Handbuch des Strafrechts: Erster Band. Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Siebente Abtheilung, erster Theil, erster Band. Hrsg. von Karl Binding [1 ed.] 9783428561476, 9783428161478


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German Pages 950 Year 1885

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Handbuch des Strafrechts: Erster Band. Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Siebente Abtheilung, erster Theil, erster Band. Hrsg. von Karl Binding [1 ed.]
 9783428561476, 9783428161478

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Handbuch des Strafrechts Von

Karl Binding

Erster Band

Duncker & Humblot reprints

Systematisches Handbuch der

Deutschen Rechtswissenschaft. Unter Mitwirkung der

Professoren

Dr. H. Brunner

Dr. 0. Biilow i n Leipzig, Rostock,

i n Berlin,

Dr. E. Brunnenmeister

Dr. H. Degenkolb i n Tübingen,

i n Halle,

Dr. V. Ehrenberg i n

Dr. A. Franken i l l Jena, des General-Procurators Dr. J. Glaser i n W i e n ,

der Professoren Dr. A. Grawein i n Czernowitz, Dr. A. Haenel in Kiel, Dr. R. Heinze in Heidelberg, Dr. A. Heusler in Basel, Dr. R. v. Jhering i n Göttingen, Dr. P. Krüger in Königsberg, Dr. P. Laband in Strassburg, Dr. F.V.Martitz in Tübingen, Dr. E. Meier in Halle, Dr. Th. Mommsen in Berlin, Dr. F. Regelsberger in Göttingen, Dr. W. v. Rohland ill Dorpat, Dr. A. Schmidt i n Leipzig, Dr. R. Sohrn i n Strassburg, Dr. A. Wach i n Leipzig, Dr. R. Wagner i n Leipzig, Dr. B. Windscheid i n Leipzig

herausgegeben von

Dr. Karl Binding, Professor in Leipzig.

Siebente Abtheilung, erster Theil, erster Band:

B i n d i n g , H a n d b u c h des Strafrechts.

Band I .

Leipzig, Verlag

von

Duncker 1885.

& Hu m blot.

Handbuch des

rafrechts. Von

Dr. Karl Binding.

Erster

Band.

Leipzig, erlag

von Duncker 1885.

&

Humbiot.

Da«? Recht der Uebersetzung bleibt vorbehalten.

Pierer'sche Hofbuchdrackerei. Stephan Geibel & Co. in Altenburg.

DEN TEUREN

HEUSLEK I N BASEL,

FREUNDEN

G. H A R T M A N N I N TÜBINGEN,

ALS GEGENGABE.

H.

DEGrENKOLB I N TÜBINGEN

Vorrede. I n den charakteristischen Eigentümlichkeiten eines Werkes, sofern sie ihm nicht ohne den Willen seines Urhebers erwachsen, spiegeln sich klar die Motive seiner Schöpfung. Sehe ich recht, so trägt das Werk, dessen erster Band nun in die Welt tritt, deren vier an sich. Es ist ein Werk der Wissenschaft des positiven Rechts. I n der Abhängigkeit meiner Forschung und ihrer Ergebnisse von dem Stoff meiner Betrachtung finde ich meinen Stolz. Wer diese Abhängigkeit als selbstverständlich bezeichnet, hat Recht: allein um so mehr muss ihn die Wahrnehmung überraschen, wie vielen aprioristischen Theorien unsere Wissenschaft und fast noch mehr unsere Praxis sehr zum Nachteil für beide huldigt. — Jener Stoff ist grösstenteils in die eherne Form des Gesetzes gegossen: ich war bemüht mir die Anforderungen umfassender Kodifikationen an die Wissenschaft zu klarem Bewusstsein zu bringen und nach meiner Kraft zu befriedigen. Es ist ein Werk der Wissenschaft des deutschen Rechts. Eine gesunde Rechtsvergleichung setzt gründliche Kenntniss der zu vergleichenden Rechte voraus: sonst wird sie dilettantisches Spielwerk. Solange wir noch so viel wie heute mit unserem heimischen Rechte zu tun haben, können wir vielleicht daran denken gute Monographien rechtsvergleichenden Inhaltes, aber noch nicht umfassende Handbücher des geltenden Rechts, die zugleich der Rechtsvergleichung dienstbar sein sollen, zu schreiben. Wenigstens ich kann es nicht. Nicht ohne Widerstreben zog ich aus dieser Auffassung die Folgerung, die auswärtige Literatur, soweit sie einem fremden Rechte gewidmet ist und deshalb zur Rechtsvergleichung nötigt, bei Seite zu lassen. Es ist ein Werk der Dogmatik des bestehenden Rechts. Aus historischer Schule hervorgegangen bin ich so tief durchdrungen von der Grösse rechtsgeschichtlicher Aufgaben, dass ich nicht Mannes genug zu sein glaubte der Lehre vom geltenden Rechte, auf die es

ΥΙΙΙ

Vorrede.

mir an erster Stelle ankam, eine auch nur in bescheidenem Maasse befriedigende Vorgeschichte desselben vorauszusenden. Besser Teilung der Arbeit als ungenügendes Gesammtwerk ! Ist das Werk aber nicht historisch, so hofft es nicht unhistorisch zu sein. Ich sehe das geltende Recht als Durchgangspunkt zwischen Vergangenheit und Zukunft — als Durchschnitt, gelegt durch die lebendigen vorwärts strebenden Rechtsideen, deren Lauf zu verstehen, deren erreichten Entwicklungspunkt zu fixiren, deren vielleicht eingetretene Verschlingung, hie und da wohl gar Verwirrung aufzudecken ich bestrebt war. Zum Vorwurfe des Werkes diente das ganze gemeine deutsche Strafrecht unter alleinigem Ausschlüsse des Militärstrafrechts. Der reiche, teilweise so feine, teilweise so seltsame Inhalt der SpezialStrafgesetze des Reichs sollte mit zur Darstellung gelangen. Die bedeutende Erschwerung der Aufgabe durfte gegenüber dem Bedürfnisse nach wissenschaftlicher Verwertung dieses Stoffes nicht in Betracht kommen, wenn auch zu erwarten war, dass der erste grössere Versuch derart unvollkommen genug ausfallen werde. Eine gesunde dogmatische Behandlung des geltenden Strafrechts blieb aber unmöglich, wurden nicht Verbrechen und Strafe der Selbstherrlichkeit entkleidet, womit bisher beide in den theoretischen Werken einhergeschritten waren. Das Verbrechen musste als Tatbestand, der das Strafrecht erzeugt, die Strafe als Objekt dieses Strafrechts gefasst werden — mit andern Worten: es galt dem subjektiven Recht auch in der Strafrechtswissenschaft den Platz wieder einzuräumen, der ihm gebührt. Und da zwar nicht alle menschlichen Rechte aus dem einen göttlichen fliessen wie Heraklit sagt, wohl aber alle subjektiven Rechte aus den Rechtssätzen, so galt es auch für uns das Recht und die Rechte in der engen Beziehung zu sehen, in der beide stehen müssen. So ist das dogmatische Grundgebälk der Arbeit einfach und hoffentlich fest. Scharf heben sich von einander ab zwei Arten von Rechtssätzen: d i e N o r m e n u n d d i e S t r a f g e s e t z e . Diesen beiden Arten von Rechtssätzen entsprechen zwei Arten subjektiver Rechte: d a s R e c h t a u f B o t m ä s s i g k e i t und das R e c h t a u f S t r a f e . Und wie das Strafgesetz begrifflich die Norm voraussetzt, so das subjektive Strafrecht begrifflich das Recht auf Botmässigkeit. Diese beiden subjektiven Rechte stehen in tiefinnerster Verwandtschaft, denn die Verletzung des einen — das D e l i k t — bildet die Quelle des andern und heisst insofern V e r b r e c h e n . Es ist das Strafrecht nicht mehr und nicht weniger als ein verwandeltes Recht auf Botmässigkeit; diese Verwandlung vollzieht sich durch die Unbot-

Vorrede.

IX

mässigkeit. Das Delikt ist stets Verletzung subjektiven Rechts, und diese Verletzung bildet die Quelle, der das subjektive Strafrecht entspringt. Diesen beiden subjektiven Rechten trat ein drittes zur Seite, das mit dem subjektiven Strafrechte vielfach zusammengeflossen war, aber doch strenger Scheidung von ihm bedurfte: das S t r a f k l a g r e e h t . Eine grosse Zahl chronischer Verwirrungen verschwand in demselben Augenblick, wo nicht nur die Verschiedenheit, sondern auch die Unabhängigkeit beider Rechte von einander feststand. Schärfer als bisher geschehen war klarzustellen, wem diese Rechte in Deutschland zustehen, ob dem Reiche oder den Bundesstaaten, und worin die praktisch bedeutsamen Unterschiede der Reichsrechte von den Staatenrechten zu finden sind. Alle diese subjektiven Rechte aber waren im Anschluss an die gute Gewohnheit der Civilisten in den Gründen ihrer Entstehung, ihrer Wandlung, ihres Untergangs zur Darstellung zu bringen. Hierbei trieb der Drang nach Systematik zu einem Bruche mit derselben. Sollte sich der Ring runden und schliessen, so war es untunlich die ganze Lehre von der verbrecherischen Handlung in die Darstellung von den Entstehungsgründen des Strafrechts aufzunehmen : die Materie ist so gewaltig, dass sie den Zusammenhang unseres 2. Buches einfach gesprengt hätte. Und gerade auf Wahrung dieses Zusammenhanges war Gewicht zu legen. So ist dieser grosse in sich geschlossene Gegenstand dem 2. Bande vorbehalten. Bei der dogmatischen Darstellung habe ich gesucht mich mehr mit abweichenden Ansichten, als mit deren individuellen Vertretern auseinander zu setzen. Literarische Erscheinungen, die mir wie die ersten Bogen des 2. Bandes von G l a s e r und L o e n i n g s Grundriss erst zu Händen kamen, als weitaus der grösste Teil des Buches gedruckt war, habe ich lieber gar nicht mehr als ungenügend benutzt. Die Präjudizien sind mit Maass verwertet, vor allen andern die des Reichsgerichts, aus denen ich gern gelernt, mit denen ich, wie es bei der hohen Autorität des Gerichtshofs und der weittragenden Wirkung seiner Erkenntnisse meine Pflicht war, um die Wahrheit gerungen habe. Es will das Werk endlich ein Werk praktischer Jurisprudenz sein. Es versucht praktische Erfahrung zum Aufbau der Theorie zu verwenden und gleichzeitig durch die in der Rechtspflege erprobte Theorie die Praxis zu fördern. Denn im Gerichte glaube ich ein gutes Teil von dem erkannt zu haben, was meiner Theorie fehlte und wessen die Praxis bedarf. Ich möchte der Praxis danken, indem ich ihr nutze. Ueber die Unvollkommenheiten des Werkes gebe ich mich keinen

χ

Vorrede.

Täuschungen hin. Zum Teil hängen sie damit zusammen, dass ich die Stunden literarischer Arbeit oft nur sehr mühsam der Zeit meines amtlichen Berufes abringen konnte. Und insoweit verdienen sie billige Würdigung. Hochwillkommene Förderung wurde mir dadurch zu Teil, dass ich die Schätze der Reichsgerichtsbibliothek frei benutzen durfte; ich kann das liebenswürdige Entgegenkommen der Beamten dieses Institutes, ganz besonders seines bewährten Vorstandes, des Herrn Prof. Dr. K. S c h u l z , nicht genug rühmen. Der Staatsanwalt am Königl. Landgericht Leipzig Herr Dr. N a g e l hat nicht nur die Freundlichkeit gehabt eine Korrektur dieser Bogen zu lesen, die bei der Fülle seiner Kenntnisse und Erfahrungen mir auch wertvolle sachliche Berichtigungen eintrug, sondern er hat sich auch der entsagungsvollen Aufgabe der Anfertigung beider Register unterzogen und sich dadurch um das Werk sehr verdient gemacht. Ich kann nicht schliessen, ohne noch zwei grosse Dankespflichten erfüllt zu haben. Nicht nur bei diesem Werke, sondern solange ich auf strafrechtlichem Gebiete literarisch tätig gewesen bin, hat der jetzige Chef der Preussischen Justizverwaltung, Justizminister Dr. F r i e d b e r g , in jeder Weise meine wissenschaftlichen Bestrebungen gefördert, meine Wünsche erfüllt, mich mit seinem bewährten Rate unterstützt und zu unbekannten und unzugänglichen Materialien mir aus freien Stücken den Zugang eröffnet. Eine Anwaltschaft der Theorie i n solchem Geiste an solcher Stelle zu finden erquickt nicht nur sondern ermutigt! Mein Dank ist mein Werk — ein Werk zugleich des Dankes gegen den Schöpfer unseres gemeinen Strafrechts! Dafür aber, dass es mir vergönnt gewesen ist durch Teilnahme am Gerichte nach Kräften den Gefahren zu entgehen, welche eine dauernde Entfremdung der Theorie und der Praxis von einander für beide bedeutet, bin ich dem Haupte der Königl. Sächsischen Justizverwaltung, Herrn Justizminister Dr. v. A b e k e n tief verpflichtet. Möchte sein Beispiel, den akademischen Lehrern die Teilnahme an der Praxis derart zu ermöglichen, dass ihr Lehrberuf darunter nicht leidet, reiche Nachahmung finden! L e i p z i g , 27. August 1885.

Dr. Karl Binding.

Inhalts verzeichniss. Einleitung. Seite

Erstes K a p i t e l .

Die Aufgrabe und die Art ihrer Ltfsungr.

§ 1. § 2.

I. Der Gegenstand des Werkes 3— 6 II. Aufgaben und Grenzen der Wissenschaft des positiven Strafrechts 6—15 III. Die Wissenschaft gegenüber dem codificirten Strafrechte. §3. 1. Die Beschränkung der Wissenschaft durch die neuere Gesetzgebung 15—16 § 4. 2. Die Entstehung des Satzes nulla poena sine lege und seine Rückwirkung auf die Theorie 17—28 § 5. 3. Präcisirung und Erweiterung der wissenschaftlichen Aufgaben durch die neue Gesetzgebung 28—33 § 6. IV. Praxis und Wissenschaft 33-37 Zweites K a p i t e l . § 7.

§8. § 9. § 10. §11. §12. § 13. § 14. § 15. § 16. § 17.

Der Quellenbestand.

I. Im Allgemeinen II. Entstehung und Wandlung des allgemeinen Strafgesetzbuchs. Seine Rückwirkung auf die Landesstrafgesetzgebung. 1. Der Sieg des Particularismus über das absterbende gemeine Recht 2. Die Stellung der Aufgabe der Rechtseinigung für den Norddeutschen Bund 3. Die Neuheit der Aufgabe 4. Der Entwurf Friedberg (I) 5. Der Entwurf der Bundescommission (II) 6. Der Entwurf des Bundesrats (III) 7. Der Entwurf des Bundesrats vor dem Reichstage 8. Das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund und sein Einführungsgesetz vom 31. Mai 1870. Sein Inhalt . . . 9. Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich und dessen Ergänzung durch den § 130 a 10. Das revidirte Reichsstrafgesetzbuch vom 26. Februar 1876 .

37—38

38—47 48—50 51—56 57—60 60—63 63—64 65—78 78—86 86—92 92—96

Inhaltsverzeichniss.

XII

Seite

§18.

11. Aenderungen des Reichsstrafgesetzbuchs vom 26. Febr. 1876 bis zum 24. Mai 1880 96—97 § 19. 12. Die unmittelbare Rückwirkung des gemeinen Strafgesetzbuchs auf die Strafgesetzgebung der Bundesstaaten . . 97—100 III. Die Militärstrafgesetzgebung des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reichs. §20. 1. Vor dem Erlass des Militärstrafgesetzbuchs für das Deutsche Reich 100—103 § 21. 2. Die Komplikation der Aufgabe eines Militärstrafgesetzbuchs 103—107 § 22. 3. Der Entwurf Fleck (I) 107—109 § 23. 4. Die Entwürfe der Commission (II) und des Bundesrats (III) 110—116 § 24. 5. Die Erhebung des Entwurfes des Bundesrats zum Militärstrafgesetzbuche für das Deutsche Reich 116—123 IV. Die Sonderstrafgesetze des Reiches. § 25. 1. Im Allgemeinen 123—125 § 26. 2. Ihr Bestand 126-144

Drittes Kapitel.

Die Literatur

und die Judikatur des

heutigen gemeinen Strafrechts. § 27. I. Einleitung § 28. II. Die Literatur § 29. III. Die Rechtsprechung

145-147 147—150 150—151

Erstes Buch. Das objektive Straf recht. Erste Abteilung.

Normen und Strafgesetze. Erstes Kapitel.

Der Gegensatz der Normen und der

Strafgesetze. § 30. § § § §

31. 32. 33. 34.

§ 35.

I. Die Nonn als reiner Imperativ 155—164 II. Die Arten der Normen. 1. Unbedingte und bedingte Normen 164—165 2. Verbote unci Gebote. Ihre Arten 166—172 3. Der Umfang der Normen 172—173 III. Die Norm als Regel mit Ausnahmen. Anhang : Terminologie der Quellen 173—175 IV. Die sog. Strafgesetze und ihre Arten 175—181

Inhalts verzeicliniss.

XIII Seite

Zweites K a p i t e l . Normen und Strafgesetze als bejahende Rechtssätze. § 36.

I. Der Zusammenhang zwischen objektivem unci subjektivem Rechte 181—183 § 37. II. Verbot und Gebot und das Recht auf Botmässigkeit . . . . 183—187 III. Das Recht auf Strafe wegen Unbotmässigkeit. §38. 1. Das Strafgesetz als bejahender Rechtssatz 187—192 §39. 2. Strafrecht und Strafklagrecht. Function des Strafurteils. 192—196 Drittes Kapitel.

Die

Erscheinungsform

von

Normen

und Strafgesetzen. § § § §

40. 1. Die vier Formen alles Rechtes 41. II. Vom ungesetzten Rechte insbesondere 42. III. Die Selbstbeschränkungen der Rechtsquelle 43. IV. Das Erforderniss des Strafgesetzes nach GB § 2 V. Die Bedeutung des ungesetzten Rechts für das Strafrecht.

§44. § 45. § 46. § 47.

197—200 201—203 203—204 204—208

1. Das ungesetzte Recht wider das Strafgesetz 209—212 2. Das ungesetzte Recht neben dem Strafgesetz 212—213 3. Von der Analogie insbesondere 213—218 Fortsetzung: Das Maass ihrer Zulässigkeit im heutigen gemeinen Rechte 218—222

Zweite Abteilung. Das Geltungsgebiet der Strafgesetze. § 48.

Der Gang der Entwicklung Erstes K a p i t e l .

223—224

Das zeitliche Geltungsgebiet der Straf-

gesetze. § 49. § 50.

I. Die Präcisirung der Frage II. Der Zeitpunkt des Inkrafttretens

225—226 227—230

III. Die Wirkungen des Inkrafttretens principiell entwickelt. § 51. § 52.

1. Der Streit cler Ansichten 2. Entwicklung aus der Aufgabe cles Strafgesetzes und dem Wesen des Strafrechts IV. Die Wirkungen des Inkrafttretens nach geltendem Rechte. §53. 1. Mögliche Einwirkungen der Landesgesetzgebung. Inkrafttreten der nicht strafrechtlichen Satzungen des GB. . § 54. 2. Gesetz und Zeit der Begangenschaft § 55. 3. Folgen und Ausnahmen des Grundsatzes nulla poena sine lege § 56. 4. Die Rückwirkung des milderen Gesetzes. Negative Begrenzung des GB § 2, 2. Verhältniss zur Rechtskraft unci zu den Satzungen über die Verbrechensverfolgung § 57. 5. Positiver Inhalt cles § 2, 2 : das mildeste Gesetz . . . . § 58. 6. Verhältniss des § 2 zur Verjährung insbesondere . . . .

230—235 236—242

242—244 244—248 248-251

251—257 257—266 266—268

Inhaltsverzeichniss.

XIV

Seite

Zweites K a p i t e l .

Das Verhältniss eoexistirender

Straf-

gesetze zu einander. § 59. § 60. § 61. § 62. § 63.

§ 64.

§ 65. § 66.

§ 67. § 68. § 69. § 70.

§ § § §

I. Ausländisches und inländisches Strafrecht 268—270 II. Gemeines und partikulares Strafrecht. 1. Einleitung 270—273 2. „Die gemeinsame Gesetzgebung über das Strafrecht." . . 273—280 3. Reichsrecht geht vor Landesrecht. Schutzmittel dieser Ueberlegenheit 280—286 4. Die Aufgabe des gemeinen Strafgesetzbuchs gegenüber der Landesstrafgesetzgebung 287—289 5. Die Ausschliesslichkeit des gemeinen Rechtes und ihr Umfang. a. Die „Materien" des Gesetzbuchs und der das EG beherrschende Gegensatz von allgemeinen und besonderen Vorschriften 289—296 b. Das Strafensystem 296—306 c. Die Grundsätze über das Subjekt des Verbrechens, über die Verbrechensbegehung, die Gleichung zwischen Unrecht und Strafe 306—312 d. Die allgemeinen Gründe ausgeschlossener Rechtswidrigkeit, ausgeschlossener und modificirter Strafbarkeit 312—314 e. Die Grundsätze über zeitliches und gegenständliches Herrschaftsgebiet der Strafgesetze 314—315 f. Verbrechen und Verbrechensgruppen 315—323 6. Materien, die principiell nicht Gegenstand der Reichsstrafgesetzgebung sind 323—331

III. 71. 72. 73. 74. IV.

V. § 75. § 76. §77. VI.

Allgemeines und besonderes Strafrecht. 1. Bedeutung des Gegensatzes 2. Allgemeines und besonderes gemeines Recht 3. Allgemeines Reichsrecht und besonderes Landesrecht. . Alternativität der Strafgesetze

332— 334 334—344 344—349 349-355

Subsidiarität der Strafgesetze. 1. Erste Form der Subsidiarität 2. Zweite Form der Subsidiarität Konsumtion einer Strafdrohung durch die andere

355-357 357—363 363—369

Drittes Kapitel. zelnen

Das sachliche Geltungsgebiet

Strafgesetzes·

Das

sog.

des ein-

internationale

Strafrecht. § 78. § 79. § 80. §81.

§ 82.

I. Principielle Vorerörterung. 1. Die Grundsätze der Lehre 2. Die möglichen Begrenzungen 3. Von dem sog. Realprincipe insbesondere 4. Die Auslieferung kein genügender Ersatz für das inländische Strafrecht II. Das geltende Reichsrecht. 1. Der wahre Wert des GB § 3—8

370—376 377—390 390—397 397—400 400—402

Inhaltsverzeichniss. Seite

83. 84. 85. 86.

87. 88. 89.

90. 91. 92. 93. 94.

2. Die geltenden Principien in ihrem Verhältnisse zu einander. Das „Kann" des § 4 al. 2 3. Inland und Ausland. Inländer und Ausländer . . . . 4. Inländischer oder ausländischer Begehungsort 5. Begehungsort des mittelbaren Täters und der Teilnehmer 6. Strafbarkeit der im Inlande und Auslande verübten Verbrechen. a. Die Verschiedenheit der Fälle b. Das deutsche Strafrecht in voller Unabhängigkeit von Tatort und Nationalität des Täters c. Das deutsche Strafrecht begründet durch auswärts begangene Delikte von Deutschen und Nichtdeutschen in ganz bestimmter Stellung d. Das deutsche Strafrecht begründet durch auswärts begangene Delikte nur von Deutschen 7. Ausschliessliches Herrschaftsgebiet des GB § 3 (des sog. Territorial-Princips) 8. Wirkung der Naturalisirung des Ausländers 9. Das Zusammentreffen des inländischen und des ausländischen Strafanspruchs und seine Wirkung 10. GB § 37 in seinem Verhältniss zum internationalen Strafrechte

402-405 405—414 414—423 424—425

425—427 427—431

431—434 434—437 437 438—439 440—446 446-449

Dritte Abteilung.

Die Auslegung der Strafgesetze. 95. I. Begriff und Abgrenzung der Auslegung 450—454 96. II. Der sog. Wille des Gesetzgebers als Ziel der Auslegung . 454—457 97. HI. Die beiden Akte und die Mittel aller Auslegung 457—458 98. 1. Das Erklärungsmoment und die vorläufige Erschliessung des Rechtsgedankens (Druckfehler; Redaktionsversehen; juristischer Sprachgebrauch). Wert des Moments 458—466 99. 2. Die Erkenntniss des Rechtswillens und ihre Mittel . . 466—469 100. Anhang. Die Auslegung als mittelbare Quelle der Auslegung. Insbesondere die Gesetzes-Materialien 469—474

Inhaltsverzeichniss.

XVI

Zweites Bucli. Das subjektive Strafrecht uud das Strafreclitsverhältniss. Erste Abteilung.

Das Rechtsverhältniss zwischen Staat und Sträfling. Seite

§ 101. § 102. § 103. § 104. § 105.

I. Der unmittelbare und der mittelbare Inhaber des Strafrechtes II. Das Strafrecht und der Sträfling III. Die Einheit des StrafrechtsVerhältnisses. 1. Bestimmung derselben 2. Ein Strafrecht und mehrere Berechtigte 3. Ein Strafrecht und mehrere Schuldige

477—483 483—485 485—487 487—488 488—491

IV. Die Wandlungen des Strafrechtsverhältnisses. § 106. § 107. § 108.

1. Arten derselben. Wandlungen innerhalb desselben Strafrechtsverhältnisses 2. Wachstum und Novation der Strafrechte 3. Umwandlung des Strafrechts in ein Nichtstrafrecht . .

492—493 494—496 4^6—497

Zweite Abteilung.

Die Gründe der Entstehung des Strafrechtsverhältnissös. § 109. Einleitung Erstes K a p i t e l .

498—499 Das Verbrechen.

§ 110. Die drei zu erörternden Hauptbegriffe

500—502

§ 111.

503

§ 112. § 113. § 114.

I. Der Begriff des Verbrechens II. Der Begriff der Verbrechensart.

1. Die Bildung ihres Tatbestandes 504r—506 2. Der Gegensatz von Normwidrigkeits- und StrafbarkeitsMerkmalen 507—510 3. Die Einteilung der Verbrechensarten in Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen 510—517 III. Der Begriff des Verbrechensfalles als der eines konkreten Verbrechens.

§ 115.

A. Die vier Arten seiner Merkmale

517—520

B. Die Verbrechenseinheit. § 116.

1. Der einzig mögliche Standpunkt auf dem Boden des Gesetzes

520—525

Inhaltsverzeichniss. Seite

§ 117. § 118. §119. § 120. § 121.

2. Ihre Formen. Ihr Verhältniss zur Gesetzeskonkurrenz 526—529 3. Ihr Wesen entwickelt am einheitlichen Delikte . . . 529—539 4. Der Begriff des fortgesetzten Delikts bez. Verbrechens insbesondere 539—547 5. Das eine Verbrechen eine Mehrheit von Delikten gleicher Art 547—560 6. Das Verbrechen eine Mehrheit von Delikten verschiedener Art 560—564 C. Die Verbrechensmehrheit.

§ 122. § 123.

1. Ihr Begriff 564—570 2. Arten der Verbrechensmehrheit. Insbesondere von der Ideal- und der Real-Konkurrenz 570—588 Zweites K a p i t e l .

Die anderweiten

Entstellungsgründe

von Strafrecht und Strafklagrecht. § 124.

I. Die anderweiten Bedingungen des Strafrechts

588—595

II. Die anderweiten Bedingungen des Strafklagrechts. § 125. A. Ihr rechtliches Verhältniss zu denen des Strafrechts . . § 126. B. Die objektiven Bedingungen und ihre Grundgedanken . § 127. C. Die Willenserklärungen und ihre möglichen Grundgedanken

595—599 599—602 602—607

D. Vom Antrag und von der Ermächtigung zur Strafverfolgung insbesondere. § 128. § 129.

§ 130. § 131. § 132.

§ 133. § 134. § 135. § 136.

§ 137. § 138.

1. Die Fälle der Antrags- und Ermächtigungsverbrechen 2. Die juristische Natur des Antrags, der Ermächtigung, des Antrags- und Ermächtigungsrechtes, sowie des Rechts zur Rücknahme des Antrags 3. Die Inhaber des Antrags- und Ermächtigungsrechts . Fortsetzung. Das Antragsrecht des Nichtverletzten . 4. Unteilbarkeit der Klage und ihrer Bedingung. Stellung mehrerer Antragsberechtigter zu einander. Antrag und Idealkonkurrenz 5. Unteilbarkeit des Antrags und seiner Rücknahme im Fall der Mitschuld 6. Entstehung und Untergang des Antragsrechtes . . . 7. Die Rücknahme des Antrags insbesondere 8. Das Antrags- und das Ermächtigungsrecht sind höchst persönlich. Unzulässigkeit ihrer Ausübung durch Stellvertretung 9. Die Stellung des Antrags 10. Grundgedanke der Antragsverbrechen nach heutigem Rechte. Antragsrecht des in die Verletzung Einwilligenden

Binding, Handbach. V I I . 1. I :

B i n d i n g , Strafrecht,

i.

II

607—610

610—615 615—626 626—630

630—636 636-640 640—647 647—652

652—654 654—659

659—663

Inhaltsverzeichniss.

XVIII

Dritte Abteilung.

Die Gründe der Nichtentstehung von Strafrecht und Strafklagrecht. Seite

§ 139. Entwicklung derselben § 140. § 141. § 142. § 143.

664-667

I. Die Privilegien der Straflosigkeit. 1. Die Fürsten und die Regenten der deutschen Bundesstaaten 2. Die Mitglieder des Reichstags und der Landtage . . . 3. Die Erstatter und Verbreiter wahrheitsgetreuer Reichsund Landtagsberichte Anhang. Das Privileg der Exterritorialen

667—671 671—680 680—685 685—689

II. Rechtliche Bedeutungslosigkeit der Angriffshandlung. § 144.

Vorbemerkung

689—690

§ 145. § 146. § 147.

1. Die irrtümlich deliktische Handlung 2. Die reine Selbstverletzung 3. Untauglichkeit des angegriffenen Objekts kraft Staatswillens 4. Schutzlosigkeit des angegriffenen Objekts durch Einwilligung des Verletzten Von der Einwilligung bei den Verbrechen wider die Rechtsgüter der physischen Persönlichkeit insbesondere Die Notwer Der Notstand Fortsetzung Erlaubte Eigenmacht Berufsrechte und Berufspflichten Von der durch Befehl begründeten Berufspflicht insbesondere

691—695 695—702

§ 148. § 149. § § § § § §

150. III. 151. IV. 152. 153. V. 154. VI. 155.

702—707 707—718 718—729 730-754 754—768 768—788 788—791 791—804 804—807

Vierte Abteilung.

Die Gründe des Untergangs von Strafrecht und Strafklagrecht. § § § §

156. Ihre Arten; ihre Wirkung 157. I. Der Wogfall der Subjekte 158. II. Der Verbrauch von Strafrecht und Strafklagrecht . . . . 159. III. Die gesetzliche Verneinung des Strafrechts oder des Strafbedürfnisses

808—811 811—814 814—815 815—816

IV. Die Verjährung des Strafklagrechts und des Strafrechts. § 160. § 161.

1. Die Wandlung in der Theorie der Verjährung 816 -821 2. Die wesentliche Verschiedenheit beider Arten der Verjährung und ihrer Gründe 821—832

Inhaltsverzeichniss. Seite

§ § § §

162. 163. 164. 165.

§ 166. § 167. § 168. § 169.

3. Die Strafklagrechtsveijährung Fortsetzung Fortsetzung 4. Die Strafrechtsveijährung V. Der Verzicht auf Strafklagrecht und Strafrecht. 1. Das Wesen der Gnade und ihre Arten 2. Die Inhaber der deutschen Begnadigungsgewalt. Tragweite des einzelnen Gnadenaktes im Reiche 3. Der Verzicht auf das Strafklagrecht, die sog. Abolition 4. Der Verzicht auf das Strafrecht, die sog. Begnadigung im engeren Sinne

Sachregister Quellenregister

833-843 843—847 848—853 853—860 860—864 864—869 869—873 873—879

880—918 918—927

Erläuterung der Abkürzungen. A — Archiv. AA — Altes Archiv des Criminalrechts. 1799-1807. A f. pr. RW = Archiv fur praktische Rechtswissenschaft. AG = Ausführungsgesetz. ALR = Allgemeines Landrecht für die Preussischen Staaten. ANF = Archiv des Criminalrechts. Neue Folge. 1834—1857. AV = Ausführungsverordnung. BayE = Entscheidungen des Bayerischen Obersten Gerichtshofs. BGB — Bürgerliches Gesetzbuch für das Königreich Sachsen. BGBl = Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes. CA = Archiv für civilistische Praxis. CCC = Constitutio criminalis Carolina. CGB = Criminalgesetzbuch. CGO = Criminalgerichtsordnung. CO = Criminalordnung. CPO = Civilprozessordnung. D. =

Deutsch.

E = Entwurf bei Gesetzesstellen. = Entscheidung bei Gerichtshöfen, insbesondere = Entscheidungen des Reichsgerichts (in Strafsachen), hg. von den Mitgliedern des Gerichtshofes. ECPO = Einführungsgesetz zur Civilprozessordnung. EG = Einführungsgesetz.

EGVG = Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz. EStGB = Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch. EStPO = Einfuhrungsgesetz zur Strafprozessordnung. EY = Einführungsverordnung. G = Gesetz. GA = Goltdammer, Archiv für Preussisches, dann für Gemeines Deutsches u. Preussisches Strafrecht, endlich für Strafrecht. GB = Rev. Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 26. Februar 1876. GBl = Gesetzblatt. GerBl == Gerichtsblatt. GesO = Gesindeordnung. GewO = Gewerbeordnung. GG = Gesetzgebung. Grünh. = Grünhut, Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart. GS — Der Gerichtssaal, Zeitschrift für volkstümliches Recht, dann für Strafrecht und Strafprozess. GVG = Gerichtsverfassungsgesetz. GZ == Allgemeine Gerichtszeitung für das Königreich Sachsen. HEnc — v. HoltzendorfF, Encyklopädie der Rechtswissenschaft. Erster, systematischer Theil. HGB == Handelsgesetzbuch. HH = v. Holtzendorff, Handbuch des Deutschen Strafrechts.

Abkürzungen. HH d. StP—v. Holtzendorff, Handbuch des Deutschen Strafprozessrechts. HRLex = v. Holtzendorff, Encyklopädie der Rechtswissenschaft. Zweiter Theil: Rechtslexikon. J JMB1 JMR JMV

= = =» =

Jahrbuch, Jahrbücher. Justizministerial-Blatt. Justizministerial-Reskript. Justizministerial-Yerordnung.

KO = Konkursordnung. KrY == Kritische Yierteljahrsschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. L R = Landrecht. Mag MGB Mot MStGB

= = = =

Magazin. Militärstrafgesetzbuch. Motive. MGB.

NA = Neues Archiv des Criminalrechts. 1817—1838. ND. = Norddeutsch. NF = Neue Folge. Ο — Oppenhoff, Die Rechtsprechung des preussischen OberTribunals in Strafsachen. OAG = Ober-Appellationsgericht. OG = Oberster Gerichtshof. OLG = Oberlandesgericht. OTr = Ober-Tribunal. PatG PrG Prot PrR

= = — =

Patentgesetz. Pressgesetz. Protokolle. Privatrecht.

RAO = Rechtsanwaltsordnung. RB1 = Regierungsblatt. RG ==· Reichsgericht, bez. Reichsgerichtserkenntniss. (I, II, I I I bezeichnen die Strafsenate.)

XXI

RGBl RP RPO Rspr

= Reichsgesetzblatt. = Rechtspflege. = Reichspolizeiordnung. = Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen, hg. von den Mitgliedern der Reichsanwaltschaft. RV = Reichsverfassung. R.-Y. = Redaktionsversehen. SeemO = Seemannsordnung. St = Stenglein, Zeitschrift für Gerichtspraxis und Rechtswissenschaft in Deutschland. StG = Strafgesetz. StGB = Strafgesetzbuch. StPO = Strafprozessordnung. StR = Strafrecht.· StRZ = v. Holtzendorff, Allgemeine Deutsche Strafrechtszeitung. T. =» Titel. UG =

Urhebergesetz.

V = Verordnung. VJS = Vierteljahrsschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. VU == Verfassungsurkunde. WO = Wechselordnung. WRLex = Weiske, Rechtslexikon. Ζ = Zeitschrift. Ζ f. DR = Zeitschrift für Deutsches Recht. Ζ f. HR = Zeitschrift für Handelsrecht. Ζ f. StRW = Zeitschrift für Strafrechtswissenschaft. Ζ f. vgl. RW = Zeitschrift fur vergleichende Rechtswissenschaft.

In den Literaturübersichten: Β = Berner, Lehrbuch des deutschen Strafrechts. 13. Auflage. Leipzig 1884. G — Geib, Lehrbuch des deutschen Strafrechts. Leipzig 1861 u. 1862. Gey = Geyer, Grundriss zu Vorlesungen über gemeines deutsches Strafrecht. I u. II. München 1884 u. 1885. H = Hälschner, System des preussischen Strafrechts. Bonn 1858 u. 1868. H 2 = Hälschner, Das gemeine deutsche Strafrecht. I u. H 1. Bonn 1881 u. 1884.

Abkürzungen.

xxu

Κ = Köstlin, System des deutschen Strafrechts. Tübingen 1855. L = Luden, Handbuch des teutschen gemeinen und partikularen Strafrechts. Jerta 1842. L i = v. Liszt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts. 2. Aufl. Berlin 1884. M = Meyer, Lehrbuch des deutschen Strafrechts. 3. Aufl. Erlangen 1882. Sch = Schütze, Lehrbuch des deutschen Strafrechts auf Grund des Reichsstrafgesetzbuchs. 2. Aufl. Leipzig 1874. W = Wächter, Lehrbuch des römisch-teutschen Strafrechts. Stuttgart 1825 u. 1820. WB = Wächter, Beilagen zu Vorlesungen über das deutsche Strafrecht. Stuttgart 1877 (1. Lieferung). W H = Wächter, Handbuch des königl. sächsischen und des thüringischen Strafrechts. 3 Hefte. Stuttgart 1857. WY = v. Wächter, Deutsches Strafrecht. Vorlesungen herausg. von 0. v. Wächter. Leipzig 1881. Die beigesetzten arabischen Ziffern beziehen sich bei Lehr- und Handbüchern auf die Paragraphen dieser Werke; nur HH und B, letzterer im speziellen Teil, müssen nach Seiten, WB nach der Ziffer der Beilage citirt werden. O l s h a u s e n , O p p e n h o f f , R u b o , R ü d o r f f , S c h w a r z e ohne Zusatz bezeichnen die Kommentare dieser Schriftsteller zum Strafgesetzbuch, L ö w e dessen Kommentar zur Strafprozessordnung. O l s h a u s e n ist soweit möglich in 2. Aufl., im übrigen in der 1. Aufl. citirt.

Berichtigungen. S 21 Z S 43 Ζ S 73 Ζ S 85 Ζ S 269 Ζ S 297 Ζ S 298 Ζ S 299 Ζ S 328 Ζ S 335 Ζ S 344 Ζ S 360 Ζ S 362 Ζ S 366 Ζ S 367 Ζ S 373 Ζ S 419 Ζ S 428 Ζ S 438 Ζ S 439 Ζ S 445 Ζ S 473 Ζ S 559 Ζ S 561 Ζ S 648 Ζ S 673 Ζ S 811 Ζ

19 v. u. lies: Jene streitet (st. Jenes treitet). 14 ν. ο. lies: In Kraft v. 10. Nov. 1868. 21 v. u. lies: § 193 (st. § 190). 24 ν. ο. lies: 9 (statt 4). 12 ν. u. lies: Strafrechte (st. Strafgesetze). 6 ν. ο. lies: § 22 (st. § 32). 24 ν. u. lies: S 5 (st. § 6). 3 ν. ο. lies: 2 Jahre (st. 5). 8 ν. u. lies: 27. Juli 1877 (st. 17.). 6 ν. ο. lies: § 370, 5 (st. § 270, 5). 8 v. u. lies: 12. Okt. 1867 (st. 1807). 9 v. u. lies: § 366, 6 u. 7 (st. § 306). 3 v. u. lies: Gläubigerbegünstigung. 16 v. u. lies: Ges vom 14. Mai 1879 (st. 1874). 16 v. u. lies: § 221, 3 (st. § 221, 2). 14 ν. ο. lies: Dann übt u. s. w. (st. denn). 7 v. u. lies: al. 2 Nr 2 (st. Anm 2). 4 v. o. lies: GB § 4 (st. § 3). 10 ν. ο. lies: § 4 (st. § 11). 17 ν. ο. lies: § 4 (st. § 11). 12 ν. ο. lies: GB § 5 Nr 2 (st. § 7). 19 ν. ο. lies: 1837 (st. 1857). 15 ν. ο. lies: § 164 (st. § 104). 2 v. u. lies: Annahme einer (st. eine). 1 ν. u. lies: Patges § 34 (st. § 94). 19 ν. ο. lies: A. 30 (st. 20). 10 v. u. lies: Κ 126 (st. R).

Einleitung.

Binding. Handbuch.

V I I . 1. I :

B i n d i n g , Strafrecht.

Ι.

1

Erstes Kapitel. Die Aufgabe und die Art ihrer Lösung. § 1. I. D e r G e g e n s t a n d des W e r k e s . I. Die einfachsten Mittel sind es, wodurch das menschliche Gemeinleben in kunstvolle Rechtsordnung verwandelt wird. D a s R e c h t , gedacht als Ausdruck des autoritativen Willens, als Rechtssatz, schafft und wandelt der Gesetzgeber, richtiger d i e R e c h t s q u e l l e : in dieser Tätigkeit erschöpft sie ihre Aufgabe; die e i n z e l n e B e r e c h t i g u n g und clie e i n z e l n e V e r p f l i c h t u n g giebt und nimmt unmittelbar oder mittelbar d e r einzelne R e c h t s s a t z : darin erschöpft sich sein Zweck. Das R e c h t s l e b e n aber als das Lebendigwerden von Rechten und Pflichten in freier Handlung — das webt die Masse der tätigen Rechtsgenossen. II. Dieselben Mittel sind es, wodurch die Rechtsordnung sich als solche erhält. Diese Erhaltung ist entweder Schutz gegen drohende Gefahr oder Wiederherstellung, falls die Heilbarkeit der unabwendbar gewesenen Verletzung dies zulässt, oder Vergeltung des unheilbaren Rechtsbruchs. Das Recht im Kampfe für seine Existenz nennen wir Rechtsschutz. Aller Rechtsschutz aber ist lediglich Begründung und Ausübung von S c h u t z r e c h t en, mögen diese in Verhütung künftiger oder in Bekämpfung geschehener Verletzung ihren Zweck finden, mag die zur Tat berufene Schutzgewalt berechtigte Eigenmacht des Einzelnen oder organisirte Staatsgewalt in Gestalt der Staatsbehörde oder des staatlichen Kriegsheeres sein, mag endlich der auszutragende Conflict als Zusammenstoss zwischen Einzelnen und Einzelnen, oder zwischen dem Staat und dem Einzelnen, oder zwischen Staat und Staat sich darstellen. Ein Teil dieses Schutzrechts bildet den mittelbaren, ein Ausschnitt dieses Teils den unmittelbaren Vorwurf dieses Werkes. l*

4

§ 1. I. Der Gegenstand des Werkes.

H L So alt die Rechtsordnung überhaupt, so alt ist auch ihr Kampf gegen die mit ihr unverträgliche Bethätigung menschlicher Freiheit ; und so alt der Kampf, so alt ist auch sein mildestes Mittel : Verbot der rechtsschädlichen, Anbefehlung der rechtsförderlichen Handlung, Aufstellung der sog. N o r m e n . Gegen die Uebertreter der dadurch geschaffenen Rechtspflichten lösen im Laufe der Geschichte zwei Kampfmittel einander ab. Das älteste ist die seit Jahrhunderten in Deutschland untergegangene Aus« stossung des Verbrechers aus der Rechtsgemeinschaft, die den Friedlosen der Rache preisgiebt, das jüngere, obwohl für uns gleichfalls uralt — von dem Rächer vorbereitet, aus der vergeltenden Rache erwachsen, schliesslich durch das Gemeinwesen der Spuren seines Ursprungs entkleidet —, ist die Strafe innerhalb der Rechtsgemeinschaft. Der T e i l des Schutzrechtes, der die B e s t r a f u n g des D e l i c t s r e g e l t , i s t d e r u n m i t t e l b a r e V o r w u r f d i e s e s Werkes. IV. Dasselbe beschränkt sich aber a u f das d e u t s c h e S t r a f r e c h t v o n h e u t e . Indem es die Gegenwart fasst als Durchgang zwischen Vergangenheit und Zukunft, als Frucht geschichtlichen Werdeganges und Quelle künftiger Entwicklung, indem es ihr Recht stets an dem Maasstabe der Geschichte misst, wahrt es sich neben dein dogmatischen den geschichtlichen Charakter 1 . Indem es sich müht, die 1 Alle Rechtsgeschichte ist nichts anderes als die Dogmatik des Rechtes in seiner Weiterbildung. Da sich die Anlange der Rechtsbildung unserer Erkenntniss entziehen, hat auch die rechtsgeschichtliche Betrachtung stets schon bei einem gewordenen Rechte einzusetzen, das sie dogmatisch muss erfassen können. Diese Fähigkeit vorausgesetzt, darf der Rechtshistoriker bei jeder Ausbildungsstufe des Rechtes seine Betrachtung beginnen : es giebt also auch eine historische Betrachtung des gegenwärtigen Rechts, sofern dieses nicht lediglich als ein seiendes, sondern als ein gewordenes und weiter strebendes gefasst wird. Aber auch die Erfassung des Rechtes der Gegenwart lediglich als eines seienden ist durchaus gesunde Jurisprudenz, falls nur dem Betrachter die dogmatische Begabung nicht fehlt. Wenn R. L o e n i n g , in seinem sehr stark übertreibenden Aufsatze: Ueber geschichtliche und ungeschichtliche Behandlung des deutschen Strafrechts, Ζ f. StRW I I I 228 meint, die Aufgabe der deutschen Strafrechtswissenschaft, wenn sie das heutige Recht verstehen wolle, sei „vor allem die Geschichte dieses Rechtes zu erforschen", so ist die Consequenz dieser Auffassung, dass die Jurisprudenz stets hinter der Gegenwart zurückbleiben soll: denn während der Jahrzehnte und der Jahrhunderte historischer Forschung ändert das Recht. Vor diesem Schicksal aber möge das deutsche Recht der Gegenwart und der Zukunft in Gnaden bewahrt werden! — Sehr richtig hat schon K i e r u l f f , Theorie I S XIX bemerkt: „Diese historische Richtung verlässt nicht minder als jene naturrechtliche Theorie den praktischen Boden der Gegenwart." Vgl. unten S 8 Anm 2.

I. Der Gegenstand des Werkes.

§ 1.

5

Eigentümlichkeiten gerade des d e u t s c h e n Rechtes zu prägnantem Ausdruck zu bringen, will es zu exacter Rechtsvergleichung, der einzigen, die wahren Wert hat, eine Vorarbeit werden. V. Soll die Darstellung nicht überlastet und das einfache Wichtige nicht durch die Mannichfaltigkeit des minder Wichtigen verdunkelt werden, so kann neben dem gemeinen Strafrecht das der einzelnen deutschen Staaten keine Aufnahme finden. Diese Beschränkung schliesst die Pflicht, das Verhältniss von Reichs- und Landesstrafrecht klar zu legen, nicht aus, sondern ein; in letzteres selbst aber wird nur da hinübergegriffen werden, wo dies dem gemeinen Rechte oder seiner Theorie unmittelbar zu nutzen vermag. VI. Das gemeine Strafrecht ist zum Teil allgemeines Recht, zum Teil Recht für besondere Berufsstände. I n seiner Ganzheit soll es zur Darstellung gelangen mit der alleinigen Beschränkung, dass das besondere Strafrecht für Militärpersonen und Militärbeamte principiell ausgeschieden w i r d 2 . Der Grund dieser Ausscheidung liegt darin, dass eine verbundene Darstellung des allgemeinen und des militärischen Strafrechts den eigentümlichen, in sich abgeschlossenen Verhältnissen des Heers nicht gerecht werden könnte, dass ausserdem die beiden Strafensysteme im ganzen und im einzelnen aus einander streben und die Verbrechensbegriffe beider Rechtsgebiete oft in verwickeltster Weise einander schneiden. Soweit aber die allgemeinen Bestimmungen beider Gesetzbücher ein untrennbares Ganzes bilden und nur in gemeinsamer Darstellung vollständig begriffen werden können, ist eine Beiziehung des Militärstrafgesetzbuchs unentbehrlich 3 . VII. Das gemeine Strafrecht ist zum Teil materielles, zum anderen Teile Prozessrecht. Die Darstellung des letzteren war einer berufeneren Hand zu überlassen, und nur wo strafprozessuale Satzungen zugleich für das materielle Strafrecht Bedeutung haben und umgekehrt, oder wo Wechselwirkungen zwischen dem Strafprozesse und dem Strafrechte stattfinden, hat dies Werk auf strafprozessuale Bestimmungen einzugehen. VIII. Da die Disciplinarstrafe keine echte Strafe i s t 4 , da das 2 Die Bearbeitung desselben ist einem besonderen Handbuch des Militärstrafrechts vorbehalten. Dort ist auch die Stelle für die Untersuchung, wie weit das allgemeine Strafrecht, insbes. der allgemeine Teil des Strafgesetzbuches für militärische Verbrechen zur Anwendung steht. 3 Auch in diesen Fällen wird aber dessen Auslegung im einzelnen dem Militärstrafrecht überlassen. 4 S. unten Buch I I Abt. 1 Kap. 3.

§ 2. II. Aufgaben un

6

Grenzen

heutige Recht eine Privatstrafe nicht mehr kennt 5 , so präcisirt sich die Aufgabe als T h e o r i e d e r R e c h t s s ä t z e des h e u t i g e n g e meinen Rechtes, welche die öffentliche Strafbarkeit b e s t i m m t e r H a n d l u n g e n b e j a h e n oder v e r n e i n e n u n d w e l c h e b e j a h e n d e n F a l l s A r t u n d Maass der S t r a f e b e s t i m m e n ( S t r a f r e c h t i m o b j e c t i v e n S i n n e ) . Die strafdrohenden Gesetze aber gehören zur Gruppe der sog. bejahenden Rechtssätze 6 : sie begründen Strafrechte, die heut nur die Kehrseite von Strafpflichten bilden. Eine wissenschaftliche Darstellung des Strafrechts ohne eine solche der subjectiven Strafrechte ist eine Darstellung des Grundes ohne Darstellung der Folgen und als solche wissenschaftlich einseitig und unvollständig. D i e S t r a f r e c h t s t h e o r i e i s t a l s o z u g l e i c h T h e o r i e des S t r a f r e c h t s u n d d e r S t r a f r e c h t e , hat aber dringenden Anlass, die beiden Objecte ihrer Betrachtung, das objectivrechtliche Fundament und die subjectiven Berechtigungen scharf aus einander zu halten 7 . § 2.

II.

Aufgaben und Grenzen der Wissenschaft positiven Strafrechts.

des

Für den Bearbeiter dieses Stoffes gilt es zunächst mit fester Hand die Grenzen zu ziehen, welche seine Wissenschaft zu erreichen, aber nie zu überschreiten hat. Denn diese Grenzen sind leider ebenso oft verkannt als verletzt worden. Der exacte Forscher hat sich deshalb einer doppelten Gefahr zu erwehren. Es ist ebenso unerträglich, wenn seine dem positiven Rechte abgerungenen Wahrheiten als Ausflüsse einer aprioristischen Philosophie getadelt werden, als wenn man ihm zumutet, Folgerungen bestimmter philosophischer Anschauungen oder die Ausgeburten der Rechtsphantasie als Rechtssätze zu behandeln 1 . 5

β S. unten Buch I I Abt. 1 Kap. 3. S. das. Kap. 1. S. Buch I und II. S c h ü t z e , Lehrbuch S 2 bemerkt: „Dieser subjective Begriif (das jus puniendi) ist aber, von seiner Mehrdeutigkeit abgesehen, für das positive Recht nahezu wertlos." Er spricht damit nackt aus, was vielfach geglaubt wird. In Wahrheit bedeutet die Aufnahme der Theorie der subjectiven Strafrechte einen bedeutenden wissenschaftlichen Fortschritt. 7

1

Mit vollem Bedachte ist dieser Punkt möglichst genau erörtert. In einer Zeit, wo so viele unerfreuliche Zeichen eine volle Renaissance des Naturrechts, also eine Abwendung der Wissenschaft vom positiven Rechte andeuten, wo andererseits selbst unter den Juristen die Neigung gross ist, die Jurisprudenz an alle möglichen anderen Wissenschaften ganz oder teilweise auszuliefern, wo es Mode geworden ist, die Terminologie der Naturwissenschaften wie der neueren Psychologie und Logik in juristischen Abhandlungen so glücklich zu verwenden, dass.

der Wissenschaft des positiven Strafrechts.

7

Niemand aber ist solchem Tadel und solchem Ansinnen mehr ausgesetzt als der Vertreter der Strafrechtswissenschaft. I. Die sog. Freiheit der Wissenschaft ist das richtige Maass ihrer Abhängigkeit vom Stoff ihrer Betrachtung und von den Gesetzen wissenschaftlicher Methode. Letztere bilden die gemeine Norm aller Theorie und ihre Aufstellung steht deshalb ausserhalb der Kreise aller Fachwissenschaften. Denn es giebt nur eine wissenschaftliche Methode, wenn sie auch verschiedene Wege zur Wahrheit aufweist: alle diese Wege aber sind Gemeinbesitz aller Wissenschaften. Und so sind diese alle in gleichem Maasse abhängig von der Methode, welche, auf die Höhe des wissenschaftlichen Systems der L o g i k erhoben, den einen Teil der Philosophie bildet. Sache der einzelnen Fachwissenschaften ist es dann, jene allgemeinen erkenntnisstheoretischen Grundsätze ihren jeweiligen Stoffen anzupassen und angesichts dieser ins Detail zu entwickeln: eine angewandte Methodenlehre zu schaffen. Hervorragendes Verdienst in dieser Richtung haben in neuerer Zeit auf dem Gebiete der Geisteswissenschaften Geschichte und Philologie sich erworben. Die Jurisprudenz ist ihrer Methode noch nicht so gewiss, und je höher die gesuchten Rechtsbegriffe und Rechtsgrundsätze stehen, um so unsicherer wird vielfach ihr Weg. So liegt eine Verschärfung der Abhängigkeit von der Philosophie als streng wissenschaftlicher Methodenlehre wie im Interesse aller Fachwissenschaften, so auch der Jurisprudenz! II. Weit besser aber hat sich'seit Jahrhunderten die Theorie des Strafrechts in anderer Abhängigkeit von der Philosophie gefallen. Der Grund ist Dankbarkeit. Denn mit deren Hilfe allein glaubt sie sich aus der Dürftigkeit befreit und zu wahrer Wissenschaftlichkeit erhoben zu haben. Die neuere Strafrechtswissenschaft ist geschichtlich ein Spross der Philosophie. Die neueren relativen Theorien über Grund und Zweck der Strafe sind der Philosophie des Naturrechts entsprungen und die einander ablösenden philosophischen Systeme der grossen deutschen Denker bedeuten ebenso viele Perioden deutscher Strafrechtswissenschaft. Es wäre eine interessante Aufgabe der Dogmengeschichte das Maass dieser Abhängigkeit aufzuweisen : hier genügt es an den Zusammenhang zwischen K a n t und F e u e r b a c h , zwischen letztere dem praktischen Juristen grossenteils unverständlich werden, handelt es sich darum — unter Hochhaltung der vollen Selbständigkeit der Jurisprudenz —, für eine exacte Wissenschaft des positiven Rechts einerseits die volle Freiheit der Bewegung, andererseits von ihr das richtige Maass der Selbstbeschränkung zu verlangen. Die Polemik dieses Paragraphen ist soweit möglich unpersönlich gehalten.

8

§ 2.

II. Aufgaben un

Grenzen

H e g e l einerseits und A b e g g , K ö s t l i n , B e r n e r , H ä l s c h n e r andererseits, zwischen H e r b a r t und K r a u s e und ihren criminalistischen Jüngern zu erinnern. Gerade die bedeutendsten Criminalisten dieses Jahrhunderts — v. W ä c h t e r ausgenommen — sind nicht nur Jünger, sondern Vorkämpfer der bedeutendsten philosophischen Systeme auf der Arena des Strafrechts 2 . Ihr Gepräge erhält solche Strafrechtstheorie durch die Annahme der unendlichen Wertüberlegenheit des philosophischen über den Rechts-Satz, der aprioristisch gefundenen Idee über ihre concrete Verwirklichung, der Speculation über die Erfahrung. Strenge nach ihrem Grundgedanken entwickelt führt sie zu unerträglichem Dualismus innerhalb der Wissenschaft. Ihr erwachsen zwei Gegenstände der Betrachtung : das Recht in seiner ungeschichtlichen Vollkommenheit und das Recht in seinen geschichtlichen Mängeln, zwischen welchen in Wahrheit eine unüberbrückbare Kluft gähnt. Der Dualismus im Object führt zum Dualismus der Würdigung: das Idealrecht ist absoluten Wertes, das positive Recht ist absolut wertlos 3 . Dieser Glaube würde zur vollständigen Vernachlässigung des positiven Rechtes führen, wenn nicht der Wurm des Zweifels an ihm nagte. Das Naturrecht ist eben n i c h t s , wenn es nicht positive Gestalt annimmt, und so treibt es die Anhänger jener Theorie unwiderstehlich, den geschaffenen Dualismus wieder zu beseitigen. Dieser Trieb gewinnt in doppelter Gestalt Ausdruck: in einer That und in einer Forderung. Entweder man vergewaltigt den Begriff oder den Satz des geltenden Rechts zu Gunsten des philosophischen Vorurteils, oder man verlangt die Beseitigung beider zu Gunsten des gleichen Nach2 Mancherlei Interessantes in dieser Richtung enthalten die Anmerkungen R. L o e n i n g s zu seinem oben S 4 Anm 1 citirten Aufsatze, Ζ f. StRW I I I 262 if. Ob es übrigens Sache des Historikers ist, über ganze bedeutende Entwicklungsphasen der Wissenschaft lediglich abzusprechen, wie es L o e n i n g tut, statt sie in ihrer historischen Notwendigkeit zu begreifen, erscheint fraglich. Unfraglich ist mir, dass die Werke F e u e r b a c h s , G r o l m a n s , K ö s t l i n s trotz ihrer Mängel nicht einer Periode „hundertjähriger Depravation der wissenschaftlichen Methode" (a. 0. S 375) angehören. „Alles Gelingen in unserer Wissenschaft beruht auf dem Zusammenwirken verschiedener Geistesthätigkeiten" : v. S a v i g n y , System I S XIII. 3 S. die reichen Belege bei L o e n i n g a. 0. S 305 if. Noch v. K i r eh m a n n , Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, Berlin 1848, S 22 klagt: „Hat das natürliche Recht von dem positiven Gesetze schwer zu leiden, so ist doch das Uebel für die Wissenschaft noch grösser. Aus einer Priesterin der Wahrheit wird sie durch das positive Gesetz zu einer Dienerin des Zufalls, des Irrtums, der Leidenschaft, cles Unverstandes. Statt des Ewigen, Absoluten, wird das Zufällige, Mangelhafte ihr Gegenstand. Aus dem Aether des Himmels sinkt sie in den Morast der Erde." Diese Klage steht wenige Seiten nach dem Lobe der Unterordnung der Speculation unter die Erfahrung, zu der man sich seit Bacon verstanden.

der Wissenschaft des positiven Strafrechts.

9

folgers. Jene Vergewaltigung geschieht in gutem Glauben und wird daher beharrlich in Abrede gestellt ; dieser Forderung aber fehlt die Geduld des Wartens und sie giebt sich gerne vor der Zeit den Schein, dass sie erfüllt sei. So entsteht eine Rechtswissenschaft, deren zwei ganz verschiedenen Welten angehöriges „Recht" zu unnatürlicher Verbindung, Vermischung und Verwirrung gebracht wird, — statt einer Wissenschaft des geltenden Rechts eine Fälschung desselben. Nun giebt es kein ewiges und unwandelbares Recht, das der Mensch wissen könnte, keine haltbare Rechtsphilosophie, die etwas anderes zu bieten vermöchte als die höchsten Grundgedanken des Rechtes, das gegolten hat oder noch gilt, keine Rechtsphilosophie, die etwas anderes wäre als Jurisprudenz 4 , keine Jurisprudenz, die etwas anderes wäre als Wissenschaft des positiven Rechtes. Jeder Versuch, die Strafrechtswissenschaft der Naturrechtslehre irgend eines philosophischen Systems Untertan zu machen, ist deshalb ein energisch zurückzuweisender Angriff auf ihre Freiheit, gefasst als strenge Gebundenheit an ihren Stoff, und auf die Einheitlichkeit ihres Gegenstandes5. I I I . Indem aber die Strafrechtstheorie die eine Abhängigkeit von der Hand weist, muss sie sich hüten, einer andern zu verfallen. 1. Das positive Recht besteht nur in der Form des Rechtssatzes, der feierlichen Erklärung des Gemeinwillens. Gegenstand der Darstellung ist aber mit nichten nur eine Summe von Rechtssätzen. Wie sich die Rechtsbegriffe zum Rechtssatz verbinden, so die Rechtssätze zum Ganzen des Systems. Zweifellos ist es Aufgabe der Wissenschaft, diese Bestandteile des positiven Strafrechts in ihrer Vereinzelung wie in ihrem Zusammenhang zu erfassen und zu durchleuchten: und zwar nicht nur die Summe von Satzungen, die sich zum Strafgesetzbuche zusammenschliessen, sondern die sämmtlichen Nebengesetze, die sich an dasselbe anlehnen, es erläutern und umgekehrt von ihm ergänzt und erläutert werden. Sofort aber weist das Strafrecht über sich selbst hinaus. Als Teil des Schutzrechts ist es ohne Zuziehung der Normen unverständlich. Das ganze Schutzrecht aber ist ja nur ein grosser accessorischer Rechtsteil 6 . Die Rechtsgüter und Rechte, zu deren Schutz Normen und Strafgesetze bestimmt sind, liegen auf 4

S. bes. M e r k e l , bei Grünhut I 1 ff. 402 ft'. Treffend sagt G l a s e r , Ges. Schriften I 188: „Wogegen aber nicht laut und nicht beharrlich genug Verwahrung eingelegt werden kann, das ist der Anspruch der abstracten Philosophie auf eine unmittelbare Herrschaft i n n e r h a l b der Rechtswissenschaft." 6 S. bes. H e i η ζ e, Staatsrechtliche und strafrechtliche Erörterungen S V I I ff. S 8 ff. 5

§ 2. II. Aufgaben unci Grenzen

10

allen Rechtsgebieten zerstreut. So steuern diese alle ihren Beitrag zur Bildung der Delicts- und Verbrechensbegriffe, und alle Merkmale der Verbrechens - Tatbestände, die dem Privatrecht oder dem Staatsrecht, clem Völkerrecht oder dem Prozesse angehören, bilden ebenso viele Brücken zwischen dem Strafrecht und diesen Rechtsteilen. Das Strafrecht darf nicht isolirt betrachtet, muss vielmehr in seinem lebendigen Zusammenhang mit allem übrigen Recht, es muss als Glied des ganzen positiven Rechtssystems geschaut werden. 2. Diesem auf das Ganze des Rechts gewandten Blicke zeigt sich bald, dass verschiedene Rechtssätze des gleichen oder verschiedener Rechtsteile sich zu andern verhalten wie die Consequenzen zum Grunde, dass indessen auch umgekehrt ein Rechtsprincip vielleicht im Gesetze nur zu einem Teile entwickelt wird, neben diesen Folgesätzen aber Bestimmungen auftauchen, die jenem Grundsatze widersprechen. Dieser Bruch mit der Logik ist nicht lediglich zu constatiren, sondern bedarf vernünftiger Erklärung (s. darüber unten s. 4). Die Wahrnehmung aber, dass Rechtsbegriffe oder Rechtsgrundsätze eine Entwicklung in ihre Consequenzen zulassen, wird besonders dann bedeutsam, wenn das positive Recht jene Folgerungen aus s e i n e m Begriffe oder s e i n e m Satze nicht ausdrücklich oder nicht vollständig oder nicht genau oder in zweifelhaftem Ausdrucke zieht. Dann liegt es nah, durch das logische Verfahren der Consequenz Lücken des Gesetzes auszufüllen und die Fehler seines Ausdruckes, nicht aber die seines Willens zu berichtigen 7 . Der ungenaue Beobachter gewinnt dabei leicht den Eindruck, es sollten in das Recht Begriffe und Regeln eingeschwärzt werden, die der Sanction ermangelten. Ist aber der Ausgangspunkt wirklich — wie erfordert — positiven Rechtens, so bedeutet eben die Aufnahme eines Begriffes oder Grundsatzes in dasselbe zugleich die Sanction seiner Consequenzen: denn diese liegen j a — nur anfangs vielleicht latent — in ihm. Damit ist nicht gesagt, dass alle Rechtssätze dergestalt entwickelt, noch auch, dass sie alle bis in die äussersten Consequenzen hinein entwickelt werden dürften 8 . Wenn zwei Rechtssätze convergiren, so kommt ein Punkt, wo die Consequenzen beider feindlich auf einander treffen, und dann ist es quaestio facti, ob eines der beiden Verfahren und welches weiter geführt werden darf, d. h. welcher von beiden Rechtsgrundsätzen überwiegt. Dagegen darf an der Berechtigung der Wissenschaft, jenes Verfahren überhaupt zur Ausfüllung von Lücken und zur Beseitigung von 7 8

S. bes. T h ö l , Einleitung in (las deutsche Privatrecht S 143 f. Man denke besonders an Ausnahmerechtssätze.

der Wissenschaft des positiven Strafrechts.

11

Mängeln zu benutzen, und darf an der Positivrechtlichkeit seiner Ergebnisse, soweit es correct und zulässig ist, nicht gezweifelt werden. Dieser Weg ist indessen nur der eine, um latentes Recht ans Licht zu stellen : alle anderen zum gleichen Ziele darf die Wissenschaft nicht nur, sondern muss sie gerade so pflegen; denn kein Irrtum ist ihr auch auf criminellem Gebiete verhängnissvoller, als der: das positive erschöpfe sich im geschriebenen Rechte 9 . 3. Das Strafrecht weist aber nicht nur über sich selbst, sondern in gewissem Umfange auch über das Recht hinaus. Es macht Anleihen bei anderen Wissenschaften, besonders bei der Heilkunde, noch mehr bei der Psychologie und der Logik, denen es eine Anzahl seiner Fundamentalbegriffe entnimmt. Indem beispielsweise die Normen den Willen der Menschen zu zügeln beabsichtigen und die Strafgesetze die Handlung dessen mit Strafe bedrohen, der den Zügel verachtet hat, fussen sie auf der Voraussetzung, der Mensch könne sich trotz andringender Gegenreize vernünftigen Anforderungen gemäss bestimmen, auf der Voraussetzung „freier Willensbestimmung" (GB § 51); sie nehmen den Begriff des W i l l e n s in sich auf, ja sie unterscheiden A r t e n desselben; sie operiren mit dem Begriffe der Willensverwirklichung, der Handlung, und indem sie in ihr die Ursache bald schädlicher, bald nützlicher Erfolge erblicken, erheben sie den U r s a c h e n b e g r i f f zum wesentlichen Tatbestandsmerkmal vieler Verbrechen; sie können nicht umhin den Einfluss des I r r t u m s bei Delict und Verbrechen in bestimmter Weise aufzufassen; und so tun sie noch vielfach 1 0 . Regelmässig operirt nun das positive Recht mit diesen Begriffen, ohne sie für sein Gebiet besonders festzustellen, oder wenn es dies tut, wenn es z. B. Vorsatz und Fahrlässigkeit bei der rechtswidrigen Handlung scharf scheidet, hat es äusserst selten überkühn die Absicht, die der feinen psychologischen Beobachtung des handelnden Menschen sich aufdringenden Unterschiede des pflichtwidrigen Wollens Lügen zu strafen und an Stelle der Wahrheit gesetzgeberischen Machtspruch treten zu lassen. Vielmehr will es meist psychologischen oder logischen Begriffen, ohne sie zu verändern, das Bürgerrecht auf criminellem Gebiet einräumen; es erhebt sie also zum Rang von Rechtsbegriffen, damit, zum Gegenstand der Rechtswissenschaft. 9

S. darüber unten § 40 und § 41. Man denke an GB § 51 : „Zustand von Bewusstlosigkeit oder krankhafter Störung der Geistestätigkeit"; § 223: „Beschädigung der Gesundheit"; § 224: „Siechtum, Lähmung, Geisteskrankheit"; § 229: „Gift und andere Stoife, welche die Gesundheit zu zerstören geeignet sind" ; ferner an die Begriife der Rinderpest, des Milzbrands, der Impfling u. s. w. u. s. w. 10

§ 2. II. Aufgaben un

12

Grenzen

Ein neuerer Schriftsteller sagt über dies \ r erhältniss : „Indem die Jurisprudenz einen Begriff des Lebens ohne juristische Umgrenzung verwendet, stellt sie gleichsam der anderen Disciplin, zu welcher jener Begriff ex professo gehört, ein Blankett aus, welches letztere selbständig ausfüllen kann. Alles aber, was von der Hilfswissenschaft in dieses Blankett hineingeschrieben wird, muss dann als juristischer Satz gelten 1 1 ." Allein hier wird ein richtiger Gedanke bis zur Unrichtigkeit übertrieben: Psychologie und gerichtliche Medicin erkennt das Recht nirgends als Gesetzgeber an, noch delegirt es ihnen abgeleitete Rechtsschöpfungsgewalt 12. Das Falsche jener Anschauung liegt in der Prämisse. Das Recht nimmt n i e reine Blankettbegriffe in seine Tatbestände auf: denn das Blankett kann mit ja, wie mit nein beschrieben werden, und in einem beider Fälle wird dann die Tatbestandsfolge und somit der Rechtssatz sinnlos. Entlehnt der Gesetzgeber Begriffe der Psychologie oder der Psychiatrie, so verbindet er mit den gebrauchten terminis mehr oder weniger bestimmte Vorstellungen, und gerade durch ihre Einfügung in juristische Tatbestände giebt er ihnen einen bestimmten rechtlichen Feingehalt, den er von allen Aenderungen psychologischer oder psychiatrischer Forschung unabhängig stellen will und muss, wie er die W o r t e des Gesetzes unabhängig stellt von Etymologie und Sprachwissenschaft. Sollte die Psychologie die Grenze zwischen Willensbetätigung und Reflexbewegung verwischen wollen, oder der Psychiatriker in jedem Verbrechen das Symptom einer Geisteskrankheit erblicken, oder der Logiker den Unterschied von Ursache und Bedingung leugnen, oder die Thierarzneikunde den Begriff der Rinderpest beseitigen, so lässt der Gesetzgeber sie ruhig ihres Weges wandeln und beharrt bei seinen gegentheiligen Auffassungen. Und so ergiebt sich die Stellung des Juristen zu jenen Wissenschaften, aus denen das Strafgesetz mehr oder minder wichtige Begriffe entlehnt, und die Stellung jener Wissenschaften zur Jurisprudenz von selbst. Diese Begriffe dürfen und müssen i n n e r h a l b der V o r s t e l l u n g , d i e das p o s i t i v e R e c h t m i t i h n e n v e r b i n d e t , durch Verwertung der Resultate der Psychologie, der Sprachwissenschaft, der Heilkunde, und wenn nötig durch eigene Einkehr der Juristen auf 11

Z i t e Im a nn, Irrtum und Rechtsgeschäft. Leipzig 1879. 8 19. Die erwähnte Frage ist zu einem Teile dem Prozessualisten geläutig als die Frage nach der Stellung des Sachverständigen zum Richter. Dass die von Ζ i t el mann verteidigte Methode bezüglich des „Irrsinns" allgemein zugegeben werde, wie derselbe S 19 f. behauptet, ist entschieden Irrtum. 12

der Wissenschaft des positiven Strafrechts.

13

jenen Gebieten zu grösserer Präcision, Klarheit und Vertiefung gebracht werden. Insoweit sind dann diese Begriffe allerdings in den Fluss fortschreitender Erkenntniss gestellt und klären und erweitern sich, indem sie aus ihm schöpfen. Insoweit ist auch der so schwer zu fassende Begriff des freien Willens juristischer Natur. Aber auch nur innerhalb dieser Grenzen sind jene Wissenschaften Gehilfen der Jurisprudenz wie des Juristen. Da jede Arbeit behufs Erfassung eines Rechtsbegriffes in die Rechtswissenschaft hineinfällt, so sind also i n s o w e i t psychologische, etymologische, medicinische Untersuchungen zugleich juristische 13 . Jede Vergewaltigung des Rechtsbegriffes durch ihn verwerfende psychologische oder medicinische Forschung weist das Recht von der Hand. Umgekehrt wird aber auch der Gesetzgeber für sich selbst bei Entlehnung jener Begriffe eine willkürliche Abweichung von a l l g e m e i n a n e r k a n n t e n W a h r h e i t e n jener Wissenschaften für unzulässig erachten; und dies ist eine wichtige Auslegungsregel ! 4. Alle Rechtssätze sind bestimmt, zwischen ihrem Grund und ihrem Zweck zu vermitteln. In dieser ihrer Aufgabe liegt ihre Vernunftberechtigung. Der Willensgehalt des Rechtssatzes wird aber vom Gesetzgeber nicht motivirt; selbst wenn dies ausnahmsweise geschähe, würde die Angabe von Grund und Zweck der Gesetze nie der Rechtskraft fähig werden. Nun liegt aber im Begriff der Ordnung der der Vernünftigkeit. Eine Wissenschaft der Ordnung des Menschengeschlechts kann nicht darauf verzichten, diese in ihrer Vernünftigkeit zu begreifen und auf ihre Zweckmässigkeit zu prüfen. I n demselben Augenblick, wo die Wissenschaft des positiven Rechts sich dieser Notwendigkeit bewusst wird, sieht sie ihre Betrachtung über die S ä t z e des R e c h t s w i l l e n s hinausgedrängt und findet sich hingewiesen auf die ausser ihnen liegenden G e d a n k e n des W a r u m u n d W o z u . Der Rechtssatz wird dann eindringender Betrachtung zum Ausschnitte einer psychologischen Entwicklung, welche wir in den „Gesetzgeber" verlegen und die wir — unter Eingeständniss der Ungenauigkeit aller Würdigung in Bausch und Bogen— in drei Stadien, die der W a h r n e h m u n g von Mängeln im socialen Leben, der H o f f n u n g ihnen durch Gesetzeswerk Abhilfe schaffen zu können und des daraus entspringenden 13

Das fachwissenschaftliche Interesse geht dann leicht über das juristische weit hinaus. Den Juristen interessiren ζ. B. nur die tieferen Cäsuren zwischen den einzelnen Teilen des Willensaktes, nicht aber dessen feinste psychologische Zerfaserung. (Dies verkennt m. E. Z i t e l m a n n im 1. und 2. Kapitel seiner Irrtumslehre.) Die Psychologie des heutigen Gesetzgebers ist gerade deshalb kaum eine andere, wie die seines altgriechischen und römischen Vorgängers.

§ 2.

14

II. Aufgaben un

Grenzen

W i l l e n s des Gesetzes als des Mittels zur Realisirung jenes Wunsches, verlaufen sehen. Es ist derselbe psychologische Prozess, als dessen Bruchtheil jede menschliche Tat in die Aussenwelt tritt. Unleugbar verselbständigt sich das erlassene Gesetz gegenüber seinen Motiven und seinen Zwecken, infolge dessen kleinere oder grössere Inconsequenzen zwischen Grund, Mittel und Zweck entstehen können. Aber seine Beziehung auf den Entstehungsgrund und auf das, was durch es erreicht werden soll, ist zu seinem Verständniss unerlässlich, zu seiner Kritik höchst wertvoll, ist somit integrirender Bestandteil der Wissenschaft vom Recht. Gerade für diese Betrachtung schliessen sich die Rechtssätze wieder zu Gruppen zusammen, die gleichen oder verwandten Gründen entsprungen sind und gleichen oder verwandten Zwecken dienen. Und in demselben Maasse tritt an Stelle der Frage nach der Mittelnatur des einzelnen Rechtssatzes die nach Grund und Zweck des einzelnen Rechtsinstitutes: des Eigentums, der Strafe, der Reparationsverbindlichkeit, bis dann die aufsteigende Wissenschaft sich genötigt sieht nach Grund und Zweck des Rechtes überhaupt zu fragen. Immer aber handelt es sich um den wahren Grund und den wahren Zweck des wirklichen Rechtssatzes oder Rechtsinstitutes, welche beide, sofern deren Entstehungsgeschichte keine Auskunft über sie g i e b t 1 4 , nur aus der Betrachtung des Rechtslebens erschlossen werden können. 5. Der Zweck der Rechtssätze als ihr Maass betrachtet führt notwendig zur Kritik des Rechts. Ihr negatives Ziel ist die Aufdeckung der Mängel der Gegenwart, ihr positives die Vorbereitung eines besseren künftigen Rechtes. Indem die Rechtswissenschaft der Praxis darlegt das Recht, das ist, und dem Gesetzgeber das Recht, wie es nicht sein und wie es verbessert werden sollte, waltet sie ihres ewigen Mittleramtes zwischen Rechtsschöpfung und Rechtsanwendung. I n der Kritik erhebt sie sich in freier Ungebundenheit über das positive Recht, dessen treue Dienerin sie bisher gewesen ist. Aus dem Nachweise der Incongruenz zwischen den Lebensbedürfnissen und der darauf berechneten positiven Satzung, zwischen einem nur halb verstandenen Rechtsgrundsatz und den Bestimmungen, die seine Consequenzen sein müssten, zwischen dem, was das Gesetz sagt, und dem, was es sagen wollte oder sollte, schöpft sie aber nicht nur die 14

Vgl. unten den Abschnitt über die Auslegung: Buch I Abt. 3.

der Wissenschaft des positiven Strafrechts.

15

Pflicht des Tadels und des Vorschlags zur Besserung, sondern auch die Befugniss, von dem Gesetzgeber die Betretung des eröffneten Weges zu fordern 1 5 . Gehen also die Wissenschaft der lex lata und die der bessernden lex ferenda naturgemäss Hand in Hand, so fordert doch strenge Methode, dass nirgends Zweifel bleibe, wo die eine, wo die andere das Wort nimmt, auf dass nicht ein Vorschlag für die Zukunft als Auslegung geltender Satzung betrachtet werden könne. Damit sind die Grenzen der Strafrechtswissenschaft erreicht und m. E. erfüllt: alles was jenseits liegt, ist ihr fremd, alles diesseitige ihr Untertan. III.

§ 3.

Die Wissenschaft gegenüber Strafrechte.

dem

codificirten

1. D i e B e s c h r ä n k u n g d e r W i s s e n s c h a f t neuere Gesetzgebung.

durch

die

Fast keine Wissenschaft ist so abhängig von der Form ihres Stoffes wie die des Rechts. Deshalb bedeutet der Entstehungstag eines neuen Gesetzbuchs nicht nur den Beginn einer neuen Periode des Rechts, sondern auch seiner Theorie: denn er bringt ihr neue Aufgaben und neue Pflichten, neue Impulse, aber auch neue Gefahren. Dieser Umschwung ist um so gewaltiger, wenn nach langem Stillstand der Gesetzgebung im grossen plötzlich eine Gesammtcodification 15 Neuerdings hat L o e n i n g a. 0. bes. S 223 u. 224 behauptet, die Rechtswissenschaft habe sich mit der Erkenntniss des giltigen Rechts zu begnügen und eine Kritik desselben liege ausserhalb ihrer Zuständigkeit, ja der Jurist stünde „gerade in seiner wissenschaftlichen Tätigkeit der Teilnahme an der Rechtsproduction am allerfernsten". Die ganze Einseitigkeit des Loening'schen Standpunktes tritt hier grell zu Tage. Zunächst führt das volle Verständniss des giltigen Rechts allein zum Verständniss auch seiner Widersprüche, seiner Mängel und seiner IBicken: freilich dies volle Verständniss kann die g e s c h i c h t l i c h e B e t r a c h t u n g des Rechts nie bieten, sondern nur das Messen des Rechts an dem Leben, wofür es bestimmt ist, mit andern Worten die d ο g m a t i s c h - p r a k t i s c h e Β e t r a c li t u η g. Einen Mangel erkennen, ist aber stets (1er erste Schritt zu dem Wissen, wie er zu beseitigen: ja wer ihn mit seinem Grunde erkennt, weiss auch meist, wie er zu überwinden ist. Und so steht der gesunde Jurist, welcher der Gegenwart nicht den Rücken kehrt, bei seiner wissenschaftlichen Tätigkeit stets in der Vorhalle der Rechtsproduction, wie denn auch die Geschichte lein t, dass, wo eine Rechtswissenschaft entwickelt war, sie und nur sie die Führerin der Gesetzgebung geworden ist. Ja, jeder Gesetzesvorschlag ist eine rechtswissenschaftlichc Tat.

16

§ 3. III. Die Wissenschaft gegenüber dem codificirten Strafrechte.

geplant und durchgeführt wird, oder wenn die Gesetzgebung aus alten verrotteten Geleisen in die Bahnen neuer Ideen umbiegt. Beide Bedingungen treffen bezüglich der neueren Strafgesetzgebung zusammen 1 . Der feindliche Gegensatz zwischen Naturrecht und positivem Strafrechte, der im Laufe des 18. Jahrhunderts immer schärfer, man möchte sagen, schmerzhafter geworden war, den V o l t a i r e in dem verwegenen Rate: Voulez-vous avoir de bonnes lois? Brûlez les vôtres et faites en de nouvelles! leidenschaftlich ausgesprochen hatte 2 , ward durch die Gesetzgebung der französischen Revolution nicht überwunden, wohl aber in seiner Gestalt verändert. Die Revolution ist ja die tragische Probe auf die Richtigkeit der naturrechtlichen Grundgedanken gewesen. Ihre Gesetze wollten nur codificirtes Naturrecht sein, und den absoluten Wert, den bisher eine Theorie angeblich besessen, vindici rte sich jetzt das ihr entwachsene Gesetz. Der Rückschlag zu Ungunsten der Wissenschaft konnte nicht ausbleiben und ist bis auf den heutigen Tag noch fühlbar: ja seine ungesunden Reste werden noch lient als wohltätige Errungenschaften von derselben Wissenschaft gepriesen, die darunter leidet. Diese Geschichte wissenschaftlicher Degradation infolge der Ueberschätzung des gesetzgeberischen Könnens ist so merkwürdig und so wenig abgeschlossen, die Vorurteile, die sie ausgebildet hat, sind so hartnäckig, dass sie genauerer Betrachtung bedarf. Sie beginnt mit einem Gedanken, der zur Macht gelangt, die Analogie ausschliessen musste; sie erhebt sich zum Versuch aller Rechtswissenschaft den Todesstoss zu versetzen; sie beschränkt sich dann auf Untersagung erst aller Gesetzesauslegung, dann unter Zulassung der grammatischen auf das Verbot der logischen, dann unter Freigebung dieser mindestens auf das Verbot aller ausdehnenden Auslegung und der Analogie, bis sie sich und zwar unter allgemeinster Zustimmung mit dem Opfer der Analogie begnügt. Dabei geht in ihrer Feindseligkeit gegen die Wissenschaft die Theorie von dem, was die Gesetzgebung jener verbieten sollte, weiter, als die Gesetzgebung selbst zu gehen gewagt hat. 1

Man denke einerseits an die Tlieresiana von 1768, die Josetinische Stiafgesetzgebung von 1787 und 1788 und das österreichische Strafgesetzbuch von 1803; andererseits an die französischen Codificationen unci ihre Rückwirkung auf I )eutschland, insbes. auf F e u e r b a c h und das bayerische Strafgesetzbuch von 1813, das den Codex juris bavarici criminalis von 1751 einfach verleugnet. 2 Dictionnaire philosophique s. v. lois, Oeuvres X L I 463.

17 § 4.

2. D i e E n t s t e h u n g d e s S a t z e s n u l l a p o e n a s i n e und seine R ü c k w i r k u n g

auf die

lege

Theorie.

K a u m ein anderer Satz des Strafrechts g i l t als so selbstverständlich wie der:

n u l l a poena sine lege.

Ueberlieferung ;

Er

klingt

er begegnet wie ein Sprichwort

uns wie eine an passender

uralte und

unpassender Stelle u n d schillert wie ein solches i n seiner B e d e u t u n g 1 . Seinen Consequenzen haben sich Gesetzgebung u n d D o c t r i n m i t seltener E i n m ü t i g k e i t unterworfen. neuen Datums.

U n d doch ist er u n d seine T y r a n n e i ganz

W i e weit beide aber heute noch innerlich begründet

sind, dies erkennt nur, wer weiss wie der Satz entstanden. I n der F o r m der lateinischen Parömie n u l l a poena sine lege ich i h n vor F e u e r b a c h

nicht2

u n d auch bei i h m

finde

erst i n seinem

Lehrbuche, noch nicht aber i n seiner R e v i s i o n 3 . 1 Ueber diesen Satz handeln ex professo S c h w e i k a r d t , De delictis poenalem sanctionem secundum jus Romanum et C. C. C. non desiderantibus, Regiom. 1826 (s. darüber ausführlich W ä c h t e r , tüb. Krit. Ζ IV 35 if.)? und viel eingehender K ö n i g s w a r t e r , Nullum delictum, nulla poena sine praevia lege poenali, Amstelodami 1835. Infolge davon, dass Κ. Norm und Strafgesetz nicht aus einander hält, leiden seine Ausführungen unter ganz ungenauer Auffassung des Themas. Seine Beweisführung, die Parömie folge aus dem Wesen des Strafrechts (S 121 ff.), ist r e i n e petitio principii : denn K. steht auf dem Standpunkt der Abschreckung durch die Strafdrohung und sagt selbst S 63: Theoria coactionis psychologicae sine paroemio nostro defendi nequit. Sehr beachtenswert ist die eingehende Bekämpfung des Satzes bei O e r s t e d , Grundregeln S 106—129. 2 Anklingende Formen finden sich früher schon, aber freilich in ganz anderer Bedeutung. So sagt G o m e z , Var. resol. tom. I I I c. 3 n. 30 unter Berufung auf die Lectura des Albericus de Rosate: In cap. cogitatio de poenit. dist. 1 („cogitatio non meretur poenam lege civili"), ex quo dicebat Albericus in 1. quicumque Cod. de servis fug. ( = 1 4 C 6, 1) 2. col. : quod in delictis regulariter tria considerantur, animus, factum, et delictum: animus, ut quis intendat delinquere; factum, ut sequatur delictum; delictum, ut p e r legem s i t p u n i b i l e , quod intellige, in foro contentioso, secus vero in foro conscientiae. Die Stelle des Gomez schreibt C a r p z o v , Quaestio 1 η. 18 treu aus. Das per legem punibile will natürlich nichts anderes sagen, als dass die Handlung nach weltlichem Rechte strafbar sein müsse: die lex ist wie in der kanonischen Stelle die lex civilis. — Etwas anders bei P u f e n d o r f , De jure naturae et gentium libri octo, 1671, lib. V I I I cap. 3 § X V I : A l i a s enim t r a l a t i c i u m est, u b i n o n s i t l e x , i b i nec poenam, nec d e l i c t u m , nec d e l i c t i venia'm i n v e n i r i . Aber lex bedeutet auch hier nicht das Strafgesetz: s. S 18. Bei andern Schriftstellern des 17. und 18. Jahrhunderts finde ich keinen Satz, der dem Feuerbachischen ähnlich wäre. Denn die Aeusserung G u n d l i n g s , Jus naturae ac gentium (ed. II. 1728) S 440: Ergo ubi nullum peccatum, ibi nulla poena, und ähnliche gehören nicht hieher. 3 S. Revision I 63. 148 f. und Lehrbuch 1. Aufl. § 20. Die beiden anderen lateinischen Formen: nulla poena sine crimine und selbst das von F e u e r b a c h

Binding, Handbuch. V I I . 1. I : B i n d i n g , Strafrecht. I.

2

18

§ . III. Die Wissenschaft gegenüber dem codificirten Strafrechte.

Dagegen wird vor ihm die lex unzälige Male als notwendige Voraussetzung der Uebertretung oder aber der Strafe erwähnt, und gerade diesen Stellen gegenüber gilt es der Tatsache gerecht zu werden, dass die lex ebenso gut die Norm, als das Strafgesetz bezeichnen kann 4 , und dass sie in der naturrechtlichen Literatur regelmässig als Norm und nicht als Strafgesetz gedacht wird. Dieser Norm ist dann aber die Schriftlichkeit nicht wesentlich: man denke nur an die grosse Rolle der leges naturales in den älteren rechtsphilosophischen Schriften! Wo aber die lex als Voraussetzung nur des Delictes bezeichnet wird, da stossen wir auf den durchaus richtigen Satz: „Ist es nicht verboten, so ist es auch nicht Unrecht" 5 , oder wie er in der Form der Lutherischen Uebersetzung der Stelle des Paulus, Brief an die Römer 4, 15 auch im deutschen Rechtsleben sprichwörtlich geworden ist: „Wo das Gesetz nicht ist, da ist auch keine Uebertretung" 6 . Dieses Sprichwort hat auch offenbar P u f e n d o r f in Gedanken, wenn er den Satz „ubi non sit lex, ibi nec poenam, nec delictum inveniri" als tralaticisch bezeichnet 7 . Denn der Satz, das S t r a f g e s e t z sei notwendige Voraussetzung der Strafe, lief damals so wenig um, dass kein Schriftsteller des 17. Jahrhunderts sich zu ihm bekennt, und dass P u f e n d o r f selbst die Zulässigkeit der Strafe ohne Strafgesetz ausdrücklich feststellt 8 . so seltsam gedachte nullum crimen sine poena legali finden sich aber an beiden Orten. 4 In dem bekannten can. 3 Causa X X X I I qu. 4, wo Abraham wegen seines Ehebruchs entschuldigt wird, darf lex natürlich nur als Norm verstanden werden. Ganz verwirrt K a t z , Kanon. Strafrecht S 3. Die sehr exact sprechende Stelle lautet: Poena criminis ex tempore legis est, quae crimen inhibuit, nec ante legem ulla rei damnatio est, sed ex lege. Nec enim in legem commisit Abraham, sed legem praevenit. 5 So in der Glosse zum sächsischen Weichbildrecht Art. 35 (Ausg. von v. D a n i e l s und G r u b e n S 334). 6 Siehe G r a f f und D i e t her r, Deutsche Rechtssprichwörter S 286 Nr. 7 (aus H e n i s c h , Deutsche Sprache und Weisheit. Nürnberg 1601). Offenbar ist die Fassung die der Bibel, was ich bisher nicht erwähnt finde. 7 S. oben Anm 2. 8 A. a. 0. Es ist nämlich zu wissen, dass, wenn civitas jure scripto non utitur, loco legum civilium esse leges naturales, juxta quas jus ibi dicitur, et qui eas transgressus fuerit, poena arbitraria a judice coercetur. Aber auch bei geschriebenem Rechte ubique legum civilium defectum lex et ratio naturalis supplere intelligitur: et qua sanctio poenalis expressa deficit, in arbitrio judicis est poenas definire . . . . Hoc modo intelligitur, qua ratione poena ante legem poenalem locum habet. — B ö h m e r ad Carpzovium (1759), observ. I ad quaest. 133 (III 111), lèhrt noch, wo die N o r m vorhanden: ibi sanctionem poenalem tacite complectitur, judicique tamquam ministro legum facultatem implicite dat, contemtum vindicandi — quod in dubio praesumitur.

2. Die Entstehung des Satzes nulla poena sine lege.

19

Das Charakteristische des Satzes in seiner neueren Bedeutung besteht aber gerade darin, dass die Regel : „wo kein Gesetz, da keine Uebertretung, da keine Strafe", welche Regel also nur die Positivität der Norm fordert, sich umgewandelt hat in die andere: „wo kein positives und zwar g e s c h r i e b e n e s S t r a f g e s e t z , da keine Strafe" 9 . Dem französischen Strafrechte vor der Revolution, welches ja ein umfassenderes Strafgesetz gar nicht kannte, war dieser Grundsatz völlig fremd 1 0 . Die CCC Art. 104 untersagte zwar die Pönalisirung einer Handlung durch den sog. Gerichtsgebrauch, nicht aber durch Analogie, der sie vielmehr den freisten Spielraum Hess; die gemeinrechtliche Praxis aber hatte sich von jener Schranke rücksichtslos befreit. Auch der deutschen Particulargesetzgebung des ,18. Jahrhunderts war er noch nicht geläufig 11 . Der Grundsatz ist vielmehr ein Erzeugniss der naturrechtlichen Entwicklung, besonders in der Aufklärungsperiode, und die Gesetzgebung der französischen Revolution hat ihn zuerst sanctionijrt. Zwei ganz verschiedene Grundgedanken sind es, die folgerecht weitergedacht zu dem Satze nulla poena sine lege hindrängen. Je nachdem er dem einen oder aber dem andern dieser Grundgedanken seine Entstehung verdankt, bedeutet er Verschiedenes und ergiebt er insbesondere verschiedene Consequenzen. Dies ist bisher noch wenig beachtet, weil sich in der geschichtlichen Entwicklung beide Strömungen mit einander vermischt haben. 9

Es ist deshalb nur befremdlich, wenn Manche den Satz dadurch annehmbar machen wollen, dass sie das Gewohnheitsrecht unter lex mitverstehen : denn er ist geschaffen worden, um das Gewohnheitsrecht zu überwinden. S. gegen diesen Missbrauch schon K ö n i g s w a r t e r a. 0. S 57. Ebenso weicht man weit von seinem Sinne ab, wenn man bei lex mit an die Norm denkt. 10 S. darüber W a r n k ö n i g und S t e i n , Französische Staats- und Rechtsgeschichte I I I 597. 598. 599 ff. 608 ff. 11 Nach dem Publ.-Patent des v e r b e s s e r t e n ρ r e u s s. L a n d r e c h t s von 1721 sind unbenannte Fälle zu entscheiden: 1. „nach Kayserl. Rechte, wenn sie dort ausdrücklich decidirt sind"; 2. „sonst aber zu anderwärtigerDecision und Dijudikation ex aequo et bono . . . gestellet", oder 3. „wenn das Collegium es nöthig findet, der Casus . . . . zu unserer Decision eingeschickt werden soll". — Nach dem Cod. j u r . bavar. crim. von 1751 Publ.-Patent sind solche Fälle das erste Mal ex aequitate et analogia juris zu entscheiden, sofort aber an den Geh. Rat zu berichten. — Nach der T h e r e s i a n a v o n 1768 Art. 104 sind sie zunächst nach Aehnlichkeit benannter Fälle zu entscheiden, vor der Publication ist aber das Urteil zu höherer Erkenntniss an das Obergericht abzugeben, welches, wenn Wiederholung zu fürchten, nach Hof Anzeige zu machen hat. 2*

20

§ . III. Die Wissenschaft gegenüber dem codificirten Strafrechte. I.

der

D e r ältere ist der, welcher bei seiner Ausmündung den N a m e n

psychologischen Zwangstheorie

erhalten hat.

Die

Lust

a m Verbrechen soll durch die U n l u s t an der Strafe überwunden, diese U n l u s t aber durch die k l a r e A n d r o h u n g überwiegenden Strafübels

des die Freude

geweckt werden.

an der T a t

Das Strafgesetz w i r d da-

durch i n den engsten unentbehrlichen Zusammenhang m i t der Geburtsstätte des Verbrechens i m I n n e r n des Menschen gebracht : dort n i m m t es den K a m p f m i t

der verbrecherischen Neigung a u f ,

es, so fällt i n W a h r h e i t gesetzgeber u n d

alle Schuld vom Verbrecher

seine unzureichenden M i t t e l

u n d unterliegt auf den Straf-

hinüber,

obgleich

die

Theorie n a t ü r l i c h diese Folgerung einstimmig perhorrescirt. Schon P u f e n d o r f l i c h k e i t des Verhaltens sufficiat,

1 2

w i l l die F u r c h t vor der Strafe die Gesetz-

bewirken

lassen.

tanta est c o n s t i t u e n d a ,

Quae poena, u t huic

ut a p e r t e

maius m a l u m

fini sit

leges violasse quam observasse, et sic poenae gravitas delectationem aut l u c r u m , quod ex i n i u r i a capitur aut speratur, superet. non possunt videtur,

h o m i n e s ex

e l i g ere.

duobus

malis

quod

Non eni m sibi

minus

Dieser Gedanke taucht i m Laufe des 18. Jahr-

hunderts an den verschiedensten Stellen a u f 1 3 : nirgends aber w i r d er 12

A. a. 0. lib. V I I cap. IV § 3. Ich biete einige Belege ohne irgend Ansprüche auf Vollständigkeit zu machen. S. H e i n e c c i u s , Elementa juris naturae et gentium. Halae 1738. S 505 (Umschreibung des Pufendorf). — W o l f f , Jus naturae. Pars VIII. HalaeMagdeb. 1748. § 585: Legibus tales ac tantae addendae sunt poenae, quae ad cohibendam legum transgressionem, quantum datur, sufficiunt. § 586: Poenae sunt motiva actionum committendarum vel omittendarum. ( W o l f f betrachtet — so viel ich sehen kann als erster — die Norm ohne Zufügung des Strafgesetzes als unverbindlich, s. § 585 u. 587.) — D a r j e s , Discours über sein Natur- und Völkerrecht. Jena 1762. I 205: Strafen sind unangenehme Folgen, die nur Motiva geben sollen, gewisse Handlungen zu unterlassen. — F r i e d r i c h der Grosse in seiner 1749 zuerst gedruckten Dissertation sur les raisons d'établir ou d'abroger les lois (Oeuvres IX in der Octav-Ausgabe Berlin 1848, S 23): Comme les lois sont des digues qu'on oppose au débordement des vices, il faut, qu'elles se fassent respecter par la terreur des peines. — R o u s s e a u , Contrat social (zuerst 1762) livre I I chap. 6: I l faut lui (au peuple) faire voir les objets tels qu'ils sont . . . , balancer l'attrait des avantages présens et sensibles par le danger des maux éloignés et cachés. — B e c c a r i a , Dei delitti e delle pene (zuerst 1764) § 27. — Système de l a n a t u r e (zuerst 1770) I chap. 12 (s., die Stelle in den Normen I I 25 Anm 42). — A l e x . ν. J o c h , Ueber Belohnung und Strafe nach türkischen Gesetzen (zuerst 1770, 2. Aufl. 1772) S 139. 14(5. 150. 166. — W i e l a n d , Geist der peinlichen Gesetze. Leipzig 1783. I 279. 283. 299. — K l e i n , Grunds, des peinlichen Rechts. Halle 1796. § 9 und § 69. — G r ü n d l e r , Verjährung. Halle 1796. S 19. — In der Sitzung der französ. Nationalversammlung v. 26. Dec. 1790 ( B û c h e z V I I I 243) legte D up o r t den Entwurf über die Ver13

2. Die Entstehung des Satzes nulla poena sine lege.

21

mit solcher Energie durchgeführt wie bei F e u e r b a c h (zuerst im Antihobbes, 1798, S 207 ff.)· Angenommen, das Strafgesetz hätte wirklich die Aufgabe de balancer les penchans criminels, so sind die wichtigsten Folgesätze unausweichlich. Ohne geschriebenes Strafgesetz keine Strafe. Unbestimmte Strafgesetze sind unzulässig. J e n e s G e s e t z d a r f a u s dehnend nicht i n t e r p r e t i r t , nicht durch Analogie erw e i t e r t w e r d e n , wogegen einer Abschaffung des Gesetzes durch Gerichtsgebrauch und aller anderweiten Anwendung der Analogie auf criminellem Gebiete nichts im Wege steht. Ohne Kenntniss des Strafgesetzes keine Schuld, ohne Bewusstsein von Art und Maass der Strafe kein Vorsatz! Keine andere Strafe darf den Verbrecher treffen als die des von ihm übertretenen Strafgesetzes: jede sog. Rückwirkung ist ausgeschlossen, der Verbrecher hat ein Recht auf die Strafe seines Gesetzes oder wenigstens darauf, nicht mit einer härteren belegt zu werden 1 4 . Dass unsere neueren Strafgesetzbücher der psychologischen Zwangstheorie nicht mehr anhängen, ist zweifellos ; ebenso unbestreitbar, dass mit der Theorie principi eil alle ihre Folgerungen a l s s o l c h e hinfällig werden müssen. II. Diese Balancirtheorie, die auf vollständige, bestimmte Strafgesetze im Interesse wie des Staats so des Verbrechers dringt, ist eine strafrechtliche Lehre: auf ganz dasselbe Ziel kommt aber eine staatsrechtliche Theorie des 18. Jahrhunderts zu. Jenes treitet gegen die Unbestimmtheit des Strafrechts, diese gegen die bodenlose Willkür der Strafjustiz: jener sind die geschriebenen Gesetze, dieser ist die Unterwerfung des zuchtlos gewordenen Richterstandes unter das Gesetz die Hauptsache. Die schneidende Schärfe, deren die Lehre von der Teilung waltung der Criminaljustiz vor mit den Worten: das wahre Object der Strafe ist nicht der, den sie trifft; vielmehr soll sie: balancer les penchans criminels de l'homme qui est prêt de se rendre coupable; sie soll überwiegen das Interesse desselben an Begehung der Tat. — Im 19. Jahrhundert hat lange nach F e u e r b a c h , T h i b a u t und B a u e r noch S c h o p e n h a u e r , Die Welt als Wille und Vorstellung (Werke. Leipzig 1873. I I 407 ff.), diese Theorie, nachdem sie wissenschaftlich längst überwunden war, sich angeeignet. 14 Es ist kein Zufall, dass F e u e r bach sich nicht losmachen kann von dem Oedanken, der Staat bedinge die Begehung der Verbrechen durch die Strafe, so dass der Verbrecher sich durch seine Tat der dieser zuvor angedrohten Strafe unterwerfe, diese mit dem Verbrechen wolle. S. z. B. Revision I 49. 149, Lehrbuch § 20. Es ist dies der einzige Weg, ein Recht des Delinquenten auf keine andere als die ihm gedrohte Strafe zu deduciren. Inconsequent übrigens Revision I 63 n.

22

§

. III. Die Wissenschaft gegenüber dem codificirten Strafrechte.

der Staatsgewalt bedurfte, um insbesondere gegenüber der chronisch gewordenen Verschiebung von Gesetzgebung und Praxis eine klare Abgrenzung der Competenzen aller Welt sichtbar zu machen, erhielt sie erst durch M o n t e s q u i e u (1748). Das Streben nach Trennung der Zuständigkeiten trieb ihn zur Zerreissung der ganzen Gewalt. Der bisher allmächtige Richter sollte mit einem Schlage zum sklavischen Anwender des Gesetzes ohne eigenen Geist und eigenen Willen erniedrigt werden. Des trois puissances, dont nous avons parlé, celle de juger est en quelque façon n u l l e 1 5 ! Die Gesetze sollen sich selbst auf den einzelnen Fall anwenden, und der Richter ist nur ihr mechanisches Werkzeug. Die Urteile sind nichts qu'un texte précis de la loi. Les juges de la nation ne sont que la bouche qui prononce les paroles de la loi, des êtres inanimés qui n'en peuvent modérer ni la force ni la rigueur 1 6 . Deshalb müssen die Gesetze ebenso klar als vollständig, somit vollkommen sein. J e d e A u s l e g u n g des G e setzes, welche r i c h t e r l i c h e S e l b s t ä n d i g k e i t e r f o r d e r t , also j e d e l o g i s c h e A u s l e g u n g , v o r a l l e m d i e a u s d e h n e n d e , u n d noch mehr j e d e a n a l o g i s c h e A n w e n d u n g eines Gesetzes s i n d s t r e n g s t e n s u n t e r s a g t : d e n n sie f a l l e n i n s B e r e i c h der g e s e t z g e b e n d e n Gewalt. Diese seltsamen Gedanken fanden den lautesten Widerhall innerhalb und ausserhalb Frankreichs, in den Kreisen der Regierer wie der Regierten, in den hervorragendsten Köpfen, wie in denen, die dem Vorurteile der Menge den crassen Ausdruck zu geben lieben 1 7 . 15

Esprit des lois livre X I chap. 6 (Oeuvres complètes. Paris 1838, Dido t. S 207). Nichtsdestoweniger trieb dieser selbe Gedanke schliesslich noch zur Zerreissung der Urteilsgewalt in den Gegensatz des .juge du fait und juge du droit: zum französischen Geschworenengericht ! 16 Das. S 266 und 268. Man beachte clen schneidenden Gegensatz zwischen M o n t e s q u i e u und den gemeinrechtlichen deutschen Juristen L e y s er, Medit. DLIV ad Pand. § 31, wonach die Richter mit Recht legislatoriam potestatem sibi sumunt, und B ö h m e r ad CCC (1774) S 325: Atque hoc sensu omnes omnino poenae sunt arbitrariae. 17 F r i e d r i c h d. Grosse hatte 1749 mit dem treffenden Wortet les choses parfaites ne sont pas du ressort de l'humanité vor den überspannten Hoffnungen auf vollkommene Gesetze gewarnt. In ders. Dissertation sur les raisons d'établir ou d'abroger les lois (s. oben Anni 13) S 30 sagt er dennoch: Des lois claires, qui ne donnent pas lieu à des interprétations y sont un premier remède (contre l'erreur des juges). Und in einer Cabinetsordre von 1780 spricht er aus, was er vom preuss. Landrechte erwartet: „Wenn Ich — Meinen Endzweck erreiche, so werden freilich viele Rechtsgelehrte bei der Simplification dieser Sache ihr geheimnissvolles Ansehen verlieren, um ihren ganzen Subtilitäten-Kram gebracht, u n d das ganze C o r p s der b i s h e r i g e n A d v o k a t e n u n n ü t z werden." „Diesem gemäss ver-

2. · Die Entstehung des Satzes nulla poena sine lege.

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Traute man der Gesetzgebung die göttliche Kraft zu, vollkommene, also auch vollständige Gesetze zu schaffen, so musste fortan das ergangene Gesetz ganz auf sich selbst ruhen. Jede Berührung desselben war ein Verbrechen. Es durfte keine Wissenschaft, keine Auslegung mehr geben 1 8 . Das gelehrte Richtertum, überhaupt der Juristenstand bot er schlechthin alle Interpretation . . . Auch noch im Entwurf des Gesetzbuchs ist die Interpretation dem Richter eigentlich ganz untersagt, und alles an die Gesetzgebungscommission auch für einzelne Fälle gewiesen. Ganz anders nach dem Landrechte." v. S a v i g n y , Beruf S 88. — Ich lasse dem grossen König seinen grössten Philosophen folgen und verweise auf K a n t , Rechtslehre, zuerst 1797 (Ausgabe der Werke von Rosenkranz IX 162—164). — Ferner s. man aus Italien B e c c a r i a a. Ο. § 3 und 4. Danach dürfen nur die Gesetze die Strafen der Verbrechen bestimmen, kein Beamter. E b e n s o w e n i g k o m m t d i e s e n das R e c h t der A u s l e g u n g zu und sie haben nicht den Geist der Gesetze zu Rate zu ziehen, sondern sich an den Buchstaben zu halten, weil sie nicht Gesetzgeber sind. — Aus Deutschland: G l ob i g und H u s t e r , Abhandlung von der Criminalgesetzgebung. Zürich 1783. S 24: „Die Gesetze müssen vor allen Dingen gewiss und bestimmt sein und nicht von den Erläuterungen der Richter abhängen." S 29: „Sie müssen so vollständig als möglich sein." S 30: „Werden alle zweifelhaften Fälle durch ausdrückliche Verordnungen entschieden, so fällt die Observanz und Gewohnheit von selbsten weg. Diese wächserne Nase der Rechtsgelehrsamkeit (!) hat ihren Ursprung den Zeiten der Barbarey zu danken, da niemand an Gesetze dachte." „Der Richter ist nur der mechanische Ausüber der klaren Bestimmungen des Gesetzes. Er darf weiter nichts als den vollkommenen Gebrauch der fünf Sinnen, gute Beurteilungskraft und RechtschafFenheit besitzen, um seinem Amte gut vorstehen zu können. Wissenschaften sind dabei überflüssig, weil selbst die sog. Rechtsgelehrsamkeit, wenn alle Gesetze in einem Buche bekannt gemacht sind und keiner Auslegung bedürfen, aufhören wird eine Wissenschaft zu sein." Vgl. weitere Belege in der verdienstvollen Zusammenstellung von G e i b , Strafrecht I 328 ff. — S. noch unten Anm 18. 18 Die Angst für das Gesetz vor der Wissenschaft äussert sich auf drei Weisen : 1. in d er Τ h eo r i e und d e r G e s e t z g e b u n g durch Bekämpfung resp. Verbot aller Wortkritik, aller ausdehnenden Auslegung und aller Analogie; 2. i n der G e s e t z g e b u n g durch das barocke Verbot der Commentirung des Gesetzes und 3. vereinzelt durch eine Kasuistik, die womöglich alles richterliche Ermessen ausschliesst. S. ad 1 Qui Storp, Ausführl. Entw zu einem Gesetzbuch in peinlichen und Strafsachen. 1782. § 5 u. 6. Ganz übereinstimmend: P f l a u m , Entw einer neuen peinlichen Gesetzgebung. Frankfurt und Leipzig 1793. § 5 u. 6 (dieser Entwurf ist 1795 im Bistum Bamberg als Gesetz publicirt worden). Interessanterweise befiehlt § 5 Buchstaben - Interpretation, § 6 aber sieht sich genötigt Analogie zuzulassen. — K l e i n s c h r o d , Entw (1802) § 11 will über Auslegungszweifel die Gesetzcommission entscheiden lassen, giebt in § 12 das Recht der Analogie mit der rechten, nimmt es sofort wieder mit der linken Hand, § 13 schliesst ausdehnende Auslegung aus, § 14 lässt einschränkende Auslegung zu, wenn „ein gesetzlicher Grund" sie gestatte. — Dagegen wendet sich F euer bach, Kritik I I (1804) S 18 ff. (in seinem Lehrbuch tibergeht er charakteristischer Weise die Auslegung mit Stillschweigen). Er will den Richter nicht zur „Gesetzesmaschine" herabgewürdigt sehen, dennoch will er

24

§

.

. Die Wissenschaft gegenüber dem codificirten Strafrechte.

hatte sich überlebt u n d somit zu verschwinden;

automatisch musste

der gesunde Menschenverstand den k l a r e n F a l l — wer i h n aufklärte, stand freilich

dahin! — unter

ergab sich von s e l b s t

19

das k l a r e Gesetz stellen:

das U r t e i l

.

Dass die Wissenschaft i h r Todesurteil überleben würde, verstand sich freilich von selbst.

A u c h die abschmeckenden Versuche, sie u n d die

Richter auf die grammatische Auslegung der Gesetze zu beschränken, gingen an ihrer eigenen Lächerlichkeit zu Grunde, wenn sie auch V e r w i r r u n g genug gestiftet haben.

A b e r die logische Auslegung u n d die

Analogie sind nicht n u r gefährdet, sondern schwer geschädigt worden. D i e erste Gesetzgebung grossen Stils u n d vorbildlicher Natur, die ernsthaft j e n e n Anforderungen gerecht

zu werden versuchte,

war die

der französischen Revolution. Gerade i n der französischen Nationalversammlung aber wurde der Gedanke

der Gewaltenteilung m i t der Balancirtheorie i n V e r b i n d u n g

g e b r a c h t 2 0 , u n d gerade deshalb ist es wichtig, der Verschiedenheit der Consequenzen beider Grundgedanken noch ein W o r t zu widmen. unter Strafe jede Gesetzeskritik, jede ausdehnende, ja auch alle beschränkende Auslegung verbieten. Noch crasser C. S. Z a c h a r i ae, Anfangsgründe des philos. Criminalrechts. Leipzig 1805. S 15. 16, der nur grammatische Auslegung zulässt, denn logische Auslegung sei stets Gesetzgebung. — S. auch H ä l s c h n e r , Geschichte S 169. 170. — Zu 2 mag zunächst auf die Vorrede zum Corpus juris Friderici^num (1749 u. 1751) § 28 IX verwiesen werden, obgleich das Corpus sich auf Strafrecht nicht mit bezieht; ferner auf die oben Anm 17 angezogene Cabinetsordre Friedrichs des Grossen. — S. ferner Q u i S t o r p , Entw zu e. peinl. Gesetzbuch I § 5: Commentirung im Rückfall ist mit ewiger Landesverweisung zu strafen (über diese Absurdität s. F e u e r b a c h , Kritik I I 21), bes. aber die königl. bayerische V vom 19. Oct. 1813 (s. Anm zum Strafgesetzbuche für das Ivönigr. Bayern I, 1813, S I bis IV), an der F e u e r b a c h natürlich unschuldig war, die aber doch den Erfolg hatte, dass zu dem Ges von 1813, obgleich es fast 50 Jahre galt, kein Commentar erschienen ist. — Zu 3 s. die treffenden Bemerkungen H ä l s c h n e r s a. Ο. S 203 über das Strafrecht des preuss. Landrechts. 19 Es ist kein Zufall, dass viel später noch v. K i r c h m a n n , der den absoluten Wert des natürlichen gegenüber dem positiven Recht vertritt, die „Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft" proclamili. „Die Juristen sind durch das positive Recht zu Würmern geworden, die nur von dem faulen Holze leben", a. 0. S 23. S. oben S 8 Anm 3. Es ist nicht ganz richtig, wenn S t a h l , Rechtswissenschaft od. Volksbewusstsein? Berlin 1848, S 11 gegen v. K i r c h m a n n geltend macht, er wende sich nicht sowohl gegen die Jurisprudenz als gegen das positive Recht: er wendet sich gegen beide. Sein natürliches Recht bedarf keiner Wissenschaft und erträgt keine solche. 20 Schon in der Nationalversammlung vom 1. Aug. 1789 berichtet Bergasse : Le pouvoir judiciaire sera donc mal organisé, si le juge joint du dangereux privilège d'interpréter la loi ( B û c h e z I I 284). In der Sitzung vom 22. und 23. Mai 1791

2. Die Entstehung des Satzes nulla poena sine lege.

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Beide drängen zu umfassenden klaren Gesetzen, jener aber zu absolut bestimmten, während diese auch relativ bestimmte zulässt. Die B a l a n c i r t h e o r i e führt zu einer ganz bestimmten und zwar falschen Auffassung der criminellen Verschuldung, ferner zum Grundsatze der Nichtrückwirkung, zum Ausschluss alles ungesetzten Strafrechts, insbesondere auch der Analogie, soweit es sich um Pönalisirung einer, im Gesetze übergangenen Tat handelt, aber nur so weit. Die T e i l u n g s t h e o r i e ergiebt specifisch criminelle Folgerungen gar nicht, sie ertheilt über die Frage der Schuld und des Irrtums gar keinen Aufschluss, wohl aber schliesst sie alle und jede Ausdehnung und Analogie mit Bezug auf alle, also auch die Strafgesetze aus und stellt sich feindlich jeder Abschaffung des Gesetzes durch den Gerichtsgebrauch entgegen. Endlich aber ergiebt sie gerade umgekehrt wie die Theorie des psychologischen Zwanges den Folgesatz der unbedingten Rückwirkung des neuen Strafgesetzes auf früher schon strafbare Handlungen. Denn ist dieses lediglich die bindende Nonn für den Richter und soll es alles richterliche Ermessen beseitigen, so muss der Richter stets an die neue Instruction gebunden und darf nie in der Lage sein zwischen zwei Gesetzen das anzuwendende zu wählen. Dieses Widerspruchs ist man sich damals nicht voll bewusst geworden. Die neuen Strafgesetze, die ja durchweg auch als ein bedeutender Fortschritt zur milderen Ahndung der Verbrechen erschienen, sollten zunächst die Scheidung der gesetzgebenden und der richterlichen Gewalt vollziehen, was sie im Geiste M o n t e s q u i e u s nicht vollständig durchzuführen unternahmen; ausserdem aber sollten sie die Bürger von Verbrechen durch die Strafdrohung abhalten, sie wurden also jedenfalls als die Gesetze betrachtet, die der Verbrecher übertritt. Das Gesetz bekommt zwei Adressen und zwei Uebertreter: die Untertanen und die Richter! Der nicht ganz fehlenden Unterscheidung von Norm und Strafgesetz wird Folge nicht gegeben. Danach gestaltet sich die Gesetzgebung so. Das Princip nulla poena sine lege poenali wird sanctionirt 2 1 . Das Strafgesetz wird aber (das. X 54 ff.) berichtet L e p e l l e t i e r St. F a r g e a u über den Code pénal: die Strafen müssen sein exemptes de tout arbitraire judiciaire. Ueber die Vertretung der Balancirtheorie in der Versammlung s. oben Anm 13 a. E. 21 C o n s t i t u t i o n f r a n ç a i s e vom 3. Sept. 1791 ( D u v e r g i e r I I I 275 ff.): Déclaration des droits de l'homme : 5. Tout ce qui n'est pas défendu par la loi ne peut être empêché (eigentlich das Erforderniss gesetzlichen Ausdrucks der Nonnen). 8. . . . nul ne peut être puni qu'en vertu d'une loi établie et promulguée antérieurement au délit et légalement appliquée. (S. schon L a f a y e t t e in der Nationalversammlung vom 11. Juni 1789, bei B û c h e z I I 75 ff.) — Der Code pénal vom 25. Sept. — 6. Oct. 1791 brauchte den Grundsatz deshalb nicht mehr auszusprechen.

26

§

. III. Die Wissenschaft gegenüber dem codificirten Strafrechte.

zugleich als der Rechtssatz betrachtet, Deshalb

den der Verbrecher

übertritt.

steht das Gesetz der Begehungszeit zur Anwendung.

Der

Grundsatz der N i c h t r ü c k w i r k u n g k o m m t erst i n der Gesetzgebung von 1793 zu schroffem

Ausdrucke22.

Dies hindert indessen n i c h t ,

dem

neuen m i l d e r e n Rechte r ü c k w i r k e n d e K r a f t beizulegen, ohne dass dafür ein Rechtsgrund angegeben w ü r d e 2 3 . V o n den thörichten V e r b o t e n die neuen Gesetze auszulegen u n d zu commentiren, hat sich die französische Gesetzgebung frei gehalten; nicht ebenso

die französische

Theorie

von den Nachwirkungen

Lehren M o n t e s q u i e u s für die A r t der Auslegung.

der

Noch heute ver-

w i r f t sie jede Analogie, jede ausdehnende, j a eigentlich jede wissenschaftliche A u s l e g u n g 2 4 .

Car en matière pénale, on peut dire que ce

Wohl aber tut dies der Code militaire vom 30. Sept. — 19. Oct. 1791 (Du ver g i e r I I I 522) T. 1 Art. 1 u. 2. Ferner der Code des délits et des peines vom 3. brumaire an IV (25. Oct. 1795, D u v e r g i e r V I I I 469 ff.) Art. 3: Nul délit ne peut être puni de peines, qui n'étaient pas prononcées par la loi avant qu'il fut commis. Fast gleichlautend der Code pénal vom 12. Febr. 1810 Art. 4. — S. auch M e r l i n , Répertoire s. v. peines X I I (1827) S 269 ff. Nr VII. Strafen dürfen nur auf Grund des Gesetzes erkannt werden, et les magistrats ne peuvent être en l'appliquant que les organes de la loi elle-même. Ainsi point de peine arbitraire! Interessant ist die Vergleichung mit dem freien vorrevolutionären Standpunkte G u y o t s , Répertoire s. v. loi X I (1785) S 15. Sehr bedeutsam ist auch die stehende Identificirung von Norm und Strafgesetz bei F au s t i n H è l i e, Théorie du code pénal I 47 ff. 22 In der Sitzung vom 21. Nov. 1790 (s. Moniteur vom 23. Nov. 1790 S 1350) hat M i r a b e a u ausgerufen: Nulle puissance humaine ni surhumaine ne peut légitimer un effet rétroactif. J'ai demandé la parole pour faire cette profession de foi. — G u y o t a. 0. hatte noch 1785 wenigstens dem neuen Gesetze die Macht beigelegt, rückwirkende Kraft beanspruchen zu können. — In der C o n s t i t u t i o n f r a n ç a i s e vom 24. Juni 1793, Déclaration des droits de l'homme, lautet Art. 14: La loi qui punirait des délits commis avant qu'elle existât, serait une tyrannie; l'effet rétroactif donné à la loi serait un crime (s. D u v e r g i e r V 436). Vgl. Cons t i t u t i o n de l a r é p u b l i q u e f r a n ç a i s e vom 5. fructidor an I I I (22. August 1795, D u v e r g i e r V I I I 277 ff.) Art. 14: Aucune loi, ni criminelle ni civile, ne peut avoir d'effet rétroactif. — S. Code N a p o l é o n Art. 2. 23 Den Anfang macht damit der Code pénal vom 25. Sept. — 6. Oct. 1791 ( D u v e r g i e r I I I 403 ff.). Er schafft alle abweichenden Strafarten ab und statuirt in seinem letzten Artikel, dass jede unabgeurteilte Handlung, die crime war zur Zeit der Tat, es aber nach dem neuen Gesetze nicht mehr ist und umgekehrt, jetzt nur correctionell bestraft werden könne. Ist sie aber crime nach altem und neuem Rechte: l'accusé sera condamné aux peines portées par le présent code. S. femer das Gesetz v. 23. Juni 1810 ( D u v e r g i e r X V I I 142) Art. 6: Si la nature de la peine prononcée par notre nouveau code pénal était moins forte que celle prononcée par le code actuel, les cours et tribunaux appliqueront les peines du nouveau code. 24 S. bes. F a u s t i n H é l i e I 50 ff.; vgl. desselben Vorrede zu B o i t a r d , Leçons de droit criminel. 11. éd. Paris 1876. S X I I ff.

2. Die Entstehung des Satzes nulla poena sine lege.

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n'est pas le juge qui interprète, c'est le citoyen lui-même, puisque c'est sur le texte de la loi qu'il doit régler ses actions. — Dieses Erbe des 18. Jahrhunderts hat die deutsche Wissenschaft und die deutsche Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts angetreten. F e u e r b a c h bildet die Balancirtheorie zur psychologischen Zwangstheorie aus und giebt dem Strafgesetze die beiden Beziehungen auf die „Staatsbeamten, welche die richterliche Gewalt des Staates ausüben", und „auf alle die, welche unter der Strafgewalt stehen als mögliche Verbrecher, welche es . . . abschrecken s o l l " 2 δ . Einstimmig wird der Satz nulla poena sine lege poenali von der Gesetzgebung sanctionirt, selten daneben die Zulässigkeit der Analogie anerkannt 26 . Aber von jenen beiden heterogenen Auffassungen des Strafgesetzes tritt bald die eine, bald die andere in den Vordergrund : bald erklären die Gesetzbücher principiell das Strafgesetz der Begehungszeit, bald das der Urteilszeit für anwendbar! Fragt man zum Beschluss nach der Berechtigung des Satzes nulla poena sine lege für Gegenwart und Zukunft, so ist nun das Urteil leicht. Es hat dieser zwei Auffassungen des Strafgesetzes zur Wurzel, die beide gleich falsch sind und ausserdem einander widersprechen. Nicht ist das Strafgesetz dazu da, durch seine Drohung die Neigung des Verbrechers zu überbieten: nicht Kenntniss des Strafgesetzes, sondern nur Kenntniss der Norm, oder was dasselbe ist, der durch sie begründeten Rechtspflicht, ist die unentbehrliche Voraussetzung des Delicts. Nicht gebietet also die Rücksicht auf den Verbrecher den Satz: ohne Strafgesetz keine Strafe. Nicht ist, weil dasselbe die Functionen der Norm zu erfüllen hat, eine Rückwirkung des Strafgesetzes auf früher verübte Delicte schlechterdings unerlaubt , weil undenkbar. Soweit er Ergebniss der psychologischen Theorie ist, muss der Satz zweifellos aufgegeben werden. Ebensowenig aber ist das Strafgesetz bestimmungsgemäss die Fessel, die den Richter zum Sklaven macht: es ist überhaupt nicht richterliche Instruction, sondern den Strafherrn berechtigender oder verpflichtender Rechtssatz. Wie weit das Strafgesetz solche Strafrechte ertheilen will, dies festzustellen wäre ohne besondere gesetzliche Beschränkung Sache freister wissenschaftlicher Auslegung und analogischer Tätigkeit. 25 S. bes. Revision I 148. 149. Alle, welche gleich ihm dem Strafgesetze diese beiden Beziehungen geben, stehen gleich ihm unter dem Bann von Ansichten, die fur längst überwunden erklärt werden. 26 S. darüber unten S 38. 39. 40.

28

§

. III. Die Wissenschaft gegenüber dem codificirten Strafrechte.

Die Zeit, welche dem Theoretiker und dem Praktiker die logische Auslegung des Strafgesetzes auch in Form der beschränkenden oder ausdehnenden Auslegung ernsthaft bestritt, ist für Deutschland vorbei. Nur selten wagen sich die alten Irrtümer wissenschaftlich ans Licht, I n der Praxis freilich kann man ihren Spuren noch oft begegnen. Um so einmütiger verteidigt man den letzten Rest überwundener Auffassung: den Ausschluss der Analogie. Dies Mittel latentes Recht aufzudecken lässt man auf allen andern Gebieten des öffentlichen Rechts insbesondere auch des Verfassungsrechtes zu, obgleich der Buchstabe der Verfassung mehr wiegt als der des Strafgesetzes; es allein für das Strafrecht zu verbieten ist ein schreiender Widerspruch, den man fast absichtlich nicht hört. Aber die Sicherheit des Angeklagten gegenüber dem Strafrichter soll diesen Ausschluss fordern. Es ist bei unserer traditionellen Schonung des Delinquenten nur natürlich, dass bei diesem Conflict zwischen den Interessen der Gemeinheit und des Einzelnen letzterer den Sieg davonträgt. Wer indessen Verständniss für das Verbrecherleben und dafür besitzt, dass die G e s e t z g e b u n g demselben nicht in alle Schlupfwinkel zu folgen vermag, wer empfindet, was es heisst, schwere Misstaten blos in Ermangelung des Gesetzesbuchstabens straflos zu lassen, der muss dem Richter die Verurteilung auf Grund der Analogie nicht nur freigeben, sondern sie von ihm fordern. Denn der Richter ist nicht blindes Werkzeug, sondern lebendiger Vertreter des Gesetzgebers für Aufgaben, welche diesem im einzelnen Falle unlösbar sind, und Bestrafung per analogiam ist ihm natürlich nur da gestattet, wo feststeht, dass der Angeklagte schuldhaft delinquirt hat. Dann geschieht diesem durch Bestrafung kein Unrecht, sondern ihm wird nur, was er verdient hat, und die falsche Theorie von der Zerreissung der Staatsgewalt müsste ohnmächtig sein ihn zu retten. Ist aber der Wissenschaft untersagt per analogiam Rechtssätze zu entdecken, so hat sie sich diesem Verbote einfach zu fügen. Dagegen beginnt damit ihre Pflicht Beseitigung dieser ihrer unwürdigen Fessel zu fordern, und endet ihre Pflicht nicht, die Tatbestände nachzuweisen, die das Gesetz analogisch ergreifen würde, hätte es sich nicht selbst die Adern unterbunden. § 5.

3. P r ä c i s i r u n g u n d E r w e i t e r u n g d e r w i s s e n s c h a f t l i c h e n A u f g a b e n d u r c h die neue Gesetzgebung.

Trotz S a v i g n y s herbem Urteil über unsere legislatorische Begabung ist der Strom deutscher Gesetzgebung im 19. Jahrhundert

3. Präcisirung u. Erweiterung der wissensch. Aufgaben.

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unaufhaltsam gewachsen. Er hat die alten Wissenschaftsgebiete überflutet und manche Früchte, die dort gereift waren, weggeschwemmt. Unbefangene Betrachtung wird gern anerkennen, dass wir nicht nur Gesetze, sondern gute Gesetze in grossem Stile zu Stande gebracht haben. I. Je systematischer sie in sich geschlossen sind, um so näher liegt der Irrtum, vor welchem der Gesetzgeber selbst oft nicht ganz sicher ist und worin sich eine äusserlich arbeitende Auslegung gefällt, Gesetz und Recht seien identisch, denn das Gesetz regele seinen Gegenstand erschöpfend. Solche Täuschung aber ist ebenso handgreiflich als schädlich in ihren Folgen 1 . Alles Gesetzesrecht ist eingebettet in eine grosse Zahl von Rechtssätzen, die der Gesetzesform entbehren: die sich bald als Voraussetzungen gesetzlicher Bestimmungen, bald als deren Folgen darstellen, bald den falsch gefassten Gesetzesparagraphen von seiner Stelle verdrängen, bald von der Legislation nicht aufgenommen werden, entweder weil sie Gemeingut oder weil sie für kurze Fassung zu complicirt oder in kurzer Fassung zu schwer zu verstehen sind oder weil der Gesetzgeber einfach vergisst seinem Willen Worte zu leihen. Das Gesetz will sein eine Summe einfacher Regeln, die ohne Motivirung, ohne Verbindung neben einander gestellt sind. Weite Gedankengänge markirt es in lapidarem Ausdruck. Es enthält die Fundamente und einen Teil des Gebälkes des Rechtsbaus: die Verbindungsglieder gehören stets dem ungesetzten Rechte an. Daraus erwächst der Wissenschaft zuerst die Pflicht, die Grenzen der Leistungsfähigkeit des Gesetzes zu ziehen und die Unvollständigkeit seiner wirklichen Leistungen aufzuweisen, dann aber die reizvolle Aufgabe aus dem Gesetzesrecht das ungesetzte Recht zu entwickeln. II. Das Gesetz, worin jeder Ausdruck mit voller Absichtlichkeit als der für den Willen des Gesetzgebers deutlichste und unmissverständlichste gewählt worden ist, verlangt eine Ausbildung der Technik der Auslegung. Es ist unbestreitbar, dass die Lehre von der Interpretation gesetzten und ungesetzten Rechts dem allgemeinen Teil der Rechtswissenschaft angehört. Aber solcher besteht erst embryonisch, 1

Treffend sagt G l a s e r , Ges. Schriften I 57 (2. Aufl.): „Es hat sich gezeigt, dass . . . die sorgfältigste, für möglichst viele Einzelheiten bedachte Codification noch immer dem richterlichen Ermessen einen weiten Spielraum lasse, einen Spielraum, der gewiss nicht zu weit ist, wenn die Bewegung innerhalb desselben ein ernster wissenschaftlicher Geist beherrscht, viel zu weit aber, wenn ihn Gedankenlosigkeit und blosse Routine ausfüllen sollen."

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§

. III. Die Wissenschaft gegenüber dem codificirten Strafrechte.

und soll er wachsen und ans Licht treten, so müssen die Fachdisciplinen ihm vorarbeiten. Die Auslegekunst der früheren gemeinrechtlichen Doctrin ist aber wesentlich an den römischen Quellen entwickelt, die den Charakter von Gesetzen nicht tragen: sie sind wesentlich Schriftstellerfragmente und Urteile, in oft sehr zweifelhafter Fassung überliefert. So stand im Vordergrund die Textkritik und Ziel der Auslegung war die Erschliessung einer Ansicht, nicht die eines Willens. Man interpretirte den Celsus und Julian genau wie den Cicero und den Tacitus. Es fehlte zwar nicht an grammatischer Auslegung, aber an sprachlicher Auslegung von G e s e t z e n . Und selbst wo man einem Gesetze gegenüberstand wie der Carolina, war das Gesetz nicht geeignet eine den einzelnen Ausdruck gebührend beachtende Auslegung zu wecken, noch war die jedes Zügels spottende gemeine Doctrin von sich aus gewillt die grammatische Auslegung ernst an die Hand zu nehmen. Erst die neuere Gesetzgebung verbannt jene eingerissene Zügellosigkeit gegenüber dem Gesetze energisch; sie geht aber weiter: sie verlangt die Auslegung nach Art des Philologen mit der Auslegung nach Art des echten Juristen zu vertauschen. I n officiellen Ausgaben correct publicirt lässt sie der Textkritik fast keinen Raum. In sich selbst, in den ihre Giltigkeit streng behauptenden Worten und Wortgefügen, in dem planvollen Zusammenhang ihrer Sätze, in dem Ganzen ihres Systems bringt sie — fast kann man sagen — ganz neue Objecte der Auslegung. Die grammatische Interpretation — gegenüber den Massen ungesetzten Strafrechts der früheren Zeit ganz unanwendbar — stempelt sie zur Grundlage aller auslegenden Tätigkeit. I n demselben Augenblick schafft sie ein neues Problem: das des richtigen Verhältnisses der logischen, insbesondere der berichtigenden zur grammatischen Auslegung eines als authentisch feststehenden Wortlautes. Das Gesetz kommt aber nie allein: es hat leider seine „Materialien" im Gefolge. Diese anspruchsvoll auftretenden Hilfsmittel der Auslegung, welche freilich bisher die Eigentümlichkeit dem Interpreten zu schaden reichlicher entwickelt haben als ihre Gabe zu nutzen, geben gleichfalls den Stoff zu einem neuen Kapitel der neuen Auslegungslehre, die trotz des Alters der Jurisprudenz erst in den Anfängen der Ausbildung begriffen ist. I I I . Eine grosse Befruchtung hat die Strafrechtswissenschaft dadurch erhalten, dass ihr Stoff in den neuen Gesetzesbüchern zu einem Grade formeller Ausgestaltung und deshalb von Sichtbarkeit erhoben ist, wie er ihn noch nie besessen hat. Was dem Naturforscher das

3. Präcisirung u. Erweiterung der wissensch. Aufgaben

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Mikroskop, das leistet uns das Gesetz. Die früher theils gar nicht, theils undeutlich erkannten Formen stehen hier mit Händen zu greifen neben einander. Ihre Anschaulichkeit ermöglicht erst eine exacte, vom Ganzen in die Teile strebende, sie erfassende und durchdringende, und damit die Probe auf die allgemeinen Aufstellungen liefernde Methode: ja sie fordert dazu auf. Diese Früchte zu ernten haben wir kaum den Anfang gemacht. 1. Erst seit den systematischen Gesammtcodificationen lässt sich mit Aussicht auf Erfolg der Versuch wagen, die ganze Complication der Verhältnisse mehrerer Strafgesetze zu einander klar zu legen — ein Gegenstand, dessen Beleuchtung auch ganz neues Licht auf die Beziehungen verschiedener Verbrechen und verschiedener Strafansprüche zu einander fallen lässt 2 . 2. Unendlichen Segen stiftet diese Gesetzgebung durch ihren Zwang auf die Wissenschaft, an Stelle vager Allgemeinheiten, die möglicherweise Jahrhunderte lang mit einander im unentschiedenen und unentschuldbaren Kampfe lagen, auf Grund sorgfältiger Detailuntersuchung brauchbare, wenn auch vielleicht minder allgemeine Sätze zu gewinnen. Je reicher und mannichfaltiger die zu verarbeitenden Gesetze sind, um so leichter lassen sie die Unzulänglichkeit oder Unrichtigkeit allgemeiner Formeln erkennen 3 . Es darf Niemanden Wunder nehmen, dass viele Probleme bei solch genauer Bearbeitung sich zunächst compliciren werden. Die wunderbare Durchsichtigkeit der Lehrbücher von F e u e r b a c h und G r o l m a n ist nur auf Kosten eines Minimums von Stoff zu erreichen gewesen, das die jugendlichen Autoren zu berücksichtigen für hinreichend fanden. Die heutige Wissenschaft hat aber den ganzen so unendlich reichen Stoff des Strafrechts und des Strafrechtslebens zu bewältigen. Dazu bedarf sie der Mühe und der Selbstentsagung, des nötigen Preises für jede gesunde wissenschaftliche Frucht. Hoffentlich wirkt dieser wesentlich von der Gesetzgebung ausgehende Arbeitszwang die endgiltige Vertreibung der jedem Quellenstudium abholden „genialen Arbeiter im grossen Stile" ! 3. An Stelle der früher vielfach schwankenden Verbrechensbegriffe ist feste Fügung getreten. Dadurch ist die Verwandtschaft der Verbrechen unter einander erst genau bestimmbar, ist ferner die gründlichere Erfassung des Wesens ganzer Verbrechensgruppen wesentlich 2 Solcher Quellentlieorie werden auch die eifrigsten Anhänger der „allgemeinen Rechtslehre" die Stellung im Systeme des Strafrechts nicht versagen. 3 So bewirkt die Berücksichtigung der besonderen Strafgesetze des Deutschen Reichs nicht nur wertvolle Bereicherung, sondern vielfach auch nicht minder wertvolle Berichtigung wissenschaftlicher Erkenntniss.

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§ . III. Die Wissenschaft gegenüber dem codificirten Strafrechte.

erleichtert worden. Es ist kein Zufall, dass die Trennung von Betrug und Fälschung erst in den letzten Jahrzehnten sich vollzogen hat. Wird die Wissenschaft diesem Gegenstande gerecht, so muss es ihr auch gelingen im Interesse der Gesetzgebung die zwischen gewissen Verbrechensbegriffen empfindlich klaffenden Lücken der Strafbarkeit aufzuweisen, andererseits aber auch die einzelnen Tatbestände so von einander zu sondern, dass sie nicht in den Strafgesetzen über einander greifen. Mit der Aufarbeitung des speciellen Teils ist indessen bei uns kaum der Anfang gemacht. 4. Gerechtigkeit herrscht im Strafrechte, wenn die Strafe verschont immer den Schuldlosen, soweit es erträglich auch den Schuldigen, und wenn die Strafe den Missthäter, den sie trifft, büssen lässt zugleich nach der Tiefe der Wunde, die er dem Recht geschlagen, und nach dem Maasse seiner Schuld. Das richtige Verhältniss von Strafbarkeit und Straflosigkeit und das richtige Verhältniss von Verbrechen und Strafe treffen, heisst gerecht sein. Dieser Aufgabe unterfängt sich heute zu einem Teil der Gesetzgeber ausschliesslich: von kleinen Ausnahmen abgesehen steckt er die Grenze zwischen strafbarem und straflosem Delict. Desgleichen handelt er allein gerecht oder ungerecht, wenn er ein absolut bestimmtes Strafgesetz erlässt. Gegenüber den ganz unbestimmten Strafgesetzen wird umgekehrt der Richter alleiniges Organ der Gerechtigkeit: der Richter aber sind viele und ihrer Urteile noch mehr; schwer bilden sich dann feste Maasstäbe gerechter Strafe, noch schwerer eine sichere Controle, ob gerecht judicirt wird. I n den relativ bestimmten Strafgesetzen und ihrer Anwendung wollen Gesetzgeber und Richter einander als Organe der Gerechtigkeit ergänzen, derart zwar, dass ersterer dem Richter bis zu einem bestimmten Punkte vorarbeitet. Er will gerade durch sorgfältige Abstufung der relativ bestimmten Strafen, durch ihre allseitige Abwägung gegen einander zeigen, dass er sich feste Grundsätze der Gerechtigkeit gebildet hat und welches seine leitenden Gedanken dabei sind, damit der Richter im Stande sei innerhalb seines Gebietes auch grundsätzlich gerecht zu sein. So rufen die neueren Strafgesetzbücher förmlich zur Prüfung auf, ob das Problem gerechter Strafzuteilung durch sie richtig gelöst sei. Sie lassen die genaueste Nachrechnung zu, ob die Unterschiede der Schwere verschiedener Delicte stets gleichmässig und nicht zu hart und nicht zu gelind gewürdigt sind, ob demselben Schärfungs- oder Milderungsgrund stets das analoge Strafquantum entspricht, ob den Schuldigen für e i n verbrecherisches Verhalten nicht doppelte, den mehrfachen Verbrecher nicht zu milde einfache Strafe treffe.

§ 6. IV. Praxis und Wissenschaft.

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Dieser Aufforderung des Gesetzes hat die Wissenschaft zu entsprechen: sie ist durch die neuere Gesetzgebung ganz anders als früher in den Stand gesetzt eine Theorie der Gerechtigkeit im Strafen auszubilden, und indem sie wägt und misst und Anstände in grosser Zahl findet und darlegt, wird sie selbst zur Fürsprecherin der Gerechtigkeit gegenüber dem Gesetzgeber. Vor ihrem Tadel aber sei sie eingedenk der Tatsache, dass das Vollkommene die Menschenkraft übersteigt, und der Gerechtigkeit nur in der Unendlichkeit der volle Sieg winkt; starke Abweichungen von ihr müssen, weil unvermeidlich, ertragen werden. Indem sich die Wissenschaft mehr und mehr der Bereicherungbewusst wird, die sie der neueren Gesetzgebung dankt, sieht sie sich teilweise in neue Bahnen gedrängt und ist sie zu betreten zugleich zaghaft und begierig. § 6.

IV.

Praxis und Wissenschaft 1.

Zwischen dem Strafrechte, das besteht, und der Wissenschaft, die es lehrt, zwischen der allgemeinen Regel und ihrer allgemeinen Auslegung ist die juristische Praxis berufen der concreten Lebenserscheinung ihr Recht angedeihen zu lassen. Was der Gesetzgeber nicht will, der Theoretiker nicht darf, das gerade ist ihr Amt. Das Wesen ihrer gemeinsamen Tätigkeit beruht in einer steten Verbindung von Auslegung der Lebenserscheinungen gegenüber bestimmten Gesetzen einerseits und von Auslegung der Gesetze gegenüber bestimmten Handlungsvorgängen andererseits: beide vereinigt ergeben, ob der Fall als Verkörperung oder Nichtverkörperung eines Verbrechensbegriffes sich darstellt 2 . Diese tausend und abertausend Male wiederholte Tätigkeit, wobei das Gesetz bald Lebensformen ergreift, die ihm anfangs ganz fern zu liegen schienen, und umgekehrt das Gesetz ebenso oft versagt gegenüber Fällen, die es anfangs zu decken schien und die es jedenfalls decken sollte, wobei aber neben den Mängeln der Gesetze auch glänzend hervortritt ihre lebensregelnde 1 Gerne verweise ich hier auf die trefflichen Einleitungen von K i e r u l f f zu seiner Theorie des gemeinen Civilrechts I , Altona 1839, S I X ff. und von v. Sav i gny zu seinem System I , Berlin 1840, S I X ff., ferner auf die an feinen Bemerkungen so reiche Abhandlung G l a s e r s , Ueber das Verhältniss von Theorie und Praxis im Strafrecht, Ges. Schriften I, 2. Aufl. S 53 ff. — S. auch meine Abhandlung in der Ζ f. StRW I 4 ff. 2 Die F e s t s t e l l u n g des Geschehenen bleibt hier als prozessuale Thätigkeit bei Seite.

Binding, Handbuch. I I I . 1. I:

B i n d i n g , Strafrecht. I.

3

§ 6.

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IV. Praxis und Wissenschaft.

Klugheit und ihre lebensbändigende Kraft, liefert — wenn im rechten Geiste vollzogen — das wertvollste Material nicht nur für eine gesunde Auslegung des Gesetzes, sondern auch für seine Controle, also auch für seine künftige Verbesserung. Aus dem Kreise praktischer Aufgaben hebt sich die des Richters als die entscheidende hervor. I n jener doppelten Auslegung kommen Richter und Parteien vollkommen überein. Staatsanwalt und Verteidiger subsumiren den Fall nicht minder unter das Gesetz wie der Richter. Dieser aber tut mehr und anderes. Bedenkt man, dass jedes Strafurteil a u t h e n t i s c h e Gesetzesauslegung wenn auch nur für den einzelnen Fall ist, dass der Richter berufen erscheint alle Unbestimmtheit, die der Gesetzgeber absichtlich oder unabsichtlich im Gesetze belassen hat, in bestimmten Rechtswillen umzusetzen, und dass er durch sein Urteil früher nicht vorhandene Pflichten erzeugt und früher vorhandene Rechte zu nichte macht, so kann kein Zweifel bleiben, dass das Urteil mehr ist als die rein logische Tätigkeit der sog. Rechtsanwendung, dass es sich als lex specialis darstellt. Die Gewalten des Gesetzgebers und des Richters sind eben nicht fundamental verschieden. Jener sieht in diesem seinen lebendigen Vertreter auf Gebieten, die er selbst unmittelbar zu beherrschen ausser Stande ist. Das Reich des Gesetzgebers ist das Typische, das des Richters das Individuelle. So ist die praktische Handhabung des Rechts nichts anderes als Lebens- und Gesetzesauslegung3 und Findung der gerechten lex specialis für eine bestimmte Lebenserscheinung. I n ihr verbinden sich also eine wissenschaftliche und eine gesetzgeberische Tätigkeit, ein Erkennen und ein Wollen. Die beiden Hauptkrankheiten der Praxis sind Schwäche des Willens, sei sie Lähmung, sei sie Zügellosigkeit, und geistige Unfreiheit. Die Quelle ihrer Kraft liegt in ihrem Zusammenhange mit der Wissenschaft. Eine gesunde Praxis ist eine solche, die unausgesetzt in der Luft der Wissenschaft atmet 4 . Dies Erforderniss setzt aber eine Theorie voraus, die den nötigen Sauerstoff enthält 5 . Eine Wissenschaft des positiven muss zugleich eine Wissenschaft des praktischen Rechtes sein, eine Theorie, die bei ihrer Arbeit den Puls der 3

Das Urteil „ist ein Beitrag zur Literatur, eine wissenschaftliche Leistung im guten wie im schlimmen Sinn": G l a s e r a. 0. S 60. 4 S. auch G l a s e r a. 0. S 56. 5 G l a s e r a. 0. S 56: „Es giebt keine juristische Theorie, die nicht für die Praxis, und es giebt keine juristische Praxis, für die die Theorie nicht existirte."

§ 6. IV. Praxis und Wissenschaft.

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Praxis schlagen hört, weil sie den Rechtssatz in seine Anwendungen hinein verfolgt und ihn umdenkt in die Urteile, deren Rechtsgrund er bilden soll, eine Theorie, welche die Schwierigkeiten, die der Praxis dabei begegnen können, deshalb vorausfühlt und zu ebenen gewillt wie befähigt ist. Aus freien Stücken soll die Rechtstheorie die Gehilfin der Praxis werden 6 . Diese Hilfe fasst sich in zwei Worten zusammen: A u f s t e l l u n g u n d H a n d h a b u n g e i n e r g e s u n d e n A u s l e g u n g s l e h r e und f r e i m ü t i g e K r i t i k a b w e g i g e r U r t e i l e . Eine gesunde Hermeneutik verlangt klare und leicht zu handhabende Auslegungsgrundsätze : nie aber wird die Theorie durch deren Aufstellung allein die Praxis auf ihre Seite ziehen; nur die auslegende Theorie kann einer zur Auslegung Tag aus Tag ein berufenen Praxis Führerin werden, und zwar eine Theorie, die wie die Praxis nicht nur das Gesetz sondern auch die Lebenserscheinung auslegt. Eine Theorie, die nicht erfüllt ist von den Bildern des Lebens, und nicht entschlossen ist täglich den Weg vom Gesetz zum Fall und vom Fall zum Gesetz zu wandeln, wird der Feinde einer wissenschaftlichen Praxis nie Meister werden 7 ! Die Auslegung des Gesetzes ist die Nachdenkung seines Gedanken- und Willensgehaltes durch den Interpreten h ö c h s t p e r s ö n l i c h . Der Nerv aller Auslegung ist also ausser der Herrschaft 6 K i e r u l f f , Theorie I S X X I V : „Die Theorie ist Rat fur die Praxis." Treffend sagt v. S a v i g n y , System I S X X : „Es beruht aber alles Heil darauf, dass . . . in gewissem Grade jeder Theoretiker den praktischen, jeder Praktiker den theoretischen Sinn in sich erhalte unci entwickle." Vgl. das. S XXIV. 7 Die Jurisprudenz kann hier von der Medicin lernen. Sie darf sich nicht scheuen, die Besprechung schwieriger Fälle auch in systematische Werke aufzunehmen, wo ein grösseres Interesse vorliegt den verkannten Weg von Fall zu Gesetz aufzudecken. Den Fall in seiner authentischen Form (er ist übrigens in seiner problematischen Form gerade so lehrreich) erfährt die Theorie häufig erst aus dem Urteil der Praxis. Und schon deshalb hat sie deren Arbeit aufmerksam zu folgen. Sie macht dabei eine eigentümliche Erfarung. In den Mitteilungen der Praxis — und ich habe hier besonders auch die Entscheidungen des Reichsgerichts im Auge — macht sich bemerkbar, dass diese auf den eigentlichen Kernpunkt ihrer Tätigkeit ganz ungebührlich geringes Gewicht legt. Wir erfahren den Fall oft ungenügend, das ergangene Urteil gleichfalls oft ungenügend, aber die sog. Entscheidungsgründe, also theoretische Arbeit, in solchen Massen, dass sie schon kurze Zeit nach Entstehung des Reichsgerichts bedrückend wirken. Die Parallele mit den Entscheidungsgründen des Gesetzentwurfs liegt hier sehr nahe. Nur kann Niemand dankbarer sein für eine wohl motivirte Entscheidung als der Verfasser. Wenn aber ein Gericht von solcher Zukunft wie das Reichsgericht mit seinen Publicationen von Motiven im bisherigen Maasstabe fortfahren wird, so entsteht hier in kurzem die Gefahr einer Uebersättigung.

3*

36

§ 6. IV. Praxis und Wissenschaft.

über die Regeln der Hermeneutik die Selbständigkeit des auslegenden Kopfes. Die heutige Wissenschaft hat gerade deshalb der heutigen Praxis zunächst einen Dienst der Befreiung zu leisten : denn noch gefällt sich diese in Fesseln, die ihrer kaum würdig sind. Eingeschüchtert durch die umfassenden, angeblich vollständigen Gesetzbücher, durch Arbeitslast oft mehr als gut ist bedrückt steht sie vielfach dem Gesetze wie dem Fall gleich unfrei gegenüber und sucht statt die Entscheidung aus selbständiger Vergleichung beider zu schöpfen dieselbe aus dritter Hand mühlos zu gewinnen. Bald leiht sie bei dem Verfasser der Motive des Gesetzentwurfes, bald gar bei einem parlamentarischen Parteihaupt, dessen Aeusserungen im Reichstag unwidersprochen geblieben sind, und erhebt die M e i n u n g des Einzelnen über den Willen der Gesammtheit; bald tötet sie mit dem Buchstaben des Gesetzes dessen Geist statt umgekehrt zu walten ; bald endlich — und hier liegt ihre grösste Schwäche — sucht sie das Urteil im Präjudize, besonders in dem des Cassationshofes. So erzieht sie dem Gesetze drei Todfeinde— das G e s e t z e s m o t i v , den G e s e t z e s b u c h s t a b e n , die F a l l e n t s c h e i d u n g —, kaum bemerkend, dass sie ihren Erfolg mit dem Verluste der eigenen Freiheit bezahlt. Diese Feinde in ihrer Verderblichkeit immer und immer wieder aufzuzeigen, zu kämpfen für die Weckung des Gefühls der eigenen Verantwortlichkeit und der Unabhängigkeit in allen deutschen Gerichten, insbesondere für eine prüfende und nicht blinde Unterordnung der niederen Instanzen unter das Reichsgericht und für Achtung der höheren Instanzen vor der Selbständigkeit der niederen, das ist heilige Pflicht der Wissenschaft gegen das Gesetz und seine Praxis 8 . Zu diesem Zwecke ist der Theorie das Mittel der Kritik unentbehrlich. Diese hat eingedenk zu bleiben der Forderung, dass die Rechtsprechung in ihrer Achtung beim Volke nicht erschüttert werden dürfe und dass in wirklich zweifelhaften Fragen einheitliche Rechtsprechung wünschenswert sei: im übrigen ist ihr ein Urteil eben immer nur ein Urteil, und je autoritativer das Gericht, das es gefasst hat, um so nötiger ist eindringendste K r i t i k , wenn sein Spruch Zweifel wach ruft oder falsch i s t 9 . 8 Sehr richtig sagt G l a s e r a. 0. S 58: „Der gewissenhafte Richter wird in den Präjudicaten eine Richtschnur finden, von der er sich nicht gern und nicht unüberlegt lossagt, nicht aber einen Zügel, dem er unbedenklich und wohl gar mit innerem Widerstreben folgen muss." 9 S. auch G l a s e r a. 0. S 59.

§ 7. I. Der Quellenbestand im Allgemeinen.

37

So soll die Theorie der Praxis zweifellos als Gehilfin gerecht werden. Sie ist aber mehr und noch anderes als Gehilfin der Rechtsanwendung. Entschieden ist deshalb der Ansicht zu begegnen, wo das Bedürfniss der Praxis ende, stünden auch die unverrückbaren Grenzsteine gesunder Rechtstheorie. Zwar giebt es selbst unter den höchsten Rechtsfragen wohl keine, die nie praktisch werden könnte, und bei keiner Wissenschaft ist der Weg von den Gipfeln der Abstraction hinunter ins praktische Leben kürzer als bei der Jurisprudenz. Aber jedes Problem, vor welches die methodisch vor- und aufwärtsschreitende Wissenschaft geführt wird, erhebt kategorischen Anspruch auf Lösung, ganz gleichgiltig ob Gesetzgeber und Richter dabei gewinnen, oder was auch möglich ist, durch Erschütterung anscheinend sicherer Standpunkte zunächst verlieren. Der ewige Gewinn aller Wissenschaft ist Wahrheit und nur ihr endlicher Gewinn ist die Brauchbarkeit: der Forderung dieses Wertverhältniss umzukehren gehorcht keine Wissenschaft, auch die von der Ordnung des menschlichen Lebens nicht.

Zweites Kapitel. Der § 7.

I.

Quellenbestand. Im

Allgemeinen.

Die geschriebenen Quellen des gemeinen deutschen Strafrechts 1 sondern sich 1. n a c h i h r e g n U r h e b e r in drei Classen; sie sind entflossen der gesetzgebenden Gewalt des Norddeutschen Bundes, des Zollvereins oder des Deutschen Reichs; 2. n a c h i h r e r p u b l i c i s t i s c h e n F o r m in ebensoviele: sie sind Gesetze im constitutionellen Sinne oder Verordnungen oder Staatsverträge; 3. n a c h i h r e m I n h a l t e in ebensoviele: bei weitem die wenigsten, zugleich aber auch die für das Strafrecht weitaus bedeutendsten sind Strafgesetze ihrem Zwecke nach. Es sind dies die 1

Wie weit dasselbe ungeschriebenes Recht ist, soll in § 39 entwickelt werden.

§8.

38

1. Der Sieg des Particularismus

beiden Strafgesetzbücher vom 26. Februar 1876 und vom 20. Juni 1872. Sie bilden den Grundstock des gemeinen Strafrechts, besonders das allgemeine Strafgesetzbuch, an welches sich alle übrigen Specialstrafgesetze nachträglich, selbst die vor ihm erlassenen, anlehnen. Eine zweite Gruppe findet ihren Hauptzweck darin bestimmte Handlungen zu verbieten und lässt dann solchen Normen die Strafdrohung für ihre Uebertretung folgen. Eine dritte Gruppe endlich will einen Gegenstand allseitig gesetzlich regeln und so finden sich auch bald kleinere bald grössere strafrechtliche Satzungen hier eingesprengt. Ueber den Bestand dieser Quellen und seine Entstehung, über die Zeit, von welcher und bis zu welcher sie herrschen — Zeiträume, die vielfach für verschiedene Teile Deutschlands verschieden sind —, über das Geltungsgebiet, wofür sie publicirt sind und welches durchaus nicht immer das ganze Deutsche Reich ist, soll nun in dieser Einleitung genaue Auskunft gegeben werden, damit die dogmatische Bearbeitung dieses Quellengebietes eine zuverlässige Grundlage besitze. H.

Entstehung gesetzbuchs.

u n d W a n d l u n g des a l l g e m e i n e n S t r a f Seine R ü c k w i r k u n g auf die L a n d e s st r a f g e s e t z g e b u n g 1 .

§ 8. 1. D e r S i e g des P a r t i c u l a r i s m e s über das a b s t e r b e n d e gemeine Recht2. Dem Ansehen des Justinianischen als des „gemeinen geschriebenen kaiserlichen Rechtes" hat es das heilige römische Reich deutscher 1 Es entspricht nur dem Wertverhältniss der verschiedenen Quellen als Strafrechtsquellen zu einander, wenn auf die für das Verständniss beider Strafgesetzbücher ganz unentbehrliche Entstehungsgeschichte derselben genau eingegangen wird, während dies bei allen übrigen Gesetzen hier unterbleiben soll. Im Falle des Bedürfnisses wird da, wo der Inhalt dieser Gesetze zur Darstellung kommt, das Nötige über ihre Entstehung gesagt werden. Die folgenden Paragraphen sind zum Teil eine sorgfältige Revision und Ergänzung der einschlägigen Abschnitte meiner Schrift: „Die gemeinen deutschen Strafgesetzbücher vom 26. Febr. 1876 und vom 20. Juni 1872. Einleitung." 2. (vergriffene) Auflage. Leipzig 1877. 2 Die sehr interessante Geschichte der deutschen Strafgesetzgebung des 19. Jahrhunderts muss noch geschrieben werden. Höchst beachtenswert ist v. W ä c h t e r s Aufsatz: „Gesetzgebung und Gesetzbücher", in Rotteck und Welcker's Staatslexikon 3. Aufl. Bd. VI. Leipzig 1862. S 482—517. Vgl. d e s s e l b e n : „Gemeines Recht Deutschlands". Leipzig 1844. S 232 ff.; d e s s e l b e n Aufsätze im ΝΑ X I V 305 ff. (1833); ANF 1834 S 303 ff., 1839 S 345 ff.; dess. Beilagen I 141—143, bes. aber S 149—190. — Umfassendere Beiträge dazu liefern ferner B e r n e r , Die Strafgesetzgebung in Deutschland vom J. 1751 bis auf die Gegenwart. Berlin 1867.

über das absterbende gemeine Recht.

39

Nation zu danken, dass es nicht in Rechtszersplitterung verkam. Die Reception des fremden Rechtes ist gleichbedeutend mit der Entstehung des gemeinen Rechtes: ohne die Aufnahme des nach Inhalt und Fonn gleich unvollkommenen römischen Strafrechts würde sich das Reich nie zu seiner grössten gesetzgeberischen Leistung, der peinlichen Gerichtsordnung Karls V. von 1532 aufgerafft haben. I n demselben Maasse wie das Reich selbst nahm sein peinliches Recht an Alter und Hinfälligkeit zu. Und da die Altersschwäche keine Reformatoren erzeugt, so konnte das Reich schon vor seinem Sturze den Gesetzgeber nicht mehr stellen, dessen das gemeine Strafrecht zu seiner Verjüngung bedurfte. Schon im Jahre 1804 sprach es F e u e r b a c h in seiner so bedeutungsvollen Kritik des Kleinschrodischen Entwurfs eines Strafgesetzbuchs für Bayern mit aller Schärfe aus: „Nur wer noch Wünsche des Herzens auf Kosten des Verstandes wagt, kann auf eine Reform der g e m e i n e n Criminalgesetzgebung durch eine neue g e m e i n e Criminalgesetzgebung hoffen. A u f d i e e i n z e l n e n N a t i o n e n s e h e j e t z t derFreund desBesseren mit seiner Hoffnung hin!" Die Zeit des gemeinen deutschen Strafrechts war schon damals vergangen: es handelte sich nur darum, wann es in den verschiedenen Teilen Deutschlands den Werken der Sonderstrafgesetzgebung für die einzelnen deutschen Staaten erliegen würde. Vorahnend aber sah schon damals der künftige Gesetzgeber von Bayern die Wege voraus, die wieder zu einem deutschen Strafrechte führen sollten. „Eine weise Criminalgesetzgebung eines einzelnen Staates — fährt er fort, wohl der stillen Hoffnung lebend, selbst der Urheber dieses Gesetzes zu werden — , haltbar in ihren Gründen, bewährt durch ihre Folgen, breitet sich vielleicht dereinst über Deutschland wohltätig aus und giebt der längst entflohenen strafenden Gerechtigkeit von neuem ihre Herrschaft wieder 3 ." Bis dies aber geschah und zwar in einer Weise, die F eu e r ba ch s Hoffnungen weit überstieg, bis das preussische Strafgesetzbuch zum deutschen erhoben wurde, trieb die Strafgesetzgebung der 344 SS, ein Werk, welches wesentlich aus den historischen Einleitungen der Commentare zu den einzelnen deutschen Strafgesetzbüchern schöpft; M i t t e r m a i e r , Ueber den neuesten Zustand der Criminalgesetzgebung in Deutschland. Heidelberg 1825. 186 SS; d e r s e l b e , Die Strafgesetzgebung in ihrer Fortbildung. Erster und zweiter Beitrag. Heidelberg 1841 u. 1843. 309 u. 399 SS; G e i b , Lehrbuch I 321 ff.; B i n d i n g , Einleitung S. 3 —13. — S. auch H ä l s c h n e r , Geschichte S. 231 ff.; HH d. d. StR I. Berlin 1871. S 87-126; v. B a r , Handbuch I 155 ff. 3 F e u e r b a c h , Kritik des Kleinschrodischen Entwurfs I (1804) S V i l i u. IX.

§8.

40

1. Der Sieg des Particularismus

deutschen Staaten nach F e u e r b a c h s mächtigem Anstosse und nach Erlass des wesentlich von ihm herrührenden allgemeinen Strafgesetzbuchs für das Königreich Bayern vom 16. Mai 1813 ruhelos von Entwurf zu Gesetz und von Gesetz wieder zu Entwurf; unermüdlich, in edelster Anstrengung arbeitete sie das Gute an Stelle des Schlechten und das Bessere an Stelle des Guten zu setzen; auf keinem Gebiete des Rechtes ist in Deutschland in den letzten siebzig Jahren so ausserordentlich viel gesetzgeberisch gearbeitet worden wie auf dem Gebiete des Strafrechts. I n den zum früheren deutschen Bunde gehörigen einzelnen Staaten sind seit dem Beginne dieses Jahrhunderts 38 allgemeine Strafgesetzbücher eingeführt und alle 38 mit Ausnahme des österreichischen Gesetzbuchs vom 27. Mai 1852 wieder ausser Kraft gesetzt worden 4 . Die Reichsverfassung von 1849 § 6 4 5 fasste zwar die Begründung der „Rechtseinheit im deutschen Volke" auch für das Gebiet des Strafrechts ins Auge. Da aber das Deutsche Reich, dessen anticipirte Organisation sie darstellte, nicht zu Stande kam, verwehte ihre Hoffnungen der Wind. Der Sieg blieb dem particularen Rechte. Die Kraft der Particulargesetzgebung bewährte sich aber durchweg zugleich schöpferisch und vernichtend. Jede erste Gesammtcodification des Strafrechts in einem deutschen Staate bedeutet eine Verkleinerung des Geltungsgebietes des gemeinen Strafrechts. Dieser Vernichtungskampf im grossen dauert genau 120 Jahre und nicht die Particulargesetzgebung hat ihn siegreich beendet. Denn erst dem in Kraft tretenden norddeutschen Strafgesetzbuche sind die letzten Reste des früheren gemeinen Strafrechts erlegen — eine unmittelbare Ablösung der Carolina durch das neue zwingend gemeine Recht ! Welch frappante Verknüpfung der Gegenwart mit dem Reformationszeitalter ! Diese Dauerhaftigkeit des alten Rechtes erklärt sich dadurch, dass einige kleinere Staaten abseiten der gesetzgeberischen Bewegung verharrten, andere über das Stadium der Gesetzentwürfe nicht hinaus kamen. Diese conservativen Staaten waren die Grossherzogtümer M e c k l e n b u r g - S c h w e r i n und M e c k l e n b u r g - S t r e l i t z , das Herzogtum L a u e n b u r g , das Fürstentum L i p p e - S c h a u m b u r g und 4

Die officiellen gleichen Zeit auf 59! Entwürfe s. in meiner 5 S. unten S 44

Strafgesetzentwiirfe in diesen Landen belaufen sich in der Ein genaues Verzeichniss sowohl der Gesetzbücher wie der Einleitung S 4—13. Anm 16.

über das absterbende gemeine Recht.

41

die Stadt B r e m e n 6 . Es würden zu ihnen zweifellos auch K u r h e s s e n und S c h l e s w i g - H o l s t e i n gerechnet werden müssen, hätten diese nicht 1866 ihre Selbständigkeit verloren und in Folge dessen am 1. September 1867 ihr gemeines Strafrecht mit dem preussischen Strafgesetzbuche vertauschen müssen 7 . Mit Bremen hätte H a m b u r g fast das gleiche Schicksal geteilt. Sein Strafgesetzbuch vom 30. April 1869 trat erst am 1. Sept. 1869 in Kraft, um zwischen dem alten und dem neuen gemeinen Recht eine kaum zweckdienliche Zwischenherrschaft von nur 16 Monaten zu führen. In dem bei weitem grössten Gebiete Deutschlands vollzog sich dieser Prozess des Absterbens viel früher. Die grösste Einbusse erlitt das gemeine Recht schon im vorigen Jahrhundert. Es verlor B a y e r n durch den Codex juris bavarici criminalis vom 7. October 1751 8 , O e s t e r r e i c h durch die Theresiana vom 31. December 1768 9 , P r e u s s e n durch das Allgemeine Landrecht republicirt am 5. Februar 1784 Teil I I Titel XX, 1795 das Bistum B a m b e r g 1 0 . Dadurch, dass an Stelle der Theresiana die Josefinische Strafgesetzgebung, an Stelle der letzteren Franz I I . Gesetzbuch über Verbrechen und schwere Polizei - Uebertretungen vom 3. September 1803 trat, und dass der bayerische Codex von 1751 durch das Allgemeine Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern vom 16. Mai 1813 abgelöst wurde, konnte an jener völligen Ausschliessung des gemeinen Strafrechts für die genannten Staaten nichts geändert werden 1 1 . 6 Kein Strafgesetzbuch ward erlassen und kein Entwurf eines solchen gefertigt in M e c k l e n b u r g - S t r e l i t z , S c h a u m b u r g - L i p p e und L a u e n b u r g . — Zu einem Entwürfe schwingt sich 1850 M e c k l e n b u r g - S c h w e r i n auf, zu z w e i ausgezeichneten Entwürfen 1861 und 1869 die Stadt B r e m e n . 7 K u r h e s s e n stellte 1849 einen Entwurf auf, während für die Herzogtümer S c h l e s w i g - H o l s t e i n zwischen 1808 und 1866 nicht weniger als fünf Entwürfe gefertigt worden sind. 8 S. dessen Publicationspatent. Dieser Codex soll „sowohl in Bestraff- als Processirung der Uebelthätern, für die alleinige Regul und Richtschnur gehalten" werden. 9 Ganz analog bestimmt die Theresiana, „dass in Malefizhandlungen dieser erneuerten HGO allein unverbrüchlich nachgelebt werden soll". 10 Das preuss. StGB vom 14. April 1851, EG Art. II, setzt freilich ausser dem strafrechtlichen Teile des Landrechtes auch noch die „gemeinen deutschen Criminalgesetze" ausser Kraft. Dieselben galten aber nur noch in N e u Vorpommern und R ü g e n , dem Bezirke des J u s t i z s e n a t s zu E h r e n b r e i t s t e i n und indem Fürstentume H o h e n z o l l e r n - H e c h i n g e n . — Bez. B a m b e r g s s. oben S 28 Anm 18. 11 „Die Pfalz kam erst durch den wiener Congress an Bayern und behielt ihre eigene Gesetzgebung. Im Fürstentume Aschaffenburg wurde das (bayerische)

§8.

42

1. Der Sieg des Particularismus

D i e französische Invasion hatte die E i n f ü h l u n g des Code pénal i n einem nicht geringen Teile Deutschlands

zur Folge : aber die Ueber-

w i n d u n g des fremden Eroberers w a r d nicht zugleich zum Siege über das französische Strafrecht.

Dasselbe blieb vielmehr

i n den preussi-

schen, hessischen u n d bayerischen Rheinprovinzen i n Kraft, u n d erlag erst den späteren Strafgesetzbüchern dieser

Staaten12.

Diesen V e r l u s t e n schloss sich zunächst der v o n O l d e n b u r g

im

Jahre 1814 a n 1 3 . Dann

entstand

in

Folge

der

zeugend hervortretenden Mängel

ebenso

überraschend

wie

über-

des bayerischen Strafgesetzbuches 1 4

u n d i n Folge der dadurch b e w i r k t e n Ratlosigkeit deutscher Regierungen ein Stillstand der deutschen Strafgesetzgebung,

wenn auch nicht der

V o r a r b e i t e n dazu, der 24 Jahre dauert. V o m Jahre 1838 aber folgen die neueren Particularstrafgesetzbücher

einander eine Z e i t lang unge-

m e i n rasch, dann langsamer, bis 1869 der Strom v e r s i e g t 1 5 .

StGB durch V vom 10. Dec. 1814, im Grossherzogtume Würzburg durch Y vom 9. Mai 1815 publicirt; durch V vom 1. Oct. 1816 in den ehemals fuldischen Aemtern, durch Y vom 22. Oct. 1816 endlich in den ehemals grossherzoglich hessischen Aemtern." So S t e n g l e i n , Samml. der deutschen Strafgesetzbücher I 18 Anm 1. 12 S. EG zum hessischen StGB Art. 1 und 2 Nr 2. Mit dem 1. April 1842 erlöschen: „2. die drei ersten Bücher des in der Provinz Rheinhessen geltenden peinlichen Gesetzbuchs". — EG zu Preussen Art. I I setzt vom 1. Juli 1851 an das „rheinische Strafgesetzbuch" ausser Kraft — EG zu Bayern 1861 Art. 2 Nr 1 setzt vom 1. Juli 1862 an ausser Kraft: „das in der Pfalz geltende französische Strafgesetzbuch (code pénal)". 13 „StGB fur die herzoglich - oldenburgischen Lande" vom 10. Sept. 1814. Promulgationspatent I und II. Art. 1 derogirt „nicht nur den aufgedrungenen französischen Strafgesetzen, sondern auch den vor der französischen Occupation bestandenen Strafgesetzen und Gewohnheiten". 14 Nicht ohne eine Art von Triumph berichtet v. S a v i g n y , Beruf unserer Zeit S 171, dass bis zu Anfang 1816 schon „ e i n h u n d e r t u n d e l f abändernde Novellen" dazu erschienen seien. 15 Das folgende möglichst genaue Verzeichniss deutscher Strafgesetzbücher von 1838 bis 1869, das hier schon um deswillen nicht zu entbehren ist, weil die spätere Darstellung häufig auf diese Gesetzbücher wird zurückgreifen müssen, verdeutlicht nicht nur das allmähliche Absterben des gemeinen Rechts, sondern giebt demjenigen, der Tatsachen zu deuten versteht, Aufschluss nach den verschiedensten Seiten hin. Insbesondere zeigt es annähernd, welche Vorlagen bei den späteren Gesetzesarbeiten benutzt worden sind. Sehr verdienstlich ist S t e n g l e i n , Samml. der deutschen Strafgesetzbücher I—XIII. München 1857. — Das Verzeichniss ist streng chronologisch geordnet. Nur wenn ein Staat mehrfach codificirt hat, führe ich die mehreren Strafgesetzbücher schon da an, wo die Gesetzgebung dieses Staates zum ersten Male erwähnt ist. Die Staaten alfabetisch geordnet finden sich unter folgenden Nummern: A n h a l t XV u. XIX. — B a d e n XI. — B a y e r n XXV. —

über das absterbende gemeine Recht.

43

Sehr verschiedene Strömungen sind in dieser Gesetzgebungsperiode neben einander gelaufen, haben auch wohl einander gekreuzt. B r a u n s c h w e i g V. — F r a n k f u r t XXII. — H a m b u r g XXVIII. — H a n n o v e r IV. — Gr. Hessen VII. — Hesse η - H o m b u r g XXIY. — H o h e n z o l l e r n S i g m a r i n g e n XII. — K o b u r g - G o t h a XVI. — L ü b e c k XXVII. — L i p p e D e t m o l d VIII. — N a s s a u XIII. — O e s t e r r e i c h XVHI. — O l d e n b u r g XXIII. — P r e u s s e n XVII. — Reuss a l t . L. XXVI. — Reuss j ü n g . L. XX. — K. Sachsen I . — Sachs e n - A l t e n b u r g V I . — S a c h s e n - M e i n i n g e n I X . — S a c h s e n - W e i m a r III. — S c h w a r z b u r g - R u d o l s t a d t XIV. — S c h w a r z b u r g - S o n d e r s h a u s e n X. — W a l d e c k XXI. — W ü r t t e m b e r g H. — I. Königr. Sachsen. 1. „CrGB für das Königr. Sachsen." V o m 30. M ä r z 1838. In Kraft v. 5. Mai 1838. S. unten sub VI. IX 1. X 1. 2. „StGB für das Königr. Sachsen." V o m 13. Aug. 1855. In Kraft v. 1. Oct. 1856. 3. „ R e v i d i r t e s S t G B für das K ö n i g r . Sachsen." V o m 1. Oct. 1868. In Kraft von demselben Tage. — H. Württemberg. „ S t G B f ü r das K ö n i g r . W ü r t t e m b e r g . " V o m 1. M ä r z 1839. In Kraft v. 15. Mai 1839. — III. Sachsen-Weimar. 1. „StGB für das Grossh. Sachsen-Weimar-Eisenach." V o m 5. A p r i l 1839. In Kraft v. 1. Aug. 1839. 2. „ S t G B f ü r das Grossh. S.-W.-E." V o m 20. M ä r z 1850. Sog. thüring. StGB. In Kraft v. 20. April 1850. — IV. Hannover. „Allgemeines CrGB für das Königr. Hannover." V o m 8. A u g u s t 1840. In Kraft v. 1. Nov. 1840. — V. Brannschweig· „ C r G B f ü r das H e r z o g t . B r a u n schweig." Vom 10. J u l i 1840. In Kraft v. 1. Oct. 1840. S. unten s. V i l i . — VI. Sachsen-Altenburg. „ C r G B f ü r das H e r z o g t . S a c h s e n - A l t e n b u r g . " Vom 3. M a i 1841. In Kraft v. 1. Oct. 1841. Wes. das CrGB für das Königr. Sachsen s. I 1. — VII. Grossh. Hessen. „ S t G B f ü r das G r o s s h . Hessen." V o m 18. Oct. 1841. In Kraft v. 1. April 1842. S. unten s. XII. XXII. XXIV. — VIII. Lippe - Detmold. „ C r G B des F ü r s t e n t . L i p p e - D e t m o l d . " V o m 18. J u l i 1843. In Kraft v. 1. Oct. 1843. Mit wenigen Abänderungen das braunschweigische StGB s. V. — IX. Sachsen-Meiningen· 1. „StGB für das Herzogt. Sachsen-Meiningen." V o m 1. A u g u s t 1844. In Kraft v. 7. Sept. 1844. Mit geringen Abweichungen das königl. sächsische CrGB von 1838 s. I I . 2. „ S t G B f ü r das H e r z o g t . S.-M." V o m 21. J u n i 1850. In Kraft v. 17. August 1850 Sog. thüring. StGB. — X. Schwarzburg - Sondershausen. 1. „CrGB für das Fürstent. Schwarzburg-Sondershausen." V o m 10. M a i 1845. In Kraft v. 24. Juli 1845. Wes. das königl. sächsische CrGB von 1838 s. I 1. 2. „ S t G B f ü r das F ü r s t e n t . Schw.-S." V o m 25. M ä r z 1850. In Kraft vom Tage seiner Verkündung, der nicht zu ersehen ist! Sog. thüring. StGB. — XI. Baden. „ S t G B f ü r das Grossh. Baden." V o m 6. M ä r z 1845. In Kraft v. 1. März 1851. S. unten s. XII. — XII. Hohenzollern - Sigmaringen. Durch Ges v. 18. Oct. 1848 wurde das badische StGB daselbst eingeführt. In Kraft v. 1. Nov. 1848, also drei Jahre früher als in Baden selbst! — XIII. Nassau. „ S t G B f ü r das H e r z o g t . Nassau." V o m 14. A p r i l 1849. In Kraft v. 1. Juli 1849. Wes. übereinstimmend mit dem hess. StGB s. VII. — XIV. Schwarzburg-Rudolstadt. „ S t G B f ü r das F ü r s t e n t . S c h w a r z b u r g - R u d o l s t a d t . " V o m 26. A p r i l 1850. In Kraft vom nicht zu ersehenden Tage der Verkündung. Sog. thüring. StGB. — XV. Anhalt-Dessau und Anhalt - Kothen. „ S t G B f ü r A n h a l t Dessau u n d f ü r A n h a l t - K o t h e n . " V o m 28. M a i 1850. In Kraft v. 1. Oct.

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§8.

1. Der Sieg des Particularismus

Das Streben nach Sonderung und im Gegensatze dazu das Streben nach Ausgleich der Verschiedenheiten und nach allgemeinem, ja selbst nach gemeinem Strafrechte 16 ; die Bemühung in der Continuität der 1850. Durch Ges v. 1. Juli 1864^ auf Anhalt-Bernburg ausgedehnt, s. XIX. Sog. thüring. StGB. — XVI. Gotha und Koburg. 1. „ S t G B f ü r das H e r z o g t . G o t h a . " V o m 12. J u l i 1850. In Kraft v. 1. Juni 1852. 2. „ S t G B f ü r das H e r z o g t . S a c h s e n - K o b u r g . " V o m 29. Nov. 1850. In Kraft v. 28. Jan. 1851. Sog. thüring. StGB. — XVII. Preussen· „ S t G B f ü r d i e p r e u s s i s c h e n S t a a t e n . " V o m 14. A p r i l 1851. In Kraft v. 1. Juli 1851. In Hohenzollern v. 1. Jan. 1852. Vgl. unten s. XIX. XXI. XXIII. XXVII. — XVHI. Oesterreich. „ S t G ü b e r V e r b r e c h e n , V e r g e h e n u n d U e b e r t r e t u n g e n f ü r den g a n z e n U m f a n g des R e i c h s m i t A u s n a h m e der M i l i t ä r g r e n z e . " V o m 27. M a i 1852. In Kraft seit dem 1. Sept. 1852. — XIX. Anhalt-Bernburg. 1. „ S t G B f ü r das H e r z o g t . A n h a l t - B e r n b u r g . " V o m 5. F e b r . 1852. In Kraft v. 31. März 1852. Wes. das preuss. StrGB von 1851 s. XVII. 2. „ S t G B f ü r das H e r z o g t . A n h a l t - D e s s a u - K o t h e n . " Auf Bemburg ausgedehnt durch Ges vom 1. J u l i 1864. In Kraft seit dem 31. Oct. 1864. Sog. thüring. StGB. — XX. Reuss jiing. L . „ S t G B f ü r das F ü r s t e n t . Reuss j. L." V o m 14. A p r i l 1852. In Kraft v. Tage der Publication: 5. Mai 1852. Sog. thüring. StGB. — XXI. Waldeck und Pyrmont. „ S t G B f ü r d i e F ü r s t e n t . W a l d e c k u n d P y r m o n t . " V o m 15. M a i 1855. In Kraft v. 1. Oct. 1855. Umarbeitung des preussischen StGB von 1851 s. XVII. — XXII. Frankfurt a. Main. Durch Ges vom 16. Sept. 1856 wird das hessische StGB s. V I I für Frankfurt mit Gesetzeskraft ausgestattet. In Kraft v. 1. Januar 1857. — XXIII. Oldenburg. „ S t G B f ü r das Grossh. O l d e n b u r g . " V o m 3. J u l i 1858. In Kraft v. 1. Nov. 1858, in den Fürstentümern Lübeck und Birkenfeld v. 1. Nov. 1861. Umarbeitung des preuss. StGB in der 2. amtl. Ausg. v. 21. April 1856. In den an Preussen abgetretenen Teilen der Küste des Jade-Busens blieb das o l d e n b . S t G B v o n 1814 bis zum 1. Jan. 1871 in Kraft. — XXIV. HessenHomburg. Durch Ges v o m 22. M ä r z 1859 wird das hess. StGB daselbst eingeführt. In Kraft seit dem 1. Juli 1859. — XXV. Bayern. „ S t G B f ü r das K ö n i g r . B a y e r n . " V o m 10. Nov. 1861. In Kraft seit dem 1. Juli 1862. — XXVI. Reuss ält. L . 1. „StGB." V o m 27. Nov. 1861. In Kraft v. 1. Jan. 1862. Nach dem königl. sächsischen StGB von 1855 s. I 2 gearbeitet. 2. „ S t G B . " P u b l i c i r t am 5. Sept. 1868. In Kraft v. 1. Oct. 1868. Sog. thüring. StGB. — XXVII. Lübeck. „ S t G B f ü r d i e f r e i e H a n s e s t a d t L ü b e c k . " V o m 20. J u l i 1863. In Kraft v. 1. März 1864. Schliesst sich aufs engste dem preussischen StGB s. X V I I an. — XXVIII. Hamburg. „ C r G B . " V o m 30. A p r i l 1869. In Kraft v. 1. Sept. 1869. 16 Im Jahre 1849 ist interessanter Weise in Preussen — offenbar unter Einwirkung der Reichsverfassung § 64: „Der Reichsgewalt liegt es ob, durch die Erlassung allgemeiner Gesetzbücher über bürgerliches Recht, Handels- und Wechselrecht, Strafrecht und gerichtl. Verfahren die Rechtseinheit im deutschen Volke zu begründen" — ein officieller „Entwurf eines allgemeinen deutschen Strafgesetzbuchs", 264 Artikel, wovon 45 auf den allgemeinen Teil, fertig gestellt worden! Der Entwurf steht auf dem Standpunkte des deutschen Bundesstaates, berücksichtigt aber die Existenz der Gliedstaaten nur sehr wenig. Offenbar dachte man daran,

über das absterbende gemeine Recht.

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deutschen Rechtsentwickelung zu bleiben, andrerseits die Sucht nach Reception fremden Rechts in Gestalt des Code pénal; endlich das Bestreben auch das strafbare Polizei-Unrecht in umfassenden Gesetzbüchern zu vereinigen und die Unlust es aus dem Zustande der Zersplitterung in eine Masse von Einzelgesetzen und Einzelverordnungen herauszuheben. Das bayerische Gesetzbuch von 181Β hatte diese ganze Zeit so imponirend eröffnet, dass es vorbildlich geblieben ist, bis die französische Richtung in der deutschen Strafgesetzgebung überhand nahm 1 7 . Dieser Umstand, verbunden mit der sorgfältigen Benutzung der früheren Gesetze durch die späteren in anderen deutschen Staaten, bewirkte eine gewisse Schablonenhaftigkeit der Gesetzbücher und als günstige Folge derselben die Entstehung allgemeinen Strafrechts selbst solcher deutscher Staaten, die unter verschiedenen Gesetzen standen. Noch energischer wirkten in diesem Sinne die offensichtlichen Gefahren übertriebener Particularisirung. Sie veranlassten nicht selten die Reception eines Strafgesetzbuches durch einen andern deutschen Staat, wennschon man sich dabei das grosse Vergnügen kleiner nicht notwendiger Abänderungen kaum je ganz versagte 18 . So entstanden Gebiete der Strafgesetzbücher B a y e r n s von 1813 (Bayern und Oldenburg), S a c h s e n s von 1838 (Sachsen, Sachsen - Altenburg, SachsenMeiningen, Schwarzburg-Sondershausen), B r a u n s c h w e i g s (Braunschweig und Lippe-Detmold), H e s s e n s (Hessen, Nassau, Frankfurt a. M., Hessen-Homburg), B a d e n s (Baden, Hohenzollern-Sigmaringen) und P r e u s s e n s 1 9 , und eine Anzahl der sog. t h ü r i n g i s c h e n F ü r s t e n t ü m e r vereinigte sich zu einem Gebiete thüringischen Strafrechts 20 . Den Bruch mit der deutschen Rechtsentwickelung vollzog das das Strafgesetzbuch könne mit das erste grosse gemeinrechtliche Gesetz werden, wie es denn auch im Norddeutschen Bunde das erste geworden ist. Der interessante Entwurf ist bis auf e i n Exemplar eingestampft worden, und zwar scheints nicht wegen seiner gemeinrechtlichen Tendenz, sondern wegen anderweiter Ursachen. — Ueber den Entwurf s. R u b o , Comm. S 2 und 3; R ü d o r f f , Comm. S 10 und 11; B e r n e r , Strafgesetzgebung S 239. B e s e l e r und G o l t d a m m e r erwähnen den Entwurf nicht einmal. — Vgl. auch unten S 51 Anm 1. 17 Hervorragend in der deutschen Gruppe durch Originalität sind die Strafgesetzbücher Braunschweigs von 1841 und Sachsens von 1855 (revid. 1868). 18 Sehr interessant hierfür ist die Ausgabe des sog. thüring. Strafgesetzbuchs von F a s e l i u s . Erfurt 1867. 19 S. unten S. 49. A n h a l t - B e r n b u r g ging diesem Gebiete im Jahre 1864 wieder verloren. S. Anm 15 s. XIX. 20 S. unten S 48.

§8.

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1. Der Sieg des Partiularismus

preussische Strafgesetzbuch von 1851. Von seinen endlosen Vorarbeiten ermüdet warf sich der preussische Gesetzgeber schliesslich einfach dem französischen Rechte in die Arme : eine geänderte Gesetzgebungstechnik und die Aufnahme von Satzungen, die dem bisherigen deutschen Rechte nicht nur fremd waren, sondern verwerflich schienen, bezeichnet den Beginn einer neuen französischen Periode der deutschen Strafgesetzgebung. Die künftige Einigung wurde dadurch nicht unerheblich gefährdet. Dennoch eroberte sich diese Richtung im Norden wie im Süden rasch ein weites Herrschaftsgebiet. Wie früher das bayerische, so diente jetzt das preussische Strafgesetzbuch zum Vorbilde für die neuen Gesetzgebungen W a l d e c k s von 1855, O l d e n b u r g s von 1858, B a y e r n s von 1861 und L ü b e c k s von 1863 2 1 . Bei dieser Massenerzeugung von Strafgesetzbüchern ist aber die Gesetzgebung nicht stehen geblieben. Eine ganze Anzahl von Staaten hat eine Zusammenfassung der Polizeistrafgesetzgebung in Angriff genommen, zum Teile derart erfolgreich, dass besondere Polizeistrafgesetzbücher erlassen werden konnten, zum Teile ohne solchen Erfolg, aber nicht ohne Rückwirkung auf die Anlage des Strafgesetzbuches, welche sich in einem Falle bis auf das norddeutsche Strafgesetzbuch erstreckt hat. Die ältesten preussischen Strafgesetzentwürfe sind auf zwei Teile angelegt, deren erster „die Criminalstrafgesetze", deren zweiter „die Polizeistrafgesetze" enthalten sollte 2 2 . Anfang 1833 wurde der erste Entwurf des zweiten Teiles vorgelegt, aber schon 1834 wurde der Gedanke eines besonderen Polizeistrafgesetzbuches fallen gelassen, und der Plan gefasst die nötigen Vorschriften über Polizeivergehen dem bisherigen ersten Teile einzuverleiben. So entstand nach mancherlei Experimenten das preussische Strafgesetzbuch, welches genau wie der Code pénal in Wahrheit zwei verschiedene Strafgesetzbücher mit zwei allgemeinen und zwei besonderen Teilen in sich schliesst 23 . Der 29. Abschnitt des Reichsstrafgesetzbuches ist somit lediglich jener Planänderung des Jahres 1834 in Preussen zu danken. 21

S. oben Anm 15 sub XXI. XXIII. XXV. XXVII. S. meine Einleitung S 6 Anm 20, S 7 Anm 26. Vgl. auch G o l t d a m m e r , Materialien I I 706 ff. 23 Dasselbe gilt von dem Oldenburg. StGB von 1858, während Lübeck und Bayern (StGB v. 20. Juli 1863 und v. 10. Nov. 1861) den dritten Teil des preuss. StGB „von den Uebertretungen" nicht mit reeipirt haben, Bayern aber statt seiner ein umfassendes Polizeistrafgesetzbuch erlassen hat. 22

über das absterbende gemeine Recht.

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Wirft man nochmals einen Blick auf jene Periode der Fruchtbarkeit an Strafgesetzbüchern zurück, so spiegelt sich in ihrer Zahl der angestrengte Eifer der deutschen Staaten — der kleinsten wie der grössten —, die ihnen durch die Geschichte gestellte reformatorische Aufgabe zu bewältigen, zugleich aber auch die unselige Zersplitterung Deutschlands und die unendliche Vervielfältigung aller gesetzgeberischen Aufgaben in Folge dieser Zersplitterung. Als hätte jeder Staat, auch der kleinste, über unerschöpfliche Geisteskräfte zu verfügen, band er durch seine Strafgesetzgebung ein ganz gewaltiges Capital geistiger Arbeit, um schliesslich ein Gesetz zu erlangen, zu dessen geistiger Durchdringung es an den nötigen wissenschaftlichen Kräften so vielfach mangelte. Die Buntheit des Strafrechtszustandes in Folge der Vielheit der Gesetze erzeugte nun aber eine höchst anstössige Verschiedenheit innerhalb des objectiven Rechtes. Der Glaube an die Gerechtigkeit und an die Heiligkeit der Rechtspflicht wird erschüttert, wenn innerhalb einer national einigen und wesentlich auf gleicher Culturstufe. stehenden Bevölkerung hier erlaubt, was dort verboten ist, hier dasselbe Delict mit Strenge, dort nur sehr mild geahndet wird, hier Strafen für unzulässig erklärt werden, die dicht jenseits der Grenze ihr Anwendungsgebiet besitzen. Daher war die Concentration des deutschen Strafrechts schon aus rechtspolitischen Gründen zu ersehnen. Sie erschien aber geradezu als Notwendigkeit, wenn vermieden werden sollte, dass in den kleineren Strafrechtsgebieten die Wissenschaft des positiven Rechtes ganz absterbe, und dass im übrigen die deutsche Strafrechtswissenschaft sich in eine Wissenschaft des Particularrechtes verwandele. So war es während dieser Zeit des Sieges des Particularismus über das deutsche Recht die deutsche Wissenschaft allein, deren Einheit und deren nationale Festigkeit unbesiegt blieb. Trotz dem, was sie vor ihren Augen geschehen sah, ist sie mit dem echten Instincte für geschichtliche Notwendigkeit eine Wissenschaft d e u t s c h e n Strafrechts geblieben. Mochte ihre Flagge auch mancherlei bunt durcheinander gewürfelte Waare decken, früheres gemeines deutsches Recht, allgemeines Recht der deutschen Gesetzbücher und die lex ferenda des späteren Deutschen Reiches, — sie musste sich zu helfen suchen wie es ging. Es giebt auch für die Wissenschaft Zeiten des Notstandes: und dem Mute deutscher Wissenschaft in schlimmer Zeit ist das neue gemeine Recht wesentlich mit zu verdanken.

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§ 9.

2. D i e S t e l l u n g d e r A u f g a b e d e r R e c h t s e i n i g u n g für den N o r d d e u t s c h e n B u n d 1 .

1. Die Aussicht, dass die deutsche Strafgesetzgebung endlich zu grösserer Ruhe und zu zusammenfassendem Abschlüsse gelangen werde, eröffnete Art. 4 Nr 13 der Verfassung des Norddeutschen. Bundes, welcher demselben eine unbeschränkte Zuständigkeit zur Strafgesetzgebung beilegte 2 . Damals zerfiel Norddeutschland wesentlich noch in acht verschiedene Rechtsgebiete. Neben 1. d e m g e m e i n e n S t r a f r e c h t e , welches noch in sechs Territorien g a l t 3 , teilten sich sieben Strafgesetzbücher in siebzehn Staaten : 2. das o l d e n b u r g i s c h e von 1814 galt noch im preussischen Jadegebiete ; 3. das b r a u n s c h w e i g i s c h e vom Jahre 1840 galt i n : 1. B r a u n s c h w e i g und 2. L i p p e - D e t m o l d 4 ; 4. das a l t e n b u r g i s c h e vom Jahre 1841 in Altenburg 5 ; 5. das h e s s i s c h e vom Jahre 1841 in Hessen nördlich des Mains6; 6. das sog. t h ü r i n g i s c h e S t r a f g e s e t z b u c h — allerdings in verschiedenen Redactionen — in 1. S a c h s e n - W e i m a r , 2. M e i n i n g e n , 3. K o b u r g - G o t h a , 4. A n h a l t , 5. S c h w a r z b u r g R u d o l s t a d t , 6. S c h w a r z b u r g - S o n d e r s h a u s e n , 7. R e u s s j . L . , 8. R e u s s ä. L . 7 ; 1 Ueber die Entstehungsgeschichte des deutschen Reichsstrafgesetzbuchs sind besonders zu vergleichen v. W ä c h t e r , Beitrag zur Geschichte und Kritik der Entwürfe eines StGB für den Norddeutschen Bund. Leipzig 1870. S 3 — 34; d e r s., Beilagen I 198 if.; R u b o , Commentar über das StGB für den Norddeutschen Bund. Berlin 1870. S 1—78; R ü d o r f f , StGB für das Deutsche Reich. Mit Commentar. 1. Aufl. Berlin 1871. S 1—72. 2. Aufl. S 12—47. 3. Aufl. S 12—36. 48—53; H ä l s c h n e r I 57 ff. Die Quellen der Entstehungsgeschichte werden durch die Akten des Bundesrates und des Reichstags gebildet. Ueber letztere s. unten S 65 Anm 4. — Von den Bundesratsprotokollen kommen in Betracht 1868: § 85. 140. 284, 4. Drucksachen Nr 56. — 1869: § 290. 310. Drucks. Nr 103. 106. — 1870: § 15. 30. 50. 191. 220. 223. 231. 236, 2. 372. Drucks. Nr 11. 14. — 1 8 7 1 : § 134. 184. 217. 573. 580. 590. 616. Drucks. Nr 62. 171. 2 Ueber diese Competenz handelt genauer § 62. 3 Mecklenburg - Schwerin, Mecklenburg - Strelitz, Lauenburg, Lippe - Schaumburg, Bremen, Hamburg. 4 S. oben S 43 Anm 15 s. V und VIII. 5 6 S. oben S 43 Anm 15 s. VI. S. oben S 43 Anm 15 s. VII. 7 S. oben S 43 f. Anm 15 s. III. IX. Χ. XIV—XVI. XIX. XX. XXVI.

§ 9. 2. Die Stellung der Aufgabe der Rechtseinigung.

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7. weitaus das grösste Herrschaftsgebiet besass das p r e u s s i s c h e S t r a f g e s e t z b u c h v o m 14. A p r i l 1 8 5 1 8 schon vor der preussischen Vergrösserung von 1866. Denn es galt 1. f ü r d e n g a n z e n p r e u s s i s c h e n S t a a t mit Ausnahme des 1853 erworbenen Jadegebietes. Durch königliche Verordnung vom 25. Juni 1867 aber wurde das preussische Strafgesetzbuch für alle 1866 mit der Monarchie vereinigten Landesteile 9 eingeführt 10 und trat dort am 1. September 1867 in K r a f t 1 1 . Dadurch fielen weg die Strafgesetzbücher von Hannover, Nassau, Frankfurt a. M.; das hessische Strafgesetzbuch verlor einen Teil seines bisherigen Geltungsgebietes, und endlich trat das gemeine Strafrecht in Schleswig-Holstein und Kurhessen ausser Kraft. Ausserdem aber wurde es recipirt in 2. W a l d e c k u n d P y r m o n t 1 2 ; 3. mit starken Abänderungen in Oldenburg13; 14 4. erheblich verändert insbes. verkürzt in L ü b e c k ; 8. in Sachsen stand das Gesetzbuch von 1855 noch in Kraft, welches aber am 1. October 1868 durch das r e v i d i r t e S t r a f g e s e t z b u c h abgelöst w u r d e 1 5 ; 9. zu diesen Gebieten trat noch in letzter Stunde ein neuntes hinzu, nämlich H a m b u r g mit seinem S t r a f g e s e t z b u c h v o n 1 8 6 9 1 6 . H. Die Anregung zur Consolidation des norddeutschen Strafrechts ging vom n o r d d e u t s c h e n R e i c h s t a g e aus. I n der Sitzung vom 30. März 1868 beantragten die Abgeordneten W a g n e r (Altenburg) und P l a n c k : „den Bundeskanzler aufzufordern, Entwürfe eines gemeinsamen Strafrechts und eines gemeinsamen Strafprozesses, sowie der dadurch bedingten Vorschriften der Gerichtsorganisation baldtunlichst vorbereiten und dem Reichstage vorlegen zu lassen" ? I n der Sitzung vom 18. April 1868 nahm der Reichstag diesen Antrag an. Der Ausschuss für Justizwesen, dem der Bundesrat durch Beschluss vom 29. April 1868 die Begutachtung des Reichstagsbeschlusses 8

Die dritte „amtliche Ausgabe" d. i. eine dritte Redaction datirt vom 14. Juni 1859. 9 Mit Ausnahme des vormaligen Oberamtsbezirks Meisenheim und der Enclave Kaulsdorf. 10 Eine V vom 12. Dec. 1866 hatte seine beiden ersten Teile schon für Frankfurt publicirt. 11 In Frankfurt am 1. Jan. 1867. 12 13 S. oben S 43 Anm 15 s. XXI. S. das. s. XXIII. 14 Das. s. XXVII. Bezüglich A n h a l t - B e r n b u r g s s. das. s. X I X 1. 15 16 Das. s. I. Das. s. XXVIII. Binding, Handbuch. V I I . 1. I : B i n d i n g , Strafrecht. I.

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§ 9. 2. Die Stellung der Aufgabe der Rechtseinigung.

überwiesen hatte, befürwortete denselben in seinem Bericht vom 25. Mai, erstattet von P a p e 1 7 , indem er sich über den Sinn des Art. 4 Nr 13 der Bundesverfassung dahin aussprach: „es gehöre zu den wesentlichen Zwecken und Aufgaben des Bundes, in den zum Norddeutschen Bunde vereinigten Staaten die Gemeinsamkeit der Rechtsgesetzgebung auf dem Gebiete des Strafrechts herbeizuführen, und die Uebelstände zu beseitigen, welche aus der Verschiedenheit der in den einzelnen Staaten geltenden Strafgesetzbücher und Strafprozessordnungen entspringen". Er glaubt, es sei „gerade die Einführung eines gemeinsamen Strafrechts tunlichst zu beschleunigen" und werde die Aufgabe dadurch erheblich erleichtert, „dass die Gesetzgebung der Einzelstaaten sich in der neueren Zeit mit keinem Zweige der Rechtsgesetzgebung in so umfassender Weise beschäftigt hat wie mit dem materiellen Strafrecht, und eine grosse Zahl neuer Strafgesetzbücher oder desfallsiger Entwürfe vorliegt, die für das auszuarbeitende Gesetzbuch benutzt werden können". Der Ausschuss beantragte : „der Bundesrat wolle beschliessen, den Entwurf 1. eines gemeinsamen Strafgesetzbuchs, 2. einer gemeinsamen Strafprozessordnung für die Staaten des Norddeutschen Bundes und zwar zunächst den Entwurf eines gemeinsamen Strafgesetzbuchs ausarbeiten zu lassen und dem Bundesrate zur weiteren Beschlussfassung vorzulegen". I n der Sitzung vom 5. Juni nahm der Bundesrat diesen Antrag an und demgemäss ersuchte der Bundeskanzler den preussischen Justizminister Dr. L e o n h a r d t durch Schreiben vom 17. Juni 1868: „die Ausarbeitung des Entwurfes eines Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund veranlassen und den Entwurf demnächst ihm zugehen lassen zu wollen". Von dem preussischen Justizminister wurde nun der Geh. Oberjustizrat Dr. F r i e d b e r g mit der Ausarbeitung beauftragt und wurden ihm als Hilfsarbeiter Kreisrichter R ü d o r f f und Gerichtsassessor Dr. R u b o beigegeben. Unter dem 21. November 1868 erstattete Dr. F r i e d b e r g dem Bundesrate einen interessanten Bericht „Ueber die Aufstellung des Entwurfs eines Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen B u n d " 1 8 . 17 S. dens. Drucks, des Bundesrats 1868 Nr 56; auch bei R ü d o r f f 1. Aufl. a. 0. S 21—23. 18 Anlage zu dem Protokoll des Bundesrats vom 30. Nov. 1868. S. dens. auch bei R ü d o r f f a. 0. S 24—28.

51

§ 10.

3. D i e N e u h e i t d e r A u f g a b e .

So zalreich und inhaltreich auch die Vorarbeiten waren, welche die Strafgesetzbücher der deutschen Einzelstaaten und deren Entwürfe für ein gemeines deutsches Strafgesetzbuch lieferten, in zwiefacher Beziehung erschien die zu lösende Aufgabe als vorbildlos und waren neue Wege zu ihrer Lösung zu suchen. I. E i n S t r a f g e s e t z b u c h f ü r einen z u s a m m e n g e s e t z t e n S t a a t s k ö r p e r , n i c h t f ü r e i n e n E i n h e i t s s t a a t s o l l t e ges c h a f f e n w e r d e n : während alle früheren Strafgesetzbücher des 18. und 19. Jahrhunderts nur für Einheitsstaaten berechnet waren und die peinliche Halsgerichtsordnung Karls V. dem staatsrechtlichen Problem, das sie hätte lösen sollen, einfach schon wegen der Macht der Territorialgewalten gegenüber dem Reiche nicht gerecht werden konnte Aus der Natur des Staatskörpers aber, für den das norddeutsche Strafgesetzbuch erlassen werden sollte, ergaben sich wichtige Consequenzen für die Aufstellung der Staatsverbrechen. Und zwar: 1. b e z ü g l i c h d e r z u s c h ü t z e n d e n R e c h t s g ü t e r . Nicht nur der Bund mit seinem Präsidium sondern auch die einzelnen Bundesstaaten mit ihren Verfassungen und ihren regierenden Häuptern mussten unter den Strafschutz des Bundes genommen werden: denn an der Integrität dieser Güter hatte der Bund selbst ein starkes gemeinsames Interesse 2 . Da aber das gemeinsame Bundesindigenat der norddeutschen Bundesverfassung Art. 3 keineswegs den Sinn hat jeden Deutschen zum Untertanen jedes deutschen Staates zu machen, ebenso aber auch der Deutsche in seinem Verhältnisse zu den übrigen deutschen Staaten, denen er nicht angehört, kraft dieses gemeinsamen Indigenates nicht den Fremden gleich behandelt werden kann, so 1 Ueber den 1849 im preuss. Justizministerium ausgearbeiteten „Entwurf eines allgemeinen deutschen Strafgesetzbuchs" s. oben S 44 Anm 16. Nicht ganz richtig sagt R u b o , Commentar S 2 u. 3: „Er zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass er das ganze Deutschland als einen Einheitsstaat auffasste und im Verhältnisse .zu diesem den einzelnen Bundesstaaten nur die Stellung von Provinzen zuerteilte." Aber allerdings wurde er dem Bundesstaate nicht gerecht. 2 Ich kann deshalb H e i η ζ e, Staatsrechtliche und strafrechtliche Erörterungen S 89 nicht beistimmen, wenn er sagt : „In gleich gebieterischer Weise verlangt aber die Natur der Sache, d. h. die staatsrechtliche Stellung der norddeutschen Bundesstaaten, dass jedem einzelnen Bundesstaate die Strafgesetzgebung über Verbrechen gegen das eigene Staatswesen belassen werde." 4*

§10.

52

3. Die Neuheit der Aufgabe.

ergab sich für die Strafsatzungen wider verbrecherische Angriife auf jene Rechtsgüter: a. bezüglich der Angriffe auf den Bund und sein Präsidium mussten alle deutschen Verbrecher einander gleichgestellt und härter gestraft werden als der fremde Verbrecher, der sei's im Auslande oder im Inlande die gleiche verbrecherische Handlung beging; b. bezüglich der Angriffe auf die Verfassungen und Regierungen der einzelnen deutschen Staaten mussten drei Classen von Verbrechern eine verschiedene Behandlung finden : die Untertanen der betreffenden Staaten, die übrigen Deutschen und endlich die Fremden, die zur Zeit ihres Angriffes weder subditi temporarii der angegriffenen Staaten noch eines anderen deutschen Staates waren 3 . 2. Eine ganz eigentümliche Stellung musste in dem neuen Gesetzbuche dem sog. d i p l o m a t i s c h e n L a n d e s v e r r a t e eingeräumt werden. Unter Strafe von Bundes wegen zu stellen war jedenfalls der diplomatische Landesverrat gegen den Bund zu Gunsten von fremden Staaten oder von Bundesstaaten, sowie m. E. auch der Verrat gegen einen deutschen Bundesstaat zu Gunsten eines ausländischen Staates; jedenfalls n i c h t der diplomatische Landesverrat gegen einen deutschen Bundesstaat zu Gunsten des Bundes, den das norddeutsche Strafgesetzbuch aber auch nicht für straflos erklären durfte, und kaum der Verrat gegen einen Bundesstaat zu Gunsten eines andern Bundesstaates. Die beiden letzten Fälle waren der Strafgesetzgebung des verratenen Staates zu überlassen. H. F ü r d i e s e n z u s a m m e n g e s e t z t e n Staatskörper s o l l t e ein z w i n g e n d gemeines Strafgesetzbuch geschaff e n w e r d e n , o h n e dass d a r a n z u d e n k e n w a r d i e S t r a f g e s e t z g e b u n g i n v o l l s t e m U m f a n g e den E i n z e l s t a a t e n aus d e r H a n d z u n e h m e n u n d a u f d e n B u n d z u ü b e r tragen. So galt es für zwei verschiedene gesetzgebende Gewalten, die des Bundes und die der deutschen Bundesstaaten, das Nebeneinanderarbeiten auf demselben Rechtsgebiete derart zu ermöglichen, dass eine schädliche Reibung beider dauernd verhütet wurde. Glatt und klar mussten die Gebiete der Strafgesetzgebung des Bundes und der Einzelstaaten von einander geschieden werden; der mächtige Wille des Bundes musste greifbar deutlich und unmissverstehbar den Bun3

Vgl. hierzu H e i n z e a. Ο. I V : Verhältniss des Entwurfes zu dem Staatsrechte Norddeutschlands, S 49—69.

§ 10. 3. Die Neuheit der Aufgabe.

53

desstaaten vor Augen treten. Die Hauptschwierigkeit bei dieser Grenzregulirung war von der Bundesgesetzgebung zu überwinden; denn da nach Art. 2 der Bundesverfassung die Bundesgesetze den Landesgesetzen vorgehen, können letztere das Bundesrecht, wo es unklar ist, nicht authentisch interpretiren. Kein modernes Strafgesetzbuch hatte in ähnlicher Weise die Particularstrafgesetzgebung zu berücksichtigen. Ein solches rechnete höchstens auf Ergänzungen durch die gesetzgebende Gewalt, der es selbst entflossen war, und musste nur Missverständnissen der Richter des eigenen Landes vorzubeugen suchen, deren Wiederholung durch authentische Interpretation des Gesetzes leicht verhindert werden konnte. Die in ihrer Art ganz neue Aufgabe zu bewältigen bedurfte es 1. e i n e r A e n d e r u n g d e r G e s e t z g e b u n g s t e c h n i k . Die deutsche Strafgesetzgebung hat in den letzten zwei Decennien eine entschiedene Neigung bewiesen sich mit wirklich schwierigen und strittigen Fragen durch Schweigen abzufinden, auch wenn solche der Lösung durch die Gesetzgebung fähig waren. Die gemeinrechtliche Gesetzgebung musste mit dieser Neigung brechen : denn ihr Schweigen ist verhängnissvoll, weil zweideutig. Sie schweigt entweder, weil sie die Aufstellungen von Satzungen über den einschlägigen Punkt überhaupt, also auch im Hinblick auf die einzelnen Bundesstaaten nicht billigt, oder aber ihr Schweigen ist ein Schweigen von Reichswegen, damit die Einzelstaaten in diesem Falle reden können. So muss das gemeine deutsche Gesetzbuch mehr reden, als das Gesetzbuch des Einzelstaats nötig hat. Die allgemeinen Grundzüge für das Bundes-, wie für das Particularstrafrecht müssen in Vollständigkeit formulirt werden 4 . Das Bundesstrafgesetzbuch muss, wenn ein Zweifel über seine Absichten möglich ist, aussprechen, dass es einen Gegenstand habe vollständig erschöpfen wollen, dass eine Handlung nach Reichswillen straflos zu bleiben habe, oder dass ihre Uebergehung im Strafgesetzbuch geschehen sei, um der Particularstrafgesetzgebung Raum zum Einschreiten zu lassen. Der Bund war dies sich selbst, war dies aber auch den einzelnen Bundesstaaten schuldig, denn das gemeinrechtliche Gesetzeswort ist ein starker Wall gegen den bösen wie gegen den schwachsichtigen Willen der Particularstrafgesetzgebung, das Schweigen des Gesetzes dagegen eine Schranke, die der Schwachsichtige übersieht ohne oder gegen seinen Willen, und die der Böswillige dissimulirt. 4

S. auch H e i n ζ e a. Ο. S 50.

§ 10. 3. Die Neuheit der Aufgabe.

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2ê D i e U m g r e n z u n g des d e m n o r d d e u t s c h e n S t r a f gesetzbuche einzuverleibenden Verbrechensstoffes durfte nicht nach dem Vorbilde der bisherigen deutschen Strafgesetzbücher erfolgen; vielmehr galt es hiebei gerecht zu werden zugleich der Aufgabe des Bundes und der Autonomie der deutschen Bundesstaaten. Es war zu beachten: a. dass e i n e g e m e i n r e c h t l i c h e S t r a f d r o h u n g n u r g e k n ü p f t w e r d e n s o l l t e an eine g e m e i n r e c h t l i c h v e r b o t e n e H a n d l u n g oder Unterlassung. Es durften deshalb in das Reichsstrafgesetzbuch keine Verbrechen Aufnahme finden, die nur Uebertretungen von Verboten der Particulargesetzgebungen oder der Landes- und Ortspolizeibehörden darstellten 5 . b. Z u g e m e i n r e c h t l i c h e n V e r b o t e n u n d g e m e i n r e c h t lichen Strafsatzungen für ihre Uebertretungen hatte der B u n d a b e r n u r i n s o w e i t A n l a s s , als B u n d e s b e d ü r f n i s s e s i e e r h e i s c h t e n . Es war deshalb der Stellung der Bundesgesetzgebung hoch über den kleinlichen, nach Ort und ^eit wechselnden Bedürfnissen des Localverkehrs dadurch Rechnung zu tragen, dass man das gemeinrechtliche Verbrechensgebiet frei hielt von Verbrechen untergeordnetster A r t , die aufzustellen und in ihrer Strafbarkeit auszumessen der Einzelstaat und die Localbehörden weit geeigneter sind als der Bund selbst. Keineswegs war die Aufstellung aller sog. Polizeiverbote und die gesammte sog. Polizeistrafgesetzgebung dem Bunde ab- und den Bundesstaaten allein zuzusprechen. Sobald ein solches Verbot oder Gebot im gemeinsamen Bedürfnisse des Bundes lag und sobald ihre Uebertretung Strafe heischte, gehörte die Bedrohung dieses strafbaren Ungehorsams in das Bundesstrafgesetzbuch. Allein nicht zu billigen war es, ein Polizeistrafgesetzbuch für einen deutschen Einzelstaat 6 herüberzunehmen in ein gemeines deutsches Gesetzbuch7. c. A u f b e s o n d e r e S c h w i e r i g k e i t e n m u s s t e j e n e r V e r such der T e i l u n g zwischen gemeiner und p a r t i c u l ä r e r G e s e t z g e b u n g stossen bei den d e l i e t a p r o p r i a der Beamten8. Denn da die Ausführung der wichtigsten Bundesgesetze 5

S. meine Normen I 74 ff.; meine Kritik S 5—7. Wie es der dazu noch höchst zufällige und willkürlich zusammengewürfelte dritte Teil des preuss. Strafgesetzbuchs: „Von den Uebertretungen", im wesentlichen gewesen ist. 7 Was nichtsdestoweniger gerade mit diesem dritten Teile geschehen ist. 8 Nicht bei den delicta communia : denn die Begehung gemeinrechtlicher Verbrechen durch Beamte zu qualificiren ist Aufgabe des Bundesgesetzes; die Be6

§ 10. 3. Die Neuheit der Aufgabe.

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(man denke an die sog. Justizgesetze) in die Hand der Landesbeamten gelegt werden musste, konnte sich der Bund nicht mit der Aufstellung der Amtsverbrechen der Reichsbeamten begnügen, noch auch ging es an, nur diejenigen Verbrechen, welche die Landesbeamten bei Ausführung von Bundesgesetzen begehen würden, den delicta propria der Reichsbeamten zu gesellen; man musste dann zum mindesten die Begehung der gleichen Verbrechen bei Ausführung von Landesgesetzen seitens der Landesbeamten in das Bundesgesetzbuch gleichfalls mit aufnehmen. Von Bundeswegen nicht zu berücksichtigen waren aber die delicta propria der Landesbeamten, die sie nicht zugleich bei Ausführung der Bundesgesetze begehen konnten. 3. Alle Strafgesetze bestehen aus T a t b e s t a n d und S t r a f f o l g e . I n den gemeinrechtlichen Strafgesetzen unterscheiden sich beide Teile hinsichtlich ihrer notwendigen Abhängigkeit oder Unabhängigkeit von der Particulargesetzgebung. a. Zum Bau seiner V e r b r e c h e n s t a t b e s t ä n d e entlehnt der Strafgesetzgeber sein Material den allerverschiedensten Rechtsgebieten, der gemeine deutsche Strafgesetzgeber auch solchen, welche wie das Civilrecht, das Landesstaatsrecht in den verschiedenen deutschen Staaten sehr verschieden normirt sind. Wenn das NDStGB ζ. B. die Minderjährigen unter seinen Strafschutz stellte, so konnte es nicht hindern, dass die darauf abzielenden Gesetze (§ 225. 237. 301. 302) in den verschiedenen deutschen Staaten ein verschiedenes Anwendungsgebiet finden würden, da der, Termin des Eintritts der Volljährigkeit damals noch in diesen nicht unerheblich schwankte. Ebenso kann es in Folge der verschiedenen Satzungen über Eigentumserwerb sehr wohl vorkommen, dass scheinbar eine und dieselbe Handlung in dem einen deutschen Staate Diebstahl, in dem andern Wanverbrechen ist. Somit ist es einem gemeinen deutschen Strafgesetzbuche unmöglich, bevor nicht sämmtliche Rechtsgebiete, aus denen es seine Begriffe borgt, selbst gemeinrechtliche Regelung erfahren haben, Verbrechensbegriffe aufzustellen, deren Inhalt von der Particulargesetzgebung völlig unabhängig steht. Dieser Mangel vom Standpunkte des gemeinen und dieser Vorzug in den Augen des particularen Rechts kann von dem deutschen Gesetzgeber in etwas gemindert werden durch Vertauschung von Rechtsbegriffen, die sich particularrechtlich unterscheiden, mit Begriffen, deren Inhalt vom gemeinen Gesetzgeber festgestellt wird. Allein diese Vertauschung ist nur selten zulässig weil unschädlich; gehung particularrechtlicher Verbrechen durch Bundes- oder Landesbeamte zu qualificiren Sache des Landesgesetzes.

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§ 10. 3. Die Neuheit der Aufgabe.

regelmässig verbietet sie sich durch den Zweck der Strafgesetzgebung von selbst. Der deutsche Strafgesetzgeber muss sich also dabei bescheiden, dass f o r m e l l g e m e i n e s d e u t s c h e s S t r a f r e c h t keineswegs zugleich notwendig materiell gemeines d e u t s c h e s R e c h t b e d e u t e t , u n d dass er b e i A u f s t e l l u n g der Y e r b r e c h e n s t a t b e s t ä n d e ζ war ersteres, nicht aber l e t z t e r e s zu schaffen vermag. b. I m Aufbau seines Strafensystems dagegen ist der gemeine deutsche Strafgesetzgeber von der Particulargesetzgebung unabhängig. Seine Aufgabe ist es aufs schärfste die Strafarten sammt ihrem Strafgehalt zu bestimmen, auf dass nicht gleich strafbare Handlungen in den verschiedenen deutschen Staaten ungleich, also ungerecht abgestraft werden. Da nun der Strafgehalt der Strafen wesentlich durch den Strafvollzug mitbestimmt wird, so musste der gemeine deutsche Gesetzgeber Art und Weise des Strafvollzugs sorgfältig normiren; bei den Nebenstrafen insbesondere hatte er darauf zu sehen, dass sie ihm nicht in Abhängigkeit vom Particularrecht gerieten und ihre Schwere in den verschiedenen deutschen Staaten nicht variirte. So durfte ζ. B. „der Verlust öffentlicher Aemter" nicht ohne weiteres zur Strafe gestempelt werden, sollte nicht diese Nebenstrafe in dem einen deutschen Staate den Verlust der so wichtigen kirchlichen Aemter einschliessen, während in andern deutschen Staaten diese Aemter als „Kirchenämter" nicht mit verloren wurden. D e n f o r m e l l g e m e i n r e c h t l i c h e n S t r a f e n m u s s t e der m a t e r i e l l g e m e i n e I n h a l t g e s i c h e r t w e r d e n . 4. Nach Art. 2 der Bundesverfassung gehen die Bundesgesetze den Landesgesetzen vor ; letztere sind nichtig, wenn sie ersteren widerstreben. Indessen konnte es der Bundesgesetzgebung nicht zu Sinn kommen, gewisse von den Häuptern der deutschen Einzelstaaten ausgehende zur Aufhebung der Bundesgesetze für den einzelnen Straffall bestimmte leges speciales, die sog. G n a d e n a k t e zu untersagen. Wohl aber war Fürsorge zu treffen, dass die Gnade im Interesse des Bundes auch von Bundeswegen und nicht zum Schaden des Bundes von Staateswegen geübt werden könne. Besonderen Anlass zur Berücksichtigung mussten nach dieser Seite hin die Verbrechen der Reichsbeamten und die der Landesbeamten bei Ausführung der Bundesgesetze bieten. So war die Aufgabe, welche der gemeinen norddeutschen Strafgesetzgebung durch die Natur des Bundes gestellt wurde, reizvoll aber auch schwierig genug.

57

§ 11.

4. D e r E n t w u r f

F r i e d b e r g (I).

I n der denkbar kürzesten Zeit erledigte die zur Ausarbeitung des ersten Entwurfs niedergesetzte Commission (s. oben § 9 a. E.) ihre umfangreiche Aufgabe. Schon am 31. Juli 1869 konnte der Entwurf mit seinen Beilagen dem Bundeskanzler gedruckt überreicht und gleichzeitig veröffentlicht werden 1 . Das gesammte Werk bildeten 1. „ E n t w u r f e i n e s S t r a f g e s e t z b u c h s f ü r d e n N o r d d e u t s c h e n B u n d " , 356 Paragraphen, wovon 66 (§ 1—66) + 11 (§ 337—347) auf den allgem. Teil. Mit einem „Einführungsgesetz" von V I Artikeln im Entwürfe. 112 Seiten folio. 2. „ M o t i v e z u d e m E n t w ü r f e e i n e s S t r a f g e s e t z b u c h s f ü r d e n N o r d d e u t s c h e n B u n d . " 200 Seiten folio. Den Motiven waren vier Anlagen beigegeben: 3. „ V e r g l e i c h e n d e Z u s a m m e n s t e l l u n g strafrechtl i c h e r B e s t i m m u n g e n aus d e u t s c h e n u n d ausserdeutschen Gesetzgebungen." 234 Seiten folio. 4. „ U e b e r d i e T o d e s s t r a f e . " 114 Seiten folio. 5. „ E r ö r t e r u n g e n s t r a f r e c h t l i c h e r F r a g e n a u s d e m G e b i e t e d e r g e r i c h t l i c h e n M e d i c i n . " 36 Seiten folio. 6. „ U e b e r d i e h ö c h s t e D a u e r z e i t i g e r Z u c h t h a u s strafe." 71 Seiten folio. Ueber die Art, wie der Entwurf gearbeitet wurde, äusserte sich sein Urheber Geh. Rat F r i e d b e r g in einer dem Bundesrate in der Sitzung vom 30. November 1868 vorgelegten Denkschrift vom 21. November desselben Jahres, deren wesentlicher Inhalt nachher zur Einleitung für die Motive verwendet worden i s t 2 . Die Entscheidung fiel dahin aus, „von der Aufstellung eines neuen Gesetzbuches abzusehen, den herzustellenden Entwurf vielmehr an ein bereits vorhandenes Strafgesetzbuch anzuschliessen. Als das für diesen Zweck geeignetste ist das Strafgesetzbuch für die preussischen Staaten vom 14. April 1851 gewählt Dieses Strafgesetzbuch besteht seit fast zwei Jahrzehnten in dem grössten Staate des Norddeutschen Bundes, es liegt ferner den Strafgesetzbüchern einer Reihe anderer deutscher Staaten zum Grunde. Kein anderes ist somit auch nur annähernd einer gleich grossen Anzahl norddeutscher Juristen und Laien in gleichem Maasse bekannt und geläufig, keins ist in einem auch 1

Berlin, Verlag der königl. geh. Oberhofbuchdruckerei (R. v. Decker). Sie ist abgedruckt bei R ü d o r f f , Commentar 1. Aufl. S 24—28. Kürzer 3. Aufl. S 16 u. 17. S. oben S 50 Anm 18. 2

§11.

58

4. Der Entwurf Friedberg (I).

nur annähernd gleichen territorialen Umfang von Juristen und Geschworenen praktisch gehandhabt worden, und keines hat auf diesem Wege eine gleiche Durcharbeitung, Klärung und Läuterung erfahren." So diente es dem neuen Entwürfe als Vorbild und Grundlage, aber natürlich nur in dem Sinne, „dass das anerkannt Gute, wie namentlich seine systematische Anordnung im Ganzen und seine treffliche Oekonomie in den einzelnen Abschnitten (?) in das neue Werk zu übertragen, das weniger Gute dagegen und das von der Wissenschaft und der Rechtsübung Reprobirte auszuscheiden und durch das in andern Gesetzgebungen Bessere zu ersetzen sein wird" 3 . Der norddeutsche Entwurf wollte also nichts anderes sein als ein wesentlich verbessertes preussisches Strafgesetzbuch : seine Hauptvorzüge vor diesem stellen die Motive S 4 u. 5 unter X V Nummern zusammen. Neu aufgenommen in den Entwurf war 1. die provisorische Beurlaubung der zu einer längeren Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe Verurteilten nach verbüsster halber Strafzeit (VII) ; 2. die Verjährung rechtskräftig erkannter Strafen ( X V ) ; 3. der Grundsatz, dass die strafrechtliche Verfolgbarkeit erst mit dem 12. Lebensjahre beginnt (XI) ; 4. der Grundsatz der milderen Strafbarkeit des Versuchs (IX) ; 5. der Strafmilderungsgrund der beeinträchtigten freien Willensbestimmung (X) ; 6. der Grundsatz, dass erlittene Untersuchungshaft auf die Strafe angerechnet werden darf ( X H I ) ; 7. der Grundsatz, dass Zuchthausstrafe nicht mehr ipso jure den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und der Fähigkeit des Verurteilten über sein Vermögen zu verfügen nach sich zieht ( V a u. H I ) ; 8. der Grundsatz, dass Zuchthaus- und Gefängnissstrafe als Einzelhaft vollstreckt werden dürfen (VI) ; 9. der Grundsatz, dass von 3 Fällen der obligatorischen Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte — neben Meineid, schwerer Kuppelei und schwerer Erpressung — abgesehen der Richter die bürgerlichen Ehrenrechte, wo das Gesetz ihre Aberkennung überhaupt zulässt, absprechen darf, aber nicht muss (V b) ; ebenso der Grundsatz, dass er unter Umständen befugt aber nicht gezwungen ist auf Stellung unter Polizeiaufsicht zu erkennen ( V I H b); 10. durch das richterliche Urteil auf Stellungunter Polizeiaufsicht erhält die Landespolizeibehörde die Ermächtigung jene Polizeiaufsicht eintreten zu lassen ( V I H c). Erweitert hat der Entwurf das Gebiet der Antragsverbrechen (XIV). Milder ist der Entwurf, indem 1. die Todesstrafe von 14 auf 3 Verbrechen eingeschränkt ist (I); 2. das Maximum der Zuchthausstrafe von 20 auf 15, das Minimum von 2 auf 1 Jahr und das 3

Bei R ü d o r f f a, 0. 1. Aufl. S 25. 26, 3. Aufl. S 17. Vgl. Motive S 2.

§11.

4. Der Entwurf Friedberg (I).

Maximum der Einschliessung von 20 auf 10 Jahre herabgesetzt ist ( I I ) ; 3. bei Umwandlung einer Geldbusse in Freiheitsstrafe das Maass von 2 Jahren und im Falle der Concurrenz von 4 Jahren Gefangniss nicht überschritten werden, darf (IV) ; 4. bei zeitiger Freiheitsstrafe der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte nie auf Lebenszeit, sondern nur auf höchstens 10 Jahre eintreten kann ( V c ) ; 5. die Zahl der Delicte, bei denen Stellung unter polizeiliche Aufsicht zulässig ist, beschränkt ist; 6. die Zulässigkeit mildernder Umstände erweitert und die Strafminima über dem absoluten Minimum einer Strafart vielfach auf dieses herabgesetzt sind (XII). Schwer ist es die Gerechtigkeit des Urteils gegen den Entwurf mit der Gerechtigkeit gegen seine Verfasser zu vereinigen. Letzteren kommt die unglaublich kurze Arbeitszeit und die Neuheit der Bundesverhältnisse zu Gute. Dass sie das preussische Gesetzbuch erheblich verbessert haben, ist ihnen zu hohem Verdienste anzurechnen, obgleich nicht alle Neuerungen Verbesserungen sind; ebenso, dass sie zum öfteren und zwar in bedeutenden Materien das französischpreussische Vorbild zu Gunsten nationaler Rechtsanschauungen verlassen haben. Allein der Entwurf sollte ja Bundesentwurf sein, und gerade deshalb gereicht ihm der zu enge Anschluss an das Strafgesetzbuch für den Einheitsstaat Preussen zum Nachteil. Die ganze Anlage des Entwurfs spiegelt das mangelhafte System des preussischen Gesetzbuchs wieder. Ganze Teile des Entwurfs, wie ζ. B. der Teil „Von den Uebertretungen", wären unerklärlich, hätte man nicht geglaubt das preussische Gesetzbuch auch hierin copiren zu müssen. Ferner: das Neue, was in der gestellten Aufgabe lag (s. oben § 10), ist nicht voll erfasst worden. Scharf aber richtig sagt H e i n z e 4 : „Der schwerste Tadel ist, dass diese Gesetzvorlage für einen Einheitsstaat, nicht aber für eine Vereinigung von Staaten . . . gemacht ist." Als sehr verdienstliche Arbeit müssen die Motive mit ihren Beilagen bezeichnet werden. K r i t i k e n . In der Vorbemerkung zum Entwürfe war gesagt: „Derselbe wird alsbald der Vorberatung einer von dem Bundesrate zu diesem Ende erwählten, aus sieben Juristen Norddeutschlands zusammengesetzten Commission unterbreitet werden. Zur Förderung der dieser Commission gestellten Aufgabe wird es wesentlich beitragen, wenn schon vor ihrem Zusammentritt allen denen, welche die Aufforderung und den Beruf in sich empfinden, an dem Nationalen Werke mitzuarbeiten, die Möglichkeit und der Anlass geboten wird, sich über den aufgestellten Entwurf vernehmen zu lassen und zu seiner Verbesserung mitzuwirken." 4

Staatsrechtliche und strafrechtliche Erörterungen S 49.

§ 12. 5. Der Entwurf der Bundescommission (II).

60

Obgleich nun die Commission der sieben Juristen schon am 1. October 1869 zusammentreten sollte und die Zeit für eine Kritik des Entwurfs so wohl absichtlich auf ein Minimum zusammengedrängt war, so sind jener Aufforderung doch eine ganze Anzahl von Männern nachgekommen. Ihre Aeusserungen sind zusammengestellt in den Motiven des dritten Entwurfs, in der Ausgabe bei Κ o r t k a m p f S 28 u. 29. Die gedruckten Kritiken sind zusammengestellt bei v. W ä c h t e r , Beitrag zur Geschichte und Kritik S 18—20 (nach der Reihenfolge ihres Erscheinens), und bei S c h w a r z e , Der Entw des StGB für den Nordd. Bund und die Kritiker des Entw, GS 1870 S 146 if., vgl. S 149—160 und S 220, alphabetisch); vgl. auch die Uebersichten von S. in v. H o l t z e n d o r f f s StRZ 1870 Heft 3: „Superrevision der über den ersten Entwurf des nordd. Strafgesetzbuchs erschienenen Kritiken." — S. ferner W i e n e r , Zur Literatur über den Entw eines StGB für den Nordd. Bund, in Behrends Ζ IV 1870 S 96 ff. Die umfassendsten der gedruckten Kritiken über den ersten Entwurf sind folgende: 1. Β er η er, Kritik des Entw eines StGB für den Nordd. Bund. Leipzig 1869. 74 SS. — 2. B i n d i n g , Der Entw eines StGB für den Nordd. Bund in seinen Grundsätzen. Leipzig 1869. 136 SS. — 3. G e y e r , Bemerkungen zu dem Entw eines StGB für den Nordd. Bund, KrV X I I 1870 S 161—227. — 4. H ä b e r l i n , Kritische Bemerkungen zu dem Entw eines StGB für den Nordd. Bund. Erlangen 1869. 103 SS. — 5. H ä l s c h n e r , Beiträge zur Beurteilung des StGB für den Nordd. Bund. Bonn 1870. 76 SS. — 6. H e i n z e , Staatsrechtl. und strafrechtl. Erörterungen zu dem amtl. Entw eines StGB für den Nordd. Bund. Leipzig 1870. 273 SS. — 7. H e l d , Bemerkungen zu dem Entw eines StGB für den Nordd. Bund. Dresden 1870. 76 SS. — 8. J o h n , Das StR in Norddeutschland (in Form eines revid. Entwurfs). Gött. 1870. — 9. H u g o M e y e r , Das nordd. StR. Eine Beurteilung zum Entw eines StGB für den Nordd. Bund. Halle 1869. 89 SS. — 10. V o l l e r t , Der Entw eines StGB für den Nordd. Bund, in den Blättern für Rechtspflege in Thüringen u. Anhalt X V I I 1870 S 1—68 (auch im Separatabdruck erschienen). — 11. Verhandl. des neunten deutschen Juristentags I. Berlin 1870. 97 SS. Enthält vier Gutachten von S t e n g l e i n (S 3—15), M e r k e l (S 16—60), v. G e s s l e r (S 61—73), Seeger (S 74—97). Besonders bedeutsam unter diesen Kritiken ist die von H e i n z e , weil sie die Consequenzen des norddeutschen Staatsrechts für Abfassung des StGB klar ins Licht setzt. § 12.

5. D e r E n t w u r f

Es war nicht die Absicht selbst i n B e r a t u n g zu

der Bundescommission des Bundesrats

(II).

diesen E n t w u r f

sofort

nehmen, u m i h n dann als Regierungsentwurf

dem Reichstage vorzulegen.

V i e l m e h r beschloss er i n der Sitzung vom

3. J u l i 1869 gemäss den Anträgen

des Bundeskanzlers vom 25. J u n i

1869 u n d den A n t r ä g e n des Ausschusses für Justizwesen vom 30. J u n i dess. J a h r e s 1 :

es solle der E n t w u r f

„einer Vorberatung durch

eine

besondere, aus sieben angesehenen Juristen Norddeutschlands bestehende Commission unterzogen w e r d e n " . 1

Drucks, des Bundesrats 1869 Nr 106.

§ 12.

5. Der Entwurf der Bundescommission (II).

Es schien selbstverständlich, dass in dieser Commission sowohl die Theorie als die Praxis vertreten sein würde. Der Bundesrat zog es aber vor der deutschen Rechtswissenschaft zum Danke dafür, dass sie allein ein gemeines deutsches Strafgesetzbuch ermöglicht hat, ein ebenso eclatantes als unbegründetes Misstrauensvotum zu erteilen, und wählte zu Mitgliedern lediglich sieben Praktiker, unter denen freilich der um preussisches Strafrecht verdienteste aller norddeutschen Praktiker, Obertribunalsrat Dr. G o l t d a m m e r , vermisst wurde 2 . Gleichzeitig wurde beschlossen: „Die Commission tritt zur Erledigung des Auftrags in der ersten Hälfte des October d. J. in Berlin zusammen; sie wird ihre Arbeiten dergestalt beschleunigen, dass vor Abschluss des Jahres der Abschluss derselben erfolgt." Am ersten October 1869 trat denn auch die Commission im Bundeskanzleramte zu Berlin zusammen. Seitens des Bundeskanzlers waren der Minister Dr. L e o n h a r d t zum Vorsitzenden, Dr. S c h w a r z e zu dessen Stellvertreter und die beiden Gehilfen des Geh. Rats F r i e d b e r g , R ü d o r f f und Dr. R u b o , zu Schriftführern der Commission ernannt worden 3 . Auf Vorschlag des Vorsitzenden wurde Dr. F r i e d b e r g durch die Commission zu ihrem Referenten bestellt. I n 43 Sitzungen bis zum 31. December incl. erledigte die Commission drei Lesungen des Entwurfs. Debattirt werden durfte nur über schriftliche, an den Entwurf sich anschliessende, in Gesetzesform gebrachte Anträge, deren 692 gestellt wurden. „Die Redaction der Beschlüsse erfolgte durch den Referenten Dr. F r i e d b e r g und den Dr. S c h w a r z e unter Zuziehung der Schriftführer meist noch am Sitzungstage 4 ." Was die eingegangenen Kritiken anlangte, so hatte „jedes Mitglied der Commission einen Teil der Beiträge zum Specialreferate übernommen und trug die Bemerkungen u. s. w. der Kritiker 2

Als officiose Rechtfertigung der Zusammensetzung ist wohl die merkwürdige Ausführung bei R u b o , Commentar S 28 u. 29, zu betrachten. — Die Gewählten waren: 1. der preussische Staats- und Justizminister Dr. L e o n h a r d t ; 2. der Geh. Ober-Justizrat Dr. F r i e d b e r g zu Berlin; 3. der General-Staatsanwalt Dr. Schwarze zu Dresden; 4. der Senator Dr. D o n a n d t zu Bremen (der Verfasser der beiden so verdienstvollen Strafgesetz-Entwürfe für Bremen); 5. der Rechtsanwalt Justizrat D o r n zu Berlin; 6. der Oberappellationsgerichtsrat B ü r g e r s zu Köln; 7. der Oberappellationsgerichtsrat Dr. B u d d e zu Rostock. 3 Interessante Mitteilungen über die Beratungen dieser Commission finden sich deshalb in den Commentaren von R ü d o r f f 1. Aufl., „VI. der zweite Entwurf", S 33—37 (vgl. 3. Aufl. S 21—25) und R u b o § 3: „Die Revision des Entwurfes durch die Bundescommission", S 27 — 36. S. auch den wichtigen Aufsatz von S c h w a r z e , GS 1870 S 146 ff. 4 R ü d o r f f a. 0. S 35, 3. Aufl. S 23.

§ 12. 5. Der Entwurf der Bundescommission (II).

62

u. s. w. bei den einschlagenden Stellen des Entwurfes vor. Selbst diejenigen Beiträge, welche erst in den letzten Tagen des Monats December . . . in die Hände der Commission gelangt sind, wurden noch benutzt und in den letzten Sitzungen nachträglich durchgegangen 5." Bei der Hast der Arbeit blieb der Kritik trotzdem ein tiefer gehender Einfluss auf dieselbe versagt. Am 31. December gegen 2 Uhr Nachmittags schloss die Commission ihre Sitzungen und noch an demselben Abende konnte ein gedrucktes Exemplar des Entwurfes dem Bundeskanzler überreicht werden. Dieser „ E n t w u r f des S t r a f g e s e t z b u c h s f ü r d e n N o r d d e u t s c h e n B u n d , Berlin, 31. December 1869," z ä h l t 3 6 6 §§, w o v o n 77 a u f d e n a l l g e m e i n e n T e i l e n t f a l l e n . Dazu k o m m t „ E n t w u r f e i n e s E i n f ü h r u n g s g e s e t z e s " in 8 §§. Das Ganze nimmt gedruckt 104 SS folio ein. Neue Motive sind für ihn nicht ausgearbeitet. Die Leistungen der Commission sind sehr verdienstlich. Fast kein § des ersten Entwurfs ist unverändert geblieben. Die Redaction der einzelnen Bestimmungen ist durchweg klarer, gelenker und gleichmässiger geworden. Die getroffenen Aenderungen sind aber keineswegs nur redactioneller Natur, sondern schneiden — und zum Teil sehr tief — in den Körper des ersten Entwurfs ein. Aus den drei Teilen des ersten sind zwei geworden; der dritte Teil von I „Von den Uebertretungen" ist zum 29. Abschnitt in I I gemacht, indem die allgemeinen Bestimmungen bezüglich der Uebertretungen ( I § 337—347) in den allgemeinen Teil von I I Aufnahme gefunden haben. Wenn freilich immer noch viel zu wenig trägt I I den staatsrechtlichen Verhältnissen des Bundes doch in wichtigen Beziehungen Rechnung. Der Abschnitt 2 in I „Beleidigung der Bundesfürsten und der Mitglieder bundesfürstlicher Häuser" ist in I I in zwei Abschnitte zerlegt worden: „Abschnitt 2. Beleidigung des Landesherrn" und „Abschnitt 3. Beleidigung von Bundesfürsten". Während nach I die Gefängnisstrafe mit Arbeitszwang nur verbunden werden darf, fordert I I § 14 eine solche Verbindung. Die provisorische Entlassung soll nicht mehr wie nach I schon nach verbüsster halber Strafzeit, sondern erst nach Ablauf von 8 U derselben zulässig sein ( Π § 20). Die Nebenstrafe der Confiskation wird auf 5

S c h w a r z e a. 0. S 147.

§ 1.

. Der Entwurf de B u n d e s s ( I I ) .

vorsätzliche Verbrechen und Vergehen beschränkt und wird, soweit sie sich auf Mittel und Werkzeuge zur Begehung einer strafbaren Handlung bezieht, aus einer obligatorischen in eine facultative Nebenstrafe verwandelt (H § 38). Keine Verbesserung tritt in der Begriffsbestimmung des Versuches ein, da der freiwillige Rücktritt nach Π § 44 den Versuch bestehen lässt und nur seine Strafbarkeit aufhebt. Richtig treten die Mittäter in I I unter die Teilnehmer, während diese in I nur aus Anstiftern und Gehilfen bestanden. Ebenso richtig wird der Zustand beeinträchtigter freier Willensbestimmung als allgemeiner Strafmilderungsgrund aufgehoben. Eine empfindliche Lücke in I wird dadurch ausgefüllt, dass der Notstand, freilich in viel zu geringem Umfang, als Strafausschliessungsgrund anerkannt wird (H § 52), eine zweite dadurch, dass eine im Auslande vollzogene Strafe, wenn wegen derselben Handlung in Norddeutschland abermals eine Verurteilung erfolgt, nach Π § 7 auf die zu erkennende Strafe in Anrechnung zu bringen i s t 6 . So stellt der zweite Entwurf eine durchgehende und zwar sehr erhebliche Verbesserung des ersten dar. § 13.

6. D e r E n t w u r f des B u n d e s r a t s (ΙΠ).

Am 1. Januar 1870 teilte der Bundeskanzler den Entwurf der Bundescommission den Bundesregierungen mit. Unter des Grafen B i s m a r c k Vorsitz trat am 4. Februar der Bundesrat in die Beratung des Entwurfes ein. Am 7. desselben Monats erstattete der Justizausschuss seinen Bericht und am 11. Februar fand die Schlussberatung des Bundesrates über den Entwurf statt 1 . Es wurde beschlossen: 1. z u m E i n f ü h r u n g s g e s e t z : a. in § 1 als Tag, an welchem das Gesetz in Kraft treten sollte, den 1. Januar 1871 zu bestimmen, während Π diesen Tag offen gelassen hatte; b. § 2 in II, der die geltenden Strafgesetzbücher der norddeutschen Bundesstaaten und das gemeine deutsche Strafrecht (letzteres für beide Mecklenburg, Schaumburg-Lippe, Bremen und Lauenburg) ausdrücklich ausser Kraft setzte, wurde in dieser Gestalt beseitigt und ersetzt durch den Passus, der heute noch al. 1 des § 2 des Einführungsgesetzes bildet; 6 1

Bezüglich der Kritiken über diesen Entwurf vgl. § 13 a. E. Prot des Bundesrats 1870 § 15. 30. Drucks, des Bundesrats 1870 Nr 11.

§ 1.

64

. Der Entwurf de B u n d e s s (II).

2. z u m G e s e t z b u c h : a. zu § 31 (StGB § 34) wurde der Ausschussantrag unter den Folgen der Aberkennung der Ehrenrechte die Nr 4 „den Adel zu führen" zu streichen angenommen; b. zu § 209 (StGB § 214), vorsätzliche Tötung eines Menschen bei Verübung einer strafbaren Handlung, wurde an Stelle der lebenslänglichen Zuchthausstrafe auf Antrag Preussens die Todesstrafe aufgenommen. Abgelehnt wurden die auf Art. 4 Nr 13 der Verfassung und auf praktische Bedenken gestützten Anträge Hessens und der beiden Mecklenburg auf Ausschliessung der Uebertretungen aus dem Bundesstrafgesetzbuch, der Antrag Sachsens und Oldenburgs: im Einführungsgesetz denjenigen Staaten, welche die Todesstrafe aufgehoben hätten, die Befugniss vorzubehalten, an Stelle derselben lebenslängliche Zuchthausstrafe zu setzen, endlich der Antrag Sachsens, das Strafgesetzbuch erst mit einer gemeinen Strafprozessordnung für den Norddeutschen Bund in Kraft treten zu lassen 2 . I m Januar 1870 wurden von Dr. F r i e d b e r g , Dr. S c h w a r z e und den beiden Schriftführern der Commission R ü d o r f f und R u b o die Motive des ersten Entwurfs zu Motiven des zweiten Entwurfs meist unter wortgetreuer Beibehaltung der ersten Form umgearbeitet. Eine kleine Revision in den Motiven bedingten die Beschlüsse des Bundesrats, und diese wurde von Dr. F r i e d b e r g und den zwei Schriftführern im Februar vorgenommen. Die dergestalt festgestellten Motive begleiteten, o h n e dass s i e v o r h e r d e m B u n d e s r a t e noch vorgelegt und von diesem a d o p t i r t worden wären, sammt den vier Anlagen der Motive des ersten Entwurfes (s. oben S 57) den Entwurf des Bundesrates vor den Reichstag 3 . 2

S. auch R ü d o r f f 1. Aufl. S 39, 3. Aufl. S 26. Der beiden revidirten Entwürfe (II und III) bemächtigte sich übrigens die Kritik noch in sehr bemerkenswerten Aeusserungen : 1. H e i n z e , Zum revidirten Entw eines StGB für den Nordd. Bund. Leipzig 1870. 31 SS. 2. V o l l e r t , Der revidirte Entw eines StGB für den Nordd. Bund, Blätter für Rechtspflege in Thüringen und Anhalt X V I I 74—152 (auch im Separatabdruck erschienen). — Ueber I I I v. W ä c h t e r , Beitrag zur Geschichte und Kritik der Entw eines StGB für den Nordd. Bund. Leipzig 1870. 140 SS. 3

65

§ 14.

7. D e r E n t w u r f des B u n d e s r a t s v o r d e m Reichstage.

I. Am 14. Februar 1870 eröffnete der König von Preussen in Person den Reichstag und verkündete ihm in der Thronrede : „Zu Meiner lebhaften Befriedigung ist es der hingebenden Tätigkeit der zur Vorbereitung eines Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund berufenen Männer gelungen, den Abschluss dieses umfangreichen Werkes dergestalt zu fördern, dass dasselbe, vom Bundesrate genehmigt, Ihnen schon heute vorgelegt werden kann. Indem dieses Gesetzbuch auf einem der wichtigsten Gebiete des öffentlichen Rechts die nationale Einheit im Norddeutschen Bunde zum Abschluss bringen will, enthält es zugleich eine, den Forderungen der Wissenschaft und den Ergebnissen reicher Erfahrungen entsprechende Fortbildung des im Bundesgebiete bestehenden Strafrechtes 1 ." An demselben Tage legte der Bundeskanzler „den beiliegenden Entwurf eines Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund, wie solcher vom Bundesrate beschlossen worden, zur verfassungsmässigen Beschlussnahme" vor 2 . Schon am 22. Februar erfolgte die erste Beratung 3 ; die zweite Beratung geschah in den 20 Sitzungen vom 28. Februar, 1., 2., 4., 5., 8., 9., 10., 15., 16., 17., 18., 19., 21., 23. März und vom 2., 4., 5., 7., 8. April; die dritte Beratung in den vier Sitzungen vom 21., 23., 24. und 25. Mai 1870 4 . 1 Stenogr. Berichte über die Verhandlungen des Reichstags des Norddeutschen Bundes, I. Legislaturperiode Session 1870 Bd. I 1 u. 2. 2 Schreiben vom 14. Febr. 1870. In den Anlagen zu den Verhandlungen S 2. 3 Sten. Ber. S 41 if. 4 Vgl. Sten. Ber. I 41—55. 95—117. 151—167. 175—196. 199—219. 222—240. 241—247. 249—251. 298—315. 328—341. 343-369. 371—393. 399—413. 423—446. 461—477, I I 631-635. 639-663. 666—685.717—747. 754-767. 1091—1096. 1119 bis 1150. 1156—1180. 1187 (Schlussabstimmung über das Ganze). — Die Amendements der z w e i t e n L e s u n g befinden sich in den Aktenstücken des Reichstags des Nordd. Bundes: Nr 27. 28. 31. 34. 39. 42. 44. 55. 58. 59. 62—66. 68—71. 76. 85. 92. 105. (85, 92 u. 105 enthalten die Anträge der Commission.) 106. 113. 114. 117. 119. 124. 126. 129. Uebersichtlich zusammengestellt in Nr 132. — Die Amendements der d r i t t e n L e s u n g finden sich in Nr 175. 182. 193. 198. 199. 201. 204. Der ganze Entwurf „nach den Beschlüssen des Reichstags in dritter Beratung" in Nr 212. — Eine sehr gute Uebersicht über den Gang der zweiten und dritten Beratung gewährt die „Gesammtübersicht über die Geschäftstätigkeit des Reichstags des Nordd. Bundes I. Legislaturperiode 3. Sitzungsperiode, nach den Drucksachen und stenogr. Berichten in alphabetischer Ordnung". Anlage II. StGB für den Nordd. Bund S 1-163.

Binding, Handbuch. V I I . 1. I :

B i n d i n g , Strafrecht.

I.

5

§ 14.

66

7. Der Entwurf des Bundesrats vor dem Reichstage.

Regierungsseitig wurde der Entwurf im Reichstage durch den Justizminister Dr. L e o n h a r d t als Bevollmächtigten zum Bundesrate und durch den Präsidenten Dr. F r i e d b e r g als Bundescommissar ad hoc vertreten. Dr. L e o n h a r d t leitete auch die Discussion über die erste Lesung ein und zwar in nicht unbedenklicher Weise. Der Herr Justizminister verkündete dem Reichstage in der Sitzung vom 22. Februar 1870: „ I n den Vorberatungsstadien ist leitend und maassgebend gewesen der Gedanke, dass es sich handle um einen grossen politischen Akt. Neben diesem Gedanken treten juristische Fragen, wenn sie an sieh auch von grosser Bedeutung wären und den Kreis der juristischen Feinheiten überschreiten, doch sehr in den Hintergrund. Die verbündeten Regierungen können nur wünschen, dass Sie . . . an das Gesetzbuch treten nicht allein mit juristischem, sondern vorzugsweise mit politischem Sinne 5 ." Und um über den Sinn dieser Worte gar keinen Zweifel zu lassen, fügte der Herr Minister bei einer späteren Gelegenheit in derselben Sitzung hinzu: „Gesetze, welche in heutiger Zeit erlassen werden, sind nicht bestimmt auf Jahrhunderte zu gelten . . . . Man mag deshalb, wenn die Zeit gekommen ist, die Resultate der Gesetzgebung und der Jurisprudenz zusammenfassen und dann nach einiger Zeit, vielleicht nach Ablauf von fünf Jahren, eine Revision des Gesetzbuchs eintreten lassen; damit kommt man weiter . . . . W i r müssen den Gedanken in den Vordergrund stellen, dass für uns es sich darum handelt, in einem wichtigen Zweige des Rechtslebens Einheit in Deutschland herzustellen, und gegenüber diesem Gedanken muss alles Untergeordnete, das rein Juristische, in den Hintergrund treten 6 ." Dass in einem Strafgesetze, wo alles auf Gerechtigkeit ankommt, das Juristische als untergeordnet angesehen werden könne, darf aber am wenigsten einem Justizminister zugegeben werden, und noch viel weniger, dass man schlechte Gesetze in Hinblick auf schlechtere Revisionen machen dürfe. Der Reichstag hingegen ging im grossen und ganzen auf die Intentionen des Bundesbevollmächtigten ein; der Antrag des Dr. S c h w a r z e : „den vorliegenden Entwurf eines Strafgesetzbuchs ungeteilt einer Commission von 21 Mitgliedern zu überweisen" 7 , wurde abgelehnt, der Antrag des Abgeordneten A1 b r e c h t : „der Reichstag wolle beschliessen, für die Vorberatung des Strafgesetzbuchs eine Commission von 21 Mitgliedern zu wählen und derselben jetzt schon den Abschnitt V I I I und die folgenden Ab5

Sten. Ber. I 41.

6

Sten. Ber. I 47.

7

Sten. Ber. I 46.

§ 14.

7. Der Entwurf des Bundesrats vor dem Reichstage.

67

schnitte des zweiten Teiles zu überweisen; im übrigen aber über die vorangehenden Abschnitte in die zweite Lesung einzutreten" 8 wurde angenommen 9 . Diesem Antrage gemäss sollten also der ganze allgemeine Teil des Entwurfs und die sieben ersten Abschnitte des speciellen Teils — 1. Hochverrat und Landesverrat. 2. Beleidigung des Landesherrn. 3. Beleidigung von Bundesfürsten. 4. Feindliche Handlungen gegen befreundete Staaten. 5. Verbrechen und Vergehen i n Beziehung auf die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte. 6. Widerstand gegen die Staatsgewalt. 7. Verbrechen und Vergehen wider die öffentliche Ordnung — sofort im Plenum beraten werden. In Folge dessen wurde eine sorgfältige Durcharbeitung des Entwurfs im Detail, insbesondere die so nötige durchgängige Revision der Strafsatzungen unmöglich. Nur in wenigen Fragen von wirklich principieller Bedeutung wurde versucht den Reichstag zu einer von der Vorlage abweichenden Entscheidung zu bestimmen 10 . 1. Zu dem 29. Abschnitte „ U e b e r t r e t u n g e n " , den der Abgeordnete ν. Ζ e h m en „ein Ragout aus allerhand Schüsseln" genannt h a t 1 1 , beantragte derselbe Abgeordnete 12 , zwei Gruppen von Nummern des Abschnittes zu streichen und der Landesgesetzgebung zu überweisen. Zunächst möchten aus dem Strafgesetzbuch entfernt werden alle diejenigen §§, welche sich erst wieder auf die Specialgesetzgebung der einzelnen Bundesstaaten zurückbezögen 13 , ferner diejenigen Bestimmungen, die sich auf das Bettel- und Armenwesen bezögen 14 . 8

Sten. Ber. I 44. Sten. Ber. I 54. 55. Vgl. den sten. Ber. über die 9. Sitzung vom 24. Febr. 1870 (I 57): „Die Commission zur Vorberatung des II. Teils des Strafgesetzbuches, Abschn. V I I I ff., besteht vermöge der heutigen Wahl aus den Abgeordneten Dr. S c h w a r z e , v. B e r n u t h , H o s i u s , Graf v. K l e i s t , Dr. A e g i d i , v. L u c k , v. K i r c h m a n n , T o b i a s , v. L e v e t z o w , E y s o l d t , v. E i n s i e d e l , Dr. E i c h mann, E v e l t , Graf B a s s e w i t z , G e n a s t , Dr. M e y e r (Thom), v. B r a u c h i t s c h (Genthin), Freiherr v. H o v e r b e c k , K o c h , z u r Megede und Dr. W a g n e r (Altenburg). Den Vorsitz in der Commission führt der Abgeordnete Dr. S c h w a r z e , sein Stellvertreter ist der Abgeordnete v. B e r n u t h " . . . . Die Commission hielt unter beständiger Anteilnahme des Reichstagspräsidenten Dr. S i m s ο η 20 Sitzungen, in denen Dr. F r i e d b e r g die verbündeten Regierungen vertrat, s. R u b o a. Ο. S 43. 10 Ueber die hauptsächlichsten Aenderungen, die der Entwurf nach den Beschlüssen der dritten Lesung gegenüber der Vorlage noch festhielt und die in das Oesetz selbst übergegangen sind, s. den folgenden § 19. 11 12 Sten. Ber. I I 759. Drucks. I Nr 124 II. 13 14 Sten. Ber. I I 759. Sten. Ber. I I 760. 5* 9

§ 14.

68

7. Der Entwurf des Bundesrats vor dem Reichstage.

Der Vorschlag, der in seinem ersten Teile unabweislich genannt werden muss 1 5 , fand keinen Anklang und wurde zurückgezogen 16 . 2. Sollte durch diesen Antrag der Umfang des norddeutschen Strafgesetzbuchs geschmälert, so sollte andererseits sein Anwendungsgebiet durch die zu § 2 des Entwurfs gestellten Anträge 1 7 erheblich erweitert werden. Nach dem Antrage F r i e s sollte das neue Gesetz, sofern es eine Handlung für straflos erklärt, auch g e g e n ü b e r d e n s c h o n r e c h t s k r ä f t i g e r k a n n t e n S t r a f e n zur Durchführung kommen, und nach dem Antrage S c h w e i t z e r und H a s e n c l e v e r sollten sogar „die rechtskräftig erkannten Strafen gemäss dem neuen Gesetze reformirt werden, principaliter, wenn dieses nicht nur der Strafart, sondern auch dem Strafmaass nach das mildere sei, eventualiter, wenn es eine mildere Strafart vorschlage" 18 . Die beiden Anträge wurden abgelehnt, nachdem der Justizminister Dr. L e o n h a r d t nachdrücklich darauf hingewiesen hatte, wie ihre Annahme ziemlich ausführliche prozessualische Neubildungen zur Folge haben müsste. 3. Bei weitem am heftigsten gingen die Ansichten aber a u f d e m G e b i e t e des S t r a f e n s y s t e m s aus einander und geschärft wurden diese Differenzen dadurch, dass der Entwurf (§ 78) neben der Todesstrafe für den schwersten Hochverrat die Zuchthausstrafe als die regelmässige Strafe für die schwersten politischen Verbrechen entweder ausschliesslich oder zwar unter Nachlassung der Festungshaft, aber nur beim Vorhandensein mildernder Umstände angedroht hatte 1 9 . a. Der Abgeordnete v. K i r c h m a n n richtet seinen Angriff gegen die beiden hauptsächlichsten Nebenstrafen : er beantragte d i e B e s e i t i g u n g a l l e r N e b e n s t r a f en a n d e r E h r e u n d d e r S t e l l u n g u n t e r p o l i z e i l i c h e A u f s i c h t 2 0 , verteidigte diese Anträge geschickt 2 1 , konnte aber damit nicht durchdringen. Wäre der Antrag durchgegangen, so würde dadurch an erster Stelle der Strafgehalt der Zuchthausstrafe berührt worden sein, und über diesen entspann sich im Hause eine weitere, nicht gerade sehr klare Debatte. Der Entwurf § 28 verknüpfte von Rechtswegen mit der Zuchthausstrafe „die dauernde Unfähigkeit zum Dienst in dem Bundesheere und der Bundesmarine, sowie die dauernde Unfähigkeit zur Bekleidung 15 17 18 19 90

16 S. oben S 54. Sten. Ber. I I 761. Drucks. I Nr 28 ad I 3 und I Nr 31. Die Verhandlungen in den Sten. Ber. I 152—157. Vgl. Entw § 79. 81-88. 90. 92. 96. 98. 100. 103. 104. 21 Drucks. I Nr 27 ad IX. Sten. Ber. I 205. 206. 216-218.

§ 14.

7. Der Entwurf des Bundesrats vor dem Reichstage.

öffentlicher Aemter". Zuchthaus sollte also eine ipso jure ehrenmindernde Strafe werden. Die Abgeordneten F r i e s , M e y e r (Thorn) und Genossen schlugen statt dessen vor : „Die Verurteilung zu Zuchthausstrafe hat den dauernden Verlust der bekleideten öffentlichen Aemter von Rechtswegen zur Folge 2 2 ." Nur aus redactionellen Gründen wollten die Antragsteller die Unfähigkeit zum Heerdienst, die ja im Militär-Strafrecht als Folge des Zuchthauses anerkannt sei, gestrichen haben 2 3 . L ask er aber sprach bei dieser Gelegenheit a u s 2 4 : „dass, wie das Strafgesetzbuch gegenwärtig das Zuchthaus auffasst, gar kein Grund mehr vorhanden ist, weshalb derjenige, der zur Zuchthausstrafe verurteilt ist, nicht in der Armee soll dienen können". Dadurch gewann der Antrag principielle Bedeutung, fand heftigen Widerspruch und wurde abgelehnt. I n Folge dessen erschien vielfach der entehrende Charakter der Zuchthausstrafe, den der Antrag F r i e s und Genossen ja nur scheinbar, nämlich im allgemeinen Strafgesetzbuche ganz zu beseitigen trachtete, neu sanctionirt und dies übte bei der Beratung der politischen Verbrechen seinen Einfluss. Denn hier beantragten Dr. M e y e r (Thorn) und Genossen vor § 78 einen neuen § des Inhalts einzuschieben: wo Festung mit Zuchthaus zur Wahl stehe, dürfe letzteres nur verhängt werden, „wenn festgestellt wird, dass die strafbar befundene Handlung aus einer ehrlosen Gesinnung entsprungen i s t " 2 5 . Dieser Antrag wurde angenommen, wenn auch damit der Charakter der Festungshaft als einer custodia honesta keineswegs gewahrt wurde. b. Lebhafte Anfechtung fanden die S t r a f d r o h u n g e n des Entwurfs gegen d i e s c h w e r s t e n p o l i t i s c h e n V e r b r e c h e n 2 6 . Die unleugbare Schwere des Verbrechens und die öfter ebenso unleugbare Ehrenhaftigkeit seines Urhebers bereiteten aber auch den Angriffen auf die Vorlage bedeutende Schwierigkeiten. Und so kam es, dass diese in nicht weniger als vier Richtungen auseinandergingen, v. H o v e r b e c k und Genossen hielten die Zuchthausstrafe für diese politischen Verbrechen überhaupt für unanwendbar und beantragten in zwei Fällen (§ 79 und 99) ihr Gefängniss alternativ mit Festung, im übrigen aber 2 7 Festungshaft allein zu substituiren 28 . v. P a t o w fand die Zuchthausstrafe zu hart, die Festungshaft viel zu leicht, das Gefängniss wegen der schlechten Gesellschaft, in die der Sträfling 22 24 26 28

Drucks. A. a. Ο. S. oben S. Sten.

23 I Nr 39 ad I 1. Die Discussion s. Sten. Ber. I 206—213. 25 S 208. S. Drucks. I Nr 58 ad I. Vgl. Sten. Ber. I 298-313. 27 S 68 sub 3. In den §§ 79. 81. 83-88. 90. 92. 94. 96. 98. 100. Ber. I 328.

§14.

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7. Der Entwurf des Bundesrats vor dem Reichstage.

kommen würde, gleichfalls für ungeeignet, und sprach deshalb einer zweiten neu zu schaffenden schweren die Ehre auch nicht im entferntesten berührenden Strafe, der „Erschliessung" das W o r t 2 9 . Zwei andere Gruppen von Anträgen hielten die Zuchthausstrafe für zulässig, verwarfen indessen ihre Exclusivität, schieden sich nun aber wieder so, dass die Anträge des Fürsten v. P I e ss und Genossen Zuchthaus mit Gefängniss 30 , die Anträge des Dr. M e y e r (Thorn) im wesentlichen Zuchthaus mit Festung zur Wahl gestellt haben wollten 3 1 . Die in diesem letzten Sinne gestellten Anträge trugen den Sieg davon. Die notwendige Folge davon war die Erstreckung der vom Entwurf nur in einem Maximum von zehn Jahren zugelassenen Festungsstrafe auf Lebenslang und im übrigen auf ein Maximum von fünfzehn Jahren. Damit war allerdings die einheitliche Gestaltung, die das Strafensystem im Entwürfe erhalten hatte, bedenklich durchbrochen 32 . c. Diejenige Frage aber, die in den Augen des Reichstags wie des Bundesrates alle anderen in Schatten stellte, war die Frage nach Aufnahme oder Verwerfung der T o d e s s t r a f e — eine Frage, deren hohen Ernst Niemand verkennen darf, deren Bedeutung aber von Seiten der Freunde wie der Gegner dieser Strafart oft genug überschätzt wird. Sonst wäre es unbegreiflich, wie an dieser Frage das ganze Gesetzgebungswerk fast Schiffbruch gelitten hätte, — um so unbegreiflicher, als der Gesetzentwurf das Begnadigungsrecht der einzelnen Landesherren in vollem Umfange bestehen liess. Der Entwurf hatte die Todesstrafe, obschon sie in S a c h s e n , O l d e n b u r g , A n h a l t und B r e m e n abgeschafft war, für 4 Fälle: Hochverrat gegen Bundesfürsten ; schwere Tätlichkeit gegen den eigenen Landesherrn; Mord; vorsätzliche Tötung bei Unternehmung einer strafbaren Handlung, beibehalten 33 . Da § 1 des Entwurfs diese 29

S. Sten. Ber. I 328—330. Man s. die Anträge ν. P I es s und Gen. zu § 79 (Drucks. I Nr 64 I), § 81 (das. Nr 64 I I Abs. 1), § 83 (Nr 64 III), § 84 (Nr 64 IV), ergänzt durch die Anträge E v e l t . 31 Man s. die Anträge Dr. M e y e r - T h o r n zu § 78 (Drucks. I Nr 58 ad 1 a), § 79 (das. Nr 58 I I 2), § 81 (das. Nr 58 ad 3), § 85 (das. ad 6), § 86 (das. ad 7), § 87 (das. ad 8 a), § 88 (das. ad 9 a), § 90 (das. ad 10 a), § 92 (das. ad I I a ) , § 94 (das. ad 13), § 96 (das. ad 15), § 98 (das. ad 17), § 103 (Nr 65 ad 1), § 104 (Nr 65 I 2), anders zu § 83, 84 u. 100, wo der Antrag auf Ersetzung der Zuchthausstrafe durch Festungshaft gerichtet war. Vgl. ferner die Anträge E v e l t zu den §§83 und 84: Sten. Ber. I 348 und 350. 32 So sehr richtig H ä l sehn er I 62. — Ueber die Mängel parlamentarischer Gesetzgebungsarbeit überhaupt s. das. S 65. 33 S. die §§ 78. 92. 206. 209. 30

§14.

7. Der Entwurf des Bundesrats vor dem Reichstage.

Strafart für eine eigentümliche Strafe des „Verbrechens" erklärt, entbrannte der Kampf gleich zu Anfang, indem die Abgeordneten v. K i r c h m a n n und F r i e s Streichung der Worte „mit dem Tode" beantragten. Die mit würdigstem Ernste geführte Debatte über diesen Antrag, die in den Reden der Abgeordneten Dr e S c h w a r z e , L ask er und des Bundeskanzlers Grafen B i s m a r c k gipfelte, füllte die beiden ersten dem Entwurf gewidmeten Sitzungen 3 4 : sie endigte mit einer Minorität von 81 Stimmen zu Gunsten und einer Majorität von 118 Stimmen zu Ungunsten der Todesstrafe. Das Zustandekommen des Gesetzes erschien dadurch ernstlich gefährdet. Alles hing davon ab, wie sich der Bundesrat zu den Beschlüssen der 2. Lesung, und wie der Reichstag in 3. Lesung sich zu den Beschlüssen des Bundesrates stellen werde. Als Bevollmächtigter des Bundesrates eröffnete Minister Dr. L e o n h a r d t selbst die Generaldebatte der dritten Beratung 3 5 . Er erklärte, eine Anzahl der Beschlüsse zweiter Lesung betrachte der Bundesrat als Verbesserungen, zu einer weiteren Anzahl hätten sich die verbündeten Regierungen mehr oder weniger indifferent verhalten können, eine dritte Gruppe habe grosse Bedenken und Abänderungswünsche wachgerufen, doch Hessen die Regierungen diese Bedenken schweigen. Drei Beschlüsse aber seien als unannehmbar erschienen : der strafprozessualische Beschluss in § 3 des Einführungsgesetzes, kraft dessen die Ausnahm egerichtshöfe für die in Teil I I Abschnitt 1—5 enthaltenen Verbrechen aufgehoben werden sollten; der Beschluss, es sei in den schwersten Fällen des Landesverrates (§ 87 u. 89 der zweiten Lesung) neben Zuchthaus alternativ Festung anzudrohen ; und endlich die Abschaffung der Todesstrafe; für zwei Fälle müssten die verbündeten Regierungen auf Beibehaltung dieser Strafe bestehen: für vollendeten Mord in vollem Umfange und für den Mordversuch verübt gegen das Bundesoberhaupt, gegen den eigenen Landesherrn und gegen den Landesherrn des Staates, in welchem der Täter seine Tat begehe 36 . Auf diese Erklärung hin beantragte G r a f S c h w e r i n die Vertagung der Beratung des Strafgesetzbuchs — ein Antrag, der trotz mannichfachen Widerspruchs angenommen wurde. So brachte die Sitzung vom 23. Mai 1870 die Entscheidung. Zu § 1 lagen vor: der Antrag des Abgeordneten v. L u c k : „die 34

Vgl. Sten. Ber. I 95—117. 119—135. Sten. Ber. I I 1091. 1092. 36 S. Prot des Bundesrats 1870 § 220. Neun Staaten, vor allem Sachsen und Oldenburg, erklärten sich im Bundesrat gegen die Todesstrafe. 35

72

§ 14. 7. Der Entwurf des Bundesrats vor dem Reichstage.

Worte »mit dem Tode« in alin. 1 Ζ. 1 wieder aufzunehmen" 37 ; ferner ein Antrag des Abgeordneten P l a n c k 3 8 : „für den Fall der Wiederherstellung des § 1 in der Fassung der Regierungsvorlage, den § 11 . . . in folgender Fassung anzunehmen: al. 1. »Die Todesstrafe ist durch Enthauptung zu vollstrecken. « al. 2. » I n denjenigen Bundesländern, in welchen die Todesstrafe gesetzlich bereits abgeschafft ist, bewendet es hierbei und es tritt für diese Länder in denjenigen Fällen, für welche das gegenwärtige Gesetz die Todesstrafe bestimmt, an die Stelle derselben die lebenslängliche Zuchthausstrafe.«" Dazu hatte der Abgeordnete F r i e s einen Unterantrag gestellt, der den übrigen Bundesstaaten das Recht der gleichen Vertauschung vorbehielt 3 9 . Mit vollem Rechte wies der Bundeskanzler auf Grund eines fast einstimmigen Beschlusses des Bundesrates vom 22. Mai 1870 den Antrag P l a n c k mit den Worten zurück: „Es ist für mich eine absolute Unmöglichkeit, es wäre ein volles Verleugnen meiner Vergangenheit, wollte ich einem Gesetze hier zustimmen, welches das Princip sanctionirt, dass durch den Bund zweierlei Recht für die Norddeutschen geschaffen werden soll." I n der weiteren Debatte 4 0 gewann trotz einer bedeutenden Rede von L a s k er für Aufrechthaltung des Beschlusses zweiter Lesung das Interesse an dem Zustandekommen des Gesetzes mit vollem Fug die Oberhand über das Bedenken den früheren Beschluss umzustossen: und mit einer allerdings sehr geringen Majorität (127 gegen 119) wurde der Antrag v. L u c k angenommen. Das Gesetz war damit gesichert ; die sehr wohl vorbereitete dritte Lesung vollzog sich rasch in dem Reste der Sitzung vom 23. und in der vom 24. M a i 4 1 , und so nahm in der Sitzung vom 25. Mai „eine sehr grosse Majorität des Hauses" den Gesetzentwurf nach den Beschlüssen der dritten Lesung sammt dem Einführungsgesetze a n 4 2 . Dieser Entwurf wurde unverändert zum Gesetze erhoben. H. Die Tätigkeit des Reichstags zu würdigen bedarf es der Betrachtung der wichtigsten Abweichungen des Gesetzes von der Vorlage der Regierung 4 3 . 37

38 39 Drucks. I Nr 175 I 1. Drucks. I Nr. 199. Drucks. I Nr 201. Vgl. Sten. Ber. I I 1119-1140. 41 42 Sten. Ber. I I 1140-1149. 1156—1182. Das. I I 1187. 43 Diese Betrachtung enthält sich absichtlich der Kritik. Zu solcher wird sich später an den verschiedensten Stellen Anlass finden. 40

§14.

7. Der Entwurf des Bundesrats vor dem Reichstage.

A. A b w e i c h u n g e n b e z ü g l i c h d e r A b g r e n z u n g des Gebietes der s t r a f b a r e n H a n d l u n g e n . Gegenüber der Regierungsvorlage dehnt das Gesetz das Gebiet der Strafbarkeit bald weiter aus, bald, und zwar öfter, beschränkt es dasselbe. 1. Es e r w e i t e r t das Y e r b r e c h e n s g e b i e t durch Aufstellung neuer Delicte 4 4 , durch Erweiterung des Tatbestandes im Entwürfe aufgenommener Delicte 4 5 , durch Strafdrohungen wider Vergehensversuche 4 6 ; factisch auch durch Verwandlung von Antrags- in Officialverbrechen (§ 178). 2. Es v e r e n g t das G e b i e t d e r s t a a t l i c h e n S t r a f p f l i c h t durch Beseitigung von Delicten, die der Entwurf anerkannte 47 ; ferner dadurch, dass es Beleidigungen von Bundesfürsten begangen von Ausländern im Auslande für straflos erklärt: vgl. GB § 4 al. 2 Nr 1 mit Entw § 4 al. 2 Nr 1; durch Vermehrung der schon vom Entwurf viel zu zalreich angenommenen Antragsverbrechen: § 172. 196. 236. 237. 247. 263. 288. 289. 292. 296. 301. 302; durch Bindung der Verfolgbarkeit an die Ermächtigung seitens bestimmter Personen : § 99. 101. 197 (Beleid, gegen „andere politische Körperschaften"); durch Zulassung der exceptio veritatis bei der Beleidigung in grösserem Umfange: vgl. § 190 des GB mit § 185 des Entw; dadurch, dass es den Aeusserungen gemacht „zur Wahrnehmung berechtigter Interessen" in § 190 Straflosigkeit zusichert, sofern nicht die Form der Aeusserung beleidigend ist: vgl. Entw § 188; dadurch, dass es den Tatbestand einer Anzahl von strafbaren Handlungen 44 So in § 160 : Verleitung zur Ableistung eines falschen Eides ; § 187 : Creditgefährdung durch lügnerische Behauptung unwahrer Tatsachen; § 331: passive Bestechung für nicht pflichtwidrige Amtshandlungen; § 360 Nr 10: unterlassene Hilfeleistung bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr trotz polizeilicher Aufforderung; § 367 Nr 10: Anwendung von Schuss-, Stich- oder Hiebwaffen u. s. w. bei Schlägereien oder Angriffen. 45 So in § 90 Nr 2: Landesverrat durch Zerstörung oder Unbrauchbarmachung von B r ü c k e n u n d E i s e n b a h n e n ; § 156: falsche Aussage u n t e r B e r u f u n g auf eine früher abgegebene eidesstattliche Versicherung; § 311: die gänzliche o d e r t e i l w e i s e Zerstörung einer Sache; § 341: widerrechtliche Ergreifung, Festnahme o d e r Z w a n g s g e s t e l l u n g ; § 354 und 355: o d e r einem a n d e r n w i s s e n t l i c h eine s o l c h e H a n d l u n g g e s t a t t e t . 46 So in den §§ 150. 303. 304. 305. 339. In § 240 wird durch correctere Unterscheidung zwischen vollendeter und versuchter Nötigung der Nötigungsversuch in weiterem Umfange unter Strafe gezogen. 47 Es fällt weg § 140 des Entwurfs: unterlassene Anzeige des Vorhabens der Desertion; § 283 des Entwurfs: Abhaltung eines Andern vom Mit- oder Weiterbieten bei einer von Beamten vorgenommenen Versteigerung.

74

§ 14. 7. Der Entwurf des Bundesrats vor dem Reichstage.

verengt48 ; gründe B.

49

endlich

durch

Aufstellung

neuer

Strafausschliessungs-

.

A b w e i c h u n g e n b e z ü g l i c h des

1. B e i der

Gefängnisstrafe

wird

Strafensystems. der Arbeitszwang

fallen

gelassen u n d m i t der Zulässigkeit der Beschäftigung vertauscht. S t r ä f l i n g darf Beschäftigung verlangen. 2.

Die F e s t u n g s s t r a f e

wird

Der

§ 16. sowohl als lebenslängliche, wie

auch als zeitige Freiheitsstrafe m i t M a x i m u m von 15 Jahren anerkannt. §17.

In

Folge

Festung von

dessen w i r d

das M a x i m u m

der

Gesammtstrafe

in

10 auf 15 Jahre erhöht (§ 74) u n d erhalten die §§ 44.

57. 70 die i n H i n b l i c k

auf die angenommene lebenslängliche

Frei-

heitsstrafe nötige Ergänzung. 3.

Das

Einzelhaft

Maximum

der

wider W i l l e n

des

Sträflings

w i r d v o n 6 auf 3 Jahre vermindert.

zulässigen

§ 2250.

48 In einer Anzahl von Paragraphen, die sich wenden gegen den Widerstand wicler die Staatsgewalt, gegen die Aufforderung zum Ungehorsam wider Gesetze, Verordnungen oder obrigkeitliche Anordnungen und gegen die Uebertretungen der von Behörden erlassenen Einfuhrverbote, wird gleichmässig das Requisit aufgenommen, die Verordnungen müssten re c h t s g i i t i g , die Anordnungen von der Obrigkeit i n n e r h a l b i h r e r Z u s t ä n d i g k e i t getroffen, der Beamte i n der r e c h t m ä s s i g e n A u s ü b u n g seines Amtes begriffen, das Einfuhrverbot von der z u s t ä n d i g e n Behörde erlassen sein. Vgl. die §§ 110. 113. 116. 117. 327. 328. — In § 156 muss die eidesstattliche Versicherung gleichfalls vor einer zu deren Abnahme z u s t ä n d i g e n Behörde abgegeben sein. In § 110 wird die Anpreisung von strafbaren Handlungen durch ihre Rechtfertigung als strafbar fallen gelassen, in § 130 „Gewalttätigkeiten" für das weitere „Feindseligkeiten" gesetzt, in § 144 nur die Verleitung zur Auswanderung „unter Vorspiegelung falscher Tatsachen u. s. w." mit Strafe bedroht, in § 166 der Tatbestand der Blasphemie dadurch beschränkt, dass Jemand durch öffentliche beschimpfende gotteslästerliche Aeusserungen Aergerniss erregen muss und dass die „Gegenstände ihrer Verehrung, und ihre Lehren" nicht mehr als Angriffsobjecte betrachtet werden; in § 183 ist nur die v e r l e u m d e r i s c h e Beschimpfung des Andenkens Verstorbener beibehalten; in § 229 (Vergiftung) müssen die Stoffe geeignet sein die Gesundheit zu z e r s t ö r e n , nicht nur zu beschädigen; in § 302 werden die Requisite der gewinnsüchtigen Absicht und der Benutzung des Leichtsinns oder der Unerfahrenheit Minderjähriger aufgenommen, daneben wird der § 299 des Entw fallen gelassen. Nur scheinbar ist die Verengung in § 131. 49 Dies tun die neuen § § 1 1 und 12 des GB, vgl. freilich norddeutsche^Verfassungsurkunde Art. 22 und 30; ferner § 5 Nr 2 insofern, als die Verjährung der Strafverfolgung nach ausländischem Rechte den inländischen Strafanspruch tilgen soll; die §§ 199 und 233 insofern, als die Straflosigkeit der sog. Retorsion bei Beleidigungen und Körperverletzungen nicht mehr auf diese Vergehen, soweit sie Antragsvergehen sind, beschränkt wird. 50 Kleine Aenderungen bezüglich der provisorischen Entlassung finden sich in den §§ 23 und 25, vgl. mit den §§ 20 und 22 des Entw.

§ 14.

7. Der Entwurf des Bundesrats vor dem Reichstage.

4. V e r g e h e n s g e i d s t r a f e n können unter Umständen statt in Gefängniss i n H a f t umgewandelt werden. § 28. 5. Die A b e r k e n n u n g d e r b ü r g e r l i c h e n E h r e n r e c h t e hat den Verlust der Ruhe- und Gnadengehalte nicht von gemeinen Rechtes wegen zur Folge. § 33. 6. Der § 34 des Entwurfs, wonach „besondere zur Zeit des Erlasses dieses Gesetzes bestehende Vorschriften, welche den Verlust noch anderer, als der in den § § 3 0 und 31 bezeichneten Ehrenrechte an die Verurteilung wegen einer srafbaren Handlung knüpfen, durch die Bestimmungen der §§ 28—33 nicht berührt werden" sollen, ist fallen gelassen. 7. Die Nebenstrafe der C ο η f i s c a t i ο η ist auf vorsätzliche V e r b r e c h e n und V e r g e h e n beschränkt und die obligatorische Confiscation von Producten der strafbaren Handlung in eine facultative verwandelt. § 40, vgl. mit § 38 der Vorlage. 8. D i e B e f u g n i s s z u r S t e l l u n g u n t e r P o l i z e i a u f s i c h t wird nur der h ö h e r e n Landespolizeibehörde beigelegt. § 38 u. 39. C. A b w e i c h u n g e n i n d e n S t r a f d r o h u n g e n f ü r d i e e i n z e l n e n s t r a f b a r e n H a n d l u n g e n . Im grossen und ganzen hatte der Reichstag das Bestreben die Strafen des Entwurfs zu mildern. Er hat dieses auf sehr verschiedene Weise betätigt. 1. Die T o d e s s t r a f e wird für drei Fälle beseitigt 5 1 . 2. Das l e b e n s l ä n g l i c h e Z u c h t h a u s verschwindet als absolut bestimmte Strafe, teilweise durch Zulassung mildernder Umstände, teilweise durch alternative Androhung lebenslänglicher Festungshaft (§ 81, 1. § 88, 1; s. unter 4 c), teilweise durch Substituirung von Z u c h t h a u s a u f L e b e n s l a n g o d e r n i c h t u n t e r z e h n J a h r e n (§ 178. 215. 220. 229. 251. 307. 312. 315. 322. 323. 324). 3. Die F e s t u n g s h a f t erhält auf Kosten des Zuchthauses ein erweitertes Anwendungsgebiet 52 . I n enger Verbindung damit steht 51

Für alle vorsätzlichen Angriffe auf das Leben, die Freiheit und die Regierungsfähigkeit von Bundesfürsten, die nicht Mord oder Versuch des Mordes wider das Bundeshaupt, den eigenen Landesherrn oder den Landesherrn des Staates, in welchem sich der Täter aufhält, darstellen (§ 80); für Tätlichkeiten gegen den eigenen Landesherrn oder gegen den Landesherrn des Staates, in welchem sich der Täter aufhält (§ 94); für vorsätzliche Tötung bei Unternehmung einer strafbaren Handlung (§ 214). An ihre Stelle tritt in den §§ 80 und 94 lebenslängliches Zuchthaus oder lebenslängliche Festung, in § 214 Zuchthaus nicht unter 10 Jahren oder auf Lebenslang. 52 In § 102 a. A. tritt sie vollständig an Stelle des vom Entwurf angedrohten Zuchthauses; über die §§ 81 und 88, 1 s. Nr 2; in den §§ 83, 1. 85, 1. 86. 88, 2. 94, 1. 96, 1 (zweimal). 98, 1. 100, 1. 105, 1. 106, 1 tritt zeitige Festungshaft

76

§14.

7. Der Entwurf des Bundesrats vor dem Reichstage.

die Vermehrung der Fälle, wo neben ihr die öffentlichen Aemter abgesprochen werden können (s. die §§ 87, 3. 88, 3. 89, 3. 90, 3. 94, 1). 4. Eine Anzahl w e i t e r e r S t r a f m i l d e r u n g e n wird vorgenommen : a. durch Verweisung von Vergehen unter die Uebertretungen 53 ; b. durch Herabsetzung der Maxima oder Minima oder beider 5 4 ; c. durch gesetzliche Berücksichtigung mildernder Umstände 5 5 ; d. durch Aufnahme des § 75 al. 3, wonach die Gesammtdauer concurrirender Gefängniss- und Festungsstrafen 15 Jahre nicht übersteigen darf; e. durch Auflösung e i n e r strafbaren Handlung des Entwurfs in zwei Arten, unter Beibehaltung der Entwurfsstrafe für die schwerere Art56; f. durch Milderung der Nebenstrafen 57 ; g. durch Verengung des Tatbestandes (§ 101 vgl. mit § 99 des Entw); h. durch Unterwerfung des Sträflings unter das auswärtige Gesetz, sofern es das mildere ist (§ 4 Nr 3 a. E.); i. durch umfassendere Anerkennung der Retorsion als eines Strafmilderungsgrundes (§ 233 vgl. mit § 227, 2 des Entw). alternativ neben zeitiges Zuchthaus. Ausserdem darf nach dem neu aufgenommenen § 20 in den Fällen, wo Zuchthaus alternativ neben Festung angedroht ist, ersteres nur auf Handlungen, die „aus einer ehrlosen Gesinnung entsprungen" sind, angewandt werden. 53 Vgl. § 360 Nr 3 mit § 138 al. 2 der Vorlage; § 367 Nr 1 mit § 168 des Entw; § 370 Nr 4 mit § 292 des Entw. 54 § 88, 2 a. E. 89, 2. 112. 143, 1. 157. 185. 186. 189. 224. 226. 236 (hier nur für eine richtig als solche neu hervorgehobene privilegirte Unterart). 237. 242. 258. 272, 2. 291. 301. 313 (hier nur für eine richtig neu hervorgehobene privilegirte Unterart). 317 vgl. mit Entw 314, 2 und GB 318 vgl. mit Entw 315 (beide Male durch Fallenlassen einer qualificirten Unterart). 332, 2. 362, 2 (Herabsetz. des Max. der correctionellen Nachhaft). 366 Nr. 1 vgl. mit 356 Nr 9 des Entw. 55 § 87. 88, 1. 90. 92. 189. 250. 264. 308. 334. 351. Vgl. auch § 213, wo ausser der schuldlosen Gereiztheit noch andere „mildernde Umstände" berücksichtigt werden. 56 So in § 186 und § 187 vgl. mit Entw § 184. 57 § 95, 2 Verlust der Aemter statt der bürg. Ehrenr.; § 97 und § 301 Verlust der bürg. Ehrenr. ausgeschlossen ; in § 142 und § 143 wird der obligator. Verlust der bürg. Ehrenr. in einen facultativen, in § 40 vgl. mit Entw § 38 al. 2 die obligatorische Confiscation in eine facultative verwandelt; in § 319 kann die Unfähigkeit zum Eisenbahn- und Telegraphendienste auch nur für bestimmte Zweige dieser Dienste ausgesprochen werden.

§14.

7. Der Entwurf des Bundesrats vor dem Reichstage.

5. Umgekehrt aber greift auch zuweilen eine S t r a f s c h ä r f u n g Platz. Und zwar wird sie veranlasst entweder a. durch angeblich ungehörige Ignorirung einer qualificirten Unterart des Delicts im E n t w u r f 5 8 ; b. durch ungehörige Milde des Entwurfs 5 9 oder durch zu grosse Einengung des Tatbestandes im E n t w u r f 6 0 . D.

Abweichung in allgemeinen

Grundsätzen.

1. Gegenüber § 5 des Entw zum EG hebt § 5 des EG selbst die Stellung unter Polizeiaufsicht als particularrechtliche Strafart auf, erkennt aber die Entziehung öffentlicher Aemter als solche neu an. 2. Nach dem neuen § 7 des EG verjähren in drei Jahren Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften über Entrichtung der Branntweinsteuer, der Biersteuer und der Postgefälle. 3. Der Entwurf gestattet bei Antragsdelicten die Rücknahme des Antrags ganz richtig nur bis zur Eröffnung der gerichtlichen Untersuchung, das Gesetz erstreckt diese Rücknahmefrist bis zur „Verkündigung eines auf Strafe lautenden Erkenntnisses" (§ 64), im § 194 al. 2 sogar bei Verfolgung der Beleidigung im Wege der Privatklage „bis zum Anfange der Vollstreckung des Urteils", während die §§ 176, 3 und 177, 3 diese Frist nur bis zur Erhebung der „förmlichen Anklage bei Gericht" laufen lassen 61 . 4. Die Verjährung der Strafverfolgung soll nach § 88 durch Handlungen d e r S t a a t s a n w a l t s c h a f t nicht mehr unterbrochen werden: eine Veränderung sehr zweifelhaften Wertes 6 2 . 5. Das Gesetzbuch kennt im Gegensatz zum Entwürfe, wo das Bundesoberhaupt im Bundesfürsten untergeht, ersteres als selbständiges Angriffsobject für den Hochverrat und die schwerste Majestätsbeleidigung: § 80. 94. 95. 58

So qualificirt das Gesetz den Raub a u f e i n e r E i s e n b a h n i n § 250 Nr 3; die g e w i n n s ü c h t i g e Begünstigung des § 257, 1; das unberechtigte Fischen und Krebsen b e i N a c h t z e i t , b e i F a c k e l l i c h t oder u n t e r A n w e n d u n g s c h ä d l i c h e r oder e x p l o d i r e n d e r S t o f f e : § 296 vgl. mit § 292 des Entw und §370 Nr 4 des Ges; den Hausfriedensbruch s e i t e n s eines B e a m t e n i n A u s ü b u n g seines A m t e s : § 342. 59 So bei der activen und passiven Bestechung der Civilrichter und Schiedsrichter, vgl. § 334 mit den §§ 321 und 329 des Entw. 60 So § 239, wo die Freiheitsentziehung über eine W o c h e dieselbe Wirkung übt wie die über einen Monat im Entw. 61 Eine singulare Erstreckung der Antragsfrist bei wechselseitigen Beleidigungen in § 198, gegen § 193 des Entw. 62 § 72 über die Unterbrechung der Vollstreckungsveijährung enthält eine bedeutende, allerdings wesentlich redactionelle Verbesserung.

78

§ 15. 8. Das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund

6. § 152 schreibt die Einziehung des falschen Geldes sowie der in § 151 bezeichneten Gegenstände auch dann vor, wenn die Verurteilung einer bestimmten Person nicht stattfindet. E. Bezüglich der sog. B u s s e erhebt § 188 deren Betrag bei der Beleidigung der §§ 186 und 187 von 1000 auf 2000 Thaler; ebenso § 231, der aber ausserdem ihre Zulässigkeit auch noch bei fahrlässigen Körperverletzungen statuirt. I n beiden Fällen wird die Exclusivität der Busse gegenüber dem vor dem Civilrichter erhobenen Entschädigungsanspruch ausdrücklich hervorgehoben. § 15. 8. D a s S t r a f g e s e t z b u c h f ü r d e n N o r d d e u t s c h e n B u n d u n d s e i n E i n f ü h r u n g s g e s e t z v o m 31. M a i 1 8 7 0 . Sein I n h a l t 1 . I. Der Strafgesetz-Entwurf, wie ihn der Reichstag endgiltig festgestellt hatte, fand die Sanction durch einstimmigen Beschluss des Bundesrates in seiner Sitzung vom 25. Mai 1870 2 . U n t e r d e m 31. M a i v o l l z o g d a s B u n d e s o b e r h a u p t d i e U r k u n d e n des S t r a f g e s e t z b u c h s und seines E i n f ü h r u n g s g e s e t z e s und liess beide Gesetze d u r c h den B u n d e s k a n z l e r im B u n d e s g e s e t z b l a t t 1870 Nr 16 (S 195—273), ausgegeben zu Berlin am 8. Juni 1870, p u b l i c i r e n . EG § 1 bestimmt: „Das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund tritt im ganzen Umfang des Bundesgebietes mit dem 1. Januar 1871 in Kraft." I I . Der Gesetzesstoff ist in der Weise disponirt, die in der deutschen Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts üblich geworden ist. Er wird in zwei Teilen bewältigt. Der e r s t e T e i l (§ 13—79) handelt in 5 A b s c h n i t t e n „ v o n d e r B e s t r a f u n g d e r Yerb r e c h e n , V e r g e h e n und U e b e r t r e t u n g e n im A l l g e m e i n e n " , 1 Eine „Charakteristik des Gesetzbuchs", wie solche besonders R u b o S 78 ff., R ü d o r f f 3. Aufl. S 39 ff., v. S c h w a r z e S 10 ff. geben, ist hier absichtlich unterlassen worden. Zu dieser Charakteristik soll die dogmatische Darstellung des Gesetzesinhalts erst die einzelnen Züge liefern. Dagegen bedarf es hier eines Blickes auf sein Gefüge und den Umfang seines Inhalts, besonders um sein Verhältniss zu den übrigen gemeinrechtlichen Quellen hervortreten zu lassen. Eine nähere Betrachtung des EG unterbleibt hier, weil später auf dessen Inhalt ausführlich die Rede kommen muss. — Die Gesetzescitate dieses Paragraphen stimmen für das nordd. StGB, aber nicht alle für das revidirte StGB von 1876. 2 Prot des Bundesrates 1870 § 231. Es gereicht den Staaten, die mit prinzipiellen Anträgen in der Minorität geblieben waren, zum Ruhme, dass sie „in Berücksichtigung des nationalen Zweckes" dem Gesetzentwurfe ihre Zustimmung nicht vorenthielten.

und sein Einführungsgesetz vom 31. Mai 1870.

Sein Inhalt.

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und die ihm vorangestellten „ e i n l e i t e n d e n B e s t i m m u n g e n " (§ 1—12) gehören ihrem Inhalte nach nicht vor, sondern in diesen 1. Teil. Der z w e i t e T e i l handelt in 29 A b s c h n i t t e n „ v o n den e i n z e l n e n Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen und deren Bestrafung". A. Dieser „ z w e i t e T e i l " zerlegt sich seinem Stoffe nach in drei verschiedenartige Bestandteile: 1. in ein G e s e t z b u c h ü b e r d i e a l l g e m e i n e n V e r b r e c h e n u n d V e r g e h e n (Abschnitt 1—27, § 80—330) 3 ; 2. in ein G e s e t z b u c h ü b e r A m t s v e r b r e c h e n (Abschnitt 28, § 331—359); 3. in ein P o l i z e i s t r a f g e s e t z b u c h (Abschnitt 29), dessen §§ 360—370 sich der grössten Zahl nach als umfassende Mischgesetze darstellen. Die Vereinigung aller dieser Satzungen in e i n specifisches S t r a f gesetzbuch wird dadurch ermöglicht, dass der Gesetzgeber eine Formulirung der Normen nicht für notwendig erachtet und sie als bekannt voraussetzen darf. Demgemäss ist das Strafgesetzbuch frei von allen Normen, deren Uebertretung in ihm mit Strafe belegt wird, ja frei von allen Bezugnahmen auf Normen, soweit nicht B l a n k e t t s t r a f g e s e t z e 4 angewandt sind. ad 1. Das G e s e t z b u c h über die a l l g e m e i n e n V e r b r e c h e n u n d V e r g e h e n (§ 80—330) normirt im wesentlichen den grossen Verbrechensstoff, den die neuere Strafgesetzgebung aus dem früheren gemeinen deutschen Strafrecht entnommen und natürlich teils verkleinert, teils erheblich vergrössert, teils gewandelt hat. Wer dies Gebiet als Ganzes ins Auge fasst, nimmt vor allem befremdlich grosse Breschen wahr, welche das neue Gesetz in principieller Abweichung vom früheren gemeinen Rechte in dessen Strafgebiet gelegt hat. Straflos bleibt der Vergehensversuch, wo ihm nicht Strafe ausdrücklich gedroht i s t 5 , straflos bleiben durchweg die Beihilfe zu Uebertretungen und die Begünstigung derselben. Des weiteren zeigt das neue gemeine Recht die grösste Neigung, das staatliche Strafklagrecht, also indirect auch das staatliche Strafrecht, von der Disposition privater Persönlichkeiten abhängig zu machen 6 . Nicht nur wird die Erhebung der Anklage aus nicht weniger als 3 Vgl. über die notwendige Einschränkung dieser Bezeichnung unten S 81 Anm 14. 4 Ueber diesen Begriff s. unten § 34. 5 S. m. Grundriss § 61, 3. Aufl. S 116 ff. 6 S. m. Grundriss § 40 u. 44, 3. Aufl. S 92 u. 93, sowie unten Buch I I Abt. 2 Kap. 2.

§ 15. 8. Das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund

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33 Tatbeständen, unter denen sich die schwersten Unzuchtsverbrechen finden, vom Antrage des Verletzten, aus drei weiteren Tatbeständen von dessen Ermächtigung abhängig gemacht, sondern der gestellte Antrag ist auch nach § 64 regelmässig bis zur Verkündung eines auf Strafe lautenden Erkenntnisses rücknehmbar. I n beiden Beziehungen dürften der Ernst und die Vollständigkeit des früheren gemeinen Rechtes vor dem heutigen den Vorzug verdienen. Manche kaum zu entbehrenden Verbrechensbegriffe des früheren gemeinen Rechtes sind geschwunden: besonders die Amtsehrenbeleidigung 7 , die Maass- und Gewichtsfälschung 8 und der Wucher 9 , manche, wie besonders der der Nötigung und des Raubes, haben Einschränkungen erfahren, die — sachlich nicht erforderlich — die früher klaren Begriffe etwas getrübt haben. Aber andrerseits ist unleugbar, dass im grossen und ganzen ein zeit- und sachgemässer Ausbau des Strafrechts im Gesetze Gestalt gewonnen hat. Mit vollem Recht wurde insbesondere die Zahl der Strafdrohungen für gemeingefährliche und für fahrlässige Verbrechen erheblich vermehrt. Die Anlage des Gesetzes will nicht original sein : sie ist vollständig die des preussischen Strafgesetzes und macht wie diese auf streng systematische Anordnung des Verbrechensstoffes keinen Anspruch. Auffällig ist die vielfache Zerreissung zusammengehörigen Materials. Zum Teil wirkt hier die schlimme Dreiteilung der strafbaren Handlungen in Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen 10 ; mehr noch hat der freie Wille des Gesetzgebers geleistet. So begegnet man der Beleidigung in den verschiedensten Abschnitten, ein Fall des Diebstahls 11 treibt statt im 19. Abschnitt, der vom Diebstahl handelt, erratisch im 25. Abschnitte, ein Fall des Hochverrats (GB § 105) steht nicht im 1., sondern im fünften Abschnitt, und mitten unter den Verbrechen wider das Vermögen — von Meineid und Münzfälschung durch 13 Abschnitte getrennt — wird die Bestrafung der Urkundenfälschung geregelt, ja erst im 25. Abschnitt (§ 287) begegnet die Namens- und Firmenfälschung. Die sorgfältige Vereinigung aller Fälschungen an einer Stelle würde wohl eine grössere Annäherung der aufgestellten Fälschungsarten an einander bewirkt und die schlimme 7

GB § 196 handelt nicht von ihr. GB § 369, 2 bietet ganz ungenügenden Ersatz. 9 Ueber dessen Wiederaufnahme s. unten S 97. 10 S. m. Kritik S 44—49. Vgl. m. Grundriss S 88 if. - Sie hat u. a. die Absprengung kleiner Sachbeschädigungen, Diebstähle und Unterschlagungen, sowie deren Unterbringung in § 370 zur Folge. 11 GB § 291 : Aneignung verschossener Munition. 8

und sein Einführungsgesetz vom 31. Mai 1870.

Sein Inhalt.

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Uebergehung des nicht unter Eid gestellten Zeugnisses und Sachverständigen-Gutachtens vielleicht gehindert haben 1 2 . Interessanterweise bleibt eine grössere Anzahl von Verbrechen, die erst die neuere Zeit dogmatisch herausgearbeitet hat, dem Gesetzbuch fern — ein gegebener Stoff für Sonderstrafgesetze des Reichs. Vor allem ist hier auf d i e V e r l e t z u n g e n d e r U r h e b e r - u n d E r f i n d e r r e c h t e zu verweisen. Der Gesetzgeber empfand das Bedürfniss jene Rechte erst selbst zu normiren und ihre Verletzungen in den Gesetzen über das Urheber-, das Patent-, -das Markenrecht mit Strafe zu bedrohen. Man wird nicht fehlgehen, als Inhalt der ersten 27 Abschnitte des Gesetzbuchs den conventioneilen Strafgesetzbuchsstoff im Gegensatze zum Material der Polizeistrafgesetzbücher zu bezeichnen. Das gemeine Gesetzbuch ist deshalb auf Ergänzung durch Reichs-Sondergesetze angelegt. ad 2. D a s G e s e t z b u c h ü b e r d i e A m t s v e r b r e c h e n 1 3 . Dass bestimmte Stände ihre besonderen Pflichten und demgemäss ihre Sonderverbrechen haben, dass ihre Mitglieder für die gemeinen Verbrechen vielleicht auch im besonders hohen Maasse verantwortlich sind, muss zur Aufstellung eines Ständestrafrechts führen. Kleine Bruchteile eines solchen in Gestalt von Strafdrohungen wider Handlungen, die nicht von Jedermann, sondern nur von Personen in bestimmter Stellung begangen werden können, werden sich in jedem allgemeinen Gesetzbuche finden 1 4 . Je grösser aber ein Stand ist und 12

Selbst die V e r b r e c h e n w i d e r d i e P e r s o n sind nicht im Zusammenhang und kaum in der natürlichen Ordnung behandelt. Sie beginnen 1. mit den Angriffen wider den P e r s o n e n s t a n d (12. Absehn.); es folgen 2. die wider die G e s c h l e c h t s e h r e , mit denen Abschn. 13 auch Ehebruch, Bigamie und Incest verbindet; dann folgen 3. die Angriffe auf d i e E h r e ; dann 4. die auf L e b e n u n d G e s u n d h e i t , seltsamerweise mit dem Zweikampf eröffnend (15.—17. Abschn.); endlich 5. die Angriffe auf die F r e i h e i t (18. Abschn.). — Die V e r b r e c h e n w i d e r das V e r m ö g e n würden eine compacte Masse bilden (Abschn. 19—26), wenn nicht zwischen Betrug und Bankerott die Urkundenfälschung eingeschoben wäre. — Eine Ergänzung beider Gruppen bringt dann der 27. Abschn.: g e m e i n g e f ä h r l i c h e V e r b r e c h e n und V e r g e h e n . 13 „Achtundzwanzigster Abschnitt: Verbrechen und Vergehen im Amte." u Ihre Zahl im nordd. Strafgesetzbuch ausserhalb des 28. Abschn. ist nicht klein. Man beachte folgende Delicte von: 1. G e f a n g e n e n : § 122; 2. Z e u g e n : § 138. 154. 157; 3. S a c h v e r s t ä n d i g e n : § 138. 154. 157; 4. G e s c h w o r e n e n und 5. S c h ö f f e n : § 138; 6. W e h r p f l i c h t i g e n : § 140. 142. 143 ; 7. E h e g a t t e n : § 171. 172; 8. B l u t s v e r w a n d t e n : § 173; 9. V o r m ü n d e r n : § 174 Nr 1. 266 Nr 1; 10. A d o p t i v - und P f l e g e e l t e r n , G e i s t l i c h e n , L e h r e r n und E r z i e h e r n : § 174 Nr 1; 11. B e a m t e n : § 174 Nr 2 u. 3; 12. A e r z t e n , Binding, Handbuch. V I I . 1. I :

B i n d i n g , Strafrecht.

I.

6

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§ 15. 8. Das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund

je eigentümlicher und reichhaltiger sein Pflichtenkreis, um so angezeigter erscheint die Zusammenfassung der ihn betreifenden Strafgesetze, und so stellt das Strafgesetzbuch, wie es das frühere gemeine Recht auch getan hat, ein besonderes Beamtenstrafrecht auf. Der 28. Abschnitt unterscheidet nicht zwischen Reichs- und Landesbeamten; er fasst den Beamtenbegriff sehr weit und begreift darunter „alle im Dienste des Bundes oder in unmittelbarem oder mittelbarem Dienste eines Bundesstaates angestellten Personen, ingleichen Notare, nicht aber Advokaten und Anwälte" : GB § 359. Das Gesetzbuch verbindet in diesem Teile die Strafdrohungen wider Standesverbrechen der Beamten mit geschärften leges speciales gegen ausgewählte allgemeine Verbrechen derselben. Das Gesetz geht insoweit über das von ihm selbst gesteckte Ziel hinaus, als Abschnitt 28 einzelne Strafdrohungen auch gegen Nichtbeamte enthält 1 5 . Aber nicht einmal die von Reichswegen zu bedrohenden Amtsverbrechen -will es erschöpfen : die strafbaren Handlungen der Offiziere, die ja grundsätzlich nichts anderes als Beamte sind, und der sog. Militärbeamten lässt es bei Seite 1 6 . Ebenso das ganze übrige Ständestrafrecht. Diese Lücken haben ihre Ausfüllung durch das Militärstrafgesetzbuch und andere Sondergesetze des Reichs gefunden 17 . ad 3. D a s P o l i z e i s t r a f g e s e t z b u c h . Mit gutem Grunde behaupten die Motive zum 1. Entwurf des norddeutschen StrafgesetzW u n d ä r z t e n und a n d e r e n M e d i c i n a l p e r s o n e n : § 174 Nr 3. 278. 300; 13. C u r a t o r en, G ü t e r p f l e g e r n , S e q u e s t e r n , Masse- und S t i f t u n g s v e r w a l t e r n , V o l l s t r e c k e r n l e t z t w i l l i g e r V e r f ü g t i n g e n : § 266 Nr 1; 14. B e v o l l m ä c h t i g t e n : § 266 Nr 2, vgl. § 92 Nr 3; 15. F e l d m e s s e r n , V e r s t e i g e r e r n , M ä k l e r n u . s . w . : § 266 Nr 3; 16. K a u f l e u t e n : §281. 283; 17. I n h a b e r n eines ö f f e n t l i c h e n V e r s a m m l u n g s o r t e s : § 285; 18. S c h u l d n e r n : § 288; 19. P f a n d l e i h e r n : § 290. 360 Nr 12; 20. S c h i f f s r e i s e n d e n : § 297; 21. S c h i f f s m ä n n e r n : § 297. 298; 22. V o r s t e h e r n von E i s e n b a h n g e s e l l s c h a f t e n u. T e l e g r a p h e n a n s t a l t e n : § 320; 23. Rechtsa n w ä l t e n , A d v o k a t e n , N o t a r e n , V e r t e i d i g e r n , A p o t h e k e r n : § 300; 24. B a u l e i t e r n , B a u h e r r n , B a u m e i s t e r n , B a u h a n d w e r k e r n : § 330. 367 Nr 15; 25. b e u r l a u b t e n R e s e r v i s t e n , L a n d - und Seewehrmännern: § 360, 3; 26. u n t e r P o l i z e i a u f s i c h t G e s t e l l t e n und des Landes V e r w i e s e n e n : § 360 Nr 1 u. 2; 27. W i r t e n : § 365 Nr 2; 28. S c h l o s s e r n : § 369 Nr 1; 29. G e w e r b e t r e i b e n d e n : § 369 Nr 2 u. 3. 15 Wider S c h i e d s r i c h t e r , G e s c h w o r e n e und S c h ö f f e n : § 334.336; wider G e i s t l i c h e und R e l i g i o n s d i e n e r , auch wenn sie nicht Beamte sind: § 337. 338; wider A d v o k a t e n , A n w ä l t e und sonstige R e c h t s b e i s t ä n d e : § 352. 16 17 S. GB § 10. S. unten S 100 ff. u. § 25.

und sein Einführungsgesetz vom 31. Mai 1870.

Sein Inhalt.

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buchs S 186 die Notwendigkeit auch ein „gemeines Polizeistrafrecht" zu schaffen 18 , und es verstand sich von selbst, class dieses den gemeinrechtlichen Satzungen über die Verbrechen im engeren Sinne genau anzuschliessen, aber auch auf das Unentbehrliche zu beschränken war. Im ersten Entwürfe zerfielen die Strafdrohungen wider die Uebertretungen in 3 Abschnitte: Uebertretungen in Beziehung 1. auf d i e ö f f e n t l i c h e S i c h e r h e i t u n d O r d n u n g ; 2. auf d i e p e r s ö n liche Sicherheit und Freiheit; 3. auf das V e r m ö g e n . Diese Anlage ist trotz der Beseitigung der Abschnitte für das Gesetzbuch beibehalten 19 . Bedauerlich ist es, dass an Stelle des echten Polizei - Unrechts die „Uebertretung" den Inhalt des 29. Abschnitts ausmacht: eine ganze Anzahl echter Verbrechens-Tatbestände ist allein deshalb unter die Masse polizeilicher Strafdrohungen geraten 2 0 . Als charakteristisch für diesen Teil des Gesetzbuchs fällt die häufige Bezugnahme der Strafdrohung auf die Norm — und zwar seltsamerweise meist auf eine Norm des Particularrechts — in Gestalt des B l a n k e t t s t r a f g e s e t z e s auf. „Dass ein in diesem Sinne aufgestelltes gemeines Polizeistrafrecht nicht den Anspruch erheben darf, den Kreis der geringfügigen strafbaren Handlungen zu erschöpfen, bedarf kaum der Bemerkung 2 1 ." Die Sonderstrafgesetze des Deutschen Reichs sind deshalb vielfach Polizeistrafgesetze. B. Zu diesen drei Gesetzbüchern, die den 2. Teil des Gesetzbuchs füllen, bildet der „ E r s t e " T e i l den gemeinsamen allgemeinen Teil. Es ist ein grosses Verdienst, dass auch das Polizeistrafrecht diesen allgemeinen Bestimmungen unterworfen wurde 2 2 . Dieser 1. Teil ist aber noch mehr als nur die notwendige Ergänzung des zweiten: er enthält die allgemeinen Satzungen für alles im Deutschen Reiche giltige gemeine und particulare Straf- und Polizeistrafrecht über die „Strafen" (1. Abschnitt § 13—42), „Versuch" (2. Abschnitt § 43—46), „Teilnahme" (3. Abschnitt § 47—50), „Gründe, welche die Strafe ausschliessen oder mildern" (4. Abschnitt § 51—72), und das „Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen" (5. Abschnitt § 73—79), über das sog. örtliche Geltungsgebiet aller Reichs- und das zeitliche Geltungsgebiet aller Strafgesetze (Einleit. § 2—8). 18

S. auch Anhang I zu den Mot des Entw I I I : „Die Aufnahme der Uebertretungen und deren Behandlung im Entwurf." 19 S. zu 1 GB § 360—365; zu 2 § 366. 367; zu 3 § 368—370. 20 21 S. bes. § 370. Mot zu Entw I S 186. 22 S. die beachtlichen Ausführungen der Mot zu Entw I I I S 87. 6*

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§ 15. 8. Das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund

Nicht unbedenklich ist gegenüber dem Zwecke dieses 1. Teiles die Unvollständigkeit seines 4. Abschnittes bezüglich der Schuldausschliessungsgründe und sein Schweigen über die Gnade. Die nötigen Ergänzungen finden sich auch nicht in den Sonderstrafgesetzen des Reiches, in welche sie naturgemäss nicht hineingehören. I I I . Kein grosses Gesetz vermag sich derart auf seinen Gegenstand zu beschränken, dass es nicht in verschiedene Rechtsgebiete überzugreifen genötigt wäre. Und so bedarf es, damit das Verhältniss des Strafgesetzes zu den anderen Rechtsteilen klar werde, zum Schluss noch der Prüfung, wie weit es wirklich nur materielles Strafrecht, wie weit es Sätze aus anderen Rechtsgebieten enthält. 1. Zu den materiellen Strafgesetzen gehören natürlich auch alle Bestimmungen, dass ein Strafrecht n i c h t entstehen s o l l 2 3 , und alle criminellen Legaldefinitionen 24 . Dass eine materielle Satzung in die prozessuale Redeweise eingekleidet wird, dass statt der Durchführung des Strafrechts die Tätigkeit des Strafrichters oder des Vollstreckungsbeamten erwähnt wird, macht die Bestimmung noch nicht zu einer prozessualen 25 . 2. Eine Anzal von Bestimmungen gehört dem Strafrechte zwar an, aber ihm nicht allein. a. Es greifen in das D i sei ρ I i n a r r e c h t über die Satzungen der §§ 11 und 12. b. Es berühren z u g l e i c h das Gebiet des P r i v a t r e c h t s und d i e v e r s c h i e d e n s t e n Z w e i g e des ö f f e n t l i c h e n R e c h t e s die Rechts- und Fähigkeits-Verwirkungen, welche nach GB § 33—35 der Schuldige durch den Verlust der sog. bürgerlichen Ehrenrechte erleidet. c. Dem S t r a f r e c h t und dem V e r w a l t u n g s r e c h t gehören an und das P r i v a t r e c h t berühren die Satzungen über Einziehung von Gegenständen „ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder n i c h t " 2 6 . Diese Konfiskation ist gegen den unschuldigen 23 GB § 4 Abs. 1 (auch staatsrechtlich bedeutend). 46. 51—54. 163, 2. 204. 209. 227, 1 (Schlusssatz). 247, 2. 257, 2. 310. 370, 5. 24 GB § 1. 8. 52, 2. 53, 2. 82. 359. Die Gleichstellungen der §§ 149. 155. 311 gehören nicht hierher. 25 Man denke an die Wendungen: „es kann verfolgt werden"; „es ist zu erkennen" ; „es ist freizusprechen" ; „es kann erkannt werden" (vgl. dazu Normen I 15—17, bes. Nr 35—44). So sagt ζ. B. GB § 13: „die Todesstrafe ist durch Enthauptung zu vollstrecken" ; § 15 : die Zuchthaussträflinge sind „in der Strafanstalt zu den eingeführten Arbeiten anzuhalten". 26 GB § 295. 360 a. E. 367 a. E.

und sein Einführungsgesetz vom 31. Mai 1870.

Sein Inhalt.

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Eigentümer kein Straf-, sondern ein sein Eigentum aufhebender Verwaltungsakt. d. Dem S t r a f r e c h t und dem S t r a f p r o z e s s r e c h t gehören gemeinsam an die Satzungen α. über d i e S t r a f v e r f o l g u n g s - V e r j ä h r u n g (GB §66—69). Denn wenn schon das Straf k l a g recht verjährt, lässt seine Verjährung auch das Strafrecht selbst untergehen 2 7 ; ß. über A n t r a g u n d E r m ä c h t i g u n g 2 8 . Denn sind beide auch .zweifellos nur Voraussetzungen des Strafklagrechts, so liegt der Grundgedanke dieser Abhängigkeit der Klage von der Willens - Erklärung des Verletzten durchaus auf dem Gebiete des materiellen Strafrechts 29 ; y. über die a u s d r ü c k l i c h e Z u e r k e n n u n g e i n e r S t r a f e im U r t e i l 3 0 ; δ. über die Z u l ä s s i g k e i t eines n e u e n S t r a f v e r fahrens, u m d a r i n a u f V e r l u s t d e r b ü r g e r l i c h e n E h r e n r e c h t e z u e r k e n n e n (GB § 37); ε. ü b e r d i e U n z u l ä s s i g k e i t e i n e r S t r a f v e r f o l g u n g g e g e n P e r s o n e n , d i e z u r Z e i t d e r T a t das 12. L e b e n s j a h r n o c h n i c h t v o l l e n d e t h a b e n (GB § 55) u n d g e g e n N o r d d e u t s c h e i n d e n F ä l l e n des § 5. 3. N i c h t w e n i g S ä t z e l i e g e n g a n z a u f d e m G e b i e t e d e s S t r a f p r o z e s s e s . So statuirt § 4 Abs. 2 für die Verfolgung der im Auslande begangenen Verbrechen und Vergehen das Opportunitäts-Princip ; so ist § 4 ein Satz des internationalen Rechtshilferechts; so stellen die §§ 164, 2 und 191 ein Strafverfahren provisorisch still ; so fordert § 20 implicite die Aufnahme einer bestimmten Feststellung in die Entscheidungsgründe ; so handelt § 198 von prozessualen Rechten und Pflichten des bei wechselseitigen Beleidigungen zuerst Beklagten; so bestimmt § 190, wann die exceptio veritatis als erwiesen anzusehen sei. 4. Dem S t r a f p r o z e s s - u n d d e m V e r w a l t u n g s - R e c h t , aber nicht dem Strafrecht gehören a. d i e S a t z u n g e n ü b e r d i e d u r c h U r t e i l des S t r a f r i c h t e r s zu b e g r ü n d e n d e n V o l l m a c h t e n der V e r w a l t u n g s - , i n s b e s . d e r P o l i z e i b e h ö r d e n an. Durch Urteil 27 S. unten die Lehre von der Verjährung. Die Verjährung der rechtskräftig erkannten Strafe fällt m. E. ganz ins Gebiet des materiellen Strafrechts. 28 S. bes. GB § 61—65. 99. 101. 197. 29 S. darüber unten Buch I I Abt. 2 Kap. 2. 30 S. GB § 40, 2. 41. 161. 181, 2. 295. 335. 369 al. 2.

§1.

86

. Das Strafgesetzbuch für d

eutsche

wird die Z u l ä s s i g k e i t v o n P o l i z e i a u f s i c h t (GB §38. 39, vgL 284, 2), ferner die U e b e r w e i s u n g d e r V e r u r t e i l t e n an d i e L a n d e s - P o l i z e i b e h ö r d e (§ 362), endlich die U n t e r b r i n g u n g der f r e i g e s p r o c h e n e n j u g e n d l i c h e n Person in eine B e s s e r u n g s a n s t a l t (GB § 56, 2) verfügt; b. d i e S a t z u n g e n ü b e r das sog. o b j e c t i v e S t r a f v e r f a h r e n (GB § 42, vgl. § 152). Der Strafrichter hat Polizeimaassregeln anzuordnen auf Grund eines Verfahrens nach Maassgabe der Strafprozessordnung, welches aber in Ermangelung eines Angeklagten kein Strafverfahren ist; c. e n d l i c h w o h l a u c h d i e S a t z u n g e n , w o n a c h d e r S t r a f r i c h t e r dem V e r l e t z t e n die Befugniss zusprechen s o l l d i e V e r u r t e i l u n g auf K o s t e n des S c h u l d i g e n ö f f e n t l i c h b e k a n n t z u m a c h e n (GB § 165, 2. 200, 2). 5. Ebenso liegen die Bestimmungen über die B u s s e (GB § 188, 231) ausserhalb des Strafrechts. Soweit sie den Adhäsions-Prozess gestatten, sind sie s t r a f - und c i v i l p r o z e s s u a l e r Natur, soweit sie die Höhe der zulässigen Bussforderung normiren, schlagen sie i n das C i v i l r e c h t ein. IV. Fasst man endlich die Satzungen des Strafgesetzbuchs als bejahende Rechtssätze ins Auge, so wollen sie allerdings zum weitaus grössten Teil die Entstehung und den Inhalt der Strafrechte regeln 3 1 , im übrigen aber statuiren sie auch Rechte und Pflichten des Strafrichters und der Strafverfolgungsbehörden, Rechte der Verwaltungsbehörden, und in weiterem Umfange Rechte des Verletzten: sein Recht des Antrags und der Ermächtigung, sein Recht das Urteil auf Kosten des Schuldigen zu publiciren, sein Recht auf Busse und auf Adhäsion mit der Bussklage. § 16.

9. D a s S t r a f g e s e t z b u c h f ü r das D e u t s c h e u n d d e s s e n E r g ä n z u n g d u r c h d e n § 1 3 0 a.

Reich

Mit einer Schnelligkeit, welche die kühnsten Hoffnungen übertraf, vollendete das norddeutsche Strafgesetzbuch den Weg zum ersehnten Ziele: in das gemeine deutsche Strafgesetzbuch umgewandelt zu werden. I. A u s d e h n u n g des G e s e t z e s a u f S ü d h e s s e n u n d B a d e n . I n Versailles schlossen am 15. November 1870 der König 31

Dahin gehören auch alle Paragraphen, welche Rechte und Pflichten der Strafvollstreckungsbehörden begründen, die implicite auch dem Sträfling Rechte gegen den strafenden Staat gewähren.

nd dessen Ergänzung durch den § 130 a.

