestens durch Einholung von Rechtsbelehrung gewonnen werden kann. Aber nicht alle Rechtsvorschriften sind sicher und unzweideutig. Wer bei einem mehrdeutigen Rechtssatz einer Auslegung folgt, für die beachtenswerte Gründe sprechen, die insonderheit von anerkannten Autoritäten vertreten wird, kann gpwifs einer Nachlässigkeit nicht geziehen werden. Die Kenntnis von ausländischem Recht, von partikulären Gewohnheitsrechten und von Statuten, die nicht einmal vom Richter gefordert wird, darf um so weniger bei Nichtjuristen vorausgesetzt werden. Daher behandelt auch die römische Jurisprudenz die Regel von der Unentschuldbarkeit des Rechtsirrtums nicht als unbedingt gültig 10 . Unter diesen Umständen verliert die Streitfrage an Bedeutung, ob der sogenannte Subsumtionsirrtum d. h. die irrtümliche Anwendung des Rechts auf ein Verhältnis dem Thatsachen- oder dem Rechtsirrtum angehört. Ist die Findung des richtigen Urteils mit grofsen Schwierigkeiten verknüpft, so erscheint der Mifsgriff als entschuldbar. Der Irrtum über Rechtsbefugnisse und über rechtliche Eigenschaften ist Rechts- oder Thatsachenirrtum, je nachdem er sich auf die thatsächliche Grundlage oder auf den Rechtssatz bezieht. Selbst wo der Rechtsirrtum nach der Sachlage als unentschuldbar erscheint, soll er gewissen Klassen von Personen nachgesehn werden, am umfassendsten den Minderjährigen 11, in einigen Fällen den Frauen, den Soldaten, den Ungebildeten12. 9
L. 2, 4, 8, 9 pr. L. 29 § 1 h. t. L. 9 § 3 h. t. (Die Schlufsworte: quod raro accipiendum est, geben einer thatsächlichen Erfahrung ohne bindenden Charakter Ausdruck S a v i g n y I I I S . 335 k) L. 10 de bon. poss. 37, 1 L. 2 § ult. quis ordo 38, 15 und die Anwendungen der Regel in L. 1 § 1—4 L. 9 § 1, 5 h. t. L. 48 pr. de fidej. 46, 1. Seuff. X X V I I I 9 XXXIV 96 X L I V 3. 11 L. 9 pr. § 2 h. t. C. 11 h. t. Über den Umfang ist Streit. S a v i g n y I I I S. 430 fg. fafst die Vergünstigung als allgemeine Regel, während sie W ä c h t e r , Pand. I S. 355 auf den Erwerb der Wiedereinsetzung beschränkt. Für die letztere Ansicht spricht L. 31 pr. de usurp. 41, 3. 12 C. 13 h. t. C. 9 ad SCm. Veil. 4, 29 — L. 9 § 1 h. t. C. 22 pr. § 15 de jure delib. 6, 30 — C. 8 qui admitti 6, 9; Seuff. V I I I 140, 141 I X 232 X V 173 X X I I 149, aber auch XIX 91. 10
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Erstes Buch.
Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
V. Bei der Frage, ob in einem Fall der Irrtum entschuldbar ist, müssen die gesamten Umstände erwogen werden (RGE. VI Nr. 4 S. 21 fg.). Ein Erwägungsmoment bildet auch der Umstand, ob der Irrtum geltend gemacht wird, um einen Verlust abzuwenden oder um eine Vermögensmehrung in Sicherheit zu bringen. Dort wird man geneigt sein, einen weniger strengen Mafsstab anzulegen als hier. Von diesem Standpunkt gewinnen zwei Stellen Papinians ihre Beleuchtung. Der Jurist sagt: Der Rechtsirrtum schade, wenn sich jemand für den Erwerb eines Rechts darauf beruft, nicht aber wenn zur Abwendung eines Verlusts 13 . Hierin ist keine durchgreifende Regel enthalten, wie schon der Ausschlufs der condictio indebiti durch Rechtsirrtum zeigt 14 .
II.
Die juristischen Handlungen. § 129.
A.
Begriff
und Arten *.
Unter den juristischen Thatsachen stehen die Handlungen an Bedeutung oben an. Sie sind jetzt nach ihren allgemeinen Merkmalen zu schildern. I. Die Handlung ist ein durch bewufsten Willensakt hervorgebrachtes körperliches Verhalten (§ 57). Handlung ist demnach 1. nur das bewufst gewollte Verhalten, nicht das von aufsen aufgezwungene, wozu auch der Empfang einer Mitteilung gehört 1, nicht die unwillkürliche oder Reflexbewegung; 2. nur der äufserlich wahrnehmbar gewordene, zum „Ausdruck" gelangte Willensentschlufs. Der blofse Gedanke ist keine Handlung und überhaupt rechtlich bedeutungslos2. 13 L. 7, 8 h. t. Die Ausdrücke werden in der Regel zu formalistisch behandelt und entweder als bindende Normen hingenommen oder schlechthin verworfen. Richtig B r u n s , Das Wesen der bona fides S. 22, 104, 121. 14 L. 9 § 5 h. t. C. 6, 10 h. t. C. 6, 7 de cond. indeb. 4, 5. * T h o n , Rechtsnorm und subjektives Recht (1878) S. 325 fg.; Z i t e l m a n n Irrtum und Rechtsgeschäft (1879) S. 29 fg., 229 fg.; dazu B e k k e r , Krit. VJSchr'. X X I I S. 42 fg.; A. M e r k e l , Jurist. Encyklopädie (1885) § 206—243; P i n i n s k i , Thatbestand des Sachbesitzerwerbs I I S. 282 fg. (1888). 1 L. 209 i. f. V. S. 50, 16: Scire, non etiam velle is debet: nam et invito recte fit, quod jussum est (sc. coram Titio aliquid facere). 2 L. 18 de poenis 48, 19: Cogitationis poenam nemo patitur (Gedanken sind zollfrei). Propositum in C. 5 de inoff. test. 3, 28 ist nicht das im Innern gebliebene sondern das nicht vollkommen ausgeführte Vorhaben.
Die juristischen Thatsachen.
Die juristischen Handlungen.
§ 1 .
473
Der Wille kann in Wort oder Werk an die Aufsenwelt gebracht, „geäufsert" werden; daher W i l l e n s ä u f s e r u n g . Meistens wird die Äuiserung geschehen, um Andern den Willen kund zu thun, „klar zu machen". Das ist die W i l l e n s e r k l ä r u n g . Der Wille kann aber auch in Handlungen Ausdruck finden, die zur Herstellung des gewollten realen Erfolgs dienen z. B. Ergreifen einer Sache behufs Aneignung, Ausführung eines brieflich erhaltenen Auftrags. Das sind die r e a l e n W i l l e n s ä u f s e r u n g eil 3 . II. Zur juristischen Handlung wird die Willensbethätigung, indem das positive Recht mit ihr eine Rechtsfolge verknüpft und zwar darum, weil die gewollte That eines Menschen vorliegt. Die Vernichtung einer Sache durch den Eigentümer ist, obwohl sie den Verlust des Eigentumsrechts herbeiführt, keine juristische Handlung, da sich dieser Rechtserfolg an den gleichviel wie und durch wen verursachten Untergang der Sache anschliefst. Und so überall, wo zum Thatbestand der Rechtsfolge nur der reale Erfolg als solcher gehört wie Bauen, Pflanzen Säen, Vermischen von gewissen Sachen u. a. 4 . Dafs auch eine Unterlassung Handlung und selbst eine juristische Handlung sein kann, darf man nicht verneinen. Wenn ich absichtlich auf eine an mich gerichtete Frage nicht antworte oder absichtlich einen Andern am Gehn über mein Grundstück nicht hindere, so ist mein Verhalten Ergebnis und Ausdruck meines darauf gerichteten Willens, verwirklichtes Wollen des Nichtthuns, also Handlung5. Ist nun gerade an solches absichtliche Nichtthun eine Rechtsfolge geknüpft, so hat die konkrete absichtliche Unterlassung die Natur einer juristischen Handlung. Indes ist nicht überall eine Unterlassungshandlung gefordert, wo das Recht mit einer Unterlassung eine Rechtsfolge verbindet. Vielfach genügt entweder a. die nackte Thatsache des Nichtgeschehens ohne Rücksicht auf den Grund des Unterbleibens, so beim Nichtgebrauch als Endigungsgrund der Servituten, oder 3
Der herrschende juristische Sprachgebrauch nimmt Willensäufserung und Willenserklärung gleichbedeutend. Die Unterscheidung im Text, auf die vor Allen B r i n z 1. A. S. 1555 hingewiesen hat, trägt zur Klärung der Begriffe bei. E i s e l e , Krit. VJSchr. XX S. 18fg.; E n n e c c e r u s , Rechtsgeschäft S. 57, auch 55 N. 1; B e k k e r § 82 e—g; H o l d e r § 41. 4 T h o n , S. 370; K o h l e r , Grünhuts Z. X I I I S. 287fg.; B e k k e r § 82 Beil. I I B. 6 B i n d i n g , Normen I I S. 250: „künstlich und absichtlich zurückgestautes Thun"; S i g w a r t , Kleine Schriften I I S. 125, 163, 191.
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Erstes Buch.
Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
b. ein Nichtthun, das zwar nur rechtlich erheblich wird, wenn der Unthätige die zum Thun auffordernden Umstände kennt und nicht eingreift, obwohl er eingreifen könnte, aber ohne dafs sein Verhalten auf absichtlicher Unterdrückung der entgegengesetzten Willensregung zu beruhen braucht, mithin das willenlose Nichtthun des Wissenden und Könnenden6. Dieser Thatbestand nähert sich der Unterlassungshandlung. Es ist auch bei beiden der Eintritt der Rechtsfolge durch die Handlungsfähigkeit der in Frage stehenden Person bedingt7. In vielen Fällen wird das Nichtthun des Wissenden und Könnenden als Willenskundgebung ausgelegt werden (stillschweigende Willensäufserung). Die Unterlassungshandlungen sind im Gebiet des Privatrechts nicht häufig Voraussetzungen von Rechtsfolgen. Es mufs daher bei einem Rechtssatz, der schlechthin auf Handlungen berechnet ist, untersucht werden, ob er auch Unterlassungshandlungen umfafst 8. III. Bei den juristischen Handlungen pflegen wir zumal im Civilrecht nur an die Handlungen der mit ihrem Privatinteresse Beteiligten und ihrer Vertreter zu denken. Juristische Handlungen und zwar solche, die in das Privatrecht eingreifen, gehn auch von der Obrigkeit aus. Die obrigkeitlichen Handlungen sind teils Regierungsakte, vollzogen von den Organen der Staatsverwaltung z. B. Regelung des Gemeingebrauchs und Zwangsenteignung, teils richterliche Akte, nicht blofs die Verfügungen und Entscheidungen in Streitsachen, sondern auch die Akte der sogenannten freiwilligen Gerichtsbarkeit (§ 137). IV. Der Mensch greift mit seinen Handlungen in die Aufsenwelt ein. Das positive Recht als Ordner und Wächter des Gemeinlebens mufs dazu Stellung nehmen. Hienach ordnen sich die Handlungen in drei Gruppen. 6 Nach L. 2 § 2 sol. matr. 24, 3 genügt für die Berechtigung des Vaters zur Rückforderung der Dos der blofse Ni cht Widerspruch der Tochter (non contradicere), vorausgesetzt, dafs sie das Vorhaben des Vaters kennt (scrire earn exigimus) und zu hindern in der Lage ist (sed si absens sit filia rlq.). Freilich soll der Vater die Dos auch beim Wahnsinn der Tochter zurückfordern können; das Erfordernis des non contradicere ist für diesen Fall aufgegeben, denn es ist eine Spielerei mit den Worten, wenn der Jurist auch hier eine Zustimmung der Tochter herausfindet (ubi non potest per dementiam rlq.). Ferner L. 1 § 3 de tribut, act. 14, 4: non velle debet dominus sed non nolle. Andre Beispiele giebt B ü l o w , Civ. Arch. L X I I S. 83 N. 66. 7 L . 3 R. J. 50, 17: Eius est nolle qui potest velle. L. 110 § 2 L. 189 eod. L. 3 § 2 de trib. act. 14, 4. 8 So in KKO., wo „Handlungen" für nichtig (§ 6), andre für anfechtbar (§ 22) erklärt sind. W i l m o w s k i , Komm. z. KKO. § 22; K r a s n o p o l s k i , Das Anfechtungsrecht der Gläubiger S. 12.
Die juristischen Thats achen. Die juristischen Handlungen.
§ 129.
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1. Die Handlung ist, weil der Rechtsordnung gleichgültig, r e c h t l i c h b e d e u t u n g s l o s : Ankündigung eines Besuchs, Gelöbnis der Freundschaft u. a. 2. Die Handlung ist, weil mit den Interessen des Gemeinlebens unverträglich, für u n e r l a u b t erklärt. Die unerlaubten Handlungen sind juristische, weil sie Rechtsfolgen haben. Sie haben Rechtsfolgen um ihrer Rechtswidrigkeit willen. 3. Die Handlung ist von der Rechtsordnung mit Wirkung ausgestattet, aber nicht um ihrer Rechtswidrigkeit willen. Mit andern Worten: sie ist rechtserheblich, aber nicht unerlaubt. Darunter fallen : a. Handlungen, die, ohne verboten zu sein, zum Ersatz des Andern daraus entstehenden Schadens verpflichten: die mannigfachen Eingriffe der Staatsbehörden in die Privatvermögenssphären zum Schutze der Gesundheit von Menschen, Tieren, Pflanzen durch Vernichtung von Sachen oder zur Durchführung öffentlicher Unternehmungen (Zwangsenteignung), die Schädigung durch Gewerbebetriebe, die eine Gemeingefahr in sich schliefsen (Eisenbahnen, Fabriken, Reederei) u. a. Die Rechtsfolge ist hier ein unerwünschter Begleiter der Handlung. Es sind demnach H a n d l u n g e n m i t u n e r w ü n s c h t e m Rechtserfolg. b. Bei den übrigen erlaubten Handlungen ist die Rechtsfolge nicht unerwünscht. Sie scheiden sich wieder in zwei Arten, je nachdem die Rechtsfolge positiv angestrebt ist oder eintritt, auch wenn sie aufserhalb der Absicht des Handelnden lag. Die Handlungen der erstem Art sind die Rechtsgeschäfte. Für die andern fehlt eine anerkannte Bezeichnung. Man kann sie r e c h t s g e s c h ä f t s ä h n l i c h e H a n d l u n g e n nennen9. Übrigens ist für die Eigenschaften erwünscht und unerwünscht, angestrebt und nicht angestrebt, als Einteilungsgründe nicht das individuelle Wünschen und Streben mafsgebend, sondern das mit einer Handlungsart durchschnittlich verbundene. V. Die Unterscheidung von unerlaubten Handlungen und Rechtsgeschäften ist fast allgemein angenommen und gebilligt 10 . Nicht so allgemein wird die Unterscheidung von Rechtsgeschäften und rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen geteilt. Manche geben dem Rechts9
S a v i g n y I I I S. 6 bezeichnet sie als „freie Handlungen, welche auf nichtjuristische Zwecke gerichtet sind, so dafs die juristische Wirkung als untergeordnet im Bewufstsein zurücktritt." 10 Nur S c h l o f s m a n n , Vertrag S. 128fg. verwirft den Begriff des Rechtsgeschäfts als scholastisches Gebilde ohne dogmatische Brauchbarkeit. Etwas weniger schroff in Grünhuts Ζ. V I I S. 543 ff. Anklang hat er nicht gefunden.
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geschäftsbegriff eine so weite Fassung, dafs er beide Klassen umschliefst 11. Aber es fällt uns schon sprachlich schwer, z. B. das Finden eines Schatzes, die Erzeugung eines wissenschaftlichen Werks ein Rechtsgeschäft zu nennen. Ebensowenig lassen sich darauf die Lehren über das Verhältnis von Wille und Erklärung, über den Einflufs von Betrug, Drohung, Irrtum, über Bedingung, Befristung, Stellvertretung u. a. anwenden. Zuzugeben ist, dafs es bei der Ausscheidung zuweilen nicht ohne Zweifel abgeht. Neuere Gesetze suchen die Schwierigkeit dadurch zu umgehen, dafs sie sich des farblosen Ausdrucks Rechtshandlungen .bedienen. Gemeint sind immer rechtlich bedeutsame erlaubte Handlungen. Ob aber alle, und wenn nicht welche, mufs für das einzelne Gesetz ermittelt werden 12. VI. Eine Handlung empfängt ihren rechtlichen Charakter erst durch die Umstände, unter denen sie in die Aufsenwelt eingreift. Die Rechtsfolge hat eben noch andere Voraussetzungen als den thatsächlichlichen Vorgang des Handelns. Wird jemandem seine eigne Sache verpfändet, so enthält dies so wenig ein Rechtsgeschäft als die heimliche Aneignung einer herrnlosen Sache ein Delikt. Hieraus erklärt sich, dafs dieselbe Handlung zugleich Thatbestandselement eines Rechtsgeschäfts und eines Delikts sein kann 13 . Ja noch mehr: es giebt Delikte, die nur durch Errichtung eines Rechtsgeschäfts begangen werden können 14 . Nur das ist völlig ausgeschlossen, dafs der Gesamtthatbestand eines Rechtsgeschäfts sich mit dem Gesamtthatbestand eines Delikts deckt. 11
K o h l er, Jher. Jahrb. X V I S. 331 fg., X V I I I S. 133 fg. und Grünhuts Z. X I I I S. 287. Dagegen L e n e l , Jher. Jahrb. XIX S. 160fg.; P i n i u s k i I I S. 291. 12 KKO. § 6 22—24, 26, 28; Anfechtungsgesetz vom 21. Juli 1879 § 1, 3, 4, 6, 7. 11—14. Die CPO. § 613 spricht in demselben Sinn von Handlungen schlechthin, das HGB. Art. 42, 114, 460, 496 von Geschäften und Rechtshandlungen. Vgl. Motive I S. 127 und Z i t e l m a n n , Die Rechtsgeschäfte des Entwurfs I S. 19. 13 Mit der Entwendung einer Sache ist ein Besitzerwerb verbunden. Wird eine verpfändete Sache veräufsert, um sie dem Pfandgläubiger zu entziehn, so macht sich der des Sachverhalts kundige Käufer eines furtum schuldig. L. 36 de nox. act. 9, 4 L. 19 § 6 de furt. 47, 2. 14 Arglistige Veräufserung zum Nachteil der Gläubiger L. 1 pr. § 2 quae in fraud, cred. 42, 8. Ungetreue Acceptilation des Adstipulators Gai. I I I 215. Ferner StGB. § 266, 301, 302; T h o n S. 366fg.
Die juristischen Thatsachen. Die Fähigkeit zu juristischen Handlungen. §130. 47 7
B.
Die Fähigkeit
zu juristischen
Handlungen*.
§ 130. Allgemeines. I. Jede juristische Handlung, das Rechtsgeschäft wie das Delikt, ist durch die vom Recht anerkannte Handlungsfähigkeit ihres Urhebers bedingt (§ 57). Die Entgegennahme einer Willenserklärung oder einer andern Mitteilung von rechtlichem Belang ist keine Handlung (§ 129 I), aber da sie den Zweck hat, auf die rechtliche Entschliefsung des Empfängers zu wirken, so setzt ihre Wirksamkeit Geschäftsfähigkeit des Empfängers voraus1. II. Gleich der Rechtsfähigkeit beruht die Handlungsfähigkeit auf einer zwingenden Rechtsvorschrift. Durch Privatverfügung kann sie weder gegeben noch genommen werden, es giebt keinen Verzicht auf sie. Daher bewirkt die freiwillige Begebung unter Vormundschaft ohne gerichtliche Entmündigung, die sogenannte Selbstentmündigung, keine Minderung der Handlungsfähigkeit, selbst wenn eine Genehmigung der Vormundschaftsbehörde vorliegt 2 . III. Die Unterschiede in der rechtlichen Handlungsfähigkeit knüpfen in erster Linie an die allgemeinen Eigenschaften der Menschen an: Alter, Gesundheit, wirtschaftliches Gebahren (§ 62—65). Der Geschlechtsunterschied hat im heutigen Recht den Einflufs auf die privatrechtliche Handlungsfähigkeit nahezu verloren. Es kommt ferner in Betracht der Gegensatz zwischen Rechtsgeschäften und unerlaubten Handlungen, und selbst unter den Rechtsgeschäften der Unterschied, ob sie ausschliefslich auf Vorteil für ihren Urheber abzwecken, sogenannte reine Erwerbsgeschäfte, oder ob sie ihm mindestens zugleich ein Opfer auferlegen. Unter die reinen Erwerbsgeschäfte fallen auch die opferlosen Befreiungen von einer Verbindlichkeit oder einer sonstigen rechtlichen Last z. B. einer Servitut. Daneben besteht für einzelne Arten von Rechtsgeschäften ein andres Mafs von Handlungsfähigkeit als für die Geschäftsgattung, sei * S a v i g n y I I I § 106—112; B r u n s , Kleine Schriften I I S. 459—472; B i n d i n g , Normen I I § 35. 1 L. 209 V. S. 50, 16 L. 27 § 5 de recept. 4, 8 L. 10 de jur. et fact. ign. 22, 6. Eine Ausnahme aus Billigkeitsgründen (benignius receptum est) L. 56 § 7 de evict. 21, 2. 2 Seuff. X I I I 9 XV 138 X V I I I 125, XXX 38 X X X V I I I 208 X L I I I 92, RGE. IV Nr. 47 S. 162.
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Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
es ein höheres oder ein geringeres. Daraus ergiebt sich der Unterschied von allgemeiner und besondrer Handlungsfähigkeit. IV. Über die Handlungsfähigkeit der juristischen Personen vgl. § 83 und 90. § 131. 1. Jugendliches Alter*. Mit Rücksicht auf die durchschnittliche geistige Entwicklung unterscheidet das gemeine Recht, wie oben (§ 63) ausgeführt, 4 Altersklassen : die Kinder unter 7 Jahren (infantes), die übrigen Unmündigen (impuberes infantia majores), die mündigen Minderjährigen (puberes minores), die Grofsjährigen (majores). Die drei ersten Klassen werden hier unter der Bezeichnung jugendliches Alter zusammengefafst. I. Den K i n d e r n u n t e r 7 Jahren spricht das Recht jede Handlungsfähigkeit ab, für Rechtsgeschäfte wie für Delikte, denn: huius aetatis pupilli nullum intellectum habent1. Ausnahmsweise ist einem praktischen Bedürfnis entsprechend anerkannt, dafs sie für sich durch Annahme einer geschenkten Sache Besitz und Eigentum erwerben können, wenn sie soweit geistig entwickelt sind, den Akt zu verstehn 2 . Die Deliktsunfähigkeit der Kinder macht sie nicht nur straflos, sondern auch frei von der Ersatzpflicht für den durch ihr Delikt verursachten Vermögensschaden. Das ist eine Folge des gemeinrechtlichen Prinzips, dafs diese Haftung von Verschuldung abhängig ist 8 . Das Reichsstrafgesetzbuch läfst die strafrechtliche Zurechnungsfähigkeit erst mit Zurücklegung des 12. Lebensjahres eintreten. Dies ist für die civilrechtliche Beurteilung der unerlaubten Handlungen nicht mafsgebend4. II. Bei den U n m ü n d i g e n über 7 J a h r e n gehn Delikts- und Geschäftsfähigkeit auseinander. * G o l d s c h m i d t , Civ. Arch. X X X I X Abh. 17 (1856); B r u n s , Kleine Schriften I I S. 460-468. 1 § 10 J. de inut. stip. 8, 19 L. 5 § 2 ad leg. Aq. 9, 2. 2 . So entschied Kaiser Decius in C. 3 de adq. vel retin. poss. 7, 32 eine Streitfrage der Juristen. Näheres in der Lehre vom Besitz. 3 Über die Unvollkommenheit dieses Standpunkts B a r , Grünhuts Z. I I S. 16. Neuere Gesetzgebungen nehmen im Anschlufs an die ältere deutsche Rechtsanschauung eine beschränkte Haftung für Schadenersatz an. Vgl. § 178 III. 4 A. M. D e r n b u r g I § 54; W e n d t § 23 Anm. Dagegen M a n d r y , Civ. Inhalt § 1 Nr. 2 lit. a; B e k k e r § 49g.
Die juristischen Thatsachen. Die Fähigkeit zu juristischen Handlungen. §131. 479
A. Die Zurechnung von unerlaubten Handlungen macht das Recht von der individuellen Verstandesreife des Thäters abhängig5. Man wird im allgemeinen geneigt sein, das Verständnis des Unrechts bei einem Thäter, der der Kindheit noch nahe steht, zu verneinen, und bei dem, der der Mündigkeit nahe steht, zu bejahen. Aber eine Rechtsvermutung besteht dafür nicht. Auch die Beschaffenheit der zur Last fallenden That bildet ein Erwägungsmoment. Dafs man nicht stehlen darf, weifs auch ein unreifer Mensch, wenn er nicht mehr in den Kinderschuhen steckt; dagegen wird die Einsicht in das Unrecht einer Urkundenfälschung gar Manchem dieses Alters noch nicht aufgegangen sein6. Dieselbe Zurechnungsfähigkeit gilt für die Verschuldung in bestehenden Obligationen und ähnlichen Verhältnissen7. B. Was die erlaubten Handlungen und die Entgegennahme von rechtsgeschäftlichen Erklärungen anlangt, so handelt es sich bei diesen Unmündigen, da sie nicht jeder Einsicht bar sind, wesentlich darum, sie vor den Gefahren des Rechtsverkehrs zu schützen. Diese Erwägung hat dazu geführt, ihnen die Fähigkeit zu reinen Erwerbsgeschäften (§ 130III), aber auch nur sie zuzuerkennen; zu allen andern, insonderheit zu Verpflichtungs- und Veräufserungsgeschäften sind sie nicht fähig 8. 1. Die Unzureichenheit der Handlungsfähigkeit dieser Unmündigen gilt nicht blofs von den Geschäften, bei denen die Verpflichtung oder Veräufserung des Unmündigen den Schwerpunkt bildet (Darlehnsaufnahme, Eigentumsübertragung u. a.), sondern auch von der Annahme eines Pfands propter metum pigneraticiae actionis, vom Antritt einer Erbschaft wegen der Haftung für die Nachlafsschulden, vom Empfang einer Zahlung, weil damit die Forderung verloren geht u. a. 9 . 5 L. 5 § 2 i. f. ad leg. Aq. 9, 2: si sit jam injuriae capax. L. 23 de fart 47, 2. 6 Von diesem Gedankengang zeugen L. 22 pr. de lege Corn, de fais. 48, 10 C. 1 § 6 de falsa moneta 9, 24; J h e r i n g in seinen Jahrb. IV S. 60 fg. 7 L. 1 § 15 depos. 16, 3 L. 61 de adm. et per. 26, 7 L. 46 O. e. A. 44, 7. 8 Der leitende Gesichtspunkt ist im pr. J. de auct. tut. 1, 21 ausgesprochen. Dazu § 2 J. quib. alien, lie. 2, 8 § 9 J. de inut. stip. 3, 19 L. 28 pr. de pact. 2, 14 L. 2 de acceptil. 46, 4 — L . 9 pr. — § 2 de auct. et cons. 26, 8 L. 11 ARD. 41, 1; G old S c h m i d t a. a. O. S. 439 fg. Für den Besitzerwerb L. 32 § 2 de poss. 41, 2 und L. 1 § 3 eod.; die letztere Stelle ist im Sinn von L. 14 de sponsal. 23, 1 zu verstehn. Α. M. S a v i g n y I I I S. 50. 9 L. 38 de pign. act. 13, 7 L. 9 § 3, 4 de auct. vel cons. 26, 8 L. 8, 9 A. v. 0. H. 29, 2 L. 15 de solut. 46, 3.
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Es bestehn davon nur wenige Ausnahmen10. Für die Unterscheidung zwischen reinen Erwerbsgeschäften und andern Rechtsgeschäften ist mafsgebend der Erfolg nicht des einzelnen Geschäfts, sondern der Geschäftsart. Daher reicht z. B. selbst für den Erwerb einer völlig schuldenfreien Erbschaft die Antrittserklärung des Unmündigen nicht aus. 2. Das Recht erkennt bei diesen Unmündigen sogar einen Ansatz zur Verpflichtungs- und Veräufserungsfähigkeit an. Dies äufsert sich darin, dafs die Verpflichtung, die ein solcher Unmündiger ohne Beistand eingegangen, soweit er daraus bereichert ist, eine klagbare, ohne Bereicherung eine natürliche Verbindlichkeit erzeugt 11. Nach römischem Recht griff eine eigentümliche Ergänzung der unvollkommnen Geschäftsfähigkeit des Mündels durch die feierliche Mitwirkung des Tutor beim Geschäftsabschlufs platz, die sogenannte auctoritatis interpositio 12 . Infolge der erweiterten Zulassung der Stellvertretung ist diese künstliche Einrichtung unserm Rechtsleben fremd geblieben13. 3. Zu letztwilligen Verfügungen und zur Verfügung durch Erbvertrag fehlt den Unmündigen über 7 Jahren die Handlungsfähigkeit. Hier ist weder für Ergänzung noch für Vertretung Raum, da es sich um eine Angelegenheit höchsteigner Willensentschliefsung handelt (§ 1 J. quib. non est perm. 2, 12). 4. Auch für die nichtvermögensrechtlichen Geschäfte gilt die Unfähigkeit dieser Unmündigen als Regel 14 . Die Eheunmündigkeit dauert sogar nach dem Reichsgesetz vom 6. Febr. 1875 § 28 beim männlichen Geschlecht bis zum Ablauf des 20. Lebensjahrs, beim weiblichen bis zum Ablauf des 16.; doch ist Dispensation für Jüngere zulässig. Zum Abschlufs eines Verlöbnisses wird dem über die Kindheit Hinausgeschrittenen die Fähigkeit zuerkannt 15. Über die Fähigkeit, als Stellvertreter zu handeln, siehe § 159 N. 8. 10 L. 22 § 1 de precar. 43, 26 (Erwerb des prekären Besitzes) C. 7 qui admitti 6, 9 (Erbittung der bonorum possessio). Dazu L. 5 pr. de condic. et dem. 35, 1 (mittelbarer Erbschaftserwerb durch Erfüllung der gesetzten Bedingung). 11 L. 5 pr. § 1 de auct. tut. 26, 8 L. 1 § 1 de novat. 46, 2. Näheres über diese eigenartige naturalis obligatio im Obligationenrecht. 12 § 2 J. de auct. tut. 1, 21; Ρ er n i ce, Labeo I S. 186 fg. 13 Nachweis im Vormundschaftsrecht. Einstweilen Bö h lau, Mecklenb. Landr. I I § 111; D e r n b u r g I I I § 49 N. 2. A. M. W i n d s c h e i d § 442 N. 3. 14 Wahl eines Wohnsitzes, Solennitätszeugnis § 6 J. de testam. ord. 2, 10 Seuff. X L I I I 174. 15 L. 14 de sponsal. 23, 1. Zur Adoption und Emanzipation ist eine aktive Mitwirkung des Kinds nicht erforderlich, daher die Handlungsunfähigkeit desselben kein Hindernis. B r u n s a. a. 0. S. 461 N. 31. Für die Arrogation ist a. M. B r i n ζ 2. Α. § 55 Ν. 34, 35.
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III. Die Unterscheidung unter den Mündigen zwischen Minderjährigen und Grofsjährigen hat nur für die Geschäftsfähigkeit Bedeutung. Bei keinem Mündigen kann wegen seines Alters die Zurechnung von unerlaubten Handlungen beanstandet werden. Hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit der mündigen Minderjährigen wird das heutige Recht von einer grundsätzlich andern Auffassung beherrscht als das römische. A. Nach römischem Recht erreichte der geistesgesunde Mensch mit der Geschlechtsreife die volle Handlungsfähigkeit. Diesen Standpunkt hat das römische Recht auch nach dem Aufkommen der Unterscheidung von minderjährigen und grofsjährigen Mündigen nicht verlassen. Denn nicht das Minderjährigkeitsalter an sich wirkte beschränkend auf die Verfügungsfähigkeit sondern die Stellung unter \7ormundschaft, die noch im Justinianischen Recht von freiwilliger Unterwerfung abhing. Selbst die cura minorum rüttelte nicht an der Handlungsfähigkeit des Mündels, denn er konnte eine Ehe eingehn, ein Testament errichten, bei einem fremden Testament als Zeuge mitwirken, er konnte sogar Verpflichtungs- und Veräufserungsverträge abschliefsen. Jedoch war die Wirkung einer Veräufserung auf sein Vermögen davon abhängig, dafs sie der Vormund genehmigte. Ob dies allgemein auch für Verpflichtungen galt, ist zweifelhaft 16. i6 F ü r Veräufserungen ist es bestimmt anerkannt. C. 3 de in integr. rest. 2, 21 [22]; ebenso für gewisse Verpflichtungen: Dosbestellung durch die Frau, Erbschaftsantritt, Prozefsführung. L. 61 pr. J. D. 23, 3 C. 26 de adm. tut. 5, 37 C. 2 qui legit, pers. 3, 6. Daneben findet sich der allgemeine Ausspruch: Puberes sine curatoribus suis possunt ex stipulatu obligari. L. 101 V. 0. 45, 1. Die Freigebung der Verpflichtungen befremdet, da sie nicht weniger gefährlich ist als die Veräufserungsmöglichkeit. Was bisher zur Beseitigung dieses Bedenkens beigebracht wurde ( M a r e z o l l , Giefsner Z. I I S. 423fg. ; S a v i g n y a. a. S. 385; H u s c h k e , Ζ. f. Rechtsgeschichte X I I I S. 338) befriedigt nicht. Unter diesen Umständen gewinnt die Annahme Wahrscheinlichkeit, dafs L. 101 cit. nur von einer besondern Art von Stipulationen zu verstehen sei, nämlich von Novationen ; sie auszunehmen war unbedenklicher, da sie nur einen Austausch enthalten. Vgl. L. 3 de nov. 46. 2. Dies ist ausführlich begründet von J h e r i n g in seinen Jahrb. X I I S. 347fg. Gegen ihn neuestens Conta, Die Verpflichtungsfähigkeit Minderjähriger. Göttinger Dissert. 1891 S. 7 fg.. Die Ansicht, dafs das römische Recht die Veräufserungen und Verpflichtungen gleich behandle, war von den Glossatoren bis in unser Jahrhundert herrschend, wobei man sich mit L. 101 cit. so oder anders abfand. G l ü c k , Komm. IV S. 74. Erst neuere Juristen haben Widerspruch erhoben, zuerst M a r e z o l l a. a. 0. (1829), dann Savigny a. a. 0.; V a n g e r o w § 291 A. 2; W ä c h t e r § 48; W i n d s c h e i d § 71 N. 8; H u s c h k e a. a. 0. S. 344; B r u n s I I S. 464fg. u. A. Aber die ältere Ansicht findet jetzt noch Vertreter: P u c h t a § 51 und Vöries. IfcBeil. I I I ; S i n t e n i s § 145 N. 1; J h e r i n g a. a. 0.; D e r n b u r g I §53 B i n d i n g , Handbuch. I. 7. I : Regel.s be rg e r , Pand. I .
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Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
B. In Deutschland galt beim Eindringen des römischen Rechts der Grundsatz, dafs Minderjährige um ihres Alters willen zur selbständigen Veräufserung und Verpflichtung unfähig sind, nicht weil und erst von da an, wo sie einen Vormund besitzen. Dieser Satz war so festgewurzelt, dafs die Reichsgesetzgebung sich veranlafst sah, in Abweichung vom römischen Recht die Notwendigkeit der Bevormundung für alle gewaltfreien Minderjährigen aufzustellen (Polizeiordnungen von 1548 und 1577). Dafs sich Minderjährige ohne ihren Vormund nicht verpflichten können, sah man als einen mit dem römischen Recht übereinstimmenden Satz an. Daran hat die Praxis fast ausnahmslos festgehalten 1 7 , so dafs die heutige Geltung dieses Standpunkts selbst von solchen Schriftstellern anerkannt wird, die im römischen Recht das Gegenteil finden 18. C. Hieraus ergiebt sich für das geltende Recht: 1. Mündige Minderjährige können Verpflichtungs- und Veräufserungsgeschäfte mit verbindlicher Kraft für ihr Vermögen allein nicht eingehn. Sie bedürfen dazu der Genehmigung ihres Vormunds oder wenn sie in väterlicher Gewalt stehn, des Vaters. Der Mangel der Genehmigung wird gehoben, wenn der Minderjährige nach Erreichung der Grofsjährigkeit die Verfügung bestätigt. Da sich die passive Wechselfähigkeit und die Prozefsfähigkeit nach der allgemeinen Verpflichtungsfähigkeit bestimmen, so sind die mündigen Minderjährigen zur Eingehung von Wechselverbindlichkeiten und zur Prozefsführung unfähig (WO. Art. 1 CPO. § 51). Vormund und Vater können die Genehmigung ausdrücklich oder stillschweigend erteilen, nicht blofs für ein einzelnes Geschäft, sondern auch allgemein für eine Gruppe von Geschäften, nur nicht im voraus für alle Geschäfte, weil darin eine Aufhebung der gesetzlichen Verfügungsunfähigkeit läge. Eine derartige allgemeine Genehmigung gilt, wenn nicht das Gegenteil zur genügenden Kenntnis gebracht ist, als erteilt für einen Minderjährigen 19, der mit Einwilligung des Vaters N. 10. Nach U b b e l o h d e , Grünhuts Ζ. IV S. 696fg. sollen die Verpflichtungsgeschäfte nach Civilrecht gültig, nach prätorischem Recht ungültig sein. Dagegen C o n t a a. a. O. S. 16fg.; W i n d s c h e i d § 71 Ν. 10. " Seuff. I 253 I I 270 Ziff. 2 I I I 311 X I 25 X I I I 241 XXIV 112 X X V I I I 135, ROHG. V I Nr. 80 S. 359 fg.; für Mecklenburg B ö h l au a. a. 0. I I § 88, für Hannover die Note zu Seuff. V 202, aber auch X I I I 241. Abweichend Seuff. I I 207 Ziff. 1 (Lübeck). 18 S a v i g n y , W ä c h t e r , B r u n s . Zum Ganzen K r a u t , Vormundschaft I I S. 103 fg. 19 Zum folgenden J h e r i n g in seinen Jahrb. X I I S. 367—375; Stobbe § 40 I V 5; H e i n z e r l i n g , Arch. f. prakt. RsW. N. F. X V I S. 120fg.; Z i t e l m a n n , Die Rechtsgeschäfte im Entwurf I S. 63—73; Conta a. a. O. S. 21 fg.
Die juristischen Thatsachen. Die Fähigkeit zu juristischen Handlungen. §132 483
oder Vormunds : a) eine gewisse selbständige Lebensstellung einnimmt (als Offizier, Studierender u. s. w.), zu allen Verträgen, die zur Deckung des gewöhnlichen Lebensbedarfs dienen oder durch die besondere Lebensaufgabe geboten sind (Seuff. IV 305, 306 X 61); b) sich dem Erwerb durch Dienst oder Arbeit widmet, zur Eingehung und Auflösung von Dienst- oder Arbeitsverhältnissen (Seemannsordnung vom 27. Dez. 1872 § 6, Seuff. XX 25); c) ein Handels- oder sonstiges Erwerbsgeschäft betreibt, zur Vornahme derjenigen Rechtsgeschäfte, die der Betrieb des genehmigten Gewerbes mit sich bringt 20 . 2. Die mündigen Minderjährigen können über ihr Vermögen letztwillig verfügen, vorausgesetzt, dafs sie nicht in väterlicher Gewalt stehn 21 (§ 132). 3. Die Minderjährigen haben Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen alle ihnen nachteiligen Rechtsgeschäfte und Rechtsversäumnisse (§ 201). § 132. 2.
Hausunterthänigkeit.
Nach römischem wie nach heutigem Recht ist die Hausunterthänigkeit für die Handlungsfähigkeit einflufslos. Zwar bestehen in der Vornahme von Rechtsgeschäften oder in deren Wirkungen zwischen Gewaltfreien und Gewaltunterworfenen Abweichungen. Allein sie wurzeln nicht in einer geminderten Handlungs- oder Verfügungsfähigkeit. 1. Die Ilauskinder werden aus ihren Gelddarlehn nur unvollkommen verpflichtet (Senatusconsultum Macedonianum). Dies auf beschränkte Verpflichtungsfahigkeit zurückzuführen, schliefst der Satz aus, dafs ein Gläubiger eine vollwirksame Forderung erwirbt, wenn er die Hausunterthänigkeit des Darlehnsempfängers in entschuldbarer Weise nicht kannte1. 2. Hauskinder können über ihr Vermögen mit Ausnahme des kastrensischen und quasikastrensischen Guts nicht letztwillig verfügen. 20
Es sind zwei Fragen auseinander zu halten: a) Kann ein Minderjähriger ein solches Gewerbe betreiben? b) Sind die in diesem Betrieb vom Minderjährigen getroffenen Verfügungen gültig? Die erste Frage ist zu bejahen, da Handelsgesetzbuch und Reichsgewerbeordnung eine Beschränkung nicht aufstellen. Die Beantwortung der zweiten Frage bestimmt sich nach dem jeden Orts geltenden Civilrecht. Preufs. Gesetz über die Geschäftsfähigkeit Minderjähriger v. 5. Juli 1875 § 5. 21 Zur Verfügung durch Erbvertrag wird die Zustimmung des Vormunds gefordert. Be sei er, Lehrb. § 159 N. 7; Seuff. I 253 IV 243 V 202. 1 L. 3 pr. — § 2 ad SCm. Mac. 14,6. Den richtigen Gesichtspunkt für den Schutz geben L. 1 pr. L. 9 § 4 eod. 31*
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Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
Das ist Folge einer beschränkten Rechtsfähigkeit, nicht Handlungsfähigkeit (§ 46 N. 7). Darum wird das von einem Gewaltfreien errichtete Testament hinfällig, wenn er sich nachträglich arrogieren läfst, während der Eintritt einer Handlungsunfähigkeit dem Testament unschädlich ist. 3. Dafs Hauskinder aus dem regulären Adventizgut ohne Zustimmung des Vaters nichts veräufsern können, ist Ausflufs der dem Vater an diesem Vermögen zustehenden Nutzniefsung und Verwaltung. 4. Nach römischem Recht war die Eheschliefsung der Hauskinder an die Zustimmung des Hausvaters gebunden. Dieses Zustimmungsrecht hat sich bei uns zu einem allgemeinen elterlichen Recht umgewandelt, das beim Mangel des Vaters der Mutter zusteht. Das Reichsrecht hat es für männliche Kinder bis zum vollendeten 25., für weibliche bis zum vollendeten 24. Lebensjahr erstreckt 2. Die Beschränkung auf ein gewisses Lebensalter spricht für die Auffassung der Gebundenheit als verminderte Verfügungsfähigkeit. 5. Die minderjährigen Hauskinder sind heutzutage verpflichtungsund veräufserungsunfähig wie ihre gewaltfreien Altersgenossen. Denn der Grund der Unfähigkeit liegt in dem mit diesem Alter verbundenen Mangel an Urteilsfähigkeit 3.
§ 133. 3. Geistige und körperliche Gebrechen*. I. Geisteskrankheit macht vollkommen handlungsunfähig, zu Rechtsgeschäften wie zu Delikten1. Blofse geistige Schwäche bewirkt Unfähigkeit nur zu solchen Handlungen, für deren rechtliche Bedeutung die Fassungskraft des Handelnden nicht ausreicht2. Schliefst die geistige Schwäche auch die Handlungsfähigkeit nicht aus, so kann sie doch mittelbar auf die Gültigkeit eines Rechtsgeschäfts Einflufs äufsern, indem sie der Einwirkung von Zwang und Betrug zugänglicher macht (Seuff. XXV. 120). Trunkenheit und ähnliche Zustände (§ 64) werden nach denselben Grundsätzen beurteilt. 2
RG. über die Eheschliefsungen v. 6. Febr 1875 § 29 fg. W ä c h t e r P. I S. 225; Stobbe § 40 N. 42. Verkannt in Seuff. X I I I 241. Richtig Seuff. X L I V 10 u. Nachw. ROHG. V I Nr. 80 S. 360. * B r u n s , Kleine Schriften I I S. 468 fg. Vgl. oben § 64. 1 § 8 J. de inut. stip. 3,19 L. 1 § 3 de poss. 41,2 L. 5 § 2 ad leg. Aq.9,2. 2 Seuff. I I I 139 (Hypochondrie) V I I I 230 (Geistesschwäche wegen hohen Alters) XXV 117 245 XXXIV 136 X L 5, 177; RGE. XIV Nr. 60 S. 248. Bar, Grünhuts Z. I I S. 17 fg. 3
Die juristischen Thatsachen. Die Fähigkeit zu juristischen Handlungen. § 1 3 . 4
Das thatsächliche Vorhandensein der Geisteskrankheit schliefst die Handlungsfähigkeit aus vor und ohne gerichtliche Entmündigung (§ 64). Vermag aber die Entmündigung für sich die Geschäftsfähigkeit zu entziehn? Diese praktisch wichtige Frage ist für das gemeine Recht gesetzlich nicht entschieden3. Erwägt man, dafs die Entmündigung aus dem Bedürfnis entsprungen ist, für die Bestellung der Vormundschaft festen Anhalt zu gewinnen, dafs ferner weder das Interesse der Entmündigten noch die Verkehrssicherheit die stärkere Wirkung der Entmündigung erheischen, so mufs man sich für die blofs deklarative Bedeutung erklären. Indes neigt die neuere Rechtsentwicklung dem andern Standpunkt zu 4 . II. Blinde, Taube, Stumme sind nur von denjenigen Rechtshandlungen ausgeschlossen, zu deren Vornahme der ihnen fehlende Sinn gehört (z. B. Unfähigkeit zum Solennitätszeugnis). Zuweilen macht ihr Gebrechen besondere schützende Mafsnahmen bei gewissen Rechtsgeschäften notwendig (bei letzt willigen Verfügungen). Körperliche Gebrechlichkeit kann den Anspruch auf Bestellung eines Vormunds für die Vermögensverwaltung begründen. Die Handlungsfähigkeit wird durch diese Bevormundung nicht geschmälert5.
4.
§ 134. Entmündigung wegen Verschwendung*.
I. An dem Verschwender vollzieht sich die Entmündigung in des Wortes eigenster Bedeutung. Durch die Macht des obrigkeitlichen Spruchs wird ein Mensch unter die Personen mit beschränkter Ge8
Praktisch wichtig, denn durch die konstitutive Wirkung wird der Beweis ausgeschlossen, dafs der Entmündigte bei der Handlung geistig gesund war; danach verlieren die lichten Zwischenräume (§ 64 N. 8) im Gegensatz zum römischen Recht (C. 6 de cura furiosi 4, 70) rechtliche Bedeutung, und tritt die Geschäftsfähigkeit nicht schon mit der geistigen Gesundung ein, sondern erst mit der gerichtlichen Aufhebung der Entmündigung. 4 Für die deklarative Bedeutung W i n d s c h e i d § 71 N. 4; W a c h , Handb. d. Civ. Pr. §47 N. 17, 21; D e r n b u r g I § 56 N. 7; M a n d r y , Civ. Inhalt § 3 a. E, (wenigstens für die Berücksichtigung der lichten Zwischenräume). Anders B ä h r , Krit. VJSchr. XXV S. 543 fg.; Stobbe § 274 N. 22—26. Preufs. Ldr. I, 4 § 25; Code civ. 502; Sächs. Ges. v. 20. Febr. 1882 (in Abänderung von sächs. GB. § 1984), dann das österr. Recht, U n g e r I I S. 25. 6 § 4 J. de curat. 1, 23. S i n t e n i s § 155 I I I ; B ö h l a u , Meckl. Ldr. I I § 91 N. 25, 26; Seuff. XXX 41. A. M. B r u n s a. a. O. S. 472. * Dig. de curatoribus furioso vel aliis extra minores dandis 27, 10; Cod. de curatore furiosi vel prodigi 5, 70. — Litteratur siehe § 65*.
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schäftsfähigkeit versetzt. Die Entmündigung wirkt hier konstitutiv 1 . Aber nur die gerichtliche Entmündigung beschränkt die Geschäftsfähigkeit (§ 130 N. 2). Ihre Wirkung beginnt mit der Zustellung des Entmündigungsbeschlusses an den Verschwender, nicht erst mit der öffentlichen Bekanntmachung (CPO. § 623). Die innerhalb eines Monats zulässige Anfechtung des Beschlusses hemmt die sofortige Wirkung nicht. Wird der Beschlufs infolge der Anfechtung aufgehoben, so verliert er auch rückwärts die Wirkung auf die Geschäftsfähigkeit des Entmündigten, die vom Vormund in der Zwischenzeit getroffenen Verfügungen behalten jedoch ihre Kraft (CPO. § 624 mit 613). Vorläufige Anordnungen des Entmündigungsgerichts können nur Maisregeln zur Sicherung des Vermögens treffen, die Geschäftsfähigkeit des zu Entmündigenden wird dadurch nicht geschmälert2. Die Aufhebung der Entmündigung erheischt Gerichtsbeschlufs, die Besserung im Lebenswandel des Entmündigten bildet dafür nur den Anlafs. Die Auswanderung des Entmündigten hebt selbst in Verbindung mit der Aufnahme in einen andern Staatsverband die Entmündigung nicht auf, es sei denn, dafs das Recht des neuen Staates eine Entmündigung wegen Verschwendung nicht kennt 3 . II. Anlafs und Zweck dieser Entmündigung ergeben die Grenzen ihrer Wirkung. Sie berührt nicht die Deliktsfähigkeit, obwohl die Verantwortlichkeit für Delikte nachteilig auf das Vermögen wirken kann (durch Geldstrafe, Bufse, Schadenersatz), nicht die Fähigkeit zu den Rechtsgeschäften, die aufserhalb der Vermögenssphäre liegen (Wohnortsbegründung, Eheschliefsung) ; die Unfähigkeit zum Testamentszeugnis ist eine vereinzelte Beschränkung4. Selbst im Vermögensverkehr beschränkt sich der Einflufs im wesentlichen auf die Entziehung der Möglichkeit, das Vermögen zu vermindern. Daher 1
Die verschwenderische Lebensweise kann auch ohne Entmündigung rechtliche Wirkungen äufsern: Rückforderung der Dos L . 22 § 8 sol. matr. 24, 3; Befugnis des Bürgen, vom Schuldner Befreiung zu verlangen, L. 38 mandati 17, 1; Enterbung in wohlmeinender Absicht L. 16 § 2 h. t. 2 Die CPO. enthält darüber keine Bestimmung, auf § 600 ist in den § 126 fg. nicht verwiesen. Wie im Text Stobbe § 275 N. 23—25; D e r n b u r g , Preufs. PR.I S. 76 N. 12; S t e i n i g e r , Die Entmündigung des Verschwenders S. 69. Vgl. M a n d r y , Civ. Inhalt § 109 und B ä h r , Krit. VJSchr. XXV S. 546. 3 B a r , Internat. PR. I S. 427; S t e i n i g e r a. a. 0. S. 45, 47; Seuffert X X X I I I 315. 4 L. 18 pr. qui testam. fac. 28, 1. Zurücksetzungen anderer Art erleidet der Entmündigte auf dem Gebiet des Privatrechts (HGB. Art. 123, 170, 261; L. 17 de tutel. 26, 1) wie des öffentlichen Rechts; hierüber S t e i n i g e r S. 39.
Die juristischen Thatsachen. Die Rechtsgeschäfte.
§ 135.
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hat der entmündigte Verschwender die Fähigkeit zu reinen Erwerbsgeschäften (§ 130 III), nicht die Fähigkeit zu Verpflichtungen und Veräufserungen 5. Die von ihm eingegangene Verpflichtung erzeugt nicht einmal eine natürliche Verbindlichkeit 6. Diese Beschränkung war nach römischem Recht für den Verschwender noch empfindlicher als für den Unmündigen über 7 Jahren, da er nur einen curator hatte, und mithin der Ergänzung durch die auctoritatis interpositio, eine Eigentümlichkeit der tutela, entbehrte. Hieraus erklärt sich, dafs ihm die Fähigkeit zuerkannt wurde, eine Erbschaft anzutreten und eine ihm günstige Novation abzuschliefsen 7. Das römische Recht entzog dem Verschwender auch die Fähigkeit zu letztwilligen Verfügungen. Es ist dies ins heutige Recht übergegangen und auf die Verfügung durch Erbvertrag erstreckt.
C.
Die Rechtsgeschäfte. § 135. 1. Der Begriff*.
I. Im Bereich des Privatrechts ist dem Einzelnen ein weiter Spielraum gegeben, um in freier Willensbethätigung diejenige Gestalt der Rechtsverhältnisse hervorzurufen, die er für seinen Interessen dien5
L. 9 § 7 R. C. 12, 1 L. 29 de cond ind. 12,6 L. 26 C. E. 18,1 L. 10 pr. h. t. L. 18 § 3 de castr. pec. 49,17. 6 L. 6 V. 0. 45,1. Scheinbar sagt das Gegenteil L. 25 de fidej. 46,1, aber da die Aufserung auch den Geisteskranken umfafst, so ist eine andere Auslegung geboten. S t e i n i g e r S. 28. 7 L. 5 § 1 A. v. 0. II. 29,2 L. 3 de novat. 46,2. Die Beschränkung auf einen vorteilhaften Erbschaftserwerb ist nicht gemacht. Dennoch nehmen sie an S a v i g n y , I I I § 112 u.; B r u n s I I S. 471; D e r n b u r g I § 57 N. 9. Ungerechtfertigt ist die Ausdehnung auf die Ablehnung einer Erbschaft. W i n d s c h e i d §599 N. 6. Zur Interpretation von L. 5 § 1 cit. K i p p , Krit. VJSchr. X X X I I I S. 568. * Die Litteratur ist seit zwei Jahrzehnten stark gewachsen. Früher fand man sich mit der Begriffsbestimmung verhältnismäfsig leicht ab: Savigny I I I S. 5 fg.; W ä c h t e r , Württ. PR. I I S. 634 u. Pand. § 73. Seit den siebziger Jahren erfolgten auf diesen ruhigen Besitzstand heftige Angriffe, denen wieder Verteidiger mit mehr oder minder Abweichung entgegentraten: L O t m a r , Über causa im röm. Recht(1875) S. 10 fg; S c h l o f s m a n n , Der Vertrag (1876) u. in Grünhuts Ζ. V I I S. 543 fg.; K a r Iowa, Das Rechtsgeschäft und seine Wirkung (1877); K o h l e r , Jher. Jahrb. X V I Abs. 2 u. 7 (1878) X V I I I S. 133 fg. (1880) u. in Grünhuts Ζ. X I I I Abh. 4(1886); Ζ i t el m a n n , Jher. Jahrb. X V I Abh. 8 (1878), dann Irrtum und Rechtsgeschäft (1879) S. 229 fg., ferner die Rechtsgeschäfte im Entwurf I S. 21 (1889); B r u n s , Kleine
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Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
sam erachtet. Es ist die Sphäre der sogenannten Privatautonomie (§ 32). Der Beteiligte vermag freilich nur die äufsere That zu schaffen, das Geschäft. Das positive Recht nimmt aber Geschäfte, die ihrer Art nach zur Verwirklichung vernünftiger Parteizwecke geeignet sind, unter seinen Schutz und stattet sie mit rechtlichen Wirkungen aus, die dem angestrebten Erfolg entsprechen. Das Recht erhebt diese Geschäfte zu R e c h t s g e s c h ä f t e n 1 . II. Damit die Parteihandlung den ihrem Zweck entsprechenden Rechtserfolg erzeugt, müssen sich mit ihr bald mehr bald weniger andere Umstände vereinigen, sei es nach der Natur der Geschäftsart (z. B. Dasein der Sache beim Kaufvertrag oder der Ehe bei der Dosbestellung) oder kraft der Parteibeliebung (z. B. Eintritt der gesetzten Bedingung). Das Wort Rechtsgeschäft wird nun in dem doppelten Sinn gebraucht: für den Gesamtthatbestand des der Parteiabsicht entsprechenden Rechtserfolgs (Parteihandlungen mit den übrigen Voraussetzungen) und für die Parteihandlung an sich (den Errichtungsakt). Man nennt den Vertrag vollendet, wenn der Errichtungsakt vollzogen ist, und nennt die Schenkung von Todeswegen unvollendet, so lange Schenker und Beschenkter leben2. Mit der Anerkennung des doppelten Sprachgebrauchs verlieren manche Streitfragen den Boden (z. B. § 151 N. 3). III. Die Eigentümlichkeit des Rechtsgeschäfts gegenüber andern juristischen Handlungen liegt darin, dafs sich die Rechtsfolge darstellt als Verwirklichung des im Geschäft sich kund gebenden Strebens der Parteien nach Gestaltung ihrer Rechtsverhältnisse. Deshalb Schriften I I S. 452 fg. (nicht nach 1880 verfafst); L e n e l , Jher. Jahrb. X I X Abh. 5 (1881); L e o n h a r d , Irrtum bei nichtigen Verträgen (1882) S. 235fg.; B e c h m a n n , Kauf I I S. 1 - 5 8 (1884); E n n e c c e r u s , D.as Rechtsgeschäft S. 1—170 (1888); P i n i n s k i , Der Thatbestand des Rechtsbesitzerwerbs I I S. 284 fg. (1888). 1 Das Wort Rechtsgeschäft, das heutzutage zum unentbehrlichen Sprachschatz des Juristen gehört, ist von verhältnismäfsig jungem Datum. Es findet sich zuerst bei H u g o , Lehrb. der Pand. 3. Aufl. 1805 ( S c h l o f s m a n n , Der Vertrag S. 131). Die Römer hatten nur Bezeichnungen für die einzelnen Rechtsgeschäftsarten (mancipatio, stipulatio, mutuum etc.), nicht für den allgemeinen Begriff. Negotium kommt ihm am nächsten, ist aber teils enger (Schenkungen sind keine negotia, L. 58 de donat. i. v. 24,1) teils weiter (auch die prozessualischen Handlungen werden negotia genannt, Gai. IV 84, 141, 184). Gestum ist die im prätorischen Edikt gebräuchliche Bezeichnung. Aber L. 19 V. S. 50,16 beschränkt gestum auf die Realhandlung. Pernice, Grünhuts Ζ. V I I S. 466; L o t m a r , Krit. VJSchr. XXV S. 424. 2 So auch die Quellen: Gai. I I 144: Posteriore testamento, quod jure factum est, superius rumpitur; dagegen L. 2 § 1 testam. quemadm. 29,3: abusive testamenta ea quoque appellamus, quae . . . irrita vel rupta (sunt). Ferner L. 32 § 23 de donat i. v. 24,1 und L. 32 de mort. c. donat. 39,6.
Die juristischen Thatsachen.
Die Rechtsgeschäfte. § 135.
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gehört zum Thatbestand des Rechtsgeschäfts eine Geschäftsabsicht, die mit der Rechtswirkung im Einklang steht. Noch mehr: es mufs aus der Handlung die Absicht hervorgehn, die von der Rechtsordnung zur Erreichung des angestrebten praktischen Ziels verheifsenen Wirkungen herbeizuführen. Diese Absicht ist klar bei den formalen Rechtsgeschäften, wie mancipatio, stipulatio, Testamentserrichtung, Wechselausstellung u. ä. Sie ist nicht minder klar bei den sogenannten fiduziarischen Rechtsgeschäften (§ 141 I I I A), wo absichtlich eine Rechtsstellung begründet wird, die über den praktischen Endzweck hinausgeht. Bei einer grofsen Zahl von Rechtsgeschäften tritt allerdings im Bewufstsein des Handelnden die Rechtsfolge hinter dem praktischen Zweck, dem Haben der Sache, dem Zuwenden eines Gegenstands, der sicheren Aufbewahrung u. s. w. zurück. Trotzdem trifft auch hier nicht zu, dafs nur dieser Zweck im Gesichts- und Absichtskreis der Parteien liege. Sie wollen auch das Mittel und nicht blofs in seiner thatsächlichen sondern in seiner rechtlichen Erscheinung. Der praktische Geschäftsmann will nicht blofs thatsächlich, er will rechtlich erwerben, rechtlich übertragen, rechtlich sich verpflichten. Schliefst er einen Kaufvertrag, so denkt er nicht an eine sittliche sondern an eine rechtliche Verbindlichkeit wie seines Gegners so seiner selbst, aus der er klagen wie verklagt werden kann. Wenn erkennbar die rechtliche Verpflichtungsabsicht fehlt, entsteht kein Rechtsgeschäft, mag auch Anstand und Sitte die Erfüllung gebieten3. Es ist also nicht Fiktion sondern der Erfahrung des Lebens entsprechend, dafs bei den Rechtsgeschäften ein auf Rechtswirkung gerichteter Wille zu Grunde liegt, nicht blofs ein wirtschaftlicher ( L e n e l ) oder e m p i r i s c h e r (Bechmann). Zur Verständigung mufs aber bemerkt werden: 1. Welche Absicht den Handelnden bei dem einzelnen Geschäft beseelt, läfst sich mit Sicherheit selten feststellen. Auf diesen unsichern Boden kann die rechtliche Regelung der Geschäfte nicht gestellt werden. Für sie ist die Absicht mafsgebend, die nach der Erfahrung des Lebens mit einem Geschäft von der vorliegenden Beschaffenheit verbunden zu sein pflegt, die typische Absicht, sofern nicht ein andres zum deutlichen Ausdruck gebracht ist 4 . 3 L. 18 [19] § 2 de negot. gest. 3,5 L. 15 § 2 C. E. 18,1 L. 3 § 1 O. e. A. 44,7. Unter einer Ausnahmebehandlung standen die Geschäfte mit dem liber homo, qui bona fide serviebat. L. 13 § 2 commod. 13,6; P i n i n s k i I I S. 495 N. 1. 4 L. 7 § 12 de pact. 2, 14; B e c h m a n n a. a. 0. S. 11, 46; P i n i n s k i 8. 302 fg.
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2. Der Richtung der Parteiabsicht auf die Rechtsfolge haftet zuweilen grofse Unbestimmtheit an. Der handelnde Nichtjurist wird sich das zu erzeugende Rechtsverhältnis nicht in seiner juristischen Eigenart vorstellen, er will die zur Verwirklichung seines praktischen Zwecks bestmöglichen Mittel des zutreffenden Rechts5. Dies ist für das Eintreten der rechtlichen Wirkung genügend, aber immerhin etwas anderes, als wenn ein Schriftsteller ein wissenschaftliches Werk verfafst oder wenn der Kapitän eines Schiffs Waren über Bord werfen läfst, wo das Bewufstsein der rechtlichen Wirkung völlig gleichgültig ist. Eine so allgemeine unbestimmte Absicht ist auch sonst im Recht nicht unerhört 6. Freilich hat die zulässige Unbestimmtheit ihre Grenzen. Die Parteiabsicht mufs soweit aus dem Geschäfte erhellen, dafs sie die Unterlage für die zum Teil feinen Unterschiede zwischen Darlehn und depositum irreguläre, zwischen Verkaufsauftrag und Trödelvertrag, zwischen Erbeinsetzung und Universalfideikommifs u. ä. bietet. Im ganzen bethätigt das Recht grofse Anpassungsfähigkeit und weitgehendes Entgegenkommen gegenüber der Parteiabsicht 7 . 3. Nur in seltenen Fällen werden alle rechtlichen Wirkungen eines Rechtsgeschäfts vom Bewufstsein des Handelnden erfafst. Der Erbe hat beim Antritt der Erbschaft den Willen, das Vermögen des Erblassers zu erwerben ; er weifs wohl auch, dafs er für die Schulden des Erblassers aufzukommen hat; seltner schon, in welchem Umfang, und schwerlich, dafs auch die sonstigen vermögensrechtlichen Verfügungen für ihn verbindlich sind. Ähnlich beim Kaufabschluß, bei der Übernahme eines Auftrags u. s. w. Diese Erwägung bestimmt viele Juristen, die Richtung der Parteiabsicht auf den Rechtserfolg als Element des rechtsgeschäftlichen Thatbestands ganz über Bord zu werfen. Aber zwischen nichts und allem liegt etwas in Mitte. Wie man dieses Etwas abstrakt bezeichnen will, ob Hauptwirkung oder 5 Wie der Testator in L. 88 § ult. de legat. II, so ruft im Grunde jeder Vernünftige, der ein Rechtsgeschäft errichtet, die Rechtsordnung an: si minus aliquid legitime minusve perite fecero, pro jure legitimo haberi debet hominis sani voluntas. Vgl. B ä h r , Krit. VJSchr. X V I I I S. 341 und dessen Ausführungen über theoretisches und praktisches Rechtsbewufstsein in Jher. Jahrb. I I S. 369 fg.; B r u n s , Kleine Schriften S.454; L e o n h a r d , Der Irrtum S. 235 fg.; E n n e c c e r u s , Rechtsgeschäft S. 17 fg.; B r i n z 2. A. § 542 N. 1. 6 Beisp.: ein Kaufmann kann ein Rechtsgeschäft den Übungen eines Handelsplatzes unterwerfen, ohne dafs er sie kennt. 7 L. 4 pr. de serv. 8,1 L. 24 depos. 16,3 L. 12 de pignor. 20,1 L. 46 [45] de her. instit, 28,5 L. 27 de cond. et dem. 35,1. Vgl. auch E x n e r , Kritik des Pfandrechtsbegriffs S. 81 und die Umwandlung der Rechtsgeschäfte unten § 175 III.
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Herstellung des jurististischen Akts (Kauf, Miete u. s. w. ), ist nebensächlich. Die Feststellung für die einzelne Rechtsgeschäftsart bietet kaum Zweifel. IV. Das Wollen des Rechtserfolgs ist für das Dasein des Rechtsgeschäfts wesentlich, aber für sich nicht imstande, eine Handlung zum Rechtsgeschäft zu stempeln. Es mufs vielmehr das Wollen dieses Rechtserfolgs für den Eintritt der Rechtsfolge wesentlich sein. Der Diebstahl ist kein Rechtsgeschäft, auch wenn er in der Absicht begangen wird, zur Gefängnisstrafe verurteilt zu werden, um auf den Winter Unterschlupf in der Strafanstalt zu erlangen. V. Nach dem üblichen Sprachgebrauch sind Rechtsgeschäfte diejenigen Handlungen, durch welche der Beteiligte die seinen Interessen entsprechende Rechtswirkung auf dem vom positiven Recht anerkannten Weg hervorruft. Deshalb fallen die richterlichen Urteile nicht unter die Rechtsgeschäfte. Aber die Rechtsgeschäfte sind nicht auf das Privatrecbt beschränkt (Staatsverträge, prozessualische Rechtsgeschäfte u. ä.). VI. Die meisten Rechtsgeschäfte sind auf Begründung, Aufhebung oder Änderung eines Rechtsverhältnisses gerichtet. Es gilt dies aber nicht von allen. Die Erteilung und der Widerruf einer Vollmacht, der Einspruch gegen eine sonst zustehende Vertretungsbefugnis, die Versagung einer Genehmigung, die Verabredung, ein Rechtsgeschäft in einer bestimmten Form zu errichten u. ä., sind Rechtsgeschäfte. Es wäre unpraktisch, sie vom Rechtsgeschäftsbegriff auszuschliefsen, da die allgemeinen rechtsgeschäftlichen Grundsätze auf sie zutreffen (Geschäftsfähigkeit, Stellvertretung, Einflufs von Drohung, Betrug, Irrtum u. s. w.) 9 . VII. Von namhaften Juristen wird das Rechtsgeschäft eine Willenserklärung genannt10. Das ist unzutreffend, selbst wenn man Willens8
Z i t e l m a n n , Jher. Jahrb. X V I S. 396,426; E n n e c c e r u s a. a. 0. S. 55, 145 fg.; P i n i i i s k i I I S. 304 — J h e r i n g , Besitzwille S. 288. Gegner des Grundgedankens ist Κ o h l e r , Jher. Jahrb. X V I I I S. 149 fg. 9 Hier ist manches streitig, besonders ob Rechtsgeschäfte sind a) die reinen Besitzerwerbs- und Verlusthandlungen; dagegen in sorgfältiger Abwägung des Für und Wider und nicht ohne Zweifel P i n i n s k i I I S. 324—333; b) ob Occupation und Dereliktion als Eigentumserwerbs- bezw. Eigentumsverlustthatsachen ; dafür P i n i n s k i S. 325, wo weitere Litteratur; c) ob Specifikation; dagegen B r u n s a. a. 0. S. 454; P i n i n s k i S. 333 N. 1; zweifelnd B e c h m a n n S. 6, 7. Zum Ganzen B r i n z 2. A. § 522 N. 14. 10 So von S a v i g n y I I I S. 6.
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erklärung in dem weiteren Sinn von Willensäufserung nimmt. Es ist augenscheinlich unzutreffend für Rechtsgeschäft im Sinn des Gesamtthatbestands der gewollten Wirkung (Ziff. II). Es ist aber auch unzutreffend für Rechtsgeschäft im Sinn der Parteihandlung. Denn eine wichtige Klasse von Rechtsgeschäften, nämlich die Verträge bestehn aus mehreren „Willenserklärungen". Ferner bestehn viele Rechtsgeschäfte nicht blofs aus Willenserklärungen, sondern erheischen einen realen Akt. Es giebt neben den reinen Willensgeschäften (stipulatio, Konsensualkontrakte, Kündigung, letztwillige Verfügung u. a.) auch Realgeschäfte (Realkontrakte, Zahlung, Tradition, Dereliktion, Begründung und Aufgeben eines Wohnsitzes u. a.) 1 1 . Man darf bei den Realgeschäften ebensowenig über der Willensäufserung den realen Akt übersehen (wie S a v i g n y ) , noch über dem realen Akt die Willensäufserung, wovor schon die römischen Juristen warnen 12. 2. Die Willensäufserung. § 136. a.
Das Wesen * .
Nicht alle Rechtsgeschäfte bestehen allein aus Willensäufserungen, aber kein Rechtsgeschäft kann ohne Willensäufserung bestehn. So rückt bei den Rechtsgeschäften die Willensäufserung in den Vordergrund der Betrachtung. I. Um rechtliche Bedeutung zu gewinnen, mufs der Willensentschlufs, praktisch in die Aufsen weit einzugreifen, geäufsert sein (§ 129). Das will besagen: der Wollende mufs sinnlich wahrnehmbar gemacht haben, dafs jene praktische Absicht in seinem Innern vorhanden sei. Man hat gesagt: die Willensäufserung ist der Wille in 11 Hiezu sind zu vergleichen die Untersuchungen von E n n e c c e r u s a. a. 0. S. 303 fg., 499 fg. und B e k k e r § 95. E n n e c c e r u s stellt voluntare und Realgeschäfte gegenüber und hebt als Merkmal der letzteren hervor, dafs ihre Rechtswirkung neben dem Geschäftswillen einen realen Vorgang erheischt. B e k k e r unterscheidet reine Willensgeschäfte und gemischte Geschäfte, d. h. Geschäfte, zu deren Thatbestand ein Naturalakt gehört. Indes nach L. 15 R. C. 12,1 ist Darlehnsbegründung ohne „Naturalakt" möglich. 12 L. 19 pr. R. C. 12,1 L. 20 pr. A. v. 0. H. 29,2 L. 3 § 1 0. e. A. 44,7. * W i n d s c h e i d , Wille und Willenserklärung. Leipz. Programm 1878, abgedruckt im Civ Archiv LXI1I Abh. 3; Z i t e l m a n n , Jher. Jahrb. X V I Abh. 8 und Irrtum und Rechtsgeschäft S. 238fg. (1878/79); E n n e c c e r u s , Rechtsgeschäft §2,7 (1888); P i n i i i s k i , Der Thatbestand des Rechtsbesitzerwerbs I I S. 281 fg. (1888).
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§ 13.
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seiner sinnlichen Erscheinung, der verkörperte Wille. Darin liegt eine Ungenauigkeit. Der Wille, das Gedankending, kann nie das Bereich des Innern verlassen. Was uns in der Aufsenwelt entgegentritt, ist sozusagen nur ein Abbild, eine Botschaft des Willens. Indes ist die Ungenauigkeit hier nicht gröfser als bei dem Urteil: der Wald ist grün, während es sich nur so im Urteilenden spiegelt. Das legt die Auffassung nahe, die Äufserung sei nur Erkenntnismittel für den rechtlichen Willen, nur um der Erweislichkeit willen geboten und nicht unentbehrlich, denn durch Eideszuschiebung könne festgestellt werden, dafs der Willensentschlufs im Geiste des Menschen vorhanden war. Nichts ist unrichtiger. Das Meinen und Wollen hat der Mensch für sich, nur seine Willenshandlung fällt dem Arm des Rechts anheim. Die Äufserung ist ein Entstehungselement des rechtlich erheblichen Wollens, das ohne sie für das Recht nicht ist. Wo in den Quellen das id quod actum est über das id quod scriptum est gestellt wird, da handelt es sich nicht um den Vorrang des ungeäufserten vor dem geäufserten Willen, sondern des aus andern Äufserungen erkennbaren Willens vor dem aus der Schrift entgegentretenden Willensbild. Blofse Erwartungen sind rechtlich bedeutungslos. Umgekehrt kann der Zweifel aufgeworfen werden, ob jeder Willensäufserung ein Willensentschlufs zu Grunde liegt. Es wird zuweilen das Verhalten eines Menschen als Äufserung eines Willens gedeutet, den er nicht hatte (§ 140—142). In Wirklichkeit liegt in diesen Erscheinungen eine Willensäufserung nicht vor sondern ein Thatbestand, der vom Recht einer Willensäufserung gleich behandelt wird. Nennen wir solches Verhalten Willensäufserung, so ist dies ungenau, aber unbedenklich und aus praktischen Gründen zuzulassen, wie wir manche Thatbestände Verträge nennen, trotzdem dafs eine Willensübereinstimmung fehlt (§ 142). II. Zur Äufserung des Willens dienen dem Menschen Rede, Schrift, gewisse Geberden, sonstige Handlungen (Hingeben, Wegwerfen, Ergreifen einer Sache, Zerreifsung oder Durchstreichung einer Urkunde u. a.). Rechtlich brauchbare Äufserungsmittel sind aber nur diejenigen Töne, Zeichen, Handlungen, welche nach Sitte und Brauch geeignet sind, in einem andern die Vorstellung von dem Dasein des Willens zu erwecken, denn die Äufserung mufs verständlich sein. (L. 7 § 2 de supp. legat. 33, 10). III. Die Willensäufserung scheidet sich in die Willenserklärung und in die sonstige Willensbethätigung (§ 129 I 2). Die Willenserklärung kann für eine bestimmte Person berechnet sein (z. B. Acceptation eines Angebots) oder eine Kundgebung für jeden, den es
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angeht (Bevollmächtigung, Anerkennung der Ehelichkeit eines Kinds, letztwillige Verfügung, Erbschaftsantritt u. a.) 1 . Nicht alle rechtlich erheblichen Mitteilungen enthalten Willensmitteilungen, es giebt rechtlich erhebliche Thatsachenanzeigen: Benachrichtigung des Schuldners von der Förderungsabtretung, des Verkäufers von dem Eviktionsprozefs, des Verpfänders vom beabsichtigten Pfandverkauf u. a. Diese Natur haben auch die Benachrichtigungen, um eine falsche Deutung des Stillschweigens auszuschliefsen 2. Umgekehrt kleiden sich zuweilen Willenserklärungen in das Gewand einer Thatsachenfeststellung z. B. bei Schuldscheinen.
§ 137. b. F o r m e l l e Willensäufserungen * .
Es ist üblich, die Rechtsgeschäfte und nicht die Willensäufserungen formell oder formlos zu nennen. Dagegen soll nichts eingewendet werden, man darf jedoch ein doppeltes nicht übersehn. Einmal beziehen sich die Formvorschriften immer nur auf die Willenserklärungen·, die Besitzübertragung ist so wenig eine Form beim Übereignungsgeschäft als die Preisgebung der Sache eine Form des Entäufserungsakts, sonst müfste auch die Realleistung die Form des Realkontrakts genannt werden 1. Ferner ist bei manchen Verträgen nur eine der beiden Erklärungen an eine Form gebunden (II A. 1). I. Der Gegensatz von formellen und formlosen Willensäufserungen wird nicht durch die Beschaffenheit des Äufserungsmittels bestimmt, auch eine schriftliche Erklärung kann formlos sein. Sie beruht vielmehr darauf, ob der Erklärende an die Wahl dieses Ausdrucksmittels gebunden war, oder ob er darin freie Hand hatte. Ein Rechtsgeschäft ist formell, wenn ein bestimmtes Erklärungsmittel gewählt werden mufs bei Vermeidung der Ungültigkeit oder wenigstens einer Einbufse an der civilrechtlichen Wirksamkeit des Geschäfts, 1 So wurde auch die väterliche Einwilligung in ein Verlöbnis behandelt, RGE. X X I Nr. 32 S. 182; anders der Schenkungswiderruf Seuff. X L I V 18. 2 HGB. A. 323, 347, 349, 364. Besonders zahlreich sind die Thatsachenanzeigen im Handelsrecht. HGB. Art. 310, 311, 319 Abs. 2 (ROHG. V Nr. 24 S. 305), 361, 365, 376. WO. Art. 45. * J h e r i n g , Geist I I § 4 5 - 4 7 ; B r i n z 1. A. § 353, 355, 356. Vom Standpunkt der Gesetzgebungspolitik F r ä n k e l , Jher. Jahrb. XXIV S. 391 fg. und Hefs, ebenda X X V I S. 198 fg. 1 B r i n z , Krit. Blätter I S. 27 u. Pand. 2. A. § 150 N. 41; B e k k e r , Besitz S. 86. A. M. Randa, Eigentum I S. 250, 279 N. 72.
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z. B. der Klaglosigkeit2. Formell ist die Willenserklärung auch dann, wenn der Partei mehrere Formen zur Auswahl gestellt sind (alternative Form Vorschrift) 3. Wo das Gesetz Formfreiheit giebt, kann durch Parteibestimmung die Willenserklärung an eine Form gebunden werden (gewillkürte Form). Meistens wird dies durch Vertrag geschehn, doch ist die Anordnung in einem Testament, in einer Stiftungsurkunde oder in einer andern einseitigen Verfügung nicht unmöglich4. Dazu ist noch zu bemerken: 1. Die Gesetze fordern zuweilen „ausdrückliche" Erklärung. Darunter ist in der Regel nichts weiter als ein unzweideutiger Willensausdruck verstanden, eine Auslegungs-, keine Formvorschrift, eine Weisung mehr für den Richter als für die Partei 5. Es kann freilich auch wörtliche Erklärung verlangt und somit eine Form vorgeschrieben sein. 2. Die schriftliche Fassung einer Willenserklärung liefert wie die Erklärung vor Zeugen zugleich ein Mittel zum Beweis. Aber die beiden Dienstleistungen von Urkunden und Zeugen sind so streng auseinander zu halten, wie Formvorschriften und Beweisvorschriften. Ein Gesetz, das die schriftliche Errichtung eines Rechtsgeschäfts gebietet, beschränkt nicht die Wahl der Beweismittel; ein Gesetz, das für gewisse Ansprüche z. B. Urkundenbeweis fordert, beschränkt nicht die Wahl für den rechtsgeschäftlichen Ausdruck 6. Ein 2 I b e r i n g , Geist I I bei Note 6 5 2 : „wenn sich die Nichtbeachtung der Form im Rechtsgeschäft selbst rächt." Die civilprozessualischen Vorteile, die mit dem Besitz einer Urkunde über das Rechtsgeschäft verknüpft sind, z. B. Urkundenprozefs nach CPO. § 555 fg. gehören nicht hieher; denn der Mangel einer Beurkundung hindert nicht die Entstehung des Rechts und die Beurkundung als solche erzeugt nicht die prozessualischen Vorteile; dies thut das Dasein der Urkunde im Zeitpunkt des Prozesses. 3 Ein Testament kann öffentlich oder mittels Privatakts, schriftlich oder mündlich errichtet werden, der Gesellschaftsvertrag bei Gründung eines Aktienvereins gerichtlich oder notariell (HGB. A. 208), die Intercession einer Frau in einer öffentlichen oder in einer von drei Zeugen unterschriebenen Urkunde u. ä. 4 Z i t e l m a n n , Die Rechtsgeschäfte im Entwurf I S. 153; U r a n i t s c h , Die Formverfügung bei Rechtsgeschäften (Sonderabdruck aus der Allg. Österr. Gerichtszeitung 1890) S. 16 fg. 6 So nach richtiger Ansicht C. 8 de novat. 8,41 [42], während Andere darin das Erfordernis wörtlicher Erklärung finden, ferner HGB. A. 22, 24 (ROHG. X Nr. 64 S. 291) und nicht anders die „besondere Abrede" in A. 351, 352. B ä h r , Urteile des Reichsg. S. 27 fg.; RGE. X I Nr. 71 S. 311. Eine praktische Anwendung der Unterscheidung siehe im Handb. des Handelsr. herausg. von Endemann I I S. 461. 6 Einerseits: die schriftliche Testamentserrichtung kann durch Zeugen, der
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Formerfordernis können die Parteien vereinbaren, nicht eine Beweisbeschränkung7. Ferner, der Geschäfts- oder Solennitätszeuge mufs, da er bei der Errichtung des Rechtsgeschäfts mitwirkt, Handlungsfähigkeit besitzen, er mufs zu diesem Dienst aufgefordert sein und sich freiwillig herbeilassen (testis idoneus, rogatus, voluntarius). Dies gilt alles nicht vom Beweiszeugen. 3. Der Gegensatz von formellen und formlosen Willenserklärungen hat nichts zu thun mit dem Gegensatz von Dispositiv- und Beweisurkunden. Jede schriftliche Willenserklärung erzeugt eine Dispositivurkunde, auch wenn die Schriftlichkeit nicht geboten war. Die Dispositivurkunde bildet den Körper der Willenserklärung, die aufser ihr nicht existiert 8. Die blofse Beweisurkunde giebt nur Zeugnis von einer anderweit vorgekommenen Thatsache, die auch eine Erklärung sein kann. Die Stipulationsurkunde war selbst im neuesten römischen Recht rechtlich angesehn blofse Beweisurkunde, dem praktischen Gebrauche nach freilich recht er zeugend, nicht blofs recht be zeugend. II. Sowohl im ältern römischen als im ältern deutschen Recht waren die Formgebote zahlreich; der Grund liegt in mehr als einem Umstand. Bei gröfserer Entwicklung des Verkehrs werden die Felsen und Klippen des Formalismus schwerer empfunden als die damit verknüpften Vorteile. Darum tritt nunmehr die Formfreiheit in die herrschende Stellung, der Formzwang wird zur Ausnahme9. Bei den Formvorschriften kommen in Betracht: die äufsere Beschaffenheit der Form, der Zweck und die Wirkung der Formvorschrift. standesamtliche Eheschliefsungsakt durch eine Urkunde bewiesen werden. Andrerseits : der Code civil art. 1341 fg. läfst bei Verträgen über 150 Franken nur Beweis durch Urkunden zu; es kann aber ein Schuldner seine Verpflichtung aus einem solchen Vertrage nicht wegen Mangels der schriftlichen Errichtung bestreiten. 7 Man darf jedoch mit dem unzulässigen Beweis-(mittel-)vertrag nicht verwechseln die zulässige materiellrechtliche Abhängigmachung eines Anspruchs z. B. auf Auszahlung der Feuerversicherungssumme von der Vorlage eines Verzeichnisses über die versicherten Mobilien. B ü l o w , Civ. Arch. L X I V S. 62 fg.; W a c h , ebenda S. 218, 225; K o h l e r , Der Prozefs als Rechtsverhältnis S. 17; Seuff. X L I V 59, aber auch D e g e n k o l b , Civ. Arch. L X X I S. 224 N. 89. 8 Inst, de litter. obl. 3,21: Olim scriptura f i e b a t obligatio L. 2 pr. de pact. 2,14: convenire per epistolam. Andre Beispiele giebt B r u n n e r , Zur Rechtsgeschichte der röm. u. german. Urkunde S. 61. 9 Die Regel stellt das HGB. A. 317 für Handelsgeschäfte auf. Unter Formzwang stehn die meisten letztwilligen Verfügungen, ferner Eheschliefsung, Adoption, Emanzipation, Schenkungen über 500 Solidi, Intercessionen der Frauen. Formell ist der Wechselvertrag. WO. A. 4, 11, 21. Über die Formvorschriften anderer Reichsgesetze M a n d r y , der civilr. Inhalt § 20 I.
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A. B e s c h a f f e n h e i t — Von dem Formenschatz des römischen wie des ältern deutschen Rechts10 ist das meiste dem heutigen Rechtsleben fremd. Der nüchternen Richtung der Neuzeit entsprechend fehlen symbolische Handlungen völlig, feierliche Rede und Gebrauch bestimmter Worte sind nur selten geboten11. In gröfserer Anwendung befinden sich die Zuziehung von Zeugen (z. B. Eheschliefsung, Testament), die Schrift, d. h. die Abgabe der Willenserklärung in einer Urkunde, die Mitwirkung einer vom Staate ermächtigten Person (persona publica). 1. Zur Vollendung der einfachen Geschäftsurkunde (Privaturkunde) gehört nach heutigem Recht die Unterschrift des oder der Erklärenden 1 2 . Bei Verträgen, worin nur der eine Teil Verpflichtung übernimmt oder ein Recht aufgiebt, genügt die Unterschrift dieses Vertragsteils in Verbindung mit der Aushändigung der Urkunde an den andern, bei gegenseitigen Verträgen der Austausch der einseitig unterzeichneten Urkunden 13 . Die Unterschrift kann bei schreibunfähigen Personen durch ein beglaubigtes Handzeichen, z. B. ein Kreuz ersetzt werden 14. Über die Zulässigkeit eines (faksimilierten oder nicht faksimilierten) Namens- (Firmen-) Stempels entscheidet die Verkehrssitte 1 5 . Dem Erfordernisse der Schriftlichkeit wird durch Briefwechsel sowie durch telegraphische Vermittlung genügt, wenn sich daraus der
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Im römischen Recht: gestum per aes et libram (nexum, mancipatio), in jure cessio, verba solennia (stipulatio, acceptilatio verbis, heredis institutio, legatum) litterae (expensilatio, acceptilatio litteris) ; eine tabellarische Übersicht giebt J h e r i n g , Geist I I § 46 nach N. 681. Über das deutsche Recht H e u s l e r , Institutionen I § 17, 18. 11 Fragestellung des Standesbeamten bei der Eheschliefsung (RG. v. 6. Febr. 1875 § 52), das Wort Wechsel in der Wechselurkunde (WO. Art. 4 Ziff. 1). 12 Über den Entwicklungsgang in Rom B r u n s , Die Unterschriften in den römischen Rechtsurkunden. Abhandlung, der Berliner Akademie 1876. Β run ne r , a. (Note 8) a. O. S. 44 fg. 13 B ä h r , Jher. Jahrb. XIV S. 41 fg.; R u d l off, Civ. Arch. L X X I I I S. 234 fg.; HGB. Art. 414 ; Plenarbeschlufs des Berl. OTrib. vom 5. Juli 1852; ROHG. X V I I I Nr. 4 S. 10; Sächs. Ges. § 825. Unter Umständen ist der Mangel der Unterschrift unschädlich. Seuff. X I I 318 X X I I I 182 X X V I I 70. 14 WO. A. 96, CPO. § 381 fordern gerichtliche oder notarielle Beglaubigung. — Kann ein Bevollmächtigter mit dem Namen des Machtgebers wirksam unterzeichnen? Bejaht ROHG. V Nr. 58 S. 263; RGE. IV Nr. 83 S. 314 fg.; Bl. f. RA. in Bayern 56. Jahrg. S. 360 fg. 15 RGE. XIV Nr. 24 S. 97. Die Anwendung eines Namensstempels wurde für die Unterzeichnung eines Wechsels verworfen in ROHG. XIV Nr. 102 S. 319. B i n d i n g , Handbuch. I. 7. 1: R e g e l s b o r g e r , Pand. I.
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Yertragsinhalt vollständig ergiebt und wenn beim telegraphischen Abschlufs die Aufgabeschriften unterzeichnet sind 10 . 2. Verschiedene Personen sind vom Staat ermächtigt, Willenserklärungen von Privaten zu beglaubigen, manche auch, in andrer Weise bei der Errichtung eines Rechtsgeschäfts mitzuwirken : Richter, Notare, Standesbeamte, Konsuln, sonstige öffentliche Beamte17. Es fällt ihre Thätigkeit unter die freiwillige Gerichtsbarkeit (jurisdictio voluntaria) 18 . Die Mitwirkung öffentlicher Personen kommt in verschiedener Gestalt vor: a. als blofse Entgegennahme der Parteierklärung, in der Regel in Verbindung mit Beurkundung (Protokollierung) der mündlich abgegebenen oder mit Beglaubigung der schriftlich vorgelegten Parteierklärung 19 . Dies ist die rein beurkundende Thätigkeit des öffentlichen Organs (jurisdictio voluntaria mera). Aber auch dabei ist der aufnehmende Beamte nicht blofse Schreibmaschine. Da er seine Hand nicht zu einem erkennbar nichtigen Akt leihen darf, so mufs er sich von den Voraussetzungen für die Gültigkeit des Geschäfts vergewissern (Identität und Handlungsfähigkeit der Personen, Zulässigkeit des Inhalts). Aber seine Beurkundung stellt diese Punkte nicht aufser Streit. b. als ein neben die Parteierklärung tretender, das Rechtsgeschäft ergänzender Willensakt des öffentlichen Beamten. Der Beamte will von sich aus, wenn auch im Parteiinteresse, das Rechtsgeschäft. Dieser Willensakt kann sein aa. formaler Art: so die Erklärung des römischen Prätors bei der in jure cessio und des heutigen Standesbeamten bei der Eheschliefsung 2 0 . 16 T h ö l , Handelsr. § 244 I 5 erkennt die Gleichstellung für den Fall an, dafs das Gesetz nur die Niederschrift des Inhalts, nicht aber, wenn es eine mit beiderseitiger Unterschrift versehene Urkunde verlangt. Ähnlich B ä h r , Gegenentwurf S. 25 fg., der urkundliche und schriftliche Form unterscheidet. Vgl. auch Motive I S. 189 und Z i t e l m a n n , Die Rechtsgeschäfte I S. 155, 158. 17 CPO. § 380: öffentliche Behörde oder eine mit öffentlichem Glauben versehene Person. Über „öffentliche Behörde" L. S e u f f e r t , Komm. z. CPO. § 380. 18 Gegensatz: die streitige Gerichtsbarkeit (jurisdictio contentiosa). L. 2 pr. de off. procons. 1,16; Reichsgerichts verfass. § 12, Einf.-Ges. dazu § 2. W a c h , Handb. d. Civilprozesses § 6. 19 Schenkung über 500 Solidi (§ 169), Intercession der Frauen, pignus publicum, Adoption, Emanzipation, öffentliches Testament. Vielfach in HGB. vorgeschrieben. Rein mündlich vollzog sich die agnitio bonorum possessionis edictalis. L e i s t , Glücks Komm. Ser. 37 u. 38 I I S. 159 fg. 20 K o h l e r , Jher. Jahrb. X X V I I I S. 179. Anders der Grundbuchrichter; er wirkt nicht bei dem Rechtsgeschäft mit, sondern vollzieht einen selbständigen
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bb. eine Genehmigung des Rechtsgeschäfts auf Grund vorgängiger Prüfung und der gewonnenen Überzeugung von der Zweckmäfsigkeit des Rechtsgeschäfts (jurisdictio vol. mixta) 21 . Das Gebot solcher Genehmigung liegt übrigens über eine Formvorschrift hinaus, es unterwirft die Verfügungsmacht der Partei einer Beschränkung und giebt die Ergänzung dem öffentlichen Organe anheim. Β. Zweck. Die Frage nach dem Zweck einer Formvorschrift ist nicht müfsig. Davon hängt die Beantwortung mancher praktischen Fragen ab, so ob bei einer formellen Willenserklärung Stellvertretung zulässig ist (§ 162 a. E.), ob ein formloser Vorvertrag zu einem formellen Hauptvertrag Gültigkeit hat u. a. 2 2 . Manche Formvorschriften verfolgen mehrere Zwecke. Und nicht überall kann der Zweck mit Sicherheit festgestellt werden. Die möglichen Zwecke sind folgende: 1. Durch den Formzwang soll auf den Willen der Partei eingewirkt, der Ernst des Entschlusses ihr zum Bewufstsein gebracht und Übereilung verhütet werden. So die Form für grofse Schenkungen (§ 169) und für die Intercession der Frauen, ferner die Testamentsfeierlichkeiten 23. 2. Es soll der Geschäftswille der Parteien einen unzweideutigen oder auch vollständigen Ausdruck erhalten. Dem erstem Zweck dient das Gebot, bestimmte Worte zu gebrauchen: nach römischem Recht heres bei der Erbeinsetzung, nach der deutschen WO. das Wort Wechsel in der Urkunde. Auf umsichtige Fassung des Geschäfts zielt vielfach die Vorschrift notarieller Fertigung ab. 3. Die Willenserklärung soll gegen Bestreitung gesichert werden durch Zuziehung von Zeugen oder durch schriftliche Verabfassung 24. 4. Bei den modernen Skripturrechten (Wechseln, Inhaberpapieren) Rechtsakt, der freilich dem Rechtsgeschäft erst zu seiner vollen Wirksamkeit verhilft. Ebenso der Führer des Handelsregisters in den Fällen von HGB. Art. 163, 178, 211. Vgl. § 141 N. 10. 21 Beisp. der Vergleich über letztwillig hinterlassene Alimente L. 7 § 2 L. 8 de transact. 2,15, der Zwangsvergleich KKO. § 170; L o h r , Z. f. Civ.-Proz. X V I S. 395 fg.; der Einkindschaftsvertrag S t o b b e , § 244 N. 11. 22 D e g e n k o l b , Vorvertrag (Freiburger Programm 1872) S. 34 fg. (Wiederabdruck im Civ. Arch. L X X I S. 38 fg.). Dort ist auch eine andere Unterscheidung der Form Vorschriften nach dem Zweck vertreten als die im Text folgende. Vgl. ferner K. A d l e r , Jher. Jahrb. X X X I S. 222 fg. 23 RGE. VI Nr. 49 S. 184 IX Nr. 43 S. 167. Irrig wird in RGE. X V I I I Nr. 51 S. 251 der Vorschrift für grofse Schenkungen lediglich der Zweck der Beweisführung unterstellt und daraus die bedenkliche Folge gezogen, dafs bei der Beurkundung für den Schenker ein Stellvertreter handeln kann. 24 Beisp. Schriftlichkeit bei der Beteiligung an einer Aktiengesellschaft nach HGB. Art. 208, Aktienr.ovelle von 1889 Art. 209 e. Weil damit nicht auf den Willen 32*
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bezweckt die Verkörperung in der Urkunde, die Übertragbarkeit zu erleichtern, das Recht umlaufsfähig (negoziabel) zu machen. Für sie ist die Urkunde nicht blofs Entstehungsgrund, sondern auch Träger des entstandenen Rechts, so dafs es mit der Urkunde untergeht 25. C. W i r k u n g . Wo nicht etwas Anderes bestimmt ist, hat die Vernachlässigung der Form die Folge, dafs das beabsichtigte Rechtsgeschäft nicht zur Entstehung kommt. Aber nicht immer entbehrt das Geschäft in dieser Gestalt jeder rechtlichen Wirkung. 1. Beruht der Formzwang auf Gesetz und soll dadurch allein oder zugleich auf die Willensentschlielsung der Parteien ein- oder auf die Unzweideutigkeit des Willensausdrucks hingewirkt werden, so erzeugt die formlose Willenserklärung nicht einmal die Verpflichtung der Parteien zur feierlichen Errichtung; auch die Verabredung einer Strafe für den diese Errichtung Weigernden ist unverbindlich 26. Bei Formvorschriften mit ausschliefslich anderm Zweck ist im Zweifel das Gegenteil anzunehmen27. 2. Bei gewillkürter Form entscheidet die Parteiabsicht. Sie kann dreifacher Art sein: jeder Teil soll bis zur feierlichen Errichtung noch ungebunden sein, oder die materiell vollständige Vereinbarung soll jeden Teil zur Mitwirkung bei der feierlichen Errichtung verpflichten (sogenannte Verlautbarungspflicht), oder die jetzige Verlautbarung soll für sich vollwirksam sein und nur zu gröfserer Sicherheit in feierlicher Form wiederholt werden. In den meisten Fällen sprechen sich die Parteien darüber nicht aus. Dann ist die Bedeutung aus den Umständen zu bestimmen, als da sind Wert des Vertragsgegenstands, der mehr oder weniger verwickelte Vertragsiiihalt u. ä. Wird die Formabrede erst nach Vollendung des Vertrags getroifen, so spricht die Wahrscheinlichkeit dagegen, dafs die Parteien die schon eingetretene Verbindlichkeit ganz oder teilweise aufheben wollten 28 . Im entgegengesetzten Fall wird es im des Handelnden eingewirkt werden soll, ist Stellvertretung zulässig. RGE. V Nr. 83 S. 309. 26 Näheres gehört in das Handelsrecht. B r u n n e r , in Endemanns Handb. I I S. 144 fg.; G o l d s c h m i d t , System d. Hdlsr. § 83a. 26 Seuff. XXV 228 u. Nachw. Ob der Mangel der Form durch eidliche Bekräftigung der Erklärung geheilt werden kann, darüber siehe § 176 III. 27 Dafs bei einem Vertrag, der gerichtlicher Bestätigung bedarf, die vorausgehende Verabredung ein pactum de contrahendo für die durch das Bestätigungserfordernis zu schützende Partei begründe, behauptet J h e r i n g in seinen Jahrb. I S. 300, wogegen aber A d l e r a. (Note 22) a. 0. S. 234 ein entscheidendes Bedenken vorbringt. 28 Seuff. 1 198 V I I I 350 X I I 259 X V I 102.
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§ 13.
Zweifel an der Bindungsabsicht fehlen, wenn der Vertrag nur mündlich geschlossen ist 2 9 . Dagegen läfst die Unterzeichnung einer vorläufigen Niederschrift des in allen materiellen Punkten vereinbarten Vertrags auf Begründung der Verlautbarungspflicht schliefsen 30. So nach heutigem Recht. Ob auch nach Justinianischem, hängt von der Auffassung der C. 17 de fide instrum. 4, 21 ab. Wahrscheinlich verordnete der Kaiser, dafs ein Vertrag, für den die Parteien schriftliche Errichtung beschlossen, vor Herstellung der Reinschrift und vor Unterzeichnung durch die verfügende Partei jede verbindliche Kraft entbehren soll 3 1 . Allein in diesem Sinn hat sich die Verordnung in Deutschland nicht eingebürgert. Dies bezeugen die au die Öffentlichkeit gelangten Anwendungsfälle, wenn sie auch in der positiven Auffassung auseinander gehn 32 . Wird ein mündlicher Vertrag nachher von den Parteien wenn auch nur des Beweises wegen schriftlich verabfafst, so liegt darin eine Wiederholung des Vertragsschlusses, die Urkunde ist Dispositivurkunde 33. Bei jeder Vertragswiederholung darf im Zweifel als Absicht angenommen werden, dafs eine nicht aufgenommene frühere Abrede aufgegeben worden sei 34 . Jedoch ist gegen diese wie gegen jede andere schriftliche Fassung die Anfechtung zulässig, dafs der materiellen Vertragsabsicht ' zuwider das mündliche Übereinkommen 29
Anders wenn Daraufgeld gegeben und genommen ist (Seuff. X L V 241), und beim Realvertrag, wenn die Sache sofort hingegeben wird. U r a n i t s c h a. (Note4) a. 0. S. 28 fg. 30 Seuff. X I 33 X X X I I I 295. In RGE. IV Nr. 58 S. 200 wurde für das Ehegelöbnis das Gegenteil angenommen. 31 Ebenso K e l l e r § 222; T h ö l , Hdlsr. § 243; D e r n b u r g I I § 10 N. 2. Vgl. auch B r u n η er a. (Note 8) a. 0. S. 63, 72. Andere erblicken in der Konstitution nur eine Form Vorschrift für die Vollendung einer Urkunde. S e t z e r , Über die Verabredung der Schrift. 1860; B r i n z 1. A. S. 1563; W i n d s c h e i d § 312 N. 2; U r a n i t s c h a. (Note4) a. 0. S. 5. Wieder anders P u c h t a § 251 N. a; S a v i g n y OR. I I S. 244; U n g e r § 86 N. 16, 17; B ä h r , Jher. Jahrb. XIV S. 382. 32 Seuff. I 198 XXV 225 X X V I I 208 X X X I I 295 X X X V I 19 (RG.) X L V 241 RGE. IV Nr. 58 S. 200. Übereinstimmend D e r n b u r g I I § 10 N. 3; B e k k e r § 93 Beil. V. Ausführlicheres bei R e g e l s b e r g e r , Vorverhandlungen bei Verträgen S. 145—160. 33 Über diese in der Litteratur bis dahin vernachlässigte Frage B ä h r , Anerkennung § 34, in Jher. Jahrb. XIV S. 39 und Urteile des RGerichts S. 105 fg.; R e g e l s b e r g e r , in Endemanns Handb. I I S. 446 ; Degen ko l b , Civ. Arch. L X X I Abh. 5: Die Vertragsvollziehung als Vertragsreproduktion. 34 Seuff. I I I 30 154 V I 19 I X 223 X 248 XV 13 X V I I 125 XX 217 X X I 33 XXIV 229 X X V I 116 XXXIX 239; ROHG. I Nr. 73 S. 259 I I I Nr. 45 S. 203 V I I Nr. 32 S. 118 X Nr. 18 S. 102 Nr. 132 S. 433 X I I I Nr. 82 S. 239 X V I I Nr. 50 S. 226 XXV Nr. 75 S. 305.
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unvollständig oder verändert wiedergegeben sei. Der Angriff enthält die Behauptung, dafs etwas erklärt sei, was nicht gewollt war. Allein den Angreifenden trifft die Beweislast, wobei die Thatsache, dafs der schriftliche Vertragsschlufs die neuere Willenserklärung und in der Regel die sorgfältigere Fassung enthält, einen starken Beweisgrund gegen ihn bildet 35 . Änderungen und Ergänzungen des schriftlichen Vertrags durch nachträgliche mündliche Vereinbarung sind gültig, wenn der Hauptvertrag nicht einem gesetzlichen Formzwang unterliegt 36 .
§ 138. c.
Formlose, ausdrückliche u n d stillschweigende Willensäufserungen * .
