Organische Grundlagen der Religion: Eine formale Untersuchung [Reprint 2019 ed.] 9783111544205, 9783111175966


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Table of contents :
Einleitung
Erster Teil: Der Organismus
I. Die Religion als organische Schöpfung
II. Die Religion und die übrigen Geistesbildungen
III. Organische Formgesetze
IV. Psychologisches
Zweiter Teil: Die Wirklichkeit
Allgemeines
I. Das religiöse Weltbild
II. Erkenntnistheoretisches
III. Die unmittelbare religiöse Erfahrung
Dritter Teil: Beziehungen zwischen Organismus und Wirklichkeit
I. Lebensgestaltung und Weltanschauung
II. Ich und Gott
III. Die Religion als ganzheitliche Beziehung
Schluß
Inhalt
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Organische Grundlagen der Religion: Eine formale Untersuchung [Reprint 2019 ed.]
 9783111544205, 9783111175966

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Heinrich Rdolph

Organische Grundlagen der Religion

Organische Grundlagen der Religion Line formale Untersuchung

Heinrich Adolph Lic. theol. Dr. phil.

Privatdorent der Theologie an der UniverfitSt Gießen

*924 Verlag von LUfred Töpelmann in Gießen

Die Inhaltsangabe befindet sich am Schlüsse des Buches

Made in Germany

v. INünchow'sche Universitäts-Druckerei (Otto Kinöt, Gießen

Einleitung. Die Religion ist nach und nach aus sämtlichen „Seelenvermögen" ab­ geleitet worden. Zunächst sah man in ihr eine Sache des Verstandes. Scholastik und protestantische Orthodoxie rechneten mit ihr als einer wesentlich intellektuellen Erscheinung. Bis ins 18. Jahrh, hinein galten Religion und Metaphysik in der Hauptsache für ein und dasselbe. AIs dann

der Anspruch beider Geistesmächte auf überempirische Erkenntnis durch Kant zurückgewiesen worden war, hat Schleiermachers genialer Tiefblick der Religion eine neue Seelenprovinz erobert. Er betrachtete das Gefühl als ihr eigentliches Huellgebiet, aus dem sie ihre Kraft saugt. Nach dem

Hinsinken der Romantik stieg mit dem tj er auf kommen der Schopenhauer­ scheu Philosophie und der ganzen „praktischen" Geistesrichtung des 19. Jahrhunderts die Wertschätzung des willens. Ritschl hat in erneuter

Anknüpfung an Kant, der das Primat der praktischen Vernunft bereits betont hatte, die Schleiermachersche Tradition nicht abgebrochen, jedoch voluntaristisch ergänzt. Reben die Ästhetik im weitesten Sinn tritt die Ethik gleichberechtigt oder sogar vorherrschend hinzu. Religion ist ihrem

Grundstock nach praktisch-sittliche Lebensgestaltung. Vie Metaphysik fällt

neben hinaus. Doch auch diese Position gilt heute als überholt. Man hat erkannt, daß es nicht angängig ist, die Religion, diese umfassende Geistes­ äußerung, in einem seelischen Teilgebiet zu verankern. Vie Erkenntnis

ist Allgemeingut geworden, daß irgendwie der „ganze Mensch" in Betracht kommt, daß das gesamte Ich den tragenden Wurzelgrund der Religion bilden müsse. Religion erscheint als Sache der „Persönlichkeit", des

„Lebens", der „geistigen Totalität", man bezeichnet sie als „Schöpfung" und „Synthese", und was dergleichen Schlagworte mehr sind. Jedenfalls ist das Bewußtsein vorhanden, daß es sich bei der Religion um einen ein­ heitlichen Ausdruck der Gesamtseele handelt. wir schließen uns dieser Auffassung vollständig an.

Vie folgende

Darstellung will nichts anderes, als dem Gedanken von der umfassenden Ganzheit der religiösen Bildung Ausdruck geben. Es soll gezeigt werden, Rdolph, Organische Grundlagen der Religion.

1

daß die Religion eine Geistesschöpfung ist, die das gesamte Bewußtsein umspannt nnd daß in ihr der einheitliche Lebenswille selbst zur Aus-

wirkung Kommt. Insofern bringt diese Arbeit inhaltlich nicht viel Neues. Doch beabsichtigt sie, die Erkenntnis von der „totalen" Beschaffenheit der

Religion auf eine neue Hrt zu begründen. Und zwar durch Einführung des Begriffsgefüges des „(Organischen" und alles dessen, was damit zu­

sammenhängt.

Es wird sich darum handeln, das Bewußtsein als einen

(Organismus zu erweisen, dessen einheitliche Lebensentfaltung in der Reli­ gion vorliegt. Gewiß wird auch damit an bereits Bekanntes angeknüpft. Überall, wo von dem „synthetischen" Charakter der Religion die Rede ist, da ist der Weg beschritten, auf dem wir uns bewegen. Wir hoffen jedoch den in Betracht kommenden Fragenkomplex in einiger systematischer Vollständigkeit zu erfassen und so weit zu klären, daß auf die organische Ableitung der Religion ein neues Licht fällt. Nun noch einige Worte über den Bau der Arbeit. Wir haben einen einzigen Gegenstand zu behandeln: die Ganzheit der religiösen Bildung. Diese soll aufgezeigt und beschrieben werden. (Es ist dabei verhältnis­

mäßig gleichgültig, wo wir das Material für unsere Untersuchung her­ nehmen. (Ob wir die religiöse Bewußtseinsstruktur als Ganzes ins Auge fassen, ein religiöses Normgesetz oder ein einzelnes psychologisches Gebilde betrachten, ist zuletzt unerheblich. Denn die formale Bildungsgesetzlichkeit schlägt immer durch. Und um deren Erfassung dreht es sich ganz allein. 3m zweiten Teil werden wir dann die religiöse Weltanschauung auf for­

male Bildungszeichen hin absuchen. Unsere Arbeit nimmt also streng monographischen Charakter an. 3n der rein formalen Betrachtungsweise liegt freilich ein gutes Stück Selbstbeschränkung. Wir setzen uns der Ge­ fahr aus, abstrakt und trocken zu werden. Trotzdem werden wir von dieser Behandlungsart nicht abweichen. So verlockend es auch an der einen oder anderen Stelle fein mag, ins Inhaltliche abzuschweifen, wir werden dieser Versuchung nicht nachgeben.

Denn wir glauben gerade bei einer

ersten Grundlegung an der Herausarbeitung der elementarsten und des­ Schließlich noch eine letzte Bemerkung. Bei der rein formalen Beschreibung der religiösen Bewußtseinsphänomene ist selbstverständlich kein Anlaß, auf

halb allgemeinsten Beziehungstatsachen festhalten zu sollen.

genetische Fragen, wohl gar solche metaphysischer Art einzugehen. Auch

der heutzutage öfters aufflackernde Streit, ob man, um die religiöse Per­

spektive richtig zu erfassen, von Gott oder dem Bewußtsein auszugehen habe, berührt uns hier nicht. Mag man, um Religion ihrer letzten Bedingtheit nach zu verstehen, den Standort im Transzendenten nehmen

oder sich in die Bewußtseinsimmanenz zurückziehen: da, wo religiöses Leben vorliegt, da ist es allemal organisch verfaßt. Und auf die orga­

nischen Formverhältnisse der religiösen Lebenswirklichkeit kommt es uns hier einzig und allein an.

Begriffliche Vorbereitung: Das Wesen der organischen Form. 1. Vie formalen Hauptbegriffe. Im Folgenden wird viel hon (Organismus, organischer Form und

organischer Beziehung die Rede sein. (Es dürfte sich somit als zweckmäßig erweisen, gleich anfangs darüber Klarheit zu verschaffen, was wir unter organischer Bildung verstehen, lvir beginnen daher mit einer Begriffs­

bestimmung des (Organischen. a. Vie Form.

Das wichtigste Bildungsmerkmal der organischen Formveranlagung, in dem alle anderen mitenthalten sind, ist die Einheit. Der (Organismus ist ein einheitliches Gebilde. Er stellt ein in sich geschlossenes, nach außen hin abgegrenztes Ganzes dar. Die organische Einheit darf auf keinen Fall mit Einfachheit verwechselt werden, lver in diesem Punkte falsch sieht, verbaut sich von vornherein den Zugang zum Verständnis des or­

ganischen Formlebens. Die organische Einheit ist immer eine solche des Zusammenhangs, des Systems, -er Beziehung, d. h. sie faßt eine Fülle von Elementen in sich, in denen sie sich darstellt, sie ist innerlich aufs reichste gegliedert, sie breitet sich als ein weitverzweigtes Strukturgebilde aus. Um diesem wesentlichen Sachverhalt der Vielheit innerhalb der Einheit Rechnung zu tragen, wird die organische Form auch als „Vieleinheit" bezeichnet. Das innere Formgesetz des organischen Rrbeitsverbands ist das der Arbeitsteilung. Damit ist ein Prinzip gewonnen, das sowohl die Gliede­ rung als solche wie die (Ordnung und Beziehung der Teile verständlich

macht. Jedes organische Element steht an einem bestimmten (Ort inner­ halb des Ganzen, an dem es eine besondere Funktion zu verrichten und einen spezifischen Rrbeitsbeitrag im Dienst der Einheit zu leisten hat. Die funktionelle Ausstattung der organischen Gliedelemente ist ihrem Arbeitszweck angepaßt. Durch die außerordentliche Verschiedenheit der organischen Funktionsaufgaben ergibt sich eine reiche qualitative Rlannig-

saltigkeit der Einzelorgane. Indem diese wechselweise ineinandergreifen und sick gegenseitig ergänzen, entsteht eine in sich geschlossene, reich ge­ tönte Totalität mit einheitlicher Gesamtleistung.

Die organischen Elemente sind in korrelativer Wechselwirkung auf ein Ganzes bezogen. Line solche allgemeine Einstellung auf die überge­ ordnete Einheit nennt man „teleologisch". Vie organische Form ist durch­ waltet von immanenter Teleologie. Bis jetzt erwies sich der Organismus als ein ziemlich leicht über­ sehbares Gebilde. Er erschien als Formganzes mit innerer Gliederung und allseitiger synthetischer Einheitsbeziehung seiner Elemente. Nun gilt es jedoch auf eine Bildungstatsache aufmerksam zu machen, die mit den

gewöhnlichen Nlitteln der mechanisch verfahrenden Betrachtungsweise nicht erklärt werden kann und der organischen Gefügeart einen geheimnis­ vollen Eharakter verleiht. Vas eigentümlich „Mysteriöse"x) der orga­

nischen Bildung läßt sich in dem Satz ausdrücken: Vas organische Ganze

ist mehr als die Summe seiner Teile. Vas heißt: man kommt zu der organischen Einheit niemals, indem man, von den Elementen ausgehend, Stück um Stück zusammenzählt, um durch fortgesetzte Addition das Ganze zu finden. Die organische Form ist kein bloßes Aggregat, keine reine mechanische Anhäufung ihrer Elemente, kein äußerlich Zusammengesetztes.

Ls steckt ein mathematisch unfaßbares plus in ihr, das sie ihren Teilen gegenüber zu einer höheren, ihnen schlechthin überlegenen Größe macht. Dieses übermechanische Moment ist das „organische Band", die „Form­

beziehung", die „schöpferische Synthese", die sich mit quantitativen Be­ stimmungen nicht fassen läßt. Umgekehrt ist es auch nicht möglich, die organische Einheit durch eine mechanische Analyse in ihre Letztbestandteile

ohne Rest aufzulösen, wie man das bei unorganischen Verbindungen tun kann. Sie wird durch eine solche Zerlegung nicht „erklärt", sondern zer­

stört. Vie organische Einheit ist etwas Letztes, Irreduzibles, In-dividuelles. Sie ist im Gegensatz zu allem Mechanischen unauflösliche Ganzheit. Vie Tatsache, daß sich die organische Einheit nicht mit der Summe ihrer Elemente deckt, daß sie sich zwar in ihren Teilen darstellt, aber nicht in ihnen aufgeht, läßt sich mit einer etwas anderen Wendung auch so

formulieren: Vas Ganze ist früher als der Teil. Vies braucht nicht un­

bedingt genetisch gemeint zu sein. Aber es gilt sicher im logischen Sinn. Man kann die Teile von der Einheit ableiten, sie in ihrer Beschaffenheit aus dem Ganzen heraus erklären, durch das sie bedingt, aus dem sie herausgesetzt sind. Aber man kann nicht umgekehrt verfahren. Im or-

!) „wir stehen hier eben vor jenem Mysterium des vielen im (Einen, das ein letztes ist und bleibt, weil alle versuche, es in eine Vielheit von Einern aufzulösen, mißlungen sind." L. William Stern, Person und Sache. Leipzig 1906 S. 162/63.

ganischen Leben führt der weg immer nur von der Einheit zu den Einzel­

elementen. So erweist sich also die Einheit als die eigentlich maßgebende Größe,

als die höchste Instanz, als das Subjekt alles organischen handelns. Vie Teile haben Bestand nur innerhalb der organischen Linheitsform, die sich

in ihnen darstellt, die sie gesetzt hat und die durch ste hindurch ihre

Zwecke verfolgt?)

b. Vas Leben.

wir haben bis jetzt, um uns über das Wesen des Organischen zu ver­ gewissern, mit dem Begriff der „Form" gearbeitet. Gerade so gut könnten

wir uns des Begriffs „Leben" bedienen.

Venn die organische Form ist

immer lebendig. Sie ist hülle, Ausprägung, Gefäß eines von innen heraus gestaltenden und nach Ausdruck verlangenden lebendigen Plasmas.