87

von Preussen im Namen des Norddeutschen Bundes und die Grossherzöge von Baden und von Hessen — letzterer für die südlich vom Main belegenen Teile des Grossherzogtums — einen „ewigen Bund", welcher den Namen „Deutscher Bund" führen w i r d 1 . Seine Verfassung sollte vertragsmässig am 1. Januar 1871 in Kraft treten 2 . Der § 80 dieser Verfassung bestimmt die im Norddeutschen Bunde ergangenen Gesetze, welche „zu Gesetzen des Deutschen Bundes erklärt" werden. „Wo in diesen Gesetzen von dem Norddeutschen Bunde, dessen Verfassung, Gebiet, Mitgliedern oder Staaten, Indigenat, verfassungsmässigen Organen, Angehörigen, Beamten, Flagge u. s. w. die Rede ist, sind der Deutsche Bund und dessen entsprechende Beziehungen zu verstehn." Nach § 80 I I sollte nun das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund vom 31. Mai 1870 sammt dessen Einführungsgesetz in Kraft treten: 1. in Südhessen „vom Tage der Wirksamkeit dieser Verfassung" an, also an demselben Tage wie in den Ländern des früheren Norddeutschen Bundes; 2. in Baden am 1. Januar 1872 3 . II. A u s d e h n u n g des G e s e t z e s a u f Württemberg. Durch den Vertrag, geschlossen Berlin 25. November 1870 zwischen dem Könige von Preussen, den Grossherzögen von Baden und Hessen einerseits und dem König von Württemberg andererseits, trat Württemberg der in Versailles unter dem 15. November 1870 vereinbarten Verfassung b e i 4 : danach sollte hier das Strafgesetzbuch mit seinem Einführungsgesetze am 1. Januar 1872 in Kraft treten. IH. A u s d e h n u n g des G e s e t z e s a u f B a y e r n . An demselben Orte wurde am 23. November 1870 stipulirt: „I. Die Staaten (!) des Norddeutschen Bundes und das Königreich Bayern schliessen einen ewigen Bund, welchem das Grossherzogtum Baden und das Grossherzogtum Hessen . . . . schon beigetreten sind (!) und zu welchem der Beitritt des Königreichs Württemberg in Aussicht steht. — Der Bund heisst der Deutsche Bund(!) 5 ." Laut Z. I I § 26 dieses Vertrages fällt der bisherige Art. 79 der Bundesverfassung weg und wird durch einen neuen Art. 79 ersetzt. Dieser erklärt eine Anzal von Gesetzen des Norddeutschen Bundes mit derselben Maassgabe wie § 80 des Vertrags mit Baden und Hessen für Bundesgesetze; darunter das 1 3 ß

BGBl des Nordel. Bundes 1870 Nr 51 S 627 if. 4 Das. Nr 51 S 648. 649. Das. S 654. 655. S. BGBl des Deutschen Bundes 1871 Nr 5 S 9 ff.

2

Das. S 651.

§1.

88

. Das Strafgesetzbuch für d

eutsche

Strafgesetzbuch mit seinem Einführungsgesetz, welches in Bayern vom 1. Januar 1872 an in Kraft treten sollte 6 . Unter I I I § 8 war jedoch bestimmt, dass „in Anbetracht der vorgerückten Zeit" der Art. 79 Anwendung nur finden solle in Betreff des Wahlgesetzes für den Reichstag vom 31. Mai 1869 (Art. 79 Nr 13). I m übrigen — hiess es — „bleibt die Erklärung der im Norddeutschen Bunde ergangenen Gesetze zu Bundesgesetzen für das Königreich Bayern . . . . der Bundesgesetzgebung vorbehalten" 7 . I n Folge dessen bestimmte das Gesetz, betr. die Einführung norddeutscher Bundesgesetze in Bayern, vom 22. April 1871 § 7 8 : „Das Strafgesetzbuch vom 31. Mai 1870 und das Einführungsgesetz zu demselben treten am 1. Januar 1872 in Geltung. An Stelle der Vorschriften des § 4 des gedachten Einführungsgesetzes hat es für Bayern bis auf weiteres bei den einschlägigen Bestimmungen des Militärstrafrechts, sowie bei den sonstigen gesetzlichen Vorschriften über das Standrecht sein Bewenden." IV. D a s S t r a f g e s e t z b u c h f ü r das D e u t s c h e R e i c h . An Stelle der durch jene Verträge mit Baden, Hessen, Württemberg und Bayern vereinbarten „Verfassung des Deutschen Bundes" trat nun kraft des Gesetzes betr. die \rerfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 9 die diesem Gesetz beigefügte Verfassungsurkunde für das Deutsche Reich. I n § 2 des benannten Gesetzes (nicht der Verfassung selbst) werden die in § 80 der Verfassung des Deutschen Bundes (§ 79 des Vertrags mit Bayern) bezeichneten Gesetze, darunter das norddeutsche Strafgesetzbuch sammt seinem Einführungsgesetze, zu „Reichsgesetzen" erklärt. „Wo in denselben von dem Norddeutschen Bunde, dessen Verfassung, Gebiet, Mitgliedern oder Staaten, Indigenat, verfassungsmässigen Organen, Angehörigen, Beamten, Flagge u. s. w. die Rede ist, sind das Deutsche Reich und dessen entsprechende Beziehungen zu verstehen." Die Bestimmungen jener Verträge bezüglich des Termins, an welchem das Strafgesetzbuch sammt seinem Einführungsgesetz in Hessen, Baden und Württemberg 1 0 in Kraft treten sollte, blieben dadurch ganz unberührt. Der Missstand nun, dass ein Reichsstrafgesetz vorlag, welches nicht für das Reich redigirt war, veranlasste Bayern zu dem wohl motivirten Antrage vom 17. April 1871 u , der Bundesrat möge den von 6 8 11

7 BGBl des Deutschen Bundes 1871 Nr 5 S 16 u. 17. Das. S 21. 9 10 Das. S 89. A. a. 0. S 63 ff. Wegen Bayerns vgl. oben s. III. Drucks, des Bundesrats 1871 Nr 62.

lind dessen Ergänzung durch den § 130 a.

89

Bayern umredigirten Entwurf des „Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich" zu dem seinen machen. Diesem Antrag trat der Bundesrat in seinem Beschlüsse vom 1. Mai 1871 1 2 bei. Und so kam nach unveränderter Annahme des Entwurfs durch den Reichstag das „ G e s e t z , b e t r e f f e n d d i e R e d a c t i o n des S t r a f g e s e t z b u c h s für den N o r d d e u t s c h e n B u n d als S t r a f g e s e t z b u c h f ü r das D e u t s c h e R e i c h v o m 15. M a i 1 8 7 1 " zu Stande 1 3 . Der „Einzige Paragraph" des Gesetzes besagt: „Das S t r a f g e s e t z b u c h f ü r d e n N o r d d e u t s c h e n B u n d v o m 31. M a i 1 8 7 0 e r h ä l t u n t e r der B e z e i c h n u n g als » S t r a f g e s e t z b u c h für das D e u t s c h e R e i c h « v o m 1. J a n u a r 1 8 7 2 a n d i e b e i liegende Fassung." S e l t s a m e r W e i s e i s t d i e U m r e d i g i r u n g a u f das E i n f ü h r u n g s g e s e t z v o m 31. M a i 1 8 7 0 n i c h t m i t e r s t r e c k t , und da auch die Revision vom 26. Februar 1876 dasselbe unangetastet lässt, so h a t d i e s e s s e i n e u r s p r ü n g l i c h e F o r m b i s z u m h e u t i g e n T a g e e r h a l t e n , und sind die unrichtigen Ausdrücke, die es als Einführungsgesetz zum Reichsstrafgesetzbuche darbietet, nur nach Maassgabe des Gesetzes betr. die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 § 2 al. 2 1 4 umzudeuten. Als Redactionsgesetz darf sich aber das Gesetz vom 15. Mai 1871 mit seiner Beilage nur insofern bezeichnen, als es die tiefgreifenden Aenderungen, welche die oben berührten Verträge und schliesslich das Gesetz betr. die Verfassung des Deutschen Reiches § 2 durch ihre Interpretationsvorschrift mit zalreichen Bestimmungen des norddeutschen Strafgesetzbuchs vorgenommen hatten, nun in den Text des Gesetzes ausdrücklich einfügt. Verglichen mit dem norddeutschen Strafgesetzbuch darf das Reichsgesetzbuch durchaus nicht nur als eine neue Redaction desselben bezeichnet werden: es unterscheidet sich von jenem sachlich gerade so stark wie das Reich vom Norddeutschen Bunde. Denn 1. an Stelle des „Norddeutschen Bundes" oder des „Bundes" ist getreten: 12

Prot § 184. RGBl 1871 Nr 24 (ausgeg. Berlin den 14. Juni 1871) S 127—205. Ueber die Beratungen des Gesetzentwurfs (Drucks, des Reichstags I. Session 1871 Nr 89 S 203—207) s. die Sten. Berichte über die I. Session des Reichstags 1871 I 556. 557 (1. Lesung in der Sitzung vom 5. Mai), S 571—575 (2. Lesung in der Sitzung vom 8. Mai), S 609 (3. Lesung in der Sitzung vom 9. Mai). 14 RGBl 1871 S 63. 13

§1.

90

. Das Strafgesetzbuch f r d

eutsche

a. das „Deutsche Reich": § 3. 4. 7. 8. 37. 81. 87. 88. 89. 90. 91. 92. b. das „Reich": § 10. 11. 12. 84. 104. 135. 3 5 9 1 δ ; 2. an Stelle von „des Bundes, des Zollvereins": „des Reichs": § 105. 197; 3. an Stelle des „Gebietes des Norddeutschen Bundes" : das „Bundesgebiet": § 81 Nr 3 ; 4. an Stelle des „Bundespräsidiums" t imd „Bundesoberhauptes" : der „Kaiser": § 145. — § 80. 94. 95; 5. an Stelle des „Bundesheers": das „deutsche Heer": § 31. 34. 112; 6. an Stelle der „Bundesmarine" : die „kaiserliche Marine": § 31. 34. 112; 7. an Stelle des „Norddeutschen" : der „Deutsche" : § 4. 9. 10. 37. 87. 88. 89. 90. 102. 107. 141. 144; 8. an Stelle des „Norddeutschen Bundes" : das „Reich (und) der Norddeutsche Bund": § 149; 9. an Stelle des „Stempels eines norddeutschen Eichungsamtes" : der „gesetzliche Eichungsstempel" : § 369 Nr 2 ; 10. in den §§ 102 und 103 sind die „nicht zum Norddeutschen Bund gehörenden deutschen Staaten" als Angriffsobjecte vollständig fallen gelassen und die al. 1 und 2 beider Paragraphen in je eine einzige alinea zusammengefasst. V. E i n f ü h r u n g des Strafgesetzbuchs f ü r das D e u t s c h e R e i c h i n E l s a s s - L o t h r i n g e n . Es darf eine glückliche Fügung genannt werden, dass das Deutsche Reich im Stande war die durch Art. 1 des Präliminarfriedens vom 26. Februar 1871 an Deutschland abgetretenen Gebiete Eisass und Lothringen alsbald mit einem Strafgesetzbuche zu beschenken, welches ebenso wie der Code pénal ein grosses Reich beherrschte und jedenfalls diesen an Güte weit übertraf. Hatte das „Gesetz, betr. die Vereinigung von Eisass und Lothringen mit demi Deutschen Reiche vom 9. Juni 1871" in § 3 die Ausübung der gesetzgebenden Gewalt dem Kaiser unter Zustimmung 15

Aus den Mot zum Ges vom 15. Mai 1871 teilt R ü d o r f f , Commentar 1. Aufl. S XIV ** (3. Aufl. S 35. 36) die Stelle mit: „Wenn statt des Ausdruckes »Norddeutscher Bund« in der Vorlage bald die Fassung: »Deutsches Reich«, bald blos das Wort »Reich« gewählt wird, so beruht solches auf einer absichtlichen Unterscheidung. Der Ausdruck »Deutsches Reich« ist nämlich tiberall da gebraucht, wo ein bestimmter Gegensatz zum Auslande hervortritt, oder sonst das Wort »deutsches« zu betonen ist, während in den übrigen Fällen nur vom Reiche gesprochen wird."

nd dessen Ergänzung durch den § 130 a.

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des Bundesrates übertragen, so machte der Kaiser von dieser Befugniss schon durch Gesetz „gegeben Bad Gastein, den 30. August 1871" 1 6 Gebrauch und verordnete in Art. 1 dieses Einführungsgesetzes zum Reichsstrafgesetzbuch für Eisass - Lothringen : „ D a s a n l i e g e n d e S t r a f g e s e t z b u c h f ü r das D e u t s c h e R e i c h t r i t t i n E i s a s s L o t h r i n g e n m i t d e m 1. O c t o b e r 1 8 7 1 i n K r a f t . Die Bestimmungen des Gesetzbuches, in welchen von Bundesstaaten oder deren Beziehungen die Rede ist, finden auch auf EisassLothringen und dessen entsprechende Beziehungen Anwendung." Das Einführungsgesetz vom 31. Mai 1870 zum norddeutschen Strafgesetzbuch wurde hier nicht mit eingeführt, gilt also nicht im ganzen Reiche. An seine Stelle ist gerade für Elsass-Lothringen das Gesetz vom 30. August 1871 getreten. VI. E r g ä n z u n g des S t r a f g e s e t z b u c h s d u r c h den § 130a. Da die Reichsregierung durch traurige Ereignisse besonders in Bayern von der Unzulänglichkeit der §§ 130 und 131 des Strafgesetzbuchs überzeugt wurde, „sobald es auf Fälle ankommt, in denen die verpönte Handlung durch Missbrauch des geistlichen Amtes begangen wird", sah sich der Bundesrat genötigt auf Antrag* Bayerns vom 16. November 1871 1 7 dem Reichstag in der zweiten Session des Jahres 1871 eine Vorlage zu machen, zufolge deren m i t z w e i J a h r e n G e f ä n g n i s s bestraft werden sollten: Religionsdiener, welche gelegentlich ihrer Amtsausübung öffentlich vor einer Menschenmenge oder von der Kanzel herab in friedensgefährdender Weise Angelegenheiten des Staates zum Gegenstand ihrer Erörterung machen 18 . Die Gesetzesvorlage gab im Reichstage in den Sitzungen vom 23., 25. und 28 November 1 8 7 1 1 9 zu den heftigsten Debatten Anlass, wurde aber mit einer kleinen redactionellen Aenderung und unter Umwandlung der Strafe in „ G e f ä n g n i s s o d e r F e s t u n g s h a f t bis zu zwei Jahren" am 28. November mit grosser Majorität angenommen und vom Kaiser unter dem 10. December 1871 vollzogen. Das „ G e s e t z , b e t r . d i e E r g ä n z u n g des S t r a f g e s e t z b u c h s f ü r d a s 16

GBl für Elsass-Lothringen 1871 Nr 14 (ausgeg. Berlin den 4. Sept. 1871, S 255 if.) Das Gesetz zält 16 Artikel. 17 Prot des Bundesrats 1871 § 573. 580. 590; Drucks. Nr 171. 18 Der „Gesetzentwurf, betr. die Ergänzung des StGB für das Deutsche Reich" findet sich sammt Motiven in den Drucks, der zweiten Session des Reichstags 1871 Nr 103 S 267. 268. Vgl. Nr 114 „Uebersicht der Vorschriften fremder Gesetzgebungen über einen staatsgefährlichen Missbrauch des geistlichen Amtes" das. S 289 und 389; ferner Nr 125 S 297 und Nr 127. 19 S. Sten. Ber. I 163—486 (1. Les.); S 516—545 (2. Les.); S 569—589 (3. Les.).

92

§ 17.

10. Das revidirte Reichsstrafgesetzbuch v. 26. Febr. 1876.

D e u t s c h e R e i c h v o m 10. D e c e m b e r 1 8 7 1 " erschien im RGBl 1871 Nr 49 (ausgegeben den 14. December) S 442. Es trat mit dem 28. December 1871, in Bayern, Württemberg und Baden wohl aber erst am 1. Januar 1872 in Kraft. Durch Gesetz vom 15. Juli 1872 wurde § 130 a auf Elsass-Lothringen ausgedehnt 20 . § 17.

10. D a s r e v i d i r t e R e i c h s s t r a f g e s e t z b u c h 26. F e b r u a r 1 8 7 6 1 .

vom

Es ist ein Unheil unserer Zeit, dass dem Gesetze die Eigenschaft der Dauerhaftigkeit mehr und mehr abhanden kommt: ehe es einbürgert, wird es geändert, und je mehr der Rat befolgt werden wird über Unvollkommenheiten des ursprünglichen Entwurfes wegzusehen in gläubiger Zuversicht auf eine baldige Revision 2 , um so ungenügender werden diese Revisionen selbst ausfallen. Ein Beleg für die Wahrheit dieses Satzes ist die Revision, der das Reichsstrafgesetzbuch nach kaum vieij ähriger Dauer unterworfen wurde 3 . I n zwei Punkten bedurfte das Gesetz allerdings einer Correctur. Redactionsversehen, um deren Nachweis sich vor Allen S on t a g 4 und S c h ü t z e 5 verdient gemacht hatten, mussten sorgfältig beseitigt 6 , und die Antragsvergehen als solche entweder vollständig gestrichen 7 , oder wenigstens das Antragsrecht vererblich 8 und der gestellte Antrag unwiderruflich gemacht werden 9 . Bei diesen Aenderungen blieb 20

GBl für Elsass-Lothringen 1872 Nr 19 (ausg. Berlin 30. Juli 1872) S 531. Für die Revision kommen in Betracht P r o t o k o l l e des B u n d e s r a t s 1874: § 43. 111. — 1875: § 303. 445. Drucks. Nr 73. 98. 103. 104. — 1876: § 74. 105. — Ueber die \7erhandlungen cles Reichstags s. unten 8 94. 2 S. oben S 66. 3 S. darüber den guten Aufsatz von v. S c h w a r z e , GS 1876 S 367 if.; ferner S c h w a r z e , Ergänzungen zu dem Commentar, Heft 1 (1876) S 1 — 3; B e r n e r , Lehrbuch, 8. Aufl. Anhang, betr. die Strafrechtsnovelle von 1876, S 626—640; R ü d o r f f , Commentar 3. Aufl. S 48 —53; M eve s, Die Strafgesetznovelle vom 26. Febr. 1876 (1876) S 1—18; ν. W ä c h t e r , Beilagen I 215—220. 4 Besonders in s. Schrift: Die Redactionsversehen des Gesetzgebers. Freiburg i. Br. 1874. 5 Besonders in dem Aufsatze bei GA X X 1872 S 351-373. 6 Dies ist bei der Revision nur zum Teile versucht worden und nicht einmal immer gelungen. S. auch H ä l s c h n e r I 66. So besagt der angeblich berichtigte § 102 dem Wortlaute nach noch heute, dass der Totschlag an einem auswärtigen Fürsten, begangen zu Berlin in hochverräterischer Absicht, nur mit Festungshaft von höchstens 10 Jahren bestraft werden dürfe. 7 Was m. E. das allein Sachgemässe wäre. 8 9 Dies ist nicht geschehen. Dies ist nicht vollständig geschehen. 1

§ 17.

10. Das revidirte Reichsstrafgesetzbuch v. 26. Febr. 1876.

das Gesetz im grossen und ganzen, blieb das stabilirte Verhältniss der einzelnen Teile zu einander unberührt. Die Revision aber, wie sie schliesslich der Bundesrat dem Reichstage vorschlug, sollte weit mehr sein als nur eine Verbesserung unerträglicher Fehler, und weit weniger als eine Gesammtrevision: ungenügend vorbereitet veranlasste die Vorlage mehrfach den Reichstag·, anerkannt Reformbedürftiges wegen Unreife der Reformvorschläge und ihrer Motive ungeändert fortbestehen zu lassen. Die Anregung zur Revision gab Preussen in der Sitzung des Bundesrates vom 31. Januar 1874 1 0 . Am 21. Februar 1874 forderte der Bundesrat die Regierungen auf ihre Revisionsanträge dem Reichskanzleramte mitzuteilen 1 1 . „Die Mehrheit der Regierungen hat sich für eine jetzt vorzunehmende Revision ausgesprochen." Es gingen im ganzen 471 Abänderungsvorschläge ein, von Bayern allein 90, von Preussen 6 0 1 2 . Ein daraufhin ausgearbeiteter Entwurf mit Motiven wurde unterm 28. September 1875 dem Bundesrate unterbreitet 1 3 , dort durch Beschluss vom 17. November 1875 mehrfach abgeändert und trotz preussischen Widerspruchs insbesondere der originellsten Bestimmungen des Revisors über eine moderne Friedensbürgschaft 14 beraubt 1 δ . Durch Anschreiben vom 23. November 1875 legte der Reichskanzler den Entwurf, wie solcher vom Bundesrate beschlossen worden, nebst Motiven dem Reichstage v o r 1 6 . Dieser Entwurf bestand aus vier Artikeln, deren dritter und vierter über die Umrechnung der Thaler in Mark und über die Vollmacht des Reichskanzlers den Text auf Grund der Revision und unter Weglassung der §§ 287 und 337 neu zu publiciren unverändert angenommen worden sind 1 7 . Art. I I beantragte 6 neue Paragraphen in das Gesetz einzuschalten, und zwei Paragraphen (92 und 361) um 10

11 Prot des Bundesrats 1874 § 43. Das. § 111. Nach M eves a. 0. S 5. 6. S. das. auch die kurzen Angaben über den Inhalt der Anträge. 13 Prot des Bundesrats 1875 § 303, Drucks. 1875 Nr 73. Sehr interessanter Bericht des Justizausschusses das. Nr 98. Der Verfasser ist nicht bekannt geworden. — Auf diesen Entwurf bezieht sich die Schrift von F u c h s , Zur Revision des deutschen StGB. Breslau 1876. 14 Die einschläg. Bestimmungen s. auch bei F u c h s a. 0. S 57. 58. 15 S. Prot § 445, auch R ü d o r f f a. 0. S 45. 16 Er bildet Nr 54 der Anlagen zu den Sten. Ber. zweiter Legislaturperiode dritter Session 1875—1876 I I I 155—192. 17 Sie bilden Art. IV und V des aus fünf Artikeln bestehenden Ges vom 26. Febr. 1876 (s. unten S 51). 12

94

§ 17.

10. Das revidirte Reichsstrafgesetzbuch v. 26. Febr. 1876.

je eine Ziffer zu erweitern. Zwei dieser neuen Paragraphen, 49 a und 353 a, von denen jener die erfolglose Anstiftung zu Verbrechen unter Strafe stellen möchte, dieser sich gegen bestimmte Pflichtwidrigkeiten von Beamten im Dienste des auswärtigen Amtes des Deutschen Reiches wendet, danken den Fällen Duchesne und Graf Arnim ihre Entstehung. Art. I endlich beantragte nicht weniger als 53 Paragraphen des Gesetzes abzuändern. Die erste Lesung des Entwurfs im Reichstage fand am 3. December 1875 statt 1 8 . Dr. L e o n h a r d t begründete die Vorlage wesentlich durch den Hinweis auf die hervorgetretene ungenügende Repressivkraft des Reichsstrafgesetzbuchs und auf die Redactionsversehen, während Dr. L ask er in eingehender Rede den Vorwurf, es sei das Strafgesetzbuch allzumild, bekämpfte und die „politischen Paragraphen" der Vorlage (§ 85. 92, 4. 110. 111. 128. 130. 131) ganz im Sinne des Hauses als unannehmbare „Kautschukparagraphen" bezeichnete 19 . Der Reichstag acceptirte den Antrag der Abgeordneten L ask e r und H a e n e i , nur 16 Paragraphen einer ad hoc zu bestellenden Commission zu überweisen, über den Rest der Vorschläge des Entwurfes in die zweite Beratung einzutreten 20 . Die zweite Lesung der Vorlage im Reichstage fand statt am 14. December 1875 2 1 , am 20. 21. 22. 24. 27. 28. 29. Januar 18 7 6 2 2 , die dritte Lesung am 9. und 10. Februar 1876 2 3 . Nur mit wesentlichen Abänderungen, insbesondere Verkürzungen ward die Regierungsvorlage angenommen 24 . Der Bundesrat sanctionirte seinerseits den 18

Sten. Ber. I 385 if. Es wurden diese Paragraphen sämmtlich sozusagen einstimmig abgelehnt. 20 Die Commission bestand aus 14 Mitgliedern: Dr. Sim so η war Vorsitzender, das mündliche Referat erstattete Dr. v. Schwarze. Vgl. auch v. S c h w a r z e , Ergänzungen S 2. 21 Sten. Ber. I 621-657. 22 Sten. Ber. I I 787—805. 807—823. 825—845. 847—878. 939—969. 971—999. 1001—1030. — Die Zusammenstellung der Beschlüsse zweiter Lesung mit der Regierungsvorlage s. in Nr 181 der Anlagen: Sten. Ber. Ι Π 632 if. 23 Sten. Ber. I I 1302—1337. 1339—1364. - Vgl. Nr 238 der Anlagen: Sten. Ber. I I I 766 ff. 24 Vollständig unverändert blieben trotz dçr Anträge der Regierung die §§ 5. 44 (wo der ganz verfehlte Antrag den Begriff des beendigten Versuchs behufs der Strafabstufung zu verwerten mit Recht zurückgewiesen wurde). 68 (guter Verbesserungsvorschlag abgelehnt). 85. 110. 111. 128. 130. 131. 133. 348. — Ohne darauf gerichteten Regierungsvorschlag wurde nur § 114 geändert. — Welche Paragraphen eine neue Gestalt erhalten haben, und welche neu eingefügt worden sind, ergiebt die Zusammenstellung in § 13 meiner Einleitung. 19

§ 17.

10. Das revidirte Reichsstrafgesetzbuch v. 26. Febr. 1876.

Gesetzentwurf in der Fassung des Reichstages durch Beschluss vom 27. Februar 1876 2 5 . Das „ G e s e t z , b e t r e f f e n d d i e A b ä n d e r u n g v o n B e s t i m m u n g e n des S t r a f g e s e t z b u c h s f ü r das D e u t s c h e R e i c h v o m 15. M a i 1 8 7 1 u n d d i e E r g ä n z u n g d e s s e l b e n , v o m 26. F e b r u a r 18 7 6 " 2 6 ändert in seinem Artikel I 44 Paragraphen des Reichsstrafgesetzes und fügt in seinem Art. I I demselben 6 neue Paragraphen und eine weitere Ziffer zu § 361 zu. Das Einführungsgesetz blieb auch von dieser Abänderung unberührt. Durch Bekanntmachung vom 26. Februar 187 6 2 7 publicirte der Reichskanzler den „ T e x t des S t r a f g e s e t z b u c h s f ü r das D e u t s c h e R e i c h , wie er sich aus d e n d u r c h das b e z e i c h n e t e G e s e t z (vom 26. Februar 1876) f e s t g e s t e l l t e n A e n d e r u n g e n der Fassung e r g i e b t " 2 8 . Da 2 Paragraphen (287 und 337) weggefallen waren, dagegen 7 Doppelparagraphen, der § 130a schon früher 2 9 , ins Gesetz Aufnahme gefunden hatten, so zälte das Gesetz trotz seiner angeblich nur 370 Paragraphen in Wahrheit 375 Paragraphen. I n d i e s e r s e i n e r n e u e n F o r m t r a t das G e s e t z am 20. M ä r z 1 8 7 6 i n K r a f t . Vergleicht man das Strafgesetzbuch vom 26. Februar 1876 mit dem vom 15. Mai 1871 und sieht man von den verbesserten Redactionsversehen einmal ab, so liegt die wichtigste Verbesserung auf dem Gebiete der Antragsverbrechen. Im Gegensatz zur früheren Regel darf nach dem revidirten Strafgesetzbuche der gestellte Antrag ausser in besonders statuirten Ausnahmefällen nicht mehr zurückgenommen werden. Bei den wichtigsten Unzuchtsverbrechen, bei Nötigung und Bedrohung, bei unberechtigtem Fischen und Krebsen ist das Erforderniss des Antrags ganz gefallen 3 0 ; in § 263 und 292 ist es nur in beschränktem Umfange beibehalten worden. Im übrigen tritt aus den Aenderungen eine entschiedene Tendenz zur Ausdehnung des Gebietes der strafbaren Handlungen, hie und da auch zur Erhöhung der Strafen entgegen. Die wichtigsten Neuerungen sind folgende. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit aller Beamten des Reichs 25

Prot des Bundesrats 1876 § 74. 105. 27 RGBl 1876 Nr 6 8 25—38 (ausg. Berlin 6. März 187 6). Das. S 39. 28 29 Das revidirte Gesetz folgt das. S 40—120. S. oben S 91 f. 30 S. die §§ 176. 177. 240. 241. 296. 370 Nr 4. Der Versuch des Entwurfs auch die leichte Körperverletzung in ein Officialdelict zu verwandeln, misslang. 26

§18.

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11. Aenderungen des Reichsstrafgesetzbuchs

und der Bundesstaaten für alle im Ausland begangenen Amtsverbrechen und Amtsvergehen wurde durch § 4 Nr 1 statuirt, die Verantwortlichkeit der Beamten des auswärtigen Amtes durch § 353 a (§ Arnim) wesentlich erweitert, die Minima der Strafen des Widerstandes gegen Beamte in den Fällen der §§ 113. 114. 117 wurden dagegen erhöht. Zwischen der leichten und der schweren Körperverletzung ist die durch das lebensgefährliche Mittel und die hinterlistige oder lebensgefährliche Art der Begehung ausgezeichnete eingeschoben worden (223 a). Der sog. Kanzelparagraph (§ 130 a) ist auf die Verbreitung von Schriftstücken durch Geistliche, in welchen Staatsangelegenheiten in einer friedensgefährdenden Weise behandelt werden, ausgedehnt worden. Als neues, zum Teil recht bedenkliches Vergehen fand die erfolglose Anstiftung zu Verbrechen oder zur Teilnahme an solchen, die Annahme einer solchen Aufforderung, sowie das sich Erbieten zu Verbrechen oder zur Teilnahme an solchen, an falscher Stelle des Gesetzbuchs — im allgemeinen, statt im speciellen Teile — Aufnahme (§ 49a, sog. § Duchesne) 31 . § 18. 11. A e n d e r u n g e n des R e i c h s s t r a f g e s e t z b u c h s v o m 26. F e b r u a r 1 8 7 6 b i s z u m 24. M a i 1 8 8 0 . I. Schon vor der Revision vom 26. Februar 1876 hatte das Strafgesetzbuch zwei Paragraphen an besondere Reichsgesetze verloren, welche die einschlagende Materie allgemein zu regeln unternahmen 1 . Die Anlage des Gesetzes im ganzen blieb davon unberührt. Leider aber ist neuerdings ein ganzer Abschnitt aus ihm herausgestossen worden: der 24. über „Bankeratt" (§ 281—283). Es war das unzweckmässig und unnötig. Allerdings wurde schon im Einführungsgesetz vom 31. Mai 1870 § 2 al. 3 „ein Bundesgesetz über den Konkurs" vorgesehen, welches auch über die Strafbarkeit des Konkurses der Nichtkaufleute zu entscheiden haben sollte. Dies Gesetz ist in Gestalt der „ K o n k u r s o r d n u n g v o m 10. F e b r u a r 1 8 7 7 " 31

Da Belgien auf Antrieb der deutschen Regierung das entsprechende Ges vom 7. Juli 1875 in Anlass bekannter Vorgänge gegeben hatte, glaubte das Deutsche Reich auf dem gefährlichen Weg noch einen bedeutenden Schritt über das belg. Vorbild hinaus machen zu sollen. Dieses spricht nur von solchen Verbrechen, auf denen Tod oder Zwangsarbeit (travaux forcés) steht, das deutsche Gesetz von allen „Verbrechen". 1 § 287 ist durch Ges über Markenschutz vom 30. Nov. 1874 § 14. 18. 20, § 337 durch Ges über Beurkundung des Personenstandes vom 8. Febr. 1875 § 67 aufgehoben worden.

vom 26. Februar 1876 bis zum 24. Mai 1880.

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(in Kraft seit dem 1. October 1879) erschienen 2 . Seine strafrechtlichen Bestimmungen (§ 209—214) schliessen sich den §§ 281—283 des Gesetzbuchs aufs engste an und bauen diese nur aus. Richtig wäre also gewesen in der Konkursordnung zu bestimmen, dass an Stelle jener §§ 281—283 die folgenden Bestimmungen als die §§ 281 bis 283c zu treten hätten. Dies ist nicht geschehen! I I . Andrerseits ist das Strafgesetzbuch um ein neues Verbrechen bereichert worden. Es war die höchste Zeit clem gemeingefährlich gewordenen Gebahren der Wucherer mittels Criminalisirung des W u c h e r s entgegenzuwirken. Dies ist geschehen durch „ G e s e t z , b e t r . d e n W u c h e r " , vom 24. Mai 1880, in Kraft vom 14. Juni 1880 3 . Dieses Gesetz aber bestimmt in Art. 1: „Hinter den §302 des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich werden die folgenden neuen §§ 302 a, 302 b, 302 c, 302d eingestellt." HI. Durch das Wuchergesetz vom 24. Mai 1880 Art. 2 hat § 360, 12 eine erweiterte Fassung erhalten. W ä h r e n d also das r e v i d i r t e S t r a f g e s e t z b u c h v o m 26. F e b r u a r 1876 au s 29 A b s c h n i t t en u n d 375 P a r a g r a p h e n b e s t a n d , b e s t e h t das z u r Z e i t g i l t i g e G e s e t z aus n o m i n e l l 2 9 , i n W a h r h e i t aus 28 A b s c h n i t t e n , u n d a u s n o m i n e l l 370, i n W a h r h e i t aus 376 P a r a g r a p h e n . Das allgemeine Strafgesetzbuch gilt heute in dritter officielle*· Redaction, in Wahrheit in fünfter Form! § 19. 12. D i e u n m i t t e l b a r e R ü c k w i r k u n g des g e m e i n e n Strafgesetzbuchs auf die Strafgesetzgebung der Bundesstaaten1. Gegenüber dem norddeutschen Strafgesetzbuche gerieten die einzelnen Bundesstaaten in ebenso schwierige als ungewohnte Lage. Jenes enthielt zwingend gemeines Recht und legte durch sein Inkrafttreten eine gewaltige Bresche in das Strafrecht aller norddeutschen, und ein Jahr später auch in das der süddeutschen Staaten. Zugleich gab es sich als ein unvollständiges, der Schöpfung von Landesrecht Raum lassendes Gesetz, deutete aber die Grenzlinien, bis zu 2

RGBl 1877 Nr 10 S 351 ff. RGBl 1880 Nr 10 (ausgegeben Berlin 31. Mai 1880) S 109 ff. 1 Vgl. besonders H e i n z e , Das Verhältniss des Reichsstrafrechts zu dem Landesstrafrecht. Mit besonderer Berücksichtigung der durch das norddeutsche Strafgesetzbuch veranlassten Landesgesetze. Leipzig 1871. — S. auch die Literatur zu dem Abschnitte über gemeines und particulares Strafrecht in Buch I Abt. 2 Kap. 3. 8

Binding, Handbuch. V I I . 1. I :

B i n d i n g , Strafrecht. I.

7

98

§ 19.

12. Die unmittelbare Rückwirkung des gemeinen StGB

welchen das Landesstrafrecht ausser Kraft treten sollte, mehr an, als dass es sie in festen Strichen ausgezeichnet hätte. Die nächste Folge war Ungewissheit des Rechtsbestandes in den deutschen Staaten, die nächste Aufgabe dieser Staaten selbst Beseitigung dieser Ungewissheit. Die Mittel zu diesem Zwecke aber waren sehr schwer zu handhaben: denn das für die Staaten genehmste, für die Autorität des gemeinen Rechtes schädlichste — die Füglichkeit authentischer Auslegung des gemeinen Rechtes — hatte ihnen die Bundesverfassung versagt. Damit aber nicht genug! Das Particularrecht, das neben dem Reichsrecht fortgelten sollte, musste zu diesem gestimmt werden: die Strafgesetze der einzelnen Staaten durften nur die in § 5 des EG vom 31. Mai 1870 bezeichneten Strafen und Strafgrössen androhen. Es handelte sich also um eine notgedrungene Reduction aller zu hohen Strafen, und überall da, wo das Strafensystem des Bundesstaates mit dem des gemeinen Gesetzes nicht übereinstimmte, um eine notgedrungene Abänderung jenes Strafensystemes selbst. Des weiteren enthielt das gemeine Recht keine oder ungenügende Bestimmungen über den Strafvollzug, insbesondere über den Vollzug der Freiheitsstrafe, über Einzelhaft, über provisorische Entlassung, über Stellung unter Polizeiaufsicht: in allen diesen Richtungen hatte die Particulargesetzgebung das Reichsrecht zu e r g ä n z e n . I n einigen wenigen Fällen forderte eine absichtliche Undeutlichkeit des gemeinen Gesetzes die authentische Interpretation durch die einzelnen Staaten und war diesen die Möglichkeit gegeben, ein gemeinrechtliches „Kann" in ein landesrechtliches „Muss" zu verwandeln. Die wesentlichen Aenderungen auf dem Gebiete des Strafensystems und ganz besonders bezüglich der Dauer der Ehrenstrafen mussten den Gedanken nahe legen, ob nicht durch Landesgesetze eine Ausgleichung der rechtskräftig erkannten Strafen mit dem neuen Strafrecht vorzunehmen sei? Endlich bedurfte es durchweg einer neuen Verteilung der Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen an die Strafgerichte verschiedener Ordnung, und einer ganzen Anzahl weiterer prozessualer Bestimmungen. So hatten die Staaten reichsten Anlass zu neuer Strafgesetzgebung, und in Erwägung der Unentbehrlichkeit einer solchen nahm das EG vom 31. Mai 1870 § 8 die selbstverständliche Bestimmung auf: „Der Landesgesetzgebung bleibt vorbehalten, Uebergangsbestimmungen zu

auf die Strafgesetzgebung der Bundesstaaten.

99

treffen, um die in Kraft bleibenden Landesstrafgesetze mit den Vorschriften des Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund in Uebereinstimmung zu bringen." Die Landesgesetzgebung hat nun im grossen und ganzen ihre Aufgabe mit Ernst wenn auch mit verschiedenem Geschicke in Angriff genommen. Diese Tätigkeit im einzelnen zu verfolgen liegt ebenso ausserhalb unserer Aufgabe, wie die Betrachtung des reichen Anbaues, welchen das durch EG § 2 al. 2 der Landesgesetzgebung überlassene Gebiet erhalten hat 2 . Auf zwei principielle Verschiedenheiten im Verhalten der deutschen Staaten ist aber an dieser Stelle hinzuweisen. 1. Nur drei Staaten haben — und zwar der Sache nicht zum Frommen — auf ein Einführungs- oder Ausführungsgesetz zum norddeutschen Strafgesetzbuche verzichtet: P r e u s s e n , W a l d e c k und L a u e n b u r g . Allerdings hatte Preussen wegen des nahen verwandtschaftlichen Verhältnisses zwischen dem preussischen und dem norddeutschen Strafgesetzbuche etwas weniger Anlass zu solchem Gesetz, aber immer noch genug 3 . Alle anderen deutschen Staaten haben derartige AusführungsGesetze oder -Verordnungen erlassen 4 . 2 Auf die Frage, wo die Landesgesetzgebung durch authentische Auslegung, durch versuchte Abänderung, durch unberechtigte Ergänzung des gemeinen Rechts Ueberschreitungen ihrer Zuständigkeit sich hat zu Schulden kommen lassen, wird unten Buch I Abteil. 2 Kap. 3 zurückzukommen sein. 3 Einen sehr ungenügenden Ersatz bietet die „Allgemeine Verfügung vom 28. Dec. 1870, betr. die Zuständigkeit der Gerichte in Strafsachen nach dem Bundesstrafgesetzbuch", die der Justizminister lediglich „an die Beamten der Staatsanwaltschaft" (!) erliess, JMB1 1870 S 380. 4 Die erste höchst sorgfältige Zusammenstell, derselben gab H e i n z e a. a. 0. S 4—20. Ueber seine Kritik dieser Einführungsgesetze s. unten § 61 if. — Von einigen kleinen bei solchen Zusammenstellungen kaum vermeidlichen Incorrectheiten abgesehen ist durchaus zuverlässig das Verzeichniss bei R ü d o r f f , Commentar 2. Aufl. S 63—70 (in der 3. Aufl. leider weggefallen). — Einen andern Zweck verfolgt die Uebersicht von Κ ays er, HH IV 5—39, die viele Unrichtigkeiten enthält und die Quelle, wo der einzelne Erlass zu finden ist, unpraktischer Weise nicht angiebt. — Es ist sehr zu bedauern, dass R ü d o r f f seinen Plan der Herausgabe sämmtlicher Landeseinführungsgesetze nicht ausgeführt hat. Das hervorragendste derselben ist das b a y e r i s c h e . Sie hier zusammenzustellen ist kein Bedürfniss. Sie sind in den Jahrgängen 1870 unci 1871 der Landesgesetzsammlungen leicht zu finden. Für S a c h s e n kommt ausser der AV vom 31. Mai 1870 das AG vom 15. April 1873, für S a c h s e n - W e i m a r ausser dem provisorischen Ges vom 17. Nov. 1870 das Ges vom 27. Febr. 1872 in Betracht. 7*

§20.

100

1. Die Militärstrafgesetzgebung

2. I m Interesse der Sicherheit des Rechtsbestandes hat eine Anzahl Staaten 5 ihre früheren Strafgesetzbücher vollständig oder wenigstens nur unter Vorbehalt einzelner besonders bezeichneter Bestimmungen vom 1. Januar 1871 resp. vom 1. Januar 1872 an ausser Kraft gestellt. Es sind: 1. B a y e r n 6 ; 2. W ü r t t e m b e r g 7 ; 3. B a d e n 8 ; 4. H e s s e n 9 ; 5. S a c h s e n - W e i m a r 1 0 ; 6. O l d e n b u r g 1 1 ; 7. B r a u n s c h w e i g 1 2 ; 8. A n h a l t 1 3 ; 9. H a m b u r g 1 4 . Analog verfuhr 10. B r e m e n mit dem früheren gemeinen Rechte 1 5 . I n allen andern Staaten, besonders in P r e u s s e n , S a c h s e n , den beiden M e c k l e n b u r g , den übrigen thüringischen F ü r s t e n t ü m e r n , ebenso in E l s a s s - L o t h r i n g e n , ist es Frage der Auslegung, ob eine Satzung der früheren Strafgesetzbücher oder des früheren gemeinen Rechts durch das neue gemeine Recht aufgehoben worden ist oder nicht. III.

Die

M i l i t ä r s t r a f g e s e t z g e b u n g des N o r d d e u t s c h e n B u n d e s u n d des D e u t s c h e n R e i c h s 1 .

§ 20.

1. V o r d e m E r l a s s des M i l i t ä r s t r a f g e s e t z b u c h s f ü r das D e u t s c h e R e i c h .

Da nach der Verfassung des ND. Bundes Art. 63 „die gesammte Landesmacht des Bundes ein einheitliches Heer bilden soll, welches in Krieg und Frieden unter dem Befehle Sr. Majestät des Königs von Preussen als Bundesfeldherrn steht", da nach Art. 53 derselben Verfassung die Bundeskriegsmarine gleichfalls eine einheitliche, unter preussischem Oberbefehl stehende sein soll, da ein einheitliches Heer 5

Leider nicht die Mehrheit, wie R ü d o r f f , Commentar S 62 meint. 7 Ges ν. 26. Dec. 1871 Art. 1 u. 2. Ges v. 26. Dec. 1871 Art. 1. 8 9 Ges ν. 23. Dec. 1871 Art. 1. Ges v. 30. Dec. 1870. 10 Dies allerdings erst durch Ges v. 27. Febr. 1872. 11 12 Υ v. 17. Dec. 1870 Art. 1. Ges v. 22. Dec. 1870 § 1. 13 14 Ges v. 30. Dec. 1870 § 1. Ges v. 21. Dec. 1870 I. 15 Ges v. 30. Dec. 1870 § 1: „Das gemeine deutsche Strafrecht, wie es durch die Praxis ausgebildet bisher in Bremen gegolten hat, ist aufgehoben." — B a y e r n , B r a u n s c h w e i g und A n h a l t setzten auch ihre früheren Polizeistrafgesetzbücher in complexu ausser Kraft. Nicht taten dies W ü r t t e m b e r g , B a d e n und Hessen. 1 S. Prot des Bundesrats 1870: § 132. 207; 1872: § 69. 116. 277. 324. Drucks. Nr 20. 31. — Ueber die Verhandlungen des Reichstags s. unten § 24. — Vgl. R u b o , MStGB. Berlin 1872. S 9 if. R ü d o r f f , MStGB. 2. Aufl. Berlin 1878. S V I ff. K o p p m a n n , Das MStGB. Mit Commentar. Nördlingen 1875. S 1-18. 6

vor dem Erlass des MStGB.

101

notwendig sofort eine einheitliche Militärgesetzgebung verlangt, so war es durchaus sachgemäss, dass Art. 61 der Bundesverfassung unter Vorbehalt eines neuen umfassenden „Bundes-Militärgesetzes" verordnete : „Nach Publikation dieser Verfassung ist in dem ganzen Bundesgebiete die gesammte preussische Militärgesetzgebung ungesäumt einzuführen" 2 . Auf Grund dieser Bestimmung befahl die „Verordnung, die Einführung des preussischen Militärstrafrechts im ganzen Bundesgebiete betr., vom 29. December 1867" 3 § 1: „Das in Preussen geltende Militärstrafrecht, insbesondere das Strafgesetzbuch für das preussische Heer vom 3. April 1845 . . . wird hiermit im ganzen übrigen Bundesgebiete eingeführt." Dennoch behielt das K ö n i g r e i c h S a c h s e n sein Militärstrafgesetzbuch vom 4. Nov. 1867, welches, im wesentlichen dem preussischen nachgebildet, an Stelle des sächsischen Militärstrafgesetzbuchs vom 11. August 1855 getreten war. I n die zwischen dem N D . B u n d e und B a d e n sammt H e s s e n vereinbarte „Verfassung des Deutschen Bundes" vom 15. November 1870, ebenso in die Reichsverfassung vom 16. April 1871 wurde Art. 61 der ND. Bundesverfassung unverändert aufgenommen. In H e s s e n südlich des Mains ist das preussische Militärstrafgesetzbuch schon mit der Bundesverfassung in Kraft getreten. Laut kaiserlicher Verordnung vom 24. November 1871 4 „treten die Bestimmungen Unserer Verordnung vom 29. December 1867 . . . hiermit auch f ü r das G r o s s h e r z o g t u m B a d e n in Kraft". Anders ging es mit B a y e r n und W ü r t t e m b e r g . In dem „Vertrag, betr. den Beitritt Bayerns zur Verfassung des Deutschen Bundes, vom 23. November 1870" heisst es in I I I § 5 5 : „die Artikel 61—68 finden auf Bayern keine Anwendung. . . Bayern behält zunächst seine Militärgesetzgebung." Ebenso bestimmt die „Militärconvention zwischen dem Norddeutschen Bunde und Württemberg" vom 21/25. November 1870 Art. 10 al. 3 6 , dass bezüglich des Militärstrafrechts „in dem Königreiche Württemberg die derzeit bestehenden Gesetze . . . vorerst und bis zur Regelung im Wege der Bundesgesetzgebung in Geltung verbleiben". So galten also im Deutschen Reiche trotz der Einheitlichkeit des deutschen Heeres vier Militärstrafgesetzbücher neben einander: 2 4 6

3 BGBl 1867 Nr 1 S 18. BGBl 1867 Nr 13 S 185. 5 RGBl 1871 Nr 46 S 401. BGBl 1871 Nr 5 S 19. BGBl 1870 Nr 51 S 660. 661.

§ 20.

102

1. Die MStGG vor dem Erlass des MStGB.

1. das w ü r t t e m b e r g i s c h e M i l i t ä r s t r a f g e s e t z b u c h vom 20. J u l i 1 8 1 8 in Württemberg; 2. das p r e u s s i s c h e M i l i t ä r s t r a f g e s e t z b u c h vom 3. A p r i l 1 8 4 5 in ganz Deutschland mit Ausnahme der drei Königreiche Bayern, Sachsen und Württemberg; 3. das s ä c h s i s c h e M i l i t ä r s t r a f g e s e t z b u c h vom 4. N o v e m b e r 1 8 6 7 in Sachsen; 4.

das b a y e r i s c h e M i l i t ä r S t r a f g e s e t z b u c h

vom 29.

A p r i l 18 6 9 in Bayern. Dieser Zustand war durch und durch anomal und auf die Dauer unhaltbar 7 . Die vier Gesetze stammten aus sehr verschiedenen Zeiten und repräsentirten verschiedene Epochen der Gesetzgebung ; v i e r Militärstrafgesetzbücher neben e i n e m allgemeinen Strafgesetzbuche erschienen um so unerträglicher, als ja die deutsche Kriegsmacht ein einheitliches Heer bilden sollte; endlich war das allgemeine Strafgesetzbuch genötigt gewesen, die allgemeinen Grundsätze über die Bestrafung von Verbrechen festzustellen, denen das Militärstrafrecht gleichfalls unterworfen werden musste, während zur Zeit der Geltung jener vier Gesetzbücher „zwischen dem deutschen Civilstrafrechte und dem Militärstrafrechte Verschiedenheiten in den a l l g e m e i n e n maassgebenden Grundsätzen" bestanden, „die mit innerer Notwendigkeit eine Ausgleichung erheischen, wenn das Militärstrafrecht nicht hinter den Anforderungen der Wissenschaft und denjenigen Anforderungen, die an eine gute Rechtspflege zu machen sind, zurückbleiben, nicht der Gefahr der Isolirung und damit der Erstarrung Preis gegeben werden s o l l " 8 . I n richtiger Würdigung der Sachlage stellten bereits bei Beratung des Strafgesetzbuchs im Reichstage des Norddeutschen Bundes die Abgeordneten L a s k e r , v. B e r n u t h , v. H o v e r b e c k und Genossen den Antrag: „Der Reichstag wolle beschliessen: den Bundeskanzler aufzufordern, baldmöglichst eine Vorlage des Bundesrates über die Revision der Militärstrafgesetze herbeizuführen" . . Λ Bei der Verhandlung über den Antrag in der Sitzung vom 30. März 1870 erklärte der Bundesbevollmächtigte Graf v. R ο ο η : es könne darüber gar kein Zweifel bestehen, dass sich die Militärstrafgesetzgebung der allgemeinen Landesgesetzgebung anzuschliessen habe und dass, wenn das neue 7

Vgl. die betr. Ausfuhr, der Einleit. zu den Mot des Entw eines MStGB 8 für das Deutsche Reich S 14 u. 15. So die Mot a. Ο. 9 Der Antrag bildet Nr 38 der Drucks. Die Debatte s. Sten. Ber. I 561—574. Der Antrag wurde mit 117 gegen 73 Stimmen angenommen.

§ 21. 2. Die Komplikation der Aufgabe eines MStGB.

103

Civilstrafgesetzbuch zu Stande kommen sollte, auch das Militärstrafrecht modificirt werden müsse." Nachdem das a l l g e m e i n e Strafgesetzbuch zu Stande gekommen war, beschloss der Bundesrat in der Sitzung vom 10. Juni 1870 den Reichskanzler zu ersuchen, „die baldige Ausarbeitung des Entwurfs eines Bundesgesetzes herbeizuführen, durch welches das materielle Militärstrafrecht dem neuen Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund in passender Weise angeschlossen w i r d " 1 0 . Unter dem 6. März 1871 wandte sich demgemäss der Reichskanzler an den preussischen Kriegsminister Gr. v. R o o n mit der Bitte die Aufstellung des Entwurfs eines gemeinen deutschen Militärstrafgesetzbuchs veranlassen zu wollen. Der Minister betraute mit dieser Aufgabe mittels Schreiben vom 20. März 1871 den General auditor und bekannten Commentator der preussischen Militärstrafgesetzgebung F l e c k 1 1 . § 21.

2. D i e K o m p l i k a t i o n d e r A u f g a b e strafgesetzbuchs.

eines

Militär-

Die Zeit zur Aufstellung eines Militärstrafgesetzbuchs konnte gar keine günstigere sein, als diejenige war, worin die Entwürfe zum deutschen Militärstrafgesetzbuch gefertigt wurden. Der gewaltige Krieg der Jahre 1870 und 1871 hatte die Schwächen und Lücken der bisherigen Strafgesetze unerbittlich enthüllt: war das preussische Militärstrafgesetzbuch als ausreichend wohl für den Frieden aber nicht für den Krieg bezeichnet worden 1 , so lagen jetzt Erfahrungen genug vor das neue Gesetz auch den Verhältnissen des Krieges gerecht werden zu lassen. Verglichen mit der Aufgabe der allgemeinen Strafgesetzgebung stellte sich das neue gesetzgeberische Problem in einer Beziehung als wesentlich leichter zu lösen dar: die schwierige Grenzregulirung zwischen gemeinem und particularem Rechte war hier nicht von nöten ; denn es konnte keinem Zweifel unterliegen, dass das ges am m t e M i l i t ä r s t r a f r e c h t vom Reiche erschöpfend zu codificiren war. I m übrigen aber ist der Gegenstand eines allgemeinen Strafgesetzbuches ein relativ einfacher, gehalten gegen denjenigen, den die Militärstrafgesetzgebung zu erschöpfen hat. Es gilt, um ein gerechtes Urteil gegen die Entwürfe und das Gesetz zu ermöglichen, jenen in seinen 10 11 1

Prot des Bundesrats 1870 § 132. 207. Diese Daten aus R u b ο s Ausgabe des MStGB S 13. S. die Einleit. zu den Mot sub Y.

§21.

104

2. Die Komplikation der Aufgabe eines MStGB.

einzelnen Teilen vollständig zu erfassen und die Teile scharf von einander abzugrenzen. I. Das in ein Militärstrafgesetzbuch aufzunehmende V e r b r e c h e n s g e b i e t umfasst keineswegs nur delieta propria von Militärpersonen: vielmehr 1. nehmen die letzteren Teil an den Pflichten aller Gesetzesuntertanen, deren Verletzungen als sog. gemeine Verbrechen bestraft werden. Allein ebenso wie bei den gemeinen Verbrechen der Beamten sind häufig bei den gemeinen Verbrechen von Militärpersonen besondere Strafdrohungen erforderlich. D a s G e s e t z m u s s a l s o z u n ä c h s t diese b e s o n d e r e n S t r a f d r o h u n g e n für die g e m e i n e n V e r b r e c h e n der d e u t s c h e n H e e r e s a n g e h ö r i g e n , der K r i e g s g e f a n g e n e n und der a u s l ä n d i s c h e n O f f i z i e r e , w e l c h e zu dem k r i e g f ü h r e n d e n Heere zugelassen sind, enthalten. 2. Specifisch militärische Rechtspflichten treten für Militärpersonell neben die gemeinen Pflichten aller Gesetzesuntertanen und liefern die Grundlage für die specifisch militärischen Verbrechen, die von keiner andern als einer Militärperson begangen werden können. E s i s t d i e z w e i t e H a u p t a u f g a b e des M i l i t ä r S t r a f g e s e t z b u c h e s , d i e s e s p e c i f i s c h m i l i t ä r i s c h e η V e r b r e c h e n g e n a u zu f o r m u l i r e n u n d sie m i t den a n g e m e s s e n e n S t r a f e n a u s z u statten. Auch hierbei sind die Kriegsgefangenen und die zum deutschen Heere zugelassenen Offiziere zu berücksichtigen. Dass unser Heer aus zwei durchaus heterogenen Bestandteilen, Landheer und Marine, besteht, erschwert diese Aufgabe nicht unbeträchtlich. Der Berichterstatter der Reichstagsconiniission zur Beratung des Militärstrafgesetzentwurfes äussert sich über die Tätigkeit der Commission d a h i n 2 : die Marine sei eingehender berücksichtigt, obgleich auch die jetzigen „Bestimmungen für die Marine nicht als vollkommen ausreichend zu betrachten sind; aber wir glaubten, dass sie mindestens jetzt und insolange ausreichen werden, b i s d i e M a r i n e e i n e i g e nes S t r a f g e s e t z b u c h f ü r s i c h v o r z u l e g e n im Stande ist". Diese doppelte Aufgabe (sub 1 u. 2) complicirt sich nun noch durch die so wichtige Verschiedenheit der Stellung des Heeres im Kriege und im Frieden. Eine Anzahl specifisch militärischer Verbrechen ist nur im Kriege möglich; andere militärische und gemeine Verbrechen von Militärpersonen erheischen, wenn im Felde begangen, eine andere criminelle Behandlung. So gilt es z u g l e i c h e i n F r i e 2

Sten. Ber. des Reichstags dritte Session 1872 I I 808.

§21. 2. Die Komplikation der Aufgabe eines MStGB.

105

dens- und ein K r i e g s - S t r a f g e s e t z b u c h f ü r die P e r s o n e n des S o l d a t e n s t a n d e s aufzustellen. 3. Nach der gegenwärtigen Beschaffenheit unserer allgemeinen Strafgesetzbücher muss aber ein deutsches Militärstrafgesetzbuch auch Verbrechen deutscher Nichtmilitärs und fremder Civilisten wie Soldaten in ganz bestimmtem Umfange berücksichtigen: zunächst a. der M i l i t ä r b e a m t e n , die eigentlich nur Amts- und keine militärischen Verbrechen begehen können. Indessen heben die Motive zum Entwurf des Reichs-Militärstrafgesetzbuchs 3 richtig hervor: „Zur Sicherung der Armee, some zur Erhaltung ihrer Schlagfertigkeit und Tatkraft ist es dringend geboten, dass im Kriege der Militärbeamte denselben Pflichten und somit auch denselben Strafbestimmungen unterworfen werde, wie eine Person des Soldatenstandes." — S o w e i t d i e s e r f o r d e r l i c h i s t , m u s s das M i l i t ä r s t r a f g e s e t z b u c h dadurch zum Feldstrafgesetzbuche für M i l i t ä r b e a m t e werden. b. Ferner derjenigen Civilpersonen, welche sich im Falle des Krieges dem Heere anschliessen mit der Bestimmung, gewisse Bedürfnisse desselben zu befriedigen: so Fuhrleute, Marketender, Ueberbringer von Liebesgaben u. s. w. Dass diese Personen für einen Teil ihrer Verbrechen, die sie am Kriegsschauplatze verüben, einer sehr strengen Bestrafung zu unterwerfen sind, versteht sich von selbst. Ueberhaupt aber sollte Civilpersonen gegenüber ein höherer Friede des Kriegsschauplatzes als solchen anerkannt sein; ein Teil ihrer gemeinen Verbrechen, Raub, Diebstahl, Notzucht müsste, wenn dort begangen, eine höhere Strafe finden. c. Unser allgemeines Strafgesetzbuch huldigt dem bedenklichen Grundsatze, dass das Verbrechen cles Ausländers begangen im Auslande in allen ausser zwei Fällen für uns straflos zu bleiben habe. Danach wären das deutsche Heer in Feindesland, seine Proviantcolonnen, seine Munitionsdepots, seine Wagenparks u. s. w. den dortigen Landeseinwohnern schutzlos preisgegeben, wenn nicht ein Feldstrafgesetzbuch für Ausländer hinsichtlich gewisser im Auslande begangener Verbrechen die Lücken unseres Civilstrafgesetzbuchs ausfüllte. So müssen also unter dem ungenauen Collectivtitel „Militärstrafgesetzbuch" nicht weniger als vier verschiedene Gesetzbücher laufen: 1. e i n F r i e d e n s - u n d K r i e g s s t r a f g e s e t z f ü r L a n d h e e r u n d M a r i n e ; 2. e i n F e l d s t r a f g e s e t z f ü r M i l i t ä r b e a m t e ; 3

In Nr 5 der Drucks, des Reichstags S 116.

§ 21.

2. Die Komplikation der Aufgabe eines MStGB.

3. e i n F e l d s t r a f g e s e t z f ü r C i v i l p e r s o n e n b e i m k r i e g f ü h r e n d e n d e u t s c h e n H e e r e ; 4. e i n F e l d s t r a f g e s e t z f ü r Ausländer im Auslande. I I . Für den Ausbau des S t r a f e η s y s t e m s dieser verschiedenen Strafgesetzbücher bestehen zwei bedeutende Schwierigkeiten. 1. Die Hauptstrafe der Neuzeit, die Freiheitsstrafe, ist für Verbrechen verübt auf dem Kriegsschauplatz ungeeignet, weil schwer und mühsam zu vollstrecken. Auch entzieht sie den Soldaten in einer Zeit, wo er am unentbehrlichsten ist, seinem Dienste. An ihrer Statt bedarf es rasch und an Ort und Stelle vollstreckbarer Strafen, und dieses Strafensystem des Krieges zu fixiren erscheint als Aufgabe des Gesetzes und nicht einer ad hoc erst zu erlassenden Verordnung. 2. Gleiche Schuld, gleiche Strafe: diesen Fundamentalsatz darf auch ein Militärstrafgesetzbuch nicht verleugnen. Das gleich schwere Verbrechen begangen von einer Militärperson darf also nicht milder behandelt werden als wenn ein Civilist der Täter ist; ebenso wenig darf der Soldat der höheren Rangstufe wegen des gleichen Vergehens milder bestraft werden als der Delinquent, welcher Unteroffizier oder Gemeiner ist. W i l l man nun die Militärhierarchie auch im Strafensysteme zum Ausdruck bringen, so ist dies nur so möglich, dass man den verschiedenen Rangklassen für die gleichen Verbrechen verschiedene aber gleich schwere Strafen nach denselben Grundsätzen, welche die Strafverwandlung beherrschen, androht. Dies bei a l l e n Verbrechen durchzuführen ist aber bei der geringen Auswahl von Strafmitteln, die wir besitzen, untunlich, und selbst die teilweise Durchführung wird dadurch noch erheblich erschwert, dass besonders bei einem Volke, welches die allgemeine Wehrpflicht anerkennt, soweit es irgend angeht, das Strafensystem des allgemeinen Strafgesetzbuchs auch für das Militärstrafrecht recipirt werden muss. HI. Was endlich d i e a l l g e m e i n e n G r u n d s ä t z e des S t r a f r e c h t s anlangt, so wird das Militärstrafrecht diese mit dem allgemeinen Strafrechte zu teilen haben. Einzelne Modificationen erfordern aber der Grundsatz der militärischen Subordination, ferner die Aufgabe des Soldaten dem Feinde gegenüber und die Tragweite mancher seiner im Kriege begangenen Delicte. Um mit letzteren zu beginnen, so erscheint es für ein Militärstrafgesetzbuch geboten, die fahrlässigen Delicte relativ in grösserem Umfange zu Verbrechen zu erheben. Ihre Wirkungen im Kriege sind zu bedeutsam, um die Handlungen, durch welche sie verursacht werden, mit Strafe verschonen zu lassen. Ferner ist der Soldat vor dem Feinde vielfach rechtlich verpflichtet, sein Leben seiner Aufgabe zum Opfer zu bringen: hier die

§ 22.

. Der Entwurf Fleck (I).

Berufung auf Notstand zulassen hiesse das Vaterland der Feigheit opfern. Endlich erfordert der Grundsatz militärischer Subordination zwar durchaus nicht blinden Gehorsam gegenüber dem Befehle der Vorgesetzten, wohl aber muss in Hinblick auf ihn das MStGB die Verbindlichkeit des Befehls in grösserem Umfange anerkennen, als das allgemeine Strafgesetzbuch dies zu tun Anlass hat. So harrte das Strafgesetzbuch vom 31. Mai 1870 einer ebenso bedeutenden als mühevollen Ergänzung. § 22.

3. D e r E n t w u r f F l e c k (I).

Generalauditor F l e c k hatte schon, bevor der Auftrag zur Abfassung des Entwurfes eines Militärstrafgesetzbuches für das Deutsche Reich an ihn gelangte, einen solchen Entwurf auf Grundlage des preussischen Militärstrafgesetzbuchs vom 3. April 1845 redigirt. „Unter Hinzuziehung des Geh. Justizrats und Mitgliedes des preussischen Generalauditoriats K e l l e r und des Stadtrichters Dr. R u b o als Hilfsarbeiter begann derselbe am 27. März 1871 die Revision und Feststellung jenes Entwurfes, sowie die Ausarbeitung von Motiven zu dem Gesetzgebungswerke. In den ersten Tagen des Juni 1871 gelangte die Arbeit zum Abschlüsse." Mittels Schreiben vom 12. Juni 1871 teilte sie ihr Urheber dem Grafen v. R o o n m i t 1 . Der „Entwurf eines Militärstrafgesetzbuchs für das Deutsche Reich" erschien im Druck „Berlin, im Juni 1871" bei v. Decker (40 SS fol., mit „Motiven" 80 SS fol.). Er bestand aus 221 §§, wovon 84 auf den allgemeinen Teil; dazu kam der Entwurf eines Einführungsgesetzes in 4 §§. Wiederum sah man wie beim Entwürfe des Civilstrafgesetzbuches von der Ausarbeitung eines gnaz neuen Gesetzgebungswerkes ab; wiederum ist das preussische Gesetzbuch zum Vorbilde genommen, dem der neue Entwurf fast Schritt für Schritt folgt, wo er es nicht für angezeigt erachtet die Lücken des preussischen Strafgesetzbuchs aus den Bestimmungen des „Militärstrafgesetzbuchs für das Königreich Bayern" vom 1. Januar 1870 auszufüllen. Diese Art des Vorgehens erschwerte es das von dem Verfasser des Entwurfs angestrebte Ziel, den engen Anschluss des deutschen Militärstrafgesetzbuchs an das allgemeine Strafrecht, zu erreichen. Der Entwurf wurde äusserlich mit letzterem zusammengestimmt ohne ihm innerlich verwandt zu werden. Nur an wenigen Stellen begegnen Satzungen, die der 1

Diese Notizen aus R u b ο s Ausgabe des MStGB S 13.

108 %

§ 22.

3. Der Entwurf Fleck (I).

Rücksicht auf das allgemeine Strafgesetz ihre Entstehung danken: und diese besitzen selten principielle Tragweite. Die Ergänzungen, die der Entwurf dem b a y e r i s c h e n Militärstrafgesetzbuche entnimmt, beziehen sich vorzugsweise auf Verbrechen der Militärpersonen im Felde. Was die Motive des dritten Entwurfes von diesem sagen 2 , passt wenn auch in etwas geringerem Maasse schon auf den ersten. „Das preussische Militärstrafgesetzbuch war in einer Zeit entstanden, in der die Bedürfnisse, welche der K r i e g an ein Militärstrafgesetzbuch zu stellen hat, zu sehr in Vergessenheit geraten waren. Wohlberufene Stimmen haben darum nicht mit Unrecht gesagt : das preussische Militärstrafgesetzbuch reiche aus für den F r i e d e n , sei aber unzulänglich für den K r i e g . Die Erfahrungen vornehmlich des deutsch-französischen Krieges sind deshalb für den Entwurf verwertet worden, indem man die in diesem Kriege erkannten Lücken des Strafrechts . . . unter Berücksichtigung des bayerischen Militärstrafgesetzbuches . . . auszufüllen sich bemüht hat." Die Hauptabweichungen des Entwurfs von dem preussischen Militärstrafgesetze liegen auf den beiden Gebieten des S t r a f e n s y s t e m s und der S t r a f a n d r o h u n g e n . Aus jenem sind ausgeschieden die Festungs -Baugefangenschaft, der L a t t e n a r r e s t , die K a s s a t i o n und d i e A u s s t o s s u n g aus d e m S o l d a t e n s t a n d e ; in etwas gemildert wird der Strafgehalt des s t r e n g e n und des m i t t l e r e n A r r e s t e s ; neben zeitiger Freiheitsstrafe soll die Strafe der V e r s e t z u n g i n d i e z w e i t e K l a s s e des S o l d a t e n s t a n d e s nie auf unbestimmte Zeit, sondern nur auf ein Jahr bis zu drei Jahren stattfinden dürfen. I n den Strafpositionen halten sich vorgenommene Strafschärfungen 3 und Strafmilderungen 4 ziemlich das Gleichgewicht. Bemerkenswerter2

Mot S 44. Vgl. § 86 (Kriegsverrat), § 115—117 (Verstümmel. behufs Dienstentzieh.), § 118 (Simulation), § 121 und 123 (Feigheit), § 130 (Achtungsverletz. im Dienst), § 161—163 (Missbrauch der Dienstgewalt), § 172 (unerlaubtes Beutemachen), § 178 (Marodiren), § 187 (Bestech.), § 188 (Pflichtverletz, im Wachdienst), § 194 (eigenmächtige Entfernung) mit Preussen § 88. 113 u. 114. 115. 118 u. 119. 124. 181. 183. 184. 146. 152. 157. 158. 164 u. 166. 4 Vgl. bes. den § 96, 3 (Desertion im 2. Rückfall), § 103 (Desertion im Felde), § 106 (dieselbe verübt im Complott), § 112 (unterlass. Anzeige von dem Vorhaben einer Desertion), § 132 (Ungehorsam mit erhebl. Nachteil für den Dienst), § 133, 2 (qualifie. Widersetz.), § 141 (Zweikampf aus dienstl. Veranlass.), § 151 (milit. Aufruhr: Beseitig, der Todesstrafe), § 154, 1 (Abstehen vom milit. Aufruhr), § 169 (Verletz. von Parlamentären), § 177 (eigenm. Erheb, von Kriegsschatzungen) mit Preussen § 95. 99. 102. 110. 125, 2. 127. 133. 140. 143. 151 und Bayern § 163, 1. 3

§ 22.

3. Der Entwurf Fleck (I).

weise sind zwei fahrlässige Delicte aus der Reihe der strafbaren Handlungen gestrichen worden: die falsche Ausstellung von Dienstrapporten 5 und das Entweichenlassen Gefangener 6. Ferner adoptirt der Entwurf abweichend vom preussischen Recht den Grundsatz, dass der Versuch eines militärischen Vergehens nur in den ausdrücklich hervorgehobenen Fällen bestraft werden solle 7 . Die Vermutung des Vorsatzes, die Preussen in § 92 aufstellt, ist mit Recht fallen gelassen. I n Anerkennung des blinden Gehorsams geht der Entwurf § 76 viel weiter als das preussische Militärstrafgesetzbuch § 71. Nach letzterem trifft den Ausführenden die Strafe des Teilnehmers, „wenn ihm bekannt gewesen, dass der Befehl des Vorgesetzten eine Handlung betraf, welche offenbar ein Verbrechen bezweckte". Eine authentische Interpretation dieser Bestimmung vom 27. März 1860 erklärte aber, der Ausführer des Befehls könne nur strafbar werden, „wenn in der Ausführung eine Verletzung der militärischen Treue liegt". Und dieser Satzung glaubte der Entwurf folgen zu sollen. Wozu der Entwurf sich aber nicht entschliessen konnte, das war die Anerkennung der Gleichheit der Militärpersonen verschiedenen Ranges vor dem Gesetze. Während das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich „die Anwendung der verschiedenen Strafarten ausschliesslich von der Natur und dem Charakter der zu bestrafenden H a n d l u n g abhängig macht und einen Unterschied in Rücksicht auf die P e r s o n e n nicht kennt, lässt der Entwurf — wie seine Motive es selbst sagen — die Wahl der zu verhängenden Strafart bestimmen : „nicht nur durch die Natur der strafbaren Handlung, sondern auch durch die militärische Charge des zu Verurteilenden. Diese Unterscheidung ist in der preussischen Armee eine althergebrachte . . . Auch steht sie mit dem Principe der Gleichheit vor dem Gesetze nicht im Widerspruch. Denn um Vorrechte der Geburt oder des Standes handelt es sich hier nicht." Nicht deshalb ist der Entwurf zu tadeln, weil er, „um eine jede Charge in der Armee in ihrer Würde zu erhalten, eine Verschiedenheit der Strafarten für unerlässlich" erachtet, sondern deshalb, weil er versäumt durch verschiedene Bestimmung des Strafmaasses den verschiedenen Strafgehalt der verschiedenen Strafarten auszugleichen. Wie aber seinerzeit der Entwurf F r i e d b e r g , so ist auch der Entwurf F l e c k nicht unmittelbar dem Bundesrat und dem Reichstage vorgelegt worden. 5 7

Vgl. § 186 mit Preussen § 156. Entw § 68.

6

Vgl. § 192 mit Preussen § 162.

110

§ 23.

4. D i e E n t w ü r f e d e r C o m m i s s i o n (II) u n d des B u n d e s r a t s (III).

Durch Cabinetsordre vom 29. August 1871 befahl nämlich der Kaiser, dass eine Commission behufs Beratung eines Militärstrafgesetzbuchs für das Deutsche Reich zusammentreten solle. Sie wurde aus Offizieren und Civil- wie Militär-Juristen gebildet 1 und constituirte sich am 9. October 1871 in Berlin 2 . I n 46 Sitzungen, die sich auf 4 Monate verteilen, revidirte die Commission den ihren Beratungen zu Grunde gelegten Entwurf F l e c k , zu welchem seitens des preussischen Kriegsministeriums eine Reihe von Abänderungsvorschlägen eingegangen war, in drei Lesungen. „Am 16. Februar 1872 wurden die Sitzungen der Commission geschlossen; und mittels Immediatberichtes von demselben Tage überreichte der Vorsitzende General v o n V o i g t s R h e e t z dem Kaiser den revidirten Entwurf" im Druck 3 . Durch Schreiben vom 10. März 1872 legte der Reichskanzler diesen Entwurf dem Bundesrate zur Beschlussnahme v o r 4 , und dieser verwies denselben zunächst durch Beschluss vom 13. März 1872 5 an die vereinigten Ausschüsse des Bundesrates für das Landheer und für die Festungen und für Justizwesen zur Berichterstattung und Antragstellung. Unterm 26. März 1872 beantragten diese Ausschüsse, der Bundesrat wolle dem Entwürfe die Genehmigung erteilen, indem 1

Der Commission präsidirte der General der Infanterie v. V o i g t s - R h e e t z ; sie bestand aus den O f f i z i e r e n : 1. Generallieutenant v. B u d r i t z k i ; 2. Generalmajor K n a p p e v. K n a p p s t ä d t ; 3. Generalmajor v. B r a u n ; 4. Oberst Graf zu L y n a r ; 5. Major v. H ä n i s c h , später Major v. L e t t o w seitens des preuss. Kriegsministeriums ; 6. Major v. H a u g w i t ζ ; 7. Capitänlieutenant Ζ e m b s c h. Ferner aus den Juristen: 8. Generalauditor F l e c k ; 9. Präsident Dr. F r i e d b e r g ; 10. Geh. Oberjustizrat v. S c h e l l i n g ; 11. Geh. Justizrat K e l l e r ; 12. dem königl. bayer. Oberstabsauditor K n o e z i n g e r ; 13. dem königl. sächs. Geh. Kriegsrat T e u e h e r ; 14. dem königl. württemb. Oberkriegsrat v. W i e d e n m a n n . Schriftführer waren der königl. preuss. Divisionsauditor v. T s c h i r s c h n i t z und der königl. preuss. Stadtrichter Dr. Rubo. 2 S. R u b o a. 0. S 13. 14. Ferner Mot zu dem Commissionsentwurf, Einleitung (in Nr 5 der Drucks, des Reichstags S 41). 3 Dieser Entw ist nicht publicirt, und da auch die an ihm getroffenen Abänderungen des Bundesrats nirgends sonst mitgeteilt werden, so lassen sich Entwurf und Aenderungen nur aus den Bundesratsprotokollen ersehen. Uebrigens bezeichnet R u b o a. 0. S 16 u. 17 diese Aenderungen als „zumeist nur redactionelle" ; und in der Tat sind sie so gering, dass die Motive cles Bundesratsentwurfs in ihrer Einleitung sagen können: „Aus den Beratungen und Arbeiten dieser Commission ist der vorliegende neue Entwurf hervorgegangen" (a. 0. S 42). 4 5 Drucks, des Bundesrats 1872 Nr 20. Prot 1872 § 69.

§ 23. 4. Die Entwürfe der Commission (II) und des Bundesrats (III).

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sie gleichzeitig einzelne zumeist nur redactionelle Aenderungen empfahlen 6 . I n seiner Sitzung vom 3. April 1872 trat der Bundesrat unter Annahme des grössten Teiles der vorgeschlagenen Aenderungen diesem Antrage b e i 7 . Den so revidirten Entwurf übersandte der Reichskanzler am 8. April 1872 dem deutschen Reichstage zur verfassungsmässigen Beschlussfassung, indem er diesem Entwürfe Motive beifügte, welche von dem Geh. Justizrate Κ e 11 e r und Dr. R u b o ausgearbeitet worden waren 8 . Dieser Entwurf unterscheidet sich von dem ersten sehr wesentlich. An Stelle der losen Fügung ist Straffheit, Knappheit, Uebersichtlichkeit getreten. Zählt der erste Entwurf 221 §§, so beläuft sich der zweite, obgleich er eine Anzahl neuer §§ enthält, auf 170, wovon 67 auf den allgemeinen Teil kommen. I n grösster Klarheit ist die tiefe Kluft zwischen dem allgemeinen Strafgesetzbuche und den Tendenzen der Militärstrafgesetzgeber offen gelegt, obgleich die Motive 9 es für den leitenden Gedanken des Entwurfs erklären: „das Militärstrafrecht mit Bezug auf systematischen Aufbau des Gesetzes tunlichst dem deutschen Civilstrafrechte, insbesondere also dem Strafgesetzbuche für das Deutsche Reich zu assimiliren, es mit den leitenden Gedanken desselben und dadurch mit den Anforderungen der heutigen Strafrechtswissenschaft in Einklang zu bringen; beides — allerdings — immer nur in so weit: als die besonderen Bedürfnisse des Heeres und die als oberstes Gesetz geltende Rücksicht auf die Erhaltung der Disciplin in demselben damit vereinbar erschienen". Technisch und inhaltlich bezeichnet der neue Entwurf einen bedeutenden Fortschritt : freilich sind nicht alle seine Abweichungen von dem Entwürfe F l e c k Verbesserungen zu nennen. So berührt es peinlich, dass die halten Strafen des strengen und des mittleren Arrestes nochmals geschärft sind 1 0 , um so peinlicher als die entsprechenden Bestimmungen des bayerischen Gesetzbuchs viel milder lauten 1 1 . ö

7 Drucks. Nr 31. Prot § 116. So wesentlich nach R u b o a. 0. S 16 u. 17. — In den Drucks, des Reichstags, erste Legislaturperiode dritte Session 1872, füllt der Entw als Nr 5 124 SS fol., wovon S 8—33 auf den Entw, die übrigen auf die Mot kommen. 9 A. a. 0. S 43. 10 Vgl. § 26 u. 27 mit I § 25 u. 26. Während in I die Schärfungen (harte Lagerstätte, Wasser und Brot und beim strengen Arrest die finstere Zelle) jeden dritten Tag und beim mittleren Arrest nach Ablauf der dritten Woche jeden zweiten Tag wegfallen sollen, will sie I I I nur jeden vierten Tag beseitigt wissen und beim mittleren Arrest nach Ablauf der vierten Woche jeden dritten Tag, nach Ablauf der sechsten Woche jeden zweiten Tag. 11 Vgl. MStGB für das Königr. Bayern Art. 15. 8

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§ 23. 4. Die Entwürfe der Commission (II)

Ebensowenig ist begreiflich, warum das Maximum der Strafe für vorsätzliche Ueberschreitung der Strafbefugnisse und Ausübung gesetzwidrigen Einflusses auf die Rechtspflege von drei Jahren Festung bei F l e c k auf ein Jahr Festung herabgesetzt i s t 1 2 . Ferner erscheint es ungerechtfertigt, dass § 61 bei Bestrafung militärischer Verbrechen und Vergehen clen Strafmilderungsgrund der Jugend ausschliesst. Dagegen giebt die relativ grosse Anzahl von Strafschärfungen, die der neue Entwurf aufweist 13 , nur zu einem geringen Teile Anlass zu Tadel 1 4 , ist zu einem grossen Teile durchaus gerechtfertigt 15 . Als Haupteigentümlichkeiten dieses Entwurfes, zu dem ja der deutsche Reichstag Stellung nehmen musste, treten nun folgende hervor : 1. D i e S t r a f e n f ü r M i l i t ä r p e r s o n e n s i n d a n d e r e als d i e f ü r C i v i l p e r s o n e n . Denn wenn der Entwurf auch Zuchthaus, also eine allgemeine Strafart mannichfach androht, so m u s s doch neben Zuchthaus auf Entfernung aus dem Heere oder der Marine erkannt werden (§ 37), mit andern Worten: die Verhängung jener Strafe stösst den Soldaten aus dem Heere. Diese Exemtion der Militärpersonen von den allgemeinen Strafen geht so weit, dass die Soldaten auch wegen ihrer gemeinen Verbrechen, wofür sie den allgemeinen Strafgesetzen unterliegen, nicht mit den Strafarten dieser, sondern mit denen des Militärstrafgesetzbuchs belegt werden sollen (§ 3); dasselbe gilt für Militärpersonen, die zu bestrafen sind auf Grund von Delicten, „welche dieselben vor ihrem Eintritt in das Heer oder die Marine begangen haben" (§ 51). Dadurch werden alle strafbaren Handlungen dieser Personen ausser ihren „Uebertretungen" zu „militärischen Verbrechen und Vergehen" ! 2. D a s S y s t e m d i e s e r M i l i t ä r s t r a f e n i s t e i n ä u s s e r s t c o m p l i c i r t e s . Es unterscheidet sich dadurch zu seinem Nachteile von dem sehr einfachen Systeme des bayerischen Strafgesetzbuchs. Nicht weniger als s i e b e n F r e i h e i t s s t r a f e n finden sich vor: 12 Vgl. § 131 mit I § 160. — Daneben steht freilich eine Reihe zu billigender Strafmilderungen. Vgl. die §§ 85. 102. 156. 158. 160 mit I § 103. 130. 191. 208. 197. 13 Vgl. die §§ 70 Nr 7—11. 75. 84. 94. 95. 104. 106. 108, 2. 109 (wo gleichzeitig Erhöhung des Maximums und Herabsetzung des Minimums Platz greift). 115. 133. 139, 2. 144. 145. 148. 149. 154 mit I § 88. 126. 96. 115 u. 116. 117. 138. 132. 133, 2. 134. 143 u. 145. 162. 172. 174. 175. 181. 182. 192. 14 So in den §§ 70. 104. 106. 15 Die Kritik hat sich mit diesem Entwürfe nur wenig beschäftigt. Vgl. aber „Principienfragen für das deutsche Militärstrafgesetzbuch" von K. B(inding) in der augsb. Allgem. Zeitung 1872 Nr 114. 115. 116.

und des Bundesrats (III).

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F e s t u n g s a r r e s t und F e s t u n g s a r b e i t s s t r a f e , beide auf lebenslang oder auf mindestens 2 Monate, höchstens 15 Jahre zu erkennen; s t r e n g e r , m i t t l e r e r , g e l i n d e r A r r e s t , endlich e i n f a c h e r und g e s c h ä r f t e r S t u b e n a r r e s t : letztere alle mit einem Minimum von 1 Tag und einem Maximum von 2 Monaten weniger einen Tag; nur der strenge Arrest hat den Höchstbetrag von 6 Wochen 1 6 . Unter diesen Strafen zeichnen sich der strenge und der mittlere Arrest durch sehr grosse Härte aus: bis zum Ablauf der vierten Woche folgen sich bei ersterem stets drei Tage einsamen Dunkelarrestes mit harter Lagerstätte bei Wasser und Brot, und ein Tag einsamen Arrestes ohne diese Schärfungen; in 28 Tagen erhält also der Sträfling nur sieben Male etwas anderes als Wasser und Brot ; in den letzten beiden Wochen fallen die Schärfungen jeden dritten Tag weg. I n gleicher Weise nur unter Wegfall des Dunkelarrestes verläuft der mittlere Arrest unter Umständen zwei Monate lang. 3. D e r G r u n d s a t z „ G l e i c h e S c h u l d g l e i c h e S t r a f e o h n e A n s e h n d e r P e r s o n " i s t n i c h t a n e r k a n n t . Der Entwurf misst nach zwei Seiten hin mit ungleichem Maasse: nach ihm soll der Offizier und unter Umständen auch der Gemeine milder bestraft werden als der des gleichen Delicts schuldige Civilist, und soll der gemeine Soldat härter behandelt werden als der regelmässig auf höherer Bildungsstufe stehende, somit auch verantwortlichere Offizier. a. D i e B e v o r z u g u n g d e r M i l i t ä r p e r s o n e n v o r d e n C i v i l i s t e n . Nach gemeinem Strafrechte wiegen 8 Monate Zuchthaus gleich 12 Monaten Gefängniss unci gleich 18 Monaten Festung 1 7 . Im Sinne des Entwurfes stellt sich das Verhältniss seiner Strafen zu den Civilstrafen im grossen und ganzen folgendermaassen. Der Civilstrafe der F e s t u n g s h a f t entspricht die nur für Offiziere und facultativ für Portepee-Unteroffiziere, einjährig Freiwillige und gebildete Personen des Soldatenstandes (im Sinne des § 16 Nr 3) zulässige Militärstrafe des F e s t u n g s a r r e s t e s ; dem G e f ä n g n i s s die nur gegen Unteroffiziere und Gemeine anwendbare militärische F e s t u n g s a r b e i t s s t r a f e ; der H a f t entspricht der militärische A r r e s t , von dessen 4 Arten der Stubenarrest nur gegen Offiziere, der gelinde und mittlere Arrest gegen Unteroffiziere und Gemeine, der strenge Arrest nur gegen Gemeine Anwendung finden darf 1 8 . I n 16

Wenn trotzdem die Motive S 85 und sonst behaupten: „der Entwurf kennt an und für sich nur eine Art militärischer Freiheitsstrafe", so ist dies kaum zu begreifen. 17 18 S. StGB § 21. Vgl. den Entw § 15—32. Binding, Handbuch. V I I . 1. I : B i n d i n g , Strafrecht. I.

8

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§ 23. 4. Die Entwürfe der Commission (II)

§ 65 des Entwurfs wird die relative Schwere dreier Alten dieses Arrestes so bestimmt: 1 Tag strengen Arrestes gleich 2 Tagen mittleren Arrestes gleich 4 Tagen gelinden Arrestes. Mit Erstaunen nimmt man nun wahr, dass in allen Fällen, wo der Civilist mit Gefängniss belegt wird, dem Offizier nur die um ein Drittel gelindere Strafe des Festungsarrestes winkt. Schriebe nun der Entwurf vor, dass die mildere Strafart der Zeit nach um ein Drittel verlängert werden sollte, so wäre die Ungleichheit ausgeglichen, während gerade umgekehrt § 32 sie noch ausdehnt und verschärft. Dieser bestimmt : Ist statt auf eine Freiheitsstrafe des gemeinen Strafrechts auf eine militärische Freiheitsstrafe zu erkennen, so gilt 1 Tag Civil-Freiheitsstrafe gleich einem Tage militärischer Freiheitsstrafe. „Hierbei gilt als angedroht: statt der Haft die gelindeste, nach dem Militärrange des Täters statthafte Arrestart ; statt der Festungshaft Festungsarrest; statt des Gefängnisses gegen Offiziere Festungsarrest oder — Stubenarrest (!), gegen Unteroffiziere und Gemeine Festungsarbeitsstrafe, mittlerer oder gelinder Arrest (!)." Tritt an Stelle des Gefängnisses für Offiziere Stubenarrest gleicher Dauer, so werden diese für dasselbe Vergehen mindestens viermal so leicht als Civilisten bestraft. b. D i e u n g l e i c h e B e s t r a f u n g v e r s c h i e d e n e r R a n g k l a s s e n d e r M i l i t ä r p e r s o n e n . Da die Festungsstrafe nach § 15 gegen Offiziere als Festungsarrest, gegen Unteroffiziere und Gemeine als Festungsarbeitsstrafe gleicher Dauer erkannt wird, und letztere als Parallelstrafe des Gefängnisses um 1/a schwerer ist als der der Festungshaft des deutschen Strafgesetzbuchs entsprechende Festungsarrest, so duldet der Offizier immer nur 2/θ der Strafe des Gemeinen für das gleiche Delict. Der Gemeine steht in dieser Benachteiligung dem Civilisten gleich, der Offizier erhält ein Strafprivilegium, von allen möglichen Privilegien das unerträglichste. Noch schlimmer stellt sich das Verhältniss bei den Arreststrafen. W i r werden den Stubenarrest als Strafübel im Vergleich zum gelinden Arrest jedenfalls nicht höher taxiren dürfen als nur halb so schwer. Sei der Stubenarrest gleich 1, so ist der gelinde Arrest gleich 2, der mittlere gleich 4, der strenge gleich 8. Es kann also der Gemeine für das gleiche Vergehen achtmal so schwer gestraft werden als der Offizier, während gar nicht genug betont werden kann, dass bei einem Offiziere grade wegen seiner so häufig höheren Bildung ein Verbrechen schwerer in die Wagschale fallen muss als bei dem oft ungebildeten Gemeinen. 4. D i e A n e r k e n n u n g des b l i n d e n G e h o r s a m s . „Be-

und des Bundesrats (III).

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hufs Erreichung der einer Armee gesetzten Aufgabe ist es unabweisbar notwendig, dass der Soldet den Dienstbefehlen (Dienstbefehl ist nach den Motiven S 80 nur „derjenige Befehl eines dienstlich Vorgesetzten, welcher eine Dienst-Angelegenheit betrifft") seines Vorgesetzten unbedingt gehorche, und ihm ein Urteil über die Rechtmässigkeit und Folgen der Dienstbefehle nicht gestattet w e r d e " 1 9 . Dadurch soll gerechtfertigt werden der § 58, der interessant genug folgendermaassen lautet: „Wird von einer Person des Soldatenstandes durch Ausführung eines Befehles in Dienstsachen eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen, so ist der Vorgesetzte, welcher den Befehl erteilt hat, als Täter zu betrachten. Der Untergebene bleibt straflos, insoweit er den Befehl nicht überschritten hat. Er ist jedoch als Mittäter zu betrachten, wenn die Befolgung des Befehls eine Handlung gegen die militärische Treue (d. h. gegen den Fahneneid) in sich schliesst." Deckt der Befehl den Untergebenen aber auch dann, wenn dieser die Verbrecherischkeit der Handlung einsieht, so ist, wie die Extreme sich so oft berühren, die blindeste Unterwerfung unter die Disciplin zugleich die volle Anarchie des Rechts. 5. D e r V e r s u c h d e r m i l i t ä r i s c h e n V e r g e h e n soll immer bestraft werden, wenn das vollendete Vergehen mit mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe bedroht ist (§ 56). 6. Wird schliesslich der in den Entwurf aufgenommene Kreis von Delicten auf seine Vollständigkeit geprüft, so erscheint zunächst d i e M a r i n e wie im Kriege so auch im Frieden als höchst dürftig behandelt; ferner ist das F e l d s t r a f g e s e t z b u c h f ü r C i v i l p e r s o n e n b e i m k r i e g f ü h r e n d e n H e e r e , welches einzig aus dem § 164 besteht 20 , ungenügend ausgefallen, und ebenso das F e l d s t r a f g e s e t z b u c h f ü r A u s l ä n d e r i m A u s l a n d e , welches sich in dem § 1 7 0 2 1 concentrirt und sich nicht entschliessen kann, mit dem verwerflichen Territorialprincipe energisch zu brechen. 19

S. die Mot S 80. „Während eines gegen das Deutsche Reich ausgebrochenen Krieges sind alle Personen, welche sich in irgend einem Dienst- oder Vertragsverhältnisse bei dem kriegführenden Heere befinden, oder sonst sich bei demselben aufhalten und ihm folgen, den StrafVorschriften dieses Gesetzes, insbesondere den Kriegsgesetzen unterworfen." 21 „Ein Ausländer oder Deutscher, welcher in einem von deutschen Truppen besetzten ausländischen Gebiete gegen deutsche Truppen oder Angehörige derselben oder gegen eine auf Anordnung des Kaisers eingesetzte Behörde eine nach den Gesetzen des Deutschen Reichs strafbare Handlung begeht, ist ebenso zu bestrafen, 8* 20

116

§ 24.

5. Die Erhebung des Entwurfs des Bundesrats

I n eigentümlich schwankendem Verhältnisse befindet sich der Entwurf zur Frage nach der Strafbarkeit fahrlässiger Verbrechen, Während er im Gegensatz zu I § 150 die fahrlässig unterlassene Meldung der Meuterei in § 118 mit Strafe verschont, während er den für ein Feldstrafgesetzbuch unentbehrlichen § 210 des ersten Entwurfes, der jede fahrlässige Verletzung der Dienstpflicht mit Strafe bedroht, fallen lässt, zieht er in § 154 das fahrlässige Entweichenlassen Gefangener neu unter Strafe und bedroht ausserdem nur noch die Verletzung durch unvorsichtige Behandlung von Schusswaffen (§ 158), die schuldhaft verabsäumte Beaufsichtigung Untergebener (§ 157); ferner den Befehlshaber, der im Felde mit Vernachlässigung der ihm zu Gebote stehenden Verteidigungsmittel den ihm anvertrauten Posten verlässt oder übergiebt (§ 75 Nr 2), und den Befehlshaber einer Wache, eines Commandos oder einer Abteilung, die Schildwache und den Posten, die in schuldhafter Weise sich ausser Stand setzen den ihnen obliegenden Dienst zu versehen (§ 152). I n weit höherem Grade als bei dem Entwürfe des norddeutschen Strafgesetzbuchs war es demgemäss bei Vorlage dieses Entwurfes zu befürchten, dass sich über Principienfragen eine Verständigung zwischen Bundesrat und Reichstag nicht werde erzielen lassen. Und nicht ohne grosse Anstrengung ist die Verständigung erreicht worden. § 24. 5. D i e E r h e b u n g des E n t w u r f e s des B u n d e s r a t s z u m M i l i t ä r s t r a f g e s e t z b u c h e f ü r das D e u t s c h e R e i c h . I. D e r E n t w u r f i n d e r e r s t e n L e s u n g u n d v o r d e r R e i c h s t a g sco m m i s s i o n . Die erste Lesung des Entwurfs im Reichstage erfolgte in der Sitzung vom 18. April 1872 Gleich hier fand die günstige Beleuchtung des Entwurfs seitens des Bevollmächtigten des Bundesrats Dr. F r i e d b e r g eine scharfe Entgegnung durch den Abgeordneten L ask e r , der sich mit besonderem Nachdrucke gegen die Rechtsungleichheit in der Behandlung militärischer Verbrecher verschiedener Rangklassen und gegen das Strafensystem, vor allem gegen die Strafe des strengen Arrestes, wandte. Anders als beim Civilstrafgesetzentwurfe wurde nun auf Antrag der Abgeordneten L ask e r und Dr. S c h w a r z e beschlossen den ganzen Entwurf einer Commission von 21 Mitgliedern zu überweisen 2 . als wenn diese Handlung von ihm im Bundesgebiete begangen wäre." Wer ζ. B. unsere vorgehenden Patrouillen erschiesst, kann danach nicht bestraft werden. 1 Sten. Berichte I 91—106. 2 Vorsitzender der Commission war Graf von M o l t k e ; sein Stellvertreter

zum MStGB für das Deutsche Reich.

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Aus dem von dem Berichterstatter der Commission, dem Abgeordneten Dr. L a m e y , in der Sitzung vom 7. Juni 1872 dem Reichstage erstatteten Berichte 3 geht hervor, dass die Commission in 2 6 4 Sitzungen ihre Arbeiten vollendet und den Entwurf zweimal gelesen h a t 5 . Sie erfreute sich dabei vielfacher Beteiligung von Mitgliedern der verbündeten Regierungen aus Preussen, Württemberg, Sachsen und Bayern. Den Resultaten der ersten Lesung gegenüber 6 hat der Bundesrat Stellung genommen und der Commission manche Veränderungen als wünschenswert, andere als unentbehrlich, wenn das Gesetz überhaupt zu Stande kommen solle, bezeichnet. Am schroffsten scheinen sich die Ansichten bezüglich des Arrestes gegenüber gestanden zu haben. Wenigstens bezeugte der Abgeordnete E y s o l d t im Reichstage 7 : „ I n der ersten Lesung litt die Commission bei den Verhandlungen über die Arrestfrage vollständig Schiffbruch; es konnte sich keine Majorität auf einen dieser Paragraphen (offenbar der Regierungsvorlage) vereinigen . . . Die bei der ersten Beratung von der Commission angenommenen Vorschläge gründeten sich wesentlich auf die Bestimmungen des früheren badischen Militärgesetzes." Erst am Schlüsse der" Commissionsberatungen gelang die Vereinbarung und wurde der dem Reichstage zur Annahme empfohlene Entwurf in der Commission mit 15 gegen 6 Stimmen angenommen 8 . Dieser Commissionsentwurf zweiter Lesung (166 Paragraphen, wovon 55 auf den allgemeinen Teil) weicht nun von dem Entwürfe des Bundesrates in folgenden sehr wesentlichen Punkten a b 9 : v. F o r c k e n b e c k ; Schriftführer die Abgeordneten E y s o l d t , B ü s i n g , v. M i n nige rode. Mitglieder ausserdem: R e i che nsp erger (Olpe); Graf Β a l l e s t ì · em; Dr. G n e i s t ; v. M a l t z a h n - G i i l t z ; Dr. B e c k e r (Oldenburg); W i n d t h o r s t (Berlin); S eh en ck v. S t a u f f e n b e r g ; v. R e i c h l i n - M e l d e g g ; v. Ho v e r b e c k ; Dr. M e y e r (Thorn); ν. K a r d o r f f ; Dr. B a r t h ; Dr. S c h w a r z e ; Prinz W i l h e l m von B a d e n ; L a s k e r ; Dr. L a m e y . Die 1. Sitzung fand am 19. April, die Schlusssitzung am 1. Juli 1872 statt. 3 4 Sten. Ber. I I 807—809. R u b o a. 0. S 19 zält 28. 6 S. die Zusammenstell, der Vorlage mit den Commissionsbeschlüssen 1. Les. in den Drucks. Nr 90 S 367—390, mit den Commissionsbeschlüssen 2. Les. das. Nr 122 S 546—571. 6 Der Entw ders. zält 165 Paragraphen, wovon 58 auf den allgem. Teil. 7 8 Sten. Ber. I I 810. L a m e y a. Ο. 9 Da der Entw vom Reichstage unverändert angenommen wurde, so sind mit dem Folgenden auch die Hauptabweichungen des jetzt geltenden Gesetzes von dem Entw des Bundesrats bezeichnet. — Nur sehr wenige Paragraphen sind unverändert aus dem Entw I I I beibehalten: § 14 (III § 11). 19 u. 20 (III 22 u. 23). 21 u. 28 (III 30 u. 31). 29 (III 34 al. 1). 32 (IH 38). 35 u. 36 (III 41 u. 42). 41 (III 49). 53 (III 64). 55 (fast = I I I 66). 57 (HI 69). 59 (III 72). 60 (III 73 al. 1). 67 (III 81).

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§ 24.

5. Die Erhebung des Entwurfs des Bundesrats

1. D i e m i l i t ä r i s c h e n S t r a f a r t e n für nicht milit ä r i s c h e V e r b r e c h e n oder V e r g e h e n von M i l i t ä r p e r sonen s i n d f a l l e n gelassen. Nur sollen auch die gemeinen Freiheitsstrafen mit Ausnahme des Zuchthauses, mag sie ein Soldat vor oder nach seinem Eintritt in den Dienst verwirkt haben, von den Militärbehörden vollstreckt werden (§ 15). Umgekehrt „hat die Commission geglaubt, dass mit dem Tage, an dem Jemand aus dem militärischen Verbände ausgeschieden ist, auch der bürgerliche Strafvollzug stattfinden müsse, und sie hat diesen Grundsatz vollständig durchgeführt" 10 . 2. Z w e i m i l i t ä r i s c h e F r e i h e i t s s t r a f e n , d e r F e s t u n g s arrest und die F e s t u n g s a r b e i t s s t r a f e , sind durch die z w e i a l l g e m e i n e n S t r a f a r t e n d e r F e s t u n g s h a f t u n d des G e f ä n g n i s s e s e r s e t z t w o r d e n . Somit ist nur der Arrest mit seinen fünf Arten als eine specifisch militärische Freiheitsstrafe übrige geblieben. „Der Arreststrafe . . . einen bestimmten Charakter gegenüber den Freiheitsstrafen des deutschen Gesetzbuchs zu geben", erklärte der Berichterstatter L a m e y , sei unmöglich. „Sie ist verschieden je nach ihrem Namen und je nach dem Grade der Militärperson, die sie t r i f f t 1 1 . " 3. I n d e m S y s t e m e d e r A r r e s t s t r a f e n s i n d b e d e u tende Milderungen eingeführt. Das Maximum der Arreststrafe überhaupt ist von 2 Monaten weniger 1 Tag auf 6 Wochen, das des strengen Arrestes von 6 auf 4 Wochen herabgesetzt worden. Der mittlere und der strenge Arrest haben ausserdem durch die Vorschrift, dass die Schärfungen in kürzeren Intervallen wegfallen sollen, noch einige Milderung erfahren. Das Anwendungsgebiet des strengen Arrestes ist dadurch beschränkt worden, dass er ausser den Fällen ausdrücklicher Androhung nur gegen denjenigen zulässig ist, welcher wegen militärischer Verbrechen oder Vergehen bereits mit einer Freiheitsstrafe belegt war. Endlich ist die Zulässigkeit des geschärften Stubenarrestes auf Hauptleute und Rittmeister ausgedehnt 12 . § 73 PH § 87). 85 (III 98). 108 (III 121). 126 (III 137). 127 (III 138 Satz 1). 129 ( I I I 140). 136 (IH 147). 143 (III 153 Satz 1). 145 (III 155). 153 u. 154 (III 162.163). 155 u. 156 (IH 164 al. 1 und 165 Satz 1). 157—161 (III 166—170). 10 11 Sten. Ber. I I 807. A. a. Ο. 12 Im Systeme der Ehrenstrafen sind die Aenderungen weit unbedeutender: § 31 al. 2 dehnt die Zulässigkeit der facult. „Entfernung aus dem Heere oder der Marine" aus; § 31 Z. 2 verwandelt die facult. Entfernung der Offiziere in eine obligatorische ; § 34 erweitert das Anwendungsgebiet der obligat, und facult. Dienstentlassung; § 38 erkennt es als Grund der facult. Versetzung in die 2. Klasse des

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4. D i e G l e i c h h e i t d e r P e r s o n e n v o r d e m G e s e t z e ist zwar n i c h t v o l l s t ä n d i g , aber doch in b e d e u t e n d w e i t e r e m U m f a n g e als i n der R e g i e r u n g s v o r l a g e ane r k a n n t . Dies ist ermöglicht durch Einführung der gemeinen Strafarten der Festungshaft und des Gefängnisses als zweier für Militärpersonen aller Rangklassen zulässigen Strafen. Die früher gerügte Bevorzugung der Offiziere vor den Civilisten, darin bestehend, dass, wo letztere Gefängniss zu erdulden haben, die Offiziere jedesmal mit der um Vs milderen Festungsarreststrafe davon kommen, ist dadurch beseitigt; ebenso die Bevorzugung der Offiziere vor Unteroffizieren und Gemeinen, darin bestehend, dass, wo diese Festungsarbeitsstrafe, die Parallelstrafe des Gefängnisses, trifft, jene nur mit Festungsarrest, der Parallelstrafe der Festungshaft, zu belegen sind 13 . Der Entwurf will auch nicht, dass die Gefängniss- oder Festungsstrafe des Offiziers wegen des Ranges des Täters eine mildere sei als die Gefängniss- oder Festungsstrafe des Gemeinen wegen des gleichen Delictes 1 4 . Die schlimmen Ungleichheiten der Arreststrafen für Offiziere und für Gemeine sind dagegen stehen geblieben. 5. D i e T h e o r i e v o n d e r a b s o l u t e n V e r b i n d l i c h k e i t des B e f e h l s i n D i e n s t s a c h e n , s o w e i t er n i c h t a u f B e gehung einer H a n d l u n g w i d e r die m i l i t ä r i s c h e Treue Soldatenstandes an, wenn Jemand wegen militärischer Vergehen schon zweimal bestraft ist und nun zum dritten Male wegen eines militärischen Vergehens verurteilt wird; die §§ 40 u. 48 beschränken die obligat. Degradation und den obligat. Amtsverlust; § 46 schliesst neben Versuchs strafen die militärischen Ehrenstrafen als obligat aus. 13 S. oben S 113. 114. Nur § 15 stellt die zu Gefängniss verurteilten Gemeinen und Unteroffiziere noch bezüglich der Beschäftigung ausserhalb der Anstalt insofern schlechter wie die Offiziere, als jene auch wider ihren Willen zu solchen Arbeiten verwandt werden dürfen. 14 Die Verdrängung der „Festungsstrafe" der Regierungsvorlage (§ 15), die „gegen Offiziere als Festungsarrest, gegen Unteroffiziere als Festungsarbeitsstrafe" erkannt werden sollte, durch die beiden für Offiziere wie für Gemeine zulässigen Strafen der Festungshaft und des Gefängnisses erschwert die Vergleichung der Strafsatzungen des Entwurfs der Reichstagscommission hinsichtlich ihrer Schwere mit denen der Regierungsvorlage. Tritt an die Stelle der „Festungsstrafe" im neuen Entwürfe a. Gefängniss oder Festung gleicher Dauer, so liegt darin eine Strafschärfung für Offiziere und eine Strafmilderung für Gemeine; b. Gefängniss gleicher Dauer, so liegt darin eine Strafschärfung für Offiziere; c. Festungshaft gleicher Dauer, so liegt darin eine Strafmilderung für Gemeine. — In allen diesen Paragraphen ist also eine Aenderung des Strafgehaltes der angedrohten Strafen eingetreten.

§ 24.

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5. Die Erhebung des Entwurfs des Bundesrats

g e r i c h t e t ist, w i r d i n dem Commissionsentwurfe aufg e g e b e n . Wer einen solchen Befehl ausführt, obgleich er einsieht, dass er auf Begehung irgend eines bürgerlichen oder militärischen Verbrechens oder Vergehens gerichtet war, soll jetzt nach § 47 mit der Strafe des Teilnehmers belegt werden. 6. A n V o l l s t ä n d i g k e i t h a t d e r n e u e E n t w u r f g e w o n n e n . Nicht zwar im F e l d s t r a f g e s e t z b u c h e f ü r C i v i l p e r s o n e n b e i m k r i e g f ü h r e n d e n H e e r e und f ü r A u s l ä n d e r i m A u s l a n d e : denn die §§ 155 und 161 des neuen Entwurfs stimmen mit den §§ 164 und 170 der Regierungsvorlage wörtlich überein 1 5 . Wohl aber sind die K r i e g s g e f a n g e n e n (§ 9 Nr 4) und ist die M a r i n e eingehender berücksichtigt. Nicht nur dass ein neuer Titel ausschliesslich „Zusatzbestimmungen für die Marine" enthält (§§ 162—166), sondern es erscheint auch die erhebliche Schiffsbeschädigung durch Fahrlässigkeit im Dienste (§ 142) als ein neues Vergehen, in § 111 ist der Begriff der „Wache" auch hinsichtlich der Marine bestimmt, und· in § 65 Nr 2 wird das Abkommen vom Schiffe in fremden Gewässern verbunden mit unterlassener Meldung bei der Marine oder dem nächsten deutschen Konsulate der unerlaubten Entfernung gleichgestellt. Eine Ausdehnung des Herrschaftsgebietes der Militärstrafgesetze ist dadurch eingetreten, dass § 75 d i e M i t g l i e d e r des M a s c h i n e n I n g e n i e u r - C o r p s diesen Gesetzen unterwirft 1 6 . Neue Vergehen sind aufgestellt in den § § 6 2 : Beförderung der feindlichen Unternehmungen durch f a h r l ä s s i g e Verletzung der Dienstpflicht ; 80, 2: verbotene Annahme von Besuchen während des Stubenarrestes, gegründet auf die Norm des § 23; 116: Versuch des Vorgesetzten durch Missbrauch seiner Dienstgewalt den Untergebenen zur Begehung einer strafbaren Handlung zu bestimmen; 117: Versuch des Vorgesetzten durch Androhung von Nachteilen u. s. w. den Untergebenen von der Erhebung oder Verfolgung von Beschwerden abzuhalten; 148: Verletzung oder Tötung durch unvorsichtige Behandlung von Waffen oder Munition ( I H § 158 bezog sich nur auf „Schusswaffen"); 149: rechtswidrige Anwendung der Waffen; 152: lügnerische Beschwerden 17 . 15

Vgl. S 115 Anm 20 u. 21. Die Herrschaft der K r i e g s g e s e t z e ist umgekehrt dadurch beschränkt worden, dass sie auf Personen des Beurlaubtenstandes nur vom Tage, „zu welchem sie einberufen sind, bis zu ihrer Entlassung" Anwendung finden sollen; § 10. u Weggefallen und nicht zum Schaden des Entw sind I I I § 16. 18—20. 32. 33. 35. 51. 52. 56. 76. 77. 125. Verschwunden ist ferner das Vergehen der Un16

zum MStGB für das Deutsche Reich.

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7. Ein engerer A n s c h l u s s a n d i e G r u n d s ä t z e d e s C i v i l s t r a f r e c h t s findet insofern statt, als § 76 die Unverjährbarkeit der Fahnenflucht fallen lässt und dadurch die Verjährbarkeit aller strafbaren Handlungen anerkennt, und als der Versuch der Vergehen jetzt auch nur dann Strafe finden soll, wenn er ausdrücklich bedroht ist18. 8. Was endlich d i e S t r e n g e d e r S t r a f d r o h u n g e n anl a n g t 1 9 , so fehlt es zwar nicht an Strafschärfungen und an Qualifikationsgründen 20, es überwiegt aber die Tendenz der Milderung. Die Todesstrafe wird hie und da fallen gelassen 21 , ebenso der strenge Arrest 2 2 , dessen Minimum, wo es in I I I vier Wochen beträgt, jetzt auf zwei Wochen herabsinkt 23 ; Qualifikationsgründe werden beseitigt 2 4 ; mildere Gestaltungen des Delicts als solche anerkannt 2 5 ; Tatbestände verengt 2 6 ; die Strafen herabgesetzt 27 ; obligatorische in facultative Nebenstrafen verwandelt 2 8 . II. D e r C o m m i s s i o n s e n t w u r f v o r dem R e i c h s t a g e . Den so gestalteten Entwurf empfahl die Commission dem Reichstage zur Annahme. I n der Sitzung vom 7. Juni 1872 fand die zweite verbesserlichkeit (III § 161): diese Auslassung aber bedeutet wohl die Eröffnung einer empfindlichen Lücke im Militärstrafrecht. 18 I I I § 56 ist weggefallen. Vgl. oben S 109 und 115. 19 Vgl. oben S 119 Anm 14. Zu beachten ist die durchgängige Herabsetzung des Minimums bei Gefängniss und Festung, da ja das Maximum der Arreststrafe auf sechs Wochen herabgesetzt ist. 20 So ist in § 58 Nr 12 ein neuer Fall des Kriegsverrats aufgestellt. S. ferner die §§ 75 a. Ε. (III § 89). 95, 1 (HI 108). 114 (III 129). 118 u. 119 (III 131, 1). 121, 2 (III 132). 122 (III 133). 137 (III 148). 147 (III 157). 21 So in den §§ 63 für minder schwere Fälle (III § 75). 84 für feige Gefechtsweigerung (III 97). 86 (III 99). 95, 2 für minder schwere Fälle der vor dem Feinde begangenen Delicte des § 94 (III 108, 2). 97, 2 für die minder schweren Fälle (HI 110, 2). 100 a. E. ( I l l 114). 107 für Aufruhr, wobei der Vorgesetzte schwer verletzt wird (III 120). 133, 1 für die minder schweren Fälle (III 144 al. 1). 22 23 § 83, 1 (IH 96)· 87 (III 100). 91 (III 104). Vgl. oben S 118. 24 So ist von I I I § 68, dem der jetzige § 56 entspricht, al. 2 weggefallen. Vgl. ferner die §§ 79 (gegen I I I 93, 1) und 143 (gegen I I I 153). 25 § 58 a. E. (Nachlassung milderer Strafen für minder schwere Fälle: vgl. I H § 70). 93, 2 ( G e f ä h r d . durch Ungehorsam: vgl. I I I 106). 97, 2 (III 110, 2: Nachlass, mild. Strafe für minder schwere Fälle). 98, 2 (neuer Strafmilderungsgrund). 141, 3 ( G e f ä h r d . durch Pflichtverletz, im Felde: vgl. Π Ι 152, 2). 26 § 110 Nr 1 (III § 123 Nr 1). 27 § 62 (III § 74). 64 (III 78). 81, 2 (III 94, 2). 83, 1 (IH 96, 1). 87 (III 100). 90 (III 102, 1). 91, 1 (III 104, 2). 97, 1 (III 110, 1). 98, 1 (HI 112). 101 (III 115). 132 (ΙΠ 143). 139 (III 150). 141, 1 (HI 152, 1). 144 (IH 154). 150 (IH 159). 28 § 82 (III § 94, 1).

§ 24. 5. Die Erhebung des Entwurfs des Bundesrats

122

Lesung s t a t t 2 9 . Nur zwei Anträge sind anlässlich dieser aus dem Schoosse der Versammlung gestellt worden. Die Abgeordneten E y s o l d t , y. H o v e r b e c k , W i n d t h o r s t beantragten, die den Arrest regulirenden §§ 19—27 des Entwurfs abzulehnen und statt dessen ihre Vorschläge anzunehmen, deren Kern darin bestand: es sollten nur zwei Arten des Arrestes, gelinder und geschärfter Arrest, angenommen werden; selbst nur zwei oder drei der zulässigen Schärfungen dürften bei letzterem nie cumulirt werden; der geschärfte Arrest sollte nur gegen Unteroffiziere ohne Portepee und Gemeine verhängt werden dürfen; der Arrest solle in Civilhaft verbüsst werden 3 0 . Der Abgeordnete L a s k er beantragte eine Resolution: „der Reichstag wolle beschliessen : . . . . den Reichskanzler zu ersuchen 1. zu veranlassen, dass eine sachverständige und umfassende Untersuchung darüber angestellt werde, welche Einwirkung auf die Gesundheit die Vollstreckung des mittleren und strengen Arrestes ausübe, ob und inwieweit nachteilige Wirkungen wahrzunehmen sind, welche mit der besonderen Art der Ernährung und des Aufenthaltes zusammenhängen; 2. das Ergebniss dieser Untersuchung zur Kenntniss des Reichstages zu bringen" 3 1 . Dem Abgeordneten E y s o l d t 3 2 trat besonders G r a f M o l t k e entgegen, mit schneidigen Gründen wider allzugrosse Milderung der Strafen ankämpfend. „Autorität von oben und Gehorsam von unten, mit einem Worte Disciplin, ist die ganze Seele der Armee. Die Disciplin macht die Armee erst zu dem, was sie sein soll, und eine Armee ohne Disciplin ist auf alle Fälle eine kostspielige, für den Krieg nicht ausreichende und im Frieden eine gefahrvolle Institution. . . . Sie werden zugeben, dass es einer ungeniein starken Autorität bedarf, um Tausende von Menschen zu bestimmen, unter den schwierigsten Verhältnissen, unter Leiden und Entbehrungen Gesundheit und Leben an die Ausführung eines gegebenen Befehles zu setzen. Eine solche Autorität . . . . kann nur fortbestehen unter schützenden Verhältnissen. . . . W i r haben es zum Teil auch mit ganz schlechten Subjecten zu tun. . . . Vollkommen im militärischen Interesse liegen kurze aber strenge Strafen 33 ." 29

Sten. Ber. I I 807—826. S. Drucks. Nr 146. Sten. Ber. I I I 621. Hier steht statt Civilhaft „Einzelhaft", aber in den Sten. Ber. I I 325 das wohl richtigere „Civilhaft". 31 S. Drucks. Nr 149. Sten. Ber. I I I 626. 32 S. dens. Sten. Ber. I I 810 if. 33 Die höchst bedeutende Bede steht in den Sten. Ber. I I 814. 815. 30

zum MStGB für das Deutsche Reich.

Der Reichstag trat diesen Gründen bei, lehnte beide Anträge ab und nahm das bedenkliche System der Arreststrafen des Entwurfes wie diesen selbst unverändert an. Dasselbe Resultat hatte die dritte Lesung in der Sitzung des folgenden Tages, des 8. J u n i 3 4 . Der Abgeordnete L ö w e griff hier den in der letzten Sitzung verworfenen Antrag L a s k e r wieder auf. Eine sehr grosse Majorität nahm schliesslich den Entwurf unverändert an, beruhigte aber wenigstens das Gewissen, soweit dies nötig war, durch Annahme der L ask e r - L ö w e ' s e h e n Resolution. III. E r l a s s des G e s e t z e s . Der Bundesrat sanetionirte schon in seiner Sitzung am 9. Juni den E n t w u r f 3 5 und der Kaiser vollzog das Gesetz am 20. Juni 1872. Im RGBl 1872 S 173 ff. wurden das „Einführungsgesetz zum M i l i t ä r s t r a f g e s e t z b u c h für das D e u t s c h e R e i c h . V o m 20. J u n i 1 8 7 2 " (3 §§) und das „ M i l i t ä r s t r a f g e s e t z b u c h f ü r das D e u t s c h e Reich. V o m 2 0. J u n i 1 8 72" am 25. Juni 1872 publicirt. Laut § 1 des Einführungsgesetzes tritt letzteres „im ganzen Umfange des Bundesgebietes mit dem 1. October 1872 in Kraft". Ein Gesetz vom 8. Juli 1872 dehnt das Militärstrafgesetzbuch sammt Einführungsgesetz auf Elsass-Lothringen aus 3 6 . Es trat also auch dort am 1. October 1872 in Kraft. IV.

Die Sonderstrafgesetze § 25.

1. I m

des R e i c h e s 1 .

Allgemeinen.

I. Die sehr zalreichen Gesetze des Norddeutschen Bundes, des Zollvereins und des Deutschen Reichs, die neben den beiden Strafgesetzbüchern strafrechtlichen Inhalt haben, sind zu fast einem Dritteil schon vor Erlass des norddeutschen Strafgesetzbuchs geschaffen worden. 34

Sten. Ber. I I 835—849. Sehr beachtenswert ist hier die Rede von Dr. L ö w e , der den Arrest von medicinischem Standpunkte aus beleuchtet, S 838—841. 35 36 Prot des Bundesrats 1872 § 324. GBl für Elsass-Lothr. 1872 S 473. 1

Die Literatur über die einzelnen Gesetze ist im speciellen Teil da anzuführen, wo sie in Betracht kommen. Wohl aber ist hier hinzuweisen auf das von v. B e z o l d herausgegebene, leider wenig übersichtliche Sammelwerk: „ D i e Ges e t z g e b u n g des D e u t s c h e n R e i c h s , mit Erläuterungen." Erlangen 1874 ff. 3. Teil: Strafrecht, wo eine ganze Anzal strafrechtlicher Nebengesetze Erläuterung gefunden hat. Erscheint weiter. Ebenso auch „Die G e s e t z g e b u n g des D e u t s c h e n R e i c h s v o n der G r ü n d u n g des N o r d d . B u n d e s b i s a u f die Gegenwart. Mit Erläuterungen und Registern. Herausg. von G a u p p , H e l l w e g und Anders." I. Berlin u. Leipzig 1883. Erscheint weiter. — Vgl. unten S 126 Anm 1.

124

§25.

1. Die Sonderstrafgesetze des Reiches

Dasselbe hat sie mit wenigen Ausnahmen unberührt gelassen, soweit nicht ein allgemeines Gesetzbuch auf Sondergesetze eine unsichtbare Rückwirkung üben muss. Ein Teil der Sondergesetze hat schon sein kurzes Dasein geendet; ein anderer Teil hat Wandlungen im Inhalt oder bezüglich seines Geltungsgebietes, besonders in Folge der Erweiterung des Norddeutschen Bundes zum Deutschen Reiche, durchmachen müssen. Auch das Sonderstrafrecht des Reichs besitzt schon seine Geschichte. Aber auch die nicht mehr in Kraft stehenden Gesetze können nach dem GB § 2 Abs. 2 heute noch praktisch werden und bedürfen schon deshalb der Beachtung. I I . Die Gesetze — zum allerkleinsten Teil ihrer Bestimmung nach reine Strafgesetze! — sind natürlich in ziemlich bunter Reihenfolge entstanden. Das grössere Bedürfniss und die grössere Leichtigkeit der Fertigstellung bestimmten gemeinsam die Priorität. Fasst man die Erlasse auf ihre Zusammengehörigkeit hin ins Auge, so treten sie — von vereinzelten Gesetzen abgesehen — in Gruppen zusammen, und es ist nicht ohne Interesse, den zeitlichen Ursprung der einzelnen Gesetze in den grösseren Complexen mit zu berücksichtigen. Die beiden ersten Sondergesetze des Norddeutschen Bundes, die hier in Betracht kommen, eröffnen zwei grosse Serien von Gesetzen, deren Erlass für den Nordbund, später das Deutsche Reich von gradezu vitalem Interesse war, die sich somit durch die Jahre 1867—1884 durchziehen. 1. Das Gesetz vom 12. October 1867 betr. die Erhebung einer Abgabe von Salz eröffnet die relativ bei weitem grösste Gruppe der R e i c h s - S t e u e r - u n d R e i c h s - Z o l l - G e s e t z e , die aus nicht weniger als 24 Gesetzen besteht 2 . 2. Mit dem Gesetz vom 25. October 1867 betr. die Nationalität der Kauffahrteischiffe und ihre Befugniss zur Führung der Bundesflagge ergreift die norddeutsche Bundesgesetzgebung zugleich vom Meer und vom Handel Besitz. Es eröffnet die Reihe der das H a n d e l s u n d S c h i f f a h r t s w e s e n b e t r e f f e n d e n G e s e t z e , zu denen auch die das Konsulatswesen betreffenden zu rechnen sind 3 . — Daran schliessen sich an 2 S. § 26,Nr 3. 10—16. 18. 22. 23. 28. 41. 49. 50. 72. 74. 76. 78. 79. 89. 90. 91. 94. 3 Das K o n s u l a t betreffen § 26 Nr 7. 77. 101. Vgl. 86. Das S c h i f f a h r t s wesen Nr 2. 37 (SeemO). 43. 82; insbesondere die S i c h e r u n g der S c h i f f a h r t

im Allgemeinen.

3. die P o s t - u n d T e l e g r a p h e n g e s e t z e 1867, 1869, 1871 4 ;

125

aus den Jahren

4. die G e w e r b e g e s e t z e , besonders die G e w e r b e o r d n u n g , die von 1869 bis 1883 einer chronischen Wandlung unterlag, und das P r e s s g e s e t z vom 7. Mai 1 8 7 4 5 ; 5. die das H e e r u n d s e i n e V e r h ä l t n i s s e Gesetze6;

betreffenden

6. die G e s e t z e z u m S c h u t z e d e r G l ä u b i g e r u n d d e r S c h u l d n e r : die Konkursordnung und das Wuchergesetz 7 ; 7. die G e s e t z e z u m S c h u t z e d e r U r h e b e r - u n d E r f i n d e r r e c h t e , sowie die segensreichen i n t e r n a t i o n a l e n V e r e i n b a r u n g e n behufs A u s d e h n u n g dieses S c h u t z e s 8 ; 8. endlich die G e s e t z e b e h u f s F e r n h a l t u n g v o n G e meingefahren verschiedenster Art. Dieser letztgedachten Aufgabe hat sich das Reich erst von 1875 an energisch zugewendet 9 . ΠΙ. Ein Teil dieser Sonderstrafgesetze # schliesst sich insofern eng an den 28. Abschnitt des allgemeinen und an das Militärstrafgesetzbuch, als sie das S t ä n des t r a f r e c h t weiter bilden. So ist die G e w e r b e o r d n u n g ein Strafgesetz f ü r d i e G e w e r b t r e i b e n d e n , das P r e s s g e s e t z f ü r d e n S t a n d d e r P r e s s e , die so interessante S e e m a n n s o r d n u n g f ü r den S t a n d der S e e s c h i f f e r 1 0 , die K o n k u r s o r d n u n g f ü r d e n S t a n d d e r G e m e i n s c h u l d n e r 1 1 , während das Handelsgesetzbuch Art. 84 das Strafrecht f ü r d i e M ä k l e r der Landesgesetzgebung überweist 1 2 . und der S e e l e u t e Nr 34. 38. 61. 69. 82; die K ü s t e n f r a c h t f a h r t Nr 87; die S t r a n d u n g Nr 48; den H a n d e l betr. Nr 26. 27. 30. 31. 62. 80. 83. 95; das B a n k w e s e n insbes. Nr 52 u. 55. Zusammen 23 Gesetze. 4 5 § 26 Nr 5. 24. 32. § 26 Nr 19. 36. 47. 100. S. auch Nr 79. 6 7 § 26 Nr 9. 33. 42. 46. 54. § 26 Nr 67 und Nr 84. 8 § 26 Nr 29. 51. 56. 57. 58. 68. — S. ferner Nr 21. 25. 88. 96. 9 Dahin gehören § 26 Nr 45. 59. 70. 75. 85. 99. — In ganz anderer Richtung wirken die Gesetze Nr 73 u. 106. 10 S. auch § 26 Nr 38. 11 Es lassen sich auch die Gesetze § 26 Nr 17 und 30 auf das Ständestrafrecht beziehen. 12 Seitdem der interessante „Internationale Vertrag, betr. die polizeiliche Regelung der Fischerei in der Nordsee ausserhalb der Küstengewässer. Vom 6. Mai 1882", s. RGBl 1884 Nr 4 S 25, seine durch Art. 35 vorgesehene strafgesetzliche Ergänzung erhalten hat, ist auch ein S t r a f r e c h t der N o r d s e e f i s c h e r geschaffen. S. unten § 26 Nr 103 u. 104.

126 § 26. D a dies W e r k

2.

Bestand1.

die Sonderstrafgesetze nicht bei Seite lassen darf

u n d da sich jeden Augenblick ergangen i s t ,

Ihr

muss ersehen lassen, wann ein solches

wo es g i l t u n d ob es noch g i l t , so folgen n u n die ein-

zelnen materiellen Strafgesetze — nicht die N o r m e n , auf die sie gebaut sind — ,

wesentlich geordnet

i m Bundes- u n d Reichsgesetzblatt.

nach den Tagen ihrer P u b l i k a t i o n N u r wenn i n früheren Jahren voll-

zogene Gesetze erst i n späteren veröffentlicht wurden, sind sie i n das Jahr i h r e r

Entstehung voraufgenommen 2 .

B e i j e d e m Gesetz ist der

T a g seines Inkrafttretens, eventuell auch der seines Endes angegeben ; ebenso

sein Geltungsgebiet u n d

die W a n d l u n g e n ,

die es i n

dieser

Beziehung durchgemacht hat. 1867. 1. Verfassung des Norddeutschen Bundes. V o m 26. J u l i 1867. In Kraft vom 1. Juli 18673. a. Art. 22. „Wahrheitsgetreue Berichte über Verhandlungen in den öffentlichen Sitzungen des Reichstages bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei." b. Art. 30 sichert den Reichstagsmitgliedern für ihre Abstimmungen und ihre in dem Berufe getanen Aeusserungen gerichtliche (und disciplinarische) Unverfolgbarkeit zu. c. Art. 74 stellt mangels eines norddeutschen Strafgesetzbuchs eine Reihe von Angriffen gegen den Bund, seine Organe, Behörden und Beamten unter die particularen Strafbestimmungen gegen derartige Angriffe wider den einzelnen Bundesstaat und dessen Organe. Allen 'drei Bestimmungen ist durch die gleichlautenden Art. 22. 30. 74 der Verfassung des Deutschen Bundes vom 15. Nov. 1870, der W ü r t t e m b e r g durch Vertrag v. 25. Nov. 1870 und B a y e r n durch Vertrag vom 23. Nov. 1870 beitraten, und welche am e r s t e n J a n u a r 1 8 7 1 in S ü d h e s s e n , B a d e n , B a y e r n und W ü r t t e m b e r g in Kraft getreten ist, derogirt. An Stelle dieser Bundesverfassung ist wieder die Beichsyerfassung* vom 16. A p r i l 1871 mit ihren gleichlautenden Art. 22. 30. 74 getreten (nur dass hier das „Deutsche Reich" an Stelle des Deutschen resp. Norddeutschen Bundes getreten ist). Laut Reichsgesetz vom 25. Juni 1873 (RGBl 1873 Nr 18 S 161. 162) trat in E l s a s s L o t h r i n g e n die Reichsverfassung am 1. Januar 1874 in Kraft. 1 S. auch S c h r ä d e r , Deutsche Strafgesetze. Uebersichtliche Zusammenstellung der sämmtlichen neben dem Strafgesetzbuch geltenden Strafbestimmungen des Deutschen Reichs. Berlin 1876. — B i n d i n g , Einleitung S 120 ff. — N e u m a n n , Die deutschen Reichsgesetze, welche neben dem Strafgesetzbuch strafrechtliche Bestimmungen enthalten. Für den praktischen Gebrauch . . . erläutert. Berlin 1878. — S t a u d i n g e r , Sammlung strafrechtlicher Specialgesetze des Deutschen Reichs. Nördlingen 1880. — H e l l w e g u. A r n d t , Die deutsche Strafgesetzgebung. Textausgabe mit Anmerkungen. Berlin u. Leipzig 1883.— B o r c h e r t , Codex des deutsch-preussischen Strafrechts u. Strafprozesses. Berlin 1883. — S. auch v. L i s z t , Strafrecht S 35 ff.; R ü d o r f f , Strafgesetzbuch 12. Aufl. S 219 ff.; O l s h a u s e n , Strafgesetzbuch S 150 ff. — Vgl. oben S 123 Anm 1. — D i e folg. U e b e r s i c h t g e h t bis R G B l 1884 N r 20 e i n s c h l i e s s l i c h . 2 Die Abänderungsgesetze zur Verfass, u. zur GewO sind der Uebersichtlichkeit halber alle bei der Verfass, unter Nr 1 u. bei der GewO vom 21. Juni 3 1869, unten Nr 19, aufgeführt. BGBl 1867 Nr 1 S 1—23.

§ 26. 2. Ihr Bestand.

127

A r t . 74 i s t f ü r den N o r d d e u t s c h e n B u n d u n d S ü d h e s s e n am 1. J a n u a r 1871, f ü r B a d e n , B a y e r n u n d W ü r t t e m b e r g am 1. J a n u a r 1872 d a d u r c h g e g e n s t a n d s l o s g e w o r d e n , dass d o r t u n d h i e r an d i e s e n b e i d e n T a g e n das S t r a f g e s e t z b u c h i n K r a f t t r a t . 2. ND. Gesetz, betr. die Nationalität der Kauffahrteischiffe und ihre Befugniss zur Führung der Bundesflagge. V o m 25. O c t o b e r 1 8 6 7 4 . Im Kraft seit dem 1. April 1868. Zum „Bundesgesetz", später „Reichsgesetz" erhoben. Gilt in S ü d h e s s e n , B a d e n und W ü r t t e m b e r g seit dem 1. Januar 1871 (BGBl 1870 S 647. 6>6), in B a y e r n seit dem 13. Mai 1871 (BGBl 1871 S 87). § 13 u. 14. Unberechtigtes Fahren unter Bundesflagge 5. § 15. Unterlassene pflichtmässige Anzeige der Tatsachen, welche Eintragung oiler Löschung im Schiffsregister erforderlich machen. (Vergi, unten Nr 43.) 3. ND. Gesetz, betr. die Erhebung einer Abgabe yon Salz. V o m 12. O c t o b e r 1 8 6 7 6 . In Kraft seit dem 1. Januar 1868; erlassen nur „ f ü r d i e zum d e u t s c h e n Z o l l - u n d H a n d e l s ver eine g e h ö r e n d e n S t a a t e n u n d G e b i e t s t e i l e des B u n d e s " . Das Gesetz ist auf Grund der „Uebereinkunft wiegen Erhebung einer Abgabe von Salz. Vom 8. Mai 1867" 7 zwischen den Zollvereinsstaaten erlassen u n d e n t h ä l t n u r g e m e i n e s n o r d d e u t s c h e s Recht. Mit geringen Modifikationen ist es aber auch publicirt in B a d e n (Ges v. 25. October 1867, RBI 1867 S 460 ff.), Südhessen (Ges v. 9. Nov. 1867, RB1 1867 S 493 ff.), B a y e r n (Ges v. 16. Nov. 1867, GBl 1866—1869 S 217 ff.) u. W ü r t t e m b e r g (Ges v. 25. Nov. 1867, RB1 1867 S 114 ff.); ferner in E l s a s s - L o t h r i n g e n (Ges v. 17. Juli 1871, GBl 1871 S 37). Die §§ 11—18 enthalten „Strafbestiinmungen" für Entziehung der Abgabe von Salz, „Salzabgaben-Defraudation" ; § 15 droht nur eine „Ordnungsstrafe." Beachte § 19. § 13 al. 2 enthält den verwerflichen Satz : „Das Dasein der Defraudation und die Anwendung der Strafe derselben wird in den vorstehend angeführten Fällen lediglich durch die bezeichneten Tatsachen begründet. Kann jedoch der Angeschuldigte vollständig nachweisen, dass er eine Defraudation nicht habe verüben können und wollen, so findet nur eine Ordnungsstrafe nach § 15 statt." 4. ND. Gesetz über die Freizügigkeit. V o m 1. Nov. 1 8 6 7 8 . In Kraft seit 1. Januar 1868. Als Bundesgesetz, später Reichsgesetz in Kraft 1. in B a d e n , Südhessen und W ü r t t e m b e r g vom 1. Januar 1871 9 ; 2. in B a y e r n seitdem 13. Mai 1871 10 . 3. In E l s a s s - L o t h r i n g e n eingeführt durch Gesetz vom 8. Januar 1873 n , dort in Kraft vom 28. Januar 1873. § 3. „Insoweit bestrafte Personen nach den Landesgesetzen Aufenthaltsbeschränkungen durch die Polizeibehörde unterworfen werden können, behält es dabei sein Bewenden." 4

BGBl 1867 Nr 5 S 35 ff. (ausgeg. Berlin 31. Oct. 1867). S. dazu die ergänzenden Specialbestimmungen zu dem deutsch-chinesischen Vertrag vom 31. März 1880 § 5, unten Nr 83. 6 BGBl 1867 Nr 6 S 41 ff. (ausgeg. Berlin 2. Nov. 1867). 7 BGBl 1867 Nr 6 S 49. Sie ist aufgenommen in den V e r t r a g z w i s c h e n dem Nordd. B u n d e , B a y e r n , W ü r t t e m b e r g , B a d e n und H e s s e n , die Fortdauer des Zoll- und Handelsvereins betreffend, vom 8. Juli 1867 (das. Nr 9 S 81 ff. Art. 3 § 7). 8 BGBl 1867 Nr 7 S 55 ff. (ausgeg. Berlin 6. Nov. 1867). 9 10 BGBl 1870 S 647 u. 656. BGBl 1871 S 87. 11 GBl für Elsass-Lothringen 1873 Nr 1 S 1 (ausgeg. Berlin 14. Jan. 1873). 5

Die Sonderstrafgesetze des Reiches

128

„Solchen Personen, welche derartigen Aufenthaltsbeschränkungen in einem Bundesstaate unterliegen, oder welche in einem Bundesstaate innerhalb der letzten zwölf Monate wegen wiederholten Betteins oder wegen wiederholter Landstreicherei bestraft worden sind, kann der Aufenthalt in jedem andern Bundesstaate von der Landespolizeibehörde verweigert werden." „Die besonderen Gesetze und Privilegien einzelner Ortschaften und Bezirke, welche Aufenthaltsbeschränkungen gestatten, werden hiermit aufgehoben." § 10. „Unterlassene Meldung neu Anziehender darf nur mit Polizeistrafe, nie mit dem Verlust des Aufenthaltsrechtes geahndet werden." 5. ND. Gesetz über das Postwesen des Norddeutschen Bundes. V o m 2. Nov. 1 8 6 7 1 2 . In Kraft seit dem 1. Januar 1868. In der mit S ü d h e s s e n und B a d e n vereinbarten Bundesverfassung Art. 80 zum Bundesgesetz erklärt. Als solches sollte es in Kraft treten in Südhessen vom 1. Januar 1871, in B a d e n vom 1. Januar 1872 an. Das ganze Gesetz i s t ausser K r a f t g e s e t z t d u r c h Gesetz über das Postwesen des Deutschen Beichs. V o m 28. Oct. 1 8 7 1 1 3 . Durch Gesetz vom 4. Nov. 1871 auf E l s a s s - L o t h r i n g e n ausgedehnt14. In Kraft seit dem 1. Januar 1872. Die §§ 18. 19. 23 des Reichsgesetzes, wesentlich übereinstimmend mit den §§ 18. 19. 23 des norddeutschen Gesetzes, verpönen die Pfändung gegen Posten, Kuriere u. s. w., das unterlassene Ausweichen vor Posten, Kurieren u. s. w., die unterlassene schleunige Oeffnung der Thore und Schlagbäume und die unterlassene unverzügliche Ueberfahrt. § 5 wesentlich übereinstimmend mit § 58 al. 2 des norddeutschen Gesetzes erklärt das Briefgeheimniss für unverletzlich, die notwendigen Ausnahmen seien durch ein Reichsgesetz und bis zu dessen Erlass durch die Landesgesetze festzustellen. Abschnitt IV § 27—33 ist an die Stelle des Abschnitts IV § 27—39 des Bundesgesetzes getreten und enthält die Strafen der Porto- und PersonengeldDefraudationen. Nach § 33 fliessen die in den §§ 27—29 bestimmten Geldstrafen zur Post-Armen- und -Unterstützungskasse (analog dem § 39 des Bundesgesetzes). 6. Vertrag zwischen dem Norddeutschen Bunde, Bayern, Württemberg, Baden und Hessen, die Fortdauer des Zoll- und Handelsyereins betreffend. V o m 8. J u l i 186 7 1 δ . In Kraft seit dem 1. Januar 1868. Soweit der Vertrag nicht durch die Bundesverfassung resp. Reichsverfassung abgeändert ist, ist er durch Art. 40 beider Verfassungen ausdrücklich bestätigt. Nach Art. 3 § 7 „werden die vertragenden Teile . . . . die Grundsätze, das Zollstrafgesetz betreffend, wie solche zwischen ihnen vereinbart sind, . . . zur Anwendung bringen." A. 9 § 3 erklärt wahrheitsgetreue Berichte über Verhandlungen des Zollparlaments für frei von Verantwortung. A. 9 § 12 statuirt die gerichtliche (und disciplinarische) UnVerfolgbarkeit der Mitglieder des Zollparlaments für Abstimmungen und in Ausübung ihres Berufes getane Aeusserungen. — D u r c h E i n g e h e n des Z o l l p a r l a m e n t s gegenstandslos geworden.

12 13 15

BGBl 1867 Nr 8 S 61 ff. (ausgeg. Berlin 9. Nov. 1876). RGBl 1871 Nr 42 S 347 ff. (ausgeg. Berlin 1. Nov. 1871). GBl für Elsass-Lothringen 1871 S 348. BGBl 1867 Nr 9 S 81 ff. (ausgeg. Berlin 13. Nov. 1867).

§ 26.

2. Ihr Bestand.

129

Nicht unwichtig Art. 18 (S 102): „Das Begnadigungs- und Strafverwandlungsrecht bleibt jedem Vereinsstaate in seinem Gebiete vorbehalten. Auf Verlangen werden periodische Uebersichten der erfolgten Straferlasse dem Bundesrate des Zollvereins mitgeteilt werden." 7. ND. Gesetz, betr. die Organisation der Bnndeskonsulate, sowie die Amtsrechte und Pflichten der Bundeskonsuln· V o m 8. Nov. 1 8 6 7 1 6 . In Kraft seit clem 3. Dec. 1867. In den Konsulatsbezirken nach § 24 des Gesetzes in Kraft vom 19. Mai 1868. Durch die Bundesverfassung zum Bundesgesetz, durch die Reichsverfassung zum Reichsgesetz erklärt. In S ü d h e s s e n , B a d e n und W ü r t t e m b e r g in Kraft seit dem 1. Januar 1871 17 , in B a y e r n seit dem 13. Mai 1871 18 . Laut § 24 dieses Gesetzes, vgl. § 17 des preuss. Gesetzes über die Gerichtsbarkeit der Konsuln v. 29. Juni 1865, ist für die Jurisdiction der Konsuln „rücksichtlich der strafbaren Handlungen anzunehmen, dass für die der Konsulargerichtsbarkeit unterworfenen Personen das ( p r e u s s i s c h e ) S t r a f g e s e t z b u c h vom 14. A p r i l 1851 u n d d i e ü b r i g e n i n der M o n a r c h i e g e l t e n d e n S t r a f gesetze a u c h i n den K o n s u l a t s b e z i r k e n G e l t u n g h a b e n " . § 17 al. 1 statuirt die Befugniss der Konsuln zur Aufstellung von polizeilichen Normen und Strafgesetzen mit einer Strafsanction von höchstens 10 Thalern. An Stelle des preussischen Strafgesetzbuches ist auch in jenen Jurisdictionsbezirken am 1. Januar 1871 das norddeutsche Strafgesetzbuch getreten. Vgl. das Gesetz Nr 77. 8. ND. Gesetz, betr. die yertragsmässigen Zinsen. V o m 14. Nov. 1 8 6 7 1 9 . In Kraft vom 3. Dec. 1868. Von der Bundesverfassung zum Bundesgesetz, von der Reichsverfassung zum Reichsgesetz erklärt. In S ü d h e s s e n und B a d e n in Kraft seit 1. Januar 1871 20 ; in W ü r t t e m b e r g seit 1. Juli 1871 21 . In B a y e r n noch nicht eingeführt. Hier-gilt das bayerische Gesetz vom 5. Dec. 1867. § 1. „Die Höhe der Zinsen, sowie die Höhe und die Art der Vergütung für Darlehne und für andere kreditirte Forderungen, ferner Conventionalstrafen (für unterlassene Zahlung einer kreditirten Forderung) unterliegen der freien Vereinbarung. Die entgegenstehenden privatrechtlichen und strafrechtlichen Bestimmungen werden aufgehoben." Ueber das Wuchergesetz s. unten Nr 84 und oben § 18 S 97. 9. ND. Verordnung, die Einführung des preussischen Militärstrafrechts im ganzen Bundesgebiete betreffend. V o m 29. Dec. 1 8 6 7 2 2 . In Kraft vom 14. Januar 1868 im ganzen Bunde mit Ausnahme des Königreichs S a c h s e n 2 3 . Dadurch wird zum Bundesgesetz erhoben das „Strafgesetzbuch für das preussische Heer vom 3. April 1845" sammt seinen Ergänzungen. Dazu: „ V e r o r d n u n g , b e t r e f f e n d d i e E i n f ü h r u n g des preuss. M i l i t ä r s t r a f r e c h t s i n Baden. V o m 24. Nov. 1 8 7 1 " 2 4 . Erlassen auf Grund des Art. 61 der Reichsverfassung. Dehnt „die Bestimmungen Unserer Verordnung vom 29. Dec. 1867" auf Baden aus. 16 17 19 20 22 23 24

BGBl 1867 Nr 11 BGBl 1870 S 647 BGBl 1867 Nr 11 BGBl 1870 S 647. BGBl 1867 Nr 13 Vgl. oben S 101. RGBl 1871 Nr 46

Binding, Handbuch.

S 137 if. (ausgegeben Berlin 19. Nov. 1867). u. 656. 1 8 BGBl 1871 S 88. S 159. 160 (ausg. Berlin 19. Nov. 1867). 21 Das. S 656. S 185 ff. (ausg. Berlin 31. Dec. 1867). S 401 (ausg. Berlin 30. Nov. 1871).

V I I . 1. I :

B i n d i n g , Strafrecht.

I.

9

130

Die Sonderstrafgesetze des Reiches

Derogirt durch das „Militärstrafgesetzbuch für das Deutsche Reich" sammt seinem Einfuhrungsgesetz v. 20. Juni 1872 2 5 . In Kraft seit dem 1. Oct. 1872 im ganzen Reiche.

1868. 10. ND. Gesetz, betr. die Erhebung einer Abgabe von der Branntweinbereitung in den Hohenzollernschen Landen. V ο m 4. M a i 1 8 6 8 2 6 . In den Hohenzollernschen Landen in Kraft seit dem 1. Januar 1869. § 13 verpönt Branntweinbrennerei trotz unterlassener Anzeige und sonstige Zuwiderhandlungen gegen dieses Gesetz. Die Beträge der Geldstrafen geändert durch das Gesetz, b e t r . d i e A b g a b e u. s. w. V o m 15. Nov. 1 8 7 4 2 7 . § 4. In Kraft seit dem 1. Jan. 1876. S. unten Nr 49. 11. Gesetz wegen Abänderung einzelner Bestimmungen der Zollordnung und der Zollstrafgesetzgebung. V o m 18. M a i 18 6 8 2 8 . § 7. 8. 9. Publicirt für S ü d h e s s e n durch Ministerial-Bekanntmachung vom 23. Juni 1868 (Reg.-Blatt 1868 S 572); für W ü r t t e m b e r g durch königl. Decret vom 24. Juni 1868 (Reg.-Blatt 1868 S 297); für B a y e r n durch königl. Declar. vom 25. Juni 1868 (GBl 1866—1869 S 638. 639). In Kraft für sämmtliche Zollvereinsstaaten seit dem 1. Juli 186 8 2 9 . — A u s s e r K r a f t g e s t e l l t d u r c h das Vereinszollgesetz. S. unten Nr 22. 12. Z o l l v e r e i n s - G e s e t z , die Besteuerung des Tabaks betr. Vom 26. M a i 1 8 6 8 3 0 . Eingeführt in B a d e n durch Verordnung des Finanzministeriums vom 9. Juni 1868 (Reg.-Blatt 1868 S. 592), in S ü d h e s s e n durch Ministerial-Bekanntmachung vom 23. Juni 1868 (Reg.-Blatt 1868 S 824), in W ü r t t e m b e r g durch königl. Decret vom 24. Juni 1868 (Reg.-Blatt 1868 S 390) und in B a y e r n durch königl. Declar. vom 28. August 1868 (GBl S 657-660). Das Gesetz sollte erst für das Jahr 1869 in Anwendung kommen. § 10—12. — A u s s e r K r a f t ges t e l l t d u r c h das Tabaks-Gesetz y. 16. Juli 1879. S. unten Nr 78. 18. ND. Gesetz wegen Besteuerung des Braumalzes in yerschiedenen zum Norddeutschen Bunde gehörenden Staaten und Gebietsteilen. Vom 4. J u l i 186 8 3 1 . Erlassen für die b e i d e n M e c k l e n b u r g , für L a u e η b ü r g , L ü b e c k u n d sein G e b i e t , sowie für d i e n a c h dem 1. J a n u a r dieses J a h r e s i n die Z o l l l i n i e des Z o l l v e r e i n s gezogenen u n d n o c h zu z i e h e n d e n preuss. u n d h a m b u r g . G e b i e t s t e i l e . Ueber den Zeitpunkt an welchem das Gesetz in Kraft trat, s. bei Nr 14. § 23—38. Straf bestimmungen. — Eigentümlich § 34 (Vertretungsverbindlichkeit für verwirkte Geldstrafen). — A u s s e r K r a f t g e s t e l l t d u r c h d a s Brausteuergesetz y. 31. Mai 1872. S. unten Nr 35. 25 RGBl 1872 Nr 18 S 173-204 (ausgegeben Berlin 25. Juni 1872). Vgl. oben S 123. 26 BGBl 1868 Nr 11 S 151—154 (ausg. Berlin 12. Mai 1868). 27 RGBl 1874 Nr 26 S 133 (ausg. Berlin 19. Nov. 1874). 28 BGBl 1868 Nr 15 S 225-227 (ausg. Berlin 27. Mai 1868). 29 Keine Strafgesetze, wohl aber interessante Vereinbarungen über zu erlassende Strafgesetze wider „Uebertretungen von Ein-, Aus- und Durchfuhrverboten . . . und Zoll- oder Steuerdefrauden", sowie anderweitige Uebertretungen der Zollgesetze enthält das „Zollkartel", welches Anlage C zu dem „Handels- und Zollvertrag zwischen dem Zollverein einerseits und Oesterreich andererseits, vom 9. März 1X68" bildet. BGBl 1868 Nr 17 S 296-302 §§ 12—16 und 23. Vgl. unten Nr 74 u. 89. 30 BGBl 18^8 Nr 18 S 319 if. (ausg. Berlin 15. Juni 1868). 31 BGBl 1868 Nr 22 S 375 ff. (ausg. Berlin 11. Juli 1868).

§ 26. 2. Ihr Bestand.

131

14. ND. Gesetz, betr. die Besteuerung des Branntweins in den verschiedenen zum Norddeutschen Bund gehörenden Gebietsteilen. Vom 8. J u l i 1 8 6 8 3 2 . Erlassen für dieselben Staaten wie das vorige und ausserdem noch „für den zum Norddeutschen Bunde gehörenden Teil des Grossh. Hessen". In Kraft in H e s s e n laut § 70 v. 1. Juli 1869; ferner in Kraft getreten ebenso wie das Gesetz wegen Besteuerung cles Braumalzes laut Präsidialverordnung a. vom 29. Juli 1868 (BGBl S 465) i n den b e i d e n M e c k l e n b u r g , L a u e n b u r g , L ü b e c k , den b i s h e r dem Z o l l v e r e i n a n g e s c h l o s s e n e n T e i l e n der Reg i e r u n g s b e z i r k e P o t s d a m u n d S t e t t i n u n d dem am 11. F e b r . 1868 dem Z o l l v e r e i n a n g e s c h l o s s e n e n T e i l e des h a m b u r g . G e b i e t e s am 11. Aug. 1868; b. vom 19. Oct. 1868 (BGBl 1868 S 513) i n den am 1. No v. 186 8 dem Z o l l v e r e i n a n z u s c h l i e s s e n d e n h a m b u r g . G e b i e t s t e i l e n und den Dörfern H o h e n f e l d e , H a m f e l d e u. K ö t h e l , dem preuss. A n t e i l der L a n d s c h a f t K i r c h w a r d er u n d den E l b ins e i n Ο ν er h a c k e n u n d F i n k e n war d e r - B l u m e n s a n d (sämmtlich in Preussen) am 1. Nov. 1868; c. vom 5. Juni 1869 (BGBl 1869 S 241) i n der h a m b u r g . V o i g t e i M o o r w ä r d e r u n d dem am 1. J u l i dem Z o l l v e r e i n a n g e s c h l o s s e n e n T e i l der I n s e l W i l h e l m s b u r g am 1. Juli 1869; d. vom 29. Dec. 1871 (RGBl 1871 S 483) i n dem dem Z o l l v e r e i n am 1. J a n u a r 1872 a n z u s c h l i e s s e n d e n T e i l v o n A l t o n a am 1. Januar 1872. — Vgl. Gesetz, betr. die Besteuer. des Branntweins in Gebietsteilen, welche in die Zollgrenze eingeschlossen werden. V o m 16. Nov. 187 4 3 3 . In Kraft vom 3. Dec. 1874. (In solchen Gebietsteilen tritt das Gesetz v. 8. Juli 1868 in Kraft, „sofern nicht daselbst die Besteuerung des inländischen Branntweins verfassungsmässig der Landesgesetzgebung vorbehalten ist".) — Durch Gesetz, betr. die Besteuerung des Branntweins in ElsassLothringen vom 16. M a i 1873 (RGBl 1873 Nr 13 S 111. 112; in Kraft vom 1. Juli 1873) auf E l s a s s - L o t h r i n g e n ausgedehnt. „V. Von clen Strafen und dem Strafverfahren" § 50—68. Eigentümlich § 66 : „C. Vertretungsverbindlichkeit für verwirkte Geldstrafen". 15. ND. Gesetz, belr. die subsidiär. Haftung des Brauerei-Unternehmers für Zuwiderhandlungen gegen die Braumalzsteuergesetze durch Verwalter, Gewerbsgehilfen und Hausgenossen. V o m 8. J u l i 1 8 6 8 3 4 . In Kraft vom 1. Oct. 1868. Erlassen „für das innerhalb der Zolllinie liegende Gebiet des Norddeutschen Bundes, soweit nicht das Gesetz vom 4. d. Mon. (s. oben Nr 13) . . . . Anwendung findet, und mit Ausschluss der Hohenzollernschen Lande, der grossherzoglich sächsischen Gebietsteile des Vordergerichts Ostheim und des Amtes Königsberg". — Stimmt bis auf eine winzige Differenz wörtlich mit dem § 34 des unter Nr 13 aufgeführten Gesetzes überein. A u s s e r K r a f t g e s t e l l t d u r c h das Brausteuergesetz v. 81. Mai 1872. S. unten Nr 35. 16. ND. Gesetz, betr. die subsid. Haftung des Brennerei-Unternehmers für Zuwiderhandlungen gegen die Branntweinsteuergesetze durch Verwalter, Gewerbsgehilfen und Hausgenossen. V o m 8. J u l i 18 6 8 3 5 . In Kraft vom 1. Oct. 1868. Erlassen für das innerhalb der Zolllinie liegende 32 33 34 35

BGBl 1868 a. a. 0. S 384 ff. RGBl 1874 Nr 26 S 134 (ausgegeben Berlin 19. Nov. 1874). BGBl 1868 Nr 23 S 403. 404 (ausg. Berlin 13. Juli 1868). Das. S 404—406. 9*

Die Sonderstrafgesetze des Reiches

132

Gebiet des Norddeutschen Bundes, soweit nicht die Gesetze unter Nr 10 und 14 Anwendung finden, und mit Ausschluss des Yordergerichts Ostheim und des Amtes Königsberg. Stimmt fast wörtlich mit § 66 des unter Nr 14 aufgeführten Gesetzes überein. 17. ND. Gesetz, betr. die priyatrechtliche Stellung der Erwerbsund Wirthschaftsgenossenschaften. V o m 4. J u l i 1 8 6 8 3 6 . In Kraft seit dem 1. Januar 1869. In Kraft als Bundes-, später Reichsgesetz in Südhessen, B a d e n , W ü r t t e m b e r g seit dem 1. Januar 1871 37 . In B a y e r n galt ein wenig abweichendes Gesetz v. 29. April 1869. Dies ist aufgehoben worden durch das Reichsgesetz v. 23. Juni 1873 (RGBl 1873 S 146), nach welchem vom 1. August 1873 an in Bayern das norddeutsche Gesetz gilt. Durch Gesetz v. 12. Juli 1872 ist das Gesetz v. 4. Juli 1868 vom 1. Oct. 1872 an auf E l s a s s - L o t h r i n g e n ausgedehnt 38 . Vgl. hierzu die Verordnung zur Ausführung des Reichsgesetzes vom 4. Juli 1868, vom 28. Sept. 187 2 3 9 . § 27. 67. 63. S. auch § 66. 1869. 18. ND. Gesetz, betr. die Wechselstempelsteuer im Norddeutschen Bunde. V o m 10. J u n i 18 6 9 4 0 . In Kraft seit dem 1. Januar 1870. Zum Bundesgesetz, später zum Reichsgesetz erhoben und als solches in Kraft in Südh e s s e n , B a d e n , W ü r t t e m b e r g seit dem 1. Januar 1871 4 1 , in B a y e r n seit dem 1. Juli 187 1 4 2 , in E l s a s s - L o t h r i n g ö n seit dem 15. August 1871 43 . § 15—18. 23. § 15 verpönt die Nichterfüllung der Verpflichtung zur Entrichtung der Stempelabgabe. § 17 lässt in 5 Jahren Wechselstempel-Hinterziehungen verjähren. § 23 beschäftigt sich mit Fälschung von Stempelmarken u. s. w. u n d i s t d u r c h die §§ 275. 276. 364 des Bundes- resp. Beichs-Strafgesetzbuches am 1. Januar 1871 für den Norddeutschen Bund und Südhessen ausser K r a f t g e t r e t e n ; am 1. Januar 1872 für Baden, Württemberg und Bayern; am 1. Oct. 1871 für Elsass-Lothringen. Beachte das Gesetz wegen Abänderung des Gesetzes τ. 10. Juni 1869, betr. die Wechselstempelsteuer. V o m 4. J u n i 1879 (RGBl 1879 S 151. 152). In Kraft ν. 1. Juli 1879. 19. ND. Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund. Vom 21. J u n i 1 8 6 9 4 4 . Titel I. II. IV—X in Kraft seit dem 2. October 1869. T. I l l seit dem 1. Januar 1870. Zum Bundesgesetze, später zum Reichsgesetz erhoben: als solches in Kraft in Hessen vom 1. Januar 1871 4 5 , in W ü r t t e m b e r g und B a d e n vom 1. Januar 187 2 4 6 , in B a y e r n bezüglich der Vorschriften in den §§29 und 147 Z. 3 vom 1. Juni 1872, hinsichtlich der übrigen Bestimmungen vom 1. Januar 1873 47 . In E l s a s s - L o t h r i n g e n noch nicht eingeführt. 36 37 38 40 41 43 44 45

BGBl 1868 Nr 24 S 415 if. (ausgegeben Berlin 15. Juli 1868). BGBl 1870 S 647. 656. 39 GBl für Elsass-Lothringen 1872 Nr 18 S 511. Das. Nr 24 S 745. BGBl 1869 Nr 21 S 193 if. (ausg. Berlin 17. Juni 1869). 42 BGBl 1870 S 647. 656. BGBl 1871 S 88 (§ 4 al. 1). GBl für Elsass-Lothringen S 175. BGBl 1869 Nr 26 S 245 ff. (ausg. Berlin 1. Juli 1869). 46 47 BGBl 1870 S 649. RGBl 1871 S 392. RGBl 1872 S 170.

§ 26. 2. Ihr Bestand. § 35. Untersagung des Gewerbebetriebes in Folge bestimmter Bestrafungen; § 57 Nr 2 u. 3 Versagung des Legitimationsscheines zum Gewerbebetrieb im Umherziehen in Folge bestimmter Bestrafungen; T. X (§ 143—153) Strafbestimmungen. λ7οη besonderem Interesse sind § 152 al. 1: „Alle Verbote und Strafbestimmungen gegen Gewerbetreibende . . . . wegen Verabredungen und Vereinigungen zum Beliufe der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen, insbes. mittels Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter, werden aufgehoben", und §153: Gefängniss bis zu drei Monaten trifft denjenigen, der durch Zwang, Drohungen, Ehrverletzung oder Verrufserklärung Andere zu bestimmen sucht, an solchen Verabredungen Teil zu nehmen, oder zu hindern sucht, von ihnen zurückzutreten. 1. An Stelle des § 145 al. 1. 146 al. 1 u. 2. 147 al. 1. 148 al. 1. 149 al. 1. 150 al. 1 und al. 5 sind vom 26. Juni 1872 an die Bestimmungen des § 2 des Gesetzes, betr. die Einführung der Gewerbeordnung . . . . in Bayern und die Abänderung einiger Strafbestimmungen der Gewerbeordnung, vom 12. J u n i 1 8 7 2 4 8 getreten. · 2. An Stelle des § 146. 147 al. 1. 148 al. 1. 148 Nr 9 u. 10. 149 al. 1. 149 Nr 7. 150 ist getreten A. 2 des Gesetzes, betr. die Abänderung der Gewerbeordnung. V o m 17. J u l i 18 7 8 4 9 . In Kraft v. 1. Januar 1879. 3. An Stelle des § 148 Nr 10 und zu § 149 ist getreten der A. 2 des Gesetzes, betr. die Abänderung der Gewerbeordnung. V o m 18. J u l i 1881. In Kraft vom 8. August 1881 50 . 4. An Stelle des § 143. 145. 146. 148 Nr 5, 6 u. 7; 149. 150 ist getreten A. 14 des Gesetzes, betr. die Abänderung der Gewerbeordnung. V o m 1. J u l i 1883. In Kraft v. 1. Januar 1884 51 . S. unten Nr 100. 5. An Stelle dieses Chaos ist endlich durch Erlass y. 1. Juli 1883 ein neuer Text der Gewerbeordnung publicirt worden 52 . S. unten Nr 100. 20. Gesetz, die Besteuerung des Zuckers betr. V o m 26. J u n i 1 8 6 9 5 3 . Eingeführt in B a d e n durch Min.-Bek. vom 29. Juni 1869 (G- und V-Bl 1869 S 257 bis 259), S ü d h e s s e n durch Min.-Bek. v. 1. Juli 1869 (Reg.-Bl. 1869 S 529), W ü r t t e m b e r g durch kön. Decret v. 1. Juli 1869 (Reg.-Bl., 1869 S 209—212), B a y e r n durch k. Deel. v. 8. Juli 1869 (GBl 1866—1869 S 1357—1360), E l s a s s L o t h r i n g e n durch Ges vom 17. Juli 1871 (GBl S 37). In Kraft vom 1. Sept. 1869, in Elsass-Lothr. vom 7. Aug. 1871; hier mit derselben Modifikation wrie bei Nr 22. — Die Strafbestimmungen enthält § 4. 21. Uebereinkunft zwischen dem Nordd. Bunde und Italien wegen gegenseitigen Schutzes der Rechte an literar. Erzeugnissen und Werken der Kunst. Vom 12. M a i 1 8 6 9 5 4 . In Kraft seit dem 29. August 1869. A. 11 al. 1: „Im Falle von Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen der voranstehenden Artikel soll mit Beschlagnahme der nachgebildeten Gegenstände verfahren werden, und die Gerichte sollen auf die durch die beiderseitigen Gesetzgebungen best. Strafen in ders. Weise erkennen, als wenn die Zuwiderhandlung gegen ein Werk oder Erzeugniss inländischen Ursprungs gerichtet wäre." 48 49 50 51 52 53

RGBl 1872 RGBl 1878 RGBl 1881 RGBl 1883 Das. S 177 BGBl 1869

Nr Nr Nr Nr ff. Nr

17 24 19 15

S S S S

170. 171 (ausgegeben Berlin 17. Juni 1872). 210. 211 (ausg. Berlin 22. Juli 1878). 233 ff. (ausg. Berlin 22. Juli 1881). 159 ff. (ausg. Berlin 18. Juli 1883).

26 S 282—284.

54

BGBl 1869 Nr 28 S 293 ff.

Die Sonderstrafgesetze des Reiches

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22. Vereinszollgesetz. V o m 1. J u l i 1 8 6 9 6 5 . Mit einz. Abänderungen eingeführt in W ü r t t e m b e r g durch kön. Decr. v, 10. Juli 1869 (Reg.-Bl. 1869 S 225—286), B a d e n durch Min.-Bek. v. 13. Juli 1869 (G- u. V-Bl 1869 S 263—313), S ü d h e s s e n durch Min.-Bek. v. 16. Aug. 1869 (Reg.-Bl. 1869 S 717), B a y e r n durch k. Deel. v. 26. Sept. 1869 (GBl S 1381—1384), E l s a s s - L o t h r i n g e n durch Gesetz v. 17. Juli 1871 und Bek. des Reichskanzlers v. 2. Aug. 1871 (GBl 1871 S 37 u. 243). In Kraft vom 1. Januar 1870; in Elsass-Lothr. vom 7. Aug. 1871, soweit es nicht durch Verordn. des Gouverneurs vom 3. Mai 1871 in Wirksamkeit getreten ist. „XX. Strafbestimmungen", § 134—165. Die §§ enthalten im wesentlichen die Strafen gegen einfache und qualificirte Contrebande und Zolldefraudation (§ 134—150); die §§ 151 und 152 drohen Ordnungsstrafen, § 153 regelt die „subsidiarische Vertretungsverbindl. dritter Personen", § 154 —157 die Konfiskation, § 162 die Strafverwandlung, § 164 die Verjährung, § 158 u. 159 die Concurrenz von Contrebande und Defraudation mit anderen straf baren Handlungen ; die §§ 160 u. 161 bedrohen Bestechung und Widersetzlichkeit; § 163 sagt: „Unbekanntschaft mit den Vorschriften dieses Gesetzes und der in Folge derselben gehörig bekannt gemachten Verwaltungsvorschriften soll Niemand, auch nicht den Ausländem, zur Entschuldigung gereichen." 23. Gesetz, betr. die Sicherung der Zollyereinsgrenze in den yom Zollgebiete ausgeschlossenen hamburger Gebietsteilen. V o m 1. J u l i 1 8 6 9 5 6 . In Kraft vom 1. Aug. 1869. — Strafrechtlichen Inhalts sind die Art. 1—12. 15. 18, 2 u. 3. — Vgl. unten Nr 76. 24. ND. Gesetz, betr. die Einführung yon Telegraphen-Freimarken. V o m 16. M a i 1 8 6 9 5 7 . In Kraft im Nordd. Bunde seit dem 29. Juli 1869. Zum Bundesgesetz, später zum Reichsgesetz erhoben. In S ü d h e s s e n in Kraft vom 1. Januar 1871, in B a d e n vom 1. Januar 1872 58 . Durch Gesetz v. 8. Febr. 1875 auf Elsass-Lothringen ausgedehnt und dort vom 5. März 1875 an in Kraft 5 9 . Nicht eingeführt in B a y e r n und W ü r t t e m b e r g . § 2 stellt die Anfertigung unechter und die Verfälschung echter Telegraphenfreimarken u. s. w. unter die Strafen der Bundes- oder Landesgesetze gegen Fälschung von Postfreimarken. Er ist b e s e i t i g t d u r c h § 275 des norddeutschen resp. Reichs-Strafgesetzbuchs, der natürlich auch in B a y e r n und W ü r t t e m b e r g vom 1. Januar 1872, in E l s a s s - L o t h r i n g e n vom 1. Oct. 1871 an gilt. 25. Uebereinkunft zwischen dem Norddeutschen Bunde und der Schweiz wegen gegenseitigen Schutzes der Rechte an literar. Erzeugnissen und Werken der Kunst. Vom 13. M a i 18 6 9 6 0 . „I. Für die Staaten des Norddeutschen Bundes giltige Bestimmungen." A. 12 ganz analog dem A. 11 der unter Nr 21 angeführten Uebereinkunft. Vergi, noch A. 14. 19-23. 25. 27—30. 26. Freundschafts-, Handels- und Scliilffahrts-Vertrag zwischen dem Norddeutschen Bunde und den zu diesem Bunde nicht gehörigen Mit55 56 57 58 60

BGBl BGBl BGBl BGBl BGBl

1869 1869 1869 1870 1869

Nr Nr Nr if. Nr

30 S 317 if. (ausgegeben Berlin 16. Juli 1869). 30 S 370-375. 31 S 377. 378 (ausg. Berlin 15. Juli 1S69). 59 S 649. GBl für Elsass-Lothringen 1875 Nr 2 S 9. 33 S 624 ff.

§ 26. 2. Ihr Bestand.

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gliedern des deutschen Zoll- und Handelsyereines einerseits und Japan andererseits. V o m 20. F e b r u a r 1 8 6 9 6 1 . In Kraft von demselben Tage. A. 3 al. 8 : „Deutsche Untertanen, welche diese Grenzen (die al. 5 ihrer freien Bewegung in Japan steckt) überschreiten, sollen einer Geldstrafe von 100 M. Doli und im Wiederholungsfalle einer solchen von 250 M. Doli, unterliegen." A. 6. Deutsche, die gegen Japanesen oder Angehörige einer anderen Nation delinquiren, sollen vor den deutschen Konsularbeamten geführt und nach deutschen Gesetzen bestraft werden. Analog wird es mit den delinquirenden Japanesen gehalten. ' A. 7. Die deutschen Konsularbehörden entscheiden über alle Ansprüche auf Geldstrafen oder Koniiskationen für Zuwiderhandlungen gegen diesen Vertrag. „Die Geldstrafen oder Konfiskationen, welche von diesen letzteren ausgesprochen werden, sollen der japanesischen Regierung zufallen." 27. Allgemeines deutsches Handelsgesetzbuch. D u r c h Gesetz vom 5. J u n i 1 8 6 9 6 2 , in Kraft vom 1. Januar 1870, zum Bundesgesetz erhoben, in Folge der Verfassungsverträge in Hessen, B a d e n und W ü r t t e m b e r g am 1. Juni 1871, in Folge des Gesetzes v. 22. April 1871 § 2, in Kraft vom 13. Mai 1871, als Reichsgesetz in B a y e r n in Kraft getreten vom 1. Oct. 1872 an 6 3 . Durch das Ges v. 19. Juni 1872 vom 1. Oct. 1872 auch in E l s a s s - L o t h r i n g e n eingeführt 64 . A. 84: „Ueber die Anstellung der Handelsmäkler und über die Bestrafung der von ihnen im Berufe begangenen Pflichtverletzungen das Erforderliche zu bestimmen, bleibt den Landesgesetzen überlassen." S. auch A. 393. — Vgl. unten Nr 30. 1870. 28. Gesetz wegen Abänderung der Verordnung, die Besteuerung des im Inlande erzeugten Bübenzuckers betr. V o m 2. M a i 1 8 7 0 6 5 . In Kraft vom 1. Sept. 1870. Das Zollvereinsgesetz erhebt die Verordnung, die Besteuerung des im Inlande erzeugten Rübenzuckers betr., v. 7. August 1846, (Preuss. Gesetzsammlung 1846 S 335 if.) zum allgemeinen Zollvereinsrecht. Darin handelt Abschnitt IV von den Strafen. § 17—28. 30. 29. ND. Gesetz, betr. das Urheberrecht an Schriftwerken, Abbildungen, musikalischen Kompositionen und dramatischen Werken. V o m 11. J u n i 18 7 0 6 6 . Im ND. B u n d in Kraft vom 4. Juli 1870. Zum Bundesgesetz, später Reichsgesetz erhoben: in Kraft in S ü d h e s s e n , B a d e n und W ü r t t e m b e r g seit 1. Januar 1871 67 ; in B a y e r n seit dem 1. Januar 1872, „unbeschadet der fortdauernden Geltung des Art. 68 des bayer. Gesetzes über den Schutz der Urheberrechte an literar. Erzeugnissen und Werken der Kunst vom 28. Juni 1865" 6 8 ; in E l s a s s - L o t h r i n g e n eingeführt durch Gesetz vom 26 Januar 1873, in Kraft vom 25. Februar 1873 6 9 . Vgl. § 43. 44. 46. 47. 48. 50. Das sehr interessante Gesetz formulirt in § 4 —7 die N o r m e n wider den 61 62 63 64 65 66 67 69

BGBl 1870 Nr 1 S 1 if. (ausgegeben Berlin 14. Januar 1870). BGBl 1869 Nr 32 S 379 if. (ausg. Berlin 12. August 1869). S. BGBl 1870 S 647. 656, 1871 Nr 17 S 87 if. (ausg. Berlin 29. April 1871). GBl für Elsass-Lothringen 1872 S 213 if. BGBl 1870 Nr 18 S 311 (ausg. Berlin 16. Juni 1870). BGBl 1870 Nr 19 S 399 if. (ausg. Berlin 20. Juni 1870). 68 BGBl 1870 S 648 u. 656. BGBl 1871 S 90. GBl für Elsass-Lothringen 1873 Nr 4 S 19 (ausg. Berlin 11. Febr. 1873).

Die Sonderstrafgesetze des Reiches

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Nachdruck, behandelt in § 18—25 „Entschädigung und Strafen", § 26—32 das „Verfahren", § 3 3 - 3 8 die „Verjährung". — S. ferner § 45. 54. 56. Vgl. oben Nr 21 u. 25 und unten Nr 88 u. 96. 80. ND. Gesetz, betr. die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften. V o m 11. J u n i 1870™. In Kraft seit dem 9. Juli 1870. Zum Bundesgesetz, später Reichsgesetz erhoben. In Kraft in Südhessen, B a d e n , W ü r t t e m b e r g seit dem 1. Januar 1872 71 , in B a y e r n seit dem 13. Mai 1871 7 2 mit einer Modifikation. — Ersetzt eine Anzahl von Artikeln des HGB durch neue. S. oben Nr 27. Art. 206 bedroht drei Arten von Pflichtwidrigkeiten der persönlich haft. Mitglieder und der Mitglieder des Aufsichtsrates einer Kommanditgesellschaft auf Aktien mit Gefängniss bis zu drei Monaten, bei mild. Umst. in Fall 2 u. 3 mit Geld bis zu 1000 Thalern. A. 249 lautet fast wörtlich wie A. 206, nur dass er sich gegen die Mitglieder des Aufsichtsrates und des Vorstandes einer Aktiengesellschaft wendet. A. 249 a. Nicht nachweislich unverschuldete Unterlassung der von A. 240 geford. Anzeige, „dass das Vermögen der Gesellschaft nicht mehr die Schulden deckt", wird an den Mitgliedern des Vorstandes mit Gefängniss bis zu 3 Monaten bestraft. 1871. 31. Gesetz, betr. die Inhaberpapiere mit Prämien. 1 8 7 1 7 3 . Irr Kraft v. 28. Juni 1871. § 6. 32. Gesetz über das Postwesen 28. O c t o b e r 1871. S. oben Nr 5.

V o m 8. J u n i

des Deutschen Reiches.

Vom

33. Gesetz, betr. die Beschränkungen des Grundeigenthums in der Umgebung von Festungen. V o m 21. D e c e m b e r 1 8 7 1 7 4 . In Kraft vom 12. Januar 1872. § 32 al. 1 u. 2. 34. Interessant für die Auffassung des Notstandes ist A. 19 der Verordnung zur Verhütung des Zusammenstossens der Schiffe auf See. V o m 2 3. December 187 1 7 5 . In Kraft vom 1. Januar 1872. Ausser Kraft gestellt durch V vom 7. Jan. 1880. S. unten Nr 82. 1872. 35. Gesetz wegen Erhebung der Brausteuer· V o m 31. M a i 1 8 7 2 7 6 . In Kraft vom 1. Januar 1873. Erlassen „für das innerhalb der Zolllinie liegende Gebiet des Deutschen Reichs, jedoch mit Ausschluss der Königreiche Bayern und Württemberg, des Grossherzogtums Baden, Elsass-Lothringens, des grossh. sächsischen Vordergerichts Ostheim und des herzoglich sachsen - koburggothaischen Amtes Königsberg". — Vgl. oben Nr 13 u. 15. 70 71

BGBl 1870 Nr 21 S 375 ff. (ausgegeben Berlin 25. Juni 1870). Das. S 648 u. 657. BGBl 1871 S 90 (§ 10 des Ges, betr. die Einführung norddeutscher Bundesgesetze in Bayern, vom 22. April 1871). 73 RGBl 1871 S 210. 211 (ausg. Berlin 14. Juni 1871). 74 RGBl 1871 Nr 51 S 459 ff. (ausg. Berlin 29. Dec. 1871). 76 RGBl 1871 Nr 52 S 475 ff. (ausg. Berlin 30. Dec. 1871). 76 RGBl 1872 Nr 16 S 153 ff. (ausg. Berlin 4. Juni 1872). 72

§ 26. 2. Ihr Bestand.

137

Strafbestimmungen § 27—42: § 27—33 Strafen der Defraude; § 35 u. 36 Ordnungsstrafen; § 37 Bestimmungen über Concurrenz; § 38 Vertretungsverbindlichkeit für verwirkte Geldstrafen; § 39 Umwandlung der Geld- in Freiheitsstrafen; § 40 Veijährung; § 41 Strafmilderung und Gnade. 36. Gesetz, betr. die Einführung der Gewerbeordnung.,. vom 21. Juni 1869 in Bayern und die Abänderung einiger Strafbestimmungen der Gewerbeordnung. V o m 12. J u n i 1872. S. oben Nr 19 sub 1. 37. Seemannsordnung. V o m 27. Dec. 18 7 2 7 7 . In Kraft seit dem 1. März 1873. Setzt den 4. Teil des Buches V das HGB ausser Kraft. S. § 1. 30. 32 (wichtig für den Notstand). 72—80 („Disciplinarbestimmungen") ; besonders aber den „Fünften Abschnitt". Strafbestimmungen. § 81—103. Beachte auch § 107. 38. Gesetz, betr. die Verpflichtung deutscher Kauffahrteischiffe zur Mitnahme hilfsbedürftiger Seeleute. V o m 27. Dec. 1 8 7 2 7 8 . In Kraft vom 1. März 1873. § 8 verpönt die Nichterfüllung der von § 1 statuirten Verpflichtungen. 1873. 79

3 9 . Gesetz, betr. die dem Reichs-Oberhandelsgericht gegen Rechtsanwälte und Adyokaten zustehenden Disciplinarbefagnisse. V o m 29. M ä r z 187 3 8 0 . In Kraft vom 18. April 1873. Durch den Wegfall des ROHG erloschen. 4 0 7 9 . Gesetz, betr. die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten· 31. M ä r z 1 8 7 3 8 1 . In Kraft vom 14. April 1873. § 72—80 über Disciplinarvergehen und ihre Bestrafung. § 100. 118. 41. Gesetz, betr. die Besteuerung des Branntweins Lothringen. V o m 16. M a i 1873. S. oben Nr 14 a. E.

Vom

in Elsass-

42. Gesetz über die Kriegsleistungen. V o m 13. J u n i 1 8 7 3 8 2 . In Kraft vom 3. Juli 1873. § 27 : „Das Verfahren bezüglich der Stellung und Aushebung der Pferde wird unter Zugrundelegung der §§25 und 26 von den einzelnen Bundesstaaten geregelt. Uebertretungen der dabei hinsichtlich der Anmeldung und Stellung der Pferde zur Vormusterung, Musterung oder Aushebung getroffenen Anordnungen werden mit einer Geldstrafe bis zu fünfzig Thalern geahndet." 43. Gesetz, betr. die Registrirung und die Bezeichnung der Kauffahrteischiffe. V o m 28. J u n i 1 8 7 3 8 3 . In Kraft vom 1. Januar 1874. § 4 verpönt die Zuwiderhandlung gegen die Vorschriften bezüglich der Namensführung der Kauffahrteischiffe mit Geld bis 150 Mark oder Haft. Vgl. dazu die V o r s c h r i f t e n des B u n d e s r a t e s vom 13. Nov. 1 8 7 3 8 4 . 77

RGBl 1872 Nr 33 S 409 ff. (ausgegeben Berlin 31. Dec. 1872). Das. S 432 ff. Beide Gesetze gehören streng genommen nicht hierher. Sie sind nur als fiu' das Verhältniss von Rechts- und Disciplinarstrafe wichtig aufgenommen. 80 RGBl 1873 Nr 10 S 60. 61 (ausg. Berlin 4. April 1873). 81 Das. S 61 ff. 82 RGBl 1873 Nr 15 S 129 ff. (ausg. Berlin 19. Juni 1873). 83 RGBl 1873 Nr 18 S 184 (ausg. Berlin 3. Juli 1873). 84 RGBl 1873 Nr 30 S 367 ff. 78

79

Die Sonderstrafgesetze des Reiches

138

44. Münzgesetz. V o m 9. J u l i 1 8 7 3 8 5 . In Kraft vom 29. Juli 1873. — Durch Gesetz v. 15. Nov. 1874 86 , in Kraft vom 3. December 1874, in E l s a s s L o t h r i n g e n eingeführt. A. 13 verpönt die „gewohnheitsmässigen oder gewerbsmässigen Zuwiderhandlungen" gegen Anordnungen des Bundesrates, welche das Wertmaximum fremder Gold- und Silbermünzen für den deutschen Verkehr fixiren, und welche den Umlauf fremder Münzen gänzlich untersagen, mit Geld bis 150 Mark oder mit Haft bis zu sechs Wochen. 1874. 45. Impfgesetz. § 14-17.

V o m 8. A p r i l 1 8 7 4 8 7 .

In Kraft vom 1. April 1875.

46. Reichsmilitärgesetz. V o m 2. M a i 187 4 8 8 . In Kraft v. 23. Mai 1874. § 60 Nr 2 (verbotenes Auswandern der Offiziere). Aufgehoben durch das Rev. StGB vom 26. Febr. 1876 § 140 Nr 2. — S. ferner § 60 Z. 3. Vgl. auch § 18. — Beachte das Ergänzungsgesetz vom 6. Mai 1880 89 . 47. Gesetz über die Presse. V o m 7. M a i 1 8 7 4 9 0 . 1. Juli 1874. § 16. 18. 19 (Strafdrohungen). 20—22. 28 al. 2.

In Kraft vom

48. Strandungsordnung. V o m 17. M a i 1 8 7 4 9 1 . In Kraft vom 1. Januar 1875. § 9. § 43 bedroht Zuwiderhandl. gegen die §§ 4. 7 al. 1. 12 al. 1. 13. 20. 21 mit Geld bis 150 Mark od. Haft. 49. Gesetz, betr. die Abgabe τοη der Branntweinbereitung in den Hohenzollernschen Landen. Vom 15. November 1874. S. oben Nr 10. 50. Gesetz, betr. die Besteuerung des Branntweins in Gebietsteilen, welche in die Zollgrenze eingeschlossen werden. Vom 16. Nov. 1874. S. oben Nr 14 a. E. 51. Gesetz über Markenschutz. V o m 30. N o v e m b e r 1 8 7 4 9 2 . In Kraft vom 1. Mai 1875. § 14 derogirt dem § 287 des RStGB. § 15 lässt Zuerkennung von Busse bis 5000 Mark zu; vgl. § 16; § 17: Vernichtung der Zeichen, eventuell (1er Verpackung, höchst eventuell der Waaren. Zu diesem Gesetz vgl. man die Bekanntmachung, betr. die Uebereinkunft wegen gegenseit. Schutzes der Marken mit R u s s l a n d , vom 18. Aug. 1873 (RGBl 1873 S 337); mit O e s t e r r e i c h - U n g a r n , vom 20. Aug. 1875 (RGBl 1875 S 259); mit B e l g i e n , vom 13. Sept. 1875 (das. S 301); mit I t a l i e n , vom 31. Dec. 1875 (das. S 200); mit L u x e m b u r g , vom 14. Juli 1876 (RGBl 1876 S 169); mit B r a s i l i e n , vom 28. Februar 1877 (RGBl 1877 S 406); mit den N i e d e r l a n d e n , vom 19. Jan. 1882 (RGBl 1882 S 5); mit R u m ä n i e n , vom 27. Jan. 1882 (RGBl 1882 S 7); mit L u x e m b u r g , vom 2. Aug. 1883 (RGBl 1883 S 268); mit V e n e z u e l a , 85 86 87 88 89 90 91 92

RGBl RGBl RGBl RGBl RGBl RGBl RGBl RGBl

1873 1874 1874 1874 1880 1874 1874 1874

Nr Nr Nr Nr Nr Nr Nr Nr

22 S 233 ff. (ausgegeben Berlin 15. Juli 1873). 26 S 131. 132 (ausg. Berlin 19. Nov. 1874). 11 S 31 (ausg. Berlin 11. April 1874). 15 S 45 ff. (ausg. Berlin 9. Mai 1874). 9 S 103 ff. 16 S 65 ff. (ausg. Berlin 10. Mai 1874). 17 S 73 ff. (ausg. Berlin 22. Mai 1874). 28 S 143 ff. (ausg. Berlin 4. Dec. 1874).

§ 26. 2. Ihr Bestand.

139

vom 8. Dec. 1883 (RGBl 1883 S 339). S. ferner Handelsvertrag mit OesterreichUngarn vom 23. Mai 1881 (RGBl 1881 S 123 ff.). A. 20. 52· Gesetz, betr. die Ausgabe τοη Banknoten. V o m 21. D e c e m b e r 1 8 7 4 9 3 . In Kraft vom 1. Jan. 1875. Α. I I § 2. 1875. 53. Gesetz über die Beurkund. des Personenstandes und die Eheschliessung. V o m 6. F e b r . 1 8 7 5 9 4 . In Kraft vom 1. Jan. 1876, facultativ auch früher. § 67 derogirt dem § 337 des RStGB. § 68-70. 5 4 9 5 . Gesetz, betr. die Ausübung der militär. Controle über die Personen des Beurlaubtenstandes sowie die gegen sie zulässigen Disciplinarstrafmittel. V o m 15. F e b r u a r 1 8 7 5 9 6 . In Kraft vom 6. März 1875. § 6 u. 7. 55. Bankgesetz. V o m 14. M ä r z 1 8 7 5 9 7 . In Kraft vom 1. April 1875, die §§ 6, 42 u. 43, sowie die auf diese §§ bezüglichen Strafbestimmungen in den §§ 56 u. 58 vom 1. Januar 1876. T. IV Straf bestimmungen. § 55—59. 1876. 56. Gesetz, betr. d. Urheberrecht an Werken der bild. Künste. Vom 9. J a n u a r 1 8 7 6 9 8 . In Kraft vom 1. Juli 1876. § 6 Nr 2 a. E. § 16. 57. Gesetz, betr. den Schutz der Photographien gegen unbefugte Nachbildung. V o m 10. J a n u a r 187 6 9 9 . In Kraft vom 1. Juli 1876. § 5. 9. 58. Gesetz, betr. das Urheberrecht an Mustern und Modellen. 11. J a n u a r 18 7 6 1 0 0 . In Kraft vom 1. April 1876. § 14.

Vom

59. Gesetz, betr. die Beseit. von Ansteckungsstoffen bei Viehbeförderungen auf Eisenbahnen. V o m 25. F e b r u a r 187 6 1 0 1 . In Kraft vom 25. Mai 1876. § 5. 60. Gesetz über die eingeschriebenen Hilfskassen· V o m 7. A p r i l 18 7 6 1 0 2 . In Kraft vom 26. April 1876. § 33. 34. Diese §§ aufgehoben durch Gesetz vom 1. J u n i 1884. S. unten Nr 105. 61· Verordn. über d. Verhalten der Schiffer nach einem Zusammenstoss τοη Schiffen auf See. V o m 15. A u g u s t 187 6 1 0 3 . In Kraft vom 1. September 1876. Interessant für den Notstand. 62. Gesetz, betr. die Schonzeit für den Fang von Robben. V o m 4. D e c e m b e r 18 7 6 1 0 4 . In Kraft vom 27. Dec. 1876. — Die Norm zu diesem Blankettstrafgesetz enthält aber erst die k a i s e r l i c h e V e r o r d n u n g v o m 29. M ä r z 18 7 7 1 0 5 . In Kraft vom 14. April 1877. 93 94 95 96 97 98 99 101 102 103 104 105

RGBl 1874 Nr 32 S 195 (ausgegeben Berlin 29. December 1874). RGBl 1875 Nr 4 S 53 ff. (ausg. Berlin 9. Febr. 1875). S. die Bemerkung oben zu Nr 39 und 40. RGBl 1875 Nr 7 S 65 ff. (ausg. Berlin 20. Febr. 1875). RGBl 1875 Nr 15 S 177 ff. (ausg. Berlin 18. März 1875). RGBl 1876 Nr 2 S 4 ff. (ausg. Berlin 18. Jan. 1876). 100 Das. S 8 ff. Das. S 11 ff. RGBl 1876 Nr 12 S 163. 164 (ausg. Berlin 11. Mai 1876). RGBl 1876 Nr 9 S 125 ff. (ausg. Berlin 12. April 1876). RGBl 1876 Nr 18 S 189 (ausg. Berlin 22. August 1876). RGBl 1876 Nr 26 S 233 (ausg. Berlin 13. Dec. 1876). RGBl 1877 Nr 14 S 409 (ausg. Berlin 31. März 1877).

Die Sonderstrafgesetze des Reiches

140

1877. 0 3 1 0 6 . Gerichtsyerfassungsgesetz. V o m 27. J a n u a r 18 7 7 1 0 7 . In Kraft vom 1. Oct. 1879. § 56. 96. 179—184 über Ordnungsstrafen. 64. Ciyilprozessordnung. V o m 30. J a n u a r 1 8 7 7 1 0 8 . In Kraft vom 1. Oct. 1879. § 345. 355. 374: Strafbestimmungen für Zeugen und Sachverständige (nicht hierher gehört § 782). § 775. 65. Strafprozessordnung. V o m 1. F e b r u a r 18 7 7 1 0 9 . In Kraft vom 1. Oct. 1879. § 50. 69. 77: Strafbestimmungen für Zeugen und Sachverständige. 66. Einführungsgesetz zur Konkursordnung. V o m 10. F e b r. 1 8 7 7 1 1 0 . In Kraft vom 1. Oct. 1879. § 3 Nr 3. § 4 al. 2 : „Aufgehoben werden die Strafvorschriften, welche rücks. des Konkurses in den Landesgesetzen enthalten sind." Beachte jedoch § 5 Nr 2. 67. Konkursordnung. V o m 10. F e b r u a r 1 8 7 7 1 1 1 . In Kraft vom 1. Oct. 1879. § 76 (Ordnungsstrafe gegen den Masse Verwalter). Das „Dritte Buch. Strafbestimmungen", § 209—214 derogirt den §§ 281—283 des RStGB. 68. Patentgesetz. V o m 25. M a i 187 7 1 1 2 . In Kraft vom 1. Juli 1877. § 34-36. 38. 40. 69. Gesetz, betr. die Untersuchung τοη Seeunfällen. V o m 27. J u l i 1 8 7 7 1 1 3 . In Kraft vom 1. Januar 1878. § 19. S. auch § 12. 26. 34. 1878. 70. Gesetz, betr. Zuwiderhandlungen gegen die zur Abwehr der Rinderpest erlassenen Vieheinfuhrverbote. V o m 21. M a i 187 8 1 1 4 . In Kraft vom 8. Juni 1878. 71. Rechtsanwaltsordnung. V o m 1. J u l i 1 8 7 8 1 1 5 . In Kraft vom 1. Oct. 1879. § 37. Vgl. § 62 if. 97. 115. 116. 72. Gesetz, betr. den Spielkartenstempel· V o m 3. J u l i 1 8 7 8 1 1 6 . In Kraft vom 1. Januar 1879. § 10—20. 25. 73. Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Socialdemokratie. Vom 21. O c t o b e r 187 8 1 1 7 . In Kraft vom 22. October 1878 bis zum 31. März 1881. Geltungsdauer verlängert durch Gesetz vom 31. Mai 1880 bis zum 30. September 1884, durch Gesetz vom 28. Mai 1884 bis zum 30. September 1886 118 . 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118

S. die Bemerkung oben zu Nr 39 und 40. RGBl 1877 Nr 4 S 41 ff. (ausgegeben Berlin 7. Febr. 1877). RGBl 1877 Nr 6 S 83 ff. (ausg. Berlin 19. Febr. 1877). RGBl 1877 Nr 8 S 253 ff. (ausg. Berlin 26. Febr. 1877). RGBl 1877 Nr 10 S 390 ff. (ausg. Berlin 5. März 1877). Das. S 351 ff. RGBl 1877 Nr 23 S 501 ff. (ausg. Berlin 30. Mai 1877). RGBl 1877 Nr 33 S 549 ff. (ausg. Berlin 2. August 1877). RGBl 1878 Nr 12 S 95. 96 (ausg. Berlin 25. Mai 1878). RGBl 1878 Nr 23 S 177 ff. (ausg. Berlin 13. Juli 1878). RGBl 1878 Nr 21 S 133 ff. (ausg. Berlin 6. Juli 1878). RGBl 1878 Nr 34 S 351 ff. (ausg. Berlin 22. Oct. 1878). RGBl 1880 S 117, 1884 S 53.

§ 26.

2. Ihr Bestand.

141

74. Zollkartell zum Handelsvertrag zwischen Deutschland und Oesterreich-Ungarn. V o m 16. D e c e m b e r 1 8 7 8 1 1 9 . . In Kraft vom 1. Jan. bis 31. Dec. 1879. Geltungsdauer verlängert bis 30. Juni 1881 durch Uebereinkunft vom 11. April 1880 12 °. § 12 ff. — S. unten Nr 89. 1879. 75. Gesetz, betr. den Yerkehr mit Nahrungsmitteln, Genussmitteln und Gebrauchsgegenständen. V o m 14. M a i 187 9 1 2 1 . In Kraft vom 5. Juni 1879. § 8—17. Dazu Verordnung vom 24. Febr. 1882. In Kraft vom 1. Januar 1883 1 2 2 . 76. Gesetz, betr. die Sicherung der gemeinschaftlichen Zollgrenze in den Tom Zollgebiete ausgeschlossenen bremischen Gebietsteilen. V o m 28. J u n i 1 8 7 9 1 2 3 . In Kraft vom 1. Juli 1879. Das Gesetz Nr 23 oben wird auf dieses Gebiet ausgedehnt. 77. Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit. In Kraft vom 1. October 1879. — Vgl. oben Nr 7. § 4. 42 (Begnadigungsrecht des Kaisers). 46. 47.

V o m 10. J u l i 1 8 7 9 1 2 4 .

78. Gesetz, betr. die Besteuerung des Tabaks. V o m 16. J u l i 1 8 7 9 1 2 5 . In Kraft vom 25. Juli 1879 resp. 1. April 1880 (s. § 1 und 2). § 32 bis 47. — S. oben N r 12. 79. Gesetz, betr. die Steuerfreiheit des Branntweins zu gewerblichen Zwecken. V o m 1 9. J u l i 1 8 7 9 1 2 6 . In Kraft vom 9. August 1879. §2—4. 80. Gesetz, betr. die Statistik des Waarenverkehrs . . . . 20. J u l i 18 7 9 1 2 T . In Kraft vom 1. Januar 1880. § 17.

Vom

81. Verordnung, betr. die Uebertragung landesherrlicher Befugnisse auf den Statthalter in Elsass-Lothringen. V o m 23. J u l i 18 7 9 1 2 8 . In Kraft erst vom 1. Oct. 1879. S. s. 2 (delegirtes Begnadigungsrecht).

1880. 82. Verordnung zur Verhütung des Zusammenstossens der Schiffe auf See. V o m 7. J a n u a r 1 8 8 0 1 2 9 . In Kraft vom 1. Sept. 1880. S. oben Nr 34. A. 23 (wes. gleich A. 19 (1er V. v. 23. Dec. 1871). 83. Zusatz-Convention zu dem deutsch-chinesischen Freundschaftsu. s. w. Vertrag v. 2. Sept. 1861. V o m 31. M ä r z 1 8 8 0 1 3 0 . A. 3. 4. 6. Dazu „Specialbestimmungen". § 4. 5. 6. 9. 84. Gesetz, betr. den Wucher. 119 121 122 123 124 125 126 127 128 129 130 131

V o m 24. M a i 1 8 8 0 1 3 1 .

120 KGB1 1878 S 374 ff. RGBl 1880 S 146. 147. RGBl 1879 Nr 14 S 145 ff. (ausgegeben Berlin 22. Mai 1879). RGBl 1882 S 40. 41. RGBl 1879 Nr 19 S 159 (ausg. Berlin 30. Juni 1879). RGBl 1879 Nr 26 S 197 ff. (ausg. Berlin 19. Juli 1879). RGBl 1879 Nr 27 S 245 ff. (ausg. Berlin 24. Juli 1879). RGBl 1879 Nr 28 S 259. 260 (ausg. Berlin 26. Juli 1879). Das. a. a. 0. S 261 ff RGBl ' 1879 Nr 31 S 282 ff. (ausg. Berlin 2. August 1879). RGBl 1880 Nr 1 S 1 ff. (ausg. Berlin 12. Januar 1880). RGBl 1881 Nr 25 S 261 ff. (ausg. Berlin 21. Oct. 1881). Vgl. oben Nr 2. S. oben § 18 S 97.

Die Sonderstrafgesetze des Reiches

142

85· Gesetz, betr. die Abwehr und Unterdrückung von Viehseuchen. Vom-23. J u n i 1 8 8 0 1 3 2 . In Kraft vom 1. April 1881. III. Strafvorschriften, § 65—67. 86. Gesetz, betr. die Schiffsmeldungen bei den Konsulaten des Deutschen Reichs. \^om 25. M ä r z 1 8 8 0 1 3 3 . S. die Detaillirung der Normen in der kaiserl. Verordn. v. 28. Juli 1880 134 .

1881.

87. Gesetz, betr. die Küstenfrachtfahrt, V o m 22. M a i 1881 1 3 5 . In Kraft vom 1. Jan. 1882. § 3. S. dazu V v. 29. Dec. 1881 u. Bek. v. 29. Dec. 1881 1 3 6 . 88. Verabredung zwischen Deutschland und der Schweiz, betr. den gegenseitigen Schutz der Rechte an literarischen Erzeugnissen und Werken der Kunst. V o m 23. M a i 1881 1 3 7 . In Kraft vom 1. Juli 1881 bis 30. Juli 1886, eventuell länger. 89. Zollkartell zum Handelsvertrag zwischen Deutschland und Oesterreich-Ungarn. V o m 23. M a i 1881 1 3 8 . In Kraft vom 1. Juli 1881. S.oben Nr74. 90. Gesetz, betr. die Erhebung von Reichsstempelabgaben. Vom 1. J u l i 1 8 8 1 1 3 9 . In Kraft vom 1. Oct. 1881. § 3. 4. 8. 16. 23. 24. 25. 91. Gesetz, betr. die Bestrafung von Zuwiderhandlungen gegen die österreichisch-ungarischen Zollgesetze. V o m 17. J u l i 1 8 8 1 1 4 0 . In Kraft vom 1. Juli 1881 (!). 92. Gesetz, betr. die Bezeichnung des Raumgehalts der Schankgefässe. V o m 20. J u l i 1 8 8 1 U 1 . In Kraft vom 1. Jan. 1884. § 5.

1882. 93. V o m 23. 94. V o m 23.

Gesetz, betr. die Erhebung einer Berufsstatistik im Jahr 1882. F e b r . 1 8 8 2 1 4 2 . In Kraft vom 3. März 1882. § 5. Gesetz, betr. die Abänderung des Zolltarifs vom 15. Juli 1879. J u n i 1 8 8 2 1 4 3 . In Kraft vom 1. Januar 1882. § 1 u. 3.

1883. 95. Handelsvertrag zwischen dem Deutschen Reiche und Serbien. V o m 6. J a n u a r 1 8 8 3 1 4 4 . In Kraft vom 25. Juni 1883. „Besondere Bestimmungen" § 3. 96. Uebereinkunft zwischen Deutschland und Frankreich, betr. den Schutz an Werken der Literatur und Kunst. V o m 19. A p r i l 1 8 8 3 1 4 5 . In Kraft vom 6. Nov. 1883. 97. Gesetz, betr. die Krankenversicherung der Arbeiter. Vom 15. J u n i 1 8 8 3 1 4 6 . In Kraft vom 1. Dec. 1883, resp. 1. Dec. 1884. § 81. 82. 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46

RGBl 1880 Nr 16 S 153 if. (ausgegeben Berlin 30. Juni 1880). RGBl 1880 Nr 19 S 183. 184 (ausg. Berlin 6. August 1880). Das. S 183. 184. RGBl 1881 Nr 11 S 97. 98 (ausg. Berlin 10. Juni 1881). Das. S 275—277. RGBl 1881 Nr 15 S 171. 172 (ausg. Berlin 2. Juli 1881). RGBl 1881 Nr 15 S 133 ff. (ausg. Berlin 2. Juli 1881). RGBl 1881 Nr 17 S 185 ff. (ausg. Berlin 8. Juli 1881). RGBl 1881 Nr 20 S 247 . 248 (ausg. Berlin 26. Juli 1881). Das. a. a. 0. S 249. 250. RGBl 1882 Nr 5 S 9. ÌÓ (ausg. Berlin 17. Febr. 1882). RGBl 1882 Nr 13 S 59. 60 (ausg. Berlin 27. Juni 1882). RGBl 1883 Nr 8 S 41 ff. (ausg. Berlin 4. Juni 1883). RGBl 1883 Nr 20 S 269 ff. (ausg. Berlin 13. August 1883). RGBl 1883 Nr 9 S 73 ff. (ausg. Berlin 21. Juni 1883).

§ 26. 2. Ihr Bestand.

143

98. Gesetz, betr. die Reichskriegshäfen. V o m 19. J u n i 1 8 8 3 1 4 7 . In Kraft vom 13. Juli 1883. § 2 (Blankettstrafgesetz). § 4. 99. Gesetz, betr. die Abwehr und Unterdrückung der Reblauskrankheit. V o m 3. J u l i 1 8 8 3 1 4 8 . In Kraft vom 25. Juli 1883. § 12. 100. Gesetz, betr. Abänderung der Gewerbeordnung und Pnblikaiitfinii bezüglich des neuen Textes der Gewerbeordnung. V o m 1. J u l i 1883. S. oben Nr 19 s. 4 u. 5. 1884. 101. Verordnung, betr. die Konsulargerichtsbarkeit in der Regentschaft Tunis. V o m 21. J a n u a r 188.4 1 4 9 . In Kraft vom 1. Febr. 1884. § 1. 2. Mit dem 1. Februar 1884 endet die Gerichtsbarkeit des deutschen Konsuls in Tunis für die Regentschaft Tunis. Die am 1. Februar 1884 bei diesem anhängigen Strafsachen werden von ihm nach den bisherigen Vorschriften erledigt. 102. Gesetz, betr. die Stimmzettel für öffentliche Wahlen. V o m 12. M ä r z 1884 i r > 0 . In Kraft vom 3. April 1884. Reine Stimmzettel gelten nicht als Druckschriften im Sinne der Reichs- und der Landesgesetze. 108. Internationaler Vertrag, betr. die polizeiliche Regelung der Fischerei in der Nordsee ausserhalb der Küstengewässer. V o m 6. M a i 1 8 8 2 1 5 1 . R a t i f i c i r t am 15. M ä r z 1884. In Kraft vom 15. Mai 1884ir» 2, auf 5 Jahre. A. 14. 16. 19. 20. 21. 22 (alle für Notstand wichtig). 32. 35. 104. Gesetz zur Ausführung der internationalen Convention vom β. Mai 1882, betr. die polizeil. Regelung der Fischerei in der Nordsee. Vom 30. A p r i l 1884 1Γ '·\ In Kraft vom 15. Mai 1884. § 1. 2. 105. Gesetz, betr. die Anfertigung und Verzollung von Zündhölzern. Vom 13. M a i 1 8 8 4 i r ' 4 . In Kraft, vom 13. Mai 1884 (beachte aber § 5). § 3. 4. 106. Gesetz, betr. die Abänderung des Gesetzes über die eingeschriebenen Hillskassen vom 7. April 1876. V o m 1. J u n i 1 8 8 4 1 B B . In Kraft vom 20. Juni 1884. A. 17. Ersetzt die oben unter Nr 60 angeführten §§ 33 u. 34 durch anderweite Bestimmungen. 107. Gesetz gegen den verbrecherischen und gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen. Vom 9. J u n i 1 8 8 4 i n 6 . In Kraft vom 11. Juni 1884, die §§ 1. 2. 3. 4. 9 vom 11. Sept, 1884. § 5—13. 108. Unfallversicherungsgesetz. Vom 6. J u l i 1 8 8 4 i r ' 7 . Abschnitt II—V u. V I I I u. die darauf bezi'igl. Straf bestimmungen (dazu gehören nicht die der 107 u. 108, wohl aber die des § 26) traten mit dem 9. Juli 1884 in Kraft. Im übrigen wird das Gesetz durch kaiserliche Verordnung in Kraft gestellt. § 26 al. 2 stellt die Mitglieder der Genossenschaftsvorstände u. die Vertrauensmänner, sofern sie absichtlich zum Nachteil der Genossenschaft handeln, unter GB § 266. 147 148

RGBl 1883 Nr 10 S 105 if. (ausgegeben Berlin 29. Juni 1883). RGBl 1883 Nr 13 S 149 if. (ausg. Berlin 11. Juli 1883). RGBl 1884 Nr 4 S 9 (ausg. Berlin 25. Januar 1884). '° RGBl 1884 Nr 8 S 17 (ausg. Berlin 20. März 1884). 1R1 RGBl 1884 Nr 11 S 25 ff. (ausg. Berlin 18. April 1884). lr;2 S. RGBl 1884 S 48. 1513 RGBl 1884 Nr 13 S 48 (ausg. Berlin 8. Mai 1884). ir 4 > RGBl 1884 Nr 14 S 49 (ausg. Berlin 17. Mai 1884). lfi r ' RGBl 1884 Nr 16 S 54 ff. (ausg. Berlin 6. Juni 1884). ir 6 > RGBl 1884 Nr 17 S 61 ff. (ausg. Berlin 11. Juni 1884). 157 RGBl 1884 Nr 19 S 69 ff. (ausg. Berlin 9. Juli 1884). u " ,r

§ 26. 2. Ihr Bestand.

144

§ 107 u. 108 bedrohen unbefugte Offenbarung von Betriebsgeheimnissen u. unbefugte Nachahmung geheim gehaltener Betriebseinrichtungen durch Mitglieder der Vorstände der Genossenschaften, deren Beauftragte und Sachverständige. Die Strafdrohung des § 107 ist die des GB § 300. — Ueber Ordnungsstrafen s. § 11 Abs. 3. § 35 Abs. 2. § 49 Abs. 3. § 78 Nr 2. § 80. Ferner die §§ 82. 85. 88. 89. 103. 104-106. 109. Gesetz über den Feingehalt der Gold- und Silberwaaren. 16. J u l i 1 8 8 4 1 5 8 . In Kraft vom 1. Januar 1888. § 9.

Vom

110. Gesetz, betr. die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften 159 . V o m 18. J u l i 1884. In Kraft vom 14. August 1884. S. oben Nr 30. „Vierter Titel. Straf bestimmungen." A. 249—249 f (A. 249 g bezieht sich nur auf Ordnungsstrafen). In sehr verschiedenen Richtungen, besonders auch für Untreue, Betrug und Fälschung wichtig. 111. Uebereinkunft zwischen Deutschland und Belgien, betr. den Schutz an Werken der Literatur und Kunst. V o m 12. D e z e m b e r 1 8 8 3 1 6 0 . In Kraft vom 12. November 1884. 112. Uebereinkunft zwischen Deutschland und Belgien, betr. den Schutz der gewerblichen Muster u. Modelle. V o m 12. D e z e m b e r 1 8 8 3 1 6 1 . In Kraft vom 12. November 1884. I I B . Uebereinkunft mit I t a l i e n , betr. den Schutz an Werken der Literatur u. Kunst. V o m 20. J u n i 1 8 8 4 1 6 2 . In Kraft vom 24. November 1884. 114. Handels-, Freundschafts- und Schilfahrtsvertrag mit Korea. V o m 26. N o v e m b e r 1 8 8 3 1 6 3 . Ratificirt am 18. November 1884. A. I I I 4. 5. 6. Dazu Bestimmungen zur Regelung des deutschen Handelsverkehrs in Korea I 3. 6. I I I 2. 3. 4. 5 1 6 4 . 158 159 160 161 102 163 1(U

RGBl 1884 Nr 21 S 120 if. (ausgegeben Berlin 24. Juli 1884). RGBl 1884 Nr 22 S 123 if. (ausg. Berlin 31. Juli 1884). RGBl 1884 Nr 24 S 173 if. (ausg. Berlin 19. August 1884). Das. S 188 if. „ RGBl 1884 Nr 26 S 193 if. (ausg. Berlin 3. September 1884). RGBl 1884 Nr 32 S 221 if. (ausg. Berlin 4. Dezember 1884). Diese Uebersicht geht bis RGBl 1884 a. E.

145

Drittes Kapitel. Die Literatur und die Judikatur des heutigen gemeinen Strafrechts \ § 27.

I.

Einleitung.

Das neue gemeine Recht fand bei seinem Inkrafttreten eine Literatur vor, worin drei Gruppen wissenschaftlicher Werke ziemlich unvermittelt neben einander standen: s y s t e m a t i s c h e B e h a n d l u n g e n des d e u t s c h e n , s o l c h e des p a r t i c u l a r e n S t r a f r e c h t s und die ausserordentlich reiche und relativ wertvolle C o m ni e n t a r l i t e r a t u r , die sich den einzelnen deutschen Gesetzbüchern gewidmet hatte. 1. Diejenigen Werke der ersten Gruppe, die damals — und mit Recht — die grösste Beachtung genossen, die von K ö s t l i n , H ä l s c h n e r , B e r n e r 2 , waren alle der Hegeischen Rechtsschule entsprungen und darin lag ihre Stärke wie ihre Schwäche. Sie alle waren ihrer selbst gewiss — ein Selbstbewusstsein, das in K ö s t l i n s System sich nicht selten zur Vergewaltigung der Quellen und noch öfter — charakteristischer Weise fast stets an seinen schwächsten Stellen — zur wegwerfendsten Kritik abweichender Ansichten fortreissen lässt; sie alle waren geistvolle Erzeugnisse aprioristischer Rechtsphilosophie, ohne das volle Verständniss für die Aufgaben einer Dogmatik des geltenden Rechtes. 1 Belg, Gr. § 16. H 2 30. 31. Β 70. Sch 4. M 15. WB 39. — Wertvolle Literaturübersichten bringt in fortlaufender Reihe die Ζ f. ges. StRW I ff. und das Centralblatt für Rechtswissenschaft I ff. Stuttgart 1882. Wertvolle Kritiken über einzelne literarische Werke bes. GS, KrV und Grünhut. 2 K ö s t l i n , System des deutschen Strafrechts. 1. Abteil. Tübingen 1855 (gegründet auf seine ganz im Hegeischen Ideenkreise befangene „Neue Revision der Grundbegriffe des Criminalrechts", Tübingen 1845). K ö s t l i n , Abhandlungen aus dem Strafrechte. Nach des Verfassers Tod herausgegeben von G e ssler. Tübingen 1858. Dieser Torso des speciellen Teils zeigt in der Methode einen erheblichen Fortschritt gegen das erstgenannte Werk. — H ä l s c h n e r , System des preussischen Strafrechts I. Bonn 1858. II. Bonn 1868 (der letzte Band, den Rest des besonderen Teils behandelnd, ist nicht erschienen). — Dies Werk sucht durch wertvolle historische Einleitungen zu den einzelnen Materien geschichtliche und philosophische Behandlung mit einander zu verbinden. Es ist aber seiner Tendenz nach ein Werk über deutsches, vielleicht über allgemeines, aber nicht über preussisches Strafrecht. Letzteres wird anhangsweise behandelt und kommt zu kurz.

Binding, Handbuch. V I I . 1. I : B i n d i n g , Strafrecht. I .

10

146

§ 27.

I. Einleitung.

2. Von den Systemen des Particularrechts kommen fast allein in Betracht das grossartig angelegte Handbuch v. W ä c h t e r s , Das königl. sächsische und das thüringische Strafrecht 3 , und B e r n e r s Grundsätze des preussischen Strafrechts 4 , v. W ä c h t e r war es, der die Wissenschaft des neuen Gesetzesrechts nicht nur gegründet, sondern sofort auf eine Höhe gestellt hat, dass sie den Vergleich mit der Wissenschaft des gemeinen Civilrechts ruhig aushalten konnte 5 . Sein Buch ist vorbildlich für jede gesunde Dogmatik des heutigen gemeinen Rechts. Aber das Werk war unvollendet und Gesetzbüchern gewidmet, die dem norddeutschen weit ferner standen als das preussische. Beides tat seiner Einwirkung auf die Zeit des neuen gemeinen Rechts Eintrag. 3. Von den drei Arten der Commentare, die sich ziemlich scharf von einander abheben, der Erläuterung der einzelnen Gesetzesparagraphen in zusammenhängender Darstellung — einer Art Handbüchern des Strafrechts in Commentarform —, der Ausgabe des Gesetzes mit originalen Anmerkungen des Herausgebers, endlich der Ausgabe mit Anmerkungen, die der Commentator entweder aus den sog. Gesetzesmaterialien oder den Rechtssprüchen des obersten Gerichtshofes schöpft, hatte in Preussen die letztere, bedenklichste Art weitaus den grössten Erfolg aufzuweisen. Ausser dem wenn auch etwas knappen, doch guten Commentar von Β e se 1er gehörten alle anderen Commentare des preussischen Gesetzbuchs, besonders der von H a h n und der sehr geschickt gearbeitete, reichhaltige, bequeme von O p p e n h o f f dieser Art a n 6 . Viel bedeutender, aber allerdings lange nicht so handlich waren die insgesammt der ersten Art angehörenDie älteren Lehrbücher verdrängend hatte B e r n e r s Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 1. Aufl. Leipzig 1857, schon vor Erlass des nordd. Gesetzbuchs die 4. Aufl. erreicht. — Das durch grossen — hie und da übergrossen — Scharfsinn und durch feinen Blick in das Gefüge des positiven Rechts ausgezeichnete Werk von L u d e n , Handbuch des deutschen gemeinen und particularen Strafrechts, Bd. I Heft 1 Jena 1842. Heft 2 das. 1843. Heft 3 das. 1847, das auch zu dieser Gruppe gerechnet werden könnte, ist lange nicht in dem Maasse durchgedrungen wie die Werke von K ö s t l i n , H ä l s c h n e r und B e r n e r . 3 Stuttgart 1857 (geht leider nur bis zum Anfang der Schuldlehre). 4 Leipzig 1861.— Allenfalls wäre nochTemmes Lehrbuch des preussischen Strafrechts, Berlin 1853, zu nennen. 5 S. meine Bemerkungen bei W i n d s c h e i d , Carl Georg v. Wächter. Leipzig 1880. S 42 if. 6 1. Be sel er, Commentar über das Strafgesetzbuch für die preuss. Staaten. Leipzig 1851. 2. H a h n , Das Strafgesetzbuch . . . mit den neueren Bestimmungen . . . und den Entscheidungen des Obertribunals. 6. Aufl. Breslau 1869. 3. O p p e n h o f f , Das Strafgesetzbuch . . . erläutert aus den Materialien, der Rechtslehre und den Entscli. des königl. Obertribunals. 6. Aufl. Berlin 1869.

S 28.

II. Die Literatur.

147

den, in Süddeutschland erschienenen Commentare zu dem hessischen, württembergischen und dem bayerischen Strafgesetzbuch von 1861, verfasst von B r e i d e n b a c h , H u f n a g e l , D o l l m a n n , H o c h e d e r , S t e n g l e i n , W e i s s . Wegen der nahen Verwandtschaft des bayerischen mit dem preussischen, also auch dem norddeutschen Strafgesetzbuch hatten ausser den preussischen die bayerischen Commentare zu diesem die nächste Beziehung 7 . § 28.

II. D i e

Literatur.

Die Brücken zwischen der älteren und der Literatur des neuen gemeinen Rechtes wurden sowohl auf dem Gebiete der systematischen Darstellung als auf dem der Commentare geschlagen, — auf dem erstgenannten durch B e r n e r und H ä l s c h n e r , auf dem der Commentare durch O p p e n h o f f und H a h n . Zugleich aber entwickelte das neue Recht eine selbständige, zum Teil sehr wertvolle Literatur, wofür die ältere nur teilweise vorbildlich geworden ist. Interessanterweise sind alle Commentare zu den Strafgesetzbüchern, von denen ein nicht geringer Teil schon ganz der Geschichte angehört, Ausgaben derselben mit Anmerkungen : die süddeutsche Commentarform besitzt keine Vertretung 1 . Bezüglich der Zeitschriften hat sich vom Jahre 1870 an die Umwandlung vollzogen, dass auch die ursprünglich rein dem Landesrecht gewidmeten das gemeine Recht in den Kreis ihrer Betrachtung aufnahmen. Die hier zu berührende Literatur gliedert sich in die drei Massen der freien wissenschaftlichen Bearbeitungen cles Strafrechts, der Commentare zu den Gesetzen und der Abhandlungen in den Zeitschriften. I. An f r e i e n w i s s e n s c h a f t l i c h e n liegen vor:

Bearbeitungen

1. H a n d b ü c h e r . Handbuch des deutschen Strafrechts. In Einzelbeiträgen. Yon v. H o l t z e n d o r f f . I — I I I Berlin 1871—1874. IV. Ergänzungen. Berlin 1877. — H ä l s c h n e r , Das gemeine deutsche Strafrecht. I und I I 1 Bonn 1881 u. 1884 2 . 7 Diese Commentare sind 1. der von Do 11 m a n n , nach dessen Tod fortgesetzt von R i s ch. Erlangen seit 1862 (unvollendet); 2. der von W e i s. 2 Bände Nördl. 1861. 1862; 3. der von S t e n g l e i n . 2 Bände München 1861. 1862; 4. der von H o c h e d e r . Bd. I München 1862 (unvollendet); 5. der von S t e n g l e i n . 6 Hefte München 1870. 1871. Letzterer ist übrigens nur eine Ausgabe des Gesetzes mit Anmerkungen. 1 Am meisten nähert sich ihr der Commentar von Rubo. Eine Annäherung auf andere Weise, nämlich durch Aufnahme grösserer Excurse, sucht v. S c h w a r z e zu gewinnen. 2 S. darüber den wertvollen Aufsatz von M e r k e l , Ζ f. StRW I 553 if. H ä l s c h n e r versucht hier, und nicht ohne Erfolg, sich energischer als früher auf 10*

28. II. Die Literatur.

148

Der Rest des besonderen Teils steht noch aus. — v. B a r , Handb. des deutschen Strafrechts. I. Band : Geschichte des deutschen Strafrechts u. der Strafrechtstheorien. Berlin 1882.—Den wertvollen Torso eines Handbuchs stellt dar : v. W ä c h t e r, Beilagen zu Vorlesungen über das deutsche Strafrecht. Vervollständigte Ausgabe 3 . Leipzig 1881. 2. L e h r b ü c h e r . B e r n e r , Lehrbuch des deutschen Strafrechts. 5.—13. Aufl. Leipzig 1871—1884 4 . — S c h ü t z e , Lehrbuch des deutschen Strafrechts auf Grund des RStGB. Leipzig 1871. 2.. Aufl. das. 1874. Dazu „Anhang . . . ausgearbeitet auf Grundlage der Strafrechtsnovelle v. 26. Febr. 1876", von W a n i eck u. V i l i now. Leipzig 1877. — H u g o M e y e r , Lehrbuch des deutschen Strafrechts. 1. Aufl. Erlangen 1875. 2. Aufl. das. 1877. 3. Aufl. 1882. — v. L i s z t , Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin und Leipzig 18815. — v. L i s z t , Lehrbuch des deutschen Strafrechts. (Als 2. Aufl. des früheren Werkchens ausgegeben.) Berlin u. Leipzig 1884. — v. W ä c h t e r , Deutsches Strafrecht. Vorlesungen, hg. von 0. v. W ä c h t e r . Leipzig 1881.— S. auch den Abriss von Geyer in HEnc. 3. Aufl. Leipzig 1879. S 691 if. — Kein Handbuch, aber ein kurzes Lehrbuch ist B r a u e r , Handbuch des deutschen Militärstrafrechts. Erlangen 1872 6 . 3. G r u n d r i s s e m i t A u s f ü h r u n g e n . B i n d i n g , Grundriss zur Vöries, über gemeines deutsches Strafrecht. I. Einleitung u. allgemeiner Teil. 3. Aufl. Leipzig 1884. — G e y e r , unter dems. Titel. Erste Hälfte. München 1884. II.

Aus der grossen Z a h l der erschienenen C o m m e n t a r e

sich zwei wissenschaftlich w e i t über die andern hinaus. Gründlichkeit und Klarheit

hatte von Anfang an R ü d o r f f

Strafgesetzbuch

und

durchdacht

i n kurzen

treffenden

heben

M i t seltener das neue

Anmerkungen

e r l ä u t e r t ; i n wissenschaftlicher Vertiefung h a t O l s h a u s e n später dem Gesetz

eine möglichst vollständige,

das Ganze wie

das Einzelne be-

herrschende Auslegung gegeben. U n t e r den Commentaren des M S t G B ist der v o n K o p p m a n n der beste.

Ein Teil

h a t wissenschaftlich keinen Anspruch

auf Beachtung u n d bleibt

der sog. Commentare hier

n a t ü r l i c h bei Seite. 1. C o m m e n t a r e zum a l l g e m e i n e n G e s e t z b u c h e . R ü d o r f f , StGB für das Deutsche Reich. Mit Commentar. Berlin 1871. 2. Aufl. das. 1877. 3. „mit besonderer Berücksichtigung der Praxis des Reichsgerichts bearbeitete Auflage", den Boden des positiven Rechtes zu stellen. Aber noch darf M e r k e l bezüglich seiner sagen: „Den Idealismus der Doctrin charakterisirt es, dass sich ihm hinter den Gestaltungen des wirklichen Lebens eine Begriifswelt von einem nicht blos abgeleiteten Werte aufbaut." 3 Enthält Beilage 1—40 und geht bis S 250. 4 Im allgemeinen Teil hat das Lehrbuch seinen früheren Charakter und seine ursprüngliche Anlage gewahrt. Im speciellen Teil folgt der Verf. aber jetzt der Legalordnung und paraphrasirt vielfach nur das Gesetz. So ist das Werk dualistisch geworden. 5 Das kleine reichhaltige Buch ist das einzige, das principiell die strafrechtlichen Nebengesetze mit verarbeitet. 6 Gar nicht hierher gehört Τ emme, Lehrbuch des gemeinen deutschen Strafrechts. Stuttgart 1876. Denn dem seltsamen Werk ist das RStGB ein „Particulargesetz" und es widmet sich nur dem früheren gemeinen Rechte.

28. II. Die Literatur.

149

herausgeg. von St eng l e i n . Berlin u. Leipzig 1881T. — v. K i r c h m a n n , StGB für den Norddeutschen Bund . . . Zum praktischen Gebrauche bearbeitet. Elberfeld 1870. Dazu : Nachtrag. StGB für das Deutsche Reich mit . . . Erläuterungen. Das. 1871. — Fr. M e y e r , StGB für das Deutsche Reich. 2. Ausgabe. Berlin 1871. — O p p e n h o f f , Das StGB für den Norddeutschen Bund. Berlin 1871. Später u. d. Titel: Das StGB für das Deutsche Reich. 10. Aufl. Berlin 1885. — v. S c h w a r z e , Commentar zum StGB für das Deutsche Reich. Leipzig 1871. 5. Aufl. das. 1884. — P u c h e l t , Das StGB fur das Deutsche Reich. Karlsruhe 1872. — R u b o , Commentar über das StGB für den Norddeutschen Bund. Später: für das Deutsche Reich. Berlin 1870 if. Abgeschlossen 1879.— O t t o , Aphorismen zu dem allgemeinen Teile des StGB für das Deutsche Reich. Leipzig 1873. — L o r e n z , Das StGB für das Deutsche Reich. Mit erläuternden Anmerkungen unter bes. Rücksicht auf Bayern. München 1873. — H a h n , StGB für das Deutsche Reich. 3. Aufl. Breslau 1877.— M e v e s , Die Strafgesetznovelle v. 26. Febr. 1876. Eingeleitet und commentirt. Erlangen 1876. — O l s h a u s e n , Commentar zum deutschen StGB. I u. I I Berlin 1880 u. 1883. Eine 2. Aufl. des Werkes ist im Erscheinen. — Einen Commentar nur zu den §§ 360 bis 370 will geben K a h , Die Polizeivergehen des deutschen StGB. Stuttgart 1879. 2. C o m m e n t a r e zum M i l i t ä r s t r a f g e s e t z b u c h . B e n d e r , Das MStGB für das Deutsche Reich . . . erläutert u. s. w. Kassel und Göttingen 1872. — K e l l e r , MStGB für das Deutsche Reich. 2. Aufl. Berlin 1873. — S o l m s , Strafrecht und Strafprozess für Heer und Marine des Deutschen Reiches. 2 Teile. Berlin 1873. — W e i f f e n b a c h , Das MStGB für das Deutsche Reich . . . Kassel 1873. — F l e c k , MStGB für das Deutsche Reich. Berlin 1875. — K o p p m a n n , Das MStGB für das Deutsche Reich. Nördlingen 1875. — H e c k er, Das MStGB für das Deutsche Reich. Erläutert (nach Oppenhoffs Vorbild). Berlin 1877. 3. Die C o m m e n t a r e zu d e n s t r a f r e c h t l i c h e n N e b e n g e s e t z e n sollen dort angeführt werden, wo diese im speciellen Teile zur Verarbeitung stehen. Man beachte aber die oben S 146 angeführten Werke.

I I I . Von den Z e i t s c h r i f t e n kommen in Betracht 8 : 1. Die K r i t i s c h e V i e r t e l j a h r s s c h r i f t f ü r G e s e t z g e b u n g u n d Rechtswissenschaft. München 1859 ff. — A r c h i v f ü r praktische R e c h t s w i s s e n s c h a f t aus dem G e b i e t e des C i v i l r e c h t s , des C i v i l prozesses u n d des C r i m i n a l r e c h t s . Regensburg 1852 ff., später Marburg und Leipzig, dann Darmstadt und Leipzig. — G r ü n h u t , Ζ f ü r das P r i v a t u n d ö f f e n t l i c h e R e c h t der G e g e n w a r t . I ff. Wien 1874 ff. — M a g a z i n f ü r d e u t s c h e s R e c h t der G e g e n w a r t , herausgegeben von B ö d i k e r . I ff. Hannover 1881 ff. 2. Specifisch strafrechtliche Zeitschriften allgemeinen Charakters, d. h. solche, die nicht an erster Stelle den Interessen eines einzelnen Bundesstaates sich widmen, sind: D e r G e r i c h t s s a a l . Erlangen seit 1849. Im Jahre 1872 beginnt „der neuen Folge erster Jahrgang". — v. H o l t z e n d o r f f , A l l g e m e i n e d e u t s c h e S t r a f r e c h t s z e i t u n g . Leipzig 1861 ff. 10 Bände. Neue Folge 1871 ff. Ist seit 1874 mit dem Gerichtssaal verschmolzen. — G o l t d a m m e r , A r c h i v des p r e u s s i 7 Möge dem trefflichen Werke nicht durch Aufnahme zu vieler Präjudicien der ursprüngliche Charakter verloren gehen! 8 Wo nicht ausdrücklich bemerkt ist, dass die Zeitschrift eingegangen oder nur bis zu einem bestimmten Jahre fortgeführt worden ist, erscheint sie weiter.

§ 29. III. Die Rechtsprechung.

150

sehen S t r a f r e c h t s . Berlin seit 1858. Nach G o l t d a m m e r s Tod fortgesetzt erst von M a g e r , dann von H a h n , dann anonym. Yon Band X I X (1871) A r c h i v f ü r gemeines d e u t s c h e s u n d f ü r p r e u s s i s c h e s S t r a f r e c h t . — S t e n g l e i n , Z e i t s c h r i f t für G e r i c h t s p r a x i s und Rechtswissenschaft in B a y e r n . I — X V I I I München 1862 if. Fortgesetzt als Z e i t s c h r i f t f ü r Ger i c h t s p r a x i s u n d R e c h t s w i s s e n s c h a f t i n D e u t s c h l a n d . NF München 1872—1879. In den drei ersten Jahrgängen der NF mit einem Beiblatt: Z e i t s c h r i f t für G e r i c h t s p r a x i s und R e c h t s w i s s e n s c h a f t i n Bayern. Uebrigens ist die NF wesentlich Präjudiciensammlung. — Z e i t s c h r i f t für d i e gesammte S t r a f r e c h t s w i s s e n s c h a f t , begründet von D o c h ο w u. v. L i s z t , nach Dochows Tod herausg. von v. L i s z t und v. L i l i e n t h a i . I if. Berlin u. Leipzig 1881 ff. 3. Von Zeitschriften, die wesentlich auf dem Boden eines bestimmten Landesrechts stehen, von 1870 an aber auch auf das neue gemeine Strafrecht Rücksicht nehmen, sind zu nennen für 1. P r e u s s e n 9 : A r c h i v f ü r das C i v i l - und C r i m i n a l r e c h t der kön. preuss. R h e i n p r o v i n z e n . NF Köln 1826 ff. — Z e i t s c h r i f t f ü r h a n n ö v . R e c h t . Hannover 1865—1879. — Heuser, A n n a l e n der J u s t i z p f l e g e u n d V e r w a l t u n g . Kassel 1854 ff. — S c h l e s w i g - h o l s t e i n s c h e A n z e i g e n . NF Glückstadt 1867 ff. — 2. B a y e r n : B l ä t t e r f ü r R e c h t s a n w e n d u n g z u n ä c h s t i n Bay er n, von S e u f f er t , später von S t e ρ p e s. Erlangen 1836 ff. 1 0 . — 3. Sachsen: v. S c h w a r z e , A l l g e m e i n e G e r i c h t s z e i t u n g für das K ö n i g r . Sachsen. Leipzig 1857 ff. Eingegangen mit Bd. X X \ r 1881. — A n n a l e n des k ö n i g l . s ä c h s i s c h e n O b e r a p p e l l a t i o n s g e r i c h t s zu Dresden. NF Leipzig 1866 —1873. Eine zweite Folge begann mit 1874. Die Zeitschrift endete mit Folge I I Bd. 6 Leipzig 1879. — An ihre Stelle traten die A n n a l e n des k g l . s ä c h s i s c h e n O b e r l a n d e s g e r i c h t s zu Dresden. Leipzig 1880 ff. — Z e i t s c h r i f t f ü r R e c h t s p f l e g e unci V e r w a l t u n g zun ä c h s t f ü r das K ö n i g r . Sachsen. NF Leipzig 1841 if. — 4. W ü r t t e m b e r g : K ü b e l und S a r w e y , W ü r t t . A r c h i v f ü r R e c h t und R e c h t s v e r w a l t u n g . Stuttgart 1857 ff. — W ü r t t . G e r i c h t s b l a t t , herausg. von K ü b e l . Stuttgart 1857 if. — 5. B a d e n : A n n a l e n der g r o s s h e r z o g l . b a d i s c h e n G e r i c h t e . Karlsruhe, später Mannheim 1833 ff. Jetzt redigirt von R ο s s h i r t 1 1 . — 6. M e c k 1 e η b u r g : Z e i t s c h r i f t f ü r R e c h t s p f l e g e u n d R e c h t s w i s s e n s c h a f t , herausg. von B u d d e , M ö l l e r , B i r k m e y e r . I ff. Wismar 1881 ff. — 7. O l d e n b u r g : Z e i t s c h r i f t f ü r V e r w a l t u n g u. R e c h t s p f l e g e im Grossh. O l d e n b u r g . Oldenburg 1870 ff. — 8. T h ü r i n g e n : B l ä t t e r f ü r R e c h t s p f l e g e i n T h ü r i n g e n u n d A n h a l t , zuletzt herausgegeben von B r ü c k n e r . Jena 1854 ff. — 9. B r a u n s c h w e i g : G o t t h a r d u . K o c h , Z e i t s c h r i f t f ü r R e c h t s p f l e g e im H e r z o g t . B r a u n s c h w e i g . Braunschweig 1854 ff.— 10. E l s a s s - L o t h r i n g e n : J u r i s t i s c h e Z e i t s c h r i f t f ü r das R e i c h s l a n d E l s a s s - L o t h r i n g e n , herausg. von P u c h e l t und M eu rer. Mannheim 1876 ff.

§ 29. I I I . D i e R e c h t s p r e c h u n g . Das gemeine Strafrecht wird lebendig in den Urteilen der deutschen Strafgerichte. I n ihren Entscheidungsgründen gehören die9

Bezüglich G o l t d a m m e r s Archiv s. oben s. 2. Bezüglich S t e n g l e i n s Zeitschrift s. oben s. 2. 11 Für H e s s e n kommt das oben s. 1 erwähnte Archiv für prakt. Rechtswissenschaft in Betracht. 10

§ 29. III. Die Rechtsprechung.

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selben der L i t e r a t u r , i n i h r e n Entscheidungen selbst dem Prozess der Entstehung u n d des Vergehens subjectiver Strafrechte a n 1 .

Es ist zu

bedauern, dass es zur Z e i t i n Deutschland an einer erlesenen Samml u n g erstinstanzlicher U r t e i l e f e h l t : das gedruckte M a t e r i a l bietet fast ausschliesslich n u r U r t e i l e der höchsten Instanz. Organ für die J u d i k a t u r der Militärgerichte.

Ebenso mangelt ein

U m so reicher sind die

Nachweise über die Rechtsprechung unserer ordentlichen obersten Gerichte i n Strafsachen. I. Einen Ueberblick über die gesammte Rechtsprechung im Anschluss an das allgem. Strafgesetzbuch giebt: D i e d e u t s c h e S t r a f r e c h t s p r a x i s . I (von Pezold, S t i e g e l e u. Kö ( hn) Stuttgart 1877. I I (von Z i m m e r l e ) das. 18802. — Fast ausschliesslich der Kasuistik des gemeinen Rechts war die § 28 s. I I I 2 erwähnte Zeitschrift von S t e n g l e i n gewidmet. II. Die Rechtsprechung des obersten Reichsgerichts ist enthalten in den E n t s c h e i d u n g e n des R e i c h s o b e r h a n d e l s g e r i c h t s . V I ff. Erlangen 1872 ff.— Ferner in zwei leider mit einander concurrirenden Sammlungen: E n t s c h e i d u n g e n des R e i c h s g e r i c h t s i n S t r a f s a c h e n , herausgeg. von den Mitgliedern des Gerichtshofes. I ff. Leipzig 1880 ff. und R e c h t s p r e c h u n g des d e u t s c h e n R e i c h s g e r i c h t s i n S t r a f s a c h e n , herausgeg. von der Reichsanwaltschaft. Iff. München und Leipzig 1879 ff. III. Die Rechtsprechung der obersten Landesgerichte ist vielfach mehr oder minder ausführlich in den Zeitschriften enthalten, clie auf dem Boden eines bestimmten Landesrechts stehen, besonders in G o l t d a m m e r s A r c h i v , den s ä c h s i s c h e n und b a d i s c h e n A n n a l e n , in S c h w a r z e s G e r i c h t s z e i t u n g , im w ü r t t e m b e r g i s c h e n G e r i c h t s b l a t t u. s. w. Es existiren aber ausserdem noch besondere Präjudiciensammlungen, und zwar 1. für P r e u s s e n : E n t s c h e i d u n g e n des k g l . Geh. O b e r t r i b u n a l s . Berlin 1837 ff. Enden mit Bd. 83 Berlin 1879.— O p p e n h o f f , D i e R e c h t s p r e c h u n g des k g l . O b e r t r i b u n a l s i n S t r a f s a c h e n . I—XX Berlin 1861—1879. — J a h r b u c h der E n t s c h e i d u n g e n des K a m merge r i c h ts i n . . . S t r a f s a c h e n , von J o h o w u. K ü n t z e l . I ff. Berlin 1881 ff. — 2. für B a y e r n : S a m m l u n g v o n E n t s c h e i d u n g e n des o b e r s t e n G e r i c h t s h o f e s f ü r B a y e r n i n G e g e n s t ä n d e n des S t r a f r e c h t s u n d S t r a f p r o z e s s e s . I—IX Erlangen 1872—1880. — S a m m l u n g der E n t s c h e i d u n g e n des O L G M ü n c h e n i n G e g e n s t ä n d e n des S t r a f r e c h t s u n d S t r a f p r o z e s s e s . I ff. Erlangen 1881 ff. IV. Endlich sind zu erwähnen die E n t s c h e i d u n g e n d e r G e r i c h t e und V e r w a l t u n g s b e h ö r d e n aus dem G e b i e t e des (gemeinrechtlichen) V e r w a l t u n g s - u n d P o l i z e i s t r a f r e c h t s , lierausg. von Reger. I ff. Nördlingen 1880 ff. — 1 Die notwendige Folgerung für die Entscheidungsgründe scheint mir die zu sein, dass sie sich wie jede wissenschaftliche Arbeit mit der Literatur auseinander zu setzen haben. Vor allem gilt dies für die Gründe der Reichsgerichtserkenntnisse. Auch hier war dem Beispiel Lübecks und des ROHG zu folgen. 2 Wird hoffentlich fortgesetzt.

Erstes Buch. Das objektive Strafrecht.

Erste Abteilung. Normen und Strafgesetze. Erstes Kapitel. Die Normen und die Strafgesetze 1. § 30.

I. D i e N o r m . a l s r e i n e r

Imperativ.

I. Ebenso bestimmt als zutreffend stellt die Sprache die verbrecherische Tat in Gegensatz zur Rechtsvorschrift: das Verbrechen ist Bruch des Gesetzes. Darin liegt, dass der Inhalt des Gesetzes maassgebend ist für den Inhalt der es verletzenden Misstat. Daraus folgt, dass die Wissenschaft, wenn sie das Verbrechen zu Rechtssätzen in Widerspruch bringt, die es nicht verletzen kann, der doppelten Gefahr verfallen muss, den Gehalt des Verbrechens zu verkennen und den Gehalt jener Rechtssätze zu fälschen. Dies war das Schicksal der Strafrechtswissenschaft, solange sie das Verbrechen als Bruch des S t r a f g e s e t z e s betrachtete 2 . Das Strafgesetz folgt begrifflich der rechtswidrigen Tat erst nach: es bezweckt ihre Folge, nicht ihren Inhalt zu bestimmen. Kein Verbrechen der Welt verstösst wider das Strafgesetz, nach dem es gestraft wird : jedes verletzt einen Rechtssatz, der von dem Strafgesetze fundamental verschieden ist, und der neuerdings 3 als die „ N o r m " bezeichnet w i r d 4 . 1

Diese Ausführungen gelten den Normen und den Strafgesetzen, nur soweit sie Bestandteile des objektiven Rechtes bilden. Ihre notwendige Ergänzung erhalten sie im 2. Kapitel, wo die subjektiven Rechte zu untersuchen sind, welche beiden Rechtssätzen entspringen. 2 Diese ganz verkehrte Vorstellung ist noch heute durchaus geläufig: die falschen Folgerungen, die sie veranlasst, sind ebenso zahlreich als bedeutend. 3 S. aber schon K l ei η sehr od, Grundsätze I 6. Vgl. auch L u d e n , Abhandlungen I I 128. 129. 4 Den Begriff der „Norm" aufzustellen und ihr Verhältniss zum Strafgesetz darzulegen habe ich versucht in meinem AVerke : .,I)ie Normen und ihreUebertretung",

156

§ 30. I. Die Norm als reiner Imperativ.

Π. N o r m e n s i n d V e r b o t e o d e r G e b o t e v o n H a n d l u n g e n . Sie sind so genannt worden, weil sie den handlungsfähigen I und I I Leipzig 1872 u. 1877, bes. I 1 if. (eine zweite Auflage desselben ist in Vorbereitung). — Dieser Begriff und der von mir tiefer begründete Gegensatz von Norm und Strafgesetz ist von vielen Seiten gebilligt worden; so besonders von B i e r l i n g , Gött. gel. Anz. 1873 S 401 ff.; Zur Kritik der juristischen Grundbegriffe I. Gotha 1877. S 146 ff. (s. aber unten Anm 8); B e r n e r , in GA X X I 1873 S 131: „Aber die im Begriffe vollzogene Scheidung von Norm und Strafgesetz trägt ohne Zweifel Klarheit in manche Lehren, bei denen die Vermischung beider bisher Verwirrung angerichtet hat" (für die neuen Auflagen des Lehrbuchs sind freilich die „Normen" gar nicht verwertet); H e i n z e , Literar. Centraiblatt 1873 Nr 35 S 1100 u. 1101, dem das Verdienst zukommt, lange vor den „Normen" den tiefen Gegensatz zwischen den Rechtssätzen, die der Verbrecher übertritt, und den Strafgesetzen klar erfasst zu haben (GS 1861 S 426. 427); D e r n b u r g , in den Festgaben für A. W. Heffter. Berlin 1876. S 104; H a r t m a n η , Die Obligation. Erlangen 1875. S 118; D e g e n k o l b , Einlassungszwang und Urteilsnorm. Leipzig 1877; O e t k e r , Ueber den Einfluss des Rechtsirrtums im Strafrecht. Kassel 1876; v o n R o h l a n d , Das internationale Strafrecht. 1. Abt. Leipzig 1877; T h o n , Rechtsnorm und subjektives Recht. Weimar 1870; O l s h a u s e n , Kommentar zum Strafgesetzbuch f. d. Deutsche Reich, I u. II. Berlin 1880, an verschiedenen Stellen; R o s i n , Das Polizeiverordnungsrecht in Preussen. Breslau 1882. Am vollständigsten ist früher v. L i s z t in seinem Reichsstrafrecht, Berlin u. Leipzig 1881, auf meine Gedanken eingetreten. — S. auch den Schluss der Anm. — Von den obersten Gerichtshöfen haben das ROHG und das preuss. OTr diese Ansicht gleichfalls adoptirt, das erstere in s. Urt. v. 10. Dez. 1872 in Sachen Hausmann und Fiscus contra Seidels Erben (E V I I I 202 ff.), das letztere u. a. in seinen Erk. v. 21. Febr. 1877 (s. ORspr X V I I I 146 ff.) und v. 28. Febr. 1879 (das. X X 110 ff.). — Das RG erkennt den Gegensatz von Norm und Strafgesetz gleichfalls an, man sehe bes. RG I I v. 24. Okt. 1879 (Rspr I 17); I v. 11. März 1880 (E I 272 ff.); I I I v. 13. März 1880 (E I 274 ff.); H I v. 14. April 1880 (Ε I I 10 ff.); I I ν. 1. März 1881 (E IV 12 ff.): „Rechtswidrig ist jede Normwidrigkeit, mag es sich um civilrechtliche oder strafrechtliche Normen handeln"; I I ν. 1. April 1881 (E IV 41 ff.): „Die vom Strafgesetze bedrohte Normwidrigkeit" ; I I I v. 9. April 1881 (E IV 98 ff.) u. s. w. Die Judikatur des RG leidet aber unter unklarer Auffassung der Norm. Der Wahrheit, dass dieselbe zwar stets ein selbständiger Satz des öffentlichen Rechts ist, dass es aber keine „strafrechtlichen Normen" giebt, verschliesst sich das Gericht. Die Folge davon ist, dass die alte Verwirrung wieder einkehrt, dass die „strafrechtliche Norm" als Teil des Strafgesetzes gefasst, damit der so relevante Irrtum über die Norm als irrelevanter Irrtum über das Strafgesetz behandelt und so die segensreichste Konsequenz der Scheidung von Norm und Strafgesetz für die Irrtumslehre bedauerlicher Weise verkannt wird. Man sehe RG I v. 10. Nov. 1881 (E V 159ff.); RG I I I v. 12. Nov. 1881 (E V 161 ff.; sehr schlimm S 163); RG I I I v. 5. Okt. 1881 (E V 295); RG I I I ν. 1. Febr. 1882 (E V 410); RG I v. 20. April 1882 (Ε V I 276: „Verkennen der Strafnorm"); RG I I v. 17. April 1883 (E V I I I 182). — Mit dem Gegensatz von Norm und Strafgesetz operiren auch W a c h , GS 1873 S 432 ff.; M e y e r , Lehrbuch 3. Aufl. S 88. 118; L a b a n d , Staatsrecht I 437; K o h l e r , Patentrecht S 500 ff; C o h n , Versuch I 341; H ä l s c h n e r , Gemeines Strafrecht I 86. 87 — die aber darin überein-

§ 30. I. Die Norm als reiner Imperativ. Menschen als Richtschnur für ihrer Freiheit

i h r Verhalten

u n d zwar als Schranke

dienen.

Sie w o l l e n ihnen sagen, was sie nicht dürfen

u n d was sie m ü s s e n 5 .

Sie unterscheiden sich dadurch aufs schärfste

von denjenigen Rechtssätzen, die menschlicher F r e i h e i t das F e l d i h r e r zweckmässigen

Bewegung auf dem Rechtsgebiete anweisen,

Menschen sagen, was sie dürfen,

Rechtssätze, die m a n m i t

die den Brinz

6

7

G e w ä h r u n g e n nennen m a g . D i e Freiheit als das „ D ü r f e n " ist dem Gesetzgeber als M i t t e l zu seinen Zwecken ebenso unentbehrlich, wie die Beschränkung der F r e i heit, das „Müssen" — das subjektive Recht ebenso wie die subjektive Pflicht.

I n dem richtigen Verhältnisse

zwischen Gewährungen

und

Normen allein r u h t die Gewähr für den Bestand der j e w e i l i g e n rechtlichen O r d n u n g 8 . stimmen (von Κ ο h l er sage ich das allerdings nur unter Zweifeln), dass sie der .,Norm" die Selbständigkeit absprechen, sie vielmehr nur als einen Bestandteil der die Rechtsfolgen ihrer Uebertretungen regelnden Sätze, insbes. der Strafgesetze auffassen. S. darüber S 161 if. 5 S. auch J h e r i n g , Zweck im Recht. 2. Aufl. I 348. 349. 6 S. B r i n z , Pandekten. 2. Aufl. I 90. Uebrigens beschäftigen sich die Normen nur mit Menschen, die Gewährungen mit Rechtssubjekten aller Art. 7 Dass Normen und Gewährungen gemeinsam zu den bejahenden Rechtssätzen gehören, darüber sehe man Kap. 2. 8 Die Auffassung, wonach die Norm eine A r t der Rechtssätze darstellt, wonach sie alle, aber auch nur die Rechtsbefehle umfasst, ist nach drei Seiten zu verteidigen. 1. Eine neuere Richtung, die naturrechtliche Anschauungen wieder aufleben lässt (s. z. B. K a n t , Rechtslehre: Werke ed. R o s e n k r a n z I X 29), erklärt alle Rechtssätze für Normen. So wohl schon v. J h e r i n g , Zweck im Recht I, 1. Aufl. S 321 ff., 2. Aufl. S 329; besonders aber T h o n , Rechtsnorm und subjektives Recht. Weimar 1878, dem P f e r s c h e , Methodik der Privatrechts-Wissenschaft, Graz 1881, sich anschliesst, und B i e r l i n g , Zur Kritik der juristischen Grundbegriffe II. Gotha 1880. S 7 ff. — T h o n sagt S 8: „Das gesammte Recht einer Gemeinschaft ist nichts als ein Komplex von Imperativen"; B i e r l i n g I I 12 will den „Grundsatz von der Imperativischen Natur alles Rechts in vollem Umfange festhalten", und beide wollen diese Anschauung zum Grund- und Eckstein einer geläuterten Jurisprudenz machen. D i e s e l b e a b e r i s t i n j e d e m Sinne gen o m m e n (s. meine Kritik von T h o n , K r V X X I 1879 S 551) f a l s c h . T h o n und B i e r l i n g lassen sich täuschen durch die solenne Form der Rechtswillenserklärung: ita jus esto, und langen dadurch bei einer falschen Auffassung des autoritativen Rechtswillens an. Sie glauben, die Autorität könne nur im Heischen, und nicht im Geben sich äussern. Dies Vorurteil führt zur grössten Willkür gegenüber dem geltenden Rechte: denn die Unmasse erlaubender Rechtssätze legt wider die Alleinherrschaft der Norm störenden Protest ein. Die Farbenblindheit der Gegner leugnet nun entweder die Rechtsnatur dieser Satzungen oder wandelt sie gewaltsam in Normen um. Die schlimmsten Früchte dieser Anschauungen wachsen aber nicht einmal auf dem Gebiete des objektiven, sondern auf dem des subjektiven Rechts.

§ 30.

158

I. Die Norm als reiner Imperativ.

N i c h t sind die N o r m e n i n dem Sinne zugleich Gewährungen, dass sie den Menschen erlaubten, was sie nicht v e r b i e t e n 9 . Verbotenen u n d dem E r l a u b t e n

erstreckt

Zwischen dem

sich das weite Gebiet der

rechtlich indifferenten Handlungen, die unverboten wie unerlaubt sind. W e i l die N o r m e n Handlungen verbieten oder gebieten, richten sie sich n u r an den Kreis der Handlungsfähigen : das sind nur Menschen, aber nicht alle Menschen. D i e V e r n u n f t des Gesetzgebers nötigt i h n seine Befehle die zu richten, die er für fähig h ä l t sie zu befolgen. sinnige

und

Kinder

seinem

wollen wie den W i n c l ,

Willen

ebensowenig

Untertan

die W o l k e n u n d das Wasser.

nur an

E r kann Wanmachen

Das Sinnlose

aber versucht k e i n \ 7 ernünftiger. Nur

ein

anderer Ausdruck desselben Gedankens ist es, dass die

Mit jener Monotonie des objektiven Rechts ist eine Fülle subjektiver Rechte unvereinbar. Je nachdem die Norm gefasst wird, gehen entweder alle subjektiven P r i vat rechte oder aber a l l e subjektiven Rechte unter, und wieder kann nur die grösste methodische Willkür ihre Weiterexistenz behaupten. Entweder — und das tut weder T h o n noch Β i e r i i n g — lässt man die Norm neben der Pflicht des Normgebundenen ein Recht auf Pflichterfüllung begründen, wie in der Tat jede echte Norm tut. D a n n i s t das G e h o r s a m s r e c h t das e i n z i g e s u b j e k t i v e R e c h t u n d d i e s i s t s t e t s e i n ö f f e n t l i c h e s R e c h t . Oder aber man lehrt, wie B i e r l i n g I I 18. 71. 311 (über T h o n s. KrV X X I 564 if.): „Dürfen und Erlaubtsein ist danach gar nichts anderes als Nichtverbotensein." In demselben Augenblick fällt alles subjektive Recht aus dem Rechtsgebiet: denn rechtlich relevant ist nur die Nonn und die Pflicht, die sie begründet, rechtlich gleichgiltig alles übrige. — Nicht minder verdirbt diese Lehre den Begriff der subjektiven Pflicht: denn eine solche ohne korrespondirendes Recht ist undenkbar. Ihre Tendenz geht nicht nur auf Alleinherrschaft der Norm, sondern auf die des objektiven Rechts, woneben das subjektive Recht zu verschwinden hat. Stellt ja doch B i e r l i n g I I 32. 33 den für seine Verwirrung charakteristischen Satz auf, dass objektives und subjektives Recht „nichts anderes sind, als zwei von verschiedenen Standpunkten aus gewonnene Ansichten derselben Sache". — Die Möglichkeit dieser Lehre in der Gegenwart legt ein bedauerliches Zeugniss für die methodische Unsicherheit ab. — 2. H a r t m a n n , Die Obligation S 118 bringt andrerseits die Norm in Beziehung zum Forderungsrecht, also einem subjektiven Privatrecht: „In jeder Obligation ist die konkrete Norm gelegen, dass im Dienste des individuellen Zweckes das Bestimmte geschehe resp. nicht geschehe." So richtig auch der in diesem Satze enthaltene Gedanke ist, so dürfte es doch nicht richtig sein, die obligatorische Gebundenheit des Schuldners, welche dieselbe ist, mag dieser handlungsfähig oder handlungsunfähig sein, als Gebundenheit durch Nonnen aufzufassen. Als Schuldner ist er privat-, nicht öffentlich-rechtlich gebunden. — 3. Nach Ζ i t e Ima n n , Irrtum S 222 ist jeder Rechtssatz „hypothetisches Urteil" und „Rechtsnormen können ihrem Wesen nach niemals Imperative sein". Z i t e l mann hat hier seinen S i g w a r t falsch verwertet! 9 S. die vorige Anm.

§ 30.

I. Die Norm als reiner Imperativ.

schuldlose U e b e r t r e t u n g

der N o r m

eben keine U e b e r t r e t u n g ist. widrigkeit

sind identisch.

für

das Recht ein Z u f a l l ,

d. h.

N o r m w i d r i g k e i t u n d schuldhafte N o r m -

Es giebt

k e i n schuldloses,

k e i n sog. ob-

jektives U n r e c h t 1 0 . III.

F a l l s diese N o r m e n nicht gesetzlich f o r m u l i l i werden — u n d

grade clie wichtigsten bedürfen solcher F o r m u l i r u n g nicht mehr,

weil

sie als Erbschaft von Jahrtausenden j e d e r m a n n geläufig sind — , schöpfen w i r

sie,

soweit

sie für

das

Strafrecht

aus den Tatbeständen der Strafgesetze. welche

Handlungen

verboten

widrigen Handlungen g i l t ihre ersten T e i l

und

i n Betracht

kommen,

Diese lassen uns erkennen,

geboten

Strafdrohung.

sind:

denn n u r

rechts-

Somit haben w i r den

des Strafgesetzes, j e nachdem eine H a n d l u n g oder eine

Unterlassung bedroht w i r d ,

in

ein V e r b o t oder Gebot grade solcher

H a n d l u n g zu v e r w a n d e l n 1 1 . IV.

Ein

Teil

dieser Befehle

hat sich v o m grauen A l t e r t u m bis

zur Gegenwart fast unverändert erhalten u n d ihre das Menschenleben zügelnde K r a f t ist durch Jahrtausende hindurch unwandelbar dieselbe geblieben.

D i e zehn Gebote, welche noch heute den G r u n d - u n d E c k -

10 Vgl. über diese Kontroverse bes. M e r k e l , Krim. Abhandl. I 42ff. u. m. Normen I 135 ff. S. auch B r i n z , Pand. I I 157. — Gut gegen das sog. objektive Unrecht auch J e l l i n e k , Die socialethische Bedeutung von Recht, Unrecht u. Strafe. Wien 1878. S 56. 57. Für dasselbe neuerdings wieder T h o n , Rechtsnonn S 71 bis 107, dem P f a f f , Schadenersatz S 11 folgt, und H ä l s c h n e r , D. StR I 19 ff. T h o n s Hauptargument, „die nie bezweifelte Tatsache: dass die Rechtsordnung Verpflichtungen der Unzurechnungsfähigen kennt", beweist weder gegen mich, noch für T h o n , sondern nur dafür, dass unser Wort „Pflicht" mehrdeutig ist. D i e Rechtspflicht aber, die von dem Unzurechnungsfähigen i n P e r s o n erfüllt werden muss, soll erst noch nachgewiesen werden. Wenn man aber mit T h o n alle Rechtssätze für Normen hält, so muss man diese an die Unzurechnungsfähigen mit adressiren. — Indessen diese Kontroverse hier weiter zu verfolgen, ist unnötig: d e n n auch die A n h ä n g e r des sog. o b j e k t i v e n U n r e c h t s s i n d m i t dessen G e g n e r n d a r ü b e r e i n v e r s t a n d e n , dass es k r i m i n e l l n i c h t i n Bet r a c h t kommt. 11 S. darüber genauer Normen I 23 ff. 32 ff. 126 ff. Diese Tätigkeit bedarf der grössten Akribie, also des geraden Gegenteils der Art und Weise, wie ν ο η L i s z t , Lehrbuch S 101 verfährt. Seine sog. Normen: „Heilig sei das Leben, das Eigentum, die Ehre, der Hausfrieden" gleichen eher dem Text eines Hymnus, als dem rechtlicher Verbote oder Gebote bestimmten Inhalts; dazu sind sie so vag, dass sie schlechterdings wertlos und teilweise falsch werden. Trotz angewandter Sorgfalt aber ist das Ergebniss jener Verwandlung nicht immer ein sicheres, weil der Strafgesetzgeber vielleicht nicht sicher weiss, was er eigentlich verbieten wollte, oder weil das Strafgesetz, wie z. B. GB § 185, über seinen Willen zu wenig ausgiebt. Diese Schuld fällt dann aber nicht auf den, der die Norm sucht, sondern auf den Strafgesetzgeber, der sie ihn nicht finden lässt.

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§ 30. I. Die Norm als reiner Imperativ.

pfeiler unserer moralischen und rechtlichen Bildung ausmachen, sind nichts anderes als zehn Normen altjüdischen Volksrechts. Ihre kurze Imperativische Form, die nichts birgt als Befehl (du sollst nicht! du sollst!), ist das Urbild aller Normen für alle Zeit geblieben. Wer befiehlt, muss die Norm enthüllen, was sie befiehlt, und wem sie befiehlt — nicht mehr, nicht weniger. Ihre Kraft schöpft sie aus der Autorität ihres Urhebers und aus der Vernünftigkeit derer, denen sie gilt. Ist doch die Norm inhaltlich meist nichts anderes als der Wille aller Einzelnen sichergestellt weil erhoben über Willkür und Egoismus derselben. Nicht ist der Norm wesentlich ein Hinweis auf die Folgen ihrer Uebertretung. Sie lautet: „ihr sollt nicht!" oder „ihr sollt!" — sie lautet nicht: „ihr sollt bei Strafe" 1 2 . Drei Beweise erhärten diese Behauptung. 1. Wo uns im positiven Rechte Normen in gesetzlicher Form begegnen — in den römischen Quellen 1 3 , in den mittelalterlichen Reichsgesetzen, in den neueren Verfassungsgesetzen, Prozessordnungen, Civilgesetzbüchern, Handelsgesetzbüchern, Nachdruck- und Patentgesetzen u. s. w. —, tragen sie stets die Form des einfachen Befehles, und wenn einmal eine Polizeiverfügung etwas „bei Strafe" untersagt, so zieht sie die Norm mit einem absolut unbestimmten und deshalb nach heutigem Rechte ungiltigen Strafgesetze zusammen. 2. Ferner hiesse den Hinweis auf die Straffolgen der Uebertretung für einen wesentlichen Bestandteil der Norm erklären nichts andres, als dass lediglich von der Furcht eine Befolgung der Gesetze zu erwarten wäre. Dann müsste, wo die Furcht versagt, auch die Norm auf ihre verbindliche Kraft verzichten, — wie dies F e u e r b a c h s psychologische Zwangstheorie unter gleicher Voraussetzung vom Strafgesetze behaupten musste. Diese Voraussetzung trifft aber nicht zu. Weit mehr als die Furcht der ganz Schlechten und der halb Guten wirkt der gute Wille der Wohlgesinnten, und wenn auch nicht geleugnet werden soll, dass die Furcht ein Vehikel der Nonnerfüllung sein k a n n 1 4 , so verliert doch dieser Appell an die Angst durch die Hoffnung der Bedrohten, unentdeckt zu clelinquiren, fast alle ein12 S. darüber Normen I 24 ff. — D i e Frage, ob Normen und Strafgesetze stets nur mit einander leben und sterben, bleibt hier noch ganz bei Seite: s. darüber unten S 162 ff. Hier handelt sich's allein um das Verhältniss des Urhebers der Norm zu deren Untertan; schärfer: darum, ob jener die Durchführung seiner Befehle gründen will auf das Motiv der Furcht vor der Strafe. 13 Zahlreiche Beispiele in den Normen I 61—65. 14 S. darüber neuerdings T h o n , bei Grünhut V I I 146ff.

§30.

I. Die Norm als reiner Imperativ.

schiìcliternde Wirksamkeit. Schliesslich aber muss sich Jeder sagen, dass hinter der Norm die Staatsmacht steht, und class seine Auflehnung gegen das Gesetz ausarten kann in einen Konflikt mit der Staatsgewalt, worin er unterliegt. Warum die Verbindlichkeit der Norm abhängig erklärt werden soll von der Aufnahme jener Drohung, die der Gute nicht braucht, und wovor der Schlechte die Augen schliesst, ist unerfindlich. 3. Und endlich, lautete die Norm: „ihr sollt nicht bei Strafe!" so müsste der bewussten Auflehnung gegen die Norm das Bewusstsein der Strafbarkeit überhaupt oder gar eines bestimmten Maasses der Strafbarkeit wesentlich sein. Dies Requisit aber — dessen Aufnahme in den kriminellen dolus diesen dann scharf von allem andern dolus schiede — findet sich weder im römischen noch im deutschen Rechte, und wo dasselbe auf die Autorität F e u e r b a c h s in die gesetzlichen Definitionen des Vorsatzes aufgenommen worden ist, hat man es sofort durch Anerkennung des Satzes ignorantia juris unschädlich gemacht, bis die Gesetzgebung diesen Irrweg verliess. V. Diesen Normen ist ganz oder teilweise 1 5 der Charakter der Rechtssätze abgesprochen worden: sie seien Sätze der Moral, der Politik, aber nicht des Rechts. Bindende Vorschriften giebt es aber nur auf dem Rechtsgebiete, und jeder Befehl, wofür das Gesetz Nachachtung fordert, ist ein Rechtsbefehl. Stattet der Gesetzgeber eine Regel, die sich auf irgend welchem Gesellschaftsgebiete unverbindlich herausgebildet hat, mit seiner Autorität aus — und dies tut er nicht nur, wenn er sie ausdrücklich zum Gesetz erhebt, sondern auch dann, wenn er ihre Uebertretung mit Straffolgen bedroht —, so erhebt er sie damit zum Rechtssatz 16 , fixirt sie und stellt sie unabhängig von allen Mächten ausserhalb des Rechts. So sind alle Normen, welche Strafgesetzen zur Grundlage dienen, echte Rechtssätze, aber nicht nur sie, sondern alle Befehle, die der Gesetzgeber erlässt: denn das Zwangsmoment ist für den einzelnen Rechtssatz ganz unwesentlich 17 . VI. Diesen Normen ist der Charakter als selbständiger Rechtssätze abgesprochen worden 1 8 . „Gewiss ist es wünschenswert — führt W a c h 15

So in der oberflächlichsten Art neuerdings wieder von L u c a s, GS X X X V I S. auch L a b a n d , Staatsrecht I 437. 16 So auch G e y e r , KrV XIX 430. 431. 17 Diese Kontroverse ist nicht hier näher zu behandeln. In der in Vorbereitung befindlichen 2. Aufl. der Normen soll darauf näher eingetreten werden. 18 S. oben Anm 4 a. E. 402.

Binding, Handbuch. V I I . 1. I :

B i n d i n g , Strafrecht. I .

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§ 30.

162

. Die Norm als reiner Imperativ.

aus 1 9 —, dass die wissenschaftliche Analyse der Strafgesetze und die systematische Darstellung ihres Inhaltes nur die im Gesetz implicirte Norm enthülle und an ihr den Verbrechensbegriff lehrhaft entwickle, aber ganz unwesentlich scheint es mir, dass die Norm als besonderer, ein eignes Leben führender Rechtssatz nachgewiesen werde." Danach wären die Normen nichts anderes als Teile der für ihre Uebertretungen erlassenen Strafgesetze 20 . Erklärlich ist solche Behauptung allein daraus, dass die Normen von der Seite der Strafgesetze her wieder entdeckt worden sind: der Schein der Abhängigkeit von den Strafgesetzen, in welche sie dadurch geraten sind, hat die Betrachter getäuscht. Grade in der Erkenntniss, dass die Normen eine selbständige Art von Rechtssätzen bilden, liegt der wissenschaftliche Fortschritt 2 1 . Die Normen sind nie Teile der Strafgesetze und nie Sätze des Strafrechts : 1. weil es Normen giebt, ohne dass sich ein Strafgesetz daran schlösse oder auch nur daran schliessen könnte. Alle die durch Verfassungsnormen begründeten Rechtspflichten des Kaisers und der deutschen Landesherrn ermangeln jedes Zwangsapparates. Diese Tatsache beweist allein schon die volle Selbständigkeit der Normen und die Unrichtigkeit der Lehre, nur der mit Zwangsfolgen ausgestattete Satz sei Rechtssatz; 2. weil Zweck und Inhalt der Normen wesentlich andere sind als die der Strafgesetze. Die Norm will ein Recht auf Gehorsam, das Strafgesetz ein Recht auf Strafe begründen. Es ist eine ganz abwegige Auffassung, jene Gehorsamspflicht würde nur zwecks Bestrafung der Zuwiderhandelnden begründet. Die kaiserliche Verordnung vom 7. Jan. 1880 legt den Seeschiffern Pflichten auf, um Zusammenstösse 19

GS 1873 S 436. S. ausser den oben Anm 4 a. E. Genannten noch H e f f t e r , Lehrbuch § 19: v. W ä c h t e r , Vorlesungen S 72; v. L i s z t , Lehrbuch § 16 (wo Ueberschrift und Text kaum mit einander harmoniren). — Uebrigens läuft dieser Auffassung die gerade entgegengesetzte zur Seite: danach erscheint die Strafdrohung nur als verstärkender Bestandteil der Norm: so bei Κ l e i η s ehr od, F e u e r b a c h , B a u e r . Beide Auffassungen kommen darin überein, eine unerträgliche Duplicität in einfache Rechtssätze zu tragen. Insbesondere erhält das Strafgesetz dadurch jedenfalls 2, hie und da 3, ja auch 4 Adressen, und ebensoviele mit einander unverträgliche Bestimmungen. S. dagegen H e n k e I 142. 143 und B a u e r , Abhandl. I 122. 21 Die Selbständigkeit der Art schliesst nicht aus, dass manche Norm nur durch Aufstellung eines Strafgesetzes zur Existenz gelangt und dass sie v i e l l e i c h t mit Aufhebung desselben wieder untergeht. 20

§ 30.

I. Die Norm als reiner Imperativ.

163

der Schiffe auf See zu vermeiden, nicht um deren Nichterfüllung mit Strafe belegen zu können. Jenes Recht auf Gehorsam ist ein absolutes Recht und geht wider alle, denen der Gesetzgeber befehlen kann; dieses Recht auf Strafe geht allein wider das schuldige Individuum. Jenes Recht auf Gehorsam steht ausschliesslich im Dienste der Prävention: es ist ein Recht die Unterlassung des Delikts zu fordern; dieses Recht, das Strafrecht, steht nie im Dienste der Prävention, und hat die Verletzung des Gehorsamsrechtes zur Voraussetzung. Wie aber ein Rechtssatz, der ein ganz anderes als ein Strafrecht begründet , lediglich als Teil des Strafgesetzes aufgefasst werden soll, ist unerfindlich ; 3. weil Norm und Strafgesetz demgemäss verschiedene Urheber haben können. Die Norm kann gemeinrechtlich, das Strafgesetz partikularrechtlich sein und umgekehrt. Ja es ist durchaus möglich, dass eine Behörde nur kompetent ist zum Erlass von Normen und nicht von Strafgesetzen 22 . Dem entspricht es, dass Gehorsams- und Strafrechte verschiedene Inhaber besitzen können 2 3 ; 4. weil Nonn und Strafgesetz verschiedenes persönliches, sachliches und zeitliches Geltungsgebiet besitzen können und vielfach besitzen. Die Aufhebung eines Strafgesetzes braucht durchaus nicht Aufhebung der ihm zu Grunde liegenden Norm zu bedeuten; ein Ausfuhrverbot kann heut endigen und das Strafgesetz für seine noch ungesühnten Uebertretungen bleibt in Kraft. Die Norm verbietet meist in viel weiterem Umfang, als das Strafgesetz pönalisirt 2 4 ; 5. endlich weil die Norm als unselbständiger Teil des Strafgesetzes notwendig die Erscheinungsform der ihrer Uebertretung geltenden Strafdrohung teilen, also Gesetz oder Verordnung des Reichs oder eines Bundesstaates sein müsste, je nachdem sich diese als Reichs- oder Staaten-Gesetz oder -Verordnung darstellt. Dies trifft aber keineswegs zu. Die Norm zu einem Reichsstrafgesetz kann 22

S. die sehr verdienstliche Schrift von R ο s i n , Das Polizeiverordnungsrecht in Preussen, Breslau 1882, bes. S 30: „Die Strafdrohung für die Uebertretung der durch die Ortspolizeiverordnungen aufzustellenden Normen hatte jedoch im rheinisch-französischen Hecht die Gesetzgebung selbst und unmittelbar übernommen." Vgl. S 34. 49. 51. — Ganz das Analoge finden wir im Gesetz betr. die Reichskriegshäfen v. 19. Juni 1883 (RGBl 1883 S 105 if.) § 2. Anders im Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit v. 10. Juli 1879 § 4. 23 S. darüber unten Buch I I Abt. 1 Kap 1. 24 S. Nonnen I 126 if. Vgl. auch oben S 162 unter 1. Ueber das verschiedene Geltungsgebiet von Nonn und Strafgesetz in internationaler Beziehung s. v. R o h l a n d , Das internationale Strafrecht. * Leipzig 1877. § 67. 11*

II. Arten der Normen.

164

Reichsgesetz oder Reichs- oder Landes-Verordnung oder gar Verordnung einer einzelnen Polizeibehörde sein. Es ist eben kein Zufall, dass die Nonnen, wo sie in gesetzlicher Form auftreten, nicht in den Strafgesetzen, sondern in den Verfassungen, im Handelsgesetzbuch, in der Seemannsordnung, in den Prozessordnungen ihre Stelle finden. Ganz mit Recht! Denn dort handelt es sich um die Lösung der ganz selbständigen Aufgabe, das Verhalten der Fürsten, der Minister, der Richter, der Prozessparteien, der Kaufleute zu regeln, und die dazu bestimmten Normen bilden einen integrirenden Bestandteil des Verfassungs-, Verwaltungs-, Prozess-, Handels-Rechts 25 . So sind die Normen zwar die notwendigen Voraussetzungen der Strafgesetze, aber nicht deren Bestandteile. Sie sind, weil sich in ihnen stets die obrigkeitliche Gewalt als solche im Befehle an ihre Untergebenen als solche betätigt, allesammt selbständige Sätze des ö f f e n t l i c h e n , aber nie des S t r a f - R e c h t s . Es giebt ebensowenig private als kriminelle Normen 2 6 . Als Schluss ergiebt sich: die Norm ist ein reiner, u n m o t i v i r t e r , insbesondere nicht durch S t r a f a n d r o h u n g motivirter Befehl 27. II. § 31.

A r t e n der Normen.

1. U n b e d i n g t e u n d b e d i n g t e N o r m e n .

Handlungen sollen entweder unter allen oder nur unter gewissen Voraussetzungen geschehen oder unterbleiben. Der Verschiedenheit dieser Bedürfnisse entspricht es, dass die Normen entweder unbedingt oder nur bedingt befehlen. Die unbedingte Norm ist einteiliger Rechtssatz. J h e r i n g zwar, dessen umfassendem Blick die Bedeutung der Form der Rechtssätze nicht entgangen ist, behauptet, alle Rechtssätze 25

Ganz richtig sagt L a band, Staatsrecht I 437, die Normen, welche den eigentlichen Amtsdelikten zu Grunde liegen, seien s t a a t s r e c h t l i c h e n I n h a l t s . 26 Daraus erhellt, dass die Theorie der Normen systematisch einen Teil der Strafrechtstheorie nicht ausmacht, und dass sie in einer Darstellung des Strafrechts nur soweit Stelle finden darf, aber auch soweit Stelle finden muss, als zum Verständniss des Strafrechts unentbehrlich ist. 27 Gegen v. J h e r i n g , Zweck I 337 (fast wörtlich ebenso 2. Aufl. S 350): „dagegen giebt es keinen gesetzlichen Imperativ, der nur an die Privatperson, nicht auch an die Behörde gerichtet wäre . . . dies ist das absolute Kriterium eines jeden wahren Rechtssatzes, dass in letzter Instanz stets eine Behörde hinter ihm steht, die ihn nötigen Falls erzwingt" — liefert fast jeder Band jeder Gesetzsammlung den Gegenbeweis.

§31.

1. Unbedingte und bedingte Normen.

165

seien Konditionalsätze 1 . Indessen lassen sich die Verbote: „ihr sollt nicht töten, nicht stehlen, nicht notzüchtigen" auf jenen Typus nicht zurückführen. Ebensowenig aber ist es richtig alle Normen für einteilig zu erklären. I n zwei Fällen müssen sie die Form des bedingten Befehles annehmen: entweder weil die zu untersagende oder anzubefehlende Handlung nur unter gewissen Voraussetzungen möglich, oder weil sie auch sonst möglich, aber nur unter solchen zu untersagen oder anzubefehlen i s t 2 . Die einteiligen Normen nehmen ihrer praktischen Bedeutung nach ihren Rang vor den zweiteiligen ein. Fast alle welthistorischen Verbrechensbegriffe führen auf sie zurück. Diese Verschiedenheit der Norm-Typen reflektirt sich in den Strafgesetzen. Ihr Tatbestand, wenn er sich aus der Uebertretung bedingter Imperative bildet, besteht in Wahrheit aus zwei Bedingungen 3 : aus der Voraussetzung der Norm und aus der Uebertretung derselben 4 . Lautet die Norm: „Wenn jemand bei gemeiner Gefahr von der Polizeibehörde zur Hilfe aufgefordert wird u n d diese ohne erhebliche eigene Gefahr leisten kann, soll er der Aufforderung Folge leisten", so muss das Strafgesetz lauten: „Wer bei gemeiner Gefahr von der Polizei zur Hilfe aufgefordert, keine Folge leistet, obgleich er der Aufforderung ohne erhebliche eigene Gefahr genügen könnte, wird bestraft" (§ 360, 10). Wesentlich einfacher lautet wegen Unbedingtheit der Norm gleich der darauf folgende Tatbestand: „Wer groben Unfug verübt" (§ 360, 11). 1

Geist des Rom. Rechts I 57 (3. Aufl. S 52): „Diese Form («wenn — so«) ist die einfachste, deutlichste unci liegt jedem Rechtssatze zu Grunde, wenn sie gleich äusserlich nicht hervortritt." S. auch Zweck im Recht I I 350. Ebenso Z i t e l mann, Irrtum S 222. 2 Statt vieler Beispiele mögen zwei aus der kais. Verordn. zur Verhütung des Zusammenstosses der Schiffe auf See, v. 7. Jan. 1880 (RGBl 1880 S 1 ff.) dienen. Art. 14 : „Wenn 2 Segelschiffe sich einander nähern, so dass dadurch Gefahr des Zusammenstosses entsteht, so muss: . . . e. ein Schiff, welches vor dem Winde segelt, dem andern Schiffe aus dem Wege gehen." Art. 13 bestimmt, dass jedes Schiff mit massiger Geschwindigkeit zu fahren hat, wenn es nebelt oder schneit oder dickes Wetter ist. 3 Nichtsdestoweniger liegen nicht von mir sog. „doppelt bedingte Strafdrohungen" vor. Ueber diesen Begriff s. Normen I 130 ff. und genauer unten Buch I I Abt. 2 Kap. 2. 4 Beispiele sind besonders im GB § 360 ff. häufig.

166

§ 32. 2. V e r b o t e u n d G e b o t e .

Ihre

Arten1.

Des Menschen Beruf ist die Tat. Soweit sich diese auf dem Boden des Rechtslebens vollzieht, kann sie rechtsschädlich, aber auch rechtsförderlich sein. Alle mit der Rechtsordnung unvereinbaren Handlungen hat der Gesetzgeber zu verbieten, alle unentbehrlichen rechtsförderlichen Handlungen dagegen anzubefehlen. Danach sondern sich die Nonnen nach der Verschiedenheit ihrer Zwecke in zwei Gruppen sehr ungleichen Umfangs: in die grosse der V e r b o t e , in die relativ kleine der G e b o t e 2 . Beide Arten von Gesetzen gilt es richtig aufzufassen. I. Nicht beabsichtigt das V e r b o t , obgleich es zu handeln untersagt, den Menschen zur Untätigkeit zu verweisen. Es tritt schlechthin nur solchen Handlungen entgegen, deren Verderblichkeit der Täter einsieht: im übrigen rechnet es mit seiner Tatenlust und gebietet ihm, bei deren Betätigung in einer bestimmten Weise zu handeln, nämlich unter beständiger Beschaffung der Garantien für das Unverletztbleiben der Rechtsordnung, mit einem Worte: r e c h t zu h a n d e l n . Das notwendige Mittel aber der Handlung die Rechtmässigkeit zu wahren ist die Anspannung der Denkkraft während der Tat. Da wer den Zweck w i l l , auch die zu seiner Erreichung unentbehrlichen Mittel wollen muss, verlangt der Gesetzgeber, indem er verbietet, auch die beständige Anspannung der Denkkraft, damit dem Verbote entsprochen werde : er muss sie gebieten. Und so enthält jedes Verbot ein sekundäres Gebot : sekundär deshalb, weil es nicht selbständig übertreten werden kann (es giebt kein Delikt der Denkfaulheit!), da jene Aufmerksamkeits-Pflicht nichts anderes ist als ein konstanter Teil jeder einzelnen durch die Norm begründeten Pflicht 3 . I I . Während aber die Verbote den Menschen in seiner Ruhe belassen, wenn er ruhen will, motiviren d i e G e b o t e ein Hervortreten aus seiner Untätigkeit. Sie sind nicht Normen bestimmte Handlungen zu unterlassen, sondern H a n d l u n g s n o r m e n schlechthin: 1

S. darüber m. Normen I 88ff. 179 ff., I I 447 ff. Daran wesentlich anschliessend v. R o h l a n d , Das internationale Strafrecht I 49ff. Vgl. auch v. L i s z t , Reichsstrafrecht S 6 ff. 2 Ganz falsch ist die Behauptung L u d ens, Abhandl. I I 220. 221, zwischen Verbot und Gebot bestehe nur ein Unterschied der Fassung. 3 Ueber diesen interessanten Punkt wird genauer gehandelt in den Normen I I 90 ff.

§ 32.

2. Verbote und Gebote. Ihre Arten.

167

eine bestimmte Veränderung in der Aussenwelt soll durch menschliche Tat herbeigeführt werden. Wie aber in den Verboten ein sekundäres Gebot des sorgfältigen Handelns enthalten ist, so in den Geboten ein sekundäres Verbot nichts zu tun, um den Eintritt der dem Rechte erwünschten Folge zu hintertreiben. Dies ist wichtig zur richtigen Auffassung der Uebertretungen der Normen beider Gruppen. Die Verbote können nur derart übertreten werden, dass der Delinquent t u t , was er unterlassen soll; die Uebertretung des Verbotes ist stets B e g e h u n g s - und nie U n t e r l a s s u n g s d e l i k t . Umgekehrt können Gebote nur derart übertreten werden, dass der Delinquent unterlässt, was er tun soll. Die Uebertretung des Gebotes ist stets U n t e r l a s s u n g s - u n d n i e B e g e h u n g s d e l i k t . I n diesem Unterlassungsdelikt mehr zu entdecken als lediglich den Willen nichts zu tun, in ihm die T a t s e i t e zu finden ist unmöglich, wenn man in den Geboten jenes sekundäre Verbot übersieht 4 . HI. I n verschiedener Weise suchen verschiedene Normengruppen die Aufgabe des Rechtsschutzes zu lösen. Sie zerfallen danach in V e r l e t z u n g s v e r b o t e , G e f ä h r d u n g s v e r b o t e und V e r b o t e s c h l e c h t h i n . Sie umgeben die Objekte ihres Schutzes bald unmittelbar mit dem Walle des Verbotes, bald rücken sie die Verteidigungslinien weiter hinaus. 1. V e r l e t z u n g s v e r b o t e sind solche, w e l c h e bes t i m m t e V e r ä n d e r u n g e n i n der A u s s e n w e l t wegen der R e c h t s g ü t e r v e r l e t z u n g , die sie i n sich s c h l i e s s e n , zu verursachen verbieten. Sie untersagen beispielsweise die Tötung, die Freiheitsberaubung, die Aneignung fremder Sache, den Ehebruch, den Incest, die gewaltsame Aenderung der Verfassung, die Losreissung eines Teils des Staatsterritoriums u. s. w. Bei weitem die wichtigsten aller Verbote gehören dieser Gruppe an. Ihre Betrachtung nötigt zur Aufklärung und Feststellung cles dunkeln und mehrdeutigen Begriffs der R e c h t s v e r l e t z u n g 5 . Man kann darunter begreifen: a. j e d e A u f l e h n u n g des E i n z e l w i l l e n s g e g e n das i h n b i n d e n d e G e s e t z . Durch einen solchen Angriff verliert dieses aber nichts an seiner idealen Autorität, und es ist falsch zu sagen, das G e s e t z werde dadurch g e b r o c h e n oder v e r l e t z t . Die 4

Vgl. einstweilen Normen I I 447 if. Vgl. darüber die gute Abhandlung von B i r n b a u m S 175 if. 5

ANF

1834, bes.

II.

168

Arten der Nonnen.

Norm- U e b e r t r e t u n g ist nicht Norm- V e r l e t z u n g ; das obj ekti ve Recht ist unmittelbar nicht anzugreifen; b. j e d e s u n b e r e c h t i g t e Z u w i d e r h a n d e l n g e g e n s u b j e k t i v e R e c h t e . So hat unter Anderen F e u e r b a c h 6 die Rechtsverletzung gefasst, um dann an dem Versuche zu scheitern, alle Verbrechen als Verletzungen verschiedenartiger subjektiver Rechte zu konstruiren 7 . Nun ist allerdings kein Angriff gegen das objektive Recht denkbar, der sich nicht unmittelbar als Zuwiderhandeln gegen die dadurch begründeten subjektiven Rechte darstellte — man kann die Eigentumsordnung nur in bestimmten Eigentumsrechten, die Monarchie nur in den Rechten des Monarchen und des Thronfolgers angreifen! — und hätte F e u e r b a c h nicht fehlgegriffen in Bestimmung der subjektiven Rechte, welchen das Verbrechen zuwiderläuft, so würde seine Auffassung des Verbrechens als „Verletzung subjektiver Rechte" nur insofern angreifbar gewesen sein, als auch einem widerrechtlichen Eingriff gegenüber das subjektive Recht intakt bleibt: eine wahre Rechts-Ve r l e t z u n g läge also auch in ihm nicht 8 . Freilich kann mir der Brandstifter mein Haus einäschern, und mein Eigentum daran untergehen machen und der Betrüger mag mich um Eigentums- und Forderungsrechte bringen ; indessen ist im ersten Falle allein der Untergang der Sache Grund des Eigentumsverlustes, und ob jener durch Zufall oder schuldhafte Handlung erfolgt, ist gleichgiltig, in beiden Fällen aber entspringt dem Geschädigten ein Ersatzanspruch als gleichwertiger Stellvertreter der verlorenen Rechte : es tritt somit innerhalb des Vermögens eine Metamorphose des Vermögensobjektes, aber nicht eine Vernichtung von Vermögensrechten ein. Wenn wirklich subjektive Rechte dadurch „verletzt" werden könnten, dass ihnen nicht entsprochen wird, so würde das Unrecht zur Macht über das Recht erhoben werden. Aber insofern, als durch diese sog. Rechtsverletzung in Wahrheit zwar nicht das „verletzte Recht", sondern die ihm entsprechende Ordnung gestört, also ein Widerspruch zwischen dem Recht und den Lebenstatbeständen, die es ergreifen möchte, bewirkt wird, mag man hier immerhin in ungenauem Ausdruck von einer Rechtsverletzung reden, und von dieser ist zu sagen, dass sie nie als unmittelbare 6

Lehrbuch § 9 ff. S. dagegen besonders T h i b a u t , Beiträge zur Kritik der Feuerbach. Theorie, 1882, S 32 ff. 8 Richtig L u d e n , Abhandl. I I 135 Anm 3. 7

§

2. 2. Verbote und Gebote.

Ihre Arten.

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A^erletzung des objektiven, sondern nur als Störung der dadurch begründeten subjektiven Rechte möglich ist. In diesem Sinn ist jedes Delikt notwendig Verletzung eines subjektiven Rechts: nämlich Verletzung des staatlichen Gehorsamsrechts 9. Man kann aber auch unter Rechtsverletzung verstehen: c. j e d e V e r l e t z u n g v o n sog. R e c h t s g ü t e r n 1 0 . Dass Rechtsgüter den Mittelpunkt bilden, worum sich alle Rechte und Pflichten gruppiren, wird mehr und mehr erkannt 1 1 . Rechtsgut ist alles, was in den Augen des Gesetzgebers für die Rechtsordnung von Wert ist, dessen ungestörte Erhaltung er deshalb durch Normen sicher stellen muss. Rechtsgüter sind nicht nur Leben, Körperintegrität, Freiheit, Ehre, Geschlechtsehre der Einzelnen, sondern auch ihr Kredit, die Objekte der Vermögensrechte, die Echtheit und Warhaftigkeit der Beweismittel wie der Beglaubigungszeichen, die Autorität der Beamten, das Staatsgebiet, die kriegerische Stärke des Staates während des Krieges: k u r z a l l e s , w a s a u s s e r d e m G e h o r s a m s r e c h t e des S t a a t e s O b j e k t e i n e s d e l i k t i s c h e n A n griffs bildet. \ 7 iele der Rechtsgüter sind absolut untaugliche Gegenstände subjektiver Rechte; es giebt kein Recht auf oder am Leben, auf oder an der Körperintegrität, an der Reinheit der Ehe u. s. av.; andere sind wirklich Objekte von solchen: wie die Sache Gegenstand des Eigentums, das Kind Gegenstand der väterlichen Gewalt, das Staatsterritorium Objekt der staatlichen Territorialhoheit 1 2 . Diese Verschiedenheit deckt sich mit der augenfällig notwendigen Einteilung der Rechtsgüter in immaterielle und materielle durchaus nicht. Es giebt Rechte an materiellen wie an immateriellen Gütern (Eigentum — Autorrecht), und es giebt andrerseits der Sinnen9 Ganz richtig schon H e n k e I 507. 508. S. auch B e k k e r I 107. Ganz seltsam, dennoch der Wahrheit sehr nahe L u d e n , Abhandl. I I 169 if. — Es ist principiell dieselbe Anschauung, wenn W ä c h t e r , Lehrbuch I § 48 zum Verbrechen eine Rechtspflichtverletzung fordert. 10 Der so wichtige Begriif des Rechtsgutes kann nur im allgemeinen Teile der Rechtslehre vollständig klar gelegt werden. Siehe übrigens meine Normen I 187 if. 11 S. u. Α. B i r n b a u m a. a. Ο. S 179; M e r k e l , Abhandl. 1101; H ä l s c h ner, Preuss. Strafrecht I 2 u. 3, Gemeines Strafrecht I 18; ν. K i r c h e n h e i m , Antragsdelikte S 39 if.; Κ ο h 1 e r , Patentrecht S 500 if. ; M e y e r S 13. 14; v . L i s z t , Reichsstrafrecht S 6 if., Lehrbuch S 100. 289 if. 12 Soweit das Rechtsgut Gegenstand eines subjektiven Rechts ist, ist seine Verletzung zugleich eine Rechtsverletzung im obigen Sinne: das Delikt „verletzt" dann zwei Rechte: das "des Staates auf Gehorsam — und das des Inhabers des Rechtsgutes.

170

II. Arten der N o e n .

weit angehörige und ihr nicht angehörige Rechtsgüter, welche nicht Gegenstände subjektiver Rechte sind (Leben — Ehre). Die Rechtsgüter aber gleichen sich darin, dass sie wirklich ver-' letzbar sind, d. h. entweder zerstört oder durch Angriff in ihrem Güterwerte gemindert werden können. Rechtsgüterverletzung ist also ebenso möglich wie Rechtsverletzung in des Wortes eigentlicher Bedeutung unmöglich i s t 1 3 . Ein Verletzungsverbot ist nun jede Norm, welche die Verletzung eines bestimmten Rechtsgutes verbietet. Die Uebertretung eines Verletzungsverbotes vollendet sich naturgemäss erst mit dieser Verletzung und stellt sich auf diesem Punkte der Entwicklung angelangt stets als materielle Schädigung der Rechtswelt in ihrem Rechtsgüterbestande dar. 2. Die G e f ä h r d u n g s v e r b o t e gehen einen Schritt über die Verletzungsverbote hinaus. Sie untersagen nicht erst die Beschädigung sondern schon die Gefährdung bestimmter Rechtsgüter 14 und zwar nie die Gefährdung im allgemeinen, sondern stets eine bestimmte Art derselben: z . B . von Leib oder Leben hilf loser Personen d u r c h A u s s e t z u n g , die von Schiff oder Ladung d u r c h A n b o r d n e h m e n v o n Contrebande15. 3. Ganz demselben Schutzmotive entspringen d i e V e r b o t e schlechthin. „Die Rechtsquelle erlässt sie gegen Handlungen, welche r e g e l m ä s s i g eine Gefahr für bestimmte Rechtsgüter in sich bergen: diese werden aber nicht verboten insoweit sie gefährlich sind, sondern schlechthin, einerlei ob im einzelnen Fall gefährlich oder jener Gefahr l e d i g 1 6 . " So wird untersagt das Schiessen an bestimmten Orten, das Hetzen von Hunden auf Menschen u. s. w. ohne jede Rücksicht auf die konkrete Gefährlichkeit des einzelnen Schusses und der einzelnen Aufhetzung. Diese Art Normen dient nicht selten gleich13 Der unausrottbare Ausdruck Rechtsverletzung ist unschädlich, wenn man sich nur bewusst bleibt, dass darunter lediglich Kontraventionen gegen subjektive Rechte aller Art zu verstehen sind, und in diesem Sinne wird er auch in diesem Werke fernerhin gebraucht werden. 14 Ueber den Begriif der Verletzung wie den der Gefährdung von Rechtsgütern s. die Lehre vom Kausalzusammenhang. — Unrichtig wäre zu glauben, dass das Verletzungs- schon ein Gefährdungs-Verbot in sich schlösse. S. darüber Normen I 46. Richtig M e y e r S 147; C o h n , Versuch I 390. Unrichtig leugnet v o n L i s z t , Lehrbuch S 101 die Existenz besonderer Gefährdungsverbote: sie seien in den Verletzungsverboten mit enthalten, v. L i s z t beachtet nicht, class die stete Gefährdung von Rechtsgütern unvermeidlich ist und deshalb nicht verboten sein kann. 15 GB § 221. 297. Vgl. § 308. 312—314. 315. 366, 2. 16 Normen I 47.

§ 32. 2. Verbote und Gebote.

Ihre Arten.

171

zeitig zum Schutze ganz verschiedenartiger Rechtsgüter, wie ζ. B. das Verbot der Kuppelei, welches den § 180. 181 des GB zu Grunde l i e g t 1 7 , das Verbot der Fabrikation explosiver Stoffe ohne vorgeschriebene Erlaubniss u. s. w. ad 1—3. Werden zum Schutze desselben Rechtguts, z. B. des Lebens, sowohl Verletzungs- als Gefährdungsverbote als Verbote schlechthin erlassen, so ist zu beachten, dass a. das Verbot der Gefährdung des Lebens dem der Verletzung subsidiär ist, also nur solchen Handlungen gilt, welche nicht schon ganz unter das letztere fallen. Deshalb kann die Gefährdung des Lebens in Tötungsabsicht — man denke an Tötung durch Aussetzung ! — unmöglich als Fall der Konkurrenz zweier Normübertretungen, sondern lediglich als einfacher Mordversuch, und wenn der Tod eingetreten ist, nur als vollendeter Mord aufgefasst werden. D e n n diese A r t der L e b e n s g e f ä h r d u n g als M i t t e l der Tötungg e d a c h t i s t s c h o n d u r c h das T ö t u n g s v e r b o t u n t e r s a g t . Genau dasselbe hätte grundsätzlich von der fahrlässigen Tötung durch vorsätzliche Lebensgefährdung z. B. durch Aussetzung zu gelten. Es läge dann nur fahrlässige Tötung mit dem Qualifikationsgrund des Gefährdungsvorsatzes vor. Wenn aber die Gesetzgebung wie üblich unterlässt, für derartig qualificirte fahrlässige Verbrechen qualificirte Strafe zu drohen, und wenn vielleicht gar die Strafe der vorsätzlichen Gefährdung höher ist als die der fahrlässigen Verletzung, so muss man suchen, den ersten Fehler durch einen zweiten zu verbessern : und so wird man zur unrichtigen Annahme einer Konkurrenz von doloser Gefährdung und kulposer Verletzung gedrängt. b. Die Verbote schlechthin aber konkurriren mit den Verletzungswie mit den Gefährdungsverboten meist kumulativ. Wenn Jemand einen Andern mit einem Stockdegen ersticht, den er gesetzlichem Verbote zuwider trägt (GB § 367, 9), so hat er zwei Gesetze übertreten, die 17

„Nicht nur, dass ohne die bald offene, bald heimtückisch hinterlistige Beförderung der Unzucht dieselbe sehr häufig unterblieben wäre und die zur Unzucht verlockte unschuldige Frauensperson das hohe Gut ihrer weiblichen Ehre gewahrt hätte, nicht nur wegen der sittlich uijd physisch leicht völlig korrumpirenden Wirkung der Unzucht für diejenigen, die sie üben, sondern auch wegen der moralischen Ansteckung, welche die Unzucht leicht im Gefolge hat, wegen des Aergernisses, was sie erregt, und nicht am wenigsten wegen der Gefahr der syphilitischen Ansteckung und der Vergiftung ganzer Generationen . . . wird ein solches Verbot erlassen." Aus dem Gutachten der Juristenfakultät Strassburg vom 3. August 1872, abgedruckt in „Das deutsche Strafgesetzbuch und polizeilich concessionirte Bordelle". Hamburg 1877. S 81.

§ 33. 3. Der Umfang der Normen.

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Norm, welche ihm untersagt den Degen zu tragen, und die Norm wider die Tötung. Zwei Delikte liegen dann zweifellos vor. Ob dann vielleicht die Strafe des schwereren die des leichteren absorbire, kann erst bei der Lehre von der Verbrechenskonkurrenz zum Austrag kommen. IV. Den drei Arten der Verbote entsprechen ebensoviele der Gebote. Diese zerfallen in V e r u r s a c h u n g s g e b o t e , B e f ö r d e r u n g s g e b o t e und G e b o t e s c h l e c h t h i n 1 8 . 1. V e r u r s a c h u n g s g e b o t e b e f e h l e n d e n d e r R e c h t s w e l t g ü n s t i g e n E r f o l g — auf dessen Eintritt ja alle Gebote hinwirken wollen — z u v e r u r s a c h e n . „Ihr sollt Steuern zahlen! Ihr sollt den Heerdienst leisten!" 2. B e f ö r d e r u n g s g e b o t e b e f e h l e n b e s t i m m t e H a n d l u n g e n , s o f e r n sie d i e H e r b e i f ü h r u n g g ü n s t i g e r E r f o l g e b e w i r k e n k ö n n e n . Künftige Verbrechen sollen angezeigt werden, sofern die Anzeige die Behörde oder den Gefährdeten in den Stand setzt, das Verbrechen zu hindern (GB § 139). 3. G e b o t e s c h l e c h t h i n b e f e h l e n H a n d l u n g e n , die s i c h r e g e l m ä s s i g als B e d i n g u n g e n eines g ü n s t i g e n E r f o l g e s d a r s t e l l e n , e i n e r l e i ob s i e d i e s i m k o n k r e t e n Falle sind oder nicht. Entfernung der Gäste nach gebotener Polizeistunde, Befolgung der Polizeivorschriften zum Schutze der Reinlichkeit u. s. w. § 33. 3. D e r U m f a n g

der N o r m e n 1 .

Aus dem Zwecke der Normen ergiebt sich deren Umfang, auch wenn sie nicht gesetzlichen Ausdruck empfangen haben. Die Handlung wird wegen ihrer Rechtsschädlichkeit untersagt oder wegen ihrer Nützlichkeit anbefohlen ; sie soll deshalb im weitesten Umfang unterbleiben oder geschehen ; ihre ganze Art wird unter das Verbot oder das Gebot gestellt. Auch wo das Strafgesetz wie bei dem Ehebruch, der Sachbeschädigung, der Freiheitsberaubung und sonst so unendlich oft nur die vorsätzliche Uebertretung unter Strafe stellt, gilt das Verbot nicht nur dem vorsätzlichen, sondern jedem Ehebruch., jeder Sachbeschädigung u. s. w. So ist bei der Verwandlung des ersten Teiles der Strafgesetze 18

Ich acceptire hiermit die von v. R o h l a n d a. a. Ο. S 51 gewählten Bezeichnungen. 1 S. Normen I 32 ff. 126 if.

§ 34.

III. Die Norm als Regel mit Ausnahmen.

173

in Nonnen auch aus diesem Grunde grosse Vorsicht geboten. Unendlich häufig wird nur ein Teil der Norm - Uebertretungen unter Strafe gezogen, etwa nur das vollendete oder das vorsätzliche oder das boshaftige oder endlich gar nur das gewerbsmässig begangene Delikt. Diese Beschränkung der Strafbarkeit darf nicht als Beschränkung des Verbotes gedeutet werden. Das Verbot lautet vielmehr stets so allgemein, dass es vorsätzliche wie fahrlässige Uebertretung umfasst und dass es die Vollendung ebenso untersagt wie den Versuch 2 . Dagegen ist die Vorbereitungshandlung zu einem Delikt nicht durch die diesem Delikt gewidmete Norm mitverboten : denn sie wird durch den Begriff des aufgestellten Delikts nicht mitumfasst. Mit diesen theoretischen Ergebnissen stimmt das positive Recht vollständig überein. Alle Normen, die wir in unseren Quellen nachzuweisen im Stande sind, enthalten allgemeine Verbote von Handlungsgruppen, die sich gleichmässig gegen die fahrlässige wie gegen die vorsätzliche, gegen die vollendete wie gegen die versuchte Uebertretung richten: dagegen erhält die Vorbereitungshandlung, soll sie zum Delikt erklärt werden, stets ihr eignes Verbot. § 34.

III.

Die N o r m als Regel m i t

Anhang:

Ausnahmen1.

T e r m i n o l o g i e cler Q u e l l e n .

„Eine vielfach wiederkehrende Vorstellung, deren Richtigkeit von der Gestaltung der Normen abhängt, ist die, das Verbrechen sei das schlechthin oder an sich oder absolut Unerlaubte. Damit kann nur gemeint sein, dass die H a n d l u n g , welche das Verbrechen konstituirt, 2 1

Richtig v. L i s z t , Reichsstrafrecht S 8 u. 9.

Ich muss hier einem Missverständnisse vorbeugen. Es ist allerdings richtig, dass die Normen meistens beabsichtigen, die von ihnen bezeichneten Handlungen für die grosse Masse ihres Vorkommens zu verbieten bezw. zu gebieten, dass sie also auch Regeln in diesem Sinne sind. Allein es kommt auch vor, dass eine Handlung regelmässig erlaubt und nur ausnahmsweise verboten ist (s. beispielsweise das Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869 § 1 : „Alle Erzeugnisse der Natur wie des Kunst- und Gewerbefleisses dürfen . . . eingeführt, ausgeführt und durchgeführt werden." § 2. „Ausnahmen hiervon können zeitweise für einzelne Gegenstände . . . . angeordnet werden." Man denke ferner an das Verbot des Jagens zur Schonzeit u. s. w.). Die Norm ist dann der Gewährung gegenüber Ausnahme. Da aber sehr wohl ein Rechtssatz nach der einen Seite Regel, nach der andern Ausnahme sein kann, und hier nur zur Frage steht, ob die Norm, sei sie nun selbst Regel oder Ausnahme, wieder Ausnahmen hat, so bin ich berechtigt die Norm als R e g e l mit Ausnahmen zu bezeichnen.

§ 34. III. Die Norm als Regel mit Ausnahmen.

174

nie u n d n i m m e r erlaubt sein k ö n n e 2 . "

A l l e i n dies ist unrichtig.

giebt k e i n einziges V e r b o t oder Gebot ohne alle Ausnahmen. die allgemeinen Gründe aufgehobener Notstand,

bindender Befehl

Rechtswidrigkeit,

Es

Denn

wie Notwer,

stellen sich als ebensoviele

allgemeine,

d. h. alle N o r m e n durchbrechende Ausnahmen derselben dar. Ausserdem giebt es aber noch eine

ganze Anzahl von Normen

m i t besonderen, d. h. ihnen speciell angehörigen Ausnahmen. D i e Ausnahme von der N o n n ist entweder

wieder selbst N o r m

oder aber eine Gewährung : die regelmässig verbotene H a n d l u n g 111 u s s oder sie d a r f n u r vorgenommen werden ( E x e k u t i o n des Todesurteils — T ö t u n g i n rechter

Notwer)3.

Sehr selten n i m m t

die Ausnahme

die Gestalt an, dass die regelmässig verbotene H a n d l u n g nicht geboten u n d nicht e r l a u b t ,

sondern dass sie als unverboten anerkannt w i r d .

A l l e i n auch dies k o m m t v o r 4 . D i e Ausnahme w i r d entweder durch Gesetz, oder durch Verordnung, oder

durch amtlichen Dispens, oder durch bindenden

Befehl

statuirt. A n h a n g . T e r m i n o l o g i e der Q u e l l e n . Am Schlüsse dieser Ausführungen soll noch die T e r m i n o l o g i e der Q u e l l e n bezüglich der Normen und ihrer Uebertretung festgestellt werden. Dieselbe ist schwankencT, die Anschauung aber, dass das Delikt nichts anderes als Normübertretung sei, und dass diese die Voraussetzung der Strafdrohung bilde, ist konstant. Der Gegensatz beider Arten von Rechtssätzen tritt scharf hervor in GewO § 152: „ V e r b o t e u n d S t r a f b e s t i m m u n g e n . " Die Norm heisst V o r s c h r i f t schlechthin oder die V o r s c h r i f t d i e s e s Gesetzes oder d i e s e r V e r o r d n u n g (s. z . B . Branntweinsteuergesetz vom 8. Juli 1868 § 58. 60. 66 s. II. 67. 68; URG § 22. 25; Strandungsordnung vom 17. Mai 1874 § 43; Kartenstempelgesetz vom 3. Juli 1878 § 16; Reblausgesetz vom 3. Juli 1883 § 12) oder Β e S t i m m u n g , B e s t i m m u n g dieses Gesetzes, d i e s e r V e r o r d n u n g (s. ζ. B. GB § 360, 9; Ges, betr. die Nation, der Kauffahrteischiffe, vom 25. Oktober 1867 § 13. 15; BG § 58; PatG § 34; KO § 210, 3) oder A n o r d n u n g (s. ζ. B. Ges, betr. die Abwehr von Viehseuchen, vom 23. Juni 1880 § 37. 66 Nr 3) oder V e r b o t (sehr häufig: s. z. B. GewO § 152; SeemO § 75; BG § 58) oder V e r b o t s b e s t i m m u n g (BG § 56. 57) oder ges e t z l i c h e s V e r b o t (GB § 367, 9). Das Delikt ist eine „ Z u w i d e r h a n d l u n g " gegen jene Vorschriften, Bestimmungen, Verbote oder gegen die dadurch begründeten Pflichten (sehr häufig: s.z.B. GB § 360, 9; GewO § 144. 146. 148 149. 150; PressG § 18: „Zuwiderhandlungen 2

Normen I 49. Die Ausnahme kann sich von der Ermächtigung zum Gebot, also zur Norm steigern. S. SeemO § 103: Der Schiffer ist „ermächtigt", den Schiffsmann, der sich schwer strafbar gemacht hat, festzunehmen. „Er ist dazu verpflichtet, wenn das Entweichen des Täters zu besorgen steht.u 4 S. unten die Lehre vom N o t s t a n d e . 3

Anhang: Terminologie der Quellen.

175

gegen die in den §§ 14. 15. 16 u. 17 enthaltenen Verbote"; § 19), eine U e b e r t r e t u n g derselben (s. z.B. GewO § 151 al. 1; Tabakssteuergesetz vom 16. Juli 1879 § 40); ist eine „ H a n d l u n g , w e l c h e gegen die Gesetze v e r s t ö s s t " (GewO § 123 Nr 7); eine „ g e s e t z w i d r i g e H a n d l u n g o d e r U n t e r l a s s u n g " (Ges, betr. die Abänderung der GewO, v. 18. Juli 1881 § 103); es ist „ v e r b o t w i d r i g " , läuft „der V e r b o t s b e s t i m m u n g z u w i d e r " (s. Postgesetz v. 28. Okt. 1871 § 27 ; BG § 56. 57). Im Ges, betr. das Urheberrecht, vom 9. Jan. 1876 heisst es in § 6 Nr 1: „Es ist jedoch verboten u. s. w. —, w i d r i g e n f a l l s eine Geldstrafe verwirkt ist." Ueberall, wo die Reichsgesetzgebung die übertretene Rechtsvorschrift deutlich bezeichnet, ist dieselbe eine Norm. Die ungenügende Bezeichnung: „Verletzung der Strafgesetze" für das Delikt kommt nur in dem GB vor (s. § 73). Ueberall, wo die Gesetze den Tatbestand der zu bestrafenden Handlung nicht in seinen einzelnen konstitutiven Merkmalen, sondern allgemeiner schildern, bezeichnen sie ihn als Normübertretung bestimmter Art. — Dass es von den Normen Ausnahmen giebt, ist der Reichsgesetzgebung ein ganz geläufiger Gedanke. Ich verweise auf das Pferdeausfuhrverbot vom 7. Juli 1877 § 1 u. 2; die Verordn., betr. das Verbot der Einfuhr von Schweinefleisch aus Amerika, vom 25. Juni 1880 (der Reichskanzler darf Ausnahmen vom Verbote gestatten); Viehseuchengesetz vom 23. Juni 1880 § 11 (die Landesregierung darf von reichsgesetzlicher Anzeigepflicht entbinden); GewO vom 1. Juli 1883 § 56 c: „Ausnahmen von diesem Verbote dürfen von der zuständigen Behörde zugelassen werden." — Für die Selbständigkeit der Normen des Reichsrechts Belegstellen anzuführen, scheue ich mich : jeder Band der Reichsgesetzsammlung enthält sie zu Dutzenden, mancher zu Hunderten. Ueberhaupt würden viele Einwendungen gegen die Normenlehre unterblieben sein, hätten die Kritiker auch nur einen Band irgend einer Gesetzsammlung mit offenen Augen durchgesehen !

§ 35. IV, D i e sog. S t r a f g e s e t z e u n d i h r e

Arten1.

Nichts sagt die Norm über die Rechtsfolgen des Delikts. Wie weit dasselbe strafbar sein soll, bestimmt vielmehr eine Gruppe von Rechtssätzen ganz anderer A r t , die der ungenau sog. S t r a f gesetze. E i n S t r a f g e s e t z i s t j e d e r R e c h t s s a t z , w o n a c h aus bestimmtem D e l i k t e ein Strafrecht oder eine Strafp f l i c h t e n t s t e h t o d e r n i c h t e n t s t e h t 2 . Es giebt nicht nur 1

Κ 133. 134. 141. Η 8. 140. 142 — 144. W H 41. WV 30. 47. G 67. Β 146. Sch 16. M 17. 63. L i 16. H 2 I 32. 255. — Vgl. besonders F e u e r b a c h , Revision I 109if., Lehrbuch § 73—78; B a u e r , Abhandlungen I 119 if.; B a u m e i s t e r , Bemerkungen zur Strafgesetzgebung S 7 if. ; B e r n e r , Wirkungskreis S 1 ff.; B i n d i n g , Normen I § 2 u. 3. Vgl. dens. in Ζ f. StRW I 4 ff. 2 Die barocke Behauptung T h o n s , Rechtsnorm S 10 Anm unten, das Strafgesetz sei kein „selbständiger Imperativ", sondern nur ein „begriffsentwickelnder Rechtssatz", zeigt, wozu man mit verfehlter Methode gelangen kann. S. dagegen B i e r l i n g , Kritik I I 26. 27.

176

§ 35. IV. Die sög. Strafgesetze und ihre Arten.

bejahende sondern auch verneinende Strafgesetze 3, obgleich an sie bei der Begriffsbestimmung regelmässig nicht gedacht wird. Ja überall, wo ein Gattungsdelikt nur zum Teil mit Strafe bedroht wird, etwa nur die vorsätzliche Normübertretung, ist das Strafgesetz bezüglich des straflos gelassenen Restes verneinend, sei's in dem Sinne, dass er überhaupt oder nur durch eine bestimmte Strafgesetzgebung, etwa die des Reiches, straflos zu lassen sei. Während die Norm meist einteilig, ist das Strafgesetz stets ein Konditionalsatz, dessen beide Teile, Grund und Folge, genauerer Betrachtung bedürfen. I. I m b e j a h e n d e n S t r a f g e s e t z , welches öfter auch S t r a f b e s t i m m u n g genannt w i r d 4 , besagt 1. die F o l g e meist die Entstehung einer S t r a f p f l i c h t , selten nur die eines S t r a f r e c h t e s . Es s o l l oder es d a r f gestraft werden 5 . Daher heisst der zweite Teil des Strafgesetzes S t r a f s a t z u n g oder Strafdrohung. Nach der Art der Bestimmung des Inhaltes der Strafpflicht, also auf Grund innerer Verschiedenheit der Strafdrohung, zerfallen die Strafgesetze in drei Arten: a. in a b s o l u t b e s t i m m t e , w o r i n e i n e V e r b r e c h e n s a r t mit einer Strafart in unwandelbarer Strafhöhe bedroht w i r d . Solchen Verbrechen gegenüber entfällt die Strafzumessung. Die neuere Gesetzgebung ist dieser absoluten Bestimmtheit der Strafen abgeneigt, und lässt sie auch nur bei wenigen Strafarten zu. Das heutige gemeine Recht k e n n t nur absolut bestimmte G e l d s t r a f e n und zwar nur in den besonderen Strafgesetzen. Sie bestehen in Vervielfachungen bestimmter Grundwerte und sind nach Analogie der römischen Busse des furtum gebildet. Die Todesstrafe tritt zwar im allgemeinen Strafgesetzbuch zweimal, im Militärstrafgesetze zehnmal scheinbar absolut bestimmt auf. Indessen, so gering auch der Fehler sein mag hier absolute Bestimmtheit anzunehmen und so wenig er in der Folge vermieden werden soll, ist doch zu beachten, 3 Dieselben sind entweder absolut verneinend (s. ζ. B. RAO §22. 30; GB § 11 u. 12), oder aber sie bezeichnen den Tatbestand zwar als untauglich zur Erzeugung von echten Strafrechten, aber als tauglich andere Rechtsfolgen zu begründen, z. B. sog. Ordnungsstrafen oder polizeiliche Einziehung von Gegenständen oder Unterbringung in eine Erziehungs- oder Besserungsanstalt. S. ζ. Β. GB § 42 (nur teilweise hierher gehörig). 56. Vereinszollgesetz vom 3. Juli 1869 § 137. 4 GB § 138, 3. 147, 1 ; Konsulargesetz v. 10. Juli 1879 § 4. 5 S. über diesen Punkt Genaueres unten in Kap. 2.

§ 35.

IV. Die s g . Strafgesetze und ihre Arten.

dass überall neben der Todesstrafe fakultativ Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte angedroht ist (GB § 32). Absolut bestimmte Strafen lassen sich nur bei den Verbrechen rechtfertigen, wo schon der mildeste Fall eine der Steigerung unfähige Strafe verdient: also bei den todeswürdigen Verbrechen 6 . Jene Geldstrafen aber mit ihrer vollständigen Unempfindlichkeit gegen die Grösse der Schuld widerstreiten der Gerechtigkeit ebenso sehr, als sie dem Fiskus genehm sind. b. E i n r e l a t i v b e s t i m m t e s S t r a f g e s e t z i s t ein solches, welches für ein und dieselbe V e r b r e c h e n s a r t mehrere S t r a f ü b e l z u r W a h l s t e l l t , sei's dass der Gesetzgeber innerhalb eines Maximum oder Minimum derselben Strafart dem Richter freies Ermessen gestattet, sei's dass diesem verschiedene Strafarten — entweder in unwandelbarer Grösse oder gleichfalls wieder quantitativ abstufbar — zur Verfügung stehen. Gesetze der letzteren Art heissen alternative Strafdrohungen 7. Indem die relativen Strafbestimmungen der richterlichen Freiheit Schranken setzen, zugleich aber die Würdigung des individuellen Falles dem Richter nicht nur ermöglichen, sondern sogar anbefehlen, entsprechen sie ebenso dem Grundsatze, dass verschiedene Schuld auch bei der gleichen Verbrechensart verschiedene Strafe verdient, als sie die Zuständigkeiten der strafrichterlichen und der gesetzgeberischen Gewalt richtig von einander scheiden. Alle Strafgesetze des heutigen gemeinen Rechtes mit Ausnahme der wenigen absolut bestimmten gehören zu dieser Gruppe 8 . Die Zahl ihrer Strafgrössen müsste in Verhältniss stehen zu der Häufigkeit und den verschiedenen Schweregraden der einzelnen Verbrechen, inbesondere dem Abstand zwischen der mildest denkbaren und der schwersten Form desselben. I n den deutschen Strafgesetzen schwankt sie ganz ungemein 9 . Bei den Zuchthausstrafen, die nicht alternativ 6

Β er η er, Wirkungskreis S 16 sagt sogar: .,Die Todesstrafe muss immer absolut angedroht werden." 7 Nicht alle Strafen können alterniren. Die Ehrenstrafe wird nie alternativ gedroht. Nicht alle Strafen können mit einander alterniren. Die Todesstrafe alternirt im GB gar nicht', im MGB mit allen Freiheitsstrafen ausser dem Arrest. Zuchthaus alternirt nie mit Geld, Festung ebensowenig, wohl aber Gefängniss und Haft. 8 Im GB alle Gesetze ohne Ausnahme, falls nicht die §§ 80 u. 211 zu den absolut bestimmten gerechnet werden. 9 Auf den Straftabellen in meiner Einleitung S 62 if. u. 107 if. ist bei jeder Strafposition angegeben, wie viel Strafgrössen sie enthält. Binding, Handbuch. V I I . 1. I : B i n d i n g , Strafrecht.

I.

12

178

§ 35.

IV. Die s g . Strafgesetze und ihre Arten.

mit Gefängniss oder Festung angedroht werden, ist sie relativ sehr k l e i n 1 0 . Es hängt dies damit zusammen, dass diese Strafe von Monat zu Monat springt. Schon bedeutend grösseren Reichtum bieten die Strafgesetze, welche lediglich das biegsamere Gefängniss androhen. Sie beginnen mit mindestens 61 (§ 138), steigen sehr rasch über 1000 und bieten dem Richter, falls die Strafe Gefängniss schlechthin ist, 1826 oder 1827 Strafgrössen zur Wahl. Geradezu auffällig werden die Zahlen, wenn das MGB wie in § 112 für die Herausforderung eines Vorgesetzten aus dienstlicher Veranlassung Gefängniss oder Festung von 1—15 Jahren androht: darin sind nicht weniger als 10 228—10 230 Strafgrössen enthalten. Uebrigens reducirt sich bei Gefängniss und Festung tatsächlich jener Reichtum dadurch erheblich, dass die Richter schon tief unten nur noch nach Wochen, und höchstens vom Jahre an nur noch nach Monaten zu rechnen pflegen 11 . c. D a s a b s o l u t u n b e s t i m m t e S t r a f g e s e t z b e s t i m m t die S t r a f e e i n e r V e r b r e c h e n s a r t w e d e r der A r t noch d e m M a a s s e n a c h . Der Richter hat hier freie Wahl zwischen allen positiv-rechtlich anerkannten Strafarten und Strafgrössen. Diese in der CCC und dem späteren gemeinen Rechte so häufige Form der Strafgesetze ist dem heutigen Recht nicht nur tatsächlich fremd, sondern untersagt. Nach GB § 2 kann eine Handlung nur mit der Strafe belegt werden, die ihr vor der Begehung gesetzlich bestimmt war. Dies zwingend gemeine Gesetz heischt somit absolut oder relativ bestimmte Strafgesetze. Eine Verordnung, welche für ein Delikt lediglich Strafe androht oder gar etwas „bei Strafe" untersagt, ist demgemäss nichtiges Strafgesetz. Sie lässt sich auch dadurch nicht aufrecht halten, dass man diejenigen Strafen als angedroht ansieht, welche anzudrohen die verordnende Behörde kompetent ist. Diese Rechtfertigung würde für alle absolut unbestimmten Strafgesetze Platz greifen, während das gemeine Recht grade darauf Gewicht legt, dass der Richter den Gesetzgeber nicht in Bestimmung sowohl von Strafart als von Strafmaass vertrete. Dagegen wäre ein Strafgesetz, welches „Uebertretungsstrafe" androhte, durchaus giltig. 1° Zum Beispiel 49 (GB § 254); 62 (§ 215); 97 (§ 225); 109 (§ 219); 121 (§ 323); 145 (§ 312); 157 (§ 220); 169 (§ 234). 11 Welche Bedeutung die Reihenfolge der alternativ angedrohten Strafen und die Zulassung mildernder Umstände in den relativ bestimmten Strafgesetzen hat. wird bei der Lehre von der Findung des Strafäquivalentes erörtert werden.

§ 35. IV. Die sog. Strafgesetze und ihre Arten.