I. Die formlosen Willensäufserungen kennzeichnen sich dadurch, dafs ihre rechtliche Gültigkeit nicht von der Wahl einer bestimmten Äufserungsart abhängig ist (§ 137 I). Unter den Äufserungsmitteln steht das Wort, das gesprochene und das geschriebene, oben an. Das Wort geht in dem Zweck auf, Mittel für die Gedankenoffenbarung zu sein. Dem Worte sind durch Sitte und Brauch gewisse Zeichen gleichgestellt (Nicken, Winken, Hinzeigen, Handschlag u. a.) 1 . Der menschliche Wille bricht sich aber noch in andrer Weise Bahn in die Aufsenwelt. Erfahrungsgemäfs sind gewisse Handlungen und Verhaltungsweisen von einem bestimmten Willen beherrscht, z. B. das Zurückgeben des Schuldscheins vom Gläubiger an den Schuldner mit dem Willen, die Schuld als getilgt zu betrachten. Das Vorkommen einer solchen Handlung oder eines solchen Verhaltens recht35
L. 36 V. 0. 45,1 C. 5 plus valere 4,22 C. 1 de usur. 4,32; B ä h r , Urteile des RGer. S. 105; H a r t mann, Jher. Jahrb. XX S. 45; F r ä n k e l , ebenda X X I V S. 431; Seuff. XIX 14 XX 116 X X V I I 269 XXX 89; ROHG. I Nr. 24 S. 91 I I Nr. 45 S. 186 V Nr. 6 S. 29 XIV Nr. 14 S. 34 X V I Nr. 20 S. 62, Nr. 55 S. 191. Aber auch X L V I 93 (RG.). 36 ROHG. IV Nr. 31 S. 161 mit I I I Nr. 88 S. 435; Seuff. X X X V I 178 (RG.); B e k k e r § 93 Beil. V a. E. * S a v i g n y I I I § 131—133; L e o n h a r d , Irrtum bei nichtigen Verträgen S. 172 fg. (1882); H a r t m a n n , Civ. Arch. L X X I I Abh. 6 (1888); P i n i n s k i , Der Thatbestand des Sachbesitzerwerbs I I S. 317 fg., 439 fg. (1888); E h r l i c h , Die stillschweigende Willenserklärung (1893). 1 Nutus L. 52 § ult. O. e. A. 44,7, Adnuere L. 1 § 2 V. 0. 45,1, Digito ostendere L. 6 R. C. 12,1 L. 59 [58] de hered. inst. 28,5.
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Die Rechtsgeschäfte.
§ 13.
fertigt den Schlufs auf das Dasein dieses Willens. Darum werden sie schlüssige H a n d l u n g e n (facta concludentia) genannt2. II. Es ist hergebracht, innerhalb der formlosen Willensäufserungen ausdrückliche und stillschweigende zu unterscheiden. Aber alle Versuche, ein festes Unterscheidungsmerkmal zu gewinnen, sind bis jetzt mifslungen. Der Gegensatz wäre klar, wenn die stillschweigenden Willensäufserungen auf den Willensausdruck durch Schweigen beschränkt würden. Allein gerade darüber besteht Einverständnis, dafs eine stillschweigende Äufserung auch in einer positiven Handlung enthalten sein kann. Die Einen nennen die Äufserung ausdrücklich, wenn die Handlung zum Zweck dieser Willenskundgebung vorgenommen ist 3 . Dies ist aber auch beim Schweigen möglich. Und dann: woraus erkennt man die Absicht? Andere legen das Gewicht auf die äufsere Beschaffenheit der Äulserungshandlung: ausdrücklich sei die Äufserung, wenn dafür ein nach der Lebenssitte gebräuchliches oder ein besonders festgesetztes Mittel gewählt ist 4 . Aber gehört dahin blofs die Wortund Zeichensprache? Bei der Unsicherheit jenes subjektiven und dieses objektiven Moments wird auch durch Verbindung beider nichts gewonnen5. In der That handelt es sich bei diesem Gegensatz nur um die gröfsere oder geringere Unzweideutigkeit des Willensausdrucks. Zuweilen fordern die Gesetze die erstere 0, häufig lassen sie auch die zweite zu. Man mag letztere die stillschweigende Äufserung nennen, aber eine besondere Theorie läfst sich dafür nicht aufstellen 7. III. Die Äufserungsmittel stehn sich an Zuverlässigkeit nicht 2
§ 7 J. de her. qual. 2,19: pro herede gerere quis videtur, si rebus hereditariis tamquam heres utatur vel vendendo res hereditarias aut praedia colendo locandove rlq. L. 20 A. v. 0. H. 29,2 L. 95 eod. L. 5 rat. rem haberi 46,8. 3 S a v i g n y I I I S. 242; B e k k e r § 93 Beil. I. 4 W i n d s c h e i d § 72 N. 9: Z i t e l m a n n , Irrtum S. 269 fg. u. die Rechtsgeschäfte im Entwurf I S. 92 fg.; L e o n h a r d , Irrtum S. 201. 5 B r i n z 1. A. S. 1557: „Stillschweigende WErkl. sind Handlungen, deren mitunterlaufender Sinn nicht durch Aug und Ohr, sondern durch den Verstand mittelst Folgerung erfafst wird." Indes S. 1560: „auch die . . . Worte sind nicht selten zweideutig." D e r n b u r g I S. 98 unterscheidet die specielle (ausdrückliche) d. h. das Geschäft besonders bezeichnende und die in allgemeiner Weise dem Geschäft Ausdruck gebende Erklärung, daneben die indirekte E. und die E. durch Schweigen. 6 L. 7 § 1 de sponsal. 23,1: nisi evidenter dissentiat L. 2 § 2 sol. matr. 24,3 C. 8 de novat. 8,41 [42] Nov. 1 cap. 2 § 2 u. a. In neueren Gesetzen wird mit ausdrücklicher Erklärung" in der Regel eine unzweideutige, möglicherweise eine wörtliche verlangt. Oben § 137 I 1. 7 Dies ist das Ergebnis der Untersuchung von H a r t ma η n a. a. 0. Unabhängig davon hat P i n i n s k i I I S. 442 dieselbe Ansicht entwickelt.
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gleich. Absolute Sicherheit bietet keines von ihnen, selbst nicht das Wort, da auch bei ihm ein Vergreifen, eine ungenaue Wahl unterlaufen und die Verschiedenheit des Sprachgebrauchs das Verständnis stören kann. Noch weiter liegen vom Ziel der absoluten Zuverlässigkeit die schlüssigen Handlungen ab, die meistens nicht in der Absicht der Willenskundgebung ihren Anlafs haben, sondern diesen Dienst nur zugleich verrichten, gewissermafsen Willensverräter sind. Indes mufs die Rechtsordnung wie das Leben mit relativen Gröfsen rechnen und sich mit derjenigen Sicherheit begnügen, welche die durchschnittliche Erfahrung an die Hand giebt. Der Wille, der nach menschlicher Erfahrung mit einer wörtlichen oder werkthätigen Äufserung verbunden zu sein pflegt, ist für das Recht der Wille des einzelnen Falls. Auf diesen Willen kann sich der Handelnde berufen, für diesen wird er verantwortlich gemacht. In diesem Sinn ist die Forderung zu verstehn, dafs sich der Wille aus dem Äufserungsthatbestand mit Sicherheit ergeben mufs. Bei der Würdigung des Verhaltens ist davon auszugehn, dafs eine Person vernünftig und redlich gehandelt habe8. Niemand kann die Verantwortung für seine Handlungsweise mit der Berufung bekämpfen, er sei in unredlicher Weise zu Werk gegangen9. Die Deutung einer Handlung nach der Regel des Lebens wird übrigens dadurch ausgeschlossen, dafs der Handelnde bei der Handlung seinen abweichenden Willen erklärt. Dieses Schutzmittel ist die Verwahrung oder Protestation; sie wird Vorbehalt oder Reservation genannt, wenn sie sich gegen die Unterstellung des Verzichtswillens richtet 10 . Verwahrung und Vorbehalt versagen aber den Dienst, wenn die Handlung mit dem behaupteten Willen unvereinbar ist (sog. protestatio facto contraria); sie würden hier nur den Deckmantel bilden, um die erwünschten Folgen einer Rechtshandlung einzuheimsen, ohne die unerwünschten in den Kauf zu nehmen11. 8
Vernünftig, also mit Erwägung der Mittel zur Erreichung des beabsichtigten Zwecks. Daher stillschweigende Servitutbestellung bei Veräufserung eines von zwei aneinander grenzenden dem Veräufserer gehörigen Grundstücken. L. 15 § 1 de usu et usufr. 33,2. Vgl. ferner L. 8 quemadm. serv. amitt. 8,6. 9 L. 26 § 1 de pign. 20,1 L. 8 § 6 L. 9 § 1 quib. mod. pign. 20,6 L. 43 § 1 de adm. tut. 26,7 L. 4 pr. de doli m. except. 44,4 C. 2 si aliéna res pign. 8,15 [16] C. 11 de evict. 8,44 [45]. Auffallend L. 21 pr. A. v. O. II. 29,2. Wahrscheinlich war die diebische Absicht aus der Ergreifung erkennbar. Vgl. jedoch H a r t m a n n a. a. 0. S. 186. 10 L. 14 § 1, 7 de relig. 11,7 L. 4 § 1 quib. mod. pign. 20,6 L. 1 § 11 de agnosc. liber. 25,3 L. 20 § 1 A. v. 0. H. 29,2. 11 Seuff. X X V I 142 (unzweideutige Erbenhandlungen unter Verwahrung gegen die Unterstellung des Erbschaftsantritts). Vgl. I I I 315 X X X V I 259.
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IV. Schweigen ist im allgemeinen kein schlüssiges Verhalten, es drückt weder Bejahung noch Verneinung aus, weder Annahme noch Ablehnung von etwas Angebotenem, weder Genehmigung noch Mifsbilligung einer fremden Handlung. Der landläufige Satz: qui tacet consentire videtur 12 ist eine unrichtige Verallgemeinerung eines richtigen Gedankens. Schweigen gilt nämlich dann als Zustimmung, wenn es nach den Umständen des Falls in einem Beteiligten berechtigterweise das Vertrauen in die Zustimmung des Schweigenden erweckt und wenn dem Schweigenden eine Verletzung der im Verkehr gebotenen Redlichkeit zur Last fallen würde, falls sein Wille auf Verweigerung der Zustimmung gerichtet ist 1 3 . Es mufs sich demnach eine objektive und eine subjektive Voraussetzung vereinigen: die Gesamtlage mufs zu dem Glauben an die Zustimmung triftigen Grund bieten, wobei Verkehrs- und Ortssitte in Betracht kommen (ROHG. V Nr. 7 S. 34), und der Schweigende mufs sich der Umstände, die ihm im Fall der NichtZustimmung Reden zur Pflicht machten, bewufst gewesen sein oder es mufs ihm der Mangel dieses Bewufstseins zur Nachlässigkeit gereichen 14. Das Schweigen kann auch den Schlufs auf Verneinung bezw. Ablehnung rechtfertigen. Doch ist dies eine seltne Erscheinung und wird nicht leicht ohne eine positives Verhalten vorkommen 1 5 . V. Dem Zweifel über die Schlüssigkeit eines Verhaltens hilft zuweilen das Gesetz ab, indem es die Annahme eines bestimmten Willens bei gleichstehender Wagschale vorschreibt. Solche Auslegungs12
Er findet sich in cap. 43 de reg. jur. in V I 0 5,12. Aber schon cap. 44 eod. verbessert ihn nach L. 142 R. J. 50,17: Qui tacet, non utique fatetur, sed tarnen verum est, eum non negare. L. 8 § 1 de procur. 3,3. 13 Wissentliche Zulassung fremder Verfügung über unsere Sache L. 12 de evict. 21,2 L. 38 § 1 de donat. i. v. 24,1 C. 2 si aliéna res pign. 8,15 [16]. Stillschweigende Verbürgung L. 4 § 3 de fidej. et nom. 27,7; Auftrag oder Vollmacht durch wissentliche Zulassung fremder Geschäftsbesorgung L. 6 § 2 L. 18 mand. 17,1 L. 60 R. J. 50,17; RGE. I Nr. 4 S. 8. Nachträgliche Genehmigung durch Stillschweigen L. 16 ad SCm. Mac. 14,6; ROHG. I Nr. 22 S. 79, Nr. 43 S. 148 IX Nr. 31 S. 105 X I I I Nr. 71 S. 211; Seuff. X L I I 95 u. Nachw. Belehrend sind auch die Fälle, in denen dem Schweigen die Schlüssigkeit abgesprochen wurde: ROHG. I I Nr. 71 S. 304 XIX Nr. 42 S. 124 X I Nr. 37 S. 102; RGE. I Nr. 9 S. 21; Seuff. X L I V 155. 14 Daher die Hervorhebung: si praesentes fuerunt L. 12 de evict. 21,2 L. 4 § 3 de fidej. et nom. 27,1 — si seit L. 1 § 3 de tribut, act. 15,4 L. 38 § 1 de donat. i. v. 24,1 C. 1 de remiss, pign. 8,25 [26] — errantis nulla voluntas L. 20 de aqua 39,3, noch stärker: si sciens in fraudem créditons dissimulasti C. 2 si al. res pign. 8,15 [16]. 15 L. 26 de probat. 22,3; B e k k e r I I S. 20.
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regeln finden sich in ältern und neuern Gesetzen16. Sie finden sich auch für mehrdeutige oder undeutliche wörtliche Erklärungen 17 und haben hier wie dort dieselbe Bedeutung: sie sollen das richterliche Urteil in erster Linie unterstützen und nur insoweit binden, als die entgegengesetzte Deutung in den Umständen des Falls keinen genügenden Anhalt besitzt oder das fragliche Verhalten als arglistig erscheinen liefse. Sie entbinden daher im einzelnen Fall nicht von der genauen Prüfung des Gesamtthatbestands. Manche Juristen nennen diese Auslegungsregeln Rechtsvermutungen, praesumtiones juris. Dagegen ist nichts einzuwenden, um so mehr gegen die Bezeichnung Willensfiktionen. Die Fiktion stellt das Gegenteil von der Wirklichkeit auf (fictus possessor, fictio legis Corneliae, actio ficticia), während bei den Auslegungsregeln die Gesetzesannahme in der Mehrheit der Fälle mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Wenn das Gesetz eine Rechtsfolge an eine Willensfiktion knüpft, da erklärt es den Willen für entbehrlich. Die römische Jurisprudenz bedient sich zuweilen der Willensfiktion als Mittel zur Erklärung einer positiven Rechtsvorschrift 18. Wir haben keinen Grund, ihr hierin Folge zu leisten, so wenig als in der Zurückführung der gesetzlichen Pfandrechte auf vermutete Bestellung (tacita conventio) 19 , da z. B. die Entstehung dieser Pfandrechte durch die Handlungsunfähigkeit des Eigentümers nicht gehindert wird. d.
Übereinstimmung von W i l l e u n d E r k l ä r u n g * .
§ 189. aa. D i e E r s c h e i n u n g e n . Auf den ersten Blick scheint die hier angezeigte Untersuchung von einer unmöglichen Voraussetzung auszugehn. Der Wille als ein Innerliches wird Andern nur durch die Erklärung erkennbar : wie soll 16
L. 2 § 1 L. 57 pr. de pact. 2,14 L. 5 § 2 in quib. caus. pign. 20,2. HGB. Art. 7 Abs. 2, Art. 288, 296, 339 u. a. 17 L. 23 § 1 SPU. 8,2 L. 9 de probat. 22,3 L. 57 i. f. J. D. 23,3 L. 102 de cond. et dem. 35,1 C. 9 quae res pign. 8,16 [17]; HGB. Art. 280, 284, 285. 18 L. 2 § 2 sol. matr. 24,3 (§ 129 N. 7) L. 12 § 2 de captiv. 49,15 (Einwilligung des kriegsgefangenen Vaters). 19 L. 3,4 pr. L. 5 § 2 L. 6 in quib. caus. pign. 20,2. Hier gab die Fassung der formula hypothecaria den Anstofs zu der Konstruktion. Zum Ganzen B u r c k h a r d , Die civilist. Präsumtionen S. 306 fg. * Die Lehre von der Ubereinstimmung zwischen Wille und Erklärung wurde bis vor wenigen Jahrzehnten ohne tieferes Eingehn auf die thatsächlichen Erschei-
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eine Abweichung festgestellt werden? durch das Selbstzeugnis des Wollenden? welch unzuverlässiger Schlüssel! In Wirklichkeit wird bei dieser Fragestellung Erklärung im Sinn eines blofsen Stücks von dem gesamten Thatbestand genommen, aus dem der Wille einer Person erhellt. Jedes Verhalten eines Menschen, selbst die wörtliche Erklärung, empfängt ihr rechtes Licht erst aus den gesamten Umständen, unter denen sie in die Erscheinung tritt. Immerhin bildet die wörtliche Mitteilung regelmäfsig den Kern im Gesamtstoff für die Willenserkenntnis, sie allein tritt dem Urteiler abgeschlossen gegenüber. Daher rührt es, dafs man das zum Zweck der Willensmitteilung gesprochene oder geschriebene Wort oder das seine Stelle vertretende Zeichen oder Werk als die Erklärung zu fassen gewohnt ist und dafs man von einer Abweichung zwischen Wille (d. h. wie er aus der Gesamtheit der Umstände erhellt) und Erklärung sprechen kann. Um eine feste Grundlage für die Darstellung der rechtlichen Behandlung zu gewinnen, sollen zuvörderst die thatsächlichen Erscheinungen der Abweichung festgestellt werden. I. Rechtsgeschäfte enthalten Willensäufserungen. Folgende Vorgänge sind nun geeignet, bei Dritten die Annahme der Willensäufserung einer Person zu erwecken, ohne dafs sie Ausflüsse des Willens dieser Person sind ; es liegt der blofse Schein einer Willensäufserung vor : 1. Es ist jemanden mittels körperlicher Überwältigung die Hand nungen und auf die Bedürfnisse des Rechtslebens, darum mit seltnem Einmut behandelt. Den damaligen Stand spiegelt am deutlichsten die Darstellung von Sav i g n y I I I § 134 — 139 wieder. Seitdem ist die Untersuchung eindringender geführt worden; aber mit dem Einblick in die Mannigfaltigkeit der Fragen ist die Erkenntnis von der Schwierigkeit der Behandlung und die Verschiedenheit der Meinungen gewachsen. Aus der zahlreichen Litteratur der jüngeren Zeit ist zu erwähnen: B r i n z , 1. Aufl. S. 1393—1420 (1870, 2. A. § 525—529); H o l d e r , Krit. VJSchr. XIV S. 561—583 (1872); R o v e r , Über die Bedeutung des Willens bei Willenserklärungen (1874); B ä h r , Jher. Jahrb. XIV Abh. 9 (1875); S c h a l l , Der Parteiwille im Rechtsgeschäft (1877); W i n d s c h e i d , Wille und Willenserklärung (Leipz. Programm 1878, abgedruckt im Civ. Arch. L X I I I Abh. 3); K o h l e r , Jher. Jahrb. X V I Abh. 2 u. 7 (1878); Z i t e l m a n n , ebenda Abh. 8 u. in Irrtum und Rechtsgeschäft S. 235 fg., 396 fg. (1878, 1879); Sehe i f f , Die Divergenz zwischen Wille und Erklärung (Bonner Dissert. 1879); M o m m s e n , Erörterungen, Heft 2 (1879); B r u n s , Kleine Schriften I I S. 473 fg. (vor 1881); H a s e n ö h r l , Das österr. Obligationenrecht I § 43, 45 (1881); H a r t m a n n , Jher. Jahrb. XX Abh. 1 (1882); T h o m s e n , Die rechtl. Willensbestimmung (Kieler Dissert. 1882); L e o n h a r d , Der Irrtum bei nichtigen Verträgen (1882, 1883); W e r t hau er, Über den Einflufs des Irrtums auf Verträge (1887); E i s e l e , Jher. Jahrb. XXV Abh. 10 (1887); U n g e r , Grünhuts Ζ. XV S. 673 fg. (1888); P i n i i i s k i , Der Thatbestand des Sachbesitzerwerbs I I S. 281 fg. (1888); E n n e c c e r u s , Rechtsgeschäft (1888); K o h l e r , Jher. Jahrb. X X V I I I Abh. 4 (1889); P f i z e r , ebenda X X I X Abh. 3 (1890).
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zur Unterschrift geführt worden (sog. vis absoluta oder mechanica). Dem stehn die Äufserungen im Traume, im somnambülen oder im hypnotischen Schlaf gleich. 2. Es wird jemanden eine Willenserklärung unterschoben, z. B. durch Fälschung einer Urkunde, durch Erfindung einer Botschaft, durch Mifsbrauch seines Telephons1. 8. Der Bote giebt absichtlich oder unabsichtlich einen von seinem Auftrag abweichenden Bericht ab, der Telegraph meldet anderes als aufgegeben, der Briefträger bestellt den Brief an eine falsche Adresse. Hier hat der Absender die Abgabe einer Erklärung gewollt und den Urheber der Verstümmlung zum Übermittler gewählt. Er hat aber nicht die übermittelte Erklärung gewollt, sie ist durch eine ihm fremde Kraft hervorgebracht 2. II. Die rechtsgeschäftliche Erklärung wird durch den Willen geschaffen und ist zugleich (normalerweise) Ausdruck eines Willens, der auf einen aufserhalb der Erklärung liegenden Zweck, auf eine rechtliche Wirkung gerichtet ist. Man mufs daher bei der rechtsgeschäftlichen Erklärung einen doppelten Willen unterscheiden: den Willen, der die Erklärung als äufsere That setzt (Erklärungswillen), und den Willen, den die Erklärung zur Kenntnis bringt (erklärten Willen) 3 . Nun kann die Erklärung gewollt sein, aber nicht gewollt, was die Erklärung besagt. Der Sinn der Erklärung entspricht nicht dein Willen des Erklärenden. Die Abweichung kann vom Erklärenden absichtlich oder unabsichtlich herbeigeführt sein. A. Die Abgabe einer Erklärung in dem Bewufstsein, dafs sie auf eine dem Erklärenden mangelnde rechtsgeschäftliche Absicht hinweist, kann geschehn: 1. ohne Täuschungsabsicht zu harmlosem Zweck: im Scherz, beim Unterricht, auf der Bühne, zur Vorbereitung eines Rechtsgeschäfts 4. Das ist die h a r m l o s e n i c h t e r n s t l i c h e E r k l ä r u n g . 2. in der Absicht, im Erklärungsempfänger die irrtümliche Meinung zu erwecken, der Erklärende habe die erklärte rechtsgeschäft1 Seuff. XXXV 159, 242 X X X V I 227 X L V 201. M e i l i , Telephonrecht S. 202 fg. und Die Internationalen Unionen (Ein Vortrag 1889) S. 21. 2 Dazu Z i t e l m a n n , Rechtsgeschäfte im Entwurf I I S. 40, 153. 3 Z i t e l m a n n , Irrtum S. 243 hat dafür Wille und Absicht gewählt, gegen den Sprachgebrauch. S i g w a r t , Kleine Schriften I I S. 137. Gegen die Unterscheidung selbst P i n i ri s k i I I S. 382 ohne zureichenden Grund. 4 L. 3 § 2 O. e. A. 44,7; Varro de lingua lat. V I s. v. spondere. Seuff. X X X I X 28 (Testamentsentwurf). Ein eigentümlicher Beweggrund in RGE. V I I I Nr. 63 S. 249 (zur Bekräftigung einer Behauptung).
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Die Rechtsgeschäfte.
§ 13.
liehe Absicht. Das ist die M e n t a l r e s e r v a t i o n 4 ' . Sie ist bona mente möglich z. B. zur Beruhigung eines Kranken, sie wird aber meistens in der Absicht zu schädigen oder in der unsittlichen Befriedigung an der Täuschung wurzeln. 3. Nahe verwandt ist damit die S i m u l a t i o n . Hier wie dort wird absichtlich zur Täuschung Andrer der äufsere Thatbestand eines Rechtsgeschäfts hergestellt ohne den Willen, die demselben entsprechende rechtliche Wirkung hervorzurufen. Beim simulierten Vertrag täuscht aber nicht ein Vertragsteil den andern, sondern beide täuschen im Einverständnis die übrige Welt mit dem Vorgeben eines Rechtsgeschäfts, das sie in Wirklichkeit nicht wollen. Das einseitige Rechtsgeschäft wird zum simulierten, wenn der Erklärende den Mangel der rechtlichen Absicht demjenigen zu erkennen giebt, auf dessen Rechtsverhältnisse das ernstgemeinte Geschäft einwirken würde, und allen Andern gegenüber verheimlicht 5. Die Simulation tritt in zweifacher Gestalt auf: entweder die Simulanten wollen überhaupt kein Rechtsgeschäft, ihr Zweck vollendet sich in der Erzeugung des Scheins, z. B. Scheinverkauf einer Sache, um sie dem Zugriff der Gläubiger des Verkäufers zu entziehn6 ; das simulierte Geschäft ist ein leeres Geschäft — oder die Simulanten bergen unter dieser Hülle ein andres Rechtsgeschäft, z. B. eine Schenkung unter der Maske des Verkaufs 7; das simulierte Geschäft ist ein verdecktes Geschäft. B. Die unbeabsichtigte Abweichung, welche die Römer mit clem vieldeutigen error, die Unsrigen mit dem nicht minder vieldeutigen Irrtum bezeichnen, begreift zwei wesentlich verschiedene Vorgänge: 1. die Verirrung in der Erklärung: das sich Versprechen, Verschreiben, Vergreifen 8, 4 * Enger fafst den Begriff S c h e u r l , Civ. Arch. L X X I I I S. 342 fg., im Widerspruch mit der herrschenden Auffassung, von einer falschen psychologischen und einer falschen juristischen Auffassung ausgehend, mit nicht unbedenklichen rechtlichen Folgen. 5 Seuff. X L I I 280 : simulierter Erbschaftsausschlag. Z i t e l m a n n , Die Rechtsgeschäfte im Entwurf I I S. 8 fg.; K o h l e r , Jher. Jahrb. X X V I I I 175. 6 Andre Beispiele L. 4 § 5 de in diem add. 18,2 L. 64 de donat i. v. 24,1; ROHG. XXIV Nr. 85 S. 323; Seuff. X X V I 211; H a r t m a n n , Jher. Jahrb. XX S. 3 (Scheinverkauf, um einen ernsten Kaufliebhaber zu schrauben). 7 Umgekehrt C. 23 mand. 4,35. Vgl. ferner Seuff. X X X I 61 X X X V I I I 102. 8 L. 9 pr. — § 5, 7 de hered. inst. 28,5 L. 4 pr. L. 15 pr. de legat. I. Hieher gehört auch der Druckfehler in einer öffentlichen Erklärung (RGE. V I Nr. 28 S. 102), denn der Verfasser hat die gedruckte Erklärung als seine Erklärung ausgegeben. — Übrigens ist der psychologische Vorgang beim sich Versprechen u. s. w. noch nicht genügend aufgehellt. Zwei Erklärungen stehn sich gegenüber:
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Erstes Buch.
Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
2. die Erklärung infolge unrichtiger Vorstellung über den Sinn der Erklärung. Den Unterschied mag ein Beispiel verdeutlichen: Jemand bietet „irrtümlich" Samen das Kilo zu 30 Pf. aus, während er so viel für das Pfund wollte. Dies ist Verirrung in der Erklärung, wenn ihm aus Unachtsamkeit das Wort Kilo statt Pfund entschlüpfte. Es ist Irrtum über den Sinn der Erklärung, wenn er Kilo in der Meinung sagte, das Wort bedeute soviel wie Pfund. Dort liegt der Fehler im Erklärungswillen, hier im erklärten Willen. III. Wegen des Zusammenhanges sollen noch zwei Erscheinungen erwähnt werden, die eine Abweichung zwischen Wille und Erklärung nicht enthalten. 1. Es sagt jemand, was er sagen will; er hat auch vom Sinn seiner Erklärung die richtige Vorstellung; aber er würde den geäufserten rechtsgeschäftlichen Entschlufs nicht gefafst haben, wenn er von einem Umstand entweder überhaupt Kenntnis oder die richtige Kenntnis gehabt hätte (Irrtum im Beweggrund oder Motiv). Er kann sich mit dem Irrtum über den Sinn der Erklärung nahe berühren (z. B. § 142 III). 2. Bei einem Vertrag kann die Willenseinigung fehlen, trotzdem dafs die Erklärung jeder Partei mit ihrem Willen in Einklang steht9. Es ist dann der Fall, wenn eine Partei der Erklärung des Gegners einen andern Sinn unterlegt als dieser damit verbunden hat. Hier gehn die Willen auseinander (non consentiunt sed dissentiunt). Sind sich die Parteien des Mangels der Willenseinigung nicht bewufst, so nehmen sie ein Einverständnis an, das in Wirklichkeit nicht besteht (versteckter Dissens). Wegen dieser falschen Vorstellung bringen die Quellen den dissensus mit dem error in Zusammenhang10. Die
a) das sich Versprechen ist Ergebnis einer momentanen Bewufstlosigkeit. B r i n z I . A . S. 1393 fg. ; Z i t e l m a n n , Irrtum S. 328 u. sonst; S i g w a r t , Kleine Schriften u. A. Dem steht entgegen, dafs das Gesprochene oder Geschriebene nicht sinnlos ist. Deshalb erscheint richtiger: b) der Erklärungswille wird im Augenblick der Ausführung durch eine fremdartige Vorstellung, die sich infolge mangelhafter Willensanstrengung in das Bewufstsein einschleicht, aus seiner richtigen Bahn abgelenkt und geht in die Irre (errat). M a n d r y , Krit. VJSchr. XIV S. 380; L e o n h a r d , Irrtum S 141 fg., 323; P i n i n s k i I I S. 383 fg., 529 fg. u. A. Für die rechtliche Behandlung des sich Versprechens ist die Austragung der Frage gleichgültig. 9 Ein Fall, wo beide Teile unbewufst eine unrichtige Erklärung abgaben und doch dasselbe wollten, in Seuff. X I X 14, ähnlich X X X V I I 287. 10 L. 9 pr. § 1 C. E. 18,1 L. 34 pr. de poss. 41,2 L. 116 § 2 R. J. 50,17. Z i t e l m a n n , Irrtum S. 422 und Rechtsgeschäfte im Entw. I I S. 39.
Die juristischen Thatsachen.
Die Rechtsgeschäfte.
§ 1 .
Neueren sprechen von Mifsverständnis. Indes bildet das Mifsverständnis den Grund, nicht des Dissenses sondern der Täuschung über den Mangel des Konsenses. bb. Die r e c h t l i c h e
Behandlung.
§ 140. α. Der S t a n d p u n k t i m allgemeinen.
I. Die Stellung, welche das positive Recht zur Abweichung von Wille und Erklärung zu nehmen hat, scheint sehr einfach: die Erklärung ist der Körper, der Wille der Geist; folglich hat die Erklärung für sich so wenig Geltung, als der Wille ohne Erklärung. Indes beruht diese Folgerung auf einer einseitigen Betrachtung. Die Willenserklärung hat die Bestimmung, auf Andere zu wirken, in ihnen die Vorstellung von dem Dasein eines bestimmten Willens bei dem Erklärenden zu erwecken, in vielen Fällen sie zu einem Vorgehn auf Grund des geäufserten Willens herauszufordern. Der Empfänger der Erklärung ist aber für den Schlufs auf den Willen des Erklärenden an das ihm äufserlich Entgegentretende verwiesen. Der Rechtsordnung liegt nun die schwierige Aufgabe ob, die Rücksicht auf den Erklärenden mit der Rücksicht auf den Erklärungsempfänger in gerechten Ausgleich zu bringen. Dem ältern römischen Recht war die Sicherheit und Unzweideutigkeit im Rechtsverkehr Hauptziel. Darum verwarf es Stellvertretung, Forderungsübertragung, Verträge zu Gunsten Dritter u. a., darum forderte es unmittelbaren, greifbaren Willensausdruck und legte der objektiven Bedeutung des Worts das entscheidende Gewicht bei 1 . In weiterer Entwicklung wurden die Römer geneigter, neben dem nächsten Willensausdruck, dem Wort, die sonstigen Anhaltspunkte für die Erschliefsung des Willens in Berücksichtigung zu ziehn und die voluntatis quaestio in umfassendem Sinn zu stellen2. Allein sie waren von den Bedürfnissen des praktischen Lebens und von der sittlichen Aufgabe des Rechts zu sehr durchdrungen, als dafs sie die Rücksichten auf Treu und Glauben und auf die Sicherheit des Verkehrs aufser 1
J h e r i n g , Geist I I § 44 und Besitzwille S. 292; V o i g t , Das jus naturale I I I § 2, δ; H a r t m a n n , Jher. Jahrb. X X S. 27. 2 Bei Verträgen: L. 219 V. S. 50, 16 L. 6 § 1 C. E. 18, 1 L. 15 § 4 L. 29 L. 54 § 1 locati 19, 2 L. 3 § 20 0. e. A. 44, 7 L. 115 § 2 V. 0. 45, 1 C. 10 de donat. 8, 53 [54] Tit. Cod. plus valere quod agitur quam quod simulate concipitur 4, 22. Bei letztwilligen Verfügungen: L. 101 pr. de condic. et dem. 35, 1 L. 4 § 2 L. 41 § 5 de subst. 28, 6 C. 14 pr. de donat. i. v. 5, 16 u. a.
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Erstes Buch.
Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts
Acht gesetzt hätten. Hieraus erklärt sich, dafs die Abweichung von Wille und Erklärung in den Quellen nicht nach einem einzigen starren Dogma behandelt ist, sondern dafs sich eine Verschiedenheit findet, die in der Verschiedenheit der Rechtsgeschäfte ihren Grund hat. Nur mit der Anerkennung dieser Verschiedenheit wird man den positiven Aussprüchen wie den Forderungen des Rechtsverkehrs gerecht3. II. Darüber besteht kein Zweifel, dafs nur derjenige Sinn einer Erklärung gilt, den Andere unter Benützung aller Hilfsmittel darin finden müssen. Es fragt sich nur: wer sind diese Andern? und welches sind die dabei in Betracht fallenden Hilfsmittel? Ein doppelter Standpunkt ist möglich. Entweder: es wird als Wille der Sinn angesehn, der gleichviel von wem und aus allen wem auch immer zugänglichen Hilfsmitteln gewonnen werden kann (Willenstheorie). Oder: es gilt als Wille der Sinn, den der Adressat der Erklärung nach den ihm bei deren Entgegennahme zugänglichen Anhaltspunkten vernünftigerweise entnehmen mufste (Erklärungstheorie). Bei strenger Durchführung gefährdet der erstere Standpunkt die Erklärungsempfänger, der zweite die Erklärenden. Nach dem zweiten kann es kommen, dafs einer Person ein Wille unterstellt wird, der ihr fern lag. Ein solches Hinwegschreiten über den wirklichen Willen ist nur unter der doppelten Voraussetzung gerechtfertigt, dafs es durch ein Bedürfnis des Verkehrs gefordert ist und dafs die Person für ihr Verhalten eine Verantwortlichkeit trifft. Die erste Voraussetzung be3 Es hat etwas verführerisches, einen leitenden Gesichtspunkt aufzustellen, den man einer allgemeinen logischen oder psychologischen Betrachtung entnimmt. Der Versuch ist von zwei entgegengesetzten Richtungen gemacht worden a) Von dem Satze aus, dafs die Rechtsgeschäfte bestimmt sind, den Willen der Handelnden zu verwirklichen, wird das Rechtsgeschäft für nichtig erklärt, wenn Wille und Erklärung nicht in Einklang stehen. Das ist die sogenannte Willenstheorie, früher herrschend (Savigny, W ä c h t e r ) und noch jetzt viel vertreten ( W i n d sehe i d , Z i t e l m a n n , E n n e c c e r u s u. A.); b) Andere sagen: Wer den objektiven Thatbestand eines Rechtsgeschäfts geschaffen hat, zieht dessen rechtliche Wirkung auf sich, gleichviel ob das als gewollt Erklärte von ihm gewollt ist oder nicht, sog. Erklärungstheorie (Rover, B ä h r , S c h a l l , K o h l e r , L e o n h a r d U.A.). Beide Theorien führen zu Ergebnissen, die ebensosehr mit den Quellen als mit dem gesunden Rechtsgefühl in Widerspruch stehn, und nötigen ihre Anhänger zu Ausnahmen. In Ablehnung der beiden Ausgangspunkte erblicken Dritte in dem für den Verkehr unentbehrlichen Vertrauen den Mafsstab, an dem gemessen werden müsse, ob bei einer äufserlich normal erscheinenden Erklärung der Mangel des Willens berücksichtigt werden dürfe, sog. Vertrauenstheorie ( H a r t m a n n , E i s e l e , Bekker). Dies ist nicht unrichtig, aber zu unbestimmt. Und dann: „In Kollision der Interessen wird nicht immer die blofse bona fides geschützt." G o l d Schmidt, Z. f. HR. X X I I I S. 307, X X V I I I S. 108 fg.
Die juristischen Thatsachen.
Die Rechtsgeschäfte.
§
1 .
steht nicht für alle Geschäfte: sie besteht für diejenigen, welche unmittelbar oder mittelbar bestimmt sind, den entgeltlichen Vermögensverkehr zu vermitteln, für die Verkehrsgeschäfte i. e. S. 4 , sie besteht nicht für die familienrechtlichen Geschäfte, für die letztwilligen Verfügungen und den Erwerb daraus, für die Freigebigkeitsakte. So ergiebt sich folgende Verschiedenheit der Behandlung. A. Bei Nichtverkehrsgeschäften ist die Verbindlichkeit einer Willenserklärung für den Erklärenden durch die Übereinstimmung der Erklärung mit seinem Willen bedingt und ist die Gültigkeit eines Vertrags von der Übereinstimmung des beiderseitigen Willens abhängig5. Die römischen Juristen pflegen diese Behandlung als allgemeine Regel hinzustellen, die aus dem Wesen der Willenserklärung und des Vertrags folge 6. Aber wie wenig sie dieser doktrinäre Standpunkt gefangen nahm, zeigt die Unbefangenheit, mit der sie die Verkehrsgeschäfte behandelten. Die Abweichung von Wille und Erklärung sowie der Mangel des Einverständnisses bewirken selbst bei diesen Geschäften Nichtigkeit nur, wenn sie einen wesentlichen Punkt betreffen. (Hiezu § 142 II). Und wenn Nichtigkeit eintritt, so kann sie nicht immer von jedem Beteiligten geltend gemacht werden, sondern zuweilen nur vom Erklärenden, zuweilen nur von der Gegenpartei, wie aus den folgenden zwei §§ erhellen wird 7 . 4
Der Begriif leidet an Unbestimmtheit, aber er ist noch durch keinen besseren ersetzt. Vgl. über die Abgrenzung W i n d s c h e i d § 75 N. 1 b; H a r t m a n n , Jher. Jahrb. XX S. 42, 50 und Civ. Arch. L X X I I S. 186,213; L e o n h a r d , Irrtum S 263 fg., 365 fg.; E i s e l e , Jher. Jahrb. XXV S. 452; P i n i i i s k i I I S. 353, 410 fg., 464; K o h l e r , Jher. Jahrb. X X V I I I S. 230; RGE. I X Nr. 6 S. 38 fg. 6 Ehescheidungserklärung L. 7 de divort. 24,2, Emancipation C. 2 de emancip. 8,48 [49], Erbeinsetzung L. 9 pr. de her. inst. 28,5 L. 24 de testam. mil. 29,1, Vermächtnis L. 90 pr. de legat. I L. 64 de legat. I I L. 69 pr. de legat. I I I C. 14 pr. de donat. i. v. 5,16, Erbschaftsantritt L. 6 § 7 A. v. 0. H. 29,2, Schenkung C. 10 de donat. 8,53 [54], Erlafs L. 8 pr. de accept. 46,4, Stipulation: § 23 J. de inut. stip. 3,19 L. 7 § 12 de pact. 2,14 L. 3 § 2 O. e. A. 44,7 L. 83 § 1 L. 137 § 1 V. 0. 45,1; dazu L e o n h a r d , Civ. Arch. L X X I I 47. 6 L. 3 de reb. dub. 34,5 (gegen die gewagte Auslegung von L e o n h a r d , Irrtum S. 184 fg. vgl. E n n e c c e r u s , Rechtsgeschäft S. 125 fg.) L. 38, 55, 57 0. e. A. 44,7. Der Wert solcher allgemeinen Aussprüche darf nicht überschätzt werden, denn a) kennen wir den ursprünglichen Zusammenhang nicht, woraus sie erst ihr rechtes Licht empfangen würden, b) die römischen Juristen begründen ihre Entscheidungen zuweilen mit Sätzen, deren Tragweite über die Absicht ihrer Urheber hinausgeht. Vgl. indes E i s e l e , Jher. Jahrb. XXV S. 425. 7 Aus der Praxis Seuff. I I 273 V 271 X V I 34, 35 X V I I I 224 X X X I 109 X X X V I I 288 X X X I X 28; ROHG. X I Nr. 57 S. 173, X I I Nr. 22 S. 102. B i n d i n g , Handbuch. I. 7. I : R e g e l s b e r g e r , Pand. I .
33
4
Erstes Buch.
Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
B. Mit der Sicherheit des Verkehrs ist unverträglich, dafs überall jemand sich der verbindlichen Kraft seiner Erklärung mit dem Nachweis entziehen kann, er habe nicht gewollt, was er gesagt, und dais immer die Behauptung gehört wird, es habe der eine Vertragsteil mit seiner Erklärung einen andern Sinn verbunden als sein Gegner darunter verstanden hat und verstehen durfte. Deshalb wird in Verkehrsgeschäften die Berufung einer Partei auf die Abweichung ihres Willens von der Erklärung oder auf eine andere Auffassung einer Vertragserklärung nicht zugelassen8 unter folgenden Voraussetzungen : 1. dafs der Erklärungsempfänger den Mangel in der Erklärung bezw. die abweichende Auffassung nicht blofs nicht erkannt hat, sondern auch nach den ihm bekannten Umständen nicht erkennen konnte9. Das dem Erklärungsempfänger zuzumutende Mafs der Anstrengung, um in den Sinn des Erklärenden einzudringen, bestimmt sich nach Verkehrsbegriffen 10 ; 2. dafs die Täuschung durch den Erklärenden verursacht ist: es trifft z. B. den Aussteller keine Verantwortlichkeit für die Fälschung des Wechsels durch Andere (Seuff. XXXV 159, 242 u. Nachw.); 3. dafs ihm die Täuschung zur Schuld angerechnet werden kann. Zwar ist dies in den Quellen nicht geradezu ausgesprochen, allein die römische Jurisprudenz huldigt in ähnlichen Fragen dem Verschuldungsprinzip (Note 12), auch weist der Zusammenhang von UnglaubWürdigkeit und Unverzeihlichkeit darauf hin. Seine beste Rechtfertigung findet das Erfordernis in der gerechten Abwägung der Rücksicht, auf die jede von beiden Parteien Anspruch hat, so dafs es sich im einzelnen Fall unwillkürlich aufdrängt. Dazu ist aber ein Doppeltes zu bemerken. a. Bei schriftlichen für eine unbestimmte Zahl von Personen berechneten Willenserklärungen (Vollmachten, Wechseln, Inhaberpapieren u. ä.) greift die Behaftung des Erklärenden bei dem dem Empfänger erkennbaren Sinn platz, auch wenn die Verursachung der Täuschung nicht schuldhaft ist 1 1 . 8
Non audietur L. 11 § 3 de inst. act. 14,3; non est ferendus L. 12 de transact. 2,15 L, 99 pr. V. 0. 45,1; RGE. X I Nr. 65 S. 288. 9 Uber die Gleichstellung von Wissen und Wissensollen L. 15 § 1 C. E. 18,1 : Ignorantia emtori prodest, quae non in supinum hominem cadit. L. 19 ad SC. Mac. 14,6 L. 7 § 2 pro emtore 41,4; HGB. A. 25 Abs. 3, A. 46 Abs. 2, A. 115. 10 L. 19 i. f. de novat. 46,2; Seuff. X L 279 Ziff. 1 X L I I I 259 u. Nachw. Z. f. HR. XXXV S. 253 Nr. 122. 11 L. 14 § 4 de inst. act. 14,3 verb, proinde — teneri. Seuff. X X X I I 87 X X X V 73, 327 X X X V I 227, 291; ROHG. V I Nr. 10 S. 46 X X I Nr. 106 S. 325 ;
Die juristischen Thatsachen.
Die Rechtsgeschäfte.
§
1 .
b. Ist der Erklärungsempfänger zwar durch den Erklärenden, aber ohne wahre Schuld desselben getäuscht worden, so hat er Anspruch auf Ersatz des durch das Vertrauen in die Gültigkeit erwachsenen Schadens, auf das sog. negative Vertragsinteresse 12, worüber Näheres im Obligationenrecht. 4. Da es sich um einen Rechtsschutz aus Rücksichten der Billigkeit handelt, so wird der Mangel des Willens oder des Einverständnisses berücksichtigt, wenn der Erklärungsempfänger über die Täuschung aufgeklärt wurde, bevor „die äufsere Sachlage sich zu seinem Nachteil verändert hatte, oder wenn die Aufrechthaltung der Erklärung zu einer materiell ungerechtfertigten Bereicherung des Erklärungempfängers auf Kosten des Erklärenden führen würde" 13 .
§ 141. ß.
Scherz.
Mentalreservation.
Geschäfte.
Simulation.
Hechtsgeschäftliche
Fiduziarische
Schleichwege.
I. Bei der h a r m l o s e n n i c h t e r n s t l i c h e n E r k l ä r u n g (§ 139 I I A 1) werden meistens die Umstände, unter denen die Erklärung vor sich geht, dem Erklärungsempfänger den Mangel der rechtsgeschäftlichen Absicht erkennen lassen. Die rechtliche Wirkungslosigkeit steht dann aufser Frage 1. Wenn aber der Mangel des Ernstes dem Erklärungsempfänger trotz der gebotenen Aufmerksamkeit verborgen blieb, so wird bei Erklärungen in Verkehrsgeschäften die Berufung auf diesen Mangel nicht gehört, falls die Täuschung eine schuldhafte war ; bei sonstiger Verursachung haftet der Erklärende für RGE. I I Nr. 26 S. 97 V I I I Nr. 13 S. 17 I X Nr. 6 S. 38 XIV Nr. 7 S. 23 XXV Nr. 35 S. 174. 12 Die römische Jurisprudenz hat solche Ersatzansprüche anerkannt, aber beherrscht von dem Verschuldungsprinzip bemühte sie sich eine Verschuldung herauszulesen, wo sie in Wirklichkeit fehlte. L. 23 pr. pro socio 17,2 L. 13 § 3 AEV. 19,1 L. 62 [61] § 5 de furt. 47,2. Vgl. L. 25 § 4 locati 19,2. An dem gleichen Konstruktionsfehler leidet die Theorie von der culpa in contrahendo ( J h e r i n g in seinen Jahrb. IV Abh. 1), wie ihr Urheber später selbst anerkannt hat ( J h e r i n g , Schuldmoment S. 38 N. 73). Für das negative Vertragsinteresse E i s e l e , Jher. Jahrb. XXV S. 485 fg.; U n g e r , Grünhuts Ζ. XV S. 8 fg.; E n n e c c e r u s , Rechtsgeschäft S. 84, 102; Seuff. X X I 29 X X X I I 117; dagegen B ä h r , Jher. Jahrb. XIV S. 421 fg. Jede Haftung verneint Seuff. X X X V I I 288. 13 B ä h r a. a. 0.; H a r t m a n n , Jher. Jahrb. XX S. 42. 1 L. 24^de testam. mil. 29,1. Die Erkennbarkeit des Mangels am Verpflichtungswillen darf auch in L. 3 § 2 0. e. A. 44,7 vorausgesetzt werden. W i n d s c h e i d , Civ. Arch. L X I I I S. 88 N. 19; H a r t m a n n , Jher. Jahrb. XX S. 8. A. M. Z i t e l 33*
6
Erstes Buch.
Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
den Ersatz des Schadens (negatives Interesse)2. Bei Nichtverkehrsgeschäften hindert der Mangel der ernstlichen Absicht die Gültigkeit (Seuff. XXXI 28). II. Die M e n t a l r e s e r v a t i o n (§ 139 I I A 2) macht die Erklärung rechtlich unverbindlich, wenn der Erklärungsempfänger die Täuschung durchschaut hat. Zum Schutz des das Geflunker Erkennenden liegt kein Grund vor, die Lüge zu bestrafen ist am wenigsten Sache des Civilrechts. Ist dagegen die Täuschung gelungen, so kann sich in Verkehrsgeschäften der Erklärende auf den Mangel der Verpflichtungsabsicht, d. h. hier auf seine unredliche Absicht nicht berufen 3 , während dem Erklärungsempfänger freisteht, das Geschäft als unverbindlich zu behandeln (arg. L. 25 de legib. 1, 3). Letztwillige Verfügungen werden durch den Mangel der ernstlichen Verfügungsabsicht ungültig 4 . Aus geheuchelten Schenkungsversprechen kann nicht geklagt, aber auch das bereits Hingegebene nicht zurückgefordert werden 5. Bei der Eheschliefsung wird die Mentalreservation nicht beachtet, das Gegenteil wäre eine Verletzung des sittlichen Gefühls 6. III. Bei der Simulation (§ 139 I I A 3) gilt das vorgegebene Geschäft nicht 7 , das etwa darunter verdeckte nur dann, wenn der m a n n , ebenda X V I S. 604. Nichternstliche Wetten und ähnliche Geschäfte Seuff. X V I 217 X X I I 231 X X X V I I 310; RGE. V I I I Nr. 63 S. 349. Bedenklicher Beweissatz in Seuff. X X V I I 182. 2 Seuff. V 146 X X X V 269. Ohne Unterscheidung will U n g e r , Grünhuts Z. XV S. 675 N. 7a nur die erste, E n n e c c e r u s , Rechtsgeschäft S. 98 nur die zweite Rechtsfolge eintreten lassen. 3 Der Quellenbeweis ist nicht die stärkste Seite dieser Ansicht, die übrigens allgemein geteilt wird. Es lassen sich in diesem Sinn auffassen L. 1 § 1 de pign. act. 13,7 L. 30 pr. ad SC. Veil. 16,1 L. 10 § 1 de curator, fur. 27,10 L. 13 § 1 de donat. 39,5. — Seuff. X X X V I I I 311; ROHG. XX Nr. 72 S. 275. 4 In L. 6 § 7 A. v. O. H. 29,2 ist dies auch vom Erbschaftsantritt ausgesprochen. Freilich ist die Beziehung der Stelle auf Mentalreservation bestritten. S c h l o f s m a n n , Zwang S. 40 fg.; K o h l e r , Jher. Jahrb. X V I S. 121 fg., fallens soll bedeuten insgeheim. Vgl. aber L. 43 § 2 C. E. 18,1; P e r n i c e , Z. f.HR. XXV S. 95; P i n i n s k i I I S. 403 in der Note. — Seuff. X L I I 280. 6 Ersteres arg. L. 18 § 3 de donat. 39,5, letzteres nach Analogie von L. 50 de cond. indeb. 12,16. 6 In c. 26 X de sponsal. 4,1 ist freilich anders entschieden, aber der Fall ist so gelagert, dafs der Papst von der Annahme ausgehen konnte, es liege überhaupt keine Eheerklärung vor, auch keine erheuchelte. S c h e u r l , Eherecht S. 128 fg., aber auch Civ. Arch. L X X V I I I S. 346; Ko h 1er, Jher. Jahrb. X X V I I I S. 185 fg. 7 L. 36, 55 C. E. 18,1 L. 4 § 5, 6 de in diem add. 18,2 L. 64 de donat. i. v. 24,1 L. 54 O. e. A. 44,7 C. 21 de transact. 2,4 C. 2 plus valere 4,22 C. 3 de repud. 5,17. Seuff. IV 280 XX 26 XXIV 182 X X V I 211 X L V I 191.
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Die Rechtsgeschäfte.
§ 1 .
7
darauf gerichtete Parteiwille trotz der Verschleierung genügend erhellt und wenn alle sonstigen materiellen und formellen Erfordernisse für die Entstehung dieses Rechtsgeschäfts vorliegen 8. An dieser Voraussetzung wird aber häufig die Gültigkeit scheitern; denn die Parteien wählen oft den Weg der Verschleierung, weil dem verdeckten Geschäft ein rechtliches Hindernis entgegensteht9 oder weil sie ein gesetzliches Erfordernis desselben nicht erfüllen wollen, z. B. die Form des Schenkungsgeschäfts (RGE. XXVII Nr. 75 S. 308). Die Simulation wird dadurch nicht ausgeschlossen, dafs Urkundszeugen oder ein beurkundender Beamter ohne Kenntnis von der Täuschungsabsicht mitwirkten; sie sind blofse Gehilfen bei der Errichtung, der Geschäftsinhalt geht allein von den Parteien aus. Wo dagegen die Mitwirkung des Beamten einen den Parteierklärungen ebenbürtigen selbstschöpferischen Akt beim Rechtsgeschäft bildet (§ 137 I I A 2 b), liegt, wenn der Beamte in die Täuschungsabsicht nicht eingeweiht ist, mindestens nicht der volle Thatbestand einer Simulation vor; ja es kann hier der Mangel im Parteiwillen keine Berücksichtigung finden, weil das öffentliche Interesse dagegen spricht, dafs der von den Parteien bewufst herausgeforderte Spruch der Behörde zu einer Komödie entwürdigt werde 10 . Die Nichtigkeit des vorgegebenen Geschäfts ist absolut. Sie kann von Dritten geltend gemacht werden 11 und gegen Dritte, jedoch gegen 8 C. 3, 9 C. E. 4,38 C. 4, 5, 6 § 2 si quis alteri 4,50. Seuff. X X I I 71 X X X V I I I 102 X L 6 u. Nachw.; ROHG. XIV Nr. 91 S. 281, Nr. 113 S. 363; RGE XV Nr. 69 S. 293 X X I I Nr. 39 S. 193. 9 Verbot der Schenkungen unter Ehegatten L. 5 § 5 L. 7 § 6 de donat. i. v. 24,1 C. 20 eod. tit. 5,16. Verbotenes Differenzgeschäft RGE. X X V I I Nr. 98 S. 379. 10 Die Frage ist in Beziehung auf die heutige Eheschliefsung im Sinne des Textes beantwortet von K o h l e r , Jher. Jahrb. X V I S. 126 X X V I I I S. 166 fg., in den Motiven des deutschen Entwurfs IV S. 55; Z i t e l m a n n , Rechtsgeschäft I I S. 33; im entgegengesetzten von S c h e u r l , Eherecht S. 124; D e r n b u r g I § 100 N. 7; L. 30 R. N. 23,2 ist auf die heutige Eheschliefsung nicht anwendbar. — Der Eintrag im Grundbuch oder im Handelsregister wird dadurch nicht simuliert, dafs der Parteiantrag nicht ernstlich gestellt wurde; denn er ist ein von diesem Antrag verschiedenes Geschäft (§ 137 N. 23). S t r o h a l , Jher. Jahrb. X X V I I I S. 374 N. 20; Motive I I I S. 193. 11 Bei simulierter Cession einer Forderung vom Schuldner R e g e l s b e r g e r , Civ. Arch. L X I I I S. 174fg.; H e l l w i g , Die Verpfändung von Forderungen S. 175 fg.; ROHG. XXIV Nr. 85 S. 326. A. M. Seuff. X L I V 17. Bei Simulation einer Forderung vom Schuldübernehmer und Verpfänder Seuff. X L I V 89 — von den Konkursgläubigern RGE. IV Nr. 69 S. 252 fg.; Κ ras no p o l s k i , Krit. VJSchr. X X V I I I S. 592. Vgl. B e k k e r § 98 Beil. I.
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denjenigen Dritten nicht, der im Vertrauen auf die Ernstlichkeit des Geschäfts einen entgeltlichen Erwerb gemacht oder eine Zahlung geieistet hat 1 2 . Dem simulierten Geschäft äufserlich verwandte, aber von ihm rechtlich durchaus verschiedene Erscheinungen sind das fiduziarische Geschäft und die rechtsgeschäftlichen Schleichwege. A. Das f i d u z i a r i s c h e Geschäft kennzeichnet sich dadurch, dafs von den Parteien für ihren praktischen Zweck ein Rechtsgeschäft gewählt wird, dessen rechtliche Wirkungen, wie ihnen bewufst ist, über jenen Zweck hinausgehn, z. B. Eigentumsübertragung zur Sicherung einer Forderung, Cession einer Forderung zum Zweck der Beitreibung 13 . Aus dem fiduziarischen Geschäft entspringt die seiner Gattung entsprechende Rechtswirkung ungeschmälert: der Fiduziar wird Eigentümer, Forderungs- oder Wechselgläubiger wie bei der Übertragung zu einem andern materiellen Zweck, denn es giebt kein auf einen bestimmten Zweck eingegrenztes Eigentums-ForderungsWechselgläubigerrecht. Der Fiduziar erhält eine rechtliche Macht, die er zu nicht beabsichtigten Zwecken mifsbrauchen kann. Der Rechtsüberträger setzt in ihn das Vertrauen, dafs er dies nicht thun werde. Über eine obligatorische Verpflichtung des Fiduziars geht die rechtliche Sicherung gegen Mifsbrauch. nicht hinaus. Die Verfügung, die der Fiduziar verabredungswidrig trifft, ist gültig und 12
Der Schutz des gutgläubigen Dritten erfreut sich in Theorie und Praxis grofsen Anklangs, obwohl eine unmittelbare Anerkennung in den Quellen fehlt. Unterstützend L. 17 de transact. 2,15: propter justam ignorantiam L. 11 § 5 i. f. de inst. act. 14,3. K o h l e r , Jher. Jahrb. X V I S. 127 fg.; H a r t m a n n , ebendaXX S. 3; L e o n h a r d , Irrtum S. 131; B e c h m a n n , Kauf I I S. 305; E n n e c c e r u s , Rechtsgeschäft S. 100; D e r n b u r g I § 100 N. 6; B e k k e r § 98 Beil. I. Seuff. X L V 4 u. Nachw.; ROHG. X V I Nr. 20 S. 65; RGE. X X Nr. 75 S. 340. Für die Beschränkung auf den entgeltlichen Erwerb die Analogie von L. 4 § 29, 31 de doli m. exc. 44,4. Über Verwandtes B o l z e , Civ. Arch. L X X I V S. 101. Konkurs- und Pfändungsgläubiger haben den Schutz nicht. Κ oh 1er, Konkursrecht S. 115. 13 Hiezu K o h l e r , Jher. Jahrb. X V I S. 140 fg.; R e g e l s b e r g e r , Civ. Arch. L X I I I S. 172 fg.; H e l l w i g , ebenda L X I V S. 369 fg.; L e i s t , Die Sicherung von Forderungen durch Übereignung von Mobilien (1889). Das älteste Beispiel ist die römische fiducia Gai. I I 60. Die Eigentumsübertragung zu Pfandzwecken ist auch dem heutigen Rechtsleben nicht fremd. Seuff. X L I 86 u. Nachw. ; RGE. X I I I Nr. 47 S. 204 X X V I Nr. 32 S. 181. Forderungsabtretung zu Pfandzwecken ROHG. I I I Nr. 88 S. 435 XIX Nr. 43 S. 131 Nr. I l l S. 384; RGE. XXIV Nr. 30 S. 162. Sicherheitswechsel Seuff. X I I I 158 X X I V 79 X X V I I I 166 XXX 216; ROHG. X I I I Nr. 82 S. 236 Nr. 130 S. 412 X V I I Nr. 61 S. 281. Cession zur Forderungsbeitreibung Seuff. X X I 43 X X I I 34 XXX 20. Vollindossament zum Zweck des Incasso RGE. X X V I I Nr. 29 S. 129.
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Die Rechtsgeschäfte.
§ 1 .
macht ihn nur dem geschädigten Rechtsüberträger ersatzpflichtig (RGE. XXIV Nr. 30 S. 161). Jedoch hat der Rechtsüberträger im Konkurs des Fiduziars ein Aussonderungsrecht auf den fiduziarisch übertragenen Vermögensgegenstand14. Das fiduziarische Geschäft ist nicht simuliert. Niemand soll getäuscht werden. Die Parteien wollen die Rechtswirkung, obwohl sie sich mit dem zu verwirklichenden praktischen Zweck nicht deckt. Sie greifen zu diesem Mittel, entweder weil eine dem Zweck unmittelbar angepafste Rechtsform fehlt (so bei der Pfandfiduzia im römischen, beim Sicherheitswechsel im heutigen Recht), oder weil mit der unmittelbar angepafsten Rechtsform Unzuträglichkeiten verbunden sind (so mit der Besitzhingabe beim Faustpfand, Unbeliebtheit des Prokuraindossaments). B. R e c h t s g e s c h ä f t l i c h e r S c h l e i c h w e g ist ein Rechtsgeschäft, das zur Erzielung eines gesetzwidrigen praktischen Erfolgs dient, ohne mit dem Wortlaut des Gesetzes in Widerspruch zu treten, ein Rechtsgeschäft in fraudem legis 15 . Z. B. um das Verbot des SCm. Macedonianum zu umgehn, wird dem Haussohn, der Geld entleihen will, eine Sache unter Kreditierung des Kaufpreises verkauft. Das ist keine Simulation, denn die Parteien wollen das Rechtsgeschäft und seine Rechtswirkungen. Es stehn hier nicht Mittel und Zweck im Mifsverhältnis wie beim fiduziarischen Geschäft, auch wird keine Vertrauensstellung geschaffen. Kennzeichnend ist für den rechtsgeschäftlichen Schleichweg die Absicht der Parteien, mit dem Rechtsgeschäft einen vom Gesetz bekämpften praktischen Erfolg zu erzielen. Dafs sie sich des Gesetzbruchs bewufst sind, ist nicht erforderlich. Den rechtsgeschäftlichen Schleichweg trifft dieselbe Rechtsfolge wie das Rechtsgeschäft, zu dessen Ersatz es dient: Nichtigkeit, Anfechtbarkeit, Versagung eines andern Rechtserwerbs, Strafe u. s. w. 1 6 . Denn mit dem Verbot eines Rechtsgeschäfts bekämpft das Gesetz einen wirtschaftlichen oder socialen Erfolg. Es bekämpft ihn im Zweifel in jeder Rechtsform, die ein Mittel zu seiner Verwirklichung bildet. Die Ge14
K o h l e r , Jher. Jahrb. X V I S. 353; D u n g s , Gruchots Beiträge Χ Χ Χ Π S. 11 fg.; ROHG. X X I Nr. 125 S. 392 (französ. R.). 16 T h ö l , Einleitung § 6 5 ; J h e r i n g , Geist I I I § 57, ferner die in Note 13 Angeführten; dazu B ä h r , Urteile des RGerichts S. 52 fg. u. Krit. VJSchr. X X X I I S. 367 fg.; B a r t h e l m e s , Das Handeln in fraudem legis (Gött. Diss. 1889); I v o P f a f f , Zur Lehre vom sog. in fraudem legis agere (1892). Beisp. L. 3 § 3, 7 ad SC. Mac. 14,6 L. 29 ad SC. Veil. 16,3 L. 13 § 26 AEV. 19,1 L. 5 § 3 de auct. tut. 26,8 L. 2 § 1 de adm. rer. ad civ. pert. 50,8. 16 L. 29, 30 de legib. 1,3 C. 5 pr. eod. tit. 1,14 und die Stellen der vorigen Note.
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setzesvorschrift knüpft an ein bestimmtes Rechtsgeschäft an, weil dieses als das nächstliegende Mittel allein im Gesichtskreis des Gesetzgebers lag. Die Erstreckung des Verbots auf andere zu demselben Erfolg dienlichen Rechtsgeschäfte ist analoge Rechtsanwendung (§ 38). Nicht jedes Rechtsgeschäft, durch das die Parteien einem Rechtssatz ausweichen, ist ein rechtsgeschäftlicher Schleichweg. Dazu gehört, dafs das Gesetz gerade diesem praktischen Erfolg und zwar unter den hier gegebenen Voraussetzungen entgegentreten will 1 7 . Es ist eine nicht selten schwierige Frage der Gesetzesauslegung, ob das Verbot den in einem Rechtsgeschäft angestrebten praktischen Erfolg treffen will 1 8 . Und überdies vollziehn sich zuweilen im Recht Wandlungen ohne Änderung des Gesetzesbuchstabens: ein Verbotsgesetz verliert im Lauf der Zeit im Urteil des Rechtsgenossen die Daseinsberechtigung, so dafs in dem einst verpönten Schleichweg eine zulässige Vermeidung des gesetzlichen Thatbestands erblickt wird 1 9 . § 142. 3. [Der Geschäftsirrtum und das Mifsverständnis. Keine Ursache der Abweichung zwischen Wille und Erklärung ist häufiger als was die Römer unter error zusammenfassen : die Verirrung in der Erklärung und die unrichtige Vorstellung des Erklärenden über den Sinn seiner Erklärung (§ 139 II, Β 1 u. 2), dazu kommt bei Verträgen das Mifsverständnis (§ 139 I I I 2). I. Für die rechliche Behandlung sind die oben (§ 140) entwickelten Rechtssätze maisgebend. 1. Nichtverkehrsgeschäfte sind ungültig, wenn eine Partei aus Versehen oder Irrtum eine Erklärung abgiebt, die in einem wesentlichen Punkt ihrem Willen nicht entspricht, ebenso ein Vertrag, wenn 17 Beisp. unten § 169 N. 10. Ferner RGE. VI Nr. 49 S. 186. T h ö l , Handelsr. § 213 III. 18 Seuff. X X I I 12; ROHG. X Nr. 44 S. 210 XIV Nr. 91 S. 281. Besonders viel ist besprochen, ob in Rechtsgebieten, wo an beweglichen Sachen nur ein Besitzpfand anerkannt ist, die Eigentumsübertragung zu Pfandzwecken unter Belassung der Sache beim Veräufserer einen vom Recht mifsbilligten Schleichweg bildet. Verneint vom Reichsgericht in Entsch. I I Nr. 44 S. 168 X I I I Nr. 47 S. 200, X X V I Nr. 32 S. 182 (ältere abweichende Urteile Seuff. X X X V I 8,99); ferner in Seuff. X L I 35, 86 X L V I 2. Bejaht von H e l l w i g und B ä h r a. a. 0 0 . ; Seuff. X L 190 Zeitschr. f. franz. Civilr. V I I I S. 347. Vgl. auch L e i s t S. 69 fg. 19 Beispiele aus dem römischen Recht giebt J h e r i n g a. a. 0., aus der fränkisch-romanischen Zeit B r u n n e r , Z. f. HR. X X I I S. 520, 525 und Zur Rechtsbeschichte der römisch-germanischen Urkunde S. 119, 122.
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§ 1 .
die Parteien in der Auffassung eines wesentlichen Punkts in einer Erklärung auseinandergehn. 2. Wurde die Erklärung in einem Verkehrsgeschäfte abgegeben und hat derjenige, für den sie bestimmt war, die Irrung des Erklärenden oder den mit seiner Erklärung verbundenen absonderlichen Sinn weder erkannt noch erkennen können, so kann sich der Erklärende dann auf seine Irrung oder den abweichenden Sinn seiner Erklärung nicht berufen, wenn sein Mifsgriff oder Irrtum unentschuldbar ist 1 . Bei schuldloser Täuschung des Gegners wird er für den Schaden haftbar, den er durch die Erweckung des Vertrauens in die normale Beschaffenheit seiner Erklärung hervorgerufen hat. Nur bei den für eine unbestimmte Zahl von Personen berechneten schriftlichen Erklärungen wird die unverschuldete Täuschung der verschuldeten gleich behandelt (§ 140 a. E.). Die Willenstheorie behauptet für alle Rechtsgeschäfte Nichtigkeit ohne Rücksicht auf die Beschaffenheit der Täuschung, weil nicht der Irrtum oder die Täuschung, sondern der Mangel des Willens das entscheidende Moment sei (z. B. Savigny I I I S. 264). Dies beruht auf einer vorgefafsten Meinung. Das positive Recht kann aus triftigen Gründen trotz jenes Mangels die Gültigkeit des Geschäfts vorschreiben und die Erheblichkeit des Mangels von der Beschaffenheit seiner Ursachen abhängig machen. Es hat das erstere gegenüber der Mentalreservation verordnet, und das zweite z. B. bei clem guten Glauben des Ersitzenden befolgt. II. Die Abweichung von Wille und Erklärung sowie das Mifsverständnis haben die Ungültigkeit des Rechtsgeschäfts wenn überhaupt so nur unter der Voraussetzung zur Folge, dafs sie einen wesentlichen Punkt betreffen. Es drängt sich daher die Frage auf: was ist ein w e s e n t l i c h e r P u n k t 2 . Man mufs bei Lösung dieser Frage davon ausgehn, dafs es Aufgabe des Rechts ist, die im Rechtsgeschäft verfolgten vernünftigen Interessen der Parteien zu 1 Seuff. X L I V 171 (RG.), wo jedoch in den Gründen mit Unrecht das Dasein eines wesentlichen Irrtums geleugnet wird. Wäre die Entscheidung ebenso ausgefallen, wenn es sich um eine Schenkung gehandelt hätte? 2 Die Antworten lauten recht verschieden. Aus der neueren Zeit Z i t e l m a n n , Irrtum S. 493; R y c k in Jurist. Abhandl., Festgabe der Berl. Fakultät für Beseler S. 135 fg.; P i n i i i s k i I I S. 478. Durch ihre Einfachheit besticht die Formel von L e o n h a r d , Irrtum S. 512, 570, 586: „Wesentlich ist der Irrtum, dessen Abwesenheit zur erkennbaren Geschäftsbedingung gemacht ist." Danach läge nur eine Frage der Vertragsauslegung vor. Näher zugesehen erweist sich dies als Täuschung. Um brauchbare Ergebnisse zu gewinnen, mufs Leonhard in die Parteiverabredung erst hineinlegen, was er herausholen will, nämlich was nicht gewollt ist sondern
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schützen. Demnach ist für die Wesentlichkeit das Interesse entscheidend, das eine Partei an einem Punkt hat. Dies Interesse ergiebt sich aus verschiedenen Umständen : aus der Natur des Geschäfts (ob Schenkung, Vermächtnis, Eheschliefsung u. s. w.), aus der Anschauung des Verkehrs, aus besondern im einzelnen Fall liegenden Anhaltspunkten. Aus dem Gewicht des Interesses wird auf die Festlegung des Willens geschlossen. Wesentlich ist demnach jeder Punkt in der Erklärung, der erkennbarermafsen mit dem Interesse des Erklärenden so eng verknüpft ist, dafs angenommen werden mufs, die getroffene Verfügung, die gegebene Zusage solle mit dem Punkt, wie sich ihn die Partei vorstellte, stehen und fallen, mit andern Worten, er sei bei Unrichtigkeit der Vorstellung nicht gewollt3. Geringere Interessenverletzungen können ihre Ausgleichung nur in einem Ersatzanspruch finden. Prüft man nach diesem Gesichtspunkt die Bestimmungen in den Rechtsgeschäften, so ergiebt sich, dafs selbst bei den sogenannten essentialia negotii (§ 165) das Interesse nicht immer an der genannten Individualität haftet, dafs mithin auch der Wille nicht darauf fixiert gilt 4 . Bei Barkauf ist die Individualität des Käufers regelmäfsig gleichgültig, beim Kreditkauf nicht 5 . Beim Verpfändungsvertrag fafst der Gläubiger nicht sowohl die Individualität der Sache ins Auge als ihre Tauglichkeit zur Sicherstellung. Bei der Verbürgung legt der Bürge in der Regel nur auf die Persönlichkeit des Kreditempfängers, nicht des Gläubigers Gewicht. Bei dem Kauf von Altertümern spielt meistens der Stoff, aus dem die Sache besteht, eine nebensächliche Rolle. Ein und dieselbe Eigenschaft kann im Grofshandel wesentlich sein, im Kleinverkehr unwesentlich6. Selbst Eigenschaften eines Vertragsteils, wie ungetrübter kaufmännischer Ruf, gewinnen zuweilen die Bedeutung eines wesentlichen Punkts (RGE. XII No. 22 S. 102). Hieraus erklärt sich auch der Satz: in eo quod plus est, nur in Voraussicht seiner Notwendigkeit gewollt worden wäre. Darf man da noch von einer Genehmigung der Geschäftsbedingung durch den Vertragsgegner sprechen? Vgl. L o t m a r , Krit. VJSchr. XXV S. 426 fg. X X V I S. 261 fg.; P i n i ή s k i I I S. 524 fg. 3 L. 58 C. E. 18,1: emtionem fundi non videri esse contractam, si contemplatione illarum arborum . . . fundus comparabatur. 4 Gut ausgeführt von Z i t e l m a n n , Irrtum S. 500; er nennt es individualisieren. Vgl. S i g w a r t , Kleine Schriften I I S. 194 fg. 5 Unter Umständen auch hier. Seuff. X X V I I 215. Gleichgültigkeit der Individualität des Verkäufers Seuff. I I I 165, zuweilen auch eines Werkverdingers X I 220, des Eigentümers der Pfandsache beim Pfandvertrag RGE. X V I I Nr. 18 S. 174. 6 Seuff. I I 20; G o l d s c h m i d t , Handb. § 61 Nr. 3 fg.
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§
1 .
semper inest et minus, ein Satz, der freilich cum grano salis verstanden sein will 7 . Gegenüber einer solchen sachlichen Erwägung verliert die übliche Unterscheidung von error in negotio, in persona, in corpore, in substantia an Wert 8 . Man erfafst auf diesem Wege ebensowohl die Substanzialität als die Kausalität (Brinz). III. Das Recht überläfst die Würdigung der Wesentlichkeit im allgemeinen dem Urteil des Richters und giebt nur für den Irrtum über Eigenschaften von Sachen nähere Vorschriften. In der That zieht sich hier zwischen dem was als gewollt und was als nicht gewollt anzusehn ist, eine so feine Linie, dafs eine positive Weisung Bedürfnis ist. Findet bei einem Rechtsgeschäft ein Irrtum über eine Eigenschaft der Sache (error in substantia) statt 9 , so fehlt äufserlich die Identität nicht zwischen dem Gegenstand, auf den die Vorstellung des Erklärenden, und demjenigen, auf den seine Erklärung gerichtet ist: es ist über dieses Fafs gehandelt, ob Wein oder Wasser darin enthalten ist, über dieses Stück Papier, ob es eine Banknote oder einen Fastnachtsscherz enthält. Allein es ist die Frage, ob der praktische Geschäftswille die Sache in dieser Weise von ihren Eigenschaften sondert, ob er schlechthin den Naturkörper erfafst oder einen Gegenstand von bestimmter Brauchbarkeit und bestimmtem Wert. Zu dieser auf dem Gebiet der praktischen Interessen auszutragenden Frage hat das Recht Stellung zu nehmen. Die psychologische Frage, ob der Irrtum über Eigenschaften ein Irrtum im Beweggrund oder im AVollen sei, ist für die rechtliche Behandlung nicht entscheidend. Der Standpunkt des in der Justinianischen Gesetzsammlung niedergelegten römischen Rechts ist nicht leicht festzustellen. Der Richtung des älteren Rechts, der Haftung am äufserlichen entsprach, dafs nur auf die Identität des Naturkörpers gesehn wurde. Dieser Standpunkt hat noch unter den klassischen Juristen an Marcellus einen Vertreter gefunden. Doch wird davon in den Justinianischen Rechtsbüchern nur 7
L. 110 pr. R. J. 50,17. Anwendung: L. 1 § 2 de pign. act. 13,7 L. 52 locati 19,2 L. 1 § 4 L. 22 V. 0. 45,1; RGE. V I Nr. 28 S. 102; aber auch ROHG. I H Nr. 50 S. 228; G o l d s c h m i d t , Handb. I I § 63 N. 25. 8 L e o n h a r d , Irrtum § 24—28 und S. 585. Gröfseres Gewicht legt darauf B r i n z , 1. Aufl. § 316—318, 2. Aufl. § 526-528. 9 Über den error in substantia giebt es eine reiche Litteratur: Savigny I I I S. 276-302; B r i n z , 1. A. § 317, 2. A. § 527; Z i t e l m a n n n , Irrtum S. 549 fg.; P f ersehe, Zur Lehre vom sog. error in substantia (1880); B r u n s , Kleine Schriften I I S. 484 fg.; L e o n h a r d , Irrtum S. 436 fg.; B e c h m a n n , Kauf I I S. 450 fg; H a n a u s e k , Die Haftung des Verkäufers I S. 2—11. Eine gute Übersicht über die Ansichten giebt B o d e , Vom error in substantia (Gött. Diss. 1888).
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berichtweise Erwähnung gethan (L. 9 § 2 C. E. 18,1). Das mafsgebende Wort ist den Juristen gelassen, die den Irrtum über gewisse Eigenschaften dem Irrtum über die Sachidentität gleichstellen und annehmen, dafs aliud pro alio venisse videtur 10 . Auf die Frage : wonach bestimmt sich die Steigerung einer Eigenschaft zur Identitätsbedeutung, antworten die Quellen mit Entscheidungen praktischer Fälle, die prinzipielle Antwort wird nur gestreift. Dies ist um so mifslicher, als das Urteil von Einzelerscheinungen zugleich von wirtschaftlichen Verhältnissen abhängt, deren Beschaffenheit im alten Rom wir nur unvollkommen kennen. Sicher steuerte die römische Jurisprudenz nach einem objektiven Merkmal, sie fragte, ob eine Sache im Wesen dieselbe bleibt, mag die vorgestellte Eigenschaft da sein oder fehlen (Ulp. L. 9 § 2 C. E. 18, 1 : quia prope eadem ovo ta est). Hierüber giebt es nur eine Instanz: die Anschauung des praktischen Lebens. Es liegt demnach ein Irrtum über das Wesen der Sache vor, wenn nach der Auffassung des Verkehrs die Sache gemäfs der irrtümlich Vorausgesetzen Eigenschaft zu einer andern Gattung oder Art gerechnet werden müfste, als der sie wirklich angehört. Anders ausgedrückt: eine E i g e n s c h a f t i s t w e s e n t l i c h , wenn sie die G a t t u n g - oder A r t z u g e h ö r i g k e i t , n i c h t blofs die Güte der Sache b e s t i m m t 1 1 . In der That fügen sich diesem Gesichtspunkt die Quellenbeispiele mindestens mehr wie jedem andern 12. Hieraus ersehn wir auch, 10
Ulpianus L. 9 § 2 L. 11, 14 O.E. 18,1; Julianus L. 41 eod. Die Stellung von Paulus ist nicht ganz zweifellos. Nach L. 10 eod. schliefst er sich den genannten Juristen an, in L. 21 § 2 AEV. 19,1 scheint er die Gültigkeit des Kaufs trotz Irrtums über eine wesentliche Eigenschaft zu vertreten. Die Richtigkeit der bejahenden Lesart (emtionem esse) darf nicht beanstandet werden. Indes sagt der Eingang von L. 21 § 2 cit. selbst in der uns vorliegenden abgerissenen Gestalt nicht notwendig, dafs bei jedem Irrtum über Eigenschaften der Vertrag bestehe. Es fragt sich, ob Paul, mit qualitas dasselbe bezeichnet, was Ulp. substantia nennt. Vgl. P u n t s c h a r t Fundamentale Rechtsverhältnisse S. 174 fg. Marcianus behandelt in L. 45 C. E. 18,1 die Ersatzfrage, w e n n der Vertrag zu Recht besteht. Im Gegensatz zu der hier vorgetragenen herrschenden Auffassung behauptet Z i t e l m a n n , Irrtum S. 566 fg., die römischen Juristen mit einziger Ausnahme des Ulpian hätten dem Irrtum über Eigenschaften keinen Einflufs auf die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts eingeräumt. Das ist mit den Quellen nicht vereinbar. 11 G o l d s c h m i d t , Handb. § 62 N. 6 nennt solche Eigenschaften Klassifikationsfaktoren. 12 Artunterschiede: Wein und Essig (L. 9 § 2 cit.), silberne und versilberte Sachen (L. 41 C. E. 18,1), Gold und Erz (L. 14 eod.), Sklave und Sklavin (L. 11 § 1 eod.). Dagegen Unterschiede in der Güte: guter und verdorbener Wein (L. 9 § 2 eod.), höher und minder karätiges Gold (L. 10 eod.), neue und getragene Kleider
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1 .
dafs nicht blofs der Stoff, woraus die Sache besteht, eine wesentliche Eigenschaft begründet 13. Dieses Prinzip giebt der Rechtsanwendung keine mechanische, aber immerhin eine brauchbare Handhabe. Es schliefst Zweifel und Meinungsverschiedenheiten nicht aus 14 , ermöglicht aber, den Interessen des Verkehrs gerecht zu werden, und hat sich in der Praxis bewährt 15. Über die Frage, ob bei richtiger Vorstellung das Geschäft nicht abgeschlossen worden wäre, entscheidet die objektive Würdigung der aus der Sachlage sich ergebenden Anhaltspunkte (Ziff. II); es entscheidet nicht die subjektive Auffassung der irrenden Partei. Gegenüber dem objektiven Befund kann sich eine Partei nicht darauf berufen, dafs die Voraussetzung einer Eigenschaft für ihren Willensentschlufs bestimmend gewesen sei. Es kann ihr aber auch nicht die Behauptung entgegengesetzt und der Eid darüber zugeschoben werden, dafs der nach objektivem Befund wesentliche Irrtum für sie keine ausschlaggebende Bedeutung gehabt habe. Möglicherweise kaifn eine Partei wegen Irrtums über eine erhebliche Eigenschaft Rechtshilfe erlangen. Aber dafür mufs ein anderweitiger Rechtsgrund vorliegen, z. B. wissentliche Täuschung durch den Vertragsgegner, vertragsmäfsige oder gesetzliche Gewährleistungspflicht 1 6 . IV. Die Wirkung des wesentlichen Irrtums sowie des Mifsverständnisses in einem wesentlichen Punkt ist Nichtigkeit des Geschäfts. Wenn aber bei einem Vertrag nur die eine Partei aus Versehn oder Irrtum eine ihrem Willen nicht entsprechende Erklärung abgegeben hat, so kann die Nichtigkeit nur von ihr geltend gemacht werden, nicht vom Vertragsgegner; mit andern Worten: die Nichtig(L. 45 eod.), jungfräuliche und nichtjungfräuliche Sklavinnen (L. 11 § 1 eod.). Welche Bewandtnis es mit dem aurichalcum (L. 45 eod.) und mit den mensae citreae (L. 21 § 2 AEV. 19,1) hat, ist nicht sicher. 18 A. M. W ä c h t e r , Pand. I I S. 371 fg.; aber dagegen das Beispiel von Sklave und Sklavin in L. 11 § 1 cit. u So sind z. B. die Begriffe Art und Güte nicht scharf abgegrenzt. S c h l o d t m a n n , Z. f. HG. X X X V I I S. 18. 15 Klarer als irgend einer seiner Vorgänger hat S a v i g n y I I I § 137 diesen Grundsatz entwickelt und in Theorie und Praxis zur Herrschaft gebracht. Aus der Praxis: Seuff. I I 273 X V I 36 X X X V I I I 101 (Amatigeige) X L I V 172 (RG.); ROHG. V I I Nr. 1 S. 14 X X I I Nr. 90 S. 388; RGE. X I X Nr. 50 S. 265. Von Gesetzbüchern: Zürch. GB. (alt) § 928, Sächs. GB. § 842, Schweiz. OblR. Art. 19· Über den Irrtum im Gemälde- und Antiquitätenhandel K o h l e r , Jher. Jahrb. X X V I I I S. 256 fg. 16 L. 45 C. E. 18,1 L. 6 § 4 L. 11 § 5 L. 13 § 4 L. 21 § 2 AEV. 19,1.
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keit ist nur relativ, nicht absolut. Dies ist zwar sehr bestritten. Indes die formale Rechtslogik kann hier, wo es sich um Interessenschutz handelt, nicht entscheiden. Die Quellen sprechen zwar schlechthin von Nichtigkeit (L. 9 § 11 i. f. L. 14 C. E. 18, 1). Allein dies findet darin Erklärung, dafs die Aussprüche die Frage nur vom Standpunkt des Irrenden behandeln, von dem allein in den meisten Fällen die Frage angeregt wird. Die absolute Nichtigkeit überschiefst das Ziel, sie giebt dem Gegner des Irrenden die Möglichkeit, sich auf dessen Kosten einem Vertrag zu entziehn, der sich gerade so verwirklicht hat, wie er sich vorstellte. Es ist nicht wahrscheinlich, dafs die römische Jurisprudenz diese Rechtsfolge anerkannt hat 1 7 . Billigerweise mufs man aber dem Vertragsgegner die Befugnis zuerkennen, vom Irrenden sofortige Entscheidung zu verlangen, widrigenfalls auch er den Vertrag als unverbindlich behandeln kann.
e.
Die Beweggründe.*
§ 148. aa. E i n f l u f s der B e w e g g r ü n d e i m a l l g e m e i n e n und des Irrtums insonderheit*. I. Jeder Willensentschlufs ist das Ergebnis eines Vorgangs im Innern des Menschen. Die erregenden Elemente in diesem Prozefs sind Vorstellungen von wirklichen oder vermeintlichen Dingen. Indem eine Vorstellung das Willensvermögen, die ruhende Kraft, in den aktiven Zustand des Willensentschlusses überführt, wird sie zum Beweggrund oder Motiv des Entschlusses und seiner Ausführung, der Handlung. Wollen wir eine Handlung, z. B. eine Schenkung psycho17 Für die absolute Nichtigkeit S i n t e n i s § 22 N. 19 a. E.; W ä c h t e r , Württ. PR. I l S. 749 u. Pand. I I S. 373; U n g e r I I S. 122 (anders in Grünhuts Z. XV S. 685); W i n d s c h e i d § 76a; P i n i n s k i I I S. 423, aber auch S. 485 N. 1; dann notwendig diejenigen, welche die Berücksichtigung des Irrtums auf den Gesichtspunkt einer Geschäftsbedingung zurückführen, L e o n h a r d a. a. 0. und Bechm a n n , Kauf I I S. 450, 467. Ich selbst habe früher (Endemanns Handb. I I § 241 N. 7 u. Grünhuts Ζ. X I S. 431) geglaubt, mich dem Wortlaut der Quellen beugen zu müssen. Für die relative Nichtigkeit B r i n z , 1. A. S. 1409, 1643; G o l d s c h m i d t , Handb. § 6 2 N. 8; M o m m s e n , Über die Haftung der Kontrahenten S. 104 N. 22; H a n a u s e k , Die Haftung des Verkäufers I S. 6; M i t t e i s , Jher. Jahrb. X X V I I I S. 121 fg.; D e r n b u r g I § 102 N. 1. * E x n e r , Tradition S. 74 fg.; Z i t e l m a n n , Irrtum und Rechtsgeschäft S. 83 fg., 414 fg.; L e o n h a r d , Irrtum bei nichtigen Verträgen S. 252 fg. Vgl. auch B i n d i n g , Normen I I S. 3 fg.; J h e r i n g , Zweck im Recht I. S. 11 fg.
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§ 13.
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logisch erklären oder moralisch werten, so müssen wir die Beweggründe in den Kreis unsrer Prüfung ziehen. Anders ist der Standpunkt der rechtlichen Beurteilung. Zwar kommt bei unerlaubten Handlungen die Beschaffenheit des Motivs, ob löblich oder unsittlich, in Betracht, aber nicht das Dasein der Verantwortlichkeit bestimmend, sondern nur das Mafs von Schuld und Strafe 1. Bei den Rechtsgeschäften ist regelmäfsig nur erheblich, ob jemand gewollt hat, nicht warum. Mit andern Worten: der Beweggrund bildet keinen Bestandteil des rechtsgeschäftlichen Thatbestands (L. 72 § 6 de cond. et dem. 35, 1 ). Diese völlige Loslösung des Willensentschlusses von seinem natürlichen Zusammenhang beruht nicht auf innern Gründen, sondern auf Erwägungen der Zweckmäfsigkeit. Die Sicherheit des Verkehrs würde untergraben, wenn die Gültigkeit der Rechtsgeschäfte von der Richtigkeit oder Löblichkeit der Beweggründe abhängig wäre, zumal da sie in der Regel den Personen, mit denen der Handelnde in Verkehr tritt, nicht erkennbar sind. Darum kann aber nicht befremden, dafs diese Behandlung nicht ausnahmslos platzgreift. Es giebt Beweggründe , welche auf die Gültigkeit von Rechtsgeschäften Einflufs äufsern. Vereinzelte Erscheinungen werden bei der Darstellung der betreffenden Rechtsgeschäftsart erwähnt werden 2. Von allgemeinerer Bedeutung sind Drohung, Betrug und Irrtum. Aber selbst ihnen gegenüber sind nicht alle Rechtsgeschäfte gleich empfindlich, letztwillige Verfügungen sind es mehr als Rechtsgeschäfte unter Lebenden. Verschieden vom Beweggrund des rechtsgeschäftlichen Willensentschlusses ist der Bestimmungsgrund (causa) einer Vermögenszuwendung. Hierüber § 167. II. Der häufigste Beweggrund, der den Willen in nachteiliger Weise beeinflufst, ist der I r r t u m . Ist jemand durch die falsche Vorstellung von einem Umstand zu einem rechtsgeschäftlichen Entschlufs bestimmt worden, so drückt seine Erklärung seinen wirklichen, nicht seinen vermeintlichen Willen aus. Wollte das positive Recht dem Rechtsgeschäft die Gültigkeit abprechen, so könnte dies, von betrügerischer Erzeugung des Irrtums abgesehn, nur aus dem 1 L. 7 § 7 de dolo m. 4,3: si non misericordia ductus fecisti, furti teneris; si misericordia, in factum actionem dari debere. L. 7 pr. depos. 16,3 L. 8 § 10 mand. 17,1; H ä l s c h n e r , Das gemeine Strafrecht I § 202—211. 2 Schenkung an den Lebensretter (§ 170 III), Verkauf einer Sache, um dem Verkäufer Geld zu unerlaubtem Spiel zu verschaffen L. 2 § 1 quar. rer. act. 44,5, Erbeinsetzung des Regenten zur Benachteiligung eines Prozefsgegners L. 92 [91 j de her. inst, 28,5; ehedem die legata poenae nomine relicta.
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Buch
Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
Grund geschehn, dais niemand das Opfer seines Irrtums werden soll. Allein der Rücksicht auf den Irrenden steht gebieterisch die Rücksicht auf die Sicherheit des Rechtsverkehrs entgegen. Darum stellt das gemeine Recht die Regel auf: der nicht durch Betrug erzeugte Irrtum im Beweggrund ist für die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts ohne Einflufs 3. Selbst die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird wegen Irrtums nur in seltenen Fällen gewährt. Nur letztwilligen Verfügungen gegenüber erweist sich das Recht nachgiebiger. Erhellt mit Bestimmtheit, dafs der Erblasser ohne den Irrtum diese Verfügung nicht getroffen hätte, so kann sie von denjenigen angefochten werden, zu deren Nachteil die Gültigkeit gereicht 4. Es ist dies ein Ausflufs der weitgehenden Rücksicht, welche das römische Recht nicht blofs dem Willen sondern sogar der wahrscheinlichen Sinn- und Denkweise der Testatoren trägt 5 . Der Gefahr, rechtlich gebunden zu sein, trotzdem dafs sich eine den rechtsgeschäftlichen Entschlufs hervorrufende Annahme hinterher als irrig erweist, kann vorgebeugt werden, indem die vorausgesetzte Thatsache zur Bedingung und damit zum Element des rechtsgeschäftlichen Thatbestands gemacht wird. Dies kann auch stillschweigend geschehn (§ 138). Doch mufs bei einem Vertrag die Abhängigmachung des Willensentschlusses dem Vertragsgegner erkennbar gewesen und von ihm angenommen sein. Hierzu reicht die Kenntnis von dem Beweggrund des andern Teils nicht aus. Es müssen die dem Gegner bekannten Umstände nach der Auffassung des Lebens sowohl für die Stellung der Bedingung als für deren Annahme sprechen6. 8 L. 52, 65 § 2 de condict. ind. 12,6 L. 49 mand. 17,1 L. 17 § 2 L. 72 § 6 de cond. et dem. 35,1; Seuff. IV 233 V I I 52; RGE. X I X Nr. 24 S. 126. 4 L. 72 § 6 de cond. et dem. 35,1 L. 28 de inoff. test. 5,2 L. ult. de her. inst. 28,5 (Seuff. X L 25) C. 7 de her. inst. 6,24; Seuff. V I I 73. Gegen die Erstreckung auf alle letztwilligen Verfügungen S a v i g n y I I I S. 381; B r i n z , 1. A. S. 1412, 2. A. § 372 a. E.; Seuff. X I 58, aber unter Verkennung der im Text angeführten Richtung des römischen Rechts. 5 Ein Seitenstück in L. 3 § 11 L. 4 de adim. legat. 34,4. Diese Wirkung auf den Willen des Testators (stillschweigende Bedingung) zurückzuführen ( L e o n h a r d a. a. O. S. 259 N. 4), ist nicht blofs willkürlich ( H a r t m a n n , Civ. Arch. L X X I I S. 173) sondern auch irreleitend, denn daraus würde eine von selbst eintretende Wirkungslosigkeit der Verfügung folgen. 6 Wenn jemand einen neuen Anzug bestellt mit dem Bemerken, dafs er ihn für den nächsten Hofball nötig habe, so ist der Vertrag nicht durch das Stattfinden des Hof balls bedingt. Anders wenn jemand ein Zimmer bestellt, um den Einzug des Königs zu sehn. Vgl. auch Seuff. XXX 111 X X X I V 5.
Die juristischen Thatsachen.
Die Rechtsgeschäfte.
§
1 .
bb. D i e D r o h u n g * . § 144. a.
Begriff.
I. Was hier Drohung genannt wird, bezeichnen Andere mit Zwang, Dritte mit Furcht; in den Quellen finden sich vis und metus teils abwechselnd teils in Verbindung 1. Keine dieser Bezeichnungen befriedigt ganz. Es handelt sich um die Erzeugung eines Willensentschlusses mittels Furchterregung. Nun begreift „Zwang" auch die körperliche Überwältigung (§ 139 I 1), die nicht in diesen Zusammenhang gehört, da sie die Handlung des Überwältigten ausschliefst. Drohung dagegen ist das Inausichtstellen eines Übels für den Fall der Verweigerung eines bestimmten Willensentschlusses. Sie ist das Mittel, um in einem Andern Furcht hervorzurufen (sogenannte vis compulsiva). Nun kommt freilich nicht der Drohung als solcher civilrechtliche Bedeutung zu, sondern nur der Drohung, die ihren Zweck erreicht, den Bedrohten in Furcht versetzt und zu dem ihm widerstrebenden Entschlufs gebracht hat. Aber auch die Furcht ist für sich nicht mafsgebend. Ein Rechtsgeschäft erleidet nicht schon darum an seiner Gültigkeit Einbufse, weil es unter dem Druck einer solchen seelischen Notlage entstanden ist. Es mufs die Furcht durch Drohung erzeugt sein. Dies alles erwogen, verdient immerhin die Bezeichnung Drohung den Vorzug. An diesem Ort kommt die Drohung nur als Mittel zur Erzeugung eines Rechtsgeschäfts in Betracht. Zweck und Erfolg der Drohung kann auch die Erzielung einer thatsächlichen Handlung sein, z. B. Einreifsen einer Mauer (L. 9 § 2 h. t.). Auch in dieser Anwendung hat die Drohung civilrechtliche Wirkung; davon ist aber in der Lehre von den Deliktsobligationen zu handeln. II. Der Drohung begegnet das Recht mit sehr scharfen Mafsregeln, die sich nicht blofs gegen den Urheber der Drohung sondern * Tit. Dig. quod metus causa gestum erit 4,2; Cod. de his quae vi metusve causa gesta sunt 2,19 [20]. - S a v i g n y I I I § 114; S c h l i e m a n n , Die Lehre vom Zwang (1861); S c h l o f s m a n n , Die Lehre vom Zwang (1874); K o h l er, Jher. Jahrb. XXV S. 9 - 4 2 (1887). 1 Das prätorische p]dikt lautete in derf älteren Zeit: Quod vi metusve causa gestum erit, ratum non habebo. Später wurde die Erwähnung der vis weggelassen, weil sie im metus begriffen sei. L . 1 h. t. Richtig erläutert Ulp. L. 3 pr. h. t.: Si quis vi compulsus aliquid fecit, per hoc edictum restituitur. B i n d i n g , Handbuch. I. 7. I : R e g e l s b e r g e r , Pand. I.
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Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
auch gegen Dritte kehren. Aber die Drohung hat diese Wirkung nur unter folgenden Voraussetzungen: 1. Es mufs eine wirkliche Drohung vorliegen, die Furcht darf nicht auf dem blofsen Verdacht beruhen, ein Übel zu erleiden, wenn der Zumutung nicht entsprochen wird. Daher reicht die Furcht vor dem Vorgesetzten (metus reverentialis) oder vor dem unheimlich aussehenden Hausierer nicht aus2. 2. Es mufs ein Übel vorgestellt sein, dessen Verwirklichung in der Macht des Drohenden liegt, nicht Krieg, Epidemie u. ä. Sofortige Ausführbarkeit ist zwar kein Erfordernis, aber bei der Drohung mit einem künftigen Übel kann ein Grund zur Furcht fehlen, weil der Bedrohte in der Lage ist, die Ausführung zu vereiteln 3 . Dafs jemand dem in einer Notlage Befindlichen seine Hilfe nur gegen Bewilligung einer Vergütung zusagt, ist eine Erpressung nur dann, wenn der um Hilfe Ersuchte die Notlage dazu ausbeutet, um sich eine unverhältnismäfsige Vergütung zu verschaffen 4. 3. Die Drohung mufs zu dem Zweck angewandt sein, um den rechtsgeschäftlichen Entschlufs hervorzurufen. Aber es ist der Erpressung gleichgestellt, wenn jemand zur Abwendung eines von ihm drohenden Übels eine Abfindung annimmt, die unter dem Druck der unmittelbar entstandenen Angst bewilligt wird. Wenn dagegen jemand bei ruhiger Überlegung in dem Vermögensopfer ein geringeres Übel erblickt als z. B. in der drohenden Bestrafung, so ist die Annahme der Abfindung nicht als Erpressung zu behandeln5. 4. Das angedrohte Übel mufs von der Bedeutung sein, dafs auch ein besonnener charakterfester Mensch bestimmt werden kann, sich 2
L. 9 pr. L. 14 § 3 h. t. C. 6 h. t. L. 2 h. t. : impetus qui repelli non potest. 4 Auch für diesen Fall bestreiten die Erpressung Κ ο h l er a. a. O. S. 9 fg. und Τ u h r , Der Notstand im Civilrecht (1888) S. 12 fg. Dem Wortlaute nach für die Ulp. L. 9 § 1 h. t. und Paul. I 7 § 5. Indes ist angesichts von L. 7 § 1 L . 8 h. t. wenig wahrscheinlich, dafs die römische Jurisprudenz ein Geschäft nicht unter das Edikt gestellt haben würde, wodurch sich ζ. B. ein Arzt für seine Hilfe die Abtretung eines ganzen Vermögens versprechen liefs, während er wenig oder nichts einsetzte. Übrigens kommt K o h l er im praktischen Ergebnis mit dem hier vertretenen Standpunkt so ziemlich überein, indem er einen Anspruch auf Ermäfsigung des ausbedungenen Lohns zuläfst. Gesetzlich ist dies für die Hilfe in Seenot anerkannt. HGB. Art. 743. 5 Das erstere sagen Ulp. L. 7 § 1 h. t. und Paul. L. 8 pr. § 2 eod. Das zweite Paul. L. 21 pr. h. t. und C. 10 h. t. E x n e r , Tradition S. 255 N. 5; Seuff. X X 219; indes auch K o h l e r a. a. 0. S. 15 fg. 36 fg. 3
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Die Rechtsgeschäfte.
§ 1 .
lieber der Zumutung zu fügen, als die Gefahr zu laufen 6. Bei dem Urteil über die Erheblichkeit finden allgemeine Zustände Berücksichtigung, die erfahrungsmäfsig für Einschüchterung empfänglicher machen, wie Krankheit, hohes Alter, weibliches Geschlecht, nicht aber sonstige Furchtsamkeit. Als Güter, deren Bedrohung erheblich ist, werden in den Quellen genannt : Leben, Unverletztheit des Körpers, Freiheit, und zwar nicht blofs desjenigen, gegen den die Drohung angewendet wird, sondern auch seiner nahen Angehörigen. Der Bedrohung des guten Rufs und mit Prozessen wird diese Bedeutung abgesprochen, der Bedrohung mit Vermögensschaden merkwürdigerweise nicht gedacht,7. Aber damit ist das richterliche Urteil nicht festgelegt. Die Wertschätzung der Lebensgüter und die Bedeutung ihrer Gefährdung hängt eng mit den jeweiligen Volkszuständen zusammen, darin sind die römischen Anschauungen für uns nicht mafsgebend. Darum wird in der heutigen Jurisprudenz überwiegend der Vermögensschaden zu den beachtenswerten Übeln gerechnet 8, ebenso die Bedrohung des guten Rufs oder mit einer Strafanzeige 9. Weniger gefährliche Drohungen sind, wenn absichtlich und mit Erfolg angewandt, nicht rechtlich wirkungslos 10; sie begründen nur nicht die eigentümlichen Folgen der Erpressung. 5. Die Widerrechtlichkeit der Drohung wird dadurch nicht ausgeschlossen, dafs der Drohende zu der angedrohten Handlung, z. B. zur Strafanzeige, befugt ist, es müfste ihm denn die Befugnis zustehn, gerade diese Handlung zu dem erstrebten Zweck anzuwenden wie dem Gläubiger die Zwangsvollstreckung, um Zahlung zu erhalten. 6. Das erprefste Rechtsgeschäft mufs dem Bedrohten zum Scha6
L. 5, 6, 23 § 1 h. t. Selbst bei letztwilligen Verfügungen ist blofses aufdringliches Zureden (sermo maritalis) unerheblich. L. 3 si quis aliquem testari 29, 6. Über Zudringlichkeit des Arztes Arch. f. prakt. RW. N. F. I. S. 345. 7 L. 3 § 1 L. 4, 7 pr. § 1 L. 8 pr. — § 3 L. 21—23 § 1, 2 h. t. C. 13 pr. de transact. 2, 4 C. 4, 7 h. t. Dazu S c h l i e m a n n S. 22 Seuff. X X X I I I 283. 8 W ä c h t e r , Württ. PR. I I S. 762 N. 2; A r n d t s § 61 Anm. 4; W i n d scheid § 80 N. 6; D e r n b u r g I § 103 N. 7; ROHG. V I I I Nr. 44 S. 173 RGE. X Nr. 51 S. 191 ; Seuff. X L VI 168. Dagegen verharren im römischen Rahmen S a v i g n y I I I S. 106; S c h l i e m a n n S. 18 fg. 9 Z. B. Bedrohung eines Geistlichen oder eines Ehemannes mit einem Vaterschaftsprozefs Seuff. V I I I 27 X V I I I 112 X X 219 X X X V I I 190 X L I I 12 (RG.). G l a s e n a p p , Civ. Arch. L X V S. 258 fg. A. M. Seuff. X X I I 215 X X X I I I 213 X L I V 22. 10 Exceptio und actio doli, actio spolii, condictio ex injusta causa u. a. 34*
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den gereichen. Wird daher ein unberechtigtes Mittel zur Erzielung eines berechtigten Erfolgs angewendet, z. B. Androhung körperlicher Mifshandlung zur Beitreibung einer fälligen Schuld, so treten die Rechtswirkungen der Drohung nicht ein 1 1 . § 145. ß.