Or­

ganische Formbildung liegt überhaupt nur vor, wo lebendige Energie gewirkt hat. Sie ist die sichtbare Manifestation des an sich unfaßbaren

Lebensdrangs. was das Leben selbst ist, können wir nicht beschreiben. Ls ist zwar die uns nächste, die für uns unmittelbarste Wirklichkeit, die es gibt, wir

sind selbst lebendig und dauernd in das Medium des Lebens getaucht.

Aber es fehlen uns die Begriffe, das uns Wesensnächste genau zu präzi­ sieren.

Und zwar deshalb, weil die Begriffe abstrakt, das Leben jedoch

durchaus konkret ist. Oder, wie Bergfon sagt, weil die Begriffe -aus der Arbeit am toten Stoff, nicht aus der Anschauung des Lebendigen ge­

wonnen sind, was Leben ist, das kann man nur unmittelbar erleben.

Oder man kann versuchen, sich durch Intuition in es hineinzuversetzen,

seiner durch ästhetische Anschauung oder persönlichen Verkehr habhaft zu werden,

wirklich „definieren" läßt es sich nicht,

Dennoch lassen sich

einige formale Angaben von ihm machen. So kann auf die Tatsache hin­

gewiesen werden, daß sich alles Leben in Funktionen darstellt, daß es

verschiedene

Funktionen aus sich heraussetzt, daß es als Funktions­

system nach außen hin erscheint, ohne allerdings in der Summe dieser *) Kants Definition des (Organismus lautet folgendermaßen: „Zu einem Dinge als Naturzwecke wird nun erstlich erfordert, daß die Teile (ihrem Dasein und der Form nach) nur durch ihre Beziehung auf das Ganze möglich sind... zweitens .. . daß die Teile desselben sich dadurch zur Einheit eines Ganzen ver­ binden, daß sie von einander wechselseitig Ursache und Wirkung ihrer Form sind,denn auf solche Weise ist es allein möglich, daß umgekehrt (wechselseitig) die Idee des Ganzen wiederum die Form und Verbindung aller Teile bestimme.,, Kritik der Urteilskraft. § 65 (Heclam).

Funktionen aufzugehen.

Ls bildet den Mutterschoß seiner Funktionen,

es besitzt eine schöpferische Tiefe, die ihm gestattet, jederzeit neue Funk­ tionen auszubilden, oder die alten — in gewissem Rahmen — zu er­ setzen, es verfügt über «ine ungeheure Potenz, die schwanger ist von zahl­ losen Möglichkeiten — man denke an die Fortpflanzungskraft des biolo­

gischen. die Schöpfungsenergie des geistigen Lebens — es ist somit Urgrund und Wurzelstock aller seiner Linzelzweige. Aber man kann nicht zwischen ihm und den gerade in Erscheinung befindlichen Funktionen eine Gleichung

setzen. (Es ist auf alle Fälle mehr als seine Emanationen.

Neben diesen formalen Gesichtspunkten läßt sich darauf Hinweisen, daß das Leben die eigentümliche Tendenz der Selbstbehauptung besitzt. (Es sucht sich nicht nur in einem einheitlichen Funktionsverband darzustellen,

sondern will diesen auch in seiner Ganzheit erhalten. Dafür ist es auf

die verschiedenste Weise tätig. Man hat die Fähigkeiten der Regulation

und Restitution unterschieden, die jeder lebendigen Wirkung eignen.1) Ver­ schiebungen des lebendigen Systems werden ins Blei gerückt, Lücken er­

gänzt, Schäden ausgebessert u. s. f. hierher gehört selbstverständlich auch die Fähigkeit der Assimilation, der Anpassung und andere organische

Leistungsmöglichkeiten, auf die wir nicht weiter eingehen wollen. Genug, daß das Selbsterhaltungsstreben die Grundtendenz alles Lebendigen ist. Die organische Selbsterhaltung des Lebens vollendet sich in der Selbst­ entfaltung. Vas lebendige Gebilde will nicht nur in seiner Gegebenheit

verharren, sondern alle in ihm steckenden Möglichkeiten erschöpfen. (Es

entwickelt sich, indem es sich in den Raum hinein ausbreitet und, was noch wichtiger ist, in einem zeitlichen wachstumsprozetz potentielle Elemente aktualisiert, was eine lebendige Ganzheit ist, das zeigt sich erst in ihrem werden, in der Verwirklichung ihrer Wesensanlage, in der beständigen Annäherung an das Fiel ihrer Bestimmung. Gerade in der organischen Selbstentfaltung, im rastlosen Prozeß der Selbstvollendung

kommt der schöpferisch-spontane Eharakter des Lebens zu reinstem Aus­ druck. c. Lebensform. wir haben das Wesen des (Organismus zunächst formal und dann funktionell beschrieben, die organische Bildung wurde statisch und dyna­ misch betrachtet. Aber die beiden Begriffe der Form und des Lebens ge­

hören selbstverständlich untrennbar zusammen. Ihre Auseinandernahme 1) Sie spielen vor allem bei h. Driesch eine große Rolle, vergl. Philosophie des Organischen. 2 Bde. Lpzg. 1909. 2. flufl. 1921.

ist eine künstliche Abstraktion. Vie organische $orm ist, wie bereits be­ merkt, immer lebendig und das Leben stets geformt. Es gibt keine leb­ lose organische Form noch ein formloses Leben. $orm und Leben be­ dingen, durchdringen sich gegenseitig. Man spricht daher am zweckmäßig­

sten von -er organischen „Lebensform". 2. Der geistige (Organismus.

Der (Organismus, der das Wesen der organischen Formstruktur am plastischsten zur Anschauung bringt und die organischen Formgesetze am handgreiflichsten verwirklicht, ist der biologische. Don ihm sind die eben

angeführten Bildungsmerkmale daher auch in der Hauptsache abgeleitet worden. So lohnend es nun an und für sich auch wäre, die abstrakten

organischen Begriffe durch ihre Beziehung auf den Leib mit konkretem Inhalt zu erfüllen, so müssen wir doch hier auf ein solches Unternehmen verzichten. Denn die körperliche (Organisation steht unserem Thema zu fern, als daß sich ihre, wenn auch noch so kurze Betrachtung rechtfertigen ließe?)

Wichtiger als der leibliche ist für uns der geistige (Organismus. (Es

erregt vielleicht zunächst Befremden, daß das Bewußtsein, also ein unstoffliches Gebilde, ein (Organismus sein könne. Aber die organische Form ist nicht an die Materie gebunden. Sie kommt auch als rein funktionelles Beziehungsgefüge vor. Ja, als solches entfaltet sie sich erst in ihrer ganzen Kraft und Reinheit. Der Geist ist sowohl der Kompliziertheit

seines inneren Beziehungssystems wie der schöpferischen Energie nach der höchste aller (Organismen. In ihm gelangt die Entelechie, von der Belastung durch den Stoff befreit, erst zu ihrem wahren Wesen, zu auto­

nomer organischer Formgesetzlichkeit und freier schöpferischer Entfaltung. Der Geist ist ein (Organismus zunächst in formaler Beziehung. Er bildet ein in sich geschlossenes Ganzes, einen Formzusammenhang, der trotz der unendlichen Fülle von Elementen, die er umspannt, an keiner Stelle abreißt und auch durch alles Werden hindurch die organische Kon­

tinuität unverbrüchlich wahrt. Indem wir -en Geist als Formgebilde mit allseitiger Korrelation seiner Teile und innerer Zweckbeziehung be­ zeichnen, stehen wir im Gegensatz sowohl zur Substanztheorie, die die Seele für einen metaphysischen Punkt hält, wie zur mechanischen Psycho­ zs (Eine gute Übersicht über die heute aktuellen Fragen der Biologie und Erkenntnistheorie bietet von antiviialistischem Standpunkt aus: B. Kern, Vas Problem des Lebens. Berlin 1909. vergl. auch: L. v. Hartmann, Das Problem des Lebens. Biologische Studien. 1906.

logte, die das Ich als selbständige Wesenheit leugnet und in ein Bünöel

elementarer Funktionen auflöst. Für uns ist das Ich als organische Form­

einheit ein durchaus selbständiges Gebilde. (Es geht allen seinen Teilen voraus, bestimmt sie, läßt sie in seinem Dienst arbeiten und hält sie in

beständiger Abzweckung auf sich selbst. Dabei ist das Ich nicht eine Summengröße, nicht das mechanische Aggregat seiner Elemente, sondern eine selbständige Wesenheit hinter ihnenI) AIs Organismus ist das Ich weiterhin „lebendig". Das seelische Leben ist der Schöpfer der gesamten Bewußtseinsform, die Kraft, die das gesamte

geistige Gebäude trägt. Durch eine immanente Arbeitsteilung hat es die verschiedenen seelischen Funktionen aus sich herausgesetzt. Wie sich das körperliche Leben in einem reichverzweigten System biologischer Funk­ tionen darstellt und mit diesen arbeitet, so entfaltet sich das seelische

Leben in den Funktionen des Verstands, Gefühls und willens. Es tritt mittels dieser Organe nach außen, aber es ist nicht identisch mit ihnen,' es geht nichr in ihrer Summe auf, sondern steht mit seiner unerschöpf­ lichen Fülle hinter ihnen. Es ist ihnen als schöpferischer Urgrund, der selbst nie erscheint, transzendent. Das geistige Leben, das seine organische Natur nie verleugnet, ist in

seiner besonderen Ligenart gegenüber dem biologischen und (tierisch-)psychischen Leben dadurch gekennzeichnet, daß es einmal sich selbst bewußt wird und weiterhin die Fähigkeit zu schöpferischen Objektivationen besitzt. Es braucht seine Funktionen nicht nur zur natürlichen Selbsterhaltung im

Kamps ums Dasein, es baut mit ihnen eine objektive geistige Welt, die Welt der Wissenschaft, Kunst, Ethik, Religion u. s. f. Erst in diesen Schöp­ fungen, die übrigens auch auf durchaus organischer Gesetzmäßigkeit be­

ruhen, beweist das Bewußtseinsleben seine „geistige" Natur. Ein anderes spezifisches Merkmal des geistigen Lebens ist sein un­ stillbarer Werdedrang, der Drang nach Selbstentfaltung. Das geistige Leben beharrt nicht, es ist, wenigstens da, wo es kraftvoll schäumt, in

1) „Das Wunder der Seele ist das wunder des (Organismus: die Einheit in und über einer Mehrheit. Auch das wunder des (Organismus ist, daß er in seinen (Organen eine Mehrheit hat und doch Einheit ist..." — „Ist dies ein Mysterium, dann ist die Seele ein Mysterium,' aber dann ist es auch der or­ ganische Prozeß, dessen Spitze die Seele ist, sofern sie zeugend und empfangend, sofern sie mehrheitsfähige Einheit ist — wie der (Organismus. Vie Seele ist nicht ein Glied, das zu den Gliedern hinzukommt, sondern die Einheit und Ganzheit, das „geistige Band", das an sogenannter Realität nichts hinzufügt und doch in den Gliedern nicht aufgeht..." K.3oel, Seele und Welt. Jena 1912. S. 105; 115.

beständiger Selbstentwicklung begriffen.

Vie schöpferische (Objektivation

und der Trieb zur Selbstvollendung hängen selbstverständlich aufs engste

zusammen.

(Es ist ein und dieselbe „Lntelechie", die ihren unmittelbar

geistigen (Organisationsbezirk und den weiteren organischen Kreis ihrer

Werke ausbaut. Sie entlädt ihre schöpferische Kraft sowohl nach innen

wie nach außen hin. HIs organische Lebensform ist das Ich eine konkrete Einheit, ein aus vielen (Qualitäten unlösbar, „individuell" zusammengesetztes Gebilde. AIs solches ist es niemals ein Abstraktum, sondern eine teleologisch gefügte, mannigfach gefärbte, schöpferisch durchwirkte „Gestalt". Wohl ist Abstrak­

tes am Ich wahrnehmbar. Wan kann die Vorstellungen, Gefühle, Willens­ strebungen von der organischen Grundlage loslösen und für sich betrachten. In dieser künstlichen Absonderung erscheinen sie „abstrakt". Das Ich selbst

jedoch ist der durchaus konkrete, qualitativ bestimmte Mutterboden seiner abstrahierbaren Elemente.

Fassen wir zusammen, so ergibt sich: das Ich ist ein (Organismus. Deshalb ist es ganzheitlich, lebendig, konkret. Selbstverständlich ließen sich noch weitere Merkmale aufstellen. Aber die hier beigebrachten sind für uns die wichtigsten.

3. Ausblick. wir haben nun einige organische Formbegrifse kennen gelernt und

hier in ihrer konkreten Verwirklichung durch den geistigen (Organismus betrachtet. Mit diesen Begriffen werden wir im folgenden arbeiten. Wir werden mittels ihrer das geistige Leben in vielen seiner wichtigsten Aus­

prägungen zu verstehen suchen, galten wir uns noch einmal die Haupt­ sache vor Augen, so ist es die, daß im organischen und damit auch im geistigen Leben die Einheit der Träger aller Formelemente und das

Subjekt alles handelns ist. Auf die Icheinheit müssen wir daher als letzte Instanz zurückgehen, wenn wir geistiges Geschehen begreifen wollen.

Erster Teil: Der Organismus. I. Die Religion als organische Schöpfung. Eingang.