179

2. Der e r s t e T e i l des S t r a f g e s e t z e s enthält den Grund der Strafdrohung, die Voraussetzung für die Entstehung der Strafpflicht oder des Strafrechtes. Derselbe hat einen eisernen Bestand, der nie fehlen kann, in dem er sich aber nicht immer erschöpft : d. i. die Bezeichnung der normwidrigen Handlung, die bestraft werden soll, die Aufstellung des Verbrechensbegriffes oder verbrecherischen T a t b e s t a n d e s 1 2 . Es empfiehlt sich somit den ersten Teil des Strafgesetzes von seinem vornehmsten Inhalte als Tatbestand zu bezeichnen 1 3 . Der Tatbestand der Strafgesetze ist nun a. entweder e i n f a c h o d e r z u s a m m e n g e s e t z t . Er besteht entweder aus der Uebertretung nur einer Norm oder wie beim hochverräterischen Morde, beim Raube u. s. w. aus mehreren konkurrirenden Delikten 1 4 . Diese Deliktskonkurrenz erzeugt dann aber auch nur e i n Strafrecht. b. Er besteht entweder aus den wesentlichen Merkmalen der Uebertretung einer ganz bestimmten Nonn, so dass eine Abänderung dieser eine Aenderung des Strafgesetzes mit Notwendigkeit nach sich zieht, oder aber die Straffolge wird an die Uebertretung eines nur generiseli bezeichneten Verbotes oder Gebotes geknüpft, z. B. an die Uebertretung der kaiserlichen Verordnung zur Verhütung des Zusammenstosses der Schiffe auf See, der polizeilichen Anordnungen 12 Dieses Wort ist wie bekannt eine dem 18. Jahrhundert angehörige Verdeutschung des corpus delicti. Die älteste Anwendung des corpus delicti, die zur Zeit bekannt, findet sich in einem consilium des Sichardus kurz nach 1536: Seeger, Die strafrechtlichen Consilia Tubingensia. Tübingen 1877. S 61; s. auch G e y e r in v. Holtzendorffs Handbuch des Strafprozesses I 251 Anm 1. Ueber die ursprünglich prozessualische Bedeutung des Ausdrucks s. besonders L u d e n , Abhandlungen I I 5 ff.; B i r n b a u m , ANF 1845 S 493ff.; H ä l s c h n e r , Syst. I 431. 432; Schütze, Notwend. Teilnahme S 100 ff.; B r u n n e n m e i s t e r , Quellen der Bambergensis. Leipzig 1879. S 219. 220. Interessant für die Entwicklungsgeschichte des Begriffs St ü b e l , Tatbestand S 1—6. — Neuerdings hat S c h ü t z e a. a. 0. gegen die Verwendung des Wortes für den Inbegriff der gesetzlich wesentlichen Verbrechensmerkmale lebhaft polemisirt. Gerade dafür aber ist das Wort ebenso bezeichnend wie unentbehrlich. Ders. Ans. M e y e r , Lehrbuch S 119. Ausserdem ist das Wort positiv - rechtlich legitimirt. S. GB § 59 („gesetzlicher Tatbestand"); PressG § 21. 23, 3; GVG § 185. In den beiden letzten Stellen bedeutet „Tatbestand" den Verbrechensbegriff in konkreter Verwirklichung. 13 Etwas bedenklicher ist der Sprachgebrauch bei Τ h o l , Einleit. in das deutsche Privatrecht S 91 ff., der den ersten Teil aller zweiteiligen Rechtssätze Tatbestand nennt, obgleich diese so oft mit menschlichen Handlungen nichts zu tun haben. 14 Ueber diesen Unterschied * des einfachen und des zusammengesetzten Verbrechens ist unten Buch I I Abt. 2 Ivap. 1 genauer zu handeln. 12*

180

§ 35.

IV. Die s g . Strafgesetze und ihre Arten.

über vorzeitige Beerdigung, über Sonntagsheiligimg, über Schliessung der Weinberge. Da der Tatbestand solcher Strafgesetze die Definition der verbotenen Handlung nicht aus der Norm wiederholt, vielmehr ein B l a n k e t t ist, das seinen Inhalt erst durch die Norm erhält, das durch verschiedene Normen in verschiedenster Weise ausgefüllt werden und den Wandel der Normen unverändert überdauern kann, sind derartige Strafgesetze neuerdings B l a n k e t t s t r a f g e s e t z e genannt worden 1 5 . c. Bei sorgfältiger Analyse der Gesetzestatbestände zeigt sich, class das Delikt häufig nicht die einzige Voraussetzung für die Entstehung der Strafpflicht oder des Strafrechtes ausmacht, dass dieselbe vielmehr noch anderweit bedingt ist und zwar gerade durch Umstände, welche ganz abseiten des Verhaltens des Schuldigen stehen. Die Bestrafung soll vielleicht nur auf Antrag oder mit Ermächtigung des Verletzten erfolgen, oder nur „sofern in dem andern Staate dem Deutschen Reich die Gegenseitigkeit verbürgt ist", sofern die Ehe zwischen Entführer und Entführter für ungiltig erklärt worden i s t 1 6 . I n diesen Fällen liegen d o p p e l t b e d i n g t e S t r a f d r o h u n g e n vor17. I I . Im v e r n e i n e n d e n S t r a f g e s e t z ist die F o l g e , soweit sie hier interessirt, die Nichtentstehung eines Strafrechtes ; den T a t b e s t a n d aber bildet entweder ein Zufall oder eine nichtdeliktische 15 Von B i n d i n g , Normen 1. Aufl. I 74. 75. 96. 97. Der Ausdruck hat Anklang gefunden unci wird vielfach gebraucht. H e i n z e , Verhältniss S 56 nennt sie „blinde" Strafdrohungen. — Sie sind im heutigen gemeinen Rechte nicht selten, weder im GB, noch in den Specialstrafgesetzen. S. bes. GB § 145. 327. 328.360, 2, 9, 12. 361, 6. 366 a. 368, 1,2 u.s.w.; Ges betr. die Reichskriegshäfen vom 19. Juni 1883 § 2 al. 4. — Vgl. auch A r n d t , Das Verordnungsrecht des Deutschen Reichs. Berlin u. Leipzig 1884. S 162 if. — Das weitaus interessanteste Blankettstrafgesetz enthält das Ges, betr. die Bestrafung u. s. w., vom 17. Juli 1881 § 2 u. 3. Hier bedroht das Deutsche Reich die Verletzung ö s t e r r e i c h i s c h e r Ein-, Aus- und Durchfuhrverbote; die Ausfüllung desBlanketts ist also sogar einem fremden Staate überlassen. Und doch behauptet man die Unselbständigkeit der Normen! — Ein Blankettgesetz liegt aber nicht vor, wenn Behörden das Recht zum Erlass von Strafverordnungen beigelegt und nur das Maximum der von ihnen anzudrohenden Strafen bestimmt wird. Nicht richtig A r n d t a. 0. S 164. 165. 16 Ueber diese Bedingungen der Strafbarkeit ausserhalb des Delikts s. unten Buch I I Abt. 2 Kap. 2. Dort findet auch eine Unklarheit, die hier absichtlich beruhen bleiben soll, die nötige Aufklärung. 17 Normen I § 23. Auch dieser Ausdruck ist vielfach angenommen worden. Hie und da ist er zu eng, denn die Strafe hat dann nicht nur 2, sondern 3 Vorbedingungen : so beim Ehebruch das Delikt, die Ehescheidung wegen desselben und den Antrag.

§ 36. I. Zusammenhang zw. objekt. u. Subjekt. Rechte.

181

Handlung oder aber ein Delikt, dem Straflosigkeit zugesichert w i r d 1 8 . Für diese ganz heterogenen Fälle braucht das GB öfter dieselbe Wendung: „eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden" 1 9 . Das verneinende Strafgesetz tritt manchmal als Gebot der Freisprechung a u f 2 0 .

Zweites Kapitel. Normen und Strafgesetze als bejahende Rechtssätze. § 36.

I. Z u s a m m e n h a n g z w i s c h e n o b j e k t i v e m s u b j e k t i v e m Rechte.

und

Alles objektive Recht hat nur den einzigen Zweck : einen Bestand von Berechtigungen und Verpflichtungen zu schaffen, somit die Entstehung, die Wandlung 1 und den Untergang subjektiver Rechte und subjektiver Pflichten zu regeln. Das Gesetz verfolgt diesen Zweck auf zwei Arten: entweder schafft es Rechte und Pflichten unmittelbar durch sein Inkrafttreten 2 oder vernichtet sie dadurch; oder aber es normirt die Voraussetzungen ihrer Entstehung und ihres Unterganges in der Zukunft. So ist alle Rechtsschöpfung Erzeugung objektiven Rechts behufs Erzeugung oder Vernichtung subjektiver Rechte und Pflichten. Alle Rechtssätze, die Entstehung oder Untergang von Rechten oder Pflichten regeln, nenne ich b e j a h e n d e 3 . Ihrer ist die weitaus überwiegende Mehrzahl 4 . 18 S. bes. GB § 310: „so tritt Straflosigkeit ein"; § 204: „die Strafe fällt weg". 19 S. GB § 51—54, welche alle verneinende Strafgesetze sind. 20 GB § 56. 58. 1 Die „Verwandlung" im Gebiete des subjektiven Rechts ist streng genommen eine Verbindung von Entstehung und Untergang. 2 Diese heissen dann in einem engeren Sinn gesetzliche Rechte und Pflichten. So spricht man von gesetzlichem Eigentum, Pfandrecht u. s. w. 3 Sie mit Τ h öl, Einleitung in das deutsche Privatrecht. Göttingen 1851. S 96 u. 101 if. berechtigende zu nennen, trage ich zwiefaches Bedenken : neben dem Recht kommt die Pflicht, neben der Gabe das Nehmen nicht zum Ausdrucke. Alle jene Rechtssätze aber b e j a h e n die Entstehung oder den Untergang subjektiver Rechte oder Pflichten. Auch ist der Gegensatz zwischen bejahenden und verneinenden Rechtssätzen logisch reiner! 4 Nach dem Gesagten gewinnt es den Anschein, als müssten alle Rechtssätze b e j a h e n d e sein. Dies träfe auch zu. empfände der Rechtsbildner nicht mehrfach

§ 36. I. Zusammenhang zw. objekt. u. Subjekt. Rechte. N u n sind aber Recht u n d Pflicht korrelate Begriffe.

Jeder B e -

rechtigung steht eine Verpflichtung, jeder Verpflichtung ein Recht auf derselben gegenüber 5 .

Erfüllung

Das Verhältniss

von Rechten u n d

Pflichten ist insofern verschieden, als bald das Recht geschaffen w i r d , während

es dem Gesetzgeber

an erster

Stelle auf Begründung

der

Pflicht ankommt, bald die Pflicht, u m des i h r entsprechenden Rechtes willen.

B a l d w i r d das Recht als Folge der Pflicht,

als Folge des Rechtes gedacht, Pflicht

während

aus dem R e c h t e f o l g t 6 .

um ihrer

selbst w i l l e n aufgestellt,

Diese Verschiedenheit

bald

begrifflich

die Pflicht stets

die

A l l e Privatrechte werden ζ. B .

nicht u m Pflichten

zu begründen.

b e w i r k t den i r r i g e n Glauben, es gäbe Rechts-

sätze, die n u r berechtigten, u n d solche, die n u r verpflichteten, während doch alle Gesetze, die berechtigen, auch zugleich verpflichten u n d umgekehrt.

Allenfalls

könnte

m a n p r i m ä r berechtigende u n d p r i m ä r

verpflichtende Rechtssätze unterscheiden. Norm

u n d strafdrohendes

Gesetz

n u n gehören

gleichermaassen

zu den bejahenden Rechtssätzen, u n d es g i l t jetzt, die von beiden geschaffenen

subjektiven Rechte u n d Pflichten genauer zu

betrachten.

das Bedürfniss zu statuiren, dass gewisse Tatbestände rechtliche Wirkungen überhaupt nicht oder in bestimmter Richtung nicht üben sollten. Diese von T h ö l a. 0. S 97 sehr treffend sog. v e r n e i n e n d e n R e c h t s s ä t z e , deren Zahl relativ klein sein und bleiben muss, verfolgen den Zweck cler bejahenden — nur in anderer Form, klärend durch Kontrast. — Die sog. b e g r i f f s e n t w i c k e l n d e n R e c h t s s ä t z e — die g e s e t z l i c h e n D e f i n i t i o n e n — sind lediglich scheinbar selbständig gewordene Teile bejahender oder verneinender Rechtssätze. — Die verschiedenen Korrekturen, welche neuerdings T h o n und B i e r l i n g an cler T h ö l ' schen Einteilung vornehmen wollten, erscheinen mir nur als Verschlechterungen derselben. 5 Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass Pflicht h i e r in der weitesten Bedeutung genommen wird und weit hinausragend über die rechtliche Notwendigkeit für einen Menschen i n P e r s o n etwas zu tun oder zu unterlassen — höchstpersönliche Pflicht, Pflicht im engeren Sinne — ausserdem auch alle anderen rechtlichen Gebundenheiten von Rechtssubjekten aller Art und nicht nur von Menschen umfasst. 6 Diese Tatsache sollten die modernen Naturrechtslehrer nicht verkennen: die Pflicht ist gar nicht anders zu definiren denn als Gebundenheit eines Rechtssubjektes, fremdem Rechte zu genügen: während die eine grosse Gruppe der subjektiven Rechte s ehi· wohl ohne Zuhilfenahme des Pflichtbegriffs definirt werden kann : man denke an die Territorialhoheit, an das Eigentum. Alle subjektiven Rechte gehen entweder auf in der Befugniss die Erfüllung der dem Recht entsprechenden Pflicht zu fordern, so die Rechte auf Gehorsam, die Forderungsrechte, oder sie haben an erster Stelle einen von diesen Pflichten ganz unabhängigen Inhalt, und das Recht auf Erfüllung dieser Pflicht ist wie beim Eigentum nur ein Folgerecht aus dem Hauptrechte.

§ 37. II. Verbot, Gebot u. Recht auf Botmässigkeit.

183

Zwischen dem Rechte aus der Nonn und dem Rechte aus dein Strafgesetz besteht bezüglich der Person cles Berechtigten principiell, wenn auch nicht tatsächlich, bezüglich der Person des Verpflichteten principiell und tatsächlich das Verhältniss der Identität. Die Zwecke, denen beide Rechte dienen, sind wesentlich verschieden, stehen aber in tief innerlicher Beziehung, und der Inhalt des Strafrechts und die Bedeutung der Strafe sind nur aus diesem Zusammenhang zu begreifen. So bildet die Lehre von der Norm als bejahendem Rechtssatze den unentbehrlichen Schlüssel zum Verständnisse der subjektiven Strafrechte. Nur insoweit ist sie hier selbständig zu behandeln 7 . Im übrigen kann der ganze allgemeine Teil des Strafrechts, soweit er nicht Theorie des objektiven Rechtes ist, nichts anderes sein, als eine Theorie der subjektiven Strafrechte, oder da jedes Strafrecht seinen Sträfling fordert, eine Theorie der Strafrechtsverhältnisse 8. § 37. I I . V e r b o t u n d G e b o t u n d das R e c h t a u f Botmässigkeit. I. Die Normen zählen zu clen primär verpflichtenden Rechtssätzen. Der Gesetzgeber befiehlt solchen, denen er befehlen kann, und verpflichtet sie seinem Befehl zu entsprechen. D i e s e P f l i c h t i s t die P f l i c h t zum Gehorsam. Ihr gegenüber steht notwendig das R e c h t a u f B e f o l g u n g d e r N o r m , a u f B o t m ä s s i g k e i t 1 . 7 8

Anders natürlich in der 2. Aufl. der Normen I. S. darüber Buch II. Diese Theorie ist bisher über Gebühr vernachlässigt

worden. 1 In den Wörterbüchern wird das Wort erklärt als ein Attribut des Herrschers, nicht des Untertanen, der vielmehr „unter jenes Botmässigkeit steht". Aber diese Bedeutung von imperium ist zweifellos die übertragene. „Botmässigkeit" ist das Verhalten dessen, der die Gesetze befolgt, und in dieser Bedeutung, die uns ja ganz geläufig ist bezüglich des Wortes Unbotmässigkeit, werde ich es brauchen. Man gestatte mir im Interesse der Kürze synonym mit Recht und Pflicht der Botmässigkeit Gehör s am s recht und Gehorsamspflicht zu sagen — trotz des pädagogischen Beigeschmacks, den die Worte heute erhalten haben. Wer daran Anstoss nimmt, sei darauf hingewiesen, dass die deutsche Sprache ausser Botmässigkeit und Gehorsam keine weiteren Bezeichnungen für das „normale" Verhalten besitzt, und dass in der deutschen Rechtssprache gerade das Wort Gehorsam dafür das regelmässige war — dergestalt, dass auch die Fürsten dem Kaiser Gehorsam schuldeten, und dass selbst das Gefängniss für den Unbotmässigen „der Gehorsam" genannt wurde. S. den interessanten Artikel „Gehorsam" von H i 1 d eh r a η d in Grimms Wörterbuch IV 2531 ff.

§ 37. II. Verbot, Gebot u. Recht auf Botmässigkeit.

II. Dieses Recht und jene Pflicht entstehen, falls die Norm nicht betagt oder ausnahmsweise bedingt ist, unmittelbar durch das in Kraft tretende Gesetz, im Gegensatze zum Strafrecht, das nie ein gesetzliches Recht in diesem Sinne ist. I I I . Jene Pflicht ist eine Pflicht zu bestimmtem Handeln oder Unterlassen, somit zu einer Willensbetätigung. Das entsprechende Recht erschöpft sich in der Befugniss grade diese Willensbetätigung zu fordern oder unterlassen zu sehen. Dies Recht setzt also ganz bestimmte körperliche und geistige Eigenschaften bei dem voraus, der verpflichtet sein soll. Die korrespondirende Pflicht kann demgemäss nur e i n Subjekt haben: nur den Menschen, und zwar nur den Menschen, der fähig ist, diese Pflicht zu erfüllen, nie eine juristische 2 , nie eine natürliche handlungsunfähige Person. Impossibilium nulla obligatio. Der Wansinnige, das Kind, der Schlafende — sie können rechtsverderblich wirken, aber nicht rechtswidrig handeln. Jene Pflicht ist also die höchstpersönliche, nie durch Stellvertretung erfüllbare Verbindlichkeit das Leben der Norm entsprechend, wie die deutsche Sprache so treffend sagt, „botmässig" zu führen. IV. Den Kreis dieser Normgebundenen bestimmt cler Willen und die Zuständigkeit des Urhebers der Norm. Die Zuständigkeit des Staates durch Verbote oder Gebote zu verpflichten ist durchaus nicht auf den Kreis seiner Untertanen und der auf seinem Staatsgebiet weilenden Fremden begrenzt. Jeder Staat muss seine Normen auch gegen Fremde so weit ausdehnen, als er zum Schutze s e i n e r R e c h t s o r d n u n g für unentbehrlich erachtet; dass er damit in fremde Zuständigkeit nicht eingreift, wird weiter unten gezeigt werden 3 . Wie weit 2

lieber diesen Punkt wird genauer in Buch I I I gehandelt werden. — Wenn neuerdings Je I l i ne k in seinem sehr beachtenswerten Werke „Die Lehre von den Staatenverbindungen", Wien 1882, S 49. 50 sagt: „Eine Fähigkeit, welche ausschliesslich dem Staate vor allen anderen Korporationen eigentümlich ist, ist die, schuldbares Unrecht verüben zu können", denn die rechtswidrigen Handlungen der Träger der Staatsgewalt sind „nicht nur ihre eigenen Handlungen, sondern werden zugleich dem Staate selbst als Unrecht zugerechnet", so ist darin ganz richtig betont die wesentliche Verschiedenheit zwischen der Stellung des Herrschers, dessen Gewalt keine übertragene ist, und der Vorstände (1er juristischen Personen, denen keine Gewalt zum Unrechttun übertragen ist. Aber der Urheber des Unrechts ist auch hier allein die physische Persönlichkeit des Herrschers: ausser ihm handelt Niemand. Dass seine Herrscher-Handlung zugleich als Handlung seines staatlich organisirten Volkes betrachtet werden muss, gründet darin, dass dieses nach aussen nur durch ihn handelt, aber nicht durch ihn als durch einen „\ r ertreter", sondern durch ihn als den Inhaber der Staatsgewalt zu eigenem Rechte. 3 S. unten § 79 if.

§ 37.

II. Verbot, Gebot u. Recht auf Botmässigkeit.

185

der Fremde ein solches Gehorsamsrecht für sich anerkennt, ist gleichgiltig: vom Standpunkt des verbietenden Staates aus ist er verhaftet. Normen zu erlassen lediglich zum Schutze fremder Rechtsinteressen geht über den Beruf, aber nicht über die nach dieser Seite hin formal unbeschränkte Zuständigkeit des Staates hinaus 4 . Dagegen hat der Inhaber einer abgeleiteten Gesetzgebungsgewalt nur eine formell genau begrenzte Zuständigkeit zur Aufstellung und Ausdehnung der Normen. V. Je nachdem die Norm sich wendet an alle diejenigen, welche ihrem Inhaber Folgeleistung schulden, oder nur an bestimmte Kreise derselben, die Beamten, die Soldaten, die Gewerbetreibenden, die Aerzte, die Schiffer u. s. w., scheiden % sich die Normen in a l l g e m e i n e und b e s o n d e r e , und ihre Uebertretungen scheinbar in allgemeine, d. h. von Allen begehbare, und besondere Delikte, das sind solche, die nur die Angehörigen jener Kreise vollbringen können. Aber die besondere Norm begründet Gehorsamsrechte weit über jenen Kreis hinaus: denn wie die allgemeine Norm verbietet sie nicht nur die Täterschaft an den von ihr aufgestellten Delikten, sondern auch Anstiftung und Beihilfe dazu, und insoweit ist auch die besondere Norm eine allgemeine, und so modificirt sich der Begriff des besonderen Deliktes dahin, dass es nur von Angehörigen jener Kreise als T ä t e r n begangen werden kann, dass aber Alle sich daran zu beteiligen vermögen. VI. Das Subjekt des Rechtes auf Botmässigkeit fällt regelmässig mit dem Urheber der Norm zusammen. Aus den Normen des Reichs erwächst diesem, aus den Normen der Staaten dem einzelnen Bundesstaat, aus den Verordnungen der Städte den Magistraten, aus den Verordnungen der Polizeibehörden diesen selbst ein Recht auf Befolgung ihrer Normen, und es macht dabei keinen Unterschied, ob die Normen — von denen des Reiches abgesehen — einer wahren Autonomie oder einer abgeleiteten Gesetzgebungsgewalt entspringen. Indessen ist hier auch eine Gesetzgebung zu Gunsten Dritter denkbar. Das Reich erteilt vielleicht den Bundesstaaten, der Staat einem Privaten ein Recht in bestimmter Richtung Gehorsam zu heischen 5 . Auch kann es zulässig sein, ein zuständiges Gehorsamsrecht Andern zu delegiren. 4

§ 87.

r>

Ueber die interessante Herausbildung internationaler Rechtsgüter ε. unten

S. ζ. B. SeemO § 30: „Der Schiffsmann ist verpflichtet, in Ansehung des Schiffsdienstes den Anordnungen des Schiffers unweigerlich Gehorsam zu leisten."

§ 37. II. Verbot, Gebot u. Recht auf Botmässigkeit.

186

Mag das Recht aber zustehen, wem es wolle, mag es begründet sein durch gesetzliche Formulirung des Verbotes oder Gebotes, oder durch gesetzliche Anerkennung einer obrigkeitlichen Befehlsgewalt — das ist dann eine vielleicht sehr umfassende Blankettnorm — , so kommt in ihm das Verhältniss der Ueber- und Unterordnung in allerschärfster Weise zum Ausdruck. Denn kraft seiner soll des Verpflichteten Wille einem fremden Willen Untertan gemacht werden. U e b e r a l l i s t der b i n d e n d e B e f e h l o b r i g k e i t l i c h e r W i l l e , mag er vom Staate unmittelbar oder von seinen Beamten und Organen, oder von staatsseitig bevollmächtigten Privaten ausgehen. Die Botmässigkeit wird stets gefordert vom Staate selbst oder im Namen des Staates als des alleinigen Inhabers obrigkeitlicher Gewalt: die Verweigerung der Folge ist also stets eine Verneinung des obrigkeitlichen Willens im konkreten Falle, stets ein Zuwiderhandeln gegen ein dem Staat allein zustehendes Recht, das er freilich in einer Reihe von Fällen delegirt. Die Verletzung dieses subjektiven Rechts ist die einzige „Rechtsverletzung", die jedem Delikt wesentlich i s t 6 . V I I . Wem es nicht genügt, dass der Verbrecher ein Recht auf Botmässigkeit oder Gehorsam verletzt, wer darauf hinweist, dass bei den schweren Verbrechen wie bei Mord und Raub hinter der Verletzung der wertvollsten Rechtsgüter das Moment der Unbotmässigkeit ganz zurücktritt, dem sei erwidert, dass die „freche Auflehnung des Mörders und des Räubers gegen das Gesetz" nur ein pathetischer Ausdruck für gerade jenes Moment, und dass das Recht auf Botmässigkeit in diesen Fällen identisch ist mit dem Recht die Respektirung jener edelsten Rechtsgüter zu fordern. Es handelt sich bei jeder Norm um eine Gehorsamspflicht bestimmten Inhaltes, und nicht um eine formalistische Unterordnung des Einzelnen unter den Staatswillen, vielmehr um Befolgung einer vernünftigen zum Heile der Rechtsordnung erlassenen Vorschrift 7 . 6

Auch den Verbrechen wider die Sittlichkeit, dem Meineid, der GotteslästeΑ. Μ. v. J h e r i n g , Zweck 2. Aufl. I 485. 7 Wie wenig scharf über diesen Punkt gedacht wird, beweist eine Aeusserung von M e y e r , mit der er übrigens keineswegs allein steht. Er sagt § 3 Anm 3: das Wesen der strafbaren Handlung bestehe in ihrer sachlichen Nachteiligkeit für jedes Gemeinwesen, nicht in ihrem formellen Verstoss gegen die Norm. — Jene sachliche Nachteiligkeit ist aber nur das Motiv die Handlung zu verbieten ; je nachdem die verbotene Handlung definirt wird, bleibt jene als Rechtsgüter-Verletzung oder Rechtsgüter-Gefährdung wesentlicher Bestandteil des Deliktes oder nicht. Man sollte nicht beständig Motive gesetzgeberischer Tätigkeit und wesentliche Eigenschaften der vom Gesetzgeber charakterisirten Handlungen verwechseln. De lege lata ist das rung.

III. Das Recht auf Strafe wegen Unbotmässigkeit.

187

Es ist durchaus möglich, dass die N o r m e n zweier S t a a t e n 8

VIII.

denselben Personen i n d i v i d u e l l untersagen.

dieselben H a n d l u n g e n befehlen

oder

D a n n entstehen zwei inhaltlich gleiche, aber von einander

unabhängige Gehorsamsrechte

wider

eines m i t zwei Korrealgläubigern.

dieselbe Person, nicht aber n u r Beide Rechte können aber

nur

zusammen erfüllt oder zusammen verletzt werden. HI. § 38. I.

Das Recht auf Strafe 1. D a s S t r a f g e s e t z Ueber

die Adresse,

wegen

Unbotmässigkeit.

als b e j a h e n d e r

Rechtssatz1.

an welche das Strafgesetz

sich

richtet,

herrscht Streit.

Seine Schlichtung ist besonders für die L e h r e n v o n

der

und

Auslegung

Verpflichten

die

vom

Geltungsgebiet

Strafgesetze

oder den Richterstand a l l e i n ,

der

Strafgesetze

das V o l k als Summe

wichtig.

der Untertanen,

oder „ d i e für das K r i m i n a l w e s e n ange-

ordneten Staatsbeamten insgesammt", oder endlich den S t a a t 2 ?

Die

Delikt eben gar nichts anderes als Auflehnung gegen die Nonn, mag diese Auflehnung „rechtsnachteilig" sein oder nicht. 8 Nicht aber des Reiches und eines Bundesstaates wegen RY Art. 2. 1

Die Ausführungen in den Nonnen I 1. Aufl. § 2 u. 3 bedurften teilweise (1er Berichtigung. Dieselbe wird ausführlicher Normen I 2. Aufl. § 4 gegeben werden. 2 Es leuchtet ein, dass überall da, wo das Strafgesetz an das Volk adressirt wird, eine Verwechslung von Nonn und Strafgesetz vorliegt, und dass bei den vielen Schriftstellern, welche das Strafgesetz zugleich an das Volk und den Richterstand adressiren, im Grundgedanken das praeceptum legis und die sanctio legis aus einander treten, letztere aber allein an den Richterstand adressirt wird. Natürlich führen die verschiedenen Auffassungen über die Adresse der Strafgesetze zu verschiedenen, oft mit einander unverträglichen Folgerungen. Um so auffallender ist, dass so häufig die beiden Adressen des Volkes und des Richterstandes mit einander kombinirt werden. Dies greift auch bei den Schriftstellern Platz, die Norm und Strafgesetz begrifflich scheiden, erstere aber als unselbständigen Teil des letzteren betrachten. — Es adressiren die Strafgesetze 1. a l l e i n an das V o l k : B e r n er, Wirkungskreis S 20 ff. (darum muss mit der Publikation überall eine Frist zur Kenntnissnahme verbunden sein!); ders., Lehrbuch § 147 (wenig klar); K ö s t l i n , System I § 10. 12. 14. 16; H ä l s c h n e r , Preuss.StR I 35. 36; v. B a r , KrV XV 562 Anm 1 (an das Volk und f o l g e r e c h t erst auch an den Richter: dunkel!); Schütze § 16. Keiner dieser Schriftsteller spricht jenen Gedanken ausdrücklich aus: ich kann sie aber nicht anders verstehen; 2 a l l e i n an clen R i c h t e r : G r o l m a n , Bibl. f. peinl. RW I. St. 1 S 29. 30 (s. dessen Lehrbuch § 11 ff.); H e p p , Strafrechtssysteme I 286; S c h w a r z e bei HH I I 26; 3. a l l e i n an die m i t der S t r a f j u s t i z b e t r a u t e n O r g a n e , v o r n e m l i c h den S t r a f r i c h t er: so neuerdings wieder T h o n , Rechtsnorm S 9 u. 10; 4. a l l e i n an den S t a a t : B i n d i n g , Normen I 13ff.; 5. an das V o l k u n d den R i e h -

III. Das Recht auf Strafe wegen Unbotmässigkeit.

188 Antworten

auf

diese Fragen

sind

öfter

ebenso

ungenügend

i n ge-

schichtlicher, als i n strafrechtlicher, als i n staatsrechtlicher Beziehung ausgefallen. Dass ein bejahender Rechtssatz u m dessentwillen aufgestellt wird, dem das Recht zugedacht ist,

liegt auf der H a n d 3 .

D i e Strafgesetze

gelten dem m i t dem subjektiven Strafrecht zu Begabenden, auch wenn sie dies nicht ausdrücklich sagen,

auch w e n n sie der F o r m nach wie

die Vorschriften der Busszahlung i n den leges barbarorum diejenigen anreden, welche j e n e m Rechte genügen, somit die Busse zahlen s o l l e n 4 . Wer

das

Strafrecht

schieden; j a

hat,

vielleicht

darüber

stehen

denken verschiedene Zeiten

gleichzeitig

verschiedene

ver-

Berechtigte

t e r s t a n d : F e u er b a c h , Revision I 148. 149; clers., Lehrbuch § 73; H e n k e 1 558; B a u e r § 15. 101; der s., Abhandl. I 124 if.; Z a c h a r i a e , Rückwirk. Kraft S 5; A h e g g § 57. 62; L u d e n , Handbuch I 198 if.; B e k k e r I 195; S e e g e r , Abhandl. I I 1 S 80 Anm 2. S 113; M e y e r § 17 S 89. 90; H ä l s c h ner, D. StR I 86; v. L i s z t , Lehrbuch § 16; v. W ä c h t e r , Vöries. § 30 (vgl. dess. Handbuch S 284, wo das Strafgesetz auch die Berechtigung des Staats zur Strafe ausspricht); 6. an den S t a a t , den das Gesetz berechtigt bezw. verpflichtet, an d i e g e s a m m t e n S t a a t s m i t g l i e d e r , an d i e V e r b r e c h e r und an die f ü r das K r i m i n a l w e s e n a n g e o r d n e t e n S t a a t s b e a m t e n : M a r t i n § 14: 7. alle Gesetze, also auch die Strafgesetze, richten sich nicht an einzelne Adressen, sondern an „Jeden, den es angeht": ν. M a r t i ζ , Ζ f. d. ges. Staatswissensch. Jahrg. 36 S 251. 3 Ueber das Strafgesetz als bejahenden, den Staat berechtigenden bezw. verpflichtenden Rechtssatz s. bes. M a r t i n § 24; L u d e n , Handbuch S 2 u. 3: v. W ä c h t e r , Handbuch § 284; B e r n e r § 3 (bei der Lehre vom Strafgesetz tritt dieser Gesichtspunkt bei B. aber vollständig zurück). Doch wird diese Auffassung nie wie billig zum Eckstein der Lehre vom Strafgesetz gemacht. Anders bei B i n d i n g , Normen I 13 ff. 4 Die Lehre vom subjektiven Strafrecht ist bisher über Gebühr vernachlässigt. Der erste, der einigermaassen Ernst damit machte, war L;u den, Handb. I 2 ff. 12 ff. Gute Bemerkungen auch bei H e f f t e r § 4. 6. 7. Ueber den systematischen Wert dieses Begriffs richtig L o e n i n g , Ζ f. StRW I I I 373. — Die Existenz des subjektiven Strafrechts aber ward nicht verkannt. F e u e r b a c h § 1 basirt ebenso wie T i t t m a n n § 1 und Ab egg § 2 auf diesen Begriff die ganze Definition des Strafrechts. — Vgl. ferner beispielsweise G r o l m a n § 9 ; M a r t i n § 84 ff.; H ä l s c h n e r . Preuss. StR I 10; ders., D. StR I 1 (an letzterer Stelle verdunkelt sich etwas der Zusammenhang von objektivem und subjektivem Strafrecht: nur soweit ersteres vorliegt, kann von letzterem gesprochen werden); B e r n e r § 3 ; v . W ä c h t e r , Vöries. S 3 (verfehlt im Ausdruck); G e y e r , Grundriss I § 1; v. L i s z t , Lehrbuch § 1. — Es ist nur eine Merkwürdigkeit, wenn S c h ü t z e S 2 sagt, der Begriff des subjektiven Strafrechts sei für das positive Recht „nahezu wertlos", eine viel grössere aber, wenn M e y e r S 3 den Begriff leugnet, „da für den Staat als solchen weder ein Recht noch eine Pflicht zu strafen besteht, es vielmehr seinem Wesen entspricht, dass er u. a. strafend vorgeht".

§ 88.

1. Das Strafgesetz als bejahender Rechtssatz.

189

neben einander, wie die Inhaber des Rechts auf Privatstrafe einerseits und das Gemeinwesen andrerseits im römischen und im deutschen Recht. Die Form: „es soll Strafe sein" ist ganz die gleiche, mag der Staat oder ein Privatmann das Strafrecht erhalten, mag für die Strafverfolgung das Officialprincip herrschen oder nicht δ . Es ist die übliche Form des sog. Gesetzesbefehls 6. Sie ist deshalb auch ganz unabhängig von dem Umstände, ob das Strafrecht, wie das ja in der Geschichte vorkommt, eine ausserprozessuale Realisirung ohne richterliche Mitwirkung zulässt, oder ob es wie heutzutage nur auf dem Wege des Strafverfahrens durchgeführt werden kann. Diese Verschiedenheit der Ausführung des Strafgesetzes durch die Tätigkeit von Privaten oder von Beamten der Strafgerichtsbarkeit kann weder am Inhalte der Strafgesetze noch an deren Adresse irgend etwas ändern. Das subjektive Recht aber, das allein die Strafgesetze schaffen wollen, ist das Recht zu strafen. Jede Erweiterung des subjektiven Strafrechts über diesen Begriff hinaus ist unzulässig 7 . Daraus ergiebt sich: 1. D a s S t r a f g e s e t z b e d e u t e t k e i n e N o r m f ü r d e n Strafrichter. Es hat Zeiten gegeben, wo zur Strafverhängung kein Richter mitzuwirken hatte, und heute ist es nicht der Richter, der straft, sondern der Gerichtsherr, den in der Strafzufügung regelmässig nicht er, sondern der Staatsanwalt vertritt. Ein Strafrecht feststellen mittels cler Urteilsgewalt ist etwas anderes als die Ausübung des Strafrechts 8 . Freilich ist cler Richter heute zur Anwendung der Strafgesetze höchstpersönlich verpflichtet: aber ebenso zur Anwendung 5

Es ist m ö g l i c h , dass in dem letzteren Fall der Gesetzgeber die Form wählt: „es k a n n gestraft werden", aber für notwendig ist dies nie erachtet worden. 6 Ungebührlich überschätzt wird dies „soll" von F eu er b a c h , Revis. I 140 ff., und von B i n d i n g , Normen I § 2. 7 Hier spielen böse Missverständnisse. Das s u b j e k t i v e S t r a f r e c h t umfasst 1. n i c h t das R e c h t der S t r a f g e s e t z g e b u n g . So H e f f t e r § 7; L u den I 13; v. L i s z t , Lehrbuch § 1. Dies Recht ist ebensowenig ein Strafrecht, wie das Recht der Civilgesetzgebung ein Civilrecht. Das Strafgesetz ist Voraussetzung, nicht Anwendung des subjektiven Strafrechts; 2. n i c h t das R e c h t d e r S t r a f g e r i c h t s b a r k e i t . So H e f f t e r § 7; L u d e n I 13 (?); v. L i s z t a. a. Ο. § 1. Die Strafgerichtsbarkeit ist ebensowenig Anwendung eines Strafrechts, wie die Civilgerichtsbarkeit Ausübung eines Civilrechts; 3. n i c h t das R e c h t der S t r a f v e r f o l g u n g . So v. L i s z t a. a. 0. Denn Strafrecht und Strafklagrecht sind fundamental verschieden (s. unten § 39); vielmehr 4. a l l e i n das R e c h t der Strafzufügung. 8 Ueber den die Strafe vollstreckenden Richter s. unten sub 3.

III. Das Recht auf Strafe wegen Unbotmässigkeit.

190

aller Sätze cles öffentlichen und des Privatrechts, soweit sie für ein Strafurteil in Betracht kommen. Für das Verbrechen der Rechtsbeugung ist es ganz gleichgiltig, wen der nicht angewandte Rechtssatz berechtigt oder verpflichtet. D u r c h A n s t e l l u n g u n d A m t s ü b e r t r a g u n g w i r d d e r R i c h t e r z u r A n w e n d u n g des S t r a f g e s e t z e s v e r b u n d e n , n i c h t a b e r u n m i t t e l b a r d u r c h das Strafgesetz zur Bestrafung. Deshalb ist auch die Stellung des Richters zum Strafgesetze ganz die gleiche, mag es ein Strafrecht oder eine Strafpflicht begründen. Spricht aber der Strafrichter wissentlich frei, so verletzt er damit nicht seine, sondern des Staates Strafpflicht : er begünstigt den Verbrecher mittels Verletzung seines Richtereides. 2. D a s S t r a f g e s e t z i s t k e i n e N o r m f ü r d i e S t r a f k l ä g e r , insbesondere die Staatsanwälte. Nicht deshalb nicht, weil nicht jeder Kläger klagen muss, sondern deshalb, weil das Strafklagrecht ein von dem Strafrecht ganz unabhängiges Recht ist, das bestehen kann, ohne dass es ein Strafrecht gäbe, und fehlen kann, obgleich es ein solches giebt 9 . Ob geklagt werden soll, von wem und wann, das bestimmt nicht das Strafgesetz, sondern das Strafprozessrecht. Aber, wird man einwenden, der Kläger, möge er Privatmann oder Staatsanwalt sein, mag er klagen dürfen oder klagen müssen, ist doch persönlich verpflichtet nicht ohne gesetzliche Grundlage zu klagen: die falsche Anklage ist anders als die falsche Civilklage Delikt. Zweifellos! Es verhält sich aber hier genau wie beim Strafrichter. Durch Zuteilung des Klagrechts werden Privatkläger und Staatsanwalt an das Strafgesetz gebunden: ihr Klagrecht soll nur erhoben werden, wenn der Tatbestand eines Strafgesetzes wahrscheinlich (sie !) vorliegt. Diese Pflicht betrifft die Ausübung des Klagrechts, nicht des Strafrechts. Sie liegt dem Privatkläger ebenso ob wie dem Staatsanwalt, und wenn letzterer ausserdem verpflichtet wird in allen Fällen des Officialdelikts von Amtswegen zu klagen, so ist dies keine materiell-rechtliche, sondern eine prozessuale Verpflichtung. 3. Das S t r a f g e s e t z i s t k e i n e N o r m f ü r d i e S t r a f v o l l s t r e c k u n g s b e a m t e n , obgleich sie die Einzigen sind, die das Strafrecht wirklich strafend ausüben. Zwischen Strafgesetz und Strafe tritt heute notwendig das Urteil, und nicht jenes, sondern dieses bestimmt die Pflicht der Strafvollstreckungsbeamten. Das ungerechte Urteil fordert die Vollstreckung 9

S. darüber genauer unten § 89.

§38.

1. Das Strafgesetz als bejahender Rechtssatz.

191

gerade so kategorisch wie das gerechte: nicht das Gesetz lenkt die Taten der Vollstreckungsbeamten, sondern der Richterspruch 10 . 4. Das S t r a f g e s e t z i s t k e i n e N o r m f ü r d e n S t r a f b e r e c h t i g t e n , und zwar aus zwei Gründen nicht. Es sind Strafgesetze geschaffen worden, die lediglich Strafrechte und keine Strafpflichten erzeugt haben. Wenn aber die Strafgesetze wie heute dem Staate Strafverpflichtungen auflegen, so sind diese Strafpflichten keine höchstpersönlichen des Staatsoberhauptes; ja der Monarch darf nicht in Person strafen, wohl aber darf er die entstandene Strafpflicht durch Anwendung seiner Gnadengewalt jederzeit beseitigen. Falsch wäre nun aber zu glauben, dass aus der anerkannten Strafpflicht des Staates gar keine höchstpersönlichen Verpflichtungen des Staatsoberhauptes folgten. Er hat Sorge zu tragen für die ständige Klagerhebung, Klagerledigung und Strafvollstreckung streng im Geiste des Gesetzes : er beruft das dazu nötige Personal, bindet es an das Gesetz, und verwandelt, indem er ihm die Pflichten der Klage, des Urteils und der Vollstreckung auflegt, die nicht höchstpersönliche Pflicht des Staatsoberhauptes in höchstpersönliche Pflichten seiner Organe. 5. Das S t r a f g e s e t z i s t ü b e r h a u p t k e i n B e f e h l , s o n d e r n b e r e c h t i g e n d e r S a t z , und zwar Festsetzung und Normirung e i n e s R e c h t s v e r h ä l t n i s s e s z w i s c h e n d e m S t r a f b e r e c h t i g t e n u n d dem V e r b r e c h e r 1 1 , — an erster Stelle im Interesse des Straf berechtigten, an zweiter in dem des Sträflings erlassen. Da es heute keine Privatstrafen mehr giebt, ist Inhaber aller Strafrechte der Staat, genauer das Staatsoberhaupt 12 ; da heute jedes Strafrecht auch Strafpflicht i s t 1 3 , so lässt jedes einzelne Strafgesetz entstehen: a. eine Pflicht des Staates in jedem Einzelfalle den Verbrecher dem Gesetze gemäss in Strafe zu nehmen; b. eine höchstpersönliche Pflicht des Verbrechers, die auf Grund des Gesetzes urteilsgemäss über ihn verhängte Strafe zu dulden; insoweit, aber auch nur insoweit ist das Strafgesetz Norm für den Verbrecher und von diesem zu übertreten. 10

Die so wichtige Frage, ob der Vollstreckungsbeamte bei evidenter Gesetzwidrigkeit des Urteils zu vollstrecken habe — man denke an die Verhängung einer gesetzwidrigen Strafe —, kann nicht hier zum Austrag kommen. 11 Ganz richtig schon B a u e r § 1. 12 S. darüber genauer unten Buch II. 13 Nur von der Strafklagepflicht giebt es Ausnahmen, nicht von der Strafpflicht: jede rechtskräftige Verurteilung muss vollstreckt werden.

III. Das Recht auf Strafe wegen Unbotmässigkeit.

192

Mit jedem Rechte aber, das geschaffen wird, kommt auch das Verbot seiner Verletzung zur Entstehung. Und so geht neben allen Strafgesetzen eine Norm cles ungesetzten Rechts einher, welche die Verletzung, d. h. die Vereitelung der Durchführung entstandener Strafrechte verbietet. Diese Norm ist eine allgemeine. ihre vorsätzliche Uebertretung ist das Vergehen der Begünstigung in allen seinen Formen 1 4 . Die genauere Analyse des subjektiven Strafrechts kann erst später erfolgen ; schon hier aber ist eine wichtige Klärung des Begriffs durch Scheidung zweier nur zu oft mit einander identificirter oder in einander verwirrter Rechte vorzunehmen. § 39.

2.

Strafrecht

und Strafklagrecht. Strafurteils 1.

Funktion

des

Der Vollstreckung der Rache, später der Strafe im Interesse des Verbrechers die unerschütterliche Grundlage zu geben ward ursprünglich zwischen die Tat und ihre Folge das Erforderniss des Urteils eingeschoben, das soweit und solang es die Friedlosigkeit aussprach, nur deklaratorische Bedeutung besass. Der behauptete Anspruch auf Rache oder Strafe sollte auf dem Rechtswege aus seiner Zweifelhaftigkeit zur Unanfechtbarkeit erhoben werden. Je mehr aber das Strafrecht auf den Staat überging und die Strafzufügung aus dem Gesichtspunkt der Pflicht, also auch der Last gesehen wurde, um so mehr gewann jenes Erforderniss auch im Interesse des Inhabers der Strafgewalt an Bedeutung. Heute gilt ausnahmelos der Grundsatz, dass kein Strafrecht realisirt werden darf, ehe es durch Urteil in seinem Dasein und seinem Inhalt festgestellt worden ist, und dass die Strafzufügung nur gesetzlich geregelte Urteilsvollstreckung sein darf. Ausser dem Strafrecht giebt es kein Recht, das principiell n u r mittels des Prozesses durchgesetzt werden könnte. Grade deshalb sind S t r a f r e c h t und S t r a f k l a g r e c h t 2 leichter und ungefährlicher mit einander zu identificiren und zu verwechseln 14 Gewöhnliche Begünstigung; unterlassene Anklage; Anklage wegen eines leichteren Verbrechens als das begangene ; Entweichenlassen aus der Untersuchungshaft ; Entlassen gegen Kaution, damit der Angeklagte fliehen könne ; Rechtsbeugung zu Gunsten des Angeklagten; Nichtvollstrecken der Strafe; Entweichenlassen beim Strafvollzuge. 1 Vgl. besonders die trefflichen Ausführungen D e g e n k o l b s , Einlassungszwang und Urteilsnorm S 9 ff. 80 ff. Dazu Ρ1 ο s ζ, Beiträge zur Theorie des Klagerechts. Leipzig 1880. 3 Ich gebe diesem Ausdruck vor dem des Strafverfolgungsrechtes den Vorzug.

§ 39. 2. Strafrecht und Strafklagrecht.

193

als Privatrecht und actio. Nichtsdestoweniger sind sie streng und folgerecht aus einander zu halten : denn sie haben verschiedenen Inhalt, nicht notwendig dieselben Inhaber und teilweise verschiedene Entstehungs- wie Endigungsgründe. Dass die strafrechtliche Doktrin diese Pflicht bisher versäumt hat, clas haben ihre Resultate büssen müssen 3 . I. Dient zwar das Strafklagrecht wie der ganze Strafprozess principiell zur Durchführung der Strafrechte, so hat es doch das Strafrecht nicht zur Voraussetzung und kann noch weniger als die praktische Seite desselben betrachtet werden 4 . Das Straf klagrecht wendet seine Spitze nicht sowol gegen den Schuldigen als gegen den Verdächtigen also vielleicht Unschuldigen 5 . Behauptung der Schuld und Bescheinigung dieser Behauptung, nicht wirkliche Schuld ist Prozessvoraussetzung. Das Strafklagrecht ist ein von dem Strafrecht ganz unabhängiges öffentliches Recht auf Konstituirung des Prozessrechtsverhältnisses und Endigung desselben durch Urteil. Besonders wichtig ist die Beachtung dieser Rechts-Zweiheit und der Unabhängigkeit beider Rechte von einander für die Lehre von ihrer Entstehung und ihrer Endigung. Es ist principiell durchaus möglich, dass das Strafrecht existirt, das Straf klagrecht aber noch nicht, vielleicht auch nicht mehr 6 . D i e o b l i g a t i o z w i s c h e n d e m S t r a f b e r e c h t i g t e n u n d d e m D e l i n q u e n t e n - wenn der ungenaue Ausdruck hier erlaubt ist — k a n n k l a g l o s e n a t u r a l i s o b l i g a t i o s e i n o d e r g e w o r d e n s e i n . Leicht scheint sie dann noch nicht entstanden oder schon wieder zu Grunde gegangen. Umgekehrt kann das Verbrechen fehlen ; aber sein Verdacht begründet das Strafklagrecht. I I . Die Unabhängigkeit beider Rechte tritt da am verständlichsten hervor, wo sie verschiedene Subjekte haben, also überall da, wo der Strafberechtigte nicht zugleich der Klagberechtigte ist. Dieses Aus3 Ich schliesse mich in diesen Tadel ausdrücklich ein. Wenn ich auch seit Jahren mit dem Gegensatz als einem wichtigen operirte, hatte ich doch die Konsequenzen desselben bis zur 3. Auflage des Grundrisses (Leipzig 1884) noch nicht alle und nicht genau genug gezogen. S. bes. Grundriss § 30 u. § 106. — In der 13. (noch nicht in der 12.) Aufl. von Β er η er (Leipzig 1884) § 165 findet sich der Versuch einer schärferen Scheidung der Straftilgungsgründe, je nachdem sie das „Verfolgungsrecht" oder das „Vollstreckungsrecht" ergreifen. 4 So neuerdings wieder von Samuel y, GS 1880 S 18. 5 Dies wirkt natürlich bei der gesetzlichen Bestimmung der Gründe seines Erlöschens mit. 6 Nicht genau genug F r a n c k e in GA XX 23. 24. Beachtenswert S a m u e l y , GS 1880 S 18 ff.

Binding, Handbuch. V I I . I . I : B i n d i n g , Strafrecht. I .

13

194

III. Das Recht auf Strafe wegen Unbotmässigkeit.

einanderfallen der Berechtigten hat zwei Gründe: dem Straf berechtigten mangeln entweder wie dem Deutschen Reiche die Organe der Strafklagerhebung und er muss deshalb die Verfolgung seiner Strafrechte in fremde Hand geben, oder aber der Staat verzichtet zu Gunsten eines Privatklägers auf sein Klagrecht. I I I . Aus der Verschiedenheit beider Rechte erklärt sich auch die Erscheinung, dass trotz der Einheit des Strafrechts eine Mehrheit von Strafklagberechtigten bestehen kann. So wenn bei einem gemeinrechtlichen Verbrechen Kompetenzgründe in verschiedenen deutschen Staaten vorhanden sind. Die&lbe Berechtigung hat dann mehrere Inhaber, die zu einander stehen wie die Korrealgläubiger bei der Korrealobligation: durch Konsumtion des einen Klagrechts erlöschen auch die andern. IV. D e r S t r a f k l ä g e r b e g e h r t v o m G e r i c h t e e i n D o p p e l t e s : A n e r k e n n u n g seines S t r a f k l a g r e c h t s und A n e r k e n n u n g des S t r a f r e c h t s , dessen Vorhandensein er zur Substanziirung der Klage behaupten muss 7 . Dem doppelten Anspruch entsprechen zwei Arten des Urteils: das eine bejaht oder verneint nur das Klagrecht, ohne über das Strafrecht entscheiden zu wollen. Ist die Verneinung eine definitive, so hindert der Beschluss die Entstehung des Prozessverhältnisses (definitive Rückweisung der erhobenen Klage) oder endet das entstandene (Einstellung). Das andere Urteil bejaht oder verneint das behauptete Strafrecht. S e i n E r l a s s h a t d i e A n e r k e n n u n g des S t r a f k l a g r e c h t s z u r V o r a u s s e t z u n g : sonst würde eben das Gericht nicht in der Sache entscheiden. Solch Urteil will also ausser dem Prozessrechtsverhältniss auch das materielle Streitverhältniss beenden: es ist die doppelte Antwort auf die doppelte Frage des Klägers. Indem das Gericht das Klagrecht anerkennt und in Folge dessen rechtskräftig über das Strafrecht entscheidet, erreicht der Kläger den Zweck, um dessentwillen er klagte — richterlichen Entscheid über seine beiden Ansprüche —, und sein Klagrecht geht in Ermangelung des Zwecks seines Fortbestandes unter, wie auch das Urteil falle. Was das rechtskräftige Urteil, laute es zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten, stets vernichten will, ist nie ein Strafrecht, sondern das Strafklagrecht eines bestimmten Klagberechtigten. Dieses erlischt, weil es verbraucht ist. Die exceptio rei judicatae behauptet lediglich, dem Strafkläger fehle das Klagrecht 8 . 7 S. auch Schanze, Rechtskraft des Strafurteils, in Ζ f. StRW IV 446, bes. die polemische Anm 29. 8 Richtig Schanze a. a. 0. S 483 ff.

§ 39. 2. Funktion des Strafurteils.

195

V. Der Kläger gründet seine Klagbitte auf die Behauptung, es sei dem Staate, den er vertritt, vor dem Zeitpunkt der Klage aus einem bestimmten Delikte des Angeklagten ein Strafrecht erwachsen und dasselbe sei noch nicht wieder erloschen. Diese Behauptung 1. verneint das f r e i s p r e c h e n d e U r t e i l . Es erkennt die Nichtexistenz des behaupteten Strafrechts a n 9 und beansprucht deshalb nur deklaratorische Bedeutung. Allein es ist unausbleiblich, dass das Urteil als lex specialis im Falle seiner Unrichtigkeit einem allerdings vorhandenen Strafrecht die Realisirbarkeit definitiv abspricht. Man könnte nun glauben, es bewiese die Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens zu Ungunsten des Freigesprochenen, dass durch solch falsches Urteil das entstandene Strafrecht nicht zerstört worden sei: denn das Wiederaufleben des Strafklagrechts lasse sich allein aus Richtig BayOG vom 21. März 1872 (E I I 88 if.). 6 Richtig Erk. des hess. K H vom 30. Sept, 1872 (St II 76. 77).

S 59.

J. Ausländisches und inländisches Straf recht.

269

sofern es das mildere i s t 1 . Es ist nicht richtig, dass in solchem Falle der deutsche Staat nur als Vertreter des Auslandes straft: sonst müsste das ausländische Gesetz s t e t s zur Anwendung kommen, und es müsste in Deutschland Bestrafung auch dann eintreten, wenn die auswärts begangene Handlung dem deutschen Strafgesetze nicht unterfiele. Der deutsche Staat erwirbt vielmehr ein ausländisches Strafrecht durch Cession; dies ist aber für ihn nur möglich, soweit seine eigenen Gesetze die begangene Handlung mit Strafe bedrohen, und nach diesen Gesetzen bestimmt sich principiell der Inhalt des erworbenen Strafrechts 2. 2. Wenn ein Deutscher im Auslande delinquili hat und dem Inlande daraus gleichfalls ein Strafanspruch erwachsen ist (GB § 4 Nr 3), so lassen wir den inländischen Anspruch nach ausländischem Rechte verjähren und behandeln das deutsche Officialverbrechen, falls es auswärts Antragsverbrechen ist, gleichfalls als solches (GB § 5 Nr 2 u. 3). 3. Endlich bestimmt zwar das Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit vom 10. Juli 1879 § 4, dass die Konsulargerichte nach Reichsstrafrecht urteilen. Aber „die in den Konsulargerichtsbezirken geltenden Strafgesetze der Landesregierungen" bleiben doch nur soweit ausser Anwendung, als nicht „durch Staatsverträge oder Herkommen etwas anderes bestimmt ist". II. I n n i c h t g e r i n g e m U n i f a n g e i s t d i e A n w e n d b a r k e i t des i n l ä n d i s c h e n S t r a f g e s e t z e s d u r c h das D a s e i n a u s l ä n d i s c h e r S t r a f g e s e t z e b e d i n g t . Und zwar: 1. entweder derart, dass ein Fall nach deutschem Rechte nur strafbar wird, wenn er auch an dem ausländischen staatlichen Begehungsort unter dem Strafgesetze stand 3 . Dieselbe deliktische Handlung muss zugleich zwei Strafgesetze erzeugen, sonst erzeugt sie keines ! 2. Oder aber so, dass gewissen Rechtsgütern des Auslandes Rechts- und Strafschutz durch die deutschen Gesetze nur gewährt werden soll, wenn den gleichartigen Rechtsgütern des Inlandes im Auslände derselbe Strafschutz zu Teil wird. So stehen in Deutschland feindliche Handlungen gegen befreundete Staaten nur dann unter Strafe, „sofern in dem anderen Staate dem Deutschen Reich die Ge1 2 3

§ 87 ff.

Wann e i n Strafgesetz milder ist als das andere, darüber s. oben S 257 ff. Ueber dieses Rechtsgeschäft s. genauer Buch I I Abt. 1 Kap. 1. So GB § 4 unter 3. Ueber den Sinn dieser Bestimmung Genaueres unten

II. Geeines und partikulares Strafrecht.

270 genseitigkeit

verbürgt

ländische Strafgesetz

ist"

( G B § 102. 103).

nicht

Hier

muss

das

aus-

n u r publicirt sein, sondern es muss auch

z u r Z e i t der T a t schon i n K r a f t stehen, falls das deutsche Gesetz zur Anwendung kommen soll4. Dasselbe gilt- z. B . bezüglich des Schutzes fremder Waarenzeiehen u n d F i r m e n i m Inlande.

N u r genügt es hier nicht an dem reziproken

ausländischen Strafgesetze,

sondern es muss von diesem

reziproken

Schutze auch i m Reichsgesetzblatt K u n d e gegeben s e i n 5 . I m übrigen w i r k t die K o n k u r r e n z des ausländischen Strafgesetzes auf das Anwendungsgebiet des deutschen nicht ein. II.

Gemeines und partikulares § 60.

I.

Mit

dem

1. J u l i

1.

1867,

Strafrecht

1

.

Einleitung. dem

Tage,

an welchem die Nord-

deutsche Bundesverfassung i n Kraft trat, w a r d i n das Strafrecht N o r d 4

S. darüber genauer Buch I I Abt. 2 Kap. 2. Markenschutzgesetz vom 30. Nov. 1874 $ 20. Man denke ferner an die Uebereinkünfte zu gegenseitigem Schutze an literarischen Erzeugnissen. — Anders verhält sich das Patentgesetz vom 25. Mai 1877 § 12. r>

1 EStGB § 2—8. EMGB § 2. S. auch GewO S 144. — H a 37—45: Β 57. 58. 62; Sch 3. 13; G 59. 62; L 1—3; M 13; Κ Vorrede: H e i n z e * bei HH II 1—22; Κ ays er bei HH IV 1—65 (grösstenteils wertlos): WB 40; WV 3. 28; L i 17. — v. W ä c h t e r * , Gemeines Recht Deutschlands, insbesondere gemeines deutsches Strafrecht. Leipzig 1844. S 4—17. 247 ff. — H e i n z e * . Staatsrechtliche und strafrechtliche Erörterungen zu dem Entwürfe eines Norddeutschen Strafgesetzbuchs. Leipzig 1870. Abhandl. I. II. VI. — H e i n z e * , Das Verhältniss des Reichsstrafrechts zu dem Landesstrafrecht. Leipzig 1871. — H e r r m a n n , Einleit. Kommissionsbericht der ersteh Kammer zu dem Entw des Bad. EG. (Karlsruhe) 1871.— S c h w a r z e , GS 1870 S 381—400.— B e l m o n t e , StRZ 1870 S 265 ff. — v. H o l t z e n d o r f f in s. StRZ 1871 S 19-39. — J o h n , Reichsstrafrecht und Landesstrafrecht, das. S 240 ff. 337 ff. — M eves, Das Specialgesetz des Landesstrafrechts gegenüber dem Reichsstrafrecht. Ueber die Frage, welche Vorschriften des Preuss. StGB neben dem RStGB noch in Kraft stehen. StRZ 1871 S 545 ff. — Ders., Reichsstrafrecht und Landesstrafrecht, GA X X I I I 1875 S 1 ff. — H a l l e r , Das Verhältniss des deutschen Strafgesetzbuchs zu den landesgesetzl. Strafbestimmungen über den Konkurs. Hamburg 1871. — O t t o , Annalen des Königl. Sachs. OAG Dresden. NF V I I 1871 S 499—544 (handelt wesentl. über die sächs. AV zum Nordd. StGB vom 10. Dez. 1870). — B i n d i n g , Der Antagonismus zwischen dem deutschen Strafgesfctzbuche und dem Entwürfe des bad. Einführungsgesetzes. Freilmrg i. Br. 1871. — Oers., Normen I S 12. — v. B a r , Reichs- und Landesstrafrecht, KrV XIV 1872 S 254 ff. 429 ff. — R ü d o r f f , Kommentar S 53 ff. 62 ff. 67 ff. — R u b o , Kommentar S 119 ff. — v. S c h w a r z e , Kommentar S 35 ff. — Dazu die Kommentare zum Einführungsgesetze. — Zu § 2 dess. und über die Rückwirkung des Nordd.

§60.

1. Einleitung.

271

deutschlands der Keim einer Zwiespältigkeit gelegt, wie sie bis dahin nicht vorhanden war. Allerdings hatte das vom römischen Reiche deutscher Nation erzeugte oder recipirte Strafrecht als gemeines Recht den Sturz des Reiches überdauert 2 : allerdings erscheinen ihm gegenüber alle die Strafgesetze der deutschen Staaten als partikulares Strafrecht. Indessen besass dieser Gegensatz in allen den Staaten, die zu einer Gesamnitkodifikation des Strafrechts geschritten waren, lediglich eine theoretische Bedeutung: d a s g e m e i n e S t r a f r e c h t g a l t n i c h t m e h r n e b e n dem P a r t i k u l a r r e c h t e . I n Mecklenburg aber, in Schaumburg-Lippe und Bremen, wo das gemeine Recht noch in Kraft stand, war es den Intentionen der Karolina zuwider zum subsidiär gemeinen Rechte herabgesunken. Mit jenem Tage aber trat obschon zunächst ganz unsichtbar im Bestände des norddeutschen Strafrechts ein Umschwung ein, cler in seinen Folgen die gewaltige Strafrechtsreforni des Deutschen Reiches vom Jahr 1532 weit hinter sich zurückliess. Es bedurfte nämlich nur des Art, 4 Nr 13 der Bundesverfassung und gar nicht erst des in ihrem Art. 74 enthaltenen ersten gemeinen Norddeutschen Strafgesetzes und alles von den Norddeutschen Staaten bis dahin geschaffene und in ihnen geltende Strafrecht ward zum partikularen Norddeutschen Strafrechte gestempelt, nur das alte gemeine Recht blieb gemeines Recht in der alten und ward nicht gemeines und nicht partikulares Recht in der neuen Bedeutung. Und nicht nur dies! Das in Aussicht genommene neue gemelle Strafrecht sollte nach Art. 2 der Verfassung wie alles neue Bundesrecht mit der Wirkung ausgestattet sein, „dass die Bundesgesetze den Landesgesetzen vorgehen" 3 , und die Bundesgesetze sollten „ihre verbindliche Kraft durch ihre Verkündigung von Bundeswegen" erStGB auf das lieviti. Sachs. StGB von 1868 s. O t t o , Annalen des GAG Dresden. NF Y l l l 1871 S 1—53; zu § 5 dess. H e i n z e . GS 1878 S 561 ff.: zu § 6 dess. v. B u r i , GS 1871 S 161 ff. — S. auch L a b a n d , Das Staatsrecht des Deutschen Reichs I I § 60. 61. — Ders. in Marquardsen, Handbuch des öffentl. Rechts I I 1 S 61 ff. — M a n d r v , Der civilrechtl. Inhalt der Reichsgesetze. 2. Aufl. Freiburg und Tübingen 1882." S 92 ff. 247 ff. 2 Ohne auf die hierüber entstandene Kontroverse näher einzutreten möchte ich nur bemerken, dass die fortdauernde Coexistenz der gemeinen und der partikularen Q u e l l e durchaus nicht Voraussetzung der Fortdauer des Gegensatzes von gemeinem und partikularem Rechte ist. Entsteht dieses doch manchmal gerade erst durch Wegfall der einen Quelle. So ist das Recht der 1867 mit Preussen vereinigten Staaten durch Untergang selbständiger Gesetzgebungsgewalten zum partikularen preussischen Rechte geworden. s Gegensatz des zwingend gemeinen zum subsidiär gemeinen Rechte.

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II. Geeines und partikulares Strafrecht.

halten 4 . Das ôte-toi, que je m'y mette sollte von jetzt an das gemeine Recht zum älteren wie jüngeren Landesrechte sagen und nicht mehr — oder wenigstens nur auf ausdrückliche Erlaubniss des Bundes an die Landesgesetzgebung hin — umgekehrt 5 . Für die Zukunft des deutschen Strafrechts giebt es keine Forderung von ähnlicher Dringlichkeit, wie die, dass der Gegensatz zwischen Reichs- und Landesstrafrecht sich auslebe genau im Geiste der Bundesverfassung. Der Landesgesetzgebung zu enge Grenzen ziehen, heisst ihre Lebensader unterbinden, ihr zu grosse Freiheit lassen, bedeutet den Beginn der Verwandlung des zwingend gemeinen in ein subsidiär gemeines Recht. Nirgends sind die Kontroversen so praktisch gefährlich und fast nirgends so zahlreich wie hier. Es muss leider ausgesprochen werden, dass die Versuche das Landesstrafrecht dem verfassungsmässigen Einflüsse des Reichsrechts zu entziehen an Zahl wie an Erfolg das Maass ernster Befürchtung weit überstiegen haben. I I . Nun kann die Reichsgesetzgebung auf ihren Gebieten zwei Arten der Wirksamkeit im Interesse der Herstellung von gemeinem Rechte entfalten: sie kann wirken von Gesetz zu Gesetz oder von Gesetzgebung zu Gesetzgebung6. Regelt sie irgend eine Materie unmittelbar, so übt ihr Erlass alle diejenigen Wirkungen auf das bestehende Partikularrecht aus, welche die RV Art. 2 den Reichsgesetzen beilegt. I n jedem derartigen Reichsgesetze liegen aber stillschweigend 4 Gegensatz des formell gemeinen zum sog. materiell gemeinen Hechte. — Was in Art. 2 vom Bundes ges e tz ausdrücklich gesagt ist, gilt genau geradeso von der zulässigen Bundesverordnung, welche der Landesverfassung, dem Landesgesetz, und der Landesverordnung gleichmässig vorgeht. So auch L a b a n d , Staatsrecht II 109; H ä n e l , Studien I 263 Anm 16. Nicht genau H e i n z e , Verhältniss S 24. r> Sehr treffend H e i n z e , Verhältniss S 140: „Geht (wie nach BV Art. 2) von zwei Gesetzeskörpern der eine dem andern unbedingt vor, so ist die Frage cler zeitlichen Priorität des einzelnen Gesetzes ohne Bedeutung." ϋ Richtig L a b and, Staatsrecht I I 107. — H e i n z e , GS 1878 S 561 ff, wendet (s. bes- S 581. 582) zwar grosse Mühe auf den Beweis des Satzes: „Innerhalb der in Art. 4 Nr 13 der RV bezeichneten Rechtsgebiete kommt der Reichsgewalt und insbes. der Reichsgesetzgebung das Recht, verbindliche Weisungen für die Gesetzgebung der Einzelstaaten zu erteilen, nicht zu, sondern nur das Recht (1er gegenständlichen gesetzlichen Nonnirung." Allein dieser Beweis ist m. E. misslungen und musste schon an den massenhaften ausdrücklichen Direktiven der Reichsgesetzgebung für die Landesgesetzgebung, deren Rechtsgiltigkeit von keiner Seite angefochten wird, scheitern. Ja, niemand hat die stillschweigenden Direktiven klarer entwickelt als H e i n z e selbst in seinen ausgezeichneten Erörterungen über das gemeine Recht.

§61.

2. Die gemeins. Gesetzgebung über d. Stil.

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zugleich bindende Weisungen für die Landesgesetzgebungen: sich des gleichen Gegenstandes zu enthalten, das Reichsgesetz nicht authentisch interpretiren oder ergänzen oder gar abändern zu wollen. Ebenso wie stillschweigend kann aber clas Reich solche Direktiven auch ausdrücklich erteilen. Wie es die Landesgesetzgebung auf gewissen Gebieten still stellt, ist es auch in der Lage ihr bestimmte Bahnen der Bewegung anzuweisen oder ihr Vollmachten zu erteilen, das Reichsrecht festzustellen oder abzuändern. Während im GB nur selten sich ausdrückliche Bestimmungen für die Tätigkeit der Landesgesetzgebung vorfinden, ist es eine der grossen Aufgaben des EG vom 31. Mai 1870 die Grenzen der Freiheit der Landesstrafgesetzgebung zu fixiren. Es geschieht dies in EG § 2. 5. 8. 9. Stillschweigende Ermächtigungen, ein „kann" des Reichsrechts in ein „soll" des Landesrechts zu verwandeln, erteilt das GB der Landesregierung aber überall, wo das „kann" nicht lediglich eine Ermächtigung des Richters enthält 7 . Es empfiehlt siçh nicht jene ausdrücklichen Direktiven in der Darstellung von den durch die Reichsstrafgesetze stillschweigend erteilten zu trennen. I I I . Das Geltungsgebiet des Reichsstrafrechts gegenüber dem Landesstrafrecht scharf zu umgrenzen bedarf es gesonderter Beantwortung zweier Fragen: 1. Welches ist die verfassungsmässige Zuständigkeit des Reichs zur Strafgesetzgebung 8 ? 2. Wie weit hat der Bund, später das Reich, diese seine Kompetenz ausnutzen, wie weit also die Landesgesetzgebung durch seine Gesetzgebung, insbesondere durch das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuche für den Norddeutschen Bund still stellen wollen 9 ? S 61. 2. „ D i e g e n i e i n s a m e G e s e t z g e b u n g ü b e r das Strafrecht." Die scheinbar so einfache Bestimmung des Art. 4 Nr 13 der Verfassung bezüglich des Strafrechts, die von L a s k er vorgeschlagen, von G e r b e r und W ä c h t e r aufs wärmste befürwortet, von S c h w a r z e aufs energischste bekämpft wurde 1 , lässt in drei Richtungen Zweifel 7

Solche Ermächtigungen bieten GB § 4 al. 2. 15, 2. 16, 2. 22, 1. 37. 42. 93. llichtig H e i n z e , Verhältniss S 49; genauer bei HH I I 9. 8 9 S. § 61. S. § 62—70. 1

S. Stenogr. Berichte über die Verhandl. des Reichstages des Nordd. Bundes im Jahr 1867. I. S 284. 285. 287. 288. 290. 291. Das. S 234 meint S c h w a r z e : Binding, Handbuch. V I I . 1 . . I : B i n d i n g ,

Strafrecht. I.

18

274

II. Geeines und partikulares Strafrecht.

offen: I. ü b e r d e n S i n n , i n w e l c h e m „ S t r a f r e c h t " g e n o m m e n w i r d ; I I . ü b e r d i e B e d e u t u n g des A t t r i b u t e s „ g e m e i n s a m " bei G e s e t z g e b u n g ; III. e n d l i c h d a r ü b e r , w i e w e i t die Strafgesetzgebungskompetenz zugleich eine Z u s t ä n d i g k e i t desReichs f ü r M a t e r i e n in sich schliesst. die m i t Verbrechen und Strafen in unlösbarem Zusammenhange stehen. ad I. Art. 4 Nr 13 der Verfassung normirt die Gesetzgebungskompetenz des Norddeutschen Bundes bezüglich der sog. Justizgesetze im engeren Sinne 2 . Wenn das Strafrecht als geschlossener Rechtsteil neben das Obligationenrecht, das Handels- und Wechselrecht und das gerichtliche Verfahren gestellt wird, so kann es nicht anders gefasst werden, denn als der Rechtsteil, der Delikte in strafbare Delikte verwandelt und Art und Maass ihrer Strafen normirt. 1. Dadurch verbietet es sich aber von selbst unter „Strafrecht" im Sinne der Verfassung das sog. D i s c i p l i n a r s t r a f r e c h t mit zu verstehen 3 . Ist es schon kaum üblich, das echte Strafrecht und die Form des Erfüllungszwanges, welche man Disciplinarstrafrecht nennt, unter dem einen Namen S t r a f r e c h t zu verbinden, so ist dies durchaus unzulässig, wenn die Strafgesetzgebung als Teil der Justizgesetzgebung bezeichnet wird. Hat es doch die Disciplinarstrafe vielfach mit Tatbeständen zu tun, die dein Gebiete des Unrechts ganz ferne liegen. Ebenso wird es niemandem einfallen, unter dem „gerichtlichen Verfahren" des Art. 4 Nr 13 — das soweit es Strafgerichtsverfahren ist, jedenfalls dem Strafrechte als Teil des materiellen Rechtes entsprechen soll — das Verfahren vor den Disciplinargerichten mit zu verstehen. Diese Auslegung wird durch die Erwägung bekräftigt, dass es dem bundesstaatlichen Charakter des Reichs direkt widersprechen würde, die Aufsichtsgewalt cler einzelnen Landesherrn über ihre Beamten an gemeine Normativbestimmungen zu binden und die ebenso intimen als individuellen Beziehungen zwischen Landesbeamten und Landesregierungen ebenso unnötiger als die Bundesstaaten verletzender Weise von Reichswegen mitregeln zu wollen. „Es ist nach meiner Ansicht gegenwärtig und auf lange Zeit hinaus (!) eine Unmöglichkeit, ein gemeinsames Strafgesetzbuch zu erlassen." Schwarzes Kommentar zum unmöglichen Strafgesetzbuche vom 31. Mai 1870 erschien 1871. 2 Wie L a s k e r a. a. 0. S 284 sich ausdrückt: „Die Einheit . . . der Gesetzgebung, welche auf die grossen Systeme des Rechts sich bezieht." 3 Unter Disciplinarstrafe wird hier die begrifflich davon nicht verschiedene Ordnungsstrafe mit umfasst. Falsch ist die Scheidung bei O p p e n h o f f zu EG § β Anm 2.

§ 61. 2. Die gemeins. Gesetzgebung über cl. StR.

275

Nicht einmal im konstituirenden Reichstage ist eine Aeusserung gefallen, welche dahin gedeutet werden könnte, dass das „Strafrecht" des Ait. 4 Nr 13 der BV auf das Disciplinarstrafrecht mitbezogen werden sollte. W i l l man sich aber endlich für die weitere Auslegung des Strafrechts darauf berufen, dass doch dem Reiche zweifellos die Disciplinarstrafgewalt über seine Beamten zustehe, so ist darauf zu erwidern, dass diese Gewalt sich ganz von selbst versteht und jedenfalls keine Erwähnung verdient in demjenigen Verfassungsartikel, der die schwierige Grenzregulirung zwischen der Kompetenz des Reiches und der Einzelstaaten vorzunehmen gewillt i s t 4 . So fasst die Strafgesetzgebungskompetenz, welche Art. 4 Nr 13 dem Bunde zuschreibt, die Disciplinarstrafgesetzgebung nicht in sich 5 6 , und soweit das Reich solche besitzt, wie beispielsweise gegenüber den Reichsbeamten und dem Heere, soweit beruht dieselbe auf Specialtiteln, nicht aber auf Art. 4 Nr 13 der BV. Insbesondere hat das Reich weder Disciplinargewalt noch Disciplinargesetzgebung gegenüber den Landesbeamten. 2. Das „Strafrecht" des Art. 4 Nr 13 schliesst ebenso wenig das Recht der Androhung der sog. Zwangs- oder Ordnungsstrafe in sich, 4

Treffend sagt das Preuss. OTr vom 9. Nov. 1872 (Ο X I I I 589): „Denn die Disciplinargewalt, sei sie private oder öffentliche, welche auf dem Aufsichtsrechte beruht . . . , besteht unabhängig von clem gemeinen Strafrechte des Staates und neben demselben." 5 And. Mein., aber lediglich aus dem Worte Strafrecht argumentirend, H e i n z e , Erört. S 11. λ'gl. dens., Verhältniss S 100 ff., wo der Punkt eingehender behandelt wird. H e i n z e weist hier auf die groben Inkongruenzen hin, die durch unverhältnissmässige Bedrohung der Disciplinarvergehen im Partikularrecht entstehen können, und meint zu EG § 5, die Disciplinargewalt könne ganz gut mit den Strafmitteln des § 5 auskommen. Was nun die mögliche Uebertreibung der Disciplinarstrafe anlangt, so möchte die Landesregierung und der Landesrichterstand noch zu entdecken sein, welche „Zuchthaus oder vieljähriges Gefängniss" für eine Disciplinarstrafe ansehen wollten. Dass aber die Disciplinarstrafgewalt noch anderweiter Strafmittel bedarf, wird gerade durch H e i n z es Hinweis auf die Gefängnissdisciplin ganz unwiderleglich, Die sämmtlichen Strafen des EG § 5 sind hier unanwendbar ausser den Geldstrafen. — Ders. Ans. wie H e i n z e sind R u b o S 149. 214—219. 227 und H ä l s c h n e r I 111. Dagegen richtig und gut v. B a r , KrV XIV 433 ff.: ders. Ans. H e r r m a n n a. 0. S 4; R ü d o r f f zu EG § 5 Anm 7; S c h w a r z e zu EG § 5 Anm 4; Meves bei HH I I I 930; W ä c h t e r , Beilagen S 245; O l s h a u s e n zu EG § 5 Anm 6. 6 So greifen auch EG § 5 u. 6 für die Disciplinarstrafgesetzgebung der Bundesstaaten nicht Platz, wohl gemerkt aber nur für d i e Erlasse nicht, die Disciplinargesetze s i n d , nicht für alle, die sich vielleicht so nennen, aber unter falscher Etikette echte Strafdrohungen darstellen.

18*

II. Geeines und partikulares Strafrecht.

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die auf den verschiedenen Rechtsgebieten vorkommend gleichfalls im Dienste des Erfüllungszwanges steht 7 . Daraus ergiebt sich, dass diese sog. Strafen durch das Reichsstrafgesetzbuch selbst dann unberührt geblieben sind, wenn sie mit dessen Tatbeständen verknüpft sein sollten 8 . 3. Die „Gesetzgebung über das Strafrecht" schliesst die sog. P o l i z e i s t r a f g e s e t z g e b u n g in sich. Denn letztere ist echte Strafgesetzgebung. Auch hat keines der neueren Strafgesetzbücher auf die Bedrohung sog. Polizeiunrechts verzichtet: eine feste Abgrenzung zwischen den Objekten des Strafgesetzes und des Polizeistrafgesetzes hat sich somit nicht gebildet, und auf solche musste die BV Bezug nehmen können, wenn sie dem Bunde die Strafgesetzgebung ausschliesslich der Polizeistrafgesetzgebung zuweisen wollte 9 . 4. Von der echten Strafgesetzgebung aber ist dem Bunde kein einziger Bestandteil vorenthalten : er ist ebenso befugt eine Handlung für strafbar, als sie für straflos zu erklären 1 0 ; er ist nicht nur zuständig zur Androhung öffentlicher Strafen in allen ihren Formen, insbesondere auch in der der Verwirkung, sondern auch zur Aufstellung von Privatdelikten 1 1 . 7

Die Lösung der Kontroverse über das Verhältniss der „Privatstrafen" zum heutigen gemeinen Recht setzt voraus, dass die im Text berührten „Strafen", wie die der Verdopplung der Urteilssumme in Folge des Leugnens u. s. w. (s. W i n else he i d , Pand. I I § 263), von den echten Privatstrafen ganz getrennt werden. Vgl. unten S 304 if. 328 ff. 8 Deshalb durchaus richtig M and r y a. Ο. S 255. 256. Irrig die Prämissen T h o n s , Rechtsnorm S 36. 9 And. Mein., aber zweifellos unrichtig H e l d , Bemerkungen zu dem Entw des Strafges. für den Nordd. Bund. Dresden 1870. S 74. 75. (Irrig citirt H e i n z e bei HH I I 4 Anm 1 auch mich als Vertreter der falschen Auffassung.) Sehr treffend verteidigen den richtigen Standpunkt die Motive „Anh. I. Die Aufnahme der Uebertretungen und deren Behandlung im Entwurf" S 86. 87. Die Frage ist übrigens heutzutage als erledigt zu betrachten. Wie weit es angemessen ist das Polizeistrafrecht von Reichswegen zu regeln, darüber vgl. Z a c h a r i a e , GS 1869 S 411; B i n d i n g , Krit. S 5 ff.; H e i n z e , Erört. S 34 ff.; H ä l s c h n e r , D. StR I 63. ( H e i n z e meint, es seien lediglich „die den allgem. Teil des Polizeistrafrechts ausmachenden Vorschriften" aufzunehmen gewesen.) 10 S. auch H e i n z e , Erört. S 8. 11 Die Privatstrafe ist echte Strafe. Wenn v. S a v i g n y , Obligationenrecht I I 301 bemerkt, sie gehöre sowohl dem Kriminal- als dem Civilrecht an, so kann dies der Kriminalist nicht zugestehen. Man vgl. besonders den energischsten Vertreter der Verwendbarkeit von Privatstrafen in der neueren Strafgesetzgebung W ä c h t e r , Civ. Arch. X X I I I 75 ff., Sächs. Strafrecht S 69. 70, Beil. S 9. 10. — Wenn T h o n , Rechtsnonn S 35 (und ebenso D e r n b u r g , Preuss. Privatrecht I § 125 Anm 2) aus RV Art. 4 Nr 13 nachweisen will, cler Bund habe keine Zu-

§61.

2. Die gemeins. Gesetzgebung über d. S t .

277

ad II. Wenn dem Bunde aber nur die „ g e m e i n s a m e " G e s e t z g e b u n g ü b e r das S t r a f r e c h t zugewiesen wird, so erhellt daraus zunächst, dass eine Landes- neben der Bundesstrafgesetzgebung principiell ausgeschlossen n i c h t sei. Allein ein festumgrenztes Gebiet wurde jener durch Aufrichtung einer festen Schranke für die Reichskompetenz in der Bundesverfassung nicht gesichert. Denn wenn 1. der Ausdruck „gemeinsam" auch darauf abzielt, dem Bunde die Strafgesetzgebung nur so weit zuzuweisen, a l s e i n g e m e i n sames B e d ü r f n i s s legislatorische Befriedigung erh e i s c h e , so ist es der Bund allein, der darüber entscheidet, wie weit dieses gemeinsame Bedürfniss reicht. Die Hervorhebung dieser Gemeinsamkeit begrenzt den B e r u f , nicht aber die K o m p e t e n z des Bundes zum Erlasse von Strafgesetzen 12 . 2. Wenn aber H e i n z e dem Bunde „gemeinsame gesetzliche Bestimmungen" nur in dem Sinne gestattet, dass er „Vorschriften nicht erlassen darf, welche formell lediglich in einem Einzelstaat und für diesen gelten sollen", so ist eine solche Beschränkung der Bundesund Reichsgesetzgebung unstatthaft 13 . Dem gemeinen Rechte ist nie wesentlich, dass es im ganzen Reiche gilt, und ein gemeinsames Bedürfniss kann sehr wohl erheischen, dass für einen Reichsteil — mag derselbe nun mit einem Bunclesstaate zusammenfallen oder kleiner oder grösser sein als ein solcher — ein gemeines Strafgesetz ergehe. Bund und Reich haben auch kein Bedenken getragen gemeine Strafgesetze ζ. B. für die hohenzollernschen Lande zu erlassen 14 und ständigkeit zur Aufstellung von Privatclelikten erhalten, weil nur „die Anordnung öffentlicher Strafen das Strafrecht sei", so ist dies reine petitio principii mit falschem Ausgangspunkt. S. dagegen auch M a n d r y , Civilrechtlicher Inhalt der Reichsgesetze S 251, bes. Anm 5. 12 S. auch H ä l s c h n e r , D. StR I 89 unci die dort Angetührten. 13 Siehe H e i n z e , Erört. S 18, Verhältniss S 142. Ders. Ans. neuerdings H ä l s c h n e r , D. StR I 90. H e i n z e s Grund, das Reich könne nicht „für den einzelnen Staat das Partikularrecht seinem Inhalte nach schaffen", scheint mir doppelt unrichtig. Es handelt sich nicht um Schöpfung, sondern um Beseitigung von Partikularrecht. Das Geltungsgebiet des gemeinen gegenüber dem partikularen Rechte bestimmt aber allmächtig das Reich. L a b a n d , Staatsrecht I I 98 unterscheidet zwischen Fortbildung bez. Umgestaltung und Aufhebung von Partikularrecht. Letztere sei dem Reich 'gestattet, erstere nicht. Auch dies dürfte nicht haltbar sein. Das Reich kann allerdings nicht preussisches Recht, aber gemeines Recht für Preussen schaffen. 14 S. Gesetz, betr. die Abgabe von der Branntweinbereitung in den hohenzollernschen Landen, vom 15. Nov. 1874 § 4 (RGBl 1874 S 133). Vgl. auch auf nicht kriminellem Gebiete das Reichsgesetz vom 4. Nov. 1874 (RGBl 1874 S 128), welches Teile des Lübischen und des Rostocker Stadtrechts aufhebt.

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II. Geeines und partikulares Strafrecht.

die geschärften Strafdrohungen des EStGB § 4 können sehr wohl für einzelne Bundesstaaten und für Teile derselben Anwendung gewinnen, während dieser § 4 andrerseits sich auf Bayern nicht mit erstreckt 1 5 . Es wird unten noch hervorgehoben werden müssen, dass ein Landesstrafgesetz durch Reichsgesetz für nichtig erklärt werden kann. ad I I I . 1. Keine Gruppe von Rechtssätzen — selbst die der prozessualischen nicht — ist so abhängig von anderen Rechtssätzenr wie die der Strafdrohungen. Diese setzen zunächst die Normen voraus, wodurch die Delikte geschaffen werden: die Verbote und Gebote stehen wieder im engsten Zusammenhange mit der ganzen Ausgestaltung des jeweiligen öffentlichen und privaten Rechts. Kann nun auch darüber kein Zweifel sein, dass die Strafgesetzgebungskompetenz des Reichs nicht das Recht einschliesst etwa die Materie des Eigentumserwerbes und des Besitzverlustes zu regeln, um den Normen wider den Diebstahl einen konkreten, scharf und einheitlich ausgeprägten Inhalt zu geben, so kann doch ebenso wenig bezweifelt werden, dass die Befugniss Handlungen unter Strafe zu stellen das Recht sie zu verbieten in sich schliesst. D i e K o m p e t e n z z u m E r l a s s des Strafgesetzes b e d e u t e t s e l b s t v e r s t ä n d l i c h auch die Zus t ä n d i g k e i t z u r A u f s t e l l u n g der N o r m , w e l c h e dem S t r a f g e s e t z zu G r u n d e l i e g t . Das Reich kann nicht Strafen für Mord und Totschlag, für Beleidigung und Freiheitsberaubung androhen, wenn es diese Handlungen nicht als von Reichswegen verboten anerkennt. Ja man wird behaupten müssen, dass nicht nur die zahlreichen Normen in Gesetzesoder Verordnungsform, die sich in der RV, im Handelsgesetzbuche, der Gewerbeordnung, den Justizgesetzen, kaiserlichen Verordnungen finden, sondern auch alle die ungeschriebenen, welche den gemeinen Strafgesetzen zu Grunde liegen, als R e i c h s n o r m e n zu betrachten sind, es müsste denn das Reichsstrafgesetz — wie es nicht ganz selten tut — ausdrücklich an eine partikulare Nonn seine Straffolge anknüpfen und ihr dadurch eine reichsrechtliche Anerkennung gewähren 16 . 15 Gesetz, betr. die Einfuhr. Nordd. Bundesgesetze in Bayern, vom 22. April 1871 § 6. — Für die richtige Ansicht H. M e y e r , Das nordd. Strafrecht. Halle 1869. S 7; ders., Lehrbuch S 71. 72; R ü d o r f f , Kommentar S 60 Anm 19; v. B a r , KrV XIV 265 Anm 12. 16 Somit sind 1. entweder die Norm und das Strafgesetz gemeinen Rechtens; oder 2. gehören beide dem Partikularrecht an; oder 3. die Norm ist gemeinrechtlich, das Strafgesetz partikular (s. unten § 73); oder 4. die Norm ist partikular

61. 2. Die gemeins. Gesetzgebung über d. S t .

279

2. Das Recht zur Aufstellung der natürlich zwingend gemeinen Normen schliesst aber das Recht zur Begrenzung der Verbote und Gebote, somit zur Aufstellung von zwingend gemeinen Ausnahmen der Norm notwendig in sich. Aber freilich wird das Reich dazu nur in zwei Fällen Anlass finden: entweder weil die Normen Rechtsgebieten angehören, die neben dem Strafrecht der Reichsgesetzgebungskompetenz zugeteilt sind — hier wird das Reich diese Ausnahmen vollständig regeln —, oder aber weil das Reich markiren will, dass den Ausnahmen von den Normen weder von Reichswegen noch von Landesrechtswegen Strafe gedroht werden darf. Aus diesem letzten Grunde hat das Reichsstrafgesetzbuch die allgemeinen Schuldausschliessungsgründe der Notwer und des Notstandes aufgestellt. Wenn sich das Reich aber mit dem Verbote einer Handlung nur deshalb befasst um daran ein Strafgesetz zu schliessen, wenn also die Rechtsverhältnisse, zu deren Schutz das Verbot dienen soll, auf dem Gebiete des Partikularrechts liegen, so wird das Reich vielfach ganz ausser Stande sein zu bestimmen, wann die regelmässig verbotenen Handlungen ausnahmsweise erlaubt sein sollen. Verordnet beispielsweise das Partikularrecht, es sei jemand unter gewissen Voraussetzungen befugt in fremdes Eigentum einzugreifen oder eine Pfändung vorzunehmen, oder ein Lehrer habe ein Züchtigungsrecht, oder ein Beamter sei befugt zur Verhaftung, zur Anwendung seiner Waffen 1 7 , zur Annahme von Geschenken, sei verpflichtet zur Ausführung der Befehle seiner Vorgesetzten, so wird das Reich im Zweifelsfalle nicht gewillt sein, an diese partikularrechtlichen Ausnahmen von der Norm zu rühren: denn ihre Existenz ist Bedürfniss, und das Reich ist nicht im Stande die Ausnahmen der Normen unter Berücksichtigung des Partikularrechts aller 25 Bundesstaaten zu specialisiren 18 . Das R e i c h v e r s t e h t d a n n s e i n e V e r b o t e m i t V o r b e h a l t d e r b e s t e h e n d e n u n d k ü n f t i g e n A u s n a h m e n des L a n d e s rechts19. Dies hat zur Folge, dass der Umfang gemeinrechtund das Strafgesetz gemeinen Rechtens. So ζ. B. vielfach bei den Blankettstrafgesetzen. S. oben S 179. 180 und Normen I 71 ff. 17 S. darüber auch H e i n z e , Verb. S 56. 57. Vgl. dens. bei HH I I 9. 18 In sehr gut motivirtem Erk. erkennt RG I I I vom 14. April 1880 (Ε I I 10 ff.) an, dass das Landesrecht zwar Züchtigungsbefugnisse einräumen, nicht aber bestimmen dürfe, schmerzerregende Ueberschreitungen derselben seien nicht als Körperverletzungen, sondern nur disciplinarisch zu ahnden. Dies. Ans. vertritt RG I I vom 18. Dez. 1883, E IX 302 ff. 19 Dieser Punkt wird erst unten in der Lehre von den Gründen aufgehobener Rechtswidrigkeit ganz deutlich werden. Ob die dem Kuppeleiparagraphen des GB

II. Genieines und partikulares Strafrecht.

280

licher Verbrechen in verschiedenen deutschen Staaten ein verschiedener sein kann: indessen ist dieser Missstand unvermeidlich. Ob die landesgesetzliche Ausnahme vom Reichsrecht geduldet wird, ist natürlich quaestio facti. Die Konzession des Reichs an das Landesrecht bestimmt sich nach Maassgabe des partikularrechtlichen Bedürfnisses: nicht aber steht es den Staaten frei Reichsstrafgesetze willkürlich durch Aufstellung von Sonderrechten zur Vornahme regelmässig verbotener Handlungen illusorisch zu machen. 3. Strafbare Handlungen können ausser für die dadurch erzeugten Strafrechte auch noch für Entstehung, Veränderung oder Untergang anderweiter Rechte der verschiedensten Art von Bedeutung sein. Principiell liegt die Regelung dieser Deliktsfolgen, die nicht Straffolgen sind, ausserhalb der Strafgesetzgebung, also auch ausserhalb der Reichsstrafgesetzgebung, aber durchaus nicht ganz ausser der Zuständigkeit des Reichs überhaupt. Denn fallen jene Folgen in Rechtsgebiete, die der Reichsgesetzgebung unterliegen, so ist ihre Normirung Sache des Reichès, andernfalls Sache der Bundesstaaten. Von dieser Zuständigkeit hat das Reich aber öfter in seinen Strafgesetzen Gebrauch gemacht und dadurch Anlass zur Verwechselung von NichtStraffolgen mit Straffolgen gegeben — eine Verwechselung die in Folge der unvermeidlichen Zweideutigkeit gewisser Verbrechensfolgen überhaupt sehr nahe liegt, deren Konsequenzen aber in hohem Maasse anstössig sind. Gerade für die Feststellung der Grenzen zwischen Reichs- und Landesgesetzgebung wäre es von grösster Bedeutung jene Verwechselung zu meiden. Denn für die sämmtlichen nicht kriminellen Verbrechensfolgen, sofern sie nicht Rechtsteilen angehören, die das Reich gesetzlich geregelt hat, erkennt letzteres die Landesgesetzgebung als maassgebend a n 2 0 . § 62.

3.

Reichsrecht geht vor Landesrecht 1. m i t t e l dieser Ueberlegenheit.

Schutz-

I. Die Autorität des heutigen Reichsstrafrechts als eines sog. zwingend gemeinen Rechtes ist durch RV Art. 2 festgestellt und durch (§ 180) zu Grunde liegende Reichsnorm durch Partikularrecht beschränkt werden könne, das war der Streitpunkt in der Kontroverse über Anwendung des S 180 auf die Inhaber der konzessionirten Bordelle. 20 S. darüber Genaueres unten § 70. 1 Dieser Satz gilt allgemein, soll aber hier nur mit Bezug auf das R e i c h s s t r a fr e c h t erörtert werden. Dass auch Reichsgesetze nicht kriminellen Inhaltes auf Landesstrafgesetze zurückwirken können, ist unverkennbar. Durch Art. 3 der

62.

. Reicsrecht geht vor Landesrecht.

281

das EStGB § 2 al. 1 2 weder geändert, noch auch näher erläutert. EStGB § 2 al. 1 ist abgesehen von seiner Zeitbestimmung überflüssig 3. Dies gemeine Reichsstrafrecht ist entweder gesetztes oder ungesetztes Recht. Insbesondere bedeutet das sogenannte konkludente Schweigen des Gesetzbuchs nur die Existenz ungesetzten Reichsrechts mit dem Inhalt, die Landesgesetzgebung solle den Gegenstand, über den sich das Reichsgesetz ausschweigt, unberührt lassen. Ein konkludentes Schweigen des Reichsgesetzes ist aber keineswegs schon allein deshalb anzunehmen, weil der Reichstag den Entwurf einer Strafsatzung mit der Motivirung abgelehnt hat, die Handlung solle straflos verbleiben 4 . Nicht der Reichstagsbeschluss, sondern das Reichsgesetz bindet die Landesgesetzgebung, nicht das Nichtkönnen. sondern das Nichtwollen der Reichsgesetzgebung. Aus dem einzelnen Gesetze oder aus dem Zusammenhang mehrerer Bestimmungen muss sich der Wille der Reichsgesetzgebung erkennen lassen, der Landesgesetzgebung die Materie, worüber sie sich ausschweigt, vorzuenthalten 5 . Die Autorität des zwingend gemeinen Reichsrechts erschöpft sich in folgenden Wirkungen : 1. Das Reichsstrafgesetz schafft mit dem Tage seines Inkrafttretens 6 alle mit ihm gegenständlich zusammenfallenden LandesstrafRV (nicht erst durch Freizügigkeitsgesetz vom 1. Nov. 1867 § 12) ist beispielsweise die Strafe der Ausweisung Deutscher aus einem einzelnen Norddeutschen Bundesstaate unmöglich geworden. Völlig verkannt von dem in der StRZ 1870 S 265 ff. mitgeteilten Erk. des Hamburger Obergerichts vom 22. Dez. 1869. S. dagegen Β elm onte, das. S 267. 268; J o h n , das. 1871 S 240 ff., und das ebenda abgedruckte Erk. des OAG Lübeck. 2 „Mit diesem Tage tritt das . . Landesstrafrecht, insoweit dasselbe Materien betrifft, welche Gegenstand des Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund sind, ausser Kraft." Dieser Satz statuirt durchaus nicht nur, wie R ü d o r f f zu EG § 2 Anm 2 behauptet, die Regel: lex posterior derogat priori, sondern implicite stellt er auch für die Zukunft die partikulare Gesetzgebungsgewalt bezüglich aller Materien der Reichsgesetzgebung stille. S. bes. v. W ä c h t e r , Beil. S 230. 231. 3 H e i n z e , Verhältniss S 27. 30. 4 And. Mein. v. W ä c h t e r , Beilagen S 240 if., wohl auch H e i n z e , Verb. S 37. Dagegen die guten Ausführungen von R ü d o r f f , Kommentar S 57 Anm 13. S. auch R u b o , Kommentar S 122 if. 179. 194. 195; M e v e s , GA X X I I I 7. Nicht unbedenklich in der Motivirung die sachlich richtigen Erkenntnisse des BayOG vom 28. April 1873 (Samml. I I I 219 ff.) u. vom 15. Mai 1875 (das. V 204 ff.). Die richtige Ans. neuerdings treffend verteidigt von RG I vom 27. März 1884, E X 220 ff. 5 S. darüber unten § 64, insbes. Anm 5. 6 Darüber oben § 50.

II. Geeines und partikulares Strafrecht.

282

gesetze ab, einerlei ob sie mit ihm wörtlich oder nur dem Sinne nach übereinstimmen, ob sie es ergänzen oder ihm widersprechen. Dieser Wegfall des Landesrechts bewirkt notwendig, dass wenn in Bundes-, Reichs- oder Landesgesetzen — einerlei ob sie Strafgesetze sind oder nicht, einerlei ob die Landesgesetze erlassen werden vor oder nach Inkrafttreten des Strafgesetzbuchs — auf solche wegfällig gewordenen partikularrechtlichen Vorschriften verwiesen wird, an Stelle der verdrängten Vorschrift die verdrängende als angezogen gelten muss 7 8 . Dass dadurch auch eine erhebliche Verschärfung der Strafdrohung und eine verschiedene kriminelle Behandlung des gleichen Deliktes innerhalb desselben Staates bewirkt werden konnte, hat die Erfahrung gezeigt 9 1 0 . Dem ausdrücklichen Citat steht aber die stillschweigende Bezugnahme auf ein solches wegfällig gewordenes Landesgesetz durchaus gleich 1 1 . Ist das citirte Gesetz durch das GB stillschweigend aufgehoben worden, so entfällt das Citat und fällt das citirende Gesetz selbst, soweit es ohne solche Bezugnahme nicht bestehen k a n n 1 2 . 2. Kein Landesgesetz kann ein Reichsstrafgesetz abschaffen, ab7

EG § 3 sagt dies zum Teil ausdrücklich ; der Satz würde aber auch ohnedies gelten. Die Fassung des EG § 3 ist zu eng: er spricht nur von Citaten „in Landesgesetzen". Ganz das gleiche gilt aber von solchen in Reichsgesetzen: s. z.B. Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869 § 149. 162, 2. — Richtig O p p e n h o f f zu EG § 3 Anni 1; R ü d o r f f zu EG § 3 Anm 1; O l s h a u s e n zu EG § 3 Anm 5. Falsch Rubo zu EG § 3 Anm 4. Vgl. zu EG § 3 H e i n z e , Verli. S 40 ff.; v. B a r , KrV XIV 256. 257. s Die den ausser Kraft gesetzten Bestimmungen „entsprechenden Vorschriften" sind durchaus nicht, wie Rubo S 197 meint, nur solche, die „an und für sich, und somit ihrem ganzen Wesen und Inhalt nach mit einander übereinstimmen". S. auch Preuss. OTr vom 10. Juni 1879, Ο XX 291 ff. — Sie können einander gerade so gut w i d e r s p r e c h e n . Die „entsprechende" Vorschrift ist jede, die eine landesrechtliche verdrängt. Deshalb ist auch die Definition Ois h au s en s zu EG § 3 Anm 4: „entsprechend" bedeute: „seinem wesentlichen Inhalte nach zum Ersatz geeignet", nicht genau. 9 S. den interessanten Fall in RG I I I vom 13. März 1880, E I 274 ff. 10 WTird in Bundes- oder Landesgesetzen auf Vorschriften des g e m e i n e n R e c h t e s verwiesen, welche durch das GB beseitigt sind, so gilt der Grundsatz des EG § 3 natürlich ebenso. 11 Man denke an clie stillschweigende Forderung der Landesgesetze aus den allgemeinen Teilen der Landesstrafgesetzbücher ergänzt zu werden. S. besonders v. W ä c h t e r , Beilagen S 243, und H ä l s c h n e r I 109. Ders. Ans. RG I vom 13. Okt. 1883, E IX 139. 12 Richtig O p p e n h o f f zu EG § 3 Anm 5. Missverständlich R ü d o r f f zu EG § 3 Anm 3 al. 2. Man sehe z. B. Vereinszollgesetz § 162, 2.

62.

3. Reicsrecht geht vor Landesrecht.

283

ändern 1 3 , wiederholen, erläutern, selbst wenn gegen die Erläuterung sachlich nichts zu erinnern wäre. Die authentische Auslegung des Reichsgesetzes steht nur dem Reiche z u 1 4 . So bleibt dem Landesgesetze nur die Verweisung auf das Reichsgesetz; ausser Stande die Wirksamkeit des Reichsgesetzes partikularrechtlich festzustellen kann es nur sagen, es wolle seine Wirksamkeit da beginnen, wo die des Reichsgesetzes ende. II. Aus 1 und 2 ergeben sich Folgerungen wichtigster Art, und zwar zunächst 1. f ü r d i e L a n d e s g e s e t z g e b u n g e i n e r s e i t s . Sie hat die Grenzen ihrer Zuständigkeit dauernd zu wahren! a. Ganz unleugbar ist die Landesgesetzgebung dem gemeinen Rechte gegenüber in äusserst schwierige Lage geraten. Bei dem zweideutigen Schweigen desselben 15 kann unklar sein, ob ein Gegenstand ihrer Kompetenz anfällt. Neben dem „ob" kann aber auch das „wie" Zweifel erregen. Die Landesgesetzgebung muss vielfach wünschen ihre Satzungen bis an die Grenzen vorzuschieben, wo das Geltungsgebiet des gemeinen Rechts aufhört, ohne dass sie verbindlich zu sagen vermöchte, wo diese laufen. Ghne stete umsichtige Rücksichtnahme der Reichsgesetzgebung auf die Klarlegung cler den Bundesstaaten eingeräumten Grenzen gesetzgeberischer Zuständigkeit einerseits und ohne grosse mit technischem Geschick gepaarte Resignation der Bundesstaaten andrerseits sind Kollisionen zwischen Reichs- und Staatenrecht unvermeidlich. Die Lage der Landesgesetzgebung zu erleichtern hat bisher die Reichsstrafgesetzgebung den richtigen Weg kaum eingeschlagen. Ohne dies Versäumniss ihrerseits wäre ein grosser Teil der dem Reichsrecht widersprechenden Partikularstrafrechte unmöglich gewesen. b. Um so grössere Vorsicht erheischt das Vorgehen der Landesgesetzgebung auf kriminellem Gebiete! Denn da das Reichsrecht die oben bezeichneten Wirkungen gegenüber dem Partikularrecht ipso jure übt, ist es um so leichter dieselben zu übersehen. W i l l ein Bundesstaat im unverkennbaren Interesse der Rechtssicherheit beispielsweise seine älteren Strafgesetze, die neben dem GB in Kraft geblieben, neu publiciren 1 6 , so setzt dies eine sorgfältige 13

Dies schliesst natürlich in sich, dass die Landesgesetzgebung bezüglich reichsrechtlicher Verbrechen weder Scliärfungs- noch Milderungsgründe aufstellen darf. S c h w a r z e , GS 1870 S 387. 388. 14 S. bes. H e i n z e , Verh. S 23; ders., HH I I 9; v. B a r , KrV XIV 255. 15 Vgl. oben S 53 und H e i n z e , Erört. S 24; ders., Verh. S 31. 16 Wie dies mit Recht v. H o l t z e n d o r f f , StRZ 1871 S 30 empfohlen hat.

284

II. Geeines und partikulares Strafrecht.

Auslegung der Reichsgesetze voraus. Diese Auslegung ist ebenso maassgebend für die betreffende Regierung als unverbindlich für das Reich und alle Strafrichter in demselben. Und doch erscheint es untunlich, jedes Partikulargesetz ausdrücklich nur für den Fall seiner Verträglichkeit mit dem Reichsrechte in Kraft treten zu lassen. So wünschenswert aber auch für ein Gesetz der Charakter kategorischer Satzung sein mag, so ist doch in allen Fällen, wo die Zulässigkeit eines Partikulargesetzes zweifelhaft erscheint, die Hinzufügung des salvo jure communi unentbehrlich. 2. F ü r d i e R e i c h s r e g i e r u n g a n d r e r s e i t s : sie hat dìo Pflicht das Reichsrecht gegen widerstrebendes Landesrecht durchzusetzen. Dazu muss sie zunächst ihre Oberaufsichtsgewalt in der richtigen Weise verwenden. Laut RV Art. 17 steht dem Kaiser zu die Ueberwachung der Ausführung der Reichsgesetze, laut RV Art. 7 Nr 3 dem Bundesrate die Beschlussfassung über Mängel, welche bei der Ausführung der Reichsgesetze hervortreten. Danach kann es nicht zweifelhaft sein, dass der Bundesrat auf Anregung des Kaisers beschliessen kann bei einer Landesregierung gegen die Erhebung dem Reichsrechte widersprechender Entwürfe zu Landesgesetzen Einspruch zu erheben, oder bei ihr vorstellig zu werden unzulässige aber ergangene Landesgesetze und Verordnungen zurückzunehmen und die auf Grund derselben erlassenen rechtskräftigen Strafurteile auf gesetzlichem Wege zu beseitigen, jedenfalls aber einstweilen mit deren Vollzuge inne zu halten 1 7 . Dagegen vermag der Bundesrat nicht von sich aus ein Landesgesetz oder ein Urteil für nichtig zu erklären oder die Gerichte anzuweisen ein Landesgesetz nicht anzuwenden 18 . 3. F ü r das R e i c h u n d d i e B u n d e s s t a a t e n : e i n e n v o r h a n d e n e n W i d e r s p r u c h g e s e t z g e b e r i s c h zu b e s e i t i g e n . 17 Zwei Fälle der Ausübung dieses Oberaufsichtsrechtes sind bekannt geworden: 1. Als clas Hamburger Obergericht gegen das Bundesrecht auf Ausweisung eines Preussen aus Hamburger Gebiet erkannte, hat nach v. H o l t z e n d o r f f , StRZ 1871 S 31 clas Bundeskanzleramt den Hamburger Senat aufgefordert dafür Sorge zu tragen, dass jene rechtsirrtümliche Auffassung des Obergerichts nicht etwa praktisch wirksam werde. 2. In seiner Sitzung vom 14. Juni 1876 beschloss der Bundesrat, „den Senat der . . . Stadt Hamburg zu ersuchen, wegen Abschaffung der daselbst bestehenden Bordelle clas Geeignete zu verfügen". Diese Bordelle waren dort im Widerspruch mit StGB § 180 polizeilich konzessionirt. S. Das deutsche StGB und die polizeilich concessionirten Bordelle. Hamburg 1877. S 6 u. 7. 18 S. L a b a n c l , in Hirths Annalen 1873 S 484 ff.; ders., Staatsrecht I 266, I I 120; H ä l s c h n e r I 93.

S 62. 3. Reiclisrecht geht vor Landesrecht.

285

Mit dem Reichsrecht unverträgliche Landesgesetze können principiell nicht in Kraft treten, allein wie sind sie aus der Welt zu schaffen, wenn sie erlassen sind und vielleicht schon Anwendung gefunden haben? Es wird von H e i n z e 1 9 behauptet, zur formellen Aufhebung eines solchen Gesetzes fehle das taugliche Organ: die Reichsgesetzgebung sei nicht kompetent ein Landesgesetz aufzuheben 20 , und die Landesgesetzgebung sei nur in der Lage nicht schon an sich nichtige, weil durch das Reichsrecht gebrochene Gesetze aufzuheben 21 . Indessen sowohl das Reich als der betreffende Bundesstaat können gesetzgeberisch vorgehen. Allerdings vermögen solche nichtige Gesetze nicht ausser Kraft gestellt zu werden", weil sie nie in Kraft gestanden haben: wohl aber können sie für nichtig erklärt werden, und zwar a. zunächst durch den Gesetzgeber, der sie erlassen hat. Er kann in derselben Form, worin er seinen Willen erklärte, ein Satz solle Rechtens sein, hinterher erklären, er nehme diesen Willen zurück. Geschieht dies doch überall, wo ein altes durch ein neues Gesetz verdrängt wird. Und nichts steht im Wege, dass der Gesetzgeber jenen Willen statt wie regelmässig ex nunc nun ausnahmsweise ex tunc widerruft 2 2 . Schon im Interesse der auf Gund jenes Gesetzes Verurteilten ist die Zulässigkeit solchen Widerrufs zu fordern. Für sie handelt es sich nicht um Gnade, sondern um Recht 2 3 . Durch Gesetz müssen die gegen sie ergangenen Strafurteile aufgehoben werden , und jener Widerruf würde ipso jure den Untergang der durch rechtskräftige Strafurteile begründeten Strafansprüche zur Folge haben. b. Aber auch dem Reiche steht jene Nichtigerklärung des widerstreitenden Partikulargesetzes zweifellos z u 2 4 . Denn sie ist nichts anderes als eine authentische Auslegung des Reichsgesetzes anlässlich wahrgenommener Mängel bei seiner Ausführung. Und es bedarf dann nicht einmal der übrigens durchaus zulässigen Erwähnung des fehler19

Verhältniss, bes. S 143 ff. S. aber Ges Uber den Feingehalt der Gold- und Silberwaaren vom 16. Juli 1884 § 10 (RGBl 1884 S 122). 21 Der letzteren Ansicht auch L a b and, Staatsrecht I I 110 (gerade umgekehrt das. S 120, wo der Staat zur pfliclitmässigen Rücknahme des Gesetzes vom Bundesrat aufgefordert wird) und auch H ä l s c h n e r I 93. S. oben § 61 Anm 14. 22 Ganz gleichgültig ist, ob der nichtige Rechtssatz Verordnung oder Gesetz ist. Warum erstere soll revocirt werde.ii können, letzteres nicht, wie H ä l s c h n e r I 94 meint, ist unerfindlich. 23 Verkannt von J o h n , StRZ 1871 S 246. 24 So auch R ü d o r f f , Kommentar S 61 Anm; L a b a n d I I 98 Anm 2: H ä l s c h n e r I 94. Ders. Ans. das Reich selbst. S. oben § 61 Anm 14. 20

II. Genieines und partikulares Strafrecht.

286

haften Landesgesetzes in der authentischen Erklärung, damit dieses als ex tunc nichtig erscheine. Die Wirkung solcher Erklärung des Reichs auf rechtskräftig gewordene Strafansprüche der Einzelstaaten ist dieselbe wie oben. 4. F ü r d i e B e a m t e n des R e i c h s u n d d e r B u n d e s s t a a t e n , sowie S c h ö f f e n u n d G e s c h w o r e n e : kein zur Anwendung der Gesetze berufener Beamter richterlicher oder nicht richterlicher Art (Richter im eng. S., Verwaltungsbeamter 25 , Staatsanwalt 26 ), und kein nichtbeamteter Richter ist befugt auf Grund des nichtigen weil mit dem Reichsrecht unverträglichen Landesgesetzes zu handeln. Ihnen allen steht ein unbeschränktes und weder durch Partikulargesetzgebung noch durch Erkenntniss des übergeordneten Gerichtes beschränkbares Recht der Prüfung darüber zu, ob ein Landesgesetz oder eine Landesverordnung mit dem Reichsrechte verträglich sei 2 7 . Der Richter, der bewusstermaassen nichtiges Landesrecht anwendet, ist der Rechtsbeugung, der Staatsanwalt aber, der daraus die Anklage erhebt, der vorsätzlich falschen Anklage schuldig. Sollte die Landesregierung einen dem Reichsrecht treuen Beamten wegen Verachtung des Landesrechts discipliniren, so hätte sie die Maassregeln des Reichs als oberster Aufsichtsbehörde für die Durchführung der Reichsgesetze zu gewärtigen. Somit sind vollständig ausreichende Mittel zur Wahrung des Reichsrechts vorhanden, und es bedarf zu dem Zwecke nicht noch des von H e i n z e vorgeschlagenen Reichs-Syndikates, nur der Energie bedarf es jene Mittel anzuwenden 2 8 ! 25

S. darüber auch v. B a r , KrV XIV 255. 256. Für Staatsanwälte ist freilich GVG § 147 zu beachten. 27 So auch H e r r m a n n a. Ο. S 3; v. H o l t z e n d o r f f in seiner StBZ 1871 S 32 ; H e i n z e , Verli. S 136ff. ; O t t o , Annalen NF V I I 5 ; R ü d ο r f f , Komm. S 68 ; S c h w a r z e , Komm. S 37. 38; O l s h a u s e n zu EG § 2 Anm 13 (2. Aufl. Anni 20); v . W ä c h t e r , Beil. S 247; M e y e r S 76; L a b a n d I I 118; H ä l s c h n e r I 92.— Das Hamburger Obergericht hat in den StRZ 1870 S 265 ff. mitgeteilten zwei Urteilen vom 22. Dez. 1869 und vom 2. April 1870 dem Hamburger Strafgericht dieses Prüfungsrecht abgesprochen. Seine Motivirung ist geradezu rätselhaft. In wohltuendem Gegensatz dazu steht das Erk. des Dresdener OAG vom 27. Sept. 1872 (Ann. NF X 371 ff.). — Ganz grundlos scheint mir die Ansicht von v. B a r , KrV XIV 440 ff., wonach bei nicht republicirten und bei nicht von der Landesgesetzgebung als fortdauernd giltig bezeichneten Strafvorschriften im Zweifel gegen die Fortdauer, bei republicirten Gesetzen aber im Zweifel für diese zu entscheiden sei. Wenn zwischen Giltigkeit und Nichtigkeit kein Entscheid zu treffen, so fehlt es am Nachweise der Giltigkeit und der Erlass ist nicht als Gesetz zu betrachten. 28 Zweckmässig wäre gegen rechtskräftig gewordene Strafurteile, die auf Landesrecht fussen. das mit dem Reichsrecht unverträglich ist, der Reichsanwaltschaft 26

287

§ 63.

4. D i e A u f g a b e des g e m e i n e n S t r a f g e s e t z b u c h s gegenüber der Landesstrafgesetzgebung.

So lange der Norddeutsche Bund nur vereinzelte Strafgesetze erliess, war es ihm nicht möglich den Dualismus des norddeutschen Strafrechts innerlich zu überwinden. Die Strafgesetzbücher der einzelnen Bundesstaaten bildeten vor wie nach die grossen Centren partikularen Strafrechts, das Reich hatte nur einige Vorwerke besetzt ohne damit die Herrschaft über jene antreten zu können; es hatte zwar gemeines, aber kein einheitliches Strafrecht zu schaffen vermocht. Sollte die dringend notwendige innere Einheit alles norddeutschen Strafrechts aufgerichtet werden, so konnte dies nur durch ein umfassendes Bundesstrafgesetzbuch geschehen, was die Strafgesetzbücher der Einzelstaaten verdrängte und entweder alles Strafrecht der Einzelstaaten aufsog oder sich wenigstens zum einheitlichen Mittelpunkte machte, um welches sich fortan nicht nur alles Strafrecht des Reichs sondern auch alles Landesstrafrecht zu lagern, dessen mächtigem, normativem Willen alle Landesgesetzgebungen sich zu fügen hatten. Bei der unbeschränkten Strafgesetzgebungskompetenz des Bundes stand ihm die Wahl zwischen beiden Wegen frei. Hätte das allgemeine Bundesstrafgesetzbuch sich wie später das Militärstrafgesetzbuch auf e i n Institut, das noch dazu Reichsorgan war, beschränken können, so wäre das allein richtige gewesen in dem Einführungsgesetze die absolute Ausschliesslichkeit des gemeinen Rechts auszusprechen, wie EG § 2 zu dem Militärstrafgesetzbuch später verkündete: „Mit diesem Tage treten im ganzen Bundesgebiete a l l e Militärstrafgesetze, soweit sie materielles Strafrecht zum Gegenstand haben, ausser Kraft." I. Die Strafdrohung aber dient zum Schutze so heterogener und vielfach so lokaler Bedürfnisse, dass der Bund von einer vollen Unifikation alles Strafrechts Abstand nehmen musste. I n demselben Augenblicke, wo dies erkannt ward, erwuchs ihm die schwierige Aufgabe der Landesgesetzgebung den Raum und die Richtung ihrer Bewegung unverrückbar anzuweisen 1 . Hierfür mussten drei Sätze maassgebend werden : 1. Ueber das Maass des aufzunehmenden Verbrechensstoffes konnte man zweifelhaft sein, nicht aber darüber der Landesgesetzdie Einlegung einer Nichtigkeitsbeschwerde im Interesse des Gesetzes beim Reichsgericht zu gestatten und sämmtliclie deutsche Gerichte an das daraufhin ergehende Urteil des Reichsgerichts zu binden. — S. darüber auch H ä l s c h n e r , D. StR I 98 Anm 1. 1 Vgl. oben S 52 if.

II. Geeines und partikulares Strafrecht.

288

gebung lediglich den Stoff zu überlassen, dessen sich das Reich nicht annehmen wollte. Der B u n d d u r f t e Landes-, aber n i c h t Sonderstrafrecht zulassen. 2. Ueber die Formulirung der Grundsätze des allgemeinen Teils konnte man streiten, nicht aber darüber, dass der allgemeine Teil des Gesetzbuchs viel mehr bedeuten musste als nur die Quintessenz und die notwendige Ergänzung der speci eilen Bestimmungen desselben. D i e s e r a l l g e m e i n e T e i l war a u f z u s t e l l e n als der e i n z i g e a l l g e m e i n e T e i l alles Reichs- wie Landesstrafrechts. Liess das Reich Landesstrafrecht zu, so konnte es doch die Möglichkeit eines principiellen Gegensatzes zwischen partikularem und gemeinem Strafrechte schlechterdings nicht gestatten. Erklärte das Reich alle Personen bis zum vollendeten 12. Jahre für strafunmündig, stellte es den Grundsatz der milderen Strafbarkeit des Versuchs auf, so hatte es dabei für das Reich wie für die Gliedstaaten sein Bewenden. Wurden letztere nicht verpflichtet ihr Strafrecht dem des Reiches anzupassen und einzufügen in den vom Reich aufgestellten Rahmen der Gerechtigkeit, so war die unausbleibliche Folge ein chronischer Kampf der Landes- gegen die Reichsgesetzgebung in ihren grundsätzlichen Positionen. D e r B u n d d u r f t e L a n d e s r e c h t ü b e r G e g e n s t ä n d e des a l l g e m e i n e n T e i l e s ü b e r h a u p t n i c h t z u l a s s e n.

3. Die innere Einheitlichkeit des Strafrechts ist ebenso wie durch die Einheitlichkeit der allgemeinen Grundsätze bedingt durch die Einheitlichkeit des Strafensystems. Mochte das Reich dieses ausgestalten wie es wollte: n a c h dem Reichsstrafgesetzbuch durfte es nur noch e i n Strafensystem in Deutschland geben, das dieses Gesetzbuchs. Diesem System war alles ältere wie jüngere Landesstrafrecht zu unterwerfen. D e r B u n d d u r f t e e i n S y s t e m p a r t i k u l a r e r S t r a f e n nicht zulassen2. 4. Ergriff das Reich von den Centren der Strafgesetzgebung, also insbesondere auch von den schweren Missetaten Alleinbesitz, so drängte diese Tatsache zu der Konsequenz der Landesgesetzgebung nur die leichteren Strafmittel des gemeinen Strafensystems zur Verfügung zu stellen. D a s R e i c h d u r f t e e i n e K o n k u r r e n z v o n 25 B u n 2

Dazu mussten auch noch andere Erwägungen drängen, insbes. die durch das Rechtshilfegesetz vom 21. Juni 1869 § 33 statuirte Verpflichtung der Bundesstaaten, in anderen Bundesstaaten erkannte Freiheitsstrafen, welche die Dauer von sechs Wochen nicht übersteigen, zu vollstrecken. S. GVG § 163. Vgl. auch R ü d o r f f , Kommentar S 65.

5. Ausschliesslichkeit

es gemeinen

echtes.

desstaaten bei A u f s t e l l u n g schwerer Verbrechen nicht Λ u 1 d e η. Ueberblickt man diese Sätze nochmals, so ergeben sie die wichtige Lehre, dass der Bund seinen Gliedstaaten zwar gestatten konnte durch Landesstrafgesetze sich Strafrechte beizulegen, dass er aber eine freie Verfügung über die Voraussetzungen der Entstehung, der Wandlung, des Untergangs sowie über den Inhalt dieser Strafrechte diesen Staaten einzuräumen nicht im Stande war. II. Der Norddeutsche Bund hat nun durch das EG zum Strafgesetzbuche die ihm erwachsene Aufgabe der genaueren Abgrenzung zwischen Reichs- und Landeskompetenz und cler Eingliederung des Landes- in den Rahmen des Reichsstrafrechts zu lösen gesucht 3 . Leider ist unleugbar, dass manche seiner Satzungen die nötige Präcision vermissen lassen, allein die Grundgedanken des Gesetzes sind lichtig und vollständig, und der Tadel, den das Gesetz in so reichlichem Maasse gefunden hat, sollte sich vielmehr gegen dessen Auslegung richten, soweit sie der Autorität des gemeinen Rechts Abbruch tut. 5. D i e A u s s c h l i e s s l i c h k e i t des g e m e i n e n R e c h t e s und ihr Umfang. § 64. a. D i e „ M a t e r i e n " des G e s e t z b u c h s 1 u n d d e r das EG beherrschende Gegensatz von allgemeinen und besonderen Vorschriften. Es ist ein Mangel des EG, dei' sich schwer gerächt hat, dass es in denselben allgemein lautenden Sätzen der § 2 al. 1 u. 2 das so durchaus verschiedenartige Verhältniss des neuen gemeinen Rechtes zum älteren Bundesstrafrecht und zum älteren Landesstrafrecht ganz gleichmässig präcisirt. I n Folge dessen fliessen die beiden Gegensätze von gemeinem und partikularem und von allgemeinem und besonderem Rechte bedauerlich in einander. So weit es möglich, soll 3

Von seinen acht Paragraphen kommen hier nur die §§ 1—3. 5. 6 u. 8 in Betracht. 1 Vgl. dazu das interessante RG I vom 27. März 1884, E X 220 ff. Ueber den wenig erörterten Begriff der „Materie" handeln ausführlicher R u b o , Komm. S 121 ff. 179 ff; Reh er, Antragsdelikte S 104 ff.; M eve s in GA X X I I I 3 ff.;: v. W ä c h t e r , Beilagen S 255 ff. Vgl. O l s h a u s e n zu EG § 2 Anm 2. Dagegen erklärt v. L i s z t , Lehrbuch S 74 es für durchaus „verkehrt, die Materie im Sinne des StGB juristisch detìniren zu wollen". Er täuscht sich durch seine Fragestellung darüber weg, dass er selbst den Begriff verwendet.

Binding, Handtuch. V I I . 1. I :

B i n d i n g , Strafrecht.

I.

19

5. Ausschliesslichkeit

290

es gemeinen Rechtes.

hier das Verschiedene getrennt gehalten und soll lediglich der

erste

j e n e r Gegensätze beleuchtet w e r d e n 2 . „ M i t diesem Tage

(dem 1. Januar 1871) t r i t t

Landesstrafrecht, insoweit

dasselbe Materien

stand des Strafgesetzbuchs

das Bundes- und

betrifft,

welche Gegen-

für den Norddeutschen B u n d sind,

ausser

Kraft." „ I n Kraft

bleiben die besonderen Vorschriften des Bundes-

Landesstrafrechts,

und

namentlich" u. s. w.

So d r ü c k t das E G § 2 die W i r k u n g des neuen gemeinen Rechtes aus, den Gedanken des A r t . 2 cler R V i n treffender Weise specialisirend. I.

D i e „ M a t e r i e n " i m Sinne des § 2 sind E i n h e i t e n für die k r i -

minalistische also auch für die strafgesetzgeberische Betrachtung. tragen das M e r k m a l der Geschlossenheit an s i c h 3 . sind sie die Lebenserscheinungen insbesondere nicht

die Tatbestände,

erzeugen,

sanimt

Sie

Genauer gesprochen

i n cler Beleuchtung des Strafrechts,

sofern

erzeugen

oder

A r t u n d Maass der v e r w i r k t e n Strafen.

sie Strafrechte

Die

Materie i n i h r e r Geschlossenheit ist ein Erzeugniss der Dogmengeschichte, als deren integrirender aus auch die frühere

Bestandteil vom

Standpunkte der Gegenwart

deutsche Gesetzgebung zu betrachten ist.

W i r d n u n eine kriminalistische E i n h e i t i n diesem Sinne durch das 2

Dass dies von H ä l s c h n e r , D. StR I 102 ff. nicht geschehen ist, beeinträchtigt seine Ausführungen sehr empfindlich. — Ueber den Gegensatz des allgemeinen und besonderen Rechts s. unten § 71 ff. 3 In diametralem Gegensatze zu dieser Auffassung steht die R u b o s S 121. Danach ist „Materie einer Vorschrift der Inbegriff aller derjenigen Bestandteile, in welche sich ihrem Inhalte nach die Vorschrift zerlegen lässt" (seltsamer Weise findet diese Definition den Beifall O l s h a u s e n s zu EG § 2 Anm 2). Man traut seinen Augen kaum, aber Rubo macht S 122 ff. 179 ff. mit dieser atomistischen Auffassung, wonach nicht „blos durch den Tatbestand als Ganzes, sondern auch durch jeden Teil desselben, der inhaltlich in Betracht komme, die Materie gebildet werde", wirklichen Ernst. — Olshausen a. 0. versteht unter Rechtsmaterie ein Rechtsinstitut oder wenigstens einen Kreis zusammengehöriger Rechtssätze, zu dem die einzelnen sich abzweigenden Rechtssätze im begrifflichen Gegensatze stehen. Aber ein Kreis zusammengehörender Rechtssätze i s t keine Materie, sondern hat eine solche: er findet sie in der L e b e n s e r s c h e i n u n g , die er regelt und die als „Materie" einen juristischen Taufnamen, wie Diebstahl, Teilnahme u. s. w. trägt. Ganz mit Recht bezeichnen deshalb Reber a. 0. 8 106 und W ä c h t e r a. 0. S 235 als Materie den Gegenstand oder Stoff des Gesetzes : nur ist die Bezeichnung zu allgemein und Reh er versucht denn auch nicht ohne Erfolg sie zu konkretisiren. — Noch treffender sagt Erk. des Dresdener OAG vom 27. Sept. 1872 (GA X X I 97 ff.): „Das im materiell strafrechtlichen Sinne dem Begriff nach Zusammengehörige ist es, Avas man unter der allgemeinen Bezeichnung Materie zu verstehen hat." — Ganz unbrauchbar M e y e r S 72, wonach Materien „die betreffenden (?) Beziehungen" (?) sind, ,,ιιηι deren strafrechtliche Regelung es sich handelt".

S 64.

a. Die „Materien" cles Gesetzbuchs.

291

Reichsstrafgesetzbuch geregelt, dann bildet sie dessen Gegenstand, und gleichgültig, ob die Regelung vollständig ist oder vielleicht empfindlich lückenhaft — die Materie ist legislatorisch konsumirt und für den Landesgesetzgeber gilt das ne bis in idem 4 \ Die Einheiten der strafrechtswissenschaftlichen Betrachtung können iiber zu höheren Einheiten zusammengeschlossen werden, und der Gesetzgeber kann auch diese zum Gegenstande des Strafgesetzbuchs machen 6 . Dann ist die „Materie" in doppeltem Umfange Gegenstand des Strafgesetzbuchs: im engeren der kleinen Einheit (beispielsweise das einzelne Verbrechen) und im weiteren der grossen Einheit (etwa die ganze Verbrechensgruppe). Der Gesetzgeber braucht aber der wissenschaftlichen Zusammenfassung praktische Folge nicht zu geben, und dann ist die höhere Materie nicht „Gegenstand des Strafgesetzbuchs". So bilden nicht d i e Polizeiübertretungen, sondern nur einzelne derselben einen solchen Gegenstand. Materien, die Gegenstand des Strafgesetzbuchs sein k ö n n e n , sind: 1. die einzelnen Delikte, welche bisher den Tatbestand von Verbrechen bildeten, und diejenigen, bezüglich deren die Neuaufnahme in das Verbrechensgebiet vielleicht angezeigt ist, in ihrer Strafwürdigkeit, also mit allen ihren besonderen Strafzumessungsgründen, sei's dass sie der Gesetzgeber für strafbar oder für straflos erklärt (s. § 69). 4 Sehr richtig sagt RG vom 27. März 1884 (E X 223): „Wenn das StGB bezüglich einer bestimmten, in ein derartiges abgeschlossenes Gebiet gehörigen Handlung schweigt, so hat dies die Bedeutung, dass dieselbe straflos sein soll." 5 Ein Indiz, dem weder zu grosse noch zu geringe Beweiskraft für die Absicht des Gesetzgebers einen Gegenstand zu erschöpfen beigelegt werden darf, bilden die U e b e r s c h r i f t e n der e i n z e l n e n A b s c h n i t t e des GB u n d e i n z e l n e r G e s e t ζ e. Ist die Ueberschrift eine technische Bezeichnung für ein genau abgegrenztes kriminelles Gebiet, wie Versuch, Teilnahme, Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen, Hochverrat und Landesverrat, Meineid, Beleidigung, Zweikampf, Verbrechen und Vergehen wider das Leben, Körperverletzung, Diebstahl. Unterschlagung, Raub, Erpressung, Begünstigung und Hehlerei, Betrug u. s. w., so spricht die Wahrscheinlichkeit für die Absicht des Gesetzgebers, jenes Gebiet als „Materie" im Sinne des EG § 2 al. 1 zu behandeln. Je vager die Ueberschrift, desto unbrauchbarer ist sie als Beweismittel in dieser Richtung (s. auch R ü d o r f f zu EG § 2 Anm 5). Am besten handelt darüber v. W ä c h t e r , Beilagen S 237 ff. Vgl. auch H e i n z e , Verh. S 32 ff; O t t o , Annalen NF Λ I I I 9; Me ve s, GA X X I I I 9; O l s h a u s e n zu EG § 2 Anm 4 und insbesondere darüber, dass Abschnitt 25 nicht „die Materie des strafbaren Eigennutzes" behandeln will, RG vom 27. März 1884. 6 Zu weit gehen wohl O t t o , Annalen NF V I I I 9 u. 10, sowie B e r n er, Lehrbuch S 95, wenn sieden ganzen allgemeinen Teil des GB „gleichsam als eine Materie" auffassen. 19 *

5. Ausschliesslichkeit

292

es gemeinen Rechtes.

2. Die Verbrechensgruppen, wie sie die Geschichte überliefert oder die Gegenwart fordert, einerlei, welches die Basis der Gruppenbildung sein mag (s. § 69). 3. Das ganze Verbrechensgebiet. Wäre dies Gegenstand des allgemeinen Strafgesetzbuchs, wie die Militärverbrechen insgesammt Gegenstand des Militärstrafgesetzbuches sind, so gäbe es kein partikulares Strafrecht in Deutschland mehr. 4. Die allgemeinen Grundsätze über das Subjekt des Verbrechens, über die Verbrechensbegehung, über die Herstellung der Gleichung zwischen Unrecht und Strafe (s. § 66). 5. Die allgemeinen Gründe ausgeschlossener Rechtswidrigkeit und ausgeschlossener oder modificirter Strafbarkeit (s. § 67). 6. Die allgemeinen Grundsätze über zeitliches und gegenständliches Geltungsgebiet cler Strafgesetze (s. § 68). 7. Endlich das ganze Strafensystem (s. § 65). Es empfiehlt sich zuerst bezüglich der grossen Materien sub 4—7 zu untersuchen, ob und in welchem Umfange sie Gegenstand des Strafgesetzbuchs geworden sind. Den Vortritt verdient hierbei das Strafensystem 7. I I . Um aber diese Untersuchung mit Aussicht auf Erfolg beginnen zu können, bedarf es zuvor der Klarlegung des Gegensatzes zwischen allgemeinem und besonderem Rechte im Sinne des EG, und der Erkenntniss, wie dieser Gegensatz das EG beherrscht 8 . 7

Nicht sowohl die Materie als die Materien des Gesetzbuchs hat ein Erk. des Ο AG Jena vom 25. Okt. 1871 (St I 161. 162) dahin aufgefasst, es seien alle Materien „eigentlich krimineller Natur", so dass ausser Kraft träten „alle Bestimmungen über Materien, welche ihres allgemeinen strafrechtlichen Charakters wegen in die Strafgesetzbücher regelmässig aufgenommen zu werden pflegen". Dies Kriterium ist aber ebenso vag als willkürlich. S. dagegen auch R ü d o r f f zu EG § 2 Anm 2 ; O p p e n h o f f zu EG § 2 Anm 3. 8 Die Umwandlungen der entscheidenden Satzungen in den Entwürfen des EG nehmen ein selbständiges Interesse in Anspruch. Sie zeigen, wie sich bei unentwegter Festhaltung des Grundgedankens die Technik ändert, und wie trotz gegenteiliger Versicherung der Gegensatz des besonderen und des allgemeinen Rechtes in allen Entwürfen ganz gleichmässig gefasst wird als Gegensatz zwischen clem StGB und den Bestimmungen des Bundes- wie Landesstrafrechts, die sich nicht mit Materien des GB beschäftigen. Dabei ist zu beachten, dass die Form des Entwurfs I I I vom Bundesrat festgestellt wurde und dass sie wörtlich mit der des EG § 1 u. 2 übereinstimmt. Entwurf I. Entwurf II. Art. I. Das StGB für den Nordd. Bund tritt im ganzen Umfange des Bundesgebietes mit dem in Kraft.

§ 1 gleichlautend.

§ 64.

a. Die „Materien" des Gesetzbuchs.

293

1. W e n n E G § 2 sagt: m i t dem 1. Januar 1871 „ t r i t t alles Bundesu n d Landesstrafrecht, insoweit dasselbe Materien betrifft,

welche Ge-

genstand des S t G B für den N o r d d . B u n d sind, ausser K r a f t " u n d n u n fortfährt:

„in Kraft

bleiben

(richtiger

stünde:

nicht

ausser

Kraft

treten) die besonderen Vorschriften des Bundes- u n d Landesstrafrechts", so k a n n ein

vernünftiger Zweifel

nicht entstehen.

über den Sinn der letzten W o r t e

Soll der zweite Satz, der gerade so allgemein lautet

wie der erste, also Regel sein w i l l wie dieser, fach aufheben,

so m ü s s e n

mit

die besonderen Vorschriften strafrechts

als

diejenigen

Materien betreffen,

den ersten nicht ein-

zwingender

Notwendigkeit

dea B u n d e s gedeutet

und

Landes-

werden,

welche

die G e g e n s t a n d des G B n i c h t

Entwurf I. Art. II. Mit diesem Zeitpunkte werden ausser Wirksamkeit gesetzt: alle Strafbestimmungen, welche Gegenstände betreffen, auf welche das gegenwärtige StGB sich bezieht, insbesondere: 1—22 die Strafgesetzbücher der Einzelstaaten sammt den sie abändernden und erläuternden Bestimmungen. Art. III. Dagegen bleiben in Kraft die besonderen Bimdes- und Landesstrafgesetze, insoweit sie Gegenstände betreffen, rücksichtlich deren das gegenwärtige Strafgesetzbuch nichts bestimmt, namentlich die Vorschriften über die Bestrafung von Personen, welche den Press-, Post-, Steuer- und Zollgesetzen zuwiderhandeln, die Gesetze über den Missbrauch des Vereins- und Versammlungsrechtes, sowie über die Bestrafung des Holzdiebstahls.

sind9.

Entwurf II. § 2. Mit diesem Zeitpunkte werden ausser Wirksamkeit gesetzt: 1—22 die Strafgesetzbücher der Einzelstaaten sammt den sie abändernden unci erläuternden Bestimmungen.

§ 3. In Kraft bleiben die besonderen Bundes- und Landesstrafgesetze über Materien, welche nicht Gegenstand des StGB für den Nordd. Bund sind, namentlich die Vorschriften über strafbare Verletzungen der Presspolizei-, Post-, Steuer-, Zoll-, Fischerei-, Jagd- u. Feldpolizeigesetze, über Missbrauch des Vereins- und Versammlungsrechtes und über den Holzdiebstahl. Bis zum Erlasse eines Bundesgesetzes über den Konkurs bleiben ferner diejenigen Strafvorschriften in Kraft, welche rücksichtlich des Konkurses in Landesgesetzen enthalten sind, insoweit dieselben sich auf Handlungen beziehen, über welche das StGB für den Nordd. Bund nichts ' bestimmt. Dabei ist zu beachten 1. dass erst Entw I I I § 2 al. 1 ausdrücklich auf das frühere Bundesstrafrecht Bezug nimmt; 2. „dass der jetzige § 2 von der unzweifelhaften Fassung der Entwürfe s a c h l i c h nur insofern abweicht, als clie kodifizirten Gesetze (lies: clie Landesstrafgesetzbücher) formell nicht aufgehoben sind". So R ü d o r f f zu EG § 2 Anm 3 a. E. 9 Principiell ders. Ans. H e i n z e , Verhältniss S 74 ff.; ders. bei HH I I 17; Schütze S 12; O p p e n h o f f zu EG § 2 Anm 6; R ü d o r f f , Kommentar S 76;

294

5. Ausschliesslichkeit

es gemeinen Rechtes.

λ τ οη den drei möglichen Einwänden gegen diese Auffassung ist a. ganz hinfällig der erste, die beiden Sätze des § 2 al. 1 u. 2 bildeten nach ihr eine unbegreifliche Tautologie 1 0 . Denn es kommt dem GB bei § 2 al. 2 u n d al. 3 gar nicht auf die Wiederholung der Regel, sondern auf die Beseitigung von Zweifeln über ihre Durchführung an : es soll festgestellt werden, dass die mit „namentlich" eingeleiteten Verletzungen nicht Materien des GB sind, und dass dasselbe die Materie des Konkurses nicht erschöpft hat. b. Der zweite allein beachtliche benutzt die mit „namentlich" eingeleiteten Beispiele, stützt sich ganz besonders auf das des Holzdiebstahls, argumentirt richtig: dieser ist ein echter Diebstahl, der Diebstahl ist zweifellos „Materie" des Gesetzbuchs, folgert unrichtig: also lässt das StGB echtes Sonderrecht auch bezüglich seiner Materien zu, also billigt § 2 al. 2 auch partikulare leges speciales, namentlich in den namhaft gemachten Gesetzen. Dagegen ist aber zu erwidern, 'dass die mit „namentlich" eingeleiteten Gesetze zum grössten Teile sich n i c h t auf Materien des Gesetzbuchs beziehen, dass sie also — fasst man die „besonderen Vorschriften" als echte leges speciales — auch dazu nicht als Beispiele passen, dass endlich bei dieser Auslegung die Tatsache cler absoluten Verneinung des § 2 al. 1 durch § 2 al. 2 — also eine reine Sinnlosigkeit — bestehen bleiben würde. Die allein richtige Auslegung geht dahin, dass al. 2 nur die nicht auf Materien des GB bezüglichen Bundes- und Landesstrafgesetze in Kraft belässt, und dass der Gesetzgeber bei seiner Exemplifikation diesen Grundsatz fest im Auge behaltend nur bezüglich einer Anzahl zweifelhafter Fälle die authentische Erklärung abgiebt, die mit „namentlich" eingeführten Gesetze seien nach Auffassung des Reichs solche, die gegenständlich mit dem GB nicht zusammenfielen 11 . Freilich ist R u b o , Kommentar S 126; Ha 11 er a. a. (). S 21; ν. W ä c h t e r , Beilagen S 234; O l s h a u s e n zu EG § 2 Anm 6 (2. Aufl. Anm 8); v. L i s z t S 75. 76. So drückt sich auch das EG für Elsass-Lothringen vom 30. Aug. 1871 Art. I I al. 2 aus: „In Kraft bleiben die besonderen Vorschriften ü b e r d i e d u r c h das S t G B n i c h t b e r ü h r t e n M a t e r i e n , namentlich" u. s. w. Diese Auslegung wird durch EG § 2 al. 3 über den Konkurs vollauf bestätigt. Ihr wurde in Entwurf I und I I Ausdruck gegeben. Die Hauptgegner dieser Auffassung sind Me ν es, StRZ 1871 S 545 if. und neuerdings H ä l s c h n e r , D. StR I 96 ff. Vgl. darüber genauer unten in den §§ 71—73. Die Gegner müssen durch falsche Auffassung des § 2 al. 2 zur falschen Auslegung der §§ 5 u. 6 getrieben werden. 10 S. bes. M eves, StRZ 1871 S 547 und H ä l s c h n e r , D. StR I 37. 38. 11 Am klarsten hat dies v. W ä c h t e r , Beilagen S 234 entwickelt. — Das Gegenstück dieser authentischen Auslegung findet sich in Entwurf I Art. II, wo alle partikularen Strafgesetzbücher in toto als Gesetze bezeichnet werden, welche Gegenstände des Nordd. StGB betreffen.

§ 64. a. Die „Materien" des Gesetzbuchs.

295

unleugbar, dass durch diese authentische Auslegung das Geltungsgebiet des in al. 2 zu Anfang statuirteli Princips tatsächlich verengt wird; das EG stellt aber unverkennbar die gesetzliche Fiktion auf, dass dieses nicht geschehen sei. Mit anderen Worten: die Regel des § 2 al. 1 duldet nach Auffassung des Bundes keine Ausnahme; es giebt neben dem GB kein Bundes- und kein Landesstrafrecht, welches sich auf seine Materien bezöge; positiv ausgedrückt: es g i e b t d a neben nur Bundes- und Landesstrafrecht über Materien, d i e n i c h t G e g e n s t a n d des G B s i n d 1 2 . c. Der dritte Einwand ist terminologischer Natur. Er stützt sich darauf, dass die „besonderen Vorschriften" des Abs. 2 zwar für die leges speciales eine treffende Bezeichnung seien, nicht aber für Gesetze über dem GB ganz fremde Materien. Nun ist gern zuzugeben, dass der ausdrückliche Gegensatz zu diesen b e s ο η d e r e η Vorschriften im Gesetze sich vermissen lässt. Dieser Mangel erklärt sich aber leicht aus der Entstehungsgeschichte des EG. Entwurf I u. I I setzten gleichmässig die sämmtlichen Strafgesetzbücher der Einzelstaaten ausser Kraft. Den Gegensatz zu den Strafgesetzbüchern bildeten alle Strafsatzungen ausserhalb derselben als die „besonderen Strafgesetze", und von diesen wurden die nicht auf Materien des GB bezüglichen ausdrücklich in Kraft belassen. Der Bundesrat beseitigte nun bedauerlicher Weise die Aufhebung der Landesstrafgesetzbücher in complexu, beseitigte ebenso bedauerlich wie unnötig den Zusatz zu den „besonderen Strafgesetzen", dass sie sich auf Materien, die n i c h t Gegenstand des StGB wären, zu beziehen hätten, und war nun genötigt, wenn er den Ausdruck „besondere Strafgesetze" nicht aufgeben wollte, darunter alle in und ausser den früheren Landesstrafgesetzbüchern stehenden Strafbestimmungen zu verstehen, sofern sie sich auf Materien des GB nicht bezogen. G e r a d e d i e B e z u g n a h m e a u f s o l c h e M a t e r i e n ist die c h a r a k t e r i s t i s c h e E i g e n s c h a f t der besond e r e n S t r a f g e s e t z e i m S i n n e des E G § 2 al. 2. 2. Ist aber erkannt, dass es Landesstrafrecht über Materien des StGB nach Auffassung des EG nicht giebt, so erhellt alsbald, a. dass EG § 5 unter den „landesgesetzlichen Vorschriften über Materien, welche nicht Gegenstand des StGB für den Nordd. Bund 12 Diese fundamentale Wahrheit ist völlig verkannt von Me ν es, StRZ 1871 S 546 if. und von H ä l s c h n e r , D. StR I 96 ff. Eine Auseinandersetzung im einzelnen mit diesen Schriftstellern ist deshalb unmöglich. Meves deutet a. a. 0. S 550 die b e s o n d e r e n Vorschriften nur auf leges speciales in seinem S 546 aufgestellten zweideutigen Sinne; auf diese aber nur soweit, als ihre Tatbestände nicht als besondere in das GB aufgenommen worden sind.

296

5. Ausschliesslichkeit

es gemeinen Rechtes.

sind," alle Landesstrafgesetze begreift, und dass nichts falscher ist, als die Unterstellung, § 5 erkenne an, dass seine Regel für Landesstrafrecht, welches sich auf Materien des GB beziehe, nicht gelten wolle. Solches Landesrecht existirt für ihn nicht; b. dass EG § 6 gilt für alles „besondere Bundes- und Landesstrafrecht" und c. dass EG § 8 die Einfügung des besonderen Landesstrafrechts in den Rahmen der §§ 5 u. 6 ins Auge fasst; dass endlich d. das EG den Bundesstaaten das Recht zum Erlasse von „besonderen Vorschriften" in seinem Sinne auch fernerhin freigiebt, § 65.

b. D a s S t r a f e n s y s t e m .

Wie oben dargelegt war im Interesse der so notwendigen Ausgleichung des deutschen Strafrechts nicht nur ein vollständiges gemeines Strafensystem aufzuführen, sondern auch das in Geltung bleibende Partikularrecht diesem unbedingt zu unterwerfen, und es waren die Strafmittel genau zu bezeichnen, die der Landesgesetzgebung vom Tage des Inkrafttretens des Gesetzbuchs an zu Gebote stehen sollten. Alles dies hat das GB getan 1 . Statt diese unentbehrliche Unifikation mit der grössten Freude zu begrüssen und mit peinlicher Strenge zu wahren, hat man einige Ungenauigkeiten des gesetzlichen Ausdrucks benutzt um ihr möglichsten Abbruch zu tun. Nach EG § 6 soll vom 1. Januar 1871 an „nur auf die im Strafgesetzbuche für den Norddeutschen Bund enthaltenen Strafarten erkannt werden", und EG § 5 stellt der Partikulargesetzgebung nur bestimmte Strafarten in bestimmtem Umfange zur Verfügung. Vor allem ist zu betonen, dass eine „Strafart" durch ihren vagen Taufhamen „Zuchthaus", „Gefängniss", „Geldstrafe" gar nicht, vielmehr nur durch ihren Inhalt, ihre Dauer oder ihren Umfang und durch ihre innere Struktur, besonders ihre Abstuf barkeit bestimmt w i r d 2 . 1 S. GB § 13—42. 57. 74. 75. 77: EG § 5. 6. Lückenhaft sind allein die Satzungen über den Strafvollzug. Diese Lücken für den Vollzug der auf Grund des Reichs- wie des Landesrechts ausgesprochenen Strafen bis zum Erlasse eines gemeinen Strafvollstreckungsgesetzes auszufüllen ist die Landesgesetzgebung berufen. S. auch S c h w a r z e , GS 1870 S 396. 397; B e r n e r , Lehrb. S 95; H ä l s c h n e r I 108. Zu weit geht aber die Aeusserung v. Ho I t z e n d o r f ? s in seiner StrRZ 1871 S 21: „Ihrer inneren Natur und ihrer Art nach sind die Freiheitsstrafen partikularrechtlich geblieben." 2 And. Mein. H e i n z e , Verhältniss S 104: die Beschränkung des § 6 enthalte nicht zugleich die Beschränkung auf die im GB vorgesehene höchste Dauer der betr. Strafart. — Ebenso M e v e s , StRZ 1871 S 553—556; H ä l s c h n e r I 105; O l s h a u s e n zu EG § 2 Anm 12 und zu EG § 5 Anm 4; Preuss. OTr Erk. vom

§ 65.

. Das Strafensystem.

297

Dies ist zweifellos auch der Standpunkt des GB, welches in den §§ 13 ff. die Strafarten in allen diesen Richtungen vollständig von Reichswegen normirt. Nur in zwei Punkten steht der Partikulargesetzgebung Einfluss zu: sie darf den Arbeitszwang im Gefängniss für obligatorisch erklären (§ 16, 2) und den Vollzug der Zuchthausund Gefängnisstrafe in Zellenhaft innerhalb der Grenzen des § 32 anordnen. Im übrigen sind die Strafarten ausgeprägte Münzen mit bestimmtem Feingehalte und ist den Bundesstaaten das Recht der Ausmünzung von Strafarten untersagt. Eine Zuchthausstrafe, die statt nach vollen Monaten nach Tagen oder Stunden gesteigert werden könnte, ist aber nicht d i e Strafe, welche das GB Zuchthaus nennt; eine Gefängnisstrafe mit kleinerem Minimum als einem Tag, statt aus Tagen grob aus Wochen gegliedert, hinaufsteigend über das Maximum der fünf Jahre ausser den Fällen der §§ 57, 1 u. 2 und 74 ist eben nicht d i e Gefängnisstrafe des GB. Genau ebenso bei der Haft und bei der Geldstrafe : es erscheint dem Reiche unwürdig bei Vergehen unter drei Mark, bei Uebertretungen unter eine Mark herunterzugehen. Die gemeinrechtlichen Strafarten sind also die an erster Stelle durch Inhalt, Maximum, Minimum und Art der Gliederung, und erst an zweiter Stelle durch ihren meist nichtssagenden Namen charakterisirten Strafen des GB. Dass diese Strafarten und die Verbindung derselben zum Strafensystem Gegenstand des GB sind, ist ganz unbestreitbar. Deshalb träten auch ohne die Bestimmung in EG § 6 am 1. Januar 1871 alle partikularen Strafdrohungen, die abweichende Strafarten verwendeten, für den Umfang ihrer Abweichungen ausser Kraft. Wenn EG § 6 aber doch noch den Richtern einschärft — denn die Fassung: es „darf nur auf die im GB . . . enthaltenen Strafarten e r k a n n t werden", ist hier mit vollem Bedachte gewählt — : alle Strafurteile dürften vom 1. Januar 1871 nur ,auf die gemeinrechtlichen Strafarten lauten, so ist das nur eine Sicherstellung des Strafensystems des gemeinen Rechtes wider clie richterliche Versuchung, alte Bundesoder Landesstrafgesetze mit ihren unveränderten alten Strafarten auch fernerhin anzuwenden, insbesondere wenn sie nach GB § 2 als die milderen denen des Strafgesetzbuchs vorgehen 3 . 11. Juni 1874 (Ο XV 382 ff.). Ganz unbeweisend ist die Aeusserung in den Motiven zu Entwurf I I I § 19 : „Unberührt bleibt aber dabei die Höhe derjenigen Geldstrafen, welche in Gesetzen angedroht sind, welche, wie beispielsweise die Steuergesetze, neben dem StGB bestehen bleiben." 3 S. R ü d o r f f zu EG § 6 Anni 4; O l s h a u s e n zu EG § 6 Anm 3 (2. Aufl. Anm 1). Unhaltbar ist H ä l s c h n e r s Behauptung I 105 ff., dass EG § 6, wenn

298

5. Ausschliesslichkeit

es gemeinen Rechtes.

Erst jetzt ermöglicht sich eine zuverlässige Auslegung der einschlagenden Bestimmungen des EG. I. Dieses selbst ist nicht erst am 1. Januar 1871, vielmehr schon am 22. Juni 1870 in Kraft getreten. Somit bestimmt EG § 5 scheinbar: Vom 22. Juni 1870 ab darf „in landesgesetzlichen Vorschriften, welche nicht Gegenstand des Strafgesetzbuchs . . . sind, nur Gefängniss bis zu zwei Jahren, Haft, Geldstrafe, Einziehung einzelner Gegenstände und die Entziehung öffentlicher Aemter angedroht w e r d e η " 4 . Der § 5 scheint sich also nur auf künftige Landesgesetze zu beziehen. Diese Satzung rektifizirt sich aber sofort, wenn man EG § 6 u. 8 in den richtigen Zusammenhang mit ihr stellt. EG § G bedeutet für die Landesgesetze, in den vor dem 22. Juni 1870 erlassenen Gesetzen, soweit sie in Kraft bleiben, solle bis zum 1. Januar 1871 die Umformung der alten Strafdrohungen nach Maassgabe des § 5 vollzogen sein; § 8 weist auf die auch zu diesem Behufe ganz unentbehrlichen Uebergangsbestimmungen hin, welche die Landesgesetzgebung behufs Konformirung ihrer Strafgesetze mit dem neuen Strafgesetzbuche vor dem 1. Januar 1871 zu erlassen habe. EG § 6 will also a l l e neben dem GB in Kraft bleibenden und in Kraft tretenden Landesgesetze ergreifen. Diese Auffassung bedarf genauerer Begründung. Ihr tritt die andere gegenüber, EG § 5 beschränke die Landesgesetze nur für die Strafdrohungen, die sie n a c h dem 22. Juni 1870 erlasse, auf die in § 5 benannten Strafmittel 5 , und nicht einmal für die nach EG § 2 al. 2 angeblich zugelassenen leges speciales, sondern nur für „die Vorschriften über Materien, welche nicht Gegenstand des StrafgesetzEG § 5 sich auf a l l e partikularen Strafgesetze bezöge, zwecklos und überflüssig wäre, und unberechtigt seine Polemik gegen die Ansicht, die EG § 6 mit GB § 2 in unmittelbare Beziehung setzt. 4 Die allgemeine Fassung erklärt sich lediglich aus der leidigen Art des EG, das Verhältniss des neuen gemeinen zum älteren gemeinen und zum älteren und jüngeren Partikularrecht gleichzeitig ins Auge zu fassen. — Die richtige Ansicht verteidigen H e i n z e , Verh. S 87 if.; ders., HH I I 15 if.; ders., GS 1878 S 561 if. (bes. schlagend der Grund das. S 567); R u b o , Komm. S 132 if. 193 if.; v. B a r , KrV XIV 262; K a y s er bei HH IV 52; v. W ä c h t e r , Beilagen S 246. 247. Dass EG § 5 sich nicht lediglich auf die Zukunft bezieht, nimmt auch H ä l s c h n e r I 104, vgl. S 110, an. r ' So R ü d o r f f zu EG § 5 Anm 5; O p p e n h o f f zu EG § 5 Anm 12; S c h w a r z e zu EG § 6 Anm 3; S c h ü t z e , GA XX 1872 S 358 ff.; M e y e r , Lelirb. S 73. 74; v. L i s z t , Lehrb. S 77; O l s h a u s e n zu EG § 5 Anm 2 (wo man wieder den Unsegen der Benutzung der Entstehungsgeschichte erfahren muss ; übrigens würde ich O l s h a u s e n zu EG § 2 Anm 12 im gerade entgegengesetzten Sinne deuten).

§

.

. Das Strafensystem.

299

bûches . . . s i n d " 6 ; für die ä l t e r e n Partikularstrafgesetze gälte § 5 nicht, vielmehr könnten darin auch Zuchthausstrafen, Gefängnisstrafen über 5 Jahre u. s. \v. angedroht bleiben, nur müssten diese Strafen vom 1. Januar 1871 an zu den „Strafarten" des GB gehören, somit bis dahin eventuell in solche umgewandelt werden. Die Ansicht aber führt zu den bedenklichsten Widersprüchen 7 . Zunächst ist es 1. unannehmbar, in § 5 eine Unterscheidung auch bezüglich der nach dem 22. Juni 1870 ergehenden Landesstrafgesetze hineinzuinterpretiren. Die Sprache cles § 5 weist auf die des EG £ 2 zurück. Dessen „besondere Vorschriften" des Landesrechts, welche nach § 2 al. 2 a l l e i n neben dem Bundesrecht in Kraft bleiben, sind in die Worte des § 2 al. 1 unigesetzt alle Vorschriften über Materien, welche Gegenstand des GB n i c h t sind. Genau diese Worte gebraucht nun § 5, und will somit zweifellos eine Nonn für die Lanclesgesetzgebung in ihrer g a n z e n künftigen Tätigkeit aufstellen 8 . Es wäre ja unerhört, wenn § 5 cler Landesgesetzgebung für spätere Forstdiebstahlsgesetze Zuchthaus zur Verfügung stellte, für ihre eigensten Materien aber nur im Höchstbetrag Gefängniss bis zu zwei Jahren. 2. Gerade so schlimm ist der Widerspruch, der sich nach der bekämpften Auffassung zwischen EG § 5 und 6 ergiebt. Allerdings lautet § 5 statt, wie es besser wäre: „in Landesstrafgesetzen dürfen nur folgende Strafarten angedroht s e i n " : es dürfen nur folgende Strafarten angedroht w e r d e n. Den Grund dieser Bestimmung bildet unbestritten die Ansicht des Bundesgesetzgebers, alle bedeutenderen Verbrechen sollten von Reichs wegen geregelt werden und für die der Landesstrafgesetzgebung verbleibenden Delikte reichten die Strafen des § 5 vollständig aus. Dieser Grund aber trifft gerade so zu für die älteren Landesgesetze, die vor dem 22. Juni ergangen waren, wie für 6 So J o h n , StRZ 1871 S 343, wenn ich recht verstehe. Dagegen besonders R u b o , Kommentar S 132 ff. 214. Auch H ä l s c h n e r I 105 bezieht höchst befremdlich EG § 5 nur auf Landesgesetze über Materien, welche nicht Gegenstand des Strafgesetzbuchs sind, nicht aber auf die seiner Meinung nach zulässigen leges speciales; auf diese allein soll EG § 6 Bezug nehmen. Die Ausführungen H ä l s e liner s a. a. Ο. I 102—107 sind bedauerlich gewunden unch bieten durchaus nicht „eine alle Bedenken und Schwierigkeiten lösende Erklärung", sondern leider das G egenteil einer solchen. 7 Ganz mit Recht wird sie von H e i n z e bei HH I I 16 auf „sklavische Silbenstecherei" zurückgeführt, „die den Organismus des Gesetzes dadurch verstümmelt, dass sie die zu enge Wortfassung benutzt, um die eine Vorschrift auf die Vergangenheit, die andere auf die Zukunft zu beschränken und dadurch auf künstlichem Wege zwei Lücken zu schaffen". S. auch R u b o S 193. 194. 8 S. darüber oben S 292 ff.

5. Ausschliesslichkeit

300

es gemeinen Rechtes.

die erst nach diesem Datum erlassenen. Es wäre die seltsamste Ironie auf die ausgleichende Tendenz des gemeinen Rechtes, wenn kraft seiner Satzungen ein und dasselbe Delikt in dem einen Bundesstaate, weil dessen Gesetz vor dem tempus criticum erging, mit Zuchthaus in langer Dauer belegt, in dem anderen Bundesstaate aber, der es neu pönalisiren w i l l , nur mit höchstens zweijährigem Gefängniss bedroht werden dürfte. Es wäre unbegreiflich, wenn das gemeine Recht neuere Strafdrohungen intensiverer Art als mit sich unverträglich verwürfe, die höchsten Strafdrohungen des älteren Rechtes aber als mit sich ganz verträglich neben sich dulden wollte, da doch das neue gemeine Recht nicht sowohl sein Verhältniss zum neuen, als überhaupt zu allem Partikularrecht gleiehmässig durchgreifend regeln muss. Schon diese Erwägungen drängen dazu den § 5 nicht lediglich auf die künftigen, sondern auch auf die älteren Landesgesetze zu deuten und die Worte: in Landesgesetzen dürfen nur folgende Strafen angedroht werden, für identisch zu halten mit den exakteren: „Landesgesetze dürfen nur folgende Strafen androhen". Dass EG die Umbildung der älteren Landesgesetze nach § 5 erwartet und fordert, ergiebt § 6 und sein Zusammenhang mit § 5 und § 8. Die „Strafarten" der früheren Strafgesetzbücher wichen von denen des Bundesstrafgesetzbuchs meist erheblich ab. Die Landesgesetzgebungen waren deshalb durch ihren Beruf verpflichtet und durch EG § 8 noch besonders aufgefordert die älteren Gesetze neu zu publiciren, um sie dem neuen gemeinen Rechte anzupassen. Dass diese Republikationen unter dem Banne des § 5 stehen sollten, ist klar. Oder meint man, die Landesgesetzgebung hätte durch eine gesetzliche Gleichung zwischen ihren alten Strafen und den Beträgen der neuen Strafarten den § 5 umgehen können? Dann leugnet man das Unleugbare, dass nämlich in solchem Falle, wenn auch in genereller Satzung, alle zweiten Teile der alten Strafgesetze neu publient worden wären, und dass für diese neue Publikation § 5 gar nicht umgangen werden konnte. Ja § 6 bestimmt genau den 1. Januar 1871 als den Tag, bis zu welchem jene Uebereinstimmung der alten Strafdrohungen mit dem neuen Strafensysteme ordnungsmässig hergestellt sein sollte 9 . 9

Ueber die Stellung des Richters, wenn dies bis dahin nicht geschehen war, s. oben S 250. 251. Zu einseitig bez. des EG § 6 das Erk. des hess. Kass.-Hofes vom 3. April 1872 (St I 252).

§ 65.

. Das Strafensystem.

301

Abgesehen von der Ausnahme in al. 2 gilt also EG § 6 ausnahmelos 10 . II. Die der Partikulargesetzgebung überlassenen Strafmittel und die auf Grund der Laiidesstrafgesetze vom 1. Januar 1871 an allein auszusprechenden Strafarten sind somit 1. das G e f ä n g n i s s des GB mit allen seinen Eigentümlichkeiten, aber nur in der Dauer zwischen einem Tage und zwei Jahren. Dies zweijährige Gefängniss ist die höchste landesgesetzliche Strafe. Sie kann nie überschritten werden, auch beim Rückfalle nicht 1 1 . Treffen aber mehrere landesgesetzliche Vergehen in Realkonkurrenz zusammen, so greifen die §§ 74 ff. Platz. 2. Die H a f t s t r a f e des GB mit allen ihren Eigentümlichkeiten, also auch nur im Höchstbetrage von sechs Wochen 1 2 . 3. Die G e l d s t r a f e des GB mit ihrem Minimum von V3 Thaler für Uebertretungen und von 1 Thaler für Vergehen. Wie es keine landesgesetzlichen Freiheitsstrafen giebt unter einem Tage, so keine Geldstrafe unter 1 Mark oder von P/2 M a r k 1 3 . Der Höchstbetrag der landesgesetzlichen Geldstrafe ist vom Reichsrecht nicht fixirt 14. Das Verhältniss dieser Strafen zu einander ist durch GB § 28 u. 29 in einer auch für die Landesgesetzgebung unwandelbaren Art bestimmt 1 5 . 4. Die E i n z i e h u n g e i n z e l n e r G e g e n s t ä n d e nach Maass10

Also auch für (las durch EG § 2 al. 2 nachgelassene partikulare Sonderrecht. Meves, StKZ 1871 S 553; S p e c h t , GA XX 166; O l s h a u s e n zu EG S 2 Anm 12. 11 H e i n z e bei HH I I 14. 12 Wird in Landesgesetzen Gefängniss über zwei Jahre oder Haft über sechs Wochen angedroht, so sind nicht die ganzen Strafgesetze, sondern nur die Strafen, soweit sie das gesetzliche Maximum überschreiten, nichtig. So auch H e i n z e , Verhältniss S 138. 13 Richtig R o s i n , Polizeiverordnungsrecht S 114. 115. Für die deutschen Lande, die 1871 noch nach Gulden rechneten, ist m. E. an jenem reichsgesetzlichen Minimum unbedingt festzuhalten gewesen. Im übrigen wird man dazu gedrängt ihnen freie Bewegung innerhalb ihres Münziusses zu gestatten. Nur ist die Umwandlung cler Geld- in Freiheitsstrafe unbedingt nach GB § 28. 29 vorzunehmen. So auch Erk. des BayOG vom 8. März 1872 (Entsch I I 54. 55). 14 Zurücksetzung einer Forderung im Konkurse und Einziehung von Holzungsrechten sind aber nicht, wie H e i n z e , Verh. S 98 und bei HH I I 14 annimmt, nur Formen der partikularrechtlich zulässigen G e l d s t r a f e . Richtig O l s h a u s e n zu EG § 5 Anm 4. 15 Falsch m. E. O l s h a u s e n zu EG § 2 Anm 12 und Erk. des beri. OAG vom 11. Mai 1872 (Ο X I I I 301. 302).

302

5. Ausschliesslichkeit cles gemeinen Rechtes.

gäbe cles GB § 40 u. 42. Nicht ist bestimmt, dass dieselbe nur angedroht werden darf, falls die Gegenstände dem Schuldigen eigentümlich gehören. Bedeutet nun auch die Einziehung meist — nicht notwendig — einen Verlust des Eigentumsrechtes, so darf doch § 5 nicht analog erweitert und auf die Entziehung aller möglichen Rechte, nicht einmal auf die Entziehung von anderweiten Privatrechten ausgedehnt werden 1 ( \ Auch kann das Landesgesetz nicht bestimmen, dass an Stelle der nicht beizubringenden Werkzeuge oder Erzeugnisse des Verbrechens der Täter zum Weitersatz zu verurteilen sei 1 7 . 5. Die S t r a f e d e r E n t z i e h u n g ö f f e n t l i c h e r A e m t e r . Dieser Begriff bestimmt sich selbsverständlich nach GB £ 31. Im GB § 81. 83. 87—90 wird die gleiche Strafe als die des „Verlustes der bekleideten öffentlichen Aemter" bezeichnet; sie bildet einen Ausschnitt aus der Strafe des Verlustes der bürgerlichen Ehrenrechte. Sie ist demgemäss die einzige zulässige accessorische Ehrenstrafe des Landesrechts. Da über den Verlust von Reichsämtern nur das Reich entscheiden kann, so wird man die Strafe des EG § 5 allerdings auf die Entziehung der dem Delinquenten im gesetzgebenden Bundesstaate zukommenden öffentlichen Aemter beschränken müssen 18 . Beachtet man, wie scharf GB § 33 den Verlust der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte von dem Verlust der öffentlichen Aemter scheidet, so wird man gewiss nicht mit O p p e l i li ο f f zu EG § 5 Anni 5 diese partikulare Strafe auf den Verlust der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte ausdehnen wollen 1 ". Es ist streitig, ob ein Landesgesetz den Verlust auch eines geistlichen Amtes androhen dürfe. · Zweifellos dann, wenn dies Amt nach geltendem Staatsrechte zu den öffentlichen Aemtern gehört 2 0 . Andernfalls aber nicht! Doch steht nichts im Wege den schuldigen Inhaber des geistlichen Amtes durch Disciplinarverfahren von seiner Stelle zu bringen oder im Kirchendienergesetz im Interesse der Reinhaltung des 16 Wie weit diese Verwirkungen aus andern Gesichtspunkten heraus landesgesetzlich verwertet werden dürfen, darüber vgl. unten 8 326 ff. 17 RG I vom 7. I)ez. 1882 (E V I I 311 ff). . 18 Richtig hervorgehoben von R u b o zu EG S 5 Anm 9. Dagegen wohl Olshausen zu EG § 5 Anm 4: eine derartige Beschränkung enthalte § 5 nicht. Dies ist wahr. Kann aber das Reich gestatten, dass Landesrecht über den Untergang von Reichsämtern entscheidet? 19 Richtig R ü d o r f f zu EG § 5 Anm 8. 20 Ueberselien von O p p e n h o f f zu EG § 6 Anm 7. Andererseits zu weit gehend O l s h a u s e n zu EG § 5 Anm 4 a. E. — Vgl. Preuss. OTr vom 17. Juni 1874 (Ο XV 424 ff).

§ 65.

1). Das Strafensystem.

303

geistlichen Amtes gewisse Verurteilungen als Grund des Erlöschens des geistlichen Amtes zu bezeichnen. 6. Unzweifelhaft will die Aufzählung der Strafmittel, welche nach EG § 5 cler Landesgesetzgebung überlassen bleiben, vollständig sein. Unter diesen Strafen fehlt a. der V e r w e i s . Ganz mit Hecht! Der Verweis ist eine Ehrenstrafe, die nach GB § 57, 4 überhaupt n i e gesetzlich a n g e d r o h t wird. Sie ist vielmehr lediglich eine dem Richter ein für alle Male zur Arerfügung gestellte subsidiäre Strafe für alle besonders leichte Vergehen und Uebertretungen jugendlicher Personen. Gerade deshalb kann aber der deutsche Strafrichter vom 1. Januar 1871 an auch in allen landesrechtlichen Deliktsfällen auf Verweis erkennen, soweit er sich dabei auf GB § 57, 4 zu stützen vermag 2 1 — aber nicht weiter 2 2 . Der Verweis ist somit die einzige Strafart, deren Androhung nach EG § 5 unzulässig, deren Zuerkennung nach EG § 6 zulässig ist. Ein Widerspruch zwischen beiden Paragraphen liegt nicht vor, da der Verweis keine anzudrohende Strafe i s t 2 3 . b. die F o r s t - u n d G e m e i n d e a r b e i t , die EG § 6 als zulässige partikulare Strafe anerkennt. Es liesse sich das Schweigen des § 5 so erklären, als bezöge sich die Gestattung des § 6 nur auf solche Bundesstrafgesetze, die am 1. Januar 1871 schon in Kraft standen. Dafür spricht auch der Wortlaut des Gesetzes. Allein es liegt gar kein Grund vor, eine Strafart, die das EG selbst als mit denen des Strafgesetzbuchs verträglich bezeichnet , nur in älteren Landesgesetzen zu dulden. Und so darf allerdings auch in solchen Gesetzen, 21

Richtig H e i n z e , Verli. S 99 und bei HH I I 15; R ü d o r f f zu EG S 6 Anm 2, und von einem Punkte abgesehen O l s h a u s e n zu EG § 5 Anm 5. — S. auch Erk. des Preuss. OTr vom 26. Sept. 1877 (Ο X V I I I 591) und M e v e s , StRZ 1871 S 572. Der Verweis als Disciplinarmaassregel ist aber unbeschränkt zulässig. S. oben S 274. 275. 22 Deshalb unrichtig J o h n , StRZ 1871 S 343 if.; O p p e n h o f f zu EG § 6 Anm 6: Schwarze zu EG § 6 Anm 5; I l u b o , Komm. S 226 Anm 3; M e v e s , StRZ 1871 S 553 Anm 1; W ä c h t e r , Beilagen S 244. 245. 23 Dagegen ist unzulässig das Erkennen auf den dem GB fremden „geschärften Verweis": H e i n z e , Verh. S 50. — Die Anordnung, es sollten schwerere Strafurteile öffentlich bekannt gemacht werden, ist der Landesgesetzgebung durchaus nicht, wie B e r n e r S 97 (vgl. R u b o S 207) behauptet, untersagt. Es handelt sich dabei gar nicht um eine Strafe. So ist Preuss. StGB § 30 nicht durch das GB aufgehoben. And. Mein. M e v e s , GA X X I I I 16. Nur soweit diese Maassregel als Strafe gedacht ist, ist sie allerdings durch GB beseitigt. So O p p e n h o f f zu EG § 6 Anm 8. In GB § 200 ist sie aber n i c h t Strafe. And. Mein. R u b o S 227; Do chow bei HH I I I 367. 368; RG I I I v. 3. März 1884 (E Χ 206 if., s. bes. S 209)1

5. Ausschliesslichkeit les gemeinen Rechtes.

304

die erst nach clem 1. Januar 1871 erlassen worden, statt Freiheitsoder Geldstrafe 24 oder alternativ mit diesen oder ihnen subsidiär Forst- und Genieindearbeit angedroht werden 2 5 . EG § 6 al. 2 ergänzt sowohl § 6 al. 1 als § 5 2 6 . I I I . Das heutige gemeine Recht kennt nicht eine einzige sog. P r i v a t s t r a f e 2 7 : denn die „Busse" besitzt keine Strafnatur. Ebensowenig 24

„Gefängniss" ist in EG § 6 al. 2 nicht streng zu nehmen. S. auch Olsh a u s e n zu EG § 6 Anm 9. 25 Ders. Ans. H e i n z e , Verh. S 106—108; M e v e s , StRZ 1871 S 553; R ü d o r f f zu EG § 6 Anm 5; O l s h a u s e n zu EG § 6 Anm 8 (1. Aufl.). 26 So auch richtig R ü d o r f f zu EG § 6 Anm 5. 27 Ich verstehe darunter nur dem Delinquenten zur Genugtuung für sein Delikt aufgelegte Leistungen an den Verletzten : Privatgeldstrafen, Abbitte imd Ehrenerklärung. Ueber die sog. Privatstrafe in Gestalt der Verwirkung s. unten § 70. Die Behauptung S t o b b e s , Privatrecht I I I 374 Anm 10, das Reichsgesetz betr. das Urheberrecht vom 11. Juni 1870 § 54. 55 statuire eine Privatstrafe (ebenso M e y e r S 319 Anm 17), halte ich für unrichtig. — Ueber die Frage, wie weit die am 31. Dez. 1870 noch bestehenden Privatstrafen durch das StGB beseitigt worden sind, s. besonders W i n d s c h e i d , Pand. I § 123 Anm 4a, I I § 326; B r u n s in v. Holtzendorffs Enc., 4. Aufl., I 425; M a n d r y , Civilr. Inhalt der Reichsgesetze S 247 if.; T h o n , Rechtsnorm S 33 ff. — Die Kriminalisten haben sich über diesen Punkt sehr kurz gefasst. S. H e i n z e Verhältniss S 99 (missverständlich ders. bei HH I I 14); M e y e r § 50 S 319; v. L i s z t S 78. Am ausführlichsten, aber von ganz falschen Prämissen ausgehend J o h n , StRZ 1871 S 341 ff. Die Ausgangspunkte der Schriftsteller und ihre Resultate sind ausserordentlich verschieden : 1. Die Privatstrafe lag ausserhalb cler Gesetzgebungskompetenz des Nordd. Bundes, also ist sie durch das GB ganz unberührt; so T h o n (kaum konsequent a. a. O. S 39). 2. Die Privatstrafe ist keine Strafart des GB. Also sind nach EG § 6 alle Privatstrafen unzulässig, insbes. die Strafe der Selbsthilfe ; so M e y e r . Beide Ansichten führen zu grundsätzlichen Resultaten unci überheben der Notwendigkeit cletaillirter Untersuchung. 3. Die Privatstrafen sind durch das RStGB soweit ausgeschlossen, als sie Materien betreffen, welche Gegenstand desselben sind; so W i n d s che ici und M an clry, wohl auch v. L i s z t (wenig klar). Die verdienstlichen Untersuchungen W i n d s c h e i d s und M a n d r y s leiden darunter, class sie einer Anzahl von Erscheinungen im neuen gemeinen Rechte nicht gerecht werden und deshalb verkennen, dass nach dessen Auffassung die Verwirkung meist keine Strafe ist. S. darüber unten § 70! — Die m. E. richtige Ansicht ist dahin zusammenzufassen: die Privatstrafen sind durch RStGB beseitigt, 1. soweit sie keine Strafarten des GB sind (Abbitte, Ehrenerklärung, Widerruf); 2. soweit sie Geldstrafen, aber mit Tatbeständen verknüpft waren, die durch das GB mit öffentlicher Strafe bedroht oder für straflos erklärt worden sind. Dagegen ist 3. die sog. Privatstrafe, soweit sie Verwirkung ist, vom GB unberührt. Ueber die sog. Zwangsstrafe s. oben S 275. 276. — Für die Frage: „besteht heute noch das Recht des Fiskus auf Entziehung des Vermögens in den sog. Indignitätsfällen?" (s. Z i m m e r mann, GA X X I X 1882 S 6 ff.) giebt trotz Z i m m e r man η s gegenteiliger Auffassung das Strafgesetzbuch gar nichts aus.

§ 65.

. Das Strafensystem.

305

kann man die in GB § 200 dem Beleidigten zugebilligte Befugniss, „die Verurteilung auf Kosten des Schuldigen öffentlich bekannt zu machen", als ein Recht auf Privatstrafe anerkennen. Auf eigene Kosten darf der Beleidigte jedes solche Urteil publiciren; diese Publikation geschieht lediglich im Interesse der Rehabilitirung des Beleidigten, und mag sie auch dem Beleidiger selbst recht empfindlich sein, so ist das eine unwesentliche Nebenwirkung, wie denn diese Befugniss auch durch den Tod des Schuldigen nicht erlischt. Dass der Schuldige die Kosten zu tragen hat, ist eine civilistische Folgerung seines Deliktes. Der Mangel einer gemeinrechtlichen Privatstrafe kann aber nicht ohne weiteres als die Verwerfung auch der nach früherem gemeinen oder auch nach Landes-Recht zulässigen Privatstrafen aufgefasst werden. Allerdings kennt das GB und kennen die Reichsspecialgesetze als Inhaber der durch sie begründeten Strafrechte nur den Staat. Aber ein Verbot der Privatstrafe kann daraus nicht ohne weiteres gefolgert werden. Allerdings ist die Privatstrafe, soweit an ihre früheren Tatbestände durch Reichsrecht eine öffentliche Strafe geknüpft worden, zweifellos beseitigt worden 2 8 . Denn im früheren gemeinen Recht konkurrirten die öffentliche und die private Strafe nie kumulativ, sondern als echte Strafen nur elektiv. Aber nicht das ganze Gebiet der früheren gemeinrechtlichen injuria ist vom Bundesstrafgesetzbuch erschöpft worden; und so wäre Raum genug für das in manchen Fällen vielleicht wünschenswerte Fortbestehen der alten Privatstrafen vorhanden. Sollten sie aber den 1. Januar 1871 überdauern können, so mussten sie sich als echte Strafen unter EG § 5 und 6 fügen. Alle Privatstrafen, die nicht in Geldstrafen oder Einziehung einzelner Gegenstände bestanden, wurden dadurch vom 1. Januar 1871 beseitigt, insbesondere die alten Strafen der Abbitte und der Ehrenerklärung 2 9 . Die übrigen Privatstrafen konnten sich neben dem gemeinen Rechte halten, sofern sie nicht an Delikte geknüpft waren, die einen Gegenstand des GB bildeten 3 0 . Ob sich aber Privatstrafen überhaupt neben den Reichsjustiz28

Dies schliesst nicht aus, dass nach dem 1. Jan. 1871 wegen früherer Beleidigungen auf die frühere Privatstrafe erkannt werden konnte, sofem sie die mildere war. In der Sache aber nicht in den Gründen richtig OAG Lübeck vom 15. April 1871 (StRZ 1871 S 339 ff.). 29 Nicht einmal darüber herrscht allgemeines Einverständniss. Richtig J o h n , StRZ 1871 S 337 ff.; M e y e r , Lehrbuch § 90 S 468. Falsch O p p e n h o f f zu EG § 6 Anm 14 und F r a n c k e bei GA XX 69. 30 S. oben Anm 27. Dass sich der Tatbestand der römischen injuria „schon im bisherigen gemeinen Rechte zum Begriff der Ehrverletzung verengert hatte" (sa Dinding, Handbuch. V I I . 1. I : B i n d i n g , Strafrecht. I .

20

306

5. Ausschliesslichkeit cles gemeinen Rechtes.

gesetzen weiter zu halten vermögen, ist nicht unzweifelhaft. Nach ihnen haben die Civilgerichte — von den Prozesstrafen abgesehen — eine Strafjurisdiktion nicht: die Strafsache soll vor dem ordentlichen oder vor dem besonderen Strafrichter zum Austrage kommen. Zur Verfolgung einer Privatstrafe fehlt es aber an den notwendigen Organen. Der Staatsanwalt kommt nicht in Betracht, und eine Privatklage kennt StPrO § 414 n u r zur Verfolgung der öffentlichen Klage in Beleidigungs- und Körperverletzungsfällen. Andererseits liegt kein Grund vor die Privatklage auf diese beiden Vergehen zu beschränken, und so dürfte es der Landesgesetzgebung doch freistehen die §§ 414 ff. für die Verfolgung landesgesetzlicher Privatstrafen analog anwendbar zu erklären. Denn dass die Landesgesetzgebung für ihre strafbaren Handlungen Ausnahmen vom Officialprincip aufstellen darf, ist unbestritten und die Anerkennung der Privatklage ist nur eine solche Ausnahme! § 66. c. D i e G r u n d s ä t z e ü b e r das S u b j e k t des V e r brechens, über die V e r b r e c h e n s b e g e h u n g , die G l e i c h u n g zwischen U n r e c h t und Strafe. An solchen allgemeinen Grundsätzen ist das GB reicher, als es scheint. Die allgemeinen Voraussetzungen der Strafbarkeit will es vollständig regeln, und nirgends ist auch nur die geringste Andeutung vorhanden, dass Abweichungen von dieser Ptegelung in älteren Bundes-, älteren und jüngeren Landesgesetzen geduldet werden sollen. Die Zurechnungsfähigkeit, die verschiedenen Schuldarten in ihrer Abgrenzung gegen einander, die Begriffe Vollendung und Versuch, die Grundsätze über die Strafbarkeit des letzteren, die ganze Materie der Teilnahme, somit die Arten der Teilnahme, ihr Verhältniss zu einander, die relative Strafbarkeit der Teilnehmer, sind nach Ansicht der Beichsgesetzgebung absolut vollständig geregelt und ist jede Abweichung davon — von jüngeren Reichsgesetzen abgesehen — einfach nichtig 1 . Die schlimmste Wunde, die man dem gemeinen Rechte schlagen konnte, hat man ihm kühnlich geschlagen, indem man der LandesM a n d r y a. 0. 8 253, soweit ich verstehe, zur Begründung seiner Behauptung, die ganze Privatstrafe der alten injuria sei durch GB § 185 ff. beseitigt), halte ich für falsch. Für Wegfall cler ganzen Privatstrafe der injuria durch (las GB auch W i n d s c h e i c l I I § 472 Anm 7 a und wohl auch Stob be I I I 374; aus ganz unrichtigen Gründen J o h n , StRZ 1871 S 347. 1 Es sei gestattet, an dieser Stelle das Verhältniss der Landesgesetzgebung zum allgemeinen Teil des GB in vollstem Umfange zu besprechen.

66. c.

ie Grundsätze über d. Subjekt d. Verbrechens.

307

gesetzgebung bald i n geringerem, bald i n grösserem Maasse von j e n e n allgemeinen

Grundsätzen

sich

zu

emancipiren

gestatten

wollte2.

N i c h t zwar i n dem S i n n e , als dürfte sie ihren eigenen allgemeinen T e i l dem anderen,

des gemeinen Rechts gegenüberstellen, als seien i n

Abweichungen

statthaft.

bleibt unbemerkt. Ermächtigung allgemein

den einzelnen

im

tun:

Dass

Denn

darin

derartige

ein starker Widerspruch

liegt,

was die Landesgesetzgebung oline specielle

einzelnen Gesetze t u n d a r f ,

und was

aber wohl · i n dem

Landesgesetzen

ihr

darf sie i n allen also

allgemein freisteht,

meiner Satzung zusammenfassen.

darf sie i n allge-

E n t w e d e r sind also i n Deutschland

neben dem des G B noch 25 weitere allgemeine T e i l e der Strafgesetzgebung

zulässig,

oder

aber ist es keine

einzige hier einschlagende

allgemeine B e s t i m m u n g 3 . - Dass der allgemeine Teil des GB auch auf alle Landesgesetze Anwendung findet, welche nicht ausdrücklich von ihm abweichen, wird allseitig anerkannt. 3 Es dürften hier nur zwei Ansichten möglich sein: entweder gelten 1. die Bestimmungen des ganzen a l l g e m e i n e n T e i l s des GB, soweit sie erschöpfend sein wollen, unabänderlich für a l l e s Partikularrecht. Diese Ansicht verteidigt mit guten Gründen R u b o S 190 ft'., der aber seltsamerweise für die durch EG § 2 al. 3 in Kraft belassenen Strafgesetze über den Konkurs Abweichungen vom allgemeinen Teil des GB zulassen will, wofür es an jedem Grunde fehlt. S. auch O t t o , Sächs. Annal en NF V I I I 10. O l s h a u s e n zu EG § 2 Anm 8 billigt R u b o s Ansicht als allein konsequent, hütet sich aber — warum ist unersichtlich — ihr beizutreten. Vgl. die 2. Aull, zu EG § 2 Anm 11. — 2. Oder alles in Kraft bleibende Partikularrecht darf von allen Sätzen des allgemeinen Teils des GB abweichen. So R ü d o r f f , Kommentar S 55 Anm 3, zu EG § 2 Anni 7 und 8, zu EG § 3 Anm 3; O p p e n h o f f zu EG § 2 Anm 2; R e b e r , Antragsdelikte S 112: Schwarze zu EG § 2 Anm 1 und 2; Meves, StRZ 1871 S 563 ff.; v. L i s z t S 75. Dass diese Ansicht zu einer ganz willkürlichen einengenden Auslegung des EG § 3 führen muss, hat S c h w a r z e zu EG § 3 durch die Tat bewiesen. Uebrigens setzt auch diese Ansicht voraus, dass die Abweichung im Specialgesetze als solche gewollt sei. Dass die Anerkennung dieses Grundsatzes mehr als nur der Anfang vom Ende des gemeinen Rechtes ist. hat man verkannt. Haben doch durch Anerkennung desselben selbst das ROHG wie das Reichsgericht das Reichsrecht im Stiche gelassen. S. Erk. des ROHG vom 20. Sept. 1872 (St I I 17 ff.; es handelte sich um das französische Jagdgesetz von 1844, und das Gericht sagt: dass die b e s o n d e r e n Vorschriften im Sinne des EG § 2 al. 2 nur soweit Geltung beanspruchen, als sie besondere Vorschriften enthalten, und dass sie von den allgemeinen Grundsätzen des GB beherrscht werden, „soweit sie nicht etwa auch in dieser Richtung etwas Abweichendes bestimmen"). RG I I I vom 1. Mai 1880 (E I I 33 ff.) entwickelt dieselbe Ansicht mit dem (übrigens konsequenten) Zusatz, dass die Landesgesetzgebungen auch nach dem 1. Jan. 1871 in den besonderen Vorschriften solche Abweichungen aufstellen dürften. — Ganz auf demselben Standpunkte steht RG I vom 19. Mai 1884 (E X 392 ff.). — a. Am energischsten kommt diese Auffassung in dem baver. EG vom 26. Dez. 1871 al. 4 zum Ausdrucke. Auf die strafbaren 20*

308

5. Ausschliesslichkeit

es gemeinen Rechtes.

Das letztere ist das allein zutreffende. Am wenigsten sollte man die Fassung des EG § 2 al. 1 und 2 dazu benutzen um die notHandlungen der Landesgesetze „kommen die in der Einleitung und dem ersten Teile dieses GB enthaltenen Vorschriften insoweit zur Anwendimg, als nicht nach dem Inhalt der einschlägigen Landesgesetze anders bestimmt ist". Vgl. das. Art. 5. Während also EG § 2 al. 1 auch den allgemeinen Teil des GB für absolut gemeines Recht erklärt, sucht das bayer. Ges denselben in subsidiär gemeines Recht zu verwandeln. Die bayer. Praxis hat sich diesem Gesetze einfach angeschlossen. — b. Minder allgemein, aber nicht minder kühn hat sich die preuss. G e s e t z g e b u n g vom Reichsrecht losgesagt. Man sehe bes. das Gesetz, betr. den F o r s t d i e b s t a h l , vom 15. April 1878 § 4: „Der Versuch des Forstdiebstahls und die Teilnahme (Mittäterscli., Anstift., Beihilfe) an einem Forstdiebstahle oder an einem Versuche desselben werden mit der vollen Strafe des Forstdiebstahls bestraft" ; § 101 das jugendliche Alter ist kein Milderungsgrund; § 18. Ganz ähnlich das Feld- und Forstpolizeigesetz vom 1. April 1880 § 1 (!); § 4. 7. 8. — Die preuss. P r a x i s steht durchaus auf dem Standpunkt des bayer. EG und ihre Rücksichtslosigkeit gegen das gemeine Recht ist bemerkenswert. Es giebt keinen Fundamentalsatz des allgemeinen Teils des GB, den sie nicht ruhig bei Seite geworfen hätte, trotz der Reservation im Erk. des OTr vom 20. Nov. 1873 (Ο XIV 735 if.) zu Gunsten absoluter Prohibitivgesetze. Sie erklärt für statthaft die Bestrafung von Personen unter zwölf Jahren (OTr vom 6. und vom 30. Okt. 1871 bei Ο X I I 498 u. 545), eine Strafverhängung nach dem Tode des Täters, eine Bestrafung moralischer Personen (OTr vom 20. Nov. 1873 bei Ο XIV 735 ff.), sie schliesst die Rückwirkung des milderen Strafgesetzes aus (OTr vom 8. Febr. 1877 bei Ο X V I I I 114 u. 117; OTr vom 5. Juli 1877 das. S 504 ff. ; OTr vom 6. Juli 1877 das. S 510 ff.), lässt Abweichungen von dem gemeinen Veijährungsrecht zu (OTr vom 29. Juni 1876 bei Ο X V I I 476 ff.), ebenso vom gesetzlichen Maasstab der Strafumwandlung (Beri. OAG vom 11. Mai 1872 bei 0 X H I 301), von der gemeinrechtlichen Antragsfrist (OTr vom 1. Nov. 1878 bei Ο X I X 510). — c. Es ist nicht uninteressant zu sehen, dass die sämmtlichen neueren Forststrafgesetze mit Ausnahme des Königl. Sächs. vom 30. April 1873 sich dem Reichsrecht gegenüber gleich frei, zum Teile noch freier bewegen als das preussische. Man sehe das Bayer. F o r s t g e s e t z vom 26. Sept. 1879 (G- u. V-Bl 1879 S 1313 ff.) Art. 52—56. 72. 73; B a y e r , r e v i d. F o r s t s t r a f g e s e t z f ü r d i e P f a l z vom 2. Okt. 1879 (das. S 1419 ff.) Art. 3—6. 8. 15. 16; W ü r t t e m b e r g . F o r s t s t r a f g e s e t z vom 2. Sept. 1879 (RB1 1879 S 277 ff.) Art. 1. 2. 11. 12. 13; W ü r t t e m b . F o r s t p o l i z e i g e s e t z vom 8. Sept. 1879 (das. S 317 ff.) Art. 33. 34; Bad. F o r s t s t r a f g e s e t z vom 25. Febr. 1879 (G- und V-Bl 1879 S 161 ff.) § 7. 9. 10. 15; E l s a s s - L o t h r . L a n d e s g e s e t z , betr. das Forststrafrecht, vom 28. April 1880 (GBl 1880 S 75 ff.) § 1. 2. 5. 6. 13; B r a u n s c h w e i g . F o r s t s t r a f g e s e t z vom 1. April 1879 § 1. 2. 5. 9 Abs. 2. 12. 13; A n h a l t . Ges, betr. den F o r s t d i e b st a h i , vom 10. Mai 1879 (Gesetzsamml. 1879· S 525 ff.) § 4. 7. 13. 18; M e e k l e nb. V, betr. die Bestrafung der Forstfrevel, vom 31. Mai 1879 § 25. 29. — Dagegen sind zwei Kompromissansichten schon ihres inneren Widerspruchs wegen unhaltbar: 3. die Landesgesetzgebung sei an gewisse Bestimmungen des allgemeinen Teils des GB unlöslich gebunden, von andern aber dürfe sie sich emaneipiren. Es wird ganz unmöglich sein die Grenze zwischen beiden Gruppen sicher zu ziehen und das GB hat den Gegenstand der Strafmündig-

§ 66.

c. T>ie Grundsätze über d. Subjekt d. Verbrechens.

309

wendige Rechtseinheit auf diesem Gebiete wieder in die Winde fliegen zu lassen. Denn wenn sie eine solche Deutung zuliesse, so würde gegenüber der RV Art. 2; gegenüber dem Willen des GB und den zwingenden Bedürfnissen des deutschen Rechtslebens die mangelhafte Fassung eines Gesetzesparagraphen kaum eine genügende Basis abgeben um von da das gemeine Recht aus den Angeln zu heben. § 2 ist aber gar nicht so zu deuten. Allerdings lässt EG § 2 al. 2 die besonderen Vorschriften des Landesstrafrechts in Kraft, das sind aber nur solche, welche sich auf Materien des StGB n i c h t beziehen und soweit sie sich darauf nicht beziehen. Falls aber ein Landesgesetz die Strafbarkeit jugendlicher Personen traktiren wollte, so begönne es einen offenen Kampf gegen das Reichsrecht: denn deren Strafbarkeit ist zweifellos Materie des GB. Was von den Landesgesetzen in Kraft bleiben darf, sagt EG § 2 al. 2 auch ganz ausdrücklich: die Vorschriften über die strafbaren Verletzungen der Nonnen, das heisst unmissverstehbar d i e T a t b e s t ä n d e d e r V e r g e h e n und U e b e r t r e t u n g e n , sammt i h r e n Strafen, soweit diese m i t E G § 5 i m E i n k l a n g s t e h e n — aber nicht mehr! Erkennt man an, dass der Versuch, die Teilnahme u. s. w., ebenso wie die Tötung und der Betrug Materien darstellen, die Gegenstände des StGB geworden sind, und lässt man nichtsdestoweniger Abweichungen von den Satzungen über Versuch und Teilnahme zu, so muss man mit ganz demselben Recht auch Landesgesetze über die Verbrechen des StGB gestatten. Denn zu allen diesen Materien ist die Stellung des GB die gleiche. keit nicht minder absolut und vollständig geregelt als den der Verjährung, der Notwer, des Antrags u. s. w. — Wenn aber das Strafgesetz selbst hie und da von einzelnen seiner allgemeinen Bestimmungen abweicht, so giebt dies der Landesgesetzgebung nicht das Recht das gleiche zu tun.— S. bes. H e i n z e , Verh. S 83 ff.: die allgemeinen Voraussetzungen jeder strafbaren Tätigkeit, sowie die Bestimmungen über zeitliches und räumliches Herrschaftsgebiet, sowie über die Zurechnungsfähigkeit seien absolut bindend geregelt; im übrigen seien Abweichungen statthaft; v . W ä c h t e r , Beil. S 239: die Landesgesetzgebung sei zu Abweichungen berechtigt, soweit die Rücksicht auf den besonderen Charakter der strafbaren Handlung sie rechtfertige. Wie weit dies der Fall, soll aber wer entscheiden ! ? Eine Herabminderung des Termins cler Strafmündigkeit hält W ä c h t e r für unerlaubt. Wie aber, wenn die Landesgesetzgebung behauptet, die Materie, die sie zu regeln habe, fordere dies? Solchen eklektischen Standpunkt nimmt auch O l s h a u s e n zu EG § 2 Anni 8 (vgl. 2. Aufl. Anm 11. 14) ein; seine Ans. zu präcisiren vermag ich nicht. — 4. Die Landesgesetzgebung bewege sich ganz frei in ihren in Kraft bleibenden Bestimmungen über Materien, welche Gegenstände des StGB sind, sei aber an den allgemeinen Teil des GB gebunden, soweit sie dem GB fremde Materien regele. So H ä l s c h n e r , I). StR I 102. 111. Die innere Ironie dieser Ansicht leuchtet sofort ein.

5. Ausschliesslichkeit

310

es gemeinen Rechtes.

Dass diese Strafdrohungen der Herrschaft des allgemeinen Teils des GB, soweit er hier in Betracht kommt, entzogen werden sollten, ist mit keiner auch noch so leisen Andeutung gesagt. Es wäre doch auch gradezu unerhört, wenn § 2 al. 1 das Reichsrecht als absolut gemeines, § 2 al. 2 es als subsidiär gemeines Recht proklamiren wollte. Wenn, was gesagt ist, einen vernünftigen, die ausdehnende Auslegung aber einen unvernünftigen Sinn giebt, ist letztere unstatthaft. Nun könnte man aber versuchen grade aus der Besonderheit der landesgesetzlich zu strafenden Delikte einen Specialtitel zu derartigen Abweichungen ableiten zu wollen. Allein worin besteht denn diese Besonderheit? Wenn das Reich Grundsätze aufstellt, die passen und ausreichen um a l l e Verbrechen und hunderte von Vergehen und Uebertretungen der verschiedensten Art und Schwere zu beherrschen, so werden sie auch für die partikularen Vergehen und Uebertretungen ausreichen, die sich ihrer Struktur nach von den gemeinrechtlichen Vergehen und Uebertretungen in nichts unterscheiden! Auch versteht sich ganz von selbst, dass dieser absoluten Herrschaft des gemeinen Rechts a l l e besonderen Vorschriften des Landesrechts, auch die mit „namentlich" eingeleiteten und die Konkursgesetze unterliegen. Die bedeutendsten Folgerungen der vollständigen Regelung dieser Materien für das Partikularrecht sind : 1. Die Zurechnungsfähigkeit im Sinne des § 51 des GB (§ 52 gehört nur zu einem kleinen Teile hieher) ist unabänderliche Voraussetzung jeder Bestrafung auch nach Partikularrecht 4 . Also ist jede Bestrafung der sog. juristischen Personen schlechterdings unstatthaft 5 . Der sogenannte objektive Tatbestand allein darf nie mit Strafe belegt werden. Praesumtiones juris et de jure bezüglich der Zurechnungsfähigkeit sind, weil in fraudem legis communis, unzulässig. Wie weit Schuldpräsumtionen mit nachgelassenem Gegenbeweise aufgestellt werden können, ist eine Frage des allgemeinen Strafprozessrechts. 2. Weder darf das Landesrecht das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit als Merkmal des Vorsatzes fallen lassen, noch das der Strafbarkeit als solches aufnehmen. Wo clas Landesrecht ein vorsätzliches Delikt unter Strafe stellen darf, kann es auch das fahrlässige bedrohen. Geschieht dies nicht ausdrücklich, so gilt das Strafgesetz 4

Siehe H e i n z e bei H I ! I I 19; W ä c h t e r , Beil. S 240. And. Mein. Erk. des Preuss. OTr vom 20. Nov. 1873 (Ο XIV 735 ff.) und O l s h a u s e n zu EG § 2 Anm 16 (1. Aufl.). 5

§ 66.

c.

ie Grundsätze

ber d. Subjekt d. Verbrechens.

311

nur der vorsätzlichen Begehung. Doch steht es der Landesgesetzgebung frei für ihre Gesetze diese Auslegungsregel cles gemeinen Rechtes umzukehren. 3. Der Versuch der Uebertretungen ist stets straflos, der der Vergehen dann, wenn er nicht ausdrücklich unter Strafe gestellt ist. Ein strafloser Vernich darf nicht unter der Etikette eines delictum sui generis unter Strafe gezogen werden. Frei steht dem Landesgesetz, wie ja auch im Reichsgesetz vielfach geschehen, die Vollendung des Vergehens vor der des Deliktes eintreten zu lassen. I m übrigen gelten alle die Bestimmungen der §§ 43—46 auch für das Landesrecht, das somit auch die Fälle des straflosen Rücktrittes nicht vermehren darf". Dagegen ist die öfter aufgestellte Behauptung, das gemeine Recht stelle das Princip der Straflosigkeit für die Vorbereitungshandlungen auf, nicht richtig. Es scheidet die Vorbereitungshandlungen vom Versuche und entzieht sie damit der Versuchsstrafe. Indem es den ganzen Kreis von Vorbereitungshandlungen zu bestimmten Verbrechen nur ganz vereinzelt mit Strafe bedroht, im übrigen straflos lässt, erklärt es implicite, zur umfassenden Aufstellung solcher Verbrechenstatbestände sei kein Bedürfniss vorhanden, untersagt aber keineswegs die Pönalisirung von Vorbereitungshandlungen überhaupt. Wie weit ein Bundesstaat solche selbständig verbieten und unter eigene Strafdrohungen stellen will, dafür giebt ihm das Reich nur insofern Normativbestimmungen, als es ihn zwingt sich von seinen eigenen Materien fernzuhalten 7 . Berührt das Landesstrafgesetz dies Gebiet der Reichsstrafgesetze nicht, so ist es nicht deshalb anfechtbar, weil es Vorbereitungshandlungen gilt. Nicht einmal bei solchen Vergehen wird sich das Recht der Landesgesetzgebung einzelne Vorbereitungshandlungen zu pönalisiren bestreiten lassen, wo der Versuch gemeinrechtlich straflos bleiben soll. Ein solches Gesetz mag dem Geiste des gemeinen Rechtes widerstreiten: aber nicht lehnt es sich gegen dessen Willen auf. Ein bedauerliches Landesgesetz ist nicht deshalb allein schon nichtig. 4. Eine andere Regelung der Teilnahme als die im GB getroffene 8 6

Für nichtig sind deshalb alle Partikulargesetze zu halten, soweit sie wie das Preuss. P'orstdiebstahlsgesetz vom 15. April 1878 § 4 bestimmen, der Versuch solle mit der vollen Strafe des vollendeten Forstdiebstahls bestraft werden. 7 Etwas zu weit in der Ausschliessung landesgesetzlicher Strafdrohungen gegen Vorbereitungshandlungen geht wohl H e i n z e , Erört. S 34 u. Verhältniss S 35. 36, dem O p p e n h o f f zu EG § 2 Anm 14 folgt; ja selbst noch v. B a r , KrV XIV 256. 433. 436. Richtiger O l s h a u s e n zu EG § 2 Anm 4 (1. Aufl.). 8 Vgl. GB § 4 7 - 5 0 (49 a gehört nicht hieher). 257, 3.

312

5. Ausschliesslichkeit

es gemeinen Rechtes.

ist dem Landesrechte untersagt 9 . Es giebt deingeinäss eine strafbare Teilnahme nur an strafbaren Handlungen 1 0 . Eine authentische Auslegung, ob und wie der intellektuelle Urheber, der nicht Anstifter ist, gestraft werden solle, ist selbst mit Bezug auf die partikularen Vergehen und Uebertretungen unstatthaft. Die straflose Beihilfe darf nicht zum eigenen Vergehen gestempelt werden. I n einem Punkte aber scheint auf den ersten Blick das Reichsgesetz für das Gebiet der partikularen Delikte — aber auch nur für dieses! — eine landesgesetzliche Ergänzung zu dulden: das ist die Behandlung der nicht persönlichen Strafschärfungs- oder Milderungsgründe im Falle der Teilnahme. Indessen trügt dieser Schein. Das GB will vollständig sein und duldet somit keinerlei Ergänzung. § 67. d. D i e a l l g e m e i n e n G r ü n d e a u s g e s c h l o s s e n e r R e c h t s w i d r i g k e i t , ausgeschlossener und m o d i f i c i r t e r Strafbarkeit 1. I. Die Gründe, welche regelmässig verbotene Handlungen ausnahmsweise als erlaubt oder geboten erscheinen lassen, bilden nicht in ihrer Totalität den Gegenstand des Strafgesetzbuchs. Ihre Ursache findet diese Unvollständigkeit, die als solche beabsichtigt ist und deren Beseitigung also auch der Landesgesetzgebung, soweit sie in Frage kommt, zusteht, darin, dass Ausnahmen der Normen principiell ausserhalb des Strafrechts liegen. So hat sich das GB auf das Notwendige beschränkt und das Notwerrecht vollständig, das Notstandsrecht teilweise geregelt. Alle anderen Specialrechte zur Vornahme sonst verbotener Handlungen, ferner die Rechtspflichten dazu, seien sie nun durch bindenden Befehl oder anderweit begründet, sollen bestimmt werden, soweit es sich um Reichsnormen handelt, durch das Reich, im übrigen durch die einzelnen Landesgesetzgebungen. H. Erheblich vollständiger, wenn auch nicht vollständig erschöpfend, sollen die allgemeinen Strafausschliessungsgründe — zu denen hier wie im Gesetze ungenauer Weise auch der Mangel des nötigen Antrags gerechnet wird — aufgestellt werden. Aber der 9 Somit kann das Landesrecht weder die fahrlässige Beihilfe, noch die fahrlässige Anstiftung, noch die vorsätzliche Beihilfe zu Uebertretungen bedrohen, noch die Beihilfe (wie das Preuss. Forstdiebstahlsgesetz § 4 tut) an Strafbarkeit der Täterschaft gleichstellen. 10 Also nicht am Selbstmorde. H e i n z e , Verh. S 36. S. aber unten Buch I I Abt. 2 Kap. 3. 1 GB „Vierter Abschnitt": § 51—72 (nur sind die §§ 51. 52 zum Teile und 55. 58 schon im vorigen Paragraphen mit erledigt). „Fünfter Abschnitt" : § 73—79.

§ 67.

d. Die Gründe ausgeschlossener Strafbarkeit.

313

wichtigsten einer, die Gnade, ist verschwiegen, wenn auch nicht verworfen. Im übrigen ist die Materie vollständig und absolut, also unabänderlich geregelt 2 . Dies gilt insbesondere von den Satzungen über : 1. d i e V e r j ä h r u n g (GB § 6 6 - 7 2 ) . Es ist kaum begreiflich, wie man der Landesgesetzgebung ein Recht der Abweichung davon für die partikularen Strafansprüche vindiciren zu können meint. Die Macht der Landesgesetzgebung solche Strafrechte entstehen zu lassen schliesst die Befugniss auch eigenmächtig ihren Untergang zu verfügen nicht in sich. Das Reich bestimmt in GB § 67 und 70 die Verjährungsfristen so, wie es getan, weil es diese Fristen für die allein richtigen hält : daneben hat die Landesgesetzgebung sich zu bescheiden, ebenso wie bei dem Satze, dass nur richterliche Handlungen die Verjährung unterbrechen können 3 . 2. Dasselbe gilt bezüglich der Regelung des S t r a f an t r a g s {§ 61—65). Nichts kann die Landesgesetzgebung hier ergänzen und ändern. Nur das steht ihr frei zu bestimmen, ob ein landesgesetzliches Delikt Antragsvergehen sein soll oder nicht 4 . An der Zahl der reichsrechtlichen Antrags- (und Ermächtigungs-)Verbrechen kann sie nicht rütteln 5 . I I I . S c h ä r f u n g s - u n d M i l d e r u n g s g r ü n d e anlangend, so kennt das GB einen allgemeinen Strafschärfungsgrund gar nicht. Indem es selbst den Rückfall nur sporadisch als solchen verwendet, negirt es denselben als allgemeinen Schärfungsgrund auch für das Landesrecht 6 . Wo dieses aber mit dem Hange zu Verbrechen gleicher 2

Zwar wird auch der Tod nicht erwähnt. Allein aus GB § 30 ergiebt sich, dass der Tod jedes Strafrecht erlöschen lässt. Kein Partikularrecht kann also eine Strafverfolgung gegen die Erben oder auch nur die Exekution nicht rechtskräftiger erkannter Geldstrafen wider dieselben gestatten. And. Mein, clas sich aufs kühnste vom gemeinen Recht lossagende Erk. des Beri. OTr vom 20. Nov. 1873 (Ο XIV 735 if.) gegen das Waisenhaus Nazareth (!!). Gebilligt von O l s h a u s e n zu EG § 2 Anm 16 (1. Aufl.). 3 Insbes. darf die Lanclesgesetzgebung die Fristen für Verjährung ihrer landesrechtlichen Vorschriften nicht verkürzen (and. Mein. v. B a r , KrV XIV 437), noch weniger aber sie verlängern (ganz willkürlich v. B a r a. a. 0. S 438). 4 Den Antrag hierbei vererblich zu machen hat sie kein Recht. 5 Siehe H e i n z e , Verh. S 36. Vgl. S c h w a r z e , GS 1870 S 398. 399; v . B a r a. a. 0. S 258. 438. 439. Noch weniger kann sie die Verfolgung nach Reichsrecht strafbarer Handlungen auf den Weg cler Privatklage verweisen. H e i n z e , Verh. S 53. 6 Deshalb ist Preuss. StGB § 58 durch das RStGB aufgehoben. Ders. Ans. Meves, GA X X I I I 16. 17.

314

5. Ausschliesslichkeit

es gemeinen Rechtes.

A i t zu kämpfen hat, darf es den Rückfall als besonderen Schärfungsgrund verwenden. Dessen Begriff ist gemeinrechtlich nicht geschlossen : doch muss die Verbüssung der früheren Strafe im Sinne der §§ 244. 245 als dasjenige Merkmal betrachtet werden, woran auch die Landesgesetzgebung festzuhalten h a t 7 . Ebenso ist die sog. Rückfallsverjährung absolut gemeinen Rechts. Einziger allgemeiner Strafmilderungsgrund ist nach GB § 56. 57 die Jugend. Es giebt somit auch keinen zweiten für das Landesrecht. Wohl aber kann es bei dem einzelnen Delikte besondere diesem Delikte eigentümliche Milderungsgründe verwerten. Aber auch bezüglich der Jugend ist ihm nicht die geringste Abweichung gestattet 8 . So ist die Materie der allgemeinen Schärfungs- und Milderungsgründe vom gemeinen Rechte vollständig, zum Teile allerdings nur negativ geregelt. IV. D i e A n r e c h n u n g d e r U n t e r s u c h u n g s h a f t a u f d i e S t r a f e stellt GB § 60 nicht ins Ermessen der Landesgesetzgebung, sondern des Richters. Und so darf jene das „kann" des § 60 grade so wenig in ein „muss" verwandeln wie Maassstäbe für jene Anrechnung aufstellen. V. Endlich regelt der fünfte Abschnitt (GB § 75—79) die Materie der Konkurrenz vollständig 9 . Doch darf die Landesgesetzgebung Fälle idealer wie realer Konkurrenz landesrechtlicher Delikte zu selbständigen Verbrechen stempeln und deren Strafen innerhalb der Grenzen von EG § 5 ganz frei bestimmen ohne an die Maasse der §§ 73 ff. gebunden zu sein. § 68 e. D i e G r u n d s ä t z e ü b e r z e i t l i c h e s u n d g e g e n s t ä n d l i c h e s H e r r s c h a f t s g e b i e t der Strafgesetze. I. Bezüglich des zeitlichen Herrschaftsgebietes aller und nicht nur der Reichsstrafgesetze stellt GB § 2 die durchgreifende Regel auf, woran das Landesrecht nichts zu ändern vermag. Selbst die so 7 And. Mein. Beri. OTr vom 30. Jan. 1873 (Ο XIV 93 ff.) und O p p e n h o f f zu EG § 2 Anm 16. 8 Nichtsdestoweniger bestimmt das Preuss. Forstdiebstahlsgesetz vom 15. April 1878 § 10: die Jugend übe bei Zuwiderhandlungen gegen dieses Gesetz keine strafmildernde Wirkung. Vgl. oben § 66 Anm 3. 9 Sehr abweichend H e i n z e , Verh. S 85, wo der Landesgesetzgebung sogar das Recht gegeben wird, Bestimmungen über die Konkurrenz von bundes- und landesgesetzlichen Verbrechen aufzustellen. Dagegen v. B a r a. a. 0. S 439, der aber auch die Alleinherrschaft des Reichsrechts auf dem Gebiete der Konkurrenz leugnet.

§ 68.

e. Das Herrschaftsgebiet der StG.

315

wünschenswerte Auslegung der Worte „das mildeste Gesetz" in § 2 al. 2 Avar ihm versagt. IT. Dagegen gelten die §§ 3—9 des GB nur für das Reichsrecht und nicht einmal ist die Landesgesetzgebung genötigt clas sachliche Geltungsgebiet ihrer Strafgesetzgebung nach Analogie der §§ 3—9 zu gestalten, soweit eine solche möglich i s t 1 . Im Geiste des GB liegt es, dass die Landesgesetzgebung dies tue: aber das sachliche Geltungsgebiet der Landesstrafgesetze ist nicht Gegenstand des Strafgesetzbuchs2·, dasselbe analog den §§ 3—8 zu regeln ist vom GB nicht geboten; eine solche zwingende Analogie ist aber an sich schon nicht selbstverständlich und am wenigsten hier, wo das GB selbst sich höchst unsicher fühlt. Somit ist das sachliche Geltungsgebiet der Landesstrafgesetze Gegenstand freier Regelung seitens cles Landesrechtes. Somit können die Staaten für ihre eigenen Strafgesetze sich strenge an das Territorialprincip halten, können aber grade so gut das Subjektionsprincip betreffs der von ihren Untertanen auswärts begangenen (landesgesetzlichen) Uebertretungen aufstellen. Nicht einmal der Satz des § 7: „eine im Auslände vollzogene Strafe" ist auf die im Inlande zu erkennende Strafe in Anrechnung bringen, m u s s in analoger Fassung landesrechtliche Satzung werden. § 8. auch v. B a r a. a. 0. S 558; wohl auch R ü d o r f f zu § 3 Anm 5. Dagegen Schütze § 20 Anm 3: „Die Teilnahme folgt der Haupttat." 6 And. Mein. v. B a r a. a. 0. S 558. Dagegen S c h a u h e r g a. a. 0. S 174. 7 RG I I I vom 14. Juni 1883 (E IX 10 if.). O l s h a u s e n zu § 3 Anm 17. 1

Soll die Darstellung wissenschaftlichen und praktischen Bedürfnissen gleichzeitig genügen, so bleibt ihr m. E. nur ein Weg : sie muss anknüpfend an das Hauptkriterium des GB — das ist inländische oder ausländische Begehung — zeigen, wie weit die verschiedenen Principien Anerkennung gefunden haben. Die eigentümlichen Inkongruenzen des geltenden Rechtes hindern, dass sich sein Bild harmonisch abschliesse. 2 Man denke an das Gesetz, betr. die Schonzeit der Robben, vom 4. Dez. 1876; betr. die Verpflichtung deutscher Kauffahrteischiffe zur Mitnahme hilfsbe-

426

6. Strafbarkeit der im Ini. u. Ausi, verübten Verb.

letzung von Einfuhrverboten handelt, stets nur der Inländer oder eine diesem in ihren Pflichten gleichgestellte Person. Sie teilen alle die gleiche Eigentümlichkeit, dass sie trotz GB § 4 Nr 3 ganz unabhängig gestellt sind vom ausländischen Rechte und dass sie alle die deutsche Strafverfolgungspflicht begründen. I m übrigen zerfallen die strafbaren Handlungen lediglich in zwei Gruppen: die einen werden nur strafbar, wenn im Inlande, die andern auch dann, wenn im Auslande begangen. Es bedarf also insoweit nicht fernerhin der Hervorhebung, dass jedes für das deutsche Strafrecht in Betracht kommende ausländische Verbrechen seine strafrechtserzeugende Wirkung nicht minder üben würde, wenn es in das Inland verlegt gedacht wird. I I . Die im Auslande begangenen nach deutschem Strafrecht relevanten Verbrechen zerfallen nach verschiedenen Gesichtspunkten in verschiedene Gruppen. 1. Die einen erzeugen nur ein Recht, die andern eine Pflicht zur Strafverfolgung 3 . Ersteres bildet die Regel, letzteres die Ausnahme 4 . Fragt man sich, wann in den Fällen des Opportunitätsprincips die Staatsanwaltschaft — stets vorausgesetzt, dass die Klage prozessualisch durchführbar und nach § 4 und 5 juristisch zulässig erscheint — das inländische Strafrecht geltend machen soll, so werden folgende Erwägungen ausschlaggebend sein müssen: Sind inländische Rechtsgüter verletzt und das Ausland ist nicht dagegen eingeschritten, so sollte die Klage nicht unterbleiben, ebenso wenn der Fall im Ausland abgeurteilt, die Strafe aber evident ungenügend ist; hat die Verletzung ausländische Rechtsgüter betroffen und sie ist draussen abgeurteilt, so wird kein Grund für eine inländische Klage vorhanden sein; ist sie dürftiger Seeleute, vom 27. I)ez. 1872; betr. die Schiifsmeldungen bei den Konsulaten des Deutschen Reichs, vom 25. März 1880; an den unerlaubten Aufenthalt Wehrpflichtiger im Auslande (GB § 140, 1); an die Vergehen, deren Versuch im Ausland beginnen muss und dort abbrechen kann, einerlei, ob das deutsche Strafgesetz dann Versuch oder Vollendung annimmt: Kontrebande, Verletzungen von Vieheinfuhrverboten u. s. w. 3 Die weitere Darstellung wird zeigen, wie zufällig die Grenze zwischen beiden läuft. Gerade deshalb kann dieser Unterschied nicht zur Grundlage der weiteren Ausführungen gemacht werden. 4 Ist die Klage erhoben und angenommen, so endet das „Kann" und beginnt das „Muss" : dem Richter steht die Prüfung cler Zweckmässigkeit einer Klage nicht zu. Er kann aus Opportunitätsrücksichten die Klage nicht ablehnen, das Verfahren nicht einstellen, noch weniger freisprechen. — Nicht sind die im Auslande begangenen Verbrechen sog. „Berichtsfälle", in welchen der Staatsanwalt vor der Klagerhebung erst den Entscheid des Justizministers einzuholen hätte.

§ 87.

a. Die Verschiedenheit der Fälle.

427

aber noch nicht verfolgt, so wäre in allen Fällen zur Klage zu verschreiten, in welchen Deutschland als Staat des begangenen Verbrechens wünschen müsste, dass das strafberechtigte Ausland gegen den flüchtigen Verbrecher einschritte, d. h. in allen wichtigeren Fällen. Sind diese Gründe die richtigen und wichtigen, so führen sie zu einer beschränkenden Auslegung des § 4 al. 1 des GB. 2. Ein Teil der im Ausland begangenen Verbrechen ist a. gleichmässig strafbar, mag ein Deutscher oder ein Nichtdeutscher der Schuldige sein. Er bildet das Herrschaftsgebiet des reinen Re a l - P r i n c i p e s (s. § 88); b. ein andrer Teil wird strafbar, wenn von Deutschen begangen. Er bildet das Gebiet des P e r s o n a l - P r i n c i p e s (s. § 90); c. ein dritter endlich fordert als Täter nicht ausschliesslich den Deutschen, setzt aber voraus, dass der Täter sich zeitweilig in analoger Stellung wie ein Bürger des Deutschen Reiches befinde (§ 89). Diese dritte Gruppe bildet ein Uebergangsglied von der ersten zur zweiten. 3. Ein Teil setzt voraus, dass der Angriff wider ein inländisches Rechtsgut verübt ist, ein andrer Teil sieht von diesem Erforderniss ab. 4. Wird das Verbrechen im staatlich organisirten Auslande begangen, so wird zu seiner Strafbarkeit nach inländischem Rechte bald Strafbarkeit nach der lex loci verlangt, bald nicht. Jenes Erforderniss begegnet auf dem Gebiete des P e r s o n a l - P r i n c i p s (s. 2 b ; nicht in den Fällen s. 2 a und c), aber nicht einmal auf diesem ausnahmelos (s. § 90). § 88.

b. Das d e u t s c h e S t r a f r e c h t i n v o l l e r U n a b h ä n g i g k e i t v o n T a t o r t u n d N a t i o n a l i t ä t des T ä t e r s .

I n sieben wichtigen Fällen sind T a t o r t 1 und Nationalität des Schuldigen zusammen für die Entstehung eines deutschen Strafrechts gleichgiltig. Bei den zwei ersten handelt es sich um den Strafschutz gemeinsamer, in vier weiteren 2 allein um den bestimmter inländischer, in dem letzten endlich teils um den inländischer, teils um den ausländischer Rechtsgüter 3 . Deutsche oder Nichtdeutsche k ö n n e n 4 nach inländischem Gesetze gestraft werden 1

Was den Gegensatz von Inland und Ausland anlangt. 3 S. sub III. IV. V. VII. S. sub VI. 4 Beachte aber unten sub IV—VII, wo sich das „Kann" in ein „Muss" verwandelt. 2

428

6. Strafbarkeit der im Ini. u. Ausi, verübten Verb.

I. f ü r j e d e s i m A u s l ä n d e b e g a n g e n e „Münzverb r e c h e n " . Das sind die in GB § 146. 147 (vgl. § 149) bedrohten Handlungen — ganz gleichgiltig ob inländisches oder ausländisches Geld nachgemacht wird (GB § 3 Nr 1). H i e r h u l d i g t das g e m e i n e R e c h t f o r m e l l dem W e l t r e c h t s - P r i n c i p e , ohne materiell diesen Standpunkt einnehmen zu wollen. Denn die Ausdehnung dieser Strafbestimmung wurzelt offenbar in dem Gedanken, dass im Deutschen Reiche nicht nur deutsches Geld umläuft: sie dient also wesentlich zum Schutz des Geldverkehrs in Deutschland, Avas bei Auslegung des § 4 Nr 1 immerhin zu beachten i s t 5 . Grösser ist der Gesichtspunkt in dem Sprengstoffgesetze vom 9. Juni 1884 § 1 2 6 . Hier wird bewusstermaassen der Kampf gegen eine ganze Klasse kulturfeindlicher Elemente im Interesse aller gefährdeten Rechtsordnungen aufgenommen. Es ist straffähig II. J e d e r , d e r i r g e n d w o v o r s ä t z l i c h d u r c h A n w e n d u n g v o n S p r e n g s t o f f e n G e f a h r f ü r das E i g e n t u m , d i e G e s u n d h e i t o d e r das L e b e n e i n e s A n d e r e n h e r b e i f ü h r t (§ 5 u. 6); j e d e r , d e r i m A u s - o d e r I n l a n d e i n q u a l i f i z i r t e r Weise zur B e g e h u n g d i e s e s V e r b r e c h e n s a u f f o r d e r t o d e r d u r c h s e i n e G l o r i f i k a t i o n d a z u a n r e i z t (§ 10); j e d e r , der zwecks dieser Verbrechen Sprengstoffe h e r s t e l l t , anschafft, b e s t e l l t , besitzt oder Anderen überlässt (§ 7 u. 8). Nicht minder fällt unter das deutsche Strafgesetz III. Jede i m A u s l a n d b e g a n g e n e „ h o c h v e r r ä t e r i s c h e H a n d l u n g g e g e n das D e u t s c h e R e i c h o d e r e i n e n B u n d e s s t a a t " (§ 4 Nr 1). Die allgemeine Ausdrucksweise des Gesetzes, wonach nicht speziell das Verbrechen des Hochverrats, sondern jede „hochverräterische Handlung" verpönt wird, lässt keinen Zweifel darüber, dass auch die Vorbereitung zum Hochverrat — also die gesammten Tatbestände der §§ 80—86 — vom § 4 Nr 1 umfasst wird 7 . Der territoriale und grundgesetzliche Bestand des Reichs und der Bundesstaaten ist also ganz nach Maassgabe des Realprincips geschützt. 5 Dr. F r i e d b e r g hat dies im Reichstag, Stenogr. Ber. I 160 ausdrücklich gesagt: „Das gemünzte Geld ist ein Verkehrsmittel in der ganzen Welt und es circulirt im Norddeutschen Bundesgebiete nicht blos deutsches Geld." 6 „Die Bestimmungen im § 4 Abs. 2 Nr 1 des StGB f. d. D. R. finden auch auf die in den §§ 5. 6. 7. 8 u. 10 dieses Gesetzes vorgesehenen Verbrechen Anwendung." 7 And. Mein, allein R u b o S 275, der nur die Fälle der §§ 80—82 hieherzieht.

§88.

b. Gleichgiltigkeit von Tatort u. National, clés Täters.

429

Hieran reihen sich IV. D e r K r i e g s v e r r a t g e g e n das D e u t s c h e R e i c h , b e gangen von A u s l ä n d e r n oder Deutschen auf d e m K r i e g s s c h a u p l a t z . MGB § 160. 5 7 - 5 9 ; V. D e r L e i c h e n r a u b an e i n e m a u f d e m K a m p f p l ä t z e g e b l i e b e n e n A n g e h ö r i g e n der deutschen oder v e r b ü n d e t e n T r u p p e n . MGB § 160. 134; VI. D i e b s t a h l u n d R a u b b e g a n g e n v o n D e u t s c h e n o d e r A u s l ä n d e r n an d e u t s c h e n o d e r a u s l ä n d i s c h e n V e r w u n d e t e n auf dem K a m p f p l a t z e , dem Marsche, dem T r a n s p o r t o d e r i m L a z a r e t oder an a n v e r t r a u t e n Kriegsg e f a n g e n e n . MGB § 160. 134. VII. Endlich gehört hierher j e d e V e r l e t z u n g des U r h e b e r rechts a l l e r deutschen U r h e b e r und a l l e r i n Deutschl a n d d o m i z i l i r t e n V e r l e g e r 8 . Dies wird ganz regelmässig verkannt. Man behauptet, der von Ausländern im Ausland verübte Nachdruck durch die inländische Gesetzgebung geschützter Werke sei zwar durch deutsche Normen verboten, könne aber nicht mit der Strafe der Urhebergesetze belegt werden, da die §§ 3 ff. des StGB hier ergänzend Platz griffen 9 . Diese Behauptung ist unhaltbar und nur ein Versuch, dem von den Urhebergesetzen mit Recht adoptirten Realprincipe zu Gunsten des Territorialprincipes die Spitze umzubiegen. Das Gesetz betr. das Urheberrecht vom 11. Juni 1870 § 61 sagt: „Das gegenwärtige Gesetz findet Anwendung auf alle Werke inländischer Urheber, gleichviel ob die Werke im Inlande oder Auslande erscheinen oder überhaupt noch nicht veröffentlicht sind. Wenn Werke ausländischer Urheber bei Verlegern erscheinen, die im Gebiete des Norddeutschen Bundes ihre Handelsniederlassungen haben, so stehen diese Werke unter dem Schutze des gegenwärtigen Gesetzes." Das Anwendungsgebiet des Gesetzes wird also hier ganz genau, vollständig und verständig nach dem Realprincip bestimmt 1 0 . § 4 8

Béachte übrigens die Gleichstellung im Gesetze vom 11. Juni 1870 § 62. Den von Ausländern im Auslande verübten Nachdruck erklären ohne jede weitere Begründung, nur unter Anführung des StGB § 3, für straflos D a m b a c h , Gesetzgebung des Nordel. Bundes betr. das Urheberrecht S 272. 273 und K l o s t e r mann, Urheberrecht S 273. W ä c h t e r , Autorrecht S 135 beruft sich sogar lediglich auf D a m b a c h . 10 Den Umfang des geschützten Gutes zu bestimmen ist Aufgabe des speziellen Teiles. Hier kommt es nur darauf an, class die von Ausländern unci Inländern im 9

430

6. Strafbarkeit der im Ini. u. Ausi, verübten Verbi·.

desselben Gesetzes nun verbietet jeden Nachdruck, ganz gleichgültig wo und von wem er verübt ist (vgl. § 50). § 22 sagt: „Das V e r g e h e n des Nachdrucks ist vollendet, sobald ein Nachdrucksexemplar eines Werkes den Vorschriften des gegenwärtigen Gesetzes zuwider, s e i es i m G e b i e t e des N o r d d e u t s c h e n B u n d e s , s e i es a u s s e r h a l b d e s s e l b e n , hergestellt ist." Von einer Unterscheidung der Nationalität des Täters keine Spur! Ebenso wenig bei der Bestimmung des Tatbestandes dieses Vergehens, woraus gleichfalls die Absicht den Urheberrechten den umfassendsten Schutz innerhalb und ausserhalb Deutschlands zu gewähren klar hervorleuchtet (§ 18): „Wer vorsätzlich oder aus Fahrlässigkeit einen Nachdruck (§§ 4 ff.) in der Absicht, denselben innerhalb oder ausserhalb des Norddeutschen Bundes zu verbreiten veranstaltet, ist den Urheber oder dessen Rechtsnachfolger zu entschädigen verpflichtet und wird ausserdem mit einer Geldstrafe bis zu 1000 Thalern bestraft." (Vgl. das. § 54.) Diese Strafsatzung bezieht sich ausdrücklich auf das ganze Delikt des Nachdrucks, wie es in § 4 aufgestellt w i r d 1 1 . Weiter geht aus dem Gesetze hervor, dass Ersatzfolge und Straffolge stets gleichmässig eintreten sollen, und § 18 al. 4 belehrt uns, dass stets „statt jeder aus diesem Gesetze entspringenden Entschädigung auf Verlangen des Beteiligten neben der Strafe Busse gefordert werden kann". Wo aber ein Spezialgesetz sein Anwendungsgebiet vollständig normirt, besteht gar keine Berechtigung diese Satzungen aus den §§ 3 ff. des allgemeinen Gesetzbuchs zu beschränken, am allerwenigsten hier. Denn abgesehen davon, dass man die verständigere Regelung einer unverständigeren opfern würde, führte die Beiziehung der 3 ff. zu unerträglichen Resultaten. Man könnte dann den Nachdruck nur dem § 4 Nr 3 unterstellen. Der im Ausland verübte Nachdruck wäre demnach nur straffällig, wenn er von Inländern verübt u n d d u r c h d i e l e x l o c i m i t S t r a f e b e l e g t wäre. Diese Beschränkung will freilich Niemand Auslände vorgenommenen Verletzungen desselben der deutschen Strafgewalt unterfallen. — E i n e sehr i n t e r e s s a n t e A n w e n d u n g v o m R e a l p r i n c i p e m a c h e n die S t a a t s v e r t r a g e betr. den S c h u t z an W e r k e n der L i t e r a t u r u n d K u n s t . Ihr Hauptzweck ist das ausländische Werk in bestimmtem Umfange an dem Rechtsschutze des inländischen und dieses in dem gleichen Umfange an dem Rechtsschutz des ausländischen participiren zu lassen. Die genauere Analyse derselben gehört nicht hieher. Doch erweitert sich durch sie der Tatbestand der einschlagenden Delikte oft ganz gewaltig. Siehe Dam bacìi, Der deutschfranzös. Literaturvertrag mit Frankreich vom 19. April 1883. Berlin 1888. 11 Dem entspricht, dass in § 25 auch die gewerbmässige Verbreitung von Nachdrucks-Exemplaren gleichmässig für Inland wie Ausland verpönt wird.

§ 88. 1). Gleichgiltigkeit von Tatort u. National, des Täters.

431

zugeben. Entweder finden aber die allgemeinen Gesetze ganz Anwendung oder gar nicht. Ferner tut dem Gesetz vom 11. Juni 1870 Gewalt an, Aver den nicht-deutschen Nachdrucker, der im Auslande delinquirt, zwar dem deutschen Urheber für ersatzpflichtig, dem deutschen Staat aber nicht für genugtuungspflichtig ausgiebt. Das Gesetz lässt beide Folgen parallel gehen und ganz mit Recht: es giebt keinen Grund, warum der deutsche Staat dem deutschen Urheber oder Verleger nachgestellt werden sollte. Endlich beraubt die bekämpfte Ansicht den deutschen Urheber gegenüber diesen Nachdruckern vollständig seines Bussanspruches. Denn die Busse kann nur neben der Strafe ausgesprochen werden. So ist auch der Ausländer, der im Auslande einen vom Gesetze vom 11. Juni 1870 verbotenen Nachdruck begeht, in Deutschland straffällig, und zwar k a n n er nicht nur bestraft werden, sondern er s o l l es: das Officialprincip greift Platz. Nach ganz genauer Analogie bestimmt sich das Anwendungsgebiet des Gesetzes betr. das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste vom 9. Januar 1876 (s. § 5. 16. 20), des Gesetzes betr. den Schutz der Photographien vom 16. Januar 1876 (s. § 3. 9), des Gesetzes betr. das Urheberrecht an Mustern und Modellen vom 11. Januar 1876 (§ 5. 7. 14. 1 6 ) 1 2 ; dagegen m. E. nicht das des Gesetzes über den Markenschutz vom 30. November 1874. Denn wenn dasselbe auch bestimmten Rechtsgütern Schutz verleihen will, so führt es das Realprincip nicht mit gleicher Energie durch wie die Urhebergesetze und enthält keine Bestimmungen, aus denen sich Aufschluss über das Anwendungsgebiet des Strafgesetzes (§ 14) gewinnen liesse. Ausserdem ist dieser § 14 an Stelle des GB § 287 getreten und es hätte ausdrücklicher Satzung bedurft, wenn das Geltungsgebiet dieser Strafbestimmung hätte erweitert werden sollen. § 89. c. D a s d e u t s c h e S t r a f r e c h t b e g r ü n d e t d u r c h auswärts begangene D e l i k t e von Deutschen und Nichtd e u t s c h e n i n ganz b e s t i m m t e r S t e l l u n g . Eine Anzahl von Verbrechen ist den deutschen Strafgesetzen unterworfen, wenn sie im Ausland begangen werden von Deutschen oder aber von Nichtdeutschen in der Stellung des deutschen Beamten oder des Schiffsmannes auf einem deutschen Schiff. Hier liegt eine 12

Ganz anders nach dem Patentgesetz; s. darüber unten § 91.

6. Strafbarkeit der im Ini. u. Ausi, verübten Verbi·.

432

interessante Ausdehnung des Personalitäts - Principes vor: der Nichtdeutsche befindet sich in ganz analoger Stellung wie der Deutsche und participirt demgemäss an dessen Pflichten und an seiner Verantwortlichkeit, I n a l l e n d i e s e n F ä l l e n s t e h t d i e S t r a f b a r k e i t des I n l ä n d e r s w i e A u s l ä n d e r s g a n z u n a b h ä n g i g v o m R e c h t des B e g a n g e n s c h a f t s o r t e s . 1. Nach GB § 4 Nr 1 k a n n gestraft werden j e d e r B e a m t e des R e i c h s o d e r e i n e s B u n c l e s s t a a t e s (s. GB § 359), s e i er Deutscher oder N i c h t d e u t s c h e r 1 , der im A u s l a n d „eine H a n d l u n g b e g a n g e n h a t , clie n a c h d e n G e s e t z e n des D e u t s c h e n R e i c h e s als V e r b r e c h e n o d e r V e r g e h e n im A m t e a n z u s e h e n i s t " 2 3 . Diese erst dem Gesetze vom 6. Februar 1876 entstammende Bestimmung ist nach verschiedenen Richtungen zweifelhaft. Vor allem ist erforderlich, dass der deutsche Beamte im Auslande als Beamter handelt, sei es dass er dazu iegitimirt ist, sei's dass er sich die Berechtigung dazu anmaasst. Ob er auswärts als Beamter stationirt, oder etwa nur einen einmaligen amtlichen Auftrag zu erfüllen hat, ist gleichgültig. I n den Worten des Gesetzes „Verbrechen oder Vergehen im Amte" ist die Bezugnahme auf den 28. Abschnitt und seine Ueberschrift „Verbrechen und Vergehen im Amte" unverkennbar. Zweifellos können alle die daselbst verzeichneten Amts-Verbrechen und «Vergehen von deutschen Beamten im Auslande begangen nach Reichsrecht gestraft werden; ebenso alle Verbrechen und Vergehen, welche durch spätere Reichsgesetze als Amtsverbrechen ausdrücklich bezeichnet werden. Bedenkt man aber, dass zweifellose Amtsverbrechen anderwärts im GB als im 28. Abschnitt behandelt sind (s. bes. § 174, 2 und 3), und dass eine Ungleichheit in der Verantwortlichkeit deutscher Beamten, je nachdem sie Deutsche sind oder nicht, der Würde-des Amtes Abbruch täte, so wird man O l s h a u s e n 4 beitreten und sagen müssen, dass nach § 4 Nr 1 alle Delikte, wenn im Auslande begangen, 1

S. Ges über den Erwerb der Bundes- und Staatsangehörigkeit vom 1. Juni 1870 § 9. 2 Das richtige wäre den deutschen Beamten strafrechtlich durchweg als Deutschen zu behandeln. — Eine Gleichstellung des Bayern mit dem in bayerischen Diensten stehenden Ausländer in ganz anderer Richtung (mit Bezug auf Angriffe wider fremde Staaten) nimmt B a y e r n 1861 Art. 114 vor. 3 Auf die Teilnehmer an diesen Amtsverbrechen, die nicht selbst deutsche Beamte sind, findet GB § 4 Abs. 2 Nr 1 keine Anwendung. Richtig O p p e n h o f f zu § 4 Anm 20. 4 Kommentar 1. Aufl. zu § 4 Anm 8.

§ 89.

c. Del. von Deutschen u. Nichtdeutschen.

483

bestraft werden können, als deren Täter das Reichsrecht einen Beamten nennt, oder bei welchen die Beamtenqualität des Täters einen Strafschärfungsgrund bildet 5 . — An diese strafbaren Handlungen der Beamten schliessen sich 2. d i e b e s o n d e r e n V e r g e h e n d e r z u r M a n n s c h a f t d e u t s c h e r S c h i f f e g e h ö r i g e n S c h i f f s l e u t e . Wenn es sich darum handelt das Verhalten unter deutscher Flagge fahrender Schiffe und ihrer Mannschaft zu regeln, so erweisen sich die Unterschiede von In- und Ausland und von Deutschen und Nichtdeutschen als unbeachtlich. Danach normirt sich das Anwendungsgebiet der einschlägigen Gesetze. Ganz ausdrücklich bestimmt dies die Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872, deren Vorschriften auf alle Kauffahrteischiffe Anwendung finden, welche die Reichsflagge führen dürfen (§ 1). Deren säinmtliche Deliktstatbestände (§ 81—99) begründen die inländische S t r a f p f l i c h t auch dann, „wenn die strafbaren Handlungen ausserhalb des Bundesgebiets begangen sind", ohne dass es irgend darauf ankäme, ob der Schiffer oder der Schiffsmann deutscher oder nichtdeutscher Nationalität i s t 6 . Ebenso untersagt die Kaiserl. Verordnung vom 29. März 1877 den Robbenschlag „den Deutschen und den zur Besatzung eines deutschen Schiffes gehörigen Ausländern", somit eine Handlung, die nur im Auslande vorgenommen werden kann. Dem entspricht durchaus das Strafgesetz betr. die Schonzeit für den Fang von Robben vom 4. Dezember 1876. Ganz dasselbe gilt zweifellos für die Anmeldung der Ankunft deutscher Kauffahrteischiffe bei den deutschen Konsuln 7 , für die Verpflichtung deutscher Kauffahrteischiffe zur Mitnahme hilfsbedürftiger Seeleute 8 , muss ferner als geltend angenommen werden bezüglich des unberechtigten Führens der deutschen Reichsflagge durch Kauffahrtei5

Das sind § 128, 2. 129, 2. 155, 3. 174, 1. 2. 3. 222, 2. 230, 2. 300. 316, 2. 318, 2. 322, 1. (Olshausen a. a. 0. lässt die §§ 155, 3. 222, 2 u. 230, 2 unerwähnt, m. E. entgegen seinem eigenen Gedanken.) 6 Der neben der SeemO § 81 al. 3 noch in Kraft stehende § 298 des GB sagt noch genauer, der Schiifsmann sei nach inländischem Rechte zu strafen „ohne Unterschied, ob das Vergehen im Inlande oder im Auslande begangen worden ist". Er ist zweifellos anwendbar auch auf den englischen Matrosen, der sich im Auslande dem Kapitän eines deutschen Schiffes verheuert hat und nun mit der Heuer entläuft. 7 Ges vom 28. März 1880 § 4. 8 Ges vom 27. Dez. 1872. Binding, Handbuch. V I I . 1. I :

B i n d i n g , Strafrecht.

I.

28

434

6. Strafbarkeit der im Ini. u. Ausi, verübten Verb.

schiffe 9 und bezüglich der unterlassenen Führung des Namens von Schiff und Heimatshafen am Bug bezw. Heck des Schiffes, obgleich diese Handlung nur Uebertretung i s t 1 0 . Ja, trotz der Stellung des § 145 im GB ist zìi behaupten, dass die Uebertretungen der Kaiserlichen Verordnungen zur Verhütung des Zusammenstossens der Schiffe auf See, bezüglich des Verhaltens der Schiffe nach einem solchen Zusammenstosse und in Betreff der Not- und Lootsensignale für Schiffe auf See und auf den Küstengewässern sowohl strafbar sind, wenn sie von fremden Schiffen in deutschen Gewässern — man gestatte den ungenauen Ausdruck —, als wenn sie von deutschen Schiffen in fremden Gewässern begangen werden. Gleichgiltig ist die Nationalität des delinquirenden Schiffers. Die angezogenen Normen gelten nämlich den fremden Schiffen in deutschen und den deutschen in fremden Gewässern. Demgemäss würde natürlich ein deutscher Kapitän eines belgischen Schiffes, der im Auslande jene Normen überträte, im Inlande nicht strafbar sein, da sie für ihn keine bindende Kraft haben wollen. § 90.

d. D a s d e u t s c h e S t r a f r e c h t b e g r ü n d e t d u r c h wärts begangene D e l i k t e nur von Deutschen.

aus-

'Der Kreis der verantwortlichen Personen verengt sich derart, dass der Ausländer im Auslande ganz ausscheidet. I. Ohne jede Rücksicht auf das Recht des Begangenschaftsortes k a n n der Inländer bestraft werden, der im Ausland eine landesverräterische Handlung gegen das Deutsche Reich oder einen Bundesstaat (s. GB § 87—90. 92) oder eine Beleidigung gegen einen Bundesfürsten im Sinne der §§ 94. 95. 98. 99 des GB vornimmt 1 ; es s o l l der Inländer gestraft werden, der „im Inlande oder Auslande" gegen einer* nicht zum Deutschen Reich gehörenden Staat oder dessen Landesherra eine hochverräterische Handlung vornimmt (GB § 81 — 86), „sofern in dem angegriffenen Staate dem Deutschen Reiche die Gegenseitigkeit verbürgt ist", sofern also nach dem Rechte desselben dessen Untertan gestraft wird, wenn er im Inland oder Ausland eine solche Handlung gegen das Deutsche Reich o d e r e i n e n d e r B u n d e s s t a a t e n begeht» 9 10

Ges vom 25. Okt. 1867 § 13—15. Ges vom 28. Juni 1873 § 4.

1 Unter Bundesfürsten sind die Mitglieder der bundesfürstlichen Familien zweifellos hier nicht mit zu verstehen (and. Mein. O p p e n h o f f zu § 3 Anm 22), leider aber auch nicht die Regenten, die in den §§ 94 ff. nicht mit den Bundesfürsten, sondern mit deren Familien auf eine Stufe gestellt werden. Werden diese Personen von Inländern im Auslände beleidigt, so greift § 4 Nr 3 Platz.

§ 90.

cl. Delikte von Deutschen im Auslände.

435

II. Alle übrigen im Ausland von Deutschen begangenen Verbrechen oder Vergehen unterfallen dem § 4 Nr 3: sie k ö n n e n im Inlande bestraft werden, wenn sie nach Reichsrecht Verbrechen oder Vergehen und „durch die Gesetze des Ortes, an welchem sie begangen wurden, mit Strafe bedroht sind" 2 . Die Bedeutung dieser Regel wird ganz allgemein deshalb verkannt, weil bei ihr wie in den §§ 3 ff. öfter die positive Fassung statt der richtigeren negativen gewählt ist. Ihr Grundgedanke liegt nah genug. Durch die Normen seiner Heimat wird der Inländer verpflichtet zur Respektirung der ausländischen Rechtsgüterwelt. Möglicherweise aber ist im Auslande erlaubt oder wenigstens nicht verboten, was die inländische Norm untersagt, und deshalb empfindet die ausländische Rechtsordnung die Handlung des Inländers vielleicht gar nicht als rechtswidrigen Angriff. Der praktikabelste Beweis dafür liegt in den ausländischen Strafgesetzen. Schweigen sie, so wird der inländische Gesetzgeber, dem andere Beweise kaum zu Gebote stehen, annehmen müssen, die betr. Handlung sei nach aussen mindestens nicht verboten, und s o w e i t d e r A n g r i f f s i c h g e g e n a u s l ä n d i s c h e G ü t e r r i c h t e t , folgert er mit Recht, dieser Angriff sei dort nicht widerrechtlich, weil dort dem Gute die Rechtsgüterqualität mangele, demgemäss falle er auch nicht in den Bereich der inländischen Normen. So w i r d i h m d i e S t r a f l o s i g k e i t d e r H a n d l u n g n a c h d e m R e c h t e des B e g a n g e n s c h a f t s o r t e s e i n G r u n d cler S t r a f l o s i g k e i t des I n l ä n d e r s a u c h n a c h i n l ä n d i s c h e m Rechte. Dieser Grundgedanke ist aber im Gesetze zu einem Teil gar nicht, zum andern Teile unrichtig zum Ausdruck gekommen 3 . Da er lediglich abstellt auf den Begehungsort und gar nicht scheidet zwischen den Angriffen auf ausländische und inländische Rechtsgüter, so bleibt beispielsweise der Deutsche straflos, der verheiratet ins Ausland gezogen eine dort erlaubte zweite Ehe eingeht. Dieser Mangel ist durch Auslegung nicht zu beseitigen, wohl aber ein anderer. 2

Es ist hier zu betonen, dass die vom Deutschen im Auslände begangene Handlung genau clem Tatbestände cler deutschen Strafgesetze entsprechen muss. Gilt die Strafdrohung des deutschen Gesetzes nur der Verletzung deutscher Rechtsguter, und der Deutsche macht sich eines analogen Angriffs auf ausländische Rechtsgüter schuldig, so findet § 4 Nr 3 nicht Anwendung. In eine Untersuchung darüber, wo das deutsche Strafgesetz in diesem beschränkteren Sinne gemeint sei, insbesondere ob clie Strafgesetze über den Widerstand gegen die Staatsgewalt nur die Renitenz wicler die d e u t s c h e Staatsgewalt mit Strafe bedrohen, ist wahrlich nicht in der Lehre vom internationalen Strafrecht einzutreten. 3 S. darüber schon H e i n z e , Erörterungen S 142. 28*

6. Strafbarkeit der im Ini.

436

. Ausi, verübten Verb.

Wie § 4 Nr 3 jetzt lautet, sollte man glauben, die Handlung des Inländers im Auslande müsse stets um strafbar zu sein zugleich unter zwei Strafgesetzen stehen ; die inländische Strafbarkeit sei somit doppelt bedingt: zugleich durch lex interna et externa. Dies will das Gesetz sicher nicht : es zielt vielmehr dahin, dass wenn die Handlung in einer fremden Rechtsordnung vorgenommen dort straflos sei, sie auch in Deutschland straflos sein solle. Somit hätte gesagt sein müssen : „eine Handlung, welche nicht durch die Gesetze des Ortes, wo sie begangen wurde, mit Strafe verschont ist". Und in diesem Sinne ist berichtigend auszulegen. Somit kann der Deutsche, der in staatlosem Gebiete einen Menschen ermordet, allerdings nach § 211 bestraft werden, und es ist von höchster Wichtigkeit, dass der Deutsche ausserhalb der Staaten weit den inländischen Gesetzen verantwortlich b l e i b e 4 5 . Ist das Delikt in einem fremden Staate begangen, so ist durchaus nicht erforderlich, dass dasselbe auch dort als Verbrechen oder Vergehen taxirt oder unter dem gleichen kriminellen Gesichtspunkte gestraft wird: es genügt jede öffentliche Strafe, die auf das Delikt gesetzt i s t 6 , wogegen eine Disciplinarstrafdrohung nicht ausreicht. Ist die Handlung Teilnahme, so muss die Haupttat und die konkrete Form der Teilnahme nach auswärtigem Rechte strafbar sein 7 . Entscheidend aber ist das fremde Recht zur Begehungszeit. Ist 4

De lege ferenda gut Β er η er, Lehrbuch § 152. Der richtigen Ans. Meves, Komm. S 92. 93; v. L i s z t S 86. — Falsch S c h ü t z e § 20 Anm 14; M e y e r § 19 Anm 18; H ä l s c h n e r , D. StR I 167 Anm 1; O p p e n h o f f zu § 4 Anm 24a; O l s h a u s e n zu § 4 Anm 16; Geyer, Grundriss I 96; de lege lata B e r n e r § 152 Anm 1. 5 Der Nachweis cler Strafbarkeit cles auswärts begangenen Deliktes ist besonders bei grösserer Verschiedenheit der Systeme des inländischen und ausländischen Strafrechts so schwierig, dass die Gesetzgebung hier m. E. einen andern Weg einschlagen und dem Beklagten nur den Beweis der Straflosigkeit nachlassen sollte. Denn in den weitaus meisten Fällen wird die Handlung auswärts als strafbar oder mindestens als strafwürdig anerkannt sein. Wer diese Bestimmung nicht in der Praxis gehandhabt hat, weiss gar nicht, welche Last sie für die Praxis bedeutet.— Das A l t e n b u r g . G r u n d g e s e t z § 72 behält dem angeklagten Inländer den Beweis vor, das ausländische Gesetz sei milder. Sachsen 1855 Art. 8 =» 1868 Art. 8 erklärt das ausländische Strafgesetz auf die Tat für anwendbar, „(1 afern bekannt ist oder nachgewiesen wird, dass sie nach diesen Gesetzen nicht, oder gelinder . . . oder nur auf Antrag zu bestrafen sein würde". S. auch W ü r t t e m b e r g Art. 5, wo die Behauptung des milderen ausländischen Rechtes seitens der beklagten Partei ausgesprochen werden unci dann amtliche Bestätigung finden muss. 6 BayOG vom 1. Juni 1874 (Bayer. Entsch. IV 226 if.); RG I vom 9. Jan. 1882 (E V 424. 425); RG I vom 3. Jan. 1884 (E IX 379. 380). 7 Richtig Meves, Komm. S 93 und O p p e n h o f f zu § 4 Anm 24b.

§91.

7. Ausschliessl. Herrschaftsgebiet cles GB § 3.

437

die Handlung danach straflos, wird sie aber kurze Zeit darauf im Auslände unter Strafe gezogen, so hat Deutschland kein Strafrecht. Ist sie dagegen — und dieser Punkt ist bisher ganz unbeachtet — zur Zeit ihrer Begehung strafbar, verliert sie diesen Charakter aber durch ein neues Gesetz, so wird man genötigt sein dieses Gesetz dem auswärtigen Gnadenakt und der auswärtigen Verjährung (§ 5 s. 2) gleichzustellen und clas deutsche Strafrecht als dadurch vernichtet zu betrachten. § 91. 7. A u s s c h l i e s s l i c h e s H e r r s c h a f t s g e b i e t des G B § 3 ( d e s sog. T e r r i t o r i a l - P r i n c i p s ) . Nur in sehr beschränktem Umfange ist der inländische Begehungsort die notwendige Voraussetzung inländischen Strafrechts. Das Τ e r r i t o r i a l - Ρ r i n e i ρ in diesem Sinne muss überall gelten, wo die verbotene oder gebotene Handlung nur im Inlande vorgenommen werden kann. So ist ζ. B. von den Verletzungen der Normen der Gewerbeordnung, der Strandungsordnung ganz abgesehen das Vergehen der wissentlichen Verletzung eines deutschen Patentrechts nur in Deutschland begehbar 1 ; und das gleiche gilt von den Uebertretungen deutscher Gebote und der Verbote schlechthin. D a s G B § 6 g i e b t nun aber a l l e n Strafgesetzen diese r e i n t e r r i t o r i a l e Beg r e n z u n g , w e l c h e U e b e r t r e t u n g s s t r a f e n a n d r o h e n . Der Inländer soll für im Ausland begangene Uebertretungen im Inlande nicht straffällig sein, es sei denn von dieser Regel durch besonderes Gesetz oder durch internationalen Vertrag eine Ausnahme angeordnet. Selbstverständlich bezieht sich § 6 nur auf die Uebertretungen nach Reichsrecht, und die vorbehaltenen Gesetze und Verträge sind Reichsgesetze und Reichsverträge 2 . Das Geltungsgebiet partikularer Uebertretungsgesetze zu bestimmen ist Sache der Partikulargesetzgebung 3 . Aus dem Gesagten erhellt, dass das Territorial-Princip ausser dem Gebiet der nur im Inlande begehbaren Delikte einen sehr kleinen Kreis strafbarer Handlungen beherrscht. 1 Patentgesetz vom 25. Mai 1877 § 34, 4 u. 5. Vgl. K o h l e r , Patentrecht 8 503 if. 2 SeemO § 100 bestimmt: „Die Bestimmungen cler §§ 81—99 finden auch dann Anwendung, wenn die strafbaren Handlungen ausserhalb des Bundesgebietes begangen sind." Uebertretungen sind hier bedroht in § 81, 1. 93. 99 (nicht in § 83. 84). 3 Richtig R u b o zu § 6 Anm 4; O l s h a u s e n zu § 6 Anm 2. Zum mindesten missverständlich H ä l s c h n e r I 166.

438

§ 92.

8. W i r k u n g

der N a t u r a l i s i r u n g

des

Ausländers.

Ist der Delinquent zur Zeit seines auswärts verübten Deliktes Ausländer u n d a l s s o l c h e r n a c h d e u t s c h e n G e s e t z e n n i c h t v e r a n t w o r t l i c h g e w e s e n , ist er aber dann Deutscher geworden, so bleibt seinem neuen Heimatstaate, soll die Wandlung der Nationalität den Verbrecher nicht straflos machen, nur die Alternative ihn auszuliefern oder ihn selbst zu strafen 1 . Straft er, so handelt er aus fremdem Rechte und folgerichtig wäre das auswärtige Recht ausnahmsweis zur Anwendung zu bringen. Indessen solche Satzung stiesse in der Durchführung auf die grössten Schwierigkeiten, und so soll nach § 11 Schlusssatz nach deutschen Gesetzen geurteilt und gestraft werden 2 . Der Zusatz, das ausländische Gesetz sei anzuwenden, wenn es das mildere wäre, führt einen Teil jener Schwierigkeiten wieder in das deutsche Rechtsleben ein. Natürlich kann aber im Inland keine Bestrafung eintreten, nicht nur wenn die Handlung im Auslande zur Zeit ihrer Begehung nicht mit Strafe bedroht war, sondern auch dann, \venn inzwischen ihre Strafbarkeit nach ausländischem Recht durch Verjährung oder Begnadigung oder durch einen Wechsel der Gesetzgebung erloschen ist. Der deutsche Staat will indessen nicht als negotiorum gestor strafend einschreiten, vielmehr wartet er ab „einen Antrag der zuständigen Behörde des Landes, in welchem die strafbare Handlung begangen worden", d. i. aber nicht die Behörde, die zuständig wäre, die Strafverfolgung im Auslande zu beginnen, sondern die nach Landesverfassung oder Staatsvertrag zuständig ist zu jenem Antrage 3 . In Ermangelung abweichender Bestimmung wird jedenfalls der auswärtige Justizminister zur Stellung dieses Antrags durch den Minister des Auswärtigen als berechtigt zu betrachten sein. Dieser Antrag ist ein Ersuchen des Staates, wo delinquirt wurde 4 , das Strafrecht des Nachsuchenden in Vertretung auszuüben, und unter1

Beiden Auswegen stehen etwa gleich viel Bedenken gegenüber. Jedenfalls sollte sich der neue Heimatstaat d i e M ö g l i c h k e i t der A u s l i e f e r u n g vorbehalten. Ein interessantes Präjudiz über diese Frage teilt H e f f t e r , ΝΑ XIV 545 ff. mit. Vgl. auch Τ emme, Archiv für strafrechtliche Entscheid. I 37 if. 2 S. darüber oben § 78 und über das mildere Gesetz oben § 57. 3 Dieser Antrag wird verkannt und deshalb sein Erforderniss getadelt von M e y e r § 19 S 106. 4 Der Antrag eines andern auswärtigen Staates kann selbst dann nicht berücksichtigt werden, wenn ihm ein Strafrecht gegen den Delinquenten wirklich zusteht.

§ 92. 8. Wirkung der Naturalisirung des Ausländers.

439

scheidet sich dadurch aufs schärfste vom Antrage der nicht Straf- aber Antrags-Berechtigten bei den Antragsverbrechen, dessen Regelung (GB § 61 if.) grade deshalb für ihn nicht m i t g i l t 5 . Grade weil es sich handelt um Ausführung eines fremden Strafrechts, muss man sich von der Vorstellung frei machen, als müsse der Delinquent deutschen Normen, die etwa auch für ihn verbindlich gewesen seien, zuwidergehandelt haben. Es ist nur erforderlich, dass er eine ausländische Norm übertrat, die inhaltlich mit einer deutschen zusammenfiel und deren Uebertretung hier wir dort unter Strafe stand 6 . Deshalb können eine Anzahl deutscher Strafgesetze nur analog angewandt werden: alle diejenigen, welche den Inländer zum Urheber fordern, welche den Hoch- oder Landesverrat wider das Deutsche Reich oder den Widerstand gegen die deutsche Staatsgewalt, die Verletzung des deutschen Urheberrechts u. s. w. bedrohen. Insofern als die deutschen Strafgesetze angewandt werden auf Delikte, die zur Zeit ihrer Begehung noch nicht darunter standen, bildet die Regel des § 11 Nr 3 al. 2 eine Ausnahme von § 2 und begründet eine echte Rückwirkung deutscher Strafgesetze 7. Das Anwendungsgebiet dieser Regel bilden nur Delikte cler Ausländer im Ausland, die nicht als solche schon den inländischen Gesetzen unterliegen 8 , die im Ausland unter Strafe stehen und die oder deren Analoga im Reichsrecht mit Verbrechen- oder Vergehenstrafe belegt sind, dagegen nie von Ausländern im Auslande begangene Uebertretungen. Bezüglich dieser geniesst der naturalisirte Ausländer in seiner neuen Heimat ein Asyl. r>

Richtig O l s h a u s e n zu § 4 Anm 18; S c h ü t z e , Lehrb. S 170 Anm 12. And. Mein. R u b o , Komm. S 278; O p p e n h o f f zu § 4 Anm 32. 0 Weshalb der frühere Ausländer ein Deutscher geworden ist — ob durch. Naturalisation, ob durch Inkorporation eines Gebietes —, ist ganz gleichgiltig. And. Mein. P u c h e l t zu § 3 u. 4 Anm 8, dem O p p e n h o f f zu § 4 Anm 29 und O l s hausen zu § 34 Anm 8 und zu § 4 Anm 17 folgen (die genannten wollten im letzten F'alle GB § 2 anwenden, der mit dieser Frage m. E. nichts zu tun hat). Gilt freilich in dem inkorporirten Gebiete, wie in Elsass-Lothringen bis zum 1. Okt. 1872, ein anderes Gesetzbuch weiter, so steht für den Elsässer, der vor der Inkorporation in der Schweiz verbrochen hat, noch dieses andere Gesetzbuch zur Anwendung. 7 So Normen I 86 Anm 160 (den Schluss der Anm über die rückwirkende Kraft deutscher Normen halte ich nicht mehr aufrecht). 8 Wie weit dies der Fall, zeigen die §§ 88 u, 89 oben. Für die Fälle des § 4 Nr 1 gilt § 4 Nr 3 a. E, nicht.

440 § 93.

9. D a s Z u s a m m e n t r e f f e n

ausländischen

des i n l ä n d i s c h e n u n d

Strafanspruchs

Begeht ein Ausländer

oder

und

ein I n l ä n d e r

seine

des

Wirkung1.

nach Auffassung beider

Rechte ein D e l i k t , aus welchem sowohl das I n l a n d als ein auswärtiger Staat oder gar eine Mehrheit derselben strafberechtigt w i r d , eine K o n k u r r e n z den

Delinquenten

von Strafansprüchen die Gefahr

mit

gleichem Grunde

mehrfacher Bestrafung

vor2.

so liegt u n d für Solche

mehrere Strafansprüche aus einem D e l i k t e können ebenso gut daraus entstehen, dass i m Auslande als dass i m Inlande d e l i n q u i l i w u r d e 3 . ungerechte Doppelbestrafung weise i n der Lage.

hintanzuhalten ist Deutschland

Die

nur teil-

H a t der D e l i n q u e n t i m I n l a n d seine Strafe v o l l oder

zum T e i l verbüsst, so k a n n das deutsche Gesetz nicht bestimmen, wie w e i t dadurch auch der ausländische Strafanspruch k o n s u m i r t w i r d ; dagegen hat es allein anzuordnen,

wie die Strafverfolgung gegen den

Delinquenten i m Auslande, wie insbesondere seine Bestrafung daselbst auf das deutsche Strafrecht z u r ü c k w i r k e n soll. 1

Vgl. bes. V. W ä c h t e r , Handbuch S 162 if. Diese Identität des Strafgrundes ist stets dann anzunehmen, wenn dieselbe Handlung des Ausländers oder Inländers den faktischen Klaggrund sowohl des inländischen als des ausländischen Strafklägers abgiebt. Ob das Delikt in beiden Staaten entsprechend benannt wird, ob seine Grundauffassung die gleiche ist, ob die Handlung nach beiden Rechten in gleichem Umfange das Klagfundament bildet, oder Bestandteile derselben nach dem einen Rechte wesentliche Verbrechensmerkmale oder Schärfungs- oder Milderungsgründe ausmachen, die für den andern Strafkläger belanglos sein würden, ist für die Identität der Handlung gleichgiltig. So liegt sie immer, aber nicht nur dann vor, wenn die rechtskräftige Aburteilung des Deliktes im Inlande das non bis in idem für dieses begründen würde. Ks ist sehr leicht möglich, dass das Ausland das Delikt als Angriff wider das eine, das Inland als Angriff wider ein ganz anderes Rechtsgut unter Strafe stellt, so dass, wenn man sich die einschlagende Satzung des ausländischen Rechtes in inländisches verwandelt clenkt, danach Deliktskonkurrenz vorliegen und zwei kumulativ konkurrirende Strafrechte des Inlandes entstehen würden. Fasst aber das ausländische oder das inländische Recht die Handlung als Angriff zugleich wider zwei verschiedene Rechtsgüter und deshalb als Deliktskonkurrenz, so werden die beiden Strafrechte nicht durch eine, sondern durch zwei Handlungen erzeugt, und Doppelbestrafung ist dann gerechtfertigt. So z. B. wenn der im Ausland begangene Hochverrat wider das Deutsche Reich im Auslande als Verletzung befreundeter Staaten bestraft wird; oder wenn jemand im Auslande gleichzeitig die Kaiser von Oesterreich und von Deutschland beleidigt und darauf in Deutschland nur wegen der letzteren Beleidigung abgeurteilt wird. Dann bleibt principiell der österreichische Strafanspruch ganz intakt. 2

3 Fertigt ein Deutscher in Deutschland falsches niederländisches Papiergeld, so wird das Inland ebenso strafberechtigt wie das Königreich der Niederlande. S. das niederl. Strafgesetzbuch vom 3. März 1881 Art. 4 Nr 2.

§ 93. 9. Zusammentreffen cles ini. u. ausi. Strafanspruclis.

441

Das deutsche Strafgesetzbuch hat sich dieser Aufgabe nicht entschlagen, sie aber nicht vollständig gelöst, es lässt für eine ganze Gruppe von Fällen, nämlich die i m I η 1 a η d begangenen Verbrechen und Yevgehen, die von einem strafberechtigten Staate des Auslandes verfolgt worden sind, dem Zweifel Raum. . Die Lösung des Widerspruchs zwischen cler Verantwortlichkeit des Schuldigen für e i η Delikt und seinem Verhaftetsein mehreren Staaten gegenüber lässt sich auf zwei Weisen denken. Entweder die Konsumtion des ausländischen Strafanspruchs, sei's durch rechtskräftige Freisprechung, sei's durch Verurteilung und Strafvollzug, bedeutet auch Untergang des inländischen Strafanspruchs, oder aber dieser bleibt trotzdem bestellen und die im Ausland verbüsste Strafe wird auf die inländische angerechnet. Volles Vertrauen zu Strafrecht und Strafprozess eines fremden Staates wird diesem gegenüber zur Annahme des ersten Systems gelangen 4 . Bedenken nach der einen oder anderen Seite drängen zur Aufnahme des viel schwerer durchführbaren zweiten. Danach ist die Rückwirkung der ausländischen Freisprechung auf das inländische Strafrecht gleich N u l l , die der ausländischen Bestrafung minder intensiv als nach dem ersten. Die Regeln des Gesetzbuches gehören teils dem ersten, teils dem zweiten System an. Es empfiehlt sich das zweite als das der minder starken Wirkung vorweg zu betrachten. I. Das inländische Strafrecht bleibt trotz ausländischer Freisprechung oder ausländischer Bestrafung bestehen, aber „die im Auslände vollzogene Strafe 5 ist, wenn wegen derselben Handlung im Gebiete des Deutschen Reichs abermals eine Verurteilung erfolgt, auf die zu erkennende Strafe in Anrechnung zu bringen" (§ 7). Man könnte glauben, dieser Satz habe überall da Flatz zu greifen, wo die Entstehung des inländischen Strafanspruchs unabhängig gestellt sei vom Rechte cles ausländischen Tatortes. Allein dies wäre theoretisch ebenso unrichtig, wie es de lege lata falsch ist. Denn wo das Gesetz die Strafbarkeit des auswärts begangenen Deliktes am Tatort zur Entstehung des inländischen Strafanspruchs nicht fordert, da kann zwar dieser nie durch eine Freisprechung im Auslande konsumirt werden, wohl aber sollte er es durch auswärtige Strafverbüssung. Und de 4

Die Schwierigkeit für clen Gesetzgeher liegt darin zu der grossen Verschiedenheit cler Rechtskulturstufe sämmtlicher auswärtiger Staaten in e i n e r Regel Stellung nehmen zu wollen. Eine Gruppirung derselben würde die Lösung erleichtern. Auch eignete sich dieser Punkt zur internationalen Vereinbarung. 5 Die natürlich nicht auf Requisition des Inlandes vollzogen sein darf. Richtig O l s h a u s e n zu § 7 Anm 2 gegen R u b o zu § 7 Anm 3.

§ 93.

9. Zusammentreffen

es ini. u. ausi. Strafansprulis

lege lata wird beispielsweise der Schiffer, der wegen Hinterziehung der Heuer im Ausland gestraft ist, allerdings nach § 4 Nr 3 im Inland nicht mehr bestraft werden können. 1. Als Anwendungsgebiet ergeben sich zunächst die vom GB § 4 Nr 1 u. 2 bezeichneten im Auslande verübten Verbrechen und Vergehen, aber nur soweit, als wegen derselben Handlung im Gebiete des Deutschen Reiches abermals eine Verurteilung erfolgen kann. Dies ist aber nur soweit möglich, als das Delikt im Ausland als derselbe strafbare Angriff wider dasselbe Rechtsgut gefasst wird wie im Inland, soweit also der oben besprochene Falli von Delikts-Konkurrenz nicht vorliegt. Somit ist klar, dass, wenn ein Deutscher wegen im Auslande gegen das Deutsche Reich verübten Hoch- oder Landesverrates oder Beleidigung eines Bundesfürsten, oder ein Ausländer wegen gleichen Hochverrates auswärts Strafe erduldet haben, diese Strafe n i c h t auf die im Inlande zu verhängende Strafe anzurechnen ist, denn diese Handlungen werden auswärts als Verletzungen guter völkerrechtlicher Beziehungen des Auslandes zum Inland, und nur in diesem als Hochverrat, Landesverrat und Majestätsbeleidigung bestraft. Die Regel ergreift also in Wahrheit nur die auswärts begangenen Münzverbrechen und Amts-Verbrechen oder -Vergehen deutscher Beamten — auch die letzteren, denn diese können sehr wohl auch im Ausland als Amtsverbrechen zur Strafe gezogen sein. 2. Sind dieselben Verbrechen im Inlande begangen, im Auslande aber zur Strafe gezogen worden, etwa weil sie Ausländer zu Urhebern haben oder gegen ausländische Rechtsgüter gerichtet waren, so findet § 7 gleichfalls Anwendung, denn dieser erfordert durchaus nicht, dass die auswärts bestrafte Handlung auch auswärts verübt sei. 3. Macht sich ein Deutscher oder ein Ausländer irgend eines anderen Verbrechens oder Vergehens (s. § 4 Nr 3) im Inlande schuldig, so kann nach GB § 3 kein Zweifel sein, dass die inländischen Strafgesetze zur Anwendung kommen sollen, auch wenn der Täter im Ausland bestraft oder rechtskräftig freigesprochen worden ist. Das Inland als Staat des begangenen Verbrechens will sich seiner kriminellen Herrschaft über dasselbe unter gar keiner Bedingung begeben. Aber § 7 steht auch dann zur Anwendung. 4. Wo die Regel des GB § 7 Platz greift — und dies tut sie auch, wenn das Verbrechen im Inland begangen, aber im Ausland abgeurteilt ist —, ist die inländische Strafe gegen den Schuldigen voll auszusprechen, die Anrechnung der ausländischen Strafe auf sie aber obligatorisch. Die Art dieser Aufrechnung wird dem Richter über-

und seine Wirkung.

443

lassen 6 . So weit er eine Strafart des auswärtigen Rechts mit einer inländischen in Parallele stellen kann, hat er dies zu tun. So weit die §§ 21. 28. 29 eine analoge Anwendung vertragen, muss sie der Richter sinngemäss anwenden. Ist die ausländische Strafart für uns eine fremdartige, so hat der Richter zu schätzen, welchem Strafübel des inländischen Rechts sie nach Qualität und Quantität am meisten entspricht. I I . D a s i n l ä n d i s c h e S t r a f r e c h t w i r d d u r c h das k r i m i n e l l e V o r g e h e n des A u s l a n d e s m i t b e s t i m m t e m R e s u l t a t e konsuinirt. Diese Regel greift Platz f ü r a l l e i m A u s l a n d e b e g a n g e n e n s t r a f b a r e n H a n d l u n g e n ausser den sub I g e n a n n t e n . Zwar spricht § 4 Nr 3 nur von V e r b r e c h e n und V e r g e h e n , welche v o n D e u t s c h e n auswärts verübt worden sind. Aber was von den Strafrechten aus Verbrechen und Vergehen gesagt ist, gilt um so sichrer auch von den minder wichtigen, also jedenfalls nicht schwerer tilgbaren aus Uebertretungen 7 . Und wenn selbst der Deutsche, der im Ausland ein solches Verbrechen oder Vergehen begangen hat, durch die auswärts wegen derselben Handlung erlittene Strafe dem Inlande gegenüber frei wird von weiterer Verantwortung, so muss dies von dem Ausländer, der nur ausnahmsweise für solche Tat dem inländischen Gesetz verfällt, um so sichrer gelten. Das Maass der Abhängigkeit des inländischen Strafanspruchs von dem Bestände des auswärtigen wird in GB § 5 überspannt. Es ergab sich oben, dass § 4 Nr 3 falsch gefasst i s t 8 . Nach seinem Grundgedanken vindicirt sich das Inland einen Strafanspruch, falls nicht die auswärts begangene Handlung nach dem Rechte des Begangenschaftsortes straflos, also vielleicht erlaubt, oder mindestens nicht verboten, oder ein zu wenig empfindliches Delikt i s t 9 . 6 Er hat aber auch fremde Freiheitsstrafen auf heimische Geldstrafen anzurechnen. R ü d o r f f zu § 7 Anm 1. Erkennt der inländische Richter auf ein Jahr Zuchthaus und rechnet er die auswärtige Strafe darauf an, so ist cler Rest nicht etwa, wie R ü d o r f f zu § 7 Anni 1 und v. L i s z t S 87 meinen, in Gefängniss umzuwandeln. Richtig R u b o zu § 7 Anm 7; O p p e n h o f f zu § 7 Anm 8; H ä l s c h ner, D. StR I 168; O l s h a u s e n 2u § 7 Anm 6. Auf unwandelbare Strafen, wie die des Todes, der lebenslänglichen Freiheitsstrafe ist aber eine solche Anrechnung undenkbar. Richtig R u b o zu § 7 Anm 8. 7 Die Regeln des § 5 haben also, falls auswärts begangene Uebertretungen für strafbar erklärt sind (GB § 6), analog Anwendung zu finden. 8 S. oben S 435 if. 9 Deshalb erscheint auch nicht abwegig, dass GB § 5 Nr 2 die inländische Strafberechtigung durch ausländische Begnadigung untergehen lässt. Die Gnade desavouirt das Strafgesetz für den einzelnen Fall.

§ 93. 9. Zusammentreffen

444

es ini. u. ausi. Strafansprucs

Ist diesem Grundgedanken genügt, steht die Handlung nach auswärtigem Rechte unter Strafe, so ist nun das inländische Strafrecht erwachsen, und jeder der beiden konkurrirenden Strafansprüche müsste nun bezüglich der ausserprozessualen Gründe seines Bestandes und seines Untergangs durchaus nach den Rechtsregeln, der eine des Auslandes, der andere des Inlandes behandelt werden. Ein Grund dafür, dass durch die Verjährung des ausländischen Strafklagerechts auch das inländische erlösche, lässt sich schlechterdings nicht finden, wenn man nicht den falschen Gedanken der Bestrafung in Stellvertretung beizieht. Ebensowenig dürfte es aber auch richtig sein, wenn das ausländische Strafrecht doppelt, das inländische nur einfach bedingt ist. das letztere gleichfalls in ein doppelt bedingtes zu verwandeln, wie dies § 5 Nr 2 dann — aber auch nur dann — tut, wenn die Handlung draussen Antrags-Verbrechen oder -Vergehen ist, nach deutschem Rechte aber nicht. De lege lata bestimmt § 5 für die im Ausland begangenen, dort und im Inland strafbaren Verbrechen und Vergehen, „die Verfolgung'' bleibe im Inland unter bestimmten Voraussetzungen ausgeschlossen. Das Gesetz beharrt in der prozessualen Ausdrucksweise, deren sich auch § 4 al. 2 bedient, und untersagt die Klagerhebung und den Fortgang des Prozesses im Inland ; aber nicht nur dies, sondern auch wenn der Prozess trotzdem zur Hauptverhandlung gediehen ist, die Verurteilung. Es muss also freigesprochen, bez. wenn der nötige Antrag fehlt, eingestellt werden. Verbricht ein Deutscher im Auslande, so kann ausser dem deutschen Inlande und dem einen Staate des begangenen Verbrechens noch ein dritter und vierter Staat strafberechtigt werden, sei's dass das Verbrechen in mehreren Staaten verübt ist, sei's dass cler Deutsche im Auslande gegen Rechtsgüter eines dritten Staates sich vergeht und diesem gleichfalls verantwortlich wird. Diesen Fall mehrfacher Konkurrenz fasst § 5 nicht ins Auge. E r versteht, wie der Zusammenhang ergiebt und die Motive ausdrücklich hervorheben, unter Ausland nur den Staat des begangenen Verbrechens 10 und denkt, dass nur e i n solcher Staat existire. I n d i e s e n F ä l l e n w i r d das S t r a f r e c h t des I n l a n d e s vernichtet 1. d u r c h d e n v o l l s t ä n d i g e n V o l l z u g d e r v o n d e n G e r i c h t e n jenes Staates r e c h t s k r ä f t i g erkannten Strafe 11. 10 11

A. Mein. R u b o zu § 5 Anm 3, dem O l s h a u s e n zu § 5 Anm 2 u. 6 folgt. GB § 5 Nr 1. Ueber GB § 37 siehe § 94. Die Worte des § 5 „von den

und seine Wirkung.

445

Das Inland begiebt sich also hier vollständig des Urteils über die Angemessenheit des auswärtigen Strafquantums. Entflieht der Verbrecher vor voll verbüsster Strafe, so ist Verfolgung im Inlande zulässig und die Bestrafung nach Maassgabe des § 7 zu normiren. 2. D u r c h d i e r e c h t s k r ä f t i g e F r e i s p r e c h u n g , einerlei, ob wegen mangelnden Beweises oder wegen Straflosigkeit der Handlung (GB § 5 Nr 1). Darunter ist allein das freisprechende Endurteil, nicht aber clie rechtskräftige Einstellung des Verfahrens oder eine absolutio ab instantia zu verstehen 12 . 3. D u r c h V e r j ä h r u n g d e r S t r a f v e r f o l g u n g o d e r S t r a f v o l l s t r e c k u n g nach a u s l ä n d i s c h e m Hechte13. 4. D u r c h „ E r l a s s d e r S t r a f e " . GB § 7 Nr 2. Diese Gnade muss zweifellos von der zuständigen ausländischen Behörde in rechtsgiltiger Form oder durch ein ausländisches Gesetz gewährt sein 1 4 . Da auch die Abolition gegenüber dem wirklich Schuldigen, von dem ja die §§ 4 if. allein handeln, ein Straferlass ist und § 5 Nr 2 nicht wie § 5 Nr 1 nur von der „ a u s g e s p r o c h e n e n Strafe" spricht, so konsumirt ausser der vollen Begnadigung auch die rechtmässig erteilte Abolition den inländischen Strafanspruch 15 . Ein solcher k o m m t 5. g a r n i c h t z u r E n t s t e h u n g , „ w e n n d e r n a c h d e n G e s e t z e n des A u s l a n d e s z u r V e r f o l g b a r k e i t d e r H a n d l u n g e r f o r d e r l i c h e A n t r a g des V e r l e t z t e n n i c h t g e s t e l l t w o r d e n i s t " . GB § 5 Nr 3. Es ist wohl geboten, unter dem VerGerichten" deutet l l u b ο, Komm, zu § 5 Anm 2 richtig dahin, dass der Ausspruch einer Administrativbehörde nicht genüge. (Ders. Ans. O l s h a u s e n zu § 5 Anm 3.) Ist sie allein zur Bestrafung zuständig, so lässt O p p e n h o f f zu § 5 Anm 6 ihr Urteil genügen. Ich halte die erstere Ansicht für die richtige. Das Reich verlangt die Gewähr r i c h t e r l i c h e r Prüfung. 12 In letzterer Beziehung etwas abweichend R u b o zu § 5 Anm 7 in Verkennung der Bedeutung dieses Prozessaktes. 13 Das ist wieder das Recht des Staates der Begangenschaft. Etwas paradox R u b o zu § 5 Anm 10 und O l s h a u s e n zu § 5 Anm 6 a. Richtig O p p e n h o f f zu § 5 Anm 13. 14 R u b o zu § 5 Anm 15, v. S c h w a r z e zu § 5 Anm 6 und O l s h a u s e n zu § 5 Anm 6 b nehmen auch einen berechtigten Erlass der Strafe durch Privatpersonen als im Sinne des Gesetzes liegend an (dagegen Oppen h o f f zu § 5 Anm 16). Dies ist durchaus zu billigen. 15 Gerade weil diese Tilgungsgründe das inländische Strafrecht vernichten, müssen sie alle auch nach im Inland begonnener Strafverfolgung und zwar bis zum Eintritt der Rechtskraft des inländischen Strafurteils berücksichtigt werden. Richtig R u b o S 283. 284; O l s h a u s e n zu § 5 Anm 1. Für die Gnade richtig H ä l s c h n e r , D. StR I 168 und O p p e n ho f f zu § 5 Anm 15, während beide für die Verjährung abstellen auf den Zeitpunkt der beginnenden inländischen Verfolgung.

§ 94.

446

10. GB § 37 in seinem Verhältniss

letzten Jeden zu verstehen, dem nach ausländischem Gesetze ein Antragsrecht beigelegt wird, auch wenn er nicht ein Verletzter im Sinne des GB ist. Jener Antrag muss nach Auffassung des Auslandes rechtsförmlich, also auch rechtzeitig gestellt sein bei der ausländischen Behörde, die zur Entgegennahme kompetent erscheint. Ist das Delikt auch im Inland Antragsvergehen und die Antragsberechtigten sind nach beiden Rechten verschiedene Personen, so bedarf es zweier Anträge, von denen nur der eine unter GB § 61 ff. steht. Ist der nach ausländischem Rechte zum Antrag Befugte auch der Verletzte im Sinne des GB, so bedarf es nur eines Antrages bei der inländischen Behörde, der dem GB § 61 ff. durchaus entsprechen muss. § 94.

10. G B § 37 i n s e i n e m V e r h ä l t n i s s z u m i n t e r nationalen Strafrechte 1.

Die Regel des § 5 Nr 1, wonach die ausländische Bestrafung des Deutschen wegen eines Verbrechens oder Vergehens der in § 4 Nr 3 bezeichneten Art den inländischen Strafanspruch ganz konsumirt, erhält durch GB § 37 zu Gunsten des inländischen Anspruchs auf Ehrenstrafe eine erhebliche Einschränkung 2 : danach soll in Deutschland verfolgt werden dürfen, wer nach § 5 nicht verfolgt werden darf. Der Wortlaut des § 37 gestattet aber auch denselben mit R u b o 3 so auszulegen, dass auch da, wo die ausländische Bestrafung den inländischen Strafanspruch intakt lässt 4 , statt des vollen inländischen Strafanspruchs im Inlande nachträglich nur der Anspruch auf die Ehrenstrafe erhoben werden, also nur eine teilweise Strafverfolgung eintreten könne, obgleich eine vollständige möglich sei. § 37 würde also nach der einen Seite ein nach § 5 Nr 1 ausgeschlossenes inländisches Strafrecht teilweise wiederherstellen, nach der andern Seite ein umfassenderes inländisches Strafrecht beschränken. Für die Annahme solch widerspruchsvoller Zweischneidigkeit fehlt aber durchaus der zwingende vernünftige Grund und damit verbietet 1 Der Paragraph lautet: „Ist ein Deutscher im Auslände wegen eines Verbrechens oder Vergehens bestraft worden, welches nach den Gesetzen des Deutschen Reichs den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte überhaupt oder einzelner bürgerlicher Ehrenrechte zur Folge hat oder zur Folge haben kann, so ist ein neues Strafverfahren zulässig, um gegen den in diesem Verfahren für schuldig Erklärten auf jene Folgen zu erkennen." S. dazu auch H e i n z e , Erört. S 134 if. 2 Die Motive zu E I I I § 35 bezeichnen ihn lediglich als solche Ausnahme. 3 Kommentar S 370. 371. Rubo stellt mit dieser Ansicht allein. 4 S. bes. § 4 Nr 1 u. 2 und oben S 441—443.

zum internationalen Strafrechte.

447

sie sich von selbst. Eine halbirte Geltendmachung des vollen inländischen Strafanspruchs ist unerhört gegenüber dem Strafgesetz, das voll zur Anwendung steht, und gegenüber dein Richter, dem zugemutet wird, das Gesetz und seine einheitliche Aufgabe zu zerreissen. So ist § 37 lediglich eine Ausnahme von § 5 Nr 1, aber auch in dieser Beschränkung ist er nicht ganz so einfach und durchsichtig, wie der Gesetzesgrund. Selbst wenn die ausländische Verurteilung dem Schuldigen an die Ehre geht, so lässt sie die ihm nach deutschem Rechte zustehenden bürgerlichen Ehrenrechte unberührt 5 . Deutschland hat aber das grösste Interesse, dass der Ehrlose nicht deutscher Beamter bleibt und nicht an der Wahlurne erscheint. Und so will es seinen Anspruch auf Verlust cler deutschen bürgerlichen Ehrenrechte durch die auswärtige Bestrafung nicht untergehen lassen. Aber in welchen Fällen bleibt er aufrecht? 1. Aus dem im Auslande begangenen Delikte muss dem Inland ein Strafanspruch erwachsen sein, d. h. der Delinquent muss zur Zeit der Tat „ein Deutscher" gewesen sein. Wird er erst nach der Tat naturalisât, aber im Auslande bestraft, so ist das Verfahren des § 37 unanwendbar 0 . § 4 Nr 3 Schlusssatz lässt sich auf § 37 nicht erstrecken; denn er setzt voraus, dass k e i n e Bestrafung im Auslande erfolgt. Ist sie aber erfolgt, so kann auch der erforderliche Antrag der zuständigen ausländischen Behörde gar nicht gestellt werden. 2. Die das inländische Strafrecht begründende Handlung muss — ganz gleichgiltig, wie sie auswärts gewertet wird — nach inländischem Recht Verbrechen oder Vergehen sein, welches nach deutschen Reichsgesetzen mit dem Verlust aller oder einzelner Ehrenrechte bedroht i s t 7 . Steht diese Drohung in Landesgesetzen, so greift § 37 nicht Platz, aber die Partikulargesetzgebung kann seine Bestimmung wiederholen 8 . 3. Der „Deutsche" muss wegen dieses Deliktes im Auslände bestraft worden sein. Hier erheben sich zwei interessante Fragen: 5

Durchaus richtig H e i n z e , Erört. 8 134. 135. Richtig R ü d o r f f zu § 37 Anm 5; R u b o zu § 37 Anm 2; O l s h a u s e n zu § 37 Anm 1. 7 S. GB § 31—35. Bez. des Verlustes einzelner Ehrenrechte s. GB § 128. 129. 358. — § 81. 83. 84. 87—91. 94. 95. 8 Auf die Vergehen des Landesrechts findet § 37 unmittelbar keine Anwendung. And. Mein. R ü d o r f f zu § 37 Anm 6; O p p e n h o f f zu § 37 Anni 4. — Rubo zu § 37 Anm 7 hält die Bestimmung des § 37 geradezu auf landesrechtliche Fälle für unübertragbar; ebenso wohl O l s h a u s e n zu § 37 Anm 4. 6

§ 94.

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10. GB § 37 in seinem Verhältniss

a. Wie ist es zu halten, wenn ein deutscher Beamter, der aber nicht naturalisirt ist, draussen ein ehrenrühriges Nichtamtsverbrechen begangen hat und ein nichtdeutscher Angehöriger einer deutschen Schiffsmannschaft ein ehrenrühriges Verbrechen 9 ? Da § 2 nicht im Wege steht, so sind sie u. E. zu den Deutschen des § 37 zu rechnen: der Gesetzesgrund greift vollständig Platz und jener Beamte und dieser Schiffsmann sind deutsche Beamte und deutsche Schiffsleute, wenn auch nicht im strengen Sinne der Nationalität. b. Wie, wenn der Delinquent zur Zeit der Tat ein Deutscher war, aber es nicht mehr ist ' zur Zeit des ausländischen Urteils und des ausländischen Strafvollzugs? Das Gesetz spricht von einer Bestrafung des Deutschen im Auslande. Deshalb wird allgemein gefordert, der Täter müsse Deutscher noch zur Zeit der Bestrafung gewesen sein, ohne dass dies genügend begründet werden könnte. Der § 37 ist eine Ausnahme von § 5 Nr 1, der sich seinerseits wieder auf § 4 Nr 3 zurückbezieht. I n § 5 Nr 1 ist durchaus nicht erforderlich, dass der Täter auch noch Deutscher war, als er verurteilt wurde. Spräche § 5 ausführlicher, so würde er aber grade wie § 37 von der Bestrafung des Deutschen reden ohne Missverständnisse befürchten zu müssen, denn § 4 Nr 3 giebt genau an, was unter dem Deutschen zu verstehen sei. Des weiteren geht der inländische Strafanspruch durch Wechsel der Nationalität des Täters nicht verloren, und auch das Interesse des Inlandes solchem Verbrecher die Ehrenzeichen zu nehmen und ihm den Eintritt in das Heer und das Beamtentum zu versagen, schwindet dadurch nicht. So findet § 37 nicht nur dann Anwendung, wenn der Bestrafte noch zur Zeit cler Strafe „Deutscher" war. Der § 37 erfordert ganzen oder teilweisen Vollzug der Strafe oder Verjährung der Strafvollstreckung im Auslande: die volle Begnadigung schliesst ihn grade so aus, wie die Freisprechung 10 . 4. Da der inländische Strafanspruch geltend gemacht werden soll, so darf die Strafverfolgung nicht nach inländischem Piechte verjährt sein. Da die Verfolgung zur Aberkennung cler Ehrenrechte führen soll, so ist sie gegen Personen unter 18 Jahren unstatthaft 11 . Das inländische Verfahren ist genau das gleiche, wie wenn auf die Haupt» S. SeemO § 91. Bezüglich der Begnadigung unrichtig O p p e n h o f f zu § 37 Anm 1; Rüd o r f f zu § 37 Anm 1; O l s h a u s e n zu § 37 Anm 3. 11 8. GB § 57 Nr 5. Ganz richtig R u b o zu § 37 Anm 14. 10

zum internationalen Strafrechte.

449

strafe des inländischen Gesetzes erkannt werden s o l l 1 2 . Wird der Angeklagte schuldig erfunden — sei's durch Verdikt, sei's ohne solches —, so hat der Richter nun die obligatorischen Ehrenfolgen (§ 161. 181) stets zu verhängen, im übrigen steht er der Frage nach der Ehrenrührigkeit der Handlung ganz frei gegenüber. Bejaht er sie, so hat er n u r diese Ehrenfolgen auszusprechen und in den Entscheidungsgründen die Hauptstrafe anzugeben, die seines Erachtens verdient wäre und die nach Maassgabe cles Gesetzes die Ehrenstrafe rechtfertigt. Die Eigentümlichkeit des Resultates der zweifachen Verurteilung ist unverkennbar. Die Hauptstrafe des Verurteilten ist ausländisch, die Nebenstrafe entweder zugleich ausländisch oder nur inländisch. Die Summe beider Strafübel kann grösser sein, als das GB für gerecht hält. Die Ehrenstrafe hört auf Begleiterin gewisser deutscher Strafarten zu sein und wird zu einer ständig erkannten specifisch deutschen Zusatzstrafe zu einem fremdländischen Urteil. 12

Handelt es sich um ein Antragsverbrechen, so nimmt R ü d o r f f zu § 37 Anm 3 principiell richtig an, der Staatsanwalt sei an die Stellung des Antrags gebunden. Ob dies aber im Willen des Gesetzes liegt?

Binding, Handbuch. V I I . 1. I : B i n d i n g , Strafrecht. I.

29

Dritte Abteilung. Die Auslegung der Strafgesetze1. § 95.

I. B e g r i f f u n d A b g r e n z u n g d e r A u s l e g u n g .

I. A u s l e g u n g des R e c h t s i s t d i e E r h e b u n g s e i n e s I n h a l t e s i n d a s i n d i v i d u e l l e B e w u s s t s e i n , A u s l e g u n g des 1

Β 158. Sch 17. G 68. L 10. M 18. H 17. 18. WH* 18. 19. WV 31a. Κ 25. M e r k e l , HH I I 65—75, IV 73—82 (gedankenreich). — Κ 1 e i η s c h r ο cl, Grundsätze und Grundbegriffe I I 312 ff. — G r o l m a n * , Ueber doktrinelle Gesetzauslegung, Bibl. für peinl. Rechtswissensch. I. 1. Stück (1797) S 51 ff. (vgl. dess. Grundsätze § 102 ff. § 165). — A. C. J o r d a n , De propriis leg. poenal. interpretandi principiis. Goett. 1800. — M u r h a r d , De leg. poenal. interpret, principiis. Marburg 1800. (Diese Abhandlung war mir unzugänglich. Sie handelte besonders von der ausdehnenden Auslegung und verneinte, wie aus Citaten erhellt, deren Zulässigkeit, ebenso wie J o r d a n . ) — T h i b a u t , Theorie der logischen Auslegung des röm. Rechts. 2 Ausg. Altona 1806. — F e u e r b a c h , Kritik II. 1804. S 18 ff. — S. J o r d a n , Ueber die Auslegung der Strafgesetze mit besonderer Rücksicht auf das gemeine Recht. Landshut 1818. — E l o u t , De interpretatione in jure criminali. Lugd. Batav. 1822 (breit, aber wenig ausgiebig). — van Camp, De interpretatione extensiva in leg. crimin. Lovanii 1829 (sehr unbedeutende Bekämpfung aller Analogie und aller ausdehnenden Auslegung im Strafrecht). — W ä c h t e r , Abhandl. aus dem Strafrecht I. 1835. S 242 ff. (vgl. dess. Württemb. Privatrecht I I 133 ff.). — Sch l e t t e r , De subsidiis interpretationis ex iis, quae in comitiis acta sunt, petendis. Lipsiae 1839. — ν. Μ ο h l , Ueber die Benutzung ständischer Verhandl. zur Ausleg. γοη Gesetzen, ANF 1842 S 214 ff. 340 ff. (erweitert abgedruckt in dessen Staatsrecht, Völkerrecht und Politik I. 1860. S 96 ff.). — S c h a f f r a t h * , Theorie der Auslegung konstitutioneller Gesetze. Leipzig 1842. — K r u g , Die Grundsätze der Gesetzesauslegung in ihrer Anwendung auf die neueren deutschen Strafgesetzbücher. Leipzig 1848. (Kennt S c h a f f r a t h nicht!) — H e f f t e r , GA I 1856 S 25 ff. — G o l d s c h m i d t , Zeitsclir. f. Handelsrecht X 40 ff.; Handbuch des Handelsrechts I. 2. Aufl. S 301 ff. Dagegen: T h ö l , Einleit. in das deutsche Privatrecht S 150; S c h l e s i n g e r , Göttinger gelehrte Anzeigen 1864 S. 1968—1979; v. H a h n , Kommentar zum Handelsgesetzbuch. I. 3. Aufl. S L X I I — L X X I I I . — B i e r l i n g , Zeitschrift für Kirchenrecht X 1871 S 141 ff. — H e i n z e * , Reichsstrafrecht und Landesstrafrecht S 38 — 40. — R u b o , Kommentar S 150 ff. — ν. S c h w a r z e , Kommentar. Exkurs V, 5. Aufl. S 28 ff. — Sontag, GA XIX 1871 S 291 ff. —

§ 95.

I. Begriff u. Abgrenzung der Auslegung.

451

einzelnen Rechtssatzes die Erfassung desselben als T e i l s des G a n z e n . Inhalt des Rechtssatzes ist nicht ein Gedachtes, sondern ein Gewolltes; Erfassung dieses Inhaltes nicht Gedanken-Rekonstruktion, sondern d i e E r k e n n t n i s s des I n h a l t s , der T r a g w e i t e u n d der A u t o r i t ä t e i n e s k o n k r e t e n S t ü c k e s des R e c h t s w i l l e n s . Hauptmittel dieser Erkenntniss ist nicht wie bei der Auslegung des Schriftstellers der dem Gedanken untergeordnete Ausdruck, sondern das als maassgebend für den Willensgehalt gewählte, als Teil des autoritativen Willens auftretende Erklärungsmittel 2 . Aus der Verschiedenheit cler Ziele : unverbindlicher Gedanke — autoritativer Wille, und aus der Verschiedenheit der Mittel zum Ziel : unverbindlicher Gedankenausdruck — autoritativer Willensausdruck, rechtfertigt sich die Behauptung einer wesentlichen Verschiedenheit zwischen philologischer und juristischer Auslegung 3 . Der Nachweis des Daseins eines Rechtssatzes kann die Auslegung anderweiter Rechtssätze erfordern, ist aber ebenso wenig Auslegung, wie der Nachweis nur der Erklärungsform des Rechtswillens im einzelnen Fall, die sog. Kritik. Jeder Nachweis ungesetzten Rechtes aus dem Gesetz fordert dessen Auslegung, weist neue Objekte der Auslegung nach, ist aber nicht selbst Auslegung. Insbesondere die Analogie nicht. II. Alles objektive Recht ist nur Mittel zum Zweck der Begründung eines Bestandes subjektiver Rechte oder Pflichten; alle Auslegung des ersteren nur Mittel zum Verständniss des letzteren. Da der Rechtssatz als Grund und die ihm entfliessenden subjektiven Rechte als Folge im engsten Kausalnexus stehen, da die Folgen aus dem Grunde und die Gründe aus den Folgen verstanden werden müssen, so ist das volle Objekt der Auslegung nicht das objektive Recht, sondern dieses sammt seinen Folgen auf dem Gebiete subjektiver Rechte. A u s l e g u n g des R e c h t s i s t a l s o i n W a h r h e i t d i e E r h e b u n g des B e s t a n d e s s u b j e k t i v e r R e c h t e i n s e i n e r S c h ü t z e , GA XX 1872 S 351 ff.: Die sogen. Redaktionsversehen. — S o n t a g , Die Redaktionsversehen des Gesetzgebers. Freiburg i. Breisg. 1874. — Dagegen: v. W ä c h t e r , Strafrechtl. Fragen III. Leipzig 1877 (auch GS 1878 I 321 ff.). — G l a s e r , Handbuch des Strafprozesses I 314 ff. 2 Man gestatte einstweilen die nicht ganz korrekte Ausdrucksweise. S. S 458 Anm 1. 3 Die herrschende Krankheit unserer juristischen Auslegung ist die Missachtung dieser doppelten Verschiedenheit und demgemäss sowohl die Verkennung des Zieles als des Wertes der Mittel juristischer Auslegung. Gerade deshalb kann die Theorie der Auslegung hier nicht bei Seite bleiben. 29 *

§ 95.

452

I. Begriff u. Abgrenzung der Auslegung.

k a u s a l e n B e z i e h u n g z u m o b j e k t i v e n R e c h t e i n das i n d i v i d u e l l e B e w u s s t s e i n ; A u s l e g u n g des e i n z e l n e n R e c h t s s a t z e s N a c h w e i s des D a s e i n s 4 , des I n h a l t e s o d e r des U n t e r g a n g e s b e s t i m m t e r s u b j e k t i v e r R e c h t e aus i h r e m o b j e k t i v e n R e c h t s g r u n d ; A u s l e g u n g des S t r a f g e s e t z b u c h s i s t die f o r t s c h r e i t e n d e E r k e n n t n i s s , w e l c h e Strafrechte auf diesen Gruad h i n entstehen, nicht entstehen oder u n t e r g e h e n und welchen I n h a l t die entstehenden Strafrechte e r h a l t e n sollen. I I I . Diese Auslegung im weitesten Sinne zerfällt in zwei Arten, die man als theoretische und praktische, als Erkenntniss eines bestimmten Rechtssatzes mit seinen in genere bestimmten Folgen, oder als Erkenntniss eines bestimmten subjektiven Rechtes in seiner Ableitung aus einein oder mehreren Sätzen des objektiven Rechts bezeichnen mag. Ziel cler theoretischen Auslegung ist die Tragweite des Rechtssatzes als des Grundes, Ziel der praktischen die Feststellung von Existenz und Inhalt eines subjektiven Rechtes als konkreter Folge. Es erhellt alsbald, dass die Wissenschaft in der Regel der Auslegung der ersten Art, der Richter stets cler der zweiten huldigt. IV. Für diese Auslegung des subjektiven Rechtes ergeben sich einige Regeln nicht unmittelbar aus dem Gesetze, sondern aus der bestimmungsgemässen kausalen Beziehung zwischen ihm und dem subjektiven Rechte. Man hat sie bisher als Regeln der G e s e t z e s auslegung gefasst, was sie nicht sind: denn sie greifen auch dann Platz, wenn die Auslegung des objektiven Rechtes vor einen unlöslichen Zweifel führt, also versagt. Drei Sätze sind die Grundregeln für die Erkenntniss der Welt subjektiver Rechte und der diesen korrespondirenden Pflichten. 1. Kein subjektives Recht besteht ohne einen Rechtssatz als seinen Grund. 2. Kein Recht, das entstanden ist, erlischt ganz oder teilweise ohne einen darauf gerichteten Willensakt des Gesetzgebers. 3. Kein Recht, also auch keine Pflicht, hat einen andern als den ihm vom Gesetz zugedachten Inhalt; insbesondere geht kein Recht weiter, als es sich aus dem objektiven Recht nachweisen lässt 5 . 4

In Gegenwart, Vergangenheit oder Zukunft — des wirklichen oder des nur beabsichtigten Daseins, des letzteren bei noch nicht in Kraft getretenen Gesetzen. 5 Die oft citirte Stelle des Ulpian in 1 9 D de R. I. 50, 17 : semper in obscuris, quod minimum est, sequimur (s. régula XXX de regul. juris in V i t o 5, 12) ist geformt als Regel für die Auslegung des objektiven, zu denken nur als solche für die

§ 95. I. Begriff u. Abgrenzung der Auslegung.

In ihrer Anwendung auf das kriminelle Gebiet besagen diese Regeln : 1. Kein Strafrecht ohne Strafrechtssatz, und da dieser heute „Gesetz" sein muss, nulla poena sine lege; ist das Dasein des Strafgesetzes zweifelhaft, so besteht kein Strafrecht. 2. Kein Strafrecht geht weiter, als aus dem Gesetz nachweisbar i s t 6 . Versagt das Strafgesetz die zweifellose Antwort auf die Anfrage, ob die höhere oder niedere Strafart, das höhere oder geringere Strafmaass, die Hauptstrafe sammt der Nebenstrafe oder nur erstere allein zu verhängen, so versagt die Auslegung zwar für das objektive, nicht aber für das subjektive Recht, und es besteht clas Strafrecht immer nur in dem geringeren Umfange. 3. Ist es de lege lata zweifelhaft, ob eine Handlung unter Verbot steht oder nicht, so fehlt der Nachweis für das Recht des Staats auf Botmässigkeit, und da solcher die notwendige Voraussetzung jedes Strafrechts ist, existirt kein Strafrecht. 4. Ist es zweifelhaft, wie weit eine Ausnahme von der Norm oder vom Strafgesetze besteht 7 , so greift der viel zu vage Satz: in dubio mitius, nicht Platz ; es fehlt am nötigen Beweis für den Wegfall des staatlichen Gehorsams- oder Strafrechts und eventuell für das Vorhandensein eines exceptionellen Rechts des Täters auf Vornahme solcher Handlungen. V. Die Norm verbietet bestimmte Handlungen, das Strafgesetz gestattet Strafen für den Fall des D e l i k t s . Die Auslegung beider Alten von Rechtssätzen — und es kann dies auf alle Rechtssätze erweitert werden — ist ohne Auslegung von Vorgängen des socialen Lebens undenkbar. Der Ausleger hat aufzuweisen, an welchen Handlungen die Deliktsmerkmale vorliegen, welche Vorgänge Verbrechen sind und in welcherlei Handlungen die Ausübung des Strafrechts bestehen kann. Soweit also solche Vorgänge sei es in den Tatbestand, sei es in seine Folge Aufnahme gefunden haben, i s t d i e L e b e n s a u s l e g u n g B e s t a n d t e i l cler R e c h t s a u s l e g u n g . Die Auslegung des subjektiven Rechts. Wenn das Gesetz dunkel ist und bleibt, so versagt seine Auslegung. G Ganz falsch die Fassung des Hermogenian in 1 42 D de poenis 48, 19: interpretatione legum poenalium poenae molliendae sunt potius quam asperandae. Besser Paulus in 1 155 D de R. I. 50, 17: in poenalibus causis benignius interpretandum est. Weniger gut: in poenis benignior est interpretatio facienda, régula X L I X de R. I. in V i t o 5, 12. 7 Die Rückwirkung des Zweifels auf die Schuld des Täters bleibt hier zur Seite.

§ 96. II. Das Ziel der Auslegung.

454

theoretische Auslegung denkt sich diese Lebensvorgänge als möglich, die praktische als wirklich, und indem letztere ein bestimmtes Ereigniss auslegt, und den begriffenen Tatbestand der Handlung mit dem begriffenen Tatbestand des Strafgesetzes vergleicht, gelangt sie zur Aufstellung des Ober- und Untersatzes des Urteilssyllogismus; aus der Rechts- und Lebensauslegung findet sie das Urteil und mit dieser lex specialis ein neues Objekt cler Auslegung. § 96.

II.

D e r sog. W i l l e des G e s e t z g e b e r s Auslegung.

als Z i e l

der

Die ungenaue Auffassung, es habe clie Rechtsauslegung einen G e d a n k e n zu erschliessen, teilt mit der genaueren, wonach Ziel der Auslegung die Erfassung eines autoritativen W i l l e n s ist, bis zum heutigen Tage meist die Vorstellung, jener Gedanke und dieser Wille seien individueller Natur: sie seien in Kopf und Brust des Inhabers der gesetzgebenden Gewalt, der sie erzeugt habe, zu suchen, sie blieben natürlich maassgebend für die ganze Dauer des Gesetzes, und der Interpret habe sich demgemäss aus allen Kräften „in die Seele des Gesetzgebers hineinzudenken" Diese Vorstellung bedarf der Berichtigung. Seine A u t o r i t ä t leitet das Gesetz allerdings von der Autorität der Persönlichkeit oder wie beim Bundesrat des Kollegiums ab, deren Willen es zum Gesetz gemacht hat: was aber autoritativ gewollt ist, darüber entscheidet selbst im absolutesten Staate kein Herrscher. Mit Recht ist — offenbar in Anlehnung an die schönen Worte von T h ö l , Einleitung in das deutsche Privatrecht S 150 — gesagt worden: „Mit dem Momente der Gesetzespublikation, mit deren kategorischer Erklärung: wie es in dem Gesetze steht, so soll es Recht sein — verschwindet mit einem Schlage der ganze Unterbau von Absichten und Wünschen des geistigen Urhebers des Gesetzes, ja des Gesetzgebers selbst : und das ganze Gesetz ruht von nun an auf sich, gehalten durch die eigene Kraft und Schwere, erfüllt von eignem Sinn; oft klüger, oft weniger klug als sein Schöpfer, oft reicher, oft ärmer als dessen Gedanken, oft glücklicher im Ausdrucke als dieser zu vermuten wagte, und hie und da an Stellen, wo der Autor festgefügte, dem Missverständniss spottende Satzung sah, plötzlich durch 1

W i n d s c h e i d , Pand. I § 21. — Der Ueberschätzung des subjektiven Willens für Abschluss und Inhalt des Rechtsgeschäfts geht eine Ueberschätzung desselben Momentes für Zustandekommen und Inhalt des objektiven Rechtes parallel.

§ 96.

II. Das Ziel der Auslegung.

die Verkettung mit den übrigen Teilen der Norm in unheilvolles Schwanken geraten 2 . " Die Gesetzgebung bedeutet für den Inhaber der gesetzgebenden Gewalt geradezu eine Entäusserung seines Individual - Willens : der Wille des Rechts tritt ihm nun als objektive Macht gegenüber 3 . Und dies ist ein Glück für ihn und für das Gesetz. Er stellt sich unter dasselbe und findet sich in der Achtung des Rechtes auf einem Boden mit seinen Untertanen 4 . Durch die Lösung des Rechtswillens vom Individuum erlangt das Recht die Fähigkeit trotz allem Wechsel der Gesetzgeber Generationen auf Generationen zu beherrschen, erlangt es zum nicht geringen Teil seinen Reichtum und seine Schmiegsamkeit. Wie selten ist der Gesetzgeber in der Lage sich über den Sinn und die Tragweite der einzelnen gesetzlichen Bestimmungen und des ganzen Gesetzes eine ausgesponnene Ansicht und demgemäss einen detaillirten Gesetzgeberwillen zu bilden. Er fasst die grossen Ziele des Gesetzes ins Auge, bildet sich eine Ansicht vom Sinn seiner wichtigsten Bestimmungen und sanktionirt. Sein weiser Wille geht dahin, dass dadurch Recht werde, was sich an brauchbaren Lebensregeln durch Nach- unci Ausdenken der im Gesetz niedergelegten Gedanken jetzt und künftig gewinnen lasse. Durch diese Beschränkung allein vermeidet er den für ihn unglücklich endenden Konflikt zwischen seinem Individuum-Willen und der Macht des objektiven Rechts. Denn dieser ist das neue Gesetz rettungslos preisgegeben. Mit unwiderstehlich einigender Gewalt zwingt sie dasselbe mit dem bestehenden Rechte eins zu werden; zwingt sie es die Schicksale dieses Rechtes zu teilen, insbesondere vielleicht trotz unveränderter Fassung seinen Inhalt zu ändern, weil dieser von andern Rechtssätzen abhängt, die sich gewandelt haben. Es ist also der nachweisbare W i l l e , aus welchem heraus cler Herrscher das Gesetz erlassen hat, für seine Auslegung wichtig genug, aber nicht verbindlich. Wie selten indessen ist solcher Wille nachzuweisen ! I n Wahrheit täuschen sich diejenigen, welche die Herausstellung des gesetzgeberischen Willens als Ziel der Auslegung bezeichnen und dabei an einen Individual-Willen denken, über ihre eigene Meinung. Denn ihr Gesetzgeber ist ihnen ein Schöpfer,von Rechtssätzen, aus2

B i n d i n g , Kritik 8 1 und 2. 8. auch M e r k e l bei HH I I 71. 4 Eine Tatsache, die natürlich durch sein Recht clas Gesetz abzuändern nicht aus der Welt geschafft wird. 3

456

§ 96.

II. Das Ziel der Auslegung.

gestattet mit vollem Verständniss der juristischen Technik, mit vollem Ueberblicke über die zu regelnden Lebenserscheinungen, mit dem besten Willen, diese durchaus zweckentsprechend zu gestalten, mit der Fähigkeit, seinen Gedanken im Gesetz den passendsten Ausdruck zu geben, mit der vollen Einsicht in den Zusammenhang des Gesetzes und der Gesetze, endlich mit dem Willen eines Charakters, der zu den Konsequenzen seiner Entschlüsse auch dann steht, wenn er nicht an sie gedacht hat. Ein solcher Gesetzgeber ist ein Ideal und kein Mensch: er ist eine Personifikation der Wissenschaft eines bestimmten positiven Rechts, die auf den Stuhl des Gesetzgebers und dadurch zur Rechtsquelle erhoben wird. So ist es besser statt den Willen der Gesetzgeber den Rechtswillen, der in einem Rechtssatz als einem Gliede des ganzen Rechtssystems seinen Ausdruck gefunden hat nach Inhalt, Autorität und beabsichtigter Wirkung, als Ziel der Auslegung dieses Satzes zu bezeichnen, oder wenigstens unter jenem persönlichen Willen diesen unpersönlichen zu verstehen 5 . Dass aber hier keine Dunkelheit Platz greife, sei nochmals scharf hervorgehoben: persönlich ist der Wille, der einem Satze Rechtskraft verleiht, persönlich ist die Vernunft, welche den Entwurf feststellt i n der Annahme, ihre Gedanken würden später als die dem Gesetz immanenten Gedanken anerkannt werden; was aber in Wahrheit das «Gesetz denkt, also auch w i l l , darüber entscheidet nach seiner Publikation kein persönlicher Wille mehr G . D a s G e s e t z d e n k t u n d w i l l , was d e r v e r n ü n f t i g a u s l e g e n d e V o l k s g e i s t 7 aus i h m 5 Der Ausdruck ist schwer zu vermeiden. Wo er in der Folge steht, ist er in der im Text festgestellten Bedeutung zu nehmen. 6 Trefflich hat S c h l e s i n g e r , Gött. gel. Anzeigen 1864, und zwar soweit ich sehen kann, als Erster — wenn auch wohl in Anknüpfung an Τ h öl, Einleitung S 150 - diese Ansicht vertreten. Er sagt S 1970 : „für die Auslegung kommt es auf den von der gesetzgebenden Gewalt den Worten zugeschriebenen Sinn als solchen gar nicht an", und S 1974: es kann der Staatsgewalt vernünftigerweise nur der Wille zugeschrieben werden, „dass das Gesetz in dem Sinne gelten solle, wie es im Augenblicke seiner Publikation (?) vom \ r olke vernünftigerweise verstanden werden muss". Die schlagende Richtigkeit dieser Bemerkungen ist bisher nur von Wenigen anerkannt worden; s. die feinen Ausführungen ν. H a h η s, Kommentar S LX1I if., und die kurzen aber tiefen Bemerkungen M e r k e l s bei HH I I 68. M. aber hat die Konsequenzen seiner Ansicht bezüglich der Benutzung der Materialien nicht durchgeführt (s. bes. S 73) und sein „vielköpfiger Gesetzgeber" von heute (S 70) ist in Wahrheit der Gesetzgeber nicht. 7 Ich verstehe darunter das Volk als Inbegriff der Rechtsgenossen, soweit es sich denkend mit dem Gesetz beschäftigt.

§ 97.

III. Die beiden Akte u. die Mittel aller Ausi.

457

e n t n i m m t 8 . Daraus erklärt sich auch allein, dass der Erlass des Gesetzes nicht eine Stauung der Rechtsgeschichte bis zu seiner Aufhebung bedeutet, sondern dass die Rechtsentwickelung sich nun in der Form der Auslegungsgeschichte vollzieht. Bei glücklicher Fassung des Rechtssatzes wird die nach gleicher Methode operirende Auslegung in der Ansicht über den Rechtswillen einmütig sein 9 ; ergeben sich aus dem Gesetze unlösbare Zweifel, so entscheidet über den wahren Rechtswillen nicht die persönliche Auffassung des Gesetzgebers, die für ihn das Motiv zum Erlass des Gesetzes wurde, sondern das grössere Gewicht der Vernunftgründe für die eine der streitenden Auslegungen. Stehen diese im Gleichgewicht, so herrscht Rechtsungewissheit. § 97.

III.

Die beiden Akte und die M i t t e l Auslegung.

aller

I. Wenn jedem Rechtssatze ein Dreifaches wesentlich ist: der Rechtsgedanke, der Rechtswille und das Erklärungsmonient für beide, so ergiebt sich als der einzige Weg für Auslegung aller Rechtssätze erst die Erschliessung des vermutlichen Rechtsgedankens und Rechtswillens aus ihrem Ausdruck, dann die Aufwerfung und Beantwortung cler Frage: ob gerade diesem oder einem modificirten Gedanken die wahre rechtliche Sanktion zu Teil geworden ist. Das ita jus esto der Rechtswillenserklärung ist aber so konstant und sein Wortsinn so klar, dass es nur eine kleine Ungenauigkeit ist die sprachliche Auslegung des Sanktionswillens bei diesem ersten Auslegungsakt zu ignoriren und als sein Ziel die Erschliessung des vermutlichen Rechtsgedankens zu bezeichnen. Die Findung desselben und seine Erklärung ist also stets unentbehrliche Voraussetzung, aber nie Ziel cler Aus8 S. schon G r o l m a n , Bibl. I I 8 64; dann S c h l e s i n g e r a. 0. S 1970; v. H a h n a. 0. S L X I I I ; M e r k e l , bei HH I I 70. Treffend bemerkt derselbe S 71 : Die Auslegung „ist berufen, unzählige Fragen in Bezug auf den Sinn und die Tragweite der Gesetze zu beantworten, welche cler Gesetzgeber sich gar nicht aufgeworfen, oder vielleicht aufgeworfen, aber nicht beantwortet, oder in einer Weise beantwortet hat, die sich dem sonstigen Inhalte des Rechtes gegenüber als eine unhaltbare erweist". S. auch H e i n z e , Reichs- und Landesstrafrecht S 39: „Man ist wie berechtigt so verpflichtet, aus dem unvollkommenen Ausdruck den geistigen Inhalt zu entbinden, welcher bei einer logisch korrekten Behandlung des Stoffs vom Gesetzgeber gewollt sein muss." 9 So zahlreich die Auslegungsverschiedenheiten gegenüber einem bestimmten Gesetze auch sein mögen, so ist doch die Zahl der Punkte, worüber Einigkeit herrscht, eine unendlich viel grössere. Die Zweifel beziehen sich in normalen Verhältnissen nur auf die Ränder der Begriffe und Regeln.

§98.

458

1. Das Erklärungsmoment u. die vorläufige

legung: Ziel ist der Nachweis des sanktionirten Gedankens und des Sinnes, insbesondere der Autorität der Sanktion selbst. Von diesen beiden Akten, nicht Arten der Auslegung nennt man den letzteren schlecht die logische, den ersteren — aber nur bei Gesetzen — noch schlechter die grammatische Auslegung 1 und erklärt diese beim ungesetzten Rechte für unanwendbar. Dies ist insofern richtig, als nur der Sprachsatz eine Auslegung nach Sprachregeln duldet, ganz unrichtig aber wird die Behauptung, beim ungesetzten Rechte müsse nicht gleichfalls die Erschliessung des Rechtsgedankens der logischen Auslegung voraufgehen 2 3 . I I . Aller juristischen Auslegung stehen drei Mittel zu Gebote: das Erklärungsmoment des Rechtssatzes, — sein Grund, sein Zweck und seine Folgen, insbesondere die subjektiven Rechte, die er schaffen will, — endlich andere Rechtssätze, besonders solche, mit denen der auszulegende Satz in innerer Beziehung steht. Wenn die Anwendung dieser Auslegungsmittel zu verschiedenen Ergebnissen führt, wird die Frage nach ihrem relativen Wert für das Resultat der Auslegung präjudiziell. § 98. 1. D a s E r k l ä r u n g s m o i n e n t u n d d i e v o r l ä u f i g e E r s c h l i e s s u n g des R e c h t s g e d a n k e n s ( D r u c k f e h l e r ; Redaktionsversehen; j u r i s t i s c h e r Sprachgebrauch). W e r t des M o m e n t s . Scheinbar weitaus das wertvollste jener Mittel ist das Erklärungsmoment 1 . Es giebt kein unerklärtes Recht und die Erklärung dient 1

Es ist wahrlich kein Fortschritt, wenn S a v i g n v , System I 213. 214 vier „Elemente" der Auslegung scheidet : das grammatische, das logische, das historische und das systematische. Die zwei entscheidenden Schritte bei aller Auslegung werden dabei verdunkelt. 2 Wenn S a v i g n y , System I 207 und danach L u d e n , Handbuch I 143. 144 die Auslegung des Gewohnheitsrechtes für „einfacherer Natur" als die des Gesetzes erklären, so widerspricht dies der allgemeinen Wahrheit, dass je unvollkommener der Ausdruck um so schwieriger sein Yerständniss ist. — Ein wichtiger Auslegungssatz für das sog. Gewohnheitsrecht ist der, dass wenn der Sinn der Uebung eindeutig ist, dieser und kein anderer Gedanke als stillschweigend approbirt angesehen werden muss. 3 Die Ausdrücke (vorläufige) E r s c h l i e s s u n g des R e c h t s g e d a n k e n s und (endliche) E r s c h l i e s s u n g des R e c h t s w i l l e n s sind also genauer und vollständiger als die Bezeichnungen l o g i s c h e und g r a m m a t i s c h e A u s l e g u n g . 1 M e r k e l bei HH IV 77 ist sogar der Meinung, der Gesetzeswortlaut sei „ein Bestandteil des Rechtes selbst" und könne deshalb mit blossen Erkenntnissmitteln desselben nicht in die nämliche Reihe gestellt werden. Er ist aber nicht

Erschliessung

es Rechtsgedankens.