W i r k u n g der
Drohung*.
I. Über den Einflufs, den eine Drohung von der vorbeschriebenen Beschaffenheit auf das dadurch hervorgebrachte Rechtsgeschäft äufsert, gehn die Ansichten seit der Glossatorenzeit auseinander. Dabei spielt die Stellung, die der Urteilende zu der Frage vom allgemeinen Standpunkt einnimmt, eine nicht unwichtige Rolle. Nach einer verbreiteten Ansicht hat der Bedrohte nicht gewollt, denn die Drohung hebe die Freiheit des Willens auf. Dies ist nicht richtig. Der Handelnde besafs die Wahl zwischen zwei Entschlüssen, er entschied sich für die Gewährung des Ansinnnens des Drohenden als das kleinere von zwei Übeln. Da liegt kein Scheinwille vor, keine mechanische Folgeleistung. Auch in der Wendung: die Handlung sei gewollt, aber unfrei im Grund 11 , ist der Gedanke unhaltbar. Denn unfrei im Grund ist auch die Handlung des von einem Irrtum Beherrschten. Und dann knüpft das Gesetz die Ungültigkeit nicht an den Gemütszustand des Handelnden an sich sondern an die Erzeugung dieses Zustands behufs rechtswidriger Ausbeutung2. Wir sehen: Das Rechtsgeschäft ist trotz der Drohung der Ausflufs des Willens des Bedrohten. Allein damit ist die Sache nicht erledigt. Der Willensentschlufs ist durch unsittliche Einwirkung hervorgerufen. An diesem Umstand kann das Recht vermöge seiner sittlichen Natur nicht stillschweigend vorübergehn (L. 116 pr. R. J. 50, 17). Nur ist dadurch nicht geboten, dem Rechtsgeschäft von vornherein die rechtliche Anerkennung zu versagen. Der sittlichen Anforderung geschieht Genüge, wenn dem Bedrohten die Entscheidung anheimgegeben wird, ob das Geschäft bestehn soll oder 11
L. 12 § 2 L. 14 pr. h. t. S c h l i e m a n n S. 29 fg.; Seuff. XLIV 22. * Hiezu noch C z y h l a r z Jher. Jahrb. X I I I Abh. 1 (1874); G r a d e n w i t z , Die Ungültigkeit obligatorischer Rechtsgeschäfte,;(1887) S. 9—64. Einen dogmengeschichtlichen Überblick giebt S c h l i e m a n n S. 179—201. 1 B r i n z 1. A. S. 1420 fg., 2. A. § 530 N. 7. 2 Darin erblickt freilich S c h l o f s m a n n S. 125 fg. eine unvollkommene Entwicklung.
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Die Rechtsgeschäfte.
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nicht. Da es sich regelmäfsig um Vermögensinteressen handelt, so verdient der zweite Standpunkt den Vorzug. II. Wie stellt sich das gemeine Recht zu dieser Frage? Das ist nicht so leicht zu sagen. Schon die allgemeinen Aussprüche gehn auseinander. Schlimm ist, dafs auch die Einzelentscheidungen nicht unter einen Hut zu bringen sind. Es wirkt noch eine andere Schwierigkeit mit. Das alte jus civile legte der Drohung keine Bedeutung für die Gültigkeit der Rechtsgeschäfte bei (§ 1 J. de except. 4, 13). Dies that erst der Prätor, er that dies mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln: denegatio actionis, datio actionis, exceptionis, in integrum restitutionis. Der zu Grunde liegende Gedanke kann sein: dem erzwungenen Rechtsgeschäft wird an sich die Anerkennung versagt (Nichtigkeit), oder: die Versagung der Anerkennung tritt nur auf Antrag des Bedrohten ein (Anfechtbarkeit). Dieser Zweifel hat für uns praktische Bedeutung, weil der Unterschied von civiler und prätorischer Nichtigkeit weggefallen ist. Bei dieser Beschaffenheit kann nicht überraschen, dafs die Ansichten über die Wirkung der Drohung auf das Rechtsgeschäft unter den heutigen Juristen sehr auseinandergehn. Es hat nicht blofs die Nichtigkeit und die Anfechtbarkeit Vertreter, es wird auch behauptet, dafs bei gewissen Rechtsgeschäften Nichtigkeit, bei den übrigen Anfechtbarkeit eintreten soll. Nun sind die Anhänger der gemischten Theorie wieder über den Unterscheidungspunkt nicht einig 8 , und die Quellenaussprüche fügen sich ungezwungen keiner der aufgestellten Unterscheidungen. Ein neuerer Schriftsteller führt die Beschaffenheit des Quellenmaterials auf eine Meinungsverschiedenheit unter den römischen Juristen zurück und folgert aus der Aufnahme der widerstreitenden Ansichten in das corpus juris, dafs die Frage positiv nicht geregelt und nach allgemeinen Erwägungen zu lösen sei 4 . Allein das Dasein einer so wichtigen Streitfrage ist nirgends auch nur angedeutet; ja noch mehr: die angeblich oder wirklich abweichenden Aussprüche stammen zum Teil von demselben Juristen 5. Somit bleibt nur die Wahl zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit. Der Gesamteindruck ist aber der Anfechtbarkeit entschieden 3
Er soll liegen im Gegensatz von a) negotia bonae fidei und stricti juris, in früheren Jahrhunderten die herrschende Ansicht; b) materiellen und abstrakten Geschäften, B r i n z 1. A. § 324, 2. A. § 534 „Hypothese"; c)formlosen und formellen, S c h l o f s m a n n S. 135; d) prätorischen und civilen ( C z y h l a r z S. 5). 4 Sc h lie ma 1» \ S. ig. 29., die historische Erklärung S. 87 fg. 5 Paul. L. 21 § 3 h. t. und dagegen L. 21 § 4—6 eod., also gewissermafsen in einem Atemzuge, dann wieder L. 22 eod. L. 17 pr. qui et a quib. 40,9.
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günstiger. Sie findet in mehreren Stellen einen so klaren Ausdruck, dafs jeder Versuch der Umdeutung im Sinn der Nichtigkeit scheitert6. Allerdings besteht eine Ausnahme für. den nicht mehr praktischen Fall der erzwungenen Freilassung. Allein hier drängten die besondern Umstände auf eine andere Lösung hin 7 . Zweifelhaft liegt die Wirkung der Drohung auf letztwillige Verfügungen. Das Anfechtungsrecht ist für den Testator selbst entbehrlich, es hat in der Hand der Erben keinen Sinn, da gerade sie die aufgedrungenen Personen sind. Wahre Abhilfe schafft nur die Nichtigkeit der erzwungenen Verfügung, eine Folge, die durch die Quellen wenn auch nicht erwiesen, so doch nicht widerlegt wird 8 . HI. Es ergiebt sich sonach: die durch Drohung hervorgebrachten Rechtsgeschäfte sind anfechtbar, nur letztwillige Verfügungen nichtig. Zur Durchführung der Anfechtung stehn dem Bedrohten verschiedene Rechtsmittel zu Gebote. 1. Gegenüber einem Anspruch aus dem Rechtsgeschäft, gleich6 Ulp. L. 9 § 7 h. t. Paul. L. 11, 21 § 4, δ h. t. Pap. L. 85 Α. ν. Ο. Η. 29, 2; auch L. 9 § 4 h. t., weil die Wiedereinsetzung die Gültigkeit des Rechtsvorganges voraussetzt. C. 4 h. t. spricht wenigstens gegen die absolute Nichtigkeit. Ohne Gewicht ist L. 22 R. N. 22,3; es handelt sich hier um einen Zwang eigentümlicher Art, kindlichen Gehorsam. Vgl. L. 11 § 4 de his qui not. 3,2. Dem Ergebnis aus den bisher angeführten Stellen scheinen nun zu widersprechen Paul. L. 21 § 3 L. 22 h. t., wo das erzwungene Rechtsgeschäft negotium nullum, nullius momenti genannt wird. Indes kann damit der schliefsliche Erfolg des Geschäfts bezeichnet sein, nicht die Art seiner Vermittlung; dies ist von demselben Juristen in L. § 3 pro socio 17,2 und Sent. I I 14 § 1 geschehn. Für die L. 21 § 3 cit. sind wir zu dieser Erklärung durch den Zusammenhang und aus dem weiteren Grund berechtigt, dafs in der Natur der Dosbestellung nichts liegt, was eine abweichende Behandlung rechtfertigte. Über andere Auslegungen S c h l o f s m a n n S. 33 fg. Weniger schwierig ist Ulp. L. 9 § 6 h. t.; dafs die abgezwungene Sache in bonis des Gezwungenen blieb, konnte wegen der ihm zustehenden actio in rem rescissoria angenommen werden. So auch C. 3 h. t. B e c h m a n n , Kauf I I S . 315 N. 1. Vgl. indes Brinz 1. A. S. 1423 fg., 2. A. § 531 N. 13; C z y h l a r z S. 42 fg.; S c h l o f s m a n n S. 76 fg., 100 fg. 7 Es wäre grausam gewesen, den an der Bedrohung unbeteiligten Freigelassenen erst die Freiheit geniefsen zu lassen und nach der Anfechtung wieder in die Knechtschaft zu stofsen. Darum L. 9 pr. L. 17 pr. qui et a quib. 40, 9 Fragm. Dosith. § 7. Nur scheinbar vertritt die Anfechtbarkeit L. 9 § 2 h. t. B r i n z 1. A. S. 1425, 2. A. § 531 N. 28. Ähnliche Entscheidungen in L. 7 pr. i. f. L. 24 de dolo 4, 3 L. 11 de manum. 40, 1 L. 2 quib. ad lib. 40, 13. 8 Unergiebig C. 1 si quis aliquem testari 6,34. Über die verschiedenen Meinungen W i n d s c h e i d § 548. Neuerdings bringt beachtenswerte Gründe für die Nichtigkeit bei L e n e l Z. d. Sav. St. I X Rom. Abt. S. 71 fg. Über die Wirkung der Drohung bei der Eheschliefsung S c h e u r l , Eherecht § 20, 21.
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1 .
viel von wem er erhoben wird, kann die Erpressung im Weg der Verteidigung, exceptio metus, geltend gemacht werden. 2. Ist das erzwungene Rechtsgeschäft ein Schuldvertrag, so kann der Bedrohte gegen den andern Vertragsteil die Beseitigung des ihm zugefügten Nachteils mit der Vertragsklage fordern und zwar, wenn die Drohung vom Vertragsgegner selbst ausging oder ihm beim Vertragsschlufs bekannt war, Aufhebung des Vertrags, Rückgabe des Geleisteten gegen Rückgabe der Gegenleistung, sowie Ersatz des sonst verursachten Schadens, nach WTahl auch nur Schadenersatz unter Aufrechthaltung des Vertrags; wenn aber der Vertragsgegner die Drohung weder verübt noch gekannt hat, so ist der Anspruch auf Aufhebung und Rückgabe beschränkt 9. 3. Die Erpressung erzeugt einen Deliktsanspruch, actio quod metus causa. Er geht gegen den Erpresser, gegen dessen Erben und gegen jeden Dritten, der entweder unmittelbar aus dem Rechtsgeschäft auf Kosten des Gezwungenen einen Vorteil erlangt oder mittelbar die abgenötigte Sache erworben hat, und zwar selbst wenn er den Erwerb in Unkenntnis von der Drohung machte. Ersitzung der Sache schützt den Dritten gegen den Anspruch auf Herausgabe 10. 4. Der Gezwungene kann auch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nachsuchen. Vgl. § 200 fg. § 146. cc. Der B e t r u g * . I. Betrug ist die absichtliche rechtswidrige Täuschung1. Er hat mit der Drohung in Wesen und Wirkung Verwandtschaft. Gleich der Drohung ist der Betrug ein Mittel, um in einem Andern einen Geistes9 Bezeugt ist überhaupt nur die Aufhebung und Rückgabe. C. 1, 8 de rescind. vend. 4, 44, aber bei der bonae-fidei-Natur der actio ist die Richtung auf Schadenersatz gegenüber dem arglistigen Vertragsgegner nicht zu bezweifeln. W ä c h t e r , Württ. PR. I I S. 766; V a n g e r o w § 605a. E ; B e c h m a n n , Kauf I I S. 316. 10 L. 9 § 8 L. 10 L. 14 § 3, 5, 7 h. t. C. 5 h. t. (wo die Worte sciente emtore nicht dispositiv zu verstehn sind) C. 3 eod. Über den Anspruch des Dritten auf Ersatz des Erwerbspreises und seiner Verwendungen Sch l i e mann S. 45 fg., aber auch B e c h m a n n , Kauf I I S. 315 N. 1. * Tit. de dolo malo Dig. 4, 3 Cod. 2, 20 [21]; S a v i g n y I I I S. 115 fg.; B e c h m a n n , Kauf IIS. 296 fg.; Z i e g l e r , Über Betrug beim Vertragsabschlufs (1870). 1 Dem römischen Sprachgebrauch fehlt ein ganz entsprechender Ausdruck. Dolus lunfafst auch die wissentliche Rechtswidrigkeit ohne Täuschungsabsicht.
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zustand zu erzeugen, der zu einem sonst unterbleibenden Willensentschlufs führt, dort Furcht, hier Irrtum. Hier wie dort ist beim Rechtsgeschäft gewollt, was gesagt ist; es wäre nur ohne die Einwirkung nicht gewollt worden. Der Grund, warum die Gültigkeit des Geschäfts leidet, ist die Unsittlichkeit der Einwirkung. Beide haben civilrechtliche Bedeutung nur, wenn sie ihr Ziel erreicht haben; es giebt im Privatrecht keinen Versuch der Drohung oder des Betrugs. Auch dem Betrug gegenüber begnügt sich das Recht damit, dafs es dem Betrogenen Mittel zur Verfügung stellt, sich der Wirkungen des erschlichenen Rechtsgeschäfts zu erwehren, wenn er sein Interesse dadurch beeinträchtigt findet; es erklärt das Geschäft nicht für nichtig2. Jedoch ist die Anfechtbarkeit beim Betrug beschränkter, sie steht nur gegen den Betrüger und seine Erben zu, nicht gegen den beim Betrug unbeteiligten Dritten; davon gilt nur eine Ausnahme (III 1). II. Nach der regelmäfsigen Erscheinung besteht der Betrug in der Hervorrufung des Irrtums in einem Andern, in der Vorspieglung erdichteter oder in der Entstellung wirklicher Thatsachen. Der Irrtumserzeugung steht aber unter Umständen die wissentliche Ausbeutung eines bei dem Gegner schon vorhandenen Irrtums bezw. Nichtwissens gleich, nämlich dann, wenn jemand absichtlich entweder eine Thatsache verschweigt oder die Aufklärung eines Irrtums unterläfst, trotzdem dafs er zu dem Irrendem in einem rechtlichen Verhältnis steht, das ihm bezüglich des verschwiegenen Umstands Offenheit zur Pflicht macht. Diese Aufklärungspflicht hat bei Vertragsschlüssen nur eine Vertragspartei, nicht ein Dritter, der zufällig den Unterhandlungen beiwohnt. Und selbst für die Vertragsparteien stellt sie sich nach der Natur des konkreten Vertrags verschieden: sie reicht weiter bei den Verträgen, in denen jemand die Förderung fremder Interessen übernimmt, als bei den selbstnützigen wie Kauf und Miete 3 . Die Grenze zwischen dem rechtlich nicht zu beanstandenden und dem betrügerischen Verschweigen zu finden, ist eine schwierige Aufgabe. Man mufs sich ebensosehr hüten, bei der rechtlichen Beurteilung L. 1 § 2 h. t. L. 7 § 9 de pact. 2, 14. Fraus kommt im Sinne von Verfälschung oder Verdeckung der Wahrheit vor, aber auch zur Bezeichnung andrer Treuverletzung z. B. alienatio in fraudem creditorum. Ρ e m i c e , Labeo I I S. 60 fg. 2 L. 9 pr. L. 38 h. t. L. 13 § 27, 28 AEV. 19, 1 C. 30 de transact. 2, 4 C. 5 de resc. vend. 4, 44. Die Ausdrücke nullam esse venditionem, nullam societatem (L. 7 pr. h. t. L. 16 § 1 de minor. 4, 4 L. 3 § 3 pro socio 17, 2) nihil actum fuisse (L. 57 § 3 C. E. 18, 1) erklären sich aus der Erfolglosigkeit der bonae fidei actio. Über die Wirkung des Betrugs bei der Eheschliefsung Scheurl, Eherecht § 2; RGE. V Nr. 46 S. 177 X V I I I Nr. 45 S. 223. 3 J h e r i n g , Der Lucca-Pistoja-Aktienstreit S. 24.
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§ 1 .
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schlechthin den sittlichen Standpunkt einzunehmen als einer laxen Geshäftsmoral das Siegel des Rechts aufzudrücken 4. Die positive Täuschung wie die Verschweigung mufs in der Absicht geschehn sein, den Getäuschten zu dem rechtsgeschäftlichen Entschlufs zu bestimmen, und es mufs die Absicht erreicht sein. Auf die Beschaffenheit des Irrtums in der Person des Getäuschten kommt nichts an 5 . In der Regel wird der Betrüger aus dem Geschäft für sich oder einen Andern einen Vorteil erhoffen, aber wesentlich ist dies nicht. Ebensowenig bildet die Absicht, den Betrogenen zu schädigen, ein Erfordernis; es genügt das Bewufstsein, dafs die erschlichene Rechtshandlung dem Betrogenen schädlich werden kann 6 . III. Zur Verfolgung des Betrugs hat der Betrogene 1. eine Einrede gegen die Geltendmachung eines Rechts aus dem betrügerischen Rechtsgeschäft, exceptio doli. Er hat sie sogar gegen den Sondernachfolger in das aus dem betrügerischen Geschäft hervorgegangene Recht und zwar gegen den Sondernachfolger in ein Forderungsrecht schlechthin, gegen den Sondernachfolger in ein dingliches Recht dann, wenn er den Erwerb in Kenntnis des Betrugs oder unentgeltlich gemacht hat 7 . 2. die Vertragsklage, wenn der Betrug bei Eingehung eines Schuldvertrags von dem andern Vertragsteil verübt wurde. Ziel dieser Klage ist, den Kläger in die Lage zu versetzen, in der er sich ohne die Täuschung befinden würde. Es macht daher einen Unterschied, ob nach den Umständen angenommen werden mufs. der Kläger hätte ohne die Täuschung das Geschäft überhaupt nicht geschlossen oder er hätte es nur mit ermäfsigter Verpflichtung gethan8. Nur im erstem 4 Der vielberufene Satz: In pretio emtionis et venditionis naturaliter licere contrahentibus sese circumvenire (L. 16 § 4 de minor. 4, 4 L. 22 § 3 locati 19, 2) enthält keinen Freibrief für die Hintergehung des andern Teils. Vgl. L. 35 § 8 L. 66 § 1 C. E. 18, 1 L. 9 de peric. et com. 18, 6 L. 11 § 5 L. 13 pr. L . 21 § 1 AEV. 19, 1 L. 4 § 4 L. 14 § 9 de aed. ed. 21, 1; Seuff. V I I I 41; RGE. I Nr. 108 S 299. B L. 1 § 2 de eo per quem factum 2, 10 Seuff. X V I 118; X I X 26. Auf die landläufigen Anpreisungen des Vertragsgegenstands darf freilich niemand etwas geben; sie bezwecken nur Stimmung für das Geschäft zu machen. Doch können sie in Betrug Übergehn. L. 37 h. t. L. 43 pr. C. E. 18, 1 L. 19 pr. — § 3 de aed. ed. 21, 1 ; Seuff. X V I I I 237 XXIX 16. 6 L. 9 § 1 L. 40 h. t.; ROHG. IX Nr. 45 S. 153; RGE. X X I I I Nr. 25 S. 137; M o m m s e n , Haftung der Kontrahenten S. 146 fg. 7 L. 2 § 1, 2 L. 4 § 27—31 de doli m. exc. 44, 4; RGE. X X V I Nr. 33 S. 186 8 Die etwas scholastisch klingende Unterscheidung der ältern Juristen zwischen dem dolus causam dans und dolus incidens ist berechtigt. Die inneren Gründe.
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Erstes Buch.
Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
Fall kann der Betrogene nach Wahl Aufhebung der Obligation und Ersatz des ihm zugegangenen Schadens oder Schadenersatz unter Aufrechterhaltung der Obligatio fordern 9. Im zweiten Fall ist er auf den Entschädigungsanspruch beschränkt, dem in der Regel durch Abminderung seiner Gegenleistung genüge geschieht (L. 13 § 4, 5 AEV. 19, 1). Ist der Betrug von einem Dritten ausgegangen und der Vertragsgegner des Betrugs unkundig gewesen, so unterliegt der Vertrag nur insoweit der Anfechtung, als er dem Vertragsgegner unentgeltlichen Erwerb zugeführt hat, nach Analogie der erweiterten Anfechtung durch die exceptio doli (L. 7 pr. L. 8 h. t. L. 2 de proxen. 50, 14). Im übrigen ist der Betrogene auf seinen Anspruch gegen den Betrüger verwiesen. 3. eine Deliktsklage, actio doli, gegen den Betrüger und seine Erben. Näheres im Obligationenrecht. 4. Über die Wiedereinsetzung wegen Betrugs § 201. § 147. 4. Allgemeine Erfordernisse der Rechtsgeschäfte. Jede Rechtsgeschäftsart hat ihre besondern Erfordernisse, gewisse Erfordernisse sind allen gemeinsam. Die gemeinsamen Erfordernisse betreifen die Personen, von denen die Handlung ausgeht, und den Akt der Handlung, diesen nach seiner Entstehung wie nach seinem Inhalt. I. Die Personen, welche das Rechtsgeschäft errichten, müssen die dafür erforderliche Geschäftsfähigkeit besitzen. Die Geschäftsfähigkeit stellt sich für die einzelnen Rechtsgeschäftsarten verschieden, hauptsächlich je nachdem das Rechtsgeschäft auf reinen Erwerb des Handelnden gerichtet ist oder auf eine andere Wirkung (§ 130—134). Enthält der rechtsgeschäftliche Akt die Verfügung über einen Vermögensgegenstand, so mufs sich zur Geschäftsfähigkeit die rechtliche Macht gesellen, über diesen Gegenstand in der bestimmten Weise zu verfügen. Die Verfügungsmacht kann fehlen entweder weil der Vermögensgegenstand mit einem Veräufserungsverbot bestrickt ist oder sind stärker als der Quellenbeweis; am gewichtigsten L. 7 pr. h. t. und L. 13 § 4 AEV. 19, 1. Die Praxis hält daran fest: Seuff. I I 167 X X V I I 111 X X X V I 6 (RG.) und 177 X L I I I 184 (RG.) XLIV. 91. Auch die Mehrheit (1er Schriftsteller: W ä c h t e r , Württ. PR. I I S. 758 N. 6; W i n d s c h e i d § 78 N. 7; M o m m s e n a. a. 0. S. 162 fg.; B e c h m a n n a. a. 0. S. 301 fg. A. M. D e r n b u r g 1 § 104 N. 9. 9 L. 11 § 5 AEV. 19, 1 C. δ de resc. vend. 4, 44.
Die juristischen Thatsachen.
Die Rechtsgeschäfte.
§ 147
weil er zum Vermögen einer andern Person gehört. Der zweite Mangel wird durch die Genehmigung des Berechtigten gehoben. Uber die Natur, Form und Wirkung dieser Genehmigung ist zu bemerken 1 : 1. Die Genehmigung kommt in verschiedner Anwendung vor. Hier handelt es sich um die Genehmigung einer Verfügung, die über einen Gegenstand der Nichtberechtigte im eignen Namen getroffen hat. Die Verfügung im Namen des Berechtigten und die hierauf bezügliche Genehmigung gehört der Lehre von der Stellvertretung an (§ 164). Die Verfügung des Nichtberechtigten kann bestehn a. in der Veräufserung eines fremden Vermögensgegenstands oder in der Belastung mit einem Recht, z. B. durch Verpfändung 2; b. in der Begründung eines Rechts an einem Vermögensgegenstand, dessen voller Bestand durch das Weichen des Rechts eines Andern bedingt ist, z. B. Einräumung der ersten Hypothek an einer schon verpfändeten Sache3. Nur im ersten Fall tritt der Genehmigende zu dem dritten Erwerber in ein Rechtsverhältnis. Im zweiten Fall besteht die Genehmigung in einem Verzicht. Dort wird der Genehmigende Urheber für das Recht des Dritten und dieser sein Rechtsnachfolger 4. Aber der Genehmigende tritt auch in diesem Fall nicht in das zwischen dem Verfügenden und dem Dritten begründete, regelmäfsig obligatorische Verhältnis, er erlangt nicht den Anspruch auf das etwa bedungene Entgelt, er haftet dem Dritten nicht aus dem Vertrag für Entwehrung, thatsächliche Mängel u. ä. Hierin unterscheidet sich diese Genehmigung praktisch von der Genehmigung des von einem Stellvertreter errichteten Geschäfts (Seuff. XXXII 11). 2. Die Genehmigung ist ein einseitiges Rechtsgeschäft. Es liegt in ihr ein Vermögensopfer des Genehmigenden zu Gunsten des Verfügenden. Sie kann schenkungshalber erfolgen und unterliegt dann den Schenkungsgrundsätzen, auch in Beziehung auf die Form. An sich ist die Genehmigung an eine Form nicht gebunden, die formlose 1 J h e r i n g in seinen Jahrb. I I S. 123 fg.; L. S e u f f e r t , Die Lehre von der Ratihabition der Rechtsgeschäfte (1868) S. 95 fg.; K a r Iowa, Das Rechtsgeschäft S. 64 fg.; M o n r o y , Die vollmachtslose Ausübung fremder Vermögensrechte (1878). 2 L. 9 § 2 de donat. 39, 5 C. 3 R. V. 3, 32 — L. 20 pr. de pign. act. 13, 7. 3 L. 12 § 4 qui pot. 20, 4 L. 8 § 6 quib. mod. pign. 20, 6, nach römischem Recht Freilassung eines verpfändeten Sklaven L. 4 § 2 de manum. vind. 40, 2, wo fein unterschieden wird zwischen manumittere und manumittentem non impedire. 4 L. 9 § 4 ARD. 41, 1 L. 44 § 1 de usurp. 41, 3. Eine Genehmigung eigentümlicher Art findet bei der Schuldübertragung statt: der Gläubiger bewirkt durch die Genehmigung des Schuldüberwälzungsvertrags, dafs der Schuldübernehmer sein Schuldner wird an Stelle des bisherigen Schuldners. Civ. Arch. L X V I I S. 26.
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Erstes Buch.
Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
ist auch stillschweigend möglich (L. 5 ratam rem 46, 8). Verbindlich ist die Genehmigung nur dann, wenn sie dem Verfügenden oder dem dritten Erwerber erklärt wird 5 . Sie kann der Verfügung vorausgehn (Ermächtigung) oder nachfolgen (Ratihabition). Die im voraus erteilte Genehmigung wird jedenfalls mit der Verfügung unwiderruflich; sie ist es schon vorher, wenn sie nicht im einseitigen Interesse des Genehmigenden erteilt wurde. Der in der Zwischenzeit eintretende Tod des Ermächtigenden macht sie nicht hinfällig 0. 3. Durch die Genehmigung erhält die Verfügung die Kraft, die beabsichtigten Wirkungen an dem Vermögensgegenstand hervorzubringen. Die nachträgliche Genehmigung erzeugt diese Wirkung rückwärts, oder genauer ausgedrückt : die an die nachträgliche Genehmigung sich knüpfende Wirkung mufs so behandelt werden, als sei sie schon im Zeitpunkt der Verfügung eingetreten7. Doch setzt die Rückwirkung voraus, dafs der Genehmigende sie nicht ausschlofs und dafs er schon in der Zwischenzeit die Verfügungsmacht besafs. Auch kann die nachträgliche Genehmigung Rechten, welche dritte Personen in der Zwischenzeit erworben haben, keinen Eintrag thun 8 . II. Der Inhalt des Rechtsgeschäfts mufs thatsächlich und rechtlich möglich9, er darf nicht verbotswidrig oder sittlich verwerflich sein. Das letztere Erfordernis bestimmt sich nach der heutigen sittlichen Anschauung. Es gilt bei uns nicht alles für unzulässig, was bei den Römern contra bonos mores verstiefs 10, und umgekehrt. Als 5
Gegen diese Beschränkung S e u f f e r t , Ratihabition S. 114: Z i m m e r m a n n Stellv. Neg. gestio S. 158-166, während M o n r o y a. a. 0. S. 78 fg. nur die an den Verfügenden gerichtete Erklärung für wirksam erachtet. 6 Römischer Behandlung entspricht dies nicht. L. 2 § 6 de donat. 39, 5. Allein in einem verwandten Fall, bei der bedingten Tradition hat die spätere römische Jurisprudenz mit der ältern Ansicht gebrochen, dafs die Wirkung einer Erklärung von der Fortdauer des Willens abhängig sei. L. 2 § 5 eod. L. 9 § 1 i. f. J. D. 23, 3. E n n e c c e r u s , Rechtsgeschäft S. 469 fg. Um so mehr sind wir berechtigt, für das heutige Recht uns grundsätzlich dazu zu bekennen. J h e r i n g a. a. 0. S. 131, 133. A. M. W i n d s c h e i d § 81 N. 5a. E. 7 C. 7 pr. ad SC. Mac. 4, 28 C. 25 i. f. de donat. i. v. 5, 16. 8 L. 16 § 1 de pign. 20, 1; Z i m m e r m a n n a. a. 0. S. 248 fg.; M i t t e i s , Stellvertretung S. 245 N. 308 S. 251. 9 L. 1 § 9, 10 0. e. A. 44, 7 L. 45 pr. R. J. 50, 17; HGB. Art. 23: Übertragung der Firma ohne das Handelsgeschäft. Seuif. X X X V I I I 317 und Nachw.; RGE. X X I Nr. 26 S. 161. 10 Beisp. die Strafverabredung für grundlosen Verlöbnisbruch. L. 134 pr. V. 0. 45, 1. Heutzutage spielt die Frage eine wichtige Rolle, inwieweit sich jemand durch Vertrag seiner bürgerlichen oder wirtschaftlichen Selbständigkeit begeben kann. RGE. X X V I I Nr. 26 S. 160; L e m b e r g , Vertragsmäfsige Beschränkungen der Gewerbe- und Handelsfreiheit (Breslauer Dissert. 1888).
Die juristischen Thatsachen.
Die Rechtsgeschäfte.
§ 1 .
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unsittlich mufs ein Geschäft nicht blofs dann erachtet werden, wenn es zu einer unsittlichen Handlung verpflichtet, sondern wenn es auch nur zur Stärkung einer unsittlichen Gesinnung dient, z. B. wenn sich jemand dafür etwas versprechen läfst, dafs er eine unsittliche oder ungesetzliche Handlung nicht begeht. Der Widerstreit eines Rechtsgeschäfts mit einem gesetzlichen Verbot kann verschiedene Rechtsfolgen haben 11 : Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit des Rechtsgeschäfts oder blofs eine Strafe für die Zuwiderhandlung ohne Nachteil für das Rechtsgeschäft 12. Enthält ein Verbotsgesetz über die Rechtsfolge der Übertretung keine Vorschrift, so ist sie aus der Bedeutung des zu bekämpfenden Erfolgs zu erschliefsen 13. Im Zweifel gilt Nichtigkeit als Übertretungsfolge 14. Arglistige Umgehung des Gesetzes trifft die Folge der unmittelbaren Übertretung. Vgl. die Ausführung über die rechtsgeschäftlichen Schleichwege (§ 141 I I I B).
§ 148. 5. Die Hauptarten der Rechtsgeschäfte. I. Die Rechtsgeschäfte erhalten Dasein und Inhalt innerhalb der vom Recht gezogenen Schranken durch den Parteiwillen. Für manche genügt die Willensbethätigung einer Partei, andere erheischen das Zusammenwirken mehrerer Parteien. Hienach unterscheidet man e i n s e i t i g e und z w e i s e i t i g e Rechtsgeschäfte. Partei ist ein im 11
E n d e m a n n , Die civilrechtliche Wirkung der Verbotsgesetze (1887), dazu B ä h r , Krit. VJSchr. X X X I S. 314 fg.; F. Oppenheim, Verbotswidrig abgeschlossene Handelsgeschäfte (Göttinger Dissert. 1891). 12 Beisp. N i c h t i g k e i t : Veräufserung von Dotalgrundstücken, Ehe unter naher Verwandten, wucherische Verträge. A n f e c h t b a r k e i t : SCm. Macedonianum, Veräufserung zur Benachteiligung der Gläubiger. Sonstige F o l g e : Verbot, dafs Frauen vor Ablauf von 10 Monaten seit Auflösung der vorigen Ehe heiraten, RG. vom 6. Febr. 1875 § 35, 36; ferner HGB. Art. 69 Nr. 1. E n d e m a n n S. 69—106. 13 So wird mit Recht übereinstimmend angenommen, dafs der Kauf eines ausländischen Lotterieloses in einem Lande nichtig ist, welches das Spielen in auswärtigen Lotterieen verbietet. Seuff. X L V 86 und RGE. V Nr. 33 S. 127 X V I I Nr. 67 S. 304. Dagegen liegen verschiedene Rechtssprüche über die Frage vor, ob aus einer Gemeinschaft über das Spiel in einer auswärtigen Lotterie geklagt werden kann. Seuff. X X X I I I 24 bejaht, RGE. X V I I I Nr. 49 S. 242 verneint es. Der letztern Ansicht ist auch B ä h r , Krit. VJSchr. X X X I S. 316. 14 So viel, aber auch nicht mehr folgt aus C. 5 de legib. 1, 14. Vgl. übrigens E n d e m a n n a. a. 0.
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Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
eigenen Interesse beteiligtes Subjekt. Die Zahl der Parteien wird nicht vermehrt, wenn ein Beteiligter zur Vervollständigung seiner Handlungsfähigkeit der Mitwirkung einer andern Person bedarf, wie es beim römischen impubes infantia major mit der interpositio auctoritatis tutoris der Fall war 1 ; ebensowenig wenn der Wille einer Partei durch eine Mehrheit von Personen erzeugt wird wie bei vielen juristichen Personen. Zweiseitige Rechtsgeschäfte sind die Verträge (§ 149) und nur die Verträge 2. II. Eine Anzahl von Rechtsgeschäften hat den Zweck, die Verhältnisse einer Person, insbesondere ihre Vermögensverhältnisse nach ihrem Tod zu ordnen. Wegen dieses Zwecks wird jede darin getroffene Verfügung vom Tod des Verfügenden abhängig3 und zwar dem Bestände nach, nicht blofs hinsichtlich der Ausführung. Die Verfügung wird hinfällig, wrenn derjenige vor dem Verfügenden stirbt, zu dessen Gunsten die Verfügung getroffen wurde. Diese Rechtsgeschäfte werden von T o d e s w e g e n , mortis causa genannt. Es sind dies die Testamente, Kodizille, Erbverträge, Schenkungen von Todeswegen. Der Gegensatz der Rechtsgeschäfte u n t e r Lebenden ergiebt sich hieraus von selbst. Eine Unterart der Rechtsgeschäfte von Todeswegen sind die l e z t w i l l i g e n Rechtsgeschäfte, wozu die Testamente, die Kodizille und die meisten Schenkungen von Todeswegen 4 gehören, nicht aber die Erbverträge, denn letztwillig darf nur genannt werden, was vom Verfügenden bis zu seinem Tod einseitig widerrufen werden kann. Unter den Rechtsgeschäften von Todeswegen überwiegen die einseitigen Rechtsgeschäfte, unter den Rechtsgeschäften unter Lebenden die Verträge 5. III. Das Rechtsgeschäft erstreckt sich auf alle Teile des Privatrechts. Es ist nicht einmal auf das Privatrecht beschränkt, es giebt 1 Kein Beispiel liefern die Genehmigung einer Verfügung durch den Vormund (consensus curatoris) oder durch den Ehemann, ferner die elterliche Zustimmung zur Eheschliefsung; das sind selbständige Rechtsgeschäfte, sie können darum auch eine andere Form haben. 2 A. M. B e k k e r § 94 Beilage I, aber in den von ihm neben den Verträgen aufgeführten Beispielen liegt nicht ein Rechtsgeschäft vor, sondern eine Mehrheit von Rechtsgeschäften. 8 L. 32 de mortis causa donat. 39, 6: Non videtur perfecta donatio mortis causa facta, antequam mors insequatur, Paul. III, 7 § 2. Ein belehrender Rechtsfall (ob Kauf- oder Vermächtnis vertrag) in Seuff. X X V I I 41. 4 Nur die meisten, denn es kann der Schenker auf den Widerruf verzichten. L. 13 § 1 L. 35 § 4 de mort. c. donat. 39, 6 Nov. 87 pr. c. 1. 5 Einseitige Rechtsgeschäfte unter Lebenden sind z. B. Vollmachtserteilung, Genehmigung, Kündigung, Mahnung, Annahme wie Ablehnung einer Erbschaft.
Die juristischen Thatsachen.
Die Rechtsgeschäfte.
§ 149.
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prozessualische und staatsrechtliche Rechtsgeschäfte. Der Unterschied von reinen Willensgeschäften und Realgeschäften ist oben (§ 135 Ziff. 7) erörtert. Über den Gegensatz von abstrakten und kausalen Rechtsgeschäften siehe § 167. Die Vermögensgeschäfte bezwecken den Erwerb eines Vermögensvorteils. Je nachdem dieser Erwerb gegen ein Opfer von Seite des Erwerbers gemacht wird oder ohne ein solches, heifst es e n t g e 111 i c h, lästig, oneros, oder u n e n t g e l t l i c h , lukrativ 6 .
6. Der Vertrag*. § 149. a.
Begriff.
Der Vertrag ist eine Rechtsform von der weitesten Anwendbarkeit Er dient zur Begründung, Aufhebung und Änderung von Obligationen und von dinglichen Rechten. Durch Vertrag wird die Ehe geschlossen, kann ein Erbe eingesetzt, auf eine Erbberechtigung verzichtet und ein Vermächtnis errichtet werden. Es giebt demnach obligatorische, dingliche, familien- und erbrechtliche, begründende, rechtsaufhebende und rechtändernde Verträge. Über den Vertrag im allgemeinen gilt folgendes. I. Der Vertrag ist die geäufserte Willenseinigung von zwei oder mehr Personen zur Hervorbringung einer rechtlichen Wirkung unter ihnen oder unter den von ihnen vertretenen Personen2. 6 KKO. § 24 Ziffer 2 (Anfechtungsgesetz § 3): entgeltliche Verträge. Dazu RGE. X X V I I Nr. 30 S. 134. Die Quellen beziehen die Unterscheidung richtiger auf den Erwerbsgrund und sprechen von causa onerosa und lucrativa. § 6 J. de legat. 2, 20 L. 13 § 15 AEV. 19, 1 L. 17 O. e. A. 44, 7 u. a. * S a v i g n y I I I § 40, 41; S c h l o f s m a n n , Der Vertrag(1876); Dieser Schriftsteller verwirft im Gegensatz zu allen andern den Vertragsbegriff als völlig wertlos. Gegen ihn E i s e l e , Krit. VJSchr. XX S. 14 fg. Vgl. auch 0. M a y e r , Arch, f. öffentl. R. I I I S. 36 fg. Über den Vertragsbegriff der römischen Juristen P e r nice Z. d. Sav.St. I X RA. S. 195 fg. 1 Der ältern Doktrin war Vertrag nur das acceptierte Versprechen, also der Schuldbegründungsvertrag. So auch Preufs. Ldr. 15 § 1—4, 78, 79; Code civ. Art. 1101; Österr. GB. § 861. Sehr entschieden hat sich gegen diese Beschränkung S a v i g n y a. a. 0. erklärt; ihm folgen die Neueren mit Ausnahme von V a n g e r o w § 350 Α. 1 § 621 A. 1. Über den dinglichen Vertrag E x n e r , Tradition S. 4 fg.; K o h l e r , Gesammelte Abhandl. S. 1 fg.; RGE. X X V I I Nr. 30 S. 134. 2 Die römische Definition hebt nur das Äufsere des Geschäfts hervor, nicht den Zweck. L. 1 § 2 de pact. 2, 14: Pactum est pactio duorum pluriumve in idem placitum et consensus. (Über „et" vgl. M o m m s e n ad h. 1.) L. 3 pr. de
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Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
1. Von Willenseinigung kann nur gesprochen werden, wo mehrere bewufst dasselbe wollen, um durch ihr Zusammenwirken ein gemeinsames Ergebnis zu erzeugen. Das ist selbst bei den gegenseitigen Schuld vertragen der Fall: beim Kaufvertrag ist der Wille jedes Teils auf die doppelte Verpflichtung sowohl des Verkäufers zur Leistung der Ware als des Käufers zur Zahlung des Kaufpreises gerichtet; denn die eigne Verpflichtung ist der Preis für die erwünschte Verpflichtung des Gegners. Man kann sagen: durch den Zusammenschlufs der Willen entsteht ein neuer Wille, der Vertragswille; dieser wird vom positiven Recht mit Wirkung bekleidet3. Es genügt daher zum Begriff des Vertrags nicht, dafs aus dem Zusammentreffen mehrerer Willensäufserungen eine Rechtsfolge entspringt·, z. B. die Erbgemeinschaft beruht nicht auf Vertrag, obwohl sie aus dem Erbschaftsantritt mehrerer Berufenen hervorgeht. Es genügt dies selbst dann nicht, wenn die mehreren Willensäufserungen das letzte Ziel gemeinsam haben, sofern nur jede ihren gesonderten Geschäftszweck hat, wie Erbeinsetzung und Erbschaftsantritt 4 . Kurz, der Vertrag ist nicht blofs die Summe von zwei oder mehr Willensäufserungen, er ist eine Einheit. 2. Beim Vertrag ist die Willenseinigung auf Hervorbringung einer rechtlichen Wirkung unter den Handelnden oder den von ihnen vertretenen Personen gerichtet. Der Beschlufs eines Richterkollegiums, der Generalversammlung einer Aktiengesellschaft, die Einigung der gesetzgebenden Faktoren über ein Gesetz sind darum keine Verträge. Beim Vertragsschlufs geht jeder Teil von einem selbständigen, wenn auch nicht immer gegensätzlichen Interesse aus, die Vertragswirkung ist der Punkt, in dem ihre Interessen zusammentreffen (Note 3). Dies gilt vom Geber unci Nehmer eines Almosens, vom Käufer und Verkäufer, nicht vom Mündel und dem seine Handlung gutheifsenden Vormund. 3. Der Vertrag bedingt die Willensbethätigung von mindestens zwei sich selbständig- gegenüberstehenden Personen. Mehr als zwei sind möglich (z. B. bei einem Gesellschaftsvertrag), zwei die Regel. pollic. 50, 12. Hiezu L e o n h a r d , Irrtum S. 24, 45 fg.; F r i t s che, Untersuchung über die Bedeutung von consensus und consentire (Göttinger Dissert. 1888) E n n e c c e r u s , Rechtsgeschäft S. 107 fg. 3 L. 1 § 3 de pact. 2, 14: qui ex diversis animi motibus in unum consentant, id est in unam sententiam decurrunt. Daher voluntas contrahentium, sententia contrahentium, mens convenientium L. 7 § 8 de pact. 2, 14 L. 115 § 2 V. 0. 45, I L . 219 Y. S. 50, 16 u. a. Erst Justinian spricht von voluntates contrahentium oder hominum C. 6 pro socio 4, 37 C. 13 § 2 de contrah. stip. 8, 37 [38]. 4 Andre Beispiele L. 18 comm.-praed. 8, 4 L. 5 § 5 J. D. 23, 3.
Die juristischen Thatsachen.
Die Rechtsgeschäfte.
§ 149.
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Niemand kann mit sich selbst einen Vertrag schliefsen, auch nicht in Vertretung des andern Beteiligten oder in Vertretung beider Parteien. Hieran darf nicht irre machen, dafs es Thatbestände mit vertragsähnlichen Wirkungen giebt, bei welchen nur der Wille einer Person thätig geworden ist. So kann der Vormund eine zwischen ihm und dem Mündel bestehende Schuld ohne Dazwischenkunft andrer Personen durch Zahlung tilgen oder aus dem seiner Verwaltung unterstehenden Mündelvermögen ein Darlehn entnehmen5. Das pflegt man wohl ein Kontrahieren des Stellvertreters mit sich selbst zu nennen. Allein es liegen in Wirklichkeit einseitige Rechtsgeschäfte vor mit Wirkungen, welche gemeinhin an Verträge geknüpft sind. Diese Erscheinungen um der Wirkung willen künstlich in ein Vertragsgewand zu pressen, ist ebenso verfehlt, als ihnen wegen der mangelnden Vertragsnatur die rechtliche Wirkung abzusprechen. Wie weit freilich im heutigen Recht die Anerkennung derartiger Rechtsgeschäfte reicht, ist eine nur für den einzelnen Fall und jedenfalls mit Vorsicht zu lösende Frage 6. 4. Die Eigenschaft der Verträge als zweiseitiger Rechtsgeschäfte beruht auf ihrer Entstehung. Nach ihrem Inhalt scheiden sie sich selbst wieder in einseitige und zweiseitige. Diese Einteilung beschränkt sich aber von wenigen Ausnahmen (z. B. Erbverträge) abgesehn auf die Schuldverträge. II. Ein Vertragsschlufs ist vollendet, wenn die Parteien über alle wesentlichen Punkte des Geschäfts übereingekommen sind und die Vereinbarung in bindender Absicht, wo nötig in der geforderten Form geäufsert haben. Wesentlich ist jeder Bestandteil, welcher durch die Natur des Geschäfts gefordert ist (objektiv wesentlich). 5 L. 9 § 3—5 L. 7 § 5 de adm. et peric. 26, 7 L. 78 § 1 C. E. 18, 1 L. 69 de fidejuss. 46, 1 L. 9 § 7 de adm. et peric. 26, 7 (zu dieser Stelle Eck Z. f. HR. XXXIX S. 269). Vgl. ferner L. 2 § 8, 9 pro emtore 41, 4. Über diese Aussprüche sowie über die ganze Frage R ö m e r Z. f. HR. XIX S. 67 fg.; L e p a , Die Lehre vom Selbsteintritt des Komissionärs S. 226 fg.; B e c h m a n n , Kauf I I S. 284 fg.; M u s k a t Z. f. HR. X X X I I I S. 507 fg., besonders aber M a x R ü m e l i n , Das Selbstkontrahieren des Stellvertreters nach gemeinem Recht 1888, wo auch S. 2—14 weitere Litteratur angegeben ist. 6 Das Reichsgericht hat die Gültigkeit angenommen: für den Kauf der Sache durch den Verkäufer, der das Recht zum Selbsthilfeverkauf ausübt (RGE. V. Nr. 14 S. 58 fg.), für die Geschäfte, die ein zwei Genossenschaften gemeinsamer Vorstand zwischen ihnen vermittelt (RGE. V I Nr. 3 S. 11 fg.), für die Acceptation eines Wechsels durch den Liquidator einer Aktiengesellschaft, den er im eignen Namen auf die Gesellschaft gezogen hatte (RGE. V I I Nr. 38 S. 119 fg). R ü m e l i n sucht S. 242 das zulässige Selbstkontrahieren von Stellvertretern grundsätzlich abzugrenzen. Gegen jede prinzipielle Anerkennung Eck Z. f. HR. XXXIX S. 272 fg.
Binding,
Handbuch. I. 7. I : R e g e l s b e r g e r ,
Pand. I.
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Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
Wesentlich ist ferner jede Bestimmung, von deren Annahme eine Partei erkennbar die Einwilligung in den Vertrag abhängig macht (subjektiv wesentlich). Im Zweifel ist anzunehmen, dafs jede Partei das Geschäft nur in der von ihr vorgeschlagenen Gestalt eingehn wollte. Dagegen steht der Vollendung nicht entgegen, dafs ein objektiv unwesentlicher Punkt nicht zur Sprache gekommen ist. In diesem Fall gilt dafür in erster Linie das Verkehrsübliche, in zweiter, was die ergänzende Rechtvorschrift bestimmt. Die dem Vertragsschlufs voraufgehenden Verhandlungen, die sogenannten Vertragsunterhandlungen oder Traktate, sind in der Regel für jeden Teil unverbindlich. Dies gilt selbst von der Einigung der Parteien über einzelne Punkte des beabsichtigten Vertrags; denn erfahrungsgemäfs pflegt sich jeder Teil die Bindung vorzubehalten, bis ihm durch die Einigung in allen Punkten ein Urteil über das Ganze möglich ist. Doch können Vorläufer verbindliche Kraft haben, z. B. das Angebot (§ 150 I). Es widerstreitet nicht dem Vertragsbegriff, dafs eine Partei zur Eingehung des Vertrags verpflichtet ist. Diese Verpflichtung kann durch Gesetz, Vermächtnis oder Vertrag begründet sein7. Der Vertrag, der die Verpflichtung zum Abschlufs eines bestimmten Vertrags zum Inhalt hat, heifst Vorvertrag. Er ist ein Schuldvertrag. Darum gehört seine Darstellung ins Obligationenrecht.
§ 150. b. A n t r a g u n d A n n a h m e * .
Die meisten Verträge werden in der Art geschlossen, dafs der eine Teil den Inhalt des beabsichtigten Geschäfts dem andern mit dem Willen kundgiebt, dessen Zustimmung und dadurch die Ent7
Beispiele gesetzlicher Verpflichtung: L. 12 pr. de relig. 11, 7 (zur Einräumung eines Notwegs), HGB. A. 422 (der Eisenbahn zur Eingehung von Frachtgeschäften), Reichspostgesetz vom 28. Okt. 1871 § 3. Die Vertragsnatur dieser Geschäfte bestreitet S c h o t t in Endemanns Handb. des Handelsr. I I I S. 301, 539, sie seien Erfüllung einer gesetzlichen Obligation. Das beruht auf einer Verwechslung der aus dem Gesetz entspringenden öffentlichrechtlicben Verpflichtung zur Vertragseingehung mit dem das Individualverhältnis regelnden privatrechtlichen Abkommen. Vgl. Co sack Z. f. HR. X X X I I I S. 325, RGE. XV Nr. 31 S. 156. * R e g e l s b e r g e r , Civilrechtliche Erörterungen (1868) § 9—24; K o p p e n , Jher. Jahrb. X I S. 139 — 393 (1871, auch im Sonderabdruck: Der obligatorische Vertrag); S ohm Ζ. f. HR. X V I I S. 16—107, 372—375 (1872); S c h o t t , Der obligatorische Vertrag unter Abwesenden (1873); K ü h n , Jher. Jahrb. XVI Abh. 1 (1877); M a r f s o n , Die Natur der Vertragsofferte (Greifswalder Dissert. 1879);
Die juristischen Thatsachen.
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stehung des Vertrags zu erlangen 1. Eine Willensäufserung dieses Inhalts heifst A n t r a g (Angebot, Offerte), die Zustimmung Annahme (Acceptation). Der Urheber des Antrags wird A n t r a g e n d e r (Antragsteller, Offerent) genannt, derjenige, an den der Antrag gerichtet ist, A n t r a g s e m p f ä n g e r (Adressat, Oblat) 2 . I. Der Antrag ist ein Vorschlag zu einem Vertrag, aber dadurcli von andern Vertrags Vorschlägen verschieden, dafs durch seine Annahme der Vertrag der Absicht seines Urhebers entsprechend entsteht. Die Antragstellung ist nur bei wenigen Verträgen an eine bestimmte Parteirolle im künftigen Vertragsverhältnis gebunden3. Sonst kann sie von jeder Partei ausgehn, auch von dem, der durch den künftigen Vertrag ausschliefslich berechtigt werden soll; denn die Annahme als Schlufsstein des Vertrags bezieht sich auf den Antrag, nicht auf das Versprechen 4. Darum bedarf es zum Abschlufs von gegenseitigen Schuldverträgen nicht doppelten Antrags und doppelter Annahme. A. Der Antrag schafft im wesentlichen die Grundlage für den künftigen Vertrag und erzeugt mit der hinzutretenden Annahme den Vertrag. Er mufs daher dem Inhalte nach vollständig und in bindender Absicht gestellt sein. 1. Vollständig ist der Antrag, wenn er die Bestimmungen des abzuschliefsenden Vertrags insoweit bezeichnet, dafs mit der ZuG a r d e i k e , Die Verträge unter Abwesenden (1882); Motive zum deutschen Entwurf I S. 161 fg.; Z i t e l m a n n , Die Rechtsgeschäfte im Entwurf I S. 120—151 (1889); E h r l i c h , Die stillschweigende Willenserklärung (1893). 1 Die Ausscheidung von Antrag und Annahme fehlt bei der heutigen Eheschliefsung und bei einem schriftlichen Vertrag, der das Ergebnis mündlicher Unterhandlung zusammenfafst (vgl. auch Note 19). Am schärfsten tritt sie beim Vertragsabschlufs unter Abwesenden heraus. 2 Antrag, Antragender, Annahme sind die Ausdrücke des deutschen Handelsgesetzbuchs. Art. 297, 318—322, 337. Für die Partei, an welche der Antrag gerichtet ist, fehlt eine feste Bezeichnung (Art. 320: der andere Teil). Es wird hier der Ausdruck Antragsempfänger gebraucht, obwohl er auch nicht ganz befriedigt; er pafst nicht auf den Adressaten, dem und so lange ihm der Antrag nicht zugegangen ist. Indes nennt auch das HGB. denjenigen, an welchen das Frachtgut abgeliefert werden soll, Empfänger. Art. 402—407 u. a. Es giebt Silbenstecher, die an dem „Antragsempfänger" Anstofs nehmen, aber vor der sprachlichen Ungeheuerlichkeit Oblat nicht zurückschrecken. Der letztere Ausdruck hat freilich den Vorzug, ein Fremdwort zu sein. 3 Z. B. bei der Stipulation, beim Wechsel. Vgl. D e g e n k o l b , Der Vorvertrag S. 12 (Civ. Arch. L X X 1 S. 13); S oh m a. a. O. S. 18. 4 Die Verwechslung von beiden Arten der Annahme hat bei manchen Juristen zu dem unhaltbaren Begriff der anticipierten Acceptation geführt. 35*
Erstes B c h .
Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
Stimmung des Antragsempfängers die zur Vollendung des Geschäfts erforderlichen Willensäufserungen vorliegen. Dafs das blofse Ja des Antragsempfängers genügen müsse, pafst nur auf die häufigste Erscheinung; es giebt Anträge, die dem Antragsempfänger die Auswahl unter mehreren Gegenständen überlassen (alternative Anträge) oder die Bestimmung des Betrags der zu liefernden Ware (generelle Anträge) 5. 2. Der Vorschlag mufs die Absicht seines Urhebers erkennen lassen, dafs mit der Zusage des Antragsempfängers der Vertrag geschlossen sein soll (ROHG. XV No 78 S. 280). Darum erheischt der für eine bestimmte Person berechnete Antrag, dafs die Erklärung an den Vertragsgegner oder seinen Stellvertreter abgegeben ist. Die Äufserung an Dritte, mit einem Andern einen Vertrag eingehen zu wollen, bekundet nur ein unverbindliches Vorhaben, wenn nicht der Dritte zur Erklärung an den Vertragsgegner beauftragt ist (Seuff. XX. 220 XXVII. 109)5 a . Es ist eine Antragstellung nicht blofs an eine dem Antragenden unbekannte sondern sogar an eine zur Zeit individuell noch nicht feststehende Person möglich0. In der Regel ist aber die Individualität des Vertragsgegners dem Antragenden nicht gleichgültig und darum der Vorschlag an eine individuell unbestimmte Person im Zweifel nur eine Einladung zur Antragstellung 7. Dasselbe gilt von einem Vorschlag, in dem die Ware, der Preis und die Menge nicht bestimmt bezeichnet ist, da nicht anzunehmen ist, dafs sich jemand der willkürlichen Bestimmung eines Andern unterwerfen wollte 8 . B. Der Antrag hat den Zweck, einen Willensentschlufs auf Seite des Adressaten hervorzurufen. Zur Erreichung des Zwecks ist Kennt 5
ROHG. X V I Nr. 44 S. 157 X V I I Nr. 29 S. 116, Seuff. XXXIV 188. W i n d s c h e i d § 309 N. 9 vertritt den bedenklichen Satz : Erklärungen an Dritte haben Verbindlichkeit „wenn sie der Ausdruck des wirklichen Willens sind." Woran erkennt man diese Eigenschaft? Die Fälle, welche W. zu dieser Aufstellung bewogen, enthalten entweder eine Ermächtigung an den Dritten im Sinne des Textes oder einen Antrag an eine unbestimmte Person. U n g e r , Jher. Jahrb. X S. 91; D e r n b u r g I I § 11 N. 3; Seuff. X X I 115, RGE. X I Nr. 52 S. 249. 6 Jactus missilium L. 9 § 7 ARD. 41, 1. Aufstellen von Broten oder Cigarren auf einem Wirtshaustisch, Aufstellen einer Sammelbüchse oder eines Verkaufsautomaten. E x n e r , Tradition S. 16; S ο hm a. a. O. S. 52 fg.; Auw ers, Der Rechtsschutz der automat. Wage (Gött. Dissert. 1891) S. 8 fg. 7 Ζ. Β. das öffentliche Ausgebot einer Wohnung. Vgl. auch ROHG. VII Nr. 28 S. 107; B e h r e n d , Handelsr. § 58 N. 6. 8 Seuff. X X X I X 160, HGB. Art. 337. Vgl. auch ROHG. XX Nr. 92 S. 373, RGE. V I Nr. 23 S. 103. 5a
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§
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nis des Adressaten vom Antrag erforderlich. Ein Antrag, der seine Adresse nicht erreicht, entbehrt der rechtlichen Wirkung. Mit dem Empfang durch den Adressaten wird der Antrag jedenfalls annahmefähig, zuweilen unwiderruflich. Die Annahmefähigkeit besteht darin, dafs der Antragsempfänger den Vertrag durch seine Annahme erzeugen kann. Die Unwiderruflichkeit verschliefst dem Antragsteller die Möglichkeit, den von ihm selbst geschaffenen Schwebezustand willkürlich aufzuheben. Dem unwiderruflichen Antrag gegenüber ist der Widerruf wirkungslos 9. Unwiderruflich sind kraft Gesetzes die unter Abwesenden gestellten Anträge zu Handelsgeschäften (HGB. Art. 319). Für die dem gewöhnlichen Verkehr angehörigen Anträge ist die Unwiderruflichkeit weder aus dem römischen Recht 10 noch aus neuerer Rechtsbildung11 nachweisbar. Theorie und Praxis halten überwiegend an der Widerruflichkeit fest 12 . Macht der Antragende vom Widerrufsrecht Gebrauch, so wird er nicht einmal für den Schaden ersatzpflichtig, den der Empfänger durch das Vertrauen auf das Zustandekommen des Vertrags erleidet; denn dieser mufste mit der Widerruflichkeit rechnen 13. 0
W e n d t , Reuverträge I I S. 13; Über eine Grenze der Unwiderruflichkeit Z i t e l m a n n a. a. 0. S. 125. 10 Widerruflich waren zweifellos die Anträge zu einem dinglichen Vertrag. L. 6 de donat. 39, 5 L. 41 R. C. 12, 1. C z y h l a r z , Eigentumserwerbsarten I S. 291. Für andere Anträge folgt ein Zeugnis für die Unwiderruflichkeit weder aus L. 20 pr. de praescr. verb. 19, 5 (vgl. B e c h m a n n , Kauf I I S. 234) noch aus dem Kauf auf Probe oder aus dem ohne den Vormund geschlossenen Kauf eines Unmündigen, worauf sich K o p p e n a. a. 0. S. 336 fg. beruft; denn da liegen keine blofsen Anträge vor. Für die Widerruflichkeit spricht die sichtliche Abneigung der Römer „gegen die mit der Gebundenheit des Gegners verknüpfte Freiheit der Spekulation". B e c h m a n n a. a. 0. S. 277. 11 Die blofse Behauptung, dafs die Unwiderruflichkeit der Anträge auf einer besondern deutschrechtlichen Anschauung beruhe ( S i e g e l , Das Versprechen als Verpflichtungsgrund S. 53 fg.) ist noch kein Beweis. Dem preufs. Ldr. I, 5 § 90 fg. und österr. GB. § 862 stehen das Zürcher GB. von 1854 § 905 und das sächs. GB. § 816 gegenüber. Dafs das Bedürfnis des Verkehrs die Unwiderruflichkeit heische, ist nicht richtig, denn so ausgebildete Rechte wie das englische und französische haben den Grundsatz der Widerruflichkeit. S c h u s t e r , Arch. f. Handelsr. v. Busch XLV. S. 343; L y o n - C a e n et R e n a u t , Précis de droit comm. n° 630. 12 Dafür sind die ältern Lehrbücher sämtlich, von den neueren B r i n z 1. A. S. 1578; W i n d s c h e i d § 307 N. 7a; D e r n b u r g I I § 11 N. 11, 12; Wendt § 200; abweichend B e k k e r § 94 Beil. IV. Aus der Praxis Seuff. I I 17 V I I I 24 X I V 15 X X V I 228 X X X I I I 161 (ROHG.). 13 W ä c h t e r , Pand. I I S. 359; D e r n b u r g I I § 10 N. 10. A. M. W i n d s c h e i d § 307 N. 4 — 5 und die von ihm Angef., denen sich jetzt W e n d t und T h o n , Die Haftpflicht des Offerenten (1891, Festgabe für Leist) anreihen.
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es Pandektenrechts.
Der Antragsteller kann auf den Widerruf verzichten. Gegenüber einem Verzicht ist der Widerruf wirkungslos. Dies entspricht der Parteiabsicht. Warum das positive Recht dies nicht anerkennen und den durch den Bruch des Verzichts Geschädigten auf einen Ersatzanspruch mit allen Gefahren des Beweises beschränken sollte, ist nicht abzusehen. Die analoge Wirkung der gesetzlichen Unwiderruflichkeit fällt stärker ins Gewicht als die Berufung auf allgemeine Gründe, die nicht selten nur vorgefafste Meinungen sind 14 . 3. Der Antrag versetzt seinen Urheber in einen Zustand der Gebundenheit. In solche Lage begiebt sich kein Verständiger auf unbeschränkte Dauer. Jeder Antrag ist daher zeitlich begrenzt. Die Antragsfrist kann einseitig vom Antragenden, aber auch durch Vereinbarung festgestellt werden. In Ermanglung einer Parteibestimmung ist die Frist aus den gesamten Umständen des Falls unter Berücksichtigung der Verkehrssitte zu erschliefsen. Bestimmtere Regeln stellt das Handelsgesetzbuch für Anträge zu Handelsgeschäften auf mit Unterscheidung von Anträgen unter Gegenwärtigen und unter Abwesenden15. Mit dem Ablauf der Frist verliert der Antrag ohne Zuthun des Antragenden seine Wirkung. Bei der Antragstellung an einen Abwesenden beginnt die Wirkung erst mit clem Zeitpunkt, wo der Antrag dem Adressaten zugekommen ist. Hiezu genügt, dafs die schriftliche oder telegraphische Mitteilung in seinen oder seines Vertreters Gewahrsam gelangt ist 1 6 . Darum kann auch der unwiderrufliche Antrag wirksam widerrufen werden, wenn der Widerruf mindestens gleichzeitig mit dem Antrag beim Adressaten eintrifft (HGB. Art. 320). 4. Den Empfänger berechtigt der Antrag, er verpflichtet ihn nicht. Er berechtigt ihn zur Annahme, er verpflichtet ihn insbesondere nicht zur Antwort. Nur kann sich der Empfänger zur Ablehnungserklärung gedrungen fühlen, wenn unter den gegebenen Umständen sein Schweigen die Bedeutung der Annahme hätte (Ziff. I I 3). Der Empfänger ist auch nicht verpflichtet, Sachen zurückzuschicken, die ihm zwecks des Vertragsschlusses zugesendet wurden, es sei denn, dafs dies auf seine 14
W e n d t , Reuverträge I I S. 9. A. M. B e c h m a n n a. a. 0. S. 279; G i e r k e Ζ. f. HR. X X I X S. 282. 15 HGB. A. 318, 319. Über die Fristermittlung R e g e l s b e r g e r , Civili. Erört. I S. 65 fg. RGE. X X V I Nr. 3 S. 8. Über Fristerstreckung RGE. V I I I Nr. 14 S. 61 X V I I I Nr. 3 S. 10. Antragstellung mittels Telephons ist wie An tragstellung unter Gegenwärtigen zu behandeln. M ei I i , Telephonrecht S. 199 fg. 16 Einwurf in den Privatbriefkasten des Adressaten Seuff. X L I I 191 und Nachw.; Jher. Jahrb. X I I I S. 410 fg.
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Aufforderung geschah oder dafs sich der Empfänger zur Besorgung von solchen Geschäften erboten hat. Überhaupt darf der Empfänger durch sein Verhalten eine wohlbegründete Verkehrssitte nicht verletzen 1 7 . 5. Der Tod des Antragstellers oder des Antragsempfängers ist keineswegs für alle Anträge ein Endigungsgrund. Er ist es im Zweifel nicht für Anträge zu Vermögensgeschäften, weil sie auf bestimmte wirtschaftliche Verhältnisse gebaut zu sein pflegen, die mit dem Tod des bisherigen Vermögensherrn nicht erlöschen. Doch können die Umstände auf das Gegenteil hinweisen, so wenn die Individualität einer Partei für das zu begründende Verhältnis wesentlich ist. Das Handelsgesetzbuch entscheidet sich für die Aufrechthaltung des Antrags beim Tod des Antragenden; über die Wirkung des Tods des Antragsempfängers hat es keine Bestimmung18. Verlust der Geschäftsfähigkeit wirkt dem Tode gleich. II. Die Annahme des Antrags erfolgt durch einen Willensakt des Antragsempfängers, durch die Annahmehandlung. A. Nach ihrer äufsern Erscheinung wird die Annahmehandlung meistens nur als wörtliche Erklärung der Annahme gedacht. Selbst die Gesetzesvorschriften sind in der Regel nur darauf zugeschnitten (so auch HGB. Art. 319—321). Aber viele Anträge werden auf andere Weise angenommen. Man mufs daher neben der Annahmeerklärung eine sonstige Bethätigung des Annahmewillens anerkennen. Die Art der Annahmehandlung kann der Antragende bestimmen, aber nicht 17 L. 74 R. J. 50, 17; Seuff. X L I I I 203 u. Nachw.; L. 20. § 1 praescr. verb. 19, 5; HGB. Art. 323 Abs. 2 u. 3 (mit Beschränkung auf Aufträge). 18 Im römischen Recht findet sich keine allgemeine Entscheidung. Die viel angezogenen L. 47, 50 A. v. O. H. 29, 2 L. 8 § 2 de opt. leg. 33, 5 L. 4 pr. de manum. vind. 40, 2 behandeln Willenserklärungen in einseitigen Rechtsgeschäften. Der Fall in L. 2 § 6 de donat. 39, 5 (Traditionsangebot zur Verwirklichung einer Schenkung) ist so eigentümlich, dafs darauf eine Regel nicht gebaut werden kann. Gleichwohl erblickt die Mehrzahl der neueren Schriftsteller in dem Tod einer Partei einen allgemeinen Erlöschungsgrund für die Anträge. W i n d s c h e i d § 307 N. 8—12 u. Angef.; D e r n b u r g I I § 11 N. 14. Ebenso Seuff. XIV 15 X X X I 22. Dafür werden wesentlich zwei Gründe geltend gemacht: a) Widerrufliche Erklärungen werden durch den fortdauernden Willen ihres Urhebers aufrecht erhalten, b) blofse Erwerbsmöglichkeiten sind nicht Gegenstand erbrechtlicher Übertragung. Die Allgemeingültigkeit beider Sätze ist weder bewiesen noch beweisbar. Über den erstem vgl. Z i t e l m a n n , Jher. Jahrb. X V I S. 390 fg.; K o h l e r , Grünhuts Z. V I I S. 735 fg. Der zweite wird aus der Unvererblichkeit des Erbschaftsanfalls gefolgert. Allein die rein persönliche Natur der Erbschaftsberufung beruht auf einer specifisch römischen Anschauung, die überdies im späteren Recht durch Einführung weitgreifender Transmissionsfälle verlassen wurde.
Erstes
Bch.
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in jeder Weise, selbst abgesehn von einer bindenden gesetzlichen Vorschrift (z. B. WO. Art. 21). Er kann z. B. nicht wirksam bestimmen, dafs Schweigen auf den Antrag oder Nichtriicksendung der angebotenen Ware als Annahme gelte, aulser wo dies ohne seine Erklärung gilt. Er kann nur bestimmen, bei welchem Verhalten des Antragsempfängers er sich gebunden erachten werde. Hat sich der Antragende über die Art der Annahme nicht geäufsert, so entscheidet, von den gesetzlich festgelegten Fällen abgesehn, die Verkehrsübung. 1. Die Annahmeerklärung ist Willensmitteilung. Hieraus folgt: a. Sie mufs mit der Absicht gegeben sein, dafs sie dem Antragsteller zur Kenntnis komme; sie mufs daher an ihn gerichtet sein (Note 5 a) 1 9 . b. Sie wirkt erst, wenn sie dem Antragenden zugekommen ist (Note 16). Daher wird sie durch einen vorher oder gleichzeitig beim Antragenden eingebrachten Widerruf entkräftet. Kreuzt sich bei einem wideruflichen Antrag die Widerrufserklärung des Antragenden mit der Annahmeerklärung, so gewinnt diejenige Erklärung Wirksamkeit, die zuerst ihren Adressaten erreicht. Der zweite Satz (b) hat entscheidende Bedeutung für die Frage nach dem Zeitpunkt der Vertragsentstehung beim Vertragsschlufs unter Abwesenden. Er ist aber sehr bestritten. Nach einer verbreiteten Ansicht soll der Vertrag entstehn, sobald der Antragsempfänger den Annahmewillen erklärt hat, d. h. beim Vertragsschlufs unt. Abw., sobald er die Annahmeerklärung behufs Übermittlung an den Antragsteller abgegeben hat 2 0 . Das ist die sog. Ä u f s e r u n g s t h e o r i e. Sie stützt sich auf den selbstgeschaffenen Satz, dafs zur Entstehung des Vertrags objektive Willensübereinstimmung (consensus) genüge. Allein in solchen Fragen entscheiden nicht doktrinäre Gesichtspunkte sondern praktische Rücksichten. Eine Erklärung der Annahme wird zweifellos 19
Wenn sich zwei einander vollkommen entsprechende Anträge auf dem Wege zu ihrer Adresse kreuzen (ζ. Β. A bietet brieflich dem Β 50 Ctr. Zucker zu 35 an, Β bestellt gleichzeitig bei A 50 Ctr. zu 35), so ist der Vertrag entstanden, sobald beide Erklärungen ihre Adresse erreicht haben. Es fällt bei diesem Vertragsschlufs die Unterscheidung von Antrag und Annahme weg (Note 1). D e r n b u r g I I § 11 N. 2. A. M. K o h l e r , Arch. f. bürg. R. I S. 298. Vgl. B e k k e r I I S. 88. 20 Die Anhänger dieser Theorie (worüber T h ö l , Handelsr. § 237 N. 21 und R e g e l s b e r g e r , Civ. Erört. S. 39 Α. 1 S. 40, B. 1) gehn wieder in der Frage auseinander, wann der Wille in entscheidender Weise geäufsert sei : mit der Niederschrift des Ja (Thöl), mit der Abgabe des Annahmebriefs (Scheurl, Jher. Jahrb. I I S. 258). Vgl. noch K ü h n , Jher. Jahrb. X V I S, 8, 68; L y o n - C a e n et Ren a u t , Précis de droit comm. n° 631.
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zu dem Zweck gefordert, um dem Antragsteller von der Zustimmung Kenntnis zu verschaffen. Dem entspricht aber nur der Standpunkt, dafs die Wirkung der Annahmeerklärung erst mit der Kenntnisnahme durch den Antragenden beginnt. Dies behauptet die sog. V e r n e h m u n g s t h e o r i e 2 1 . Allerdings hat dieser Standpunkt streng durchgeführt manche Mifslichkeiten im Gefolge: der Antragsteller kann beim Vertragsschlufs u. Abw. die Kenntnisnahme von der Antwort willkürlich hinausschieben und selbst vereiteln; der Zeitpunkt der Vertragsentstehung ist schwer zu beweisen. Diese praktischen Erwägungen haben dahin geführt, die Wirkung der Annahmeerklärung schon an den Zeitpunkt anzuknüpfen, wo die Annahmeerklärung dem Antragenden so zugekommen ist, dafs er oder sein Stellvertreter von ihr Kenntnis nehmen kann und als ordentlicher Geschäftsmann Kenntnis nehmen mufs. Mit dieser praktischen Modifikation bezeichnet man die Vernehmungstheorie als E m p f a n g s t h e o r i e 2 2 . 2. Bei zahlreichen Anträgen wird, wenn unter Abwesenden gestellt, eine Erklärung der Annahme nicht erwartet. Die Annahmehandlung besteht hier nicht in einer Willensmitteilung. Nur in diesem negativen Moment treffen alle hieher gehörigen Erscheinungen zusammen. Was dabei positiv die Annahme darstellt, ist so mannigfaltig, dafs nur das Häufigste Besprechung finden kann. a. Traditionsverträge werden durch die Empfangnahme der angebotenen Sache geschlossen, wenn sich die Parteien vorher über den Gruncl der Übertragung geeinigt haben und wenn das Angebot der Sache zur Erfüllung des Kauf-Tausch-Kreditvertrags u. s. w. erfolgt. Wird dagegen die Sache erst zum Kauf, Tausch, zur Schenkung u. s. w. angeboten, so entsteht der Traditionsvertrag aus der Annahme der 21 Anhaltspunkte in den Quellen: Ein Tauber konnte nicht stipulieren, quoniam . . . debet exaudire verba promittentis. L. 1 § 15 L. 48 O. e. A. 44, 7 L. 1 pr. V. 0. 45, 1. Eine Stipulation in verschiedener Sprache setzte voraus, dafs jeder Vertragschliefsende die Sprache des andern verstand. L. 1 § 6 V. 0. 45, 1. — Die Anhänger der Vernehmungstheorie sind verzeichnet bei T h ö l , Handelsr. § 237 N. 21 I I und R e g e l s b e r g e r , Civ. Erört. S. 40 A 2 (wozu Seuff. X X X I V 187, RGE. X X I I I Nr. 34 S. 166) und S. 41 B. 2. Neuere Vertreter sind B r i n z 1. A. § 362; M a r f s o n , Die Natur der Vertragsofferte S. 81; D e r n b u r g I I § 11; B e k k e r § 96 Beil. III. 22 S c h e u r l , Beiträge z. röm. R. I S. 307; E m m i n g h a u s , Arch. f. prakt. RW. N. F. V I S. 113 fg.; K a r Iowa, Rechtsgeschäft S. 2 4 ; H a s e n ö h r l , Österr. Obi. R. I S. 608; K ö h l e r , Arch. f. bürg. R. 1 S. 316 fg. Eigentümliche Theorien entwickeln a) W i n d s c h e i d § 306, dem im Ergebnis S c h o t t , Der oblig. Vertrag S. 80 fg., 96 fg. beitritt; b) K o p p e n , Jher. Jahrb. X I S. 373 fg., dessen Standpunkt durch die Verteidigung von G a r d e i k e a. a. 0. nicht gewonnen hat; c) S ohm Ζ. f. HR. X V I I S. 81 fg., der seine Theorie Realisierungstheorie nennt.
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Sache nur dann, wenn zugleich das Kauf-Tausch-Schenkungsangebot durch die dafür erforderliche Handlung angenommen ist; denn das Traditionsangebot steht hier mit dem Angebot zum kausalen Vertrag in untrennbarer Verbindung 23. b. Anträge, die ausdrücklich oder stillschweigend die Aufforderung zur sofortigen Vertragserfüllung enthalten, werden durch die Erfüllungshandlung angenommen, nicht blofs Aufträge sondern auch Kaufangebote durch Bestellung. In der Regel entsteht der Vertrag schon mit dem Beginn der Erfüllung 24 . c. Anträge an eine unbestimmte Person in einer schriftlichen Verpflichtungserklärung (Inhaber- und Orderpapiere, Blankoaccepte, Blankocessionen, Blankoverbürgungen) werden durch einen Akt angenommen, der nicht in einer Erklärung an den Antragenden besteht45. 3. Zuweilen wird der Antragsempfänger infolge des S c h w e i g e 11 s auf den Antrag wie ein Annehmender behandelt, dann nämlich, wenn nach den besonderen Umständen der Schlufs aus dem Mangel einer Antwort auf die Annahme des Antrags gerechtfertigt ist. Dafür kann der Inhalt des Antrags sprechen. Bezweckt der vorgeschlagene Veitrag für den Antragsempfänger lediglich Vorteil (z. B. Schenkungsangebot), so wird in der Regel die Annahme als selbstverständlich vorausgesetzt und eine Annahmeerklärung nicht erwartet (RGE. XV Nr. 51 S. 217). Ganz besonders aber gilt das Schweigen der Annahme gleich, wenn sich bei der obwaltenden Sachlage der Antragsempfänger durch Nichtantworten trotz seines Entschlusses, auf den Vertrag nicht einzugehn, einer Verletzung der redlichen Verkehrssitte schuldig machen würde 26 . Ob man in diesen Fällen von Annahme des Antrags oder von einem Ersatz der Annahme spricht, ob von Vertragsschlufs oder von einem vertragsähnlichen mit Vertragswirkung ausgestatteten Thatbestand, ist reine Schulfrage 27. 23
S t r o h a l , Jher. Jahrb. X X V I I S. 343 fg. ROHG. X V I I I Nr. 70 S. 246, RGE. I I Nr. 14 S. 43; H a h n , Komm, zu Art. 319 § 13; K o h l e r , Arch. f. bürg. R. I S. 320. 25 Worin er positiv besteht, kann hier nicht im einzelnen verfolgt werden. Manche erblicken darin überhaupt keine Anträge, sondern Verpflichtungen aus einseitiger Erklärung (Kreationstheorie). Aber selbst unter den Anhängern der Vertragstheorie gehen die Ansichten über die Art der Annahme auseinander. Vgl. G o l d s c h m i d t in Z. f. HR. X X X V I S. 144. 26 Vgl. § 138 IV. Beispiele in HGB. Art. 323; Seuff. X L I I 95 u. Nachw.; ROHG. X X I I Nr. 28 S. 131 RGE. I I I Nr. 20 S. 65. 27 B e k k e r § 95 Beil. II. Von den im Vorstehenden entwickelten Ansichten weicht in mehrfacher Beziehung das mir erst während des Drucks zugegangene Buch von E h r l i c h (oben Note*) ab. 24
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4. Das Widerspiel der Annahme ist die Ablehnung des Antrags. Die^Ablehnungserklärung ist Willensmitteilung. Sie wirkt daher nicht eher als bis sie dem Antragsteller zugekommen ist, und wird durch einen früher oder gleichzeitig beim Antragenden eingebrachten Widerruf entkräftet. Eine gültige Ablehnung macht den Antrag wirkungslos. B. Die Annahme bewirkt die Vertragsentstehung nur dann, wenn sie unbedingt und unbeschränkt und zu einer Zeit erfolgt, da der Antrag noch in Kraft besteht28. Der Antragsempfänger kann nicht aus dem Antrag das ihm Zusagende annehmen und den übrigen Inhalt ablehnen. Es ist aber wohl zuzusehn, ob nicht ein alternativer Antrag vorliegt (z. B. auf 100 oder wieviel weniger) oder eine äufsere Vereinigung mehrerer selbständiger Anträge 29 . Die bedingte oder beschränkte Annahmeerklärung ist Ablehnung des Antrags, enthält aber in der Regel zugleich einen neuen Antrag des bisherigen Antragsempfängers (HGB. Art. 322). Antrags-, Annahme- und Widerrufserklärungen an Abwesende reisen auf Gefahr des Absenders. Verzögert sich die Zustellung der Annahmeerklärung, wenn auch ohne Schuld des Antragsenipfängers, über die Zeit der Annahmefähigkeit des Antrags hinaus, so kann der Antragende den Vertrag als nicht entstanden behandeln. Entschliefst er sich dafür, so verpflichtet ihn eine berechtigte Verkehrssitte, sofort nach Eintreffen der rechtzeitig und ordnungsmäfsig abgesandten Antwort den Antragsempfänger von der Vereitlung des Vertragsschlusses zu benachrichtigen, damit dieser nicht durch sein Vertrauen in das Zustandekommen des Vertrags Schaden leide 30 . Diese Mitteilung reist auf Gefahr des Adressaten. Ihre Unterlassung hat nicht die Vertragsentstehung zur Folge, sondern die Haftung des Antragenden für den dem Antragsempfänger daraus erwachsenden Schaden. III. Die Feststellung des Zeitpunkts, wo der Vertragsschlufs vollendet ist, wird beim Abschlufs unter Gegenwärtigen in der Regel keine Schwierigkeit bieten 31 . Wird der Vertrag unter Abwesenden abgeschlossen und zwar durch Annahmeerklärung, so knüpft sich die 28 Seuff. XLIV 177 („Angenommen Brief folgt") ROHG. V I Nr. 56 S. 244 XV Nr. 17 S. 43. 29 L. 1 § 4 V. 0. 45, 1, ROHG. X V I Nr. 44 S. 155 X V I I Nr. 29 S. 116, Seuff. XXXIV 188. 30 Anerkannt im HGB. Art. 319 Abs. 2 und für den bürgerlichen Verkehr Seuff. X X X I I I 211. Ebenso Preufs. Ldr. I, 5 § 103 fg. 81 Über Vertragsvollendung bei schriftlichem Abschlufs Seuff. XX 117; B ä h r , Jher. Jahrb. XIV S. 42, 47. Eigentümlich das Wechselaccept WO. Art. 21 ; G o l d s c h m i d t , Z. f. HR. X X I S. 84 fg.
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es Pandektenrechts.
Vollendung an das Eintreffen der Erklärung beim Antragsteller 32. Bei einer sonstigen Annahmebethätigung stellt sich nach deren Beschaffenheit die Vertragsvollendung verschieden. Wird die Annahme wegen Unterlassung einer Ablehnungserklärung unterstellt, so gilt der Vertrag mit Ablauf der Frist geschlossen, innerhalb deren nach Verkehrssitte die Ablehnung erwartet werden durfte.
6. Besonders geartete Rechtsgeschäfte, a. Die bedingten Rechtsgeschäfte *. § 151. aa. B e g r i f f der B e d i n g u n g * * . I. Die Notwendigkeit oder Zweckmäfsigkeit einer rechtlichen Verfügung hängt nicht selten von Umständen ab, die wir zur Zeit nicht zu durchschauen vermögen. Es ist mir z. B. ein Haus zum Kauf angeboten, aber meine Verhältnisse erlauben mir die Erfüllung des Wunsches nach eigenem Besitztum nur, wenn mir eine in Aussicht stehende Erbschaft zufällt. Bin ich nun vor die Wahl gestellt, entweder zu kaufen mit der Gefahr, in wirtschaftliche Not zu geraten oder die Gelegenheit zum Kauf mir entgehn zu lassen? Keineswegs, die Aushilfe bietet das bedingte Rechtsgeschäft; ich kaufe unter der Bedingung, dafs ich Erbe werde 1. Die Bedingung hat aber nicht selten den andern Zweck, als Antrieb für das Verhalten einer Person 32
Aus nicht ganz zweifelfreien Zweckmäfsigkeitsgründen verbindet das HGB. Art. 321 mit diesem Abschlufs eine Art Rückziehung der Wirkungen der Vertragsentstehung auf den Zeitpunkt der Absendung der Annahmeerklärung. H a h n , Komm, zu Art. 321 § 1. Dem gemeinen Recht ist eine solche positive Bestimmung fremd. B e k k e r § 9 6 Beil. IV. * Dig. de condicionibus et demonstrationibus 35, 1 (in den § 151—156 mit h. t. bezeichnet), de condicionibus institutionum 28, 5. — Savigny I I I § 116—124; S c h e u r l , Zur Lehre von den Nebenbestimmungen bei Rechtsgeschäften (1871); W e n d t , Die Lehre vom bedingten Rechtsgeschäft (1872); A d i c k es, Zur Lehre von den Bedingungen nach röm. u. heut. Recht (1876); P f a f f und H o f m a n n Komm. I I S. 540—613 (1885); E n n e c c e r u s , Rechtsgeschäft, Bedingung und Anfangstermin (1889) S. 171—207, 334—578. ** F i t t i n g , Civ. Arch. X X X I X Abh. 13 (1856); E n n e c c e r u s , Über Begriff und Wirkung der Suspensivbedingung und des Anfangstermins (1871), auch Rechtsgeschäft S. 171 fg. P i e t z k e r , Civ. Arch. L X X I V Abh. 15 (1889). 1 J h e r i n g , Geist § 53 vor Note 208: „Die Bedingung ermöglicht der Partei, die Zukunft von sich, ohne sich von der Zukunft abhängig zu machen".
Die juristischen Thatsachen.
Die Rechtsgeschäfte.
§ 1 .
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zu dienen, indem ihr ein Vorteil in Aussicht gestellt wird, wenn sie etwas thut, ein Nachteil, wenn sie etwas unterläfst 2. II. Wie in jedem Rechtsgeschäft wird im bedingten ein rechtlicher Willensentschlufs zum Ausdruck gebracht und der Eintritt von bestimmten Rechtsfolgen bezweckt. Das Eigentümliche des bedingten Rechtsgeschäfts liegt darin, dafs die Rechtsfolgen nur dann entstehn oder bestehn sollen, wenn ein bestimmter zur Zeit noch ungewisser Umstand eintritt oder wenn er nicht eintritt. Hieraus folgt: 1. Dem bedingten Rechtsgeschäft liegt ein fertiger Willensentschlufs zu Grunde. Nicht der Willensentschlufs ist bedingt sondern die Rechtsfolge. Dafs wir gleichwohl vom bedingten Rechtsgeschäft, Vertrag u. s. w. sprechen und die Quellen von contractus, emtio, venditio etc. condicionalis, erklärt sich aus der Doppelbedeutung dieser Ausdrücke (§ 135 II): der zur Hervorbringung der Rechtsfolgen erforderliche Willensakt liegt vor, aber zum Gesamtthatbestand für den Eintritt der Rechtsfolgen gehört beim suspensiv bedingten Rechtsgeschäft derEintritt der Bedingung3. 2. Das bedingte Rechtsgeschäft erzeugt einen Zustand der Ungewifsheit. Es ist ungewifs, ob die von den Verfügenden in Aussicht genommene rechtliche Wirkung zur Entstehung kommen oder ob die erzeugte Wirkung Bestand behalten wird. 3. Diese Abhängigkeit der Rechtsfolge wird durch Beliebung der Parteien geschaffen zwar nach Mafsgabe ihrer Interessen aber ohne Nötigung durch die Natur der Rechtsgeschäftsart oder durch positive Rechtsvorschrift. Mit Rücksicht hierauf wurde die Bedingung eine Selbstbeschränkung des Willens genannt (Savigny). Damit ist jedoch nichts der Bedingung Eigentümliches gesagt, es gilt dasselbe z. B. vom Servitutenvorbehalt bei der Eigentumsübertragung. Das Erörterte zusammengefafst stellt sich die Bedingung dar als ein ungewisser Umstand, von dessen Eintritt durch den Parteiwillen das Dasein einer rechtsgeschäftlichen Wirkung abhängig gemacht ist. Es wird übrigens auch der Kondicionalsatz selbst Bedingung genannt. 2 Bechmann, Kauf I I S. 212 fg., dazu E n n e c c e r u s , Rechtsgeschäft S. 275 N. 1. 3 Auf diese Weise erledigt sich der wenig fruchtbare Streit, was beim bedingten Rechtsgeschäft bedingt ist : ob der Wille oder das Rechtsgeschäft oder die Rechtsfolge, wozu noch die verschiedene Bedeutung von Wille (Willensvermögen, Willensentschlufs, Willensinhalt) Nahrung liefert. Eine treffliche Übersicht über die Meinungen giebt W i n d s c h e i d § 86 N. 3. Geistreich, aber mit der Logik kaum vereinbar ist, was B r i n z 1. A. S. 1445, 2. A. § 536 bei N. 16 sagt.
Erstes B c h .
Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
Es kommt sogar Bedingung in dem allgemeinen Sinn von rechtsgeschäftlicher Bestimmung vor 4 . III. Ungewifsheit des bedingenden Umstands im Zeitpunkt der Geschäftserrichtung und Willkürlichkeit der Abhängigmachung unterscheiden die Bedingung von solchen Umständen, die zwar eine Abhängigkeit des rechtsgeschäftlichen Erfolges bewirken, aber entweder nicht ungewifs sind oder nicht durch den Parteiwillen zur rechtsgeschäftlichen Voraussetzung erhoben wurden. Weil sie die äufsere Erscheinung einer Bedingung haben, werden sie u n e i g e n t l i c h e B e d i n g u n g e n genannt. A. Wegen Mangels der Ungewifsheit sind keine wahren Bedingungen : 1. Die auf v e r g a n g e n e oder g e g e n w ä r t i g e T h a t s a c h e n gestellten Bedingungen, condiciones in praeteritum vel in praesens collatae. Zwar kann eine rechtsgeschäftliche Verfügung in gültiger Weise davon abhängig gemacht werden, dafs etwas eingetreten ist oder dafs sich etwas so wie vorausgesetzt verhält. Allein es fehlt dann der eigentümliche Schwebezustand, der eine besondere rechtliche Behandlung notwendig macht5. Auf das Wissen der Beteiligten um die Entscheidung kommt es nicht an; es liegt selbst dann keine wahre Bedingung vor, wenn sich die Parteien die bedingende Thatsache irrtümlich als künftige vorstellten 6. 2. Die n o t w e n d i g e n Bedingungen, d. h. Bedingungen, bei denen von der bedingenden Thatsache schon im Zeitpunkt der Geschäftserrichtung gewifs ist, dafs sie eintreten wird. Hiezu gehört auch die Abhängigmachung der Verfügung von dem Nichteintritt eines unmöglichen Umstands, fälschlich negativ unmögliche Bedingung genannt. Die positive notwendige Bedingung enthält eine Zeitbestimmung7. 3. Die u n m ö g l i c h e n Bedingungen d. h. Bedingungen, bei denen schon im Zeitpunkt der Geschäftserrichtung gewifs ist, dafs die bedingende Thatsache nicht eintreten wird, gleichviel ob aus natürlichen 4
In diesem Sinn spricht HGB. Art. 72 von den Bedingungen des Geschäfts und verwerten die Quellen condicio z. B. in melior condicio bei der in diem addictio. Über die verschiedenen Bedeutungen von condicio Ρ er η ice, Labeo I I I S. 26 fg. 5 L. 16 de injusto testam. 28,3 L. 10 § 1 h. t. L. 5 § 2 quando dies legati 36,2 L. 3 § 13 de bonis libert. 38,1. Seuff. X L V 5. 6 L. 120 V.O. 45,1. Gegen die abweichenden Ansichten von F i t t i n g a. a. Ο. S. 320, 326 und U n g e r I I § 82 V I § 16 N. 6 vgl. E n n e c c e r u s , Begriff S. 114fg., auch S. 99 fg. und in Rechtsgeschäft S. 172 fg. 7 L. 79 pr. h. t. L. 9 § 1 de novat. 46,2; vgl. aber auch L. 13 quando dies legati 36,2.
Die juristischen Thatsachen.
Die Rechtsgeschäfte.
§ 1 .
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oder rechtlichen Gründen (L. 137 § 6 V. Ο. 45, 1). Die Unmöglichkeit mufs in allgemeinen Verhältnissen begründet sein, nicht blofs in der subjektiven Unfähigkeit desjenigen, dem die Bedingung gesetzt ist (arg. L. 137 § 4 eod). Als unmöglich gilt aber auch das, was nur unter ganz außerordentlichen Umständen erfüllt werden kann (L. 6 de cond. inst. 28, 7). Ob der Verfügende die Unmöglichkeit kannte oder nicht, kommt nur insoweit in Betracht, als sein Wissen an der Ernstlichkeit seiner Verfügung Zweifel erwecken kann. Die erst nachträglich eintretende Unmöglichkeit der Erfüllung wandelt die Bedingung nicht zur unmöglichen um; sie ergiebt nur, dafs die Erfüllung vereitelt ist (L. 94 pr. i. f. h. t.). Die nachträglich eintretende Möglichkeit der Erfüllung wandelt die Bedingung nicht zur möglichen um; aber es kann von den Parteien bei der Geschäftserrichtung die künftige Möglichkeit ins Auge gefafst und in diesem Sinn eine gültige Bedingung gesetzt sein8. B. Keine wahren Bedingungen sind diejenigen Voraussetzungen für die Wirkung eines Rechtsgeschäfts, die ihren Grund entweder in der Natur des Rechtsgeschäfts haben (ζ. B. die Ehe für die Dosbestellung) oder in positiver Rechtsvorschrift (ζ. B. Zahlung oder Kreditierung des Kaufpreises für den Eigentumserwerb aus der Übertragung auf Grund eines Kaufs). Solche Voraussetzungen werden meistens cond i c i o n e s j u r i s genannt9, im Gegensatz zur gewillkürten Voraussetzung, condicio facti. Die Bezeichnung stillschweigende Bedingung legt die Verwechslung mit einer stillschweigend erklärten Bedingung nahe, die eine wahre Bedingung ist. Eine gesetzliche Voraussetzung wird nicht zur wahren Bedingung, wenn sie im Rechtsgeschäft überflüssigerweise ausgesprochen ist. Doch mufs man zusehn, ob nicht die ausgesprochene Voraussetzung mehr enthält als die gesetzliche10. Die Wirkung der c. juris ist von derWirkung der c. facti verschieden. Aber auch unter sich stimmen die condiciones juris in der Wirkung nicht überein n . « L. 58 h. t. L. 35 § 1 V.O. 45,1. A. M. B r i n z , 1. A. S. 1464, 2. A. § 539 N. 8 wegen L. 137 § 6 V. 0. 45, 1 § 2 J. de inut. stip. 3,19; indes gestatten diese Stellen die Auslegung, dafs die Parteien den Vertragsgegenstand für verkehrsfähig hielten und die künftige Verkehrsfähigkeit nicht in Berücksichtigung zogen. Sav i g n y I I I S. 167; W i n d s c h e i d , § 94 N. 4. 9 Andere Quellenbezeichnungen sind: condicio quae tacite inest, quae extrinsecus venit, quae frustra additur, supervacua, tacita. L. 21 J. D. 23,3 L. 8 de donat. i. v. e. u. 24,1 L. 12 de cond. inst. 28,7 L. 1 pr. § 3 L. 99 h. t. Über condicio facti L. 21 h. t. 10 L. 12 de cond. inst. 28,7 L. 65 § 1 de legat I L. 69 h. t. Gegen abweichende Meinungen E n n e c c e r u s , Begriff S. 136 fg. 11 E n n e c c e r u s , Begriff S. 125 fg.
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Die allgemeinen Lehren
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§ 152. bb. A r t e n der B e d i n g u n g e n . Der eben entwickelte Begriff der Bedingung läfst eine grofse Mannigfaltigkeit des Inhalts zu. Nach dem Inhalt pflegt man die Bedingungen einzuteilen in I. p o s i t i v e (affirmative) und n e g a t i v e , je nachdem der Eintritt oder Nichteintritt eines Ereignisses zur Bedingung verstellt ist. Diese Unterscheidung ruht auf einer schwachen Grundlage. Da sich ein Gedanke sowohl positiv als negativ fassen läfst (z. B. wenn er in der Heimat bleibt, wenn er die Heimat nicht verläfst), so entscheidet die zufällige Wahl des Ausdrucks für die Eigenschaft der ΒΛ Indes hat die Unterscheidung keine grofse Bedeutung. Man darf sie nur nicht in Lehren hineintragen, denen ein andrer Unterschied zu Grunde liegt 2 ; II. w i l l k ü r l i c h e (positive), z u f ä l l i g e (kasuelle) und gem i s c h t e , je nachdem die Erfüllung ganz in der Macht desjenigen steht, dem die Bedingung gesetzt ist 3 , oder sich seiner Einwirkung völlig entzieht, oder seine Willensentschliefsung und einen davon unabhängigen Umstand erfordert; III. aufschiebende (suspensive) und auflösende (resolutive). Dies ist der wichtigste Unterschied. Der Zweck der B., den Verfügenden gegen die Wechselfälle der Zukunft zu sichern, läfst sich nämlich auf zweifachem Wege erreichen: entweder so, dafs die beabsichtigte Rechtsänderung bis zum Eintritt des bedingenden Umstands verschoben, oder so, dafs an den Eintritt des bedingenden Umstands die Aufhebung der sofort eingetretenen Rechtsänderung geknüpft wird. Jenes ist die aufschiebende, dieses die auflösende B. Bei ge1
Diese Erwägung hat D e r n b u r g I § 106 bestimmt, der Unterscheidung einen andern Sinn zu unterlegen und positiv die B. zu nennen, wenn sie eine Veränderung, negativ, wenn sie eine NichtVeränderung verlangt. Damit kommt man mit dem Sprachgebrauch in Widerstreit, indem man positiv gefafste B. für negative erklären mufs z. B. wenn er der liberalen Sache treu bleibt. Vgl. B e k k e r § 115 Beil. IV; H o l d e r § 49 Anm. Ziff. 1. 2 So die Lehre von der cautio Muciana; bei ihr handelt es sich um B., die auf ein dauerndes Thun oder Unterlassen gestellt sind. Gut nachgewiesen von S c h l o d t m a n n , Über die cautio Muciana (Göttinger Dissert. 1890). 3 Von aufserordentlichen Hindernissen wird hiebei abgesehen. L. 4 § 1 de her. inst. 28,5. Manche beschränken die Potestativbedingungen auf die dem Berechtigten gesetzten. B r i n z , 1. A. S. 1476, 2. A. § 541; D e r n b u r g I § 106 N.4. Ohne Grund. L. 3 de legat I I ; W i n d s c h e i d § 89 N. 14.
Die juristischen Thatsachen.
Die Rechtsgeschäfte.
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1 .
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nauerer Betrachtung reicht aber die Abweichung der aufschiebenden von der auflösenden B. tiefer. 1. Die Willenserklärung unter einer aufschiebenden B. ist ein einheitlicher Willensakt. Man kann die Erklärung: „Du bekommst von mir 100 Mark, wenn mein Bruder freigesprochen wird," nicht so zerlegen: „Ich verspreche dir 100 Mark, aber ich will hiezu nur verpflichtet sein, wenn mein Bruder freigesprochen wird." Es ist daher irreführend, die aufschiebende B. eine Nebenbestimmung zu nennen, sie ist weder Haupt- noch Nebenbestimmung, sondern ein eigentümliches Element in einer Bestimmung4. Dafs bei letztwilligen Verfügungen die unmögliche wie die unsittliche B. als nicht geschrieben behandelt wird, enthält keine Widerlegung; denn dies ist ein gewaltsames Verfahren, man unterschiebt dem Verfügenden einen Willen, den er nicht hat 5 . 2. Beim auflösend bedingten Rechtsgeschäft lehrt schon die äufsere Erscheinung, dafs es aus zwei Willenserklärungen besteht : fundus emtus esto; si in diem statutum pecunia soluta non sit, fundus inemtus esto6. Sobald die Verfügung in einen Willensakt zusammengezogen wird, drückt sie nicht mehr denselben Parteiwillen aus, sie wird zum aufschiebend bedingten Geschäft (L. 2 pr. de in diem add. 18, 2). In dem auflösend bedingten Rechtsgeschäft sind 4 So richtig gegen die herrschende Ansicht E n n e c c e r u s , Rechtsgeschäft S. 175 fg. 5 Nur darf aus der einheitlichen Natur der aufschiebend bedingten Willenserklärung kein Schlufs auf die Beweislast gezogen werden, denn diese bestimmt sich nach praktischen Rücksichten. In Theorie ( W i n d s c h e i d § 86 N. 4 u. Angef.; E n n e c c e r u s , Rechtsgeschäft S. 186; P l a n c k , Lehrb. des Civilproz. I S. 326) und in Rechtsprechung (Praxis des Reichsoberhandelsgerichts vgl. ROHG. X I I Nr. 64 S. 202 u. Nachw., ferner Seuff. XXXIV 76 u. Nachw.) herrscht jetzt die Ansicht, dafs der Kläger seine Behauptungen zu beweisen habe, wenn der Beklagte entgegnet hat, der Vertrag sei unter einer aufschiebenden B. geschlossen worden. Das führt zu einem bedenklichen Ergebnis. Will man dem Kläger nicht den Beweis zumuten, dafs eine B. nicht beigefügt wurde — und das will die herrschende Ansicht nicht —, so verlangt man von ihm den Beweis von Thatsachen, die der Beklagte nicht bestritten hat, und schiebt die bestrittene Thatsache in den direkten Gegenbeweis. Gegen diese zweckwidrige Behandlung haben sich erklärt Savigny V S. 155; K i e r u l f f S. 299; P u c h t a , Vorl. § 97; W ä c h t e r , Württ. PR. I I S. 451 N. 35; F i t t i n g , Die Grundlagen der Beweislast S. 55 fg. Indes kann jede allgemeine Regel durch die besondere Lagerung des Einzelfalls eine Beschränkung erleiden. Den Verschiedenheiten geht nach B e k k e r § 116 Beil. III. 6 L. 2, 4 pr. ad leg. comm. 18,3 L. 2 § 3 pro emtore 41,4. Die Formel bei der in diem addictio (L. 1 de in diem add. 18,2) war auf die suspensive wie resolutive Fassung berechnet. B e c h m a n n , Kauf I I S. 503.
B i n d i n g , Handbuch. I. 7. I : R e g e l s b e r g e r , Pand. I.
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6 E r s t e s
Bch.
Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
zwei Willensakte enthalten: eine unbedingte Begründung und eine aufschiebend bedingte Aufhebung einer Rechtswirkung. Dies erwogen, kann mit Grund der Zweifel ausgesprochen werden, ob es überhaupt eine von der aufschiebenden B. verschiedene auflösende giebt, ob nicht, was man so bezeichnet, ein dem Begründungsgeschäft angehängtes aufschiebend bedingtes Aufhebungsgeschäft sei. In der That wird von einer wachsenden Zahl von Schriftstellern jene Frage verneint und diese bejaht7. Das zwar spärliche Quellenmaterial8 ist diesem Standpunkt günstig: es wird gesagt, das Rechtsgeschäft mit auflösender B. sei nicht ein negotium condicionale, sondern purum, quod sub condicione resolvitur; der Beisatz sei nicht condicio sondern conventio9. Indes sind die theoretisierenden Versuche der römischen Juristen nicht malsgebend. Der Streit spitzt sich praktisch auf die Frage zu: Wird durch den resolutiven Vorbehalt das begründete Recht selbst ergriffen? wird ihm die Schranke eingeprägt, beim Eintritt des bedingenden Umstands zu erlöschen, und zwar so, dafs dies gegen jeden Rechtsnachfolger wirkt? (sogenannte dingliche Wirkung). Oder wird dadurch nur eine obligatorische Verpflichtung auf Rückgängigmachung der eingetretenen Rechtsfolge erzeugt? (sogenannte obligatorische Wirkung). Für die obligatorischen Verhältnisse folgt die erstere Wirkung aus der althergebrachten Formel: res inemta esto, dann aus dem Zweifel der römischen Juristen, ob der kraft der lex commissoria zurücktretende Verkäufer die von ihm geleistete Sache mit der Kaufklage zurückfordern könne10. Dafs die durch das Rechtsgeschäft begründeten dinglichen Rechte mit einer innern Schranke behaftet sind, ist für die in diem addictio unzweideutig bezeugt11 und für die lex 7 T h i b a u t , Civ. Abhandl. S. 359—380 (1814); W i n d s c h e i d § 86 a. E.; C z y h l a r z , Zur Lehre von der Resolutivbedingung (1871); Schul i n , Über Resolutivbedingungen und Endtermine S. 37fg. (1875); A d i c k e s , Zur Lehre von den Bedingungen S. 35 fg. (1876); B e c h m a n n , Kauf I I S. 497; ähnlich D e r n b u r g I § 106 a. E. Dagegen B r i n z , 1. A. S. 1470 fg ; B e k k e r , § 116w.; W e n d t § 52; H o l d e r § 48. 8 Es beschränkt sich im wesentlichen auf die drei Zusätze beim Kaufvertrag: in diem addictio, lex commissoria, pactum displicentiae. Aufserdem L. 19 de usurp. 41,3 L. 11 § 13 quod vi 43,24. 9 L. 3 C. E. 18,1 L. 2 pr. L. 4 § 3 de in diem add. 18,2 L. 1 de lege comm. 18,3 (Ulp.) L. 2 § 3 - 5 pro emtore 41,4 (Paul.) C. 4 pr. de aed. ed. 4,58. 10 Sogar ein kaiserliches Reskript mufste dem Zweifel entgegentreten. L. 4 pr. L. 6 § 1 de lege comm. 18,3. Vgl. L. 16 i. f. de in diem 18,2 L. 6 de rescind, vend. 18,5. 11 L. 41 pr. R. V. 6,1: . . . uti in rem actione postea non poterit. L. 4 § 3 de in diem add. 18,2: rem pignori esse desinere. L. 3 quib. mod. pign. 20,6:
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commissoria nicht zu bezweifeln 12. Wenig Bedeutung hat die Frage für das pactum displicentiae ; denn das ist gewifs, dafs der Käufer nicht als Eigentümer dritten Personen Rechte an der Sache begründen und dann durch Ausübung seines Rücktrittsrechts hinfällig machen kann 1 3 . Diese Anhaltspunkte werden für das Justinianische Recht dadurch unterstützt, dafs hier eine Übertragung des Eigentums auf bestimmte und unbestimmte Zeit anerkannt ist 1 4 . Für das heutige Recht fällt ins Gewicht, dafs die Ansicht von der dinglichen Wirkung von jeher überwog 15. Demnach bildet die auflösende B. mit dem übrigen Thatbestand des Rechtsgeschäfts eine rechtliche Einheit und ergreift das dadurch geschaffene Recht (oder die sonstige rechtliche Wirkung) selbst. Infolgedessen kann sie wirksam nur bei der Begründung des Rechts beigefügt werden. Hinterher ist nur eine obligatorische Verpflichtung zur Rückgängigmachung des eingetretenen Rechtserfolgs möglich. Übrigens ist auch im heutigen Rechtsververkehr die auflösende B. eine seltne Erscheinung 16. finiri pignus. L. 9 de aqua 39,3 C. 12 § 1 de usufr. 3,33. Anerkannt von C z y h l a r z S. 63 und B e c h m a n n S. 510 fg. 12 L. 8 de lege comm. 18,3 C. 1, 4 de pact, inter emtor. 4,54. Die Beweiskraft dieser Stellen wird bestritten, weil der Verkäufer mangels Zahlung oder Kreditierung des Kaufpreises Eigentümer geblieben sei. Möglich, aber warum dann vindicari ex conventione venditionis (L. 8 cit.)? Man erwäge ferner die Zusammenstellung von arras perdere und dominium ad te pertinere in C. 1 cit. Die zur Widerlegung angeführte C. 3 eod. kann angesichts der folgenden C. 4 nur von einem Anspruch des Verkäufers während Schwebens der Bedingung verstanden werden. So schon T h i b a u t a. a. O. S. 377. Unterstützend wirkt die Analogie aus der in diem addictio, wogegen ungegründete Einwendungen erhebt Bechmann S. 528 fg. 13 Hieraus erklärt sich L. 3 i. f. quib. mod. pign. 20,6. B r i n z , 1. A. S. 1500. Zur Interpretation aller einschlagenden Stellen V a n g e r o w § 96. 14 C. 2 de donat. quae sub modo 8,54 [55]. Dazu Fr. Vat. § 283. Bechmann S. 500 N. 1. 15 Reichhaltige Nachweise aus der älteren Litteratur giebt S c h u l i n a. a. 0. S. 82 fg. In der neuern Zeit erfolgte der erste energische Angriff auf die dingliche Wirkung von R i e f s e r , Giefsner Z. I I S. 1 fg., S. 270 fg. (1829). Er wurde allgemein zurückgewiesen. Es hat ihn dann E n g e l m a n n , Rückfall des Eigentums (1868) erneuert, dem C z y h l a r z , S c h u l i n , A d i c k e s , teilweise B e c h m a n n beitraten. Die Lehrbücher stehn auf dem Stand der dinglichen Wirkung. J h e r i n g in seinen Jahrb. X S. 544 nimmt eine Entwicklung der dinglichen Wirkung aus der obligatorischen an. 16 Dafs die Beweislast den die auflösende B. Behauptenden trifft, scheint mir zweifellos. Vgl. RGE. X X V I I I Nr. 31 S. 145 mit reichen Nachweisen. 36*
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cc. Die Z u l ä s s i g k e i t der Bedingungen. Es giebt Bedingungen, die keinem Rechtsgeschäft wirksam beigefügt werden können. Es giebt Rechtsgeschäfte, die keine B. vertragen. Es giebt Bedingungen, die bei gewissen Rechtsgeschäften nicht zulässig sind. I. S c h l e c h t h i n u n z u l ä s s i g e B. sind A. die unmöglichen (§ 151 I I I A 3). Und zwar eine aufschiebende unmögliche B. macht Rechtsgeschäfte unter Lebenden ungültig, ganz folgerichtig, denn es ist der Rechtserfolg für einen niemals eintretenden Fall gewollt. Auffallenderweise wird bei letztwilligen Verordnungen die unmögliche Β als nicht beigefügt behandelt, die Verfügung demnach als unbedingte aufrecht gehalten, und zwar selbst wenn dem Verfügenden die Unmöglichkeit bewufst war 1 . Es erklärt sich dieser Rechtssatz aus der weitgehenden Begünstigung der Testamente im römischen Recht 2 , und darf daher nicht analog auf Freigebigkeitsakte unter Lebenden erstreckt werden 3. Die Beifügung einer auflösenden unmöglichen B. ist immer rechtlich wirkungslos, denn der Verfügende will den Rechtserfolg, und will dessen Aufhebung nur für einen Fall, der nicht eintreten kann. B. Die u n s i t t l i c h e n (und unerlaubten) B., condiciones turpes. Das Recht kann weder zur Übertretung seiner eigenen Gebote noch zur Förderung der Unsittlichkeit die Hand bieten. Es kommt hiebei nicht auf die Beschaffenheit des bedingenden Umstands sondern der unter der Bedingung getroffenen Verfügung an 4 . Selbst das Versprechen einer Belohnung für die Ausführung einer sittlich gebotenen oder für die Unterlassung einer unsittlichen Handlung kann sittlich anstöfsig sein (arg. L. I pr. de cond. ob turp. caus. 12, 5). Was 1
Dies lehrt die Behandlung der condiciones derisoriae. Α. M. D e r n b u r g I I I § 83 Nr. 5, von unbewiesener Voraussetzung ausgehend. 2 Er ist nicht ohne Kampf zur Anerkennung gelangt, die Prokulianer verwarfen ihn für Legate. Gai. I I I 98. Er gilt allgemein nach dem neuern Recht. S 10 J. de hered. inst. 2,14. Uber den Grund sagt Gains 1. c.: vix. idonea ratio reddi potest. Die Zurückführung auf den favor testamenti, schon früher vertreten, hat F. H o f m a n n , Krit. Studien im röm. Recht S. 144 fg. (1885) — auch P f a f f und I l o f m a n n , Komm. I I S. 565 — durch den Nachweis überzeugend begründet, dafs der favor die Aufrechthaltung der Testamente, nicht des Willens des Testato.s bezweckte. 3 A. M. W i n d s c h e i d § 94 N. 16. 4 L. 8 § 1 de usu 7,8 L. 9 de condic. inst. 28,7; Seuff. X I I I 34.
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§ 1 .
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sittlich und was unsittlich ist, bestimmt sich nach der heutigen sittlichen Anschauung, Daher sind die Einzelentscheidungen in den Quellen für uns nicht schlechthin bindend. Dies gilt insonderheit für die im römischen Recht ungebührlich verfolgten Bedingungen der Eheschliefsung wie der Ehelosigkeit5. Die vielbesprochene Bedingung des Religionswechsels macht die Verfügung unsittlich, wenn darin bezweckt ist, den Entschlufs zur Religionsänderung hervorzurufen bezw. zu unterdrücken. Der materielle Vorteil darf nicht zur Triebfeder einer Gewissenssache gemacht werden6. Die unsittliche B. wirkt ähnlich wie die unmögliche. Die Rechtsgeschäfte unter Lebenden werden durch ihre Beifügung ungültig, ohne Unterschied zwischen aufschiebenden und auflösenden B. 7 . Bei letztwilligen Verordnungen gilt die unsittliche B. für nicht beigefügt. Nur Zuwendungen unter einer kaptatorischen B. sind nichtig. Kaptatorisch ist die B., dafs der Bedachte seinerseits den Testator oder einen von ihm bezeichneten Dritten bedenken werde 8. Den unsittlichen gleich werden B. behandelt, aus denen erhellt, dafs der Verfügende nur eine Verhöhnung des Bedachten bezweckte (condiciones derisoriae), sowie B., deren Erfüllung jedes vernünftigen Zwecks entbehrt 9. C. Ist der Inhalt des Bedingungssatzes mit dem Inhalt des Hauptsatzes unvereinbar, so ist die Verfügung nichtig. Man spricht hier von einer p e r p l e x e n B., perplex ist aber vielmehr die ganze Verfügung 10. 5 L. 72 § 4 L. 79 § 4 h. t. Es wirkte dabei die gewaltsame Begünstigung der Eheschliefsung und die gewaltsame Bekämpfung der Ehelosigkeit nach der L. Julia et Papia Poppaea mit. P f a f f und H o f m a n n , Komm. I I S. 581 fg. 6 RGE. X X I Nr. 21 S. 279. In Seuff. X I I 277 wurde die B., die Kinder in einer bestimmten Religion erziehn zu lassen, für unzulässig erklärt, in L. 71 §2 h. t. die B. des Wohnsitzes; nach L. 8 de cond. inst. 28,7 soll die B. eidlicher Zusicherung einer Leistung als einfache Auflage behandelt werden. A r n d t s Beiträge zu verschiedenen Lehren des Civilr. S. 169 fg. (1837, auch Gesammelte Schriften 1 S. 26 fg.); S c h e u r l , Nebenbestimmungen S. 292 fg.; F i t t i n g , Civ Arch. L V I S.420fg.; Ravit, ebenda L Y I I I S. 59 fg. (1875); W i n d s c h e i d § 94 N. 13; B e k k e r I I S. 353 fg. 7 L. 26, 27 pr. L. 123 V. 0. 45,1. Quellenzeugnisse für die gleiche Behändlung der auflösenden B. giebt es nicht. Sie ist aber geboten, sonst liefse sich der Zweck einer aufschiebenden unsittlichen B. durch deren Umwandlung in eine auflösende verwirklichen. Savigny I I I S. 193. 8 L. 8 § 1 de usu 7,8 L. 9, 14 de condic. inst. 28,7 L. 72 § 4, 5 h. t. — L. 71, 72 170, 71] de her. inst. 28,5. 9 L. 14 de cond inst. 28,7 — L. 27 pr. eod. 10 Beisp. L. 16 de condic. inst. 28,7 (eine Ehrenrettung für den Testator unternimmt E. A. S e u f f e r t , Civ. Arch. X V I I I S. 254 fg.) L. 88 pr. ad leg. Falc. 35,2 L. 39 de manum test. 40,4.
6 E r s t e s
Bch.
Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
D. Die Verpflichtung unter einer B., deren Erfüllung in der Macht des Verpflichteten steht, ist nicht immer ungültig. Sie ist es nur dann, wenn die B. in der Absicht beigefügt wurde, dem Verpflichteten völlig freie Entschliefsung vorzubehalten, ob er leisten will oder nicht. Denn hier liegt ein unvollendeter Willensentschlufs vor 1 1 . Auf die Form des Vorbehalts kommt nichts an 1 2 . Anders dagegen, wenn jemand z. B. eine Wohnung mietet, falls er im Herbst in die Stadt zieht. Zwar hängt die Erfüllung der B. von seinem Willen ab, allein er will sich gebunden haben für den Fall, dafs seine sonstigen Interessen ihn bestimmen, in die Stadt zu ziehn. Das ist ein fertiger Willensentschlufs. Darum sind Strafverabredungen gültig, obwohl der Versprechende die Vereitlung der B. in seiner Hand hat 13 . Bei den auf Austausch von Leistungen gerichteten Schuldverträgen wird kein Anstois genommen, dafs ein willkürliches Rücktrittsrecht verabredet (si emtori displicuerit) oder der Kauf von der Erklärung des Käufers abhängig gemacht wird, die Ware gefalle ihm, obwohl eine Gebundenheit des Rücktrittsberechtigten oder des Käufers nicht vorliegt 14 . Zuweilen ist die B. für den Verpflichteten nur scheinbar potestativ. Wenn z. B. eine Lohnerhöhung zugesichert ist, falls der Angestellte 10 Jahre zur Zufriedenheit des Anstellenden dient, so bildet den Inhalt der B. die befriedigende Dienstleistung, das Urteil des Anstellenden ist keineswegs willkürlich und jeder Nachprüfung entzogen15. Vgl. § 154 II. 11
So ist zu verstehn L. 17 V. 0. 45,1: Stipulatio non valet in rei promittendi collata condicione. L. 46 § 3 L. 108 § 1 eod. L. 8 0. e. A. 44,7 L. 7 pr. C. E. 18,1 C. 13 C. E. 4,38. Indes wurde hei Legaten die B.: nisi heres non noluerit, für gültig angesehen. L. 11 § 5 de legat. III. 12 L. 1 pr. de legat. I I (Ulp.): quid enim interest: „si Titius in Capitolium ascenderit" mihi legetur an „si voluerit". Doch nahm die römische Jurisprudenz an der letztern Fassung Anstofs. L. 52 h. t. (Mod.). Für uns hat dies keine praktische Bedeutung. Die Meinungen der Neueren sind verschieden. Vgl. die Nachweise bei W i n d scheid § 93 N. 3a—6. 13 Die Quellenbeispiele haben strafartige Natur. L. 27 § 1 L. 99 § 1 L. 115 § 1 V. 0. 45,1. W i n d s c h e i d a. a. 0.; E n n e c c e r u s , Rechtsgeschäft S. 273fg.: B e k k e r § 117 Beil. II. 14 L. 3 C E. 18,1 L. 6 de resc. vend. 18,5 — § 4 J. de emt. 3,23. Über die sehr bestrittene Natur des Kaufs auf Probe ist im Obligationenrecht zu handeln. Einstweilen B e c h m a n n , Kauf I I S. 212 fg.; E n n e c c e r u s , Rechtsgeschäft S. 277 fg.; aber auch B e k k e r § 106 Beil. I I (wo ich mit Unrecht für den Verfasser des Art. Kauf im Bd. I I des Endemannschen Handb. für Handelsr. erklärt bin). 15 L. 7 pr. C. E. 18,1 L. 75 pr. de legat. I L. 11 § 7 de legat. I I I : dazu die Regel in L. 22 § 1 R. J. 50,17; ROHG. X V I Nr. 109 S. 427 X V I I I Nr. 74 S. 258 (Seuff XXXIV 286) X X I I I Nr. 28 S. 81; RGE. I Nr. 123 S. 338.
Die juristischen Thatsachen.
Die Rechtsgeschäfte.
§ 14.
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II. S c h l e c h t h i n b e d i n g u n g s f e i n d l i c h sind von den heute vorkommenden Geschäften: Eheschliefsung, Adoption, Legitimation, Emanzipation, Antritt und Ausschlagung einer Erbschaft, Aktienzeichnung, Auflassung 16. Diese Akte werden auch durch Beifügung einer auf die Gegenwart oder Vergangenheit gestellten B. nichtig. Der Grund der Unvereinbarkeit ist nicht überall derselbe 1 7 . III. Rechtsgeschäfte, die nur gewisse B. vertragen, sind Erbeinsetzung (die nur eine aufschiebende), und die Einsetzung eines Koterben (die nur eine für den Eingesetzten potestative Β. zuläfst).
§ 154. dd. Die E n t s c h e i d u n g der B e d i n g u n g . Jede wahre Bedingung hat zwei Stadien: die Zeit der Schwebe, condicio pendet, und die Zeit der Entscheidung. Die Entscheidung kann in zweifacher Weise erfolgen: entweder die B. wird erfüllt (die B. ist eingetreten, condicio impleta est, existit) oder sie wird vereitelt (die B. ist ausgefallen, c. deficit). I. Damit eine B. erfüllt ist, mufs die den Inhalt der B. bildende Thatsache eingetreten sein und zwar gerade so wie sie als B. gesetzt wurde: bei einer positiven Bedingung mufs, was geschehen sollte, vollständig geschehen sein; bei einer negativen mufs, was nicht geschehen sollte, nicht geschehen sein und in der vorausgesetzten Weise nicht mehr geschehen können. Die B. ist vereitelt, wenn bei einer positiven B. das zur B. Verstellte nicht eingetreten ist und in der vorausgesetzten Weise nicht mehr eintreten kann ; bei einer negativen, wenn geschehen ist, was nicht geschehen sollte. Was im einzelnen Fall zur Erfüllung, was zur Vereitlung gehört, ist eine Frage der Auslegung des Parteiwillens (L. 19 pr. L. 101 pr. h. t.). Die Quellen enthalten dafür treffliche Muster 1, aber es ist verfehlt, darin starre Vorschriften zu erblicken. So ist ζ. B. die Frage, ob die Erfüllung einer Potestativbedingung die sofortige Voll16
In L. 77 R. J. 50,17 sind noch aufgeführt: acceptilatio, servi optio, datio tutoris. Der in der Stelle gebrauchte Ausdruck actus legitimi wird von Th. M o m m s e n , Z. d. Sav.-St. X I I RA. S. 273 übertragen: die nach altem Civilrecht geordneten Willensakte. Über Aktienzeichnung und Auflassung ROHG. V I I Nr. 40 S. 160; Seuff. X L I V 203 u. Nachw.; F ö r s t e r - E c c i u s , Preufs. PR. § 169 N. 13. 17 E n n e c c e r u s , Begriff der Bedingung S. 27—84 u. Rechtsgeschäft S. 496 fg. 1 L. 7 pr. C. E. 18,1 L. 54 § 1 de legat. I L. 11 § 11 de legat. I I I L. 10 pr. de annuis leg. 33,1 L. 2, 11, 76, 101 pr. h. t.; RGE. XX Nr. 21 S. 107.
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Erstes B c h .
Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
ziehung der geforderten Handlung erheischt, aus den gesamten Umständen des Falls zu entscheiden2. Gemäfs richtiger Auslegung der B. kann Erfüllung vorliegen, obwohl nicht geschehen ist, was nach dem Wortlaut geschehen sollte. So ist dem Wortlaut nach gemischt die B. : wenn er mit seinem Bruder zusammenzieht. Es ist aber möglich, dafs der Urheber der B. nur die Willfährigkeit zum Zusammenziehen auf Seite desjenigen, dem die B. gesetzt ist, im Auge hatte, nicht den sachlichen Erfolg. Dann ist die B. erfüllt, wenn dieser alles gethan hat, was seinerseits zur Herbeiführung des sachlichen Erfolgs erforderlich war*. Nur besteht keine Vermutung dafür, dafs bei solchen B. die Bereitwilligkeit zur Erfüllung genüge, auch nicht für letztwillige Verfügungen 4. II. Zuweilen wird eine in Wirklichkeit vereitelte B. als erfüllt behandelt. Es ist der Fall, wenn jemand, dem unter einer B. eine Verpflichtung oder ein sonstiges Vermögensopfer auferlegt ist, absichtlich und gegen den Sinn des Geschäfts die Erfüllung vereitelt. Wenn z. B. in einem Dienstvertrag dem Angestellten eine Gehaltserhöhung zugesichert ist für den Fall, dafs er 10 Jahre seine Obliegenheiten mit Sorgfalt und zum Vorteil der Herrschaft erfüllt hat, so würde die unverschuldete Entlassung des Angestellten kurz vor Ablauf der 10 Jahre handgreiflich eine dem Sinne des Vertrags zuwiderlaufende Hinderung der Erfüllung sein, die der Erfüllung gleich wirkt δ . Durch diese Behandlung wird dem bedingt Verpflichteten die Möglichkeit abgeschnitten, eine rechtlich begründete Last leichten Kaufs abzuschütteln, und dem bedingt Berechtigten wirksamer geholfen als durch einen Ersatzanspruch. Weil aber der Rechtssatz voraussetzt, dafs nach dem 2 Puchta, Vorl. §60 verlangt sofortige Erfüllung, V a n g e r o w §435 Anm. 1 Ziff. 3 unterscheidet zwischen Erbeinsetzung und Vermächtnis. Beide übersehn die Mahnung in L. 19 pr. h. t. K e l l e r § 51 N. 3. 3 L. 23 de cond. inst. 28,7 L. 13 pr. de annuis leg. 33,1 L. 13 § 1 L. 20 § 3 de alim. leg. 34,1 L. 31, 84 h. t. 4 Weder schlechthin ( W i n d s c h e i d § 92 N. 6) noch wenn der Eintritt des Erfolgs von einem Beteiligten hintertrieben wird (Vangerow § 435 A. 2; Dernb u r g I § 110 N. 5), sei es auch derjenige, dem die Erfüllung Vorteil bringt (Savigny I I I S. 138 fg.; P u c h t a §60 f.; S che u r l , Nebenbestimmungen S. 160fg.; W ä c h t e r , Pand. I S. 380; B e k k e r § 116 k). L. 24 h. t. ist wegen Textunsicherheit (Mommsen ad h. 1.) beweisunkräftig. Was favore libertatis anerkannt war (L. 3 § 10 L. 20 § 3 de statul. 40,7), darf nicht verallgemeinert werden. Vgl. L. 23 § 2 ad leg. Aq. 9,2 mit L. 54 § 2 de legat. I ; L. 84 h. t. 6 Regel L. 161 R. J. 60,17. Anwendungen L. 3 § 9 de cond. causa d. 12,4 L. 50 C. E. 18,1 L. 81 § 1 h. t. L. 85 § 7 V. O. 45,1. Entsch. des Berl. OTrib. L S. 25, anders ROHG. X V I I I Nr. 74 S. 258. J h e r i n g , Geist I I I N. 21 und in seinen Jahrb. X S. 462 fg.
Die juristischen Thatsachen.
Die Rechtsgeschäfte.
§
1 .
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Sinn des Geschäfts der bedingt Verpflichtete verbunden erscheint, die Erfüllung nicht zu vereiteln, so findet er keine Anwendung auf Strafverabredungen, ebenso nicht, wenn die Mitwirkung zur Erfüllung in das Belieben des bedingt Verpflichteten gestellt wurde z. B. wenn er auswandert. Der bedingt Verpflichtete mufs sich ferner bewufst sein, durch sein Verhalten in die Verwirklichung der B. störend einzugreifen; aber es ist nicht erforderlich, dafs er dies in boshafter Gesinnung tliue 6 . Ist die bedingte Verpflichtung zugleich zeitlich verschoben z. B. Gehaltserhöhung nach lOjährigem befriedigenden Dienst, so entsteht mit der absichtlichen Vereitlung der Bedingung nur die Verpflichtung, nicht die Fälligkeit der Schuld7. ee. W i r k u n g der B e d i n g u n g . § 155. α. W ä h r e n d d e r S c h w e b e * .
Bei der aufschiebenden wie bei der auflösenden B. besteht über den künftigen Rechtszustand Ungewifsheit. Auch ist da und dort der Rechtszustand bis zur Entscheidung der B. geregelt, aber nach Art der Bedingung in entgegengesetzter Weise. I. Während des Schwebens der a u f s c h i e b e n d e n B. ist das durch das Rechtsgeschäft beabsichtigte Rechtsverhältnis oder die sonstige rechtliche Wirkung nicht vorhanden: die bedingte Veräufserung einer Sache begründet nicht einmal einen Ersitzungstitel ; wer eine bedingte Schuld im Irrtum über das Schweben der B. zahlt, kann die Leistung als nicht geschuldet zurückfordern 1. Jedoch ist die bedingte Verfügung vor Eintritt der B. nicht wirkungslos. Um nur das Wichtigste hervorzuheben 2, so kann 6
L. 7 pr. C. E. 18,1 L. 38 de statul. 40,7; Seuff. IV 96 X 128 X X I I I 13 X X X V I 179; ROHG. X X I Nr. 40 S. 125 (Seuff. X X X I I 300); RGE. X Nr. 86 S.296 (franz. R.) XIV Nr. 38 S. 171 (preufs. R.). Strenger Seuff. X X X V I 9. 7 L. 4 § 1 L. 36 § 1 h. t. L. 18 § 2 de alim. leg. 34,1 L. 20 § 5 i. f. de statul. 40,7 L. 8 V. O. 45,1; RGE. I I Nr. 38 S. 143; E n n e c c e r u s , Rechtsgeschäft S, 198 fg. * S c h e u r l , Nebenbestimmungen S. 122—157; W e n d t , Die Lehre vom bedingten Rechtsgeschäft S. 1—95 und Das bedingte Forderungsrecht (1873); E n n e c c e r u s , Das Rechtsgeschäft S. 334—422, 441—496. 1 L. 66 R. V. 6,1 L. 12 § 2 fam. erc. 10,2 L. 8 pr. de peric. et comm. 18,6 L. 29 § 1 qui et a quib. 40,9 L. 2 § 2 pro emtore 41,4 — L. 16, 18, 48 de cond. ind. 12,6 L. 13 § 5 de pign. et hyp. 20,1. 2 Vgl. auch L. 16 de injusto test. 28,3 L. 36 R. C. 12,1 L. 11 § 9 de donat. i. v. 24,1; L e i s t , Die Sicherung von Forderungen S. 28 fg.
Erstes B c h .
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Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
1. der bedingt Verpflichtete sich nicht einseitig der Verpflichtung entziehen. Er hat auf den Gegenstand des Geschäfts dieselbe Sorgfalt zu verwenden, wie sie die unbedingte Verpflichtung begründen würde, und wird wegen Verletzung dieser Pflicht im Fall der Erfüllung der B. verantwortlich. 2. Der bedingt Berechtigte ist befugt, Sicherheit gegen die Gefährdung der Verwirklichung seines Rechts zu verlangen (§ 189 C. 2). 3. Die bedingte Berechtigung und Verpflichtung gehen auf die Erben über 3 , ausgenommen die bedingte Berechtigung aus einer letztwilligen Verfügung 4 . Das bedingte Forderungsrecht kann abgetreten5, eine bedingte Schuld noviert, erlassen, selbst gezahlt werden, jedoch entsteht die Wirkung erst mit dem Eintritt der Β Λ 4. Es steht eine Klage auf Anerkennung des bedingten Rechts zu. Die bedingte Forderung wird im Konkurs des Schuldners berücksichtigt (KKO. § 47 Abs. 3). Man hat versucht, die aufgeführten Wirkungen unter einem einheitlichen Gesichtspunkt zu erfassen, in verschiedener Weise7. Keine der Vorstellungen leistet, was ihr allein Wert verleihen würde, dafs sich die einzelnen Wirkungen zu ihr als Folgesätze verhalten. Die römische Jurisprudenz wurde bei der Aufstellung jedenfalls durch praktische Erwägungen geleitet. 3
§ 4 J. V. 0. 3,15 L. 8 pr. de peric. et comm. 18,6 L. 57 V. 0. 45,1 Auch bedingte Traditionen? Für den Tod des Tradenten bejaht es Jul. L. 2 § 5 de donat. 39,5 und verneint es Ulp. L. 9 § 1 J. D. 23,3. Alle Vereinigungsversuche sind bis jetzt gescheitert. Die bejahende Ansicht ist Ausdruck einer freieren Anschauung und daher für uns mafsgebend. E n n e c c e r u s , Rechtsgeschäft S. 468 fg. Folgerichtig ist die Vererblichkeit auch beim Tod des Empfängers anzunehmen. A. M. E n n e c c e r u s S. 455 fg. auf Grund nicht zwingender Schlüsse aus der donatio mortis causa unter Ehegatten. 4 L. 60 [59] § 6 i. f. de her. inst. 28,5 L. 59 pr. h. t. C. un. § 7 de caduc, toll. 6,51. Warum? Vgl. S t r o h a l , Transmission pendente condicione (1879) S. 25 fg; E n n e c c e r u s , Rechtsgeschäft S. 398 fg.; W i n d s c h e i d § 89 N. 8. 5 L. 17, 19 de her. v. act. vend. 18,4. Auch die bedingte Vermächtnisforderung trotz L. 41 h. t. C. W o l f f , Rechtswirkungen der Cession eines suspensiv bedingten Vermächtnisses (Bonner Diss. 1887), wozu M. R ü m e l i n , Krit. VJSchr. XXX S. 197 fg.; RGE. V I I I Nr. 49 S. 191. 6 L. 8 § 1 de novat. 46,2 L. 16 de solut. 46,3 L. 12 de accept. 46,4 L. 21 § 4 de pact. 2,14. 7 * Als Gebundenheit der Person bei obligatorischen, der Sache bei dinglichen Rechten ( J h e r i n g in seinen Jahrb. X S. 458 fg.; W i n d s che i d § 89 Ν. 3; S i m e o n , Das befristete Rechtsgeschäft S. 91 fg.); als sofortige Entstehung der gewollten Obligation in eigentümlicher Gestalt, worüber die Ansichten jedoch auseinander gehn ( K o p p e n , Jher. Jahrb. X I S. 163 fg.; W e n d t , Die Lehre vom bedingten Forderungsrecht S 42; E n n e c c e r u s , Rechtsgeschäft S. 335 fg.).
Die juristischen Thatsachen.
Die Rechtsgeschäfte.
§
1 .
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II. Das unter einer auflösenden B. abgeschlossene Rechtsgeschäft erzeugt die Wirkungen wie ein unbedingtes8. Aber wegen der Möglichkeit der Aufhebung können hier wie beim Schweben einer aufschiebenden B. Sicherungsmalsregeln gefordert werden.
§ 156. ß. W i r k u n g der Entscheidung.
I. Die E r f ü l l u n g der B. wandelt den Rechtszustand, wie er während schwebender B. war, in sein Gegenteil : das Nichtvorhandene entsteht, das Vorhandene verschwindet. A. Durch die Erfüllung der a u f s c h i e b e n d e n B. wird der rechtsgeschäftliche Thatbestand vervollständigt 1 ; die beabsichtigte Wirkung des Rechtsgeschäfts kommt jetzt zur Entstehung und zwar ohne weiteres Zuthun der Parteien (ipso jure), da was ihrerseits zur Hervorbringung zu geschehen hat, schon geschehen ist. Freilich kommt nur diejenige Rechtswirkung zur Entstehung, für die durch die Parteien der Grund gelegt ist, also nicht z. B. der Eigentumserwerb, wenn ein bedingter Kauf abgeschlossen, aber die Sache dem Käufer noch nicht übergeben ist. B. Mit dem Eintritt der auflösenden B. vollzieht sich der Untergang der durch das Rechtsgeschäft begründeten rechtlichen Wirkung ($ 155 II), gleichfalls ohne Zuthun der Parteien. Die Nachweise hiefür sind oben (§ 152 I I I 2) gegeben. II. Die V e r e i t l u n g der B. stellt fest: bei der aufschiebenden B., dafs der gehoffte Erwerb, bei der auflösenden, dafs der befürchtete Untergang nicht eintritt 2 . Der Rechtszustand, wie er während schwebender B. war, wird zum dauernden, jedoch mit Wegfall der Wirkungen, welche die Möglichkeit hier der Rechtsentstehung dort des Untergangs zur Grundlage haben, also namentlich der Sicherungsmafsregeln (§ 155), keineswegs aber jeder Wirkung (z. B. L. 16 de injusto testm. 28, 3). III. Hat jemand seine Sache unter einer aufschiebenden B. veräulsert, so ist er während schwebender B. noch Eigentümer, er kann 8 L. 41 pr. R. V. 6,1 L. 4 pr. § 4 de in diem add. 18,2 L. 2 § 3—5 pro emtore 41,4 L. 11 § 10 quod vi 43,24. 1 Die Quellen sagen: Das Rechtsgeschäft wird perfekt (L. 7 pr. C. E. 18,1 L. 2 pr. in diem add. 18,2 L. 8 pr. de per. et comm. 18,6) oder ergänzt (L. 10 § 5 J. D. 23,3 L. 2 § 3 pro emptore 41,4). 2 L. 8 pr. de per. et comm. 18,6 L. 37 i. f. C. E. 18,1 L. 19 de her. v. act. vend. 18,4 L. 21 de solut. 46,3 L. 13 pr. de in diem add. 18,2.
Erstes B c h .
Die allgemeinen Lehren
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über die Sache anderweit verfügen, einem Dritten sie eigentümlich übertragen oder eine Servitut, ein Pfandrecht daran bestellen. Hierin liegt eine Gefahr für das bedingt begründete Recht. In ähnlicher Weise wird bei der Veräufserung unter einer auflösenden B. der Verüufserer durch die sofort eintretende Verfügungsmacht des Erwerbers bedroht. Gegen diese Gefahren mufs das Recht Schutz bieten. Es liefse sich denken, dafs zu diesem Behuf dem derzeitigen Eigentümer bis zur Entscheidung der B. das Verfügungsrecht versagt wird. Dadurch würde aber wegen der blofsen Möglichkeit einer Änderung dieses Eigentum empfindlich gelähmt. Das römische Recht hat daher einen schonendem, aber nicht minder wirksamen Weg eingeschlagen. Es beläfst dem Eigentümer in der Zwischenzeit das Verfügungsrecht, bestimmt aber, dals die aus den Verfügungen der Zwischenzeit herrührenden Rechte dem aus der bedingten Veräufserung entstehenden Rechte weichen und soweit sie mit diesem Recht überhaupt nicht vereinbar sind, untergehen3. Nur solche rechtliche Verfügungen sind für die Zwischenzeit versagt, deren Wirkung einen vorübergehenden Bestand nicht verträgt 4. Hieraus ergiebt sich im einzelnen: a. Ist bedingt Eigentum übertragen, so erlöschen mit Eintritt der B. alle in der Zwischenzeit auf die Sache gelegten Lasten (Servituten, Pfandrechte u. s. w.), sowie das in dieser Zeit einem Dritten daran begründete Eigentumsrecht5. b. Sind das bedingt begründete und das nachher begründete Recht Pfandrechte, so hat der Eintritt der B. nur die Folge, dafs das später errichtete Pfandrecht dem andern nachgeht (L. 11 § 1 qui pot. 20, 4). c. Ein Recht, das der Zwischeneigentümer zu Gunsten der Sache erworben hat z. B. eine Aktivservitut bleibt auch nach dem Eintritt der B. bestehen, denn das jetzt entstehende Recht wird dadurch nur verbessert (L. 11 § 1 quemadm. serv. am. 8, 6) 6 . 3
L. 12 § 2 fam. erc. 10,2: Res, quae sub condicione legata est, interim heredum est; et ideo venit in familiae erciscundae judicium et adjudicari potest cum sua scilicet causa, ut existente condicione eximatur ab eo cui adjudicata est. 4 Freilassung eines Sklaven L. 11 de manum. 40,1; Verwandlung eines Platzes in eine Grabstelle L. 34 de relig. 11,7. 5 L. 12 § 2 cit. (Note 3) L. 69 § 1 de legat. I L. 16 quib. mod. ususfr. 7,4 L. 11 § 1 quemadm. serv. amitt. 8,6 L. 105 h. t. 6 Man kann die angeführten praktischen Rechtssätze unter der Vorstellung zusammenfassen, dafs durch die bedingte Veräufserung der Rechtszustand der Sache ergriffen und eigentümlich gestaltet werde. Die Quellen nennen die Rechtslage causa rei (Note 3), Neuere sprechen von Gebundenheit der Sache. J h e r i n g in seinen Jahrb. X S. 387 fg.; S c h e u r l , Nebenbestimmungen S. 123; W i n d s c h e i d
Die juristischen Thatsachen.
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§ 1 .
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Das hier Gesagte gilt entsprechend für die Veräufserung von Forderungen und andere Rechte. Ferner, die Rechte, die aus einer bedingten Verfügung entspringen, haben die Eigentümlichkeit, dafs der Hauptgrund für ihr Dasein zu einer andern Zeit gelegt wurde, als da sie zur Entstehung kommen. Das hat die Folge, dafs manche Erfordernisse und Wirkungen nach jenem früheren Zeitpunkt beurteilt werden 7. Anläfslich dieser und ähnlicher Entscheidungen wird von römischen Juristen und in Kaiserkonstitutionell geäufsert: nach Eintritt der B. sei es so anzusehen, als ob das Rechtsgeschäft unbedingt abgeschlossen, oder auch: als ob das Recht schon mit der Geschäftserrichtung entstanden sei. Hieraus hat die neuere Jurisprudenz den Lehrsatz gebildet: die Erfüllung der B. hat rückwirkende Kraft. Die Vertreter dieses Dogma sind freilich über Sinn 8 , Umfang 9 und Grund 1 0 verschiedener Meinung. Doch kann dies ununtersucht bleiben, denn der Lehrsatz ist überhaupt unhaltbar 11. 1. Für gewisse Erfordernisse der Rechtsentstehung entscheidet § 89 N. 3. Dagegen wendet E n n e c c e r u s , Rechtsgeschäft S. 165 unter dem Beifall von D e r n b u r g I § 111 N. 5 ein, jene Gebundenheit sei ein Name, nichts weiter. Allerdings nur ein Name, aber für eine Vorstellung wie z. B. Rückwirkung. Es kommt nur darauf an, ob die Vorstellung berechtigt ist. Das scheint mir nicht zweifelhaft. 7 Die Handlungsfähigkeit der Verfügenden (L. 26 de stip. serv. 45,3 mit pr. J. de stip. serv. 3,17), die Eigenschaft einer Forderung als Gesellschaftsforderung (L. 27 pro socio 17,2). Ferner L. 78 pr. V. 0. 45,1 L. ult. de stip. serv. 45,3. E n n e c c e r u s a. a. 0. S. 455 fg 8 Einige erblicken in der Rückwirkung einen geheimnisvollen Vorgang. B r i n z S. 1446 fg., 2. A. § 536; E. Z i m m e r m a n n , Stellv. Neg. gestio S. 192 fg.: „ein Vorkommnis, das weder in der Natur- noch in der Geisteswelt ein Analogon hat." Gemäfsigter D e r n b u r g I § 111 und E n n e c c e r u s a. a. 0. S. 337. 9 Die Rückwirkung soll gelten a) nur für den Erwerb des Rechts, nicht für seine praktische Wirksamkeit ( W ä c h t e r , Ρ. § 78 Beil. II—IV); b) nur für die aufschiebende B. ( K o p p e n , Jher. Jahrb. X I S. 191); c) nur für die auflösende ( W i n d s c h e i d § 91); d) nur für obligatorische Verträge, nicht für die dinglichen, nicht für die Vermächtnisse (Enneccerus S. 334 fg.). 10 Mutmafsliche Absicht der Parteien ( P u c h t a , Vorl. § 61), Wesen der Β ( B r i n z a. a. 0.; K o p p e n a, a. 0. S. 175 Note). 11 Den ersten nachhaltigen Angriff auf das Dogma hat W i n d s c h e i d ausgeführt im akademischen Programm: Die Wirkung der erfüllten Bedingung, Basel 1851; vgl. Pand. § 91. Nach ihm sind als Gegner aufgetreten: E i s e l e , Civ. Arch. L Abh. 14, 15 (1867); J h e r i n g in seinen Jahrb. X S. 528 fg. (er nimmt bedingte Versprechen aus); W e n d t , Die Lehre vom bedingten Rechtsgeschäft S. 96 fg.; A d i c k e s , Die Lehre von den Bedingungen S. 91 fg., im wesentlichen B e k k e r I I § 116 mit § 114 Beil. II.
Erstes B c h .
Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
der Zeitpunkt des Bedingungseintritts, nicht der Geschäftserrichtung: Dasein des Gegenstands, Möglichkeit der Leistung 12 . 2. Die Verjährung des Anspruchs aus einer bedingten Obligatio läuft erst vom Eintritt der B. (L. 213 V. S. 50, 16 C. 7 § 4 de praescr. XXX ann. 7, 39). 3. Rechte, die der Zwischeneigentümer zu Gunsten der Sache erworben hat, gehen mit Eintritt der B. nicht unter (oben litt. c.). 4. Für die in diem addictio bezeugt die NichtrückWirkung L. 4 § 4 i. f. de in diem add. 18, 2. 5. Gemäfs dem erwähnten Dogma mülsten nach Eintritt der B. von clem bisherigen Eigentümer alle Nutzungen der Zwischenzeit herausgegeben oder vergütet werden. Dies steht mit der regelmäfsigen Absicht der Parteien wenigstens bei der aufschiebenden B. in Widerspruch, die Verfügung ist in der Regel gemeint: wenn und von da an 1 3 . Für die auflösende B. läfst sich überhaupt keine Regel aufstellen 14 . 6. Keinen Beweis für das Dogma liefert L. 16 de sol. 46, 3. Denn wenn eine bedingte Schuld erlassen (acceptoferiert) wird, so steht sofort fest, dafs der Schuldner nicht zu leisten hat, nur der Grund der Befreiung ist noch unentschieden. Es giebt allerdings im römischen Recht Schwebeverhältnisse, bei denen eine Rückwirkung platz greift 15 . Allein bei diesen ist im Gegensatz zu den bedingten Verhältnissen der Rechtszustand in der Zwischenzeit nicht geregelt, es liegt ein juristisches Vakuum vor, das erst nachträglich ausgefüllt wird. Nachahmungswert sind diese römischen Künsteleien nicht. 12 L. 61 C. E. 18,1 L. 8 pr. i. f. de per. et comm. 18,6 L. 10 § 5 J. D. 23,3 L. 31, 98 pr. V. 0. 45,1 L. 14 pr. L. 27 de novat. 46,2. 13 L. 8 V. 0. 45,1 L. 22 pr. quando dies legati 36,2. A. M. B r i n z S. 1447fg., 2. A. § 536. Dafür aber E n n e c c e r u s , Rechtsgeschäft S. 192 fg., 335, 343; B e k k e r § 114 Beil. I I D. 14 Aus den Quellenbeispielen eine Regel abzuleiten, wie W i n d s c h e i d § 91 und Enneccerus S. 204 thun, ist gewagt. Vgl. W ä c h t e r § 78 a. E. u. Beil. IV. 15 L. 12 § 5 L. 68 § 2 L. 70 pr. § 1 de usufr. 7,1 (Ergänzung der Herde aus dem Nachwuchs) L. 25 § 1 eod. L. 43 § 2 ARD. 41,1 und die böse Folge in L. 43 § ult. de aed. ed. 21,1 (Sklavenerwerb). K u n t z e , Der servus fructuarius (1889) S. 65 fg.; S a l k o w s k i , Zur Lehre vom Sklavenerwerb (1891) S. 197 fg.
Die juristischen Thatsachen.
b.
Die Rechtsgeschäfte.
§
1 .
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Das befristete Rechtsgeschäft*.
§ 157. aa. B e g r i f f , A r t e n und Z u l ä s s i g k e i t der Z e i t bestimmungen. Es kann im Interesse der Parteien liegen, die Wirksamkeit ihrer rechtsgeschäftlichen Verfügung zeitlich einzugrenzen, entweder von einem späteren Zeitpunkt erst beginnen oder mit einem späteren Zeitpunkt endigen zu lassen. Die hierauf gerichtete Beliebung heifst Z e i t b e s t i m m u n g , Termin, dies. I. Die Zeitbestimmung ist Anfangstermin, wenn sie die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts ganz oder teilweise hinausschiebt (aufschiebende Befristung). Sie ist Endtermin, wenn sie der Wirksamkeit ein Ziel setzt (auflösende Befristung) 1. Sofort fällt die Verwandtschaft mit der Bedingung auf. Beide beruhen auf Parteiwillkür und sind nicht gesetzliche Erfordernisse des Rechtsgeschäfts ; man hat darum auch die ZB. eine Selbstbeschränkung des Willens genannt, wogegen das oben Gesagte gilt (§ 151 I I 2). Beide machen die rechtliche Wirkung des Geschäfts von einem künftigen Umstand abhängig, der möglich sein mufs 2. Aber im Gegensatz zur Bedingung ist bei der ZB. sofort gewifs, dafs der Umstand eintreten wird, wenigstens bei der ZB. in ihrer reinen Erscheinung. Daher fällt hier der Schwebezustand weg, der vom bedingten Rechtsgeschäft untrennbar ist. II. Die nächstliegende Gestalt der ZB. ist die Anknüpfung an eine Zeit, die entweder nach dem Kalender feststeht (zahlbar am 14. Juni 1893, gemietet für das Jahr 1894) oder sofort berechnet werden kann (drei Wochen a dato, auf zwei Jahre). Die Neueren * S a v i g n y I I I § 125—127; S c h e u r l , Zur Lehre von den Nebenbestimmungen bei Rechtsgeschäften (1871) S. 6—19, 22—69; P f a f f und H o f m a n n , Kommentar z. allg. österr. GB. I I S. 598fg. (1885); E n n e c c e r u s , Das Rechtsgeschäft (1889) S. 192—218, 307—334, 422—440, 482-498; Siméon, Das befristete Rechtsgeschäft (1889 Berl. Preisschrift). 1 Die Neueren sprechen vom dies a quo und ad quem, die Quellen von ex die seu tempore und in diem, ad diem seu tempus § 2 J. V. 0. 3,15 L. 213 pr. V. S. 50, 16 L. 4 pr. de serv. 8,1 L. 1 pr. pro socio 17,2. 2 Für die ZB. : Ungültigkeit eines Wechsels, dessen Fälligkeit auf den 30. Febr. bestimmt ist (Seuff. X I I I 162) oder auf einen Zeitpunkt, der vor dem Ausstellungstag liegt (Seuff. XXV 66).
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Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
nennen dies dies certus an certus quando. Eine reine ZJi. liegt auch dann vor, wenn gewils ist, dafs das mafsgebende Ereignis eintritt, aber ungewifs, wann es eintreten wird (sog. dies certus an, incertus quando)3. Sobald aber ungewifs ist, ob das Ereignis eintritt, enthält die Verfügung neben der Befristung eine Bedingung, mag der Tag, an dem das Ereignis eintreten kann, bestimmt sein (z. B. an seinem 25. Geburtstag, sog. dies incertus an, certus quando) oder unbestimmt (z. B. an seinem Hochzeitstag, sog. d. incertus an et quando)4. An die Verfügung unter einer ungewissen ZB. knüpfen sich die Wirkungen der Bedingung. Es kann aber die darin enthaltene ZB. auch selbständig zur Geltung kommen (ein Fall § 154 a. E.). Daher vermeidet man besser den Ausdruck : die ungewisse ZB. sei eine Bedingung. Wegen der Wichtigheit des Unterschieds zwischen einer gewissen und einer ungewissen ZB. müssen im einzelnen Fall zur Ermittlung der Parteiabsicht die gesamten Umstände geprüft werden, die Wortfassung ist oft trügerisch. Mit dem Vermächtnis: „Titius soll 3 Jahre nach meinem Tod 1000 Mk. erhalten", kann gemeint sein, das Vermächtnis solle sofort nach dem Tode des Erblassers erworben werden und nur die Auszahlung verschoben sein (dies certus), oder Titius solle das Vermächtnis nur erhalten, wenn er nach den 3 Jahren noch lebt (dies incertus) 5. III. Die Festsetzung eines Anfangs- oder Endtermins beruht nicht auf einer besonderen Willenserklärung, die der auf Begründung oder Aufhebung eines Rechts gerichteten angehängt wird : die Willenserklärungunter einerZB. ist ein einheitlicher Willensakt6. Man darf demnach 3
L. 79 pr. de cond. et dem. 35,1: cum Titius morietur. G r a w e i n , Verjährung und gesetzl. Befristung I S. 186 fg. macht zwischen der ersten und der zweiten Art der Befristung einen begrifflichen Unterschied und zieht daraus Folgen für die Beweislast. 4 L. 30 § 4 de legat. I L. 1 pr. § 2 L. 75 de cond. et dem. 35,1 L. 21 pr. L. 22 pr. quando dies legati 36,2 L. 38 § 16 V. 0. 45,1; B e k k e r § 114 Beil. II. 5 L. 4 quando dies leg. 36,2 mit L. 5 § 1 eod. L. 75, 79 § 1 de cond. et dem. 35,1 mit L. 48 [46] ad SC. Treb. 36,1. Seuff. I. 268 I I 316 VII 277 X I 261 XV 38, 190 X X X I I 12, 60, 61 RGE. V I I I Nr. 35 S. 140 Nr. 49 S. 190. Eine reine ZB. enthält: „Schuldner soll zahlen nach seiner Bequemlichkeit." ROHG. I I Nr. 44 S. 185 X Nr. 49 S. 234 Seuff. X X I X 226 u. Nachw. Vgl. aber auch Seuff. XXIV 226. 6 Ebenso für den Anfangstermin Enneccerus a. a. O. S. 211 fg., für den Endtermin C z y h l a r z , Resolutivbedingung S. 6fg. Aber auch hier mufs man sich hüten, aus der Einheit dos Willensakts einen Schlufs auf die Beweislast zu ziehen. Die Frage, ob den Kläger oder den Beklagten bei der Bestreitung einer ZB. die
Die juristischen Thatsachen.
Die Rechtsgeschäfte.
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die ZB. weder eine Nebenwillenserklärung noch eine Nebenbestimmung nennen (§ 165 II). IV. Es giebt Rechtsgeschäfte, die eine Befristung nicht vertragen : vor allem dieselben, die der Bedingung widerstreben (§ 153 II), aufserdem Erbeinsetzung und Enterbung. Aber nur bei den ersteren Rechtsgeschäften bewirkt die Beifügung einer Befristung Nichtigkeit, bei Erbeinsetzung und Enterbung wird sie als nicht geschehen behandelt 7 . § 158. bb. W i r k u n g der Z e i t b e s t i m m u n g . Der Anfangstermin schafft einen Zwischenraum zwischen dem Abschlufs des Rechtsgeschäfts und seiner normalen Wirksamkeit; es fragt sich: wie ist der Rechtszustand in der Zwischenzeit? Der Endtermin will der Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts ein Ziel setzen; es fragt sich: wie verwirklicht sich dies? I. Was die Frage für den A n f a n g s t e r m i n betrifft, so ist die Antwort nicht für alle Rechtsgeschäfte dieselbe1. 1. Die vertragsmäfsige Verpflichtung einer Person, an einem bestimmten Tage zu leisten — weitaus die häufigste Anwendung des Beweislast trifft, kann überhaupt nicht allgemein, sondern nur mit Rücksicht auf die Beschaffenheit der durch das Rechtsgeschäft beabsichtigten Wirkungen beantwortet werden. Gegen die einförmige Lösung auch B e k k e r § 114 Beil. I. Über dessen eigne Unterscheidung vgl. H o l d e r § 53 A. 1. Die Schriftsteller über diese Frage sind angeführt bei W i n d s c h e i d § 96 N. 2, dazu E n n e c c e r u s a. a. 0. S. 215 fg. 7 L. 77 R. J. 50, 17 L. 34 de her. inst. 28,5; E n n e c c e r u s , Begriff und Wirkung der Suspensivbedingung und des Anfangstermins S. 9fg.; Simeon a. a. 0. S. 3fg. 1 Anders die meisten Schriftsteller, die sich aber wiederum in zwei Gruppen scheiden : a. der Anfangstermin verschiebe nicht die Entstehung der normalen Wirkung, sondern nur dessen Ausübung. S a v i g n y § 126; P u c h t a § 62; D e r n b u r g I § 114, der jedoch für die Eigentumsübertragung die zweite Ansicht vertritt. Warum ist dann — fragt B e k k e r I I S. 311 mit Recht — der Anfangstermin bei der Erbeinsetzung unzulässig? b. Die Wirkung des Rechtsgeschäfts tritt immer erst mit dem Termin ein. U n g e r I I § 83 N. 6fg.; A r n d t s § 73 A. 6; W i n d s c h e i d § 96 N. 5; ähnlich B e k k e r § 114 Beil. III, aber mit Annahme eines sofortigen vorläufigen Rechts im Gegensatz zum Vollrecht. Übrigens ist die Ansicht, dafs keine allgemeine Antwort gegeben werden könne, nicht neu. Schon F r i t z , Erläuterungen zu Wening-Ingenheim I S. 197 hat es betont. Wie unterschieden werden müsse, wird nicht gleich beantwortet: am befriedigendsten von S c h e u r 1 a. a. 0. S. 29 fg. ; Ε η n e c c e r u s, Rechtsgeschäft S. 307 fg., 422 fg., 482 tg. ; S i m e o n a. a. 0. S. 10 fg. Binding,
Handbuch. I. 7. I : Reg e i s b e r g e r , Pand. I.
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Anfangstermins — erzeugt sofort alle Wirkungen einer unbetagten Obligatio mit der einen allerdings wichtigen Ausnahme, dafs der Schuldner zur Erfüllung weder unmittelbar noch mittelbar (z. B. durch Kompensation) gezwungen werden kann. In der That betrachtet sich der Empfänger eines in 3 Jahren rückzahlbaren Darlehns sofort als Schuldner wie der Geber sich als Gläubiger. Dies ist auch, richtig ausgelegt, der Standpunkt der Quellen2. In der freiwilligen vorzeitigen Erfüllung liegt eine Tilgung der Schuld; die Leistung kann auch dann nicht zurückgefordert werden, wenn sie in irrtümlicher Annahme der Fälligkeit erfolgt ist (L. 10 de condict. indeb. 12, 6). Der Gläubiger kann nicht einmal das vorzeitige Erfüllungsangebot zurückweisen, ohne in Verzug der Annahme zu kommen, ausgenommen, die Frist ist nicht in dem Sinn gesetzt, dafs spätestens an diesem Termin geleistet werden soll, sondern in dem seltneren, dafs gerade an diesem Tag, nicht früher und nicht später zu leisten ist 3 . Das Gesagte gilt auch für die obligatorische Wirkung des betagten Vermächtnisses vom Zeitpunkt des Erbschaftserwerbs an 4 . 2. Wird bei der Eigentumsübertragung bestimmt, dafs das Recht erst an einem gewissen Tag auf den Empfänger übergehen soll, so bleibt der Veräufserer vorerst Eigentümer, der Empfänger ist es noch nicht, er hat nur die gesicherte Aussicht, es zu werden 6. Zum Schutz des Empfängers unterliegt das Verfügungsrecht des Veräufserers in der Zwischenzeit einer ähnlichen Schranke, wie sie für die bedingte Veräufserung entwickelt wurde (§ 156 I I I ) 6 . 2
Paul. L. 46 pr. V. 0. 45,1: praesens obligatio, in diem autem dilata solutio. Ulp. L. 7 de compens. 16,2 L. 213 V. S. 50, 16; dazu § 2 J. V. 0. 3, 15. Allerdings kommt auch die Wendung vor, dafs die Obligatio erst mit der Fälligkeit beginnt. Da dies aber von denselben Juristen ausgesprochen wird (Paul. L. 44 § 1 0 . e. A. 44,7 Ulp. L. 41 § 1 V. 0. 45,1), so ist darunter offenbar nur die Obligatio mit Erfüllungszwang verstanden. 3 Beisp. Verpflichtung zur Wechselzahlung ( T h ö l , Wechselr. 4. A. § 86 A II), Verpflichtung des Vermieters zur Einräumung einer Wohnung. Enneccerus a. a. 0. S. 332 4 Schwierigkeit bereitet L. 45 § 1 de legat. II. Wahrscheinlich handelte die Stelle ursprünglich vom Vindikationslegat. B r i n z 2. A. § 427 N. 52; Siméon S. 34fg., aber auch W i n d s c h e i d § 96 N. 5. 5 Betagte Eigentumsübertragungen sind seltene Erscheinungen im Verkehr. Daher fliefst das Quellenmaterial spärlich. Nur letztwillige Verfügungen dieses Inhalts sind erwähnt. L. 9 § 2 ususfr. quemadm. 7,9 L. 1 § 2 quib. mod. ususfr. 7,4. 6 Für das betagte Eigentumsvermächtnis hat aber Justinian die Veräufserung durch den belasteten Erben verboten. C. 3 § 2a comm. de legat. 6,43.
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Gleiche Wirkung äuisert die betagte Bestellung von beschränkten dinglichen Rechten,7 die betagte Cession und ein betagtes rechtsaufhebendes Geschäft. II. E n d t e r m i n . — Wenn die Parteien bei Begründung eines Rechts einen Endtermin beifügen, so geht ihre Absicht dahin, dafs mit diesem Zeitpunkt das Recht aufhöre zu bestehen. Mit andern Worten, sie wollen ein Recht schaffen, das in sich eine zeitliche Schranke trägt, ein besonders geartetes Eigentumsrecht, Pfandrecht, Forderungsrecht u. s. w. Es fragt sich, ob das positive Recht dieser Parteiabsicht die Sanktion verleiht. Das römische Recht hat sich dazu nur bei einigen Rechten verstanden: beim Niefsbrauch, Pfandrecht, Emphyteusis, Superficies und bei den Obligationen mit Ausnahme der Obligationen aus Stipulationen8 ; dagegen nicht bei dein Eigentum, den Grunddienstbarkeiten und den Stipulationsobligationen. Indes hat schon die klassische Jurisprudenz dem Endtermin bei der Bestellung von Grunddienstbarkeiten und bei Stipulationen mittelbare Wirkung beigelegt durch Gewährung einer exceptio gegen die Geltendmachung nach Eintritt des Endtermins 9. Justinian ging weiter und verordnete, dafs bei der Eigentumsübertragung aus Schenkung oder Vermächtnis beim Eintritt des Endtermins das Eigentum an den Veräufserer oder seine Erben zurückfallen soll. 10 7
N i e f s b r a u c h (durch Vertrag Fr. Vat. § 50 L. 4 de usufr. 7,1, durch Adjudikation L. 16 § 2 fam. erc. 10,2, dazu E n n e c c e r u s , Begriff der Suspensivbedingung S. 37, durch Vermächtnis Fr. Vat. § 49 L. un. § 3 quando dies ususfr. 7,3); G r u n d d i e n s t b a r k e i t e n (nach römischem Recht bewirkte allerdings der Anfangstermin keine Verschiebung der Rechtsentstehung sondern nur eine Hinderung der Ausübung, exceptio, L. 4 de serv. 8,1; der heutigen Rechtsanschauung entspricht die vollkommnere Wirkung; vgl. diesen § a. E.); P f a n d r e c h t (nach L. 12 § 2 qui pot. 20,4 bestimmt sich der A Iters vorzug nach der Verpfändung, nicht nach dem Anfangstermin ; man kann dies auffassen als Verschiebung der Rechtsentstehung mit einstweiliger Gebundenheit der Sache — so S i m é ο n S. 107 — oder als sofortige Rechtsentstehung mit Verschiebung der Ausübung; so S c h e u r l S. 32; E n n e c c e r u s , Rechtsgeschäft S. 491). 8 N i e f s b r a u c h (Fr. Vat. § 48, 50. 52 L. 15 quib. mod. ususfr. 7,4 L. 16 § 2 fam. erc. 10,2); P f a n d r e c h t (L. 6 quib. mod. pign. 20,6); E m p h y t e u s i s (L. 3 si ager vectig. 6,3); S u p e r f i c i e s (L. 1 § 3 de superf. 43,18); M a n d a t , S o c i e t ä t , M i e t e (L. 3 de procur. 3,3 L. 1 pr. pro socio 17,2 L. 14 locati 19,2; vgl. L. 52 § 3 de pact. 2,14). 9 E i g e n t u m (Fr. Vat. § 283); G r u n d d i e n s t b a r k e i t e n (L. 4 pr. de serv. 8,1 L. 56 § 4 V. O. 45,1); S t i p u l a t i o n e n (§ 3 J. V. 0. 3,15, L. 44 § 1 0. e. A. 44, 7 mit L. 72 de fidej. 46, 1). 10 C. 2 de donat. sub. modo 8, 54 [55] C. 26 de legat. 6, 37. Einige verstehen diese Stellen im Sinn einer obligatorischen Verpflichtung auf Rücküber37*
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Das Ziel der Rechtsentwicklung ist damit vorgezeichnet. Warum der Endtermin da unmittelbar dort mittelbar wirken, warum er bei der Eigentumsübertragung aus Schenkung und Vermächtnis zulässig und sonst unzulässig sein soll, dafür fehlt heute jeder Grund und das Verständnis. Als heutiges Recht ist anzuerkennen, dafs alle Vermögensrechte mit der Schranke begründet werden können, beim Eintritt des festgesetzten Zeitpunktes von selbst zu endigen11.
7. Die Stellvertretung *. § 159. a.
Begriff.
Rechtsfähigkeit, insonderheit Vermögensfähigkeit ist nahezu wertlos, wenn jede Möglichkeit fehlt, am Rechtsverkehr teilzunehmen. Da es nun Rechtsfähige giebt, die nicht geschäftsfähig sind (§ 131 bis 134), so erweist sich die Notwendigkeit einer Rechtseinrichtung, vermöge deren Andere für den Geschäftsunfähigen handeln können. Ein gleiches Bedürfnis entsteht aus der thatsächlichen Verhinderung, in eigener Person zu handeln, infolge von Krankheit, Abwesenheit, anderweitiger Beschäftigung u. s. w. Die Rechtseinrichtung nun, die den Einen zum Ersatz der mangelnden, den Andern zur Erweiterung der vorhandnen Geschäftsfähigkeit dient, ist die S t e l l v e r t r e t u n g . I. Die Stellvertretung ist eine Einrichtung des positiven Rechts1. Hieraus folgt ihre Beschränkung auf Rechtsgeschäfte, auf die Entgegennahme von rechtsgeschäftlichen Erklärungen und auf Reehtsausiibungsbandlungen. In unerlaubten Handlungen giebt es keine Stellvertretung. Wer im Auftrag eines Andern einen Diebstahl betragung.
C z y h l a r z , Resolutivbedingung S. 6 fg.; B r i n z S. 1525 fg. 2. A. § 552.
Hätte 1es dazu eines kaiserlichen Eingreifens bedurft? 1 Dies auch die herrschende Ansicht. W i n d s c h e i d § 96 N. 6; D e r n b u r g I § 114 a. E.; B e k k e r § 114 Beil. I I I B. A. M. B r i n z a. a. 0. * B u c h k a , Die Lehre von der Stellvertretung bei Eingehung von Verträgen (1852), schätzbar wegen des dogmengeschichtlichen Inhalts. B r i n z , Kritische Blätter civil. Inhalts Nr. 2 (1852); S c h e u r l , Krit. Überschau I S. 315fg. (1853) und in Jherings Jahrb. I I Abh. 1 (1858); J h e r i n g in seinen Jahrb. I Abh. 7 (1857), I I Abh. 3 (1858); L a b a n d , Z. f. Handelsr. X S. 183fg. (1866); S c h l i e mann ebenda X V I S. 1 fg. (1871), G a r e i s , Verträge zu Gunsten Dritter (1873) S. 3—50; C u r t i u s , Civ. Arch. L V I I I Abh. 2 (1875); Z i m m e r m a n n , Die Lehre von der stellvertretenden Negotiorum Gestio (1876); H e l l m a n n , Die Stellvertretung in Rechtsgeschäften (1882); M i t t e i s , Die Lehre von der Stellvertretung (1885). 1 L. 1 § 2 de procur. 3, 3 Paul. V, 2 § 2: utilitatis causa receptum est.
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geht, macht sich selbst des Diebstahls schuldig. Zwar wird auch der Auftraggeber verantwortlich, aber aus seiner eigenen Handlung, aus der Anstiftung 2. II. Der Stellvertreter handelt nicht im eignen Interesse, er will durch seine Handlung rechtliche Wirkungen für einen Andern hervorbringen. Mit Rücksicht auf diesen Erfolg ist das Rechtsgeschäft, bei dem er thätig ist, ein ihm fremdes Geschäft. Die Stellvertretung ist daher Mitwirkung bei einem fremden Rechtsgeschäft. Aber nicht jede Mitwirkung bei einem fremden Rechtsgeschäft ist Stellvertretung. Vor allem heben sich vom Stellvertreter diejenigen Teilnehmer am Rechtsgeschäft ab, welche nur einen thatsächlichen Dienst leisten. Die Dienstleistung ist rein thatsächlich, wenn der Erfolg nicht davon abhängt, dafs der Wille des Mitwirkenden gerade auf die Hervorbringung des Rechtsgeschäftes gerichtet ist 3 . Dies gilt vom Schreiber der Vertragsurkunde, vom Dolmetsch, vom Briefträger. Deshalb kann diese Mitwirkung auch von einem Handlungsunfähigen geleistet werden. Juristisch wirken bei einem Rechtsgeschäft mit der Notar, die Urkundsperson, der Beistand, der Stellvertreter 4. Unter ihnen kennzeichnet den Stellvertreter, dafs er s t a t t des Vertretenen handelt, nicht neben ihm, dafs er in der Absicht thätig wird, das eigne Handeln des Vertretenen zu ersetzen. Stellvertreter ist, wer durch seine Willensbethätigung für einen Andern und statt desselben mit der Absicht ein Rechtsgeschäft errichtet oder eine Willenserklärung entgegennimmt, dafs die rechtlichen Wirkungen unmittelbar in der Person des Vertretenen entstehn5. 2 L. 1 § 13 L. 18 pr. i. f. de vi 43, 16 L. 13 i. f. quod. vi 43, 24 L. 11 § 3 de injur. 47, 10. Der Satz : in maleficio ratihabitio mandato comparatur (L. 153 § 3 R. J. 50, 17) beschränkt sich auf die Ersatzpflicht desjenigen, der sich die Vorteile einer für ihn begangenen unerlaubten Handlung in Billigung derselben aneignet. L. 1 § 14 L. 3 § 10 de vi 43, 16. M i t t e i s a. a. 0. S. 70, 257 Seuff. XLIV 166 (RG.). 3 Den Unterschied zwischen thatsächlicher und rechtlicher Mitwirkung hat zuerst J h e r i n g in seinen Jahrb. I S. 273 fg. scharf betont. Dazu U n g e r I I S. 130 N. 3 und L a b a n d Z. f. HR. X S. 191 fg. In den Quellen wird die thatsächliche Mitwirkung ministerium tantummodo praestare genannt, L. 15 de pec. const. 13, 5, in L. 24 § 2 de usuris 22, 1 officium implere. Die letztgenannte Stelle ist ein Beispiel dafür, dafs die römischen Juristen zuweilen den Begriff der thatsächlichen Dienstleistung gestreckt haben, um die Gültigkeit der Handlung gegenüber dem Ausschlufs der Stellvertretung zu retten. 4 L. 1 § 9, 10 de poss. 41, 2 § 6 J. de testam. ord. 2, 10. * Die Römer haben keine allgemeine Bezeichnung für Stellvertreter; sie kennen nur cognitores, procuratores, tutores, curatores. Über das Wesen des procurator
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Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
Insofern das Rechtsgeschäft durch die That des Stellvertreters hervorgebracht wird, läfst es sich als sein Rechtsgeschäft bezeichnen, während es mit Rücksicht auf die Wirkungen ein ihm fremdes Geschäft ist. Darum sollte der Ausdruck Kontrahent in Anwendung auf Rechtsgeschäfte, die durch Stellvertreter geschlossen sind, ganz vermieden werden. Er ist zweideutig, man gebraucht ihn bald für den Stellvertreter, bald für den Träger des Rechtsverhältnisses6. III. Damit die rechtlichen Wirkungen aus dem Geschäft des Vertreters in der Person des Vertretenen entstehn, ist ein Weiteres erforderlich, ein Leitapparat, der den Vertretenen mit der Handlung des Vertreters in Verbindung bringt. Dieses Bindeglied ist die V o l l m a c h t , und ihr Ersatz, die n a c h t r ä g l i c h e Genehmigung. Die Vollmacht legt, wie das Wort besagt, in die Person des Vertreters die Macht, mit rechtlicher Wirkung für den Vertretenen zu handeln. Sie gehört nicht zum Begriff der Stellvertretung, die vollmachtlose Stellvertretung ist nicht minder Stellvertretung als die bevollmächtigte. Es ist nicht .einmal das vom vollmachtlosen Vertreter errichtete Geschäft schlechthin wirkungslos, weder so lange die Genehmigung aussteht noch nach deren Verweigerung (§ 164). IV. Als leitende Gesichtspunkte sind festzuhalten: die Handlung geht vom Vertreter aus, die Wirkung entsteht in der Person des Vestretenen. Daher bestimmt sich alles, was die Handlung angeht, nach der Person des Vertreters, die Möglichkeit der Wirkungen nach der Person des Vertretenen. Doch gilt beides nicht ohne Einschränkung. 1. Die Handlungsfähigkeit mufs der Vertreter besitzen und braucht nur er zu besitzen. Darum können Kinder, Geisteskranke und sonstige Geschäftsunfähige vertreten werden. Es genügt die allgemeine Geschäftsfähigkeit des Vertreters. Denn in der Aufstellung einer besondern Fähigkeit für eine Geschäftsart z. B. für die Eingehung von Wechselverpflichtungen liegt mehr eine Regelung der Rechts- als der Handlungsfähigkeit, nämlich der Fähigkeit, aus einem solchen Geschäft, gleichviel ob durch eigne oder fremde Handlung verpflichtet zu werden 7. Und selbst was die allgemeine Geschäftsfähigkeit anlangt, so kann, wer einen Minderjährigen oder selbst einen über 7 Jahre alten Unmündigen zu seinem Vertreter wählt oder mit ihm als VerS c h l o f s m a n n , Besitzerwerb durch Dritte S. 89—110, M i t t e i s S. 52—67 und K n i e p , Vacua possessio I S. 211—233. 6 Die Sache wird nicht besser, wenn man vom „eigentlichen" Kontrahenten spricht. 7 Im Ergebnis ebenso W i n d s c h e i d § 73 N. 19; D e r n b u r g I § 119 N. 4.
Die juristischen Thatsachen.
Die Rechtsgeschäfte.
§ 19.
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treter eines Andern ein Geschäft eingeht, die Verbindlichkeit dieses Geschäfts nicht wegen der Minderjährigkeit oder Unmündigkeit des Vertreters bestreiten 8. 2. Die Fähigkeit, die durch das Rechtsgeschäft bezweckten Rechte zu erwerben und Verbindlichkeiten zu übernehmen, mufs in der Person des Vertretenen vorhanden sein. Ebenso bestimmt sich nach seiner Person der Erwerb von Rechtswohlthaten. 3. Verleiht die Persönlichkeit der Partei dem Rechtsgeschäft eine besondere Eigenschaft z. B. die Eigenschaft eines Handelsgeschäfts, wenn die Partei ein Kaufmann ist, so entscheidet dafür bei der Errichtung durch einen Vertreter die Persönlichkeit des Vertretenen. 4. Die Frage, ob und worüber bei einem Vertragsschlufs ein Einverständnis erzielt ist, bestimmt sich auf der Seite, wo ein Vertreter thätig war, im allgemeinen nach dem Willen und der Auffassung des Vertreters 9. Der Vertrag zerschlägt sich, wenn z. B. die Erklärung des Vertreters auf eine andere Sache gerichtet ist als die des Vertragsgegners. Sind umgekehrt diese beiden Personen einig, so schadet nicht, dafs der Vertretene eine andre Sache im Auge hatte, die Vollmacht des Vertreters zur Wahl der Sache vorausgesetzt10. Indes ist ein Irrtum des Vertreters unschädlich, wenn der Auftrag des Vertretenen dahin ging, diejenige Sache zu erwerben bezw. zu veräufsern, auf die der Wille des Vertragsgegners gerichtet ist, und zwar gerade um den verabredeten Preis. Denn unter diesen Umständen verletzt der Irrtum kein Interesse 11. 5. Hängt eine rechtliche Wirkung davon ab, dafs ein Vertragsteil beim Geschäftsabschlufs von einem Umstand Kenntnis besafs z. B. 8
L. 7 § 2 de inst. act. 14, 3: quoniam sibi imputare debet, qui eum praeposuit. L. 1 § 4 de exerc. act. 14, 1. Es liegt aber darin nicht ein handels- oder gewerbrechtliches Sonderrecht, wie B a r o n , Krit. VJSchr. XXIV S. 52 u. Z. f. HR. X X V I I S. 134 meint. L. 3 § 11 L. 4, 23 de minor. 4, 4. Eigentümlich M i t t e is S. 266 fg. 9 Die Entscheidungen des römischen Rechts über die hier und in Ziff. 5 behandelten Fragen können für das heutige Recht nur mit Vorsicht verwertet werden. Sie sind zum grofsen Teil nicht für die Stellvertretung berechnet, sondern für die Geschäfte entweder der Gewaltunterworfenen oder eines Prokurators, der für fremdes Interesse im eignen Namen handelte. L. 12, 13 C. E. 18, 1 L. 51 pr. § 1 de aed. ed. 21, 1 L. 16 § 2 - 4 L. 17, 22 § 5 de liber, causa 40, 12 L. 2 de litig. 44, 6. Darüber M a n d r y , Familiengüterrecht I S. 120 fg. 127 fg.; H e l l m a n n S. 155 fg.; M i t t e i s S. 272 fg.; Dunkhase Civ. Arch. L X X V I I S. 111 fg. Weitere Litteratur bei W i n d s c h e i d § 73 N. 18-21. 10 RGE. I Nr. 4 S. 9; B ä h r Urteile S. 3 - 6 . 11 Wie jede Irrtumsfrage mufs auch die vorliegende vom Interessenstandpunkt gelöst werden. Danach hört L. 34 § 1 de poss. 41, 2 auf, eine crux zu sein.
Erstes B c h .
Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
von der Fehlerhaftigkeit der gekauften Sache, so entscheidet das Wissen des Vertreters. War dem Vertreter des Käufers der Fehler bekannt, so haftet der Verkäufer nicht (L. 51 pr. de aed. ed. 21, 1, erster Fall). Doch kann sich der Vertretene nicht hinter die Unkenntnis seines Vertreters verschanzen, wenn er zum Kauf dieser Sache um den verabredeten Preis Auftrag gegeben hat; denn er bekommt die Sache, wie er sie haben wollte. Das Gegenteil hiefse Treu und Glauben verletzen (L. 51 pr. cit., zweiter Fall) 1 2 . V. Die hier vertretene Auffassung von der Stellvertretung — man kann sie Repräsentationstheorie nennen — ist weit entfernt, allgemein geteilt zu werden 13. 1. Nach einer Ansicht ist beim Abschlufs eines Rechtsgeschäfts durch Stellvertreter die juristisch handelnde Person nicht der Vertreter, sondern der Vertretene, indem er sich des Vertreters als thatsächlichen Werkzeugs bediene14. Von diesem Standpunkt ist vor allem unerklärlich, dafs völlig handlungsunfähige Personen, Kinder, Geisteskranke vertreten werden können. Man sieht sich zu dem Ausweg gedrängt, zwischen der gesetzlichen und der gewillkürten Vertretung eine begriffliche Verschiedenheit anzunehmen. Allein der Stellvertreter handelt da und dort in gleicher Weise. Es läuft aber selbst bei der gewillkürten Vertretung auf eine Fiktion hinaus, wenn bei dem Geschäftsabschlufs durch den Vertreter auf Grund einer Generalvollmacht ein Mithandeln des Vertretenen unterstellt wird, trotzdem dafs dieser vom Vorgang keine Kenntnis hat und trotzdem dafs nicht selten das Geschäft seinem Willen keineswegs entspricht. Wie ist ferner nach dieser Auffassung die Gebundenheit des Vertragsteils zu rechtfertigen, der mit einem vollmachtlosen Vertreter abgeschlossen hat? 2. Andere streben eine Vermittlung zwischen der vorigen Auffassung und der Repräsentationstheorie an. Sie gehn sämtlich davon aus, dafs beim Geschäftsabschlufs ein Zusammenwirken von Vertreter und Vertretenen stattfinde. Im übrigen weichen sie von einander ab 1 5 . Am meisten verdient die von M i t t e is entwickelte 12
Besondere Regeln gelten für die bona fides als Erfordernis für den Erwerb dinglicher Rechte: Ersitzung, handelsrechtlicher Erwerb nach HGB. Art. 306. 13 Eine kritische Übersicht über die verschiedenen Theorien geben H e l l m a n n S. 1—38 und M i t t e i s S. 84—109. 14 S a v i g n y , Obl.R. I I S. 57 fg., in früherer Zeit D e r n b u r g Heidelb. Krit. Z. I S. 16 fg. und Pand. 1. Aufl. I § 117 N. 7; H e l l m a n n a. a. O. S. 8 fg. 19 fg. 15 Dahin gehören die Doppelvertragstheorien von T h ö l , Handelsr. 5. Aufl. § 69, 70 und K o p p e n , Jher. Jahrb. X I S. 313, 359. Nach T h ö l schliefst jeder,
Die juristischen Thatsachen.
Die Rechtsgeschäfte.
§ 19.
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Theorie Beachtung: Vertreter und Vertretene handeln, jeder insoweit als sein konkreter Wille für die Erklärung juristischer Bestimmungsgrund ist und in ihr zum Ausdruck gelangt; das Beteiligungsmafs ist im einzelnen verschieden und reicht von der konkreten Willenlosigkeit des Vertreters (z. B. bei einem über alle Punkte des Geschäfts sich verbreitenden Auftrag) bis zur konkreten Willenlosigkeit des Vertretenen (z. B. bei einer ganz generellen Vollmacht) 16 . Dafs sich diese Erklärung hie und da mit einem inhaltlosen Willen begnügt, ist schon sehr bedenklich; sie läfst uns überdies für die gesetzliche Vertretung im Stich. 3. Manche Juristen halten auch für die Stellvertretung daran fest, dafs die Wirkungen des Rechtsgeschäfts zunächst in der Person des Vertreters entstehn. Die Überleitung auf den Vertretenen werde hinsichtlich des Erwerbs durch die Abtretung des Rechts bewirkt, hinsichtlich der Verpflichtung durch die adjektizische Mithaftung des Vertretenen, wobei sowohl die Klage gegen den Vertreter als die Klage des Vertreters durch die exceptio doli gehindert werde 17 . Dies steht im schneidenden Widerspruch mit der Rechtsauffassung der Gegenwart und mit dem klaren Wortlaut der diese Rechtsauffassung wiedergebenden neuern Gesetze18. Und wie ist es mit der Vertretung in einem Befreiungsgeschäft? VI. Nach der Repräsentationstheorie fallen Handlung und Wirkung beim Rechtsgeschäft durch Stellvertreter auseinander. Daran hat man schweren Anstofs genommen19, aber nur indem man übersah, dafs es der mit einem Vertreter kontrahiert, einen Vertrag mit dem Vertreter (Grundvertrag) und einen mit dem Vertretenen (Hauptvertrag). Der Vertretene habe in der Bevollmächtigung seinen allgemeinen Vertragswillen ausgesprochen, der Vertreter erzeuge ihm auf Grund der Vollmacht einen konkreten, den präcisen Willen. Willenserzeugung durch einen Andern?! K o p p e n erblickt in der Bevollmächtigung ein Versprechen des Vertretenen, aus dem Geschäft des Vertreters haften zu wollen, eine Offerte, welche das Publikum (?) durch den Vertragsschlufs mit dem Vertreter acceptiert! Und wie bei der Ratihabition? 16 M i t t e i s S. 109—126, 131, 202. Ihm schliefst sich D e r n b u r g I § 117 N. 9 seit der 2. Auflage an. Mit Beschränkung auf das Specialmandat vertritt denselben Standpunkt D u n k h a s e , Civ. Arch. L X X V I I S. 112 fg. Gegen die Theorie Z o l l , Grünhuts Ζ. XIV S. 225 fg. 17 Puchta § 273, 275, 279; V a n g e r o w § 608. Zu einer ähnlichen Auffassung sieht sich B ä h r , Jher. Jahrb. V I S. 290 u. a. durch seine Begründung der Vertreterhaftung gedrängt (§ 164 N. 18). 18 HGB. Art. 52, 298; Preufs. Ldr. I, 13 § 85, 153; Sächs. GB. § 788, 1317. 19 Selbst Anhänger der Repräsentationstheorie wie W i n d s c h e i d § 73 N. 16b, der mit dem deus ex machina tier Fiktion helfen zu müssen und zu können glaubte. Abgesehen von der Täuschung führt die Vorstellung, dafs der Vertretene handle,
6
Erstes B c h .
Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
sich um rechtliche, nicht um thatsächliche Wirkungen handelt. Alle Rechtswirkungen bewegen sich im Bereich der Gedankenwelt und verdanken einem Spruch der Rechtsordnung ihr Dasein. Dieselbe Kraft, welche die Wirkung der im eignen Namen vorgenommenen Handlung vermittelt, läfst unter gewissen Voraussetzungen für eine Person Wirkungen aus einer fremden Handlung entspringen. Auch die Entstehung der Rechtswirkung aus eigner Handlung beruht nicht auf einem Naturkausalismus.
§ 160. b.
Abgrenzung der Stellvertretung.
Das Wesen der Stellvertretung tritt schärfer heraus, wenn es an verwandten Erscheinungen gemessen wird. Eine solche ist 1. der B o t e , nuntius. Wir nennen so eine Person, die in unserm Auftrag einein Andern etwas überbringt. Ist der Gegenstand des Auftrags eine Willenserklärung, so kann die Übermittlung in zweifacher Weise geschehen: entweder dem Boten wird ein Brief, in dem die Willenserklärung enthalten ist, zur Besorgung übergeben, oder der Auftraggeber giebt dem Boten seine Willenserklärung kund, um sie dem Adressaten zu berichten. Dort schafft die für den Adressaten bestimmte Erklärung der Absender, hier der Bote. Dort empfängt der Adressat die Willenserklärung des Absenders im Original, hier in der Wiedergabe durch den Boten. Dort ist der Bote Briefträger (Transportwerkzeug), hier lebendiger Brief (Erklärungswerkzeug) \ Der Unterschied ist nicht müfsig. Denn die Übermittlung des die Willenserklärung enthaltenden Briefes kann auch durch einen andern als den Boten gültig erfolgen z. B. durch den Finder des vom Briefträger verlorenen Briefs, die Übermittlung einer mündlichen Botschaft nur durch den Beauftragten 2. Der Bote als Erklärungszu falschen Folgen z. B. hinsichtlich der Handlungsfähigkeit. In der Wendung, die W. seiner Auffassung seit der 5. Auflage gegeben hat, liegt keine Besserung. 1 Für den Gegensatz giebt ein Beispiel die Vermittlung der Briefpost einerseits und der Telegraphenanstalt andrerseits. Unbegründete Bedenken gegen die Auffassung des Telegraphenbeamten als Boten bei L u d ewig, Z. f. HR. XXXV S. 19. Nicht hierher gehört das Telephon, das eine Art Sprachrohr ist und einen unmittelbaren Verkehr der Parteien ermöglicht. 2 L. 33 de poss. 41, 2; S c h l i e m a n n , Z. f. HR. X V I S. 1 fg.; Z i m m e r m a n n , Stellv. Neg. gestio S. 19 fg.; K ü h n , Jher. Jahrb. X V I S. 13; A. M. H o l d e r , Civ. Arch. L X X I I I S. 113 fg.
Die juristischen Thatsachen.
Die Rechtsgeschäfte.
§ 1 .
5
Werkzeug grenzt an den Stellvertreter. Ein Stellvertreter, dem für alle Punkte des Geschäfts Weisung gegeben ist (erschöpfende Specialvollmacht), ist nicht viel mehr als ein Sprachrohr seines Auftraggebers. Andrerseits kann dem Boten eine beschränkte selbständige Entscheidung überlassen sein z. B. die Auswahl unter mehreren Sachen. Für die Feststellung der Eigenschaften im einzelnen Fall ist nicht die mehr oder weniger zufällige Ausdrucksweise des Beauftragten entscheidend, sondern ob er nach den gesamten Umständen nur eine Botschaft ausrichten und etwa entgegennehmen wollte, oder ob er das Geschäft mit dem andern Vertragsteil abmachte3. Ein Bote ist der M ä k l e r , Unterhändler, proxeneta. Er vermittelt den Vertragsschlufs zwischen zwei Personen, indem er im Auftrag einer Partei eine zur Eingehung des gewünschten Geschäfts geneigte Person ausfindig macht, ihr die Willenserklärung seines Auftraggebers berichtet und die Antwort zur Mitteilung an diesen entgegennimmt. Der Vertragsschlufs vollzieht sich unter Abwesenden und kommt erst mit der Kundgebung der Annahmeerklärung an den Antragsteller zur Vollendung. Der Mäkler ist gegenseitiger Bote, kein Stellvertreter 4. Allerdings werden Mäkler zuweilen als Stellvertreter oder als Kommissionäre verwendet; damit treten sie aus der Mäklersphäre heraus5. Das Wollen des Rechtsgeschäfts durch den Boten ist für die Entstehung nicht erforderlich. Daher kann auch ein Kind oder ein Geisteskranker als Bote verwendet werden. Darum ist auch die Auffassung des Boten vom Sinne der Erklärung gleichgültig. Wer wissentlich eine ihm nicht aufgegebene Botschaft berichtet, wird dem Adressaten für den daraus entstehenden Schaden verantwortlich, nicht weil er das Rechtsgeschäft gewollt, sondern weil er in dem Empfänger der Erklärung den irrigen Glauben an das Zustandekommen des Rechtsgeschäfts erweckt hat (actio doli). Seinem Auftraggeber haftet der Bote nach den Grundsätzen des zwischen ihnen bestehenden Rechtsverhältnisses (HGB. Art. 81). 3 L a b a n d , Z. f. HR. X S. 189 fg., von dem im Ergebnis M i t t e i s S. 128 fg. kaum abweicht. Gegen die Windscheidsche Formel, der Bote sei Vertreter in der Erklärung, der selbstabschliefsende Mittelsmann Vertreter im Willen, hat sich mit Recht Z i m m e r m a n n a. a. O. S. 17 fg. erklärt, 4 ROHG. VII Nr. 28 S. 105. Daher findet auf ihn HGB. Art. 55, 298 Abs. 2 keine Anwendung. ROHG. IV Nr. 86 S. 413; RGE. X I I Nr. 4 S. 17; Seuff. X L I 182. 5 Z. f. HR. V I I I S. 173 (OAG. Dresden) RGE. XX Nr. 9 S. 37, XXIV Nr. 13 S. 64; Seuff. X L I V 171. Über Häusermakler R a d l k o f e r , Bl. f. RA. in Bayern L V I S. 369 fg.
Erstes B c h .
Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
2. Über den Unterschied der Organe juristischer Personen von Stellvertretern s. § 82, 90. 3. Der Stellvertretung ist wesentlich, dafs der Handelnde in der Absicht thätig wird, die rechtlichen Wirkungen für den Vertretenen zu erzeugen. Es genügt nicht, dafs jemand durch sein Rechtsgeschäft Wirkungen für einen Andern hervorbringt. Der Bürge, der den Gläubiger befriedigt, zahlt nicht als Vertreter des Schuldners, obwohl dieser durch die Zahlung von der Forderung des Gläubigers befreit wird 6 . Die römischen Sklaven und Hauskinder waren keine Stellvertreter ihres Gewalthabers, denn sie erwarben ihm, auch wenn sie den Erwerb für sich machen wollten. Ebensowenig liegt eine Stellvertretung in den Fällen vor, wo jemand den von einem Andern für sich selbst gemachten Erwerb an sich ziehen kann mittels einer Art privater Zwangsenteignung7. 4. Verwandtschaft hat mit der Stellvertretung der Vertragsabsehluis zu Gunsten eines Dritten. Bei den Verträgen zu Gunsten Dritter verpflichtet jemand einen Andern sich zur Leistung an einen Dritten. Dieser Versprechensempfänger handelt in der Absicht, dem Dritten ein Forderungsrecht oder eine Befreiung zu erwirken. Aber er nimmt das Versprechen nicht im Namen des Dritten ab, sondern im eignen Namen, es bedarf daher nicht der Vollmacht oder Genehmigung des Dritten. Der Versprechende macht durch die Verpflichtung dem Versprechensempfänger eine Vermögenszuwendung, sei es in Schenkungsabsicht oder gegen Entgelt, nur dieser wird ihm auf die etwa bedungene Gegenleistung verpflichtet. Der Versprechensempfänger macht dem Dritten eine Vermögenszuwendung. Im Gegensatz hiezu ist der Vertreter an dem von ihm vermittelten Geschäft materiell nicht beteiligt; er empfängt und macht keine Vermögenszuwendung 8 . 6 Folgen einer rechtserzeugenden Thatsache, die nicht ihr Zweck sind, nennt J h e r i n g in seinen Jahrb. X S. 245 fg. Reflexwirkungen. 7 Der Mündel kann die vom Vormund mit Mündelgeld für sich angeschafften Sachen oder begründeten Darlehen als seine Sachen oder Forderungen in Anspruch nehmen. Ähnliches Recht haben der Soldat gegenüber den Erwerbungen seines Geschäftsführers und die Ehefrau wegen der Anschaffungen, die der Mann mit dem von der Frau geschenkten Geld gemacht hat. L. 2 quando ex facto tut. 26, 9 L. 26 R. C. 12, 1 C. 8 R. V. 3, 32 L. 55 de donat. i. v. 24, 1. Vgl. auch HGB. Art. 56 Abs. 3 Art. 59, 97, 157. H a h n , Komm, zu Art. 56 § 4. 8 Z i m m e r m a n n a. a. 0. S. 84. Andere verwandte Erscheinungen sind: der Konkursverwalter (Petersen, Sächs. Arch. I S. 1 fg.; H e n r i c i , ebenda I I S. 337 fg.; Κ O h l e r , Lehrb. des Konkursrechts § 65 RGE. XXIX Nr. 10 S. 29 fg.
Die juristischen Thatsachen.
Die Rechtsgeschäfte.
§
1 .
5
§ 161. c.
Stellvertreter u n d Ersatzmann.
I. Der praktische Zweck der Stellvertretung ist, Recht und Pflicht aus dem Rechtsgeschäft auf den Vertretenen zu lenken. Dieser Zweck wird durch die Stellvertretung auf unmittelbarem Wege erreicht. In das durch das Rechtsgeschäft beabsichtigte Rechtsverhältnis tritt der Vertretene, nicht der Vertreter ein, es geht nicht etwa die Berechtigung oder Verpflichtung oder Befreiung durch die Person des Vertreters hindurch 1. Dafs der Vertreter wegen mangelnder Vollmacht dem Vertragsgegner haftbar werden kann (§ 164 a. E.), ist eine unbeabsichtigte Wirkung, die ihren rechtlichen Grund in der Schädigung hat. Zur Verwirklichung des angegebenen Zwecks bietet sich noch ein andrer Weg. Es kann jemand im Interesse eines Andern eine Sache selbst erwerben, sich eine Leistung versprechen lassen, sich zu einer Leistung verpflichten, um dann dem Interessenten den Rechtserwerb abzutreten und sich mit ihm wegen der Vermögensaufopferung zu berechnen. Dieser Mittelsmann schliefst das Geschäft in eignem Namen, aber im fremden Interesse und für fremde Rechnung. Der rechtliche Erfolg ist ein andrer. Recht und Pflicht entstehn in der Person des Mittelsmanns. Um den Erwerb auf den Interessenten überzuleiten, bedarf es eines zweiten Geschäfts, eines Geschäfts zwischen dem Mittelsmann und dem Interessenten (Eigentumsübertragung, Cession) ; nur im Konkurs des beauftragten Mittelsmanns kann der Auftraggeber das in seinem Interesse erworbene Recht ohne Übertragungsgeschäft geltend machen2. Eine Überwälzung der Verpflichtung aber ist nur mit Zustimmung des Gläubigers möglich. Der zweite Weg ist demnach unvollkommen. Auch den Mittelsmann der zweiten Art nennen viele Juristen Stellvertreter; sie unterscheiden dann eine vollkommene (unmittelbare, direkte) und eine unvollkommene (mittelbare, indirekte) Stellvertretung. und Angef.), der Gerichtsvollzieher ( D u n k h a s e , Civ. Arch. L X X V I I S. 100 fg.), der Testamentsvollstrecker (Stobbe § 309 II). Das kann hier nicht weiter verfolgt werden. 1 Es gilt, was Ulp. L. 29 A. v. O. H. 29, 2 vom Erwerb durch einen Gewaltunterworfenen sagt: confestim adquiri ei, cuius est in potestate, neque momento aliquo subsistere in persona eius, per quem adquiritur. 2 L. 49 § 2 de poss. 41, 2 HGB. Art. 360 Abs. 2 — L. 1, 2 de instit. act. 14, 3 HGB. A. 368. Ein Sonderrecht enthält L. 1 § 18 de exerc. act. 14, 1.
0 E r s t e s
Bch.
Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
Da es sich um einen rechtlich durchaus verschiedenen Vorgang handelt, so empfiehlt sich die Wahl einer anderen Bezeichnung. Hier ist der Ausdruck E r s a t z m a n n angenommen, das HGB. nennt den gewerbemäisigen Ersatzmann Kommissionär3. III. Ob jemand, der in fremdem Interesse handelt, das Rechtsgeschäft als Vertreter oder als Ersatzmann errichtet, bestimmt sich nach seinem Auftreten beim Geschäftsabschlufs: ob er ersichtlichermafsen mit Recht und Pflicht aus dem Geschäft nichts zu thun haben will, oder ob er zunächst selbst in Recht und Pflicht einzutreten beabsichtigt, wie wenn er im eignen Interesse handelte. Das erstere nennt man im Namen eines Andern handeln4. Die Bedeutung des Auftretens mufs aus den gesamten Umständen festgestellt werden, auch der Gegenstand des Geschäfts kann dafür einen Anhalt geben 5 . IV. Im römischen Recht gab es ein Handeln im fremden Interesse, das zwischen dem Abschlufs im eignen Namen und dem Abschlufs im Namen eines Andern die Mitte hielt: es war der Geschäftsabschlufs, wobei sich jemand mit dem Vertreter eines fremden Interesses in ein Kreditgeschäft einliefs in Kenntnis von der Interessenvertretung und in erkennbarer Rücksicht auf die Haftung des Geschäftsherm. Auf diesem Grunde baute sich die adjektizische Haftung des Geschäftsherrn auf 6 . Dieses Zwitterding war ein Notbehelf, den der Mangel einer Stellvertretung hervorgerufen hatte. Mit der Anerkennung der Stellvertretung ist es im heutigen Recht weggefallen 7. 3
Der Ausdruck Stellvertreter in der juristischen Verwendung geht nicht über unser Jahrhundert zurück. Wir stehn demnach einem unfertigen Sprachgebrauch gegenüber. Die Bezeichnung Ersatzmann rührt von J h e r i n g her, Andere gebraueben Zwischenperson (Scheurl, U n g e r , Zimmermann) oder Interessenvertreter (Gareis). Kein Ausdruck ist ganz befriedigend. Z i m m e r m a n n , Stellv. Neg. gest. S. 27 N. 33. 4 HGB. Art. 52, 298. Preufs. Vormundschaftsordnung § 29. 5 L. 20 de inst. act. 14, 3 HGB. A. 52 Abs. 2. Der Handlungsreisende schliefst mit dem Gastwirt, der ihn beherbergt, einen Vertrag im eignen Namen, mit den Kunden seines Hauses im Namen des Prinzipals, auch wenn er sich der Phrase bedient: i c h kann Ihnen die Sache um so und so viel lassen. ROHG. I Nr. 13 S. 56 I I Nr. 89 S. 402 IV Nr. 35 S. 174 X X I I Nr. 7 S. 27 X X I I I Nr. 19 S. 57 RGE. X I I Nr. 3 S. 13 Seuff. X L 100 u. Nachw. X L I I 13; Z i m m e r m a n n (Lübeck), Neues Arch. f. Handelsr. I S. 60; L a b a n d , Z. f. HR. X S. 216; M i t t e i s S. 145 fg. 6 Es ist freilich bestritten, dafs die Haftung durch die ausdrückliche oder stillschweigende Bezugnahme auf den Geschäftsherrn bedingt war. Die Austragung der Frage gehört ins Obligationenrecht. Die neueste Verteidigung der bejahenden Ansicht ist von M i t t e i s a. a. O. S. 25 fg., der verneinenden von S c h l o f s m a n n , Das Kontrahieren mit offner Vollmacht (1892, Kieler Festgabe für Jhering). 7 Dies die überwiegende Ansicht der Neueren. Vgl. M i t t e i s S. 308 fg. A.M. W i n d s c h e i d § 482 Nr. 14 und R u h s t r a t , Die negotiorum gestio des dritten
Die juristischen Thatsachen.
Die Rechtsgeschäfte.
§
1
.
5
V. In neuester Zeit ist eine Verbindung von Vertretung und Ersatzniannschaft in demselben Geschäft und in derselben Person behauptet worden, nämlich bei der Versicherung für fremde Rechnung8. Man wird die Möglichkeit nicht in Abrede stellen dürfen. Aber für das genannte Geschäft scheint mir der Vertrag zu Gunsten Dritter die zutreffende Rechtsform. Der Erwerb der Förderung durch den Versicherten ist weder durch Vollmacht noch durch Genehmigung bedingt; der Grund, warum sich der \'ersicherer verpflichtet, liegt in seinem Verhältnis zum Versicherungsnehmer. Dafs der Verzicht des Dritten auf die Leistung den Versprechensempfänger zur anderweiten Verfügung über die Leistung berechtigt, ist kein wesentliches Merkmal der Verträge z. G. D.
§ 162. d.
Die Zulässigkeit der
Stellvertretung*.
I. Das römische Recht hat in der früheren Zeit die Stellvertretung in Rechtsgeschäften wie im Prozels abgelehnt1. Indes sah es sich durch das Bedürfnis des entwickelten Verkehrs zur Zulassunggedrängt, aber es geschah dies immer nur für einzelne Rechtsgeschäftsarten ohne grundsätzlichen Bruch mit dem alten Standpunkt. Selbst im Justinianischen Recht ist die Regelung der Stellvertretung nur Stückwerk. Die Behauptung, dafs im spätem römischen Recht die allgemeine Zulässigkeit der Stellvertretung zum Durchbruch gekommen Kontrahenten (1883, Sonderabdruck aus dem Magazin für das deutsche Recht der Gegenwart III) und in Jher. Jahrb. X X V I S. 456 fg. X X V I I S. 129 fg. Z. f. HR. X X X V I I S. 43 fg. 8 E h r e n b e r g , Jher. Jahrb. XXX Abh. 7. Vgl. Seuff. X L V 269 X L V I 124. * B u c h k a a. (§ 159 Note *) a. 0. Für den Civilprozefs E i s e l e , Kognitur und Prokuratur (1881); M. R ü m e l i n , Zur Geschichte der Stellvertretung im Civilprozefs (1886). 1 Warum? Darauf lauten die Antworten sehr verschieden. Nach den Einen aus sittlichen Gründen, sei es wegen der Anschauung „Selbst ist der Mann" (Unger) oder weil die Verwendung eines Freien zum Erwerb für einen Andern als Unsittlichkeit galt (Schlofsmann). Die Zulassung von Boten spricht gegen beides. Andre erblicken das Hindernis in der Beschaffenheit der Geschäftsund Prozefsformen. Das heifst Ursache und Wirkung verwechseln; oder sollten die alten Römer nicht die schöpferische Kraft besessen haben, für ein gefühltes Bedürfnis die entsprechende Rechtsform zu erzeugen ? Mir scheint, dafs der Grund des Ausschlusses in dem Streben des alten Rechts nach Festigkeit und Klarheit des Rechtsverkehrs gelegen hat. Die Zulassung von Stellvertretern wirft Zweifel und Verwicklungen auf, die selbst im heutigen Recht noch nicht vollkommen überwunden sind.
Erstes B c h .
Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
sei, ist nicht einmal für die formlosen Rechtsgeschäfte richtig, geschweige denn darüber hinaus2. Auch in Deutschland ist die Stellvertretung nicht von jeher eingebürgert. Vor Gericht und mithin bei allen vor Gericht zu errichtenden Rechtsgeschäften war sie, wo nicht völlig ausgeschlossen, so nur sehr beschränkt zugelassen; selbst im Privatverkehr behalf man sich mit Ersatzmitteln 3. Das kanonische Recht ist nicht grundsätzlich über das römische Recht hinausgegangen, es hat nur einzelne neue Fälle der Stellvertretung eingeführt. Dem weiter drängenden Verkehr kam die naturrechtliche Anschauung zu statten, dafs Verträge bindend seien. Seit dem 17. Jahrhundert hat sich die allgemeine Anerkennung der Stellvertretung durchgerungen. II. Allgemeine Zulässigkeit der Stellvertretung heifst nicht Zulassung bei allen Rechtsgeschäften. Die Natur mancher Rechtsgeschäfte bedingt unabweislich eignes Handeln der Beteiligten. Dies gilt für die Eheschliefsung, Adoption, Emanzipation, für die letztwilligen Verfügungen und für diejenigen formellen Geschäfte, bei denen durch das Formgebot auf die Reife der Willensentschliefsung eingewirkt werden soll (§ 137 I I 73).