Der Mensch ist der Anlage nach ein organisches Gebilde. Deshalb

ist er zur Form bestimmt. Aber er ist niemals schon „fertig". Sein orga­ nischer Lebenskeim must sich erst entfalten und zu einem einheitlichen, jedoch reich gegliederten (Organismus auswachsen. Dieses Werden voll­ zieht sich nicht „von selbst" wie die Ausbildung der körperlichen Grganisation. Der geistige (Organismus unterscheidet sich vom leiblichen gerade

dadurch, daß er nicht eine festgelegte, durch den Gattungstypus grundlegend

bestimmte $orm automatisch verwirklicht, sondern in einer schöpferischen Lebensbewegung darinsteht, die bei jedem Einzelnen immer wieder eigen­

artig, ohne genau entsprechendes Vorbild und deshalb problematisch ist. Wenigstens trifft dies für die wirklich „geistigen", bewußt lebenden, schöp­

ferischen Naturen zu. Für sie gestaltet sich die Jchwerdung, die Selbstvollen­ dung zu dem schwierigsten, aber auch wichtigsten Geschäft ihres persönlichen

Seins. Mancher ist beim versuch, eine Persönlichkeit zu werden, gescheitert. Die geistige Bildungsgeschichte zeigt mindestens so viele Fehlgriffe, Unzu­ länglichkeiten, Untergänge, wie es von der biologischen Entwicklung in ihrem plastischen Zeitalter angenommen wird. Aber trotz aller inneren und äußeren Gefahren, trotz der Möglichkeit, an Widerständen zu scheitern oder in die Srre zu gehen — der versuch der Ich-Bildung mutz von jedem immer

wieder von neuem ausgenommen werden. Und er wird ausgenommen. Der synthetische Trieb im Menschen ist so stark, datz er nicht ruhen und rasten

kann. Die organische Formtendenz setzt sich, allen Hemmnissen zum Trotz, immer wieder durch. Alle geistigen Prozesse werden dem Menschen bewußt. Und zwar nicht nur dadurch, daß er ihren funktionellen Vollzug in sich wahrnimmt,

sondern auch in der Weise, daß sie sich objektivieren. Sie schlagen sich in

objektiven Geistesschöpfungen nieder.

So ist die im verstand wirksame

.^apperzeptive Synthesis" der Träger der Wissenschaft. Ihre ganze objek­

tive Gesetzmäßigkeit ist letzthin von dem synthetischen Formwillen des Ver­ standes gesetzt. Vie ästhetische Bildkrast schlägt sich in künstlerischen Bil­ dungen nieder. Der ethische Wille erzeugt eine objektiv-ethische Organi­

sation. Buch jener organische Grundwille des Lebens selbst, von dem. wir sprechen, setzt eine geistige Schöpfung aus sich heraus und wird damit

Und zwar vollzieht sich diese schöpferische, sich selbst objek­ tivierende Lebensentfaltung der geistigen „Lntelechie" in der Religion. bewußt.

Religion ist, funktionell betrachtet, nichts anderes als die formende Tätig­

keit des organischen Schwillens, des ursprünglichen synthetischen Lebens-

triebs selbst. Inhaltlich betrachtet erweist sie sich als ein konkretes Geistesgebilde, das im Bewußtsein als machtvolles Ganzes mit bestimmten

Vorstellungen, Gefühlen, Willenszielen erwächst. Wie jede objektive Schöp­ fung ist die Religion dabei nicht auf das Einzelbewußtsein beschränkt,sie erhebt sich vielmehr zu überpersönlichem Rang und bekommt erst damit im eigentlichen Sinn „objektive" Bedeutung.

3m Folgenden wird es unsere Rufgabe sein, den Nachweis zu er­ bringen, daß die Religion tatsächlich eine „ganzheitliche" Schöpfung ist, daß sie auf die synthetische Tätigkeit des organischen Lebenswillens, der

seelischen „Entelechie" zurückgehl, wir werden dabei in der Hauptsache rein beschreibend verfahren. Es kommt uns darauf an, allererst einmal die Blicke auf die Tatsache zu lenken, daß die Religion wirklich „ganz­

heitliche" Strukturprinzipien an sich trägt und somit aus dem Leben ge­ boren ist. Diesem Ziel ist insbesondere das nächstfolgende Kapitel gewidmet. 1. Vie religiöse Bewußt seinsorg an is at io n. a. Organische Gestaltung. 1. Formale Ganzheit. Der religiöse Mensch ist ein Organismus.

Dies bedeutet zunächst,

daß er eine reinlich durchkonstruierte Einheit darstellt.

Rlle Teile seines

Wesens stehen in engem Zusammenhang und bilden ein wohlgeordnetes Ganzes. Ein zentrales Formgesetz zieht sich durch das gesamte Bewußtseinssystem hindurch und gibt ihm eine planvoll-synthetische Veranlagung, wie in jedem restlos durchsormten Organismus alle Teile dem leben­ digen Zentralwillen gehorchen und dem leisesten Druck gefügig nach­ geben, so ist im religiösen Bewußtsein jedes einzelne Element das ge­

schmeidige Werkzeug der beherrschenden Geistestendenz, die sich durch alle seelischen Einzelfunktionen hindurch verwirklichen und Gestalt ge­ winnen will. So führt der religiöse Mensch in formaler Beziehung ein

Leben aus einem Guß. (Er ist eine lebendige Totalität. (Es ist undenkbar, daß im religiös veranlagten, organisch durchwirkten Geist inhaltliche Be­ stände für sich existieren und losgelöst von dem einheitlichen Formoerband ein gesondertes Dasein fuhren könnten. Kein Gedanke vermag sich zu verselbständigen und zum Mittelpunkt eines eigenen venkbezirks zu

erheben: er wird irgendwie von der religiösen Zentralidee als Glied er­

faßt, verarbeitet und ihrem Weltanschauungsgefüge einverleibt.

Kein

Gefühl ist imstande, sich im Seeleninnern ungehemmt auszubreiten und

zum Ansatzpunkt eigenmächtiger Gefühlskonstellationen zu werden: die religiöse Tinheitstendenz ergreift es und zieht es mit unerbittlichem Zwang in ihre Gesamtschöpfung hinein.

Keine willensregung darf sich eman­

zipieren und neben der Hauptlebensrichtung her eigene Ziele verfolgen: sie wird von dem religiösen Grundwillen erfaßt und in seine maßgebende

Bahn hineingelenkt. So sind alle geistigen Elemente auf ein gemeinsames religiöses Formzentrum bezogen. 3m religiös gemeisterten 3ch herrscht durchgehende Korrelation und synthetische Einstellung aller Teile auf

einen letzten Formzweck. Vas religiöse Bewußtsein ist das typische Ge­ staltungsfeld für eine immanente Teleologie. Vies geht so weit, daß

nicht nur das bewußte Geistesleben organisch determiniert ist, sondern daß der religiöse Formwille bis ins Unbewußte, ja bis in die physiologi­ schen Niederungen der Sinnlichkeit und der Triebwelt hinabgreift und hier

bestimmend und richtunggebend wirkt. So erweist sich die religiöse Domi­ nante als das höchste, über der menschlichen Gesamtorganisation stehende Formprinzip. Sie gibt dem individuellen Geist sein Gepräge. Sie ist die letzte Ursache davon, daß der religiöse Mensch „Stil" hat.

Vie durchgreifende Ganzheitsstruktur des religiösen Bewußtseins zeigt sich am auffälligsten darin, daß der Gegensatz zwischen der venksphäre und dem Wertgebiet, der das Geistesleben des „modernen" Menschen hoffnungslos zerspaltet, überwunden ist. Der religiöse Mensch denkt aus demselben Prinzip heraus, das sein Fühlen und handeln bestimmt. Vie

verschiedenerl seelischen Funktionen arbeiten bei ihm in innigstem Kon­

takt. (Es kommt hier nicht darauf an, dieses Phänomen zu erklären — die Begründung wird alsbald folgen — es handelt sich für uns zunächst um eine einfache Konstatierung des Sachverhalts: im religiös konstruier­

ten Geist waltet eine enge Übereinstimmung zwischen der theoretischen und wertenden Bewußtseinsseite. Diese beiden Gebiete sind in einer höheren

übergreifenden Synthesis aufgehoben und damit in gegenseitiger Korre­

lation gleichmäßig bedingt. Derselbe oberste Formgedanke schlägt in sie hinein, das gleiche organische Formgesetz kommt in ihnen zur Auswirkung.

Ist das organische Bewußtsein im Ganzen einheitlich geformt, so mutz sich die organische Veranlagung auch in allen seinen Einzelgebieten nach­ weisen lassen. Dies ist in der Tat -er Fall. Mr betrachten zunächst den religiös gebildeten Intellekt. Der religiöse Mensch denkt einheitlich. Wie

kommt das? Er besitzt eine letzte Sinn-Erkenntnis, die organisierend in

den Gesamtbestand der Gedanken eingreift und sie formt, er verfügt über eine letzte, gestaltgebende Idee, über eine tiefste Einsicht in das wirkliche. Dadurch kommt Plan und Zusammenhang in die religiöse Intellektsphäre

hinein. Jeder Inhalt, der in das Bewußtsein tritt, findet ein Sinngefüge vor, in das er eingereiht wird. Die weltanschaulichen Grundwahrheiten

bedingen eine feste Ordnung der theoretischen Geisteswelt. Die religiösen Zentralideen werden zu Kristallisationspunkten, um die sich die Gedanken

gruppieren wie die Eisenspäne um den Magneten. So ist das religiöse Bewußtsein mit seiner klaren Veranlagung, mit seinen durchgreifenden Sinnbezügen das genaue Gegenteil des skeptisch zersetzten Verstands, der

es zu keinen theoretischen Ganzheiten und lebendigen Synthesen bringt, dem die Gedankenelemente wirr durcheinander gehen und sich mehr und mehr zerbröckeln. Gewiß gibt es auch für das religiöse Bewußtsein Rätsel und Geheimnisse. Aber es ist doch der Überzeugung, daß die Weltanschau­ ungsidee, über die es verfügt, prinzipiell die letzte Wahrheit enthält, daß sie mit bezwingender Kraft auch die,dunkelsten Stoffmassen zu durchdringen vermag und daß es bloß eine Frage der geistigen Vertiefung ist, auch in das Ungestaltete Licht zu bringen. Da der religiöse Geist ein Grundver­ ständnis des Seins hat, ist er dem Prinzip nach ganzheitlich organisiert. Uber auch das religiöse Gefühl ist in Form gebracht und einheitlich veranlagt. Die Gefühlselemente bilden kein wirr durcheinander gehendes Chaos, sondern ein synthetisches Gefüge. Und zwar deshalb, weil die Religion im Geiste ein tragendes Allgemeingefühl erzeugt, das die Grund­ lage des gesamten emotionalen Lebens bildet und alle Einzelgefühle, die

entstehen, von Anfang an bedingt und in enger Abhängigkeit von sich selbst hält. Damit ist die stärkste Bürgschaft für die praktische Einheitlich­ keit des Gefühlslebens gewonnen. Mag das Gemüt noch so sehr bewegt

und in Wallung versetzt werden, es kehrt immer wieder in die organische Gleichgewichtslage zurück, es orientiert sich immer wieder an dem herr­

schenden Grundgefühl. Die religiöse Organisation des Gefühls ist die Voraussetzung für die Errichtung einer klar gefügten Wertordnung. Das Gefühl ist ja das vermögen der Wertsetzungen. Ist es in sich zerrissen, so gehen auch seine wertentfcheidungen unklar durcheinander, besitzt es dagegen eine einheit-

liche Veranlagung, so ist der Grund für ein wohlabgestuftes System der

werte gelegt. Dem tragenden Lebensgefühl entspricht ein höchster Lebens­ wert, nach dem sich alle anderen richten. Der religiöse Formwille erfaßt jedoch auch das willensleben und gibt ihm einheitliche Gestalt. Er verhilft einer Hauptwillensrichtung zur Durch­

setzung, die das Willenssystem nachdrücklich bestimmt und alle einzelnen Tendenzen zum Anschluß zwingt.

Diese herrschende Willensrichtung ist

dauernd auf ein höchstes Ideal, das religiöse Lebensideal gerichtet,

fassen wir zusammen, so ergibt sich: das religiöse Bewußtsein ist ein­ heitlich gefügt. Es hat einen Sinnzusammenhang, eine Wertordnung, ein Willenssystem ausgebildet, die in engster Wechselbeziehung stehen und

bloße Teilentfaltungen einer ursprünglichen Ganzheit sind. 2. Lebensdarstellung.

Das religiöse Bewußtsein ist ein einheitlich geformtes Gebilde. Der letzte Grund hierfür liegt darin, daß es die plastische Schöpfung eines organischen Lebensimpulses ist, der sich in ihm seine objektive Gestalt gegeben hat. Es ist überall in der organischen Welt so, daß sich das Leben

einen Körper baut. Auf biologischem, sozialem, geistigem Gebiet ist die formale Organisation stets die Ausdrucksform einer lebendigen Bildkraft.