459

nicht nur zum Aussprechen, sondern auch zum Erkennbarmachen des ausgesprochenen Rechtes. Werden doch insbesondere bei der Gesetzgebung Worte, Sätze und Satzverbindungen zweifellos deshalb gewählt, weil sie nach der Meinung des geistigen Urhebers des Entwurfes und des Gesetzgebers selbst den erklärten Rechtswillen am besten erkennen lassen, und wird deshalb der Wortlaut des Gesetzes als unabänderliche Rechtswillens-Erklärung feierlich verkündet! I n Folge dessen wird das Erklärungsmoment vielfach weit überschätzt, und darin gründet die ungesunde B u c h s t a b e n - A u s l e g u n g . I. Wert für die Auslegung hat nur die Erklärung, die vom Gesetzgeber selbst herrührt. Diese Erklärung kann nach ihrer definitiven Feststellung — also bei konstitutionellen Gesetzen nach Ausfertigung und Unterzeichnung der Originalurkunde des Gesetzes durch die dazu berufene Persönlichkeit — eine Aenderung erleiden (Fälschung, Schreibfehler, Druckfehler) und mit dieser Aenderung publicirt werden 2 . Dann fehlt es für diese Aenderung an der Sanktion und sie wird deshalb zweifellos nicht Gesetz 3 . Der sanktionirten Fassung aber fehlt es scheinbar an einem Formale des Gesetzes und somit an der Fähigkeit vor Berichtigung des Fehlers die Rechtskraft zu beschreiten 4 . Dieser Schein trügt 5 . Der Publikationsbefehl geht dahin, Bestandteil des Rechtes selbst, sondern nur sein Inhalt ist dies. Der Gesetzestext hat gegenüber dem Rechtswillen keine Selbständigkeit. Der Wert dieses Mittels wird am Schlüsse des § erhellen. Zu der unabänderlich festgestellten Form gehören auch die Ueberschriften des Gesetzes und seiner Teile, denen gar kein Rechtswille entspricht, die lediglich Wegweiser in und durch das Gesetz sein sollen, die für die Auslegung des Gesetzesinhalts schlechterdings gar keinen Wert haben. Etwas abweichend S c h w a r z e , GS 1870 S 391. 392. 2 Ein interessantes Beispiel bietet MGB § 141 al. 3 (RGBl 1872 S 200 Ζ. 2). Hier ist statt des allseitig acceptirten Ausdrucks „Freiheitsstrafe" „Festungsstrafe" gedruckt. Auch vor der übrigens anonymen Druckfehlerberichtigung im RGBl 1872 S 288 war „Freiheitsstrafe" zu lesen. 3 Das übersehen die Rigoristen, die den amtlich publicirten Gesetzen gegenüber jede Kritik ausschliessen. Der Setzer wird dann zum Gesetzgeber! So F euer b a c h , Revision I I 24; v. V a n g e r o w , Pandekten I § 23 Anm 1; wohl auch H e f f t e r , GA I 31 (vgl. H ä l s c h n e r , Syst. I 81 Anm 9). — Vgl. S o n t a g , Redaktionsversehen S 10. 4 Tritt man auf diesen Gedanken ein, so ist weder cler echte noch der unechte Ausdruck Gesetz geworden: es ist insoweit ein solches nicht zu Stande gekommen. 5 Deshalb wird auch die Unverbindlichkeit der Druckfehler und die Verbindlichkeit des Textes neuerdings ganz allgemein zugegeben, freilich öfter auf ungenügende Gründe hin. S. bes. S a v i g n y , System I 242. 243; K r u g , Grundsätze S 72; Sontag, Redaktionsversehen S 9 if.

§98.

460 den I n h a l t glaubigter

der

1. Das Erklärungsmoment u. die vorläufige

Originalurkunde

durch Anfertigung

K o p i e n zu allgemeiner

öffentlichung

gilt

also

dem

in

u n d Ausgabe be-

Kenntniss zu bringen.

der

Originalurkunde

Die

Ver-

niedergelegten

Rechtswillen : u n d er u n d n u r er w i r d durch sie zum Gesetze erhoben. A u c h durch die falsche Veröffentlichung w i r d dem formellen Erforderniss der P u b l i k a t i o n

genügt.

Gesetz

ist also der richtige Text ge-

6

w o r d e n , u n d wie jede beglaubigte K o p i e aus dem Original berichtigt so auch d i e s e 7 .

werden muss,

Demgemäss ist der falsche T e x t ein-

fach durch K r i t i k zu berichtigen, u n d Jedermann ist zu solcher K r i t i k berufen 8.

Der

publicirte

Gesetzestext

hat

gegenüber

dem

sank-

t i o n i r t e n Rechtssatze keine selbständige Bedeutung. II.

Jede w i r k l i c h v o m Gesetzgeber herrührende E r k l ä r u n g ist als

Erklärung auf

unabänderlich

Beachtung

neuerdings

wie

alle

u n d hat principiell anderen

von verschiedenen

F a l l von der

ihres

den gleichen Anspruch

gleichen.

Redaktion des Reichsgesetzblattes

Redaktions versehen

des

Dieser

Satz

ist

T h e o r e t i k e r n u n d i n einem eklatanten Strafgesetzbuchs

gegenüber in

Abrede

den sog. gezogen

worden9. Diese Redaktions - Versehen oder -Fehler defmirt S c h ü t z e 1 0

als

6 Ich nehme hiemit den Satz meines Grundrisses, 3. Aufl. S 53 unten, der wirklich erklärte Rechtssatz stehe dann nicht im Gesetze, er gehöre aber dem ungesetzten Rechte an, zurück. Dass die im Text vertretene Ansicht die allein haltbare ist, ergiebt besonders auch die Beachtung von Druckfehlern, die nur in einen Teil der Gesetzblätter sich eingeschlichen haben. 7 S a v i g n y , System I 243 bemerkt zutreffend, der gedruckte Text sei doch nur „als der Buchstab des Buchstabs" anzusehen. 8 Sollte durch irgend einen Zufall eine Aenderung des vom Reichstag angenommenen Entwurfs vor der Sanktion Platz greifen, und nun der sanktionirte Text veröffentlicht werden, so ist die getroffene Aenderung natürlich nicht durch Kritik zu beseitigen: dies ist aber auch nicht nötig, weil weder der ursprüngliche noch der geänderte Text Gesetzeskraft erhalten haben. 9 Im MGB § 95 (qualificirte Verweigerung des Gehorsams) lautet die Strafdrohung jetzt : „Gefängniss oder Festung nicht unter einem Jahre". Im Entwürfe der Reichstagskommission sollte die Strafsatzung lauten: „Gefängniss oder Festung bis zu 5 Jahren, im Felde Gefängniss oder Festung nicht unter einem Jahre". Allein durch ein Versehen fielen im Reichstag die Worte „Gefängniss — im Felde" aus. und in dieser verstümmelten Form ist cler Paragraph in 3. Lesung angenommen und zum Gesetz erhoben worden. Es lag also ein Redaktionsversehen vor. Im RGBl 1873 S 138 erschien nun eine anonyme Berichtigung, welche fälschlich besagte: „in Folge eines Druckerei-Versehens" seien jene Worte ausgelassen worden. Diese Berichtigung ist natürlich ganz bedeutungslos, und es ist unbegreiflich, wie H e c k e r , Das Militärstrafgesetzbuch S 158, jene Worte eigenmächtig in den Gesetzestext aufnehmen kann. 10 GA XX 352. S c h ü t z e und S on t a g haben sich um den Nachweis,

Erschliessung

es Rechtsgedankens.

461

solche Versehen im Texte des Gesetzbuchs, welche „gegen den ersichtlichen Willen des Gesetzgebers (der übereinstimmenden Gesetzgebungsfaktoren) in das Gesetzbuch sich verirrt und eingeschlichen h a b e n " 1 1 . Ein solches Versehen kann in der Aufnahme von Worten, die „dem Willen des Gesetzgebers" nicht entsprechen, oder in der Weglassung von Worten, die er aufgenommen sehen wollte, bestehen und ist also entweder ein positives oder ein negatives 12 . Darüber herrscht allgemeines Einverständniss, dass der sog. Redaktionsfehler, falls er nicht schon im Entwürfe befindlich war, sich bei den parlamentarischen Verhandlungen, somit vor der ihn approbirenden Schlussabstimmung einschleicht, dass die Sanktion dem Text sammt dem Fehler ertheilt wird, der Fehler also in Wahrheit von dem sanktionirenden Gesetzgeber nicht herrührt, und er dem Gesetzgeber nur dann in die Schuhe geschoben werden darf, wenn man darunter den Urheber des Entwurfes oder das Parlament versteht 1 3 . Unsere der Vervollkommnung ebenso bedürftige als fähige Technik parlamentarischer Feststellung des Gesetzentwurfs begünstigt die Entstehung solcher sog. Redaktionsfehler in hohem Maasse, und so war auch das ND. StGB bei seinem Erscheinen sehr stark mit ihnen behaftet 1 4 . Ihre Beseitigung ist durch die Revision vom 26. Februar 1876 nur teilweise erfolgt. v. W ä c h t e r um die Behandlung derselben grosses Verdienst erworben. S. die Literaturangaben oben S 450 Anm 1 a. E. 11 S o n t a g , Redaktionsversehen S 9 definirt: „R.-V. ist jede mangelhafte Ausdrucksweise eines gesetzgeberischen Gedankens", und unterscheidet dann R. -V. im e. S., wobei die Differenz zwischen Gedanken und Ausdruck eine nur quantitative, und R e d a k t i o n s f e h l e r , wobei die Differenz eine qualitative ist (S 20 ff.). — Da lediglich ein non-ens definirt werden soll, überlasse ich die Definition Andern und halte mich an Schützes soi-disant-Definition, die den Vorgang klar schildert, wodurch die anstössigen Gesetzesstellen veranlasst werden. 12 Diese Unterscheidung hat S c h ü t z e , GA XX 352 aufgestellt, ohne ihr Wichtigkeit beizulegen; S o n t a g , R.-V. S 22 erklärt sie für überflüssig, M e r k e l bei HH IV hält sie für durchaus wesentlich und praktisch und behandelt beide Arten fundamental verschieden. 13 Die letzte Verwechselung ist freilich bei S c h ü t z e , S o n t a g und M e r k e l konstant. So spricht M e r k e l bei HH I I 70 vom heutigen Gesetzgeber als einem vielköpfigen Wesen ; s. aber bes. das. IV 76 ff. Gegen S o n t a g schon sehr richtig v. W ä c h t e r , GS 1878 I 337. 14 Beispiele. Das Citat in § 102 al. 1 : „nach Vorschrift der §§ 80—86" bewirkte, dass nach dem Wortlaut des Gesetzes der M o r d an befreundeten Fürsten nur mit Festung von 1—10 Jahren, bei mild. Umständen mit Festung nicht unter 6 Monaten bestraft werden sollte. An Stelle des Citâtes §§ 80—86 ist in der Revision vom 26. Februar 1876 das Citat „§§ 81—86" getreten. Dadurch ist der

§98.

462

1. Das Erklärungsmoment u. die vorläufige

D a n u n die Sanktion i n allen diesen F ä l l e n dem Gesetzestext m i t der anstössigen Stelle erteilt w i r d ,

da der Sanktionswille dahin geht,

dass aus diesem Texte der Rechtswille zu entnehmen sei, da die vom Inhalt ja

des

Textes

abweichende

Ansicht

des Reichs- oder Landtags,

selbst die abweichende Ansicht des sanktionirenden

selbst i n keiner Weise Gesetzeskraft d r e i Regeln für gebend.

die Behandlung

Gesetzgebers

erlangt haben, so ergeben sich

der Redaktionsverseken als maass-

Es ist schlechthin unerlaubt

1. den p u b l i c i r t e n authentischen T e x t auf dem Wege der i n den nicht

sanktionirten T e x t vor

Kritik

der Entstehung des Redaktions-

versehens zurückzuver w a n d e l n 1 5 ; 2.

den

angeblich

fehlerhaften

Text

bei

positiven

Redaktions-

versehen ohne Ersatz zu streichen, w e i l hinter den W o r t e n der W i l l e des Gesetzgebers nicht

steht16;

Fehler nicht beseitigt. Denn nach dem Wortlaut des jetzigen § 102 steht noch ein Teil des Mordes und der ganze Totschlag an befreundeten Fürsten unter Festungsstrafe von 1—10 Jahren. — 2. In Entwurf I I I und noch im ReichstagEntwurf 2. Lesung betrug das Maximum cler Festungshaft 10 Jahre. Dieses Maximum war also überall zu subintelligiren, wo Festungshaft schlechthin angedroht wurde, insbesondere da, wo sie bei mild. Umständen nachgelassen war (§ 81 al. 2. 83, 2. 84. 87, 2. 88, 2 u. 3. 90, 2. 92, 2. 94, 2. 102, 1. 105). In 3. Lesung ward — offenbar nur im Hinblick auf die Festungsstrafe in den ordentlichen Strafsätzen für politische Verbrechen — deren Maximum auf 15 Jahre erhöht, diese Erhöhung nun aber in GB § 17 ganz allgemein ausgesprochen. An die Konsequenz, dass damit auch die Festungsstrafe in jenen Fällen, AVO sie bei mild. Umständen angedroht war, um 5 Jahre erhöht wurde, dachte man nicht. Keine dieser Strafpositionen ist in der Revision geändert worden ausser die in § 88, 3 und 102, 1. — 3. In § 253 (Erpressung) begegnet die Gewalt (natürlich gegen die Person) als Begriffsmerkmal des einfachen, in § 255 dieselbe Gewalt als Merkmal des qualificirten Verbrechens. — 4. Für die Gefängniss- und Festungsstrafe von genau 2 Jahren fordert § 70 Nr 4 eine Verjährungsfrist von 10, § 70 Nr 5 eine solche von 5 Jahren. — 5. Vgl. das interessante negative R.-V. in MGB § 95 oben Anm 9. 15 Dieses Recht nimmt S o n t a g für die von ihm sog. Redaktionsfehler in Anspruch: S 26 ff., bes. S 31. Die Konsequenz ist eine sehr grosse Willkür gegenüber dem authentischen Text. S o n t a g schaltet ein, lässt aus, stellt Absätze um u. s. w. Die Frage, ob cler sanktionirende Gesetzgeber denn nicht vielleicht, wie dies bei den erhöhten Festungsstrafen oben in Anm 14 sehr wohl möglich war, die Aenderung bemerkt und gebilligt habe, wirft S o n t a g gar nicht auf. Vielfach würde sich aber diese Kritik schon von selbst verbieten, wenn ein früherer sog. korrekter Text gar nicht vorlag oder die Korrektur sehr zweifelhaft ist. S. oben Anm 14 Beispiel 1, 3 und 4. — Gegen Sontag trefflich v. W ä c h t e r a. a. O. S. auch M e r k e l bei HH IV 76 ff., cler diese Kritik bei negativen R.-V. entschieden verwirft, weil dem gesetzgeberischen Gedanken das Erklärungsmoment mangle. " So M e r k e l bei HH IV 78. Er will z. B. das Citat des § 80 in § 102 streichen. Soll es dann aber statt dessen heissen § 81 oder wie sonst?

Erschliessung cles Rechtsgedankens.

463

3. den Text zu respektiren, aber „auf dem Wege der Auslegung den wahren Gedanken des Gesetzgebers in ihn hineinzuinterpretiren" 17 . Denn solche Tätigkeit heisst nicht das Gesetz auslegen, sondern es zu Gunsten unverbindlicher Rechtsgedanken verdrängen. Es versteht sich von selbst, dass der authentische Text, auch wo er sog. Redaktionsversehen enthält, ganz nach den gewöhnlichen Auslegungsregeln zu erschliessen ist und class sein durch diese Mittel gefundener Sinn schlechterdings nicht mit dem Gedanken vertauscht werden darf, den etwa die parlamentarischen Körper vor Einschieichen des Versehens mit der entsprechenden Stelle des Gesetzentwurfs verbunden haben 1 8 . I I I . Steht fest, was auszulegen ist, so handelt es sich nun darum, wie auszulegen, d. h. wie aus der Erklärung Rechtsgedanke und Rechtswille zu gewinnen ist. Geschieht die Erklärung wie im Gesetz und im Urteil durch Worte, so lehrt man, die Auslegung habe nach den Regeln der Sprache zu erfolgen, und nennt sie nach diesem dürftigen Rat die grammatische. Unendlich wichtiger ist die Beachtung der Tatsache, dass das Recht seine eigene Sprache spricht, und Gesetz und Urteil Sätze gerade dieser Sprache sind und aus dem j u r i s t i s c h e n S p r a c h g e b r a u c h verstanden werden müssen 19 . Dieser hat nicht eine eigene Grammatik, aber seine Elemente, die Worte, die Bezeichnungen der Rechtsbegriffe haben ihren eignen Sinn. Nichts ist falscher als der so oft ausgeprochene und noch öfter geübte Satz: wenn die Bedeutung eines gesetzlichen Ausdrucks dunkel sei, müsse mit ihm der Sinn der Umgangssprache verbunden werden. Dieser Sinn ist in jeder lebenden Sprache chamäleontisch und somit für jede technische Sprache, besonders die des Gesetzes, unbrauchbar: der Rechtsbegriff 17 So S c h ü t z e , G A XX 353 in vollstem Umfang, soweit die Hebung des Versehens durch Auslegung tunlich erscheine (S 352). Gegen diese angebliche Auslegung Sontag, R.-\ r . S. 26 if., der aber bei seinen Redaktionsversehen im e. S. den Fehler auch durch die Auslegung beseitigen will. Aehnlich M e r k e l bei HH IV 79. 18 So erledigt sich das böse Citat in § 102 (oben Anm 14 Nr 1) durch die Beachtung der Tatsache, dass die §§ 102 und 211 if. in bestimmtem Umfange alternative Strafgesetze sind. In Beispiel 2 ist das Maximum der Festungsstrafe durchweg auf 15 Jahre zu fixiren, soweit sich nicht aus dem einzelnen Paragraphen, wie aus dem ND. StGB § 88 und 102, klar die Notwendigkeit berichtigender Auslegung ergiebt u. s. w. 19 Insoweit trifft G r ο 1 m a η s Bemerkung (Bibl. I 1 S 59), bei der grammatischen und philologischen Auslegung sei es dem Ausleger einerlei, wessen Worte er auszulegen habe, nicht zu. Es darf ihm nicht gleichgiltig sein, aber er vergisst das nicht selten.

§98.

464

1. Das Erklärungsmoment u. die vorläufige

bedarf Festigkeit seines Inhalts und Schärfe seiner Grenzen. Das Recht verbindet deshalb mit den Worten seiner Sprache, auch wenn es sie cler Umgangssprache entlehnt, stets einen technisch-juristischen Sinn, der immer viel schärfere Grenzen besitzt als der Begriff, den der Laie mit dem gleichen Worte verbindet, ausserdem häufig viel weiter geht oder enger ist als dieser, häufig auch wirklich nur mit ihm den Namen teilt und sich sonst völlig von ihm unterscheidet 20 . Der Gesetzausleger hat nun zu schöpfen 1. an erster Stelle aus dem Sprachgebrauch dieses und gleichzeitiger, bezüglich der Fassung auch gleichwertiger G e s e t z e 2 1 2 2 . Die Güte des Sprachgebrauchs beruht von der Korrektheit des Satzbaues abgesehen in drei Momenten: dass derselbe Begriff stets mit demselben Worte oder derselben Wortmehrheit bezeichnet, dass mit demselben Worte nicht stillschweigend mehrere Bedeutungen verbunden werden, dass dasselbe Begriffsmerkmal entweder immer in den Satz aufgenommen oder immer stillschweigend vorausgesetzt wird ; also i n der G l e i c h m ä s s i g k e i t der Sprache, der E i n d e u t i g k e i t d e r W o r t e , dem k o n s t a n t e n M a a s s e des Ged a n k e n a u s d r u c k s . I n allen drei Beziehungen lässt das GB mehr als nötig zu wünschen 23 , und so liegt die Gefahr nahe, dass bei den Schlüssen aus dem Sprachgebrauche diese Unvollkoinmenheiten nicht gehörig gewürdigt werden und geschlossen wird nicht aus dem Sprachgebrauch wie er ist, sondern wie er sein sollte 2 4 . Dennoch lassen sich 20

S. auch B i n d i n g , Drei Grundfragen S 29 fi'. Uns fehlen leider noch die den Franzosen geläufigen Hilfsmittel dazu in Gestalt echter Lexika der Rechtssprache ! 22 Für Auslegung eines guten Gesetzes ist der Sprachgebrauch eines schlechten nicht ohne weiteres zu verwerten und umgekehrt. Wie unendlich, fast unerlaubt weit stehen z. B. die kriminellen Bestandteile unserer Zoll- und Steuergesetze in ihrer Fassung hinter dem GB zurück! 23 Man denke beispielsweise an die mannigfaltigen Bezeichnungen des dolus: Vorsatz — Absicht; vorsätzlich und widerrechtlich; vorsätzlich und rechtswidrig ; rechtswidrige Absicht; wissentlich widerrechtlich u. s. w. u. s. w. ; an die Mehrdeutigkeit von Absicht, Urkunde, Tätlichkeit, Beleidigung, Beamter u. s. w. u. s. w. ; an das Weglassen des Adjektiv rechtswidrig bei Absicht und Vorsatz ; an das vielfache Fehlen jeder Schuldbezeichnung in den Gesetzen u. s. w. 24 Um ein Beispiel herauszugreifen! In § 253 und § 263 muss die Absicht gerichtet sein auf Erlangung eines „rechtswidrigen Vermögensvorteils", in § 268 auf Erlangung eines Vermögensvorteils. Der Sprachgebrauch des GB ist viel zu wenig genau, als dass aus clem Fehlen des „rechtswidrig", wie es ziemlich allgemein geschieht, geschlossen werden dürfte, auch die Absicht auf Erlangung eines rechtmässigen Vermögensvorteils solle nach § 268 Qualifikationsgrund sein. Wie unendlich oft wird gerade das Adjektiv rechtswidrig im GB weggelassen! Und doch 21

Erschliessung

es Rechtsgedankens.

465

durch sorgsame Beachtung und Verwertung des Sprachgebrauchs ebenso sichere als bedeutsame Auslegungsresultate gegenüber dem GB erreichen 25 ! 2. Giebt der gesetzliche Sprachgebrauch zum Verständniss der auszulegenden Stelle nichts aus, so ist zu schöpfen aus dem Sprachgebrauche der Rechtswissenschaft, aus dem der Gesetzgeber präsumtiv geschöpft hat; und führt dieser 3. neue termini technici in die Gesetzessprache ein, so ist ihr Sinn nicht aus der Umgangssprache, sondern aus dein juristischen Bedürfnisse zu gewinnen. Durch die Beachtung des g e s e t z l i c h e n Sprachgebrauchs gewinnt die grammatische Auslegung unter Umständen die ihr ganz allgemein abgesprochene Fähigkeit, eine mehrdeutige Stelle zu einer im Sinne dieses bestimmten Gesetzes eindeutigen zu erheben. IV. Das Ergebniss der Auslegung des Rechtssatzes aus dem Erklärungsmoment ist nun entweder 1. negativ. Die Erklärung ist so dunkel oder so widerspruchsvoll, dass sie keinen Sinn ergiebt, oder 2. positiv. Der Ausleger findet: sanktionirt ist entweder ein bestimmter Gedanke (Eindeutigkeit des Gedankenausdrucks) und zwar aufs Haar genau cler in der Erklärung kund gegebene, oder entweder der eine oder der andere Gedanke (Mehrdeutigkeit des Gedankenausdrucks). V. Dies Ergebniss ist nie ein definitives, nie Ergebniss der juristischen Auslegung, sondern nur das ihres ersten Aktes. Allgemein anerkannt für das negative und das mehrdeutige Ergebniss wird dieser Satz vielfach verleugnet für das eindeutige. Solch günstiges Resultat der grammatischen lasse einer logischen Auslegung keinen Raum mehr 2 0 . Dieser Ansicht ist auf das bestimmteste zu widerstützt sich jene Behauptung nur auf den Sprachgebrauch: alle sachlichen Erwägungen sprechen gegen sie! 25 Das für die Auslegung und für die Findung ungesetzten Rechtes so wichtige argumentum e contrario (am besten handelt darüber Τ h o l , Einleitung § 62) darf in einem Gesetz mit gutem Sprachgebrauch weit eher angewandt werden als in einem nachlässig redenden — eine Tatsache, die gegenüber dem GB sehr vielfach verkannt wird. 26 So auch RG I v. 4. März 1880 (E I 248): „Solcher unzweideutigen Fassung des Gesetzes gegenüber (es ist GB § 245 gemeint: „seit dem Erlasse der l e t z t e n Strafe") mangelt dem Unternehmen einer logischen oder geschichtlichen Auslegung des § 245 jeder rechtfertigende Anlass (!)." Wieder wird eine Genauigkeit des Sprachgebrauchs im GB, wie sie gar nicht vorhanden ist, vorausgesetzt um daraus zu argumentiren. Binding, Handbuch. V I I . 1. I : B i n d i n g , Strafrecht. I .

30

466

§ 99.

2. Die Erkenntniss des Rechtswillens u. ihre Mittel.

sprechen. Sie wäre richtig unter der doppelten Voraussetzung, dass der auszulegende Rechtssatz nicht als Teil eines Ganzen zu erfassen, und dass dem Erklärungsmoment als Auslegungsmittel irgend welcher Vorrang vor den übrigen Auslegungsmitteln eingeräumt wäre. Die erste trifft gerade so wenig zu wie die andere. Es giebt kein eindeutigeres Gesetz als GB § 265: jedes betrügerische Inbrandsetzen gegen Feuersgefahr versicherter Sachen soll danach gestraft werden. Und doch würde der Richter sehr falsch urteilen, der die betrügerische Brandstiftung an einem Wohnhaus dem § 265 und nicht dem § 306 unterstellen würde. Das Erklärungsmoment ist zwar vom Gesetzgeber als solches gewollt, aber nur als ein für menschliche Willkür allerdings unabänderliches Mittel zum Zweck: zur Erkenntniss des Teilgedankens 27 . Wie sich der Teil innerhalb des Ganzen wirklich gestaltet, darüber vermag auch die Auslegung der eindeutigsten Rechtssätze gar nichts zu sagen. Die Erklärung, insbesondere der Gesetzestext!, ist zur Auslegung unentbehrlich und doch stets »ungenügend28 : sie erbringt immer nur eine Vermutung, nie Gewissheit für den Inhalt des Rechtswillens 2î > . § 99.

2.

D i e E r k e n n t n i s s des R e c h t s w i l l e n s Mittel.

und

ihre

Nach vorläufiger Erschliessung des Rechtsgedankens bleibt noch ein Doppeltes zu tun: 1. festzustellen, welcher Gedanke in Wahrheit sanktionirt worden ist ; 2. festzustellen die Autorität und den Umfang der Sanktion 1 . 27

„Nur das Wort des Gesetzes ist promulgirt und publicirt. Nur der Inhalt ist giltig." Τ h ö l , Einl. S 147. S. auch die feinen Bemerkungen K i e r u l f f s , Theorie I 20. 21 über die Auslegung des jus strictum, wo das Wort Recht ist, und über die Befreiung aus den Banden des Worts. 28 A. Mein. S c h a f f r a t h S 47 (logisch und grammatisch vollkommen ausgedrückte Gesetze sind der Auslegung unfähig); K r u g , Grundsätze S 62 und sonst („die Worte sind für die Auslegung des klaren Gesetzes die einzige entscheidende Quelle" ; die log. Ausleg. ist bei ihnen unzulässig. Welches Gesetz klar ist, dafür giebt's freilich kein absolutes Kriterium. S 75. 97, vgl. wieder § 105); wohl auch M e v e s in der etwas dunkeln Apotheose cler Auslegung aus dem Worte: GA X X I I I 2. 29 Gut v. W ä c h t e r , Württ. Privatrecht I I 134. 135: „Die blos grammatische Auslegung ist daher nur der A n f a n g cler Gesetzauslegung, ein unselbständiger Teil derselben." S. auch schon G r o l m a n , Bibl. I 1 S 59. 1 Diesem letzteren Punkt ist in cler Lehre vom Geltungsgebiet der Gesetze •volle Aufmerksamkeit geschenkt worden und es ist nicht nochmals ex professo auf ihn einzutreten. Doch sei bemerkt, dass zu ihm auch die beiden Fragen nach dem Verhältniss des Regelrechtssatzes zum Ausnahmerechtssatz und danach, ob eine

§ 99. 2. Die Erkenntniss des Rechtswillens u. ihre Mittel.

467

Die Mittel zur Erledigung dieser Aufgabe verwendet die Auslegung des Strafrechts ganz genau wie alle Rechtsauslegung und gerade so unbeschränkt wie diese zur bestätigenden, erklärenden und berichtigenden Auslegung 2 . Ihrer kann es nur zwei geben: d e r R e c h t s s a t z a l s T e i l i s t aus d ein G a n z e n , das R e c h t a l s M i t t e l i s t aus s e i n e m Z w e c k z u e r l ä u t e r n . I. Das Moment des Zusammenhangs mit anderen Rechtssätzen ist ganz besonders bei Auslegung der Sätze eines accessorischen Rechtsteils, wie das Strafrecht ihn darstellt, beachtlich. W i r können die Sätze über die Verniögensverbrechen nicht verstehen ohne Zuhilfenahme des Privatrechts, die über Fälschungsverbrechen nicht ohne tiefes Eingehen in den Prozess, die über Staatsverbrechen nicht ohne Zuziehung des Staatsrechts. Eine Aenderung auf diesen Rechtsgebieten wirkt ipso jure auf den Inhalt des Tatbestandes cler ihnen entsprechenden Misstaten zurück. Ganz unentbehrlich zum Verständnisse aller Strafgesetze aber sind die Normen, deren Uebertretungen sie bedrohen. Wer den Inhalt des Verbrechensvorsatzes, wer die Wirkungen des Irrtums bei einer Verbrechensart sicher erfassen will, kann diese Erkenntniss nur aus der Scheidung von Delikts- und StrafbarkeitsMerkmalen ableiten, und diese Scheidung ist nur aus den Normen zu gewinnen 3 . I I . Das Zwecknioment kann in drei Gestalten Auslegungsquelle werden : 1. a l s Z w e c k des e i n z e l n e n R e c h t s s a t z e s , aus welchem das Resultat seiner sog. grammatischen Auslegung bestätigend, verengend oder erweiternd ausgelegt werden muss 4 . Besonders wichtig Materie durch das Reichsrecht vollständig geregelt werden sollte, zu zählen sind. Bezüglich der ersteren ist zu betonen, dass der Satz, die Ausnahme sei strikt zu interpretiren, nicht richtig ist. Sie lässt eine ausdehnende Auslegung wohl zu: aber allerdings, soweit nicht die Ausnahme nachweisbar ist, greift die Regel Platz. Bezüglich der zweiten vgl. oben § 71 ff. 2 Es ist deshalb hier nur insoweit darauf einzugehen, als für die kriminalistische Auslegung unentbehrlich erscheint. Die früher vielfach geleugnete Befugniss zur berichtigenden, insbes. ausdehnenden Auslegung der Strafgesetze wird heut allgemein anerkannt. Ueber die Benutzung des systematischen Moments trefflich T h ö l , Einleitung S 148. 149. 3 Doch erschliesst sich der Sinn eines strafrechtlichen Satzes oft genug aus seines gleichen. So ist es evident, class GB § 27 aus § 28 al. 2 berichtigend ausgelegt werden muss. S. m. Grundriss S 171—173. 4 Die berichtigende und zwar erweiternde Auslegung des GB § 4 Nr 3 : „und durch die Gesetze des Orts, an welchem sie begangen wurde", oben S 435 ff. ist eine Auslegung aus dem Zwecke dieses Satzes. 30*

468

§ 99.

2. Die Erkenntniss des Rechtswillens u. ihre Mittel.

für die Auslegung des StGB ist die Regel, dass derselbe Rechtssatz nicht dazu bestimmt sein kann einander widersprechenden Zwecken zu dienen und subjektive Rechte wiedersprechenden Inhaltes zu erzeugen. So ist die Minimalstrafe des Totschlags bei mildernden Umständen nach § 213 Gefängniss nicht unter 6 Monaten. Die §§ 216 (Tötung Einwilligender) und 217 (Kindesmord) haben gegenüber den § § 2 1 1 und 212 zweifellos den Zweck der Strafmilderung: sie können unmöglich beabsichtigen die Strafe des § 213 zu schärfen. Und doch tun sie dies dem Wortlaut nach 5 . Ist also die Tötung des Einwilligenden oder die Kindestötung Totschlag mit derart mildernden Umständen, dass der Richter beim Fehlen der beiden Privilegirungsgründe nach GB § 213 auf Gefängniss zwischen sechs Monaten und drei bez. zwei Jahren erkannt haben würde, so wird ihn der Wortlaut der §§ 216 und 217 nicht zwingen können mit dem Minimum von drei bez. zwei Jahren einzusetzen: es wird dann vielmehr die Strafe des Gattungsverbrechens als die auch für die privilegirten Unterarten mildere zur Anwendung zu bringen sein. Aehnliche Zweckdifferenzen nötigen zu der Annahme alternativer Strafgesetze. Die sich aufdrängende Erkenntniss, dass § 142 den Zweck verfolgen muss, die Verstümmelung Einwilligender, um sie zum Militärdienst untauglich zu machen, einer geschärften Behandlung zu unterwerfen, ermöglicht die richtige Auslegung der §§ 223 ff. bezüglich der Körperverletzung verübt an Einwilligenden 0 . Die Erkenntniss des Zwecks wird häufig wesentlich befördert durch besseres juristisches Verständniss der Lebenserscheinungen, auf welche der Rechtssatz bisher bezogen wurde, so dass die bessere Auslegung des Rechtssatzes von dieser Seite angebahnt werden kann. Wer vielleicht bis dahin die fundamentale Verschiedenheit des sog. untauglichen vom tauglichen Versuche verkannt hat und nun dieselbe am Fall erkennt, wird in demselben Augenblick nicht mehr zweifelhaft sein, dass er den Zweck des GB § 43 bisher zu weit aufgefasst hat, und aus der Zweckbegrenzung wird er die richtige Auslegung desselben gewinnen. So ist die Aufklärung juristischer Lebenserscheinungen mittelbare Quelle cler Auslegung; 2. a l s Z w e c k e i n e s R e c h t s - I n s t i t u t e s . Eine sorgfältige Betrachtung unseres Systems der Freiheitsstrafen zeigt zur Evidenz,

6

Minimum in § 213: 6 Monate; in § 216: 3 Jahre; in § 217: 2 Jahre! S. unten Buch I I Abt. 3.

§ 100.

Die Auslegung als mitteil). Quelle d. Ausi.

469

dass die Festungshaft nur in dein Bedürfniss des Gesetzgebers nach einer custodia honesta wurzelt , ihr Zweck nur in der Befriedigung dieses Bedürfnisses zu finden ist. Allein aus diesem Zwecke des Rechts-Instituts im Gesetze kann der so seltsam gefasste § 20 seine zweckentsprechende Auslegung finden 7; 3. a l s Z w e c k e i n e r A n z a h l v o n R e c h t s s ä t z e n . Ihr Zusammenhang zeigt uns vielleicht, dass ihr Zweck vollständige Regelung der einschlagenden Materie ist, und die Erkenntniss des Zwecks erschliesst uns die Exklusivität dieser Sätze gemeinen Rechtes. — So ist alles Recht in Wahrheit nur aus seiner Form und seinen beiden Eigenschaften, dass es Mittel zum Zweck und Teil des Ganzen ist, zu erschliessen. Seine Auslegungsmittel liegen nie ausserhalb, sondern stets innerhalb des Rechtsgebietes8. Alles dem Recht Fremde ist keine Quelle für seine unmittelbare Erkenntniss 9 . § 100. Anhang. D i e A u s l e g u n g a l s m i t t e l b a r e Q u e l l e d e r Auslegung. I n s b e s o n d e r e die G e s e t z e s - M a t e r i a l i e n . Der gefährlichste Feind aller Auslegung ist die falsche Benutzung fremder Auslegung. Wer diese aus irgend welchen Gründen für sich als autoritativ betrachtet — sei es weil sie ausgeht von einem höchsten Gerichtshof \ von den Motiven des Gesetzes, von einer wissenschaftlichen oder parlamentarischen Autorität —, der legt nicht aus, sondern dem wird ausgelegt, und in dem fremden Interpreten kann das Gesetz seinen Meister finden. Alle Auslegung von dritter Hand wird für den späteren Ausleger nur insoweit verwendbar als sie gut ist und deshalb Ueberzeugung wirkt; d. h. so weit als sie ihm den Wortlaut des auszulegenden Gesetzes, seinen Zweck und seinen Zusammenhang mit anderen Rechtssätzen zu erkennen h i l f t 2 . Diese Nachprüfung fremder Geistesarbeit 7

Nicht aus der Abstimmung des Reichstags in 3. Lesung (s. Stenogr. Berichte 1870 S 1144. 1145). 8 8. schon T h i b a u t , Theorie der logischen Ausleg. S 29 ff.; S c h a f f r a t h S 24. 25. 9 Wohl aber kann es wie Wörterbücher, Schriften über sociale oder juristische Zustände, frühere Gesetze oder Gesetzentwürfe u. s. w. dazu dienen den Wortlaut des Gesetzes, den Zweck desselben und seine Stellung im Rechtssysteme besser zu erfassen. Die Zahl dieser indirekten Auslegungsmittel ist unbeschränkt. 1 Den einzigen Fall bindender Auslegung, den das Reichsrecht abgesehen von den Legaldefinitionen kennt, enthält StPO § 398 zu Ungunsten des einzelnen Gerichts, an welches ein Prozess durch das Revisionsgericht zurückgewiesen wird. 2 Insoweit kann sich der Interpret durch jede fremde Auslegung, also auch

§ 100. Die Auslegung als mittel. Quelle d. Ausi.

470

ist aber mühsam: jedenfalls erscheint es bequemer von irgend

einer

Seite eine authentische Auslegung zu erhalten. W e n n aber der Gesetzgeber nicht wie 1813 der K ö n i g von B a y e r n i n den officiellen A n m e r k u n g e n z u m Strafgesetzbuche eine solche gegeben hat, wo sie Auf

diese heikle Frage giebt eine Theorie A n t w o r t ,

i n Deutschland i m Anschluss an die E i n f ü h r u n g des Systems entwickelt h a t ,

die

erklärlich war zu

finden?

welche sich

konstitutionellen

einer Z e i t ,

wo man

noch an die T e i l u n g cler gesetzgebenden Gewalt zwischen dem Regenten u n d den K a m m e r n glaubte, die i m m e r ungeheuerlicher wurde, j e mehr m a n sich von

diesem I r r t u m befreite,

die aber i n gewissen Mängeln

heutiger Jurisprudenz noch eine Stütze findet u n d sich, trotzdem ihre wissenschaftliche U n h a l t b a r k e i t ist

die

lichen

ausgeklügelte

und

stillschweigenden

geschlossen gebenden Ist wird

allseitig feststeht, zäh behauptet:

fein

zwischen

den

Theorie

den

es

ausdrück-

Auslegungspakten,

Teilnehmern

der

ab-

gesetz-

Gewalt3.

diese zwischen cler Regierung

nur

von

Recht,

u n d den Ständen g e t e i l t , so

was diese drei F a k t o r e n übereinstimmend

wollen4,

durch die Motive u. s. w. sogar zur berichtigenden Auslegung bestimmen lassen. — Insoweit allein können auch die früheren Gesetze und Gesetzentwürfe, die bei der Redaktion des neuen verwandt worden sind, oder Gesetze fremder Staaten und deren Auslegung als Hilfsmittel der Auslegung verwendet werden. Bei dessen Gebrauch ist aber die grösste Vorsicht geboten. Das Argument: weil eine gleich oder ähnlich lautende Stelle in einem früheren Gesetz oder Entwurf diesen Sinn hatte oder haben sollte, will das auszulegende Gesetz das gleiche besagen, ist schlechterdings verwerflich. W a s man d i e z u r A u s l e g u n g so v i e l f a c h v e r w e n d e t e E n t s t e h u n g s g e s c h i c h t e des Gesetzes n e n n t , p f l e g t n i c h t s a n d e r e s zu s e i n als e i n e z u r P r ä o k k u p a t i o n b e s t i m m t e D a r l e g u n g d e r G e n e s i s des Gesetzes-Textes· 3 Sie ist in ihrer Art meisterhaft begründet von W ä c h t e r (ich verweise nicht auf den Kommentar, De lege Saxonica d. d. VIII. m. Febr. 1834, sondern auf seine Abhandl. I 42 if.; W ä c h t e r hat sich ihr später abgewendet, s. bes. GS 1878 I 321 if.), den S c h i e t t e r noch überbietet; sie ist weiter geführt von M o l i i , K r u g (dessen Verdienst B i e r l i n g a. 0. S 170 in der „streng logischen Scheidung" findet, „welche K r u g in dem massenhaften Material der ständischen Verhandlungen vorgenommen hat"), G o l d s c h m i d t und von B i e r l i n g selbst (Resultate a. 0. S 197 if.). S. dagegen M e r k e l bei HH IV 81. 82. Selbst ein so scharfsinniger Jurist wie B r i n z sagt (Pand. 2. Aufl. I 120): „Innerhalb der heutigen Gesetzgebung wird übrigens der Beweis des fraglichen (gesetzgeberischen) Willens vorwiegend aus den »Motiven« und den Verhandlungsprotokollen geschöpft werden müssen." S. auch M a r e z o l l S 76; L u d e n , Handbuch I 146 Anm 8; M e y e r § 18. 4

Es wird also nicht Recht, wenn alle drei Faktoren dieselben Worte verschieden auslegen!

§ 100.

Die Auslegung als mittel. Quelle

. Ausi.

471

und es w i r d Recht n u r i n dem S i n n , i n dein sie es w o l l e n 5 . übereinstimmende Sinn l i e g t i n

Dieser

den M o t i v e n der Regierung u n d den

Auslassungen der Regierungskommissare, wenn jene u n d diese i n den K a m m e r n unwidersprochen geblieben sind ; i n den M o t i v e n der K a m m e r kommission, wenn deren A n t r a g von den K a m m e r n u n d der Regierung ohne W i d e r s p r u c h gegen die M o t i v i r u n g acceptirt worden i s t ;

i n den

M o t i v e n des einzelnen Antragstellers, dessen A n t r a g Beifall u n d dessen Begründung keinen W i d e r s p r u c h

findet 6.

Dadurch erhalten w i r allerdings verbindliches in

Masse 7 ,

Auslegungsniaterial

und aus den M o t i v e n , den K a m m e r v e r h a n d l u n g e n ,

den

Komniissionsberichten w i r d unter Umständen, die ebenso oft als leicht eintreten, eine Macht, k r a f t v o l l genug u m das Gesetz von seinem Sockel zu weifen. U n d da j a die stillschweigende Vereinbarung der gesetzgebenden Faktoren

zum P a k t

t u n haben

ausreicht

u n d verständige

als( schlechte Gründe

Anderer

für

Männer eine

Besseres

vielleicht

zu gute

Sache zu widerlegen, so w i r d n u n plötzlich allein der M u n d , der gesprochen hat — sei es der Verfasser der Motive, sei es eine K a m m e r , sei es ein Parteiführer — , sofern n u r die Opposition s t i l l blieb,

zum

..Gesetzgeber". Das grosse Verdienst gegen diesen U n f u g zuerst m i t Schärfe u n d Ernst

aufgetreten

zu sein

r

gebührt

Schaffrath

8

.

Er

hat

zuerst

betont, dass das Gesetz allein verbindlicher W i l l e u n d allein aus sich auszulegen sei, die M o t i v e aber, die Gutachten der Kammerdeputationen, die ständischen Schriften unverbindliche Meinungsäusserungen

seien9.

5 Dieser Sinn kann dem klaren Wortlaut des Gesetzes zuwiderlaufen und wird doch Recht, ν. Μ ο h l , Staatsrecht I 137. 6 Die feineren Feinheiten mögen auf sich beruhen bleiben. 7 So spricht B i e r l i n g S 199 noch 1871 von gewissen Erklärungen in der Kammer über den Sinn des Gesetzes, die „schlechterdings bindend sind für den Ausleger" ! 8 S. oben Anm 1 vor § 95. Die hochmütige Verachtung, die ihm dafür noch 30 Jahre später von B i e r l i n g a. 0. S 148. 159 zu Teil wird, lässt dasselbe nur um so heller glänzen. Dass S c h a f f r a t h nun etwas zu sehr ins andere Extrem ging, hiebei mancherlei paradoxes behauptete, auch sich nicht ganz konsequent blieb, hat seinen Gegnern erleichtert ihn anzugreifen. Aus der Stärke seiner Position hat ihn Niemand zu werfen versucht und seine Schrift ist noch heute beachtenswert. — Dieselbe Grundanschauung vertreten T h ö l , S c h l e s i n g e r , v. H a h n S 24. 25 und der spätere v. W ä c h t e r . 9 S. bes. S 8—11. Fein S 10: Die Motive wollen nicht die Untertanen verpflichten, sondern die Kammern überzeugen. S 27: „Nicht über die Motiven und Auslegung, sondern nur über die Worte des Gesetzentwurfs wird abgestimmt."

§ 100.

472

Die Auslegung als mittel). Quelle d. Ausi.

Und dies ist ganz unwiderleglich. Die gesetzgebende Gewalt hat im Deutschen Reich nur der Bundesrat , in den konstitutionellen Monarchien nur der Monarch. Reichstag und Kammern helfen den Entwurf, nicht das Gesetz feststellen. In cler Feststellung dieses Wortlautes erschöpft sich ihre Aufgabe : ob der Entwurf die Sanktion erhält, darüber entscheidet cler Gesetzgeber; in welchem Sinn das Gesetz gelten soll, darüber entscheidet nicht einmal dieser. So wären Regierungs- und Kammermotive gleich unverbindlich, sollte auch die Regierung oder das Parlament darüber anderer Meinung sein. Bezüglich des Strafgesetzbuchs haben aber sogar Bundesrat und Reichstag auch darüber nach der Paktentheorie ihr volles Einverständniss erklärt. Der Bundesrat hat geflissentlich die Motive des Entwurfs sich nicht angeeignet und der Reichstag konnte sie deshalb auch nicht als Motive des „Gesetzgebers" billigen 1 0 ; der Abgeordnete L a sk e r aber hat ohne irgend einen Widerspruch im Reichstag oder seitens des Bundesrats zu finden gesagt: „Die Gerichte sind nicht gebunden an die Meinungen, die wir mit der Annahme des Strafgesetzbuchs verbinden 1 1 ." Es ist somit schlechthin unzulässig diesen Motiven als solchen in irgend einem Falle eine für die Auslegung maassgebende Bedeutung einzuräumen: die Motive haben für die Auslegung genau den Wert ihrer Wissenschaftlichkeit, desgleichen die Aeusserungen in den Kammern, die •— improvisirt, vielleicht dem heissen Parteistreit entsprungen — häufig nur auf den Augenblick berechnet und aus ihm erklärbar sind. Wer ein Gesetz aus den Motiven oder den Debatten als solchen berichtigend 12 auslegt, stürzt es unter dem Scheine es anzuwenden. Auch wer die Erklärung eines zweideutigen Gesetzes nur dadurch gewinnt, dass er ohne weiteres clie in dem Material vertretene Ansicht als Ansicht des Gesetzes bezeichnet, behandelt dieses Material als Gesetz 13 . Für die Entwicklung einer gesunden Auslegung wäre es besser, die Gesetze kämen nicht mit einer langen Entstehungsgeschichte und nicht mit einem Wüste von Materialien behaftet zur Welt. Denn der doppelte Schaden, den diese anrichten — Entnervung der Auslegung 10

S. oben S 64 und R u b o S 155. Stenogr. Ber. 1870 I I 1177. 12 Nicht nur ausdehnend; v. W ä c h t e r , Sächs. Strafrecht S 111. 13 S. auch S c h l e s i n g e r a. Ο. S 1978. In diesem letzten Punkte and. M. — aber kaum folgerichtig — M e r k e l bei HH I I 73, IV 81. 11

§ 100.

Die Auslegung als mittel. Quelle

. Ausi.

473

und Versetzung des geltenden Rechts mit einer Masse unverbindlichen Stoffs —, scheint mir ihren Nutzen weit zu überwiegen 14 . 14 Es darf liier nicht verhehlt werden, dass das Reichsgericht auf anderem Standpunkte stellt. Einige Beispiele zum Beleg! 1. Anlangend die Verwertung der sog. E n t s t e h u n g s g e s c h i c h t e , so entnimmt beispielsweise RG I I I vom 28. April 1880 (E I I 144) einen bedeutenden Grund für die Auslegung des GB § 259 den Motiven des Bremischen Strafgesetzentwurfs; RG I I I vom 9. November 1881 (E V 157 ff.) gewinnt, wie der Senat selbst anerkennt, wider den klaren Wortlaut des § 248, 4 (!) eine entschieden falsche Auslegung durch die Argumentation: „Indessen lässt doch schon die Entstehungsgeschichte des dem § 218 Nr 4 des preuss. StGB . . . fast wörtlich entlehnten § 243, 4 des StGB entnehmen, dass jene engere Deutung der Worte . . . der Willensabsicht des Gesetzgebers (welches?) nicht entspricht." Unci nun greift das Gericht sogar noch auf PrALR I I § 1178 und preuss. Circular-Verordn. v. 26. Febr. 1799 zurück, deren Worte „Abschneiden oder E r b r e c h e n " zur Auslegung der Worte des GB ν. 1870 § 248, 4: „Abschneiden oder A b l ö s e n " verwendet werden. Das geht etwas weit! S. auch noch RG I I I v. 29. Mai 1880 (E I I 172. 178; geht auf ein preuss. Ges v. 31. März 1887 und auf einen Staatsratbericht v. 4. Jan. 1857 zurück); RG I I I v. 6. Nov. 1880 (E I I I 108 ff.). 2. Bezüglich der Würdigung der M o t i v e verweise ich auf RG I I I v. 13. März 1880 (E I 276), wo eine Aeusserung derselben als „authentische Erklärung" bezeichnet wird ; auf RG I I I v. 12. Mai 1880 (E I 162): „Die Motive lassen hierüber keinen Zweifel, da sie sich über den Gedanken des Gesetzes (sie!) folgendermaassen aussprechen, ohne dass bei der Beratung eine entgegengesetzte Meinung zu Tage getreten wäre." Die Motive werden zur Auslegung überhaupt reichlich verwendet. 3. Bezüglich p a r l a m e n t a r i s c h e r V o r g ä n g e sei verwiesen auf RG I I v. 10. Febr. 1880 (E I 201): „Die nachfolgende parlamentarische Behandlung der Frage hat nichts von den Ergebnissen der Kommissionsverhandlungen Abweichendes ergeben und liegt kein Hinderniss vor, diesen letzteren bei Auslegung des Gesetzes (der StPO) eine entscheidende Bedeutung beizulegen." Ferner RG I I v. 5. Nov. 1880 (E I I 423 ff.), wo die recht bedenkliche Ansicht, in GB § 113 gehöre zum Vorsatz nicht Bewusstsein von der Rechtmässigkeit der Amtsausübung, „mit Zuverlässigkeit (?) aus der (parlamentarischen) Entstehungsgeschichte des § 113 zu entnehmen ist". Diese Geschichte reducirt sich wesentlich auf eine die Schuldseite des Verbrechens gar nicht berührende Aeusserung des Abgeordneten Me y er -Thorn in der 2. Lesung des Reichstags (Stenogr. Ber. I 430), der allerdings nicht widersprochen wurde. In 3. Lesung wird die Fassung geändert; trotzdem „behalten die Verhandlungen der 2. Lesung für die Auslegung ihre volle Bedeutung". — Dens. Punkt behandelt RG I I I v. 30. Okt. 1880 (E I I I 14 ff.). Das Gericht giebt hier zu, dass „die Anwendung der allgemeinen Grundsätze über die Zurechnung doloser Delikte auf den vollen Inhalt der §§ 113 — 117" zu der Annahme führen würde, jenes Bewusstsein sei zum Vorsatz erforderlich. Allein dies sei nicht der Sinn des Gesetzes. Beweis für die Befugniss zu berichtigender Auslegung: dieselbe parlamentarische Entstehungsgeschichte. — Vgl. noch RG I I v. 12. Nov. 1880 (E I I I 32): „die Absicht cler gesetzgebenden Faktoren". 4. Die Verschiedenheit der Grundsätze über die Auslegung hat neuerdings zu einem Konflikt zwischen dem I. Civilsenat und dem III. Strafsenat bezüglich des

474

§ 100. Die Auslegung als mittel. Quelle d. Ausi.

Reichsstempelgesetzes v. 1. Juli 1881 geführt. S. bes. RG I. Civilsenat v. 2. Febr. 1884 (Civil-Entsch. X I 65 ff.) und dagegen RG I I I v. 23. Juni 1884 (E X I 45 ff.). — Der Strafsenat erkennt an, dass seine Auslegung des Wortes „Briefe" in der Befreiungsbestimmung sub 3 zu Pos. I I Nr 4 des Tarifs zu besagtem Gesetze „aus den dem Gesetzentwurfe beigefügten amtlichen Motiven", wo die Briefe höchst vag als „gewöhnliche Handelskorrespondenz" bezeichnet werden, also nicht aus dem Gesetze selbst gewonnen sei. Der Civilsenat bestreitet jede Berechtigung einer restringirenden Auslegung cler „Briefe" des Gesetzes aus jenen ganz unverbindlichen Motiven, und nun nimmt der Strafsenat Anlass sich principiell und ausführlich über die Paktentheorie zu äussern und sich dazu zu bekennen (s. bes. E X I 48 ff.). Der Senat beweist gegen seine Absicht, welch eminenten Gefahren diese Theorie einen Angeklagten aussetzt, der sich nur an clas Gesetz hält und sich um diesen ganzen Wust von Materialien, wie sein gutes Recht ist, nicht kümmert.

Zweites Buch. Das subjektive Strafrecht und das Strafrechtsverhältniss.

Erste Abteilung. Das Rechtsverhältniss zwischen Staat und Sträfling \ 101.

I. D e r u n m i t t e l b a r e u n d d e r m i t t e l b a r e des S t r a f r e c h t e s 2 .

Inhaber

Behufs genauerer Analyse des Strafrechtsverhältnisses ist festzustellen, I. wer das Strafrecht besitzt, I I . gegen wen es geht, I I I . worin das Recht des Inhabers und die Pflicht des Sträflings besteht, IV. welchen Wandlungen das Verhältniss unterliegt, welchen Zweck es verfolgt und zu welch andern Rechten es somit in nähere Beziehung oder in Gegensatz t r i t t 3 . I. I n h a b e r des S t r a f r e c h t s ist nach allgemeiner Auffassung heute stets unmittelbar oder mittelbar — vertreten durch den Inhaber einer abgeleiteten Gesetzgebungsgewalt — der Staat, richtiger der oder die persönlichen Träger der Staatsgewalt, insbesondere der Monarch 4 . Von dem Bundesstaate einstweilen abgesehen, gewähren die Strafgesetze eines Landes nur dessen Beherrscher ein Strafrecht. Der Code pénal kann im einzelnen Falle vielleicht im deutschen Gerichte anwendbar sein : nie aber vermag er einen deutschen Herrscher unmittelbar zu berechtigen oder zu verpflichten. 1

Wenn clies zweite Buch überschrieben ist: „Das subjektive Strafrecht u n d das S t r a f r e c h t s v e r h ä l t n i s s " , so geschieht dies, weil mein Freund A d o l f M e r k e l mit Recht drauf gedrungen hat. S. auch dessen Juristische Encyklopädie. Berlin und Leipzig 1885. § 187 if. 206 ff. 2 Die Frage nach dem Inhaber des Strafrechts wird in der Literatur meist als gelöst vorausgesetzt. Eingehender L u d e n , Handbuch I 12 ff.; G l a s e r , Strafprozess I 12 ff. Vgl. oben § 37. 39. 3 Die letzte Frage soll zurückgestellt werden, bis die Lehre von Entstehung, Nichtentstehung und Untergang des Strafrechtsverhältnisses mehr Material zu ihrer Beantwortung geliefert hat. 4 Warum die Staatsstrafe die einzige Strafe im Rechtssinne ist, darüber s. unten.

§ 101.

478

I. Der unmittelbare u. cler mittelbare

Der Grund dieser staatlichen Inhaberschaft kann entweder darin gesucht werden, dass der Staat als derjenige, dessen Normen der Delinquent übertritt, somit als Inhaber des Gehorsamsrechtes, zugleich Inhaber des Strafrechts gegen den Uebertreter sein muss, oder aber darin, dass das Strafrecht realisirbar wird erst durch den staatlichen Richterspruch, dass es somit dem Staate kraft seiner Straf-Gerichtsbarkeit über den Verbrecher zustehe. Ist es doch unbestreitbar, dass das preussische Urteil dem Könige von Sachsen oder Bayern keine Strafrechte zusprechen kann! Es leuchtet alsbald ein, dass der zweite Grund nur aus einer sekundären Eigenschaft des Strafrechts, seiner Durchführbarkeit lediglich auf prozessualem Wege, abgeleitet ist und dass der Staat, worin der Verbrecher vielleicht seinen Wohnsitz und damit sein forum domicilii hat, von dem Verbrechen ganz unberührt, also principiell nicht zu seiner Bestrafung berufen sein kann, dass also nur der erste Grund die staatliche Zuständigkeit für das Strafrecht selbst in der Tat zu erklären vermag. Sollte cler Staat (oder sein Delegatar), dem das Strafrecht gebührt, weil sein Recht auf Botmässigkeit durch das Verbrechen verletzt ist, der Strafgerichtsbarkeit mangeln 5 , so würde er sein Strafrecht b e h u f s A u s ü b u n g den Inhabern der Strafgerichtsbarkeit übertragen müssen und dasselbe würde dann p r a k t i s c h allerdings als Strafrecht des Staates erscheinen, dem es zur Ausübung überlassen wird. 1. I n h a b e r a l 1er S t r a f r e c h t e , d i e g e m e i n e η d e u t s c h e η S t r a f g e s e t z e n e n t s p r i n g e n , i s t das R e i c h u n d s i n d n i c h t d i e E i n z e l s t a a t e n 6 . Das ist die Auffassung des Reiches selbst. Deshalb wird von keinem einzigen Reichsstrafgesetze der Teilung des Deutschen Reichs in Staaten Gewicht beigelegt und nirgends die Frage auch nur gestreift, welchem deutschen Staate das Strafrecht erwachsen soll. Noch deutlicher zeigt sich dies im Verhältniss des Deutschen Reiches zu den auswärtigen Staaten einerseits, den deutschen Bundesstaaten andrerseits. I m Interesse des gemeinen Strafrechts schliesst das R e i c h die Auslieferungsverträge, und behufs Realisirung s e i n e r Strafansprüche wird ihm von den fremden Staaten die Rechtshilfe gewährt. Deshalb kann das Reich sich den fremden Staaten verpflichten, seine „Angehörigen", die im fremden Staate delinquirt haben, in 5

Im Einheitsstaat kann dieser Mangel nur Platz greifen bei den Strafrechten, die den Inhabern der abgeleiteten Gesetzgebungsgewalt zustehen. 6 Ich finde diese Frage in der Literatur nicht erörtert. Soweit ich sehen kann, herrscht clie gegenteilige Auffassung ausnahmslos, ohne dass sie je begründet worden wäre.

Inhaber des Strafrechtes.

479

Untersuchung ziehen und vor Gericht stellen zu lassen7. Deshalb bezeichnet das Reich in diesen Verträgen die Behörden der einzelnen deutschen Staaten als „seine Behörden" genau in demselben Sinne wie der Staat, mit dem das Reich sich verträgt, von seinen Landesbehörden redet 8 . 2. Das Deutsche Reicli übt diese seine Strafrechte in Person allerdings nur soweit aus, als es Strafgerichtsbarkeit erster Instanz besitzt : im übrigen aber überlässt es den Gerichtsherren der deutschen Staaten9 ihre prozessuale Geltendmachung und Durchführung 10. Dass diese aber nicht eigene Strafrechte , sondern nur eigene Strafverfolgungsrechte und abgeleitete Strafvollstreckungsrechte geltend machen, ergiebt sich aus Folgendem. a. Keinem Staate können die eigenen, d. h. die aus den eigenen Landesgesetzen erwachsenen Strafrechte entzogen werden. Die Zuständigkeit der einzelnen deutschen Staaten zur Verfolgung der nach Reichsrecht strafbaren Handlungen ist aber durchaus keine bestimmte und keine feste ; keine bestimmte : denn dasselbe Strafverfolgungsrecht kann gleichzeitig mehreren Bundesstaaten oder dem Reiche und einem Bundesstaate zustehen, und diese mehreren Verfolgungsrechte konkurriren — weil einem und demselben Strafrechte dienstbar — nicht etwa wie das inländische und das ausländische kumulativ sondern alternativ; keine feste: denn das Verschwinden des Zuständigkeitsgrundes für den einen Staat, etwra die Verlegung des Wohnsitzes voider Klagerhebung, lässt das Verfolgungsrecht desselben untergehen; ebenso die Verbindung eines solchen Falles mit einem vor das Reichsgericht in erster Instanz gehörigen. Es handelt sich eben stets um dasselbe Strafrecht, das nur sein abgeleitetes Subjekt ändert oder zu seinem unmittelbaren Inhaber zurückkehrt! 7

S. z. B. Vertrag mit Brasilien vom 17. Sept. 1877 A r t . 2 al. 2. S. z. B. Vertrag mit der Schweiz vom 24. Jan. 1874 A r t . 1. 9 Ueber weitere Delegirung s. unten sub I I I . 10 A m auffalligsten ist dies wohl bei den Strafen wegen Verletzungen der dem Reiche zustehenden Steuerrechte. Die Steuer gebührt dem Reich, die Defraudations strafe den Staaten. Deshalb hebt dies auch eine ganze Anzahl von Reichsgesetzen ausdrücklich hervor. S. Ges betr. die Wechselstempelsteuer vom 10. Juni 1869 § 18 al. 2 : „ D i e i m § 15 vorgeschriebenen Geldbussen fallen dem Fiskus desjenigen Staates zu, von dessen Behörden die Strafentscheidung erlassen ist." Ebenso Brausteuergesetz vom 31. M a i 1872 § 41. Sehr ähnlich Ges N r 2 vom 1. J u l i 1869 Art. 14 al. 2; Kartenstempelgesetz vom 3. J u l i 1878 § 19 al. 2 ; Tabakssteuergesetz vom 16. J u l i 1879 § 46; Reichsstempelgesetz vom 1. J u l i 1881 § 24. — Beachte auch Personenstandsgesetz vom 6. Febr. 1875 § 70 und Ges betr. die Waarenstatistik vom 20. J u l i 1879 § 17 al. 3. 8

480

§ 101.

I.

Der unmittelbare u. der mittelbare

b. Jedes Strafrecht verlangt zu seiner Entstehung einen Inhaber. Subjektlose Strafrechte giebt es ebenso wenig wie subjektlose Rechte überhaupt. Wird nun von einem im Inlande nicht wohnhaften Inländer oder Ausländer im Auslande ein Verbrechen begangen, so erhält durch dies Verbrechen zunächst kein deutscher Bundesstaat ein Strafklagrecht. Nichtsdestoweniger begründet das Verbrechen ein Strafrecht, und als Subjekt desselben kann nur das Deutsche Reich angesehen werden. c. Den Inhalt dieser durch die bundesstaatlichen Organe urteilsgemäss festzustellenden und zu vollstreckenden Strafrechte bestimmt das Reichsrecht. d. Die Einheitlichkeit des Strafrechts aus dem einzelnen Verbrechen gegenüber der Vielheit der Strafklagrechte verschiedener deutscher Staaten zeigt sich klar in der Macht des rechtskräftig gewordenen deutschen Strafurteils. Hätten mehrere deutsche Staaten, etwa der des begangenen Verbrechens und der des Wohnortes des Täters, aus demselben Verbrechen eigne Strafrechte erlangt, so könnten diese für den einen von ihnen nur erlöschen d u r c h die S t r a f v o l l s t r e c k u n g i n dem andern. So ist es im internationalen Strafrechte. Sobald aber das Urteil in Preussen, Bayern oder Sachsen rechtskräftig geworden ist, das eine Strafrecht somit seine Anerkennung gefunden hat, erlöschen auch alle weiteren Straf klagrechte : denn sie dienen alle nur zur Geltendmachung des einen Strafrechts 11. II. I n h a b e r a l l e r S t r a f r e c h t e , die Landesgesetzen e n t s p r i n g e n , i s t der B u n d e s s t a a t , der das Gesetz erlassen hat. Es ist staatsrechtlich undenkbar, dass ein Preussisches Landesgesetz dem Staate Bayern oder Sachsen Pflichten auflegt und umgekehrt. Es ist strafrechtlich undenkbar, dass Preussen auf Grund eines Sächsischen Gesetzes die Uebertretung einer Sächsischen Norm mit Strafe belegt, während diese Norm der vielleicht auf denselben Gegenstand bezüglichen Preussischen direkt widerspricht, oder während die Norm-Uebertretung in Preussen straflos, in Sachsen strafbar ist. Es ist völkerrechtlich undenkbar, dass ein Staat einseitig einem andern ihm koordinirten Staate Rechte irgend welcher Art rechtsgiltig entziehen kann. III. N i c h t s h i n d e r t dagegen die U e b e r t r a g u n g des S t r a f r e c h t s d u r c h den einen Staat an den andern zur A u s ü b u n g d u r c h S t a a t s v e r e i n b a r u n g und im B u n d e s 11

Darüber, dass das landesherrliche Begnadigungsrecht dieser Auffassung nicht widerstreitet, s. unten die Lehre von der Gnade.

481

Inhaber des Strafrechtes.

Staate d u r c h R e i c h s g e s e t ζ. Diese Staatsvereinbarung kann verschiedenen Inhalt haben. Ein Staat kann zu Gunsten eines andern, ζ. B. des Reichs, auf einen Teil seiner Strafgewalt dergestalt verzichten, dass auch Entstehung und Inhalt der Strafrechte sich nach fremdem Rechte bestimmen sollen — so in den Bezirken deutscher Konsulargerichtsbarkeit, soweit die Konsuln zur Anwendung deutscher Strafgesetze berufen sind 12 —, oder dergestalt, dass die Strafbestimmungen, nach denen der Cessionar urteilen soll, in dem Staatsvertrage selbst festgestellt werden 13. Die Meinung kann aber auch dahin gehen, dass das Strafgesetz des Cedenten anzuwenden sein soll. Die Form jener Uebertragung kann sein die der stillschweigenden Konzession, die des allgemeinen Staatsvertrages und die der Abtretung im einzelnen Falle 14 . Was aber die Uebertragung des Strafrechts von einem Bundesstaate auf den andern durch Reichsgesetz anlangt, so wird man sie bei der hohen Bedenklichkeit eines solchen Gesetzes nur da annehmen dürfen, wo das Reichsgesetz sie ganz unmissverständlich als solche anordnet 15 . 12 S. ζ. B. den Freundschaftsvertrag mit Japan vom 20. Febr. 1869 A r t . 6. Vgl. A r t . 7 (GBl 1870 S 4). Ursprünglicher Inhaber der Strafrechte ist zweifellos Japan. Vgl. Zusatzbestimmung 3 (GBl 1870 S 13). 13 S. Zusatzbestimmung 2 al. 2 zu demselben Vertrag (a. a. 0 . S 11). 14 Z u letzterer ist eine Verständigung von Regierung zu Regierung, nicht lediglich von Staatsanwaltschaft zu Staatsanwaltschaft erforderlich. Sie ist m. E . ohne Uebertragung des Strafklagrechts, d. h. in F o r m der Cession rechtskräftig festgestellter Strafansprüche, nicht denkbar. Letztere wäre nichts anderes als eine Scheincession, als erbetene und gewährte Rechtshilfe um Strafvollstreckung. Als wahre Cession hätte sie die Folge, dass der Richter des Cessionars das Strafgesetz des Cedenten zu vollstrecken hätte und dass der Cedent das Begnadigungsrecht einbüsste. Von einer Cession des Strafklagrechts im deutschen Rechtsleben ist mir nichts bekannt geworden. N u r einen eigentümlichen F a l l stillschweigender Cession könnte man dahin rechnen. Manövrirt beispielsweise ein Preussisches Armeecorps in Sachsen oder umgekehrt, i n welchem Falle j a die Truppen von den Organen der Militärgerichtsbarkeit begleitet werden, so dürften diese auch zuständig sein beispielsweise für die nur nach Sächsischem bez. Preussischem Landesrecht strafbaren Jagdkontraventionen der Militärpersonen. Wogegen eine solche Cession nicht angenommen werden kann, wenn ein Sächsischer Soldat auf Urlaub in Preussen nach dortigem Landesrecht straffällig geworden ist. Hier würde nach Rechtshilfegesetz § 21 a. E. die Auslieferung an Preussen nicht verweigert werden können. 15 Solche Satzung fand sich i m Rechtshilfegesetz vom 21. Juni 1869 § 27 (die Uebertragung fand statt als Aequivalent für eine unzulässige Auslieferung) ; sie galt nur bis zum Inkrafttreten des Nordd. Strafgesetzbuchs. S. § 25 das. Sehr charakteristisch fingirt § 27 al. 2 : „ B e i der Untersuchung und der Aburteilung ist

Binding, Handbuch. VTI. 1. I : B i n d i n g , Strafrecht. I.

31

482

§ 101.

I. Der unm. u. cl. mittelb. Inh. des StR.

III. S o w e i t i n einem Staat Organe m i t a b g e l e i t e t e r Gesetzgebungsge w a l t e x i s t i r e n , die z u g l e i c h S t r a f g e r i c h t s b a r k e i t b e s i t z e n , i s t es das N o r m a l e , dass d i e s e l b e n , z. B. die S t a d t m a g i s t r a t e , die P o l i z e i b e h ö r d e n , selbst I n h a b e r der auf G r u n d i h r e r S t r a f v o r s c h r i f t e n erwachsenden S t r a f r e c h t e werden. Nach der StPO § 453 ff. und 459 ff. ist dies heute nur insoweit geltendes Recht, als die Landesgesetze eine sog. Yerwaltungs-Strafgerichtsbarkeit zulassen. Im übrigen sind Inhaber dieser Strafrechte die Staaten, von denen die abgeleitete Strafgesetzgebungsgewalt stammt. Interessant ist aber zu sehen, dass durch die reichsrechtliche Anerkennung der Verwaltungsstrafrechtspflege auch die Strafrechte nach den Reichsstrafgesetzen Polizei- und Stadt-Strafrechte werden können: denn diese Art der Gerichtsbarkeit ist für die Anwendung der Reichsstrafgesetze nicht ausgeschlossen. Soweit nun jene Organe unmittelbare oder mittelbare Inhaber eigener Strafrechte sind, zeigt sich eine höchst eigentümliche Wandelbarkeit des Straf berechtigten. Lautet das Strafmandat einer städtischen Polizei auf 8 Tage Haft oder etwa auf 100 Mark und es wird rechtsdie Handlung so anzusehen, als ob sie i n dem Gebiete des Bundesstaates, welchem das untersuchende Gericht angehört, verübt worden." — I m h e u t i g e n g e m e i n e n R e c h t e aber f i n d e t sich eine solche U e b e r t r a g u n g der Strafrechto des e i n e n d e u t s c h e n S t a a t e s an e i n e n a n d e r n z u r p r o z e s s u a l e n G e l t e n d m a c h u n g u n d A u s ü b u n g g a r n i c h t . N u r die Strafvollstreckung von Freiheitsstrafen, welche sechs Wochen nicht übersteigen, ist dem Bundesstaat übertragen, wo der Verurteilte sich befindet. GVG § 163, vgl. Rechtshilfegesetz § 33. I n solchem F a l l aber w i r d ein Preussisches Strafrecht zwar wohl von Sachsen vollstreckt, aber es wandelt sich nicht i n ein Sächsisches. Dies zeigt sich sehr k l a r darin, dass Preussen und nicht Sachsen die Strafe durch Gnadenakt erlassen darf. — Unmöglich aber ist es den Bestimmungen der Strafprozessordnung über das f ο r u m c o n n e x i t a t i s , StPO §§ 2—5. 13, den Sinn einer solchen beabsichtigten Uebertragung unterzulegen. \ r oraussetzung dieses forum ist die s a c h l i c h e Zuständigkeit des Gerichts, bei dem es vorliegen soll. Die sachliche Zuständigkeit für Preussische, Bayerische und Sächsische Straffälle ist j a aber nur mandirte Gerichtsbarkeit von Preussen, Bayern und Sachsen, und diese Staaten betrauen damit ledigl i c h die eigenen Landesgerichte. — N u r die allerdings leider so übliche Buclistabenauslegung kann sich diesen Rechtsgründen gegenüber „auf den allgemeinen W o r t laut der §§ 2—5 u. 13" berufen. A n die wichtige staatsrechtliche Frage, die soeben aufgeworfen ward, hat der Gesetzgeber bei diesen Paragraphen gar nicht gedacht, sie demgemäss auch nicht unmissverständlich lösen wollen. Diese Bestimmungen finden also dann keine Anwendung, wenn ein landesrechtlicher Straffäll dadurch der Jurisdiktion gerade dieses Landes entzogen würde. E i n solcher kann also auch nicht auf Grund des Zusammenhangs vor das Reichsgericht gebracht werden.

§ 102. II. Das Strafrecht und der Sträfling.

483

kräftig, so fällt das Geld in die Stadtkasse, oder der Sträfling kommt in Stadthaft. Wird rechtzeitig Einspruch erhoben, so geht das Strafrecht auf den Staat über, mag eine Ratsverordnung oder eine Reichsnorm übertreten sein 16 : ein deutlicher Beweis dafür, dass auch diese Strafrechte ohne alle Ausnahme nur abgeleitete Staats-Strafrechte sind. Ein Ueberblick über die Inhaber der Strafrechte lässt bei ihnen die analoge Erscheinung wie bei den Rechten auf Botmässigkeit erkennen. Wie diese obrigkeitliche Rechte sind, welche bald der staatlichen als der höchsten Obrigkeit, bald unteren Organen zustehen, so sind auch alle Strafrechte principiell des Staates, mag er sie in eigener Hand behalten oder delegiren. Die S u b j e k t e des G e h o r sams- und des S t r a f r e c h t s f a l l e n demgemäss der Idee nach zusammen und sie würden es auch tatsächlich, wenn nicht der Inhaber des Rechtes auf Botmässigkeit häufig, und fast immer, wenn es nicht unmittelbar der Staat ist, der Gerichtsbarkeit ermangelte. Von dem minder wichtigen Gebiete der Verwaltungs-Strafgerichtsbarkeit abgesehen, haben wir nur Staatsgerichte, und so erklärt sich, dass der Staat die Strafrechte in umfassenderem Maasse in eigner Hand behalten muss als die Rechte auf Botmässigkeit. Ganz aus demselben Grunde mangelnder Gerichtsbarkeit erklärt sich, dass der Urheber des Strafgesetzes — hier im weitesten Sinne genommen — nicht immer der Inhaber der aus dem Strafgesetz erwachsenden Strafrechte ist. Alle Strafgesetzgebungsgewalt aber, alle obrigkeitliche Befehlsgewalt, alle echte Strafgewalt sind des Staates: und n u r d u r c h das M i t t e l der R e c h t s - D e l e g a t i o n e n t s t e h t eine Verschiedenh e i t der I n h a b e r dieser Gewalten. § 102. II.

Das S t r a f r e c h t und der S t r ä f l i n g .

I. Das S t r a f r e c h t i s t das Recht des S t a a t e s 1 , einem D e l i n q u e n t e n , dessen T a t i n den B e r e i c h seiner N o r m e n , dessen Person i n den B e r e i c h seiner S t r a f g e w a l t f ä l l t , und der die ihm a u f e r l e g t e E i n b u s s e als solche zu emp f i n d e n vermag, Rechte oder R e c h t s g ü t e r zu n e h m e n 2 . 16 V o n diesen Fällen sind die anderen scharf zu scheiden, i n welchen gesetzlich verwirkte Geldstrafen bestimmten Unterstützungskassen oder etwa einer auswärtigen Regierung zufallen sollen. E i n Recht auf eine verfallene Strafsumme ist kein Strafrecht. 1 I m Sinne der E n t w i c k l u n g i n § 101. 2 Das Zweckmoment ist absichtlich noch bei Seite gelassen. Dasselbe kann erst nach der Lehre von den Strafmitteln richtig dargestellt werden. 31*

484

§ 102.

I I . Das Strafrecht und der Sträfling.

Da die Strafe dem Sträfling stets entzieht, was in der Auffassung der Rechtsordnung ein „Gut" ist und da der Sträfling diesen Verlust stets als solchen soll fühlen können, so ist sie stets beabsichtigte empfindliche Schädigung desselben, Zwang zur Duldung eines Uebels. Da aber alle Rechte geschaffen werden in Anbetracht des Nutzens, den sie im Rechtsleben zu gewähren pflegen, so erwartet der Gesetzgeber auch von der Ausübung des Strafrechts einen heilsamen Erfolg. Dies schliesst nicht aus, dass der Staat die Nötigung zur Anwendung seiner Zwangsgewalt bedauert, die Aufgabe der Strafe als eine Last empfindet: vielleicht spart ihm nur die kleinere Last die Notwendigkeit eine grössere zu tragen. So viel der Delinquent besitzt an ihm entziehbaren Rechten und Rechtsgütern, so viel inhaltlich verschiedene Strafrechte sind denkbar 3. Wenn aber auch aus dieser grossen Anzahl möglicher Strafen nur relativ wenig gesetzlich ausgewählt werden, so kann doch die Analyse des positiven Rechts darüber keinen Zweifel lassen, dass der Inhalt des einzelnen Strafrechts nach dem Willen des Gesetzes in konstantem Verhältniss stehen soll zur Schwere des zu strafenden Deliktes. Je schwereren Schaden die Rechtsordnung durch das Verbrechen erlitten hat, um so schwereren soll der Verbrecher durch die Strafe leiden. II. Jedes Strafrecht geht wider den Urheber einer schuldhaftrechtswidrigen Handlung, somit nach heutiger Auffassung stets nur gegen eine physische Person ; ein bestimmtes Strafrecht stets nur gegen denjenigen, der den Normen des strafberechtigten Staates Botmässigkeit schuldete und diese Pflicht verletzt hat. Niemand ist straffähig, den sich die Norm nicht Untertan gemacht hat. So deckt sich der Kreis der Normgebundenen und der wegen Uebertretung grade dieser Norm Straffähigen. Möglich, dass das Strafgesetz den Kreis der wirklich aus diesem Grunde Strafbaren beschränkt und einen Teil der Delinquenten mit Strafe verschont. Unmöglich aber, dass die Strafe dem Schuldlosen oder einem Uebeltäter auferlegt werde, der nicht die Normen des strafenden Staates verletzt hat. Dieses Zusammenfallen von Gehorsamspflicht, Unbotmässigkeit und Straferduldungspflicht in derselben Person hat natürlich seinen tiefen Grund. Dem Strafrecht entspricht die höchst persönliche Pflicht des Sträflings die Strafvollstreckung zu dulden. Nicht braucht er tätig zu sein um den Strafvollzug herbeizuführen oder zu fördern: er muss ihn nur dulden. 3

Genaueres hierüber giebt die Lehre von den Strafmitteln.

I .

Die

ne

des Strafrechtsverhältnisses.

Ist die Strafe aber eine höchst persönliche Leistung des Delinquenten, so ist es verboten 1. dass er sich selbst der Strafe entziehe4. Die Selbstbegünstigung etwa in Gestalt der Flucht aus clem Gefängniss ist pflichtwidrig, wenn auch in einfacher Form mit Strafe verschont; 2. dass ein Andrer statt des Schuldigen die Strafe, sei es auch nur eine Geldstrafe, freiwillig auf sich nehme oder gar vom Gesetze für subsidiär haftbar erklärt wird. Es g i e b t k e i n e g e w i l l k ü r t e o d e r g e s e t z l i c h v o r g e s c h r i e b e n e S t e l l v e r t r e t u n g i n der Strafe 5. III. Der Pflicht des Sträflings stehen seine Rechte gegenüber: 1. auf Ende des Strafvollzugs nach vollendeter Strafe; 2. im Falle eigenen Unvermögens auf Erhaltung in der Strafanstalt auf Kosten des Staates; 3. auf bestimmte Modalitäten des Strafvollzugs, besonders das Recht auf Arbeit, im Gefängnisse auf angemessene Arbeit, und das Recht auf Ende der Einzelhaft, die drei Jahre gedauert hat. S. GB § 16, 2. 17, 4. 22, 2; 4. auf Lösung von der Freiheitsstrafe, die an die Stelle einer Geldstrafe getreten ist, durch Erlegung des ausstehenden Betrags. GB § 28, 4; 5. auf Fortdauer der vorläufigen Entlassung bei korrekter Führung. III. Die E i n h e i t des S t r a f r e c h t s v e r h ä l t n i s s e s 1 . £ 103.

1. B e s t i m m u n g derselben.

Das Strafrechtsverhältniss umfasst stets mindestens zwei Personen : den Inhaber des Strafrechts und den Sträfling. Die Möglichkeit ist aber nicht ausgeschlossen, dass bei ihm ebenso wie bei der Obligation der Gläubiger oder der Schuldner oder beide aus mehreren Personen bestehen können2. Sofort entsteht die Frage: ist solche Korrealität nach 4

S. oben S 192. Ausdrücklich anerkannt in GewO § 151 (RGBl 1883 S 239). Ueber die Vererbung der Geldstrafen und die subsidiarische Verhaftung für verwirkte Steuerstrafen s. unten die §§ 105 u. 108. 1 Die jetzt zu besprechenden Punkte sind m. W . i n der Literatur nirgends ex professo behandelt. 2 Obgleich das Strafrecht stets ein Recht der Zwangsgewalt ist, das obligatorische Recht aber nie, w i r d es vielleicht erlaubt sein, im Obligationenrecht längst eingebürgerte Begriffe auf das Strafrecht zu übertragen, nachdem die Wesensverschiedenheit beider Rechte genügend hervorgehoben ist. 5

486

I .

Die

ne

des Strafrechtsverhältnisses.

heutigem Rechte auch für die beiden Subjekte des Strafrechtsverhältnisses anerkannt? und die so wichtige, doch so wenig beachtete Vorfrage, worin zeigt sich nach geltendem Rechte die Einheit des Strafrechts ? I. N i c h t i n der E i n h e i t des S t r a f m i t t e l s . Zwar, wo sich das Strafrecht in einmaliger Verhängung eines einzigen Strafübels erschöpft, ist mehr als ein Strafrecht nicht vorhanden. Droht aber das Gesetz der gewinnsüchtigen Urkunden-Fälschung (§ 268) Zuchthaus und Geldstrafe und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, so repräsentiren die Rechte auf Verhängung aller drei Strafmittel nur drei Teile des einen Strafrechts. Man muss behaupten, das Wirklichwerden der ganzen Straffolge des Tatbestandes bedeutet die Entstehung nur eines Strafrechtes ohne Rücksicht auf die Zahl der zu verhängenden StrafiibeL II. N i c h t i n der E i n h e i t des begangenen Verbrechens. Der Einheit der Ursache entspricht nicht notwendig die Einheit der Folge. Beide fallen nicht zusammen, entweder 1. weil das eine Verbrechen von mehreren Schuldigen begangen ist. Dies bedeutet stets eine Mehrheit entstandener Strafrechte, sofern nicht ausnahmsweise für Alle ausser Einem Strafausschliessungsgründe vorliegen; oder 2. weil die mehreren Verbrechen nur ein Strafrecht erzeugen. Es giebt nicht nur zusammengesetzte aber doch einheitliche Verbrechen* sondern auch zusammengesetzte aber doch einheitliche Strafrechte, und zwar nicht nur in der Gestalt, dass jenen diese entsprächen. Sehr interessante Konsolidationen der Strafrechte treten nach GB § 73 für alle Fälle der Ideal-Konkurrenz und nach § 74 ff. bei allen Verhängungen sog. Gesammtstrafen ein. Hier wird stets dem Staate wegen mehrerer Verbrechen nur ein Strafrecht zuerkannt. III. N i cht i n der E i n h e i t der ver a n t w o r t l i c h e n Person. Denn diese kann mehreren Strafrechten verfangen sein. Auch zeigt das geltende Recht in der Tat, dass ein Strafrecht gehen kann gegen einen Hauptschuldner und einen Bürgen oder successive gegen mehrere Hauptschuldner, oder gleichzeitig gegen mehrere solche, die solidarisch haften 3. IV. E n d l i c h n i c h t i n der E i n h e i t cles S t r a f b e r e c h t i g ten. Denn allerdings giebt es Strafrechte, die mehreren Staaten gemeinsam zustehen. V. W o h l aber und a l l e i n i n der E i n h e i t l i c h k e i t dessen, was der S t a a t zu f o r d e r n h a t , also zwar n i c h t i n der 3

S. unten § 104 u. 105.

§ 104.

2. E i n Strafrecht und mehrere Berechtigte.

487

E i n h e i t des S t r a f m i t t e l s , aber der Strafe. Für diese Einheitlichkeit ist entscheidend der Inhalt der Rechtsfolge des Strafgesetzes. Wenn diese Rechtsfolge einmal lebendig geworden ist, wenn der Strafberechtigte e i n m a l zu fordern hat, was diese Rechtsfolge ihm an Strafen gewährt, dann besteht ein Strafrecht. Ist diese Einheitlichkeit der zu fordernden Leistung das allein entscheidende Kriterium für die Einheit des Strafrechts, so ist doch unleugbar, dass in der grossen Masse der Fälle das eine Strafrecht nur ein Verbrechen zum Grunde, und einen Strafberechtigten und einen Verantwortlichen zur Folge hat. Daraus entsteht die Befugniss nach exaktem Nachweise der Ausnahmen. den Satz als Regel zu handhaben, dass Einheit des Schuldigen und Einheit seiner Tat zugleich entscheidend sind für die Einheit des Strafrechts, und daraus erklärt sich die Wichtigkeit des Unterschieds von Verbrechens-Einheit und -Mehrheit für den Entscheid über Strafrechts-Einheit und -Mehrheit. Zur genauen Abgrenzung von Regel und Ausnahmen sind zunächst die letzteren festzustellen 4. £ 104. 2. E i n S t r a f r e c h t und mehrere B e r e c h t i g t e . I. Die Mitinhaberschaft an demselben Strafrechte scheidet sich scharf von den Fällen, wo aus einem Verbrechen mehrere alternative Strafrechte entspringen. So in der römischen Kaiserzeit bei den wichtigsten Privatdelikten das Recht des Verletzten auf Privatstrafe und damit alternativ konkurrirend das Recht des Staats auf die ausserordentliche öffentliche Strafe. Wenn heutzutage aus demselben Verbrechen zwei Staaten ein Strafrecht ableiten, etwa das Deutsche Reich und Frankreich oder Italien, so entstehen in Wahrheit zwei völlig gesonderte Strafrechte, die freilich denselben Entstehungsgrund und den gleichen Schuldigen teilen, bezüglich deren vielleicht der Untergang des einen auch den Untergang des andern bedeutet, welche aber durch keinen Akt der Rechtsschöpfung zu einem einzigen Strafrechte verbunden werden. Ohne solche Tat aber ist die Wandlung der Zweiheit der Rechte in Einheit unmöglich. II. Im heutigen gemeinen Rechte kann ich eine Mitberechtigung des Deutschen Reiches und eines auswärtigen Staates an demselben Strafrechte nicht finden. Aber die Zukunft dürfte diesen Gedanken vielleicht in bestimmtem Umfange verwirklichen. Ansätze dazu lassen 4 Bezüglich der Konkurrenzfalle Hinweis auf die Tatsache genügen.

mit e i n e r Strafe mag hier aber w o h l

der

488

I .

Die

ne

des Strafrechtsverhältnisses.

sich in dem interessanten Zollkartell zum Handelsvertrag zwischen Deutschland und Oesterreich-Ungarn vom 23. Mai 1881 entdecken1. III. Eine Berechtigung mehrerer deutscher Staaten an demselben Strafrechte entsteht aber dann, wenn zur Bestrafung einer durch das Reich bedrohten Handlung mehrere Staaten zuständig sind. Jeder hat das volle Strafrecht, zusammen aber haben sie nur eines. Das zeigt sich darin, dass die frühere Annahme der Klage seitens des Gerichts des einen Staates dem anderen Staate sein Strafverfolgungsrecht und damit auch sein Strafrecht nimmt. § 105. 3. E i n S t r a f r e c h t und mehrere Schuldige. Dass einem Strafrechte mehrere Personen verfangen sind, lässt sich nur auf zwei Weisen denken: entweder sie haften für die eine Strafe solidarisch, oder dieselbe Strafe wird von einem Schuldigen auf den anderen übertragen 1. In beiden Gestalten ist diese Korrealität gleich bedenklich. In der ersteren verleugnet sie den Grundsatz, dass die Strafe in festem Verhältnisse zur Schuld stehe, in der zweiten den andern, dass von zwei gleich Schuldigen jeder selbständig straffällig ist. Unser gemeines Recht aber hat sich über diese Bedenken in zwei Fällen hinausgesetzt2. 1. Die solidarische Haftung aller Teilnehmer einer Versicherungsgesellschaft, die sich gebildet hat um Kontrebandirer und Defraudanten 1 R G B l 1881 S 133 ff. (vgl. auch den österr.-deutschen Zollkartell vom 16. Dez. 1878 § 13. 17. 21. 23). S. bes. § 12—15: Verpflichtung jedes der beiden Staaten, die Uebertretung der Zollgesetze des andern Teils seinen Angehörigen und subditis temporariis zu verbieten, und die Uebertretungen mit bestimmten Strafen zu bedrohen. § 21: Die eingehenden Strafgeldbeträge „sind dergestalt zu verwenden, dass davon zunächst die . . . Gerichtskosten, sodann die dem andern Teile entzogenen Abgaben und zuletzt die Strafen berichtigt werden". § 33: V o r Begnadigungen ist die zuständige Behörde des Staats, dessen Gesetze übertreten waren, zu hören! 1 Ist der letztere unschuldig in den Augen des Rechts, so wandelt die Strafe nicht ihr Objekt, sondern ihre Natur. S. unten § 108. 2 M a n könnte versucht sein i m Pressgesetz vom 7. M a i 1874 § 21 den dritten zu finden. A l l e i n ich halte dies nicht für gerechtfertigt. Denn die Meinung des Gesetzes, dessen § 21 übrigens trotz der entschiedenen Versicherungen des Gegenteils keineswegs k l a r durchgedacht ist, geht dahin, eine Stufenleiter von Pflichten zur Hinderung von Pressvergehen aufzustellen und den Hintermann pflichtfrei zu lassen, so lange er sich auf den Vordermann verlassen kann. So entsteht principiell die kriminelle Verantwortlichkeit des Nachmanns erst, falls ein nachweislich verantwortlicher Vordermann nicht da ist. Gegen jeden Verantwortlichen aber geht ein selbständiges Strafrecht, und nicht werden Redacteur, Verleger, Drucker und Verbreiter alle nur einem Strafrechte verhaftet.

§ 10.

. Ein Strafrecht und mehrere

chige.

489

zu versichern, für die Geldsumme von 500—5000 Thalern, in welche die unvollstreckbare Konfiskation der zum Zwecke der Versicherung angelegten Fonds verwandelt worden ist, schreibt das Vereinszrollgesetz vom 1. Juli 1869 § 147 sub c Abs. 2 vor. An der Strafnatur dieser Geldsumme wird nicht zu zweifeln sein3. 2. Weit interessanter sind die jedenfalls sehr absonderlichen Bestimmungen über Vertretungsverbindlichkeit für verwirkte Geldstrafen wegen Zoll- und Steuer-Vergehen 4 5 . Das Gemeinsame dieser Satzungen besteht darin, dass, „wenn die Geldstrafen von dem eigentlich Schuldigen wegen Unvermögens nicht beigetrieben werden können", andere Personen, wie der Branntweinbrenner, der Brauer, der Tabakpflanzer u. s. w., die zu dem Schuldigen in geschäftlichen oder verwandtschaftlichen Beziehungen stehen, für diese Geldstrafen mit ihrem Vermögen haften, dass diese Geldstrafen zwar zu Ungunsten des „eigentlich Schuldigen", nie aber der subsidiarisch Verhafteten in Freiheitsstrafe umgewandelt werden dürfen, und dass diese Umwandlung den subsidiarisch Verhafteten, die Ein3

Man vgl. G o l t d a m m e r , lieber die solidarische Haftung der Teilnehmer an einer Zolldefraude für den Wertersatz der Konfiskation, in GA X I I I 1865 S 407 ff. 4 Dass diese subsidiäre Haftung lediglich eine zivilistische sei, wie ich dies Normen I I 614 A n m 930 noch gemeint, dürfte sich nicht halten lassen. — Uebrigens ist dieses Institut aus dem Preussischen Recht (s. A L R I I T . 20 § 293 und spätere Deklarationen und Gesetze) in das gemeine Recht übergegangen, ohne aus dem preussischen Partikularrecht zu verschwinden. S. Preuss. Forstdiebstahlsgesetz vom 15. A p r i l 1878 § 11. Feld- u. Forstpolizeigesetz vom 1. A p r i l 1880 § 4. Vgl. auch Bayer. StGB von 1861 A r t . 288. 5 Es kommen hier in Betracht 1. Branntweinsteuergesetz vom 8. J u l i 1868 § 66, womit fast wörtlich übereinstimmt 2. Ges, betr. die subsidiäre Haftung des Brennereiunternehmers, vom 8. J u l i 1868 und welche Satzung i m 3. Ges, betr. die Steuerfreih. des Branntweins u. s. w., vom 19. J u l i 1879 § 4 für analog anwendbar erklärt wird. 4. Vereinszollgesetz vom 1. J u l i 1869 § 153, für anwendbar erklärt i m 5. Ges, betr. die Statistik u. s. w. v. 20. J u l i 1879 § 17. 6. Brausteuergesetz vom 31. M a i 1872 § 38. 7. Kartenstempelgesetz vom 3. J u l i 1878 § 18. 8. Tabakssteuergesetz vom 16. J u l i 1879 § 43. — Natürlich interessirt hier nur die gemeinrechtliche F o r m des Instituts. Die Erscheinung ist i n der L i t e r a t u r sehr spärlich behandelt. S. bes. Beschluss des Preuss. O T r vom 4. J u l i 1861 (GA I X 690); Urteil dess. Gerichts vom 19. Febr. 1863 (das. X I 348), vom 9. A p r i l 1879 (das. X X V I I 403). V o n Reichsgerichtsentsch. kommen i n Betracht R G I I I vom 24. März und vom 6. Nov. 1880, vom 25. M a i 1882, vom 7. Juni 1883 ( Ε I 334 ff., I I I 105 if., V I 382 ff., V I I I 362 ff.). Vgl. ferner Nonnen I I 614 A n m 930; K r o n e c k e r in GA X X V I I I 1880 S 16 ff., der auffallenderweise nur das Preuss. Recht bespricht, das gemeine Recht aber ganz bei Seite lässt; L o e b e , Das deutsche Zollstrafrecht. Berlin 1881. S 107 ff.; v. L i s z t , Lehrbuch S 229. 230.

490

I .

Die

ne

des Strafrechtsverhältnisses.

treibung der Geldstrafe von diesem aber den eigentlich Schuldigen befreit. Die Absicht dieser von fiskalischen Interessen ungebührlich beeinflussten Gesetze geht durchaus nicht darauf die Strafe auf Unschuldige zu übertragen. Vielmehr bildet entweder der Nachweis einer culpa in eligendo oder die Schuldpräsumtion die Brücke, die „vom eigentlich Schuldigen" zum subsidiarisch Verhafteten hinüber führt, und zwar wird, wo die Annahme einer culpa in eligendo entfällt, eine Mitwisserschaft und demgemäss eine schuldhaft unterlassene Hinderung des subsidiarisch Verhafteten präsumirt 6 : an diesen Tatbestand knüpft dann die in Freiheitsstrafe nicht zu verwandelnde Geldstrafe an. Da im heutigen gemeinen Recht stets eignes Verschulden des subsidiär Verhafteten angenommen7 und die Haftung streng auf dies persönliche Verschulden begründet ist, kann hier von einer aus öffentlich-rechtlichen Gründen erfolgten „Ausgestaltung der zivilen Haftung für fremde S c h u l d " 8 kaum gesprochen werden. Vielmehr ist der Grundgedanke ein andrer. Der Staat legt auf die Durchsetzung seines Strafrechts solches Gewicht, dass er sich für den Fall der Schuld des subsidiarisch Verhafteten aus diesem einen k r i m i n e l l e n B ü r g e n schafft. Kraft seiner Verschuldung wird der Bürge — um im zivilistischen Bilde zu bleiben — , wenn der eigentlich Schuldige leistungsunfähig ist, verpflichtet für dessen Leistung aufzukommen. Freilich ist dieser Gesichtspunkt nicht mit voller Konsequenz festgehalten. Der Gedanke die fahrlässige Auswahl oder die fahrlässige NichtG

I n allen Gesetzen der vorigen A i i m ist dies ausdrücklich gesagt, nur i m Vereinszollgesetz zu § 153 N r 2 nicht. Aber auch hier ist mindestens an culpa i n eligendo gedacht. Vgl. R G I I vom 28. M a i 1880 (E I I 72): „ D e r strafrechtliche Gesichtspunkt, unter welchen hiernach das Verhalten des Brennereibesitzers fällt, ist derjenige einer formalen Omission." N i c h t ist er Teilnehmer an dem Delikt des „eigentlich Schuldigen". 7 Die culpa i n eligendo muss nachgewiesen sein i n den Ges A n m 5 sub 1. 2. 3. 6 ; die Haftung fällt weg durch den Nachweis, das D e l i k t sei „ohne Wissen" des subsidiär Verhafteten verübt, nach den Ges das. sub 4. 5. 7. 8. N u r Eisenbahnverwaltungen und Dampfschiffahrtsgesellschaften ist i n dem Vereinszollgesetz § 153 ein solcher Nachweis nicht nachgelassen. 8 So v. L i s z t i n seinen verdienstl. Ausführungen S 229. Auch K r o n e c k e r erklärt „diese Haftung für ein Institut des Zivilrechts". A u c h dann, wenn man die Forderung des Staats i n diesen Fällen nicht als auf Strafe gehend betrachtet, würde sie nicht zivilrechtlicher, sondern publizistischer Natur sein. Sie wäre dann aber der Gnade gerade so unzugänglich, wie wenn man sie dem Zivilrecht zuwiese.

§ 10.

. Ein Strafrecht und mehrere

chige.

491

hinderung an dem Schuldigen zu ahnden, wird im Vereinszollgesetz § 153, 2 wieder verlassen: denn nicht die Vorstände von Eisenbahnverwaltungen und Dampfschiffahrtsgesellschaften, sondern diese selbst, also unter Umständen sogar der Fiskus, haften für ihre Angestellten und Bevollmächtigten. Nun wäre gegen die kriminelle Verantwortlichkeit der culpa in eligendo sehr viel, gegen die der Nichthinderung weit weniger einzuwenden; aber die Anerkennung einer subsidiären kriminellen Haftung für den Fall der Insolvenz des „eigentlich Schuldigen" ist allein schon höchst anstössig; sie wird geradezu verwerflich, wenn diese subsidiär Haftenden zu k r i m i η e i l en B ü r g e n gestempelt werden, d. h. wenn ihnen nicht Strafe wird nach Maass der eigenen Schuld, sondern wenn sie wegen ihrer Schuld einfach aufzukommen haben für fremde Strafen, die von dem „eigentlich Schuldigen" unvermindert auf sie, die „eigentlich Unschuldigen", jedenfalls die weit weniger Schuldigen übertragen werden. Aus dieser ihrer Bürgschaft für jeden Einzelnen der „eigentlich Schuldigen" folgt auch unanfechtbar, aber darum nicht minder bedenklich, dass wenn mehrere der eigentlich Schuldigen, für die Jemand subsidiär haftet, gemeinsam defraudiren oder kontrebandiren, jeder Hauptschuldige nur für eine Strafe, der subsidiarisch Haftende aber für a l l e Strafen in Anspruch genommen werden kann, und weiter, dass wenn beispielsweise der Brennereibesitzer seinen Arbeiter zu einer Steuerdefraudation anstiftet, die Bestrafung des Besitzers wegen seiner Hauptschuld seine Bestrafung als Bürgen nicht ausschliesst, dass er also die Strafe zweimal zu zahlen hat 9 . Es folgt daraus nicht minder — obgleich kein einziges Gesetz diese Konsequenz ausdrücklich zieht —, dass die Begnadigung des eigentlich Schuldigen den Bürgen freimacht, und dass die Verjährung des Strafklagrechts aus dem prinzipalen Delikt — aber nur diese — auch die Inanspruchnahme des Bürgen ausschliesst10. Als juristische Bildung ist dieses Strafe schuldende Subjekt mit zwei Häuptern interessant genug: aber des gerechten Staates würdig ist die Aufstellung einer kriminellen Bürgschaft kaum. 9 Leider ganz richtig das eingehende R G I I I vom 6. Nov. 1880 (E I I I 105 ff.). Ebenso L o e b e a. a. 0 . zu § 153 A n m 2 ; v. L i s z t S 230. And. Mein. — materiell gerechter — RG I I I vom 24. März 1880 ( Ε I 334 ff.). 10 Bezüglich der Verjährung and. Mein. RG I I I vom 25. M a i 1882 (E V I 382 ff.): danach soll die Klage aus der Schuld des subsidiär Verhafteten, wenn ich recht verstehe, selbständig nach E G § 7 verjähren, v. L i s z t S 229 w i l l gar m i t Bezug auf die Verjährung die Grundsätze des Zivilrechts anwenden.

492 D. Die W a n d l u n g e n des S t r a f r e c h t s v e r h ä l t n i s s e s . § 106.

1. A r t e n derselben. W a n d l u n g e n i n n e r h a l b desselben S t r a f rechts Verhältnisses.

Entstandene Strafrechtsverhältnisse unterliegen den mannigfaltigsten Umwandlungen1. Diese alle aber lassen sich auf drei Grundformen zurückführen: 1. D i e W a n d l u n g f i n d e t s t a t t i n n e r h a l b eines und desselben S t r a f r e c h t s v e r h ä l t n i s s e s , das i n v o l l e r Abg e s c h l o s s e n h e i t zu E n t s t e h u n g g e k o m m e n ist. 2. E i n S t r a f r e c h t wächst m i t seinem G r u n d e oder s c h l ä g t i n ein andres um — eine WTandlung, welche ich als Wachstum oder Novation der Strafrechte bezeichnen werde (s. unten § 107). 3. Das S t r a f r e c h t w a n d e l t seine N a t u r : die ihm entsprechende Leistung hört auf Straferduldung zu sein (s. unten § 108). ad 1. Innerhalb desselben Strafrechtsverhältnisses ist möglich: I. ein W a n d e l i m S u b j e k t des B e r e c h t i g t e n . Schon oben wurde darauf hingewiesen, wie die abgeleiteten Strafrechte der einzelnen deutschen Staaten durch Verlegung der Kompetenzgründe von einem Staate zum andern, wie sie durch Begründung des forum connexitatis beim Reichsgericht zum Reiche zurück wandern können. Ebenso ist des Rückfalls der Gemeindestrafrechte an den Staat gedacht worden 2. Mit dem Inkrafttreten des Reichsgerichts und der Bestimmung des GVG § 136, 1 sind die Strafrechte aus Hoch- und Landes-Verrat wider Kaiser und Reich, soweit über sie nicht am 1. Okt. 1879 schon erkannt war, von den Staaten auf das Reich übergegangen. Interessanter ist der Fall einer Succession deutscher Staaten, richtiger des Deutschen Reiches, in ausländische Strafrechte, den StGB § 4 a. E. regelt 3. Wenn auch das ausländische Strafrecht nicht schon dadurch erlischt, dass die Verfolgung der Tat in Deutschland beginnt, wenn also auch zeitweise zwei Strafrechte, das des Auslandes und das 1 Gerne verweise ich auf die Aeusserung F r a n c k e s , GA X X 29: „ A u c h die Möglichkeit der V e r ä n d e r u n g (des Strafanspruchs) w ä h r e n d d e s B e s t e h e n s w i r d nicht ausgeschlossen sein, weder, was die Personen, also den Berechtigten oder den Verpflichteten, noch was den Inhalt, also den Umfang oder die A r t des Anspruchs angeht." 2 S. oben S 482. 483. 3 E r ist eingehend oben i n § 92 besprochen. — Vgl. auch die analoge Bestimmung i m Rechtshilfegesetz vom 21. Juni 1869 § 27. — Die Bedeutung des GB § 4 a. E . ist bisher allein richtig erkannt von F r a n c k e a. a. 0 . S 32. 33.

g 106.

1. Wandl. innerli. dess. Strafrechtsverhältnisses.

493

des Deutschen Reiches existiren, so erklärt sich doch das Erforderniss des ausländischen Antrags und die Vorschrift, es sei das ausländische Strafgesetz anzuwenden, soweit es das mildere sei, nur aus dem Gesichtspunkt des Rechtsnachfolge. II. E i n W a n d e l im S u b j e k t e des S t r ä f l i n g s ist nur in den seltenen Fällen möglich, wo von dem Hauptschuldner auf den kriminellen Bürgen gegriffen werden kann 4 . III. E i n W a n d e l i n der Z a h l der e n t s t a n d e n e n S t r a f rechte. Wer eines Verbrechens schuldig ist und vor dessen Aburteilung ein neues begeht, bezüglich dessenfliessen gemäss GB § 74 if. die zwei entstandenen Strafrechte in eins zusammen5. IV. Sehr häufig tritt die W a n d l u n g i m I n h a l t e ein, dergestalt, dass sich die Strafe ihrem Gehalte nach ändert. 1. Solche Aenclerung greift stets bezüglich der beim Inkrafttreten eines neuen Gesetzes noch nicht rechtskräftig festgestellten Strafrechte aus früherer Zeit Platz, falls das neue Gesetz nicht jede Rückwirkung ausschliesst. Das deutsche Strafgesetzbuch hat dies nicht getan. Vom 1. Januar 1871 bez. 1872 durfte nur auf die gemeinrechtlichen Strafarten erkannt werden (EG § 6) und „bei Verschiedenheit der Gesetze von der Zeit der begangenen Handlung bis zu deren Aburteilung ist das mildeste Gesetz anzuwenden" (GB § 2, 2). Beide Satzungen bewirken eine gewaltige Umwandlung der Strafrechte aus früherer Zeit, und diese ist um so interessanter, als sie Strafrechte ergreift, die gar nicht dem Norddeutschen Bunde, sondern den einzelnen deutschen Staaten eigentümlich waren. 2. Bei der Cession ausländischer Strafrechte an Deutschland findet, soweit diese Strafrechte sich nun nach deutschen Gesetzen bestimmen sollen, eine analoge Umwandlung statt: sie werden aus dem fremden in deutsches Recht übersetzt6. 3. Aber auch auf dem Boden derselben Gesetzgebung zeigt sich gleiches. Die Erscheinung der Strafumwandlung, die auch Strafrückverwandlung sein kann (GB § 28, 4), ist bekannt7. Ausserdem aber ist auf den Substanzverlust aufmerksam zu machen, den in Konkurrenzfällen Strafrechte dadurch erleiden können, dass ihre Neigung sich zu sumniiren auf die unübersteigliche Schranke der in GB § 74, 3. 75, 3. 77, 2 zugelassenen Maxima für Konkurrenzstrafen stösst. 4 5 6 7

S. oben § 105. S. F r a n c k e a. a. 0 . S 33. S. oben S 438. 439 und GB § 4 N r 3 a. E. Sie ist in Buch I V des näheren darzustellen. Vgl. B i n d i n g , Grundr. § 104.

494 § 107. 2. W a c h s t u m und N o v a t i o n der Strafrechte. Der Strafgesetzgeber ordnet seine Strafdrohungen von der finden Täter des vollendeten Verbrechens bestimmten abwärts und rückwärts nach der Seite des Versuchs und der Vorbereitungshandlungen hin. Die verbrecherische Handlung aber durchläuft denselben Weg in der umgekehrten Richtung: sie verschreitet von der Vorbereitung zur Ausführung, vom entfernten zum nahen Versuche, von da zur Vollendung, von der Vollendung des einfachen vielleicht noch zu der des geschärften Verbrechens. Damit ist eine doppelte Möglichkeit der Wandlung entstandener Strafrechte gegeben. I. Ein Strafanspruch kann nach seiner Entstehung im Inhalt wachsen innerhalb des Rahmens eines relativ bestimmten Strafgesetzes. Der entfernte Versuch entwickelt sich zum nahen, der Versuch zur Vollendung, diese schreitet vorwärts in Gestalt des fortgesetzten Verbrechens (Wachstum der Strafrechte). II. Es k a n n eine N o v a t i o n der S t r a f r e c h t e e i n t r e t e n . Ist für die Einheitlichkeit des Strafrechts der Inhalt der Rechtsfolge des einzelnen Strafgesetzes entscheidend, so bedeutet die Basirung des Strafrechts auf ein anderes Strafgesetz auch ein anderes Strafrecht. Nun können aber entstandene Strafrechte ihre gewonnene gesetzliche Grundlage mit einer andern vertauschen, sie können von Gesetz zu Gesetz springen: es entstehen dann andere Strafrechte und zwar mit der Folge des Untergangs der alten als selbständiger Strafrechte. Es findet eine N o v a t i o n statt 1 . Diese Novation nimmt aber eine doppelte Gestalt an. Die verschiedenen Strafgesetze, die ein entstandener Strafanspruch sozusagen durchlaufen kann, stehen nämlich entweder zu einander im Verhältniss des schärfenden zum einfachen Gesetze oder aber in dem der Subsidiarität. Es ist nun 1. sehr wohl möglich, dass ein fortgesetzter Diebstahl in späteren Akten Qualifikationen annimmt oder in einfachen oder geschärften Raub übergeht. Nimmt der eingedrungene Dieb erst Sachen vom Schranke, dann Sachen aus dem erbrochenen Schranke, und vergewaltigt er während dessen den herbeigeeilten Hausherrn um weiter zu stehlen, so konkurriren nicht einfacher und geschärfter Diebstahl und Raub, sondern es liegt nur ein Diebstahl mit mehreren successive!! 1 Sie ist bisher wenig beachtet und die einschlagenden Fälle haben Unsicherheit bezüglich ihrer Beurteilung erzeugt. W e n n ich das Fortschreiten des Versuchs zur Vollendung nicht hierher rechne, so hat dies seinen Grund darin, dass die Strafdrohung für den Versuch nur aus technischen Gründen von der für die \ r ollendung getrennt wird, in W a h r h e i t aber mit ihr ein Ganzes bildet.

§ 107. 2. Wachstum u. Novation der Strafrechte.

495

Qualifikationeil vor, und die Strafe des Falles in seinem schwersten Bestandteile nimmt die vorher entstandenen milderen Strafen in sich auf 2. N o v a t i o n m i t m a t e r i e l l e m F o r t b e s t a n d des a l t e n S t r a f r e c h t s i m neuen. 2. Wichtiger aber ist die Beachtung der Gesetzes-Subsidiarität in dieser ihrer Wirkung. Hier ändert sich mit der Handlungsweise des Verbrechers häufig der Gesichtspunkt seiner Bestrafung fundamental. Es gilt die Regel: d u r c h l ä u f t j e n e d i e T a t b e s t ä n d e e i n ander s u b s i d i ä r e r Strafgesetze, so i s t a l l e i n wegen der H a n d l u n g des p r i n c i p a l en Gesetzes und a l l e i n m i t dessen Strafe zu strafen. Also nur wegen Mordes, wenn Jemand eine hilflose Person mit Gefährdungsvorsatz auszusetzen beginnt und die Aussetzung mit Tötungsvorsatz Überlegterweise fortsetzt; nur wegen Körperverletzung, wenn er einen Hund erst im Scherz, dann aber mit Verletzungsvorsatz auf einen Andern hetzt; nur wegen Täterschaft, wenn der Gehilfe 3 oder der Anstifter sich in den Täter 4 , und nur wegen Anstiftung, wenn der Gehilfe sich in den Anstifter eines Mittäters, oder wenn derjenige, der schon nach § 49 a strafbar geworden ist, sich in einen Anstifter 5, oder wenn der Urheber der Bestechung sich in einen Anstifter zum Amtsverbrechen verwandelt 6; nur wegen 2 Es gilt dies auch, wenn sich ein einfacher vollendeter Diebstahl i n Versuch eines Diebstahls mit Einbruch u. s. w. fortsetzt (s. unten die Lehre vom fortgesetzten Verbrechen). — Die analoge Erscheinung kann bei sog. alternativen Strafgesetzen r i a t z greifen. Jemand setzt in betrügerischer Absicht einen gegen Feuersgefahr versicherten Holzstoss neben einem Wohnhaus i n Brand: es ist i h m unerwünscht, aber er billigt, dass das Haus mit niederbrennt. Sobald das Haus Feuer fangt, ist nicht mehr nach § 265, sondern nach § 306 zu strafen. 3 Sehr gut RG I I I vom 5. M a i 1884 ( Ε X 410): „ W o h l aber haben die Beihilfehandlungen . . . rechtlich aufzugehen i n dem Begriffe desjenigen Unternehmens der Hinterziehung des Eingangszolls, welches er (der Angeklagte) demnächst selbständig . . . verübt hat." 4 Ja, wer jemanden anstiftet zur Begünstigung eines morgen zu begehenden Diebstahls, und nun hinterher Mittäter an diesem Diebstahl w i r d , ist nur wegen Diebstahls und nicht wegen Anstiftung zur Hehlerei zu strafen. — Einen interessanten Beleg für die Konsumtion einer Täter- durch eine Anstifterstrafe bietet die intellektuelle Urkundenfälschung (§ 271) i n ihrem Verhältnisse zum Amtsverbrechen des § 348. W e n n derjenige, der den falschen Eintrag durch den getäuschten Beamten bewirkt, etwa die Fortsetzung desselben mittels Anstiftung des enttäuschten eintragenden Beamten zu Stande b r i n g t , so ist er als Anstifter nach GB § 348 und § 48, und nicht nach § 271 zu strafen. 5 Ueber das abweichende R G I v. 3. Dezember 1883 s. oben § 75 A n m 4. 6 Unklar O p p e n h o f f zu § 333 A n m 10 und O T r vom 21. Febr. 1872 (bei Ο X I I I 161). Noch unklarer S c h w a r z e , Komm, zu § 333 A n m 7, der meint, bei

496

IV. Die Wandlungen des Strafrechtsverhältnisses.

Teilnahme am Verbrechen, wenn der Urheber der unterlassenen Anzeige sich nachher zur Mitausführung desselben herbeilässt; nur wegen Versuchs, wenn der Urheber der strafbaren Vorbereitungshandlungen nachher zum Versuch cles vorbereiteten Verbrechens fortschreitet; nur wegen Zweikampfs, wenn der Urheber der Forderung nachher Zweikämpfer, und nur wegen Körperverletzung, wenn der strafbare Teilnehmer am Raufhandel nachher Urheber einer schweren Körperverletzung in demselben wird. N o v a t i o n ohne m a t e r i e l l e n F o r t b e s t a n d des a l t e n S t r a f r e c h t s im neuen. § 108. 3. U m w a n d l u n g cles Strafrechts i n ein N i c h t strafrecht. Es ist möglich, dass der Staat durch Verhängung einer Strafe ausser dem Zwecke aller Strafzufügung noch einen Nebenzweck erreichen will, und dass letzterer in erste Linie tritt, wenn der Strafzweck selbst sich im Einzelfall als unerreichbar darstellt. Das Recht des Staates auf Verhängung der sog. Strafe dauert dann fort, allein in Wahrheit ist das Strafrecht in ein Recht anderer Art umgeschlagen. Im heutigen gemeinen Rechte finden sich solche Wandlungen nur bezüglich der Rechte auf Vermögensstrafen. I. Es giebt kein vollstreckbares Strafrecht, das nicht durch rechtskräftiges Strafurteil dem Staate wider einen bestimmten Schuldigen zuerkannt wäre. Unmöglichkeit der Verfolgung und Verurteilung des Schuldigen heisst Untergang des Strafrechts. Durch die Begehung einer Straftat, welche mit der Nebenstrafe der Konfiskation (GB § 40) oder der Vernichtung von Vermögenswerten (GB § 41) bedroht ist, erlangt der Staat ein Recht auf die dem Schuldigen gehörigen Gegenstände, welche durch die strafbare Handlung hervorgebracht sind oder zu ihrer Begehung gebraucht oder bestimmt waren, und ein Recht auf Unbrauchbarmachung der strafbaren Schriften, Abbildungen Anstiftung zu Amtsverbrechen durch Bestechung entscheide der s p e c i e l l e Tatbestand des § 333, bei Anstiftung zu gemeinen Verbrechen durch Bestechung liege aber stets Realkonkurrenz von Bestechung und Anstiftung vor. W a r u m aber die Anstiftung zu Amtsverbrechen mittels B e s t e c h u n g privilegirt, die zu gemeinen Verbrechen mittels Bestechung qualifizirt werden soll, darüber weiss S c h w a r z e natürlich nichts zu sagen. N u r da, wo die der Anstiftung gedrohte Strafe geringer sein sollte, als die der Bestechung gedrohte, liegt Alternativität der Strafgesetze vor und kommt § 333 zur Anwendung. (Aus dem bei St I I I 37 angeführten Beschluss des Württemb. O T r vom 12. J u l i 1873 lässt sich dessen Ansicht nicht mit Sicherheit entnehmen.)

§ 108. 3. Umwandl. des Strafrechts in ein Nichtstrafrecht.

497

oder Darstellungen, sowie der zu ihrer Herstellung bestimmten Platten und Formen 1. Diese Rechte entspringen lediglich strafbaren Handlungen; sie sind an erster Stelle Strafrechte, an zweiter dienen sie zu den polizeilichen Zwecken, dem Schuldigen die weitere Benutzung seiner verbrecherischen Werkzeuge unmöglich zu machen, den Geschädigten vor weiterem Schaden zu bewahren und die Produkte des Verbrechens zu beseitigen. Ihre letzte Funktion kann fortdauern, auch wenn ihre erste versagt. Und so bestimmt GB § 42 in durchaus zu billigender Weise: „Ist in den Fällen der §§ 40 und 41 die Verfolgung oder die Verurteilung einer bestimmten Person (tatsächlich) nicht ausführbar, so können die daselbst vorgeschriebenen Maassnahmen selbstständig erkannt werden." Sie w e r d e n dann vom S t r a f r i c h t e r als F o l g e n s t r a f b a r e r H a n d l u n g e n a n g e o r d n e t e P o l i z e i Maassregeln2. 2. Gegen den toten Schuldigen ist Strafvollstreckung unmöglich. Erklärt GB § 80 die zu seinen Lebzeiten rechtskräftig erkannte Geldstrafe für in den Nachlass vollstreckbar, so w a n d e l t das Gesetz ein S t r a f r e c h t in ein p u b l i z i s t i s c h e s F o r d e r u n g s r e c h t 3 . Dieser Verwandlung aber fehlt der gute Grund, den die oben besprochene besitzt: die Geldstrafe hat gar nicht den Zweck den Fiskus zu bereichern, wenn sie auch meist diese Reflexwirkung übt. Fällt also bei der Geldstrafe der Strafzweck fort, so bleibt kein Zweck mehr übrig, um dessentwillen die Umwandlung des Strafrechts geschehen dürfte 4. 1 S. auch Ges betr. die Bezeichnung . . . der Schankgefässe vom 20. J u l i 1881 § 5. 2 Richtig O p p e n h o f f zu § 42 A n m 1; O l s h a u s e n zu § 42 A n m 1 ; M e y e r § 50 S 320. 321; H ä l s c h n e r I 633; v. L i s z t S 329. Eingehender bekämpft von F r a n c k e , G A X X 19 if. — Das Detail ist in der Lehre von den Vermögensstrafen zu behandeln. — Interessant ist übrigens, dass i n den Strafgesetzen hie und da Rechte anerkannt werden, welche bald Strafrechte sind, bald nicht. Dies geschieht überall da, wo Einziehung angeordnet i s t , einerlei ob die einzuziehenden Gegenstände dem Verurteilten gehören oder nicht. S. GB § 295. 296 a. 360 a. E. 367 a. E . ; Nahrungsmittelgesetz vom 14. M a i 1879 § 15. Im letzteren Falle handelt es sich um Enteignungsrechte gegen Unschuldige. Richtig M e y e r § 50 S 321; ν. L i s z t S 229. And. Mein. F r a n c k e , GA X X 21. 22. 3

Die Bedeutung dieses Vorgangs verkennt F r a n c k e a. a. O. S 33. Es ist möglich, dass ein positives Recht die subsidiäre Haftung für fremde Geldstrafen ganz nach dieser Analogie behandelt. Dies ist aber im heutigen ge- . meinen Rechte nicht geschehen. 4

Binding, Handbuch. V I I . 1. I : B i n d i n g , Strafrecht. I .

32

Zweite Abteilung. Die Gründe der Entstehung des Strafrechtsverhältnisses. § 109.

Einleitung.

I. Die beiden unumgänglichen Voraussetzungen für die Mögl i c h k e i t der E n t s t e h u n g des S t r a f r e c h t s sind Existenz der Norm und Existenz eines durch sie gebundenen, zu ihrer Befolgung wie zu ihrer Uebertretung befähigten Menschen. Wann nun bei Vorhandensein dieser Bedingungen ein Strafrecht wirklich entsteht, darüber sind verschiedene Auffassungen denkbar, und sie alle haben geschichtliche Anerkennung gefunden. 1. E i n z i g e V o r a u s s e t z u n g des S t r a f r e c h t s i s t die schuldhaft normwidrige Handlung. Jede solche gilt als straffähig, und es wird dem Straf berechtigten überlassen, wann er sein Strafrecht ausüben will, wann nicht. 2. Die schuldhaft normwidrige Handlung genügt nicht, es muss v i e l m e h r d u r c h einen p o s i t i v e n Rechtssatz i h r e S t r a f bar k e i t a n e r k a n n t sein. Delikt und Strafdrohung bedingen das Strafrecht. 3. Noch weitergehende Forderung lässt nicht jede positive Strafdrohung genügen, sondern verlangt auch noch die g e s e t z l i c h e F o r m derselben. Delikt und Strafgesetz bedingen das Strafrecht l. 4. Sobald zu dessen Entstehung positive Strafdrohung erfordert wird, ist denkbar, ja nicht selten, dass der Gesetzgeber solchenfalls bestimmt, ausser dem mit Strafe bedrohten Delikte solle noch ein anderes, von ihm unabhängiges, etwa ein Antrag des Verletzten oder 1 Dies Erforderniss positiver Strafdrohung in 2 u. 3 lässt sich wieder zwiefach abgestuft denken: entweder muss die Strafdrohung dem Delikt zeitlich vorangehen oder sie kann i h m auch zeitlich folgen.

§ 109.

499

Einleitung.

völkerrechtliche Reciprocität Voraussetzung des subjektiven Strafrechtes sein. Ausser dem Strafgesetze werden dann noch zwei weitere Bedingungen gefordert: das Delikt und die ausser ihm liegende Bedingung. II. Nun entbehrt die deutsche Sprache des bezeichnenden Wortes für die schuldhaft normwidrige Handlung, einerlei ob sie strafbar ist oder nicht 2 . Sie soll in der Folge das „ D e l i k t " genannt werden, da die Römer dies Wort zwar im engeren Sinne für das Privatdelikt, im weiteren aber für alle widerrechtlichen Handlungen gebraucht haben3. Das D e l i k t , so w e i t es s t r a f b a r i s t , h ei s st Verbrechen 4 . Die obige Entwicklung hat gezeigt, wie der Verbrechensbegriff im Bestände seiner Merkmale geschichtlicher Wandlung unterliegt, somit stets nur auf Grund eines bestimmten positiven Rechts vollständig definirt werden kann. Gehört zum Verbrechen positive Strafdrohung wider das Delikt, so umfasst das Wort streng genommen zwei notwendig konkurrirende Voraussetzungen des Strafrechts: die widerrechtliche Handlung und ihre Subsumirbarkeit unter ein Strafgesetz. Dennoch sollen in der Folge 1. einfach b e d i n g t e S t r a f r e c h t e a l l e d i e j e n i g e n gen a n n t werden, zu deren E n t s t e h u n g es n u r des V e r brechens b e d a r f ; 2. d o p p e l t oder m e h r f a c h b e d i n g t e S t r a f d r o h u n g e n a l l e d i e j e n i g e n , zu deren E n t s t e h u n g es neben dem V e r b r e c h e n noch a n d e r e r V o r a u s s e t z u n g e n bedarf. . Die einzige eiserne Voraussetzung des Strafrechts ist somit das V e r b r e c h e n , natürlich gefasst als der einzelne verbrecherische Vorgang, als einzelner Verbrechensfall. 2

I h r „Unrecht" ist häufig Bezeichnung für einen Zustand; „Uebertretiing" wäre bezeichnend, w i r d aber nie i n diesem Sinne gebraucht. 3 Ganz richtig giebt D i r k s e n , Manuale s. v. delictum als erste Bedeutung des Wortes an: „factum illicitum qualecumque". S. die Belege, denen ich noch sehr viele beifügen könnte, daselbst. — Der von mir i n den Normen gemachte \ r orschlag abweichend vom herrschenden Sprachgebrauch D e l i k t und Verbrechen scharf zu scheiden, hat mehrfach Beifall, aber noch mehr Widerspruch gefunden. Das Bedürfniss der Unterscheidung ist aber zweifellos, und die Bezeichnung der beiden verschiedenen Begriffe scheint m i r leicht verständlich und zutreffend. 4 W i r dürfen uns durch GB § 1 diese generelle Bezeichnung nicht verkümmern lassen. Verbrechen umfasst in diesem Werke überall die Summe aller strafbaren Delikte, wo nicht ausdrücklich eine Einschränkung zugefügt ist. Verbrechen i m Sinne von GB § 1 ist immer „ Verbrechen" geschrieben.

32*

500

Erstes Kapitel. Das V e r b r e c h e n 1 . § 110. Die d r e i zu e r ö r t e r n d e n H a u p t b e g r i f f e . Das Urteil, ein Lebensvorgang sei eine Spezies bestimmter Verbreehensart, setzt die drei Begriffe des Verbrechens, der Verbrechensart und des Verbrechensfalles voraus. Der erste ist historisch der letzt errungene. I. Der B e g r i f f des V e r b r e c h e n s besagt, dass eine Reihe von Lebensvorgängen in bestimmten Merkmalen übereinstimme und sich durch dieselben von allen andern Lebensvorgängen unterscheide. Diese charakteristischen Merkmale bilden dann die konstitutiven Merkmale des Verbrechensbegriffes, welche regelmässig als die a l l g e m e i n w e s e n t l i c h e n M e r k m a l e des V e r b r e c h e n s bezeichnet werden. II. Der B e g r i f f der V e r b r e c h e n s a r t besagt, dass eine Reihe verbrecherischer Lebensvorgänge sich durch bestimmte Merkmale von allen anderen verbrecherischen und nicht verbrecherischen Lebensvorgängen unterscheide. Er enthält das doppelte Urteil: es sei die Handlung Verbrechen überhaupt und Verbrechen bestimmter Art. Das zweite Urteil schliesst allerdings das erste in sich. Die konstitutiven Merkmale der einzelnen Verbrechensart heissen gewöhnlich die besonders w e s e n t l i c h e n M e r k m a l e des V e r brechens. Da aber die Merkmale des Verbrechensbegriffes nichts anderes sind als die übereinstimmenden Merkmale aller Verbrechensarten, so ist selbstverständlich, dass die allgemein wesentlichen Merkmale des Verbrechens stets insgesammt in den besonders wesentlichen Merkmalen der einzelnen Verbrechensgattung vorkommen: sie sind die identischen besonders wesentlichen Merkmale aller Verbrechensarten; 1

H 2 179—186. Β 71. 74. Sell 29. 80. M 22. G 84. L 14. 15. 22. 30 bis 32. H 19. 113. 114. W 43. W V 48. 51. 52. Κ 4. 5. 38. 111. 112. S c h a p e r bei H H I I 1 0 8 - 1 1 1 . G e y e r bei H H I V 89. 90. L i 23. Gey 18. — S t ü b e l , Ueber den Tatbestand der Verbrechen. Wittenberg 1805. — B i r n b a u m , Ueber das Erforderniss einer Rechtsverletzung zum Begriffe des Verbrechens, A N F 1834 S 149 ff. — L u d e n , Ueber den Tatbestand des Verbrechens nach gemeinem teutschen Rechte (der Abhandlungen Bd. 2). Göttingen 1840. S 1—112. — B e r n e r , Ueber den Begriff des Verbrechens, A N F 1849 S 442 ff. — G e y e r , untét demselben T i t e l in Haimerls Oesterr. Vierteljahrsschrift I X 1862 S 215 ff.

§ 110.

Die drei zu erörternden Hauptbegriffe.

501

sie bilden also stets einen bald grösseren, bald kleineren Bruchteil der besonders wesentlichen Merkmale. Der Begriff der einzelnen Verbrechensart kann aber mit verschiedenem Radius umschrieben werden. Das zwei Verbrechensarten Unterscheidende ist nie allein die Strafe, welche bei den verschiedensten Verbrechen die gleiche sein kann, liegt vielmehr immer im Tatbestande der verbrecherischen Handlung. Im engsten Sinne ist eine V e r b r e c h e n s a r t jede Gruppe verbrecherischer Handlungen, welche als einheitliche Quelle von Straffolgen anerkannt und wenn auch nur durch das geringste Merkmal von allen anderen verbrecherischen Handlungen konstant unterschieden wird. In diesem engsten Sinne bildet der Diebstahl mit Einbruch eine andere Verbrechensart als der Diebstahl mit Einsteigen,· die gefährliche Körperverletzung ein anderes Verbrechen als die einfache und die schwere. Haben aber verschiedene Verbrechensarten einen Teil ihrer besonders wesentlichen Merkmale gemeinsam, wie z. B. die sämmtlichen Diebstähle, oder aber lassen sich einzelne derartige Merkmale einem höheren Begriff unterstellen, wie z. B. beim Tötungsverbrechen die des Vorsatzes und der Fahrlässigkeit sich dem der S c h u l d unterordnen, so entstehen durch dieses Generalisiren oder jenes Zusammenfassen der gleichen und Ignoriren der ungleichen Verbrechensmerkmale Verbrechensarten grösseren Umfangs. In demselben Augenblicke aber kann nur noch annähernd angegeben werden, welcherlei Strafansprüche diese Verbrechensart erzeugt, wenn dies überhaupt noch möglich ist 2 3 . Je grösser der Durchmesser der Verbrechensart gezogen wird, um so mehr Verschiedenheiten der Glieder dieser Art müssen ignorirt werden. Ja um zwecks Systematisirung der Verbrechen sehr grosse Verbrechensarten zu erhalten, verfahren Gesetzgebung und Wissenschaft nicht selten sehr unexakt und gewaltsam. Aehnlichkeiten werden als Gleichheiten behandelt, Ungleichheiten wegfingirt. Je grösser die Verbrechensart, um so geringer die Sicherheit, dass sich ihre wesentlichen Merkmale bei allen ihren Unterarten wiederfinden. Wie mancherlei „Vermögensverbrechen" sind eben nicht wesentlich Vermögensverbrechen. 2 Der die §§ 211—213 anscheinend nur zusammenfassende Satz: die vorsätzliche Tötung w i r d m i t T o d oder Zuchthaus von 5—15 Jahren oder m i t Gefängniss von 6 Monaten bis zu 5 Jahren bestraft, besagt etwas ganz anderes als die drei Paragraphen in ihrem Zusammenhang. 3 Es ist nicht anzugeben, welche Strafen die Verletzungsverbrechen, welche die Unterlassungsverbrechen u. s. w. erzeugen.

502

§ 110.

Die drei zu erörternden Hauptbegriffe.

Diese unexakte Artbildung ist ein wissenschaftlicher oder praktischer Notbehelf, als solcher unentbehrlich, aber von der echten Artbildung doch scharf zu scheiden. III. Der B e g r i f f des V e r b r e c h e n s f a l l e s besagt, dass ein historisches Ereigniss sich als individuelle Verwirklichung der besonders wesentlichen Merkmale einer Verbrechensart im engsten Sinne und somit als ein Strafrecht begründend darstellt. Er enthält das dreifache Urteil : eine Summe nicht lediglich gedachter sondern geschehener Lebensvorgänge. sei Verbrechen überhaupt, subsumire sich unter den Begriff einer bestimmten Verbrechensart und unterscheide sich individuell von allen andern geschehenen Verwirklichungen dieser Verbrechensart, sei also eine w i r k l i c h e v e r b r e c h e r i s c h e E i n h e i t 4 . Grade das letzte Urteil ist das wichtigste und nicht in dem zweiten enthalten. Lebensvorgänge, die sich individualisiren durch ihren Urheber, durch Raurii und Zeit ihres Geschehens, werden zur Einheit zusammengefasst, weil sie die besonders wesentlichen Verbrechensmerkmale in einer sich zum Ganzen zusammenschliessenden Weise verwirklicht darstellen δ. Wie die allgemein wesentlichen Merkmale nur einen Teil der besonders wesentlichen Merkmale der einzelnen Verbrechensart, so machen die letzteren nur einen Teil der charakteristischen Merkmale des einzelnen Verbrechensfalles aus. Der Rest dieser Fall - Merkmale dient zur Begründung des Urteils, es liege ein in sich geschlossener Anwendungsfall eines bestimmten Verbrechensbegriffes, meist mit eigentümlichen Strafzumessungsgründen, vor. Sonach sind jetzt die drei Begriffe, der des V e r b r e c h e n s , der der V e r b r e c h e n s a r t und der des V e r b r e c h e n s f a l l e s genauer zu analysiren. 4

M e r k e l , Fortgesetztes Verbrechen S 30 A n m 2 4 a : „Dazu gehört, wiewohl sie i n der gesetzlichen Definition nicht auftritt, eine . . . S e l b s t ä n d i g k e i t d e s spezifischen k r i m i n e l l e n Gehaltes." 5 Es leuchtet ein, dass der Verbrechensfall i n diesem Sinne sich scharf scheidet 1. von dem R e c h t s f a l l , wie er Gegenstand eines und desselben Strafprozesses ist. Die Prozesssache kann sich als Kombination von Verbrechensfällen, ebensogut aber auch als einen x-Uisschnitt eines solchen darstellen (es sitzt etwa nur einer der M i t t ä t e r auf der Anklagebank) ; 2. von dem V e r b r e c h e η s f a l l im Sinne des gewöhnlichen Lebens, welches damit einen sich einheitlich darstellenden Lebensvorgang kriminalistischen Gehaltes bezeichnet, gleichgiltig, ob er sich aus einem Verbrechen oder aus einer Masse derselben komponirt.

503 § 111. I.

Der B e g r i f f des Verbrechens.

Das Verbrechen ist begrifflich I. eine U n t e r a r t des D e l i k t e s . Es trägt deshalb alle wesentlichen Merkmale desselben an sich. Das D e l i k t als E r e i g n i s s i s t n i c h t s anderes als die S e l b s t v e r w i r k l i c h u n g eines r e c h t s w i d r i g e n Willens. Untrennbar sind in ihm Willens- und Tatmoment verknüpft. Nur für die theoretische Analyse ist eine Scheidung dieser Einheit erlaubt, ja unumgänglich. Danach ist dem Delikte wesentlich 1. eine aus menschlicher Tätigkeit entsprungene der Absicht der Norm widersprechende Aenderung in der Aussenwelt. Jedes Delikt hat seine Tatseite, die auch wohl „der o b j e k t i v e T a t b e s t a n d " genannt wird 1 ; 2. nicht nur Schuldfähigkeit, sondern auch wirklich ein grade auf Herbeiführung jener Tatseite gerichteter schuldhafter Wille. Jedes Delikt hat seine Schuldseite, die auch wohl als s u b j e k t i v e r T a t bestand bezeichnet wird. 3. Die rechtswidrige Tat sub 1 muss verwirklichte Schuld sub 2 sein, oder wie man sich ausdrückt: es muss Z u r e c h e n b a r k e i t der T a t zur Schuld vorliegen. II. Das V e r b r e c h e n i s t das s t r a f b a r e und zwar das m i t ö f f e n t l i c h e r Strafe zu b e l e g e n d e D e l i k t . Dies besagt nach heutigem Recht: 1. Die Strafbarkeit des Deliktes muss durch einen Satz des positiven Rechtes anerkannt sein, und zwar 2. durch ein Strafgesetz oder eine Strafverordnung, nicht etwa durch ein sog. Gewohnheitsrecht, und zwar muss 3. dieses Strafgesetz die öffentliche Strafe absolut oder relativ bestimmt androhen. Denn nach GB § 2 sind absolut unbestimmte Strafgesetze ungiltig. Und zwar 4. muss das Strafgesetz in Kraft gestanden haben, bevor das Delikt begangen wurde 2. Danach ist das V e r b r e c h e n des h e u t i g e n Rechts die zur S c h u l d z u r e c h e n b a r e , vor i h r e r Begehung d u r c h e i n Strafgesetz m i t b e s t i m m t e r ö f f e n t l i c h e r Strafe b e d r o h t e n o r m w i d r i g e Tat. 1 W i e es sich mit der Tatseite bei echten Unterlassungsverbrechen kann erst später klar gelegt werden. 2 S. aber oben S 249. 250.

verhält,

504 Π. § 112.

Der B e g r i f f der V e r b r e c h e n s a r t 1 . 1. D i e B i l d u n g ihres Tatbestandes.

Jede Verbrechensart entsteht durch die eigentümliche Art der Verwertung bestimmter Delikte in bestimmten Strafgesetzen. Jeder Verbrechensfall lässt sich also zwei Rechtssätzen unterstellen: als verbotene Handlung der Norm, als strafbare Handlung dem Strafgesetz; er widerspricht clem durch die Norm geschaffenen Rechte auf Botmässigkeit, er unterfällt deshalb dem Tatbestand des Verbrechens und begründet das Strafrecht. Die genauere Untersuchung der Funktionen, welche Norm und Strafgesetz für die Bildung der einzelnen Verbrechensbegriffe erfüllen, ist unentbehrlich für die erfolgreiche Analyse der besonders wesentlichen Verbrechensmerkmale. Nun giebt es genau so viel Deliktsarten wie Normen. Die gesammte schuldhafte Uebertretung einer und derselben Norm — die schuldhafte Tötung, der schuldhafte (nicht nur der vorsätzliche) Incest, die schuldhafte Aneignung fremder Sachen u. s. w. — bildet ein selbständiges G a t t u n g s - D e l i k t . Aus diesen Gattungsdelikten werden — meist durch Verkleinerung derselben, aber auch durch Kombination mehrere Delikte — die Verbrechensarten geschaffen. So unterscheiden sich I. einfache und zusammengesetzte V e r b r e c h e n 2 . E i n r \ e r b r e c h e n i s t e i n f a c h , wenn sein T a t b e s t a n d wie bei Tötung, Körperverletzung, Sachbeschädigung, Bigamie, Ehebruch sich n u r a l s e i n D e l i k t , somit als Uebertretung nur einer Norm darstellt. E i n V e r b r e c h e n i s t zusammengesetzt, wenn sein T a t bestand sich als D e l i k t s k o n k u r r e n z , und zwar als Uebert r e t u n g v e r s c h i e d e n e r Normen d a r s t e l l t . Diese mehrere zum Verbrechen sich vereinigenden Delikte können isolirt alle straflos 3 oder teils straflos, teils strafbar sein4, oder endlich sie können alle auch isolirt Verbrechen darstellen. In letzterem Falle ist aus einer echten Verbrechenskonkurrenz, wie beim Raube, bei der hochverräterischen Tötung, ein selbständiges Verbrechen geschaffen worden 5 . 1

2 S. bes. Normen I 54 ff. 98 ff. S. oben S 179. S. den Nachweis in den Normen I 112 ff., bes. bezüglich des betrügerischen Bankrottes. 4 So besteht jeder Diebstahl aus einer Unterschlagung, die auch isolirt strafbar wäre, und aus einer an sich straflosen widerrechtlichen Besitzentziehung. 5 Beim Raub m i t Marterung eines Menschen (GB § 251) konkurriren vier D e l i k t e : Besitzentwendung, Unterschlagung, Nötigung, Körperverletzung. 3

II. Der Begriff der Verbrecliensart.

505

Die Formen dieser Bildung sind reich. Die konkurrirenden Delikte müssen vielleicht alle vorsätzlich begangen sein, wie beim Diebstahl , beim Raub u. s. w., oder aber — und dieser Fall ist sehr häufig — an ein vorsätzliches Delikt schliesst sich ein fahrlässiges, wie überall da, wo geschärfte Strafe gedroht ist, falls durch ein vorsätzliches Delikt — etwa durch Aussetzung, Einsperrung, Eisenbahngefährdung — fahrlässig der Tod oder die Körperverletzung eines Menschen herbeigeführt wurde 6, oder endlich konkurriren vielleicht zwei fahrlässige Delikte mit einander, wie in GB § 313 fahrlässige Ueberschwemmung mit fahrlässiger Tötung. Ferner ist es möglich, dass von den zwei konkurrirenden Delikten das eine vollendet sein muss, das andere nur versucht zu sein braucht, class das eine Verletzungs-, das andere Gefährdungsdelikt ist, dass das eine in Form der Täterschaft, das andere in Form der Beihilfe begangen sein kann — lauter undenkbare Gestaltungen des einfachen Verbrechens; deshalb bedürfen diese zusammengesetzten Verbrechen in der Lehre von der Verbrechensschuld, von Versuch und Vollendung und von der Teilnahme eingehende Berücksichtigung. II. Soweit nun ein Gattungsdelikt mit Straffolgen ausgestattet wird, wird es zum G a t t u n g s v e r b r e c h e n 7 . Nur dann, wenn die Strafe sowohl der gesammten vorsätzlichen wie der fahrlässigen Norniübertretung gedroht ist, decken sich Gattungsdelikt und Gattungsverbrechen ihrem Umfange nach8. Regelmässig wird aber nur ein Teil des Gattungsdeliktes unter Strafe gezogen. Bleibt das fahrlässige Delikt wie beim Ehebruch straflos, so ist nur der vorsätzliche, also z. B. der dolose Ehebruch Gattungsverbrechen. Aber nicht selten verengt sich dasselbe dadurch noch mehr, dass nur das qualificirte vorsätzliche Delikt für straffällig erklärt wird: sei's dass der Versuch straffrei ausgeht oder die Gehorsamsweigerung des Schiffsmanns nur dann gestraft wird, wenn der Schiffsmann seinen Befehl wiederholt hat 9 , oder die Selbstbefreiung um strafbar zu werden die schwere Form der Meuterei angenommen haben muss (GB § 123), sei's endlich dass Delikte nur dann gestraft werden, falls sie gewerbs- oder gewohnheitsmässig begangen sind 10 . 6 7 8

Sinne. 9 10

S. oben 8 366. I c h entwickle die folgenden Begriffe am einfachen \^erbrechen. Das Gattungsverbrechen ist durchaus nicht immer Verbrechensart i m engsten S. oben § 110. SeemO § 86. Ueber gewerbs- und gewohnheitsmässige Delikte s. unten § 120.

506

II. Der Begriff der Verbrechensart.

III. Das Gattungsverbrechen steht entweder ganz unter einer Strafdrohung, wie beispielsweise die Bigamie (GB § 171), der Ehebruch (§ 172) und zahlreiche andere Verbrechen; oder aber es steht unter einer Regelstrafe, von der indessen Ausnahmen vorbehalten sind, oder endlich bildet es nirgend den Tatbestand eines Strafgesetzes, vielmehr wird es in Unterarten zerschlagen und jede derselben unter eine besondere Strafdrohung gestellt. Letzteres geschieht beispielsweise bei den Verbrechen wider das Leben und wider die Körperintegrität. Hier fehlt es am Strafgesetz für das Gattungsverbrechen vollständig: an seine Stelle treten jedesmal mehrere, das gegen Mord, Totschlag und fahrlässige Tötung (§ 211 —213. 222), das gegen vorsätzliche und fahrlässige Körperverletzung (§ 223, 1. 230, 1). Die einzelne Verbrechensart ist dann eine hervorgehobene U n t e r a r t des G a t t u n g s v e r b r e c h e n s . Etwas anders verfährt der Gesetzgeber, wenn er dem Gattungsverbrechen eine besondere Strafdrohung widmet, für einzelne Fälle desselben aber entweder geschärfte oder gemilderte Strafe androht, w7ie dies beim Diebstahl, beim Raub, bei der Erpressung u. s. w. geschieht. Neben dem Gattungsverbrechen stehen dann geschärfte (auch qualifizirte) und g e m i l d e r t e (auch privilegirte) U n t e r a r t e n . Gar nicht selten verwandelt sich durch die Qualifikation das einfache in ein zusammengesetztes Verbrechen: wenn nämlich der Schärfungsgrund in dem Hinzutreten einQß weiteren Deliktes zum Gattungsverbrechen liegt 1 1 . Endlich können derartige Schärfungen und Milderungen nicht nur mit dem Gattungsverbrechen, sondern auch mit seinen hervorgehobenen Unterarten vorgenommen werden. So entstehen mildere Mordfälle, härtere Totschlagsfälle u. s. w. Damit sind aber auch die sämmtlichen Weisen der Bildung von Verbrechensarten im engsten Sinne 12 erschöpft. Die e i n z e l n e V e r brechensart i s t e n t w e d e r das G a t t u n g s v e r b r e c h e n , oder eine h e r v o r g e h o b e n e oder eine geschärfte oder eine gemilderte Unterart desselben13. 11 So z. B. bei der Tötung i m Zweikampf. A u c h denke man an Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch beim Diebstahl mit Einbrechen und Einsteigen: denn auch beim zusammengesetzten Verbrechen ist diese A r t der Schärfung denkbar. 12

S. oben § 110. N i c h t entspricht der e i n e n Verbrechensart stets das e i n e Strafgesetz. Denn häufig enthält ein Strafgesetz eine Anzahl ganz verschiedener Verbrechensarten (sein Tatbestand ist dann ein sog. M i s c h t a t b e s t a n d , s. unten § 121); vielfach sind die geschärften bez. gemilderten Strafdrohungen m i t den einfachen in 13

507 § 113. 2. D e r Gegensatz von N o r m w i d r i g k e i t s - und Strafbarkeits-Merkmalen 1. Es ist die Aufgabe der Norm die zu verbietende Handlung genau zu definiren. Erfüllt sie dieselbe nicht in gesetzlicher Form, so können einem Strafgesetze verbunden; hie und da sind auch zwei Strafgesetze nur einer Verbrechensart gewidmet, wie GB § 212 u. 213 dem Totschlag. 1 S. Normen I 103 ff. Die Unterscheidung ist vollständig angenommen von O e t k e r , Rechtsirrtum. Kassel 1876. S 2 0 ; ν. R o h l a n d , Internationales Strafrecht I 48. Jeder Anhänger der Normentheorie müsste diese Unterscheidung annehmen : sie ist der Schlüssel zum Verständniss der Bildung der Verbrechensbegriffe, wie der notwendigen Bestandteile des verbrecherischen Vorsatzes, und sie allein ermöglicht eine wissenschaftlich haltbare Lehre vom Irrtum. Dass dies noch so vielfach verkannt wird, ist nur insoweit meine Schuld, als die Durchführung der Unterscheidung bei dem Irrtume noch aussteht. N u n wendet H ä l s c h n e r , D. StR I 298 A n m 1, obgleich er den Unterschied von Normen und Strafgesetzen anerkennt, gegen diese Unterscheidung ein, sie sei undurchführbar, so lange die Formulirung der Normen eine willkürliche bleibe. Richtiger wäre gesagt': soweit die Formulirung der N o r m zweifelhaft ist. Diesen Punkt habe ich selbst im 2. Bande der Normen klar gelegt und gezeigt, dass überall, wo die Norm nicht mit Sicherheit zu erkennen ist, auch die Erfordernisse des Vorsatzes zweifelhaft werden. I n einer sehr grossen Anzahl von Fällen ist aber die Norm mit Sicherheit festzustellen und jene Unterscheidung nicht nur im grossen, sondern auch i m einzelnen genau durchzuführen. Ja vielfach w i r d die N o r m gesetzlich so genau festgestellt, dass das D e l i k t einfach mit den W o r t e n bezeichnet w i r d : „wer diesem Verbote zuwiderhandelt" (s. oben S 174. 175). Dass demselben dann alle Normwidrigkeitsmerkmale eignen, kann Niemand bestreiten. — Der zweite Einwand H ä l s c h n e r s : „auch die sog. Strafbarkeitsmerkmale können bei der Zurechnung zum dolus nur soweit i n Betracht kommen als sich der Täter ihrer bewusst Avar", ist ganz unklar. I c h habe behauptet, dass zum Vorsatz das Wissen aller Deliktsmerkmale, nie aber das Wissen der Strafbarkeitsmerkmale gehört ; ich behaupte ferner und kann es exakt beweisen, dass auch bei den vorsätzlichen Verbrechen durchaus nicht alle Strafbarkeitsmerkmale sich i m Bewusstsein des Täters reflektiren müssen. Die schwere Körperverletzung des GB § 224 beweist das allein schon zur Genüge. Das Strafbarkeitsmerkmal besteht eben bald in der Wissenschaft von einem Tatumstand, bald i n diesem allein. So sind H ä l s c h n e r s Einwendungen h i n f ä l l i g . — Uebrigens ist die von mir aufgestellte Unterscheidung nur der präcise Ausdruck eines alten Gedankens. Dass sämmtliche Unterarten des Verbrechens der T ö t u n g , der Körperverletzung u. s. w. bestimmte Merkmale gemein haben und sich durch andere unterscheiden, ist keine neue Entdeckung. Deshalb erörterte man das Gattungsverbrechen und seine Merkmale, ehe man zur Darstellung seiner einzelnen A r t e n verschritt. Neu ist nur die Wahrheit, diese Gleichheit wurzele darin, dass diese sämmtlichen Unterarten zur gleichen N o r m i m Widerspruch stehen. — So lasse ich den V o r w u r f v. L i s z t s , Lehrbuch S 158 A n m 14, die Unterscheidung sei eine durchaus „ w i l l kürliche", mit F u g auf sich beruhen. Da v. L i s z t , Reichsstrafrecht S 10, den Gegensatz von Delikt und Verbrechen anerkennt und selbst sagt : nicht jedes D e l i k t ist mithin Verbrechen, bedarf er notwendig des Strafbarkeitsmerkmals, um das straflose von dem strafbaren Delikte zu scheiden.

508

§ 113. 2. Der Gegensatz von Normwiclrigkeits-

verhängnissvolle Zweifel über den Umfang des Verbotes entstehen. Schliesst das Verbot der Tötung zum Beispiel die Untersagung des Selbstmordes in sich? Verbietet die dem Abtreibungs-Verbrechen zu Grunde liegende Norm die T ö t u n g der Frucht oder die ungefährliche Abtreibung auch der lebendigen Frucht? Ist verboten die Begünstigung aller strafbaren Handlungen oder nur die der Verbrechen und der Vergehen? Diese Zweifel wirken dann notwendig auf das kriminelle Gebiet, auf die Auslegung der Verbrechen hinüber und erzeugen notwendig Unsicherheiten über die erforderlichen Bestandteile des Verbrechensvorsatzes 2 und nicht minder über die Wirkungen des Irrtums. Die Schuld des Zweifels trägt dann lediglich die Gesetzgebung; die Wissenschaft, die ihn konstatirt und ihn nach ihren Kräften zu heben versucht, verdient Dank und keinen Tadel, wenn sie unter den Mängeln des objektiven Rechtes leidend ihren Resultaten nicht die vollste Genauigkeit verschaffen kann. Es ist nun jedes Verbrechen Fall eines bestimmten Gattungsdeliktes : er läuft einer oder mehreren Normen zuwider, und alle Merkmale, mit denen in der Norm die verbotene Handlung charakterisirt wird, müssen sich stets in ihm wiederfinden. Es kann kein Tötungsverbrechen geben, welchem von den Merkmalen der schuldhaften Vernichtung eines fremden Menschenlebens auch nur eines fehlte; keine Unterschlagung, kein Diebstahl, kein Raub ist denkbar, er trüge denn die Eigenschaften der schuldhaften Aneignung fremder Sachen an sich; kein Nachdruck, dem die schuldhafte Verletzung eines fremden Urheber- oder Verlegerrechtes auch nur in einem einzigen Bestandteile mangelte. Alle Merkmale nun, wodurch sich ein Verbrechen als im Widerspruch zu einer bestimmten Norm stehend charakterisirt, sind seine N o r m w i d r i g k e i t s m e r k m a l e , kürzer D e l i k t s m e r k m a l e . Nur dann, wenn ein Strafgesetz die gesammte schuldhafte Uebertretung einer Norm mit einer und derselben Strafe belegt — also äusserst selten —, besteht der Verbrechenstatbestand lediglich aus unveränderten Normwidrigkeitsmerkmalen. Das Strafgesetz gegen Körperverletzung würde dann lauten: „Wer s c h u l d h a f t einen Andern an seiner K ö r p e r i n t e g r i t ä t b e s c h ä d i g t , wird bestraft." Vergleichen wir damit die §§ 223 ff. und 340 des GB, um zu sehen, dass kein einziges Norm Widrigkeitsmerkmal in allen diesen §§ unverändert verwandt wird. An Stelle der S c h u l d tritt der Vorsatz in den §§ 223—225. 228, 2

Man vgl. Normen I I 458 ff.

und Strafbarkeitsmerkmalen.

509

die Fahrlässigkeit in § 230. Subjekt des Gattungsdeliktes kann Jeder sein. Dem entsprechend sagen die §§ 223, 1. 223 a. 224—226. 228. 230 ganz allgemein: „Wer die und die Handlung begeht." In § 223, 2 verwandelt sich das „Wer" in einen D e s c e n d e n t e n , in § 340 in einen Beamten. Ganz genau so verhält es sich mit dem Objekt. Im Gattungsdelikt ist Angriffsobjekt irgend ein Nebenmensch, in § 223, 1 ein Ascendent. Das Gattungsdelikt legt auf das Mittel der Körperverletzung gar kein Gewicht, ebensowenig auf die Schwere des Erfolgs. Dagegen schärft § 223 a die Strafe, wenn Waffen oder andere gefährliche Werkzeuge angewandt sind, § 224 tut desgleichen, wrenn schwere Erfolge eingetreten sind, 225 qualifizirt doppelt, wrenn der Eintritt dieser Erfolge als solcher beabsichtigt war. Das Gattungsdelikt der Begünstigung ist die schuldhafte Unterstützung irgend eines strafbaren Schuldigen um ihn der Strafe zu entziehen. An Stelle der Schuld tritt in § 257 wieder der Vorsatz, an Stelle jedes Strafbaren nur der wegen Verbrechens oder Vergehens Strafbare. Das Gattungsdelikt ist die schuldhafte widerrechtliche Aneignung fremder Sachen: bei Unterschlagung, Diebstahl, Raub tritt wieder an Stelle der Schuld der Vorsatz, an Stelle jeder fremden Sache die bew e g l i c h e fremde Sache. Des weiteren beachte man, wie unter den beweglichen Sachen wieder § 246 die anvertrauten, § 243, 1 die dein Gottesdienste gewidmeten, § 243, 4 die zum Reisegepäck gehörenden Sachen hervorhebt, wie bei Diebstahl und Raub bestimmte Qualitäten des Täters, des Ortes, der Zeit, der Mittel der Begehung des Verbrechens strafschärfend wirken, andererseits aber Diebstahl und Unterschlagung — begangen von Ascendenten an Descendenten oder von Ehegatten an einander — für straflos erklärt werden (§ 247, 2). In allen diesen Fällen ist das wesentliche Verbrechensmerkmal ein modificirtes, und zwar durch Verengung der Schuld, des Subjekts, des Objekts oder der Begehungsweise des Gattungsdeliktes verkleinertes Normwidrigkeitsmerkmal. Diese Verengung nimmt der Strafgesetzgeber zu seinen Zwecken vor. Und zwar zerschlägt er das Gattungsdelikt durch Modifikation seiner Merkmale in Unterarten, entweder um eine solche Unterart — etw7a die fahrlässige Sachbeschädigung, den Diebstahl unter nahen Verwandten — für straflos oder um sie als auf bestimmter Stufe der Strafbarkeit stehend zu charakterisiren. Die Merkmale nun, womit er den straflos bleibenden Teil des Gattungsdeliktes von dem strafbaren

§ 114. 3. Die Einteilung

er Verbrechensarten

scheidet und den Strafgehalt des letzteren präcisirt, heissen S t r a f ba r k e i t s m e r k m a l e 3 . Nicht immer aber bestehen diese in bestimmten Eigenschaften der deliktischen Handlung: sie können, wie die tätige Reue des Brandstifters, die nach § 310 dessen Strafbarkeit ausschliesst, wie die Retorsion in den §§ 199 und 233, wie das Erforderniss der völkerrechtlichen Reciprocität (§ 102), auch ausserhalb derselben liegen4 5 . Die Strafbarkeitsmerkmale gehören ihrem Begriffe nach zu den sog. Strafzumessungsgründen 6. A l l e V e r b r e c h e n , welche aus demselben G a t t u n g s d e l i k t e g e f o r m t s i n d , alle Tötungen, Diebstähle, Körperverletzungen, t e i l e n s ä m m t l i c h e N o r m w i d r i g k e i t s m e r k m a l e und u n t e r s c h e i d e n sich n u r durch S t r a f b a r k e i t s m e r k male. § 114. 3. Die E i n t e i l u n g der V e r b r e c h e n s a r t e n i n V e r b r e c h e n , V e r g e h e n und U e b e r t r e t u n g e n 1 . Nach den verschiedensten Gesichtspunkten lassen sich die Verbrechensarten zu grösseren Gruppen zusammenschliessen2. Soweit diese Gruppenbildung auf die Verschiedenartigkeit der Normen zurückgeht, ist ihrer schon früher Erwähnung geschehen3. Soweit sie für 3

Dasselbe Merkmal ist also nach der einen Seite Delikts-, nach der andern Strafbarkeitsmerkmal: der Vorsatz als Schuld ist Deliktsmerkmal, als A r t der Schuld Straf barkeitsmerkmal ; das Objekt beim Diebstahl ist als f r e m d e Sache Objekt des Gattungsdeliktes; als fremde b e w e g l i c h e Sache Straf barkeitsmerkmal u. s. w. 4 Dass der Antrag kein Strafbarkeitsmerkmal legt werden.

ist, kann erst später klar ge-

5

Diese Einteilung hat m i t der von W ä c h t e r , Sächs.-thür. StR S 294^-296 gemachten nicht exakten Unterscheidung zwischen Begriffs- und Strafmomenten nichts zu tun. S. Normen I 108 A n m 190. 6 S. genauer unten § 115. 1

Die Literatur s. unter A n m 5. 6. 8. Die Theorie unterscheidet nicht scharf genug zwischen Einteilung der Verbrechens a r t e n und der Verbrechens f ä l l e . Die Einteilung in versuchte und vollendete Verbrechen ist keine Scheidung der A r t e n , wohl aber der Fälle; die Einteilung in vorsätzliche und fahrlässige Verbrechen ist bald das eine bald das andere. Sie ist lediglich eine Scheidung der F ä l l e , wenn vorsätzliche unci fahrlässige Begehung unter e i n e r Strafdrohung stehen. 2

3 Ueber den Gegensatz 1. von B e g e h u n g s - und U n t e r l a s s u n g s verbrechen s. oben S 167; 2. von U e b e r t r e t u n g e n d e r V e r l e t z u n g s v e r b o t e , G e f ä h r d u n g s v e r b o t e u n d V e r b o t e s c h l e c h t h i n , sowie der V e r u r s a c h u n g s -

in Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen.

511

das System des besonderen Teils von; Wichtigkeit ist, muss sie in dessen Einleitung erörtert werden. So könnte dieser ganze unausgiebige Gegenstand hier bei Seite bleiben, hätte nicht das deutsche Strafgesetzbuch alle nach Reichs- wie Landesrecht strafbaren Handlungen einer Dreiteilung Untertan gemacht, die trotz des Mangels jeder inneren Berechtigung die grösste praktische Tragweite besitzt. Sie stammt aus den dispositions préliminaires des Code pénal Α. I 4 , diente dort namentlich zu prozessualen Zwecken, wurde aber trotzdem von dem B a y e r i s c h e n S t r a f g e s e t z b u c h e von 1813 A. 2 nachgeahmt und bildete seitdem den Gegenstand lebhaften Streites in Deutschland5. Von der B a y e r i s c h e n Strafgesetzgebung auch für das StGB von 1861 festgehalten, von der O l d e n b u r g i s c h e n in den Gesetzbüchern von 1814 und 1 8 5 8 gleichfalls adoptirt, fand diese Dreiteilung unter dem Drucke der Einflüsse des französisch-rheinischen Rechtes auf die Feststellung desPreussischenStrafgesetzbuches auch in dieses Aufnahme und eröffnete zum grössten Befremden der deutschen Rechtswissenschaft den Entwurf eines Norddeutschen Strafgesetzbuches6. Auch gelang es ihr sich in das Gesetz selbst hinüber zu retten. g e b ö t e , B e f ö r d e r u n g s g e b o t e und G e b o t e s c h l e c h t h i n s. oben S 167 bis 172; 3. von g e m e i n e n und b e s o n d e r e n V e r b r e c h e n s. oben S 333. 4 L'infraction que les lois punissent des peines de police est une contravention. — L'infraction que les lois punissent de peines correctionelles est un délit. — L'infraction que les lois punissent d'une peine afflictive ou infamante est un crime. B

A r gl. schon die witzige K r i t i k i n (ν. L a n g , ) Byrmanisches Strafgesetzbuch. 1822. S 12 if. S. ferner C u c u m u s , Ueber die Einteilung der Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen in den Strafgesetzbüchern. W ü r z b u r g 1824; G o l t d a m m e r , Materialien 147 ff. ; v. K r ä w e l , GA I 1853 S 461 if. Weitere L i t e r a t u r bei S c h a p e r , H H I I 99. 6 Die Motivirung der Dreiteilung in den Motiven des Entwurfs ist die denkbar unglücklichste. Die Behauptung, die Dreiteilung sei deutschen oder, wie R u b o , Komm. S 102 sagt, altsächsischen Ursprungs, kann nur Verwunderung erregen. Die Prophezeiung, es werde diese Dreiteilung sich bei der künftigen Regelung der Kompetenz der Strafgerichte nützlich erweisen (s. die angef. Motive zu § 1 des Entwurfs) ist, wie nicht anders zu erwarten w a r , durch GVG § 27. 73. 74. 75. 80. 136, 1 gründlich widerlegt worden. Es hat sich deshalb auch die K r i t i k des Entwurfes (s. oben § 60 u. 61) fast einstimmig gegen diese Dreiteilung als innerlich ungerechtfertigt und schädlich erklärt. Praktiker und Theoretiker stimmten in der Verwerfung durchaus überein. Vgl. die eingehenderen Ausführungen bei B i n d i n g , K r i t i k S 4 4 i f . ; G e y e r , IvrV X I I 1870 S 164 if.; H e i n z e , Erört. S 182 if.; H e l d S 10 if.; M e r k e l S 17 if.; v. W ä c h t e r S 44 if. — Vgl. S c h w a r z e , GS 1870 S 161 if.; S c h ü t z e , GA X X 1872 S 362. 363; J o h n , E n t w u r f mit Motiven S 24 if. — F ü r diese Dreiteilung nur B e r n e r , K r i t i k S 5, Lehrbuch § 73 S 118. 119 und M e y e r , Lehrbuch § 22 S 124. 125, sowie R u b o , Kommentar S 161 if. —

§ 114. 3. Die Einteilung

er Verbrechensarten

Der § 1 des StGB lautet so : „Eine mit dem Tode, mit Zuchthaus oder mit Festungshaft von mehr als fünf Jahren bedrohte Handlung ist ein Verbrechen. Eine mit Festungshaft bis zu fünf Jahren, mit Gefängniss oder mit Geldstrafe von mehr als fünfzig Thalern (nach der Redaktion von 1876: von mehr als einhundertfünfzig Mark) bedrohte Handlung ist ein Vergehen. Eine mit Haft oder mit Geldstrafe bis zu fünfzig Thalern (bez. bis zu einhundertfünfzig Mark) bedrohte Handlung ist eine Uebertretung 7 8 ." Diese Satzung gilt als absolut gemeines Recht auch für alles Partikularrecht: dasselbe kann keine Uebertretung Vergehen nennen und den Regeln für die Behandlung der Vergehen im Gegensatze zu den Uebertretungen unterwerfen. Ihre Durchführung zeigt, dass jede Art strafbarer Handlungen entweder Verbrechen, Vergehen oder Uebertretung sein muss und dass es Extravaganten nicht geben kann. Nun wäre es im höchsten Maasse verdienstlich gewesen, hätte das GB den tiefgreifenden, gesetzgeberisch noch lange nicht nach Gebühr ausgenutzten Gegensatz des kriminellen Unrechts im engeren Sinne und des sog. Polizei-Unrechts zum Ausgangspunkte seiner Systematik gemacht und versucht diesem Gegensatze gerecht zu werden. Dann mochte für die „ U e b e r t r e t u n g e n " manche Regel aufgestellt werden, welche für die „Verbrechen" nicht galt: innerhalb der letzteren aber principiell nochmals zu scheiden, dazu fehlte jeder Anlass. Nie kam man dann über eine Zweiteilung hinaus. Statt dessen wird vom GB der Gesichtspunkt des Polizei-Unrechts für seine Uebertretungen, die g r ö s s t e n t e i l s Polizeidelikte darstellen, gar nicht verwertet und nur zwischen den durchaus zusammengehörenden Verbrechen und Wenn S c h w a r z e , a. 0 . S 161, der durchaus nicht fur dieselbe eintritt, bemerkt, sie habe i n redaktioneller Beziehung erhebliche Dienste geleistet, so ist grade das ihr Hauptfehler gewesen: sie hat den Gesetzgeber zu einer durchaus formalistischen Gleichbehandlung innerlich verschiedenartiger Dinge verleitet, d. h. sie hat nur schädlich gewirkt. 7 Dieser Dreiteilung entspricht i m Militärstrafrecht eine Zweiteilung. M G B § 1 lautet: „ E i n e Handlung, welche dieses Gesetz mit dem T o d e , mit Zuchthaus oder m i t Gefängniss oder Festungshaft von mehr als fünf Jahren bedroht, ist ein militärisches Verbrechen. Eine Handlung, welche dieses Gesetz m i t Freiheitsstrafe (§ 16) bis zu fünf Jahren bedroht, ist ein militärisches Vergehen." 8 Z u GB § 1 s. Β 73. Sch 29. M 22. H 2 185. 186. W V 50. L i 25. S c h a p e r bei H H I I 98 if. G e y e r das. I V 90 if. Gey 21. — R u b o , Kommentar S 101 if. S c h w a r z e , Kommentar S 11 ff. D o c h o w , H R L e x I 656. 657. V o i t u s , GS 1874 S 513 ff. — Dazu die Anmerkungen der Kommentatoren zu § 1.

513

i n Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen.

Vergehen (soweit beide nicht dem Polizei-Unrechte angehören) eine unnatürliche Schranke errichtet 9. Es gilt nun die Bedeutung der Einteilung, die richtige Art ihrer Handhabung und ihre Tragweite festzustellen. I. B e d e u t u n g der E i n t e i l u n g . Die Teilung des GB § 1 ist k e i n e Einteilung a. der T a t b e s t ä n d e s t r a f b a r e r H a n d l u n g e n . Der Tatbestand eines Deliktes als solcher, abgesehen von der ihm gedrohten Strafe, heisst nach § 1 weder Verbrechen, noch Vergehen, noch Uebertretung. Sofern aber die an einen Thatbestand geknüpfte Strafe mit ihrem Maximum in den Bereich der Verbrechensstrafen, mit ihrem Minimum in den Bereich der Vergehensstrafen fällt 1 0 , oder wo jenes zu den Vergehens-, dieses zu den Uehertretungsstrafen gehört 1 1 , so ist eine und dieselbe Handlungsart zugleich Verbrechen und Vergehen oder zugleich Vergehen u n d Uebertretung. Ob die konkrete Species eines solchen Tatbestandes Verbrechen oder Vergehen sei, entscheidet erst das Urteil 1 2 ; b. der D e l i k t e nach der A r t i h r e r S t r a f f o l g e n . Sie ist durchaus kein Seitenstück zu der Einteilung der Straffälle nach früherem gemeinen Hechte in p e i n l i c h e und b ü r g e r l i c h e , sonst dürften nicht dieselben Strafarten sowohl für Verbrechen als für Vergehen (Festung)13, sowohl für Vergehen als für Uebertretungen (Haft bei Beleidigungen und Geld) verwandt werden; c. der D e l i k t e nach der Schwere i h r e r S t r a f f o l g e n . Sonst müsste die Strafe des Vergehens bezw. der Uebertretung immer eine andere und zwar mildere sein, als die des Verbrechens bezw. des Vergehens. Dies ist aber nicht der Fall. Nach § 21 sind 8 Monate Zuchthaus = 12 Monate Gefängniss — • 18 Monate Festungshaft. Nun wird die Grenze zwischen Verbrechen und \7ergehen gebildet zugleich durch 5 Jahre Gefängniss —- 60 Monate Gefängniss = 90 Monate Festung = 40 Monate Zuchthaus; 0

S. die treffenden Ausführungen H ä l s c h n e r s , D. StR I 163—167. auch G e y e r , Grundriss I 87. 88. 10 S. ζ. Β . die §§ 86. 88 al. 3. 89. 96. 98. 100. 102. 106. 208. 11 S. ζ. B. die §§ 110. 111 al. 2. 113 al. 1 u. 2. 116 al. 1. 121 al. 2. 131. 132. 134. 135. 145. 148. 184. 185. 186. 223. 230. 240. 241. 271. 276. 285. 289. 291—293. 296. 297. 299. 300. 304. 309. 318. 320. 330. 331. 337. 342. 347. 352. 12 S. die interessante Bestimmung in Α . 2 des Bay. StGB von 1861. 13 I m MStGB auch Gefängniss. Binding, Handbucli. VIT. 1. I : B i n d i n g , Strafrecht. I.

33

Vgl.

130. 286. 345.

114. 3. Die Einteilung

er Verbrechensarten

durch 5 Jahre Festung = 60 Monate Festung = 40 Monate Gefängniss =- 26 2 a Monate Zuchthaus; durch 12 Monate Zuchthaus 16 Monate Gefängniss. Ferner begegnen in § 57, 4 Vergehen und Uebertretungen mit derselben Verweisstrafe; in § 28 al. 2 Vergehen mit Haftstrafe. Sie ist vielmehr d. eine E i n t e i l u n g der D e l i k t e nach A r t und Höhe der a n g e d r o h t e n Strafe. Es giebt specifische Verbrechensstrafarten: das sind nur Tod und Z u c h t h a u s , und von GB § 185 abgesehen eine specifische Uebertretungsstrafe, die H a f t : in Festung und Gefängniss teilen sich Verbrechen und Vergehen, in die Geldstrafe als Hauptstrafe Vergehen und Uebertretungen: und hier ist es denn lediglich die Strafgrösse, welche die Verbrechens- von den VergehensStrafen und letztere von den Uebertretungs-Strafen trennt. Maassgebend ist die der einzelnen Verbrechensart angedrohte Strafe 14, nicht die verwirkte, auch nicht die Strafe, in welche die angedrohte Hauptstrafe für den Fall ihrer Undurchführbarkeit verwandelt werden soll 15 . Maassgebend ist die Hauptstrafe, nicht die Nebenstrafe 10. Alle Deliktsfolgen, welche nicht Lebens-, Freiheitsund Geldstrafen sind, bleiben für die Einteilung des § 1 ganz ausser Betracht, II. H a n d h a b u n g der E i n t e i l u n g . In allen Fällen, wo die angedrohte Strafe zugleich Verbrechens- und Vergehensstrafe, oder zugleich Vergehens- und Uebertretungsstrafe ist, entstehen Zweifel, wie vor dem Urteile, bei Beginn und während des weiteren Verlaufes der Verfolgung das konkrete Delikt behandelt werden soll. Nun kennt GB § 28 al. 2 „Vergehen", bei welchen Geld wahlweise neben der Uebertretungsstrafe der Haft gedroht ist. Das Gesetz lässt also u Die Konkurrenzstrafe ist nie maassgebend für den Charakter der konkurrirenden Delikte als Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen. S. Kartenstempelgeset/ vom 3. J u l i 1878 § 10 (Uebertretung) und GewO vom 1. J u l i 1883 § 50 (Uebertretung). 15 Vergehensgeldstrafen bleiben solche, auch wenn ausnahmsweise ihre Verwandlung in Haft vorgeschrieben wird. Dies sagt GB § 28 ausdrücklich. Andrer Ansicht für die Geldstrafen bis zu 150 M a r k , welche nach Partikularrecht in Gefängniss verwandelt werden sollen, O l s h a u s e n zu § 1 A n m 3 : sie machten die bedrohten Handlungen zu Vergehen. A l l e i n solche partikulare Satzung ist einfach nichtig; wäre sie es aber auch nicht, so entscheidet die angedrohte Strafe, nicht ihre Stellvertreterin. 16 Sehr zweifelhaft kann es sein, ob die Strafe der Forst- oder Gemeindearbeit (EU S 2) in Landesstrafgesetzen Vergehens- oder Uebertretungsstrafe i s t , wenn sie schlechthin angedroht wird. I m Zweifelfall ist das letztere anzunehmen.

in Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen.

515

die angedrohte Maxinialstrafe — einerlei ob sie bei alternativen Strafdrohungen an erster oder zweiter Stelle steht 17 — darüber entscheiden, ob eine Handlung — nicht Verbrechen, Vergehen oder Uebertretung ist, sondern als Verbrechen, Vergehen oder Uebertretung behandelt werden soll 18 . Ein Delikt, dessen Strafminimum bei Vorhandensein mildernder Umstände in den Bereich der Vergehensstrafen herabsinkt, ist als Verbrechen zu behandeln19. Tritt aber eine verschärfte und zwar eine „ V e r b r e c h e η s s t r a f e" für die qualificirte Unterart eines Vergehens ein (s. z. B. die §§ 169. 239, 2. 243), so ist das Gattungsdelikt Vergehen, die qualificirte Unterart „Verbrechen". Treten dagegen bei „ V e r b r e c h e n " allgemeine (siehe GB § 57) oder besondere Strafmilderungsgründe (GB § 157. 158) ein, so ist nichtsdestoweniger der Verbrechenscharakter für ihre praktische Behandlung maassgebend20. Da der Gesetzgeber in § 1 stets die der Deliktsart gedrohte Strafe über die Behandlung der einzelnen Fälle entscheiden lässt, so muss man auch die Tatbestände, die mit Geldstrafen ohne Angabe von Maximis und Minimis (s. auch Bankges. vom 14. März 1875 § 55, wo die dergestalt angedrohte Geldstrafe mindestens 5000 M. beträgt) in Gestalt des zehn-, acht-, vier-, zweifachen eines Grundweites be17

Nicht richtig B i n d i n g , Grundriss 8 90. Deshalb ist der Tatbestand des GB § 208 als Verbrechenstatbestand zu behandeln: denn die Maximalstrafe ist 10 Jahre Festung; ebenso sind die Tatbestände der §§ 111, 2 u. 257, 3 trotz des Zusatzes, die i n concreto verwirkte Strafe dürfe nicht schwerer sein, „als die auf die Handlung selbst angedrohte", als Vergehen zu behandeln (in dieser Beziehung and. Mein. O l s h a u s e n zu S 1 Anm 9 : es entscheide die Strafe des Einzelfalls). N i c h t ist bei alternativ oder kumulativ gedrohten Strafen Geldstrafe stets geringer als Freiheitsstrafe zu betrachten. So D o c h o w , H R L e x I 657. 19 Ganz besonders gilt dies vom Totschlag mit mild. Umständen i n GB § 213. A. M. M e y e r § 22 S 126. — Ueber die ganze Frage s. bes. V o i t u s , GS 1874 S 516 ff. W i e schon S c h a p e r bei H H I I 100 ist auch V o i t u s der Meinung, dass überall, wo bei mildernden Umständen die Strafe ganz im Kähmen der Vergehensstrafen stünde, das Verbrechen mit mildernden Umständen zum Vergehen würde. Dies ist irrig. Die mildernden Umstände sind nichts als Strafminderungsgründe. Die Einteilung des § 1 aber ist nur Einteilung der Verbrechensarten, nicht der Verbrechensfalle. Richtig macht R u b o S 243 gegen diese Auffassung geltend, dass in allen diesen Fällen der Zusatz, der Versuch solle strafbar sein, fehlt und zwar um deswillen, weil der Gesetzgeber die Handlung als Verbrechen betrachtet. 20 I)ers. Ans. RG vom 22. Nov. 1880 (E I I I 52 ff.) Das Merkmal von Verbrechen, Vergehen, Uebertretung sei ein o b j e k t i v e s und als solches unabhängig von persönlichen Strafzumessungsgründen. Siehe auch BayOG vom 17. Febr. 1872 (Bay. Klitsch. I I 35 ff.). 18

38*

51ο

§ 114. 3. Die Einteilung (1er Verbrechensarten

legt sind 21 , um deswillen als Vergehen betrachten, weil das Maximum der angedrohten Geldstrafe dann jedenfalls im Bereiche der Vergehensstrafen liegt 22 . Entscheidend ist endlich die der Verbrechens art gedrohte Strafe noch in anderem Sinne. Nie ist der Versuch Verbrechen, Vergehen oder Uebertretung, sondern Versuch eines Verbrechens, eines Vergehens oder einer Uebertretung ; genau ebenso verhält es sich mit der Teilnahme an fremden strafbaren Handlungen. Versuch eines Verbrechens, Beihilfe und Anstiftung zu einem solchen sind aber stets als Verbrechen zu behandeln23. III. P r a k t i s c h e B e d e u t u n g übt diese E i n t e i l u n g 1. auf die Anlage des deutschen Gesetzbuchs. Vergl. den 29. Abschnitt : Uebertretungen. Ferner 2. beim internationalen Strafrecht. Im Auslande begangene U e b e r t r e t u n g e n können nach deutschen Gesetzen nur da bestraft werden, wo dies durch besondere Gesetze oder Verträge angeordnet ist; V e r b r e c h e n und Vergehen auch ohne diese Voraussetzung nach Maassgabe der §§ 4 und 5. Ferner verlangt § 4 Nr 1 und 2 ein Münz v e r b r e c h e n ; vgl. auch § 37; 3. die Konfiskation einzelner Gegenstände des § 40 ist nur bei vorsätzlichen V e r b r e c h e n und Vergehen möglich 24 . 4. Versuch der V e r b r e c h e n ist durchweg strafbar, Versuch der V e r g e h e n nur, wo das Gesetz dies ausdrücklich bestimmt, Versuch der U e b e r t r e t u n g e n nie: 43; 5. Gehilfschaft zu U e b e r t r e t u n g e n und Begünstigung von U e b e r t r e t e r n sind straflos: § 49. 257; 6. nur die Aufforderung und die Annahme der Aufforderung zur Begehung von V e r b r e c h e n ist strafbar: § 49a; 21

S. B i n d i n g , Grundriss § 96. A n d . Mein. R G I vom 26. Sept. 1881 ( Ε V 23 ff'.): die Höhe des im Einzelfall zu entrichtenden Zolles entscheide über den Charakter einer Defraudation als Vergehen oder Uebertretung. H i e r scheint m i r verkannt, dass GB § 1 eine Unterscheidung von Verbrechensarten, nicht von Verbrechensfällen statuirt. Ausserdem ist die Auffassung für die Kompetenzbestimmung im allerhöchsten Maasse unzweckmässig. W i e RG schon Berl. O T r vom 12. Febr., vom 30. A p r i l 1876 und vom 6. Dez. 1876 (Ο X I V 130. 131, X V I I 793); ferner R ü d o r f f zu § 1 Anm 2 ; Ο ρ ρ e n h o f f zu S 1 A n m 11; O l s h a u s e n zu § 1 A n m 10, s. auch Anm. 14; v. L i s z t S 99. 22

23 Bezügl. cles Versuchs s. bes. V o i t u s , GS 1874 S 515. And. Mein, beziigl. des Versuchs und der Teilnahme ist R u b o S 245; O p p e n h o f f zu § 1 A n m 7 : O l s h a u s e n zu § 1 A n m 7. 24 S. aber GB § 360, 1. 2. 4 - 6 . 14, § 367, 7 - 9 u. § 369, 2.

in Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen.

517

7. die Verweisstrafe ist nur bei Vergehen und U e b e r t r e t u n g e n jugendlicher Personen zulässig: § 57 Nr 4; 8. bei Normirung der Fristen der Strafklagverjährung in § 67 ; 9. bei der Strafverwandlung: s. § 27. 29; 10. nur für V e r b r e c h e n und V e r g e h e n erkennt § 74 das sog. System der Gesammtstrafe an: vgl. § 77. 78; 11. nur durch Androhung von V e r b r e c h e n können begangen werden die Handlungen der §§ 126 und 241 ; nur durch Drohung mit Verbrechen oder V e r g e h e n die Nötigung: § 240; 12. § 151 bestraft Anschaffung u. s. w. von Stempeln zum Zweck eines Münz Verbrechens; 13. § 157 Nr 1 verlangt, dass der Täter das Risiko einer Verfolgung wegen eines Verbrechens oder V e r g e h e n s gelaufen sei. III.

Der B e g r i f f des V e r b r e c h e n s f a l l e s als der eines konkreten Verbrechens 1. S 115. Α. Die v i e r A r t e n s e i n e r M e r k m a l e .

Dem Verbrechensfall 2 eignen vier Arten von Merkmalen. 1. Die besonders wesentlichen Merkmale einer Verbrechensart müssen sämmtlich verwirklicht vorliegen. Nicht darf man sagen, jedes 1 Die Literatur ist übergross, soweit sie sich auf Verbrechens-Konkurrenz und fortgesetztes Verbrechen erstreckt, sie fehlt sozusagen ganz über das einheitliche Verbrechen als solches, insbes. soweit es nicht fortgesetztes Verbrechen ist. Dabei ist auffallend die Umkehr der methodisch vorgezeichneten Richtung, wie sie sich in der Literatur fast durchweg zeigt. Diese steigt von der Verbrechensmehrheit zur \ r erbrechenseinlieit herab, statt von der letzteren in [einfachster F o r m aufzusteigen zu ihren komplizirteren Formen und von da zur Verbrechensmehrheit; besten Falls behandelt sie das fortgesetzte Verbrechen i m V o r h o f der Lehre von der Konkurrenz. — Richtig disponirt nur M e y e r , Lehrbuch § 66—68. Vgl. H i l l e r , GS 1880 S 196 ff. — v. L i s z t beeinträchtigt § 54 ff. die sonst gute Anlage seiner Darstellung dadurch, dass er nicht von der V e r b r e c h e n s - E i n h e i t , sondern von der H a n d l u n g s - E i n h e i t ausgeht und zu dieser die „ V e r b r e c h e n s - M e h r h e i t " in nicht logischen Gegensatz stellt. — Man vgl. H 2 215—218. 2 6 3 - 2 6 5 . Β 162. 163. Sch 55. M 6 6 - 6 8 . W V 94. 95. 97. 98. L i 5 4 - 5 9 . Gey 59—61. G 78. H 148. Κ 137. 138. — M e r k e l bei H H I I 573 ff., I V 225. — K l e i n s c h r o d , Grundbegriffe I I I 202 ff. — F e u e r b a c h , Revision I 336 ff. — S a v i g n y , De concursu delictorum formali. Marburg 1800 (auch Vermischte Schriften I V 76 bis 168). Vgl. d e s s . System V 237. 247. — S c h r o e t e r * , De concursu delictorum. Lipsiae 1812; d e r s . , Handbuch. Leipzig 1818. S 188 ff. — O e r s t e d , Grundregeln S 392 ff. — M i t t e r m a i e r , N A I I 1818 S 238 ff.; d e r s . in Demmes Annal en I 1837 S 1 ff. — S a n d e r , A N F 1836 S 266 ff. 357 ff. — T r e f u r t ,

518

III. Der Begriff des Verbrechensfalles.

dürfe nur einmal vorhanden sein: ein Raub mit zwei Nötigungen bleibt ein Raub. A N F 1838 S 423 ff. — R o t t e e k , Ueber Konkurrenz der \ r erbrechen. Freiburg 1840 (mir unzugänglich). — K r u g , Ueber die Konkurrenz der Verbrechen und insbes. über den Begriff des fortgesetzten Verbrechens. Leipzig 1842. — B a u e r , Abhandlungen aus dem Strafrecht I I . 1842. S 1 — 9 8 . — W a s e r , Ζ für Oesterreich. Rechtsgelehrsamkeit. W i e n 1845. I 1 — 4 0 . — J a g e m a n n , A N F 1849 S 220 ff.— K r u g , Ueber die legisl. Behandlung der Konkurrenz der Verbrechen: Kommentar A b t . I V S 132—153. — S c h w a r z e , Z u r Lehre von dem sog. fortgesetzten Verbrechen. Erlangen 1857. — D e r s . , GA V I I I 1860 S 343 ff. 433 ff. (bes. gegen J o h n gerichtet). — K r u g , Zur Lehre vom fortgesetzten Verbrechen. Leipzig 1857 (mit bes. Bezug auf die Schrift von S c h w a r z e ) . — v. W o r i n g e n * . Ueber den Begriff des fortgesetzten Verbrechens. Freiburg 1857 (Festschrift zur 4. Säkularfeier der Universität Freiburg). — J o h n , Die Lehre vom fortgesetzten Verbrechen und von der Verbrechenskonkurrenz. Berlin I860. — D e r s . , E n t w u r f (1868) S 297 ff. Vgl. auch d e n s . in GA I I I 497 ff. — K r a u s h a a r , GS 1860 S 258 ff. — D i e t z , das. S 500 ff. — G e y e r , das. 1861 S 43 ff. — D e r s . , H R L e x s. v. Konkurrenz I I 506 ff. — B e r n e r , Grundsätze des Preussischen Strafrechts. Leipzig 1861. S 82—127. — G e s s l e r , G A I X 1861 S 73 ff. 146 ff. 297 ff. — M e r k e l * , Z u r Lehre vom fortgesetzten Verbrechen. Darmstadt 1862. — v. B u r i , Abhandl. aus dem Strafrecht. Glessen 1862. S 9 4 - 1 1 3 . — D e r s . , Einheit und Mehrheit der Verbrechen. Stuttgart 1879. — R o s e n b l a t t , Die Strafen-Konkurrenz. Tetschen 1879. — H h r e h o r o w i c z , Grundlagen des Strafrechts. Dorpat 1880. S 291 ff. — v. S t e m a n n , GS 1872 S 23 ff. — S e e g e r , G A X X 1872 S 137 ff. — T i p p e i s k i r c h , das. S 171 ff. — O r t m a n n , GS 1874 S 68 ff. — O r t l o f f , GA X X I V 1876 S 422 ff.; X X X I I 395 ff. (wegen zu späten Erscheinens nicht mehr benutzbar). — D e r s . , Bl. für Rechtspflege in Thür. N F X I I . Jena 1885. S 29 ff. — H i l l e r , GS 1880 S 195 ff. — T e i c h m a n n , GS 1880 S 401 ff. 546 ff. — B i s c h o f f , GA X X I X 1881 S 140 ff. — H a b e r m a a s , Die ideale Konkurrenz der Delikte. Stuttgart 1882. — L ö w e η s t e i n , Die Verbrechenskonkurrenz nach dem Reichsstrafgesetzbuch. Stuttgart 1883. — S c h ü t z e , Ζ f. S t R W I I I 48 ff. — S c h w a r z e , GS X X X I V 1883 S 575 ff. — S t e n g l e i n u. S c h ü t z e , GS X X X V 24 ff. 261 ff. 268 ff. — I v ä r c h e r , GS X X X V 1884 S 431 ff. — ν. B u r i , das. S 517 ff. — Ueber das gewerbs- und gewohnheitsmässige Verbr. bes. G o e n n e r , Jahrb. für Gesetzgebung und Rechtspflege i n Bayern I 1885 S 113—148. — S t e n g l e i n , Ueber Gewohnheitsbetrug, Ζ f. GG und Rechtspflege für Bayern I V 1858 S 561 ff. — H ä l s c h n e r , Preuss. StR I 417 ff. — D o c h o w , Z u r Lehre von dem gewerbs- u. dem gewohnheitsmässigen Verbrechen. Jena 1871.— D e r s . , H R L e x I I 177 ff. — A V a h l b e r g , Gesammelte Schriften I 136 ff. — O l s h a u s e n , Einfluss von Vorbestrafungen S 126 ff. — v. B u r i , GS 1877 S 52 ff. — v. L i l i e n t h a i , Beiträge zur Lehre von den Kollektivdelikten. Leipzig 1879. S. auch M e r k e l bei H H I I I 748. 749, I V 4SI. — Ueber den Wechsel der Strafgesetzgebung während fortdauernder Verbrechen handeln v. W ä c h t e r , G o l t d a m m e r , H ä l s c h n e r , J o h n , G e s s l e r in GA V I I I 1860 S 1 ff. 441 ff., 1 X 1 8 6 1 S 305 ff. 361 ff. 505 ff. 514 ff. S. auch oben § 54. — Die Literatur über die Strafanwendung bei Verbrechenskonkurrenz (s. B i n d i n g , Grundriss § 105) bleibt hier zur S e i t e . — Die folgende Darstellung setzt sich zur Aufgabe die Erscheinungen zu erfassen und nicht die Meinungen zu kritisiren. (Die Literatur erstickt in solcher K r i t i k ! ) Sie

§115.

Λ. Die vier Arten seiner Merkmale.

519

2. Dies ist nicht denkbar, ohne dass zugleich für das Maass der Strafbarkeit des Falles bestimmende Momente, also Strafbarkeitsmerkniale vorhanden sind. Zum Teil wirken die besonders wesentlichen Verbrechensmerkmale in diesem Sinne: aber es giebt stets noch eine ganze Reihe von Strafbarkeitsinerkmalen des ungesetzten Rechtes, welche sich darstellen entweder als Abstufungen der besonders wesentlichen Verbrechensmerkmale, insbesondere der Schuld oder der Tat, oder aber ausserhalb derselben stehen, wie ζ. B. die tätige Reue. Sie unterscheiden sich von den gesetzlichen Strafbarkeitsinerkmalen wesentlich gar nicht, wie denn dasselbe Moment, ζ. B. die Ueberlegung, bei dem einen Verbrechen ein gesetzliches, beim andern ein ungesetztes Strafbarkeitsnierkmal darstellt, wohl aber formell im Maasse ihrer Wirksamkeit. Die einen wirken nur Straferhöhung und Strafminderung innerhalb des Rahmens der relativ bestimmten Strafe, die andern finden Aufnahme ins Gesetz, um diesen Rahmen selbst mitzubestimmen. .Man kann jene mit v. W ä c h t e r 3 kurz „Strafmomente" nennen. 3. Diejenigen Merkmale, welche den verbrecherischen Hergang konkretisiren. Alle Taten wurzeln im Menschen, geschehen in der Zeit, lokalisiren sich im Raum, beziehen sich auf bestimmte Objekte und verlaufen in bestimmter Reihenfolge von Ursache und Wirkung. Diese Merkmale des bestimmten Täters, der bestimmten Zeit, Oertlichkeit, Abwicklung und Angriffsrichtung des Verbrechens pflegt man wohl als ausserwesentliche Verbrechensmerkmale zu bezeichnen; das ist richtig, sofern sie fungibel, unrichtig, sofern sie für den einzelnen Fall durchaus wesentlich sind. Ich bezeichne sie als K o n k r e t i s i r u il g s ni e r k m a 1 e. 4. Endlich aber müssen solche Merkmale vorhanden sein, welche die drei eben genannten zur Verbrechens-Einheit verbinden. — Die wesentlichen Merkmale der Verbrechensart und die Straflnomente sind nicht hier darzustellen. Die Konkretisirungsmerkniale bedürfen der Erwähnung, aber kaum der näheren Betrachtung. Die hisst durchaus auf den Strafgesetzen und auf der Lehre von deren Verliältniss zu einander (s. bes. § 71—77); sie legt alles Gewicht auf die Darstellung der Verluechens-Einheit; sie verwendet zu deren Verständniss den wertvollen Gegensatz von Delikts-Einheit und Delikts-Mehrheit; sie verwendet die Kategorie des fortgesetzten Verbrechens für eine Reihe nicht aus der W e l t zu schaffender Erscheinungen der Verbrechens-Einheit, hält aber den Streit um die Abgrenzung der verschiedenen Gruppen einheitlicher Verbrechen von einander und deren Benennung für müssig. 2 [zu s 517] Ueber den Sinn dieses Wortes s. oben S 502. * Sachs. Strafrecht S 294 ff.

Β. Die

erbrechenseinheit.

F e s t s t e l l u n g der E i n h e i t s m e r k n i a l e dagegen ist die A n g e l , worum sich die ganze L e h r e vom V e r b r e c h e n s f a l l dreht. Der so bedeutsame Unterschied von Verbrechenseinheit und Verbrechensmehrheit ist identisch mit dem von Falleinheit und Fallmehrheit. Nicht Verbrechensbegriffe, sondern Verbrechensfälle konkurriren. B. Die V e r b r e c h e n s e i n h e i t . ; § 116.

1. Der e i n z i g m ö g l i c h e S t a n d p u n k t auf dem Boden des Gesetzes.

I. Aus den verschiedensten Gesichtspunkten kann über dasselbe Geschehniss, mag es in der Aussenwelt oder in des Menschen Innern verlaufen sein, das Urteil gefällt werden, es stelle eine Einheit dar, oder enthalte eine Mehrheit von Vorgängen. Die Sicherheit dieses allzeit schweren Urteils entfällt ganz, wenn man nicht den Standpunkt genau präcisirt und den bestimmten tatkräftig und unverwirrt festhält, aus dem der Vorgang auf seine Einheitlichkeit hin beurteilt werden soll 1 . Ein Handlungsverlauf kann sich wegen seiner geschichtlichen Kontinuität zeitlich als Einheit darstellen, während er sich räumlich vielleicht verschoben hat, der Beschauer somit eine Vielheit der Begangenschaftsorte konstatirt und die zeitliche Einheit in räumliche Vielheit verwandelt ; ein dritter Beobachter hebt die einzelnen Handlungen der bei jenem Verlaufe beteiligten Personen hervor und ihn reizt die Vielheit der Fäden des Gewebes aufzudecken, während ein vierter gerade alles Gewicht legt auf die Plan-Einheit aller Handelnden und auf die Einheitlichkeit des Verlaufs von diesem Standpunkte aus2. 1 Auch wenn man dies t u t , langt man doch öfter auf Punkten an, wo das bewusste Urteilen wegen Mangels weiterer Gründe aufhört, und an seine Stelle die A n s c h a u u n g als etwas nicht allgemein Zwingendes tritt. Daraus erklärt sich, dass gewisse Zweifel nur für den Einzelnen durch dessen I n t u i t i o n gelöst werden können. — Dies Intuitions-Moment hat i n der ganzen Literatur über das fortgesetzte Verbrechen eine jedenfalls zu grosse Bolle gespielt. So nimmt v. W o r i n g e n in seiner treifliehen Abhandlung fortgesetztes Verbrechen an, wo er eine Fortsetzung, einen objektiven Zusammenhang schaut, M e r k e l in der seinen überall da, wo er einen unteilbaren verbrecherischen Total-Effekt mehrerer gleichartiger Handlungen schaut, und eine ganze Reihe einheitlicher Merkmale, insbes. auch die Einheit des Entschlusses, dankt einen grossen T e i l ihrer Erfolge dem Umstand, dass sie als brauchbare Direktiven für die Anschauung erschienen. Dieses intuitive Moment auch anerkannt bei R G I I vom 16. Jan. 1884 ( Ε I X 427). 2 M i t gutem Grund warnt H e r r m a n n , A N F 1853 S 372 vor dem lange „gepflegten Irrtume" : „als bilde das sog. dramatische Handlungsganze allemal auch ein juristisches".

116.

1. Der einzig mögliche Standpunkt.

521

II. Es hat nun die Lehre von Verbrechens-Einheit und -Mehrheit an drei Uebeln schwer zu leiden gehabt : daran dass der Standpunkt für die Beurteilung der Einheitlichkeit oft falsch, oft ganz ungenügend präcisirt und in Folge dessen innerhalb des nämlichen Urteils verschoben wurde; mehr noch daran dass der Gegensatz nie vollständig und nie rein in seiner theoretischen Bedeutung, sondern stets nur in einem engeren Ausschnitte und stets nur behufs Beantwortung der Frage nach der richtigen Strafzumessung insbesondere für die Konkurrenz ins Auge gefasst wurde 3; endlich daran dass man den Begriff der Verbrechenseinheit, insbesondere den des fortgesetzten Verbrechens a priori feststellen statt auf dem Boden der positiven Gesetzgebung suchen wollte 4 . Das zweite Uebel hatte die weiteren schädlichen Folgen, dass die Lehre vom einen Verbrechen statt den Grund- und Eckstein der ganzen Untersuchung zu bilden abgezweigt wurde von der Lehre der Konkurrenz und sich fast ausschliesslich auf das sog. fortgesetzte, als das der Konkurrenz ähnlichste einheitliche Verbrechen warf. Somit lag es nah, in diesem entweder einen privilegirten Fall der Realkonkurrenz 5 oder gar eine unmögliche Mittelstufe zwischen dem einheitlichen Verbrechen und der Konkurrenz zu finden 6. 3

S. bes. die schönen Darlegungen bei v. W o r i n g e n S 2 ff. — S e h r charakteristisch stellt beispielsweise M i t t e r m a i e r , Demmes Annalen I 6 die Frage des fortgesetzten Verbrechens so: warum der Gesetzgeber i n gewissen Fällen die mildere Ansicht billige nur e i n Verbrechen anzunehmen, ungeachtet mehrere verbrecherische Handlungen vorlägen? Siehe auch v. W o r i n g e n selbst S 37 ff.; S c h w a r z e , Fortg. Verbr. S 35. Vgl. über diese Bewegung bes. M e r k e l , F. Y . S 12. 13. Das fortgesetzte Verbrechen sollte nach erneuter Betonung des Kuniulations-Principes vom Anfang dieses Jahrhunderts an diesem Princip Abbruch tun. Ueber die Verkehrung der Frage in Folge dessen s. M e r k e l S 13. 14. 4 H ä l s c h n e r , Preuss. StR I 521 erhebt diesen Fehler zum P r i n c i p : „Die Frage, was e i n e Handlung und darum e i n Verbrechen sei, hat nicht die Gesetzgebung, sondern die Wissenschaft und i m konkreten F a l l der Richter zu entscheiden." — Grade die Untersuchung des einheitlichen Verbrechens auf dem Boden eines bestimmten positiven Rechts hat aber die Feststellung aller Verhältnisse der Strafgesetze zu einander zur Voraussetzung, und gerade diese unterblieb. 5 So F e u e r b a c h § 127; G r o l m a n § 121; W ä c h t e r , Lehrbuch I § 122 (s. freilich § 123 Anm 100); B a u e r , Lehrb. § 155, Abhandl. I I 10; A b e g g § 161; S c h w a r z e , GA V I I I 344. 345; B r e i d e n b a c h , Komm. I I 542. 543; G e s s l e r , GA I X 73; S e e g e r , GA X X 153; H h r e h o r o w i c z S 303. 6 Diese Auffassung kehrt ausserordentlich häufig wieder. N u r w i r d sie selten gradezu ausgesprochen. Sehr klar t r i t t sie bei S c h w a r z e , Fortg. Verbr. S 39 u. 52 hervor (s. aber die vor. Anm). S. darüber treffend M e r k e l , F. V . S 21 und H ä l s c h n e r , D. StR I 662.663. Diese Mittelstellung behauptet F u c h s , Anklage und Antragsdelikte S 83. 84 sogar für die Idealkonkurrenz.

Β. Die

erbrechenseinheit.

Hat doch der Widerspruch gegen das Strafprincip der Absorption beim Zusammentreffen mehrerer Verbrechen eines Schuldigen zu Anfang dieses Jahrhunderts den Anstoss zur neueren Lehre von der Konkurrenz gegeben, hat doch andrerseits die Sorge vor übertriebener Anwendung des Principes der Strafhäufung zu neuerer Behandlung des Begriffes vom fortgesetzten Verbrechen getrieben 7, und ist es doch unter dem Drucke dieser praktischen Tendenzen dahin gekommen den Gegensatz von Einheit und Mehrheit der Verbrechen in den von Konkurrenz und fortgesetztem Verbrechen, ja von Strafenmehrheit und Strafeneinheit zu verwandeln. Da darf es denn nicht W?under nehmen, wenn neuerdings das praktische Moment vollständig in den Vordergrund gedrängt und die Lehre von der Verbrechenskonkurrenz durch die von der Strafenkonkurrenz zu ersetzen8 oder selbe gar aus dem materiellen Strafrecht in den Prozess zu verweisen versucht worden ist 9 1 0 . Dagegen ist mit aller Entschiedenheit die theoretische Bedeutung des Gegensatzes von Verbrechens-Einheit und -Mehrheit der praktischen voranzustellen. Ohne Erkenntniss derselben sind die richtige Auslegung der Tatbestände aller Strafgesetze, die sichere Handhabung der Begriffe von Versuch und Vollendung, von Ein- und Mittäterschaft, sowie der Sätze über Verjährung und über Strafausschliessung ebenso undenkbar wie die richtige Anwendung der Strafdrohungen und der Satzungen über Konkurrenz. III. Man hat sich gewöhnt als das entscheidende Kriterium für die Verbrechens-Einheit die Einheit des entstandenen Strafrechts zu betrachten 11. Dies ist in drei Richtungen bedenklich: E i n Verbrechen erzeugt stets eine Mehrheit von Strafrechten, wenn es durch mehrere Teilnehmer verübt ist. E i n e Strafdrohung gewählt dem Staat für 7

Eine T h e o r i e desselben giebt es erst in diesem Jahrhundert. So nach dem Vorgange G e y e r s , H E n c I 4. A u f l . S 916 f. von R o s e n b l a t t , j a sogar von H ä l s c h n e r I 654. S. auch S c h ü t z e , Lehrb. S 190 und v. L i s z t , Lehrb. S 226. s

9

So von S c h ü t z e , Ζ f. S t R W I I I 48 ff. Uebrigens ist unverkennbar, dass neben der Verbrechens-Konkurrenz die Strafen-Konkurrenz ein selbständiges Problem bildet. Solche Strafen-Konkurrenz kann auch beim einheitlichen Verbrechen Platz greifen, ihr Hauptgebiet bildet aber die Verbrechens-Konkurrenz. Diese Verschiedenheit der Probleme ist schon lange erkannt. S. ζ. B. K l e i n s e h r o d I I I 202 ff.: „ V o n der Zusammenkunft mehrerer Verbrechen u n d Strafen in einem Subjekte"; O e r s t e d , Grundregeln S 392. Auch die deutsche Gesetzgebung hat das Zusammentreffen von Strafen öfter ganz abgesondert von der Konkurrenz behandelt. 10

11 Wenigstens dreht sich der K a m p f des fortgesetzten •Konkurrenz stets um diesen Punkt.

Verbrechens m i t der

g 116.

1. Der einzig mögliche Standpunkt.

523

dasselbe Verbrechen vielleicht mehrere Strafmittel : er erhält ein Recht auf Gefängniss und daneben ein zweites auf Geldstrafe, oder ihm erwachsen zwei alternativ konkurrirende Strafrechte 12. Endlich können mehrere Verbrechen gemäss dem System der Absorption nur einen Strafanspruch erzeugen. Somit ist eine andere Grundlage der Definition zu suchen. IV. Den einen der Schlüssel zum Verständniss der Verbrechenseinheit bildet der B e g r i f f des e i n h e i t l i c h e n D e l i k t s . Untersagt die Norm ein bestimmtes Verhalten, so schliesst sich dieses in der Vorstellung des Gesetzgebers zur Einheit zusammen, und er zieht sich und damit auch allen Andern die Grenze zwischen der einmaligen und der mehrmaligen Uebertretung desselben Verbots und Gebots. Damit stellt er endgiltig den Unterschied von Deliktseinheit und Deliktsmehrheit fest: seine Einheitsvorstellung kann dann vielleicht vom Standpunkte des Logikers, nie aber von dem des Juristen anfechtbar sein. Je genauer sich die verbotene Handlung durch einen nach Art und Grösse bestimmten Erfolg charakterisirt, desto sicherer wird die Einheitsvorstellung des Gesetzgebers der allgemeinen Vorstellung entsprechen. Aber sein Blick kann mehr in die Einheit ziehen als diese: ihm erscheint vielleicht ein ganzes Verhalten trotz der zeitlichen oder inhaltlichen Verschiedenheit seiner Akte oder vielleicht eine ganze Serie von Handlungen gleicher Art als zu verbietende Einheit. Daraus ergiebt sich die wichtige Konsequenz, dass verschiedene Deliktsarten verschiedene Einheitskriterien haben können und man sich vor der Aufstellung der Schablone: Einheit der Handlung, Einheit der Kausalität, Einheit des Willens, Einheit des Erfolges, Einheit des verletzten Rechtsgutes oder des verletzten Rechtes für alle Arten der Delikte streng hüten muss. Es folgt aber daraus weiter, dass auch das einheitliche Delikt bald einfachere, bald verwickeitere Darstellungsformen besitzt und deshalb die oft ausgesprochene Hoffnung, diese verwickelten Formen wie beispielsweise das fortgesetzte Verbrechen aus der Lehre von der Einheit des Verbrechens verschwinden zu sehen lediglich der Kurzsichtigkeit entspringt und trügen muss. Fortgesetzte Delikte giebt es vor allen Strafgesetzen, die ohnmächtig sind sie zu beseitigen. Endlich hat sich gezeigt, wie der Satz: auch die Deliktseinheit ist eine gesetzliche, d. h. eine durch Gesetz entweder anerkannte oder geschaffene, richtig verstanden unanfechtbar ist. 12

Ueher den Fall, wo zwei Staaten aus demselben Verbrechen strafberechtigt worden, s. unten S 569.

Β. Die

erbrechenseinit.

Der festgestellte Begriff ist in doppeltem Sinne für das Strafrecht wertvoll. Bei dem einfachen Verbrechen lassen sich die Einheitskriterien öfter mit mehr Erfolg aus dem Sinn der Verbote als aus dem der Strafgesetze entwickeln, bei den zusammengesetzten Verbrechen aber bildet gerade eine Deliktsmehrheit die Verbrechenseinheit. Zum Zwecke der Repression fasst der Gesetzgeber zur Einheit zusammen, was er zum Zwecke der Prävention als Vielheit behandelt hat; er fordert dann ausdrücklich die Einheitsmerkmale der Delikte nicht ohne weiteres auf die Verbrechen zu übertragen. V. Wie die Auffassung des Gesetzgebers über die zu verbietenden Lebenseinheiten maassgebend ist für die Einheit des Unrechts, so ist seine Auffassung über das Objekt des Strafgesetzes entscheidend über Einheit und Mehrheit der Verbrechen. Diese V e r b r e c h e n s e i n h e i t i s t also stets ebenso eine g e s e t z l i c h e wie die D e l i k t s e i n h e i t 1 3 . Diese beiden Begriffe lassen zunächst nur eine annähernd richtige Definition zu. D i e e i n m a l i g e R e a l i s i r u n g des T a t b e s t a n d e s i n einem b e j a h e n d e n Strafgesetze durch einen oder mehrere S c h u l d i g e e r g i e b t den B e g r i f f 13 Ich finde diesen Gedanken zuerst mit voller Bestimmtheit bei W a s e r , Ζ f. Oesterreich. Rechtsgelehrs. 1845 I 12 ausgesprochen: „ I ) a nur diejenige Tat als E i n Verbrechen beurteilt werden k a n n , welche das Gesetz als E i n Verbrechen erklärt, so kann auch eine Mehrheit von Handlungen nur dann als E i n Verbrechen gestraft werden, wenn sie nach dem gesetzlichen Begriffe E i n Verbrechen bilden.'' Vgl. 8 40 das. — Z u ihm bekennt sich bes. auch M e r k e l , F. V. 8 23. 24. Nach i h m handelt es sich bei dem fortgesetzten Verbrechen lediglich „um korrekte Anwendung der Gesetzesbestimmungen, keineswegs um eine doktrinale Neuschöpfung". Vgl. das. S 82. — N u n leuchtet bei Betrachtung der gesetzlichen Verbrechensbegriife alsbald ein, dass dieselben häufig Uber die Delikts-Einheit hinausgehen, dass also nur der ausdrücklich oder konkludent erklärte W i l l e des Gesetzgebers die Zusammenfassung der mehreren Delikte zu einem Verbrechen ermöglicht. Diesen Gegensatz, der freilich selten scharf gefasst wurde, suchte man dann als den Gegensatz zwischen d o k t r i n a l e r und g e s e t z l i c h e r F o r t s e t z u n g ( K r u g , Konkurrenz S 20 if., bes. S 2 6 ; s. dagegen bes. W a s e r a. a. 0 . 8 13; M e r k e l , F. V. S 23 A n m 20, vgl. S 30), zwischen k ü n s t l i c h g e s c h a f f e n e n und η i c h t k i'i η s t l i e h g e s c h a f f e n e n fortgesetzten Verbrechen (H a b e r m a a s 8 4), zwischen η a t ü r l i e b e r und j u r i s t i s c h e r H a n d l u n g s - E i n h e i t (v. L i s z t § 55. 56) zu bezeichnen, oder man wies wenigstens auf diese Bildung gesetzlicher Tatbestände hin : ζ. B. M a r e z o l l 8 204; J o h n , F. V. 8 2 9 : bes. aber v. B u r i , der in seiner Abhandlung „ E i n h e i t und Mehrheit der Verbrechen" den ganzen Abschnitt I I I der von ihm sog. „gesetzlichen E i n h e i t " gewidmet hat. Das unstreitige Verdienst v. B u r i s wäre noch grösser, hätte er nicht in dem betreffenden Abschnitte sehr heterogene Erscheinungen derart durch einander geworfen, dass eine Auseinandersetzung mit ihm im einzelnen als untunlich erscheint. Vgl. auch H i l l e r , GS 1880 8 210 ff.

116.

1. Der einzig mögliche Standpunkt.

525

der V e r b r e c h e n s e i n h e i t , ganz gleichgiltig, ob daraus Strafrechte überhaupt und wie viel Strafrechte aus diesem einen Verbrechen entsprungen sind. D i e m e h r m a l i g e R e a l i s i r u n g dieses T a t b e standes oder die R e a l i s i r u n g der T a t b e s t ä n d e m e h r e r e r Strafgesetze d u r c h dieselben oder ganz verschiedene T ä t e r e r g i e b t den B e g r i f f der V e r b r e c h e n s m e h r h e i t 1 4 . Da der Satz nulla poena sine lege das heutige Strafrecht beherrscht, bedeutet das Urteil der Verbrechenseinheit, der Tatbestand lasse sich nur unter ein Strafgesetz und zwar im Sinne dieses Gesetzes nur e i n m a l darunter subsumiren, das der Verbrechensmehrheit, das Verhalten des Schuldigen könne nicht nur, sondern müsse entweder einem Strafgesetz m e h r m a l s , oder m e h r e r e n S t r a f gesetzen g l e i c h z e i t i g unterstellt wrerden 15. Ersteres verneint vor allem das Hinausgehen der Handlung über den Rahmen einer und derselben Verbrechensart, dann die mehrmalige Darstellung dieser Art in verschiedenen Einheiten; letzteres verneint nicht die Einartigkeit der mehreren Handlungen, wohl aber die verbrecherische Einheit derselben. Will man innerhalb der Verbrechensmehrheit einartige und verschiedenartige unterscheiden, so hat dies zwar wenig Wert, ist aber nicht anfechtbar 16. 14

Konkurrenz ist nur ein Ausschnitt aus der Verbrechensmehrheit. Sie erfordert Einheit des Schuldigen und Zusammentreffen seiner mehreren Verbrechen zu einheitlicher Strafanwendung. Dieser Begriff ist lediglich für die Frage nach dem richtigen Modus der Bestrafung geschaffen: seine Erörterung gehört demgemäss i n die Lehre von der Strafanwendung (s. Buch IV). Bedürfen nun allerdings die Tatsachen, dass Verbrecher-Mehrheit die Verbrechens-Einheit nicht ausschliesst, dass andrerseits der Begriff der Verbrechens-Mehrheit nicht nur anwendbar ist auf die mehreren Misstaten derselben Person, ausdrücklicher Hervorhebung, so hat die folgende Darstellung keinen Grund hier sich mit beiden eingehender zu befassen. Sie b e h a n d e l t also d i e F r a g e der V e r b r e c h e n s - E i n h e i t u n d - M e h r h e i t n u r b e z ü g l i c h d e s s e l b e n S c h u l d i g e n und bewegt sich letztere betreffend somit auf dem engeren Gebiete der Konkurrenzlehre. N u r die Frage, wann die mehreren Verbrechen desselben Schuldigen zu einheitlicher Strafanwendung zusammentreffen, bleibt hier noch ganz bei Seite. Durch die Lehre von der Teilnahme wird die folgende Darstellung zu ergänzen sein. ir>

Letzteres trifft auch dann zu, wenn es mehreren Alternativen eines von mir sog. Mischgesetzes gleichzeitig zu unterstellen ist. 16 Die verschiedenen Bezeichnungen Konkurrenz s. unten § 123.

für

diesen

Unterschied innerhalb

der

526 £ 117.

2. I h r e Formen. I h r V e r h ä l t n i s s zur Gesetzesk ο η k u r r e η ζ.

I. Das einheitliche Verbrechen kommt· in drei Gestalten vor 1 : es i s t w e s e n t l i c h D e l i k t s e i n h e i t oder w e s e n t l i c h D e l i k t s m e h r h e i t 2 oder es k a n n ebensogut D e l i k t s e i n h e i t wie D e l i k t s n i e h r h e i t s e i n 3 . Das sog. fortgesetzte Verbrechen begegnet innerhalb aller drei Formen der Verbrechenseinheit, und das Uebersehen dieser Tatsache dürfte eine ausreichende Erklärung für das Misslingen aller Versuche sein die wesentlichen Merkmale desselben für alle Arten seines Vorkommens e i n h e i t l i c h bestimmen zu wollen. II. Dem einen Verbrechen entspricht stets nur ein Strafgesetz, dessen Tatbestand es einmal verwirklicht 4. Die Verbrechenseinheit wird dadurch nicht notwendig aufgehoben, die Annahme der Verbrechensmehrheit dadurch nicht notwendig bedingt, dass das deliktische Verhalten des Schuldigen die sämmtlichen Merkmale mehrerer Gesetzestatbestände an sich trägt. Die mehreren Gesetze können sich nämlich derart zu einander verhalten, dass stets nur das eine von ihnen zur Anwendung zu kommen verlangt 50 — G e s e t z e s k o n k u r r e n z be1

Diese Einteilung ist eine solche der vollendeten Verbrechen.

2

So das zusammengesetzte Verbrechen. S. unten § 121. 3 Diese mehreren Delikte können gleichartig, aber auch verschiedenartig sein. S. unten § 119. 120. 4 Ueber eine scheinbare Ausnahme von diesem Satze s. unten § 122 S 569. 5 Diesen Verhältnissen hat die Lehre von den Quellen volle Aufmerksamkeit zugewendet. Deshalb ist hier eine kurze Rekapitulation ausreichend. Uebrigens ist die Erkenntniss der Verschiedenheit von V e r b r e c h e n s - und „ G e s e t z e s - K o n k u r r e n z " relativ jungen Datums. F e u e r b a c l i überschreibt die §§ 126 ff. seines Lehrbuchs : „ V o n den Gründen relativer Strafbarkeit bei konkurrirenden Gesetzen" ; H e n k e seinen § 9 1 : „ V o n der Anwendung konkurrirender Strafgesetze". Daran ist richtig, dass überall, wo w i r k l i c h mehrere bejahende Strafgesetze neben einander anzuwenden sind, Verbrechens-Konkurrenz vorliegt, und dass die sog. GesetzesKonkurrenz bei einheitlichem Verbrechen insofern ein Schein ist, als stets nur eines dieser mehreren Gesetze angewandt werden w i l l . — Vgl. über diesen Punkt bes. O e r s t e d , Grundregeln S 400 ff.; B a u e r , Lehrb. § 153, Abhandl. I I 10 ff.; A h e g g § 160; H e f f t e r § 163; J o h n , F. V. S 78 ff.; M e r k e l bei H H I I 574, I V 225; B i n d i n g , Grundriss § 73; H i l l e r , GS 1880 S 230 ff.; v. W ä c h t e r , Vöries. § 9 8 ; S c h ü t z e , Ζ f. S t R W I I I 55 ff; v. S c h w a r z e , GS 1883 S 593 ff.; L ö w e n s t e i n , Verbrechenskonk. S 13 ff.; G e y e r , Grundriss I 186 ff.; v. L i s z t S 222. 223; O l s h a u s e n zu § 73 A n m 11—17. — Dem oft gemachten Fehler Fälle der Gesetzeskonkurrenz für Verbrechenskonkurrenzen zu halten ist der umgekehrte zur Seite getreten, die Idealkonkurrenz für reine Gesetzeskonkurrenz zu erklären. So K r u g . Konkurrenz (1842) S 2. und neuerdings v. B u r i und v. L i s z t (s. darüber unten § 123). 6

Ich denke hier nur an die Konkurrenz neben einander g i l t i g e r

Gesetze

S 117. 2. Können der Verbreclienseinlieit.

527

d e u t e t dann n i c h t V e r b r e c h e n s - , j a v i e l f a c h n i c h t einmal D e l i k t s k o n k u r r e n z : 1. wenn von den m e h r e r e n S t r a f g e s e t z e n das eine lex g e n e r a l i s , das andere lex specialis i s t 7 . Es interessiren hier ganz besonders die einen Verbrechenstatbestand qualificirenden oder privilegirenden Gesetze. Ist die Tat mit dem Schärfungs- oder dem Milderungsgrund begangen worden, so unterfällt sie natürlich dem allgemeinen und dem besonderen Gesetze : letzteres aber steht allein zur Anwendung. Häufen sich bei demselben Verbrechen Schärfungsgründe von verschiedener Wirksamkeit, so kommt stets das Gesetz zur Anwendung, welches den schwersten Qualifikationsgrund berücksichtigt, und die übrigen Schärfungen wirken nur straferhöhend 8. Konkurrenz von Schärfungsgründen ist keine VerbrechenskonkurrenzGanz das analoge gilt bei dem seltneren Zusammentreifen von Milderungsgründen. Das mildeste Gesetz ist anzuwenden, falls nicht, wie bei der Konkurrenz der Jugend mit anderen Privilegirungen, eine andere Strafberechnung vorgeschrieben wird 1 0 . Eine Regel von gleicher Einfachheit und durchschlagender Kraft für das gar nicht seltene Zusammentreffen von Schärfungs- und Milderungs- oder gar Strafausschliessungs-Gründen bei demselben Delikte ist nicht aufzustellen 11. Wieder lässt sich sagen, dass dann stets die Schärfung, noch dass stets die Milderung prävalire, noch dass beide sich gegen einander aufhöben und die Strafe des Gattungsverbrechens des Reichs oder des Reiches und eines Bundesstaates. Verbricht ein Deutscher im Auslande im Sinne des GB § 4 N r 3 , so übertritt er zwei Verbote, das des Auslandes und das seiner Heimat, und zwei Strafrechte erwachsen aus seiner Handlung. Ob Einheit oder Mehrheit von \ r erbrechen vorliegt, kann erst in § 122 klar gelegt werden. 7 S. oben § 71—73. Vgl. auch O l s h a u s e n zu § 73 A n m 12. 8 S. oben S 353. — Dieser F a l l der Gesetzeskonkurrenz ist i m Anschluss an die CCC A . 163 schon lange als solcher erkannt. S. T i t t m a n n , Handbuch 1. A u f l . I 83; S c h r o e t e r , De conc. delictor. S 10. 11; ν. W ä c h t e r , Lehrb. I S 122 Anm 95; B a u e r § 153; S a n d e r , A N F 1836 S 276 ff.; H e f f t e r § 163; A h e g g § 160 u. s. w. — Uebrigens ist bekanntlich grade CCC A . 163 zur Verteidigung des Absorptions-Princips für die Idealkonkurrenz benutzt worden. S. über diesen Missbrauch W ä c h t e r , Lehrb. I § 123 A n m 100. 9 I c h halte es deshalb für unzulässig, wenn M e r k e l bei H H I V 229 diese Fälle unter § 73 ziehen w i l l . 10 S. oben S 353 A n m 9. 11 I n der Literatur w i r d dieser Punkt sehr vernachlässigt. Berücksichtigt ist er wenigstens bei O e r s t e d S 421 if. E r formulirt S 414 die Regel: „ W o eine schärfende und mildernde Eigenschaft zusammentreffen, muss in der Regel jede ihre W i r k u n g behalten und folglich eine die andere beschränken. c:

Β. Die

erbrechenseinheit.

zu verhängen sei 12 . Ja der letztere in gewissen Fällen allein rationelle Weg scheint durch das GB ganz verschlossen, und stets muss man, von den qualificirten Verbrechen jugendlicher Personen abgesehen, entweder auf das strengere oder auf das mildere Gesetz zurückkommen13 ; 2. wenn von den m e h r e r e n Strafgesetzen die S t r a f drohung des einen die cles a n d e r n k o n s u m i r t 1 4 ; 3. wenn d i e s e l b e n im V e r h ä l t n i s s e der A l t e r n a t i v i t ä t 1 5 oder 12

I n manchen Fällen löst das Gesetz den Zweifel. So ermöglicht es bei den qualificirten Verbrechen jugendlicher Personen dem Schärfungs- und dem Milderungsgrund gemeinsam zu wirken. Bei qual. Diebstählen unter Ehegatten oder von Ascendenten an Sachen der Descendenten begangen lässt GB § 247, 2 den Grund der Milderung über den der Schärfung den vollen Sieg davontragen. Das Umgekehrte bestimmt § 258 al. 2 bezüglich der Hehlerei zu Gunsten der Angehörigen. Treffen nämlich wie in diesen beiden Fällen Schärfungs- und Strafausschliessungsgri'inde zusammen, so schlägt das heutige gemeine Recht, soviel ich sehe, einen mittleren W e g nie ein. 13 F ü r das eine wie für das andere ist entscheidend, ob der Milderungsgrund nur gegenüber dem einfachen oder auch gegenüber dem geschärften G attungsverbrechen Sinn h a t , also Kraft haben soll. So ist es nicht zweifelhaft, dass die Tötung des einwilligenden Ascendenten nicht nach GB § 215, sondern nach § 216 zu strafen ist, da der Milderungsgrund für den Täter gegenüber dem lebensmüden Ascendenten an Kraft noch gewinnen kann. Ganz anders aber in dem heute wohl häufigsten F a l l solchen Zusammentreffens, beim qualificirten Diebstahl an Nahrungsoder Genussmitteln von unbedeutendem Werte oder in geringer Menge zum alsbaldigen Verbrauche (einerseits GB § 243, andererseits § 370, 5). Die Privilegirung des § 370, 5 hat ihren Grund nicht allein in dem geringen W e r t der Entwendung, sondern weit mehr i n der geringen Intensität des Vorsatzes : der Täter begeht um ein momentanes Gelüsten zu befriedigen oder eine Notlage zu kehren einen unbedeutenden Gelegenheitsdiebstahl. Dieser Grund entfällt sofort, falls der Täter einen schweren Diebstahl plant. Es ist an und für sich schon höchst bedenklich, dass der Milderungsgrund des § 370, 5 ohne ausdrückliche Bewilligung des Gesetzgebers (die Aeusserung der Motive zu E n t w I I I § 365 beweist natürlich gar nichts) nicht nur die Kraft haben soll das Maximum von 5 und 3 Jahren Gefängniss (§ 242. 246) auf Haft von sechs Wochen zu erniedrigen, sondern auch die Zuchthausstrafe von 10 Jahren um mehr als das hundertfache zu reduciren. Geradezu sinnlos, weil im Sinne völliger Rechtlosigkeit wirkend erscheint aber jene angebliche Privilegirung, wenn man bedenkt, dass sie die Straflosigkeit des frechsten und verwegensten Diebstahlsversuchs bewirken würde, falls nur etwa die bewaffneten Glieder der Diebesbande sich mittels Einbruchs „Eins zu T r i n k e n " stehlen wollen. So prävaliren hier umgekehrt die Schärfungsgründe über den Milderungsgrund. Andernfalls müsste man konsequent auch die Strafen des Raubes und der Erpressung der des § 370, 5 opfern. Die umgekehrte die heutige Praxis unbedingt beherrschende Auslegung begünstigt wieder einmal nach der Sitte des Tags statt die Rechtsordnung den Verbrecher. 14 S. oben § 77. V o l l anerkannt von O l s h a u s e n zu § 73 A n m 14. 15 Sehr seltsame unstichhaltige Gegengründe bei O l s h a u s e n zu § 73 A n m 15.

§ 118. 3. Ihr Wesen entwickelt am einlieitl. Delikte.

529

4. i n dem der S u b s i d i a r i t ä t s t e h e n 1 6 . Dieses Verhältniss lenkt die Aufmerksamkeit auf die Erscheinung hin, dass trotz v e r s c h i e d e n a r t i g e r isolirt betrachtet verbrecherische^ Handlungen desselben Täters, die noch dazu zeitlich weit aus einander fallen können, zuweilen ein Teil derselben scheinbar ignorirt und nur ein Verbrechen angenommen wird. Es kommt diese Erscheinung wohl nur bei subsidiären Strafgesetzen und auch bei diesen nicht durchweg vor 1 7 . § 118. 3. I h r Wesen e n t w i c k e l t am e i n h e i t l i c h e n Delikte. Wann aber ist der Tatbestand eines Strafgesetzes nur einmal verwirklicht? Diese Frage ist nun für die Verbrechenseinheit in ihren drei Gestalten genau zu beantworten. Den Ausgang n i m m t die U n t e r s u c h u n g von dem V e r brechen, das w e s e n t l i c h D e l i k t s e i n h e i t , somit e i n m a l i g e U e b e r t r e t u n g der Norm i s t 1 . Verbietet diese die Verletzung eines bestimmten Rechtsgutes, so erscheint ihr der Wille diese Norm zu übertreten, verbunden mit seiner Selbstverwirklichung und dem eingetretenen verletzenden Erfolge an dem geschützten Rechtsgute, als ein Ganzes und zwar als eine Handlung. Dieser sind eigentümlich Einheit des schuldhaften Willens, Einheit der Tat und Einheit des Erfolges 2. Jeder vorsätzlichen Tötung entspricht e i n Vorsatz, die Setzung einer Tötungsursache, der Tod eines Menschen in Folge jener einheitlichen vorsätzlichen Aktion. Das gleiche gilt von allen 16

S. oben § 74—76. λ'οΐΐ anerkannt von O l s h a u s e n zu § 73 A n m 13. Nicht ζ. B. wenn der Versuch zur Vollendung fortschreitet, wohl aber wenn die Strafe der Forderung durch die des Zweikampfes, die des Aussetzungsversuchs durch die des Totschlags, i n welchen er sich fortsetzt, die der unterlassenen Anzeige durch die der Beihilfe konsumirt wird. S. oben § 76. 17

1

I h m werden die §§ 118 u. 119, dem aus mehreren Delikten sich zusammenschliessenden Verbrechen die §§ 120 u. 121 gewidmet. — Ich erlaube m i r i n der Folge besonders an Verletzungsverboten und ihren Uebertretungen zu argumentiren, ohne die andern Arten der Normen aus dem Auge zu verlieren. 2 Diese Wahrheit scheint so unbestreitbar, dass man kaum begreift, wie in der Theorie des fortgesetzten Verbrechens bald das eine, bald das andere, bald das dritte dieser Merkmale zur Unifikation des Verbrechens allein benutzt werden konnte. Die Zusammenfassung derselben bedeutet also für die Lehre von der Verbrechens-Einheit einen grossen Fortschritt, nicht aber wie M e r k e l , F . V . S 56 sagt, die Vertauschung einer unvollständigen Tautologie mit einer vollständigen. Durchaus richtig H ä l s c h n e r D. StR I 665. S. schon M i t t e r m a i e r zu Feuerbach § 128a; W a s e r a. a. 0 . S 3 6 ; M a r e z o l l S 203. 204; K ö s t l i n S 545. Diese Ansicht hatte auch das Berl. OTr adoptirt nicht ohne Widerspruch H ä l s c h n e r s , Pr. StR I 522. S. auch R ü d o r f f S 264." Binding, Handtuch. V I I . 1. I :

B i n d i n g , Strafrecht.

I.

34

Β. Die

erbrechenseinheit.

einfachen Verletzungsverbrechen, sofern sie eine Deliktseinheit darstellen. Dem einheitlichen Delikte entspricht also stets die Einheitlichkeit des verletzten Gehorsamsrechtes, es müsste denn das Delikt mit zwei gleich lautenden Normen zweier Staaten in Konflikt geraten8. Nun ist von hohem Interesse zu beobachten, wie der Gesetzgeber mit seiner Vorstellung von der Deliktseinheit in Abhängigkeit gerät von Tatsachen, über die er keine oder eine nur ungenügende Macht besitzt, wie aber diese Abhängigkeit nicht allen Delikten gegenüber gleich gross ist. Es sind dies charakteristischer Weise die Faktoren, welche in der Lehre vom fortgesetzten Verbrechen, sofern sie die Einheit der mehreren verbrecherischen Akte nicht im Willen des Gesetzgebers suchte, einzeln als dessen charakteristische Merkmale behauptet worden sind 4 . Zunächst 1. von dem F a k t o r der Zeit. Verursachung des verbrecherischen Erfolges heisst allmähliches Setzen seiner Bedingungen und ist natürlich nur in der Zeit möglich. In welcher Weise aber der Misstäter über seine Handlung zeitlich disponirt, liegt in seiner, nicht in der Hand des Gesetzgebers; wie lange die von ihm gesetzte Ursache wirken muss um den Erfolg herbeizuführen, dies zu bestimmen liegt meist ausser der Macht beider. Es ist möglich, dass der Gesetzgeber dies Zeitmoment wenigstens 1 von einem gewissen Punkte an zu beherrschen versucht und bestimmt, die Wirkungen, die erst nach einem tempus criticum einträten, sollten als mit der Handlung des Schuldigen nicht mehr in Verbindung stehend betrachtet werden 5. Aber abgesehen davon ist es dem Täter anheim gegeben die Setzung der Ursache in einen Moment zusammendrängen, oder seine Tätigkeit auszudehnen über einen ununterbrochenen Zeitraum, oder sie zu zerlegen in zeitlich getrennte Akte, die vielleicht nur in grossen Intervallen wiederkehren und nach deren letztem vielleicht gar 3

I n diesem Sinne ist E i n h e i t l i c h k e i t d e s v e r l e t z t e n R e c h t s zum e i n e n Delikte erforderlich. Ganz abweichend beantwortet das Civilrecht die Frage nach der Einheit des verletzten Rechtes : der Dieb, der eine Ballgarderobe ausräumt, hat im Sinne des Strafrechts e i η Recht auf Botmässigkeit, im Sinne des Civilrechts vielleicht hundert Rechte verletzt. Diese Verschiedenheit verkennt J o h n , F. V. § 12. F ü r ihn entscheidet die Mehrzahl der verletzten Rechte dergestalt, dass ein Diebstahl an zehn verschiedenen Personen gehörigen Sachen zehn Diebstähle repräsentirt. 4 Einheitlichkeit des Willens — zeitliche Kontinuität der Handlung — Verhältniss von M i t t e l und Zweck — teilweise oder nur totale Verletzbarkeit des angegriffenen Rechtsgutes — Einheitlichkeit desselben oder des angegriffenen Rechtes. — S. bes. v. W o r i n g e n S 2—26. 5 Die früheren Strafgesetzgebungen bieten dafür genügende Beispiele.

§ 118.

. Ihr Wesen entwickelt am eineitl. Delikte

531

der Erfolg auf sich warten lässt. Es muss somit der Gesetzgeber seine E i n h e i t s v o r s t e l l u n g u n a b h ä n g i g s t e l l e n von der Z e i t d a u e r und der z e i t l i c h e n K o n t i n u i t ä t der v e r b r e c h e r i s c h e n E i n z e l a k t e e i n e r - und cles v e r l e t z e n den Erfolges andererseits. Damit ist natürlich eine grosse Mannigfaltigkeit der Entwicklung des Verbrechens in der Zeit gegeben, und im einzelnen Fall kann das zeitliche Auseinanderstreben der Handlung die Annahme ihrer Einheit zweifelhaft lassen. — Ganz analog verhält es sich 2. m i t dem F a k t o r des M i t t e l s . Sind zur Herbeiführung des verbrecherischen Erfolges verschiedene Mittel möglich, vielleicht gar wie Gewalt und Drohung bei der Nötigung, dem Raub, der Erpressung, wie List, Drohung und Gewalt bei Menschenraub, wie Erregung und Erhaltung des Irrtums beim Betrüge, wie Geschenke, Versprechungen, Drohungen u. s. w. bei der Anstiftung, gesetzlich als solche "anerkannt, so kann weder der Wechsel in den gewählten Mitteln noch die Verbindung derselben die Einheit der Verursachungshandlung aufheben 6. Eine Mehrheit von Verbrechen tritt aber sofort ein, sobald die als Mittel dienliche Handlung selbständig unter Strafe steht und ihre Strafe nicht ausnahmsweise durch die Strafe der Handlung, der sie als Mittel dient, verzehrt wird. Nichts ist dagegen unrichtiger als [die Ansicht, fortgesetztes Verbrechen sei eben" die Verbindung zweier Verbrechen als Mittel und Zweck 7 . Des weiteren wird diese Einheitsvorstellung bedingt 3. von der Q u a l i t ä t des a n g e g r i f f e n e n Rechtsgutes oder Rechtes 8 und zwar i n der d o p p e l t e n R i c h t u n g der E i n h e i t l i c h k e i t des Recjhtsgutes im Sinne der Norm und des q u a n t i t a t i v v e r s c h i e d e n e n Maasses seiner V e r l e t z bar k e i t. a. Da die Norm Respektirung 'jedes einzelnen der von ihr geschützten Rechtsgüter fordert, so bedeutet die Mehrheit angegriffener und verletzter Rechtsgüter stets eine Mehrheit von Verletzungsdelikten9. ö

S. K G I V vom 7. J u l i 1884 ( Ε X I 38). E i n T e i l der Auffassung von K r u g , Konkurrenz S 30. 8 Hier w i r d natürlich nicht an die Gehorsamsrechte, sondern an Urheber-, Forderungs-Rechte u. s. w. gedacht. Der Einfachheit halber redet der Text weiterhin von Rechtsgütern. 9 I m Princip einverstanden M e r k e l , F. V. 8 64 if., und soviel ich sehen kann, H ä l s c h n e r , D. StR I 661. Sehr richtig bemerkt H. das. A n m 1, dass die Frage der Einheitlichkeit des Rechtsgutes für jede Deliktsart nach Maassgabe ihres 34* 7

Β. Die

erbrechenseinheit.

Der Kreis des einheitlichen Rechtsgutes ist nun bald sehr klein, bald ungemein gross. Bald füllt ihn eine scharf ausgeprägte Individualität, bald eine unzählbare Masse fungibler Gegenstände. Es lässt sich hier kein grösserer Gegensatz denken als der zwischen Personen und Sachen. Schutz der Person ist Schutz des Individuums in seinem Leben, s e i n e r Ehre, seiner Freiheit, seiner Geschlechtsehre, s e i n e n Geisteswerken. Es ist ein Unding, aus zwei Leben ein Rechtsgut machen zu wollen : die Grenzen der Einheit der Güter und die der Individualität fallen hier notwendig zusammen. Ganz analog beim Staate. Der Schutz gilt ihm als publizistischer Persönlichkeit, seiner individuellen Verfassung, seinem individuellen Territorialbestand. Daraus folgt der wenigstens |für die Verbrechen gegen die physische Person heute fast allgemein anerkannte Grundsatz, dass nicht nur die Mehrzahl cler verletzten Personen stets eine Mehrzahl der Verletzungsverbrechen bedeutet, sondern auch, dass die Zahlen der gleicherweise Angegriffenen und die der verbrecherischen Angriffe einander gleich sind 10 . Bei den Verbrechen gegen Urheber- und Erfinderrechte gilt ganz das gleiche; sie sind in diesem Sinne Individualrechte: so viel Rechte verletzt sind, so viel Delikte konkurriren) 11. Dasselbe muss gelten bei den Angriffen auf den Staat als Ganzes. So viel Verfassungen gestürzt [werden sollen u. s. w., so viel Hochverrats-Verbrechen liegen vor. Ganz anders bei den Vermögensverbrechen. Hier präcisiren die Normen des Einzelnen Pflichten gegenüber fremdem Vermögen, fremdem Eigen, bestimmten Gruppen von Sachen. Die 'Individualität des Eigners, des einzelnen Eigentumsobjektes, des Eigentumsrechtes ist vom Standpunkte der Norm aus vollständig gleichgültig12. Die Einheit des Angriffsobjekts ist hier das Genus, dort die Spezies: Objekt gesetzlichen Tatbestandes beantwortet werden muss. S. auch M e y e r § 66 S-386. Den richtigen Gedanken hat falsch verwendet J o h n , F . V . S 5 if. 10 S. O e r s t e d S 395; B a u e r , Abh. I I 8 ; W a s e r a. a. 0 . S 32; K ö s t l i n , Syst. S 540; H ä l s c h n e r , Pr. StR I 511, D. StR I 661; M e r k e l , F. V . S 154 if. ; ν. W ä c h t e r , Vorl. S 295. 296. A . M . B e r n e r , Preuss. StR S 106; v. L i s z t S 224. F ü r das Gebiet der fahrlässigen Verbrechen w i r d freilich dieser Satz verschiedentlich durch Aufstellung eines ganz vagen Begriffs der e i n e n Fahrlässigkeit verleugnet. S. ζ. B. J o h n j , F. V . S 72 ff. ; Β e r η e r , Preuss. StrR S 96. Vgl. auch unten § 119 A n m 2. Sehr instruktiv; der F a l l der Abimpfung von einem syphilitischen Kinde bei T e m m e , Archiv I I 299, wo natürlich die erste Instanz gegen die zweite Recht behält. 11 So auch RG I I v. 29. März 1881 (Ε I V 36); O l s h a u s e n zu § 73 A n m 8 b . 12 Auch dann, wenn sie es für den Täter nicht ist. Unrichtig H ä l s c h n e r , Pr. StR I 52, irregeleitet durch seinen falschen Begriff der „Absicht".

§ 118.

3. Ihr Wesen entwickelt am eineitl. Delikte.

533

Ist der erste A k t Versuch und führt der sog. zweite zur Vollendung (s. M e r k e l , F . V. S 83. 34), so w i r d allerdings nur die Vollendungsstrafe einzutreten haben, aber wegen der Subsidiarität des Versuchs- gegenüber der Vollendungsstrafe (s. oben § 76). Principiell liegt zweifellos Deliktsmehrheit vor. 16 Ueber die Rückwirkung der Beweisfrage auf die Annahme der VerbrechensEinheit oder -Mehrheit ist unten bei der Lehre von der Verbrechensmehrheit noch zu sprechen. S 585. 586. Binding, Handbuch. V I I . 1. I :

B i n d i n g , Strafrecht.

I.

35

Β. Die

erbrechenseinheit.

Wird während der Tat der Vorsatz bezüglich der Zahl der Verursachungshandlungen oder bezüglich der Grösse der zuzufügenden Verletzung erweitert — die chronische Vergiftung soll statt in vier in sechs Dosen erfolgen, der wegen des Geldschrankes eingedrungene Dieb beschliesst auch noch andere Wertobjekte mitzunehmen —, so lässt dies die Deliktseinheit ganz unberührt·. IV. Was endlich die Bestrafung des fortgesetzten Verbrechens 17 anbelangt, so muss man sich lösen von der Vorstellung, alle seine einzelnen Akte, selbst wenn es einheitliches Delikt ist, müssten demselben Strafgesetze unterfallen. Dieselbe Deliktsart kann im Tatbestand mehrerer Strafgesetze enthalten sein, im einen versehen mit diesem, im andern mit jenem Schärfungs- oder Milderungsgrund 18. Derselbe Deliktsfall kann in seinem Verlaufe bald die Gestalt des einfachen Gattungsverbrechens, bald die der geschärften oder gemilderten Unterart an sich tragen. Während der Ausführung eines Totschlagsvorsatzes kann der Täter sich zur Ueberlegung ernüchtern und die Handlung überlegt zu Ende führen; ein Schlag aus der Reihe der zugefügten Misshandlungen kostet dem Geschlagenen das Auge; der Diebstahl, der einfach begonnen, setzt sich in einen Diebstahl mit Einbruch, dann vielleicht in einen Raub fort: es ist ein Diebstahl, aber mit mehreren Qualifikationen 1 9 2 0 . Dann giebt stets das Strafgesetz, dem der schwerste Schärfungsgrund eignet, die Grundlage für die Bestrafung ab: es ist in den angegebenen Fällen wegen Mordes, schwerer Körperverletzung und Raubes zu verurteilen. Soweit aber das Strafgesetz nicht ein absolut 17

U m Wiederholungen zu vermeiden, greife ich hier schon über das einheitliche fortgesetzte Verbrechen hinaus. 18 Man denke an Unterschlagung, Diebstahl, Baub, Erpressung. N i c h t richtig — für Annahme der Realkonkurrenz — RG I I I vom 15. M a i 1880 (Rspr I 788). — S. den sehr interessanten F a l l i n RG I I I vom 29. A p r i l 1882 (E V I 243 ff.). Wäre der dort zu Grande liegende F a l l ein Diebstahl i m Rückfall gewesen, der sich in einen Raub fortgesetzt hätte (es scheint nicht so), und die Geschworenen hätten bezüglich des Diebstahls die mildernden Umstände verneint, bezüglich des Raubes bejaht (so i m vorliegenden F a l l ) , so würde nach GB § 244 und nicht nach GB § 249. 252 zu bestrafen gewesen sein. Die doppelte Fragestellung wäre aber immer ein Fehler gewesen. 19 I n letzterem Falle für Realkonkurrenz v. W o r i n g e n S 46; für Idealkonkurrenz (!) S c h w a r z e , F . V . S 5 5 . 5 6 ; seltsamerweise auch R ü d o r f f zu § 73 A n m 5 („das erkennt auch die preuss. Praxis an"); O p p e n h o f f zu § 73 A n m 4. 20 Die Reihenfolge lässt sich natürlich gerade so gut umkehren. Eine widerrechtliche Aneignung fremder Sachen beginnt in der Form des Raubes, setzt sich fort in die mildere der Erpressung, dann vielleicht i n die des einfachen Diebstahls oder der Unterschlagung.

s 120.

5. E i n X e r b r e c h e i i e. Mehrheit gleichart. Delikte.

547

bestimmtes ist, muss clie Tatsache, dass sich das Verbrechen noch in einfacheren Formen fortgesetzt hat, als Straferhöhungsgrund berücksichtigt werden. Diese Regel greift selbst dann Platz, wenn beispielsweise der Dieb den vollendeten einfachen Diebstahl noch in einem schwereren Diebstahls versuch weiterspinnt 21. — Nach Betrachtung der Identität von Delikts- und Verbrechenseinheit fassen wir letztere ins Auge, sofern sie sich vom einheitlichen Delikte löst. § 120. 5. Das eine V e r b r e c h e n eine M e h r h e i t Delikten gleicher Art.

von

Einheitliche Verbrechen aus einer Mehrheit von Delikten bestehend sind für jeden befremdlich und anstössig, cler das Praktikabilitätsbedürfniss des objektiven Rechtes nicht genügend berücksichtigt,— und um so anstössiger, je weniger das Verbrechen sich scharf abschliesst! Doch aber bestehen sie und zwar in nicht weniger als fünf Formen. Diese gehen auf zwei Grundtypen zurück: das Verbrechen bildet sich entweder aus einer Reihe von Delikten g l e i c h e r (s. unten sub I—III) oder v e r s c h i e d e n e r Art (s. unten s. IV u. V). Sie unterscheiden sich ferner dadurch, dass die Deliktsmehrheit dem einheitlichen Verbrechen bald wesentlich ist (nur in den Fällen s. λ7), bald nicht (in den Fällen s. I—IV ausser den gewohnheitsmässigen Verbrechen, die in dieser Beziehung zu denen s. V gehören). Entweder m ü n z t der Gesetzgeber seine S t r a f d r o h u n g auf eine Reihe von D e l i k t e n g l e i c h e r A r t , wie besonders bei den g e w e r b - oder g e w o h n h e i t s m ä s s i g e n V e r b r e c h e n (s. unten s. I u. II); oder aber es ist die Strafe zwar dem e i n h e i t l i c h e n D e l i k t b e s t i m m t , a l l e i n die W i e d e r h o l u n g desselben D e l i k t e s s o l l i n n e r h a l b gewisser S c h r a n k e n l e d i g l i c h als S t r a f e r h ö h u n g s g r u n d w i r k e n (s. III); oder aber der Gesetzgeber l ä s s t es geschehen, dass S t r a f e n , die v e r s c h i e d e n e n D e l i k t e n a l t e r n a t i v g e d r o h t s i n d , auch dann nur e i n m a l zur A n w e n d u n g k o m m e n , wenn diese D e l i k t e k o n k u r r i r e n (vielfach der Fall bei sog. M i s c h 21 Die Praxis verurteilt dann gar zu gern wegen Konkurrenz von vollendetem und versuchtem Diebstahl. Dies ist ganz falsch: es ist die Strafe des qualifizirten \ r ersuches auszusprechen und die Vollendung des einfachen Diebstahls als M o t i v der Straferhöhung zu verwerten.

35*

Β. Die

erbrechenseinheit.

gesetzen: s. IV); oder aber er bildet zusammengesetzte V e r brechen (s. V) 1 . I. D i e g e w e r b - u n d g e w o h n h e i t s m ä s s i g e n V e r b r e c h e n des h e u t i g e n R e c h t e s 2 , welche man mit einem der französischen Jurisprudenz entlehnten, wenig treffenden Ausdrucke K o l l e k t i v d e l i k t e 3 nennt, entstehen auf drei Weisen. 1. Es g i e b t N o r m e n , die gewisse H a n d l u n g e n nur für den F a l l i h r e r G e w e r b m ä s s i g k e i t u n t e r s a g e n 4 . Dieser Umstand allein würde ihre Uebertretung noch nicht zum gewerbmässigen 1

Die Fälle von I V u. V soll der folgende § 121 gemeinsam behandeln. Ueber die früheren deutschen Gesetzgebungen s. D o c h o w S 48 If.; v. L i l i e n t h a l a. a. Ο . S 3. 4. I m heutigen Rechte bestehen: I. G e w e r b mässige Verbrechen. N u r wenn gewerbmässig begangen, werden bestraft: 1. d a s G l ü c k s s p i e l GB § 284; 2. d i e v o r s c h r i f t s w i d r i g e Unzucht GB § 361, 6 ; 3. Z u w i d e r h a n d l u n g e n w i d e r d i e v o m B u n d e s r a t laut Münzgesetz vom 9. J u l i 1873 A r t . 13 sub 1 g e t r o f f e n e n Anordnungen das. A r t . 13 (s. unten sub I I 3); 4. d i e P a t e n t v e r l e t z u n g PatGes vom 25. M a i 1877 § 4 , vgl. § 34. W e n n gewerbmässig begangen werden als Verbrechenseinheit mit qualifizirter Strafe belegt: 1. d i e H e h l e r e i GB § 260; 2. u n b e r e c h t i g t e s J a g e n GB § 294; 3. W u c h e r GB § 302 d ; 4. K o n t r a ventionen gegen d i e V e r b o t s be Stimmung i m B a n k g e s e t z vom 14. M ä r z 1 8 7 5 § 11: s. das. § 57. — Interessant ist, dass die Nicht-Gewerbmässigkeit i m Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869 § 141 al. 2 als fakultativer Milderungsgrund erscheint. — Gar nicht hierher gehören GB § 360, 12. 369, 2 u. 3 ; Pressgesetz § 21. — I I . G e w o h n h e i t s m ä s s i g e V e r b r e c h e n . N u r wenn gewohnheitsmässig begangen werden bestraft: 1. d a s I n v e r k e h r b r i n g e n verr i n g e r t e r M ü n z e n a l s v o l l g i l t i g e r GB § 150; 2. d i e K u p p e l e i G B § 1 8 0 : 3. d i e s u b I 3 e r w ä h n t e n Κ o n t r a v e n t i o n e n g e g e n B u n d e s r a t s v e r o r d n u n g e n . — W e n n gewohnheitsmässig begangen werden als Verbrechenseinheit m i t qualifizirter Strafe belegt: 1. d i e H e h l e r e i GB § 260; 2. W u c h e r GB § 302 d . — I I I . G e s c h ä f t s m ä s s i g e V e r b r e c h e n : 1. V e r l e i t u n g z u r A u s w a n d e r u n g GB § 144; 2. g e s c h ä f t s m ä s s i g e A g i t a t i o n : Sozialistengesetz vom 19. Okt. 1878 § 22 u. 24. I n beiden Fällen ist die Geschäftsmässigkeit Tatbestandsmerkmal. 3 S. H e f f t e r § 77. Vgl. d e n s . bei GA I 311. I n ganz anderem Sinne — für den ganzen Bereich seines vagen fortgesetzten Verbrechens — verwendet diesen Ausdruck K r u g , Konkurrenz S 13. 4 S. die Norm des Patentgesetzes vom 25. M a i 1877 § 4 : „dass niemand befugt ist, ohne Erlaubniss des Patentinhabers den Gegenstand der Erfindung g e w e r b s m ä s s i g herzustellen, in Verkehr zu bringen oder feil zu halten." Vgl. § 34 : „ W e r wissentlich den Bestimmungen der §§ 4 u. 5 zuwider eine Erfindung in Benutzung nimmt," . . . (s. dazu auch K o h l e r , Patentrecht S 503 ff.). So auch ganz zweifellos die dem GB § 284 zu Grunde liegende N o r m : verboten ist nicht das Glücksspiel, sondern das gewerbmässige Glücksspiel. Analog Nahrungsmittelgesetz vom 14. M a i 1879 § 5, 6 u. 8. 2

§ 120. 5. Ein Verbrechen e. Mehrheit gleicart. Delikte.

549

Delikt machen, vielmehr nur zu einem Delikt, welches in einer gewerbmässigen Handlung bestünde5. Fasst aber der Gesetzgeber die ganze Reihe der gewerbmässigen und als solche verbotenen Handlungen zu einem Verbrechen zusammen, so charakterisirt sich dies allerdings dadurch, dass die einzelnen Akte desselben wegen ihrer Gewerbmässigkeit Delikte darstellen, und dass ihr Urheber, indem er beschliesst, diese Handlungen gewerbmässig vorzunehmen, zugleich beschliesst, eine wegen ihrer Gewerbmässigkeit verbotene Handlung gewerbmässig zu begehen6. 2. U e b e r t r e t u n g e n d e r s e l b e n N o r m werden n u r d a n n f ü r s t r a f b a r e r k l ä r t , wenn g e w e r b - oder g e w o h n h e i t s ni äs si g begangen, und die Strafdrohung gilt dann der ganzen Reihe dergestalt begangener Delikte. 3. Die G e w e r b - oder G e w o h n h e i t s m ä s s i g k e i t g i e b t den G r u n d ab eine Reihe von V e r b r e c h e n d e r s e l b e n A r t u n t e r eine q u a l i f i z i r t e Strafe zu s t e l l e n . In allen drei Fällen schwindet mit der Gewerbmässigkeit die Verbrechenseinheit der Handlungsreihe. In den Fällen unter 1 fehlt aber ausserdem mit der Gewerbmässigkeit auch das Delikt, in denen unter 2 nur die Strafbarkeit der Deliktsreihe, in denen unter 3 nur die Möglichkeit, die Deliktsreihe cler schwereren Strafe zu unterstellen: in den Fällen unter 1 ist die Gewerb- und Gewohnheitsmässigkeit Tatbestandsmerkmal des einzelnen Delikts und des ganzen Verbrechens, in denen unter 2 Qualifikationsnioment cler einzelnen Delikte, Tatbestandsnierkmal aber allein des Verbrechens, in denen unter 3 nur Qualifikations- und Einigungsgrund der mehreren an sich schon strafbaren Handlungen7. Ein Delikt gew r erb m äs s ig begehen heisst es begehen mit dem Bewusstsein seiner Widerrechtlichkeit und mit der Absicht der steten 5

Es ist ein Verdienst von Κ ο h l er a. a. 0 . S 504, wenn er sagt: „ D i e Gewerbmässigkeit liegt i n cler Norm, nicht in der Uebertretung." Vollständig verkannt ist dieser Umstand beim gewerbmässigen Glücksspiel von v. L i l i e n t h a ï S 70. 6 Damit dürfte die Polemik K o h l e r s gegen die Annahme eines gewerbmässigen Vergehens hinfällig werden. Sie wäre durchaus r i c h t i g , wenn nur die einmalige Uebertretung der Norm mit Strafe belegt wäre: so aber bildet die Gewerbmässigkeit zunächst einmal das M o m e n t , clas den ganzen A k t zum Unrecht stempelt, ausserdem aber das Bindeglied der verschiedenen Delikte zu einem Verbrechen. 7

Die übliche Unterscheidung, wonach die Gewerbmässigkeit entweder T a t bestandsmerkmal oder Qualifikationsmoment ist — D o c h o w S 51; ν. L i l i e n t h a l S 2 ff. —, erscheint als ungenau und unvollständig. Der Grund davon liegt .darin, dass die Kalle sub 1 nicht mit berücksichtigt werden.

550

13. Die Verbrechenseinheit,

Wiederholung bei sieh darbietender Gelegenheit, um durch das erste wie die späteren Delikte ökonomischen Gewinn zu erzielen; die Absicht sich eine dauernde oder eine regelmässig wiederkehrende Einnahme zu verschaffen ist nicht erforderlich 8; es sich zum Geschäft machen b e d e u t e t das g l e i c h e , nur dass die Absicht der Gewinnziehung nicht wesentlich ist; es g e w o h n h e i t s m ä s s i g begehe η heisst es begehen in Folge einer durch Uebung ausgebildeten bewussten oder unbewussten Neigung zur Wiederholung von Delikten gleicher Art 9 . Es leuchtet ein, dass die Absicht der Gewerbmässigkeit und der Geschäftsmässigkeit schon beim ersten Delikte der projektiven Kette vorhanden sein muss, dass also schon dieses eine zur Verhängung der Strafe für das gewerb- und das geschäftsmässige Verbrechen ausreicht 10 , wogegen die Annahme der Gewohnheitsmässigkeit den Nachweis einer Mehrzahl gleichartiger Delikte desselben Täters voraussetzt 1 1 . Gewerb- und Gewohnheitsmässigkeit können sich übrigens sehr gut mit einander verbinden: das Delikt kann gewohnheitsmässig^ zum Erwerbe ausgeübt werden. Alsdann aber treffen nicht zwei Qualifikationsgründe zusammen, sondern die Gewohnheitsmässigkeit wird von der weiter gehenden Gewerbmässigkeit absorbirt 12. 8

K G I I I vom 24. A p r i l 1880 (Rspr I 654. 655). » Vgl. bes. D o c h o w S 11 ff. 56 if. 60 if. und ν. L i l i e n t h a l S 11 ff. 27 ff. Einzelne Streitfragen bezüglich dieser Begriffe zu erörtern ist hier der Platz nicht. A u c h herrscht auf kriminellem Gebiete wesentlich Einmütigkeit. 10 S. Preuss. O T r vom 17. Sept. 1875 (Ο X V I 585); Sachs. OAG vom 21. Juli 1883 (Annalen 2. Folge I 168 ff); K G I I vom 23. Jan. 1883 ( Ε V I I I 16): D o c h o w S 58 A n m 5 ; v. L i l i e n t h a l S 45 und die dort Angeführten, bes. M e r k e l bei H H I I 749 A n m 4, I V 431. — And. Mein. v. B u r i , GS 1877 S 55; B u b o , Komm, zu § 67 A n m 11. 11 And. Mein. v. L i l i e n t h a l S 49; v. L i s z t , Lehrb. S 220. 12 M i t Recht bemerkt v. L i l i e n t h a l S 52 (vgl. dens. S 50—54 und D o c h o w 8 88 ff.): „ I n Deutschland ist die A n s i c h t , dass die Gewerbs- und Gewohnheitsmässigkeit durch verjährte und schon abgeurteilte Handlungen bewiesen werden könne, ganz allgemein verbreitet." S. dazu ebenda S 52 A n m 4. A . M. seien nur G o l t d a m m e r , Materialien I 437; v. B u r i , GS 1877 S 56 und R u b o S 520. Ich gehöre gleichfalls zu denDissentienten. Was 1. d i e V e r j ä h r u n g betrifft, so kann sie j a nur soweit i n Frage kommen, als der zurückliegende F a l l oder die Fallreihe losgelöst von den späteren Fällen ein Verbrechen dargestellt haben würde. Dann a b e r h a l t e i c h i h r e B e r ü c k s i c h t i g u n g aus dem G r u n d g e d a n k e n der S t r a f k l a g e n - V e r j ä h r u n g für s c h l e c h t e r d i n g s ausgeschlossen: denn sie s i n d n a c h R e c h t s a u f f a s s u n g u n b e w e i s b a r g e w o r d e n . Was aber 2. d i e W i r k u n g d e s U r t e i l s anlangt, so scheint mir die Frage ganz falsch gestellt. Dass der a b g e u r t e i l t e F a l l zum Beweis der Gewohnheitsmässigkeit und Gewerbmässigkeit benutzt werden kann, selbst der Fall, dessen Strafe verjährt

§ 120.

5. Ein

erbrechen e. Mehrheit gleichart. Delikte.

551

Hat aber der Täter eine Anzahl Delikte gleicher Art gewerboder gewohnheitsinässig begangen, so sind sie als Verbrechenseinheit zu behandeln, und es liegt eine starke Vergewaltigung des Gesetzes vor, wrenn in einer sonst verdienstlichen Schrift dasselbe so ausgelegt wird: „So oft jemand gewerbs- oder gewohnheitsinässig gehandelt hat, so viele Verbrechen (und zwar realiter konkurrirende Verbrechen!) liegen vor 1 3 ." Die theoretische Konstruktion dieser Form der Verbrechenseinheit ist ebenso klar wie einfach, sobald nur erst der Gegensatz von Delikt und Verbrechen erfasst ist. Die mehreren Akte cler Verbrechenseinheit sind alle ganz selbständige Handlungen 14 ; von Einheit des verbrecherischen Entschlusses ist keine Rede; jeder Akt ist für sich abist, gebe ich gern zu.

Ganz anders stelle ich mich zu den b e s t r a f t e n

Ob die Strafe die Gewohnheitsmässigkeit und die Absicht der

Fällen.

Gewerbmässigkeit

nicht gebrochen h a t , das steht grade zur Untersuchung, und der Gegenbeweis ist η u r aus dem Verhalten des Bestraften nach seiner Strafe zu führen.

W i e weit hier

GB § 245 analog zur Anwendung kommen könnte, ist eine interessante Frage. 13

v. L i l i e η t h a ï S 58—63 unter Bezugnahme auf ein allerdings sehr auffallendes Urteil des Preuss. O T r vom 23. A p r i l 1875 (Ο X V I 307. 308, gebilligt von I i ü d o r f f zu § 74 N r 4) und mit dem Bemerken: „ D a m i t hätte man freilich den Begriff des Kollektivdeliktes aufgegeben. Aber dieser Verzicht bedeutet keinen Verlust. Die theoretische Konstruktion des Begriffes leidet an grossen Unklarheiten und praktisch hat derselbe gar keinen W e r t . " Letzteres U r t e i l einstweilen bei Seite setzend geben w i r v. L . nicht zu (a. a. 0 . S 60), dass der W o r t l a u t der betr. Paragraphen seine Auffassung ermöglicht. N i c h t die einmalige Hehlerei, sondern der gewerb- oder gewohnheitsmässige B e t r i e b der Hehlerei w i r d z. B. i n § 260 mit Strafe bedroht; ebenso i n § 302d der B e t r i e b des Wuchers. Aber davon ganz abgesehen so hat die ganze neuere Gesetzgebung diese gewerbmässigen und gewohnheitsmässigen Verbrechen geschaffen und beibehalten, um den häufig vorkommenden Betrieb gewisser Verbrechen, also auch ganze Deliktsreihen mit einer Strafe treffen zu können. S. auch D o c h o w S 80. A u c h hat diese Schöpfung einen sehr guten Sinn und steht keineswegs vereinzelt da. S. unten s. I I u. I I I . — Für die richtige Auffassung neuerdings RG I I I vom 13. J u l i 1881 ( Ε I V 390 ff.); I I vom 24. Jan. 1882 (Ε V 369 ff.); I I I vom 1. März 1882 (E V I 133); M e r k e l , H H I I 349; R ü d o r f f S 264; O p p e n h o f f zu § 74 A n m 4 ; O l s h a u s e n zu § 73 A n m 5. — F ü r den sog. G e w o h n h e i t s b e t r u g des Bayer. StGB von 1813 A . 265 I V verteidigt S t e n g l e i n , Ζ f. Gesetzgebung und Rechtspflege für Bayern I V 573 eine der v. L i l i e η t h a i sehen analoge Auffassung; für die gewerbmässige Begünstigung desselben Gesetzbuchs wurde sie durch Kön. Reskript vom 4. A p r i l 1815 ausdrücklich anerkannt. S. Jahrb. der Gesetzgebung und Rechtspflege in Bayern I 147. 148. 14 Damit w i r d die Annahme J o h n s , GA I X 510 unmöglich: „ B e i den gewohnheitsmässigen und gewerbmässigen Vergehen und Verbrechen w i r d aber nur e i n e Handlung bestraft und diese eine Handlung ist qualifizirt durch eine persönliche Eigenschaft des Delinquenten."

Β. Die

erbrechenseinheit.

geschlossen und selbständig15, und zwar wenn der Gewerb- oder Gewohnheitsmässigkeit entkleidet überhaupt kein Delikt, oder strafloses Delikt oder Verbrechen. Daraus erhellt , dass die Gewerbmässigkeit stets qualifizirendes Moment im weiteren Sinne ist, welches entweder eine unverbotene Handlung in ein Delikt, oder eine verbotene in ein strafbares Delikt, oder ein Verbrechen in ein schwerer strafbares Verbrechen verwandelt, dass also das sog. Kollektivdelikt in allen seinen Formen gleich viel oder gleich wenig Daseinsberechtigung hat. Das die mehreren Delikte zu einem Verbrechen Einende ist die Identität ihres Urhebers, die Gleichheit ihrer Art und die Identität ihres Entstehungsgrundes (Absicht des Erwerbs aus Verbrechen solcher Art — Gewohnheit). Es steht nichts im Wege in diesen Kollektivverbrechen gleichfalls „fortgesetzte Verbrechen" zu erblicken, freilich solche, die über die Deliktseinheit hinausgehen, somit nicht Anerkenntnisse, sondern künstliche Schöpfungen des Gesetzgebers darstellen, deren einzelne Akte aber sehr wohl wieder fortgesetzte Delikte sein können 16 . Daraus ergiebt sich, wie eine Streitfrage zu schlichten, deren Lösung öfter in der verwirrtesten Weise versucht worden ist 1 7 . Die einzelnen Akte des gewerb- oder gewohnheitsmässigen Verbrechens können ausser dieser ihrer Eigenschaft entweder alle oder teilweise noch anderweite Qualifikationen an sich tragen. Die Kuppelei kann gewohnheitsinässig und sei's immer, sei's zuweilen mittels hinterlistiger 15

Deshalb ist D o c h o w s (a. a. 0 . S 101) Grund gegen die Kollektivdelikte, sofern die Gewerbmässigkeit Tatbestandsmerkmal ist, und v. L i l i e n t h a l s ( a . a . O . S 70) Grand gegen das gewerbmässige Glücksspiel gänzlich vergriffen. I n dieser Beziehung richtig der von D. als Stütze benutzte J o h n in GA I X 511. — Deshalb verdient aber auch meines Erachtens B G I I vom 24. Jan. 1882 ( Ε V 369 ff.; vgl. auch RG I I I \ o m 13. J u l i 1881, Ε I V 393) keine Billigung. S. oben S 249 A n m 2. 16 v. L i l i e n t h a ï S 10. 11 w i l l zwischen den fortgesetzten und den Kollektivverbrechen den Unterschied finden, dass bei letzteren die einzelnen Akte „entweder gar nicht oder doch nicht in derselben Weise strafbar erscheinen", während offenbar beim fortgesetzten Verbrechen alle A k t e strafbar seien und demselben Strafgesetze unterfielen. Letzteres ist nun nicht zutreffend (s. oben S 546), der ganze Unterschied aber ist hinfällig. Denn auch beim Kollektivdelikt stehen die Akte, sofern gewerb- oder gewohnheitsinässig begangen, prinzipiell unter dem gleichen Strafgesetz. — I c h lege übrigens dem ganzen Streit über diesen Punkt nicht das geringste Gewicht bei, sofern man nur die Kollektivdelikte als Verbrechenseinheit auffasst. 17 Sie betrifft im heutigen Rechte nur die Kuppelei, das unberechtigte Jagen, den Wucher und besonders die Hehlerei. N u r bei diesen ergeben sich Schwierigkeiten.

§ 120.

5. Ein Verbrechen e. Mehrheit g l e i c h t . Delikte.

553

Kunstgriffe, der Wucher verschleiert und gewerbmässig, die Hehlerei gewerbmässig und im Rückfall verübt sein. Es versteht sich von selbst, dass für die Strafe des fortgesetzten Verbrechens dann die schwerste Qualifikation maassgebend i s t 1 8 : das ist die Gewerb- bez. Gewohnheitsmässigkeit beim Wucher (vgl. § 302 c u. 302 d) und beim unberechtigten Jagen (vgl. § 292 u. 293 mit § 294), das ist die Hinterlist bei der Kuppelei (vgl. § 180 mit § 181) 19 , und der Rückfall bei der Hehlerei des § 261, 1, aber die Gewerbmässigkeit bei der rückfälligen Hehlerei des § 261, 2 2 0 2 1 . Die Aufstellung gewerb- und gewohnheitsniässiger Verbrechen gründet ni. E. durchaus nicht in der Unvollkommenheit der gesetzlichen Bestimmungen über die Realkonkurrenz, noch in der Annahme des Gesetzgebers, die Anwendung derselben auf die einzelnen Akte führe zu grossen Härten 22 . Sie entspringt der doppelten Erfahrung, dass der Hang zu gewissen Verbrechen sich im einzelnen Menschen leicht ausbildet und dass dann seitens des Schuldigen meist weit mehr Verbrechen verübt werden als zur richterlichen Kognition gelangen, besonders wenn 38

Nicht ganz richtig M e r k e l bei H H I I 748 unten. Uebrigens w i l l § 181 j a ausdrücklich der gewohnheitsmässigen hinterlistigen Kuppelei mitgelten, denn er sagt : „ D i e Kuppelei ist, s e l b s t w e n n s i e w e d e r g e w o h n h e i t s i n ä s s i g n o c h a u s E i g e n n u t z b e t r i e b e n w i r d , m i t Zuchthaus . . . zu bestrafen." Gerade umgekehrt legt R G I I I vom 1. März 1882 (E V I 134) aus und schafft sich dadurch unnütz eine grosse Schwierigkeit. Bezüglich des § 180 versteht es sich von selbst, dass der Eigennutz, sofern er sich mit gewohnheitsniässiger Kuppelei verbindet, ein Fall, der j a fast identisch ist mit gewerbmässiger Kuppelei, nur einen Straferhöhungsgrund bildet. Gut O T r vom 16. M a i 1878 (Ο X I X 2ϋ7 ff.). S. unten A n m 21. ' 2 0 Die Strafe für gewerbmässige Hehlerei im Rückfall stellt sich in den Fällen des § 261, 1 auf Zuchthaus von 2—15 Jahren unter Ausschluss mildernder Umstände, wogegen der Rest nach § 260 zu strafen ist. Bezieht sich die gewerbmässige Hehlerei teils auf die in § 261, 1, teils auf die i n § 261, 2 erwähnten strafbaren Handlungen, so entscheiden wieder die schwerst qualifizirten Fälle für Anwendung des § 261, 1 i n dem oben angegebenen Maasse. Falsch D o c h o w S 79. 21 A u f wenig Gebieten w i r d so viel gesündigt wie auf dem der Konkurrenz. AVenig Fälle sind dafür lehrreicher als der in A n m 19 a. E. i n Bezug genommene. Die Angeklagte hatte im Sommer 1877 in 5 Fällen gewohnheitsmässig und aus Eigennutz gekuppelt. Die 1. Instanz hatte sie richtig aus § 180 verurteilt, der Appellrichter verurteilte wegen wiederholter Kuppelei aus Eigennutz in realer Konkurrenz (!) und idealer Konkurrenz mit gewohnheitsniässiger Kuppelei (!!), einer Ansicht, der sich die Gen.-St.-A. beim O T r anschloss, die aber das O T r verwarf. Sehr charakteristisch auch die Fragestellung bei v. L i l i e n t h a l S 57 unten, und das das. S 57—59 Dargelegte. 22 So D o c h o w S 82. 83. Etwas anders S 100. 19

Β. Die

erbechenseinheit.

diese Verbrechen wie die Wilddieberei die Heimlichkeit noch mehr suchen als alle andern, oder wie die Kuppelei und noch mehr die Hehlerei unverfängliche Formen annehmen. Dann ist es eben praktikabeler die Strafe auf ein ganzes Verhalten, statt auf die einzelne Handlung zu münzen23. II. Ganz d i e s e l b e B i l d u n g des V e r b r e c h e n s f i n d e t sich mehrfach i n den S t e u e r g e s e t z e n , nur dass die einzelnen Akte das Merkmal der Gewerbmässigkeit nicht an sich tragen, dass interessanterweise die Wiederholung des Delikts nicht nur die Strafenkumulation, sondern auch die Strafschärfung ausschliesst, dass endlich der Gesetzgeber die ganze Reihe offenbar deshalb nur mit einer Strafe treffen will, weil ihm der eine Denkzettel ausreicht 24. III. Die sichere Unterlage für das Einheitsurteil geht bei den folgenden Fällen dadurch einigermaassen verloren, dass der Gesetzgeber nicht in voller Deutlichkeit seine Ansicht erkennen lässt, wenn er sie überhaupt zu solcher herausgebildet hat 2 5 . Ich denke zunächst an Tatbestände, wo ihm die mehrfache Wiederholung derselben strafbaren Handlung für die Annahme der Verbrechenseinheit zwar nicht wesentlich, aber auch nicht hinderlich erscheint. Er fusst dabei auf der Erfahrung, dass es der Verbrecher bei bestimmten Delikten gar oft nicht bei e i n e r Handlung bewenden lässt, sondern zu Wiederholungen verschreitet, deren Zahl vielleicht kaum nachweisbar ist. Er greift dami das Strafmaass derart, dass diese Deliktskonkurrenz genügend getroffen werden kann. 1. Oefter wird dann der Tatbestand so bezeichnet, dass er diese Méhrheit in sich schliesst26. a. So beim Widerstand gegen die Staatsgewalt, gegen Forstbeamte W i e weit es Gegenstand des Urteils wird, darüber s. S 5ô9. 560. B r a n n t w e i n s t e u e r g e s e t ζ vom 8. J u l i 1868 § 67 al. 3. Wiederholte gleichzeitig entdeckte Kontraventionen gleicher A r t , die aber nicht Defrauden sein dürfen, sollen mit der Kontraventionsstrafe von 100 Thalern nur i n einmaligem Betrage festgesetzt werden. — Vgl. die ganz analoge Bestimmung im B r a u s t e u e r g e s e t z vom 31. M a i 1872 § 37, 2 und i m T a b a k s s t e u e r g e s e t z vom 16. J u l i 1879 S 42, 2, nur dass es sich da um Ordnungsstrafen handelt. — Die Praktikabilitätsrücksichten treten bei diesem „fortgesetzten Verbrechen" womöglich noch energischer in den Vordergrund. 24

25 Ueber einige hier einschlagende Erscheinungen bestehen deshalb chronische Kontroversen. — Beachte übrigens oben § 116 A n m 13. Bezüglich der folgenden Ausführungen sei ausdrücklich b e m e r k t , dass sie sich bestreben die Erscheinungsformen vollständig nachzuweisen, dass aber ihre einzelnen Anwendungen hier unmöglich vollständig zu geben sind. 26

Dazu bedarf es nicht gerade der Bezeichnung des Pluralis, aber solche kommt auch vor. 8. auch O l s h a u s e n zu § 73 Anm 8a.

§ 120.

5. Ein Verbrechen e. Mehrheit gleichart. Delikte.

555

und Jagdberechtigte, bei der Nötigung von gesetzgebenden Versammlungen wie von Behörden, bei der Meuterei 27. Hier handelt es sieh dämm, dass der Verbrecher seinen Willen gegenüber der rechtmässigen Gewalt durchsetzt oder ihr ihn gar aufnötigt. Die Zahl der Nötigungshandlungen erscheint demgemäss für die Einheit des Verbrechens gerade so gleichgiltig wie die Zahl der Beamten, denen Widerstand entgegengesetzt, die Zahl der Behördemitglieder, die zur Amtshandlung genötigt, die der Kainmermitglieder, die gewaltsam entfernt werden sollen 2 8 2 i ) . b. Gründet hier die Einheitsannahine in der Bezeichnung des Angriffsobjekts, so anderweit in der Definition der Angriffshandlung. Es sei zunächst auf die Tatbestände hingewiesen, die in einem V e r b r e i t e n von A e u s s e r u n g e η oder von G e g e n s t ä n d e n , insbesondere auch i n dem V e r k a u f e n , F e i l h a l t e n , I n v e r k e h r b r i n g e n derselben bestehen30, bei welchen die gesammte Verbreitungstätigkeit — freilich nur innerhalb bei verschiedenen Verbrechen verschiedener Schranken 31 •— vom Gesetzgeber als Einheit gefasst wird. Genau ebenso verhält es sich mit dem verbotenen „Herstellen", „Verwenden", „Verpacken", „Vertreiben", „ E i n f ü h r e n " von Gegenständen32, dem „ E i n s a m m e l n von 27

S. GB S 105. 113. 114. 117. 122. Man beachte in GB § 105 die Ausdrucksweise: „den Senat oder die Bürgerschaft oder eine gesetzgebende Versammlung", also eine Kollektiv-Persönlichkeit, sprengen oder nötigen oder Mitglieder daraus entfernen. Ganz ähnlich § 113, 3, wo der Widerstand geleistet w i r d gegen „Personen oder gegen Mannschaften" ; § 1 1 4 Nötigung einer B e h ö r d e ; § 122: d i e Anstaltsbeamten u. s. w. angreifen. 28

29 Die Zahl der verletzten Spermiaassregeln, Verträge und Bauregeln, also auch die Zahl der Delikte selbst, ist gleichgiltig auch i n GB § 328. 329. 330, sofern nur die Verletzungen bei e i n e r Absperrung, bei e i n e m Bau und bei e i n e m Notstand vorgefallen und die späteren nicht nach Beginn der Verfolgung der früheren begangen sind. Näheres im besonderen T e i l ! Die Z a h l der falschen Buchungen und Buchfälschungen zur Verdeckung derselben Unterschlagung ist gleichgiltig nach GB § 351. 30 S. § 131.186.187.189, ferner § 184 (Verbreiten, Ausstellen oder Anschlagen unzüchtiger Schriften u. s. w.) und § 324; Nahrungsmittelgesetz vom 14. M a i 1879 § 10. 11. 12. Man denke ferner an die Pressvergehen, deren Wesen j a gerade i n der Verbreitung des Presserzeugnisses besteht. Vgl. auch Sozialistengesetz vom 21. Okt. 1878 § 20; Sprengstoifgesetz vom 9. Juni 1884 § 10. — Ueber die Münzverbrechen s. alsbald unten. Nicht unbedenklich R G I I vom 30. Sept. 1881 ( Ε V 108). 31

Deren genaue Zeichnung kann erst im besonderen Teile gegeben werden. H i e r ist nur der falschen Auffassung entgegenzutreten, als bedürfte es bei den im Text angegebenen Tatbeständen wesentlich einer Mehrheit von Handlungen. Insbesondere ist dies auch bei dem „Verbreiten" nicht nötig. Näheres i m speziellen Teile! 32 S. Nahrungsmittelgesetz vom 14. M a i 1879 § 5. 8. 12. S. auch § 10, 1 : „ W e r zum Zwecke der Täuschung im Handel und Verkehre Nahrungs- oder Genuss-

Β. Die

erbrechenseinheit.

B e i t r ä g e n " zur Förderung socialdeniokratiseher Bestrebungen 3 3 , mit der Handlungsreihe dessen, der sich „unbefugt m i t Ausübung eines ö f f e n t l i c h e n A m t e s " befasst (GB § 132) 34 . Bezeichnet hier der Gesetzgeber die zu strafende Handlung von vorn herein als eine Kollektivtätigkeit 35 , so deutet er anderwärts durch bezeichnenden Gebrauch der Mehrzahl seine Gleichgiltigkeit gegen Delikts-Einheit oder -Mehrheit an 3 6 . Hieher gehören zweifellos die Strafgesetze über die Vornahme „ u n z ü c h t i g e r H a n d l u n g e n " (§ 174. 175. 176). Es ist ja leider wahr, dass der ersten Missbrauchung einer Person zur Unzucht die weiteren meist sicher und rasch folgen. Dies ist der Grund, weshalb der Gesetzgeber die fortgesetzte Unzucht — natürlich nur mit derselben Person 37 — ohne Rücksicht auf Einheit oder Mehrheit des Deliktes als ein Ganzes mit Strafe bedroht 38, sofern sie als dieselbe Deliktsreihe aufgefasst werden kann 39 4 0 . mittel nachmacht oder verfälscht." S. ferner Sprengstoffgesetz vom 9. .1 uni 1884 § 7. 8. 9. 33 Sozialistengesetz vom 21. Okt. 1878 § 16. 20. 34 N i c h t ist diese Beihe als e i n e Handlung im Sinne des § 73 (! V) anzusehen, wie selbst O l s h a u s e n 1. A u f l . zu § 132 A n m 1 sagt. 35 So auch beispielsweise beim Zweikampf, wobei die Zahl der Gänge gleichg i l t i g i s t , auch wenn mitten darin beschlossen w i r d sie zu verdoppeln, bei der Schlägerei u. s. w. 36 Vgl. z. B. GB § 134. W e r denselben amtlichen Anschlag an verschiedenen Anschlagsäulen abreisst, ist gerade so nur eines Vergehens schuldig, als wer die sämmtlichen amtlichen Anschläge an e i n e r Stelle herunterreisst. 37 Unrichtig Berl. O T r vom 19. November 1856 in GA V 100: richtig J o h n , F. V . S 54. 38 I m Besultat aber nicht in der Motivirung richtig OAG Dresden vom 5. Juni und vom 26. Okt. 1874 (Annal. 2. Folge I I 205. 314). Ueber BG s. Anm 40. 39 Wh-d also der unzüchtige Verkehr Jahre lang unterbrochen und dann wieder begonnen, wird die missbrauchte Kranke aus der Anstalt entlassen und bei einer späteren Krankheit von demselben Arzte wieder missbraucht, so ist allerdings zwischen den verschiedenen Handlungsreihen Bealkonkurrenz anzunehmen. Genaueres bei der Darstellung dieser Verbrechen! S. auch das A n m 38 cit. E r k . des Ο AG Dresden vom 26. Okt. 1874. 40 M . E. dürfte dann aber § 175 (die „widernatürliche Unzucht" u. s. w.) aus § 174 u. 176 zu erklären sein. Die Anwendung der Mehrzahl war hier sprachlich unmöglich. I c h wäre demgemäss geneigt, die Strafe als auf das einzelne Unzuchtsverhältniss aber in seiner Gesammtheit gemünzt zu betrachten. F ü r eine Mehrzahl päderastischer Handlungen mit demselben Kinde hat B G I vom 10. Juni 1880 (Ε I 450. 451) die Möglichkeit der Einheitsannahme anerkannt. Vgl. B G I I I vom 10. Dez. 1883 ( Ε I X 344 if.). Dieselbe Auslegung auf § 173 (Incest) auszudehnen wage ich nicht ! Was den Ehebruch anlangt, so gehört die eheliche Treue wie das Leben zu den Gütern, die entweder ganz oder gar nicht verletzt werden : sie ist nicht durch e i n e Handlung in verschiedenem Maasse verletzbar. Der vollendete Ehebruch ist

§ 120. 5. Ein Verbrechen e. Mehrheit gl ei chart. Delikte.

557

c. Eigentümliche Schwierigkeiten ergeben gewisse, besonders unter den Fälschungen häufige Verbrechen zweiaktiger Struktur. Die Urkundenfälschung besteht aus Anfertigung und Anwendung, das vollendete Delikt der Geldfälschung in der Fälschung und der Anwendung der Falsifikates, als sei es echt. Hier kann cler erste Akt nur einmal, der zweite aber mehrmals begangen werden. Der Geldfälscher giebt das angefertigte Falschgeld nach und nach hinaus, der Urkundenfälscher gebraucht dasselbe Legitimationspapier vielfach zum Zwecke der Täuschung, oder er produzirt denselben falschen Schuldschein in mehreren Prozessen. Nun könnte man mit gutem Grund behaupten, der Nachdruck bei diesen Verbrechen läge prinzipiell auf dem zweiten Akte und demgemäss bedeutete die mehrmalige Wiederholung desselben eine Mehrheit von Verbrechen. Allein bei der Geldfälschung denkt der Gesetzgeber offenbar anders. Er weiss, dass das Nachmachen des Geldes in einzelnen Stücken die Mühe nicht lohnt und der Fälscher, wenn es ihm irgend möglich, von einem Prägestock oder einer Platte eine ganze Anzahl von Falsifikaten zu ziehen sucht. Er weiss, dass clie Feststellung dieser Zahl ganz unmöglich ist, und muss deshalb auch hier die Strafe für die ganze Tätigkeit der fälschlichen Anfertigung je einer Münzart androhen 41. Bezüglich des zweiten Aktes lässt er aber gar keinen Zweifel: denn er bezeichnet ihn als ein „in Verkehr bringen" und betrachtet die Verausgabung der falschen Münzen einer Ali: als ein Ganzes (GB § 146) 42 . deshalb ebenso wie die vollendete Tötung nicht als e i n fortzusetzendes D e l i k t denkbar. Wenn man nichtsdestoweniger vielfach die konkurrirenden Ehebrüche zwischen denselben Personen zu e i n e m fortgesetzten Verbrechen erhoben hat, so hat man einen Gedanken de lege ferenda oft für einen solchen de lege lata ausgegeben. Denn es fehlte dieser Annahme die gesetzliche Anerkennung. Etwas anders stellt sich diese Frage bezüglich des GB § 172. Hier w i r d nur der Ehebruch, der zur Scheidung cler Ehe geführt hat, m i t Strafe belegt, und es kann sich fragen, ob die Strafe nicht dem ganzen ehebrecherischen Verhalten gilt, das zur Scheidung führte. Ich bin geneigt diese Frage zu bejahen. 41 Da das Wesen der Anfertigung falschen Geldes i n dem Missbrauch des staatlichen Prägezeichens als Gewährschaft der einzelnen Münzarten liegt, so glaube ich, dass nicht die Zahl der gefälschten Stücke oder die Zahl der zeitlich mehr oder weniger getrennten Prägungshandlungen, sondern allein die Z a h l der durch j e ein Fälschungsverfahren nachgebildeten Münzarten über die Zahl der Verbrechen entscheiden muss. 42 Daran ändert die Fassung in GB § 146 „ u m das Geld in Verkehr zu bringen" gar nichts. Denn die Realisirung dieser Absicht geht m i t auf Rechnung des Fälschungsverbrechens. Und in den §§ 147, 148 u. 150 w i r d gerade das „ i n

Β. Die

erbrechenseinheit.

Was die Urkundenfälschung anlangt (GB § 267), so soll ja die Urkunde als dauerndes Beweismittel für rechtlich bedeutsame Tatsachen dienen, und wer dieselbe Urkunde öfter zum Beweis derselben Tatsache, wenn auch gegen verschiedene Personen benutzt, begeht zwar meist verschiedene Delikte, aber man darf annehmen, dass der Gesetzgeber in seinen Worten „und von derselben zum Zwecke einer Täuschung Gebrauch macht4', welche durchaus nicht die Annahme einer nur einmaligen Benutzung erzwingen, an den Gebrauch der Urkunde als eines auf Dauer, also auch auf eventuell wiederholten Gebrauch berechneten Beweismittels gedacht hat 4 3 4 4 . 2. Sorgfältige Auslegung auch solcher Gesetze, deren Sprache klar den einmaligen Vorgang als Voraussetzung der Strafe bezeichnet, führt hie und da zur Erkenntniss, dass die mehrfache Wiederholung desselben nicht Verbrechensmehrheit begründen soll. Man denke zunächst an die mehrmalige Bekräftigung derselben falschen Behauptung seitens derselben Person durch falschen Eid in demselben Verfahren (GB § 153. 154. 156) — scheinbar zweifellos ein Konkurrenzfall. Verkehr bringen" bedroht. Durchaus richtig E G I vom 4. Dez. 1879 (Ε I 25. 26). I n § 148 betrachte ich es als eine Verbrechenseinheit, wenn der Täter alles auf einmal als echt empfangene Geld nach und nach wieder abstösst, oder wenn er das falsche Geld, was sich allmählich aufgesammelt hat, auf Grund e i n e s Entschlusses in Verkehr bringt. 43 Man beachte auch die Fassung des § 363: „wer um Behörden oder Privatpersonen . . . zu täuschen" von falschen Legitimationspapieren Gebrauch macht, und denke an das öftere Präsentiren eines falschen Passes, des gefälschten Arbeitsbuches u. s. w. Ferner die Fassung des § 277: „und davon zur Täuschung von Behörden und Versicherungsgesellschaften Gebrauch macht". Ueberall ist hier die Handlungsreihe offenbar als Verbrechenseinheit gefasst. Richtig M e r k e l , F. V. S 103 A n m 91 und bei H H I I I 798. 799. And. Mein. — die Subsidiarität des § 270 gegenüber dem § 267 vollständig verkennend (richtig darüber R G I I vom 28. Juni 1881, Ε I V 345) — RG I I I vom 2. Febr. 1881 (E I I I 311 if.). S. auch O p p e n h o f f zu § 267 A n m 32. Dagegen dürfte M e r k e l , F. V . S 151 zu weit gehen, wenn er trotz Mehrheit der verfälschten Urkunden, sofern sie nur alle zum Beweise der gleichen Tatsache dienen, nur e i n e Fälschung annehmen will. Ebensowenig darf die gleichzeitige Anwendung mehrerer gefälschter Urkunden als e i n Verbrechen betrachtet werden. 44 I c h weise hier noch auf die intellektuelle Urkundenfälschung GB § 271 und auf die falsche Beurkundung des § 348 hin. I n letzterem Falle kann m. E. gar nicht an Konkurrenz gedacht werden, wenn derselbe Beamte denselben falschen Eintrag in mehrere i h m unterstellte Bücher macht. I m ersten dann auch nicht, wenn e i n Beamter durch dieselbe Täuschung zu mehrfachem Eintrag veranlasst wird. N i c h t aber darf gesagt werden, dass e i n e intellektuelle Fälschung vorliege, wenn der Täter durch verschiedene von ihm getäuschte Beamten dieselbe Tatsache — etwa dass er unverheiratet sei — beurkunden lässt.

§ 120.

5. Ein Verbrechen e. Mehrheit gleichart. Delikte.

559

Aber der Meineid ist dann lediglieh qualifizirtes falsches Parteivorbringen oder falsches Zeugniss oder Gutachten; diese falschen Aussagen setzen sich lediglich als einheitliche fort, und nur das Qualifikationsmoment, nicht das Verbrechen repetirt 45 . Dasselbe gilt für den interessanten Fall, wenn ein Offenbarungseid sowohl nach der assertorischen als nach der promissorischen Seite hin verletzt wird: dieselbe Pflicht der Wahrheitsangabe, die einmal durch Eid gestätigt ist, wird mehrfach verletzt 40 . Fasst man die falsche Anschuldigung als Vergehen wider die Strafrechtspflege, und der Täter beschuldigt um seinen Zweck sicherer zu erreichen, dieselbe Person des gleichen Verbrechens gleichzeitig bei mehreren Behörden desselben Gemeinwesens, so wird der Gesetzgelier darin nur eine quantitative Steigerung desselben einen Angriffs, nicht aber eine Mehrheit von Angriffen erblicken können (GB § 104) 4 7 . Diese B i l d u n g des V e r b r e c h e n s aus mehreren e i n h e i t l i c h e n D e l i k t e n als seinen E l e m e n t e n e r g i e b t einen e r w e i t e r t e n B e g r i f f des f o r t g e s e t z t e n Verbrechens. Noch besteht es aus einer Reihe von Akten mit den gleichen Deliktsmerkmalen, aber die Einheit des Delikts ist durchbrochen, und demgemäss sind die Erfordernisse der Willenseinheit, der allmählichen Verursachung bezw. der quantitativ verschiedenen Verletzbarkeit des angegriffenen Rechtsgutes werfällig geworden! 4B Hichtig Preuss. O T r vom 30. Nov. 1855 bei J o h n , F. V. S 51 ff. und bei GA I V 248 ff.: RayOG vom 29. Januar 1874 (Bayer. Entsch. I V 39). Ders. Ans. M e r k e l , F. V. S 103 A n m 91. 4(i And. Mein., für Realkonkurrenz. B G I I vom 12. A p r i l 1881 (Ε I V 76 ff.). 47 Ich sehe eine Kollektivtätigkeit im Sinne des Gesetzes auch i n der unbefugten Offenbarung" desselben Privatgeheimnisses GB § 300. Zweifellos liegt eine solche i m unbefugten „ i n Gebrauch nehmen" der Pfänder in GB § 290, in dem mehrmaligen Schiessen oder Schlingenlegen desselben Wilderers auf demselben Pürschgange in GB § 292 („wer . . . die Jagd ausübt"), i n dem Gestatten der Glücksspiele seitens des Inhabers eines öffentlichen Versammlungsortes (§ 285), i n dem Veranstalten öffentlicher Lotterien ohne obrigkeitliche Erlaubniss (§ 286 ; ders. Ansicht RG I I vom 13. A p r i l 1883, Ε V I I I 292 ff.), i n der Beschäftigung von Kindern unter 12 Jahren in derselben F a b r i k und ebenso i n cler Beschäftigung von Kindern unter 14 Jahren über 6 Stunden i n derselben F a b r i k : GewO § 135, vgl. § 146, 2 (ders. Ans. B G I vom 16. März 1882, Ε V I 111 ff.), in dem „Behalten von Arbeitern" der GewO § 106—112 u. 150, in dem „Betreiben der Küstenfrachtfahrt" des Ges vom 22. M a i 1881 § 3. — S. auch H i l l e r , GS 1880 S 222. — Dass bei derartigen Verbrechenstatbeständen die Grenze zwischen Verbrechens-Einheit und -Mehrheit leicht zweifelhaft bleibt, kann die Wissenschaft nicht ändern und eine sorgfältige Gesetzgebung nur zum Teil.

Β. Die

erbrecenseinheit.

Aus dieser Erstreckimg des Verbrechensbegriffes ergiebt sich notwendig als Wirkung der Rechtskraft, dass die ganze Klage aus dem fortgesetzten Verbrechen, also aus der ganzen Serie der konstituirenden Akte, mögen sie dem urteilenden Gerichte bekannt oder unbekannt gewesen sein, konsumirt wird 4 8 . Soll der Satz ganz richtig werden, so ist zuzufügen: bis zum Endurteil erster Instanz, soweit nicht im weiteren Verfahren eine Ausdehnung der Klage auf bis dahin dem Gericht unbekannte Fälle zulässig ist, und nur im letzteren Falle die ganze Serie bis zum Eintritt der Rechtskraft 49. $ 121. 6. Das V e r b r e c h e n eine M e h r h e i t von D e l i k t e n verschiedener Art. Der Gesetzgeber stellt unter Strafe nicht die einzelne Handlung, sondern ein Verhalten, in welchem sich erfahrungsgemäss verschiedenartige Delikte mit einander zu verbinden pflegen. Er sieht diese entweder wie bei den zusammengesetzten Verbrechen als wesentliche Teile eines Ganzen, oder zwar als selbständig auch in ihrer Isolirung, aber geneigt, sich zu einem Ganzen zusammenzuschliessen. So zeigt sich IV. bei M i s c h g e s e t z e n durchaus n i c h t i m m e r 1 , aber ö f t e r , dass die a l t e r n a t i v b e d r o h t e n V e r b r e c h e n sich, 48 Ders. Ansicht B G I I I vom 12. J u l i 1882 ( Ε V I I 32 ff.); RG I I vom 10. Nov. 1882 ( Ε V I I 229 ff.); RG I I I vom 10. Dez. 1883 ( Ε I X 344 ff): „ W o eine Mehrheit von Handlungen zu einer juristischen Einheit zusammengefasst wird, ist diese Einheit als solche in allen juristischen Beziehungen zu behandeln." S. auch D o c h o w S 93 ff. 49 Diese Differenz wird dann bedeutsam, wenn etwa der verurteilte gewerbmassige Wilderer während des Revisionsverfahrens weiter w i l d e r t Dies ist ein neues Verbrechen, dessen Klage nicht konsumirt i s t , weil es gar nicht in judicium deducirt werden konnte. Richtig Preuss. O T r v. 14. Oktober 1874 (Ο X V 670); Mannheimer OHofG v. 18. März 1875 (Bad. Ann. Bd. 41 S 139); RG I I v. 25. Nov. 1881 (Rspr I I I 739 ff.). R ü d o r f f zu § 74 A n m 4 ; O p p e n h o f f zu § 74 Anm 9. 1 0 ; v. S c h w a r z e zu § 74 A n m 6 : „ M i t der Verkündung des Strafurteils beginnt gleichsam ein neues Schuldkonto." 1 I c h greife einige Beispiele, wo dies nicht zutrifft. Nicht z. B. bei GB S 92; bei GB § 139. 145 (soweit es sich um Uebertretungen verschiedener Verordnungen handelt). 166 (and. Mein. v. B u r i a. a. 0 . S 40). 167. 168. 174, 1. 2. 3. 175 (Päderastie und Bestialität). 176, 1. 2. 3. 266 (verschiedene Fälle der Untreue; dors. Ansicht R G I vom 26. Jan. 1880, Rspr I 276). 353 a al. 2. Nicht endlich bei den zahlreichen Ziffern der Uebertretungs-Paragraphen im Verhältniss zu einander. Bei einer ganzen Anzahl von Mischgesetzen schliessen aber die Alternativen einander aus. Nicht ganz genau L ö w e n s t e i n a. a. 0 . S 15 u. 16. B i c h t i g gegen

§ 121. 6. Das Verbr. eine Mehrh. von Del. versch. Art.

561

ohne dadurch die V e r b r e c h e n s e i n h e i t aufzuheben, innerhalb b e s t i m m t e r S c h r a n k e n m i t e i n a n d e r v e r b i n d e n können. Teilweise steht dies mit einer Auflösung des umfassenden Verbrechensbegriffes in eine Kasuistik seiner Anwendungsfälle oder mit seiner Ersetzung durch die wichtigsten Mittel ihn zu realisiren in Zusammenhang. Diese Fälle stellen sich dann gleichmässig dar als Mittel der Verwirklichung jenes Begriffes, und sie treten dann in dasselbe Verhältniss zu einander wie die Anwendungen gesetzlich gesonderter Mittel zur Herbeiführung desselben verbrecherischen Erfolgs. Das klarste Beispiel dafür bieten die Fälle des betrügerischen und die des einfachen Bankrotts — jede Gruppe natürlich isolirt betrachtet 2 . Das Verhalten des Schuldners wird mit Bezug auf eine bestimmte Zahlungseinstellung seiner Gläubigerschaft gegenüber als ein Ganzes betrachtet, das sich sehr wohl als Ganzes zum Verbrechensbegriff erheben liesse, aber nicht erhoben ist. Statt dessen greift der Gesetzgeber die ihm markantesten Seiten dieses Verhaltens, die wichtigsten Mittel des Bankerotteurs als solche heraus und stellt sie einzeln unter Strafe 3. Verbinden sie sich aber zum Ganzen, so bildet das nur einen erheblichen Strafsteigerungsgrund innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens 4 . Nicht anders verhält es sich mit dem Hochverrat. Das Gesetz definirt ihn nicht, sondern bedroht einzelne Fälle desselben. Wenn nun derselbe Angriff auf den territorialen und den grundgesetzlichen Bestand eines Staates darauf ausgeht diesen in die Gewalt eines andern zu bringen (§ 81, 3) und dieses Ziel erreichen will durch Auslieferung der fürstlichen Familie an den Feind um sie dauernd des meine zu weit gehende Aeusserung in den Normen I 112 H i l l e r , GS 1880 S 228 fF. S. auch O l s h a u s e n zu § 73 A n m 8a. 2 S. darüber bes. S e e g e r , G A X X 137 if. 3 So ist also bei e i n e r Zahlungseinstellung eines Schuldners eine Realkonkurrenz der Fälle der K O § 209 unter einander und der Fälle des § 210 unter einander undenkbar. (Vgl. des weiteren oben S 362.) Das gleiche gilt zweifellos bezüglich cler Fälle des § 212. 4 Richtig verneint jede Konkurrenz in solchem F a l l R G I I I vom 15. Nov. 1879 ( Ε I 101), weil die Handlungsweise des Angeklagten i n ihrer Gesammtheit als eine Straftat anzusehen sei; ferner R G I I vom 20. A p r i l 1880 (Rspr I 627); R G I I I vom 29. Sept. 1880 (E I I 338 ff.); vom 17. März 1882 (E. V I 97): es handelt sich dabei stets „ u m die alternativen Merkmale desselben Delikts". S. auch das interessante RG I vom 9. Juni 1884, wo die Annahme eine Realkonkurrenz zweier Bankrottvergehen durchaus begründet war. Binding, Handbuch. V I I . 1. I : B i n d i n g , Strafrecht.

I.

36

Β. Die

erbrechenseinheit.

Thrones zu berauben, so liegt trotz G Β § 81, 1, 2 und 3 nur ein Hochverrat vor. Beim Landesverrat kann die Unterstützung der feindlichen und die Benachteiligung der deutschen Kriegsmacht, sofern sie einen Landesverratsvorsatz verwirklichen sollen, um so weniger in zwei Verbrechen aufgelöst werden, als jene ja stets eine bald indirekte, bald direkte Benachteiligung der deutschen Heereskraft bedeutet5. Wenn GB § 113 (vgl. § 117) den in rechtmässiger Ausübung seines Amtes begriffenen Beamten schützt durch Strafdrohungen gegen Widerstand oder Angriff, so will das Gesetz das ungehinderte Walten der Amtsgewalt sicher stellen und hebt seine Hauptgegner Widerstand und Angriff alternativ hervor, um so weniger gewillt zwei eventuell konkurrirende Verbrechen aufzustellen 6, als der Widerstand notorisch die Form des Angriffs annehmen kann, als Widerstand und Angriff sich bei derartigen Vorgängen unendlich oft verbinden und kaum rein aus einander zu halten sind. Wenn GB § 123 die beiden Mittel der Verletzung des Hausfriedensbruchs — widerrechtliches Eindringen und widerrechtliches Verweilen — von einander scheidet, so konstituirt die Verbindung der Mittel — freches Verweilen des widerrechtlichen Eindringlings — nur einen Hausfriedensbruch 7. Dasselbe ist zu sagen, wenn das Gesetz wie beispielsweise bei cler Körperverletzung das Delikt in zwei Unterarten, Misshandlung und Gesundheitsbeschädigung, zerschlägt und beide alternativ bedroht. Wer seinen Nachbar prügelt und ihm dabei den Arm lahm schlägt, ist wegen e i n e r Körperverletzung und nicht wregen Konkurrenz von Misshandlung und Gesundheitsbeschädigung in Form der Lähmung zu strafen. Aehnliche Erscheinungen aber Hessen sich noch in grösserer Zahl nachweisen8. 5

Es ist kaum unnötig, daraufhinzuweisen, dass § 9 0 , 1—6 nur Qualifikationen des in § 89 genereller definirten Tatbestandes aufstellt, dass also zweifellos e i n Landesverrat mit verschiedenen dieser Qualifikationen vorkommen kann, und man sich dann vor der Konkurrenzannahme hüten muss (§ 90: § 89 = § 243: § 242). 6 Dieser Ansicht beispielsweise O l s h a u s e n 1. A u f l . zu § 113 Anm 20. 7 Dies ist auch wichtig und meist übersehen für die Frage der Konkurrenz. Das Vergehen des Eindringlings schliesst gesetzlich nicht mit dem Eindringen ab, sondern dauert während seines Verweilens : die weiteren Taten des Hausfriedensbrechers im Hause konkurriren deshalb mit dem Hausfriedensbruch stets ideal. S. unten S 577 A n m 24. 8 E i n Verbrechen können mein. E . bilden 1. das Nachmachen u n d das Fälschen des Geldes im Sinne des § 146; 2. die beiden Alternativen in § 147;

§ 121. 6. Das Verbr. eine Mehrh. von Del. versch. Art.

563

Sie gleichen sich darin, dass die Handlungsweise des Täters in ihren einzelnen Bestandteilen zwar verschiedenen Handlungsbegriffen zu unterstellen ist, jene aber doch als Unterarten eines höheren Gattungsbegriffes gedacht sind und von diesem die einigende Kraft für die innerlich so nahe verwandten Handlungen ausstrahlt. So bildet diese Gruppe in Wahrheit die Vermittlung zwischen den fortgesetzten, aber in sich gleichartigen und V. den zusammengesetzten V e r b r e c h e n , die hier nur von ganz bestimmten Seiten her zu beleuchten sind 9 . Es wäre ganz irrig ihre Bildung auf die ungenügende Behandlung der Verbrechenskonkurrenz zurückzuführen. Das Leben hat sie geschaffen, das Gesetz nimmt sie auf und schafft vielleicht neue. Das die mehreren dem Verbrechen wesentlichen Delikte verschiedener Art einigende Band ist ein doppeltes: entweder stehen dieselben im Verhältniss von Mittel und Zweck, wie bei Raub und Erpressung, oder von Ursache und Folge, wie bei der Tötung im Zweikampfe und den unendlich zahlreichen Fällen, wo ein Verbrechen weiterhin den Tod oder die Gesundheitsbeschädigung eines Menschen bewirkt. Die relative Ständigkeit dieser Verhältnisse erzeugt die Anschauung der Einheitlichkeit dieser in sich heterogenen Vorgänge, die sich das Gesetz vielfach aneignet. Durchaus nicht bei allen diesen Verbrechen entspricht das Bewusstsein des Täters jener Betrachtungsweise: das erste jener beiden Verhältnisse freilich weiss er bei seiner Tat, das zweite braucht er nicht immer zu wissen. Treten so verschiedenartige Delikte wie solche gegen die Person und gegen das Vermögen oder gegen den Staat zu einem Verbrechen zusammen, so muss sich zur Lösung der Einheitsfrage das eine dem andern unterordnen. Denn es kann sich dann wohl ereignen, 3. das Verändern u n d Unterdrücken des Personenstandes in § 169 (ders. Ansicht R G I vom 7. Febr. 1884, Ε X 86 ff.); 4. das Verkaufen u n d Ausstellen der unzüchtigen Schrift in § 184 ; 5. leider auch das Begünstigen, um den Verbrecher der Strafe zu entziehen u n d um ihm die Vorteile der T a t zu sichern, i n § 257. 258; 6. das Ansichbringen gestohlener Sachen u n d die M i t w i r k u n g zum Absatz i n § 259; 7. das Gestatten u n d Verheimlichen von Glücksspielen i n § 285; 8. das Veräussern u n d Beiseiteschaffen von Vermögensstücken in § 288; 9. die verschiedenen Verpflichtungsweisen der §§ 301 u. 302; 10. die verschiedenen Gefährdungsweisen des § 322; 11. das Vergiften u n d das Inverkehrbringen des § 324; 12. das Nichterfüllen u n d das Nichtordnungmässigerfüllen der Verträge i n § 329; 13. das Fordern u n d Annehmen i n § 331. 332. 334; 14. das Rechtsbeugen zu Gunsten der einen u n d zum Nachteil der andern Partei]; 15. die Freisprechung von der einen Anklage u n d die ungenügende Verurteilung auf die andere in § 346. 9 Vgl. darüber oben S 179.

36*

564

C. Die Verechensmehrheit.

dass von den notwendig konkurrirenden Delikten das eine nicht nur in Gestalt des fortgesetzten Deliktes auftritt, sondern geradezu in voller Selbständigkeit öfter repetirt, während das andere nur einmal begangen wird. Fehlte der Raubbegriff und der Dieb vergewaltigte zwecks Besitzerlangung drei Personen, so würde ein Diebstahl mit d r e i Nötigungen konkurrirem Sobald aber der Raub geschaffen wird, muss entweder die Einheit des Diebstahls oder die Mehrheit der Nötigungen den Sieg davontragen. Da lassen sich nun zwei durchgreifende Regeln aufstellen. Beim zusammengesetzten Verbrechen prävalirt: 1. wenn die verschiedenen Delikte im Verhältniss von Mittel und Zweck stehen, das Zweckdelikt über das Mitteldelikt 10 ; 2. wenn· sie aber im Verhältniss von Ursache und Folge stehen, dann das Ursachendelikt 11. Die unter IV und V nachgewiesenen Erscheinungen haben die Einheits-Anschauung bedeutend erweitert. Ohne Rücksicht auf Einheit ja auf Gleichartigkeit der Handlungen erhebt der Gesetzgeber die Vielheit zur Einheit. Es leuchtet ein, dass sich dann allerdings eine verbrecherische Tätigkeit mit ganz verschiedenen subjektiven und objektiven Tatbeständen durch verschiedenartige Delikte fortsetzen kann, und dass darauf der Begriff des fortgesetzten Verbrechens, wie er oben festgestellt wurde, nicht mehr passt. Dennoch möchte ich denselben nicht erweitern, weil er sonst seine Brauchbarkeit einbüsst und es wünschenswert ist, f ü r die aus m e h r e r e n H a n d l u n g e n derselben A r t bestehende V e r b r e c h e n s e i n h e i t das bezeichnende Wort nicht zu verlieren. C.

Die Verbrechensmehrheit. § 122.

1. I h r B e g r i f f .

Die Definition der Verbrechensmehrheit kann natürlich nur auf Grundlage des Begriffs der Verbrechenseinheit, als deren Vervielfachung sie sich darstellt, gegeben werden. Sie l i e g t stets v o r , wenn eine M e h r h e i t s t r a f b a r e r D e l i k t e eine V e r b r e c h e n s e i n h e i t n i c h t b i l d e t ; positiv ausgedrückt, wenn 10 So ist die Z a h l der Nötigungen beim Diebstahl gegen die Einheit von diesem selbst ohnmächtig : es liegt nur e i η Raub vor. Ebenso bei der Erpressung. Mein. E . nicht richtig RG I vom 1. J u l i 1880 (Rspr I I 149). 11 Sterben durch den erregten Brand zwei Menschen, da sie sich nicht mehr aus dem Hause retten konnten, so liegt nur e i n e qualifizirte Brandstiftung nach § 307, 1 vor u. s. w.

§ 122.

1. Ihr Begriff.

565

die m e h r e r e n R e a l i s i r u n g e n desselben oder v e r s c h i e dener V e r b r e c h en s ta tbestände sich als verschiedene V e r b r e c h e n s i n d i v i d u e n d a r s t e l l e n , sich somit als s e l b s t ä n d i g von e i n a n d e r abheben 1 . DieZahl der Urheber ist für den Begriff gleichgiltig, doch wird in Folgendem die Verbrechensmehrheit bei Verbrechereinheit ins Auge gefasst. Der Begriff erfordert I. eine M e h r h e i t von D e l i k t e n . Er scheidet sich dadurch scharf von dem des fortgesetzten Verbrechens in Gestalt der Deliktseinheit und von dem der reinen Gesetzeskonkurrenz als dem Zusammentreffen mehrerer Strafgesetze für ein Delikt. Dort liegt die Gefahr vor dasselbe Strafgesetz mehrfach, hier die andere, eine Mehrheit von Strafgesetzen auf dieselbe Deliktseinheit anzuwenden. 1. E i n e M e h r h e i t von D e l i k t e n f o r d e r t aber unbed i n g t eine M e h r h e i t von H a n d l u n g e n . Keine Verbrechensmehrheit kann also durch eine Handlung realisirt werden. Dadurch aber, dass man den juristischen Handlungsbegriff mit einem Afterbegriff identificirte, gelangte man zur Leugnung dieser unbestreitbaren Wahrheit; dadurch, dass man den ersten durch den zweiten Begriff gradezu verdrängte, das Erforderniss der Handlungs- zur VerbrechensMehrheit aber festhielt, gar zur ungerechtfertigten Ausstossung der Fälle der sog. Idealkonkurrenz aus dem Gebiete der Verbrechensmehrheit. Was ausserhalb des Rechts Handlung ist oder heisst, ist für dessen Bereich gleichgiltig. Für sein Gebiet ist Handlung nichts anderes als die Verwirklichung eines rechtlich relevanten Willens 2 ; das Verbrechen ist Handlung als Selbstverwirklichung des verbrecherischen Entschlusses und Setzung 'des verbrecherischen Tatbestandes. Diese Handlung ist also die Einheit von Willensverwirklichung und Erfolg, sie ist das Verbrechen von seinem juristischen Anfange bis zu seinem juristischen Endpunkte. So fasst auch das Gesetz3 den Begriff der 1 Die Selbständigkeit der verschiedenen verbrecherischen Handlungen kann nicht zur Definition e i n e r A r t der Konkurrenz, sie m u s s aber zur Definition der Verbrechensmehrheit überhaupt verwendet werden. 2 S. Normen I I 46. 3 Sein Sprachgebrauch bezüglich dieses Punktes ist genau zu beachten. Handlung und strafbare Handlung ist i n i h m Synonymum für Verbrechen, Vergehen oder Uebertretung; deren totale Tatbestände heissen Handlung. S. GB § 1. 2. 3. 4. 5. 7. 20. 47 . 48. 49. 50. 57. 61. 63. 71. Abschn. 5 : Ueberschrift. § 76, 2. 78. 79. 82. 83 (Beginn einer strafbaren Handlung). 85. 86. 91. Abschn. 4 des bes. T e i l s : Ueberschrift. § 102. 106. 107. 108. 111. 113, 3. 115, 2. 116, 2. 118. 119. 123, 3. 124.

566

C. Die Verechensmehrheit.

Handlung ganz regelmässig: also so viel Verbrechenstatbestände verwirklicht sind, so viel Handlungen in seinem Sinne liegen vor — nicht mehr, nicht weniger 4. Ueber die Zahl der zu einer Handlung nötigen Körperbewegungen bestimmt das Gesetz natürlich nichts: es fasst die Handlung nicht realistisch, sondern als ein ideales Ganzes. Diesem juristischen und brauchbaren Handlungsbegriff kann man einen unjuristischen und unbrauchbaren substituiren. Danach ist „Handlung" die einzelne Einwirkung auf die Aussenwelt, losgelöst von ihrem Grunde — dem deliktischen Entschlüsse — und ihrer Folge — dem deliktischen Erfolg; sie ist die einzelne Körperbewegung, die Mittel zur Betätigung sehr verschiedener Entschlüsse und Grund sehr verschiedner Folgen sein kann. Sofort leuchtet ein, dass man sich bei Aufstellung dieses Handlungsbegriffes nicht begnügt das Ganze durch einen Teil zu ersetzen, sondern dass man die Handlung einem Vorgange gleichstellt, der ebensogut Teil von ihr, als Teil eines kasuellen Verlaufs, als Teil einer Mehrheit von Handlungen sein kann 5 . In demselben Augenblick stehen die Anhänger dieses Handlungsbegriffes vor cler Wahl, entweder die Idealkonkurrenz als Fall echter Verbrechensmehrheit anzuerkennen und die Wahrheit, dass eine Mehr133, 2. 163. 164. 169. 174. 176. 178. 190. 191. 214. 220, 2. 221, 2 u. 3. 229, 2. 235. 244. 257, 1. 259. 261, 2. 272. 315, 2. 316, 1. 317—319. 321, 2. 322, 2. 323. 324. 326. 329, 2 ( = Unterlassung). 332 u. 333 (Handlung, die eine Verletzung der Amtspflicht e n t h ä l t ) . 339, 3. 345. 346. 349. 357. Vgl. § 266, 1. 330. 356, 2. I n diesem durchaus regelmässigen Sinne ist die Handlung so wenig gleichbedeutend m i t dem tätigen Angriff auf die Aussenwelt, m i t der durch den W i l l e n ausgelösten Bewegung, dass § 4 6 , 1 sprechen kann vom Aufgeben der „ A u s f ü h r u n g der beabsichtigten Handlung". I n zwei Fällen beschränkt das GB diesen Begriff der Handlung für die ganze Verbrechenserscheinung durch ausdrückliche Abschnürung des Erfolgs von der Handlung: i n § 46, 2 und 67, 4 bedeutet aber doch Handlung die Realisirung eines verbrecherischen Willens bis an die Schwelle des Erfolgs. — Leider gebraucht das Gesetz Handlung aber auch sozusagen für die Setzung eines Verbrechenstatbestandes durch einen Unzurechnungsfähigen: § 51. 52. 55. 56, oder für den Tatbestand eines Verbrechens u. s. w., einerlei ob durch Zurechnungsfähige oder Unzurechnungsfähige v e r w i r k l i c h t : § 56. 58. 59. 354. 355; in allen diesen Fällen aber wieder für den Vorgang in seiner Totalität. W e s e n t l i c h a b w e i c h e n d i s t d e r B e g r i f f d e r H a n d l u n g n u r i n § 73 u. 74. S. darüber § 123. 4 Scharf und richtig betont von J o h n , GA I I I 360, F. V. S 111; H ä l s c h n e r , Preuss. StR I 496, D. StR I 672. 5 Sehr gut bemerkt A b e g g , Lehrbuch S 123: „Das Aeusserliche, die Tat, ist far sich nichts, gleichgiltig und leblos, wenn es nicht durch das Innere, den W i l l e n und die A b s i c h t , seine Bedeutung erhält." — Dass GB § 73 jener Konfundirung des unechten m i t dem echten Handlungsbegriff Vorschub leistet, entschuldigt die Wissenschaft nicht, die i h r verfällt.

§ 122.