§ 163. e. Die Vollmacht *. I. Die Vollmacht enthält die rechtliche Macht, nicht blofs mit rechtlicher Wirkung für einen Andern zu handeln, sondern dessen Handeln durch die eigne Handlung zu ersetzen. Durch das zweite Moment unterscheidet sich die Vollmacht von der Ermächtigung1. Mit Ermächtigung bezeichnet man sowohl die Gestattung thatsächlicher Einwirkung auf uns gehörige Sachen z. B. Einräumung eines Ge2 Für die formlosen behauptet die Zulässigkeit S a v i g n y , OblR. I I S. 42fg. wegen L. 53 ARD. 41, 1, die aber nur eine Eigentümlichkeit des Besitzerwerbs ausspricht. R u h s t r a t , Über Savignys Lehre von der Stellvertretung S. 19; W i n d s c h e i d § 73 N. 14. Für die Rechtsgeschäfte überhaupt H e i l mann a. a. 0. S. 39fg., wogegen B a r o n , Krit. VJSchr. XXIV S. 40fg.; M i t t e i s S. 32fg. 8 B r u n n e r , Z. f. HR. X X I I I S. 236fg.; H e u s l e r , Institutionen § 47, 48. * L a b a n d , Z. f. HR. X S. 203—214; Z i m m e r m a n n , Stellvertr. Negot. Gestio S. 86fg.; M i t t e i s , Stellvertretung S. 182fg. 1 Auf die Notwendigkeit, beide Begriffe auseinander zu halten, hat zuerst J h e r i n g in seinen Jahrb. I I S. 131 hingewiesen. Vgl. auch B ä h r , Krit. VJSchr. XXX S. 340 fg. und S t r o h a l , Jher. Jahrb. X X V I I S. 442 fg.
Die juristischen Thatsachen.
Die Rechtsgeschäfte.
§
1 .
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brauchs oder Fruchtbezugs, als auch die Gutheifsung der rechtlichen Einwirkung auf unser Vermögen durch ein von dem Ermächtigten für sich vorzunehmendes Rechtsgeschäft. Dieses Rechtsgeschäft kann sein eine rechtliche Verfügung über einen dem Ermächtigenden gehörigen Gegenstand (§ 147 I B) oder die Erhebung einer Vermögensleistung von einem Dritten für Rechnung des Ermächtigenden (Delegation, Anweisung) oder eine sonstige Belastung seines Vermögens2. Die Unterscheidung hat guten Grund. Die Vollmacht wird in der Regel im Interesse des Machtgebers erteilt, die Ermächtigung in der des Machtempfängers. Darum sind Widerruflichkeit und Unvererblichkeit regelmäfsige Eigenschaften der Vollmacht (III, 3), nicht der Ermächtigung. Hat jemand einen Andern schenkungshalber oder gegen Entgelt zur Einwirkung auf sein Vermögen ermächtigt, so sind er und seine Erben daran gebunden, wenn nicht das Gegenteil vorbehalten wurde 3. II. Die Vollmacht kann entspringen aus Rechtsvorschrift, aus öffentlicher Bestellung, aus einem Willensakt des Geschäftsherrn. Auf Rechtsvorschrift gehn zurück die Vollmacht des Vaters und die beschränkte Vollmacht eines Ehegatten (Seuff. XLIV. 109 u. Nachw.), die Vollmacht der Mitglieder einer offnen Handelsgesellschaft, der persönlich haftenden Mitglieder einer Kommanditgesellschaft, (HGB. Art. 102, 150, 196) u. a. Aus öffentlicher Bestellung leiten die Vollmacht her z. B. die Vormünder, die Güterpfleger, die richterlich bestellten Liquidatoren einer offnen Handelsgesellschaft (HGB. Art. 137). In den meisten Fällen beruht die Vollmacht auf Erteilung durch den Geschäftsherrn, ist demnach Privatvollmacht. Vertreter, deren Vollmacht vom Willen des Vertretenen unabhängig ist, pflegt man gesetzliche zu nennen. III. Über die P r i v a t v o l l m a c h t insonderheit ist zu bemerken : 1. Die Erteilung ist ein einseitiges Rechtsgeschäft und wirkt selbst ohne Kenntnis des Vertreters von ihrem Dasein4. Eine Form 2
Z. B. Ausfüllung eines Wechselblankoaccepts. RGE. XIV Nr. 7 S. 24. Die römischen Juristen erblickten in der Ermächtigung, sich eine Sache aus dem Vermögen des Ermächtigenden anzueignen, kein bindendes Geschäft und fanden eine Hülfe gegen den Wortbruch nur in der actio doli. L. 6 de donat. 39, 5 L. 34 de dolo m. 4, 3 L. 16 § 1 praescr. verb. 19, 5. Dagegen wurden andere Ermächtigungen wirksamer geschützt. L. 36 de pact. 2, 14 L. 14 de publ. act. 6, 2. Demgemäfs ist der Satz im Text nicht zu gewagt. Dafür J h e r i n g a. a. 0.; M i t t e i s S. 201 fg. (auf Grund von CPO. § 779); S t r o h a l a. a. 0. ROHG. V I Nr. 10 S. 51 X I I I Nr. 100 S. 299 XIV Nr. 25 S. 56 RGE I I Nr. 24 S. 90 V I I I Nr. 13 S. 59. 4 H e l l m a n n S. 113: B e c h m a n n , Kauf I I S. 25fg. A. M. Z i m m e r mann S. 89; M i t t e i s S. 187. 3
D i n d i n g , Handbuch. I. 7. I : R e g e l s b e r g e r , Pand. I.
38
Erstes B c h .
Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
ist nach Civilrecht im allgemeinen dafür nicht vorgeschrieben, nicht einmal für die Vollmacht zu formellen Geschäften (RGE. IV Nr. 83 S. 309). Die Bevollmächtigung kann aus den Umständen hervorgehen ohne wörtlichen Ausdruck 5 . 2. Der Bevollmächtigung liegt ein anderes Verhältnis zu Grunde : Auftrag, Dienstmiete, Gesellschaft u. a. Am häufigsten Auftrag, weshalb Auftrag und Vollmacht nicht selten als gleichbedeutend behandelt werden. Indes ist nicht jeder Bevollmächtigte ein Beauftragter z. B. nicht der bevollmächtigte Dienstbote, und nicht jeder Beauftragte bevollmächtigt, da es Aufträge zu thatsächlichen Dienstleistungen giebt. Selbst wo die Vollmacht auf einem Auftrag fufst, bestimmt der Auftrag das innere Verhältnis zwischen Auftraggeber und Beauftragten, die Vollmacht die Wirkung des vom Vertreter errichteten Geschäfts gegenüber Dritten. Darum kann die Vollmacht umfänglicher sein als der Auftrag, und kann der Vertreter vollmachtgemäfs, aber auftragwidrig handeln, so dafs er seinen Auftraggeber dem Dritten gegenüber verpflichtet, freilich auch sich seinem Auftraggeber wegen Schadenersatzes 6 . 3. Die Vollmacht wird regelmäfsig nur im Interesse des Machtgebers erteilt und im Vertrauen, dafs der Bevollmächtigte von der Vollmacht nur den im Interesse des Machtgebers liegenden Gebrauch machen werde. Hieraus folgen die Widerruflichkeit und Unvererblichkeit der Vollmacht. a. Die Vollmacht ist jederzeit einseitig widerruflich, jedoch unbeschadet der Rechte des Bevollmächtigten aus dem zu Grunde liegenden Rechtsverhältnis7. Selbst ein vertragsmäfsiger Verzicht auf den Widerruf ist unverbindlich 8, ausgenommen den seltenen Fall, dafs die Vollmacht allein oder zugleich im Interesse des Bevollmächtigten erteilt wurde und dafs dieses Interesse nur durch die Möglichkeit gewahrt werden kann, im Namen des Machtgebers zu handeln9. Übrigens mufs der Widerrufende durch gehörige Bekanntmachung des Wider6
L. ult. quod cum eo 14, 5 HGB. Art. 50, 51, 296 Seuff. V I 32 XXIV 138 ROHG. IX Nr. 31 S. 104 X I I I Nr. 71 S. 211. 6 ROHG. V I Nr. 91 S. 408 X X I I Nr. 87 S. 375 RGE. I Nr. 4 S. 8 X X Nr. 13. S. 55 Seuff. X L I V 174, 175 u. Nachw.; L a b a n d a. a. 0. 7 L. 12 § 6 mand. 17, 1 HGB. Art. 54. 8 ROHG. V Nr. 77 S. 349 X X I I I Nr. 109 S. 324 RGE. I I I Nr. 53 S. 186. Daher erzeugt auch die vertragsmäfsige Zusicherung der Vollmacht keinen Anspruch auf Erteilung. RGE. X X V I I Nr. 9 S. 35. 9 Z. B. wenn einem Gesellschafter durch Gesellschaftsvertrag Vollmacht erteilt wurde. Arg. HGB. Art. 101, dessen Auslegung aber sehr bestritten ist. Über die Frage der Widerruflichkeit überhaupt B ä h r , Krit. VJSchr. XXX S. 341; Z i t e l m a n n , Die Rechtsgeschäfte im Entwurf I I S. 88 fg.
Die juristischen Thatsachen.
Die Rechtsgeschäfte.
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rufs, durch Abfordern der Vollmachtsurkunde u. ä. dafür Sorge tragen, dafs niemand in entschuldbarer Unkenntnis vom Widerruf mit dem ehemaligen Bevollmächtigten als Vertreter des Widerrufenden einen Vertrag eingeht. Denn gegenüber dem im gerechtfertigten Vertrauen auf den Bestand der Vollmacht handelnden Dritten kann der ehemalige Machtgeber die Anerkennung des Geschäfts nicht mit der Berufung auf den Widerruf ablehnen10. b. Die Vollmacht erlischt mit dem Tod des Bevollmächtigten, denn sie beruht auf dem Vertrauen in seine Person. Nicht selbstverständlich ist die Erlöschung durch den Tod des Machtgebers11. Sie kann jedoch, von ausdrücklicher Festsetzung abgesehen, aus Art oder Grund der Vollmacht folgen. Auch diese Endigung steht den Personen nicht entgegen, die in entschuldbarer Unkenntnis vom Tod des Machtgebers mit dem ehemaligen Bevollmächtigten ein Verkehrsgeschäft abgeschlossen haben12. IV. Der Umfang der Vollmacht ist für die gesetzlichen Vertreter in den besonderen Rechtsvorschriften bestimmt, für die gewillkürten im Bevollmächtigungsgeschäft. Indes greifen selbst in den Umfang von manchen Privatvollmachten Rechtsvorschriften bestimmend ein : entweder so, dafs sie einen Umfang feststellen, der in Ermanglung gegenteiliger Erklärung anzunehmen ist, gesetzlich vermuteter Umfang, oder so dafs sie einen durch Privatverfügung nicht abänderlichen Umfang vorschreiben, gesetzlich notwendiger Umfang 13. Die Privatvollmacht unterliegt den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen. Zweideutige Ausdrücke werden zu Gunsten des gutgläubigen 10
Das römische Recht hat dies ausdrücklich nur für Zahlungen an den ehemaligen Bevollmächtigten anerkannt. L. 34 § 3 L. 38 § 1 de solut. 46, 3. Die Ausdehnung auf alle Verkehrsgeschäfte entspricht der heutigen Rechtsanschauung. Unterstützend schon L. 11 § 5 i. f. de inst, act 14, 3: neque enim decipi debent contrahentes. Seuff. XIX 230 ROHG. IV Nr. 59 S. 301 X I I I Nr. 67 S. 196. Preufs. Ldr. I 13 § 167, 168, Sächs. GB. § 1327. 11 Die Römer hielten an der entgegengesetzten Regel fest. Jedoch haben sie eine Fortdauer bei Vollmachten zu Handelsgeschäften angenommen. L. 11 pr. L. 5 § 17 L. 17 § 3 de inst. act. 14, 3. Dem heutigen Standpunkt giebt HGB. Art. 54 Abs. 2 Art. 297 Ausdruck. 12 In den Quellen für Zahlungen anerkannt (L. 26 § 1 mand. 17, 1 L. 19 § 3 de donat. 39, 5 L. 32 § 2 de solut. 46, 3), für Kapitalanlagen des Bevollmächtigten verneint (L. 41 R. C. 12, 1). Für die Ausdehnung nach heutigem Recht M i t t e i s S. 199fg. 13 Beisp. für das Erste die Vollmacht des Handlungsbevollmächtigten ohne Prokura (HGB. Art. 47, 49), für das Zweite die Vollmacht des Prokuristen (HGB. Art. 41—43). 38*
Erstes B c h .
6
Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
Dritten ausgelegtu. Aber der gute Glaube gilt nicht vorhanden, wenn der Dritte kritiklos auf den Wortlaut der Vollmacht vertraut hat (Seuif. XL. 197 (RG.) u. Nachw.). Das erforderliche Mafs der Sorgfalt wird durch die Verkehrsübung bestimmt. Die Befugnis zu Freigebigkeiten ist im Zweifel selbst in der Vollmacht zur Vertretung in allen Rechtsangelegenheiten, libera administrate, nicht enthalten (arg. L. 7 pr. de donat. 89, 5). In manchen Gesetzen wird zur Vornahme eines Rechtsgeschäfts Specialvollmacht gefordert. Dieser Ausdruck wird in einem zweifachen Sinn gebraucht : als Machtgebung für ein individuelles Rechtsgeschäft, Individualvollmacht, oder als Vollmacht zu Rechtsgeschäften dieser Art (Artvollmacht). Die Bedeutung kann nur für die einzelne Vorschrift festgestellt werden. § 164. f.
Die nachträgliche
Genehmigung*.
I. Die nachträgliche Genehmigung (Ratihabition) kommt in verschiedenen Anwendungen vor. Sie kann sein: 1. Die vom Geschäftsherrn dem Geschäftsführer gegenüber ausgesprochene Billigung der Geschäftsausführung. Sie bildet eine innere Angelegenheit zwischen diesen zwei Personen und ist für den Ersatzanspruch des Geschäftsführers wichtig (L. 8 [9] de negot. gest. 3, 5). 2. Die Einwilligung des Berechtigten in die Verfügung eines Andern über einen seinem Vermögen angehörigen Gegenstand (§ 147 I). 3. Die Bestätigung eines unvollkommen errichteten Rechtsgeschäfts entweder durch dessen Urheber selbst oder durch eine in seinem Interesse handelnde Person (§ 176). 4. Die Gutheifsung des im Namen des Genehmigenden abgeschlossnen Rechtsgeschäfts im Verhältnis zu Dritten. Nur in der letztgenannten Anwendung bezieht sich die Genehmigung auf die Stellvertretung und gehört sie in diesen Zusammenhang. II. Die nachträgliche Genehmigung einer Stellvertretung ersetzt die Vollmacht. Sie verleiht dem Rechtsgeschäft die Wirkung auf den Genehmigenden gleich der Vollmacht. Sie unterliegt daher in vielen Punkten den gleichen Rechtsgrundsätzen. 14
L. 56 de procur. 3, 3 L. 1 § 5, 8—12 L. 7 de exerc. act. 14, 1 L. 5 § 9—16 de inst. act. 14, 3. Seuff. I I 41 XV 22 XV11I 134 X X X V I 98 X L I 183 ROHG. I Nr. 44 S. 152 V Nr. 47 S. 207. * Dig. 46, 8: ratam rem haberi et de ratihabitione. L o t h a r Seuffert, Die Lehre von der Ratihabition von Rechtsgeschäften (1868); M o n r o y , Die vollmachtlose Ausübung fremder Vermögensrechte (1878).
Die juristischen Thatsachen.
Die Rechtsgeschäfte.
§ 14.
5
1. Die nachträgliche Genehmigung bildet ein Rechtsgeschäft für sich und zwar ein einseitiges, sie bedarf nicht der Annahme. Sie ist an eine Form nur da gebunden, wo es die Vollmacht zu einem solchen Geschäft ist, und kann, wo formlos, auch stillschweigend erfolgen 2. Sie kann nur von dem Vertretenen und verbindlich nur an die Gegenpartei oder an den Vertreter erklärt werden 3. Dafs der Genehmigende den Inhalt des Rechtsgeschäfts im einzelnen kennt, ist nicht erforderlich 4. Teilweise Genehmigung ist zulässig, wenn dadurch ein berechtigtes Interesse weder der Gegenpartei noch des Geschäftsführers verletzt wird 5 . Die Unterlassung rechtzeitiger Genehmigung steht in der Wirkung der Ablehnung gleich. Ist für die Entscheidung keine Frist verabredet, so kann sie sofort gefordert werden, wobei jedoch die Natur des Geschäfts die Gewährung einiger Überlegungsfrist rechtfertigen kann 6 . Wenn die für den Vertretenen vorgenommene Handlung an eine Frist geknüpft ist, so kann die Genehmigung nur innerhalb dieser Frist wirksam erfolgen. Die entgegengesetzte Annahme führt dahin, die zeitliche Eingrenzung der Handlung durch das Eingreifen eines vollmachtlosen Vertreters wirkungslos zu machen. Die rückwirkende Kraft der Genehmigung spricht nicht dafür, denn sie setzt die Gültigkeit der Genehmigung voraus, und dazu gehört die rechtzeitige Vornahme7. 2. Das vollmachtlos errichtete Geschäft ist vor der Genehmigung 1
A. M. M i t t e i s in folgerichtiger Durchführung seiner Auffassung von der Stellvertretung (159 V 2). 2 L. 5 h. t. ROHG X I I Nr. 4 S. 13 (durch teilweise Erfüllung) Seuff. X L I I I 18. 3 M o n r o y a. a. O. S. 78fg.; H e l l m a n n S. 124fg.; B e k k e r § 107 Beil. I I D. Gegen die Beschränkung L. S e u f f e r t a. a. 0. S. 114, 139 und Z i m m e r mann S. 158fg. Vgl. auch M i t t e i s S. 213fg. 4 Seuff. I I I 141 ROHG. XV Nr. 19 S. 46, aber auch B e k k e r a. a. 0. C. * L. 17, 18 h. t. Z i m m e r m a n n S. 167fg. 6 L. 13 de solut. 46, 3 (L. 1- § 2 h. t.) L. 13 § 27, 28 AEV. 19, 1. M i t teis S. 217. 7 L. 24 pr. L. 25 § 1 h. t. (Afr.). Wie verhält sich zur zweiten Stelle L. 71 § 1 de solut. 46, 3 (Cels.)? Den Schlüssel liefert L. 29 § 6 mand. 17, 1. Wenn auch der Bürge nach Ablauf seiner Haftzeit nicht mehr zur Zahlung gezwungen werden kann, so handelt er doch bei freiwilliger späterer Zahlung als Bürge und in Erfüllung des gegebenen Worts. Anders, wenn er zahlt, nachdem die Hauptschuld ihr zeitliches Ziel erreicht hat. B r i n z 1. A. S. 1622; M i t t e i s S. 262 N. 343. Viele Juristen nehmen einen Widerspruch an und finden die Beseitigung in der Justinianischen Vorschrift über die rückwirkende Kraft der Genehmigung. Z i m m e r m a n n S. 258fg.; W i n d s c h e i d § 74 N. 6 § 83 N. 6.
Erstes B c h .
Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
und bis zur Entscheidung des Vertretenen nicht ohne Wirkung. Es erzeugt für den Vertretenen die Befugnis zur Genehmigung, für den Vertragsgegner oder für den Empfänger einer einseitigen rechtsgeschäftlichen Erklärung wie Kündigung, Rücktrittserklärung u. a. eine Gebundenheit, indem er vom Vertrag nicht mehr zurücktreten kann und die Wirkung der Genehmigung über sich ergehen lassen mufs 3. Dies gilt aber nur für den Vertragsgegner, der sich wissentlich mit einem vollmachtlosen Vertreter eingelassen hat. Wer den Vertreter für bevollmächtigt hielt und mithin auf die sofortige Wirkung des Geschäfts gegen den Vertretenen rechnete, kann billigerweise nicht für gebunden erklärt werden, während der Vertretene noch die Freiheit der Entschliefsung hat und eine Änderung der Umstände z. B. der Marktverhältnisse für sich ausbeuten kann. Er ist daher befugt, die nachträgliche Genehmigung für unverbindlich zu erklären 9. Eine Erklärung, die den Inhalt eines einseitigen Rechtsgeschäfts bildet, entbehrt für den die Vollmacht voraussetzenden Empfänger überhaupt der Wirkung 10 . Der Vertreter kann das Geschäft nur in Vereinbarung mit dem Vertragsgegner rückgängig machen. Aber selbst diese Vereinbarung ist für den Vertretenen ohne Wirkung, wenn sie absichtlich zu seiner Schädigung geschlossen wurde 11 . Der Tod des Vertreters oder des Vertragsgegners, der Verlust der Handlungsfähigkeit sowie die Eröffnung des Konkurses über ihr Vermögen sind der Genehmigungsbefugnis unschädlich12. Stirbt der Vertretene, so geht die Genehmigungsbefugnis auf seine Erben über, ausgenommen wenn es sich um die Begründung eines unvererblichen Rechts oder um eine höchst persönliche Erwerbsmöglichkeit handelt 13 . 8 L. 23 |24] de neg. gest. 3, 5 Seuff. X X X I I I 221 und Nachw. RGE. X V I I Nr. 18 S. 77. 9 L. 58 pr. de solut. 46, 3. Der " Rücktritt kann auch nach der erfolgten Genehmigung gültig erklärt werden (A. M. Z i m m e r m a n n S. 283fg. u. M i t t e i s S. 215), es müfste denn jedes Interesse für den Rücktritt weggefallen sein z. B. bei der Schuldzahlung an einen vollmachtlosen Vertreter. 10 RGE. X X V I Nr. 34 S. 190, wo auch die abweichenden Stimmen verzeichnet sind. Die richtige Erklärung von L. 24 § 2 de usur. 22,1 giebt R u h s t r a t , Jher. Jahrb. XIX S. 287 fg. 11 Sehr bestritten. Die vermittelnde Ansicht des Textes vertreten M i t t e i s S. 219, wo auch Literaturnachweise sich finden, und Seuff. X L V 15 (RG.). 12 L. 24 § 1 h. t. RGE. XXIV Nr. 62 S. 309 Seuff. XV 223. 13 Regel L. 58 § 1 de solut. 46, 3 Ausnahmen: L. 7 h. t. L. 3 § 7 de bon. poss. 37, 1. Singular L. 16 eod. Z i m m e r m a n n S. 233fg.; M i t t e i s S. 228; A. M. H e l l m a n n S. 128.
Die juristischen Thatsachen.
Die Rechtsgeschäfte.
§ 14.
5
Der Ausbruch des Konkurses über das Vermögen des Vertretenen wirkt insofern auf die Genehmigungsbefugnis, als er durch seine Entschliefsung nicht mehr einen Vermögenserwerb zum Nachteil der Gläubiger vereiteln kann ; vielmehr sind die Gläubiger befugt, durch das Organ des Konkursverwalters für das Geschäft die Genehmigung auszusprechen u . 3. Die einmal erklärte Genehmigung schliefst die nachträgliche Ablehnung aus und umgekehrt 15. Mit der Genehmigung entwickelt das Rechtsgeschäft seine volle Wirksamkeit. Da aber der Hauptgrund dafür schon mit der Geschäftserrichtung gelegt ist, so werden die Wirkungen so behandelt, als seien sie bereits in diesem Zeitpunkt eingetreten. Man sagt: die nachträgliche Genehmigung hat rückwirkende Kraft 16 . Der Genehmigende kann sie nicht ausschliefsen, denn der Gegner hat ein Recht auf unbeschränkte Entscheidung. Andrerseits vermag die nachträgliche Genehmigung nicht, die von Dritten in der Zwischenzeit erlangte Rechtsstellung zu benachteiligen. 4. Da bei Versagung der Genehmigung die mit dem Vertrag beabsichtigte Wirkung nicht zustande kommt, insbesondere der Vertretene nicht verpflichtet wird 1 7 , so kann dem Vertragsgegner des vollmachtlosen Vertreters Schaden erwachsen, wenn er z. B. mit Rücksicht auf den Vertrag Waren angeschafft oder an den Vertretenen versendet oder an Dritte verstellt hat. Er hat dafür sicherlich keinen Ersatzanspruch, wenn er den Mangel der Vollmacht und damit die Unsicherheit der Rechtslage kannte oder nach den Umständen hätte kennen sollen (HGB. Art. 55 Abs. 2). Wie aber, wenn er ohne Nachlässigkeit den Vertreter für bevollmächtigt hielt? Nach römischem Recht war die Haftung des Vertreters dadurch gegeben, dafs er den Schuldvertrag immer im eignen Namen schliefsen mufste und mithin als Subjekt in das Vertragsverhältnis eintrat. Nach den Grundsätzen der heutigen Stellvertretung schliefst der Vertreter den Vertrag im Namen des Vertretenen und bleibt dem Vertragsverhältnis fern (§ 161 I). Damit entfällt die angeführte Vermittlung für die Haftung u
Z i m m e r m a n n S. 243fg ; M i t t e i s S. 234. L. 62 i. f. de solut. 46, 3 (Paul.). Ebenso Julianus nach dem Bericht von Ulpianus in L. 12 § 2 h. t. Die Abweichung von Ulp. am Schlufs der Stelle erklärt sich aus der Besonderheit des Falls. T u h r , Z. d. Sav. St. X R. A. S. 405. 16 C. 25 i. f. de donat. i. v. 5, 16. Auch beim Besitzerwerb? Mit Recbt bejaht von M i t t e i s S. 256 fg. und P i n i n s k i , Thatbestand des Sachbesitzerwerbs I I S. 206 N. 1. 17 Nur auf den Betrag der allenfalsigen Bereicherung. C. 7 § 3 quod cum eo 4, 26. Näheres im Obligationenrecht. Einstweilen Z i m m e r m a n n S. 317 fg. und B r i n z 2. A. § 259 N. 22. 1B
600
Erstes Bach. Die allgemeinen Lehren (les Pandektenrechts.
des Vertreters 18 Dafs der Vertreter nach Deliktsgrundsätzen auf Ersatz verpflichtet wird, wenn er den Vertragsgegner absichtlich über den Mangel der Vollmacht täuschte (actio doli), ist gewifs, aber dieser Fall kommt nicht häufig vor. Häufiger wird der Vertreter sich selbst für bevollmächtigt halten, sei es aus Fahrlässigkeit oder auch ohne jede Schuld seinerseits. Soll der Ersatzanspruch auch den Fall der Schuldlosigkeit des Vertreters umfassen, wie Billigkeit und Verkehrssicherheit fordern, so darf er nicht die Verschuldung zur Grundlage haben 19 . Aus dem römischen Recht ist ein so weitgehender Ersatzanspruch nicht nachweisbar, denn es wurde vom Verschuldungsprincip beherrscht 20. Dagegen knüpfte das ältere deutsche Recht die Haftung für Schaden an die Verursachung als solche an 2 1 . Hieraus ist der in einer Anzahl neuerer Gesetze aufgenommene Satz erwachsen, dafs der Vertreter dem Vertragsgegner für die Richtigkeit der Vollmacht haftbar ist 2 2 . Man darf diesen Satz als einen Bestandteil des heutigen gemeinen Rechts ansehn23. Was den Gegenstand der Haftung anlangt, so würde der Natur einer von Verschuldung unabhängigen Schadloshaltungspflicht entsprechen, dafs der Vertreter nur für den Schaden aufzukommen hat, den der Vertragsgegner durch das Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrags erfahren hat (negatives Vertragsinteresse). Weil aber dieser Schaden nicht selten schwer zu beweisen ist, so geben die angeführten Gesetze dem Vertragsgegner 18 Manche Juristen halten gerade zur Lösung der Haftfrage an dem römischen Standpunkt der eignen Verpflichtung des Vertreters fest (§ 159 N. 17), indes im Widerspruch mit der Absicht der handelnden Personen und mit der heutigen Rechtsauffassung. Überdies gewinnt man damit nicht das beabsichtigte Ziel, wenn dem Vertreter die Fähigkeit zu der konkreten Verpflichtung fehlt (§ 159 IV 1). M i t teis S. 166 fg. 19 Darum versagt sowohl die Theorie von der culpa in contrahendo (Jher. in seinen Jahrb. IV Abh. 1) als die von M i t t e i s S. 169 fg. entwickelte Haftung den Dienst, mit deren Begründung es überdies nicht zum Besten bestellt ist. 20 Mehr als Ansätze, darüber hinauszukommen, kann ich im römischen Recht nicht finden. A. M. E i s e l e , Jher. Jahrb. X X V S. 484 fg. 21 S t o b b e § 200 N. 8fg.; H a m m e r , Die Lehre vom Schadenersatz nach dem Sachsenspiegel (1885). 22 WO. Art. 95 HGB. Art. 55, 298; Preufs. Ldr. I 13 § 9, Sächs. GB. § 769. Vgl. A. M e r k e l , Jurist. Encykl. § 673fg. 23 Dies billigen im Ergebnis, aber mit abweichender Begründung B ä h r , Iher. Jahrb. V I S. 288 und Z i m m e r m a n n S. 287 fg., wohl auch W i n d s c h e i d § 74 N. 7a. — Aus der Praxis: Seuff. V I 33 V I I I 255 X X I I I 126 XXIX 128 X X X I I I 20 RGE. V I Nr. 60 S. 214. Die Beweislast hinsichtlich des Daseins der Vollmacht trifft den Stellvertreter. B ä h r a. a. 0. und Krit. VJSchr. XXX S. 340 ROHG. X X I I Nr. 7 S. 32. Abweichend RGE. X V I I I Nr. 32 S. 158.
Die juristischen Thatsachen.
Die Rechtsgeschäfte.
§
1 .
den Anspruch auf Erfüllung des Vertrags, entweder schlechthin (WO.) oder nach Wahl mit dem Anspruch' auf die Schadensvergütung (HGB.). Dies findet auch für das gemeine Recht Vertreter 24 .
8. Inhalt der Rechtsgeschäfte. § 165. a.
E i n t e i l u n g der Bestandteile.
Gleich jedem Naturgeschöpf bietet jedes konkrete Rechtsgeschäft der Betrachtung zwei Seiten : es stellt sich dar als Glied einer Gattung (Art), als Gattungswesen, und als eine Erscheinung eigner Art, als Einzelwesen. Für diese zwei Eigenschaften haben die Thatbestandselemente der Rechtsgeschäfte zum Teil verschiedenes Gewicht, für die Gattungseigenschaft kann unwesentlich sein, was für die Individualeigenschaft wesentlich ist. Hieraus ergeben sich zwei Arten ihrer Einteilung. I. Damit ein Rechtsgeschäft bestimmter Gattung z. B. ein Kaufgeschäft vorliegt, mufs von den Parteien über gewisse Punkte des herzustellenden Rechtsverhältnisses Bestimmung getroffen sein, z. B. über Ware und Preis. Diese Bestimmungen bilden den Grundstock des Rechtsgeschäfts, die sog. e s s e n t i a l i a negotii (§34 J. de legat. 2,20). Art und Zahl der Essentialien sind für die einzelnen Geschäftsarten verschieden, sie folgen überwiegend aus dem Wesen der Geschäftsart, einige beruhen auf positiver Vorschrift (z. B. WO. Art. 4 Ziff. 1). Der von den Parteien zu beschaffende Grundstock ist für das Dasein eines Rechtsgeschäfts bestimmter Art nicht nur notwendig, sondern auch ausreichend. Zwar bedürfen meistens noch andere Punkte des herzustellenden Rechtsverhältnisses der Regelung (z. B. beim Kauf, ob für Entwerung oder für natürliche Mängel der Sache gehaftet werde). Aber der Gültigkeit des Rechtsgeschäfts ist unschädlich, wenn die Parteien die Regelung dieser Punkte unterlassen haben. Denn in diesem Fall greift das positive Recht ergänzend ein und gilt dafür im konkreten Rechtsverhältnisse, was die Rechtsvorschriften darüber für Rechtsgeschäfte dieser Art bestimmen. Man nennt das, was bei einem Rechtsgeschäft mangels einer Parteireglung gilt, n a t u r a l i a negotii. Die naturalia negotii sind Lückenbüfser, sie bleiben im einzelnen 24
B ä h r a. a. 0. und in Jher. Jahrb. XIV S. 422fg.; Z i m m e r m a n n a. a. 0. S. 294 X. 396a (mit Bezug auf L. 1 § 9 quod jussu 15, 4), RGE. VI Nr. 60 S. 214.
0 E r s t e s
Bch.
Die allgemeinen Lehren
es Pandektenrechts.
Fall ausgeschlossen, wenn die Parteien über den betreffenden Punkt im Rechtsgeschäft Bestimmung getroffen haben. Diese Bestimmung kann von der gesetzlichen Regelung abweichen. Geschieht dies, so bekommt das Rechtsgeschäft einen Inhalt, der für seine Arteigenschaft nicht wesentlich, aber damit verträglich ist. Ein solcher Inhalt kann sich auch daraus ergeben, dafs die Parteien Bestimmungen treffen, die sowohl über den Grundstock der Rechtsgeschäftsart als über den Ausschlufs der naturalia hinausliegen, indem sie z. B. eine Bedingung oder einen Pfandrechts vorbehält beifügen. Man nennt diesen Inhalt a c c i d e n t a l i a negotii. Genauer zugesehn erweisen sich die einzelnen Glieder der Dreiteilung nicht als gleichartig. Nur das erste und dritte Glied beziehn sich auf Parteibestimmungen, die naturalia dagegen auf Anordnungen des Rechts1. Die Dreiteilung ist sonach eine Einteilung nicht der Parteibestimmungen allein, sondern alles desjenigen, was dem beabsichtigten Rechtsverhältnisse seine konkrete Gestalt giebt. II. Auf dem Gewicht, das dem einzelnen Element des rechtsgeschäftlichen Thatbestands für das Rechtsgeschäft in seiner Individualeigenschaft zukommt, ruht der Gegensatz von H a u p t best immun g und N e b e n b e s t i m m u n g . Hauptbestimmungen sind die Bestandteile, von denen die Geltung des konkreten Rechtsgeschäfts abhängig ist; aller übrige Inhalt des Rechtsgeschäfts fällt unter die Nebenbestimmungen. Die höhere Bedeutung kann beruhn auf der Natur des Geschäfts oder auf positiver Rechtsvorschrift oder auf dem Parteiwillen. Hauptbestimmungen sind demnach die Parteifestsetzungen über die Essentialien des Geschäfts, aber auch Accidentalien, wenn von den Parteien ihr Inhalt mit dem Wollen des Haupterfolgs in untrennbaren Zusammenhang gebracht ist, wie z. B. die Bedingung (§ 152 III). Wird dagegen ein Grundstück unter Vorbehalt eines Wegerechts veräufsert, so erhellt wenigstens aus dem rechtsgeschäftlichen Thatbestand nicht, dafs der Eigentumsübergang von der Entstehung der Servitut abhängig sein soll. Darum ist der Servitutenvorbehalt eine Nebenbestimmung2. Was die Nebenbestimmung enthält, ist nicht rechtlich bedeutungslos, aber ihre Ungültigkeit zieht nicht den Fall des übrigen 1 B r i n z 1. A. S. 1508 und L e o n h a r d , Irrtum S. 221 fg. erblicken in den naturalia n. Willensauslegungen. Es ist aber willkürlich, den Inhalt der ergänzenden Rechtsvorschriften in den Willen der Parteien zu verlegen. B e k k e r § 97 u. Beil. III. 2 Andre Beispiele: die Auflage (§ 166), die Zinsverabredung, das pactum de retroemendo, de retrovendendo, protimiseos, de non praestanda evictione, clausula codicillaris. ROHG. X I Nr. 133 S. 437 X I I Nr. 64 S. 202 X V I I Nr. 87 S. 383.
Die juristischen Thatsachen.
Die R e c h t s s c h e .
§ 1 .
Geschäfts nach sich, während sie selbst mit dem übrigen Geschäft fällt 3 . Sie läfst sich demnach bezeichnen als eine unselbständige Zuthat zu dem für sich gewollten Hauptgeschäft 4.
§ 166. b.
Die Auflage * .
Von den Nebenbestimmungen kommt die Auflage in Verbindung mit Rechtsgeschäften verschiedener Art vor und ist darum unter den allgemeinen Lehren zu erörtern. I. Die Auflage (modus1) ist die Belastung einer Vermögenszuwendung mit einer Verpflichtung des Empfängers und zwar eine Belastung eigner Art. Sie kennzeichnet sich durch folgende Merkmale. 1. Die Auflage ist nicht eine Verpflichtung, welche die rechtliche Natur des Geschäfts bestimmt (als Kauf, Depositum, Miete u. s. w,). Sie tritt zu dem durch den übrigen Inhalt charakterisierten Geschäft hinzu, ohne den Geschäftscharakter zu beeinflussen. Die Schenkung bleibt Schenkung, auch wenn dem Beschenkten auferlegt wird, zehn Mark an die Armenkasse zu zahlen. Wo die Verpflichtung die rechtliche Natur des Geschäfts bestimmt, steht sie unter den Rechts3
L. 20, 29 de usur. 22, 1 L. 31 § 4 de donat. i. v. 24, 1. Pap. L. 72 pr. C. E. 18, 1 unterscheidet substantia emtionis und adminicula emtionis. — Im Gegensatz zu der im Text vertretenen Auffassung begreifen die meisten Juristen unter Nebenbestimmung alle Accidentalia, wovon dann einige wieder als Nebengeschäft ausscheiden, was im Text unter Nebenbestimmung verstanden wird. S che u r l , Zur Lehre von den Nebenbestimmuugen S. 2 fg.; B r i n z 1. A. § 337; B e k k e r § 97 C u. D; H o l d e r § 52. Jene Ausdehnung ist bedenklich, weil Nebenbestimmung die Vorstellung von dem konkret Nebensächlichen erweckt. * P f e i f f e r , Prakt. Ausführungen I Nr. 4 (1825); S a v i g n y I I I § 128, 129; W i n d s c h e i d , Die Lehre des römischen Rechts von der Voraussetzung (1850); S c h e u r l , Zur Lehre von den Nebenbestimmungen S. 245 fg. (1871); P f a f f und Hofmann, Kommentar I I S. 614—624 und Exkurse I I S. 326 fg. (1884); K r a i n z , Österr. PR. I S. 349 fg. (1885). 1 Über modus im Sprachgebrauch der römischen Rechtsquellen Ρ er n i ce, Labeo I I I S. 12 fg. Danach ist modus bei den klassischen Juristen kein Kunstausdruck; sie bezeichnen damit zuweilen nur eine nähere Bestimmung (Modalität) des Geschäfts z. B. L. 44 § 3 O. e. A. 44, 7. Sicher ist die technische Bedeutung erst in den von den Kompilatoren herrührenden Titelrubriken Dig. 35, 1 und Cod. 6, 45 sowie 8, 54 [55] nachzuweisen. Die Auflage wird in L. 2 § 7 de donat. 39, 5 mit condicio und in C. 1 de donat. quae sub. modo 8, 54 [55] mit lex bezeichnet. 4
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Erstes B c h .
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es Pandektenrechts.
grundsätzen dieser Geschäftsart und tritt als eigenartiges Gebilde nicht heraus2. 2. Die Auflage ist nicht Entgelt, auch nicht teilweises Entgelt für die Vermögenszuwendung. Es liegt daher keine Auflage vor, wenn z. B. beim Verkauf eines Schlofsguts dem Käufer die Verpflichtung überbunden wird, dem Publikum den Besuch des Schlofsparks zu gestatten. Denn diese Verpflichtung bildet einen Bestandteil des vom Käufer zu leistenden Entgelts 3 . 3. Selbst in Verbindung mit unentgeltlichen Vermögenszuwendungen kann die Verpflichtung des Empfängers in einer allgemeineren Rechtsforni aufgehn. So bildet sie bei letztwilligen Verfügungen ein Vermächtnis, wenn damit der Zuwendende unmittelbar einen Dritten zu bedenken beabsichtigt4. Mithin verbleibt für die Auflage als eigentümliche Rechtsform nur die einer unentgeltlichen Vermögenszuwendung beigefügte Verpflichtung, welche unter einen andern Rechtsbegriff nicht fällt und nur einen Nebenzweck der Zuwendung bildet 5 . 4. Die Auflage ist immer gerichtet auf eine Handlung6 und zwar des Empfängers der Vermögenszuwendung. Die an die Zuwendung geknüpfte Erwartung, dafs ein Dritter etwas leisten werde, ist keine Auflage. Ebensowenig die Anordnung, dafs das zugewendete Vermögen der Verfügung des Empfängers oder dem Zugriff seiner Gläubiger entzogen sein soll; denn diese Anordnung bezweckt nicht ein Sollen, sondern eine Beschränkung des Könnens. Übrigens ist die Auflage nicht auf Bestimmungen über die Verwendung des Gegebenen beschränkt, nicht einmal auf pekuniäre Leistungen des Empfängers: es kann ihm z.B. auferlegt sein, die Kinder des Gebers zu erziehn 7. 5. Meistens wird die Auflage zu Gunsten des Gebers oder eines Dritten oder der Allgemeinheit gemacht. Indes ist eine Auflage im ausschliefslichen Interesse des Empfängers nicht unmöglich, wenn gleich 2
Hierin liegt der Unterschied einer donatio sub modo und einem datum ob causam (§ 170 I). E i s e l e , Z. f. Schweiz. R. N. F. I I I S. 10. 3 L. 21 § 4, 5 AEV. 19, 1. RGE. XIV Nr. 54 S. 214 und der in Krit. VJSchr. X X X I S. 448 fg. besprochene Fall. 4 C. 2 de his quae sub modo leg. 6, 45 (für das ältere Recht belehrend) L. 7, 21 § 3 de annuis leg. 33, 1 L. 71 pr. § 1 L. 92 de cond. et dem. 35, 1. 5 Brinz 1. A. S. 1535 fg. Wird ein Kredit eröffnet „zum Neubau eines Hauses", so ist darin eine beschränkte Kreditzusage enthalten. Seuff. X X V I I I 105. 6 Oder Unterlassung. Seuff. V 167 V I I 74. 7 L. 1 § 3 ubi pup. educ. 27, 3 C. 25 § 1 de legat. 6, 37 L. 71 § 2, 3 de cond. et dem. 35, 1; dazu Pern ice a. a. O. S. 76 fg.
Die juristischen Thatsachen.
Die R e c h t s s c h e .
§
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die Beifügung einer solchen Verwendungsbestimmung in der Regel nur als unverbindlicher Rat gemeint ist oder nur den Anlafs zur Zuwendung bezeichnet8. 6. Unsittliches und Unerlaubtes, Unmögliches und Albernes kann wirksam so wenig zur Auflage wie zur Bedingung gemacht werden. Aber die Unmöglichkeit bewirkt selbst bei Rechtsgeschäften unter Lebenden nur die Hinfälligkeit der Auflage, nicht der Zuwendung selbst (im Gegensatz zum datum ob rem). II. Die Auflage wirkt gerade entgegengesetzt wie die aufschiebende Bedingung : sie hindert nicht den Erwerb der Zusicherung, nicht einmal den Anspruch auf Ausantwortung des Zugewandten9; aber mit der Annahme der Zuwendung entsteht die Verpflichtung zur Erfüllung der Auflage. Deshalb ist im einzelnen Fall wohl zuzusehn, ob Bedingung oder Auflage vorliegt. Die Worte wenn (si) und damit (ut) bilden für sich keinen sichern Führer. Im Zweifel mufs man sich für die Auflage als die geringere Beschränkung entscheiden10. III. Die Mittel zur Erzwingung der durch die Auflage erzeugten Rechtspflicht stellen sich für die einzelnen Zuwendungen (Schenkung, Erbeinsetzung, Vermächtnis) verschieden. Sie sind daher im Zusammenhang mit diesen Lehren zu erörtern. IV. Zu den Zwangsmitteln gehört bei manchen Zuwendungen das Recht, das Zugewendete bei Nichterfüllung der Auflage dem Empfänger abzufordern 11. Es liegt nahe, das Rückforderungsrecht auf den Partei willen zurückzuführen und zu sagen: der Geber mache die Zuwendung unter der Voraussetzung der Erfüllung, es entspreche sonach dem rechtsgeschäftlichen Willen nicht, dafs das Zugewandte dem Empfänger ohne die Erfüllung verbleibe. In der That ist diese Erklärung vertreten. Man hat sie sogar in einen gröfsern Zusammenhang gebracht und den allgemeinen Satz aufgestellt: der Rechtserfolg einer Willenserklärung kann durch exceptio oder actio angefochten werden, wenn die Voraussetzung nicht eingetreten ist, unter der die 8
Facti magis quam juris quaestio est, sagt Ulp. L. 2 § 7 de donat. 39, δ. Dazu L. 13 § 2 de donat. i. v. 24, 1 L 71 pr. de cond. et dem. 35, 1; Seuff. XV 139 XXX 43; L e n e l , Civ. Arch. L X X I X S. 75. Die ältere Jurisprudenz unterschied zwischen modus qualificatus (Auflage) und m. simplex (unverbindlicher Rat). 9 Besondere Sicherungsmafsregel bei Vermächtnissen. L. 19 de legat. III. 10 L. 41 pr. C. E. 18, 1 L. 80 de cond. et dem. 35, 1 L. 44 de manum. testamento 40, 4. 11 Zweifellos bei Schenkungen (§ 170 I); bestritten, ob bei Vermächtnissen, dafür W i n d scheid § 636 N. 2, dagegen, wie mir scheint aus überzeugenden Gründen, Pernice a. a. O. S. 34 fg. 292 fg.
Erstes Buch.
Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
Willenserklärung ersichtlichermaisen abgegeben wurde. Nach dieser Auffassung tritt die Voraussetzung als selbständiger Rechtsbegriff neben Bedingung und Befristung und begründet eine eigenartige Willenserklärung. Sie wird eine unentwickelte Bedingung genannt12. Die Tragweite der neuen Lehre ist bedeutend. Es wird behauptet, dafs die Voraussetzung auch stillschweigend gemacht werden kann. Danach ist es möglich, dafs ein Rechtsgeschäft von einem Beweggrund abhängig ist, der nicht zur Bedingung erhoben wurde (im Widerspruch mit dem in § 143 Gesagten). Um so ernster mufs die Lehre auf ihre Berechtigung geprüft werden. 1. Was die Anwendung auf die Auflage betrifft, so läfst sich ohne Willkür und Fiktion nicht jedem Schenker und jedem Erblasser der Wille unterstellen, dafs der Empfänger die ganze Zuwendung herausgeben soll, wenn die Auflage nicht erfüllt wird. Überdies ist das Rückforderungsrecht wegen Nichterfüllung der Auflage nicht für alle Zuwendungen anerkannt (Note 11), und wo es anerkannt ist, wird es nicht auf den Gesichtspunkt der ermangelnden Voraussetzung zurückgeführt 13. 2. Aber auch die Rückforderungsansprüche wegen grundlosen Vermögenserwerbs, auf welche die Voraussetzungstheorie als wichtigste Anwendung Bezug nimmt, werden nicht aus einer im Rechtsgeschäft auferlegten Rückgabepflicht gerechtfertigt sondern aus Billigkeit, weil der Zuwendungszweck nicht erreicht ist. Und selbst da wird die Rückforderung nur beschränkt und unter Erwägung aller Umstände zugestanden z. B. bei der condictio indebiti. Ja, es findet zuweilen 12 Schöpfer der Voraussetzungslehre ist W i n d s c h e i d , ausführlich von ihm entwickelt in der Monographie : Die Lehre von der Voraussetzung (1850), kürzer im Pandektenlehrbuch § 97—100, 423 Ziff. 3 und verteidigt gegen die Angriffe im Civ. Arch. L X X V I I I Abh. 6 (1892). Ihm sind beigetreten B a r ο η , Pand. § 60; L e o n h a r d , Irrtum S. 242 Ν. 2 (mit Beschränkung); B e k k e r § 119; Seuff. X V I 6, 103 XXIV 36 X X I X 143 X X X I 110 X X X V I 10. Dagegen haben sich erklärt V o i g t , Condictiones ob causam S. 515 fg.; Z i m m e r m a n n , Beiträge zur Lehre von der condictio indebiti S. 4 fg.; W e n d t , Reurecht I S. 19 fg. u. Pand. §58; Gradenw i t z , Über den Begriff der Voraussetzung (Berl. Dissert. 1880); D e r n b u r g l § 115 a. Ε.; L e n e l , Civ. Arch. L X X I V Abh. 6 u. L X X I X Abh. 2; Bolze, ebenda L X X V I I I S. 455 fg.; H i p p , Über Rückforderung wegen Hinfalls des Zwecks (Gotting. Diss. 1889); H o l d e r § 43 A. 2 § 54 Anm.; P e m i c e , Labeo I I I S. 64, 252,283; RGE. X X I V Nr. 32 S. 169. 13 C. 2 de condict. ob caus. dat. 4, 16: non est i n i q u u m actionem condictionis . . . decerni. In L. 2 § 7 de donat. 39, 5 bezeichnen die Worte aliter non daturus die Zweckgabe im Gegensatz zur Schenkung mit einer unverbindlichen Verwendungsbestimmung.
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§
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die Rückforderung statt, wo die „Voraussetzung" dem Empfänger nicht erkennbar war 14 . Somit entbehrt die Voraussetzungslehre der quellenmäfsigen Begründung. Sie mufs umsomehr aufgegeben werden, als sie eine Gefahr für die Sicherheit des Rechtszustands in sich trägt. Es ist ihren Anhängern nicht gelungen, den Begriff der rechtlich erheblichen Voraussetzung fest abzugrenzen. Unter dem weiten Mantel der Voraussetzung können alle Beweggründe eines rechtsgeschäftlichen Willensentschlusses als Anfechtungsgründe eingeführt werden 15. Die Voraussetzungslehre hat etwas Verlockendes, sie bietet eine bequeme Rechtfertigung für die Abhilfe gegen rechtsgeschäftliche Vermögensänderungen, die durch das Rechtsgefühl gefordert ist. Die gewünschte Rechtfertigung wird sich aber, näher zugesehn, anderweit finden lassen, häufig in dem Nachweis einer stillschweigend gesetzten Bedingung, bei letztwilligen Verfügungen auch als Irrtum im Beweggrund 16. § 167. e.
Die Z w e c k b e s t i m m u n g bei V e r m ö g e n s z u w e n d u n g e n * ,
I. Im Privatrecht spielen diejenigen Rechtsgeschäfte eine wichtige Rolle, durch die nach Absicht der Verfügenden ein Vermögen gemindert und ein andres vermehrt wird. Als Mehrung gilt auch die Befreiung des Vermögens von einer rechtlichen Beschränkung oder Verbindlichkeit. Nach dem Erfolg werden solche Geschäfte Vermögenszuwendungen genannt1. Eine Vermögenszuwendung liegt in der Eigentumsübertragung, in der Bestellung wie im Aufgeben einer Servitut, in der Begründung und in der Abtretung einer Forderung, im Erlafs einer Schuld u. s. w. 14
L. 18 pr. R. C. 12, 1; L e n e l , Civ. Arch. L X X I V S. 223 fg. Über die Vieldeutigkeit von Voraussetzung S t r o h a 1, Die Anfechtung letztwilliger Verfügungen im deutschen Entwurf (1892) S. 36 fg. 16 Untersuchungen in dieser Richtung stellt an L e n e l , Civ. Arch. L X X I X S. 54 fg. 75 fg. Vgl. auch S t r o h a l a. a. O. S. 18 fg. 40 fg. und RGE. XXIV Nr. 32 S. 170. * Ein in neuerer Zeit viel behandelter Gegenstand. Aus der umfangreichen Litteratur sind hervorzuheben: B ä h r , Die Anerkennung als Verpflichtungsgrund § 3—8 (1855, 2. A. 1867); Schlofsmann, Zur Lehre von der causa obligator. Verträge (1868); L Otmar, Über causa im röm. Recht (1875); K a r I o w a , Das Rechtsgeschäft § 28 (1877); L e n e l , Civ. Arch. L X X I V S. 230 fg. (1889), L X X I X S. 62 fg. (1892). 1 Der Begriff, von jedermann gebraucht, ist erst von B e k k e r § 100 genauer untersucht worden. Er geht über die Rechtsgeschäfte hinaus; hier werden aber nur die rechtsgeschäftlichen Zuwendungen in Betracht gezogen. 16
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Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
Die Vermögenszuwendung ist nicht Selbstzweck, sondern nur Mittel zum Zweck: man überträgt z. B. Eigentum, um zu schenken oder eine Schuld zu tilgen oder ein Darlehn zu begründen u. s. w. Das Wollen des Zwecks ist das, was in der Seele des Handelnden zunächst auftaucht; es ruft den Entschlufs zur Vermögenszuwendung hervor, bildet ihren Grund, causa. Mit einer kleinen Ungenauigkeit im Ausdruck bezeichnet man den Zweck selbst als den bestimmenden Grund, als causa der Eigentumsübertragung, der Schuldverpflichtung u. s. w.: man spricht gleichbedeutend bald vom Zweck bald vom Grund der Vermögenszuwendung2. II. Der Zweck, Bestimmungsgrund, causa, einer Vermögenszuwendung kann sehr verschieden sein. Schuldtilgung (causa solvendi), Schuldbegründung (c. credendi), Schenkung (c. donandi) sind nur die häufigsten; denn z. B. Dosbestellung, Erfüllung einer Bedingung, arra u. a. lassen sich mindestens nicht ohne Zwang darunter bringen. Im allgemeinen wird die Vermögenszuwendung gemacht entweder aus Freigebigkeit, eingeschlossen die Gefälligkeit, wie sie dem Kommodat, Depositum, Mandat zu Grunde liegt, oder um eines Gegenvorteils (Entgelts) willen, worunter alles zu verstehn ist, was nach Verkehrsauffassung die Freigebigkeit ausschliefst, z. B. Ausstellung eines Schuldscheins3. III. Mit dem bis jetzt betrachteten Zweck schliefst die Kausalbeziehung nicht ab. Der Wille z. B. zu schenken hat selbst seinen Grund in einem andern Zweck : Dankbarkeitserweisung, Hervorrufung eines Gegengeschenks, Prahlerei vor der Welt u. s. w. Zwischen jenem die Vermögenszuwendung unmittelbar bestimmenden Grund und dem Beweggrund des Schenkungs-, Kaufs-, Zahlungswillens ist rechtlich ein wesentlicher Unterschied. Der Bestimmungsgrund verleiht dem Rechtsgeschäft regelmäfsig den rechtlichen Charakter, gestaltet es zur Schenkung, Zahlung, Darlehn u. s. w., seine Fehlerhaftigkeit begründet zum mindesten einen obligatorischen Anspruch auf Rückgängigmachung des Vermögensübergangs. Der Beweggrund dagegen ist meistens für das Rechtsgeschäft und seine Wirkung gleichgültig, nur ausnahmsweise gewinnt er rechtliche Bedeutung4. 2
Causa wird in diesem Sinn in den Quellen viel gebraucht z. B. L. 31 pr. ARD. 41, 1, aber noch in manchem andern: a. von Rechtssache (z B. causa centum viral is), b. von rechtlicher Lage oder Beschaffenheit (z. B. res transit cum sua causa), c. als das zu einem Gegenstand Hinzukommende (omnis causa). V o i g t , Die condictiones ob causam S. 1 fg. und LOtmar a. a. 0. 3 L e n e l a. a. 0. 4 Beisp. : Das einseitige Versprechen zu Gunsten einer Stadtgemeinde wird verbindlich, wenn es ob honorem vel ob aliam justam causam erfolgt; die Schenkung
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§ 1 .
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IV. Die Rechtsgeschäftsarten verhalten sich zu der Zweckbestimmung verschieden. Es giebt Geschäftsarten, zu deren Thatbestand ein gewisser Bestimmungsgrund gehört, so dafs sie mit einem andern nicht vorkommen können: alle Real- und Konsensualkontrakte. Andere sind mit verschiedenen Zweckbestimmungen vereinbar: die Eigentumsübertragung, die Servitutbestellung, das Aufgeben eines dinglichen Rechts an einer fremden Sache, die Forderungsabtretung, der Schulderlafs, die römische Stipulatio, der heutige Wechsel u. a. Ich möchte die Geschäftsarten der erstem Gruppe gebundene, die der zweiten ungebundene nennen5. Bei den ungebundenen findet wegen des loseren Zusammenhangs mit dem Bestimmungsgrund eine doppelte Eigentümlichkeit statt. 1. Die Vermögenszuwendung kann dem objektiven Dasein des Bestimmungsgrunds vorausgehn. Dies ist der Fall, wenn sie zu einem erst künftig zu verwirklichenden Rechtszweck gemacht ist, datum (promissum) ob causam futuram 6. Verwirklicht sich der Zweck nicht, so ist die Vermögenszuwendung anfechtbar, mit exceptio gegen die Klage auf Leistung des Versprochenen, mit condictio auf Rückgabe des Geleisteten. 2. Ein Bestimmungsgrund ist auch bei jedem ungebundenen Rechtsgeschäft vorhanden, wenigstens subjektiv, d. h. dafs die Parteien mit der Vermögenszuwendung einen Zweck verfolgen ; eine Eigentumsübertragung ohne Zweck wäre ein sinnloses Handeln. Aber bei den ungebundenen Geschäften kann denkbarerweise das positive Recht den Eintritt der Vermögensänderung von dem objektiven Dasein des Bestimmungsgrunds derart unabhängig erklären, dafs bei dem Urteil über den nächsten Erfolg eines solchen Rechtsgeschäfts nur gefragt werden darf, ob die Parteien den Eigentumsübergang, die Wechselverpflichtung u. s. w. gewollt haben, nicht aber zu welchem Zweck und noch weniger, ob der Zweck erreicht ist. In der That ist diese Eigentümlichkeit einigen ungebundenen Geschäftsarten verliehen. Man nennt sie a b s t r a k t e Rechtsgeschäfte, wozu den Gegensatz die k a u s a l e n
wird unwiderruflich, wenn sie zur Vergeltung der Lebensrettung dient; eine Veräufserung wird anfechtbar, wenn sie creditorum fraudandorum causa gemacht wird. Andre Beispiele bei L O t m a r , Causa S. 71—74. 5 B r i n z 1. A. S. 1540, 2. A. § 559 hat dafür die Ausdrücke unbewegliche und bewegliche Geschäfte; R a n d a , Eigentum I § 11 N. 49 nennt die zweite Gruppe neutrale. 6 Dosbestellung vor der Ehe L. 7 § 3 J. D. 23, 3; wissentliche Zahlung einer bedingten Schuld L. 16 de solut. 46, 3 u. a. R i n d i n g , Handbuch.
I. 7. I : R e g e l s b e r g e r , Pand. I.
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Erstes Buch.
Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
(individualisierten) bilden 7 . Die Stipulation war, der Wechselvertrag ist ein abstraktes Geschäft. Ob auch die Tradition, die Cession, der Schulderlafs, sind bestrittene Fragen, die nur bei den Einzellehren Erledigung finden können. Es kommen auch Zwischenbildungen vor: teils derart, dafs zum Thatbestand des Rechtsgeschäfts nur die Einigung der Parteien über den Zuwendungsgrund gehört, nicht das wirkliche Dasein desselben, teils so, dafs die Geschäftsart die Aufnahme des Zuwendungsgrunds duldet, aber nicht fordert 8. Die abstrakten Rechtsgeschäfte sind künstliche Erzeugnisse des positiven Rechts. Mit ihnen ist der doppelte Vorteil verknüpft: Erleichterung der Beweisführung und gesteigerte Umlaufsfähigkeit der dadurch erzeugten Rechte, weil der Thatbestand der Entstehung vereinfacht und damit leicht ersichtlich ist. Diesen Vorteilen steht freilich die Gefahr gegenüber, dafs möglicherweise ein Rechtserfolg geschaffen wird, welcher der materiellen Rechtfertigung ermangelt. Zwar ist dieser Mangel auch für die Vermögenszuwendungen durch abstrakte Rechtsgeschäfte nicht rechtlich bedeutungslos. Aber er begründet regelmäfsig nur eine Anfechtbarkeit des Vermögensübergangs (durch exceptio und condictio). Nur wenige verbotene Zuwendungsgründe schliefsen bei abstrakten Rechtsgeschäften den Vermögensübergang aus z. B. donatio inter virum et uxorem. d.
Die Schenkung*.
§ 168. aa.
Begriff.
Die Möglichkeit, Andern unentgeltliche VermögenszuWendungen zu machen, ist durch ein sittliches Bedürfnis gefordert. Aber sie birgt auch Gefahren in sich : sie kann leicht zu einer unbedachten empfind7
Abstrakt, weil in der rechtlichen Beurteilung von einem in den Augen der Parteien wesentlichen Punkt des Thatbestands abgesehen wird. Weniger gut sprechen Andere in demselben Sinn von Formalgeschäften. Damit wird die irrige Vorstellung erweckt, als ob die Eigentümlichkeit in der Beobachtung einer Form liege. Nicht alle förmlichen Geschäfte sind abstrakte, und ob alle abstrakten förmliche sind, ist fraglich. 8 Über erstere S t r o h a l , Jher. Jahrb. X X V I I S. 335 fg., ein Beispiel der letztern in RGE. X I I Nr. 21 S. 92 (kaufmännischer Verpflichtungsschein). * Tit. de donationibus Inst. II, 7 Dig. XXXIX, 5 Cod. VIII, 53 [54]. - L. v. M e y e r f e l d , Die Lehre von den Schenkungen nach röm. Recht, 2 Bde. (1835, 1837, unvollendet); S a v i g n y IV § 142—176 u. Beil. IX, X (1841); B u r c k h a r d , Über Schenkungsannahme (1892).
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Die R e c h t s s c h e .
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1 8 . 6 1 1
liehen Vermögensschwächung führen oder bei einem innigen Verhältnis von Personen in eigennütziger Weise ausgebeutet oder von einem Schuldner zur Benachteiligung seiner Gläubiger mifsbraucht werden u. a. Zur Bekämpfung dieser Gefahren hat das römische Recht eine Reihe einschränkender Rechtssätze aufgestellt. Diese Beschränkungen sind für die römische Jurisprudenz der Anlafs gewesen, sich mit einer genauem Feststellung des volkstümlichen Begriffs der Schenkung zu befassen. Allein sie thaten dies immer mit Beziehung auf einen bestimmten praktischen Rechtssatz. Nun beruhen diese Rechtssätze auf ganz verschiedenen Erwägungen, das Schenkungsverbot unter Ehegatten soll einer andern Gefahr begegnen als die Schranke für das Mafs von Schenkungen u. s. w. Die Verschiedenheit des Gesichtswinkels, unter dem die Frage betrachtet wurde, ob eine Schenkung vorliege, mufste auf die Antwort Einflufs gewinnen. Darum kann für die Ermittlung des allgemeinen Schenkungsbegriffs die einzelne Entscheidung in den Quellen nur mit Vorsicht verwertet werden (Vgl. I, 3 u. 4). I. Im allgemeineren Sprachgebrauch wird jeder Freigebigkeitsakt Schenkung, donatio, genannt, so das Vermächtnis eine donatio testamento relicta (L. 36 de legat. II). Aber die praktischen Schenkungsvorschriften beziehen sich nur auf Freigebigkeitsakte besondrer Art, die sich durch folgende Merkmale kennzeichnen l . 1. Die Schenkung ist eine unentgeltliche Vermögenszuwendung2. Wird in einem gegenseitigen Vertrag die Leistung der einen Partei nicht im vollen Betrag des Gegenwerts bestimmt, um ihr zugleich eine reine Vermögensbereicherung zuzuwenden (Freundeskauf), so liegen für die juristische Betrachtung zwei Geschäfte vor, ein entgeltlicher Vertrag und eine Schenkung (negotium mixtum cum donatione), von denen jedes nach seinen besonderen Grundsätzen zu beurteilen ist 3 . 1
Die neueren Reichsgesetze vermeiden zum Teil den Ausdruck Schenkung z. B. KKO. § 25 Ziff. 1 und Anfechtungsgesetz vom 21. Juli 1879 § 3 Ziff. 3: „unentgeltliche Verfügungen", KKO. § 56 Ziff. 4: „Forderungen aus einer Freigebigkeit"; dagegen Reichsbeamtengesetz v. 31. März 1873 § 15: „Geschenke". Die Bedeutung der Ausdrücke mufs aus Zweck und Zusammenhang jedes Gesetzes ermittelt werden. 2 Freiwillige Pfandbestellung ist keine unentgeltliche Zuwendung RGE. V I Nr. 22 S. 85 IX Nr. 21 S. 103; ebensowenig das einem Angestellten gemachte Versprechen besondrer Belohnung für gute Ausführung seines Auftrags RGE. X X V I I Nr. 85 S. 338. 3 So Ulp. L. 5 § 5 de donat. i. v. 24, 1 und Pomp. L. 31 § 3 eod. Wie verhält sich hiezu Ulp. L. 38 C. E. 18, 1 ? W i l l man nicht einen auffallenden Widerspruch zwischen den Äufserungen desselben Juristen annehmen, so mufs man in 39 *
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Erstes Buch.
Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
2. Die Vermögenszuwendung mufs erfolgen, ohne dafs dafür eine rechtliche Verbindlichkeit besteht Eine blofs sittliche Pflicht (Almosenspende, Unterstützung von Geschwistern oder entfernteren Verwandten) schliefst die Schenkungsnatur nicht aus4. 3. Die Schenkung ist eine Zuwendung, wodurch das Vermögen des Zuwendenden gemindert wird. Verzicht auf ein Sicherungsmittel ist darum keine Schenkung (L. 1 § 1 i. f. quib. mod. pign. 20, 6), ebensowenig sind es die letztwilligen Zuwendungen, da der Erblasser nur bestimmt, wer sein Vermögen haben soll, wenn er es nicht mehr haben kann. Aber die Minderung kann auch in dem Entzug eines sonst zugehenden Erwerbs bestehen z. B. durch die Überlassung der Fruchtziehung 5. Ausgesprochenermafsen fällt die Ablehnung einer Erbschaft oder eines Vermächtnisses zu Gunsten einer bestimmten Person nicht unter das Schenkungsverbot unter Ehegatten und konnte wegen wissentlicher Benachteiligung der Gläubiger nicht angefochten werden 6. Damit ist auch die Unanwendbarkeit der andern Schenkungsbeschränkungen entschieden7. 4. Das Schenkungsverbot unter Ehegatten greift seiner Richtung nach nur platz, wenn das Vermögen des Begünstigten durch das Vermögensopfer des Gebers vermehrt wurde (L. 5 § 8—12, 16 de don. i. v. 24, 1). Darauf beschränkt sich dieses Erfordernis 8; für die übrigen Schenkungsrechtssätze wäre es zweckwidrig. 5. Die Zuwendung mufs in der Absicht erfolgen, gegen den Empfänger eine Freigebigkeit zu bethätigen (animo donandi, munificentiam L. 38 cit. den Ausdruck venditionem val ere in dem Sinne verstehn, das Geschäft gelte (unentschieden ob ganz als Kauf), und den Ausdruck venditio facta pretio viliore nullius momenti est dahin, das Geschäft gelte nicht, soweit zu billig verkauft ist. Bremer, Jher. Jahrb. X I I I S. 118—136. Seuff. X X X I 138 (bedenklich X X V I I I 223) RGE. X X I X Nr. 65 S. 266. 4 B r e m e r a. a. 0. S. 99; Seuff. X X I I I 129a (anders XX 35); RGE. VIII Nr. 36 S. 143 X V I Nr. 52 S. 184. 6 L. 9 pr. § 1 h. t. L. 65 § 7 de cond. indeb. 12, 6. Der Verzicht auf künftige Zinsen (im Gegensatz zu verfallnen L. 21 § 1 L. 54 de donat. i. v. 24, 1) -enthält keine Schenkung. L. 23 pr. h. t.; Sächs. GB. § 1051. 6 L. 5 § 13, 14 L. 31 § 7 de don. i. v. 24, 1 L. 1 § 6 si quid in fraud, patr. 38, 5 L. 6 § 2 - 5 quae in fraud, cred. 42, 8. 7 So die herrschende Meinung, auch Seuff. XXXIV 206; Sächs. GB. § 1051. A. M. D e r n b u r g I I § 106 N. 9 und B u r c k h a r d a. (Note *) a. 0. S. 117 fg. Die Frage, ob eine Dos bestellt sei, wurde mit einem andern Auge angesehn als die Frage, ob die Schenkungsbeschränkungen Anwendung finden. Daher trifft die von B u r c k h a r d angezogene Analogie nicht zu. 8 A. M. die herrschende Ansicht, so auch Seuff. X X I I I 130 u. nach preufs. Recht RGE. X X V I I I Nr. 46 S. 202. Dagegen D e r n b u r g I I § 106 N. 5, 12.
Die juristischen Thatsachen.
Die R e c h t s s c h e .
§ 18.
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suani exercendi L. 1 § 1 h. t.). Es schenkt nicht, wer sich vergleicht, wer eine Sache zu billig verkauft entweder weil er ihren Wert nicht kennt oder sie um jeden Preis los sein will. Wer eine Dos bestellt, bekundet damit keine Freigebigkeit gegen den Mann9. 6. Es kann niemanden eine Schenkung aufgedrungen werden (L. 19 § 2 h. t.). Die Entstehung der Schenkung ist dadurch bedingt, dals der Bedachte in Kenntnis von der Absicht des Gebers die Freigebigkeit ausdrücklich oder stillschweigend annimmt. Daher wird die Schenkung vereitelt, wenn jemand eine ihm schenkungsweise behändigte Summe in der Meinung entgegennimmt, sie als Darlehn zu erhalten 10. Möglicherweise kann die Zuwendung ohne Wissen und Mitwirkung des Bedachten in sein Vermögen übergehen z. B. bei der Bezahlung eines Gläubigers durch einen Dritten 11 . Dann ist die Zuwendung vor der Entscheidung des Erwerbers, ob er die Schenkung annimmt, ein datum ob causam futuram. Freilich mufs in diesem Fall der Empfänger, um die Schenkung auszuschliefsen, in der Höhe seiner Bereicherung dem Zuwendenden sein Vermögensopfer vergüten. Wenn aber bei einem Kauf dem Käufer nicht erkenntlich war, dafs der Verkäufer in Schenkungsabsicht den Kaufpreis niedrig stellte, so ist das ganze Geschäft Kauf und als solcher gültig 12 . II. Eine Sonderstellung nehmen d i e S c h e n k u n g e n v o n T o d e s w ege η, donationes mortis causa, ein. Der Bestand dieser Schenkungen ist von dem Umstand abhängig, dafs der Beschenkte nicht vor dem Schenker stirbt (L. 1 pr. de mort. c. don. 39, 6). Der Tod des Zuwendenden hat hier eine ähnliche Bedeutung wie für Erbeinsetzung und Vermächtnis; ja, durch die Schenkung ν. T. w. wird der gleiche 9
Belehrende Rechtsfälle in L. 27 h. t. L. 49 de don. i. v. 24, 1 Seuff. X X V I 129 RGE. XIV Nr. 46 S. 192 (wo L. 5 § 15 eod. Berücksichtigung verdient hätte). 10 L. 18 pr. R. C. 12, 1. Der Ausschlufs der condictio des Schenkers, wenn der Empfänger das Geld verbraucht hat, erklärt sich daraus, dafs „haec condictio ex aequo et bono introducta est". L. 66 de cond. ind. 12, 6. 11 L. 23, 91 de solut. 46, 3. Vgl. ferner L. 4 de neg. gest. 3, 5 L. 9 § 8 R. C. 12, 1 L. 14, 35 § 2 h. t. L. 8 § 5 i. f. de novat. 46, 2 C. 2 i. f. R. V. 3, 32. 12 Die Frage, ob die Genehmigung der Zuwendung als Schenkung durch den Empfänger zu den Schenkungserfordernissen gehöre, gewöhnlich in der Fassung aufgeworfen, ob die Schenkung ein Vertrag sei, ist durch die ungenügende Auseinanderhaltung von Vermögenszuwendung und Schenkung getrübt worden. Nur für gewisse Fälle erkennen das Erfordernis an S a v i g n y , IV S. 145 fg.; M e y e r f e l d a. a. Ο. I S. 37; Bremer a. a. 0. S. 136 fg.; B e k k e r § 102 Beil. V. Die richtige Ansicht vertreten B ö c k i n g § 106 N. 12; U n g e r I I S. 196; W i n d s c h e i d § 365 N. 5; B r i n z S. 1546, 2. Α. IV S. 250; D e r n b u r g I I § 106 N. 14; H o l d e r § 55 Anm. 2; B u r c k h a r d a. a. 0.; Seuff. X X I X 129; RGE. XV Nr. 51 S. 217 X X V I Nr. 5 S. 18; Eine Ausnahme macht ihrer Natur nach die Sch. in § 88 N. 16.
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Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
praktische Erfolg erzielt wie durch Vermächtnis. Mit ihr sind nicht die Gefahren verbunden, gegen die sich die für die Schenkungen unter Lebenden aufgestellten Rechtssätze richten. Aus diesen Gründen sied die Schenkungen v. T. w. diesen Rechtssätzen nicht unterworfen, sie unterliegen vielfach einer den Vermächtnissen aualogen Behandlung. Daher wird ihre Darstellung zweckmäfsig mit der Lehre von den Vermächtnissen verbunden. Das Nachfolgende bezieht sich nur auf die Schenkungen unter Lebenden. III. Die Rechtsgeschäfte pflegen im Zusammenhang mit den Rechten erörtert zu werden, die sie hervorzubringen, abzuändern oder aufzuheben bestimmt sind. Hieraus entspringt für die Einreihung der Lehre von den Schenkungen in das Rechtssystem eine Schwierigkeit. Denn die Schenkung kann sich mit verschiedenen Arten der Vermögenszuwendung verbinden, mit der Eigentumsübertragung, der Servitutbestellung, der Begründung, Abtretung und Aufhebung von Forderungen u. s. w. Es fehlt auch für die Schenkung unter Lebenden ein ähnlicher Anknüpfungspunkt, wie er sich für die Schenkung v. T. w., für die Dosbestellung und die Zahlung findet; sie teilt darin das Schicksal des Vergleichs. Daher erübrigt nur, beide Lehren im allgemeinen Teil des Pandektenrechts zu erledigen 13.
bb.
Die
§ 169. Schenkungsbeschränkungen.
I. Die Schenkungen liegen aufserhalb des Bereichs der regelrechten Wirtschaft. Daher sind die Verwalter eines fremden Vermögens nicht befugt, daraus Schenkungen zu machen, so frei auch sonst ihre Verfügungsmacht sein mag. II. Schenkungen unter Ehegatten sind verboten. Es sind wenige Geschäfte so sehr von der Ungunst des römischen Rechts verfolgt als diese. Das Nähere im Eherecht.1 13
Die Justinianischen Institutionen, das preufsische Landrecht und die ältern Schriftsteller handeln von den Schenkungen im Zusammenhang mit dem Eigentumserwerb. Das erweckt die falsche Vorstellung, als ob die Schenkung sich nur in der Eigentumsübertragung verkörpere. Einem ähnlichen Vorwurf begegnet die von Neueren ( W ä c h t e r , W i n d s c h e i d , D e r n b u r g ) gewählte Einfügung in das Obligationenrecht. Gegen die Verteidigung von W i n d s c h e i d § 365 N. 18 und für die Behandlung unter den allgemeinen Lehren B u r c k h a r d , Die Stellung der Schenkung im Rechtssystem 1891. 1 Dem öffentlichen Recht gehört die Vorschrift des RG. v. 21. März 1873 § 15 an, dafs Reichsbeamte Geschenke in Bezug auf ihr Amt nur mit Genehmigung der obersten Reichsbehörde annehmen dürfen.
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§ 1 . 6 1 5
III. Eine besondere Gefahr liegt in der Möglichkeit grofser Schenkungen. Ihr suchte schon ein Gesetz aus der Zeit der Republik, die Lex Cincia (a. 550 u. c.) vorzubeugen2. Das Gesetz kam in der Zeit nach der klassischen Jurisprudenz aufser Geltung. Unter den christlichen Kaisern entwickelte sich aber für grofse Schenkungen eine erschwerende Rechtsform, die noch im heutigen Recht gilt 3 . 1. Schenkungen über 500 Solidi müssen vor Gericht oder Notar errichtet werden. Die Thätigkeit des öffentlichen Beamten beschränkt sich auf die Beurkundung der Parteierklärung, ein Recht zur Bestätigung oder Verwerfung der Schenkung steht ihm nicht zu. Es genügt die Protokollierung der Erklärung des Schenkers. Dafs der Akt als Schenkung bezeichnet wird, ist nicht wesentlich (RGE. XXII Nr. 39 S. 193). Die Notwendigkeit, das Gericht oder den Notar aufzusuchen, soll den Schenker vor Übereilung schützen4. Daher mufs er persönlich vor Gericht erscheinen, Stellvertretung ist ausgeschlossen5 ; auch die Einsendung der Erklärung an das Gericht genügt nicht. Ein vorgängiger wenn auch schriftlicher Vertrag zwischen Schenker und Beschenktem ist unverbindlich, ebenso die Verabredung einer Strafe für die Verweigerung der gerichtlichen Errichtung. Nur Schenkungen über 500 Solidi bedürfen der gerichtlichen Verlautbarung. Der Solidus, eine byzantinische Goldmünze, wurde durch die deutsche Praxis einem Dukaten von 4 Gulden im 18 Guldenfufs gleichgestellt. Danach betragen 500 Solidi 46662/a Reichsmark6. 2
Die Überlieferung über den Inhalt der L. Cincia ist lückenhaft. Daher gehen die Ansichten der Rechtshistoriker auseinander. P u c h t a , Institut. § 206 beiN. 22—99. K e l l e r , Ρ. § 67. N. 1. 3 Die Entwicklung setzt ein mit einer Verordnung von Constantius Chlorus, im einzelnen ist ihr Gang nicht zweifellos. S a v i g n y IV S. 199 fg.; Β r u n η er, Zur Rechtsgeschichte der röm. u. german. Urkunde I S. 128 fg. Über das geltende Recht handeln C. 25, 27, 30, 31, 34, 35 h. t. B r e m e r Jher. Jahrb. X I I I S. 89 —181 (1874); Η. Ρ er n i c e , Zur Lehre von der Insinuation der Schenkungen (Greifsw. Diss. 1882). B ä h r , Urteile des Reichsgerichts S. 177—188. 4 Nach Seuff. XXXVIII. 23 (Münch.) und RGE. X V I I I Nr. 51 S. 251 sowie Seuff. XLVI. 94 (RG.) soll der Zweck des Insinuationsgebots nur Sicherung des Beweises sein, mit den bedenklichen Folgen in Note 5 u. 9. Eine andere Ansicht findet sich in RGE. V Nr. 34 S. 132 VI Nr. 49 S. 184 X X I I Nr. 39 S. 194. 5 Anders RGE. X V I I I Nr. 51 S. 251 (vgl. Note 4). 6 S a v i g n y IV S. 210 rechnete den Dukaten zu 4 fl. im 20 fl. Fufs und kam danach auf die Summe von 1400 Thalern. Ihm folgten Theorie und Praxis. Seit F r a n c k e Civ. Arch. X L V I I S. 337 fg. den Irrtum nachgewiesen hat, erkennen die Gerichte nach der Berechnung im Text. Seuff. X X V I I 229 XXXIV 119 X X X V I I I 23 RGE. I Nr. 115 S. 313. Gegen das Abgehen von der früheren Übung B ä h r a. (X. 3) a. O.
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Geht die Schenkung nicht auf Geld, so mufs ein Wertanschlag gemacht werden, wobei die vom Gegenstand abfallenden Nutzungen aufser Rechnung bleiben7. Mehrere derselben Person zu verschiedenen Zeiten gemachte Schenkungen werden als selbständige Geschäfte behandelt, denn jede beruht auf einem selbständigen Willensentschlufs 8. Wenn jemand mehreren Personen gleichzeitig schenkt, so schliefst er zwar so viele Geschäfte als Beschenkte da sind. Gleichwohl ist für das Formerfordernis die Gesamtsumme entscheidend, da alle Schenkungen auf einem und demselben Willensentschlufs beruhn, gegen dessen Übereilung Schutz geboten werden soll 9 . Die unentgeltliche Zuwendung des Rechts auf zeitlich wiederkehrende Leistungen (Renten) ist eine einheitliche Schenkung. Ist die Rente auf eine bestimmte Zahl von Jahren geschenkt, so ergiebt sich die Gröfse der Schenkung aus der Zusammenrechnung der Jahresleistungen. Andernfalls ist die gerichtliche Errichtung geboten, wenn entweder der einzelne Jahresbetrag das gesetzliche Mafs übersteigt oder wenn die Schenkung auf die Erben sei es des Schenkers oder des Beschenkten erstreckt ist 1 0 . Bei der 7 L. 9 § 1 L. 11 h. t. Über die schwierige Schätzung bei Schenkung einer Lebensversicherung D a n z , Die Forderungsüberweisung S. 135 fg. Seuff. XXIV 240 RGE. X X V I I I Nr. 42 S. 182. 8 C. 34 § 3 h. t. Aus dem im Text angegebenen Grund liegt keine rechtswidrige Gesetzesumgehung vor, wenn eine Zuwendung, um die formelle Fassung zu vermeiden, in mehrere zeitlich getrennte Schenkungen zerlegt wird. A. M. I v o P f a f f , Zur Lehre vom sog. in fraudem legis agere S. 85. 9 Diese in den Quellen nicht behandelte Frage wird jetzt fast durchgängig anders entschieden. Über die Litteratur vgl. Ρ er n i ce a. (Ν. 3) a. Ο., dazu W i n d s c h e i d § 367 Ν. 5; B e k k e r I I S. 193. Seuff. X L V I 94 (RG.) u. Nachw. Aber es ist nicht der formelle Gesichtspunkt mafsgebend, dafs mehrere rechtliche Thatbestände vorliegen. Wie im Text die älteren Juristen (Pernice a. a. 0.) und B r e m e r a. a. 0. S. 110 fg. Seuff. X X V I I I 224. 10 C. 34 § 4—4 b h. t., ein Gesetz, das Zweifel der ältern Jurisprudenz zu lösen suchte und neue geschaffen hat. Ausführlich handelt darüber P e r n i c e a. a. 0. S. 47 fg. Man hat durch Textänderung zu helfen gesucht in verschiedener Weise (C u i a c i u s Obs. XV 22 ; S a v i g η ν IV S. 214 ; W i n d s c h e i d § 367 N. 6), alles willkürlich und auch sonst nicht befriedigend. Die Ansicht im Text geht davon aus, dafs Justinian nur die höchst gebrechliche unbestimmbare Sch. vom Insinuationserfordernis ausnehmen wollte. Sie ist allerdings genötigt, die Bindewörter vel—vel im § 4a im Sinn von et—et zu verstehn, was in der lateinischen Sprache nicht unerhört ist. Z o l l Jher. Jahrb. XIV S.383 fg.; P e r n i c e S. 59. Abweichende Meinungen: Der Formzwang tritt nur ein, a. wenn die Leistungen auf die Erben beider Parteien übergehn sollen. W i n d s c h e i d a. a. 0 . ; B e k k e r I I S. 194; Seuff. X V I I I 40 RGE. V I I I Nr. 36 S. 144; b. wenn die Schenkung
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Schenkung einer ewigen Rente gilt als Schenkung der kapitalisierte Betrag 11 . 2. Der Mangel der gebotenen Insinuation macht die Vermögenszuwendung, soweit sie den Wert von 500 Solidi übersteigt, nichtig, berührt aber die Gültigkeit auf die Höhe dieses Betrages nicht (C. 34 § 1, 3, 4 b h. t.). Die Beschränkung der Nichtigkeit auf das Übermafs führt zu eigentümlichen Rechtsverhältnissen, wenn der Gegenstand der Schenkung nicht in Geld besteht. Bei der Schenkung von andern Sachen entsteht zwischen Schenker und Beschenktem Miteigentum nach Verhältnis von 500 Solidi zum Wert der Sache; dabei findet ein eigentümliches Abfindungsrecht des einen Miteigentümers gegen den andern statt (C. 34 § 2—2b h. t.). Wenn jemand eine fremde Schuld schenkungsweise zahlt oder übernimmt, so wirkt der Mangel der Form nicht gegen den Gläubiger, der beim Empfang den Zweck der Zahlung oder Übernahme nicht kannte. Der Schenker kann jedoch den Beschenkten auf Ersatz belangen (mit condictio ob injustam causam)12. 3. Von dem Erfordernis der Insinuation sind folgende Schenkungen durch positive Vorschrift befreit : a. des Regenten und an ihn,
noch eine gewisse Zeit nach dem Tode des Schenkers oder Beschenkten dauern soll. B r i e g l e b Civ. Arch. X X X V I I I S. 142 fg.; A r n d t s § 81 A. 4; D e r n b u r g I I § 108 N. 9. 11 Arg. C. 35 § 4 h. t. B r e m e r a. a. O. S. 169 fg. Schlechthin verlangt die Form S a v i g n y IV S. 213 fg., ebenso Seuff. X I 241. 12
Die Quellen behandeln die Frage mit Beziehung auf Delegation und Expromission. Da die Aktivdelegation im heutigen Recht überhaupt nicht mehr vorkommt und da die Passivdelegation mit der heutigen Schuldübernahme nicht identisch ist ( R e g e l s b e r g e r Krit. VJSchr. X X V I I I S. 392 fg.), so kann von den Entscheidungen nur analog Gebrauch gemacht werden. Aber diese Entscheidungen sind selbst verschieden: der Ungültigkeit wegen verbotener Schenkung unter Ehegatten wird Wirkung auf den Dritten beigelegt, mit dem das die Schenkung vermittelnde Geschäft abgeschlossen wurde (L. 5 § 2—4 L. 39 de donat. i. v. 24, 1), der Ungültigkeit wegen übermäfsiger Sch. nicht (L. 21 § 1 h. t. L. 5 § 5 de doli exc. 44, 4). Die letztern Aussprüche bezogen sich ursprünglich auf das Verbot der L. Cincia. Nun meint Savigny IV S. 588, 596, 599, dafs diese milde Behandlung nicht zu der durchgreifenden Bekämpfung passe, die Justinian für die Vernachlässigung der Insinuation angeordnet hat. Allein es ist doch bedenklich, zwei in die Digesten aufgenommene Stellen unbeachtet zu lassen. Und dann verdient die Beschränkung der Verbotswirkung auf Schenker und Beschenkten vom Standpunkt der Verkehrssicherheit den Vorzug. Bremer^S. 151 fg.; P e r n i c e S. 88 fg.; W i n d s c h e i d § 367 N. 8; B e k k e r I I S. 194; Seuff. X X I 235.
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b. zum Wiederaufbau eines zerstörten Gebäudes, c. zum Loskauf von Gefangenen, d. an eine Frau durch Dosbestellung13. IV. Der Schenker kann die Schenkung wegen Undanks des Beschenkten widerrufen 14. Als triftiger Anlafs für diesen Widerruf sind nur anerkannt: a. grobe wörtliche Beleidigung, b. thätliche Vergreifung am Schenker, c. Versetzung desselben in Lebensgefahr, d. absichtliche Zufügung eines bedeutenden Vermögensverlusts, e. Nichterfüllung der dem Beschenkten gemachten Auflage 1 δ . Im justinianischen Recht bestand daneben ein Widerrufsrecht für Schenkungen der Patrone an ihre Freigelassenen, wenn clem zur Zeit der Schenkung kinderlosen Patron nachträglich Kinder geboren wurden. Die ältere deutsche Praxis hat dies zu einem allgemeinen Widerrufsrecht wegen nachgeborner Kinder umgestaltet. Ihr folgten fast alle neueren Gesetzbücher, ein gewichtiges Zeugnis für die allgemeine Einbürgerung des Rechtssatzes, dem auch die Billigkeit zur Seite steht 16 . Der Widerruf wegen Undanks wird als Mittel zur Sühne persönlicher Kränkung aufgefafst. Er kann nur vom Schenker, nicht von seinem Erben, und nur gegen den Beschenkten selbst ausgeübt werden. Insoweit ist das Widerrufsrecht unvererblich. Hat aber der Schenker den Widerruf, wenn auch aufsergerichtlich erklärt, so kann auch der Erbe den Anspruch auf Rückgabe geltend machen (§ 53 N. 39). Der Anspruch ist beschränkt auf die Bereicherung des Beschenkten zur Zeit der Widerrufserklärung. Der Widerruf wegen nachgeborner Kinder steht zwar nur dem Schenker zu, ihm aber auch gegen die Erben des Beschenkten. V. Schenkungen unterliegen einer eigentümlichen Anfechtung durch dritte Personen : durch die Gläubiger des Schenkers, durch die pflichtteilsberechtigten Erben 17 . 13 C. 34 § l a (pr.) C. 36 pr. § 2 h. t. C. 31 pr. J. D. 5,12 Seuff. X L I I 216. Andere Ausnahmen sind nicht nachweisbar, auch nicht für die Sch. durch Schulderiafs. B r e m e r S. 96 fg. Seuff. V 165 V I 39 V I I 133 X I 241 X V I I I 38 X X V I I I 224. 14 Cod. de revocandis donationibus 8,55 [56]. B o t h m e r Civ. Arch. L X I Abh. 4 (1878); P o l l a c k , Der Schenkungswiderruf, insbesondere seine Vererblichkeit (1886). 15 C. 10 h. t. Seuff. X X I X 132 u. Nachw. Der Mutter, die sich einem unsittlichen Lebenswandel ergeben hat, steht der AViderruf überhaupt nicht zu, der Mutter, die zu einer weiteren Ehe geschritten ist, nur wegen der Gründe b. und c. und wegen Versuchs der gänzlichen Vermögensentziehung. C. 7 § 4 h. t. Nov. 22 c. 35. 16 Für die gewohnheitsrechtliche Geltung P u c h t a § 70; A r n d t s § 82 A. 3.; D e r n b u r g I I § 108 N. 15; Schlofsmann Jher. Jahrb. X X V I I S. 53 N. 77; dagegen S a v i g n y IV S. 228; W i n d s c h e i d § 367 N. 22 u. Angef. B e k k e r § 103 k. 17 KKO. § 25 RG. v. 21 Juli 1879 § 3 Nr. 3, 4 - Tit. Cod. de inoff. donat. 3, 29. Näheres im Obligationen- und Erbrecht.
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§
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VI. Besonderes gilt noch für die Obligatio aus einem Schenkungsversprechen. Davon im Obligationenrecht.
§ 170. cc. Besondere A r t e n der Schenkung. I. Die Schenkung u n t e r e i n e r A u f l a g e , donatio sub modo*. — Wenn bei einer Vermögenszuwendung unter Lebenden dem Empfänger eine Verpflichtung auferlegt wird, so kann der Zweifel entstehn, ob eine Schenkung vorliegt oder eine Zweckgabe, die in der Verpflichtung ihren Bestimmungsgrund hat (datum ob causam). Man mufs sich für die Schenkungseigenschaft entscheiden, wenn es dem Geber in erster Linie darum zu thun war, dem Empfänger eine vermögensrechtliche Gunst zu erweisen, womit sich die Herbeiführung der durch die Auflage bezielten Wirkung nur als Nebenzweck verband. Das Geschäft wird dagegen zur Zweckgabe, wenn sein Schwerpunkt nach Absicht der Parteien in der Verpflichtung des Empfängers liegt Κ 1. Die Schenkung unter einer Auflage ist nur Schenkung, nicht eine Mischung von Schenkung und Zweckgabe. Wird sie unter Ehegatten gemacht, so ist sie in ihrem ganzem Umfang nichtig (L. 49 de don. i. v. 24, 1). Der Widerruf des Schenkers ergreift die ganze Zuwendung2. Die Schenkung u. e. A. unterliegt dem Insinuationserfordernis 3. Doch wird nach feststehender Übung bei der Berechnung der Summe der Aufwand des Beschenkten für die Erfüllung der Auflage in Abzug gebracht. 2. Wenn der Beschenkte sich weigert, die Auflage zu erfüllen, so kann der Schenker nach seiner Wahl entweder auf Erfüllung oder auf Rückgabe der gesamten Zuwendung klagen4. Nur wo die Auflage zum Vorteil eines Dritten gemacht ist, tritt das Rückforderungsrecht des Schenkers hinter den Anspruch des Dritten auf Erfüllung zurück * Cod. de donationibus quae sub modo . . . conficiuntur 8, 54 [55]. Schenkung L. 49 de donat. i. v. 24, 1 Zweckgabe L. 18 § 1, L. 19 § 5, 6 de donat. 39, 5 L. 5 § 9 J. D. 23, 3; P e r n i c e , Labeo I I I S. 196 fg. 2 Seuff. V 168. Den Widerruf bestreitet überhaupt M ü h l e n b r u c h Pand. § 443 N. 8, im Widerspruch mit C. 10 de revoc. donat. 8, 55 [56]. 3 Ebenso S a v i g n y IV S. 103, 287; B r e m e r Jher. Jahrb. X I I I S. 105 fg.; W i n d s c h e i d § 368 N. 18; Seuff. V I 38 X V I I I 136 X X V I 131 X X V I I 186 RGE. X V I I I Nr. 37 S. 180. A. M. M ü h l e n b r u c h a. a. O. N. 7 Seuff. I 341. 4 C. 9, 22 § 1 de donat. 8, 53 [54] C. 3 i. f. de contrah. emt. 4, 38. L. 8 de rer. perm. 4, 64 — C. 3, 8 de cond. ob caus. 4, 6 C. 1, 3 h. t. 1
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Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
(C. 3 h. t.). Der Anspruch des Schenkers auf Rückgabe ist obligatorisch. Geht die Auflage dahin, dem Schenker ganz oder teilweise den Lebensunterhalt zu reichen, so giebt die Erfüllungsweigerung dem Schenker im Konkurs des Beschenkten die Befugnis, gleich einem Eigentümer die Aussonderung der geschenkten Sache zu verlangen5. II. Gegenstand der Schenkung kann das ganze gegenwärtige oder auch zukünftige V e r m ö g e n des Schenkers sein oder ein Bruchteil davon, auch ein vom Schenker ererbtes Vermögen6. Keine dieser Schenkungen bewirkt eine Universalsuccession. Daher müssen die einzelnen Bestandteile auf die für jeden geeignete Weise übertragen werden. Was die Schulden betrifft, so übernimmt bei der Schenkung des ganzen Vermögens der Beschenkte im Zweifel die Verpflichtung, den Schenker im Betrag des Aktivvermögens von seinen Gläubigern zu befreien (L. 28 de donat. 39, 5). Die Gläubiger gewinnen daraus einen selbständigen Anspruch gegen den Beschenkten nach römischem Recht nicht (C. 22 de donat. 8, 53), wohl aber nach heutiger Rechtsanschauung7. Doch hört der Schenker nicht auf Schuldner zu sein, bis ihn die Gläubiger ausdrücklich oder stillschweigend seiner Haftung entlassen haben. III. Der Beweggrund für eine Schenkung ist häufig Erkenntlichkeit für eine vom Beschenkten empfangene Wohlthat oder Gefälligkeit. Die Neueren nennen dies eine r e m u n e r a t o r i s c h e Schenkung. Eine solche Schenkung begründet, weil selbst in Abtragung einer Dankespflicht erfolgt, nicht wieder eine Pflicht zur Dankbarkeit. Darum fällt bei ihr das gesetzliche Widerrufsrecht wegen Undanks weg. Dagegen finden die sonstigen Schenkungsbeschränkungen Anwendung8. 5
Dies ist die Bedeutung der in C. 1 h. t. gewährten vindicatio utilis. J h e r i n g in seinen Jahrb. I S. 120 fg.; W i n d s c h e i d § 174 N. 9. Andere erblicken darin den ordentlichen Eigentumsanspruch. A r n d t s § 83 m § 145 Α. 3 a. Ε.; W ä c h t e r § 143 Beil. I. Eine Mittelstellung nimmt D e r n b u r g I § 225 N. 11 ein. 6 L. 28 de donat. 39,5 L. 42 pr. de mort. c. donat. 39,6 C. 4 de contrah. emt. 4,38 C. 35 § 4 de donat. 8,53 [54] RGE. X V I Nr. 21 S. 113 X V I I I Nr. 37 S. 180 Seuff. X X V I 115. 7 Die älteren Praktiker begründeten dies mit der Natur des Vermögens als Haftungsobjekt für die Schulden. Vgl. hierüber D e l b r ü c k , Die Übernahme fremder Schulden S. 82 fg. Diese Rechtfertigung ist freilich unhaltbar (a. M. D e l b r ü c k S. 37), aber damit nicht der Rechtssatz selbst. G ü r g e n s Jher. Jahrb. V I I I S. 251 fg.; W i n d s c h e i d § 368 N . 5 ; Seuff. X X X V I 36 X L I I 92 RGE. X V I I Nr. 22 S. 100. 8 Der Ausschlufs des Widerrufs ist in L. 34 § 1 de donat. 39, 5 anerkannt für die Sch. an den Lebensretter. Dabei wollen manche stehen bleiben. S a v i g n y IV S. 98; W i n d s c h e i d § 368 N. 11; Seuff. X V I I I 38. Für die Ausdehnung auf alle remuneratorischen Sch. H a r b u r g e r , Die remuneratorische Schenkung (1875)
Die juristischen Thatsachen.
Die R e c h t s s c h e .
§ 11.
621
Eine freiwillige innerhalb des Üblichen sich haltende Vergütung für eine Dienstleistung, bei der Vergütung herkömmlich ist (z. B. Trinkgeld, Finderlohn, Honorierung des Arztes über die Taxe), fällt nicht unter den Begriff der Schenkung, da Entschädigungs- nicht Schenkungsabsicht zu Grunde liegt (L. 19 § 1 L. 27 de don. 39, 5 Seuff. XVIII 37. 38 XXV 238). e.
Der
Vergleich
§ 171. aa. B e g r i f f und E r f o r d e r n i s s e . Wie die Schenkung ist der Vergleich eine Rechtsgeschäftsart, deren bestimmendes Merkmal nicht im Inhalt, sondern im Zweck liegt. Zweck des Vergleichs ist Beseitigung der über ein Rechtsverhältnis bestehenden Ungewifsheit. Dies läfst sich durch Begründung oder Aufhebung von dinglichen wie obligatorischen Rechten erreichen. Daher findet die Darstellung vom Vergleich die richtige systematische Stellung unter den allgemeinen Lehren (§ 168 III). I. Die Ungewifsheit eines Rechts hat ihre häufigste Veranlassung in dessen Bestreitung. Die Beseitigung dieser Ungewifsheit bezwecken auch die richterliche und die schiedsrichterliche Austragung der Sache. Allein hier wird das an Stelle des Ungewissen Tretende durch einen Dritten (Richter) festgestellt, beim Vergleich durch die Parteien selbst. Aber auch für die Beilegung des Streits durch die Parteien giebt es noch andere Wege : unentgeltliches Anerkenntnis des Anspruchs (§ 173), unentgeltlicher Verzicht auf den Anspruch (§ 173), ehedem auch Abstellung des Schicksals eines Anspruchs auf den Eid einer Partei Im Gegensatz zu ihnen wird beim Vergleich die Beilegung S. 51 fg. (wo weitere Litteraturangaben); B e k k e r § 104 Beil. I ; H o l d e r § 55 A. 3 ; Seuff. VIII260 X I I I 26. Mit Recht. Andrerseits gehn diejenigen zu weit, welche für die remuneratorische Sch. Befreiung von andern Schenkungsbeschränkungen behaupten. S a v i g n y IV S. 98; Seuff. I 340 I I I 265. Denn es ist nicht bedeutungslos, dafs die Kompilatoren in L. 34 § 1 cit. den ursprünglichen Text (Paul. V, 11 § 6: in infinitum donare non prohibetur) verwandelt haben in: haec donatio irrevocabilis est. H a r b u r g e r a. a. O. S. 76 fg.; Seuff. I 55 IV 118 V 18 X I I I 26 X X I I 196 RGE. V Nr. 39 S. 153. * De transactionibus Dig. II, 15 Cod. I I 4. R i s c h , Die Lehre vom Vergleich (1855); B u h l , Beiträge zur Lehre vom Anerkennungsvertrag (1875); S t u r m , Die Lehre vom Vergleich nach gemeinem und preufsischem Recht (1889). 1 L. 1, 17 pr. L. 25, 26 i. f. de jurej. 12, 2. Die meisten Rechtslehrer behandeln den Schiedseidvertrag als geltendes Institut, allein von seiner Anwendung
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Erstes Buch.
Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
dadurch gewonnen, dafs jede Partei zu Gunsten der andern ein Opfer bringt. Demnach ist der Vergleich die vertragsmäfsige Umwandlung eines ungewissen Rechtsverhältnisses in ein gewisses durch gegenseitiges Zugeständnis. II. Die wesentlichen Erfordernisse des V. sind: Vergleichsfähigkeit des festzustellenden Rechtsverhältnisses, Ungewifsheit desselben, gegenseitiges Opfer. 1. Gegenstand eines V. können nur diejenigen Rechtsverhältnisse sein, über die und soweit darüber den Parteien Verfügungsmacht zusteht, dingliche, obligatorische, erbrechtliche. Über den Bestand einer Ehe oder sonstiger Familienrechtsverhältnisse ist ein V. ausgeschlossen2. 2. Das Erfordernis der Ungewifsheit ergiebt sich aus dem Zweck des V. Zwar ist die vertragsmäfsige Umwandlung eines gewissen Rechtsverhältnisses kein ungültiges Rechtsgeschäft, nur kein V., so die vertragsmäfsige Auseinandersetzung einer Vermögensgemeinschaft 3. Um aus der Ungewifsheit herauszukommen, schliefsen die Parteien den V. Darum ist Ungewifsheit der Parteien über das Rechtsverhältnis entscheidend, subjektive, nicht objektive Ungewifsheit. Ungewifs kann ein Rechtsverhältnis nicht blofs infolge Bestreitung (C. 2 h. t.) sein, sondern auch weil es bedingt ist (C. 11 h. t.), oder weil sich sein Umfang zur Zeit nicht ermessen läfst z. B. bei einer Leibrentenberechtigung (L. 8 h. t.), oder weil die Vermögenslage des Schuldners die Verwirklichung des Anspruchs unsicher macht. Hieher gehört der Zwangsvergleich im Konkurs 4. Indes ist der V. über ein streitiges Recht nicht blofs der häufigste V., er nimmt auch rechtlich eine Sonderstellung ein. Er ersetzt ein Urteil und hat ein urteilsartiges Element im heutigen Rechtsleben sind Zeugnisse weder beigebracht noch beizubringen. Die Wiederbelebung ist keineswegs wünschenswert, wir leiden jetzt schon unter der Häufigkeit der Eide. Wie hier S a v i g n y V I I S. 85; D e r n b u r g I I § 109 N. 14. A. M. B r i n z 2. A. § 111 N. 4 7 - 6 1 W i n d s c h e i d § 418. 2 L. 27 § 4 de pact. 2, 14 Cap. 11 X de transact. 1, 36. Über den V. in Vaterschaftsprozessen vgl. § 71 I I 4. Zum V. über die Gültigkeit eines Erfindungspatents K o h l e r Busch' Arch. f. Handelsr. X L V I I S. 332. Wegen V. über Invaliditätsund Altersrentenansprüche siehe Amtliche Nachrichten des Reichsversicherungsamts, Sonderausgabe für Inval.- u. Altersvers. Jahrg. 1892 S. 106. 3 L. 1 h. t. L. 35 de pact. 2, 14 L. 36 fam. erc. 10, 2 C. 15 fam. erc. 3, 36 C. 6 de solut. 8, 42 [43]. Die Römer gebrauchen transactio auch für die Umwandlung im weitern Sinn. 4 L o h r , Über die rechtliche Natur des Zwangsvergleichs (1891, Sonderabdruck aus Bd. X V I der Z. f. C. P.) S. 56. Die Vergleichsnatur bestreitet B e k k e r I I S. 199, 261 d, wogegen L. S e u f f e r t Krit. VJSchr. X X X I I I S. 612 fg.