3e gewaltiger der innere Lebensdrang schäumt, desto kraftvoller wird sich

die äußere Form gestalten. Krankes und mattes Leben bringt es nur zu schwächlichen, zerrissenen, fragmentarischen Bildungen. Daß also der reli­

giöse Mensch über eine einheitliche Bewußtseinsorganisation verfügt, daß er ein stilvoll gebautes Ganzes, ein Sinngebilde ist, beweist, daß der schöp­ ferische Lebensquell in ihm mit ursprünglicher Wucht aufgesprungen ist. Der religiöse Mensch ist der eigentlich lebendige Mensch. Auf den schöpferischen Bildungsgrund des Lebens müssen wir zurück­ gehen, wenn wir die religiöse Bewußtseinsorganisation verstehen wollen. Das theoretische religiöse Gedankengefüge ist nicht, wie das wissenschaft­ liche, einseitig an der äußeren Wirklichkeit orientiert und deren begriff­ liches Gegenbild, es ist sehr wesentlich durch die inneren Belange des Lebens

mitbedingt. Die religiösen Aussagen geben wieder, was das Leben von sich

selbst hält, was es als seinen Sinn betrachtet und von dieser Selbstersassung aus über die Wirklichkeit zu sagen hat. Keine bloße Anhäufung und gesetz­ liche Verknüpfung von Tatsachenmaterial, sondern dessen Deutung, Ord­ nung, Abzweckung nach den tiefsten Intentionen des Lebens, das ist der Sinn der religiösen Aussagen. Das Leben geht nicht in erster Linie auf eine „Erklärung" der objektiven Erfahrungswelt aus: die Selbstorganisa-

tion, die Erkenntnis der eigenen Bestimmung, die Durchführung einer teleologischen Formgesetzlichkeit in der eigenen persönlichen Seinswelt, das ist seine ihm nächstliegende Angelegenheit. Vie sinnvolle Überarbeitung

des empirischen Lrkenntnisbestandes vom Standpunkt der geistigen Wesens« erkenntnis aus erfolgt erst in zweiter Linie und bedeutet gleichsam sine Ausstrahlung der innerorganischen Sinn-Gebung ins Objektive hinein. — Kommt die unmittelbare Verständigung des Lebens über sich selbst in der

religiösen Gedankenbildung zu theoretischer Formulierung, so schlägt sich derselbe sinnvolle Grundgehalt des geistigen Seins „praktisch" in der Wert­

ordnung nieder. Die Religion ist Erfassung des Lebenswerts. Der Lebens­ wert ist der tiefste von allen. Er bedingt sämtliche andere Wertsetzungen. Alle übrigen Werte, seien sie hedonistischer, ökonomischer, sozialer, ästhe­ tischer, ethischer Art, werden zuletzt doch durch die Bedeutung bestimmt,

die das Leben sich selbst gibt, Hebt sich das Leben, wie im Buddhismus, auf, so sind damit alle anderen Werte vernichtet. Oder es wird nur das als positiv wertvoll empfunden, was die Selbstaufhebung des Lebens be­ schleunigt. Eine optimistische und starke Lebensauffassung begründet eine ganz andere Wertskala als eine pessimistisch-schwächliche. Oberflächliches Leben findet an anderen Dingen Geschmack als tiefes. Es ist immer die

Religion, die den Lebenswert und damit alle anderen Werte festlegt, da sie die unmittelbare Ausdrucksform der tiefsten sich selbst erfassenden geistigen Seinszuständlichkeit ist. Zu aktiver Entfaltung gelangt die

Grundeinstellung des Lebens in der religiösen Ethik und Organisation. Weil alle Einzelsphären der religiösen Gesamtorganisation im Leben wurzeln und von ihm gesetzt sind, deshalb hängen sie mit Notwendigkeit zusammen. Sie können sich nicht widersprechen, sondern arbeiten als Kor­ relative Elemente in engstem gegenseitigen Kontakt. Sind sie doch nur

verschiedene Entfaltungen ein und derselben Lebensganzheit, die sie orga­

nisch umfaßt und in ihrer synthetischen Einheit aufhebt. Diese ganze Auffassung ist selbstverständlich nur dann möglich, wenn

man von der wesenhaften Selbständigkeit des geistigen Lebens überzeugt ist, in ihm nicht etwa nur eine sekundäre Addition einzelner seelischer Funktionen, sondern ihren tragenden Urgrund sieht.

Wir stehen auf

diesem organischen Standpunkt. Deshalb können wir auch eine unmittel­ bare Dbjektivation der geistigen Lebenswirklichkeit annehmen und in der Religion ihre positive Verwirklichung erblicken. 3. Zusammenfassung. Die religiöse Bewußtseinsorganisation ist die umfassendste und tiefste, die es gibt, die einzige, die Anspruch auf Ganzheit erheben kann. Sie er-

streckt sich über das gesamte persönliche Sein, vereinheitlicht es und gibt ihm einen bildungskräftigen Sinn. Sie ist dazu imstand, rveil sie auf der organischen Lebensform selbst beruht, rveil in ihr die elementarste synthe­

tische Formtendenz zur Auswirkung kommt, weil sie die Entfaltung jenes urtümlichsten organischen Lebenswillens ist, dessen Gestaltungsziel in der einheitlichen Durchformung und schöpferischen Selbstvollendung des geisti­ gen (Organismus liegt.

b. (Organische Selbsterhaltung. Vie organische Bildung des religiösen Bewußtseins haben wir bis jetzt wesentlich an seiner formalen, durch immanente Lebensausprägung

bedingten Struktur nachgewiesen. Nun besteht ein weiteres Kennzeichen organischer Veranlagung darin, daß sich die organische Form nicht nur eine einheitliche Gestaltung gibt, sondern sich in ihr auch zu erhalten sucht. Der Selbstbehauptungswille ist ein Grundinstinkt des Lebens. Für zahl­

reiche Forscher bildet er das sicherste Kennzeichen der organischen Bildungs­ weise überhaupt. Sie sagen: wo sich die Selbsterhaltungstendenz objektiv feststellen läßt, da liegt die typische Gefügeform des (Organischen vor?) Ist die Religion eine organische Schöpfung, so muß sich das Streben nach Selbsterhaltung in ihr aufzeigen lassen.

Ein solcher Nachweis ist nun nicht schwer zu führen. Genau wie der

biologische (Organismus sich gegen lebensfeindliche Einflüsse verteidigt, so legt der religiös gefügte Geist eine gewaltige Energie der Selbstbehaup­

tung an den Tag. Vie Biologie hat verschiedene Formen der Selbstbehaup­ tung festgestellt. Eine gleiche systematische Übersicht ließe sich auch hin­

sichtlich der Maßnahmen geben, die das religiöse Bewußtsein zu seinem Schutze trifft. Der Reichtum der Sicherungsmaßregeln wäre auf dem Gebiet des geistig-religiösen Lebens wohl nicht geringer als auf dem des biolo­

gischen. Eine solche systematische Aufstellung können wir jedoch nicht lie­ fern. Sie ist auch nicht erforderlich. Es kommt uns ja nicht daraus an, die organischen Lebensregungen des religiösen Geistes vollzählig zu er­ fassen, als vielmehr zu zeigen, daß sie objektiv vorhanden sind, daß das

religiös geformte Ich auch in diesem Stück als (Organismus anzusprechen ist. Zu diesem Zweck genügt es, wenn wir ein paar beliebige Beispiele zur Veranschaulichung heranziehen.

Zunächst ist unverkennbar, daß das religiöse Bewußtsein die Fähig­ keit besitzt, sich gegen wesensfremde Elemente abzuschließen. Die Atmo-

i) So w. Stern a.a.ffl. S. 136.

sphäre -er modernen Welt ist mit zahllosen Bestandteilen geladen, die die überkommene religiöse Geistesstruktur mit Auflösung bedrohen.

Trotz­ dem zeigt die Erfahrung, daß viele religiöse Menschen von diesen Fremd­ stoffen völlig unbehelligt bleiben: die lebensfeindlichen Substanzen finden

keinen Ansatzort in ihrer seelischen Organisation. Diese ist wie mit einer Schutzhülle umgeben. Ein lebendiger Instinkt wehrt alle schädlichen Ein­

flüsse ab. Sollte sich trotzdem ein wesenswidriges Element im religiösen

Organismus einnisten, so beginnen sofort die Gegenmaßnahmen.

Der

Fremdkörper wird entweder — vielleicht unter Schmerzen — wieder aus­

gestoßen, wie ja auch der gesunde leibliche Organismus das ihm nicht Gemäße ausscheidet, oder er wird eingekapselt und dadurch unschädlich gemacht. Er bekommt einen Platz im seelischen Gesamtgefüge angewiesen,

wo er nicht weiterwuchern kann, wo ihm Gegenelemente die wage halten

und ihn kalt stellen. So wird er relativiert, paralysiert. Auch organische

Jmmunisierungsprozesse lassen sich nachweisen. Gegen Gifte bilden sich Gegengifte aus. Vie Natur „gewöhnt" sich an das, was zuerst tödlich für

sie zu sein schien. wichtiger jedoch als die negativen Abwehrmaßnahmen sind die posi­ tiven religiösen Formprozesse, die zur organischen Bereicherung der leben­ digen Organisation führen. Ieder endliche Organismus muß Substanzen

in sich aufnehmen, ist auf Stoffwechsel angewiesen und kommt ohne Ein­ verleibung fremder Energien nicht aus. Auch das religiöse Bewußtsein

braucht die Auseinandersetzung mit fremdem Gut, wenn es nicht ver­ trocknen will. Interessant ist die Beobachtung, wie es dabei unter dem geistigen Material auswählt, das ihm Gemäße sich ohne weiteres einver­ leibt, jedoch auch das scheinbar Wesenswidrige, wenn es nur irgendwie wertvoll ist, allmählich assimiliert und seinem organischen Lebensbestand einfügt. Gewiß geht es bei dieser Angliederung.ohne Umdeutungen nicht ab. Vie fremde Kost muß erst bekömmlich und schmackhaft gemacht werden. Aber ein wirklich reges und lebendiges.religiöses Bewußtsein läßt doch so leicht keine Kulturerscheinung an sich vorübergehen, ohne Kraft aus ihr zu ziehen und sie für den eigenen Wesensbestand fruchtbar

zu machen. Mit der Assimilation hängt die Anpassung eng zusammen, wie das

religiöse Bewußtsein fremde Lebenswerte in seinem Sinne z. T. erst prä­ pariert, so sieht es sich seinerseits immer wieder in die Lage versetzt, sich selbst an sein geistiges Milieu zu adaptieren, wenn es lebensfähig bleiben

will.

Seine typische Grundform zwar wird es immer bewahren, sein

eigentliches Wesen wird es nicht auf geben; aber in den Außenwerken, an Adolph, Organische Grundlagen der Religion.

2

der Peripherie sind doch Umstellungen möglich, die die religiöse Geistesform der Umgebung anpassen und gerade dadurch ihren.Bestand gewährleisten. Anpassung ist keine Charakterlosigkeit, sondern ein Zeichen schöpferischer

Lebenskraft, die sich frei bewegen kann, ohne den Grundplan im gering­ sten preiszugeben. So verfügt das religiöse Bewußtsein über einen sicheren Selbsterhal-

tungsinstinkt und zahlreiche Formen der Selbstverteidigung. Dabei soll

natürlich nicht geleugnet werden, daß. religiöse Lebensformen auch zu­

grunde gehen können. Manche religiöse Bewußtseinsstruktur ist aufgelöst worden, sei es, daß Zweifel ihr Ideengefüge zernagten, daß sie unter

Gefühlswallungen zerbrach oder an praktischen Erfahrungen scheiterte. Im allgemeinen werden religiöse Zusammenbrüche jedoch nur da ein­ treten, wo der dargestellte Typus nicht vom innersten Leben selbst getragen war, oder wo sich das Leben von vornherein als urkräftig erwies. Ge­

sundes religiöses Leben wehrt sich, genau wie.biologisches, so lang es irgend geht, gegen seine Zerstörung. c. Organische Entwicklung. Mit der Selbsterhaltung verbindet sich die Selbstentfaltung. Diese

ist der stärkste Beweis organischen Schöpfertums.

Denn während die

Selbstbehauptung nur der Beharrung dient und mit der Abwehr wesens­

fremder Clemente im Grunde ein negatives Geschäft besorgt, erschließt die Selbstentfaltung alle irrt organischen Leben ruhenden Energien und

hilft ihnen zur Verwirklichung. Vie organische Selbstentfaltungstendenz

ist im religiösen Bewußtsein mit höchster Energie am Werk. Der religiöse Mensch ist selbstverständlich niemals fertig. Dem Prinzip nach trägt er die ganzheitliche Form seines Selbst in sich. Der Gestaltungrprozeß, der ihn zu einer rein gefügten Persönlichkeit umschmelzen

soll, ist angebahnt. Aber er muß sich erst vollenden. Und zwar erstreckt sich diese Selbstentfaltung der organischen Formidee sowohl nach der Breite wie nach der Tiefe.

Der gesamte Geistesbestand wird von der

religiösen Entelechie immer wirksamer durchdrungen, die trüben Massen der Persönlichkeit werden immer reiner in das kristallhelle Gefüge be­ wußter Geistesklarheit hineingezogen, wo widerstrebende Elemente wu­

chern, da dehnt sich der Machtbereich organischer.Ordnung mit unwider­

stehlichem Zwange aus. So verbreitert die religiöse.Idee ihr Herrschafts­ gebiet im Geist und organisiert die erworbenen .Seelengebiete immer gründlicher durch. Mit dieser zunehmenden vurchstrahlung des persön­ lichen Seins geht eine Verinnerlichung des geistigen Lebens Hand in

Hand.

Der religiöse Mensch vertieft sich.

(Er ,kommt seinem eigenen

Wesensgrund immer näher. (Er lernt den Bedeutungsgehalt des aus ver­ borgenen Gründen in ihm aufrauschenden Lebens immer besser verstehen. So rührt er an die wurzeln alles geistigen Seins; er wird, mitten in der (Erfahrungswelt stehend, seiner metaphysischen Bestimmung mehr und mehr bewußt. Dieses stets gesteigerte geistige Wachstum, dieses Reif­

werden ist -er beste Beweis schöpferischer organischer Lebensenergie, unversieglichen Selbstentfaltungsdrangs.