1. Ihr Begriff.

567

heit von Verbrechen eine Mehrheit von Handlungen erfordere, zu leugnen6 ; oder aber diese letztere Wahrheit anzuerkennen, zu folgern : zur Verbrechensmehrheit gehört eine Mehrheit von Körperbewegungen, und zu schliessen : da diese bei der Idealkonkurrenz fehlt, ist letztere nicht Verbrechensmehrheit sondern nur Fall der Gesetzeskonkurrenz 7. Ist nun jedes Verbrechen selbständige Handlung und bedarf jeder verbrecherische Erfolg seiner eigenen Kausalität, so ist doch durchaus möglich, dass die Ursachen verschiedener Erfolge sich sei's in höherem, sei's in geringerem Grade, aber nie ganz aus identischen Bedingungen zusammensetzen, dass also, wenn diese Bedingungen durch menschliche Tätigkeit geschaffen worden sind, derselbe Tatakt einen Beitrag zu verschiedenen Ursachen geliefert haben, also Bestandteil ganz verschiedener Handlungen geworden sein kann. Geht diese Identität der Bedingungen weit genug, so kann sie den Schein der Identität der Ursachen und der Einheit der sie setzenden Tätigkeit erwecken. So bei dem beliebten Beispiele der Idealkonkurrenz von Ehebruch und Incest, welches so oft den Gegenbeweis gegen das Erforderniss der Mehrheit der Handlungen zur Mehrheit der Verbrechen nicht sowohl erbringen als ersetzen, hie und da auch zeigen soll, dass hier nicht 6 Das ist (1er Standpunkt M e r k e l s bei H H I I 580; S e e g e r s bei GA X X 146. 147; M e y e r s , Lehrbuch § 67 S 390; H a b e r m a a s ' , Ideale Konkurrenz S 15. 16 — überhaupt aller derer, die bei der idealen Konkurrenz die Mehrheit der Verbrechen anerkennen, aber die Einheit der Handlung ruhig hinnehmen. 7 Das ist der Standpunkt v. L i s z t s. S 215 w i r d die Handlung bestimmt als „die willkürliche Körperbewegung m i t d e m d u r c h s i e v e r u r s a c h t e n E r f o l g e " ; hält man damit die Aeusserung S 104. 105 zusammen, wonach die Handlung „menschliche Kausalität" ist, und bedenkt man, dass für die Z a h l der Kausalitäten die Zahl der Erfolge maassgebend ist, so sollte man glauben, v. L i s z t müsste auf S 215 zu dem Resultat kommen, bei Mehrheit der Erfolge einheitlicher Körperbewegung M e h r h e i t d e r K a u s a l i t ä t e n , also der H a n d l u n g e n anzunehmen. A l l e i n „hat der geschleuderte Stein einen Menschen getötet, den zweiten verletzt und ausserdem eine Scheibe zertrümmert, so können w i r nur von einer Handlung mit mehreren Erfolgen, nie aber von mehreren Handlungen sprechen". Ebenso verflüchtigt sich der Erfolg auf S 221: „Das Verbrechen ist i n erster L i n i e Handlung, d. h. ein (natürliches) T u n und Lassen. Daraus folgt m i t unausweichlicher Notwendigkeit, dass e i n e r natürlichen Handlung auch immer nur e i n Verbrechen entsprechen kann." Also bei jenem Steinwurf e i n Verbrechen? Aber welches? Hier Tötung, Körperverletzung und Sachbeschädigung anzunehmen „steht i m W i d e r spruche m i t den klaren Bestimmungen des Gesetzes und ist auch wissenschaftlich unhaltbar" (S 214)!? W o aber steht im Gesetz, dass die Handlung i n seinem Sinne e i n e Körperbewegung sei und dass jedes Verbrechen seiner separaten Körperbewegung bedürfe? U n d wie ist von diesem krass realistischen Standpunkt aus zu vermeiden, dass mehrere Schläge in Körperverletzungsabsicht m i t j e einem verletzenden Erfolg mehrere Verbrechen darstellen ?

568

C. Die Verechensmehrheit.

Verbrechensmehrheit sondern nur Gesetzeskonkurrenz vorliegt 8 . Es verlohnt sich grade an diesem Beispiel den Schein als Schein nachzuweisen. Können verschiedene Rechtsgüter nur durch dasselbe Mittel verletzt werden — die Ehe durch Beischlaf mit dem Nicht-Gatten, die Familienordnung durch Beischlaf mit dem nahen Blutsverwandten —, so fallen die entsprechenden Schutznormen zwar nicht vollständig, aber teilweise — in der Verwerfung des gleichen Mittels — zusammen; demgemäss decken sich ihre Uebertretungen notwendig zu einem Teile, falls derselbe Täter sie gleichzeitig vornimmt. Dennoch liegen zwei scharf zu scheidende Handlungen und zwei ebenso scharf zu scheidende Ursachen verbrecherischer Erfolge vor. Nur muss man sich hüten die Ursache ebenso äusserlich zu fassen wie oben die „Handlung" in der zweiten Bedeutung gefasst wurde 9. Die Ursache bildet mit ihrem Erfolg ein untrennbares Ganzes: soviel juristisch verschiedene Erfolge eintreten, so viel Ursachen derselben müssen vorhanden sein. Von den beiden Handlungen, die hier vorliegen, ist die eine Selbstverwirklichung des Ehebruchsvorsatzes und die Verletzung ehelicher Treue ist ihr Schlusserfolg; die andere ist Verwirklichung des davon ganz verschiedenen Vorsatzes der Blutschande und die Familienschändung ist ihr Schlusserfolg. Wie gar nicht anders möglich, zeigt nun auch sorgfältige Analyse der Ursachen beider Verbrechen eine Verschiedenheit der Zusammensetzung, die man künstlich beseitigt um Ursachen-Identität zu behaupten. Nicht ist der „Beischlaf" die gleiche Ursache beider verschiedenen Erfolge — logisch ein Unding! —, sondern der Beischlaf eines Blutsverwandten mit einer Blutsverwandten ist die Ursache des Incests, aber der Beischlaf eines Ehegatten mit einem Nicht-Gatten die Ursache des Ehebruchs. Unentbehrliche Bedingungen der ersten Ursache sind gleichgiltig für die zweite und umgekehrt 10. 8 So bei v. L i s z t und v. B u r i , Einheit und Mehrheit S 1. Doch möchte i c h darauf verweisen, dass i n einem Rechtssysteme wie dem des früheren gemeinen Rechts, das ein Gattungsdelikt des ausserehelichen Beischlafs besitzt, sich die Verbrechenskonkurrenz i n eine Konkurrenz von Qualifikationen verwandeln k a n n , w e n n das betr. Recht i n Ehebruch und Incest nur Qualiiikationen jenes Gattlingsdeliktes sieht, was das frühere gemeine Recht m. E. nicht getan hat. 9 Gerade das ist der Fehler, den v. B u r i a. a. 0 . macht. 10 So richtig die Bemerkungen H ä l s c h n e r s , D. StR I 671 A n m 3 gegen v. B u r i sind, geben sie v. B u r i viel zu viel zu. Es fehlt eben an der Einheit der Kausalität, nicht ist sie nur gleichgiltig. — N i c h t anders verhält es sich, wenn etwa durch eine Explosion Brand erregt und ein Mensch getötet wird. Die U r sachen davon, dass ein Balken brennt und dass ein Mensch stirbt, sind eben fundamental verschiedene Ursachen fundamental verschiedener Erfolge, können sich also

§ 122.

1. Ihr Begriff.

569

D i e S e l b s t ä n d i g k e i t z w e i e r H a n d l u n g e n w i r d also d u r c h das Maass der I d e n t i t ä t i h r e r B e d i n g u n g e n i n keiner Art beeinträchtigt. 2. Der einzige Fall, wo man allenfalls annehmen könnte, dass eine und dieselbe Handlung zwei Delikte enthielte, ist der, wenn der Täter durch dieselbe Tat zwei gleichinhaltliche Normen zweier verschiedener Staaten übertritt, wenn also beispielsweise ein Deutscher in Frankreich oder ein Franzose in Deutschland mordet. Hier sind in Wahrheit zwei Rechte auf Botmässigkeit verletzt worden, und sobald der Vorgang gleichzeitig vom Standpunkt des französischen u n d des deutschen Strafrechts aus betrachtet wird, ist an der Zweiheit der Delikte ein Zweifel kaum möglich. Allein die Frage nach VerbrechensEinheit und -Mehrheit ist nur vom Standpunkte eines Rechtes aus zu entscheiden und keines der beiden erwähnten Rechte erblickt hier eine Verbrechenszweiheit. Wie wollte man auch einen Mord in zwei verbotene Tötungen spalten? Grade die Ueberzeugung beider Staaten, dass hier nur e i η Verbrechen begangen sei, führt sie zur Annahme der Alternativität beider Strafrechte oder mindestens zur Anrechnung der wegen dieser Tat auswärts verbüssten Strafe. 3. In der Selbständigkeit der Handlungen bei der Verbrechensmehrheit wurzelt es, dass ebenso mehrere vollendete vorsätzliche, wie mehrere fahrlässige, wie vorsätzliche und fahrlässige, wie vollendete und versuchte Delikte mit einander konkurriren können. Die Verbrechensmehrheit fordert aber nicht nur eine Mehrheit von Delikten, sondern auch II. eine M e h r h e i t s e l b s t ä n d i g e r s t r a f b a r e r Tatbestände. Dadurch scheidet sich der Begriff scharf von allen Fällen, wo eine Deliktsmehrheit sich als Verbrechenseinheit darstellt, insbesondere von den Fällen des Reihenverbrechens und des zusammengesetzten Verbrechens. Auch wenn des letzteren Bestandteile isolirt sämmtlich strafbar sind, hat der Gesetzgeber einen Konkurrenzfall zum selbständigen Verbrechen erhoben. Daraus ergiebt sich, dass die Zahl der konkurrirenden Verbrechen die der konkurrirenden Delikte nie zu übersteigen vermag, sondern ihr entweder gleich steht, wie bei der Tötung mehrerer Personen sei's durch einen sei's durch mehrere Schüsse, oder kleiner ist als die Zahl der Delikte; und es erhellt weiter, dass die Verbrechenskonkurrenz gar nicht aus genau denselben Bedingungen bilden; ganz ebenso, wenn durch eine Explosion 100 Menschen umkommen. Ursache für den T o d des einzelnen ist, dass e r getroffen wird, nicht dass sein Nachbar auch in die L u f t fliegt.

570

C. Die Verechensmehrheit.

erst da beginnt, wo zwei Delikte sieh als zwei einfache Verbrechen darstellen, oder wo ausser der Deliktsmehrheit, die sich zu einem Verbrechen zusaninienschliesst, noch mindestens ein einfaches Verbrechen vorhanden ist. Mehr aber ist über clen Begriff cler Verbrechensmehrheit nicht zu sagen, denn sie ist ja nur eine Kombination von Verbrechenseinheiten, und worin das Individuelle des Verbrechens liegt, ist oben zu entwickeln versucht worden. § 123. 2. A r t e n der V e r b r e c h e n s n i e h r h e i t . I n s b e s o n d e r e von der I d e a l - und der R e a l - K o n k u r r e n z 1 . I. Arten cler Verbrechensmehrheit giebt es so viele wie Arten der Verbrechen, und ihre Unterscheidung hat wissenschaftlich gar keinen Wert. Mehr echte Arten derselben lassen sich aber auch nicht denken, und wenn man sie dennoch aufstellen wollte, so liesse sich nicht absehen, wie ihre Aufstellung einen andern Zweck verfolgen konnte als den bescheidenen leichterer Orientirung über eine grosse Masse von Erscheinungen. Dann bildete man Gruppen und nannte sie Arten. Dazu boten sich zwei passende Handhaben: die Z a h l der V e r b r e c h e r und die A r t der V e r b r e c h e n . So konnte man scheiden: 1. der Verbrechensmehrheit entspricht auch eine Verbrechermehrheit oder sie hat denselben Urheber, wo dann der Fall der subj e k t i v e n K o n n e x i t ä t vorliegt; 2. die mehreren Verbrechen sind solche derselben oder verschiedener Art 2 . 1 Die Abhandlungen von H a b e r m a a s und von L ö w e η s t e i n über die Konkurrenz sind Arbeiten tüchtiger Anfänger über ein für sie zu schwieriges Thema und fördern nicht. Die Ausführungen L ö w e η s t e i n s über das Verhältniss der Münzfälschung zur Urkundenfälschung (s. das Résumé S 66 ff.) sind nicht haltbar. — A u f wenig Gebieten bewegt sich die Praxis unsicherer als auf clem der VerbrechensEinheit und -Mehrheit, und auf dem der Ideal- und der Realkonkurrenz insbesondere. Eine Polemik i m einzelnen ist hier schlechthin ausgeschlossen. Lehrreich für die eben aufgestellte Behauptung ist besonders der O p p e n h o f f s c h e Kommentar, worin unmögliche Konkurrenzannahmen auf Schritt und T r i t t begegnen. Eine Puriiikation des Werkes i n dieser Richtung wäre dringendstes Bedürfniss. 2 Danach unterscheidet man c o n c u r s u s h e t e r o g e n e u s und h o m o g e n e u s , u n g l e i c h a r t i g e und g l e i c h a r t i g e oder u n g l e i c h h a l t i g e und g l e i c h h a l t i g e , auch höchst unpassend o b j e k t i v e und s u b j e k t i v e Konkurrenz. Die A r t ist dann aber i m engsten Sinne zu nehmen, so dass einfacher und qualifizirter Diebstahl einen concursus heterogeneus bilden.

§ 123. 2. Arten

er Verbrechensmehrheit.

571

Π. Da die Verbrechensmehrheit das Nebeneinander von mehreren juristisch durchaus selbständigen Verbrechen bedeutet, da, wo der Gesetzgeber sie annimmt, die möglichen Beziehungen zwischen den verschiedenen Verbrechen, die zu einander vielleicht im Verhältniss von Mittel und Zweck oder von Grund und Folge stehen, von ihm ignorirt werden 3, so war nicht zu erwarten, dass er für verschiedene Konkurrenzfälle eine verschiedene Strafzumessung vorschreiben würde. Dennoch hat die neuere Strafgesetzgebung grade in Hinblick darauf zwei Gruppen von Konkurrenzfällen einander gegenübergestellt, und damit ist eine der allerbedauerlichsten Taten in der neueren Rechtsgeschichte vollbracht. Denn nicht nur fehlt jeder Grund für eine verschiedene Bestrafung der i d e a l e n (auch f o r m a l e n , e i n h e i t l i c h e n , g l e i c h z e i t i g e n ) und der r e a l e n (auch m a t e r i a l e n , m e h r h e i t l i c h e n , successiven) K o n k u r r e n z , sondern auch ihre Scheidung ist die unglücklichst denkbare4. III. Das deutsche Strafgesetzbuch ist in dieser Beziehung im grossen und ganzen seinen deutschen Vorgängern gefolgt. Sein ganzer „Fünfter Abschnitt. Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen" (§ 73—79) ruht dergestalt auf dem Gegensatz von Ideal- und Real-Konkurrenz, dass § 73 allein der ersten, die §§ 74—79 aber der letzteren gewidmet sind 5 . Zwar wird das hie und da geleugnet und § 73 entweder dem Gebiete der Konkurrenz ganz abgestritten und nur auf den Fall der Gesetzeskonkurrenz6 oder gar auch auf das fortgesetzte Verbrechen 7 bezogen, oder dem Gesetze werden gleichmässig die Fälle der Gesetzesund die der Ideal-Konkurrenz unterstellt 8 9 . 3

Eine Ausnahme bildet die Berücksichtigung der Retorsion in GB § 199. 233. G r o l m a n § 121 nennt die ideale Konkurrenz ganz fein die z u s a m m e n · f l i e s s e n d e , die reale die z u s a m m e n t r e f f e n d e . 6 Eine kaum erfolgreiche Apologie der §§ 73—79, bes. gegen S c h ü t z e gerichtet, giebt v. S c h w a r z e , GS 1883 S 575 ff. — Eine der grössten und dringendsten Verbesserungen des Gesetzbuchs wäre die Streichung des § 73 und die Ausdehnung der §§ 74 ff. auf alle Konkurrenzfälle. 6 So wohl von v. B u r i , Einheit und Mehrheit S 106 ff.; ganz ausdrücklich von v. L i s z t S 221. S. unten A n m 12. 7 So von O r t m a n n , GS 1874 S 74. 8 So von H i l l e r , GS 1880 S 238; S c h ü t z e , Ζ f. S t R W I I I 71; H a b e r m a a s S 23. 27. 9 Dagegen M e r k e l bei H H I V 225 (beachte aber S 229 und oben S 527 A n m 9); H ä l s c h n e r , D. StR I 681. 682; W ä c h t e r , Vöries. S 298. S. auch S e e g e r bei GA X X 145. 146; R ü d o r f f zu § 73 A n m 2. 4 ; R u b o zu § 73 A n m 4 ; v. S c h w a r z e zu § 73 A n m 1; M e y e r § 67. 68. — \ r g l . unten A n m 13. 4

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C. Die Verechensmehrheit.

Alle diese Behauptungen sind gleich irrig. Der Abschnitt bedurfte nicht einmal der Ueberschrift, worin das Gesetz ausdrücklich sagt, dass es jetzt von der Mehrheit strafbarer Handlungen reden wolle und nicht von der Fortsetzung eines Verbrechens und der Mehrheit der Strafgesetze für ein solches, um Jedem, der mit der neueren Rechtsentwicklung vertraut ist, sofort klar zu legen, dass von dem traditionell gewordenen Gegensatz idealer und realer Konkurrenz und der fast ebenso traditionell gewordenen Verschiedenheit ihrer Bestrafung gesprochen werden soll 1 0 : der ganze Aufbau des Abschnittes und seine Ausdrucksweise beweist das zur Genüge11. Aber nicht nur dies ! Die Regel des § 73 kann auf gar keinen anderen Fall als den der Idealkonkurrenz bezogen werden: sie wird sofort falsch, wenn man sie auf die Konkurrenz mehrerer Strafgesetze bei einem Verbrechen deuten will. Das Buch über die Quellen hat gezeigt, wie bei solcher Konkurrenz durchaus nicht immer das strengere, sondern öfters grade umgekehrt das m i l d ere Anwendung finden will 1 2 . Und 10

A u c h die Anlage des Gesetzbuchs zeigt, dass die Abschnitte 1—4 wesentl i c h auf die Verbrechenseinheit Bezug haben, Abschnitt 5 sich der Verbrechensmehrheit widmen w i l l . 11

Zwar ist dagegen von H i l l e r , GS 1880 S 238, und v. L i s z t , Lehrbuch S 221 hingewiesen worden auf den W o r t l a u t des § 73, wonach derselbe von der „Verletzung mehrerer Strafgesetze", also, fügt v. L i s z t hinzu, gar nicht von Verbrechenskonkurrenz handele. A l l e i n dieser Grund schlägt nicht durch. Der im GB allerdings nur i n § 73 gebrauchte Ausdruck ein „Strafgesetz verletzen" wird ausserhalb des Gesetzes unendlich häufig in dem Sinne gebraucht „ein Verbrechen begehen, eine N o r m verletzen", und dass der Ausdruck i n § 73 nichts anderes besagt und warum gerade er i n § 73 gebraucht i s t , beweist § 74 aufs bündigste. Falls einander gegenübertreten clie Ausdrücke: „wenn eine und dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze verletzt" (§ 73) und : wenn „durch mehrere selbständige Handlungen mehrere Verbrechen oder Vergehen . . . begangen werden" (§ 74), so ist evident, dass die Verletzung des Strafgesetzes i n § 73 identisch ist mit der Begehung der Verbrechen und Vergehen i n § 74, und dass § 73 von Verletzungen des Strafgesetzes nur deshalb redet, weil er nicht sagen kann: „wenn eine und dieselbe Handlung mehrere strafbare Handlungen" oder „mehrere Verbrechen, Vergehen oder Uebertretungen enthält" ; die erste F o r m ist zu anstössig, die zweite zu schwerfällig. 12 Deshalb giebt sich auch v. L i s z t die Mühe, den § 73, obgleich er ledigl i c h auf Gesetzeskonkurrenz gemünzt sein soll, für alle Fälle echter Gesetzeskonkurrenz wieder auszuschliessen (S 222 u. 223) und denselben zu einer „subsidiären Aushilfsregel" für alle die Fälle zu stempeln, „wo w i r keinen Paragraphen finden, welcher der Handlung nach allen ihren Seiten gerecht würde". Diese Auffassung ist aber unmöglich. Eine gesetzliche Regelung der Gesetzeskonkurrenz durch Aufstellung eines ihr gewidmeten Paragraphen hat die deutsche Strafgesetzgebung noch nie versucht, auch nicht i m Preuss. StGB § 55, obgleich dieser öfter — so u. a.

§ 123. 2. Arten cler Verbrechensmehrheit.

573

ganz unerfindlich ist, wie § 73 dem fortgesetzten Verbrechen gelten soll. Die eine Handlung, welche mehrere Strafgesetze verletzt, kann aus den beiden Gründen der Einheit der Handlung und der Mehrheit der Strafgesetze unmöglich ein fortgesetztes Verbrechen sein 13 . IV. Den Gegensatz zwischen idealer und realer Konkurrenz findet das Gesetz ausschliesslich in der Begehung mehrerer Verbrechen durch „eine und dieselbe Handlung" 14 und durch „mehrere selbständige Handlungen" 1 δ . Sofort fällt auf, dass der Handlungsbegriff in der UeberV. J o h n , F. V . S 75 ff. — so aufgefasst wurde; und davon, dass § 73 subsidiäre Regel sein soll, sagt nicht nur er nichts, sondern auch kein anderes Reichsstrafgesetz stellt Ausnahmen von ihm für andere Fälle der Gesetzeskonkurrenz auf. 13

Die Anwendbarkeit des § 73 auf Fälle reiner Gesetzeskonkurrenz verneint RG I vom 30. Sept. 1880 (E I I 280); R G I vom 8. Nov. 1880 (E I I 427); R G I I vom 19. A p r i l 1881 ( Ε I V 106 ff., bez. GB § 110 u. 111); R G I I vom 17. M a i 1881 (das. S 180) und vom 17. März 1882 (E V I 94 ff., bez. K O § 209, 1 u. § 211); RG I vom 26. Jan. 1880 und I I I vom 2. Okt. 1880 (Rspr I 273 ff., I I 293. 294: Untreue u. Unterschlagung) ; R G I vom 27. A p r i l 1880 (Rspr I 681 ff: Kontrebande u. Verletzung des Vieheinfuhrverbotes); R G I I I vom 1. März 1883 (E V I 132 ff, s. oben S 553). Dagegen hält öfter das R G Gesetzes- für Verbrechenskonkurrenzen : so R G I I vom 10. Nov. 1882 ( Ε V I I 229 ff); RG I I I vom 22. Febr. 1883 ( Ε V I I I 166. 167); RG I I vom 1. Juni 1883 (Ε V I I I 315 ff., s. oben S 360 A n m . 9 ) ; RG I vom 3. Dez. 1883 (Ε I X 261 ff, s. oben S 356 A n m 4); RG I vom 21. Dez. 1883 ( Ε X 222 ff., s. oben S 354 A n m 12): ich halte die Auffassung, dass wenn mehrere Kuppeleihandlungen gewohnheitsmässig und aus Eigennutz begangen werden, „mehrere r e a l konkurrirende Vergehen der Kuppelei aus Eigennutz i n i d e a l e r Konkurrenz m i t e i n e m Vergehen cler g e w o h n h e i t s m ä s s i g e n Kuppelei" angenommen werden sollen, für schlechthin u n m ö g l i c h (so auch i n kurzer und guter Begründung RG I I I vom 18. Dez. 1880, Rspr I I 651 ff.; anders ders. Senat vom 10. Nov. 1882). Es konkurriren zwei Qualifikationsgründe, aber nicht in jedem A k t zwei Kuppeleien (s. oben S 353. 354). Aber selbst wenn man eine solche Möglichkeit zugeben wollte, würde stets § 73 anwendbar bleiben, und unmöglich wäre das Auswerfen einer Gesammtstrafe m i t Berücksichtigung cler ideal konkurrirenden gewohnheitsmässigen Kuppelei als Strafzumessungsgrund : so cler Unterrichter und das RG. 14

M i t Recht macht aber schon O e r s t e d S 395 A n m darauf aufmerksam, dass nicht einmal das eine Verbrechen „ d u r c h eine durchaus einzelne Handlung verübt werde". in

N i c h t richtig interpretirt R ü d o r f f zu § 73 A n m 3, unter „einer und derselben Handlung" des § 73 sei dasselbe zu verstehen, was § 74 als selbständige Handlung bezeichne. Ebenso O p p e n h o f f zu § 74 A n m 2 ; v. S c h w a r z e zu § 73 A n m 2 a. E . u. zu § 74 A n m 5. Vielmehr ist der Gegensatz dahin zu präcisiren: die e i n e Handlung des § 73 ist eine Mehrheit u n s e l b s t ä n d i g e r Handlungen, während § 74 mehrere s e l b s t ä n d i g e Handlungen fordert (hierüber nicht richtig auch M e r k e l bei H H I V 228). Deshalb kann man auch nicht m i t R ü d o r f f sagen, die eine Handlung des § 73 bezeichne diejenige zusammenhängende Tätig-

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C. Die Verechensmehrheit.

schritt des Abschnittes und der in den §§ 73. 74 einander nicht decken: denn die Ueberschrift spricht vom Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen, und § 73 lässt diese Handlungsmehrheit durch Handlungseinheit dargestellt werden. Dies ist nur möglich, wenn § 73 das Wort Handlung in einem andern Sinne nimmt, und dieser Sinn ergiebt sich negativ sofort. Die eine Handlung wird weder durch die Mehrheit der verbrecherischen Entschlüsse, ohne welche es keine Verbrechensmehrheit giebt, noch durch die Mehrheit der verbrecherischen Erfolge beeinträchtigt. Es ist also darunter in § 73 und folgeweise auch in § 74 nur die Einwirkung des Handelnden auf die Aussenwelt, seine Tätigkeit zwecks Schuldverwirklichung, — fassen wir also nur ein Verbrechen ins Auge, der zwischen Entschluss und Erfolg liegende Ausschnitt der Handlung zu verstehen. Der Unterschied zwischen „einer und derselben" und „mehreren selbständigen Handlungen" in diesem Sinne kann nun in doppelter Weise zu bestimmen versucht werden: e n t w e d e r n u r z e i t l i c h , oder z u g l e i c h z e i t l i c h und u r s ä c h l i c h 1 6 . Entweder es findet die sinnliche Anschauung, worauf der Unterschied beider Konkurrenzarten allein zurückgeht, das Kriterium der Idealkonkurrenz in der Gleichzeitigkeit der mehreren Handlungen, genauer in dem zeitlichen Ineinanderfallen der verbrecherischen Tätigkeiten, oder aber in der grösseren oder geringeren Identität der Tätigkeit, das heisst darin, dass die Setzung der Ursache des einen Verbrechens zugleich die teilweise, ja für die äusserliche Betrachtung vielleicht sogar die gänzliche Setzung der Ursache des andern bedeutet, dass also — ungenau gesprochen — ein Verbrechen durch ein anderes oder beide durch dasselbe Mittel begangen werden. Durch die relativ grössere begriffliche Schärfe des Kriteriums und durch die relativ grössere Berechtigung hier von einer und derselben Handlung zu sprechen scheint sich die zweite, strengere vor der ersten Auffassung zu empfehlen, und allerdings liegt beim Vorhandensein jener sog. ursächlichen Identität zweifellos ideales Zusammentreffen der mehreren Verbrechen vor 1 7 . k e i t , welche von einem verbrecherischen W i l l e n getragen werde. Beachte aber unten A n m 27. 16 I c h kann den letzteren Ausdruck trotz seiner grossen Ungenauigkeit (s. oben S 567. 568) hier leider nicht entbehren. 17 So konkurriren Notzucht, Incest, Ehebruch und Körperverletzung ideell, wenn der Ehemann A seine Schwester notzüchtigt und durch die angewandte Gewalt beschädigt; so Incest (§ 173) und unzüchtige Handlung des Vormundes mit dem Mündel, wenn der Stiefvater zugleich als Vormund mit der Stieftochter kon-

123. 2. Arten

er Verbrechensmehrheit.

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Dennoch aber dürfte im Sinne des Gesetzes die Idealkonkurrenz über diesen engeren Kreis zu erweitern und blos die zeitliche Coincidenz der Handlungen für ausreichend zu erklären sein. Ihre erheblich mildere Behandlung kann sich lediglich auf die Annahme gründen, dass die Ausführung mehrerer Verbrechen auf einmal ein minderes Maass von Schuldintensität, insbesondere von Ueberlegung auf die einzelne Tat fallen lasse, unmöglich aber darin, dass die mehreren Verbrechen mit grösstmöglicher Oekonomie der Mittel verübt werden. Denn das wäre grade ein Zeichen grösserer Raffinirtheit, und wie wenig das Gesetz das privilegirende Moment allein oder auch nur vorzugsweise in jener ursächlichen Identität der konkurrirenden Verbrechen findet, beweist die grosse Zahl seiner zusammengesetzten Verbrechen, die grade aus solchen Idealkonkurrenzen bestehen und deren Strafen die eventuellen Resultate der Strafanhäufung weit übersteigen18. Es ist klar wie der Tag, dass jenes Motiv des Gesetzgebers zu Gunsten der Idealkonkurrenz durchaus unzutreffend ist 1 9 . Denn grade k u m b i r t ( R G I vom 4. Dez. 1882, Ε V I I 307 ff.). So konkurrirt mit der Gefangenenbefreiung (§ 121) wohl die Begünstigung (§ 257, s. oben S 352 A n m 8); mit der Kindesaussetzung (§ 221) oder mit der intellektuellen Urkundenfälschung (§ 271) oft die Personenstandsunterdrückung (§ 169); mit der Urkundenfälschung in gewinnsüchtiger Absicht (§ 268) häufig der Betrug (§ 263), ebenso m i t den Münzverbrechen und -Vergehen der §§ 146—148; mit dem Landzwang (§ 126) wohl die Erpressung (§ 254); mit der Befreiung Gefangener (§ 120) wohl die Anmaassung eines öffentlichen Amtes (§ 132); mit der Verleumdung von Staatseinrichtungen (§ 131) wohl die von Personen (§ 187; unrichtig wohl O l s h a u s e n zu § 131 A n m 1); mit der Anwendung falscher Gesundheitsatteste (§ 279) wohl die falsche Zeugenentschuldigung (§ 138); mit der Verletzung cler Polizeistunde (§ 365) wohl der Hausfriedensbruch (§ 123); mit vollendeter Brandstiftung (§ 306. 308) wohl versuchter oder vollendeter M o r d (§ 211). So kann durch e i n e „Handlung" eine Menge von Tötungen oder Körperverletzungen begangen werden. — Bleibt man aber bei dieser Auffassung stehen, so würde ζ. B. Realkonkurrenz vorliegen, wenn der Dieb beim Herumleuchten fahrlässig einen Brand erregte und cler freche Eindringling beim Hausfriedensbruch Sachbeschädigung, Nötigung oder Körperverletzung verübt. I n zwei Fällen letzterer A r t hat auch RG I I I vom 21. M a i 1881 ( Ε I V 187 ff.) und R G I I vom 3. Okt. 1882 ( Ε V I I 60. 61) Realkonkurrenz angenommen (s. unten A n m 24); ebenso liege Realkonkurrenz vor, wenn cler dem Beamten Widerstehende i h n bei diesem Widerstande schimpft, RG I I I vom 28. Jan. 1884 ( Ε X 53 ff.). 18

S. einstweilen meinen Grundriss I 148. 149. S. auch M e r k e l , F. V. S 47, der sein Argument nur an der falschen Stelle geltend macht. Vgl. das. S 112 A n m 100; d e r s . bei H H I I 579. — Gegen verschiedene Behandlung von Ideal- und Realkonkurrenz auch J o h n , F . V . S 111; R o s e n b l a t t S 50; v. B u r i , Einheit und Mehrheit S 11; H ä l s c h n e r , D. StR I 676 (and. Mein, früher i m Preuss. StR I 514 ff.); H a b e r m a a s S 81 ff.; G e y e r , 19

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C. Die Verechensmehrheit.

jene Häufung der Verbrechen in einem Tatakt kann umgekehrt eine kaum übersteigbare verbrecherische Verwegenheit verbunden mit raffinirtester Ueberlegung beweisen, während das zeitliche Auseinandertreten der Taten zu zeigen vermag, dass der Schuldige nur zögernd, mit innerem Widerstreben, das nur durch jeweilige starke Anreize überwunden worden ist, die Bahn des Verbrechens betreten hat. Nicht einmal lässt sich sagen, dass bei der Idealkonkurrenz im Durchschnitt die strafmindernden, bei der Realkonkurrenz aber die straferhöhenden Momente überwiegen. Im Gegenteil: ausserordentlich häufig zeigt grade die Idealkonkurrenz eine erschreckende Nichtachtung der zu verbundener also um so sichrerer Wirksamkeit berufenen Pflichtmotive. Grössere Körperkraft, grössere Geschicklichkeit greift zur Idealkonkurrenz, weil sie „durch eine Handlung" so viel auszurichten weiss, wie geringere Kraft und geringere Geschicklichkeit durch mehrere 20. So fehlt für eine verschiedene Bestrafung der beiden Konkurrenzarten jede innere Berechtigung 21, aber ausserdem auch die Füglichkeit der Durchführung, wie sich bald zeigen wird. Unsere relativ bestimmten Strafgesetze ermöglichen dem Richter dafür zu sorgen, dass die identischen Bedingungen der verschiedenen Ursachen bei der Strafabmessung nicht mehrfach voll zur Anrechnung gebracht werden, wenn dies i n concreto u n g e r e c h t sein s o l l t e , was es durchaus nicht immer ist. Tritt man indessen einmal in das günstige Vorurteil des Gesetzgebers für die Idealkonkurrenz ein, so muss dasselbe überall da Platz greifen, wro das Verhalten des Täters sich äusserlich für die sinnliche Wahrnehmung, also wegen seiner zeitlichen Abgeschlossenheit, als eine einheitliche Tätigkeit darstellt, in welcher die Fäden der einzelnen Verbrechen sich mit einander verbinden oder verschlingen 22. Diese weitere Auffassung ist mit dem Wortlaut der Gesetze noch besser verträglich als die engere. Die „eine Handlung" des § 73 kann nur als Einheit für die sinnliche Wahrnehmung gefasst sein: Grundriss I 184; natürlich auch v. L i s z t (s. oben A n m 11). — S. auch S c h w a r z e , F . V . S 6. — F ü r diese Verschiedenheit M e y e r § 67 S 392; B e r n e r , Lehrbuch § 162 S 310; ν. W ä c h t e r , Vorlesungen S 291; S c h ü t z e , Ζ f. StR I I I 87. 88. 20 Sehr gut B r e i d e n b a c h , Kommentar I I 560 if. 21 Ueber die Bedenklichkeit des § 73 und seines Absorptionsprincips s. R G Plen. vom 17. A p r i l 1882 ( Ε V I 183). 22 Dabei bleibt durchaus richtig, was H ä l s c h n e r , Preuss. StR I 496 bem e r k t : „ D i e vermeintliche Gleichzeitigkeit des Tuns ist i n Wahrheit meist nicht eine solche, sondern eine rasche Folge zeitlich dennoch getrennter A k t e . u

§ 123.

2. Arten

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er Verbrechensmehrheit.

das Erforderniss der ursächlichen Identität bedurfte einer genaueren Bezeichnung, die sehr leicht zu geben gewesen wäre, die das Gesetz aber nicht geben wollte. Die mehreren diese „eine Handlung" bildenden verbrecherischen Handlungen sind unselbständig gerade wegen ihrer sinnlichen Einheit zufolge ihres zeitlichen Zusammenfallens, und die Selbständigkeit der mehreren Handlungen des § 74 ist eben die selbständige Sinnenfälligkeit der einzelnen sich in der Zeit deutlich von einander scheidenden Handlungen23. Daraus erhellt klar, dass clie zeitliche Kontinuität mehrerer Verbrechen sie nicht zur Idealkonkurrenz zusammenschliesst, sofern das zweite erst nach Abschluss — ich sage absichtlich nicht nach Vollendung — des ersten beginnt; auch dann nicht, wenn das erste als Vorbereitungshandlung zum zweiten gewollt ist 2 4 . Wer um den Mord zu verheimlichen unmittelbar nach demselben das Haus des Ermordeten in Brand steckt, wer nach vollbrachtem Diebstahl dem Bestohlenen noch die Fenster einwirft, wTer seinen Gegner verwundet hat, daran anschliessend ihn zu töten beschlossen und diesen Entschluss sofort ausgeführt hat, dessen Verbrechen konkurriren reell, nicht ideell. Denn trotz der kurzen Pause zwischen ihnen heben sie sich in ihrer Verschiedenheit und Selbständigkeit auch zeitlich scharf von einander ab. V. Man könnte nun behaupten, das Gesetz habe den Begriff der Idealkonkurrenz wesentlich beschränkt, nämlich auf die ungleichartige, auf die sog. Verletzung mehrerer Strafgesetze durch eine Handlung. Dies wäre aber unrichtig. Es will an erster Stelle gar nicht die Begriffe definiren, sondern nur die Regeln für die Behandlung aufstellen : dies tut es im Sinne des Kumulationsprincipes für die gleichartige wie die ungleichartige Realkonkurrenz, dagegen im Sinne des major poena absorbet minorem für die ungleichartige Idealkonkurrenz. Wenn es über die gleichartige schweigt, während doch § 74 klar be23 Dennoch kann R G I I I vom 21. M a i 1881 ( Ε I V 189) m i t Recht sagen, die Einheit der Handlung sei nicht zusammenzuwerfen m i t der „ E i n h e i t des Treibens". 24 Erbrechen des Fensters und Eindringen zum Hausfriedensbruch bilden Realkonkurrenz. Ganz richtig Preuss. O T r vom 20. März 1873 (Ο X I V 215 ff.); ebenso Hausfriedensbruch und Körperverletzung i n dem eigentümlichen F a l l Preuss. OTr vom 29. A p r i l 1875 (Ο X V 322). — Ideal und nicht real konkurriren aber Hausfriedensbruch und Diebstahl, wenn jemand Stehlens halber eingedrungen ist, ohne dass qualificirter Diebstahl vorliegt. Richtig Preuss. OAG vom 29. März 1873 (Ο X I V 237); and. Mein. Preuss. O T r vom 2. A p r i l 1875 (Ο X V I 264) und R ü d o r f f zu § 73 A n m 3.

Binding, Handtuch. V I I . 1. I : B i n d i n t r , Strafrecht. I.

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C. Die Verechensmehrheit.

weist, dass der Gesetzgeber diese Art der Konkurrenz nicht übersehen hat, so kann dies nur geschehen, weil es die Behandlung derselben nach dem über die andern Fälle Gesagten als selbstverständlich betrachtet 25 . Und dies darf es auch! Der § 74 zeigt evident, dass der Gesetzgeber den Strafgehalt der ungleichartigen und der gleichartigen Konkurrenz ganz genau gleichschätzt. Per argumentum e contrario folgt aus § 74, und durch zulässige Analogie folgt ausserdem aus § 73, dass bei gleichartiger Idealkonkurrenz keine Strafanhäufung stattfindet, sondern e i n m a l anzuwenden ist das Strafgesetz, dem die konkurrirenden Verbrechen unterfallen. Es wäre ja absurd dem Gesetzgeber in die Schuhe zu schieben, er sehe das privilegirende Moment bei der Idealkonkurrenz nicht in der Einheitlichkeit der Handlung, sondern darin, dass das eine der konkurrirenden Verbrechen weniger strafbar wäre als das andere, und nur deshalb adoptire er das Absorptionsprincip. Was für die u n g l e i c h a r t i g e i d e a l e K o n k u r r e n z v o r g e s c h r i e b e n , g i l t um so z w e i f e l l o s e r auch f ü r die g l e i c h a r t i g e 2 6 . Jedenfalls hat keine \rerengung des Begriffes stattgefunden. VI. Das Moment der Einheitlichkeit der Handlung bedarf aber noch genauerer Feststellung und zwar sowohl in negativem als in positivem Sinne. D i e s i n n l i c h e i n h e i t l i c h e Handlung i s t 1. e i n A u s s c h n i t t aus m e h r e r e n H a n d l u n g e n im Rechtssinne. Somit gilt es vor allem jegliche Reminiscenz an die Einheitlichkeit der verbrecherischen Handlung beim fortgesetzten Verbrechen fallen zu lassen. Der e i n e n Handlung bei der Idealkonkurrenz entspricht nie Einheit des verbrecherischen Entschlusses, und nie Einheit des angegriffenen Rechtsgutes; alle Merkmale des fortgesetzten Verbrechens müssen sich hier in ihr Gegenteil verkehren; denn dieses ist Verbrechenseinheit, die Idealkonkurrenz aber Verbrechensmehrheit 27. 25

So B e r n e r , Lehrbuch S 313; H ä l s c h n e r , D. StR I 682. Vgl. A n m 25. — Richtig M e r k e l bei H H I I 580. 581, I V 83. 84. 227; H i l l e r , GS 1880 S 207 . 208; ν. W ä c h t e r , Vöries. S 291; O l s h a u s e n zu § 73 A n m 16; RG I vom 1. J u l i 1880 (Rspr I I 143. 144). Α . M . BayOG vom 16. März 1^77 (Bayer. Entsch. V I I 89). Sehr sonderbar v. S c h w a r z e , GS S 586. 587. Danach soll das Gesetz die gleichartige Idealkonkurrenz absichtlich (!) mit Stillschweigen übergangen haben, um ihre Behandlung dem richterlichen Ermessen anheim zu geben! 26

27 Dies w i r d sehr vielfach besonders i n der Praxis verkannt. S. schon die beachtliche Warnung M e r k e l s bei H H I V 228. Ja selbst das Reichsgericht lässt bei Beurteilung von Konkurrenzfällen auf die Einheitlichkeit der Handlung i m Sinne

§ 123. 2. Arten

er Verbrechensmehrheit.

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2. Sie i s t ferner eine M e h r h e i t von K a u s a l i t ä t e n . Es kann deshalb nicht mehr eine Auslegung des Gesetzes, vielmehr nur eine Verdrängung desselben durch v. B u r i sehe Gedanken genannt werden, wenn v. B u r i richtig sagt: „die nämliche Kausalität kann nicht zwei Rechtsverletzungen enthalten" (bewirken?), aber ohne jede Begründung fortfährt: „Der § 73 geht also davon aus, dass nur eine Handlung mit nur einer Kausalität eine Handlung sei 28 ." Diese ganze Betrachtungsweise ist dem Gesetz an dieser Stelle vollständig fremd 29 . 3. Diese E i n h e i t l i c h k e i t cler H a n d l u n g i s t durchaus des GB § 73 m. E. öfter die scharfe Scheidung von fortgesetztem Verbrechen und Idealkonkurrenz vermissen. S. bes. R G I I I vom 28. Jan. 1884 ( Ε X 55); aber auch schon R G I I I vom 21. M a i 1881 ( Ε I V 187 if.) und R G I I vom 3. Okt. 1882. I n allen diesen Fällen handelt es 'sich um Idealkonkurrenz eines fortgesetzten Verbrechens m i t mehreren unter sich realiter konkurrirenden Handlungen, und die Gründe, die das R G bestimmen gegen die Anwendung des § 73 und für § 74 sich zu erklären, sind wesentlich nur der Lehre vom fortgesetzten Verbrechen entnommen. S. bes. Ε X 55. — Ganz der gleiche Fehler begegnet i n der P r e u s s . P r a x i s ; R ü d o r f f , Komm. S 2 6 3 - 2 6 5 (bes. S 265), ebenso O p p e n h o f f zu § 73 A n m 1 erheben diesen Fehler bei der Definition der einen selbständigen Handlung zum Princip. — A u f ihn allein lässt sich die unverkennbare Neigung des B a y Ο G zurückführen bei ideal konkurrirenden Angriffen auf verschiedene Personen wegen Mehrheit der Angriffsobjekte und Mehrheit der Entschlüsse die Einheit der Handlung zu leugnen und Realkonkurrenz anzunehmen. Es tut dies nicht nur bei B e l e i d i g u n g e n m e h r e r e r P e r s o n e n durch eine Aeusserung (so auch O A G D r e s d e n vom 9. Juni 1873, Annalen 2. F . I 71), in einem Brief, bei mehreren Anschuldigungen zweier Bediensteter i n e i n e r Eingabe (Erk. des BayOG vom 29. Dez. 1873, vom 13. Juni 1874, vom 15. A p r i l 1876, vom 17. Febr. 1877, i n den Bayer. Entsch. I I I 558 if., I V 248 ff., V I 186 ff., V I I 69 ff.; ebenso Bayer. O L G vom 12. Okt. 1880, Entsch. des O L G München I 197 ff.; scharf abweichend aber O L G München vom 15. März und vom 20. Okt. 1883), sondern auch b e i V e r g i f t u n g d e s g e m e i n s a m e n M i t t a g e s s e n s v o n d r e i P e r s o n e n (BayOG vom 16. März 1877, Bayer. Entsch. V I I 86 ff.; vgl. das. I X 164. 165). — A u f denselben Fehler geht die i n der Praxis vielfach zu spürende Vorliebe für den § 73 im F a l l des fortgesetzten Verbrechens zurück. Man sehe selbst O l s h a u s e n zu § 73 A n m 5. 6. 7. 9. 28

Einheit und Mehrheit S 1 u. 107. Ganz genau ebenso die Betrachtungsweise v. L i s z t s bes. S 221. Das Gesetz geht im Gegensatze zu v. L i s ζ t gerade davon aus, dass e i n e natürliche Handlung mehrere Verbrechen erzeugen kann, und ist mit dieser Anschauung durchaus i m Recht. Das Verfahren v. B u r i s und v. L i s z t s ist das gleiche: sie oktroiren dem Gesetze ihre Auffassungen um m i t deren Hilfe das Gesetz aus den Angeln zu heben. N u r der Erfolg ist verschieden: v. B u r i verwandelt die Idealkonkurrenz grösstenteils i n Realkonkurrenz, v. L i s z t i n Gesetzeskonkurrenz, also i n V e r brechenseinheit. Die erste Verwandlung ist unschädlicher als die zweite. 37* 29

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C. Die Verechensmehrheit.

u n a b h ä n g i g von der M e h r h e i t v e r b r e c h e r i s c h e r E n t schlüsse, der sie k o r r e s p o n d i r t . Welchen Inhalt diese haben, welcher Schuldart sie angehören, ist gleichgiltig, sofern sie nur durch eine Handlung verwirklicht werden können. Man braucht nur an die fahrlässige Verwundung mehrerer Personen durch einen Schuss, und an die durch Abtreibung fahrlässig verursachte Tötung der Schwangeren zu denken, um jeden Zweifel an der Möglichkeit idealer Konkurrenz mehrerer fahrlässiger Verbrechen und eines vorsätzlichen mit einem fahrlässigen zu beseitigen. Es sind mehrere Ursachen zu mehreren rechtswidrigen Erfolgen gesetzt , und jede Setzung ist zur Fahrlässigkeit zurechenbar 30. 4. Diese E i n h e i t l i c h k e i t der H a n d l u n g i s t durchaus u n a b h ä n g i g von i h r e m Begehungs- und U n t e r l a s s u n g s C h a r a k t e r . Nicht nur Begehungs-, sondern auch Unterlassungsverbrechen können mit einander idealiter konkurriren, ebenso Begehungs» mit Unterlassungsverbrechen. Was die echten Unterlassungsverbrechen anlangt — über die Kommissivdelikte durch Unterlassung herrscht kein Zweifel — , so darf natürlich nicht der Satz aufgestellt werden, alle Unterlassungen von Handlungen, die in derselben Zeitspanne hätten vorgenommen werden müssen, bildeten Idealkonkurrenz, wohl aber der andere: wenn dieselbe H a n d l u n g i m Sinne des § 73 sich als E r f ü l l u n g zweier Gebote d a r g e s t e l l t haben w ü r d e , so b i l d e t i h r e U n t e r l a s s u n g zwei k o n kurrirende Unterlassungsdelikte. Erfährt also Jemand gleichzeitig zwei Mordpläne gegen zwei in verschiedenen Städten wohnende Menschen und beschliesst er gleichzeitig beide Anzeigen zu unterlassen, so hindert er nicht durch die Unterlassung des einen Schreibens zugleich die Benachrichtigung des zweiten Gefährdeten — es liegt also nicht im Sinn des GB § 73 eine Unterlassung vor; hat er aber einen Mordplan und von anderer Seite her den Plan einer 30 Schon oben S 532 A n m 10 wurde auf die falsche Identificirung e i n e s sog. fahrlässigen Verhaltens, welches die Grundlage einer Unmasse fahrlässiger Verbrechen sein kann, m i t e i n e r fahrlässigen Handlung hingewiesen. Daraus erklärt sich, wenn J o h n , F . V. S 72 sagt: „ U n d zwar muss man sagen, dass der ganze schädliche Erfolg, welcher sich aus einer und derselben gefährlichen Handlung entwickelt, zu einer und derselben kulposen Handlungsweise gehöre." Hundert Tötungen oder eine Tötung und eine Brandstiftung zusammen e i n kulposes D e l i k t ? Sehr richtig gegen J o h n , bei dem die sinnliche Anschauung hier über die j u ristische Konstruktion auf dem Boden des Gesetzes siegt, H ä l s c h n e r , D. StR I 673 ff.; H a b e r m a a s , Ideale Konk. S 25; H i l l e r , GS 1880 S 208. 209. Ders. Ans. auch O p p e n h o f f zu § 73 A n m 20.

§ 123. 2. Arten der Verbrecliensmehrheit.

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Brandstiftung erfahren, die beide gleichzeitig derselben Behörde anzuzeigen wären, so verletzt er durch eine Unterlassung zweifellos zwei Gebote, und Idealkonkurrenz liegt vor ; ebenso wenn Jemand Zwillinge bekommt und die Anzeige beim Standesamte unterlässt 31. 5. D i e E i n h e i t l i c h k e i t der H a n d l u n g i s t u n a b h ä n g i g von der M e h r h e i t und z e i t l i c h e n S e l b s t ä n d i g k e i t der V o r b e r e i t u n g s h a n d l u n g e n wie der e i n t r e t e n d e n Erfolge. Dies ist besonders wichtig für die Beurteilung mehrerer Verbrechen in demselben Briefe und demselben Presserzeugniss 32. Die Schreibung des Briefes, die Herstellung des Pressprodukts ist Vorbereitungshandlung: durch die Lesung derselben, die ja stets allmählich erfolgt, gelangen die verschiedenen Wortdelikte hinter einander zur Perception. Die eine Handlung im Sinne des § 73 ist aber die Ausgabe des Presserzeugnisses, die Abgabe des Briefes. Werden also in einem Presserzeugniss mehrere Verbrechen begangen, so ist es gleichgiltig, ob sie sich in einen Satz zusammendrängen (die Herren Α, Β und C sind Betrüger), oder in einen Artikel, oder ob sie sich in verschiedenen Artikeln derselben Nummer, in verschiedenen Kapiteln desselben Buches finden: da sie durch das eine Mittel und die eine Handlung der Ausgabe des Presserzeugnisses begangen werden, konkurriren sie stets idealiter 33 . Das analoge greift 31 Dies greift zweifellos auch dann Platz, wenn e i n Erzeugniss der periodischen Presse mehrere Ordnungswidrigkeiten an sich trägt, ζ. B. mehrere Verletzungen der §§ 6 u. 7 des Pressgesetzes. Durchaus richtig R G I I vom 20. Juni 1882 ( Ε V I 367 ff.); M e r k e l bei H H I V 228. — Es w i r d dieser Punkt selten klar behandelt. F ü r Unmöglichkeit einer Idealkonkurrenz von Unterlassungsdelikten H a b e r m a a s , Ideale K o n k . S 25 ff.; O p p e n h o f f zu § 73 A n m 2 0 ; w o h l auch H i l l e r , GS 1880 S 224. 82 Vgl. darüber bes. J o h n , F . V . S 133 if.; v. L i s z t , Lehrbuch des österreichischen Pressrechts. Leipzig 1878. S 263 ff. („möglicherweise kann dieselbe Nummer einer periodischen Druckschrift durch mehrere . . . A r t i k e l , j a auch derselbe A r t i k e l durch verschiedene Stellen von selbständiger Bedeutung verschiedene Strafgesetze verletzen: reale Konkurrenz"); vgl. d e n s e l b e n , Reichspressrecht. Berlin und Leipzig 1880. S 70. 71. 85. 148. Beiden Verfassern dürfte nicht beizupflichten sein. Durchaus richtig O l s h a u s e n zu § 73 A n m 19 I I (jedoch ohne den Schlusssatz). 33 Gut M e r k e l bei H H I V 227 (zweifelhafter die A n m 5 das.). So auch Preuss. O T r vom 17. Febr. 1875 und vom 4. Febr. 1876 (Ο X V I 128, X V I I 93); wohl auch R G I I vom 20. Juni 1882 (E V I 371). — And. Mein. Preuss. O T r vom 11. J u l i 1873 (Ο X I V 500) und vom 11. Juni 1877. (Plenarentscheidung ! Ueber deren Zustandekommen s. GA X X V 481—490. Das eingetragene Präjudiz lautete: „ W e n n ein Schriftstück verschiedene strafbare Aeusserungen enthält, so w i r d . . . § 74 . . . durch den Umstand, dass die Aeusserungen in der nämlichen, auf einmal

582

C. Die Verechensmehrheit.

Platz, wenn durch einen gesprochenen Satz mehrere Personen verleumdet werden, auch wenn deren Namen hinter einander aufgeführt sind, während mehrere einander rasch folgende Sätze in der Art: Herr X ist ein Lump, Herr Ζ ist ein Ehrenabschneider u. s. w. eine Realkonkurrenz mehrerer Beleidigungen darstellen. 6. D i e E i n h e i t l i c h k e i t cler H a n d l u n g s c h w i n d e t , wenn sich v e r b r e c h e r i s c h e T ä t i g k e i t e n v o l l s t ä n d i g i n die Pausen von a n d e r n einschieben. Dann entsteht Realkonkurrenz. So wenn der Täter zwei Personen umschichtig misshandelt. Bei der gegenteiligen Annahme wäre es ratsam für den Verbrecher seine verschiedenen Misstaten in den Rahmen eines weitangelegten fortgesetzten Verbrechens einzuschliessen. 7. D i e E i n h e i t l i c h k e i t der H a n d l u n g s c h w i n d e t , w e n n n i c h t die T ä t i g k e i t , welche einen B e s t a n d t e i l der m e h r e r e n V e r b r e c h e n b i l d e t , z e i t l i c h dieselbe i s t 3 4 . Wer also nach abgeschlossenem beendigten Versuche des einen Verbrechens aber vor Eintritt der Vollendung desselben die Ursache eines neuen Verbrechens setzt, dessen Handlungen konkurriren realiter. Die gleichzeitige Wirksamkeit verschiedener nicht durch eine Tätigkeit gesetzter verbrecherischer Ursachen reicht ebensowenig wie die Gleichzeitigkeit der Erfolge dazu aus die Annahme der Realkonkurrenz auszuschliessen. Andererseits endet auch bei einfachen Verbrechen die Handlung nicht immer mit cler Vollendung. Wenn der Dieb, der sich zu seiner Tat leuchtet, schon einige Sachen eingesteckt hat, und nun beim weiteren Suchen fahrlässig die Gardine und damit das Haus in Brancl setzt, so liegt Idealkonkurrenz vor. Ja selbst dann, wenn er sich nach vollendetem Diebstahl zum Weggange leuchtet und auf der Treppe das Licht fallen lässt, wird das gleiche zu sagen sein. Denn bei der realistischen Betrachtungsweise, der § 73 huldigt, wird sich Gleichzeitigkeit und Ungleichzeitigkeit nicht sowohl bestimmen müssen nach der juristischen als nach der faktischen Abgeschlossenheit der verbrecherischen Handlung35. Danach aber ist beispielsweise die abgesandten Schrift enthalten sind, nicht mit rechtlicher Notwendigkeit ausgeschlossen." Die Unrichtigkeit seiner Gründe erhellt bes. klar aus den dort mitgeteilten Referaten.) W i e das O T r so auch R G vom 16. März 1881 (E I I I 436. 437). Ueber die interessante Wandlung der Bayer. Judikatur s. oben A n m 27. — Richtig O p p e n h o f f zu § 7 4 A n m 14; O l s h a u s e n zu § 73 A n m 19 I I . Falsch S c h ü t z e , Ζ f. S t R W I I I 69. 70. 34 W e n i g k l a r v. S c h w a r z e zu § 74 A n m 5. 35 Es gilt hier m. E . analoges wie für den „Angriff" bei der Notwer.

§ 123. 2. Arten

er Verbrechensmehrheit.

583

Tätigkeit des Diebes vom Betreten des fremden Hauses in Diebstahlsabsicht an bis zum Wiederverlassen desselben mit der Beute oder nach misslungenem Versuche eine einheitliche Diebstahlshandlung, falls er nicht vielleicht innen seinen Vorsatz aufgegeben und sich etwa aus Aerger über seinen Misserfolg zur Zerstörung der vorgefundenen Sachen oder zur Anbrennung des Hauses entschlossen hat, wo dann wieder zweifellos Realkonkurrenz vorläge. Die eine Handlung des § 73 kann also vor dem Versuche eines der konkurrirenden Verbrechen beginnen und die Vollendung eines derselben überdauern 36. 8. Die E n t s c h e i d u n g , ob E i n h e i t oder M e h r h e i t der H a n d l u n g , kann d a d u r c h z w e i f e l h a f t sein, dass die mehreren V e r b r e c h e n zu einem T e i l e d u r c h eine, zum andern T e i l d u r c h mehrere s e l b s t ä n d i g e , sich z e i t l i c h gegen e i n a n d e r abhebende H a n d l u n g e n begangen wurden. Der Frage nach der Verbrechens-Konkurrenz tritt hier die andere nach der Möglichkeit einer Konkurrenz-Konkurrenz und nach deren eventueller Behandlung zur Seite. a. Sie löst sich leicht, wenn etwa von sechs konkurrirenden Verbrechen zwei ideal, die andern vier unter sich und mit der Einheit jener beiden real zusammentreffen 37. Dann liegen fünf selbständige Handlungen im Sinne des § 74 vor; fünf Einzelstrafen sind auszuwerfen, deren eine nach § 73 gefunden wird. Dies ist der einzige Fall, der eine gleichzeitige Anwendung der Grundsätze über Idealund Real-Konkurrenz ermöglicht. In allen andern Fällen hat man nur die Wahl zwischen beiden. b. Die Konkurrenz von zwei Verbrechen kann teils durch eine, teils durch zwei selbständige Handlungen hergestellt werden, und zwar kann sich die Einheit in Zweiheit auflösen, die Zweiheit zur Einheit verdichten, Ein Matrose machte zwei Mordanfälle hinter einander auf zwei andere Matrosen: er warf beide über Bord (soweit Realkonkurrenz) ; sie hielten sich beide an einem nachschleifenden Rettungsseil; er kappte das Tau mit der Axt: beide versanken (Idealkonkurrenz). 36

Letzteres w i r d besonders häufig i n den Fällen der sog. formalen Vollendung zutreffen. H a t z. B. der Erpresser den Genötigten durch Drohungen veranlasst seine Geldbörse wegzuwerfen, und der Erpresser sucht sie nachher und betritt um sie aufzunehmen verbotenerweise ein Grundstück, so k o n k u r r i r t dies sein Polizeidelikt mit der Erpressung, die sich j a bis zur Aneignung der Geldbörse fortsetzt, idealiter. 37 Man denke z. B. an sechs Urkundenfälschungen, darunter e i n e qualifizirte in Idealkonkurrenz m i t Betrug.

584

C. Die Verechensmehrheit.

Bei zweiaktigen Verbrecheil ist dies Zusammentreffen gar nicht selten. Ein wüster Geselle vergewaltigt eine Frau, um sie erst zu notzüchtigen und dann zu berauben, und führt auch seine Doppelabsicht aus. Es fertigt Jemand zwei falsche Urkunden — etwa einen falschen Kreditbrief und einen falschen Wechsel derselben Person gegenüber — und macht gleichzeitig davon Gebrauch 38. So bedauerlich und verletzend das Resultat sein mag, wird man hier zur Annahme der Idealkonkurrenz genötigt: denn ein völliges Zusammenfallen der sie konstituirenden Handlungen ist nicht möglich, ein teilweises reicht aus 39 , und solches liegt vor. Diese Regel greift auch Platz, wenn bei einem fortgesetzten Verbrechen durch einen Akt desselben eine Verbrechensmehrheit begründet wird 4 0 . c. Es ist durchaus möglich , dass von mehreren isolirt betrachtet in Realkonkurrenz stehenden Verbrechen jedes mit einem und demselben fortgesetzten Verbrechen in Idealkonkurrenz steht. Ein Handwerksbursche begeht auf der Wanderschaft an den verschiedensten Orten Betrügereien : er begeht sie durch Produktion derselben falschen Urkunde. Der gewerbmässige Wilderer verwundet bei einem Pürschgang einen Waldarbeiter, bei einem andern erzeugt sein Schuss einen Waldbrand. Hier ist die gemeinsame Anwendung der §§ 73 und 74 ff. schlechthin unmöglich. Ebenso unmöglich ist der in der Praxis hie und da versuchte Ausweg lediglich die Grundsätze der Realkonkurrenz anzuwenden und das idealiter konkurrirende fortgesetzte Verbrechen als Grund für die Erhöhung der Einzelstrafen zu betrachten 41. Vielmehr reisst das fortgesetzte Verbrechen alle mit ihm in einer Handlung zusammentreffenden Verbrechen |aus dem Gebiete der Realkonkurrenz und § 73 allein wird anwendbar 42. 38 M a n sehe den sehr interessanten F a l l i n den Entsch. des BayOG I X 159 ff. — Dass hier Idealkonkurrenz anzunehmen sei, wenn schon bei der Anfertigung die Absicht des gleichzeitigen Gebrauchs obgewaltet habe, andernfalls Realkonkurrenz, wie das Ο A G Dresden, Ε vom 8. Febr. 1875, Annalen 2. F . I I I 143 annimmt, ist zweifellos unrichtig. S. aber auch BayOG vom 24. Aug. 1874 (Bayer. Ε I V 353 ff.). 39 S. auch M e y e r § 67 S 394. 40 Durchaus falsch O p p e n h o f f zu § 74 A n m 10, der § 74 für anwendbar erklärt. 41 So u. a. R G Π vom 10. Okt. 1882 (Ε V I I 229 ff), wonach die Realkonkurrenz eigennütziger Kuppeleihandlungen „durch die ideale Konkurrenz mit gewohnheitsniässiger Kuppelei nicht beseitigt werden kann". Dass hier gar keine Konkurrenz vorliegt, kann für die vorliegende Frage ausser Betracht bleiben. Anders wohl O p p e n h o f f zu § 74 A n m 3, den ich aber nicht sicher verstehe. 42 F ü r die grossen Ungerechtigkeiten, die hier entstehen müssen, ist allein

§ 123. 2. Arten

er Verbrechensmehrheit.

585

VII. Mit der idealen Konkurrenz ist zugleich die reale begrifflich festgestellt. Alle Fälle der Verbrechensmehrheit bei Verbrechereinheit, die nicht zu der ersten gehören, fallen ins Bereich der zweiten43. Die Selbständigkeit der mehreren Handlungen, die § 74 hervorhebt, ist aber nicht deren kriminalistische Selbständigkeit im Gegensatze zu der Unselbständigkeit mehrerer Teile eines fortgesetzten oder eines zusammengesetzten Verbrechens : denn jene ist Erforderniss aller Konkurrenz. Vielmehr verlangt § 74 die zeitliche Selbständigkeit der verbrecherischen Handlungen, ihr zeitliches Unverknüpftsein, und wo dieses vorliegt, wo nicht, wurde bei Betrachtung der Idealkonkurrenz entwickelt. Dass der Begriff der Realkonkurrenz für mit einander oder mit Vergehen zusammentreffende Uebertretungen kein anderer sein soll, als der in § 74 für Verbrechen und Vergehen aufgestellte, ergiebt § 77 zur Evidenz. Dass eine Mehrheit von fora delicti commissi für ein Verbrechen 44 nicht Real-Konkurrenz mehrerer Verbrechen bedeutet, bedürfte kaum der Hervorhebung 45. Eine eigentümliche Berührung zwischen gleichartiger Realkonkurrenz und fortgesetztem Verbrechen kann die Schwierigkeit des Beweises für die Realkonkurrenz bewirken. Besonders häufig tritt sie auf dem Gebiete der Vermögensverbrechen, aber auch auf dem der Körperverletzung ein. Es ist leicht möglich, dass die Summe der der Gesetzgeber verantwortlich. W e n n ein Räuber bei seiner T a t zwei Personen erschlägt, so liegt nur Idealkonkurrenz von Raub und Totschlag vor, und zwar fällt § 212 nur einmal i n die Wagschale: die Realkonkurrenz der beiden T o t schläge kann kriminalistisch gar nicht zum Ausdruck gebracht werden. Der zweite Totschlag schrumpft zum Strafzumessungsgrund zusammen. N i m m t man dem Verbrecher den schweren Raub ab, so fährt er schlechter: denn nun kommen die Grundsätze der Realkonkurrenz an die Reihe. W e r vorsätzlich ein Gebäude zerstört und dabei sechs Menschen successive vorsätzlich verwundet, einige leicht, einige schwer, w i r d einmal nach § 224 gestraft! 43 Aber nicht auf alle Fälle der Realkonkurrenz finden die §§ 74 ff. Anwendung. Darüber s. unten S 586 ff. 44 Sie ist bei Pressvergehen dann sehr leicht möglich, wenn der Ort der Ausgabe ausserhalb Deutschlands liegt, die Schrift aber an verschiedenen Orten i n Deutschland verbreitet wird. 45 S. aber den höchst seltsamen Beschluss des X V . Juristentags I I 286 : „ W i r d die Druckschrift von mehreren Orten aus verbreitet (vertrieben), so haben die genannten Personen i n realer Konkurrenz so oftmals das Pressdelikt begangen, als Verbreitungsmittelpunkte vorhanden sind", gegen den S c h ü t z e , Ζ f. S t R W I I I 70 und GS X X X V 1883 S 262 mit Recht polemisirt, den S t e n g l e i n das. S 24 ff. u. 268 ff. verteidigt. Nicht richtig auch O l s h a u s e n zu § 73 A n m 19 a. E.

586

C. Die Vei'brechensmehrheit.

unterschlagenen Gelder auf den Pfennig genau festgestellt wird, es steht weiter fest, dass sich die Unterschlagungen über Jahre erstreckten und ein fortgesetztes Verbrechen nicht angenommen werden kann, aber der Beweis für die Individualität einer bestimmten Anzahl von Unterschlagungen misslingt vollständig. Es findet sich dann die Praxis in sehr fataler Notlage; die mehreren Verbrechen fliessen ihr mangels Beweises in eines zusammen. Es wäre dringend zu wünschen, dass der Gesetzgeber, wie gar manche der früheren Gesetzbücher getan haben, sie ermächtigte dann ein Verbrechen anzunehmen, jedoch die zweifellos vorhandene, aber in ihren Einzelbeständen nicht nachweisbare Mehrheit als Schärfungsgrund zu behandeln. VIII. Eigentümliche Zweifel erheben sich endlich bezüglich der Teilnehmer. Dass mehrmalige Unterstützungen desselben Verbrechens, selbst wenn mehrere Täter unterstützt worden sind, und mehrmalige Einwirkungen in Determinationsabsicht mit schliesslichem Erfolge, selbst wenn mehrere Mittäter deterniinirt worden sind, überhaupt keine Konkurrenz darstellen, ist selbstverständlich46. Für die Behandlung der Anstifter und Gehilfen zu konkurrirenden Verbrechen bieten sich nun aber drei Möglichkeiten, welche sich alle darin gleichen, dass sie zu einer Ungerechtigkeit sei's gegen die Täter, sei's gegen die Teilnehmer führen. 1. Die beiden Kategorien der Konkurrenz lassen sich auch auf die Handlungen der Gehilfen und Anstifter zur Anwendung bringen. Es ist sehr wohl möglich durch eine und dieselbe Handlung im Sinne des § 73 zu verschiedenen Verbrechen anzustiften oder beizuhelfen 47, und die Einheit der Teilnahmehandlung wird nicht dadurch hinterher aufgehoben, dass die verübten Verbrechen in Realkonkurrenz treten. Indessen erheben sich wider die gesetzliche Anerkennung dieser Tatsache grosse Bedenken. Die Handlung des Gehilfen und nach heutiger Auffassung auch die des Anstifters bilden nur ein Accessorium der Täter-Handlung. Konkurriren diese Handlungen als ganze realiter, so kann man nicht ohne inneren Widerspruch für ihre Teile Idealkonkurrenz annehmen und umgekehrt. Auch würde ja, sollte dies doch geschehen, eine principiell verschiedene und als solche nicht unbedenkliche Behandlung der Täter einerseits und der Teilnehmer 46

S. auch R G I I vom 9. Dez. 1881 ( Ε V 229). M e r k e l bei H H I V 227 nimmt dann auch de lege lata Idealkonkurrenz an. Offenbar auch O l s h a u s e n zu § 73 Anm 19 I I . 47

§ 123.

2. A t e n

er Verbrechensmehrheit.

587

andererseits geboten sein. Insbesondere würden die Teilnehmer zu gut fahren, wenn sie beabsichtigt hätten durch eine Handlung zu mehreren realiter konkurrirenden Verbrechen anzustiften und beizuhelfen 48. 2. Man könnte aber auch Anstifter und Gehilfen danach verschieden strafen, je nachdem ihre Absicht war an idealiter oder an realiter konkurrirenden Verbrechen Teil zu nehmen. Dieser Standpunkt wäre aber wenig praktikabel, da den meisten Teilnehmern jener Unterschied nicht geläufig ist. Auch führt er wieder zu einer ungleichen Behandlung der Täter und der Teilnehmer, wenn die Konkurrenz der Verbrechen der Täter den Erwartungen der Teilnehmer nicht entspricht. 3. Oder endlich man überliefert die Teilnehmer dem Schicksale der Täter. Konkurriren deren Verbrechen realiter oder idealiter, so ist dies maassgebend für die Anwendung der §§ 74 if. bez. des § 73 auch auf die Teilnehmer. Dies ist zweifellos der Standpunkt des geltenden Rechtes, wonach ja überhaupt die Teilnehmer nicht nach dem gestraft werden, was sie gewollt und getan, sondern was die Täter gewollt und getan haben. Aber ganz unverkennbar wird dann die Handlungseinheit als Strafmilderungsgrund für die Täter anerkannt, für die Teilnehmer ignorirt 49 . Sonach gilt die Regel: A u f die A n s t i f t u n g und die B e i h i l f e zu m e h r e r e n V e r b r e c h e n f i n d e t die U n t e r s c h e i dung von I d e a l - und R e a l k o n k u r r e n z k e i n e A n w e n d u n g , es müsste denn Anstiftung und Beihilfe im einzelnen Fall gesetzlich als Täterschaft anerkannt sein. Diese Regel muss aber auch Platz greifen, wenn Jemand durch Begehung eines Verbrechens das eines Anderen unterstützt. Also nur T ä t e r v e r b r e c h e n k o n k u r r i r e n i d e e l l oder r e e l l . So fusst die ganze Unterscheidung von idealer und realer Konkurrenz auf einem Kriterium, das falsch gedacht und demgemäss wissenschaftlich nicht genau feststellbar ist, dessen Einfluss auf den 48 A u f die grossen prozessualen Bedenken gegen diese Anerkennung, besonders wenn es sich um Verbrechen verschiedener Täter handelt, soll hier nur in Bausch und Bogen verwiesen werden. 49 S. bes. § 48, 2 und § 49, 2. Ders. Ans. R G I I I vom 9. A p r i l 1881 95 if.); R G I vom 3. Nov. 1881 (Rspr I I I 684); R G I I vom 9. Dez. 1881 227 if.); RG I I vom 30. März 1883 ( Ε V I I I 153 if.); RG I I I vom 7. J u l i (Ε X I 37 if.). — Μ . Ε . nicht zutreffend R G I I vom 21. Dez. 1880 (E I I I wo auf Grund von GB § 111 Verbrechenseinheit angenommen w i r d , wo ich heit sehe.

(Ε I V (Ε V 1884 145), Viel-

588

§ 124. I. Die anderweiten Bedingungen der Strafrechte.

Strafgehalt der Konkurrenz falsch ausgeschätzt und somit materiell ungerecht normirt ist, dessen gleichmässige Durchführung für alle Teilnehmer eines Verbrechens sich als Unmöglichkeit erweist 50 .

Zweites Kapitel. Die anderweiten Entstehungsgründe Straf klagrecht 1 .

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Strafrecht und

§ 124. I. D i e anderweiten B e d i n g u n g e n der S t r a f r e c h t e 2 . I. Wäre Hegels Satz richtig, dass sich in der Strafe die Nichtigkeit des Unrechts manifestire und dass die Strafe mit dialektischer Notwendigkeit nur dem Verbrechen folge, so wären doppelt bedingte Strafrechte undenkbar. Wie es kommt, dass die Strafgesetzgebung der Strafdrohung noch andere Voraussetzungen giebt ausser dem Ver50 Die Spezialgesetze über Konkurrenz bieten keinen Anlass sie hier eingehender darzustellen. Soweit sie Fälle der Realkonkurrenz i n fortgesetzte Verbrechen verwandeln, ist ihrer schon oben Erwähnung geschehen (so oben S 554. 584). I m übrigen bestehen ihre Eigentümlichkeiten lediglich i n den Vorschriften über die Bestrafung. Z u den oben S 339 A n m 23 citirten Gesetzen kommen hinzu Brausteuergesetz vom 31. M a i 1872 § 3 7 ; CPO § 775; Kartenstempelgesetz vom 3. J u l i 1878 § 12 al. 2 ; Tabakssteuergesetz vom 16. Juli 1879 § 42; GewO vom 1. J u l i 1883 § 147, 2. 148, 2. 149, 3. 1 Der Begriff doppelter bedingter Strafdrohungen ist m. W . zuerst i n den Normen aufgestellt worden. Die dortigen Ausführungen leiden darunter, dass zwischen Strafrecht und Strafklagrecht noch ungenügend unterschieden wurde. S. Normen I § 2 3 ; F r a n c k e bei G A X X 1872 S 33 ff. ( F r a n c k e ist ganz unabhängig von m i r zur Erkenntniss dieser anderweiten Bedingungen gekommen); v. L i s z t , Lehrbuch § 42. — I c h bemerke ausdrücklich, dass die Entstehungsgründe des Strafklagrechts nur soweit zu behandeln sind, als sie wegen ihres materiell-rechtlichen Grundgedankens i n den materiellen Strafgesetzen auftauchen. — Die Literatur ist übergross, soweit sie die Antragsvergehen betrifft (s. unten vor § 128), sonst ignorirt sie meist diese Erscheinung, die der dogmatischen Durchbildung doch dringend bedarf. Deshalb die m i r unerwünschte, aber notgedrungene Ausführlichkeit der folgenden Darstellung! 2 Da heute das Strafgesetz notwendige Voraussetzung der straferzeugenden Kraft der Delikte ist und das D e l i k t nur, soweit es unterm Strafgesetz steht, Verbrechen ist, so kann hier das Strafgesetz nicht als solche anderweite Bedingung i n Betracht kommen. Deshalb bleibt auch GB § 6 hier bei Seite, weil er den Satz nulla poena sine lege für i m Auslande begangene Uebertretungen nur wiederholt.

§ 124. I. Die anderweiten Bedingungen der Strafrechte.

brechen3, das kann sich nur aus diesen Voraussetzungen selbst erklären. Man könnte glauben, dass diese sich nur als Bedingungen des Strafklagrechts darstellen und das Strafrecht selbst stets an das Verbrechen allein geknüpft wäre. Dem ist in der Tat nicht so. Allerdings giebt es auch zweifach bedingte Strafklagrechte, daneben aber steheil· Strafrechte von gleicher Beschaffenheit. So erwächst die Notwendigkeit die einzelnen Bedingungen in zwei Gruppen zu sondern: i n solche des m a t e r i e l l e n S t r a f r e c h t s und i n solche des Strafklagrechts. Hier ist zunächst von der zweiten Bedingung des materiellen Strafrechts zu handeln. II. In der verdienstlichen Abhandlung von F r a n c k e 4 begegnet eine Beweisantretung für den auffallenden Satz, dass die strafbare Handlung nur bei den Münzverbrechen (§ 146) und bei der Mehrzahl der verschiedenen Arten des Hoch- und des Landesverrates die einzige strafbegründende Tatsache sei. Bei allen andern Verbrechenstatbeständen müsse mindestens noch eine andere Tatsache hinzu kommen, damit ein Strafanspruch entstehe. In den beigebrachten Belegen sind treffende mit unrichtig aufgefassten gemischt5; die Beweisführung legt aber eines ganz klar: dass der Entscheid, ob ein 3

Gerade deshalb gehören die Fälle der accessorischen Teilnahme und der Mittäterschaft nicht hieher. Es ist richtig, dass Anstifter und Gehilfe nicht gestraft werden können, wenn kein Täter da ist, aber einfach aus dem Grunde, weil sie dann selbst nicht da sind. Sie setzen b e g r i f f l i c h den Täter voraus, an dessen Handlung sie T e i l nehmen können, und die Frage ist gar nicht aufzuwerfen, ob sie a l s A n s t i f t e r und a l s G e h i l f e n auch ohne Täterhandlung oder nur m i t dieser zur Verantwortung zu ziehen sind. — Ebensowenig liegt eine solche zweite Bedingung vor, wenn das Strafgesetz, weil es den hartnäckigen Widerstand treffen w i l l , eine besondere Eindringlichkeit der N o r m fordert: so beim A u f l a u f (§ 116) eine dreimalige Aufforderung, i m Impfgesetz vom 8. A p r i l 1874 § 14 ausser der gesetzlichen Pflicht eine amtliche Aufforderung. — Ebensowenig i n den Fällen der subsidiarischen Haftung für Geldstrafen (s. oben § 105). Denn wenn auch das Greifen auf den Bürgen voraussetzt, dass die Geldstrafe von dem „eigentlich Schuldigen" nicht eingezogen werden kann, somit die Haftung des Bürgen nicht nur durch seine eigene Schuld, sondern auch durch die Insolvenz des eigentlich Schuldigen bedingt wird, so ist doch das eine Strafrecht m i t den beiden correi lediglich durch das D e l i k t der Defraude oder Kontrebande zur Entstehung gekommen. 4

GA X X 1872 S 34. 35. E i n öfter wiederkehrender Fehler ist der, dass Merkmale des Tatbestandes der strafbaren Handlung von diesem losgesprengt und als zweite Bedingungen aufgeführt werden. S. bes. S 35 sub 3 u. 6—9. Davon hält sich auch v. L i s z t S 169 nicht frei. 5

§ 124. I. Die anderweiten Bedingungen der Strafrechte.

Strafanspruch einfach oder zweifach bedingt sei, hie und da zweifelhaft sein kann. 1. Es versteht sich von selbst, dass die verbrecherische Handlung nicht von ihrem juristisch bedeutsamen Erfolg getrennt werden darf, und dass, wenn das Strafgesetz den Eintritt dieses Erfolgs zur Strafbarkeit oder zu geschärfter Strafbarkeit verlangt, nicht Handlung und Erfolg als zwei koordinirte Bedingungen des Strafrechts bezeichnet werden dürfen 6. Im Strafgesetzbuche findet sich aber öfter, dass Ereignisse als das Strafrecht mitbegründend genannt sind, welche nach Lage der Sache mögliche, ja nicht unwahrscheinlich wirkliche Folgen der verbrecherischen Handlung sind, ohne dass das Gesetz die meist äusserst schwer beweisbare Ursächlichkeit dieser für jene erforderte 7. Stellt man diese Ereignisse ganz unabhängig von der verbrecherischen Handlung, so hat man in den einschlagenden Strafgesetzen allerdings doppelt bedingte Strafdrohungen zu erkennen. Man beraubt sich aber damit der Möglichkeit zu erklären, warum denn jene Vorgänge das Strafrecht mit begründen. Steht der Ausbruch des Krieges beispielsweise in GB § 87, 2 ausser aller Beziehung zu der Anreizung zum Kriege, wie kann er dann einen Schärfungsgrund für dieses Verbrechen bilden? So ist die Auffassung weit befriedigender, der Gesetzgeber gehe hier von der Anschauung aus, dass das Verbrechen in kausaler Beziehung zu dem hervorgehobenen Erfolge stehe, in § 139 insbesondere, dass die Erfüllung der Anzeigepflicht das Verbrechen ge6

So regelt beispielsweise GB § 178 zwar einen Konkurrenzfall von fahrlässiger Tötung und Vornahme unzüchtiger Handlungen. Aber nicht bildet der eingetretene T o d der missbrauchten Person eine Bedingung des Strafrechts, welche ausserhalb der verbrecherischen Handlung liegt. Die grosse Zahl der so gebildeten Strafgesetze ist bekannt. 7 Dies geschieht in folgenden Fällen: 1. GB § 87, 2 : „ E i n Deutscher, welcher sich m i t einer ausländischen Regierung einlässt, um dieselbe zu einem Krieg gegen das Deutsche Reich zu veranlassen, w i r d . . . , w e n n d e r K r i e g a u s g e b r o c h e n i s t , mit lebenslänglichem Zuchthaus bestraft." 2. § 189 straft die unterlassene Anzeige bevorstehender Verbrechen n u r : „ w e n n d a s V e r b r e c h e n o d e r e i n s t r a f b a r e r V e r s u c h d e s s e l b e n b e g a n g e n w o r d e n " (nach Lage der Sache hätte rechtzeitige Anzeige das Verbrechen aller Wahrscheinlichkeit nach gehindert). 3. § 154, 2 bedroht den Meineid zu Ungunsten des Angeschuldigten im Strafprozesse mit geschärfter Strafe, w e n n d i e s e r z u m T o d e , z u Z u c h t h a u s o d e r z u F r e i h e i t s s t r a f e über fünf J a h r e n v e r u r t e i l t wurde. 4. Absichtliche Anreizung zum Zweikampf bedroht § 210 nur m i t Strafe, „ f a l l s d e r Z w e i k a m p f s t a t t g e f u n d e n h a t " . 5. Die Teilnahme am Raufhandel ist nach § 227 nur dann strafbar, w e n n d u r c h d e n H a n d e l „ d e r T o d e i n e s M e n s c h e n o d e r e i n e s c h w e r e K ö r p e r v e r l e t z u n g v e r u r s a c h t " w u r d e . — Dagegen bezieht sich § 111 lediglich auf Anstiftung.

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I. Die anderweiten Bedingungen der Strafrechte.

hindert hätte: er nehme sie an, um sich der Notwendigkeit genauer Feststellung zu überheben, wie wreit sie bestehe. Das Anstössige dieser Präsumtionen schwindet, wenn man bedenkt, wie der Verbrecher immer nur verantwortlich gemacht wird, falls Ereignisse eintreten, die er als Folge seiner Handlung beabsichtigt hat (§ 87, 2 u. § 210, vgl. auch § 139. 154, 2) oder als Folge derselben hätte voraussehen müssen (§ 139. 227), wie ihm also nicht Unrecht geschieht, während der exakte Nachweis der Beziehung zwischen Verbrechen und Erfolg gerade hier vielfach unmöglich ist. So liegen hier doppelt bedingte Strafrechte nicht vor. 2. Vielmehr finden sich solche nur in drei Fällen: a. Nach GB § 4 Nr 3 a. E. ist das deutsche Strafrecht durch das Delikt und durch die Cession des auswältigen Strafanspruchs bedingt 8 . Der letztere aber ist — abgesehen von ausländischen Antragsverbrechen — an die strafbare Handlung allein geknüpft, und die Cession wirkt nur die Ausdehnung des deutschen Strafgesetzes auf einen Fall, der ihm von Haus aus nicht unterliegt: sie wirkt also nach Art des Strafgesetzes. Der Rechtsgrund des deutschen Strafrechts ist hier ein doppelter : deutsches Strafgesetz und fremde Cession ; nicht aber sein tatsächlicher Entstehungsgrund. Und dadurch scheidet sich dieser Fall scharf von den beiden noch übrig bleibenden, den beiden einzigen, wo das deutsche Strafrecht einen doppelten tatsächlichen Entstehungsgrund besitzt. b. Macht sich ein Deutscher im Auslande eines Verbrechens oder Vergehens schuldig, so kann die Handlung nach GB § 4 Nr 3 in Deutschland nur dann gestraft werden, wenn sie „ d u r c h die Gesetze des O r t s , an welchem sie begangen w u r d e , m i t Strafe b e d r o h t i s t " . An früherer Stelle ward nachgewiesen, dass § 4 Nr 3 berichtigend dahin auszulegen sei, die Handlung sei in Deutschland nur dann straffällig, wenn sie im Ausland nicht als straflos oder gar als erlaubt gelte. Die zweite Bedingung ist also das Nichtdasein eines sie legitimirenden Rechtssatzes zur Zeit ihrer Begehung im Lande ihrer Begehung9. Trotz der prozessualen Fassung des § 4: „Jedoch kann verfolgt werden", handelt es sich daselbst um die Begründung deutscher Strafrechte, nicht lediglich deutscher Strafklagrechte. c. Aus den feindlichen Handlungen gegen befreundete Staaten, sofern diese hochverräterische im Sinne der §§ 81—86 oder Beleidi8 S. oben § 92. — 9 Vgl. darüber oben S 435 ff., wo auch der Grund dieser zweiten Bedingung klar gelegt ist.

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gungen fremder Landesherrn sind, erwächst dem Reiche ein Strafanspruch nur, „ s o f e r n in dem andern Staate dem Deutschen Reiche die G e g e n s e i t i g k e i t v e r b ü r g t ist" (GB § 102.103) 10 . Durch ein derart bedingtes Strafgesetz will der Staat nicht hochverräterische Angriffe gegen einen auswärtigen Staat erlauben oder wenigstens für rechtlich gleichgiltig erklären, sofern dieser nicht die reziproke Strafpflicht auf sich nähme. Die Reciprocität ist nicht eine Bedingung der Norm. Nur die Straflast im Hauptinteresse des auswärtigen Staates will das Reich lediglich soweit auf sich nehmen, als dieser Staat zu gleicher Selbstbelastung im Interesse des Reichs gewillt ist. Die Reciprocität ist also nicht sowohl als Bedingung deutschen Strafrechts denn als solche deutscher Strafpflicht gedacht. Den Grund ihres Erfordernisses bildet die völkerrechtliche Gewohnheit nur Zug um Zug zu gewähren, die ihrerseits wieder mittelbarer Zwang zu internationalen Gewährungen sein möchte. Nur scheint diese Gewohnheit übel angebracht, wo es die Hintanhaltung des Unrechtes gilt. Die Strafdrohungen der §§102 u. 103 wollen aber nach klarer Fassung nur dann gelten, „sofern in dem fremden Staate dem Reiche die Gegenseitigkeit verbürgt ist". Die Strafgesetze sind also bedingt. Sie treten erst in Wirksamkeit mit gewährter Gegenseitigkeit. Da nun nach GB § 2 das in Kraft stehende Strafgesetz der Handlung zeitlich voraufgehen muss, die strafbar werden soll, so muss jene Gegenseitigkeit schon zur Zeit der Tat und darf nicht erst zur Zeit der Verfolgung dem Reiche zugesichert sein 11 . 10

I m StGB für den Nordel. Bund stand in beiden Paragraphen: „sofern i n diesem Staate n a c h v e r ö f f e n t l i c h t e n S t a a t s v e r t r ä g e n o d e r n a c h G e s e t z e n dem Nordd. Bunde die Gegenseitigkeit verbürgt ist". Die hervorgehobenen W o r t e sind ganz unnötigerweise bei (1er Revision des Gesetzbuchs von 1876 auf Antrag S c h w a r z e s gestrichen worden. Stenogr. Ber. 1876 S 1324. V i e l richtiger u n d würdiger wäre es gewesen m i t dem Regierungsentwurfe zum Ges vom 26. Febr. 1876 diese Bedingung der Reciprocität ganz zu streichen, da jeder Staat völkerrechtlich verpflichtet sei Unternehmungen gegen die äussere Sicherheit oder die innere Ruhe eines anderen Staates zu hindern und zu strafen. — Ueber die Gegenseitigkeit s. bes. M e v e s bei H H I V 290 if. 11

Das Erfordemiss der Reciprocität zur Zeit der Verfolgung, wofür sich mehr sagen liesse als für das Erforderniss der §§ 102 u. 103, wäre nicht zweite Bedingung des Strafrechts, sondern des Strafklagrechts. Ganz richtig ist diese zweite Bedingung gefasst vom R G I I I vom 2. J u l i 1881 (Rspr I I I 457 ff.): „Das in § 102 normirte Delikt ist allein strafbar, wenn die Gegenseitigkeit verbürgt ist; a n d e r n falls ist die n o r m w i d r i g e H a n d l u n g nicht Verbrechen." Deshalb hat der Strafrichter, wenn sich diese Bedingung nicht feststellen lässt, freizusprechen und nicht einzustellen. Unrichtig O l s h a u s e n zu § 102 A n m 5.

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Diese Bedingung der §§ 102. 103 enthält nun drei näherer Feststellung bedürftige Begriffe. a. Das Verlangen der Gegenseitigkeit geht durchaus nicht soweit, dass a l l e Handlungen der §§ 102 u. 103 in ihrer Richtung gegen Deutschland im fremden Staate unter Strafe stehen müssten. Das hochverräterische Komplott wider denselben, gestiftet von Deutschen im Auslande, ist in Deutschland nach § 102 auch dann zu strafen, wenn das Ausland die gleiche Komplottstiftung seiner Bürger gegen das Deutsche Reich unter Strafe gezogen hat, sollte dort auch eine Strafdrohung wider öffentliche Aufforderung zum Hochverrate gegen Deutschland, entsprechend dem § 85 des GB, fehlen. Dass die Handlungen der §§ 102 u. 103 im Auslande, wenn sie ihre Spitze gegen uns kehren, mit gleicher Strafe wie im GB bedroht sind, ist nicht erfordert: aber allerdings könnten wir Gegenseitigkeit nicht anerkennen, wenn sie auswärts etwa nur mit Polizeistrafen heimgesucht würden. Die Gegenseitigkeit schliesst ein annähernd gleiches Maass von Ernst der Repressivmittel in sich. Sie bedeutet ferner, dass diese Angriffe gegen Deutschland als solche mit Strafe belegt sind 12 . Soweit sie im fremden Staate vielleicht unter dessen allgemeine Strafgesetze wider Tötung oder Einsperrung oder Beleidigung fallen, kann von Gegenseitigkeit keine Rede sein 13 . Diese fordert eine bewusste Ausdehnung des Strafschutzes, welchen der ausländische Staat sich selbst und insbesondere seinem Herrscher widmet, auf das Deutsche Reich und dessen Fürsten. Stehen jene dem § 102 entsprechenden Angriffe zwar im Ausland unter Strafe, sofern sie gegen Deutschland gerichtet sind, aber nur sofern sie im ausländischen Staate selbst verübt sind, und nicht falls sie der Ausländer ausserhalb seines Heimatstaats begeht, so fehlt jedenfalls volle Gegenseitigkeit14. Und man kann nur zweifelhaft sein, ob dieser Mangel den § 102 überhaupt unanwendbar macht, oder nur soweit er sich auf den Deutschen bezieht, der eine jener Handlungen im Auslande begeht. Die letztere Auslegung ist die vernünftigere und billigere 15 . 12

N i c h t scharf genug τ ο η M e v e s a. a. O. hervorgehoben. Dass aber die den Angriffen wider deutsche Fürsten angedrohten Strafen strenger sein müssten als die den entsprechenden Angriffen auf Privatpersonen geltenden, was O l s h a u s e n zu § 102 A n m 3 als gemeine Meinung bezeichnet, kann ich nicht zugeben. 14 § 102 legt darauf grosses Gewicht, dass er auch den i m Ausland handelnden Deutschen trifft. 15 Danach würde der Deutsche nach § 102 straffällig, der i m Inlande eine 13

Binding, Handbuch.

V I I . 1. I :

B i n d i n g , Strafrecht.

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β. Diese Gegenseitigkeit muss „dem Deutschen Reiche" gewährt sein. Dass darunter das Reich und sein Bestand an Staaten, Fürsten und Regenten gemeint ist, lässt sich nach der Fassung der §§ 81—86, 102 u. 103 nicht bezweifeln 16. Hier kann also die Gegenseitigkeit nur ganz vorhanden sein oder ganz fehlen. Stehen nur die guten völkerrechtlichen Beziehungen des Auslandes zu einem deutschen Bundesstaate oder allein zum Reich unter ausländischem Strafschutz, so sind die §§ 102 u. 103 auf Angriffe gegen dieses Ausland und seinen Herrscher unanwendbar. y. Diese Gegenseitigkeit muss dem Deutschen Reiche v e r b ü r g t , d. h. dauernd und in solcher Art gewährleistet sein, dass es auf regelmässige Verfolgung der wider es gemachten Angriffe im Auslande rechnen kann. Dies ist nur der Fall, wenn im Ausland Rechtens ist, dass derartige Angriffe auf das Deutsche Reich, seine Staaten und seine Fürsten dort strafbar sind 17 . Die bündigste Versicherung einer auswärtigen Regierung, sie sei geneigt in derartigen Fällen Strafe eintreten zu lassen, genügt nicht, noch weniger „ein blosses den Einzelfall betreffendes Versprechen" 18. Da der Beweis der Gegenseitigkeit so wie so oft ausserordentlich schwer ist, hatte das Norddeutsche Strafgesetzbuch jene Bürgschaft durch Staatsvertrag oder Gesetz gefordert, und somit die deutschen Gerichte der kaum lösbaren Aufgabe überhoben über ein ausländisches Gewohnheitsrecht Beweis aufzunehmen. Dank der Fassungsverschlechterung von 1876 ist nun auch diese Zumutung an den deutschen Richter gestellt! Aber in Ermangelung eines Gesetzes ohne Nachweis eines echten Gewohnheitsrechtes keine Annahme der Gegenseitigkeit, also Unanwendbarkeit der §§ 102 u. 103 19 2 0 . der daselbst bezeichneten Handlungen begeht, weil insoweit Gegenseitigkeit gewährt ist. 16 S. auch F u c h s , Anklage und Antragsdelikte S 88. 17 Es muss ein Gesetz, Staats vertrag oder Gewohnheitsrecht dieses Inhaltes bestehen. Der Ausbruch des Kriegs m i t dem fremden Staat ist als Bruch jener Verbürgung der Reciprocität zu betrachten. S. O l s h a u s e n zu § 102 A n m 4. 18 So M e v e s , Strafgesetznovelle S 123; O p p e n h o f f zu § 102 A n m 7 auf Grund der Stenogr. Ber. 1875—1876 S 1323. N i c h t weit genug geht auch O l s h a u s e n 1. A u f l . zu § 102 A n m 4. 19 Dass zu solchem Beweise die unbelegte Auskunft einer auswärtigen Regierung oder des auswärtigen Amtes nicht ausreicht, ist selbstverständlich. I m übrigen sind zu diesem Beweise alle Beweismittel zulässig. 20 Eine interessante Konsequenz des Reciprocitätsgedankens zieht das H a m b u r g e r StGB A r t . 7 6 : Anwendung des ausländischen Rechts, „falls die i n jenem

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Strafrecht.

Ein Rückblick auf diese anderweiten Bedingungen des Strafrechts zeigt, dass nur das Erforderniss, die vom Deutschen im Auslande begangene Handlung dürfe dort nicht erlaubt oder unverboten sein, dauernde Beachtung, dagegen das cler Gegenseitigkeit baldigste Beseitigung verdient 21 . II. D i e a n d e r w e i t e n B e d i n g u n g e n des S t r a f k l a g r e c h t s . § 125. A. I h r r e c h t l i c h e s V e r h ä l t n i s s zu denen des Strafrechts 1. I. So gewiss nun das Verbrechen nicht notwendige Voraussetzung der Strafklage ist, so gewiss denkt doch das Strafgesetzbuch im Gegensatze zur Strafprozessordnung die Klage nicht ohne das Verbrechen, betrachtet deshalb letzteres nicht nur als Entstehungsgrund des Strafrechts, sondern auch des Strafklagrechts, und berechtigt somit von „anderweiten Voraussetzungen" des letzteren ausser dem Verbrechen zu reden. So unentbehrlich ferner die Unterscheidung zwischen den zweiten \Toraussetzungen von Strafrecht und Straf klagrecht erscheint, so ist doch unverkennbar, dass die Klaglosigkeit des Strafrechts seine Verwirklichung unmöglich macht, dass also die Erschwerung der Klage genau ebenso oft, als die erschwerende Bedingung unwiderruflich deficirt, die Entstehung eines v o l l s t r e c k b a r e n Strafrechts hindert. So begründet zwar der Eintritt dieser Bedingung nicht das Strafrecht mit — denn dieses ist schon vorher entstanden —, wohl aber wirkt ihr Ausbleiben p r a k t i s c h wie das Fehlen der zweiten Bedingung des Staate für Angriffe auf den hamburgischen zur Anwendung kommenden Strafen gelinder sind". 21 Das Erforderniss der Gegenseitigkeit kommt aber auch als Bestandteil der Normen vor. Eine Verletzung fremder Urheberrechte, fremder Waarenzeichen soll nur dann verboten sein, wenn deutsche Urheberrechte und deutsche Waarenzeichen i n dem fremden Staate Schutz geniessen. Dann ist die Gegenseitigkeit nicht neben dem D e l i k t zweite Voraussetzung des Strafrechts, sondern sie ist Voraussetzung des Deliktes. W e n n aber i n solchem Falle das Gesetz, wie das über den Markenschutz vom 30. Nov. 1874 § 20 tut, verlangt, dass Gegenseitigkeit um wirksam zu sein im Reichsgesetzblatt bekannt gemacht sein müsse, so ist eben die publizirte Gegenseitigkeit Bedingung des Delikts, und deshalb gehören diese Fälle nicht i n die Lehre der doppelt bedingten Strafrechte. 1

M i t idem Folgenden sind besonders die mannigfach abweichenden Ausführungen v. L i s z t s § 42 u. 43 zu vergleichen. — S. oben die Grundlegung i n § 39 „Strafrecht und Strafklagrecht" S 192 ff. 38 v

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Strafrechtes selbst, und so ist es sehr wohl möglich, dass der Gesetzgeber eine Tatsache, von der er annimmt, sie mitbedinge das Strafrecht, in Gestalt einer Strafprozessvoraussetzung zur Anerkennung bringt. So müssen die anderweiten Bedingungen des Strafklagrechts daraufhin untersucht werden, ob sie ihrem Grundgedanken nach in Rücksichten auf das Strafverfolgungsrecht oder auf das Strafrecht wurzeln. II. Der praktischen Aehnlichkeit ihrer Wirkungen mit denen der anderweiten Voraussetzungen des Strafrechts selbst stehen aber grundsätzliche Verschiedenheiten im Erfolge und in den Erfordernissen gegenüber2. 1. Das Fehlen der zweiten Strafrechtsvoraussetzung, wie z. B. der Mangel cler Gegenseitigkeit in den Fällen cler §§ 102 und 103, hindert das Zustandekommen des Prozessrechtsverhältnisses nicht; der Mangel der Strafklagvoraussetzung ist Mangel einer Prozessvoraussetzung und das trotzdem begründete Prozessrechtsverhältniss ist nichtig. Die Erkenntniss des ersten Mangels zwingt das Gericht in cler Sache selbst und zwar im Sinne der Freisprechung zu entscheiden ; die Erkenntniss, dass eine Prozessvoraussetzung fehlt, hindert die Entscheidung in der Sache selbst und zwingt zur Einstellung. Dem entspricht, dass zwar über die Existenz der Strafklagvoraussetzung zunächst der Staatsanwalt, dann erst der Richter, über die Existenz der Strafrechtsvoraussetzung aber nur der Richter verantwortlich zu entscheiden hat. 2. Die anderweite Bedingung des Strafrechts muss zur Zeit der verbrecherischen Tat — genauer zur Zeit ihres Abschlusses —, die Strafklagvoraussetzung natürlich erst zur Zeit der Klagerhebung vorhanden sein. Ja es steht nichts im Wege den trotz ihres Mangels begonnenen, also nichtigen Prozess convalesciren zu lassen, wenn sie vor dem Urteil eintritt 3 . Denn gerade die urteilsmässige Feststellung cles Strafrechts soll durch den Mangel der Klagvoraussetzung gehindert werden. Und es ist nicht abzusehen, warum, falls beispielsweise der Antrag beachtlich aber erst nach begonnenem Prozesse gestellt wird, 2

Es ist deshalb unrichtig den Streit über die Natur des Strafantrags m i t v. K i r c h e n h e i m , Antragsdel. S 65 als einen rein formalistischen zu bezeichnen. 3 Unrichtig Normen I 91. N u r die SeemO § 85 sagt: „Ist die Eintragung versäumt, so t r i t t keine Verfolgung ein." Die Eintragung kann also nach Beginn der Verfolgung nicht nachgeholt werden.

§ 125.

Α . I h r rechtl. Verhältniss zu denen des Strafrechts.

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alle vorher vorgenommenen Prozessakte nochmals wiederholt werden sollen. 3. Der Wegfall der zweiten Bedingung des Strafrechts, die Aufhebung der Gegenseitigkeit in § 102 u. 103, die Aufhebung des auswärtigen Strafgesetzes in den Fällen des § 4 sub 3 ist stets auch gegen den Willen des Reiches möglich und bedeutet Untergang des noch nicht rechtskräftig festgestellten deutschen Strafrechts, kann also auch noch in dem Rechtsmittelverfahren beachtlich werden. Von den Strafklagvoraussetzungen des StGB sind einige, wenn einmal vorhanden, unwiderruflich geworden: so der nicht mehr rücknehmbare Antrag, die einmal erteilte Ermächtigung ; andere. unterliegen dem Wregfall. Hieher gehört vor allem der rücknehmbare Antrag. Es ist aber auch möglich, dass die Ehe, deren Auflösung Klagvoraussetzung ist, nach erhobener Klage aber vor rechtskräftig gewordenem Strafurteile wieder geschlossen wird. Ob letzterwähnte Aenderung zu berücksichtigen, stehe einstweilen dahin ! Jedenfalls kann sie nicht mehr und nicht anders wirken als die rechtsgültige Rücknahme des Antrags : nämlich das Ende des einzelnen Prozessrechtsverhältnisses und nicht Untergang des Strafrechts. Stellt nun ein anderer Berechtigter den Antrag wieder, so kann ein neuer Prozess begonnen werden. 4. A e n d e r t das Recht über S t r a f r e c h t s - oder S t r a f k l a g r e c h t s v o r a u s s e t z u n g e n , so hat dies Einfluss weder auf die unter dem alten Recht rechtskräftig festgestellten Strafrechte, noch auf die strafbaren Handlungen, welche erst zur Zeit des neuen Gesetzes begangen werden4. Im übrigen ist zu unterscheiden: a. W i r d eine zwei te S t r a f r e c h t s Voraussetzung — etwa das Erforderniss der Gegenseitigkeit — aufgehoben, so bleibt natürlich das zur Zeit des früheren Rechtes entstandene, damals doppelt bedingte Strafrecht bestehen. Hat aber die Straftat ein Strafrecht nicht erzeugt, weil die zur Zeit ihrer Begehung dazu erforderliche Gegenseitigkeit fehlte, und wird nun dies Erforderniss gesetzlich beseitigt, so ist eine nachträgliche Bestrafung des Verbrechens undenkbar. Denn eine Handlung, welche zur Zeit ihrer Begehung nicht strafbar gewesen ist, kann nach GB § 2 nicht hinterher strafbar werden. b. W i r d eine S t r a f k l a g v o r a u s s e t z u n g , etwa das Erforderniss des Antrags oder des Eintrags der groben Pflichtwidrigkeit des Schiffsmanns in das Schiffsjournal, a u f g e h o b e n , und das neue Recht sagt nicht, wie das Gesetz vom 26. Febr. 1876 Art. H I doch 4

sucht.

Bisher hat man diesen Punkt immer nur mit Bezug auf den Antrag unterAuch hier ist aber die grösste Verallgemeinerung der Frage geboten!

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I.

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Strafrecht.

ausdrücklich getan hat, dass bei den zuvor begangenen Handlungen das Erforderniss nach den bisherigen Gesetzen zu beurteilen sei, so schliesst selbst der Ablauf der Antragsfrist vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes und das Versäumniss des Vermerkes im Tagebuch des Schiffers die spätere Erhebung der Klage nicht aus : denn nur das Antragsrecht, nicht das staatliche Straf klagrecht ist durch Zeitablauf untergegangen, und nun steht der Staatsanwalt zu dem bisherigen Antragsverbrechen genau so, als wäre es von Anfang Offizialdelikt gewesen. Gerade für die Antragsverbrechen wird dies noch einleuchtender, wenn man berücksichtigt, dass bei ihnen die Verfolgung und Bestrafung geschieht um von dem Täter nicht nur Genugtuung für den Staat, sondern auch für den verletzten Antragsteller zu erhalten : wenn dieser Nebenzweck der Strafe beseitigt wird, warum soll dann dem Hauptzwecke derselben nicht mehr nachgegangen werden können? c. W i r d eine z w e i t e S t r a f r e c h t s v o r a u s s e t z u n g neu e i n g e f ü h r t , so bedeutet dies grundsätzlich doch wahrlich nicht Untergang der schon rechtsgiltig entstandenen, weil bis dahin nur einfach bedingten Strafrechte. Die Satzung hat nur Sinn für die nach ihrem Inkrafttreten begangenen bez. zum Abschluss gebrachten strafbaren Handlungen. Diese prinzipiell kaum anfechtbare Entscheidung ist aber nach GB § 2 Abs. 2 allerdings zu modifiziren. Ein Gesetz, das ein Strafrecht doppelt bedingt, ist zweifellos milder als dasjenige, welches das Verbrechen als seine alleinige Quelle bezeichnet, d. W i r d eine neue S t r a f k l a g v o r a u s s e t z u n g eingef ü h r t 5 , Antrag, Ermächtigung, Eintrag der groben DienstpflichtWidrigkeit ins Schiffsjournal, so versteht sich a. von selbst, dass die nach Inkrafttreten solchen Gesetzes erst zu erhebenden Klagen jene Voraussetzung fordern; ß. tritt aber das Gesetz in Kraft, nachdem das Prozessrechtsverhältniss giltig begründet ist, und erklärt es nicht ausdrücklich die Nichtigkeit dieser giltigen Prozesse, falls Antrag, Ermächtigung u. s. w. 5 E i n Fall, auf den sich das Ges vom 26. Febr. 1876 Art. I I I nicht bezieht, da das revidirte Strafgesetzbuch nur in umgekehrter Richtung tätig geworden ist. Eine analoge Anwendung dieses A r t . I I I auf spätere Fälle halte ich, gerade weil das Gesetz nur das Verhältniss zwischen dem auf dem Gebiete des Antragsrechts ausserordentlich weit gehenden früheren StGB zu dem hier geflissentlich beschränkenden revidirten StGB regeln will, für untunlich! F ü r die im Text aufgeworfene Frage fehlt also immer noch die gesetzliche Regelung: die Lücke im Gesetz (Normen I 92) besteht noch. Vgl. übrigens oben S 254 if.

§ 12.

. Die

ek

u. ihre Grundgedanken.

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nicht binnen bestimmter Frist nachgeholt würden, so geht der Prozess ruhig seinen Gang weiter, und einer Nachholung des Antrags bedarf es ebensowenig wie der Nachholung der später eingeführten Schriftlichkeit, wenn der Vertrag vorher in mündlicher Form giltig zur Entstehung gekommen ist. — Nichts ist irriger als die Behauptung, giltig begründete Rechtsverhältnisse gingen unter, wenn ihre Entstehung hinterher erschwert und die erschwerende Bedingung nicht nachgeholt würde. Das Gesetz kann ja ein solches Todesurteil fällen : aber nicht stillschweigend, sondern in ausdrücklicher Sentenz. Hier aber den § 2 des StGB einmischen und behaupten wollen, der Antrag sei schlechterdings nachzuholen, denn das neue Gesetz sei das mildere und stehe allein zur Anwendung, zeugt von Verwirrung. Hier handelt es sich einfach um die prozessuale Frage, ob ein rechtsgiltiger Prozess hinterher nichtig werde, und wie diese Frage von einem „milderen Strafgesetze" soll beantwortet werden können, ist nicht zu begreifen. Es besteht eben ein tiefgreifender Unterschied zwischen Strafrechtsund Strafklagrechts-Bedingung : nur mit letzterer haben wir es hier zu tun, und nur in der Aufnahme der ersteren liegt eine Milderung des Strafgesetzes. § 126. B. D i e o b j e k t i v e n B e d i n g u n g e n und i h r e G r u n d gedanken. Die hier in Betracht kommenden Straf klage - Bedingungen zerfallen in die beiden Gruppen der o b j e k t i v e n T a t s a c h e n und der s u b j e k t i v e n W i l l e n s e r k l ä r u n g e n von P r i v a t p e r s o n e n 1 . Die Satzungen bezüglich der ersteren sind ebenso einfach, wie die bezüglich der letzteren komplizirt. Bedingungen ersterer Art bestehen im heutigen Rechte nur zwei : 1. Die Verfolgung eines Schiffsmannes wegen gröblicher Verletzung der Dienstpflicht (SeemO § 84) ist bedingt d u r c h die r e c h t z e i t i g e E i n t r a g u n g der U n g e h ö r i g k e i t m i t genauer Angabe des S a c h v e r h a l t e s i n das S c h i f f s j o u r n a l und des V e r m e r k e s , es sei dem Schiffsmann von der E i n t r a g u n g u n t e r H i n weis auf SeemO § 84 M i t t e i l u n g g e m a c h t 2 , oder es sei 1 Es ist für das heutige Recht charakteristisch, dass zu jenen Tatsachen sich immer noch der Antrag gesellen muss und dann vom behaupteten Verbrechen abgesehen stets zwei Strafklagvoraussetzungen m i t einander konkurriren müssen. 2 So schliesse ich per argum. e contrario aus § 85, 2.

. Die anderweiten Bedingungen de

Strafrecht.

dies aus b e s t i m m t en G r ü n d e n u n t e r b l i e b e n 3 . „Ist die Eintragung versäumt, so tritt keine Verfolgung ein." Der Grund dieser Bestimmung kann nur darin gefunden werden, es solle die Nichteintragung, der die ungenügende Eintragung gleichzustellen ist, vollen Beweis dafür erbringen, dass eine gröbliche Verletzung der Dienstpflicht nicht stattgefunden habe; der die Verfolgung beantragende Schiffer solle nicht hinterher einen vielleicht ganz unbedeutenden Vorgang zur groben Pflichtverletzung aufblähen können. Ein starkes Indicium wird zum vollen Bewreis erhoben, und die Unerhebbarkeit der unbeweisbaren Klage durch Erhebung des Eintrags zur Klagvoraussetzung bewirkt. Der Grundgedanke der letzteren liegt also auf dem Gebiete des Beweisrechts: die uneingetragene und deshalb unbeweisbare Pflichtverletzung soll nicht verfolgt werden. Ihn verallgemeinernd langt man bei dem einzig möglichen Grundgedanken aller Strafklagvoraussetzungen an, die in prozessualem Interesse aufgestellt sind: der M a n g e l der V o r a u s s e t z u n g bed e u t e t v o r a u s s i c h t l i c h e U n e r s p r i e s s l i c h k e i t des zu beg r ü n d e n d e n Prozesses. 2. Ganz anders verhält es sich mit der zweiten Strafklagvoraussetzung, das ist die A u f l ö s u n g eines e h e l i c h e n V e r h ä l t n i s s e s , das verbrecherisch vorbereitet oder zu Stande gebracht worden ist oder innerhalb dessen das Verbrechen gespielt hat 4 . Diese Auflösung begegnet — „nach der vorbildlichen Terminologie des Preuss. Landrechts Th. I I Titel 1 § 393 ff., mit welcher nunmehr die Legaldefinition (CPO § 592) übereinstimmt" 5 — in drei Gestalten: der Scheidung e i n e r g i l t i g e n Ehe (§ 172), cler U n g i l t i g k e i t s e r k l ä r u n g e i n e r Ehe wegen eines nicht von Amtswegen geltend zu machenden Ungiltigkeitsgrundes, und der N i c h t i g e r k l ä r u n g e i n e r solchen wTegen eines auch von Am tswegen geltend zu machenden Ungiltigkeitsgrundes. An diesem Ort genügt es die beiden letzten Auflösungen als wesentlich gleichartig zusammenzufassen und als „Ungiltigerklärungen", alle Fälle aber als Eheauflösungen zu bezeichnen6. 3

SeemO § 65. Vgl. auch M e v e s , i n der Gesetzgebung des Deutschen Reiches, herausg. von B e z o l d , T e i l I I I Bd. 1 S 455. 4 Dieselbe begegnet i m GB viermal: § 170 (Ehebetrug): „wenn aus einem dieser Gründe die Ehe a u f g e l ö s t worden ist" ; § 172 (Ehebruch): „wenn wegen desselben die Ehe g e s c h i e d e n ist" ; § 236 u. 237 (Entführung). I m Anschluss an beide Paragraphen bestimmt § 238: „ H a t der Entführer die Entführte geheiratet, so findet d i e V e r f o l g u n g n u r s t a t t , nachdem die Ehe f ü r u n g i l t i g e r k l ä r t worden ist." 5 O l s h a u s e n 1. A u f l . zu § 171 A n m 2. 6 Die Scheidung cler Ehe als Bedingung begegnet nur i n § 172; die Ungiltig-

§ 12.

. Die

ek

u. ihre Grundgedanken.

601

Die Natur dieses Erfordernisses ist bestreitbar. Man könnte die Auflösung der Ehe als Bestandteil, nämlich als Erfolg der deliktischen Handlung, oder aber als davon getrennte zweite Bedingung des Strafrechts oder endlich als Voraussetzung des Strafklagrechts fassen. Nähere Prüfung zeigt, dass die mittlere Auffassung unmöglich ist: die zweite Bedingung des Strafrechts muss stets zur Zeit des Delikts vorhanden sein, damit klar werde, ob ein Strafrecht entstanden ist oder nicht. Ein successiv bedingtes Strafrecht ist den Quellen deshalb fremd. Die letzte Auffassung ist bei der Entführung zweifellos die gesetzliche. Nachdem die §§ 236 u. 237 die Strafen des Entführers festgesetzt haben, sagt § 238 : „Hat der Entführer die Entführte geheiratet, so findet die Verfolgung nur statt, nachdem die Ehe für ungültig erklärt ist." Beim Ehebruch liesse sich allenfalls die erste Auffassung verteidigen, R ü d o r f f fasst den Tatbestand geradezu dahin: „der Ehebruch, wegen dessen eine Ehe geschieden ist, soll bestraft werden" 7 8 . Und doch halte ich sie auch hier für unzulässig. Die Scheidung resultirt nicht sowohl aus dem Ehebruch als aus dem Willen des andern Ehegatten ihn als Scheidungsgrund geltend zu machen. Diese Premirung des Fehltrittes des andern Ehegatten ist Folge seiner Tat nicht, auch nicht ein Beweis für die Grösse seiner Schuld, und so treten Ehebruch und Scheidung weit aus einander, und letztere ist Bedingung neben dem Ehebruch, aber nicht Bedingung des Strafrechts, sondern des Strafklagrechts. Nur so treten alle vier besprochenen Fälle unter denselben Gesichtspunkt: das Strafverfolgungsrecht wird suspensiv bedingt, damit die Ehe geschont werde 9. Es soll nicht ein Ehegatte den andern in der Ehe zur Strafe bringen wegen einer Handlung, welche die Auflösung der Ehe herbeizuführen vermag. Schreckt der andere Teil vor erklärung i n § 236. 237 (s. § 233), aber auch i n § 170. Denn wenn dort die i n ihrer Giltigkeit angefochtene Ehe wegen Ungiltigkeit „aufgelöst" w i r d , so ist damit die „Scheidung" ausgeschlossen. Richtig O p p e n h o f f zu § 170 A n m 2 ; O l s h a u s e n zu § 170 A n m 6. 7 S c h w a r z e , GS 1872 S 67 ff., der diesen Punkt ausführlicher bespricht, erklärt das eherichterliche Erkenntniss für einen Moment des Tatbestandes nach § 170 wie § 172. 8 R ü d o r f f zu § 172 A n m 3 hält dies nach der Fassung des § 172 für zweifellos. Dies ist nicht zuzugeben. Die Fassung ist die des doppelt bedingten Strafrechts: „der Ehebruch wird, wenn" u. s. w., und ein solches liegt zweifellos nicht v o r ! Zweifelhaft R G I I I vom 3. Januar 1880 ( Ε I 44 if.). 9 Durchaus zutreffend R G I vom 6. Nov. 1882 ( Ε V I I 298 ff.). — M a n beachte die auf demselben Gedanken beruhenden Strafausschliessungsgründe i n GB § 247, 2 u. § 370, 5.

. Die anderweiten Bedingungen de

Strafrecht.

der Klage auf Scheidung oder Anfechtung der Ehe zurück, so ist seine Pflicht Gutes und Schlimmes mit dem Gatten zu tragen nicht aber ihn ins Gefängniss zu bringen, vielleicht den Kindern zum anstössigen Schauspiel. Die Reinhaltung der Ehe erscheint hier dem Staate von höherem Werte als die sofortige \7erwirklichung seines Strafrechts, und da das Hinderniss für die Bestrafung vielleicht bald schwindet, bedingt er das Verfolgungsrecht, selbst auf die Gefahr dadurch sein Strafrecht schliesslich einzubüssen. Ja er geht hierin offenbar zu weit, zwar nicht in dem § 238, wohl aber in den §§ 170 u. 172. In diesen beiden Gesetzen wird verlangt, dass die Ehe wegen des zu s t r a f e n d e n E h e b r u c h s geschieden und wegen des E h e b e t r u g s aufgelöst sein müsse. Dadurch werden Ehebruch und Ehebetrug straflos, wenn sie dem anderen Teil vor Auflösung der Ehe unbekannt geblieben sind. Tritt die Scheidung beispielsweise wegen böswilliger Verlassung ein und der unschuldige Teil erfährt erst später, dass sein Gatte vor oder nach der Verlassung auch noch die Ehe gebrochen, so kann er eine Bestrafung des Ehebruchs nicht herbeiführen. Ja hat ein Ehegatte mit ganz verschiedenen Personen die Ehe gebrochen, und es führt nur einer dieser Fehltritte zur Scheidung, so müssen die andern straflos bleiben10. § 127.

C. D i e W i l l e n s e r k l ä r u n g e n und i h r e m ö g l i c h e n Grundgedanken1.

In allen übrigen Fällen doppelt bedingten Strafklagrechts wird die Strafverfolgung von Antrag oder Ermächtigung bestimmter Personen 10

S. R G I vom 1. Juni 1882 (E V I 333 if.).

1

Der Eifer, m i t welchem sich die Literatur der E r - u. Begründung besonders der Antragsverbrechen nach heutigem Rechte zuwandte, ist befremdlich. Das ungesunde Institut hat viel gesunden Scharfsinn weit edleren Aufgaben abtrünnig gemacht. Die Literatur leidet zum T e i l stark darunter, dass i h r der Unterschied von Strafrechtsund Strafklagrechts-Voraussetzungen nicht k l a r vor Augen steht. — GB § 61—65. M G B § 51. 127. Vgl. StPO § 127, 3. 130. 156. 259. 414. 435. 502. — H 2 2 7 8 - 2 8 6 . Β 172—176. Sch 50. G 83 a. Κ 131 Anhang. M 61. 62. W V 88. L i 43. Gey 66. D o c h o w bei H H I V 237—285. — G o d e f r o i , De iis delictis, quae non nisi ad laesorum querelam vindicantur. Amstelodami 1837 (gehört nur teilweise hierher). — Dazu M i t t e r m a i e r , A N F 1838 S 609 if. — Z a c h a r i a e , A N F 1845 S 566 if., 1847 S 390 if. — H e i n z e , Reichs- und Landesstrafrecht S 67 if. — F u c h s , A n klage und Antragsdelikte. Breslau 1873. — D e r s . , GA X I X 1871 S 82 if. u. X X 1872 S 433 if. — D e r s . , GS 1874 S 145 i f , 1876 S 589 if. — D e r s . bei H H des Strafprozesses I 429 if. — D e r s . , H R L e x I 123 if. — F r a n c k e , GA X X 1872 S 36 if. — B i n d i n g , Normen I § 13. 23. — N e s s e l , Die Antragsberechtigungen

§ 127. C. Die Willenserklär, u. ihre mögl. Grundgedanken.

603

abhängig gemacht. Diese Willenserklärung geht dahin, es solle Strafverfolgung eintreten. Sie geht auf das Mittel, seinen Zweck vor Augen. Sie will die Klage, wreil sie die Strafe will. Es ist bekannt, dass die neuere Gesetzgebung2 die Zahl der von W ä c h t e r 3 sog. Antrags-Verbrechen ausserordentlich gesteigert hat 4 , und da sie dabei keinem klaren Grundgedanken folgt, ihre Satzungen auch vielfach innerlich widerspruchsvoll sind, ausserdem die Organe des Staates oft in empfindlichster Weise der privaten Laune preisgeben, so wird die Annahme notwendig, dass jene Steigerung zusammenhängt mit der ungesunden Neigung den Delinquenten vor dem Strafgesetz möglichst zu schützen5. des deutschen Reichsstrafgesetzbuches. Berlin 1873.— R e b e r , Die Antragsdelikte des deutschen Strafrechts. München 1873 (trotz seiner Formlosigkeit ist das Buch sehr verdienstlich; s. darüber G e y e r , K r V X V I 1874 S 373 if.). — M e ν es, Die Strafgesetznovelle. Erlangen 1876. S 100 if. — T h o m s e n und J o h n , Gutachten für den X I I . deutschen Juristentag. Verhandl. I 193 if. 223 if. — K o h l e r , Deutsches Patentrecht S 539 if. — v. K i r c h e n h e i m , Die rechtliche Natur der A n tragsdelikte. Tübingen 1878 (ganz naturrechtlich!). — H e r g e n h a h n , Das A n tragsrecht im deutschen Strafrecht. Berlin 1878. — T h o n , Rechtsnorm S 136 if. — L e h m a n n , Z u r Lehre vom Strafantrage, insbes. der Sätze des § 61 des StGB. Leipzig 1881. — Vgl. die Literatur vor § 49 a. E., ferner die Aufsätze von L e h m a n n , GA X I X 1871 S 386 if.; K o c h , das. S 161 if. 728 ff.; K l e b s , das. S 569 if.; v. B a r , das. S 641 if. 713 if.; T e s s e n d o r f , das. X X I 1873 S 332 if.; v o m S a n d e , das. S 426 if.; H e r z o g , GS 1874 S 202 if.; M e d e m , GS 1877 S 509 if. 561 if.; v. B u r i , K r V X I X 1877 S 86 ff.; S a m u e l y , GS 1880 S I f f . ; B o l z e , Der Strafantrag des gewillkürten Vertreters: GS 1880 S 433 ff.; H e r z o g über dens. Gegenstand GS 1881 S 389 ff.; H o l z a p f e l , Vollmacht und Auftrag i n ihrer Bedeutung für das sog. Antragsrecht : GA X X X 1882 S 458 ff. — S. auch G e s s l e r , GS 1866 S 83 ff; M e v e s , StRZ 1872 S 1 1 3 - 1 2 0 ; F i s c h e r , GS 1879 S 54 ff, 1880 S 436 ff; S c h w a r z e , GS 1873 S 169 ff, 1874 S 497. 2 Die CCC kennt gar keine Antragsverbrechen, sondern wahrt nur die Verbrechen der Entführung, Notzucht, des Ehebruchs und Familiendiebstahls gegen die ausnahmsweise Verfolgung von Amtswegen. A r t . 118—120. 169. 3 Sächs. Strafrecht S 80. 4 „Es bewahrheitete sich der alte Erfahrungssatz, dass gerade die unklarsten, unausgedachtesten gesetzgeberischen Gedanken die meiste Aussicht auf allgemeinen Beifall haben." So v. L i s z t S 173. S. die Zusammenstellung der Resultate der neuesten Gesetzgebung bei v. K i r c h e n h e i m S 23 ff. 5 Darüber, dass die neuere Gesetzgebung die Antragsvergehen nicht i m Interesse der Delinquenten aufgestellt hat, ist kein W o r t zu verlieren. S. auch H e i η z e, Verhältniss S 68; F u c h s , GA X I X 84; d e r s . , Anklage S 18 ff Dass aber das Institut lediglich die Schlechtigkeit begünstigt und die Gerechten, sowie die Gerechtigkeit benachteiligt, ist zweifellos. 1. Es benachteiligt den Staat als Strafund Straf klagberechtigten, als Abolitions- und Begnadigungsberechtigten. Nicht sein Bedürfniss nach Klage, Strafe, Gnade, sondern das des Antragstellers ent-

604

I.

Die anderweiten Bedingungen de

Strafrecht.

Lässt man dieses unbewusst wirkende Motiv bei Seite und fragt nun, aus welchen Gründen ein Strafgesetzgeber das staatliche Strafverfolgungsrecht abhängig machen kann von einer PrivatwillensErklärung, so lassen sich deren fünf denken, von denen einer auf dem prozessualen, die drei anderen auf dem Gebiete des materiellen Strafrechts liegen, während der letzte dem Strafrechte ebenso fremd ist wie dem Strafprozessrecht. I. Der prozessuale G r u n d k ö n n t e R ü c k s i c h t auf den Beweis sein. Ist das Verbrechen verübt wider Angehörige, welche nach StPO § 51 das Zeugniss weigern dürfen, so wird die Ausübung dieses Rechtes den Beweis vielfach unmöglich machen. So spräche manches dafür vom verletzten Angehörigen den Strafantrag und in ihm die Erklärung der Bereitwilligkeit zum Zeugniss zu fordern um ergebnisslose Prozesse möglichst zu vermeiden. Dieser Grund tritt in unserem positiven Rechte nirgends hervor: scheidet. 2. Es benachteiligt den Verletzten, der ausser Stande ist rechtzeitig den Antrag zu stellen, dem Anstandspflichten den M u n d schliessen, oder der des Antragsrechts ermangelt, aber einen gewissenlosen Vertreter besitzt. 3. Es tut dem Grundsatz der Gerechtigkeit, dass gleiche Schuld gleichen L o h n finden soll, empfindlichsten Abbruch. 4. Es giebt die Behörden des Staates kaum würdig privater W i l l k ü r Preis. S. auch H ä l s c h n e r , D. StR I 710. 5. Dagegen begünstigt es den Verbrecher, den es vielfach der Strafe entzieht; nicht minder 6. die gemeine Gesinnung des Antragsberechtigten, der m i t seinem Recht schnöden Handel treibt und den es geradezu zur Erpressung aufruft ; endlich 7. den Vertreter des antragsunfähigen Verletzten, der dessen Interessen gewissenlos preisgeben will. — So i s t das I n s t i t u t e i n f u n d a m e n t a l s c h l e c h t e s und g ä n z l i c h zu b e s e i t i g e n . Die Befürchtung, es würde diese Befreiungstat eine Ueberlastung cler Offizialklage und eine Ueberflutung der Gerichte mit unbedeutenden Strafklagen zur Folge haben, ist nach meiner Beobachtung ganz ungerechtfertigt. Diese Dinge reguliren sich grösstenteils selbst (vgl. auch D o c h o w bei H H I V 261). A u c h bei den Nichtantragsverbrechen spielt heutzutage der Antrag des Verletzten eine höchst bedeutende Rolle, besonders wenn volenti non fit injuria. Aber allerdings diejenigen Strafklagen würden erhoben werden, deren Unterbleiben heute allgemeines Aergerniss erregt, und dieser Zuwachs wäre nach jeder Richtung Gewinn. — Die Bedenken gegen die Antragsverbrechen haben bisher meist nur eine Befürwortung ihrer numerischen Beschränkung oder der Beseitigung der schlimmsten Auswüchse zur Folge gehabt. Siehe O e r s t e d , Neue Beitr. zur Strafgesetzgebung S 284; F u c h s , Anklage S 181 if.; N e s s e l S 79; T h o m s e n a. a. Ο . bes. S 221. 2 2 2 ; J o h n das. bes. S 2 6 6 . 2 6 7 ; D o c h o w bei H H I V 260 if.; S c h ü t z e S 168 A n m 7 ; H ä l s c h n e r , D. StR I 710 if.; v. L i s z t S 172. 173. — F ü r ihre vollständige Beseitigung M e d e m , GS 1877 S 509 if. (dessen Resultate S 565 ich mir aber nicht aneignen k ö n n t e ) . — Höchst charakteristisch die oratio pro domo S c h w a r z e s , GS 1874 S 497 if., der sich aber wenigstens für eine Beschränkung der F r i s t für die Rücknahme ausspricht.

§127. C. Die Willenserklär, u. ihre mögl. Grundgedanken.

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denn der mit dem Angeklagten verwandte Antragsteller darf trotz des Antrags seine Mitwirkung bei dem durch ihn erforderlich gewordenen Schuldbeweis versagen — eine Befugniss allerdings sehr anstössiger Art! II. Wird aber die Strafklage aus materiell-rechtlichen Gründen durch den Antrag bedingt, so kann das Antragserforderniss entweder abgeleitet werden: 1. aus der N a t u r b e s t i m m t e r V e r b r e c h e n . Dies aber ist wieder auf zwei Arten denkbar, a. Soweit der Satz gilt : volenti non fit injuria, könnte es geboten scheinen sich vor der Klage der Nichteinwilligung des Verletzten dadurch zu versichern, dass er im Antrag das Fehlen cler Einwilligung zu erklären hätte. — Die Identifizirung von Antrags- und solchen Verbrechen, bei welchen die Nichteinwilligung Begriffsmerkmal wäre, würde das Gewicht der Gründe wider die Anerkennung von Antragsverbrechen überhaupt bedeutend abmindern: ausserdem träte dadurch erkennbar hervor, in welchen Fällen der Gesetzgeber die Nichteinwilligung zum Verbrechensmerkmal erheben wollte. Bei der Auswahl der Antragsverbrechen im heutigen Rechte mag jener Gedanke allenfalls mitgewirkt haben: er ist aber weder scharf erfasst noch folgerecht durchgeführt. Es giebt Antragsvergehen, wobei der Satz volenti non fit injuria gar nicht in Frage kommen kann, und strafbare Handlungen, die gegen Einwilligende nicht begangen werden können und dennoch keine Antragsvergehen sind, wie Diebstahl und Unterschlagung. b. Es wäre möglich, dass der Gesetzgeber gewisse Verbrechen zu Antragsverbrechen erklärte, weil er zu ihrem Tatbestand verlangte, dass sie bei einzelnen Personen oder in bestimmten Lebenskreisen Aergerniss erregt hätten, und weil er aus Rücksichten cler Praktikabilität dieses Merkmal mit einem ziemlich beweiskräftigen Symptom seines Vorhandenseins, nämlich mit dem Strafantrag, zu vertauschen für gut fände 6. 6

v. B a r , GA X I X 644. 645 findet den einheitlichen Grund aller Antragsverbrechen darin : „dass bei gewissen Delikten die Strafgewalt des Staates nur dann strafend einzuschreiten gesonnen ist, wenn das Bedürfniss der staatlichen Reaktion gegen das D e l i k t i n dem zunächst interessirten Kreise . . . sich i n bestimmter Weise (durch Stellung des Strafantrags) manifestirt h a t " . Dieses Bedürfniss kann nur i n einem der i m T e x t angegebenen Gründe wurzeln, v. K i r c h e n h e i m S 37 ff. lässt die Natur der Antragsverbrechen i n dem verletzten besonderen Rechte gründen und definirt S 67 clie Antragsdelikte als diejenigen Verbrechen, „deren amtliche Strafverfolgung bedingt ist durch die seitens des Verletzten . . . abgegebene E r klärung, dass das D e l i k t als Rechtsverletzung empfunden und demgemäss vom Staate zu behandeln sei". Das ist nur ein präciserer Ausdruck des v. B a r s c h e n

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II. Die anderweiten Bedingungen des Strafklagrechts.

Ginge das Gesetz von diesem Standpunkte aus, so müsste man erwarten dem Erforderniss des Antrags ganz besonders bei den Verbrechen wider das Empfindungsleben zu begegnen, jedenfalls aber bei solchen, bei denen das Merkmal des Aergernisserregens in den Tatbestand aufgenommen ist. Weder das eine, noch das andere trifft im heutigen Rechte zu. In den drei Fällen, wro das gegebene Aergerniss zum Verbrechensmerkmal gestempelt ist, das Verbrechen also zweifellos das Empfindungsleben verletzt (§ 166. 183. 360, 13), steht die Verfolgung vom Antrage unabhängig; 2. aus dem Zwecke der Strafe. Es liesse sich denken, dass die Strafe in bestimmten Fällen neben ihrem Hauptzwecke noch den andern erreichen sollte dem durch ein Verbrechen Verletzten Genugtuung zu geben, auch seine Empörung über die erlittene Unbilde zu besänftigen. Es wäre freilich in hohem Grade auffallend, wenn man diesen Nebenzweck der Strafe, in dessen Zurückdrängung eine der grössten rechtsgeschichtlichen Taten zu erblicken ist, ihrem Hauptzwecke derart überordnete, dass man des letzteren Verfolgung von dem Maasse subjektiver Erregung des verbrecherisch Angegriffenen abhängig machte ; — die richtige Konsequenz dieser Umkehr von Hauptund Nebenzweck wäre die Anerkennung eines Rechts des Verletzten auf Strafe, also die Einführung der Privatstrafe. Aber unleugbar ^würde dem oben aufgestellten Gesichtspunkte die Natur des Strafantrags als einer Strafforderung am meisten entsprechen. III. Der l e t z t e G r u n d e n d l i c h einen Prozess abh ä n g i g zu machen vom A n t r a g e k ö n n t e i n der unbeabs i c h t i g t e n und u n e r w ü n s c h t e n R ü c k w i r k u n g des S t r a f prozesses auf die Person des V e r l e t z t e n a l l e i n oder auf i h r V e r h ä l t n i s s — etwa die Ehe, das Verlöbniss — zu dem V e r b r e c h e r gefunden werden. Dieser Grund hat zweifellos das Norddeutsche Strafgesetzbuch veranlasst die Notzucht zum Antragsverbrechen zu stempeln, und seiner Einwirkung, wenn auch vielleicht Gedankens, v. L i s t S 174 verwertet diesen Gedanken für einen T e i l der Antragsverbrechen. — Nach dieser Auffassung ist zwar der Antrag streng genommen nicht materiell-rechtlicher Natur, er beweist dann aber als einziges Beweismittel ein Tatbestandsmerkmal, und man begreift, wie diese Autoren den Antrag als Voraussetzung des Strafrechts fassen können. Dass ihre Auffassung die einer lex lata sein k ö n n t e , ist i m Text gezeigt: dass sie nicht die des heutigen gemeinen Rechtes ist und dass sich insbesondere der Dualismus der v. L i s z t s c h e n Auffassung m i t diesem schlechterdings nicht verträgt (dagegen auch O l s h a u s e n zu § 61 A n m 1 a. E.), ergiebt dessen genauere Betrachtung.

. Antrag und Ermächtigung.

nicht allein, aber doch hauptsächlich, dürfte cler § 247, 1 zu danken sein7. Erst jetzt lässt sich die Darstellung des geltenden Rechtes über die schlecht, aber bequem so genannten Antrags- und Ermächtigungsverbrechen in Angriff nehmen. D. V o m A n t r a g und von der E r m ä c h t i g u n g zur S t r a f v e r f o l g u n g insbesondere. § 128.

1. Die F ä l l e der A n t r a g s - und E r m ä c h t i g u n g s verbrechen.

I. Nicht die Strafprozessordnung sondern das Strafgesetzbuch bestimmt diejenigen strafbaren Handlungen, deren Verfolgung nur auf Antrag oder mit Ermächtigung stattfinden darf. Das Norddeutsche Strafgesetzbuch war auch nicht gemeint durch Aufnahme der einschlagenden Bestimmungen der noch ausstehenden gemeinen Prozessordnung vorzugreifen. In allen deutschen Staaten ausser in Hamburg befanden sich auch vordem die Satzungen über die Antragsverbrechen in den Strafgesetzbüchern 1. II. Das GB enthält allgemeine Bestimmungen über den Antrag in § 61—65; im übrigen bemerkt es bei den einzelnen Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen, ob und wie weit ihre Verfolgung vom Antrag abhängig sein soll. Diese kasuistische Art hat den Vorzug der Deutlichkeit. Das Offizial-Princip bildet die Regel ; die Ausnahme bedarf ausdrücklicher Bestimmung: in dubio ist gegen die Ausnahme und für die unbedingte Strafverfolgungspflicht zu entscheiden. Behandelt das Gesetz ein Verbrechen in mehreren Paragraphen oder in einem Paragraphen mit mehreren Absätzen, so ist die wichtige Auslegungsregel zu beachten, dass der Satz: „die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein", oder wie er sonst lautet, stets nur auf den Teil der strafbaren Handlung zu beziehen ist, der vor diesem Satze steht 2 . 7 T h o m s e n a. a. 0 . S 201 w i l l folgendes Prinzip als allgemein maassgebend aufstellen: „ W e n n das Staatsinteresse an der Verfolgung der Straftat geringer ist als ein berechtigtes Privatinteresse an cler Nichtverfolgung, dann, aber auch nur dann, ist das Antragsrecht zu statuiren." 1 Doch stehen i m Ges betr. das Urheberrecht vom 11. Juni 1870 die Bestimmungen über den Antrag i m Abschnitte über das Verfahren. — Ueber die A n tragsvergehen vor dem Reichstage des Nordd. Bundes s. oben S 73 ; über die Aenderungen auf diesem Gebiete durch das Gesetz vom 26. Febr. 1876 s. oben S 92 if. 2 So richtig R e b e r S 12. 13. Der einzig zweifelhafte F a l l ist der des § 293, weil dieser nur eine f a k u l t a t i v e Strafschärfung für den Tatbestand des § 292

608

. Antrag und Ermächtigung.

III. 1. Nach dem Reichsstrafgesetzbuche sind sog. Antragsdelikte : ,a. V e r b r e c h e n und Ver gehen be g an g en von Deutsche η im A u s l a n d e , w e l c h e nach ausländischem Gesetze n u r auf A n t r a g des V e r l e t z t e n v e r f o l g t w e r d e n dürfen, sofern sie nicht unter GB § 4 Nr 1 u. 2 fallen: GB § 5 Nr 3. Es versteht sich, dass dieser Satz auf im Auslände von Deutschen begangene Uebertretungen gleichfalls Anwendung findet, falls sie nach deutschem Gesetze bestraft werden dürfen (GB § 6). b. Folgende einzelne V e r b r e c h e n : 1. feindliche Handlungen nach Analogie der §§ 81—84 gegen befreundete Staaten § 102; 2. täuschende Verleitung zum ausserehelichen Beischlaf § 179; 3. Entführung einer Frauensperson wider ihren Willen um sie zur Unzucht zu bringen § 236; 4. der qualifizirte Diebstahl der §§ 243 u. 244 unter der Voraussetzung des § 247, 1. c. Folgende einzelne V e r g e h e n : 1. feindliche Handlungen nach Analogie der §§ 85 und 86 gegen befreundete Staaten § 102; 2. Beleidigung nichtdeutscher Landesherren oder Regenten § 103; 3. Beleidigung von in Deutschland beglaubigten Gesandten oder Geschäftsträgern § 104; 4. Hausfriedensbruch § 123, 1; 5. Eheschliessung unter arglistiger Verschweigung gesetzlicher Ehehindernisse § 170; 6. Ehebruch § 172; 7. Verführung eines noch nicht sechzehnjährigen unbescholtenen Mädchens zum Beischlaf § 182; 8. Beleidigung § 185. 186. 187, vgl. § 194; 9. Beschimpfung Verstorbener § 189; 10. die leichte vorsätzliche und alle fahrlässige Körperverletzung, wenn nicht mit Uebertretung einer Amts-, Berufs- oder Gewerbepflicht begangen, § 223. 230, 1, vgl. § 232 3 ; 11. Entführung einer Frau wider ihren Willen um sie zur Ehe zu bringen § 236; 12. Entführung minderenthält und weil es den Anschein gewinnt, als sei § 293 nur aus Rücksichten auf eine gelenkere Redaktion nicht i n § 292, 1 aufgenommen worden. N i c h t ohne Schein des Grundes sagt M e r k e l bei H H I I I 841: „ I m übrigen lehnt sich § 293 an den vorhergehenden derart an, dass er jeder Selbständigkeit entbehrt." Nichtsdestoweniger ist das Jagdvergehen des § 293 n i c h t für ein relatives Antragsvergehen zu halten unci zwar aus zwei Gründen nicht. 1. N i c h t nur § 293, sondern auch § 294 schärft Fälle des § 292. Die Absicht des Gesetzes geht also schon i n § 293 zweifellos auf Aufstellung einer geschärften Unterart. 2. I m Zweifelfalle ist stets die Antragsqualität zu verneinen. Theorie und Praxis sind über diesen Punkt sehr geteilter Ansicht. Siehe O l s h a u s e n 1. A u f l . zu § 293 A n m 5. Der richtigen Ansicht R G I vom 23. J u n i 1881 ( Ε I V 330 ff.). 3 Soweit bei der Beleidigung und bei der Körperverletzung Privatklage erhoben w i r d (StPO § 414), hören sie auf Antragsvergehen zu sein. S. aber unten S 614.

§ 128.

1. Die Fälle d. Antrags- u. Ermächtigungsverbrechen.

609

jähriger Mädchen mit ihrem Willen § 237; 13. Diebstahl, 14. Unterschlagung und 15. Betrug begangen gegen Angehörige u. s. w. § 242, 243, 247 u. 263; 16. Verinögensveräusserungen bei drohender Zwangsvollstreckung § 288; 17. Entwendung der eignen oder einer fremden Sache zu Gunsten des Eigentümers § 289; 18. unberechtigtes Jagen seitens Angehöriger des Berechtigten § 292; 19. Eröffnung verschlossener Briefe oder verschlossener Urkunden § 299 ; 20. unbefugte Offenbarung von Privatgeheimnissen durch Rechtsanwälte u. s. w. § 300 ; 21. Verpflichtung Minderjähriger in gewinnsüchtiger Absicht und unter Benutzung ihres Leichtsinnes u. s. w. § 301. 302; 22. Sachbeschädigung § 303. d. Folgende einzelne U e b e r t r e t u n g e n : 1. Entwendung von Xahrungs- oder Genussmitteln zum alsbaldigen Verbrauche § 370 Nr 5 ; 2. Entwendung von Futter um das Vieh des Bestohlenen damit zu füttern § 370 Nr 6. 2. Nach den b e s o n d e r e n Strafgesetzen des Reichs t r e t e n dazu a. die strafbaren Verletzungen der Urheber- und Erfinderrechte. Und zwar 1. der Nachdruck 4; 2. die widerrechtliche Aufführung von dramatischen, musikalischen und dramatisch-musikalischen Werken 5 3. die widerrechtliche Nachbildung von Werken der bildenden Kunst, 4. der Photographie, 5. von gewerblichen Mustern oder Modellen6; 6. die unberechtigte Verwendung von Waarenzeichen7 ; 7. die Patentverletzungen 8 . b. Die zwei Antrags-Uebertretungen des Pressgesetzes vom 7. Mai 1874 § 10. 11. 19. c. Die Antragsdelikte der Seemannsordnung und zwar 1. das Verschwinden des geheuerten Schiffsmannes um sich dem Antritte oder 2. um sich der Fortdauer des Dienstes zu entziehen § 81, 1 u. 2; 3. die gröbliche Dienstpflichtverletzung des Schiffsmannes § 84. d. Nach dem Zollkartell mit Oesterreich vom 28. Mai 18819 § 17 hat jeder der vertragenden Teile die Uebertretungen der Zollgesetze des anderen Teiles auf Antrag einer zuständigen Behörde desselben bestrafen zu lassen10. 4

5 Ges betr. das Urheberrecht vom 11. Juni 1870 § 27. 45. Das. § 56. Urhebergesetze vom 9. Jan. 1876 § 16, vom 10. Jan. 1876 § 9, vom 11. Jan. 1876 § 14. 7 Gesetz über Markenschutz vom 30. Nov. 1874 § 14. 8 Patentgesetz vom 25. M a i 1877 § 34. 9 G B l 1881 S 137. Vgl. den früheren Zollkartell v o m ' l ö . Dez. 1878 § 17. 10 Das dazu ergangene Strafgesetz vom 17. J u l i 1881 wiederholt das Antrags6

Binding, Handbuch. V I I . 1. I : B i n d i n g , Strafrecht. I .

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610

. Antrag und Ermächtigung.

e. Das Vergehen des UnfallVersicherungsgesetzes vom 6. Juli 1884 § 107. Alle Antragsdelikte der Sondergesetze sind Vergehen ; nur die der SeemO § 81, 1 und des Pressgesetzes § 10. 11 sind lediglich Uebertretungen. 3. Dagegen erklärt das M i l i t ä r s t r a f r e c h t die Verfolgung militärischer Verbrechen und Vergehen mit Recht ganz „unabhängig von dem Antrage des Verletzten oder einer andern zum Antrage berechtigten Person". MGB § 51, vgl. § 127. IV. Sog. E r m ä c h t i g u η g s v e r g e h e η sind nur die Beleidigungen wider 1. einen Bundesfürsten ausser dem Falle des § 95: GB § 99; 2. den Regenten eines Bundesstaates ausser dem Falle des § 97: GB § 101; 3. endlich wider politische Körperschaften: GB § 197. Es ist beim Rückblick auf die Antragsverbrechen auffallend, dass bald das ganze Gattungsverbrechen, bald nur ein Teil desselben in seiner Verfolgung von dem Antrage abhängt. Reber unterscheidet danach a b s o l u t e und r e l a t i v e Antragsverbrechen 11 : ich werde statt dessen zwischen v o l l s t ä n d i g e n und te i l weis en Antragsverbrechen scheiden12. Letztere erklären sich entweder daraus, dass beim ungeschärften Verbrechen die Verfolgung der Verletzung Angehöriger an den Antrag geknüpft wird, oder aber, dass geschärfte Unterarten des Gattungsverbrechens der Offizialverfolgung überwiesen sind: ja ausser bei Beleidigung, Diebstahl und Unterschlagung gilt die Regel, dass die geschärfte Unterart nie an der Eigenschaft des Antragsverbrechens Teil nimmt. V. Wo nun die Verfolgung eines Delikts von Antrag oder Ermächtigung abhängig gemacht ist, bezieht sich dies gleichmässig auf die Strafklage wegen Versuchs wie wegen Vollendung, wegen Täterschaft wie wegen Anstiftung und Beihilfe 13 . § 129. 2. D i e j u r i s t i s c h e N a t u r des A n t r a g s , der E r m ä c h t i g u n g , des A n t r a g s - und E r m ä c h t i g u n g s r e c h t e s , sowie des Rechts zur Rücknahme des Antrags. I. Der leidige Kampf über die juristische Natur des Strafantrags erreicht sein Ende mit der scharfen Scheidung von Strafrecht und erforderniss nicht ausdrücklich, bezieht sich aber auf die §§ 12 ff. des erwähnten Kartells. 11 S 10. Die Terminologie ist fast allgemein angenommen. 12 Teilweise Antragsvergehen s. beispielsweise i n § 123. 232. 247. 263. 292. 303. 13 Ueber die Begünstigung von Antrags verbrechen, die nie selbst Antragsvergehen ist, s. Normen I I 568 ff.

§ 129.

2. Juristische Natur des Autrags u. s. \v.

611

Strafklagrecht, die mit cler Scheidung von Voraussetzungen des Strafrechts und von Prozess- bez. Urteils Voraussetzungen Hand in Hand gehen muss1. Schon allein der Umstand, dass der Antrag nicht zur Zeit der Verbrechensbegehung gestellt werden kann, beweist zur Genüge, dass er ebensowenig wie die .Ermächtigung das Straf recht mitbegründen, dass er mit andern Worten nicht als Teil des verbrecherischen Tatbestandes betrachtet werden darf. Mit unmissverstehbarer Deutlichkeit bezeichnet auch das gemeine Recht den Antrag wie die Ermächtigung als Voraussetzungen der „Verfolgung", somit als Strafklag- und somit als Strafprozessvoraussetzungen 2 . 1. Am vollständigsten kommt dieser Gedanke in dem Gesetz betr. das Urheberrecht vom 11. Juni 1870 § 27 zum Ausdrucke: „Das gerichtliche Verfahren ist nicht von Amtswegen, sondern nur auf den Antrag des Verletzten einzuleiten." Der Klagerhebung ex officio ist 1

Folgende Anschauungen stehen einander gegenüber: I. Der Antrag bedingt das Strafrecht, das demgemäss erst m i t seiner Stellung entsteht: v. K a l b , GS 1872 S 85; ν. S p e c h t , GA X I X 240; S p i n o l a , das. S 378; v. R ö n n e , das. S 438 ff.; v. B a r , das. S 641 ff. 713 ff. (s. bes. S 644. 645); v o m S a n d e , das. X X I 426 ff; R e b e r S 57 ff; K o h l e r , Patentrecht S 510. 556; v. K i r c h e n h e i m S 65; G e y e r , Grundriss I 205. 206. — Diese Ans. ausdrücklich abgewiesen vom R G I I I vom 17. A p r i l 1880 (Rspr I 616); R G I vom 12. J u l i 1880 (E I I 221 ff); R G I I vom 4. A p r i l 1882 (E V I 162). I I . Das Strafrecht entsteht durch das D e l i k t , aber die Verfolgung des A n tragsvergehens ist bedingt: H e i n z e , Verhältniss S 67; N e s s e l S 9 ff.; K o c h , GA X I X 164. 165; P a p e , StRZ 1872 S 217 ff; S o n t a g , K r V X I X 1877 S 2 4 ; S a m u e l y , GS 1880 S 19; ν. K r i e s , Ζ f. S t R W V 10. 11; L e h m a n n , Z u r Lehre vom Strafantrag S 10 ff., bes. S 16; O p p e n h o f f zu § 61 A n m 2 ; B e r n e r § 165. 176; M e y e r S 369 (gerade umgekehrt S 371). — Dieser Standpunkt ist auch der des Reichsgerichts, ausgesprochen i n einer grossen Z a h l von Urteilen. I I I . Der Antrag bedingt die Strafverfolgung, hat aber zugleich materiell-rechtliche Bedeutung: H ä l s c h n e r , GA X I X 367 ff. (vgl. D. StR I 711); K l e b s , das. S 576; F r a n c k e , das. X X 22; S c h ü t z e , Lehrbuch S 168 A n m 6 ; F u c h s , A n klage S 33 ff. (ein Recht prozessualer Natur m i t materiell-rechtlichen Folgen); B i n d i n g , Normen I 19 ff.; D o c h o w bei H H I V 242 — 245; v. S c h w a r z e , Kommentar zu § 61 A n m 1 ; O l s h a u s e n zu § 61 A n m 1. 54. Diese mittlere Auffassung ist nicht frei von Unklarheit. I V . Der Antrag bedingt i n einer Anzahl von Fällen das Strafrecht, i n einer Anzahl anderer nur das Verfolgungsrecht: v. L i s z t , Lehrbuch S 174 ff. 2 Den eigentümlichen Begriff der Klagvoraussetzungen als der „Voraussetzungen des Anspruchs auf die Wirkungen des bejahenden Sachurteils", wie i h n W e i s m a n n , Hauptintervention. Leipzig 1884. S 86. 87 aufstellt, kann ich nicht annehmen.

39*

612

. Antrag und Ermächtigung.

hier die durch den Antrag bedingte, der unabhängigen Verfolgungdie vom Antrag abhängige entgegengesetzt3. Aber auch das Gesetzbuch spricht ebenso gleichförmig wie unmissverstehbar von dem „zur V e r f o l g b a r k e i t der Handlung nötigen Antrag* des Verletzten" 4, von der „ V e r f ο 1 g u η g, die nur auf Antrag 5 (oder auf Ermächtigung 6) eintritt", von dem gerichtlichen Verfahren, das auf den Antrag hin stattfindet 7 8 . 2. Daraus allein erklärt sich auch die schon im Norddeutschen Strafgesetzbuch § 64 befindliche, also längst vor der deutschen Strafprozessordnung erlassene Bestimmung, dass die Rücknahme des Antrags, die ja zulässig war bis zur Verkündung eines auf Strafe lautenden Urteils, nicht die Freisprechung, sondern die „Einstellung des Verfahrens" bewirken sollte. Diese Bestimmung enthüllt deutlich, dass der Gesetzgeber den Mangel des Antrags keineswegs als Mangel des Tatbestandes, sondern als mangelnde Prozessvoraussetzung und somit als Hinderniss für das Urteil in der Sache selbst betrachtete9. 3. Diesen Gedanken hat die gemeine Strafprozessordnung nicht nur festgehalten, sondern systematisch durchgeführt. Bei Antragsverbrechen ist schon vor Stellung des Antrags vorläufige Festnahme und Erlass des Haftbefehls wider den Verdächtigen zulässig (StPO § 127. 130) 10 , und das Urteil am Schluss der Hauptverhandlung muss nach § 259 auf Einstellung des Verfahrens lauten, wenn „der erforder3 S. auch M G B § 51 : „ D i e Verfolgung eines militärischen Verbrechens oder Vergehens ist unabhängig von dem Antrage des Verletzten." Hier wie im Urhebergesetz lässt die Fassung darüber keinen Zweifel, dass auch der Gesetzgeber den Antrag nicht als Tatbestandsmerkmal ansieht. 4

GB § 5 A n m 3. GB § 61. 102. 103. 104. 123. 170. 172. 179. 182. 189. 194. 232. 236. 237. 288. 289. 292. 299. 300. 301. 302. 303. 370 N r 5 u. 6. Ebenso i n den oben S 609 u. 610 angeführten besonderen Strafgesetzen. 6 GB § 99. 101. Ganz ähnlich § 197: . . . „ d a r f jedoch nur mit Ermächtigung der beleidigten Körperschaft verfolgt werden." 7 So GB § 63. 8 W e n n zweimal, GB § 63 und Urhebergesetz vom 11. Juni 1870 § 27 und 35, der A n t r a g auf Verfolgung ein Antrag auf Bestrafung oder ein Strafantrag genannt wird, so findet sich diese kleine Ungenauigkeit, deren relative Berechtigung unten s. I I erhellen w i r d , stets nur da, wo vorher m i t der grössten Deutlichkeit der A n t r a g als StrafklagvorausSetzung bezeichnet wurde. 9 Ders. Ans. R G I I vom 4. A p r i l 1882 (E V I 163). 10 Deshalb sagt J o h n , Strafprozessordnung I 906 mit Recht, Antragsdelikt sei ein solches Delikt, bei welchem nicht die Verfolgung, wohl aber die Erhebung der Klage erst nach dem Antrag statthaft sei. — Vgl. auch T e s s e n d o r f , GA X X I 332 if. 5

§ 129. 2. Juristische Natur cles Antrags u. s. \v.

613

liehe Antrag nicht vorliegt oder wenn der Antrag rechtzeitig zurückgenommen ist" 1 1 . Die Einstellung bedeutet die Unzulässigkeit der Begründung des Prozessrechtsverhältnisses : der Antrag ist also zweifellos Prozessvoraussetzung. 4. Wie lange diese Prozessvoraussetzung in dem trotz ihres Mangels begonnenen Prozesse nachgeholt werden kann, soll erst unten bei der Lehre von der Antragsfrist erörtert werden. II. Das Strafgesetzbuch bezeichnet die Antragsstellung bei den Antragsverbrechen als R e c h t s a u s ü b u n g ; es spricht von einem „Rechte des Antrags" 12 und von dem zum Antrage Berechtigten 13. Diese Bezeichnungen sind zutreffend 14. Dieses ö f f e n t l i c h e Recht i s t 1. k e i n Recht a u f E r h e b u n g der S t r a f k l a g e s c h l e c h t h i n 1 5 und noch w e n i g e r auf V e r u r t e i l u n g . Denn der Antrag verpflichtet den Staatsanwalt nicht schlechtweg zur Klage und der etwa nach Abhaltung der Schlussvorträge gestellte Antrag das Gericht nicht zur Verurteilung. Wohl aber bedeutet der Antrag stets den W u n s c h nach Strafe; und das Antragsrecht wird zu dem Zwecke gewährt den Schuldigen zur Bestrafung bringen zu können. Aber es ist kein Recht auf Strafe 16 ; 2. noch w e n i g e r aber ein Recht d u r c h die U n t e r lassung des A n t r a g s die E r h e b u n g der ö f f e n t l i c h e n K l a g e und das U r t e i l i n der Sache s e l b s t zu h i n d e r n 1 7 . Diese Auffassung ist die Umkehrung der gesetzlichen. Letztere geht darauf, dass die Strafverfolgung vom Antrage, nicht aber, dass die Klagunterlassung von der Unterlassung des Antrags abhängig ist. Ein Recht den Staatsanwalt an der Klage zu hindern ist nur denkbar wider den klaglustigen Kläger. Ohne Antrag denkt aber der Staatsanwalt vielfach gar nicht an Klagerhebung. Endlich würde dem Hinderniss eine Beschwerde über erhobene Anklage entsprechen: da11

Es versteht sich, dass diese Satzung auf die Ermächtigungsverbrechen analog anzuwenden ist. 12 GB g 62. 65, 2 u. 3. 13 GB § 61. 62; vgl. § 65, 1. M G B § 51. Urhebergesetz v. 11. Juni 1870 § 35. 14 And. Mein. T h o n , Rechtsnorm S 138. 15 Unrichtig R e b e r S 164; nicht richtiger T h o n a. a. 0 . S 138. 16 S. auch RG I vom 3. März 1881 (E I I I 387). 17 So H ä l s c h n e r , GA X I X 366 ff.; T h o m s e n a. a. 0 . S 196; M e d e m , GS 1877 S 518. S. auch R G I vom 3. März 1881 (E I I I 387) und R G Plen. vom 2. Jan. 1884 ( Ε I X 393). — Es ist dies auch die Auffassung F r a n c k es bei G A X X 36, der den Antrag eine straferhaltende Tatsache, die Unterlassung des A n trags einen Strafaufhebungsgrund nennt. S. auch R e b e r S 22. Dagegen F u c h s , Anklage S 30.

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. Antrag und Ermächtigung.

gegen hat sich nach StPO § 169 ff. der Staatsanwalt gegenüber dem Antragsteller zu verantworten, wrenn er n i c h t klagt; der Antragsberechtigte aber kann sich nur beim vorgesetzten Staatsanwalt über die Klagunterlassung beschweren, eventuell sogar den gerichtlichen Beschluss, es sei die öffentliche Klage zu erheben, herbeiführen. Von einer Beschwerde des Antragsberechtigten über ohne Antrag erhobene Klage findet sich keine Spur; 3. dagegen a l l e r d i n g s e i n Recht auf K l a g e r h e b u n g seitens des S t a a t s a n w a l t e s für den F a l l , dass die ü b r i g e n K l a g v o r a u s s e t z u n g e n , i n s b e s o n d e r e genügender V e r dacht der T a t gegen eine b e s t i m m t e Person v o r h a n d e n sind. Der Antrag ist nur eine der Klagvoraussetzungen, nicht die einzige. Seine Bedeutung tritt deshalb nur in den Fällen klar an den Tag, wo die übrigen erforderlichen Prozessvoraussetzungen vorliegen: dann aber wirkt der vom Berechtigten formell giltig und rechtzeitig gestellte Antrag die Klagpflicht des Staatsanwaltes, der nachgebrachte Antrag die Pflicht des Gerichtes zum Sachurteil. Der Antragsberechtigte als Privater hat also ein Recht gegen den Gerichtsherrn, dass dieser den staatlichen Strafanspruch klagweise geltend mache. D a r i n l i e g t die ganze A n o m a l i e der E i n r i c h t u n g . Das Strafrecht ist auch bei den Antragsverbrechen dem Staate zuständig, das Strafklagerecht fehlt ihm: ein Privater hat die Macht dies Recht zu erzeugen, ja die Klagerhebung zu erzwingen; das staatliche Straf klagerecht existirt also von der Gnade des Verletzten und nur kraft seines Willens. Daraus erhellt, dass die teilweise Verwandlung der Antragsvergehen in Fälle der Privatklage (StPO § 414) nur eine Weiterführung des dem Antragsrechte zu Grunde liegenden Gedankens bedeutet. Dann wäre es aber richtiger dem Staate die Strafklage ganz zu nehmen und alle Antragsvergehen cler Privatklage zu überweisen. Lässt man freilich dem Staate das Strafrecht, nimmt ihm aber das Verfolgungsrecht, so liegt auch darin ein eklatanter Widerspruch, und so rechtfertigen sich Privatklage und Strafantrag nur da, wo auch der Privatstrafe ein Platz eingeräumt wird 1 8 . III. In den wenigen Fällen cler Ermächtigungsverbrechen spricht das Strafgesetzbuch von einem Ermächtigungsrechte nicht ausdrücklich. Die Wirkung der Ermächtigung ist aber genau die gleiche wie die Wirkung des Antrags bei Vorhandensein der übrigen Voraussetzungen : das staatliche Strafklagrecht und die staatliche Verfolgungspflicht 18 Sehr richtig schon K ö s t l i n , StR I 709.

System I 513.

S. auch H ä l s c h n e r ,

P.

§ 130. 3. Inhaber des Antrags- u. Ermächtigungsrechts.

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entstehen durch den einen wie durch die andere. Der einzige Unterschied besteht darin, dass bei den Ermächtigungsverbrechen der öffentliche Kläger seine Neigung zu klagen und damit seine Ueberzeugung, die übrigen Prozessvoraussetzungen seien vorhanden, dem Beleidigten aus eigener Initiative erklärt und diesen somit zur Erzeugung des Strafklagerechts auffordert. Die Ermächtigung ist ein vom Staatsanwalt zu provozirender und provozirter Antrag. Die Zeitfolge der Willenserklärungen des Staatsanwalts und des Verletzten ist nur bei den Ermächtigungsverbrechen die umgekehrte wie bei den Antragsvergehen. So giebt es auch ein Ermächtigungsrecht, und dies ist wie das Antragsrecht ein Recht zur Erzeugung der staatlichen Verfolgungspflicht. Uebrigens kann der zur Ermächtigung Berechtigte zweifellos auch selbst den Anstoss zur Strafverfolgung durch einen Antrag an die zuständige Behörde geben: und dieser Antrag dürfte um so sicherer den §§ 61 ff. cles StGB zu unterstellen sein, als der Antrag gegenüber der Ermächtigung das Kleinere 19 und gar kein Grund erfindlich ist, den sogar zur Ermächtigung befugten Beleidigten schlechter zu stellen als alle anderen Beleidigten und des Antragsrechts für verlustig zu erklären. IV. Das Recht den Antrag zurückzunehmen ist ein echtes Recht des Privaten das mit seiner Hilfe zu Stande gekommene staatliche Strafverfolgungsrecht wieder zu vernichten : ein echtes Recht am Recht — freilich der allerbedenklichsten Art. Bei näherer Prüfung ergiebt sich das Recht auf Rücknahme des Antrags als ein echtes A b o l i t i o n s r e c h t : als ein Recht die Einstellung des Verfahrens zu verlangen. Dem Privaten stehen also Rechte zu, welche dem Inhaber des Strafrechts selbst versagt sind: er disponirt über staatliche Strafklagerechte. § 130. 3. D i e I n h a b e r des A n t r a g s - und E r m ä c h tigungsrechts. Die sämmtlichen Antrags- und Ermächtigungsverbrechen gleichen sich darin, dass sie ihrem Begriffe nach gerichtet sein müssen gegen subjektive Rechte oder Rechtsgüter bestimmter Menschen oder Staaten. Wenn es nun auch richtig ist, dass jedes Verbrechen seinem Wesen nach das Recht auf Botmässigkeit des Urhebers cler Norm verletzt, so steht doch nichts im Wege, dasjenige R e c h t s s u b j e k t , gegen dessen Rechte ο cler Rechts g ii te r e i n e η or m w i d r i g e H a n d 19

S. GB § 197 : „Eines Antrags bedarf es nicht" u. s. w.

616

. Antrag und Ermächtigung.

l u n g i h r e m B e g r i f f e nach gehen muss, als d u r c h das v o l l e n d e t e V e r b r e c h e n v e r l e t z t zu b e z e i c h n e n 1 . Es ist also ganz unrichtig für diese Verbrechensgruppe mit Gneist und Olsh a u s e n 2 zu behaupten, der Begriff des Verletzten widerspreche der Natur des Strafrechts und sei niemals juristisch zu begrenzen. Wer in dessen Sinne als „Verletzter" zu betrachten, das ist bei den verschiedenen Verbrechen aus deren Begriff heraus zu beantworten. Freilich passt die Bezeichnung des „Verletzten" nur auf die Fälle des vollendeten Deliktes und sie kann auf den Versuch nur in dem Sinne übertragen werden, dass als verletzt diejenigen betrachtet werden sollen, denen die Vollendung der Tat die Verletzung gebracht haben würde. Soweit das StGB auch den Versuch von Antragsverbrechen unter Strafe zieht, ist der „Verletzte" in diesem weiteren Sinne zu nehmen. Das StGB stellt bei der Regelung des Antragsrechtes seinen Inhaber nicht grundsätzlich fest, giebt aber in § 65 deutlich zu erkennen, dass es als solchen den „ V e r l e t z t e n " betrachte3. Bei einzelnen Antragsdelikten wird dann dieser Gedanke einfach wiederholt 4 oder der Antragsberechtigte genauer bezeichnet5 6 . Da das An1 Die verletzenden Reflexwirkungen einer strafbaren Handlung, der Aerger der F r a u über die ihrem Manne angetane Vergewaltigung, der Kummer des Vaters über den Ehebruch cler Tochter, das Sinken des Grundstückwertes durch nahebei wiederholt gelegte Brände oder begangene Mordtaten kommen hier natürlich nicht i n Betracht. Sehr richtig sagt R G I I vom 16. A p r i l 1880 ( Ε I 371): „Nachteile, welche nicht durch die Straftat für sich, sondern erst i n weiterer Folge aus derselben sich ergeben, können die Eigenschaft des Verletzten nicht begründen." — Deshalb ist auch nicht jedes Behördenmitgliecl verletzt, wenn das Verbrechen der Behörde als solcher gilt. Richtig BayOG vom 30. Oktober 1873 (Bayer. Entsch. I I I 459 if.). 2 Vier Fragen zur deutschen Strafprozessordnung S 47. — Kommentar (1. Aufl.) zu § 61 A n m 8. 3 Den Verletzten bezeichnet GB § 196 als den „unmittelbar Beteiligten". 4 Vgl. GB § 5 N r 3: der nach den Gesetzen des Auslandes erforderliche Antrag des Verletzten. Urhebergesetz vom 11. J u n i 1870 § 27. 28. 45. 56. Ferner die Urhebergesetze vom 9., 10. u. 11. Jan. 1876: § 16 — § 9 — § 14. 5 Der Uebersicht halber stelle ich hier die Gesetze zusammen, welche I. den A n t r a g s b e r e c h t i g t e n genau bezeichnen, somit den Begriff des Verletzten authentisch auslegen: 1. GB § 102. 103: „die auswärtige Regierung"; 2. § 104: „der Beleidigte"; 3. § 170: „der getäuschte T e i l " , d. i. der getäuschte Ehegatte; 4. § 182: „die Eltern oder der Vormund der Verführten". Ueber das Antragsrecht cler unehelichen Mutter allein s. R G I I vom 7. Dez. 1880 (E I I I 89 ff.); 5. § 189: „die Eltern, die Kinder oder cler Ehegatte des Verstorbenen" ; 6. § 195 u. 232: „sowohl die Beleidigten bez. i n ihrer Körperintegrität \ r erletzten (d. h. Ehefrauen oder unter väterlicher Gewalt stehende Kinder) als deren Ehemänner und

§ 130. 3. Inhaber

es Antrags- u. Ermächtigungsrechts.

617

tragsrecht ein Recht zu bedeutsamer Willenserklärung ist, muss es vom willensunfähigen Verletzten auf dessen Vertreter übeltragen werden 7 . Möglich ist ferner, dass neben dem willensfähigen Verletzten noch ein Anderer das Antragsrecht erhält, weil jener vielleicht noch nicht ausreichend beurteilen kann, ob der Antrag zu stellen oder zu unterlassen ist. So gliedert sich die Lehre vom Inhaber des Antragsrechts in die Lehren 1. vom Verletzten ; 2. vom allein antragsberechtigten Nichtverletzten; 3. von dem Antragsrecht sowohl des Verletzten als des Nichtverletzten. Hier wird zunächst vom V e r l e t z t e n gehandelt8. 1. Als solchen betrachtet GB § 102 bei den f e i n d l i c h e n H a n d l u n g e n gegen b e f r e u n d e t e S t a a t e n den angegriffenen Staat. Deshalb tritt die Verfolgung „nur auf Antrag der auswärtigen Regierung", also der Regierung des angegriffenen Staates ein. Von welchen Personen der Antrag als Regierungsantrag ausgehen muss, V ä t e r " ; 7. § 196 u. 232: „ausser den unmittelbar Beteiligten auch deren amtliche Vorgesetzte"; 8. § 232: s. zu 6 u. 7 ; 9. § 247 u. 263: „die Angehörigen, Vormünder oder Erzieher, gegen welche Diebstahl, Unterschlagung, Betrug verübt sind" ; 10. § 288: „der Gläubiger", der die Zwangsvollstreckung betreiben lässt. — Aus den besonderen Strafgesetzen treten dazu: 11. Zollkartell mit Oesterreich vom 23. M a i 1881 § 17: „eine zuständige Behörde" des andern Teils (d. h. Staates); 12. Urhebergesetz vom 11. Juni 1870 § 28 Abs. 1 : „die Verfolgung des Nachdrucks steht jedem zu, dessen Urheber- oder Verlagsrechte durch die widerrechtliche Vervielfältigung beeinträchtigt oder gefährdet s i n d " ; beachte § 28 Abs. 2 u. 3. — Diese Bestimmung gilt analog nach den Urhebergesetzen vom 9., 10 u. 11. Jan. 1876: § 16 - § 9 - § 14. I I . D e r z u r E r m ä c h t i g u n g B e r e c h t i g t e ist der „Beleidigte" i n GB § 99 u. 101, die „beleidigte Körperschaft" in § 197. I m Texte w i r d auf den A n trags- und Ermächtigungsberechtigten nur soweit eingegangen, als i h n die vorstehende Uebersicht nicht i n unmissverstehbarer Weise bezeichnet. 6 [zu s 616] Weder das eine noch das andere findet statt i n GB § 123. 172. 179. 194 (beachte aber 195). 232 (beachte aber al. 3 das.). 299. 300. 301. 303. 370, 5 u. 6. Ges über Markenschutz § 14. Patentgesetz § 34. SeemO § 81. 84. — I n GB § 247. 263. 292 ist cler Antragsberechtigte zwar nicht ausdrücklich, aber deutlich genug bezeichnet. 7 Ist cler Verletzte handlungsfähig und über 18 Jahre alt, so hindern i h n Beschränkungen seiner privatrechtlichen Dispositionsfähigkeit an Ausübung seines A n tragsrechts keineswegs. RG I vom 20. März 1884 ( Ε X 210 ff., bes. S 212 unten). 8 Eine systematische Darstellung des Strafrechts kann nicht an dieser Stelle tief i n die Lehre von den einzelnen Verbrechen hineingreifen und erörtern, wer der Beleidigte, der körperlich Verletzte, der i n seinen Urheberrechten Geschädigte oder der in seinem Hausrecht Beeinträchtigte und deshalb der Antragsberechtigte ist. Die Lehre vom Tatbestände cler einzelnen Verbrechen ist Sache des besonderen Teiles. Hier ist darauf zu verweisen und es bleiben nur die das Antragsrecht speciell betreffenden Fragen zu erörtern.

618

. Antrag und Ermächtigung.

ist nach dem öffentlichen Rechte des Auslandes zu beurteilen. Der Antrag des Gesammtministeriums oder des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten oder des diplomatischen Vertreters des auswärtigen Staates beim Reiche oder bei dem zur Strafverfolgung zuständigen deutschen Bundesstaate, sofern er sich von seiner Regierung als hiezu bevollmächtigt ausgiebt9, ist stets als Regierungsantrag anzunehmen, dagegen nicht der persönliche Antrag des Regenten. — Die „Reg i e r u n g " i s t , solange ein Staat ü b e r h a u p t b e s t e h t , uns t e r b l i c h : i n s o w e i t also auch der A n t r a g s b e r e c h t i g t e . 2. Bei allen B e l e i d i g u n g e n ist der Beleidigte verletzt und, soweit ihre Verfolgung an den Antrag geknüpft ist, allein antragsberechtigt 10. Dies sagt auch § 195 ganz ausdrücklich, wiederholt § 196, ebenso § 104 (Beleidigung von Gesandten). Die einzige Ausnahme von diesem Grundsatze findet sich in GB § 103. Bei cler Beleidigung auswärtiger Regenten sind nicht diese, sondern ist genau wie in § 102 nur die auswärtige Regierung zum Antrage berechtigt. Es gilt also hier das zu 1 Ausgeführte. Der T o d des B e l e i d i g ten w i r k t i n s o w e i t also n i c h t den U n t e r g a n g des Antragsberechtigten. Ist eine politische Körperschaft beleidigt worden, besonders Bundesrat, Reichstag oder ein Landtag, so steht das Recht der Ermächtigung allein ihr zu. Sie muss also über den staatsanwaltlichen Antrag formell giltigen Beschluss im Sinne der Ermächtigung gefasst haben und dieser Beschluss muss durch den Präsidenten der Körperschaft oder dessen Vertreter dem ansuchenden Staatsanwalt zugestellt sein. Das Präsidium allein kann ohne Auftrag der Versammlung die Ermächtigung nicht erteilen 11 . Diese fälschlich sog. Beleidigung politischer Körperschaften ist in Wahrheit nur eine Verletzung cler einer politischen Einrichtung als solchen zukommenden Achtung. Nicht beispielsweise der Reichstag in der jeweiligen Zusammensetzung, sondern der Reichstag als das deutsche Volk organisirt zur Teilnahme am Verfassungsleben wird „beleidigt". Soweit diese Körperschaften dauernde Einrichtungen sind, ist also der zur Ermächtigung Berechtigte unsterblich. Aus der Beleidigung wider den aufgelösten Reichstag wird der neue ermächtigungsberechtigt u. s. w. 9

Oh er General- oder Spezialvollmacht zu haben behauptet ist gleichgiltig. Ohne Vollmacht ist er aber wahrlich nicht die auswärtige Regierung. 10 Somit nicht die Firma, wenn die Mitglieder einer offenen Handelsgesellschaft beleidigt sind: R G I I I vom 31. Jan. 1880 ( Ε I 178. 179). 11 Interessant RG I I I vom 14. Dez. 1882 ( Ε V I I 382 ff.: Ermächtigung des Bundesrates). S. oben A n m 1.

§ 130. 3. Inhaber

es Antrags- u. Ermächtigungsrechts.

619

Ist aber die Körperschaft als Einrichtung untergegangen vor eingeholter Ermächtigung, so ist die Beleidigung unverfolgbar geworden 12. 3. Bei der K ö r p e r v e r l e t z u n g ist Verletzter im Sinne des GB § 65 allein der Misshandelte oder in seiner Gesundheit Beschädigte, nicht etwra Jeder, cler in Folge dieser Schädigung an seinem Vermögen Schaden gelitten hat. 4. Eigentümliche Schwierigkeiten entstehen beim H a u s f r i e d e n s b r u c h , und zwar deshalb, weil derjenige, gegen dessen rechtlich wirksames Verbot der Friedbrecher in die fremde Wohnung eindringt oder darin verweilt, nicht notwendig der Verletzte zu sein braucht 13 . Verletzt ist allein derjenige, dessen Wille von Rechtswegen die Wohnung, den Geschäftsraum, das befriedete Besitztum oder die zum öifentlichen Dienste bestimmten abgeschlossenen Räume für dritte Personen zu schliessen oder zu öffnen hat: der Eigentümer des von ihm und seiner Familie ausschliesslich bewohnten Hauses, der Miether der Wohnung, der Pächter des Grundstücks, der Geschäftsherr bezüglich des Geschäftsraumes, die Universität bezüglich ihrer Lehrräume, das Direktorium bezüglich einer Schule. Allein cler Inhaber dieser Befugnisse kann sie gar nicht genügend in Person geltend machen : sie dulden nicht nur, sie fordern häufig eine Ausübung durch B e v o l l m ä c h t i g t e , etwa den Haus- oder Guts-Verwalter, die Frau oder Söhne des Hauses, den einzelnen Lehrer der Hochschule, durch B e a u f t r a g t e , etwa die Bediensteten, die befehligt sind Bettler und Hausirer abzuweisen, ja d u r c h n e g o t i o r u m g e s t o r e s , etwa den Gast des Hauses, der dem präsumtiven Willen des Hausherrn Ausdruck giebt und dessen Zustimmung nachträglich erhält. Alle diese Personen handeln im Namen, weil aus dem Rechte des Hausherrn, und was ihnen widersteht, wird, von seltenen Fällen der bona fides abgesehen, mindestens des dolus eventualis nicht ermangeln. Sie alle aber haben kein selbständiges Dispositionsrecht über den Raum, dessen Frieden gebrochen worden ist: v e r l e t z t i s t also a l l e i n der oder s i n d die I n h a b e r dieses Rechtes. 5. Von den V e r m ö g e n s v e r b r e c h e n sind: a. bezüglich des Verletzten ganz zweifellos alle diejenigen gleich zu behandeln, welche i h r e m B e g r i f f e nach Angriffe wider fremde Sachen sind. Das Gesetz charakterisirt sie als E i g e n t u m s v e r l e t z u n g e n , und wenn nicht mit diesem Angriffe noch andere Verletzungen b e g r i f f l i c h konkurriren, so giebt es keinen andern Ver12 13

Richtig O l s h a u s e n zu § 197 A n m 4 (1. Aufl.). S. schon F u c h s , Anklage S 91; R e b e r S 360 if.

620

. Antrag und Ermächtigung.

letzten als den E i g e n t ü m e r der Sache zur Z e i t der T a t 1 4 1 5 . Diese Gruppe wird gebildet durch die U n t e r s c h l a g u n g , den D i e b s t a h l 1 6 , die Wegnahme von V i e h f u t t e r w i d e r W i l l e n des E i g e n t ü m e r s um dessen Vieh zu füttern und die Sachbeschäd i g u n g , soweit sie Antragsvergehen sind 17 . Es giebt de lege lata keinen grösseren Widerspruch als bei der Unterschlagung eines Faustpfandes nur den Eigentümer, bei der Beschädigung desselben den Eigentümer und den Faustpfandgläubiger, vielleicht sogar auch denjenigen der ein persönliches Recht an der Sache hat oder endlich Alle, die an der Erhaltung der Sache rechtlich interessirt sind, als verletzt zu betrachten 18. Die genannten strafbaren Handlungen gehören gleichmässig zu den sog. Vermögensverbrechen: es liegt somit die Versuchung nahe — dann aber bei allen gleich nah ! —, jeden dadurch in seinem Vermögen Beschädigten als Verletzten zu bezeichnen. Ein solcher Standpunkt wenigstens wäre frei von allen Widersprüchen, wenn auch unhaltbar. Denn nach heutigem Rechte handelt es sich weder bei Diebstahl noch bei Unterschlagung noch bei Sachbeschädigung w e s e n t l i c h um Vermögensbeschädigung, sondern allein wesentlich um Angriffe auf fremdes Eigen: der nach den Anschauungen des Civilrechts Geschädigte und der nach der gesetzlichen Verbrechensauffassung Verletzte fallen eben nicht zusammen19. 14 Mein. Ans. nach w i r d der bonae fidei possessor kriminalistisch allen andern Personen als dem Eigentümer gegenüber als Eigentümer behandelt. 15

Bei fortgesetzten Diebstählen, Unterschlagungen, Sachbeschädigungen ist ein Wechsel dieser Person möglich. Dann entsteht eine Mehrzahl Verletzter. 16

Ob beim Diebstahl auch der Detentor Verletzter ist, darüber alsbald. GB § 247. 803. 370, 5 u. 6. 18 Die Anhänger dieser Ausdehnung der Antragsberechtigung i n den Fällen des § 303 teilen sich wieder i n drei Lager (!). 17

19

Es herrscht hier ein ungesundes Treiben, das nach zwei Richtungen drängt : 1. den strafrechtlichen die civilen Gesichtspunkte unterzuschieben und 2. Erwägungen de lege ferenda zur lex lata zu stempeln. Diese Bewegung ist um so seltsamer, als sie sich vom Gebiete des Diebstahls und der Unterschlagung fast vollständig fern hält (s. aber unten sub l a ) , um auf dem der Sachbeschädigung um so tiunultuarischer aufzutreten. ad 1. N u r der Aufzeigung, nicht der Widerlegung bedarf die Fälschung der kriminellen durch die vom Strafgesetze reprobirten civilistischen Betrachtungsweisen, a. So bemerkt R ü d o r f f - S t e n g l e i η zu § 247 A n m 2 b : „als Verletzter ist derjenige anzusehen, welcher eine Vermögenseinbusse unmittelbar erlitten hat" (das dabei citirte R O H G vom 7. Febr. 1873, StRZ I I I 349 if., enthält diesen Satz m i t nichten, und das Gericht vernichtete gerade, weil nur derjenige zum Antrage berechtigt sei, „dessen E i g e n t u m s interesse unmittelbar verletzt ist"). Damit stimmt nicht, wenn gleich darauf beim Diebstahl nur cler Eigentümer als antragsberechtigt

§ 130.

3. Inhaber

es Antrags- u. Ermächtigungsrechts.

621

Wer insbesondere bei der Sachbeschädigung dem dinglich Berechtigten das Antragsrecht giebt, müsste es ihm auch gewähren wider den schädigenden Eigentümer. § 303 erfordert aber als Objekt eine fremde Sache. Und in dieser Sache verletzt ist nur ihr Eigentümer 2 0 . bezeichnet wird. Ganz vag aber ist die Bemerkung, bei der Veruntreuung sei „ i n der Regel" der Anvertrauer, nicht aber derjenige, an den abgeliefert werden solle, „der Beschädigte". Wenigstens konsequent S c h ü t z e S 446 A n m 17: der „ A n vertrauer" sei der Verletzte und bei der einfachen Unterschlagung „der zum Gewahrsam Berechtigte". — b. Bei der Sachbeschädigung soll jeder verletzt oder antragsberechtigt sein, der «. an der Erhaltung der Sache ein rechtliches Interesse hat (z. B. auch derjenige, der für die Wiederherstellung des angeschossenen Hundes zu sorgen h a t : s. den F a l l i n R G I I I vom 22. Juni 1881): so N e s s e l S 2 9 ; S c h ü t z e S 498 A n m 5 ; R ü d o r f f - S t e n g l e i n zu § 303 A n m 9 ; O p p e n h o f f zu § 303 A n m 16; S c h w a r z e zu § 303 A n m 1 4 ; — ß. nur diejenigen ausser den dinglich Berechtigten, welche „ a n der Sache ein p e r s ö n l i c h e s Recht haben" (sie!): so O l s h a u s e n zu § 303 A n m 15; so der Sache nach R G I I I vom 22. Juni 1881 ( Ε I V 326 if.); so wohl auch R u b o zu § 303 A n m 8 und M e r k e l bei H H I I I 854. — Das Antragsrecht haben also n i c h t : 1. die nur ein persönliches Recht besitzen die Sache zu gebrauchen (a. Mein. RG I I I vom 12. März 1880, Ε I 306); 2. nicht die Leiher, Miether, Pächter der geschädigten Sache (a. Mein. RG vom 22. Juni 1881, Ε I V 326; BayOG vom 18. Aug. 1876 bei St V I 370 if.; O T r vom 5. Febr. 1879 bei Ο X X 64; vgl. dazu aber O T r vom 5. Juni 1878 bei Ο X I X 301. 302. ad 2. W e i t bedeutsamer ist der Versuch das unvollkommene Gesetz durch Auslegung zu korrigiren. Der Schutz, den § 289 den dinglichen Rechten an fremder Sache gewährt, ist i n jeder Beziehung ungenügend. Ihre Inhaber entbehren jedes selbständigen kriminellen Schutzes wider Diebstahl, Unterschlagung und Sachbeschädigung begangen an ihren Pfandobjekten u. s. w. Sind die Diebstähle, Unterschlagungen und Sachbeschädigungen Antragsvergehen und der Eigentümer unterlässt den Antrag, so ist cler F a l l eben einfach unverfolgbar. Dies ist allerdings tief zu bedauern, berechtigt aber in keiner Weise den § 289 nun plötzlich dadurçh zu erweitern, dass man die dinglich Berechtigten zu den Antragsberechtigten der §§ 247, 303 und 370, 5 stellt, noch viel weniger aber, dies bezüglich der Unterschlagung zu unterlassen, bezüglich der Sachbeschädigung aber zu tun (so vor allem v. B a r , GA X I X 648; O l s h a u s e n zu § 303 A n m 15), obgleich diese i n § 303 gerade so wesentlich Eigentumsverbrechen ist wie die widerrechtliche Aneignung. 20

Vgl. die guten Ausführungen von H e r z o g , GS 1874 S 202 ff., bes. S 209 bis 213. 226 if. — Ders. Ans. R e b e r S 401; M e y e r S 363 A n m 15; v. L i s z t S 175. W e n n es i n R G I I I vom 22. J u n i 1881 ( Ε I V 327) heisst: „denn die Sachbeschädigung ist ihrem Wesen nach Eigentumsdelikt, als verletzt kann daher (!) neben dem Eigentümer nur ein solcher Berechtigter angesehen werden, dessen Rechte durch die Sachbeschädigung unmittelbar verletzt worden sind", so ist das ein schwer begreiflicher Widerspruch. R G I vom 18. Juni 1883 ( Ε V I I I 399 if.) giebt ausser dem Eigentümer das Antragsrecht auch „dem Beteiligten . . . , dessen Rechte durch die Sachbeschädigung unmittelbar verletzt worden sind". Vgl. A n m 19.

622

. Antrag und Ermächtigung.

Da der D i e b s t a h l Doppeldelikt ist, so giebt es bei ihm zweifellos kriminalistisch dann zwei Verletzte, wenn Eigentum und Detention auseinanderfallen 21. Allein damit ist die Frage nach dem Träger des Antragsrechts nicht entschieden. Es handelt sich vielmehr darum, wer im Sinne des § 247 derjenige ist, gegen den der Diebstahl begangen wTird: denn dass dem Bestohlenen und nur ihm das Antragsrecht zustehen soll, ist zweifellos. Hier ist nun zuvörderst die Ansicht nachdrücklich zurückzuweisen, welche beim Diebstahl „den G e w a h r s a m s - I n h a b e r " als den allein Verletzten bezeichnet22. Diese Auffassung, welche natürlich den ganzen § 247 beherrschen müsste, macht dieses Gesetz zu einem wahren Stein des Anstosses. Stiehlt cler Lehrling seinem Meister ihm von Kunden zur Bearbeitung überlassene Gegenstände, so hängt der kriminelle Schutz des Eigentums vom guten Willen des Meisters ab; stiehlt der Vater dem Sohne 10 000 Mark Mündelgelder, die dieser in Verwahrung hat, so ist nach v. L i s z t der Diebstahl von Ascendenten an Descendenten begangen und bleibt straflos 23 . Dass dies der Wrille cles Gesetzes nicht ist, leuchtet von selbst ein. Es ist aber noch weiter zu gehen. Der § 247 behandelt Diebstahl und Unterschlagung durchgängig parallel und identificirt die durch beide Delikte Verletzten vollständig: er kennt nur einen Bestohlenen wie er nur einen kennt, den die Unterschlagung verletzt. Diese Identificirung trifft aber nur für den Eigentümer zu. Und ganz mit Recht betrachtet ihn § 247 als den allein Bestohlenen. Der Diebstahl ist nichts als ein durch den dieblichen Eingriff in den fremden Besitz qualifizirtes Eigentumsvergehen : ganz mit Recht lässt deshalb StGB § 247 den Qualifikationsgrund hinter dem Grundgedanken des Verbrechens zurücktreten. Damit stimmt auch die ratio legis. Alle Privilegirungsgründe des § 247 wurzeln in der grösseren Angreiflichkeit der erwähnten fremden Sachen, in dem milderen Lichte, worin dem Täter sein Angriff auf fremdes Eigen erscheint: cler Besitz spielt hiebei gar keine Rolle. So ist auch beim Diebstahl wie bei der Unterschlagung nur der 21 M e r k e l bei H H I I I 712; M e y e r S 363 A n m 15; v. L i s z t S 331. 332; O l s h a u s e n zu § 247 A n m 3 a ; H ä l s c h n e r , D. StR I 306; G e y e r I 208. 22 So S c h ü t z e S 446 A n m 17; R u b o zu § 247 A n m 4 ; v. K i r c h e n h e i m S 73. 74; neuerdings v. L i s z t S 331. 23 Vgl. v. L i s z t S 332. 337, wo die analoge Folgerung betreffs § 247, 1 gezogen ist. Die Folgerung aber, dass dann ex officio zu verfolgende Unterschlagungen übrig blieben, zieht v. L i s z t nicht.

§ 130. 3. Inhaber cles Antrags- u. Ermächtigungsrechts.

623

Eigentümer antragsberechtigt 24. Der verletzte B e s i t z e r hört dadurch nicht auf Verletzter zu sein: aber nicht jedem Verletzten giebt das Gesetzbuch ein Antragsrecht 25. b. Beim B e t r u g ist der Verletzte nie der Getäuschte als solcher, sondern nur derjenige, aus dessen Vermögen der Betrüger sich bereichert hat oder sich hat bereichern wollen 26 . c. Grössere Zweifel haben — m. E. ohne allen Grund — die V e r l e t z u n g e n der U r h e b e r - und E r f i n d e r r e c h t e bezüglich der aus ihnenfliessenden Antragsrechte wachgerufen 27. Freilich muss an dieser Stelle als bekannt vorausgesetzt werden, wer Inhaber des Urheber- oder Verlagsrechts, des Patentrechtes, des Rechts auf ausschliessliche Benutzung der Handelsmarke ist. Dann aber ergiebt die Vergleichung der bei diesen Verbrechen Verletzten mit den zum Antrag bei Beleidigung, Körperverletzung, Diebstahl u. s. w. Befugten interessante Verschiedenheiten. Das Antragsrecht ist in diesen Fällen ein höchst persönliches Recht des an Ehre oder Gesundheit Beschädigten. Ja auch bei Diebstahl, Unterschlagung, Betrug, Sachbeschädigung ist durchaus nicht das Subjekt des geschädigten Vermögens, sondern der konkrete Eigentümer, dem die Sache durch widerrechtliche Aneignung, durch Sachbeschädigung entzogen worden ist, und ebenso nur der 24

S. bes. die zutreffenden Ausführungen von M e r k e l bei H H I I I 712 u. 713, von D o c h o w bei H H I V 265 und von H e r z o g , GS 1874 S 214 ff. Vgl. auch v. B a r , G A X I X 650; R e b e r S 258. 389; Κ o h 1 e r , Patentrecht S 539. Seltsamer Widerspruch bei R ü d o r f f - S t e n g l e i n zu § 247 A n m 2 b. 25 Die bes. von O l s h a u s e n zu § 247 A n m 3 a i n Uebereinstimmung mit R G I I I vom 29. M a i 1880 ( Ε I I 73), R G I I vom 1. J u l i 1881 ( Ε I V 346 ff., interessant) und O T r vom 30. A p r i l 1877 (Plenarbeschluss bei Ο X V I I I 297) vertretene Ansicht, dass beim Diebstahl stets Eigentümer und Besitzer antragsberechtigt seien, ist insoweit richtig, als stets diese beiden Personen verletzt sind; sie unterlässt aber zu untersuchen, ob § 247 allen Verletzten oder nur dem Bestohlenen das A n tragsrecht giebt. S i e f ü h r t z u d e r a u c h a l l s e i t i g g e z o g e n e n K o n s e q u e n z , dass w e n n E i g e n t ü m e r o d e r B e s i t z e r n i c h t i n d e m v o n § 247 v e r l a n g t e n persönlichen V e r h ä l t n i s s e zum Diebe stehen, der D i e b s t a h l O f f i z i a l d e l i k t s e i . — Die Ansicht aber, der Eigentümer sei stets, der Besitzer nur unter gewissen Voraussetzungen verletzt, wenn i h m nämlich vermögensrechtliche Nachteile erwachsen (ihre Vertreter bei O l s h a u s e n zu § 247 A n m 3 a ; s. auch H ä l s c h n e r , D. StR I I 307), ist unter allen Umständen falsch. Vgl. auch P e z o l d zu § 247 N r 3 ff. 26

So auch R O H G vom 7. Febr. 1873 (Ε I X 149). Es handelt sich hier um alle oben S 609 sub 2 a aufgeführten strafbaren Handlungen. Bezüglich des Nachdrucks s. bes. F u c h s , Anklage und Antragsdelikte S 184 ff.; bezüglich der Patentverletzungen Κ ο h l e r , Patentrecht S 529 ff. ; bezüglich der Verletzungen des Markenrechts M e v e s , Gesetz über Markenschutz S 221 ff. 27

624

.

Antrag und Ermächtigung.

Betrogene in Person „Verletzter" im Sinne des Strafrechts, und eventuell antragsberechtigt. Das ändert sich etwas bei den Verletzungen der Erfinderrechte. In dieser Beziehung sagt das Urhebergesetz vom 11. Juni 1870 § 28, unmittelbar nachdem § 27 bestimmt hat, das Strafverfahren sei nur auf Antrag des Verletzten einzuleiten: „Die Verfolgung (also auch die Antragstellung) wegen Nachdrucks steht Jedem zu, dessen Urheberoder Verlagsrechte durch die widerrechtliche Vervielfältigung beeinträchtigt oder gefährdet sind." Und bezüglich dieses Urheberrechts sagt § 3 desselben Gesetzes : „Das Recht des Urhebers geht auf dessen Erben über. Dieses Recht kann beschränkt oder unbeschränkt durch Vertrag oder durch Verfügung von Todeswegen auf Andere übertragen werden." Diese Rechte sind Rechte des geistigen Urhebers eines Werkes oder einer Erfindung auf ausschliessliche ökonomische Ausnutzung der selben. Gerade die letztere soll durch Aufstellung des Rechts und durch Bestrafung seiner Verletzung sicher gestellt werden. Diese Rechte sind auf Dauer berechnet, wenn auch zeitlich beschränkt. Für die ganze Zeit ihres Bestandes besteht auch die Gefahr ihrer Verletzung, und diese Verletzung, die ja wesentlich in widerrechtlicher Vervielfältigung eines Werkes und Verbreitung desselben besteht, drängt sich nicht wie bei Diebstahl, Unterschlagung, Sachbeschädigung in einen ganz bestimmten Zeitpunkt zusammen, trifft also nicht eine einzige ganz bestimmte Persönlichkeit, sie trifft vielmehr stets das Subjekt des Urheberrechtes als solches, bei den Verlagsrechten insbesondere nicht den Geschäftsinhaber zur Zeit cler Tat, sondern die Firma, bei den Urheberrechten den Urheber und alle seine Rechtsnachfolger in das Urheberrecht, nicht aber seine Erben als solche. Das Subjekt des verletzten Rechtes ist der Verletzte: die Veränderungen innerhalb dieses Subjektes bedeuten nicht Untergang sondern unwesentliche Aenderungen innerhalb des Verletzten. Hat also beispielsweise Jemand ein Werk nachgedruckt, dessen Verleger gestorben ist ohne von dem Nachdruck zu erfahren, so wird derjenige antragsberechtigt, der das Geschäft übernimmt 28 . Dasselbe gilt, wenn der Verleger vor seinem Tode von dem Delikt Kunde erhielt, aber nicht mehr im Stande war, den Antrag vor seinem Tags darauf eintretenden Tode zu stellen. Erlischt das Urheber- oder Verlagsrecht zu 28 M . E . unrichtig D o c h o w bei H H I V 271 ; Κ o h 1 e r , Patentrecht S 560. Dagegen O p p e n h o f f zu § 65 A n m 7, dessen Ansicht aber nicht klar zu ersehen ist. W i d e r i h n O l s h a u s e n zu § 61 A n m 20.

§ 10.

3. Inhaber

es Antrags- u. Ermächtigungsrechts.

625

Lebzeiten eines bestimmten Berechtigten, und er erfährt nachträglich von einem Nachdruck, so wird er zum Antrag nicht mehr berechtigt sein. Mit dieser Auffassung stimmt der Wortlaut cles cit. § 28 durchaus überein. Jeder, dessen Urheber- oder Verlagsrechte beeinträchtigt oder gefährdet sind, das ist ebensowohl der ursprünglich Berechtigte wie seine Nachfolger in diesem Rechte. Ganz das analoge gilt von dem Verletzten im Sinne des Gesetzes über den Markenschutz und im Sinne des Patentgesetzes. Aber nur die Inhaber cles Urheber-, des Marken-, des Patentrechtes sind die Verletzten im strafrechtlichen Sinne, genau wie beim Diebstahl nur der Eigentümer, nicht der dinglich Berechtigte und noch weniger der in seinem Forderungsrechte Geschädigte verletzt ist : also ebensowenig cler durch eine falsche Handelsmarke getäuschte Konsument, als— um mit Κ oh 1er zu sprechen — ausser dem Vollberechtigten cler Usufruktuar und jeder an dem Patent quasi-dinglich Berechtigte 29. 6. Bei der u n b e f u g t e n E r ö f f n u n g verschlossener U r k u n d e n , die nicht zur Kenntnissnahme des Oeffnenden bestimmt sind (GB § 299), ist zu unterscheiden: a. wenn cler Aussteller der Urkunde zugleich derjenige ist, der sie verschlossen hat und zu dessen Kenntnissnahme sie allein bestimmt ist, so ist er allein der Verletzte; ebenso wenn Jemand ohne Wissen und Willen des Ausstellers eine Urkunde einsiegelt, damit ausser ihm Niemand davon Kenntniss erhalte, allein der Verschliesser; b. fallen Aussteller und Verschliesser einerseits, der Destinatar andererseits aus einander, so ist § 299 bestimmt das Vertrauensverhältniss zwischen beiden zu schützen; beide sind also verletzt und beide antragsberechtigt : cler Aussteller wie der Destinatar; c. siegelt Jemand im Auftrag des Ausstellers die Urkunde für diesen allein ein ohne von ihr Kenntniss erhalten zu haben, so ist allein der Aussteller, und hat die versiegelte Urkunde einen Destinatar, ausserdem dieser, nicht aber der Urheber des Verschlusses antragsberechtigt; ist letzterer im Vertrauensverhältniss einbegriffen, d. h. war die Urkunde auch zu seiner Kenntnissnahme bestimmt, so ist m. E. auch er antragsberechtigt. Uebrigens sei bemerkt, dass die Urkunde einen Destinatar haben 29

V i e l zu weit erstreckt K o h l e r

a. a. 0 . S 541 den Kreis der

berechtigten. Binding, Handbuch. V I I . 1. I :

B i n d i n g , Strafrecht.

I.

40

Antrags-

626

Γ). Antrag und Ermächtigung.

kann, wenn auch keine Adresse darauf steht, dass die aufgeschriebene Adresse noch nicht notwendig einen Destinatar bedeutet. Denn der Aussteller der Urkunde bezw. der Verschliesser entscheiden, von welchem Zeitpunkt an die Urkunde zur Kenntnissnahme eines Andern bestimmt sein soll : haben sie aber in diesem Sinne entschieden, den Brief etwa zur Post gegeben, und er wird von einem Unbefugten auf der Post eröffnet, so sind Absender und Adressat verletzt, und nur dann, wenn der Absender die Bestimmung des Briefs zur Kenntnissnahme des Adressaten zu dienen rechtzeitig widerruft, und die Eröffnung nachher stattfindet, ist er allein antragsberechtigt. Dann kann auch der Adressat der Täter sein. 7. Ganz analog bestimmt sich der Verletzte bei der unbefugten Offenbarung anvertrauter Privatgeheimnisse (GB § 300): die Auffassung, verletzt sei nur derjenige, „der die ausschliessende Befugniss der Offenbarung jenes Geheimnisses besitze" 3 0 , halte ich für falsch. Verletzt ist allein der in seinem Vertrauen auf seinen Arzt, Rechtsanwalt, Vertheidiger u. s. w. Getäuschte, der Einzige, der auf ihr Schweigen bauen darf : das ist allein derjenige, der diesen Personen das Geheimniss anvertraut hat 3 1 . Der Anvertrauende kann sich durch diese Mitteilung selbst des Deliktes nach § 300 schuldig gemacht haben; das ist aber insoweit ganz gleichgiltig, als er auch für die zu Unrecht verratenen Geheimnisse von seinen Vertrauenspersonen Schweigen verlangen darf. § 131. Fortsetzung.

Das A n t r a g s r e c h t des N i c h t verletzten.

Ohne Verletzten kein Antragsverbrechen: dieser Satz gilt ausnahmelos; nicht aber der andere, ohne Antrag des Verletzten keine Strafklage aus Antragsverbrechen. Das Antragsrecht des Nichtverletzten hat einen doppelten Grund: entweder die rechtliche oder intellektuelle Unfähigkeit des Verletzten den Antragsentschluss zu fassen oder die vielleicht ungenügende Fähigkeit des Verletzten die Bedürfnissfrage durchweg richtig zu entscheiden. Der erste Grund führt zum ausschliesslichen Antragsrecht des Nichtverletzten, der zweite zu einer Konkurrenz zweier Antragsrechte, sowohl des Verletzten als des Nichtverletzten. 30

So R e b e r S 155. 399; O p p e n h o f f zu § 300 A n m 6. So v. L i s z t S 423; O l s h a u s e n zu § 300 A n m 11. Der Satz v. L i s z t s a. a. Ο . S 432: „wenn es an einem solchen, d. h. am Anvertrauenden fehlt, derjenige, den es (das Geheimniss) betrifft", gilt wieder nur de lege ferenda. 31

§ 131.

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Das Antragsrecht des Nichtverletzten.

I. Der N i c h t v e r l e t z t e i s t a u s s c h l i e s s l i c h a n t r a g s berechtigt 1. s t r e n g genommen i n a l l e n F ä l l e n , wo ein A n t r a g s d e l i k t w i d e r eine S t i f t u n g oder eine K o r p o r a t i o n v e r ü b t ist. Antragsberechtigt ist dann stets das rechtlich anerkannte Organ des Handelns cler juristischen Person: also der Vorstand. Besteht dieser aus einem Kollegium, so bedarf es eines Kollegialbeschlusses; ist er zweiköpfig, so wird mangels anderweiter gesetzlicher Bestimmung gemeinschaftlicher Beschluss der beiden Vorstände zu erfordern sein1 ; 2. wenn der V e r l e t z t e das 18. Jahr noch n i c h t v o l l endet hat 2 . In diesem Fall ist, wie die Fassung des § 65 klar erkennen lässt, der g e s e t z l i c h e V e r t r e t e r der zum Antrag Berechtigte. Wer dies ist, und ob der gesetzliche Vertreter sich in Behinderungsfällen in dieser seiner ganzen Stellung — nicht in Erhebung des Strafantrags! — durch einen Andern vertreten lassen kann, entscheidet sich nach Landesrecht3. Die Obervormundschaftsbehörde bestellt vielleicht den gesetzlichen Vertreter, i s t aber nicht selbst ein solcher 4. Nicht sie entscheidet deshalb über die Antragstellung, sondern allein der Vormund. Deshalb kann sie nicht diesem zum Trotze einen Vertreter ad hoc bestellen5. Ist der Vertreter behindert, so hat sie einen ausserordentlichen Vertreter ad hoc zu ernennen. Dies gilt insbesondere betreffs des so nahe liegenden, vom Gesetze aber übersehenen Falles, dass der gesetzliche Vertreter selbst das Antragsvergehen wider seinen Schutzbefohlenen begangen hat 6 ; 3. wenn der V e r l e t z t e ein b e v o r m u n d e t e r G e i s t e s k r a n k e r oder T a u b s t u m m e r ist. Das Recht zum Antrag hat 1

Den Vorständen von Gesellschaften und Personen-Vereinen ohne juristische Persönlichkeit steht kein Antragsrecht zu. 2 GB § 65: „Der Verletzte, welcher das 18. Lebensjahr vollendet h a t , ist selbständig zu dem Antrage auf Bestrafung berechtigt." Ob er zur Zeit der Verletzung schon 18 Jahre alt war oder nicht, ist gleichgiltig. 3 S. auch O l s h a u s e n zu § 65 A n m 5. 4 R e b e r S 514. 5 And. Mein. OAG Berlin vom 14. Febr. 1872 (Ο X I I I 146); wohl auch R G I I I vom 7. Dez. 1881 ( Ε V 190 if.). Ders. Ans. O l s h a u s e n zu § 6 5 A n m 7 ; dagegen bes. F u c h s , Anklage S 73 if.; N e s s e l S 62. S. auch die Nachweise bei P e z o l d zu § 65 N r 25. 6 Der Einzige, der abweicht, und dann Offizialverfolgung des Vertreters für zulässig erachtet, ist F u c h s , Anklage S 71; von i h m verteidigt GA X X 433 f f . — I n diesem einzigen Falle halte ich aber auch einen Antrag der Obervormundschaft selbst für zulässig.

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. Antrag und Ermächtigung.

dann allein der Vormund 7. Bei nicht bevormundeten Geisteskranken muss nach § 65, 3 offenbar die Möglichkeit giltiger Antragstellung angenommen werden 8. II. N e b e n dem V e r l e t z t e n i s t ein N i c h t v e r l e t z t e r a n t r a g s b e r e c h t i g t : und zwar d e r g e s t a l t , dass d i e s e b e i den Rechte durchaus u n a b h ä n g i g von e i n a n d e r sind. Dies greift Platz: 1. wenn der V e r l e t z t e das 18. L e b e n s j a h r v o l l e n d e t h a t , aber noch m i n d e r j ä h r i g , also wenn ein D e u t s c h e r u n t e r 21 Jahre alt i s t 9 . Neben ihm hat dann sein „gesetzlicher Vertreter" das Recht des Antrags. GB § 65, 2 1 0 . Fällt die Begehung des Antragsdeliktes vor Vollendung des 18. Lebensjahres, so wird der Minderjährige frühstens mit Beginn seines 19. Geburtstages antragsberechtigt ; er wird es dann aber auch immer, wenn die Verfolgung zu der Zeit noch nicht verjährt ist und er an diesem Tage von Handlung und Täter schon Kenntniss gehabt hat, ganz gleichgiltig ob das Antragsrecht des gesetzlichen Vertreters an diesem Tage schon durch Verjährung erloschen war oder nicht 1 1 ; 2. wenn eine E h e f r a u oder e i n u n t e r v ä t e r l i c h e r G e w a l t stehendes K i n d b e l e i d i g t oder k ö r p e r l i c h verl e t z t ist. Dann haben, auch wenn die Verletzten schon volljährig sein sollten, „sowohl die Beleidigten als deren Ehemänner und Väter das Recht, auf Bestrafung anzutragen" GB § 195. 232 12 1 3 . Mit Auf7

Hier, gilt dann analog das zu 2 Ausgeführte. Der Geisteskrankheit steht die Geistesschwäche, sofern sie zur Bevormundung führt, gleich. RG I I I vom 26. Febr. 1881 (Rspr I I I 84 if.). 8 And. Mein. R e b e r S 334 (für absolute Unfähigkeit); ebenso O p p e n h o f f zu § 65 A n m 12. Seine Fähigkeit sei quaestio facti: O l s h a u s e n zu § 65 A n m 13. 9 Ist ein Landesherr oder ein Mitglied landesherrlicher Familien verletzt, und ist der Verletzte m i t 18 Jahren volljährig geworden, so greift § 65, 2 nicht Platz. S. Reichsgesetz, betr. das A l t e r der Grossjährigkeit, vom 17. Febr. 1875 § 1 u. 2. Ob ein Fremder minderjährig, entscheidet sich nach seinem Heimatrecht. 10 Ist der gesetzliche Vertreter der Schuldige, so muss das zu I 2 Gesagte Platz greifen.. . 11 I n dieser Beziehung unter Verkennung des § 62 and. Mein. O l s h a u s e n zu § 65 A n m 2 u. 20a. 12 Sind die Verletzten volljährig, Ehegatten und Väter aber haben gesetzliche Vertreter, so halte ich letztere nicht für antragsberechtigt. Das Gesetz w i l l offenbar den Gatten und Vätern ein höchst persönliches Recht einräumen. 13 Dass § 195 nicht an die mittelbare Beleidigung denkt und Ehegatten und Väter nicht als verletzt betrachtet, beweist allein schon § 232 zur Genüge : es giebt keine mittelbare Körperverletzung!

§ 131. Das Antragsrecht des Nichtverletzten.

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lösung der Ehe oder der väterlichen Gewalt bleiben nur die Verletzten antragsberechtigt. Stirbt die verletzte Ehefrau oder das verletzte Hauskind, dann behalten Gatte und Vater ihr Antragsrecht auch nach deren Tode noch 14 . Der Ausdruck „Väter" ist aus dem Eingang des Paragraphen berichtigend auszulegen: er bezeichnet die Inhaber der väterlichen Gewalt, einerlei ob sie leibliche Väter sind oder nicht. 3. Ist eine Behörde, ein Beamter, ein Religionsdiener oder ein Mitglied cler bewaffneten Macht in Ausübung ihres Berufes oder in Beziehung auf diesen beleidigt oder körperlich verletzt worden, „so haben ausser den u n m i t t e l b a r B e t e i l i g t e n auch d e r e n a m t l i c h V o r g e s e t z t e das Recht, den S t r a f a n t r a g zu stellen". GB §§ 196. 232, 3. „Grund ist tunlichste Wahrung der Ehre des Amtes 15 ." Damit werden so viel von einander unabhängige Antragsrechte geschaffen, als der Verletzte unmittelbare und mittelbare amtlich Vorgesetzte hat, ganz gleichgiltig ob der Vorgesetzte ein Individuum oder eine Behörde ist. Die Inhaber und die Zahl dieser Antragsberechtigungen bestimmt das öffentliche Recht des Reichs, seiner Bundesstaaten und der fremden Staaten, sofern es das dienstliche Subordinationsverhältniss regelt 16 . ad 1—3. In allen drei Fällen kumulativer Berechtigung kann a. eine scheinbare Succession in das Antragsrecht stattfinden: so wenn ein Vormund, ein Ehemann, ein Inhaber der väterlichen Gewalt, ein Vorgesetzter von einem andern seines gleichen abgelöst wird. Doch halte ich dafür, dass wenn der Rechtsvorgänger die Antragsfrist ungenutzt hat verstreichen lassen, der Rechtsnachfolger an diesen seinen Entscheid gebunden ist. Ist aber die Frist des Vorgängers zur Zeit seiner Ablösung noch nicht abgelaufen, so beginnt für seinen Nachfolger die Frist neu vom Tage seiner K e n n t 14

I n dieser Beziehung richtig, sonst zu weit gehend R G I I vom 19. Dez. 1879

( Ε I 29). 15

So RG I vom 7. A p r i l 1881 ( Ε I V 220 ff.). Nicht erforderlich ist, dass der Vorgesetzte i n a l l e n B e z i e h u n g e n als solcher erscheine, sofern er nur Aufsichts- oder Disciplinargewalt über den Beamten u. s. w. besitzt: RG I I I vom 8. Dez. 1880 (E I I I 244 ff.); R G I vom 7. A p r i l 16

1881 ( Ε I V 220 ff.). N i c h t ist § 196 auf d e u t s c h e Behörden bez. Beamten zu beschränken. So auch RG I vom 31. März 1881 (Ε I V 40). Untersteht ein Beamter mehreren Vorgesetzten i n verschiedenen Richtungen, so bestimmt sich das Antragsrecht des einen oder andern danach, welchem T e i l des Amtskreises die Handlung angehört, die der Beamte in Ausübung seines Berufes vornahm und bezüglich deren er beleidigt worden ist. So auch R G I vom 7. A p r i l 1881 und vom 21. Sept. 1882 (Ε I V 222, V I I 79 ff.). — Vgl. auch RG I vom 2. Jan. 1883 ( Ε V I I 404 ff.).

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. Antrag und Ermächtigung.

nissnahme an zu laufen; denn nicht die Vormundschaft, sondern der Vormund muss Kenntniss vom Verbrechen erlangt haben17. b. Der Austritt aus der Stellung des gesetzlichen Vertreters, des Ehemanns, des Inhabers der väterlichen Gewalt, des Vorgesetzten bedeutet den Untergang des Antragsrechtes für die Austretenden. Der T o d des V e r l e t z t e n aber ist im Sinne der §§ 65. 195. 196 nicht als Grund solchen Austritts zu betrachten; ebensowenig der Austritt des verletzten Beamten, Religionsdieners, Soldaten aus Amt oder Dienst : das Antragsrecht des Gatten, Vaters, Vorgesetzten wird durch diesen Tod oder Austritt nicht berührt. c. Wird der Minderjährige volljährig, das unter ehelicher Gewalt stehende Kind sui juris, rückt der Untergebene in die Stellung des früheren Vorgesetzten ein, so enden damit die Antragsrechte des gesetzlichen Vertreters, des Hausvaters, des Vorgesetzten ipso jure. § 132. 4. U n t e i l b a r k e i t der K l a g e und i h r e r B e d i n g u n g . S t e l l u n g m e h r e r e r A n t r a g s b e r e c h t i g t e r zu einander. A n t r a g und I d e a l k o n k u r r e n z . Die Klage aus einem Verbrechen gegen einen Schuldigen ist nicht teilbar: sie wird entweder ganz oder gar nicht erhoben. Ist die Klage durch den Antrag bedingt, so ist diese Bedingung grade so unteilbar wie die Klage selbst : die Klage ist ganz oder gar nicht bedingt. Aus diesem unanfechtbaren Grundgedanken folgt: 1. I n a l l e n F ä l l e n der V e r b r e c h e n s e i n h e i t , die sich aus e i n e r M e h r h e i t i s o l i r t b e t r a c h t e t g l e i c h f a l l s s t r a f b a r e r H a n d l u n g e n zusammensetzen — f o r t g e s e t z t e V e r b r e c h e n —, w i r d das V e r b r e c h e n n i c h t d u r c h U n t e r l a s s u n g des A n t r a g s t e i l w e i s e unverfolgbar. Nicht muss die Klage auf diejenigen Akte unerstreckt bleiben, bezüglich deren die Antragsfrist erloschen wäre, falls sie selbständige Verbrechen darstellten. Grade die Fortsetzung des Verbrechens kann den Grund für den Verletzten abgeben schliesslich den Antrag wegen des ganzen Treibens des Angeschuldigten zu stellen. Und da die Klage aus dem Verbrechen noch nicht verjährt, eine teilweise Einklagung aber un17 Richtig R u b o zu § 65 A n m 9 ; and. Mein, (der neue Vormund habe n u r noch den Rest der F r i s t für sich) O l s h a u s e n zu § 65 A n m 20b und die d o r t Angeführten. O l s h a u s e n aber, das. A n m 21, und O p p e n h o f f zu § 65 A n m 16 lassen i n diesen Successionsfällen den L a u f der Antragsfrist „ruhen" für die Zeit, während deren der neue Vertreter keine Kunde besitzt. E i n solches Ruhen des Rechts kennt das Gesetz nicht.

§ 132.

4. Unteilbarkeit der Klage u. ihrer Bedingung.

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denkbar ist, muss die ganze Tat unter Strafe gezogen werden. Daraus folgt, dass bei fortgesetzten Verbrechen die dreimonatliche Antragsfrist frühestens von der Kenntniss ihres letzten Aktes zu laufen beginnt 1 . Bei Dauerverbrechen beginnt sie frühestens mit deren Abschluss2. Durch seine fortdauernde Tätigkeit verlängert der Verbrecher mit gutem Grund die Zeit seiner Verantwortlichkeit. 2. K e i n e S t r a f k l a g e k a n n zur H ä l f t e u n b e d i n g t e , zur anderen H ä l f t e durch A n t r a g b e d i n g t e O f f i z i a l k l a g e sein. Dieser Satz beherrscht zwei Gruppen von Fällen: a. Wird ein zusammengesetztes Verbrechen aus zwei elementaren Delikten gebildet, deren eines Offizial-, das andere Antragsclelikt ist, wie z. B. der Raub wider einen Angehörigen, der Diebstahl mit Einbruch, sofern er Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung einschliesst, so ist die Klage aus dem zusammengesetzten Verbrechen in ihrer Ganzheit selbst dann unbedingt, wenn es nur Versuch ist und dieser nur aus dem Tatbestand des Antragsdelikts besteht. — Genau ebenso verhält es sich, wenn b. ein und dasselbe Verbrechen mehrere Personen verletzt, und nur bezüglich einer Antragsverbrechen ist. Stiehlt eine Ehefrau ihrem Gatten eine Sache, die im Miteigentume dieses Gatten, ihres eigenen Bruders und eines Dritten steht (s. GB § 247), so ist die Handlung allerdings nur insoweit strafbar, als sie nicht Diebstahl unter Ehegatten ist, insoweit aber auch ist sie ganz Offizial-Delikt und muss ganz bestraft werden, auch wenn der Bruder keinen Strafantrag stellt 3 . Der Antrag ist nicht Bedingung des Strafrechts, sondern des Strafklagrechts : kann die Klage erst erhoben werden, dann muss das Strafrecht voll zur Anerkennung gelangen: es giebt keine halben Verbrechen und keine halben Strafen. 1 V o n m. E . unrichtigen Prämissen aus kommt RG I I I vom 29. Jan. 1881 (E I I I 325 ff.) zu dem Schlüsse : „ B e i der Beurteilung der von der Berechnung der Antragsfrist abhängigen Verfolgbarkeit sind die einzelnen rechtsverletzenden A k t e j e für sich zu würdigen." Ders. Ans. wohl R G I I I vom 7. Dez. 1881 ( Ε V 190 ff.); K o h l e r , Patentrecht S 504; G e y e r I 209; O l s h a u s e n zu § 61 A n m 34. Dieser Ansicht widersprechen alle analogen Fälle. A u c h führt sie zu höchst bedenklichen Folgerungen bezüglich der Rechtskraft. Stellt bei fortgesetztem Nachdruck e i η Verlagsberechtigter Antrag und der F a l l kommt i s o l i r t zur Aburteilung, so liegt bezüglich des ganzen Verbrechens res judicata vor, und alle nachgebrachten Anträge anderer Berechtigter sind unbeachtlich. 2 Dies w i r d zugegeben. S. O l s h a u s e n zu § 61 A n m 3 4 ; O p p e n h o f f zu § 236 A n m 9. 3 Man vgl. beispielsweise Preuss. OTr vom 13. Nov. 1872 (Ο X I I I 591. 592).

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. Antrag und Ermächtigung.

Daraus ergiebt sich schon der dritte aufzustellende Satz: 3. B e r e c h t i g t eine und dieselbe T a t mehrere Personen zum S t r a f a n t r a g , sei's weil sie wie Diebstahl oder Sachbeschädigung an Sachen im Miteigentume mehrere Verletzte erzeugt, oder weil wie bei Beleidigung von Ehefrauen ausser der Frau auch der Mann das Antragsrecht erhält, so hat der Gesetzgeber die Wahl, entweder gemeinschaftliche Ausübung der verschiedenen Antragsrechte zu fordern, oder durch den Antrag auch nur eines Berechtigten die Voraussetzung der Strafklage als voll erbracht anzusehn. Dass das GB die höchst unzweckmässige gemeinsame Antragstellung aller Berechtigten4 nicht verlangt, bringen die §§ 62. 65. 195. 196 zu vollster Gewissheit. Ueberall also, wo aus einem Delikte mehrere Personen antragsberechtigt geworden sind, haben wir es nicht mit Mitbesitzern des Antragsrechts zu tun; auch besteht nicht ein Antragsrecht mit mehreren nach Art der correi Berechtigten. Denn die Stellung des Antrags seitens des einen Berechtigten, ja selbst die Annahme des Antrags durch die Staatsanwaltschaft lässt das Antragsrecht der übrigen ganz unberührt. Vielmehr bestehen in solchen Fällen immer mehrere ganz selbständige Antragsberechtigungen, aber ganz gleichen Inhaltes. A l l e A n t r a g s b e r e c h t i g t e können nur V e r f o l g u n g wegen des ganzen begangenen Verbrechens b e a n t r a g e n , n i c h t aber V e r f o l g u n g der T a t n u r i n s o w e i t , als sie d a d u r c h b e t r o f f e n w o r d e n sind. Die Beschränkung des Antrags ist tatsächlich und rechtlich unmöglich: die zugefügte Beschränkung ist unbeachtlich. Von der Teilbarkeit einer Strafklage aus einem Diebstahl, welche natürlich die Möglichkeit einer Mehrheit von Strafklagen auf Antrag verschiedener Antragsberechtigten aus demselben Vergehen zur Folge haben müsste, weiss unser heutiges Recht schlechterdings nichts5. 4 W o h l zu unterscheiden von dem Falle, wo die e i n e Berechtigung einem Kollegium beiwohnt und dieses über Stellung oder Unterlassung des Antrags bèschliessen muss. 5

I n scharfsinniger Ausführung : „Ueber den Umfang der Antragsberechtigung i n Fällen von Miteigentum und Miterbrecht" sucht H e r z o g , GS 1874 S 202 ff. ein E r k . des App.-Gerichts Eisenach vom 7. Jan. 1874 zu verteidigen, welches davon ausgeht, da von zwei Miteigentümern nur der eine Strafantrag gestellt habe, müsse die Angeklagte so angesehen werden, als habe sie nur die dem Antragsteller gebührende Werthälfte entwendet. Ders. Ans. M e r k e l bei H H I V 415. 416; w o h l auch M e y e r S 365. Dasselbe hält H e r z o g natürlich für die Unterschlagung aufrecht, wogegen bei der Sachbeschädigung jeder Miteigner die Verfolgung der g a n z e n T a t beantragen könne, weil jeder Miteigentümer das gleiche Interesse an der unversehrten individuellen Existenz der Sache habe (S 231). — H e r z o g überträgt

§ 132. 4. Unteilbarkeit der Klage u. ihrer Bedingung.

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4. A l l e A n t r a g s b e r e c h t i g u n g e n aus demselben Del i k t e sind nur B e d i n g u n g e n e i n e r S t r a f k l a g e . Das hat die notwendige Folge, dass jede Konsumtion der Straf klage durch rechtskräftiges Urteil den Untergang aller Antragsrechte aus dem abgeurteilten Delikte bewirkt 6 ; ferner, dass wider jede auf anderweiten Antrag aus derselben Tat erhobene Strafklage die Einrede der Rechtshängigkeit erfolgreich erhoben werden kann. 5. Dieser Satz erweitert sich in Folge unserer grundverkehrten Behandlung der Idealkonkurrenz (GB § 73) auf einen grossen Teil der Fälle idealiter konkurrirender Delikte 7 . Dass aus jedem dieser konkurrirenden Vergehen eine besondere Straf klage entspringt, sollte billig nicht bezweifelt werden. Von diesen Klagen können alle oder einige an den Antrag geknüpft sein. Es versteht sich, dass mangels Antrags die dadurch bedingte Klage nicht erhoben werden kann, dagegen wohl die unbedingte Klage des ideell konkurrirenden Delikts 8 . aber hier wieder rein civilistische Gesichtspunkte auf kriminelles Gebiet (s. bes. S 214 if.; ganz nackt S 217, wo das Antragsrecht das „strafrechtliche Annexum" der Miteigentumsquote genannt wird): es handelt sich aber i m Antrag nicht um Geltendmachung eines Civilanspruchs, wo die Klage auf das Ganze eine pluspetitio wäre, sondern um das \ r erlangen, dass cler Staat sein Strafrecht klagweise geltend mache. Ueber den U m f a n g dieses Strafrechts hat der Antragsberechtigte glücklicherweise keine Gewalt. N u r dann, wenn die Unterlassung des Antrags den Untergang des Strafrechtes begründete, würde die Unterlassung desselben durch einen der Miteigentümer so wirken, als wäre der Täter insoweit selbst Miteigentümer der gestohlenen Sache gewesen. — Richtig v. B a r , G A X I X 648 A n m 6 ; O l s h a u s e n zu § 61 A n m 58. 6 I n einem wichtigen Falle erkennt die StPO § 415 diesen Satz ausdrücklich an. Sind „wegen derselben strafbaren Handlung mehrere Personen zur Privatklage berechtigt" und hat eine geklagt, „so steht den übrigen nur der Beitritt zu dem eingeleiteten Verfahren, und zwar i n der Lage zu, i n welcher sich dasselbe zur Zeit der Beitrittserklärung befindet . . . . Jede i n der Sache selbst ergangene Entscheidung äussert zu Gunsten des Beschuldigten ihre W i r k u n g auch gegenüber solchen Berechtigten, welche die Privatklage nicht erhoben haben." Dass § 415 nur von einem Delikt und nicht von Idealkonkurrenz spricht, beweist zur Genüge der Ausdruck „dieselbe strafbare Handlung" — ein Ausdruck, der sich m i t dem des GB § 73 keineswegs deckt. Ganz unzulänglich die Gegengründe i n R G I I vom 25. Febr. 1881 (E I I I 363 if.) aus der zur Rechtfertigung jeder beliebigen Behauptung so gefügigen Entstehungsgeschichte. 7

Vgl. bes. F u c h s , Anklage S 76 if.; G o l t d a m m e r , GA X I X 306 if.; v. B a r , das. S 650 if.; L e h m a n n , das. S 737 if.; N e s s e l S 46 if.; R e b e r 167 if. 187 if.; H ä l s c h n e r , D. StR I 685. 686; P e z o l d , Strafrechtspraxis I 45 ff. 8

Ganz unrichtig die Auffassung von G o l t d a m m e r , G A X I X 309, die H ä l s c h n e r , D. StR I 685 adoptirt, der Charakter des „Hauptverbrechens" (das ist nach GB § 73 das schwerer bedrohte) „gebe für die Strafbarkeit der ganzen

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. Antrag und Ermächtigung.

Nun soll aber auf alle ideell konkurrirenden Verbrechen stets nur ein Strafgesetz Anwendung finden. Die übrigen Taten ausser der schwerst bedrohten bilden nur Strafzumessungsgründe. Da nun eine Wiederaufnahme des Verfahrens zum Zwecke der Aenderung der Strafe innerhalb des durch dasselbe Gesetz bestimmten Strafmaasses nicht stattfindet (StPO § 403), also auch eine Nachklage zu demselben Zwecke rechtlich unmöglich ist, so macht a. die Verurteilung wegen des schwerst bedrohten der ideell zusammentreffenden Delikte, mag dies nun selbst Antrags- oder Offizialdelikt sein, die Nacherhebung der durch Antrag bedingten Anklage aus dem Konkurrenzfall zur Unmöglichkeit. Letztere Klage ist nicht verbraucht, ihrer Anstellung steht demgemäss streng genommen die exceptio rei judicatae nicht entgegen : sie ist aber wie das Forderungsrecht im Falle des concursus duarum causarum lucrativarum wegen Zwecklosigkeit untergegangen. Der Klage folgen dann natürlich die sie bedingenden Antragsberechtigungen nach; b. ganz das gleiche gilt im Falle cler gleichartigen Idealkonkurrenz. Sind die mehreren Antragsberechtigten zugleich zur Privatklage befugt, so können sie nur dann mit Sicherheit auf Ahndung ihrer Verletzung rechnen, wenn sie nach Analogie von StPO § 415, 2 ihre Klagen in demselben Verfahren vereinen. Ist aber nur auf eine Privatklage hin Verurteilung ergangen, so sind die übrigen Privatklagrechte und ist ebenso die Möglichkeit der öffentlichen Klage auf Antrag eines andern Verletzten untergegangen9. c. Ganz anders muss aber, trotzdem das gemeine Recht darüber kein Wort enthält, der Fall behandelt werden, wenn zwei Antragsverbrechen oder ein Antrags- und ein Offizialdelikt verschiedener Art ideell zusammentreffen, und das leichtest bedrohte Vergehen zuerst zur Aburteilung kommt 10 . Die Klage aus dem andern ist dann nicht verbraucht, auch wahrlich nicht wegen Zwecklosigkeit untergegangen. Sie kann also erhoben und der Prozess auf Grund ihrer geführt werden. Wird der Angeklagte schuldig befunden, so ergeht nun das Urteil strikt nach § 73 auf Grund des schwersten Strafgesetzes; die eine Strafe für beide ideell konkurrirenden Vergehen ist neu zu T a t i n allen ihren strafrechtlichen Beziehungen die N o r m " ab. Dagegen auch v. B a r , das. S 651. Hochbedenklich auch L e h m a n n , GA X I X 739. 740. 9 R G I I vom 22. A p r i l 1881 (Rspr I H 240 if.). 10 Denke man beispielsweise« an Idealkonkurrenz von Hausfriedensbruch (GB § 123; höchste Strafe drei Monate Gefängniss) und erst später entdecktem Diebstahl gegen Angehörige (§ 247 ; höchste Strafe fünf Jahre Gefängniss). — M . E . unrichtig R G I vom 23. Dez. 1880 (E I I I 210 if.); doch ist der F a l l nicht ganz k l a r mitgeteilt.

§ 132. 4. Unteilbarkeit der Klage u. ihrer Bedingung.

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arbitriren und auf die erkannte Strafe ist die nach dem früheren Urteil verbüsste Strafe voll in Anrechnung zu bringen. Dies ist der einzige Fall, wo auch bei Idealkonkurrenz ein Nachtragserkenntniss nach Analogie des GB § 79 für zulässig erklärt werden muss. Dass der Gesetzgeber an diese Sachgestaltung nicht gedacht, für sie deshalb nicht gesorgt hat, kann uns nicht nötigen, den von ihm selbst in allzu grosser Milde für die Idealkonkurrenz in § 73 aufgestellten Grundsatz in den Wind zu schlagen und diese erst zu dem zu machen, was sie nach dem Gesetze noch nicht ist: zum Grunde der Straflosigkeit des schwersten Konkurrenzfalles. d. Konkurriren zwei Antragsdelikte, wie etwa bei einer zwei Personen treffenden verleumderischen Behauptung, und nur das eine ist zum Gegenstand des Prozesses gemacht worden, so hindert das f r e i s p r e c h e n d e E r k e n n t n i s s die spätere Erhebung der Privatklage aus der andern Verleumdung keineswegs. Insoweit ist also StPO § 415 auf die Idealkonkurrenz, d. h. auf Beleidigung und Körperverletzung mit mehreren Verletzten nicht anwendbar. Warum die Freisprechung, die vielleicht wegen erbrachten Wahrheitsbeweises erfolgt ist, den in der Tat Verleumdeten um sein Antrags- bezw. Klagrecht bringen soll, ist schlechterdings nicht abzusehen: dass es geschehe, wird vom Gesetz nicht verordnet 11. 6. I s t der A n t r a g auf V e r f o l g u n g einer b e s t i m m t e n H a n d l u n g g e s t e l l t , so i s t der S t a a t s a n w a l t i n der E r h e b u n g der Klage durch die de m A n t r a g zu g r u n d l i e g en de Auffassung der Tat seitens des A n t r a g s t e l l e r s k e i n e s wegs b e s c h r ä n k t 1 2 . Hat sich aber der Täter zweier ideell 11 A n ungenügender Unterscheidung leiden die beiden Auffassungen, welche sich um den § 415 streiten: diejenige, die ihn nur anwenden w i l l auf die Fälle des einen Deliktes m i t mehreren Antragsberechtigten (so V o i t u s , Kommentar zur StPO S 429—431; L ö w e , Kommentar, 2. Aufl., zu § 415 A n m 2), und die andere, die i h m auch die Fälle der gleichartigen Idealkonkurrenz unterstellt: jetzt die herrschende Meinung, der auch L ö w e , Kommentar, 4. Aufl., zu § 414 A n m 2 i m Anschluss an RG I I vom 25. Febr. 1881 (E I I I 362 ff.), R G I vom 3. März 1881 (E I I I 385 ff.), RG I I vom 22. A p r i l 1881 (Rspr I I I 240 ff.) beigetreten ist. — StPO § 415 findet aber unmittelbar auf Idealkonkurrenz gar keine Anwendung; wie weit er per analogiam auf diese auszudehnen i s t , bedarf genauerer Untersuchung; für die i m Text sub c u. d angeführten Fälle fehlt die Gleichheit des Grundes, also auch die Zulässigkeit der Analogie. 12 Ist auch wegen I I I vom 8. Strafantrage

z. B. Antrag wegen vorsätzlicher Körperverletzung gestellt, so kann fahrlässiger Körperverletzung geklagt und verurteilt werden. So R G Okt. 1881 ( Ε V 97 ff: „die Handlung des § 61 umfasst also die im bezeichnete Tat nach allen ihren rechtlichen und tatsächlichen Be-

636

. Antrag und Ermächtigung.

konkurrirender Antragsvergehen — einer Körper- und Sachbeschädigung — schuldig gemacht, und der Verletzte macht nur die Sachbeschädigung zum Fundament seines Antrags, so fehlt die Möglichkeit der Anklage aus der Körperverletzung 13. § 133. 5. U n t e i l b a r k e i t des A n t r a g s und seiner Rücknahme im F a l l e der M i t s c h u l d . I. Der Gedanke, eine strafbare Handlung solle ganz oder gar nicht verfolgt werden, führt konsequent weiter gedacht zu dem Satze, dass im Falle der Mitschuld mehrerer Personen an einer und derselben Tat die Verfolgung aller oder die keines der Mitschuldigen durch Antrag bedingt sein soll. Dieser Satz kann in zwei Gestalten praktisch werden. Entweder sagt das Gesetz, der Antrag, der nicht auf alle Mitschuldigen erstreckt wird, ist kein Antrag, und die Verfolgung aller unterbleibt ; oder es sagt umgekehrt und weniger bedenklich, der Antrag auch nur gegen einen wirkt wie ein Antrag wider alle; für alle in der Mitschuld wurzelnden Straf klagen erbringt der eine Antrag gleichzeitig die nötige Voraussetzung; sie müssen nicht, sie können jedoch alle erhoben werden; sind aber die Mitschuldigen durch Privatklage zu verfolgen, so müssen die Klagen alle, soweit möglich, beim forum connexitatis verbunden angebracht werden. 1. Nun sagt das GB § 63: „Der Antrag kann nicht geteilt werden 1 ." Die Beschränkung des Antrags auf einen der Schuldigen ist somit als nicht beigefügt zu betrachten. Der Wille des Antragstellers ist überhaupt unfähig den Umfang der Verfolgbarkeit cler Tat zu bestimmen. Beantragt er die Verfolgung, so ist es nun Sache des Staates deren Maass zu normiren. Wenn § 63 aber fortfährt: „das gerichtliche Verfahren findet gegen sämmtliche an der Handlung Beteiligte (Täter und Teilnehmer), sowie gegen den Begünstiger statt, auch wenn nur gegen eine dieser Personen auf Bestrafung angetragen worden ist", so sagt er zu viel. Denn nicht der Antrag entscheidet Ziehungen und Gesichtspunkten, wie sich dieselbe nach dem Inbegriffe der in der Untersuchung ermittelten Umstände aus dem Ergebnisse der letzteren gestaltet"). 13 Deshalb sind die Ausführungen i n R G I I I vom 22. A p r i l 1882 (E V I 312 bis 314) nicht für richtig zu halten. 1 Dieser Satz gilt zweifellos auch für Ermächtigungsverbrechen: weder der Staatsanwalt, noch die beleidigte Körperschaft ist befugt die Verfolgung auf einen cler Schuldigen zu beschränken. Falsch B e r n e r § 175; S c h ü t z e S 172 A n m 2 6 ; M e y e r § 61 S 359 i m Text (richtig M e y e r das. i n A n m 5, wenn ich recht verstehe); G e y e r I 212. Der Staatsanwalt sucht die Ermächtigung zur Verfolgung einer bestimmten T a t nach.

§ 133.

5. Unteilbarkeit des Antrags u. seiner Rücknahme.

637

über den Prozessgegenstand, sondern die Klage, und die Klage gegen einen Schuldigen ist durchaus nicht Klage wider Alle, und wie viele Klagen der Staatsanwalt auf Grund des Antrags erheben will, das entscheidet allein er nach pflichtmässigem Ermessen. Er wird allerdings dem GB am gemässesten handeln, wenn er die Klagen wider die Mitschuldigen, soweit es möglich, zu häufen sucht2. 2. Das notwendige Seitenstück zu dieser Unteilbarkeit des Antrags ist die U n t e i l b a r k e i t der W i r k u n g seiner R ü c k nahme. Das Verfahren ist entweder gegen Alle weiterzuführen oder gegen Alle einzustellen : der rechtsgiltigen Rücknahme des Antrags legt GB § 64 Abs. 2 die letztere Wirkung bei. Sollte die Klage wider einen Teil der Mitschuldigen noch nicht erhoben sein, so wirkt jene Einstellung auch zu ihren Gunsten und zwar den Untergang cles wider sie entstandenen Verfolgungsrechtes. II. Die Summe der durch den einen Antrag gemeinsam bedingten Strafklagen wird aber durch GB § 63 über den Kreis der Klagen gegen alle Mitschuldigen hinaus noch um die Klage gegen den B e g ü n s t i g e r erweitert. Das Gesetz denkt hier übrigens nur an die echte B e g ü n s t i g u n g , d. h. die Begünstigung, um Jemanden cler Strafe zu entziehen3. Seine Ausdrucksweise aber erweckt falschen Schein. Die Begünstigung ist nie Antragsvergehen 4. Wohl aber kennt das heutige gemeine Recht keine s t r a f b a r e Begünstigung von Delinquenten, aus deren Tat wohl ein Strafrecht, aber noch kein Strafklagrecht entstanden oder deren Tat unverfolgbargeworden ist 5 . Objekt der echten Begünstigung ist nur das v e r f o l g b a r e s t a a t l i c h e S t r a f r e c h t , bei Antragsvergehen also erst das Strafrecht nach der Antragstellung und nur bis zur Rücknahme des Antrags 6. 2 W i r d der Antrag gegen einen bestimmten Mitschuldigen gestellt, die Klage auf alle erstreckt, so hat natürlich die Freisprechung des ersteren nicht die E i n stellung des Verfahrens wider die übrigen zur Folge: R G I I I vom 17. Dez. 1881 ( Ε V 269 ff.). W i r d bei Pressvergehen der Antrag wider den verantwortlichen Rédacteur gestellt, so ist die Klage nicht auf i h n zu beschränken, falls der Verfasser des strafbaren Artikels festgestellt w i r d : R G I vom 15. Nov. 1883 ( Ε I X 186 if.). 3

S. meine Nonnen I I 468 N r 680 und die dort S 469 angeführten ErkenntDieselbe Beschränkung gilt für GB § 247, 3. 4 Auch niSht, wenn die zuvor zugesagte Begünstigung eines Antragsverbrechens als Beihilfe zu demselben zu strafen ist. § 257 Abs. 3 normirt nur das Strafmaass. And. Mein. D o c h o w bei H H I V 276 und O l s h a u s e n zu § 61 A n m 6 (1. Aufl.). 5 Vgl. darüber Nonnen I I 568 if. (wo noch einige Ungenauigkeiten) und später die Lehre von der Begünstigung. 6 Gerade deshalb ist die Stellung des Antrags nicht als anderweite Bedingung

nisse.

. Antrag und Ermächtigung.

III. Wird die Strafklage durch den Antrag bedingt in Anbetracht naher persönlicher Verhältnisse zwischen dem Schuldigen und dem \7erletzten und trifft dieser Grund nur bei einem Teile der Mitschuldigen zu, bei dem andern nicht, so treten die Postulate der AngehörigenVerfolgung nur auf Antrag und der Unteilbarkeit des Antrags mit einander in Widerstreit. Dieser Streit findet seine sachgemässe Lösung in dem Siege des ersten Postulates über das zweite: denn es fehlt dann aller Grund die Nichtangehörigen bei diesen Verbrechen den Angehörigen gleichzustellen. Es wird dies vom Gesetze in § 247 ausdrücklich anerkannt bei Diebstahl und Unterschlagung gegen Angehörige, Vormünder, Erzieher u. s. w. „Diese Bestimmungen" — sagt § 247, 3 und meint damit die Satzung, dass solche Delikte nur auf Antrag zu verfolgen und dass sie begangen von Ascendenten an Descendenten und von einem Ehegatten gegen den andern straflos zu lassen seien — „finden auf Teilnehmer oder Begünstiger, welche nicht in einem der vorbezeichneten Verhältnisse stehen, keine Anwendung7." Daraus folgt: 1. Beteiligen sich an solcher Tat Angehörige8 und Fremde, so sind alle Klagrechte wider letztere unbedingt9. Eine Ausnahme vom Satze der Unteilbarkeit aller aus einem Verbrechen entspringenden Klagen bezüglich ihrer Bedingung durch den Strafantrag wird aber nur für diejenigen gemacht, welche in jenem persönlichen Verhältnisse zum Verletzten nicht stehen; also greift 2. die Unteilbarkeit des Antrags zweifellos wieder Platz, soweit die an der Tat Beteiligten in solchem Verhältnisse stehen. Wird also der Lehrherr von seinem Sohn in Gemeinschaft mit seinem Lehrling bestohlen, so bewirkt der Antrag gegen den letzteren die Verfolgbarder Strafbarkeit der Begünstigung aufzufassen. Die Verfolgbarkeit des erstentstandenen Strafrechts schafft erst das taugliche Angriffsobjekt der echten Begünstigung. 7 Diese Satzung ist bezüglich des Begünstigers höchst ungenau. 1. Zunächst ist eine Begünstigung strafloser Diebstähle nicht möglich; insoweit hat § 247, 3 auf § 247, 2 keinen Bezug. 2. Ferner handelt es sich gar nicht um die persönliche Stellung des Begünstigers, sondern lediglich um die des Diebes zum Bestohlenen. W e n n dessen Schwester einen fremden Teilnehmer am Diebstahl wider den Bruder begünstigt, so ist ihr Vergehen Offizialvergehen. Statt der Worte „Teilnehmer oder Begünstiger, welche nicht i n einem der vorbezeichnofcen Verhältnisse stehen," ist zu lesen „Teilnehmer, welche nicht i n solchem Verhältnisse stehen, und deren Begünstiger". 8 Es sei i m Interesse der Kürze gestattet, diesen Ausdruck für alle in § 247, 1 bezeichneten Subjekte des Deliktes zu gebrauchen. 9 S. auch R G I vom 19. Dez. 1881 ( Ε V 274).

§ 133. 5. Unteilbarkeit des Antrags u. seiner Rücknahme.

639

keit auch des ersteren 10 und die Rücknahme des Antrags wider einen die Einstellung des Verfahrens wider beide 11 . 3. Die Stellung des Antrags gegen einen Nichtangehörigen ermöglicht nicht die Verfolgung Angehöriger. Die Regel des § 247 muss nun auf alle diejenigen Vergehen und Uebertretungen analoge Anwendung finden, bei denen cler Antrag nur gefordert wird, falls die Handlung durch Angehörige verübt ist. Dies trifft zu bezüglich des B e t r u g e s (§ 263, 4) und der einfachen W i l d er ei (§ 292). Nicht minder aber auch auf diejenigen, welche Antragsvergehen sind, bei denen der Antrag aber ausnahmsweise, wenn gegen Angehörige gestellt, zurückgenommen werden darf: kann der Angehörige der Strafverfolgung nach begonnenem Prozess entzogen werden, so ist um so mehr möglich ihn von Anfang ausser Verfolgung zu halten. Dies trifft zu bei der Sachbeschädigung des § 303. IV. Da Ablauf der Antragsfrist durchaus kein Recht des Delinquenten auf Unverfolgbarkeit begründet, vielmehr nur das Antragsrecht untergehen lässt, da im Falle der Mitschuld bei Antragsverbrechen der Antrag gar nicht wider Alle gestellt zu sein braucht und doch Alle verfolgbar werden, da der Nichtsteilung des Antrags und der Nichtstellbarkeit desselben das gleiche Maass verfolgungshindernder Kraft beiwohnen bezw. nicht beiwohnen muss, so ist es ganz gleichgiltig, ob das Antragsrecht eines Antragsberechtigten wider einen Mitschuldigen durch Fristablauf untergegangen ist oder nicht: die rechtzeitige Stellung des Antrags wider einen andern Mitschuldigen seitens desselben Berechtigten, oder wider denselben Schuldigen seitens eines andern Berechtigten entfesselt die Verfolgung wider alle Mitschuldigen12. Der Grundsatz der Unteilbarkeit des Antrags wirkt juristische Wirkungslosigkeit des Ablaufs des einzelnen Antragsrechts; alle Mitschuldigen unterliegen der gleichen Gefahr der Verfolgung, bis auch das letzte Antragsrecht erloschen ist. Es ist dies auch allein rationell. Das Maass des Genugtuungsbedürfnisses kann durch Entdeckung Mitschuldiger sich ganz ausserordentlich steigern. Die Tat, die anfangs ganz harmlos aussah, kann durch das Hinzutreten eines zweiten und 10 V o n einer Beschränkbarkeit des Antrags auf einen der beteiligten Angehörigen, wie sie R e b e r S 443. 444 und O p p e n h o f f zu § 63 A n m 4, vgl. zu § 247 A n m 14, für möglich halten, sagt das Gesetz kein W o r t . 11

S. auch P e z o l d zu § 63 N r 6. Stehen mehrere Antragsberechtigte einem Schuldigen gegenüber, so bleiben j a nach GB § 62 trotz des Ablaufs der einen Antragsfrist gleichfalls die übrigen Antragsrechte bestehen. 12

640

. Antrag und Ermächtigung.

dritten Mitschuldigen den Charakter eines unerträglichen Rechtsbruchs annehmen 1314 . V. Wird der Antrag nur gegen einen Unschuldigen gestellt, das Verfahren gegen ihn und die Schuldigen eröffnet, so ist es gegen letztere mangels Antrags einzustellen. § 184.

6. E n t s t e h u n g u n d U n t e r g a n g des A n t r a g s rechtes.

I. E n t s t e h u n g . Die Bedingtheit der Verfolgung eines Strafrechts durch den Antrag entsteht mit dem Strafrecht selbst, das Antragsrecht also zweifellos mit dem Verbrechen 1. Von diesem Zeitpunkte an ist der Staatsanwalt durch fremdes Recht an der Erhebung öffentlicher Klage gehindert. Aber freilich, dieses Recht ist die Befugniss gegen eine bestimmte Person wegen bestimmter Tat Strafantrag zu stellen. Die A u s ü b u n g dieses Rechtes wird für den Berechtigten, der die Verfolgung nicht unter allen Umständen will, erst möglich von dem Zeitpunkte der Kenntnissnahme des Schuldigen oder eines der Schuldigen und seiner Tat. Werden Tat und Täter zu verschiedenen Zeiten kund, so beginnt die Möglichkeit der Antragstellung erst, wenn der Berechtigte beide erfahren hat 2 . Billig gewährt ihm nun von diesem Zeitpunkte an das Gesetz eine Frist, binnen deren er über Ausübung oder Nichtausübung seines Rechtes zu beraten und zu beschliessen hat. Ueber das Wesen dieser Frist herrscht Streit. Solcher wäre unmöglich, würde allseitig der Gegensatz zwischen gesetzlicher Befristung und Verjährung richtig gefasst. 13

Abweichend und durchaus formalistisch der Standpunkt, den RG Plen. vom 2. Jan. 1884 ( Ε I X 390 ff.) verteidigt. I h n halten für den richtigen auch G e y e r I 210; v. L i s z t S 176; O l s h a u s e n zu § 63 A n m 2. — Der richtigen Ansicht folgt R G I I I vom 17. A p r i l 1880 (Rspr I 614 ff.). 14 R e b e r S 470 lässt die Antragsfrist überhaupt noch gar nicht laufen, wenn der Verletzte noch nicht den „ T ä t e r " (GB § 61), sondern nur den Anstifter oder Gehilfen erfahren hat. Offenbar ders. Ans. K o h l e r , Patentrecht S 564, wohl auch L e h m a n n , Z u r Lehre von dem Strafantrag S 35: „Kenntniss der Teilnehmer ist weder hinreichend noch nötig." — „ T ä t e r " bedeutet aber in § 61 jeden Schuldigen. O p p e n h o f f zu § 61 A n m 31 lässt die Antragsfrist bezüglich aller M i t schuldigen erst m i t Kenntniss aller beteiligten Personen beginnen. Diese K o n struktion ist unrichtig, i h r praktisches Resultat annähernd richtig. 1 S. auch R e b e r S 342. — Das gleiche lässt sich nicht von a l l e n Antragsrechten sagen, die aus demselben Delikte entstehen. Erreicht der Verletzte das 18. Jahr erst nach der Tat, oder erhält er später einen Vormund u. s. w., so entstehen sein und seines Vormundes Antragsrecht natürlich später. 2

Seltsames Versehen bei D o c h o w , H H I V 272. 273.

§ 134.

6. Entstehung u. Untergang des Antragsrechtes.

641

Der benannte Zeitraum ist keine V e r j ä h r u n g s f r i s t 3 : nicht wirkt nonusus den Untergang des auf Dauer angelegten Antragsrechts. Sie ist keine P r o z e s s f r i s t 4 ; keine Beweisfrist, deren unbenutzten Verlauf das Gesetz als stillschweigenden Verzicht auf Ausübung cles Antragsrechts betrachtet 5. Vielmehr ist das Antragsrecht von Anfang an auf kurze Dauer angelegt: es ist ein „befristetes Recht" 6 . Die ihm gesteckte Frist beträgt 1. nach GB § 61 d r e i M o n a t e 7 . Ihre Zeit ist tempus continuum, nicht tempus utile. Trotz unverschuldeter Unmöglichkeit sie zu benutzen läuft sie dennoch zu Ungunsten des Berechtigten ab und gegen ihre Versäumniss giebt es keine Wiedereinsetzung8. Von dieser dreimonatlichen Frist finden sich drei Ausnahmen: a. bei wechselseitigen Beleidigungen und Körperverletzungen erscheint es unbillig, wenn der Verletzte noch klagen kann, als Kläger aber selbst in Folge des Untergangs des gegnerischen Antragsrechtes sakrosankt ist. Deshalb bestimmt GB § 198 u. 232, 3, auf erfolgten Antrag von der einen Seite ist „der andere Teil bei Verlust seines Rechtes verpflichtet, den Antrag auf Bestrafung spätestens vor Schluss der Verhandlung in erster Instanz zu stellen, hierzu aber auch dann berechtigt, wenn zu jenem Zeitpunkte die dreimonatliche Frist bereits abgelaufen ist". Unter dem „Schlüsse der Verhandlung" kann nach der ratio legis gar nichts anderes verstanden werden als der Schluss der Parteien-Verhandlung in erster Instanz, oder wie StPO § 428 treffend sagt: die „Beendigung der Schlussvorträge in erster Instanz" '·'. Die Bestimmung der StPO § 428, dass in solchen Fällen 3 So S c h w a r z e , Bemerkungen zur Lehre von der Verjährung. Erlangen 1867. S 124 if. (Klagenverjährung); H e i n z e bei H H I I 602 (der darin die einzige w i r k liche Klagenveijährung des heutigen Strafrechts sieht); R e b e r S 455; M e y e r S 365; L e h m a n n , Z u r Lehre vom Strafantrag S 18 ff. — Dagegen besonders v. S c h w a r z e zu § 61 A n m 15; F u c h s , Anklage S 23 (die Frist w i r k t Präsumtion der Verzeihung); S c h ü t z e S 169. 4 So N e s s e l S 39. 5 Dies ist die Auffassung H ä l s c h n e r s , D. StR I 718. Ders. Ans. auch F u c h s , Anklage S 24. 25. 6 S. G r a w e i n , Verjährung und gesetzl. Befristung. Leipzig 1880. S 22 ff.— Richtig bezeichnet die F r i s t als Rügefrist und als Präklusivfrist S c h ü t z e S 169; als nicht prozessuale Rügefrist O l s h a u s e n zu § 61 A n m 54; richtig endlich v. L i s z t S 176. 7 Der Unterschied von Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen ist auf ihre Länge ohne Einfluss. 8 Vgl. unten A n m 26. Es ist diese Bestimmung sehr zu bedauern, aber leider nicht durch Auslegung zu beseitigen. 9 Dass die Zeitpunkte des GB § 198 und der StPO § 428 zusammenfallen,

Binding, Handbuch. V I I . 1. I : B i n d i n g , Strafrecht. I .

41

642

. Antrag und Ermächtigung.

der Privatbeklagte bis zum Ende der Schlussvorträge 1. Instanz Widerklage erheben könne, ist nur eine vereinzelte Konsequenz aus der Satzung des GB § 198; auch wenn er Widerklage nicht erhebt, oder, wie im Offizialverfahren wider ihn, nicht erheben kann, oder wenn das Gericht zur Aburteilung der wider ihn begangenen Beleidigung unzuständig sein sollte, — er hat doch den Antrag nach Maassgabe von GB § 198 zu stellen; b. nach SeemO § 84 Abs. 5 ist „der Antrag (wegen gröblicher Verletzung der Dienstpflicht seitens des Schiffsmannes) bis zur Alimusterung 10 zulässig". Es erhellt aus SeemO § 84 im Vergleich mit § 16. 17, dass der Schiffer gehalten sein soll vor der Abmusterung den Antrag zu stellen: die Frist der drei Monate kann also durch SeemO § 84 sowohl verlängert als verkürzt, ja sogar vernichtet werden, wenn der Schiffer erst nach der Abmusterung Kunde von dem Delikt erhält; c. in dem Zollkartell mit Oesterreich (s. oben S 609) ist für den „Antrag der zuständigen Behörde des andern Teils" keine Frist gesetzt, und es ist kaum anzunehmen, dass für diesen Antrag die Frist von GB § 61 Anwendung finden soll. 2. Diese Frist beginnt „mit dem Tage, seit welchem der zum Antrage Berechtigte von der Handlung und von der Person des Täters Kenntniss gehabt hat", GB § 6 1 u . Der Tag der Kenntnissnahme ist also der 1. Tag der Frist 1 2 . Erfährt der Generalbevollmächtigte des Berechtigten Tat und Täter am 1. Januar, der Berechtigte selbst aber erst am 15. Juli, so beginnt die Frist am 15. Juli zu laufen 13. Ist wie vielfach bei den Verletzungen des Urheberrechtes eine Firma antragsberechtigt oder etwa wie in GB § 102 und 103 eine auswärtige Regierung, so läuft die Frist ohne Rücksicht auf Personal-Veränderungen innerhalb der Firma oder der Regierung. Das neue Ministerium wie der neue Chef succediren in die Frist ihrer Rechtsvorgänger. sollte b i l l i g nicht bezweifelt werden. Richtig O l s h a u s e n zu § 198 A n m 4. And. Mein, selbst L ö w e zu StPO § 428 A n m 9. 10 N i c h t bis zum Tage der Abmusterung. 11 Danach ist auch der weniger genau sprechende § 35 des Ges betr. das Urheberrecht vom 11. Juni 1870 auszulegen: . . . „binnen drei Monaten nach erlangter Kenntniss von dem . . . Vergehen und von der Person des Täters." 12 Ist dieser Tag der 12. Februar, so endet die Frist am 11. M a i Nachts 12 Uhr. S. R G I vom 22. Dez. 1879 ( Ε I 40. 41). I n den oben sub 1 a u. b bezeichneten Fällen ist aber die Frist eine Frist ad momentum. S. auch O l s h a u s e n zu § 61 A n m 29. Unrichtig K o h l e r , Patentrecht S 504. 505; S c h ü t z e S 169 A n m 11. 13 So auch RG I I vom 24. März 1882 (E V I 120. 121).

§ 134.

6. Entstehung u. Untergang des Antragsrechtes.

643

Diese K e n n t n i s s ist mehr als Verdacht und weniger als Gewissheit. Der Antrag gegen den blos vermuteten Täter ist zwar nicht ungiltig, aber die Unterlassung desselben bis zur Kenntniss des Täters ist nicht unterlassene Benutzung der Antragsfrist. Denn diese entsteht erst, wenn der Verletzte einen durch Tatsachen beachtlichen Antrag wider eine bestimmte Person an die Behörde richten kann 14 . Der Zeitpunkt im Einzelfall ist quaestio facti. Die Kenntniss der Tat muss Kenntniss derjenigen Beschaffenheit cler Tat sein, wonach sie Antragsdelikt ist 1 5 . Wer eine Tat in einer Gestalt erfährt, wonach sie Offizialdelikt wäre, für den ist die Antragsfrist noch nicht entstanden. Hält aber cler körperlich leicht Verletzte die leichte Körperverletzung für ein Offizialdelikt, so läuft die Frist trotzdem vom Tage seiner Kenntniss an. Kennt Jemand Delikt und Täter, weiss er aber nicht, dass er selbst der Verletzte ist, so fehlt ihm die den Fristenlauf begründende Kenntniss16. 3. In einigen Fällen müssen zwei Klagvoraussetzungen zusammentreffen um die Offizialklage zu ermöglichen : mit dem Antrag die Auflösung (§ 170), Scheidung (§ 172) oder Ungiltigerklärung einer Ehe (§ 236. 237, s. § 238). Ueber die Zeitfolge dieser beiden Voraussetzungen, insbesondere darüber ob der Antrag hier erst nach Auflösung der Ehe zu stellen, die Antragsfrist also vom Tage der Rechtskraft des die Ehe lösenden Urteils zu berechnen sei, schweigt das Gesetz. In Folge dessen wTird von der einen Seite behauptet, die Antragsfrist beginne auch hier vom Tage der Kenntniss des Verbrechers und seiner T a t 1 7 , von cler anderen Seite aber die Ansicht vertreten, diese Frist beginne vom Tage der Rechtskraft des Civilurteils 18 , genauer 14

Etwas anders R G I vom 7. Febr. 1884 ( Ε X 141) und O l s h a u s e n zu § 61 A n m 32. S. das. auch A n m 33. Wesentlich richtig N e s s e l S 42. S. auch P e z o l d zu § 61 N r 26. 15 F ü r den ausgebeuteten Minderjährigen läuft die Antragsfrist nicht etwa vom Tage, wo er den Wechsel unterzeichnet hat, sondern von dem andern, an dem er erfährt, er sei Objekt strafbarer Ausbeutung geworden. R G I I I vom 18. Febr. 1882 (E V I 47 if.). 16 Richtig Preuss. O T r vom 4. März 1875 (Ο X V 193 ff.); L e h m a n n , Z u r Lehre vom Strafantrag S 36. 17 I n besonderer Abhandlung w i r d diese Ansicht vertreten von F i s c h e r , GS 1879 S 54 if. und 1880 S 396 ff. I h r huldigen auch H e i n ζ e bei H H I I 629; R e b e r S 471 ff.; M e y e r S 366; D o c h o w bei H H I V 273. 274; O p p e n h o f f zu § 172 A n m 15; H ä l s c h n e r I 719. 18

So N e s s e l S 4 3 ; ν. S c h w a r z e zu § 172 A n m 7 ; R ü d o r f f zu § 172 Anm 6 ; B e r n e r S 438; S c h ü t z e S 327; O l s h a u s e n zu § 6 1 A n m 29 (1. A u f l . ; s. A n m 50 der 2. A u f l . ) ; R G I I I vom 3. Jan. 1880 ( Ε I 44 ff.; vgl. Rspr I 180 ff. 182 ff.); R G I vom 23. März 1880 ( Ε I I 62 ff).

41*

644

. Antrag und Ermächtigung.

von dem der Wissenschaft dieses Tages. Erstere Ansicht stützt sich auf den Wortlaut des § 61, letztere auf zwei gleich unrichtige Gründe. Wäre die Ehescheidung anderweite Bedingung des Strafrechts, so könnte der Antrag erst nach der Scheidung gestellt werden, und verfrüht wäre er unwirksam. Allein diese Auffassung ist falsch. Das Strafrecht entsteht mit dem Ehebruch. Dies anerkennend stützt das Reichsgericht seine Ansicht darauf, § 61 habe Handlungen im Auge, deren Verfolgung ein gesetzliches Hinderniss nicht im Wege stehe. Allein man mag den Grund dahin deuten, der Antrag sei untunlich vor Entstehung des Straiklagrechts oder er werde nicht verlangt, wenn das Klagrecht zwar entstanden, aber zur Zeit gesetzlich nicht geltend zu machen sei, in beiden Deutungen hält er nicht Stich. Der Antrag will das Strafklagrecht mit begründen, und die dreimonatliche Frist muss zweifellos gewahrt werden, mag auch cler Verbrecher inzwischen geisteskrank oder exterritorial geworden sein. Und doch halte ich die zweite Ansicht für die richtige, aber aus anderem Grunde. Es handelt sich m. E. nicht sowohl um die Frist als um das Subjekt für den Antrag. Es soll eben grade nicht der Ehegatte während bestehender Ehe diesem Verhältniss zum Trotze den Strafantrag stellen, sondern der gewesene Ehegatte nach gelöster Ehe. Wäre ja doch der Antrag während der Ehe ein bedingter, der nur gelten wollte für den Fall der Scheidung, wäre er also durchaus wirkungslos, bis der Antragsteller dem Staatsanwalte das Scheidungsurteil vorgelegt hätte! So kann der Antrag vor der Scheidung nicht gestellt werden: und die Antragsfrist beginnt mit dem Tage der Kenntniss des rechtskräftigen Civilurteils. 4. Diese Frist beginnt und verläuft für jeden Antragsberechtigten und gegen jeden Mitschuldigen ganz selbständig. II. E n d i g u n g . Das Antragsrecht geht unter 1. mit jedem Untergange des Strafrechts; 2. mit jedem Untergange des durch Antrag bedingten Klagrechts, insbesondere mit dessen Verjährung, mit dessen Konsumtion durch rechtskräftiges freisprechendes oder verurteilendes Erkenntniss 19, nicht aber durch das Einstellungsurteil der StPO § 25 9 2 0 . Hat der Staatsanwalt die öffentliche Klage aus einem Antragsdelikt erhoben, ohne dass der Antrag gestellt worden war, so wird das Antragsrecht selbst durch die richterliche Annahme der Klage nicht zerstört. Der Antrag 19

Das Antragsdelikt ist fälschlich als Offizialdelikt behandelt worden. darüber noch unten sub 4. 20 Sehr richtig R G I I vom 31. M a i 1881 ( Ε I V 211).

Siehe

§ 134. 6. Entstehung u. Untergang des Antragsrechtes.

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kann jedenfalls in erster Instanz bis zum Beginne der Urteilsverkündigung nachgeholt werden. Dasselbe ist möglich in der Berufungsinstanz, weil der Berufungsrichter auch Erstinstanzgerichtsbarkeit besitzt. Nur muss gegen das ganze Urteil, soweit es das Antragsdelikt betrifft, Berufung eingelegt sein, nicht etwa nur gegen den Kostenentscheid oder die Strafzumessung 21. Doch darf nicht auf Grund des Antrags, falls zu Gunsten des Angeklagten appellirt worden ist, das Urteil zu dessen Nachteil in der höheren Instanz abgeändert werden. Dagegen ist eine Nachbringung des Antrags in der Revisionsinstanz schlechthin ausgeschlossen: denn der Revisionsrichter hat lediglich darüber zu entscheiden, ob des Unterrichters Urteil auf Verletzung eines Gesetzes beruht, d. h. ob er zur Zeit, als er urteilte, richtig urteilte oder nicht 22 2 3 ; 3. durch jede gesetzliche Verwandlung eines Antrags- in ein Offizialverbrechen, einerlei ob während laufender oder nach schon abgelaufener Antragsfrist, sofern nicht das Gesetz, wie das Revisionsgesetz vom 26. Februar 1876 A. I I I bestimmt, dass bezüglich der vor seinem Inkrafttreten schon vollständig abgeschlossenen Verbrechen das Erforderniss des Antrags nach den bisherigen Gesetzen zu beurteilen sei. Setzt sich aber ein Antragsverbrechen in die Zeit des neuen Gesetzes, worin das Erforderniss des Antrags gestrichen ist, fort, so geht das vorher entstandene Antragsrecht trotz A. I I I nach dem Grundsatze der Unteilbarkeit der Klage und ihrer Bedingung unter ; 4. durch Ablauf der unbenutzten Antragsfrist. Dieser tritt ein, wenn nicht der formell giltige Antrag des wirklichen Antragsberechtigten nachgewiesenermaassen24 rechtzeitig an kompetenter Stelle eingelaufen ist 2 5 . Nicht durch nonusus, nicht durch schuldhafte Ver21

StPO § 372. Der Antrag ist also stets nachzuholen, wenn der Kläger i n seinem Interesse appellirt h a t ; aber auch dann, wenn der verurteilte Angeklagte .gegen die Verurteilung appellirt, und der Berufungsrichter nun gestützt auf den A n t r a g das Erstinstanzurteil bestätigt. Ist dagegen wider eine Einstellung appellirt, so kann nun nicht auf Grund des Antrags eine Verurteilung Platz greifen. 22 StPO § 376. Siehe B i n d i n g , Grundriss des Strafprozessrechts S 162. 23 Es steht aber nichts i m Wege, dass der Antragsberechtigte, sofern er den A n t r a g in der höheren Instanz nicht mehr nachholen kann, denselben w ä h r e n d d e s P r o z e s s e s an die zuständigen Behörden b r i n g t , um die F r i s t für den F a l l nicht zu versäumen, dass es zur Konsumtion der Klage durch rechtskräftiges U r t e i l nicht komme, m i t andern Worten, für den Fall, dass der Prozess mit E i n stellung ende. 24 25

S. darüber O l s h a u s e n zu § 61 A n m 37. S. darüber genauer unten § 137. Dass der Beamte

noch am

letzten

646

. Antrag und Ermächtigung.

säumung der Antragsfrist, sondern nur durch deren unbenutzten Verlauf geht das Recht unter 2 6 ; t 5. durch den Untergang des Subjekts der Antragsberechtigung, nicht aber stets durch den Untergang des Verletzten 27. Das Antragsrecht ist ein höchst persönliches : es giebt schlechterdings keine Rechtsnachfolge in dasselbe. Jener Untergang ist a. Tod in den weitaus zahlreichsten Fällen, wo das Antragsrecht ganz bestimmten physischen Personen zusteht28. Insoweit ist das Antragsrecht unvererblich. Tritt an Stelle eines verstorbenen Vormundes ein anderer, so ist dessen Antragsrecht ein neues, und die volle Frist des § 61 kommt ihm zu statten 29 ; b. Untergang des Staates, dessen Regierung antragsberechtigt ist, der politischen Körperschaft, wenn diese beleidigt worden ist, der Korporation oder Stiftung, wenn sie Gegenstand eines Antragsverbrechens gewesen sind; das Subjekt des Antragsrechts bleibt dagegen durch einen Ministerwechsel in jenem Staate oder den Tod des leitenden Staatsmannes ganz unberührt, ebenso durch die Auflösung des Reichstags und durch den Personenwechsel im Vorstand der Korporation oder Stiftung; c. Untergang des Subjektes der Berechtigung bei den Erfinderrechten, nicht etwa cler Tod des jeweiligen Firmen-Inhabers 30; d. Untergang der gesetzlichen Vertretung und cler Vormundschaft in den Fällen des § 65, 2 u. 3, ebenso aber auch cler Tod des gesetzlich Vertretenen 31 ; Tage der Frist den eingelaufenen rekommandirten Brief gelesen habe, ist nicht zu erfordern. 26 And. Mein. F u c h s , Anklage S 24; N e s s e l S 43; M e d e m , GS S 581 (schuldbare Yersäumniss); O l s h a u s e n zu § 61 A n m 50 (die Unmöglichkeit der Antragstellung sei keine Unterlassung derselben, während der Verhinderung ruhe die Antragsfrist). V o n dem allem weiss das Gesetz gar nichts: denn das W o r t „unterlassen" bezeichnet eben nur die Untätigkeit. Die Konsequenz der gegnerischen Ansicht müsste sein, dass die schuldlose Unkenntniss des Antragsrechts gleichfalls den Beginn der Frist hindere. M i t Recht hat auch schon v. B a r , GA X I X 715 auf die Analogie der Kriminalveijährung hingewiesen. 27 Hat der Antragsberechtigte den Antrag vor seinem Tode aufgesetzt, langt dieser aber erst nach dem Tode bei der Staatsanwaltschaft an, so ist der Antrag durchaus giltig. A n d . Mein. Preuss. O T r vom 12. Dez. 1877 (Ο X V I I I 779. 780). 28 Es sind dies alle Fälle, die nicht unter b u. c besonders zu erwähnen sind. 29 Genau das gleiche gilt von allen Fällen scheinbarer Succession i n das A n tragsrecht, die oben S 629 hervorgehoben sind. 30 S. darüber genauer oben S 623 if. 31 So auch R G I I vom 3. M a i 1881 ( Ε I V 145 if.). — Von einer ganz unrichtigen Vorstellung geht R e b e r S 342 if. aus. Das Antragsrecht des verletzten

§ 135. 7. Die Rücknahme des Antrags insbesondere.

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6. durch giltige Rücknahme des Antrags seitens dessen, der ihn gestellt hat. Nie aber beraubt die Rücknahme des Antrags seitens des einen Antragsberechtigten einen andern seiner Befugnisse. Nur dann, wenn letzterer im Hinblick auf den gestellten Antrag seinerseits untätig geblieben ist und seine Frist hat verstreichen lassen, kann sein Verfolgungswille keine Verwirklichung mehr finden! Damit aber ist der Kreis der Endigungsgründe erschöpft: denn die Rücknahme des Antrags ist die einzige rechtlich anerkannte Verfügung über das Antragsrecht; ein giltiger V e r z i c h t auf den Antrag gegenüber dem Verbrecher existirt nicht — nicht deshalb weil das Antragsrecht zu den öffentlichen Rechten gehört: denn es giebt auch verzichtbare öffentliche Rechte; sondern einfach deshalb nicht, weil das Gesetz das Recht dem Verletzten als solchem giebt und dieser durch Verzicht nicht aufhört Verletzter zu sein 32 . Hat cler Verbrecher dem wortbrüchigen Antragsberechtigten Aequivalente für seinen Verzicht gewährt, so steht ihm gegen den Schelmen nur die condictio causa data causa non secuta zu. Ganz unbegründet ist endlich die Ansicht von D o c h o w 3 3 , dass der Verlust cler bürgerlichen Ehrenrechte die Unfähigkeit zu Antrag und Privatklage bewirke. § 135. 7. Die R ü c k n a h m e des A n t r a g s insbesondere. In richtiger Würdigung cler grossen aus cler Rücknehmbarkeit des Antrags fliessenden Uebelstände hatte der Entwurf zum Nordel. StGB § 62 sehr verständig vorgeschlagen : „Nach Eröffnung der gerichtlichen Untersuchung kann der Antrag nicht zurückgenommen werden." Der Reichstag änderte dahin ab: „Nach Verkündung eines auf Strafe lautenden Erkenntnisses kann cler Antrag nicht zurückgenommen werden.'1 Eigentümers, Mieters, Gläubigers, Vorgesetzten ende m i t dem Aufhören des Eigentums, der Miete, des Forderungsrechtes, der Quiescirung des Untergebenen. N i c h t das verletzte Recht besitzt das Antragsrecht, sondern der i n seinem Rechte Verletzte. S. gegen R e b e r auch K o h l e r , Patentrecht S 543. 32 Ganz anders verhält es sich mit der E i n w i l l i g u n g des Antragsberechtigten in die Verletzung: diese lässt das Antragsrecht schlechthin nicht zur Entstehung kommen. Warum, darüber s. § 139. F ü r die Unwirksamkeit eines Verzichtes R G I vom 13. Jan. 1881 (E I I I 221 ff.); R G I I vom 1. A p r i l 1881 (Rspr I I I 181 ff.); ebenso fast einmütig die übrige Judikatur und die Literatur (zusammengestellt bei O l s h a u s e n zu § 64 A n m 4 9 b ; die abweichenden Ansichten das.). A u c h ein Verzicht vor Gericht ist unerheblich: das Gericht ist ganz unzuständig einen solchen Verzicht entgegenzunehmen. And. Mein. H ä l s c h n e r , D. StR I 721. Richtig ROHG vom 13. Okt. 1876 (St V I 154 ff. : sehr beachtlich). 33 Bei H H I V 241.

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. Antrag und Ermächtigg.

Diese Fassung, welche die Rücknehmbarkeit des Antrags bei allen Antragsvergehen nicht einmal auf das Erstinstanzverfahren beschränkt, hat gesetzliche Sanktion erhalten und gegolten bis zum Inkrafttreten des revidirten Strafgesetzbuchs vom 26. Februar 18761. Ja dies Recht ist für die vor diesem Termin (20. März 1876) begangenen Antragsverbrechen auch nachher in Kraft geblieben2. Im revidirten Gesetze hat § 64 folgende Gestalt erhalten: „Die Zurücknahme des Antrags ist nur in den gesetzlich besonders vorgesehenen Fällen und nur bis zur Yerkündung eines auf Strafe lautenden Urteils zulässig3." I. Die Rücknahme des Antrags wird gesetzlich ausdrücklich gestattet 1. unbeschränkt bei folgenden totalen Antragsvergehen: GB § 102. 103. 104. 194. 370, 6; Gesetz betr. das Urheberrecht vom 11. Juni 1870 § 27 4 . 45. 56; worauf in den Urhebergesetzen vom 9., 10. und 11. Januar: § 1 6 — § 9 — § 1 4 einfach verwiesen wird. In den §§ 103. 104. 194 handelt es sich um den Antrag wegen Beleidigung5, also wegen eines Deliktes, bezüglich dessen wie bei den Verletzungen des Urheberrechts und bei den Eigentumsverbrechen der Satz volenti non fit injuria Platz greift. Bei den feindlichen Angriffen auf befreundete Staaten trifft dieser Gesichtspunkt nicht zu. Die Rücknehmbarkeit des Antrags bei allen Verletzungen des Urheberrechtes, nicht aber des Patent- und Markenrechtes ist auffallend 6; 2. unbeschränkt bei Diebstahl, Unterschlagung, Betrug, Wilddieberei, soweit sie Antragsvergehen sind: GB § 247. 263. 292. 370, 5. 3. Dagegen ist bei den Antragsvergehen der §§ 232, 2 u. 303, 4 (Körperverletzung und Sachbeschädigung) die Zurücknahme des Antrags nur gegen „Angehörige" zulässig. II. Die Frist zur Rücknahme des Antrags ist von dem Ablauf der Frist zur Stellung desselben ganz unabhängig. Sie läuft durch 1 Ausnahme: i m Nordd. GB § 176 u. 177 war der Antrag, „nachdem die förmliche Anklage bei Gericht erhoben worden", nicht mehr zurücknehmbar; nach § 194 konnte die Privatklage „bis zum Anfang der Vollstreckung des Urteils zurückgenommen werden". 2 Ges vom 26. Febr. 1876 A r t . I I I . 3 Die i n A n m 1 hervorgehobenen Singularitäten sind jetzt weggefallen. Die Verbrechen der §§ 176 u. 177 sind i n ihrer Verfolgung nicht mehr an den Antrag geknüpft. 4

„ D e r Antrag auf Bestrafung kann bis zur Verkündung eines auf Strafe lautenden Erkenntnisses zurückgenommen werden." 5 Uebrigens ist die Beleidigung nicht durchweg Antragsvergehen : GB § 95. 97. 6 S. Patges § 94; Ges über Markenschutz § 14, 2.

§ 135.

7. Die Rücknahme des Antrags insbesondere.

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den ganzen Prozess „bis zur Verkündung eines auf Strafe lautenden Urteils" 7 . 1. Dieses Urteil muss natürlich auf die durch Antrag bedingte Klage, nicht etwa auf eine damit konkurrirende Offizialklage ergehen. Da die Rücknahme nur erfolgen darf b i s zur Verkündung des Urteils, so bedeutet natürlich der Beginn der Urteilsverkündung das Ende der Rücknahmefrist, eine Auffassung, welche auch allein der Würde des Gerichtes entspricht 8. Dass dieses Urteil die Rechtskraft beschreite, ist nicht erforderlich. Seine Verkündung endet die Rücknahmefrist, diese kann also nicht wieder aufleben, wenn das Strafurteil vernichtet und die Sache in die 1. Instanz zurückverwiesen oder das Verfahren wieder aufgenommen wird 9 . In welcher Instanz das Urteil ergeht, gilt gleich. Doch erleidet dieser Satz eine wichtige Ausnahme in Folge des Prinzips der Unteilbarkeit der Verfolgung wider die sämmtlichen Teilnehmer am Antragsverbrechen. Da das Verfahren wider Alle verläuft oder zu Gunsten Aller unterbleibt, so bedeutet der Eintritt des Zeitpunktes, in welchem der Antrag gegen einen der Mitschuldigen nicht mehr zurückgenommen werden kann, das Ende seiner Rücknehmbarkeit überhaupt: dieses Ende tritt also ein mit dem Beginne der Verkündung des ersten Strafurteils in der Sache. 2. Bei Beleidigung und Körperverletzung, soweit sie Antragsvergehen sind, tritt an Stelle der durch Antrag bedingten öffentlichen Klage nach StPO § 421 die Privatklage. Sie ist nichts als ein gesteigerter Antrag auf Bestrafung 10: sie ist, wenn nicht der Staats7

I c h b i n geneigt die auf Grund des GB § 42 ergehenden Urteile als „ a u f Strafe lautend" i m Sinne des GB § 64 zu betrachten. 8 And. Mein, aus unstichhaltigem Grunde R u b o zu § 64 A n m 7, S 512; O l s h a u s e n zu § 64 A n m 5; ebenso O p p e n h o f f zu § 64 A n m 12. 13. 9 So auch R G I I vom 12. Nov. 1880 (E I I 420 ff.); R G I vom 4. Dez. 1882 ( Ε V I I I 175. 176). Aus der Unteilbarkeit des Antrags folgt, dass dieses auf Strafe lautende Urteil gegen einen Mitschuldigen die Rücknahme des Antrags wider andere Mitschuldige unmöglich macht. (Siehe O l s h a u s e n zu § 64 A n m 17. — Ist also beispielsweise von zwei der Mittäterschaft am Hausfriedensbrüche Angeklagten der eine i n erster Instanz verurteilt, der andere freigesprochen, daraufhin vom Verurteilten und vom Staatsanwalte appellirt worden, so ist der Antrag i n der Berufungsinstanz schlechthin nicht zurückzunehmen.) Dieser Satz gilt aber nicht, wenn der Antrag nur bezüglich eines der Mitschuldigen, etwa eines „Angehörigen" zurückzunehmen ist, und das auf Strafe lautende Urteil nicht gerade wider i h n geht. S. GB § 232. 303. 10

S. oben S 614.

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. Antrag und Ermächtigung.

anwalt dem Antragsteller seine Bereitwilligkeit erklärt die öffentliche Klage im öffentlichen Interesse zu erheben (StPO § 416), die einzige Form, in welcher der nach § 194 und 232 erforderliche Antrag gestellt werden kann 11 . Sie ist also notwendig innerhalb der Antragsfrist zu erheben 12. Die Rücknahme der Privatklage ist die denkbar energischste Rücknahme des Antrags, und nicht umsonst gebraucht StPO § 431 von der Privatklage denselben Ausdruck wie GB § 64 von dem Antrage. Gestattete Zurücknahme der Privatklage ist also statthafte Rücknahme des Antrags. Da nun StPO § 431 die tergiversatio der Privatkläger in jeder Weise begünstigend die Privatklage bis zur Verkündung des Urteils zweiter Instanz zurücknehmen lässt, so wird allerdings das StGB bezüglich aller Beleidigungen und Körperverletzungen, freilich nur soweit sie mit Privatklage verfolgt werden und cler Staatsanwalt die Sache nicht vor der Rücknahme derselben in die eigene Hand genommen hat, nicht unerheblich modifizirt. Die Rücknahme des Antrags ist für den Privatkläger schlechthin bis zur Verkündung des Berufungsurteiles zulässig, und zwar bei der Körperverletzung nicht, wie GB § 232 vinkulirt, nur gegen Angehörige. IH. Das Recht der Rücknahme des Antrags ist ein höchst persönliches und steht nur dem zu, der den Antrag gestellt hat 1 3 . Davon giebt es folgende Ausnahmen: 1. Soweit in dem Subjekt des Antragsrechtes ein Personenwechsel möglich ist, soweit kann auch ein Wandel bezüglich des zur Rücknahme des Antrags Berechtigten eintreten. Das folgende Ministerium, 11 W e n n die Protokolle der Reichs-Justizkommission zur StPO S 1051 bemerken: „die Zurücknahme des Strafantrags ist von der Zurücknahme der Privatklage ebenso verschieden als die Stellung des Strafantrags von der Erhebung der Privatklage" — ders. Ans. L ö w e zu StPO § 431 A n m 1; O l s h a u s e n zu § 64 A n m 2 0 ; M e n z e l , Privatklage S 52 —, so ist dieser Satz i n beiden Teilen gleich falsch. R i c h t i g aber ist, dass StPO § 431 schlechterdings nicht zu GB § 64. 194. 232 gestimmt ist. M a n kann den W i l l e n , dass der Angeklagte gestraft werden soll, gar nicht energischer zurücknehmen als durch Rücknahme der K l a g e ; dass dann der Staatsanwalt auf Grund des früher gestellten Antrags soll weiter klagen können (so R G I I vom 20. A p r i l 1883, Ε V I I I 207 if.), ist m i r nicht begreiflich. 12

A n d . Mein. R G I I vom 4. März 1881 (E I I I 373: wenn der Antrag rechtzeitig gestellt sei, könne der Privatkläger klagen, wann er wolle). 13 S. dazu O l s h a u s e n zu § 64 A n m 7. — I m Privatklageverfahren m i t mehreren Privatklägern (StPO § 415) ist zu unterscheiden: 1. klagen alle aus demselben Delikte, so ist die Rücknahme des Antrags seitens eines der Kläger wirkungslos; 2. klagen sie aus einem Falle der Idealkonkurrenz und ein Verletzter lässt die Klage fallen, so kann seine Verletzung nicht mit abgeurteilt werden.

§ 135.

7. Die Rücknahme des Antrags insbesondere.

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der folgende Inhaber des Verlagsrechts — sie können die vom früheren Antragsberechtigten gestellten Anträge zurücknehmen; nicht aber der neu eingetretene offene Handelsgesellschafter den von seinem Socius gestellten Antrag. 2. Ist cler Antrag vom Vormunde eines Minderjährigen gestellt und dieser vor dem Strafurteil volljährig geworden, so traut das Gesetz ihm jetzt die volle Urteilskraft über die Strafwürdigkeit der Verletzung zu, und deshalb muss ihm auch das Recht zuerkannt werden den Antrag des Vormundes zurückzunehmen14. 3. Ist dagegen cler Antragsteller hinterher entmündigt worden, so wird seinem Vormund das Recht zur Rücknahme des Antrags nicht eingeräumt werden können 15 . IV. Die Rücknahme des Antrags ist eine unbedingte Erklärung des Inhaltes, dass der Antragsteller seinen Antrag zurücknehme. Diese Erklärung kann schriftlich eingereicht oder mündlich abgegeben werden 16. Sie ist prinzipiell an den Staatsanwalt zu richten, kann aber nach der litis contestatio und besonders in der Hauptverhandlung auch an das Gericht adressirt werden. Nur im Privatklagverfahren ist eine Rücknahme durch konkludente Handlungen möglich 17 . Der zurückgenommene Antrag kann auch vor Ablauf der Antragsfrist nicht wieder aufgenommen werden 18 . Eine Restitution in das Antragsrecht giebt es nicht, wohl aber eine Restitution in die durch konkludente Handlungen zurückgenommene Privatklage 19 . V. Die Rücknahme des Antrags wirkt genau wie das Fehlen des Antrags: Nichterhebung der Klage oder Einstellung des Verfahrens 20, 14

Dagegen w i r d man i h m ein nachträgliches Veto gegen die schon vorher erfolgte Rücknahme des Antrags durch den Vormund selbst nicht einräumen können. 15 A . Mein. D o c h o w bei H H I V 281; M e y e r S 370; H ä l s c h n e r I 720. 16 F ü r die Zurücknahme genügt jede F o r m : R G I I vom 26. Januar 1883 (Ε V I I I 80). 17 StPO § 431, 2 : „ A l s Zurücknahme gilt es i m Verfahren erster, und soweit der Angeklagte die Berufung eingelegt hat, i m Verfahren zweiter Instanz, wenn der Privatkläger i n der Hauptverhandlung weder erscheint noch durch einen Rechtsanwalt vertreten w i r d oder i n der Hauptverhandlung oder einem andern Termine ausbleibt, obwohl das Gericht sein persönliches Erscheinen angeordnet hatte, oder eine F r i s t nicht einhält, welche i h m unter Androhung der Einstellung des Verfahrens gesetzt war." 18 Ausdrücklich sagt dies nur StPO § 432 von der Privatklage. Aber auch die Laune des nicht klagenden Antragstellers muss ihre Grenze haben. S. dazu O l s h a u s e n zu § 64 A n m 12. 19 S. StPO § 431 Abs. 3. 20 Unbedeutende Ausnahme StPO § 431: es bewendet unter Verwerfung der Berufung des Privatklägers bei dem Urteil erster Instanz.

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. Antrag un

Ermächtigung.

und zwar, soweit das Prinzip der Unteilbarkeit der Verfolgung herrscht, Einstellung des Verfahrens gegen alle am Antragsdelikte schuldhaft Beteiligten, die unter Anklage gestellt sind 21 . § 136. 8. Das A n t r a g s - u n d das E r m ä c h t i g u n g s r e c h t sind höchst p e r s ö n l i c h . U n z u l ä s s i g k e i t i h r e r Ausübung durch S t e l l v e r t r e t u n g 1 . I. Der Grundgedanke des heutigen gemeinen Rechts bezüglich des Subjekts der Entscheidung darüber, ob Antrag gestellt werden soll oder nicht, ist darin so energisch zum Ausdruck gebracht, dass seine Verdunkelung nur der auf dem Gebiete der Antragsverbrechen so stark hervortretenden Neigung die lex ferenda der lex lata unterzuschieben gelingen konnte. Nach dem Willen des Gesetzes soll jene Entscheidung von Fall zu Fall erfolgen, und zwar stets von dem Inhaber des Antragsrechtes, also — wenige Ausnahmen abgerechnet — von dem Verletzten in Person. E i n e S t e l l v e r t r e t u n g bei der A n t r a g s t e l l u n g k e n n t das Gesetz s c h l e c h t e r d i n g s n i c h t 2 ; der Vormund des unter 18 Jahre alten oder geisteskranken oder taubstummen Verletzten, die auswärtige Regierung im Falle des § 103 erhebt den Antrag nicht Namens des Verletzten, sondern durchaus selbständig, proprio jure. Es erklärt sich dies daraus, dass bei den 21

Bei den teil weisen Antragsvergehen w i r k t die Rücknahme nur zu Gunsten derer, die nur auf den Antrag h i n unter Anklage gestellt werden können : RG vom 19. Dez. 1881 (E Y 274 ff.). 1 I c h enthalte mich hier jeder Polemik i m einzelnen : sie ist ganz nutzlos für den, der die das geltende Recht beherrschenden Grundgedanken festhält, und nicht überzeugend für den, der das nicht tut. M a n vgl. den Stand cler Ansichten bei P e z o l c l zu § 65 N r 9 ff., bei O l s h a u s e n zu § 61 A n m 17—19 und die gute Abhandlung von H o l z a p f e l , G A X X X 428 ff. H o l z a p f e l macht m i t Recht darauf aufmerksam, dass das öffentliche Recht eine Vertretung i m W i l l e n principiell ausschliesst, dass ein analoges Interesse, wie es der Verletzte an Stellung und Nichtsteilung des Antrags habe, und wie es doch allein die Grundlage seines Antragsrechts bilde, ebensowenig bei dem Stellvertreter i m W i l l e n als bei dem Generalbevollmächtigten vorhanden ist, dass endlich das Antragsrecht doch etwas anderes sei als lediglich „ e i n Inventarstück des vermögensrechtlichen Arsenals". 2 Es sollte nicht nötig sein zu bemerken, dass der Vorstand einer juristischen Person nicht Stellvertreter derselben ist. Seine Handlungen sind A k t e der juristischen Person, nicht A k t e i m Namen und Auftrag derselben. — Der inländische Vertreter des i m Auslande wohnenden Patent-Nachsuchenden oder -Inhabers ist nach Patentgesetz vom 25. M a i 1877 § 12 nur zur Vertretung i m Patentverfahren, „sowie i n den das Patent betr. bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten befugt". Also nicht zur Antragstellung. S. RG I I I vom 4. Febr. 1882 und I I vom 24. März 1882 (E V I 10 ff. u. 119 ff.).

§ 136. 8. Ausschluss der Stellvertretung.

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Antragsverbrechen dem Genugtuungsbediirfniss eines ganz bestimmten Subjektes durch die auf seinen Antrag durchgeführte Strafverfolgung Genüge geschehen soll. Bezeichnet das Gesetz als den Antragsberechtigten den Beleidigten, den in seiner Gesundheit Geschädigten, den Eigentümer, den Besitzberechtigten, denjenigen, cler das Privatgeheimniss seinem Rechtsanwalt anvertraut hat, so sagt es unmissverstehbar deutlich, es lege allein Gewicht auf den Reflex der widerrechtlichen Handlung im Gemüte dieser bestimmten Person, der als der Trägerin des verletzten Rechtsgutes, vielleicht auch als der Verwandten des Täters nach Auffassung des Gesetzes Niemand nachempfinden kann. II. Dieser Satz, dass es bei den Antragsverbrechen eine sog. Stellvertretung im Willen nicht giebt, wird prinzipiell anerkannt, aber in Wahrheit für die Antrags-, welche zugleich Vermögensverbrechen sind, und für den Hausfriedensbruch geleugnet. Privatrechtliche Gesichtspunkte haben über die kriminellen teilweise den Sieg davongetragen. Es soll der Generalbevollmächtigte, der mit der Verwaltung eines fremden Vermögens in vollstem Umfange betraut ist, den Antrag wegen Beschädigung der Sachen des Vollmachtgebers, der Gutsverwalter den Antrag wegen Verletzung des Jagdrechtes des Gutsherrn, der mit der \7erwertung eines Patentes Beauftragte den Antrag wegen Verletzung des Patentrechtes seines Auftraggebers, die Firma den Antrag wegen Hinterziehung der Zwangsvollstreckung u. s, w. stellen können3. Das erste ist aber grade so unmöglich wie das zweite und das dritte ; allgemeine wie besondere Vollmacht sind gleich ohnmächtig die Ausübung des Antragsrechts von dessen Inhaber auf Dritte zu übertragen. Zunächst ist der Antrag· kein Rechtsgeschäft der Vermögensverwaltung, überhaupt kein dem privaten, sondern nur ein dem öffentlichen Recht angehörendes Geschäft Des weiteren entscheidet über diese Uebertragung des Antragsrechts natürlich nicht der Wille des Vollmacht- oder Auftraggebers, sondern das Gesetz, und da sich bei öffentlichen Rechten eine Stellvertretung im Willen nicht von selbst 3 Ueber den Generalbevollmächtigten als Antragsteller s. R G I I vom 20. A p r i l 1880 (Ε I 387: Antrag aus GB § 289 für zulässig erklärt), R G I I I vom 1. M a i 1880 (E I I 145 fF. : A n t r a g aus GB § 288 für unzulässig erklärt, wenn sich die Generalvollmacht nicht auf die Antragstellung mit erstreckt); über den ein für alle Male vom Eigentümer des Hauses zur Stellung der Strafanträge Ermächtigten s. R G I I vom 24. A p r i l 1881 (E I I I 425); über den Nachlasskurator bei Unbekanntechaft der Erben s. R G I I vom 16. Febr. 1883 ( Ε V I I I 112. 113, interessant: nach Analogie des Generalbevollmächtigten behandelt); über die F i r m a als Antragstellerin aus GB § 288 s. R G I I I vom 8. Okt. 1881 (Rspr I I I 612).

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. Antrag und Ermächtigung.

versteht, das Strafgesetz eine solche beim Antragsrecht nicht nur nicht freigiebt, sondern unmissverstehbar ausschliesst, so existirt sie im heutigen Rechte nicht. Es giebt also bei keinem einzigen Antragsverbrechen eine Stellvertretung 4. Der Antrag des Stellvertreters ist nichtig und der Satz, „jedenfalls werde durch den Antrag des Bevollmächtigten die Frist gewahrt" 5 , falsch und kaum verständlich. Die Frist für den Vollmachtgeber beginnt mit s e i n e r , nicht mit seines Bevollmächtigten Kenntniss von Tat und Täter. Was aber endlich den Hausfriedensbruch anlangt, so ist zu beachten, dass hier das Antragsrecht durchaus nicht etwa dem Eigentümer des Grundstücks als solchem zusteht, sondern Jedem, dessen Wille von Rechtswegen über das Betreten einer Räumlichkeit und das Verweilen in derselben entscheidet: also dem Mieter bezüglich seiner Wohnung6, dem Aftermieter bezüglich seines Wohnungsteiles, demjenigen, dem der abwesende Hausherr das Wohnrecht in seinem Grundstücke überlassen hat, dem Gutspächter bezüglich des ganzen erpachteten Gutes, sofern er nicht selbständige Wohnungsrechte darauf bestellt hat, dem Knecht, dem der Herr ein Zimmer zum Alleinbewohnen eingeräumt hat, gegenüber seinen Mitknechten, die ihn darin belästigen; handelt es sich aber um Räume, welche zum öffentlichen Dienste bestimmt sind, so ist als antragsberechtigt das Haupt der Behörde an dem betreffenden Orte anzusehen, weil sein Wille über die Diensträume zu disponiren hat. Ist freilich ein Amtsraum zugleich Wohnraum eines Beamten, so hat auch dieser das Antragsrecht. Das Bedürfniss einer Stellvertretung im Willen dürfte also beim Antrag wegen Hausfriedensbruch kaum vorhanden sein7. § 137. 9. Die S t e l l u n g des A n t r a g s . I. Für die Erklärung des Willens, es solle der Schuldige verfolgt und bestraft werden, schrieb das GB weder eine Form noch eine Behörde vor, bei der sie abzugeben wäre. Es genügten also mündliche Anzeigen seitens des Verletzten bei der Polizei — angebracht in der 4 Die Praxis w i r d den Ausweg der vom Antragsberechtigten unterzeichneten Antragsblankette ergreifen, deren Ausfüllung dem Bevollmächtigten oder Beauftragten überlassen wird. Dagegen w i r d sich der Staatsanwalt kaum schützen können. 5 B o l z e , GS 1880 S 436. — Lässt man übrigens den Antrag durch Stellvertreter zu, so kann es wohl kommen, dass er sich i n Wahrheit wider den V o l l machtgeber richtet! 6 Stirbt der Mieter, der Ehemann ist, vor Antragstellung, so hat die F r a u kein Antragsrecht: RG I I I vom 9. Juni 1884 ( Ε X I 53 ff.). 7 Vgl. auch oben S 619.

§ 137. 9. Die Stellung des Antrags.

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Absicht die Verfolgung zu veranlassen. In diesem Zustand ist durch die StPO § 156 Wandel geschafft. Nachdem Absatz 1 bestimmt hat, dass Anzeigen oder Anträge auf Verfolgung strafbarer Handlungen „bei der Staatsanwaltschaft, den Behörden und Beamten des Polizeiund Sicherheitsdienstes und den Amtsgerichten mündlich oder schriftlich angebracht werden" können, und dass die „mündliche Anzeige zu beurkunden ist", fährt Abs. 2 fort: „Bei strafbaren Handlungen, deren Verfolgung nur auf Antrag eintritt, muss der Antrag b e i einem G e r i c h t e oder der S t a a t s a n w a l t s c h a f t schriftlich oder zu Protokoll, bei einer a n d e r n B e h ö r d e schriftlich angebracht werden." Absatz 1 ist lex generalis, Absatz 2 lex specialis für Antragsvergehen: letztere derogirt der ersteren nur insoweit, als sie von ihr abweicht. II. Danach ergeben sich für die Stellung des Antrags folgende Grundsätze : 1. Der Antrag ist Willenserklärung des Antragsberechtigten, wonach eine bestimmte Persönlichkeit wegen einer individuell bestimmten Handlung verfolgt und bestraft werden soll 1 . Jede Erklärung ist Antrag, wrorin dieser Wille zum genügenden Ausdruck gelangt, auch die Anzeige zwecks Veranlassung der Strafklage. Bewusstsein der Antragsberechtigung ist zur Giltigkeit des Antrags grade sowenig erforderlich als Wissenschaft davon, dass das zu verfolgende Delikt Antragsvergehen sei 2 . 2. Die berüchtigte Frage nach der Wirksamkeit von Vorbehalten und Bedingungen, die dem Antrage beigefügt sind, ist aus dem Gesichtspunkte zu beantworten, dass der Antrag das Genugtuungsbedürfniss des Antragstellers in dem Umfange, als ihm gesetzlich Berücksichtigung zu Teil wird, unmissverstehbar zum Ausdruck bringen muss, 1 Die Nennung dieser Person ist nicht n ö t i g : „es genügt, wenn dieselbe i n einer dem Richter erkennbaren Weise individuell bezeichnet w i r d " . So R G I I I vom 26. Febr. 1881 (Rspr I I I 85). Bei den vollständigen Antragsverbrechen w i r d auch der Antrag „gegen alle Teilnehmer an der T a t " oder auf Verfolgung der T a t überhaupt noch als zulässig erachtet werden können: R G I I I vom 17. Dez. 1881 (Ε V 268 ff.); R G I vom 27. A p r i l 1882 (E V I 212 ff.). V g l . auch R G I I vom 19. Sept. 1882 ( Ε V I I 35 ff.) und P e z o l d zu § 61 N r 14. Bei den teilweisen Antragsverbrechen aber muss der Antrag gegen den Angehörigen u. s. w. als solchen oder gegen jeden, wer es auch sein möge, gerichtet sein. I n letzterer Gestalt kann er also vor Kenntniss der Persönlichkeit gestellt werden. S. bes. R e b e r S 438. 461; O l s h a u s e n zu § 61 A n m 43. 2 Ist also A n t r a g wegen eines Offizialdeliktes gestellt und das Gericht findet den Tatbestand eines Antragsvergehens, so darf es verurteilen. So auch R G I I I vom 9. März 1881 (Rspr I I I 130). S. auch O l s h a u s e n zu § 61 A n m 48.

656

. Antrag und Ermächtigung.

dass also alle Bedingungen und Vorbehalte, soweit sie nicht gesetzlich besonders gestattet oder verboten sind, den Antrag ungiltig machen3. Falsch ist die Regel, diese Zufügungen seien stets für ungeschrieben zu betrachten 4. Unzulässig ist nach GB § 63 die Bedingung: „wenn die Verfolgung nur auf einen der Schuldigen beschränkt wird" 5 , falls der Verfolglingswille überhaupt genugsam erklärt ist 6 ; unzulässig ganz zweifellos und somit für nicht geschrieben zu erachten die Bedingung : „wenn die Strafe nicht ein bestimmtes maximum übersteigt" 7, „wenn die Anklage erst im nächsten Monat erhoben", „wenn der Antragsteller nicht als Zeuge eidlich vernommen wird". Dagegen ist durchaus zulässig ein Antrag wegen Beleidigung für den Fall, dass vor der Vergleichsbehörde die Sühne nicht zu Stande komme (StPO § 420) 8 , oder bei wechselseitigen Beleidigungen für den Fall, dass nicht eine Kompensation eintrete 9 , oder bei Pressvergehen ein Antrag gegen den Redacteur, „wenn dieser nicht sofort den Einsender des Artikels namhaft mache" 10 , oder bei irgend einem 3

Gerade der Punkt, ob eine Bedingung gesetzlich erlaubt oder verboten sei, bedarf stets einer genauen Prüfung des Einzelfalles, und so begreift man, wie R ü d o r f f zu § 63 A n m 1 und v. S c h w a r z e zu § 61 A n m 20 es für Sache der Auslegung erklären, ob die beigefügte Beschränkung den Antrag unwirksam mache oder als nicht beigefügt zu betrachten sei. Ihre Regel ist nicht richtig, sie w i r d aber meist zutreffen. — W e n n aber R e b e r S 417. 418, sowie M e y e r S 368 und O l s h a u s e n zu § 61 A n m 45 u. 46 zwischen „Bedingungen" (die den Antrag unwirksam machen) und „Vorbehalten" (die ihn bestehen lassen) unterscheiden wollen, so stellen sie kaum auf den entscheidenden Punkt ab: der gesetzlich unzulässige Vorbehalt gilt pro non scripto, der gesetzlich zulässige lässt den Antrag bestehen. — E i n V o r b e h a l t d e r R ü c k n a h m e d e s A n t r a g s bei Stellung desselben ist aber k e i n Vorbehalt des Antrags und beeinträchtigt diesen nicht — auch dann nicht, wenn die Rücknahme gesetzlich unzulässig sein sollte. I n dem F a l l R G I I vom 7. Dez. 1880 (E I I I 91) ist m i r der Sachverhalt nicht klar. 4 K l e b s , G A X I X 576. 5 Dieser Ansicht auch R G Π Ι vom 1. A p r i l 1882 ( Ε V 152 if.). 6 Ist der Antragsteller über die Unteilbarkeit des Antrags i m unklaren und stellt er den A n t r a g nur für den Fall, dass etwa seine ehebrüchige F r a u nicht mitbestraft werde, so stellt er i h n de j u r e nicht. 7 Sehr richtig BayOG vom 13. A p r i l 1877 (Bayer. Ε V I I 146 if.). 8 N u r ist zu beachten, dass weder Staatsanwalt noch Gericht über den E i n t r i t t solcher Bedingungen von sich aus Beweis aufzunehmen haben. Der öffentliche Kläger wartet die Benachrichtigung seitens des Antragstellers ab, die aber innerhalb der drei Monate einlaufen muss. 9 S. O A G Dresden vom 27. Okt. 1873 (St Π Ι 325). 10 S. den interessanten F a l l des O A G Dresden vom 9. Dez. 1872 (St I I 259. 260). Ganz richtig nimmt das Gericht den Antrag nicht erst als am Tage der Weigerung des Redacteurs gestellt an.

§ 137.

9. Die Stellung des Antrags.

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Antrags vergehen, „falls der Strafantrag für den Antragsteller keine Kosten im Gefolge habe und ihn nicht nötige am Gerichtssitze zu erscheinen" 1 1 1 2 . 3. Destinatar des Antrags ist grundsätzlich die zuständige Staatsanwaltschaft 13. Das Gesetz trug aber Bedenken die Adressirung des Antrags allein an sie vorzuschreiben. Es lässt demgemäss seine Stellung „bei einem Gerichte oder der Staatsanwaltschaft oder einer anderen Behörde" zu. Dass mit den letzten Worten nur „die Behörden und Beamten des Polizei- und Sicherheitsdienstes", deren Kreis das Landesstaatsrecht zieht, gemeint sind, ergiebt die Vergleichung mit Absatz 1 als ganz zweifellos 14. Indem Absatz 2 an Stelle „der Amtsgerichte" des Absatz 1 jedes Gericht sagt, will er zweifellos die Regel des Absatz 1 erweitern: er ist aber trotzdem beschränkend auszulegen. Zunächst denkt § 156 nur an die ordentlichen bürgerlichen Strafgerichte und meiner Meinung nach zweifellos nur an Erstinstanzgerichte 15, welche mit Antrags vergehen betraut sind, also nicht an die Handelsgerichte und die Militärgerichte und nicht an das Reichsgericht, dagegen in den Konsulargerichtsbezirken wohl an die Konsulargerichte. Unter der Staatsanwaltschaft ist die Staatsanwaltschaft bei diesen Gerichten zu verstehen. Bezüglich der genannten Behörden ist das Erforderniss der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit nicht aufgestellt und zwar offenbar absichtlich, um den Berechtigten die Antragstellung zu erleichtern. Der Antrag kann also bei jeder deutschen Staatsanwaltschaft und jedem deutschen Strafgericht in oben bezeichnetem Umfange, sowie bei jeder deutschen Polizeibehörde erhoben werden 16. Diese sind verpflichtet 11

So BayOG vom 30. M a i 1876 (Bayer. Ε V I 276. 277). Vgl. über die ganze Frage besonders R e b e r S 417 ff.; M e y e r § 62 S 368; v. B a r , GA X I X 715; D o c h o w bei H H I V 275; F r e u d e n s t e i n , Ehrenkränk. S 102. 103; K o h l e r , Patentrecht S 553 ff.; H ä l s c h n e r , D. StR I 717 (dessen Ausdrucksweise hier nicht unbedenklich i s t ; die gesetzlich unzulässige Bedingung wirft den Antrag nicht um, sondern lässt i h n gerade bestehen); O p p e n h o f f zu § 61 A n m 23; O l s h a u s e n zu § 61 A n m 44. 45; P e z o l d zu § 61 N r 16. Vgl. auch RG I I I vom 1. A p r i l 1882 (E V I 152 ff.); Preuss. O T r vom 2. Okt. 1871 (Ο X I I 523 ff.); Preuss. OAG vom 7. Febr. 1873 (Ο X I V 126, bezieht sich auf die Zurücknahme); ferner die oben A n m 9 u. 10 citirten Dresdner Erkenntnisse. 13 Das Gericht hält für den Destinatär R e b e r S 429. 14 So auch L ö w e zu StPO § 156 A n m 9 ; O p p e n h o f f zu § 61 A n m 15; O l s h a u s e n zu § 61 A n m 22 a. E . 15 Dafür spricht entscheidend der Anfang des Paragraphen. 16 Ist eine Behörde selbst durch ein Antragsvergehen verletzt und gehört sie zu den i n StPO § 156 al. 2 genannten, so kann sie den Antrag bei sich selbst 12

Binding, Handbuch. V I I . 1. I : B i n d i n g , Strafrecht. I .

42

658

. Antrag und Ermächtigung.

ihn an die zuständige Stelle zu befördern. Die Satzung der StPO § 156 ist wichtig für die Berechnung der dreimonatlichen Antragsfrist (GB § 61). Die Frist wird gewahrt, wenn der Antrag vor ihrem Ende in formell giltiger Weise an einer der bezeichneten Stellen eingebracht ist, mag auch die zuständige Staatsanwaltschaft erst später davon Kunde erlangen. Denn jeder nach Maassgabe des § 156 gestellte Antrag ist giltig gestellt 17 . Bei Beleidigung und Körperverletzung, soweit ihre Verfolgung durch Privatklage stattfindet, ist zu unterscheiden: a. Beantragt der Verletzte nach StPO § 416 die Erhebung der öffentlichen Klage nach StPO § 416, so findet auf die Antragstellung der § 156 volle Anwendung. b. Will er Privatklage erheben, so muss der Antrag clie Gestalt der Privatklage annehmen, diese also innerhalb der drei Monate zu Protokoll des Gerichtsschreibers oder durch Einreichung einer Anklageschrift, und .zwar natürlich beim zuständigen Gerichte erhoben sein 18 . Da die Klagerhebung, wenn die Parteien demselben Gemeindebezirk angehören, durch den erfolglos gebliebenen Sühneversuch bedingt ist, so hat der Verletzte das Sühneverfahren so früh einzuleiten, dass er noch rechtzeitig die Klage erheben kann. Der Antrag bei der \ r ergleichsbehörde den Sühnetermin anzuberaumen, ist nichts weniger als ein Strafantrag, wahrt also die Antragsfrist nicht 19 . 4. Der Antrag bei den Polizei- und Sicherheitsbeamten muss schriftlich, der bei Staatsanwaltschaft oder Gericht kann schriftlich oder mündlich zu Protokoll angebracht werden 20. a. Der s c h r i f t l i c h e A n t r a g ist eine Privaturkunde; deren Aussteller der Antragsberechtigte 21 ; deren Inhalt die Erklärung des Antragswillens 22. Die Urkunde muss also mit dem Namen des Antragerheben: R G I vom 16. Juni 1881 ( Ε I V 264 ff.). S. auch O l s h a u s e n zu § 61 A n m 24. 17 Ist eine andere Behörde so entgegenkommend den Antrag zur Beförderung anzunehmen, so ist die F r i s t nur gewahrt, wenn derselbe vor ihrem Ablaufe zu Händen einer der i n § 156 benannten Behörden gelangt. — Ueber die frühere Praxis s. P e z o l d zu § 61 N r 20—22. 18 StPO § 421. 19 S. auch S c h e r e r , GS 1879 S 344. 345. 20 E i n Antrag bei Polizeibeamten, die zu Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft erklärt sind, ist kein Antrag bei letzterer: R G I I vom 23. Nov. 1880 (E I I I 55 ff.). 21 Ob der Aussteller auch den Tenor der Urkunde schreibt oder einen Andern zur Ausfüllung des Blanketts beauftragt, ist gleichgiltig: R G I vom 28. Juni 1880 (E I I 125 ff. 254 ff.). 22 Das R G nimmt an, dass ein Antrag mittels Telegramm als ein schriftlicher

§ 138.

659

10. Grundgedanke der Antragsverbrechen.

stellers oder, wenn er nicht schreiben kann, mit seinem beglaubigten Handzeichen versehen sein 23 . Ob der Antragsberechtigte sie in Person geschrieben oder sie durch einen Andern hat schreiben lassen, ist gleichgiltig 24 . Die fälschlich angefertigte Antragsurkunde ist kein Antrag. Durch welche Vermittlung diese Urkunde an die Behörde gelangt, durch einen Boten, die Post, persönliche Uebergabe, ist, sofern sie nur rechtzeitig eingeht, gleichgiltig. b. Der mündliche Antrag ist entweder persönliche Willenserklärung des Antragsberechtigten selbst oder des zur Abgabe seiner Erklärung vor Gericht oder Staatsanwaltschaft ermächtigten oder damit beauftragten Vertreters oder Boten 2δ . Ueber eine erforderliche Legitimation des letzteren als solchen sagt das geschriebene Recht nichts. Der Auftrag zur Antragstellung kann also gleichfalls mündlich, ja selbst durch konkludente Handlungen erteilt sein 26 . Die Behörde hat auch einen derart eingebrachten Antrag anzunehmen. Zweifelt die zuständige Staatsanwaltschaft daran, dass der Auftrag zur Antragstellung wirklich erteilt worden sei, so hat sie diesen Punkt zu erörtern. Der Antrag des negotiorum gestor ist kein Antrag, kann also auch dem saumseligen Antragsberechtigten die Frist nicht wahren 27. Das Protokoll hat aufzunehmen der Staatsanwalt in Person oder der Richter oder der Gerichtsschreiber oder eine andere zur Protokollaufnahme in der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht befugte Person. § 138. 10. G r u n d g e d a n k e der A n t r a g s v e r b r e c h e n nach h e u t i g e m Rechte. A n t r a g s r e c h t des i n die V e r l e t z u n g Einwilligenden. Uebersieht man zum Schlüsse nochmals das ganze Rechtsinstitut des Strafantrags im heutigen Rechte, so steht cler Annahme eines einheitlichen Grundgedankens gar nicht der Gegensatz von gänzlichen und teilweisen Antragsvergehen, nur sehr wenig der Gegensatz von anzusehen sei : R G I vom 16. Okt. 1884 (Rspr V I 624) auf Grund der Plenarentsch. vom 6. März 1883 (Ε V I I I 92 if.). 23 So auch R G I I vom 29. März 1881 (E I I I 442 ff.). 24 So auch R G I I vom 24. Febr. 1882 (E V I 69 ff.). 25 Ist der Auftraggeber nach rechtsgiltig erteiltem Auftrag wahnsinnig geworden, so endet der Auftrag dadurch ebensowenig wie durch seinen Tod. Durch civilistische Analogien irre geführt R G I I I vom 1. M a i 1880 (E I I 145 if.) und O l s h a u s e n zu § 61 A n m 15. Bezüglich des Todes falsch Preuss. O T r vom 12. Dez. 1877 (Ο X V I I I 779) und O l s h a u s e n zu § 61 A n m 16. 26

R G I I vom 10. Dez. 1880 (Rspr I I 625) und vom 21. März 1881 (E I I I 425); R G I I vom 19. Dez. 1879 (Rspr I 162); O l s h a u s e n zu § 61 A n m 15. 27 S. darüber auch O l s h a u s e n zu § 61 A n m 15.

42*

660

. Antrag und Ermächtigung.

Privatklagerecht und Antragsrecht, scheinbar sehr stark aber der Unterschied zwischen rücknehmbaren und unwiderruflichen Anträgen im Wege. Auch könnte man zweifeln, ob die Beschränkung des Antragserfordernisses auf die Klage wider Angehörige des Täters im weitesten Sinne nicht ihren selbständigen Grund hat. I. Nun ist zweifellos, dass der Gesetzgeber bei Aufstellung bedingter Straf klagerechte mit der Tatsache rechnet, die Bedingung würde vielfach ausbleiben und insoweit würde die Strafjustiz entlastet, die Strafpflicht des Staates verringert. Aber die Verminderung der Strafklagen schlechthin ist nicht der einheitliche Zweck, den das Gesetz bei Aufstellung von Antragsverb rechen verfolgt: von dem Gattungsverbrechen, dessen Klage an den Antrag geknüpft ist, will es vielmehr bestimmt geeigenschaftete Arten verfolgt, eventuell gestraft wissen, die andersartigen aber nicht. Und nun fragt sich, ob bei den verschiedenen Antragsvergehen die Grenze zwischen den verfolgungswürdigen und klaglos zu lassenden Fällen gesetzlich in verschiedener Richtung gezogen wird. Dies muss verneint werden! Wenn das Gesetz die Verfolgung eines Delikts an den Antrag des Verletzten knüpft, wenn es diesen Antrag nicht als Symptom der Beweisbarkeit des Delikts, noch der mangelnden Einwilligung des Verletzten in die Verletzung, noch endlich des durch das Delikt erregten Aergernisses betrachtet 1, wenn es durch Erteilung des Antragsrechtes anerkennt, dass bei dem Verletzten beachtliche Interessen an der Straflosigkeit der Tat vorhanden sein können, so will es gleichmässig, dass nur die Fälle zur Verfolgung gelangen, bezüglich deren das Interesse des Verletzten an der Bestrafung die gegenteiligen Interessen überwiege. Diese der Bestrafung im Sinne des Verletzten widerstrebenden Gründe können sehr verschiedenartig sein, und nur einen Teil derselben hat das Gesetz angedeutet: die Geringfügigkeit der Verletzung, die Lage, der Gemütszustand und der Zweck des Täters, das nahe persönliche Verhältniss des Verletzten zu ihm können ihm eine Bestrafung des Schuldigen als unnötig, vielleicht als sehr unerwünscht erscheinen lassen. Stellt er trotz solcher Gegengründe den Antrag, will er die Strafe lieber als die Nicht-Strafe, so i s t dies stets der A u s d r u c k eines Bedürfnisses nach G e n u g t u u n g d u r c h die Strafe, welches i n i h m s t ä r k e r i s t als die Beweggründe für den V e r z i c h t auf V e r f o l g u n g und Strafe. Der Staat stellt also sein Strafrecht zugleich in den Dienst der Aufrechthaltung cler Normen und 1

S. oben § 127.

§138.

10. Grundgedanke der Antrags verbrechen.

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in den der rrivatgenugtuung 2. Die Nichtsteilung des Antrags ist rechtlich V e r z e i h u n g seitens des Verletzten: sie beweist das Verschwinden seines Strafbedürfnisses. Liegt der Grund des Ântragserfordernisses in dem persönlichen Verhältniss zwischen Täter und Verletzten, so sagt das Gesetz damit, dass es darin einen anerkennenswerten Grund der Verzeihung erblicke, und gestattet es die Rücknahme des gestellten Antrags gegen Angehörige, so bekennt es, dass es die Verzeihung in dieser Richtung begünstige. Der Gedanke, die Verzeihung des Verletzten mache die Strafe unnötig, kommt am energischsten in dem Kompositionsverfahren zum Durchbruch, welches StPO § 420 bei der Beleidigung wieder aufleben lässt. Durch Staatsorgane wird die „Sühne" zwischen den Parteien versucht. Die Verzeihung — gleichgiltig ob gegen klingende Münze oder nicht — macht die Klage unmöglich. So ist der Antrag äusserlich allerdings Voraussetzung der Klage und insoweit gehört er wie alle Prozessvoraussetzungen dem Gebiete des Prozessrechts an; seine innere Bedeutung aber besteht darin, dass er das Dasein eines Nebengrundes der öffentlichen Strafe, des Genugtuungsbedürfnisses in dem Verletzten, und somit eine Tatsache des materiellen Strafrechts behauptet und voll beweist. So ist wreder die Lehre von der rein prozessualen noch die von der rein materiellrechtlichen Natur des Antrags genau. II. Soll aber in allen Fällen der Antragsverbrechen die Strafe der Privatgenugtuung dienstbar gemacht werden, so kann dies in doppeltem Sinne geschehen: der Gesetzgeber betrachtet schon das im Antrage ausgesprochene Genugtuungsbedürfniss als ausreichend den Staat zur Verfolgung und Strafe zu veranlassen — dann ist der Tod des Antragstellers vor rechtskräftig gewordenem Strafurteil kein Grund der Einstellung3 —, oder er denkt folgerichtiger, dass wenn dem Verletzten durch die Strafe nicht mehr Genugtuung werden kann, m. a. W. wenn dieser vor dem Urteil gestorben ist, ein wesentlicher Strafzweck und damit jeder Grund zur Fortsetzung des Verfahrens weggefallen sei4. 2 Vgl. auch V. R ö n n e , GA X I X 443. 444; F u c h s , Anklage S 180; R e b e r S 90. 161. — Der Staat w i r d sich aber selbst untreu, indem er das Privatinteresse das öffentliche überwuchern lässt. S. auch M e d e m , GS 1877 S 520. Dadurch kommt ein unerträglicher Dualismus zwischen öffentlicher Strafe und Privatgenugtuung in das ganze Institut. 3 Dies bildet heute weitaus die Regel! 4 So bestimmt StPO § 433, 1: „Der T o d des Privatklägers hat die E i n stellung des Verfahrens zur Folge.'·' § 433, 2 enthält von diesem Satze keine Aus-

662

.

A n t r a g und Ermächtigung.