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§
1 1 . 6 2 3
in sich. Er wirkt in vielen Stücken gleich einem Urteil, nur nicht in allen (§ 172 I RGE. XVIII Nr. 8 S. 38). Wie das Urteil ist der V. über eine rechtskräftig entschiedene Sache nichtig 5 , nicht blofs dann, wenn die Parteien das Urteil kannten, was selbstverständlich ist wegen Mangels der Ungewifsheit, sondern auch wenn sie in Unkenntnis vom Urteil den V. schlossen6. Das beruht auf positiver Bestimmung, die in der Achtung der Römer vor dem Spruch des staatlichen Richters wurzelt. Daher ist die Ausdehnung auf Sachen, die durch V. oder Schiedsspruch geordnet sind, nicht gerechtfertigt. Und nur der Umstofsung des rechtskräftig Geregelten tritt der Rechtssatz entgegen. Daher sind V. nach richterlicher Aburteilung einer Sache gültig, wenn entweder das Dasein bezw. die Gültigkeit des Urteils ernstlich unsicher ist 7 oder wenn zweifelhaft, ob die Vollstreckung Erfolg haben werde. Eine ähnliche positive Beschränkung wird vielfach für den V. über den Inhalt eines noch nicht eröffneten Testaments behauptet. Mit Unrecht. Die dafür angezogene Stelle sagt nur, dafs aus thatsächlichen Gründen Prozefs und V. über eine Erbschaft vor der Testamentseröffnung gehindert seien8. 3. Beim V. mufs jeder Teil ein Opfer bringen. Der V. ist ein 5 L. 23 § 1 de cond. indeb. 12, 6 L. 7 § 1 h. t. C. 32 h. t. Für das Urteil C. 1 quando provocare 7, 64; über das heutige Recht CPO. § 543 Ziff. 7. ϋ Nicht entgegen L. 11 h. t., denn es heifst: si ignorare p o t e s t , an judicatum sit, nicht si ignoratur. W i n d s c h e i d § 414 N. 8. Auch hätte die Anerkennung der Ungültigkeit für einen in Kenntnis des Urteils geschlossenen V. weder einen längeren Meinungskampf unter den Juristen (L. 23 § 1 cit. : placuit) noch wiederholte Kaiserreskripte veranlafst. Trotzdem sind für die beschränkte Auffassung R i s e h a. a. O. S. 75, 82; B r i n z 2. A. § 111 N. 19, 29. Ältere Schriftsteller erklärten die Ungültigkeit daraus, dafs die transactio als pactum gegenüber der res judicata wirkungslos gewesen sei, arg. C. 32 h. t. Danach wäre die Beschränkung nicht mehr gültig. So wieder D e r n b ü r g I I § 109 N. 7 u. B e k k e r § 110 Beil I. Warum soll aber der formlose V. am Urteil abprallen, das pactum donationis causa interpositum nicht? Paul. I, 1 § 5a. Den zweiten Teil von C. 32 h. t. hat schon R i s c h S. 80 N. 8 richtig aus der abstrakten Natur von Stipulation und Accept a t i o n erklärt. 7 Dies ist der Inhalt von L. 11 h. t. und vom zweiten Satz der L. 23 § 1 de cond. indeb. 12, 6. Man beachte auch hier wieder die Analogie des Urteils. L . 1 pr. quae sent. 49, 8. 8 Die Bedeutung von L. 6 h. t. wird aus dem Zusammenhang klar, den wir aus L. 1 § 1 testam. quemadm. 29, 3 erkennen. Dafs die Kompilatoren durch die Loslösung des Ausspruchs in L. 6 cit. ein neues Verbot einführen wollten, ist sehr unwahrscheinlich. R i s c h S. 108 fg.; W i n d s c h e i d § 414 N. 12; Dejrnburg I I § 109 N. 8; B e k k e r § 110 h. Seuff. V 304. A. M. A r n d t s § 269 A.^2; B r i n z § 111 N. 32.
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entgeltlicher Vertrag. Schenkungsabsicht ist mit ihm unvereinbar. Es liegt aber auch dann kein V. vor, wenn jemand ohne Entgelt nicht aus Vergünstigung für den Gegner sondern z. B. aus Scheu vor einem Prozefs auf seinen Anspruch verzichtet oder den Anspruch des Gegners anerkennt (L. 29 pr. § 1 de donat. 39, 5). Dafs der Anspruch, auf den eine Partei im Vergleichswege verzichtet, in Wirklichkeit besteht, ist kein Erfordernis für die Gültigkeit des V. Auch beim Verzicht auf einen vermeintlichen Anspruch hat der Gegner sein Entgelt in der Erlangung sofortiger Sicherheit (L. 05 § 1 de cond. ind. 12, 6). 4. Jeder V. über einen streitigen Anspruch enthält wenigstens ein Anerkenntnis: entweder ein positives, dafs der Anspruch besteht, oder ein negatives, dafs er nicht besteht (Verzicht). Er kommt nämlich zu stände, indem entweder jeder Teil bezüglich des streitigen Rechtsverhältnisses etwas nachgiebt, durch teilweisen Verzicht des Ansprechers und teil weises Anerkenntnis des Gegners (L. 6 h. t.), oder indem dem Anerkenntnis oder Verzicht auf der einen Seite eine Leistung oder Leistungsverpflichtung gegenübertritt, die mit dem streitigen Verhältnis nicht zusammenhängt, sogenannte Abfindungsleistung. Die Unterscheidung im Inhalt des V. zwischen dem Anerkenntnis und einer Abfindungsleistung ist wegen der Haftung wichtig. In dem vergleichsmäfsigen negativen Anerkenntnis liegt die Erklärung, dafs der Verzichtende das Recht, sofern es bisher bestanden hat, aufgebe; in dem positiven, dafs das bestrittene Recht dem Anerkennenden gegenüber gelten soll. Gleich der richterlichen Ab- und Anerkennung wirkt die vergleichsmäfsige nicht blofs eine Verpflichtung zur Unterlassung der ferneren Geltendmachung bezw. Bestreitung, sondern sie entzieht die rechtliche Möglichkeit der Geltendmachung bezw. Bestreitung 9. Ist der anerkannte Anspruch ein obligatorischer, so erwächst aus der Anerkennung eine Verpflichtung zur Bezahlung (§ 173). Dagegen enthält die Anerkennung eines dinglichen Rechts oder der Erbeigenschaft des Gegners nicht die Begründung des dinglichen Rechts oder die Übertragung der Erbschaft, auch nicht die Verpflichtung dazu. Stellt sich daher nachträglich heraus, dafs das anerkannte Eigentum, Servitut- oder Pfandrecht nicht besteht oder dafs die Erbschaft einem Dritten gehört, so ist der Anerkennende weder zum Ersatz des Interesses noch zur Rückgabe der empfangenen Gegenleistung verpflichtet. Im Gegensatz hiezu hat, wenn der Abfindungsgegenstand dem Empfänger von einem Dritten auf Grund bessern Rechts abgenommen 9
W i n d scheid § 413 N. 12 ist für den Verzicht einverstanden, a. M. dagegen für das positive Anerkenntnis.
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§
1 .
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wird, der Abfindungspflichtige nach Eviktionsgrundsätzen das Interesse zu leisten. Aber der Vergleich wird nicht hinfällig (C. 33 [34] h. t.). 5. Der V. ist im allgemeinen an eine bestimmte Form nicht gebunden. Nur die vergleichsmäfsige Abfindung für künftig fällige letztwillig hinterlassene Alimente und der Zwangsvergleich bedürfen der gerichtlichen Bestätigung10.
§ 172. bb. W i r k u n g und A n f e c h t u n g . I. Nach römischem Recht war das Vergleichsgeschäft ein pactum (L. 2 h. t ) . Der Verzicht auf ein Recht erzeugte regelmäfsig nur eine exceptio gegen die fernere Geltendmachung, das Leistungsversprechen war klaglos. Daher wurde das Übereinkommen sehr häufig durch Acceptilatio bezw. Stipulatio verstärkt 1. Seit dem Aufkommen der Innominatkontrakte erblickte man in dem Anerkenntnis des einen Teils die Erfüllung des Vergleichsabkommens von seiner Seite, welche die actio praescriptis verbis auf die Abfindungsleistung begründete (C. 6 i. f. C. 33 [34] h. t.). Heutzutage wirkt das Aufgeben eines Anspruchs unmittelbar und ist das Leistungsversprechen klagbar; aus V., die vor Gericht geschlossen wurden, und aus dem Zwangsvergleich im Konkurs findet sofortige Zwangsvollstreckung statt (CPO. § 702 KKO. § 179). Das Abfindungsversprechen wirkt nur für und gegen die Vergleichschliefsenden und ihre Erben. Die vergleichsmäfsige Anerkennung des Daseins oder Nichtdaseins eines Rechts erstreckt die Wirkung auch auf die Sondernachfolger der Vergleichschliefsenden, wenn sie erst nach Abschlufs des V. in das dadurch festgestellte Rechtsverhältnis eingetreten sind 2 . Sonstigen Personen schadet und nützt der X. nicht 3 . Jedoch sind gewisse Personen befugt, sich auf den zwischen Andern geschlossenen V. zu berufen, ohne dafs er ihnen entgegengehalten werden kann : der Bürge hinsichtlich des V., den der Hauptschuldner mit dem Gläubiger geschlossen hat, und die Erbschaftsgläubiger hinsichtlich des zwischen den Erbansprechern zustande10
L. 8 h. t. C. 8 h. t. RGE. IV Nr. 60 S. 209. KKO. § 169, 170, 178. L. 15 h. t. C. 3, 4, 17, 24, 32, 40 h. t. 2 Nach Analogie von L. 7, 8 de jurej. 12, 2 und des pactum in rem. L. 17 § 5 de pact. 2, 14 L. 14 § 3 comm. div. 10, 3. Vgl. L. ult. h. t. 3 L. 3 pr. h. t. L. 29 § 2 de inoff. test. 5, 2. Tit. Cod. inter alios acta 7, 60. Seuff. XXXIV 295. 1
B i n d i n g , Handbuch. J. 7. I : R e g e l s b e r g e r , Pand. I.
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gekommenen V. 4 . Über die weitgreifende Wirkung des Zwangsvergleichs (KKO. § 178) ist in der Lehre vom Konkurs zu handeln. II. Nach Vertragsgrundsätzen unterliegt der Vergleich der Anfechtung wegen Zwangs und Arglist 5 . Es ist Arglist, wenn jemand einen V. abschliefst wohl wissend, dafs der von ihm erhobene Anspruch nicht besteht oder dafs der von ihm bestrittene besteht (C. 19 h. t.). Dafs der Vergleich nicht hinfällig wird, wenn hinterher die den Anlafs des V. bildende Ungewifsheit aufgeklärt wird, ist zweifellos (C. 19 h. t.). Nach einer verbreiteten Ansicht soll aber der V. anfechtbar, nach Einigen sogar nichtig sein, wenn sich eine von den Parteien als gewifs angenommene Thatsache als nicht vorhanden erweist, vorausgesetzt, dafs bei richtiger Kenntnis der V. nicht geschlossen worden wäre 6. Das ist für die V. über streitige Ansprüche unrichtig 7, es steht mit der Urteilsnatur solcher V. in Widerspruch 8 und beruht auf einer unzulässigen Verallgemeinerung einer singulären Vorschrift für den V. auf Grund gefälschter Urkunden 9. Anders bei V., die nicht in der Bestrittenheit des Anspruchs ihren Anlafs haben (II, 2). Wenn hier das Dasein des Rechtsverhältnisses irrtümlich angenommen wurde, so erweist sich die Gegenleistung als indebite datum oder promissum, das der Rückforderung unterliegt 10 . 4
L. 7 § 1 h. t. L. 68 § 2 de fidej. 46, 1. L. 14 h. t. Die Vergünstigung erstreckt sich nicht auf die Vermächtnisnehmer, denn ihr Recht besteht überhaupt nur gegen den testamentarischen Erben. D e d e k i n d , Die Anerkennung ungültiger letztw. Verfügungen (1872) S. 58 N. 19. A. M. W i n d s c h e i d § 566 N. 3. 5 L. 9 § 2 h. t. C. 5, 13, 19, 30 h. t. Dafs nur grober Betrug die Anfechtung begründe, behauptet mit Unrecht B r i n z 2. A. § 111 N. 26. C. 22 h. t. besagt dies nicht. B u r c h a r d i , Wiedereinsetzung S. 151, 323 ROHG. XXIV Nr.44 S. 149. 6 G o e t z , Commentatio jur. civ. de errore in transactione recte aestimando (1797); P u c h t a § 294; A r n d t s § 269; W i n d s c h e i d § 414 N. 4. Nichtigkeit nehmen an B e k k e r § 110 Beil. I I Β und L e n e l Civ. Arch. L X X I X S. 80fg., aber aus verschiedenen Gründen. 7 C. 23 h. t., der gegenüber sich W i n d s c h e i d § 414 N. 10 durch Unterstellung eines Streits über die Erbeneigenschaft helfen mufs, eine bedenkliche Auskunft. Den Gegenbeweis aus L. 3 § 1 L. 12 h. t. hat bereits W i n d s c h e i d fallen lassen. Vgl. über diese Stellen R i s c h S. 115 N. 15, S. 187, 226. 8 Sie ist anerkannt in C. 16, 20 h. t. C. 6, 7 de jur. et facti ignor. 1, 18. 9 C. 42 h. t. Bei dem gleichen Thatbestand ist auch das Urteil anfechtbar. Tit. Cod. si ex fais, instrum. 7, 58 CPO. § 543. 10 Abgesehn von der letzterwähnten Einschränkung, die B u h l und S t u r m hervorheben, ist die richtige Ansicht schon von R i s c h § 26 gründlich ausgeführt. Ihm traten bei B r i n z S. 139 2. A. § 111 N. 22—25, 54 u. D e r n b u r g I I
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Die Rechtsgeschäfte.
§ 173.
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Ein beim V. unterlaufener Rechnungsverstofs ist dann unverbindlich und wird unter Aufrechterhaltung des V. berichtigt, wenn er sich aus dem Wortlaut des V. selbst ergiebt und z. B. beim Zusammenzählen oder Abziehen der anerkannten Posten eingeschlichen hat. Dagegen findet keine Anfechtung statt, wenn ein Teil infolge eines Rechnungsfehlers eine Forderung zu hoch oder zu niedrig angesetzt hat, denn sie ist in diesem Betrag anerkannt 11.
§ 173. f.
Das A n e r k e n n t n i s * .
I. Anerkennen heifst erklären, dafs ein dem Erklärenden nachteiliger Umstand wahr sei. Dies kann 1. lediglich Ausdruck der Überzeugung sein, dafs der Umstand wahr sei, ein Selbstzeugnis. Diese Anerkennung ( B ä h r : unechte Α., P l a n c k : Wissenserklärung) gehört ausschliefslich dem Civilprozefs an und wird von prozessualischen Regeln beherrscht. Sie wirkt als Beweisgrund, dessen Kraft von dem Vertrauen des Richters in die Fähigkeit des Anerkennenden zur richtigen Erfassung des Anerkannten, von der Glaubwürdigkeit des Inhalts und andern Umständen abhängt. 2. Die Anerkennung kann den Willen des Anerkennenden ausdrücken, das Anerkannte gegen sich gelten zu lassen. Diese A. (Bähr: echte Α., P l a n c k : Willenserklärung) ist ein rechtsgeschäftlicher Akt und bindet den Anerkennenden nach privatrechtlichen Grundsätzen. Sie steht unter den Regeln des Civilrechts, was die Fähigkeit § 109 N. 13. Die Praxis ist nichts weniger als gleichförmig. Mit dem Text stimmen Seuff. X I I I 142 ROHG. XXIV Nr. 44 S. 148 (Seuff. X X X V I 298); dagegen Seuff. I I I 323 X V I I I 224. 11 Von dem zweiten Fall ist C. 1 de calculi errore 2, 5 zu verstehn, wie sich aus L. 1 § 1 quae sent, sine appell. 49, 8 und C. 2 de re jud. 7, 52 ergiebt. H a s e n ö h r l , Österr. Ohl. 2 I I S. 312. Vgl. S a v i g n y V I S 381 CPO. § 290. * Bahnbrechend B ä h r , Die Anerkennung als Verpflichtungsgrund (1. A. 1855 2. A. 1867); dann in Jher. Jahrb. I I S. 283—350, 367-455 (1858) mit Nachtrag I I I S. 357 fg.; S c h l e s i n g e r , Zur Lehre von den Formalkontrakten (1858) S. 129 fg.; B r u n s , Z. f. Rechtsgesch. I S. 93-97, 118—130 (1861); Unger, Jher. Jahrb. V I I I S. 179 fg. (1866); B u h l (vgl. § 171*), dazu B ä h r , Krit. VJSchr. X V I I I S. 337 fg.; Canstein, Anerkennung und Geständnis (1879): W a c h , Civ. Arch. LXIV S. 216 fg. (1881); P l a n c k , Lehrb. des deutsch. Civilproz. I § 5 6 - 8 4 (1887); die Gutachten von Koch, Götze, Dugge, E c k und Z i m m e r m a n n (Lübeck), abgedruckt in den Verhandl. des deutschen Juristentags V I I I S. 283 fg. 309 fg. IX S. 426 fg. 445 fg. 455 fg., dann die mündlichen Erörterungen in Bd. V I I I 2 S. 94 fg. 40*
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des Anerkennenden, die Zulässigkeit des Inhalts, die Form und Wirkung anlangt. II. Der Unterschied ist rechtlich erheblich. 1. Als Beweisgrund kann die A. durch den Gegenbeweis entkräftet werden, dafs das Anerkannte nicht wahr ist. Der bindenden Kraft der Willenserklärung, das Anerkannte gegen sich gelten zu lassen, kann sich der Anerkennende durch solchen Nachweis nicht erwehren. Denn er konnte den WTillen haben, das Anerkannte, z. B. dafs eine Schuld bestehe, gegen sich gelten zu lassen, wohl wissendr dafs er nichts schuldig sei (Ziff. III). Zur Entkräftung der echten A. mufs noch weiter behauptet und bewiesen werden, dafs die A. im Irrtum und zwar im entschuldbaren Irrtum über den Nichtbestand des Anerkannten erfolgt sei 1 . Kurz, dort Gegenbeweis, hier Anfechtung des Rechtsakts nach den Grundsätzen der condictio indebiti. 2. Die echte A. enthält eine rechtliche Verfügung über ein bestimmtes Rechtsverhältnis. Sie ist daher dadurch bedingt, dafs der Anerkennende verfügungsfähig ist und dafs er über das Rechtsverhältnis Verfügungsgewalt besitzt. Ehe-, Verwandtschafts-, Entmündigungssachen entziehen sich der echten A. (RGE. XXII Nr. 46 S. 224). Ein Selbstzeugnis dagegen kann jeder Urteilsfähige ablegen, auch in den genannten Rechtssachen. III. Die Form der echten A. kann dazu verwendet werden, um in bewufster Weise ein Recht entweder materiell neu zu schaffen oder aufzugeben z. B. die Ausstellung eines Schuldscheins oder einer Quittung2. Das sind selbständige Vermögenszuwendungen, die unter den für die Begründung oder Aufhebung der Rechte geltenden Regeln stehen. Die wirkliche echte A. wird ausgesprochen entweder in der Überzeugung von der Richtigkeit des Anerkannten oder um dem Streit darüber zu entgehen. Zweck dieser A. ist Sicherung des Gegners. Die Rechtsbeziehungen sollen so geregelt werden, dafs für die Geltend1
ROHG. X I Nr. 92 S. 276 X V I Nr. 35 S. 126 Seuff. X X I I I 118 X X V I I I 20. Bedenken bei B e k k e r § 109 Beil V. Sagt HGB. Art. 294, dafs jeder Irrtum die Anfechtung der anerkannten Rechnung begründe? 2 A. eines nichtigen Testaments im Bewufstsein der Nichtigkeit L. 43 i. f. H. P. 5, 3; F r a n c k e , Komm. z. tit. Dig. de her. pet. S. 127 fg. Α. eines nichtigen Vermächtnisses C. 16 § 1 de testam. 6, 23 Seuff. X L 122, ferner L. 20 § 1 de donat. 39, 5 C. 21 de solut. 8, 42 [43] (posterior casus) C. 6 eod., dazu B ä h r , Urteile des RG. S. 27 fg.; Seuff. X V I I I 130 X X X I X 288; RGE. I Nr. 53 S. 130. Eigentümliche Anwendungen zeigen H a r t m a n n , Civ. Arch. L X X S. 194 fg. und D e g e n k o l b ebenda L X X I S. 180 fg.
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§ 1 .
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machung des anerkannten Rechts oder der anerkannten Befreiung nicht nötig ist, auf die frühere Grundlage zurückzugehen, dafs dafür die jetzige Feststellung genügt3. Demgemäfs liegt echte A. nur vor, wenn die auf den genannten Zweck gerichtete Absicht des Anerkennenden aus den Umständen erhellt. Die Entscheidung, ob Feststellungswille oder blofser Überzeugungsausdruck, ist oft schwer. Es mufs die gesamte Sachlage erwogen werden. Man beachte folgendes. 1. Gegenstand der civilrechtlichen A. sind nur Rechtsverhältnisse, nicht Thatsachen4. Aber die auf ein Rechtsverhältnis gerichtete A. ist nicht immer echte Α., sie ist nicht selten blofse Wissenserklärung. Die äufsere Fassung ist nicht entscheidend, es kann die dem Wortlaute nach auf Thatsachen gerichtete A. die A. eines Rechtsverhältnisses enthalten und umgekehrt 5. Das Hauptbeispiel für die erkennbare Ausprägung des Feststellungswillens bildet die Ausstellung eines Schuldscheins oder einer Quittung. Der Aussteller will nicht blols seiner Überzeugung Ausdruck geben, dafs er schuldig sei oder nichts zu fordern habe (RGE. XIII Nr. 23 S. 85). Man stellt auch nicht Schuldscheine und Quittungen vorbehaltlich des Gegenbeweises aus, dafs die Schuld oder dafs die Befreiung nicht besteht6. Vielmehr erklärt man sich schuldig bezw. befriedigt, wie es der Römer in der stipulatio und acceptilatio that 7 . 3 B ä h r , Anerkennung S. 3 u. Krit. VJSchr. X V I I I S. 341; H a s e n ö h r l , Österr. OblR. I I S. 292. 4 Ob Thatsachen durch Übereinkommen für den künftigen Prozefs aufser Streit gestellt werden können (Beweisvertrag), ist eine prozessualische Frage und hier nicht weiter zu verfolgen. Die Verteidiger des Beweisvertrags verwechseln nicht selten damit materiell - rechtliche Verträge (§ 137 N. 7). Vgl. einerseits P l a n c k I S. 339 fg., andrerseits K o h l er, Gruchots Beiträge X X X I S. 301 fg. 5 „Ich bekenne, 100 Mk. als Darlehn von X erhalten zu haben"; ebenso die Α., dafs ein Werk vertragsmäfsig hergestellt, eine Ware fehlerfrei geliefert sei. Andrerseits: „Ich bin Ihnen noch immer die 25 Louisdor für den Rappen schuldig" (Seuff. XV 114). B ä h r , Anerkennung § 44; U n g e r , Jher. Jahrb. V I I I S. 201 fg.; B e k k e r § 109 Beil. III. 6 Daher ist unhaltbar die Auffassung, dafs Sch. und Qu. nur eine vertragsmäfsige Befreiung des Empfängers von der Beweislast begründe. Diese Bedeutung haben sie weder immer, wie Schlesinger, B r u n s , Z i m m e r m a n n meinen, noch auch zuweilen, was W e t z e i l , Civproz. § 22, W i n d s c h e i d § 412a N. 2, Unger a. a. O. S. 204, P l a n c k § 63 annehmen. Nach B e k k e r § 109 Beil. I ist sogar eine vierfache Bedeutung möglich. 7 Das ist die in ihren Grundzügen nicht erschütterte Ansicht von B ä h r , die er a. a. O. entwickelt und verteidigt hat; zur Verständigung dient auch, was B ä h r in Urt. des RG. S. 24 fg. und Krit. VJSchr. XXX S. 357 fg. 385 ausführt. Ihm sind beigetreten B r i n z 1. A. S. 422, 638; 2. A. § 311; J h e r i n g in den Verhandl. des Deutsch. Jur.-Tags VIII, 2 S. 94 fg.; S t a h l , Civ. Arch. L I V S. 292 fg.;
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Erstes Buch.
Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
2. Die A. über obligatorische und dingliche Rechtsverhältnisse erfolgt durch Vertrag, bei dem auch stillschweigende Annahme stattfinden kann. Sie mufs daher bei der A. eines Rechts dem Träger dieses Rechts, bei der A. des Nichtbestands eines Rechts dem gegenüber ausgesprochen werden, der durch das Recht belastet würde. Die A. letztwilliger Verfügungen erheischt keinen Vertrag und ist z. B. durch eine Erklärung zu den Nachlafsakten möglich8. IV. Jede echte A. hat die Wirkung, dafs der Anerkennende das Anerkannte nicht mehr bestreiten und das mit der A. in Widerspruch Stehende nicht behaupten kann. Diese abwehrende Kraft erstreckt sich auf die Erben der Parteien und auf diejenigen Sondernachfolger, die erst nach der A. in das festgestellte Rechtsverhältnis eingetreten sind. Insoweit geht die A. mit dem Urteil Hand in Hand. Sie ist aber, weil sie auf Rechtsgeschäft beruht, in höherem Mafse der Anfechtung ausgesetzt. Am häufigsten wird die Anfechtung auf die Behauptung gegründet, dafs die A. nicht der wirklichen Rechtslage entsprochen habe und dafs sie im entschuldbaren Irrtum darüber erfolgt sei (condictio indebiti, Ziff. II, 1), oder dafs die materielle Begründung der anerkannten Schuld oder Befreiung zur Zeit der A. nur in Aussicht gewesen und hinterher nicht eingetreten sei (condictio causa data causa non secuta)9. Durch die A. wird das anerkannte Rechtsverhältnis nicht auf eine neue materielle Grundlage gestellt. Fufst daher die anerkannte Forderung auf einem verbotenen Geschäft, so ist aus diesem Grund die A. anfechtbar. Dagegen wirken sonstige Mängel des anerkannten Rechtsverhältnisses auf die A. nicht 10 . H a s e n ö h r l , Österr. OblR. I I § 81. Vgl. auch D e r n b u r g I § 84 X. 5 I I § 22 N. 9. Noch durchschlagenderen Erfolg hat B ä h r in der Praxis erzielt. Näheres im Obligationenrecht. 8 Seuff. X V I I I 210 X X X I V 285 X L 122 a. E. ROHG. I I Nr. 47 S. 161 ; B e k k e r § 109. 9 Das ist im wesentlichen die Anfechtung mit exceptio non numeratae pecuniae. Vgl. B ä h r , Urteile des RG. S. 24. Dazu RGE. XIV Nr. 55 S. 222. Bedenklich Seuff. X L V 250 a. E. 10 RGE. V Nr. 33 S. 126 X X I I I Nr. 26 S. 138 — L. 12 de novat. 46, 2 ROHG. I Nr. 47 S. 165; Seuff. XLV 89 (Einrede des nicht erfüllten Vertrags).
Die juristischen Thatsachen.
9.
Die R e c h t s s c h e .
§
1 .
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Die Mangelhaftigkeit der Rechtsgeschäfte*. § 174.
a.
Begriff.
N i c h t i g k e i t u n d Anfechtbarkeit.
I. Die Anerkennung eines Geschäfts als Rechtsgeschäft knüpft das positive Recht an Bedingungen, an das Dasein formeller und materieller, positiver und negativer Erfordernisse. Fehlt ein Erfordernis und wird darum dem Geschäft die seiner Art entsprechende Rechtswirkung ganz oder teilweise, unmittelbar oder mittelbar versagt, so nennen wir das Rechtsgeschäft mangelhaft 1. Die Mangelhaftigkeit entspringt aus einein Verstofs gegen ein Gebot oder Verbot des Rechts. Es ist aber für sie eigentümlich, dafs sich der Verstofs an der Wirksamkeit des Geschäfts rächt. Nicht jeder Verstofs gegen ein Gesetz hat diese Folge2. Nicht jede Unwirksamkeit eines Rechtsgeschäfts hat ihren Grand in der Mangelhaftigkeit. Das aufschiebend bedingte Rechtsgeschäft bleibt bei Vereitlung der Bedingung in der Hauptsache wirkungslos, es ist aber nicht mangelhaft. Die Wirkung bleibt hier aus gemäfs dem Willen der Parteien, beim mangelhaften Rechtsgeschäft gegen ihren Willen vermöge rechtlicher Satzung3. II. Nicht alle Mängel wiegen in der Wage des Rechts gleich. Daher besteht in der Unwirksamkeit der mangelhaften Rechtsgeschäfte eine Verschiedenheit im Grad und Umfang. Die stärkste Folge der Mangelhaftigkeit ist die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts. Zwischen der Nichtigkeit und der Vollwirksamkeit liegt die geminderte Wirksamkeit; sie tritt in mehrfacher Erscheinung entgegen, eine derselben ist die Klaglosigkeit des aus dem mangelhaften Geschäft entspringen* S a v i g n y IV § 202, 203; K a r i o w a Rechtsgeschäft S. 116—160 (1877); G r a d e n w i t z , Die Ungültigkeit obligatorischer Rechtsgeschäfte (1887) ; E n d e m a n n , Über die civilrechtliche Wirkung der Verbotsgesetze S. 67—106 (1887); M i t t e i s , Jher. Jahrb. X X V I I I Abh. 3 (1889). 1 Andere gebrauchen dafür ungültig; allein diese Bezeichnung erweckt die Vorstellung des Nichtgeltens, was nicht auf jede Mangelhaftigkeit zutrifft. In einem besondern Sinn unterscheidet die CPO. § 568 fg. zwischen Nichtigkeit und Ungültigkeit der Ehe. 2 Beisp.: leges minus quam perfectae, impedimenta matrimonii impedientia, HGB. Art. 69 Ziff. 1 Art. 215d (Nov. v. 1884); E n d e m a n n a. a. O. S. 102 fg. 3 Wo der rechtsgeschäftliche Thatbestand nur unvollständig ist, wie bei der Verfügung über eine fremde Sache ohne Einwilligung des Eigentümers, sollte man nicht von Mangelhaftigkeit sprechen. M i t t e i s a. a. 0. S. 97 fg.
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Erstes Buch.
Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
den Rechts, eine weit häufigere die sogenannte Anfechtbarkeit 4. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit ist der wichtigste Gegensatz und darum genauer zu bestimmen. 1. Nichtig wird ein Rechtsgeschäft genannt, wenn ihm wegen des anhaftenden Mangels jede oder wenigstens die normale Wirkung schlechthin versagt ist 5 . Nichtig ist das von einem Testierunfähigen errichtete Testament, es entbehrt jeder rechtlichen Wirkung. Nichtig ist aber auch der Kaufvertrag über eine verkehrsunfähige Sache, selbst wenn daraus der Verkäufer dem Käufer ersatzpflichtig wird 6 . Man darf daher nicht sagen, dafs alle nichtigen Rechtsgeschäfte auf dem Rechtsgebiet kein Dasein haben. Weil beim nichtigen Rechtsgeschäft die beabsichtigte Rechtswirkung nicht eintritt, so bedarf es keiner Willensaktion, sie zu beseitigen. Es läfst sich nur eine Klage auf Anerkennung der Nichtigkeit denken, eine sogenannte negative Feststellungsklage (CPO. § 231) 7 . Aber es wird in der Regel dazu kein Anlafs sein. Wird jemanden z. B. seine Sache auf Grund einer nichtigen Schenkung unter Ehegatten vorenthalten, so klagt er aus seinem Eigentumsrecht, das ihm ja durch die Schenkung nicht entzogen ist 8 . Indes kann die Feststellungsklage aus rechtlichen oder thatsächlichen Gründen veranlafst sein, indem entweder die volle Wirksamkeit des Nichtigkeitsgrunds durch die gericht4 Diese Bezeichnung hat S a v i g n y IV S. 537 vorgeschlagen, sie ist jetzt herrschend. Manche behaupten, sie sei auf Obligationen nicht anwendbar, z. B. M i t t e i s S. 131 fg. Mit Unrecht. Vgl. T h o n Jher. Jahrb. X X V I I I S. 41 fg. 6 In den Quellen negotium nullum, nullius momenti (L. 1 § 3 de pact. 2,14 L. 1 de injusto testm. 28,3). Doch werden diese Ausdrücke zuweilen auch vom anfechtbaren Rechtsgeschäft gebraucht mit Rücksicht auf den schliefslichen Erfolg (L. 3 § 3 pro soc. 17,2, vgl. § 145 N. 6). Umgekehrt kommt rescindere, die regelmäfsige Bezeichnung für Anfechtung (L. 9 § 3, 4 quod met. c. 4,2 L. 23 locati 19,2 L. 1 § 12 si quid in fraud, patr. 38,5 u. a.) in Anwendung auf Nichtigkeit vor (L. 64 § 1 de cond. et dem. 35,1). 6 Mod. L. 62 § 1 C. E. 18,1: emtio non tenet. Freilich sagt Pomp. L. 4 eod. von demselben Vertrag: emtio intelligitur, offenbar mit Rücksicht auf den Interesseanspruch. B e c h m a n n , Kauf. I S. 688 fg. 7 Eine solche Klage war schon dem römischen Recht nicht unbekannt (L. 30 de reb. auct. jud. 42,5); sie wurde von der ältern deutschen Jurisprudenz in der freilich unklaren Gestalt der querela nullitatis angenommen (z. B. S t r y k , Usus mod. pand. IV, 3 § 6), von der Theorie unseres Jahrhunderts aber scharf bekämpft, während die Praxis sich nicht so ablehnend verhielt (Seuff. VI 320 XV 144 X V I I 208). Die CPO. hat in § 231 die grundsätzliche Anerkennung ausgesprochen. D e g e n k o l b , Einlassungszwang S. 176 fg. 209 fg. 8 L. 5 § ult. de donat. i. v. 24,1 L. 5 § 5 de reb. eor. qui 27,9 C. 4, 10, 16 de praed. min. 5,71.
Die juristischen Thatsachen.
Die R e c h t s s c h e .
§ 1 .
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liehe Anerkennung der Nichtigkeit bedingt ist 9 , oder indem die Nichtigkeit nicht klar zu Tage liegt und die Unsicherheit lähmend wirkt (Seuff. XVII 208). Ist auf das nichtige Geschäft hin schon geleistet, so führt die Feststellungsklage nicht zum Ziel. Die Verweisung desjenigen, der geleistet hat, auf die Klage aus seinem Recht an der Sache kann eine Härte enthalten, weil damit der unter Umständen schwierige Beweis über den Erwerb dieses Rechts verbunden ist. Es entspricht ebenso der Billigkeit wie dem Entwicklungsgang des römischen und heutigen Rechts, für die Rückforderung einen obligatorischen Anspruch (condictio sine causa) anzuerkennen, der sich lediglich darauf stützt, dafs der Beklagte ohne rechtlichen Grund die Leistung empfangen hat 1 0 . Die Nichtigkeit mufs der Richter ohne Parteiantrag berücksichtigen, sobald die thatsächliche Grundlage aus clem Prozefsstoff erhellt. Auch kann sich auf die Nichtigkeit jeder berufen, dessen rechtliches Interesse durch die Gültigkeit des nichtigen Rechtsgeschäfts berührt würde n . 2. Anfechtbar wird das Rechtsgeschäft genannt, wenn der ihm anhaftende Mangel nicht von selbst die Wirkungen des Rechtsgeschäfts ausschliefst, sondern nur einer oder mehreren Personen das Recht giebt, die Entkräftung des Rechtsgeschäfts herbeizuführen. Das anfechtbare Rechtsgeschäft erzeugt bis zur Anfechtung die Wirkungen eines mangelfreien Geschäfts (RGE. VII Nr. 97 S. 325). Es tritt in dauernde Wirksamkeit ein, wenn das Anfechtungsrecht durch freiwilligen Verzicht, durch Verjährung oder ein sonstiges Ereignis wegfällt. Das Recht zur Anfechtung steht in der Regel nur demjenigen zu, dessen Rechtssphäre durch das anfechtbare Geschäft unmittelbar berührt wird, nur hie und da auch mittelbar Beteiligten, allein oder neben jenem 1 2 . Der Anfechtungsberechtigte hat allein die Entscheidung 9
So bei einer gegen ein absolutes trennendes Ehehindernis eingegangenen Ehe. RG. v. 6. Febr. 1875 § 34 StGB. § 171. Vgl. indes M i t t eis S. 115 u. F i s c h e r Jher. Jahrb. XXIX S. 311 fg. 10 W ä c h t e r Württ. PR. I I S. 665 Ν. 36; J. Α. S e u f f e r t in der Nachschrift zu seinem Archiv VI 320; U n g e r § 91 N. 35; W i n d s c h e i d § 82 N. 6 (der in der condictio possessionis die entsprechende actio findet); Archiv f. prakt. RW. N. F. IX S. 416 fg. Seuff. I I I 177 X I I I 256 X V I I I 113. Vgl. auch B o l z e Civ. Arch. L X X V I Abh. 6 Seuff. X L I 108 und X X X V I I I 104. 11 M i t t e i s S. 107 Ν. 1 RGE. XXIV Nr. 35 S. 177. 12 Allein: den Gläubigern die Anfechtung von Rechtshandlungen des Schuldners (actio Pauliana, KKO. § 22—34, Anfechtungsgesetz v. 21. Juli 1879); neben dem unmittelbar Beteiligten : die bonorum possessio contra tabulas commisso per alium edicto (L. 3 § 11 L. 10 § 6 de bon. poss. c. t. 37,4). Die Anfechtung der erschlichenen
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über das Schicksal des Rechtsgeschäfts und seiner Wirkungen. Ohne seinen Antrag darf der Richter den Anspruch aus einem anfechtbaren Rechtsgeschäft nicht zurückweisen. Zur Anfechtung genügt nur in wenigen Fällen die aufsergerichtliche Erklärung des Berechtigten, in der Regel ist gerichtliche Anfechtung durch Klage oder Einrede oder durch ein Gesuch um Wiedereinsetzung erforderlich 13. Die Anfechtung richtet sich meistens nur gegen denjenigen, zu dessen Gunsten das Rechtsgeschäft unmittelbar Wirkung kervorgebracht hat, bei einem Vertrag gegen den andern Vertragsteil, bei einem Testament gegen die Eingesetzten ; doch kommt auch eine Anfechtung gegen mittelbar Beteiligte (in rem) vor 1 4 . Zweck der Anfechtung ist Rückgängigmachung der eingetretenen und Ausschliefsung künftiger Rechtswirkung (L. 60 de aed. ed. 21, 1). Die Rückgängigmachung findet teils auf unmittelbarem teils auf mittelbarem Wege statt: a. U n m i t t e l b a r , indem mit der erfolgreichen Anfechtung die Rechtswirkungen von selbst erlöschen, die durch das Rechtsgeschäft begründeten Rechte untergehen, die aufgehobenen wieder aufleben. Die Rechtsfolgen werden als nie eingetreten behandelt15. b. M i t t e l b a r , indem aus der erfolgreichen Anfechtung nur eine Verpflichtung des Anfechtungsgegners entspringt, die eingetretenen Rechtsänderungen dem praktischen Erfolge nach rückgängig zu machen, durch Rückübertragung der übertragenen, durch Aufgeben der beFreiheit oder Ingenuitätserklärung war populär; aber das Recht zur Anfechtung beruhte auch hier auf Verleihung (L. 5 § 1 de collus. deteg. 40,16) und unterlag der Verjährung. Es war echte Anfechtbarkeit. A. M. S c h l o f s m a n n , Zwang S.22; M i t t e i s S. 108. 13 Aufsergerichtliche Erklärung genügt zur Umstofsung der Erbeinsetzung wegen Verletzung des Noterbrechts (nach dem sog. relativen Nullitätssystem A r n d t s § 599 Anm.), ferner zur Geltendmachung der falcidischen Quart (L. 71 ad leg Falc. 35,2; M i t t e i s S. 119 fg.). — Über die Anfechtungeeinrede T h o n Jher. Jahrb. X X V I I I S. 41 fg. 14 Beisp. actio quod metus causa, restitutio in rem. Die Anfechtbarkeit einer Forderung kann gegen alle Sondernachfolger und selbst im Konkurs des Gläubigers geltend gemacht werden. S t r o h a l Jher. Jahrb. X X V I I S. 404—462, der für eine weitere Ausbildung der Anfechtung in rem de lege ferenda eintritt. 16 Querela inofficiosi testamenti (L. 21 § 2 de inoff. testm. 5,2 L. 57 pr. de usufr. 7,1), die Geltendmachung der falcidischen Quart. M i t t e i s S. 119 fg.; T h o n a. a. 0. nennt dies echte Anfechtung. Gegen die Verweisung dieser Fälle unter die relative Nichtigkeit ( W ä c h t e r W. PR. I I S. 656; Unger § 91 N. 41, 83), vgl. W i n d s c h e i d § 82 N. 7, 8.
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§
1 . 6 3 5
gründeten, durch Wiederherstellung der aufgehobenen Rechte, durch Ausantwortung des sonst Gewonnenen. Rechte, welche Dritte in der Zwischenzeit an den Sachen durch Veräufserung des Rückgabepflichtigen erworben haben, bleiben unberührt 16. 3. Die Anfechtbarkeit mit unmittelbarer Wirkung (2, a) wird von Manchen relative Nichtigkeit genannt, indem sie die dahin gestellten Erscheinungen unter folgender Vorstellung fassen : der Bestand des Rechtsgeschäfts ist zunächst unentschieden; erklärt sich die zur Entscheidung befugte Person gegen den Bestand, so gilt das Geschäft als von Anfang nichtig. Von Anfechtung zu sprechen dürfte aber näher liegen, weil die Willensaktion eines Beteiligten erforderlich ist, um die rechtlichen Folgen des Geschäfts auszuschliefsen. Andere nennen relativ nichtig die Thatbestände, die nur gewissen Personen gegenüber wirkungslos sind. Als Hauptbeispiel wird die Nichtigkeit der Rechtshandlungen angeführt, die der Gemeinschuldner nach der Konkurseröffnung vorgenommen hat (KKO. § 6) 1 7 . Allein die „Nichtigkeit den Konkursgläubigern gegenüber" wird richtiger gefafst als Unverbindlichkeit infolge des durch die Konkurseröffnung entstandenen Quasipfandrechts (Beschlagsrechts) der Gläubiger am Konkursvermögen. Die Nichtigkeitstheorie reicht überdies gegenüber benachteiligenden Unterlassungen des Gemeinschuldners nicht aus 18 . Der Begriff der relativen Nichtigkeit ist demnach entbehrlich 19. 4. Der Begriff der Anfechtbarkeit hat bei den Neueren dadurch Trübung erfahren, dafs er mit der römischen Verteidigung durch exceptio zusammengeworfen wird. Die exceptio konnte ein Anfechtungsrecht zur Geltung bringen, sie war aber zuweilen Ausdruck einer Nichtigkeit, die wegen ihres prätorischen Ursprungs in das Gewand der exceptio gekleidet werden mufste (§ 192 III). Umgekehrt konnte 16
Hierher gehören die Anfechtung wegen Drohung und Betrugs (§ 145, 146), die Redhibition beim Kauf (L. 43 § 8 de aed. ed. 21,1 L. 4 pr. quib. mod. pign. 20, 6) u. a. 17 D e r n b u r g I § 120 N. 7 führt als weiteres Beispiel das simulierte Rechtsgeschäft an, das unter den Parteien selbst nichtig sei, dagegen durch Übertragung des angeblichen Rechts an einen gutgläubigen Erwerber Geltung gewinne (§ 141 N. 12). Allein hier wird nicht das simulierte Rechtsgeschäft zur Quelle des Rechtserwerbs erhoben, sondern es wird wie sonst beim Schutz des redlichen Verkehrs einem Erwerbsthatbestand rechtbegründende Kraft beigelegt, die er nach der Regel nemo plus juris etc. nicht haben sollte. î8 M i t t e i s S. 104; K o h l e r Lehrb. des Konkursr. § 22—31 u. S. 281. 19 Schon B r a n d i s Giefsner Ζ. V I I S. 121 fg. (1834) hat die Unhaltbarkeit nachgewiesen, und M i t t e is S. 116—131 kommt zu dem Ergebnis: zwischen Anfechtbarkeit und relativer Nichtigkeit nominis tantum sonus differt.
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Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
im bonae fidei judicium ein Anfechtungsrecht ohne exceptio wirksam werden. Selbst wenn wahr wäre, dafs alle Exceptionen nur auf Parteiantrag in die Formeln aufgenommen wurden 20 , so würde dies für das heutige Recht nichts verschlagen21.
§ 175. b.
Nachträgliche u n d teilweise Mangelhaftigkeit.
Konversion.
I. Bei Rechtsgeschäften mit successiver Entstehung (Verfügungen von Todeswegen, Dosbestellung vor der Ehe u. a.) kann zwischen dem Willensakt und der Vervollständigung des Thatbestands ein Umstand eintreten, welcher das Rechtsgeschäft nichtig oder anfechtbar macht. Ein Testament wird durch Errichtung eines neuen nichtig, durch Entstehung eines Noterben (nach neuerm Recht) anfechtbar, der bedingte Kauf durch Untergang des Gegenstands nichtig u. s. w. Dagegen darf bei Rechtsgeschäften, die ihre normale Wirkung erzeugt haben, nicht von einer nachträglichen Mangelhaftigkeit gesprochen werden. Der Undank des Beschenkten macht sowenig den Schenkungsvertrag anfechtbar als die Zahlung der Schuld den Darlelmsvertrag nichtig. Beide Ereignisse richten sich gegen das Rechtsverhältnis1. Aber auch für die Rechtsgeschäfte mit successiver Entstehung ist der Satz falsch, dafs der Eintritt jedes Umstands das Rechtsgeschäft entkräfte, dessen Dasein im Zeitpunkt des Willensakts die Mangelhaftigkeit bewirkt hätte; denn danach würde ein bedingtes Kaufgeschäft oder ein Testament nichtig, wenn der Käufer oder der Testator hinterher geisteskrank werden. Nur gewisse Erfordernisse müssen bis zur Vervollständigung des Thatbestands fortdauern, und nur ihr Wegfall schadet2. 20
Hiegegen G r a d e n w i t z a. a. O. S. 74, 126, 308; dazu T h o n a. a. 0. S. 80 und M i t t e is S. 131. 21 T h o n a. a. 0. S. 75 fg. Zu weit gehn B r i n z 1. A. S. 1631, G r a d e n w i t z und M i t t e i s a. a. 00. mit der Behauptung, dafs alle exceptionsmäfsigen Forderungen von vornherein ungültig seien und nur durch Verzicht auf die exceptio zur Geltung gelangen. Vgl. T h o n S. 44 fg. und Schey, Die Obligationsverhältnisse des österr. PR. I S. 154 N. 10. 1 Selbst von S a v i g n y IV S. 542 fg. nicht beachtet. Richtig U n g e r § 91 N. 16, 21 und in trefflicher Ausführung B r i n z 1. A. S. 1637—41, 1645. Auch in den Quellen wird zuweilen Aufhebung des Rechtsgeschäfts, ζ. B. der stipulatio genannt, was in Wirklichkeit Aufhebung des Rechtsverhältnisses war. § 2 J. de inut. stip. 3, 19 L. 83 § 6 L. 136 § 1 L. 140 § 2 V. 0. 45, 1. 2 Ζ. B. beim Testament Freiheit des Testators von der väterlichen Gewalt. § 6, 16 J. de legat. 2, 20; ferner L. 83 § 5 V. 0. 45, 1 L. 31 pr. de novat. 46, 2.
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§
1 . 6 3 7
Ebenso unrichtig ist die auf einzelne Erscheinungen gebaute allgemeine Behauptung, dafs eine vertragsmäfsige Verpflichtung erlösche, wenn sich seit der Übernahme die Umstände zum Nachteil des Verpflichteten geändert haben. Man unterstellt in willkürlicher Weise dem Vertrag den Vorbehalt, dafs eine solche Änderung nicht eintritt, sog. clausula rebus sie stantibus. Nichts ist für die Sicherheit des Verkehrs gefährlicher, jeder Käufer könnte vom Kaufvertrag zurücktreten, wenn die Preise sinken, jeder Verkäufer, wenn sie steigen. Wo eine Aufhebung wegen Änderung der Umstände anerkannt ist, da stützt sie sich entweder auf die Auslegung des besondern Vertrags oder auf positive Vorschrift 3. II. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit können auf einen Teil des Rechtsgeschäfts beschränkt sein, und zwar entweder so, dafs nur eine von mehreren Bestimmungen im Rechtsgeschäft mangelhaft ist oder eine und dieselbe Bestimmung nur teilweise. Der erste Fall liegt vor, wenn sich der Grund der Mangelhaftigkeit allein auf eine Nebenbestimmung bezieht (§ 165 I I ) 4 ; der zweite, wo das Recht nur dem Übermafs entgegentreten will (bei Schenkungen, Vermächtnissen)5. Sind in einem Rechtsgeschäft mehrere Verfügungen vereinigt, die nicht im Verhältnis von Haupt- und Nebenbestimmung stehn, so fällt mit einer mangelhaften Bestimmung das ganze Geschäft, wenn sich aus dem Inhalt ergiebt, dafs alle Bestimmungen nur in ihrem Zusammenhang gewollt sind 6 . Zuweilen erklärt das Gesetz eine Verfügung als Grundlage aller andern, so beim Testament die Erbeinsetzung, obwohl auch davon die Folge nicht ausnahmslos gezogen ist (bei der Verletzung der Noterben nach Nov. 115). Selbst römische Juristen sind der Versuchung zur Verallgemeinerung erlegen. Marcian. L. 3 § 2 i. f. de his quae pro non script. 34, 8 Marceil. L. 98 pr. V. Ο. 45, 1 (maxime secundum illorum opinionem rlq.). Richtig Paul. L. 85 § 1 R.J. 50, 17 L. 140 § 2 V. Ο. 45, 1. 3 Beisp. L. 38 pr. de solut. 46, 3 C. 3 locati 4, 65. Ein hieher gehöriges Gewohnheitsrecht wird für die Verpflichtung aus einer Kreditzusage angenommen in Seuff. XXX 111 und ROHG. X X I I I Nr. 48 S. 137, wogegen Seuff. X X V I 212. Der im Text bekämpfte allgemeine Satz ist sehr entschieden abgelehnt Γη Seuff. V I 137 V I I I 253 XXIV 212 XXXIV 268 X L I V 37 a. E. W ä c h t e r W.PR. I I S. 658
N. 16.
4
L. 34 pr. C. E. 18, 1 L. 20 de usur. 22, 1 L. 4 de pact. dot. 23, 4. Dasselbe nahm das römische Recht für den wucherischen Zinsvertrag an (L. 29 de usur. 22, 1), während das Reichswuchergesetz v. 24. Mai 1880 das ganze Geschäft für nichtig erklärt. 6 L. 44 C. E. 18, 1 L. 34, 38 § ult. de aed. ed. 21, 1 L. 1 § 5 V. 0. 45, 1 Seuff. X I I 3 XIX 25 X X I 191 X X X I V 269 X L I V 183. 5
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Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
III. Ein rechtsgeschäftlicher Thatbestand, der zur Hervorbringung des von den Parteien beabsichtigten Rechtsgeschäfts untauglich ist, kann alle Erfordernisse eines verwandten Rechtsgeschäfts in sich vereinigen ; z. B. wenn in einer Urkunde, die als Eigenwechsel hingegeben wird, die Bezeichnung Wechsel fehlt, so ist sie als Wechsel ungültig (WO. Art. 96 Ziff. 1), es kann aber darin der volle Thatbestand eines kaufmännischen Verpflichtungsscheins enthalten sein. Darf in solchem Fall das Geschäft in der zweiten Gestalt aufrecht erhalten werden? Dies ist, was man K o n v e r s i o n oder Umwandlung der Rechtsgeschäfte zu nennen pflegt 7. Im Zweifel mufs man sich für die Aufrechthaltung entscheiden, wenn der von den Parteien angestrebte praktische Erfolg mit der zweiten Geschäftsart im wesentlichen erreicht wird. Es darf angenommen werden, dafs den Parteien am Zweck und nicht an einem bestimmten Mittel zum Zweck gelegen ist, ja dafs sie selbst eine Abschlagszahlung dem vollen Mifserfolg vorziehn 8. Freilich ist die Aufrechthaltung nicht gegen den Willen der Parteien zulässig. Um jeden Zweifel abzuschneiden, verlangt das Gesetz für einige Fälle eine Parteierklärung, dafs das Geschäft eventuell in der andern Gestalt aufrecht erhalten werden solle9. Unzulässig ist, einen rechtsgeschäftlichen Thatbestand, der in der beabsichtigten Gestalt gültig und wirksam war, hinterher, wenn die Wirksamkeit aus einem diesem Geschäft eigentümlichen Gruncl erloschen ist, als ein verwandtes Rechtsgeschäft aufrecht zu erhalten, z. B. einen Wechsel nach Verjährung des Wechselanspruchs als einfaches Schuld versprechen (ROHG. IX Nr. 104 S. 353 Seuff. XLII Nr. 31 u. Nachw.). Die Voraussetzungen für eine Konversion fehlen, wenn die Parteien das Geschäft, worauf die äufsern 7
R ö m e r Civ. Arch. X X X V I S. 66 fg.; E n n e c c e r u s Rechtsgeschäft S. 152. Mit Unrecht behauptet D e r n b u r g I § 124 N. 5, dafs es sich um blofse Konversion des Namens handle. Die Konversion verfährt ähnlich wie die analoge Rechtsanwendung, sie handelt nicht gemäfs dem Willen, aber im Sinne der Parteien. Sie liegt daher über die Auslegung der Rechtsgeschäfte hinaus. 8 L. 5 pr. de resc. vend. 18, 5 L. 8 pr. L. 19 pr. L. 23 de accept. 46, 4 (acceptilatio als pactum de non petendo); L. 3 de testam. mil. 29, 1 (ordentliches Testament als privilegiertes Soldatentestament); L. 1 § 1 de pign. act. 13, 7. Abgelehnt ist die Konversion in L. 1 § 4 de const, pec. 13, 5. P e r n i c e , Labeo I S. 404 fg. RGE. X X V I Nr. 37 S. 202; T h ö l , Handelsr. § 56 Ziff. 4: Prokura als Handelsvollmacht. Auch ein Eigenwechsel als einfaches Schuldversprechen ? Verneint von R ö m e r , Abhandl. aus dem röm. Recht S. 5, nicht so schlechthin von T h ö l , Wechs. R. § 26; vgl. ebenda § 124 N. 5 § 159 N. 16. 9 L. 1, 13 § 1 de jure codic. 29, 7 (Kodizillarklausel).
Die juristischen Thatsachen.
Die R e c h t s s c h e .
§
1 .
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Umstände hinweisen, gar nicht gewollt z. B. ihm nur einen falschen Namen gegeben haben10.
§ 176. e. H e i l u n g der Mangelhaftigkeit.
I. Dadurch dafs der die Mangelhaftigkeit verursachende Umstand hinterher wegfällt, wird im allgemeinen weder die Nichtigkeit noch die Anfechtbarkeit gehoben1. Das Gegenteil würde zu höchst bedenklichen Ergebnissen führen, z. B. würde der von einem Geisteskranken geschlossene Vertrag gültig, sobald jener gesund wird. Indes was als Regel verneint werden mufs, ist für einzelne Fälle anerkannt. Aber die Erkräftigung (Konvalescenz) durch Änderung der Umstände beruht immer auf positiver Satzung und läfst sich nicht auf ein Prinzip zurückführen 2. II. Die nachträgliche Bestätigung des mangelhaften Geschäfts durch einen Beteiligten wirkt verschieden bei den anfechtbaren und den nichtigen Geschäften. Bestätigt der Anfechtungsberechtigte das Geschäft im Bewufstsein seines Rechts, so verzichtet er auf das Anfechtungsrecht, das bisher anfechtbare Rechtsgeschäft wird unanfechtbar 8 . Dagegen werden nichtige Rechtsgeschäfte durch die Bestätigung nicht ins Leben gerufen. Nur für wenige Fälle ist das Gegenteil anerkannt, man pflegt sie heilbar nichtige Geschäfte zu nennen4. Die damit verbundene Unentschiedenheit kann jeder Teil durch die an den Gegner gerichtete Erklärung abschneiden, dafs er sich an das Geschäft nicht gebunden erachte5. 10 L. 6 § 1 de offic. praes. 1, 18 L. 219 V. S. 50, 16 C. 1 plus valere 4, 22 Seuff. X X V I I I 240 ROHG. V I Nr. 20 S. 130 X V I I I Nr. 50 S. 188. 1 L. 29 R. J. 50, 17: Quod initio vitiosum est, non potest tractu temporis oonvalescere. § 7 J. quod cum eo 4, 7 L. 17 § 4 de pact. 2, 14 L. 1 § 2 commod. 13, 6 L. 12 ad SC. Mac. 14, 6 L. 2 § 2 quod jussu 15, 4 u. a. 2 L. 32 pr. de donat. i. v. 24, 1 (Schenkung unter Ehegatten), L. 17 de fundo dotali 23, 5 L. 42 pr. de usurp. 41, 3 (Veräufserung eines Dotalgrundstücks). Vgl. L. 1 pr. de pign. et hyp. 20, 1 L. 17, 60, 94 § 2 de sol. 46, 3. 3 L. 3 § 1 de min. 4, 4 C. 4 de his quae vi 2, 19 [20]. 4 C. 2, 3 si major fact. 5, 74 : Genehmigung der ohne obervormundschaftliche Ermächtigung erfolgten Veräufserung von Mündelsachen durch den Mündel nach Befreiung von der Vormundschaft. Vgl. L. 5 § 2 de auct. tut. 26, 8; dann L. 11 § 2 de bon. poss. sec. tab. 37, 11. 5 Arg. L. 38 § 3 L. 58 pr. de solut. Κ ο h l er Abhandl. S. 288 fordert gerichtliche Geltendmachung oder beiderseitige Anerkennung der Nichtigkeit. Dagegen Z i m m e r m a n n Stellv. Neg. gest. S. 284 fg. Seuff. XXV 298.
Erstes Buch.
Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
Wenn nun auch in allen andern Fällen die Bestätigung das Geschäft nicht zur Entstehung zu bringen vermag, so ist sie doch nicht immer ein rechtlich bedeutungsloser Akt. Sie kann die Berufung auf die Nichtigkeit aussehliefsen (§ 173 N. 2 Seuff. XXXIX 288), sie kann die Errichtung eines neuen Geschäfts mit gleichem Inhalt darstellen 0. Praktisch macht sich der Unterschied der Neuerrichtung von der Belebung des früheren Thatbestands darin geltend: a. Es müssen bei der sog. Bestätigung alle Erfordernisse für die Errichtung eines derartigen Rechtsgeschäfts vorliegen, b. Wo es sich um einen Vertrag handelt, ist zu der sog. Bestätigung die Mitwirkung beider Teile erforderlich, wenn sie auch von Seite des Bestätigungsempfängers durch Nichtablehnung geschehn kann. c. Die rechtlichen Wirkungen haben ihre Quelle ausschliefslich in dem spätem Geschäft; der frühere Vorgang kann höchstens als Auslegungsbehelf dienen. Eine Rückziehung findet nicht statt 7 ; jedoch können die Parteien sich verpflichten, den praktischen Erfolg herzustellen als ob das Geschäft schon früher gültig errichtet worden wäre. III. Kraft positiver Rechtsvorschrift werden einige nichtige Geschäfte durch die eidliche Bestärkung von Seite desjenigen gültig, in dessen Interesse die Nichtigkeit aufgestellt ist: so wird die Ungültigkeit der Veräufserung von Mündelgütern durch die eidliche Zustimmung des mündigen Mündels gehoben8, die Einwilligung der Ehefrau in die Veräufserung eines Dotalgrundstücks durch die eidliche Bekräftigung wirksam (cap. 28 X de jurej. 2, 24), ebenso nach einer feststehenden Praxis die Intercession einer Frau. Diesen Bestimmungen 6 L. 4, 27, 65 § 1 R. N. 23, 2 § 4 J. de mil. testm. 2, 11 L. 25 de test. mil. 29, 1 L. 1 § 1 de legat. III. 7 Im Gegensatz hierzu behaupten W i n d s c h e i d §83 N. 10 und D e r n b u r g I § 122 N. 4, ihnen folgend RGE. X X V I I Nr. 39 S. 163 und Seuff. XLV 238, dafs der einseitigen Bestätigung des nichtigen Geschäfts Geltung und rückwirkende Kraft zukomme, ausgenommen, wenn das frühere Geschäft wegen Formfehlers oiler aus einem sonstigen Grund öffentlichen Interesses nichtig war oder wenn Rechte Dritter entgegenstehn. Die genannten Schriftsteller geben zu, dafs diese Behandlung innerlich unberechtigt sei, glauben aber durch die Vorschrft Justinians in C. 25 i. f. de donat. i. v. 5, 26 und in C. 7 ad SC. Mac. 4, 28 gebunden zu sein. Allein diese Aussprüche lassen sehr wohl die Auslegung zu, dafs jede wahre und gültige Ratihabition zurückbezogen werde, nicht alles was man Ratihabition zu nennen beliebt. L. S e u f f e r t , Die Lehre von der Ratihabition S. 122 fg.; Ε. Z i m m e r m a n n , Stellv. Neg. gest. S. 214 N. 280; W ä c h t e r Pand. I S. 430 fg. 8 Kraft der Erweiterung von C. 1 si adversus vendit. 2, 27 [28J durch die Authentica Sacramenta puberum von Friedrich I. Über die Entstehung der Authentica vgl. S a v i g n y Gesch. des röm. Rechts i. MA. IV S. 162 fg. 2. A. S. 183 fg. Die Auslegung ist bestritten. P u c h t a Vorl. § 253.
Die juristischen Thatsachen.
Die R e c h t s s c h e .
§
1 .
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9
ist die gemeinrechtliche Geltung nicht abzusprechen . Aber man mufs sich im Interesse ebenso der Heiligkeit des Eids wie des Ansehns der Gesetze gegen jede Ausdehnung erklären.
§ 177. 10. Die Auslegung der Rechtsgeschäfte*. Den Stoff bilden für die Auslegung die dem rechtsgeschäftlichen Thatbestand angehörigen Willensäufserungen. Darum berührt sich die Lehre von der Auslegung vielfach mit der Lehre von den Erfordernissen der Willensäufserungen. Darum bewegt sich die Auslegung freier bei den formlosen als bei den formellen Rechtsgeschäften, freier bei einseitigen Verfügungen als bei Verträgen; auch der Gegensatz von Verkehrsgeschäften und Nichtverkehrsgeschäften hat für sie Bedeutung. I. Für die Auslegung von Erklärungen ist der Sprachgebrauch mafsgebend, und zwar im Zweifel der Sprachgebrauch des Orts, wo die Erklärung abgegeben wurde, und des Berufsstands, dem der Erklärende angehört, ja selbst ein individueller Sprachgebrauch, wenn es sich um Ausdrücke handelt, die im gemeinen Sprachgebrauch einer festen Abgrenzung entbehren, z. B. Hausgerät, vorausgesetzt, dafs der gebrauchte Ausdruck das Gewollte nach dem gemeinen Sprachgebrauch bezeichnen kann 1 . So zweifellos bei letztwilligen Verfügungen und sonstigen Freigebigkeitsakten. Dagegen kann sich der Erklärende bei Verkehrsgeschäften auf einen individuellen, ja selbst auf einen örtlichen oder fachmäfsigen Sprachgebrauch nicht berufen, der dem Erklärungsempfänger nicht bekannt war und ohne den Vorwurf einer Nachlässigkeit oder unverzeihlichen Unwissenheit unbekannt sein konnte2. Dies vorbehalten entscheidet für ein Vertragsangebot regelmäfsig der Sprachgebrauch des Antragstellers. Sind aber z. B. Waren mit festen Preisen 0
A. M. D e r n b u r g I § 121 N. 5, indem er die erste Ausnahmebestimmung durch eine gewagte Schlufsfolgerung aus StGB. § 301, 302, die kanonische mit der nicht zu beweisenden Behauptung beseitigt, dafs heutzutage die unbeschworne Einwilligung der Frau genüge. Gegen ihn W i n d s c h e i d § 83a N. 4; B e k k e r § 108 Beil. II. * B u r c k h a r d , Die civilist. Präsumtionen (1866) S. 249—269; L e o n h a r d , Irrtum bei nichtigen Rechtsgeschäften (1882) S. 172 fg. 1 L. 4 pr. L. 50 § 3 de legat. I L. 7 § 2 de supp. leg. 37, 10 L. 33 de auro leg. 34, 2. E n n e c c e r u s Rechtsgeschäft S. 123 N. 2. 2 Seuff. X V I I I 227 (Gruben im Sinne der Gerberei), X L 94 (massives Haus). B i n d i n g , Handbuch. I. 7. I : Re ge 1 s berge r , Pand. I.
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Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
ausgeboten, wie bei einem antiquarischen Bücherverzeichnis, so ist die Annahme berechtigt, dafs jeder Besteller in dein Sinn kaufen will, den der Sprachgebrauch am Ort des Feilbietenden ergiebt 3. II. Auch die Auslegung der Rechtsgeschäfte darf sich bei dem buchstäblichen Sinn der Erklärung nicht beruhigen, nicht blofs wenn der Wortsinn dunkel oder mehrdeutig ist 4 . Wir werden in den Gesetzen hingewiesen, bei der Auslegung von letztwilligen Verfügungen und von Verträgen nicht am Worte zu kleben, sondern den Geschäftswillen der Verfügenden zu erforschen 5. Man erkennt den Geschäftswillen (id quod actum est), der hinter den gebrauchten Worten (id quod dictum vel scriptum est) steckt, aus dem ersichtlichen Parteizweck (ROHG. XI Nr. 33 S. 438), aus den Umständen, unter denen die Erklärung zu Tage getreten ist, aus den vorausgehenden Unterhandlungen (RO.HG. I I I Nr. 73 S. 343), möglicherweise selbst aus einem nachträglichen Handeln z. B. aus der längere Zeit gleichmäisig fortgesetzten und unbeanstandet angenommenen Erfüllung 6. Einen besonders wichtigen Anhaltspunkt findet die Auslegung von Rechtsgeschäften in der Übung des Verkehrs. Es darf im Zweifel als gewollt unterstellt werden, was unter gleichen Verhältnissen in der Mehrzahl der Fälle gewollt zu werden pflegt 7. Der Wille, im Einklang mit der herrschenden Sitte zu verfügen, ist durch die Kenntnis vom Inhalt der Sitte nicht bedingt. III. Es wird der Auslegung häufig nicht gelingen, über die blofse Wahrscheinlichkeit hinauszukommen. Das ist kein Grund ihr Ergebnis abzulehnen. In menschlichen Verhältnissen mufs man gröfstenteils mit relativer Sicherheit rechnen8. Wo das Zünglein für mehrere Deutungen gleichsteht, kommt zuweilen das positive Recht zu Hülfe 3
W ä c h t e r Civ. Arch. X I X S. 114 fg.; S a v i g n y V I I I S. 267. Dazu HGB. Art. 336. 4 L. 9 de in diem add. 18, 2 L. 2, 3 de lege comm. 18, 3 L. 54 § 1 locati 19, 2 L. 31 de evict. 21, 2 u. a. Nur gegen ein grundloses Mäkeln am Wortsinn sprechen sich aus L. 25 § 1 L. 69 pr. de legat. I I I RGE. IX Nr. 61 S. 229. 5 L. 7 § 8 de pact. 2, 14 L. 6 § 1 C. E. 18, 1 L. 18 § 3 de instr. leg. 33, 7 L. 219 V. S. 50, 16. HGB. Art. 278. 6 B ä h r , Anerkennung § 48 a. E.: interpretative Anerkennung; P i n i n s k i , Thatbestand des Sachbesitzerwerbs I I S. 347 fg. Seuff. X V I I I 30 X L I I I 259 u. Nachw. ROHG. I I Nr. 16 S. 251 IX Nr. 108 S. 386. 7 L. 21 § 1 i. f. qui testm. fac. 28, 1 L. 31 § 20 de aed. ed. 21, 1 L. 34 R. J. 50, 17. HGB. Art. 279. ROHG. X X I I Nr. 86 S. 371. Seuff. X L V I I I 11 u. Nachw. B e h r e n d , Handelsr. § 18 N. 11 § 60 N. 18. 8 L. 114 R. J. 50, 17. P i n f t i s k i a. a. 0. I I S. 415.
Die juristischen Thatsachen.
Die unerlaubten Handlungen.
§ 178.
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teils mit allgemeinen teils mit besondern Auslegungsregeln. Nur die ersteren können hier Erwähnung finden 9. 1. In Verträgen soll ein dunkler Ausdruck im Zweifel zum Nachteil der Partei ausgelegt werden, die ihn gebraucht hat: quia clarius loqui debuit lü . Die neuere Praxis hat dies folgerichtig auf die formularmäfsigen Vertragsbedingungen von Versicherungsgesellschaften, Eisenbahn-, Dampfschiffverwaltungen u. ä. angewendet11. 2. Von zwei möglichen Auslegungen soll diejenige mafsgebend sein, bei welcher der von den Parteien erstrebte praktische Erfolg allein oder besser rechtlich gesichert ist (L. 80 V. 0. 45, 1 RGE. XXIV Nr. 13 S. 67). 3. Ist die Höhe einer Leistungspflicht unsicher, so soll die geringere Summe als gemeint gelten (L. 34 i. f. R. J. 50, 17). 4. gab bei den Römern einzelne begünstigte Verhältnisse, Freiheit und Dos, und ein begünstigtes Geschäft, das Testament12. Mit Unrecht behauptet man, dafs Vergleiche, \rerzichte und Strafabreden eng oder nicht ausdehnend auszulegen sind. Für eine Abweichung von den allgemeinen Auslegungsgrundsätzeo liegt weder in der Natur dieser Rechtsgeschäfte eine Rechtfertigung noch in den Quellen ein Beweis. Richtig ist nur, aber auch für alle Geschäfte richtig, dafs nichts hineininterpretiert werden darf, woran die Parteien nicht gedacht haben (§ 123 Nr. 21). D.
Die unerlaubten
Handlungen.
§ 178. 1. Unrecht, Delikt, Strafe, Schadenersatz*. I. Eine Handlung (oder Unterlassung) ist unerlaubt, wenn dadurch ihr Urheber eine durch rechtliches Verbot oder Gebot begründete 9 Beispiele für die besondern: L. 23 pr. S. P. U. 8, 2 L. 57 J. D. 23, 3 L. 4 pr. § 1 de subst. 28, 6 L. 102 de cond. et dem. 35, 1 C. ult. quae res pign. 8, 16 [17]. 10 In den Quellen heifst es vielfach : contra venditorem, locatorem, stipulatorem interpretandum est. L. 39 de pact. 2, 14 L. 33 C. E. 18, 1 L. 26 de reb. dub. 34, 5 L. 38 § 18 L. 99 pr. V. 0. 45, 1. Aber nicht, weil die Ungunst mit der Parteirolle verknüpft wäre, sondern weil von diesen Personen in der Regel die Vertragsformulierung ausging. Es fehlt daher nicht an abweichenden Entscheidungen. L. 34 pr. C. E. 18, 1 L. 29 locati 19, 2 L. 110 § 1 V. 0. 45, 1. ROHG. V I I Nr. 1 S. 14 V I I I Nr. 56 S. 230 Seuff. X X X I X 88. 11 ROHG. XIV Nr. 136 S..437 u. Nachw. RGE. X Nr. 43 S. 160 X V I I I Nr. 28 S. 143 XIX Nr. 14 S. 63. 12 Über den favor testamenti Fr. H o f m a n n , Krit. Studien Abh. 4. * A. Merkel, Kriminalist. Abhandlungen I : Zur Lehre von den Grundeinteilungen des Unrechts und seiner Rechtsfolgen (1867) und Jurist. Encyklopädie 41*
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Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
Rechtspflicht verletzt. Der durch sie herbeigeführte Erfolg ist ein Unrecht oder eine Rechtsverletzung im Sinne eines rechtspflichtwidrigen Verhaltens, nicht notwendig Verletzung eines subjektiven Rechts (z. B. nicht bei Blutschande, Gotteslästerung)1. II. Jede unerlaubte Handlung enthält die Verletzung oder Gefährdung eines von der Rechtsordnung geschützten Guts, eines Rechtsguts (§ 14 N. 1). Eine Verletzung oder Gefährdung von Rechtsgütern kann auch durch Naturereignisse verursacht werden (Überschwemmung, Hagelschlag u. s. w.). Gegen sie hat das Recht keine Macht. Das Recht leitet und bekämpft nur den menschlichen Willen. Die Verletzung oder Gefährdung eines Rechtsguts ist Unrecht, wenn sie durch den Willen einer Person hervorgebracht ist. III. Handlung ist Willensverwirklichung. Ein Mensch hat nicht gehandelt, wenn sein Körper bei der Herbeiführung eines thatsächlichen Erfolgs nur mechanisch mitgewirkt hat, er ist z. B. auf einen Gegenstand gestofsen worden (vis absoluta). Da trifft ihn für den Erfolg keine rechtliche Verantwortung. Dagegen schliefst die Drohung Handlung und Verantwortung nicht aus, sie hätte denn eine völlige Geistesverwirrung erzeugt. Ja noch mehr. Die unerlaubte Handlung setzt Handlungsfähigkeit ihres Urhebers voraus (§ 130). Kinder und Geisteskranke sind gemeinrechtlich aus den von ihnen verübten Verletzungen fremder Rechtsgüter weder strafbar noch schadenersatzpflichtig (§ 131 I, 2 § 133). Manche Partikularrechte verpflichten in Anknüpfung an älteres deutsches Recht den handlungsunfähigen Urheber eines Schadens in mehr oder weniger beschränkterWeise zum Ersatz 2. Das ist billig und die Haftung ähnlich zu erklären wie die Haftung des Eigentümers, dessen Tier ohne seine Schuld einen Schaden verursacht hat. IV. Die Handlung mufs widerrechtlich sein, nicht notwendig strafbar 3. Durch Obwalten besondrer Umstände kann die Widerrechtlichkeit ausgeschlossen sein, trotzdem dafs die Handlung die regel(1885) § 229—243, 260—310, 664—683; J h e r i n g , Das Schuldmoment im röm. Privatr. (1867); B i n d i n g , Die Normen und ihre Übertretung Bd. I (1872, 2. A. 1890) Bd. I I (1877); P e r n i c e , Labeo I I (1878). 1 Anders, wenn man mit B i n d i n g Normen I 2. A. S. 298, 342 fg. ein subjektives Recht auf Botmäfsigkeit annimmt. 2 Preufs. Ldr. I, 6 § 41 fg. Österr. GB. § 1310. Schweiz. ObR. § 58 (ähnlich früher Zürch. GB. § 1835). T h o n , Rechtsnorm S. 106 N. 70. 3 So ist eine Überschreitung der Notwehr, wenn in Bestürzung, Furcht odei Schrecken begangen, straflos (StGB. § 53 Abs. 3), aber rechtswidrig. RGE. X X I Nr. 54 S. 295.
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Die unerlaubten Handlungen.
§ 178.645
mäfsigen Merkmale der Unerlaubtheit an sich trägt. Dies ist der Fall, wenn sie begangen ist: 1. in Ausübung rechtlicher Befugnisse, in Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht oder in Ausführung eines obrigkeitlichen Befehls 4; 2. als Notwehr d. h. als Verteidigung gegen einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff durch Verletzung des Angreifers, welche die Abwehr erheischte5; 3. im Notstand d. h. wenn ein gefährdetes Gut nur durch Aufopferung eines minderwertigen erhalten werden konnte 6 ; 4. bei gewissen Verletzungen, wenn mit Einwilligung des Verletzten 7 . V. Wenn auch jedes Unrecht aus dem Willen eines Menschen entsprungen ist, so rührt doch nicht jedes aus einer rechtswidrigen Beschaffenheit des Willens her, mit andern Worten : nicht jedes Unrecht ist verschuldet. Wenn jemand einen Zustand herstellt oder aufrecht erhält, der mit dem Recht nicht in Einklang steht, aber in dem nicht leichtsinnigen Glauben, dazu berechtigt zu sein, so handelt er (objektiv) rechtswidrig, aber schuldlos, z. B. der gutgläubige Besitzer, der sich selbst für den Eigentümer haltend die Sache dem Eigentümer nicht herausgiebt8. Übrigens knüpft das positive Recht manche Folgen an die objektive Erscheinung des Unrechts z. B. die Entstehung eines klagbaren Anspruchs. VI. Selbst innerhalb des verschuldeten Unrechts ist die Gegenwirkung des positiven Rechts verschieden. 1. Gegen manche verschuldete Rechtsverletzung steht nur die Geltendmachung und Durchführung des verletzten Rechts zu, z. B. 4
L. 55, 151, 155 § 1 L. 167 § 1 R. J. 50, 17 Seuff. XLV 166. L. 4 pr. L. 45 § 4 ad leg. Aq. 9, 2 StGB. § 53. B i n d i n g Handb. des Strafr. § 150. 6 L. 29 § 3 L. 49 § 1 ad leg. Aq. 9, 2 L. 14 pr. praescr. verb. 19, 5 L. 3 § 7 de incendio 47, 9, aber auch L. 7 § 4 quod vi 43, 24 HGB. Art. 702 fg. Die eigentümliche Begrenzung des Notstands im StGB. § 52, 54 ist für das Civilrecht nicht mafsgebend. Über die Frage, ob der Notstand die Ersatzpflicht ausschliefst, ist im Obligationenrecht zu handeln. Einstweilen Unger Jher. Jahrb. X X X S. 377, 2. Α.: Handeln auf eigne Gefahr S. 24. 7 Ζ. B. beim Diebstahl L. 46 § 8 de furt. 47, 2. Auch bei Körperverletzungen? Nach L. 7 § 4 ad leg. Aq. 9, 2 ja, wenn im Wettkampf zugefügt. Ausdehnung auf den Zweikampf? B i n d i n g , Handb. § 148, 149. 8 A. M e r k e l , Abhandl. S. 46 fg.; B i n d i n g , Normen I 2. A. S. 244 (wo weitere Litteratur); B r i n z 2. A. § 250 N. 35 erklären sich gegen den Begriff des schuldlosen Unrechts. Dafür H ä l s c h n e r , Strafr. I S. 19; J h e r i n g , Schuldmoment S. 5; T h o n , Rechtsnorm S. 71 fg.; D e r n b u r g I § 86. 5
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wenn der Schuldner trotz Kenntnis seiner Pflicht nicht zahlt. Eine solche Rechtsverletzung erzeugt kein neues Rechtsverhältnis sondern höchstens die Änderung, namentlich Erweiterung eines bestehenden. 2. Andere Rechtsverletzungen erzeugen eine dem verletzten Recht gegenüber selbständige Rechtsfolge und zwar um der Unerlaubtheit der Handlung willen z. B. der Diebstahl. Hier entsteht ein neues Rechtsverhältnis. Eine solche Handlung heifst Delikt 9 . Die Delikte sind Unterarten der unerlaubten Handlungen. Die Abgrenzung zieht das positive Recht. So ist z. B. gemeinrechtlich der Bruch eines Dienstvertrags nur mit den Mitteln des Vertragsrechts verfolgbar, es könnte darauf Strafe gesetzt sein. VII. Die Rechtsfolge des Delikts kann Strafe oder Schadenersatz oder beides sein. 1. Die Strafe ist ein Übel, das vom Gesetz über den Missethäter verhängt wird, um ihn unter die Macht des Gesetzes zu beugen oder dem Gekränkten eine Genugthuung zu verschaffen. Subjekt des Strafanspruchs kann der Staat oder der Verletzte sein. Dort ist die Strafe eine öffentliche (poena publica), hier eine Privatstrafe (p. privata). Der staatliche Strafanspruch wird mit Anklage (accusatio) verfolgt, der Privatstrafanspruch im Weg des Civilprozesses mit actio 10 . Manche Privatstrafen vollziehen sich unmittelbar mit der vollendeten schuldhaften That: die Strafen, die in der Verwirkung eines Rechts oder einer Rechtsstellung bestehn11. Alle Strafen beruhn auf unmittelbarer Anordnung in einer Rechtsvorschrift. Daher ist die sog. Konventionalstrafe keine Strafe, da den Nichterfüllenden ein Nachteil kraft Parteiübereinkommens trifft. Und weil die Strafe Deliktsfolge ist, so fallen darunter nicht die Vermögensnachteile, die gesetzlich an ein bestimmtes Verhalten geknüpft sind entweder ohne Rücksicht auf Verschuldung (z. B. Anspruchsverjährung) oder wo von einer Verschuldung nicht die Rede sein kann (z. B. poenae secundarum nuptiarum). 2. Die meisten Delikte verpflichten zum Ersatz des dadurch im Vermögen einer Person verursachten Schadens. Im ältern römischen 9
Über die Auffassung der Kriminalisten A . M e r k e l , Lehrb. § 4 und B i n d i n g , Normen I 2. A. S. 298, 312. 10 Zwischenbildungen: die Antragsdelikte, bei denen die öffentliche Klage nicht ohne den Antrag des Verletzten erhoben werden darf (z. B. Familiendiebstahl StGB. § 247), und die Privatklage auf öffentliche Strafe (bei Körperverletzungen und Beleidigungen StPO. § 414 fg.). 11 Aber nicht alle Verwirkungen infolge rechtswidrigen Verhaltens sind Strafen und setzen Verschuldung voraus. T h o n , Rechtsnorm S. 39 fg.
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Die unerlaubten Handlungen. § 1 7 .
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Recht war diese Rechtsfolge unter der Privatstrafe verdeckt (§ 53 II). Das neuere Recht ist zu einer schärferen Scheidung zwischen Strafe und Ersatzpflicht gekommen, es hat aber für die Ersatzpflicht aus Anlafs eines Delikts den Thatbestand des Delikts als Grundlage nicht aufgegeben 1 2 . Freilich ist das Delikt nicht der einzige Entstehungsgrund für Schadenersatzverbindlichkeiten. Daher kann in einem gegebenen Fall die Ersatzpflicht begründet sein, trotzdem der volle Thatbestand des Delikts nicht vorliegt (z. B. § 113 N. 15). Wo sich der Ersatzanspruch auf das Delikt stützt, ist der Deliktsbegriff des Civilrechts, nicht des Strafgesetzbuchs mafsgebend 1 3 .
§ 179.
2.
Arten und Grade der Verschuldung. Gewalt *.
Zufall und höhere
Ob eine Rechtsverletzung verschuldet und wie sie verschuldet ist, hat nicht blofs für die Delikte Bedeutung, sondern z. B. auch für die Zuwiderhandlung gegen eine obligatorische Verpflichtung, für die Haftung des Besitzers einer fremden Sache wegen Untergangs, wegen der Früchte u. s. w. Daher ist von der rechtlichen Natur der Verschuldung unter den allgemeinen Lehren zu handeln. I. Der Urheber einer Rechtsverletzung hat sie verschuldet, wenn er sie vorsätzlich (dolo) oder fahrlässig (culpa i. e. S.) herbeigeführt hat. 1. Dolus (malus) ist das Wollen einer rechtsverletzenden Handlung im Bewufstsein ihrer Rechtswidrigkeit, der rechtswidrige Vorsatz, die Arglist. Es liegt eine vorsätzliche Begehung vor, auch wenn der eingetretene Erfolg nicht der Endzweck der Handlung war, falls ihn nur der Handelnde als Wirkung seiner Handlung voraussah und zur Erreichung seines Zwecks in den Kauf nahm. Der Beweggrund des rechtswidrigen Entschlusses ist für die civilrechtliche Beurteilung un12
Das Bemühen B i n d i n g s , Normen I § 58, 59 (1. A. § 31), jeden Ersatzanspruch vom deliktischen Thatbestand völlig zu trennen, ist weder für das geltende Recht begründet noch de lege ferenda beifallswürdig. Vgl. auch D e g e n k o l b Civ. Arch. L X X V I S. 74. 13 Z. B. für die condictio furtiva das römische furtum. M a n d r y , Civilr. Inhalt der Reichsgesetze § 22. A. M. W e n d t § 69. * Hasse, Die Culpa des röm. Rechts (1815, 2. von B e t h m a n n - H o l l w e g besorgte Auflage 1838); M o m m s e n , Beiträge zum Obligationenrecht I I I S. 345 - 4 0 6 (1855); B i n d i n g , Normen I I S. 267 fg. (1877); P e r n i c e , Labeo I I S. 57 —143, 231—428 (1878); C. Chr. B u r c k h a r d t , Sinn und Umfang der Gleichstellung von dolus und culpa lata im röm. Recht (Göttinger Preisschrift 1885).
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erheblich. Allerdings nimmt ein löblicher Beweggrund (z. B. Mitleid mit einem eingeschlossenen Tier) dem Vorsatz die Eigenschaft der Unsittlichkeit. Daher sträubten sich die Römer, auf eine bewufst rechtswidrige Handlung aus löblichem Beweggrund diejenige Rechtsfolge des dolus zu verhängen, die in der bethätigten unsittlichen Gesinnung ihren Grund hatte, die Infamie 1. Mit clem Wegfall der Infamie hat diese Abmilderung im heutigen Recht die Bedeutung verloren. 2. Die Rechtsordnung verlangt von den Menschen, dafs sie im Gemeinleben mit Überlegung der Folgen ihrer Handlung oder Unterlassung für die rechtlich geschützten Güter zu Werke gehn. Versäumung dieser Sorgfaltspflicht ist Fahrlässigkeit. Wer fahrlässig eine Verletzung begeht, hat sie nicht gewollt und doch verschuldet, indem er diese Wirkung seines Verhaltens bei der erforderlichen Geistesanspannung hätte voraussehn können. Auch Denkfaulheit ist ein Willensfehler 2. II. Vorsatz und Fahrlässigkeit sind die einzigen Arten der Verschuldung (culpa i. weit. S.). Es giebt nichts Schuldhafteres als den Dolus, und eine Verletzung, die dem Handelnden nicht einmal als fahrlässig auf Rechnung gesetzt werden kann, beruht auf Zufall (casus). Es kommt vor, dafs jemand auch für die zufälligen schädlichen Folgen seines Verhaltens aufkommen mufs; das ist aber keine Haftung aus Verschuldung. In gewissen Verhältnissen wird selbst innerhalb des Zufalls unterschieden zwischen höherer Gewalt (vis major) und dem gewöhnlichen Zufall, indem nur der höheren Gewalt haftbefreiende Wirkung zuerkannt wird 3 . Der Unterscheidung liegt die Erwägung zu Grunde, dafs in den gedachten Verhältnissen die Beschränkung der Haftung auf Verschuldung eine Unbilligkeit gegen den Beschädigten enthalten würde, weil einerseits der Verdacht einer Verschuldung durch die Umstände nahe gelegt ist, andrerseits der Nachweis leicht an thatsächlichen Hindernissen scheitert, namentlich an dem mangelhaften 1
L. 7 § 7 de dolo 4, 3 L. 7 pr. depos. 16, 3. Über L. 8 § 10 mand. 17, 1 B u r c k n a r d t a. a. 0. S. 10 fg. 2 Schon Q. Muc. Scaevola definierte (L. 31 ad leg. Aq. 9, 2): culpam esse, quod cum a diligente provideri poterit, non esset provisum. J h e r i n g , Zweck I I S. 66. Eigentümlich B r i n z 2. A. § 250 N. 31 fg. 3 Am unzweideutigsten in L. 3 § 1 nautae caup. 4, 9. Über andere Erwähnungen G e r t h , Der Begriff der vis major S. 30 fg. (1890). Aus der gemeinrechtlichen Jurisprudenz ist der Ausdruck höhere Gewalt in die neueren Gesetze übergegangen. HGB. Art. 395, 607, Reichshaftpflichtgesetz § 1, RPostgesetz v. 28. X. 1871 § 11.
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Einblick des Geschädigten in den Thatsachenzusammenhang. Daru-ni greift das Recht durch und erklärt den Schuld verdächtigen haftbar, trotzdem dafs er möglicherweise ohne Schuld ist. Daraus ergiebt sich die Grenze für diese aufsergewöhnliche Haftung: sie fällt weg, wenn der Schaden durch einen äufserlich erkennbar unwiderstehlichen Vorgang (Naturereignis oder menschliche Handlung) herbeigeführt wurde und wenn der geschädigte Gegenstand unter den obwaltenden Umständen dem schädlichen Eingriff nicht entzogen werden konnte. Die Schuldlosigkeit liegt dann sozusagen auf der Hand 4 . Indes erhält der allgemeine Grundgedanke im einzelnen Gesetz seine besondere Abtönung, und man gelangt zu unbrauchbaren Ergebnissen, wenn man den Begriff höhere Gewalt überall mit derselben Formel zu bezwingen sucht. Es fällt insonderheit ins Gewicht, ob das Gesetz mehr von der Erwägung des Beweisnotstands geleitet wird, wie beim receptum nautarum et cauponum, oder von dem Gesichtspunkt abstrakter Möglichkeit von Schutzmafsregeln, auf deren Steigerung hingewirkt werden will, wie bei der Haftung des horrearius nach römischem, der Eisenbahn und Post nach heutigem Recht5. II. Beim Dolus lassen sich vielleicht Arten unterscheiden, was jedenfalls für das Civilrecht ohne Bedeutung ist, aber nicht Grade, 4
Uber das Wesen der höheren Gewalt ist ein lebhafter Streit entbrannt (vgl. die Übersicht bei G e r t h a a. O. S. 17 fg. 105 fg.), namentlich um die Frage, ob es darauf ankommt, dafs der Schaden eintrat ungeachtet der zweckmäfsigsten Schutzeinrichtungen des Verpflichteten gegen den Schaden, so weit er ihn vernünftiger Weise voraussehen konnte, (subjektive Theorie: G o l d s c h m i d t Z. f. HR. I I I S.90 fg. X V I S.326 fg.; D e r n b u r g Grünhuts Ζ. X I S.335 fg.; W i n d s c h e i d § 384 N. 6), oder ob nur die Beschaffenheit des schädigenden Ereignisses entscheide (objektive Theorie), sei es das Hereinwirken von aufsen und die Wucht des Auftretens ( E x n e r Grünhuts Ζ. X S. 495 fg.) oder die Gröfse und Unvorhersehbarkeit ( B r u c k n e r , Die Custodia nebst ihrer Beziehung zur vis major S. 253 fg.) oder schlechthin die Unüberwindlichkeit ( B a r o n Civ. Arch. L X X V I I I S. 284 fg.). Vgl. auch S t u c k i , Über den Begriff der höheren Gewalt (1889); B i e r man η Ζ. d. Sav.-Stift. X I I Rom. Abt. S. 33 fg. Beide Standpunkte sind zu doktrinär. 5 Auf Individualisierung haben hingewiesen L e o n h a r d Verhandl. des XVII. Deutschen Jur.-Tages I S. 368 fg. und U n g e r Jher. Jahrb. XXX S. 417 N. 149. Ein Beispiel verfehlter Schematisierung liefert für die objektive Theorie Seuff. XXXV 182 (RG.), ferner die Exnersche Beurteilung des Falles mit der Thomasuhr. Die subjektive Theorie sieht sich entweder zur Aufstellung einer unmöglichen Behütungspflicht z. B. für die Gastwirte genötigt oder mufs gewisse Ereignisse im Widerspruch mit der erkennbaren Richtung des Gesetzes für haftbefreiend erklären. Vgl. Baron a. a. O. S. 298 fg. Aus der Praxis: Seuff. V I I I 48 X I I I 54 X V I I I 43 XXIV 266 X X V I I I 56, 57 X X X V I 180 X L 40 X L I 43 ROHG. I I Nr. 58 S. 259 VIII Nr. 7 S. 31 X I I Nr. 35 S. 107 XX Nr. 37 S. 124 RGE. I Nr. 92 S. 253 X I Nr. 29 S. 146 XIV Nr. 19 S. 82 XIX Nr. 10 S. 37 X X I Nr. 4 S. 14.
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denn er enthält immer die unmittelbare Richtung des Willens auf die Rechtsverletzung. Dagegen erscheint die Fahrlässigkeit, wie ihr Widerspiel, die Aufmerksamkeit, in mannigfaltiger Abstufung. Es giebt Grade der Fahrlässigkeit. Die Gradbestimmung setzt einen Mafsstab voraus, an dem das Verhalten einer Person in Beziehung auf einen eingetretenen Erfolg gemessen wird. Der Mafsstab kann dem Durchschnittsverhalten der Menschen überhaupt entnommen sein, abstrakter M., oder dem Verhalten, das die zu beurteilende Person gewöhnlich beobachtet, konkreter M. Beide Mafsstäbe kommen in der rechtlichen Anwendung vor, der konkrete freilich selten. A. Der abstrakte Mafsstab. — Der Rahmen, in den sich das Mafs der von den Menschen im Gemeinleben beobachteten Sorgfalt einfügt, ist sehr weit und schliefst zahlreiche Abstufungen in sich. Aber feine Unterschiede geben keine Handhabe für die praktische Verwertung. In richtiger Erkenntnis hat das römische Recht nur einen zweifachen abstrakten Mafsstab aufgestellt: auf der einen Seite den Menschen, der sich durch seine Einsicht und Charakterbeschaffenheit von der grofsen Menge weder im Guten noch im Schlimmen abhebt, also den gewöhnlichen Menschen, auf der andern Seite den mit dem durchschnittlichen Verständnis für richtiges Handeln ausgerüsteten und vom Bewufstsein seiner Verantwortlichkeit erfüllten Menschen, als dessen Verkörperung sich die Römer den diligens (bonus) paterfamilias vorstellten. Hienach werden zwei Grade von Fahrlässigkeit unterschieden. 1. Wer bei einem Verhalten nicht einmal das Sorgfaltsmafs des gewöhnlichen Menschen bethätigt, macht sich einer groben Fahrlässigkeit, culpa lata, schuldig, sei es dafs er sich die nachteiligen Folgen seines Verhaltens in grobem Leichtsinn nicht zum Bewufstsein bringt 6 , oder dafs er trotz der Einsicht in die Gefährlichkeit seines Thuns in der eitlen Hoffnung handelt, die nachteiligen Folgen werden in diesem Fall nicht eintreten 7. Die grobe Fahrlässigkeit grenzt nahe an den Dolus (culpa lata dolo proxima, prope doluin est). 0
L. 213 V. S. 50, 16: Lata culpa est nimia n^glegentia, i. e. non intellegere, quod omnes intellegunt. L. 223 pr. eod. Das non intellegere ist Nichteinsehen trotz Einsehenkönnens, also nicht Verstandes-, sondern Willensfehler. Eine ganz andere Ansicht von culpa lata hat B i n d i n g , Normen I I S. 338 fg., sie sei dolus ohne gemeines Motiv. Er hat damit keinen Anklang gefunden. Ausführlich dagegen P e r n i c e , Labeo I I S. 330 fg.: B u r c k h a r d t a. a. O. S. 8 fg. 7 Beisp. in L. 7 pr. ad leg. Corn, de sicar. 48, 8. Übertreten eines Strafgesetzes enthält nicht immer ein grobes Verschulden. Seuif. X L I I I 4 (RG.).
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2. Bleibt jemand bei seinem Verhalten innerhalb der Sorgfaltslinie des gewöhnlichen Menschen, ohne aber mit der Sorgfalt eines tüchtigen gewissenhaften Manns zu Werk zu gehn, so fällt ihm noch Fahrlässigkeit zur Last, aber sie ist eine geringe, culpa levis. Den Mafsstab bildet im allgemeinen der ordentliche Hausvater, da aber, wo es sich um das Verhalten in einer bestimmten Berufsthätigkeit handelt, der ordentliche Kaufmann, Baumeister, Arzt u.s.w. 8 . Die culpa levis schliefst die Verschuldung ab, es giebt nicht eine davon verschiedene culpa levissima9. B. Der konkrete Mafsstab. — In den meisten Obligationen haftet der Verpflichtete für jede Verschuldung. Gewisse Verpflichtete sind aber für ein geringes Versehn dann haftfrei, wenn sie in ihren eignen Angelegenheiten nicht sorgfältiger zu verfahren pflegen. Diese abgemilderte culpa levis wird culpa in concreto genannt, ihr entspricht die diligentia in suis rebus, genauer dil., quam quis suis rebus adhibere solet 10 . Gegenüber dem Vorwurf grober Nachlässigkeit wird die Berufung auf gleiches Verhalten in eigner Sache nicht gehört (L. 24 § 5 sol. matr. 24, 3). Manche stellen den Satz auf, dafs in jedem Fall als grobe Fahrlässigkeit behandelt werde, wenn jemand in fremden Angelegenheiten sorgloser verfährt als in den eignen, so dafs selbst ein geringes Versehn die Folgen des groben nach sich ziehe, sog. culpa lata in concreto. Allein das beruht auf einer gewagten Erweiterung eines noch dazu inhaltlich unsichern Ausspruchs in den Quellen und hat die natürliche Anschauung gegen sich 11 . 8 L. 14 de pign. act. 13, 7 L. 12 [11] de per. et comm. 18, 6 L. 137 § 3 V.O. 45, 1. HGB. Art. 282, 380: Sorgfalt des ordentlichen Kaufmanns, Art. 399: des ordentlichen Frachtführers. Dazu L. 9 § 5 locati 19, 2. 9 In den Quellen kommen die Ausdrücke culpa levissima und diligentia exactissima vor (L. 44 pr. ad leg. Aq. 9, 2 L. 1 § 4 O. e. A. 44, 7), aber nur in dem Sinn von jeder Verschuldung und höchster Sorgfalt, nicht eines von culpa levis verschiedenen Grads. Wo sollte auch der Mafsstab dafür hergenommen werden? Gleichwohl hat die ältere Theorie darauf die Dreiteilung von grobem, mäfsigem, geringem Versehen gebaut. Dies ist nach dem Vorgang von D o n e l l u s durch Hasse a. a. 0. 2. A. S. 90 fg. mit durchschlagendem Erfolg widerlegt worden. 10 Dieser Vergünstigung erfreuen sich der Gesellschafter, der Vormund, der Ehemann hinsichtlich der Dos. § ult. J. de societ. 3, 25 L. 17 pr. J. D. 23, 3. L. 1 pr. de tut. ad. 27, 3. Vgl. auch L. 23 [22'J § 3 ad SC. Treb. 36, 1. 11 Die Grundlage ist Celsus L. 32 depos. 16, 3. Der Gedankengang des Juristen dürfte folgender sein: Der Depositar haftet nur für dolus und culpa lata; wenn nun ein überhaupt wenig sorgfältiger Mensch der ihm zur Verwahrung anvertrauten Sache nicht einmal so viel Sorgfalt zuwendet als den eignen, so haftet er, denn ein solches Verhalten ist gröbere Schuld und Verletzung der zu erwartenden
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III. Die Vernachlässigung der Sorgfalt, die von der Rechtsordnung für jedermann im Gemeinleben geboten ist, macht verantwortlich, sie mag grob oder gering sein. Daher hat die Unterscheidung von Graden der culpa für die sog. aquilische oder Deliktsverschuldung keine Bedeutung 12 . Nur da wo jemand durch ein besonderes Verhältnis im fremden Interesse verpflichtet ist (als Verkäufer, Mieter, Depositar u. s. w.), also bei der Verschuldung in bestehender Obligatio ist die Frage aufzuwerfen, ob der Verpflichtete für jede schuldhafte Verletzung seiner Pflicht haftet oder nur für eine schwere. Darüber das Nähere im Obligationenrecht. Zur Bezeichnung ist Folgendes zu bemerken. Jeder obligatorisch Verpflichtete ist für dolus und culpa lata haftbar. Wegen dieses Zusammenhangs wird die darauf beschränkte Haftung mit dolum praestare bezeichnet; dolum et culpam praestare heifst Einstehn auch für culpa levis, was auch diligentiam praestare bedeutet. Nicht selten wird vom Verpflichteten custodiam praestare gefordert. Custodia heifst die auf Bewachung einer Sache gerichtete Thätigkeit; ein bestimmtes Mafs von Sorgfalt liegt im Begriff an sich nicht. Ist nichts besonderes ausgemacht, so ist das für die vorliegende Obligation überhaupt geltende Mafs der Diligenzpflicht auch für die diligentia in custodiendo bestimmend, sie umfafst demnach regelmäfsig die höchste Sorgfalt 13. Indes bezeichnen die Quellen mit custodiam praestare, suscipere u. ä. eine weitergehende Haftung, nämlich das Einstehn für unversehrte Erhaltung der Sache mit einziger Ausnahme der höhern Gewalt. In dieser Weise kann die Pflicht zur Custodia durch Vertrag begründet werden 14 und ist sie auch für manche Verhältnisse gesetzlich bestimmt 1 5 . IV. Der groben Nachlässigkeit liegt ein so schwerer Willensfehler Treue. Über andere Auslegungen B u r c k h a r d t a. a. O. S. 22 fg., der gleich D e r n b u r g I § 86 N. 11 die Aufbauschung des Ausspruchs zu einer allgemeinen Regel verwirft (vgl. auch R i c h t e r , Krit. VJSchr. X X V I I I S. 572 fg.), während B r i n z 2. A. § 267 und W i n d s c h e i d § 101 N. 10a § 265 N. 9 die Regel vertreten. 12 L. 44 pr. ad leg. Aq. 9, 2. Nur bei Bemessung des Schadenersatzes kann Art und Grad der Verschuldung in die Wagschale fallen arg. L. 43 i. f. — L. 45 § 1 Α. Ε. V. 19, 1. 13 § 5 J. de locat. 3, 25 L. 13 § 1 L. 14 de pign. act. 13, 7 L. 35 § 4 C. E. 18, 1 L. 1 § 4 O. e. A. 44, 7 C. 5, 8 de pign. act. 4, 24. 14 § 3a J. de emt. 3, 23 L. 30 § 4 locati 19, 2, vielleicht auch L. 52 § 3 pro soc. 17, 2. B r i n z 2. A. § 269 N. 40. ir> Für welche, ist streitig. Vgl. B r i n z a. a. 0. und B a r o n Civ. Arch. L I I S. 44 fg. L X X V I I I S. 230 fg.