Zur schöpferischen Entfaltung seines Wesens gelangt der religiöse

Mensch jedoch nicht nur, weil sich in seinem Innern eine rastlose Lebens­ bewegung vollzieht, auch die äußere Erfahrung reizt.dazu an. Der reli­ giöse Mensch sieht sich immer wieder vor neue Aufgaben gestellt, neue Lagen rufen seine Energie auf, er muß die ihn beherrschende Lebensidee an immer neuen Fällen anwenden und erproben.. Dadurch aber werden Kräfte gelöst, ruhende Elemente aufgerufen, ein höchster persönlicher Ein­

satz verlangt. Bewältigte Stoffmassen aber erhöhen nicht nur Selbstgefühl und vertrauen, sondern unmittelbar auch die bildnerische Potenz. So wirken innere und äußere Ereignisse zusammen, um den religiösen Menschen zu vollenden. Aus dem Unbewußten fließen ihm Kräfte zu, die Anforderungen des Tages steigern seine Energie. Er entfaltet sich allmählich zu einer schöpferischen Geistesgestalt, der alles, selbst das

Negative, zum Nutzen gereicht und sich für die innere Durchbildung frucht­ bar erweist, der, wie es einer der größten religiösen Helden ausgesprochen hat, „alles zum Besten dienen muß". 2. Vie objektive Religion. Der organische Eharakter der Religion tritt uns auch in der objek­

tiven Gestaltung entgegen, die sie in der Geschichte angenommen hat. Hier stoßen wir auf dieselben Formverhältnisse, die wir bereits im Be­ wußtsein antrafen. Dies ist nicht verwunderlich, da ja der menschliche Geist die objektive Religion letzthin gesetzt und seine Bildungsgesetzlich­

keit in sie hineingelegt hat. Auch der lebendige Schöpferdrang, der sich im Einzelbewußtsein entfaltet, wirkt sich in der geschichtlichen Religion

aus und zeitigt machtvolle, Jahrtausende durchformte Impulse. Indem wir somit an die Betrachtung der geschichtlichen.Religion herantreten, werden uns dieselben Formtatsachen entgegenleuchten, die wir bereits aus der Untersuchung des individuellen Geistes kennen. ■ Allerdings in gewaltigeren Maßen und gigantisch gesteigert. Als Beispiel der historischen

Gestaltung religiösen Lebens halten wir uns zweckmäßigerweise in erster 2*

Linie das Christentum vor Augen, das auch insofern die absolute Religion ist, als es die organischen Formmerkmale in typischer Reinheit an sich

trägt. a. Universalität.

Zunächst fällt der „synthetische" Charakter der großen geschichtlichen Religionen auf. Sie sind universale Gebilde, die alle geistigen Elemente in ihre Komposition hineingezogen haben. Cs gibt keine Lebensäußerung

wissenschaftlicher, ästhetischer, sozialer, selbst wirtschaftlicher und poli­ tischer Art, zu denen die Religion nicht Stellung genommen, die sie nicht irgendwie geistig verarbeitet hätte. Schon daraus erhellt ihre ganzheitliche Natur. Besonders das Christentum, und von seinen Teilausprägungen wieder der Katholizismus, ist eine Größe, die man nur als geistigen

Kosmos bezeichnen kann. Geht man mehr ins einzelne, so zeigt sich, daß sich jede religiöse Geistesform nach drei Seiten hin entfaltet: sie erzeugt ein theoretisches Lehrgebäude (Dogma), eine Sphäre ästhetischer

Darstellungsmittel (Kult) und eine praktisch-sittliche Organisation (Ethik,

Soziallehre), mittels dieser Teilformationen drückt sie ihr inneres Wesen

aus. Aber in diese Interpretationssysteme sind nun die verschiedensten, aus dem Boden der Kultur gewachsenen Elemente ausgenommen. So dient das Dogmensystem der Religion dazu, ihren inneren Bedeutungs­

gehalt objektiv zu formulieren.

Dabei werden aber auch Wissenschaft

und Philosophie als Hilfsmittel benutzt, um die religiöse Wahrheit zu verdeutlichen, auseinanderzulegen, der Zeit mundgerecht zu machen. In

den kultischen Formen schlägt sich das religiöse Lebensgefühl nieder. Die Religion verschafft sich einen wesensgemäßen stilechten Ausdruck, schreckt aber dabei auch nicht davor zurück, bei der profanen Kunst Anleihen zu

machen und sie in ihren Dienst zu ziehen. Zuletzt baut sie sich ethisch aus, greift in das soziale Leben ein, entlehnt ihm natürlich gewachsene Formen für ihre Zwecke — kurz: die Totalität des Lebens strömt in die religiöse Bildung ein. Oder richtiger : das schöpferische Zentrum sinnvoller Lebens­

gestaltung, das die aktive Religion darstellt, ist so mächtig, es strahlt so stark nach allen Seiten hin aus, daß es sämtliche Erzeugnisse des mensch­ lichen Geisteslebens an sich zieht und sich einverleibt. Auf diese Art ist

die geschichtliche Religion eine Schöpfung von umfassender Bedeutung, b. Der Kampf ums Dasein. Die objektive Religion ist ein lebendiges Gebilde.

Sie verkörpert

einen machtvollen seelischen Impuls, der, der Seele des Religionsstifters entstammend, in die Geschichte eingetreten ist und sich dort mit überper-

sönlicher Gewalt auswirkt. RIs organische Lebensmacht besitzt die Religion

— wie alles Lebendige — Selbstbehauptungstendenz.

Und zwar tritt

diese bei den geschichtlichen Religionssystemen, wo es sich um Riesenmatze handelt und ein machtvoller Lebenswille ganze Generationen durchflutet,

noch deutlicher hervor als beim individuellen Einzelleben. Die organische Selbstbehauptung äutzert sich in der Hauptsache in dreierlei Hinsicht.

Erstens im Kampf. Die historischen Religionen Kämpfen samt und sonders.

Der Kampf ums Dasein ist in ihrem Leben besonders deutlich ausgeprägt. Jede sucht die andere zu verdrängen, jede aber wehrt sich auch bis zum äußersten und wirkt selbst da, wo sie vernichtet scheint, heimlich in den Untergründen des Lebens noch nach. Dielleicht stirbt eine Religion, die ein Mal eine echte Lebenstendenz verkörperte, niemals völlig. Der Sieg im Wettstreit der Religionen wird durch die höhere Lebensenergie ent­ schieden, oder richtiger, wie in der biologischen Welt, durch bessere Pro­

portionalität, durch besseres Angepaßtsein ihrer Formen an die Grund­ bedürfnisse des Lebens, durch einen richtigeren Sinnausdruck des Lebens. Wo eine Religion siegt, da verdrängt sie die anderen mitleidslos. Reli­ gionen sind höchst intolerante Lebensmächte. — Über die Religion kämpft

nicht nur mit Nachbarreligionen um Roden und Daseinsrecht, sie befindet

sich auch in beständiger Auseinandersetzung mit Kulturströmungen aller Art, die ihrem Wesen zuwiderlaufen, die ihrer Sinnrichtung nicht ent­ sprechen, die sich ihrer Einflutzsphäre entziehen wollen. Das beste Beispiel

eines solchen fortgesetzten Geisteskampfes bietet wieder die Geschichte des Christentums. Schon gleich nach seiner Geburt hat es den Wettbewerb

anderer Religionen (Juöentum, Mythraskult) auszuhalten gehabt und in zähem Ringen gesiegt. Sofort aber begann auch seine tiefgreifende Ruseinandersetzung mit autzerreligiösen Geistestendenzen, von den Tagen der Apologeten an bis zu den Plänkeleien mit der modernen Wissenschaft. Dieser Kampf hat dem Ehristentum nichts geschadet. 3m Gegenteil, es ist gestärkt aus ihm hervorgegangen, weil es von Anfang an kerngesund und lebendig war.

Die zweite Hauptform der .Selbstbehauptung ist die Assimilation. Richt nur Selbstverteidigung, sondern Derstärkung der eigenen Position

ist die Losung. Was in der biologischen Welt die Nahrungsaufnahme be­

deutet, die zur Erhaltung des Lebens unrrlätzlich ist, das bedeutet im Leben der geschichtlichen Religion die Aufnahme fremder Geistesbestände. Die Religion sucht, wo immer sie kann, sich Stoffe einzuverleiben, aus denen sie Kraft saugt, die ihren Organismus aufbauen helfen und ihre Lebensenergie kräftigen. So hat das Christentum zum mindesten zweimal

in seiner Geschichte eine machtvolle Bereicherung erfahren: als es die

griechische Philosophie und den wertvollsten Bestand des deutschen Idealis­ mus in sich aufnahm. (Es hat von diesen fremden Stoffen gezehrt und ist

durch sie gewachsen. Hand in Hand damit ist vielfach die Anpassung ge­

gangen. Um ihre Existenz nicht aufzugeben, hat sich die Religion be­ stehenden Verhältnissen adaptiert. Anpassung ist ein Grundphänomen

des Lebens, das diesem, wenn richtig verfahren wird, zur Selbststeigerung gereicht. So war es für das Christentum sicher kein Schade, daß es sich

dem germanischen Volkstum anpatzte.

Es sind ihm damit die reichen

Kräfte der deutschen Seele zugeströmt, die es innerlich belebten. Allerdings kann die Anpassung, wie die Geschichte zeigt, auch zu weit gehen. Mas einzelne jesuitische Missionskirchen aus dem Christentum gemacht haben, was in manchen Gebieten Asiens aus dem Buddhismus durch dessen Ver­

schmelzung mit Volksreligionen geworden ist, das Kommt schon einem ver­ leugnen des eigenen Wesens gleich. Die Selbsterhaltungsmatznahmen sind damit nicht erschöpft. (Es gilt

für die Religionen auch eine Kontrolle nach innen auszuüben. In jedem lebendigen Organismus kann es zu Erkrankungen und Mißbildungen kommen. So wachen auch im Schoß der Religionen krankhafte Triebe und

Wucherungen auf, die das Leben von innen her zu zersetzen drohen. Das Christentum ist öfters in seiner Geschichte von solchen ungesunden Aus­ wüchsen seiner eigenen Konstitution in Krisen gestürzt worden. Schwär­

merei, Mystizismus, Sektenwesen aller möglichen Art haben sich breit gemacht. Aber dem Christentum ist es immer wieder gelungen, dieser ab­

wegigen Tendenzen Herr zu werden, sie abzustoßen und die große, klassische Linie seiner Entwicklung einzuhalten. Roch in anderer Beziehung hat es regulierend und regenerierend aus seinen eigenen Bestand gewirkt:

Zunktionsteile, die sinnlos geworden waren, die den inneren Geistesgehalt nicht mehr entsprechend Wiedergaben, sind immer wieder rechtzeitig ent­ fernt und durch geeignetere ersetzt worden. Kurz, das plastische Leben

hat sich allen Krankheitserscheinungen zum Trotz erhalten.

Aus jeder

Krise ist die christliche Idee verjüngt hervorgegangen. c. Vie Selbstverwirklichung. Roch ausgeprägter vielleicht zeigt sich bei der objektiven Religion die

Selbsterhaltungstendenz, die ja das sprechendste Merkmal des Lebens ist. Die Religionen wachsen in der Geschichte, und man hat dieses Wachs­ tum mit vollem Recht mit der Entwicklung individueller Organismen,

etwa eines Baumes, verglichen. Ein lebendiger Keim entfaltet sich all-

mählich, legt sich in seine Elemente auseinander und breitet sich nach und

nach zu einem weitverzweigten Gebilde, zu einem geistigen Universum aus. Die schöpferische Tendenz der religiösen Idee ist derart stark, daß sie alle in ihr ruhenden Möglichkeiten zu erschöpfen und sich restlos auszuleben sucht. So wächst sie in die Breite, setzt Ring um Ring an, stellt

die in ihr verborgenen Energien ans Licht. Was eine Religion ist, kann man im Grunde erst dann ganz wissen, wenn sie am Ziel ihrer Entwick­ lung angelangt ist und ihren geistigen Bedeutungsgehalt erschöpft, ihre Sinn-Anlage verwirklicht hat.