1. Kann die Verzeihung die Verfolgung ausschliessen, so fehlt aller Grund cler Verzeihung nach gestelltem Antrag aber vor Beginn der Urteilsverkündung diese Wirkung zu versagen. Es entspricht also dem Grundgedanken der Antragsverbrechen allerdings die Rücknehmbarkeit des Antrags bis zu diesem Zeitpunkte, so bedenklich diese auch gegenüber den Strafverfolgungsbehörden erscheint. Jedenfalls bewegt sich ein Recht, was den Antrag bald zurückzunehmen gestattet, bald nicht, in vollem Widerspruch, der nur gemildert aber nicht beseitigt würde, wenn die Rücknehmbarkeit sich auf die wider Angehörige gestellten Anträge beschränkte. Vergleicht man die Verbrechen, bei welchen heute der Antrag zurückgenommen werden kann, mit den übrigen Antragsdelikten, so ergiebt sich nicht der geringste wesentliche Unterschied: ja bei der Abgrenzung beider Gruppen gegen einander ist nicht ohne Willkür verfahren worden. Unverkennbar wird die Verzeihung zu Gunsten Angehöriger durch öftere Gewährung der Rücknahme des Antrags wider sie gefördert. Aber auch dieser Gesichtspunkt ist keineswegs energisch durchgeführt. Und so unterscheiden sich die Antragsverbrechen mit rücknehmbarem und die mit unwiderruflichem Antrage in ihrem Grundgedanken gar nicht: nur ist bei ersteren der Verzeihung ein grösserer Zeitraum gewährt. 2. Vernichtet die Verzeihung den Grund zur Verfolgung bei Antragsverbrechen, so wäre es weiter nur folgerichtig durch die Sühne vor gestelltem Antrag das Antragsrecht untergehen zu lassen. Nun zweifle ich keinen Augenblick, dass bei Beleidigungen — aber nur bei ihnen — auch durch solche Sühne, die nicht vor der Vergleichsbehörde geschlossen ist, das Privatklagerecht erlischt 5 : aber wenn beispielsweise bei leichter Körperverletzung der Täter dem Verletzten Sühne in jeder Richtung geboten, und cler Verletzte bei Annahme des grossen Schmerzensgeldes versprochen hat den Strafantrag nicht zu stellen, so hindert ihn das Gesetz nicht den Antrag schmählicher Weise doch zu erheben und den gestellten gegen erhöhte Aequivalente vielleicht später zu Gunsten des angeklagten Angehörigen wieder zurückzunehmen. III. Soll bei den Antragsvergehen der Verletzte entscheiden, ob sein Bedürfniss nach Genugtuung oder nach Verzeihung den Sieg davon trägt, so setzt diese Befugniss einen Verletzten voraus, in welchem beide Bedürfnisse mit einander in Kampf treten können. Diese Vornahme. Es handelt sich hier nur um einen zulässigen Fall fundamentaler Klagänderung. 5 Arg. StPO § 420.

§18.

10. Grundgedanke der Antragsverbrechen.

663

aussetzung fehlt vollständig bei denjenigen, welche in ihre Verletzung eingewilligt haben. Diese E i n w i l l i g u n g lässt also, wenn sie in r e c h t l i c h beachtlicherWeise e r t e i l t ist, clasAntragsr e c h t n i c h t zur E n t s t e h u n g k o m m e n 6 . 1. Schliesst sie die Widerrechtlichkeit der Tat aus7, so entsteht kein Strafrecht, kein Verletzter und kein Genugtuungsbedürfniss eines solchen: es schwindet also die Möglichkeit cler Entstehung eines Antragsrechtes. Das Urteil in solchem Prozess muss freisprechen und darf nicht einstellen, auch wenn kein Strafantrag erhoben ist. 2. Bleibt die Widerrechtlichkeit cler Handlung trotz cler Einwilligung bestehen, wie z. B. bei den feindlichen Angriffen gegen befreundete Staaten durch agents provocateurs derselben, so beweist die Einwilligung, dass sie sich durch den Angriff in keiner Weise verletzt fühlen, dass sie kein Genugtuungsbedürfniss empfinden, keine Verzeihung erteilen können. Solchen Personen das Antragsrecht gewähren, heisst sie in die Lage setzen, den Staat zu einer seiner Auffassung nach ungerechten Bestrafung zu zwingen. Ihr Antrag ist eben kein Antrag eines Verletzten im Sinne cler §§ 61 ff. des GB. Wird trotzdem daraufhin die Klage erhoben, so ist nicht freizusprechen, wohl aber mangels des erforderlichen Antrags einzustellen. Sind durch das Delikt mehrere betroffen, von denen nur einer eingewilligt hat, so verliert nur er sein Antragsrecht. Hat der Mündel rechtlich beachtlich eingewilligt, so hat auch cler Vormund kein Recht des Antrags. Hätten wir statt der ungenügenden Bestimmung im GB § 196 eine Strafdrohung gegen das Delikt der Amtsehrenbeleidigung, so würde durch Einwilligung des Beamten nur sein Antragsrecht, nicht aber das des Vorgesetzten verloren gehen. Jetzt ist das leider anders ! 6

M i r ist ein F a l l berichtet worden, wo angeblich der Ehemann seine F r a u zur Prostitution anstiftete um gegen ihre Beischläfer Erpressungshandlungen zu begehen, nachher auf Grund ihres Lebenswandels von der F r a u geschieden wurde und nun von Hass gegen sie erfüllt Antrag auf Bestrafung cler Ehebrüche stellte, zu denen er selbst angestiftet hatte. 7 S. unten § 149. 150. Sie tut dies j a bei vielen Antragsvergehen.

Dritte Abteilung. Die Gründe der Nichtentstehung von Strafrecht und Strafklagrecht. § 139. E n t w i c k l u n g derselben. I. Der Kreis der strafrechtserzeugenden Tatbestände erscheint durch die bejahenden Strafgesetze dann ungenügend bestimmt, wenn es Handlungen giebt, welche mit den Verbrechen eine Reihe der wesentlichen Merkmale gemein haben, nach dem Willen des Gesetzes aber doch straflos bleiben sollen. Dieser Unbestimmtheit der Grenzen des Strafgebietes sollen die verneinenden Strafgesetze abhelfen. Sie tun es aber nur teilweise: denn das Strafgesetz ist wohl der Ort die verbrechensähnlichsten Handlungen vorsorglich als nicht verbrecherisch zu bezeichnen, aber nicht der Ort alle Ausnahmen von den Normen zu registriren. Alle diese Ausnahmen aber und alle verneinenden Strafgesetze, wie verschieden ihr Grund und ihre Stellung im allgemeinen Rechtssysteme auch sein mag, kommen für die Strafrechtstheorie nur unter einem Gesichtspunkte in Betracht: sie normiren die Gründe, aus denen Vorgänge von annähernd oder wirklich gleicher Struktur wie die Tatbestände bejahender Strafgesetze Strafrechte nicht erzeugen. Sie bilden somit ein in sich abgeschlossenes Kapitel der kriminalistischen Wissenschaft ihrer innerlichen Verschiedenheit ohnerachtet 1. Freilich ist hier eine Einschränkung nötig. Es giebt verneinende Strafgesetze, welche in Wahrheit nichts anderes regeln als positive \7oraussetzungen der Strafe in negativer Fassung. Dazu ge1 W i e dies auch der Standpunkt des geltenden Rechts ist, beweist u. a. der gleichlautende Anfang der §§ 51—55 des GB: „Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn" . . . Ganz missverstanden von M e y e r S 284 A n m 12.

§ 189. Nichtentstehung des StR.

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hört § 51 ganz und § 52, soweit er von der physischen Gewalt spricht, ferner die §§ 55. 56. 58. So selbstverständlich es nun ist, dass Strafe nicht eintreten darf, wenn es an einer Handlung im Rechtssinne überhaupt fehlt, sei's dass der Kausalzusammenhang zwischen Wille und Erfolg mangelt, oder cler durch einen Menschen verursachte Erfolg von ihm nicht vorauszusehen war, oder dass der Täter weil zu jung oder geisteskrank oder gezwungen überhaupt nicht als zurechnungsfähig erscheint, so unrichtig wäre es, statt in den Lehren von der Handlung die Zurechnungsfähigkeit und die Grenzen zwischen Handlung und Zufall festzustellen hier die Unzurechnungsfähigkeit und den casus als Grund der Straflosigkeit abzuhandeln. II. B e s t i m m t e G r ü n d e h i n d e r n 1. nur die E n t s t e h u n g des S t r a f k l a g r e c h t s . Ihrer sind zwrei: a. der d e f i n i t i v e A b l a u f der A n t r a g s f r i s t bei denjenigen Delikten, die nur auf Antrag verfolgt werden können, und die N i c h t e x i s t e n z eines A n t r a g s b e r e c h t i g t e n 2 ; b. der S c h u l d i g e geniesst wegen E x t e r r i t o r i a l i t ä t des P r i v i l e g s der U n Verfolgbarkeit 3 . 2. A n d e r e h i n d e r n sowohl die E n t s t e h u n g des S t r a f k l a g r e c h t s als des S t r a f r e c h t s 4 . Bestimmte Personen können nicht nur nicht gestraft, sondern auch wegen ihres Deliktes nicht unter Anklage und vor ein Gericht gezogen werden; 3. die m e i s t e n aber h i n d e r n n u r die E n t s t e h u n g des Strafrechts. IH. Die Gründe cler N i c h t e n t s t e h u n g von S t r a f r e c h t e n — wohl zu scheiden von den Gründen des Unterganges entstandener Strafrechte — sondern sich juristisch in zwei grosse Gruppen. Die Handlung ist straflos e n t w e d e r o b g l e i c h sie D e l i k t (s. unten 1—3), oder aber w e i l sie k e i n D e l i k t i s t (s. unten 4—6). 1. Das s t r a f w ü r d i g e D e l i k t i s t s t r a f l o s mangels der genügenden S t r a f d r o h u n g , sei's dass diese nach GB § 2 wegen absoluter Unbestimmtheit nichtig, sei's dass sie vor Begehung der Handlung nicht gehörig publizirt ist, sei's endlich dass zur Strafbarkeit inländisches und ausländisches Strafgesetz zusammenwirken müssen (GB § 4 al. 2 u. 3) und eines von beiden mangelt. 2

S. oben § 1 2 8 - 1 3 7 . Vgl. GB § 189 al. 3. S. unten § 143. 4 Dahin gehören nur die Privilegien des § 140 und 141, des § 142. 3

nicht aber das

666

§ 19.

Nichtentstehung des StR.

2. Das s t r a f w ü r d i g e D e l i k t i s t straflos w e i l von einer Person begangen, d i e grade dafür das P r i v i l e g der S t r a f l o s i g k e i t geniesst. 3. Das D e l i k t b l e i b t wegen ungenügenden Gehaltes an W i d e r r e c h t l i c h k e i t , oder wie man auch sagen kann, deshalb s t r a f l o s , weil der Staat glaubt die Autorität der Normen auch ohne Strafe aufrecht halten zu können. Es giebt Normen, deren Uebertretungen alle oder zum Teil, insbesondere wenn fahrlässig verübt, straflos bleiben. Von den verneinenden Strafgesetzen gehören hieher die Strafloserklärungen des Versuchs der Uebertretungen und eines grossen Teils der Vergehen (§ 43, 2), der Beihilfe und Begünstigung von Uebertretungen (§ 49 u. 257), der im Auslande begangenen Verbrechen und Vergehen für die Regel (§ 4), der blos mündlichen Aufforderung zu Verbrechen (§ 49 a al. 3), des Diebstahls und der Unterschlagung begangen wider Descendenten oder den Ehegatten (§ 247). 4. D i e H a n d l u n g i s t k e i n D e l i k t , aber auch weder e r l a u b t noch geboten: sie fällt in das Bereich der juristisch bedeutungslosen Handlungen. Diese Gruppe, zu der die reinen Wahnverbrechen, die Selbstverletzungen, eine Anzahl von Verletzungen Einwilligender gehören, bedarf ebenso wie die beiden folgenden eingehender Betrachtung 5. 5. D i e r e g e l m ä s s i g v e r b o t e n e H a n d l u n g ist ausnahmsweise e r l a u b t (es besteht ein subjektives Recht zu ihrer Vornahme) oder sie w i r d ex post r e c h t l i c h g e b i l l i g t . In der Feststellung solcher Specialrechte ist das Strafgesetzbuch äusserst unvollständig. Es erwähnt die Notwer, regelt einen kleinen Ausschnitt des Notstandes unci verweist im übrigen den Richter auf seine Rechtskenntniss, die aber darunter leidet, dass das geschriebene Recht ihn hier vielfach im Stiche lässt. 6. D i e r e g e l m ä s s i g v e r b o t e n e H a n d l u n g i s t ausnahmsweise geboten. Auch hierüber sagen die Strafgesetze nur selten — wie MGB § 47 — ein entscheidendes Wort. — Die Darstellung hat sich nun diesen Gründen der Straflosigkeit, soweit sie nicht wie die unter 1 und 3 aufgeführten keiner weiteren Klarlegung bedürfen, im einzelnen zuzuwenden. Dabei darf jedoch ein Punkt nicht verkannt werden. Dieselbe Tatsache, beispielsweise die Einwilligung des Verletzten, der Notstand, kann die Handlung aus einer verbotenen in eine rechtlich bedeutungslose, aber auch in 5

S. § 145 ff.

I. Die Privilegien der Straflosigkeit.

667

eine rechtmässige verwandeln. Die Notwerhandlung kann nur erlaubt, sie kann aber auch geboten sein. So können dieselben Gründe gleichzeitig verschiedenen Gruppen angehören, und wenn im Folgenden jeder doch nur einem Gesichtspunkt unterstellt wird, so ist das mehrfach nur annähernd richtig. I. § 140.

D i e P r i v i l e g i e n der S t r a f l o s i g k e i t 1 .

1. Die F ü r s t e n und die Regenten der deutschen Bundesstaaten.

Ein Privileg der Straflosigkeit wohnt vor Allen den Fürsten bei (§ 140). In weit geringerem Maasse den Mitgliedern des Reichstags und der Landtage (§ 141), sowie den Urhebern wahrheitsgetreuer Berichte über Reichstags- und Landtagsverhandlungen (§ 142). Regelmässig werden zu diesen Privilegirten auch die Exterritorialen gerechnet (§ 143). Ueber die Natur dieser vier Privilegien herrscht Streit, nicht minder über die innere Berechtigung des zweiten und dritten. Für den Umfang, in dem sie bestehen, üben die gleiche Wirkung nur das erste und zweite: sie hindern sowohl die Entstehung des Strafklagrechts als des subjektiven Strafrechts: die Persönlichkeiten, denen sie gelten, können nicht nur nicht bestraft, sondern auch nicht angeklagt und vor Gericht gestellt werden. Die wahrheitsgetreuen Berichterstatter sind des Einlassungszwanges durchaus nicht ledig, sondern ihre Handlung ist nur für straflos erklärt. Gerade umgekehrt erzeugen die Delikte der Exterritorialen ein Strafrecht, aber für die Dauer des Verhältnisses cler Exterritorialität kein Strafklagrecht. Es sollen nun diese Privilegien einzeln dargestellt werden. I. Als der Norddeutsche Bund ins Leben trat, fand er in allen monarchischen Bundesstaaten, wenn auch durchaus nicht in allen ihren Verfassungs-Urkunden, den Grundsatz ausgebildet, dass der Landesherr der eigenen Strafgerichtsbarkeit und den eigenen Strafgesetzen nicht unterworfen sei. Soweit ihn die Verfassungen Sanktioniren, erklären sie den Fürsten für „unverletzlich" 2, also auch jedenfalls gegenüber der Strafe für unverletzlich, oder „für heilig und unverletzlich" 3 , 1

Vgl. Β e r η e r , Wirkungskreis S 201 if. Β 153. M 20. Sch 20. W V 34. L i 21. — A u f die Fälle in GB § 173, 4. 247, 2. 257, 2. 289, 5 ist hier nur zu verweisen. 2 Preussen A r t . 43. Sachsen-Koburg-Gotha § 21. 3 Bayern § 1 al. 2. Königr. Sachsen § 4. Württemberg § 11 al. 2. Baden § 5 al. 2. Grossh. Hessen § 4 al. 2. Sachsen-Altenburg § 4 al. 2, § 71. Braunschweig § 3 al. 2. Oldenburg Art. 4 § 3. Reuss j . L . Abänderungsgesetz vom

668

I. Die Privilegien der Straflosigkeit.

oder für „unverletzlich und unverantwortlich" 4, oder sie sagen: „der Landesherr ist über alle persönliche Verantwortung erhaben" 5, oder sie verbinden Heiligkeit und Unverletzlichkeit mit der Erhabenheit „über alle äussere persönliche Verantwortung" 6. Diese Erhabenheit über alle Verantwortung wird aber mehrfach neben der Unveiietzlichkeit hervorgehoben, dann jedoch auf „Regierungshandlungen" beschränkt7. Alle diese Bezeichnungen greifen über die fürstliche Exemtion von den Strafgesetzen i h r e s Landes hinaus, sie schliessen sie aber in sich8. Der Grund dieser Exemtion ist wahrlich nicht der, es sei der Fürst unfähig Unrecht zu tun, er sei m. a. W. durch keine Norm gebunden9. Alle deutschen Staatsgrundgesetze zeigen den Fürsten in den Banden der Pflicht: er ist nicht legibus solutus, sondern als den ersten stellt der Fürst sich selbst unter das Gesetz. Der Grund ist weiter nicht der, es könne der Gerichtsherr seinem eigenen Gerichtszwange nicht unterworfen sein ; er kann sich demselben ebenso unterwerfen, wie der alte deutsche König vor dem Pfalzgrafen Recht nahm, und wie der Fürst sich heute den eigenen Gesetzen unterwirft. Den doppelten Grund bildet eine Erwartung und eine Erkenntniss: die berechtigte Erwartung, dass Niemand treuer das Gesetz befolgen werde als der es erlassen hat, und die Erkenntniss, dass der Glanz der Krone durch Strafverfolgung und Strafe nicht getrübt werden dürfe: denn es treffe die Strafe nicht lediglich den einzelnen Träger der Staatsgewalt, sondern erschüttere deren Autorität schlechthin und wirke somit ihrem ZwTecke gerade zuwider 10 . Der Fürst ist strafunfähig und deshalb auch unverfolgbar — nicht umgekehrt! II. Diesen Rechtsgrundsatz hat das neuere gemeine Recht zweifellos anerkannt für die Stellung des Kaisers und der deutschen Bundes10. Juni 1856 § 5. Scliaumburg-Lippe A r t . 5. Sehr m i t Recht bemerkt v. G e r b e r , Grundzüge des Staatsrechts 3. A u f l . S 80 A n m 1, dass diese „Heiligkeit'·' kein juristisches A t t r i b u t sei. 4 Anhalt-Bernburg § 82. Waldeck § 4. 5 Meiningen § 102. Aehnlich Sachsen-Altenburg § 36. 6 Schwarzburg-Rudolstadt § 2. Schwarzburg-Sondershausen § 9. 7 Sachsen-Altenburg § 36. Sachsen-Koburg-Gotha § 21. Oldenburg Art. 12 § 1. 8 Die konstitutionelle Ministerverantwortlichkeit hat kriminell in Wahrheit k e i n e Bedeutung. F ü r die Delikte des Souveräns kann cler Minister nicht gestraft werden. 9 S. auch S e y d e l , Bayer. Staatsrecht I 354. 10 N i c h t durchaus zutreffend Μ ο h 1, Ministerverantwortlichkeit. Tübingen 1837. S 3fr if. — K u r z und gut D a h l m a n n , P o l i t i k 2. A u f l . S 103. 104. Aehnlich H . S c h u l z e , Deutsches Staatsrecht S 187. 188.

§ 140.

1. Fürsten und Regenten.

669

fiirsten gegenüber den Reichsstrafgesetzen, und zwar durch konkludentes Schweigen: denn nirgends ist dies ausdrücklich gesagt11. Einen Bruch mit dem geltenden Rechte hätte das StGB umsomehr ausdrücklich vollziehen müssen, als die deutschen Fürsten nicht Untertanen der Reichsgewalt, sondern deren Mitinhaber sind, somit ihre Bestrafung den Souverän des Reiches treffen würde. III. Diese fürstliche Exemtion von den Reichs- und Landesstrafgesetzen kommt nur den legitimen Inhabern der monarchischen Gewalt, nicht aber den Prätendenten zu gute. Sie umfasst die Regierungshandlungen des Monarchen ebenso wie seine ausseramtliche Tätigkeit und erstreckt sich auf alle Handlungen des Fürsten während seiner Regierung. Der Fürst kann also für diese Handlungen auch nicht nach seiner Abdankung verantwortlich gemacht werden. Wohl aber beginnt mit seinem Austritt aus der Herrscherstellung seine kriminelle Verantwortlichkeit für die späteren Handlungen. Hat der Fürst vor seinem Regierungsantritt eine strafbare Handlung begangen und deren Strafe noch nicht verbüsst, wenn er auf den Thron kommt, so ist er natürlich für die Zeit seiner Regierung unsträflich ; dankt er aber vor abgelaufener Verjährung ab, so bleibt er auf Grund des StGB § 2 al. 2 unverantwortlich. IV. Nicht ohne Schwierigkeit ist die Stellung der legitimen „Regenten" zu den Reichsstrafgesetzen zu präzisiren. Unbedenklich kann man annehmen, das Reichsstrafrecht habe ihr früheres Verhältniss gegenüber den Landesstrafgesetzen des von ihnen regierten Landes auch sich selbst gegenüber anerkennen wollen. Andernfalls hätte es zu der Frage ausdrücklich Stellung nehmen müssen. Das einschlagende Landesrecht ist aber höchst unvollständig. Allein die Verfassung von SachsenKoburg-Gotha überträgt in § 21 die Unverletzlichkeit des Landesherrn und seine UnverantwTortlichkeit für Regierungshandlungen ausdrücklich auf den Statthalter. In allen übrigen deutschen Verfassungen ist höchstens gesagt, der Regent übe die dem Fürsten zustehende Gewalt in dessen Namen aus, sei es in ihrer ganzen Fülle, sei es mit Beschränkungen12: über seine Verantwortlichkeit aber wird geschwiegen13. 11 A u c h nicht i n E G zu StPO § 4. Denn die dort bezogenen Hausverfassungen und Landesgesetze regeln nur die Stellung des Landesherrn i n seinem eigenen Staate, aber nicht i m Deutschen Reiche. 12 Preussen A r t . 58. Bayern T . I I § 17. Königr. Sachsen § 12. W ü r t t e m berg § 15. Oldenburg A r t . 25 § 1. Anhalt-Bernburg § 91 al. 5. Waldeck § 24. Schwarzburg-Sondershausen § 9. 13 Daraus, dass der Fürst für unverantwortlich erklärt wird, der Regent aber nicht, lässt sich des letzteren Verantwortlichkeit nicht per argumentum e contrario

670

I. Die Privilegien der Straflosigkeit.

So ist die Frage dahin zu präzisiren : ist die zweifellose kriminelle Unverantwortlichkeit des Landesherrn nach Landesstaatsrecht per analogiam auf den Regenten zu übertragen? Dieselbe ist ganz und voll zu bejahen. Der Regent übt die volle Staatsgewalt wenn auch in fremdem Namen so doch kraft eigenen Rechtes; er ist „interimistisches Staatsoberhaupt" 14, und die Staatsgewalt würde durch Bestrafung dieses ihres Trägers in ganz derselben Weise kompromittirt wie durch Bestrafung des Fürsten, in dessen Namen der Regent regiert 15 . Seine Exemtion von den Strafgesetzen geht also genau soweit wie die des deutschen Monarchen selbst (s. oben unter I I I ) 1 6 . V. An dieser Exemtion des Fürsten und des Regenten nehmen aber die übrigen Mitglieder der bundesfürstlichen Häuser gar keinen Anteil, nicht einmal die präsumtiven Thronfolger. Einerseits gewähren die deutschen Verfassungen — von den Regenten abgesehen — nur den Fürsten die Unverletzlichkeit und Unverantwortlichkeit, andrerseits gehen die fürstlichen Hausgesetze17, soweit sie die Frage Überschüssen, obgleich dies mehrfach versucht wird. Die Entscheidung der Frage ist beim Regenten meist vergessen. 14 So S c h u l z e , Preuss. Staatsrecht I 219. 15 Ders. Ans. u. a. Z ö p f l , Staatsrecht 5. A u f l . I 676; H ä l s c h n e r , Syst. des preuss. Strafrechts I 46; v. G e r b e r , Grundzüge des Staatsrechts 3. A u f l . S 109; S c h u l z e , Preuss. Staatsrecht I 221. 222; d e r s . , Deutsches Staatsrecht S 267 und Hausgesetze I I I 627; v. K i r c h e n h e i m , Die Regentschaft. Leipzig 1880. S 103 ff.; B r o c k h a u s i n H R L e x s. v. Regentschaftsgesetze I I I 1 S 323; H. M e y e r , StR 3. A u f l . S 113; S c h ü t z e , Lehrbuch S 56; v. L i s z t S 90; O l s h a u s e n zu § 3 A n m 19. And. Mein, (nur für Unverfolgbarkeit während cler Regentschaft), aber ohne durchschlagende Gründe, Z a c h a r i a e , Staatsrecht 3. A u f l . I 420; P ö z l s.v. Regentschaft i n Bluntschlis Staatswörterbuch V I I I 572; G . M e y e r , Staatsrecht S 207 A n m 36 und die dort Angeführten; S e y d e l , Bayer. Staatsrecht I 493. 494. — F ü r Verantwortlichkeit des Regenten überhaupt S a r w e y , Württemb. Staatsrecht I 66 if. und G a u p p , Württemb. Staatsrecht i n Marquardsen I I I 1 2. Abteil. S 54. 16 Daraus, dass das deutsche Strafgesetzbuch i n den §§ 96. 97. 100. 101 den Regenten als Objekt einer T ä t l i c h k e i t oder Beleidigung nicht den Bundesfürsten, sondern den Mitgliedern der bundesfürstlichen Häuser gleichstellt, ist der Schluss nicht zu rechtfertigen, der Regent solle auch bezüglich der Verantwortung diesen Mitgliedern gleich behandelt werden. Bezüglich dieser Verbrechen ist anders als bezüglich des Hochverrates — leider verkannt von GB § 80. 81 — die Stellung des Regenten von der des Monarchen in der T a t etwas verschieden. Uebrigens stellt GB § 103 für das Ausland ausdrücklich Landesherrn und Regenten einander gleich. 17 Deren Material uns S c h u l z e , Die Hausgesetze der regierenden deutschen Fürstenhäuser I — I I I , Jena 1862—1883, in so verdienstlicher Weise zugänglich gemacht hat.

§ 141. 2. Mitgl.

es Reichs- u. der Landtage.

671

haupt berühreil, durchweg von der vollen Verantwortlichkeit dieser gesammten Persönlichkeiten aus 18 . § 141. 2. D i e M i t g l i e d e r des R e i c h s t a g s und der L a n d t a g e 1 2. Der gänzlichen Unverantwortlichkeit der Fürsten und Regenten steht die durch die konstitutionelle Staatsgesetzgebung geschaffene teilweise Unverantwortlichkeit der sämmtlichen zahlreichen Mitglieder 18 Auffallend und unrichtig ist dem gegenüber der Satz von L a b a n d , Reichsstaatsrecht I I I 1 S 40: „Aus dem Wesen des Monarchenrechts folgt, dass die Behörden des Staats gegen den Landesherrn u n d d i e M i t g l i e d e r d e r l a n d e s h e r r l i c h e n F a m i l i e keine staatlichen Herrschaftsrechte und Zwangsmittel zur Anwendung bringen können, und dass es daher grundsätzlich eine Gerichtsbarkeit des Staates gegen den Souverän u n d s e i n e F a m i l i e nicht giebt." Solche Exemtion von der Gerichtsgewalt würde indirekt zur Straflosigkeit der Mitglieder der landesherrlichen Familie führen. Nirgends aber ist solche Exemtion i n Deutschland anerkannt, und i n Ermangelung eines privilegirten Gerichtsstandes, dessen Gericht natürlich auch stets ein Staatsgericht ist, haben die Mitglieder der landesherrlichen Familie vor den gewöhnlichen Strafgerichten Recht zu nehmen. So ausdrücklich E G zu StPO § 4. 1 Quellen des gemeinen Rechts: R V A r t . 22. 30; StGB § 11. Der letztere hat seine Vorgeschichte in zwei Debatten des Nordd. Reichstags über ein von L a s k e r beantragtes Gesetz, betr. die NichtVerfolgbarkeit der Mitglieder der Landtage und Kammern. S. Stenogr. Ber. 1868 S 77—89. 137 und N r 23 der Drucksachen. Ferner Stenogr. Ber. 1869 S 86—100. 129—134 und N r 24 der Drucksachen. — Bezüglich GB § 11 vgl. die Debatten über den Antrag Τ w e s t e n , L a s k e r u. Gen. in den Sten. Ber. 1870 S 226—233. 1128. 1141. 1142. — Ueber die Versuche der Regierung dem Reichstag eine Strafgewalt über seine Mitglieder beizulegen s. man 1. den E n t w u r f des dahin gehenden Gesetzes i n 12 Paragraphen m i t Motiven, welchen der Reichskanzler unter dem 31. Dez. 1878 dem Bundesrate vorlegte; 2. den Gesetzentwurf des Bundesrates über denselben Gegenstand, der am 12. Febr. 1879 dem Reichstag vorgelegt wurde : N r 15 der Drucksachen ; 3. die sehr lebhaften Reichstagsdebatten über diesen E n t w u r f : Sten. Ber. 1879 S 248—278. 279—297. 299—318. 2 L i t e r a t u r : Vgl. A n m 1 zu § 140 und H ä l s c h n e r , D. StR I I 183. 184. Ferner G e r a u , Ζ f. Civilrecht und Prozess N F I 25 ff. — L a p p e n b e r g , Die Privilegien der Parlamentsmitglieder. Hamburg 1849 (mir unzugänglich und nur aus Citaten bekannt). — H e r r m a n n * , A N F 1853 S 341 ff. — v. B a r , Die Redefreiheit der Mitglieder gesetzgebender Versammlungen. Leipzig 1868. — H a a g e r , GS 1873 S 267 ff. — H e i n z e * , Die Straflosigkeit parlamentarischer Rechtsverletzungen. Stuttgart 1879. — S c h l e i d e n , Die Disziplinar- und Strafgewalt parlamentarischer Versammlungen über ihre Mitglieder. Heft 1 u. 2. Berlin 1879 (wesentlich Quellensammlung).— v. K i s s l i n g , Die Unverantwortlichkeit der Abgeordneten und der Schutz gegen Missbrauch derselben. W i e n 1882. — F u l d , GS X X X V 1883 S 529 ff. — J o h n , Redefreiheit, i n H R L e x I I I 1 S 312 ff. — ( W u n d e r l i c h , ) Festgabe zum 24. Dez. 1877. Gedruckt Halle a. S. — Z a c h a r i a e , Ueber A r t . 84

672

I. Die Privilegien der Straflosigkeit.

deutscher Ständeversammlungen zur Seite. Das Blatt hat sich hierin vollständig gewendet. In den Zeiten des alten deutschen Reiches begnügte man sich keinerlei Ausnahmerechte zu Ungunsten ständischer Personen zu verlangen 3; gegenwärtig besitzen das Privileg der Straflosigkeit nicht allein sämmtliche Abgeordnete, sondern auch die wahrheitsgetreuen Berichte über die parlamentarischen Verhandlungen. I. RV A. 30, der im verfassungsvereinbarenden Reichstag von 1867 ohne jede Debatte nach Vorschlag des Entwurfs der Regierungen angenommen worden ist 4 , bestimmt: „Kein Mitglied des Reichstages darf zu irgend einer Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Berufes gethanen Aeusserungen gerichtlich oder disziplinarisch verfolgt oder sonst ausserhalb der Versammlung zur Verantwortung gezogen werden 5 6 ." Die partikulare Verschiedenheit in der Stellung der Mitglieder der übrigen deutschen Kammern ward erst 1870 durch GB § 11 beseitigt. Dieser lautet: „Kein Mitglied eines Landtages oder einer Kammer eines zum Reiche gehörigen Staates darf ausserhalb der Versammlung, zu welcher das Mitglied gehört, wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Berufes gethanen Aeusserung zur Verantwortung gezogen werden." der preuss. Verfassungsurkunde. Leipzig 1 8 6 6 . — B a h r , Die Redefreiheit der A b geordneten und der Prozess Twesten, Preuss. Jahrb. X X I 1868 S 113 ff. — Vgl. ferner noch R. v. M o h l , Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften I 310; d e r s . , Ζ f. die gesammte Staatswissenschaft X X X I 1875 S 84 ff.; d e r s . , Staatsrecht, Völkerrecht und P o l i t i k I 315 ff. — v. R ö n n e , Preuss. Staatsrecht 4. A u f l . I 299 ff.; d e r s . , Staatsrecht des Deutschen Reiches 2. A u f l . I 270 ff. — v. G e r b e r , Grundzüge 3. A u f l . S 141 ff. — S e y d e l , Kommentar zur Verfassungsurkunde S 146 ff. 159. 160. 3 S. die höchst interessante Abhandlung von J. J. M o s e r , Von der landschaftlichen Personen Sicherheit und denen ihnen schuld gegebenen Amtsverbrechen, i n den Abhandlungen verschiedener Rechtsmaterien 5. Stück S 5 ff. 4 Sten. Ber. S 468. 5 A r t . 30 w i r d ergänzt durch A r t . 27 Satz 2 : der Reichstag „regelt seinen Geschäftsgang und seine Disziplin durch eine Geschäftsordnung". Interessant zur Vergleichung V e r f a s s u n g d e s D e u t s c h e n R e i c h e s v o n 1 8 4 9 § 4 : „Jedes Haus hat das Recht seine Mitglieder wegen unwürdigen Verhaltens i m Hause zu bestrafen und äussersten Falles (mit zwei D r i t t e l Majorität) auszuschliessen." 6 M a n vgl. damit B i l l of rights von 1689 A r t . 9, bei S c h u b e r t , . . . Verfassungsurkunde I 112: T h a t the freedom of speech and debates or proceedings i n parlyament ought not to be impeached or questioned i n any court or place out of parlyament. Ueber die sehr starke Disziplinargewalt des Parlaments gegenüber seinen Gliedern s. bes. M a y , Das englische Parlament und sein Verfahren, deutsch von Oppenheim, 2. A u f l . Leipzig 1880. S 37 ff. — Ueber den verschiedenen Umfang des Privilegs i n den einzelnen deutschen Staaten nach früherem Rechte s. J o h n a. O. S 313.

673

§ 141. 2. Mitgl. cles Reichs- u. der Landtage.

II. Diese Gesetze schaffen gleichzeitig zwei Privilegien : ein erstes für den Reichstag und die Landtage, ein zweites für deren Mitglieder. Der Inhalt des zweiten Privilegs wird bestimmt durch den Inhalt des ersten (s. unter III). III. Das P r i v i l e g des Hauses liesse sich in zwei Weisen denken. Die volle Straf-, Civil- und Disziplinargerichtsbarkeit über die Abgeordneten wegen ihrer Abstimmungen und Aeusserungen wird ihm übertragen. Dann wäre das Privileg der Abgeordneten nur ein Gerichtsstands-Privileg. Oder dem Hause wird lediglich eine Disziplinargewalt über seine Mitglieder zugeteilt: dann wird das Privileg des Abgeordneten ein Privileg krimineller und ziviler Unverantwortlichkeit, die Disziplinargewalt des Hauses aber vikariirt für die fehlende Straf Jurisdiktion : dies kann jedoch in Wahrheit nur eine mit energischen Mitteln ausgestattete und sie tatkräftig anwendende Disziplinargewalt. 1. Das P r i v i l e g des Reichstags i s t ein solches der z w e i t e n A r t . Der Reichstag ermangelt jeder Strafgewalt über seine Mitglieder. Indem RV A. 27,2 dem Reichstag die Regelung seiner eigenen Disziplin auf dem Wege der Geschäftsordnung überträgt, unterstellt A. 20 den Abgeordneten lediglich dieser Disziplin, und da der Reichstag keine Gesetzgebungsgewalt besitzt, kann er durch seine Geschäftsordnung seine Mitglieder wreder dauernd noch zeitweise von seinen Sitzungen ausschliessen noch ihnen Geld- oder Freiheitsstrafen androhen: es stehen ihm also als Mittel der Ahndung vielleicht sehr schwerer Wortdelikte nur die schwächlichen Mittel cles Ordnungsrufes, der Wortentziehung und des der Geschäftsordnung des Reichstags (s. § 46. 60. 61) sogar unbekannten Verweises zu Gebote. Die Disziplinargewalt des Hauses ist also ganz ohnmächtig und somit ausser Stande die fehlende Strafgewalt über die Wortdelikte cler Abgeordneten auch nur annähernd zu ersetzen7. 2. Den I n h a l t des P r i v i l e g s der L a n d t a g e b e s t i m m t das Landesrecht. Nicht ein einziger Landtag besitzt heutzutage eine ausreichende Disziplinargewalt über seine Mitglieder, keiner eine Strafgewalt. Aber StGB § 11 steht nicht im Wege ihnen durch Landesgesetze eine solche zu erteilen. Also nicht sowohl RV A. 30 und GB § 11 statuiren ein Privileg cler Straflosigkeit, vielmehr RV A. 30 in Verbindung mit A. 27, und GB § 11 in Verbindung mit den einschlagenden Landesgesetzen. IV. Das P r i v i l e g i u m cler A b g e o r d n e t e n ist in RV A. 30 wie in GB § 11 durchaus formalistisch umgrenzt. Es ist zunächst 7

Vgl. unten A n m 14.

Binding, Handbuch. V I I . 1. I : B i n d i n g , Strafrecht.

I.

43

674

I. Die Privilegien der Straflosigkeit.

sein Umfang, dann seine Wirkung, dann Grund oder Ungrund seiner innern Berechtigung festzustellen. A. Den U m f a n g des P r i v i l e g s a n l a n g e n d , so kommt es 1. zu statten den Mitgliedern des Reichstag und aller Landtage und Kammern der deutschen Bundesstaaten konstitutioneller und ständischer Verfassung, wie sie auch Namen tragen mögen8·, dagegen ungerechter Weise nicht allen Versammlungen, deren wesentlicher Beruf es ist Staatshoheitsrechte auszuüben, vor allem nicht dem Bundesrat und nicht den Senaten und den Bürgerschaften der Hansestädte 9 ; ferner weder den Provinzialständen, noch den StadtverordnetenVersammlungen. An ihm partizipiren aber auch die Kammer-Mitglieder, welche bis zur Ungiltigkeits-Erklärung ihrer Wahl den Sitz im Hause einzunehmen haben. Ist ein Minister oder Regierungsbevollmächtigter zugleich Mitglied des Hauses — was im Reichstag nur für den Bundesratsbevollmächtigten nicht angeht —, so ist diese Verbindung beider Stellungen dauernd und unlösbar ; der Wahlkreis wollte, dass der Vertrauensmann der Krone zugleich sein Vertrauensmann sei: gerade deshalb ist es unmöglich scharf zu scheiden, wo in der Debatte der Minister aufhört und der Abgeordnete anfängt, und der Gewählte ist im Hause stets durch sein Abgeordneten-Privileg gedeckt, mag er auch ausdrücklich im Namen der Krone sprechen10. 2. Privilegirt sind zwei Handlungsgruppen der Abgeordneten: a. ihre mündlichen oder schriftlichen A b s t i m m u n g e n , sei es in pleno des Hauses oder in gesetzlich geschaffenen Abteilungen (Kommissionen) desselben. Ort und Art der Abstimmung sind gleichgiltig. Der Abgeordnete soll völlig frei sein bezüglich der Mitwirkung an Beschlüssen des Hauses innerhalb der Kompetenz des Hauses. Würde aber eine deutsche Kammer eine Stellung usurpiren, die ihr verfassungsmässig nicht zukommt, etwa die einer Constituante, erklärte 8

Ist Elsass-Lothringen auch noch kein selbständiger Bundesstaat, obgleich es den grössten T e i l des Weges zu diesem Ziele zurückgelegt hat, so ist doch der Landesausschuss für Elsass-Lothringen (s. bes. Gesetz betr. die Verfassung EisassLothringens vom 4. J u l i 1879 § 12 ff.) eine echte Kammer und seine Mitglieder haben an dem Privileg ihren Teil. 9

A . Mein. S c h l e i d e n I I 54. Richtig H e i n z e S 8 ; W u n d e r l i c h , Festgabe S 10—16; v. S c h w a r z e , Komm, zu § 11 A n m 3 N r 1. — Die H a m b u r g e r Verfassung A r t . 48, 1 regelt die Frage : sie schützt die Mitglieder der Bürgerschaft vor Verantwortung v o n S t a a t s w e g e n für Aeusserungen und Abstimmungen i n der Bürgerschaft oder deren Ausschüssen. Lübeck und Bremen aber schweigen. 10 Die abweichende Ansicht — H e i n z e S 9 —, wonach zu unterscheiden, ob er als Minister oder als Abgeordneter spricht, ist m. E. nur auf dem Papier, aber nicht in W i r k l i c h k e i t aufrecht zu halten.

§141.

675

2. Mitgl. des Reichs- u. der Landtage.

der Reichstag etwa den Kaiser für abgesetzt, so wäre solche Abstimmung durch das Privileg nicht gedeckt: denn die so stimmende Versammlung wäre nicht der Reichstag im Sinne der Reichsverfassung ; b. i h r e i n A u s ü b u n g des Berufes g e t a n e n Aeusser u n g e n 1 1 . Das Privileg geht also genau soweit, als Delikte durch Worte begehbar sind, nicht weiter! Hier wird ein wichtiger Unterschied nicht genügend beachtet. Der Abgeordnete ist zweifellos privilegirt für das weite Gebiet der Verbal-Injurien gegen Fürsten, MitAbgeordnete oder Private, für die mündliche Aufforderung zum Hochverrat (GB § 85), zum Ungehorsam gegen Gesetze (§ 110. 111. 112. 40 a), für den im Hause mündlich verübten diplomatischen Landesverrat (§92 s. 1), für Landfriedensbruch (§ 130), verleumderische Herabwürdigung von Staatseinrichtungen (§ 131), für Gotteslästerung (§ 166), Forderung zum Zweikampf (§ 201), Bedrohung (§ 241. 126), Begünstigung etwa durch bewusst falsche Sachdarstellung u. s. w. Er ist aber durchaus nicht privilegirt, wenn er etwa in der Kammer zum Fürstenmord aufruft, dem Vollbringer der Tat grosse Vorteile in Aussicht stellt und dadurch absichtlich zum Morde anstiftet, der später zur Ausführung kommt. Hier ist er Mörder und als solcher zu strafen : seine Tat ist keine Aeusserung, kein Wortdelikt, sondern ein Verbrechen, das nicht durch Worte begangen, woran man aber scheinbar durch Worte zum Teilnehmer werden kann. Die absichtliche Anstiftung und Beihilfe cles Abgeordneten durch das im Hause gesprochene Wort zum ausserhalb des Hauses begangenen Verbrechen fällt nicht unter das Privileg; nicht für das, was er im Hause gesprochen, sondern für das, was er ausserhalb des Hauses getan und was er nur durch jene Worte eingeleitet hat, steht er zur Verantwortung. Erlaubt sich aber der Abgeordnete in cler Sitzung eine Tätlichkeit oder auch nur eine symbolische Injurie, so steht er zweifellos dem Strafrichter zu Recht. c. Diese Wortdelikte sind nur insoweit privilegirt, als sie von den Abgeordneten in Ausübung ihres Berufes begangen, d. h. soweit diese amtlich als Abgeordnete tätig werden, soweit sie nach eröffneter und vor geschlossener Sitzung sprechen im Plenum des Hauses oder in einer Kommission — mögen sie das Wort haben oder den Redner unterbrechen — und soweit sie sich äussern etwa als Glieder einer 11

N i c h t jede Abstimmung ist eine „Aeusserung", wie das mehrfach angenommen wird. So liegt kein Pleonasmus vor. Die Aeusserung ist nicht notwendig eine mündliche; man denke beispielsweise an schriftliche Referate.

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I. Die Privilegien der Straflosigkeit.

Deputation des Hauses. Auf die Privatunterhaltungen im Hause aber ist das Privileg nicht erstreckt, ebensowenig auf die Rechenschaftsberichte der Abgeordneten an ihre Wähler, auf Reden in den Fraktionssitzungen, dagegen wohl auf die leise geführten Aussprachen der Abgeordneten unter einander über Verhandlungsgegenstände des Hauses12. B. Die W i r k u n g des P r i v i l e g s anlangend, 1. so begründet es natürlich für den Abgeordneten keine Ausnahme von der Norm. Er wird nicht berechtigt zu beleidigen oder zum Hochverrat aufzufordern. Diese Taten bleiben Delikte; gegen sie ist Notwer zulässig; auf sie finden die Grundsätze cler Retorsion Anwendung, wenn etwa ein Bundesratsbevollmächtigter oder ein verleumdeter Hörer auf der Tribüne sofort Beleidigung mit Beleidigung vergilt; zu ihnen ist strafbare Anstiftung möglich; sie sind nur ausser dem Hause weder auf dem Zivilwege, noch kriminell, noch disziplinar zu verfolgen 13. Für den Umfang des Privilegs erwächst also wider die Abgeordneten weder ein Strafrecht, noch ein Straf klagrecht 14. 12

Beachte auch unten § 142. Dies liegt i n den W o r t e n der R V A r t . 30 ganz zweifellos. GB § 11 ist aber trotz seiner absichtlich kürzeren Fassung ganz i n demselben Sinne zu deuten. M a n war sich bei der Aufnahme v o l l bewusst, dass der Paragraph über den Rahmen einer Strafgesetzgebung hinausreichte, und stellte i h n nur i n Ermangelung eines passenden Ortes i n das Strafgesetzbuch. Aus unstichhaltigen Gründen a. M . — § 1 1 habe lediglich kriminelle Bedeutung — O l s h a u s e n zu § 11 A n m 4. — Davon dass R V A r t . 30 den Abgeordneten das Recht gebe das Zeugniss über eine i n Ausübung seines Berufs getane Aeusserung zu weigern — so ganz verwirrt F u l d a. a. 0 . S 535 if. —, ist natürlich gar keine Rede. 14 Dem Privileg des GB § 11 ist neuerdings durch RG I I I vom 5. März 1881 ( Ε I V 14 if.) eine Auslegung gegeben worden, die leider den Widerspruch herausfordert. Eine Rede des Redakteurs D. war von dem Landtagsabgeordneten L . i m preuss. Landtage in Bezug genommen worden. D. hatte sofort i n seinem Blatte diese Rede des Abgeordneten L . besprochen, und zwar nach Ansicht der Unterrichter i n einer den Abgeordneten L . beleidigenden Weise. Das Gericht liess aber D. auf Grund des GB § 199 also wegen Retorsion der Beleidigung des L . straffrei. E s w a r d a m i t v o l l k o m m e n i n s e i n e m R e c h t e . Das RG leugnet dies: es habe sich der Unterrichter erlaubt ein Urteil über die Aeusserung des Abgeordneten L . abzugeben, habe diese also vor sein Forum gezogen; niemand aber — auch der Unterrichter nicht — dürfe eine Aeusserung des Abgeordneten als Beleidigung oder Verleumdung charakterisiren, denn damit werde der Abgeordnete dem Strafgesetz unterstellt, während er doch nach GB § 11 eximirt sei. Dieser Paragraph statuire durchaus nicht nur einen Strafausschliessungsgrund! — Letzteres ist richtig: der Abgeordnete ist nicht nur straffrei, er ist auch von der Verpflichtung eximirt als Angeklagter vor dem Strafrichter zu stehen. Seit wann aber w i r d jemand der Jurisdiktionsgewalt eines Gerichtes dadurch unterworfen, dass dies nötig h a t , wie 13

§ 141. 2. Mitgl.

es Reichs- u. der Landtage.

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2. Nicht das Privileg, sondern sein Beruf giebt dem Abgeordneten das Recht zu manchem Worte, das den Privaten verantwortlich machen würde 15 . Der Reichstag ist das deutsche Volk organisirt zur Teilnahme am Verfassungsleben. Das analoge gilt von den Landtagen. Diese Teilnahme dient wesentlich den beiden Zwecken zu helfen zur Beseitigung vorhandener Missstände durch das Mittel der Gesetzgebung wie der Kontrole, und zur Förderung des Staats- und Volkslebens durch Schaifung neuen, den Bedürfnissen entsprechenden Rechtes. In der Rüge solcher Missstände und der Betonung dieser Bedürfnisse übt also der Abgeordnete nicht nur ein Recht, sondern die spezifische Pflicht hier der Unterrichter, die Handlung dieses jemand als Incidentpunkt i n einem Strafprozesse festzustellen? Bedeutet die Freisprechung des Angeklagten wegen Tötung i n rechter Notwer, weil der Getötete i h n hat ermorden wollen, die Verurteilung des Toten wegen Mordversuch, und die Freisprechung wegen Retorsion der Beleidigung die Verurteilung des ersten Beleidigers, gegen den nicht einmal Strafantrag gestellt ist? Bedeutet die Verurteilung eines Hehlers, weil dieser von einem Gesandtschaftssekretär dem Gesandten gestohlene Gegenstände angekauft, die Verurteilung des exterritorialen Sekretärs wegen Diebstahl? Der Unterrichter hat den Herrn L . gar nicht seiner Jurisdiktionsgewalt, ebenso wenig aber dem Strafgesetzbuche unterworfen (ganz verwirrt F u l d , GS 1883 S 532. 533). U n d hier beginnt der zweite Irrtum. E x i m i r t vom Strafgesetz heisst eximirt von den Straffolgen. Darin liegt aber keineswegs ein Verbot der logischen Subsumtion der Handlung des E x i m i r t e n unter die allgemeinen Verbrechensbegriffe, mögen sie nun i m Gesetz definirt oder nicht definirt sein. W e n n ein Abgeordneter wider besseres Wissen ehrenrührige Tatsachen über mich von der Tribüne verbreitet, so fällt seine Handlung eben unter den Verleumdungsbegriff, d. h. sie ist und bleibt eine Verleumdung, aber freilich eine straflose Verleumdung. Sie dem Verbrechensbegriffe unterstellen heisst wahrhaftig nicht sie dem Strafgesetz unterstellen. Jeder Richter, ja jeder Privatmann ist befugt die Handlung so zu charakterisiren, wie sie sich w i r k l i c h unter dem Gesichtspunkt des Rechts darstellt. U n d wenn das Reichsgericht den Privaten, der den verleumderischen Abgeordneten einen Verleumder nennt, stets unter Ausschluss der exceptio veritatis wegen Beleidigung strafen w i l l (das. S 20), so verwandelt es zu Ungunsten des j a fast ganz rechtlosen Verleumdeten dessen durchaus erlaubte Handlungsweise i n ein Verbrechen. Das U r t e i l des Gerichts hätte nur dann Grund, wenn der Abgeordnete verleumden dürfte, was er nicht darf. (Für das U r t e i l des Reichsgerichts seltsamer Weise F u l d , GS 1883 S 533; O l s h a u s e n zu § 11 A n m 5.) — Dieselbe Sache ist nochmals vor das Reichsgericht gekommen, s. R G I I I vom 22. Febr. 1882 (Rspr I V 183 ff). I n den Gründen sagt das Gericht selbst: „ A n der Tatsache als solcher, dass ein A b geordneter i n seinem Beruf Aeusserungen t u t , welche sämmtliche Merkmale des Begriffes der strafbaren Beleidigung an sich zu tragen scheinen (!), vermag k e i n Gesetz etwas zu ändern." 15 Darüber gut G e r a u , bes. S 26 ff.; H e r r m a n n S 379 ff; B ä h r a. a. 0 . S 317 ff. S. auch v. G e r b e r , Grundzüge S 141 A n m 2 und H e i n z e S 21. 22.

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I. Die Privilegien der Straflosigkeit.

seines Berufes aus, und sein Rügerecht beginnt nicht erst dann, wenn ihm der Missstand und die Schuld seines Urhebers oder Pflegers historisch gewiss, sondern schon dann, wenn sie ihm durch tatsächliche Anhaltepunkte wahrscheinlich geworden sind. Nicht die Unwahrheit oder die Unbeweisbarkeit seines Vorwurfs wider Beamte, Behörden oder Private kann ihn verantwortlich machen: denn sofern der Abgeordnete Grund hatte daran zu glauben, war er berufen dagegen die Abhilfe der Gesetzgebung oder der Verwaltung anzurufen. Wo aber der Zweifel beginnt, ob er die Grenzen dieses seines Berufes überschritten hat, da beginnt ihm als dem bestellten Vertrauensmanne die Vermutung der Legalität zur Seite zu stehen, d. h. es hat bis zu voll erbrachtem Gegenbeweise für gewiss zu gelten, dass er gemeint war seine Pflicht zu erfüllen, dass ihm also rechtswidriger Vorsatz fehlte 10 . Grade die Wortverbrechen aber erfordern alle den rechtswidrigen Vorsatz. So giebt dem Abgeordneten sein Beruf ein weites Feld verantwortungsfreier Bewegung. Nicht ohne Grund hat man gesagt: wer sich innerhalb dieser Schranken nicht äussern könnte, dem fehlten die erforderlichen Eigenschaften des Geistes zur öffentlichen Rede, wer sie nicht beachten wollte, verdiente keine Schonung17. 3. Das Privileg beginnt also prinzipiell erst da, wo die zweifellose Deckung des Abgeordneten durch [seinen Beruf aufhört. Von hier an wirkt es ein doppeltes : kriminelle Unverfolgbarkeit für Aeusserungen des Abgeordneten, die sein Beruf deckt, die aber der öffentliche oder der Privat-Kläger für strafbar ansieht, und ausserdem Unverfolgbarkeit und Straffreiheit für wirklich strafbare Wortdelikte 18 . In dieser zweiten und Hauptwirkung liegt seine Anstössigkeit für Jeden, der eben so frei ist von Misstrauen gegen die deutschen Abgeordneten wie gegen die deutschen Gerichte 19. Und zwar schützt jenes Privileg 16 S. G e r a u S 27 und besonders H e r r m a n n S 380 if. Dieser bemerkt S 381. 382 treffend: „ E s ist dies i n der Tat ganz derselbe in der Natur der Sache gegründete Satz, den man überall, wo strafbare Excesse einer i m öffentlichen Berufe zuständigen Aeusserungsfreiheit begangen sein sollen, z. B. bei Sachwaltern und Obrigkeiten, längst anerkennt und anwendet und den i n besonderer Beziehung auf die Abgeordneten die hannoverschen Verfassungsgesetze (Ges von 1840 § 101; Ges vom 5. Sept. 1848 § 53) sehr zweckmässig i n der F o r m einer Auslegungsregel, nämlich so aufstellen, dass jede Aeusserung eines Mitgliedes i n der Versammlung über ständische Angelegenheiten immer die günstigste Auslegung erhalten soll." 17 G e r a u S 30. 18 Diese persönliche Sakrosanktität ist nach H e r r m a n n S 352 m i t der Stellung eines Untertans schlechthin unvereinbar. 19 Die Ansichten über das Zweckmässige einer solchen Privilegirung gehen

§ 141.

2. Mitgl. cles Reichs- u. der Landtage.

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zwei Handlungsgruppen, deren eine leicht entschuldbar ist, deren andere mit qualifizirter Strafe zu belegen wäre. Letztere besteht aus allen prämeditirten und allen Wortverbrechen, deren Begehungsmittel die bewusste Unwahrheit ist, besonders der Verleumdung. Von der Tribüne des Reichs- oder Landtags in die Welt geschleudert gehören diese Handlungen zu den strafbarsten ihrer Gattung und müssten unbedingt den Verlust aktiver wie passiver Wahlfähigkeit nach sich ziehen. Die andere Gruppe besteht aus den strafbaren Aeusserungen, die dem Abgeordneten im Affekt der Debatte entschlüpfen. Es stünde m. E. nichts im Wege letztere durch den Ordnungsruf und dadurch, dass der Abgeordnete im Hause sein Bedauern erklärt, für gesühnt zu erachten und ihnen unter dieser Voraussetzung durch das Strafgesetz fakultative Straflosigkeit zu Teil werden zu lassen. 4. Der Reflex dieses Privilegs der Mitglieder von Kammern ohne alle Strafgewalt und fast ohne jede Disziplinargewalt ist das priviweit aus einander. Principiell dagegen sind G e r a u (s. bes. S 5. 26), L a p p e n b e r g und besonders H e r r m a n n i n seiner klassischen, ganz objektiven Abhandlung (s. S 343. 350. 352. 389), cler S 390 m i t Recht sagt: es gäbe kein bedenklicheres und gefährlicheres Privileg als das cler Straflosigkeit für Verbrechen. Dr. F r i e d b e r g nannte anlässlich cler Beratung des Strafgesetzentwurfs den jetzigen § 11 einen sehr „fragwürdigen". Sten. Ber. 1870 I 1128. Verstehe ich H e i n z e recht, so ist auch er prinzipiell gegen das Privileg (s. freilich S 26). Andere sind gewillt das Privilegium hinzunehmen, sie fordern aber als Ersatz eine starke u n d energisch geübte Disziplinargewalt des Hauses über seine Glieder und sind darin einig, dass der Ordnungsruf des Präsidenten und eventuell die Wortentziehung nicht ausreichen. Siehe H e r r m a n n , soweit er sich eventuell auf diesen Standpunkt stellt, S 350—352, und ebenso wohl H e i n z e S 20. S. ferner Z a c h a r i a e , A r t . 84 der Preuss. Verfass. S 10; v. B a r S 21 if. ; v. M o h l , Ζ f. d. ges. Staatswissensch. Bd. 31 S 90 if.; S c h u l z e , Preuss. Staatsrecht I I 170. 171. F ü r die Straffreiheit der Abgeordneten gegenüber einer so schwachen Disziplinargewalt des Hauses, wie sie jetzt besteht, wüsste ich nur die bedeutende Rede von H a e n e l (Sten. Berichte des Reichstags 1879 S 280 if., vgl. S 323. 324) anzuführen. — Dem gegenüber war die Aufnahme des E n t w u r f s d e s B u n d e s r a t s b e t r . d i e S t r a f g e w a l t d e s R e i c h s t a g s ü b e r s e i n e M i t g l i e d e r bei der deutschen Presse und i m deutschen Reichstage sehr befremdend. W o l l t e der Reichstag auch nur seine Disziplinargewalt genügend verstärken, d. h. bis zur Befugniss des Ausschlusses der Parlamentsmitglieder aus dem Reichstage, so bedurfte er der nötigen Vollmachten auf dem Wege cler Gesetzgebung, und so bleibt es dem ausserhalb des Reichstags Stehenden schwer begreiflich, dass nicht anlässlich der Beratung des Entwurfs eine Verständigung zwischen Reichstag u n d Heg\eï\mg erzielt werden konnte, fast noch schwerer aber, dass der Reichstag bis auf den heutigen Tag zur Revision seiner fast allseitig i n diesem Punkte als revisionsbedürftig anerkannten Geschäftsordnung die H a n d nicht gerührt hat. Dem Fluche, der dem Privileg so leicht anhaftet, dass es eifersüchtig gewahrt w i r d bis zur Ungerechtigkeit gegen Dritte, ist auch dies Privileg nicht entgangen.

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I. Die Privilegien der Straflosigkeit.

legium odiosum der Rechtlosigkeit aller derjenigen, die durch solche Wortdelikte angegriffen werden. Dein von der Tribüne des Reichstags Verleumdeten steht kaum ein andrer Weg offen als den Redner öffentlich der Verleumdung zu zeihen oder ihn vor die Klinge zu fordern : weil er an seiner Ehre schwer gekränkt ist, hat er eine von zwei Straf klagen zu riskiren 20. Das mindeste, was dem Angegriffenen zustehen müsste, wäre eine K l a g e , g e r i c h t e t auf F e s t s t e l l u n g des W o r t d e l i k t s , insbesondere der geschehenen V e r l e u m d u n g oder l e i c h t f e r t i g übelen Nachrede oder einfachen B e l e i d i g u n g d u r c h den S t r a f r i c h t e r , der sich aber mit dieser Feststellung des Delikts und seiner Subsumtion unter das Strafgesetz zu begnügen und keine Strafe auszusprechen hätte 21 . Für den Strafrichter wäre dann natürlich die Berücksichtigung der Frage, wie weit der Abgeordnete bei seiner Aeusserung durch seinen Beruf gedeckt war, conditio sine qua non für seine Feststellung, derselbe sei eines Deliktes schuldig22. Dass der Strafrichter dazu nicht fähig sein sollte, ist eine unhaltbare Behauptung23. § 142. 3. D i e E r s t a t t e r und V e r b r e i t e r w a h r h e i t s g e t r e u e r R e i c h s - und L a n d t a g s b e r i c h t e 1 . I. A. 20 der RV sagt: „Die Verhandlungen des Reichstags sind öffentlich 2." 20 Ueber sein mögliches Schicksal, wenn er wegen Beleidigung verklagt wird, s. oben A n m 14. 21 Dieser Vorschlag k r i m i n e l l e F e s t s t e l l u n g s k l a g e n z u z u l a s s e n , wäre m. E . ein Ausweg, um dem Beleidigten einigermaassen zu seinem Rechte zu verhelfen. Den von v. K i s s l i n g S 21 gemachten Vorschlag halte ich dafür nicht für zureichend ; auch den Vorschlag v. B a r s nicht (s. bes. v. B a r S 45 ff.), parlamentarische Ehrengerichte einzusetzen. 22 Die Privilegien der Abgeordneten i n A r t . 31 der R V gehören dem Prozessrecht an, wenn sie auch hie und da die Verjährung der Strafverfolgung und damit indirekt Straflosigkeit bewirken können. Die „Sitzungsperiode" des A r t . 31 ist natürlich nur die Periode, i n der der Reichstag i n Berlin sitzt: f ü r d i e Z e i t d e r V e r t a g u n g f i n d e t Art. 31 k e i n e A n w e n d u n g . 23 Gut H e i n z e S 28. 1

Q u e l l e n : R V A r t . 22 al. 2 (ist ein angenommenes Amendement von L a s k e r ; s. darüber Sten. Ber. des konstit. Reichstags von 1867 S 439—443); GB § 12 (gleichfalls auf einen Antrag L a s k e r s angenommen, über den die Sten. Berichte des Reichstags von 1870 S 1147 nichts enthalten). Bezüglich der Literatur s. oben § 141 A n m 2. Ausserdem vgl. v. L i s z t , Oesterr. Pressrecht S 220. 221; d e r s . , Reichspressrecht S 162 ff. 2 Die heimlichen Sitzungen, welche die Geschäftsordnung des Reichstags § 36

§ 142. 3. Erstatter wahrh. Reichs- u. Landtagsber.

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Al. 2 : „Wahrheitsgetreue Berichte über Verhandlungen in den öffentlichen Sitzungen des Reichstags bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei." Diese Bestimmung wird ergänzt durch GB § 12: „Wahrheitsgetreue Berichte über Verhandlungen eines Landtags oder einer Kammer eines zum Reich gehörigen Staats3 bleiben von jeder Verantwortung frei." Dieses Privilegium, das von den Reichstagsberichten auf die der Landtage übertragen worden ist, ist in den Gesetzen lediglich als Konsequenz der Oeffentlichkeit der Kammerverhandlungen gedacht4. Dem Teile des Volkes, der gehindert ist auf den Tribünen in Person den öffentlichen Verhandlungen und Abstimmungen des Landtags zu folgen, soll kein Teil dieser Verhandlungen vorenthalten werden können : das Volk soll wissen, was es — als Landtag organisirt — gesagt und beschlossen hat 5 . II. Daraus ergiebt sich zunächst: 1. Nur der Bericht über die öffentliche Sitzung ist privilegirt, obgleich GB § 12 viel allgemeiner spricht. Die Verhandlungen der Kommissionen und Abteilungen, auch die nicht öffentlichen PlenarVerhandlungen sind dem Privileg entzogen6. gestattet, sind keine Sitzungen des Reichstags. — Dass aber die unbedingte Oeffentlichkeit bedauerlich ist, liegt auf der Hand. 3 S. über diesen Begriff den vorigen Paragraphen. 4 Es hat mit dem Privileg der Abgeordneten nichts zu tun. S. bes. H e r r m a n n S 384 ff. — Eine n o t w e n d i g e Konsequenz der Oeffentlichkeit ist es aber durchaus nicht, und wenn w i r k l i c h die Tribüne zu Wortverbrechen missbraucht werden sollte, so ist es das denkbar seltsamste Privileg diese Verbrechen straflos verbreiten zu können. Der Staat kann diese Sünden der Rede allenfalls straflos lassen, aber dass er selbst ihre W i r k u n g vermillionenfacht, ist gegen seinen Beruf. Deshalb ist dies Privileg auch von solchen angegriffen worden, die sich das der Abgeordneten gefallen lassen. Schon i m konstituirenden Reichstage hat v. B i s m a r c k seine Bedenken dawider geltend gemacht (Sten. Ber. S 442) und sie in den oben erwähnten Verhandlungen des Reichstags i m Jahre 1879 (s. die bedeutende Rede vom 1. März 1879, Sten. Ber. I 269 ff.) energisch wiederholt. Diese sacrosanctitas der Berichte bezeichnete Dr. F r i e d b e r g i n derselben Sitzung (Sten. Ber. S 243) als den P u n k t , der nach Ansicht der verbündeten Regierungen am meisten der Remedur bedürfe. H e i n z es Schrift (s. oben § 141 A n m 1) ist wesentlich der Bekämpfung dieses Privilegs überhaupt gewidmet. A u f H e i n z e s Standpunkt befindet sich im wesentlichen auch G n e i s t i n seiner beachtenswerten Rede i n der Sitzung des Reichstags vom 7. März 1879 (Sten. Ber. S 314 ff.): auch er möchte die Berichterstattung unter das gemeine Recht stellen. 5 Deshalb darf das Privileg keineswegs per analogiam auf alle Berichte über gesetzlich öffentliche Verhandlungen übertragen werden, insbesondere nicht auf Berichte über Gerichtsverhandlungen. So auch R G I vom 20. Nov. 1879 ( Ε I 19 ff); M e y e r S 115. 6 Z u Unrecht hält hier H e i n z e S 10 an dem Buchstaben des Gesetzes fest

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I. Die Privilegien der Straflosigkeit.

2. Die „Verhandlung" der öffentlichen Sitzung umfasst die Gesammtheit der darin sich abspielenden Vorgänge : nicht nur die Debatten, sondern auch die Abstimmungen und die bedeutsamen Handlungen der bei der \7erhandlung Beteiligten7, nicht nur die Reden der ihrerseits privilegirten Abgeordneten, sondern auch der unter unter dem gemeinen Rechte stehenden Bundesratsbevollmächtigten, Minister und Regierurigsbevollmächtigten. So entsteht ein Privileg strafloser Verbreitung strafbarer Delikte solcher Teilnehmer an der Verhandlung, die nicht Abgeordnete sind: dieses P r i v i l e g s k ö n n e n sich diese T e i l n e h m e r selbst d a d u r c h , dass sie u n t e r die B e r i c h t e r s t a t t e r gehen, t e i l h a f t i g m a c h e n 8 . 3. Der Bericht muss die Verhandlung in ihrer Totalität zum Gegenstand haben. Nicht erforderlich ist, dass er sich auf alle Verhandlungsgegenstände einer Sitzung erstreckt: er kann sich auf die Verhandlung des einen beschränken, muss aber diese vollständig umfassen 9. Ein fortlaufender Bericht — aber nur ein solcher — kann deshalb ein echter Bericht über eine Verhandlung sein, wenn er auch nur die eine Rede reproduzirt, die in der betreffenden Sitzung über den einen Gegenstand cler Tagesordnung gehalten wrorden ist. 4. Der Bericht muss ein wahrheitsgetreuer sein, ein Erforderniss, das auf die Spitze getrieben allerdings bei allen Berichten und nicht nur bei denen über mündliche Verhandlungen mangelt ; denn es giebt keine absolute Wahrheit der Berichte, alle sind individuell gefärbt nach der Persönlichkeit des Berichterstatters 10. Die Berichte sind aber im erforderten Maasse wahrheitsgetreu, wenn sie das Bild, sei's und erstreckt das Privileg auf nicht öffentliche Sitzungen der Landtage; aber nicht nur hierauf, sondern auch auf die Kommissionsverhandlungen. A u f Verhandlungen des Plenums (öffentliche und heimliche) beschränken den § 12 R ü d o r f f zu § 12 A n m 1; O p p e n h o f f zu § 12 A n m 1 u. 5 ; w o h l auch M e y e r S 114 A n m 8 ; H ä l s c h n e r , D. StR I I 184; v. S c h w a r z e zu § 12 A n m 1 und 2 ; nur auf die ö f f e n t l i c h e n Verhandlungen B e r n e r § 158 und v. L i s z t , Reichspressrecht S 166. 7 Beispielsweise das ostentatorische Abtreten der Bundesratsmitglieder, die T ä t l i c h k e i t , zu der sich vielleicht ein Abgeordneter hinreissen lässt, das Sitzenbleiben gewisser Mitglieder beim Hoch auf den Kaiser u. s. w. 8 Sollte der künftige Berichterstatter dem Abgeordneten die verleumderischen Lügen aufgebunden haben, die dieser nachher i n der Kammer bona fide vorbringt, und die der Berichterstatter nachher mala fide weiter verbreitet (ein F a l l , den G n e i s t a. a. 0 . S 316 erwähnt), so ist dieser allerdings als Berichterstatter straflos, aber als Urheber der Verleumdung strafbar. oben § 141. 9 10

Richtig S e y d e l , Kommentar S 149. S. darüber besonders H e i n z e a. a. 0 . S 11 ff.

§ 142. 3. Erstatter wahrh. Reichs- u. Lancltagsber.

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in gleicher Grösse sei's verkleinert, wiederspiegeln, das der Gang der Verhandlungen in dem aufmerksamen Beobachter hervorgebracht hat. Der wahrheitsgetreue Bericht ist der Bericht eines allseitig gleich sorgfältigen Beobachters über den Gang der Verhandlungen in seiner Totalität 11 : ferner ein Bericht, worin das Beobachtete und das Berichtete mit einander konform sind. Diese Konformität wird dadurch nicht beseitigt, dass der Bericht verkürzt wird: die Ausscheidung des angeblich Unwesentlichen muss dann aber an den einzelnen Teilen der Verhandlung nach gleichen Maassstäben geschehen, und gewisse Bestandteile dürfen keinem wahrheitsgetreuen Berichte fehlen: die gestellten Anträge, die Reihenfolge der Redner, die Angabe, in welchem Sinne sie gesprochen haben, die disziplinarischen Maassregeln des Präsidenten und das Resultat der Abstimmung. Im übrigen muss es der Beurteilung des Richters überlassen bleiben, ob der in Anspruch genommene Bericht ein wahrheitsgetreuer oder ein tendenziös gefärbter sei. Das Raisonnement des Berichterstatters hat natürlich an dem Privileg keinen Teil. 5. In welcher Weise der Bericht erstattet wird, mündlich oder durch Schrift oder Druck, ist ganz gleichgiltig. Ein wörtliches Citat einer im Landtage gefallenen Aeusserung ist aber kein Bericht über die Verhandlung, ebensowenig eine Sammlung von Reichstagsreden. Auch fehlt es am „Bericht", wenn ein Abgeordneter seinen Wählern über sein Verhalten im Reichstage berichtet oder eine seiner Reden wörtlich wiederholt oder abdrucken lässt oder bestätigt12. 6. Das in Frage stehende Privileg ist in seiner juristischen Natur bestritten: es ist zweifellos a. kein Privileg der Kammer. Sie hat nicht das Recht Berichterstattung und zwar wahrheitsgetreue zu fordern; soweit sie selbst amtlich publizirt, sind zwar die Personen des Bureau, welchem die Redaktion der stenographischen Berichte obliegt, nicht aber ist sie selbst privilegirt. b. Noch ist das Privileg ein solches des Publikums, das Bericht11 Ist cler Berichterstatter über kritische Aeusserungen des Redners i m Zweifel und er berichtet die bedenklichere vielleicht als die pikantere Form, ohne vorher festgestellt zu haben, dass sie auch die richtige ist, so trägt er die Verantwortung, falls sie es nicht ist. H ö r t er falsch und berichtet demgemäss, so ist er mangels Vorsatzes frei von Verantwortung. 12 S. E r k . des Bad. Oberhofgerichts vom 31. Dez. 1872 und vom 26. A p r i l 1873 bei St I I I 154—156. S. auch H a a g e r , GS 1871 S 267 if. — R G I I I vom 20. Okt. 1880 (E I I I 365 if.).

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I.

Die Privilegien der Straflosigkeit.

erstattung und zwar wahrheitsgetreue und vollständige zu fordern hätte. Es ist vielmehr c. nur ein Privileg des Berichterstatters und des Berichtverbreiters. Erscheint der Bericht, wie das ja meist geschieht, in der periodischen Tagespresse, so nehmen an dem Privilege alle Teil, welche nach dem Pressgesetze für die Presserzeugnisse verantwortlich gemacht werden können. Und so ist das Privileg zwar nicht wesentlich aber faktisch ein Privilegium cler Presse im Interesse der freien Vermittelimg zwischen dem Volke in den Kammern und dem Volke ausserhalb derselben. d. Giebt das Privileg aber diesen Personen e i n Recht zur vollständigen, also auch die Wortverbrechen mit umfassenden Berichterstattung? Ein solches Privileg ist ja denkbar und „dann wäre der auf eine solche Mitteilung gerichtete Wille als ein mit der Rechtsordnung harmonirender durchaus vorwurfsfrei" 13. Das gegebene Subjekt für ein solches Privileg wäre aber m. E. die Kammer. In ihr wird — das wäre dann die Auffassung — öffentlich für das Volk verhandelt, und denen die nicht hören konnten, kündet die Kammer, was in ihr geschehen. Ein solches Privileg der Kammer für deren Veröffentlichungen existirt zur Zeit in Deutschland nicht. Es fragt sich aber, ob das bestehende Privileg der Berichterstatter analog zu konstruiren ist 1 4 ? Wer Bericht über Parlamentsverhandlungen erstattet, ist von selbst verpflichtet dies w a h r h e i t s g e t r e u zu tun. Ein Recht des wahrheitsgetreuen Berichtes über öffentliche Verhandlungen als Inhalt eines Privilegs ist somit undenkbar. Von bestehenden Privilegien abgesehen darf indessen cler Berichterstatter nur soweit v o l l s t ä n d i g berichten, als er dadurch nicht zum Teilnehmer an Delikten wird, die sich während der Verhandlung abgespielt haben. Erst durch das Privileg würde er befugt diese Schranke zu überschreiten. Und ich glaube nicht, dass RV A. 22, 2 und GB § 12 ein solches statuiren wollten. Denn ein Vorrecht Einzelner ausgestossene Verleumdungen im Rahmen eines Berichtes mit zu verbreiten, ist mir ebenso unverständlich wie ein Interesse es zu gewähren und wie ein Staat, der es giebt. Der Bericht, der diese Wortverbrechen diskret auslässt, ist jedenfalls kein wahrheitsungetreuer und er ist m. E. auch für die Rechtsordnung der willkommene Bericht. Und so steht für mich fest, 13

So H e r r m a n n S 376. Das ist die Auffassung v. L i s z t s im Reichspressrecht S 164. Lehrbuch S 90—91 : es handle sich um Wegfall der Normwidrigkeit. 14

S. d e n s .

§ 143. Das Privileg cler Exterritorialen.

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dass der Staat wie die Wortsünden der Abgeordneten so auch die der Berichterstatter wahrlich nicht Sanktioniren, wohl aber sie straflos lassen w i l l 1 5 1 6 . Die gleiche juristische Natur der Privilegien für Abgeordnete und Berichterstatter, die Verantwortungsfreiheit für etwas, das nach allgemeinem Rechte allerdings zu verantworten wäre, kommt auch im Wortlaute der Quellen und darin zum Ausdruck, dass das GB § 11 und 12 in unmittelbare Beziehung zu einander bringt 17 . § 143. Anhang.

Das P r i v i l e g cler E x t e r r i t o r i a l e n 1 .

Eine völlig andere Bewandniss wie mit den Privilegien der deutschen Fürsten sowie der deutschen Abgeordneten hat es mit dem der sogenannten Exterritorialen, bezüglich deren das geschriebene gemeine Recht leider sehr unvollständig ist 2 . I. Die Exterritorialität wirkt Freiheit vom Gerichtszwange, sie wirkt prozessualisch, nicht materiell-rechtlich, sie wirkt prinzipiell nicht Straflosigkeit, noch weniger Exemtion von den Normen, sondern Unverfügbarkeit 3. Demgemäss ergeben sich für die Exterritorialen ganz 15

S. (lie treffende Bemerkung des Reichskanzlers in den Sten. Ber. des konstituirenden Reichstags S 442: „ E s giebt viele Dinge, die ein Staat dulden k a n n ; er kann sie ignoriren; aber etwas anderes ist es, sie gesetzlich zu sanktioniren. Dazu rechne ich auch das Recht einen andern Mitbürger zu beleidigen." 16 Das. bedeutet selbstverständlich, dass auch das sog. objektive Strafverfahren (s. GB § 42) gegen die Berichte unzulässig ist. Es heisst nicht umsonst ganz unpersönlich: ,,Die Berichte bleiben von jeder Verantwortung frei." Treffend Preuss. OTr vom 16. A p r i l 1875 (Ο X V I 297 ff). 17 Dieses Privileg der Berichterstatter sollte bald möglichst beseitigt werden. Die Richter werden ihre bona fides gern und voll berücksichtigen. Die chikanöse Verbreitung von Wortverbrechen aber verdient keine Schonung. 1 H e f f t e r , Europ. Völkerrecht 7. A u f l . (v. G e f f c k e n ) § 42. 205. 212. 214. — Β e r η e r , Wirkungskreis S 206 ff. — v. B a r , Irfternationales Privat- und Strafrecht S 572 ff. — M a r q u a r d s e n , s. v. Exterritorialität bei Rotteck u. W e l c k e r 3. A u f l . I 211 ff. — H a r t m a n n , Institutionen des praktischen Völkerrechts 2. A u f l . Hannover 1878. S 90 ff. — B u l m e r i n c q , s. v. Exterritorialität i n H R L e x I 770 ff. — G ο 11 s c h a 1 k , Die Exterritorialität der Gesandten. B e r l i n 1878 (Diss.). — H a r b u r g e r , Der strafrechtliche Begriff Inland S 204 ff.— v. M a r t e n s , Völkerrecht, deutsche Ausg. v. B e r g b o h m I. Berlin 1883. S 314 ff.— S. auch G l a s e r , · Strafprozess I 303 ff. 498. 2 GVG § 18 u. 19 sind sehr dankenswert, wenn auch nicht ganz k l a r ; allein bezüglich fremder Souveräne und der Präsidenten fremder Republiken fehlt jede geschriebene Norm. Vgl. übrigens Grundgesetz für Sachsen-Altenburg § 94 (bei S t o e r k S 411). 3 So gehört "das Privileg streng genommen i n die Lehre vom Prozesse, u n d nur deshalb, weil es regelmässig Straflosigkeit zur Folge hat, ist es hier wenigstens

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er Exterritorialen.

andere Folgesätze als für die deutschen Fürsten 4. Jene sind un verfolgbar 1. nur für die Dauer ihrer Exterritorialität, während derselben allerdings auch wegen aller früheren dem inländischen Strafgesetze unterfallenden Handlungen: nach Beendigung des ExterritorialitätsVerhältnisses sind sie verfolgbar selbst wegen aller von ihnen als Exterritorialen und in noch früherer Zeit begangenen Verbrechen, sofern die Verjährung noch nicht Platz gegriffen hat 5 . 2. Sie sind unverfolgbar nur in dem Staate, worin sie exterritorial sind. Begeht ein fremder Gesandter, beglaubigt beim Bayerischen Hofe, ein „Verbrechen" in Stuttgart, so wird er in Württemberg bestraft, in Bayern aber ist er nicht verfolgbar. Er ist nicht eximirt vom deutschen Strafgesetze, sondern vom bayerischen Gerichtszwange. 3. Sie sind nicht nur prinzipiell deliktsfähig, sondern verbrechensfähig und die nicht exterritorialen Teilnehmer an ihren Verbrechen sind verfolgbar. II. Die Exterritorialität kommt für das Deutsche Reich in doppelter Gestalt vor: als Exemtion entweder von aller deutschen Gerichtsbarkeit oder nur von der Gerichtsbarkeit des einzelnen Bundesstaates6. Um den Kreis jener Exemtion zu bestimmen ist auszugehen von den ausdrücklichen Satzungen des gemeinen Rechts, damit womöglich von da aus die Lücken des geschriebenen Rechtes zur Ausfüllung gelangen können. A. D e r G e r i c h t s b a r k e i t des Reichs und der Bundess t a a t e n s i n d entzogen: 1. die Chefs und Mitglieder der bei dem Deutschen Reiche beglaubigten Missionen, welchen diplomatischen Ranges diese auch sein mögen, deren Familienglieder und Geschäftspersonal 7. Nur wenn eine kurz zu erwähnen. — Sehr richtig GVG § 18 : „ D i e inländische Gerichtsbarkeit erstreckt sich nicht auf die Chefs" u. s. w. Die übliche Zusammenstellung der E x territorialen m i t den deutschen Fürsten und die übliche Behauptung, sie seien vom Strafgesetz eximirt, sind gleich falsch. 4 W i l l man gegenüber den inländischen Strafgesetzen die ausländischen den inländischen Fürsten gleich stellen, was übrigens nirgends geschehen ist, so kann die Anerkennung ihrer Exterritorialität nie zum Ziele führen. 5 StGB § 2 al. 2 steht hier ganz ausser Frage. 6 Letztere bewirkt faktisch dann auch Unverfolgbarkeit in ganz Deutschland, wenn nicht für den Exterritorialen, der verbrochen hat, noch ausserhalb des betr. Bundesstaates, i n welchem er die Exterritorialität besitzt, ein anderes deutsches F o r u m besteht. Dieses könnte auch ein forum connexitatis sein. 7 Der Gesandte geniesst der Exterritorialität nicht erst von Annahme der überreichten Kreditive, sondern vom Zeitpunkt des amtlichen Betretens des deut-

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dieser Personen dem deutschen Untertanenverband angehört, trägt das Reich mit Fug Bedenken einen Bayer oder Sachsen u. s. w. der Gewalt seines Heimatlandes zu entziehen, und bestimmt, die Befreiung von der deutschen Gerichtsgewalt trete erst dadurch, also auch erst von dem Zeitpunkte ein, dass und von dem sich der Heiniatsstaat des diplomatischen Agenten seiner Gerichtsbarkeit über diesen begeben habe. GVG § 18, 1 und § 19. Dagegen sind nicht exterritorial die durch Deutschland reisenden bei fremden Regierungen beglaubigten diplomatischen Agenten. 2. Die Bediensteten der Chefs und Mitglieder jener Missionen, also auch die Hauslehrer, die Haushofmeister, überhaupt alle, mit welchen ein auf dauernde Dienstniiethe gerichteter Vertrag seitens der Chefs und Mitglieder jener Missionen abgeschlossen ist. Sind diese Personen aber Deutsche, so sind sie nicht exterritorial. GVG § 19. Der Grund dieses weitgehenden Verzichtes auf die inländische Gerichtsbarkeit ist allein das Bedenken, die offiziellen Vertreter einer fremden souveränen Gewalt dem deutschen Gerichtszwange zu unterwerfen; und um die Konflikte zwischen deutschen Strafgerichts-Behörden mit den diplomatischen Agenten, eventuell den durch sie vertretenen Mächten möglichst zu vermeiden, lässt man auch die Familie derselben, ihr Geschäftspersonal, ja ihre fremdländischen Bediensteten an dem gleichen Privilegium partizipiren. 3. Es lassen diese Satzungen einen Rückschluss zu, wie im Sinne des Reichsrechts die im positiven Völkerrecht nicht voll zum Austrage gekommene Frage nach der Exterritorialität der legitimen Häupter fremder Staaten, die das Inland weder gegen den ausdrücklichen Willen des Kaisers noch heimlich betreten haben, zu beantworten ist. Man wird diese Exemtion nicht nur den fremden Souveränen, sondern auch den Regenten8, und nicht minder den Präsidenten republikanischer Gemeinwesen zugestehen müssen. Es wäre inkonsequent die deutsche Gerichtsgewalt zwar nicht auf den von dem Präsidenten der französischen Republik deputirten Botschafter, aber auf den Präsidenten selbst auszudehnen. Es wäre ebenso folgewidrig für sehen Bodens an bis zu dem Z e i t p u n k t , wo er die deutschen Gebiete wieder verlässt. Stirbt er im Inland, so bleibt sie seinem Personal und seiner Familie, falls sie den deutschen Boden sofort verlassen wollen, bis zur Ueberschreitung der Grenze erhalten. 8 So auch M a r q u a r d s e n , s. v. Exterritorialität bei Rotteck und Welcker, Staatslex. 3. A u f l . V 211 (sofern die Regentschaft dem Regenten kraft eigenen Rechts und nicht lediglich als A m t zusteht, welche Unterscheidung durchaus richtig ist); v. B a r S 574 A n m 8; B u l m e r i n c q i n H R L e x s. v. Exterritorialität I 770.

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den deutschen Kaiser in republikanischen Gemeinwesen die Exterritorialität zu verlangen, sie aber deren Präsidenten für Deutschland zu versagen9. Man wird auch in Erwägung des Grundes aller Exterritorialität nicht zu unterscheiden haben, ob diese Persönlichkeiten Deutschland in offizieller Mission oder in privaten Geschäften, ob sie es mit Nennung ihres vollen Namens oder inkognito betreten. Bezüglich der in ihrer Begleitung reisenden Familienangehörigen und Bediensteten wird man GVG § 18 al. 1 und § 19 unbedenklich anzuwenden haben. 4. Die Exterritorialität fremder Kriegsschiffe in deutschen Gewässern ist zwar nirgends ausdrücklich anerkannt, sie steht aber völkerrechtlich so fest, befindet sich auch so in Einklang mit der weitgehenden Exterritorialität der Gesandtschaften nach Reichsrecht, dass sie sicher nicht in Frage zu ziehen ist. 5. Dagegen sind die im Deutschen Reiche angestellten Konsuln, sowohl Berufs- wie Wahlkonsuln, in Ermangelung abweichender Völker^ rechtlicher Vereinbarung des Deutschen Reiches deutscher Gerichtsbarkeit unterworfen 10. B. Der G e r i c h t s b a r k e i t des e i n z e l n e n B u n d e s s t a a t e s sind e n t z o g e n 1. die Chefs und Mitglieder der bei demselben beglaubigten ausserdeutschen und deutschen Missionen, ihre Familienglieder, ihr Geschäftspersonal ; 2. die Bediensteten cler Chefs und Mitglieder jener Missionen, diese aber nur, wenn sie nicht Deutsche sind. GVG § 18. 19. 3. Von der preussischen Gerichtsbarkeit sind nach RV A. 10 u. GVG § 18, 2 die Bevollmächtigten zum Bundesrate samt ihren Familiengliedern, ihrem Geschäftspersonal und ihren Bediensteten eximirt. Wenn aber selbst das Reich dem einzelnen Bundesstaate dessen Gerichtsbarkeit über eigene Untertanen nicht nehmen will, auch wenn solche als fremde Gesandte beim Deutschen Reiche beglaubigt sind (s. oben A 1), so muss bezüglich der Personen sub Β 1 und 3 angenommen werden, dass es sich auch hier nur um Exemtionen von 9 And. Mein. M a r q u a r d s e n a. a. 0 . S 262: „ D e r Präsident hat keinen Anspruch auf die Vorrechte der Souveräne . . . Nichtsdestoweniger müssen republikanische Staaten die völkerrechtlichen Vorrechte der regierenden Fürsten respektiren". Aber warum? Und werden sie wollen, falls ihnen nicht Reciprocität zugestanden w i r d ? Ders. Ans. H a r t m a n η S 79. S. dagegen F u n k - B r e n t a n o , Précis du droit des gens. Paris 1877. S 49 if. 10

lassen.

GVG § 21.

Die Darlegung der Ausnahmen ist dem Prozessrecht zu über-

§ 14.

Das Privileg

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Nicht-Untertanen des Staates handelt, bei dem die Missionen beglaubigt sind, also auch nur von solchen Bundesratsbevollmächtigten, welche nicht Preussen sind. Der Heimatstaat soll die Gerichtsbarkeit über seine Untertanen nur dann verlieren, wenn er sich ihrer begeben hat 1 1 . Wenn neuerdings die Ansicht lebhaft verfochten worden ist, diese diplomatischen Agenten bei den einzelnen Bundesstaaten seien nicht nur von der Gerichtsbarkeit dieses Staates, sondern auch von der des Deutschen Reiches eximirt 12 , so entbehrt diese Ansicht jedes Grundes. Diese Persönlichkeiten sind nicht von den Reichsstrafgesetzen, sondern von den bayerischen und württembergischen Gerichten eximirt, und müssen notwendig vor den Reichsgerichten Recht nehmen13. II. R e c h t l i c h e B e d e u t u n g s l o s i g k e i t der A n g r i f f s handlung. § 144.

Vorbemerkung.

Die ganze Reihe von Gründen der Nichtentstehung staatlicher Strafrechte, die der näheren Betrachtung noch harren, scheidet sich nach ihrer Wirkung auf die zu beurteilende Handlung in zwei Gruppen : I. Das angegriffene Objekt ist gegen solchen Angriff durch keine Norm geschützt. Der Angriff fällt dann ganz ausserhalb des Rechtsgebietes: nicht verboten ist er auch nicht erlaubt, vielmehr rechtlich indifferent. Die Gründe dieses Erfolgs scheiden sich so: 1. Entweder das angegriffene Gut ist nicht einmal in genere wider derartige Angriffe geschützt. Diese Fälle interessiren hier nur so weit, als der Täter irrtümlich das nicht geschützte Objekt für tauglich zu seinem deliktischen Angriffe erachtet. S. unten § 145. 11

Der vielfach ausgesprochene Satz, dass die Annahme eines Staatsuntertanen als Gesandten seitens des Staates, bei dem er beglaubigt sei, einen stillschweigenden Verzicht auf die Untertanenpflicht desselben enthalte (so z. B. M a r q u a r d s e n a. a. 0 . S 213), ist nicht genügend begründet. Gerade so gut kann man behaupten, der Staat, der den Untertanen eines fremden Staates bei diesem als diplomatischen Agenten beglaubige, verzichte damit auf das Privilegium der E x t e r r i torialität. W e r verzichtet, ist quaestio facti. 12 So H a r b u r g e r , Inland S 186 A n m 35 gegen L ö w e zu GVG § 18 A n m 5 und M e y e r , Lehrbuch S 115. 116. 13 N u r ist hier der Staat, bei dem die Mission beglaubigt, nicht verpflichtet und nicht berechtigt dem Reiche Rechtshilfe nach GVG § 157 if. zu leisten. — Ueber das Verhältniss fremder Truppenteile auf deutschem Boden ist nicht an dieser Stelle, sondern i m Militärstrafrecht zu handeln. Binding, Handbuch. V I I . 1. I :

B i n d i n g , Strafrecht. I .

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Rectl. Bedeutungslosigkeit d. Angriffshandlung.

2. Das Gut steht generell unter Rechtsschutz, allein ausnahmsweise stösst der Staat einzelne Güter dieser Ait aus seinem Schutze aus und erklärt sie für vogelfrei. S. unten § 147. 3. Das generell geschützte Gut verliert diese Eigenschaft allein gegenüber dem Angreifer, und zwar wTeil a. entweder Angreifer unci Angegriffene identisch sind — s. unten § 146 — oder b. weil der Träger des Gutes dasselbe für den Angriff untauglich zu machen wusste. S. unten § 148. 149. II. Das angegriffene Objekt ist gegen solchen Angriff in genere allerdings geschützt; kraft Ausnahme von der Nonn darf es aber oder muss es gar verletzt werden. S. unten § 150 ff. Hier ist es nicht vollständig oder in unbestimmter Richtung rechtlos, sondern fremdem Rechte oder fremder Pflicht verfangen. Seine Verletzung liegt nicht ausserhalb sondern innerhalb des Rechtsgebietes. Mehrfach sind aber Fälle der zweiten Art für solche der ersten gehalten wrorden. Die Folgen zeigten sich in falschen Konstruktionen und falschen Konsequenzen. Die so auffällige Behauptung Feuerbachs und G r o l m a n s , an einem zum Tode Verurteilten könne das Verbrechen der Tötung nicht mehr begangen werden, die ja natürlich auf alle Verurteilten analog ausgedehnt werden müsste, ebenso die behauptete Rechtlosigkeit der Soldaten in Feindesland dürften heute für wissenschaftlich überwunden gelten. Weit weniger bestimmt lässt sich dies von einer andern falschen Ansicht behaupten, wonach besonders im Falle der Notwer der widerrechtliche Angreifer durch seine Tat gegenüber dem Angegriffenen rechtlos werde. Die Straflosigkeit der Notwer wurzelte dann in dieser Friedlosigkeit. Allein eine solche unbestimmt begrenzte Rechtlosigkeit kommt in der Rechtsgeschichte nicht vor. Des weiteren aber wäre dann die Notwer-Verletzung rechtlich gleichgültige Handlung, was durchaus nicht zugegeben werden kann. Dass ein Rechtsgut Objekt eines fremden Verletzungsrechtes ist wie etwa das Leben des zum Tode Verurteilten, das Leben der feindlichen Soldaten gegenüber der inländischen Kriegsmacht, bildet grade den scharfen Gegensatz zu seiner Rechtlosigkeit.

691 § 145.

1. D i e i r r t ü m l i c h d e l i k t i s c h e H a n d l u n g 1 .

I. Irrtum ist die Inkongruenz zwischen den vorgestellten Gegenständen und diesen selbst. Diese Inkongruenz kann der Mensch beseitigen entweder durch eine geistige Tat, durch Aufdeckung und Verdrängung der falschen Vorstellung, oder durch eine Handlung auf die Aussenwelt: durch bewusste oder unbewusste Aenderung des vorgestellten Gegenstandes. Der Irrtum selbst aber hat keine Macht über das falsch vorgestellte Objekt: es ändert durch ihn in nichts seine Natur. Nun interessirt für die Deliktslehre der Irrtum von zwei Seiten her: der Irrtum über eine verbotene und der über eine unverbotene Handlung2. Ersterer belässt die Handlung natürlich verboten, aber er schliesst die Schuld oder den Vorsatz aus; letzterer ist natürlich ausser Stande das unverbotene, vielleicht das gar erlaubte zur Rechtswidrigkeit zu stempeln und von da aus rückwärts in dem Täter rechtswidrigen Willen, der ja nur beim Delikt möglich ist, zu erzeugen. So scheint grade er für die Betrachtung des Deliktes ganz bedeutungslos zu sein, und er wäre es auch, schwankten nicht in der Theorie die Grenzen zwischen ihm und dem Irrtum bei verbotenen Handlungen8, und wäre die Grenz-Feststellung nicht unbedingt notwendig. II. Vor allem ist hier von der Betrachtung auszuschliessen die irrtümliche Annahme der Strafbarkeit eines wirklichen und in seiner Wirklichkeit erkannten Deliktes: die Norm besteht in der Tat, das Strafgesetz nur in der Einbildung des Delinquenten. Dieser Irrtum bleibt ohne alle Wirkung und gehört nicht hieher. 1

H 2 116. 142. Β 80. Sch 33. M 46. H 48. Κ 83. W V 75 a. E . (S 219. 220). L i 38. S c h a p e r bei H H I I 121 if. — Gegenüber der W i c h t i g k e i t der Frage ist die Literatur abgesehen von der über den sog. untauglichen Versuch sehr geringfügig. Siehe O e r s t e d , Grundregeln S 164 ff., bes. S 169. — H e f f t e r § 3 6 . — L u d e n , Abhandl. I I 196, vgl. I 476. — S e m t e l l o s , De delictis putativis. Diss. B e r l i n 1848. — G e y e r , Erörterungen S 38 ff. — H ä b e r l i n i n G A X I H 1865 S 233 ff. — Vgl. auch v. L i s z t , Die falsche Aussage vor Gericht. Graz 1877. S 54 ff. — Ueber die interessante Umwandlung der falschen Auffassung römischer Juristen i n die richtige s. B i n d i n g , Grundriss § 59 V . — D a es m i r hier darauf ankommt den Gegenstand i m Zusammenhang klar zu legen, lasse ich die Versuchskontroverse als solche hier ganz bei Seite. 2 W i e sehr der letztere I r r t u m Gegenstück des ersteren ist, das kann freilich erst die Lehre von diesem ganz klar legen. 3 I n dieser Unklarkeit gründet vor allem die scheinbar endlose Kontroverse über den sog. absolut untauglichen Versuch; dass man dies nicht erkennt, ist der Hauptgrund, dass sie nicht sterben will.

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II· Rechtl. Bedeutungslosigkeit d. Angriffshandlung.

III. Bezüglich der irrtümlichen Annahme einer deliktischen Handlung sind zwei Fälle scharf zu scheiden : 1. Der Täter subsumirt seine Handlung unter eine Norm, die gar nicht besteht. Er glaubt als Onkel seine Nichte nicht heiraten zu dürfen und tut es doch, er sucht dem Staate einen Zoll oder eine Steuer zu hinterziehen, die gesetzlich beseitigt ist, er führt heimlich Pferde aus, während er es offen tun dürfte. Er glaubt also, seine Handlung unterfalle einer Deliktsart, die nicht das Gesetz, sondern seine Einbildung geschaffen hat. Es ist zweckmässig für diese Fälle die Bezeichnung des d e l i c t u m p u t a t i v u m , des W a h n v e r b r e c h e n s 4 vorzubehalten, obgleich sich ein fester Sprachgebrauch nicht gebildet hat und diese Bezeichnung oft auf die unter 2 zu erwähnenden Fälle teilweise miterstreckt oder gar auf diese beschränkt wird 5 . Obgleich hier der Täter beabsichtigt ein Verbot oder Gebot zu übertreten, herrscht hier allgemeines Einverständniss, dass ein Delikt nicht begangen, also auch nicht versucht wird 6 . 2. Der Täter subsumirt seine Handlung unter eine vorhandene Norm, allein ihr fehlt eines der Deliktsmerkmale — ob scheinbar, ob wirklich, steht zu untersuchen —, während er es als vorhanden annimmt. Es ist von weitesttragender Bedeutung die engen Schranken 4 Richtiger Wahndelikt. W a h n v e r b r e c h e η könnte auch wahres D e l i k t sein, das der Täter fälschlich für strafbar erachtete. 5 Das Wahnverbrechen w i r d als Verbrechen am absolut untauglichen Objekt gefasst von H e f f t e r § 36, von dem der Ausdruck Wahnverbrechen herzurühren scheint; G e y e r , Erört. S 3 8 ; B e r n e r § 81; als Verbrechen an untauglichen Objekten und m i t untauglichen M i t t e l n von S e m t e l l o s (s. bes. S 25 u. 37); als das echte Wahnverbrechen und das Verbrechen am untauglichen Objekt von S c h a p e r a. a. Ο . S 121. 122. Dagegen bes. H ä b e r l i n S 237 und S c h ü t z e S 99 A n m 3 . — Wieder anders v. L i s z t S 152, der es annimmt, wo der Täter seine Handlung i r r i g unter eine nicht existirende N o r m , oder i r r i g n i c h t unter die Ausnahme einer w i r k l i c h existenten N o r m subsumirt. Ueber den letzteren F a l l s. unten sub 2 d . 6 Es w i r d hier natürlich vorausgesetzt, dass die betr. Handlung nicht ausser der eingebildeten noch eine w i r k l i c h vorhandene N o r m verletzt. — Ueber das Wahnverbrechen insoweit richtig O e r s t e d S 169; K ö s t l i n , Revision S 3 5 7 ; d e r s . , System S 225; H ä l s c h n e r , Preuss. StR I 184; d e r s . , D. StR I 332; H ä b e r l i n a. a. 0 . S 236 ff.; S c h ü t z e S 99 A n m 3, vgl. S 128 A n m 4 ; M e y e r S 283; S c h a p e r a. a. 0 . I I 122; v. W ä c h t e r , Deutsches StR S 219. 220; v. L i s z t S 152. — Höchst auffallend ist es aber, dass H ä l s c h n e r , Preuss. StR I 194 die Straflosigkeit des Wahnverbrechens auf die „ i n entsprechender Weise" angewandte Regel ignorantia j u r i s nocet zurückführt, und dass H ä b e r l i n a. a. 0 . S 136 sich dies Argument mit den W o r t e n aneignet, error juris nocet heisse, es werde auf den Rechtsirrtum bei der rechtlichen Beurteilung einer Handlung keine Rücksicht genommen.

§145.

1. Die irrtümlich deliktische Handlung.

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zu brechen, die bisher durchweg dieser Gruppe gesteckt waren, und klar zu legen, dass ganz verschiedene Irrtümer — nicht nur die über Tauglichkeit des Objektes oder des Mittels — hier ganz dieselbe Wirkung üben und demgemäss kriminalistisch genau gleich behandelt werden müssen. So viele Normwidrigkeitsmerkmale nämlich ein Delikt hat, so viele können auch fälschlich als vorhanden angenommen werden. Definiren wir die Tötung als schuldhaft rechtswidrige Vernichtung eines fremden Menschenlebens, so kann der Täter aus vier Gründen glauben, dass er die Tötungsnorm übertrete: a. er glaubt wider ein Menschenleben zu handeln, aber er tötet ein Tier, oder schiesst nach einer Puppe; b. er glaubt einen Nebenmenschen zu töten, in Wahrheit richten sich alle seine Vorbereitungen nur wider ihn selbst und er läuft schliesslich in den eigenen Selbstschuss; c. er handelt wider einen Menschen, glaubt die Tötungsursache zu setzen, während seine Tat nicht einmal Teile derselben, sog. Bedingungen des Todes hervorbringt, vielleicht sogar den Grund der Heilung des angeblichen Opfers legt; d. er weiss, dass er einen Menschen tötet, er darf, vielleicht muss er diesen töten, sei's wegen Notwer, sei's auf Vorposten den anschleichenden Feind u. s. w., aber er subsumirt die Handlung unter die Norm, statt unter ihre Ausnahme, sei's weil er glaubt, in der Notwer nicht so weit gehen zu dürfen oder im Krieg auf einen Mann der eigenen Truppe zu schiessen oder den nicht zum Tode Verurteilten hinzurichten 7. Grade bezüglich dieser Art des Irrtums herrscht — freilich wieder nur für zwei vereinzelte Anwendungsfälle, für die irrtümliche Annahme der Tauglichkeit von Objekt und Mittel — der Streit, ob der Irrthum eine verbotene oder eine unverbotene, vielleicht erlaubte Handlung begleite. Dieser Zweifel lebt lediglich von der unmethodischen Weise der 7

Eine Handlung kann fälschlich als widerrechtliche Aneignung fremder Sachen betrachtet werden, nur weil der Täter entweder: 1. seine eigene oder eine herrenlose Sache für eine fremde hält, oder 2. weil er die fremde Sache sich anzueignen glaubt, während er sie vielleicht nur zu Pfand h a t ; 3. weil er ein Recht hat sie sich anzueignen und dies verkennt. Eine Handlung kann zu Unrecht als falscher E i n t r a g seitens eines Beamten i n öffentliche Bücher gefasst werden : 1. weil der Eintragende der Beamtenqualität ermangelt; 2. weil der Beamte gar nicht i n ein öffentliches Register einträgt ; 3. weil er in das öffentliche Register richtig statt falsch einträgt. Diese Betrachtungsweise liesse sich auf alle Delikte gleich exakt anwenden: die Beispiele mögen genügen.

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Rechtl. Bedeutungslosigkeit d. Angriffshandlung.

Fragestellung und von cler willkürlichen Zerreissung zusammengehöriger Fälle. Dass die irrige Annahme eines nicht vorhandenen Deliktsmerkmals ebenso vorkommt, wie die irrige Nichtannahme eines vorhandenen, ist unleugbar. Dass der Irrtum, eine erlaubte Handlung sei verboten, diese nicht in eine verbotene zu verwandeln, der Irrtum, ein fehlendes Deliktsmerkmal sei vorhanden, dieses nicht zu schaffen vermag, kann kein denkender Mensch bestreiten. So ist die zu gebende Antwort schon jetzt ausser Zweifel. Damit muss sich aber die Aufdeckung cler Fehler-Quelle verbinden. Wie kommt es, dass der Irrende, der eine Nichttötungshandlung für eine verbotene Tötung, eine Nichtaneignung, oder eine nicht verbotene Aneignung fremder Sachen für verboten hält, so vielfach wegen Tötung oder Unterschlagung in Anspruch genommen wird, wenn auch natürlich nur wegen Versuches? Ein feinerer und ein gröberer Irrtum führen beide zu dem gleich falschen Ergebniss. a. Der feinere legt die Norm extensiv aus und sagt: die Tötungsnorm verbietet nicht nur die tödliche, sondern auch die vom Täter für tödlich gehaltene Handlung. Die Norm — so beweist man — will wirken durch das Mittel der Ueberlegung, ihr Verbot dehnt sich also ganz von selbst dahin aus nicht nur die verbotene, sondern auch die für verboten gehaltene Handlung zu unterlassen. Allein diese Beweisführung hinkt : damit wird nämlich nicht eine Norm ausdehnend ausgelegt, sondern eine ganz verschiedene ihr zur Seite gestellt, und zwar ohne jeden Nachweis der Existenz. Die tödliche Handlung und die für tödlich gehaltene sind himmelweit verschiedene Dinge. Letztere wird von der Tötungsnorm gar nicht berührt, noch weniger untersagt. Meine Unterlassungspflicht gründet in der Qualität der Handlung als verbotener Tötung eines Nebenmenschen: ist sie das nicht, so kann ich glauben, sie sei es, und dann weiter glauben, ich sei demgemäss verpflichtet sie zu unterlassen. Dies ist aber eine reine Ρ s eu dop f l i c h t : wer sie erfüllt, tut mehr als das Recht von ihm fordert, wer sie nicht erfüllt, dessen Verhalten ist wichtiges Indiz für seine rechtsfeindliche Gesinnung, allein er hat nicht weniger getan, als die Norm von ihm verlangt: mit andern Worten, wer das Delikt nicht begeht, das die Norm untersagt, es aber zu begehen glaubt, ist gar nicht in Uebertretung der Norm begriffen, die er zu übertreten vermeint 8. Würde man ihn strafen, so würde man nicht einmal wegen ver8 Dass darin ein anderes D e l i k t i n der T a t enthalten sein kann, bedarf k a u m der Erwähnung.

§ 146. 2. Die reine Selbstverletzung.

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brecherischen Vorsatzes — denn der ist gar nicht vorhanden —, sondern wegen rechtsfeindlicher Gesinnung strafen, hätte dann aber gar keinen Grund das Putativ-Verbrechen straflos zu lassen9. b. Der gröbere Irrtum betrifft zugleich die verbrecherische Absicht und den Versuch. Jene wird nicht davon abhängig gemacht, dass die Vorstellung, die den Inhalt des Willens bildet, wirklich die einer verbotenen Handlung ist, sondern sie wird in vagster Weise mit der rechtsfeindlichen Gesinnung iclentifizirt 10, und zugleich wird der Versuch nicht als teilweise Selbstverwirklichung des Vorsatzes, sondern als Manifestation jener Gesinnung für deliktisch erachtet — Anschauungen, mit denen später abzurechnen sein wird 1 1 . Die Richtigkeit der hier verteidigten Auffassung wird nun ganz evident, wenn der Täter seine im übrigen richtig erkannte Handlung, die nicht lediglich unverboten, sondern erlaubt oder gar geboten ist, für verboten erachtet hat. Er befand sich in Notwer und durfte verwunden, er musste den schleichenden Spion cles Feindes aufs Korn nehmen u. s. w. Hier soll der Irrtum des Täters im Stande sein, was der Gesetzgeber gestattet oder fordert, in ein Unzulässiges zu verwandeln? Endlich sei noch darauf hingewiesen, dass jene Auslegung der Norm: verboten ist nicht nur, was sie untersagt, sondern auch, was der Täter für untersagt hält, natürlich erlaubenden Rechtssätzen gegenüber gleichfalls Platz greifen müsste. Denn darf cler Täter nicht tun, was er für verboten hält, so muss er auch tun dürfen, was ihm erlaubt scheint: erlaubt und verboten hören auf objektive Eigenschaften menschlicher Handlungen zu sein, sie sind zu subjektiven Werturteilen degradirt. Das der grosse Erfolg jener Irrtümer, dass sie den Irrtum über das Gesetz erheben! § 146. 2. D i e r e i n e

Selbstverletzung1.

I. Seit Wächters trefflicher Revision der Lehre vom Selbstmorde herrscht darüber kein Zweifel mehr, dass die geschriebenen Quellen des früheren gemeinen Rechts den Selbstmord als den w7ich9 Gut G e y e r , Erört. S 38. 39: „die Gesinnung des Handelnden ist unsittlich, vielleicht i m höchsten Grade ruchlos", aber Gesinnungen sind nicht k r i m i n e l l ! 10 M . sehe beispielsweise v. B u r i , Abhandl. S 71. 11 Ganz richtig hat R G I I I vom 26. März 1881 ( Ε I V 32) die Revision gegen die Freisprechung eines Eidesunmündigen, der falsch geschworen hatte, zurückgewiesen. Näher w i r d i n der Lehre vom Versuch auf seine Judikatur einzugehen sein. 1 H 2 187. Β 82. Sch 35. M 46 (S 286). 73. W V 68. L i 33. G 88. H 63. Κ 36.

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Rechtl. Bedeutungslosigkeit d. Angriffshandlung.

tigsten Fall der Selbstverletzung mit Strafe nicht belegt haben. Die kirchliche Anschauung aber trug schliesslich über das Recht des Staates den Sieg davon, und durch stillschweigende Approbation der Praxis seitens der Gesetzgeber ward der Selbstmord zum weltlichen Verbrechen, das, wrenn vollendet, mit entehrendem Begräbniss, auch wohl mittels Exekution gegen den Leichnam, wrenn versucht arbiträr gestraft wurde; ja als bürgerliche Missetat hat er sich bis in das 19. Jahrhundert erhalten. Der Umschwung zu Gunsten der früheren gemeinrechtlichen Auffassung lag aber durchaus in der Konsequenz der naturrechtlichen Anschauung von dem Individuum als der Rechtsquelle und als dem Inhaber einer unbeschränkbaren Freiheit überhaupt, also auch über sich selbst. Diese Folgerung ward, soweit ich sehen kann, nachdrücklichst zuerst von dem Engländer D o n n e 2 um die Mitte des 17. Jahrhunderts, dann mit grösserem Erfolg, knapp und geistvoll von M o n t e s q u i e u 3 gezogen: dieser statuirt ein Recht des Selbstmordes. Seine und B e c c a r i a s Ansicht von dessen Straflosigkeit schlugen auch in Deutschland durch 4, und so hat keines der neueren deutschen Strafgesetzbücher denselben mit Strafe bedroht 5 . S c h a p e r bei H H I I 115 ff.; v. H o l t z e n d o r f f , das. I I I 416 ff. — H e p p , Versuche. Heidelberg 1827. S 194—203 (Ueber die Verweigerung des christlichen Begräbnisses beim Selbstmord). — W ä c h t e r * , Revision der Lehre vom Selbstmorde : Ν Α X 1829 S 72—111. 2 1 6 - 2 6 6 . 6 3 4 - 6 8 0 (dazu F a l c k , das. X I 143 ff). — A h e g g , Untersuchungen S 65 ff. — W e s s e l y i n Haimerls VJS I 237 ff. — M e r k e l und W a h l b e r g , H R L e x s. v. Selbstmord und Selbstverstümmelung. — Ueber „Beihilfe" und „Anstiftung zum Selbstmord" s. bes. L i o n bei GA V I 1858 S 458 ff.; M i t t e r m a i e r , das. I X 1861 S 433 ff; B e r n e r , Preuss. StR § 31 u. 57; S c h ü t z e , Notwendige Teilnahme S 288 ff. 2 S. über dessen W e r k Βια&ανατος, L o n d o n 1644 (?), das heute immer noch beachtliche Buch von S t ä u d l i n , Geschichte der Vorstellungen und Lehren vom Selbstmorde. Göttingen 1824. S 1 1 6 - 1 5 1 . 3 Lettres Persanes (zuerst 1720) N r L X X V I . I n diesem Punkte lange nicht so fein wie M . B e c c a r i a , Dei delitti e delle pene § 32. Nach i h m beschränkt sich die Frage darauf, ob es einer N a t i o n nützlich oder schädlich ist jedem ihrer Mitglieder die unbeschränkte Freiheit zu lassen sich zu entfernen. Ausserdem premirt er m i t Recht den Unfug einer Bestrafung Verstorbener. 4 S. W ä c h t e r a. a. 0 . S 654 ff. 5 Ganz anders C o d e x j u r . B a v . e r i m . cap. I I I § 25 (droht fürsetzlicher Selbstentleibung m i t Konfiskation des 3. Teiles der Erbschaft und Vergrabung des Körpers durch den Scharfrichter unter dem Galgen) und der sehr interessante ausführliche A r t . 93 der C o n s t . T h e r e s i a n a ; O e s t e r r . G e s e t z b u c h von 1787 § 1 2 5 ; O e s t e r r . G e s e t z b u c h von 1803 T . I I § 90—92; P r e u s s . L a n d r e c h t T . I I T i t . 20 § 803—805 (ein Reskript vom 5. Okt. 1796 erklärt den Versuch des Selbstmordes für straflos). — A l l e Gesetzbücher seit dem Bayerischen von 1813 übergehen den Selbstmord m i t Stillschweigen. — Unter den Mordbegriff, wenn auch nicht unter

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Damit ist aber der Zwiespalt in der rechtlichen Würdigung dieser Handlungsgruppe nicht aus der Welt geschafft, und dieser Streit hat trotz der Stellung der neueren Gesetzbücher noch praktische Bedeutung. H. Vor allem ist der Kreis cler hier in Betracht kommenden Handlungen genau zu umschreiben. Der Täter handelt wider Rechtsgüter für ihn höchstpersönlicher Natur, weil sie in Qualitäten seines Menschentums bestehen, wider sein Leben, seine Gesundheit, seine Freiheit, seine Ehre, seine Geschlechtsehre — lauter Güter, die nicht Objekte seiner Berechtigungen sein können, weil Rechte auf oder am Leben, auf oder an der Gesundheit u. s. w. schlechterdings undenkbar sind. Die Verletzungen nehmen also an die Gestalten des absichtlichen oder unabsichtlichen S e l b s t m o r d e s , der S c h ä d i g u n g der e i g e n e n G e s u n d h e i t , des S e l b s t v e r k a u f s i n die S k l a v e r e i , der S e l b s t e i n s p e r r u n g , die der Täter vielleicht geflissentlich unaufhebbar gemacht hat, der S e l b s t b e d r o h u n g 6 , der S e l b s t b e l e i d i g u n g , insbesondere der sehr wohl möglichen Selbstverleumdung etwa in Gestalt der falschen Selbstanklage, und endlich der U n z u c h t m i t sich s e l b s t 7 . Das Charakteristische aller dieser Verletzungen ist die Identität zwischen dem Subjekte und dem Gegenstande der Verletzung, und überall, wo diese Identität nicht überschritten wird, die Verletzung also nicht über den Verletzten hinausreicht, finden wir, dass das heutige gemeine Recht die Handlung mit Stillschweigen übergeht 8. III. Drei Gründe sind dafür a priori denkbar. Das Gesetz sieht darin zwar Delikte, hält aber deren Bestrafung für inopportun; oder aber es betrachtet die Selbstverletzungen für unverboten, weil juristisch bedeutungslos, oder für erlaubt und deshalb für strafunfähig 9. die Mordstrafe stellt T h ü r i n g e n A r t . 121 die Anstiftung und die Beihilfe zum Selbstmorde; Anstiftung, Teilnahme und Beihilfe daran verpönt B r a u n s c h w e i g § 148; die Teilnahme daran B a d e n § 208; Verleitung und Beihilfe zu Selbstmord und Selbstmordversuch S a c h s e n 1 8 5 5 A r t . 158 = 1 8 6 8 A r t . 158. 6 Jemand bedroht anonym i n einer Zeitung den Dr. Z. m i t einem Verbrechen. Der Inserent ist Dr. Z. selbst, der den Verdacht der Drohung auf einen Konkurrenten ablenken möchte. 7 Die Brandstiftung und die Beschädigung an eigener Sache hat deshalb hier ausser Betracht zu bleiben. 8 AVenn das röm. Recht die Selbstkastration m i t Strafe belegte (1 4 § 2 D ad leg. Cornel. 48, 8 ; 1 1 u. 2 Cod. de eunuch. 4, 42; Nov. 142), so geschah dies zweifellos, weil man das Verbrechen als über den Einzelnen hinaus greifend ansah als Vernichtung künftiger Generationen. Ueber die einschlagenden Verbote siehe Ρ e r n i c e , Labeo I I 30 A n m 1. 9 Die Ansichten sind besonders bezüglich des Selbstmordes geäussert worden

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Für clie letzte Annahme fehlt jeder Anhalt. Ein Recht über sein Leben zu verfügen oder sich selbst zu verstümmeln ist so allen Zwecken des Rechts zuwider, dass nur derjenige auf diesen Gedanken verfallen kann, der wie die Naturrechtslehrer zumeist unverboten mit erlaubt verwechselt. Für die Annahme, solche Handlungen seien straflos gelassene Delikte, liesse sich wohl anführen, dass die Verletzung jener Rechtsgüter in den meisten Fällen, besonders des Selbstmordes und der Selbstverstümmelung, für die Rechtsordnung nicht gleichgiltig sein kann und also letztere sehr wohl Anlass hätte die Normen auf die Selbstverletzung mit zu erstrecken 10. Aber die Gründe der Straflosigkeit, die man aufgestellt hat, die Unmöglichkeit der Strafvollstreckung im Falle des vollendeten, ihre Undienlichkeit im Falle des versuchten Selbstmordes, die präsumtive Unzurechnungsfähigkeit der Häufig aber reden die Autoren so allgemein, als sollte ihre Meinung eher verdeckt als erklärt werden! 1. E i n R e c h t d e r S e l b s t v e r l e t z u n g begegnet noch bei A h e g g , Lehrbuch § 103 (s. S 161: Wegfallen der Rechtswirkungen „durch eigenes giltiges Aufgeben des Rechts"), wenn hier nicht nur eine Ungenauigkeit i m Ausdruck vorliegt. 2. A l s u n v e r b o t e n u n c i u n e r l a u b t betrachten diese Handlungen: G r o l m a n § 283; W ä c h t e r , Lehrbuch I 99 ff. (stellt den Selbstmord zu den Fällen, wo gar kein Rechtsverhältniss vorhanden ist); vgl. d e n s . , Ν Α X 656 ff, wo er das Moment der Rechtsverletzung am Selbstmord vermisst), ebenso Deutsches Strafrecht § 62. 68; ders. Ans. offenbar H e n k e I I I 581 ff.; K ö s t l i n , System I 105 (s. freilich N . Revis. S 685 oben und klarer 904 ff.); H ä l s c h n e r I 241; d e r s . , D. StR I 468. 3. A l s s t r a f l o s e D e l i k t e werden sie angesehen von F e u e r b a c h § 241; doch wohl auch von H e f f t e r § 227; zweifellos von L i o n , G A V I 458 ff. und von S c h ü t z e , Notw. Teiln. S 288 ff. u. Lehrbuch § 35; ob auch von M e y e r S 286, wage ich bei seiner Unbestimmtheit nicht zu entscheiden. 4. Unter den P o l i z e i v e r b r e c h e n begegnen Selbstmord und Selbstverstümmelung i n Verbindung m i t unerlaubter Auswanderung noch bei T i t t m a n n I I § 543 ff., der aber sagt, sie seien „ a n sich keine Vergehen" und sie offenbar straflos lassen möchte. A l s Polizeidelikt w i l l den Selbstmord auch H e p p , Versuche S 195. 196 angesehen wissen und er plädirt für Versagung des christlichen Begräbnisses. V i e l energischer behauptet T r ü m m e r , K r i m i n . Beiträge I I I 330: „Das Strafrecht des Staats ist demgemäss gegen den Selbstmörder, den Selbstverstümmler, selbst gegen den Onanisten u. s. w. begründet." I n ders. Weise spricht sich S t ü b e l , Ν Α I X 569 aus, der darin Polizeivergehen sieht. Vgl. d e s s. Tatbestand S 134. Vgl. auch J a r c k e I 108. — K ö s t l i n , Neue Revision S 904 ff, vgl. S 685, hält die Selbstverletzungen für Verbrechen, w i l l natürlich den vollendeten Selbstmord straflos lassen, nicht aber Versuch und Beihilfe dazu. 10

Es ist nicht uninteressant zu sehen, wie A u g u s t i n u s , De civitate dei c. 17 u. 18 (s. die Stelle auch i m Decretum Gratiani qu. 5 Causa 23 c. 9 § 2) den Beweis für die Rechtswidrigkeit des Selbstmordes aus dem allgemeinen W o r t laut der N o r m (clem sechsten Gebot) f ü h r t : quia non addidit proximum t u u m !

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Selbstmörder, passen alle mit knapper Not für den Selbstmord und nicht für die doch gleich beachtlichen übrigen Fälle der Gruppe 11. Und so scheint mir die dritte Auffassung als die innerlich berechtigtste und folgerichtigste auch die des positiven Rechts zu sein, wonach die Normen auf die Selbstverletzungen nicht erstreckt werden. Der gute Grund dafür besteht darin, dass es dem Rechte als der Ordnung des menschlichen Gemeinschaftslebens widerstrebt die Scheidung von Rechtssubjekt und Rechtsobjekt auf das Individuum zu übertragen und dieses einem Dualismus Untertan zu machen, wonach es auch für sich selbst Güterqualität, vielleicht gar Sachenqualität annehmen muss, damit es Rechte an sich selbst und Rechtspflichten wider sich selbst erlangen könne 12 . Eine solche Herabwürdigung des Menschen vor ihm selbst muss cler Gesetzgeber von der Hand weisen13. Nicht alle ethischen sind zugleich auch rechtliche Möglichkeiten. Zudem gäbe es doch kaum eine seltsamere Rechtspflicht als die zu leben und gesund zu bleiben, welche durch die angedeutete Ausdehnung cler Normen entstehen würde 14 . Danach erhellt, in welchem Sinne allein gesagt werden kann, diese Selbstverletzungen spielten sich nicht ab in der sozialen Sphäre cles Rechts15. Es ist dies richtig insofern, als diese Handlungen weder erlaubt noch verboten, also juristisch indifferent sind, es ist falsch, wenn damit gesagt sein soll, dass die Handlungen des Menschen in reiner Isolirung auf sich selbst die Rechtswelt unberührt liessen: der Selbstmord und seine Genossen bedeuten allerdings Rechtsgüterverletzungen, die vielleicht sehr empfindlich sein können, die aber wie andere dergleichen — herbeigeführt durch rechtlich indifferente Ereignisse — getragen werden müssen. IV. Aus dem Gesagten folgt: 1. N u r die S e l b s t v e r l e t z u n g als solche ist u n v e r 11

Anerkannt von M a r e ζ o l l S 404. Gut W ä c h t e r , Ν Α X 656 (s. D. StR § 68). S. auch H e p p , Versuche S 195. I h m folgen H ä l s c h n e r , Preuss. StR I 241; v. H o l t z e n d o r f f bei H H I I I 416. Dagegen S c h ü t z e , Notw. Teilnahme S 289; M e y e r S 287 A n m 2 2 ; S c h a p e r bei H H I I 115. 116. — Nicht empfiehlt sich den richtigen Gedanken mit G e i b S 204 u. a. als das notwendige Erforderniss „eines von der Person des Handelnden getrennten Gegenstandes des Verbrechens" zu bezeichnen. 13 M a n denke an die widerstrebende Vorstellung von dem Eigentume des Menschen an seiren Körperteilen, die ebenso rationell ist wie die Pflicht des Menschen wider das Rechtsgut des eigenen Lebens. 14 A n diese Rechtspflicht glaubt aber neuerdings noch W a h l b e r g , H R L e x s. v. Selbstverstümmelung I I I 1 S 668. 15 So K ö s t l i n , System I 99; H ä l s c h n e r , Preuss. StR I 241. 12

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boten. Wo Selbstmord oder Selbstverstümmelung die Mittel zur Begehung von Delikten werden, prägen sie den letzteren nicht ihren Charakter auf und machen sie natürlich nicht straflos. Das heutige gemeine Recht erkennt dies in der Strafdrohung für die Selbstverstümmelung behufs Hinterziehung der Wehrpflicht ausdrücklich an (GB § 142) 16 , führt den Gedanken aber nicht konsequent durch, wenn es die falsche Anschuldigung — also ein Delikt gegen die Strafrechtspflege — straflos lässt, sobald sie falsche Selbstanklage ist. Die Selbstverletzung ist aber scharf von wechselseitigen Verletzungen Einwilligender zu scheiden. Will sich ein Liebespaar gleichzeitig übers Kreuz aus der Welt schaffen, so findet — die Ernstlichkeit der Einwilligung vorausgesetzt — GB § 216, sonst § 211 oder 212 Anwendung. Die gegenseitige „Onanie" ist keine Selbstbefleckung, sondern zweifellos „unzüchtige Handlung" im Sinne der §§ 174 und 176, nicht aber widernatürliche Unzucht im Sinne des § 175. Sie ist also strafbar, falls die weiteren Erfordernisse der §§ 174 und 176 vorliegen 17. 2. Der j u r i s t i s c h e C h a r a k t e r der S e l b s t v e r l e t z u n g i s t von dem W i l l e n des T ä t e r s u n a b h ä n g i g ; er ist der gleiche bei der absichtlichen wie bei der unabsichtlichen Verletzung, nicht durch ein Dispositionsrecht des Täters über seine Rechtsgüter bedingt. Die Frage nach dem Wesen der Selbstverletzung und die nach der Verletzung Einwilligender haben nichts mit einander zu tun 1 8 . 3. Da es B e i h i l f e und A n s t i f t u n g nur zu D e l i k t e n g i e b t , so f e h l e n sie bei den S e l b s t v e r l e t z u n g e n 1 9 . 16 Vgl. auch GB § 361, 5. S. auch M G B § 81. Das Verbrechen der Feigheit (MGB § 85. 87) kann gleichfalls durch Selbstmordversuch und Selbstverwundung begangen werden; das Verbrechen des Betrugs durch falsche Vorspiegelung, die Selbstverstümmelung sei Verstümmelung durch dritte Hand oder durch Zufall u. s. w. 17 Das Genauere i m speziellen Teil. 18 Die Verbindung der Fragen, j a die Behauptung, sie seien identisch, bildet die Regel. S. bes. K ö s t l i n , N . Revis. S 685, der ihre Trennung für einen „auffallenden Widerspruch i m Denken" erklärt. Vgl. d e n s . , System I 1 0 4 . — B e r n e r § 83. — S c h ü t z e , Notw. Teiln. S 292. — O r t m a n n bei GA X X V 115. — v. L i s z t S 125. 126. — N i c h t einmal so viel ist zuzugeben, dass die Fragen der Tötung Einwilligender und der Beihilfe zum Selbstmord in innerer Verbindung stehen. 19 Es können hier nicht einige der feinsten Fragen aus der Lehre von Täterschaft und Teilnahme ex professo behandelt werden. Doch muss ich schon hier meinen Standpunkt markiren. A m seltsamsten ist zu sehen, wie man vielfach die ganze Frage als durch den Satz des Textes erledigt ansieht. S. z. B. G o l t d a m m e r i n G A X I I I 9 6 ; B e r n e r , Preuss. StR S 30, Lehrbuch § 8 2 ; neuerdings wieder v. W ä c h t e r , D. StR S 187.

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a. Wenn die Beihilfe zum Selbstmorde hie und da unter Strafe gestellt ward, so geschah dies, weil die Handlung des Gehilfen die Richtung wider ein fremdes Leben nimmt : er setzt Bedingungen aber nicht die Ursache zur Vernichtung desselben. Richtiger aber ist, weil seine Tat doch nur einen Bestandteil der unverbotenen Haupthandlung bildet, und der Täter weiss, dass er zu solcher beihilft, ihn straflos zu lassen20, wie denn das heutige gemeine Recht dies ganz zweifellos getan hat 2 1 . b. Die sog. Anstiftung zu Selbstverletzungen inkl. des psychologischen Zwanges zu solchen ist nichts anderes als Täterschaft an Verletzungen Dritter, die zum Selbstmorde insbesondere Täterschaft an Mord und Totschlag. Das gilt nach meiner Ueberzeugung auch bezüglich des heutigen gemeinen Rechts22. Man sollte jeden Zweifel für ausgeschlossen halten, wenn Jemand einen Dritten zu einer Handlung bestimmt, die, ohne dass letzterer es weiss, sich als Selbstverletzung entwickelt 23 ; ferner wenn Jemand einen Wahnsinnigen oder ein Kind zur Selbsttötung bestimmt hat; ferner wenn Jemand einen Andern durch Drohungen zum Selbstmorde gezwungen hat. Ueberall liegt hier Verursachung des Todes eines Nebenmenschen, also das Verbrechen der Tötung vor. Der Fall ändert aber in nichts seine Natur, wenn ich Jemanden durch das Versprechen seine Kinder namhaft zu unterstützen zum Selbstmord bestimme oder in der Absicht, dass er der melancholischen Stimmung erliege, den Todeswillen in ihm erwecke. Wieder will ich den Tod eines Dritten verursachen und wieder habe ich es getan 24 . Die Strafbarkeit dieser Täterschaft fällt da weg bez. mildert sich da, wo der sich selbst Verletzende weiss, dass ihn der sog. Anstifter dazu bestimmen wollte und bestimmt hat, und wo z u g l e i c h die E i n w i l l i g u n g i n die V e r l e t z u n g d i e s e l b e s t r a f l o s m a c h t bez. als S t r a f m i l d e r u n g s g r u n d f u n k t i o n i r t . Wo das nicht 20 And. Mein. L u d e n , Handb. S 317 A n m 6; L i o n a. a. 0 . und S c h ü t z e , Notw. Teiln. S 288 if. 21 Es darf hier wohl auf das interessante R G I I I vom 9./16» Juni 1884 ( Ε X I 56 if.) verwiesen werden. 22 Die herrschende, oberflächliche und äusserliche Auffassung des Täterbegriffs, die wesentlich der Vertauschung des „Urhebers" m i t dem „Täter zu danken ist, w i l l das freilich nicht begreifen. 23 Darüber richtig v. H o l t z e n d o r f f bei H H I I I 417. 24 Gut A b e g g , Untersuchungen S 67. — Die umgekehrte Ansicht, es sei de lege lata die sog. Anstiftung zum Selbstmord straflos, herrscht aber ganz allgemein, wenn auch hie und da m i t Einschränkungen. S. die Lehre von der Täterschaft.

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II

Rechtl. Bedeutungslosigkeit d. Angriffshandlung.

der Fall ist, wie etwa bei der unmerklichen sog. Anstiftung eines Melancholikers sich umzubringen, greifen — und zwar durchaus gerechter Weise — die gewöhnlichen Strafen für Mord und Totschlag Platz. Daraus ergiebt sich auch die richtige Beurteilung des sog. a m e r i k a η i s c h e 11 D u e 11 s, einer der elendesten und abscheulichsten Erfindungen neuerer Zeit 2 5 . Da das eine Resultat des erfolgreichen amerikanischen Duells höchstens ein Selbstmord ist, so ist jede Strafdrohung zu Ungunsten dessen, gegen den die Würfel gefallen sind, unzulässig. Der Andere aber, cler seinen Gegner des ihm gegebenen Wortes nicht entbindet, der also will, dass sein Widerpart ums Leben gebracht werde, und der die Ausführung "dieses seines Willens durch seinen Widerpart selbst erzwingt , ist einfach Mörder. Hat er den Gegner, der sein Leben zu retten suchte, an dessen Ehrenwort gehalten, so ist er — und zwar wieder durchaus gerecht — nach GB §211 zu strafen; von Tötung des Einwilligenden kann nicht gesprochen werden, da ja der Täter dem Drucke des Ehrenwortes weicht. Hat ihm aber der Gewinnende das Wort rechtzeitig zurückgegeben, und derjenige, der im Spiel verlor, tötet sich nun doch, so muss der Gegner des Toten straflos bleiben 26 . c. Bei sog. Mittäterschaft am Selbstmord ist natürlich nur der Mittäter, dieser aber als Urheber eines vollendeten oder versuchten Mordes bez. Totschlags zu strafen. § 147. 3. U n t a u g l i c h k e i t des a n g e g r i f f e n e n O b j e k t s kraft Staatswillens1. I. Jedes Verletzungs- und Gefährdungs-Verbrechen bedarf des tauglichen, also unter Normenschutz stehenden Objektes. Dies kann 25 Ueber das amerikanische D u e l l vgl. F r ü h w a l d , Allgem. österr. Gerichtszeitung 1864 N r 96 (will seltsamerweise nach österreichischem Recht die Handlung als Erpressung strafen); N e u b a u e r , das. 1865 N r 5 (hält sie für Duell); G o l t d a m m e r , G A X I I I 1865 S 95 (hält sie nach preuss. Recht für straflos); L ü d e r , das. S 540 ff. (für Duell); B i n d i n g bei Grünhut I I 1875 S 680. 681; T e i c h m a n n u. H o l t z e n d o r f f bei H H I I I 395 ff. u. 417 (die Handlung sei kein Verbrechen); H ä l s c h n e r 2 I 496 (offenbar ders. Ansicht); G e y e r , Grundriss I I 14 (desgl.). 26 Die tiefere Begründung dieser Auffassung, die auch allein zur genügenden Repression wider diese unsäglichen Nichtswürdigkeiten befähigt, s. i n der Lehre von der Täterschaft ^und vom Zweikampf. 1

Β 83. Sch 36. M 46. W V 79. L i 33. Gey 19. Κ 15. Η 58. G 89. S c h a p e r bei H H I I 126. 127. — T h i b a u t , K r i t i k S 31. 32. — A h e g g , Ν Α I X

§ 14.

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t l i k e i t des angegriffenen Objekts.

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ein Rechtsgut oder ein subjektives Recht sein, muss aber zur Zeit des Angriffs in dieser Eigenschaft wirklich existiren. 1. Ist das subjektive Recht zur Zeit des Angriffs erloschen — ganz gleichgiltig ob durch rechtskräftiges Strafurteil, das dem Schuldigen die sog. bürgerlichen Ehrenrechte abspricht, oder aus irgend einem anderen Grunde — oder ist das Recht noch nicht entstanden, so kann es natürlich nicht mehr oder noch nicht Ziel eines verbrecherischen Angriffs sein. Das Verbrechen des Widerstandes gegen die Staatsgewalt (GB § 113, 1 u. 2) kann nicht begangen werden gegen denjenigen, der noch nicht Beamter ist, den Beamten ohne Amt, den Beamten, dem die Ausübung der Amtsgewalt untersagt ist, den verabschiedeten und den Beamten, dem die bürgerlichen Ehrenrechte rechtskräftig abgesprochen sind 2 . 2. Weit interessanter ist der andere Fall, wo das bisher normgeschützte Objekt durch Staatswillen zwar nicht aus dem Dasein, aber aus dem Rechtsschutze gestossen wird. Ueber die Verhängung solcher Rechtlosigkeit haben die verschiedenen Zeiten sehr verschieden gedacht. Das altgermanische Recht stiess den Friedlosen, das mittelalterliche den Geächteten aus der Rechtsgemeinschaft völlig aus. Freilich nahm die CCC Anstand die Acht als solche anzuerkennen und der Art. CCXLI der Bambergensis fand in sie keine Aufnahme. Aber die Acht war damit nicht erloschen, und ausserdem trug das spätere Reichsrecht des 16. Jahrhunderts kein Bedenken Personenklassen, deren Dasein als Landplage erschien, wie die Zigeuner, für vogelfrei zu erklären 3. Diese Bahn hat die neuere Gesetzgebung vollständig verlassen. Die Rechtlosigkeit ist erloschen. Nicht ein einziger Fall ist nachweisbar, in dem irgend ein Mensch oder eine Sache den Rechtsschutz anders als dergestalt verlöre, dass sie einem fremden Verletzungsrechte preisgegeben werden. Dann werden sie aber grade nicht rechtlos. 1827 S 625 ff; Untersuchungen S 78 ff. (vgl. Lehrbuch § 104). — G e i b , A N F 1838 S 579 ff. — L u d e n , A b h . I I 468 ff. (Handb. § 5 0 ) . — H ä l s c h n e r , D. StR § 58. 2 E i n des Wahlrechts nicht Teilhaftiger oder durch rechtskräftiges Strafurteil Beraubter ist natürlich untaugliches Objekt der gewaltsamen Wahlhinderung (GB § 107); er kann durch Wegweisung von der Wahlurne seitens des Vorstandes ebensowenig beleidigt werden wie der seiner Ehrenrechte verlustig Gegangene durch Wegweisung aus dem öffentlichen Gerichtssaal (GVG § 176). 3 R A von 1500 Τ 28. RPO von 1530 Τ 35. R A von 1544 § 75. RPO von 1548 Τ 27. RPO von 1577 Τ 28. — M a n vgl. auch die interessanten Bestimmungen der Reuterbestallung von 1570 (N. Sammlung der Reichsabschiede I I I 327. 328) A r t . 61—63; der Fussknechtsbestallung von 1570 (das. S 336) A r t . 22. 23.

704

II

Rechtl. Bedeutungslosigkeit d. Angriffshandlung.

a. So gehören die Anschauungen, wonach der zu irgend welcher Strafe Verurteilte des ihm abgesprochenen Gutes von keiner Seite mehr widerrechtlich beraubt werden könnte 4 , und der ungehorsam zurückkehrende Landesverwiesene sogar als gänzlich vogelfrei zu behandeln sei 5 , vollständig der Vergangenheit an 6 . b. Nicht gleichermaassen die Behauptung, rechtlos sei der Soldat in Feindesland7. Freilich wird allgemein zugestanden, dass bei den normalen Kriegen das gegenseitige Vernichtungswerk nur den Angehörigen der bewaffneten Mächte freigegeben wird 8 . Dass auch insoweit nicht einmal eine Rechtlosigkeit unserer Soldaten für die Feinde und umgekehrt Platz greift, liegt auf der Hand. Der Krieg erzeugt bestimmte Rechte der Tötung, der Körperverletzung in Absicht den Feind unschädlich zu machen, der Gefangennehmung, unter Umständen der Sachbeschädigung: aber weiter als diese Rechte reichen, geht auch die Unmöglichkeit nicht, gegen den Feind Verbrechen zu begehen. Die Verstümmelung des wehrlos vorgefundenen Gegners ist zweifellos das Verbrechen der schweren Körperverletzung und die Entwendung seiner Baarschaft gemeiner Diebstahl. Diese Rechte gegen den Feind dehnen sich nicht aus, wenn es zum sog. Vernichtungskriege kommt, d. h. wenn Alle, die Waffen tragen können, von dem höchsten Kriegsherrn auch zu den Waffen gerufen werden 9. Nur vervielfältigt sich dann die Zahl ihrer Inhaber. Jeder Berufene hat dann jene Befugnisse, einerlei ob er in das stehende 4

G r o l m a n § 259 A n m 6 ; F e u e r b a c h Dagegen trefflich schon can. 14 C. 23 qu. 5. 5 F e u e r b a c h § 40.

§ 40 (1. Aufl.), später § 34. —

6 S. dagegen schon T h i b a u t a. a. Ο .; G e s t e r d i n g , Ausbeute I 369 ff.; besonders aber A h e g g , Ν Α I X 625 ff. und Untersuchungen S 78 ff. Diesem folgen alle neueren Kriminalisten. 7 A l s taugliche Verbrechensobjekte werden sie ausdrücklich anerkannt u. a. von T i t t m a n n § 146; J a r c k e I § 18; H e f f t e r § 3 7 ; L u d e n , Abh. I I 469. 470 und Handbuch § 5 0 ; S c h ü t z e § 36. S. aber den Aufruf des Generalgouverneurs der Küsten Generals Vogel v. Falckenstein vom 23. J u l i 1870 an die Küstenbewohner der Nord- und Ostsee (bei H a h n , Der K r i e g Deutschlands gegen Frankreich. B e r l i n 1871. S 408): „Jeder Franzmann, der Eure Küsten betritt, sei E u c h verfallen!" 8 S. die reichen Literaturangaben bei G e i b I I 217. 9

F ü r diesen F a l l wollen eine völlige Rechtlosigkeit der feindlichen Soldaten anerkennen: J a r c k e I § 18 a. E . ; G e i b I I 217, während M i t t e r m a i e r , N A I 410 und K ö s t l i n , System S 15 ein ganz allgemeines Angriffsrecht auch seitens der Nichtmitstreitenden gegen die Feinde anerkennen. Letztere folgern falsch aus dem Begriffe des Volkskriegs.

§ 14.

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705

t l i k e i t des angegriffenen Objekts.

Heer eingereiht ist oder nicht. Zu einer allgemeinen RechtlosErklärung bedürfte es auch dann erst des Gesetzes. c. Auch der sog. Ehrverlust wirkt heute keine teilweise Rechtlosigkeit mehr 10 . Ist Jemand zu Zuchthaus verurteilt oder sind ihm die bürgerlichen Ehrenrechte abgesprochen worden (GB § 31—37), so liegt darin ein Fähigkeiten- und Rechtsverlust 11 wegen Un Würdigkeit, und die Erklärung dieser Unwürdigkeit kommt im Urteile zum Ausdrucke. Diese Erklärung aber steht und fällt mit ihrer Voraussetzung, dass der Verurteilte auch wirklich schuldig sei. Nicht das Urteil macht ehrlos: denn das vermag es nicht; die Ehre ist unverlierbar, es sei denn, ihr Träger verwirke sie durch unsittliche oder widerrechtliche Tat 1 2 . Das Urteil zieht nur aus der ehrlosen Tat die Folge des Rechtsverlustes wegen Unwürdigkeit. Ist das Urteil gerecht, so war die Unbescholtenheit des Verurteilten in diesem Punkt als Angriffsobjekt für die Beleidigung schon vor dem Urteil mit seiner Tat geschwunden: ist es ungerechte Verurteilung des Unschuldigen, so besteht dessen Ehre ganz intakt, und jene Unwürdigkeitserklärung ist selbst, wenn auch meist schuldlose Ehrbeleidigung wider ihn. So verliert weder durch das gerechte noch durch das ungerechte Urteil auf sog. Ehrverlust die Ehre des Verurteilten prinzipiell auch nur zum Teil ihren Rechtsschutz. Aber allerdings wirkt das ungerechte Urteil mannigfach Straflosigkeit der gegen den Verurteilten ausgestossenen Beleidigungen. Das Vorhalten, es sei der Verurteilte der ihm abgesprochenen Rechte für unwürdig e r k l ä r t w o r d e n , ist als solches nicht injuriös. Auch ist die Tatsache der Ehrloserklärung ja unbestreitbar 13. Das 10 And. Mein. F e u e r b a c h § 40 (1. A u f l . ) : „ A n einem Infamen kann keine Injurie . . . begangen werden." Später ist diese Bemerkung verschwunden, aber nicht diese Auffassung. S. F e u e r b a c h 11. A u f l . § 34. 277. S. auch M a r t i n § 166; T i t t m a n n § 344; abgeblasst bei H e f f t e r § 303 A n m 7. — S. dagegen bes. L u d e n , Abh. I I 471. 472 u. Handbuch § 50 A n m 12; K ö s t l i n , System S 16. — A u f beiden Seiten- spielt eine schlimme Verwechselung m i t , die heute noch nicht ganz verschwunden ist, wonach die Ehre als Objekt der Beleidigung und die davon ganz verschiedene sog. Ehre als Objekt der Ehrenstrafen identisch wären. Daraus erklärt sich die schiefe Bemerkung A h e g g s , Untersuchungen S 79 A n m 25, dass auch in dem Ehrlosen mindestens die allgemeine Menschenwürde zu achten sei, eine Bemerkung, die noch i n Β e r η e r s 12. A u f l . § 84 begegnet. 11 Ueber deren Folgen i m Sinne einer Beschränkung der passiven Deliktsfähigkeit oben S 703. 12 S. die Lehre von der Beleidigung. 13 Insofern gilt heute noch der Satz der RPO von 1577 T . 1 § 7, dass der ehrlos gewordene Gotteslästerer „darauf als Ehrloss gescholten werden mag".

Binding, Handbnch. V I I . 1. I :

B i n d i n g , Strafrecht.

I.

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706

II

Rechtl. Bedeutungslosigkeit d. Angriffshandlung.

Vorhalten, er sei dieser Rechte unwürdig, er habe sich ihrer unwürdig bewiesen, ist dann allerdings ehrbeleidigend: aber sein Urheber muss, sofern ihn das Urteil in guten Glauben versetzt hat, straflos bleiben14. Rückt indessen der falsche Ankläger, auf dessen Betreiben die Verurteilung erfolgt ist, dem Verurteilten seine Unwürdigkeit vor, so beleidigt er straffällig. II. Der nachträglichen Ausstossung von Rechtsgütern aus dem Rechtsschutze steht eine Erscheinung gegenüber, die tatsächlich gleiche Folgen hat: die N i c h t e r s t r e c k u n g der N o r m von Anfang an auf G e g e n s t ä n d e , die sich u n t e r den B e g r i f f der ges c h ü t z t e n G ü t e r s u b s u m i r e n lassen, die aber der Gesetzgeber d a r u n t e r n i c h t b e g r i f f e n sehen w i l l . Dadurch entstehen zum Teil berechtigte, zum grösseren Teil empfindliche Lücken des Strafgebietes. Das Römische Recht sah in der lebendigen Leibesfrucht kein taugliches Objekt der Tötung, kannte also die Abtreibung nicht als Tötungsdelikt. Die gemeinrechtliche Doktrin behauptete15 — ob mit Grund, ist sehr zweifelhaft —, dass an einem Monstrum, d. h. an einem von der Frau geborenen lebenden Wesen, dem die menschliche Gestalt fehlt, eine Tötung nicht begangen werden könne, während heute jedes lebende Wesen, das eine Frau trägt oder zur Welt bringt, des vollen Schutzes für das Leben geniesst16. Nach heutigem Rechte müssen die Gegenstände der Brandstiftung des § 308 im Eigentume des Täters oder eines Dritten stehen, sie dürfen aber nicht herrenlos sein; die Gegenstände der Sachbeschädigung in § 303 u. 305 müssen fremdes Eigentum sein 17 . 14

Uebrigens w i r k t unbestreitbar j e d e s den Unschuldigen verurteilende E r kenntniss — nicht nur das i h m die Ehrenrechte absprechende — i n derselben Richtung. Der i h m das angebliche Verbrechen Vorhaltende w i r d meist durch das U r t e i l zum Glauben an die Wahrheit seines Vorwurfes veranlasst und geht mangels Beleidigungsvorsatzes straflos aus. 15 Unter ständiger Berufung auf 1 14 D de statu hom. 15 und 1 38 D de V . S. 50, 16. S. bes. W ä c h t e r § 57; J a r c k e I I I § 37; K ö s t l i n , Revision S 666 und System S 15. 16 Ueber die Tötung der Missgeburten i m germanischen Rechte, welche unter gewissen Voraussetzungen geboten war, s. die treffliche Abhandl. von K . M a u r e r , Ueber die Wasserweihe des germanischen Heidentums. München 1880. S 14 ff. — V o n den neueren Gesetzen sieht das Preuss. Landrecht I I T . 20 § 716—719 i n der „eigenmächtigen Fortschaffung" solcher Monstra offenbar auch kein Tötungsverbrechen. Anders fasst w o h l Β r a u n S c h w e i g § 150 die Sache: doch w i r d hier i n maximo Gefängniss von sechs Wochen angedroht. S. auch G o l t d a m m e r , Mater. I I 363. 17 Diese Beschränkung hat schlimme Folgen. Die Brandstiftung an herren-

§ 148. 4. Schutzlosigkeit des angegriffenen Objekts.

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III. Es ist endlich denkbar, dass gewisse Gegenstände zwar regelmässig nicht, wohl aber ausnahmsweise taugliche Objekte bestimmter Delikte sein sollen: so dürften die Leichen im Besitze der Anatomie •dieser eigentümlich gehören, ihr also auch durch Diebstahl und Unterschlagung entwendet werden können. § 148.

4. S c h u t z l o s i g k e i t des a n g e g r i f f e n e n O b j e k t s d u r c h E i n w i l l i g u n g des V e r l e t z t e n 1 .

So ungenau es auch sein mag, von einer wirksamen „Einwilligung des \7erletzten in die Verletzung" zu reden, so mag dies zunächst erlaubt sein, um I. festzustellen, dass d e r j enige, den jedes D e l i k t wesent l i e h v e r l e t z t , der I n h a b e r des Rechtes auf B o t m ä s s i g k e i t , also stets der Staat oder sein D e l e g a t a r i s t , dass mit dessen formell giltig erteilter Einwilligung in die anscheinend deliktische Handlung deren Urheber ein Recht zur sog. Verletzung erhält, weil solche Genehmigung eine Ausnahme von der Norm in Gestalt der Gewährung bedeutet, und dass somit die Regel ohne jede Durchbrechung gilt: die dem T ä t e r vor oder w ä h r e n d s e i n e r T a t von dem I n h a b e r des Gehorsamsrechts 'nach I n h a l t und F o r m g i l t i g e r t e i l t e [Genehmigung seiner H a n d l u n g n i m m t i h r n o t w e n d i g die R e c h t s w i d r i g k e i t 2 — ganz ohne Rücksicht auf die der Handlung widerstrebenden,. weil durch sie viellosen Sachen, clie Vergiftung des ganzen \Vildstancles auf einem Jagdgrund, die Tötung der Fische i n fliessendem Wasser sind von Reichsrechtswegen nicht strafbar. 1 H 2 188. Β 82. Sch 35. M 46. W V 69. G 89. L 48. Κ 36. Η 62 u n d I I 7. S c h a p e r bei H H I I 127—131. — T h i b a u t , Beiträge S 30 ff. — D e G r a v e r e , Diss, de eo, an injuria volenti facta poenis sit coercenda. Groningae 1825. — S t ü b e l , Ν Α I X 1827 S 551—599. — H e p p , das. X I 1830 S 65 ff. 239 ff. — A h e g g , Untersuchungen S 62 ff. — D e r s . , A N F 1840 S 434 ff. — L u d e n , Abhandlungen I I 412 ff. — M a r e ζ o l l , Quatenus verum sit, quod vulgo dicitur, volenti non fieri injuriam? Lipsiae 1858. — B ö h l a u , Volenti non fit inj u r i a : GA V 1857 S 4 8 9 — 5 0 1 . — W e s s e l y i n Haimerls Vierteljahrsschrift I 1858 S 217 ff. — v. W ä c h t e r , Volenti non fit injuria: GS 1868 S 1 ff. — O r t m a n n , G A X X V 1877 S 104 ff, X X V I 1878 S 195 ff; GS X X X V 1883 S 371 ff. — Z i m m e r m a n n , GS X X I X 1881 S 435 ff. — R o e d e n b e c k , Zweikampf. Halle 1883, bes. S 28 ff. — P e r n i c e , Labeo I I 26 ff. — H ä l s c h n e r , D. StR I I 54 ff. — K e s s l e r , Die E i n w i l l i g u n g des Verletzten i n ihrer strafrechtlichen Bedeutung. Berlin u. Leipzig 1884. — R o e d e n b e c k , Volenti non fit injuria: GS X X X V I I 1885 S 124 ff. (wesentlich ein Auszug aus K e s s l e r ) . 2 S. schon M a r e z o l l S 82; d e r s . , Quatenus etc. S 6 ; B ö h l a u bei G A V 492 Anm 8, der sich hier aber nur zu einem „vielleicht" aufschwingt. 45*

708

Rechtl. Bedeutungslosigkeit d. Angriffshandlung.

leicht schwer getroffenen Privatwillen 3. Welche Persönlichkeit oder Behörde diese Genehmigung zu erteilen hat und in welcher Form, das bestimmt das Staats- und Verwaltungsrecht, aber nicht das Strafgesetz 4 \ Uebrigens ist auch hier scharf zu scheiden die Aufhebung der Widerrechtlichkeit durch giltige Genehmigung der Handlung und die Aufhebung der Schuld bei widerrechtlichem Gebahren in Folge des inkorrekten Vorgehens einer Behörde : eines Rates derselben, eines Geschehenlassens6. II. Richtet sich aber das Delikt nicht lediglich gegen den Staatswillen, sondern zugleich wider Rechte oder Rechtsgüter des Einzelnen7, und hat des letzteren Einwilligung die Kraft dem Angriff die Rechtswidrigkeit zu nehmen, so schöpft sie diese nicht aus dem Vorrate eigener Machtvollkommenheit — Niemand kann erlauben oder für rechtlich bedeutungslos erklären, was der Staat verboten hat! —, sondern es ist dann der Wille des Privaten mit dieser Wirkung ges e t z l i c h ausgestattet. 3

Hierher gehören natürlich auch alle Delikte, die sich als Ungehorsam gegen rechtlich giltigen Befehl darstellen. W e r beim Auflaufe (GB § 116) m i t Genehmigung des Beamten an der Stelle bleibt, ist straffrei. S. auch das Vergehen der Gehorsamsweigerung SeemO § 86. 87. 92. M i t Recht verweist M a r e z o l l , K r i minalrecht S 85 auf CCC A r t . 129 (vom Kaiser gewährtes Fehderecht) und auf die K a p e r b r i e f e , die j a eine analoge Ermächtigung enthalten. Vgl. auch unten § 153. 4 Die Tatbestände strafbarer Handlungen, welche das „ohne Erlaubniss der Behörde" u. s. w. enthalten, weisen zwar ausdrücklich darauf hin, dass solche Genehmigung eingeholt werden kann, sie bezeichnen aber meist die Stelle, von der sie ausgeht, nur ganz allgemein. „Ohne obrigkeitliche Genehmigung" oder „ E r laubniss" oder „ A n w e i s u n g " : GB § 286. 360, 9. 369, 1. „Ohne polizeiliche E r laubniss" :· GB § 367, 3. 8. 11. 15. 368, 3. „Ohne besondere" oder „vorgeschriebene Erlaubniss" : GB § 360, 1. 367, 4. „Ohne Vorwissen der Behörde" : GB § 367, 1. — Genauer Rayongesetz vom 21. Dez. 1871 § 13. 32: „ m i t Genehmigung der K o m m a n d a n t u r " ; SeemO § 8 3 : „ohne Genehmigung des Seemannsamtes". Noch genauer GB § 370, 3 : „ohne s c h r i f t l i c h e Erlaubniss des vorgesetzten Kommandeurs". 5 E i n w i l l i g u n g des Beamten oder des vorgesetzten Beamten ist durchaus nicht immer E i n w i l l i g u n g des Staates. S. GB § 277. 278. 332. 334. 340 u. s. w. 6 Die Steuerpflichtigen, die sich über die Berechnung ihrer Steuern Rats holen bei der Steuerbehörde und die diesem vielleicht falschen Rat in gutem Vertrauen folgen, wegen Steuerhinterziehung zu strafen, wie dies geschehen, ist unerhörter Justizmord, aber nicht weil der Pflichtige genug, sondern weil er ohne alle Schuld zu wenig Steuer entrichtet hat. — Spräche der Standesbeamte dem Geistlichen sein Einverständniss aus, dass die kirchliche Trauung ausnahmsweise der bürgerlichen vorangehen solle, so würde dadurch die Widerrechtlichkeit der kirchlichen Trauung nicht, vielleicht aber der Vorsatz des Geistlichen beseitigt. 7 Dies tun alle echten Polizeidelikte nicht : deshalb kann bei ihnen von w i r k samer Privateinwilligung nicht die Rede sein, auch nicht bei cler unterlassenen A n zeige von Verbrechen (GB § 139). — S. auch RG I vom 9. Januar 1882 ( Ε V 428. 429).

§148.

4. Schutzlosigkeit des angegriffenen Objekts.

709

Wo dies der Fall ist, darüber kann natürlich nur das positive Recht die erforderliche Auskunft erteilen 8 9 . III. Die Untersuchung des geltenden Rechtes ergiebt nun als8 Hätte die Literatur diesen Satz konsequent beachtet, so hätte sie sich manche Mühe, manchen Hochmut und manch jähen F a l l nach demselben, uns aber manche d u r c h und durch ungesunde aprioristische Ausfuhrung erspart. Der erste, der sich auf den Boden des positiven Rechts begeben und untersuchen wollte, wieweit das invito laeso zum positiven Yerbrechensmerkmal erhoben sei, war H e p p , Ν Α X I bes. S 269. 270, dessen sehr schwache Abhandlung allerdings weit hinter der scharfsinnigen von S t ü b e l zurücksteht. A u f H e p p folgte L u d e n I I bes. S 430 ff, der darauf hinwies, dass diese Untersuchung streng genommen i n den speziellen T e i l gehöre. Dem ist aber zu erwidern, dass der ganze allgemeine T e i l seine Entstehung der Wiederkehr derselben Begriffe oder derselben Zweifel bei allen oder bei einer grösseren Anzahl einzelner Verbrechen verdankt. I n derselben Weise wie H e p p und L u d e n stellt W e s s e l y a. a. 0 . S 232 ff. die F r a g e . — Diesen Bestrebungen hält K ö s t l i n , System S 102 A n m 6 (s. auch schon H e f f t e r § 38 A n m 1 und noch B e r n e r § 83) entgegen, „dass damit gar nichts gedient sei", da j a natürlich stets wieder die erste Frage sein müsse: warum denn wohl das positive Recht i m einen F a l l das „ M e r k m a l invito laeso" fordere, i m anderen nicht. Was K ö s t l i n selbst nun aber zum Problem beibringt (S 99. 100 u. 102. 103) gehört zum Schlechtesten, was darüber gesagt worden ist. — M i t der grössten Unbefangenheit haben neuerdings wieder O r t m a n n und R o e d e n b e c k den W e g der aprioristischen Lösung des Problems betreten; nicht minder trotz gegenteiliger Versicherung K e s s l e r . 9 Die neueren Gesetzgebungen sind über diesen Punkt ungenau und unvollständig. Doch soll hier wenigstens zusammengestellt werden, was das heutige gemeine Recht darüber bemerkt. 1. Die G e w a l t s a m k e i t ist ausdrückliches Begriffsmerkmal i n GB § 81, 2. 3. 4. 105 (zweimal). 106. 107. 113. 114 (s. § 115). 116, 2. 117. 122, 1 . 2 . 3 (s. auch § 124). 125. 167. 176, 1. 177. 234. 235. 236. 240. 249. 250. 2 5 2 - 2 5 5 . 339. 343. S. auch SeemO § 8 9 - 9 1 . Sie ist ferner zweifellos enthalten in der Gefangennahme und Einsperrung (GB § 81, 1. 239), i n der „Sprengung" gesetzgebender Versammlungen (§ 105), i n dem „tätlichen Widerstand" (§ 1 1 6 , 2 ) . — 2. „ W i d e r W i l l e n " muss die Handlung begangen sein i n GB § 236. 370, 6 ; Strandungsordnung vom 17. M a i 1874 § 7. — 3. „ O h n e d e s s e n W i l l e n oder d e s s e n A n o r d n u n g e n z u w i d e r " : GB § 269. — 4. „ O h n e G e n e h m i g u n g " : GB § 368, 10. 369, 1; Strandungsordnung § 12; oder „ E r l a u b n i s s " : Patentgesetz § 4.; oder „ E i n w i l l i g u n g " : GB § 237; Ges betr. die Kommanditgesellschaften auf A k t i e n vom 18. J u l i 1884 § 249 f. (RGBl 1884 S 168). — 5. „ O h n e W i s s e n u n d W i l l e n " : GB § 220 (die Abtreibung ohne Wissen oder W i l l e n der Schwangeren ist daselbst Schärfungsgrund). Vgl. § 176, 2 : willenlose oder bewusstlose Frauensperson.— 6. „ O h n e W i s s e n " oder „ V o r w i s s e n " : G B § 297. 367,1. — 7. Die d u r c h L i s t o d e r T ä u s c h u n g e r l a n g t e Z u s t i m m u n g s c h l i e s s t d a s D e l i k t n i c h t a u s : GB § 170. 179. 234—236; beim Betrüge: § 263, der Urkundenfälschung: § 267 ff., der intellektuellen Urkundenfälschung: § 2 7 1 . — 8. E b e n s o w e n i g die a u s f r e i e n S t ü c k e n e r t e i l t e Z u s t i m m u n g M i n d e r j ä h r i g e r , s o w i e d e r O p f e r d e s W u c h e r s : GB §,301. 302. 302a bis 302d. — 9. Das „ a u s d r ü c k l i c h e u n d e r n s t l i c h e V e r l a n g e n " der T ö t u n g ist Milderungsgrund § 216.

710

II

Rechtl. Bedeutungslosigkeit d. Angriffshandlung.

bald, dass hier ganz verschiedene Fälle zwar insofern zusammentreffen,, als der „Einwilligung in die Verletzung" wirkende Kraft zukommtT dass aber cler Grund dieser Wirksamkeit sowie die an die Einwilligung zu stellenden Erfordernisse sich ganz verschieden darstellen, und dass die rechtlich bedeutsame Einwilligung bald clie Rechtmässigkeit der Angriffshandlung, bald ihre juristische Gleichgültigkeit, bald den Untergang des Antragsrechts 10 bezw. des Rechts auf Privatklage aus der deliktisch bleibenden Handlung, bald die Milderung oder Minderung ihrer Strafbarkeit zur Folge h a t 1 1 1 2 . 10

S. darüber oben die Lehre vom Antrag S 662. 663. V o n der Methode, besser Unmethode der sog. rechtsphilosophischen, besonders der naturrechtlichen Arbeitsweise, Sätze des positiven Rechts aus ihrem engen Zusammenhange zu reissen, zu allgemeinen Prinzipien zu erheben, und n u n aus ihnen zu deduziren, was Recht sein m ü s s t e , also Recht i s t , giebt kaum eine andere Lehre einen so bündigen Beleg. Es ist heute ausser allem Zweifel, dass sowohl dem Römischen, als dem früheren gemeinen, als dem Strafrechte der neueren Strafgesetzbücher das P r i n z i p , an dem Einwilligenden könne kein D e l i k t begangen werden, ganz fremd war. Es ist wahr, dass das Römische Recht — wohl in Konsequenz der rechtlichen Auffassung von dem Selbstmorde und der Selbsthingabe i n Sklaverei — sowohl die Tötung Einwilligender als ihren Verkauf i n Sklaverei straflos liess (s. bes. v . W ä c h t e r , GS 1868 S 4 ff. und P e r n i c e , Labeo I I 29 f. 31. 32), nicht aber jede Selbstverletzung, z. B. die Selbstkastration nicht. Es ist ebenso w a h r , wenn auch aus ganz anderem Grunde, dass crimen vis und furtum nur an dem invitus begangen werden konnten. Aber der Satz U 1 p i a n s nulla inj u r i a est, quae i n volentem fit (1 1 § 5 D de injuriis 47, 10) hat lediglich auf die injuria als Privatdelikt Anwendung; sein Grund liegt m. E . ohne Zweifel darin, dass E i n w i l l i g u n g hier Klagverzicht bedeutet — so auch M a r e z o l l , Quatenus etc. S 5 —, eine Auffassung, die gegenüber der actio legis Aquiliae wiederkehrt (1 7 § 4 D ad leg. Aq. 9, 2) und deren analoge Ausdehnung auf alle Privatdelikte, aber auch nicht weiter, sich durchaus rechtfertigen würde. S. bes. 1 15 § 49, 1 17 pr. D de injuriis 47, 10 (gegen P e r n i c e , Labeo I I 27 ist zu bemerken, dass U l p i a n i n 1 17 pr. Mangel des dolus und nicht die Einwilligung als Grund der UnVerfolgbarkeit betrachten muss). Nichtsdestoweniger ist jener ganz singuläre Satz von der D o k t r i n zum Mittelpunkte der ganzen Lehre gemacht werden. Sie hat ihn zum Prinzipe, dass an Einwilligenden kein V e r l e t z u n g s - oder G e f ä h r d u n g s V e r b r e c h e n — i m Gegensatz zum reinen P o l i z e i d e l i k t oder mit L u d e n zum reinen G e s e t z e s v e r b r e c h e n — begangen werden könne, aufgebauscht, und nun 1. e n t w e d e r s e i n e u n b e s c h r ä n k t e A n w e n d b a r k e i t b e h a u p t e t o d e r p h i l o s o p h i s c h z u b e w e i s e n gesucht: so bes. F e u e r b a c h 1. A u f l . § 40 A n m ; T i t t m a n n § 3 6 ; H e n k e I 232; S t ü b e l , Ν Α I X bes. S 565 ff. (sehr originell; den Satz vol. non f. inj. übersetzt er S 566: Niemand kann s i c h s e l b s t Unrecht t u n ! ) ; L u d e n , Abh. I I 424. 425 (sehr abweich, d e r s . , Handbuch § 318 A n m 7); W ä c h t e r § 59, GS 1868 S 3 ff, Deutsches Strafrecht § 69; S e e g e r , A b handl. aus dem Strafr. X X I I ; O r t m a n n , G A X X V 104 ff; R o e d e n b e c k , Zweikampf S 28 ff.; bes. aber K e s s l e r (über dessen Schrift unten A n m 13 zu vergleichen ist). Die Verschiedenheiten unter diesen Gelehrten über den Umfang, in, 11

§ 148. 4. Schutzlosigkeit des angegriffenen Objekts.

711

Unter der Einwilligung sind eben ganz heterogene Dinge verstanden worden 13 , und darin gründet es wieder, dass vielfach von welchem trotz der Einwilligung ein Polizeiunrecht übrig bleibt, interessiren heute m. E . nicht m e h r ; — 2. o d e r d i e D o k t r i n h a t d a s v o l e n t i n o n f i t i n j u r i a a l s R e g e l r e c h t s s a t z m i t A u s n a h m e n g e n o m m e n . Sie unterschied dann zwischen „ v e r a u s s e r l i c h e n und u n v e r ä u s s e r l i c h e n Rechten", obgleich von mancher Seite behauptet wurde, es gäbe keine veräusserlichen Rechte — K ö s t l i n , Rev. S 684 —, andrerseits, es gäbe keine unveräusserlichen — L u d e n , Abh. I I 414. 423; ders. behauptet S 420 sogar, die Rechtmässigkeit der Todesstrafe beruhe j a darauf, dass der Verbrecher durch e i n e willkürliche Handlung sein Recht auf Leben verwirkt habe! — Bei den veräusserlichen Rechten greife das volenti non fit inj u r i a Platz, bei den unveräusserlichen nicht. Schon M a t t h a e u s , De crim. Proleg. cap. I I I § 3 stellt die Frage so: P r i m o distinguemus, utrum i d , quod pati quis vult, in ejus potestate sit nec ne? fügt aber gleich z u : A t vitam deponere, aut membrum abjicere i n potestate nostra non est. E r fand zahlreiche Nachfolger: nur sprechen sie bald von veräusserlichen Rechten, bald von veräusserlichen Rechtsverhältnissen, bald von Rechten, die der Disposition des Berechtigten unterstehen. S. bes. G r o l m a n § 26; T h i b a u t , K r i t i k S 30. 31; F e u e r b a c h § 35 der späteren A u f l . ; A h e g g , Untersuch. S 63, Lehrbuch § 102 (veräusserliche Privatrechte); L u d e n , Handbuch S 321; K ö s t l i n , Revision S 674 (in Wahrheit ist freilich zu sagen, „dass überhaupt kein Recht, sondern nur die Beziehung des Rechts auf Sachen veräusserlich sei"), vgl. System S 95 ff., wo S 102 plötzlich die Einteilung der Rechte i n unteilbare und teilbare (!) substituirt w i r d ; H ä l s c h n e r I 232, Deutsches Strafrecht I 469 ff.; W e s s e l y a. a. Ο . S 219. 220; B e r n e r § 7 2 („das volenti non fit injuria findet m i t h i n nur bei veräusserlichen Privatrechten Anwendung"); S c h ü t z e § 3 5 ; v. L i s z t § 22. Dass die Grenze zwischen beiden Rechtsgruppen verschieden gezogen wird, versteht sich von selbst : das Leben aber w i r d von denen, die auf diese Unterscheidung halten, durchweg zu den unveräusserlichen Rechten gezählt. Sehr gross ist hie und da die Kunst die Verletzungen angeblich unveräusserlicher Rechte Einwilligender dennoch des Deliktscharakters zu entkleiden. Hochinteressant S t ü b e l : E i n Recht ist unveräusserlich heisst: die Verzichtleistung ist nichtig, Niemand erhält also ein unwiderrufliches Recht auf die Verletzung solch preisgegebenen Rechtes; aber ein Recht verletzen heisst den Berechtigten an dessen Ausübung hindern, und so ist auch die Verletzung unveräusserlicher Rechte Einwilligender unmöglich; a. a. O. S 557. 558. 559. 570—572. S. die seltsamen Ausführungen über Körper- und Ehrverletzungen bei K ö s t l i n , System S 102. 103, über Einsperrung und Beleidigung bei H ä l s c h n e r I 232. 238. 239 und neuerdings I 472. Gegen die Brauchbarkeit der ganzen Unterscheidung der Rechte i n veräusserliche und unveräusserliche ist mehrfach Widerspruch erhoben. S. H e p p , Ν Α X I 80 ff.; H e f f t e r § 38; L u d e n , Abhandl. I I 413 ff.; S c h a p e r bei H H I I 128. Neuerdings behauptet R o e d e n b e c k S 2 9 , eine solche Unterscheidung habe das Strafrecht nirgends gemacht! — 3. Endlich hat sie jenem Satze als Prinzip auf kriminellem Gebiete jede Wirksamkeit abgesprochen: s. bes. J a r c k e I § 18; M a r e z o l l § 24 S 83; G e i b I I 212; B ö h l a u , GA V 431 ff. 12 [zu s 710] Bezüglich der Schrift K e s s l e r s versichert R o e d e n b e c k , GS X X X V I I 126, sie sei eine wissenschaftliche T a t ersten Ranges, denn sie habe das von ihr behandelte Problem „ e i n für allemal gelöst". I c h kann diesen Glauben beneiden, aber leider nicht teilen. I c h halte vielmehr trotz aller Anerkennung der Energie,

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II

Rechtl. Bedeutungslosigkeit d. Angriffshandlung.

einem „verletzten" Einwilligenden nur ganz zu Unrecht gesprochen werden kann. womit K e s s l e r seinen Gegenstand anpackt, seine Abhandlung für ebenso unrichtig i n der Methode wie i m Ergebniss. — K e s s l e r t r i t t m i t einer ganz bestimmten Ueberzeugung, die er vielleicht aus dem mehrfach citirten § 5 von S c h o p e n h a u e r s Fundament der M o r a l geschöpft h a t , an den Gegenstand heran, hat die löbliche Absicht den W i l l e n des geltenden Rechts bezüglich der Einwilligung zu untersuchen, giebt uns statt dieser Untersuchung einen Exkurs über den Strafzweck, aber nicht über den des geltenden Rechts, langt bei der Abschreckungstheorie und bei dem Strafzweck des Schutzes „menschlicher Interessen" an (S 48) und schiebt m i t den letzteren den Hebel ein, mit dem er das Gesetz wie die herrschende Lehre aus den Angeln heben w i l l . Denn nicht Rechtsgüter sind durch die Normen geschützt, sondern nur I n t e r e s s e n (im Anschluss an J h e r i n g , dessen fehlerhafte Vertauschung gesetzgeberischer Motive m i t dem Inhalt der Rechtssätze K e s s l e r sich gleichfalls aneignet): also nicht das Leben w i r d geschützt, sondern das Interesse am Leben. — Damit sind w i r natürlich an dem Punkt angelangt, wohin uns K e s s l e r von Anfang an führen wollte. M a n könnte seinem Verfahren „die exceptio sub - et obreptionis", die er seinen Gegnern nicht erspart (S 57), entgegenhalten, verführe K e s s l e r nicht grade wie alle seine Gegner durchaus bona fide. — N u n ist bei den einzelnen Verbrechen nur zu untersuchen, wessen Interesse durch die Strafe geschützt werden soll. Dies ergiebt sich vielfach unmissverstehbar aus der Fassung der S t r a f g e s e t z e . Denn: „wenn eine gewisse Handlung allen Individuen m i t Ausnahme eines einzigen verboten ist", so beweist dies, „dass das Interesse nur dieses einen Individuums durch dieses Gesetz geschützt werden sollte, dass folglich die m i t E i n w i l l i g u n g dieses Individuums vorgenommene Handlung unverboten sei" (S 68. 69). U n d woraus schöpft K . die Kenntniss dieser Fassung der N o r m (denn darum handelt es sich i n Wahrheit!)? Aus der Fassung des Strafgesetzes: „wer e i n e n a n d e r n tötet oder körperlich verletzt oder falsch anschuldigt" (S 73 ff.). Hier schliesst überall die Einwilligung das Delikt aus. (K. hat seinen Satz offenbar nicht einmal an einem grösseren T e i l der Paragraphen des StGB probirt!) — M a n kann doch auch z. B. bei dem Strafgesetz wegen Körperverletzung nach K e s s l e r nicht als durch Strafe geschützt ansehen das Interesse der Gläubiger oder Erben (sic ! S 72), das des Staats oder der Gesellschaft an der Körperintegrität, sondern natürlich nur das des Einzelnen (S 72)! Genau ebenso bei der Tötung. Dass GB § 216 seiner Ansicht entgegensteht, giebt K e s s l e r gem z u , natürlich aber nicht, dass sie durch § 216 vollständig gestürzt würde, wenn es dazu irgend einer gesetzlichen Willenserklärung bedürfte und wenn die ganze Argumentation nicht i n sich selbst zusammenbräche. — Ueber K e s s l e r s ebenso neue als unrichtige Theorie von den Erfordernissen der Einwilligung (S 99 ff.) s. unten. 13 [zu s 711] Darüber ganz zu Unrecht verwundert K e s s 1 e r S 24. — K e s s l e r tut sich viel darauf zu gute den Begriff der Einwilligung als Erster fixirt zu haben. E r versteht darunter „die Erklärung der Uebereinstimmung meines Willens mit dem Willensakte eines Andern" (S 26), und zwar nur die zur Zeit des Angriffs abgegebene Erklärung. Diese mache den Angriff nicht zum erlaubten, sondern nur zum rechtlich indifferenten (S 26). Gern mag man diese Einwilligung als E. im engeren Sinne bezeichnen: allein es muss doch auch untersucht werden, wann der Angriff gegen einen Nichteinwilligenden durch einen früheren Willensakt desselben der Rechts-

§ 148. 4. Schutzlosigkeit des angegriffenen Objekts.

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Die sog. E i n w i l l i g u n g bedeutet entweder 1. U e b e r t r a g u n g eines Rechtes oder der A u s ü b u n g eines solchen seitens des sog. Verletzten auf den Verletzer, kraft welchen Aktes dieser oder sein Rechtsnachfolger das subjektive Recht zur Vornahme der sog. verletzenden Handlung erhält. Dieser Akt ist stets R e c h t s g e s c h ä f t , kann also rechtsgiltig nur von solchen vorgenommen werden, denen die Fähigkeit zu solchem Rechtsgeschäft beiwohnt, also nie von Wahnsinnigen, von Trunkenen, von infantes, regelmässig nur von Volljährigen 14. Es ist selbstverständlich, dass solche Rechtsübertragungen nur Platz greifen können bezüglich sog. v e r ä u s s e r l i c h e r oder ü b e r t r a g b a r e r Rechte — ein Begriff, der richtig verstanden ganz unentbehrlich ist. Zu ihnen gehören vor allem das Eigentumsrecht, dann das Nutzungsrecht, das Urheberrecht, das Jagd- oder Fischereirecht u. s. w. Der giltigen Uebertragung steht die g i l t i g e K o n s t i t u i r u n g des Rechts oder der Ausnahme von e i n e r V e r p f l i c h t u n g zu Gunsten des sog. Verletzers gleich: die Begründung des Mietverhältnisses 15, einer Wegeservitut, des Rechtes gegen Entgelt den Schuppen des Nachbarn einzureissen u. s. w . 1 6 . Diesen Fällen ist allen gemeinsam, dass, soweit nicht die Rechtsübertragung oder -Konstituirung jederzeit widerruflich ist, die sog. Widrigkeit beraubt werde. So ist allerdings von verschiedenen Bedeutungen der Einwilligung zu reden. N u r die Auffassung von H e p p , Ν Α X I 258, die Einwilligung sei nur als ein Verzicht auf die Strafe ante factum zu fassen und deshalb wirkungslos, findet i m positiven Recht natürlich nie Bestätigung und steht auch i n der Wissenschaft ganz allein. Gegen H e p p schlagend L u d e n I I 427. 14 S. W i n d s c h e i d I § 71; S t o b b e I 295 ff. Etwas w i l l k ü r l i c h wenn auch nicht ohne Feinheit S t ü b e l , Ν Α I X 552. 15 Eine interessante Entscheidung über die Tragweite eines Vorbehaltes des Mieters die vermieteten Räumlichkeiten zu betreten enthält R G I I vom 6. M a i 1881 ( Ε I V 124 ff.). 16 Man könnte glauben, da der Offenbarungseid nur eine Verpflichtung des Schuldners wider den Gläubiger heilige, so fielen Meineid und Eidbruch weg. wenn der Gläubiger dem Schuldner erklärte, er brauchte, falls er unter seinen Sachen vielleicht teure Andenken von Verwandten besässe, solche nicht m i t zu inventarisiren, und der Schuldner sie nun nicht m i t i n das Verzeichniss aufnähme und doch schwüre, „dass er sein Vermögen vollständig angegeben und wissentlich nichts verschwiegen habe". S. CPO § 711 vgl. m i t § 769. Vgl. GB § 153 (da heute der promissorische Offenbarungseid nicht mehr besteht, ist insoweit StGB § 162 gegenstandslos geworden). A l l e i n es handelt sich hier nicht lediglich um eine Verpflichtung gegen die Partei,.sondern der E i d w i r d auch dem Gericht geleistet und macht nach CPO § 784 auch Wahrheit den andern Gläubigern gegenüber.

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verletzende Handlung auch dem im Zeitpunkt der Handlung erklärten Widerspruch des Verletzten zum Trotze vorgenommen werden darf. Sie ist eben in Wahrheit keine Verletzung 17 ! Die sog. Einwilligung kann aber auch 2. e i n s e i t i g e Aufgabe des Rechts oder e i n s e i t i g e n V e r z i c h t auf dessen G e l t e n d m a c h u n g i m einzelnen F a l l e d. h. D u l d u n g der V e r l e t z u n g bedeuten. Es ist etwas wesentlich anderes, ob ich schenke oder im Augenblicke, wo ich sehe, dass Jemand meine Sache wegnehmen will, sie in seinem Interesse derelinquire, ob ich ein Jagdrecht einräume oder als Jagdberechtigter beschliesse das Wildern eines leidenschaftlichen Jägers aber schlechten Schützen zu dulden, ob ich dem Mieter einen Teil meines Hausfriedens preisgebe, oder ob ich Jemanden einlade mich einmal zu besuchen, ihm precario gestatte bis auf Widerruf eine meiner Kammern zum Schlafen zu benutzen18, einen müden Annen nicht bemerken will, der sich unter meiner Treppe zum Schlafen niedergelegt hat 1 9 . Natürlich kann auch jene Aufgabe und jener Verzicht nur bezüglich solcher Rechte bedeutsam werden, worüber dem sog. Einwilligenden persönlich die alleinige Verfügung zusteht : also bei allen Rechten, die auf Andere übertragbar sind (s. 1 oben). Da es sich hier um Rechtsaufgabe handelt, so setzt giltige Einwilligung dieselbe Handlungsfähigkeit voraus wie giltige Uebertragung von Rechten20. 17

Der Mieter darf seine Wohnung wider das Verbot des Hauseigentümers betreten, ohne Hausfriedensbrecher zu werden; der Inhaber des Verlagsrechtes ediren auch gegen den W i l l e n des Autors. Dagegen darf der Mandatar nicht tätig werden, wenn i h m der Mandant dies untersagt. 18 S. R G I I I vom 18. Jan. 1883 ( Ε V I I I 44 ff). 19 Ganz unhaltbar scheint m i r die Ansicht M e r k e l s bei H H I I I 653, beim Diebstahl schliesse die dem Täter unbekannte E i n w i l l i g u n g des Eigentümers nach dem bedauerlichen W o r t l a u t des Gesetzes den Diebstahl nicht aus. Die Absicht rechtswidriger Zueignung i n GB § 242 ist nicht eine Putativ-Absicht, sondern der bewusste W i l l e rechtswidriger Zueignung. Aus anderem Grunde der richtigen Ansicht H ä l s c h n e r , D. StR I I 291. 20 Der Wahnsinnige und das K i n d sind zu solchen A k t e n schlechthin unfähig. Der R e c h t s a u f g a b e ist hierin aber die B e s i t z e s a u f g a b e gleich zu stellen. Sagt der Wahnsinnige dem, der es darauf ablegt i h n zu bestehlen: Nimm D u die Sache, ich gebe sie auf und schenke sie D i r ! so ist der Täter dennoch Dieb, wenn er den W a h n s i n n dessen, der die Erklärung abgab, kannte. So auch F e u e r b a c h § 35. Vgl. auch W e s s e l y S 362. Zweifelhafter kann man sein, ob Wegnahme aus fremdem Besitz anzunehmen, wenn der Wahnsinnige oder das K i n d die Sache tradirt. Konsequent dürfte die Frage zu bejahen sein. Denn die Entgegennahme der Sache aus der Hand des Tradenten, der willensunfähig also auch unfähig zur

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Es e r w ä c h s t aber d u r c h solche E i n w i l l i g u n g dem T ä t e r k e i n R e c h t zu seiner H a n d l u n g : sie i s t n u r ebenso w e n i g v e r b o t e n als e r l a u b t . Mit seltener Einmütigkeit wird behauptet, dass beim Ehebruch von einer Einwilligung des Verletzten keine Rede sein könne. Dies halte ich de lege lata für falsch. Der Ehebruch kommt in unserem heutigen Recht wesentlich als verbotene Verletzung des Rechtes auf eheliche Treue in Betracht. Das zeigt klar, dass der kompensirte Ehebruch ebenso wie der verziehene einen Scheidungsgrund nicht abgiebt und dass der Ehebruch nur bestraft werden kann, wenn wegen desselben die Ehe zuvor geschieden ist. Die Einwilligung in den Ehebruch ist deshalb — wenn von dem darin liegenden Verzicht auf das Antragsrecht auch ganz abgesehen wird — allerdings geeignet das Delikt auszuschliessen. Ganz anders natürlich nach solchen Rechten, wo das Verbrechen des Ehebruchs von der Scheidung ganz unabhängig gestellt ist. Zu diesen beiden Gruppen s. 1 u. 2 ist zu bemerken: a. der „Verletzte" ist derjenige, wider dessen Recht die Handlung laufen würde, läge die Einwilligung nicht vor; b. der Einwilligende und der sog. „Verletzte" brauchen nicht notwendig dieselbe Person zu sein. Die Einwilligung wirkt auch dann, wenn der Einwilligende bei seiner Zustimmung rechtlich anerkannter Vertreter des sog. Verletzten war. c. Im Gegensatz zu den Fällen sub 1 muss in denen sub 2 die Einwilligung noch fortdauern zur Zeit der Verletzung 21 ; d. in beiden Fällen braucht der Verletzer die Einwilligung nicht zu kennen, sofern nur in denen sub 1 ein Recht ohne Kenntniss des Erwerbers erworben werden kann 22 . wirksamen Uebergabe ist, erscheint doch als Wegnahme aus fremdem Besitze. And. Mein. RG I I I vom 19. Juni 1880 (E I I 332 ff). 21 M i t Recht macht K e s s l e r S 105 darauf aufmerksam, dass die E i n w i l l i g u n g vor Beginn des Versuchs erteilt sein muss, widrigenfalls jedenfalls Versuch bestehen bleibt. 22 Eine ganz unhaltbare Theorie von den Erfordernissen der E i n w i l l i g u n g stellt K e s s l e r S 99 ff. auf. Danach ist die E i n w i l l i g u n g notwendig Willense r k l ä r u n g und zwar Erklärung des Willens durch mehr als durch blosse Duldung, die der Handlung voraufgehen, unmittelbar vor der T a t erfolgen, zur Zeit derselben noch fortdauernd, dem Täter zu Ohren gesagt und diesem zur Kenntniss gekommen sein muss. — Es handelt sich von den Fällen sub 1 oben abgesehen aber gar nicht um eine Willenserklärung, sondern um eine Willensrichtung, und da diese das Angriffsobjekt untauglich macht, braucht dieselbe dem Täter mit nichten bekannt

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e. Das gemeine Recht bezeichnet den Mangel der erforderlichen Einwilligung in beiden Fällen mit den Worten „ohne Genehmigung"23, oder „ohne Erlaubniss" 24 oder „wider Willen" 2 5 oder „ohne Einwilligung" 2 6 oder „ohne Vorwissen" 27. Nicht einmal „Genehmigung" und „Erlaubniss" heischen notwendig die ausdrückliche Erklärung eines Genehmigungswillens. Die Zahl der Verbrechen, wo die Einwilligung in einer der bezeichneten Gestalten die Rechtswidrigkeit ausschliesst, ist grösser als es auf den ersten Blick scheint und zu ihr gehören durchaus nicht nur Vermögens-Verbrechen 28. geworden zu sein. A u c h ist diese Theorie ganz eine Erfindung K e s s l e r s , und das positive Recht weiss von diesen Erfordernissen schlechterdings nichts. Auch seine Bemerkungen über Dereliktion S 101 sind ganz falsch. Durch Duldung der Wegnahme kann ich meinen Dereliktionswillen trefflich erklären. 23 Des Jagdberechtigten: GB § 368, 10; des Hausbesitzers oder seines Stellvertreters: § 369, 1 ; des Schiffers: Strandungsordnung § 12. 24 Des Patentinhabers: Patentgesetz § 4. 25 Des Eigentümers: GB § 370, 6. 26 Der E l t e r n oder des Vormundes: GB § 237. 27 Des Rheders oder Schiffers: GB § 297. 28 Neben Unterschlagung (s. auch GB § 350), Diebstahl (s. auch GB § 291), Besitz- und Gebrauchs-Entwendung (§ 289. 290), Kreditgefährdung (§ 187), nicht gemeingefährlicher Sachbeschädigung, soweit sie sich auf fremde Sachen bezieht (GB § 303. 305. 368, 9. 370, 1. 2 ; beachte die Zerstörung oder Beschädigung von Staatshoheitszeichen i n § 103 a. 135, die Zerstörung von Urkunden § 274), Betrug (§ 263; man denke an eine Wette, die Täuschung werde nicht gelingen, eventuell solle der Täuschende die Beute behalten), Untreue (§ 266; wobei übrigens die Einwilligung durchaus nicht immer das D e l i k t ausschliesst: das genauere im speziellen Teile!), Hinterziehung der Zwangsvollstreckung (GB § 288), widerrechtlichem Jagen und Fischen (§ 292—296, nicht 296 a. 370, 4 ; vgl. 368, 10), Schiffsgefährdung (§ 297), Entlaufen des Schiffers m i t der Heuer (§ 298), neben den Verletzungen des Urheber-, Patent- und Markenschutzrechtes stehen andererseits der Verrat von Staats- und Privatgeheimnissen (GB § 92, 1. 300), der Hausfriedensbruch (§ 123. 342), die Wegnahme von Leichen (§ 168), die Entführung minderjähriger Frauenspersonen ohne E i n w i l l i g u n g von E l t e r n oder Vormund (§ 237), die Blankettausfüllung (§ 269), die Urkundenfälschung nur i n ganz bestimmtem Umfange, die Eröffnung von Briefen (§ 299; i n gewissem Umfang auch § 354). — Die vielfach zu hörende Behauptung, bei allen nicht gemeingefährlichen Vermögensverbrechen schliesse die Einw i l l i g u n g des Verletzten die Rechtswidrigkeit aus — s. neuerdings wieder O r t m a n n , G A X X V 104; H ä l s c h n e r , Gemeines D. StR I 470 —, ist aber nur in beschränktem Sinne r i c h t i g : beachte die Vergehen der §§ 301. 302. 302a—d, wenngleich hier gesagt werden könnte, dass die Willfährigkeit des Minderjährigen und des i n der Notlage Befindlichen nicht als ausreichende Einwilligung zu betrachten wäre. M a n denke aber auch an die Sachbeschädigung des § 304! — Uebrigens ist zu dieser ganzen Verbrechensreihe zu bemerken, dass die Einwilligung zwar bei keiner Handlungsart bedeutungslos i s t , dass sie aber nicht bei allen die Rechts-

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Die E i n w i l l i g u n g k a n n e n d l i c h dem A n g r i f f den D e l i k t s c h a r a k t e r nur noch d a d u r c h r a u b e n , dass sie 3. dem a n g e g r i f f e n e n R e c h t s g u t die T a u g l i c h k e i t für den d e l i k t i s c h e n A n g r i f f benimmt. Dies ist möglich nur unter einer von zwei Voraussetzungen: a. entweder ist nach Auffassung des positiven Rechts der widerstrebende Wille als solcher das Angriffsobjekt, oder aber b. ein anderes Rechtsgut, aber nur insoweit als der Angegriffene sich darin behaupten will, oder wenigstens soweit er es nicht preisgegeben hat. Der Gesetzgeber hält in letzterem Falle dafür, dass die Rechtsordnung kein Interesse daran habe einem Menschen das zu erhalten und zu schützen, worauf er selbst keinen Wert legt, und langt somit bei der Folgerung an, dass eine bestimmte Richtung des Einzelwillens die Kraft haben soll das Objekt zu einem angriffstauglichen, die umgekehrte es zu einem untauglichen zu machen. Es leuchtet sofort ein, dass in den Fällen sub a und b der Angegriffene und der Einwilligende identisch sein müssen, und dass selbst die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters des Wahnsinnigen, etwa zu dessen Beleidigung, hier ohne jede Wirksamkeit bleibt. ad a. Ein Willenszwang gegen' den Einwilligenden ist undenkbar. Die N ö t i g u n g i n a l l e n i h r e n F o r m e n ebenso wie d e r g e w a 11 s a m e W i d e r s t a n d sind wider Einwilligende unbegehbar 29. H i e r hat z w e i f e l l o s auch des H a n d l u n g s u n f ä h i g e n E i n w i l l i g u n g v o l l e W i r k s a m k e i t : auch sie hebt mit dem widerstrebenden Willen die Möglichkeit der gewaltsamen Ueberwindung desselben, und damit die Möglichkeit des Deliktes, soweit es eben grade in der Gewalt besteht, auf. Das Gesetz erkennt dies in dem wichtigsten Fall ausdrücklich an: die unfreiwillige Schwächung wahnsinniger Personen ist keine Notzucht (GB § 176, 2ϋ 177). Auch die durch List erlangte Einwilligung schliesst — obgleich wie die des Wahnsinnigen nur eine Schein-Zustimmung — die Gewalt aus 30 . Widrigkeit d u r c h w e g ausschliesst. Diese exaktere Begrenzung ist aber erst i m speziellen Teile möglich. 29 Der Entscheidung R G I I vom 8. Okt. 1882 ( Ε V I I 63 ff.) vermag ich nicht zuzustimmen. Der Angeklagte war m i t seinem Griff auf die Droschke i n seinem vertragsmässigen Recht. E r wurde i n dessen Ausübung widerrechtlich angegriffen, befand sich i n der Notwer und durfte den Angriff gewaltsam zurückweisen. 30 S. die Fälle, wo die Gewalt Begriffsmerkmal ist, oben A n m 9. — Ist die L i s t Begriffsmerkmal (GB § 234. 235. 236), so schliesst das Durchschauen der

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§ 149. Von der Einwilligung bei den Verbrechen

ad b. Die Betrachtung wendet sich nun den Erscheinungen zu, welche bisher stets den Mittelpunkt aller Untersuchungen über die Einwilligung und ihre Bedeutung gebildet haben. Es kann sich hier nur um einen ganz bestimmten Yerbrechenskreis handeln, wobei die Rechtswidrigkeit sich nicht als verbotener Eingriff in fremde Rechte, sondern als Verletzung und Gefährdung fremder Rechtsgüter darstellt 31 . Diese Güter sind durch einen Willen getragen, ohne dass zwischen ihnen und dem Willensträger ein Rechtsverhältniss entstanden wäre, und sie können durch denselben Willen preisgegeben werden. Es kann sich hier also nur um die persönlichen Rechtsgüter des Wollenden selbst handeln. Somit stehen hier nur die Verbrechen wider die Rechtsgüter der physischen Persönlichkeit : w i d e r L e i b o d e r L e b e n , w i d e r die F r e i h e i t , im Gegensatz zur U n f r e i h e i t 3 2 , die E h r e , die Geschle c h t s e h r e , den P e r s o n e n s t a n d zur Untersuchung. § 149. V o n der E i n w i l l i g u n g bei den V e r b r e c h e n w i d e r die R e c h t s g ü t e r der p h y s i s c h e n P e r s ö n l i c h k e i t insbesondere. I. Noch keine Strafgesetzgebung hat die Frage, wieweit die Einwilligung in diese Angriffe deren Rechtswidrigkeit ausschliesst, vollständig zu beantworten unternommen. Demgemäss führt die Auslegung des Strafgesetzes allein nie zu einem befriedigenden weil stets nur zu einem lückenhaften Ergebniss. Es sind also die Versuche von anderer Seite her die maassgebende Antwort zu finden alle einem zweifellos vorhandenen und durch das Strafgesetz ungenügend befriedigten Bedürfnisse entsprungen. Gerechtfertigt sind sie dann, aber auch nur dann und soweit, als sie von p o s i t i v - r e c h t l i c h e n Ausg a n g s p u n k t e n aus der Frage nahe treten, wie das Strafgesetzbuch die Einwilligung behandeln müsse, wenn es mit den übrigen Anschauungen des positiven Rechtes in Einklang bleiben wolle. Ergiebt diese Untersuchung auch nur einige sichere Resultate, so bilden diese Täuschung und die E i n w i l l i g u n g des zu Ueberlistenden den Tatbestand desgleichen aus. 31 Dass bei der falschen Anschuldigung (GB § 164) trotz des für diesen F a l l sehr unpassenden und deshalb ausser Anwendung zu lassenden § 165 die E i n willigung des Beschuldigten die Rechtswidrigkeit nicht ausschliesst, bedürfte kaum der Hervorhebung. Es handelt sich um ein Verbrechen gegen die Strafrechtspflege. 32 Ueber die Verbrechen wider die sog. Freiheit der Willensbetätigung ist eben gesprochen.

wider die physische Persönlichkeit.

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ebenso viele Auslegungsregeln für das Strafgesetz, freilich nur soweit dies nicht selbst ausdrücklich entscheidet. Die zwei zu meidenden Abwege sind deshalb wieder die aprioristische Konstruktion und die Beugung des Gesetzes unter deren angebliche Resultate. Nun bestimmt das positive Recht, wer Person sein soll und was Person sein heisst, und zwar betrachtet es die wesentlichen Eigenschaften der Persönlichkeit heute derart als unantastbar, dass der Gesetzgeber es sich selbst untersagt eine oder die andere derselben ausser Rechtsschutz zu stellen. Was aber dem Gemeinwillen unmöglich dünkt, liegt noch weit mehr ausser dem Machtbereich des weit unkräftigeren Einzelwillens. Lässt sich somit ein Strafgesetz über die Wirksamkeit der Einwilligung nicht weiter aus, so müsste man jedenfalls gegenüber den Angriffen auf eine der wesentlichen Eigenschaften der Persönlichkeit deren Unwirksamkeit behaupten. Nun ist der Tocl das Ende der physischen Persönlichkeit. Die eine ihrer wesentlichen Eigenschaften ist also das Leben bezw. die Gesundheit, soweit sie die Voraussetzung des Lebens fortdauernd bildet 1 . Unser Gemeinwesen kennt keine unfreien Menschen: der Sklave, der unsern Boden betritt, wird damit der Freiheit teilhaftig. Freiheit im Gegensatz zur Sklaverei ist die zweite wesentliche Eigenschaft der Person. Die dritte und die vierte bilden zwei Fähigkeiten, die Ehr- und die Yermögensfähigkeit 2, beide hier ohne Bedeutung, weil beide als abstrakte Fähigkeiten gleich untaugliche Gegenstände deliktischen Angriffs. Damit sind aber die wesentlichen Eigenschaften der physischen Persönlichkeit erschöpft. Aus dem Entwickelten folgt nun ein zweifaches : die Einwilligung des Getöteten in die Tötung ist kraftlos dem Angriff die Rechtswidrigkeit zu nehmen3, ebenso aber auch die Einwilligung zur Hingabe in 1 N i c h t weiter. Der Sieche ist Person wie der Gesunde, der Verstümmelte wie der Mensch mit heilen Gliedern. Es steht also die Gesundheit i n dieser Beziehung dem Leben nicht gleich, so oft auch das Gegenteil behauptet worden ist. 2 N i c h t bilden ein bestimmtes Maass von Ehre oder Vermögen wesentliche Eigenschaften der Persönlichkeit. Ebensowenig die sog. Geschlechtsehre. Die Dirne ist ebenso Person wie die Jungfrau. 3 Die Tötung des Einwilligenden zur straflosen Teilnahme am Selbstmorde umzustempeln, wie dies früher oft geschah, heisst allerdings „die T a t geradezu verkehren". So H e f f t e r § 230 A n m 11. Vgl. L u d e n I I 419 Anm. S. dagegen

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§ 149.

on der Einwilligung bei den Verbrechen

die Sklaverei. Beide Handlungen bleiben trotz der Einwilligung Delikte 4 . Nicht aber folgt, dass nun alle übrigen Rechtsgüter der Person der Macht solcher Einwilligung unterliegen, oder — wie man sich ebenso oft als schlecht ausgedrückt hat — dass sie veräusserlich seien. Denn zum argumentum e contrario fehlt hier jeder Anhalt 5 . Wie weit die Einwilligung wirksam sei gegenüber den Angriffen auf die Gesundheit, die Ehre, die Geschlechtsehre, die Freiheit der Willkür 6 und den Personenstand, dies festzustellen ist aus dem Begriffe der Persönlichkeit ganz untunlich. Giebt das Strafgesetz keinen unmittelbaren Aufschluss und ist nicht aus dem zum Verbrechen erforderten Rechtsgute wie aus dem Objekte der Nötigung und der Einsperrung mit Sicherheit zu erkennen, dass die Einwilligung es beseitigt, so bleibt kein andres Auslegungsmittel als die Beobachtung des Bedürfnisses und des praktischen Rechtslebens. Letzteres lehrt, dass die Beleidigung und die leichtere körperliche Verletzung 7 Einwilligender durchweg und ausnahmslos als unsträflich betrachtet werden. II. Das heutige gemeine Strafrecht gewährt uns aber über die Einwilligungsfrage doch immerhin wichtigen Aufschluss. 1. Die E i n w i l l i g u n g i n die T ö t u n g schliesst deren Rechtswidrigkeit nicht aus. Die dem Täter unbewusste Einwilligung mildert nicht einmal die Strafe des Mordes oder Totschlages; die ihm zu Bewusstsein gekommene desgleichen nicht, wenn sie nicht für ihn der Bestimmungsgrund seiner Tötungshandlung geworden ist. Die Analogie der Anstiftung greift hier insoweit Platz, als bei ihr der Anstifter — hier der Getötete — den Täter zu seiner Handlung „beS t ü b e l , Tatbestand S 134 u. Ν Α I X 577. 578; T i t t m a n n I § 149; H e n k e I § 3 8 . R o e d e n b e c k , Zweikampf S 33 if. t r i t t sogar ernsthaft den Beweis an, dass zwischen Selbstmord und Tötung des Einwilligenden kein Unterschied bestehe! 4 I c h behaupte dies trotz GB § 234, welcher die Bestrafung des letzterwähnten Delikts allerdings ausschliesst. 5 D a r i n dass man an Stelle der Rechtsgüter subjektive Rechte treten liess, dass man hier die schlechten Kategorien der Unveräusserlichkeit und Yeräusserlichkeit anwandte, endlich darin dass man den paar angeblich „unveräusserlichen Rechten" alle andern als die veräusserlichen Rechte gegenüberstellte, liegt der dreifache Fehler der früher herrschenden Doktrin. Der erste und dritte dieser Fehler ist heute noch nicht überwunden: s. neuerdings wieder O r t m a n n bei GA X X Y 108 und X X Y I 196, wo das Leben zu den Privatrechten gehört (!), und ihm folgend R o e d e n b e c k , Zweikampf S 31. Der zweite ist durch die Erkenntniss, dass Veräusserung und Preisgabe zwei verschiedene Dinge sind, wesentlich gemildert. 6 Darüber s. oben S 717. 718. 7 Die Ungenauigkeit ist A b s i c h t !

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wider die physische Persönlichkeit.

stimmt" haben muss. Es wird also nicht nur gefordert ernstliche Einwilligung, sondern ernstliches V e r l a n g e n des Getöteten an den Täter ihm den Tod zu geben8: dies Verlangen muss natürlich stets ein „ a u s d r ü c k l i c h e s " sein, d.h. es muss erklärt sein, ob durch Wort oder flehende Geberde, ist gleichgiltig9. Nicht in der Einwilligung allein liegt der Strafmilderungsgrund, sondern dieser ist ebenso sehr ein subjektiver: Wissenschaft der Einwilligung und Fassung oder wenigstens Ausführung des Tötungsentschlusses aus Nachgiebigkeit gegen das Verlangen des Getöteten. Diese Tötung des § 216 ist nichts anderes als ein privilegirter Mord- oder Totschlagsfall, genau wie der Kindesmord. Die Handlung ist aber „Vergehen" und der Versuch ist straflos gelassen10. Die abwegige Ansicht, solch qualifizirter Versuch könne als Körperverletzung bestraft werden, widerlegt sich schon dadurch, dass Tötungsversuch und Körperverletzung zwei ganz verschiedene Verbrechen sind, und dass das vollendete Vergehen höchstens mit 5 Jahren Gefängniss, der Versuch aber mit Zuchthaus von 5, eventuell von 10 Jahren bestraft werden könnte 11 . 2. Ist die A b t r e i b u n g wesentlich Tötungsverbrechen, so kann bei ihr von Einwilligung nicht die Rede sein. Mit der Tötung der Frucht kann sich aber eine Gefährdung des Lebens der Mutter unci eine Vernichtung ihrer Mutterhoffnungen verbinden. Die Tatsache, dass dies geschieht „ohne Wissen und Willen der Schwangeren", ist vom GB § 220 richtig als bedeutender Schärfungsgrund behandelt. Strafmildernd wirkt aber durchaus nicht allein die Zustimmung zur Lebensgefährdung sondern sie in Verbindung mit der zur Vernichtung ihrer 8

Die Ernstlichkeit besonders hervorzuheben war nicht nötig: denn eine nicht ernstliche ist keine Einwilligung. Dass aber „Verlangen" und „ E i n w i l l i g u n g " identisch sei, ist O r t m a n n a. a. 0 . S 117 und dem ihm blind folgenden R o e d e n b e c k S 44 gewiss nicht zuzugeben, n o c h . weniger die seltsame Behauptung das. S 49, die Tötung des Einwilligenden ohne Kenntniss der Einwilligung wäre Mordversuch am untauglichen Objekte. Ders. Ans. natürlich R o e d e n b e c k S 44. Dagegen selbst K e s s l e r S 22. 80 ff. und jetzt R o e d e n b e c k , GS X X X V I I 140. 9 So ist es durchaus nicht nötig, dass das erste W o r t von dem Getöteten gesprochen wurde. 10 I c h halte dies für höchst bedauerlich, aber ita lex lata! 11 A . Mein. RG I vom 15. Nov. 1880 (E I I 442. 443); ders. Ans. v. L i s z t S 299. Dagegen richtete sich K r o n e c k e r , GS X X X V S 221 ff.; O r t m a n n , das. S 370 ff.; Z i m m e r m a n n , GA X X I X 1881 S 435 ff. Richtig O T r vom 28. März 1878 (Ο X I X 175); R u b o zu § 216 A n m 4 ; v. S c h w a r z e zu § 216 A n m 6 ; O l s h a u s e n zu § 216 A n m 4. And. Mein. O p p e n h o f f zu § 216 A n m 6 ; H ä l s c h n e r I I 58, welche beide den Tatbestand des § 216 für M o r d oder T o t schlag mit mildernden Umständen halten. Davon weiss aber das Gesetz nichts!

Binding, Handbuch. V I I . 1. I : B i n d i n g , Strafrecht.

I.

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Mutterhoffnungen. Die Worte „ohne Wissen oder Willen" lassen keinen Zweifel, dass hier auch die unerklärte Zustimmung die höhere Strafe ausschliesst. 3. Der Menschenraub fordert als Mittel Gewalt, Drohung oder List; die dem Täter bekannt gegebene Einwilligung zur Verbringung in die Sklaverei schliesst also die Strafbarkeit, wenn auch kaum die Rechtswidrigkeit dieser Handlung aus. GB § 234. Ein Verlangen braucht nicht stattgefunden zu haben. 4. Der P e r s o n e n s t a n d eines Menschen ist seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Familie. Diese Tatsache ist rechtlich so bedeutsam, dass sie schlechterdings nicht verdunkelt werden soll, und diese Verdunkelung ist durchaus nicht nur im Interesse des Familienangehörigen sondern ebenso in publizistischem Interesse untersagt. Deshalb ist auch nirgends bestritten, dass die Einwilligung der Person in Unterdrückung und Veränderung ihres Personenstandes die Strafbarkeit der Handlung nach dem GB § 169 nicht ausschliesst. 5. So zweckmässig es wäre bei der schweren K ö r p e r v e r l e t z u n g 1 2 die Einwilligung nicht als Grund aufgehobener Rechtswidrigkeit sondern nur gemilderter Strafbarkeit zu behandeln, so kann für Jeden, der das Gesetzbuch als ein Ganzes auslegt, ein Zweifel nicht sein, dass die Körperverletzung Einwilligender straflos bleiben soll 13 . Da das Gesetz aber nicht einmal für nötig findet dies besonders hervorzuheben, so betrachtet es solches als selbstverständlich: d. h. die Einwilligung ist in seinen Augen Grund wegfallender Rechtswidrigkeit und nicht nur Straflosigkeitsgrund, der Schutz der Gesundheit ist wesentlich zugleich Schutz des Willens gesund zu bleiben. Hat das ernstliche Verlangen des Todes die Kraft die Todesstrafe und die Maximalstrafe des Totschlags von 15 Jahren auf eine Maximal12

Ueber die Einwilligung bei - der Körperverletzung handelt klar und überzeugend K r o n e c k e r , GS X X X V I 219 ff., wenn auch nicht alle seine Gründe geb i l l i g t werden können. Ausdrücklich sei bemerkt, dass gefährliche Operationen durch die Rechte des ärztlichen Berufs, nicht aber durch die Einwilligung des Operirten statthaft werden. Diese Eingriffe bleiben deshalb hier ganz bei Seite. 13 Abweichend RG I vom 15. Nov. 1880 (E I I 442. 443): das Hauptargument: „es spricht sogar die Tatsache, dass diese Einwilligung nur bei der Tötung berücksichtigt worden ist, dafür, dass ihr überall sonst (!) eine rechtliche W i r k samkeit nicht beigelegt werden sollte", lässt sich gerade so gut umdrehen: „Es spricht die Tatsache, dass die Einwilligung nur bei der Tötung ausdrücklich berücksichtigt worden ist und sogar die Strafe derselben erheblich mildert, dafür, dass i h r »überall sonst« eine noch grössere Wirksamkeit als selbstverständlich zukommend betrachtet wird." Ja diese gleichfalls unzulässige Umkehrung ist noch berechtigter als das entgegengesetzte Argument. Dies beweisen die §§ 206 und 207. S. das hochbedenkliche R G I I I vom 22. Febr. 1882 (E V I 61 ff.).

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strafe von 5 Jahren Gefängniss abzumildern, so muss dasselbe bei der Körperverletzung eine entsprechend gesteigerte Wirkung ausüben14. Diese Wirkung geht um deswillen zweifellos über die Strafmilderung hinaus, weil sie im GB nicht präzisirt ist. Anzunehmen, dass grade deshalb die Einwilligung bei der Körperverletzung gar keine Wirkung üben solle, würde die Ziehung der unerträglichsten Folgerungen bedingen. a. Stünde der Versuch der Tötung Einwilligender unter Strafe, so betrüge diese nach den §§ 216 u. 44: 9 Monate bis 4 Jahre und 364 Tage Gefängniss. Sie träfe auch die schwersten Fälle qualifizirten Versuches, also auch die Verstümmelung des Einwilligenden in Tötungsabsicht. Die schwere Körperverletzung Einwilligender wäre aber mit Zuchthaus von 1—5 bez. von 2—10 Jahren zu strafen (§ 224. 225). b. Es ist unbestritten und unbestreitbar, dass die Körperverletzung eines Einwilligenden um ihn zur Dienstpflicht untauglich zu machen, insbesondere seine Verstümmelung, einen q u a l i f i z i r t e n F a l l der V e r s t ü m m e l u n g darstellt (GB § 142). Mit der Beschädigung fremder Gesundheit trifft ein Delikt wider die Wehrkraft des Staates zusammen, und dieser Umstand übt sogar die Wirkung die S e l b s t verstümmelung unter die strafbaren Handlungen zu erheben. Die qualifizirte Verstümmelung Einwilligender steht unter der Strafe des Gefängnisses von 1 bis zu 5 Jahren, die nicht qualifizirte aber wäre in § 225, der ja allein zur Vergleichung herbeigezogen werden kann, mit Zuchthaus von 2—10 Jahren belegt! c. Sollte die Körperverletzung Einwilligender strafbar sein wie die Verletzung Widerstrebender, so würden sich die Satzungen über das Duell nicht erklären lassen. Aus GB § 206 ergiebt sich, dass die Tötung im Duell einen Schärfungsgrund dieses Verbrechens bildet 15 . Die Ordnung des Kampfes zusammen mit der zwar nicht direkten aber eventuellen Einwilligung der Kämpfer in die ordnungsgemäss erhaltenen Verletzungen lässt aber die Strafen des Mordes wie des Totschlags als unzulässig erscheinen. Aus § 207 erhellt, dass alle Körperverletzungen mittels vorsätzlicher Uebertretung der Kampfregeln, sofern nicht nach § 205 u. 206 eine höhere Strafe verwirkt ist, nach den allgemeinen Vorschriften über die Körperverletzung zu bestrafen sind. Somit sind alle schweren und leichten Körperverletzungen im Duelle und alle in nur fahrlässiger Uebertretung der Kampfregeln zu14 Sehr charakteristisch ist der Eifer K o e d e n b e c k s a. a. 0 . S 47 A n m 56 wider diesen unzulässigen (!) Analogieschluss. S. dagegen K e s s l e r S 9 u. 10. 75. 15 Die Strafdrohung des § 206 harmonirt nicht mit der des § 216. 46*

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gefügten nicht einmal obligatorische Straferhöhungsgründe. Hat die eventuelle Einwilligung solche Kraft, so muss die prinzipale die Bestrafung ganz ausschliessen. d. Sind aber die Körperverletzungen im Zweikampf mit tödlichen Waffen als solche straflos, so muss dies in noch viel höherem Maasse von den Körperverletzungen im Duell mit nicht tödlichen Waffen gelten 16 . Diese wären dann straflos trotz der blos eventuellen Einwilligung, während die prinzipale Einwilligung die Strafbarkeit der Körperverletzung nicht ausschlösse. So drängen alle Beweise nach dem einen Punkte: die Körperverletzung ernstlich Einwilligender ist straflos 1718 . 6. Eigentümliche Schwierigkeiten bereitet die Aussetzung (GB § 221) 19 , bei welcher die Einwilligung sehr selten ist, aber doch, insbesondere bei der Verlassung hilfloser Personen, wohl vorkommen kann 20 . Sie ist vorsätzliche Gefährdung des Ausgesetzten an Leben oder Gesundheit21. Hebt die Einwilligung in die Verletzung der Körper16

Verkannt von RG I I I vom 22. Febr. 1882 (E V I 61 ff.). Dies gilt auch von den „Tätlichkeiten" der §§ 94. 96. 98. 100. M. E . auch von dem H u n d e h e t z e n des § 366, 6 als einer die Körperintegrität regelmässig gefährdenden Handlung. Gegenüber dem V e r g i f t u n g s v e r b r e c h e n (GB § 229) die Frage der Einwilligung aufzuwerfen, ist kaum praktisch. Denn solche Zustimmung w i r d kaum vorkommen. Hat sie aber stattgefunden, dann muss leider auch hier aus analogen Gründen wie bei der Körperverletzung ihre Wirksamkeit behauptet werden. Uebrigens lehrt das geltende Recht ebenso nachdrücklich die Unrichtigkeit wie die Gefährlichkeit der Behauptung O r t m a n n s , GA X X V 105, bezüglich der Einwilligung m ü s s t e n Tötung und Körperverletzung pari passu gehen. E r meint sie offenbar nur de lege ferenda. 18 F ü r Strafbarkeit jeder Körperverletzung Einwilligender de lege lata: G e y e r i n H H I I I 555; O p p e n h o f f zu § 223 A n m 2 ; H ä l s c h n e r I 471 (etwas anders Preuss. StR I 237), I I 91; v. L i s z t S 302. 303. F ü r Straflosigkeit aller Körperverletzung Einwilligender de lege lata O r t m a n n , GA X X V 119; Z i m m e r m a n n , G A X X I X 440. 441; S o n t a g , K r V X I X 19. 20; K e s s l e r S 72 ff.; v. W ä c h t e r , D. StR S 190; R o e d e n b e c k S 46 ff. — O l s h a u s e n zu § 223 A n m 10 erhebt für die schwereren Fälle des § 223, für alle der §§ 223 a u. 224 die W i r k samkeit der E i n w i l l i g u n g zur quaestio facti. N u r für Straflosigkeit leichter Körperverletzungen M e y e r S 289 (S 288 ist freilich die Einwilligung bei der Körperverletzung „ohne Bedeutung" !). F ü r Straflosigkeit „ganz leichter Körperverletzungen" Einwilligender G e y e r , GS 1874 S 280. F ü r Straflosigkeit „einfacher Misshandlungen" S c h a p e r i n H H I I 130, offenbar auch O l s h a u s e n a. a. O. 17

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Die Aussetzung, soweit sie Menschenraub ist (GB § 234), wird durch die E i n w i l l i g u n g zweifellos ausgeschlossen. 20 Natürlich darf die Aussetzung nicht M i t t e l der Tötung sein. Sonst greift j a § 216 Platz. Dass auch hier nur die Einwilligung Handlungsfähiger i n Betracht kommt, darüber s. S 727. 21 Normen I I 522 ff.

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integrität deren Strafbarkeit auf, so gilt dies natürlich grade so für die Einwilligung in die Gefährdung. Bedenkt man nun, dass die Aussetzung des Menschenräubers fast immer eine lebensgefährliche sein wird, dass die Einwilligung des gesunden Ausgesetzten stets den Menschenraub und dessen Strafe ausschliesst, so sollte man glauben dem Willen des Ausgesetzten müsse gegenüber dem Tatbestände des § 221 die gleiche Kraft zukommen. Und doch halte ich diese Schlüsse nicht für voll gerechtfertigt. Die Schwäche seines Willens bildet so vielfach eine Quelle der Gefahr für den Kranken, dass das Recht Bedenken tragen muss diesem Willen bedeutsame Kraft zuzuerkennen. Insbesondere dürfte die Verpflichtung zur „Unterbringung, Fortschaffung oder Aufnahme" des Kranken von dessen Willen unabhängig gestellt sein, und so glaube ich, dass die Einwilligung für das kleine Gebiet der Aussetzung, für das sie allein in Betracht kommen könnte — geistesgesunde Kranke und Gebrechliche —, die Rechtswidrigkeit der Gefährdungshandlung nicht aufzuheben vermag. Sie würde auf diesem Gebiete aber wohl als Strafminderungsgrund in Betracht kommen können22, 7. Es steht fest, dass für das ganze Gebiet der E h r Verl e t z u n g e n im früheren gemeinen Rechte das volenti non fit injuria anerkannt war, und dass die neueren Gesetzgebungen daran nichts haben ändern wollen. Auch das heutige Recht macht ja die Verfolgung keiner strafbaren Handlung so sehr abhängig von dem Willen des Verletzten als die der Beleidigung, wohl aus keinem anderen Grunde, als weil die Rechtswidrigkeit des Angriffs nirgends von demselben Faktor entschiedener abhängig ist wie hier. Kann die Verzeihung des Beleidigten bei der Vergleichsverhandlung das schon entstandene Strafrecht des Staates vernichten, so darf um so sicherer die Einwilligung in die Verletzung dessen Entstehung hindern 23 . Die leichte Körperverletzung auf diesen Grund hin straflos lassen und die 22

M . E. ist überall, wo die Existenz eines Strafausschliessungsgrundes nicht nachzuweisen ist, die unbeschränkte Giltigkeit des Strafgesetzes anzunehmen. 23 Selbst K ö s t l i n , System I 99, vgl. S 103, der ausdrücklich sagt, die E h r verletzung des Einwilligenden bleibe trotzdem D e l i k t , und H ä l s c h n e r , Preuss. StR I 232, der die Ehre als unverzichtbar bezeichnet, münden bei dem (unrichtigen) Satze aus : „Ehre hat nur, wer sie haben w i l l " ; d. h. auch sie erkennen hier das volenti non fit injuria an. Beide Schriftsteller aber teilen die Vorstellung, dass die Einwilligung den Bestand der Ehre des Angegriffenen mindere (ders. Ans. O r t m a n n , GA X X V 105), während die Ehre natürlich trotzdem intakt bleibt und nur das Maass der A c h t u n g s b e d ü r f t i g k e i t durch die E i n w i l l i g u n g eine Einschränkung erleidet. I n dem Gemeinen D. StR I 472 hält H ä l s e h n e r seine frühere Auffassung unverändert fest. Sehr unklar M e y e r S 289.

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tätliche Beleidigung des Einwilligenden strafen wäre höchst inkonsequent. Der Grund, warum aber die Ehrbeleidigung durch Einwilligung aufgehoben werden muss, findet sich selten exakt angegeben. Er liegt nicht im Begriff der Ehre, das ist die Achtungswürdigkeit eines Menschen bei seiner Mitwelt als Mensch und nach Maass seiner sittlichen und rechtlichen Lebensführung. Das Maass dieser Achtungswürdigkeit kann der Ehrenträger durch unwürdige Tat, dagegen nie durch Einwilligung mindern. Aber die Ehre des Einzelnen soweit schützen als sie vorhanden ist, hiesse den Schutz über das Maass des Bedürfnisses treiben. Der Ehre wird ihr Schutz wesentlich im Interesse des Ehrenträgers, für den sie ein wertvolles Kapital bildet. Empfindet er kein Schutzbedürfniss, so hat Niemand ein solches, ganz abgesehen davon, dass die Duldung des Vorwurfs oft als ein Symptom für dessen Berechtigung oder dafür, dass dieser lediglich ein Scherz sein soll, zu betrachten ist. Demgemäss ist Angriffsobjekt für die widerrechtliche Ehrbeleidigung nicht die Ehre, sondern die A c h t u n g s W ü r d i g k e i t , sow e i t sie z u g l e i c h A c h t u n g s b e d ü r f t i g k e i t ist. Deshalb gilt für die Ehrbeleidigung in allen ihren Arten auch heute· noch der Satz: volenti non fit injuria 24 . 8. Wichtige Ausbeute für die Frage nach der Kraft der Einwilligung bieten die V e r l e t z u n g e n der w e i b l i c h e n Ges c h l e c h t s e h r e 2 5 . Nur ohne Einwilligung der Verletzten vorgenommen erscheinen sie strafbar: so ausser der Notzucht der aussereheliche Missbrauch einer willen- oder bewusstlosen oder über die Ausserehelichkeit des Beischlafs getäuschten Frauensperson (GB §176, 2. 179). Hier allein aber finden zwei Fragen volle und klare Antwort: die Einwilligung der Geisteskranken ist ebensowenig rechtlich 24 E r kommt also nicht nur für die §§ 195—197, sondern ebenso für die Beleidigungen der §§ 95. 97. 99. 101. 103. 104 zur Anwendung. Natürlich ist bei sog. mittelbaren Injurien ausnahmelos die Zustimmung sowohl des direkt als des mittelbar Betroffenen erforderlich um die Rechtswidrigkeit auszuschliessen. Insbesondere kann die E i n w i l l i g u n g des Gesandten den Tatbestand des § 103 nicht ausschliessen, wenn unmittelbar er, mittelbar aber sein Souverän beleidigt wird. — Aus der sog. Beleidigung rechtsbeachtlich einwilligender Ehefrauen oder unter väterlicher Gewalt stehender Kinder erwächst aber den Ehemännern oder Vätern trotz § 195 kein Antragsrecht : denn diese Erweiterung des Antragsrechts dient, wie auch die M o t zu Ε I I I § 190 ausdrücklich sagen, nur zur energischeren Geltendmachung der diesen Personen w i r k l i c h widerfahrenen Beleidigungen. 25 Dass bei Bigamie (GB § 171), Incest (§ 173), widernatürlicher Unzucht (§ 175) und dem Verbrechen der unzüchtigen Handlungen (GB § 174. 176) die Einwilligung der missbrauchten Person die Rechtswidrigkeit nicht aufhebt, bedarf kaum der Hervorhebung.

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beachtliche Einwilligung wie die des Mädchens unter vierzehn Jahren und wie die durch Verführung erlangte Einwilligung des Mädchens zwischen 14 und 16 Jahren (GB § 176, 2 und 3, § 182) 26 . Im übrigen aber ist der Schutz der weiblichen Ehre dem Willen der Frau anheim gestellt: will sie sich preisgeben — das Recht mag sie nicht hindern 27 . ad 1—8. Für dieses ganze Gebiet der Angriffe auf die Rechtsgüter der Persönlichkeit, soweit die Einwilligung sei's die Rechtswidrigkeit ausschliesst, sei's die Strafe mildert, ist zu beachten: 1. die Einwilligung muss sein bewusste Zustimmung eines geistig gesunden Menschen. Dies erkennt das positive Recht in § 176, 2 ausdrücklich an, im übrigen aber kann dasselbe dem Wahnsinnigen eine rechtsgiltige Entscheidung über die Schutzbedürftigkeit seiner Rechtsgüter nicht einräumen. Solche Zustimmung kann also unter Umständen den Vorsatz des Täters, nie aber die Rechtswidrigkeit der Tat aufheben 28. 2. Ueber das Alter des Zustimmenden enthält nur GB § 176 und 182 Bestimmungen. Es existirt kein Rechtsgrund für diese Einwilligung die civilistische Volljährigkeit zu fordern. Es scheint am richtigsten, da auch die analoge Anwendung des GB § 55 gegründeten Bedenken unterliegt, die Entscheidung über das Vorhandensein der individuellen Reife zu einer beachtlichen Zustimmung im Einzelfalle der richterlichen Prüfung zu überweisen 29. 3. Bei der Körperverletzung, der Beleidigung und den Angriffen auf die weibliche Ehre braucht die Einwilligung nicht ausdrücklich erklärt, noch weniger wie bei der Tötung die Handlung verlangt zu sein 30 . Es genügt, dass im Augenblicke des Angriffes der Wille des Angegriffenen das Gut preisgegeben hat. 4. Der Grund dieser Kraft des Privatwillens Frauenehre und Körperintegrität durch Preisgabe angriffsuntauglich zu machen liegt gewiss nicht in der Veräusserlichkeit dieser Güter, noch auch in der Anerkennung eines Dispositionsrechtes des Menschen über diese Güter, noch auch darin, dass es dem Recht gleichgiltig wäre, ob ein Mensch sich diese Güter erhält oder nicht, sondern wohl darin, dass das Recht 26 Bezüglich der scheinbaren Einwilligung einer Geisteskranken s. RG I vom 30. Nov. 1882 ( Ε V I I 425 ff.). 27 Ueber die Fälle des § 174, soweit sie hier einschlagen, s. unten sub 5. 28 Nicht weit genug geht v. H o l t z e n d o r f f bei H H I I I 447. — S. aber oben S 717. 29 W o h l aber dürfte man die Kinder unter sieben Jahren fur unfähig zu jeder rechtlich bedeutsamen Willenserklärung halten. So auch K e s s l e r S 102. 30 Ebensowenig bei der Abtreibung des § 220.

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die Abhängigkeit dieser Güter von dem Willen ihrer Träger nicht ändern kann, also innerhalb gewisser Grenzen anerkennen muss. Diese Abhängigkeit hat verschiedene Gründe. Das Gesetz vermag nicht zu bestimmen, wo die nicht ganz schmerzlose Berührung eines Körpers mit einem andern anfängt Körperverletzung zu werden: es muss hier auf den Willen des Berührten abstellen, der „unberührt" bleibt von den kleinen Schmerzen, die aus den gewöhnlichen Umgangsformen oder aus dem Scherze für ihn resultiren, und von den grösseren, die er vielleicht für heilsam ansieht, oder an deren Ertragung er sich gewöhnen will, oder deren stoische Ueberwindung sein Stolz ist. Das Recht kann dieses Belieben einschränken 31: es kann die Einwilligung in die schwere Verletzung für wirkungslos erklären, aber es ganz zu beseitigen liegt ausser seiner Macht. Bei der Ehrverletzung liegt der Grund in dem WTesen des angegriffenen Rechtsgutes, das Achtungsbedürftigkeit ist; bei den Angriffen auf die weibliche Geschlechtsehre darin, dass der Wille der Frau selbst an erster Stelle zu deren Schutz berufen ist und dass Niemand anders als die Frau zu entscheiden vermag, wann sie das Geschlechtsleben beginnen soll. 5. Auch die prinzipiell wirksame Einwilligung ist nicht allen Personen gegenüber von gleicher Kraft. Das Gesetz sagt dies fast ausdrücklich von der weiblichen Einwilligung in den ausserehelichen Beischlaf. Dieselbe schliesst das Verbrechen der unzüchtigen Handlungen nicht aus, wenn die in GB § 174 genannten Personen, die zur Heilighaltung der weiblichen Ehre ihrer Schützlinge unbedingt verpflichtet sind, den Beischlaf mit der einwilligenden Person vollziehen. Aber die Erscheinung greift weiter. Den Beamten sind gewisse Eingriffe schlechthin auch gegenüber Einwilligenden untersagt, die der Private sich gegen solche gestatten kann : der Staat will sich dann zu solchem Eingriffe nicht hergeben. Die Vergehen der Freiheitsberaubung und der Körperverletzung im Amte (GB § 841. 340) werden ganz zweifellos durch Einwilligung fdes Misshandelten oder fälschlich Eingesperrten nicht ausgeschlossen, wohl aber kann auch der Beamte sich gegen den Einwilligenden keines Hausfriedensbruchs im Amte schuldig machen (GB § 342). Damit aber ist das Gebiet wirksamer Einwilligung, soweit ich zu sehen vermag, abgeschlossen32. Eine unzulässige Erweiterung würde 81

S. gleich unten sub 5. Die Frage, wie weit de lege ferenda die Einwilligung da, wo sie die Rechtswidrigkeit nicht aufhebt, strafmildernd wirken sollte, ist absichtlich ganz bei Seite gelassen. W i e weit sie de lege lata einen Strafminderungsgrund abgiebt, ist m i t 32

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dasselbe nicht nur dadurch erfahren, dass man die Einwilligung bei Verbrechen für wirksam erklären würde, die ihr zum Trotze bestehen bleiben33, sondern auch dadurch, dass man die denkbare wirksame Einwilligung von der maassgebenden auf die machtlose Person überträgt 34 . Der Rückblick zeigt aber das eine, dass das Gebiet wirksamer sog. Einwilligung allerdings bedeutend genug ist, und erklärt ein anderes, dass über die Art ihrer Wirksamkeit so ganz verschiedene Theorien aufgestellt werden konnten, deren jede die Eigentümlichkeit der Erscheinungen aus einer Gruppe von Fällen zu der allgemein durchgreifenden erhob 35 3 6 . zwei Worten zu sagen: so weit sie den Täter der Notwendigkeit überhebt sein Rechtsgut verteidigenden W i l l e n des Angegriffenen zu brechen.

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33 So z. B. die falsche Anschuldigung (GB § 164) trotz E i n w i l l i g u n g des fälschlich Bezichtigten, die unterlassene Anzeige künftiger Verbrechen trotz anticipirten Erlasses der Anzeigepflicht seitens des Bedrohten (GB § 139), die Münzfälschung trotz Einwilligung des Empfängers der Falsifikate (GB § 146), der prozessuale Meineid trotz Zustimmung der Gegenpartei oder des Angeklagten i m Strafprozesse (GB § 153. 154), die sämmtlichen gemeingefährlichen Verbrechen trotz Zustimmung des Gefährdeten, die Rechtsbeugung (GB § 336), das Vollstrecken unerlaubter Strafen (GB § 345) u. s. w. 34 Das Vergehen des Arrestbruchs w i r d allerdings ausgeschlossen durch.die Zustimmung dessen, in dessen Interesse Arrest angelegt ist (GB § 137), das des betrügerischen Bankrotts aber nicht durch die Zustimmung einzelner Gläubiger;

die Unterschlagung nicht durch Einwilligung des Besitzers i n die Wegnahme der fremden Sache (§ 246), der sog. Kinderraub nicht durch Einwilligung der minderjährigen Person (GB § 235, vgl. § 237, wo dieser Verwechslung sehr bestimmt vorgebeugt wird). 36 Da sich die Schriftsteller dieser Verschiedenheiten nicht v o l l bewusst sind, präzisiren sie mehrfach ihren Standpunkt nicht ganz genau. A u c h w i r k t mit, dass unverboten und erlaubt vielfach identifizirt werden. Doch treten folgende Ansichten bezüglich der die Strafbarkeit ausschliessenden E i n w i l l i g u n g deutlich aus einander : 1. Die Einwilligung giebt dem Täter geradezu ein Recht zur Verletzung: G r o l m a n § 26; F e u e r b a c h § 40 1. A u f l . , § 35 der späteren A u f l . ; H e n k e I § 3 8 ; W ä c h t e r I § 59 (?); eigentümlich S t ü b e l , Ν Α I X 557 ff., bes. S 558 u. 573 ff.; L u d e n , Handbuch S 316 A n m 4. — 2. Sie macht dem Täter das Verbrechen unmöglich, weil sie ein Stück des Tatbestandes aufhebt. A m weitesten geht hier T i t t m a n n I § 36, der als allgemeine Voraussetzung der Widerrechtlichkeit das invito laeso aufstellt; viel beschränkter H e p p , Ν Α X I 264 (prinzipiell nämlich unter Ausschluss der Verbrechen wider die Person: s. freilich S 276 und 281); M a r e z o l l § 24; W e s s e l y a. a. 0 . S 232; G e i b I I 213. 214. — 3. Sie giebt dem Täter kein Recht, bedeutet aber Rechtsverzicht seitens des Einwilligenden, ist deshalb seitens dieses jederzeit widerruflich, macht die Angriffshandlung rechtlich indifferent, hebt aber die Möglichkeit des Rechtsverbrechens auf: s. besonders S e e g e r , Abhandl. X X I I ; W ä c h t e r , GS 1868 S 2 ; d e r s . , Lehrbuch § 6 9 ; O r t -

730 § 150. III. Die N o t w e r 1 . Im Begriffe der Ordnung liegt das Moment der Ungestörtheit. Das Recht als bestimmungsgemässe Ordnung ist durchdrungen vom m a n n , GA X X V 108. 116 (S 109 das. w i r d aber doch wieder von einer Ermächtigung zur Tötung gesprochen). Hierher würde auch wohl K e s s l e r zu stellen sein (s. oben § 148 A n m 12). — Der Gedanke einer Dereliktion begegnet auch sonst öfter: so b e i H e f f t e r § 38, bei B e r n e r § 83 m i t der Wendung, dass die Zurückziehung des Willens das Objekt rechtlos macht, — 4. Sie wandelt die rechtliche Natur der Angriffshandlung gar nicht, hebt aber bei gewissen Verbrechen den rechtswidrigen W i l l e n auf. So J a r c k e I 109 (s. dagegen ganz gut H e p p , Ν Α X I 2-50 ff.) und neuerdings B ö h l a u , GA V 492 ff., dessen Ansicht um so auffallender ist, als er das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit nicht als Begriffsmerkmal des Vorsatzes betrachtet. Gegen B ö h l a u gut O r t m a n n , GA X X V 113 f. 36 [zu s 729] Daraus erklärt sich auch, dass bei allen denen, welche verdienstlicherweise die Frage nach der persönlichen Fähigkeit zu giltiger Einwilligung aufgeworfen haben — am eingehendsten behandelt sie W e s s e l y a. Ο . S 261 ff. —, die Antwort zu allgemein, d. h. zu einem T e i l ungenau, zu anderem Teile falsch lautet. Schon M a t h a e u s , Proleg. cap. I I I erklärt richtig die Einwilligung der furiosi und infantes zur injuria für wirkungslos. F e u e r b a c h § 35 (4. Aufl.) fordert aber ganz allgemein für jeden A k t der Einwilligung einen Menschen, der frei über sich und das Seine verfügen kann. Sehr vag H e n k e I 231. S t ü b e l , Ν Α I X 552 verlangt, die Einwilligung müsse m i t vollkommenem Bewusstsein und Freiheit des Willens geschehen. I m Sinne übereinstimmend H e f f t e r § 38; K ö s t l i n , Revision S 685; M a r e z o l l , Quatenus etc. S 5 ; W e s s e l y S 261; S c h ü t z e § 35; M e y e r § 46 S 289; während S c h a p e r bei H H I I 130 ausdrücklich Grossjährigkeit und ausschliessliche Verfügungsberechtigung fordert. W e s s e l y , dessen Untersuchung dem österreichischen Rechte g i l t , bemerkt S 262: „Es kann, wo es sich um die Rechtswirksamkeit der Einwilligung in strafrechtlicher Beziehung handelt, weder die civilrechtliche Minorennität — das noch nicht zurückgelegte 7. Jahr — noch die strafrechtliche — das noch nicht zurückgelegte 10. Jahr — als Richtschnur angenommen werden." Seine Untersuchungen leiden aber daran, dass er Ausschluss cler Rechtswidrigkeit und Ausschluss des dolus durch E i n w i l l i g u n g i n einander fliessen lässt. Daraus erklärt sich die civilistisch nichtige, kriminell giltige E i n w i l l i g u n g zu Eigentumsverletzungen S 263. K e s s l e r S 101 ff. verlangt Handlungsfähigkeit des Erklärenden. — Es ist aber im T e x t gezeigt worden, wie i n den verschiedenen Fällen an die Person des Einwilligenden verschiedene Forderungen zu stellen sind. 1

G B § 53. — H 2 1 8 9 - 1 9 4 . Β 8 5 - 8 7 . Sch 37. M 48. W V 6 4 - 6 6 a. L i 34. G 91. 92. L 4 5 - 4 9 . H 64—67. Κ 2 8 - 3 0 . S c h a p e r bei H H I I 137 bis 148. G e y e r bei H H I V 94. 95. — L u d e n , Abhandl. I I 475 — 499. — S a n d e r , A N F 1841 S 68 ff. — Z a c h a r i ä , A N F 1841 S 422 ff. Ders., Ueber die Strafbarkeit der Widersetzlichkeit gegen öffentliche Beamte: das. 184& S 344 ff. — Z o e p f l , das. 1842 S 118 ff. 311 ff., 1843 S 27 ff. (verfehlt). — B e r n e r , das. 1848 S 547 ff. — K r u g , GS 1856 I S 321 ff. — L e v i t a * , Recht der Notwer. Glessen 1856. — G e y e r , Lehre von der Notwer. Jena 1857. — D e r s . , H R L e x s. v. Notwer I I 903 ff — S e e g e r * , Abhandlungen aus dem Straf-

§ 150. III. Die Notwer.

731

Bewusstsein der Selbsterhaltungspflicht: es will, denn es muss bestehen trotz aller der Kräfte, die nicht von Rechtswegen in Wirksamkeit treten. Von diesen droht ihm Gefährdung oder Verletzung. Gegen die künftige Gefahr dienen Maassregeln, bestimmt sie abzuwenden; nach empfangener Verletzung bleibt nur der Zwang zur Heilung oder zur Genugtuung. Gegenüber der unmittelbar drohenden Gefahr aber steht es vor der Alternative entweder die eigene Kraft aufzubieten zur Zurückschlagung derselben oder sie tatlos — und soweit es hindern könnte, ruhmlos — umschlagen zu lassen in die Verletzung. Es giebt keine Rechtsordnung, welche die zwangsweise Verteidigung wider gegenwärtige Gefahr nicht prinzipiell anerkennte, keine, welche nicht neben dem Rechte der Verteidigung in gewissem Umfange die P f l i c h t zu solcher statuirte: denn ein unverteidigtes Recht ist nicht dauernde Ordnung, sondern dauernde Unordnung. Die Verteidigungshandlungen aber kommen strafrechtlich nur soweit in Betracht, als sie von dem Verteidigungsmerkmale abgesehen den Tatbestand strafbarer Handlungen darstellen würden, soweit also die Anwendung des Verteidigungszwangs nicht lediglich defensiv bleibt, sondern zugleich die Gestalt einer regelmässig verbotenen Verletzung oder Gefährdung von Rechtsgütern oder einer Polizeiübertretung annimmt. Insoweit sind drei Fragen vom Gesetzgeber zu beantworten: recht I. Tübingen 1858. S 1 7 3 - 4 7 0 . — G l a s e r , Kleine Schriften I 187 ff. — A b e g g , K r V I 1859 S 346 ff. — v. B u r i , Ueber I r r t u m in Hinsicht auf N o t w e r : A f. prakt. Rechtswiss. V I I I 1860 S 441 ff. — W e s s e l y , Die Befugnisse des Notstandes und der Notwer. Prag 1862. — G r e g o r y , Commentatio de inculpatae tutelae moderatione. Hagae 1864. — P e r n i c e , Labeo I I 21 ff. — v. B u r i , GS 1875 S 117 ff., 1878 S 434 ff. — B i n d i n g , Normen I I 201 ff. — J a n k a , Der strafrechtliche Notstand. Erlangen 1878. S 1—27. — W a h l b e r g , Gesammelte kleinere Schriften I I I 71 ff. — R o t e r i n g , Ueber die Verantwortlichkeit durch Aufstellung von Schutzmaassregeln: GA X X X 1882 S 415 ff. — S. auch B r u n n e n m e i s t e r , Die Quellen der Bambergensis. Leipzig 1879. S 177. — V o n diesen Werken ist das G e y e r s ein Versuch „auf die Notwer die Prinzipien einer philosophischen Schule anzuwenden, welche bisher ihre Tätigkeit auf dies Gebiet nicht speziell ausgebreitet hat" ; der historische T e i l w i l l zeigen, dass jene philosophische Anschauung dem i n der Geschichte sich offenbarenden Bewusstsein „nicht so fremd ist, als es auf den ersten Blick den Anschein haben mag" (das. S I V u. V). Das W e r k ist aber dem positiven Rechte so abgewendet, dass die Darstellung des letzteren m i t i h m kaum Fühlung finden kann. — E i n energischer Protest gegen die „Verkümmerung des Rechts der N o t w e r " durch Ausschluss der Ehren- und Eigentums-Notwer, die „zur Theorie der Feigheit" wurde, bei v. J h e r i n g , Kampf ums Recht 3. A u f l . S 116 ff.

732

§ 150. III. Die Notwer.

1. welche Gefahren dürfen zwangsweise abgewehrt werden? 2. welche Gewalt ist dazu zu verwenden: nur die des Staates, oder auch solche von Privaten und von welchen Privaten 2? 3. in welchem Umfange wird die Verteidigungshandlung als Mittel zur Erreichung des Verteidigungszweckes gerechtfertigt? Die Antworten auf diese Fragen sind bei verschiedenen Völkern und zu verschiedenen Zeiten durchaus nicht stets gleichmässig erteilt worden. Für ihren Ausfall gewinnt die Verschiedenheit der Gefahr, je nachdem diese in einem widerrechtlichen Angriff besteht, der abgewendet werden soll, oder anderweite Gestalt annimmt, durchschlagende Bedeutung. Wir betrachten zunächst die Verteidigung als sog. N o t w'er 3 . N o t w e r i s t die maassvolle A b w e h r eines denVerlus,t v o n R e c h t s g ü t e r n u n m i t t e l b a r d r o h e n d e n , vom Rechne n i c h t g e b i l l i g t e n A n g r i f f s 4 , oder um mit dem GB § 53 zu sprechen: „ d i e V e r t e i d i g u n g , die e r f o r d e r l i c h i s t , um einen g e g e n w ä r t i g e n r e c h t s w i d r i g e n A n g r i f f von sich oder einem andern a b z u w e n d e n " 5 . Die Notwer selbst ist nach GB § 53 nie geboten, sondern nur die durch die Notwer erforderte Handlung : das Gebotensein bezieht sich auf das Maass der Verteidigung, nicht auf diese selbst6. Das Gesetzbuch sagt von der Notwerhandlung nur negativ, sie sei keine „strafbare Handlung" ; es ergiebt sich aber aus einfacher Beachtung der Tatsache, dass die Rechtsordnung alle notwendigen 2 Schon hier sei bemerkt, dass die Notwer wie dieljNotstandsverletzung nicht w e s e n t l i c h Fälle strafloser E i g e n m a c h t sind. Die Organe des Staates sind von der Notwer und der Verteidigung) i m Notstande keineswegs ausgeschlossen. Die Notwer ist also nicht w e s e n t l i c h Eigenmacht und die Notwer als Eigenmacht und die als Staatsmacht stehen unter den gleichen Rechtsgrundsätzen. [Ganz dasselbe gilt vom N o t s j t a n d . Es ist schwer begreiflich, dass dies allgemein ignorirt wird. 3 Die Notwer als eine Species des Notstandes aufzufassen, wie dies vielfach geschieht (s. z. B. A b e g g , K r V I 362, Lehrbuch § 109; W e s s e l y S 1. 4), ist nur verwirrend. Dagegen M a r q u a r d s e n , A N F 1857 S 399. A u c h die Fassung des GB § 54 giebt dazu keinen Anlass. 4 Die Notwer ist „deshalb Durchsetzung des Rechts": J a n k a S 25. 5 GB § 53 ist einer der bestgelungenen Paragraphen des Gesetzbuchs. E r erfüllt durchaus, was L e v i t a S 160 von einem Strafgesetzbuch bez. der Notwer fordert: er ist frei von aller Begünstigung des widerrechtlichen Angreifers; man hat aber nicht versäumt sie hinein zu interpretiren. 6 S. bes. R u b o zu § 53 A n m 2 u. 3 ; B e r n e r § 85 S 147; O l s h a u s e n zu § 52 A n m 2. S. unten A n m 14 u. 61.

§ 150.

. Die Notwer.

Handlungen zu Erreichung ihr notwendiger Zwecke gestatten muss, dass diese Abwehr des Unrechts „erlaubt" ist. Es besteht ein N o t werrecht 7. Dasselbe ist zu betrachten I. nach seinem Subjekte ; H. nach dem Grunde seiner Entstehung und seines Untergangs; III. nach seinem Inhalte und Umfange. I. S u b j e k t des N o t w e r r e c h t s . Da die |Notwer |die Aufwendung von Intellekt und physischer Kraft erfordert, können nur Menschen sie ausüben: nichts aber steht im Wege auch Korporationen als Inhaber — wenn auch nicht als Ausüber — des Notwerrechts zu betrachten. Da die Notwer das Erhaltungsmittel des Rechts in der Gefahr gegenüber dem Unrecht sein soll, wäre es zweckwidrig das Notwerrecht nur dem Staat und seinen Organen einzuräumen. Denn die Gefahr ist allgegenwärtig, die Staatsorgane aber sind es nicht, und wo sie sind, wissen sie oft nicht, dass ein widerrechtlicher Angriff vorliegt oder wer ihn begonnen hat. Wie das Notwerrecht als ein allgemeines Recht aller bestanden hat vor dem Staate, wenn unsere Rechtsquellen davon auch nichts mehr zu berichten wissen, so ist mit dem Staate nur ein neues Subjekt dieses Rechtes erwachsen. Jedes Rechtssubjekt ist berufener Anwalt des Rechts im Augenblicke der Rechtsgefahr. Dieses der Grundgedanke für die Bestimmung der Inhaber des Notwerrechts, das keinem Rechtssubjekte versagt und keinem nur zu eigenen Gunsten verliehen ist. Es handelt sich nicht um Selbstverteidigung, sondern um Rechtsverteidigung 8, die sogar Staatsverteidigung sein kann 9 . Nur die ebenso neue als ungesunde Ansicht, dass jede Eigenmacht staats- und 7 Dieser Satz ist heutzutage so unbestritten und m. E. so selbstverständlich, dass er einer tiefergehenden Begründung nicht bedarf. N u r darauf sei hingewiesen, dass die CCC A r t . 138 ff. ein solches Notwerrecht ausdrücklich anerkennt und die neuere Gesetzgebung sich dieser Auffassung durchweg angeschlossen hat. Falsch ist die Auffassung F e u e r b a c h s § 36 und später L u d e n s , Abh. I I 475. 481. 496, der Angreifer mache sich durch seinen Angriff rechtlos (über ihre italienischen Vorgänger s. S e e g e r S 395 A n m 1). Ganz allein steht G e y e r , Notwer S 14, der jedes Recht der Selbsthilfe leugnet, da es nur ein Recht wäre Unrecht zu tun, der die Notwerverletzung aber als ein notwendiges Uebel dulden will. V o n einem Rechte der Notwer wisse das germanische Recht ebensowenig wie die CCC: S 89. 133. 8 M i t Recht weist G l a s e r , K l . Schriften I 191 auf die „ernsthafte Gefahr für Macht, Glanz und Gedeihen des Staates" hin, welche eine schwächliche Bevölkerung, gewohnt sich jeder U n b i l l zu fügen und überall Hilfe von oben zu erwarten, darstellen würde. 9 M e y e r § 48 S 299.

§ 150. III. Die Notwer.

rechtsfeindlich sei, während diese Macht Jahrhunderte lang den ganzen Rechtsschutz allein bewältigt hat und während auch im omnipotentesten Staate der Rechtsschutz der Eigenmacht notwendig in bestimmtem Maasse bedarf, führt zu der Folgerung, der Staat sei alleiniger Inhaber des Notwerrechtes und der Einzelne dürfe es nur kraft allgemeiner oder spezieller Delegation ausüben10. Dann und nur dann müsste der Angegriffene im Moment der Gefahr erst bemüht sein die Staatshilfe aufzubieten, ehe er den eigenen Arm zur Verteidigung heben dürfte; dann und nur dann müsste er auf alle Weise dem rechtswidrigen Angriff auszuweichen suchen, eventuell, wenn ihm dies misslänge, zur schimpflichen Flucht greifen 11 : dann nämlich ^äre eine Delegation des Notwerrechts an die staatsfeindliche Eigenmacht nur in den Fällen der absoluten Unentbehrlichkeit anzunehmen. Diese ebenso unhistorische wie unvernünftige Auffassung ist dem heutigen gemeinen Rechte gerade so fremd wie der Carolina und der ihr folgenden Zeit 1 2 . Das Notwerrecht ist wie alle Rechte zur Anwendung von Zwangsgewalt ein öffentliches Recht, aber ein solches, in dessen Besitz alle Rechtssubjekte gleichmässig konkurriren. Es giebt nur originäre, keine abgeleiteten Notwerrechte 13. Die Grenze aber für die Anwendbarkeit der Eigenmacht zur Notwer liegt klar zu Tage: soweit nicht die Gewalt des Staates und seiner Organe im Augenblicke des widerrechtlichen Angriffs aus freien Stücken zur Bekämpfung der Gefahr mit sicherer Aussicht auf Erfolg tätig wird, soweit ist die Eigenmacht zur Notwer berufen. Der angegriffene Einzelne braucht also 1. sich nicht erst nach Staatshilfe umzutun, wenn er angegriffen ist, ehe er zur Eigenmacht greift. Wird die Staatsgewalt nicht freiwillig sein Schild, so hat er sich selbst zu schützen14; ja wenn 10 Diese früher häufige Auffassung ist noch die K ö s t l i n s , Syst. I 75; J a n k a s S 24. 25; v. B u r i s , GS 1879 S 463. S. dagegen H ä l s c h n e r , Syst. I 252 ff.; D. StR I 474. S 477 sagt H ä l s c h n e r richtig: „Dürfte von angeborenen, von Urrechten des Menschen die Rede sein, so würde vor allem das Recht der Notwer als solches zu bezeichnen sein." 11 S. unten A n m 61. 12 Insbesondere weiss GB § 53 von diesen wesentlich durch die Doktrin erfundenen Beschränkungen des Notwerrechts nichts. Ueber das Schwanken der D o k t r i n treffend L e v i t a S 171. 13 Doch ist nicht unrichtig, was W a h l b e r g , Ges. Schriften I I I 83 sagt: die Hand, die zur Notwer greift, „ist für eine maasshaltende Verteidigung gleichsam m i t M i t t e l n der öffentlichen Gewalt ausgerüstet". 14 Ganz falsch und gegen das Gesetz wieder R ü d o r f f zu § 53 A n m 2 (s. auch

§ 150. III. Die Notwer.

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2. die Staatsorgane einschreiten, ihn aber ungenügend schützen oder zu schwach sind die Gefahr zu kehren, so bleibt sein Recht zur Eigenmacht auch dann intakt, wenn die Staatsorgane seine eigenmächtige Gegenwehr verbieten wollen. Denn es handelt sich nun nicht um Delegation, deren Umfang der Delegant jederzeit bestimmen kann, sondern um ein selbständiges Schutzrecht, dessen Umfang gesetzlich fixirt ist und das soweit besteht, als der Staat den Schutz nicht selbst leistet, nicht nur soweit, als dieser ihn nicht zu leisten glaubt oder ihn nicht leisten kann 15 . Gerade deshalb spricht GB § 53 von der „Verteidigung, welche erforderlich i s t , um den Angriff abzuwenden". II. Der r e c h t s w i d r i g e A n g r i f f als E n t s t e h u n g s g r u n d des N o t w e r r e c h t s . Die Gefahr, der die Notwer entgegentritt, scheidet sich von den durch Naturgewalt erzeugten Gefahren einerseits, von der Notstandsgefahr andererseits dadurch, dass sie 1. i n einem A n g r i f f e auf den z u r N o t w e r S c h r e i t e n den oder einen A n d e r n b e s t e h t 1 6 . Für die ganze Notwerlehre bildet die Wahrheit den Grund- und Eckstein, dass dieser Angriff lediglich als Entstehungsgrund des Notwerrechts f ü r den A n g e g r i f fenen in Betracht kommt: dass also nicht sowohl der Angriff, als das Zu-Unrecht-angegriffen-sein die Quelle des Notwerrechts bildet 17 . Somit steht zu vermuten, dass das Notwerrecht überall da durch den Angriff erzeugt wird, wo dessen Wirkung auf den Angegriffenen wesentlich die gleiche ist, mögen auch auf Seiten der Angreifer vielleicht Verschiedenheiten obwalten. Und diese Vermutung ist nur durch den Gegenbeweis zu entkräften, dass das positive Recht den Angegriffenen gegenüber gewissen Angriffen benachteiligt: ein Beweis, der — wie sich zeigen wird — vollständig misslingt. Der Angriff setzt a. den Angriffswillen als seine Quelle voraus. Der Angreifer ist ein Mensch oder etwa ein von Menschen gehetztes oder losgelassenes A n m 3): „Es entspricht dem Begriffe der Notwer, dass die Staatshilfe rechtzeitig nicht zu erreichen ist." Ebenso v. S c h w a r z e zu § 53 A n m 8; O p p e n h o f f zu § 53 A n m 2. S. des weiteren unten S 749. 15

Falsch F e u e r b a c h § 36. Notwer zu Gunsten Dritter leugnet L u d e n , Abh. I I 491. 492, Handbuch I 325 (doch sei diese Verteidigung wesentlich unter die Grundsätze der Notwer zu stellen). S. dagegen ganz richtig RG I I vom 10. A p r i l 1883 (E V m 210 ff.). 17 Die in der Notwerlehre noch bestehenden Unsicherheiten resultiren zum grossen Teile daraus, dass man ganz ungehörig den für die Notwer allein wichtigen Standpunkt des Angegriffenen zu Gunsten des Angreifers ignorirt. 16

§ 150.

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III. Die Notwer.

Tier oder aber ein Tier auf eigene Faust, während die unbeseelte Naturgewalt uns nie angreift 18 . Seltsamerweise wird vielfach der Tierangriff als zur Erzeugung des Notwerrechts untauglich betrachtet 19. Fällt aber ein fremder Hund, oder ein auf der Weide befindlicher fremder Stier, oder ein wütend gewordener Hirsch auf fremdem Jagdgrund den Vorübergehenden an, so darf dieser sich zweifellos durch Verletzung fremden Eigentums oder fremden Jagdrechtes verteidigen. Aber, sagt man, das ist nicht Notwer, sondern Notstand. Wäre letzteres wahr, so wären die unerträglichen Folgen, dass niemand dem Angefallenen zu Hilfe kommen dürfte, der nicht sein Angehöriger wäre, dass der Angegriffene flüchten müsste, wenn er dies irgend vermöchte, dass das Eigentum in solcher Lage vielleicht gar wehrunfähig wäre usw. Im positiven Rechte ist aber von einer so sinnlosen Beschränkung der Notwer gar keine Rede 20 . b. Der Angreiferwille ist Wille gerichtet auf eine Tätigkeit. Gegen echte Unterlassungsdelikte giebt's keine Notwer. c. Nicht erforderlich ist Vorsätzlichkeit des Angriffs. Die Gefahr ist ganz die gleiche, ob ein Reiter im Begriffe steht einen Menschen absichtlich oder aus Unachtsamkeit zu überreiten. d. Der Angriff muss. seine Spitze nicht notwendig gegen einen bestimmten Menschen, wohl aber gegen ein Rechtssubjekt kehren: sei's um dessen Rechtsgüter zu verletzen oder verbotener Weise zu gefährden 21. Die Notwer dient nicht lediglich zum Schutze der physischen Person oder des Vermögens, sondern zum Schutze aller Rechtssubjekte und Rechtsgüter. Ist der Angriff verbrecherisch, so ist das Recht der Notwer zu18

Z u eng nach beiden Seiten fasst G l a s e r , K l . Schriften I 193 A n m 2 die Notwer, wenn er stets ein Gegenüberstehen von Person zu Person fordert. Das Drama kann ein Doggenkampf sein! 19 Sehr gewunden L e v i t a S 186 Anm 2 2 ; falsch B e r n e r , A N F 1848 S 554; W e s s e l y S 4 6 ; ν. B u r i , GS 1879 S 471. 472. Prinzipiell richtig H e f f t e r § 41 A n m 2 ; v. L i s z t § 34 S 128. — R i c h t i g , aber inkonsequent, R u b o zu § 53 A n m 7. — Die Möglichkeit einer Notwer gegen Tiere leugnet Berl. OTr vom 6. A p r i l 1876 (Ο X V I I 260 ff.) und vom 19. Dez. 1877 (Ο X V I I I 803 ff.), letzteres nur, sofern sie von Menschen nicht gehetzt sind: einen Notstand nimmt das 1., die Möglichkeit einer erlaubten Selbsthilfe das 2. Erkenntniss an. 20 Die Abwehr wider Wahnsinnige lasse ich hier noch bei Seite. W e n n ich weiterhin stets einen Menschen als Angreifer nenne, so geschieht dies nur i m Interesse der Kürze. 21 Falsch wäre, daraus die Unmöglichkeit der Notwer gegen echte Polizeidelikte folgern zu wollen. Diesen ist das Moment der Gefährdung unwesentlich, allein sie können sehr wohl gefährlich werden.

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§ 150. III. Die Notwer.

gleich Recht der Verbrechenshinderung. Da nun jede widerrechtliche Handlung Auflehnung wider das Gesetz, also Angriff wider den Staatswillen ist, liegt die Gefahr nicht ferne aus dem Notwerrecht ein allgemeines Recht der Verbrechenshinderung abzuleiten. Allein diese Aufgabe als solche muss der Staat sich selbst vorbehalten, und nur da, wo im Falle des gelungenen Angriffs ein „Verletzter" da wäre, cler nicht mit dem Staate als Träger des Gesetzgeberwillens zusammenfällt, kann das Notwerrecht begründet sein 22 . e. Willigt der Angegriffene in die Verletzung (s. oben § 148.149), so entsteht ein Notwerrecht Dritter dann nicht, wenn diese Einwilligung dem Angriffe die Rechtswidrigkeit nimmt : im übrigen tritt ein solches Recht trotz der Einwilligung ins Leben 23 . 2. Dieser A n g r i f f muss r e c h t s w i d r i g s e i n 2 4 . Ungenaues Sprechen und Denken haben hier einen sehr bedenklichen Irrtum befördert. Die Berechtigung zur Eigenmachtsnotwer wird neuerdings vielfach gestützt auf den eigentümlichen Konflikt zwischen Recht und Unrecht, von denen jenes das absolut Giltige, dieses das absolut Nichtige darstelle 25. Diese ganz verworren gedachte „Nichtigkeit" eignet aber angeblich nur dem Unrechte als schuldhaft widerrechtlicher Handlung, und so wird — wieder in völliger Verkehrung des richtigen Standpunktes — das Delikt des Angreifers, nicht aber das 22

Die D o k t r i n hat bisher nach dieser Seite h i n keine Schwierigkeiten gefunden. Und doch sind hier die Grenzen des Notwerrechts nichts weniger als zweifellos. Giebt es z. B. eine Notwer Privater gegen feindliche Spione (GB § 90 N r 5)? gegen den Verräter von Staatsgeheimnissen (GB § 92 N r 1)? I c h möchte die Fragen bejahen, während eine Notwer gegen die Aufforderung zum Hochverrate (GB § 85) m. E . undenkbar ist. Dagegen ist wieder Notwer möglich gegen die Frau, die ihre eigene Frucht abtreiben w i l l (GB § 218). 23

So würde derjenige, der die Verstümmelung des Einwilligenden behufs U n tauglichmachung zur Wehrpflicht (GB § 142) gewaltsam h i n d e r t , allerdings Notwer üben. 24 Diese Thatsache des Rechtswidrig-angegriffen-sein s schliesst aber clie Verurteilung des Angegriffenen wegen Teilnahme am Raufhandel nicht notwendig aus. RG I I I vom 28. Nov. 1880 (E I I I 236 ff.). 25 So nach H e g e l R i c h t e r und M i c h e l e t , denen die Nichtigkeit des Unrechts zur Quelle der Notwer-Pflicht w i r d ; ferner B e r n e r , A N F 1848 S 5 5 7 ; H e f f t e r , Lehrb. § 41 A n m 1 ; K ö s t l i n I 75; L e v i t a , Notwer S 17. 18 (Strafrecht und Notwerrecht haben danach dieselbe Quelle); ebenso W e s s e l y S 46 u. A . Dagegen energisch J a n k a , Notstand S 14 ff., der aber der Schuld des Angreifers zur E r k l ä r u n g der Ausdehnung des Notwerrechts bedarf (S 38). Dagegen bes. L e v i t a S 172. Binding, Handbuch.

V I I . 1. I :

B i n d i n g , Strafrecht.

I.

47

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§ 150.

III. Die Notwer.

Zu-Unrecht-angegriffen-sein des zur Eigenmacht Schreitenden zur Quelle des Notwerrechtes. Schiebt man diese Vorstellungen bei Seite, so erkennt man alsbald, dass die Rechtsordnung sich muss erhalten wollen gegen alle Angriffe, die nicht kraft Rechtswillens wider sie gemacht werden, dass ihr Verteidigungsbedürfniss genau das gleiche ist gegenüber allen Angriffen, die sie sich nicht von Rechtswegen gefallen zu lassen braucht, dass demgemäss auch die Bemessung der Verteidigungsmittel in allen diesen Fällen genau die gleiche sein muss26. „Rechtswidrig" ist der Angriff insofern, als sein Ziel die rechtlich geschützte Existenz ist, und gerade deshalb erscheint diese Bezeichnung vom Standpunkte der Notwerlehre als korrekt; die Angriffshandlung aber als solche betrachtet kann zwar auch wider die Norm laufen, allein sie braucht es nicht, sofern sie nur ohne das Recht sich vollzieht. „Rechtswidrig" bezeichnet die R i c h t u n g , nicht aber die D e l i k t s q u a l i t ä t des A n g r i f f s : sobald man der ersten Bedeutung die andere unterschiebt, verrückt man die ganze Grundlage des Notwerrechtes. Der Angriff braucht also nicht zu sein a. v e r b r e c h e r i s c h . Alle mit Strafe verschonten Delikte, sofern sie nur Angriffe wider Rechtssubjekte darstellen, erzeugen gleichermaassen das Notwerrecht. Alle Exemtionen von den Strafgesetzen und Strafprozessgesetzen sind ihm gegenüber unwirksam. Gegen die Delikte ausländischer Fürsten und Gesandten ist Notwer ebenso zulässig wie gegen die Wortdelikte der Abgeordneten. Nur die deutschen Fürsten sind in ihrer Person schlechthin unverletzlich 27. Gegen Angriffe von dieser Seite ist die statthafte Abwehr nur in Gestalt der reinen Defensive oder der Notwer, die nicht die Person des Fürsten, sondern sein Jagdrecht, sein Eigentum verletzt, denkbar. — Der Angriff braucht ferner nicht zu sein b. d e l i k t i s c h . Die gegenteilige Ansicht ist weit verbreitet. Sie führt zum Ausschluss der Notwer wider alle deliktsunfähigen Wesen, Wahnsinnige, Kinder, im unüberwindlichen Irrtum Angreifende, Betrunkene, von Krämpfen Befallene, Tiere. Besonders energisch wird ihre Unzulässigkeit gegen den Wahnsinnigen behauptet. Sein 26 Ganz vortrefflich sagt B ö h m e r , Obs. 2 ad Carpzov. quaest. 28 N r 26: es sei ungenau eine offensio injusta zu verlangen; planius dixeris: offensionem hoc loco dici, ad quam inferendam offendenti nullum jus est, ad patiendum offenso nulla obligatio incumbit. Vgl. auch W a h l b e r g , Ges. Sehr. I I I 77. 27 S. oben § 140.

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§ 150. III. Die Notwer.

Angriff begründe nicht Notwer, sondern entweder die Befugnisse des Notstandes oder aber ein Selbsthilferecht, das weder ein Recht der Notwer noch des Notstandes darstelle 28. Allein die Notwer ist gar nicht bestimmungsgemäss Hinderung von Delikten und die Notwerverletzungen bedeuten keine Nachteile, die den Delinquenten als solchen treffen sollen — sie haben gar nichts strafartiges an sich —, sondern sie stellen den Preis dar, den die Rechtsordnung notgedrungen für ihre Erhaltung zu zahlen hat. Behauptet man nun, die rechtswidrigen Angriffe deliktsunfähiger Wesen begründeten nur Notstand, so kommt man wieder zu den schlimmsten Folgerungen. Wenn der Tobsüchtige seinen Arzt oder Wärter anfällt, darf dem Gefährdeten kein Fremder beispringen; wenn ein Kind ein Haus anzündet, aber ohne Gefahr für irgend jemandes Leib oder Leben, hätte der Eigentümer nach dieser Auffassung gar kein Verteidigungsrecht. Und wenn der Angegriffene nicht weiss, ob der Angreifer gesund oder verrückt ist, soll er dann vielleicht erst eine causae cognitio vornehmen, bevor er sich entscheidet, ob er steht oder flieht? Das sind Ungereimtheiten, zu deren Annahme weder im früheren noch im heutigen gemeinen Rechte der kleinste zwingende Grund vorliegt. Von einer Selbsthilfe gegen drohende Rechtsverletzung, die weder Notwer noch Notstandsverletzung wäre, wissen die Quellen ebensowenig. Die Aufstellung einer solchen hätte auch nur dann Anspruch auf Beachtung, wenn für sie besondere Rechtsregeln zu 28

Ueber die Kontroverse vgl. einerseits ( f ü r N o t w e r ) : L u d e n , Handbuch S 301; M a r e z o l l S 87 A n m ; K ö s t l i n , System I 85; L e v i t a , Notwer S 185. 186; M a r q u a r d s e n , A N F 1857 S 399. 400; S e e g e r , Abhandl. I 401; W e s s e l y S 55 (von seinem Standpunkt höchst inkonsequent); R u b o , Kommentar S 480; W a h l b e r g a. O. I I I 77; v. B u r i , GS 1879 S 471; G o e b , G A X X V I H 184; v. L i s z t § 34 S 128; andrerseits ( f ü r N o t s t a n d ) : M a r t i n , Lehrb. § 4 5 ; B e r n e r , A N F 1848 S 552 if.; H ä l s c h n e r , System I 263 if.; d e r s . , D . StR I 479. 480; G e y e r i n H R L e x I I 904; S c h ü t z e S 113; M e y e r S 299. 300; O p p e n h o f f zu § 53 A n m 6 ; S c h w a r z e , Kommentar S 228; O l s h a u s e n zu § 53 A n m 6 (vgl. zu § 54 A n m 4); S t a m m l e r , Darstellung . . . des Notstandes. Erlangen 1878. S 2 ff.; J a n k a , Der strafrechtliche Notstand. Erlangen 1878. S 33 ff.; endlich ( f ü r e r l a u b t e S e l b s t h i l f e , die weder Notwer noch Notstand ist) W ä c h t e r , Handb. des sächs. StR S 314 A n m 3. — A m seltsamsten sind die Auffassungen, die den Angriff eines Zurechnungsfähigen, aber auf seiner Seite keine Schuld fordern (so verstehe ich O l s h a u s e n zu § 52 A n m 7) und die den Angriff eines Wahnsinnigen, der das Werkzeug eines Geistesgesunden ist, die Notwer begründen lassen (so O l s h a u s e n zu § 53 A n m 6. 12b). D a r i n liegt j a die grösste U n b i l l gegen den Wahnsinnigen!

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III. Die Notwer.

gelten hätten. Das aber ist nicht der Fall: denn es haben hier durchweg die Notwerregeln Platz zu greifen. — Der Angriff muss vielmehr 3. n u r ein solcher sein, den der A n g e g r i f f e n e n i c h t von R e c h t s w e g e n über sich ergehen lassen muss 2 9 . Daraus erklärt sich die volle Möglichkeit einer bisher ungenügend gewürdigten, vielfach sogar geleugneten Tatsache: die echte N o t wer gegen r e c h t m ä s s i g e H a n d l u n g e n 3 0 . Sie setzt voraus, dass zwei Rechte einander widerstreiten. Dies ist aber nicht nur möglich beim Zusammenstoss verschiedener Rechtsordnungen, sondern denkbar auch bei der Rechtskollision innerhalb desselben Gemeinwesens. Der feindliche Soldat handelt nicht widerrechtlich, wenn er den unseren angreift, und doch besitzt dieser gegen ihn das Notwerrecht 31, denn unser Recht verpflichtet ihn nicht diesen Angriff zu ertragen 32. Von diesen seltenen Fällen abgesehen erzeugt der Angriff das Notwerrecht nie, wenn er Rechtsausübung ist. Daraus ergiebt sich a. die U n z u l ä s s i g k e i t der N o t w e r w i d e r die Organe des Staates i n r e c h t m ä s s i g e r A u s ü b u n g ihres Amtes, i h r e Z u l ä s s i g k e i t aber gegen w i d e r r e c h t l i c h e Amtsh a n d l u n g e n 8 3 . DenSatz, es müssten die Bürger alle Angriffe eines Beamten über sich ergehen lassen, hat angesichts der grossen Reihe schwerer Amtsverbrechen und Amtsmissbräuche kein Rechtssystem aufzustellen gewagt34. Keinem aber ist es gelungen und kann es ge29

Gerade umgekehrt R u b o zu § 53 A n m 5. Deshalb ist es nicht ganz korrekt m i t L e v i t a S 184. 185 den Angriff als einen rechtswidrigen zu bezeichnen, zu dem der Angreifer kein Recht hat, oder m i t R u b o zu § 53 A n m 5 als denjenigen, durch den der Angreifer seinen Befugnissen entgegenhandelt. 80

81 M a n denke auch an die Verteidigung eines deutschen Schiffes gegen einen fremden Kaper, an die gewaltsame Selbstbefreiung eines Deutschen, der i n einem Sklavenstaate als Sklave gehalten w i r d u. s. w. 82 Ueber die oft so ganz verkehrt beurteilten Notstandsfälle, i n welchen A n griffe übers Kreuz nicht untersagt sind, s. unten. 88 Die Lehre von der Rechtmässigkeit der Amtsausübung ist bei der Darstellung des Verbrechens der Widersetzung zu geben, dessen Literatur hier vorausgesetzt werden muss. Hier interessirt nur die Kehrseite: die Unrechtmässigkeit. S. H i 11 e r , Die Rechtmässigkeit der Amtsausübung im Begriffe des Vergehens der Widersetzlichkeit. W ü r z b u r g 1873, bes. S 63 ff. — Kurz und gut bes. v. W ä c h t e r , Vöries. S 176. I c h gebe hier absichtlich i m wesentlichen ohne Polemik nur meine eigene Ansicht. 84

S. aber v. J a g e m a n n , A N F 1842 S 599: „ E s giebt einem Vollziehungsbeamten gegenüber gar keine Notwer", selbst gegen rohe Körperverletzung der-

§ 150. III. Die Notwer.

lingen eine volle Ausgleichung zwischen den Interessen der öffentlichen Gewalt und denen der durch sie betroffenen Privaten zu bewirken, denn solche Ausgleichung setzte vollkommene, insbesondere irrtumsfreie Beamte wie Private voraus. So hat der Gesetzgeber die Aufgabe die Grenzen möglichst klar zu legen, innerhalb deren die Amtsgewalt und der Widerstand gegen sie sich ungehindert sollen bewegen können, und sie so zu richten, dass Beamte wrie Private i n g r ö s s t m ö g l i c h e m Umfange den nötigen Schutz finden 35. Diese Satzungen aber werden — und diesem Schicksale ist auch das Reichsrecht nicht entgangen — besonders in der Praxis mehr als andere der Gefahr einseitiger Auslegung, bald in absolutistischer, bald in umgekehrter Richtung ausgesetzt sein. Das geltende Recht giebt im GB § 53 die Notwer frei wider alle rechtswidrigen Angriffe, also auch wider die angreifenden Organe des Staates, sofern der Angegriffene ihren Angriff nicht von Rechtswegen über sich ergehen lassen muss. Dem entsprechend bestrafen die §§ 113 ff. nur den Widerstand gegen die Amtsgewalt „ i n der r e c h t m ä s s i g e n A u s ü b u n g i h r e s A m t e s " . Die Staatsgewalt hält es ihrer allein würdig Rechtsgewalt zu sein und fordert Unterwerfung nur soweit sie solche ist. Welche Amtshandlungen nun dem Beamten anbefohlen sind und unter welchen Voraussetzungen und in welchen Formen er sie vorzunehmen hat, dies bestimmt für Reichsbeamte das Reichs-, für Landesbeamte das Landesstaatsrecht. Die Frage der Zulässigkeit der Notwer wider die Organe der Staatsgewalt ist also nicht für das ganze Reich einheitlich zu beantworten : nur daran kann Landesrecht nichts ändern, dass gegen Widerrechtlichkeiten von Beamten Notwer zulässig ist. Sie ist insbesondere durchweg statthaft gegen vorsätzliche wie fahrlässige Delikte der Beamten, gegen Handlungen des sachlich oder örtlich unzuständigen Beamten36 3 7 , gegen rechtlich mangelhafte selben nicht: S 601. 602. N i c h t so krass, laber i m Sinne k übereinstimmend A n merkungen zum StGB f. d. Kgr. Bayern zu A r t . 815 ( I I I 52. 53). S. auch die weitgehende Bemerkung L u d e n s , Abh. I I 494 und Handbuch I 301. 35 Das Reichsrecht hat diese ;Aufgabe i m GB § 53 und § 113—119 gut gelöst. 36 Dieser Satz darf aber nicht umgedreht werden. Es ist ein grober Fehler zu sagen, gegen einen Beamten, der zu einer bestimmten A r t von Amtshandlungen sachlich und örtlich berufen ist, dürfe nie Notwer geübt werden, wenn die vorgenommene Handlung zu seinem Amtskreis gehörte. Die Berechtigung zur Handlung hängt immer noch davon ab, ob die materiellen Voraussetzungen der Maassregel vorliegen und ob die Formen gewahrt sind. 37 Ist ein Beamter nur ausnahmsweise befugt i n fremdem Amts-Sprengel zu

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Handlungen des zuständigen Beamten, für deren Rechtmässigkeit die Wahrung bestimmter Formen oder Zeiten conditio sine qua non ist 8 8 , während die Verletzung der reglementmässigen Fonn, welche die Rechtsgiltigkeit des Aktes nicht beeinträchtigt, den Beamten nur der Disziplinargewalt seines Vorgesetzten, nicht aber dem Notwerrecht des durch die Maassregel Betroffenen unterwirft. Zwei Gruppen von Amtshandlungen erzeugen aber Schwierigkeiten: a. D i e H a n d l u n g w i r d vom z u s t ä n d i g e n B e a m t e n f o r m e l l r i c h t i g vorgenommen, es f e h l e n aber die sachl i c h e n V o r a u s s e t z u n g e n , welche die Maassregel in den Augen des Gesetzgebers r e c h t f e r t i g e n 3 9 . Kennt der Beamte diesen Mangel, er verhaftet z. B. wissentlich einen Unschuldigen als verbrechensverdächtig, so ist das zweifellos eine zur Notwer befähigende Widerrechtlichkeit. Wie aber, wenn er im Irrtume jene Voraussetzungen als vorhanden annimmt, während sie es nicht sind? Hier ist genau zu scheiden. Entweder aa. ist das Recht oder die Pflicht zur Vornahme der Amtshandlung gesetzlich abhängig gemacht nicht sowohl von der Existenz jener Voraussetzungen, als von ihrer Annahme seitens des Beamten auf Grund pflichtmässiger Prüfung 40 . Solche Beamtenrechte werden da Platz greifen müssen, wo es sich um Sicherungsmaassregeln gegen wahrscheinliche Gefahren handelt, besonders wenn die Gefahr im Verzuge eine sorgfältige causae cognitio hindert oder erschwert. Die Polizei ist verpflichtet denjenigen vorläufig zu verhaften, den sie auf frischer Tat betroffen zu haben glaubt, „wenn er der Flucht verdächtig ist" (StPO § 127). Sollte ihr Verdacht ein ungegründeter sein und der anscheinende Mörder in Notwer getötet haben, so besteht ihre Verpflichtung dennoch und der zu Verhaftende ist ihr verfangen, also zur Abwehr des Angriffs nicht berechtigt 41 ; handeln, so mangelt es i h m natürlich daselbst nicht an der nötigen örtlichen Zuständigkeit. 38 Richtig Z a c h a r i ä , A N F 1843 S 370. 39 H i e r stellt m. E . Z a c h a r i ä a. a. 0 . S 374 fälschlich auf Ersetzlichkeit oder Unersetzlichkeit des unmittelbar bedrohten Gutes ob. Z u weit geht hier L e v i t a S 192 ff., der gegen jede materiell gesetzwidrige Handlung der Obrigkeit Notwer gestattet. Gute Beispiele bei O l s h a u s e n zu § 113 A n m 14 al. 8. 40 S e e g e r S 314 spricht hier von Handlungen, die ins freie Ermessen des Beamten gestellt sind, und schliesst — die sonstigen Erfordernisse ihrer Zulässigkeit vorausgesetzt — dagegen die Notwer richtig aus, auch wenn sie materiell ungerecht sind. Vgl. S 467. — N i c h t genau S t e n g l e i n , Ζ f. S t R W I V 489 A n m 2. 41 M a n vgl ζ. B. auch StPO § 102. 103, 1. 104.

§ 150. III. Die Notwer.

bb. die Maassregel ist gesetzlich durch bestimmte Tatsachen, nicht schon durch deren Annahme bedingt. So die Bringung zur Untersuchungshaft durch richterlichen Haftbefehl wider eine bestimmte Person, die Strafvollstreckung durch rechtskräftige Verurteilung einer solchen, die Zwangsvollstreckung seitens des Gerichtsvollziehers durch Besitz der vollstreckbaren Urteilsausfertigung. In allen diesen Fällen ist beim Fehlen jener Tatsachen die Maassregel eine widerrechtliche, die sich der Betroffene nicht gefallen zu lassen braucht, mag auch der Beamte bona fide, ja vielleicht in durchaus entschuldbarem Irrtume handeln. Richtet sich also Haft- oder Straf- oder Zwangsvollstreckung wider die falschen Personen, oder will der Gerichtsvollzieher der Pfändung entzogene Gegenstände pfänden (CPO § 715), so ist Notwer allerdings statthaft. Damit ist ß. die richtige Beurteilung der Fälle angebahnt, w o r i n der A m t s u n t e r g e b e n e einen b i n d e n d e n B e f e h l r e c h t s w i d r i g e n I n h a l t e s a u s f ü h r t . In dem Haftbefehl wird der Name des zu Verhaftenden absichtlich falsch geschrieben, damit sein Bruder zur Haft gebracht werde, und diesen Haftbefehl erhält dann die Polizei zur Vollstreckung. In diesem Falle entsteht ein seltsamer Widerspruch. Der Beauftragte ist an den Auftrag gebunden; er ist also bei der Verhaftung in der rechtmässigen Ausübung seines Amtes begriffen. Man sollte also glauben, dass GB § 113 jeden Widerstand gegen ihn ausschliesst. Nichtsdestoweniger ist unleugbar, dass die Maassregel des höheren Organs der Amtsgewalt ihre Widerrechtlichkeit durch die Dienstpragmatik für den dadurch Betroffenen nicht verlieren kann : der Angriff auf seine Freiheit ergeht nicht von Rechtswegen und § 53 giebt ihm also das Notwerrecht. Da nun die Absicht des § 113 wahrlich nicht dahin geht das Notwerrecht gegen Beamte zu beschränken, so ist nicht § 53 durch § 113, sondern umgekehrt dieser durch jenen einengend auszulegen. b. Notwer ist ferner unzulässig gegen jede weitere Ausübung von Zwangsrechten, wie rechtmässige Privatpfändung, Ausübung erlaubter Züchtigung, Festnahme des Verbrechers auf der Tat durch Privatpersonen u. s. w. Nur eine vereinzelte Anwendung des Prinzips enthält der Satz: gegen N o t w e r g i e b t ' s k e i n e N o t w e r . Mit der Ueberschreitung der Grenzen cler Zwangsrechte entsteht aber sofort auf der Gegenseite auch das Notwerrecht wieder. 4. Der Angriff ist aber nur dann mit Fug zurückzuweisen, wenn er sich gegen e i n sogenanntes w e h r h a f t e s Gut r i c h t e t , d. h. gegen ein solches, zu dessen Verteidigung Notwer freigegeben

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wird 4 2 . Aus dem Grundgedanken der Notwer aber folgt — was auch das frühere wie das heutige gemeine Recht gleichmässig anerkennen —, dass keinem Rechtsgut die Wehrhaftigkeit mangelt. Hat sich die Notwer historisch allerdings zweifellos zuerst zum Schutze von Leben und Leib ausgebildet, so giebt es kaum ein anderes Rechtsinstitut, was solch unaufhaltsamen Trieb nach Ausdehnung auf alle Rechtsgüter in sich trug. Ob die Güter ersetzbar sind oder nicht, ob ideale wie die Ehre oder reale wie das Eigentum, — alle sind sie durchdrungen von dem Prinzipe der Selbsterhaltung gegenüber dem widerrechtlichen Angriffe. Indem es Rechtsgüter für wehrlos erklärt, erniedrigt sich das Recht selbst vor den ihm fremden Mächten43. Es ist nach den heutigen Quellen über die Wehrhaftigkeit des beweglichen und unbeweglichen Eigentums kein Wort zu verlieren 44 . Die behauptete Unmöglichkeit oder Notwer gegen gewisse Arten der Ehrverletzung widerlegt sich bei näherem Zusehen von selbst. Der Injuriant kann allerdings an Vollendung seiner Schandgeschichte, ja selbst am Aussprechen des Schmähwortes gehindert werden; und will er ein Pasquill in tausenden von Exemplaren in die Volksmenge werfen, so kann sich jeder, dem es gilt, durch Vernichtung des Machwerks oder durch Zwang zur Unterlassung in seiner Ehre verteidigen. Weit interessanter ist die Frage nach der Wehrhaftigkeit des B e s i t z e s als solchen, die sich nach neuerem Rechte —von einem einzigen Punkte abgesehen — aber doch relativ einfach beantwortet 45 : a. Juristischer Besitzer und Detentor von Immobilien und Mobilien dürfen sich gleichmässig verteidigen gegen alle diejenigen, die ihren Besitz ohne Rechtsgrund an sich zu ziehen versuchen, sofern die Angreifer nicht die Eigentümer bez. juristische Besitzer der besessenen oder detinirten Gegenstände oder deren Vertreter sind. Mag 42 Dies Merkmal ist kein neues, sondern es^ w i r d nur ein Merkmal der W i derrechtlichkeit ausdrücklich hervorgehoben. 43 Selbst ein Mann von solchem Scharfsinn wie L u d e n schliesst (Abh. I I 481. 483) Eigentums- und Ehren-Notwer noch aus. S. d e n s . Handbuch I 296 ff. 44 Es bedarf zur Rechtfertigung auch wahrlich nicht des Nachweises, der A n g r i f f gegen das Eigentum sei stets ein solcher gegen den Eigentümer, wie ihn S a n d e r , A N F 1841 S 78 ff. zu führen versucht. — Ganz w i l l k ü r l i c h sind die Beschränkungen, welche v. S c h w a r z e zu § 53 A n m 230 der Notwer wider den Hausfriedensbruch auflegen will. 45 Es ist ein Verdienst von W e j n d t , Das Faustrecht, Jena 1883, dieser Frage überhaupt näher getreten zu sein (s. bes. S 47 ff.); allein die hier tief eingreifenden Grundsätze über den Hausfrieden hat W e n d t dabei nicht berücksichtigt.

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der Detentor auch des civilistischen Besitzschutzes entbehren, darüber ist kein Zweifel, dass er den Dieb gewaltsam hindern darf ihm die detinirte Sache zu stehlen. b. Das Verhältniss des Besitzers zum Eigentümer gestaltet sich folgendermaassen : a. bei Grundstücken ist der juristische Besitz gegenüber dem Eigentümer nicht wehrhaft, sofern sie sich als Wohnräume oder befriedete Besitztümer darstellen. Es greifen hier nämlich die Grundsätze über den Hausfrieden und seinen Bruch ein. Der widerrechtliche Eindringling und derjenige, der in meinem Grundstücke „ohne Befngniss verweilt", verletzen meinen Hausfrieden gleichmässig, mögen sie auch vielleicht wie der bonae fidei possessor des dolus ermangeln und deshalb der Strafe des Hausfriedensbruches entgehen. Der Eigentümer kann verlangen, dass sie sein Haus und sein Grundstück räumen und darf den Widerstand eventuell mittels Notwer beseitigen. Diejenigen aber, welche ein Recht haben, auf dem betr. Grundstück zu verweilen — die Niessbraucher, Pächter, Mieter —, können für die Dauer dieses Rechtes ihre Innehabung auch wider den Eigentümer verteidigen. ß. Im übrigen ist der juristische Besitz von Grundstücken und von beweglichen Sachen allerdings auch dem Eigentümer gegenüber wehrhaft 46. Selbst der Dieb, sofern er den Besitz definitiv erlangt hat, ist vor der Eigenmacht des Eigentümers gesichert 47. y. Die gleiche Wehrhaftigkeit kommt bezüglich beweglicher Sachen dem Besitze des Nutzniessers, Pfandgläubigers, Gebrauchs- oder Retentionsberechtigten zu 4 8 . Allein schwierig ist das Verhältniss des Detentors zum juristischen Besitzer, soweit es nicht zu y besprochen ist. a. Ruht die Innehabung des Detentors auf einem ihm eingeräumten Rechte, wie ζ. B. beim Mieter und Nutzniesser eines Grundstückes, so ist der Versuch] des Besitzers den Detentor w ä h r e n d der Dauer dieses Rechte|s aus der Innehabung zu verdrängen 46

Die Satzung der 1 1 C unde v i 8, 4 : recte possidenti ad defendendam possessionem, quam sine vitio tenebat, inculpatae tutelae moderatione illatam vim propulsare licet, hat sich auch auf den Besitz von Mobilien und auf den vitiösen Besitz erweitert. 47 48

Eine wichtige Ausnahme s. i n § 153. Dies beweist GB § 289.

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zweifellos „widerrechtlicher Angriff" und mittels Notwer zurückzuschlagen49. ß. In allen übrigen Fällen der Detention aber, besonders beim Depositum, bei der Leihe nach Ablauf der Leihzeit, besteht m. E. das Recht des juristischen Besitzers darin jeden Augenblick auf die Sache die Hand zu legen — denn seiner Gewalt ist ja die Sache unterworfen — ; setzt der Detentor dem Widerstand entgegen, so ist er nun widerrechtlicher Angreifer und gegen ihn Notwer statthaft. 5. N u r der g e g e n w ä r t i g e A n g r i f f e r z e u g t das N o t w e r r e c h t , d. h. d e r j e n i g e cler begonnen und noch n i c h t geendet hat. Grade diesem Erforderniss droht die Gefahr der Fälschung, wenn man den widerrechtlichen Angriff als einen verbrecherischen fasst. Dann liegt die Consequenz wenigstens nahe das begonnene Verbrechen, also den Versuch, mit dem begonnenen Angriffe, das vollendete Verbrechen aber mit dem vollendeten Angriffe zu identifiziren 50, Notwer also auszuschliessen, so lange das Angriffsverbrechen noch nicht zum Versuche und sobald es schon zur Vollendung gekommen ist. Indessen soll durch die Notwer nicht ein bestimmtes Verbrechen abgewandt werden, nicht einmal eine bestimmte Handlung, sondern eine bestimmte Gefahr 51 , die allerdings meist in einer Handlung ihren Höhepunkt erreicht. Das Notwerrecht entsteht mit dieser Gefahr und endet mit ihrem Wegfall, sei's dass sie geschwunden oder in die Verletzung definitiv umgeschlagen ist; es entsteht genauer gesprochen mit der den Angriffswillen deutlich kuncl gebenden Vorbereitungshandlung, die in die Ausführungshandlung 'sich unmittelbar fortzusetzen gewillt scheint, nicht aber schon mit der wörtlichen Drohung, der die sofortige Verwirklichung folgen soll 52 , und endet mit dem Abbruch des Angriffs oder aber mit dem in continenti unabwendbar gewordenen Verlust oder Schaden der Güter. — Daraus ergiebt sich: 49 Steht dies Recht nach GB § 289 dem Gebrauchsberechtigten an Mobilien zu, so kann es dem Grund stückspächter um so weniger vorenthalten werden. 50 Dagegen treffend schon S a n d e r , A N F 1841 S 97; H e f f t e r § 44 A n m 3 ; K ö s t l i n I 8 5 ; H ä l s c h n e r , Syst. I 261; d e r s . , D. StR I 479. S. auch S c h ü t z e S 110 unci neuerdings O L G München vom 23. M a i 1882 (E des O L G München I I 91 ff.). 51 Etwas Faktisches, nicht etwas Juristisches, wie L e v i t a S 172 sagt. V g l . dens. S 177. Falsch übrigens S 183: der „Angriff" sei kein Rechtsbegriff. 52 Vgl. Berliner O T r vom 3. Dez. 1874 (Ο X V 839).

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III. Die Notwer.

a. Der Angriffswille braucht mit seiner Selbstverwirklichung noch nicht begonnen, noch weniger bis zur Verletzung des angegriffenen Gutes Fortgang genommen zu haben. Dies Erforderniss der sog. laesio inchoata, das einer Reihe von germanischen Rechtsquellen geläufig ist, widerspricht ebensosehr dem Rechtsbedürfniss als den Quellen des früheren und heutigen gemeinen Rechts53. Das Notwerrecht beginnt, wenn jener Wille sich sofort in Tat umzusetzen droht; b. dasselbe endet, wenn der Angreifer vom Angriffe absteht; ferner wenn er angriffsunfähig geworden, endlich wenn die Verletzung oder der Verlust des angegriffenen Gutes in continenti unabwendbar geworden ist. Hat der Angriff Verbrechensnatur, so kann auch nach vollendetem Verbrechen Notwer durchaus statthaft bleiben, und zwar nicht nur wenn sich dasselbe über seine Vollendung hinaus noch fortsetzen will — man denke an eine Tracht Prügel, eine Flut von Schimpfworten, an die Verstärkung des gelegten Brandes, an die Ausplünderung eines Hauses — , sondern auch wenn die Verbrechensvollendung den definitiven Verlust des angegriffenen Gutes noch nicht notwendig bedeutet. So vollendet sich der Diebstahl mit der Apprehension der Sache: die Gefahr aber besteht darin, dass die Sache der Herrschaftssphäre des Bestohlenen definitiv entzogen wird. Solange dies abgewandt werden kann — durch Vergewaltigung des auf der Tat betroffenen, durch sofortige Verfolgung des mit der Beute enteilenden Diebes —, ist der Angriff ein gegenwärtiger, Notwer somit gegen ihn noch statthaft 54. Ist aber der Dieb entwischt, hat er die Sache eine Zeitlang unbestritten besessen und wird er nun vom Be53

Schlagend CCC A r t . 140 a. E . : „ I s t auch mit seiner gegenweer, bis er geschlagen wirdt ζ ι Γ warten nit schuldig, unangesehen ob es geschriben rechten und gewohnheyten entgegen wer." 64 I c h glaube, es geht S e e g e r S 343 ff. (im Anschluss an W ä c h t e r , Lehrb. I § 50) hier, aber nur nach einer Seite, entschieden zu weit, wenn er den Besitzesverlust i n civilistischem Sinne als Grenze des Notwerrechts bezeichnet (s. auch K ö s t l i n I 84; richtig H ä l s c h n e r , Syst. I 262, D. StR I 479; O L G München i n dem oben A n m 50 cit. Erk.). Bei der Besitzentziehung an Mobilien handelt es sich für den bisherigen Besitzer nicht sowohl darum, ob er den Besitz momentan, sondern ob er ihn definitiv verloren hat, d. h. ob er nicht, wie die Römer dies für den F a l l der vis ausdrücklich als zulässig anerkennen (s. 1 3 § 9, 1 17 D de v i 43, 16), den Verlust des Besitzes i n continenti wieder repariren kann. Aber das ist ganz richtig, dass, solange das Civilrecht den Besitz als unverloren betrachtet, dieser Besitz auch durch Notwer verteidigt werden kann. Gegen den Okkupanten des Grundstückes darf also der Eigentümer, sobald er die Dejektion erfährt, noch Besitzesnotwer gebrauchen. Vgl. 1 3 § 7. 8, 1 6 § 1, 1 7, 1 18 § 3, 1 25 § 2 D de acquir. vel amittenda possessione 41, 2.

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stohlenen mit der entwandten Sache am nächsten Tage betreten, so reviviscirt das Notwerrecht nicht (s. aber unten § 15o). c. Dies Erforderniss der Gegenwärtigkeit des Angriffs lässt sich auch so ausdrücken, dass die Verteidigung in die Angriffszeit fallen muss 55 . Dies schliesst aber nicht aus, dass die Verteidigung vorbereitet werde lange vor Beginn des Angriffs. Sofern nur die Verteidigungsmaassregel in der Zeit des Angriffs ihre Wirksamkeit entfaltet, ist jenem Erforderniss genügt. Nimmt man einmal an — was freilich nicht richtig ist 5 6 —, der Eigentümer des Grundstücks, worauf der Dieb in die ihm gegrabene Grube fällt, in die Selbstschüsse läuft, sich an den Glasscherben der Mauer schwer beschädigt, sei Urheber der Verletzungen des Diebes, so wrürde — natürlich unter Vorbehalt des Maasses nötiger Abwer — der Eigentümer wegen Notwer freizusprechen sein: denn erst nach begonnenem Angriff wird er durch die in Wirksamkeit getretenen Vertheidigungsmaassregeln tätig 5 7 . 6. Mit diesen Erfordernissen des gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs auf ein wehrhaftes Gut sind aber auch die gesetzlichen Erfordernisse erschöpft. Derselbe muss a. n i c h t sein e i n u n e r w a r t e t e r , wie noch L u d e n verlangt 5 8 . Das positive Recht sagt davon kein Wort. Und mit Recht. Ein rechtswidriger Angriff kann dadurch seine Natur nicht ändern, dass er vorausgesehen wird. Die Pflicht aber einem erwarteten Angriff auszuweichen statt sich seiner zu erwehren würde den Unschuldigen bewegungslos machen, damit dem Verbrecher die freie Bewegung gewahrt bleibe. Nur sinnlose Angst vor der Eigenmacht und mangelhafte Empfindung für die Würde des Rechtes kann zur Aufstellung solcher Erfordernisse treiben. 55

Diese kann bei Dauerverbrechen sehr ausgedehnt sein. Der richtigen Ansicht kommt ziemlich nahe B e k k e r , Theorie I 604 ff. Sachlich richtig B ö h l a u , G A X V I I I 1865 S 472 ff., bes. 472 a. E . Falsch die Polemik dagegen bei S o m m e r l a d , Ueber die Straflosigkeit der durch Selbstschüsse u. s. w. verursachten Rechtsgüterverletzungen. Giessen 1883. S 8. 67 Verkannt von G l a s e r , K l . Sehr. 1 1 9 3 A n m 2 ; v. B a r , Kausalzusammenhang S 86 Ζ . 11 u. 12. R i c h t i g M e y e r § 48 S 301; ν. B u r i , Kausalität. Leipzig 1873. S 94. 95; H ä l s c h n e r , D. StR I 477 A n m l ; v. S c h w a r z e zu § 53 A n m 5 N r 4 ; O l s h a u s e n zu § 52 A n m 1 2 c ; S o m m e r l a d a. a. 0 . S 12 ff.; v. L i s z t § 34 S 129. 56

58 S. L u d e n , Abh. I I 496 A n m ; G r o l m a n § 25 A n m c ; T i t t m a n n I § 136; J a r c k e I 147. — Richtig L e v i t a S 190: dieses Erforderniss „verletze i m Tiefsten das Recht (?) der freien Persönlichkeit"; W e s s e l y S 67. 68.

§ UO. III. Die Notwer.

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b. Er muss ferner n i c h t sein ein vom A n g e g r i f f e n e n u n v e r s c h u l d e t e r 5 9 . Darüber kann nach geltendem Rechte, das in GB § 54 beim Notstand dies Requisit aufstellt, dagegen es in § 53 bei der Notwer nicht erwähnt, kein Zweifel walten 60 . c. Der A n g r i f f muss e n d l i c h n i c h t d u r c h k e i n anderes M i t t e l als die N o t w e r a b g e w a n d t werden k ö n nen. Die Notwer ist kein subsidiäres Verteidigungsmittel 61. Wieder lässt das geltende Recht keinen Zweifel. Das GB verlangt in § 52 und 54, dass die Gefahr auf andere Weise als durch die verletzende Handlung nicht abgewandt werden könne: in dem zwischen beiden Gesetzen stehenden Notwerparagraphen ist davon keine Rede. Und wieder mit vollstem Rechte 62 ! Soll sich der Angegriffene etwa im Namen der Rechtsordnung gegenüber dem widerrechtlichen Angreifer aufs Bitten legen oder seine Ehre wie die des Rechts dadurch preisgeben, dass er seine Lage wesentlich verschlechtert und sich auf eine Flucht mit ungewissem Erfolge begiebt? Nur in einem Falle muss die Rechtsordnung wünschen, kann sie aber unmöglich vorschreiben, dass die Notwer nur dann geübt werde, wenn der Angriff nicht vermieden und nicht durch andere Mittel abgewandt werden konnte : falls nämlich ein unzurechnungsfähiger Mensch der Angreifer ist 6 3 . III. I n h a l t und U m f a n g des N o t w e r r e c h t s . Wider solchen Angriff gestattet das Recht die Verteidigung, wider die Not die Wer. Nicht in dem Sinne, als dürfte der Angegriffene nur darauf 59 And. Mein. G r o l m a n § 25. 140; F e u e r b a c h § 3 8 ; L u d e n , Abh. I I 495, Handb. I 300. — Gut dagegen L e v i t a S 188 ff.; auch W e s s e l y S 56 ff. — Die Konsequenz der Forderung ist Ausschluss der Notwer gegen den NotwerExcess. 60

Zweckmässig wäre demjenigen, der den rechtswidrigen Angriff absichtlich provocirte um sich so das Recht der Notwer zu verschaffen, die Notwer gesetzlich zu versagen. S. Normen I I 203 ff. Aber lex lata ist dies nicht. Unrichtig über diese O p p e n h ο f f zu § 53 A n m 7. R i c h t i g R G I I vom 30 Sept. 1884 (Rspr V I 576 ff). 61 And. Mein. L u d e n , Abh. I I 481. 496, Handbuch I 293; W e s s e l y S 35; v. B u r i , GS 1878 S 467. 468. Richtig R u b o zu § 52 A n m 2 u. 3. S. oben Anm 14. Die Notwendigkeit der Flucht verneint Berl. O T r vom 20. Nov. 1878 (Ο X I X 540 ff.); doch wohl auch Bay. OG vom 18. Juni 1877 (Bay. Ε V I I 239 unten). — Hochbedenklich Sächs. OAG vom 7. J u l i 1873, A n n des O A G Dresden 2. Folge I 68. 69. 62

Gut L e v i t a S 237. 238. Ziemlich w i l l k ü r l i c h v. B u r i , GS 1878 S 440. Diesen Wunsch zum Rechtssatze erhoben zu haben ist der Fehler der A n s i c h t , es gäbe keine Notwer gegen Unzurechnungsfähige. 63

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§ 150. III. Die Notwer.

bedacht sein den Angriff zu pariren ohne den Angreifer zu verletzen. Das Notwerrecht ist ein Recht des Zwanges zur Unterlassung, somit ein Recht zur Verteidigung durch Gegenangriff auf den widerrechtlichen Störenfried im Dienste des Unterlassungszwangs. Dieses Recht kann ausgeübt werden durch Drohung mit Gewaltanwendung64 oder durch letztere selbst, durch Tötung, Körperverletzung, Freiheitsberaubung 65, Sachbeschädigung u.s.w. Dieses Recht setzt aber beim Berechtigten Bewusstsein von der Notlage und den Willen voraus das gefährdete Rechtsgut durch Eigenmacht zu retten 66 ; es wird dadurch nicht beeinträchtigt, dass der Berechtigte widerrechtlich zu handeln glaubt, weil die Voraussetzungen der Notwer ihm zu fehlen scheinen67. Diese Abwehr muss nun 1. sich r i c h t e n w i d e r den A n g r e i f e r . Nur insoweit ist sie durch das Notwerrecht gedeckt. Die aberratio bei der Abwehr, wenn zur Schuld zurechenbar, ist Delikt 6 8 . 2. Sie muss sein maass ν o l l , also streng proportional dem zu erreichenden Zweck, und da dieser ja Schutz des angegriffenen Gutes durch Hinderung des Angriffs ist, so muss ihre Energie der Energie des Angriffs genau angepasst, also letzterer nur soweit überlegen sein als notwendig den Vollzug des Angriffs zu hindern. Nur bei Innehaltung dieses Maasses erscheint sie als moderamen inculpatae tutelae. Nun ist aber die objektive Energie des Angriffs für den, dem er gilt, vielfach unmessbar. Die Plötzlichkeit des Angriffs erfordert schnellen Entschluss, also rasche Ueberlegung des Angegriffenen. Dazu wird der Angreifer vielfach bestrebt sein die Kraft seines An64 Dann liegt wahrlich kein Nötigungsversuch vor. Richtig R G I vom 13. Jan. 1881 (E I I I 222 ff.). 65 S. RG I I vom 10. A p r i l 1883 ( Ε V I I I 210 ff.). 66 W e n n ein W i l d d i e b einen andern erschiesst, der gerade die Büchse auf den Förster angeschlagen hatte, so liegt M o r d und keine Notwer vor, wenn der Schuss nicht erfolgte um den Förster zu retten; ebenso aber, wenn der Urheber der Tötung gar nicht gesehen hatte, dass sein Feind i m Begriff war den Förster zu töten. 67 So i n dem interessanten F a l l Albrecht, s. Normen I I 194. 68 Ganz unrichtig ist der Gesichtspunkt J a n k a s S 33, diese Fälle gehörten dem Gebiete des Notstandes an. Sie gehören weder zur Notwer noch zum Notstande. W e n n aber zur Notwer erforderlich ist die Verletzung von Rechtsgütern eines Andern als des Angreifers — dieser führt etwa fremde Waffen —, so konkurriren Notwer- und Notstandslage allerdings m i t einander und die Notstandsverletzung w i r d insofern statthaft, als sie zur Notwer erforderlich ist.

§ 150. III. Die Notwer.

griffs entweder grösser oder kleiner erscheinen zu lassen, als sie ist. Und so kann zwischen der wirklichen Grösse der Gefahr und ihrer Schätzung durch den Angegriffenen ein bedeutender Unterschied entstehen. Der Umfang des Notwerrechts kann nicht ein in der Tat auch erst nach Ende des Dramas mathematisch zu bestimmender sein, während die Gftösse der Gefahr ähnlicher Bestimmtheit ermangelt. Vielmehr muss der Gesetzgeber die Verteidigung soweit als eine erforderliche betrachten, als der Angegriffene bei Schätzung der Gefahr den überlegten Mann nicht verleugnet hat 6 9 . Eine schuldlose Ueberschätzung derselben darf unmöglich ihm, sondern muss dem Angreifer zum Nachteil gereichen. Wenn ein Räuber mit einer ungeladenen Pistole droht, so muss jeder verständige Mensch annehmen, dass sie zum Zwecke des Raubes vorher geladen sei: und wenn der Angegriffene danach seine Abwehr bemisst und seinerseits den Räuber schnell über den Haufen schiesst, so wäre es bittere Ironie ihm einen Notwerexcess zur Last zu legen. Das Maass der Notwer bestimmt sich also, sofern der Angegriffene die Grösse der objektiven Gefahr unterschätzt hat, nach der objektiven Grösse, sofern er sie dagegen überschätzen durfte, nach seiner berechtigten Schätzung. Und dies ist genau der Standpunkt des geltenden Rechts. GB § 53 grenzt die „Verteidigung, welche erforderlich ist" um den Angriff zu kehren, genau ab von „der Ueberschreitung der Notwer in Bestürzung, Furcht oder Schrecken". Die Worte „welche erforderlich ist" haben den Sinn nicht, dass die Verteidigung der objektiven Grösse der Gefahr proportional sein müsse, denn sonst müsste § 53 al. 3 es zur Ueberschreitung der Notwer auch rechnen, falls der Täter die Gefahr frei von jedem Affekt und auf Grund sorgsamster Ueberlegung zu hoch angeschlagen hat. Dies will aber das Gesetz gerade 69 S. vor allem G r o l m a n § 25. 140; dann S c h r ö t e r , H a n d b u c l f l 52 ff., der darauf hinweist, dass die Eechtsbedrohung i m Gegensatz zur Rechtsverletzung nicht nach den Gesetzen der Wahrheit, sondern nach den Erfordernissen der W a h r scheinlichkeit beurteilt werden müsse. — Ferner die guten Bemerkungen von Z a c h a r i ä , A N F 1841 S 428; B e r n e r , A N F 1848 S 592 (jeder hat das Recht sich nach Maassgabe seiner Individualität zu verteidigen); L e v i t a S 244 (nicht die objektive, sondern die subjektive Gefährlichkeit des Angriffs entscheidet); W a h l b e r g , Ges. Schriften I I I 97; S c h a p e r bei H H I I 139. S. auch O L G Dresden vom 25. A p r i l 1883 (Ann des O L G Dresden V 223 ff.). M . E . falsch O l s h a u s e n zu § 53 A n m 11; Berl. O T r vom 15. Nov. 1876 (Ο X V I I 738). — Ganz zu Unrecht behauptet RG I I vom 28. Okt. 1879 (Rspr I 23 ff.), § 53, 2 lasse darüber keinen Zweifel, dass das Gesetz auf dem objektiven Standpunkte stehe.

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§ 150. III. Die Notwer.

nicht: in dem Affekt sieht § 53, 3 den Grund der Straflosigkeit des Excesses, in der sorgsamen Würdigung der Gefahr aber den Grund den. Umfang des Notwerrechts nach dieser Würdigung zu bestimmen. Das hat die ebenso wichtige als heilsame Folge, dass gegen die über das Maass objektiver Gefahr, aber nicht über das Maass dieser gerechten Würdigung der Gefahr gespannte Verteidigung Notwer zulässig n i c h t ist. Denn es fehlt am Excess. 3. Da alle rechtlichen Existenzen sich gegen widerrechtliche Angriffe verteidigen dürfen und mit der Energie des Angriffs auch die zulässige Kraft der Notwer steigen muss, falls nicht das Recht dem Angriff unterliegen will, so i s t der Umfang des N o t w e r r e c h t s u n a b h ä n g i g von dem W e r t e des a n g e g r i f f e n e n Rechtsgutes. Eine Proportionalität zu fordern zwischen der Energie der Verteidigung und der Bedeutung des angegriffenen Gutes — wie manche früheren Strafgesetzbücher getan haben — heisst dem energischen Angreifer auf geringere Güter den Sieg offiziell in die Hand spielen. Mit vollem Fug hat das neue gemeine Recht von dieser Forderung abgesehen70. 4. Ist die Verteidigung energischer als zur Kehrung des Angriffs im oben (s. 2) entwickelten Sinne „erforderlich", wird z. B. der Angreifer niedergeschlagen, während ein Schlag auf den Arm oder ein Stoss vor die Brust genügt hätte ihn kampfunfähig zu machen, so liegt eine U e b e r s c h r e i t u n g des N o t w e r r e c h t s — excessus d e f e n s i o n i s — vor. Diese Ueberschreitung kann vorsätzlich oder fahrlässig stattfinden. Der vorsätzliche Notwerexcess steht unter den gewöhnlichen Strafgesetzen. Nicht auf ihn bezieht sich GB § 53, 3: „Die Ueberschreitung der Notwer ist nicht strafbar, wenn der Täter in Bestürzung, Furcht oder Schrecken über die Grenzen der Verteidigung hinaus gegangen ist 7 1 ." 70 M i t stark unwahrscheinlichen Beispielen möchte v. B u r i , GS 1878 S 461 fur das Erforderniss der Proportionalität Stimmung machen. 71 Nach § 53, 2 ist Notwer die „erforderliche Verteidigung" : nach § 53, 3 ist also die Ueberschreitung der Notwer „Ueberschreitung der erforderlichen Verteidigung". Demgemäss hat H ä l s c h n e r , D. StR I 484 Unrecht, wenn er nicht nur „das Hinausgehen über die Grenzen der g e b o t e n e n Verteidigung", sondern auch das „Hinausgehen über die Grenzen der Verteidigung selbst" straflos lassen will. W i e er offenbar auch R u b o zu § 53 A n m 15. Richtig O l s h a u s e n zu § 52 A n m 15; Berl. O T r vom 28. März 1873 (Ο X I V 232 ff.); vom 1. Juni 1 8 7 5 ( 0 X V I 409); vom 17. J u l i 1S76 (Ο X V I I 528 ff.); vom 17. Okt. und vom 12. Dez. 1877 (Ο X V I I I 651. 652. 777).

§ 150. III. Die Notwer.

Zunächst ist eine Zweideutigkeit aus dieser Stelle zu beseitigen. Wird jemand von seinem Gegner überfallen und sieht er ein, dass er diesen Angriff durch eine leichte Körperverletzung abwenden kann, fürchtet er aber, dass der Angriff sich später mit grösserer Kraft erneuern werde und schlägt er deshalb den Gegner zu Boden, so ist auch er aus Furcht über die Grenzen der Verteidigung hinaus gegangen, dennoch aber ist er nicht straflos. Der § 53, 3 denkt nicht an die Fälle, wo der Angegriffene aus Angst bewusst über die Verteidigung hinaus zum Angriff übergeht, sondern nur an solche, wo er lediglich an Abwehr des gegenwärtigen Angriffs denkt, die Grenzen der erf o r d e r l i c h e n Verteidigung aber im Affekt überschreitet. Somit stehen die Fälle des § 53, 3 in scharfem Gegensatz zum vorsätzlichen Notwerexcess. Bestürzung, Angst und Schrecken, nicht aber bewusster Wille reissen den Angriff über die Grenzen der Notwer 72 . Die Satzung fasst aber zwei Gruppen von Erscheinungen zusammen: die fahrlässige Ueberschätzung des Angriffs und die fahrlässige Ueberspannung der Verteidigung bei richtig geschätztem Angriffe. Ein Fall der letzteren Art liegt vor, wenn der Angegriffene sich mit einem Stockschlag auf den Arm des Gegners wehren will, im Schrecken aber den Kopf trifft und den Angreifer durch den Schlag tötet. Begegnet letzteres dem in Notwer Befindlichen, ohne dass ihn der Affekt des Schreckens zum Excess hinrisse, also dergestalt, dass seine Unachtsamkeit bei kaltem Blute viel schwerer verletzt als beabsichtigt war oder dass ihn der Zorn fortreisst, so ist ein solcher Excess durch § 53, 3 nicht mit Strafe verschont. Es giebt also nach heutigem Rechte, wenn auch nur in seltenen Fällen, fahrlässigen Notwerexcess, der strafbar ist. Gegen jeden Notwerexcess aber, auch gegen den, der in Bestürzung, Furcht oder Schrecken des Angegriffenen gründet, hat der erste Angreifer seinerseits das Recht der Notwer 73 : denn der Excess ist ein widerrechtlicher, wenn auch vielleicht strafloser Angriff wider ihn. 5. Von der Ueberschreitung der Notwer, welche eine echte Notwerlage voraussetzt, ist der P r ä t e x t der N o t w e r scharf zu schei72 Uebrigens sind nicht die anderen Affekte — Zorn, Hass, Mitleiden m i t dem rechtswidrig Angegriffenen — den genannten Affekten gleich zu stellen. Richtig R u b o zu § 53 A n m 14; M e r k e l bei H H I V 85 (mit falscher Begründung); v o n L i s z t S 130 (desgl.); H ä l s c h n e r , D. StR I 483 A n m 2 ; O p p e n h o f f zu § 53 A n m 17; O l s h a u s e n zu § 53 A n m 17. A n d . Mein. M e y e r S 304 A n m 3 5 ; B e r n e r S 154. 73

And. Mein. L u d e n , Abh. I I 495 A n m 2.

Binding, Handbuch. V I I . 1. I : B i n d i n g , Strafrecht. I .

S. oben Anm 59. 48

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§ 151. IV. Der Notstand.

den. Letzterer ist die widerrechtliche Selbsthilfe, welche Notwer scheinen möchte, obgleich ihr Urheber wreiss, dass die Voraussetzungen des Notwerrechts überhaupt nicht oder nicht mehr vorhanden sind. Der scherzhaft Angegriffene nimmt den Scherz absichtlich für Ernst u.s.w. Besonders häufig tritt dieser Notwerprätext als sog. n a c h z e i t i g e G e w a l t auf, d. i. die nach vollendetem rechtswidrigen Angriff, also nach dem in continenti irreparabel gewordenen Verlust des angegriffenen Rechtsgutes angewandte Selbsthilfe, um den Angreifer zu züchtigen oder sich an ihm Genugtuung zu verschaffen 74. Dieser Notwerprätext steht in seinen Aeusserungen ganz unter den gewöhnlichen Strafgesetzen 75. § 151. IV. Der N o t s t a n d 1 2 . Ebenso gesund und vollständig wie die Entwickelung des Notwerrechts in der Geschichte des deutschen Strafrechts, ebenso ungesund 74

E i n Offizier nimmt für einen Schlag blutige Genugtuung u. s. w. Die irrtümliche Annahme der Notwerlage ist irrtümliche Annahme eines Hechtes zur Verletzung, schliesst, wenn verzeihlich, alle Zurechnung, wenn unverzeihlich, die Zurechnung zum Vorsatz aus. Der Gegenstand gehört aber i n die Lehre vom Irrtum. 1 StGB § 52. 54. M G B § 49, 1. 84—88. 130. Vgl. StGB § 148. 157, 2. 313, 2. 360, 10. Seemannsordnung vom 27. Dez. 1872 § 32. 75. 76. Strandungsordnung vom 17. M a i 1874 § 9. V über das Verhalten der Schiffer nach einem Zusammenstoss von Schiffen auf See, vom 15. Aug. 1876 § 1. 2. Verordnung zur Verhütung des Zusammenstossens der Schiffe auf See, vom 7. Jan. 1880 A r t . 21. 23. — Handelsgesetzbuch A r t . 702. 704. 708. — Intern. Vertrag, betr. die polizeiliche Regelung der Fischerei i n cler Nordsee . . . vom 6. M a i 1882 (RGBl 1884 S 25 ff.) A r t . 14. 20. 21. 22. 30. 32. 35. — H 2 195—198. Β 84. Sch 38. M 49. L i 35. G 90. L 46. 49. H 68. 69. W H * 54. W V 56. Κ 97. S c h a p e r bei H H I I 132 ff. — G e y e r bei H H I V 93. 94. — O e r s t e d , Ueber das Notrecht: N A V 1822 S 345 ff. — A b e g g , Untersuchungen S 107 ff. — v a n d e r V e e n , De j u r e , quod dicitur supremae necessitatis. Groningae 1834. — H e r r m a n n , Zur Beurteil, des E n t w eines CGB für das K . Sachsen. Leipzig 1836. S 144 ff. — L u d e n , A b h . I I 510 ff. — B a u m e i s t e r , Bemerk, zur Strafgesetzgebung. Leipzig 1847. S 87—100. — G o l t d a m m e r , Materialien I 370 ff. — G l a s e r , Abhandl. aus dem Österreich. Strafrecht I . W i e n 1858. S 109 ff. — L e v i t a , Recht der Notwer S 2 ff. — G e y e r , Lehre von der Notwer S 4 ff. — D e r s . , K r V V 1863 S 63 ff. — D e r s . , H R L e x s. v. Notstand I I 902. — M a r q u a r d s e n , A N F 1857 S 396 ff. — B e r n e r , De impunitate propter summam necessitatem proposita. Berlin 1861. — W e s s e l y , Die Befugniss des Notstandes und der Notwer. Prag 1862 (dazu G l a s e r , Kleine Schriften I 201 ff.). — S c h ü t z e , Notwend. Teilnahme S 294 ff. — G i l l i s c h e w s k i , Ueber Notstand und Notrecht. Greifswald 1873. — B i n d i n g , Normen I I 201 ff. — S t a m m l e r , Darstellung der strafrechtlichen Bedeutung des Notstandes. Erlangen 1878 (darüber wie über J a n k a s. v. B u r i , 75

§ 151. IV. Der Notstand.

und lückenhaft ist die des Notstandrechtes. Drei Ursachen sind hierfür bestimmend gewesen: vor der Reception der Mangel deutschrechtlicher Satzungen über den Notstand; von der Receptionszeit bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die Nichtbeachtung der so gesunden Anschauungen der Römer über die Behandlung des Notstandes3 und die Concentration der Lehre auf das kanonische Recht, das neben dem kahlen Prinzipe nécessitas non habet legem fast gar keine Kasuistik bietet und wesentlich nur den einen Notstandsfall, den Diebstahl in echter Hungersnot, traktirt; endlich während derselben Zeit die chronische Unkunst das Leben auf seine Erscheinungen und Bedürfnisse zu beobachten, das Gegenteil der Kunst, worin die Quelle der Kraft für die römische Jurisprudenz sprang 4. Hat nun auch die Notstandslehre seit K a n t einen bedeutenden Aufschwung genommen, so befindet sie sich zur Zeit in einer ganz unabgeschlossenen Entwickelung. Dies wirkt mit Notwendigkeit nachteilig auf das Gebiet der Gesetzgebung hinüber 5, und es kann, was Güte der Satzung anlangt, im neueren Rechte kaum ein grösserer Kontrast gefunden werden, als der zwischen dem trefflichen § 53 des GB über die Notwer und dem nach allen Richtungen ungenügenden § 54 über den Notstand6. GS 1878 S 434 ff.). — J a n k a , Der strafrechtliche Notstand. Erlangen 1878. — P e r n i c e , Labeo I I 16 ff. — G o e b , Bemerk, z. Lehre v. Notstand. Erlangen 1878 (Diss.). — D e r s . , GA X X V I I I 1880 S 183 ff. — R o t e r i n g , G A X X X I 1883 S 247 ff. — D e r s . in Wallmanns Jur. Zeitung V 427. 452. — S i m o n s o n , Ζ f. S t R W V 367 ff. 2 [zu s 754] Streng systematisch müsste i m Handbuch der Notstand vor der Notwer abgehandelt werden. Es ist aber zweckmässiger i h n folgen zu lassen. 8 S. die interessanten Stellen des römisch. Rechts Normen I I 293 A n m 374. V g l . P e r n i c e , Labeo I I 16 ff. 4 Diese Unkunst ist auch heute noch weit verbreitet, sonst wäre die Vorstellung von der Seltenheit des Notstandes unmöglich. Die kleinen Notstandsfälle sind ebenso häufig als lehrreich. 5 W i e wenig ist GB § 54 über CCC A r t . 166 hinausgeschritten! 6 Uebrigens ist auch hier vor einer Ueberschätzung des gesetzgeberischen Könnens zu warnen. E i n Gesetz, woraus der Richter die Entscheidung über die Notstandsverletzung einfach ablesen könnte, ist eine Unmöglichkeit. S. auch J a n k a S 180. 183. 184 (s. freil. 212). Die Entscheidung zu finden ist wesentlich Sache des Richters, den das Gesetz nur nicht hemmen darf. Die absolut gerechte Entscheidung i n allen Fällen dieser schwierigsten Rechtskonflikte zu finden, ist auch für i h n eine Unmöglichkeit. Es sind goldene Worte, wenn O e r s t e d , Ν Α V 366 sagt: „ A u s einer solchen Verwirrung des Rechts sich zu retten, ohne dem Rechte irgend Jemandes zu nahe zu treten, ist eine handgreifliche Unmöglichkeit: nur an eine relative oder approximative Gerechtigkeit kann in solchen Fällen gedacht werden."