Die juristischen Thatsachen. Die Konkurrenz d. Rechtsansprüche. § 180. 6 5 3
r zu Grunde, dafs damit vielfach dieselben Rechtsfolgen verknüpft sind wie mit dem Dolus. Daher begegnet in den Quellen die Bemerkung : culpa lata plane dolo comparabitur (L. 1 § 1 si mensor fais. mod. 11, 6, ähnlich L. 1 § 2 si is qui testm. 47, 4). Ein allgemein gültiges Prinzip ist darin nicht enthalten. Die Gleichstellung gilt nicht für den Thatbestand von Delikten, aufser wo es ausdrücklich anerkannt ist (L. 1 § 2 cit.), und zwar sowohl was die Strafe als was die Ersatzpflicht anlangt 16 . Es kann ferner nicht dolus mit culpa lata kompensiert werden (RGE. XXI Nr. 27 S. 165). Dagegen gilt die Gleichstellung zweifellos für die Haftung in Vertrags- und vertragsähnlichen Verhältnissen. Sie hat auch darüber hinaus reichlich Anerkennung gefunden 17, so dafs man im Zweifel der culpa lata so wenig Nachsicht schenken darf als dem Dolus.
III.
Endigungsgründe allgemeiner Art.
§ 180. A.
Die Konkurrenz
der Rechtsansprüche
I. Die Rechtsansprüche sind auf Befriedigung eines rechtlichen Interesses durch eine bestimmte Leistung gerichtet. Nun können zur Befriedigung desselben rechtlichen Interesses mehrere Rechtsansprüche (actiones) zustehn: der bestohlne Eigentümer hat rei vindicatio und condictio furtiva, der Vermieter wegen Beschädigung der vermieteten Sache actio locati und actio legis Aquiliae u. s. w. Die mehreren Rechtsansprüche stellen sich dar als verschiedene Mittel zu demselben Zweck. Hieraus folgt: Ist mittels Durchführung des einen Rechts10
A . M . für die actio doli M o mms en, Erörterungen Heft 2 S. 211. Dagegen entschieden die Praxis. Seuff. IX 144 X X X V I I 288 a. E. X L I 171 ROHG. V Nr. 14 S. 66 XX Nr. 99 S. 397 RGE. X X I Nr. 27 S. 165. 17 L. 8 pr. de edendo 2, 13 L. 11 § 10 de interrog. 11, 1 L. 1 § 1 si mensor fais. 11, 6 L. 2 § 5 de her. vel act. 18, 4 L. 7 § 1 de susp. tut. 26, 10 L. 5 § 15 ut in poss. 36, 4 L. 8 § 3 de precar. 43, 26. Danach nehmen P e r n i c e , Labeo I I S. 377 fg. und B u r c k h a r d t a. a. O. S. 30 fg. die Gleichstellung an für die Verhältnisse, in denen jemand durch Vertrag, letztwillige Verfügung oder Gesetz zur Wahrnehmung fremden Interesses verpflichtet ist. Weiter gehen M o m m s e n a. a. 0. S. 175 fg.; W i n d s c h e i d § 101 N. 10b; D e r n b u r g I I § 36 a. E. * S a v i g n y V § 231—236; G. H a r t m a n n Civ. Arch. L Abh. 7 (1867); J. M e r k e l , Über den Konkurs der Aktionen (1877), besprochen von B r i n z Krit. VJSchr. XX S. 161 fg.; H e l l s i g , Zur Lehre von der Konkurrenz der Klagen (1887), besprochen von J. M e r k e l Krit. VJSchr. X X X S. 189 fg.
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anspruchs die Befriedigung erlangt, so fällt der andere als zwecklos weg. Man pflegt jene Gemeinsamkeit der Rechtsansprüche Konkurrenz und diese Wirkung Aufhebung durch Konkurrenz zu nennen1, nicht ganz passend, weil nicht die Entstehung des konkurrierenden Anspruchs aufhebend wirkt, nicht einmal die gerichtliche Geltendmachung, sondern die Befriedigung. II. Konkurrenz liegt demnach vor, wenn und soweit mehrere Ansprüche das durch die Leistung zu befriedigende rechtliche Interesse gemeinsam haben2. 1. Für diese Identität ist entscheidend nicht was mit einer actio der vorliegenden Art verfolgt werden kann, sondern was in concreto damit verfolgt wird. Gesetzt, es hat jemand ein Pferd gekauft, das dem Verkäufer nicht gehörte und dessen Eigentum hinterher durch Erbgang auf den Käufer überging, so stehn rei vindicatio und actio emti nicht in Konkurrenz, weil hier die actio emtio nicht auf Übertragung der Sache gerichtet ist, sondern auf Rückgabe des Kaufpreises8. 2. Identität ist möglich trotz Verschiedenheit des körperlichen Gegenstands der Leistung und trotz Verschiedenheit der Berechtigten oder der Verpflichteten 4 . 3. Geht der eine Anspruch auf mehr als der andere, so steht die 1 Es ist die sog. alternative oder elektive Konkurrenz. Daneben spricht man von einer kumulativen Konkurrenz, wenn mehrere Rechtsansprüche den Entstehungsgrund gemeinsam haben, aber auf verschiedene Zwecke gerichtet sind, z. B. Strafund Ersatzanspruch (L. 7 § 1 de cond. furt. 13, 1). In unlogischer Weise ist sogar der Begriff einer successiven K. aufgestellt worden, wo eine actio zur Vorbereitung einer andern dient, z. B. actio ad exhibendum und rei vindicatio. Nicht denkwidrig, aber für das Civilrecht entbehrlich ist die Unterscheidung von subjektiver und objektiver K. ; je nach dem sich die mehreren Ansprüche auf verschiedene Personen oder auf dieselbe Person beziehen. 2 Andere nennen, sachlich nicht abweichend, das, was behufs Konkurrenz identisch sein mufs, anders: rechtliches Objekt ( S a v i g n y ) , den zu erreichenden Zweck ( W i n d s c h e i d , D e r n b u r g ) , den Anspruch ( B r i n z ) , die Leistung (Merkel). 3 L. 29 Α. Ε. V. 19, 1 L. 84 § 5 de legat. I Seuff. X L V I I 14; B e h r e n d , Handelsr. § 45 N. 49. Der sog. concursus duarum causarum lucrativarum (L. 17, 19 O. e. A. 44, 7) ist kein Konkurrenzfall, wenn er gleich zu einem ähnlichen Ergebnis führt. B r i n z 2. A. § 292 N. 8. 4 Für Ersteres actio redhibitoria und quanti minoris, denn sie sind „blofs verschiedene Satisfaktionsformen für dasselbe Interesse" ( B r i n z 2. A. I S. 345), für das Zweite L. 18 de cond. furt. 13, 1 L. 17 pr. de dolo 4, 3.
Die juristischen Thatsachen. Die Verjährung d. Rechtsansprüche. § 181. 655
Befriedigung auf Grund des beschränkteren Anspruchs der nachträglichen Beitreibung des Überschusses nicht entgegen5. III. Wird der Berechtigte mit dem einen Anspruch gerichtlich abgewiesen, so hindert die Konkurrenz nicht, dafs er den zweiten geltend macht ; wohl aber kann die abwehrende Wirkung des rechtskräftigen Urteils entgegenstehn (§ 196—198). Hat der Berechtigte auf Grund des einen Anspruchs eine Verurteilung erzielt, so ist er nicht befugt, statt die Vollstreckung dieses Urteils zu betreiben, den andern Anspruch gerichtlich zu verfolgen 6, ausgenommen wenn dafür ein gerechtfertigtes Interesse besteht z. B. weil der zweite Anspruch ein Konkursprivileg geniefst. IV. Bei einigen Ansprüchen schliefst schon die Geltendmachung eines Anspruchs den andern aus. Dies beruht bei den einen auf positiver Vorschrift 7, bei den andern ist es Folge des in der Geltendmachung liegenden Verzichts auf -den andern Anspruch 8.
B.
Oie Verjährtmg
der Rechtsansprüche *.
§ 181. 1. Grundgedanke und Gegenstand. I. Die Anspruchsverjährung besteht in der Eingrenzung der Verfolgung von Rechtsansprüchen auf bestimmte Zeit. Sie hat ihre innere Rechtfertigung in der Thatsache, dafs die Verteidigung gegen eine In6
L. 41 § 1 O. e. A. 44, 7 (wo am Schlufs statt id zu lesen ist nil). Anwendungen: L. 7 § 1 commod. 13, 6 L. 43, 47 pr. pro soc. 17, 2 L. 28 A. E.V. 19, 1 L . 1 arb. furt. caes. 47, 7. 6 Anders, wie es scheint, das römische Recht. L. 28 Α. Ε. V. 19, 1. Daran will auch für das heutige Recht festhalten S a v i g n y V S. 253. Dagegen W ä c h t e r Pand. I S. 493; D e r n b u r g I § 135 a. E.; M e r k e l S. 11 fg., 104, 114. 7 C. 8 de codic. 6, 36 C. 22 § 1 de furt. 6, 2. Über actio de recepto gegen den Schiffer und actio ex delicto gegen den Thäter H a r t m a n n a. a. 0. S. 124 fg. 8 L. 4 § 2 L. 7 de leg. comm. 18, 3 (Wahl zwischen dem Erfüllungsanspruch und Rücktritt kraft der lex commissoria). C. 1 de furt. 6, 2. — Über die nicht mehr praktische Konkurrenz mehrerer Strafansprüche vgl. S a v i g n y V S. 237 fg.; W ä c h t e r Pand. I S. 494; M e r k e l S. 84 fg. * Cod: de praescriptione XXX annorum 7, 39. — U n t e r h o l z n e r , Ausführliche Entwicklung der gesamten Verjährungslehre I I § 256—283 (1828, 2. A. bearbeitet von S c h i r m e r 1858); S a v i g n y V § 237—255; G r a w e i n , Verjährung und gesetzliche Befristung I (1880). Die Motive zum deutschen Entwurf I S. 288 —346; die Gutachten von B ä h r und H a n a u s e k in Verhandl. des XX. Deutsch. Jur.-Tages I S. 285-332; E i s e l e Jher. Jahrb. X X X I S. 379 fg. (1892).
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anspruchnahme um so schwerer fällt, je später diese nach der behaupteten Entstehung des Rechtsanspruchs stattfindet. Die etwaigen Mängel der Entstehung wie die etwaigen Aufhebungsthatsachen entschwinden im Lauf der Zeit dem Gedächtnis, mindestens pflegen die Beweismittel, Zeugen und Quittungen verloren zu gehn. Unterstützend wirkt die Erfahrung mit, dafs es mit einem Anspruch in der Regel nicht zum besten bestellt ist, der erst spät zur Geltung gebracht wird. Die Anspruchsverjährung als Rechtsinstitut ist demnach durch eine Rücksicht auf die in Anspruch Genommenen ins Leben gerufen. Sie enthält einen Nachteil für den Klagberechtigten, dessen Abwendung jedoch in den meisten Fällen in seiner Macht liegt; sie soll nicht eine Strafe für seine Saumsal sein. Strafe setzt eine unerlaubte Handlung voraus ; wer aber von einem ihm zustehenden Recht keinen Gebrauch macht, begeht kein Unrecht. Wie wenig der Gesichtspunkt der Strafe zutrifft, lehrt, dafs nicht schon die Anmeldung der Klage bei Gericht die Verjährung unterbricht (§ 184 I 1), dafs ferner die Unkenntnis des Berechtigten von seinem Anspruch den Verjährungslauf nicht hindert (§ 189 I I I ) 1 . II. Was verjährt? Man antwortet gemeinhin: die Klage, daher Klagenverjährung. Natürlich heifst hier Klage nicht die Klaghandlung, sondern das Klagrecht, d. h. die Befugnis, diesen Anspruch im Weg selbständigen Angriffs vor Gericht geltend zu machen. Also wird auch nach dieser Ansicht ein Stück des materiellen Rechts von der V. vernichtet. Dafür ist Klage ein wenig geeigneter Ausdruck. Die Verbindung eines materiellen Begriffs mit Klage ist Juristendeutsch, im volkstümlichen Sprachgebrauch hat man nicht eine Klage gegen einen Andern, sondern eine Forderung, einen Anspruch, ein Recht; unter Klage wird nur ein prozessualisches Ding verstanden. Aber es ist gar nicht richtig, dafs die „Klagenverjährung" blofs die Klagbefugnis zerstört; sie entzieht dem Berechtigten überhaupt die Mittel, diesen Anspruch gegen den Willen des Verpflichteten mit Hülfe des Gerichts durchzusetzen. Die herrschende Bezeichnung erweckt aber die gegenteilige Vorstellung, sie ist die Quelle mancher Mifsverständnisse (§ 44 a. E. § 52 V a. E.) und sollte daher aufgegeben werden. Der hier nach dem Vorgang Andrer 2 gewählte Ausdruck Anspruchsver1
Es ist übrigens für die Lösung praktischer Fragen nicht gleichgültig, welcher Auffassung vom Grund der AV. man beipflichtet, z. B. für den Beginn der V. bei kündbaren Forderungen (§ 183 I I 1) oder bei Dahrlehn auf unbestimmte Zeit (§ 183 I I 2), für den Einflufs der Einreden auf die AV. (§ 183 I I 5). 2 W i n d s c h e i d § 106; W ä c h t e r Pand. I S. 540, (der sich schon im Württ. PR. I I S. 806 gegen „Klagverjährung" ausgesprochen hatte); B e k k e r Aktionen I I
Die juristischen Thatsachen. Die Verjährung d. Rechtsansprüche. § 1 8 .
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jährung ist nicht einwandfrei. Der Anspruchsbegriff ist selbst noch im Flufs (§ 52). Ferner unterliegen der V. einerseits nur klagbare Ansprüche und andererseits gewisse Rechte, die nicht unter den Begriff des Anspruchs fallen (z. B. § 183 I I 4). Aber diese Unvollkommenheit ist minder erheblich und wird durch den Vorteil aufgewogen, dafs in der Bezeichnung die materielle Natur der Rechtsveränderung zum Ausdruck kommt. III. Über den Unterschied von V. und Befristung vgl. § 126.
§ 182. 2.
Geschichtliche Entwicklung und Umfang*.
I. Eine zeitliche Begrenzung der actiones war dem alten römischen Civilrecht unbekannt. Sie taucht zuerst bei den prätorischen actiones poenales auf. Dem Beispiel des Prätors folgten die Ädilen bei Aufstellung der actio redhibitoria und quanti minoris. Auch die Gesetzgebung der heidnischen Kaiser hat einige actiones temporales geschaffen. Immerhin bildeten nach damaligem Recht die zeitlich uneingeschränkten (perpetuae) actiones die Regel. Dies änderte sich mit einer Verordnung von Theodosius II. vom Jahr 424. Unter Bestätigung der actiones temporales des bisherigen Rechts wurden alle bis dahin unverjährbaren actiones einer Verjährung von 30 Jahren unterworfen. Daran hat die spätere Gesetzgebung festgehalten und auch im Justinianischen Recht sind nur wenige Ausnahmen zugelassen. Der Gegensatz von actiones temporales und perpetuae hatte fortan nur relative Bedeutung; perpetuae hiefsen jetzt die actiones mit einer Verjährungsfrist von 30 oder mehr Jahren (C. 3 h. t.). II. Im heutigen Recht sind alle Ansprüche verjährbar, die positiven Ausnahmen des Justinianischen Rechts sind ihm fremd ï . Die S. 257, Motive z. deutsch. Entw. I S. 289. Dagegen haben sich erklärt: H o l d e r Civ. Arch. LXX1II S. 141 u. Pand. § 68 A. 8; H a r t m a n n Civ. Arch. L X X I I I S. 847; F i s c h e r Recht und Rechtsschutz S. 86; D e r n b u r g I § 145 a. E. H o l d e r und F i s c h e r wollen Anspruch durch Forderung ersetzen. Aber „dingliche" Forderung? * II. Fick : Quid intersit quoad vim tempore in jus exercitam inter exceptionem temporis actionibus perpetuis opponendam et alias quas dicunt temporis praescriptiones rlq. (Marburger Diss. 1847); DemeliusUntersuchungen aus dem röm. Civilrecht (1856) I S. 1—108. 1 Auch die Ausnahme zu Gunsten der Steuerforderungen des Fiskus (C. 6 h. t.) hat bei uns keine Geltung erlangt. Savigny V S. 410; D e r n b u r g I § 145 N. 5 u. A. A. M. W i n d s c h e i d § 106 N. 3. B i n d i n g , Handbuch. I. 7. I : K o g e l s b e r g e r , Pand. I.
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Römer pflegten das Recht der Miterben und der Miteigentümer, gerichtliche Teilung zu verlangen, unter der Form der actio familiae erciscundae und communi dividundo zu fassen. Es hat daher eine gewisse Berechtigung, wenn die Neueren hervorheben, dafs dieses Recht der V. nicht unterliegt. Dagegen sind verjährbar die einseitigen Ansprüche aus der Gemeinschaft wegen Verwendung, Bereicherung oder Schadenersatz, sowie die Anfechtung einer aufsergerichtlichen Teilung2. Die sogenannten Feststellungsklagen (§ 191 II) werden durch eine Bedrohung der Rechtslage veranlafst. Nach Umflufs längerer Zeit begründet eine Bedrohung kein rechtliches Interesse mehr, eine Feststellung zu verlangen; dazu bedarf es nicht erst des Ablaufs der Verjährungszeit. Dagegen kann einer neu veranlafsteu Feststellungsklage nicht entgegengesetzt werden, dafs schon vor rechtsverjährender Zeit einmal Anlafs zur Erhebung der Klage gegeben war. Wenn freilich der Anspruch verjährt ist, dessen Geltendmachung die Feststellungsklage vorbereiten soll (z. B. der Schadenersatzanspruch), so fehlt für die Feststellungsklage der rechtliche Grund 3. III. Durch Vertrag kann die gesetzliche V. weder ausgeschlossen noch verlängert werden. Insoweit enthalten die Verjährungsvorschriften zwingendes Recht. Das Gegenteil würde bei der übermächtigen Stellung des Kreditgebers die Wohlthat des Rechtsinstituts in Frage stellen4. Dagegen steht der vertragsmäfsigen Abkürzung der Verjährungszeit kein Bedenken entgegen. Nur wird durch eine solche Übereinkunft nicht eine vertragsmäfsige V. geschaffen, sondern eine Befristung des Forderungsrechts, wofür nicht die Rechtssätze der V. mafsgebend sind, sondern der Inhalt der Übereinkunft nach sachgemäfser 2 Actio fam. erc. und comm. div. sind in C. 1 § l d de ann. exc. 7, 40 unter den verjährbaren aufgeführt. Es kann damit nur die im Text angegebene sekundäre Anwendung gemeint sein. Seuff. IV 223 XV 127 X V I 188 X L 200 X L I V 179. Die Verjährbarkeit der actio finium regundorum ist ausdrücklich anerkannt. C. 6 fin. reg. 3, 39. 8 B ä h r a. (§ 181 *)a. O. S. 288 fg.; Hanausek a. a. 0. S. 327. Vgl. auch § 183 I I 4. Umgekehrt ist die Möglichkeit einer Feststellungsklage für die V. des Leistungsanspruchs unerheblich. RGE. X X I I I Nr. 37 S. 181. Vgl. § 187. 4 S a v i g n y V S. 411; W i n d s c h e i d § 106 a. E.; G r a w e i n a. a. 0. S. 127 fg. Die vertragsmäfsige Verlängerung einer kurzzeitigen V., wenn sie die regelmäfsige Dauer der V. nicht überschreitet, halten für zulässig W ä c h t e r Württ. PR. I I S. 821 N. 7 und D e r n b u r g I. § 145 N. 16. Kein Beweis HGB. Art. 349 Abs. 5, denn es handelt sich hier um eine Frist für die Haftbarkeit. Der Ausschlufs der Wechselverjährung ist anerkannt in Seuff. XV 157, verworfen in ROHG. IV Nr. 72 S. 376, V I Nr. 50 S. 229.
Die juristischen Thatsachen. Die Verjährung d. Rechtsansprüche. § 1 8 . 659
Auslegung5. Auf die Geltendmachung der vollendeten V. kann verzichtet werden (§ 186 I, 2).
3.
Voraussetzungen. § 183.
a.
Beginn der V e r j ä h r u n g * .
Ein Anspruch verjährt, wenn er innerhalb des gesetzlichen Zeitraums nicht geltend gemacht worden ist. Aber gewisse Umstände hemmen, andere unterbrechen den Verjährungslauf. Ferner schliefst bei gewissen Ansprüchen das Bewufstsein des Verpflichteten von seiner Schuld die V. aus. Damit sind die Erfordernisse der AV. bezeichnet. Sie bedürfen näherer Bestimmung. I. Wann beginnt die V.? Die Quellen antworten: von der Zeit an, wo actio zusteht, wo sie entstanden ist 1 . Da actio der klagbare Anspruch ist (δ 52), so beginnt die V. mit der Entstehung des klagbaren Anspruchs. Das ist entschieden die Regel. Aber obwohl sie in den Quellen ausnahmslos hingestellt ist, und obwohl sie auf den ersten Blick einer Ausnahme nicht fähig scheint, so mufs doch eine Einschränkung anerkannt und der Beginn der V. daün vor der Entstehung des Anspruchs angenommen werden, wenn die Entstehung lediglich von der Erklärung des Gläubigers abhängt, dafs nunmehr geleistet werden soll. Ohne Anerkennung dieser Einschränkung mufs man entweder dem Begriff der actio nata Gewalt anthun oder auf eine befriedigende Anwendung der V. auf kündbare Forderungen verzichten (II l ) 2 . 5
Der Unterschied wird meistens verkannt, so in Seuff. X X V I 218. Richtig ROHG. I I Nr. 88 S. 395 V I I I Nr. 100 S. 408, RGE. IX Nr. 5 S. 33 X I X Nr. 26 S. 132. G r a w e i n a. a. 0. meint, die Übereinkunft könne Befristung oder Verjährung enthalten. Ist für diese Unterscheidung der Parteiwille empfänglich? * T h o n Giefsner Ζ. V I I I Abh. 1 (1835); D e m e l i u s (§ 182*) S. 111—207; Z r o d l o w s k i Civ. Arch. L H Abh. 14 (1869); R o s c h e r ebenda LV Abh.4 (1872); L e o n h a r d Jher. Jahrb. X V I I Abh. 10 (1879). 1 C. 3 § 1 h. t. : ex quo (sc. actiones) competere coeperunt. C. 1 § 1 d de ann. exc. 7, 40: ex quo (sc. actio) competit et semel nata est. Davon ist actio nata eine Art Kunstausdruck für den Beginn der V. geworden. 2 Die ältere noch von U n t e r h o l z n e r a. a. 0. § 260 N. 738 vertretene Ansicht ging freilich zu weit mit dem Satz : toties praescribitur actioni nondum natae, quoties est nativitas in potestate créditons. L. 9 § 3 de pign. act. 13, 7 C. 7 § 4 h. t. Das ist durch T h o n a. a. 0. und S a v i g n y V S. 282 fg. nachgewiesen. Aber dafs darin ein richtiger Kern steckt, hat erst W i n d s c h e i d § 107 N. 9 hervor42*
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II. Wann ein Anspruch entsteht, ist oben (§ 52 V) ausgeführt. Dort ist die der V. gefährliche Ansicht bekämpft, dafs die Entstehung des Anspruchs überall durch eine Rechtsverletzung bedingt sei. Folgende Punkte verdienen Hervorhebung. 1. Eine den Römern unvollkommen bekannte, heutzutage sehr häufige Erscheinung bilden die auf Kündigung gestellten Forderungen. Kündigung ist ein einseitiges Rechtsgeschäft. Sie kommt vor als Bestimmung der Zahlungszeit für eine Schuld sowie des Endes eines obligatorischen Verhältnisses (Miete, Gesellschaft u. a.). Nur die erstere Anwendung gehört hieher. Wann beginnt nun die V. einer auf Kündigung stehenden Forderung? Man mufs unterscheiden: a. Das Kündigungsrecht steht nur dem Schuldner zu. Da hier der Gläubiger vor der seiner Willkür entrückten Kündigung keinen Anspruch auf Erfüllung hat, so beginnt die V. erst mit der Kündigung. b. Das Kündigungsrecht steht dem Gläubiger zu, allein oder zugleich. Auch hier sind wieder zwei Fälle auseinander zu halten: aa. Es soll sofort mit der Kündigung gezahlt werden, dem gleich steht: „auf jederzeitiges Verlangen des Gläubigers" (unbefristete Kündigung). Der Gläubiger hat hier schon mit Begründung der Obligatio einen klagbaren Anspruch auf Erfüllung (§ 52 N. 19, 20), daher beginnt auch die V. sogleich3. bb. Weit häufiger ist die Verabredung, dafs der Schuldner nach 1 Ablauf einer bestimmten Frist von der Kündigung an (nach 2jähr. K. u. s. w.) zahlen soll (befristete K.). Hier ist vor wirklicher Kündigung und Ablauf der Frist der Anspruch nicht vorhanden351. Läfst man die Regel entscheiden und die V. erst mit der Entstehung des Anspruchs beginnen, so wird sie für diese wichtige Klasse von Forderungen nahezu wertlos, weil, wer sich auf sie beruft, beweisen mufs, dafs vor rechtsverjährender Zeit gekündigt wurde; das wird selten gelingen. Hieraus ergiebt sich die Richtigkeit der Ansicht, dafs die V. beginnt, sobald der der Kündigungsfrist entsprechende Zeitraum von Entstehung der Obligatio an abgelaufen ist; denn der Gläubiger gehoben. Ihm stimmen bei Z r o d l o w s k i a. a. 0. S. 360; L e o n h a r d a. a. 0. S. 453 fg. 476; G r a w e i n a. a. 0. S. 83. Eigentümlich B r i n z 2. A. § 114 N. 34. 3 Dies ist in Theorie und Praxis herrschende Ansicht. Unger § 116 N. 13 § 120 N. 6; Seuff. X V I I I 233 X I X 3 X X V I I I 101; anders X V I 3. 3a A. M. W ä c h t e r Württ. PR. I I § 118 N. 16 und D e r n b u r g I § 146 N. 11 behauptend, die Kündigungsfrist sei blofse Schonungsfrist (Wächter) oder nur eine dem Schuldner bedungene Facilitât der Zahlung (Dernburg). Das ist nicht richtig. Der Gläubiger kann vor Ablauf der Frist mit der Forderung nicht kompensieren und braucht die Zahlung zur Abkürzung der Zinspflicht nicht anzunehmen. Damit entfällt die Analogie des tempus judicati und der Beweis aus L. 16 § 1 de compens. 16, 2.
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konnte für diesen Zeitraum die Leistung fordern (I a. E.) 4 . Bei verzinslichen Forderungen mit Kündigungsfrist beginnt die V. mit dem Ausbleiben einer fälligen Zinszahlung, wird jedoch durch eine folgende Zinszahlung unterbrochen 5. 2. Bei Obligationen ohne Feststellung einer Erfüllungszeit beginnt die V. sofort, weil die Erfüllung sofort verlangt werden kann (L. 14 R. J. 50, 17). Hievon machen auch die Obligationen keine Ausnahme, bei denen im Verkehr sofortige Rückforderung nicht erwartet wird (§ 52 N. 19). 3. Aus verzinslichen Forderungen entspringt mit Ablauf jedes Zinstermins ein besonderer Zinsanspruch mit selbständiger V. (C. 7 § 6 h. t.). Danach könnte es kommen, dafs die Hauptschuld verjährt ist, während für Zinsansprüche die V. noch läuft. Indes schliefst nach positiver Vorschrift, die gute praktische Gründe für sich hat, die V. der Hauptschuld die Geltendmachung von Zinsansprüchen aus (C. 26 de usur. 4, 32). 4. Für Obligationen auf zeitlich wiederkehrende Leistungen ohne Kapitalschuld (Rentenobligationen) ist nach Analogie der verzinslichen Forderungen (Note 5) anzunehmen, dafs das Hauptrecht selbst zu verjähren beginnt, sobald eine Rentenleistung unterbleibt 6. 5. Bei der Frage, ob die V. dadurch ausgeschlossen wird, dafs dem Anspruch eine Einrede entgegensteht7, mufs, da man unter Ein4
W i n d s c h e i d § 107 N. 9; Z r o d l o w s k i S. 368, im Ergebnis W ä c h t e r a. a. 0.; Seuff. X X X I I I 187 (Berl.) XXXIV 176 X L I I 280 (Braunschw.) ROHG. X X I I I Nr. 81 S. 232. Andere datieren die V. schlechthin von der Entstehung der Obligatio, so aus verschiedenen Gründen R o s c h e r S. 123 fg.; L e o n h a r d S.476; D e r n b u r g a.a.O. Dagegen halten an der Regel aufser den Anhängern der Verletzungstheorie fest T h o n , V a n g e r o w , U n g e r (dieser zugebend, dafs „die Entscheidung mit dem ganzen Institut der V. in Widerspruch steht"), Seuff. X I I I 122 X L V I 14 (Old.) X V I 3 (Cass.). 5 C. 8 § 4 h. t., wo die Worte: ex quo debitor usuras minime persolvit, zu verstehen sind: wo der Schuldner Zinsen, die er hätte bezahlen sollen, nicht bezahlt hat. S a v i g n y V S. 306 fg.; W ä c h t e r Württ. PR. § 118; Seuff. X I I I 6 XIX 7 X X I I I 7 X X X I I 107 XXXIV 176. A. M. die Mehrzahl der Schriftsteller, vgl. W i n d s c h e i d § 108 N. 2. — S a v i g n y und W ä c h t e r sowie Seuff. XIX 7 X X X I V 176 wollen noch die Kündigungsfrist hinzurechnen. Dagegen Seuff. X I I I 6 XXV 3 X X X I I 107. « Seuff. I 157. Mit S a v i g n y V S. 312 W ä c h t e r Württ. PR. § 118 N. 16 Seuff. I 156 fordern, dafs der Verpflichtete das Rentenrecht selbst bestritten hat, heifst den Wert der Rentenverjährung in Frage stellen. 7 Hierüber besteht eine reiche Litteratur. Vgl. den Nachweis bei S c h w a l bach Jher. Jahrb. XIX S. 49 fg.; dazu kommen W i l d ha gen ebenda X X I S. 33; T h o n ebenda X X V I I I S. 68 fg.; K o h l er, Grünhuts Ζ. XIV S. 18 fg.
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rede Verteidigungsgründe sehr verschiedener Art zusammenfafst, unterschieden werden: a. Der Grund der Einrede ergiebt, dafs der Anspruch nicht entstanden ist (z. B. Einrede der Stundung, vgl. ferner § 52 N. 15). Wo kein Anspruch, da keine V . 8 . b. Schliefst der Einredegrund den Anspruch nicht aus, so übt die Einrede auf den Lauf der V. keinen Einflufs. Andernfalls würde das einredebehaftete Klagrecht gegenüber dem einredefreien privilegiert sein, der Kläger auf Kosten des Beklagten, der sich auf die V. nicht berufen könnte, weil er sich früher einmal, wenn er belangt worden wäre, mit einer Gegenforderung oder einer Retention hätte wehren können9. § 184. b. Verjährungslauf.
Hindernisse.
I. Ein Anspruch verjährt, wenn und weil er innerhalb der gesetzlichen Frist vom Berechtigten gegen den Verpflichteten nicht geltend gemacht worden ist. Zur Geltendmachung genügt eine aufsergerichtliche Anforderung nicht, denn nur durch die gerichtliche ist für den in Anspruch Genommenen ernstlicher Anlafs gegeben, seine Veiieidigungsbehelfe zu sammeln. Eine gerichtliche Geltendmachung als Unterbrechungsgrund der V. liegt. 1. in der Erhebung der Klage, sei es vor dem öffentlichen Richter (CPO. § 239) oder vor dem Schiedsgericht1. Der Zeitpunkt der Erhebung bestimmt sich nach den Vorschriften der CPO. (§ 230, 460, 461, 471). Hienach ist immer eine Mitteilung der Klage an den Beklagten erforderlich. Die eingetretene Unterbrechung wird nicht rückgängig, wenn die Klage entweder wegen Unzuständigkeit des Gerichts abgewiesen w i r d l a oder aus einem Grund, der die Verfolgung desselben Anspruchs durch eine neue Klage nicht ausschliefst (Abweisung 8
S c h w a l b a c h a.a.O. S. 60, ebenso T h o n und K o h l e r a. a. 00. Richtig die Entscheidungen in Seuff. X X I 183 X X I I 285 X L 88. 9 A. M. W i n d s c h e i d § 109 Ziff. 1: die V. werde gehindert mit Ausnahme der Einreden, die der Klagberechtigte hätte beseitigen können und sollen. 1 C. 5 § 3 [1J de rec. arb. 2, 55 [56]; wohl auch in dem Antrag auf Ernennung der Schiedsrichter. CPO. § 855 Abs. 2. Anders die frühere Ansicht, noch vertreten von W i n d s c h e i d § 108 N. 6 und Seuff. X X X V 265 mit Nachw. Für den Text S c h w a l b a c h Civ. Arch. LXIV S. 266 N. 16; H e l l m a n n ebenda L X V I Abh. 7; D e r n b u r g I § 148 N. 6; RGE. X X I V Nr. 41 S. 200. Kein Gesetz knüpft die Unterbrechung an die Zuständigkeit des angegangenen Richters ( H e l l m a n n S. 217 fg.), der Grundgedanke der unterbrechenden Wirkung spricht dagegen.
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in der angebrachten A r t ) 2 , auch nicht durch die freiwillige Zurücknahme der Klage 3 ; 2. in der Zustellung eines Zahlungsbefehls im Mahnverfahren 4, in der Anmeldung im Konkurs (KKO. § 13) und in der Betreibung der Zwangsvollstreckung (CPO. § 702); 3. in der Geltendmachung des Anspruchs durch Kompensationseinrede 6, aber, abgesehen von positiver Vorschrift, nicht in der Streitverkündigung, weil damit eine Geltendmachung nur in Aussicht gestellt wird 6 . Falls die Zustellung der Klage bezw. des Zahlungsbefehls nicht möglich ist, dient zur Unterbrechung eine Verwahrung bei Gericht, eventuell bei der Gemeindebehörde, in letzter Linie ein öffentlicher Anschlag am Wohnsitz des Gegners (C. 2 de annal, exc. 7, 40). II. Die Unterbrechung der V. hat die Bedeutung, dafs die bisher verlaufene V. wirkungslos wird. Unterbrechend wirkt aufser der gerichtlichen Geltendmachung die ausdrückliche oder stillschweigende Anerkennung des Anspruchs durch den Verpflichteten (C. 7 § 5 h. t.). Die Anerkennung mufs dem Gläubiger gegenüber erfolgt sein7 schriftlich oder mündlich8. Eine stillschweigende Anerkennung liegt 2
Abweisung wegen mangelhafter thatsächlicher Begründung Seuff. V I 133 IX 250 X X 101 X X I I I 65 X X V I I 159, wegen fehlender Passivlegitimation, wenn nur die alte und die neue Klage gegen denselben Beklagten gerichtet sind, Seuff. X X I I 207 XXXIV 3 (ROHG. X X I I Nr. 61 S. 271). 3 Sehr bestritten, jetzt namentlich wegen CPO. § 243 Abs. 3. M a n d r y , Civilr. Inhalt § 23 a. E. Indes wird von dieser Vorschrift die V.·Unterbrechung nicht getroffen, weil sie keine Folge der Rechtshängigkeit ist. S c h w a l b a c h a. (Note la) a. Ο.; D e r n b u r g I § 148 Ν. 4, 11. 4 RGE. X V I I Nr. 63 S. 282 XXIV Nr. 40 S. 197. Dies gilt selbst für die Wechselverjährung. B o l z e Civ. Arch. L X V I I I Abh. 1. 6 Seuff. X V I I I 107. Sächs. GB. § 163. Schweiz. OblR. Art. 154. Die herrschende Meinung ist dagegen. W i n d s c h e i d § 108 N. 12; D e r n b u r g I § 148. Aber was fehlt zur gerichtlichen Verfolgung des Anspruchs? 6 RGE. X Nr. 84 S. 290 X X I V Nr. 44 S. 210. Bei kurzen Verjährungsfristen empfiehlt sich de lege ferenda die Beilegung der unterbrechenden Wirkung, wie es in WO. Art. 80 geschehen ist. 7 S a v i g n y V S . 314; B ä h r , Anerkennung § 47; Seuff. XXXIV u. Nachw. RGE. XV Nr. 37 S. 181. 8 Die einfache mündliche Anerkennung war nach römischem Recht nicht genügend. C. 4 [5] de duob. reis 8, 39 [40]; B r u n s , Z. f. RG. I S. 108. Aber Theorie und Praxis in Deutschland legten von jeher wenigstens dem mündlichen Zahlungsversprechen unterbrechende Wirkung bei. U n t e r h o l z n e r , Schuld Verhältnisse § 249 N. 9; S a v i g n y V S. 315; B ä h r , Anerkennung § 47; Seuff. X 223 X V I 91 XX 188 X X I 5 X X V I 289 X X X I 6 X X X I V 4 X L V I I I 243. RGE. X V Nr. 37 S. 180. Darin liegt eine bindende Übung. A. M. B r u n s a. a. O.; D e r n b u r g I § 148 N. 14.
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in der Leistung einer Zins- oder Abschlagszahlung, in der Ausstellung eines neuen Schuldscheins, in der Beibringung eines Bürgen oder eines Pfands für die Forderung, in einem Stundungsgesuch. Nach der Unterbrechung beginnt eine neue V. mit der vollen gesetzlichen Dauer. Bei der Unterbrechung durch gerichtliche Geltendmachung beginnt die neue V. erst mit der letzten prozessualischen Handlung und dauert, wenn der Prozefs unerledigt liegen bleibt, 40 Jahre (C. 9 h. t., sog. V. der Litispendenz), während der Anspruch aus einer rechtskräftigen Verurteilung einer V. von 30 Jahren unterliegt (L. 6 § ult. de re jud. 42, 1). III. Gewisse Umstände hemmen den Lauf der V. Die V. ruht, solange ein Hemmungsgrund vorhanden ist, setzt aber mit dessen Wegfall ihren Lauf wieder fort in Anknüpfung an die schon vorher verlaufene Verjährungszeit. Der Heminungsgrund kann in der Persönlichkeit des Anspruchsberechtigten liegen9 oder in gewissen Hindernissen der Klaganstellung10, wozu aber Unkenntnis des Berechtigten von seinem Anspruch nicht gehört 11 . IV. Das kanonische Recht hat den dem römischen Recht unbekannten, aber heute geltenden Rechtssatz aufgestellt, dafs das Bewufstsein des Verpflichteten von seiner Schuldigkeit den Beginn der V. ausschliefst und die im Lauf begriffene V. entkräftet 12. Ob für alle bezw. welche Ansprüche, ist zweifelhaft. Am meisten hat die jetzt herrschende Ansicht für sich, dafs er nur für diejenigen dinglichen und obligatorischen Ansprüche gilt, welche auf Herausgabe einer dem Gegner nicht gehörigen Sache gerichtet sind, also neben den actiones in rem für die actio commodati, depositi, locati u. a., nicht aber für die actio emti, venditi, conducti u. a. 1 3 . 9 Unmündigkeit, Minderjährigkeit gegenüber einer V. unter 30 Jahren, Hauskindseigenschaft , wenn der Anspruch zu dem in der Verwaltung des Vaters stehenden Adventizvermögen gehört. C. 3 h. t. Seuff. X X V I I I 4. Ausnahme für minderjährige Kaufleute. HGB. Art. 149, 172; dazu RGE. X X I X Nr. 9 S. 26. C. 1 § 2 de annal, exc. 7, 40. 10 C. 22 § 11 de jure delib. 6, 30 (Deliberationsfrist), cap. 10, 14 X de praescr. 2, 26 (Kriegsereignisse). C. 7 § 5 h. t. (Besitz eines Pfands hemmt den Lauf des Forderungsanspruchs). Über diesen Grund L ö w e n s t e i n Civ. Arch. L X X I I I Abh. 8. 11 C. 12 § 3 i. f. de praescr. 1. t. 7, 33; W i n d s c h e i d § 109 N. 8; Seuff. X X X I V 174. 12 Cap. 5 X de praescr. 2, 26 (Alex. III) cap. 20 eod. (Innoc. III). Über die Entstehung H i l d e n b r a n d Civ. Arch. X X X V I Abh. 3; O. R e i c h , Die Entwicklung der kanon. Veijährungslehre (Berl. Diss. 1880). 13 Es bestehen vier Ansichten: a. Die Dekretalen beziehen sich nur auf die Ersitzung: K i e r u l f f S. 206 fg. In der neueren Praxis viel vertreten. Seuff. I 6
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§ 185. c.
D a u e r u n d Beweis der V e r j ä h r u n g .
I. Die Regel bildet die V. von 30 Jahren. Sie greift platz, wenn für einen Anspruch nichts anderes festgesetzt ist. Eine 40jährige V. besteht für die Ansprüche der Kirchen und milden Stiftungen, die bei andern Berechtigten in 10—30 Jahren verjähren (Nov. 111, 131 c. 6), unter Umständen für die actio hypothecaria (C. 7 § 1 h. t.), endlich für die V. der Litispendenz (§ 184 I I ) 1 . Zahlreich sind die Fälle einer kürzeren Datier als 30 Jahre. Den aus dem römischen Recht stammenden kürzeren Verjährungsfristen 2 ist eine Anzahl aus neuern Reichsgesetzen zur Seite getreten 8. Der Lauf der V. wird dadurch nicht unterbrochen, dafs in das Anspruchsverhältnis an Stelle des Berechtigten oder Verpflichteten ein Rechtsnachfolger eintritt. Für die dinglichen Ansprüche freilich, bei denen der Besitz einer Sache die Verpflichteteneigenschaft begründet, ist mit dem Besitzwechsel die Entstehung eines neuen Anspruchs verbunden. Indes kann sich der neue Besitzer als Rechtsnachfolger die bei seinem Vorgänger verlaufene V. zurechnen4. II. Wer sich auf V. beruft, mufs, wo es zweifelhaft ist, beweisen, dafs die Entstehung des Anspruchs oder die sonstige den Beginn der V I I 4 X I I 245 X I I I 80 XIV 203 X V I I I 205 X X I 4. Dagegen S a v i g n y V S. 332 fg.; b. auf alle Ansprüche: T h i b a u t , Besitz S. 81 fg. 106 und die ältere deutsche Praxis, wogegen Savigny V S. 331; c. nur auf die dinglichen Ansprüche : P u c h t a § 90 N. aa.; die Gesetze legen aber blofs auf possessio rei alienae Gewicht; d. die im Text angenommene Ansicht, die seit der Begründung durch S a v i g n y V § 244 bis 247 unter den Theoretikern die meisten Anhänger zählt; W i n d s c h e i d § 111 N. 2; D e r n b u r g I § 149 u. a.; Seuff. V I 3 X I 6. 1 Die V. von 100 Jahren für die Ansprüche der päpstlichen Kirche (cap. 13, 14, 17 X de praescr. 2, 26) ist bei uns nicht praktisch. D e r n b u r g l § 147 N. 2. Dafs die Ansprüche des Fiskus und der Landesherren auf Herausgabe der ihnen gehörigen Sachen erst in 40 Jahren verjähren, hat im geschriebenen Recht keine Stütze. Auch die Praxis ist seit dem Angrifl von S a v i g n y V S. 360 fg. schwankend geworden: dagegen Seuff. I I I 296 X V I I 112 XXV 217; dafür X V I I I 14 X X X I I 108. Für die Geltung des Privilegs ist neuerdings H e f f t e r Jahrb. des gem. deutsch. R. V I Abh. 1 eingetreten. Ihm schliefst sich D e r n b u r g a. a. 0. N. 3 an. 2 Actio redhibitoria in 6 Monaten, quanti minoris, injuriarum in einem Jahr, doli in zwei Jahren, die Ansprüche zur Geltendmachung der eigentümlichen fiskalischen Rechte regelmäfsig in 20 Jahren u. a. 3 HGB. Art. 146. WO. Art. 77—79. Genoss.-Ges. § 117 u.a. M a n d r y , Civilr. Inhalt § 25 II. 4 Nach Analogie der Ersitzung. S a v i g n y V S. 362 fg.
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Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
V. begründende Rechtslage (§ 183 I) über den Zeitraum der V. zurückreicht. Dagegen trifft die Beweislast wegen eines besondern Hindernisses der V., wegen unredlichen Bewufstseins sowie wegen eines Unterbrechungsgrunds den Gegner 5 .
§ 186. 4. Wirkung der Anspruchsverjährung. Die vollendete V. entkräftet den Anspruch. Es fragt sich: wie? und in welchem Umfang? I. Wie? das heifst: Knüpft das Gesetz an die V. die Vernichtung des Anspruchs, so dafs er von der Vollendung der V. an nicht mehr vorhanden ist? Oder entsteht aus der V. nur ein Recht des Verpflichteten, die gerichtliche Durchführung des Anspruchs mit der Berufung auf die V. zu verhindern? Die Quellen geben keine bestimmte Entscheidung1. Aber nach dem allgemeinen Eindruck, den die gesetzgeberischen Mafsregeln von Theodosius II. und seiner Nachfolger auf uns machen, sollte mit der V. des Anspruchs dem Anspruchsgegner nur eine Waffe in die Hand gegeben werden, mit der er sich des Anspruchs erwehren kann, ohne auf die Sache selbst einzutreten. M. a. W. : infolge der V. soll er nicht befreit sein, sondern sich befreien können, und der Anspruch nicht aufgehoben, sondern nur aufhebbar sein. Diese Auffassung entspricht der herrschenden Meinung2. Aus ihr folgt: 1. Der Richter darf die V. nicht von Amts wegen berücksichtigen, wenn sie sich aus den Parteiverhandlungen ergiebt. Es mufs der Belangte zu erkennen gegeben haben, dafs er wegen der V. freigesprochen sein will 3 . r
' Gr awe i n , Verjährung S. 179 fg.; Seuff. I 157 X V I I 204. Die Ausdrücke schillern teils nach der einen, teils nach der andern Seite, so auch in der grundlegenden C. 3 h. t. Man darf sich nicht darauf berufen, dafs die V. eine exceptio erzeugte. Denn es steht dies keineswegs ganz fest (vgl. indes S c h w a l b a c h Jher. Jahrb. X X S. 267 N. 2), und dann enthielt nicht jede exceptio ein Anfechtungsrecht (§ 192 III). 2 So auch RGE. I I Nr. 44 S. 182. Dafs es sich bei den alten actiones temporales anders verhielt ( F i c k und D e m e l i u s a. § 182* a. 0 0 . ; B r i n z 2. A. § 114), ist wahrscheinlich; allein der Unterschied ist jedenfalls dem Bewufstsein der Späteren fremd geblieben. 3 A. M. P f e i f f e r , Prakt. Ausführ. I S. 10 fg. V I I S. 17 fg.; T h o n , Jher. Jahrb. X X V I I I S. 67 fg.; Seuff. V I I I 302 (Note) X I I I 172 (WechselV.). Die Ansicht des Textes überwiegt in Theorie und Praxis. Seuff. V I I I 302 XIX 8 X X I 94. Österr. GB. § 1501. Code civ. art. 2223. Sächs. GB. § 153. Schweiz. OblR. Art. 160. 1
Die juristischen Thatsachen. Die Verjährung d. Rechtsansprüche. § 1 8 . 667
2. Die Wirkung der V. kann durch Verzicht aufgehoben werden. Dies kann durch ein neues Schuldversprechen geschehn, durch eine Zins- oder Abschlagszahlung, durch ein Stundungsgesuch, durch Beibringung eines Bürgen oder eines Pfands, überall vorausgesetzt, dais der Verpflichtete in Kenntnis von der Vollendung der V. handelt4. II. In welchem Umfang? das heifst: Geht der Anspruch selbst verloren (stärkere Wirkung)? oder nur seine Klagbarkeit (schwächere Wirkung)? Die Frage hat für die dinglichen Ansprüche keine Bedeutung; das dingliche Recht selbst geht durch die V. des Anspruchs nicht unter, indes treifen seit der Neuerung des kanonischen Rechts (§ 184 IV) die Voraussetzungen für die V. der rei vindicatio und für die aufserordentliche Ersitzung zusammen. Dies unterliegt keinem Zweifel. Um so bestrittener ist die Frage für die obligatorischen Ansprüche5. Man pflegt die Frage in der Regel so zu stellen: Besteht nach der V. die Forderung als naturalis obligatio fort? Diese Fragestellung hat nicht zum wenigsten zur Unsterblichkeit der Streitfrage beigetragen. Naturalis bezeichnet die Obligatio nur nach der negativen Seite, dafs sie nicht klagbar ist; die positiven Wirkungen sind bei den einzelnen Arten der obligatio naturalis verschieden. Um zu einer festen Auseinandersetzung zu gelangen, mufs die zerstörende Kraft der V. an den einzelnen möglichen Wirkungen der naturalis obligatio geprüft werden 6. Die Quellen bieten nur die eine Bestimmung, dafs mit der V. des obligatorischen Anspruchs das Pfandrecht nicht erlischt (C. 2 de luit. pign. 8, 30 [31]). Und sicher behält demnach die Forderung im Pfandrecht einen gewissen Bestand. Aber man kann nicht umgekehrt den Fortbestand des Pfandrechts aus dem Dasein einer natürlichen Verbindlichkeit folgern, denn ein Fortbestand des Pfandrechts trotz Untergangs der Forderung ist auch sonst in den Quellen nicht ohne Beispiel7. 4
S a v i g n y V S. 412; B ä h r , Anerkennung § 47 N. 5, 6; W i n d s c h e i d § 106 N. 5; Seuff. X V I 91 ROHG. X X I I I Nr. 8 S. 29. A. M. S c h w a l b ach a. (Note 1) a. O. S. 268 N. 4. 5 Die schwächere Wirkung vertreten: S a v i g n y V § 248 -251; P u c h t a , Vorl. § 92 mit Beil. V I ; D e r n b u r g I § 150 I I § 5 N. 11; E i s e l e Jher. Jahrb. X X X I S. 379 fg. — die stärkere: B ü c h e l Civ. Erört. I 1; K i e r u l f f S. 210 fg.; W ä c h t e r P. § 108; Vangerow § 151; W i n d s c h e i d § 112; B e k k e r Jahrb. des gem. deutsch. Rechts IV Abh. 14; Seuff. IX 253. RGE. I I Nr. 40 S. 158. 6 Diesen Weg hat in verdienstlicherWeise Grawe i n , Verjährung S. 141 fg. eingeschlagen. 7 L. 61 [59] ad SC. Treb. 36, 1 mit dem beachtenswerten Satz: remanet ergo propter pignus naturalis obligatio. L. 13 § 4 de pign. 20. 1 L. 38 § 5 de solut.
668
Erstes Buch.
Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
1. Die Geltendmachung des verjährten Anspruchs gegen den Willen des Verpflichteten durch Kompensation oder Retention ist ausgeschlossen, sonst böte die V. blofs halben Schutz8. Nur wenn die V. der Gegenforderung erst nach der Entstehung der Klagforderung vollendet wurde, steht sie der Kompensation nicht entgegen (HGB. A. 911). Und ebenso schliefst die V. der Forderung aus einem gegenseitigen Schuldvertrag die Einrede des nicht erfüllten Vertrags nicht aus; denn der Grundgedanke ist, dafs kein Teil fordern kann, bevor er selbst erfüllt hat, und das wird durch die V. nicht berührt. 2. Die freiwillige Anerkennung der verjährten Schuld von Seite des Verpflichteten durch Zahlung oder sonstige materielle Befriedigung des Gläubigers, durch Pfand- oder Bürgenstellung, durch ein erneutes Erfüllungsversprechen u. s. w. ist gültig und kann vom Schuldner, selbst wenn in Unkenntnis von der V. vollzogen, nicht unter Berufung auf die V. mit condictio indebiti angefochten werden. Denn das Institut der V. ist nicht vorhanden, damit sich Schuldner bestehenden Verpflichtungen entziehen können. Kann auch dieser Erfolg nicht ganz verhütet werden, so wäre es doch ein Hohn auf die Rechtsordnung, wenn jemand in Ausbeutung dieser Mifsbrauchsmöglichkeit die Rechtshilfe gegen seine eigne Anerkennungsbethätigung in Anspruch nehmen könnte.
5.
§ 187. Die Verjährung der Einreden*.
Der Einredeberechtigte hat nicht in seiner Macht, von der Einrede Gebrauch zu machen, wann er will, und dadurch die Gefahr abzuwenden, dafs ihm seine Beweisbehelfe verloren gehn. Er ist darin von der Klaganstellung abhängig Daher wäre eine V. der Befugnis, einen Umstand im Weg der Einrede geltend zu machen, eine Unbilligkeit. Dies hat auch durch die Einführung der negativen Feststellungsklage (CPO. § 231) keine Änderung erfahren, obwohl jetzt der Ein46, 3. E i s e l e a. (Note 5) a. 0. hat nicht zu entkräften vermocht, dafs L. 61 cit. und L. 38 § 5 cit. zweite Hälfte einen Fortbestand der naturalis obligatio aufserhalb des Pfandrechts widerlegen. 8 Seuff. IX 253. Anerkannt v o n D e r n b u r g I § 150. * S a v i g n y V § 253-255; W i l d h a g e n Jher. Jahrb. X X I Abh. 1 (1883); T h o n ebenda X X V I I I S. 7 2 - 7 9 (1889). B ä h r , Verhandl. des XX. Deutsch. Jur.Tags I S. 292—303. 1 Von dieser Erwägung geht auch L. 5 § 6 de doli m. exc. 44, 4 aus, eine Stelle, aus der Verteidiger und Gegner der Verjährbarkeit der Einreden viel zu allgemeine Schlüsse gezogen haben. Unbefangen auch hier Savigny V S. 429 fg.
Die juristischen Thatsachen. Die Verjährung d. Rechtsansprüche. § 1 8 . 669
redegnmd im Weg der Klage zur richterlichen Entscheidung gestellt werden kann. Denn es gilt davon, was S a v i g n y (V S. 418 g) von der Provokation sagt : es ist eine Nothilfe, eingeführt als Wohlthat des Provokanten und nicht zu seiner Belastung (Bähr a. a. 0. S. 295). Demnach ist der Satz berechtigt: die Einreden sind unverjährbar. Indes gilt diese Regel nicht ohne Einschränkung. 1. Eine verjährte Forderung kann weder durch Kompensation noch durch Retention zur Geltung gebracht werden (§ 186 I I 1). 2. Wenn das Gesetz für einen Anspruch eine kurze Verjährungsfrist in der Erwägung aufstellt, dafs die Verzögerung der Geltendmachung den Gegner in Nachteil versetzt, so steht die V. des Anspruchs auch der einredeweisen Geltendmachung entgegen2: so zweifellos bei der ädilizischen Anfechtung des Kaufs 3 und bei der querela inofficiosi testamenti. Vgl. auch RGewO. § 112, 132. 2 K e l l e r § 92; B ä h r a. a. 0. S. 296. Zu weit gehende Formeln stellen W i n d s c h e i d § 112 und T h o n a. a. 0. auf. 3 K e l l e r § 92; W i n d s c h e i d § 112 N. 8; D e r n b u r g I § 150 N. 7; Seuff. X X X I I I 279 X X X V I I I 95, RGE. I I Nr. 40 S. 158. A. M. S a v i g n y V S. 423; Seuff. I 159 V I I 145 XXIV 4. Nach HGB. Art. 349, 386, 408 mufs der Einredegrund dem Gegner innerhalb der für die Klage zustehenden Frist angezeigt sein. RGE. X X I I Nr. 83 S. 324. — Dafs auch die Anfechtungseinrede gemäfs KKO. § 34 veijährt, wie in Seuff. X L I I 177 angenommen ist, dürfte bezweifelt werden, da dem Konkursverwalter wegen des Anfechtungsrechts nur eine Feststellungsklage zusteht. Vgl. auch D e r n b u r g I I § 147 N. 7.
Fünfter Abschnitt.
Der
Rechtsschutz. § 188.
I.
Die A r t des Rechtsschutzes im allgemeinen*.
Die Ausübung der Rechte verleiht ihnen den Wert, macht sie aber auch der Verletzung zugänglich. Die Verletzung erfolgt durch die Herstellung oder Aufrechthaltung eines thatsächlichen Zustands, der die Ausübung des Rechts ausschliefst oder schmälert. Der Schutz, den die Rechtsordnung bietet, ist teils auf Vorbeugung gerichtet (Präventivschutz), teils auf Gegenwirkung (Repressivschutz). I. Der Begehung von Rechtsverletzungen wirkt schon das Bestehn der rechtlichen Gebote und Verbote an sich entgegen, um so erfolgreicher, je höher in einem Volk der Sinn für Recht und Gesetzlichkeit entwickelt ist. Umfassend sorgt die Obrigkeit für die ungeschmälerte Erhaltung der Rechtsordnung ; die Regelung der sogenannten Rechtspolizei gehört aber dem öffentlichen Recht an. Es fehlt auch nicht an privatrechtlichen Mafsregeln, um Rechtsverletzungen zu verhüten; das sind die Sicherheitsleistungen (§ 189). Immerhin wird der vorbeugende Rechtsschutz nie ausreichen, um Rechtsverletzungen ganz auszuschliefsen. Es müssen sich ihm daher anreihen II. Mittel zur Bekämpfung der ins Werk gesetzten Rechtsverletzung. Wir sehn hier von dem Eingreifen der Strafrechtsordnung ab. Die Mittel, welche das Privatrecht dem Berechtigten zur Verfügung stellt, dienen teils zur Abwehr versuchten Angriffs, teils zur Herstellung des dem Recht entsprechenden Zustands. Im letztern Fall geht der Rechtsschutz auf Erzwingung der Erfüllung, wenn die * B ä h r , Der Rechtsstaat S. 6 fg.; Ebb ecke Jher. Jahrb. X X V I I Abh. 6.
Der Rechtsschutz.
Die Art des Rechtsschutzes im allgem.
§ 188.
671
Rechtsverletzung darin besteht, dafs nicht geleistet ist, was dem Berechtigten geleistet werden soll (Erfüllungszwang); er geht auf Wiederherstellung, wenn der dem Recht entsprechende Zustand verändert ist (Restitutionszwang); ist Erfüllung oder Wiederherstellung entweder nicht möglich oder vom Gesetz aus Zweckmäfsigkeitsgründen ausgeschlossen, so tritt die erzwingbare Pflicht zum Schadenersatz ein. Es läfst sich denken, dafs der beschriebene Schutz vom Berechtigten durch eigne Kraft und That verwirklicht wird. Das ist die Selbsthilfe oder Eigenmacht. Aber dieser Rechtsschutz leidet an grofser Unvollkommenheit. Der Erfolg der Selbsthilfe setzt die physische Übermacht des Verletzten über den Verletzer voraus. Das Gefühl der erlittenen Rechtskränkung führt leicht über die Grenzen der Rechtserhaltung hinaus, die Selbsthilfe wird selbst Anlafs zur Rechtsverletzung. Endlich behauptet in vielen Fällen jeder Teil, im Rechte zu sein; es bedarf dann vor der zwangsweisen Durchführung einer unparteiischen Entscheidung, ob der Anspruch auf Änderung im Rechte begründet ist. Dies alles weist auf den Rechtsschutz durch die Staatsgewalt hin. In ihr vereinigt sich die überlegne Macht mit der Unbefangenheit. Die Handhabung des Rechtsschutzes ist nicht die einzige, aber eine wesentliche Aufgabe der Staatsgewalt. Die Organe für die staatliche Rechtspflege sind die Gerichte. Der Gerichtsschutz gestaltet sich verschieden, je nachdem es sich um Bekämpfung von Verletzungen der öffentlichen Rechtsordnung handelt oder um die Hilfe zur Befriedigung privatrechtlicher Interessen. Dort schreiten die staatlichen Organe von Amtswegen ein, hier werden die Gerichte nur auf Anrufen der beteiligten Privatpersonen thätig. Das für die Gewährung des staatlichen Privatrechtsschutzes gesetzlich geordnete Verfahren ist der Civilprozefs, auch Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten genannt. Die rechtliche Ordnung des Civilprozefses ist ein Bestandteil des öffentlichen Rechts. Aber privatrechtlich ist das den Gegenstand des Civilprozesses bildende Rechtsverhältnis. Nach Privatrecht bestimmt sich, ob ein Recht im Weg selbständigen Angriffs, durch Klage, oder nur durch Gegenangriff, Einrede, vor Geriebt geltend gemacht werden kann. Die prozessualische Geltendmachung wirkt auf den Bestand und den Umfang des Privatrechts ein, namentlich die Prozefseröffnung und das Urteil. Die Berührungspunkte zwischen Privatrecht und Prozefs sind daher mannigfaltig. Unumgänglich ist für die Privatrechtslehre die Schilderung von Klage und Einrede in ihrer privatrechtlichen Bedeutung und der Einwirkungen des Prozesses auf das materielle Rechtsverhältnis.
Erstes Buch.
672
Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
Neben dem Rechtsschutz im ordentlichen Rechtsgang giebt es eine aufserordentliche Rechtshilfe, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Damit ist der Gegenstand der nachfolgenden §§ bezeichnet.
II.
Die Rechtsechutzarten im einzelnen. § 189. A.
Sicherung der Rechte.
Das Bedürfnis nach Sicherstellung wird hervorgerufen durch die Gefährdung eines Rechts. Die Gefahr kann drohen aus der Bestreitung des Rechts oder aus der Nichterfüllung der dem Recht entsprechenden Pflicht. Gegen beide Gefahren giebt es Sicherungen. Daneben kommen im römischen Recht Kautionen vor, die bestimmt sind, für den Fall einer Rechtsverletzung einen rechtlich verfolgbaren Anspruch zu erzeugen z. B. cautio damni infecti. Ihre Bedeutung ist im heutigen Recht abgeschwächt, da vielfach gesetzliche Ansprüche an die Seite getreten sind Für alle diese Sicherungen gebrauchten die Römer das Wort cautio. Es umfafste ebenso das blofse vertragsmäfsige Versprechen (nuda promissio, Verbalkaution) als die reale Sicherung z. B. durch Bürgen (satisdatio), während man im heutigen Rechtsverkehr mit Kaution den Begriff der Realsicherheit zu verbinden pflegt 2. A. Die Bestreitung bringt das Recht in Gefahr, wenn der Berechtigte nicht in der Lage ist, es vor Gericht zu beweisen. Zur Vorbeugung dient die Herstellung von Beweismitteln durch Beurkundung der Rechtsgeschäfte, Fertigung von Schuldscheinen, Quittungen, von Vermögensverzeichnissen, durch öffentliche Einrichtungen wie Standesregister, Grund- und Hypothekenbücher. Demselben Zweck dienen die Anerkennungsverträge, indem sie dem Empfänger der Anerkennung den Beweis für die anderweitige Entstehung der Schuld bezw. Befreiung ersparen (L. 11 de praet. stip. 46, 5 und § 173). B. Die Erfüllung einer Verpflichtung kann scheitern an dem schlechten Willen oder an dem Unvermögen des Schuldners. Die 1
B e k k e r , Die Aktionen I I S. 35 fg., 48. Manche Quellenäufserungen lassen vermuten, dafs unter cautio regelmäfsig die nuda promissio verstanden wurde. L. 5 pr. H. P. 5, 3 L. 63 § 4 pro soc. 17, 2. G n e i s t , Formelle Verträge S. 233 fg.; L e n e l , Beiträge zur Kunde des prätor. Edikts S. 58. 2
Der Rechtsschutz.
Sicherung der Rechte.
§ 189.
673
Sicherung gegen diese Gefahr ist Sicherheitsleistung i. e. S. Als Mittel dienen: 1. das eigne Versprechen des Verpflichteten, das Schuldige zu thun, falls es die zwangsweise Durchsetzung des Anspruchs erleichtert; so wenn nach römischem Recht die \7erpflichtung aus einem formlosen Kontrakt in eine Stipulation gefafst wurde oder wenn heutzutage über eine formlose Verpflichtung ein Wechsel ausgestellt wird. Dieses Versprechen kann durch eidliche Angelobung der Erfüllung verstärkt werden (sogenannte cautio juratoria). 2. Bürgschaft, Pfandbestellung, Hinterlegung von Bargeld oder Wertpapieren (CPO. § 101); das ist die Realkaution. C. Zur Leistung von Sicherheit kann jemand durch Rechtsgeschäft, Vertrag oder letztwillige Verfügung verpflichtet sein. Die Art der Sicherheitsleistung bestimmt sich dann nach der Anordnung im Rechtsgeschäft. Im Zweifel ist unter Sicherheitsleistung nach heutigem Sprachgebrauch Realkaution zu verstehn3. Für zahlreiche Fälle stellen die Gesetze die Kautionspflicht auf und bestimmen deren Voraussetzungen, die Mittel zu ihrer Erzwingung wie die Beschaffenheit der Kaution. Hierüber ist am einzelnen Ort zu handeln. Folgendes Allgemeine verdient Erwähnung. 1. Wo im römischen Recht Bürgschaft gefordert ist, kann die Sicherheit heutzutage auch durch Pfandbestellung geleistet werden. Dagegen ist nicht richtig, dafs nach heutigem Recht immer Realkaution geleistet werden mufs, auch da wo die Quellen nur Verbalkaution verlangen. Das Privilegium des Fiskus und der Stadtgemeinden, überall durch Verbalkaution der gesetzlichen Kautionspflicht zu genügen, (L. 1 § 18 L. 6 § 1 ut legat. 36, 3) besteht noch zu Recht. 2. Nach einer verbreiteten Praxis kann jeder Gläubiger wegen künftig fälliger oder bedingter Forderungen Realsicherheit fordern, wenn der Verpflichtete durch seine Schuld in eine mifsliche, die dereinstige Befriedigung gefährdende Vermögenslage gekommen ist 4 . 3 Hiegegen kann die Auslegungsvorschrift in C. 3 Y. S. 6, 38 nicht aufkommen. W i n d sehe i d § 134 Ν. 3. 4 Die äufsere Stütze sucht diese Praxis in zwei mifsverstandenen Stellen des römischen Rechts, L. 41 de jud. 5, 1 und L. 38 pr. pro soc. 17, 2. In L. 38 pr. cit. handelt es sich um einen veralteten Fall : Sicherung des Gläubigers gegen den Verlust, mit dem er aus der prozessualischen Konsumtion bedroht ist. L. 41 cit. enthält allerdings in dem in die Digesten aufgenommenen abgerissenen Zustand den allgemeinen Satz, dafs bei allen bonae fidei judieiis der Richter wegen künftig fälliger Forderungen ex justa causa Kaution auferlegen kann. Über die justa causa klärt sie uns nicht auf. Ferner: keine der beiden Stellen spricht von Realkaution. Aber mit dem Nachweis der falschen Grundlage ist die Praxis selbst nicht ent-
B i n d i n g , Handbuch. I. 7. I : R e g e l s b e r g e r , Pand. J.
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Erstes Buch.
Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
3. Wird die geleistete Kaution ohne Schuld des Berechtigten unzureichend, so ist der Kautionspflichtige zur Ergänzung oder Erneuerung verpflichtet. D. Auch die gerichtliche Hilfe kann zur Sicherung angerufen werden. 1. Nach römischem Recht wurde in gewissen Fällen der Gefährdete vom Magistrat ermächtigt, sich zu seiner Sicherung in den Besitz von Sachen zu setzen, missio in possessionem, in bona. Die missio wurde erteilt: rei servandae causa, regelmäfsig als Einleitung des Konkurses, legatorum servandorum causa (Tit. ut in poss. legator, vel fideic. serv. causa Dig. 36, 4 Cod. 6, 54), hereditatis tuendae causa (Dig. de ventre in poss. mitt. 37, 9), damni infecti nomine (L. 4 § 1 de damno inf. 39, 2) und als Zwang zur Kautionsleistung (L. 1 quib. ex caus. in poss. 42, 4). Durch die Besitzergreifung wurde der Eingewiesene in der Regel nur Detentor, erhielt aber ein Pfandrecht an den Sachen; er wurde in der Besitzergreifung wie im Innehaben durch actio und Interdikt geschützt5. Vereinzelt kommen im römischen Recht gerichtlich angeordnete Sequestrationen und Veräufserungsverbote als Sicherungsmafsregeln vor 6 . 2. Nach dem neueren Recht wird die gerichtliche Sicherung weit häufiger durch Arrest oder einstweilige Verfügung verwirklicht. a. Arrest ist die gerichtliche Beschlagnahme von Gütern oder der Person des Schuldners7. Er kann nach dem geltenden Recht (CPO. § 796—813) nur zur Sicherung der Zwangsvollstreckung verfügt werden und nur wegen Geldforderungen und solcher Ansprüche, die in eine Geldforderung (Interesseforderung) Übergehn können. Der dingliche Arrest wird durch Pfändung vollzogen, der persönliche durch Haft, Beschlagnahme der Legitimationspapiere u. ä. Die Pfändung beweglicher Gegenstände begründet für den Arrestsucher ein Pfandkräftet (§ 20 N. 9). Nur darf die Kautionspflicht nicht allein von der mifslichen Vermögenslage des Schuldners abhängig gemacht werden ohne Rücksicht auf seine Verschuldung, wie in Seuff. IV 196 und von W e n d t § 88 N. 5 geschieht. Darin läge eine ungerechtfertigte Härte gegen den Schuldner. Mit dem Text Seuff. X V I 189, 190 (wo reiche Litteraturnachweise) X X I I 7. Vgl. auch V I 137. 5 L. 26 de pign. act. 13, 7 L. 3 § ult. de poss. 41, 2. Dig. ne vis fiat ei qui in poss. missus erit 43, 4. 6 L. 7 § 2 qui satisd. cog. 2, 8 C. 5 § 2 quor. appell. 7, 65 L. 31 § 5 de reb. auct. jud. 42, 5 L. 8 i. f. de pollic. 50, 12. 7 Über die geschichtliche Entwicklung M e i b o m , Das deutsche Pfandrecht (1867) S. 147 fg.; W a c h , Der Arrestprozefs in geschichtlicher Entwicklung I (der italienische ΑΡ., 1868). Über das geltende Recht J. M e r k e l , Über Arrest und einstweilige Verfügungen (1880).
Der Rechtsschutz. Die Selbsthilfe.
§ 190.
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recht an dem Pfandstück mit den Wirkungen eines Faustpfands gegenüber andern Gläubigern. Die Pfändung unbeweglichen Vermögens bestimmt sich nach den Landesgesetzen. b. Die einstweiligen Verfügungen (CPO. § 814—822) erfassen den Streitgegenstand selbst und sollen ihn gegen Veränderungen schützen. Veranlassung bildet die in den Umständen begründete Besorgnis einer Änderung des bestehenden Zustands, wodurch die Verwirklichung des Rechts einer Partei bedroht wird. Hierüber und über die zu ergreifenden Mafsregeln ('Veräufserungsverbot, Sequestration u. ä.) entscheidet das Gericht nach freiem Ermessen8. Bei der Sequestration wird die Sache der besitzenden Partei abgenommen und einem Unbeteiligten in Verwahrung gegeben mit der Auflage, sie dereinst der siegreichen Partei auszuhändigen. Übrigens können einstweilige Verfügungen auch zur vorübergehenden Regelung eines Zustands in Beziehung auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen werden, in Besitzund Baustreitigkeiten, in Ehe- und Entmündigungssachen u. ä., sofern die Mafsregel zur Abwendung von Nachteilen, insbesondere zur Verhinderung drohender Gewalt als notwendig erscheint (CPO. § 819).
§ 190. B.
Die Selbsthilfe*
Die Anwendung seiner eigenen physischen Kraft zum Schutz seines Rechts (§ 188 II) ist dem Berechtigten weder schlechthin erlaubt noch schlechthin verboten. Sie ist erlaubt als Selbstverteidigung d. h. als Mittel, um versuchte unberechtigte Eingriffe in die eigne Rechtssphäre abzuwehren. Sie ist verboten als Selbstbefriedigung d. h. als Mittel, um den einem Recht entsprechenden Zustand herzustellen, es sei zur Erzwingung einer schuldigen Leistung oder zur Aufhebung einer vollzogenen Veränderung. I. Dafs jemand einen unerlaubten Angriff auf seine oder eines der Seinigen Person oder auf seinen Besitzstand ruhig über sich ergehen lassen und seinen Schutz ausschliefslich in der immerhin zweifel8
RGE. XXIX Nr. 92 S. 354 X X X Nr. 93 S. 320. Eine fragliche Anwendung berührt W e n d t , Jher. Jahrb. X X I S. 256. * L i n d e Giefsner Ζ. I Abh. 21; Benfey Rhein. Museum V I I 1 (1835); J. S c h m i t t , Die Selbsthilfe im röm. Privatrecht (1868); W e n d t Jher. Jahrb. X X I Abh. 2 (1883); B ä h r ebenda X X V I S. 257 fg. (1888); T u h r , Der Notstand im Civilr. (1888) S. 43 fg., 68 fg. Vgl. auch J h e r i n g , Geist I § 11. 43*
Erstes Buch. Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
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haften gerichtlichen Hilfe suchen müsse, wäre unnatürlich und ist im positiven Recht nicht geboten \ Aber es gehört zur erlaubten eigenmächtigen Gegenwehr: 1. dafs der Angriff unberechtigt ist. Im allgemeinen steht jedermann unter dem formalen Schutz gegen eigenmächtige Änderung für seine Person und seinen realen Besitzstand und kann zur Abwehr Selbsthilfe gebrauchen, mag der Angriff von Personen oder Sachen ausgehen2. Ob der Angreifer sich für berechtigt hält, so vorzugehen oder nicht, ist gleichgültig. 2. dafs die Rechtsverletzung noch nicht vollendet und ein neuer thatsächlicher Zustand noch nicht hergestellt ist. Aber nicht jede augenblickliche Änderung gilt als neuer Besitzstand3. 3. dafs der Gegenangriff auf die Person oder die Sachen des Angreifers nicht weitergeht, als der Angegriffene nach Lage der Umstände zur ungeschmälerten Erhaltung seines Rechtszustands für notwendig erachten durfte 4. II. Die eigenmächtige Selbstbefriedigung besteht in dem eigenmächtigen Vorgehen desjenigen, der einen Anspruch hat oder zu haben glaubt, gegen die Person oder Sachen seines Gegners, um seine Befriedigung zu erzwingen, durch rechtswidrige Bedrohung, körperliche Verdrängung aus Grundstücken, Wegnahme von Sachen, die sich im realen Besitz des Gegners befinden, u. ä. Wegen der Gefahr, welche die eigenmächtige Befriedigung für den gemeinen Frieden hat, ist sie der Regel nach verboten (L. 13 quod met. c. 4. 2) und nur ausnahmsweise gestattet, namentlich wenn unter den obwaltenden Umständen nur dadurch ein unwiederbringlicher Nachteil abgewendet werden kann z. B. beim Versuch des Schuldners zu fliehen oder die herauszugebende Sache zu zerstören 5. Einwilligung des Gegners schliefst die Unerlaubt1
vi 8, 4.
L. 4 pr. L. 45 § 4 ad leg. Aq. 9, 2 L. 1 § 27 de vi 43, 16 C. 1 unde
2 Auch die Detention geniefst diesen Schutz. Nach heutigem Recht ist der juristische Besitzer nicht befugt, den in seinem Namen besitzenden Detentor eigenmächtig des Besitzes zu entsetzen, wenn der Detentor in eignem Interesse z. B. als Mieter besitzt. W e n d t a. a. O. S. 61 fg., 234, 237; B ä h r a. a. 0. S.306; Seuff. X 5, Entscheid, des RG. in Strafsachen, I X S. 58. A. M. W i n d s c h e i d § 123 N. 1 a. E. 3 B ä h r a. a. 0. S. 258: „Wenn die Sache, die ich in der Hand halte, ein Anderer mir unversehens entreifst und damit fortläuft, so darf ich ihn auf der Stelle verfolgen und ihm die Sache mit Gewalt wieder abnehmen". 4 B i n d i n g , Handb. des Strafr. I S. 750. 5 Diese Ausnahme hat ihre Stütze mehr in der Natur der Sache und in der aUgemeinen Anerkennung als in einer positiven Gesetzesvorschrift. L. 10 § 16 quae in fraud, cred. 42, 8 beweist höchstens mittelbar. W e n d t S. 281 fg. Andere
Der Rechtsschutz.
Die Selbsthilfe.
§ 190.
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heit der Selbstbefriedigung aus. Wenn aber der Gegner der Ausführung der von ihm vertragsmäfsig zugestandenen Besitzergreifungsoder Pfändungsbefugnis Widerstand entgegensetzt, so mufs zu dessen Überwindung die gerichtliche Hilfe nachgesucht werden 6. Die Rechtsmittel, welche die unerlaubte Selbstbefriedigung hervorruft, sind nach deren Art verschieden, namentlich dienen dazu die Besitzklagen einschliefslich der actio spolii. Einige Fälle der Selbstbefriedigung hat das römische Recht unter Privatstrafe gestellt7. Diese Privatstrafen waren schon vor dem Erscheinen des RStrafgesetzbuchs in mehreren gemeinrechtlichen Gebieten durch die partikuläre Strafgesetzgebung aufser Kraft gesetzt und haben jetzt durch die Art, wie der Thatbestand der unerlaubten Selbsthilfe im RStrafgesetzbuch geordnet ist, für ganz Deutschland die Geltung verloren 8, was beim Mangel jedes Verhältnisses der Strafe zum Vergehn nicht bedauert werden kann.
Ausnahmen sind die eigenmächtige Beseitigung von Vorrichtungen, die ein Anderer auf unserem Grundstück widerrechtlich hergestellt hat (L. 29 § 1 ad leg. Aq. 9, 2), und das partikularrechtlich erhaltene Privatpfändungsrecht an Menschen oder Tieren^ die auf Grundstücken Schaden verursacht haben. S t o b b e § 70. 6 C. 3 de pign. 8, 13 [14] W e n d t a. a. O. S. 282 fg. 7 Sie sind: a. Ein Gläubiger, der zur Erzwingung seiner Befriedigung Sachen seines Schuldners ohne dessen oder des Gerichts Erlaubnis wegnimmt oder den Schuldner zwingt, ihm Sachen zu geben, oder der zu demselben Zweck sich der Sache eines Dritten oder der Kinder seines Schuldners bemächtigt, soll sein ganzes Forderungsrecht verlieren (sog. decretum divi Marci L. 13 quod met. c. 4, 2 L. 7 ad leg. Jul. de vi priv. 48, 7; dazu Nov. 52 c. 1 u. Nov. 134 c. 7); b. Wer eine in fremdem Besitz befindliche Sache als die seinige gewaltsam ohne richterliche Ermächtigung wegnimmt, mufs sie dem Besitzer zurückgeben und verliert sein Recht an der Sache; hat er kein Recht, so mufs er den Wert des behaupteten Rechts an den Vergewaltigten entrichten (C. 7 unde vi 8, 4 § 1 J. vi bon. rapt. 4, 2). 8 Bestritten. Das RStGB. hat allerdings positiv nur einzelne schwerere Fälle der Eigenmacht unter Strafe gestellt, aber damit genügend zu erkennen gegeben,, dafs andere Eigenmacht straflos sein soll, in Übereinstimmung mit der neueren Rechtsentwicklung. Einf.-Ges. z. RStGB. § 2; W ä c h t e r P. § 98 N. 1; W i n d s c h e i d § 123 N. 4a; D e r n b u r g I § 125 N. 9, RGE. X I Nr. 50 S. 244 X V I I I Nr. 43 S. 218. Für die heutige Geltung B r i n z 2. A. I S. 268; T h o n , Rechtsnorm S. 33 fg.; B i n d i n g , Handb. d. StR. I S. 318, 330.
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C.
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Die gerichtliche
Durchführung
der Rechte.
§ 191. 1. Die Klage*. I. Das Wort Klage bedeutet zunächst die prozessualische Handlung, wodurch in selbständiger Weise die Geltendmachung eines Rechts vor Gericht eröffnet wird. Klage in diesem Sinne ist ein prozessualischer Begriff; es bestimmt sich nach prozessualischen Grundsätzen, unter welchen Voraussetzungen das Gericht auf die Anrufung hin in Thätigkeit zu treten hat. Sind diese Voraussetzungen gegeben, so darf der Richter kraft seiner amtlichen Pflicht seine Thätigkeit nicht verweigern. Insofern hat jeder Staatsbürger ein Recht auf Gewährung der richterlichen Hilfe, aber nicht anders als wie er z. B. ein Recht hat, dafs der Standesbeamte bei seiner Eheschliefsung mitwirkt. Daher darf man nicht von einem besonderen Recht des Einzelnen gegen den Staat auf Rechtsschutz, von einem publizistischen Klagrecht (Laband) oder Rechtsschutzanspruch (Wach) sprechen1. Jedenfalls darf dieses publizistische Ding mit dem Folgenden nicht verwechselt werden. Nicht jedes Privatrecht kann im Weg der Klage geltend gemacht werden, es giebt, wenn auch nicht viele, klaglose Rechte. Die Klagbarkeit ist eine Eigenschaft der Privatrechte, mit der sie die Privatrechtsordnung ausstattet; nur das Wie der Geltendmachung wird vom Prozefsrecht geregelt. Die Klagbarkeit als rechtliche Zuständig* Wesentlich vom Standpunkt der römischen actio behandelt die Lehre S a v i g n y V § 205—224. Ihm folgen die meisten spätem Darstellungen. Den Anstofs zur Auseinandersetzung mit den heutigen Begriffen Klage, Klagrecht, Anspruch hat W i n d s c h e i d , Die Aktio des röm. Civilrechts vom Standpunkt des heutigen Rechts (1856) gegeben. Vgl. B e k k e r , Krit. VJSchr. V S. 399ff., der auch an verschiedenen Orten seiner „Aktionen des röm. Privatr." 2 Bde. (1871,, 1873) auf die Stellung der actio im heutigen Recht eingeht. In neuerer Zeit sind die genannten Begriffe vielfach untersucht: D e g e n k o l b , Einlassungszwang und Urteilsnorm (1877) § 1; W a c h , Grünhuts Z. V I S. 539fg. (1879) u. Handb. des Civpr. I S. 19fg.; L. S e u f f e r t , Grünhuts Ζ. X I I S. 617 fg. (1885); K o h l e r ebenda XIV Abh. 1 (1887); W a c h , Der Feststellungsanspruch (1889); K o h l e r , Prozefsrechtl. Forschungen (1890); H e l l m a n n , Jher. Jahrb. X X X I Abh. 2 (1892); E i s e l e ebenda S. 379fg. 1 A. M. L a b a n d , Staatsr. I I S. 338fg. (1. A. I I I S. 22); W a c h a. a. 0 0 . ; L. S e u f f e r t a. a. 0. S. 627; H o l d e r , Krit. VJSchr. X X X I I S. 357 fg. Gegen den Rechtsschutzanspruch Κ o h 1 e r , Grünhuts Ζ. XIV S. 38 fg., Prozefs als Rechtsverhältnis S. 13 fg., Prozefsrechtl. Forschungen S. 71 fg.; H e l l ma η η a. a. Ο. S. 114; E i s e l e a. a. 0. S. 396fg.
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keit ist das (privatrechtliche) Klagerecht. Das Klagerecht ruht in dem konkreten Privatrecht und kann getrennt von ihm nicht bestehn2. Das römische Wort actio hat gleichfalls die Doppelbedeutung von prozessualischer Handlung und Klagrecht, wird aber noch weiter im Sinn des klagbaren Anspruchs gebraucht (§ 52) 3 . II. Bei jedem Klagerecht mufs man die rechtliche Grundlage und die Veranlassung unterscheiden. Die rechtliche Grundlage ist in der Regel ein konkretes Privatrechtsverhältnis, die Veranlassung in der Regel eine reale Störung, indem entweder eine Leistungspflicht nicht erfüllt oher ein dem Recht des Klägers widersprechender thatsächlicher Zustand aufrecht erhalten wird. Der Zweck der Klage ist demgemäfs, eine Verurteilung des Beklagten zur Erfüllung bezw. zur Aufhebung oder Ersatzleistung zu erwirken. Eine Schutzbedürftigkeit kann sich aber auch daraus ergeben, dafs durch besondere Thatsachen das Dasein eines Rechtsverhältnisses unsicher geworden ist; wenn diese Rechtsbedrohung in dem Verhalten einer Person ihren Grund hat, so ist auch ein Gegner gegeben, mit dem der Kampf um das Dasein des Rechts ausgefochten werden kann. Zweck einer solchen Klage ist nicht Verurteilung des Beklagten sondern lediglich Feststellung, dafs das unsicher gewordene Rechtsverhältnis besteht. Selbst d i e richterliche Feststellung kann sich als Bedürfnis erweisen, dafs ein in Anspruch genommenes Recht nicht besteht. So treten den auf Verurteilung gerichteten Klagen, den Leistungsklagen, die positiven und negativen Feststellungsklagen gegenüber4. Das Bedürfnis nach Feststellungsklagen ist weniger in die Augen fallend, weil die blöfse Gefährdung nicht so empfindlich wirkt als die reale Störung. Und doch ist es zu keiner Zeit verkannt worden. Schon die Römer haben für bestimmte Verhältnisse Feststellungsklagen gehabt5. 2 Man führt einen m. K. unfruchtbaren Streit, ob das Klagrecht ein Bestandteil (Annexum) des Privatrechts sei ( P u c h t a , W ä c h t e r , D e r n b u r g ) oder das Recht selbst in seiner Bethätigung ( B ö c k i n g , B e t h m a n n - H o l l w e g , Brinz). 3 Vgl. die kurze, aber treffliche Darstellung von W l a s s a k in Paulys Realencyklopädie s. v. actio. Auf actio als Klagrecht bezieht sich die vielberufene Definition des Celsus L. 51 O. e. A. 44, 7 : Nihil aliud est actio quam jus quod sibi debeatur, judicio persequendi. 4 Über das Wesen der Feststellungsklage verbreiten sich D e g e n k o l b a. a. 0. S. 131 fg.; W e i s m a n n , Die Feststellungsklage (1879); B ä h r , Urteile des RG. S. 143—170; W a c h , Der Feststellungsanspruch; Κ ο h l er, Prozefsr. Forschungen S. 63 fg. 6 Nicht blofs in den actiones praejudiciales (Gai. IV 44 § 13 J. de act. 4, 6; dazu 0. B ü l o w , De praejudicialibus formulis, Bresl. Diss. 1860 und B e k k e r , Aktionen I S. 283 fg.) sondern auch in den Klagen auf Sicherungsstipulation oder auf Liberation. B ä h r , Anerkennung § 69 und Urteile S. 149fg.
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Unabhängig davon hat sich in der gemeinrechtlichen Praxis eine umfassendere Zulassung von Feststellungs- (oder Anerkennungs-) Klagen herausgebildet, freilich unter manchem Widerspruch und ohne zu einer festen Grundlage zu gelangen. Diese ist erst durch die Legalisierung der Praxis in der deutschen Civilprozefsordnung § 231 gewonnen6. Zur Dogmatik dieses wichtigen Glieds im System des heutigen Privatrechtsschutzes ist zu bemerken. 1. Gegenstand des Feststellungsprozesses können nur Rechtsverhältnisse sein, nicht blofse Thatsachen7, und zwar nur konkrete Rechtsverhältnisse, nicht abstrakte Rechtsfragen und Rechtsbegriffe 8, noch enger: nur die vor den ordentlichen Civilgerichten verfolgbaren, also regelmäfsig nur Privatrechtsverbältnisse. 2. Die CPO. verlangt ein rechtliches Interesse des Klägers an der alsbaldigen Feststellung. Das will besagen : Es mufs eine Rechtsbestreitung für die positive, eine Rechtsanmafsung für die negative Feststellungsklage vorliegen und zwar eine Rechtsanmafsung gegenüber dem Kläger 9 . Die Bedrohung mufs vom Beklagten verursacht sein, wenn auch nicht gerade schuldhaft und bei einer Obligatio nicht notwendig vom Schuldner 10. Es mufs daraus eine solche Unsicherheit der Rechtslage des Klägers hervorgehen, dafs die sofortige Beseitigung als Bedürfnis erscheint u . Endlich mufs die gerichtliche Feststellung geeignet sein, die Unsicherheit zu heben12. Sind diese Voraussetzungen ge6 CPO. § 231: „Auf Feststellung des Bestehns oder Nichtbestehns eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung der Unechtheit derselben kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dafs das Rechtsverhältnis oder die Echtheit oder Unechtheit der Urkunde durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde." Die Nachweise über die frühere Praxis stellt kurz zusammen B ä h r , Anerkennung § 69. Für das Bedürfnis der negativen Feststellungsklagen dienten die provocatio ex lege diffamari und die provocatio ex lege si contendat. W e t z e i l , Civ. Pzfs § 13 N. 21 fg. 7 Dafs hievon die hier nicht weiter zu erörternden Prozesse zur Feststellung der Echtheit oder Unechtheit einer Urkunde keine Ausnahme machen, zeigt B ä h r , Urteile S. 159fg.; beistimmend H e l l m a n n S. 107fg. 8 RGE. V I Nr. 119 S. 387 (wozu B ä h r , Urteile S. 160fg.) X V I I I Nr. 35 S. 172. 9 RGE. IV Nr. 103 S. 373 X X V I I Nr. 88 S. 345 Seuff. X L I 168 X L I I 186. 10 KKO. § 134 (die bestreitenden Konkursgläubiger) Seuff. X L I I 187 (zwei Forderungsansprecher) RGE. IV Nr. 32 S. 112 (Cessionar und Pfändungspfandgläubiger). B ä h r , Urteile S. 152. 11 Seuff. X L I I 185, 273 RGE. IV Nr. 103 S. 173 V I Nr. 123 S. 397. B ä h r a. a. O. S. 161. 13 RGE. X V I Nr. 96 S. 390 Seuff. X L I 167, dazu W a c h , Feststellungsanspruch S. 54 fg. Uiifallversicherungsgesetz § 63.
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geben, so kann auf Feststellung geklagt werden, auch wenn die Leistungsklage möglich ist 1 3 . Die Feststellungsklage entnimmt sonach ihren Grund dem Privatrecht und zwar die positive dem konkreten Privatrecht, die negative der durch die Rechtsanmafsung geschaffenen konkreten Privatrechtslage des Klägers gegenüber dem Beklagten, man kann sagen, der Freiheit des Klägers von dem angemafsten Recht. Die Feststellungsklage ist ein Privatrechtsmittel, kein blofses prozessualisches Gebilde w . 2.
Verteidigung gegen die Klage. § 192. a.
Exceptio u n d E i n r e d e * .
Die Verteidigung wird wesentlich durch die Begründung der Klage bestimmt, genauer durch die Behauptungen, die der Kläger in der Klage aufgestellt hat. Hinsichtlich der Klagsbehauptungen besteht ein durchgreifender Unterschied zwischen dem klassischen römischen Prozefs und dem heutigen Recht. Im römischen Prozefs bestand nach der regelmäfsigen Erscheinung die Klagbegründung in der Behauptung des Daseins eines Rechtsverhältnisses : rem actoris esse, reum dare oportere. Heutzutage müssen in der Klage die Thatsachen angeführt werden, aus denen das Klaggesuch als gerechtfertigt erscheint, z. B. Kläger habe dem Beklagten 1000 Mk. als Darlehn gegeben. Darum ist auch die Verteidigung im heutigen Prozefs von der im römischen verschieden. I. Gegenüber der intentio einer formula in jus concepta (siehe oben) konnte sich der Beklagte in folgender Weise verteidigen. 13 B ä h r S. 168 fg.; W a c h S. 61 fg. Noch engherzig RGE. IV Nr. 130 S. 437 X Nr. 136 S. 413; dagegen X X I Nr. 75 S. 382, 388 (Plenarurteil) X X I I I Nr. 81 S. 347. 14 H e l l m a n n a. a. 0. S. 114fg.; A. M. W a c h S. 27, 32, 47. * J. M. A l b r e c h t , Die Exceptionen des gemeinen deutschen Civilprozesses (1835); S a v i g n y V § 225—229 (1841); K r ü g e r , Prozessual. Konsumtion und Rechtskraft des Erkenntnisses (1864) S. 19 fg.; E i s e l e , Die materielle Grundlage der Exceptio (1871); E. Z i m m e r m a n n , Kritische Bemerkungen zu Eiseies (vorgenannter) Schrift (1872), wozu B r i n z Krit. VJSchr. XIV S. 206 fg. (vgl. auch S. 619) u. Pand. 2. A. § 105—108 (1873); B e k k e r , Die Aktionen I I S. 275 fg. (1873); B i r k m e y e r , Die Exceptionen im bonae fidei judicium (1874); L e n e l , Über Ursprung und Wirkung der Exceptionen (1876); T h o n , Rechtsnorm S. 261 fg. (1878) u. in Jher. Jahrb. X X V I I I Abh. 2 (1889); M i t t e i s ebenda S. 131 fg.; F i s c h e r , Recht und Rechtsschutz S. 94 fg. (1889).
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1. Er konnte eine Behauptung vorbringen, bei deren Richtigkeit das vom Kläger behauptete Rechtsverhältnis nach jus civile nicht bestand: er verneinte die intentio. Er konnte die Verneinung auf einen zweifachen Grund stützen: entweder auf eine Thatsache, bei deren Richtigkeit das vom Kläger behauptete Recht nach jus civile nicht entstanden war, z. B. er habe den Vertrag nicht geschlossen, er sei beim Abschlufs handlungsunfähig gewesen, (absolute Verneinung), oder auf eine Thatsache, bei deren Richtigkeit das vom Kläger behauptete Recht nach jus civile erloschen war, z. B. die Schuld sei bezahlt (relative Verneinung). Einer besondern Hervorhebung dieser Verteidigungsgründe in der formula bedurfte es nicht, denn der Judex war allgemein angewiesen freizusprechen, wenn die in der intentio enthaltene Rechtsbehauptung sich als unrichtig erwies: si non paret (sc. rem actoris esse, reum dare oportere) absolve. Solche Verteidigung wirkte ipso jure. 2. Der Beklagte konnte einen Umstand anführen und auf Grund desselben den Prätor um Schutz gegen Verurteilung ersuchen, der zwar im jus civile als rechtzerstörend nicht anerkannt war, aber die Verurteilung als unbillig erscheinen liefs (Gai. IV 116). Die Prätoren hatten mehr und mehr solchen Verteidigungsgründen Erheblichkeit beigelegt, um die Billigkeit oder besser das fortgeschrittene Rechtsbewufstsein gegenüber dem alten starren Recht zur Geltung zu bringen. Im einzelnen Fall gestaltete sich dies so, dafs der Prätor die Erteilung der formula versagte, wenn der Kläger die thatsächliche Richtigkeit des Verteidigungsgrunds einräumte (actio denegatur), während er im Bestreitungsfall den Judex durch einen besonderen Zusatz in der formula anwies, bei Erwahning des Verteidigungsgrunds den Beklagten freizusprechen. Weil ein solcher Formelbestandteil eine Ausnahme von der Regel begründete, dafs der Beklagte zu verurteilen ist, wenn die intentio auf Wahrheit beruht, so hiefs er exceptio. Doch wurde auch der Verteidigungsgrund selbst exceptio genannt, obwohl genauer gesprochen er nur ope exceptionis wirkte 1 . II. Den heutigen Klaggrund bilden Thatsachen und zwar diejenigen Thatsachen, die der Kläger anführen mufs, damit der Klaganspruch prozessualisch als gerechtfertigt erscheint. Dazu gehören nicht alle Thatsachen, die in ihrer Gesamtheit das dem Klagsanspruch 1
Gai. IV 116—119 L. 2 pr. de exc. 44, 1. In ähnlicher Weise konnte sich der Kläger gegenüber einer exceptio auf einen solchen besondern Verteidigungsgrund berufen, so dafs es möglicherweise zu einer exceptio gegen die exceptio, d. h. zu einer replicatio kam. Selbst gegen die replicatio war eine ähnliche Berufung möglich, die zu einer duplicatio führen konnte u. s. w. Gai. IV 126—129.
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zu Grunde liegende Rechtsverhältnis begründen, sondern nur diejenigen, bei deren Vorhandensein das Rechtsverhältnis nach dem regelmäfsigen Gang der Dinge entstanden ist. Nur diese Thatsachen bilden den heutigen Klaggrund. Diesem Klaggrund gegenüber ist folgende thatsächliche Verteidigung möglich. 1. Der Beklagte bestreitet die Wahrheit einer zum Klaggrund gehörigen Thatsache. Das ist Klagsableugnung, auch verneinende Streiteinlassung und noch weniger passend negative Litiskontestation genannt. 2. Er beruft sieh auf einen Umstand, der ihn vor Verurteilung schützt, trotzdem dafs er damit nicht eine Klagthatsache verneint. Der Beklagte kann zur Geltung bringen: ein besonderes Hindernis für die Entstehung des Klaganspruchs (z. B. Handlungsunfähigkeit einer Partei bei Abschlufs des Vertrags, Stundung der Schuld) oder eine Thatsache, vermöge deren das klägerische Recht aufgehoben ist (z. B. Zahlung) oder ein Recht, wodurch er entweder die Aufhebung des klägerischen Rechts herbeiführt (Anfechtungsgrund, Gegenforderung) oder die Verwirklichung des klägerischen Anspruchs hemmt (z. B. ein Rückbehaltungsrecht). Eine solche Verteidigung heifst E i n r e d e . HI. Es ist sofort klar, dafs sich die römische Exceptio und die heutige Einrede begrifflich nicht decken. So manche Verteidigung ist Einrede, die niemals den Inhalt einer exceptio bildete z. B. die Behauptung der Zahlung. Es liegt die Frage nahe, ob die römische exceptio neben der heutigen Einrede noch ein praktischer Begriff ist. Als prozessualisches Gebilde ist sie mit dem Formularprozefs untergegangen. Aber es wäre denkbar, dafs ihr ein materieller Gehalt eigen sei, der unabhängig von der Form noch im heutigen Recht besteht. In der That wird dies behauptet. Man sagt: Der Exceptionsgrund hebe das gegenüberstehende Recht nicht auf sondern begründe nur ein Gegenrecht des Beklagten zur Abwehr der Klage2. Eine nähere Betrachtung lehrt, dafs die Behauptung in der Allgemeinheit unhaltbar ist. 1. Eine Anzahl von Verteidigungsgründen wirkte bei den Römern deshalb nur ope exceptionis, weil sie ihre Erheblichkeit dem jus honorarium verdankten z. B. das pactum de non petendo (Gai. IV 116b). Für uns gelten alle römischen Rechtssätze kraft der Reception. Selbst 2
Ausführlich begründet von S a v i g n y a. a. 0., dem die Mehrzahl der Neueren folgt, wenn auch mit Abweichung im einzelnen. W i n d s c h e i d § 4 7 ; D e r n b u r g I § 137.
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angenommen, dafs Exceptionen nur auf Parteiantrag in die formula Aufnahme fanden, was keineswegs sicher ist (§ 174 N. 20), so fehlt doch für uns jeder Grund z. B. zu dem Rechtssatz, der formlose Erlafsvertrag hebt nicht das Forderungsrecht auf sondern erzeugt nur ein Gegenrecht des Schuldners3. 2. Einige civilrechtliche Gesetze hatten die Wirksamkeit des von ihnen eingeführten Verteidigungsgrunds in das Ermessen des Prätors gestellt; er sollte nach Befund exceptio erteilen oder verweigern können. So die lex Cincia, das SCm. Macedonianum, Velleianum u. a. Diese freie Stellung kommt dem heutigen Richter nicht zu. Damit ist auch dieser Anlals zu einer exceptio weggefallen. 3. In einer beschränkten Zahl von Fällen beruhte die exceptio auf einem materiellen Anfechtungs- oder Hemmungsrecht des Beklagten : exceptio doli specialis, metus, redhibitionis, die exceptio doli generalis auf Grund einer Gegenforderung oder eines Retentionsrechts4 u. a. Für diese Gruppe allein trifft der oben angegebene materielle Begriff zu. Es ist nun eine Frage der Zweckmäfsigkeit, ob für diesen beschränkten Kreis von Einreden die Bezeichnung exceptio beizubehalten ist 5 . Die Frage dürfte zu verneinen sein. Die Beibehaltung des römischen Ausdrucks legt die Gefahr nahe, dafs das, was von der Exceptio im neueren Sinn gilt, auf alle Verteidigungsgründe erstreckt wird, die bei den Römern im Gewand der Exceptio auftraten; die Behandlung der exc. rei judicatae (Note 4) giebt ein warnendes Beispiel. Es ist auch die Bezeichnung entbehrlich (Ziff. IV 3). IV. Die Einteilung der Einreden. 1. Die Römer unterschieden exceptiones dilatoriae (temporales) und peremtoriae (perpetuae), je nachdem der Verteidigungsgrund der klägerischen Rechtsverfolgung nur vorübergehend entgegenstand (z. B. exc. pacti de non petendo intra quinquennium) oder für immer (exc. 3 Mit historischen Verhältnissen hing zusammen, dafs Litiskontestation und Urteil in gewissen Prozessen ipso jure wirkten, bei den andern ope exceptionis. K e l l e r , Röm. Civpz. § 60 N. 711 § 71 N. 844. 4 Nicht die gesamte exc. doli generalis, nicht die exc. rei judicatae (Note 3). Die entgegengesetzte Auffassung hat die üble Behauptung verschuldet, dafs auf die Wirkung der Rechtskraft verzichtet werden kann. Dagegen Ko h l er, Prozefsr. Forschungen S. 89 fg. 6 Nur in dieser Beschränkung wollen B i r k m e y e r a. a. O. S. 297 fg. und K o h l er a. a. 0. S. 94 im heutigen Recht von exceptio gesprochen wissen. Völlig brechen mit der exceptio A l b r e c h t , K r ü g e r , E i s e l e , Z i m m e r m a n n , B r i n z , B e k k e r , L e n e l , T h o n , F i s c h e r , übrigens aus verschiedenen Gründen.