Kraft ihres schöpferischen Selbstentfaltungsdranges besitzt die objek­

tive Religion eine Art historischer Unsterblichkeit. Sie ist in jeder Werde­ phase immer wieder „neu", weil plötzlich Elemente lebendig werden, die wohl in der Keimanlage schlummerten, deren kraftvolles Hervorbrechen

jedoch überrascht. Dabei scheint die Religion stets die Wesensmomente aus

sich herauszustellen und in den Vordergrund treten zu lassen, die im besten Sinn zeitgemäß sind, die von der Welle des allgemeinen Geisteslebens emporgetragen werden, denen die Tendenzen ihrer Zeit entgegenkommen,

die also auch dem allgemeinen geistigen Geschehen die Richtung geben

können. Die Geschichte des Thristentums zum mindesten zeigt diese sinn­ volle Ökonomie, daß es den eigenen Schwerpunkt verlegt und immer

wieder von einer anderen Seite her wirksam wird. So sind Athanasius, Franziskus und Luther sehr verschiedenartige Gestalten. 3n jedem von ihnen verkörperte sich eine besondere Tendenz des Thristentums, und man kann nicht sagen, daß die eine legitimer wäre als die andere. Sie geben

in ihrer Art sämtlich den Bedeutungsgehalt der christlichen Welt- und Lebensanschauung wieder, die sich verschiedener Ausdrucksorgane bedient und sich in ihrer ganzen Fülle erst allmählich, durch viele Werdestufen hindurch ausspricht. So liegen die Merkmale der organischen Selbstentfaltung in wichtigen

Punkten greifbar zutage. Auch rein formale Kennzeichen organischer Ent­ wicklung fallen auf. Wir beobachten den Wechsel von Zentralisation und

Dezentralisation. Es gibt Epochen, in denen scheint die Religion zu zer­ fließen,' sie verliert sich in der Fülle des Kulturlebens und verebbt in

seichtem Gewässer. Doch tritt alsbald der Rückschlag ein: es erfolgt eine scharfe Konzentration aufs wesentliche. Die Religion, die sich aufzugeben schien, findet sich wieder. So ist die Reformation zweifellos eine Epoche religiöser Selbstbesinnung und Verinnerlichung, die nach der Veräußer­ lichung des späteren Mittelalters lebensnotwendig geworden war. Dieser Wechsel von Ein- und Ausatmen, von synthetischer Zusammenfassung und

analytischer Zerstreuung ist im letzten Grünte identisch mit dem Rhythmus der aufschäumenden und wieder zurücksinkenden Schöpferkraft. Huf frucht­ bare Zeiten der Blüte folgen scheinbar unfruchtbare der Erschöpfung, in

denen sich doch eine neue Lebensentfaltung heimlich bereits anbahnt. — In der Biologie spielt die Frage eine Rolle, ob plötzliche Entwicklungs­ sprünge möglich sind. Vie Wissenschaft ist heute geneigt, diese Frage zu bejahen. Huf dem Gebiet der Religion zeigen sich jedenfalls solche plötz­

lichen, in repräsentativen Persönlichkeiten verkörperten Durchbrüche schein­

bar unvermittelten Lebens. Jede große historische Gestalt fällt aus dem Rahmen ihrer Zeit heraus und ist aus den vorhandenen Bedingungen nie restlos abzuleiten.

Und doch besteht ein innerer Gesamtzusammenhang

alles Lebendigen. Luther, in dem etwas ganz Neues wirklich ward, steht

doch in engeren Beziehungen zur Scholastik, als man zuerst wahr haben wollte- und dann hat er mit bewußter Hbsicht auf das Urchristentum zurückgeariffen. So reißt der Faden der Entwicklung nie völlig ab. Vas Grundgesetz jeder Lebensentfaltung, die organische Kontinuität, ist in der

Geschichte der Religion immer gewahrt. Und noch ein anderes Kennzeichen organischen Werdens drängt sich uns auf. Jede echte Entwicklung mutz

ein Ziel haben, das die ideale Vollendung der Hnlage darstellt, das die

treibende Entfaltung zusammenhält und ihr eine feste Richtung verleiht. Ein solches Letztziel, dem alles werden sich entgegenbewegt, kennt jede im eigentlichen Sinn geschichtliche Religion. Für das Christentum ist es

das Reich Gottes.

Es ließen sich noch weitere Merkmale organischer Entwicklung vor­ führen. So etwa das charakteristische Kennzeichen der Hrtbildung. Wie sich aus einer organischen Urzelle verschiedene Gattungen und Hrten abzweigen, so sind aus der ursprünglichen christlichen Keimanlage die drei Gestaltungs­

formen des Katholizismus, Protestantismus und der Orthodoxie hervor­ gegangen, wobei sich insbesondere die lebendigste mittlere Form wieder in verschiedene Unterarten zerlegt. Huch an die Tatsache der „Fortpflan­ zung", der Husbildung von Tochtergesellschaften im religiösen Leben

(Mission) ließe sich erinnern. Doch zeigt schon die bis jetzt gewonnene Über­ sicht, daß die geschichtliche Religion wirklich eine lebendige, eine echt

„organische" Größe ist. So erweist sich die geschichtliche Religion alles in allem als eine or­

ganische Lebensmacht ersten Ranges. Ls gibt wohl überhaupt keinen ge­ waltigeren Organismus als sie. von den übrigen Geistesgebilden kann es, wie sich noch des näheren ergeben wird, keine an organischer Ganzheit und Schöpferkraft mit ihr aufnehmen. Hber auch andere organische Wesen-

heilen individueller oder überindividueller Art reichen nicht an sie heran.

Der Staat etwa, dem man die organische Struktur nicht wird absprechen wollen, kommt an Universalität und geistig-schöpferischer Potenz nicht gegen sie in Betracht. So bietet die Religion, die sich aus einer ideellen Reimanlage heraus zu einem geistigen Großorganismus entwickelt, das größte Beispiel lebendigen Seins und Werdens überhaupt. Die Religion

ist das mächtigste organische Gebilde, das uns die Erde zeigt.

3. Typische Gestaltungen.

Wir haben die organische Ganzheit der religiösen Bildung zunächst ant einzelnen Bewußtsein dargetan und dann dieselben Formgesetze ge­

waltig gesteigert und ins Überpersönliche erhoben in den großen historischen

Religionsformen wiedergefunden.

Nun wollen wir noch kurz den reli­

giösen Genius betrachten, der einerseits eine Höchstform individueller religiöser Bildung darstellt und andererseits zum Ausgangsort mächtiger geschichtlicher Religionsbewegungen wird. Allerdings kann gerade hier

die Zeichnung nur im einfachsten Umriß gehalten werden, da eine er­

schöpfende Würdigung des religiösen Genies nur im Rahmen einer selb­ ständigen Arbeit möglich ist. Wir wollen auch den religiösen Heros an der Hand desselben Formschemas betrachten, das uns seither als Leitfaden

gedient hat. Zur Ergänzung werden wir dann noch eine typische Epoche der historischen Religion betrachten und schließlich einen Blick auf die areligiösen Formgestaltungen werfen, die als illustrierende Gegenbeispiele dienen mögen.

a. Religiöse Typen.

1. Der religiöse Genius. Die größten Gestalten der Geschichte sind die Religionsstifter. Sie sind Dollmenschen im eigentlichen Sinn des Worts. Sie verkörpern in ihrer Persönlichkeit eine bestimmte Art geistigen Seins, die klassische Bedeutung erhält. Sie stellen eine geistige Gesamtschöpfung dar, bei der der „ganze Mensch" organisch geprägt und in allen seinen Teilen ein­

heitlich durchgestaltet ist.

Diese erschöpfende, alles Rlenschliche in Be­

tracht ziehende Seelenbildung ist deshalb möglich, weil in den Religions­ stiftern und religiösen Genies eine lebendige Kraft zur Auswirkung kommt, die nur dann völlig verstanden werden kann, wenn man sie als Emanation der schöpferischen metaphysischen Lebenstiefe begreift. Die mit plastischer Lebensenergie geladenen religiösen Heroen eröffnen eine neue geistige

Epoche, sie heben das Leben auf eine höhere Stufe, sie repräsentieren einen neuen seelischen Typus. Somit bedeuten sie in der Geschichte das-

selbe, was in der biologischen Entwicklung die Anfänger einer neuen Gat­ tung sind: es verwirklicht sich in ihnen eine Lebensform, die vorher noch nicht da war. Man braucht, um Beispiele solcher personaler Typenbildung zu finden, nicht einmal an Ehristus selbst zu denken, mit dem als .zweitem Adam" eine neue, entscheidende Menschheitsepoche beginnt und der recht eigentlich „der" Mensch ist. (Es genügt, an einen (Erneuerer wie Luther zu erinnern, der, mag er auch gegenüber den ganz Großen nur ein Stern zweiter Ordnung sein, doch eine typische Persönlichkeit von gewaltigem Ausmaß und einer bis ins Metaphysische reichenden Tiefe ist. Luther ist ein durchaus originaler Mensch, weil er unmittelbar aus den (Quellen des Lebens schöpfte. In ihm vollzog sich der gewaltige Prozeß der religiösen Verselbständigung, der die moderne Religiosität kennzeichnet. Nicht mehr die äußere Autorität formt den Geist, die Gestaltung muh von innen her erfolgen, indem schöpferische (Quellkraft im Bewußtsein durchbricht und das seelische Sein aus der Tiefe heraus gestaltet. Luther nannte diese schöpferische Gestaltungsmacht den „Glauben". Indem Luther somit, alle mechanischen Gerüste durchbrechend, ein tieferes geistiges (Quellgebiet anbohrte und allein aus geistiger Machtvollkommenheit lebte, ward er zum repräsentativen Menschen, der zahllosen anderen als Muster und Vorbild der Seelengestaltung gedient hat. Die ganze protestantische Menschheit hat ihr inneres Sein nach seinem Beispiel gebildet und in Form gebracht. 3a, er ist als „autonomer" religiöser Genius, als Gewissensheld das Urbild des aus der Selbstverantwortung heraus lebenden neuzeitlichen Menschen überhaupt geworden. — Ähnliches gilt nun von allen religiösen Heroen. Auch die großen katholischen hei­ ligen verwirklichen eine bestimmte Art persönlicher Lebensgestaltung. Sie sind große Seiende, in denen die seelische Substanz eine typische Zuständlichkeit angenommen hat, und die ihr Wesen mit werbender Kraft in die Welt hinausstrahlen. wie das individuelle Bewußtsein, so beweist auch der religiöse Typus eine außerordentlich zähe Selbsterhaltungstendenz. (Es gibt in der Geistes­ geschichte vielleicht überhaupt nichts Konstanteres als eine klassische Seelen­ form. (Es scheint, daß die ungeheure Mühe, die die Erzeugung eines idealen Geistestyps der Menschheit bereitet — Religionsstifter treten immer nur von Jahrtausend zu Jahrtausend auf — dessen möglichst lange Lebens­ dauer fordert, wenigstens sehen wir, daß die seelische Struktur, die im keligionsstifter, im heiligen, im religiösen Genius in vorbildlicher Weise Wirklichkeit ward, möglichst lange erhalten und restlos ausgeschöpft wird. Das beste Beispiel bietet natürlich wieder der durch Christus in die Ge-

schichte eingeführte Seelentyp. Vieser ist die Vorlage, nach der die west­ liche Kulturmenschheit ihr persönliches Sein immer wieder von neuem ver­ anlagt. Selbst unter ganz veränderten Zeitumständen, selbst bei weit­ gehender Umwandlung der theoretischen Weltanschauung und des Lebens­ gefühls bleibt der christliche Grundriß der modernen Seele prinzipiell ge­ wahrt. Auch die sich bewußt vom Christentum Abwendenden tragen durch Vererbung und die Einflüsse des Plilieus die spezifisch christliche Bildung tief in der Seele. Entsprechendes gilt wohl in gleichem Maße für den Osten, wo die Gestalt des Buddha immer wieder Menschen nach ihrem Bilde prägt und so ganze Generationen gleichgeformter Anhänger zeugt. Vie Menschheit kann ohne solche typischen Urbilder, in denen sich letzte Lebenstiefe normativ verkörpert hat, nicht existieren, sie verliert ohne den bestimmenden Formzwang eines feststehenden Typs ihren halt und fließt chaotisch auseinander. Aber gerade an der Geschichte des religiösen Seelentyps wird deut­ lich, -aß die Selbsterhaltung nur die negative Seite eines Lebensprozesses ist, der sich in der Selbstentfaltung vollendet, ver religiöse Typ kann sich nur deshalb erhalten, weil er sich beständig erneuert. Oder richtiger: er erhält sich, damit er Zeit gewinnt, die ganze, in ihm schlummernde Lebens­ fülle zu offenbaren und aus sich heraus zu stellen. Jedenfalls gehen Selbsterhaltung und Selbstentfaltung aufs engste Hand in Hand. Charak­ teristisch dafür, was organische Entfaltung überhaupt bedeutet, ist die Geschichte des Bildes Christi. In jedem Jahrhundert erscheint es der Menschheit anders. Jede Generation holt das aus ihm heraus, was sie gerade nötig hat, was sie vor allem sieht. So tritt ein Wesenszug nach dem andern in plastischer Klarheit hervor, und die Grundform bleibt nach wie vor dieselbe. Beharrung in allem Wechsel, wachsende Entfaltung einer gegebenen Anlage, das sind die Kennzeichen dieses typischen orga­ nischen Werdegangs. 2. Synthetische Bildung religiöser Epochen. Die typische Ganzheit der Geistesprägung findet sich jedoch nicht nur beim religiösen Genius: sie ist in starken religiösen Zeiten Gattungseigenschaft. Jeder Einzelne hat in solchen schöpferischen Epochen an ihr Teil, ein grundlegender Gesamttyp schlägt durch alle Individualgeister hin­ durch und schenkt auch dem Unbedeutenden ein stilvolles Seelengepräge, geistiges Ebenmaß und Tiefe. Wir denken hierbei vor allem an den gotischen Menschen, der einen konkreten geistigen Lebensgehalt und des­ halb Form besitzt. Vas tiefste Kennzeichen des gotischen Menschen ist der

einheitliche Lebensstil.

Derselbe Schöpferwille wirkt sich nach den ver­

schiedensten Seiten aus: in Wissenschaft und Kunst, in Staat und Gesell­ schaftsordnung, in jeder kleinen und kleinsten Lebensäußerung kommt

die gleiche Innerlichkeit zum Ausdruck. Der gotische Dom, die Systeme der Scholastik, die katholische Hierarchie, das ritterliche Feudalsystem, der Schnitt der Kleidung, die Regeln der höfischen Etikette — alle diese

Lebensemanationen sind gleichen Gepräges.

Deshalb macht die gotische

Welt, und zwar in noch viel höherem Matze als die niemals voll zufammengefatzte griechische, auf uns den Eindruck einer unerhörten Ganz­ heit und Lebensechtheit. Sie ist uns das Sinnbild einer ungebrochenen

und vollkommenen Selbstentfaltung, eines organischen „Sichauslebens",

wie es die Geschichte wohl überhaupt nicht wieder gesehen hat?) Die gotische Kultur konnte nur deshalb von dieser organischen Geschlossenheit, Bildhaftigkeit und Stilstrenge sein, weil sie auf religiösem Grunde ruhte, weil sich eine kraftvolle religiöse Lebensidee durch alle ihrer Sonder­ gestaltungen hindurch auswirkte. 3. Die gegenwärtige Lage.