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Es wäre nun methodisch falsch die heutige Lehre vom Notstand in ähnlicher Weise auf die schmale Basis des § 54 zu stellen, wie dies die ältere Doktrin gegenüber dem kanonischen Rechte getan hat 7 . Das GB giebt nicht wie von der Notwer so auch vom Notstande eine Legaldefinition ; und täte es dies auch, fiele aber die Begriffsbestimmung zu eng aus, so würde das Leben von der Wissenschaft darüber Aufschluss verlangen, wie denn rechtlich die übrigen dem Notstande analogen Fälle zu beurteilen wären? Diese aber würde nachsehen, ob das heutige gemeine Recht darüber gar keinen weiteren Aufschluss ausser dem § 54 gäbe, und würde allerdings Antworten finden, die mit dem aus § 54 für die übrigen Notstandsfälle vielleicht per argumentum e contrario zu ziehenden Schlüsse in direktem Widerspruche stehen. So bleibt nur ein Weg übrig: zunächst die Gesammtheit der Lebenserscheinungen zu umschreiben, bei denen allen dieselben Merkmale vorkommen, welche die positiv-rechtlich anerkannten Notstandsfälle an sich tragen, daraus den Notstandsbegriff zu abstrahiren und nun die Frage zu beantworten, wie weit das gemeine Recht die Beurteilungsnorm für den Notstand aufstellt, und wo die Urteilsquelle für die übrigen Notstandsfälle zu finden ist. I. Der N o t s t a n d s b e g r i f f . Das charakteristische Merkmal aller im positiven Rechte anerkannten Notstandsfälle ist ein dem Recht sehr unerwünschter Konflikt von zwei Dingen, die es gern beide erhalten sähe, während doch die Erhaltung des einen die Vernichtung oder Verletzung des andern bedingt. Solche Notlage unterscheidet sich von der Notwerlage dadurch, dass jene Erhaltung nicht durch Verletzung des widerrechtlichen Angreifers bewirkt wird, falls ein solcher überhaupt vorhanden ist, ja dass es daran meist ganz fehlt. In der fortschreitenden Beachtung der verschiedenen Gestalten dieses Konflikts gründet die Entwickelung — weil der Zwang zur Ausdehnung — des Notstandsbegriffes 8. Diese Entwicklung vollzieht sich begrifflich in drei Stadien, geschichtlich in mehreren, da zum öftern unwesentliche Merkmale für wesentliche erachtet worden sind. 1. Der Notstandsfall der CCC (Diebstahl in rechter Hungersnot) D i e s c h u l d h a f t e N i c h t e i n h a l t u n g des r i c h t i g e n M a a s s e s i s t d e m U r h e b e r d e r V e r l e t z u n g n a c h z u w e i s e n , s o l l er der S t r a f e u n t e r worfen werden. 7 Es hat H ä l s c h n e r s Darstellung, D. StR I 492 beeinträchtigt, dass er dies nicht vermieden hat. 8 Die von v. B u r i , GS 1878 S 447 signalisirte rückläufige Bewegung w i r d hoffentlich, weil durchaus ungesund, ausbleiben.

§ 151. IV. Der Notstand.

ist eine Kollision nicht sowohl zwischen Rechten, als zwischen zwei Rechtsgütern verschiedener Personen, und zwar zwischen zwei Gütern verschiedener Art und verschiedenen Wertes. Streift man das rein Kasuistische ab, so ist der N o t s t a n d als K o l l i s i o n z w i s c h e n dem L e b e n , a l l e n f a l l s auch zwischen einem h ö h e r e n u n d einem n i e d e r e n R e c h t s g u t e zu definiren. Bei dieser Begriffsbestimmung bleibt wie im grossen und ganzen die Doktrin vom 16. bis 18. Jahrhundert, so auch H e g e l mit seiner Schule noch stehen 910 . 2. Indem K a n t die Kollision von Leben und Leben in den Bereich des Notstandes neuerdings hereinzieht 11, erweitert sich dessen Begriff zur K o l l i s i o n z w i s c h e n g l e i c h a r t i g e n R e c h t s g ü t e r n und zwischen einem höheren und einem n i e d e ren Rechtsgute. 3. Hält man am Lebensnotstande fest, so erhebt sich die Frage, ob das gefährdete Leben stets nur durch Verletzung anderer Rechtsgüter und nicht vielleicht auch durch Verletzung von solchen Rechtspflichten , die nicht in Verletzungsverboten wurzeln, sich erhalten könne 12 ? Und man braucht nur an den Gefängnisswärter zu denken, der mit dem Tode bedroht durch Auslieferung der Schlüssel sein Leben auf Kosten seiner Amtspflicht rettet, um zu einer ganz gewaltigen Ausdehnung getrieben zu werden. Dann ist nämlich N o t stand die K o l l i s i o n zwischen L e b e n und e i n e r v e r botenen H a n d l u n g . In dieser Definition, die zuerst L u d e n aufgestellt, die dann v. W ä c h t e r auf Leib oder Leben erweitert hat, 9 Die Kollision von Rechten ist möglich, erzeugt aber nie einen Notstand. Diese Möglichkeit leugnet zu Unrecht J a n k a S 149. Da die frühere D o k t r i n zwischen Rechten und Rechtsgütern nicht genügend unterscheidet, decken sich die Auffassungen des Notstandes, wonach i n i h m Rechte m i t Rechten oder Rechtsgüter m i t Rechtsgütern konfligiren. Es ist auffallend, wie sich i n neuerer Zeit die Definitionen wieder auf die bequeme aber engbrüstige F o r m e l , es sei der Notstand Kollision von Rechten, Rechtsgütern oder Interessen, zurückziehen. S. G e y e r , Notwer S 5 ; W e s s e l y S 1; G o e b , GA X X V I I I 183; J a n k a S 28; H ä l s c h n e r , D. StR I 486; S c h a p e r bei H H I I 132 (Gut gegen Gut); v. S c h w a r z e zu § 53 A n m 1; O p p e n h o f f zu § 54 A n m 1; O l s h a u s e n zu § 54 A n m 1. 10 A b e g g , Lehrb. S 168 erklärt Sachbeschädigung zur Sach-Errettung zwar auch für möglicherweise unverbrecherisch: diese falle aber unter den Gesichtspunkt des Privatrechts (!); K ö s t l i n I 10 sieht darin einen F a l l erlaubter Selbsthilfe, aber keinen Notstandsfall. 11 P u f e n d o r f hatte dies schon früher getan. S. J a n k a S 78 ff. 12 W e n n i m Folgenden von Rechtspflichten die Rede ist, so sind stets nur solche gemeint, wo die Rechtspflichtverletzung nicht zugleich Rechtsgüterverletzung ist.

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liegt ein gewaltiger Fortschritt, zugleich aber auch eine Inkonsequenz13. Denn 4. fragt es sich, ob denn wirklich nur das Leben oder nicht auch jedes andere Rechtsgut in die Notstandskollision geraten kann? Die Lebensbeobachtung zeigt aber, dass kein Rechtsgut dieser Gefahr entzogen ist, und so wird der Notstand durch H e r r m a n n , H ä l s c h n e r und Β er η er nach der anderen Seite hin erweitert 14 . Entweder definirt man ihn dann als K o l l i s i o n s f a l l zwischen Rechtsgut u n d Rechts g u t , oder aber unter Benutzung des L u den sehen Gedankens als K o l l i s i o n z w i s c h e n der E r h a l t u n g eines R e c h t s g u t e s (oder Rechtes) und einer verbotenen Handlung15. 5. Wenn aber unter Umständen behufs Errettung eines Rechtsgutes eine Pflicht verletzt werden muss, so ist endlich noch zwei Fragen näher zu treten: a. Kann sich das Verhältniss nicht umdrehen und die Erfüllung einer Pflicht nicht ausnahmsweise die Verletzung fremder Rechtsgüter erheischen? Dies ist zweifellos möglich. Man denke nur daran, dass ein Truppenteil zu bestimmter Zeit am Ort des Rendez-vous eintreffen soll, die Strassen gesperrt findet und nun über bestellte Aecker gehen oder fahren muss. b. Kann nicht die Erfüllung einer Pflicht die Verletzung einer anderen erforderlich machen? Dieser Pflichtennotstand ist aber gerade so gut möglich wie der Rechtsgüternotstand. Es wird jemand auf denselben Tag geladen, um als Angeklagter beim Amtsgericht Leipzig und als Zeuge beim Landgericht München zu erscheinen; die einzige Spritze des Ortes soll gleichzeitig an zwei Brandstätten löschen; ein Soldat auf Vorposten vor dem Feind, dem jeder Alarm untersagt ist, erhält dort Kunde von einem gemeingefährlichen Verbrechen, das alsbald verübt werden soll: seine Soldatenpflicht bindet ihn an seinen Posten, die Pflicht das geplante Verbrechen zu melden heischt, dass er diesen Posten verlässt; der Inländer in fremdem Militärdienst darf bei ausbrechendem Kriege seine Fahne nicht verlassen, aber auch nicht gegen sein Vaterland dienen; derjenige, der Untertan zweier. Staaten ist, 13

S. L u d e n , Handbuch I 304; v. W ä c h t e r , Sachs. Strafr. S 359. S. H e r r m a n n , Beurt. S 144 if.; H ä l s c h n e r , Syst. I 271 if.; B e r n e r , De impun. S 5 ff. 15 So G i l l i s c h e w s k i , Notstand und Notrecht S 9 ; S t a m m l e r S 39. So ist wohl auch die Definition v. L i s z t s § 35 S 131 zu deuten. 14

§ 151. IV. Der Notstand.

jvird von beiden beim Ausbruche eines Krieges zwischen ihnen zu den Waffen gerufen 16 1 7 . Mit diesem letzten Schritte aber ist auch cler Kreis der Notstandserscheinungen vollständig abgeschlossen. Jene drei Stadien der Begriffsentwickelung sind also: 1. N o t s t a n d i s t l e d i g l i c h die K o l l i s i o n von R e c h t s g ü t e r n ; 2. er i s t ausserdem die K o l l i s i o n von R e c h t s g ü t e r n und R e c h t s p f l i c h t e n ; 3. er b e g r e i f t e n d l i c h auch j e d e P f l i c h t e n k o l l i s i o n . So ist zu definiren: N o t s t a n d i s t die Lage eines M e n schen, w o r i n er n u r d u r c h eine v e r b o t e n e H a n d l u n g e i n gefährdetes R e c h t s g u t e r r e t t e n oder die E r f ü l l u n g einer R e c h t s p f l i c h t e r m ö g l i c h e n k a n n 1 8 . Diese Definition ist nur die eines Zustandes und sie enthält natürlich darüber, wie der Konflikt gelöst werden darf, gar nichts. Deshalb darf weder das Moment des Unverschuldetseins, noch das andere, dass die gefährdeten Rechtsgüter demjenigen, der sie errettet hat, oder einem seiner Angehörigen eignen müssen, darin Aufnahme finden. Die Definition der Notwer ist Charakterisirung einer rechtlich erlaubten Handlung, die des Notstandes Definition eines Zustandes mit rechtlich zweifelhaften Folgen 19 . 16

Diese Pflichten sind regelmässig, aber nicht notwendig Pflichten ad faciendum: es steht dann der i n N o t Geratene scheinbar vor der W a h l zwischen zwei Unterlassungsdelikten. Es kann aber auch sehr gut eine durch Gebot begründete Pflicht, z. B. die der Verbrechensanzeige, kollidiren mit einer durch Verbot begründeten, z. B. der Pflicht einen W e g nicht zu betreten. Ja denkbar ist auch ein Zusammenstoss zwischen zwei Pflichten ad omittendum. 17 M i t vollem Bedacht ist hier nur von der Kollision zweier Pflichten desselben Subjekts die Rede. Denkt man statt des einen Subjekts zwei, so ist sehr wohl möglich, dass Jemand seine Pflicht nur dann erfüllen kann, wenn er einen Andern an der Erfüllung der Pflicht dieses Andern gewaltsam hindert. Eine Patrouille w i r d beordert, den feindlichen Vorposten zu überfallen, und da dieser durch A b schiessen der Flinte den Feind zu alarmiren versucht, tötet sie i h n durch das Bajonett. Hier liegt kein Notstandsfall vor, weil die Patrouille ein Zwangsrecht gegen den Feind besass. 18 Wenn diese Definition der von S t a m m l e r S 39 gegebenen nahesteht, so erklärt sich dies daraus, dass der geehrte Verfasser seiner Zeit meine Vorlesung gehört und natürlich für seine Schrift benutzt hat. 19 Es lässt sich noch eine Ausdehnung der Definition denken, von der aber hier absichtlich kein Gebrauch gemacht ist. I n der Definition des Textes ist der Urheber der Verletzung auch cler mittelbar oder unmittelbar Gefährdete: so auch beim Notstand der §§ 52 und 54 des GB. Es giebt aber auch Rechte einen fremden Notstand zu kehren (s. unten § 154): man könnte also auch so definiren, dass der Gefährdete und cler Verletzende nicht notwendig zusammenfielen.

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II. R e c h t s g r u n d s ä t z e f ü r die L ö s u n g des K o n f l i k t e s . Auch in der Notwer erhält sich wie in vielen, wenn auch nicht allen Fällen des Notstandes das angegriffene Rechtsgut auf Kosten fremder Güter. Das Notwerrecht in seiner weiten Ausdehnung gründet darin, dass diese Verletzung den notwendigen Kaufpreis für das Unversehrtbleiben der Rechtsordnung durch widerrechtlichen Angriff bildet. Der Wert des Rechts gegenüber ihm feindlichen oder wenigstens fremden Mächten kommt darin zum prägnanten Ausdrucke. Gerade deshalb ist schlechterdings jedes Rechtsgut in der Notwerlage wehrhaft; gerade deshalb aber ist auf den Notstand der gleiche Satz unübertragbar. Denn soweit derselbe Rechtsgüterkonflikt ist, entwertet sich beispielsweise das Leben dessen, der geopfert wird, in den Augen des Gesetzes nicht dadurch, dass es einem widerrechtlichen Angriff seine Energie lieh. Es ist weder ganz genau noch ganz richtig, aber es macht die Verschiedenheit anschaulich, zu sagen, dass im Notwerkonflikt Recht mit Unrecht, im Notstandskonflikt Recht mit Recht, Pflicht mit Pflicht kollidiren. In den Kollisionen letzter Art erleidet die Rechtsordnung eine jedenfalls ihr höchst empfindliche Schädigung. Der Gesetzgeber kann sich aber der Pflicht gar nicht entziehen zu den Handlungen behufs Lösung des Notstandes Stellung zu nehmen20, und sobald er den Notstand richtig erkennt, sieht er, dass dieser ein Fall aus tausend ähnlichen ist, für deren Regelung sich mit der richtigen Erkenntniss des Uebels auch die des einzigen Auskunftsmittels ergiebt. Ueber a l l wo der Staat vor z w e i U e b e l n s t e h t , von denen eines sicher k o m m t , m e i d e t er das grössere, w ä h l t er das k l e i n e r e , n i m m t er von zwei g l e i c h grossen U e b e l n das e i n t r e t e n d e hin. Dieser Gedanke lenkt die Gesetzgebung ebenso wie die Verwaltung; ja nach ihm regelt sich halb bewusst, halb unbewusst alles Menschenleben innerhalb und ausserhalb des Rechtskreises. Seine Durchführung krankt freilich stets an derselben unheilbaren Krankheit: der Unsicherheit der Abschätzung beider Uebel gegen einander, ganz besonders, wenn diese in dem Augenblick geschehen muss, wo die Entscheidung für eines von beiden fallen soll : denn dieser Augenblick gestattet nur ungenügende Ueberlegung ; diese führt zur falschen 20 So auch L u d e n , Handbuch I 305 A n m 2 ; S t a m m l e r S 41; H ä l s c h n e r , D. StR I 486 (s. freil. S 487). Die Auffassung, dass der Notstand eine teilweise Aufhebung cler Rechtsordnung begründe, kann heute nur noch wegen ihrer Seltsamkeit Erwähnung finden.

§ 15

IV. Der Notstand.

Wahl; wird aber auch diese Klippe vermieden, so zeigt sich nicht selten die wahre Grösse der Uebel erst nach der Wahl und beweist dann wohl ihre Unrichtigkeit. Es leuchtet sofort ein, dass die Rechtsordnung sich selbst tief schädigte, wenn sie für die Lösung des Notstandes einen abweichenden Grundsatz aufstellte. Nur das eine könnte fraglich scheinen, ob denn die Rechtspflichten und die Rechtsgüter eine solche relative Wertung zulassen? Ist nicht eine Pflicht gerade so heilig wie die andere, haben nicht alle Güter gleichmässigen Anspruch auf Bestand21 ? Kein Rechtsteil giebt auf diese Frage klarer und bestimmter die verneinende Antwort als der des Strafrechts. Mit gutem Grund hat man gesagt, dass die Strafe der Ausdruck und das Maass des Interesses sei, welches der Staat an der Befolgung der einzelnen Normen zeige. Dies Interesse bestimmt sich wesentlich nach der Heiligkeit der aufgestellten Pflichten und dem Werte der Güter, die durch die Normen geschützt werden sollen. In der Verschiedenheit der Maximalstrafen für Tötung und Körperverletzung, für Mord und Abtreibung, für leichte und schwere Körperverletzung; für Unterschlagung und Diebstahl, für diesen und Raub, für die verschiedenen Fälle des Hochverrates, für unterlassene Anzeige gemeingefährlicher Verbrechen (GB § 139) und unterlassenes Abhalten vom Bettel (GB § 361 Nr 4) u. s. w. kommt vor allem der verschiedene Wert der angegriffenen Rechtsgüter bez. der verletzten Pflichten zur Anerkennung, der nach der Seite des Verbrechers eine Steigerung der Schuld zur Folge haben muss,— dieser W e r t f r e i l i c h n u r i n genereller, nicht in indi v i d u e l l e r Bestimmung, und dieser r e l a t i v e W e r t der G ü t e r a r t e n oft i n w e n i g g e n a u e r , ja nicht einmal widerspruchsfreier Ausschätzung22. Aber die Tatsache, dass die Rechtsordnung verschiedene Verletzungen verschieden schwer empfindet und nicht alle Pflichten für gleich heilig hält, bleibt davon ganz unberührt; und der Satz, dass sie von zwei Uebeln nicht das grössere sondern das kleinere vorzieht, ist ebenso unumstösslich. So würden sich dem Richter — und zwar aus der Analogie zahlreicher Rechtssätze — bestimmte Regeln für die Behandlung des Notstandes auch dann ergeben, wenn das Gesetz über diesen Punkt schwiege. Spräche es aber unvollständig23, so wäre die Frage zu 21

Dieser Ans. G r e g o r y S 4. Es ist nicht zu leugnen, dass die Strafpositionen unseres Gesetzes auch nach dieser Seite h i n genauer gerechnet sein könnten. 23 D. h. so, dass es auch per argumentum e contrario nicht zu ergänzen wäre. 22

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beantworten, ob jene Regeln zur Ergänzung des unvollständigen Gesetzes beigezogen oder verworfen werden müssen? Die Verwerfung wäre jedenfalls nötig, wenn das Gesetz den Ergebnissen der Analogie widerspräche; harmonirte es mit diesen, so wäre seine Ergänzung durch die Analogie unbedingt erforderlich: denn die vom Gesetze übergangenen Fälle kommen ja vor den Richter und er muss sie beurteilen. Diese Sätze aber lauten folgendermaassen : 1. I m F a l l e echter P f l i c h t e n k o l l i s i o n 2 4 ist a. die höhere P f l i c h t auf K o s t e n cler m i n d e r w i c h t i gen zu e r f ü l l e n . Es darf jemand, der beim polizeilich gebotenen Abraupen seiner Gartenbäume Kunde von einem sofort anzuzeigenden Mordplane erhält, die Anzeige nicht unterlassen, weil jene Arbeit ihm geboten ist. Hier wird unleugbar die Erfüllung der schwerer wiegenden Pflicht als Grund berechtigter Nichterfüllung der niederen anerkannt: die Wahl zwischen beiden Pflichten ist vorgeschrieben. Der Täter wird nicht lediglich mit Strafe verschont, obgleich er die eine Pflicht vorsätzlich verletzt hat: er musste die höhere Pflicht erfüllen, und dieses Muss bildet den Grund rechtlich anerkannter Unmöglichkeit cler andern Pflicht gerecht zu werden. b. Von z w e i g l e i c h w T e r t i g e n P f l i c h t e n i s t nur eine zu e r f ü l l e n . Da hier eine Wahl nicht vorgeschrieben werden kann, wählt der Verpflichtete diejenige, der er genügen will, und ist gegenüber dem Vorwurfe, er habe die andere nicht erfüllt, wahrhaft entschuldigt, und zwar wieder wegen rechtlich anerkannter Unmöglichkeit der Erfüllung. Die Lösung des Notstandskonfliktes erfolgt hier zweifellos nicht durch ein mit Strafe verschontes Delikt, sondern die Erfüllung der zweiten Pflicht wird rechtlich nicht gefordert, ihre Nichterfüllung ist also kein Delikt. 2. Im Falle einer Kollision von Rechtsgütern, sei's verschiedenen, sei's gleichen Wertes, herrscht zwar Einverständniss über das Wie 2 5 , 24

Die i n der juristischen Literatur ganz vernachlässigt wird. F r e i l i c h verlangt J a n k a S 196. 197 Strafe, wenn beide Interessen, das errettete und das geopferte, gleichwertig sind (S 199 scheint dies für den F a l l des Lebensnotstandes wieder aufgegeben; vgl. wieder S 203 und den Gesetzesvorschlag auf S 204). Prinzipiell vertritt auch H ä l s c h n e r , D. StR I 489. 491 A n m 1 diesen Standpunkt. — F ü r die Strafbarkeit cler Tötung im Lebensnotstand und für das materiell so höchst ungerechte englische Urteil im Mignonette-Fall : S i m o n s o n , Ζ f. StRAV V 366 ff. I m hohen Maasse auffallen muss es aber, wenn 25

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aber nicht über das Warum des Urteils; niemand will denjenigen, der sein Leben durch fremde Nahrungsmittel oder durch Opferung fremden Lebens erhalten hat, als Dieb oder Mörder bestrafen. In sich folgerichtig sind aber von den gegebenen Begründungsweisen nur zwei : a. die des N o t r e c h t e s zur V e r l e t z u n g 2 6 2 7 . Der Notstand erzeugt dann für den Gefährdeten ein subjektives Recht, seine Rechtsgüter auf Kosten gleich- oder minderwertiger zu retten. Damit wären diese letzteren jenem Rechte verfangen und verfallen und müssten die Opferung still über sich ergehen lassen. Handelt es sich um einen Notstand zwischen Leben und Leben, und man nähme hier Notrechte an, so würden diese sich kreuzen, also bestimmungsgemäss paralysiren. Jeder der Lebensträger dürfte dem anderen angriffsweise ans Leben. Keiner von ihnen dürfte sich aber wider den Angriff des Gegners verteidigen. Kämen im Kampfe beide um, so lägen zwei rechtmässige, also gebilligte Tötungen vor. Und so führte diese Annahme von einem groben Widerspruche zum andern. Gerade die Unerträglichkeit des Verbotes der Notwer ist die Hauptwaffe zur Bekämpfung des Notrechtes geworden. Nun giebt es aber solche Notrechte unleugbar (s. unten S 772). derselbe eine ähnliche Verurteilung nach heutigem d e u t s c h e n Rechte trotz des § 54 für möglich hält — wegen der M o t i v e ! ! 26 1. Den Begriff des Notrechtes verwerfen vollständig G e y e r , Notwer S 4 u. 5 ; M a r q u a r d s e n , A N F 1857 S 402; S c h ü t z e , Notwend. Teilnahme S 295; d e r s . , Lehrb. S 113 A n m 3 ; H ä l s c h n e r , Syst. I 273 ff.; d e r s . , D. StR I 488; v. W ä c h t e r , Vöries. S 138. 139; O l s h a u s e n zu § 54 A n m 5. — 2. E i n solches Notrecht nimmt i n allen Fällen maassvoller Notstandsverletzung an H e r r m a n n a. a. 0 . ; L u d e n , Abh. I I 510; B i n d i n g , N o r m e n i l 194 und sonst; S t a m m l e r S 74 ff. und auf Grund des geltenden Rechts v. B u r i , GS 1878 S 458. — 3. N u r für den F a l l der Kollision von Leben und Eigentum, oder von Leben und irgend einem niederen Rechte erkennen das Notrecht an H e g e l , Rechtsphilosophie § 127; A h e g g § 107; K ö s t l i n , System I 112, vgl. S 8 7 ; L e v i t a S 2 ; W e s s e l y S 13; G i l l i s c h e w s k i S 14; G o e b S 25 und GA X X V I I I 183 (auch i n schwerer Gefahr des Leibes). Vgl. oben A n m 10. De lege ferenda auch v. W ä c h t e r , Sachs. StR S 361. — 4. B e r n e r , De impun. S 10 ff. giebt ein Notrecht, wenn Jemand salvis gravioribus . . . juribus minora j u r a v i o l a v i t , i m übrigen sei die maassvolle Notstandsverletzung strafloses Delikt. — Vgl. über die ganze Ansicht S t a m m l e r S 48 ff.; J a n k a S 141. 27 Die beiden notwendigen Konsequenzen des Notrechts sind: 1. Versagung jeder Notwer gegen die Notstandsverletzung; 2. Berechtigung jedes Dritten dem Gefährdeten im Notstande beizuspringen. Sie werden durchaus nicht immer gezogen. S. bez. der Notwer unten A n m 32.

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Allein ihre Aufstellung ist nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen tunlich : der Konfliktsfall muss sich scharf bezeichnen lassen und das Gesetz muss dauernd eine und dieselbe Lösung desselben bewirken wollen. Bedenkt man, dass diese Notrechte des Gefährdeten den Verlust des Notwerrechtes auf der Gegenseite bedeuten, beachtet man ferner, dass sie ganz vereinzelt auftreten — jedes gerechtfertigt durch die ganz eigentümlichen Verhältnisse, die es erzeugen —, so wird man ein Notrecht nur da annehmen dürfen, wo das Gesetz ein solches ausdrücklich aufstellt und wo die Analogie dieser Satzung es fordert; b. die der aufgehobenen Z u r e c h n u n g des V e r l e t z e n d e n 2 8 . Diese Begründung ist heute allgemein aufgegeben; sie sagt, im Momente höchster Gefahr versage das Strafgesetz mit seiner abschreckenden Kraft, oder das Pflichtmotiv könne in ihr nicht wirksam werden. Dann ist die Verletzung einfach Zufall. Aber die Tatsache, dass es Rechtspflichten zum Bestehen des Notstandes giebt, und die Erfahrung, dass das Pflichtmotiv durchaus wirksam bleiben kann, stürzen jene Begründung. Dagegen ist c. die A u f f a s s u n g , es sei die N o t s t a n d s v e r l e t z u n g D e l i k t , aber m i t Strafe zu v e r s c h o n e n , i n sich w i d e r s p r u c h s v o l l 2 9 . Denn der Strafausschliessungsgrund wird darin ge28 Es genügt liier an K a n t , Metaphys. Anfangsgründe der Rechtslehre (Werke hg. Rosenkranz I X 39. 40) und an F e u e r b a c h , Lehrb. § 91 zu erinnern. Vgl. S t a m m l e r S 42 u. 43; J a n k a S 85 if. K a n t hat aber mit dem Fehlschluss, das actum sei nicht inculpabile, sondern nur impunibile, den Grund zu der verwirrten Deliktstheorie (s. i m T e x t unter 3) gelegt. Nicht ganz genau Normen I I 83. — Dagegen behauptet H ä l s c h n e r , D. StR I 495. 496. 498 und ebenso O l s h a u s e n zu § 52 A n m 13 und zu § 54 A n m 3, das GB ginge i n § 52 und 54 von der Annahme der Unzurechnungsfähigkeit des Täters aus (s. dagegen die trefflichen Bemerkungen H ä l s c h n e r s I 499). Sie ziehen demgemäss die Konsequenzen. I h r Beweis ist die Zusammenstellung der absoluten Gewalt mit der Drohung i n § 52, und § 54 w i r d dann wieder durch den § 52 inficirt. Dieser Beweisgrund ist aber durchaus hinfällig. I m Anschluss an die Tradition stellt das GB i n § 52 heterogene Dinge zusammen, wie es dies j a nicht selten i n den §§ tut. Gerade die Behandlung des Notstandes getrennt von den Gründen ausgeschlossener Zurechnung und nach der Notwer beweist, selbst wenn man auf der schmalen Basis des Gesetzes stehen bleibt, was die übrigen Stellen über Notstand ganz zweifellos machen, dass das Gesetz gerade nicht von der törichten Annahme der Unzurechnungsfähigkeit des i m Notstand Verletzenden ausgeht. Die Drohung des § 52 begründet aber nur einen Notstand. 29

S. K a n t a. a. 0 . Ferner B r e i d e n b a c h , Komm. I 476; v. W ä c h t e r , Sächs. StR S 364; wohl auch G l a s e r , Abh. S 118; H ä l s c h n e r , Syst. I 275, D. StR I 488; W e s s e l y S 9. 17; B e r n e r , soweit er kein Notrecht annimmt

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funden, dass der Delinquent Dieb oder Mörder geworden sei nur aus Mangel an Heldenschaft und dass die Rechtsordnung einen aussergewöhnlichen Heroismus nicht verlangen könne. Abgesehen davon, dass dieser Grund auf alle kleinen Notstände nicht passt, stürzt er über sich selbst. Was die Rechtsordnung nicht fordern kann oder billigerweise nicht fordert, das wird sie nicht fordern. Lässt sie aber die Normen für die Notstandskonflikte in Kraft — und nur dann kommt es ja zum Delikt! -—, so fordert sie also die Wirksamkeit des Pflichtmotivs, sie verlangt das Bestehen des Notstandes, und unbegreiflich .wäre es der Verletzung ihres Verlangens deshalb Straflosigkeit zuzusichern, weil dies Verlangen in der Unbilligkeit gründe! Diese ganz unhaltbare Auffassung erklärt sich auch allein aus ungenügender Durchdenkung der Notstandsfälle. Kollidirt Leben mit Leben und beiden ist verboten sich auf Kosten des andern zu erhalten, so sollen nach dem Willen des Gesetzes beide zu Grunde gehen. Dieser Wille wäre aber die Unvernunft selbst, und er würde noch sinnloser für den Notstand zwischen höherem und niederem Rechtsgute : denn das Gesetz sagte, es erkläre für widerrechtlich, dass der Rechtsordnung die schwerere Wunde erspart und nur die leichtere zugefügt werde. d. Es bleibt noch eine bisher ganz übersehene30 und zwar wohl die richtige Auffassung übrig. Die Notstandsverletzung ist nicht rechtmässig, sie ist aber u n v e r b o t e n . Das Recht k a n n das Bestehen des Notstandes fordern und tut dies öfter; aber es w i l l es nicht; es verzichtet auf Befolgung der Norm 31 , nicht weil es untunlich wäre vom Gefährdeten den nötigen Mut zu verlangen, sondern weil es dem Interesse der Rechtsordnung gleichmässig widerstreiten würde ihre (s. oben A n m 26 unter 4); G r e g o r y S 73; J a n k a S 187 if.; G i l l i s c h e w s k i S 23 ff.; S c h ü t z e S 112 (aus B i l l i g k e i t strafloses Verbrechen). 30 S. B e r n e r , De impun. S 8 : Etenim simulac jure fieri d e s i i t , injuria fiat necesse est, neque unquam exstat quod mathematici vocant punctum indifferentiae. — J a n k a S 192 kann sich eine Aufhebung der N o r m nur durch Statuirung eines Rechtes denken. — v. L i s z t § 3 5 S 133, der der richtigen Ansicht sehr nahekommt, verneint die Rechtswidrigkeit der Notstandsverletzung ; da er aber Notwer gegen sie ausschliesst (S 128), muss er sie als rechtmässig betrachten. H ä l s c h n e r , Syst. I 271 hält die Verletzung nur für Civil-Unrecht, da i h r der Gegensatz gegen das objektive Recht mangele : sie verpflichte nur zum Schadensersatz: S 277. — Es sei hier ein für alle Male erwähnt, dass die Frage, ob die Notstands-Verletzung zum Schadensersatz verpflichte, ganz unabhängig ist von ihrer Rechtmässigkeit oder Unrechtmässigkeit. Pflichterfüllungen lassen i m heutigen Reichsrecht nicht selten Ersatzverbindlichkeiten entstehen. 31

Hierin richtig v. L i s z t S 132.

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§ 151. IV. Der Notstand.

Befolgung zu fordern und ein Recht zu ihrer Uebertretung anzuerkennen, und weil es natürlich ist, dass der Gefährdete seinem Triebe der Rettung nachgiebt. Das Gesetz hält an dem Erforderniss der Befolgung der Norm und an der Strafbarkeit ihrer Uebertretung fest, wenn das kleinere Opfer nur auf Kosten des grösseren gespart werden könnte: die maassvolle Notstand s Verletzung seitens des Gefährdeten aber läuft der Norm nicht zuwider, sie ist jedoch auch keine solche, welche der durch sie Betroffene von Rechtswegen über sich ergehen lassen müsste. Unterliegt dieser und stirbt, so ist sein Tod nicht ein vom Rechte gewollter, sondern ein von diesem als notwendiges Uebel ertragener: Anschauungen und Verhältnisse gestalten sich gesund und natürlich! Als wichtige Folgen ergeben sich: s o w e i t n i c h t N o t r e c h t e a n e r k a n n t s i n d , i s t gegen den V e r s u c h der N o t s t a n d s v e r l e t z u n g die N o t w e r i n v o l l e m Umfange z u l ä s s i g 3 2 , und die Ausnahme von der N o r m w i r k t n u r zu Gunsten des G e f ä h r d e t e n : n i c h t g i e i c h e r m a a s s e n u n v e r b o t e n i s t die N o t h i l f e . So lässt sich erst jetzt die Regel für die zweite Gruppe des Notstandes aufstellen: ausser i n den s e l t e n e n F ä l l e n , wo zu G u n s t e n eines R e c h t s g u t e s ein N o t r e c h t a n e r k a n n t i s t , e r s c h e i n t die E r h a l t u n g des g e f ä h r d e t e n Rechtsgutes auf K o s t e n g l e i c h w e r t i g e r oder m i n d e r w e r t i g e r als unverboten. 3. Nimmt endlich der Notstand die Gestalt eines Konfliktes zwischen Rechtsgut und Rechtspflicht an, so greift zweifellos die analoge Regel Platz: s o w e i t n i c h t b e s t i m m t e N o t r e c h t e anerk a n n t w e r d e n , i s t die E r h a l t u n g des Rechtsgutes d u r c h eine P f l i c h t v e r l e t z u n g und u m g e k e h r t die E r f ü l l u n g e i n e r P f l i c h t d u r c h V e r l e t z u n g eines R e c h t s g u t e s dann u n v e r b o t e n , wenn das grössere U e b e l d u r c h das k l e i n e r e , oder wenn von zwei g l e i c h grossen das eine durch das andere a b g e w a n d t w i r d . 32 So bestätigt die richtige Erkenntniss des Notstandes die oben § 150 verteidigte Auffassung der Notwer. Die Notwer lassen zu — teils konsequent, teils i m Widerspruch mit der eigenen Auffassung — L u d e n , Abh. I I 514; d e r s . , Handb. I 301 A n m 17; v. W ä c h t e r , Sachs. StR S 361; G e y e r S 7; W e s s e l y

S 52 (soweit nicht Notrecht existirt); G l a s e r , K l . Schriften I 203; H ä l s c h n e r , D. StR I 492; v. S c h w a r z e zu § 54 A n m 16; O p p e n h o f f zu § 53 A n m 9 (soweit nicht Notrecht vorliegt); O l s h a u s e n zu § 54 A n m 5.

§ 151. IV. Der Notstand.

In allen andern Fällen ist die Notstandsverletzung widerrechtlich, und falls es ihrem Urheber nicht an der Schuld mangelt, Delikt. — Bei der Aufstellung dieser Regeln (1—3) ward bisher absichtlich das Wertverhältniss der kollidirenden Pflichten und Rechtsgüter als ein festes, ständiges und bekanntes angenommen. Allein nähere Prüfung zeigt die Fehlerhaftigkeit dieser Annahme. Jene Wertrelation ist allerdings gesetzlich bestimmt in den Fällen des Notrechts und der Notpflicht. Im übrigen fehlt es vielfach nicht an einer Abwertung der Rechtsgüter a r t e n gegen einander, aber diese ist weitaus nicht durchgeführt, und besonders bei der Pflichtenvergleichung ist es oft ungemein schwer auch nur das Verhältniss verschiedener Pflichtarten zu einander genau zu bestimmen. Aber selbst da, wo es an solcher Artenwertung nicht mangelt, kann diese nicht durchaus als maassgebend betrachtet werden für das i n d i v i d u e l l e W e r t v e r h ä l t n i s s der G ü t e r i m K o n f l i k t e . Dasselbe kann nämlich dem Artenwerte widersprechen. Die Körperintegrität steht der Art nach an Wert unter dem Leben : wenn aber ein in der Fülle der Kraft stehender Familienvater vor die Alternative gestellt wird selbst für die Zeit seines Lebens zum erwerbsunfähigen Krüppel zu werden oder sich an einem unheilbar Kranken, der nur noch Tage zum Leben hat, zu vergreifen, so schätzt er m. E. mit vollem Fuge, dass hier das Leben an Wert unter seiner Körperintegrität stehe. Genau gerade so kann der individuelle Wert von Leben und Geschlechtsehre dem generellen dieser Güter widersprechen. Für die echte Frau wiegt die Geschlechtsehre mehr als das Leben, mehr als ihr eigenes und demgemäss auch mehr als fremdes, für das Mädchen, das Dirne werden will, hat das Gut fast keinen Wert. Da es sich aber darum handelt, was im einzelnen Konfliktsfall unverboten geschieht zur Rettung eines individuellen Gutes, da die Rechtsordnung gar nicht unternehmen kann diese individuellen Wertrelationen ein für allemal festzustellen, so bleibt ihr kaum etwas anderes übrig, als den Grundsatz, dass es unverboten sei das höhere Gut auf Kosten des minderwertigen zu retten und das gleichwertige auf Kosten des gleichen, auszulegen nicht nach dem Werte der Güterarten, sondern nach dem Werte der einzelnen Rechtsgüter, die ja auch allein zusammenstossen können. Danach wäre im einzelnen Falle die Frage aufzuwerfen, ob der Urheber der Notstandsverletzung injdiesem Falle mit Recht abwich von der allgemeinen Wertung der Güter bez. Pflichten oder in Ermangelung einer solchen eine sachgemässe'Schätzung

768

§ 15.

IV. Der Notstand.

vornahm, und fiele das Urteil in letzterem Sinne aus, so wäre insoweit dem Prinzipe genügt und die Klagerhebung zu unterlassen, im angestrengten Verfahren aber eine Freisprechung geboten. § 152. Fortsetzung. III. S t e l l u n g des gemeinen Rechts gegenüber dem Ν ο t s t a η d e. Erst jetzt nach Umschreibung des ganzen Notstandsgebietes und nach Ableitung der Grundsätze für die Beurteilung der Notstandsverletzung aus positiv-rechtlichen Anschauungen lässt sich mit Aussicht auf Erfolg an das geschriebene Recht herantreten. 1. Im 4. Abschnitt des Gesetzbuchs werden aus jenem weiten Gebiete nur zwei Gruppen von Notstandsfällen erwähnt: der Notstand für Leib und der für Leben des in Gefahr Versetzten oder 33 Eines seiner Angehörigen. Dieser Notstand aber wird nach der Art seiner Entstehung gespalten und an zwei Stellen in nicht genau übereinstimmender Weise geregelt 34. Während nämlich GB § 54 bestimmt: „eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn die Handlung ausser dem Falle der Notwer 35 in einem unverschuldeten, auf andere Weise nicht zu beseitigenden Notstande zur Rettung aus einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben des Täters oder eines Angehörigen begangen worden ist", ordnet § 52, 1 an: „Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Täter durch unwiderstehliche Gewalt oder durch eine Drohung, welche mit einer gegenwärtigen, auf andere Weise nicht abwendbaren Gefahr für Leib oder Leben seiner selbst oder eines Angehörigen verbunden war, zu der Handlung genötigt worden ist." So erscheint als Grund der Strafausschliessung scheinbar in § 54 der Notstand, in § 52 die Gewalt. Die Drohung des § 52 aber darf nicht Unzurechnungsfähigkeit des Bedrohten verursacht haben: denn sonst wäre dieser in Bewusstlosigkeit oder krankhafte Störung der Geistestätigkeit, wodurch seine freie Willensbestimmung ausgeschlossen worden wäre, verfallen, und nicht § 52 sondern § 51 griffe Platz. Sofort öffnet sich nun aber zwischen den Wirkungen der Ge33

Ueber dieses „oder" s. unten. Das GB folgt hier einer eingebürgerten Unsitte. Darüber, dass das Gesetz den Grund der Straflosigkeit beim Notstande nicht .in der Unzurechnungsfähigkeit des Täters findet, s. oben § 151 A n m 28. 35 Diese 5 W o r t e bleiben von nun an als vollständig bedeutungslos ausser Betracht. 34

§ 152.

IV.

Der

Notstand.

769

wait und denen der die Zurechnung nicht aufhebenden Drohung eine tiefe Kluft. Die Straflosigkeit des § 51 und die des § 52, soweit er von unwiderstehlicher Gewalt redet, gründen darin, dass es an einer Handlung im Rechtssinne fehlt. Die gefährliche Drohung des § 52 aber lässt eine Handlung des Bedrohten allerdings zur Entstehung kommen, und während in den Fällen der Unzurechnungsfähigkeit und der absoluten Gewalt cler Gedanke an Bestrafung gar nicht aufkommen kann, bedarf es bei den vorliegenden Handlungen des Bedrohten eines wahren Strafausschliessungsgrundes. Dieser kann nach den §§ 51 und 52 nicht im Ausschlüsse der freien Willensbestimmung (§ 51), auch nicht allein in der Angst des Bedrohten gefunden werden, denn auch cler Mutigste geht nach § 52 straflos aus und ebenso die Errettung der Angehörigen. Er kann vielmehr nur in der eigentümlichen Zwangslage bestehen, worin Leib oder Leben des Bedrohten nur durch eine „strafbare Handlung" errettet werden können: dieser Begriff ist aber in nichts von der wesentlichen Notstandslage des § 52 verschieden. Denn ob diese erzeugt ist durch eine Drohung oder durch ein Verbrechen oder durch Naturkatastrophe, das kommt für die Lösung des Notstandskonfliktes gar nicht in Betracht 36. Den Strafausschliessungsgruncl des § 52 bildet also nichts als der Notstand. Das Gesetz ist hier wieder einmal klüger als sein Wortlaut : es zwingt uns das willkürlich Zerrissene wieder zu vereinen. In demselben Augenblicke aber fordert auch die Ungleichheit zwischen dem Notstande der §§ 52 und 54 ihre Beseitigung. Das Gesetz verlangt zur Straflosigkeit der Notstandsverletzung Unverschuldetsein des Notstandes. Es ist undenkbar denjenigen zu strafen, der den Notstand absichtlich durch Herbeiführung einer Naturkatastrophe verursacht hat, den Andern aber straflos zu lassen, der zu gleichem Zwecke die gefährliche Drohung provozirt. So i s t das M e r k m a l des U n v e r s c h u l d e t s e i n s auch auf den d u r c h D r o h u n g e n v e r u r s a c h t e n N o t s t a n d zu ü b e r t r a g e n . 2. Die Charakterisirung des Notstandes im Gesetze ist nach der einen Seite ebenso vollständig, als nach der andern unbegreiflich eng. Straflosigkeit wird jeder „strafbaren Handlung" zugesichert, sofern sie notwendig war um Leib oder Leben aus dem gegenwärtigen Notstande zu retten — gleichgiltig ob jene Handlung Rechtsgüterverletzung oder lediglich eine Pflichtwidrigkeit ohne solche ist, gleichgiltig ob 3 6

S. a u c h H ä l s c h n e r ,

D. StR I

493.

Binding, Handbuch. V I I . 1. I : B i n d i n g , Strafrecht.

I.

770

§ 15.

IV. Der Notstand.

die Handlung durch gemeines oder durch partikulares Gesetz unter Strafe gezogen wird. Aber nur der Notstand für „Leib oder Leben cles Täters oder eines Angehörigen" wird im GB § 52 und 54 erwähnt 37 . Es erscheint als Willkür unter „Leib" nicht einmal die KörperIntegrität in vollem Umfange verstehen und den Angriff wider den „Leib" auf die schwerere Körperverletzung oder clie grosse physische Gefahr einer erheblichen Zerstörung der Körperintegrität 88 oder auf die Androhung eines Uebels, zu dessen freiwilliger Ertragung eine ungewöhnliche sittliche Kraft gehören würde 39 , beschränken zu wollen. Diese umfasst vielmehr die ganze Körperverletzung, die tätliche Beleidigung, sofern sie Misshandlung ist 4 0 , jede Tätlichkeit im Sinne der §§94 ff., den Angriff auf die Geschlechtsehre durch Einwirkung auf den Körper, endlich jede Nötigling mittels Gewalt gegen die Person. Dagegen ist es unstatthaft die Freiheitsberaubung als solche zu den Angriffen wider den Leib zu rechnen 41. Der Notstand, den § 52 und 54 behandeln, ist also der Konflikt zwischen Leib oder Leben und einer strafbaren Handlung. Und nun erhebt sich die für das heutige Recht eminent wichtige Frage : welche Bedeutung kommt dieser Beschränkung der Notstandssatzungen zu? Hier sind zwei Auffassungen möglich: entweder das GB wollte die Materie erschöpfen, und dann müsste man per argumentum e contrario folgern, dass die Straflosigkeit jeder Handlung zur Kehrung eines Notstandes für andere Güter versagt sein sollte; oder aber das Gesetz wollte das nicht. Dann würde seiner Satzung eine doppelte 37 Unrichtig O l s h a u s e n zu § 5 2 A n m 8, der eine indirekte Gefährdung von L e i b oder Leben durch unmittelbar bevorstehende Vermögensverluste ausreichen lässt. Es bedarf eines g e g e n w ä r t i g e n Notstandes für Leib oder Leben, und die Fälle sind minimal an Zahl, wo einem Menschen die einzigen Ernährungsmittel, die er zur Zeit noch hat und für die er keinen Ersatz erhalten kann, genommen werden: sie wären allerdings echte Notstandsfälle nach GB § 52. — Deshalb hat auch Berl. O T r vom 5. M a i 1871 (Ο X I I 253 ff.) m i t Recht erkannt, dass ein ausgebrochener K r i e g nicht ohne weiteres als eine gegenwärtige Gefahr für den auf der Seereise begriffenen Schiffsmann zu betrachten sei. 38 So S t a m m l e r S 62; s. aber S 63; wohl auch v. S c h w a r z e zu § 54 A n m 1. Recht unbestimmt O l s h a u s e n zu § 52 A n m 9. 39 So B e r n e r , Lehrb. § 84 S 145. — Richtig M e y e r S 34; J a n k a S 242; v. L i s z t S 133. 134. 40 R u b o zu § 52 A n m 8 w i l l die Realinjurie ganz ausschliessen. 41 Richtig M e y e r § 49 S 309 A n m 20; v. L i s z t S 134; O l s h a u s e n zu § 52 A n m 9. And. Mein. H ä l s c h n e r , D. StR I 497; v. S c h w a r z e zu § 54 A n m 1 ; S t a m m 1 e r S 63 (spricht nur vom Angriff auf die Freiheit im Gegensatz zur Sklaverei).

771

§ 152. IV. Der Notstand.

Bedeutung beiwohnen: der Notstand wäre prinzipiell als Strafausschliessungsgrund anerkannt, für den Leibes- und Lebensnotstand wäre eine sehr strittige Frage beantwortet und festgestellt, dass prinzipiell jede „strafbare Handlung", auch die schwerste, wenn zur Abwendung desselben vorgenommen, straflos werden könnte 42 ; das Gesetz hätte die extremsten Fälle geregelt und schwiege sich über den Rest aus. Dieser wäre dann ganz notwendig nach Analogie der §§ 52 und 54, liez, nach Partikularrecht zu beurteilen. Von diesen beiden Auffassungen ist die zweite allein haltbar 43 . Jenes argumentum e contrario aus der ersten, wonach alle anderen Notstandsverletzungen zur Verantwortung gezogen werden sollten, führt zu den sinnlosesten Folgerungen. Denke man beispielsweise an die Kollision zweier gleichartiger Pflichten: obschon der Verpflichtete eine erfüllt hat, und nur eine erfüllen konnte, soll er wegen vorsätzlicher Nichterfüllung der andern gestraft werden ! Beseitigt man aber diese Folgerung durch den Einwand, der Gesetzgeber habe die Pflichtenkollision nicht zum Notstande gerechnet, und beschränkt man den Satz von der Strafbarkeit der Notstandsverletzungen auf den Notstand von Rechtsgut und Rechtsgut oder von Rechtsgut und Rechtspflicht, so stösst man sofort auf Fälle, wo die Bestrafung so anstössig wäre, dass kein Staatsanwalt je klagen, kein Richter je verurteilen wTürde, weil sich beide sagten: das hat der Gesetzgeber nicht gewollt, weil er es nicht gewollt haben kann. Es beginnt hinten auf einem Hofe zu brennen: das nächste Wasser ist das in einem Nachbarbrunnen, der nur durch ein Paar Latten von der Brandstätte getrennt ist. Der Eigentümer beseitigt die Latten und betritt das fremde Grundstück, obgleich dessen Eigentümer ihm das gestern untersagt hat. Soll er Strafe dulden wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch? Hier zu Lande ist verboten mit Hand-, insbesondere Kinderwagen auf dem Trottoir zu fahren. Es werden Pferde auf dem Strassendamm scheu. Sofort ziehen alle Betheiligten ihre Wagen 42

Ueber dies „könnte" s. unten S 774. 775. F ü r sie auch die Motive zu Ε I I I § 52. Danach wurde eine Bestimmung über den Notstand aufgenommen, da „derselbe weder i n dem Begriffe der Notwer m i t aufgeht, noch auch als Grund der Unzurechnungsfähigkeit behandelt werden k a n n " . Die Motive fassen aber den Notstand ganz allgemein „als Kollision zwischen zwei Rechten" und stellen als Regel für die Lösung aller dieser Kollisionen den Satz auf, dass „das geringere Recht dem grösseren weichen müsse". Davon, dass diese Regel nur auf den Leibes- und Lebensnotstand zu beschränken sei, sagen sie kein W o r t . Demgemäss hat auch Berl. O T r vom 6. A p r i l 1876 (Ο X V I I 260 ff.) die Möglichkeit eines Notstandes für Eigentum und die Straflosigkeit seiner A b wendung angenommen (s. oben § 150 A n m 19). 43

49*

772

§ 15.

IV. Der Notstand.

aufs Trottoir um darauf weiter zu fahren, und die Polizei redet ihnen womöglich noch zur Uebertretung ihrer eigenen Verordnung zu. Der Sturm entführt einen Hut in ein fremdes Kornfeld: der Wanderer holt ihn sich mit cler grössten Vorsicht heraus. Ein Advokat gerät in den Verdacht eines schweren Verbrechens : er rettet sich vor Strafverfolgung durch Verrat eines Privatgeheimnisses. Eine genaue Durchforschung der gemeinen Rechts zeigt zur Bestätigung dieses Ergebnisses, dass es auch anderen Notständen Berücksichtigung schenkt, dergestalt dass es ihre Abwendung straflos lässt. Es finden sich a. wahre N o t r e c h t e zum Schutze des E i g e n t u m s 4 4 . Nach SeemO § 57 darf der Schiffsmann ohne Erlaubniss des Schiffers keine Güter an Bord bringen. „Der Schiffer ist auch befugt, die Güter über Bord zu werfen, wenn dieselben Schiff oder L a d u n g gefährden." Eigentum wird durch Opferung von Eigentum erhalten. Grad£ so ist der Schiffer berechtigt das Schiff oder die Ladung zwecks Errettung beider aus einer gemeinsamen Gefahr zu schädigen, insbesondere die Ladung über Bord zu werfen (grosse H a v a r i e ) 4 5 . Dies Recht besteht auch im Falle des durch einen Beteiligten verschuldeten Notstandes. HGB Art. 702. 704. 708. b. N o t r e c h t e zur e v e n t u e l l e n S a c h b e s c h ä d i g u n g oder zur B e n u t z u n g v e r b o t e n e r Wege behufs E r f ü l l u n g der T r a n s p o r t v e r p f l i c h t u n g e n der Post. Nach dem Postgesetz vom 28. Okt. 1871 § 17 dürfen die Posten im Falle der Unpassirbarkeit der gewöhnlichen Postwege „sich der Neben- und Feldwege, sowie der ungehegten Wiesen und Aecker bedienen". Ein ähnliches Notrecht zur Benutzung fremder Fahrzeuge und Gerätschaften, sowie jedes Zugangs zum Strande räumt zur Rettung von Menschenleben die Strandungsordnung vom 17. Mai 1874 § 9 dem Strandvogte ein. c. Pflichtverletzungen, welche straflos sind, weil besondere Umstände vorliegen, „welche zur Abwendung unmittelbarer Gefahr ein Abweichen von obigen Vorschriften notwendig machen". Die Normen sind die Vorschriften zur Verhütung von Schiffszusammenstössen 46, und die unmittelbare Gefahr kann grade so gut eine Gefahr für das Schiff wie für dessen Besatzung sein. Die Abweichung geschieht also hier kraft N o t p f l i c h t 4 7 . 44 Dass k e i n positives Recht ein Notrecht kenne, ist eine falsche Behauptung J a n k a s S 148. 45 S. auch S t a m m l e r S 63. 64. 46 Kais. Verordn. vom 7. Jan. 1880 A r t . 23. Vgl. A r t . 21. 47 Etwas anders i n der Verordn. vom 15. Aug. 1876^ § 1 u. 2, wo die Pflicht-

§ 15.

IV. Der Notstand.

d. Unverboten ist es, wenn jemand bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not obrigkeitlich zur Hilfe aufgefordert die Erfüllung der Pflicht weigert, weil er der Aufforderung „nicht ohne erhebliche eigene Gefahr genügen könnte" 4 8 . Diese Gefahr braucht eine Gefahr für Leib oder Leben nicht zu sein 4 9 . e. Unverboten sind die Kehrungen von Notständen für das Eigentum durch Zerschneidung fremder Fischnetze oder Angelschnüre, die sich mit den eigenen verwickelt haben, „wenn die Unmöglichkeit, die Netze auf andere Weise zu trennen, bewiesen wird" 5 0 . f. „Als eine Plünderung ist es nicht anzusehen, wenn die Aneignung nur auf Lebensmittel, Heilmittel, Bekleidungsgegenstände, Feuerungsmittel, Fourage oder Transportmittel sich erstreckt und nicht ausser Verhältniss zu dem vorhandenen Bedürfnisse steht." MGB § 130. g. Unverboten ist die Verletzung der Privatgeheimnisse durch Ablegung des Zeugnisses im Strafprozesse trotz des Rechts das Zeugniss zu weigern 51. h. Strafmildernd wirkt trotz ihrer Unverhältnissmässigkeit die Notstandsverletzung in GB § 148. 157 Nr 2. 313, 2. Daraus erhellt, das gemeine Notstandsrecht ist nicht so arm, wie die §§ 52 und 54 glauben machen. Dazu kommt ein weiteres. Strafbar sind auch nach dem GB nur widerrechtliche Handlungen. Die Aufstellung von Notrechten der Partikulargesetzgebung verbieten, das kann GB § 54 gar nicht wollen. Auf verschiedenen Gebieten ihrer Zuständigkeit erkennt die Reichsgesetzgebung solche selbst an. Und ausser diesen Gebieten sollen keine bestehen, das Privatrecht soll z. B. Rechte ein fremdes Grundstück in der Not zu betreten, ein fremdes Haus zu schädigen, nicht feststellen dürfen? Dies kann nur behaupten, wer den accessorischen Charakter des Strafrechts ungenügend würdigt. Demgemäss sind alle Bestimmungen des sog. gemeinen Privatverletzung unverboten ist wegen „cler erheblichen Gefahr für das eigne Schiff und die darauf befindlichen Personen" (§ 1), und weil der Schiffer dieser Verpflichtung ohne Gefahr für das Schiff nicht genügen kann.

I m letzten F a l l reicht aber aller-

dings die Gefahr für das Schiff, also wieder für Eigentum, aus. 48

GB § 360 N r 10. Strandungsordnung vom 17. M a i 1874 § 9 al. 1. Ders. Ans. R o t e r i n g , G A X X X I 262; O p p e n h o f f zu § 360 A n m 7 5 a . 50 Intern. Vertrag betr. die polizeiliche Regelung der Fischerei i n der Nordsee vom 6. M a i 1882 A r t . 20. 21. Soll auch hier die Analogie unzulässig sein? 51 Vgl. GB § 300; StPO § 52; B i n d i n g , Grundriss des StP S 117. 49

774

§ 15.

IV. Der Notstand.

rechts und aller Partikularrechte über Notrechte wie über unverbotene Notstandshandlungen, insbesondere die gesunden Bestimmungen des römischen Rechts vom GB § 54 u. 52 unberührt geblieben, falls sie nicht den Notstand von Leib oder Leben betreffen und insoweit von dem Reichsrecht beseitigt worden sind 52 . 3. Es muss ferner die Frage aufgeworfen werden, wie sich das gemeine Recht zum Erfordernisse der Verhältnissmässigkeit zwischen dem geretteten Gute und der vorgenommenen Verletzung verhält? Es sagt davon kein Wort ausdrücklich; ja § 52 u. 54 lauten so, als ob jede „strafbare Handlung" straflos werde, sofern nur irgend eine Leibesgefahr dadurch abgewandt worden 53. Indessen kann man in diesem Wortlaute den Sinn des Gesetzes nicht finden. Man denke, dass eine leichte Körperverletzung lediglich durch ein Attentat auf den Kaiser abzuwenden wäre und man wird alsbald vor solcher Auslegung zurückschrecken 54. Spräche das Gesetz allein vom Lebensnotstande, so würde es zwar jenes Erforderniss nicht verleugnen, aber das Leben vielleicht als ein um jeden Preis wehrhaftes Gut bezeichnen, und darin hätte es im grossen und ganzen Recht (s. aber unten IV 5). Es kann aber unmöglich die Absicht des Gesetzes sein die Gesundheit hierin dem Leben durchaus gleichzustellen, und für den Leibesnotstand wird man dann notgedrungen wieder zu der Aufwerfung der Proportionalitätsfrage im einzelnen Falle gedrängt. So sehen wir denn auch anderwärts das gemeine Recht dem Erfordernisse cler Verhältnissmässigkeit Rechnung tragen. a. Eine indirekte Anerkennung desselben, zugleich aber eine kriminalistische Berücksichtigung des Eigentumsnotstandes findet sich im GB § 313, 2. Die gemeingefährliche Ueberschwemmung vorsätzlich verübt ist mit Zuchthaus bedroht. „Ist jedoch die Absicht des Täters nur auf Schutz seines Eigentums gerichtet gewesen, so ist auf 52

Richtig S t a m m l e r S 64; O l s h a u s e n zu § 54 A n m 10; ders. Ans. wohl M e y e r § 49 S 310 A n m 22. Dagegen spricht v. L i s z t § 35 S 134 sogar den Bestimmungen des H G B und der SeemO die strafrechtliche Bedeutung ab. Soll denn der Seewurf als kriminelle Sachbeschädigung geahndet werden? 63 Die Motive zu Ε I I I § 52 sagen, der Notstand sei „die Kollision zwischen zwei Rechten, bei welcher das geringere Recht dem grösseren weichen muss". Davon ist i n das Gesetz nichts übergegangen; dennoch erklärt O p p e n h o f f zu § 54 A n m 7 den Satz der Motive für Rechtens. 54 Dies tut nicht J a n k a S 242; M e y e r § 49 S 200; S c h ü t z e § 38 S 114 A n m 9. A u c h H ä l s c h n e r , D. StR I 500 und O l s h a u s e n zu § 54 A n m 6 legen auf das Wertverhältniss des verletzten und des geretteten Gutes gar kein Gewicht. Sie bleiben sich darin konsequent (s. oben A n m 27), aber auch diese Konsequenz widerlegt sie.

§ 15.

IV. Der Notstand.

Gefängniss nicht unter einem Jahre zu erkennen." Die G e m e i n gefährdung fremden Eigentums ist ein zu teurer Preis zur Errettung des eigenen: so liegt ein Notstandsexcess vor, und darin wurzelt die bedeutende Strafmilderung, sollte der Gesetzgeber auch nicht gerade so konstruirt haben. b. Ein kleiner Notstand, sehr vielfach als solcher empfunden, ist dann anzuerkennen, wenn jemand falsches Geld als echt empfangen hat und nicht mehr weiss, woher. Er ist und bleibt geschädigt, wenn er nicht seinen Schaden auf andere überwälzen will. Tut er das aber, so geschieht es nicht nur auf Kosten fremden Vermögens, sondern auch des Kredites des Geldes, und deshalb soll es unterbleiben. Die Zwangslage bildet indessen wieder den Grund der milderen Strafsatzung in GB § 148. c. Hat der Meineidige den falschen Eid geschworen, weil ihn die Wahrheit der Strafverfolgung wegen V e r b r e c h e n s oder Vergehens aussetzen konnte, so wirkt der Notstand strafmildernd, und nur so, weil der Meineidige eine zu heilige Pflicht verletzt hat um die Strafklage abzuwendenδδ. Das Erforderniss der Proportionalität gehört also dem gemeinen Rechte an. 4. Endlich der letzte Punkt! Das GB § 54 gewährt die Straflosigkeit nur unter der Voraussetzung des unverschuldeten Notstandes. Ist dies Erforderniss als eine gemeinrechtliche Voraussetzung jeder straflosen Notstandsverletzung anzusehen? Man kann darüber kaum zweifelhaft sein, dass wenn die Aufstellung von Notrechten der Landesgesetzgebung frei steht, diese auch die gesammten Voraussetzungen dieser Notrechte feststellen, demgemäss auch auf das Erfordemiss des unverschuldeten Notstandes verzichten darf. In den übrigen Notstandsfällen aber wird man allerdings in analoger Anwendung des § 54 nur den unverschuldeten Notstand als wehrhaft zu betrachten haben. IV. E i n z e l n e E r f o r d e r n i s s e cler s t r a f l o s e n N o t stand s Verletzung 5 6 . 1. Z u r E r f ü l l u n g e i n e r R e c h t s p f l i c h t oder zur E r h a l t u n g g e f ä h r d e t e r R e c h t s g ü t e r muss clie V o r n a h m e der sonst v e r b o t e n e n H a n d l u n g das e i n z i g v o r h a n d e n e 55

A u c h in GB § 360, 10 w i r d die Verhältnissmässigkeit gewahrt. — Vgl. übrigens auch unten sub I V 5. 56 I n Folgendem ist zuvörderst vom einfachsten Notstand die Rede, wo der Gefährdete sich selbst errettet. Ueber die Errettung der Angehörigen s. unten sub 6. — Uebrigens hebt S c h ü t z e § 38 S 114 richtig hervor, dass auch d e r V e r s u c h der Errettung straflos auszugehen habe.

776

§ 15.

IV. Der Notstand.

M i t t e l gewesen s e i n 5 7 . Das setzt voraus, dass die kollidirenden Pflichten in derselben Zeit erfüllt zu werden beanspruchen, und dass die Gefahr für Rechtsgüter wie bei der Notwer eine gegenwärtige ist, d. h. eine solche, die begonnen und noch nicht geendet hat. Ist der Verlust der Güter ein in continenti unabwendbarer geworden, so ist die Notstandsverletzung ebensowenig mehr statthaft wie die Notwer 58 . Darin liegt ein Doppeltes: a. Eine Kehrung des Notstandes ohne die Vornahme der sonst verbotenen Handlung muss unmöglich gewesen sein. Solange es noch irgend ein Mittel giebt beide zusammentreffende Pflichten zu erfüllen 59 oder das gefährdete Rechtsgut anderweit zu erhalten, etwa durch Flucht, durch Hilferuf, fehlt es eben an dem charakteristischen Notstandskonflikte. b. Die Notstandsverletzung wird nur in dem Umfange, als sie erforderlich war, entschuldigt. Ihr zulässiges Maass aber bestimmt sich etwas anders als bei der Notwer 60 , nämlich nach der objektiven Grösse der Gefahr, nicht nach verständiger Schätzung derselben durch den Gefährdeten. Dies deshalb, weil es h ; er an dem Konflikt zwischen dem zu begünstigenden Rechte und dem nicht zu begünstigenden Unrechte mangelt. Ueberschätzt der Täter schuldlos die Notstandsgefahr, so entschuldigt ihn der Irrtum, aber nicht der Notstand61. c. Der Excess ist nicht unverboten, und wenn zur Schuld zurechenbar, Delikt. Eine Privilegirung des Excesses aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken ist dem Gesetze fremd 62 und mit gutem Grund 63 . Denn der Verletzte ist — von den seltenen Fällen, wo er den Notstand veranlasst hat, abgesehen — nicht die Ursache der Bestürzung des Täters, und das Gesetz hat keinen Grund bei solchen Γ)7

S. GB § 54: „ i n einem . . auf andere Weise nicht zu beseitigenden NotS. das interess. E r k . des BayOG vom 26. Juni 1874 (Bay. Ε I V 272 ff.). 58 Dies verkennt S t a m m l e r S 39. W e n n ich dem Dieb meiner Habe nachreise, i h n treffe und zur Eigenmacht gegen i h n genötigt b i n , so ist dies kein Notstand, und ich würde sehr schlecht fahren, wenn meine Handlung nach dem NotstandsPrinzipe beurteilt werden sollte. Vgl. § 153. 59 Der Anzeigepflichtige kann etwa die eine Anzeige d u r c h e i n j e n B o t e n machen lassen, die andere selbst erledigen. 60 S. oben § 150 S 7 5 0 - 7 5 2 . 61 Bezüglich der irrtümlichen Annahme des Notstandes gilt ganz das oben § 150 A n m 74 Gesagte. 62 Das Schweigen des § 54, der sich doch unmittelbar an § 53, 3 anschliesst, ist sicher kein Zufall. 63 And. Mein. v. W ä c h t e r , Sachs. Straft·. S 379; S t a m m l e r S 67. 68; H ä l s c h n e r I 503. stande".

§ 15.

IV. Der Notstand.

Konflikten den Täter auch nur um Haaresbreite über das Maass der Notwendigkeit zu begünstigen64. 2. G l e i c h g i l t i g i s t die Ursache des N o t s t a n d e s . Dieselbe kann in einer Naturkatastrophe liegen — Sturm, Ueberschwemmung, Feuer, Schiffbruch —, oder in Drohungen, oder in einem widerrechtlichen Angriffe 65 — nur darf dann der Angegriffene die Verletzung nicht gegen den Angreifer kehren, widrigenfalls er zur Notwer greift 66 —, oder endlich in der eigenen Handlung des in Notstand Geratenen. Nur muss 3. der N o t s t a n d ein u n v e r s c h u l d e t e r sein. Der in Gefahr Geratene darf also zunächst weder Recht noch Pflicht gehabt haben den Notstand zu bewirken oder ihm entgegen zu gehen. Abgesehen davon ist natürlich die Schuld hier nicht technisch zu fassen : es giebt kein Delikt der Notstandserzeugung. Vielmehr ist Schuldsein hier identisch mit „Ursache sein", genauer „in zurechenbarer Weise Ursache sein" 67 . Nicht jeder Notstand, den der Verbrecher gemieden haben würde, hätte er nicht verbrochen, ist von ihm verschuldet. Der Notstand ist ein verschuldeter nur dann, a. wenn er von dem Gefährdeten verursacht ist. Stiehlt ein Dieb in einem Hause und stiftet er dort vorsätzlich oder fahrlässig Brand, obgleich er weiss, dass das Haus nicht unbewohnt ist, so kann er nicht den Eigentümer von der Rettungsleiter stossen um sich zu retten. Brach aber das Feuer ohne sein Zutun aus, so ist ihm dies uliverboten ; 1). wenn der Notstand ohne Rechtsgrund verursacht ist. Wer verpflichtet erscheint zu der gefährlichen Handlung, die in Notstand ausmündet, etwa zur gefährlichen Seefahrt oder Flossfahrt 68 oder zu Experimenten mit dem Torpedoboot, der verschuldet den Notstand nicht, auch wenn er ihn verursacht und diese Verursachung als möglich voraussieht, ja selbst derjenige nicht, der zu 64 Z u Unrecht erklärt G ο e h , G A X X V I I I 184 den § 53, 3 auf den Notstand für analog anwendbar. Dagegen R u b o zu § 54 A n m 10. 65 S. O p p e n h o f f , Rspr I 523. 6 S. § 152 A n m 19. 28. 67 S. GB § 213: „ohne eigne Schuld" ; bes. aber Ges betr. die Verbindlichkeit zum Schadenersatz vom 7. Juni 1871 § 1 a. E. : . . . „dass der Unfall durch höhere Gewalt oder durch eigene Schuld des Getöteten . . verursacht ist". Vgl. Normen I I 459. 665. — N i c h t richtig meint L u d e n , Handb. I 310, das Unverschuldetsein sei nur so aufzufassen, „dass die abzuwendende Gefahr nicht in dem objektiven Rechte selbst ihren Grund gehabt haben darf". 68 S. BayOG vom 16. A p r i l 1875 (Bay. Ε V 140 ff.).

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§ 15.

IV. Der Notstand.

solcher Handlung nur berechtigt ist. Der Unternehmer einer Nordpolexpedition weiss sehr wohl, dass er bestimmten Notständen entgegen geht; tut er das seine sie zu vermeiden und rettet sich dann, wenn sie kommen, etwa auf Kosten der Mannschaft, so ist er nicht schuldig. Hat er aber selbst ungenügend Proviant mitgenommen, so hat er den Notstand allerdings verschuldet und muss ihn bestehen; c. wenn er als b e s t i m m t e L e b e n s l a g e voraussehbar war. Es genügt nicht, dass der Verschwender sich sagt, wenn er so weiter wirtschafte, werde er schliesslich dem Nichts gegenüberstehen. Der konkrete Notstand muss voraussehbar gewesen sein, die Möglichkeit, dass es zu irgend einem Notstande kommen könne, reicht nicht aus. Wenn aber ein widerrechtlich Fischender zu tief in den See watet, dabei ins Sinken gerät und nun ein bemanntes Boot zum Kippen bringt, so hat er den Notstand meist, wenn er nicht etwa annehmen durfte, dass er Grund behalten würde, allerdings verschuldet 69; d. wenn er kein unvermeidbarer ist. Wer bei Schiffbruch sich auf eine Planke rettet, auf der sich ein anderer schon befindet, hat diese Notstandslage sehenden Auges verursacht, aber nicht verschuldet. Dies Erforderniss des unverschuldeten Notstandes stimmt allerdings nicht mit der Theorie, die Notstandsverletzung sei stets Delikt, bleibe aber straflos, weil das Recht nicht verlangen könne, dass jemand im Notstande ein Held sei. Diese Entschuldigung bleibt natürlich beim verschuldeten Notstände die gleiche wie beim unverschuldeten. Der jenem Erforderniss zu Grunde liegende Gedanke ist ein anderer und durchaus gesund; er lautet für den Rechtsgüternotstand dahin, dass es nicht ein anderer büssen soll, wenn ich mich in Gefahr gestürzt habe, — auf die Spitze getrieben : wer sich in Gefahr begeben hat, komme drin um 7 0 . Also gerade vom Urheber des verschuldeten Notstandes verlangt die Rechtsordnung, dass er ihn bestehe, dass er also „Held" sei ; deshalb verbietet sie ihm die erretterde Verletzung und macht zu seinen Gunsten keine Ausnahme von der Norm 7 1 . Bleibt die Notstandsverletzung Delikt, so entscheidet freilich der Nachweis, es sei der Notstand bewusst oder unvorsichtig herbeigeführt, über die Schuld, zu der jene Verletzung zuzurechnen ist, noch gar 69 In Stammler 70 S. 71 S.

dieser Beziehung anderer Meinung v. W ä c h t e r , S 70. auch R o t e r i n g , G A X X X I 264. schon Normen I I 205.

Handbuch S 376;

§ 15.

IV. Der Notstand.

nicht. Nur zeigt sich bei der echten Pflichtenkollision allerdings, dass cler bewussten Verursachung des Notstandes stets vorsätzliche, der unbedachten stets fahrlässige Pflichtverletzung entspricht. Soweit die Omissivdelikte zu ihrer Strafbarkeit den Vorsatz verlangen — und dies bildet die Regel! —, geht also der fahrlässige Urheber der Pflichtenkollision straflos aus 72 . Anders stellt sich die Sache bei dem Notstande zwischen zwei Rechtsgütern und zwischen einer Rechtspflicht und einem Rechtsgut73. Hier ist die Schuld der Verletzung Vorsatz sowohl dann, wenn der Täter den Notstand absichtlich verursacht um eine Rechtsverletzung herbeizuführen, und diese nun wirklich dieser Absicht entsprechend darin verübt hat, als auch dann, wenn er unachtsam in den Notstand getreten und nun .wissend, dass ihm die Verteidigung auf Kosten Dritter untersagt ist, dennoch zu ihrer Verletzung schreitet. Die Zurechnung zur Fahrlässigkeit würde also nur dann stattzufinden haben, wenn der Täter die rettende aber zugleich verletzende Handlung unbewusst vorgenommen oder wenn er einen Rechtsgrund für sie zu besitzen geglaubt hat 7 4 . 4. Das g e f ä h r d e t e R e c h t s g u t und die k o l l i d i r e n d e P f l i c h t müssen im N o t s t a n d e w e h r h a f t sein. Diese Wehrhaftigkeit kommt aber a. prinzipiell nicht nur L e i b und L e b e n 7 5 , sondern prinzipiell jedem Rechtsgute und jeder Rechtspflicht zu. Denn stets ist denkbar, dass das gefährdete Gut nur auf Kosten eines gleich- oder minderwertigen erhalten, und die Pflicht nur durch Verletzung einer gleichoder minderheiligen erfüllt werden kann, und in allen diesen Fällen muss eben die Rechtsordnung den kleineren Schaden und von zwei gleich schweren den schwerer abwendbaren auf sich nehmen. Wird der Eigentümer bedroht , es werde ihm die eigene Sache genommen, wenn er die fremde nicht gäbe, oder wird der Depositar vor die ähnliche Alternative gestellt gegenüber zwei von verschiedenen Seiten bei ihm deponirten Sachen, und weicht der Bedrohte der Drohung, so ist er nicht Teilnehmer an einer Unterschlagung, sondern durch Notstand entschuldigt. Packt ein Geier mein Haustier „in gefährlicher Nähe" 72 Dies gilt natürlich auch für den Notstand zwischen Rechtsgut und Rechtspflicht, wenn diese verletzt wird, um jenes zu retten. 73 Also im umgekehrten Falle wie i n der vorigen Anm. 74 Gegen dieses Requisit des Unverschuldetseins erklären sich u. A . v o n W ä c h t e r , Sächs. StR S 378 A n m 46; W e s s e l y S 24 ff.; S t a m m l e r S 68 ff.; J a n k a S 254; M e y e r § 49 S 311; G o e b S 36 ff. 76 S. darüber oben S 770.

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meines offenen Heuschobers und ich schiesse drauf los, so werde ich meist des in GB § 368, 6 bezeichneten Delikts nicht schuldig sein. Kann jemand seine Pflicht unmittelbar drohende Verbrechen anzuzeigen nur dadurch erfüllen, dass er eine Menschenmenge durchbricht, und erregt er bei diesem Anlasse mit vollem Bewusstsein allerhand unvermeidliche Schmerzen an Füssen und Schienbeinen, so sollte er gegen die Anklage der Köperverletzung sicher sein. b. Die Wehrhaftigkeit geht einzelnen Rechtsgütern bezw. Pflichten in concreto dadurch verloren, a. dass sie e i n e m f r e m d e n Rechte sie zu z e r s t ö r e n v e r f a n g e n sind. Der auf dem Schaffot befindliche Mörder, der sich durch Tötung des Scharfrichters rettet , kann sich auf Notstand nicht berufen; ebenso wenig wer — angeordneter Verhaftung zu entgehen — dem Exekutivbeamten seinen Vetter als die zu verhaftende Persönlichkeit bezeichnet. Die eigene Errettung auf fremde Kosten ist hier zweifellos widerrechtlich 76 ; ß. d a d u r c h , dass das G u t , auf dessen K o s t e n a l l e i n die E r r e t t u n g s t a t t f i n d e n d a r f , s c h l e c h t h i n für u n v e r l e t z l i c h e r k l ä r t ist. So die Persönlichkeit unserer deutschen Fürsten ; y. e n d l i c h d a d u r c h , dass die i n N o t s t a n d geratene P e r s ö n l i c h k e i t v e r p f l i c h t e t i s t den N o t s t a n d n ö t i g e n f a l l s m i t A u f o p f e r u n g i h r e r s e l b s t zu bestehen. Die dem Benötigten regelmässig zuständige Wahl zwischen Errettung auf fremde Kosten und Selbstaufopferung ist ihm hier genommen. Bezüglich des Streites über den Umfang dieser Verpflichtung ist zunächst festzustellen, dass solche Notpflichten wie die Notrechte auch partikularrechtlich geschaffen werden können, und dass man für sie als für schwerwiegende Ausnahme von der Wehrhaftigkeit des Notstandes entweder ausdrückliche Satzung oder mindestens Aufstellung durch unmissverstehbare konkludente Erklärung verlangen muss. Dieser Notpflichten finden sich im heutigen gemeinen Recht nur zwei : aa. für M i l i t ä r p e r s o n e n e i n s c h l i e s s l i c h der M i l i t ä r b e a m t e n bestimmt MGB § 49: „die Verletzung einer Dienstpflicht aus Furcht vor persönlicher Gefahr ist ebenso zu bestrafen, wie die Verletzung der Dienstpflicht aus Vorsatz", und in Ergänzung dieser 76

Das Analoge g i l t , wenn der Delinquent um sich vor Strafverfolgung zu retten einen Unschuldigen denunzirt. — Vgl. hierzu bes. L u d e n , Handb. I 310; W e s s e l y S 2 2 ; J a n k a S 243; O l s h a u s e n zu § 54 A n m 9.

15.

IV. Der Notstand.

Bestimmung bedrohen die §§ 84—88 desselben Gesetzes das Verbrechen der Feigheit in seinen verschiedenen Abstufungen mit zum Teil sehr schweren Strafen 77. Ist das Heer das Volk organisirt zum Kampfe gegen die höchsten Gefahren, die dem Vaterlande drohen können, so muss der Einzelne sich dem Ganzen stets zu opfern bereit sein. Die Satzung des § 49 aber stellt durchaus keine allgemeine Pflicht des Soldaten zur Bestehung des Notstandes auf, sie bezieht sich allein auf die Kollision der militärischen, durch Dienstverordnung oder Dienstbefehl begründeten Pflicht mit Rechtsgütern der Militärperson, insbesondere mit Leib oder Leben. Nichts ist gesagt über die Kollision zwischen Dienstpflicht und Sorge für Leib oder Leben eines Angehörigen, worauf auch die Satzung des § 49 durchaus nicht analog übertragen werden kann. Ist dieser Angehörige des Soldaten zugleich auch Angehöriger des Heeres, so wird man sagen müssen, nach dem Willen des Gesetzes soll die Dienstpflicht nicht zur Rettung eines Soldaten verletzt werden; in allen andern Fällen wird die Beurteilung nach allgemeinen Regeln stattzufinden haben. Das gleiche gilt bezüglich der Lösung von Dienstpflichtkollisionen, worüber § 49 gleichfalls schweigt. Bei Kollision von Dienstpflicht mit ausserdienstlicher Pflicht wird erstere vorgehen müssen. bb. Für die Schiffsmänner — im Gegensatz zum Schiffer selbst — ordnet die SeemO § 30 an, sie hätten „in Ansehung des Schiffsdienstes den Anordnungen des Schiffers unweigerlich Gehorsam zu leisten", also auch dann, wenn der Dienst verlangt, dass der Schiffsmann sich in persönliche Gefahr begebe. Man wird vom kleineren auf das grössere schliessen und behaupten dürfen, dass auch der Schiffer selbst seinen Posten aus Angst vor persönlicher Gefahr nicht verlassen dürfe. Die Stellung des Schiffsmanns bei Seegefahr insbesondere wird in SeemO § 32 wiederum gesetzlich nur mittelbar, unmittelbar aber durch den Befehl des Schiffers bestimmt. Der Schiffsmann hat bei Seegefahr, sowie bei Gewalt und Angriff gegen Schiff oder Ladung 1. alle befohlene Hilfe zur Erhaltung beider unweigerlich zu leisten; 2. das Schiff ohne E i n w i l l i g u n g des Schiffers, solange dieser selbst an Bord bleibt, nicht zu verlassen; 3. bei Schiffbruch den A n o r d n u n g e n des Schiffers gemäss nach besten Kräften für Rettung der Personen und ihrer Effekten, für Sicherstellung der 77 Die genauere Beleuchtung des M G B § 49 u. 84 ff. ist der Darstellung des Militär-Strafrechts zu überlassen. Hier bedarf nur ein Punkt der Klarstellung.

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§ 15.

IV. Der Notstand.

Schiffsteile, der Gerätschaften und der Ladung Sorge zu tragen. — Diese Pflichten hat er selbstverständlich im Notfalle mit Opferung seines Lebens zu erfüllen. Nicht ist gesetzlich die Verpflichtung der gesammten Schiffsmannschaft incl. des Schiffers anerkannt in Seegefahr das eigene Leben nicht auf Kosten der Passagiere zu retten, und diese Lücke im Gesetz ist nicht unbedenklich78. Das Leben der Passagiere hängt jetzt wesentlich von der Pflichttreue des Kapitäns und von der Möglichkeit ab, dass sein Befehl im Sturme verstanden wird. cc. Im Reichsbeamtengesetze vom 31. März 1873 fehlen einschlagende Satzungen. Da die Amtspflicht aber durchaus nicht selbstverständlich Notpflicht ist, so gilt der Satz, dass der Eintritt in das Reichsamt den Beamten zum unbedingten Bestehen jeder ihm als Beamten erwachsenden Notstandsgefahr nicht verpflichtet 79. Nicht aber darf man denselben dahin erweitern, eine solche Notpflicht bestehe für den Reichsbeamten nie. So bindet m. E. der Richtereid jeden Richter sich zur Rechtsbeugung durch keine Macht der Welt bestimmen zu lassen. Es ist also bei jeder Amtspflichtverletzung im Notstande zu untersuchen, ob der Wille des Staats dahin geht, dass der Beamte seine Person dem Amte opfere. Im übrigen können solche Notpflichten, wie schon oben bemerkt, auch partikularrechtlich flxirt werden. Wo es an ausdrücklichen Bestimmungen überhaupt fehlt, ist darauf zu sehen, ob die Person, die ihre Pflicht ihrer Errettung opferte, sei's durch Amt (Sicherheitsbeamte, Forstwarte), sei's durch Vertrag (freiwillige Feuerwehr, Krankenwärter, Lokomotivführer u. s. w.) das Bestehen der Gefahr entweder absolut oder in bestimmtem Umfange übernommen hat. Dann wäre es gegen alle bona fides, wollte die Rechtsordnung die Verletzung der übernommenen Verbindlichkeit aus Angst vor der Gefahr für unverbotene Notstandshandlung erklären. Der Feigling, der die Gefahr fürchtet, soll sich wenigstens nicht zu ihrem offiziellen Bekämpfer stempeln oder stempeln lassen80. 78

S. den interessanten F a l l Holmes, den M a r q u a r d s e n , A N F 1857 S 409 ff. referirt. — Freilich verlangt die Rettung der Passagiere meist die Erhaltung mindestens eines Teils der Schiffsmannschaft. 79 S. auch v. W ä c h t e r , Handb. S 378; W e s s e l y S 22; S t a m m l e r S 73; G o e h , G A X X V I I I 185; O l s h a u s e n zu § 54 A n m 9h. — Es würde also beispielsweise ein Richter, den die erhitzte Masse mit dem Tode bedroht, wenn er wage das Gerichtslokal zu betreten, den Gang zur anberaumten Sitzung aufgeben können. 80

Erscheint z. B. die gebotene Verhaftung eines Mörders nach dem Bestand

§ 15.

IV. Der Notstand.

5. Das e r h a l t e n e Gut resp. die e r f ü l l t e P f l i c h t d ü r f e n i h r e m i n d i v i d u e l l e n W e r t e nach dem g e o p f e r t e n Gute resp. der u n e r f ü l l t g e b l i e b e n e n P f l i c h t n i c h t n a c h s t e h e n 8 1 . Ob diesem Erfordernisse genügt ist, entscheidet behufs Klaganstellung der Staatsanwalt, behufs Urteils das Gericht. Für diese Entscheidung fällt nicht nur die Qualität, sondern auch die Quantität der Verletzung in die Wagschale. Steht Eigentum gegen Eigentum, Körperintegrität gegen Körperintegrität, so kann ich mein Haus zu retten nicht unverboten eine Gemeinde einäschern, oder um einen Reitpeitschenhieb abzuwehren nicht einem Dritten eine schwere Körperverletzung zufügen. Hier wirft sich die interessante Frage auf, ob es Rechtsgüter giebt, die — wenn es erlaubt ist so zu sagen — im Vollbestande ihres normalen Wertes, falls sie überhaupt wehrfähig sind, selbst auf Kosten der schwersten Verletzungen ungestraft erhalten werden können 82 ? Von den Rechtsgütern der Persönlichkeit sind nun zwei für sie regelmässig weitaus die wertvollsten : es sind die beiden, welche allein zugleich wesentliche Eigenschaften der physischen Person nach heutigem Rechte bilden: das L e b e n und die F r e i h e i t im Gegensatz zur Sklaverei. Der relative Wert dieser beiden Güter ist sehr schwer festzustellen ; aber obgleich das GB die Freiheit beim Notstande gar nicht erwähnt, kann doch darüber ein Zweifel kaum sein, dass, wie das Leben sich auf Kosten des Lebens und der Freiheit, so auch die Freiheit sich auf Kosten des Lebens im einzelnen Falle unverboten erretten kann 8 3 . der Kräfte der Beamten überhaupt t u n l i c h , so müssen sie zugreifen, auch wenn dieser sich offenbar verzweifelt zur W e h r setzen wird. Ist freilich Pflichterfüllung unmöglich, so können diese Beamten anders wie die Soldaten von dem Versuche der Pflichterfüllung abstehen. Nach diesen Gesichtspunkten scheint m i r auch das oft gebrauchte Beispiel des Gefängnisswärters zu entscheiden. So lange er hoffen k a n n , die Schlüssel mit Aussicht auf Erfolg gegen die das Gefängniss Stürmenden oder gegen die Meuterer zu verteidigen, darf er die eigne Gefahr nicht achten. Erst wenn dies unmöglich wird, kann er die Schlüssel, ohne die Pflicht zu verletzen, preisgeben. So lange die Feuerwehr m i t Aussicht auf Erfolg das Feuer niederkämpfen kann, darf sie nicht aus Scheu vor der Hitze die umliegenden Häuser demoliren um das Feuer in sich zusammenbrennen zu lassen. Sich zwecklos zu opfern w i r d freilich hier nicht verlangt. Richtig H ä l s c h n e r , D. StR I 502. 81 Darüber, sowie über den P u n k t , dass bei den Notrechten dies Wertverhältniss gesetzlich geregelt ist, s. oben S 766 ff. 82 S. oben S 774. 83 Einem Reisenden wird von einem wilden Stamme angesonnen seinen Diener

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§ 15.

IV. Der Notstand.

Dagegen ist der Satz, dass sich das Leben (vielleicht auch die Freiheit) in allen Fällen aucli durch die schwersten Verbrechen straflos retten könne, auch nach heutigem Rechte nicht haltbar, wenn man ihn nicht auch auf den „Leib" ausdehnt, oder nicht in GB § 54 Leib oder Leben für einen pleonastischen Ausdruck für das Leben allein erklärt — eine Alternative, welche in beiden Teilen gleich unannehmbar erscheint. Vielmehr hat der Gesetzgeber in § 54 ein sehr schwer auszudrückendes Merkmal, nämlich das der Verhältnissmässigkeit von Rettung und Preis, weil es die Wissenschaft ganz allgemein festhält, aufzunehmen nicht für nötig erachtet; es ist aber zu subintelligiren, und erst dann wird GB § 54 nicht in hohem Maasse anstössig. Es hiesse die Ausnahme von der Norm zu wreit treiben, sollte es einem Deutschen unverboten sein zur Rettung von Leib oder Leben seiner selbst etwa ein Regiment deutscher Truppen dem Feinde in die Hände zu spielen. So k a n n der Lebensnotstand auch wohl von der Strafe der §§ 81, 90 u. s. w. befreien, er b r a u c h t es aber nicht, und ob er es tut, ist quaestio facti. 6. D i e Ν o t s t a n d s v e r l e t z u n g muss zur R e t t u n g des T ä t e r s s e l b s t oder eines A n g e h ö r i g e n begangen s e i n 8 4 . Dies Erforderniss richtig zu verstehen und zu würdigen bedarf es zunächst einer genauen Betrachtung des Verhältnisses dritter Personen 2u den im Notstande befindlichen. a. Dem ein wahres Notrecht Ausübenden darf jedermann Beistand leisten 85 . b. Die Notpflichtigen aber, die berufen sind den Notstand zu bestehen , werden auch von Angehörigen demselben nicht entrissen werden dürfen 86 . c. Derjenige, dem die Wehrhaftigkeit im Notstande mangelt87, m i t dem Tode zu bestrafen oder selbst zeitlebens bei i h m Sklave zu sein. E r tötet den Diener und ist durch Notstand entschuldigt. Sofort ändert sich m. E. die Entscheidung, wenn der Herr weiss, dass er leicht entfliehen kann oder i n wenig Wochen durch seine Verbündeten befreit werden wird. 84 Ergreift ein Notstand drei Personen und zwei verbinden sich zur eigenen Rettung gegen den D r i t t e n , so findet, auch wenn sie nicht Angehörige sind, § 54 zu ihren Gunsten Anwendung. Denn an erster Stelle geht jeder auf Errettung seiner selbst aus. Nicht unmöglich ist aber, dass von jenen drei Personen eine sich selbst zu opfern beschliesst, nachdem sie erst der andern geholfen haben würde, sich auf Kosten der dritten zu retten. Dann greift sie i n fremden Notstand ein. 85 S. oben S 772. 86 A u c h kein Angehöriger darf den Soldaten von sehr gefährlichem Posten gewaltsam entfernen. 87 S. oben S 780 ff. W e r seinen zum T o d verurteilten Bruder durch Tötung

§ 15.

IV. Der Notstand.

darf von Niemandem durch eine Notstandsverletzung der Gefahr entzogen werden. d. Denjenigen, die rechtlich verpflichtet sind Leib und Leben anderer zu hüten, wird es auch unverboten sein müssen diese ihrer Obhut anvertrauten Personen aus selbstverschuldetem Notstande zu retten. Ein entsprungener Wahnsinniger, vielleicht entsprungen wegen Unachtsamkeit des Wärters, stürzt in ein brennendes Haus, der Wärter verfolgt ihn und erkämpft nun für ihn die rettende Leiter. Das gleiche dürfte von dem Schutzmanne gelten, der mit dem Transport eines \Terbrechers betraut ist, wenn dieser absichtlich den Kahn kippen macht um zu entkommen und nun seine Rettung für den Wächter nur möglich ist durch Tötung des Schiffers. Für die übrigen Fälle erhebt sich die Streitfrage, ob dem in Notstand Geratenen wie bei der Notwer jeder beispringen kann, oder ob die durch den Notstand bewirkte Ausnahme von der Norm eine höchstpersönliche ist, oder ob das Recht vielleicht einen mittelbaren Notstand für einen Kreis dem Gefährdeten nahestehender Personen annimmt? Der Grund für die Allgemeinheit des Notwerrechts greift hier nicht Platz, denn es handelt sich nicht um das Aufgebot der Kraft zur Verteidigung des Rechts wider das Unrecht. Nicht unmöglich wäre aber aus den Prinzipien für die Beurteilung der Notstandsverletzung den Satz abzuleiten, dass jedenfalls bei der Kollision wertvoller Rechtsgüter mit minder wertvollen, wenn auch freilich nicht beim Konflikte etwa von Leben und Leben, auch jedem Dritten unverboten sei zur Lösung des Konflikts im Sinne der Rechtsordnung beizutragen 88. Diese Folgerung aber ist doch nicht richtig. Von den wenigen Notrechten abgesehen ist die Notstandsverletzung nicht rechtmässig, sondern nur unverboten. Dieses Unverbotensein gründet zum Teile in dem Drucke des Notstandes, den dieser unmittelbar nur auf die darin befindlichen Personen, auf Fremde aber nicht einmal mittelbar ausüben kann; nur zum andern Teile kommt in Betracht, dass ja eines der beiden Uebel unvermeidlich ist 8 9 . So giebt es keine des Scharfrichters auf dem Schaffot rettet, ist wahrlich nicht durch Notstand entschuldigt. 88 Zur Bekräftigung dieses Satzes könnte man sich darauf berufen, dass k e i n Mensch Bedenken tragen wird, wenn er einen Verhungernden bewusstlos findet und er i h n nicht anders retten k a n n , sich an fremder M i l c h oder fremdem Weine zu vergreifen. 89 S. oben S 766. So würde i m vorigen F a l l e , wenn der Retter nicht auf Binding, Handbuch. V I I . 1. I :

B i n d i n g , Strafrecht.

I.

50

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§ 15.

IV. Der Notstand.

unverbotene Beihilfe zur Notstandsverletzung und noch weniger eine unverbotene Verletzung seitens eines gar nicht in Notstandsgefahr Geratenen. Unverkennbar aber greift der Druck des Notstandes mittelbar über den Gefährdeten hinaus und wirkt bald tiefer, bald weniger tief auch auf die ihm nahestehenden Personen. Wer könnte tatlos zusehen, wenn seine Frau, sein Kind, sein teuerster Freund im Notstande zu erliegen drohten? Steht doch dem edlen Menschen das Leben der Seinen höher als sein eignes! So ist es nur billig, wenn das Gesetz diesen Personen das tätige Eingreifen zur Errettung aus der Notstandsgefahr ebensowenig verbietet wie dem Gefährdeten selbst : sie s i n d i n m i t t e l b a r e m N o t s t a n d e 9 0 . Billig wäre den Kreis dieser privilegirten Personen gesetzlich nicht zu schliessen, denn nicht die Nähe des Blutes bestimmt die Tiefe des Anteils an fremdem Notstande, sondern Liebe und Freundschaft mit dem unmittelbar Gefährdeten. Dennoch hat das gemeine Recht in § 52 und 54 nur den „Angehörigen" das Eingreifen zu Gunsten des unmittelbar Gefährdeten freigegeben, ist aber mit seiner Absicht das Gesetz dadurch praktikabel zu machen kaum durchgedrungen. Es wäre falsch für die Auslegung dieser Verwandtschaftsbezeichnungen das Familien- oder Erbrecht als unbedingt maassgebend zu betrachten. Der Gesetzgeber will vielmehr den Kreis von Personen bezeichnen, die erfahrungsmässig bestimmten andern am nächsten stehen, und so wird es geboten die Erfahrung zur Auslegung seiner Ausdrücke zu gebrauchen. Die Angehörigen im Sinne dieses Strafgesetzes 91 sind Verwandte Zustimmung des Eigentümers der Nahrungsmittel rechnet, i h m allerdings ein Delikt zur Last fallen, aher ein von der Sittlichkeit geheischtes, somit der Gnade teilhaftiges. 90 Damit erledigt sich wohl die Polemik O l s h a u s e n s zu § 54 A n m 3 wider die Normen I I 203. Uebrigens betont O l s h a u s e n die W o r t e des § 54 „ i n einem Notstande" zu stark. N i c h t diese Worte, nur der Gedanke des Gesetzes nötigt uns die Angehörigen als mittelbar in den Notstand hineingezogen zu betrachten. Jedenfalls steht der Angehörige ausserhalb cler persönlichen Gefahr und insoweit ausser dem Notstande. 91

S. GB § 52. E r denkt unter Strafgesetz nicht allein sich selbst, sondern das ganze Strafgesetzbuch, worin die Angehörigen i n der Bedeutung des § 52 begegnen i n § 54. 213. 232, 2. 247, 1. 257, 2 u. 3. 258 a. E. 263, 4. 292, 2. 303, 4. Ueber den Begriff s. bes. die sorgsamen Ausführungen von O l s h a u s e n zu § 52 A n m 18—74.

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§ 152. IV. Der Notstand.

oder Verschwägerte auf- und absteigender Linie 9 2 9 3 , Adoptiv- und Pflegeeltern und -Kinder 94 , Ehegatten 95 , Geschwister96 und deren Ehegatten97, und Verlobte 98 . Rettet der Freund den Freund, so kann nur die Gnade helfen. Was übrigens das Gesetz anordnet zu Gunsten von Leib oder Leben der Angehörigen, das gilt natürlich analog auch für deren anderweite Rechtsgüter, sofern sie in Notstand geraten. Der Täter kann auch das Eigentum seiner Frau auf Kosten fremden Eigentums erretten. Ist hier der Notstand zwar überhaupt weniger intensiv, so wird doch zweifellos auch hier der nahstehende Angehörige in Mitleidenschaft gezogen. 92 Verwandtschaft ist Blutsverwandtschaft, begründet durch gemeinsame A b stammung von demselben Stammvater. Die uneheliche Verwandtschaft (und Schwägerschaft) steht durch das ganze Strafrecht der ehelichen gleich. Uneheliche Verwandte sind also Verwandte, auch wenn sie vom Civilrecht nicht als solche anerkannt sind (and. Mein. R ü d o r f f zu § 52 N r 6). - Richtig O p p e n h o f f zu § 52 A n m 13; O l s h a u s e n zu § 52 A n m 18. 19. Verwandte auf- und absteigender L i n i e sind nur Ascendenten und Descendenten. S. auch Berl. O T r vom 14. Jan. 1875 (Ο X V I 51). 93 Verschwägerte auf- und absteigender L i n i e sind Schwieger-Eltern und - K i n d e r , sowie Stief-Eltern und -Kinder. Die Verschwägerten i n der Seitenlinie (Stiefgeschwister) sind keine Angehörigen. Ist die Ehe quoad vinculum gelöst, so enden damit erfalirungsgemäss die nahen schwägerschaftlichen Beziehungen, somit auch die Schwägerschaft i m Sinne dieses Gesetzes. So auch O l s h a u s e n zu § 5 2 A n m 19 und die dort Angeführten. Umgekehrt, wenn die Ehe durch den T o d getrennt wird, R G I vom 1. Dez. 1881 (Ε V 200 if.: abweichende civilrechtliche Bestimmungen kommen hier für das Strafrecht nicht in Betracht). 94 Ob Personen A d o p t i v - E l t e m oder -Kinder sind, das bestimmt sich allerdings streng nach Landrecht; ganz anders aber ist bei der Auslegung der pflegeelterlichen Verhältnisse zu verfahren. H i e r interessirt den Gesetzgeber die partikularrechtliche Definition der Pflegeeltern schlechterdings gar nicht, vielmehr denkt er nur an das intime Verhältniss, das entsteht, wenn „Personen tatsächlich die Pflege und E r ziehung eines fremden Kindes übernehmen". So treffend R ü d o r f f zu § 52 N r 6. Ders. Ans. O p p e n h o f f zu § 52 A n m 14; O l s h a u s e n zu § 52 A n m 2 1 ; BayOG vom 31. März 1876 (Bay. Ε V I 145) und vom 30. März 1878 (das. V I I I 130 ff.). Richtig OAG Dresden vom 3. Dez. 1877 (Annalen 2. Folge V 406 ff.). A n d . Mein. R G I I vom 17. Dez. 1880 (E I I I 124 ff), I vom 27. A p r i l 1882 ( Ε V I 233 ff). S. aber auch R G I vom 11. Febr. 1884 ( Ε X 95 ff, bes. S 100). 95 Sofern die Ehe nicht vom Bande gelöst ist. 96 Halbbürtige und vollbürtige, aber nicht Stiefgeschwister. 97 Hier gilt dasselbe wie A n m 92. Natürlich w i r d der Ehegatte der einen Schwester Angehöriger aller ihrer Geschwister und umgekehrt. 98 Verlobte sind Personen, die sich, sei's ausdrücklich, sei's durch schlüssige Handlungen ein ernsthaftes Eheversprechen gegeben haben. Die landesgesetzliche F o r m des Verlöbnisses w i r d nicht verlangt. O p p e n h ο f f zu § 52 A n m 16; O l s h a u s e n zu § 52 A n m 24; R G I I I vom 28 Jan. 1884 (Ε X 167).

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§ 153. Y. Erlaubte Eigenmacht und Selbsthilfe.

Für diesen mittelbaren Notstand bedarf es zum Schlüsse noch eine Klarstellung des Merkmals, dass nur unverschuldeter Notstand wehrhaft sei. Man muss hier zwei Personen in Betracht ziehen: den unmittelbar im Notstand Befindlichen und seinen zu retten beflissenen Angehörigen. a. Ist der Notstand von ersterem verschuldet und ist ihm deshalb sogar die Selbsterrettung auf fremde Kosten untersagt, so wird dem Angehörigen das Eingreifen zu seinen Gunsten umsoweniger freigegeben sein". Greift er dennoch ein, weil er die Schuld seines gefährdeten Angehörigen nicht kennt, so kann ihn sehr wohl der ihn ausser sich setzende Affekt des Mitleides oder der Irrtum, aber nicht der Notstand entschuldigen100, mag auch seine sittliche Schuld gleich Null sein. b. Ist der Notstand aber von dem Angehörigen selbst verschuldet, so darf er umsoweniger zur Rettung seines Vaters oder Bruders fremde Rechtsgüter vernichten. Es würde ja sonst auch derjenige, der absichtlich seinen nahen Verwandten in die Notstandsgefahr stürzt um darin ein fremdes Menschenleben vernichten zu können, straflos ausgehen, wenn er seine Absicht ausführt. N o t s t a n d i s t also für den r e t t e n d e n A n g e h ö r i g e n n u r dann e i n u n v e r s c h u l d e t e r , wenn weder er s e l b s t noch der v o m N o t s t a n d u n m i t t e l b a r B e t r o f f e n e i h n v e r s c h u l d e t hat. § 153. V. E r l a u b t e E i g e n m a c h t und S e l b s t h i l f e 1 . Eigenmacht und Selbsthilfe, deren letztere nur eine Art der ersteren und zwar die zur Sicherstellung oder Durchsetzung des subjektiven Rechts dienende Aufwendung der Kraft des Berechtigten oder 99

Ders. Ans. O p p e n h o f f zu § 54 A n m 4.

And. Mein. O l s h a u s e n zu § 54

A n m 7. 100 Sehr verkehrt B r e i d e n b a c h , Komm. I 575 und i h m folgend W e s s e l y S 33 (der I r r t u m schliesse hier den Vorsatz nie aus). S. dagegen v. W ä c h t e r , Sächs. Strafr. S 368. 373. 1 M 47. W V 63. Gey 19. L i 33. Κ 15. — L i n d e , Ζ f. Civilrecht u. Prozess I 1828 S 392—435. — B e n f e y , Rhein. Museum V I I 1835 S 1 if. Schwarze, Neue Jahrb. f. Sächs. StR I 1841 Heft 2 S 100 ff., Heft 3 S 30 ff. — D e r s . s. v. Selbsthilfe i n W R L e x X 125 ff. — G o l t d a m m e r , Material. I I 148 ff. — W ä c h t e r , W ü r t t . P r R I I 402 ff. — U n g e r , Oesterr. P r R I 337 ff. — S c h m i d t , D i e Selbsthilfe i m römischen Privatrechte. Erlangen 1868. — M e r k e l i n H R L e x s. V. Selbsthilfe H I 664. — S e e g e r , Abh. I 284 ff. — W T a h l b e r g , Ges. Schriften I I I 71 ff. — W e n d t , Das Faustrecht. Jena 1883.

§ 153.

. Erlaubte Eigenmacht und Selbsthilfe.

seines gesetzlichen Vertreters ist, kommt strafrechtlich nur soweit in Betracht, als die Handlung von dem Zwecke der Eigenmacht abgesehen den Tatbestand eines Deliktes darstellen würde. Sie legitimirt, soweit sie anerkannt ist, besonders Nötigungen, Einsperrungen, Hausfriedensbrüche, Sachbeschädigungen, eventuell auch Körperverletzungen und Tötungen2. Denn berechtigter Eigenmacht tritt nur unberechtigter Widerstand entgegen und dieser darf gewaltsam gebrochen werden: ihre statthafte Energie bemisst sich also nach der des geleisteten Widerstandes. I. E i g e n m a c h t — legitimirt im Interesse des Staates — ist die vorläufige Festnahme eines auf frischer Tat betroffenen oder verfolgten Verbrechers, welcher fluchtverdächtig oder dessen Person nicht sofort feststellbar ist, die StPO § 127, 1 jedermann gestattet. II. Die S e l b s t h i l f e als Eigenmacht beschränkt sich auf das Gebiet des Privatrechtes ; insbesondere ist Selbsthilfe zwecks Erlangung krimineller Genugtuung undenkbar, da Privatstrafrechte nicht mehr existiren und alle Strafrechte zu ihrer Vollstreckung des ergangenen Urteils bedürfen. Deshalb ist auch die Entscheidung der Frage, wie weit Selbsthilfe statthaft sei, nur auf dem Boden des jeweiligen Privatrechts genau zu beantworten3. Soweit sie aber statthaft, statuirt sie eine Ausnahme von den Verboten der Sachbeschädigung, des Hausfriedensbruches u. s. w. 1. Anerkannte Selbsthilfe zwecks Sicherung des Beweises und der Durchführung einer Ersatzforderung ist die Ausübung des deutschrechtlichen P f ä n d u n g s r e c h t e s 4 . 2. Die übrigen Fälle erlaubter Selbsthilfe scheiden sich derart, dass entweder a. die Selbsthilfe statthaft ist, ohne dass prinzipiell eine Betretung des Rechts- oder Verwaltungsweges erfordert würde. Man denke an die den Nachbarverhältnissen entspringenden Rechte überhängende 2 Nie aber Diebstahl und Raub. 9. Febr. 1880 ( Ε I 193, I I 184).

S. auch R G I vom 17. Juni 1880 und vom

3 Hier ist deshalb eine Darstellung der erlaubten Selbsthilfe nicht am Ort. N u r das strafrechtlich Bedeutsame bedarf der Hervorhebung. Vgl. übrigens P r e u s s . L a n d r e c h t Einleitung § 77. 78, T e i l I I T . 10 § 157 und dazu D e r n b u r g , Preuss. PrR 4. A u f l . I 279 if. und B ü r g e r l . G e s e t z b u c h f ü r d a s K ö n i g r . S a c h s e n § 178—185 und dazu S c h m i d t , Vorl. über das i m Königr. Sachsen geltende PrR I 147 ff. 4

Seine Darstellung ist natürlich dem Privatrecht zu überlassen. Deutsches Privatrecht I . 2. A u f l . S 586 ff.

S. S t ο b b e ,

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§ 153.

. Erlaubte Eigenmacht und Selbsthilfe.

Bäume zu beseitigen, das Nachbargrundstück zu betreten um übergefallene Früchte zu holen und ähnliche Erscheinungen5. b. Die Selbsthilfe ist nur statthaft in Ermangelung obrigkeitlicher, insbesondere richterlicher Hilfe. Ihre Zulässigkeit ist in allen Rechtsordnungen anzuerkennen, welche sie nicht ausdrücklich untersagen. In Ermangelung genauerer gesetzlicher Regelung erscheint sie statthaft, soweit obrigkeitliche Hilfe nicht zu erlangen ist und der durch Eigenmacht noch abzuwendende Schaden voraussichtlich ein endgiltiger und nicht wiederherzustellender sein würde 6. Und zwar wird sie insoweit kraft subjektiven Rechtes geübt und ist nicht nur, wie das Preussische Landrecht sich ausdrückt, zu entschuldigen, d. h. unverboten. Deshalb ist Notwer gegen sie ausgeschlossen und dem zu berechtigter Eigenmacht Schreitenden darf jedermann Hilfe leisten. 3. Diese letzte Art des Eigenmachtrechtes wurzelt entweder a. im Justizstillstand, während die Justizverweigerung es nie erzeugt; oder b. in der Unerreichbarkeit der funktionirenden Staatsgewalt. In beiden Fällen muss aber der Schaden voraussichtlich nicht anders als durch Eigenmacht abwendbar sein7. Sie kann Platz greifen, nachdem das Notwerrecht sein Ende erreicht, insbesondere nachdem der Dieb nach gelungener Flucht sich ruhigen Besitzes der gestohlenen Sache schon erfreut hat 8 , nachdem 5 S. 1 1 pr. § 1—71 D de arbor, caed. 43, 2 7 ; 1 un. D de glande legenda 43, 28 (Verbleiben trotz Aufforderung das Grundstück zu verlassen kein Hausfriedensbruch). — Vgl. auch über die Fälle wehrloser Detention oben § 150 S 746. — W a h l b e r g , Ges. Schriften I I I 79 w i l l hier von e i g e n m ä c h t i g e r Selbsthilfe nichts wissen. 6

Sehr treffend sagt das Preuss. L R Einleit. § 78: „ D i e Selbsthilfe kann nur i n dem Falle entschuldigt werden, wenn die Hilfe des Staats zur Abwendung eines unwiederbringlichen Schadens zu spät kommen würde." Vgl. Sächs. bürgerl. Gesetzbuch § 179, 1. 80. — I n beiden Beziehungen unterscheidet sich die Selbsthilfe von der Notwer. 7 Es steht nichts i m Wege diese K o l l i s i o n zwischen Rechtsverlust und Verbot der Eigenmacht als einen Notstand und das Recht zur Eigenmacht als ein echtes Notrecht zu betrachten. 8 S. oben § 150 A n m 54 und über die künstlich verlängerte Notwer gegen Okkupanten von Grundstücken daselbst. Es trifft Jemand den Dieb mit der Sache i m einsamen W a l d e und ist in cler Lage sie i h m abzunehmen. R G I I I vom 18. Juni 1881 (Rspr I I I 416 ff.) erkennt i n einem Sächs. Falle ausdrücklich die Möglichkeit einer von der Notwer gesonderten zulässigen Selbsthilfe an. Deshalb

§ 154. VI. Berufsrechte und Berufspflichten.

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der Entführer die einwilligende minderjährige unverehelichte Frauensperson, oder gar die einwilligende Ehefrau des Verfolgers schon in Sicherheit gebracht zu haben glaubt 9 . Es ist aber auch möglich, dass die Gelegenheit zur Notwer noch gar nicht entstanden war 1 0 , so wenn jemand seinen Schuldner, der offenbar im Durchgehen begriffen und nicht zu sistiren ist, in der Einsamkeit antrifft und ihn nun um den Betrag seiner Forderung erleichtert. § 154. VI. B e r u f s r e c h t e und B e r u f s p f l i c h t e n 1 . I. Der Beruf des Menschen ist ein Kreis dauernder Aufgaben, zu deren Verfolgung und zu deren Lösung sein Leben ganz oder teilweise bestimmt ist. Nur selten besteht der Beruf wTie beim Gesetzgeber, beim Richter, einem Teile der Verwaltungsbeamten, beim Staats- und Rechtsanwalt in der Förderung des Rechtslebens als solchen; im übrigen teilen sich die Berufe in das ganze Gebiet der sittlichen, wissenschaftlichen und praktischen Aufgaben des Menschengeschlechtes, soweit diese dauernde sind und dauernd verfolgt werden können. w i r d eine Freiheitsberaubung für berechtigt erklärt „ m i t der selbstverständlichen Einschränkung, dass sie nicht weiter ausgedehnt werden durfte, als bis die Hilfe der Obrigkeit zu erreichen war." Da aber der beigerufene Schutzmann das E i n schreiten zu Unrecht ablehnte, so habe der Angeklagte sich nicht den irrigen A n schauungen desselben zu fugen gehabt, der Schutzmann auch die weitere Anwendung berechtigter Eigenmacht nicht untersagen können, der Angeklagte sei vielmehr im Besitze des Rechtes die Selbsthilfe weiter auszuüben geblieben. 9 S. auch W a h l b e r g , Ges. Schriften I I I 86. 87. Bei cler Entführung von Frauenspersonen wider ihren W i l l e n dauert die rechtswidrige und somit zur Notwer berechtigende Handlung so lange als die Nötigung. 10 So i n dem berühmten Falle der 1 10 § 16 D quae in fraud, creditor 42, 8. S. auch Bürgerl. Gesetzbuch für das Königreich Sachsen § 180; Preuss. O T r vom 19. Dez. 1877 (Ο X V I I I 805). Es ist sicher unrichtig, wenn B e r n e r , A N F 1848 S 589 beweisen will, es lägen hier echte Notwerfälle vor. 1 M 46. Sch 36. L i 33. Gey 19. W V 67. Κ 15. G 90. S c h a p e r bei H H I I 125. — Z i m m e r m a n n , Ueber straflose Tötungen: GS X X X I V 1883 S 266 ff. — K ü b e l , Körperverletzung durch Ueberschreitung des Züchtigungsrechtes der L e h r e r , i n Kübels W ü r t t . Gerichtsblatt X I I I 1877 S 355 ff Vgl. das. S 314 ff. und Anonymus S 413 ff. — S c h w a r z e , Das Züchtigungsrecht des Lehrers und clas S t G B : GS X X I X 1878 S 597 ff; d e r s . , Komm. S 625 ff. — F r e u d e n s t e i n , Das Erziehungsstrafrecht in Haus und Schule. Minden 1882. — A h e g g , Zur . . strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Medicinalpersonen : GA X I I I 1865 S 324 ff. 385 ff; d e r s . , Untersuchungen S 116 ff. — M i t t e r m a i e r , Ν Α V I I I 596 ff. — R o t e r i n g , Die chirurgische Operation: GA X X X 1882 S 179 ff. — S. auch F i n k e l n b u r g s. v. Perforation in H R L e x I I I 1 S 33. 34.

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§ 154. VI. Berufsrechte und Berufspflichten.

Da die Ausübung des Berufes, soweit er nicht in der Selbstzucht und steigender Selbsterkenntniss der Persönlichkeit besteht, immer im Gebiete des sozialen Daseins stattfinden muss, ist es für die Macht, deren Beruf es gerade ist dieses Leben zu regeln, ist es für das Recht unumgänglich zu den Berufsarten überhaupt und zu den Machtvollkommenheiten des einzelnen Berufes Stellung zu nehmen. II. Die Pflichten und die Rechte, welche der Beruf seinen Trägern gewährt, sind ausserordentlich zahlreich, zum Teil sehr einschneidender Art, trotzdem zum geringsten Teile gesetzlich geregelt, in den übrigen Fällen durch das ungesetzte Recht anerkannt, aber natürlich nicht genau umschrieben, deshalb ebenso schwer darzustellen als in ihrer Anwendung zu beurteilen 2. Am meisten Ausbeute gewähren die Gesetze über die Fälle der Berufsrechte und Pflichten, welche das ö f f e n t l i c h e Amt seinem T r ä g e r z u b r i n g t 3 . III. Wo es nun an gesetzlicher Regelung dieses Rechts- und Pflichtenkreise fehlt, bilden m. E. folgende Sätze die Beurteilungsnorm : 1. die notwendigen Mittel zu rechtlich gebotenen Zwecken sind rechtlich gebotene Mittel; 2. die notwendigen Mittel zu rechtlich erlaubten Zwecken sind rechtlich erlaubte Mittel; 3. die Energie des Mittels darf nicht soweit gehen den Zweck zu vereiteln ; 2 Es ist m. W . das Verdienst M e y e r s i n umfassender Weise (s. bez. der Perforation schon S c h ü t z e 1. A u f l . S 379 A n m 2) den Beruf als Grund wegfallender Rechtswidrigkeit sonst deliktischer Handlungen in die Lehrbücher des Strafrechts eingeführt zu haben. N u r fasst M e y e r den Beruf i n § 46 S 292. 293 zu eng. Vgl. dann v. L i s z t § 33 S 124, der aber nur vom ö f f e n t l i c h e n Berufe handelt. — Es versteht sich, dass es nicht Sache der Strafrechtswissenschaft ist diesen gewaltigen ihr fremden Stoff zu bewältigen : sie hat nur die Grundgedanken klar zu legen, nach denen der Strafrichter diese Erscheinungen zu beurteilen hat. I c h habe nach dieser Richtung i n unserer Praxis eine natürliche, aber etwas zu grosse Aengstlichkeit bemerkt. — Was oben § 150 S 731 über das Abwehrrecht gesagt worden ist, gilt auch für diese Berufsrechte. Sie interessiren strafrechtlich nur soweit, als ihre Ausübung objektiv den Tatbestand einer strafbaren Handlung darstellt. 3 Berufsrecht und Notwerrecht können zusammentreffen, ohne dass jenes in diesem aufginge. Jeder tätliche Angriff auf den i n Ausübung seines Berufsrechtes Begriffenen berechtigt zur N o t w e r : diese endet mit dem Ende des Angriffs, das Berufsrecht erst wenn sein Ziel erreicht ist. A u c h gegen clen passiv Ungehorsamen darf z. B. der Offizier nach Maassgabe des M G B § 124 seine Zwangsmacht geltend machen.

§ 154. VI. Berufsrechte und Berufspflichten.

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4. wo ein dauerndes Bedürfniss zur Vornahme bestimmter Handlungen besteht, die in fremde Rechte oder Rechtsgüter eingreifen, und wo diese Handlungen jahraus jahrein unter den Augen der Behörden vorgenommen werden, ohne dass diese daran Anstoss nähmen, da spricht die Vermutung für das Bestehen eines Berufsrechtes 4. Zur Orientirung über dies grosse Gebiet fassen wir zunächst A. die ganze T ä t i g k e i t des u n m i t t e l b a r e n E r f ü l lungszwangs ins Auge, einerlei ob der Träger der Zwangsbefugnisse ein Beamter oder ein anderer Delegirter der öffentlichen Gewalt ist. Es handelt sich also um die berufsmässige unmittelbare zwangsweise Durchsetzung eines rechtlich anerkannten Willens. Hier wiederholt sich eine Erscheinung, die schon bei der Notwer zu beobachten war: dass die Maassregeln des Erfüllungszwanges nicht selten weit energischer sind und sein müssen als die Maassregeln des Strafzwangs gegen dieselbe Handlung der Widersetzlichkeit. Jene Maassregeln bedeuten nun 1. e n t w e d e r die V e r w i r k l i c h u n g eines Z w a n g s rechtes, das für den e i n z e l n e n F a l l oder f ü r eine Gruppe von F ä l l e n nach Bestand und I n h a l t z u v o r d u r c h Gesetz, E n d - oder Ζ w i s c h e n u r t e i l , A n o r d n u n g der V e r w a l t u n g s b e h ö r d e oder v e r b i n d l i c h e n B e f e h l rechts g i l t i g genau f e s t g e s t e l l t ist. So die Berufstätigkeit der Vollstreckungsbeamten, soweit sie rechtmässige Amtsausübung ist, die des Scharfrichters , des vollstreckenden Staatsanwaltes, des Gefängnissbeamten, des Gerichtsvollziehers, der Polizeibehörde, die einen gerichtlichen Haftbefehl zur Ausführung bringt u. s. w. Nicht nur werden aber durch diese Berufspflichten die gebotenen Tötungen, Freiheitsberaubungen, Vernichtungen von Vermögenswerten, Einziehungen, Arrestschläge, insbesondere Pfändungen gerechtfertigt, sondern auch die dazu notwendigen Störungen des Hausfriedens, Nötigungen, Durchsuchungen von Gegenständen u. s. w. 5 6 . 4 Dieser Satz w i r d Manchem bedenklich erscheinen: aber nicht minder bedenklich ist die Bestrafung von Personen lediglich i n Folge mangelnder gesetzlicher Anerkennung ihres Berufsrechtes. 5 S. ζ. B. die Zwangsrechte der Kommandantur zur Niederlegung von Baulichkeiten u. s. w. nach clem Rayon-Gesetz vom 21. Dez. 1871 § 4 3 ; die analogen Rechte der Marine-Behörde nach dem Kriegshafen-Gesetz vom 19. J u n i 1883 § 4, 2 ; das Recht der Polizeibehörde die angeordnete Tötung an der Seuche erkrankter oder derselben verdächtiger Tiere ausführen, die Ställe desinficiren zu lassen: s. das Viehseuchen-Gesetz vom 23. Juni 1880 § 24. 27; das Recht der Landesregierungen die Vernichtung von Reb-Pflanzungen und die angeordnete Desinfektion

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§ 154. VI. Berufsrechte und Berufspflichten.

2. Das Z w a n g s r e c h t w i r d erst d u r c h d e n j e n i g e n geschaffen, der es u n m i t t e l b a r danach zur V e r w i r k l i c h u n g b r i n g t . Hier kommen aus dem Gebiete des Reichsrechtes besonders der militärische Befehl und der Befehl des Schiffers in Betracht. In beiden Fällen ist seine Zweckmässigkeit nicht Voraussetzung der Zwangsanwendung. a. Es sagt das MGB § 124, dass die Handlungen des Vorgesetzten „um seinen Befehlen im Fall der äussersten Not und dringendsten Gefahr Gehorsam zu verschaffen, nicht als Missbrauch der Dienstgewalt anzusehen sind", und § 125 dehnt diese Bestimmung auf Wachen aus. Der Vorgesetzte kann hier also bis zur Tötung des ungehorsamen Untergebenen fortschreiten. b. Handelt es sich hier wesentlich um Anwendung der Amtsgewalt 7 , so ist es anders mit der Gewalt des Schiffers, welche die Seemannsordnung vom 27. Dez. 1872 § 79, 2 dahin bestimmt: „Bei einer Widersetzlichkeit oder bei beharrlichem Ungehorsam ist der Schiffer zur Anwendung aller Mittel befugt, welche erforderlich sind, um seinen Befehlen Gehorsam zu verschaffen." Diese erforderlichen Mittel können Körperverletzungen, ja sogar Tötungen sein, und diese Mittel dürfen nicht nur gegen die Schiffsmannschaft, sondern auch gegen die Passagiere zur Anwendung kommen8. 3. Ζ w a n g s a n w e n d u n g und B e f i n d e n über das Dasein und den U m f a n g des Z w a n g s r e c h t s im k o n k r e t e n F a l l e u n m i t t e l b a r v o r A n w e n d u n g des Zwangs l i e g e n i n derselben Hand. des Bodens anzuordnen und ausführen zu lassen: s. Gesetz betr. die Abwehr der Reblauskrankheit vom 3. J u l i 1883 § 3 , s. auch die dazu gehörige Verordnung vom 4. J u l i 1883 § 6 ; die Rechte der Polizeibeamten nach dem Nahrungsmittelgesetz vom 14. M a i 1879 § 2. 3. 4 (weitergehende landesrechtlich gewährte Befugnisse bleiben unberührt); das Recht den geladenen ausgebliebenen Zeugen zwangsweise vorführen zu lassen und den erschienenen renitenten Zeugen in Zwangshaft zu nehmen: StPO § 50 u. 69. 6 [zu s 793] Die Machtvollkommenheiten der Gerichtsvollzieher werden durch CPO § 678. 679. 681 genau geregelt. 7 A u c h dann, wenn der „Vorgesetzte" nicht wie der Offizier ein Beamter ist. 8 Dies ist nicht ausdrücklich gesagt, ergiebt sich aber aus der ratio legis. — Sehr interessant äussern sich hierüber die M o t zu § 84 des Entwurfs (Stenogr. Berichte des Reichstags 1872 I I I 306): „ D i e Disciplinargewalt des Schiffers gipfelt i n der Befugniss äussersten Falles absolut jedes M i t t e l zur Anwendung zu bringen, dessen er zur Ausführung seiner Anordnungen bedarf. Es ist unmöglich, die Verantwortlichkeit, die das Gesetz dem Schiffer nach allen Richtungen h i n auflegt, zu tragen, wenn i h r nicht die entsprechende Machtvollkommenheit gegenübersteht." D a r i n ist nur unrichtig, dass dies Recht als ein Disciplinarrecht bezeichnet wird.

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Hier kommen besonders die Rechte sofortiger Sistirang 9, die Rechte zum Waffengebrauch, die häufig zum Zwecke der Sistirung gegeben sind 1 0 , die Rechte Aufläufe nötigenfalls gewaltsam zu zerstreuen, sozialistische und kommunistische Versammlungen aufzulösen 11, die Rechte zur vorläufigen Beschlagnahme12, zu Durchsuchungen13 in Betracht. Auch das Recht der Polizei den renitenten Lehrling zwangsweise in die Lehre zurückzuführen ist hieher zu stellen (GewO § 130. 134) 14 . In allen diesen Fällen besteht das Zwangsrecht soweit als der zu seiner Ausübung Berufene genügenden Grund zu seiner Ausübung vorliegend erachten durfte 15 . B. Unter dem m i t t e l b a r e n E r f ü l l u n g s z w a n g e ist die Tätigkeit zu begreifen, deren Ziel in der Bestimmung des Willens eines Leistungspflichtigen zu der geschuldeten Leistung durch mittelbare aber rechtlich anerkannte Zwangsmaassregeln besteht. An dieser mittelbaren Zwangsgewalt nehmen die verschiedensten Personen aus den mannigfaltigsten Rechtsgründen in verschiedenstem Umfange Teil. Es interessiren an dieser Stelle zwei Arten von Berufsrechten : 1. Die z a h l l o s e n A u f s i c h t s r e c h t e , deren Inhaber verlangen dürfen, dass ihnen der Zugang zu den Stellen geöffnet werde, wohin sie ihre Pflicht ruft, und dass ihrer Aufsicht nicht entzogen werde, 9 S. bes. StPO § 127; GVG § 185. S. auch Vereinszollgesetz vom 1. J u l i 1869 § 129. 130; Ges betr. die Sicherung u. s. w. vom 1. J u l i 1869 A r t . 16. 17. — Das Recht der Sistirung rechtfertigt nie die Tötung des zu Sistirenden, wohl aber t u t dies die Notwer wider den rechtswidrigen Angriff des zu Verhaftenden. Kann der Fliehende, cler sistirt werden soll, nur durch einen Schuss erreicht werden, so soll ihn dieser womöglich nur unfähig machen die Flucht fortzusetzen. Eintretender T o d w i r d dann freilich vielfach nicht zur Schuld zurechenbar sein. 10 S. M G B § 124, 2 u. 125, 2. Vereinszollgesetz vom 1. J u l i 1869 § 19. Die einschlägigen Vorschriften der Landesrechte unterliegen leicht dem Missverständnisse, dass die verordnungswidrige Waffenanwendung notwendig einen Excess der Notwer bedeute. Das ist falsch. W a n n die Anwendung der Waffe zur Kehrung des Angriffs „erforderlich" war, darüber entscheidet allein der Richter auf Grund des § 53 des GB ; wann eine Ueberschreitung jener Landesgesetze vorliegt, entscheidet sich allein nach ihnen. 11 Sozialistengesetz vom 21. Okt. 1878 § 9. 12 S. StPO § 98. 100; Sozialistengesetz § 15; Ges betr. die Sicherung vom 1. J u l i 1869 A r t . 17 ; Pressgesetz § 23. 13 S. StPO § 105; Vereinszollgesetz vom 1. J u l i 1869 § 126. 127. 132, 2. 14 S. auch über Zwangs-Impfungen Impfgesetz vom 8. A p r i l 1874 § 18 al. 3. 15 Richtig M e y e r § 46 S 290. Vgl. RG I I I vom 5. Nov. 1881 ( Ε V 295 ff.); RG I V vom 12. Dez. 1884 (Rspr V I 807).

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§ 154.

VI. Berufsrechte und Berufspflichten.

was ihr unterliegt. Kein Verbot dessen, bei dem sie die Aufsicht zu üben haben, kann sie abhalten dessen Räumlichkeiten zu betreten und dessen Handlungen zu kontroliren 16 . 2. Die ganze D i s c i p l i n a r g e w a i t 1 7 in ihren reichen Anwendungen im Kreise der Beamten, des Heers, in der Gemeinde, der Kirche, der Familie, der Universität, der Schule, der Rechtsanwaltschaft, in parlamentarischen Versammlungen, im Gericht, im Gefängniss, auf Schiffen, in dem Kreise der Börsenbesucher u. s. w. 1 8 1 9 . 16

M a n s. beispielsweise R V A r t . 17. 36, 2. 56. 63, 3 ; GVG § 148; über die Fabrikinspektoren GewO § 139 b ; über die Aufsichtsräte bei Kommanditgesellschaften auf A k t i e n Ges vom 18. J u l i 1884 A r t . 193. 17 Dieser so eminent wichtige Gegenstand ist zur Zeit noch ungenügend bearbeitet (s. die L i t e r a t u r bei B i n d i n g , Grundriss I 84), und zwar sind gerade die kriminalistisch interessanten Fragen fast vollständig vernachlässigt. Verdienstlich v. L i s z t , Ordnungs- und Disciplinarstrafen, in H R L e x I I 966 ff. — Disciplinarstrafen der Kirche entbehren nur insoweit des Deliktscharakters, als sie entweder vom Staate als berechtigt anerkannt sind, oder als ausserdem das volenti non fit injuria Platz greift. 18 Das Reichsrecht hat diesen Gegenstand teilweise geregelt: s. 1. die Disciplinarstrafordnung für das Heer vom 31. Okt. 1872; 2. die Disciplinarverordnung für die Kaiserl. Marine vom 23. Nov. 1872; 3. das Reichsbeamtengesetz vom 31. März 1873 § 80 ff.; 4. R A O vom 1. J u l i 1878 § 62 ff.; 5. GVG § 128 (bez. der Mitglieder des Reichsgerichts); 6. G V G § 177 ff. Ueberhaupt können an dieser Stelle alle sog. Ordnungsstrafen zu den Disciplinarstrafen gezählt werden, und ist also auf alle Reichsgesetze zu verweisen, die solche Ordnungsstrafen anerkennen. — Insoweit handelt es sich durchweg um die Verhängung gesetzlich bestimmter Disciplinarstrafen. 7. Negative Begrenzungen der' Disciplinargewalt enthalten R V Art. 22. 30; G V G § 8. Ausserdem bestimmt nun 8. SeemO § 72: „Der Schiffsmann ist der Disciplinargewalt des Schiffers unterworfen." Vgl. § 79: „Geldbusse, körperliche Züchtigung oder Einsperrung darf er als Strafe nicht verhängen." Gegen Widersetzliche oder beharrlich Ungehorsame darf er „die geeigneten Sicherheitsmaassregeln ergreifen und sie nötigenfalls fesseln". 9. Das Ges betr. die Verpflichtung deutscher Kauffahrteischiffe zu Mitnahme hilfsbedürftiger Seeleute vom 27. Dez. 1872 § 4 unterwirft die Mitgenommenen „der Disciplinargewalt des Schiffers". Ferner bestimmt 10. GewO § 126 : Der Lehrherr „hat den L e h r l i n g zur Arbeitsamkeit und zu guten Sitten anzuhalten und vor Ausschweifungen zu bewahren". § 127: „ D e r L e h r l i n g ist der väterlichen Zucht des Lehrherrn unterworfen. Dessen \ 7 ertreter in seiner Ausbildung ist er zur Folgsamkeit verpflichtet." 11. Endlich sagt StGB § 193 : „Verhaltungen und Rügen der Vorgesetzten gegen ihre Untergebenen sind nur insofern strafbar, als eine Beleidigung aus der F o r m der Aeusserung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht", und 12. die Disciplinarstrafordnung für das Heer vom 31. Okt. 1872 § 4 sagt über dens. P u n k t : „Blosse Zurechtweisungen oder Rügen sind als Disciplinarstrafen nicht anzusehen." 19 I n geselligen Vereinen besteht m. E . eine Disciplinargewalt nicht. Die Maassregeln der Geschäftsleitung sind gedeckt nur insoweit, als sich die Mitglieder freiwillig der Oberleitung unterworfen haben.

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Für den Strafrichter haben Vollstreckungen gesetzlich zulässiger und bestimmter Disciplinarstrafen kaum Interesse. Aber ausserordentlich wichtig können für ihn die beiden Fragen werden, ob angebliche Akte der Disciplinargewalt einer solchen wirklich entsprungen sind, und falls diese Frage zu bejahen, ob sie ihr dem Maasse nach entsprechen. a. Wie steht es insbesondere m i t der F a m i l i e 2 0 ? Sie ist als Hausgemeinschaft die Pflanzstätte der sittlichen Zucht; sie ist bestimniungsgemäss ein sittlicher Organismus, dessen negative Aufgabe die Reinhaltung seiner Glieder bedeutet. Es giebt eine Disciplinargewalt in der Familie nur im Interesse der sittlichen Zucht; es giebt schlechterdings keine zur indirekten Erzwingung der Unsittlichkeit 21 . Die Gewalt besteht soweit, als zur Erhaltung der Zucht in der Familie notwendig ist, und insoweit wird sie dem Hausvater auch gegenüber der Ehefrau zugesprochen wrerden müssen; gegenüber den Kindern — und zwar leiblichen, Stief-, Adoptiv- und Pflegekindern — steht sie beiden Eltern zu, der Mutter freilich nicht im Widerspruch zum Vater. Diese Gewalt schliesst das Züchtigungsrecht ein: seine beiden energischsten Anwendungen sind die körperliche Züchtigung und die Einsperrung zur Strafe 22. Dieses Recht ist aber ein Erziehungsrecht, steht deshalb nach heutiger Rechtsauffassung dem Vater gegenüber cler Mutter nicht mehr zu 2 3 ; es endet mit der Entlassung der Kinder aus der väterlichen Gewalt, mit deren Verheiratung oder Begründung des eigenen Hausstandes, prinzipiell endlich dann, wenn das Er20

Der Gegenstand entbehrt einer gesetzlichen Regelung i m einzelnen durchaus. Vgl. W i n d s c h e i d , Pand. I I § 340 A n m 11, § 514 s. 3 ; B e s e l e r , Deutsches Privatrecht 3. A u f l . § 116 N r 3. 4 ; S t o b b e , Deutsches Privatrecht I V 52. 57. 58. 320 if. — Y o n den Komm, sind bes. O l s h a u s e n zu § 223 A n m 10 (1. Aufl.) u. v. S c h w a r z e a. a. 0 . zu vergleichen. — Das elterliche Züchtigungsrecht erklärt prinzipiell für übertragbar R G I I I v. 11. Jan. 1882 (Rspr I V 38. 39). 21 Jede Züchtigung des Kindes durch den Vater, weil es dessen schlechtem Ansinnen widersteht, ist rechtswidrige Körperverletzung und als solche eventuell zu strafen. Aber wo bleibt freilich nach unserem anstössigen Recht der Antragsteller? 22 N i c h t zur Hinderung einer Ungebühr. S. A n m 23. 23 S. auch Pr. O T r vom 19. M a i 1854 bei GA I I 553. — E i n solches besteht aber nach dem Bayer. Landr. T h . I Kap. V I § 12 N r 2 u. 3, und richtig hat der BayOG vom 17. A p r i l 1875 (Bay. Ε V 144 if.) angenommen, dass dadurch das vom GB § 223 verlangte Merkmal der Widerrechtlichkeit aufgehoben werden könne. S. auch R G I I I vom 14. A p r i l 1880 ( E l l 12). Vgl. F r e u d e n s t e i n a. a. 0 . S 3ff. W e n n aber der M a n n die dem Trünke ergebene F r a u zur Z e i t , wo sie sich zum Ausgehen anschickt um ihrer L u s t zu fröhnen, einsperrt, so kann ich darin eine widerrechtliche Freiheitsberaubung nicht erblicken.

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ziehungswerk vollendet ist, auch wenn das Kind noch im Hause bleibt 24 . Soweit nun überhaupt ein disciplinares Züchtigungsrecht anerkannt ist, bestimmt sich sein Maass nach seinem Zweck : die Züchtigung soll nicht Schmerzen als solche, nicht Hunger, nicht Freiheitsentziehung, sie soll vielmehr Besserung wirken. Sie darf deshalb nie in einer das Leben gefährdenden Behandlung, nie in einer „Gesundheitsbeschädigung" im Gegensatz zur körperlichen Misshandlung, nie in dauernder Freiheitsberaubung bestehen (s. GB § 223) 2δ . Unzweckmässige Anwendung des Züchtiglingsrechtes begründet keine Verantwortung 26, wohl aber Züchtigung ohne Erziehungszweck, lediglich aus Lust an der Brutalität 27 oder in angeblicher Ausübung der Zuchtgewalt28. Das Recht der Eltern aber den Kindern scharfen Vorhalt zu tun über unlauteres Beginnen endet erst mit dem Tode. Das Kind kann durch die Eltern sehr wohl strafbar beleidigt werden, aber nie durch den gutgläubigen Vorhalt, es habe unsittlich gehandelt, noch durch die den Eltern begründet erscheinende Warnung, es möge sich nicht auf die abschüssige Bahn verlocken lassen. 24 S. S t o b h e a. a. Ο . I V 324. — Ueber die Züchtigungsgewalt des Stiefvaters gegenüber der Stieftochter s. O T r Stuttgart vom 7. Okt. 1874 (St I V 151). 25 Ueberschreitungen des Züchtigungsrechtes kann die Landesgesetzgebung der Herrschaft des StGB nicht entziehen. RG I I I vom 14. A p r i l 1880 ( Ε I I 12). — Bezüglich der Ueberschreitungen des Züchtigungsrechtes sind zu vergleichen: Pr. O T r vom 5. Okt. 1865, 9. A p r i l 1869, 25. Okt. 1877 (Ο V I 361 ff., X 216, X V I I I 669: E l t e r n ) ; vom 12. M a i 1865, 16. Jan. 1868 — unrichtig —, 25. Okt. 1873, 17. A p r i l 1877 ( 0 V I 125. 126, I X 19 ff, X I V 669, j X V I I I 277: L e h r e r ) . — OAG Dresden vom 14. Aug. 1876 (Ann 2. Folge I V 187. 188). — RG I I I vom 14. A p r i l 1880 ( Ε I I 10 ff.: L e h r e r ; die Bestrafung wegen vorsätzlicher Körperverletzung setzt wissentliche Ueberschreitung des Züchtigungsrechtes voraus; ganz fehlgehend M e ν e s , Strafgesetznovelle zu § 223 A n m 4); I vom 30. Juni 1881 (Rspr I I I 451 ff); I vom 29. Sept. 1881 ( Ε V 129 ff); I vom 24. Nov. 1881 (das. S 194 ff); I vom 17. Nov. 1883 ( Ε I X 204 ff); I I vom 18. Dez. 1883 (das. S 302ff.) — E i n Excess ist schlechterdings nicht anzunehmen, wenn durch maass vol le Züchtigung infolge Zufalls, insbesondere durch dem Züchtigenden unbekannte krankhafte Disposition des Gezüchtigten die Züchtigung schwere Nachteile für dessen Gesundheit gebracht, j a vielleicht dessen T o d verursacht hat. Gut S c h w a r z e , GS X X I X 607. 608. 26 Pr. O T r vom 7. A p r i l 1864 (Ο I V 441). S. auch OAG Dresden vom 23. A p r i l 1877 (Annalen 2. Folge V 35 ff); R G vom 14. A p r i l 1880 (E I I 14); O p p e n h o f f zu § 193 A n m 4. 27 O T r zu Stuttgart vom 7. Okt. 1874 (St I V 151). 28 R G I I I vom 14. A p r i l 1880 (E I I 13). — Dem Vormund, wenn der Mündel nicht i n seiner Hausgemeinschaft wohnt, kommt ein Züchtigungsrecht nicht zu.

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b. Wenn die GewO § 127 den Lehrling cler „väterlichen Zucht" des Lehrherrn unterwirft, so erkennt sie letzterem das Recht der Rüge und der Züchtigung in demselben Maasse zu, wie es der Vater den Kindern gegenüber besitzt 29 . c. Die Disciplinarrechte des L e h r e r s innerhalb seiner Berufsausübung sind vielfach durch Landesverwaltungsgesetze genauer geregelt. Seine Stellung ist für den Kreis der Schulaufgaben der des Vaters nachgebildet30, und wo solche Regelung fehlt, wird man von seinen Schülern 31, wie die GewO von den Lehrlingen, sagen können, sie sind der väterlichen Zucht des Lehrers unterworfen. Es bezieht sich dies jedoch nicht auf Privatlehrer 32 . d. Das Gesinde tritt in die Hausgemeinschaft der Familie und damit ist auch ihm gegenüber das Recht sowohl des Herrn als der Frau begründet darauf zu halten, dass es sich durch ordentliche und pflichttreue Lebensführung dieser Gemeinschaft würdig zeige und nicht durch Ungebühr das sittliche Gemeinleben der Familie beflecke 33. Es unterliegt jedenfalls dem Rügerecht des Hausherrn und der Hausfrau; ja man wird, wo nicht ein Recht leichter Züchtigung ausdrücklich versagt ist, in exorbitanten Fällen, in welchen die Rüge nicht ausreicht und die sofortige Entlassung nicht tunlich ist — etwa bei grober Beschimpfung des Familienhauptes vor den Kindern, bei grober Unsittlichkeit im Hause — ein solches Züchtigungsrecht, weil durch das Bedürfniss verlangt, anzuerkennen haben 34 . 29

Eine analoge Uebertragung dieses Satzes auf den Handelslehrling ist nicht

zulässig. 30 N i c h t halte ich für richtig, dass clie Disciplinargewalt des Lehrers von der des Vaters abgezweigt, eine nur delegirte Gewalt sei: so W ü r t t . Gerichtsbl. X I I I 422. 423; S c h w a r z e , GS X X I X 602. 611. 31 Nicht auch von den Schülern anderer L e h r e r : s. Pr. O T r v. 15. März 1877 (Ο X V I I I 230 ff.); O L G München v. 31. Okt. 1882 (E des O L G München I I 197 ff.: Höchstpersönlichkeit des Züchtigungsrechtes des Lehrers); K ü b e l a. 0 . S 357. 32 Sehr empfindlich ist dann aber allerdings das Fehlen einer Altersgrenze, bis zu welcher die körperliche Züchtigung gehen darf. — S. Pr. O T r vom 5. J u l i 1866 (Ο V I I 414 ff). — Vgl. auch OAG Dresden vom 18. Sept. 1876 (Annalen 2. Folge I V 386), vom 23. A p r i l 1877 (das. V 35 ff: sehr beachtenswert!). 33

Beachte auch H G B A r t . 65. And. Mein. M e y e r § 46 S 291. Dagegen F r e u d e n s t e i n S 17 ff. — Nach Preuss. Landr. § 77. 78 und der Preuss. GesO vom 8. Nov. 1810 § 77. 78 sind geringe Tätlichkeiten der Herrschaft, welche durch das ungebührliche Betragen des Gesindes veranlasst sind, nicht strafbar. Das Pr. O T r hat ein Züchtigungsrecht stets in Abrede gestellt und nur dem Affekt entschuldigende Wirksamkeit angedeihen lassen. S. O T r vom 5. Juni 1861, 13. Dez. 1867, 14. Sept. 1870, 7. Okt. 1874 (Ο I 415, V I I I 794, X I 453, X V 625: der S o h n nimmt an der Vergünstigung nicht 34

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e. Endlich zeigt die tägliche Beobachtung, wie eine negotiorum gestio, aber nicht für den wirklichen, vielleicht höchst verderbten, sondern für den normalen Vater, durch Rüge und nötigenfalls durch Züchtigung gegen eine ausserhalb des Hauses zuchtlos auftretende Jugend nicht nur geübt wird, sondern in bestimmtem Umfange geübt werden muss 35 . Nicht die vermutete Zustimmung der Eltern 36 — denn es kann feststehen, dass diese nicht zustimmen würden—, wohl aber das Interesse eines jeden daran, dass unser Gemeinleben nicht geschädigt werde durch die Unflätigkeit der unerzogenen Jugend, rechtfertigt diese Zuchtübung37. Sie steht nicht nur dem zu, der Gegenstand der jugendlichen Ungezogenheit gewesen ist; sie dient nicht nur zur Hinderung rechtswidriger Angriffe, sondern zur Ahndung und Hinderung zuchtloser Ungebühr überhaupt; sie ist nicht nur auszuüben, wenn keine Personen zur Aufsicht da sind, sondern auch, wenn diese das Einschreiten weigern. f. Dagegen erschöpft sich im Gebiete des öffentlichen Dienstes, von den echten Disciplinarstrafen abgesehen, zu denen nach Reichsrecht die körperliche Züchtigung nur in den Fällen der Disciplinarverordnung für die Marine vom 23. Nov. 1872 § 4 Ε gehört, das Disciplinarrecht im Recht zur Rüge und zum Vorhalt. Dieses Recht deckt das Schimpfwort als solches nicht, wohl aber, wenn das ScheitTeil). — Das OAG Dresden vom 4. Juni 1873 (Annalen 2. Folge I 88) deutet den fast wörtlich gleichlautenden § 51 der Sächsischen GesO auf ein Züchtigungsrecht (der Herr hatte die Magd „geschüttelt" und ein ander M a l eine „freche Liese" genannt); ebenso O L G Dresden vom 14. Dez. 1881 (Annalen des O L G I I I 143 if.), während RG I I vom 12. A p r i l 1880 ( Ε I I 7 if.) sich wieder auf den Standpunkt des O T r stellt. — Ueber Ausstellen eines ehrenrührigen Zeugnisses s. OAG Dresden vom 4. J u l i 1873 und vom 8. J u l i 1874 (Annalen 2. Folge I 86 ff., I I 208). 35 S. auch v. S c h w a r z e , Komm. S 627. 36 So S c h w a r z e , GS X X I X 613; M e y e r S 291; v. L i s z t S 124. 37 Es ist hier i n einem interessanten Falle die Frage aufgetaucht, ob eine solche Züchtigung auf der T a t erfolgen müsse. Es hatte ein Oekonom strafunmündige Jungen, die Kinder eines gewerbmässigen Diebes, die ihm die Garben auf dem Felde bestohlen, Tags darauf leicht gezüchtigt, nachdem er ihnen Verzeihung versprochen, wenn sie geständen, und sie nun noch beim Leugnen blieben, obgleich sie voll überführt wurden. I c h finde hier das D e l i k t nicht. And. Mein. RG I I I vom 9. A p r i l 1881 ( Ε I V 98 ff). — BayOG vom 5. Febr. 1876 (Bay. Ε V I 41) verlangt s o f o r t i g e Züchtigung zur A b w e h r des Mutwillens. Sehr weit geht in Anwendung des § 223 OAG Dresden vom 26. März 1877 (St V I I 297. 298). — Man darf hier nicht vergessen, dass es — erkennt man dies Recht nicht an — vielfach an einer Züchtigungsinstanz ganz fehlen w i r d , und dass davon nur die Zuchtlosigk e i t den V o r t e i l zieht.

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wort als drastischer Ausdruck für das gerügte Verhalten zutreffend gebraucht wird 3 8 . Auf Zweckmässigkeit der Rüge kommt nichts an, wohl aber auf Gutgläubigkeit des Rügenden. C. Waren es bisher grosse Berufsaufgaben, an deren Lösung sehr verschiedene Personen in ihrem Kreise zu arbeiten haben, die ins Auge gefasst wurden, so wäre cler Blick jetzt auf die e i n z e l nen B e r u f s a r t e n zu lenken. Es ist aber ganz unmöglich hier genauer zu verfolgen, wie weit der Richter, der Geistliche als Prediger, Seelsorger und Beichtvater, der Kaufmann, der Gewerbtreibende, der Handwerker, der Jäger, der Fischer, der Bereiter kraft ihres Berufes Handlungen vornehmen dürfen, die den Nichtberufsgenossen untersagt sind: der Strafrichter darf nur nie vergessen, dass solche Berufsrechte in grosser Zahl, wenn auch vielfach wenig beachtet, vorhanden sind 39 . Nur zwei Berufszweige sollen hier noch kurz berührt werden, zwrei antipodische, cler des S o l d a t e n und der des Arztes. L Die Ausbildung und Erhaltung einer im höchsten Sinne leistungsfähigen Streitkraft zu Wasser und zu Lande ist die grosse Friedensaufgabe der Heeresleitung. Die Ausbildung zur höchsten Leistung in der Gefahr ist unmöglich ohne gründliche Schulung zum Verhalten in der Gefahr: die Anstellung der Probe im Frieden ist Pflicht; diese Probe kann Opfer kosten, und hat sie vielfach gekostet: soweit die Probe notwendig und ihre Leitung vernünftig war, sind diese Opfer niemandem zur Last zu legen 40 . Der Krieg aber ist „ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen". Zu diesem Zwecke müssen persönliche und materielle Mittel des Gegners zertrümmert werden. Ein Massenaufgebot zerstörender Kräfte entwickelt sich gegen sie und fast immer in Formen, die den objektiven Tatbestand schwerster Verbrechen darstellen. Die Tötung und Körperverletzung, die Freiheits38

Ueber diese Frage, aber betr. des Gesindeverhältnisses s. BayOG vom 3. M a i 1873 (Bay. Ε I I I 223 ff.). 39 Der so segensreiche Versuch an lebenden Tieren — ausgeführt von wissenschaftlich gebildeten Männern oder lernenden Jüngern der Wissenschaft — zum Zwecke wissenschaftlicher Forschung und wissenschaftlicher Lehre geschieht i n Ausübung eines Berufsrechtes; ebenso die gefährlichen Experimente, die für den Fortschritt der Wissenschaft und ihre Lehre unentbehrlich sind u. s. w. 40

Man denke an die Beschädigungen beim Exerziren, die mancherlei Missfälle auf dem Marsch, bei den Manövern zu Wasser und zu Land. N u r darf der A n spruch an die Truppen nicht überspannt, sie dürfen nicht Gefahren, die i n Verletzungen umschlagen m ü s s e n , ausgesetzt werden. Binding, Handbuch. V I I . 1. I : B i n d i n g , Strafrecht. I.

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beraubung, die Erregung von Brand und Ueberschwemmung, das Stranden- und Sinkenmachen der Schiffe, das Zerstören der Eisenbahnen, die tiefsten Eingriffe in fremdes Eigen rechtfertigen sich durch die einschneidendsten aller Berufsrechte, die des Heeres, nicht alle, aber soweit sie zur Erreichung des Kriegszwecks notwendig scheinen, in der Tat alle! In ihrem Kreise liegt auch das bedeutendste aller vorhandenen Rechte zur Kehrung eines nicht persönlichen Notstandes. Der militärische Befehlshaber darf ganze Regimenter opfern um das Heer zu retten. 2. Der approbirte Arzt übt mit staatlicher Genehmigung die Heilkunst, und alle Mittel, die ihm die Wissenschaft zur Erreichung seines Zwecks zur Verfügung stellt, sind — soweit nicht ausdrückliche gesetzliche Verbote entgegenstehen — ihm anzuwenden erlaubt 41 . Die zum Teil tiefen Eingriffe in den Organismus des Kranken, deren er benötigt, rechtfertigen sich nicht durchweg aus dessen Einwilligung 42 , ja eine solche Einwilligung zur lebensgefährlichen Operation ermangelt der Kraft den eingetretenen Tod straflos zu machen43. Sie sollen nur nicht a. gegen den Willen des zurechnungsfähigen, zur Würdigung cler Tragweite des Eingriffs genügend verständigen Kranken geschehen. Am Bewusstlosen, am Geisteskranken, am Kinde hat der Arzt seine Kunst trotz fehlender Einwilligung, trotz der Gewissheit, dass der Bewusstlose dieselbe bei klarem Geiste nicht gegeben haben würde, ja vielleicht geleistetem Widerstande zum Trotz zu üben, wenn er zur Hilfeleistung gerufen wird 4 4 . b. Willigt der zurechnungsfähige Kranke in den vorgeschlagenen Eingriff, so kann ihn der Protest der Umgebung zu einem rechtswidrigen nicht machen. c. Wird cler Arzt von cler Familie eines bewusstlosen oder geisteskranken Kranken gerufen und sie willigt nicht in den vorgeschlagenen Eingriff, so ist der Arzt ihn zu machen nicht berechtigt. 41 Die Besprechung der Kunstfehler unterbleibt h i e r , wo es sich nur um das Maass des ärztlichen Dürfens handelt, absichtlich. 42 V i e l zu weit geht S o n t a g , K r V X I X 1877 S 20, und ebenso K e s s l e r , E i n w i l l i g u n g des Verletzten S 76 ff., die alles auf die Einwilligung abstellen; aber auch H ä l s c h n e r , Syst. I 237. 238 (vgl. D. StR I 471), bei welchem die hier ausnahmsweise gerechtfertigte Einwilligung die Straflosigkeit auch cler gefährlichsten Operation bewirkt. 43 S. oben § 148. 149. 44 Richtig M e y e r S 292. Inkonsequent K e s s l e r S 77.

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d. Die Anwendung lebensgefährlicher innerer Mittel oder die Vornahme lebensgefährlicher Operationen rechtfertigt sich nicht nur, wenn ohne sie der Tod voraussichtlich gewiss eingetreten wäre, und sie eine grössere oder auch nur kleine Chance der Heilung gewähren 45, sondern auch dann, wenn die vorhandene Aussicht auf Heilung gering, aber die Verwandlung des sicheren Todes aus einem qualvollen in einen schmerzlosen gewiss ist. Die Beseitigung der Qual ist auch Heilwerk. Die Operation und die Anwendung innerer Mittel aber, an deren Folgen der dem qualvollen Tod Entgegenharrende sicher aber schmerzlos zu Grunde gehen würde, ist heute noch als verboten zu betrachten. e. Kann der Geburtshelfer das Leben der Mutter nur retten, indem er das Kind vor oder in der Geburt tötet (Fall der P e r f o r a t i o n ) , so besteht für ihn ein Berufsrecht zur Kehrung fremden Notstandes46, und er ist zur Tötung des Kindes auch gegen den Willen des Vaters, nicht aber gegen den der Mutter berechtigt, ja verpflichtet 47 4 8 . f. Nicht alle Mittel seiner Kunst sind aber für den Arzt auch Mittel seines Könnens49. Der Arzt, dem die nötige Kenntniss oder die nötige Technik zu einer bestimmten Kur fehlt, darf sich ihrer nicht unterwinden. Noch unversuchte Operationen mit zweifelhaftem Erfolg dürfen am Einwilligenden straflos versucht werden, falls es 45

S. auch A h e g g a. a. 0 . S 330. Darüber, dass i n solchem F a l l e , wo entweder beide Leben auf dem Spiel stehen, wenn die Perforation nicht ausgeübt w i r d , oder wo das Leben der Mutter gegen das des Kindes zu wägen ist, die Rechtsordnung darauf bedacht sein muss, das kostbarere sichere Gut des mütterlichen Lebens zu erhalten, also ein Notrecht zu statuiren, ist nach dem oben § 151 und 152 Ausgeführten kein W o r t mehr zu verlieren. 46

47 Ist das K i n d nur durch schwere Operation der Mutter (Kaiserschnitt) zu retten, so verbietet die Wahrscheinlichkeit des tödlichen Ausgangs der Operation diese selbst, es müsste denn voraussichtlich die Mutter doch dem sicheren Tode verfallen sein und durch die Operation wenigstens das K i n d gerettet werden können. S. auch G e i b I I 222. 223. Unrichtig erscheint aber, wie dies vielfach geschieht, den Notstand als solchen die Perforation entschuldigen zu lassen (richtig dagegen v. W ä c h t e r , Vorlesungen S 338): das B e r u f s r e c h t bietet den entscheidenden Gesichtspunkt. Richtig S c h ü t z e S 379, 2 ; M e y e r S 292. 293; v. L i s z t S 124. 125; G e y e r , Grundr. I 79. Danach beantwortet sich die von R o t e r i n g , G A X X X 184 aufgeworfene Frage, ob auch dem Laien die Perforation gestattet sei, verneinend. And. Mein. R o t e r i n g selbst. 48

S. auch M e y e r S 293. S. CCC A r t . 134; 1 3 § 7 D de officio praes. 1, 18; 1 7 § 8, 1 8 pr. D ad Aquil. 9, 2; Paulus, Sent. 5, 23 § 19. 49

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§ 155. Durch Befehl hegr. Berufspflicht.

höchstens bei einer Körperverletzung bleibt; lebensgefährliche Operationen dieser Art werden trotz der Einwilligung des Operirten strafbar, falls der Operateur nicht aus dem Experiment am lebenden Tier oder aus wissenschaftlicher Berechnung die Ueberzeugung von der Möglichkeit glücklichen Ausgangs des Eingriffs schöpfen durfte. § 155. V o n der d u r c h B e f e h l b e g r ü n d e t e n pflicht insbesondere1.

Berufs-

Nur eine Unterart der Berufspflicht ist die durch den Befehl begründete. Da strafrechtlich scheinbar nur der auf ein Verbrechen gerichtete Befehl in Betracht kommt, da ein Gesetz, das verbindlich verbietet, und ein Befehl, der das gesetzlich Verbotene verbindlich erheischt, eine grelle Dissonanz bilden und auf Seiten dessen, dem Gesetz und Befehl gelten, eine Pflichtenkollision erzeugen, so liegt der Ausweg nah einen verbindlichen Befehl rechtswidrigen Inhalts für das heutige Recht zu leugnen, und nur den aus Irrtum oder Furcht dem Befehl Folgenden, und diesen nur wegen seines Irrtums oder seines Notstandes, also nur, wenn der Befehl mit Täuschung oder Drohung verbunden war, für unverantwortlich zu erklären 2. Allein diese Lehre ist in zweifacher Beziehung falsch. Der Befehl kann eine durchaus rechtmässige Handlung zum Inhalt haben: demjenigen, dem er gilt, wird ihre Vornahme aber erst durch den Befehl erlaubt und Rechtspflicht. Insoweit ist auch der unverbindliche Befehl, falls ihm gehorcht werden durfte, Grund aufgehobener Rechtswidrigkeit. Ausserdem aber giebt es nach geltendem Rechte allerdings verbindliche rechtswidrige Befehle. I. Diese können nie von einem Privatgewalthaber, dem Vater, dem Dienst- oder Lehrherrn, dem Lehrer ausgehen3: der Konflikt, der die Pflichtenkollision erzeugt, kann nur ein Konflikt innerhalb des 1 R V A r t . 64. M G B § 47, vgl. 48. SeemO .§ 30. 32. — Β 83. Sch 36. M 46. L i 33. W V 67. G 90. L 47*. 49. W H 53. Κ 15. — A h e g g , Untersuch. S 90 if. — L u d e n , Abhandl. I I 511—517. — B r a u e r , Der dienstliche Befehl zu Verbrechen als Grund der Straflosigkeit: GS 1856 I S 381—398. — Z u M G B § 47 s. auch B i n d i n g , Normen I I 469—471. 2 S. B r a u e r a. a. 0 . S 88 (bezüglich des nicht militärischen Befehls); M e y e r § 46 S 293 (der Befehl bildet nie einen Schuldausschliessungsgrund); G e y e r , Grundriss I 78; w o h l auch v. L i s z t S 123. S. schon K l e i n s e h r o d , Grundbegriffe I 293. 3 So schon K l e i n s c h r o d , Grundbegriffe I 293 (nur aus falschem Grunde). Vgl. I l e n k e I 242; J a r c k e I 156; A h e g g , Untersuch. S 96 ff.; H c f f t e r § 39 A n m 3 ; L u d e n , A b h . I I 513, Handb. I 315.

§ 155. Durch Befehl

egr. Berufspflicht.

Staatswillens4, der Inhaber der verbindlichen Befehlsgewalt muss also immer ein Organ des Staates sein, und s o l l der B e f e h l G e h o r sam w i r k e n , so muss er vom w i r k l i c h e n D i e n s t v o r g e s e t z t e n i n f o r m e l l g e s e t z l i c h e r Weise dem w i r k l i c h e n D i e n s t u n t e r g e b e n e n e r t e i l t sein und eine i n den A m t s k r e i s dessen, der b e f i e h l t , und dessen, dem der B e f e h l g i l t , einschlagende H a n d l u n g betreffen. Demgemäss ist der Befehl nie verbindlich: 1. wenn er von dem sachlich oder örtlich unzuständigen Beamten erteilt war 5 . Kein Beamter hat Befehlsgewalt ausserhalb seines Amtskreises; insbesondere ist der Befehl unverbindlich, wenn dem Beamten der Erlass solcher Befehle untersagt war 6 ; 2. wenn er einem Nichtuntergebenen erteilt war; 3. wenn die durch Gesetz oder Verordnung vorgeschriebene Befehlsform fehlt oder mangelhaft ist. Sofern besondere Formen nicht erfordert werden, kann auch der durch Wort oder konkludente Handlungen erteilte Befehl verbindlich sein. II. Nun kann die Verbindlichkeit auch des inhaltlich rechtswidrigen Befehls als das kleinere Uebel seitens des Staats nur da hingenommen werden, wo das Recht zur Prüfung des Befehles auf seine Rechtmässigkeit hin und das Recht des Ungehorsams gegen den in seiner Statthaftigkeit zweifelhaften Befehl als das grössere Uebel erscheinen würde: das heisst da, wo nach Auffassung des Staates alles auf sofortige rücksichtslose Ausführung des Befehls ankommt. Die Verbindlichkeit des Befehls bedeutet also den Ausschluss von Prüfung und Weigerung auf Seiten dessen, dem er gilt 7 . Daraus erhellt, dass die \7erbindlichkeit des Befehls sich verschieden abstufen kann. 1. Die Weigerung kann gänzlich verboten sein auch gegenüber dem in seiner Rechtswidrigkeit erkannten Befehle. 4 S. auch L u d e n , Abh. I I 513 : „ D e r Befehl muss dabei dem Gehorchenden als das Gesetz selbst erscheinen." Ebenso Handb. I 311. 5 S. Pr. O T r vom 27. Sept. 1871, vom 19. Jan. 1872, 2. März 1877 (Ο X I I 469, X I I I 53, X V I I I 176). S. RG I I vom 4. J u l i 1882 (E V I 440): der Angeklagte war „dienstlich nicht verpflichtet, einem widerrechtlichen Befehle Folge zu leisten. B l i n der Gehorsam gegenüber den Befehlen des Vorgesetzten ist i n der Amtspflicht nicht begründet; durch solchen Gehorsam w i r d daher an dem rechtswidrigen Charakter der Handlung nichts geändert." 6

Pr. O T r vom 21. M a i 1879 (Ο X X 274). Die Prüfung, ob der Befehl vom Vorgesetzten ausgeht und Dienstakte betrifft, ist aber stets nicht nur erlaubt, sondern geboten. 7

806

§ 155.

Durch Befehl

egr. Berufspflicht.

2. Die Prüfung des Befehls auf seine Rechtmässigkeit hin kann gestattet, aber das Recht der Weigerung gegenüber dem Befehl, dessen Statthaftigkeit zweifelhaft ist, ausgeschlossen sein. Nur die Wissenschaft der Widerrechtlichkeit berechtigt zur Weigerung. Hier entschuldigt nicht der Irrtum: denn wrer zweifelt, ob, was er tun will, erlaubt oder unerlaubt ist, hat es zu unterlassen. Es entschuldigt allein die Berufspflicht, begründet durch den nicht zweifellos rechtswidrigen Befehl. 3. Unverbindlich ist nur der Befehl, wo die Weigerung auch gegenüber dem inhaltlich zweifelhaften Befehl statthaft ist. Wer diesen Befehl ausführt, den kann allerdings nur sein Irrtum entschuldigen: der Befehl wirkt dann aber als ein Moment für die Yerzeihlichkeit des Irrtums mit 8 . ΠΙ. Es sagt nun 1. das MGB § 47, es sei „der Befehl in Dienstsachen" unbedingt verbindlich, ausser wenn dem Untergebenen „bekannt war, dass der Befehl des Vorgesetzten eine Handlung betraf, welche ein bürgerliches oder militärisches Verbrechen oder Vergehen bezweckte"9. Dem Befehle muss unbedingt gehorcht werden, wenn er auf eine Uebertretung lautet, oder auf ein Vergehen, das der Untergebene für eine Uebertretung hält, oder wenn der Untergebene über seinen Charakter als anbefohlenes Verbrechen oder Vergehen zweifelhaft ist 1 0 . Kenntniss dieses Charakters aber berechtigt, ja verpflichtet zur Weigerung. 2. Es sagt die SeemO § 30: „Der Schiifsmann ist verpflichtet, in Ansehung des Schiffsdienstes den Anordnungen des Schiffers unweigerlich Gehorsam zu leisten", und §32: „Bei Seegefahr . . . , sowie bei Gewalt und Angriff gegen Schiff oder Ladung hat der Schiffsmann alle befohlene Hilfe . . . unweigerlich zu leisten." Jeder Befehl in Ansehung des Schiffsdienstes oder behufs Hilfeleistung bei Seegefahr und Angriff ist also unbedingt verbindlich. Diese Befehle gehen vielleicht darauf Waaren über Bord zu werfen, dem Vollzug des Schiffsdienstes durch ihre Aufregung hinderliche Passagiere in die Kajüte zu sperren, sie zur Entfernung aus bestimmten Schiffsteilen oder aus überladenen Booten zu zwingen: mögen sie aber rechtmässig oder rechtswidrig sein, sie nötigen den Schiffsmann zur Folgeleistung und entheben ihn jeder Verantwortung. 8 9 10

Dieser Befehl gehört nicht hieher. S. bes. K o p p m a n n , Das Militärstrafgesetzbuch zu § 47 A n m 3. S. Normen I I 469 ff.

155. Durch Befehl

egr. Berufspflicht.

3. Nach dem Reichsbeamtengesetz vom 31. März 1873 hat jeder Reichsbeamte „die Verpflichtung, das ihm übertragene Amt der Verfassung und den Gesetzen entsprechend gewissenhaft wahrzunehmen" (§ 10) und ist „jeder Reichsbeamte für die Gesetzmässigkeit seiner amtlichen Handlungen verantwortlich". Hier werden also Prüfungs- und Weigerungsrecht gegenüber dem rechtswidrigen wie dein zweifelhaften Befehl ausdrücklich anerkannt. Eine Prüfungs p f l i c h t aber existirt jedenfalls dann nicht, wenn dem Beamten vom wirklichen Vorgesetzten in formell giltiger Weise eine zu seinem amtlichen Pflichtenkreise gehörige Handlung anbefohlen wird. Dieser Satz gilt auch innerhalb der Beamtenhierarchien der einzelnen Bundesstaaten: das Gebiet des in diesen Kreisen verbindlichen Befehls und das Maass seiner Verbindlichkeit hat das Landesrecht zu bestimmen.

Vierte Abteilung. Die Gründe des Untergangs von Strafrecht und Strafklagrecht. § 156. I h r e A r t e n ; i h r e W i r k u n g 1 . I. Nicht stehen und fallen Strafrecht und Strafklagrecht notwendig mit einander. Wie verschiedene Entstehungsgründe, so haben sie auch verschiedene Endigungsgründe, wenn auch mancher Tatbestand zugleich Straflosigkeit und Unverfolgbarkeit bewirkt. Insbesondere bedeutet Untergang des Strafrechts vor dem Urteil nicht notwendig Untergang des Strafklagrechts. Schwerer Verbrechensverdacht kann trotzdem bestehen bleiben. II. Das Ende cles Strafrechts ist nicht immer das Ende eines Strafvollstreckungsrechts: es giebt un vollstreckbare Strafrechte, weil unter Umständen durch das Urteil dem Sträfling ipso jure die ihm zur Strafe aberkannten Rechtsgüter entzogen werden. Diese Strafrechte enden mit der Straferduldungspflicht des Verurteilten, und geht diese auf Lebenszeit, dann mit seinem Tode 2 . Ist das Strafrecht vor dem Urteil erloschen, so hat dies stets auf Freisprechung zu lauten, wenn es zum Sachurteil überhaupt kommen kann. Bezüglich des Untergangs des Strafklagrechts ist zu scheiden, denn er bedeutet ein zweifaches: 1. die Straf klage ist überhaupt unzulässig, also auch ihre Annahme, also auch die Begründung des Prozessrechtsverhältnisses auf Grund 1

Vgl. Β 165. M 69. Sch 88. W V 100. L i 79. Gey62. B i n d i n g , Gr. I 106. H e i n z e bei H H I I 587—589. 2 N i c h t erlöschen sie m i t Rechtskraft des U r t e i l s : sonst wäre gnadenweise Restitution undenkbar. S. unten § 169 sub I V 4.

§ 156. Untergang von StR u. s. w.

809

ihrer: das dennoch begründete Prozessrechtsverhältniss ist nichtig, endet durch Einstellung, nicht durch Sachurteil; 2. es geht an erster Stelle das Recht des Richters unter, über das Recht des Klägers ein bejahendes S ach u r t e i l abzugeben, und in Konsequenz davon das Recht des Klägers auf Verurteilung. Nicht die Klage als Anspruch auf Urteil, sondern die Klage als Anspruch auf Verurteilung geht zu Grunde. Der auf erhobene Klage begründete Prozess ist nicht nichtig: der Richter hat nicht einzustellen, sondern zu urteilen, aber freizusprechen. Dies trifft zu bei der sog. Strafklagen Verjährung (s. bes. § 161). III. Strafrechte wie Strafklagrechte erlöschen 1. wie alle Rechte d u r c h W e g f a l l des S u b j e k t s von Recht oder P f l i c h t — ein Vorgang, der das gerade Gegenteil der sog. Rechtsnachfolge bedeutet. S. § 157 ; 2. d u r c h g e s e t z l i c h a n e r k a n n t e U n m ö g l i c h k e i t i h r e r D u r c h f ü h r u n g . So erlischt das Strafklagrecht durch Verjährung (s. unten § 162 — 164), durch Rücknahme des Antrags bei Antragsvergehen (s. oben § 185), das Strafrecht durch ungerechte Freisprechung. S. auch unten sub IV 2a; 3. d urch gesetzlich a n e r k a n n t e n W e g f a l l der G r ü n d e i h r e s F o r t b e s t a n d e s . Von dem Recht zur Privatstrafklage abgesehen bildet die Pflicht die wesentliche Kehrseite sowohl des Strafklagrechts als des Strafrechts. Grund des Untergangs dieser PflichtRechte kann also nur sein: a. die E r f ü l l u n g der P f l i c h t , also der o r d n u n g s mässige V e r b r a u c h b e i d e r Rechte (s. unten § 158); b. der W e g f a l l der N o t w e n d i g k e i t , w e i l der Rechtsb e d ü r f n i s s e zu K l a g e oder Strafe oder b e i d e n (s. unten § 159); c. d e r W e g f a l l n i c h t so wohl der P f l i c h t als des R e c h t s zur Strafe (s. unten § 159); 4. der W e g f a l l d u r c h g e s e t z l i c h z u l ä s s i g e n V e r z i c h t i n G e s t a l t der A b o l i t i o n oder der Gnade (s. unten § 166 bis 169). IV. Die Endigungsgriinde, die teils in prozessualen, teils in nichtprozessualen Tatsachen bestehen, zerfallen 1. in n o r m a l e , deren Eintritt den Absichten des Gesetzgebers entspricht, und in a n o m a l e , die den straf bedürftigen Staat hindern sein Strafbedürfniss zu befriedigen. Die normalen sind S t r a f v o l l z u g , Gnade, t ä t i g e Reue, K o n s u m t i o n des S t r a f k l a g r e c h t s durch das r e c h t s k r ä f -

810

§ 156. Untergang von StR u. s. w.

t i g e U r t e i l — die anomalen sind T o d , V e r j ä h r u n g , u n gerechte Freisprechung; 2. ihrer Wirkung nach in solche, a. die z u g l e i c h S t r a f r e c h t und S t r a f k l a g r e c h t enden: so wirken der T o d des V e r b r e c h e r s , der E i n t r i t t des P r i v i legs der S t r a f l o s i g k e i t , s o w e i t es z u g l e i c h E i n t r i t t der U n v e r f o l g b a r k e i t i s t , nach begangenem D e l i k t e (s. oben § 140. 141), der E i n t r i t t der R e c h t s k r a f t der u n g e r e c h t e n Freisprechung 3; b. die n u r das S t r a f r e c h t enden: so wirken allein die Gnade nach dem U r t e i l e , d i e sog. V o l l s t r e c k u n g s v e r j ä h r u n g , bei a l l e n d o p p e l t b e d i n g t e n Strafrechten der W e g f a l l der z w e i t e n B e d i n g u n g (s. oben § 124. 125), bei allen alternativen Strafrechten, die dem Deutschen Reiche und einem fremden Staate zustehen, das Erlöschen des a u s w ä r t i g e n S t r a f r e c h t s nach Maassgabe des GB § 5 (s. oben § 93. 94); c. die an erster Stelle das S t r a f k l a g r e c h t enden: so wirken die S t r a f k l a g r e c h t s v e r j ä h r u n g , die A b o l i t i o n u n d das ungerechte E i n s t e l l u n g s u r t e i l . Der definitive Untergang des Strafklagrechts wirkt freilich mittelbar auch den Untergang des Strafrechts: der Fortbestand eines Analogons zur naturalis obligatio hat auf kriminellem Gebiete keinen Zweck, so dass man die Endigungstatsachen auch einteilen kann i n das S t r a f r e c h t u n m i t t e l b a r und m i t t e l b a r ergreifende. Eine eigentümliche Stellung nimmt bei den Antragsverbrechen die statthafte Rücknahme des Antrags bei einfacher Antragsberechtigung, und als ihre Unterart die Rücknahme cler Privatklage ein. Solange das Recht gilt, dass auch bei späterer Verwandlung der Antrags· in Offizialdelikte die Klage trotz noch nicht abgelaufener Verjährungszeit nicht mehr erhoben werden darf, endet die Rücknahme das Klagrecht allerdings: aber eine notwendige Folge derselben ist dies Ende nicht; sie könnte gerade so gut zeitweilige Unverfolgbarkeit wirken und erst die Verjährung brächte dann das Ende des Strafklagrechts. Der unbenutzte Ablauf der Antragsfrist aber wirkt nicht den Untergang des Strafklagrechts, sondern nur die Nichtentstehung eines praktikabeln Verfolgungsrechtes. Von den alternativen Stralklagrechten mehrerer deutscher Bundesstaaten aus denselben Tatbeständen wegen Mehrheit von Kompetenz3

N i c h t r i c h t i g bez. des letzteren H e i n z e bei H H I I 588 A n m 5. auch R i s c h , GS 1884 S 254.

S. dagegen

§ 157.

I. Wegfall

er Subjekte.

811

gründen gehen alle andern unter durch die Annahme der Klage seitens des Gerichts eines der kompetenten Staaten4; bricht aber ein positiver Kompetenzkonflikt aus, dann geht das Strafrecht des unterliegenden Staates durch die Entscheidung des Konfliktes unter. § 157. I. W e g f a l l der S u b j e k t e 1 . I. Das Recht zur Strafe und das Recht zur öffentlichen Strafklage stehen dem Staate zu. Geht der bisher berechtigte Staat unter, so succedirt ein anderer in die Rolle des Rechtssubjekts, wie nach der Inkorporation von Hannover, Kurhessen, Nassau und Frankfurt in Preussen die Straf- und Klagrechte dieser Staaten sich in Rechte des preussischen Staates gewandelt haben. Sieht man also von der kaum denkbaren Auflösung eines Staates in die Anarchie ab, so ist das Subjekt von Strafrecht wie Strafklagrecht unsterblich. Demgemäss kann nur das Subjekt des Privatstrafklagrechts wegfallen: dieses Recht ist ein höchst persönliches und erlischt nach StPO § 433 durch den Tod des Privatklägers 2. Allein dadurch wird nach StPO § 416 u. 417 das Recht des Staatsanwaltes nicht wegfällig die Klage aus demselben Tatbestande im öffentlichen Interesse zu erheben. II. Ebenso unsterblich wie cler Strafberechtigte, ebenso so sterblich ist der Straferduldungspflichtige. Nur der Mensch, und nur der lebendige Mensch ist straffähig, ist fähig als Angeklagter vor dem Strafgericht zu stehen: sein Tod endet beide Rechte; denn sie sind auf der passiven Seite höchst persönlich. Der Grund für den Untergang des Strafrechts liegt im Wesen der Strafe. Der Verbrecher soll durch Duldung Genugtuung leisten, er soll die Strafe als solche empfinden; der Tod vereitelt das Strafrecht, weil dadurch das zur Strafleistung allein taugliche Subjekt wegfällt 3. 4

Dies ist nicht g a n z genau: s. unten § 168. GB § 30. 42. — H 2 290. Β 166. Sch 57. M 55. 69. W V 100. G 79. H 150. 151. R 126. H e i n z e bei H H 5 8 9 - 5 9 2 . — R e d d i n g , De v i atque effectu mortis et dementiae, cum i n reorum damnationem, t u m i n damnatorum poenam. Groningae 1823. — Z a c h a r i ä , A N F 1853 S 398 ff. — G e y e r , G A X I I I 1865 S 161 ff. W a l t h e r , GS 1867 S 268 ff. — L u e d e r , GS 1877 S 401 ff. — S t o o s , Z u r Natur der Vermögensstrafen, Bern 1878, bes. S 14 ff. — v. B u r i , GS 1878 S 241 ff. — K r o n e c k e r , GA X X V I I I 1880 S 20 ff. 2 I n W a h r h e i t enthält § 433, 2 keine Ausnahme dieses Grundsatzes: die Satzung erklärt sich aus GB § 189 Abs. 3. 3 Dass der T o d keine datio i n solutum sei, hält v. L i s z t § 79 für nötig hervorzuheben; dass der T o d deshalb den Strafanspruch nicht tilge, sondern dass 1

812

§ 157. I. Wegfall

er Subjekte.

Dieser Tatsache mussten und müssen alle Gesetzgebungen Rechnung tragen, und wenn man versucht hat den Toten zu strafen durch Vierteilung oder Verbrennung des Leichnams oder durch Versagung des ehrlichen Begräbnisses, so waren dies keine wirklichen sondern lediglich symbolische Strafen; sie konnten und wollten nur besagen, wie man mit dem Verbrecher verfahren wäre, wenn ihn sein Tod der Strafe nicht entzogen hätte. Es giebt auch nicht ein einziges Strafrecht, welches durch solchen Tod nicht untergehen müsste, auch das auf Vermögensstrafe nicht. Wenn GB § 30 dennoch bestimmt: „in den Nachlass kann eine Geldstrafe nur dann vollstreckt werden, wenn sie zu Lebzeiten des Verurteilten rechtskräftig geworden war", so haben wir oben (§ 108) gesehen, dass der Tod des Verbrechers das Strafrecht, welches nicht dem Fiskus, sondern dem Landesherrn zu Gunsten des Fiskus oder einer andern Kasse zustand, welches nicht unpersönlich gegen das Vermögen des Verbrechers, sondern höchst persönlich gegen seine Person ging, verwandelt in ein publizistisches Vermögensrecht 4. Der fiskalische Griff auf das Erbe ist nie eine Strafe des Erblassers, dem er angeblich gelten will, wirkt jedoch nach Art einer Strafe auf den als solchen schuldlosen Erben, und somit ist § 30 selbst dann zu bedauern, falls der Erbe des Verbrechers sein Mitschuldiger gewesen ist. Denn er hat dann wohl seine eigene Strafe verdient, aber eine Verschärfung derselben durch Uebertragung der Strafe des Erblassers auf ihn ist eine Qualifikation ohne Schärfungsgrund. So wirkt § 30 zwar, wie oben § 108 I I ausgeführt, die nicht zu rechtfertigende Wandlung des Strafrechts in ein Nichtstrafrecht, aber nie und nimmer eine Vererbung der Strafe. Fällt seine Bestimmung sonach aus dem Strafrecht heraus, so bedarf sie doch genauerer Analyse. er nur das Fallen des Vorhangs bedeute (s. das. S 278), ist eine ganz unklare Vorstellung. Es handelt sich doch nicht um T i l g u n g durch Erfüllung, sondern durch Wegfall des Subjekts. 4 S. bes. S t o os S 24. Der Fehler der Gegner beruht namentlich darin, dass sie die Strafforderung als fiskalisches Recht, welches sich durch Zuerkennung von seiner causa gelöst habe, betrachten. M i t seltener Einmütigkeit hat sich aber die neuere deutsche Wissenschaft gegen Bestimmungen wie die des § 30 erklärt. So nicht nur alle oben A n m 1 a. E . namentlich aufgeführten Schriftsteller (ausser R e d d i n g S 63. 64), sondern auch S c h ü t z e , M e y e r , H e i n z e a. O . — B e r n e r hat seine frühere Verteidigung des Satzes wenigstens aufgegeben; H ä l s c h n e r , D . StR I 731 hat die richtige Ansicht angenommen. N u r v. W ä c h t e r , Vöries. S 300 nennt den § 30 noch eine natürliche Ausnahme von der Regel, dass der T o d das Strafrecht endet. — Von den Kommentatoren ist offenbar für den § 30 R ü d o r f f zu § 30 A n m 1.

§ 157.

I. Wegfall cler Subjekte.

813

Stirbt ein zu Geldstrafe Verurteilter während des Ablaufs der Rechtsmittelfrist, so ist ein Erwachsen des Urteils in seinem kriminellen Bestandteil zur Rechtskraft undenkbar. So müssen also, soll § 30 anwendbar werden, vor Eintritt der Todes die Rechtsmittelfristen verabsäumt oder es muss auf dieselben seitens des Angeklagten rechtsförmlich verzichtet worden sein. Stirbt der Verurteilte während des Rechtsniittelverfahrens, so fällt in dem Augenblick ein dem Prozess unentbehrliches Prozesssubjekt fort, und da StPO § 343 vgl. mit § 430 eine relative Rechtskraft des Straflirteils zu Ungunsten des Angeklagten selbst dann nicht kennt, wenn nur der Kläger das Rechtsmittel eingewandt hat, ist das Verfahren einzustellen ohne dass es zur Rechtskraft käme. Die einzige Ausnahme der Regel bildet der Fall, wo nur gegen den Entscheid der Kostenfrage oder der Bussklage das Rechtsmittel eingewandt ist. Dann findet GB § 30 trotz des Todes des Verurteilten in der Rechtsmittelinstanz Anwendung. Ob das Strafurteil ergangen ist im ordentlichen oder ausserordentlichen Strafprozess, ist gleichgiltig : auch die Strafbefehle des Amtsrichters und die Strafbescheide der Verwaltungsbehörden sind echte, also der Rechtskraft fähige Strafendurteile. Die Vollstreckung der Geldstrafe in den Nachlass erfolgt laut StPO § 495 nach den Vorschriften über die Vollstreckung der Civilurteile. Die fakultative Fassung des § 30: „die Geldstrafe k a n n vollstreckt werden", erklärt sich daraus, dass der Gesetzgeber sich in Gedanken zu dem Prinzipe bekennt, auch Geldstrafen können nach dem Tode des Schuldigen nicht vollstreckt werden, und dass er nun die Ausnahme in der Fassung des gedachtes Prinzipes vorbehält. Nicht aber soll das „kann" den Vollstreckungsbehörden die Wahl lassen zwischen Vollstreckung und NichtVollstreckung: eine fakultative Strafvollstreckung ist dem neueren Recht vollständig fremd 5. Da die Busse des heutigen gemeinen Rechts keine Strafnatur trägt, so ist ihre Vollstreckung in den Nachlass ebenso wie die der Kosten durchaus gerechtfertigt. Ebenso wenig anstössig vom Standpunkt der Unvererblichkeit der Strafen ist die Bestimmung in GB § 42 6 . Aus ihr folgt aber auch, dass wenn diese Maassregeln gegen den noch Lebenden rechtskräftig 5 R i c h t i g L u e d e r , GS 1877 S 402; O p p e n h o f f zu § 30 A n m 2 ; R ü d o r f f zu § 30 A n m 3 ; R u b o zu § 30 A n m 1; v. S c h w a r z e zu § 30 A n m 1; O l s h a u s e n zu § 30 A n m 3. — And. Mein. H ä l s c h n e r , Preuss. StR I 531. 6 S. darüber oben § 108 I I I .

§ 158. II. Verbrauch von StR und Strafklagrecht.

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erkannt worden sind, ihrer Vollstreckung in den Nachlass nichts im Wege steht7. III. Nicht dem Tode gleich wirkt die Geisteskrankheit des Angeklagten bez. Verurteilten. Sie wirkt Aufschub des Prozesses und der Strafvollstreckung, aber sie endet weder das Strafrecht noch das Strafklagrecht. Erst der Aufschul) bis zur Erfüllung der Verjährungsfrist lässt beide untergehen. S. StPO § 203. 485, 487. § 158. II. V e r b r a u c h von S t r a f r e c h t und S t r a f klagrecht1. I. Das Strafklagrecht endet, weil es seinen Zweck im Urteil erreicht hat 2 oder weil es ihn nicht erreichen kann oder ihn nicht erreichen soll (Abolition). II. Dem Strafrecht entspricht einmalige Duldung des Sträflings; es gehört also zu jenen Rechten, die sich durch einmalige Verwirklichung zerstören. Die Realisirung geschieht, soweit die Strafe im Verlust von Fähigkeiten oder von Rechten, die nicht materielle Rechtsgüter zum Gegenstand haben, besteht, durch Aussprechen des Urteils, im übrigen durch dessen Vollzug gegen den Verurteilten. Durch das des Vollzugs bedürftige Urteil entsteht ein Zwangsrechtsverhältniss zwischen dem Staat und dem Verurteilten, worin dem Gezwungenen Gegenrechte wider den Strafenden nur insoweit zustehen, als er die Innehaltung des gesetzlichen und urteilsmässigen Zwangsmaasses zu verlangen hat. III. Das Strafrecht gegen den Verurteilten erlischt nicht durch Scheinvollstreckung des Urteils wider den nicht Verurteilten (Absitzen fremder Strafen ist Begünstigung), durch Scheinvollstreckung gegen den schuldigen Nichtverurteilten (GB § 345) 3 : das Strafrecht gegen den Schuldigen erlischt nicht durch Bestrafung des Unschuldigen. IV. Die Teilleistung des Sträflings lässt das Strafrecht teilweise erlöschen; denn er soll dulden in bestimmtem Maasse, und dieses Maass ist teilbar. 7

S. darüber auch Z a c h a r i ä , A N F 1853 S 400. 401; W a l t h e r , GS 1867 S 273; L u e d e r , GS 1877 S 415; H ä l s c h n e r , D. StR I 731; O l s h a u s e n zu § 40 A n m 16. Vgl. BayOG v. 10. März 1876 (BayE V I 101 ff.). 1 S. bes. W V 99 und die L i t e r a t u r zu § 156 A n m 1. 2 Die Lehre von der klagrechtskonsumirenden W i r k u n g des rechtskräftigen Urteils ist natürlich dem Prozess zu überlassen. 3 Doch w i r d in diesem F a l l die Anrechnung des erduldeten Uebels auf die später durch U r t e i l auszuwerfende Strafe geradezu geboten sein.

§ 159.

I I I . Verneinung cles StR oder Strafbedürfnisses.

815

V. Der strafende Staat bringt nur sein Strafrecht zum Untergange; ist er aber alternativ mit einem andern Staat straf berechtigt, so endet mit dem seinen auch das Strafrecht des konkurrirenden Staates. § 159. III. G e s e t z l i c h e V e r n e i n u n g des S t r a f r e c h t s oder des S t r a f b e d ü r f n i s s e s 1 . Nicht leicht ist es die Gründe, welche den Gesetzgeber veranlassen ein Strafrecht trotz seiner Durchführbarkeit wegen Ungerechtigkeit seines Fortbestandes für beendet zu erklären, von den andern zu scheiden, die ihm diesen Fortbestand nur unnötig erscheinen lassen. Und doch besteht der Unterschied in den Gründen zweifellos. I. Das inländische Strafrecht gegen einen Inländer wegen im Ausland begangener Verbrechen oder Vergehen (GB § 4 Nr 3) erlischt, weil der Inländer nicht doppelt gestraft werden darf, durch auswärtigen Strafvollzug (GB § 5 Nr 1, beachte aber § 37) und dadurch, dass bei Aufrechnung der auswärts vollzogenen auf die einheimische Strafe von letzterer nichts mehr übrig bleibt (GB § 7). Die ausländische Freisprechung, Verjährung und Begnadigung tilgen den inländischen Strafanspruch desgleichen, aber wohl nur als volle Beweise für den Wegfall des inländischen Straf bedürfnisses (GB § 5 Nr 2 u. 3). II. Dieselbe Bewandniss hat es, wenn das dem Inland erwachsene Strafrecht durch Wegfall der erforderlichen Reciprocität im Auslande untergeht 2. III. Auf den gleichen Gesichtspunkt ist die Wirkung der Strafvollstreckungsverjährung nach heutigem Rechte zurückzuführen (s. unten

§ 161).

IV. Nicht minder der Untergang der Strafrechte in den Fällen der Realkonkurrenz, soweit das an sich gerechte Maass der Gesammtstrafe den zulässigen Höchstbetrag übersteigt (GB § 74, 3. 75, 3. 77, 2). V. Nicht minder der Wegfall der Strafe wegen Unterlassungsdelikten, wenn der erwünschte Erfolg anderweit rechtzeitig herbeigeführt wurde, insbesondere wegen Verletzung der durch das Personen1 M 69. Seh 38 a. Ε . L i 79. Gey I 62. Vgl. auch F o r n e t , Die W i r k u n g der tätigen Reue . . . nach vollendetem Verbrechen: GS 1868 S 8. 85—124. 1 6 1 - 198; G e y e r , Soll der Ersatz des Schadens Strafausschliessungsgrund sein? GS 1869 S 1—10; B i n d i n g bei Grünhut I I 1875 S 686 ff. 2 S. darüber oben § 124—126.

816

IV. Verjährung des Strafklagrechts und des StR.

standsgesetz vom 6. Febr. 1876 § 6 statuirten Anzeigepflichten, „wenn die Anzeige, obwohl nicht von dem zunächst \7erpflichteten, doch rechtzeitig gemacht worden ist". ΛΤΙ. Die bedeutsamste Erscheinung dieser Art ist aber die, dass der dem Strafrecht des Staates Verfangene durch ein bestimmtes Verhalten das Vorhandensein des Strafbedürfnisses zu widerlegen vermag. Das GB kennt drei verschiedenartige Fälle dieser Art 3 . 1. Der Delinquent sucht nach abgeschlossenem Delikte den Eintritt des dem Rechte unerwünschten Erfolgs zu hintertreiben: der Kartellträger, schon durch Ueberbringung der Forderung strafbar, ist ernstlich bemüht den Zweikampf zu hindern (GB § 209), oder der Täter giebt nach Begehung einer strafbaren Vorbereitungshandlung die vorbereitete Tat freiwillig auf (Aufgabe des Zweikampfs vor seinem Beginne: GB § 204); 2. Der Delinquent paralysirt freiwillig, was er zur Schädigung der Rechtsordnung getan hat: sei's dass er a. freiwillig vom Versuche zurücktritt (GB § 46), sei's dass er b. nach abgeschlossenem \7erbrechen entweder durch rechtzeitigen Widerruf des fahrlässigen Meineids (GB § 163) oder durch rechtzeitiges Löschen des erregten Brandes (GB § 310. 311) seine Reue erfolgreich betätigt 4 . 3. Der nach Verbüssung von drei Vierteln seiner Strafzeit vorläufig Entlassene beweist durch gute Führung während des Restes der Strafzeit, dass weitere Strafverbüssung unnötig geworden ist (GB § 24. 26). Es erhellt daraus, dass der freiwillig geleistete Ersatz als Strafausschliessungsgruncl im GB schlechterdings keine Anerkennung gefunden hat. IV. D i e V e r j ä h r u n g des S t r a f k l a g r e c h t e s Strafrechtes 1. § 160.

und des

1. D i e W a n d l u n g i n der T h e o r i e der V e r j ä h r u n g .

I. In den deutschen Prozess, für den sie nicht geschaffen war, ist die römische Kriminalverjährung eingedrungen — zweifellos eine 3 Ueber das Recht der früheren deutschen Strafgesetzbücher, die teilweise sehr viel weiter gingen, s. F o r n e t a. a. 0 . S 161 ff. 4 D i e genaue juristische Charakterisirung dieser Handlungen gehört i n die Lehren von Versuch, Meineid, Zweikampf, Brandstiftung. 1 H 2 2 7 4 - 2 7 7 . Β 167—171. Sch 58. M 70. W Y 100. G 80. 81. H 152 bis 156. Κ 127—131. H e i n z e bei H H I I 594 ff. Aus den ält-ren Handbüchern

§ 160.

817

1. Wandlung in der Theorie der Verjährung.

Strafklagenverjährung 2 in ein Verfahren, dem die Strafklage, und damit der ursprüngliche Gegenstand der erlöschenden Verjährung entschwunden war —, ein dem deutschen Rechte ganz fremdes Institut, dessen Ursprung im römischen Rechte nicht klar zu Tage liegt, dessen Ausgestaltung nicht frei von Willkür und Widerspruch geblieben ist, das wegen der Unsichtbarkeit seiner Entstehungs- und Rechtfertigungsgründe dazu bestimmt schien das Opfer der sinnlosesten Erklärungen zu werden und dem dieses Schicksal in der Tat nicht erspart worden ist 3 . Verdunkelte sich aber der Grundgedanke der gemeinrechtlichen Verjährung, wonach diese nur das Strafverfolgungs-, nicht das Strafbeachtenswert

Henke

IV

171 ff.



Gründler,

Lehre von der Verjährung der peinlichen Strafe. Ders., ANF II.

1836

Marburg

1823.

S 336

De praescriptione criminum. poenarum

S 199 ff. -

das.

1841 S 512 ff.

S 72 ff. — U n t e r h o l z n e r ,

sammten Verjährungslehre. de

ff;

Systemat. E n t w i c k l u n g

2. Aufl. von Schirmer I I .

der

Halle 1796 (unbedeutend). — -

Vollgraff,

Abhandl.

Ausführl. E n t w i c k l . der 1858.

ge-

S 413 ff. — R i e d e l ,

B e r o l i n i 1831. — P l a t z m a n n , Observationes aliquot

praescriptione . . . .

Lipsiae

1832. —

S c h w a r z e , das. 1843 S 454 ff. -

Kraus,

Zachariä,

ANF

1842

das. 1846 S 474 ff. —

Mittermaier,

das. 1849 S 562 ff. — H e f f t e r , G A I 1853 S 307 ff. — S c h o c h ,

Krit.

der neueren D o k t r i n

Betracht,

Strafen.

und Gesetzgeb. über die Verjährung

Schaffhausen 1860 (sehr unbedeutend). — H i r z e l , u. dems. T i t e l .

r i c h 1860. — D a m b a c h , Beiträge zur Lehre von der Kriminalverjährung. 1860.

(S 125—139 reiche Literaturangaben.) — D e r s . ,

der Zü-

Berlin

G A I X 1861 S 30 ff. —

A b e g g , Ueber die Verjährung rechtskräftig erkannter Strafen.

Breslau 1862. —

S c h w a r z e , Bemerk, zur Lehre v. d. Verjähr, im Strafrechte.

Erlangen 1 8 6 7 . —

Kill,

GS 1868 S 336 ff. — P u l v e r m a c h e r ,

384 ff. — A r n d t ,

das. S 740 ff. — GA X I X

GA X V I I I 1870 S 145 ff. 301 ff. 88 ff. — O r t m a n n ,

A f. p r a k t .

Rechtswissensch. N F X I 1879 S 223 ff. — R i s c h , GS 1884 S 242 ff. —

Geyer,

H R L e x s. v. Verjährung I I I 104 ff. — V o n den früheren Kommentaren kommen besonders i n Betracht:

Breidenbach

I I 657—710; H o c h e d e r

I

496—532;

D o l l m a n n - R i s c h I 845—906. 2

Dies hindert nicht, dass die Römer sie auf i h r inquisitorisches Verfahren übertragen haben. S. auch W ä c h t e r , L e h r b u c h I 264; H e n k e I V 171. 3 Das germanisch-deutsche Recht kennt befristete Strafklagen, aber keine kriminelle Verjährung. — Es ist noch nicht lange, seit die Opposition gegen die Verjährung überhaupt verstummt ist. Sie w i r d bekämpft von F e u e r b a c h y K r i t i k I I 242; S t ü b e l , Kriminalverfahren I I I § 1315 ff; Ο e r s t e d , Grundregeln S 471 ff. und H e n k e I V 172 ff., die sie höchstens bei Polizeiübertretungen zulassen; G r ü n d l e r , System. E n t w i c k l u n g ; d e r s . , A N F 1836 S 336 ff, 1841 S 512 ff.; M a r t i n , Lehrbuch § 103; R i e d e l , De praescriptione criminum r S 95. — Die Zusammenstellung der Begründungen s. bei G r ü n d l e r , System. Entwicklung S 12. Vgl. D a m b a c h , Beitrag I I I S 41 ff.; K i l l , GS 1868 S 336 ff.;, P u l v e r m a c h e r , GA X V I I I 145 ff. 301 ff. 384 ff; H e i n z e , H H I I 602 ff.

Binding, Handbuch. V I I . 1. I : B i n d i n g , Strafrecht. I .

52

818

IV. Verjährung des Strafklagrechts und des StR.

recht selbst ergriff — und der Inquisitionsprozess gab zu dieser Verdunkelung Anlass genug —, so trat notwendig eine doppelte Folge ein. 1. Der Schwerpunkt ihrer Wirkung verlegte sich für jedes nicht ganz scharfe Auge von selbst aus dem Gebiete des Strafklagrechtes in das des Strafrechts 4. Damit ward freilich ihr Wesen verkehrt, ward die Frage nach ihrem Grunde gänzlich verschoben5, und zugleich entstanden die Zweifel, ob lediglich die Straffolge, oder das Verbrechen als solches, oder sogar das Delikt „durch den Zeitablauf getilgt werde" 6. 2. Der Gedanke der Straf r echt s Verjährung forderte notwendig die Ausdehnung der Verjährung auch auf die erkannte Strafe 7. Betrat man diese abschüssige Bahn, so spaltete sich alsbald der Weg. a. Entweder das Urteil erschien als eine Unterbrechung der laufenden Verjährung und trat deshalb mit allen anderen Unterbrechungsakten ganz auf eine Linie 8 . Nach dem Urteile, was deshalb nicht notwendig rechtskräftig zu sein brauchte, begann die unterbrochene Verjährung aufs neue zu laufen, ohne dass ihre Dauer verlängert werden wäre. Es ist kaum zu leugnen, dass diese Lehre den Ausgangspunkt folgerichtig im Auge behält. b. Oder aber von der rechtskräftigen Verurteilung liess man eine neue Verjährung mit selbständigen Fristen zu laufen beginnen. 4 Die Umkehrung von Ursache u n d W i r k u n g entspricht schon nach C a r p z o v der communis omnium doctorum opinio. S. C a r p z o v , Practica qu. 141 η. 6 : ad quartam causam, executionem poenae impediens (!) appropero, quae est p r a e s c r i p t i o d e l i c t i ; quae non modo criminis poenam, sed et ipsum delictum, ac per consequens accusationem quoque et processum criminalem tollit, j u x t a communem omnium doctorum opinionem. 5 Diese Verschiebung ist es, welche die Entlehnung des Begnadigungsgedankens für die Verjährung zur Folge gehabt hat. D i e Verjährung w i r d zu stillschweigender Begnadigung. Daher vielfach die Aufstellung des Requisites der Besserung des Verbrechers, welcher ganz verkehrte Gesichtspunkt sogar von manchen Gesetzgebungen aufgenommen worden ist. Dagegen gut K l e i n s c h r o d I I 277; bes. aber O e r s t e d , Grundregeln S 477; D a m b a c h a. a. 0 . S 65 ff. 6 Diese ganz verwirrte Auffassung, wonach eine Handlung verjährt und diese Verjährung das Verbrechen oder das D e l i k t aus der W e l t schafft, bleibt hier b i l l i g bei Seite. 7 So scheidet z. B. S c h w a r z e , Bemerk. S 25: „ B e i der Verjährung der Strafklage handelt es sich um die v e r w i r k t e (!), h i e r u m die e r k a n n t e Strafe.'· U n d H e i n z e bei H H I I 601 lässt die „Strafverjährung entweder der angedrohten oder der erkannten Strafe gelten". 8 S. S c h w a r z e a. 0 . S 26: „Das Erkenntniss i s t . . . nur eine Unterbrechung der Verjährung" (seil, des Verbrechens!). Vgl. unten A n m 13. — O r t m a n n , A f. prakt. R W N F X I 236 w i l l das U r t e i l nicht einmal als Unterbrechung der Verj ä h r u n g gelten lassen.

§ 160.

1. Wandlung in der Theorie der Verjährung.

819

Die höchst unglückliche Analogie mit der Verjährung der actio judicati scheint hier auf das französische Recht vor 1791 nicht ganz ohne Einfluss gewesen zu sein9. Die selbständige Verjährungsfrist dankte dann dem Bedürfniss nach Verlängerung der Strafverjährung, sobald das Urteil gefunden war, ihre Anerkennung. Aber die Verjährung des Strafrechts nach dem Urteil unterschied sich auch dann nicht wesentlich von der vor demselben10, und es ist kein Zufall, dass die neuere Wissenschaft den Irrtum zu verkünden nicht müde wird, beide Arten der Verjährung bedeuteten Untergang des Straf rechts sei's durch die allsühnende Macht der Zeit, sei's durch andere Mittel. II. Die Verjährung der erkannten Strafe ist als allgemeines Rechtsinstitut zuerst in den radikalen Sätzen des Code pénal vom 25. Sept. bis 6. Okt. 1791 T. VI Art. 3 anerkannt 11 1 2 . Die Verjäh9

Heisst es doch jetzt noch bei F a u s t i n H é l i e , Traité de l'instruction criminelle V I I I 598: „Cependant i l était admis dans l'ancienne jurisprudence, comme dans la jurisprudence romaine (!), que la prescription trenténaire éteignait la peine. 11 avait été jugé par un arrêt du parlement de Paris d u 29 avril 1642 et les légistes enseignaient »que, si après l a sentence de condamnation par contumace, exécutée par effigie, le condamné s'absente et reste en liberté pendant trente ans, la prescription contre la peine l u i est acquise, et i l ne peut plus être poursuivi dans sa personne«." 10 Sehr charakteristisch ist i n dieser Beziehung der interessante E n t w des braunschw. Strafgesetzbuchs § 64: „ D u r c h A b l a u f der Zeit erlischt die Strafbarkeit. 1. Die gerichtliche Verfolgung ist nicht mehr zulässig u. s. w. 2. V o n den erkannten Strafen verjährt" u. s. w. 11 Man w i l l sie i n der französischen und deutschen D o k t r i n noch weiter zurückdatiren. S. H i r z e l a. a. 0 . S 9 ff.; A b e g g a. a. 0 . S 41 (recht ungenau!). Vgl. die interessante Stelle bei J o u s s e , Nouveau traité des matières criminelles (Paris 1768?) I 583. 584. — I c h kann starke Bedenken hiegegen nicht unterdrücken. Die Behauptung stützt sich wesentlich auf den oben i n der A n m 9 angeführten arrêt ν. 29. A p r i l 1642. Hier handelt es sich aber nur um K o n t u m a z i a l ü r t e i l e , und zwar nur um solche, die i n effigie vollstreckt waren (verstehe ich recht, so vertrat diese Vollstreckung die Verkündung bei den sog. condamnations contradictoires, den ordentlichen Strafurteilen). Diese Kontumazialürteile waren aber nach der ordonnance von 1670 w i d e r r u f l i c h : s. J o u s s e a. a. Ο . I 583 und neuerdings E s m e i n , Hist, de la procédure criminelle en France. Paris 1882. S 252. 253. Sie sollten zwar die zwanzigjährige Verjährung unterbrechen ( J o u s s e a. a. 0.), aber nur um eine 30jährige zu eröffnen: diese neue Verjährung war aber gar nichts anderes als eine verlängerte Verfolgungsverjährung. Denn ward der Kontumazirte innerhalb derselben ergriffen, so hatte stets von Amtswegen eine erneute Prüfung einzutreten. I c h sehe hier also schlechterdings nichts von Verjährung erkannter Strafen! 12

blieben.

Dem früheren gemeinen deutschen Recht ist sie vollständig fremd geEbenso dem römischen Rechte. Gar nichts m i t i h r zu t u n hat der 52*

820

IV. Verjährung des Strafklagrechts und des StR.

rungsfrist belief sich auf 20 Jahre, die Frist für Verjährung des Strafklagrechts auf 3 Jahre (!), und wenn die Verfolgung begonnen war, auf 6 Jahre. In dem Code d'instr. criminelle bilden die Bestimmungen über die prescription den Schluss des Gesetzes (Art. 635—643). Für die Bestimmung der Fristen wird die Einteilung der strafbaren Handlungen und der Strafen in kriminelle, korrektionelle und polizeiliche zu Grunde gelegt. Die erkannte Strafe verjährt in 20, 5 und 2 Jahren, die Strafklage aber in 10, 3 und 1 Jahr: so dass man sagen mag, die Fristen für Verjährung der Strafe betragen das doppelte der Fristen für die Strafklagenverjährung. Die Aufnahme der Strafrechtsverjährung in die deutsche Gesetzgebung ist aber nicht einfache Reception des französischen Rechtes gewesen. Das älteste deutsche Strafgesetzbuch, worin sie erscheint, ist das K r i m i n a l g e s e t z b u c h für das K ö n i g r e i c h Sachsen vom 30. März 1838 Art. 76 ff. Es kennt in Wahrheit, obgleich es die Aufhebung der Untersuchung eines Verbrechens und die der erkannten Strafe in Art. 76 scheidet, nur eine Art cler Verjährung, welche „die Strafbarkeit" erlöschen lässt, deren Frist vor und nach dem Urteil die gleiche ist, und welche nach dem Urteil nur neu zu laufen beginnt. Dieses Sächsische Gesetz fusst offensichtlich auf der älteren Sächsischen Doktrin und Praxis 13 . Seine Bestimmung hat sich wörtlich als Art. 76 ff. des A l t e n b u r g i s c h e n Strafgesetzbuchs, seine Grundauffassung bis zum Inkrafttreten des neuen gemeinen Rechts in den Königlich Sächsischen Strafgesetzbüchern von 1855 und 1863 Art. 109 erhalten. Auf die übrigen deutschen Strafgesetzbücher, welche die Strafverjährung anerkennen 14, hat das französische Recht seinen Einfluss öfter angeführte Brief des Plinius an Trajan u n d dessen A n t w o r t (C. P l i n i i et T r a j a n i epistulae ed. K e i l . Lipsiae 1868. E p . X X X I u n d X X X I I ) . S. freilich A h e g g , Verjährung S 1 ff. 13

Besonders auf S t ü b e l , Kriminalverfahren I I I . Leipzig 1811. § 1487, der sich charakteristischer W e i s e auf P u f e n d o r f , Observ. t. 1 obs. 117 und auf W i n c k l e r , Handbuch des sächs. peinl. Prozesses § 130 S 292 beruft. — S. auch S t ü b e l , E n t w eines CGB für das Königr. Sachsen (1824) § 266. — Vgl. den Kommentar v. W e i s s . 2. A u f l . S 312 ff. — S t ü b e l spricht von einer Unterbrechung der Verjährung durch das U r t e i l , welche nachher wieder zu laufen beginne. S. oben A n m 8. 14 Es sind W ü r t t e m b e r g Art. 129; B r a u n s c h w e i g § 71. 72; B a d e n § 194; T h ü r i n g e n A r t , 73; B a y e r n v. 1861 A r t . 92; H a m b u r g A r t . 68 ff.— So bemerkt der W ü r t t e m b . E n t w v. 1836 i n den Motiven: .,der E n t w folgt

§ 161. 2. Ihre Verschiedenheit.

821

geübt. Mehr oder weniger scharf halten sie die Verjährung der Untersuchung und die der erkannten Strafe aus einander, ohne dass aber die Fristen für letztere stets länger wären, als die der ersteren. III. Das deutsche Strafgesetzbuch hat bezüglich der Verjährung den einheitlichen Standpunkt des früheren gemeinen Rechts und der Mehrzahl der früheren Partikulargesetze 15 verlassen; es bestimmt in § 66: „durch Verjährung wird die Strafverfolgung und die Strafvollstreckung ausgeschlossen", und stellt somit die Wissenschaft vor die Frage nach dem Wesen cler beiden Arten der \7rerjährung. § 161. 2. Die w e s e n t l i c h e \ ; r e r s c h i e d e n h e i t b e i d e r A r t e n cler V e r j ä h r u n g und i h r e r Gründe. Ein Institut, über dessen Grund cler Gesetzgeber so wenig Aufschluss giebt wie über das der Verjährung, und dessen Wesen doch nur aus seinem Grunde erkennbar ist, kann auf seine Arten nicht untersucht werden, ohne dass man zugleich diesen auf den Grund geht. Diese Forschung nach den Gründen der Verjährung unterliegt bedauerlicherweise dem Schicksale, dass ihre Resultate mit diesem oder jenem Gesetze zusammenstossen. Solchem Konflikt ist noch keine Verjährungstheorie entgangen1; und er allein beweist die Unrichtigkeit der Theorie nicht: denn die Schuld des Konflikts liegt zum Teile in dem Widerspruch der gesetzgeberischen Ausgangspunkte, in der Unklarheit über dieselben, in cler Unfolgerichtigkeit der Gedankenentwickelung. I. Trotz des lebhaften Streites über das Wesen der strafrechtlichen Verjährung herrscht heute Einmütigkeit über ihren Charakter als erlöschender Verjährung 2. Rechte gehen durch sie unter, und nicht werden seitens des Schuldigen Rechte auf Straflosigkeit erworben. Denn solche Rechte sind geradeso undenkbar wie Rechte desselben auf Strafe. II. Das allein cler Verwirklichung fähige ist heute das auf erhobene Strafklage hin durch das Gericht zu historischer Gewissheit erhohier dem französischen Strafrechte", beruft sich aber freilich darauf, dass auch nach gemein-deutschem Rechte die Strafe nach dem U r t e i l verjähre. 15 Falsch die M o t zu E n t w I I I § 64. 1 Ja dieser K o n f l i k t ist bei allen ziemlich gleich stark. 2 M a n kann sich deshalb nicht schlechter ausdrücken, als z. B. G r ü n d l e r a. a. 0 . S 54. 64 und sonst t u t : „durch die Unterbrechung w i r d der Verbrecher gar nicht gehindert, die Verjährung nachher von neuem anzufangen"; „wenn der Verbrecher, der die peinliche Strafe verjährt" u. s. w.

822

I V . Verjährung des Strafklagrechts und des StR.

bene, nach Art und Maass festgestellte Strafrecht. So tritt der Staat auf dem Gebiete des Strafrechts als Inhaber einer dreifachen Berechtigung auf: er i s t I n h a b e r des S t r a f r e c h t s , des S t r a f k l a g r e c h t s u n d des S t r a f u r t e i l s r e c h t e s . Jedes dieser drei Rechte könnte denkbarer Weise im Einzelfall durch erlöschende Verjährung sein Ende finden. Nicht in dem Sinne freilich, dass sie dem saumseligen Staate zur Strafe seines Verzuges verloren gingen: denn alle diese Rechte haben die entsprechenden Pflichten zur Klagerhebung, zur Urteilsflndung, zur Strafvollstreckung als Kehrseite, und Pflichten durch Nichterfüllung abzustreifen, ist rechtlich unmöglich3: w o h l aber i n dem a n d e r n , dass der Staat d u r c h A n e r k e n n u n g der V e r j ä h r u n g g e s e t z l i c h auf seine Rechte v e r z i c h t e t e , w e i l d i e P f l i c h t zu i h r e r A u s ü b u n g m i t dem Grunde der P f l i c h t w e g g e f a l l e n , w e i l die H a n d l u n g u n n ö t i g oder u n m ö g l i c h geworden wäre. 1. Wenn nun das frühere gemeine Recht und die Mehrzahl der neueren Strafgesetzbücher vor Ablauf der Verjährungszeit, also rechtzeitig durch rechtskräftiges Urteil festgestellte Strafansprüche überhaupt nicht mehr verjähren lassen, so muss der Grund dazu in einer Eigenschaft liegen, die sie durch das Urteil erlangt haben. Diese Eigenschaft kann in der Fixirung von Art und Maass der Strafe nicht gefunden werden, v i e l m e h r ganz a l l e i n i n der E r h e b u n g des V e r b r e c h e n s als des Grundes und der E x i s t e n z des S t r a f r e c h t s als der V e r b r e c h e n s f o l g e zu h i s t o r i s c h e r G e w i s s h e i t . Wenn nun nach Ablauf einer bestimmten Verjährungszeit die Strafansprüche diese ihre Unvergänglichkeit sichernde Eigenschaft nicht mehr sollen erhalten können, so darf in einem konsequent denkenden Rechte der Grund nur in der Unmöglichkeit gefunden wrerden durch Urteil nach Ablauf der Verjährungszeit Verbrechen und Straffolge in historische Gewissheit zu setzen. In demselben Augenblicke, wo die Erfahrung den Gesetzgeber zu der Ueberzeugung drängt, es komme ein Zeitpunkt, mit dessen Eintritt Sein oder Nichtsein der Strafansprüche durchschnittlich nicht mehr in historische Gewissheit gesetzt werden könne, muss er eine Veijährung und diesen Zeitpunkt als ihr Ende anerkennen. Denn die gerechte Strafe ist nur die Strafe des voll bewiesenen Verbrechens 4 . 3

H e i n z e bei H H I I 602. 603. Sehr treffend sagt G r a n ζ , Defensio Inquisitorum cap. 8 membr. I de praescript. crim. (1702) — eine Stelle d i e T h o m a s i u s , De praescript. bigamiae 4

§161.

2. Ihre Verschiedenheit.

823

Seine Beweismittel aber bilden das verbleichende Gedächtniss verwehender und vergehender Menschen, und die oft so rasch schwindenden Spuren der Tat als die Objekte des Augenscheins. Alle diese Beweismittel sind dem bald rascheren bald langsameren Untergange geweiht. Aber nicht nur ihr Untergang widerrät den Versuch des Beweises, ein Untergang der im schriftlichen Verfahren durch Beweisaufnahme in perpetuam rei memoriam vielleicht verlangsamt werden kann, sondern mehr noch ihre scheinbare Fortexistenz nach wirklichem Erlöschen. Die Spuren der Tat können sich ändern, und je weiter die Gedächtnissbilder zeitlich wegrücken von den Vorgängen, denen sie den Ursprung danken, um so freieres Gemeingut der umdichtenden Phantasie sind sie geworden. Aber nicht nur clie einzelnen Beweismittel, sondern auch das Verhältniss von Belastungs- und Entlastungsbeweisen vermag sich in der Zeit verhängnissvoll zu wandeln. Das Verderben kann sich beider Beweise in verschiedenem Maasse wie zu verschiedener Zeit bemächtigen, und durch jeden Untergang eines Entlastungsbeweises wächst die relative Beweiskraft der erhaltenen Belastungstatsachen. Waltet böser Zufall, so stempelt die Zeit den Unschuldigen zum scheinbar Schuldigen. Diese B e w e i s v e r g ä n g l i c h k e i t i s t für den g e w i s s e n h a f t e n Gesetzgeber ein z w i n g e n d e r , aber auch der a l l e i n zwingende G r u n d die V e r j ä h r u n g des S t r a f v e r f o l g u n g s rechts a n z u e r k e n n e n 5 . Wer den Gesetzgeber darauf hinweist, es § 4 aufgenommen hat — : Praescriptio criminalis non eum i n finem est inventa, ut delicta, de quibus aliquis convictus est, impunita maneant, sed potius, ne propter summam factorum incertitudinem ex temporis diuturnitate provenientem innocentes, i n quos suspicio criminis alicujus cadit, indebita afficiantur poena aut beneficio defensionis priventur, quod ipsum post longum tempus lapsum propter interitum probationum maxime difficile redditur. I g i t u r directo praescriptio criminum non intendit remissionem delicti, de quo constat, sed potius remissionem actionis super delicto dubio. 5 I c h sage n i c h t , sie sei der einzige Grund, der den Gesetzgeber bestimmen könne und bestimmt habe: ich behaupte aber, sie sei der einzig z w i n g e n d e Grund und der einzige überhaupt, der nach Beseitigung des Gesichtspunktes der Versäumung unmittelbar zu einer Verjährung des S t r a f k l a g r e c h t s führt; sie sei also da als Grund anzuerkennen, wo die Verjährung an erster Stelle das Strafk l a g recht ergreife. I. E s i s t w o h l m ö g l i c h , d a s s d e r G e s e t z g e b e r d u r c h d e n Z e i t a b l a u f d a s S t r a f b e d ü r f n i s s a l s e r l o s c h e n b e t r a c h t e t , und er kann dies von drei verschiedenen Ausgangspunkten aus. E r kann glauben 1. d e r S t a a t v e r l i e r e d a s I n t e r e s s e a n d e r B e s t r a f u n g ; diese sei zur Stätigung der Gesetze nach so langer Zeit nicht mehr n ö t i g ; 2. oder er findet, d e m D e l i n -

824

IV. Verjährung des Strafklagrechts und des StR.

komme doch auf die Probe an, ob nicht auch später der volle Beweis gelinge, versteht das Motiv des Gesetzgebers ebenso wenig wie diesen selbst. q u e n t e n , der w ä h r e n d d i e s e r Z e i t u n t e r d e m B a n n e der A n g s t vor d e r S t r a f e g e l e b t h a b e, s e i e n s t r a f a r t i g e U e b e l , d i e er e r d u l d e t , a l s S t r a f e a n z u r e c h n e n — ein Gesichtspunkt, der freilich nur gegenüber schwereren Strafen nicht ganz verfehlt ist (s. z. B. Braunschweig § 71 Abs. 3 ; Baden § 196; auch Hannover A . 90) und der konsequent zur Anerkennung des Ablaufs der teilweisen Verjährungszeit als eines Strafmilderungsgrundes führt (s. immerhin Württemberg A . 113); 3. e n d l i c h k a n n e r v o m S t a n d p u n k t e d e r B e s s e r u n g s t h e o r i e aus in d e r t a d e l l o s e n F ü h r u n g des D e l i n q u e n t e n w ä h r e n d d e r V e r j ä h r u n g s z e i t d e n B e w e i s s e i n er B e s s e r u n g e r b r a c h t f i n d e n . Dann wandelt sich allerdings die erlöschende in eine erwerbende Verjährung; der Delinquent ersitzt sich Straflosigkeit. Dieser Besserungsgesichtspunkt ist j a einigen der früheren deutschen Strafgesetzbücher nicht fremd, wenn auch in keinem der ausschliesslich herrschende. S. Bayern 1813 A . 139 ( = Oldenburg 1814 A . 144); Bayern 1861 A . 96. 98 (jedes Verbrechen und vorsätzliche Vergehen unterbricht die Verjährung); Württemberg A . 132, 3 (später 2). 133, 2; Baden § 197 (Verjährung erkannter Strafen unterbrochen durch Begehung eines gleichen oder gleichartigen Verbrechens); Oesterreich § 225 sub d. 531 s. c. I n anderer Wendung k o m m t dieser Gedanke zur Geltung, wenn die Verjährung nicht laufen soll zu Gunsten dessen, durch dessen Schuld die Verfolgung unterbleiben muss. S. Hessen Α . 127; Hannover Α . 88 N r 2 ; Oesterreich § 229 1868 Α . 115 Schlusssatz (bezieht t sub c. S. auch Sachsen 1855 A . 115 Schlusssatz = sich nur auf erkannte Strafen). Die Präsumtion der Besserung aber auch da als Grund der Verjährung zu bezeichnen, wo die Verjährung nicht minder zu Gunsten des gewerbmässigen Verbrechers läuft, ist eine der vielen Ungeheuerlichkeiten, die i n der Verjährungslehre aufgetaucht sind. — Dass diese drei Gesichtspunkte nicht die des früheren gemeinen Rechts gewesen sind, ist betreffs ihrer aller unleugbar. Ebenso, dass sie alle nur zu e i n e r A r t der Verjährung führen müssen und zwar zur Verjährung des S t r a f r e c h t s , die auch die rechtskräftigen Strafen ergreift u n d bezüglich deren das U r t e i l nur als Unterbrechung zu gelten hat. Ueberh a u p t i s t zu b e t o n e n , dass, wo das p o s i t i v e R e c h t z w e i v e r s c h i e dene V e r j ä h r u n g e n m i t v e r s c h i e d e n e n F r i s t e n a n e r k e n n t , der für die erste A r t maassgebende G e s i c h t s p u n k t n i c h t z u g l e i c h der maassgebende auch für die zweite A r t sein kann. I I . V o n angeblich zwingenden Gründen für die Verjährung begegnen i n der L i t e r a t u r ausser dem des Textes noch zwei: die unendliche, alles Irdische i n ihren Strom begrabende Macht der Zeit ; so K ö s t l i n S 482 ; A b e g g , Verjährung rechtskräftig erkannter Strafen S 25. 26 u. A . Je unklarer aber die Gedanken sind, u m so voller klingen stets die Phrasen. Schon v. W ä c h t e r , Vöries. S 302 bemerkt sehr treffend: „ d a m i t ist nicht der Grund jener Anerkennung erklärt, sondern nur ein B i l d gegeben, m i t dem die Anhänger der Wiedervergeltungstheorie ihre Inkonsequenz, eine Verjährung zuzugeben, verdecken"; und K i l l , GS 1868 S 354: „ S t a t t dass man irgend eine K r a f t nannte, die i n der Zeit diese W i r k u n g ausübt, nennt man die Zeit selbst." Diese mildernde, reinigende, sühnende Macht der Zeit, also einer Vorstellung, kann nur bedeuten, das Verbrechen verliere seine

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2. Ihre Verschiedenheit.

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Letzterer ist gerade von der Frivolität der Probe und von der Trüglichkeit ihres angeblich sichersten Ergebnisses überzeugt und untersagt sie deshalb. Wer diesen Grundgedanken der Verjährung wegen seines angeblichen Widerspruches mit dem Grundsatze freier richterlicher Beweiswürdigung angreift 6, verkennt, dass dem Richter Strafbarkeit dadurch, dass es vergessen werde, also nicht das Verbrechen, sondern die beunruhigende Wissenschaft vom Verbrechen erzeuge das Strafbedürfniss, oder aber es schwinde allmählich das Bedürfniss des Staats zur Bestrafung. Das ist aber der fakultative Grund oben unter I 1. Sehr richtig bemerkt übrigens K i l l , GS 1868 S 343: „ S o l l aber ein Verbrechen stets neu bleiben, so braucht es nur so verübt zu sein, dass der Täter unentdeckt bleibt." — 2. Die Verjährung „finde ihren besten Grund darin, dass sie das allgemeine M i t t e l sei, den Widerstreit zwischen Recht und Thatsache zu heben". So H e i n z e bei H H I I 609 ff., dem offenbar H a l s c h n e r , D. StR I 695 und vollständig v. L i s z t § 81 folgen. S. auch v. W ä c h t e r , D. StR § 303 und R i s c h , GS 1884 S 255 A n m 17. Dagegen O r t m a n n , A f. prakt. R W N F X I 229 ff. — Das Recht sei bestimmt die Tatsachen zu beherrschen ; entziehen sich diese seiner Macht, so ist der Widerspruch d a ; dauert dieser, so w i r d er unerträglich. „ K o m m t der Berg nicht zu Muhammad, so kommt Muhammad zum Berge." Unterwerfen die Tatsachen sich nicht dem Recht, so unterwirft dieses sich den T a t sachen und der E i n k l a n g ist wieder hergestellt ! — Freilich eine der seltsamsten E r klärungsarten, die von dem Recht den Gang durch das kaudinische Joch als selbstverständlich voraussetzt. Dabei ein höchst bedenkliches Erzeugniss moderner Naturrechtslehre ! Es ist j a schlechterdings unrichtig, dass alle Rechte untergehen, w e i l es am Anlass oder an der Möglichkeit ihrer Ausübung fehlt. Es bedürfte erst einer genaueren Untersuchung, ob trotz Untergangs der Servituten durch nonusus nicht der Satz haltbar wäre, dass i n W a h r h e i t gar kein nicht befristetes m a t e r i e l l e s Recht direkt durch Nichtausübung (im Gegensatz zum indirekten Untergang bew i r k t durch Ersitzung) erlösche. Sollte dieser Satz aber nicht haltbar sein, so wären es immer nur gewisse Rechte, die der erlöschenden Verjährung unterlägen, und schlechterdings unzulässig wäre der Induktionsschluss, dass sie alle an den K l i p p e n der renitenten Tatsachen zerschellen müssten. Bei der Verjährung aber spielt der Gedanke der Rechtsverwirkung eine grosse Rolle — ein Gedanke, der auf Pflichten unübertragbar ist. Die Rechte und noch mehr die Pflichten können ihre Zeit eben abwarten und verzweifeln nicht ungeduldig an sich selbst! Stelle man sich aber für einen Augenblick auf den Standpunkt der Gegner und denke man sich nun einen Prozess zu einer Z e i t , wo der A b l a u f der Verjährungsfrist noch zweifelhaft i s t : gerade w i l l und kann das Recht die Tatsachen ergreifen, da beginnen diese zu triumphiren, denn seine Zeit ist um und die ihre beginnt! I ) a warten wir besser, bis der Berg zu Muhammed k o m m t ! W a h r ist aber, dass auch diese beiden zwingenden Gründe nur zu e i n e r A r t der Verjährung führen und dass nach ihnen eine Verjährung rechtskräftig erkannter Strafen anzuerkennen ist. — Weiter einzutreten i n eine Auseinandersetzung mit anderen Ansichten über den Rechtsgrund der Verjährung ist ganz unerspriesslich : die darüber vorgebrachten Ungereimtheiten übersteigen teilweise alles Maass! M a n vgl. die K r i t i k bei G r ü n d l e r , Syst. E n t w i c k l u n g S 3 ff.; D a m b a c h , Beiträge S 41 ff.; H i r z e l S 2 4 ff; H e i n z e bei H H I I 602 ff. 6

H e i n z e bei H H I I 604.

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IV Verjährung des Strafklagrechts und des StR.

das Gesetz stets die Beweismittel umschrieben hat, die er benutzen darf, und dass auch der am freiesten sich bewegende Richter nach Auffassung des Gesetzgebers ausser Stande ist das Maass der Wandlung auszuschätzen, welches das Beweismaterial durch Ablauf der Verjährungszeit erlitten hat. Für untergegangene Beweise giebt es keine freie Beweiswürdigung ! 2. Dass der Gesetzgeber auf diese Gedanken eintreten k a n n , hat noch niemand geleugnet. W e n n er es t u t , so muss er i n W a h r h e i t das Recht des G e r i c h t e s zur F e s t s t e l l u n g des V e r b r e c h e n s u n d der S t r a f e als durch den Z e i t a b l a u f e r l o s c h e n b e t r a c h t e n . In Folge dessen erscheint die weitere Fortdauer des Strafklagrechts, im Inquisitionsprozesse aber des Rechtes der specialis inquisitio als zwecklos : der Untergang des Verurteilungsrechtes zieht sie nach ; da aber dessen Untergang auch die Unmöglichkeit bedeutet das Strafrecht je in Gewissheit zu setzen, verliert auch seine Fortdauer Sinn und Verstand: es endet wegen Undurchführbarkeit. Klagt der Staatsanwalt dennoch, weil die Tatsache der A^erjährung zweifelhaft ist oder von ihm verneint wird, so kann auf diese Klage hin das Prozessrechtsverhältniss begründet werden — denn es ist ja gerade ungewiss, ob Strafklagrecht und Strafrecht noch bestehen —, und das Gericht hat in der Hauptverhandlung nicht einzustellen, sondern in der Sache freizusprechen 7. Nur das Recht des Klägers auf klagbejahendes Sachurteil ist geschwunden. 3. Nun ist die prozessualische Bedeutung der römischen Straf7

Es liegt sowohl i m Interesse des Staats, dass die erhobene Strafklage definitiv konsumirt wird, also nicht auf Grund neuer Tatsachen oder Beweismittel wieder erhoben werden kann, als im Interesse des Angeklagten, dass er freigesprochen wird. Dieses Interesse ist da besonders stark, wo von solcher Freisprechung die Fähigkeit oder der Genuss öffentlicher Rechte abhängig gemacht wird. S. z. B. Hess. Verfass. A r t . 60 : „ W e r als M i t g l i e d der einen oder anderen Kammer auf Landtagen erscheinen will, darf nie wegen Verbrechen oder Vergehen . . . vor Gericht gestanden haben, ohne gänzlich freigesprochen zu sein." S. dazu bes. Z a c h a r i ä , A N F 1842 S 210 ff; K r a u s , das. 1846 S 474 ff; K ö s t l i n , System I 508. 509. — D a der Sinn der Freisprechung i s t : das eingeklagte Verbrechen sei nicht mehr festzustellen, so kann es natürlich auch später nicht als Straferhöhungsgrund bei Bestrafung anderweiter Verbrechen i n Betracht kommen. W e r es dem Freigesprochenen vorrückt, behauptet von i h m jedenfalls ehrenrührige Tatsachen, die i m Sinne GB § 186 nicht erweislich wahr sind: der Beweis der exceptio veritatis w i r d durch die Verjährung einfach ausgeschlossen. — Gerade umgekehrt H e i n z e bei H H I I 626; M e y e r § 70 S 411. Vgl. übrigens unten A n m 20. 21. 28—27.

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klagverjährung ganz unleugbar. An Stelle des Rechtes der Anklage ist das Recht der inquisitio specialis im Inquisitionsprozess getreten: die Verjährung des endenden gemeinen Rechts bezog sich allein auf dieses. Das konnte wegen mangelnder Unterscheidung von Strafverfolgungs- und Strafrecht verkannt werden : aber eine gewohnheitsrechtliche Umbildung im verjährenden Rechte wurde nicht vollzogen. Eine Verjährung, die an erster Stelle das Strafrecht ergriff, ist dem gemeinen Rechte bis zu seinem Ende fern geblieben8. III. Dass die neuere Gesetzgebung zunächst mit dem Institute nichts anzufangen wusste, zeigen die Strafgesetzbücher von B a y e r n und Ol denburg von 1813 u. 1814 zur Genüge9. Dass das Sächsische Kriminalgesetzbuch nur eine Art der Verjährung mit dem Objekte des Strafrechtes anerkennt, ward früher schon hervorgehoben 10. Die Gesetzgebung aber besann sich bald : sie blieb entweder bei der gemeinrechtlichen, wesentlich prozessualen Verjährung stehen, oder sie erkannte ausserdem die Verjährung rechtskräftig ausgesprochener Strafen an, schied dann aber scharf zwei verschiedene Arten der Verjährung mit verschiedenem Objekte und verschiedenen, für rechtskräftig erkannte Strafen bedeutend verlängerten Fristen. Als Objekt der ersten Art bezeichnete sie „die Untersuchung, soweit diese nicht zur Entscheidung über die Verjährung notwendig ist" n , die gerichtliche Verfolgung 12 , „die gerichtliche Verfolgung des Verbrechers und folgeweise auch seine Bestrafung" 13, „Verfolgung und Bestrafung" 14. IV. Diesen Anschauungen hat sich das deutsche Strafgesetzbuch angeschlossen. Es lautet der § 66: „Durch Verjährung wird die Strafverfolgung und die Strafvollstreckung ausgeschlossen15." 1. Nur über den Grund, nicht über das Wesen der sog. Strafvollstreckungsverjährung kann Zweifel herrschen. Sie bedeutet Unter8

S. auch neuerdings wieder R i s c h , GS 1884 S 271. Man sehe den seltsamen A r t . 139 des Bayer. StG, dem Oldenb. A r t . 144 gleichlautet. 10 S. oben S 820. — Hannover A r t . 88 u n d Hessen A r t . 124 lassen „die Strafbarkeit der T a t " , das hier sehr wenig klare österr. Gesetzbuch § 227 „ V e r brechen und Strafe erlöschen", mit der W i r k u n g , „dass weder Untersuchung noch Strafe . . . . mehr statthaben k a n n " . 11 W ü r t t . A r t . 129; ganz ähnlich Sachsen 1855 u. 1868 A r t . 109. 12 Braunschweig § 71; Baden § 194; Bayern 1861 A r t . 9 2 ; Hamburg A r t . 64. 13 So am präcisesten T h ü r . A r t . 71. 14 Preussen § 4 5 ; Oldenburg 1858 A r t . 41. 16 Derselbe Gegensatz findet sich GB § 5 u. 9 (hier Verfolgung oder Bestrafung). 9

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IV. Verjährung des Strafklagrechts und des StR.

gang des rechtskräftig festgestellten, durch das Urteil nicht unmittelbar zur Vollstreckung gelangenden Strafrechts 16. Ein zwingender, ja auch nur ein stichhaltiger Grund für sie ist schlechthin unerfindlich. Man könnte nur an wegfallendes Strafbedürfniss oder an den schweren Druck des rechtskräftigen Strafurteils auf den Verurteilten denken. Beide Gründe schlagen nicht durch. Welchen von beiden der Gesetzgeber adoptirt hat, ist nicht zu entscheiden. Mit beiden steht die Verjährung der lebenslänglichen Freiheitsstrafen in schneidendem Widerspruche 17. Will man dem zweiten Gedanken Folge geben, so führt er übrigens nicht zu einer \7erjänrung, sondern höchstens zu einer Anrechnung der dem Verurteilten durch Verkündung des rechtskräftigen Urteils faktisch erwachsenen strafartigen Uebel, die er während bestimmter Zeit zu tragen gehabt hat, durch den Richter oder den Inhaber der Gnadengewalt auf die erkannte Strafe. Betrachtet das Gesetz dagegen das Strafbedürfniss des Staates als nach Ablauf der Verjährungszeit erloschen, so nimmt es dem Staate die Strafpflicht ab, entweder, weil er säumig war sie zu erfüllen, oder regelmässig, weil es dem Verurteilten gelungen ist dem Staate die Strafvollstreckung unmöglich zu machen. Es prämiirt also die Fluch oder die geschickte Täuschung des Staates durch den nicht flüchtig gewordenen Verbrecher 18. Gerade dazu aber fehlt jeder zwingende Grund. Und so ist die ganze Verjährung rechtskräftig erkannter Strafen das Erzeugniss einer Bewegung, die auf Schritt und Tritt den Verbrecher auf Kosten der Autorität des Staates begünstigt: sie ist einfach zu beseitigen. 16 Aber wahrlich nicht erlöschende Verjährung der actio judicati. So v. L i s z t § 81 S 283. Trotzdem dass nach y. L i s z t nur die actio ex delicto u n d die actio j u d i c a t i verjähren, gehört nach i h m die „Verjährung dem materiellen und nicht dem Prozessrecht an". So das. A n m 3. — R i s c h , GS 1884 S 277 möchte das „prozessuale Moment der Vollstreckungsverjährung" i n der „Hinderung der straf behördlichen A k t i o n " finden. A l l e i n — und hierin zeigt sich wieder der scharfe Gegensatz beider A r t e n der Verjährung — das Erlöschen des Rechts der Vollstreckungsbehörden ist nur die Rechtsfolge des Untergangs des Strafrechts, bei der andern A r t der Verjährung aber ist der Untergang des Strafrechts nicht Grund sondern Folge, der des Strafklagrechts nicht Folge sondern Grund. 17 M a n sehe die matten Gegengründe A h e g g s , Verjährung S 106. 18 W e n n unser Abscheu vor schwerer Misstat so kurzlebig geworden ist, dass die Gesellschaft nach 30 Jahren den Mörder, der für seine T a t nicht die geringste Strafe, vielleicht auch nicht die geringsten Gewissensbisse erduldet hat, als wäre nichts geschehen, wieder r u h i g bei sich aufnehmen mag, so ist dies vom Standpunkte der Gerechtigkeit nur tief zu beklagen.

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2. Ihre Verschiedenheit.

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2. Die heutige Verjährung vor Eintritt der Rechtskraft des verurteilenden Erkenntnisses ist eine unmittelbare Veijährung des materiellen Strafrechts ihrem Wesen nach keineswegs. Wäre sie es, so könnte das rechtskräftige Urteil diese Verjährung unterbrechen, aber nicht eine neue beginnen: das heutige Recht müsste nur eine Art und eine Frist der Verjährung kennen. Nach der Terminologie des Gesetzes ist auch Objekt dieser Verjährung die S t r a f v e r f o l g u n g 1 9 . Darunter versteht das Gesetz durchweg die prozessuale Verfolgung der strafbaren Handlung, den Strafprozess, und § 69 bezeichnet sie noch genauer als „Beginn oder Fortsetzung eines Strafverfahrens", § 63 als das „gerichtliche Verfahren". Da durch die erlöschende Verjährung nur Rechte untergehen können und nicht Prozesse, so soll jedenfalls erlöschen a. das S t r a f k l a g r e c h t . Der Staatsanwalt, der wissentlich die Klage aus verjährten Tatbeständen erhebt, verfällt nach richtiger Auslegung des GB § 344 der Strafe dieses Gesetzes. Ist aber die Tatsache der Verjährung zweifelhaft und glaubt der Staatsanwalt die Klage mit Aussicht auf Erfolg erheben zu können, so ist er klagpflichtig. Da das Gesetzbuch aber eine Unterbrechung der Verfolgungsverjährung durch die Klagerhebung nicht kennt, so legt es grösseres Gewicht auf den Untergang b. r i c h t e r l i c h e n Rechts. Das Gericht soll die verjährte Klage nicht annehmen, jedenfalls nicht zur Hauptverhandlung verweisen. Ueber die Rückwirkung der Verjährung auf die Machtvollkommenheit des erkennenden Gerichts giebt das GB nur die negative Auskunft, dass im Falle der Verjährung keine Verurteilung eintreten dürfe. Ob das Gericht sich aber des Sachurteils ganz enthalten oder freisprechen, und wie es eventuell die Freisprechung begründen soll, darüber sollte die StPO die nötige Auskunft geben : sie tut es jedoch nur ungenügend. 19

N u r ein schlechter Ausdruck ist es, wenn i n dem Wechselstempelsteuergesetz v. 10. J u n i 1869 § 17 und i n E G § 7 von einer Verjährung der Zuwiderhandlung und der Wechselstempelhinterziehungen selbst gesprochen wird. — Bezüglich des Sprachgebrauchs des Gesetzbuchs ist zu beachten, dass 1. „Strafverfolgung" begegnet i n § 66. 67. 171, 3, M G B § 52; 2. „strafrechtlich verfolgen" i n § 55; 3. „Verfolgung" i n § 4. 5. 9. 61. 152 (Verfolgung oder Verurteilung). 157 N r 1. 170, 2. 172, 2. 179, 3. 189, 3. 194. 232. 236, 2. 237, 2. 238. 288, 2. 289, 4. 292, 2. 299. 300. 301, 2. 302, 4. 346. 370 a. E., vgl. M G B § 51; 4. „Verfolgbarkeit" i n § 5 N r 3 ; 5. „verfolgen" in § 4. 61. 197. 247, 1. 263, 4. — Schon die Erwägung, dass das S traf klagrecht auch zu Gunsten des verdächtigen Unschuldigen verjähre, führt zur Erkenntniss, dass die Verfolgungsverjährung eine Strafrechtsverjährung nicht sein kann.

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IV. Verjährung des Strafklagrechts und des StR.

Aus StPO § 259 in Verbindung mit § 262, 3 ergiebt sich jedoch mit Bestimmtheit, dass das Gericht des Rechtes auf Sachurteil durch die Verjährung nicht verlustig geht : § 262 behandelt gerade die Findung des Sachurteils und stellt fest, dass die Frage der Verjährung zur Schuldfrage, also auch zur Kompetenz der Geschworenen und zu den mit einer Majorität von zwei Dritteln zu beantwortenden Fragen nicht gehöre 20 . Es verliert das Gericht also nur sein Recht auf bejahendes Sachurteil; und dieses ist durchaus sachgemäss. Da es freizusprechen hat 2 1 , so muss als Folge der Verjährung des Strafklagrechts wie des Verurteilungsrechts das Strafrecht selbst als untergegangen betrachtet werden. Dies ändert das prozessuale Wesen der Verjährung nicht. Da sie das Strafrecht nicht unmittelbar ergreift, auch der Gedanke, der Strafkläger verliere sein Klagrecht durch Versäumniss, ihr nicht unterliegt, so kann m. E. nur Misstrauen gegen die Grundlagen der Verurteilung nach abgelaufener Verjährungszeit den Standpunkt des geltenden Rechts erklären. Damit scheinen zwei Tatsachen in Widerspruch zu stehen: α. D i e A b s t u f u n g der V e r j ä h r u n g s f r i s t e n nach der Höhe der a n g e d r o h t e n Strafen. Allein abgesehen von der geradezu anstössig kurzen Verjährungsfrist für Uebertretungen liegt dem doch die ganz richtige Beobachtung zum Grunde, dass das Gedächtniss schwerer Tat und ihrer Spuren im Menschen unendlich länger zu haften pflegt als das eines kleinen fungibeln Ungehorsams, und so wird man die Schwere der Tat bei der Fixirung der Verjährungsfristen nicht ausser Ansatz lassen können; ß. zur E n t s c h e i d u n g der V e r j ä h r u n g s f r a g e muss sich 20 Soweit ist es unzulässig das Hauptverfahren durch Einstellungs - U r t e i l zu schliessen. Letzteres wollen R ü d o r f f zu § 66 A n m 3 ; O p p e n h o f f zu § 66 A n m 8 ; R u b o § 66 A n m 2 ; O l s h a u s e n zu § 66 A n m 8 ; R i s c h a. a. 0 . S 265 (gegen die beiden letzteren ist zu bemerken, dass eben die Verjährung nach heutigem Rechte nicht den Wegfall einer Prozessvoraussetzung bedeutet): w o h l auch R u h s t r a t , GA X X I X 58. — Vgl. K ö s t l i n , Syst. I 508 unten. — R i s c h , GS 1884 S 261 A n m 25 a. E . u. S 278 A n m 48 beruft sich gegen K e l l e r , StPO § 259 A n m 2 u. 7 und gegen m e i n e n Grundriss d. StR S 186 auf StPO § 266 al. 4 , wonach eine Freisprechung wegen Verjährung schon durch die gesetzlichen Anforderungen an die Entscheidungsgründe ausgeschlossen sein soll. I c h verstehe das n i c h t : der Angeklagte ist eben nicht für überführt zu erachten. — Gegen das Einstellungsurteil ausdrücklich R G I I I vom 21. J u n i 1882 (Rspr I V 595). 21 So auch M e y e r § 70 S 411; S a m u e l y , GS 1880 S 5 ; ν. K r i e s , Ζ f. S t R W Y 12 und die unten A n m 23 Genannten.

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das G e r i c h t i n der H a u p t v e r h a n d l u n g s c h e i n b a r ein U r t e i l ü b e r die j u r i s t i s c h e B e s c h a f f e n h e i t der T a t b i l d e n 2 2 . Also — könnte man folgern —• hält das Gesetz eine Feststellung der Tat doch für möglich. Allein diese Folgerung ist falsch. Das Gericht hat zunächst zu prüfen, ob die Anklage nach dem tatsächlichen Fundament, das sie sich selbst oder der Eröffnungsbeschluss ihr giebt, verjährt sei; es wird zu diesem Zweck vielleicht versuchen müssen den Zeitpunkt der Tat festzustellen, sobald darüber ein Zweifel obwaltet ; nie aber ist es berechtigt, falls es von der Verjährung überzeugt ist, die Schuldfrage als solche zu beantworten, denn diese soll unbeantwortet bleiben23 ; es dürfte also im Geschworenenprozess dann zur Fragestellung nicht schreiten 24. Da aber die Straffrage nur da auftaucht, wo eine Schuldfrage bejaht werden kann, so giebt es gegenüber verjährten Anklagen auch keine Straffrage mehr, und es ist falsch die Entscheidung über die Verjährung als Teil der Entscheidung über die Straffrage zu betrachten 25 . Auch StPO § 262, 3 tut dies nicht: das Gesetz erklärt nur die Verjährung für nicht zur Schuldfrage gehörig. Stützt sich die Anklage auf einen Tatbestand von solcher Schwere, dass die Verjährung noch ausstehen würde, und das Gericht gewinnt 22

Sollte der seltene F a l l eintreten, dass die Klage verjährte nach Fassung des Eröffnungsbeschlusses, trotzdem dieser die Veijährung unterbricht, so würde das Gericht i n die Hauptverhandlung gar nicht einzutreten, sondern durch Beschluss einzustellen haben. V i e l weiter, u. m. E . erheblich zu weit geht R i s c h , GS 1884 S 260 A n m 24. 23 Demgemäss sind schlechthin unzulässig Urteilsformen, wie : der Angeklagte sei schuldig aber freizusprechen, oder schuldig aber von Strafe freizusprechen: so L ö w e zu StPO § 259 A n m 5, dem R ü d o r f f zu § 66 A n m 3 a. E . folgt (Anm 3 a. A . sagt R ü d o r f f , es könne die Verjährung nie zur Freisprechung, sondern nur dazu führen „die Strafverfolgung für ausgeschlossen zu erklären"); B i n d i n g , Grundriss d. StP S 165; G e y e r , StP S 690; offenbar auch H e i n z e bei H H I I 625 A n m 2. Gegen solche Straffreisprechung ist Revision statthaft: R G I I I v. 11. J u n i 1881 ( Ε I V 358). 24 So R u h s t r a t , GA X X I X 1881 S 57 ff.; v. S c h w a r z e , Komm, zur StPO § 290 A n m 4 (im Kommentar z. StGB § 66 A n m 3 behauptet aber ders. Verf., die Verjährungsfrage „ w i r d aber erst zu beantworten sein, wenn die T a t selbst durch den Spruch der Geschworenen festgestellt worden"); O l s h a u s e n zu § 66 A n m 8 ; R i s c h a. a. 0 . S 265 ff. A n d . Mein, aus ganz unstichhaltigen Gründen M e y e r i n v. Holtzendorffs Handb. des StP I I 117. 25 So v. B a r , Recht und Beweis i m Geschworenengericht. Hannover 1865. S 255; L ö w e zu § 262 A n m 3 Buch I I Abschn. 1 der StPO A n m 27 (4 A u f l . S 393); offenbar auch H e i n z e bei H H I I 625 (der die „Straffreisprechung" für den korrektesten Ausdruck des Urteils i n den Verjährungsfällen hält) und R ü d o r f f zu § 66 A n m 6. 8 ; R i s c h , GS 1884 S 265 A n m 28 a. E .

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IV. Verjährung des Strafklagrechts und des StR.

nicht die Ueberzeugung, dass die schwerere Qualifikation unrichtig oder unerweisbar sei, so muss es zwar die Schuldfrage an die Jury stellen. Falls diese aber davon einen Teil verneint, dergestalt, dass nur das Tatfundament für eine verjährte Klage übrig bleibt, so ist eben nach Auffassung des Gesetzgebers dieser sog. „Feststellung" Glauben zu versagen und die Antwort auf die Schuldfrage ist eben keine Antwort. Das Gericht spricht dann wegen Unbeantwortlichkeit der Schuldfrage frei 2 6 2 7 . So stehen heute neben einander zwei fundamental verschiedene Verjährungen mit den grundsätzlich ganz verschiedenen Wirkungen des Untergangs der Rechte auf Strafzuerkennung einerseits, auf Strafzufügung andererseits, Wirkungen, die sich auch in der Folge nicht ausgleichen, denn die erste Verjährung hindert jede Bestrafung der Tat, die zweite hindert nicht den Eintritt der Verwirkungsstrafen. Diese Verschiedenheiten spotten des Ausgleichs und so sind die Verjährung des Strafrechts und des Rechtes des Klägers auf bejahendes Sachurteil, kürzer als Strafklagenverjährung bezeichnet, scharf aus einander zu halten 28 . 26 Dann hat allerdings der Gerichtshof die Qualifikation der T a t im V e r d i k t bei Beantwortung der Verjährungsfrage zu Grunde zu legen. So R i s c h a. a. 0 . S 269; O l s h a u s e n zu § 66 A n m 8. 27 D i e richtige F o r m e l ist durchweg: Es w i r d der Angeklagte von der Anklage wegen Verjährung derselben freigesprochen. 28 Bei den theoretischen Konstruktionen der Verjährung seit dem Beginne dieses Jahrhunderts i n Deutschland w i r d das Recht des Gerichts auf bejahendes Sachurteil als mögliches Objekt der Verjährung ganz übersehen, der tiefgreifende Unterschied von Strafklagrecht und Strafrecht aber ungenügend berücksichtigt, u n d dadurch, dass man (wie dies neuerdings besonders R i s c h tut) das Strafrecht „als das aus dem Verbrechen entstehende m i t Aktionsfähigkeit ausgestattete staatliche Recht zu strafen" auffasst, der Gegensatz von prozessualer und materiellrechtlicher Verjährung verwischt. Die Verjährung w i r d dann ein I n s t i t u t gemischten Charakters: ihrem Grunde nach materiellen Rechts erhält sie durch die Gesetzgebung eine prozessuale E i n k l e i d u n g — eine Ansicht, die neben R i s c h bes. O l s h a u s e n zu § 66 A n m 4 ff. vertritt. E i n F e h l e r , der auf dem Gebiet des Civilrechts u n d Civilprozesses gerade überwunden ist, taucht auf dem des Strafrechts auf! — Es hat wenig Interesse hier nachzuweisen, wie weit die einzelnen Schriftsteller ihren eigenen Ansichten unentwegt treu bleiben: es hat grosses Interesse sich der sämmtlichen prinzipiell möglichen Anschauungen sammt ihrer wichtigsten F o l g e n bewusst zu werden. (Vgl. auch die vier Gruppen, die R i s c h a. 0 . S 241 ff. aufstellt.) A l l e Ansichten gehen auf zwei fundamental verschiedene Grundanschauungen zurück.

I. D i e V e r j ä h r u n g e r g r e i f t s t e t s u n m i t t e l b a r d a s S t r a f r e c h t . Es ist geradezu überraschend zu sehen, wie diese dem früheren gemeinen Rechte und den meisten neueren Strafgesetzbüchern bezüglich der Strafverfolgungsver-

833 § 162. 3. D i e S t r a f k l a g r e c h t s - V e r j ä h r u n g . Das heute geltende zwingend gemeine Verjährungsrecht 1 ist, soweit es allgemeines Recht, im GB § 66—72 enthalten2. Von diesen j ä h r u n g fremde Auffassung in der Theorie von F e u e r b a c h an bis zu den H e g e l i a n e r n , bei diesen selbst und von ihnen an bis zu den Darstellern des heutigen gemeinen Rechts die fast allein herrschende wird. A u c h ich habe i n meinem Grundriss d. StR 3. Aufl. I 186 Ursache und W i r k u n g umgedreht. Ebenso neuerdings S a m u e l y , GS 1880 S 5 u. 26; R i s c h , GS 1884 bes. S 282; F r a n c k e , G A X X 27. 28. — D i e V e r j ä h r u n g i s t d a n n Strafausschliessungsg r u n d . Konsequent folgt daraus: 1. E s g i e b t p r i n z i p i e l l n u r e i n e V e r j ä h r u n g , die n a t ü r l i c h auch die r e c h t s k r ä f t i g erkannte Strafe erg r e i f e n muss. Die Verjährung der rechtskräftig erkannten Strafe k a m i n Deutschland erst auf, nachdem der I r r t u m über das Wesen der Verjährung sich festgenistet hatte. Die meisten Verteidiger derselben ziehen aber die Konsequenz nicht, dass es dann nur eine Verjährung zu geben hätte. S. A b e g g , K r i t . Betracht, über den E n t w des StGB für die preuss. Staaten v. J. 1843. Erste A b t . S 212 ff. und sonst, bes. in seiner Schrift: Ueber die Verjähr, rechtskräft. erk. Strafen. Breslau 1862; M i t t e r m a i e r , A N F 1849 S 583; K ö s t l i n , Syst. I 510; B e r n e r § 167; S c h ü t z e S 207 u. s. w. G e y e r , H R L e x I I I 1041 sagt mit Recht : „Heutzutage ist die Theorie einig i n der Billigung auch . . . der Verjährung der Strafvollstreckung." 2. D i e s e e i n e V e r j ä h r u n g e r g r e i f t d i e gesammten Straffolgen derselben Tat. Manche Kriminalisten haben deshalb gesagt, das Verbrechen werde durch die Verjährung getilgt, das Verbrechen oder die Strafschuld verjähre, es verliere durch A b l a u f einer bestimmten Zeit den Charakter der Strafbarkeit. D i e meisten Verteidiger des Satzes aber, die Verjährung sei Strafausschliessungsgrund, nehmen daran keinen Anstoss, dass die Verjährung gegen die verschiedenen Teilnehmer nicht gleich lang läuft: juristisch ausgedrückt, nicht die Gesammtheit der aus einem Verbrechen erwachsenen Strafrechte, sondern die einzelnen bilden den Gegenstand erlöschender Verjährung. 3. F o l g e d e s U n t e r g a n g s d e s S t r a f r e c h t s i s t d e r U n t e r g a n g d e s Strafverfolgungsrechts. W i r d die Klage aber doch erhoben und k o m m t es zur Hauptverhandlung, so muss, wiè i n allen Fällen, wo es sich um Strafausschliessungsgründe handelt, ein f r e i s p r e c h e n d e s E n d u r t e i l gefunden werden. W e r , wie dies R i s c h , GS 1884 S 250 und sonst, sowie O l s h a u s e n zu § 66 A n m 4 gegenüber dem neuesten Recht tun, die Verjährung als I n s t i t u t des materiellen Strafrechts fasst und durch sie die S t r a f r e c h t e erlöschen lässt, darf nicht m i t ihnen für ein Einstellungsurteil plädiren (s. oben A n m 24). II. D i e V e r j ä h r u n g e r g r e i f t u n m i t t e l b a r n u r das S t r a f k l a g e r e c h t . M a n s. die treffende Stelle bei B ö h m e r , Elem. jurispr. crim. Sectio I § 338: non directo crimen et poenam, sed processum ac cognitionem tempore excludi. Vgl. bes. G r o l m a n § 524; H e n k e I V 202 ff.; H e f f t e r § 1 9 0 ; M a r e z o l l § 56; U n t e r h o l z n e r - S c h i r m e r I I 414; Z a c h a r i ä , A N F 1842 S 207.208. — Aus i h r f o l g t : 1. E s s o l l t e k e i n e V e r j ä h r u n g r e c h t s k r ä f t i g f e s t g e s t e l l t e r S t r a f e n g e b e n , wo sie a b e r a n e r k a n n t i s t , h a t sie e i n w e s e n t l i c h a n d e r e s O b j e k t als d i e sog. V e r f o l g u n g s v e r j ä h r u n g . 2. Je nach dem Grund dieses Erlöschens des Strafverfolgungsrechtes muss man konBinding, Handbuch. V I I . 1. I :

B i n d i n g , Strafrecht. I.

53

834

IV. Verjährung des Strafklagrechts und des StR.

Satzungen ist § 66 überflüssig, weil von den folgenden Paragraphen vollständig wiederholt. Der § 67 ist selbst im revidirten Strafgesetzbuch mit einer Lücke behaftet geblieben, über deren Ausfüllung lebhaft gestritten wird. I. G e g e n s t a n d und A n f a n g der V e r j ä h r u n g . Nach Auffassung des Strafgesetzbuchs ergreift die Verjährung an erster Stelle das Recht und die Pflicht zur Straf klage3 und erst in Folge davon das Recht des Gerichts die Klage anzunehmen, zur Hauptverhandlung zu verweisen, in der Hauptverhandlung mit einem bejahenden Sachurteil zu beantwOrten und endlich das Recht der Strafe selbst4. Daraus folgt für den Anfang der Verjährung als Regel: A. Der Z e i t p u n k t der E n t s t e h u n g des S t r a f k l a g r e c h t s u n d der B e g i n n der V e r j ä h r u n g desselben f a l l e n zusammen. Vor der accusatio nata läuft keine Verjährung 5. sequent d e n g e m e i n s a m e n U n t e r g a n g a l l e r V e r f o l g u n g s r e c h t e a u s d e m s e l b e n V e r b r e c h e n f o r d e r n , oder man l ä s s t d i e e i n z e l n e n i n v e r s c h i e d e n e n F r i s t e n v e r j ä h r e n . 3. Je nachdem man sich den Zusammenhang von Strafklagrecht und Strafrecht denkt: a. b e s c h r ä n k t m a n d e n U n t e r g a n g a u f d a s S t r a f v e r f o l g u n g s r e c h t und betrachtet das Straflosbleiben des Verbrechens als etwas rein Tatsächliches. Dann muss m a n , wie dies R ü d o r f f zu § 66 A n m 2 u n d O p p e n h o f f zu § 66 A n m 1 gegenüber dem heutigen gemeinen Rechte tun, i n der Hauptverhandlung das E i n s t e l l u n g s u r t e i l verl a n g e n ; oder aber b. man sagt, d e r U n t e r g a n g d e s V e r f o l g u n g s r e c h t s b e w i r k t a u c h v o n R e c h t s w e g e n d e n U n t e r g a n g des S t r a f r e c h t e s , i m Prozesse aber ist darauf keine Rücksicht zu nehmen, darf also nicht freigesprochen werden: so bes. Z a c h a r i ä , A N F 1842 S 207 ff.; oder man nimmt c. an, diese Folgetatsache des Untergangs des Strafrechts solle auch prozessualisch i m f r e i s p r e c h e n d e n U r t e i l sich ausdrücken. Diese Ansicht ist die Umkehrung der oben unter I 3 dargelegten: praktisch führen beide zu den gleichen Resultaten, theoretisch sind sie fundamental verschieden. 1

[zu s 833] S. darüber oben S 313. [zu s 833] Ueber das ältere Reichssonderrecht s. oben S 340. 341. 3 F ü r die einzige Strafklagenverjährung des heutigen Rechts erklärt H e i n z e bei H H I I 602 — die Verjährung des Strafantrags. 4 D a durch die Verjährung der Strafklage die Feststellung der Handlung als einer strafbaren rechtlich unmöglich gemacht w i r d , die Maassnahmen des GB § 40. 41 aber strafbare Handlungen voraussetzen und § 42 diese Voraussetzung der feststellbaren Handlung strafbaren Charakters teilt, so kann § 42 i m Falle der Straf klagen Verjährung keine Anwendung leiden. So auch H ä l s c h n e r I 634; M e y e r S 356 A n m 10; R u b o zu § 42 A n m 3; R ü d o r f f zu § 66 A n m 4 ; O l s h a u s e n zu § 42 A n m 6 c ; K o h l e r , Patentrecht S 579. — Dagegen bes. R O H G vom 18. Okt. 1878 ( Ε X X I V 131); B e r n e r S 258; O p p e n h o f f zu § 42 A n m 6 ; v. S c h w a r z e , Komm. S 87. 2

ist

5 Also ist auch vorher keine Unterbrechung der Verjährung möglich. Dieses beachtlich für die Fälle des Textes sub 2. S. R G I vom 16. Sept. 1880

§ 162. 3. Die Strafklagrechts Verjährung.

835

1. Drängt sich die Begehung der verbrecherischen Handlung sammt dem Eintritt des verbrecherischen Erfolges auf einen Tag zusammen, so ist nach GB § 67 al. 4 dieser Tag der erste der Verjährungsfrist, so dass die Verfolgung eines am 1. Juli 1885 begangenen, mit Gefängniss über drei Monaten bedrohten Vergehens mit dem Beginn des 1. Juli 1890 als verjährt erscheint.! In einigen Spezialstrafgesetzen des Reichs beginnt aber die Frist nicht mit, sondern von dem Tage der Begehung, also einen Tagspäter als nach GB § 67 al. 4 ( i . 2. Dehnt sich die verbrecherische Handlung als fortgesetztes oder als Dauerverbrechen über einen längeren Zeitraum aus, so können zwei Ansichten um den Sieg streiten. Unleugbar entsteht dann mit dem ersten verbrecherischen Akt ein Strafklagrecht, welches mit jedem folgenden Akte anwächst und schliesslich das ganze Verbrechen umfasst. Es liesse sich denken, dass das Klagrecht, wie es stückweise entstanden, auch stückweise wieder erlöschen könnte, dass die ersten \rerbrechensakte also früher unverfolgbar würden als die letzten7. Allein schweres Bedenken wider die Richtigkeit dieser Ansicht erweckt die Einheitlichkeit des Verbrechens und insoweit die Unteilbarkeit der Klage. Dieser letzte Gesichtspunkt drängt zur Aufstellung der Regel, dass bei zeitlich gedehnter Verbrechenshandlung nur die ganze Klage verjähren könne, die Verjährung also zu laufen beginnen müsse mit dem Tage, an welchem diese Tätigkeit abbricht 8. (Rspr I I 212). S. auch v. S c h w a r z e zu § 69 A n m 9 a und O l s h a u s e n zu § 68 A n m 18. — D i e Klagverjährung beginnt etwas nach der accusatio nata, nämlich nicht m i t Fertigstellung der Nachdruckexemplare, sondern erst m i t dem Tage, m i t dem ihre Verbreitung beginnt, nach Urhebergesetz vom 11. J u n i 1870 § 33. 43. 45 (fur analog anwendbar erklärt i n den Urhebergesetzen vom 9., 10. u. 11. Jan. 1876: § 16 - § 9 — § 14). 6 Vereinszollgesetz vom 1. J u l i 1869 § 164; GewO vom 1. J u l i 1883 § 145 Abs. 2 ; Brausteuergesetz vom 31. M a i 1872 § 40; Tabakssteuergesetz vom 16. J u l i 1879 § 45; Reichsstempelgesetz vom 1. J u l i 1881 § 24 (früher auch Wechselstempelsteuergesetz vom 10. J u n i 1869 § 17; s. aber oben S 340. 341 und unten § 163 A n m 7). M e y e r S 419 und O l s h a u s e n zu § 67 A n m 8 wollen aber diese Bestimmungen aus GB § 67 al. 4 erklären. I c h trage Bedenken gegenüber der teilweise sehr bestimmten Ausdrucksweise der Sondergesetze diesem an sich höchst rationellen Vorschlage beizupflichten. Ebenso O p p e n h o f f zu § 67 A n m 9; v. S c h w a r z e zu § 67 A n m 6 ; G e y e r I 197. 7 Diese Ansicht verficht m i t sehr einleuchtenden Gründen v. W ä c h t e r bei GA V I I I 1880, bes. S. 4 if. S. d e n s . , Vöries. § 309. I c h habe sie i m Grundrisse 3. A u f l . S 185 angenommen. 8 Diese Ansicht darf als die herrschende bezeichnet werden. 53*

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IV. Verjährung des Strafklagrechts und des StR.

Der Tag der Vollendung des Verbrechens als solcher ist für den Beginn der Veijährung nie maassgebend. Denn das Verbrechen kann sich noch über seine Vollendung hinaus fortsetzen, und dann läuft die Verjährung entweder von dem Tage des ersten oder von dem des letzten Aktes verbrecherischer Tätigkeit. Angesichts des gesammten Materials, besonders der gewerb- und gewohnheitsmässigen Verbrechen, der Fälle, WTO der Gesetzgeber gleichgiltig ist gegen einmalige oder mehrmalige Begehung des gleichen Deliktes, gegen Verwirklichung nur einer oder mehrerer Alternativen von Mischgesetzen, wird man keiner dieser extremen Auffassungen das Feld allein lassen können9. a. Die Klage aus einem Verbrechen, welches Deliktseinheit darstellt, ist allerdings unteilbar. Man kann nicht unselbständige Teile der einen verbrecherischen Handlung klaglos werden lassen. Daraus ergiebt sich bei den sog. D a u e r v e r b r e c h e n , sofern das Gesetz sie als solche anerkennt, s. oben S 543, ζ. Β. bei cler Einsperrung, dem Bauen ohne erforderliche Genehmigung cler Behörde, dein Aufbewahren der gestohlenen Sachen zu Gunsten des Diebes10, der Verletzung der Wehrpflicht (GB § 140, l ) 1 1 , der Fahnenflucht (MGB § 76), nach 9

S. oben § 118—121. Dieser Ansicht auch O l s h a u s e n zu § 67 A n m 14. N u r sehe ich nicht ein, warum 0 . die K o l l e k t i v d e l i k t e anders behandeln w i l l als die Fälle sub 14c. S. auch G e y e r I 198. 10 Sehr gut R G I vom 19. J u n i 1882 ( Ε V I 412 ff.). 11 R G I I I vom 20. J u n i 1882 (Rspr I V 595 ff.). M i t grossem Aufwand von Scharfsinn haben die obersten deutschen Gerichtshöfe die unbedeutende Ordnungswidrigkeit des § 360, 3 zum D a u e r d e l i k t , nämlich zur dauernden Verletzung der Wehrpflicht gestempelt, demgemäss die j a sachlich so höchst unzweckmässig kurze dreimonatliche Verjährung erst beginnen lassen m i t dem Ende des Aufenthaltes i m Auslande oder der Militärpflicht oder der deutschen Untertanenschaft. Davon kann gegenüber dem Gesetz betr. die Verpflichtung zum Kriegsdienste vom 9. Nov. 1867 § 15, welches den Personen des § 360, 3 ein Recht zur Auswanderung giebt, also anerkennt, dass sie durch Auswanderung ihre Wehrpflicht nicht verletzen, keine Rede sein. Der unrichtigen Ansicht Preuss. O T r vom 1. J u n i und 19. J u l i 1872 (Ο X I I I 333 ff. 436 ff.), vom 8. A p r i l 1873 (Ο X I V 265 ff.), vom 11. Sept. 1874 (Ο X V 552 ff.), vom 17. Okt. 1877 (Ο X V I I I 656 ff); Preuss. OAG vom 21. J u n i 1873 (Ο X I V 455 ff); BayOG vom 21. März 1873 (Bayer. Entsch. I I I 115 ff). — Verdienstlich die Gegenausführung von H e r b s t , GA X X I I 89—100. Ganz anders verhält es sich m i t den echten Dauervergehen des GB § 140 und mit der Fahnenflucht des M S t G B § 62—75. Bezüglich der Verjährung der Klage aus der Desertion s. die Sonderbestimmung das. § 76. — N i c h t für richtig kann ich auch BayOG vom 14. J u l i 1877 (Bayer. Entsch. V I I 315 ff.) halten: der T a g der Fassion ist T a g der beginnenden Verjährung. Ebensowenig kann ich RG I vom 4. J u n i 1883 ( Ε V I I I 414 ff.) beitreten.

§ 162. 3. Die Strafklagrechts Verjährung.

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ausdrücklicher Anerkennung des GB § 171, 3 bei der Bigamie 12 , in gewissem Umfange beim Menschenraub13 und bei allen fortgesetzten Verbrechen, die sich als Deliktseinheit darstellen, also z. B. bei chronischer Vergiftung, dass die definitive Klagverjährung beginnt mit dem Tage des Abbruchs der verbrecherischen Tätigkeit 1 4 1 5 . b. Setzt sich aber das konkrete Verbrechen aus einer Reihe von Delikten gleicher Art zusammen, wie besonders bei den gewerb- und gewohnheitsmässigen Verbrechen, oder aus der Verwirklichung mehrerer Alternativen eines Mischgesetzes, also aus Teilen, die isolirt betrachtet selbständige kriminalistische Einheiten sind, so ist eine Beschränkung der Klage auf einen Teil des Reihenverbrechens durchaus möglich und es entspricht dann dem Grundgedanken der Verjährung, dass die Klage nicht erstreckt wrerde auf nicht mehr feststellbare Delikte 16 . Man könnte sagen, wo der Gegenstand der Klage sich auswächst, beginnt ihre Verjährung mit dem Ende dieses Wachstums ; wo er sich vervielfältigt, wo also, soll es zu e i n e r Klage kommen, eine künstliche Klagenkonsolidation stattfinden muss, da beginnt die Verjährung der einzelnen Klagen mit dem Tage der accusatio nata. 3. Falls der Tag der verbrecherischen Tätigkeit und der Tag, an welchem der dem Verbrechen wesentliche Erfolg 17 eintritt, aus einander fallen, würde die Klagverjährung selbstverständlich mit dem letzteren Tage zu beginnen haben. Sonst liefe ja die Verjährung 12 „ D i e Verjährung der Strafverfolgung beginnt m i t dem Tage, an welchem eine der beiden E h e n aufgelöst, für ungiltig oder nichtig erklärt worden ist." 13 Nach GB § 234 dauert das Verbrechen n u r so lange, als der Zustand der Bemächtigung, nicht aber als der der Sklaverei, Leibeigenschaft u. s. w. — Bezüglich der Unterdrückung des Personenstandes erregt R G I I I vom 29. Nov. 1883 (Rspr V 742) mannigfache Bedenken. 14 Man könnte sich denken, dass die Klage aus dem 1. A k t vor Begehung des 2. u. s. w. verjährt sei. Dennoch würde dann m. E . die definitive Klage auf das ganze Verbrechen auszudehnen sein. 15 S. auch BayOG vom 24. Nov. 1873 (Bay. Ε I I I 527); vom 24. Nov. 1877 (das. V I I 494 ff.); Preuss. O T r vom 5. M a i 1876 (Ο X V I I 332); BayOG vom 23. Dez. 1876 (Bay. Ε V I 609 ff.). Μ . E . nicht richtig BayOG vom 7. Aug. 1875 (Bay. Ε V 392 ff.) und vom 8. Juni 1877 (das. V I I 224 ff.). 16 Dieser Ans. wohl auch H e i n z e bei H H I I 607 (nicht k o r r e k t bez. des fortgesetzten Verbrechens); R u b o zu § 67 A n m 10. 11; Κ ο h l e r , Patentrecht S 604. A n d . Mein, auch R G I vom 4. J u n i 1883 ( Ε V I I I 390 ff.); R G I I I vom 3. März 1884 ( Ε X 203 ff.). 17 Der unwesentliche Erfolg kommt natürlich gar nicht i n Betracht; ebensowenig die Dauer des geschaffenen rechtswidrigen Zustandes. S. BayOG vom 7. Sept. 1876 (Bay. Entsch. V I 445 ff); R G I vom 14. Febr. 1881 ( E I I I 382. 383); R G I I I vom 5. März 1881 (Rspr I I I 117. 118).

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IV. Verjährung des Strafklagrechts und des StR.

für die Klage wegen vollendeten Mordes vor eingetretener Mordvollendung. Das Gesetzbuch aber, offenbar in der Ueberzeugung, der Tag der Handlung sei der sichrere, der des Erfolges der schwerer festzustellende Ausgangspunkt der Verjährung, bestimmt in § 67, 4: „Die Verjährung beginnt mit dem Tage, an welchen* die Handlung begangen ist, ohne Rücksicht auf den Tag des eingetretenen Erfolges 18." Diese Unterscheidung bezieht sich nicht auf die Verbrechensarten, sondern auf die konkreten Verbrechensfälle, und zwar umfasst sie a. zunächst die vollendeten Verbrechen, bei denen wie bei Tötung, Körperverletzung, Sachbeschädigung, Brandstiftung der Eintritt eines bestimmten Erfolges zur Vollendung gehört. Hier soll nach GB § 67, 4 der Tag des beendigten Versuchs als Tag der beginnenden Verjährung auch für die Vollendungsklage gelten; b. dann aber auch die Versuche, wo die Versuchshandlung selbst noch der Wirkung harrt, ohne dass diese Wirkung das Verbrechen zur Vollendung führte. Wer heute die Zündschnur entzündet, die morgen das Brennmaterial ergreifen soll, welches zum Inbrandsetzen eines Wohnhauses angehäuft ist, wer heute die Speisen vergiftet und den Personen übermittelt, die sie in acht Tagen gemessen, der kann sich nach § 67, 4 darauf berufen, dass die Klage gegen ihn heute zu verjähren beginnt. Dagegen findet § 67, 4 c. keine Anwendung, wenn der Tag cler Handlung und der des Erfolges aus einander fallen, jene aber erst durch diesen strafbar wurde 19 . Von der Regel „keine Verjährung vor accusatio nata" macht 18 M i t Recht getadelt von B e r n e r § 169 S 333; H e i n z e bei H H I I 617; G e y e r , H R L e x I I I 1042, Grundriss I 197; vgl. auch O l s h a u s e n zu § 67 A n m 10. — Höchst seltsam und falsch verteidigt von M e y e r § 70 S 408; viel beachtenswerter von H ä l s c h n e r , D. StR I 698. I n den Vorlesungen S 308 behauptet v. W ä c h t e r sogar, dass, wenn die tödliche Verwundung am 1. Januar stattfindet, der T o d selbst aber am 1. Aug. e i n t r i t t , der Täter sich schon am 1. Januar der vollendeten T ö t u n g schuldig gemacht habe. P r i n z i p i e l l kann i n solchen Fällen die Klage vor E i n t r i t t des Erfolges verjährt sein. 19 So beginnt die Verjährung der Klage wegen Beteiligung am Raufhandel erst m i t dem E i n t r i t t des Todes des Verletzten (GB § 227) und die Verjährung des betrüglichen wie einfachen Bankerotts, der sich m i t der Zahlungseinstellung vollendet, m i t dem Tage der letzteren: Preuss. O T r vom 6. Febr. 1877 (Ο X V I I I 36) u n d vom 23. Jan. 1878 (Ο X I X 31 ff.). Sachlich richtig, aber unter nicht zutreffender Berufung auf GB § 67 Abs. 4 R G I I vom 15. Febr. 1881 (E I I I 350. 351). A u c h i n der Begründung richtig R G I vom 26. J u n i 1882 ( Ε V I I 391 ff.). S. auch R G I I vom 17. Jan. 1882 (Rspr I V 48 ff.). Ders. Ans. O p p e n h o f f zu § 67 A n m 4. Vgl. aber G o l t d a m m e r i n GA X I X 1871 S 88 ff.

§ 162.

3. Die Strafklagrechtserjährung.

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das Gesetzbuch nur bei doppelt bedingten Strafklagen eine praktisch gerechtfertigte Ausnahme20. Dieser Satz wird besonders wichtig α. b e i f a h r l ä s s i g e n Verbrechen. Hierbei ereignet es sich oft, dass die unvorsichtige Handlung, die schliesslich fortwirkend den Erfolg verursacht, dem letzteren um Jahre voraufgeht. Die verfehlte Anlage eines Schornsteins, das Hineinragenlassen von Balken, die schlechte Herstellung einer Maschine u. s. w. verschulden weit später den Ausbruch eines Brandes, die tödliche Explosion u. s. w. Hier bedarf es nicht des Hinweises darauf, dass während der folgenden Jahre die Verpflichtung des unvorsichtigen Baumeisters und Fabrikanten fortdauert, dem was sie gesündigt, die fortwirkende Kraft zu nehmen, dass also ihr fahrlässiges Verhalten bis zur Katastrophe selbst währt 21 , um die Behauptung zurückzuweisen, die Verjährung cler Strafklage beginne mit dem Tage der Einlassung des Balkens in die Esse und der schlechten Zusammensetzung der Maschine. Es ist ein Ungedanke, dass eine Strafklage durch Verjährung untergegangen sein könne, ehe sie entstanden ist. Die Verjährung beginnt hier natürlich mit dem Tage, an dem der fahrlässig erregte Brand erlischt oder die tödliche Explosion erfolgt 22 ; ß. bei der accessorischen T e i l n a h m e . Begehen mehrere Mittäter ein Verbrechen, so beginnt für sie alle die Verjährung an dem gleichen Tage, auch wenn sie zu verschiedener Zeit selbsttätig geworden sein sollten 23 , denn ihre Handlung ist eine gemeinsame; dieser Tag ist der des Abbruchs der verbrecherischen Aktion 24 . Anders bei Anstiftern und Gehilfen 25. Die Anstiftung muss, die 20 Bei Antrags- wie Ermächtigungsverbrechen beginnt die Verjährung nicht m i t dem Tage des Antrags bezw. der Ermächtigung, sondern mit dem Tage des begangenen Verbrechens. S. auch R G I vom 13. Febr. 1882 ( Ε V I 37 ff.). 21

So das A n m 22 angeführte R G I I vom 2. Nov. 1883. And. Mein. v. W ä c h t e r , Vöries. S 388. I n der Sache richtig das interessante R G I I vom 2. Nov. 1883 ( Ε I X 152 ff). S. auch O l s h a u s e n zu § 67 A n m 10. 23 Dass die Verjährungsfrist nicht für alle Teilnehmer gleich lang dauert, ist sehr zu beklageu. S. auch B e r n e r § 169 S 335. 24 A n d . Mein. H ä l s c h n e r I 700; M e y e r S 408 A n m 16. W e r die Praxis k e n n t , weiss, dass die bekämpfte Ansicht schlechterdings undurchführbar ist. Richtig O p p e n h o f f zu § 67 A n m 10. 25 Ich denke hier nur an F ä l l e , wo nicht die Anstiftung als solche schon strafbar ist. F ä l l t die Anstiftungshandlung unter § 49 a, und w i r d nachher das .,Verbrechen", wozu angestiftet wurde, begangen, so beginnt die Strafklage auf Grund des § 4 9 a vom Tage der Anstiftung an zu verjähren, dagegen die Strafklage wegen Teilnahme vom Tage der Begehung des Hauptverbrechens. 22

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IV. Verjährung des Strafklagrechts und des StR.

Beihilfe kann dem Hauptverbrechen zeitlich voraufgehen. Beide sind straflos, so lange das letztere nicht begonnen hat; ihr Strafgehalt richtet sich nach der Entwickelung der Täterhandlung; mit dieser wächst die Strafklage auch wider Anstifter und Gehilfen. Demgemäss beginnt die Verjährung der Strafklage wider Anstifter und Gehilfen genau an demselben Tage wie die der Klage wider den angestifteten und unterstützten Täter 26 . Genau das gleiche gilt für den Gehilfen, der dem Verbrecher bei seiner Tat zur Seite steht. Doch ist es auf Grund des GB § 67, 4 denkbar, dass der Gehilfe nach Abschluss cler Urhebertätigkeit noch zwecks Förderung des Eintritts des Erfolges tätig wird 2 7 ; und dann allein beginnt möglicherweise die Strafklage gegen ihn später zu verjähren als die wider den Täter. 4. Qualificirt sich ein Delikt durch einen Schärfungsgrund, der später eintreten kann als das Delikt, so beginnt die Verjährung der Strafklage aus der geschärften Straftat erst mit dem Tage des Eintrittes des Schärfungsgrundes 28. 5. Für die echten Unterlassungsverbrechen gelten in Wahrheit die bisher entwickelten Grundsätze. Ihre Klage beginnt mit dem Tage ihrer Begehung zu verjähren 29. Sehr häufig sind sie Dauerdelikte ; dann bestehen sie in Nichterfüllung einer fortdauernden Rechtspflicht; das Delikt endet dann erst mit der Pflicht, und bestand diese in Beseitigung eines rechtswidrigen Zustandes, dann erst mit der Be26 Ders. Ans. H e i n z e bei H H I I 618; R ü d o r f f zu § 67 A n m 2 ; O p p e n h o f f zu § 67 A n m 11; O l s h a u s e n zu § 67 A n m 16c; G e y e r , H R L e x I I I 1042. R i c h t i g R G I I vom 30. Dez. 1881 ( Ε V 212 ff.); H ä l s c h n e r , D. StR I 709; v. L i s z t § 82 S 285. — Falsch M e y e r § 70 S 408; R u b o zu § 67 A n m 15. — F ü r den Anstifter der richtigen Ansicht v. W ä c h t e r S 308, für den Gehilfen höchst inkonsequenterweise and. Mein. ders. S 3 0 8 ; ebenso v. S c h w a r z e zu § 67 A n m 5; s. d e n s . , Bemerkungen S 71. 72 (hier bezügl. des Anstifters etwas anders). 27 E r schützt beispielsweise die vom Täter angezündete L u n t e gegen den Einfluss der Nässe. 28 F ü h r t also i m Falle einer Amtsunterschlagung der Beamte die Bücher falsch, so beginnt die Verjährung der Straf klage nach § 351 erst mit dem unrichtigen E i n t r a g i n die Bücher u n d wenn dieser sich fortsetzt, mit dem Ende dieser Einträge. S. auch R G I vom 11. M a i 1882 (E V I 294 ff.). 29 W e n n sich also jemand am 27. Febr. sinnlos betrinkt um sich selbst an der Anzeige eines am 28. Febr. bevorstehenden Mordes zu hindern, so würde der 27. Febr. der 1. Tag der Verjährungsfrist sein, wenn nicht § 139 die Strafbarkeit der unterlassenen Anzeige von der Begehung des nicht angezeigten Verbrechens abhängig machte. So ist der Tag, an welchem dieses Verbrechen begonnen wird, der 1. Verjährungstag für die Anklage aus § 139.

§ 162. 3. Die Strafklagrechts Verjährung.

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seitigung desselben. Dann ist der Tag der endenden Pflicht der erste Tag der Klagenverjährung. Die einzige Schwierigkeit wird durch die Pflichten erzeugt, für deren Erfüllung eine Frist vorgeschrieben zu sein scheint. Hier ist scharf zu scheiden: a. bedeutet das Ende der Frist auch das Ende der Pflicht, kann dieselbe also nachträglich nicht mehr erfüllt werden, so ist, sofern sich nicht ein früherer Zeitpunkt der Begehung des Unterlassungsdeliktes nachweisen lässt, der letzte Fristtag erster Verjährungstag; b. bedeutet aber die Frist nicht die Dauer der Pflicht, 'sondern die Zeit für deren ordnungsmässige Erfüllung, so hat dies die Folge, a. dass das Gesetz auch die vorsätzliche Verabsäumung der Pflicht vor Ablauf der Frist noch nicht als strafwidriges Delikt betrachtet; es lässt eine purgatio morae innerhalb der Frist zu: vor Ablauf der Frist keine accusatio nata; ß. dass das strafwürdige Delikt erst mit dem Tage nach dem Fristablauf beginnt und nun Dauerdelikt bis zum Ende der Pflicht werden kann, aber nicht muss. Das Delikt kann auch durch Pflichterfüllung enden, verliert aber dadurch nicht seine Strafbarkeit. In dem zweiten Fall ist die letzte Minute vor Ablauf der Frist das Ultimatum der straflosen Nichterfüllung, im ersten Fall das Ende der Frist Ultimatum der Erfüllungsmöglichkeit 30. B. Von der Regel, wonach die Verjährung mit dem Tage des Abschlusses der verbrecherischen Handlung beginnt, sollte man bei allen doppelt bedingten Strafklagrechten, insbesondere bei denen aus Antrags- und Ermächtigungsverbrechen eine Ausnahme erwarten. 1. Diese Erwartung wird indessen gerade bei diesen beiden Gruppen getäuscht31. Es mag seltsam sein die Existenz naturaler, also der Ausübung unfähiger Strafklagrechte anzuerkennen, allein bezüglich der Verjährungsfrage ist der Standpunkt des Gesetzes nicht 30

Vgl. über die Frage H e f f t e r , GA I 312; S c h w a r z e , Verjährung S 68 ff.; H ä l s c h n e r 1 699; M e y e r S 408. 409; v. L i s z t S 286; G e y e r 1 1 9 9 ; H e i n z e bei H H I I 607; O p p e n h o f f zu § 67 A n m 8 ; P e z o l d , Strafrechtspraxis I zu § 67 A n m 3 , I I zu § 67 A n m 7 ff; R u b o S 522; ν. S c h w a r z e zu § 67 A n m 5 ; O l s h a u s e n zu § 67 A n m 13. 14a. — S. ferner Preuss. O T r vom 2. Nov. 1871, 7. Okt. 1873, 22. Sept. 1874, 6. J u l i 1877, 6. Nov. 1877, 16. Jan. u. 7. März 1878 (Ο X I I 562 ff., X I V 606. 607, X V 580, X V I I I 506 ff. 691 ff., X I X 25 ff. u. 119 ff). — O A G Dresden vom 3. Dez. 1877 (Annalen 2. Folge V 397 ff.). — R G I vom 4. J u n i 1883 ( Ε V I I I 304 ff); R G I I vom 2. Nov. 1883 ( Ε I X 157); R G I vom 21. Dez. 1883 ( Ε I X 353 ff.). 31

Vgl. auch S a m u e l y , GS 1880 S 5 ff. (teilweise ungenau).

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IV. Verjährung des Strafklagrechts und des StR.

anders zu erklären. Das Gesetz lässt die Klagverjährung bei Antragsund Ermächtigungsverbrechen beginnen, bevor der Antrag gestellt und die Ermächtigung erteilt ist, lässt sie weiter laufen nach Beendigung der Antragsfrist und nach der Rücknahme des Antrags. Es betrachtet also insoweit Antrag und Ermächtigung nicht als Voraussetzung der Existenz, sondern der Ausübung des Strafklagrechts. Praktisch ist dieser Standpunkt durchaus gerechtfertigt ; der Untergang des Bewreismaterials vollzieht sich natürlich bei Antragsverbrechen nicht langsamer als bei Offizialdelikten. 2. Damit scheint das in GB § 69 anerkannte Ruhen der V e r j ä h r u n g nicht ganz in Einklang zu stehen. Dieses Ruhen bedeutet eine Hinausschiebung des Anfangs oder eine Pause, nicht eine „Unterbrechung" der laufenden Verjährung, je nachdem der B e g i n n oder die F o r t s e t z u n g eines Strafverfahrens von einer Vorfrage abhängig ist, deren Entscheidung in einem andern Verfahren erfolgen muss 32 . Τη den Fällen echter Präjudizialität der Entscheidung einer richterlichen oder nicht richterlichen Behörde für Beginn oder Fortsetzung des Strafverfahrens soll also die zur Findung jener Entscheidung erforderte Zeit keine Verjährungszeit sein. Dies ist der einzige Fall, wo die rechtliche Unmöglichkeit des Prozessbeginns oder der Prozessfortsetzung als Grund aufgehobenen Verjährungslaufs gesetzlich anerkannt ist 3 3 . Theoretisch wie praktisch richtiger dürfte es sein jene notwendigen anderweiten Verfahren als echte Unterbrechungen der Strafklagenverjährung zu behandeln; allein dies ist nicht geltenden Rechts. Nach GB § 69 wird vielmehr eine Strafklagenverjährung ganz ausgeschlossen, wenn etwa die zur Herbeiführung jener notwendigen \rorentscheidung anzustellende Civilklage verjährt ist 3 4 , und die Fristen des § 67 verlieren ihre gesetzlich bestimmten Längen, wenn ein solches Vorverfahren in die Verjährungsfrist hineinfällt. Diese Ruhe tritt nur dann ein, wenn die Entscheidung der Vorfrage in einem andern Verfahren erfolgen m u s s 3 5 , und sie dauert 32 Nach dem Ende der Ruhe läuft die Verjährung weiter, nach der Unterbrechung beginnt laut § 68,3 eine neue. 33 Die Verjährung läuft also weiter trotz zeitweiliger Unverfolgbarkeit der Exterritorialen, der Reichstagsabgeordneten, der Wahnsinnigen, Kranken, trotz der Eheschliessung zwischen Entführer und Entführter (s. GB § 238). Dagegen kennt die SeemO § 100, 2 ein Ruhen der Verjährung wegen faktischer Unmöglichkeit der Verfolgung. Sind die Vergehen u n d Uebertretungen der SeemO im Auslande begangen, so beginnt die Verjährung „erst m i t dem Tage, an welchem das Schiff, dem der Täter zur Zeit der Begehung angehörte, zuerst ein Seemannsamt erreicht". 34 H e i n z e , H H I I 614; O l s h a u s e n zu § 69 A n m 7. 35 Der B e g i n n des Strafverfahrens hängt ab von dem Urteil des Ehe-Gerichts

§ 16.

3. Die Strafklagrechtsejährung.

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so lange wie das Vorverfahren selbst; handelt es sieh etwa um Entscheidung durch Urteil, dann bis zur Rechtskraft desselben36. Nun ist möglicherweise der Tag der Begehung oder des Abschlusses der verbrecherischen Handlung zweifelhaft, und der Zeitraum, innerhalb dessen er liegen muss, ist bald grösser, bald kleiner. Nicht wegen des hier gar nicht zur Anwendung kommenden Satzes in dubio pro reo, sondern wegen des gar nicht zweifelhaften Willens des Staates, dass über möglicherweise verjährte Strafklagen kein bejahendes Sachurteil gefunden werde, ist dann der Tag, an dem das Verbrechen frühstens begangen sein kann, als erster Tag der Klagenverjährung zu betrachten. § 163.

Fortsetzung.

II. Dauer der V e r j ä h r u n g s z e i t . Diese ist heute durchaus tempus continuum, soweit nicht die begonnene Verjährung nach GB § 69 zur Ruhe gelangt. 1. Jahr und Monat werden stets nach der Kalenderzeit berechnet 1 ; die Frist endet stets mit dem Ende ihres letzten Kalendertags Nachts um 12 Uhr, oder um mit den Motiven zu § 65 zu reden: „mit dem Beginne des dem Anfang der Verjährung entsprechenden Kalendertags" 2. 2. Die Länge der Frist bestimmt sich gemäss § 67 nach der Höhe nicht der voraussichtlich verwirkten, sondern der angedrohten Strafe, und zwar giebt deren Höchstbetrag den Ausschlag. nach G B § 170. 172; d e m B e g i n n o d e r d e r F o r t s e t z u n g w i r d notwendig präjudizirt nach GB § 164. 191. 236 und 237 (vgl. § 238). Die Landesgesetze können leider die strafrechtliche Verfolgung von Landes- (nicht von Reichs-) Beamten an die Vorentscheidung einer besonderen Behörde binden: E G V G § 11, 2. Ganz m i t Recht hat endlich RG I I vom 24. Okt. 1882 ( Ε V I I 146 ff.) angenommen, dass, falls die Nichtigkeitserklärung eines Patentes zur Frage steht, das Strafverfahren ausgesetzt werden muss, bis über die Nichtigkeitsklage entschieden sei. Dieser Ansicht auch O l s h a u s e n zu § 69 A n m 6. — A u f die Fälle der StPO § 261, 2 findet also StGB § 69 keine Anwendung. — Vgl. auch BayOG vom 26. März 1877 (Bayer. Entsch. V I I 117. 118). 36 Die Dauer w i r d genau bezeichnet in GB § 164 u n d 191. D e r Begriff der „Anhängigkeit" i n § 164 ist nach § 191 zu deuten. 1 Es ist GB § 19 al. 1 per analogiam auf die Berechnung der Verjährungsfristen anzuwenden. 2 M . E . rechnen falsch S c h ü t z e S 210 u. 212; H e i n z e bei H H I I 619 A n m 18; w o h l auch v. S c h w a r z e zu § 6 7 A n m 6. Sie lassen d e n A n f a n g d e s l e t z t e n K a l e n d e r t a g s der F r i s t entscheiden. W a r u m sie diesen T a g dann aber in die F r i s t einrechnen, ist m i r dunkel.

844

IV. Verjährung des Strafklagrechts und des StR.

Der § 67 ist in seiner Bestimmung der Fristlängen unvollständig und wird durch MGB § 52 3 nur ungenügend ergänzt. Das GB kennt die lebenslängliche Gefängnissstrafe nicht und droht lebenslängliche Festung nie als höchste Strafe: demgemäss hatte es keinen Anlass dieser beiden Strafarten in § 67 zu erwähnen; das MGB kennt aber lebenslängliches Gefängniss als Maximalstrafe 4. Und nun wirft sich die Frage auf: verjährt die Klage aus einer mit dieser oder künftig vielleicht mit lebenslänglicher Festungshaft als Maximalstrafe bedrohten Handlung in 20 oder in 15 Jahren? Betrachtet man den Aufbau des § 67, so springt sofort in die Augen, dass die Fristen für „Verbrechens"-Verjährung dreifach gestuft sind: evident beziehen sich die zweite und dritte Stufe nur auf zeitige Freiheitsstrafen, die erste auf den Tod und lebenslängliches Zuchthaus. Bedenkt man, dass die lebenslängliche Festung, was die Verjährung betrifft, nach dem GB durchaus die Schicksale des lebenslänglichen Zuchthauses teilt 5 , dass lebenslängliches Gefängniss als noch härtere Strafe keine mildere Behandlung verdient, dass ferner jeder Grund fehlt die lebenslänglichen Freiheitsstrafen nach Analogie der höheren zeitigen Freiheitsstrafen zu behandeln, so muss die 20jährige Frist des § 67 zu Anfang auf die Strafdrohungen des lebenslänglichen Gefängnisses und der lebenslänglichen Festung per analogiam ausgedehnt werden 6 7 . Entschieden zurückzuweisen ist aber das Argument, der Wortlaut des GB § 67 „Freiheitsstrafe von längerer als lOjähriger Dauer", sei unmittelbar auf die lebenslängliche Festung anwendbar (so Geyer, Grundr. I 195). Das Gesetz drückt sich nie so aus und kann sich nicht so ausdrücken! Nach ständigem Sprachgebrauch ist stets zeitige Freiheitsstrafe gemeint, wo das lebenslänglich nicht ausdrücklich zugefügt ist. 3 „ B e i Berechnung der Verjährungsfrist einer Strafverfolgung oder Strafvollstreckung ist der Arrest der Haft gleich zu achten." 4 S. M G B § 100; vgl. § 9 3 : „Gefängniss oder Festung von 1—15 Jahren oder auf lebenslang." 5 Denn sie w i r d stets nur neben lebenslänglicher Zuchthausstrafe angedroht. 6 Unzureichend die Gegengründe H ä l s c h n e r s , D. StR I 697 A n m 2. Die gegnerische Ansicht ist die allgemein anerkannte: sie r u h t auf einer ganz ungehörigen Anwendung des i n dubio mitius (s. oben S 453). 7 Neben den Satzungen des GB begegnen noch mancherlei Bestimmungen i n des Reiches Sondergesetzen. W i e weit die älteren Bestimmungen durch das N D . GB ausser Kraft gestellt s i n d , darüber s. oben S 340. 341. D i e durch das GB beseitigten Bestimmungen bleiben hier ausser Betracht, insbes. auch Vereinszollgesetz vom 1. J u l i 1869 § 164.

§ 16.

3. Die Strafklagrechts Verjährung.

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Demgemäss verjähren nach GB § 67 die „Verbrechens"-Klagen in 20 Jahren, falls das Verbrechen mit Tod oder lebenslänglicher Freiheitsstrafe bedroht ist; in 15 Jahren, wenn in maximo Freiheitsstrafe über 10 Jahre gedroht ist; in 10 Jahren in allen anderen Fällen; die „ V e r g e h e n s " - K l a g e n in 5 Jahren, wenn eine längere als dreimonatliche Gefängnissstrafe gedroht i s t 8 ; in 3 Jahren in allen anderen Fällen, besonders überall, wo lediglich Geldstrafen angedroht sind, ganz gleichgiltig ob die an ihre Stelle tretende Gefängnissstrafe über oder unter drei Monaten beträgt 9 1 0 ; die U e b e r t r e t u n g s k l a g e n in dem viel zu kurzen Zeiträume von drei Monaten11. 8 E i n e 5jährige Verjährungsfrist gerechnet vom Tag der Ausstellung des Wechsels erkennt für Wechselstempel-Hinterziehungen an Wechselstempelgesetz v. 10. J u n i 1869 § 17, eine Bestimmung, deren Satz 1 im Ges betr. die Reichsstempelabgaben vom 1. J u l i 1881 § 24 für sinngemäss anwendbar erklärt wird. Jener Satz war aber durch das GB als beseitigt zu betrachten (s. oben S 340. 341): er ist also durch Gesetz vom 1. J u l i 1881 nur auf die Stempelabgabenhinterziehung fur anwendbar erklärt worden, ist aber nicht für Wechselstempelsteuerhinterziehungen wieder aufgelebt. 9

Die dreijährige F r i s t w i r d anerkannt 1. für die Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften über die Entrichtung der Branntweinsteuer, der Börsensteuer und der Postgefälle E G § 7 ; 2. diese Bestimmung w i r d für sinngemäss anwendbar erklärt auf die Klagen aus dem Vergehen u n d d e r U e b e r t r e t u n g des § 2 u. 3 des Ges betr. die Steuerfreiheit des Branntweins vom 19. J u l i 1879 (GBl S 259. 260); 3. „die Strafverfolgung von Defraudationen gegen die Brausteuer verjährt i n 3 J a h r e n " : Brausteuergesetz vom 31. M a i 1872 § 4 0 : 4. für die Strafverfolgung des Nachdrucks: Ges betr. das Urheberrecht vom 10. J u n i 1870 § 33. 34. 37 (s. § 43. 45), analog anwendbar erklärt in den Urhebergesetzen vom 9. Jan. 1876 § 16, vom 10. Jan. 1876 § 9, vom 11. Jan. 1876 § 14; 5. ebenso der Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften über den Spielkartenstempel: Ges betr. den Spielkartenstempel vom 3. J u l i 1878 § 20 ; 6. ebenso der Defraudationen gegen die Tabakssteuer und der Verletzungen der §§ 27 u. 38 des Tabakssteuergesetzes : s. d. Gesetz vom 16. J u l i 1879 § 45; 7. ebenso der Vergehen der GewO vom 1. J u l i 1883 § 146 u. 153 (verweist auf das GB). — Die Bestimmung des Patentgesetzes vom 25. M a i 1877 § 38: „die Klagen wegen Verletzung des Patentrechts verjähren rücksichtlich jeder einzelnen dieselben begründenden Handlung i n 3 Jahren" ist wegen der W o r t e „die Klagen" nur auf die Civilklagen zu beschränken. Uebrigens verjähren nach GB § 67 auch die Straf klag en daraus in 3 Jahren. 11

R G I I vom 27. Jan. 1880 ( Ε I 107). Diese F r i s t findet Anwenduug 1. auf die Uebertretung

des § 7 des Ges

846

IV. Verjährung des Strafklagrechts und des StR.

Eine sehr eigentümliche, nicht zu rechtfertigende Privilegirung gemessen diejenigen Verbrechen und Vergehen, welche durch die Verbreitung von Druckschriften strafbaren Inhaltes begangen werden. Nach dem Pressgesetz vom 7. Mai 1874 verjähren sie in sechs Monaten. Ihnen sind die übrigen Vergehen des Pressgesetzes gleichgestellt12. Wer also mündlich zum Hochverrat auffordert, gegen den verjährt die Anklage in zehn Jahren, wer dies in der frechsten Weise durch die Presse tut, der wird nach sechs Monaten unangreifbar! 3. Bei der Auslegung des § 67 wird meist verkannt, dass nicht die Strafklagen aus Verbrechensarten, sondern aus Verbrechensfällen verjähren, demgemäss nicht die der Art, sondern dem Fall angedrohte Maximalstrafe entscheidet. Dies hat zur Folge, a. dass das Vorhandensein jedes fakultativen wie obligatorischen Schärfungsgrundes, sowie jedes Milderungsgrundes bei dem konkreten Verbrechen, dessen Klage verjähren soll, zu berücksichtigen ist, ganz gleichgiltig ob der Grund zu den allgemeinen oder den besonderen gehört. Nur muss auf diesen Grund hin die S t r a f d r o h u n g verschärft oder gemildert worden sein. Ist eine Milderung der „an sich verwirkten Strafe" vorgeschrieben, wie in GB § 157, so übt dies auf die Dauer der Verjährungsfrist keinen Einfluss. Dagegen ist für die Verjährung der strafbaren Handlungen jugendlicher Personen die ihnen 13 , und für die des Rückfalls die den Rückfälligen gedrohte Strafe der Berechnung der \rerjährungszeit zu Grunde zu legen 14 . Berücksichtigt das Gesetz das Vorhandensein mildernder Umstände bei der Strafdrohung, so geschieht dies auf zwei verschiedene Weisen : entweder bleibt die Maximalstrafe auch beim Vorhandensein mildernder Umstände die gleiche, oder es wird für dies Vorhandensein scheinbar eine zweite niedrere Maximalstrafe gedroht 15. Auch i m l e t z t e n betr. das Urheberrecht vom 10. J u n i 1870 § 37 (analog anwendbar erklärt i n den Urhebergesetzen vom 9. Jan. 1876 § 16, vom 10. Jan. 1876 § 9); 2. auf die Vergehen u n d Uebertretungen der GewO § 147—150. 12 S. dagegen auch H e i n z e bei H H I I 615 A n m 3. 13 So auch B e r n e r § 169 S 332; S c h ü t z e § 58 S 209 A n m 17; v o n S c h w a r z e zu § 57 A n m 13. — A n d . Mein. H e i n z e bei H H I I 616; H ä l s c h n e r , D. StR I 696. 697; v. W ä c h t e r , Vöries. S 306; R ü d o r f f zu § 67 Anm 1 ; O l s h a u s e n zu § 67 A n m 2 d ; G e y e r I 196; R G I vom 22. Nov. 1880 (E I I I 52 ff.). Der „ G r u n d " , die Strafverfolgung gelte dem „ T ä t i g k e i t s a k t " als solchem ohne Rücksicht auf die subjektiven Gründe für die Strafbestimmung, ist mir nicht verständlich. 14 Bezüglich des Rückfalls and. Mein, allein H ä l s c h n e r I 697. 15 S. z. B. GB § 346: „ s i n d mildernde Umstände vorhanden, so k a n n auf Geldstrafe bis zu 900 M . erkannt werden", und andrerseits G B § 249: „Sind

§ 16.

3. Die Strafklagrechtserjährung.

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F a l l aber übt diese A r t der S t r a f d r o h u n g gar k e i n e n E i n f l u s s auf die V e r j ä h r u n g s l ä n g e n : denn wenn das Gesetz ohne Erwähnung von mildernden Umständen zwei Strafen alternativ droht — eine härtere und eine mildere —, bedarf es zur Verhängung letzterer des Vorhandenseins von Strafminderungsgründen. Es ist aber undenkbar, dass diese bald die Verjährungsfrist mitbestimmen sollen, bald nicht, und um so undenkbarer, als das Strafgesetz sie nicht begrifflich fixirt, es vielmehr vollständig dem urteilenden Richter überlässt, worin er mildernde Umstände erkennen will, während bei der Verjährung eine Verurteilung überhaupt nicht stattfinden darf 1 6 ; b. dass bei Mittäterschaft die Klage gegen den fahrlässigen Mittäter eine andere Verjährungsfrist besitzt als die gegen den vorsätzlich handelnden Genossen; dass Schärfungs- oder Milderungsgründe bei den einzelnen Mittätern eine sehr grosse und ebenso unzweckmässige Verschiedenheit der Klagverjährungsfristen zur Folge haben können ; c. dass sich die Frist für Verjährung der Klagen wegen Versuchs und Beihilfe bestimmt nach der Maximalstrafe für Versuch und Beihilfe, nicht aber für Vollendung und Täterschaft. Demgemäss sagt R ü d o r f f 1 7 : „Die Verjährungsfrist berechnet sich also nach Maassgabe des im § 44 angedrohten Höchstbetrages. Die nähere Vergleichung der dort aufgestellten Strafsätze ergiebt hierbei, dass, wo Tod und lebenslängliches Zuchthaus auf die vollendete Tat gesetzt sind, für den Versuch . . . 15 Jahre die Frist bilden, im übrigen aber die Verjährungsfristen für den Versuch unverändert bleiben." Dies trifft durchaus z u 1 8 ; ja der Satz lässt sich wreiter führen. Nicht nur sind die Verjährungsfristen für Versuch und Beihilfe bei dem gleichen Verbrechen gleich lang, sondern auch die für die Klage aus der Beihilfe zum Versuch. mildernde Umstände vorhanden, so t r i t t Gefängnissstrafe nicht unter sechs Monaten ein." 16 A n d . Mein. B e r n e r § 169 S 332; S c h ü t z e § 58 S 209 A n m 17; aus ganz unrichtigen Gründen v. S c h w a r z e zu § 67 A n m 3. I n der Sache richtig R G vom 22. Nov. 1880 (E I I I 54). 17 Kommentar zu § 67 A n m 1 Abs. 3. 18 Es würde sofort falsch, sagte GB § 67 beispielsweise: „wenn sie i m Höchstbetrage mit einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren oder länger bedroht sind, i n 15 Jahren."

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§ 164. Fortsetzung. III. U n t e r b r e c h u n g der V e r j ä h r u n g 1 . Die Verjährung wird unterbrochen durch jede Tatsache, die vor Beendigung derselben ihren weiteren Verlauf hindert. Je zwingender der Grund der Verjährung, je seltener die Tatsachen, die diesen Grund teilweise aufheben, um so dringender der Anlass die Unterbrechungen der Verjährung nach Zahl und Wirkung zu beschränken. A. Nun verjähren in Wahrheit zwei Rechte: das Strafklagrecht und das Recht des Gerichtes auf bejahendes Sachurteil 2. Sie erlöschen zu Ungunsten des Strafklag- bezw. des Urteilsberechtigten durch unterlassene Rechtsausübung. Daraus ergiebt sich, 1. dass eine doppelte Art der Unterbrechung anerkannt werden müsste: durch Klagerhebung wie durch Anwendung der strafrichterlichen Gewalt wider eine bestimmte Person. Deshalb lautete der Entwurf des Nordd. StGB § 66 : „Jede Handlung des Staatsanwalts oder des Richters, welche wegen der begangenen Tat gegen den Täter gerichtet ist, unterbricht die Verjährung." Daran war auszusetzen, dass auch staatsanwaltliche Handlungen vor erhobener Anklage die Verjährung unterbrechen sollten. Allein auf L a s k e r s Ausführungen hin beseitigte der Reichstag die Unterbrechung der Strafklagenverjährung durch Erhebung der Strafklage inkonsequenterweise vollständig. 2. Wer kein Strafklagrecht und keine Urteilsgewalt in der Sache hat oder ausübt, dessen Strafklage und dessen Richterakt kann die 1 S. darüber noch bes. die sehr radikale Abhandlung von O r t m a n n , A f. prakt. R W N F X I 223 ff., die nur e i n e Verjährung, und schlechthin keine Unterbrechung derselben zulassen will. — N u n ist m. E . durchaus richtig, dass der Gedanke der Verjährungs-Unterbrechung m i t dem des Untergangs des Klagerechts durch Saumseligkeit des Klägers untrennbar verbunden ist, dass er also auf die öffentliche Strafklage schlechterdings nicht passt (s. auch G e y e r , Grundriss I 199); ferner, dass eine Strafklagenverjährung, welche i n infinitum unterbrochen wird, den Verjährungszweck schlechterdings nicht erreicht (s. auch B e r n e r S 335). Vielmehr dürfte nur ein Ruhen der Verjährung während des Prozesses anzuerkennen sein, und nach A b l a u f einer bestimmten F r i s t nach der letzten Prozesshandlung müsste die Verjährung unter nachträglicher Einrechnung der Zeit des Ruhens weiter laufen. Wäre das E n d u r t e i l aber gefunden, so dürfte die Verjährung nur wieder aufleben, wenn es nachträglich vollständig wieder aufgehoben wird. — Der T e x t stellt sich geflissentlich auf den Standpunkt des geltenden Rechts, w o r i n das Institut der Unterbrechung anerkannt ist. 2

Fasst man auch die sog. Klagenverjährung i n W a h r h e i t als Verjährung des S t r a f r e c h t s , so muss man H e i n z e bei H H I I 620 prinzipiell beipflichten, der jede andere Unterbrechung als durch Strafvollzug leugnet. Selbst diese Unterbrechung aber lässt O r t m a n n nicht gelten.

§ 16.

849

3. Die Strafklagrechtserjährung.

Verjährung nicht unterbrechen. Denn die Rechtsausübung ist einzige Unterbrechung. Demgemäss ist es schlechterdings unmöglich, a. dass die Verjährung unterbrochen werde durch Handlungen von Personen, die nicht Organe der Strafklage oder der Strafgerichtsbarkeit sind. Die Anzeige des Verletzten, des Polizeibeamten, selbst des Strafrichters, der Strafantrag, die Ermächtigung, die Erörterung des Civilrichters über einen kriminellen Incidentpunkt, das Disciplinarverfahren wegen Amtsvergehens, die Untersuchung des Seeunfalls durch das Seeamt sind untaugliche Unterbrechungen: nicht aber der Akt der mit Strafverfolgungsgewalt ausgestatteten Verwaltungsbehörde, des mit Strafjurisdiktion versehenen Konsuls; b. dass clie Verjährung eines deutschen Strafklagrechts durch Handlungen des auswärtigen, die Verjährung eines dem Staate Preussen oderSachsen auf G r u n d i h r e r Sondergesetze zuständigen Strafklagrechts durch Handlungen des Bayerischen oder Württembergischen Staatsanwaltes oder Gerichtes aus eigener Initiative unterbrochen werde 3 ; c. dass die Verjährung der Klage gegen A unterbrochen werde durch staatsanwaltliche oder richterliche Akte gegen B, selbst wenn letzterer mit dem ersteren zusammen das Verbrechen verübt hat: es giebt keine Klage aus der Teilnahme, sondern nur Klagen wider die Teilnehmer ; d. dagegen giebt es keine Anklage auf Grund von Reichsstrafgesetzen, die nicht prinzipiell von allen Staatsanwaltschaften der deutscheil Bundesstaaten erhoben und von den Strafgerichten ihrer aller abgeurteilt werden könnte: denn die örtliche Unzuständigkeit wirkt nicht einmal Nichtigkeit für die einzelnen Untersuchungsakte des örtlich unzuständigen Richters 4. Dies hat die Folge, dass die Unterbrechung im einen Bundesstaate auch die andern Bundesstaaten aus demselben Tatbestande gegen dieselbe Person zustehenden Strafklagen in der Verjährung unterbricht; e. die wegen sachlicher Unzuständigkeit nichtige Handlung des Richters ist keine Ausübung der Urteilsgewralt und deshalb zur Unterbrechung der Verjährung ohnmächtig5. 3 S. auch H ä l s c h n e r , D. StR I 701. Verkannt vom Preuss. O T r v o m 29. M a i 1877 ( 0 X V I I I 847); O p p e n l i o f f zu § 68 A n m 7 ; Olshausen zu § 68 A n m 16. 4 StPO § 20. 5 Durchaus nicht jede Prozesshandlung des sachlich unzuständigen Gerichts ist wegen Inkompetenz n i c h t i g ; aber die nichtige Handlung ist eine Nichthandlung. Ders. Ans. w o h l H ä l s c h n e r , D. StR I 701. R i c h t i g v. W ä c h t e r , Vöries.

Binding, Handbuch. V I I . 1. I : B i n d i n g , Strafreclit. I .

54

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IV. Verjährung des Strafklagrechts und des StR.

B. Das GB § 68 lautet: „Jede Handlung des Richters, welche wegen der begangenen Tat gegen den Täter gerichtet ist, unterbricht die Verjährung. Die Unterbrechung findet nur rücksichtlich desjenigen statt, auf welchen die Handlung sich beziehtc." 1. Subjekt der unterbrechenden Handlung ist allein der Richter, und steht die Handlung nur dem Gerichtskollegium zu, allein dieses. Die Jury ist Gericht im Sinne des § 68. Jede Handlung im Auftrag oder auf Ersuchen des Richters, vorgenommen etwa von dem Gerichtsvollzieher, den Polizeibehörden, dem auswärtigen Richter, ist Handlung des Richters selbst7. Doch darf nicht verkannt werden, dass die Auftragerteilung und die Requisition selbst schon als Unterbrechungshandlungen in Betracht kommen können. Soweit eine Verwaltungsbehörde Strafgerichtsbarkeit besitzt, ist sie Richter im Sinne des § 68 8 . Es ist nur eine Anwendung dieses Prinzips, wenn StPO § 453, 4 und 459, 4 von der polizeilichen Strafverfügung und vom Strafbescheide der Verwaltungsbehörden sagt: sie wirkten in Betreif der Unterbrechung der Verjährung wie eine richterliche Handlung9. S 811. Z u allgemein Preuss. O T r vom 25. Febr. 1876 (Ο X V I I 144. 145). N i c h t genau O p p e n h o f f zu § 68 A n m 10; H e i n z e , H H I I 623; R u b o zu § 68 A n m 5. Vgl. O l s h a u s e n zu § 68 A n m 16 (Anm 16 halte ich für falsch). 17 (theilweis ungenau). Vgl. S c h w a r z e , GZ X X I 1877 S 268 ff.: „ D i e Unterbrechung der Verjährung durch Handlungen eines unzuständigen Richters." 6 Gemeines Sonderrecht bezüglich der Unterbrechung der Verjährung giebt es heute nicht. Das Urhebergesetz vom 11. J u n i 1870 § 38. 43. 45 verweist auf das allgem. Gesetzbuch; das Wechselstempelsteuergesetz vom 10. Juni 1869 § 17 gilt nicht m e h r ; der entsprechende § 25 des Reichsstempelgesetzes vom 1. J u n i 1881 ist aus GB § 69 auszulegen. S. unten A n m 9. 7 S. auch Preuss. O T r vom 4. Dez. 1873 (Ο X I V 773); vom 11. Febr. 1874 (Ο X V 69). Teilweise and. Mein. O p p e n h o f f zu § 68 A n m 1 5 ; R u b o zu § 68 A n m 4. Bedenklich W ü r t t . Kassationshof vom 7. J u n i 1876 (St V I 100). 8

S. auch Preuss. O T r vom 19. A p r i l 1872 (Ο X I I I 258), vom 4. Jan. 1873 (Ο X I V 23 ff.); O A G Dresden vom 17. Juni und vom 25. August 1876 ( A n n 2. Folge I V 168. 378); vom 3. Juni 1878 (das. V I 23 ff.)· Vgl. dazu ( H a h n , ) Die Unterbrechung der Verjährung durch polizeiliche Strafverfügungen, GA X X I 1873 S 241 ff. S. auch H ä l s c h n e r I 701 und R ü d o r f f zu § 67 A n m 3 ; O p p e n h o f f zu § 68 A n m 8. 9 Prinzipiell aber unterbricht durchaus nicht n u r die Strafverfügung, sondern jeder richterliche A k t der Verwaltungsbehörde nach Maassgabe des GB § 68. S. oben A n m 6. U n r i c h t i g w o h l Preuss. O T r vom 16. Okt. 1874 (Ο X V 683 ff.). Nie aber unterbricht die Abgabe der Sache von der Verwaltungs- an die Justizbehörde: denn das ist kein richterlicher A k t gegen den Täter. Falsch

§ 16.