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rei judicatae, doli specialis)6. Die Einteilung pafst auch auf die Einreden. 2. In den Quellen begegnet die Unterscheidung von exceptiones rei und personae cohaerentes7. Es liegt dabei die Vorstellung zu Grunde, dafs ein Teil der Exceptionen auf einem Mangel des Rechtsverhältnisses beruht, ein andrer nicht. Man folgerte hieraus, dafs nur jene Exceptionen von jedem gebraucht werden können, der aus dem Rechtsverhältnis verklagt wird, auch vom Bürgen, Pfandbesitzer u. s. w. Allein diese Folgerung bewährt sich im einzelnen so wenig (z. B. L. 32 de pact. 2, 14 L. 9 § 3 ad SC. Mac. 14, 6), dafs man schon eine weitere Unterscheidung innerhalb der exc. rei cohaer. aufgestellt hat. Die Einteilung entbehrt des praktischen Werts. Man unterscheidet ferner exceptiones in rem und in personam, je nachdem die Exceptio jedem entgegengesetzt werden kann, der aus einem gewissen Rechtsverhältnis klagbar auftritt, oder nur bestimmten Personen. 3. Aus dem Verhältnis des Einreclegrunds zum Klaganspruch ergiebt sich folgender Unterschied. Ein Teil der Einreden verneint den Klaganspruch : die Einrede der Zahlung, des Erlasses, des Mangels eines Essentiale beim Abschlufs des Rechtsgeschäfts u. ä., ferner der Stundung, der abgeurteilten Sache, der Miete, Pacht des Niefsbrauchs, Pfandrechts gegenüber dem Eigentumsanspruch u. ä. Wenn sich dagegen der Beklagte auf einen Anfechtungsgrund beruft (z. B. Zwang, Betrug, Redhibition, Inoffiziosität), oder wenn er eine Gegenforderung oder ein Rückbehaltungsrecht geltend macht, so setzt er ein Gegenrecht in Bewegung, um den Klaganspruch zu vernichten oder zu lähmen. Man hat passend für diesen Gegensatz die Bezeichnung r e c h t s v e r n e i n e n d e und rechts v e r f o l g e n d e Einreden vorgeschlagen8. Praktisch macht sich der Unterschied in Folgendem geltend. a. Nur bei der verneinenden Einrede darf und mufs der Richter die Klage abweisen, sobald sich der Grund der Einrede aus dem Parteivorbringen ergiebt, ohne dafs der Beklagte die Abweisung auf ö Gai. IV 120—125 § 8—11 J. de except. 4, 13. B ü l o w , Prozefseinreden S. 263 fg. 7 Paul. L. 7 de exc. 44, 1 bei Untersuchung der Frage, welcher Exceptionen des Hauptschuldners sich der Bürge bedienen könne. M i t te is Jher. Jahrb. X X V I I I S. 141 fg. 8 T h o n in den oben Note * angeführten Abhandlungen; ihm ist die Klarstellung des Gegensatzes zu danken.
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Grund dieser Einrede beantragt hat. Die. richterliche Berücksichtigung der rechtsverfolgenden Einrede setzt die Berufung des Beklagten auf das Gegenrecht voraus (RGE. I I Nr. 21 S. 74). Dort ist nur das Angeführtsein der Thatsachen erforderlich, hier eine Rechtsausübung des Beklagten. b. Nur auf die rechtsverfolgenden Einreden ist Verzicht möglich, nicht auf die rechtsverneinenden. V. Es gab bei den Römern eine exceptio des allgemeinen Inhalts, dafs sich der Kläger durch seine gegenwärtige Rechtsverfolgung mit Treu und Glauben in Widerspruch setze. Das war die exc. doli generalis seu doli praesentis9. Durch die Aufnahme in die formula wurde dem Beklagten die Möglichkeit eröffnet, vor dem Judex jeden besondern Exceptionsgrund zur Geltung zu bringen (L. 2 § 5 de doli m. exc. 44, 4), aber auch eine sonstige Bemänglung des Klaganspruchs, indem die Frage, ob sich die klägerische Rechtsverfolgung als dolos darstellt, in das Ermessen des Judex gestellt war 1 0 . In der prozessualischen Bedeutung ist die exc. doli gen. für uns weggefallen. Dagegen ist der materielle Begriff in unser Recht übergegangen, dafs eine Rechtsverfolgung unzulässig ist, die mit den Grundsätzen von Treu und Glauben in Widerspruch steht. Ein so allgemeiner Rechtssatz ist allerdings nicht ohne Bedenken, da er dem richterlichen Ermessen einen ungewöhnlich freien Spielraum einräumt. Allein eine Rechtsprechung, die mit dem lebendigen Rechtsbewufstsein des Volks in Einklang bleiben will, kann seiner nicht entraten 11. Bewufste Rechtswidrigkeit des Klägers ist kein Erfordernis (L. 36 V. 0. 45, 1). Man kann diese Verteidigung Einrede der anstöfsigen Rechtsverfolgung nennen. Sie ist eine verneinende Einrede. 9
Uber den Gegensatz zur exc. doli specialis Gai. IV 119. L. 1 § 1 L. 12 de doli m. exc. 44, 4. Zahlreiche Beispiele im ganzen corpus jur. civ., insbesondere im angeführten Titel. Über die Entwicklung dieser exceptio P e r n i c e , Labeo I I S. 112 fg. 11 Gut handelt hierüber B i r k m e y e r a. a. 0. S. 304 fg. Vgl. auch B ä h r , Verhandl. des XX. deutsch. Jur.-Tags I S. 299 ; schon früher hat sich dafür erklärt K i e r u l f f S. 182, neuerdings D e r n b u r g I § 138 a. E. Aus der Praxis: Seuff. X V I 208 XXIV 36, ROHG. I I Nr. 52 S. 229 IV Nr. 80 S. 392, etwas zurückhaltender Seuff. X X I X 17 (ROHG.). Bestimmt dagegen R ö m e r , Z. f. HR. XX S. 53, aber auch S. 60, 82; B r i n z 2. A. § 10S a. E. 10
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§ 193. b.
Das Zurückbehaltungsrecht * .
Im Weg der Verteidigung wird auch das Zurückbehaltungs- oder Retentionsrecht geltend gemacht1. Es besteht in der Befugnis einer Person, eine Leistung, zu der sie verpflichtet ist, dem Berechtigten so lange vorzuenthalten, bis dieser einer ihm gegen den Zurückbehaltenden obliegenden Leistungspflicht mindestens Zug um Zug genüge thut. In der Zurückbehaltung liegt eine Sicherung des Berechtigten und ein mittelbarer Zwang zur Befriedigung. Die Anwendungsfälle sind sehr mannigfaltig 2. Das Gemeinsame beschränkt sich auf folgende Grundzüge. 1. Voraussetzungen sind: 1. ein klagbarer dinglicher oder obligatorischer Anspruch auf diejenige Leistung, welche den Gegenstand der Zurückbehaltung bildet (Hauptanspruch). Dafs er auf Herausgabe einer dem Beklagten nicht gehörigen Sache geht, ist nur die Regel; er darf aber nicht blofs präparatorisch sein (Seuff. XLVII 177). 2. ein nicht kompensationsfähiger Anspruch des Beklagten, der weder klagbar noch unbestritten sein mufs, wohl aber fällig, weil mit * S c h e n c k , Die Lehre vom Retentionsrecht (1837); G r o f s k o p f , Zur Lehre vom Retentionsrecht (1858); G o l d s c h m i d t , Handb. des Handelsr. § 93—95 (1868); L an g fei d, Die Lehre vom Retentionsrecht (1886); B e k k e r , Jher. Jahrb. X X X S. 267 fg. (1891). Über die Entwicklung im röm. Recht P e r n i c e , Labeo I I S. 121 fg. 1 Zurückbehaltungsrecht ist die Bezeichnung in den neueren Reichsgesetzen. HGB. Art. 313 fg. StGB. § 289. KKO. § 12, 41. 2 Ein gesetzliches Zurückbehaltungsrecht steht zu gegenüber dem Anspruch a) auf Herausgabe einer Sache wegen Ersatzes der Verwendungen (L. 23 § 4 R. V. 6, 1 L. 14 de doli exc. 44, 4) oder des durch die Sache verursachten Schadens (L. 11 de nox. act. 9, 4 L. 7 § 1 de damno inf. 39, 2); b) aus einem gegenseitigen Vertrag auf Erfüllung wegen des Anspruchs auf die Gegenleistung (L. 13 § 8 AEV. 19, 1; diesen Fall will L a b a n d Civ. Arch. L X X I I I S. 191 aus dem Zurückbehaltungsrecht ausweisen, dagegen L a n g f e l d S. 51 fg.); c) auf Rückgabe des aus einem ungültigen Rechtsgeschäft Erlangten wegen des gleichen Anspruchs auf das vom Gegner Empfangene (L. 26 § 4 de cond. indeb. 12, 6 L. 23 § 7, 8 L . 29 § 3 L. 31 de aed. ed. 21, 1); d) auf Leistung wegen des Anspruchs auf Sicherstellung gegen die mit der Leistung verknüpfte Gefahr (L. 9 § 1 L. 15 ad exhib. 10, 4 L. 18 § 1 de peric. et comm. 18, 6); e) auf Herausgabe der vom Pfand gelösten Sache wegen anderer dem Pfandgläubiger gegen den Verpfänder zustehenden Forderungen (C. un. etiam ob chirogr. 8, 26 [27]). Das Zurückbehaltungsrecht kann auch freiwillig eingeräumt werden. RGE. X V I Nr. 38 S. 171 XX Nr. 31 S. 135.
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Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
der Zurückbehaltung ein Zwang zur Befriedigung geübt wird; indes besteht davon eine Ausnahme im Konkurs des Zurückbehaltungsgegners 3. 3. Das Zurückbehaltungsrecht beruht auf einer Erwägung der Billigkeit. Dafs aber der Kläger sich gleichzeitig seiner Verbindlichkeit gegen den Beklagten entledige, ist nur dann ein billiges Verlangen, wenn zwischen den beiden Ansprüchen ein sachlicher Zusammenhang (Konnexität) bestehtDies bildet mithin ein weiteres Erfordernis. Es liegt vor, wenn entweder beide Ansprüche aus demselben Rechtsverhältnisse herrühren 5, oder wenn der Gegenanspruch durch den Gegenstand des Hauptanspruchs unmittelbar oder mittelbar hervorgerufen worden ist 6 , oder wenn er zur Sicherung gegen die Gefahr dient, die mit der Erfüllung des Hauptanspruchs für den Beklagten verbunden ist. Nur für das Recht des Pfandgläubigers (Note 1 lit. e) und für das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht (HGB. Art. 313 fg.) wird Konnexität nicht gefordert. II. Das Zurückbehaltungsrecht als solches ist nicht mit einem dinglichen Rechtsmittel bewehrt, wodurch sich der Berechtigte die aus seinem Besitz gekommene Sache wieder verschaffen könnte. Nach der Praxis hat er aber eine Besitzklage wegen eigenmächtiger Besitzentziehung (actio spolii) 7 . Durch diesen unvollkommenen Rechtsschutz und durch den Mangel der Befugnis zum Verkauf der zurückbehaltenen Sache unterscheidet sich das ZBR. von dem Faustpfandrecht, mit dem es sonst Verwandtschaft hat. Das kaufmännische ZBRecht giebt die Verkaufsbefugnis (HGB. Art. 315) und stellt sich dadurch als ein unmittelbares Befriedigungsmittel dar. III. Ob das ZBRecht im Konkurs des Gegners ausgeübt werden kann, ist nach gemeinem Recht bestritten. Die bejahende Ansicht stützt sich wesentlich und mit gutem Grund darauf, dafs materielle Rechte, wozu das ZBRecht gehört, der Regel nach durch den Konkurs nicht zerstört werden und dafs ein stichhaltiger Grund für eine Aus3
Unter Umständen auch bei dem Gegenanspruch auf Sicherheitsleistung (§ 189 C. 2). L a n g f e l d S. 69. 4 Das Erfordernis des sachlichen Zusammenhangs läfst sich schwer in eine allgemeine Formel fassen. Aber das berechtigt nicht, das Erfordernis preiszugeben, wie W i n d s c h e i d § 351 N. 9 und L a n g f e l d S. 97 fg. thun. Vgl. B ä h r , Krit. VJSchr. X X V I I I S. 414. 6 Fälle in Note 1 lit. b u. c, dann Seuff. X X I I I 70 X L 270 X L I I I 90 (RG.) RGE. XIV Nr. 57 S. 233. 6 Fälle in Note 1 lit. a und Seuff. XXIV 105 X X X I 7. RGE. X X I I Nr. 44 S. 218. 7 B r u n s , Besitzklagen S. 239; B ä h r Jher. Jahrb. X X V I S. 288.
Der Rechtsschutz.
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nähme beim ZBRecht nicht erfindlich ist 8 . Die Streitfrage hat nur noch für unbewegliche Sachen Bedeutung. Die Wirkung des ZBRechts an beweglichen Sachen ist durch die RKonkursordnung § 41 (vgl. § 39 Abs. 2) geregelt. Danach sind einige Fälle des ZBRechts für den Konkurs mit den Wirkungen eines Faustpfandrechts (Absonderungsrecht) bekleidet, alle andern einschliefslich des vertragsmäfsig begründeten (RGE. XX Nr. 31 S. 135) wirkungslos 9.
§ 194. 3. Die Einwirkung der Prozefseröffnung auf das materielle Rechtsverhältnis *. I. Es ist eine Forderung ebensosehr der öffentlichen Ordnung als des Interesses der Parteien, dafs ein Anspruch, über den ein Prozefs im Gang ist, nicht zum Gegenstand eines zweiten Prozesses gemacht werden kann. Diese Forderung ist schon im älteren römischen Recht zum praktischen Ausdruck gelängt, aber in einer von der Verwirklichung in den spätem Rechten völlig abweichenden Weise. 1. Für den Legisaktionenprozefs wie für das Formularverfahren galt der Rechtssatz: durch die Prozelseröffnung, die Litiskontestation, wird der materielle Klaganspruch, die actio, vernichtet (Gai. IV 106—108). Das war eine grobsinnliche Lösung des Problems: bis de eadem re ne sit actio, sie verbürgte allerdings die Erreichung des Ziels, aber nicht ohne schwere Nachteile. Die schlimmste Folge, die sofortige Befreiung des Beklagten, wurde jedoch durch den weiteren Satz ausgeschlossen, dafs die Prozefseröffnung eine neue Gebundenheit des Beklagten gegenüber dem Kläger erzeugt. Dieses neue Rechtsverhältnis entnahm seinen materiellen Gehalt dem eingeklagten Rechtsverhältnis und hatte, weil dieses durch die Bestreitung unsicher ge8 G o l d s c h m i d t a. a. 0. S. 993; L a n g f e l d S. 138 fg. Über die Geltendmachung des ZBRechts bei Pfändung der Sache R i e h l , Uber die materiellrechtlichen Voraussetzungen des Pfandungspfandrechts S. 50 fg. 9 Die anerkannten sind das ZBRecht wegen Verwendungen (mit näherer Begrenzung in § 41 Ziff. 3, 6, 7) und das kaufmännische ZBRecht. In anderer Weise hat das als exceptio non adimpleti contractus bekannte ZBRecht Anerkennung gefunden. KKO. § 15, 52 Ziff. 2. * K e l l e r , Über Litiskontestation und Urteil (1827); W ä c h t e r , Erörterungen aus dem röm., deutsch, u. württ. Privatr. Heft I I I S. 1—134 (1846); B u c h k a , Die Lehre vom Einflufs des Prozesses auf das mater. Rechtsverhältnis, 2 Bde. (1846, 1847); S a v i g n y V I § 256—279 (1847); W i n d s c h e i d , Die Aktio des röm. Civilr. § 8, 9 (1856).
B i n d i n g , Handbocb. I. 7. 1: R e g e l s b e r g e r , Pand. L
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worden war, nur einen bedingten erst durch das Urteil zu entscheidenden Bestand (Gai. I I I 180). Die Prozefseröffnung wirkte demnach zugleich zerstörend (sog. prozessualische Konsumtion) und begründend und erinnert darin an den obligatorischen Vertrag der Novation1. 2. Dieses einerseits gewaltsame, andrerseits gekünstelte System hat mit dem Untergang des Formularprozesses den Boden verloren. Nicht das war Bedürfnis, dafs ein bei einem Gericht angebrachter Anspruch unter keinen Umständen noch einmal angebracht werden kann, sondern nur, dafs nicht nebeneinander mehrere Prozesse über denselben Anspruch anhängig gemacht werden können. Dieses Ziel läfst sich ohne die Annahme einer Veränderung im materiellen Verhältnis durch ein einfaches prozessualisches Verbot erreichen. Dies ist der Standpunkt des spätem römischen Rechts, des italienischkanonischen wie des gemeinen deutschen und des heutigen Reichsprozesses. An die Stelle der Anspruchskonsumtion ist die ausschliefsende Kraft der Rechtshängigkeit (Litispendenz) getreten, an die Stelle der exceptio rei in judicium deductae die sogenannte exceptio litis pendentis2. Nun wurde auch die Wirkung nicht mehr an die Litiskontestation geknüpft, sondern an die Mitteilung der Klagschrift an den Beklagten behufs Einleitung des Rechtsstreits. Die RCPO. bestimmt ausdrücklich: durch die Erhebung der Klage wird die Rechtshängigkeit begründet 3. II. Die Wirkung der Streithängigkeit liegt ausschliefslich auf dem Gebiet des Prozesses. An die Prozefseröffnung sind aber auch privatrechtliche Wirkungen geknüpft. Sie gehn zum Teil auf folgende Erwägung zurück. Die Fällung des Urteils ist durch vorgängige Feststellung des Rechtsverhältnisses bedingt, die in der Regel einige Zeit beanspruchen wird. Unter dieser Verzögerung soll keine Partei gewinnen oder verlieren. Die Entscheidung soll daher möglichst den Erfolg herstellen, als ob sie im Zeitpunkt der Prozefseröffnung gefällt worden wäre. Nur darf dies nicht zur Unbilligkeit gegen einen Beklagten führen, der im guten Glauben an sein Recht streitet. Hieraus erklären sich die folgenden drei ersten Wirkungen. 1
Über die Zusammenstellung von Litiskontestation und Novation in den Quellen giebt Belege K e l l e r Röm. Civpz. § 60. Die Neueren nennen die Litiskontestation geradezu eine novatio necessaria, wogegen mit Recht B r i n z 2. A. § 95. 2 § 10 J. de exc. 4, 13 L. 30 de judic. 5, 1 C. 12 § 2 de judic. 3, 1. Über den Entwicklungsgang P l a n c k , Mehrheit der Rechtsstreitigkeiten S. 3—24, 282 —302, 543—547 u. Lehrb. des Civpz. I § 53. 8 CPO. § 235 mit 230/460, 461, 633. Dazu B ü l o w , Civ. Arch. L X I I S. 11 bis 27 und K o h l er, Der Prozefs als Rechtsverh. S. 35 fg., abweichend B i r k m e y e r , Civ. Arch. L X V I Abh. 2.
Der Rechtsschutz.
Die gerichtliche Durchführung der Rechte.
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1. Es kommt dem Kläger für den gegenwärtigen Prozefs nicht zu gute, wenn sich eine von den Thatsachen, die den Erwerb des von ihm geltend gemachten Rechts begründen, erst im Lauf des Prozesses einstellt; denn das Recht, wie er es behauptet hat, bildet den Kern des Streits. Dagegen genügt für die übrigen Voraussetzungen des Klaganspruchs das Vorhandensein im Zeitpunkt der Urteilsfällung z. B. für Besitz der streitigen Sache, Fälligkeit, Erfüllung der Bedingung4. 2. Wird das klagbar geltend gemachte Recht im Lauf des Prozesses hinfällig, so erfolgt die Freisprechung des Beklagten, es müfste denn der Grund der Erlöschung derart sein, dafs der Beklagte dafür einzustehn hat, z. B. wenn von ihm der Untergang der Sache schuldhaft herbeigeführt worden ist. 3. Der siegreiche Kläger erhält zugesprochen, was er haben würde, wenn die Befriedigung schon zur Zeit der Prozefseröffnung erfolgt wäre (§ 2, 3 J. de offic. jud. 4, 17): die Früchte der streitigen Sache, jeden sonstigen von ihr gebotenen Gewinn 5 , bei schuldigen Geldsummen Zinsen für die Zeit des Prozesses, sogenannte Prozefszinsen6. Diese Folge trifft selbst den in redlicher Überzeugung streitenden Beklagten, nicht weil er durch die Prozefseröffnung von seinem Unrecht überzeugt werden sondern weil er sich jetzt schon rüsten mufs, für den Fall des ihm ungünstigen Ausgangs des Prozesses dem Kläger voll gerecht zu werden 7. Für den Untergang oder die Beschädigung der streitigen Sache oder des Zuwachses 4
Anerkannt a) für das Dasein des Rechts L. 7 § 7 ad exhib. 10, 4 L. 11 § 4, 5 de exc. rei jud. 44, 2; b) für das Dasein der sonstigen Voraussetzungen L. 18 § 1 Η. Ρ. 5, 3 L. 27 § 1 R. V. 6, 1 L. 7 § 7 ad exh. 10, 4 L. 30 pr. de pecul. 15, 1. Über L. 17 mand. 17, 1 siehe S a v i g n y V I S. 68. Vgl. RGE. V I I I Nr. 124 S. 415 mit Nachweisen (Fälligkeit) I Nr. 153 S. 425 (Bedingungseintritt). Den im Text geschilderten Gegensatz bezeichnet S a v i g n y : rechtliche und faktische Voraussetzungen der Verurteilung; B ä h r , Urteile S. 153: Thatsachen, welche das Recht begründen, und Thatsachen, welche die Verletzung des Rechts darthun; wieder anders W i n d s c h e i d § 128 Nr. 2 und D e r n b u r g I § 154 Nr. 1. 5 L. 27 pr. H. P. 5, 3 L. 17 § 1 L. 20 L. 33—35 § 1 L. 62 R. V. 6, 1 L. 7 § 6 si ususfr. 7, 6. 6 L. 34 de usur. 22, 1; S a v i g n y V I § 268—271. Dafs die Zinsen nur im Fall des Verzugs zuerkannt werden ( W ä c h t e r , Erört. I I S. 54), verwirft eine gleichförmige Praxis. Seuff. X X X I X 310 u. Nachw. RGE. I Nr. 46 S. 177. 7 C. 10 i. f. de poss. 7, 32. In den Quellen findet sich allerdings der Ausspruch, dafs der Beklagte mit der Prozefseröffnung aufhöre, gutgläubiger Besitzer zu sein. Das widerspricht der Erfahrung. Nicht einmal das ist richtig, dafs jeder Beklagte von der Prozefseröffnung an wie ein unredlicher Besitzer behandelt werde. L. 40 pr. II. P. 5, 3 L. 63 R. J. 50, 17. Der Ausspruch beruht auf einer ungenauen Beobachtung. S a v i g n y § 264; Seuff. XV 4 X X X I I 186. 44*
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Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
(Früchte u. s. w.) während des Prozesses haftet der redliche Besitzer, wenn ihn wegen des Ereignisses eine Schuld trifft, der unredliche auch für den zufälligen Schaden, er müfste denn beweisen können, dafs der Nachteil dem Kläger auch bei rechtzeitiger Herausgabe erwachsen wäre 8 . 4. Der Prozefsbeginn unterbricht die Verjährung des Anspruchs (§ 184 I 1). 5. Ansprüche, die nicht wegen des Gegenstands sondern wegen des Zwecks unvererblich sind (§ 53 II, I I I ) 9 , werden vererblich, was mit der altrömischen Vorstellung von der Verwandlung der Ansprüche (Ziff. I) zusammenhängt. 6. Um eine Prozefspartei vor den Nachteilen zu schützen, die für sie aus einem Wechsel in der Person des Gegners erwachsen können, hat das neueste römische Recht dem Kläger verboten, den im Streit befindlichen Anspruch ohne Zustimmung des Beklagten an einen Andern abzutreten, und dem Beklagten, die im Streit befangene Sache (res litigiosa) ohne Zustimmung des Klägers zu veräufsern 1 0 . Schon in der gemeinrechtlichen Praxis war vielfach die Ansicht vertreten, dafs das römische Veräufserungsverbot in Deutschland nicht gelte und durch einen Rechtssatz ersetzt sei, wonach das gegen den Veräufserer gefällte Urteil gegen den Erwerber des streitigen Anspruchs oder Gegenstands wirke und vollstreckt werden könne 11 . Auf diesem Standpunkt steht die CPO. (§ 236, 665). Die Streitbefangenheit im Sinne der CPO. wird durch jede gegen eine bestimmte Sache gerichtete dingliche Rechtsverfolgung begründet. Auch ist der Begriff Veräufserung im weiteren die dingliche Belastung einschliefsenden Sinn zu nehmen. Alle diese Wirkungen treten nach CPO. § 239 mit der Erhebung der Klage (Note 3) ein. 8 § 2 i. f. J. de offic. jud. 4, 17 L. 27 pr. L. 40 pr. H. P. 5, 3 L. 15 § 1 L. 33, 36 § 1 L. 51, 62 § 1 R. V. 6, 1. W i n d s c h e i d § 124 N. 6. 9 § 1 J. de perp. act. 4, 12 L. 139 pr. R. J. 50, 17. Seuff. IX 164 XIX 111. 10 C. 2, 5 [4] de litig. 8, 36 [37] Nov. 112 c. 1. S c h r ö d e r , Veräufserungsverbote S. 85 fg., aber auch W ä c h t e r P. I § 110 Beil. Ziff. III. 11 Über diese Wandlung handelt gut A. S c h u l t z e (Breslau), Die Vollstreckbarkeit der Schuldtitel für und gegen die Rechtsnachfolger (1891) § 6 fg.
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Die gerichtliche Durchführung der Rechte.
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§ 195.
4. Der Beweis *. I. Die thatsächliche Grundlage für die richterliche Entscheidung eines Rechtsstreits haben die Parteien zu beschaffen (§ 83 II). Zu diesem Behuf ist jeder Partei Gelegenheit gegeben, die für sie dienlichen thatsächlichen Behauptungen vorzubringen und die vom Gegner vorgebrachten zu bestreiten (Grundsatz des beiderseitigen Gehörs). Eine Pflicht, von dieser Gelegenheit Gebrauch zu machen, besteht nicht; aber die Benützung liegt im Interesse jeder Partei, indem im Urteil das nicht Vorgebrachte nicht berücksichtigt, das nicht Bestrittene in der Regel als wahr zu Grunde gelegt wird. Damit der Richter auf eine angeführte Thatsache sein Urteil gründe, mufs sie ihm als gewifs erscheinen. Jedoch wird im Prozefs nicht absolute Gewifsheit gefordert. Zur Prozefsgewifsheit genügt schon, dafs die von einer Partei vorgebrachte Thatsache vom Gegner nicht widersprochen ist. Es giebt Thatsachen, die selbst durch den Widerspruch nicht prozefsungewiis werden, das sind die dem Gericht bekannten, die sogenannten notorischen Thatsachen. Wenn aber Thatsachen ungewifs sind, so fällt wieder der Parteithätigkeit zu, den Richter von der Wahrheit zu überzeugen. Die hierauf gerichtete Parteithätigkeit heifst Beweisen, Beweisführung, Beweis, ein Ausdruck, der auch für das Ergebnis der Beweisführung gebraucht wird. Auch das Beweisverfahren entfesselt einen Kampf unter den Parteien, die eine sucht dem Richter die Gründe für die Wahrheit, die andere die Gründe für die Unwahrheit einer thatsächlichen Behauptung darzulegen (Haupt- und Gegenbeweis). II. Es giebt keine Beweispflicht, denn eine Partei schädigt sich nur selbst, wenn sie sich am Beweisen nicht beteiligt. Es giebt aber eine B e w e i s l a s t , onus probandi, wofür zuweilen Beweispflicht gebraucht wird (z. B. CPO. § 412). Jede beweisbedürftige thatsächliche Behauptung fällt nämlich einer Partei zum Beweis zu. Gelingt ihr der Beweis nicht, so wird schon darum im Erkenntnis zu ihrem Nachteil die thatsächliche Behauptung als nichtwahr behandelt ohne Rücksicht darauf, ob der Gegner den Beweis der Unwahrheit auch nur versucht, ge* Tit. de probationibus Dig. 22, 3 Cod. 4, 19; H e u s l e r , Civ. Arch. L X I I Abh. 6 (1879); W e n d t ebenda L X I I I Abh. 11 (1880); F i t t i n g , Die Grundlagen der Beweislast (1888, Sonderabdruck aus der Zeitschrift für Civilprozefs); R e i n h o l d , Die Lehre von dem Klaggrund, den Einreden und der Beweislast (1888).
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Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
schweige denn erbracht hat. Dies drückt in ungenauer Fassung der Satz aus: actore non probante reus absolvitur. Dieses Verfahren ist geboten, weil der Richter die Entscheidung nicht aus dem Grund versagen darf, dafs er sich weder von der Wahrheit noch von der Unwahrheit einer Behauptung habe überzeugen können (CPO. § 259). Nun ist die Erbringung des Beweises oft schwer, mancher Anspruch scheitert in der gerichtlichen Durchführung am Mangel nicht des Rechts sondern des Beweises. Daher entscheidet zuweilen die Verteilung der Beweislast über das Schicksal des Prozesses 1 . Die Beweislast bestimmt sich nach Rechtsregeln. Darüber darf der Umstand nicht täuschen, dafs viele der Regeln nur wiedergeben, was aus der Natur der Sache, aus der Erfahrung, aus billiger Erwägung folgt. Die Regeln über die Beweislast gehören dem Prozefsrecht an, denn sie geben nur für die gerichtliche Verfolgung der Rechte Norm 2 . Aber die Anwendung auf den Beweis von Privatrechtsverhältnissen fufst auf civilrechtlicher Grundlage, denn sie wird durch die Bedeutung bestimmt, die nach Civilrecht eine Thatsache für das konkrete Rechtsverhältnis besitzt. In dieser Abwägung liegt die Schwierigkeit. Schon darum kommt allgemeinen Regeln nur beschränkter Wert zu. Aber noch aus einem andern Grund. Insoweit die Beweisregeln nur Ausdruck der Erfahrung oder der Billigkeit sind, widerstrebt ihrer Natur die Anwendung auf Fälle, wo die besondern Umstände den Schlufs aus der allgemeinen Erfahrung als unberechtigt oder die Beweislastverteilung nach der Regel als unbillig erscheinen lassen. In diesem Sinn sind die nachstehenden Ausführungen zu fassen. 1. Da der Kläger vom Richter die Anerkennung seines Rechts verlangt, so scheint der Natur der Sache entsprechend, dafs der Kläger die seinem Recht zu Grunde liegenden Thatsachen beweisen mufs. Bei näherer Prüfung überzeugt man sich, dafs diese Ordnung der Berweislast einer erheblichen Einschränkung bedarf (L. 12 h. t.). a. Der Klaganspruch stützt sich auf das gegenwärtige Dasein des behaupteten Rechts. Das gegenwärtige Dasein ist bedingt durch 1 Es ist eine verbreitete Ansicht, dafs die Verteilung der Beweislast durch die Einführung der freien richterlichen Beweiswürdigung die Bedeutung verloren habe. Diese Ansicht trifft nur das Äufsere der Sache ( F i s c h e r , Recht und Rechtsschutz S. 18 N. 3), der Satz actore non probante reus absolvitur beherrscht noch heutzutage die richterliche Entscheidung, wie ein Blick in die Sammlungen gerichtlicher Urteile lehrt. Auch über die Tragweite der freien Beweiswürdigung bestehn übertriebene Vorstellungen. Über alles dieses handelt vortrefflich B ä h r , Jher. Jahrb. XXV Abh. 9. 2 W a c h , Handb. des CPz. I S. 125 fg.; praktische Anwendung in Seuff. XIV 148. A. M. RGE. V I Nr. 127 S. 413.
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die Entstehung und durch den Mangel jedes Aufhebungsgrunds. Der Beweis, dafs das klägerische Recht von keinem der denkbaren Aufhebungsgründe betroffen worden sei, ist unmöglich, weil ohne Grenzen. Aber auch wenn es sich um eine bestimmte vom Beklagten behauptete Aufhebungsthatsache handelt, trifft die Beweislast nicht den Kläger; hier greift die allgemeine Beweisregel ein, dafs derjenige eine Thatsache zu beweisen hat, der sie zu seinen Gunsten anführt, nicht der sie bestreitet 3. Hieraus folgt die Regel : Der Kläger hat nur die der Entstehung seines Rechts zu Grunde liegenden Thatsachen zu beweisen, der Beweis über eine Aufhebungsthatsache fällt dem Beklagten zu. Man drückt dies auch so aus : die Fortdauer eines Rechtsverhältnisses, eines Rechtszustands, einer rechtlichen Eigenschaft wird vermutet. Indes gilt diese Vermutung nicht schlechthin. Sie fällt z. B. weg, wenn die nachgewiesene Entstehungsthatsache so weit zurückliegt, dafs nach menschlicher Erfahrung die Fortdauer des damals entstandenen Rechts bis in die Gegenwart unwahrscheinlich ist (Seuff. XV 110). Sie fällt ferner weg bei besonders gebrechlichen Rechtsverhältnissen4, bei leicht wandelbaren Rechtszuständen und rechtlichen Eigenschaften 5. b. Zur Entstehung eines Rechtsverhältnisses müssen sich verschiedene thatsächliche Voraussetzungen vereinigen z. B. zur Entstehung eines Darlehnsverhältnisses aufser der Hingabe und Annahme der Geldsumme gegen das Versprechen der Rückgabe die Handlungsfähigkeit beider Parteien, die Übereinstimmung zwischen Wille und Erklärung, Übergang des Eigentums am Geld auf den Empfänger, Mangel einer Bedingung, u. s. w. Dem Kläger den Beweis über alle positiven und negativen Voraussetzungen für die Entstehung seines Anspruchs überbürden, heifst wo nicht Unmögliches so doch Unbilliges fordern. Wenn die Thatsachen dargethan sind, die unter normalen Verhältnissen den Anspruch erzeugen, so schliefsen wir daraus auf die konkrete Entstehung. Man pflegt sie darum rechterzeugende Thatsachen zu nennen. Mehr als diese Thatsachen hat der Kläger nicht zu beweisen. Dafs im konkreten Fall der Entstehung ein besonderes
3
L. 2 h. t. : ei incumbit probatio, qui dicit, non qui negat. C. 23 h. t. C. 10 de non num. pec. 4, 30. F i t t i n g a. a. O. S. 21. Dazu unten Ziff. 3. 4 Wie es ζ. Β. der Besitz ist. Seuff. V I I I 232 X V I I I 114; dazu J h e r i n g in seinen Jahrb. IX S. 168 (Grund des Besitzschutzes 2. A. S. 194). Über die Fortdauer der väterlichen Gewalt Seuff. X I I 339 XV 36. 5 Zubehöreigenschaft Seuff. X X I I I 111, Kaufmannseigenschaft ROHG. X V I I Nr. 38 S. 170 XIX Nr. 11 S. 37; B e k k e r § 31 Beil.
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Hindernis entgegen gestanden ist, d. h. jede rechthindernde Thatsache fällt in die Anführungs- und Beweislast des Beklagten6. Freilich ist mit dem Satz, dafs hinsichtlich des Klaganspruchs der Kläger die rechterzeugenden, der Beklagte die rechthindernden Thatsachen zu beweisen habe, nur ein formales Ergebnis gewonnen. Denn welche Thatsachen sind rechterzeugend, welche rechthindernd? Darauf läfst sich eine allgemeine die Einzelentscheidung sicher leitende Antwort nicht geben7. Als Fingerzeig kann Folgendes dienen. Wie das Leben gewisse Dinge normal nennt und das Gegenteil anomal z. B. die Gesundheit den normalen, die Krankheit den anomalen Zustand, so unterscheidet auch das Recht zwischen Normalem und Anomalem8. Die Handlungsfähigkeit, die Übereinstimmung zwischen Wille und Erklärung, die Unbedingtheit eines Geschäfts, die naturalia negotii u. a. sind für das Recht das Normale. Darum bedarf ihr Dasein nicht einmal der Hervorhebung geschweige denn des Beweises. Dafs jemand ein Rechtsgeschäft in eigenem Namen abschließt, ist das Normale 9. Als die normale Erbfolge gilt die gesetzliche, daher hat der Intestaterbansprecher nicht zu beweisen, dafs der Erblasser ohne Testament und Erbvertrag verstorben ist (Seuff. IV 314) u. s. w. 2. Was über die Beweislast hinsichtlich des Klaganspruchs ausgeführt wurde, gilt auch vom Beweis der Einrede: excipiendo reus fit actor (L. 19 h. t.). Wird in der Einrede ein Recht geltend gemacht, so hat der Beklagte nur die rechterzeugenden Thatsachen zu beweisen. 3. Zu den rechterzeugenden Thatsachen eines Rechts oder eines Befreiungsgrunds kann auch gehören, dafs etwas nicht vorhanden war 6
Beisp. L. 5 pr. L. 17 h. t. J h e r i n g , Besitzwille S. 149 fg. Man hat die rechterzeugenden Thatsachen bezeichnet als die specifischen begriffskonstituierenden Elemente des Klagrechts ( B e t h m a n n - H o l l w e g , Versuche über einzelne Teile der Theorie des Civpz. V), oder als die äufsern Elemente der Entstehung ( L a n g e n b e c k , Die Beweisführung S. 279 fg.; B u r c k h a r d , Die civil. Präsumtionen S. 138 fg.) oder als die causa efficiens im Gegensatz zur blofsen condicio sine qua non ( W e t z e i l , Civilpr. § 15). Man kommt mit diesen Erklärungen nicht weiter oder wie mit der zweiten zu falschen Ergebnissen, man denke an den animus donandi, novandi, an dolus, culpa u. ä. 8 F i t t i n g a. a. O. S.47 fg. Andere bezeichnen dasselbe mit Regel und Ausnahme, aber das Normale ist nicht immer oder wenigstens nicht nachweisbar das Häufigere. 9 Wer das Gegenteil behauptet, hat die Beweislast, so Seuff. I 193 XV 272 X V I I 107 X X I 162 X X I X 277 X X X I I 84. F i t t i n g S. 57. A. M. Seuff. V I I I 103 X I I 27 X X 84 X X I I I 126 X X V I 184. ROHG. X X I I Nr. 50 S. 224. RGE. I I Nr. 53 S. 194 I I I Nr. 38 S. 122 X V I I I Nr. 32 S. 158. 7
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oder nicht geschehn ist z. B. bei der condictio indebiti das Nichtdasein der Schuld, bei Erlöschung einer Servitut der Nichtgebrauch. Die Beweislast über diese negative Behauptung fällt der Partei zu, die sich auf das Recht oder die Befreiung stützt 10 . Freilich kann von einer Partei kein unmöglicher Beweis verlangt werden. Daher liegt der Partei, die sich auf die Verjährung des gegnerischen Anspruchs beruft, nicht der Beweis ob, dafs der Anspruch während der Verjährungsdauer nicht geltend gemacht wurde 11 . 4. Bei der Bildung der richterlichen Überzeugung wirken vielfach Schlufsfolgerungen mit,, die auf die zu erweisende Thatsache aus einer andern entweder von vornherein feststehenden oder im Prozefs bewiesenen Thatsache gezogen werden. Die Schlufsfolgerung gründet sich auf die Erfahrung, dafs die eine Thatsache immer oder regelmäfsig mit der andern vorkommt, bei negativen Schlufsfolgerungen (z. B. alibi), dafs sie nie oder regelmäfsig nicht mit ihr vorkommt; demzufolge erbringt die Schlufsfolgerung bald Gewifsheit, bald blols Wahrscheinlichkeit. Man nennt die Thatsache, auf die sich der Schlufs aufbaut, ein Indicium (Inzicht), ihre Wirkung auf die Überzeugung eine Vermutung (praesumtio) 12. Über das Gewicht der Vermutung entscheidet in der Regel der Richter nach freiem Ermessen, das sich nur auf die allgemeine Lebenserfahrung stützt (thatsächliche Vermutung, praesumtio hominis seu facti). Zuweilen schreibt aber ein Rechtssatz den Schlufs von einer Thatsache auf eine andere vor (Rechtsvermutung, praesumtio juris), meistens so, dafs der Beweis des Gegenteils zugelassen wird (widerlegbare, einfache Vermutung) 13, hie und da mit Ausschlufs jeder Widerlegung (praesumtio juris et de jure). Die Bezeichnung Vermutung wird auch für die gesetzlichen Bestimmungen gebraucht, wonach eine thatsächliche Behauptung ohne weiteres vom Richter für wahr angenommen werden mufs, wenn nicht 10
L. 25 pr. h. t. L. 5, 8 eod. C. ult. de solut. 8,42 [43] B ä h r , Anerkennung § 19, 21. Mit der Entbindung des eine negative Behauptung Aufstellenden von der Beweislast wird der frivolen Streitführung eine Thür geöffnet. Der richtige Inhalt des Satzes: ei incumbit probatio rlq. ist in Note 3 gegeben. A. M. D e r n b u r g I § 159 N. 9—11. Dafs bei der Klage auf Räumung des Pachtguts wegen Pachtzinsrückstands der Kläger nicht das Unterbleiben der Zahlung zu beweisen hat, folgt aus einer richtigen Auffassung von der vertragsmäfsigen Einräumung des Austreibungsrechts. Seuff. X L I I I 13 (RG.); W i n d s c h e i d § 285 N. 19. 11 Grawe in, Verjährung S. 179 fg. 12 Trefflich hierüber H e u s l e r a. a. O. S. 225 fg. 13 L. 24 h. t. C. 3 de apoch. publ. 10, 22.
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vom Gegner das Gegenteil bewiesen wird 1 4 . Die gesetzlichen Fürwahrannahmen verschieben aber die Beweislast, während die Rechtsvermutungen i. e. S. nur die Beweisführung erleichtern. 5. Das Urteil*. § 196. a. Wesen der Rechtskraft.
I. An die richterliche Entscheidung eines Rechtsstreits erhebt das praktische Leben zwei Forderungen: das Urteil soll das Rechtsverhältnis unter den Parteien ein für allemal feststellen d. h. dem Streit ein Ende machen, und sein Inhalt soll mit der wirklichen Rechtslage übereinstimmen d. h. materiell richtig sein. Beides läfst sich nebeneinander durch die Rechtsordnung nicht schlechthin sichern. Wollte man die Geltung des Urteils von seiner materiellen Richtigkeit abhängig machen, so müfste man auf die endgültige Beilegung des Streits verzichten, denn kein Urteil bietet unbedingt Gewähr materieller Richtigkeit. Man hat demnach nur die Wahl zwischen zwei Übeln: der fortdauernden Unsicherheit der Rechtslage und der Möglichkeit materiell unrichtiger Feststellung. Davon ist das zweite das geringere, das in den Kauf genommen wird, um das Bedürfnis nach Streitbeendigung zu befriedigen. Hierauf beruht die Bedeutung der ^genannten Rechtskraft des Urteils. Ein Urteil ist rechtskräftig heifst: es ist verbindlich, weil es gefällt ist. unabhängig von seiner Übereinstimmung mit dem abgeurteilten Rechtsverhältnis (L. 12 § 3 de bon. libert. 38, 2). Um indes der Gefahr materiell unrichtiger Streiterledigung entgegenzuwirken, besteht nach Prozefsrecht die Einrichtung, dafs die Partei, welche sich durch den gefällten Spruch beschwert glaubt, die 14
L. 25 § 1 h. t. L . 51 de donat. i. v. 24, 1 (praesumtio Muciana) KKO. § 23 Ziff. 2 § 24 Ziff. 2 § 37. * S a v i g n y V I § 280—301 (1847); W i n d s c h e i d , Die Aktio des röm. Civilr. § 10—13 (1856); K r ü g e r , Prozefs. Konsumtion und Rechtskraft des Erkenntnisses (1864); K l e i n s c h r o d , Über die prozefs. Konsumtion und die Rechtskraft des Civilurteils (1875); F r e u d e n s t e i n , Die Rechtskraft nach der Reichscivilprozefsordnung und ihre Wirkung auf die subjektiven Rechte (1881); K l ö p p e l , Die Einrede der Rechtskraft nach der deutschen CPO. (1882); R. S c h m i d t , Die Klagänderung Kap. 3 (1888). Über die Geschichte: K e l l e r , Litiskontestation und Urteil (1827); B e k k e r , Die prozefs. Konsumtion nach klass. röm. Recht (1853).
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nochmalige Prüfung und Aburteilung der Sache durch ein höheres Gericht veranlassen kann. Unter gewissen Voraussetzungen kann auch gegenüber dem Urteil des zweiten Richters ein über ihm stehendes Gericht angegangen werden. Das ist der Instanzenzug. Er wird herbeigeführt durch die sogenannten Rechtsmittel, Berufung und Revision. Aufserdem ist das Urteil durch die Nichtigkeitsklage und durch die Restitutionsklage aus den in der CPO. (§ 542 fg.) angegebenen Gründen anfechtbar. Rechtskräftig ist ein Urteil im civilrechtlichen Sinn, wenn es nicht mehr wirksam angefochten werden kann (L. 23 § 1 de cond. indeb. 12, 6). II. Das rechtskräftige Urteil stellt das streitige Verhältnis unter den Parteien in unangreifbarer Weise fest. Nun soll zwar das richterliche Urteil die Rechtslage der Parteien nur aufzeigen, nicht umbilden ; man sagt: es hat nur deklaratorische, nicht konstitutive Bedeutung (L. 8 § 4 si serv. vind. 8, 5). Allein da vermöge der Rechtskraft der Inhalt des Urteils ohne Rücksicht auf seine Übereinstimmung mit der vorhandenen Rechtslage verbindlich ist, so wird durch das Urteil im Erfolg ein neuer Rechtsboden geschaffen. Das Rechtsverhältnis empfängt im Gewände der blofsen Enthüllung des bereits Bestehenden eine neue Regelung. Das Urteil ist darin der Legalinterpretation (§ 35 V) vergleichbar 1. Man hat den Grundgedanken der Rechtskraft auch so ausgedrückt: das Urteil begründet formelle Wahrheit 2. Andre sprechen sogar von einer Fiktion der Wahrheit. Aber auf die Wahrheit des Urteils kommt für die Rechtskraft nichts an, und die Parteien werden durch das Urteil nicht verpflichtet, an seine Wahrheit zu glauben. Übrigens giebt es auch Urteile mit (bezweckter) konstitutiver Wirkung z. B. das Urteil im Teilungsverfahren, das Ehescheidungsurteil 3 . 1
D e g e n k o l b , Einlassung S. 152. Überhaupt hat das Urteil nach seiner Wirkung Verwandtschaft mit dem Gesetz ( B ü l o w , Civ. Arch. L X I I S. 90 fg.), ja es ist inhaltlich die Aus- und Durchführung der Gesetzesvorschrift tur den besondern Fall, die Umsetzung der abstrakten Gesetzesnorm in die konkrete dieses Verhältnis beherrschende Norm. B ä h r , Rechtsstaat S. 5 fg.; A. M e r k e l , Jurist. Encyklop. § 346 fg. 2 Selbst in den Quellen: res judicata pro veritate accipitur. L. 25 de statu hom. 1, 5 L. 207 R. J. 50, 17. 3 Andre Beispiele bei L o h r , Z. f. deutsch. CPzfs. X V I S. 352 fg. und K i p p , Die Verurteilung zur Abgabe von Willenserklärungen (Kieler Festgabe für Jhering) S. 54 fg., der dies ausführlich fur das Urteil auf Abgabe einer Willenserklärung nachweist. Vgl. auch Κ oh 1er, Civ. Arch. L X X X S. 267 fg.
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III. Das zu Gunsten des Klägers lautende Urteil enthält nach Verschiedenheit des Klaggesuchs entweder 1. blofs die Feststellung, dafs das vom Kläger behauptete Rechtsverhältnis besteht oder dafs das vom Kläger bestrittene Rechtsverhältnis nicht besteht (Feststellungsurteil) oder 2. den Ausspruch, dafs der Beklagte gemäfs dem Rechte des Klägers schuldig sei zu leisten (kondemnatorisches Urteil) oder 3. das Gebot, dafs gewisse mit der Klage angestrebte rechtliche Wirkungen eintreten sollen (rechtschaffendes, konstitutives Urteil) 4 . Das verurteilende Erkenntnis erzeugte nach römischem Recht unter den Parteien die obligatio judicati mit actio judicati 5 . Indes verleugnete sich in der formell selbständigen Urteilsobligation nicht, dafs materiell darin der eingeklagte Anspruch enthalten ist oder vermöge der Rechtskraft des Urteils als darin enthalten angenommen werden mufs 6. Nach heutiger Auffassung schafft das Urteil keinen neuen Anspruch, sondern rüstet nur den eingeklagten mit urteilsmäfsiger Feststellung aus. Aber praktisch ist der Unterschied von der römischen actio judicati nicht erheblich. Insbesondere wird an der selbständigen Verjährung des Urteilsanspruchs festgehalten 7. IV. Das zu Gunsten des Beklagten ergehende Urteil enthält seine Freisprechung von der Klage. Hiedurch wird der Anspruch des Klägers, wenn er begründet war, dem praktischen Erfolge nach vernichtet. Nur erzeugt die Freisprechung nicht einen Anspruch auf Rückgabe der vorher freiwillig gemachten Leistung. Wohl aber kann eine nachfolgende Erfüllung zurückgefordert werden, wenn sie in entschuldbarer Unkenntnis von der Freisprechung geschehn ist. Die Behauptung, dafs die Freisprechung in materiell unrichtiger Weise erfolgt sei, wird durch die Rechtskraft des Urteils ausgeschlossen8. 4 W a c h , Handb. d. Civpz. I S. 11 fg. Über die einheitliche Natur des heutigen kondemnatorischen Urteils W a c h , Der Feststellungsanspruch S. 34 fg. 5 Gai. I I I 180 L. 35 de nox. act. 9, 4 L. 4 § 7 de re jud. 42, 1 L. 8 § 3 de novat. 46, 2. 6 Bürgen und Pfänder haften auch für die obligatio judicati, und die Zinspflicht aus dem Verzug dauert fort. L. 8 § 3 de fidej. 46, 1 C. 8 de pign. 8, 13 [14] L. 3 pr. de usur. 22, 1. 7 W e t z e l l , System des Civpz. §47 N. 113; M a n d r y , Civilr. Inhalt § 25 I I ; W i n d s c h e i d § 129 N. 3. 8 So deutlich L. 13 quib. mod. pign. 20, 6. Gleichwohl wird vielfach das Gegenteil angenommen wegen L. 60 pr. de cond. indeb. 12, 6. In dieser Stelle findet sich zur Begründung einer richtigen Entscheidung die Äufserung: licet enim absolutus sit, natura tarnen debitor permanet. Darauf darf man nicht den auffallenden
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V. Allen Urteilen ist eine Wirkung gemeinsam : die abwehrende Kraft der rechtskräftigen Entscheidung, gewöhnlich exceptio rei judicatae genannt, obwohl nach römischem Recht die abwehrende Kraft des Urteils nicht immer in der Form einer exceptio geltend gemacht wurde. Die abwehrende Kraft besteht darin, dafs keine Partei der andern gegenüber einen abgeurteilten Anspruch im Widerstreit mit dem Inhalt des frühern Urteils vor Gericht geltend machen oder bestreiten kann. 1. Entscheidend ist nicht, dafs ein Urteil über den Anspruch vorliegt, sondern dafs die jetzige Geltendmachung oder die jetzige Bestreitung mit der Feststellung im früheren Urteil in Widerspruch tritt, kurz ausgedrückt: es entscheidet nicht das Dasein sondern der Inhalt des Urteils 9 . Das frühere Urteil steht daher nicht entgegen, wenn sich mit dessen Inhalt die jetzige Rechtsbehauptung im Einklang befindet. Eine (formell) konsumierende Wirkung des Urteils giebt es im heutigen Recht nicht mehr 10 . Daher steht das blofse Rechtssatz bauen, dafs im Kondiktionsprozefs das früher freisprechende Urteil mit der Behauptung materieller Unrichtigkeit angefochten werden kann. Vgl. Vangerow § 173 Anm. I ; W i n d s c h e i d § 129 N. 7. 9 Das war nicht der Standpunkt des ältern römischen Rechts Der damaligen weniger ausgebildeten Jurisprudenz lag nahe, die Abwehr ausschliefslich von dem äufserlich leicht erkennbaren Umstand abhängig zu machen, dafs über dieselbe actio schon geurteilt war, gleichviel wie. Erst ein tieferes Eingehen auf Wesen und Zweck der Rechtskraft liefs das Unzureichende dieses Standpunkts erkennen. Die spätere Jurisprudenz verwarf einerseits die Berufung auf das Dasein des Urteils gegenüber einer erneuten Geltendmachung des Anspruchs, die mit dem Inhalt des Urteils im Einklang war (L. 16 § 5 de pign. 20, 1 L. 9 § 1 de exc. rei jud. 44, 2), und erkannte andrerseits die abwehrende Kraft an, wenn inhaltlich das frühere Urteil eine mittelbare Verneinung des jetzigen Anspruchs ergab (L. 40 § 2 i. f. de procur. 3, 3 L. 15, 30 § 1 de exc. rei jud. 44, 2). Seit K e l l e r a. a. 0 . § 24 fg., der die Entwicklung zuerst aufgezeigt hat, pflegt man die ältere Wirkung die negative Funktion der exc. rei jud. zu nennen, die spätere die positive Funktion. Vollen Abschlufs hat diese Wandlung im römischen Recht nicht gewonnen, ihr Ziel ist die vollständige Ersetzung der negativen Funktion durch die positive. Savigny § 281; W i n d s c h e i d , Aktio § 10 u. P. § 130 N. 23fg. Andre Juristen halten an der negativen Funktion fest, aber mit erheblicher Modifikation. B e k k e r , Prozess. Konsumt. S. 13 fg., 132 fg., gemäfsigter Aktionen I S. 349 fg.; B r i n z 2. A. § 96; D e r n b u r g I § 162 und mit einer terminologischen Schwenkung G. R ü m e l i n , Zur Lehre von der exc. rei jud. (Tübinger Diss. 1875). Praktische Bedeutung kann ich der Streitfrage nicht abgewinnen. 10 Wegen Mangels eines berechtigten Interesses wird in der Regel der Kläger, der eine Verurteilung des Beklagten erzielt hat, gehindert sein, neuen Prozefs zu erheben, statt die Vollstreckung des vorliegenden Urteils zu betreiben. RGE. X V I Nr. 106JS. 434; Seuff. X L I I 225.
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Dasein eines Urteils über den Hauptanspruch nach heutigem Recht der Verfolgung von Nebenansprüchen nicht entgegen11. 2. Die abwehrende Kraft wirkt gegen den doppelten Versuch, einen früher aberkannten Anspruch wieder zu erheben oder ein anerkanntes Recht zu bestreiten. Dort wird der verneinende, hier der bejahende Urteilsinhalt zur Geltung gebracht. Die rechtskräftige Anerkennung eines Rechts kann auch zur Begründung eines Anspruchs verwertet werden 1 2 . Dafs der Anspruch jetzt in einer andern Prozefsform geltend gemacht wird als früher, z. B. die früher zur Kompensätionseinrede verwendete Forderung jetzt klagweise, hat auf die abwehrende Kraft der Entscheidung keinen Einflufs 13. 2. Die Berücksichtigung der abwehrenden Kraft des Urteils im Prozefs ist nicht davon abhängig, dafs sich eine Partei darauf beruft. Der Richter hat von Amtswegen darauf zu sehn, dafs über eine rechtskräftig entschiedene Sache nicht noch einmal geurteilt werde. Es giebt auch keinen Verzicht auf die abwehrende Kraft 14 . Nun ist genauer zu bestimmen, worüber Rechtskraft erwächst, und auf welche Personen die Wirkung der Rechtskraft sich erstreckt. § 197. b.
Gegenstand der Rechtskraft.
I. Die Quellen sagen, die exceptio rei judicatae sei begründet, quotiens eadem quaestio inter easdem personas revocatur (L. 3, 7 11 W i n d s che i d § 130 Ν. 24 RGE. I Nr. 126 S. 350; Seuff. X X X V I I I 93. Früher war die entgegengesetzte Ansicht herrschend, die man teils auf die verkehrte Behauptung stützte, es könne auf die Nebenansprüche nicht selbständig geklagt werden (Seuff. V I I 14 X V I I I 175), teils auf einen stillschweigenden Verzicht des Klägers oder auf eine stillschweigende Aberkennung im frühern Urteil (Seuff. X X I I 264 ROHG. IX Nr. 71 S. 230). Die Annahme einer stillschweigenden Aberkennung scheitert jetzt an § 14 Nr. 5 des Einf.-Ges. zur CPO. 12 L. 50 § 1 de legat. I und arg. L. 11 § 3 de jurej. 12, 2. Dazu W i n d s c h e i d , Aktio S. 109 fg. und Pand. § 131 Ν. 1. 13 Für das frühere Recht ist dies zweifellos. L. 7 § 1 de compens. 16, 4 L. 1 § 4 de contrar. tut. act. 27, 4 L. 24 de exc. rei jud. 44, 2. Manche glauben nach CPO. § 293 annehmen zu müssen, dafs über das, was der Beklagte verteidigungsweise vorbringt, keine Rechtskraft erwachse mit Ausnahme der Kompensationseinrede. So hölzern war die Vorschrift nicht gemeint. B ä h r , Krit. VJSchr. XXV S. 550. Der Ausleger waltet nur seines Amts, wenn er den Sinn gegen den zu knappen Wortlaut zur Geltung bringt (§ 37). Α. M. Seuff. X L V I I I 146 (RG.). 14 C. 1 quando provocare necesse non est 7, 64 CPO. § 543 Nr. 7*·; K o h l e r , Prozefsr. Forsch. S. 89 fg. Die entgegengesetzte Meinung wird wesentlich durch eine verkehrte Auffassung des Exceptionsbegriffs bestimmt. Vgl. § 192 III.
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§ 1, 4 L. 19 de exc. rei jud. 44, 2). Quaestio ist Frage, Begehren. Im Prozefs begehren die Parteien vom Richter die Entscheidung eines zwischen ihnen streitigen Punkts. Das Urteil enthält die Antwort des Richters auf die an ihn gerichtete quaestio, die Erledigung des Entscheidungsbegehrens. Die verbindliche Kraft des Urteils reicht nur soweit als es diese Antwort giebt, sie geht nicht über das Entscheidungsbegehren der Parteien hinaus. Mit andern Worten: Der Umfang der Rechtskraft in gegenständlicher Hinsicht bestimmt sich nach dem Inhalt des an den Richter gestellten Entscheidungsbegehrens. Zuweilen mufs der Richter die Antwort auf die an ihn gestellte Frage über das Dasein des Rechts verweigern, weil eine prozessualische oder eine solche materielle Voraussetzung für die gegenwärtige Rechtsverfolgung fehlt, die nicht zu den Grundlagen des bestrittenen Rechts gehört, z. B. im Eigentumsstreit Besitz auf Seite des Beklagten. Wenn sich nun der Richter im abweisenden Urteil gleichwohl über das Recht äufsert, so wird dieser Ausspruch nicht rechtskräftig, denn ein begründetes Entscheidungsbegehren war an ihn nicht erwachsen1. II. Entscheidung wird nur über Rechte verlangt, nicht über die Wahrheit einer thatsächlichen Behauptung. Zwar mufs sich der Richter darüber eine Überzeugung bilden, aber nur als Mittelglied für die Entscheidung·, solche Mittelglieder werden nicht rechtskräftig 2. A. Wird das vom Kläger in der Klage behauptete Recht bestritten, so verlangen die Parteien die Entscheidung, ob dieses Recht besteht. Das Urteil über diesen Punkt wird rechtskräftig (CPO. § 293 Abs. 1). Da der Richter von Amtswegen zu prüfen hat, ob auf Grund des festgestellten Thatbestands das behauptete Recht aus irgend einem rechtlichen Gesichtspunkt besteht (RGE. X I Nr. 50 S. 243), so schliefst sein Ausspruch, das Recht bestehe nicht, eine nochmalige Geltendmachung dieses Rechts ohne Veränderung in der thatsächlichen Begründung nur mit Hervorkehrung eines neuen rechtlichen Gesichtspunkts aus3. Die Forderungen stehn mit ihrem Entstehungsgrund in engerer Verbindung als die dinglichen Rechte mit dem Erwerbsgrund. Es kann eine Forderung nur unter Bezeichnung des Entstehungsgrunds, 1
L. 9 pr. L. 17 de exc. rei jud. 44, 2 L. 8 pr. ratam rem hab. 46, 8. B r i n z 2. A. I S. 342; R. S c h m i d t a. a. 0. S. 190 fg. 2 Daher kann eine thatsächliche Behauptung bestritten werden, trotzdem dafs ihre Richtigkeit in einem früheren Prozefs festgestellt wurde. U n g e r § 132 N. 12 bis 17a. Über L. 6 § 4 nautae 4, 9 R ö m e r Z. f. HR. X V I I I S. 11. 8 L. 5, 25 § 1 de exc. rei jud. 44, 2; Seuff. XXIV 278. Gehört hierher die rätselhafte L. 4 § 3 de nox. act. 9, 4? R i b b e n t r o p , Korrealobligat. S. 246 fg.
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Kauf, Darlehn, Wechsel u. s. w. klagbar geltend gemacht werden. Und nur in Beschränkung auf diesen Entstehungsgrund erwächst das Urteil in Rechtskraft; der abgewiesene Kläger ist nicht gehindert, eine Forderung auf dieselbe Sache aus einem andern Entstehungsgrund geltend zu machen4. Im Eigentumsprozefs dagegen läfst sich denken, dafs der Kläger seine Rechtsbehauptung schlechthin so stellt, er sei Eigentümer der Sache, und dafs der Richter in derselben Weise über das Recht des Klägers urteilt. Wird durch ein so allgemein gehaltenes Urteil das Recht dem Kläger abgesprochen, so kann er den Eigentumsanspruch nicht unter Berufung auf einen im früheren Prozefs nicht zur Erörterung gebrachten Erwerbsgrund wiederholen, wenn nicht dieser Erwerb erst nach Eröffnung des früheren Prozesses stattgefunden hat, mithin eine sogenannte causa superveniens ist. In der That war dies der Standpunkt des römischen Prozesses. Jedoch hatte der Kläger die Möglichkeit, seine Rechtsbehauptung auf einen einzelnen Erwerbsgrund zu beschränken (expressa causa agere) und damit die Rechtskraft des Urteils einzugrenzen5. Nach der im früheren gemeinen deutschen Prozefs herrschenden Ansicht mufste der Kläger auch bei dinglichen Klagen schon in der Klagschrift die Erwerbsthatsachen anführen, es beschränkte sich aber auch die Rechtskraft des Urteils auf den Rechtsanspruch in dieser besondern Begründung. Ob nach der RCPO. bei dinglichen Klagen sofort der Erwerbsgrund angeführt werden mufs, ist bestritten 6. Die Entscheidung des Streits kann hier dahin gestellt bleiben. Denn möchte auch die verneinende Ansicht richtig sein, so folgt daraus nicht notwendig, dafs die CPO. auch die Rechtskraft des Urteils gegenüber dem bisherigen Recht erweitern wollte. Vielmehr ist bei dem sonstigen Bestreben des Gesetzes, der Überspannung der Rechtskraft entgegenzutreten, 4
L. 14 § 2 L. 22 i. f. de exc. rei jud. 44, 2. Bemerkenswerter Fall in Seuff. X X X V I I 159. 5 Von der unbeschränkten Rechtsverfolgung handeln L. 11 § 1, 5 L. 30 pr. h. t., von der beschränkten L. 11 § 2 L . 14 § 2 h. t. P u c h t a , Vorl. I Beil. V I I und Kleine Schriften Abh. IX hat die Zulässigkeit der Einschränkung bestritten und auf sehr gekünstelte Weise die Zeugnisse in L. 11, 14 citt. zu entkräften gesucht. Gegen ihn S a v i g n y V I Beil. X V I I und Β r i e g l e b , Vermischte Abhandlungen (1868) S. 129 fg. Über causa superveniens L. 11 § 5 L. 25 pr. eod. 6 CPO. § 230 sagt, es müsse in der Klage „der Grund des Anspruchs" angegeben werden. Darunter verstehn die Einen die Anführung des Erwerbsgrunds, die Andern die Bezeichnung des dem Anspruch zu Grunde liegenden Rechtsverhältnisses. Über den gegenwärtigen Stand der Streitfrage P e t e r s e n , Sächs. Arch. I I S. 65 fg., 129 fg. (1892).
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das Gegenteil anzunehmen. Demnach beschränkt sich nach heutigem Recht die Rechtskraft des Urteils über einen dinglichen Rechtsanspruch auf den im Prozefs erörterten Erwerbsgrund 7 . B. Das Bestreben des Beklagten im Prozefs ist nur darauf gerichtet, die Abweisung des Klaganspruchs zu erwirken. Er kann sich zu diesem Zweck auf ein ihm zustehendes Recht berufen. Ein selbständiges Entscheidungsbegehren erhebt er aber nur dann, wenn das von ihm zur Bekämpfung des Klaganspruchs geltend gemachte Recht neben dem vom Kläger behaupteten Recht bestehn kann z. B. wenn er sich gegenüber einer Forderungsklage auf eine Gegenforderung beruft oder gegenüber der actio publiciana auf sein Eigentum an der Sache. Wenn sich dagegen beide Rechte ausschliefsen, z. B. wenn der Beklagte gegenüber der Eigentumsklage behauptet, er sei Eigentümer, so liegt in seiner Verteidigung eine Verneinung des klägerischen Rechts, eine selbständige Entscheidung über das Recht des Beklagten ist nicht veranlafst. Aber selbst für den ersteren Fall ist für die Rechtskraft der Entscheidung über das an sich selbständige Recht des Beklagten von Bedeutung, dafs der Beklagte Anerkennung seines Rechts nur insoweit verlangt, als es zur Abwehr des Klaganspruchs erforderlich ist. Aus dem Vorstehenden folgt. 1. Wird zu Gunsten des Klägers erkannt, so ist damit nicht nur jedes unselbständige Gegenrecht des Beklagten aberkannt, sondern auch jedes von ihm geltend gemachte selbständige Gegeurecht8. 2. Wird die Klage abgewiesen, weil das vom Kläger behauptete Recht nicht besteht, so liegt darin keine rechtskräftige Entscheidung über das vom Beklagten behauptete unselbständige Gegenrecht, auch dann nicht, wenn der Richter seine Entscheidung damit begründen sollte, dafs der Beklagte Eigentümer oder Erbe sei, nicht der Kläger (Ziff. I ) 9 . 3. Beruft sich der Beklagte auf ein selbständiges Gegenrecht, so geschieht dies nur bedingt, d. h. unter der Voraussetzung, dafs das vom Kläger behauptete Recht als bestehend befunden wird. Kommt 7
Im Ergebnis übereinstimmend D e r n b u r g I § 163 N. 2; P l a n c k , Lehrb.des Civpz. I S. 261. 8 L. 40 § 2 de procur. 3, 3 L. 15, 30 § 1 de exc. rei jud. 44, 2 (verb. Si de proprietate) — L. 7 [8J § 2 de negot. gest. 3, 5 L . 7 § 1 de compens. 16, 2. 9 L. 30 § 1 cit. (verb. Quod si possessor). Jedoch in einem negativen Feststellungsprozefs stellt das aus sachlichen Gründen abweisende Urteil das Recht des Beklagten rechtskräftig fest; hier war der Richter um die Entscheidung angegangen, ob dem Beklagten das Recht zusteht. B ä h r , Urteile S. 164 RGE. XXIX Nr. 90 S. 346. B i n d i n g . Handbuch. 1. 7. I: K e g e l ü b e r g e r , Pand. 1.
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daher der Richter zu dem Ergebnis, dafs das klägerische Recht nicht besteht, so entbehrt jede etwaige Äufserung desselben über das selbständige Gegenrecht des Beklagten der Rechtskraft (Ziff. I ) 1 0 . Liegt aber auch die Voraussetzung für ein Urteil über das Gegenrecht vor, so ist die Aburteilung doch nur insoweit veranlafst, als es zur Bekämpfung des klägerischen Anspruchs erforderlich erscheint. Dies gewinnt praktische Bedeutung, wenn das Gegenrecht der Summe nach teilbar ist: eine Gegenforderung wird nur auf den Betrag der Klagforderung zur richterlichen Entscheidung gestellt. Wenn daher der Beklagte einer Forderung von 100 die Einrede entgegensetzt, der Kläger schulde ihm seinerseits 1000, so begründet das Urteil, das den Klaganspruch auf Grund der Gegenforderung abweist, keine Rechtskraft für die Forderung auf die überschüssigen 900. So jetzt zweifellos nach CPO. § 2 9 3 u . Aber diese Beschränkung der Rechtskraft gilt auch für das die Gegenforderung aberkennende Urteil. Zwar scheint dies an dem Widerspruch mit der Logik zu scheitern; denn wenn nach dem Urteil aus dem Gegenforderungsverhältnis nicht einmal 100 geschuldet werden, so ist damit gesagt, dafs nichts geschuldet wird. Allein in der Bemessung der Rechtskraft entscheiden Gründe der Zweckmäfsigkeit, und diese sprechen hier für die Einschränkung der Rechtskraft. Es ist daher kein Grund vorhanden, von der wörtlichen Auffassung der CPO. § 293 Abs. 2 abzugehn12. Analog gilt dies für den Fall, dafs von einer Forderung nur ein Teil eingeklagt wurde 13 . C. Die rechtskräftige Entscheidung äufsert die abwehrende Kraft auch dann, wenn der entschiedene Punkt im neuen Prozefs nur eine Voraussetzung, einen sog. Incidentpunkt des geltend gemachten Anspruchs bildet, z. B. wenn nach erledigtem Eigentumsprozefs über ein Grundstück die Servitutenklage wegen eines diesem Grundstück zustehenden Wegerechts erhoben wird. Es gilt das Gesagte für den doppelten Fall, sowohl wenn die Partei, zu deren Gunsten ein Punkt im frühem Prozefs entschieden wurde, diesen Punkt im Einklang mit dem Urteil als Voraussetzung eines neuen Anspruchs geltend macht, als auch für den andern Fall, dafs eine Partei, gegen die ein Punkt 10
B ä h r , Urteile S. 163; E i s e l e , Kompensation S. 382. Dies war schon nach früherem Recht richtig. Unger § 132 N. 36. A. M. S a v i g n y V I S. 365 fg. 12 Sehr bestritten. Wie im Text RGE. X V I Nr. 87 S. 356. Über die Schriftsteller für und wider berichtet S c h o l l m e y e r , Civ. Arch. L X X V I Abh. 13. 13 S c h o l Im eye r a. a. 0. Bedenklich Seuff. XLV 2. 11
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§ 19.
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im frühern Prozefs entschieden wurde, diesen Punkt im Widerspruch mit dem frühern Urteil als Grundlage ihres Anspruchs vorbringt 14 . D. Wenn in einem Prozefs eine Rechtsbehauptung blofs die Voraussetzung, Incidentpunkt, für den Anspruch bildet, so erwächst die Entscheidung darüber nicht in Rechtskraft, z. B. bei einer Zinsklage nicht die Entscheidung über das Dasein der Hauptschuld. Das ist auf den ersten Blick befremdend. Allein man erwäge. Das Streitinteresse der Parteien bewegt sich, um bei dem Beispiel zu bleiben, lediglich um die Frage, ob der Beklagte den eingeklagten Zinsbetrag schuldig sei. Danach bemessen sie den Aufwand von Kraft in Begründung und Abwehr. Danach bestimmt sich die Zuständigkeit des Gerichts, ob Einzelrichter oder Kollegialgericht, sowie die Revisionsmöglichkeit. Nur über diese Frage ist richterliche Entscheidung gefordert. Nun mufs sich freilich der Richter, um zur Entscheidung der vorgelegten Frage zu gelangen, eine Überzeugung bilden, ob die Hauptschuld besteht. Allein er mufs zu diesem Zweck auch zu der Auslegung von Rechtssätzen, zu der Frage nach der Wahrheit thatsächlicher Behauptungen und zu manchem Andern Stellung nehmen, ohne dafs darüber Rechtskraft erwächst. Die hier vertretene Ansicht war schon nach dem frühern gemeinen Recht begründet 15 und ist jetzt durch CPO. § 293 aufser Streit gestellt (RGE. VII Nr. 107 S. 354 XI Nr. 99 S. 385). Will eine Partei über den Incidentpunkt eine rechtskräftige Entscheidung erzielen, so mufs sie darauf besonders antragen, was noch im Lauf des Prozesses geschehn kann (CPO. § 253). E. In der Lehre vom objektiven Umfang der Rechtskraft hat die Frage eine ungebührliche Rolle gespielt, ob die Entscheidungsgründe in Rechtskraft Übergehn. Die Frage selbst ist verkehrt. . Die Unterscheidung von Urteilsspruch (Tenor) und Urteilsgründen beruht auf einer äufserlichen Einrichtung der Urteilsfertigung, wobei bald mehr bald weniger in den Tenor aufgenommen wird. Davon kann der materielle Begriff der Rechtskraft nicht abhängen. 14
Das Erste wird bezeugt durch L. 13 quib. mod. pign. 20, 6 und für das heutige Recht kaum mehr bestritten. Dagegen fehlen für die zweite Anwendung Quellenzeugnisse, aber die Folge aus dem ersten Satz ist nicht abzuweisen. A. M. B r i n z 2. A. § 96 N. 13. 16 Was freilich sehr bestritten ist. Namentlich hat Savigny V I § 291 das Gegenteil verteidigt und in Theorie und Praxis viel Anhang gefunden. Überzeugend ist aber die Gegenausführung von Unger § 132 N. 18—22. Dafür spricht L. 17 de except. 44, 1, auch L. 23 de exc. rei jud. 44, 2, wenn diese Stelle nicht von der prozessualischen Konsumtion handelt. Nachweise über die Litteratur und Rechtsprechung giebt W i n d s c h e i d § 130 N. 20.
Erstes Buch. Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
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§ 198. c.
Subjektiver U m f a n g der Hechtskraft.
Die richterliche Entscheidung wird im wesentlichen auf das Thatsachenmaterial gebaut, das die Prozefsparteien in Behauptung und Beweis vorgelegt haben. Hieraus erklärt sich, dafs die Rechtskraft des Urteils ihre Wirkung nur auf die Parteien erstreckt. Sie kann nicht von Dritten zu ihren Gunsten, sie kann nicht gegen sie geltend gemacht werden 1. Indes kommen davon Ausnahmen vor. Zwar gehört dahin nicht die Verbindlichkeit des Urteils für und gegen eine Person, für die ein bevollmächtigter Vertreter den Prozefs führte ; denn nach heutigem Recht ist der Vertretene Prozefspartei, nicht der Vertreter (CPO. § 81, 284). Die wirklichen Ausnahmen lassen sich auf einen einheitlichen Gesichtspunkt nicht zurückführen· 1. Dafs das Urteil für und gegen die Erben und sonstigen Gesamtrechtsnachfolger der Parteien wirkt, ist nach dem Wesen der Universalsuccession nicht auffallend (C. 2 de except. 8, 35 [36]). Es gilt dies aber auch für die Sonderrechtsnachfolger, wenn die Succession zu einer Zeit stattgefunden hat, wo das Urteil schon gefällt oder der Prozefs wenigstens anhängig war; dann hat sich der Erwerb auf Grund des von der Umbildung ergriffenen Rechtsverhältnisses vollzogen2. Auf Urteile, die nur eine obligatorische Verpflichtung des Sonderrechtsvorgängers in Beziehung auf die Sache feststellen, erstreckt sich dies nicht (Seuff. XXI 257). 2. Der Eigentümer einer Sache, der wissentlich seinen Rechtsvorgänger den Prozefs um ein Recht an der Sache führen läfst, mufs das Urteil anerkennen, kann es aber auch für sich geltend machen3. Dies läfst sich auf den Gesichtspunkt einer stillschweigenden Ermächtigung zurückführen. Verwandt ist die Erstreckung der Rechtskraft in CPO. § 73 und § 753. 1
L. 7 § 4 de exc. rei jud. 44, 2: Exceptio rei judicatae obstat, quotiens inter easdem personas eadem quaestio revocatur. C. 2 quib. res jud. non nocet 7, 56. 2 L. 3 pr. § 1 de pign. 20, 1 L. 11 § ult. de exc. rei jud. 44, 2. W i n d s c h e i d § 132 N. 3 bestreitet, dafs die Anhängigkeit des Prozesses genüge; indes schon nach römischem Recht ohne genügenden Grund — L. 29 § 1 de exc. rei jud. wird durch L. 11 § 10 eod. aufgewogen —, vollends aber nach CPO. § 236, 239. M a n d r y , Civilr. Inhalt § 24 N. 17. 3 L. 63 de re jud. 42, 1. Hierüber B i n d i n g , Civ. Arch. X L V I I S. 265 fg., aber auch schon K e l l e r , Litiskontestation S. 377 N. 24.
Der Rechtsschutz.
Die gerichtliche Durchführung der Rechte.
§ 19.
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3. Das Urteil in dem Prozefs über die Abkunft eines Kinds von einem bestimmten Mann stellt das Rechtsverhältnis für jedermann fest, wenn der Streit mit dem angeblichen Vater geführt wurde 4 ; ebenso das Urteil über das Dasein einer Ehe in dem zwischen den Ehegatten geführten Prozefs. Jedoch kann das Urteil von jedem beteiligten Dritten angefochten werden, wenn der Ausgang des Prozesses auf einem rechtswidrigen Einverständnis der Parteien beruht (arg. tit. de collus. deteg. 40, IG). 4. Das Urteil, das über die Gültigkeit eines Testaments in dem Prozels zwischen dem Intestat- und dem Testamentserbansprecher ergangen ist, wirkt für und gegen alle, die aus dem Testament Rechte herleiten, Vermächtnisnehmer u. s. w.; Erbschaftsgläubiger können sich darauf berufen, sind aber nicht daran gebunden5. Den Vermächtnisnehmern steht auch ein Urteil entgegen, das ein Testament wegen Pflichtwidrigkeit völlig umstöfst 6. 5. Das im Prozefs mit dem Konkursverwalter oder einem Konkursgläubiger erlassene Urteil, wodurch eine angemeldete Forderung anerkannt oder verworfen wurde, wirkt gegenüber allen Konkursgläubigern (KKO. § 135). 6. Eine Erstreckung der Urteilsrechtskraft auf Dritte tritt auch in Gemeinschaftsverhältnissen ein. Aber die Art der Hinüberwirkung hängt eng mit der Beschaffenheit des Gemeinschaftsverhältnisses zusammen und ist zweckmäfsiger mit der Darstellung dieser Verhältnisse zu erörtern 7. Ebenso mufs für die Wirkung der Rechtskraft des im Prozefs mit einer offnen Handelsgesellschaft ergangenen Urteils gegenüber den einzelnen Gesellschaftern auf das Handelsrecht verwiesen werden. 4
L. 1 § 16 — L. 3 pr. de liber, agnosc. 25, 3 L. 1 § 4 de liber, exh. 43, 30. Das Urteil steht aber nicht dem entgegen, der selbst Vater zu sein behauptet. Arg. L. 42 de liber, causa 40, 12. W ä c h t e r , Württ. PR. I I S. 571; Seuff. I I I 388 X X X V I 82. 5 L. 3 pr. de pign. 20, 1 L. 50 § 1 de legat. I und arg. L. 14 de transact. 2, 15. 6 L. 8 § 16 L. 17 § 1 L. 28 i. f. de inoff. test. 5, 2. 7 Rechtsstreit über eine Grunddienstbarkeit, wenn eines der beiden Grundstücke im Miteigentum steht. L. 4 § 3, 4 L. 19 si serv. vind. 8, 5 L. 30 [31] § 7 de negot. gest. 3, 5; W i n d s c h e i d § 132 N. 4, 5. Rechtsstreit über Ansprüche aus einer Korrealobligation. J h e r i n g in seinen Jahrb. XXIV S. 185 fg.
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Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
§ 199. 6.
Der Schiedsspruch
Statt das öffentliche Gericht anzugehn, können die Parteien die Entscheidung ihrer Streitsache einer oder mehreren Privatpersonen übertragen, sogenannten Schiedsrichtern. Dazu ist ein doppelter Vertrag erforderlich: ein Vertrag unter den Parteien, worin sie sich zur Unterwerfung unter den Schiedsspruch verpflichten, Schiedsvertrag, compromissum, und ein Vertrag der Parteien mit dem Mann ihres Vertrauens, worin sich dieser zur Übernahme der schiedsrichterlichen Aufgabe verpflichtet, sogenanntes receptum. Beide Verträge sind privatrechtlich und insoweit auch die dadurch begründeten Rechtsverhältnisse. Indes hat die Rechtsordnung diesen Ersatz der gerichtlichen Erledigung der Rechtsstreite unter ihren Schutz genommen, nicht ohne Bedingungen aufzustellen, welche die schiedsrichterliche Rechtsprechung der öffentlichen nähern. Dadurch erhalten diese Verhältnisse und das ganze Institut ein öffentlich rechtliches Element. So schon im römischen Recht, in verstärktem Mafse durch die Regelung in der CPO. I. Die Hilfe, welche das römische Recht dem auf Herbeiführung der schiedsrichterlichen Entscheidung gerichteten Parteibestreben angedeihen liefs, beschränkte sich darauf, dafs der Prätor auf Antrag der Parteien den arbiter zur Erfüllung der freiwillig übernommenen Pflicht zwang. Der Zwang trat aber nur ein, wenn sich die Parteien durch beiderseitige Strafversprechen zur Anerkennung des Schiedsspruchs verpflichtet hatten, daher com-promissum, und wenn gewisse andere Voraussetzungen hinsichtlich der Parteien, des Schiedsrichters sowie der Streitsache gegeben waren 1. Der den Klaganspruch anerkennende Schiedsspruch erzeugte keine Klage auf Vollstreckung; es konnte nur gegen die Partei, welche dem Spruch die Befolgung verweigerte, aus der Strafstipulation geklagt werden. Erst Justinian gewährte auf Grund der von den Parteien bethätigten Anerkennung des gefällten Spruchs eine Klage auf Leistung gemäfs dem Recht, da& * Dig. de receptis: qui arbitrium receperint, ut sententiam dicant 4, 8 Cod. de receptis arbitris 2, 55 [56]. W e i z s ä c k e r , Das römische Schiedsrichteramt unter Vergleichung mit dem officium judicis (1879); darüber B r i n z , Krit. VJSchr. X X I I S. 195 fg. und K o h l er ebenda S. 465 fg.; M a t t h i a f s , Die Entwicklung des römischen Schiedsgerichts (Rostock. Festschrift für Windscheid 1888); darüber M i t t e i s , Krit. VJSchr. X X X I I I S. 343 fg. - CPO. § 851-872; W a c h , Handb. des Civilpz. § 7. 1 M a t t h i a f s a. a. 0. S. 19 fg.
Der Rechtsschutz. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
§ 200
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dem Kläger zuerkannt wurde, während der freigesprochene Beklagte sich durch exceptio schützen konnte2. II. Die neuere Rechtsentwicklung neigt dahin, der schiedsgerichtlichen Erledigung höhere Wirksamkeit beizulegen. Dieser Richtung hat sich die CPO. angeschlossen. Sie bestimmt in § 866: Der Schiedsspruch hat unter den Parteien die Wirkung eines rechtskräftigen gerichtlichen Urteils. Des Wortlauts ungeachtet gilt diese Gleichstellung nicht vollkommen. Der Schiedsspruch schöpft seine verbindliche Kraft aus dem Schiedsvertrag. Dies äufsert sich von prozessualischen Verschiedenheiten abgesehn darin, dafs der Spruch wegen Mängel des Schiedsvertrags oder der schiedsrichterlichen Bestellunganfechtbar ist, dafs er ferner durch Übereinkunft der Parteien auf· gehoben werden kann. Er steht daher in seiner Wirkung dem Vergleich näher als dem gerichtlichen Urteil. Immerhin begründet er eine Klage auf Vollstreckung und die Abwehr einer Rechtsverfolgung, die dem Inhalt des Schiedsspruchs widerstreitet 3. Der Schiedsvertrag kann nur über solche Streitsachen geschlossen werden, die den Gegenstand eines Vergleichs bilden können (CPO. § 851, dazu oben § 171 II, 1), auch über künftige Rechtsstreitigkeiten, jedoch mufs dann das Rechtsverhältnis oder müssen die Rechtsverhältnisse genau bestimmt werden, auf die sich das Übereinkommen beziehn soll. Der Schiedsvertrag bindet jede Partei an die Austragung der Sache im Weg des schiedsrichterlichen Verfahrens. Es entspringt daraus eine Einrede gegen die gerichtliche Verfolgung desselben Anspruchs4 und eine Klage auf Mitwirkung zur Bestellung des Schiedsgerichts. Im übrigen ist auf die Darstellung des Civilprozefsrechts zu verweisen. D.
Die Wiedereinsetzung
in den vorigen
Stand*.
§ 200. 1. Begriff und Voraussetzungen. I. Die in der Natur des Rechts begründete gleichförmige Anwendung eines Rechtssatzes auf alle praktischen Fälle, in denen der 2 3 4
und X * (1831); in den
M a t t h i a f s a. a. 0. S. 124 fg. W a c h a. a. O. I S. 74 fg. RGE. V I I I Nr. 97 S. 348 Nr. 118 S. 398. Über die Natur dieser Einrede als exceptio pacti die RGEE. in Note 3 Nr. 113 S. 367. B u r c h a r d i , Die Lehre von der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand S a v i g n y VII § 316—343 (1848); S p a l t e n s t e i n , Die Wiedereinsetzung vorigen Stand (1873); B e k k e r , Die Aktionen I I Kap. 18 (1873;.
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Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
allgemeine Thatbestand dieses Rechtssatzes und kein andrer verwirklicht ist, führt, wie oben (§ 11) erörtert, zuweilen zu einer rechtgemäfsen Beurteilung, die von einem alle Seiten abwägenden, von dem derzeitigen Rechtsbewufstsein bestimmten Billigkeitsgefühl als Härte empfunden wird. Diese Unvollkommenheit läfst sich durch eine zeitgemäfse Fortbildung des Rechts nur mindern, immer wird das Bedürfnis nach einer dem Einzelnen mehr gerecht werdenden Ausgleichung bleiben. Diesem Zweck dient auf dem Gebiete der Strafrechtspflege die Aufhebung oder Milderung gültiger Urteile im Wege der Begnadigung. Eine ähnliche Ausgleichung übte auf dem Civilrechtsgebiet im republikanischen Rom der Prätor. Er sicherte wenigstens für gewisse Fälle die Aufhebung eingetretener Rechtsveränderung zu, wenn sich ihm die Aufhebung nach Prüfung des einzelnen Falls gerechtfertigt erweisen sollte. Diese aufserordentliche Abhilfe gegen die Folgen eines abgeschlossenen Rechtsgeschäfts oder eines Rechtsversäumnisses durch unmittelbares Eingreifen des Prätors ist die in integrum restitutio, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das freie, man möchte fast sagen souveräne Befinden, wie es in der ursprünglichen restitutio in integrum zur Verwirklichung kam, konnte einem republikanischen Magistrate eingeräumt sein, nicht einem Staatsorgan unter der centralisierenden Kaiserherrschaft. Mehr und mehr specialisierte die Jurisprudenz die Voraussetzungen, unter denen die Wiedereinsetzung erteilt werden durfte und gegebenenfalls erteilt werden mufste. Die Erteilung ging an die ordentlichen Gerichte über. Dadurch näherte sich die Wiedereinsetzung den ordentlichen Rechtsmitteln; im heutigen Recht ist sie davon wenig verschieden. Überdies steht die neuere Rechtsentwicklung dem Institut nicht günstig gegenüber und sucht ihr den Boden zu beschränken (§ 201 N. 4). II. Die Wiedereinsetzung kennzeichnet sich durch folgende Merkmale. 1. Sie greift nur gegen Veränderungen Platz, die nach dem Rechte in gültiger Weise eingetreten, also weder nichtig noch mit den ordentlichen Rechtsmitteln anfechtbar sind. Doch soll ihr die blofs mittelbare Abhilfe durch einen Ersatzanspruch nicht entgegenstehnl. 2. Sie wird vom Richter gewährt und nur aus den im positiven Recht anerkannten Gründen, bei deren Vorhandensein sie gewährt werden mufs. Darin liegt der Unterschied zum strafrechtlichen Begnadigungsrecht. 1
Regel L. 16 pr. de minor. 4, 4. Anwendung C. 1 [2] de filiofam. min. 2, 22 [23]. Ausnahmen L. 9 § 3, 4 L. 21 § 6 quod met. c. 4, 2 C. 3, 5 si tutor vel cur. 2, 24 [25j. W i n d s c h e i d § 115 N. 1 ; Seuff. X V I I 205 XXXV 266 (RG.).
Der Rechtsschutz.
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
§ 200. 713
3. Sie besteht darin, dafs durch Richterspruch erklärt wird, es solle so gehalten werden, als ob das beschwerende Rechtsgeschäft nicht abgeschlossen oder das beschwerende Rechtsversäumnis nicht eingetreten sei. III. Die Wiedereinsetzung ist durch folgende Voraussetzungen bedingt. 1. Es mufs der Abschlufs eines Rechtsgeschäfts oder ein Rechtsversäumnis dem Nachsuchenden einen Nachteil, laesio, damnum, verursachen. Der Nachteil wird in der Regel ein vermögensrechtlicher sein, die W. E. ist aber darauf nicht beschränkt2. Der vermögensrechtliche Schaden kann auch in dem Entgang eines Gewinns bestehn ; doch wird dagegen W. E. nicht gewährt, wenn dadurch einem Andern entzogen würde, was schon vor der Veränderung in seinem Vermögen war 3 . Überhaupt wenn der durch die Gewährung im Vermögen des Restitutionsgegners entstehende Schaden erheblich gröfser wäre als der gegenwärtige Nachteil des Restitutionssuchers, so soll die W. E. versagt werden; denn sie ist bestimmt, die Billigkeit zu verwirklichen 4. 2. Dem Restitutionssucher mufs ein Umstand zur Seite stehn, der den aufserordentlichen Eingriff rechtfertigt; eine justa causa restitutionis. Die Restitutionsgründe sind gesetzlich bestimmt : Minderjährigkeit, Abwesenheit und ähnliche Umstände, Drohung, Betrug, Irrtum. Diese Gründe rechtfertigen die W. E. nicht sämtlich in gleichem Umfang, am umfassendsten die Minderjährigkeit. Überdies mufs der Nachteil mit dem Restitutionsgrund in ursächlichem Zusammenhang stehn, d. h. aus der Unerfahrenheit oder Selbstfürsorgeunfähigkeit des Minderjährigen, aus der Abwesenheit u. s. w. entsprungen sein. Daher findet z. B. die W. E. nicht statt, wenn der Vormund des Minderjährigen bei Abschlufs des Rechtsgeschäfts mit aller Sorgfalt verfahren ist 5 . 3. Die W. E. mufs innerhalb vier Jahren nachgesucht werden. Die Frist beginnt mit Wegfall des die W. E. rechtfertigenden Grunds, aber ohne Rücksicht auf die Kenntnis des Geschädigten von der Schädigung6. 2
L. 3 § 6 L. 6, 35, 44 de minor. 4, "4 RGE. X X I Nr. 32 S. 183 (W. E. gegen ein Verlöbnis). 3 L. 18, 20 ex quib. caus. maj. 4, 6; Seuff. X X X 112. 4 L. 4 de in integr. rest. 4, 1; W i n d s c h e i d § 115 N. 6. r> L. 11 § 4, 5 L. 24 § 1 de minor. 4, 4; Seuff. XXX 224, X L V I I 178, RGE. XV Nr. 41 S. 195. 6 C. 7 de temp. i. i. rest. 2, 52 [53]; W i n d s c h e i d § 120 N. 11, 12. Nur in der Formulierung weicht ab D e r n b u r g I § 143 N. 8. Es genügt nach heutigem
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Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
4. Gegen gewisse Rechtsveränderungen ist die W. E. kraft positiver Vorschrift ausgeschlossen : gegen die Eingehung einer Ehe, gegen die Verpflichtung aus einem vom Restitutionssucher begangenen Delikt 7 , gegen die Verjährung von 30 oder mehr Jahren 8, gegen fiskalische Veräufserungen ; unzulässig ist auch ein Gesuch auf Kosten der Eltern.
§ 201. 2. Die Restitutionsgründe insonderheit. I. M i n d e r j ä h r i g k e i t . — Diese Restitution wurde eingeführt für die mündigen Minderjährigen zu einer Zeit, da sie regelmäfsig die freie Verwaltung und Verfügung über ihr Vermögen besafsen, um ihnen die Nachteile aus der mit ihrem Alter verknüpften Unerfahrenheit und Sorglosigkeit abzunehmen (L. 1 pr. de minor. 4, 4). Als sich mehr und mehr die Sitte einbürgerte, dafs sich die mündigen Minderjährigen einen Kurator geben liefsen (§ 131 I I I A), fiel diese Rechtfertigung weg. Die Restitution wurde gleichwohl beibehalten, und selbst auf die Schädigung durch die Kuratoren erweitert, jetzt mit dem veränderten Grundgedanken, dafs sich, wer auf fremde Hilfe angewiesen ist, in schlimmerer Lage befindet, als wer selbst sein Interesse wahrzunehmen vermag. Darum war nunmehr die Ausdehnung auf die Unmündigen gerechtfertigt, ja selbst die Erstreckung auf die andern Bevormundeten, die übrigens erst auf der neuern Praxis beruht 1 . Den Minderjährigen sind durch positive Vorschrift die Gemeinden und die kirchlichen Korporationen gleichgestellt. In der Praxis wird dies vielfach auf andere juristische Personen erstreckt 2. Die W. E. wird diesen Personen gewährt gegen nachteilige Rechtsgeschäfte und gegen Rechtsversäumnisse, auch wenn dieselben von Recht, dafs das Gesuch innerhalb der Frist angebracht ist. Anders das römische Recht. C. 5 pr. C. 7 § 1 [pr.] de tempor. in int. rest. 2, 52 [53]; Seuff. X X I 6. S a v i g n y V I I S. 253 fg. 7 Die Beschränkung auf dolos begangene Delikte (Savigny V I I S. 139 u. A.) ist durch L. 9 § 5 de minor. 4, 4 nicht genügend gerechtfertigt. 8 In Seuff. X L I 190 (RG.) wird dasselbe von der Verjährung des Entschädigungsanspruchs aus dem Reichshaftpflichtgesetz behauptet. 1 C. 2, 3, 5 si tutor vel cur. 2, 24 [25]; auf Geisteskranke die ältere Praxis ( G l ü c k , Komm. V I § 465) und Seuff. V 103, wogegen die theoretischen Bedenken von Savigny V I I S. 160 fg. u. A. nicht verschlagen, a. M. freilich Seuff. XXXIV 266 ; auf Verschwender Seuff. I I I 190 X I I I 9, 186. 2 C. 4 quib. ex caus. maj. 2, 53 [54] C. 3 de jure reip. 11, 30 [29] C. 1, 3, 6 X de in int. rest. 1, 41. Erweiterung auf den Fiskus Seuff. I I I 191 X 320 XIV 191.
Der Rechtsschutz.
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
§ 2 0 . 715
ihren Vertretern (Vormund oder Vater) herrühren, jedoch mit der in § 200 gemachten Beschränkung. Sie wird ihnen versagt, wenn dem Restitutionssucher ein arglistiges Verhalten zur Last fällt, ferner gegen eidlich bestärkte oder nach Befreiung von der Vormundschaft genehmigte Geschäfte und in gewissen andern Fällen 3 . Neuere Gesetze schränken sie noch stärker ein 4 . II. A b w e s e n h e i t und ä h n l i c h e Umstände. Gegen einen Rechtsverlust durch Versäumnis erhalten alle Personen die W. E., wenn ihnen ein triftiger Entschuldigungsgrund zur Seite steht. Als triftige Entschuldigung wird vor allem angesehn die Abwesenheit, und zwar sowohl des von dem Verlust Betroffenen selbst als einer andern Person, deren Anwesenheit zur Vornahme der Handlung erforderlich war, im ersten Fall vorausgesetzt, dafs er nicht einen Vertreter bestellen (Seuff. XLVII 260), im zweiten, dafs er nicht einen Vertreter belangen konnte ; die römische Jurisprudenz neigte dahin, die W. E. auch gegen die Versäumnisse des vom Abwesenden bestellten Vertreters zu erteilen 5. Der Abwesenheit sind andere erhebliche Hinderungsgründe gleichgestellt, worüber das richterliche Ermessen zu entscheiden hat 6 . HI. D r o h u n g , B e t r u g , I r r t u m . — Da die Rechtsgeschäfte, welche durch Drohung oder Betrug zustande kamen, durch ordentliche Rechtsmittel angefochten werden können, so ist für die W. E. nur dann Raum, wenn auf jenem Wege keine genügende Hilfe zu erreichen ist, z. B. wenn jemand durch Drohung oder Betrug zum An3 L. 3 § 4 L. 7 § 2 de min. 4, 4 L. 9 pr. eod. C. 1 si adv. vend. pign. 2, 28 [29] C. 11 de transact. 2, 4 Nov. 115 c. 3 § 13; W i n d s c h e i d § 117 N. 6. Manche schliefsen von der W. E. alle Geschäfte aus, die der Restitutionssucher in Ausübung eines Gewerbes abgeschlossen hat, wozu er öffentlich ermächtigt ( W i n d s c h e i d N. 4) oder überhaupt befugt war ( H e i n z e r l i n g , Arch, fur prakt. RW. N. F. X V I S. 139); dem minderjährigen Kaufmann versagt sie T h ö l , Handelsr. § 11, wogegen B e h r e n d , Handelsr. § 33 N. 22. 4 Die CPO. schliefst sie aus für prozessualische Versäumnisse (§ 210) und fur Urteile (§ 472—554); für gewisse Verjährungen HGB. Art. 149 Reichshaftpflichtgesetz § 8 (vgl. oben § 200 N. 8); das preufs. Gesetz über die Geschäftsfähigkeit der Minderjähr. v. 12. Juli 1875 § 9 für alle Geschäfte der Minderjährigen und der ihnen gleichgestellten Personen. 5 Dieses Ergebnis zieht mit Grund Savigny V I I S. 176 aus den widerstreitenden Äufserungen in den Quellen. Strenger D e r n b u r g I § 142 N. 9. 6 Der Prätor hatte an die W. E. wegen Abwesenheit den Vorbehalt gefügt: si qua alia mihi justa causa esse videbitur, in integrum restituam. L. 1 § 1 ex quib. caus. maj. 4, 6. Die Quellen enthalten darüber eine reiche Kasuistik. Aber es ist vergeblich, sie auf eine festere Formel zurückführen zu wollen. Vgl. indes W i n d s c h e i d § 119.
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Die allgemeinen Lehren des Pandektenrechts.
tritt oder zur Ablehnung einer Erbschaft gebracht wurde, weil hier der Ersatzanspruch schwer ziffermäfsig bemessen werden kann (L. 21 § 5, 6 quod met. c. 4, 2). Der Irrtum war schon bei den Römern nur für seltene Fälle als Restitutionsgrund anerkannt ; praktisch ist davon allein die W. E. der Erbschaftsgläubiger und Vermächtnisnehmer gegen die von ihnen nachgesuchte Gütertrennung (L. 1 § 17 i. f. de separ. 42, 6). Es liegt kein Grund vor, darüber hinauszugehu.
§ 202. 3. Umfang der Wiedereinsetzung. I. Das Ziel der W. E. ist, den Restitutionssucher in die Lage zu versetzen, in der er sich, wie man annehmen darf, ohne das Eingreifen des die W. E. rechtfertigenden Umstands in Beziehung auf das benachteiligende Ereignis befinden würde. Er soll nicht schlechter dastehn, aber auch nicht besser gestellt werden. Wenn daher z. B. bei der W. E. wegen Versäumnis die Abwesenheit nur während eines Teils der Frist gewährt hat, so wird nicht die ganze Frist hergestellt. Wird jemand gegen ein entgeltliches Geschäft restituiert, so mufs er die Gegenleistung herausgeben und die notwendigen wie die nützlichen Verwendungen vergüten, welche auf die ihm zurückzuerstattende Sache gemacht sind 1 . II. Die W. E. kann von dem geltend gemacht werden, dessen Person das benachteiligende Ereignis getroffen hat und dem zugleich der rechtfertigende Umstand zur Seite steht; auch von seinen Erben. Sonstige bei dem Rechtsvorgang Beteiligte z.B. Miteigentümer, Gläubiger, Sondernachfolger in das von dem nachteiligen Ereignis ergriffene Rechtsverhältnis erlangen nur durch Abtretung des Restitutionsanspruchs die Möglichkeit, die W. E. nachzusuchen. Auch der Bürge kann nicht die W. E. aus der Person des Hauptschuldners fordern, aber es kommt ihm die vom Hauptschuldner erwirkte W. E. gegenüber dem Gläubiger zu gute, er mülste sich denn gerade mit Rücksicht auf den die W. E. rechtfertigenden Umstand verbürgt haben (L. 13 pr. de minor. 4, 4). III. Die W. E. erfolgt in der Regel nur gegen denjenigen, zu dessen Gunsten unmittelbar die den Restitutionssucher benachteiligende Änderung eingetreten ist, sowie gegen dessen Erben. Es giebt aber Fälle, wo sie gegen Dritte erwirkt werden kann (in rem): 1 L. 50 de minor. 4, 4 L. 26 § 7 i. f. ex quib. caus. maj. 4, 6 — L. 24 § 4 L. 27 § 1 L. 39 § 1 de min. 4, 4.
Der Rechtsschutz.
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
§ 20.
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1. die W. E. gegen den Verlust eines dinglichen Rechts durch Ersitzung oder sonstige Verjährung gegen jeden Besitzer der Sache, ebenso die W. E. gegen den Antritt oder die Ablehnung einer Erbschaft gegen alle dabei Beteiligten2 ; 2. die W. E. wegen Drohung in demselben Umfang wie die actio quod metus causa (§ 145); 3. Minderjährige werden gegen dritte Erwerber der verlornen Sache oder mittelbar Beteiligte restituiert, wenn der Dritte beim Erwerb der Sache wufste, dais sie auf Kosten des Minderjährigen erworben war, oder wenn das Interesse des Minderjährigen an der Wiedererlangung der verlornen Sache selbst haftet, oder wenn die W. E. gegen den unmittelbar Beteiligten den Nachteil wegen dessen Zahlungsunfähigkeit nicht hebt 3 . 2 C. 3 de rest. mil. 2, 50 [51] C. 2 de uxor. mil. 2, 51 [52] — L. 7 § 5, 10 L. 31 de minor. 4, 4. 3 L. 9 pr. L. 13, 1 L. 14 de min. 4, 4. W ä c h t e r , Pand. I S. 586 fg. Die Ausdehnung ist sehr bestritten. W i n d s c h e i d § 120 N. 3. Man pflegt nach Paul. I, 7 § 4 die Frage so zu stellen: wann wirkt die W. E. in personam, wann in rem?