Die Gegenwart ist typisch areligios und deshalb typisch unganz­

heitlich.

In ihr herrschen nicht die großen Seienden, die eine lebendige

Totalität darstellen, sondern die großen Leistenden, die eine hervorragende Aufgabe verrichten und ein „Werk" aufzuzeigen haben.. Das Leben ist in seine Funktionen zersplittert und deshalb von einer erstaunlichen Schwäche

der Substanz. Kus diesem Grunde ist es zu einer spezifisch modernen reli­

giösen Seelentypik bis jetzt nirgends gekommen. Wohl gibt es auch heute religiöse Linzeipersönlichkeiten von starkem wollen, aber sie haben nichts

Bezwingendes, nichts, was sie zu Anfängern einer neuen seelischen Gattung stempeln konnte. Entweder wiederholen sie einen übernommenen Typ, der doch durch langen Gebrauch schon halb mechanisiert ist, oder sie ex-

perimentieren an neuen Lebensdarstellungen herum, ohne datz eine be­ freiende Schöpfung von klassischer Einfachheit und Klarheit des Seelen­ ausdrucks geglückt wäre. So trägt die Gegenwart in religiöser und damit in wesenhaft geistiger Hinsicht die Signatur einer Übergangszeit.

b. Areligiose Bildung.

wir haben an der religiösen Typengestaltung veranschaulicht, daß Religion immer ein ganzheitlicher, wesenstiefer Lebensausdruck ist. Diese

Erkenntnis wird noch schärfer hervortreten, wenn wir nun zeigen, daß i) vergl. Graf h. Keyserling, Philosophie als Kunst. Darmstadt 1920. $.61.

Me irreligiösen Geistesbildungen stets der organischen Einheit und Tiefe

entbehren, daß sie in irgendeiner Hinsicht fragmentarisch sind.

Gerade

an seinem Gegensatz werden wir der synthetischen Kraft und Reinheit

des religiösen Seelentyps voll bewußt werden. Nun ist es allerdings nicht möglich, von klassischen Gestaltungsformen areligiöser Lebenshal­ tung, von großen historischen Persönlichkeiten dieser destruktiven Art zu

reden. Was in sich gebrochen und unfruchtbar ist, kann nie zu vorbildlicher

Reife heranwachsen, vor allem kann es nicht Geschichte machen. Das Spezifisch-Unorganische, Unlebendige kommt zwar immer wieder in der­ selben charakteristischen Weise vor. Es wiederholt sich in der Geschichte, wie sich dieselben Fehler, Gebrechen und Krankheiten immer weiter schleppen. Uber von einer idealen Vollendung dieser negativen Symptome kann füglich nicht die Rede sein. Wenn wir somit hier von areligiöser Typenbildung handeln, so meinen wir die auffallendsten Formen, in denen

die nicht religiösen Lebenseinstellungen aufzutreten pflegen. Um sie zu

finden, brauchen wir nur in das alltägliche Leben hineinzublicken. Ihre Rufzählung im folgenden ist selbstverständlich keineswegs erschöpfend,

wir haben nur einige besonders auf der Hand liegende Formen notiert. 1. Vie Unschöpferischen.

Die «religiösen Naturen sind dadurch gekennzeichnet, daß ihnen etwas fehlt, was für den religiösen Menschen bestimmend ist: das Streben nach Ganzheit, der schöpferische Wille zur organischen Selbstvollendung. Rn

diesem Willen kann es aus verschiedenen Gründen mangeln. Es gibt zahl­ lose Individuen, bei denen die plastische Bildungsanlage von Hause aus außerordentlich gering entwickelt ist.

Der schöpferische Werdedrang ist

auf ein Minimum reduziert, das Leben scheint in seinem Keim geschwächt.

Für solche Naturen ist die geistige Jch-Werdung überhaupt kein Problem.

Sie sind in ihren eigenen Rügen immer schon fertig. Zu ihnen gehört als verhältnismäßig harmlosester Vertreter der „Philister". Vie (Qualen der Selbstgestaltung sind diesem völlig fremd, von inneren Geburtswehen ist

er verschont geblieben, das Wehen des Geistes hat er niemals vernommen. Er wiederholt in glücklicher Voreingenommenheit ein überliefertes Seelen­ schema und fühlt sich darin durchaus wohl. Er ist Dutzendware, Vurchschnittsmensch, Herdentier und erfüllt als solches jedenfalls eine wichtige

soziologische Bestimmung. Rber er ist «religiös, weil in ihm der geistige Bildungsprozeß überhaupt noch nicht angefangen hat. Wohl mag er sich in hergebrachten religiösen Bahnen bewegen und äußerlicher Kirchlichkeit ergeben sein: die Religion ist ihm trotzalledem nicht wesenhaft, sondern

Zutat.

(Es gehört zur Religion der geistigen Stufe zum mindesten dazu,

daß sie bewußt erfaßt und persönlich gelebt wird. Hnöers ist sie über­ haupt nicht vorhanden. Der Philister kann als ungeistiger Mensch keine wahre Religiosität besitzen, woraus umgekehrt folgt, daß ein wahrhaft

frommer Mensch niemals Philister sein kann. Su den areligiösen Naturen kann man auch die „Oberflächlichen"

rechnen, deren ganzes Leben sich in den peripherischen Bezirken des Geistes

abspielt, ohne daß das Zentrum jemals berührt würde. Diese sanguini­

schen Tharaktere leben nicht von innen nach außen, sondern von außen nach innen. Da es aber für die Religion wesentlich ist, daß sie auf einem seelischen Schöpfungsakt beruht und letzte persönliche Entscheidung voraussetzt, ist sie den substanzlosen, wesenlosen Menschen niemals wirklich nahe getreten.

Tiefer noch stehen die „Stumpfen", die jedes Geistes bar sind und die tierische Stufe noch kaum überschritten haben.

Sie sind der brutalen

Sinnlichkeit verhaftet, grob materiell, in rohstem Genuß versunken und deshalb der Religion nicht zugänglich.

Vie Religion setzt, da sie den

ganzen Menschen organisieren will, immer schon ein Maß von Geist vor­ aus.

Ruf der heutigen Kulturstufe wenigstens ist die Formung der Per­

sönlichkeit nur von der geistigen Höhenlage aus durchführbar.

2. Die Einseitigen.

In den drei hier geschilderten Fällen ist die geistige Schöpferkraft gering entwickelt.

Ein weiterer areligiöser Typ wird dargestellt durch

die Einseitigen, die Spezialistennaturen und Fachmenschen.

In ihnen

wirkt sich geistige Energie aus. Hb er sie ist völlig in eine bestimmte Bahn

hineingezwängt,

in eine einseitige Funktionsleistung eingegangen und

von dieser aufgezehrt. Ein bestimmtes Lebensorgan hat auf Kosten des Lebens selbst hypertrophische Rusbildung erfahren und überwuchert das seelische Sein. Es ist einerlei, ob es sich hierbei um wissenschaftliche Tätig­

keit, künstlerisches Gestalten, wirtschaftliche Organisation oder dergleichen handelt: das Sein verliert auf alle Fälle zu Gunsten des Könnens. Vie Persönlichkeit schrumpft zusammen vor der Leistung.

Derart gewaltige

Rrbeitsmaschinen, deren ganze geistige Energie auf einen seelischen Teil­

bezirk eingestellt ist, besitzen meistens ein geringes Maß seelischer Inner­ lichkeit und demnach ein geringes Interesse an Religion. Ihre Rrbeit,

von der aus ihr geistiger Organismus einseitig durchkonstruiert ist und die alle Lebenskräfte auf sich zieht, ersetzt ihnen die Religion. Sie finden

ihre Einheit im Fachlichen und vermissen kaum die lebendige Form. Das

Leben ist zum „Betrieb" geworden. Im „Betrieb" gehen sie auf.

3. Die Relativisten. Schließlich gibt es Charaktere, in denen überwiegt das analytische Prinzip derart das synthetische Einheitsstreben, daß sie es niemals zu einer organischen Bildung bringen.

Solche differenzierten Naturen, die

ein verhängnisvolles Erbgut oder eine bedenkliche Mitgift des Zeitgeistes empfangen haben, find dazu verurteilt, bruchstückhaft zu bleiben. Ihr Wesen ist das Zerstören und Ruflösen, das Infragestellen und verneinen.

Die negativen Tendenzen können vornehmlich im verstand sitzen: dann entsteht die Seelenform der Skeptikers, unter dessen fänden sich jedes ganzheitliche Gebilde auflöst. Er wälzt ein Gewordenes solange hin und

her, bis es zerbröckelt ist. Vie negativen Neigungen können jedoch auch

von der ästhetischen oder ethischen Seite ausgehen. Der im Ästhetizismus Befangene bringt kein großes, dauerndes Gefühl auf. Er braucht immer

beschleunigteren wechsel, immer stärkere Sensationen, immer heftigere Erregungen, um am Dasein Genuß zu haben. Sein Leben fließt nicht

kraftvoll-kontinuierlich dahin, sondern zerfällt in eine Reihe absichtlich lustbetonter Augenblicke und ihrer unausbleiblichen Reaktionen. Der ethisch Zerfaserte schließlich kann eine Rbenteuerernatur sein, der feste Ver­

hältnisse unerträglich sind, die nach Wellenschlag des Lebens und aufregen­ den Gefahren verlangt, um nicht von Langeweile angewidert zu werden. Ethische Unganzheit ist jedoch auch durch innere Ziellosigkeit oder durch

eine übermächtig emporquellende Sinnlichkeit bedingt, die in das Willens­

gefüge einbricht und jede geordnete Form zerstört. Rurz: alle diese dem Einzelnen, Wechselnden, Sinnlichen verhafteten Naturen können sich nicht

binden.

Rm wenigsten vertragen sie eine „totale", eine religiöse Fest­

legung. Sie sind zersetzt, der Welt der Relativitäten verfallen und des­ halb typisch «religiös. Ihr Ende ist der radikale Nihilismus. Allen hier vorgeführten Formtypen ist etwas gemeinsam. Sie stellen

sämtlich einen Gegensatz zum Grganischen dar, d. h. sie sind weder ganz? heitlich, noch schöpferisch, noch sinnvoll. Die dem Grganischen gegensätz­

liche vaseinsweise läßt sich unter dem Begriff des Mechanischen zusammen­

fassen, der allerdings selbst wieder verschiedene Merkmale hat. Mecha­ nisiert ist der „Philister", da er, unter dem Gesetz der geistigen Trägheit stehend, dasselbe ausgeleierte Seelengefüge schematisch wiederholt. Me­

chanisch ist der Oberflächliche, da er sich nicht schöpferisch aus der innersten Seelentiefe heraus bestimmt, sondern von äußeren Reizungen

abhängt. Dies gilt in erhöhtem Maße von dem Tierisch-Stumpfen, der unter sinnlicher Zwangsläufigkeit steht und die höchste Manifestation des

Lebens, die Freiheit, nicht kennt. Unter zwangsläufiger Gesetzmäßigkeit

und sei sie hochgeistiger Hrt, steht jedoch auch der Fachmensch, dessen geistiges Sein in einer technisch vorgeschriebenen Bahn abrollt, der selbst zu einer Maschine geworden ist. hingegen verkörpert sich im Relativisten

das Gesetz des Atomismus. (Er bringt es zu keiner organisch gewachsenen Ganzheitbildung, sondern nur zu atomisierten Seeleninhalten, die durch­ aus von den Beziehungsgesetzen des quantitativ stärkeren Reizes abhängen. Sein geistiges Sein ist pulverisiert wie die gestaltlose Materie. So ist uns

das Mechanische der areligiösen Geisteshaltung als Rutomatentum, ge­

setzmäßige Zwangsläufigkeit und atomistische Zersplitterung entgegen­ getreten.

Dos Gemeinsame an diesen Zustandsweisen ist, daß statt der

schöpferischen Lebenstiefe immer eine Äußerlichkeit herrscht: Herkommen, Milieu, Beruf, im extremsten Fall: der Zufall. c. Zwischenformen. Reben den religiösen Volltypen und den eigentlich areligiösen Le­ bensformen steht in der Mitte die breite Masse der halbreligiösen, die

irgendwie einen geschichtlich gewordenen Geistesrahmen in sich tragen,

ohne daß er jedoch bewußt ergriffen wäre oder schöpferische Kraft ent­ wickelte. Sie scheuen sich, die religiöse Bindung abzustreifen, da sie mit

Recht ihre geistige Basis zu verlieren fürchten. Aber sie brechen im ein­ zelnen -och Stück um Stück aus dem einstmals organisch gewachsenen Le­ bensganzen ab und machen der „Kultur" und der modernen „Bildung" Kon­ zessionen. Die Religion hat für sie doch nur konventionelle Bedeutung. Ihr eigentliches Schwergewicht liegt auf anderen Gebieten. Diese Misch­

formen der Guasi-Religiösen sind in Übergangszeiten wie der heutigen

außerordentlich häufig. Sie kommen in den verschiedensten Spielarten vor. Aber sie entbehren wie alles halbe des tieferen Interesses und lohnen nicht die Mühe einer systematischen Untersuchung. Wir wollten

auf diese Zwittergestalten daher nur hingewiesen haben.