3. Die Strafklagrechtsejährung.

851

2. Gegenstand der Unterbrechung ist ein bestimmtes Strafklagrecht aus bestimmtem Tatbestand gegen einen bestimmten Verdächtigen. Dass in § 08 der Täter als Repräsentant aller Teilnehmer begegnet, ist unbestreitbar. Wie die Klage, so ist auch die Unterbrechung ihrer Verjährung passiv höchstpersönlich 10; wie eine Klagenhäufung möglich ist, so auch die Unterbrechung der Verjährung mehrerer Klagen durch eine Unterbrechungshandlung gleichzeitig wider mehrere „Täter". Wie viel Täter die eine richterliche Handlung betrifft, ist quaestio facti — nur durch Auslegung der Handlung zu lösen. Eine Namhaftmachung aller bei der Handlung ist nicht notwendige Voraussetzung ihrer die Klagen wider sie alle unterbrechenden Wirkung. Soweit eine Klagänderung innerhalb desselben Verfahrens zulässig ist, soweit wird die Verjährung der ursprünglichen wie der später vielleicht geänderten Klage durch einen und denselben Akt unterbrochen. Im Falle realer wie idealer Verbrechenskonkurrenz entstehen ganz verschiedene Strafklagrechte, deren Verjährung selbständiger Unterbrechungsakte bedarf. Insbesondere ist ganz unrichtig, dass bei der idealen Konkurrenz die Unterbrechung der einen Klag Verjährung stets auch eine solche der andern bedeute11. Wenn Hausfriedensbruch und Diebstahl idealiter konkurriren und wegen des ersteren allein geklagt wird, weil der Diebstahl noch unbekannt ist, so unterbricht die Eröffnung des Hauptverfahrens wegen Hausfriedensbruch nicht die Verjährung der Diebstahlsklage. 3. Die Unterbrechung selbst ist eine richterliche Handlung wegen der begangenen Tat wider den Täter als solchen12. Wird dieser als Auskunftsperson oder als Zeuge in fremder Sache vom Richter vernommen, so ist dies kein Unterbrechungsakt 13. Die Handlung ist O A G Dresden vom 25. Aug. 1876 ( A n n 2. Folge I V 379); r i c h t i g dass. Gericht vom 3. J u n i 1878 (das. V I 23 ff.). 10 S. auch R G I vom 24. März 1881 ( Ε I V 217). 11 A u f gänzlicher Verkennung des Wesens der Idealkonkurrenz r u h t O A G Dresden vom 29. A p r i l 1878 (Ann 2. Folge V I 18). Das dort Gesagte passt nur auf die sog. Gesetzeskonkurrenz. Dens. Fehler begeht v. S c h w a r z e zu § 68 A n m 2. 12 S. R G I vom 27. A p r i l 1882 (E V I 212 ff); R G I I I vom 12. Jan. 1885 ( Ε X I 364 ff). Ueber die Verjährung des Strafanspruchs gegen den für fremde Geldstrafen subsidiarisch Haftenden s. oben S 491 A n m 10. S. auch R G I I I vom 7. Juni 1883 ( Ε V I I I 362 ff). 13 R G I vom 24. Nov. 1879 ( Ε I 231. 232); R G I I I vom 7. J u n i 1883 ( Ε V I I I 362 ff). Vgl. auch R G I I vom 28. Nov. 1884 (Rspr V I 768 ff). 54*

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IV. Verjährung des Strafklagrechts und des StR.

also notwendig ihrem Sinne nach Verfolgungshandlung : sie ist entweder richterlicher Akt nach angenommener Klage wider den Beschuldigten bezw. Angeklagten, oder aber ein solcher wider den Verdächtigen als solchen im staatsanwaltlichen Vorverfahren, etwa eine Vernehmung desselben auf Antrag des Staatsanwalts, ein Augenschein bei ihm, ein Haftbefehl, ein Steckbrief wider ihn. Ob die Handlung den Zweck der Sistirung oder den der Beweisaufnahme verfolgt 14 , ob sie Zwischenoder Endurteil ist, erscheint gleichgiltig 15 . Sie darf aber nicht im Sinne der Verneinung des Verfolgungsrechtes geschehen, sie darf nicht Rückweisung der Klage oder Einstellungsbeschluss sein: sonst entbehrt sie der nötigen Spitze gegen den Täter 16 . Sie darf auch nicht objektives Strafverfahren des § 42 sein: denn dieses setzt gerade voraus, „dass die Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person nicht ausführbar ist". Ebenso wenig darf sie sich aber lediglich als Handlung der Justizverwaltung oder der Registratur darstellen 17. Die Ansetzung des Termins zur Hauptverhandlung ist allerdings eine Handlung des Richters gegen den Täter 1 8 ; aber keineswegs dauert jene Handlung bis zu diesem Termine fort 1 9 ; ebenso unterbricht die Ladung des Angeklagten zur Hauptverhandlung 20. 14

Bei den Beweishandlungen ist aber durchaus nicht erforderlich, dass sie A k t e des Belastungsbeweises sind. Der ganze Strafbeweis w i r d vom Richter gegen den Täter erhoben. Falsch R u b o S 526. 15 E i n interessanter F a l l der Namens Verwechselung i n einer Straf Verfügung s. Preuss. O T r vom 10. Jan. 1872 (Ο X I I I 16. 17). Die Entsch. des O T r dürfte nicht r i c h t i g sein. Falls der verurteilte Schuldige nicht trotz der Namensverkehrung k l a r aus der Strafverfügung erhellt, unterbricht die Verurteilung eines Unschuldigen nicht die Verjährung der Klage wider den Schuldigen. Richtig dagegen Preuss. O T r vom 10. Jan. 1872 (Ο X I I I 19. 20). 16

Falsch m. E . Preuss. O T r vom 21. März 1871 (Ο X I I I 221. 222); Bayer. OG vom 4. M a i 1878 (Bayer. Ε V I I I 232. 233); O p p e n h o f f zu § 68 A n m 19. — Der vorläufigen Einstellung der StPO § 208 ist aber unterbrechende Kraft allerdings beizulegen. 1T Preuss. O T r vom 4. Dez. 1873 (Ο X I V 773). 18 So auch R G I I vom 25. M a i 1883 ( Ε V I I I 311). 19 U n r i c h t i g Preuss. O T r vom 11. Febr. 1874 (Ο X V 68 ff.). Liegt aber bei Uebertretungen zwischen dieser L a d u n g und dem T e r m i n der Hauptverhandl u n g eine F r i s t von drei Monaten, so ist die Verfolgung verjährt. H i e r i n richtig R G I I vom 25. M a i 1883 ( Ε V I I I 310 ff). 20 D a bei Antragsverbrechen die Verjährung vor gestelltem Antrag zu laufen beginnt, ist bei ihnen eine Unterbrechung der Verjährung vor der Antragsstellung insoweit möglich, als Handlungen des Richters wegen der begangenen T a t gegen den Täter zulässig erscheinen. Darüber entscheidet StPO § 127. 128. 130. Die Unterbrechung findet dann stets statt, auch wenn später der Antrag nicht gestellt

§ 16.

. Die Strafrechtsejährung.

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Ganz unrichtig ist die mehrfach begegnende Behauptung, wie bei idealer Konkurrenz 21 wirke auch bei Klagenhäufung gegen mehrere Angeklagte22 die Unterbrechung der Verjährung der einen Klage stets zugleich Unterbrechung der andern. C. Die Wirkung der Unterbrechung erstreckt sich auf alle Klagrechte deutscher Staaten aus demselben Verbrechen. Ihre Verjährung wird gemeinsam unterbrochen, d. h. in allen strafklagberechtigten Staaten büsst die Verjährungszeit bis zu dem Tage der Unterbrechung jede konsumirende Wirkung ein: sie entfällt endgiltig für die Berechnung der Verjährungszeit. Dies hindert aber den Wiederbeginn einer neuen Verjährung nicht. Denn die Unterbrechung dauert nur so lange als der Unterbrechungsakt selbst. Und dieser ist — von Auslieferung und Haftverhängung abgesehen — meist sehr kurzer Dauer. Mit dem auf die Unterbrechung folgenden Tag beginnt eine neue Verjährung: dieselbe beginnt also mit jeder Pause des Verfahrens wieder zu laufen. Der sehr unerwünschte Erfolg dieser sehr unzweckmässigen, rein formalistischen Bestimmung, dass die Unterbrechung die ganze Verjährungszeit vor ihr illusorisch macht, kann im Resultat fast eine Verdoppelung, ja eine Verdreifachung der gesetzlichen Verjährungsfrist sein. Dies widerspricht aber allen möglichen Grundgedanken der Verjährung, berechtigt indessen nicht die nach beendeter Unterbrechung neu laufende Verjährung für der Unterbrechung unfähig zu erklären 23 . § 165. 4. Die S t r a f r e c h t s v e r j ä h r u n g . I. Das Gegenstück der Verfolgungsverjährung heisst im GB „Verjährung der rechtskräftig erkannten Strafen". Dieser Ausdruck ist ebenso ungenau wie der erste: nicht die Strafe verjährt, sondern das Recht der Strafzufügung, soweit seine Ausübung noch einer Tätigkeit nach dem Urteil bedarf, also das Strafrecht selbst. II. Daraus folgt in negativer wie positiver Beziehung: 1. Diese Verjährung ergreift n i c h t alle durch das Strafurteil bewird. Vgl. über diesen P u n k t auch R G I vom 13. Febr. 1882 (E V I 37 ff.). U n genau R ü d o r f f zu § 67 A n m 6. 21 S. z. B. R ü d o r f f zu § 67 A n m 8 ; O l s h a u s e n zu § 68 A n m 12; S c h w a r z e , Bemerk. S 103 nimmt dies offenbar auch für Realkonkurrenz an. — S. auch oben A n m 11. 22 So z. B. H e i n z e bei H H I I 625; v. S c h w a r z e zu § 68 A n m 6 (s. d e n s . auch Bemerk. S 91). R i c h t i g O p p e n h o f f zu § 68 A n m 17. 23 Der bekämpften Ansicht Β e r η e r S 335 und R u b o zu § 68 A n m 9. Dagegen bes. H ä l s c h n e r I 702 A n m 4.

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IV. Verjährung des Strafklagrechts und des StR.

gründeten Rechte nicht krimineller Natur 1 : insbesondere nicht das Recht des Staates auf Tragung der Kosten, das Recht des Verletzten auf Busse2, dessen von vornherein befristetes Recht die Verurteilung auf Kosten des Beschuldigten bekannt zu machen, das Recht der höheren Landespolizeibehörde, wenn auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt ist, den Verurteilten auf bestimmte Zeit unter Polizeiaufsicht zu stellen3, auch nicht das Recht der Landespolizeibehörde den zu Haft Verurteilten bis zu zwei Jahren in ein Arbeitshaus unterzubringen oder zu gemeinnützigen Arbeiten zu verwenden (GB § 361, 3—8. 362). Denn wenn dieses Recht auch durch Verjährung des Strafrechts zerstört würde, so erläge es selbst nicht der Verjährung, sondern es ginge daran zu Grunde, dass der Eintritt seiner Voraussetzung, die Strafverbüssung, unmöglich geworden wäre. Es steht aber gar nichts im Wege auf diese Ueberweisung an die Landespolizeibehörde die Satzung des § 38, 3 analog zur Anwendung zu bringen und dieses polizeiliche Recht von dem Tage an zu berechnen, an welchem die Freiheitsstrafe verbüsst, verjährt oder erlassen ist. Denn diese Polizeimaassregel steht ebenso wenig wie clie nach GB § 362, 4 an ihrer Stelle statthafte Verweisung der Ausländer aus dem Bundesgebiete mit der Strafverbüssnng in innerem Zusammenhange. 2. Diese Verjährung ergreift n i c h t alle Strafen, die durch das Urteil unmittelbar zum Vollzug kommen : die Strafe des Verlustes der bürgerlichen Ehrenrechte und des Rechts zum Gewerbebetrieb, die der Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter oder zum Heerdienst oder zur eidlichen Vernehmung als Zeuge oder Sachverständiger. 3. Objekt der Verjährung ist stets das einheitliche Strafrecht 4. Dieses aber kann sehr wohl verschiedene Strafzufügungen zum Inhalte haben; es kann beispielsweise auf Freiheitsstrafe und Einziehung, oder nach GB § 268, 2 auf Zuchthaus von 5 Jahren und Geldstrafe von 3000 Mark lauten. Dieses Recht verjährt als Einheit, nicht teilweise5. Und zwar richtet sich die Länge der Verjährungsfrist nach der höchsten 1

N a t ü r l i c h auch nicht das zwar durch den Strafrichter, aber nicht durch Strafurteil auf Grund des objektiven Strafverfahrens festgestellte Recht auf Konfiskation u n d Unbrauchbarmachung. S. GB § 42. 2 H ä l s c h n e r I 7 0 4 ; O l s h a u s e n zu § 70 A n m 6. 3 Denn diese Zeit „ w i r d von dem Tage berechnet, an welchem die Freiheitsstrafe verbüsst, verjährt oder erlassen i s t " : G B § 38, 3. Vgl. auch Nahrungsmittelgesetz vom 14. M a i 1879 § 3. 4

S. oben § 103. Insoweit richtig B e r n e r § 170 S 337; Ganz verkehrt R u b o zu § 70 A n m 1. 5

O p p e n h o f f zu § 70 A n m

5.

§ 16.

. Die Strafrechtsejährung.

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Leistung, die das Urteil dein Sträfling auflegt: sie ist im vorigen Falle genau so lang wie die Frist der Verjährung für fünf Jahre Zuchthaus allein. Für den einzig praktisch bedeutsamen Fall, wenn wegen derselben Handlung (oder wegen Idealkonkurrenz mehrerer Handlungen) neben der Freiheitsstrafe noch Geldstrafe erkannt ist, sagt dies GB § 71 ausdrücklich. „Die Geldstrafe verjährt nicht früher, als die Vollstreckung der Freiheitsstrafe", aber auch nicht später, es müsste denn ihre Verjährungsfrist länger sein als die der Freiheitsstrafe : dann verjähren beide Strafen in der längeren Frist 6 . Dieser Satz ist auf alle Fälle, wo nach GB § 74 eine Gesammtstrafe ausgesprochen wird, zu erstrecken. Dagegen ist anders zu urteilen, wenn bei Realkonkurrenz nach GB § 75, 1. 77, 1 wegen der verschiedenen Verbrechen verschiedene Strafen mit einander kumulirt werden. Diese Strafrechte haben alle ihre besondere Verjährungszeit 7. Will man aber nicht zu den sinnlosesten Resultaten kommen und nicht den § 70 dazu benutzen um den Strafvollstreckungsbehörden eine ganz bestimmte, unter Umständen höchst unzweckmässige Reihenfolge der zu vollstreckenden Freiheitsstrafen vorzuschreiben, so muss man annehmen, dass die Verjährung einer Freiheitsstrafe während der Vollstreckung einer andern wider denselben Schuldigen ruht 8 . Ist aber auf Freiheits- und daneben auf Geldstrafe wegen Realkonkurrenz erkannt worden, so ruht die Verjährung cler letzteren zweifellos während der Vollstreckung der Freiheitsstrafe nicht. Hatte das Urteil nach § 78 auf mehrere Geldstrafen ihrem vollen Betrage nach zu erkennen, so scheint es mir der Absicht des § 70 zu ent6

M . E . unrichtig O l s h a u s e n zu § 71 A n m 1. Ist auf 5 Jahre Gefängniss und 5 Jahre Festung erkannt, so verjährt das erste Strafrecht i n 10, und das zweite Strafrecht i n 10 Jahren. I n dieser Beziehung unrichtig B i n d i n g , Grundriss I 187; O p p e n h o f f zu § 70 A n m 6. 8 Es hat der Gesetzgeber, vom § 71 abgesehen, an das Zusammentreffen mehrerer Freiheitsstrafen i n einem U r t e i l eben einfach nicht gedacht, wie er j a i n § 70 immer nur von e i n e r zuerkannten Strafe redet. E i n Strafrecht wegen unterlassener Strafvollstreckung verjähren zu lassen, während seine Durchführung wegen anderweiter Strafvollstreckung rechtlich unmöglich ist, erscheint an sich so widerspruchsvoll, dass man diesen Satz nicht w i r d annehmen können. Widrigenfalls würde eine neben Gefängniss und Festung oder Zuchthaus von zwei Jahren erkannte Haftstrafe stets verjähren, wenn sie nicht zuerst vollstreckt würde. Der i m T e x t vertretenen Ansicht w o h l auch G e y e r I 201; dafür de lege ferenda O r t m a n n , A f. prakt. R W N F X I 242 ff. 7

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IV. Verjährung des Strafklagrechts und des StR.

sprechen die Länge der Verjährungsfrist nach der Gesammtsumme, nicht aber nach den verwirkten Einzelbeträgen zu norniiren 9. 4. Dieses Strafrecht wird nach Inhalt und Umfang zunächst durch das Urteil festgestellt, kann aber nachträglich durch die Gnade und durch Strafvollzug zum Teil zerstört werden. Nun spricht GB § 70 nur von cler Verjährung rechtskräftig erkannter Strafen und legt der Berechnung der Verjährungsfristen die Strafen der Urteile zu Grunde. Das Gesetz denkt wie so oft nur an die Regel, nicht an die Ausnahme. Hat aber der Inhaher der Gnadengewalt die Todesstrafe in Zuchthaus von 15 Jahren verwandelt, so ist ein Weiterlaufen der Vollstreckungsverjährung für die Todesstrafe schlechthin undenkbar 10 ; dieses Vollstreckungsrecht ist durch die Gnade grade so untergegangen wie das Recht auf Vollstreckung lebenslänglicher Zuchthausstrafe durch Verwandlung derselben in Zuchthaus von zehn Jahren. Im Fall der Gnade können nur die durch die Gnade in Bestand gelassenen Strafrechte noch durch Verjährung untergehen, und die Fristlängen bestimmen sich nach den durch den Fürsten gnadenweise festgestellten Strafrechten 11. Tritt der Gnadenerlass erst einige Zeit nach cler Rechtskraft des Urteils, aber vor Beginn der Vollstreckung ein, so ist die bis zur Begnadigung abgelaufene nicht unterbrochene Zeit in die verkürzte Verjährungsfrist einzurechnen. Das gleiche gilt, wenn das Strafrecht durch Strafvollzug teilweise konsumirt ist: eine Fortsetzung cler Verjährung des ganzen Strafrechts ist dann undenkbar 12. III. Die Verjährungsfristen beginnen zu laufen 1. „mit dem Tag, an welchem das Urteil rechtskräftig geworden ist" 1 3 : GB § 70 al. 2. Dieser Tag ist der erste der Verjährungszeit. 9 Die beiden Berechnungen führen zu sehr verschiedenen Resultaten. W i r d wegen 20 Vergehen zu j e 150 M a r k auf 3000 M a r k erkannt, so verjährt das Recht auf diese ganze Summe nach der Berechnung des Textes in 5 Jahren. Lässt man aber die einzelnen Strafrechte verjähren, so erlöschen sie alle nach A b l a u f derselben 2 Jahre: denn hier ist natürlich ein Ruhen der Verjährung undenkbar. F ü r die letztere Ansicht v. S c h w a r z e zu § 70 A n m 4 ; G e y e r I 201. 10 De lege lata and. Mein. H e i n z e bei I I H I I 616 A n m 7 ; G e y e r I 201. 11 Nach R u b o s seltsamer Ansicht (zu § 70 A n m 7) können die durch Gnade festgesetzten Strafen überhaupt nicht mehr verjähren. 12 M a n w i r d das analoge behaupten müssen, wenn auf die erkannte Strafe eine erlittene Untersuchungshaft oder eine auswärts erlittene Strafe zur Anrechnung kommt. Die gegenteilige Ansicht w i r d aber, soweit ich sehe, ganz allgemein vertreten. 13 Dass man die Strafklagenverjährung nach dem Urteil wieder beginnen und bis zur Rechtskraft des Urteils laufen lässt, ist grundverkehrt, aber lex lata. Vgl. auch S c h w a r z e , Bemerkungen S 76 ff.

§ 16.

. Die Strafrechtsejährung.

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2. Die Fristen werden stets nach vollen Jahren und diese nach der Kalenderzeit berechnet. 8. Der die Fristen regelnde § 70 enthält zwei L ü c k e n und drei Redaktionsfehler. a. Für die Strafen von genau 5 Jahren Festung fordert § 70 Z. 3 eine Verjährungsfrist von 15, Z. 4 eine solche nur von 10 Jahren; für die Strafen von genau 2 Jahren Gefängniss oder Festung fordert § 70 Nr 4 eine Verjährungsfrist von 10, § 70 Nr 5 aber eine solche von 5 Jahren. Die Fehler sind durch Auslegung leicht zu beseitigen. Wie § 70 Z. 2 u. 3 scheiden zwischen Zuchthaus bis zu 10 Jahren und von mehr als 10 Jahren, so wollen Z. 4 u. 5 scheiden zwischen Gefängniss und Festung bis zu 2 Jahren und von mehr als 2 Jahren bis zu 5 Jahren, und ebenso Z. 3 u. 4 zwischen Festung bis zu 5 Jahren und von mehr als 5 Jahren. b. In § 70 Z. 1—3 ist die lebenslängliche Gefängnissstrafe des Militärstrafrechts nicht berücksichtigt. In den Parallelismus zwischen Zuchthaus und Festung nach § 70 Z. 1 ist also auch die lebenslängliche Gefängnissstrafe aufzunehmen. c. Ein starkes Redaktionsversehen betrifft die Gefängnissstrafe von mehr als 10 Jahren, die in GB § 57 und im MStGB vorkommt. Sie verjährt nach GB § 70 Z. 3 scheinbar in 15 Jahren, während die Festungshaft gleicher Dauer, also die mildere Strafe, nach Z. 2 erst in 20 Jahren erlischt. Dieser Widerspruch ist unerträglich , soweit es sich nicht um die Bestrafung jugendlicher Personen handelt 14 . M. E. bleibt hier gar nichts übrig als die Hilfe der Analogie. Wie § 70 Z. 1 durch das lebenslängliche Gefängniss, so ist Z. 2 durch das Gefängniss cles MStGB in der Dauer von über 10 Jahren zu ergänzen: es verjährt in 20 Jahren. d. Auch der Verweis ist eine der Vollstreckung bedürftige Strafe. Allein § 70 hat ihn vergessen. Undenkbar ist, dass der Gesetzgeber diese mildeste Strafe unverjährbar hat machen wollen: somit verjährt sie in der geringsten Verjährungsfrist von 2 Jahren 15 . 4. So gilt heute Folgendes. Es verjähren in 30 Jahren: die Strafen des Todes und der lebenslänglichen Freiheitsentziehung ; 14

A n deren Privilegirung und an § 74, 3 konnte das Nordd. StGB § 70 Z. 3 allein denken: demgemäss ist § 70 Z. 3 nur auf die Gefängnissstrafen über 5 Jahren nach GB § 57 und § 74, 3 zu beziehen. 15 And. Mein, allein R u b o zu § 70 A n m 2. A u f den Richter, der den Verweis wegen Verjährung nicht vollstreckt, w i l l R u b o den § 346 anwenden!

858

IV. Verjährung des Strafklagrechts und des StR.

in 20 Jahren: Freiheitsstrafen von mehr als zehn Jahren ausser dem Gefängniss des § 57; in 15 Jahren: Zuchthaus von 1—10 Jahren; Gefängniss und Festung von über 5 bis 10 Jahren; Gefängniss von 5 bis 15 Jahren nach § 57; in 10 Jahren: Festung und Gefängniss von über 2 bis zu 5 Jahren sowie Geldstrafe von mehr als 6000 Mark; in 5 Jahren: Festung und Gefängniss von 1 Tag bis zu 2 Jahren sowie Geldstrafe von mehr als 150 bis 6000 Mark; in 2 Jahren: Haft sowie Geldstrafe bis zu 150 Mark und Verweis. IV. Die Strafrechtsverjährung wird durch „jede auf Vollstreckung der Strafe gerichtete Handlung derjenigen Behörde, welcher die Vollstreckung obliegt, sowie die zum Zwecke der Vollstreckung erfolgende Festnahme des Verurteilten" unterbrochen. GB § 72, 1. 1. Subjekt der Unterbrechungshandlung ist die in concreto zur Strafvollstreckung berufene Behörde, also regelmässig die dem Gericht des Erstinstanzurteils beigeordnete Staatsanwaltschaft, oder der Amtsrichter in Strafsachen niederster Ordnung, das Gericht selbst aber, wenn es auf Verweis erkannt hat 1 6 . Handelt es sich um eine Freiheitsstrafe von nicht über sechs Wochen und der Verurteilte weilt ausserhalb des Staates, dem das Prozessgericht angehört, so ist auf Ersuchen zuständig die deutsche Vollstreckungsbehörde seines Aufenthaltsortes und auf ergangenen Steckbrief jede Strafvollstreckungsbehörde, die ihn zur Vollstreckung sistiren kann 17 . Nicht nur ist aber jeder Auftrag und jedes Ersuchen der Vollstreckungsbehörde an andere Behörden — die fremde Staatsanwaltschaft, die Polizei, den Gerichtsvollzieher — die Strafvollstreckung zu ermöglichen oder zu bewirken taugliche Unterbrechungshandlung, sondern alle dem entsprechenden Handlungen der beauftragten oder ersuchten Organe desgleichen18. Es gilt dies von allen Organen der Vollstreckungsbehörden, ihren Sekretären, den Gefängnissschliessern u. s. w. Wenn § 72 auch die zum Zwecke cler Vollstreckung erfolgende Festnahme des Verurteilten die Verjährung unterbrechen lässt, so erklärt sich diese Hervorhebung daraus, dass hiebei nicht die Vollstreckungsbehörde selbst oder durch Organe tätig werden muss, sondern dass Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften — nicht aber Private, denen die nötige Kompetenz fehlt — als negotiorum gestores der Voll16 18

17 S. StPO § 483. GVG § 163. A n d . Mein. O p p e n h o f f zu § 72 A n m 7 — 9 ; R u b o zu § 72 A n m 3.

§ 16.

. Die Strafrechtsejährung.

859

streckungsbehörde die Verhaftung mit unterbrechender Wirkung vornehmen dürfen 19 . 2. Die Unterbrechungshandlung selbst muss auf Strafvollstreckung gerichtet sein. Dies gilt von drei Gruppen von Handlungen: a. von den die Vollstreckung vorbereitenden Handlungen. Dahin gehören beispielsweise der Bericht an das Staatsoberhaupt, wenn auf den Tod erkannt ist, um dessen Entschliessung zu erbitten (StPO § 485), die Ladung zum Antritt der Strafe, der Vorführungsbefehl, der Haftbefehl, die Untersuchungshaft nach rechtskräftigem Erkenntniss , die Entlassung gegen Kaution, der Steckbrief — alle behufs Sistirung zum Strafvollzug; cler Auftrag an den Gerichtsvollzieher die Geldstrafe zu vollstrecken u. s. w. ; b. von den die Art der Vollstreckung regelnden Handlungen: so die Gewährung des Strafaufschubes 20 oder einer Pause in der Vollstreckung (s. bes. StPO § 485, 2. 487. 488) ; c. von den Strafzufügungshandlungen selbst. 3. Jede Unterbrechung gilt der Verjährung des ganzen einheitlichen Strafrechts, auf dessen Vollstreckung die Unterbrechungshandlung gerichtet wird. Ist beispielsweise wegen Idealkonkurrenz auf Freiheits- und Geldstrafe erkannt wTorden, so unterbricht die Eintreibung der Geldstrafe auch die Verjährung der Freiheitsstrafe und umgekehrt. Sind mehrere Strafrechte gegen dieselbe Person begründet, so kann die \7erjährung ihrer aller durch dieselbe Handlung unterbrochen werden, wenn diese behufs Vollstreckung aller dieser Strafrechte geschieht. Wird aber cler Verurteilte nur verhaftet um eine Strafe zu verbüssen, so läuft die Verjährung der anderen Strafrechte weiter. 4. Die Unterbrechung dauert so lange, als die auf Vollstreckung gerichtete Handlung. Diese kann eine fortgesetzte sein; dann nimmt die Unterbrechung an dieser Dehnung Teil. So dauert letztere beispielsweise so lange, als die verhängte Untersuchungshaft, als das Auslieferungsverfahren u. s. w. 5. An dem auf das Ende der Unterbrechung folgenden Tage beginnt eine neue Verjährung zu laufen 21 : und zwar mit unveränderter Frist, wenn es zum teilweisen Vollzuge nicht kam, mit verkürzter 19 Es w i r d hier StPO § 127, 2 analog Anwendung zu finden haben. Dass schon ein Haftbefehl der Vollstreckungsbehörde ergangen sei (StPO § 489), ist nicht zu verlangen. 20 And. Mein. O p p e n h ο f f zu § 72 A n m 10. 21 R u b o zu § 72 A n m 5 hält die neu beginnende Verjährung für einer Unterbrechung nicht mehr fähig.

860

V. Verzicht auf Straf klagrecht und Strafrecht.

Frist aber, wenn das Strafrecht durch Vollstreckung teilweise konsumirt wurde, und der Rest, hätte das Urteil direkt auf ihn gelautet, in kürzerer Frist verjährt wäre. Der V e r z i c h t auf S t r a f k l a g r e c h t und S t r a f r e c h t 1 .

V.

§ 166.

1. Das Wesen cler Gnade und i h r e A r t e n .

I. Es wirken die Gesetze nach Art vernünftiger Regeln meist vernünftig, in einzelnen Fällen aber zweckwidrig 2. Denn die Regel ist die Feindin der Individualität. Ganz analog ist die Wirkung des Urteils, sei's weil gerade das Urteil clem Gesetze entsprochen, sei's 1

H 2 287—289. Β 177—186. Sch 59. M 71. W V 100. L i 80. G 82. 83. H 157. 158. Κ 143—148. H e i n z e bei H H I I 629 ff. — O e r s t e d , Grundregeln S 453 ff. — V o l l g r a f f , Vermischte Abhandlungen I I . M a r b u r g 1823. S 3 bis 78. — B u r c h a r d i , Die L e h r e von der AViedereinsetzung in den vorigen Stand. Göttingen 1831. S 17 ff. 128 ff. — S p a n g e n b e r g , Ν Α X I I I 1833 S 356 ff. — Z i r k l e r i n Weiskes Rechtslexikon I . 1839. S 791 ff. — P l o c h m a n n , Das Begnadigungsrecht. Erlangen 1844. — K i r s t e n , Abhandl. aus d. Gebiete des Strafrechts. L e i p z i g 1846. S 67 ff. — v. F l e m b a c h , Das Kronrecht der Gnade . . . Nürnberg 1853. — v. A r n o l d , Ueber Umfang und Anwendung des Begnadigungsrechtes. Erlangen 1860. — v. M o h l , Staatsrecht, Völkerrecht und P o l i t i k I I 634 ff. — L u e d e r , Das Souveränetätsrecht der Begnadigung. Leipzig 1860. — A b e g g , K r V I I I 1861 S 321 ff. 519 ff., I V 1862 S 349 ff. — V a s a l l i , K r i t . Untersuchungen über das Begnadigungsrecht. Z ü r i c h 1867. — G e y e r , H R L e x s. V.Begnadigung I 254 ff. — W a h l b e r g , das. s. v. Aufschub der Strafvollstreckung I 180. 181. — D i e Schriften von B u m a , De jure gratiae. Groningae 1823, von v a n W i c k e v o o r t C r o m m e l i n , De j u r e principis in minuendis vel remittendis delictorum poenis. Lugd. Batav. 1822, und von G r o b b e e , De condemnatorum restitutione sive rehabilitatione. Lugd. Batav. 1854 (s. darüber M a r q u a r d s e n , K r V I I 305. 306) sind mir nicht zugänglich gewesen. — Ueber das heute i m Deutschen Reich geltende Begnadigungsrecht s. bes. H e i n z e , Staatsrechtliche und strafrechtliche Erörterungen S 70—78. 110—114; d e r s . , Strafprozessuale Erörterungen. Stuttgart 1875. S 121—123; L ö w e , Die Strafprozessordnung 4. A u f l . S 22 ff.; M e v e s i n Holtzendorffs Handb. d. Strafproz. I I 493 ff.; L o e b , Das Begnadigungsrecht. W o r m s 1881; J a s t r o w , GS X X X I V 532 ff; J o h n , K o m m e n t a r zur Strafprozessordnung I 108 ff.; A r n d t , Verordnungsrecht S 234 ff.; d e r s . , Ζ f. S t R W V 323 ff.; L a m m , Erlass von Ordnungsstrafen, Annalen des O L G Dresden I I 481 ff. — M a n vgl. auch die Systeme des Staatsrechts der deutschen Bundesstaaten. S. bes. v. R ö n n e , Preuss. Staatsr. 4. A u f l . I 539 ff.; S c h u l z e , Preuss. Staatsrecht I I 346 ff.; S a r w e y , Das Staatsrecht des K . W ü r t t e m b e r g I I 101 ff. — F ü r Preussen s. auch L e m m e r , Das Verfahren in Begnadigungssachen, J M B 1 1854 S 296 ff. 2 D i e Fanatiker des vollkommenen Gesetzesrechts sind natürlich Gegner des Begnadigungsrechts. Es wäre aber der Verlust des Begnadigungsrechtes i m eng. Sinne eine sehr schwere Einbusse!

166.

1. Wesen der Gnade und ihre Arten.

861

weil es sich bedenklicher Weise von diesem gelöst und seine gerechte Grundlage eingebüsst hat. II. Der grosse R e g u l a t o r der Gesetzes- u n d U r t e i l s w i r k u n g e n auf k r i m i n e l l e m Gebiete i s t die Gnade. Da jene Wirkungen die Entstehung von Pflicht-Rechten zur Klage und zur Strafe bedeuten, lässt sich das hohe Ziel der Gnade in die Worte fassen: es sollen jene Pflichten zur Ausübung nicht kommen, soweit dies entweder ungerecht oder unnötig ist. Ein Regulator in umgekehrter Richtung, im Sinne der Verschärfung entstandener oder der Erzeugung durch Gesetz und Urteil nicht entstandener Strafrechte fehlt notwendig jedem Rechte, welches dem Satze nulla poena sine lege huldigt: er könnte heute höchstens in Gestalt eines Strafgesetzes mit rückwirkender Kraft auftreten. III. Somit wird die Gnade nicht im Interesse des Begnadigten, sondern in dem der Gerechtigkeit und des Staates erteilt. Sie hat zwei verschiedene Rechte zum Gegenstand: das Strafklagrecht und das gerichtlich festgestellte Strafrecht; sie zerfällt demgemäss in zwei und nur in zwei wesentlich verschiedene Arten: i n die A b o l i t i o n und i n die B e g n a d i g u n g im e. S. 3 . Sie wirkt zerstörend auf. das eine oder das andere dieser Rechte ein : sie kann prinzipiell beide Rechte gänzlich oder teilweise zerstören 4; sie vermag nach heutigem Rechte das Strafklagrecht nur völlig zu zerstören. Nicht denkbar ist, dass die Gnade ergreife statt allein die aus den Tatbeständen entspringenden Rechte die Tatbestände selbst 5 . Kein Gnadenakt fingirt 3 Dass sich in einem Begnadigungsakte Abolitionen und Begnadigungen verbinden können, ist unleugbar, ergiebt aber keine dritte A r t der Gnade. Der Begriff der A m n e s t i e ist wissenschaftlich wertlos. Den fundamentalen Unterschied zwischen A b o l i t i o n und Gnade im engeren Sinne verkennt H e i n z e bei H H I I 684. E r w i r d noch überall da verkannt, wo der Gegensatz zwischen beiden Arten der Gnade nur auf den Zeitpunkt ihrer Erteilung abgestellt wird. E r w i r d anerkannt, aber ganz falsch gedeutet bei L o e b S 2 ff. (die Gnade setze Schuld, die A b o l i t i o n nur Verdacht der Schuld voraus). 4 W i e durch Gnade 5 Jahre Gefängniss auf 3 herabgesetzt werden können, so ist es denkbar, dass der Staat auf die Raubklage verzichtet, aber den Diebstahl i m Raube verfolgt. Nach StPO § 263 ist aber für das heutige Recht eine solche teilweise A b o l i t i o n eines Strafklagrechts — scharf zu scheiden vom völligen Verzicht auf das eine Strafrecht i m Falle der Idealkonkurrenz — wirkungslos. 5 So besond. L u e d e r S 9. 185. 188, der eine Gnade kennt, welche „ N i c h t Existenz des Verbrechens fingirt". Ebenso L o e b S 58 ff. S. auch P I O c h m a n n S 76. Richtig dagegen H e i n z e bei H H I I 634; B e r n e r § 181 S 348; bes. aber H ä l s c h n e r , D. StR I 729. — A m allerwenigsten ist die A b o l i t i o n die „Negation der dem Angeschuldigten zur L a s t gelegten strafbaren Handlung" und nicht w i r k t sie wie ein freisprechendes Urteil. So L o e b S 53. 55. 56.

862

V. Verzicht auf Strafklagrecht und Strafrecht.

ein Delikt weg, wenn solches vorlag, ja kein Gnadenakt nimmt diesen Tatbeständen rechtserzeugende Wirkung: denn die Gnade setzt das Vorhandensein, also auch die Entstehung von Strafklagrecht und Strafrecht voraus. IV. Daraus erhellt klar das Verhältniss cler Gnade zu Urteil und Gesetz. 1. Wer nicht genügend beachtet, dass sie wirksam wird erst auf dem Gebiete der subjektiven Rechte, die nach Maassgabe des Gesetzes entstanden sind, kommt leicht zu cler falschen Anschauung, sie schaffe eine Ausnahme vom Gesetz, sei also Gesetzgebungsakt6: weit entfernt dem Gesetze die wirkende Kraft für den einzelnen Fall zu nehmen, setzt sie dessen Wirksamkeit voraus und schafft nur eine Wirkung desselben aus der Welt. D i e Gnade i s t k e i n e lex specialis7. 2. Die B e g n a d i g u n g i m e. S. i s t auch k e i n U r t e i l : nicht stellt sie Existenz und Inhalt eines konkreten Strafrechts nach Maassgabe des Gesetzes unparteiisch fest; nicht richtet ihr Inhaber als legibus solutus nach der Gerechtigkeit, wie er sie versteht ; nicht kehrt mit der Gnade die Ausübung der Gerichtsbarkeit zu der Person ihres Inhabers zurück 8 ; nicht ist sie Akt statthafter Kabinetsjustiz; nicht hebt sie das ergangene Urteil in höherer Instanz a u f 9 1 0 : der gänzlich Begnadigte ist und bleibt verurteilt; fest steht im Sinne cler Justiz, 6 Die falsche Auffassung ist alt und weitverbreitet. S. schon C a r p z o v , Pract. qu. 150 n. 15. 16; K l e i n s c h r o d I I 291; V o l l g r a f f S 10; P l o c h m a n n S 40. 41 (s. aber unten A n m 10); K i r s t e n S 71 (deshalb müsse prinzipiell den Landständen Einfluss darauf zustehen); H e i n z e , Staatsrechtliche Erörterungen S 70; d e r s . bei H H I I 6o3; S c h ü t z e , Lehrbuch S 214; B i n d i n g , Grundriss I 191; H ä l s c h n e r , D. StR I 730. K ö s t l i n , Syst. I 632 erklärt die Gnade für einen A k t zugleich der gesetzgebenden und vollziehenden Gewalt. 7 W ä r e sie lex specialis, so schüfe sie Ausnahmen vom Reichs-Strafrecht und Strafprozessrecht; dann müsste man aber nach R V A . 2 annehmen, dass den Landesherrn die gesetzgebende als Begnadigungsgewalt delegirt wäre: dann würden sie m. a. W . Reichsgesetzgebungsgewalt m i t verbindlicher Kraft für das Reich ausüben, und auch die A b o l i t i o n des einen Staates gewänne verbindliche Kraft für das Reich und alle anderen Bundesstaaten. Man würde auch kaum umhin können der Begnadigung i m engeren Sinne, weil sie einer Handlung die straferzeugende K r a f t nähme, die W i r k s a m k e i t für alle Teilnehmer am Verbrechen beizulegen. 8 So D a h l m a n n , Politik I I 98; L u e d e r S 99. 107. 108; ν. R ö n n e I 540. 9 R i c h t i g K ö s t l i n , Syst. I 645; S c h u l z e , Preuss. Staatsrecht I I 349; H ä l s c h n e r , D. StR I 729. 10 F ü r einen Gesetzgebungs- und Richterakt halten die Gnade P I O c h m a n n S 76 (spricht von der vollständigen Gnade); L o e b S 6 ff. 58 ff. (dann ist natürlich die Gnade Richterspruch höchster Instanz).

§166.

1. Wesen der Gnade und ihre Arten.

863

dass er eine strafbare Handlung begangen; alle Rechtsfolgen der Verurteilung als solcher, soweit sie cler Gnade nicht zugänglich sind, stehen unwiderruflich fest 11 . Nicht cler Inhaber der Urteilsgewalt wird in ihr tätig: dessen Werk ist mit Eintritt der Rechtskraft zu Ende ; vielmehr der Inhaber des urteilsmässig festgestellten Strafrechts. 3. D i e Gnade i s t R e c h t s v e r z i c h t 1 2 , also, da die Rechte, die sie betrifft, öffentliche Rechte sind, p u b l i z i s t i s c h e s Rechtsgeschäft. Da der Angeklagte nach unserer Rechtsanschauung kein Recht auf Urteil und der Verurteilte kein Recht auf Strafe hat, ist die Gnade wesentlich einseitiges Rechtsgeschäft; sie wird perfekt durch ihre Erteilung, nicht durch ihre Annahme; ihre Giltigkeit bleibt unberührt durch Weigerung der Annahme; sie ist kein Rechtsgeschäft gegen Aequivalent13. Wird abolitionirt gegen Abfindungssummen, so läuft dies wider das Wesen der Gnade und an ihre Stelle tritt eine bedenkliche Veräusserung des Strafklagrechts, um so bedenklicher, als sie der unvermögende Beklagte nicht herbeizuführen vermag. V. Ist die Gnade Verzicht, so ist damit ihr Subjekt bestimmt. N u r der I n h a b e r eines Rechts k a n n d a r a u f v e r z i c h t e n 1 4 . Insoweit der Staat Inhaber des Strafklagrechts und des Strafrechts ist, soweit mag man das Begnadigungsrecht ein „Souveränetätsrecht" nennen, obgleich damit zur Erkenntniss seines Wesens nichts gewonnen ist. Soweit aber Privatstrafen und Privatstrafklagrechte anerkannt sind — unser heutiges Recht kennt erstere nicht, wohl aber die letzteren —, ruht das Recht des Verzichts nicht beim Souverän, sondern bei den berechtigten Privaten. Nur denken wir bei dem Worte cler Gnade unwillkürlich an den Souverän und seine Verzichtsgewalt. VI. Nichts steht im Wege, dass der Souverän die Ausübung seines Verzichtrechtes auf ihn vertretende Organe delegire 15, und es ist nicht einzusehen, weshalb diese Delegirung im Wege der Gesetzgebung zu *

11

S. oben S 854. Richtig schon C a r p ζ ο v , Pract. qu. 150; M a r t i n § 103; H ä l s c h n e r , D. StR I 726 (s. aber oben A n m 6); v. L i s z t , Lehrbuch S 279. — Dagegen L u e d e r S 66. — Daraus w i r d auch deutlich, weshalb ein schärfendes Gegenstück zur Gnade nicht existirt. Falsch K ö s t l i n 1 640; r i c h t i g H ä l s c h n e r , D. StR I 726. 12

13

Ueber die Sühntermine s. unten S 870. S. H e i n z e , Strafprozessuale Erörterungen S 122: „ M a n k o m m t i n keiner Richtung über den Satz hinaus, dass das Gnadenrecht das K o r r e l a t des subjektiven Strafrechts ist." Vgl. auch M a r t i n § 103 A n m 2. 14

15

Dagegen v. M o h l a. a. O. S 656; L u e d e r S 84 ff. 96 ff.

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V. Verzicht auf Strafklagrecht und Strafrecht.

geschehen hätte 16 . Diese Delegationen sind in Deutschland in grosser Zahl erfolgt. VII. Da die Giltigkeit des Verzichtes nirgends von dem Motive desselben abhängig gemacht ist, so erscheint der Streit, ob der Verzicht lediglich aus dem Gesichtspunkte der Gerechtigkeit oder auch aus dem der Rechtspolitik oder endlich aus dem des Mitleids geschehen dürfe, als ein durchaus müssiger. Nur das muss gesagt werden: es ist der Landesherr vor sich selbst verpflichtet die Gnade zu üben da, wo es sich handelt um den Ausgleich formeller und materieller Gerechtigkeit 17, und da, wo er sich überzeugt hat, das Urteil ruhe zum Nachteil des Angeklagten nicht auf dem Gesetz, nicht aber da, wo ihm cler Schuldbeweis nicht gelungen erscheint. Denn unsere Protokolle über Hauptverhandlungen geben gar kein Bilcl von den Beweisresultaten und die Vorakten häufig ein falsches. Im übrigen trägt für die Ausübung cler Begnadigungsgewalt ihr Inhaber die hohe Verantwortung vor Gott und Menschen; soll die Gnade die zu wreit gehenden Wirkungen des Strafgesetzes und des Strafurteils segensreich ermässigen, so wäre nichts verkehrter, als die Motive ihrer Ausübung a priori bestimmen zu wollen:' aus unberechenbar vielen Ursachen können Klage und Strafe ihre Gerechtigkeit, können sie ihre Notwendigkeit einbüssen. Diesen Ursachen nachzugehen, sie aus dem grossen Zusammenhange der Staatsaufgaben und Staatsbedürfnisse im Einzelfalle frei zu würdigen, sie wirken zu lassen ohne Erschütterung der Autorität von Gesetz und Urteil zur Heilung von Wunden, die Gesetz oder Urteil wider ihren Willen geschlagen haben, stets eingedenk der Wahrheit, dass die Gnade immer nur Ausnahme und nicht Regel sein darf 18 —, das gerade heisst das hohe Amt der Gnade üben. § 167. 2. D i e I n h a b e r cler d e u t s c h e n B e g n a d i g u n g s çewalt. T r a g w e i t e des e i n z e l n e n G n a d e n a k t e s im Reiche. I. Der Norddeutsche Bund fand seine sämmtlichen Gliedstaaten im Besitze einer meist durch ihre Verfassungen geregelten Begnadi16 So behauptet v. R ö n n e , Preuss. Staatsrecht 4. A u f l . I 548 gegenüber dem A r t . 49 der Preuss. V U . 17 So schon O e r s t e d S 453 ff.; V o l l g r a f f S 12; J a r c k e I 338. 339; A h e g g § 168; M a r e z o l l § 37; K ö s t l i n , Syst. I 633; M o h l a. a. 0 . S 639 ff. Dagegen V a s a l l i , K r i t . Untersuch. S 17 ff. 18

Darüber gut W a h l b e r g ,

Gesammelte k l . Schriften I I 132.

§ 167. 2. Inhaber der deutschen Begnadigungsgewalt.

865

gungsgewalt vor. Er wie das Deutsche Reich haben diese Gewalt unangetastet gelassen* sie haben sie nicht einmal aus einer originären in eine abgeleitete verwandelt; die Materie der Gnade ist Gegenstand der Reichsgesetzgebung nur soweit, als das Reich Inhaber des Begnadigungsrechts ist; im übrigen entscheidet über die Zuständigkeit dieses Rechtes und über dessen Umfang das Partikularrecht 1. II. Das Begnadigungsrecht des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reichs ist karg bemessen. 1. Das Gesetz betreffend die Organisation der Bundeskonsulate vom 8. November 1867 § 22—24 erklärt bis zum Erlasse eines gemeinen Gesetzes über die Konsulargerichtsbarkeit das Preussische Gesetz über diesen Gegenstand vom 29. Juni 1865 für anwendbar. Beide Gesetze schweigen über die Begnadigung. Letzteres setzt notwendig voraus, dass dem Könige von Preussen gegenüber den Urteilen der Preussischen Konsuln die Begnadigungsgewalt zustehe. Dem Könige von Preussen ist also, da das Bundesgesetz vom 8. November 1867 sein Begnadigungsrecht nicht aufhebt, die Begnadigungsgewalt gegenüber den Urteilen aller norddeutschen Konsulargerichte zugestanden. Ein Recht der Niederschlagung des begonnenen Prozesses besass der König nicht. Dieses Preussische Begnadigungsrecht ist bestehen geblieben bis zum Inkrafttreten des Reichsgesetzes über die Konsulargerichtsbarkeit vom 10. Juli 1879, dessen § 42 lautet: „In Strafsachen, in welchen der Konsul oder das Konsulargericht in erster Instanz erkannt hat, steht das Begnadigungsrecht dem Kaiser zu." Ein Abolitionsrecht hat der Kaiser dem Konsularstrafverfahren gegenüber, da nach § 25 dabei kein Staatsanwalt mitwirkt, in gar keiner Form. 2. Das allgemeine StGB erkennt die Gnade in Gestalt eines gänzlichen oder teilweisen Straferlasses an 2 , giebt jedoch dem Kaiser nicht einmal ein Begnadigungsrecht für die Fälle, wo er oder das Reich unmittelbar angegriffen sind, oder WTO ein Reichsbeamter wegen 1

Dieser Satz ist nur bezüglich der A b o l i t i o n bestritten und ist bei deren Darstellung genauer zu begründen. Dass der bestehende Rechtszustand auf die Dauer nicht ganz so bleiben kann, wie er ist, darüber s. bes. L ö w e , StPO 4. A u f l . S 23. Dass das landesherrliche Begnadigungsrecht, auch soweit es sich auf reichsrechtliche Verbrechen bezieht, der E i n w i r k u n g der Reichsgesetzgebung entzogen sei, behauptet fälschlich M e v e s i n v. Holtzendorffs Handb. d. Strafprozesses I I 493. 2 Das W o r t Gnade k o m m t i n i h m nicht vor. Ueber den Erlass der Strafe s. GB § 5 N r 3, § 36. 38 (der gänzliche Erlass der Freiheitsstrafe hindert nicht den Verlust der Ehrenrechte u n d die Entstehung des Rechts der Landespolizeibehörde zur Verhängung der Polizeiaufsicht). 79. 245. S. auch M G B § 13.

Binding, Handbuch. V I I . 1. I : B i n d i n g , Strafrecht. I.

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. Verzicht auf Strafklagrecht und Strafrecht.

eines Amtsverbrechens verurteilt worden ist. Als aber das GVG vom 27. Januar 1877 § 136 dem Reichsgerichte Erstinstanzgerichtsbarkeit für Hoch- und Landesverrat gegen Kaiser und Reich übertrug, bestimmte die deutsche StPO vom 1. Februar 1877 § 484: „In Sachen, in denen das Reichsgericht in erster Instanz erkannt hat, steht das Begnadigungsrecht dem Kaiser zu." Die Reichsgerichtskompetenz umfasst alle im GB § 80—92 unter Strafe gestellten Handlungen, soweit sie den Kaiser oder das Reich oder beide ausschliesslich oder in Gemeinschaft mit anderen Staaten zum Objekte haben, nicht aber die Begünstigung oder die unterlassene Anzeige dieser Verbrechen 3. Für die mit Hoch- und Landesverrat konnexen Straffälle besteht ein forum connexitatis beim Reichsgericht, sofern dieselben nicht lediglich durch Partikularrecht unter Strafe gezogen sind. Uebrigens besitzt der Kaiser auch dann das Begnadigungsrecht, wenn das Reichsgericht seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen haben sollte4. Der Kaiser kann aber nur begnadigen, wenn das Reichsgericht „erkannt hat" : den anhängigen Prozess vermag er nicht niederzuschlagen. 3. Nach dem Gesetze betreffend die Vereinigung von ElsassLothringen mit dem Deutschen Reiche vom 9. Juni 1871 § 3 übt der Kaiser die Staatsgewalt in Elsass-Lothringen aus, d. h. die durch französisches Staatsrecht normirte Staatsgewalt, die an das Deutsche Reich abgetreten ward 5 . Da weder die Reichsverfassung noch die Strafprozessordnung dem Kaiser ein Recht der Niederschlagung anhängiger Prozesse einräumt, besitzt der Kaiser auch für Elsass-Lothringen nur ein Begnadigungsrecht im e. S. Nach dem Gesetz betreffend die Verfassung und Verwaltung Eisass - Lothringens vom 4. Juli 1879 § 1 kann nun der Kaiser „landesherrliche Befugnisse, welche ihm kraft Ausübung der Staatsgewalt in Elsass-Lothringen zustehen, einem Statthalter übertragen", und durch Kaiserliche Verordnung vom 23. Juli 1879 Nr 2 erhielt der Statthalter „die Befugniss zum Erlass von Geldstrafen, welche durch richterliches Urteil oder im Verwaltungswege 3

Verkehrt L o e b a. a. 0 . S 25 ff. Richtig L ö w e zu G V G § 136 A n m 3a. Sehr richtig L ö w e a. a. 0 . S 23: „ E i n e vom Reichsgericht i n 1. Instanz erkannte Strafe unterliegt i n keinem Falle und in keinem Punkte dem Begnadigungsrechte eines Landesherrn oder Senates." 5 Bezüglich des Begnadigungsrechtes stand damals noch der sénatusconsulte vom 25. Dez. 1852 A r t . l . i n K r a f t : L ' E m p e r e u r a le droit de faire grâce et d'accorder d'amnistie. E r s t durch Gesetz vom 17. J u n i 1871 A r t . 1 — also nach Abtretung von Eisass - L o t h r i n g e n — wurde bestimmt : Les amnisties ne peuvent être accordées que par une loi. 4

§ 167. 2. Inhaber cler deutschen Begnadigungsgewalt.

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rechtskräftig erkannt sind, und die Befugniss zur Gewährung der Rehabilitation"6. Diese Delegation Kaiserlichen Begnadigungsrechtes auf den Statthalter, die sich aber nur auf echte Geldstrafen, nicht auf Vermögensstrafen im weiteren Sinne bezieht, ist keine solche, die dem Kaiser das Begnadigungsrecht auf diesem Gebiete völlig entzöge7. 4. Soweit von Reichsbehörden Strafen im \rerwaltungswege festgesetzt werden können, steht natürlich dem Reiche, d. h. dem Kaiser das Recht der Gnade zu 8 . III. Im übrigen liegt die Begnadigung bei den 22 deutschen Bundesfürsten und den drei Senaten der deutschen Hansestädte. Wie aber vor Gründung des Norddeutschen Bundes jeder Staat nur verzichten konnte auf die Strafrechte, die ihm erwuchsen aus den Sprüchen seiner Gerichte und seiner Verwaltungsbehörden, und auf seine eigenen, nicht aber auf fremde Strafklagrechte, so ist jedem von ihnen auch im Norddeutschen Bunde und im Deutschen Reiche das Begnadigungsrecht nur in dieser Beschränkung geblieben. Grundlos behauptet H e i n z e : „die Reichsgesetzgebung (habe) die Zahl der Fälle vervielfältigt, in welchen jeder deutsche Staat die Strafe zu erlassen berechtigt ist" . . . „denn jedes im RStGB bedrohte Verbrechen (kann) in jedem Stadium von jedem deutschen Einzelstaate rechtsgültig er6 Die im folgenden Satze erwähnte Befugniss zum Erlass von Steuern u. s. w., „ z u r Niederschlagung von Kassendefekten und fiskalischen Forderungen" ist nicht als Recht der Niederschlagung von Strafklagen zu verstehen. 7 Falsch L o e b S 41. — Das durch Ges betr. die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten vom 31. März 1873 § 118 dem Kaiser eingeräumte Recht „ d i e von den Disziplinarbehörden verhängten Strafen zu erlassen u n d zu mildern" gehört ebensowenig i n das Strafrecht, wie das durch Ges betr. die Untersuchung von Seeunfällen vom 27. J u l i 1877 § 34 dem Reichskanzleramt eingeräumte Rehabilitirungsrecht. 8 Dies gilt besonders auch von dem durch das Postgesetz vom 28. Okt. 1871 § 34 ff. normirten „Strafverfahren bei Post- und Portodefraudationen". D a die durch die K . Preuss. Kabinetsordres vom 3. Dez. 1828 und vom 22. Jan. 1829 dem Generalpostmeister erteilte Ermächtigung Strafen wegen Postkontraventionen oder Postdefraudationen bis zu 10 Thaler zu erlassen (s. v. R ö n n e , Preuss. Staatsrecht 4. A u f l . I 547) m i t der Gründung des Norddeutschen Bundes erloschen ist, da das Reich eine delegirte Begnaiigungsgewalt des Staatssekretärs des Reichspostamtes nicht geschaffen hat, so ist allein der Kaiser i n der Lage die von den Reichspostbehörden ausgeworfenen Strafen zu begnadigen. Unverständlich D a m b a c h , Das Gesetz über das Postwesen des Deutschen Reichs 4. A u f l . Berlin 1881. S 145, der bemerkt: „ D i e weitere Behandlung dieser Gnadensachen richtet sich nach den Landesgesetzen."

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. Verzicht auf Strafklagrecht und Strafrecht.

lassen werden" 9. Dann hätte ja die Reichsgesetzgebung ein vielfältiges Reichsbegnacligungsrecht aufgestellt und nur vergessen dem Reiche selbst eines davon zu überweisen! Keine Macht hat aber Preussen über ein Bayerisches Strafrecht, ebensowenig Sachsen über ein Preussisches Strafklagrecht. Nun wird 1. durch das Urteil auch das auf Grund Reichsrechts erwachsene, also prinzipiell dem Reiche zustehende Strafrecht zu einem Strafrecht des Staates, dessen Gericht oder Verwaltungsbehörde in erster Instanz gesprochen hat 1 0 . Nicht gehen Erstinstanzgerichtsbarkeit und Begnadigungsgewalt parallel, weil die Begnadigung Anwendung der Urteilsgewalt wäre, sondern weil das Urteil erster Instanz über den Staat entscheidet, dem der Strafanspruch zusteht. Mit der Rechtskraft dieses Urteils sind alle Strafklagrechte aus demselben Tatbestande konsumirt und das Strafrecht ist definitiv Besitztum des Reichs selbst oder häufiger eines der Bundesstaaten geworden. Deshalb wirkt dessen Gnadenakt gerade, als ginge er vom Reiche aus: jeder andere deutsche Staat hat ihn zu respektiren 11 und die Möglichkeit einer Begnadigung 9 S. dessen Erörterungen zum Entwürfe eines norddeutschen Strafgesetzbuchs S 70 ff.; dessen Strafprozessuale Erörterungen. Stuttgart 1875. S 120 ff. H e i n z e steht m i t seiner A n s i c h t , die übrigens i n seiner Auffassung der Gnade als einer lex specialis wurzelt, ganz allein. 10

So auch L ö w e a. a. 0 . S 24; B e r n e r § 178 S 346. Unklare Polemik bei v. L i s z t , Lehrb. S 282 A n m 11. I n den Gründen falsch L o e b S 12 ff. 11

Diesen Grundsatz hat das Reich wiederholt und zwar gerade i n solchen Fällen anerkannt, wo s e i n e Z o l l - u n d Steuerrechte verletzt worden sind. S. 1. V e r t r a g b e t r . d i e F o r t d a u e r d e s Z o l l - u. H a n d e l s v e r e i n s vom 8. J u l i 1867 A r t . 18 (vgl. A r t . 10 al. 2): „Das Begnadigungs- und Strafverwandlungsrecht bleibt jedem Vereinsstaate i n seinem Gebiete vorbehalten." (Nach R V A r t . 40 ist diese Bestimmung neben der R V i n Kraft geblieben.) 2. G e s b e t r . d i e S i c h e r u n g d e r Z o l l v e r e i n s g r e n z e vom 1. J u l i 1869 A r t . 15: „Das Begnadigungs- und Strafmilderungsrecht verbleibt dem Staate, von dessen Behörde die Strafe erkannt ist." D o c h ist vorher die zuständige Z o l l - oder Steuerbehörde zu hören. 3. G e s b e t r . d i e S i c h e r u n g u. s. w. vom 28. J u n i 1879 (dehnt das Ges sub 2 von den vom Zollverein ausgeschlossenen Hamburger auf die von i h m ausgeschlossenen Bremischen Gebietsteile aus). 4. G e s b e t r . d i e W e c h s e l s t e m p e l s t e u e r vom 10. J u n i 1869 § 18 erklärt i n Betreff der Strafmilderung und des Erlasses i m Gnadenwege die Vorschriften über das Verfahren i n Zollstrafsachen für anwendbar; ganz analog 5. B r a u s t e u e r g e s e t z vom 31. M a i 1872 § 4 1 ; 6. G e s b e t r . d e n S p i e l k a r t e n s t e m p e l vom 3. J u l i 1878 § 19; 7. T a b a k s s t e u e r g e s e t z vom 16. J u l i 1879 § 4 6 ; 8. freilich nur m i t Bezug auf Ordnungsstrafen G e s b e t r . d i e S t a t i s t i k d e s W a a r e n v e r k e h r s vom 20. J u l i 1879 § 17; endlich 9. G e s b e t r . d i e E r h e b u n g v o n R e i c h s s t e m p e l a b g a b e n v. 1. J u l i 1881 § 24. A l l e diese Gesetze heben hervor, dass das Recht auf die Geldstrafen dem urteilen-

§ 168. 3. Verzicht auf die Straf klage.

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desselben Verbrechers wegen derselben Tat durch einen andern Staat ist verschwunden. Daraus erhellt, dass der Untertanenverband für die Gnadengewalt gar nicht in Betracht kommt: es entscheidet allein die Staatsangehörigkeit des Gerichts erster Instanz. 2. Stehen aus demselben reichsstrafrechtlichen Tatbestand mehreren Staaten Straf klagrechte zu, so sind dies nicht abgeleitete, sondern originäre Klagrechte dieser Staaten. Deshalb kann der Verzicht des einen Staates auf das seine, selbst wenn der verzichtende Staat das Reich wäre, allein das Strafklagrecht dieses einen Staates tilgen 12 . Nur eine unklare Auffassung von der Einheitlichkeit deutscher Rechtspflege vermag hier bei dem Resultate anzulangen, dass ein deutscher Staat auf Strafklagen eines andern verzichten könnte. Ist eine Strafsache in Sachsen beim forum domicilii anhängig, so soll beim Preussischen Gericht des Tatortes während jener Anhängigkeit nicht geklagt werden ; allein sobald der Prozess in Sachsen niedergeschlagen wird, steht der Klage in Preussen, das ja eine Abolition nicht kennt, nichts im Wege. § 168. 3. Der V e r z i c h t auf das S t r a f k l a g r e c h t , Abolition.

die sog.

Gegenstand des Verzichts ist entweder das Recht auf öffentliche oder das auf Privatklage. Der Verzicht ist entweder widerruflich oder nicht; er ist erzwungen oder freiwillig; er wirkt entweder die Nichterhebung der Klage oder aber die Notwendigkeit das schon begründete Prozessrechtsverhältniss durch Einstellung zu enden: er wirkt prozesshindernd oder prozessaufhebend 1. Soviel Klagrechte, so viel Verzichte sind nötig. Nicht einmal bei Klagenhäufung wider einen oder mehrere Verbrecher muss die Abolition alle verbundenen Prozesse gemeinsam niederschlagen. I. Durchaus verzichtbar und zwar in jeder Lage des Verfahrens bis zur Verkündung des Urteils zweiter Instanz i s t das P r i v a t k l a g r e c h t (StPO § 431). Der Verzicht nach begründetem Prozessden Staate zustehe. — Vgl. auch noch die interessanten Bestimmungen des Z o l l kartells zum Handelsvertrage mit Oesterreich-Ungarn vom 23. M a i 1881 § 23. 12 Richtig L ö w e a. a. 0 . S 24; G e y e r , H R L e x s. v. Begnadigung I 254. A n d . Mein. H e i n z e , Strafproz. E r ö r t . S 122; M e y e r , Lehrb. § 7 1 S 415; L o e b S 45 (ganz verfehlt S 49). 1 Die Notwendigkeit der Einstellung folgt aus dem Wegfall des Klägers als unentbehrlichen Prozesssubjekts. — Uebrigens w i r k t selbst die unwiderrufliche A b o l i t i o n n i e mittelbar den Untergang des auf gemeinen Gesetzen ruhenden Strafrechts. So wenig „ t i l g t die A b o l i t i o n das Verbrechen"!

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. Verzicht auf Strafklagrecht und Strafrecht.

rechtsverhältnisse und der Verzicht, sei er Gratisverzicht oder Verzicht gegen Aequivalente beim Sühnetermin sind unwiderruflich (StPO § 420. 432). Der Verzicht kann nur ausgehen von dem Privatkläger in Person : das Privatklagverfahren kann auch in den Staaten, welche die Abolition zulassen, nicht durch den Landesfürsten niedergeschlagen werden. Bei mehreren Privatklagberechtigten wirkt der Verzicht des einen nur für ihn, nicht für die andern. II. Das Recht zur ö f f e n t l i c h e n K l a g e i s t 1. u n b e s t r i t t e n V e r z i c h t b a r vor B e g r ü n d u n g des P r o z e s s r e c h t s v e r h ä l t n i s s e s . Dies gilt ebenso für das Reich wie für alle Bundesstaaten. Subjekt des Verzichts ist aber nicht die einzelne Staatsanwaltschaft, sondern der Gerichtsherr als Inhaber des Klagrechts. Da nach GVG § 147 die Beamten der Staatsanwaltschaft den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzten Folge zu leisten haben, da nach GVG § 148 die Leitung der Reichsanwälte dem Reichskanzler, die der Staatsanwälte den einzelnen Landesjustizverwaltungen zusteht, so sind alle Staatsanwälte der Weisung ihrer Vorgesetzten eine begründete Klage nicht zu erheben Gehorsam schuldig2. Dieser Verzicht auf das Strafklagrecht ist eine innerhalb der Verjährungsfrist jederzeit widerrufliche Abolition. Gegenstand des Verzichtes ist die Klage, die im verzichtenden Staate hätte erhoben werden können3. 2. D i e A b o l i t i o n nach b e g r ü n d e t e m P r o z e s s r e c h t s v e r h ä l t n i s s e , d. h. nach Annahme der Klage durch das Gericht, ist in zwei Fällen reichsrechtlich anerkannt: a. bei Antragsverbrechen zwingt die statthafte rechtzeitige Rücknahme des Antrags den Staat zum Verzicht auf sein Klagrecht 4. Solche Rücknahme ist tatsächlich Abolition, rechtlich aber nur Zwang zu solcher. Nicht ist dagegen die Stellung und Aufrechthaltung des Antrags ein rechtliches Hinderniss gegen die Abolition. b. Bemerkenswert vor allem auch durch die Klarheit des Motives der Abolition ist die Satzung der StPO § 208, wonach der Staatsanwalt ohne dazu der Weisung eines Vorgesetzten zu bedürfen bei Klagenhäufung wider denselben Angeklagten die vorläufige Einstellung 2

Eine Ausnahme dieser Verpflichtung w i r d durch die Herbeiführung des Gerichtsbeschlusses, es sei die öffentliche Klage zu erheben, begründet. S. StPO § 169—173. 3 R i c h t i g M e y e r § 71 S 414. 4 S. oben § 135 S 647 ff. — S. auch Z o l l k a r t e l l zum Handelsvertrag m i t Oesterreich-Ungarn vom 23. M a i 1881 § 22: „ E i n e nach . . . . § 17 eingeleitete Untersuchung ist . . . . auf A n t r a g der Behörde desjenigen Staates, welcher dieselbe veranlasst hatte, sofort einzustellen."

§ 168. 3. Verzicht auf das Straf klagrecht.

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des Verfahrens bezüglich einiger Klagen beantragen und das Gericht sie beschliessen kann, wenn ihre Weiterführung die Strafzumessung voraussichtlich nicht beeinflussen wird. Dieser Verzicht ist innerhalb dreier Monate nach Rechtskraft des Urteils widerruflich, nach Ablauf dieser Frist wird die Abolition endgiltig. Die Weiterführung der Klage hat sich als zwecklos ergeben5. 3. Die Zulässigkeit einer im Reichsrecht nicht ausdrücklich anerkannten Niederschlagung des begründeten Prozesses ist bestritten 6. Da die Reichsstrafprozessordnung einheitliches Prozessrecht für das deutsche Recht schaffen will, da sie dem Kaiser ein Abolitionsrecht versagt, auch im Verlaufe ihrer Bestimmungen auf die Möglichkeit der Abolition gar keine Rücksicht nimmt* liegt der Schluss sehr nahe, sie habe das Abolitionsrecht stillschweigend beseitigt 78 . Denn unleugbar ist es eine sehr bedenkliche Anomalie, wenn die Abolition dem Reiche versagt, seinen Gliedstaaten teilweise versagt, teilweise gewährt ist. Beachtet man aber die strenge Zurückhaltung des StGB, das in das landesherrliche Begnadigungsrecht geflissentlich nicht ein5

Beachte auch StPO § 451, 1. Dagegen Binding, Grundriss I 190; J a s t r o w , GS X X X I V 1883 S 532 ff.; J o h n , Die Strafprozessordn. I. 1884. S 108 ff.; v. K r i e s , Ζ f. S t R W V 12; B ö t t c h e r , Das Strafrecht Waldecks, bei Marquardsen, Handbuch I I I , I I I S 154. — D a f ü r L ö w e a. a. 0 . S 2 4 ; ν. S c h w a r z e , StPO zu § 484 (wo die gemachte Anwendung des Gedankens aber durchaus falsch ist); M e v e s i n H H I I 495; M e y e r , Lehrbuch § 7 1 S 415; H e i n z e , Strafproz. E r ö r t . S 122; H ä l s c h n e r , D. StR I 728. 729; v. L i s z t , Lehrb. S 281; G e y e r , Grundriss I 203; G. M e y e r , Staatsrecht S 447; S a r w e y , Staatsr. des Königr. Württemberg I I 101 ff.; G a u ρ ρ über dasselbe bei Marquardsen I I I , 1 2 S 7 0 ; L i e b m a n n , Staatsrecht von Reuss ä. L . , bei Marquardsen I I I , I I 2 S 184; S o n n e n k a l b , Staatsrecht von S. - A l t e n b u r g , das. S 99; F o r k e l , Staatsrecht von KoburgGotha, das. S 117; K i r c h e r , Staatsrecht von S.-Meiningen, das. S 3 3 ; K l i n g h a m m e r , Staatsrecht von Schwarzburg-Rudolstadt, das. S 146. 7 I c h selbst habe i h n Grundriss I 190 gezogen. 8 Eine ausdrückliche Beseitigung liegt nicht vor. Gar nicht hierher gehören 1. G V G § 16: „Ausnahmegerichte sind unstatthaft. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden." Der Sinn des 2. Satzes w i r d durch den 1. ganz k l a r : untersagt ist die Vertauschung des ordentlichen m i t dem Ausnahmegericht, aber nicht die A b o l i t i o n . 2. StPO § 154: „ D i e öffentliche Klage kann nach Eröffnung der Voruntersuchung nicht zurückgenommen werden." Dieses scheinbare Verbot der A b o l i t i o n w i l l aber nur festsetzen, dass der Staatsanwalt gebunden bleibt an das Gericht, das seine Klage angenommen hat. Der Satz regelt das Verhältniss des Vertreters des Klagberechtigten, nicht des letzteren selbst, zum Gericht. Gäbe die StPO, was sie nur für die Hauptverhandlung tut, dem Angeklagten ein Recht auf Urteil, dann wäre allerdings damit das Abolitionsrecht beseitigt. ϋ

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V. Verzicht auf Strafklagrecht und Strafrecht.

greift, bemerkt man, wie die StPO diese Zurückhaltung fortsetzt und über das bekannte Abolitionsrecht der Landesfürsten kein Wort verlautbart, während doch die Aufhebung dieses ihnen verfassungsmässig zustehenden Rechtes ausdrücklich und unmissverstehbar zu erfolgen gehabt hätte, berücksichtigt man ferner, wie dem Reiche die Rechte mehrfach karger bemessen sind als den Bundesstaaten, so ist der Schluss unumgänglich: das Abolitionsrecht ist da, wo es bestand, unangetastet geblieben9. 9

I c h mache zuvörderst darauf aufmerksam, dass die Begnadigung von Ministern, die nicht kriminell, sondern konstitutionell zur Verantwortung gezogen sind, m. E . schlechterdings zum Strafrecht nicht gehört (and. Mein, neuerdings wieder H a u k e , Ministerverantwörtlichkeit. W i e n 1880, bes. S 18 if.). S. darüber S a m u e l y , Das Princip der Ministerverantwortlichkeit. Berlin 1869. § 13: Begnadigung (S 119 ff.); H a u k e a. a. 0 . S 145 ff. — Preuss. V U A r t . 49, 2 ; Bayer. Ges vom 4. J u n i 1848 A r t . 12; Sachsen § 150; W ü r t t . § 205; Baden § 67 a al. 5 ; Sachsen-Weimar-Eisenach § 59; Oldenburg A r t . 10; Braunschw. § 111: Sachs.-Mein. § 10G N r 2 ; Koburg-Gotha § 176; W a l d e c k § 12, 2 ; Reuss j . L . § 116; Schaumburg-Lippe A r t . 10. — Sie bleibt also hier wie i m folgenden Paragraphen bei Seite. — Es zerfallen nun bezüglich der A b o l i t i o n die neueren Verfassungsgesetze in folgende Gruppen. Sie w i r d dem Landesherrn 1. a u s d r ü c k l i c h u n d u n b e s c h r ä n k t g e w ä h r t : S a c h s e n § 52; K o b u r g - G o t h a § 140; W a l d e c k § 12, 1 (ausser der A b o l i t i o n auch die Amnestie); R e u s s ä. L . § 4 5 ; R e u s s j . L . § 7 ; S c h a u m b u r g - L i p p e A r t . 10 (vgl. H a n n o v e r § 9 al. 4 ; O e s t e r r e i c h . S t a a t s g r u n d g e s e t z ü b e r d i e r i c h t e r l i c h e Gew a l t vom 21. Dez. 1867 A r t . 13; O e s t e r r . StPO § 2 al. 4 ; T h ü r . StGB § 6 9 ) ; 2. a u s d r ü c k l i c h , a b e r m i t B e s c h r ä n k u n g e n g e w ä h r t : W ü r t t e m b e r g § 97, 2 u. 3 („wenn nach dem Gutachten des königl. Justizministeriums hinlängliche Gründe dazu vorhanden sind"); B r a u n s c h w e i g § 208 (nach gutachtlicher Aeusserung des O A G ) ; S a c h s e n - A l t e n b u r g § 8. 84 (die wegen Dienstverbrechen eingeleiteten Untersuchungen werden nie niedergeschlagen); H e s s e n A r t . 50 (Untersuchungen gegen Staatsdiener wegen Dienstverbrechen sind nicht niederzuschlagen); B r e m e n § 57 i (Begnadigung, Milderung und A b o l i t i o n i n Strafsachen nach vorgängigem Gutachten des dafür zuständigen Gerichts); 3. s t i l l s c h w e i g e n d g e w ä h r t : S a c h s e n - W e i m a r - E i s e n a c h § 59 (per argum. e contrario); 4. u n t e r d e r a l l g e m e i n e n B e z e i c h n u n g d e r B e g n a d i g u n g m i t g e w ä h r t : O l d e n b u r g A r t . 10; S a c h s e n - M e i n . § 106; 5. a u s d r ü c k l i c h v e r s a g t : P r e u s s e n A r t . 49, 3 ; B a y e r n T i t . V I I I § 4 (Eine A b o l i t i o n auf Grund eines Gesetzes, wie sie Preussen A r t . 49, 3 gestattet, muss durchweg für statthaft erklärt werden, da das Reich nicht die Notwendigkeit anerkennt jeden begonnenen Prozess bis zum U r t e i l zu führen. — Ohne in die Kontroverse über die sog. formellen Gesetze einzutreten bemerke ich, dass nur da, wo das Gesetz den Landesherrn zum Verzicht ermächtigt, es zum Rechtsgeschäft der A b o l i t i o n kommt. Andernfalls werden die Strafklagrechte gesetzlich, also gerade nicht durch A b o l i t i o n geendet.); 6. s t i l l s c h w e i g e n d v e r s a g t durch ausdrückliche Gewährung der selbstverständlichen Begnadigung i m e. S., aber Uebergehung der nicht selbstverständlichen A b o l i t i o n mit Stillschweigen : B a d e n § 15 al. 3 ;

§ 169. 4. Verzicht auf StR, Begnadigung im e. S.

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IV. Ist ein Prozess in einem Lande anhängig, wo nicht abolitionirt werden kann, und wird er nun gemäss StPO § 4 an das Gericht eines Landes verpflanzt, wo Abolition zulässig erscheint, so unterliegt auch er der Niederschlagung. V. Die Abolition ist wo überhaupt, da bis zur Rechtskraft des Urteils, also auch in der höheren Instanz zulässig. Sie tilgt nicht das Verbrechen, sondern nur das Klagrecht; sie verneint nicht wie das freisprechende Urteil die Existenz des Strafrechts; sie steht an wirkender Kraft der Freisprechung nicht gleich 10 . § 169. 4. Der V e r z i c h t auf das S t r a f r e c h t , die Beg n a d i g u n g i m engeren Sinne. I. Da das heutige gemeine Strafrecht eine Privatstrafe nicht mehr kennt 1 , so ist der allein zum Verzicht auf das Strafrecht Befähigte im Reiche der Kaiser, in den Monarchien der Monarch, in den Republiken der Senat. II. Die Gnade ist Verzicht auf das Strafrecht, lässt also alle Rechte des Staates, die nicht auf Strafe gehen, und alle Rechte Privater unberührt 2. Alle Rechte, welche wegen mangelnder Strafnatur der Strafvollstreckungsverjährung entzogen sind, sind auch für die Gnade unangreifbar 3. Möglich, dass sie dem Staate zustehen und dieser auf sie verzichten kann: dieser Verzicht aber ist keine Gnade4. H a m b u r g A r t . 24 (vgl. A r t . 62, wonach die A m n e s t i e Gegenstand der Gesetzgebung ist). D i e s e B e s c h r ä n k u n g e n d e s A b o l i t i o n s r e c h t e s b e z i e h e n s i c h a b e r m e i n e r A u f f a s s u n g n a c h n u r a u f die b e i G e r i c h t anh ä n g i g e n S t r a f s a c h e n n i c h t auf das V e r w a l t u n g s s t r a f v e r f a h r e n . W o die Verfassungen keine Beschränkungen des Begnadigungsrechts enthalten, steht dem Landesherrn auch die A b o l i t i o n zu. 10 A m wenigsten ist sie eine anticipirte Freisprechung. 1 S. aber die interessante Bestimmung des braunschw. StGB § 247 al. 4 : „ B e i Ehrenkränkungen verbleibt dem Beleidigten indess das Recht, dem Beleidiger die Strafe ganz oder teilweise zu erlassen." Ueber die Unzugänglichkeit der Privatstrafen für die landesherrliche Gnade s. auch P I o c h m a n n S 74; H e i n z e bei H H I I 636. 2 Dass die Busse keine Strafe ist, erkennt L o e b S 76 ff. an, dass die weitestgehende Gnade das Bussurteil doch aufhebt, w i r d von i h m S 80. 81 ausgeführt. Ist schon gezahlt, so giebt er die cond. i n d e b i t i ! 3 S. oben S 854. 4 Dies w i r d vielfach übersehen. — So steht dem Staate zu 1. die Unterbringung einer jugendlichen Person in eine Besserungsanstalt nach § 55, 2. 56, 2 trotz des Beschlusses der Vormundschaftsbehörde und trotz des Urteils zu untersagen; 2. ebenso kann die höhere Landespolizeibehörde auf i h r Recht den

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V. Verzicht auf Strafklagrecht und Strafrecht.

Es ist behauptet worden, dass, wenn auch die Gnade das Recht der Stellung des Verurteilten unter Polizeiaufsicht (GB § 88) oder seiner Unterbringung in ein Arbeitshaus (GB § 362) nicht ergreife, dennoch die völlige Begnadigung die Entstehung jener beiden Rechte unmöglich mache5. Denn jene Stellung unter Polizeiaufsicht könne nur „nach Anhörung der Gefängnissverwaltung" und diese Unterbringung in ein Arbeitshaus nur „nach verbüsster Strafe" eintreten. Dem ist zu erwidern, dass § 38, 3 den Tag des Straferlasses ausdrücklich als den Entstehungstag des Rechts zur Stellung unter Polizeiaufsicht bezeichnet, und dass eben die Einvernehmung der Gefängnissverwaltung da sinnlos ist, wo der Verurteilte nicht gesessen hat; dass ferner § 38, 3 auf das polizeiliche Recht des § 362, 2 analog anzuwenden ist 6 . III. Die Begnadigung gilt nicht dem Verbrechen, sondern dem einzelnen Straferduldungspflichtigen. Die Begnadigung des Täters wirkt deshalb nicht zu Gunsten des Anstifters oder des Gehilfen 7 ; wohl aber befreit die Begnadigung des „eigentlich Schuldigen" den kriminellen Bürgen von seiner Haftpflicht 8. IV. Die Begnadigung ist eine völlige oder eine teilweise. 1. Die völlige Begnadigung ist Verzicht auf das ganze Strafrecht wider den einen Verurteilten. Sie kann also nur vor Beginn der Strafvollstreckung eintreten 9. Sie ist nie ganz möglich, wenn das Urteil auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte lautet: denn auch bei voller Restitution bleibt der Ehrverlust zwischen dem Tage der Rechtskraft und rlem der Gnade irreparabel 10. Doch empfiehlt sich Verurteilten unter Polizeiaufsicht zu stellen oder in ein Arbeitshaus unterzubringen (s. G B § 38, 2. 362, 2) verzichten und kann der Monarch sie anweisen von diesen Rechten keinen Gebrauch zu machen; 3. nicht minder k a n n der Fiskus auf seine Forderung gegen den Nachlass eines zu Geldstrafe Verurteilten (GB § 30) verzichten, und w i r d man 4. dem Staate das Recht zusprechen müssen die i m objektiven Strafverfahren erkannten polizeilichen Maassnahmen (GB § 42) unvollzogen zu lassen: aber auch die verwandelten Strafrechte (s. oben § 108 S 496 ff.) sind nach ihrer Verwandlung der „Gnade" i m Rechtssinne entzogen. 5. E n d l i c h ist der Anspruch des Fiskus auf die Kosten des Verfahrens zweifellos verzichtbar, aber die Gnade als solche ergreift die Kosten n i e ! 5 So L o e b S 62. 63. Vgl. M e y e r , Lehrb. § 71 S 418 A n m 24. 6 S. oben S 854. 7 Gerade umgekehrt L o e b S 65. 8 S. oben § 105 S 488 ff. Gut darüber L o e b S 66. 9 Dies g i l t streng genommen auch von den Geldstrafen, obgleich hier eine Rückerstattung der vollen Summe auch nach dem Vollzuge möglich ist. 10 Man sehe die seltsamen Konsequenzen L o e b s S 63. 64.

§ 169. 4. Verzicht auf StR, Begnadigung im e. S.

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trotz der eben angedeuteten Ungenauigkeit diese Restitution als Teil der völligen Begnadigung mitzubetrachten. 2. Die völlige Begnadigung ist das Gegenteil eines freisprechenden Urteils. Dieses verneint die Existenz des staatlichen Strafrechts, jene beseitigt ein rechtskräftig festgestelltes Strafrecht. Der Freigesprochene ist nicht, der Begnadigte ist allerdings überwiesener Verbrecher. Daraus erklärt sich, dass trotz voller Begnadigung die Tat, derentwegen jene erfolgt ist, bei dem Rückfall in Anrechnung gebracht werden kann 11 . Ja diese Wirkung rechtskräftiger Verurteilung ist nach dem StGB der Gnade unangreifbar: jene Anrechnung muss heute stattfinden, auch wenn der Inhaber der Gnade wegen ungerechter Verurteilung begnadigt hat. 3. Kein Strafrecht ist heute dem Verzicht durch Gnade entzogen12. Keinem Grunde ist die den Inhaber der Gnade motivirende Wirkung versagt 13. An niemandes Zustimmung ist dieser gebunden14. Das Begnadigungsrecht ist ein unbeschränktes Recht. 4. Die volle Begnadigung tilgt nicht nur das Recht auf die Hauptstrafe, sondern auch auf alle Nebenstrafen, mögen sie Geldstrafen, Einziehungen oder Unbrauchbarmachungen sein. Einer genaueren 11

S. GB § 245. 250, 5. 261. 264.

Vgl. K ö s t l i n , Syst. I 645.

12

D i e Beschränkungen des Begnadigungsrechts bestehen nur gegenüber der konstitutionellen, nicht gegenüber (1er kriminellen Verantwortlichkeit der Staatsminister. Beachte aber G r u n d g e s e t z f. S . - A l t e n b u r g § 84, 2 : . . . „solche Beamte, gegen welche der Richterspruch (wegen Dienstverbrechen) unbedingte Entsetzung ausspricht, erhalten nie wieder eine Anstellung." Aehnlich H e s s e n A r t . 50 a. E . 13

Den einzigen Versuch einer A r t von Beschränkung macht die V U § 97: „ D e r K ö n i g w i r d jedoch bei Ausübung sowohl des einen als deren Rechtes (des Rechts zur A b o l i t i o n und zur Gnade) darauf Rücksicht dass dem Ansehen und der W i r k s a m k e i t der Strafgesetze dadurch nicht getreten werde." 14

Württ. des annehmen, zu nahe

Beachte aber H a m b u r g V U A r t . 23, 2. — S. auch Z o l l k a r t e l l zum Handelsvertrag m i t Oesterreich-Ungarn vom 23. M a i 1881 § 23: „ E s soll jedoch vor derartigen Straferlassen oder Strafmilderungen der zuständigen Behörde des Staates, dessen Gesetze übertreten waren, Gelegenheit gegeben werden sich darüber zu äussern." Vgl. ferner oben § 168 A n m 9 sub 2 u. 3. Vgl. auch W ü r t t . V U § 97, wonach der K ö n i g begnadigt „auf erforderten und erstatteten Bericht des erkennenden Gerichts" (s. dazu A G zur StPO vom 4. März 1879 A r t . 8. 9. 10 und die interessante K V vom 25. Sept. 1879, RB1 1879 S 53. 353 ff.). — B r e m e n V U § 57 i : Sache des Senates ist . . . : „Begnadigung, Milderung u n d A b o l i t i o n i n Strafsachen nach vorgängigem Gutachten des dafür zuständigen Gerichts."

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V. Verzicht auf Strafklagrecht und Strafrecht.

Betrachtung bedürfen die Strafen in Gestalt der Verwirkung 15 . Dazu gehören nach dem StGB die ipso jure eintretenden Ehrenwirkungen der Zuchthausstrafe (GB § 31), der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte (GB § 32 ff.), die Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter (GB § 35. 358), zur Beschäftigung im Eisenbahn- oder Telegraphendienste (GB §319), die Unfähigkeit des Meineidigen als Zeuge oder Sachverständiger eidlich vernommen zu werden (GB § 161). Das Strafrecht geht hier auf dauernde Duldung des Verlustes durch den Verurteilten. Nun erwähnt das heutige gemeine Recht des Erlasses dieser Strafen, welcher Gnadenakt in einer Wiederverleihung der verlorenen Fähigkeiten oder Rechte bestehen muss und demgemäss r e s t i t u t i o ex c a p i t e g r a t i a e , auch R e h a b i l i t a t i o n genannt wird, mit keinem Worte. Dennoch wird man diesen Teil des Begnadigungsrechtes als allen Inhabern der Begnadigungsgewalt zuständig betrachten müssen16. Es stösst nun die Wiedererstattung von Fähigkeiten bei ihrer Ausführung auf gar keine Schwierigkeiten, wohl aber die Wiederverleihung aberkannter Aemter. Wenn der Begnadigte ein Beamter des begnadigenden Landesherrn n i c h t ist, so kann letzterer ihm sein verlorenes Reichsamt oder Staatenamt nicht wiederschaffen. Mit andern Worten : eine volle Begnadigung setzt hier ein Zusammenwirken mehrerer Inhaber der Gnadengewalt voraus. 5. Die gleiche Notwendigkeit kann sich ergeben, falls eine völlige Begnadigung gegenüber einer auf Grund des GB § 79 erkannten Gesammtstrafe eintreten soll und die nach einander erkennenden Gerichte nicht demselben Staate angehören17. Denn es ist auf Grund des GB nicht richtig, dass hier dem Staate, dessen Gericht zuletzt die Gesammtstrafe auswirft, das volle Begnadigungsrecht zuwachse18, wie i h m denn auch n i c h t die ganze \ T o l l s t r e c k u n g s l a s t zuwächst. Vielmehr ist zu scheiden: 15

Die Verwirkungen i n Folge Verbrechens, die nicht Strafen sind (vgl. darüber oben S 328 if.), sind der Gnade entzogen. 16 D a aber nach GB § 36 der Erlaes der Hauptstrafe den der Ehrenstrafe nicht i n sich schliesst, ist unmissverstehbare Ausdehnung der Gnade auf die verwirkten Rechte zu verlangen. — Ferner ergiebt sich aus StPO § 56, 3 evident, dass die Gnade dem verurteilten Teilnehmer die Fähigkeit als Zeuge eidlich vernommen zu werden nicht wiederverleihen kann. 17 Ueberall, wo bei Realkonkurrenz einfache Strafenkumulation eintritt (StGB § 75, 1. 77, 1. 78) ist die Verteilung der Begnadigungskompetenz zwischen den mehreren aburteilenden Staaten durchaus klar. 18 So L ö w e a. a. 0 . S 2 4 ; L o e b S 50 ff.

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a. die Gesammtstrafe ist ein grösseres Quantum der im früheren Urteil schon verwendeten Strafart. Das Preussische Landgericht hat wegen Diebstahls auf 3 Jahre Gefängniss erkannt, das Sächsische erkennt wegen Unterschlagung auf 2 Jahre und bildet nach GB § 79 eine Gesammtstrafe von 4 Jahren. Hier ist es allein vernünftig 19 und wurde auch m. W. in der Praxis so gehandhabt, dass sich an cler Pflicht Preussens drei Jahre Gefängniss zu vollstrecken, also auch an seinem Recht diese drei Jahre gnadenweise zu erlassen nichts änderte, Sachsen somit nur die Zusatzstrafe zu vollstrecken 20 und ihretwegen zu begnadigen berufen war; b. die Gesammtstrafe ist eine schwerere Strafart. Das Sächsische Nachtragserkenntniss wirft wegen Raubes 6 Jahre Zuchthaus aus und bildet aus diesen und den Preussischen 3 Jahren Gefängniss eine Gesammtstrafe von 7 Jahren Zuchthaus. Hier hat Preussen 3 Jahre Gefängniss = 2 Jahre Zuchthaus, Sachsen 5 Jahre Zuchthaus zu vollstrecken und insoweit kommt beiden Staaten auch das Begnadigungsrecht zu 2 1 . 19 Theoretisch korrekt ist es n i c h t : aber das K o r r e k t e — die Anteile der einzelnen Staaten an der Gesammtstrafe im Schlussurteil genau auszuwerfen — ist schlechthin unpraktikabel. 20 Zweckmässig findet der Zusatz Aufnahme i n den Urteilstenor: „ v o n welchen vier Jahren jedoch nur eines i n Sachsen zu vollstrecken i s t " . 21 Es versteht sich von selbst, dass dieser Punkt durch Staatsverträge zwischen dem Reiche und den Bundesstaaten und zwischen diesen unter sich geregelt werden kann. Straf- und Begnadigungsrechte werden dann zu Gegenständen des internationalen Rechtsgeschäfts. Es ist nun neuerdings eine E i n i g u n g ü b e r d i e „ V o l l s t r e c k u n g von G e s a m m t s t r a f e n bei F e s t s e t z u n g der E i n z e l s t r a f e n v o n G e r i c h t e n v e r s c h i e d e n e r B u n d e s s t a a t e n " erfolgt, unci d u r c h B e s c h l u s s v o m 11. J u n i 1 8 8 5 (ausgefertigt am 24. Juni 1885) h a t der B u n d e s r a t diesen G r u n d s ä t z e n „unbeschadet a n d e r w e i t e r V e r e i n b a r u n g der b e t e i l i g t e n B u n d e s s t a a t e n im e i n z e l n e n F a l l e " s e i n e Z u s t i m m u n g e r t e i l t (s. Centraiblatt für das Deutsche Reich 1885 S 270). Danach soll 1. die Vollstreckung der Gesammtstrafe von dem Staate, dem das zuletzt erkennende Gericht angehört, geschehen (s. S 876 unten). 2. A u f Ersuchen der zuständigen Behörde dieses Staates soll aber d e r Staat die Vollstreckung übernehmen, „welcher nach dem Gesammtbetrage der von seinen Gerichten erkannten oder für verwirkt erachteten Einzelstrafen an der Gesammtstrafe am höchsten beteiligt ist" (unter Beachtung von GB § 21). 3. Sind mehrere Bundesstaaten m i t gleichem Höchstbetrag beteiligt, so vollstreckt d e r Staat die ganze Gesammtstrafe, der schon i n Vollstreckung einer i h r der A r t nach gleichen Einzelstrafe begriffen ist. Andernfalls bleibt Verständigung der Staaten von F a l l zu F a l l vorbehalten. — Hat das Reichsgericht i n erster Instanz die Gesammtstrafe oder eine i n dieselbe einbezogene Einzelstrafe erkannt, so sind diese Grundsätze analog anwendbar (das. s. 6). — F ü r a l l e d i e s e V e r e i n b a r u n g e n i s t z u b e a c h t e n , d a s s V o l l -

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V. Verzicht auf Strafklagrecht und Strafrecht.

6. Die teilweise Begnadigung22 ist entweder teil weiser oder vollständiger Erlass der Nebenstrafe oder teilweise Abminderung der Hauptstrafe — die auch in Gestalt der nachträglichen Anrechnung der Untersuchungshaft geschehen kann — oder Verwandlung derselben in eine nach Auffassung des Gesetzes, nicht notwendig auch nach Auffassung des Sträflings mildere Strafe. Wird die Hauptstrafe an der Freiheit nicht erlassen, wohl aber die Nebenstrafe an der Ehre, so kann die Wirkung der Restitution erst nach Verbüssung der Hauptstrafe beginnen. Auch dem Inhaber der Gnade ist unmöglich dem Zuchthäusler den Weg zur Wahlurne zu öffnen 23. Das durch Gnade festgestellte Strafrecht muss ein nach dem Gesetz zulässiges Strafrecht sein: es ist der Inhaber der Gnade an die Strafarten des Gesetzes und ihre Höchst- und Mindestbeträge gebunden 2 4 . Hier erhebt sich die interessante Frage, ob Rechtsstrafen, wie das in Deutschland nicht ganz selten vorkommt, auf dem Wege der Gnade in Disciplinarstrafen verwandelt werden dürfen 25? Soweit die Disciplinarstrafen wie Verweis und Geldstrafe auch dem Systeme der Rechtsstrafen angehören, ist die Bejahung der Frage zweifellos: man wird sie aber überhaupt zu bejahen haben, sofern nur ausser Zweifel steht, dass die Disciplinarstrafe gegenüber der Rechtsstrafe das kleinere Uebel ist. 7. Da das rechtskräftige Urteil dem Staate ein sofort liquides Recht auf Zufügung der ganzen Strafe erteilt 26 , so ist die Gewährung eines Strafaufschubes bei Möglichkeit der Strafvollstreckung ebenso wie die ratenweise Abbüssung der Strafe zweifellos teilweiser Verzicht auf das Strafrecht und somit Begnadigungsakt27. Soweit deshalb die s t r e c k u n g s p f l i c h t und B e g n a d i g u n g s r e c h t stets m i t e i n a n d e r übert r a g e n w e r d e n , s o w e i t n i c h t das B e g n a d i g u n g s r e c h t a u s d r ü c k l i c h v o r b e h a l t e n w i r d . Demgemäss ist jene vom Bundesrat publizirte Einigung auch für das Begnadigungsrecht von Bedeutung. 22 I n welcher L o e b S 67 die Aufstellung eines neuen Strafgesetzes sieht. Höchst seltsame Konsequenzen S 68. 69. 23 R i c h t i g B e r n e r § 182 S 348. 24 R i c h t i g W a h l b e r g , Ges. Schriften I I I 136; M e y e r § 71 S 416. 25 Ζ. Β . Festungs- i n Career- Strafen, Freiheits- i n Verweis-Strafen. 26 M a n beachte jedoch bez. der Todesstrafe StPO § 485. 27 Verfällt der Verurteilte i n Geisteskrankheit oder i n eine K r a n k h e i t , bei welcher die Vollstreckung den Sträfling „ i n nahe Lebensgefahr" bringen würde, so dürfen die Vollstreckungsbeamten nicht vollstrecken. S. StPO § 487, 1 und 2. Der Aufschub der Vollstreckung ist ihnen erlaubt, „wenn sich der Verurteilte i n einem körperlichen Zustande befindet, bei welchem eine sofortige Vollstreckung

169. 4. Verzicht auf StR, Begnadigung im e. S.

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Rechte zur Gewährung des Aufschubes der Strafvollstreckung oder von Pausen in derselben zur Ausübung nicht ausdrücklich den Gerichten, den Staatsanwaltschaften oder Gefängnissanstalten oder den Justizministerien übertragen sind, steht ihre Ausübung allein dem Inhaber der Gnadengewalt zu 2 8 . V. Ueber die Formen des Gnadenerlasses, insbesondere über die Notwendigkeit einer Begnadigungsurkunde, der Kontrasignatur des Ministers, die nach dem Grundgedanken des konstitutionellen Staates zweifellos erforderlich ist und dein Minister nicht nur die Verantwortlichkeit für Innehaltung der Begnadigungskompetenz29, sondern für den Gnadenakt selbst überträgt, entscheidet das Staatsrecht des Reichs30 und seiner Bundesstaaten. VI. Der Akt der Gnade ist. unwiderruflich. Wäre die Gnade erschlichen, so wäre sie nicht nichtig 31 , sondern es bedürfte zur Wiederbelebung des untergegangenen Strafrechts eines Gesetzgebungsaktes; nicht aber vermöchte der Inhaber der Gnadengewalt aus eigner K r a f t den früheren Rechtszustand wiederherzustellen. m i t den Einrichtungen der Strafanstalt unverträglich i s t " : so StPO § 487, 3. — Beachte § 490, 2. 28 Nach StPO § 488 dürfen auf A n t r a g des Verurteilten die Vollstreckungshehörden die Vollstreckung bis höchstens 4 Monate aufschieben, „sofern durch die sofortige Vollstreckung dem Verurteilten oder der Familie desselben erhebliche, ausserhalb des Strafzwecks liegende Nachteile erwachsen". — Beachte § 490, 3. — S. über die ganze Frage L u e d e r S 88 ff. 29 So G. M e y e r , Staatsrecht S 187 A n m 15. 30 Nach R V A r t . 17 bedürfen die Gnadenakte des Kaisers m. E . der Kontrasignatur. 31 So beispielsweise Ρ l o c h m a η η S 79.

Sachregister. (Die ersten Zahlen bezeichnen die Seiten.

Abbitte, beseitigte Privatstrafe 305. Abgeleitete Gesetzgebungsgewalt 185. — Strafrechte d. Bundesstaaten 479 f. 492. Abgeordnete, Privileg der Straflosigkeit 667. 671 f. 674 f. (s. auch Reichstagsmitglieder). Abhängigkeit von gemeinrechtl. Tatbeständen u. Straffolgen vom Partikularrecht 55. Abolition, Verzicht auf d. Strafklagrecht 196. 861. 869. — ausländische, konsumirt d. inländische Strafrecht 445. — Unterschied von d. Begnadigung 861. — gegen Abfindungssumme 863. — aus reichsstrafrechtl.Tatbestande, w i r k t nur für d. abolirenden Staat 869. — bez. d. Privatklageverfahrens 869 f. — vor begründetem Prozessrechtsverhältnisse durch Anweisung d. Staatsanwaltschaft 870. — nach begründetem Prozessrechtsverhältnisse. 870 f. steht dem Kaiser nicht zu 865. 866. Zulässigkeit nach d. einzelnen Verfassungsgesetzen 872 A 9. reichsrechtlich anerkannte Fälle 870 f. — W i r k u n g 861. 873 (s. auch Gnade). Abschnitte, die einzelnen d. GB, wieweit kriminalistische Einheiten 321 f. Absicht d. Gesetzgebers 454 f. — d. gesetzgebenden Faktoren 470 f. Absolut bestimmte Strafgesetze 32. 176 f. Strafen, wieweit dem heut. Recht bekannt 176. — unbestimmte Strafgesetze s. unbest. Strafgesetze. Absolutio ab instantia, ausländ., steht d. Freisprechung nicht gleich 445. Absorptionsprinzip bei d. Idealkonk. 576 A 21. 577. 634. Abtreibung, W i r k u n g d. E i n w i l l i g u n g 721 f.

A bedeutet Anmerkung.)

A c h t 703. Adel, Verlust dess. zur Strafe partikularrechtlich nicht androhbar 327 A 11. Adoptiv-Eltern u. -Kinder 787 u. A 94. Aegypten, Konsulargerichtsbarkeit 410 f. Affekt beim Notwerexzess 753. Aktionenrecht, materielles, in seiner E i n wirkung auf den Bestand der Strafrechte 196. Allgemeiner T e i l des GB und die Landesgesetzgebung 306 f. 344. Allgemeines Recht — Recht für bes. Berufsstände 5 (s. auch Ständestrafrecht). — und bes. Recht i m Sinne d. E G 292 f. 332 A 2. 337 f. 344 f. — und bes. Strafrecht 332 f. Bedeutung d. Gegensatzes für den Ausschluss d. Verbrechenskonkurrenz 335. — Reichsrecht und bes. Partikularrecht 332. 344 f. — Recht als Regelrecht 333 f. — und besonderes gem. Recht 334 f. Allgemeine und bes. Delikte 333. — und bes. Normen 185. 333. — und bes. Strafausschliessungsgründe 332 A 2. Alternative Strafdrohungen 177. Alternativität mehrerer Strafgesetze 224. 349 f. 528. das anzuwendende Gesetz 350. Unterschied von Idealkonkurrenz 349 A 1. 350 A 4. Unterschied von d. Subsidiarität 357. beschränkende Einwirkung des i n concreto günstigeren Ges auf das zur Anwendung kommende härtere 352. welche verschiedene Qualifikationen dess. Gattungsdelikts bedrohen 853 f. — der durchzuführenden Strafrechte 349 A 2. 397. 810. Amerikanisches Duell 702.

register. Amnestie 861 A 3. Amt, unbefugte Ausübung eines öifentl. Amts Verbrechenseinheit trotz Deliktsmehrheit 556. Amtsehrenbeleidigung 80. Amtsgewalt s. Berufsrechte. Amtsverbrechen i m GB 81. — Zuständigkeit der Partikulargesetzgebung zur Aufstellung solcher 320. — Strafbarkeit ausländ. A. deutscher Beamter im Inlande 432 f. 442. — Einwilligung d. Verletzten 728 (s. auch Beamte). Analogie, Ausschluss ders. 16.28.203.216. de lege ferenda nicht gerechtfertigt 28. 216. 222. — stillschweigende Aufhebung d. Verbots 204. — Einfluss d. psycholog. Zwangstheorie auf d. Maass ihrer Zulässigkeit 21. — Einfluss d. Lehre von d. Teilung d. Staatsgewalt auf d. Maass ihrer Anwendbarkeit 22. — Schädigung ders. als W i r k u n g des Satzes nulla poena sine lege 24. — Verbot in der französ. Theorie 26. — Begriff 214. — deckt ungesetztes Recht auf 202. 215. — und Auslegung 214 f. 451. — die vier A k t e ders. 215 f. — Wesensgleichheit aller Analogie 216. — Gesetzes- u. Rechtsanalogie 216 f. — zwecks Rechtsauslegung und zwecks Rechtsfortbildung 217 f. — Maass ihrer Zulässigkeit i m heutigen Recht 218 f. — keine Pönalisirung von Handlungen durch Analogie 218 f. — bei Beurteilung des Vorhandenseins gesetzl. Verbrechensmerkmale 220. — hinsichtl. gesetzl. Schärfungs- oder Milderungsgründe nur zur Gewinnung von Strareumessungsgründen 220 f. — bez. der Antragsverbrechen 222. — gegenüber Ausnahmerechtssätzen 222. — Notwendigkeit ders. gegenüber nicht gehörig gegen einander abgestimmten Strafdrohungen 358 A 6. 359. 367. Anarchistische Gewalttaten notwendig Fälle d. Weltrechtspflege 379. Angehörige 786 f. Anrechnung der i m Auslande vollzogenen Strafe 441 f. Anschuldigung, falsche, Konkurrenz m i t Verleumdung 365. ders. Person bei versch. Behörden hins. dess. Verbr. e i η Vergehen 559. E i n w i l l i g u n g des Verletzten 718 A 31. 729 A 33. Anstifter, seine W a n d l u n g i n den Täter 360. 495.

Anstifter, Wandlung des Gehilfen i n den Anstifter 361. 495. — W a n d l u n g des Aufforderers zu einem Verbr. i n den Anstifter 495. — Subsidiarität d. Anstifter- gegenüber d. Täterstrafe 360; d. Gehilfenstrafe gegenüber der d. Anstifters 361. — Strafbarkeit d. inländ. Anstifters 425. — mehrfache Einwirkungen dess., auch auf versch. Mittäter, begründen keine Konkurrenz 586. — zu konkurrirenden Verbr. 586 f. — der sog. A . zu einer Selbstverletzung als Täter 701. Anstiftung zu e. Verbr. stets Verbr. 516. — Straflosigkeit ders. bei genereller Straflosigkeit d. Täterschaft 361. — zur Begünstigung d. Anstifters straflos 361. — durch Geschenkgabe zur einf. passiven Bestechung straflos 361. — zur Kuppelei für d. Unzuchttreibenden straflos 361 u. A 15. — Begehungsort 424 f. — keine A . zur Selbstverletzung 700 f. — Veijährungsbeginn 839 f. Antrag, die Satzungen gehören dem StR u. Strafprozessrecht gemeins. an 85. 610 f. 661. — unmittelb. Beziehung dess. blos zum Strafklagrecht 196. 253. 611. — das i h n fordernde Ges nicht das mildere 253 f. 599. —• Beurteilung des Erfordernisses bei Wechsel d. Gesetzgebung 254 f. 597 f. — Beurteilung der Rücknahmebefugniss bei Wechsel d. Gesetzgebung 256. — Unzulässigkeit abweichender Regelung durch d. Partikulargesetzgebung 313. — der zur Verfolgung d. naturalisirten Ausländers erforderliche A . d. ausl. Behörde 438 f. — Mangel des nach ausl. Recht erforderlichen Antrags 445 f. — kein Straf barkeitsmerkmal 254.510A 4. — die möglichen Grundgedanken d. E r fordernisses 604 f. — sein Grundgedanke i m heut. Recht 659 f. — i m Zweifel ist gegen d. Erforderniss zu entscheiden 607. — kein A . bei militär. Verbr. u. Verg. 610. — bei Versuch, Anstiftung, Gehilfschaft — — — —

610.

jurist. Natur 610 f. Mangel dess. w i r k t Einstellung 612 f. beim fortgesetzten Verbr. 630 f. nicht erforderlich, wenn dass. Verbr. mehrere verletzt u. nur bez. e i n e s Antragsdelikt ist 631. — Einrede der Rechtshängigkeit wider jede fernere auf A . eines anderen Binding, Handbuch. V I I . 1. I : B i n d i n g , Strafrecht. I . 56

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Antragsberechtigten aus dems. D e l i k t Antragsfrist, Beginn ders. beim fortges. erhobene Klage 633. Verbr. 631, bei Dauerverbrechen 631. Antrag, Mangel dess. bei Idealkonkurrenz — L a u f ders. bei Ablösung d. antrags633. 636. berechtigten Nichtverletzten 629 f. 646. — W i r k u n g des Urteils bez. eines der — A b l a u f ders bez. eines Mitschuldigen ideell konk. Delikte auf das and. ideell w i r d wirkungslos durch rechtzeitige konk., aber nicht m i t zur Klage geAntragstellung gegen einen and. 639 f. zogene Antragsdelikt 634 f. — Natur ders. 641. — W i r k u n g dess. auf die Verfolgbarkeit — Ausnahme von d. Dreimonatsfrist 641 f. des Begünstigers 637. — Berechnung 642. — Unteilbarkeit i m Falle der Mitschuld — die „Kenntniss" 643. 636 f. (Ausnahme 639). — Beginn ders. bei Abhängigkeit d. der Rücknahmewirkung 637. Klagen von Auflösung usw. einer Ehe — Gestaltung d. Erfordernisses bei Dieb643 f. stahl u. Unterschlagung gegen Ange— W i r k u n g d. Ablaufs ders. 645 f. hörige gegenüber mehreren Teil- Antragsrecht, jurist. Natur dess. 613 f. nehmern u. dem Begünstiger 638 f. — seine Inhaber 615 f. — Aufhebung seiner Verjährung bez. des — scheinbare Succession i n dass. 629. einen Mitschuldigen durch rechtzeitige ! 646. Antragstellung gegen einen and. 639 f. j — Entstehung dess. 640 f. — gegen e. Unschuldigen gestellt bez. ! — Endigung dess. 644 f. d. Schuldigen unwirksam 640. — unberührt durch Einstellung mangels Strafantr. 644. — wieweit i m Verfahren nachholbar 645. Aufhören des verletzten Rechts — Verzicht ungiltig 647. — Rücknahme u. A b o l i t i o n 615. 870. 646 A 31. — Rücknahme dess. 648 f. 662. — Untergang d. Subjekts 646. F r i s t dazu 648 f. — Verzicht auf dass, unwirksam 647. durch Rücknahme d. Privat— duldet keine Stellvertretung im W i l l e n klage 650 u. A 13. ! 652 f. nicht durch den Antragsteller ! — Einfluss d. Sühne vor gestelltem A n 650 f. trage 662. formlos 651. — Einwilligung d. Verletzten als HinderW i r k u n g 651 f. niss d. Entstehung 663. — unzulässig bei relevanter E i n w i l l i g u n g — d. Nichtverletzten 626 f. d. Verletzten 663. Endigung 630. Antragsberechtigte, mehrere aus dems. Antragstellung durch Stellvertreter i m Verbr., Stellung ders. 632 f. W i l l e n unzulässig 652 f. Antragsberechtigter, der Verletzte als — F o r m ders. 658 f. solcher 616 f. — vor Kenntniss d. Täters 655 A 1. — nicht jeder Verletzte auch A . 622. 623. — W i r k u n g von Vorbehalten u. Bedin— Beschränkungen der privatrechtlichen gungen 655 f. Dispositionsfähigkeit 617 A 7. — die zulässigen Adressen 657. — Bezeichnung i n den Gesetzen 616 A 5. j — bei Beleid. u. Körperverletzungen 658. — bei den einzelnen Antragsverbrechen — durch negotiorum gestor wahrt die 617 f. 628. 629. Frist nicht 659. — ein Nichtverletzter als A . 626 f. — Giltigkeit ders., wenn d. Auftraggeber ausschliesslicher A . 627 f. vor Uebermittelung seiner Erklärung — Konkurrenz des Verletzten u. Nichtstirbt od. wahnsinnig w i r d 659 A 25. verletzten 628 f. Antragsverbrechen, Beschränkung ders. Antragsberechtigungen, alle aus dems. durch d. Nov. v. 1876: 95. D e l i k t nur Bedingungen e i n e r Straf— Analogie bins. ders. 222. klage 633. — Wandlung in Offizial- od. Ermächti— Untergang aller A . durch Klagkongungsverbr. 255 f. 598. 645. sumtion 633. — K r i t i k 603 f. 614. — Verhältniss der versch. A . bei ideell — i m geltenden Recht 607 f. konk. Antragsverbrechen 634 f. — absolute u. relative 610. Antragsfrist, Beginn ders. bei Wandlung — vollständige u. teilweise 610. von Offizial - i n Antragsverbrechen — Begünstigung bei 610 A 13. 255. — der Verletzte 615 f. — Erlöschen ders. nicht Klagverjährung j — dasselbe Verbr. kann nicht teils Α., 256. I teils Offizialdelikt sein 630 f.

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Antragsverbrechen in Idealkonk. unter I Ausländische StR, Succession des Deuteinander od. m i t Offizialverbr., W i r schen Reiches i n solche 269. 373. 492. kung d. Urteils nur wegen eines ders. — u. inländ. Strafansprüche, Konkurrenz 634 f. 440 f. — Strafgesetze 413; Gerichte 413. — Veijährungsbeginn 839 A 20. 841 f. — Veijährungsunterbrechung 852 A 20. Ausländischer Begehungsort 414 f. (s. auch Begehungsort). Anzeige, unterlassene s. Nichtanzeige. — u. inländ. Strafanspruch, Konkurrenz Approbation, stillschweigende, v. Rechts440 f. sätzen durch d. Rechtsquelle 202 f. Arbeitshaus, Unterbringung d. Bestraften Ausländisches StR stellt teilweise inländ. i n ein A 325. ausser Anwendung 268 f. 438. , unberührt von d. Begnasein Dasein bedingt d. Anwenddigung 873. 874. barkeit inländischer Strafgesetze Argumentum e contrario gegenüber dem 269 f. 395 f. 435 f. GB 465 A 25. — Gesetz zum inländ. ad hoc erhoben Arrestbruch, Einwilligung d. Gläubigers 373. 438. 729 A 34. Ausland u. Inland i m internat. StR 381 f. Arzt, Berufsrechte u. Berufspflichten dess. 405 f. 444. 801 f. — von deutschen Truppen besetztes als Aufgaben d. Strafrechtswissenschaft 6 f. Inland 412. 28 f. — i m S. von GB § 5 nur d. Staat des — die der gem. nordd. Strafgesetzgebung begangenen Verbrechens 444. durch die Natur des Bundes gestellten — i m Gegensatz zum Inland als inländ. 51 f. Gewaltgebiete 413. Aufmerksamkeit, Gebot ders. als sekun- — teils i m Α., teils i m I n l . begangene därer Inhalt jedes Verbots 166. Verbrechen 416 f. Aufsichtsrechte 795 f. der inländ. Ausdehnende Auslegung, Einfluss der T a t t e i l ist straflos 417 A 7. psycholog. Zwangstheorie auf d. Maass — der ausländ. ihrer Anwendbarkeit 21. Tatteil ist stratlos 417 A 7. 422 A 26. Einfluss d. Lehre von d. Teilung — Strafbarkeit i m A . verübter Verbr. d. Staatsgewalt auf d. Maass ihrer nach Reichsr. 425 f. Anwendbarkeit 21. — daselbst begangene Verbrechen er— — i n d. französ. Theorie verworfen 26. zeugen meist nur inländ. StR, keine i n Deutschland heute anerkannt Strafklagepflicht 404. 426. 28. 467 A 2. — regelmässig bez. notwendig i m A . bez. d. Ausnahmerechtssätze 467 begangene Verbr. 425 f. A 1. — versch. Gruppen der i m I n l . relevanten Ausdruck d. Rechtsgedankens'u. d. Rechtsausländ. Verbrechen 426 f. willens 197 f. — Real- u. Personalprinzip hins. der i m Ausländer u. Inländer i m internat. StR A . heg. Verbr. 427. 381 f. 413 f. — die Fälle unbedingter Strafbarkeit i m — als angebl. subditus temporarius i m A . begang. Verbr. 427 f. Inlande 385. 388. 413. — die Fälle bedingter Strafbarkeit i m - Rechtsirrtum dess. 389. A . beg. Verbr. Bestimmte Stellung d. — inländ. Strafbarkeit dess. für ausl. Täters als Bedingung 434 f.; NichtVerbrechen 427 f. 431 f. straflosigkeit der Handlung nach lex — n a t u r a l i s i e r 433 f. 447. loci als weitere Bedingung 435 f. das gegen ihn anzuwendende Ges — i n staatlosem Gebiet von Inländ. beg. 438. 439. Verbr. 436. W i r k u n g ausl. Begnadigung, Ver- — i m A . beg. „Uebertretungen" 437. 439. jährung, Wandelung der Gesetz- — W i r k u n g d. Naturalisirung des Ausgebung 438. länders 438 f. Antrag der ausl. Behörde 438 f. — Rückwirkung ausländ. Strafverfolgung Asylrecht dess. wegen „Uebertreauf das deutsche StR 440 f. tungen" 439. — die i m A . vollzogene Strafe ist auf — — Unanwendbarkeit d. § 37 GB auf die inländ. anzurechnen 441 f.; „diedens. 447. selbe Handlung" 442; A r t cler A n Ausländische Rechtsgüterwelt 382. 393. rechnung 442 f. Bedingnisse ihres Schutzes durch — die im A. vollzogene Strafe konsumirt das Inland 394 f. das inländ. StR 444 f.

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Ausland, i m A . erfolgte Freisprechung, Verjährung, Straferlass 445. — Mangel des i m A . erfordert. Antrags 445 f. (s. auch internationales StR). Auslegung, Bedeutung der beiden Grundgedanken des Satzes nulla poena s. 1. für ihre Zulässigkeit 21 f. 23 f. — veränderte Aufgabe gegenüber dem neueren Gesetzesrecht 29 f. — beschränkende, logische, berichtigende, grammatische s. b e s c h r ä n k e n d e usw. A u s l e g u n g . — u. Analogie 214 f. 451. — der Strafgesetze 450 f. — Begriff 450 f. — philolog. u. jurist. 451. — u K r i t i k 451. — theoret. u. prakt. 452. — die Grundregeln der A. des subj. Rechts u. des subj. StR insbes. 452. 453. — Lebensauslegung Bestandteil der Rechtsausl. 453 f. — Rechtswille u. subj. W i l l e d. Gesetzgebers 454 f. — die beiden A k t e aller A . 457 f. — des Gewohnheitsrechts 458 A 2. — Bedeutung des Erklärungsmoments 458. 459 f. 463 f. — Schreib- u. Druckfehler i m Gesetzestext 459 f. — Redaktionsversehen 460 f. — Erschliessung des Rechtswillens 466 f. — berichtig., bestätig., erklärende 467. — aus dem Zweckmoment 467 f. — fremde als Auslegungsquelle 469 f. — die Theorie von den Auslegungspakten 470 f. Auslegungsmittel, die drei direkten 458. 469. — indirekte 469 A 9. — die Entstehungsgeschichte des Gesetzes 470 A 2. 473 A 14. — die Gesetzesmaterialien 470 f. 473 A 1 4 . Auslieferung kein genügender Ersatz für das inländ. StR 397 f. — Verneinung inländ. StR 397. — lediglich Rechtshilfeakt 397 f. — des eigenen Untertanen, Unerträglichkeit ders. 399 f. — „Deutsche" i m S. des Auslieferungsrechts 414. Ausnahme von der N o r m od. dem StG, W i r k u n g d. Zweifels über den Umfang ders. auf den Bestand des subj. StR 453. Ausnahmerecht s. besonderes Recht. Aussage, nichteidliche falsche, straflos 317. Aussetzung, Lebens- oder Gesundheitsgefährdung 359. 724. — u. Menschenraub, Alternativität 354 f. — Totschlag durch A . 171. 358 f. 367.

Aussetzung, Körperverletzungsversuch durch gesundheitsgefahrl. A . 359. — Körperverletzung durch A. 359 A 8. 367 A 12. — Einwilligung des Verletzten 724 f. Ausstossung aus d. Rechtsgemeinschaft 4. Baden, Ausdehnung des nordd. GB auf B. 86 f. Balancirtheorie 21 f. Bankrott d. Nichtkaufleute nach dem nordd. GB landesrechtlicher Regelung verblieben 348 f. — keine K o n k . von betr. u. einf. B. u. betrüg. B. u. Gläubigerbegünstigung 362 u. A 17. — keine Konk. der einzelnen betrüg, u. einf. Bankrottfälle unter ein. 561 u. A 3. — Möglichkeit d. K o n k . von einf. B. u. Gläubigerbegünstigung 362 A 17. — Zeit d. Begangenschaft 246 A 7. — betrüg., Zustimmung einzelner Gläubiger 729 A 34. — Verjährungsbeginn 838 A 19. Bayern, Strafgesetzgebung 40. 41 f. 45. — Ausdehnung d. N D . GB auf B. 87. Beamter, Begriff im GB 82. — fehlende Strafbarkeit e. B., der von einer falschen Beurkundung wissentlich Gebrauch macht 219 A 5. Beamte, das Beamtenstrafrecht i m G B 81 f. — Verbrechen ders. i m GB nicht abschliessend geregelt 320. — Bestechung solcher i n ält. Bundesgesetzen 342 f. — Widersetzlichkeit gegen solche in ält. Bundesgesetzen 342 f. — Strafbarkeit ausländ. Amtsverbr. ders. im Inl. 431 f. 442. — Aberkennung der Ehrenrechte gegen deutsche, nicht naturalisirte Beamte auf Grund ausländ. Verurteilung 448. — Stellung ders. gegenüber rechtswidr. Befehl 807. Bedingungen d. Strafklagrechts, die anderweiten (ausser dem Verbr.) 595 f. — Unterschied von denen des StR 596 f. — als Prozessvoraussetzungen 596. — maassgebender Zeitpunkt 596 f. — Wandel des bez. ders. geltenden Rechts 597 f. — die beiden objektiven u. ihre Grundgedanken 599 f. — der Grundgedanke der im prozess. Interesse aufgestellten 600. — Willenserklärungen als solche u. ihre mögl. Grundgedanken 602 f. — Unteilbarkeit 630. Bedingungen d. StR 498 f. 588 f.

register. Bedingungen d. Strafrechts, d. anderweiten (ausser dem Verbr.) 588 f. 591 f. — Scheidung von ähnl. Erscheinungen 589 A 3 u. 5, 590 f. — u. des Strafklagrechts 595 f. — Mangel ders. w i r k t Freisprechung 596. — maassgebender Zeitpunkt 596 f. 810. — Wandel des geltenden Rechts 597 f. Bedrohung s. Drohung. Befehl, militärischer 794. 806. — des Schiffers 794. 806. — unverbindlicher, als Schuldausschliessungsgrund 804 (s. auch bindender Befehl, Gesetzesbefehl). Beförderungsgebote 172. Begangenschaft, das Gesetz der 244 f. 246. 248. — Zeit der 245 f. — Ort der 414 f. — inländ., wieweit notwend. Voraussetzung inländ. Strafbarkeit 437. Begehung der straf b. Handlung, Benutzung fremder Kräfte 424 A 1. Begehungsdelikte u. Unterlassungsdelikte 167. — Idealkonk. beider 580. — Begehungsort 418 f. Begehungsort im S. des mat. StR u. beim forum del. comm. 415 A 1. — Bedeutung dess. für das mat. StR 414 f. — bei teils i m Inl., teils i m Ausl. beg. Verbr. 415 f. 419 f. 422. — Bedeutungslosigkeit d. Aufenthalts d. Handelnden 416. — maassgebend die ursachl. Tätigkeit sammt dem Erfolge 417. — bei Begehungsdelikten 418 f. 420. — bei gewohnheits- u. gewerbsm. Verbr. 419 f. 422. — bei i m Ausl. bis zu beendigtem Versuche gediehenen, i m Inl. vollendeten Verbr. 420. — bei Sendung von Schriften ins I n l . 420 f. — bei Press ν ergehen 421 A 24. — bei Verkaufen, Verteilen, Verbreiten als Tatbestandsmerkmal 422 A 24. — bei Fortsetzung der delikt. Tätigkeit nach i m Ausl. vollendetem Verbr. i m Inl. i n einer and., für dieses Verbr. gleichfalls mögl. F o r m 422 A 25. — bei Transitverbrechen 422 f. — bei Unterlassungsverbrechen 423. — bei Benutzung handlungsfähiger od. handlungsunfähiger Werkzeuge 424 f. — des Teilnehmers 424 f. — inländ., wieweit notwend. Voraussetzung inländ. StR 437. — Nichtstraflosigkeit nach dem Recht des ausländ. B. als Bedingung inländ. Strafbarkeit 435 f. Begehungszeit 245 f.

Begehungszeit bei Realisirung e. Tatbestandes während d. Wandels d. Strafgesetzgebung 245 f. — bei Erfolgs verbrechen 246. — bei echten Unterlassungsdelikten 247. — bei Kollektivdelikten 247. Begnadigung, jurist. Natur 196. 861. 873. — Unterschied von der A b o l i t i o n 861. — ältere Bundesgesetze 338. — ausländ., W i r k u n g 438. 445. 448. — Verzicht d. Staats auf urteilsmässige Nichtstrafrechte keine B. 873 u. A 4. — W i r k u n g 875 f. — W i r k u n g bei subsid. Haftung für fremde Geldstrafen 491. 874. — lässt die Kostenpflicht, die Polizeiaufsicht, die Unterbringung i n ein Arbeitshaus unberührt 874 u. A 4. — des Täters w i r k t nicht für Teilnehmer 874. — völlige 874 f. — elidirt nicht die Rückfallswirkung 875. — W i r k u n g hins. d. Verwirkungsstrafen 876. — bei Gesammtstrafen 876. — teilweise 878. — durch Wandelung d. Rechtsstrafen i n Disziplinarstrafen 878. — durch Gewährung von Strafaufschub u. Strafaussetzung 878 f. (s. auch Gnade, Gnadenakt). Begnadigungsgewalt, d. Inhaber der deutschen 864 f. — bez. der von Reichsbehörden i m Verwaltungswege festgesetzten Strafen 867. — der deutschen Bundesstaaten 867. — des Reichs 865 f. — bestimmt durch d. Staatsangehörigkeit d. Gerichts 1. Instanz 869. — bei Gesammtstrafen 876 f. — Uebertragung ders. mit der V o l l streckungspflicht 877 A 21. Begünstigung, die N o r m 192. — die versch. Formen d. Vergehens 192 A 14. — von „Uebertretungen" landesrechtlich nicht pönalisirbar 316 A 1. — durch Absitzen fremder Strafe 814. — u. Gefangenenbefreiung 352 A 8. 575 A 17. — Anstiftung zur B. d. Anstifters straflos 361. — vor Tatbegehung zugesagte 369 A 21. 637 A 4. — Begehungs ort 424. — keine K o n k . von echter u. unechter 563 A 8. — nie Antragsvergehen 610 A 13. 637 A 4 . — bei Antragsvergehen 637. 638. Behörde, Beleidigung, konkurrirende A n tragsbefugni^ 629.

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Behörde, Aufhebung der Schuld durch inkorrektes Vorgehen einer B . 708. Bejahende Rechtssätze 6. 181 f. Bejahendes StG 176. — — Tatbestand u. Folge i n solchem 176 f. 179 f. Beihilfe zu e. „ V e r b r . " stets „ V e r b r . " 516. — straflose darf landesrechtl. nicht zum bes. Verbr. gestempelt werden 312. — Subsidiarität d. Strafdrohung gegenüber der d. Täters u. Anstifters 360 f. — Begehungsort 424 f. — inländ. strafbar trotz Straflosigkeit des ausländ. Täters 425. — keine B . zur Selbstverletzung 700 f. — Verjährungsbeginn 839 f. — Verjährungsfrist 847. Bekanntmachung d. Urteils keine Strafe 303 A 23. kann landesgesetzl. vorgeschrieben werden 303 A 23. Beleidigter, dessen Publikationsbefugniss k e i n Recht auf Privatstrafe 305. Beleidigung, Angriffsobjekt 726. — Konsumtion ders. durch and. Tatbestände 365. — von Bundesfürsten 351 f. 434. 442. — deutscher Regenten 434 A 1. — mittelbare 628 A 13. — des m i t Ehrverlust Bestraften 705. — mehrerer durch e. Aeusserung oder rasch sich folg. Sätze 579 A 27. 582. — K o n k . m i t Widerstand 575 A 17. — Notwer gegen 744. — E i n w i l l i g u n g d. Verletzten 725 f. 727. — s. auch Antragsberechtigter. Beleidigungen, wechselseitige, Antragsfrist 641. Benutzung, widerrechtl., fremden Eigentums landesrechtl. nicht pönalisirbar 316 A 1. Berichte über Reichs- u. Landtagsverhandlungen 680 f. (s. auch Reichstagsverhandlungen). Gerichtsverhandlungen 681 A 5. Berichtigende Auslegung 201. 467. zulässig gegenüber allen Reichsstrafrechtssätzen 213. Berichtsfälle 378 A 3. 426 A 4. Berufspflichten als Schuldausschliessungsgründe 791 f. — durch Befehl begründete 804 f. Berufsrechte als Schuldausschliessungsgründe 791 f. — beruhen meist auf ungesetztem Recht 792. — die Beurteilungsnormen bei Mangel gesetzten Rechts 792 f. — behufs unmittelb. Erfüllungszwanges 793 f. — behufs mittelb. Erfüllungszwanges 795 f.

Berufsrechte des Soldaten 800 f. — des Arztes 801. Berufsstände s. Ständestrafrecht. Berufungsinstanz, Anwendung neuen Rechts i n ders. 241. 252.. — Nachbringung des Antrags i n ihr 645. Beschränkende Auslegung 28. Besitz, wehrhaftes Gut 744 f. Besitzesnotwer 744 f. 747 u. A 54. Besonderes Recht im Sinne d. E G 292 f. 332 A 2. 337 f. 344 f. — — Maass d. Zulässigkeit i n den partikularrechtl. Forst- u. Feldpolizeigesetzen usw. 346 f. ausdehnende Auslegung bez. dess. 467 A 1. — Partikularrecht gegenüber gem. Reichsrecht 332. — gemeines Recht 334 f. — Verhältniss des bes. Reichsrechts zum GB 335 f. — zwei A r t e n des bes. gem. Rechts 338. — Landesstrafrecht besteht prinzipiell nicht 293 f. 338. 344 (s. auch allg. Recht). Besondere Strafgesetze i m S. d. E G § 2 : 295. 337. nicht i n complexu aufrecht erh. 344. Besondere Verbrechen s. Sonderverbr. Besondere Vorschriften, die d. Bundesund Landesstrafrechts im S. von § 2 E G : 293 f. Zuständigkeit der Bundesstaaten zu fernerem Erlasse solcher 296. teilw. echte leges speciales 337.344. Besserungsanstalten, Unterbringung in, Polizeimaassregel 324.' Bestätigende Auslegung 467. Bestechung i n ält. Bundesgesetzen 342 f. — i n landesrechtl. Zoll- u. Steuergesetzen nicht bes. pönalisirbar 345. — Subsidiarität des § 49 a GB gegenüber der aktiven B. 356 A 4. — Wandlung d. Bestechenden i n einen Anstifter zum Amtsverbrechen 495. Bestrafung, ausländ., W i r k u n g auf das inländ. StR 441 f. Betrug gegen Angehörige, Teilnehmer u. Begünstiger 222. 639. — durch Täuschung begangenes Eigentumsverbr. kein B. 363. — u. Urkundenfälschung 575 A 17. — der antragsberechtigte Verletzte 623. Bewusstsein der Strafbarkeit kein Deliktsmerkmal 161. kann auch landesgesetzlich nicht als Merkmal des Vorsatzes statuirt werden 310. — der Rechtswidrigkeit die Landesgesetzgebung bindendes Merkmal des Vorsatzes 310.

;ister. Bigamie, Zeit u. Gesetz d. Begangenschaft 247. — Veijährungsbeginn 837. Bindender Befehl notwendig obrigkeitl. W i l l e 186. 804 f. rechtswidrigen Inhalts 804 f. verschied. Abstufungen der Verbindlichkeit 805 f. die Fälle 806 f. Blankettstrafgesetze 79. 83. 180. 228. Blasfemie, landesrechtl. nicht pönalisirbar 316 A 1. Bodensee, Kondominat 406 A 3.407 A 4.5. Bonae fid. possessor, kriminalist. Eigentümer 620 A 14. Botmässigkeit, Recht auf 183 (s. auch Gehorsamsrecht). Brandstiftung an herrenlosen Hütten od. Bergwerken 219 A 5. 706 A 17. — geschärfte Sachbeschädigung 335.369. — Alternativität der Strafgesetze hins. ders. 350 f. Brief, Begehungsort bei Absendung e. B. ins Inl. 420. 421 A 24. — mehrere Verbr. i n e i n e m 581. Brieferöffnung, gemild. Sachbeschäd. 335, 369. — der antragsberechtigte Verletzte 625 f. Buchstabenauslegung 36. 459. Bürge, krimineller, bei Geldstrafen wegen Zoll- u. Steuervergehen 490 f. Begnadigung d. Schuldigen "elidirt seine Haftung 491. 874. Bürgerliche Ehrenrechte, Suspension ders. durch d. Landesgesetzgebung während d. Untersuchung 326 A 9. — Aberkennung ders. der Landesgesetzgebung entzogene Strafe 327. — auf Grund ausl. Verurteilung 446 f. W i r k u n g ausl. Verjährung u. Begnadigung 448. w i r k t nicht teilweise Rechtlosigkeit 705. w i r k t Einschränkung d. passiven Deliktsfähigkeit 703. Begnadigung 876. Bulgarien 410. B i m d s. Reich. Bundesfürsten, Begriff 434 A 1. — Privileg der Straflosigkeit 667 f. — Notwer gegen Angriffe von B. 738. — Beleidigungen von, Tätlichkeiten gegen s. Beleidigungen, Tätlichkeiten, Mord, Mordversuch. Bundesindigenat 51. Bundesrat, d. E n t w d. GB i m 63 f. — Oberaufsichtsgewalt dess. hins. der Landesgesetzgebung 284. — Beleidigung dess., die Ermächtigung

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Bundesratsmitglieder, Exterritorialität688. — geniessen nicht d. Privilegs d. Straflosigkeit 674. Bundesrecht, Verhältniss d. GB zum älteren 335 f. (im übrigen s. Reichsrecht). Bundesstaaten, eigene Strafrechte ders. 480. — abgeleitete Strafrechte ders. 479 f. 492. — eigene Strafverfolgungsrechte ders. 479. — alternative Strafklagerechte mehrerer 480. — Zuständigkeit ders. zum Erlasse von „bes. Vorschriften" 296. — deren alte Jurisdiktionsverträge m i t fremden Staaten 405 A 10. — Begnadigungsrecht ders. 867 f. — Gesetzgebung ders. s. Partikulargesetzgebung. Bundesverordnung, W i r k u n g ders. gegenüber d. Landesrecht 272 A 4. Busse 78. 86. 244 A 11. — Natur ders. 304. 325. — Stellung der Landesgesetzgebung zu ders. 325 f. — Unverjährbarkeit d. Bussforderung 854. — Vollstreckung in den Nachlass 813. Carolina 39 f. Cession des Strafanspruchs 373. — des auswärtigen Strafanspruchs als anderweite Bedingung des inländ. Strafrechts 591. — des Strafklagrechts 481 A 14. China 410. Citirende Strafgesetze 282. Code pénal 42. Concursus heterogeneus u. homogeneus 570 A 2. Dauerverbrechen, Untersch. v. fortges. Verbr. 543. — Beginn der Antragsfrist 631. — Veijährungsbeginn 836 f. Decretum divi Marci 318 A 5. 330 A 18. Defraude 337. 339. 345. Dekalog, Normen i n dems. 159 f. Delicta propria d. Beamten 54. Delictum putativum 692. Delikt, Begriff 169. 499. 707. — Tatseite und Schuldseite 503. — Unwesentlichkeit des Bewusstseins d. Strafbarkeit für dass. 161. — und Verbrechen 504. — die einzige jedem D. wesentliche Rechtsverletzung 186. — Wegfall des D. 666 f. Delikte, allg. und besondere 185. 333. — Anstiftung und Beihilfe zu bes. Del. allg. untersagt 333 A 5. — irrtümliche 691. — Begehungs- u. Unterlassungsdel. 167.

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Delikte, mehrere Delikte e i n Verbr. 524. 526 f. 547 f. 560 f. — - Konkurrenz von D . s. Deliktsmehrheit. Deliktseinheit, Bedeutung für die Bestimmung d. Verbrechenseinheit 523 f. — Begriff 523. 529 f. 538 f. — Verschiedenheit d. Einheitskriterien bei versch. Deliktsarten 523. — sie ist durch Gesetz entweder anerkannt oder geschaffen 523. — die i h r eigentüml. Momente 529. 539. — bei den Verbrechen gegen d. phys. Person, wenn e i n e Person angegriffen ist 532. — bei den Verbrechen gegen Urheberu. Erfinderrechte 532. — bei Vermögensverbrechen unabhängig von Mehrheit der Verletzten 532 f. — nicht notwendig gegeben bei sog. E i n heit des Erfolgs u. sog. Einheit der Ursache 534. — d. Entschluss-Einheit als ausschlaggebender Entscheidungsgrund 535 f. — unmöglich, wenn d. Vorsatz von d. Fahrlässigkeit abgelöst w i r d 539. Deliktsmehrheit 179. 565 f. — fordert Handlungsmehrheit 565 f. — bei Verbrechen gegen d. phys. Person u. gegen Urheber- u. Erfinderrechte stets gegeben bei Mehrheit der verletzten Personen bezw. Rechte 532. — bei Vermögensverbrechen nicht notwendig gegeben bei Mehrheit d. Verletzten 532 f. — gleichartige, als Substrat einer Verbrechenseinheit 547 f. — ungleichartige, als Substrat e. Verbrechenseinheit 560 f. — notwendige Voraussetzung der Verbrechensmehrheit 564 f. Deliktsmerkmale 508. — I r r t u m des Täters über solche 693 f. Desertion als Dauerverbrechen 543. — Veijährungsbeginn 836. Detention, wieweit wehrhaftes Gut 744 f. Deutscher s. Inländer. Deutsches Reich s. Reich. Diebstahl, Einfluss d. Verschiedenheit d. Satzungen über Eigentumserwerb auf die Annahme eines solchen 55. — rechtl. N a t u r 622. — Verkauf d. mittels D. erlangten Sachen durch den Täter 420 A 19. — qualif. Nahrungsmittelentwendung als schwerer D. 528 A 13. — Bestrafung des i n einen qualif. sich fortsetzenden einf. D. 494. 546 f. — der einf. D. spinnt sich i n einen schweren Diebstahls-Versuch weiter: keine Konkurrenz 547. — u. Hausfriedensbruch 577 A 24.

Diebstahl, ausgeschlossen durch (auch dem Täter unbekannte) Einwilligung des Eigentümers 714 A 19. — gegen Wahnsinnige u. Kinder 714 A 20. — als Selbsthilfe 789 A 2. — s. Antragsberechtigter. Dienstherrschaft, Disziplinargewalt ders. 799. Dingliche Rechte an fremder Sache, Schutzlosigkeit d. Inhaber gegen Diebstahl usw. 620. 621 A 19. Diplomatischer Landesverrat 52. Disziplinargewalt 796 f. — i n der Familie 797. — M i t t e l ders. i m Gebiete des öffentl. Dienstes 800 f. Disziplinarstrafe, Natur ders. 5. 274. — i m Gnadenwege auferlegt 878. Disziplinarstrafen d. Kirche 796 A 17. Disziplinarstrafrecht, nicht inbegriffen i m A r t . 4 N r 13 R V : 274. Doppelbestrafung auf Grund inländ. u. ausländ. konkurrirender Strafansprüche 440 f. Doppelehe s. Bigamie. Dreiteilung d. Verbrechensarten i m GB 511 f. — Bedeutung ders. 513 f. — Handhabung ders. 514 f. — schlimme W i r k u n g auf die Anlage des GB 80. Drohung, d. Zurechnung aufhebende 768. — d. Zurechnung nicht aufhebende, wieweit Strafausschliessungsgrund 768 f. Druckfehler i m publizirten Gesetzestext 459. Druckschrift, mehrere Verbr. i n einer D. 581. Druckschriften, verbrech. Versendung ins Inl., Begehungsort 420 f. Duell, Disziplinarbestimmungen über d. Studentenduell 316 A 1. — amerikanisches 702 (s. auch Zweikampf). Ehe, Auflösung ders. Strafklagvoraussetzung 600 f. Beginn d. Antragsfrist 643 f. Ehebetrug, Eheauflösung als Strafklagvoraussetzung 600 f. — Beginn der Antragsfrist 643 f. Ehebruch, Strafbarkeit mehrerer konk. Delikte als e i n Verbr. 556 A 40. — Idealkonk. m i t Incest, die beiden Handlungen 567. — Einwilligung des Verletzten 715. — Ehescheidung als Strafklagvoraussetzung 601. — Beginn d. Antragsfrist 643 f. Ehefrauen, konk. A ntragsbereclitigung dieser u. d. Ehemänner bei Beleid, u. Körperverl. 628.

register. Ehefrauen, d. gesetzlichen Vertreter des Mannes m i t dens. nicht antragsberechtigt 628 A 12. Ehegatten als Angehörige 787. Ehemann, konk. Antragsbefugniss dess. 628 f. — Disziplinargewalt dess. 797. — hat kein Züchtigungsrecht 797. Ehre, Begriff 726. — als Obj. d. Beleid, und als Obj. d. Ehrenstrafen nicht identisch 705 A 10. Ehrenerklärung, beseitigte Privatstr. 305. Ehrenrechte s. biirgerl. E . Ehrenstrafen, vor dem GB rechtskräftig erkannte, dem GB unbekannte 252 (s. auch biirgerl. Ehrenrechte). Eigenmacht, erlaubte 788 f. — Maass ihrer Energie 789. Eigennutz, strafb., d. bez. Verbr. bilden i m GB keine kriminalist. Einheit 322. Eigentümer, kriminalist. Gleichstellung des bon. fid. poss. m i t dems. 620 A 14. Eigentumserwerb, Verschiedenheit der Satzungen darüber i n ihrem Einfluss auf Beurteilung e. Handlung als Diebstahl 55. Eigentumsverletzungen, allein d. Eigentümer antragsberechtigt 619 f. Einfaches u. schärfendes Gesetz 494. Einfache Verbrechen s. Verbrechen. Einführen von Gegenst. 555. Einführungsges. z. nordd. GB gilt noch heute i n seiner urspr. F o r m 89. gilt nicht i n Elsass-Lothr. 91. Inkrafttreten 298. Einheit des Delikts s. Deliktseinheit. — des Verbr. s. Verbrechenseinheit. — des Strafrechtsverhältnisses 485 f. — des Entschlusses 523. 535 f. ausschlaggebende Bedeutung für das Einheitsurteil 539. bei Fahrlässigkeit 537 f. unberührt durch die Absicht stufenweise fortschreitender Tätigkeit 537. — bei i n versch. Maasse verletzbaren Rechtsgütern bedingt durch quantitative Bestimmung des Eutschl. 537. — der Handlung 523. 529 f. — des verletzten Rechts 523. 530 A 3. — des verletzten Rechtsguts 523. 531 f. — der Kausalität 523. 530 f. 534. — des Erfolgs 523. 533 f. Einheitsmerkmale des Verbrechensfalles 520. — der Deliktseinheit 523. 529 f. Einsammeln von Beiträgen 555. Einsperrung, qualif. Nötigung 335. — Veijährungsbeginn 836 f. Einstellung 194. 445. 613.

Einteilung der Verbrechensarten in „Verbr.", „Verg." u. „Uebertr." 510 f. — Handhabung ders. 514 f. — prakt. Bedeutung 516. 517. — Bedeutung für d. Zuständigkeit d. Landesgesetzgebung insbes. 319. Einwilligung des Inhabers des Gehorsamsrechts i n d. Verletzung 707 f. — des Verletzten, d. Ansichten d. Dokt r i n 729 A 35. — Unabhängigkeit des Antragserfordernisses von ders. 605. — relevante hindert d. Entstehung des Antragsrechts 663. — wechselseitige zu scheiden von d. Selbstverletzung 700. — unwirksam bei Polizeidel. 708 A 7. — nicht bei allen nicht gemeingefährl. \ r ermögensverbr. wirksam 716 A 28. — kann nur kraft Gesetzes die Rechtswidrigkeit benehmen 708 f. — d. Sprachgebrauch des GB 709 A 9. 716. — verschiedenartige Bedeutung und W i r kung 710 f. — als Rechtsgeschäft 713 f. 716. — als einseitige Rechtsaufgabe 714 f. 716. — d. Einwilligungsberechtigten 715. 717. — Zeitpunkt ders. 713 f. 715. 727. — Kenntniss des Täters erforderlich? 715. 720. 722. — des Handlungsunfähigen 713.714. 717. 727. — durch L i s t erlangte 717. — bei den Verbr. wider d. Rechtsgüter d. phys. Persönlichkeit 718 f. 727 f. — bei Verletzungen d. weibl. Geschlechtsehre 726 f. — beschränkte Wirksamkeit gegenüber Amtsdelikten 728. — als Strafminderungsgrund 728 A 32. Einzelstaaten s. Bundesstaaten. Einziehung 496 f. — bald Strafe, bald Polizeimaassregel 84 f. 497. — den Landesgesetzen nachgelassene Strafart 301 f. — Werterlegung bei nicht vollziehbarer Ε 343 A 39. partikularrechtl. nicht vorschreibbar 302. 343 A 39. — Unzulässigkeit, darunter d. Entziehung von Privatrechten zu begreifen 302. — Vollstreckung i n den Nachlass 813 f. — Unzulässigkeit derselben i m objekt. Verfahren bei Verjährung d. Strafverfolgung 834 A 4. Elsass-Lothringen, Einführung des GB 90 f. 408. — das E G zum GB nicht eingeführt 91. — Begnadigungsrecht 866 f.

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Eltern, Züchtigungsrecht ders. 797 f. — Dauer von deren Disziplinargewalt 798. Endigungsgründe von Strafrecht u. Strafklagrecht 808 f. — normale und anomale 809 f. — versch. W i r k u n g ders. 810 f. Entführung, Ungiltigerklärung der Ehe Strafklagvoraussetzung 601. — Beginn d. Antragsfrist 643 f. Entlassung, vorläuf. 816. Entschluss-Einheit 523. 535 f. Entstehung von and. als Schadensersatzrechten Dritter aus Verbr. nach Reichsu. Landesrecht 330 f. Entstehungsgeschichte d. beiden deutsch. Strafgesetzbücher 57 f. 107 f. — eines Gesetzes als Auslegungsmittel 470 A 2. 473 A 14. Entstehungsgründe des Strafrechtsverhältnisses 498 f. — die anderweiten ausser dem Verbr. 588 f. Fntwendung s. Genussmittelentwendung. Entwürfe d. beiden Gesetzbücher 57 f. 107 f. Entziehung öffentl. Aemter als zuläss. Landesstrafart 302. 327. streng geschieden vom Verluste d. aus öffentl. W a h l e n hervorgegangenen Rechte 302. Begnadigung 876. — d. geistlichen Amtes partikularrechtl. androhbar ? 302. Erben, kein Strafverfahren gegen sie auch nach Landesrecht 313 A 2. Erfinderrechte, Verletzungen ders. 81. — der antragsberecht. Verletzte 623 f. 646. — Mehrheit d. verletzten Rechte bedeutet stets Deliktsmehrheit 532. Erfolg, Relevanz dess. für die Frage nach dem Begehungsorte 417. — E i n h e i t dess. i n ihrer Bedeutung für d. Einheitsurteil 523. 533 f. Erfolge, Ursachen verschied. Erfolge m i t teilweise identischen Bedingungen 567. Erfolgsverbrechen, Gesetz der Begangenschaft 246. Erfüllungszwang, mittelb. und unmittelb. als I n h a l t v. Berufsrechten 793. 795 f. Erklärende Auslegung 467. Erklärungsmoment als notwendiger Bestandteil jedes Rechtssatzes 197 f. 457. — als M i t t e l der Auslegung 458 f. 465 f. Erlass der Strafe, Konsumtion des inländ. Strafrechts durch ausländ. 445 (s. auch Begnadigung, Gnade, Gnadenakt). Erlaubende Rechtssätze s. Gewährungen. Erlöschen der alternat. Strafklagrechte mehrerer Bundesstaaten 480. — von Strafrecht u. Strafklagrecht 808.

Ermächtigung, d. Satzungen gehören dem Strafrecht u. Strafprozessrecht gemeinsam an 85. — unmittelb. Beziehung blos zum Strafklagrecht 196. 602. — die möglichen Grundgedanken 604 f. — jurist. N a t u r 610 f. 615. — Mangel ders. w i r k t Einstellung 613

A 11.

— bei Beleid, polit. Körperschaften 618. — Unteilbarkeit 636 A 1. Ermächtigungsrecht, Natur 613. 614 f. — die Inhaber 615 f. 617 A 5. 618. — Unzulässigkeit der Ausübung durch Stellvertreter 652 f. Ermächtigungsverbrechen, Wandel von Antrags- in E.-Verbr. 256. — d. Fälle im gelt. Recht 607 f. 610. — Veijährungsbeginn 839 A 20. 841 f. Erpressung, Verbrechenseinheit trotz Mehrheit der Nötigungen 564 A 10. Ersatz, freiwilliger, kein Strafausschliessungsgrund 816. Erziehungsrechte 797. Exceptio rei judicatae 194. — veritatis, Beweis durch Verjährung gehindert 826 A 7. Excess der Notwer 751. 752 f. Notwer gegen dens. 753. — der Notstandsverletzung 776 f. Exemtion von Strafgesetzen, W i r k u n g 676 u. A 14. Exterritoriale, Natur ihres Privilegs 667. 685. — Umfang des Privilegs 686. 688 f. — Notwer gegen dieselben 738. — Grundstücke giebt es i n Deutschland nicht 407 A 4. Exterritorialität der fremden Souveräne, Regenten u. Präsidenten 687 f. — der fremden Gesandten 686 f. 688. 689. — der fremden Kriegsschiffe 688. — der Bundesratsmitglieder 688 f. Fälschung des Waldhammerzeichens 348. Fahnenflucht s. Desertion. Fahrlässige Begehung, muss ausdrücklich pönalisirt sein, sonst gilt die Drohung nur der vorsätzl. 310 f. — falsche Identifizirung e i n e s sog. fahrläss. Verhaltens, der Gründl, mehrerer fahrl. Verbr., m i t e i n e r fahrl. Handlung 532 Anm 10. 580 A 30. — Verbr., Veijährungsbeginn 839. Fahrlässigkeit von Vorsatz abgelöst: Deliktseinheit 539. — Nachfolgerin des Vorsatzes: Deliktsmehrheit 539. Falsche Aussage, unbeeidigte, straflos 317.

register. Falsche Anschuldigung s. Anschuldigung. Falsche Beurkundung, Straf hark. d. Beamten, der von solcher Gebrauch macht 219 A 5. Familie, Disziplinargewalt in ders. 797. Familiendiebstahl, der Antragsberechtigte 620. 622 f. — Konkurrenz mehrerer Verletzter, deren einer oder mehrere antragsberechtigt sind 631 f. — die nichtangehörigen Teilnehmer und Begünstiger 638 f. Feilhalten 555. Feindliche Handlungen gegen befreundete Staaten 434. der Antragsberechtigte 617 f. Felddiebstahl 347 u. A 11. Feldpolizeigesetze 345. 347 A 11. Festnahme durch Privatpersonen 789. Festungshaft 469. F i r m a antragsberechtigt wegen Urheberrechtsverletzung 624. 646. — nicht antragsberechtigt wegen Beleid, der Mitgl. einer Handelsgesellsch. 618

A 10.

— wegen Hinterziehung d.Zwangsvollstr. 653 u. A 3. Fischereigesetze, landesrechtl. 345. 347 f. Folge, zweiter T e i l im Strafges. 176 f. — i m bejahenden Strafges. 176. — i m verneinenden Strafges. 180 (s. auch Straffolge). Forst- u. Gemeindearbeit, zulässige partikularrechtliche Strafe 303 f. Forstdiebstahl 294. 345 f. — identisch m i t Holzdiebstahl 346 A 7. — echter Diebst. 346 u. A 8. 9. — Zuständigkeit des Landesrechts 346 f. Forstpolizeigesetze 345. 347 f. Forststrafgesetze, Verhältniss der neueren deutschen zum allg. T e i l des GB 308 A 3. Fortdauerndes Verbr., Gesetz d. Begangenschaft 246. Fortgesetztes fahrläss. Verbr. 538 A 24. 544 A 13. Fortgesetztes Verbr., Begriff 540 f. 564. — m i t seiner Gestaltung haben § 73. 74 GB nichts zu tun 541 A 3. 571 f. — nicht Verbindung zweier Verbr. als M i t t e l u. Zweck 531. — dass, begegnet innerhalb aller 3 Formen der Verbrechenseinheit 526. — nur bei Uebertretung derselben N o r m 542. 564. — Untersch. vom Dauerverbr. 543. vom F a l l zeitl. Dauer der durch e. abgeschloss. Verletzungshandl. bewirkten Rechtsgüterverletzung 542. von der Verbrechensmehrheit 565. von d. Idealkonk. bes. 578.

Fortgesetztes Verbr., die beiden Grundformen bei Deliktseinheit 544 f. — Bedeutung der Entschlusseinheit für dass. 535 f. 539. — Bestrafung 546 f. — die einzelnen A k t e brauchen nicht dems. Strafgesetz zu unterfallen 494. 546. — d. Gesetz der Begangenschaft 246. — entfällt, wenn e. strafbares in ein strafloses D e l i k t sich fortsetzt 248. — d. K o l l e k t i w e r b r . als solches 552. — bei Deliktsmehrheit 559. 564. — W i r k u n g d. Rechtskraft 560. — e i n A k t dess. begründet eine Verbrechensmehrheit: Idealkonk. 584. — m e h r e r e A k t e dess. begründen Verbrechensmehrheiten 584. — häufige Annahme wegen Schwierigkeit des Beweises der Realkonk. 585 f. — d. Antragserforderniss bei dems. 630 f. — Beginn der Verjährung 836 f. Forum connexitatis für partikularrechtl. Straffälle versch. deutscher Staaten existirt nicht 482 A 15. — beim Reichsgericht 866. Forum delicti comm. Ort der Begangenschaft 415 A 1. 417 u. A 10. — mehrfaches bei e i n e m Verbr. 585. — bei Pressdelikten 585 A 44. 45. Frankreich, Entwicklung d. Satzes nulla poena s. 1. das. 24 f. Französisches Recht, Einfluss dess. auf die deutsche Strafgesetzgebung 45. 46. Freiheit des Willens 13. — Maass der Wehrhaftigkeit i m Notstande 783. Freiheitsbeschränkungen i m Interesse der Verbrechensverhütung 324. Freiheitsstrafe kann milder als Geldstr. sein 265. 515 A 18. Freisprechung, W i r k u n g ausländ, auf das inländ. Strafrecht 441 f. 445. — W i r k u n g ungerechtfertigter 810. Friedloser 4. Fürsten s. Bundesfürsten. Futterdiebstahl 620. Gattungsdelikt 504. Gattungsverbrechen 505 f. Gebot der Anspannung derDenkkraft als sekundärer Inhalt jedes Verbots 166 f. Gebote u. Verbote 166 f. — sekundäres Verbot i n dens. 167. — als Grundlage d. Unterlassungsdelikte 167. — schlechthin 172. — nur i n Deutschland übertretbar 437. Gebrauch, widerrechtl. fremden Eigent., darf partikularrechtl. nur i m zuläss. Sonderrecht pönalisirt werden 348.

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Gefährdungsverbote 167. 170. — prinzipielle Subsidiarität ders. gegenüber den Verletzungsverboten 171. 358. — Verhältniss zu den Verboten schlechth i n 171. 359. Gefährdungsverbrechen durch d. Verletzungsverbr. ausgeschlossen 360. Gefängniss über 2 Jahre darf auch nicht i n ält. Landesgesetzen gedroht sein 299. — landesrechtl. Strafart 301. — lebenslängl., Verjährungsfrist 857. — über 10 Jahre, Verjährungsfrist 857. Gefangenenbefreiung u. Begünstigung 352 A 8. 575 A 17. Gegenseitigkeit, verbürgte, als Strafbarkeitsmerkmal 510. — als 2. Bedingung d. Strafrechts 591 f. — Mangel ders. w i r k t Freisprechung 592 A 11. — Erforderniss ders. als Bestandteil d. Normen 595 A 21. Gegenständliches Geltungsgebiet s. sachliches G. Geheimnisse, Verletzung fremder, bildet keine kriminalist. E i n h e i t i m GB 322 (s. auch Privatgeheimnisse). Gehilfe, Wandlung i n den Anstifter, Täter 495. — ausländ., inländ. 424 f. — zu konkurrir. Verbr. 586 f. Gehilfschaft, Begehungsort 424 f. — mehrmalige Unterstützung dess. Verbrechens, auch mehrerer Täter bei dems., begründet keine Konk. 586. Gehorsamspflicht 183 f. Gehorsamsrecht, die Subjekte dess. u. des StR 163. 183 f. 483. — Begriff u. Natur 158 A 8. 9. 183 A 1. — Umfang 184 f. 388 f. — Delegation dess. 185. — dessen Verletzung die einzige jedem D e l i k t wesentl. Rechtsverletzung 186. Gehorsamsrechte, Möglichkeit zweier inhaltlich gleicher von einander unabhängiger wider dies. Person 187. Geisteskranke, der Antragsberechtigte bei Antragsverbr. gegen 627 f. (s. auch Wahnsinnige). Geisteskrankheit d. Angeschuldigten 814. Geistliches A m t , Entziehung dess. durch d. Landesstrafgesetzgebung 302. Geld als internationales Rechtsgut 393. Geldfälschung s. Münzverbr. Geldstrafe, subsid. Haftung für solche bei Zoll- u. Steuervergehen 489. 497 A 4. 589 A 3. — nicht immer milder als Freiheitsstrafe 265. 515 A 18. — · angedroht ohne M a x i m u m u. M i n i m u m i n Gestalt des Mehrfachen e. Grund-

werts stempelt d. Tatbestand z. Vergehen 515. Geldstrafe, Wandlung ders. durch den T o d d. Schuldigen 497. 812. — der Höchstbetrag der landesgesetzl. zulässigen nicht fixirt 301. — i m Guldenfuss 344. — Verjährung der neben Freiheitsstrafe erkannten 854 f. — Voraussetzungen d. Vollstreckbarkeit i n den Nachlass 813. — Vollstreckung i n d. Nachlass obligator. 813. Geldstrafen, absol. bestimmte 176 f. Geltungsgebiet s. sachliches, zeitl. G. Gemeines deutsches StR, Quellenbestand 37 f. — formell g. d. StR bedeutet nicht notwendig zugl. materiell g. d. StR 55 f. 272 A 4. — altes u. neues 271. — zwingend u. subsidiär g. d. StR 271 A 3. 332 f — u. partikuläres 270 f. 290 f. — Ausschliesslichkeit cless. 289 f. — die „Materien" dess. 290 f. — Präventivmaassregeln u. Nichtstraffolgen in dems. 324 f. — Dasein u. Umfang subsid gem. StR 332 f. — allg. u. bes. 334 f. — allg. g. u. bes. Landesrecht 344 f. Gemeines Recht, Sieg d. Partikularismus über das absterbende gem. Recht 38 f. — letztes Geltungsgebiet des alten gem. Rechts 40 f. 271. Gemeingefährliche „Vergehen" nicht abschliessend im GB geregelt 321. — Verbrechen, Einwilligung d. Gefährdeten 729 A 33. Gemeingefahr, das Verbot einer solchen dem Verletzungsverbote nicht subsidiär 358 A 5. Genehmigung s. Einwilligung. Generalbevollmächtigter, Antragsberechtigung ? 653. Genussmittelentwendung, qualif., schwerer Diebstahl 335. 528 A 13. Gerechtigkeit i m StR 32. Gerichte, inländ., ausländ. 412. 413. Gerichtliche Medizin 11 f. Gerichtsbrauch 211 f. Gerichtsverhandlungen, Berichte über, nicht privilegirt 681 A 5. Gesammtstrafe, Vollstreckungslast u. Begnadigungsgewalt 876 f. Gesandte, Exterritorialität 686 f. 688. 689. Geschäftsmässige Verbrechen 548 A 2. 550. Geschäftsmässigkeit 550.

register. Geschenknahme seitens Beamter i n alten Bundesgesetzen 342 f. Geschriebenes Recht 4. — StG u. unbesetztes Recht'212 f. Geschwister 787. Gesellschaften ohne jurist. Persönlichkeit, Vorstände nicht antragsberechtigt 627 A 1. Gesetz, Begriff 200. — die beiden Bestandteile 197. — Bedeutung d. Grundes u. Zweckes für sein Verständniss 13 f. — u. Gewohnheitsrecht 198. — an sich Schriftlichkeit nicht wesentlich 200. — Schaffung ungesetzten Rechts durch G. 201 f. — konstitutionelles u. Verordnung 205 f. — u. Verordnung i m GB 206 A 8. — der Begangenschaft 244 f. 246. 248. — Rückwirkung des milderen 251 f. — milderes s. milderes Gesetz. — Unabhängigkeit seines autoritat. W i l lens vom W i l l e n d. Gesetzgebers 454 f. (s. auch StG). Gesetze, strafdrohende, gehören zu den bejahenden Rechtssätzen 6. — Rückwirkung s. Rückwirkung, Normen, StG, zeitl. Geltungsgebiet. Gesetzesanalogie 216 f. Gesetzesauslegung 213. 452. Gesetzesbefehl 189. 197 A 2. Gesetzesinhalt 197 A 2. Gesetzeskonkurrenz 333. — Verhältniss zu Verbrechens- u. Deliktskonk. 224. 526 f. 565. 567. 573 A 13. — Ausnahme- u. Regelrecht i m gem. Recht 334 f. — Alternativität d. Strafgesetze 349 f. — Subsidiarität d. Strafgesetze 355 f. — Konsumtion e. Strafdrohung durch die and. 363 f. — i n § 73 GB nicht berührt 571 f. Gesetzesmaterialien s. Materialien. Gesetzesrecht u. ungesetztes Recht 29. — als Resultat der Auslegung 215. Gesetzestext 458 A 1. 460. Gesetzgebende Faktoren, deren Absicht als Auslegungsmittel 470 f. Gesetzgeber u. Richter 34. — der sog. W i l l e dess. als Z i e l d. Auslegung 454 f. — Notwendigkeit, den W i l l e n dess. unpersönl. zu verstehen 456. Gesetzgebung, Beschränkung d. Wissenschaft durch die neuere Gesetzgebung 15 f. — die beiden A k t e ders. 197 f. — des Reichs s. Reichsgesetzgebung. Gesetzgebungsgewalt, abgeleitete 185.

Gesetzgebungstechnik d. Bundesstaats 53 f. Gesetzlicher Vertreter, Antragsbefugniss, 627 f. — deren Vertretung, bes. wenn sie selbst die Delinquenten sind 627. 628 A 1 0 . Gesetztes Recht 19. 198. 200. — Mittelformen 199 f. (s. auch Gesetz). Gesinde, Disziplinargewalt über 799. Gewährungen 157 f. Gewalt, nachzeitige 754. — als Strafausschliessungsgrund 768 f. (s. auch Staatsgewalt). Gewalten d. Gesetzgebers u. Richters 34. Gewaltgebiet, wieweit Inland 408 f. 410 f. Gewerbedelikte 437. Gewerbmässige Verbrechen, Begriff 548. 549. — Verbrechenseinheit 551. — das gesetzgeberische M o t i v 553 f. — die 3 Entstehungsweisen 548 f. — die heutigen Fälle 548 A 2. — K o n k . anderer Qualifikationsgründe 552 f. — Klagenkonsumtion 560. — Zeit u. Gesetz d. Begangenschaft 247. — Berücksichtigung früher unverbotener Fälle? 249 A 2. — inländ. Begehungsort 419 f. 422. Gewerbmässigkeit als Normwidrigkeitsmerkmal 548 f. — als Qualifikationsgrund 549. — als Strafbarkeitsmerkmal 549. — Begriff 549 f. — schon bei Nachweis nur e i n e s Delikts 550. — absorbirt die Gewohnheitsmässigkeit 550. — Berücksichtigung verjährter u. abgeurteilter Fälle 550 A 12. Gewichtsfälschung 80. Gewohnheitsmässige Verbrechen, Begriff 548 f. 550. — Verbrechenseinheit 551. — die 3 Entstehungsweisen 548 f. — gesetzgeberisches Motiv 553 f. — i m heut. Recht 548 A 2. — inländ. Begehungsort 419 f. 422. — K o n k . and. Qualifikationsgründe 552 f. — Klagenkonsumtion 560. Gewohnheitsmässigkeit, Begriff 550. — als Tatbestandsmerkmal 549. — als Qualifikationsgrund 549. — nur bei Nachweis mehrerer Delikte 550. — absorbirt von d. Gewerbmässigkeit 550. — Berücksichtigung verjährter u. abgeurteilter Fälle 550 A 12. Gewohnheitsrecht, Begriff 198. 202. 212. — Verbot dess. 204. — Bedeutung dess. für d. StR 209 f. — Beseitigung alles strafbestimmenden durch GB § 2 : 205. 210.

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Gewohnheitsrecht, Möglichkeit derogirenden G. 210 f. — kriminelles nicht blos durch d. Gerichtsbrauch entstehbar 211 f. — bedeutsam für B i l d u n g v. Normausnahmen 213. — Auslegung 458 A 2 (s. auch ungesetztes Recht). Gläubigerbegünstigung 362 A 17. — K o n k . m i t einf. Bankrott 362 A 17. — Subsidiarität gegenüber betrüg. Bankrott 362 A 17. Gleichartige Idealkonk. s. Idealkonk. Glücksspiel, die N o r m 548 A 4. Gnade 313. 860 f. — A r t e n 861. — ergreift nicht d. Tatbestände 861. — Verhältniss zu Gesetz u. Urteil 862 f. (s. auch 56). — einseitiges Verzichtsrechtsgeschäft863. — Subjekt ders. 863. — Delegation ders. 863. — unstatthaft wegen mangelhaften Schuldbeweises 864. — Motive ders. 864. — wieweit Materie d. Reichsgesetzgebung 865. — Sprachgebrauch des GB 865 A 2 (s. auch Abolition, Begnadigung, Gnadenakt, Begnadigungsgewalt). Gnadenakte bei Verbrechen d. Reichsbeamten u. solchen d. Landesbeamten bei Ausführung d. Bundesgesetze 56. — Tragweite der einzelnen i m Reiche 867 f. — Unwiderruflichkeit 879. Grammatische Auslegung 30. 458. 463. — bez. des ungesetzten Rechts? 458. — Bedeutung cles jurist. Sprachgebrauchs 463 f. — Bedeutung des gesetzl. Sprachgebrauchs 464 f. — Bedeutung d. Sprachgebr. d. Rechtswissenschaft 465. — W e r t ders. 465 f. Grenzen der Strafrechtswissenschaft 6 f. Gründe cl. Nichtentstehung v. StR u. Strafklagrecht 664 f. — blos d. Nichtentstehung d. Strafklagrechts 665. — blos d. Nichtentstehung d. StR 665 f. — ausgeschloss. Rechtswidrigkeit 665 f. 691 f. — ausgeschlossener Strafbarkeit 665 f. 667 f. — d. Untergangs v. StR u. Strafklagrecht 808 f. Grund des Rechtssatzes 13 f. Güter, wehrhafte 743 f. Gut s. Rechtsgut.

Haftstrafe, d. Landesgesetzen nachgelass. Strafart 301. Haftung, subsid., für fremde Geldstrafen 489 f. 497 A 4. 589 A 3. Handelslehrling, kein Züchtigungsrecht gegen dens. 799 A 29. Handelsschiffe s. Schiffe. Handlung, Anforderung d. N o r m an dies.

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— durch Benutzimg fremder Kräfte 424 A 1. — „dieselbe Handlung" i m S. v. § 7 GB : 440. 442. — der jurist. Begriff 565 f. — der unjurist. Begriff 566. — der Begriff der §§ 73. 74 G B : 574. — Sprachgebrauch des GB 565 u. A 3. — dies. H . kann nicht 2 Delikte enthalten 567 f. — „eine u. dieselbe Handlung" i m S. von § 73 G B : 573 f. 578 f. — u. Verhalten 532 A 10. 580 A 30. Handlungen, rechtlich indifferente 158. — Mehrheit von H . als Voraussetzung jeder Delikts- u. Verbrechensmehrheit 565 f. — Selbständigkeit der versch. verbrecherischen als Voraussetzung jeder Verbrechensmehrheit 565 A 1. — ders. Tatakt Bestandteil versch. H. 567. — Selbständigkeit zweier H. nicht beeinträchtigt durch d. Maass d. Identität ihrer Bedingungen 567 f. 569. Handlungsfähigkeit als Voraussetzung d. Normgebundenheit 158 f. 184. Hancllungsnormen 166 f. — sekundäres Verbot in dens. 167. Handlungsunfähige, Einwilligung solcher i n die Verletzung 713. 714. 717. Hausfriedensbruch, Verbrechenseinheit trotz Eindringen u. Verweilen 562. — ideale Konk. d. Straftaten im Hause mit dems. 562 A 7. 575 A 1 7 . 577 A 24. — u. Eindrücken d. Fenster, Realkonk. 577 A 24. — der Verletzte 619. 654. — Stellvertretung d. Berechtigten 619. — Unzulässigkeit d. Antragstellung durch Stellvertreter 653. — Notwer gegen dens. 744 A 44. Hehlerei 363. — K o n k . v. Rückfall u. Gewerbmässigkeit 553. Heilkunde 11 f. 13. Herausforderung zum Zweikampf, Subsidiarität 362. Herrschaftsgebiet s. sachl., zeitl. H . Herstellen 555. Hessen, Ausdehnung des nordd. G B auf Südhessen 86 f. Hinterziehung d. Zwangsvollstr., Unzu-

register. lässigkeit d. Antragstellung durch die F i r m a 653 u. A 3. Historische Betrachtung des gegenwärtigen Rechts 4 A 1. Hochverrat, Konsumtion des Nötigungsmoments 364 A 3. — i m Ausl. begangener 428. — auswärts wegen H . gegen d. Deutsche Reich vollzogene Strafe auf die inländische nicht anzurechnen 442. — Verbrechenseinheit trotz mehrerer verschiedenartiger Delikte 561 f. Holzdiebstahl s. Forstdiebstahl. Idealkonkurrenz, Begriff 573 f. — Unterschied v. Alternativität d. Strafgesetze 349 A 1. 350 A 4. — Untersch. ν. Verbrechenseinheit bei Deliktsmehrheit 556 A 34. — keine Gesetzeskonk. 567. 571. — Untersch. v. fortgesetzten Verbr. 578. — Mehrheit v. Handlungen 565 f. 578 f. — „eine u. dieselbe Handlung" i m S. v. § 73 G B : 573 f. 576 f. 578 f. 581 f. — gesetzgeberisches Motiv 575 f. — K r i t i k 575 f. 587 f. — Absorptionsprinzip 576 A 21. 577.634. — bei ders. nie Einheit des verbrech. Entschlusses, nie Einheit des angegriffenen Rechtsgutes 578. — gleichartige 221. 577 f. — von Ehebruch u. Incest 567 f. — mehrerer fahrläss. u. eines vorsätzl. m i t e. fahrl. Verbr. 580. — von Begehungs- u. Unterlassungsverbrechen 580. — mehrere Verbr. i n 1 Presserzeugnisse 581. — gleichzeitige Anwendung d. Grundsätze über Ideal- u. Realkonk. 583. — wenn bei e. fortges. Verbr. 1 A k t dess. e. Verbrechensmehrh. begr. 584. — wenn mehrere an sich real konk. Verbr. jedes mit dems. fortges. Verbr. i n Idealkonk. stehen 584. — Anstiftung u. Beihilfe zu konk. Verbrechen 586 f. — das Antragserforderniss gegenüber ders. 633 f. — von Antragsdel. unter einand. u. m i t Offizialdel., konsumirende W i r k u n g der Verurteilung oder Freisprechung blos wegen des einen konk. Delikts? 634 f. — Nachtragserkenntniss bei ders. 635. Identität, scheinbare, d. Ursachen versch. Erfolge 567. Imperativ in der N o r m 155 f. 164. I n dubio mitius 453. Incest, Idealkonk. m i t Ehebruch 567 f. Indifferente Handlungen 158.

Indifferente Angriffshandlungen 689 f. Indigenat s. Bundesindigenat. Indignitätsfälle 304 A 27. Inhaber des Strafrechts s. Strafrecht. Injuria, die Privatstrafen ders. i m heut. Recht 305. Inkrafttreten der Strafgesetze s. zeitl. Geltungsgebiet. — des GB u. des E G 242. — Wirkungen dess. nach gelt. R. 242 f. Inländer u. Ausländer i m internat. StR 381 f. 413 f. — Verschiedenheit d. Gegensatzes gegenüber d. Fragen der inländ. Straffälligk. u. d. Auslieferung 413 f. — subditus temporarius? 413. — der deutsche Beamte nicht notw. 413. — der zugleich anderwärts naturalisirte Deutsche 413. — Strafbarkeit ausländ. Verbr. der I n l . 427 f. 431 f. 434 f. — i n staatlosem Gebiet begang. Verbr. ders. 436. Inländische Gerichte 412. — Strafgesetze 413. — u. ausl. Rechtsgüterwelt i m internat. StR 382. 391 f. Inländischer Begehungsort 414 f. — K o n k . inl. u. ausl. Strafanspr. 440 f. — Strafanspr., Konsumtion dess. durch ausländ, kriminelles Vorgehen 443 f. Inländisches Strafgesetz 372. Inland, kann i n Vertretung d. Ausl. nur auf Grund von Staatsverträgen oder Rechtsgeschäften strafen 373. — u. Ausl. i m internat. StR 381 f. 405 f. — zeitweises Auseinanderfallen d. Begriffs i m S. des GB u. der R V 407 f. — Verschiedenheit d. Begriffs i m S. der Rückfallslehre 405 A 1. 408 A 6. — Verschiedenheit d. strafrechtlichen u. strafprozessualen Begriffs 417 A 11. — als Staatslandgebiet u. Staatsgewaltgebiet 406. — Bestimmung d. Staatslandgebiets 407 f. — Kolonien 408. — das nicht territoriale ausschliessliche Gewaltgebiet 408 f. — ein T e i l d. gemeinsamen Gewaltgebiets als I . 410 f. — die Konsulargerichtsbezirke 410 f. — von deutschen Truppen besetzte ausländische Gebiete 412. — i m Ausl. stationirte Zollämter 412. — teils i m Inl., teils i m Ausl. begangene Verbrechen 416 f. — verbrech. Versendung von Briefen ins I . 420 f. — Strafbarkeit der i m Inl. u. Ausl. verübten Verbr. nach Reichsrecht 425 f. (s. auch internationales Strafrecht).

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Intellektuelle Urkundenfälschung, Verbrechenseinheit trotz mehrfachen E i n trags? 558 A 44. — u. Personenstandsunterdrückung 575 A 17. Internationale Rechtsgüter 393. Internationales Strafrecht 224. 370 f. — Begriff 371. — prinzipielle Entwicklung 370 f. — Abhängigkeit dess. vom Umfange d. Normen 374 f. — Bestimmungsrecht jedes souv. Staats 375. — i n den früheren deutschen Strafgesetzbüchern 377 A 1. 386 A 26. — Weltrechtsprinzip 378 f. — die 3 Möglichkeiten der Begrenzung des Geltungsgebiets 380 f. — Territorialprinzip 382 f. — Subjektions-, Subditions-, Personalprinzip 384 f. — Realprinzip 386 f. 390 f. — Prinzip der beteiligten Rechtsordnung 387 A 27. — Nationalitätsprinzip 391. — Schutzpflicht d. Staats gegenüber der inl. u. ausl. Rechtsgüterwelt 391. 393 f. — ausl. N o r m u. Strafgesetz als Voraussetzung inl. Strafbarkeit 395 f. — auswärts begang. Polizeidelikte 396. — das geltende Reichsrecht 400 f. — Scheidung von Reichs- u. Landesstrafgesetzen 400 f. — § 3—8 GB als subsid. Auslegungsregeln 402. — die 3 Prinzipien i m gem. Recht 402 f. — Opportunitätsprinzip hins. der ausl. Verbrechen 404. 426. — ausschliessliches Herrschaftsgebiet d. Territorialprinzips 437. - ausländ. „Uebertretungen" 437 (s. auch Ausländer, Ausland, Inländer, Inland.) Inverkehrbringen 555. 558 A 42. I r r t ü m l i c h deliktische Handlungen 691 f. — 2 Formen ders. 692 f. Irrtum, Begriff 691. — über eine verbotene u. eine unverbotene Handlung 691. — über Tauglichkeit des Objekts oder Mittels 693. — über Normwidrigkeitsmerkmale 693. Jagdgesetze, landesrechtl. 345. 347 f. Jagen, unberechtigtes, K o n k . von Gewerbmässigk. u. and. Qualifikationsgründen 553. — nach § 293 GB nicht Antragsdelikt 607 A 2. — Teilnehmer u. Begünstiger, wenn der Täter Angehöriger des Jagdberechtigten 639.

Japan 411. Judikatur des heut. gem. StR 145 f. 150 f. Jugend, einziger allgem. Milderungsgrund auch für d. Landesrecht 314. Jugendliche Personen, deren Strafbarkeit Materie des GB 309. — Verbr. ders., d. Verjährungsfristen 846. Jurisdiktionsverträge einzelner deutscher m i t fremden Staaten 405 A 10. Juristische Personen, Bestrafung ders. auch nach Landesrecht unzulässig 310. Juristischer Sprachgebrauch 463 f. I Kaiser, Begnadigungsgewalt dess. 865 f. Kanzelparagraph 91. 96. Kartelltragen, Subsidiarität der Strafdrohung 362. Kausalität, Notwendigkeit eigener, für jeden verbrech. Erfolg 565 f. — äusserliche Auffassung u. jurist. BeI griff 568. I Kausalitäten, die, verschiedener Verbr. können sich teilweise aus identischen ! Bedingungen zusammensetzen 567. Kautionsstellung gegen m i t strafbaren ; Handl. Drohende 324. j Kenntniss des Strafgesetzes 21. Kinder, Beleidig, u. Körperverl, gegen, konk. Antragsbefugniss d. Vaters 628 f. — Einwilligung solcher in die Verletzung 713. 714 A 20. 717. — Notwer gegen 738 f. Kinderraub, Einwilligung der minderjähr. Personen 729 A 34. Kindesaussetzung u. Personen standsunterdrückung 575 A 17. Kindesmord, bei irrtümlicher Annahme der unehelichen Eigensch. d. Kindes ?

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— Strafmaass, wenn Totschlag mit mildernden Umständen 468. Kirchliche Disziplinargewalt 796 A 17. Kläger, das Strafgesetz richtet sich nicht an seine Adresse 190. — nicht notw. d. Straf berechtigte 193 f. — doppeltes Begehren dess. 194. Klagabweisung 194. Klage, Unteilbarkeit ders. u. ihrer Bedingung 630 f. — dies. K l . kann nicht teils unbedingt, teils durch Antrag bedingt sein 631. Klagenkonsumtion bei Verbrechenseinheiten gebildet aus Deliktsmehrheiten 560. Körperintegrität, kein Gegenstand subj. Rechts 169. Körperliche Züchtigung 324. Körperverletzung behufs Tötung 358. — Versuch ders. durch gesundheitsgefährliche Aussetzung 359.

register. Körperverletzung durch vorsätzl. lebens- Konkurrenz, gleichhaltige u. ungleichgefährliche Aussetzung 359 A 8. haltige 570 A 2. — Konsumtion der Strafdrohung durch — ideale (formale, einheitliche, gleichandere 365 f. zeitige) u. reale (materiale, mehrheitl., — die der schweren K., durch ein Verbr. successive) 571 f. verursacht, geclrohte geschärfte Strafe — Konkurrenz 583. setzt fahrlässige Verursachung der K . — Anstiftung u. Gehilfschaft bei ders. voraus 366. 586 f. — beabsichtigte schwere, durch Aus(s. auch Delikts-, Strafen-, Verbrechenssetzung 367 A 12. mehrheit, Gesetzeskonk.) durch ein Verbr., dem für den Konkurrenzfälle, ält. 265 f. F a l l der schweren K . geschärfte Konnexität, subjektive 570. Strafe gedroht ist 367. Konsequenz, Bedeutung des logischen Verfahrens d. K . für d. Stra&echts—, im Zweikampf mit nicht tötl. Waffen wissensch. 10 f. 368. — Verfahren derselben deckt ungesetztes — des Einwilligenden 468. 722 f. 727. R. auf 202. 213. — Verbrechenseinheit trotz Misshandl. und Gesundheitsschädigung 562. zulässig gegenüber allen Reichsstrafrechtssätzen 213. — Berührung von gleichart. Realkonk. u. fortges. Verbr. bei ders. wegen Konsulargerichtsbarkeit, d. Bezirke deutscher als teilweises Inland 410 f. Schwierigk. d. Beweises der ersteren — Bedeutungslosigkeit d. lex loci für d. 585 f. Ι Bezirke ders. 411. — der Antragsberechtigte 619. — gegen Ehefrauen u. Gewaltkinder, I — nie Militärgerichtsbarkeit 411. konk. Antragsbefugniss d. Ehemannes j Konsuln i m Zweifel nicht exterritorial 688. Konsumtion e. Strafdrohung durch e. u. Vaters 628 f. and. 224. 363 f. 528. — gegen Beamte u. s. w., konk. Antrags— Gründe ders. 363 f. befugniss 629. Körperverletzungen, wechselseitige, A n - Konsumtion d. Klage bei Verbrechenseinheit gebildet aus Deliktsmehrheit tragsfrist 641. 560. Körperverletzungsversuch, Surrogatstrafen — e. Strafe durch e. and. 494 f. für dens. 359. 360 A 10. — des Strafrechts 814 f. Kollektivdelikte 548. 552. — Zeit u. Gesetz d. Begangenschaft 247. — des Strafklagrechts 194. 814 f. — Verjährungsbeginn 837. Kontrebande 339. Korea 411. Kollektivtätigkeit pönalisirt 555 f. Kollision zweier Strafrechte 397. 400 A 4. Korrealität s. Strafrechtsverhältniss u. Straf klagrecht. Kolonien 408. Korporation, d. Antragsberechtigte 627. Kommissivdelikte s. Begehungsdelikte. Kriegsschauplatz, d. ausländ., nicht deutKonfiskation s. Einziehung. sches Gewaltgebiet 412. Konkludentes Schweigen des GB 281. Kriegsverrat 429. 291 A 4. K r i t i k des Rechts als Aufgabe der Konkretisirungsmerkmale d. VerbrechensRechtswissensch. 14 f. falles 519. Konkurrenz von Schärfungsgründen und — u. Auslegung 451. Milderungsgründen bei dems. Verbr. — gegenüber publizirten Gesetzen 459. 527. K r i t i k e n des norddeutschen Entwurfs — v o n ' D e l i k t e n 179. 504. 547 f. 565 f. 59. 60. — d. Strafgesetze 223 f. 332 f. Küstengewässer 408. — d. Vorschriften über K . i n § 73 f. Kumulationsprinzip 577. GB auch für ältere Fälle allein an- Kuppelei, keine Idealkonk. d. versch. wendbar 265 f. A r t e n 354 A 12. 553. 573 A 13. — Unzulässigkeit landesrechtl. Normirung — Alternavität d. Strafgesetze hins. ders. ders. 314. 353 f. — von Regel- u. Ausnahmerecht 335. — Anstiftung zu ders. durch den Un— des inländ. u. ausländ. Strafanspr. zuchttreibenden 361. 440 f. 569. — objekt. u. Subjekt. 570 A 2. Landesgesetze, können Bundesrecht nicht — gleichartige u. ungleichartige 570 A 2. authentisch interpretiren 53. 283. — d. Zuständigkeit d. Partikulargesetz577 f. Binding, Handbuch. V I I . 1. I : B i n d i n g , Strafrecht. I.

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gebung übersteigende Strafen androhende 208. 301 A 12. Landesgesetze, Nichtigkeitserklärung mit dem Reichsrechte unverträglicher 285 f. — Prüfungsrecht aller Beamten hins. ihrer Verträglichkeit m i t dem Reichsrecht 286. — Beschränkung hins. d. Strafarten 298 f. — Verhältniss zum allg. T e i l des GB 306 f. — sachliches Geltungsgebiet 315. 401. — die „besonderen" nicht i n complexu aufrecht erhalten 344. Geltung des allg. Teils des GB für sie 344. (s. auch Landesgesetzgebung, Partikulargesetzgebung.) Landesgesetzgebung, Zuständigkeit ders. gegenüber vor dem GB begangenen Delikten 242 f. — Aufgabe des Richters, wenn diese die in fortbestehenden Landesstrafdrohungen enthaltenen Strafarten nicht i n gemeinrechtl. zulässige verwandelt hat 250 f. — Direktiven für dieselbe durch die Reichsgesetzgebung 272 f. — kann bez. reichsrechtl. Verbr. Schärfungs- u. Milderungsgründe nicht aufstellen 283 A 13. — Oberaufsichtsgewalt d. Reichsregierung hins. ders. 284. — die i h r entzogenen „Materien" 290 f. 295. — Zuständigkeit derselben zum Erlasse „besond. Vorschriften" 296. — Verhältniss z. gemeinrechtl. Strafensystem 296 f. — die i h r überlassenen Strafmittel u. Strafarten 301 f. — Pönalisirung von Vorbereitungshandlungen durch dieselbe 311. — i h r Verhältniss zu den Gründen ausgeschlossener Rechtswidrigkeit u. ausgeschlossener u. modifizirter Strafbarkeit 312 f. — Freiheit derselben bei Regelung des sachl. Geltungsgebiets ihrer StG 315. — behindert, wenn auch nur ein T e i l des Gattungsdeliktes vom GB unter Strafe gestellt ist 316 f. — d. Pönalisirung des einf. Delikts ders. entzogen, wenn d. gem. R. nur d. gewohnheitsmässige Begehung bedroht 316 A 1. — Stellung ders. zu den „Uebertretungen" des GB 319. — Zuständigkeit ders. z. Aufstellung v. Amtsverbr. 320. hins. polizeil. Präventivmaassregeln 324 f.

Landesgesetzgebung, Zuständigkeit ders. hins. d. Nichstraffolgen delikt. Tatbestände 325 f. d. Rechtsentziehung als Verbrechensfolge 326 f. — Verhältniss ders. zu § 37 GB 447. (s. auch Partikulargesetzgebung.) Landesherren s. Bundesfürsten. Landesrecht, älteres, u. Reichsrecht s. zeitl. Geltungsgebiet, milderes Ges. — Reichsrecht geht vor L . 280 f. — W i r k u n g d. Verdrängung dess. auf solches zitirende Gesetze 282. — bes. u. allg. Reichsrecht 344 f. (s. auch Landesgesetze, Landesgesetzgebung, Landesstrafrecht.) Landesrechtliche Ausnahmen von reichsrechtlichen Normen 279. Landespolizeibehörde, Ueberweisung an dies, verjährt nicht 854. — v. d. Begnadigung unberührt 873 f. Landesstrafrecht, Geltungsgebiet dess. gegenüber dem Reichsstrafrecht 273 f. — bes. u. allg. Reichsrecht 332. 344 f. — bes., besteht principiell überh. nicht 293 f. 338. 344. — Maass d. Zulässigkeit dess. in Forstu. Feldpolizeiges. etc. 346 f. — sachl. Geltungsgebiet dess. 315. 401. (s. auch Landesgesetze, Landesgesetzgebung, Landesrecht.) Landesverrat, diplomat. 52. — Konsumtion des Nötigungsmoments 364 A 3. — Verbrechenseinheit statt K o n k . 561. — im Ausl. begangener 434. — Nichtanrechnung wegen dess. auswärts vollzogener Strafe 442. Landtagsmitglieder, Privileg 667. 671 f. (s. näher Reichstagsmitgl.). Landtagsverhandlungen, Privileg d. Berichte 680 f. (s. näher Reichstagsverhandl.). Latente Rechtssätze 202. 214. 217. Leben, kein Gegenst. subj. R. 169. — Gefährdung dess. in Tötungsabsicht 171. — Maass d. Wehrhaftigkeit im Notstande. 783 f. Lebensauslegung 453 f. Lehrer, Züchtigungsrecht 799. Lehrling, Züchtigungsrecht gegen dens. 798. Leichendiebstahl 707. Leichenraub 429. Legitimationsfälschung 335. L e x generalis u. specialis 332 f. 527. (s. auch allg., bes. Strafrecht, Gesetzeskonk.) L e x loci 435 f. 591. L e x specialis, d. Urteil als 34. 454.

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Sachregister. L e x specialis, echte u. kraft F i k t i o n nicht als solche anerkannte 337. 338. — Gnade nicht 862. L i t e r a t u r des heut. gem. Strafr. 145 f. L o g i k , Bedeutung für d. Strafrechtswissensch. 7. 11 f. Logische Auslegung, schwere Schädigung ders. durch den Satz nulla poena s. 1. 24. — Begriff 458 ; M i t t e l u. Resultat 467 f. Lotterieloose, verbotene Versendung vom Ausl. ins Inl. 421. Luftsäule 409. Maass- und Gewichtsfälschung 80. Markenschutz, cler antragsber. Verletzte 624 f. — Antrag nicht rücknehmbar 648. Materialien des Gesetzes 30. — i h r W e r t als Auslegungsmittel 470 f. 473 A 14. Materien des GB, Begriff 290 f. — Bedeutung der Ueberschriften 291 A 5. 319. 320. — d. möglichen u. wirklichen Materien 291 f. Medizin s. gerichtl. Medizin. Mehrheit d. verletzten Personen 532. 533. — v. Handlungen als Vorauss. jeder Delikts- u. Verbrechensmehrheit 565 f. Meineid 317. — mehrfache Bekräftigung ders. falschen Behauptung i n dems. Verfahren e i n Verbr. 558 f. — Verletzung des Offenbarungseides nach beiden Seiten e i n Verbr. 559. m i t E i n w i l l , des Gläub. 713

A 16.

— Zustimmung d. Gegenpartei oder des Angekl. 729 A 33. Mensch, K i n d i m Mutterleibe? 220 A 6. Menschenraub u. Aussetzung, Alternativität 354 f. — Einwilligung des Verl. 720. 722. — Verjährungsbeginn 837. Meuterei, Verbrechenseinh. trotz Mehrheit d. angegriff. Beamten oder d. Angriffshandlungen 555. Milderes Gesetz, d. den Antrag fordernde ? 253 f. — d. drei maassgebenden Sätze 257 f. — Erfassung des StG i n seiner Abhängigkeit v. nicht krim. Sätzen 257 f. — Bedeutung d. Motive einer Normänderung bei Fortdauer des StG 258 f. — die Schärfungsgründe des ält. Ges lagen in dem Zeitpunkte d. Begehung d. T a t 260 f. — Unzulässigkeit d. Kombination aus ält. u. neuerem R. 261 f. — Möglichkeit versch. Gesetzesanwen-

dung gegenüber mehreren Teilnehmern an dems. Verbr. 262. Milderes Gesetz, Notwendigkeit d. Vergleichung d. Ges, nicht d. Strafen 262 f. — Unzulässigkeit partikularrechtl. Beschr. des richterl. Ermessens 262 A 18. — Irrelevanz d. jurist. Qualif. i n den versch. Systemen 262 f. — gleichbenannte Strafen nicht deshalb gleichartig 263 A 22. — in komplizirten Fällen nur durch Vergleichung d. in concreto verwirkten Strafen findbar 263. — Berücksicht. v. Strafmild.- u. Strafausschliessungsgründen 264. — d. d. schwerere Strafart drohende? 264 f. — bei obsolet gewordenen Strafarten? 265. — für Konkurrenzfälle? 265. — hins. d. Verjährung d. Strafkl. 267 f. Mildernde Umstände, Einfluss auf d. Verjährungsfrist 846 f. Milderungsgründe, gesetzl., analoge Berücks, ders. als Minderungsgründe 221. — temporäre 241. — Beschränkung der Landesgesetzgeb. 283 A 13. 312 f. — Zusammentreffen mehrerer 353 A 9. Militärbeamte 105. — Notpflichten ders. 780 f. Militärischer Befehl 794. 806. Militärpersonen, Notpflichten ders. 780 f. Militärstrafensystem 112 f. 118. Militärstrafgesetzbuch 123; d. Aufgabe dess. 103 f.; Entstehungsgeschichte 102 f. 107 f. Militärstrafgesetzgebung des Norddeutschen Bundes u. des Reichs 100 f. Minderjährige s. Kinder. Mischgesetze 547. Mischtatbestände, Verbindung ders. zu e. Verbrechenseinheit 560 f. Missgeburt 706. Miteigentum, Umfang d. Antragsberechtigung 632. Miterbrecht, Unabhängigkeit jedes A n tragsrechts 632. Mitglieder d. bundesfürstl. Häuser nicht privilegirt 670 f. — der Landtage, des Reichstags s. Landtagsmitgl., Reichstagsmitgl. Mitinhaberschaft an dems. Strafrecht 487 f. — an demselben Antragsrecht? 632. Mittäterschaft, Begehungsort 424 f. — Verjährungsbeginn 839. — Verjährungsfrist 847. M i t t e l , Verhältniss zweier Verbr. als M i t t e l u. Zweck 531. 562 A 7. 575 A 17. 577.

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Mittel, Wechsel d. gewählten M . d. Verursachung u. Verbindung mehrerer dergl. berührt d. Einheitsvorstellung nicht 531. Mittelbare Beleidigung 628 A 13. Mittelbarer Täter, Begehungsort 424 f. Strafbarkeit des inländ., wenn d. Werkzeug i m Ausl. straflos handelt 425. Monstrum 706. M o r d u. Mordversuch an Bundesfürsten 351 f. Moresnet 407 A 5. Motive des Ges 36. 470 f. 473 A 14. — e. Normänderung, Bedeutung ders. für die Strafbarkeit ält. Fälle 258. — des GB 472. Münzverbrechen nach internat. Straft·. 428. 442. — Z a h l ders. bestimmt sich nach den gefälschten Münzarten 557. — Unselbständigkeit d. Inverkehrbringens 557 A 42. — Verausgabung wieweit Verbrechenseinheit 557. — E i n w i l l i g u n g des Empfängers 729 A 33. Münzvergehungen, landesrechtl. nicht statuirbar 321 f. Mundraub s. Genussmittelentwendung. Mutter, Züchtigungsrecht ders. 797. Nachdruck, i m Ausland begangen 429 f. — d. Antragsberechtigten 623 f. Nachlass, Vollstreckung i n dens. 497. 812. 813 f. Nachzeitige Gewalt 754. Nahrungsmittelentwendung s. Genussmittelentwendung. Nationalitätsprincip 391. Naturalisirter Ausländer s. Ausländer. Naturalisirung des Ausländers, W i r k u n g 438 f. 447. Irrelevanz des Grundes 439 A 6. Naturalis obligatio zwischen Strafberechtigtem u. Delinquenten? 193. 810. Nebenstrafen 56. — W i r k u n g der Begnadigung auf dies. 875 f. 878. Ne bis i n idem bei Verbrechenseinheiten aus Deliktsmehrheiten gebildet 560. — bei Idealkonk. v. Antrags verbr. unter ein. od. m i t Offizialverbr. 634 f. Nichtanzeige v. Verbr., K o n k . m i t Teilnahme? 359. — Privateinwilligung 708 A 7. 729 A 33. — Veijährungsbeginn 840 A 29. — Wandlung des Nichtanzeigenden i n den Teilnehmer 496. Nichtigerklärung der Ehe als Strafklagvoraussetzung 600 f. Nötigung z. Teilnahme an Verabredungen

behufs Erlangung günst. Lohn- und Arbeitsbedingungen 343. Nötigung, Konsumtion der Nöt.-Strafe durch cl. Tötungs- oder Körperverletzungsstrafe 364. — gesetzgebender Versammlungen, Verbrechenseinheit trotz angegriffener Mehrheit von Mitgl. 555. — v. Behörden, Verbrechenseinheit 555. — des Einwilligenden? 717. Norddeutscher Bund 37. 48. 57. Strafgesetzbuch für dens. s. Strafgesetzbuch. — E n t w u r f s. Entstehungsgeschichte. Norm, Begriff u. Inhalt 4. 155 f. 163 f. 166 f. — u. Verbrechen 155. — wendet sich nur an den handlungsfähigen Menschen 158 f. — schuldlose Uebertretung ders. Zufall 159. — Quellen ders. 159. — u. Strafgesetz 155. 162 f. als gem. od. partik. Recht 278 u. A 16. — i m Dekalog 159 f. — ihre Selbständigkeit als Rechtssatz 161 f. 180 A 15. — Zweck 162. — stets dem öffentl., nie dem Strafrecht angehörig 164. — Umfang 172 f. — Anforderung ders. an d. Handl. 166 f. — unbedingte als einteiliger Rechtssatz 164 f. — jede dolos u. kulpos übertretbar 172. — A r t e n der Zweckverfolgung 167 f. — als Regel mit Ausnahmen 173 f. — Ausn. v. ders., allgem. u. bes. 174. — Zweifel über d. Umfang d. Ausnahme 453. — Terminologie der Quellen 174 f. — Geltungsgebiet 181 f. 374 f. — Erscheinungsform 197 f. — Wegfall ders. bei Dauer des Strafges. 258 f. — die inländ. weicht gegenüber ausländ. Rechtsgütern der ausländ. Erlaubniss 396 f. — Zweifel über deren Bestand 453. — verbietet die für deliktisch blos gehaltene Handlung nicht 694. Normen, Beziehung ders. auf alle Rechtsgebiete 9 f. — i m GB? 79. — Untersch. v. d. Gewährungen 157 f. — bejahende Rechtssätze 157 A 7. 182. — Arten 164 f. 166 f. — allg. u. bes. 185. 333. — meist ungesetztes Recht 201.

register. Normen, die den Reichsstrafgesetzen zu Grunde liegenden 204. — durch Analogie gefundene strafrechtl. nicht bedeutsam 204 f. — Ausnahmen derselb. als verneinende Strafgesetze 213. — ohne rückwirkende Kraft 237. — Aufhebung ders. ohne rückw. Kraft 237. 258 £ — Verhältniss zur Reichs- und Landesgesetzgebung 278 f. — Wirkungskreis cler bes. 333 A 5. — Subsidiarität zweier 358. — Geltungsgebiet 184 f. 374 f. 394 f. — K o n k . der N. versch. Staaten 375 f. — gemeinsame, allgem. 375. — Kollision der N. versch. Staaten 376. — die 3 Möglichkeiten, i h r Geltungsgebiet zu beschränken 380 f. — Geltungsgebiet d. Polizeinormen 396. — nur für den F a l l der Gewerbmässigkeit verbietende 548 f. — erstrecken sich nicht auf die reinen Selbstverletzungen 699. Normwidrigkeit 159. Normwidrigkeitsmerkmale s. Deliktsmerkmale. Nothilfe 766. Notpflichten 772. 780 f. — partikularrechtliche 780. 782. Notrecht 763. 764. — Konsequenzen dess. 763 A 27. 764. 766. Notrechte, reichsgesetzl. anerkannte 772. — partikularrechtliche 773. Notstand, i m GB nur teilweise geregelt 312. 770 f. — Begriff 756. 759. — Untersch. v. d. Notwer 732 A 3. 760. — d. Hauptgesichtspunkt für d. Lösung des Notstandskonflikts 760. — relat. Wertung der Rechtsgüter und Rechtspflichten 761. 767. — d i e aus d e r A n a l o g i e g e w o n nenen Rechtsgrundsätze für L ö s u n g d e s K o n f l i k t s 762 f. — Lösung echter Pflichtenkollision 762. — Lösung der Güterkollision 766. — Zulässigkeit von Notwer gegen versuchte Notstandsverletzung 766. — Nothilfe ? 766. — Lösung des Konflikts zwisch. Gütern und Pflichten 766 f. — S t e l l u n g des gem. R e c h t s z u d e m s . 768 f. — d. Leib- u. Lebensnotstand 768 f. 770 f. — auch der durch Drohung verursachte muss unverschuldet sein 769. — Analogie bezügl. der sonstigen Notstandsfälle 771 f.

Notstand, weitere Strafloserklärungen von Notstandsverletzungen i m gem. Recht 772 f. — partikularrechtliche Satzungen über unverbotene Notstandshandlungen 774. 775. — Verhältnissmässigkeit v. Verletzung u. gerettetem Gut 774 f. — irrtüml. Annahme dess. 776 u. A 61. — mittelbarer 786. Notstandsverletzung, nicht wesentl. Eigenmacht 732 A 2. — nicht strafloses Delikt, sondern unverboten 764 f. — u. Schadenersatzfrage 765 A 30. — die Erfordernisse strafloser 775 f. — einziges Rettungsmittel 775 f. — objektive Schätzung der Gefahr 776. — Unverschuldetsein 775. 777 f. — Irrelevanz der Ursache des Notst. 777. — Wehrhaftigkeit des Gutes u. der Pflicht 779 f. — Proportionalität der Verletzung 783 f. — Excess 776 f. — zur Rettung des Täters oder e. A n gehörigen 784 f. — Beihilfe zu ders. 785 f. — Unverschuldetsein bei mittelb. Notstande 788. Notwer, i m GB auch für das Landesrecht bindend geregelt 312. — Begriff u. Natur 690. 730 f. — gegen echte Unterlassungsdelikte? 736. — gegen echte Polizeidelikte 736 A 21. — gegen rechtmässige Handlungen 740. — gegen widerrechtl. Amtshandlungen 740 f. — gegen Amtshandlungen auf Grund bindenden Befehls rechtswidrigen Inhalts 743. — gegen N o t w e r ? 743. — nur bez. wehrhafter Güter 743 f. — Gegenwärtigkeit des Angriffs 746 f. — nach vollendetem Verbr. 747. — längst vorbereitete 748.

— NichtVerschuldung des Angriffs ? 749. — — — — — — — — —

Unabwendbarkeit des Angriffs ? 749. M i t t e l ders. 750. Willensrichtung des Wehrenden 750. nur gegen den Angreifer 750. Maass ders. 750 f. Excess ders. 751. 752 f. gegen Notwerexcess 753. Prätext der N . 753. irrtümliche Annahme der Notwerlage 754 A 75. — gegen erlaubte Selbsthilfe? 790. Notwerrecht, angebliches d. Staates gegenüber gewissen Verbr. 387 A 27. — Subjekt dess. 733 f. 735.

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Notwerrecht, Natur dess. 734. — Voraussetzungen 734. — Quelle dess. 735. 737 f. — gegen Tierangriffe 735 f. 738 f. — gegen nicht vorsätzl. Angriffe 736. — Umfang 736 f. 752. — trotz E i n w i l l i g u n g des Verletzten 737. — gegen deliktsunfähige Wesen 738 f. Notzucht 354. — keine Idealkonk. v. N. u. Unzucht m i t K i n d e r n 354. Novation des entstand. Strafrechts 494 f. N u l l a poena sine lege, A l t e r des Satzes 17 f. — jetzige Bedeutung des Satzes 19. — die beiden Quellen dess. 21 f. — Verbindung der beiden Gedanken i n der Gesetzgebung, Konsequenz 24 f. 28. — beide dem Satze zu Grunde liegenden Auffassungen des Strafges. falsch 27. — K r i t i k des Satzes 27 f. — Geltung und Umfang des Satzes i m heut. Recht 204 f. 245. 248 f. — Gleichstellung von konstitut. Ges. u. giltiger Rechtsverordnung 205 f. — Derogirbarkeit des Satzes durch Gewohnheitsrecht 210 f. — steht unbedingter Rückwirkung neuer Regelstrafgesetze nicht entgegen 240. — füllt § 2 GB nicht aus 245. 249. — verhindert jede kriminelle Berücksicht. früher unverbotener Handlungen 249. — einzige Ausnahme i m heut. R. 249. Obervormundschaftsbehörde, Stellung derselben bei Antragsverbr. gegen Mündel 627 u. A 6. Objektiver Tatbestand 310. 503. Objektives Strafverfahren 86. — bei Verjährung der Strafverfolgung ? 834 A 4. — unterbricht die Verjährung nicht 852. — Urteil i n den Nachlass vollstreckbar 813 f. — Unrecht 159. Oertliches Geltungsgebiet d. Strafgesetze 371 (s. internat. Strafrecht). Offenbarung, unbef., anvertrauter Privatgeheimn., der Antragsberechtigte 626. Offenbarungseid, Verbrechenseinheit trotz Verletzung dess. nach beiden Seiten 559. — E i n w i l l i g u n g des Gläubigers i n d. Verletzung dess. 713 A 16. Offizialverbrechen, Wandlung d. Antragsverbr. in O. und umgekehrt 255 f. Onanie, gegenseit. 700. Operationen, lebensgefährl. 802. Opportunitätsprinzip 404 f. 426. Ordnungsstrafen, unberührt durch d. GB 275 f. (s. auch Disziplinarstrafe). Ort der T a t s. Begehungsort.

Paragraph A r n i m u. Duchesne 94. 96. Partikuläres Strafrecht, Verhältniss zum gem. 271 f. 332 (s. auch Landesstrafrecht). Partikulargesetzgebung vor dem GB 40 f. — Nachteile ders. 47 f. — Notwendigkeit der Regelung ihres Verhältnisses zum GB 52 f. — ihr Einfluss auf Tatbest. u. Straffolge i n gemeinrechtl. Strafges. 55 f. — Einfluss des GB auf dies. 97 f. 280 f. (s. auch Landesgesetze, Landesgesetzgebung). Patentverletzung, nur in Deutschland begehbar 437. — der Antragsberechtigte 624. — Antrag nicht riicknehmbar 648. Perforation 803. Persien 410. Persönlichkeit, physische, die wesentl. Eigenschaften ders. 719. Person, s. physische Persönlichkeit. Personalprinzip 384 f. 403. 427. 432. Personalstatuten 374 A 14. Personenstandsunterdrückung u. Kindesaussetzung 575 A 17. — u. intellekt. Urkundenfälsch. 575 A 17. — E i n w i l l i g u n g des sog. Verletzten 722. — Veijährungsbeginn 837 A 13. Personenstandsvergehen, nicht abschliessend im GB geregelt 322. Personenvereine ohne jurist. Persönlichk e i t , Vorstände nicht antragsberechtigt 627 A 1. Pfänaungsrecht, deutsch-rechtl. 789. Pflegeeltern u. -Kinder 787 u. A 94. Pflicht, Mehrdeutigkeit des Wortes 159

A 10. 182 A 6.

— Verhältniss zum Recht 182. Pflichten s. Rechtspflichten. Physische Personen, nur gegen sie geht das Strafrecht 484 (s. auch Mehrheit). Pönalisirung durch Rechtsverordn. 205 f. — durch Analogie u. Gewohnheitsrecht heute untersagt 205 f. 210 f. Politische Körperschaften, Beleid., cler Ermächtigungsberechtigte 618. — Verbrechen 69. Polizeiaufsicht, Natur 323. — nicht notwendig Folge v. „Verbr." u. „Vergehen" 324. — als Folge v. „Verbr." u. „Vergehen" gemeinrechtlich absolut normirt 325. — Nichtverjährung cler Zulässigkeitserklärung 854. — unberührt v. Begnadigung 874. 875. Polizeibehörden, Inhaber abgeleit. Staatsstrafrechts 482 f. Polizeidelikte, auswärts begangen 396. — Privateinwilligung 708 A 7. Polizeimaassregeln 324.

register. Polizeinormen, Geltungsbereich 896. Polizeirecht, absol. gem. 324 f. Polizeistrafgesetzbuch, d. 3. T e i l d. preuss. GB als solches 54 A 6. — d. 29. Abschn. d. 2. Teils d. GB als solches 79. 82 f. Polizeistrafgesetzgebung 276. — Zusammenfassung ders. i n einzelnen Staaten 46. — Kompetenz des Reichs 276. Positives Recht erschöpft sich nicht i m geschriebenen Recht 11. Präjudizien 36. Präsumtion d. Schuld s. Schuldpräsumt. Prätext der Notwer 753. Präventivmaassregeln, prinzipiell der Landesgesetzgebung überlassen 324 f. Praxis u. Wissensch. 33 f. — Aufgabe u. Inhalt 33 f. Presserzeugniss, mehrere Verbr. in dems. 581. Presspolizeirecht 344 f. Pressvergehen, Begehungsort im S. des internat. Strafrechts 420. 421 A 24. — Mehrheit v. fora delicti commissi 585 A 44. 45. Preussen, E n t w u r f e. allg. deutsch. Strafgesetzbuchs v. 1849 44 A 16. 51 A 1. Preussisches Strafgesetzb. v. 1851 45 f. als Grundlage des GB 57 f. Prinzip d. beteiligten Rechtsordnung 387 A 27. Privatdelikte, Kompetenz d. Reichs 276. Privatgeheimnisse, unbef. Offenbarung, d. Antragsberechtigte 626. Privatgenugtuung 660 f. Privatkläger 190. Privatklage 614. 649. — Bedeutung der Antragsfrist für dies. 650. — Rücknahme ders. 650. 810. Privatstrafe, Begriff u. Natur 276 A 11. 304 A 27. 305. — Kompetenz des Reichs 276. — dem heut. Recht unbekannt 6. 304. — für ihre Verfolgung kann d. Landesgesetzgeb. d. Privatklage zugestehen 306. — als Rechtsverwirkung keine echte Strafe 330. Privatstrafen, die bestehenden durch GB beseit.? 304 A 27. 305. Privilegien d. Straflosigkeit 374 A 13. 667 f. Prozess, Unentbehrlichkeit für d. Realisirung d. StR 192. Prozessrechtsverhältniss 194. 596. Prozessvoraussetzungen 596. Prozessualische Bestimmungen im GB 85. 86. deren Inkrafttreten 244.

Prozessualische Bestimmungen, zwingend gemeinrechtl. Natur 324. der früh. Landesgesetzbücher 324. Prüfungsrecht d. Beamten hins. d. Verträglichkeit e. Landesgesetzes m i t d. Reichsrecht 286. Psychiatrie u. Strafrechtswissenschaft 11 f. 13. Psychologie u. Strafrechtswissenschaft 11 f. 13. Psychologische Zwangstheorie, Konsequenzen 20 f. Publikationsbefugniss d. Beleid. 305. 331. Quellen des gem. deutschen StR 37 f. Rache 4. Ratio legis s. Gruncl, Zweck d. Rechtssatzes. Raub, Verbrechenseinheit trotz Mehrheit d. Nötigungen 564 A 10. — wider Angehörige 631. — als Selbsthilfeform 789 A 2. Räumliches Geltungsgebiet s. internat. StR. Raufhandel, Subsidiarität d. Strafdrohung 362. — Rechtswidrig-angegriffen-sein schliesst Teilnahme am R. nicht aus 737 A 24. — Verjährungsbeginn 838 A 19. Realkonkurrenz, Begriff 573 f. 585. — K r i t i k d. Untersch. v. d. Idealkonk. 575 f. 587 f. — „mehrere selbständige Handl." 573 f. 577. 578 f. 585. — wenn d. Pause der e. Tätigkeit m i t e. and. ausgefüllt w i r d 582. — wenn nach abgeschloss. beend. Versuche vor E i n t r i t t d. Vollend. d. U r sache e. neues Verbr. gesetzt w i r d 582. — unberührt durch Gleichzeitigkeit d. Erfolge 582. — gleichzeit. Anwendung d. Grundsätze über R.- u. Idealkonk. 583. — entfällt, wenn von mehreren an sich real konk. Verbr. jedes m i t dems. fortges. Verbr. i n Idealkonk. steht 584. — hins. „Uebertretungen" 585. — u. Mehrheit d. fora del. comm. für 1 Verbr. 585. — u. Berührung mit dem fortges. Verbr. wegen Schwierigkeit ihres Beweises 585 f. — Anstiftung u. Gehilfschaft gegenüber 586 f. Realprinzip 386 f. 390 f. — Konsequenzen 392 f. — Geltung i m heut. gem. Recht 402 f. 427 f. — hins. Polizeinonnen? 396. Recht, erschöpft sich nicht in Normen 157 A 8.

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Sachi

Recht u. Pflicht 182. — Zusammenhang zw. ob. u. subj. 181 f. — auf Strafe weg. Unbotmässigkeit 187 f. — gesetztes u. ungesetztes 198. — die 4 Erklärungsformen alles R. 197 f. — Auslegung dess. 450.451 (s. auch StR). Rechte, Verlust u. Suspension solcher als Verbrechensfolge 326 f. — Entstehung and. als Schadenersatzrechte aus Delikten D r i t t e r , Zuständigkeit d. Landesgesetzgebung 330 f. — veräusserl. u. unveräusserl. 711 A 11. 713. Rechtlich indifferente Angriffshandlungen 689 f. Rechtslosigkeit 703 f. — als W i r k u n g d. Ehrverlustes? 705. Rechtsanalogie 216 f. Rechtsbeugung, E i n w i l l i g u n g d. Verl. 729 A 33. Rechtsentziehung 326 f. (s. auch Rechtsverwirkung). Rechtsfolgen s. Verbrechensfolgen. Rechtsgebiete, die, z. Z. d. Nordd. Bundes 48 f. — Beziehung aller zu den Normen 9 f. Rechtsgedanke 197 f. 457. Rechtsgemeinschaft, Ausstossung aus der R. 4. 703. Rechtsgeschichte 4 A 1. Rechtsgüter, immaterielle u. materielle 169. — veräusserl. u. unveräusserl. 711 A 11. 713. 719 f. — allg. 391. — inländ. 391 f. — gemeinsame, internationale 393. — höchstpersönliche 697. — Maass d. Schutzpflicht d. Staats 386 f. 390 f. — relative W e r t u n g 761. 767. — i m Notstandskonflikt 757 f. 762 f. — durch Staatswillen aus d. Rechtsschutze ausgestossen 703 f. Rechtsgüterverletzung 169 f. Rechtsgut, Begriff 169. 170. — nicht jedes mögl. Gegenst. subj. R. 169. — Einheitlichkeit dess., Bedeutung für die Einheitsvorstellung 531 f. — Rechtlosigkeit u. Unterwerfung unter e. fremdes Verletzungsrecht 690. Rechtsirrtum des Ausländers 389. Rechtskraft d. Urteils, W i r k u n g auf StR u. Strafklagrecht 194. 195. — W i r k u n g bei Verbrechenseinheiten aus Deliktsmehrheiten gebildet 560. — u. § 2 Abs. 2 GB 251 f. Rechtsmittelinstanz, Anwendung neuen Rechts i n ders. 241. 252. — Nachbringung d. Antrags i n cler 645. Rechtspflichten im Notstandskonflikt 757 f. 762.

Rechtspflichten, relative Wertung ders. 761. 767. Rechtsprechimg cl. gem. deutschen StR 145 f. 150 f. Rechtsquelle, Tätigkeit u. Aufg. 3. 199. — jede kann gesetztes u. ungesetztes Recht schaffen 198. — stillschweig. Approbation durch dies. 202 f. — Selbstbeschränkung ders. 203 f. Rechtssätze, bejahende 181 f.; berechtigende 181 A 3. 182;! verneinende 182 A 4 ; latente 202.j Rechtssatz, Natur u. Zweck 3. 164 f. — Auslegung des einzelnen 451. 452. — Irrelevanz d. Zwangsmoments für den einzelnen 161. 162. 164 A 27. — seine beiden Bestandteile 197. 457. — Grund- u. Zweck dess. bedeutsam für sein Verständniss 13 f. 467 f. Rechtsschutz 3. 703. Rechtsschutzpflicht d. Staats gegenüber d. versch. Rechtsgütergruppen 391 f. Rechtstheorie s. Strafrechtswissenschaft. Rechtsverletzung 167 f. — Verhältniss zur Rechtsgüterverl. 167. 169 f. — die einzige jedem D e l i k t wesentl. 186. Rechtsverordnung s. Verordnung. Rechtsverwirkung als kriminelle Folge 327. — als nichtkriminelle Folge nach Landes- u. Reichsrecht 327 f. — reichsrechtliche Fälle 328 A 14. — kumulat. K o n k . m i t d. Strafen 329. — Fortbestand der früheren gemeinrechtlichen Fälle 330 A 17. — Privatstrafen als solche 330. Rechtswidrigkeit, d. Gründe ausgeschloss. 665 f. 691 f. i m GB nicht abschliessend behandelt 312. Rechtswille 197 f. 455. 457. — Erklärungsformen 199. — als Z i e l d. Auslegung 456 f. 458 f. 466 f. Reciprocität, als Bestandteil d. N o n n 595 — — — —

A 21.

als 2. Bedingung cl. StR 591 f. als Strafbarkeitsmerkmal 510. maassgebender Zeitpunkt 592. Mangel ders. w i r k t Freisprechung 592

A 11.

Redaktionsversehen 92. 460 f. — positive u. negative 461. — Behandlung 462 f. Redefreiheit der Abgeordneten 672 f. Regelrecht s. allg. Recht. Regenten, deutsche, auswärts heg. Beleid. ders. 434 A 1. — Privileg ders. 667. 669 f.

register. Regenten, auswärtige, Beleicl. ders., Antragsberechtigter 618. Regierung e. auswärt. Staats als A n tragsberechtigter 617 f. Rehabilitation 876. Reich, Untersch. d. Fassung „Reich" u. „Deutsches Reich" i m GB 90 A 15. — Umfang seiner Strafges etzgebungskompetenz 273 f. Disziplinar- u. Disziplinargesetzgebungsgewalt 275. — Kompetenz dess. zur Aufstellung v. Normen u. Normausnahmen 278. 279. — seine Zuständigkeit u. Gesetzgebung bez. nicht krimineller Verbrechensfolgen 280. 325 f. — Oberaufsichtsgew. dess. hins. d. Partikulargesetzgebung 284. — kann unzuläss. Landesgesetze nichtig erklären 285. — Inhaber aller gem. deutschen Strafgesetzen entspringenden Strafrechte 478. — teilweise Ueberlassung der prozess. Durchführung seiner Strafrechte an d. Bundesstaaten 479. — Succession dess. i n ausländ. Strafrechte 492. — Begnadigungsgewalt dess. 865 f. — Sonderstrafgesetze dess. s. Sonderstrafgesetze. Reichsbeamte, Amtsvergehen ders. i m gem. Recht abschliessend geregelt 320. — Notpflichten ders. 782. — Stellung gegenüber Befehl rechtswidr. Inhalts 807. Reichsbehörden, Begnadigungsgewalt bez. der von solchen i m Verwaltungswege festgesetzten Strafen 867. Reichsgesetzgebung, Erteilung v. Direktiven an d. Landesgesetzgebung 272 f. — Untersch. blosser Berührung u. erschöpfender Behandlung e. Gegenstandes durch die — hins. d. Rechtsentziehung als Verbrechensfolge 326 f. (s. auch Reich). Reichsindigenat s. Bundesindigenat. Reichsnormen 278. 312. Reichsrecht kann durch Landesgesetze nicht authentisch interpretirt werden 53. 283. — geht vor Landesrecht 280 f. — Inkrafttreten 227 f. — W i r k u n g des zwingend gem. R. 281 f. — Schutzmittel seiner Ueberlegenheit 284 f. — allg. u. bes. Partikularrecht 332. 334 f. Reichssonderrecht s. Sonderrecht. Reichsstrafgesetzbuch s. Strafgesetzbuch. Reichsstrafgesetzgebung, Ueberschreitung d. Grenzen d. Strafgesetzgeb. durch

dies. 323 f. (s. auch Strafgesetzgebungskompetenz, Reich, Reichsgesetzgebung). Reichsstrafrecht, Geltungsgebiet gegenüber d. Landesstrafrecht 273 f. — zwingend gem. 280 f. — konkludentes Schweigen d. GB bedeutet ungesetztes R. 281. — die „Materien" dess. 289 f. Reichstag, das GB i m 65 f. — die wesentlichsten Aenderungen d. GB i m R. 73 f. — Beleidigung dess., d. Ermächtigung 618. 646. — Disziplinargewalt dess. 673. Reichstagsmitglieder, Privileg ders. 667. 671 f. W i r k u n g u. Umfang 667. 674 f. 676 f. Anstiftung u. Beihilfe zu ausserhalb d. Hauses begang. Verbr. 675. K r i t i k 678 f. — Notwer u. Retorsion gegen deren straflose Delikte 676. 738. — strafbare Anstiftung zu straflosen Delikten ders. 676. Reichstagsverhandlungen, Privileg d. Urheber wahrheitsgetreuer Berichte über 680 f. — W i r k u n g u. Umfang cl. Privilegs 667. 681 f. 685 A 16. — jurist. Natur d. Privilegs 683 f. — K r i t i k d. Privilegs 681 A 4. 685 A 1 7 . Reihenverbrechen 569. — Veijährungsbeginn 837. Relativ bestimmte Strafgesetze 32. 177. Relative Strafrechtstheorien 7. Relatorische Strafgesetze, Wegfall der bezogenen partikularrechtl. Satzung durch d. Reichsrecht 282. Religionsvergehen, „Materie" des GB? 321 f. Restitutio ex capite gratiae 876. Retorsion 571 A 3. — als Strafbarkeitsmerkmal 510. — gegen straflose Aeusserungen Abgeordneter 676. Reue, tätige, als Widerlegung d. Strafbedürfnisses 816. Revisionsinstanz, Anwendung neuen Rechts i n ders. 241. 252. — Nachbringung d. Strafantrags i n ders. 645. Richter u. Gesetzgeber 34. — das StG wendet sich nicht an ihn 189 f. — Prüfungsrecht hins. d. Vereinbarkeit d. Landesrechts m i t d. Reichsrecht 286. Rückfall, d. Landesgesetzgebung nachgelass. Strafmaass 301.

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Rückfall, d. Landesgesetzgebung nur als besond. Schärfungsgrund zugänglich 313 f. — die i h n betr. Bestimmungen der ält. Bundesgesetze 338. — die Verjährungsfristen 846. — Wirkungslosigkeit d. Begnadigung für dens. 875. Rückfallgesetzgebung, Wandel ders. während Begehung e. Verbr. 247. Rücknahme d. Strafantrags s. Antrag. Rücktritt, freiw., v. Versuche als W i d e r legung d. Straibedürfnisses 816. Rückwirkung d. Strafges. ausgeschlossen nach der psycholog. Zwangstheorie 21. geboten durch d. Theorie von cl. Teilung d. Staatsgewalt 25. — — — Gestaltung i n der französ. Gesetzgebung 26. — Unmöglichkeit echter Rückwirkung e. Gesetzes 226. — deutscher Strafgesetze gegen den naturalisirten Ausländer 439. — der Normen? 237. — des milderen Ges 251 f. 257 f. (s. auch milderes Ges, zeitl. Geltungsgeb.). Ruhen cl. Verjährung 842 f. Rumänien 410. Sachbeschädigung, fahrlässige, landesrechtl. pönalisirbar? 316 A 1. 348. — durch Werfen e. Steines gegen e. Gebäude, Idealkonk.? 360 A 9. — Konsumtion d. Strafe durch e. and. 368 f. — als M i t t e l d. schweren Diebst. 369 A 20. — Verh. zur Brandstiftung u. Ueberschwemmungsstiftung 369. — cler Antragsberechtigte 620. 621. 632. — v. Antrage können beteiligte Angehörige ausgenommen werden 639. Sachliches Geltungsgebiet d. StG 370 f. Zuständigkeit cl. Landesgesetzgebung 315 (s. übr. internat. StR). Samoa 411. Sanktion d. Rechtssatzes 457 f. — Autorität u. Umfang 466 u. A 1. Schadenersatz aus Verbrechenstatbeständen, Normirung durch d. Landesgesetzgebung 325 f. Beschränkung d. Landesgesetzgebung durch d. Institut d. Busse 325. — Recht auf solchen i n F o r m d. Bussanspruchs aus landesrechtl. Verbrechenstatbeständen 325 f. Schärfendes Ges, Verhältniss zum einf. 494. Schärfungsgründe, allg., „Materie" d. GB ? 313 f. — temporäre 241. — analoge Anwendung gesetzlicher als

Straferhöhungsgrade bei verwandten Verbr. 221. Schärfungsgründe, Unzulässigkeit d. Aufstellung solcher bei reichsrechtl. Verbrechen durch d. Landesgesetzgebung 283 A 13. — Behandlung d. sachl. S. hins. d. Teilnehmer bei landesrechtl. Verbr. 312. — Zusammentreffen mehrerer i n versch. Gesetzen bes. berücksichtigter 353. Scheidung d. Ehe s. Ehe. Schiffe unter deutscher Flagge als Inland 409. Schiffer, Befehlsgewalt dess. 794. — bindender Befehl dess. 806. Schiffsjournal, Eintrag in dass, als 2. Strafklagvoraussetzung 599 f. Schiffsmänner auf deutschen Schiffen, Strafbarkeit für ausländ. Verbr. 431 f. 433 f. — nicht deutsche, Aberkennung d. Ehrenrechte auf Grund ausländ. Verurteilung 448. — Notpflichten ders. 781. Schmerzensgeld, civilistische Natur 325 u. A 7. — Zuständigkeit d. Landesgesetzgeb. 325. Schreibfehler im publizirten Gesetzestext 459. Schuld, Kenntniss cl. StG für dies, wesentl. nach der psycholog. Zwangstheorie 21. — als Voraussetzung d. Unrechts 159. — Aufhebung ders. durch e. inkorrektes Vorgehen e. Behörde 708. Schuldausschliessungsgründe s. Gründe. Schuldpräsumtionen 310. — m i t nachgelass. Gegenbeweise 310. Schutz, völkerrechtl. u. strafrechtl. 392. Schutzgenossen 410 f. Schutzpflicht d. Staats gegenüber den versch. Rechtsgütergruppen 391 f. Schutzrecht, d. StR e. T e i l dess. 9.388 A 28. — accessorische Natur dess. 9. Schutzrechte 3. Schweigen, konkludentes d. GB 281. 291 A 4. Schwere Körperverletzung s. Körperverl. Schwerer Diebstahl s. Diebstahl. Seeraub 379. Selbständigkeit der versch. Delikte als Voraussetzung d. Verbrechensmehrheit 565 A 1. — zweier Handlungen nicht beeinträchtigt durch cl. Maass d. Identität ihrer Bedingungen 569. Selbstanklage, falsche 700. Selbstbefreiung landesrechtl. nicht pönalisirbar 316 A 1. Selbsthilfe, unerlaubte, „Materie" d. GB? 317 f. — Verwirkung im Falle ders. 330.

register. Selbsthilfe, erlaubte, als Gruncl ausgeschlossener Rechtswidrigkeit 788 f. Notwer gegen sie? 790. Verhältniss z. Notwerrecht 790 f. Selbstkastration 697 A 8. Selbstmord, frühere Bestrafung dess. 696. — keine strafb. Teilnahme an dems. 312 A 10. 700 f. — Beihilfe z. dems., Untersch. v. d. Tötung Einwilligender 700 A 18. — der sog. Anstifter dazu 701. — sog. Mittäterschaft am S. 702. Selbstschüsse 748. Selbstverletzung, clie reine, als Schuldausschliessungsgrund 666. 695 f. — als M i t t e l zur Begehung v. Delikten 700. — Untersch. v. wechselseit. Verletzung Einwilligender 700. — keine Beihilfe u. Anstiftung z. S. 700 f. — der sog. Anstifter als Täter 701 f. Selbstverstümmlung behufs Hinterziehung d. Wehrpflicht 700. Serbien 410. Siam 411. Sicherheitshaft, landesgesetzl. zulässige Polizeimaassregel 324. Sklavenhandel 321 A 13. 379. Sklaverei, Hingabe in solche, E i n w i l l i gung 719 f. Soldat i n Feindesland nicht rechtlos 704. — Berufsrechte u. Berufspflichten dess. 801 f. Solidarische Haftung Mehrerer für eine Strafe 488. Sonderrecht, kein partik. echtes S. bez. der „Materien" cles GB 293 f. 338. 344. — i m S. cl. E G z. GB 292 f. — partik., Bindung hins. cl. Strafarten 301 A 10. — bez. d. allg. Voraussetzungen d. Strafbarkeit? 307 f. — Verhältniss cl. allg. Teiles d. GB z. part. S. 306 f. 344. — Verhältniss d. ält. Bundessonderrechts z. GB 335 f. — echtes u. unechtes 333 f. 337 . 338. — d. Maass zuläss. S. i n d. landesrechtl. Forst- u. Felclpolizeigesetzen 346 f. Sonderrechte, partikularrechtl., zur Vornahme regelm. verbot. Handlungen 279 f. 312. Sonderstrafgesetze d. Reichs 123 f. 126 f. Verhältniss z. GB 335. — i m S. v. § 2 d. E G z. GB 295. — partik., Bindung hins. cl. Strafarten 301 A 10. Sonderverbrechen bestimmter Stände 81. 333. — Anstiftung u. Beihilfe z. 333 A 5.

Sparkassenbücher, Einkassirung v. Teilbeträgen auf fremde 220 A 6. Spezialrechte, Spezialstrafgesetze s. Sonderrechte u. s. w. Sprachgebrauch, jurist. 463. — gesetzlicher 464 f. — der Rechtswissenschaft 465. — d. GB, Schwanken dess. 464. Sprengstoffe, rechtswidr. Gebahren mit, im internat. StR 428. Staat, alleiniger Inhaber d. Strafgesetzgebungsgewalt u. der StR 191. 483. — Zuständigkeit z. Bestimmung d. Umfangs seiner Normen u. Strafgesetze 184 f. 374 f. — Strafpflicht dess. 191. — giebt sich jeden Strafanspruch selbst 372. 374 f. — angebliches Notwerrecht dess. gegenüber gewissen Verbrechen 387 A 27. — Schutzpflicht dess. gegenüber inländ. u. ausl. Rechtsgütern 391 f. 393 f. Staatsanwalt, Verhältniss d. StG z. 190. Staatsanwaltschaft, Handlungen ders. unterbrechen d. Verjähr, nicht 77. 848. Staatsbürgerliche Rechte, cl. Verbr. u. Vergehen i n Bez. auf dies. „Materie" des GB? 322. Staatsgewalt, d. Lehre von d. Teilung der, Konsequenzen 21 f. 25. Staatsoberhaupt, Inhaber aller Strafr. 191. Staatsverbrechen, Regelung i m GB 51 f. Staatsverträge s. Jurisdiktionsverträge. Ständestrafrecht 81. 125. 333. Stadtmagistrate, Inhaber abgeleiteter Staatsstrafrechte 482 f. Steuervergehen, subsid. Haftung fur Geldstrafen bei 489. 497 A 4. 5b9 A 3. — die spezifischen d. Landesgesetze 345. Stiefgeschwister 787 A 96. Stiftungen, d. Antragsberechtigten 627. Sträfling, Pflichten u. Rechte dess. 191. 484 f. — Wandlung dess. 493. — naturalis obligatio zwischen i h m u. dem Strafberechtigten 193. 810. — angebliches Recht auf Bestrafung nach dem zur Zeit der T a t gelt. StG 231. 234. 236. 240. — Stellung gegenüber d. StG 236. Strafansprüche, K o n k . inländ. u. ausländ. 375. 440 f. Strafanspruch, kann nur auf eigenes StG des ihn erhebenden Staats gestützt werden 372. — Cession dess. 373. 480 f. — Cession des auswärt, als 2. Bedingung des inländ. StR 591. — Konsumtion cl. inländ. durch ausländ, kriminelles Vorgehen 443 f. (s. auch StR, subj.).

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Strafantrag s. Antrag. Strafart, unzulässige i n ält. i n K r a f t gebliebenen Landesgesetzen 250 f. — gleiche Benennung verbürgt nicht Gleichwertigkeit 263 A 22. — das die schwerere drohende Ges nicht deshalb stets das härtere 264 f. — nicht durch den Namen, sond. ihren I n h a l t bestimmt 296. Strafarten, gemeinrechtl. Bestimmung ders. 297. — den Landesgesetzen nachgelassene 298 f. 301 f. — abweichende i n alten Bundes- oder Landesgesetzen enthaltene 297. 298. 343 f. Strafaufschub i m Wege der Gnade 878. Strafausschliessungsgründe, Analogie hins. ders. 221. — wieweit i m GB abschliessend geregelt 312 f. — allg. u. bes. 332 A 2. (s. auch Gründe.) Strafaussetzung i m Wege der Gnade 878. Strafbare Handlung, Sprachgebrauch des GB 565. Strafbarkeit, Bewusstsein ders. nicht Deliktsvoraussetzung 161. Strafbarkeitsmerkmal 510. 519; tätige Reue als 510; Retorsion als 510; Reciprocität als 510; Antrag kein 510 A 4. Strafbedürfniss, gesetzliche Verneinung dess. 815 f. — Widerlegung dess. durch bestimmtes Verhalten des Täters 816. Strafberechtigter, Verhältniss des Strafges. zu dems. 190. — naturalis oblig. zwischen i h m u. dem Sträfling 193. 810. — nicht notwendig strafklagberechtigt 193 f. (s. auch Strafrecht, subj.). Strafbestimmung 176. Strafdrohung 176. — heutige F o r m 205 f. — Konsumtion der einen durch die and. s. Konsumtion. Strafdrohungen, einfach, mehrfach bedingte 165 A 3. 180. 499. 588 f. — alternative 177. Strafe, N a t u r 4. 484 f. — i h r Nebenzweck w i r d Hauptzweck 496. — i h r Gehalt wesentl. bestimmt durch den Vollzug 56. — Uebertragung ders. Strafe von einem Schuldigen auf den andern 488 f. — Konsumtion einer durch d. and. 494 f. — notwendige Identität d. vor d. Begehung des Deliktes angedrohten u. nachher verhängten Strafe nach GB 245 f.

Strafe, i m Ausl. vollzogene, wieweit im I n l . zu berücksichtigen? 441 (s. auch Strafart). Strafen, gleichbenannte deshalb nicht gleichartig 263 A 22. — in Gestalt der Ver Wirkung 876. Strafenkonkurrenz u. Verbrechenskonk. 522 A 10. Strafensystem, Angriff gegen dass, im Reichstage 68 f. — des GB u. d. Landesgesetzgeb. 296 f. — des M G B s. Militärstrafensystem. Straferhöhungsgründe, gesetzl. Strafschärfungsgründe analog als Str. angewandt 221. Straffähig nur e. phys. Person 484. Straffolge, Tatbestand u. Str. 55 f. (s. auch Folge.) Strafgesetz, falsche Auffassung dess. als Grund u. Folge des Satzes nulla poena s. 1. 27. — Konsequenzen d. psycholog. Zwangstheorie u. d. Theorie v. cl. Teilung d. Staatsgewalt für s. Auffassung 21. — — — — — — — — — — — —

Begriff u. Bedeutung 175 f. 191. 236. Bau 55. 176 f. Zweck 162. I n h a l t 163. 191. Verhältniss zur N o r m 155. 163. 278. als bejahender Rechtssatz 181 f. 187 f. Adresse dess. 187 f. nicht Befehl, sond. berechtigender Satz 191. Verhältniss zum Verbrecher 191. Erfordernisse nach § 2 GB 204 f. 208. Gleichstellung d. giltigen Rechtsverordnung 205 f. Nichtigkeit willkürl. Strafe drohenden

208.

— Giltigkeit des „Uebertretungsstrafe" drohenden 178. — ungesetztes R. neben dems. i m heut. R. 212 f. — Inkrafttreten s. zeitl. Geltungsgebiet. — Suspension des alten 242. — d. nach § 2 GB anzuwendende 245 f. 249 f. 251 f. 257 f. — Wechsel dess. währ. Realisirung des verbr. Tatbest. 245 f. cles Strafverfahrens 252. — milderes s. milderes Ges. — Rückwirkung des milderen 251 f. — Rückwirkung s. zeitl. Geltungsgebiet. — Fortdauer bei Wegfall der Norm 258.

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— W i r k u n g cl. Aufhebung auf ungesühnte Fälle 258. — besonderes, doppelte Bedeutung 333 f. — sachliches Geltungsgebiet 370 f.

register. Strafgesetz, Zweifel über s. Dasein w i r k t Straflosigkeit 458. — — — den Umfang e. Ausnahme von dems. 453. Strafgesetzbücher, d. deutschen vor dem GB 40 f. 42 A 15. die französisirende Gruppe ders. 45. nur teilweise aufgehoben 100. Strafgesetzbuch, Entstehungsgeschichte 38 f. 48 f. — für den Norddeutschen Bund 78 f. — Notwendigkeit genauer Regelung s. Verhältn. z. Landesgesetzgeb. 52 f. 287 f. — d. wichtigsten Abweichungen v. d. Regierungsvorlage 73 f. — Disposition 78 f. — d. Umfang seines Inhalts bes. in Rücksicht auf cl. früh. gem. deutsche Strafr. 79 f. — Bedeutung des allg. Teils für d. gesammte gem. u. part. Strafrecht §3. 306 f. — enthält Sätze aus and. Rechtsgebieten 84 f. — Ausdehnung des norddeutschen auf d. süddeutschen Staaten 86 f. — für cl. Deutsche Reich, nicht blos redaktionelle Verschiedenheit dess. 88 f. — Einführung in Elsass-Lothr. 90 f. — Ergänzung durch den sog. Kanzelparagraphen 91 f. — das revidirte v. 1876 u. seine Aenderungen 92 f. 96 f. — Einfluss auf cl. Partikulargesetzgeb. 97 f. 287 f. — Inkrafttreten s. nicht strafr. Bestimm. 243 f. — konkludentes Schweigen dess. 281. — s. „Materien" 290 f. — u. Sonder-Reichs- u. -Lancles-Strafrecht 294 f. 335. — cl. Abschnitte des 2. Teiles dess. u. die Landesgesetzgeb. 321 f. — Verhältniss zum ält. Bundesrecht 335 f. — Auslegung 452 f. — Redaktionsversehen 461 f. — Sprachgebrauch 464. — d. Motive dess. als Auslegungsquelle 472. Strafgesetze, Alternativität 349 f. 528. — bejahende 175 f. — Subsidiarität 355 f. 529. — inländ. u. ausländ. 413. — als bejahende Rechtssätze 6. — Konkurrenz 223 f. — Verhältniss coexistirender 268 f. — Aufhebung s. zeitl. Geltungsgebiet.

Strafgesetze, Auslegung 450 f. Strafgesetzgebungskompetenz des Reiches 273 f. hins. Bestimmungen, d. nur i n 1 Einzelstaate gelten sollen 277. umfasst die Komp. zur Aufstellung cler fundirenden N o r m u. zwingender Ausnahmen ders. 278 f. Verhältniss zur Regelung nicht krimineller Folgen clelikt. T a t best. 280. Strafgrund 440 u. A 2. Strafkläger s. Kläger. Strafklagberechtigte, mehrere u. 1 Strafrecht 194. Strafklagrecht, Begriff 193. — u. Strafrecht 190. 192 f. 196. — mehrere Inhaber dess. 194. — Bedeutung v. Antr., Ermächt., A b o l i tion u. Verj. für dass. 196. 809 f. — Entstehung u. Untergang v. Strafrecht u. Str. 196. 808. — Cession dess. 481 A 14. — die anderweiten Bedingungen dess. u. i h r Verhältniss zu denen des Strafrechts 595 f. Mangel ders. w i r k t E i n stellung 596. — maassgebender Zeitpunkt 596 f. W a n d e l des bez. ihrer geltenden Rechts 597 f. — d. beiden objekt. zweiten Bedingungen dess. 599 f. — Willenserklärungen als zweite Bedingungen dess. 602 f. — d. Gründe d. Nichtentstehung v. 664 f. — cl. Gründe des Untergangs dess. u. ihre versch. W i r k u n g 808 f. 810 f. — doppelte Bedeutung des Untergangs 808 f. — normale u. anomale Endigungsgründe 809 f. — Nichterlöschen trotz Endigung des Strafrechts 810. — Wegfall des Subjekts 811 f. — Erlöschen durch Verbrauch 194. 814 f. — Verzicht auf dass. 860 f. Strafklagrechte, eigene d, Bundesstaaten 479. — Erlöschen alternativer St. mehrerer Bundesstaaten 480. 810 f. — zweifach bedingte 589. Strafklagverjährung 832 f. (s. Verjährung). Straflosigkeit kraft Privilegs 667 f. Strafmittel 484. Strafmomente 519. Strafpflicht u. Strafrecht 176. 190 f. — nach Rechtskraft des Urteils giebt es nur noch Str. 195 A 10.

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Strafrecht, T e i l des Schutzrechts 4. — Beziehung zu den Normen u. and. Rechtsgebieten 9 f. — u. Strafpflicht 176. 190 f. — objektives 6. — internationales 224. 370 f. — Verhältniss z. Disziplinarstrafrecht 274. — i m S. d. R V 274 f. — allg. u. bes. 332 f. Strafrecht, subjektives 188 A 4. 189. 483. — d. Inhaber 188 f. 373. 477 f. — Wandelbarkeit des Berechtigten 482. 492. — Succession i n ausländ. 492 f. — Uebertragung durch den einen Staat an den and. z. Ausübung 373. 480 f. 591; F o r m der Uebertr. 373. 481; sie ist als Uebertragung v. Bundesstaat z. Bundesstaat dem heut. gem. R. fremd 481 A 15. — die Subjekte des Str.- u. des Gehorsamsrechts 183. 483. — u. Sträfling 484 f. — Mitinhaberschaft an dems. 487 f. — ein — mehrere Schuldige 488 f. — Wachstum dess. 494. — Novation 494 f. — Umwandlung i n ein Nichtstrafrecht 496 f. 812. — Entstehungsgründe 498 f. — einzige eiserne Vorauss. das Verbr. 499. — nur wid. phys. Pers. 484. 811. — Ausübung 189. — u. Strafklagrecht 190. 192 f. 196. — die s. Verletzung verbietende N o r m 192. — als einziges nur mittels jProzesses durchsetzbares R. 192. — ein — mehrere Straf klagberechtigte 194. 815. — Wandlung i n Vollstreckungspflicht durch das U r t e i l 195. — Bedeutung v. Antr., Ermächt., Abolition, V e i j . i m früh, gemeinrechtl. S. einer- u. Tod, Begnadigung u. V o l l streckungsveij. andererseits für dass. 196. 809 f. — W i r k u n g ausländ. Bestrafung oder Freisprechung auf d. inländ. 441 f. — Konsumtion durch ausländ, krimin. Vorgehen 443 f. — Auslegung 453. — bei Zweifeln über Dasein u. Inhalt des Strafges., der Norm, Ausnahmen ders. ? 453. — s. anderweiten Bedingungen u. ihr Verhältniss zu denen des Strafklagrechts 588 f. 591 f. 595 f. — Mangel d. zweiten Bedingungen w i r k t Freisprechung 596.

Strafrecht, maassgeb. Zeitpunkt für d. zweiten Bedingungen 596 f. — Wandel des R. bez. cl. zweiten Bedingungen 597 f. — Gründe d. Nichtentstehung v. Str. 664 f. — Endigungsgründe und deren versch. W i r k i m g 808 f. 810 f. normale u. anomale 809. — Verbrauch dess. 814 f. — Verzicht 860 f. (s. auch Strafanspruch). Strafrechte, heute nur Kehrseite v. Strafpflichten 6. — ihren Umfang bestimmt jeder Staat souverän 374 f. beeinflusst cler d. Normen 374. — Alternativität kollidirender 397. — einfach, mehrfach bedingte 499. 588 f. — unvollstreckbare 808. Strafrechtstheorie 6. 7. 8 f. Strafrechtsverhältniss, Begriff 477 f. 485 f. — Einheit dess. 485 f. — Wandlungen dess. 492 f. — Entstehungsgrüncle 498 f. versch. Bestimmung ders. 498. 499. — Möglichkeit d. Korrealität auf beiden Seiten 485. 487 f. — normirt durch d. StG 191. — als naturalis oblig. ? 193. Strafrechtsvoraussetzungen s. Strafrecht, subj., Bedingungen, Voraussetzungen. Strafrechtswissenschaft, Grenzen u. Aufgaben ders. 6. — Beziehung z. Philosophie 7 f. 10 f. Naturrechtslehre 9. allen Rechtsgebieten 9 f. zum ungesetzten Recht 11. — Verhältn. z. Heilkunde, Psychologie u. L o g i k 11 f. — K r i t i k gehört z. ihrer Zuständigk. 14 f. — Beschränkung durch d. neuere Gesetzgeb. 15 f. — Präzisirung und Erweiterung ihrer Aufgabe durch d. neuere Gesetzgeb. 28 f. 30 f. — u. Praxis 33 f. Strafrichter s. Richter. Strafsatzung 176. Strafunmündige, Zuchtmaassregeln gegen diese d. Landesgesetzgeb. überlassen 324. Strafurteil als authentische Gesetzesauslegung 34. — als lex specialis 34. 195. 454. — allein bestimmend für d. Pflicht des vollstr. Beamten 190 f. — ursprünglich blos deklarator. Bedeutung dess. 192. — 2 Arten dess. 194. — Beziehung zu Strafrecht u. Strafklagrecht 194 f.

register. Strafurteil, Bedeutung des freispr. u. verurt. 195 f. — konsumirende W i r k u n g hins. konk. Strafklagrechte and. Bundesstaaten 480. Strafurteilsrecht des Staats 822. Strafverbüssung, auswärt., Anrechnung ders. 441 f. — konsumirende W i r k u n g 444 f. Strafverfolgungsrecht s. Strafverfolgung. Strafverjährung s. Verjährung. Strafvollstreckung s. Strafvollzug. Strafvollzug, bestimmt den Strafgehalt der Strafe wesentl. 56. — Inkrafttreten der bez. Best, des GB 243. 252. Strafvollzugsbeamte, Verhältn. des Strafgesetzes zu dens. 190 f. — allein gelenkt durch d. U r t e i l 190 f. Strafzufügung heute nur gesetzl. geregelte Urteilsvollstreckung 192. Strafzumessungsgründe, allg. u. bes. 332

A 2.

Studentenduell s. Duell. Subditionsprinzip 384. — Unvereinbarkeit mit dem Territorialprinzip 385. Subjekt des Strafrechts s. Strafrecht, Strafberechtigter. Subjektionsprinzip 384 f. — Unvereinbarkeit mit dem Territorialprinzip 385. Subjektiver Tatbestand 503. Subjektives Recht, Zusammenhang m i t dem objektiven 181 f. — Auslegung dess. 452. Subjektives Strafrecht s. Strafrecht. Subjektlose Strafrechte ? 480. Subsidiäre Haftung für verwirkte Geldstrafen bei Zoll- u. Steuerverg. 489. 497 A 4. 589 A 3. Subsidiär gem. Strafrecht s. gem. d. Strafr. Subsidiarität, Verhältniss der S. mehrerer Strafgesetze 355 f. 494. 529. — die beiden Formen ders. 355 f. 357 f. — Untersch. v. d. Alternativität 357. v. d. Verhältniss zwischen lex gen. u. spec. 357. — Berührung mit cler Alternativität 357 A 1. — als Folge der Subsidiarität der Normen 358 f. — der Verbrechensformen 360 f. Succession d. Deutschen Reichs in ausl. Strafrechte 492. Suspension v. Rechten als Verbrechensfolge 326. Täter, W a n d l u n g des Anstifters, Gehilfen in den T . 495. Täterschaft, mittelb., Begehungsort 424 f.

Tätige Reue als Straf barkeitsmerkmal 510. — widerlegt d. Straf bedürfniss 816. Tätlichkeiten gegen Bundesfürsten, Alternativität der bez. Strafgesetze 351 f. Tatakt, ders T . Bestandteil versch. Handlungen 567. Tatbestand, Begriff 179. — u. Straffolge 55. 176 f. — Bildung des verbrech. T . 55 f. 504 f. — der Strafgesetze als Normweiser 159. — einf. u. zusammengesetzter 179. — i n Blankettform 180. — i m verneinenden Strafgesetz 180 f. — obj., subj. 503. Tatbestandsmerkmale s. Deliktsmerkmale. Tatort s. Begehungsort. Taubstumme, Antragsverbr. gegen, der Antragsberecht. 627 f. Teilnehmer, Strafbarkeit des inländ. trotz Verj. der Straf k l . aus d. ausl. Haupttat od. Existenz e. Strafausschliessungsgrundes i m ausländ. Recht 425. — an ausländ. Amtsverbr. deutscher Beamter 432 A 3. — nichtangehörige, am Hausdiebstahl, Antragserforderniss ? 638. Teilnahme, „Materie" des GB 309. 311 f. — Behandlung sachl. Schärfungs- und Milderungsgründe bei ders. nach L a n desrecht 312. — Begehungsort "424 f. Teilung der Staatsgewalt, Lehre von der, Konsequenzen 21 f. 25 f. Territorialprinzip 382 f. 403. — angebl Herrschaft dess. i m heut. gem. Recht 402 f. — ausschliessl. Herrschaftsgebiet dess. nach Reichsrecht 437 f. T e x t k r i t i k 30. 459 f. Tod, die für den F a l l des T . geschärfte Strafe eines Verbr. verlangt fahrläss. Tötung 366. — des Schuldigen als Endigungsgrund von Strafrecht u. Straf klagrecht 196. 313 A 2. 811. wandelt die Geldstrafe i n ein Publizist. Forderungsrecht 497.

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— des Antragstellers 646. 659 A 25. 661. Todesstrafe 57. 70. 75. — d. Frage ihrer Abschaffung i m Reichstage 70 f. 75. — i m GB keine absol. best. Strafe 176. Tötung, vorsätzl., durch Aussetzung 171. vors. Körperverl. 358. e. Verbr., welchem i m Falle des Todes geschärfte Strafe gedroht ist 367. — fahrläss., durch vors. Lebensgefährdung 171. durch allzurasches Fahren 360.

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T ö t u n g , durch Hetzen e. Hundes od. Werfen e. Steines 360. — Konsumtion der Strafe durch e. and. 365 f. — des Einwilligenden 719. 720 f. Untersch. v. cl. Teilnahme am Selbstmord 719 A 3. ohne Kenntniss d. Einwilligung : M o r d 720. 721 A 8. — Erfordernisse cler E i n w i l l i g u n g 720 f. Bestrafung, wenn Totschlag m i t mild. Umständen 468. Versuch kann nicht als Körperverletzung gestraft werden 721. Aszendenten 528 A 13. Totschlag gegen Bundesfürsten 352 A 7. — durch Vergiftung, Strafminimum 358

A 6.

— durch Aussetzung, Bestrafung 367 A 1 6 . — versuchter, durch Notzucht 367 A 14. — durch e. Verbr., dem für clen F a l l des Todes verschärfte Strafe droht 367. Transitverbrechen, Begehungsort 422 f. T ü r k e i 410. Tunis 410. Ueberschriften des GB, Bedeutung für den Entscheid, ob ein Gegenstand erschöpfend geregelt 291 A 5. 319. 320. Uebertragung cles Strafrechts v. d. einen Staat an d. and. zur Ausübung 480 f. — ders. Strafe v. einem Schuldigen auf den andern 488 f. Uebertretung cler N o r m , schuldlose 159. — der N o r m nicht Normverletzung 168. „Uebertretung" 512. „Uebertretungen", der v. dens. handelnde Abschn. i m GB ein Polizeistrafgesetzbuch 54 A 6. — wieweit Gegenst. cles GB 319. — Stellung cl. Landesgesetzgeb. zu dens. 319 — i m Ausl. begang. 437. 439. 443 A 7. partikuläre 437. — wieweit Antragsdelikte 609. Ueberweisung a. d. Landespolizeibehörde, cler Gnade unzugängl. 873 f. — verjährt nicht 854. Umgangssprache u. jurist. Sprachgebrauch 463 f. Umwandlung s. Wandlung. Unbestimmte Strafgesetze 32. 178. heute untersagt 178. 208. Unbrauchbarmachung 496 f. — objekt. Verfahren nach Verjährung d. Strafverfolgung? 834 A 4. — Vollstreckung i n clen Nachlass 813 f. Uneheliche Verwandte 787 u. A 92. Ungesetztes Hecht 198 f. 200. — Verhältniss z. Gesetzesr. 29. 200 A 10.

Ungesetztes Recht, Mittelformen zw. ges. u. unges. R. 199 f. — A r t e n 199. 200. 201. — Schaffung völlig ungesetzten R. durch ein Gesetz 201 f. — neben clem Strafgesetz 213 f. (s. auch Gewohnheitsrecht). Ungiltigerklärung cler Ehe 600 f. Universalprinzip s. Weltrechtsprinzip. Unrecht, objektives ? 159. Untaugliches Objekt, M i t t e l 692 f. 702 f. Unteilbarkeit des Antrags 636 f. Unterbrechung cl. Verjährung 848 f. 858 f. Untergang v. Strafr. u. Strafklagr. 808 f. (s. auch Erlöschen.) Unterlassene Anzeige s. Nichtanzeige. Unterlassungsdelikte u. Begehungsdelikte 167. — Tatseite ders. 167. — das Ges. cler Begangenschaft 247. — Begehungsort 423. — Idealkonk. solcher unter einander u. mit Begebungsdelikten 580. — Verjährungsbeginn 840. Unterlassungsnormen 166 f. Unterschlagung, Zeit u. Ges. der Begangenschaft 247. — Idealkonk. von U. u. Untreue ? 363. — durch Täuschung des seither Besitzers ermöglichte, w i r d nicht Betrug 363. — cler Antragsberechtigte 620. — an Miteigentum, mehrere Antragsber. 632. — gegen Angehörige, nichtangehörige Teilnehmer u. Begünstiger 638. — Annahme fortgesetzter U. wegen Schwierigkeit cl. Beweises von Realkonkurrenz 585 f. — Einwilligung blos des Besitzers 729. A 34. Untersuchungshaft, Anrechn. ders., auch nach Landesrecht ledigl. ins richterl. Ermessen verstellt 314. Untreue, Idealkonk. m i t Unterschlagung ? 363. Unzucht, widernatürl., gegenseit. Onanie ? 700. Unzüchtige Handlungen, „Materie" des GB 316 A 1. — Alternativität cler Strafgesetze 354. — fortgesetzte m i t ders. Person als Verbrechenseinheit 556. — E i n w i l l i g u n g der Verletzten 726 f. Unzurechnungsfähige, Rechtspflichten für? 159 u. A 10. — Notwer gegen 738 f. Urheber, intellektueller, bei partik. Verbr. 312. Urheberrechte, Verletzungen der 81. — Mehrheit d. verletzten Rechte bedeutet stets Deliktsmehrheit 532.

register. Urbeberrechte, Strafbarkeit i m Auslande begangener Verletzungen ders. 429 f. — Offizialprinzip hins. der i m Auslande begangenen 481. — der Antragsberechtigte 623 f. 646. Urkunden, unbef. Eröfln. verschlossener, der Antragsberechtigte 625 f. — der Destinatar 625 f. Urkundenfälschung, gewinnsücht. Absicht 464 A 24. — mehrfacher Gebrauch ders. gef. Urk. gegenüber versch. Personen e i η Verbrechen 558. — Subsidiarität des § 270 gegenüb. § 267 GB 558 A 43. — gleichzeitige Anwendung mehrerer gef. Urk. Ideale Konk. 558 A 43.584 A 38. — u. Betrug 575. A 17. (s. auch Intellekt. Urkundenf.) Ursache, äusserl. u. jurist. Auffassung 568. Ursachen verschied. Erfolge können sich teilweise, nie ganz, aus identischen Bedingungen zusammensetzen 567. Urteil s. Strafurteil.

konk. 532. (s. auch Verbrechensart, Verbrechensfall.) „Verbrechen" 512 f. — n. gem. R. absol. vollst, normirt 319. — als Antragsdelikte 608. Verbrechensart, Begriff 500 f. 504 f. — versch. Möglichkeit der Umgrenzung 501. — u. Gattungsverbrechen 506. Verbrechensarten, Einteil. i n vers. u. vollend. Verbr. keine Scheidung derselben 510 A 2. — Einteil. i n vorsätzl. u. fahrläss. Verbr. bald Scheidung der Verbr., bald der Fälle 510 A 2. — Gruppirung 510. — die Dreiteilung des GB 511 f. Bedeut. ders. bes. für die Z u ständigk. der Landesgesetzgeb. 319. 513 f. Handhabung ders. 514 f. Verbrechenseinheit, Untersch. von V . u. Verbrechensmehrheit identisch m i t dem v. Falleinheit u. Fallmehrh. 520. Vater, konk. Antragsbefugniss desselben — Bedeutung der Anschauung bei Fest628 f. stellung ders. 520 A 1. 545. — Disziplinargewalt u. Züchtigungsrecht — Begriff 522 f. 524 f. dess. 797. — i h r K r i t e r i u m nicht d. Einheit des Verbot, sekundärer Inhalt i n jedem 166. entstandenen StR 522. Verbote u. Gebote 166 f. — sie ist stets e. gesetzl. 524. — als Grundlage der Begehungsdelikte — bedingt durch Nichthinausgehen d. 167. Handlung über den Rahmen e i n e r — Arten, deren Verhältniss z. ein. 167. Verbrechensart 525. 171 f. — ihre drei Gestaltungen 526. — schlechthin 167. 170 f. — Verhältniss z. Gesetzeskonk. 526 f. meist kumulat. K o n k . ders. m i t — Rückwirkung d. Beweisfrage auf ihre den Verletzungs- u. GefährdungsAnnahme 545 A 16. 585 f. verboten 171. 359 f. — beim zusammengesetzten Verbr. 563 f. nur in Deutschi, übertretbar 437. — Notwendigkeit d. Betrachtung vom Verbrauch s. Konsumtion. Standpunkte e i n e s Rechts aus 569. Verbrechen, Begriff 499. 503. — d. Antragserforderniss bei ders. 630 — einzige eiserne Voraussetzung des (s. auch Deliktseinheit). Strafrechts 499. Verbrechenseinheit bei Deliktsmehrheit — Verletzung der Nonn, nicht des Straf547 f. gesetzes 155. — die beiden Grundtypen 547 f. — allg. u. bes. wesentl. Merkmale dess. — letztere wesentlich 547. 500. — bei Mehrheit gleichart. Delikte 547 f. — einf. u. zusammengesetzte 179 f. 504. — angezeigt durch d. Be524. 548, 563. zeichnung d. Angriffs— Zeit der Begangenschaft 245 f. objekts 554 f. — Gesetz der Begangenschaft bei Wechsel — angezeigt durch die Dedes Strafges. währ. Begehung eines finition d. AngriffshandVerbr. 245 f. lung 555 f. — ein — mehrere Delikte gleicher A r t W i r k u n g d. Rechtskraft 547 f. 560. — ein — mehrere Delikte versch. A r t — bei Mehrheit verschiedenart D e l i k t e 560 f. 560 f. — als Handlung 565. Verbrechensfall, Begriff 502. — gegen d. Persönlichkeit, Mehrheit der — seine vier Merkmale 517 f. verletzten Pers. bedeutet VerbrechensVerbrechensfälle, Einteilung i n versuchte 58 Binding, Handbuch. V I I . 1. I : B i n d i n g , Strafrecht. I .

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u. voll. Verbr. Scheidung der Fälle, nicht der A r t e n 510 A 2. Verbrechensfälle, Eint, i n vors. u. fahrl. Verbr. bald Scheidung d. Fälle, bald d. A r t e n 510 A 2. Verbrechensfolgen, nicht kriminelle, Zuständigkeit d. Reichs- u. Landesgesetzgebung hins. ders. 325 f. Verbrechensfolgen, reichsrechtliche Fälle nicht krimineller 328 A 14. 331 A 21. Verbrechensgruppen, die d. GB, wieweit „Materien" 319 f. Verbrechenskonkurrenz, an sich nur e. Ausschnitt aus d. Verbrechensmehrheit 525 A 14. — u. Strafenkonk. 522 A 10. — bei K o n k . v. lex generalis u. spec.? 335 (s. Verbrechensmehrheit). Verbrechensmehrheit, Begriff 525. 564 f. — einartige u. verschiedenartige 525. — durch Selbständigkeit d. versch. Delikte bedingt 565 A 1. — bedingt durch Mehrheit selbständ. strafb. Tatbestände 569 f. — Untersch. v. fortges. Verbr. u. d. Gesetzeskonk. 565, 571 f. — Untersch. v. Reihenverbr. u. zusammengesetzten Verbr. 569. — fordert Handlungsmehrheit 565 f. — scheinb. Identität der sie setzenden Tätigkeit 567 f. — Notwendigkeit d. Beurteilung vom Standpunkte e i n e s Rechts aus 569. — A r t e n 570 f. — wenn d. M i t t e l d. Verursachung selbständ. unter Strafe steht u. s. Strafe nicht durch die d. Haupttat konsum i r t w i r d 531. Verbrechenstatbestand s. Tatbestand. Verbrechensverhütung s. Vorbeugung. Verbrecher s. Sträfling. Verbreiten 555. Vereins- u. Versammlungsrecht, d. landesrechtl. Vorschriften über dess. Missbrauch 345 f. Verfolgungsverjährung s. Verjährung. „Vergehen" 512 f. — i m GB nicht abschliessend normirt 319 f. — die Antragsdelikte 608 f. Vergiftung 358 A 6. — keine Konk. v. V . u. M o r d 358 A 6. — Minimalstrafe bei Totschlag durch 358 A 6. — E i n w i l l i g u n g d. Verletzten 724 A 17. Verjährung, Ursprung 816 f. — Wandlungen i n d. Theorie 816 f. — ist erlöschende Verj. 821. — Rechtsverzicht d. Staats 822. — die 3 mögl. Objekte 822. 832 A 28. — die verschiedenen Grundanschauungen

über ihre Objekte u. deren Konsequenzen 832 A 28. Verjährung, wesentl.Verschiedenheit ihrer beiden A r t e n u. deren Gründe 821 f. 832. — Notwendigkeit strenger Scheidung d. beiden A r t e n 832. Verjährung d. Strafverfolgung im röm. u. gem. Recht 816 f. 826 f. — gehört d. StR u. StPR gemeinsam an 85. — prozess. Bedeutung ders. 196. 817 f. 829 f. 834. — Untersch. v. Erlöschen d. Antragsfrist 256. — unter d. früh. Recht fallender Straffälle 267 f. — Unzulässigkeit abweichender Regelung durch Landesrecht 313. — ausländ., W i r k u n g auf d. inländ. StR 438. 445. — inländ. hindert d. Aberkennung d. Ehrenrechte auf Grund auswärtiger Verurteilung 448. — W i r k u n g bei subsid. Haftung für fremde Geldstrafen 491. — Beweisvergänglichkeit ihr einzig zwingender Grund 822 f. 830 f. — w i r k t Freisprechung 826. 830 A 20. 831 A 23. — Terminologie d. GB 829 A 19. — w i r k t nicht Untergang d. Urteilsrechts überh. 829. 830 f. 834. — Untergang d. StR als Folge 830. 834. — T e i l d. Straffrage? 831. — Erledigung d. Frage im Geschworenengericht 831 f. — hindert auch Einziehung im obj. Verf. 834 A 4. — nicht vor actio nata 834. — Beginn 835 f. bei fortges. u. Dauerverbr. 835 f. bei Reihenverbr. 837. bei zeitl. Auseinanderfallen von Tätigkeit u. Erfolg 837 f. bei doppelt bedingten Strafklagen 839. 841 f. bei fahrl. Verbr. 839. bez. d. Teilnehmer 839 f. bei qualif. Delikten 840. bei echten Unterlassungsverbr. 840 f. — bei Ungewissheit d. Begehungszeit 843. — Ruhen 842 f. — Berechnung d. Verjährungszeit 843. — Fristen 843 f. für dies, maassgebend die Maximalstrafe d. Verbrechensfalls, nicht d. Verbrechensart 846. gegenüber jugendl. \^erbrechern 846.

Sachregister. Verjährung, Fristen, bei Rückfall^846. unbeeinflusst durch mildern. Umstände 846 f. bei Mittätersch., Beihilfe, Versuch 847. — Unterbrechung 848 f. durch Akte auswärt. Behörden? 849. durch wegen sachl. Unzuständigkeit nichtige Handlungen? 849. durch jeden richterl. A k t e. Strafgerichtsbarkeit besitzenden Verwaltungsbehörde 850 u. A 9. höchstpersönl. W i r k u n g ders. 851. 853. bei Ideal- u. Realkonk. 851. 853. — — die unterbrechende Handlung als Verfolgungshandl. 851 f. bei Antrags verbr. 852 A 20. Verjährung der erkannten Strafe, erstes Auftreten ders. 817 f. 819 f. 827. — gehört nur dem StR an 85 A 27, 196. — gilt auch für früher rechtskräftig erkannte unverjährbare Strafen 266 f. — Anfangspunkt bei vor d. GB erkannten Strafen 266. — das Landesrecht bindend 313. — ausländ., W i r k u n g 445. 448. — Natur 827 f. 832. 853. — K r i t i k 828. — Objekt ders. 853 f. — bei Geldstrafe neben Freiheitsstr. erkannt 855. — bei Gesammtstrafen 855. — bei Kumulation zufolge Realkonk. 855 f. — Ruhen clers : während Verbüssung e. and. Freiheitsstrafe 855. — bei kumulativ gestellten Geldstrafen 855 f. — bei teilweiser Begnadigung oder teilweiser Strafvollstr. 856. — Beginn 856. — Fristen 857 f. — Unterbrechung 858 f. durch Gewährung v. Strafaufschub u. Strafaussetzung 859. bei mehreren gegen dies. Pers. erkannten Strafen 859. Verkaufen 555. Verlangen d. Getöteten 721. Verletzter bei d. Antragsverbr. 615 f. 617 f. — beim Versuche 616. — Beschränkungen seiner privatrechtl. Dispositionsfähigkeit hindern ihn an d. Antragstellung nicht 617 A 7. — bei einzelnen Verbr. 617 f. — konk. Antragsberechtigung dess. u. seines gesetzl. Vertreters 628. — Antragsberecht. dess. mit Vollendung

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d. 18. Lebensjahres bez. schon verjährter Antragsrechte 628.; Verletzter, d. Staat bez. dessen Delegatar als der durch jedes D e l i k t wesentl. Verl. 707. Verletzungsverbote 167 f. 170. — u. Verbote schlechthin 171. 359 f. — u. Gefährdungsverbote 358. Verletzungsverbrechen konsumirt d. Gefährdungsverbr. 359. Verleumdung d. Kaisers, d. Landesherren, and. Bundesfürsten 352. Verleumdung, K o n k . m i t falscher A n schuld.? 365. Verlobte 787. Verlust d. bürgerl. Ehrenrechte s. bürgerliche Ehrenrechte. — öffentlicher Aemter s. Entziehung öffentl. Aemter. — der aus öffentl. W a h l e n hervorgegangenen Rechte partikularrechtl. nicht androhbar 302. 327. — öffentl. od. privater Rechte als nicht kriminelle Verbrechensfolge s. Rechtsentziehung. Vermögensstrafen, Wandlung i n Nichtstrafen 496. 497. Vermögensverbrechen, Berührung von gleichartiger Realkonk. u. fortges. Verbrechen bei dens. wegen Schwierigkeit d.· Beweises des ersteren 585 f. — Verletzter u. Antragsber. 619 f. — Strafantragstellung durch G e n e r a l bevollmächtigten? 653. — die Einheit d. Angriffsobj. ist nicht die Species, sond. das Genus 532. — Mehrheit d. Verletzten schliesst Deliktseinheit nicht aus 533. Vermutung s. Schuldpräsumtionen. Verneinende Rechtssätze 182 A 4. Verneinendes StG 176 f. 664. — Tatbestand u. Folge in solchem 180 f. — Formulirung dess. i m GB 181. — keine Fonnvorschrift für dass, i m gem. Recht 205. — Ausnahme von d. N o r m als 213. — als Ges d. Begangenschaft 248. — welches i n W a h r h e i t bejahendes ist 664 f. Vernichtungskrieg 704. Verordnung, Ges u. V i m GB 206 A 8. — Gleichstellung mit dem konstit. Ges beim Satz nulla p. s. 1. 205 f. — ob solche e. Strafdrohung einführen darf, entscheidet d. Staatsrecht 206 f. — Erfordernisse e. Reichsstrafverordn. 207 f. — Giltigkeit e. „Uebertretungsstrafe" drohenden 178. Verpflichtung u. Rechtssatz 3 (s. Pflicht). \ r erschwägerte 787 u. A 93.

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Versuch, „Materie" d. G B 309. 311. — v. „Uebertret." auch landesrechtl. als delictum suis generis nicht pönalisirbar 311. — d. Landesgesetzgeb. kann d. Vollend. d. Vergehens vor der d. Delikts eintreten lassen 311. — Subsidiarität gegenüber dem vollend. Verbr. 360. — eines „ V e r b r . " stets „ V e r b r . " 516. — der antragsber. Verletzte 616. — untauglicher 692 f. 694. — freiw. Rücktritt 816. — Verjährungsbeginn 838. — Verjährungsfristen 847. Vertreiben 555. Vertreter, gesetzl., Antragsbefugniss 627. Vertretungsverbindlichkeit für fremde Geldstrafen 489 f. Verursachungsgebote 172. Verwaltungsbehörden, durch richterl. U r teil begründete Rechte ders. 244. Verwandte 787 u. A 92. Verweis, landesrechtl. nicht androhbar 303. — als Disciplinarmaassregel 303 A 21. — „geschärfter" unzulässig 303 A 23. — Verjährungsfrist 857. Verwenden 555. Verwirkung, i m neuen gem. Recht meist keine Strafe 304 A 27. — als Privatstrafe v. GB unberührt 304 A 27. — i m Falle der Selbsthilfe, Fortbestand 330. — d. Strafen i n Gestalt d. V. d. Begnadigung zugänglich 876 (s. auch Rechtsverwirkung). Verzeihung durch Nichtsteilung, Rücknahme d. A n t r . 661. Verzicht auf d. A n t r . ungiltig 647. — auf Stralklagrecht u. StR 860 f. — des Staats auf urteilmässige Nichtstrafrechte keine Begnadigung 873. Viehfutter, Wegnahme, d. Antragsber. 620. Vivisektion 801 A 39. Volenti von fit iniuria 707 f. 710 A 11. 725 f. — Bedeutung d. Satzes für Entstehung u. Nichtentstehung d. Antragsrechts 663. Völkerrechtlicher u. strafrechtl. Schutz 392 A 5. Volkskrieg 704. Vollendung, formale, steht d. Annahme e i n e r Handlung nach § 73 GB nicht entgegen 583 u. A 36. Vollstreckung d. Strafen des e. Bundesstaats durch e. and. 481 A 15. — der Geldstrafe i n den Nachlass wandelt d. StR um i n publicist. Forderungsrecht 497 (s. auch Strafvollzug).

Vollstreckungsverjährung s. Verjährung. Voraussetzungen s. Bedingungen. Vorbereitungshandlung, durch die dem betr. D e l i k t gewidmete Norm nicht m i t verboten 173. — Straflosigkeit ders. nicht Princip des gem. Rechts 311. — Zuständigkeit d. Landesgesetzgeb. zu ihrer Pönalisirung 311. 320 A 11. — Subsidiarität der Strafdrohung 361. Vorbeugung gegen zukünft. strafbare Handl. 324. Vorgesetzter, konk. Antragsbefugniss 629. Vormund, d. Antragsber. bei Verbr. dess. gegen d. Mündel 222. 627. — Wechsel dess., L a u f d. Antragsfrist 646. — Züchtigungsrecht 798 A 28. Vorsatz, Bewusstsein ν. A r t u. Maass d. Strafe für dens. erforderl. nach d. psycholog. Zwangstheorie 21. — Bestimmung dess. d. Landesgesetzgeb. entzogen 310. — löst d. Fahrlässigkeit ab: Deliktseinheit 539. — v. d. Fahrlässigkeit abgelöst : Deliktsmehrheit 539. Wachstum des entstand. StR 494. Waffengebrauch, verordnungswidriger 795

A 10.

Wahnsinnige, Einwilligung solcher i n d. Verletzung 713. 714. A 20. 717. 727. — Notwer gegen 738 f. Wahnverbrechen 692. Wahrheitsbeweis durch Verjährung gehindert 826 A 7. Waldhammerzeichen, Fälschung 348. Wandlung des Strafrechtsverhältnisses 492 f. — d. Subj., Obj., Inhalts d. StR 492. 493. — des StR in e. Nichtstrafrecht 496. 497. — des Gehilfen, Anstifters i n d. Täter, d. Gehilfen i n den Anstifter e. M i t täters 495. — d. StG während d. Strafverfahrens 241. 252. — während Realisirung d. Tatbestandes 245 f. Wegfall des citirten Landesstrafgesetzes vermöge d. Reichsrechts 282. Weltnormen? 375. Weltrechtsprincip 378 f. — Umfang seiner Anerkennung im Reichsrecht 428 f. Weltstrafgesetz 370 f. 375. Wehrhafte Güter 743 f. 779 f. Wehrpflicht, Verletzung, Verjährungsbeginn 836 f. Wertserlegung bei nicht vollziehbarer Konfiskation 343 A 39.

register. Widerruf, beseit. Privatstrafe 304 A 27. Widersetzlichkeit gegen Beamte i n ält. Bundesgesetzen 342 f. — i n landesrechtl. Zoll- u. Steuereesetzen nicht hes. bedrohbar 345. Widerstand gegen d. Staatsgewalt i m GB keine kriminalistische Einheit 322. — Konk. m i t Körperverletzung 365 A 5. — Verbrechenseinheit trotz Mehrheit d. Angriffshandlungen u. d. Beamten 554 f. Vorliegen von Widerstand u. Angriff 562. — Konk. m i t Beleid. 575 A 17. — gegen Einwilligende? 717. — u. Notwer 740 f. Wiederaufnahme cl. Verfahrens 195. — neues Recht nach erfolgter 241. 252. Wilderei, Teilnehmer u. Begünstiger, wenn cl. Täter e. Angehöriger d. Berechtigten ist 639. W i l l e 13. — der sog. d. Gesetzgebers 454 f. — der Rechtswille, v.j Individuum gelöst, als Ziel cl. Auslegung 455 f. — die Theorie v. d. übereinst. W d. gesetzgeb. Faktoren 470 f. Wissenschaft, Bekämpfung ders. i n d. Aufklärungsperiode 23 f. — u. Praxis 33 f. (s. auch Strafrechtswissenschaft). Wissenschaftliche Methode 7. Wucher 80. 97. 354. — gewerbmäss., Berücksichtigung vor d. Wuchergesetz begang, wucherischer I l a n d l . ? 249 A 2. 552 A 15. — der Darlehnsnehmer nicht strafb. A n stifter 361 A 15. — gewerbmässiger u. gleichzeitig verschleierter 553. Württemberg, Ausdehnuug des nordd. StGB auf 87. Zeit d. Begangenschaft s. Begehungszeit. Zeitliches Geltungsgebiet d. Strafgesetze 225 f. — Begriff 225 f. — keine Möglichkeit e c h t e r Rückwirkung 226. — clie sog. Rückwirkung 226. — posit, u. negat. W i r k u n g d. Inkrafttretens 226. — Zeitpunkt des Inkrafttretens nach Reichsrecht 227 f. bei Blankettstrafges. 228. f. Deutsche u. Fremde i m Ausl. 229 f. — Wirkungen d. Inkrafttretens principiell entwickelt; die versch. Ansichten 230f. aus d. Aufgabe u. dem Wesen d. StR entwickelt 236 f. — Zulässigkeit d. Rückwirkung i. Allg. 236.

Zeitliches Geltungsgebiet, Unzulässigkeit d. Rückw. bei für die Normen vikariirenden Strafgesetzen 237. — Doppelsinn d. Aufhebung für d. N o r men vikar. Strafgesetze 237. — Rückwirkung bei zeitl. Nachfolge d. Strafgesetzes nach der N o r m 237 f. bei Wandlung blos d. Strafgesetzes 238 f. unbedingte, neuer Regelstrafgesetze m i t d. Satze nulla p. s. 1. vereinbar 240. gegenüber rechtskräftigen bez. nicht rechtskräftigen abgeurt. Delikten 241. — W i r k u n g e n d. I n k r a f t t r e t e n s n a c h g e l t . R e c h t 242 f. — verschied. W i r k u n g e n b. Strafgesetzen i m eng. S. u. eingesprengten anderweit. Bestimmungen 243 f. — die auf früher verübte Delikte ausnahmslos Anwendung leidenden Best, d. GB 243 f. — das nach § 2 GB anzuwendende Ges 245. 249 f. — einzige Ausnahme v. § 2 GB 249. — Rückwirkung des mild. Ges 251 f. 257 f. (s. auch mild. Ges). lässt rechtskräft. festgestellte Strafansprüche unberührt 251 f. ausgeschlossen, wenn d. Schärfungsgrund i n d. Zeitpunkte d. T a t lag 260 f. u. d. Voraussetzungen cl. Klagerhebung 25§ f. — Wandel d. Gesetzgeb. hins. d. A n tragsverbr. 255 f. — d. Vorschriften über Veqährung 266 f. Zeitmoment b. d. Einheitsvorstellung 530 f. Zeugniss, unbeeid. „Materie" d. GB 317 f. Zollämter i m Ausl. 412. Zollverein 37. Zollvergehen, specifische, nach Landesrecht 345. — subsid. Haftung für Geldstr. bei 489. 497 A 4. 589 A 3. — i h r Charakter als ,„Uebertr." od. „ V e r gehen" 516 A 22.' Zopf, abgeschnittener 220 A 7. Zuchthausstrafe, höchste Dauer d. zeit. 57. — dürfen auch alt. Landesgesetze nicht drohen 299. — Anrechnung auswärts erkannter Freiheitsstrafe auf dies. 443 A 6. Züchtigung i m Dienste d. Erfüllungszwanges 324 (s. auch körperliche Züchtigung). Züchtigungsrecht, elterl. 797. — des Vormundes 798 A 28.

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Quellenregister.

Züchtigungsrecht, des Lehrherren 799. — des Lehrers 799. — der Dienstherrschaft 799. — gegenüber der Jugend überh. 800. — Maass dess. 798. — Ueberschreit. dess. können landesrechtl. d. Herrschaft des GB nicht entzogen werden 798 A 25. Zufall, strafunfähig 366. Zulässigkeit v. Polizeiaufsicht, v. d. Begnadigung unberührt 873 f. Zurechenbarkeit 503. Zurechnungsfähigkeit,Voraussetzung j eder Strafbarkeit auch nach Landesrecht 310. Zurücknahme d. Antrags 647 f. Zusammengesezte Verbr. s. Verbr. — Versuch, nur aus d. Tatbest. e. eingeschloss. Antragsdelikts bestehend 631. — das Zweckdelikt prävalirt über d. M i t t e l d e l i k t 564. — das Ursachendelikt prävalirt über d. Folgendelikt 564. Zusammenhang d. StR m i t allen übrigen Rechtsgebieten 9. — m. and. Rechtssätzen, Bedeutung f. d. Auslegung 467. Zusammentreffen s. Konkurrenz. Zwang als Schuldausschliessungsgrund 768 f.

Zwangsfolge s. Zwangsmoment. Zwangsmoment, Irrelevanz dess. f. d. einzelnen Rechtssatz 161. 162. 164 A 27. Zwangsrechte als Schuldausschliessungsgründe 793 f. Zwangsstrafen v. GB unberührt 275 f. Zwangstheorie s. psych. Zwangstheorie. Zweck d. Rechtssatzes als Auslegungsquelle 13 f. 467 f. — des Rechtsinstituts als Auslegungsquelle 468 f. — einer Anzahl von Rechtssätzen als Auslegungsquelle für einen Rechtssatz 469. Zweckmoment 467. Zweifel über Bestand od. Inhalt d. Strafgesetzes, d. N o r m , Ausnahmen v. beiden, W i r k u n g auf das subjektive StR 453. Zweikampf m i t nicht tötl. Waffen d. Landesgesetzgebung entzogen 316 A 1. dabei zugefügte Körperverletzung stratlos 368.724. — Herausforderung s. dies. — Verhältniss seiner Strafe zu denen von Tötung u. Körperverletzung 368. — Verbrechenseinheit trotz Deliktsmehrheit 556 A 35. Zweiteilige Norm 165.

Quellenregister. a. § I

Strafgesetzbuch.

1 : S 512. 2 : S 204 f. 210 f. 213. 218 f. 225 f. 243 f. 244 f. al. 2 : S 251 f. 257 f. 267. 598. 669. §§ 3 — 8 : S 400 f. § 3 : S 401. 402f. 405f. 410. 413. 416. 418 A 11. 12. S 419 f. 424 f. 437. 442. 4 : S 401. 402. 404. 413. 492. al. 2 N r 1 : S 413. 428. 432. 439 A 8. N r 2 : S 434. N r 3 : S 205 A 4. S 257 A 2. S 269. 373. 403. 413. 435 f. 438 f. 443 f. 467 A 4. S 591. 815. § 5 : S 443 f. N r 1: S 444 A 11. S 445. 815. N r 2 : S 269. 443 A 9. S 444f. 815. N r 3 : S 269. 445 f. 608. 815. § 6: S 396. 401. 402. 437. 588 A 2. 608.

§ § § § § § § § § § § § § § § § § § §

7: S 8: S 9: S Ils S 12: S 13: S 15: S 16 al. al. 17 al. al. 18 al. 19 al. 20: S 21: S 22: S 23: S 24: S 26: S 27: S 28: S al.

244. 315. 401. 441 f. 815. 401. 402. 244. 315 A 1. S 413 f. 244. 672 f. 244. 681 f. 243. 243. 2 : S 243. 297. 3 : S 243. 2 : S 462 A 14. 4 : S 243. 2 : S 243. 1 : S 843 A 1. 409. 513. 243. 243. 297. 816. 816. 467 A 3. 301. 2 : S 514.

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Quellenregister. § 29: S 301. 341. g 3 0 : S 244. 313 A 2. S 497. 811 A 1. S 812. 813. 874 A 4. § 31 : S 302. 876. g 32 f.: S 876. § 33: S 302. § 35: S 876. 3 6 : S 876 A 16. 37: S 244. 446 f. 815. 38: S 244. 325. 854 A 3. S 874 A 4. 3 9 : S 325. 40: S 244. 41 : S 244. 42: S 497. 685 A 16. S 811 A 1. S 813 f. 834 A 4. S 852. 854 A 1. S 874 A 4. § 46: S 816. § 4 9 a : S 94. 356 A 4. S 361. 495. 839 A 25. § 51: S 310. 665. 768 f. § 52: S 310. 665. 754 f. 764 A 28. S 768 f. 786 f. § 53: S 730 f. 776 A 62. al. 3 : S 751 f. S 777 A 64. § 54: S 754 f. 764 A 28. S 768 f. 784. 786 f. § 55: S 665. al. 2 : S 324. 873 A 4. § 56: S 244. 665. al. 2 : S 244. 873 A 4. § 57: S 515. 857. al. 2 : S 243. al. 4 : S 514. § 58: S 665. § 60: S Ö44. 314. I 61: S 446. 613 A 13. S 640 A 14. S 641 f. 658. § 62: S 613 A 12. 13. S 628 A 11. S 632. 639 f. § 63: S 612 A 8. S 636. 637. 829. § 64: S 612. 637. 648 f. g 65: S 616f. 627 f . ' al. 2 u. 3: S 222. 613 A 12. 628. 632. § 6 6 : S 827 f. 834. § 67: S 313. 834 f. 843 f. al. 4: S 835 f. § 68: S 850 f. al. 3 : S 842 A 32. § 69: S 829. 842 f. g 70 f.: S 266 f. g 70: S 313. 853 f. N r 2 : S 857. N r 3 : S 857. N r 4 : S 462 A 14. S 857. N r 5 : S 462 A 14. S 857. § 71: S 855. g 72: S 858 f. § 73 f.: S 265 f. g 73: S 571 f. 633. g 74 f.: S 571 f.

74: S 573 f. 815. 75: S 815. 855. 77: S 585. al. 1: S 855. al. 2 : S 815. 79: S 635. 80: S 351. 428. 81: S 428. 561 f. N r 1 : S 351 f. al. 2 u. 3 : S 352. 82: S 428. 83: S 361. 428. 84: S 428. 85: S 356 A 4. S 428. 737 A 22. 88: S 462 A 14. S 463 A 18. 89: S 562 A 5. 90: S 562 A 5. S 737 A 22. 91 al. 2: S 411 A 30. 92: S 560 A 1. S 716 A 28. S 737 93: 94: 95: 96: 97: 99: 101: 102:

A 22.

S 244. S 365. 724 A 17. S 352. 726 A 24. S 724 A 17. S 726 A 24. S 352. 617 A 5. S 726 A 24. S 617 A 5. S 726 A 24. 8 92 A 6. S 270. 434. 463 A 18. S 616 A 5. S 617. 642. al. 1 : S 461 A 14. S 463 A 18. S 592. 103 : S 270. 592. 616 A 5. S 618. 642. 726 A 24. 103 a: S 335. 716 A 28. 104 : S 616 A 5. S 618. 726 A 24. 105 : S 80. 555 A 27. 28. 110: S 356 A 4. 111 : S 356 A 4. S 590 A 7. al. 2 : S 361. 515 A 18. 112: S 356 A 4. 113 f.: S 740 f. 113: S 365. 369 A 21. S 555 A 27. 28. S 562. 575 A 17. 114: S 555 A 27. 28. 116: S 708 A 3. 117 : S 365. 555 A 27. S 562. 118: S 366 A 9. al. 2 : S 366 A 11. 120: S 352 A 8. S 575 A 17. 121 : S 575 A 17. 122: S 368 A 18. S 369 A 21. S 555 A 27. 28. 123: S 562. 575 A 17. S 577 A 24. S 716 A 28. 125 : S 368 A 18. 126 : S 575 A 17. 128 : S 345. 433 A 5. 129 : S 345. 433 A 5. 130a: S 91. 131: S 555 A 30. S 575 A 17. 132: S 556. 575 A 17.

920 § § § § §

133: 134: 135: 138: 139:

Quellenregister.

S 352 A 8. S 556 A 36. S 716 A 28. S 575 A 17. S 560 A 1. S 590 A 7. S 708 A 7. S 729 A 33. S 840 A 29. § 140: S 836. al. 2 : S 244. § 141: S 369 A 2. § 142: S 468. 700. 723. 737 A 23. al. 2 : S 368. § 144: S 548 A 2. § 145: S 228. 434. 560 A 1. § 146: S 428. 557. 562 A 8. S 575 A 17. S 729 A 33. § 147: S 428. 5 5 7 ' A 42. S 562 A 8. S 575 A 17. § 148: S 557 A 42. S 575 A 17. S 754 A 1. S 773. 775. 149: S 428. 150: S 548 A 2. S 557 A 42. 151: S 361. „ 153: S 558. 713 A 16. S 729 A 33. § 154: S 317. 558. 729 A 33. al. 2 : S 590 A 7. § 155 al. 3 : S 433 A 5. § 156: S 558. I 157: S 515. 846. N r 2 : S 754 A 1. S 773. § 158: S 515. § 159: S 356 A 4. § 161: S 876. § 162: S 713 A 16. è 163: S 816. § 164: S 365.559. 718 A 31. S 729 A 33. al. 2 : S 244. 843 A 35. 36. § 165: S 718 A 31. § 166: S 560 A 1. § 167: S 365. 560 A 1. § 168: S 560 A 1. S 716 A 28. § 169: S 563 A 8. S 575 A 17. S 722. § 170: S 600 A 4. S 601 A 6. S 602. 616 A 5. S 643. 843 A 35. § 171 f . : S 354. I 171 : S 726 A 25. S 837. § 172: S 557 A 40. S 600 A 4. S 601 A 8. S 602. 643. 843 A 35. § 173: S 556 A 40. S 574 A 17. S 726 A 25. § 174: S 556. 560 A 1. S 700. 726 A 25. S 728. N r 1 : S 354 A 13. S 433 A 5. N r 2 : S 433 A 5. N r 3 : S 433 A 5. § 175: S 354. 556. 560 A 1. S 700. 726 A 25 § 176: S 556. 560 A 1. S 700. 726 A 25. S 727. N r 1 : S 354. N r 2 : S 717. 726 f. N r 3 : S 354. 727. i

§ § § § i

177: S 354. 717. 178: S 366 A 8. S 367. 179: S 726. 180: S 353. 361. 548 A 2. S 553. 181: S 353. 553. N r 1: S 361 A 15. N r 2 : S 361. § 182: S 616 A 5. S 727. § 184: S 555 A 30. S 563 A 8. § 185: S 514. 575 A 17. § 186: S 555 A 30. S 826 A 7. § 187: S 352. 555 A . 30. S 575 A 17. S 716 A 28. § 188: S 244. § 189: S 555 A 30. S 616 A 5. § 190: S 244. § 191 : S 244. 843 A 35. 36. § 193: S 796 A 18. § 195: S 616 A 5. S 618. 628. 632. 726 A 24. § 196: S 616 A 3. S 617 A 5. S 618. 629. 632. 663. 726 A 24. § 197: S 615 A 19. S 617 A 5. S 726 A 24. § 198: S 244. 641. § 199: S 571 A 3. § 200: S 244. 303 A 23. S 305. 331. § 201—204: S 362. § 203: S 362. § 204: S 816. § 206: S 368. 723. § 207: S 356 A 4. S 368. 723. § 208: S 515 A 18. § 209: S 816. § 210: S 362. 590 A 7. § 211: S 334 A 2. S 351. 575 A 17. § 212: S 334 A 2. S 367. § 213: S 334 A 2. S 352 A 7. S 367. 515 A 19. S 786 A 91. § 214: S 334 A 2. S 353 A 10. § 215: S 334 A 2. S 353 A 10. S 528 A 13. § 216: S 334 A 2. S 468. 528 A 13. S 700. 720 f. 724 A 20. § 217: S 334 A 2. S 468. § 218: S 737 A 22. § 220: S 721. al. 2 : S 366 A 8. 367. § 221 : S 354. 359 A 8. S 366 A 9. S 367 A 12. S 575 A 17. S 724 f. al. 3 : S 366 A 8. S 367 A 12.16. § 222: S 220 A 6. S 433 A 5. § 223: S 359 A 8. S 468. § 2 2 3 a : S 368. § 224: S 367 A 12. § 225: S 367 A 12. § 226: S 366 A 8. § 227 : S 362. 590 A 7. S 838 A 19. § 229: S 358 A 6. S 366 A 9. S 724 A 17. al. 2 : S 366 A 8.

921

Quellenregister. 230 al. 2 : S 433 A 5. 231 : S 244. 232: S 616 A 5. S 628. 629. 650. al. 2 : S 786 A 91. al. 3 : S 641. 233: S 571 A 3. 234: S 355. 369 A 21. S 717 A 30. S 720 A 4. S 722. 724 A 19. S 837 A 13. 235: S 717 A 30. S 729 A 34. 600 A 4. S 643. 717 A 30. 236: 843 A 35. 237: 643. 716 À 26. 28. S 729 A 34. 843 A 35. 600 A 4. S 601. 842 A 33. 238: 335. 366 A 9. 239: al. 2 U . 3 : S 366 A 8. S 367 A 12. 240: S 364. 242: S 716 A 28. 246: S 716 A 28. S 729 A 34. 247: S 620 A 17. S 621 A 19. S 622. al. 1 : S 786 A 91. S 617 A 5. al. 2 : S 601 A al. 3 : S 637 A 3. S 638. S 250: S 334. 353 A 11. i 251: S 334. 353 A 11. S 366 A 8. 9. j 254: S 575 A 17. i 255: S 462 A 14. i 257: S 352 A 8. S 563 A 18. S 575 A 17. al. 2 : S 786 A 91. al. 3 : S 515 A 18. S 369 A 21. S 637 A 4. S 786 A 91. S 786 A 91. i 258: S 563 A i 259: S 563 A 8. ι 260: S 548 A 2. S 551 A 13. S 553. I 261: S 553. t 263: S 575 A 17. S 617 A 5. S 716 A 28. al. 4 : S 222. 639. 786 A 91. 265: S 350. 266: S 267: S 268: S 269: S 270: S 271: S 273: S 274: S 716 277: S 558 279: S 575 281—283: S 349 A 284: S 548 A 2. 4. 47. S 563 285: S 559 47. 17. S 559 286: S 323 5. S 716 8. S 617 288: S 563

8.

A 28.

289: S A 290: S 291: S

621 A 19. S 716 A 28. S 746 49. 559 A 47. S 716 A 80 A 11. S 335. 716 A 28.

§ 292: 345. 559 A 47. S 639. 716 A 28. S 786 A 91. 293: S 345. 553. 607 A 2. S 716 A 28. 294: S 345. 553. 716 A 28. 295: S 345. 716 A 28. 296: S 345. 716 A 28. 2 9 6 a : S 716 A 28. 297: S 716 A 27. 28. § 298: S 355 A 15. S 433 A 6. S 716

A 28.

§ 299: S 335. 369. 625. § 300: S 433 A 5. S 559 A 47. S 626. 716 A 28. S 773 A 51. § 301: S 354. 361 A 15. S 563 A 8. S 716 A 28. 302: S 354. 361 A 15. S 563 A 8. S 716 A 28. 302a f.: S 354. 3 0 2 a : S 361 A 13. S 716 A 28. 3 0 2 b : S 353 A 11. S 716 A 28. 3 0 2 c : S 361 A 13. S 553. 716 A 28. 302d: S 353 A 11. S 548 A 2. S 551 A 13. S 553. 716 A 28. 3 0 3 : S 360 A 9. S 620 A 17. 18. 621 A 19. S 639. 716 A 28. 786 A 91. 304: S 716 A 28. 716 A 28. 305: 306: 350. 351. 575 A 17. 307: 350. 351. 366 A 8. S 564 A 1 1 . 219 A 5. S 350.351. 575 A 1 7 . 706. 309: 366 A 8. 310: 816. 311: 351. 366 A 8. S 816. 312: S 366 A 8. S 369. 313: S 369. al. 2 : S 754 A 1. S 773. 774. 314: S 366 A 8. 369. 315 al. 2 : S 366 8. 9. 316: S 366 A 8. 433 A 5. 317: S 369. 318 al. 2 : S 433 A 5. 319: S 876. 321 al. 2 : S 366 322 al. 1: S 433 5. S 563 A 8. al. 2 : S 8. 563 A 8. 323: S 366 A 8. § 324: S 350 A 3. S 366 A 8. S 555 A 30. S 563 A 8. § 326: S 366 A 8. § 327 al. 2 : S 366 A 9. § 328: S 555 A 29. § 329: S 555 A 29. S 563 A 8. 330: S 555 A 29. 331 : S 361. 563 A 8. 332: S 563 A 8. 333: S 356 A 4. S 495 A 6. 334: S 563 A 8. 335: S 244. 343 A 39.

Quellenregister.

922

§ § § § § § §

§ §

336: S 369 A 21. S 563 A 8. S 729 A 33. 340: S 728. 341: S 728. 342: S 716 A 28. S 728. 344: S 829. 345: S 369 A 21. S 729 A 33. S 814. 346: S 369 A 21. S 563 A 8. 348: S 219 A 5. S 558 A 44. al. 2 : S 352 A 8. 350: S 716 A 28. 351 : S 555 A 29. S 840 A 28. 3 5 3 a : S 94. 356 A 4. S 560 A 1. 354: S 369. 716 A 28. 358: S 876. 359 : S 82. 360 N r . 3 : S 836 A 11. N r . 8 : S 317 A 3. N r . 10: S 754 A 1. S 773 A 48. S 775 A 55. tfr. 11: S 356 A 4. Nr. 12: S 97. 548 A 2. 361 N r . 5 : S 700 A 16. N r . 6 : S 548 A 2. 362: S 244. 325. 854. 874. 363: S 335. 558 A 43. 365: S 575 A 17. 366 N r . 6 : 360. 724 A 17. N r . 7 : S 360. 367 N r . 1 : S 360 A 9. Nr. 9 : S 323. 368 N r . 5 : S 320 A 9. N r . 6 : S 780. N r . 9 : S 716 A 28. N r . 10: S 345. 716 A 23. 28. N r . 11: S 345. 369 N r . 1 : S 716 A 23. N r . 2 : S 548 A 2. N r . 3 : S 548 A 2. 370 N r . 1 : S 345. 716 A 28. N r . 2 : S 345. 716 A 28. Nr. 4 : S 345. 716 A 28. N r . 5 : S 335. 528 A 13. S 601 A 9. S 620 A 17. S 621 A 19. N r . 6 : S 620 A 17. S 716 A 28.

b. E i n f ü h r u n g s g e s e t z z u m gesetzbuch. § §

§ § §

Straf-

1 : S 225 f. 243. 2 : S 225 f. 292 A 8. 293 f. al. 1 : S 281. 290 f. 293 f. 308 f. 336. 337. al. 2 : S 308 f. 336. 344. 346. 347 A 11. al. 3 : S 293 f. 348. 3 : S 282 A 7. 4 : S 261. 278. 333 A 7. 5 : S 275 A 6. S 295. 298. 299 f. 319. 327.

6 : S 244. 275 A 6. S 296.297.298. 300 f. al. 1 : S 208. 296 A 2. al. 2 : S 250. 303 f. 514 A 16. 7 : S 340 A 27. S 829 A 19. S 845 A 9. 8 : S 296. 298.

j j î j

c. M i l i t ä r s t r a f g e s j e t z b u c h . 1: S 512 A 7. 9 : S 225 f. 47 : S 806. 49: S 780 f. al. 1: S 754 A 1. 51: S 610. 612 A 3. S 613 A 13. 52: S 844. 57 : S 429. 58: S 429. 59: S 429. 69: S 543 A 10. 76: S 543 A 10. S 836. 81 : S 700 A 16. 84—88: S 754 A 1. S 781. 95: S 460 A 9. 124: S 794. 795 A 10. 125: S 794. 795 A 10. 127 : S 610. 130: S 754 A 1. S 773. 134: S 429. 141 al. 3 : S 459 A 2. 160: S 412. 429. 161 : S 412. d. E i n f ü h r u n g s g e s e t z r z u m M i l i t ä r Strafgesetzbuch. 1 : S 225 f. 2 : S 225 f.

\

\ e.

Gerichtsverfassungsgesetz. 8 : S 796 A 18. 16: S 871 A 8. 18: S 685 f. 19: S 685 f. 21: S 688 A 10. 128: S 796 A 18. 129: S 326 A 10. 136: S 866. 147 : S 870. 148: S 796 A 16. S 870. 163: 482 A 15. S 858 A 17. 176: S 331 A 21. 177 f.: S 796 A 18. § 185: S 795 A 9. f. E i n f ü h r u n g s g e s e t z z u m G e richtsverfassungsgesetz. § 11 al. 2 : S 843 A 35. g. § § §

Strafprozessordnung.

2 - 5 . 13: S 482 A 15. 10: S 409 A 13. S 417 A 11. 50: S 794 A 5.

Quellenregister. § g g § § § g g g g g g g g g g g g g g g g g g g g g § § § g g §

§ g

52: S 773 A 51. 56 al. 3: S 876 A 16. 69: S 794 A 5. 98: S 795 A 12. 100: S 795 A 12. 105: S 795 A 13. 127: S 612. 789. 795 A 9. S 859 A 19. 130: S 612. 154: S 871 A 8. 156: S 655. 657 f. 203: S 814. 208: S 852 A 16. S 870. 259: S 612. 830. 261 al. 2: S 843 A 35. 262: S 830 f. 343: S 813. 372: S 645 A 21. ~~~ 376: ~ 645 A 22. 403: 634. 415: 633 A S 634. 635. 650 A 13. 416: 811. 417: 811. 420: 870. 428: S 641. 430: S 813. 431: S 650. 651. 869. 432: S 651 A 18. S 870. 433: S 661 A 4. S 811. 453 al. 4 : S 850. 459 al. 3 : S 850. 483: S 858 A 16. 484: S 866. 485: S 814. 859. 878 A 26. 487: S 814. 859. 878 A 27. 488: S 859. 879 A 28. 495: S 813.

h. E i n f u h r u n g s g e s e t z z u r prozessordnung, g 4 : S 669 A 11. S 671 A 18.

Straf-

923

A r t . 30: S 338. A r t . 61: S 101. A r t . 74: S 271. 339. 1867,12.Oktober. Gesetz, betr. die Erhebung einer Abgabe vonSalz. g 11: S 344 A 41. al. 2 : S 328 A 14. § 14: S 328 A 14. g 17: S 341 A 31. S 342 A 36. 37. § 21 : S 343 A 27. — 25. O k t o b e r . G e s e t z , b e t r . d i e Nationalität der Kauffahrteis c h i f f e etc. g 1 3 - 1 5 : S 338. 434 A 9. — 1. N o v e m b e r . G e s e t z ü b e r Freizügigkeit. § 3 : S 329 A 15. g 10: S 329 A 15. S 338.

die

— 2. N o v e m b e r . G e s e t z ü b e r d a s Postwes'en des norddeutschen Bundes, g 18. 19. 23: S 338. g 35: S 341 A 31. g 36 al. 1 : S 340. al. 2 : S 342 A 35. 36. g 37: S 340. A 27. S 341. — 8. N o v e m b e r . G e s e t z , b e t r . d i e O r g a n i s a t i o n der Bundeskonsul a t e etc. § 2 2 - 2 4 : S 865. § 24 al 2: S 229. 338 A 12. — 14. N o v e m b e r . G e s e t z , b e t r . d i e v e r t r a g s m ä s s i g e n Z i n s e n . S 338. 1868, 26. M a i . Gesetz, die Bes t e u e r u n g des T a b a k s betr.

i. C i v i l p r o z e s s o r d n u n g . g 678. 679. 681 : S 794 A 6.

g 12: S 341 A 31. al. 2 : S 340 A 27.

k. g 209: S A g 210: S A g 211: S § 212: S

— 4. J u l i . G e s e t z w e g e n B e s t e u e r u n g des B r a u m a l z e s etc. g 25. 26: S 328 A 14. g 35 al. 2 : S 339. 340. g 37 : S 338 A 12. S 340 A 27. 28. S 341 A 31. S 342 A 37.

Konkursordnung, 349 A 16. S 362 A 17. S 561 3. 349 A 16. S 362 A 17. S 561 3. 362 A 17. 349 A 16. S 561 A 3.

e. E i n z e l n e R e i c h s g e s e t z e Verordnungen.

und

1867, 8. J u l i . Ζ o l l v e r e i n s v e r t r a g . Art. 9 g 3 u. 12: S 338. — 26. J u l i . V e r f a s s u n g d e s n o r d deutschen Bundes. Art. 2 : 271. 272 A 4. Art. 4 Nr. 13: S 48. 50. 271. 273 f. A r t . 22: S 338.

— 4. J u l i . G e s e t z , b e t r . d i e p r i v a t r e c h t l i c h e Stellung der E r w e r b s u . W i r t h schaftsgenossenschaften. g 27. 67 . 68: S 338. g 38 al. 3 : S 331 A 21. — 8. J u l i . G e s e t z , b e t r . d i e B e s t e u e r u n g des B r a n n t w e i n s etc. g 48: S 342 A 37. g 52. 53. 63: S 328 A 14. g 66: S 489 A 5.

924

Quellenregister.

§ 67 al. 1 : S 338 A 12. al. 2 : S 340. al. 3 : S 339. 554 A 24. § 6 8 : S 340 A 27. 28. S 341 A 31. S 342 A 37. 1 8 6 8 , 8. J u l i . Gesetz, betr. die s u b s i d . H a f t u n g des B r e n n e r e i U n t e r n e h m e r s etc. S 489 A 5. 1869, 7. A p r i l . Gesetz, Maassr e g e l n gegen die R i n d e r p e s t betr. § 4 : S 328 A 14. — 16. M a i . G e s e t z , b e t r . d i e E i n führung von Telegraphen-Freimarken. § 2 : S 339. — 5. J u n i . A l l g . d e u t s c h e s delsgesetzbuch. A r t . 350: S 329 A 14. A r t . 702. 704. 708: S 754 A l . S

Han-

772.

— 10. J u n i . Gesetz, betr. die Wechselstempelsteuer im norddeutschen Bunde. § 17: S 340 A 27. S 829 A 19. S 835 A 6. S 845 A 8. § 18: S 868 A 11. § 23: S 339. — 21. J u n i . G e s e t z , b e t r . d i e G e währung der Rechtshilfe. § 23: S 315 A 1. § 27: S 481 A 15. S 492 A 3. — 21. J u n i . G e w e r b e o r d n u n g f ü r den norddeutschen Bund. 35 : S 331 A 21. 83 : S 331 A 21. 106 : S 328 A 14. 143 al. 2 u. 3 : S 329 A 16. S 338. 144 • S 338 145 'al. 1 : S 336 A 8. S 338 A 12. S 340 A 27. S 341 A 31. al. 2 : S 336 A 8. S 340 A 27. 29. 146 - 1 5 2 : S 338. 146 al. 1: S 341 A 31. 147 S 341 A 31. al. 2 : S 339. § 148: S 341 A 31. al. 2 : S 339. § 149: S 341 A 31. § 150: S 329 A 16. S 341 A 31. § 151: S 342 A 36. § 153: S 343. - 1. J u l i . Vereinszollgesetz. 19: S 795 A 10. 126: S 795 A 13. 127: S 795 A 13. 129. 130: S 795 A 9.

§ § § § § §

132: S 795 A 13. 141 al. 2 : S 548 A 2. 146: S 342 A 36. S 343. 147: S 342 A 36. S 343. 489. 148 al. 3 : S 338 A 12. 149: S 336 A 8. al. 1 : S 338 A 12. S 342 A 36. al. 2: S 342 A 36. § 150: S 338 A 12. § 153: S 489 A 5. S 491. § 158: S 339. § 159: S 338 A 12. S 339. § 160: S 338 A 12. S 342 A 37. S 343. § 161: S 338 A 12. S 343 A 27. § 162: S 341 A 31. S 342. § 164: S 340. 835 A 6. — l.Juli. Gesetz, betr. die Sicherung der Zollvereinsgrenze etc. A r t . 4 : S 342 A 36. A r t . 10: S 338 A 12. S 342 A 36. Art. 11: S 338 A 12. S 341 A 31. A r t . 12 al. 2 : S 340 A 27. 28. A r t . 15: S 868 A 11. A r t . 16: S 795 A 9. A r t . 17: S 795 A 9. 12. A r t . 18 al. 3 : S 338 A 12. S 343 A 27.

1870, 11. J u n i . G e s e t z , b e t r . d a s U r h e b e r r e c h t an S c h r i f t w e r k e n etc. 1 § 3 : S 624. § 4 : S 429 f. § 18: S 430. § 22: S 430. § 25: S 430 A 11. § 27: S 611 f. S 612 A 8. S 624. § 2 8 : S 624. 625. al. 1 : S 617 A 5. § 33: 835 A 5. S 845 A 9. § 34: S 845 A 9. § 35: S 613 A 13. S 642 A 11. § 3 7 : S 845 A 9. 11. S 43: S 835 A 5. S 845 A 9. § 45: S 835 A 5. S 845 A 9. § 50: S 430. § 54. 55 : S 304 A 27. § 61: S 429. § 6 2 : S 429 A 8. 1871, 16. A p r i l . V e r f a s s u n g des deutschen Reiches. A r t . 2 : S 228. 280. A r t . 3 : S 280 A 1. A r t . 4 N r 3 : S 322. A r t . 4 N r 13: S 206 f. A r t . 7 N r 3: S 284. A r t . 10: S 688. A r t . 17: S 284. 796 A 16. A r t . 20: S 680 f. A r t . 22: S 796 A 18. A r t . 27 al. 2: S 673. I A r t . 30: S 672 f. 796 A 18.

Quellenregister. Art. Art. Art. Art.

31: S 36 al. 56: S 63 al.

680 A 22. 2 : S 796 A 16. 796 A 16. 3 : S 796 A 16.

— 15. M a i . G e s e t z , b e t r . d i e R e d a k t i o n des S t r a f g e s e t z b u c h s etc. S 89. — 30. A u g u s t. E i n f ü h r u n g s g e s e t z für E l s a s s - L o t h r i n g e n . Art. X I : S 208 A 14. — 28. O k t o b e r . G e s e t z ü b e r d a s P o s t w e s e n d e s d e u t s c h e n Reiches. § 17: S 772. — 10. D e z e m b e r . G e s e t z , b e t r . d i e E r g ä n z u n g des S t r a f g e s e t z b u c h s für das d e u t s c h e R e i c h . S 91 f. — 21. D e z e m b e r . G e s e t z , b e t r . d i e B e s c h r ä n k u n g e n des G r u n d e i g e n t u m s i n d e r U m g e b u n g von Festungen. § 43: S 793 A 5. 1872, 31. M a i . Gesetz wegen E r hebung der Brausteuer. § 5 : S 328 A 14. S 331 A 21. § 37 al. 2 : S' 339 A 24. S 554 A 24. § 38: S 489 A 5. § 40: S 835 A 6. S 845 A 9. § 41: S 868 A 11. — 31. O k t o b e r . Disciplinarstrafo r d n u n g für das d e u t s c h e Heer. § 4 : S 796 A 18. — 23. N o v e m b e r . D i s c i p l i n a r s t r a f o r d n u n g für die Marine. § 4 : S 800.

— 27. Dezbr. § § § § § § § § § § I § § § § § §

Seemann s Ordnung.

30: S 781. 806. 32: S 754 A 1. S 781. 806. 50: S 328 A 14. 57: S 772. 65 : S 600 A 3. al. 2 u. 3 : S 331 A 21. 72: S 796 A 18. 75: S 754 A 1. 76: S 754 A 1. 79: S 794. 796 A 18. 81 f.: S 433. 81: S 355 A 15. 81 al. 2 u. 3 : S 328 A 14. 84: S 599. 642. 85: S 596 A 3. S 599 A 2. 100: S 437 A 2. S 842 A 33. 103: S 331 A 21. 105: S 328 A 14.

925

— 27. D e z e m b e r . G e s e t z , b e t r . d i e Verpflichtung deutscher Kauffahrteischiffe zur Mitnahme h i l f s b e d ü r f t i g e r Seeleute. S 433 A 8. § 4 : S 796 A 18. 1873, 3 1 > M ä r z . G e s e t z , b e t r . d i e R e c h t s v e r h ä l t n i s s e der R e i c h s beamten. § 10: S 807. S 80 f.: S 796 A 18. § 118: S 867 A 7. — 28. J u n i . G e s e t z , b e t r . d i e R e gistrirung und die Bezeichnung der Kauffahrteischiffe. § 4 : S 434 A 10. — 9. J u l i . Münzgesetz. A r t . 13': S 548 A 2. 1874, 8. A p r i l . Impfgesetz. § 17: S 356. § 18 al. 3 : S 795 A 14. — 7. M a i . G e s e t z ü b e r d i e P r e s s e . § 4 : S 329 A 15. § 14: S 331 A 21. § 21 : S 488 A 2. S 548 A 2. § 22: S 846. § 23: S 795 A 12. § 3 0 : S 345 A 4. — 17. M a i . Strandungsordnung. § 9 : S 754 A 1. S 772. 773 A 48. § 12: S 328 A 14. S 716 A 23. § 20. 35. 43: S 328 A 14. — 15. N o v e m b e r . G e s e t z , b e t r . d i e Abgabe von der B r a n n t w e i n b e r e i t u n g in den H o h e n z o l l e r n schen Landen. § 4 : S 277 A 14. —

30.

November. Gesetz Markenschutz. § 14: S 431. 648 A 6. § 20: S 270 A 5. S 595 A 21.

über

1875,4.Januar. E i s e n b a h n p o l i z e i Reglement. § 62: S 208 A 12. — 6.Februar. Gesetz über die Beu r k u n d u n g des P e r s o n e n s t a n d e s u. s. w. § 6 : S 816. — 14. März. Bankgesetz. § 50: S 328 A 14. § 55: S 515. § 57 : S 548 A 2.

Quellenregister.

926

1Ö76, 9. J a n u a r . G e s e t z , b e t r . d a s U r h e b e r r e c h t an W e r k e n der bildenden Künste. § 5. 20: S 431. § 16: S 431. 617 A 5. S 835 A 5. S 845 A 9. — l O . J a n u a r . Ges, betr. d e n S c h u t z d e r P h o t o g r a p h i e n u. s. w. § 3 : S 431. § 9 : S 431. 617 A 5. S 835 A 5. S 845 A 9. — 11. J a n u a r . G e s , b e t r . d a s U r h e b e r r e c h t an M u s t e r n und Modellen. § 5. 7. 16: S 431. § 14: S 431. 617 A 5. S 835 A 5. S 845 A 9. — 26. F e b r u a r . G e s , b e t r . d i e A b ä n d e r u n g v o n B e s t i m m u n g e n des Strafgesetzbuchs

u. s. w.

A r t . I I I : S 256. 598 A 5. S 648 A 2. — 7. A p r i l . G e s e t z ü b e r d i e e i n g e schriebenen Hilfskassen. § 29: S 328 A 14. — 15. A u g u s t . V O ü b e r d a s V e r h a l t e n der Schiffer nach einem Zusammenstoss von Schiffen a u f See. § 1. 2: S 754 A l . S 772 A 47. — 4. D e z e m b e r . G e s e t z , b e t r . d i e Schonzeit für den F a n g von R o b b e n . S 433. 1877, 2 5 . M a i .

Patentgesetz.

§ 4 : S 548 A 2. 4. S 716 A 24. § 12: S 270 A 5. S 652 A 2. § 34: S 437 A 1. S 548 A 2. 4. S 648

A 6.

§ 38: S 845 A 9. — 27. J u l i . G e s , b e t r . d i e U n t e r suchung von Seeunfällen. § 2 6 : S 328 A 14. § 34: S 328 A 14. S 867 A 7. 1878,

1. J u l i .

Rechtsanwalts -

Ordnung.

— 21. O k t o b e r . Ges g e g e n d i e gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie. § 9 : S 795 A 11. § 15: S 795 A 12. § 16: S 556 A 33. § 2 0 : S 555 A 30. S 556 A 33. § 22. 23: S 328 A 14. S 548 A 2. § 2 4 : S 328 A 14. S 331 A 21. S 548

A 2.

1879, 14. M a i . G e s , b e t r . d e n V e r k e h r m i t N a h r u n g s m i t t e l n u. s.w. § 3 : S 331 A 21. S 854 A 3. § 4 : S 331 A 21. § 5. 8: S 548 A 4. S 555 A 32. § 6 : S 548 A 4. § 10. 11: S 555 A 30. § 12: S 555 A 30. 32. al. 2: S 366 A 8. 9. S 367 A 12. § 13: S 350 A 3. S 366 A 8. § 14: S 366 A 8. 9. — l O . J u l i . Ges ü b e r d i e K o n s u l a r gerichtsbarkeit. § 4 : S 208 A 13. S 269. 411 A 28. al. 2 : S 411 A 27. S 412 A 34. § 25: S 411 A 28. § 42: S 865. § 47: S 229. § 49: S 411 A 25. — 16. J u l i . G e s e t z , b e t r . d i e B e s t e u e r u n g des T a b a k s . § 42 al. 2 : S 554 A 24. § 43: S 489 A 5. § 45: S 835 A 6. S 845 A 9. § 46: S 868 A 11. — 19. J u l i . G e s , b e t r . d i e S t e u e r f r e i h e i t des B r a n n t w e i n s z u gewerblichen Zwecken. § 2. 3 : S 845 A 9. § 4 : S 489 A 5. — 20.Juli. Ges, betr. die S t a t i s t i k des W a a r e n v e r k e h r s . § 17: S 489 A 5. S 868 A 11. 1880,7. J a n u a r . V O z u r V e r h ü t u n g des Z u s a m m e n s t o s s e n s der S c h i f f e a u f See. A r t . 21. 23: S 754 A 1. S 772 A 46.

§ 43: S 328 A 14. § 62 f.: S 796 A 18.

— 24.Mai.

— 3. J u l i .

— 23. J u n i . G e s , b e t r . d i e A b w e h r und U n t e r d r ü c k u n g von Viehs e u c h e n. § 24. 27: S 793 A 5. § 2 5 : S 331 A 21. § 3 8 : S 331 A 21.

§ § § §

10: 18: 19: 20:

S S S S

Gesetz, betr. den S p i e l kartenstempel. 514 A 14. 489 A 5. 868 A 11. 845 A 9.

Ges, betr. den W u c h e r . S 97.

Quellenregister. 1881, 2 3 . M a i . Zollkartell zum H a n d e l s v e r t r a g zw. D e u t s c h l a n d und Oesterreich-Ungarn. § 12. 15. 21. 33: S 249. 488 A 1. § 17: S 617 A 5. S 642. § 22: S 870 A 4. § 23: S 875 A 14. — 1. J u l i . G e s , b e t r . d i e E r h e b u n g von Reichsstempelabgaben. § 24: S 835 A 6. S 845 A 8. S 868 A 11. § 25: S 850 A 6. — 17. J u l i . G e s , b e t r . d i e B e s t r a fung von Zuwiderhandlungen gegen die österreichisch-ungar. Zollgesetze. S 227. 249. 1 8 8 2 , 6. M a i . Internat. Vertrag, betr. die p o l i z e i l i c h e Regelung der F i s c h e r e i in der Nordsee. Art. 20. 21 : S 773 A 50. 1 8 8 3 , 19. J u n i . G e s e t z , b e t r . Reichskriegshäfen. § 4 : S 793 A 5.

die

— 1. J u l i . G e s , b e t r . d i e A b ä n d e rung der GewerbeO und P u b l i k a t i o n bez. des n e u e n T e x t e s ders. 50: S 514 A 14. 53 al. 1 u. 2 : S 331 A 21. 57 N r 2 u. 3 : S 328 A 14. 57b N r 2 : S 331 A 21. 8 3 : S 331 A 21. 100a: S 329 A 14. 1 0 6 - 1 1 2 : S 559 A 47. 106: S 328 A 14. 116: S 328 A 14. S 331 A 21. 118: S 328 A 14. 123: S 331 A 21.

§ § § § § § I §

927

24: S 331 A 21. 26: S 796 A 18. 27: S 796 A 18. S 799. 28: S 331 A 21. 30: S 331 A 21. S 795. 34: S 331 A 21. S 795. 135: .S 559 A 47. 143: S 329 A 15. 16. 145: S 340 A 29. S 835 A 6. 146 : S 845 A 9. al. 2 : S 559 A 47. 147. 148. 149: S 846 A 11. 150: S 559 A 47. S 846 A 11. 151 : S 328 A 14. S 331 A 21. 153: S 343. 845 A 9.

— 3. J u l i . G e s e t z , b e t r . d i e A b w e h r und U n t e r d r ü c k u n g derReblauskrankheit. § 3 : S 793 A 5. § 11: S 329 A 14. 1 8 8 4 , 9. J u n i . G e s g e g e n d e n v e r b r e c h e r i s c h e n u. g e m e i n g e f ä h r lichen Gebrauch von Sprengstoffen. 5. 6 : S 351. 428 u. A 6. 7. 8 : S 428. 555 A 32. 9: S 555 A 32. 10: S 428. 555 A 30. 12: S 428. — 6. J u l i .

Unfallversicherungsgesetz. § 5 al. 7. § 42: S 329 A 14. § 95. 96: S 331 A 21.

1 8 8 5 , 11. J u n i . Bundesratsbeschluss, betr. die V o l l s t r e c k u n g v o n G e s a m m t s t r a f e n u. s. w. S 877 A 21.