Überblicken wir dieses Kapitel, das von den typischen Lebensformen handelt, so bietet sich uns eine reiche Formenfülle dar: ideale Vertreter

organischer Ganzheit, ins Mechanische versunkene Naturen, halbgeformte. Alles in Allem drängt sich der Eindruck auf, daß nur der religiöse Mensch, der über eine das Leben beherrschte Gesamtidee verfügt, organisch ge­ bildet ist und somit seine Bestimmung erreicht. Alle anderen bleiben hinter

dem Ziele der organischen Wesensvollendung zurück. Damit erledigt sich auch die Frage, ob wir in der Religion eine all­ gemein menschliche Anlage zu erblicken haben. Die Antwort kann in

unserem Sinne nur bejahend ausfallen. Der Mensch ist so gewiß zur Re­

ligion bestimmt, als er bestimmt ist, ein geistiger Organismus zu werden. Die religiöse Anlage ist so natürlich wie die organische. Da wir in der Religion die ungebrochene Entfaltung der organischen Lebensform sehen und jeder Geist seiner tiefsten Struktur nach organisch gefügt ist, so ist

die Religion elementarste menschliche Wesensbestimmtheit.

Ihr Fehlen

beutet immer auf eine organische Erkrankung hin: die Form ist zerrissen, das Leben geschwächt. Areligiosität ist eine geistige Degenerationserschei­

nung, so wie ja die typisch widerreligiöse Geisteshaltung, der skeptische,

ästhetische und moralische Nihilismus, nur in Niedergangszeiten um sich greift. Die Epochen religiöser Geistessynthese sind dagegen stets Blüte­ zeitalter -es schöpferischen Lebens. Daß die Religion dem Menschen wesenhaft und der organische Trieb

nach Einheit unzerstörbar ist, zeigt sich an der Tatsache, daß der Geist da, wo die echte Religion zerbrochen ist, nach Ersatzreligionen sucht,

daß er Erfüllung seiner Bestimmung in Surrogaten zu finden hofft und nach allen möglichen Bildungsmitteln greift, um an ihnen einen Ijalt zu finden.

Die Frage der „Ersatz"-Religion werden wir im folgenden be­

rühren.

Abschluß. wir blicken zurück. Die Aufgabe war uns gestellt, zu zeigen, daß

die Religion ein ganzheitliches Gebilde ist, das von dem grundlegenden

organischen Formwillen, der synthetischen Gestaltungskraft des «Lebens selbst getragen wird. Diese Aufgabe haben wir gelöst, indem wir die

elementarsten, äußerlich sichtbarsten Formzüge des religiösen Bewußtseins heraushoben. Die Betrachtung der geschichtlichen Religion und der typischen Gestaltungen ließ die organische Struktur der religiösen Geistesschöpfung

noch deutlicher heraustreten. Die in der Einleitung erwähnten Theorien, die die Religion in irgendeinem Bewußtseinsgebiet unterbringen wollen, sind nun nicht mehr aufrecht zu erhalten. Schon die einfachste Übersicht hat

gezeigt, daß in der religiösen Bildung alle Bewußtseinselemente heran­

gezogen und zum Aufbau verwandt sind, wir haben gesehen, wie ein Formwille durch die Gesamtseele hindurchgreift und in einem umfassenden synthetischen Bildungsakt tätig ist. So wird man der Religion nur da­ durch gerecht, daß man sie funktionell auf die organische Lebensform selbst

zurückführt und in ihr die elementarste Lebensäußerung des Geistes sieht. Die mechanistische Betrachtungsweise, insbesondere die mechanistische Psy­ chologie ist an einer solchen Rückführung gehindert, weil es in ihren Augen flöolpf), Organische Grundlagen der Religion.

z

eine selbständige seelische Ganzheit, ein „Ich", gar nicht gibt. $iir die or­

ganische Auffassung dagegen ist die Einheit gerade die fundamentalste und ursprünglichste Bildungstatsache. Es gibt ein ganzheitlich geformtes Ich, einen Lebenswillen „hinter" allen Bewußtseinselementen. Dessen unmittel­

bare, in den Geist hineinfallende, sich selbst objektivierende Äußerung liegt vor in der Religion.

II. Die Religion und die übrigen Geistesbildungen. Vie Religion ist die einzige geistige Bildung von wahrhaft ganzheit­ licher Gestalt. Rur in ihr entfaltet sich das Leben in ungebrochner Fülle. Sie allein findet einen das ganze persönliche Sein organisierenden Sinn. Alle übrigen geistigen Schöpfungen sind einseitig. Sie sind mit ihren

Synthesen auf Teilbezirke des Bewußtseins festgelegt, vermögen jedoch niemals die gesamte Persönlichkeit zu umspannen. Ruch sind sie nicht lebendig im vollsinn des Wortes. Sie stellen nur funktionelle Einzel­

äußerungen des Lebens dar. Somit können sie auch niemals das persön­ liche Leben einheitlich gestalten. Ihre Bedeutung beschränkt sich in der Hauptsache auf das Fachliche. — Diese Verhältnisse wollen wir nun

noch kurz ins Rüge fassen. 1. Vas Unganzheitliche der geistigen Teilbildüngen, a. Die Wissenschaft. vje Wissenschaft ist eine Leistung -es Intellekts, also einer seelischen

Teilfunktion. Jeder Zusammenhang mit dem Leben ist absichtlich durch­ schnitten. Alles, was Beziehungen zum Gefühl anknüpfen, wertentschei-

-ungen wachrufen, das praktische Bedürfnis in Bewegung setzen könnte, ist aus -em methodischen Wissenschaftsbetrieb mit voller Absicht ausge­

schaltet.

Hur durch rein verstandesmäßige Gesetzesbeziehung glaubt die

Wissenschaft die Objektivität ihrer Erkenntnisse wahren zu können. Rn die Herkunft des wissenschaftlichen Denkens aus dem organischen Mutter­

schoß des Lebens erinnert eigentlich nur noch die Fähigkeit zur formalen Synthesenbildung, die im Bewußtsein des einzelnen Forschers allerdings

durch Einbrüche aus -em Schöpferisch-Unbewußten (Intuition) belebt und fruchtbar gemacht werden kann. Der lebensfremde Charakter der wissenschaftlichen venkgebilde zeigt

sich in Folgendem: Sie besitzen keine organische Einheitlichkeit. Zwar hält die Wissen­ schaft an der Theorie einer durchgreifenden Weltgesetzlichkeit fest und sucht

auch im einzelnen überall relativ in sich abgeschlossene Beziehungszusam­

menhänge ausfindig zu machen. Aber biese gesetzlichen Systeme sinb „ein­ heitlich" nur in rein formaler und abstrakter Hinsicht. (Es verwirklicht

sich in ihnen kein Plan, sie bilden keinen Sinnzusammenhang und sind nicht teleologisch veranlagt. Rein mechanisch bestimmt, aus zufällig ge­ lagerten Atomkonstellationen gefügt, verschwimmen sie im Grenzenlosen.

Vie wissenschaftliche Gesetzeswelt ist weiterhin durchgehends abstrakt. Vas Individuelle hat in ihr keinen Platz. Ls wird durch die quantitative Analyse in seine Bestandteile aufgelöst und als deren mechanisches Aggre­

gat begriffen. Vie letzten einfachen Elemente und ihre abstrakten Be­

ziehungen sind für die Wissenschaft das eigentlich Wirkliche. Je reiner alles Qualitative ausgetilgt ist, desto mehr ist den wissenschaftlichen Prin­ zipien Genüge getan. Mit dem Individuellen löscht die wissenschaftliche Gesetzmäßigkeit

auch alles Lebendige aus. Ihr Seinsgefüge ist ein starrer Mechanismus,

der nichts Neues hervorbringt, sondern nur die Atomlagerungen nach fest­ liegenden mathematischen Formeln verändert. Prinzipiell ist alles Sein für die Wissenschaft errechenbar, d. h. es ist unschöpferisch, unlebendig, tot. wir haben die wissenschaftliche Arbeit als eine geistige Teilfunktion bezeichnet. Run können wir auch angeben, wozu diese funktionelle

Sonderleistung dient: zur Stoffbeherrschung?) Der wissenschaftliche Ver­

stand — wir werden es noch öfter zu betonen haben, — ist auf die Be­ wältigung der Materie zugeschnitten. Dazu dienen seine Venkmittel, seine abstrakte Gesetzmäßigkeit, seine analysierende Methode. Aus diesem Sachverhalt ergibt sich, daß die Wissenschaft für persön­

liche Lebensgestaltung ungeeignet ist. In dieser Beziehung kann sie der Religion keine Konkurrenz machen. Schon eine einfache Erwägung mutz zu dieser Einsicht hinführen. Der wissenschaftlich arbeitende verstand ist eine Sonderfunktion des Lebens, von einem bloßen Einzelteil läßt sich

das organische Ganze jedoch keine Gesetze geben. So wenig sich drr Staat die Diktatur einer Masse gefallen läßt, so wenig der Körper das Über­ wuchern eines einzelnen Organs vertragen könnte, so wenig kann sich der geistige Organismus in Abhängigkeit von einer, für einen besonderen

Teilzweck ausgebildeten Linzelfunktion geben. Bei näherem Zusehen zeigt sich außerdem, daß die Wissenschaft gar nicht über die Formmittel verfügt,

um den individuellen Geist einheitlich zu prägen. Da sie keine ganzheit­ lichen Prinzipien kennt, einen Sinn und Zweck des Seins nicht gelten läßt, *) Dies ist die Erkenntnis Bergfons.

Kann sie nicht als gestaltgebende Macht für eine organische Geistesform in

Frage kommen, für die gerade Sinn und Zweck Lebenselement sind. Da sie auf rein abstrakte Beziehungen hin angelegt ist, vermag sie kein Gebilde zu prägen, das wesenhaft konkret ist. Da sie nur Totes anerkennt, kann

sie dem schöpferisch quellenden Leben nichts bieten. So versagt die Wissen­ schaft, wie man sieht, vor der lebendigen Individualität. 3nt toten Stoff fühlt sie sich heimisch, dort leistet sie etwas: die Formung des Geistes mutz sie anderen Mächten überlassen.

Trotzdem ist immer wieder der versuch gemacht worden, das Lewutztsein mit den Mitteln des Intellekts einheitlich durchzukonstruieren. Neuer­

dings hat sich ein sogenannter „Monismus", der dem verstand alles zu­ traut, und in ihm den allmächtigen Gebieter der Schöpfung sieht, der un­

möglichen Aufgabe unterzogen, das abstrakte Gesetz der wissenschaftlichen Forschung zum Prinzip der praktischen Lebensgestaltung zu erheben. Er hat eine „wissenschaftliche" Weltanschauung, eine „wissenschaftliche" Ethik u. s. f. ausgebildet. Aber gerade er hat die Unmöglichkeit eines solchen

Unternehmens überzeugend dargetan. Es ist ihm nicht geglückt, seine Konstruktionen reinlich durchzuführen. Vie Kluft zwischen Denken und Werten vermochte er nicht zu überbrücken. Der versuch, die tiefsten Er­ fordernisse des Lebens von theoretischen Erkenntnissen, zumal solchen naturwissenschaftlicher Herkunft, abzuleiten, ist gescheitert. Wo dennoch so getan wird, als sei er gelungen, werden tiefe innere Widersprüche mit

blühender Phraseologie überdeckt. Gder man begnügt sich mit oberfläch­ lichen Rezepten, die den furchtbaren Tiefen des Lebens nicht gerecht werden, vis monistischen Perspektiven sind immer verschoben, einseitig oder un­

endlich kurz. 3u einer planmäßigen Veranlagung des Lebens reichen sie jedenfalls nicht aus. Der Mensch läßt sich eben nicht intellektualisieren, so wenig er sich ästhetisieren oder moralisieren läßt. Er kann nur durch einen schöpferischen Akt des Lebens selbst, also durch einen religiösen Prozeß geformt werden. b. Die Kunst.

viel näher stehen sich Religion und Kunst. Sie sind beide Lebens­

darstellungen. Sie schöpfen beide aus dem Gefühl und beruhen auf dem Unmittelbaren. Sie sind gespeist von Inspirationen und saugen ihre Kraft

aus den geheimnisvollen (yuellgründen des Unbewußten. Das Irrationale spielt in ihnen eine ganz andere Rolle als in der verstandesklaren Wissen­ schaft. Es ist das eigentlich befruchtende Element. So besteht denn auch die engste Wechselbeziehung zwischen der religiösen und ästhetischen Geistes-

Haltung. Die trennende Grenzlinie zwischen beiden Lebensäußerungen ist oft außerordentlich schwer festzustellen. Sie verschwimmen vielfach inein­

ander. Kuch Zwischen- und llbergangsformen aller Schattierungen kommen vor. Line ästhetische Stimmung vertieft sich zu religiöser Andacht.

Die Religion prägt sich ästhetisch aus. Bei diesem Sachverhalt ist es nicht ver­

wunderlich, daß die mit feinsten (Organen für das Unmittelbare ausge­ stattete Romantik Religion und Kunst nahezu gleichgesetzt und vor allem die Religion in ästhetischem Licht gesehen hat. Kronzeuge hierfür ist der

junge Schleiermacher. Die Verwandtschaft zwischen religiösem und ästhe­ tischem Erleben ist ja nun zweifellos vorhanden. (Es handelt sich in beiden

Fällen um Lebensentfaltungen. Uber es bestehen doch auch handgreifliche Unterschiede hinsichtlich der organischen Ganzheit, der vollen Lebendigkeit und Sinngestaltung. Wir wollen die Hauptpunkte vorführen.

1. Das Wesen der Kunst besteht in typischer Lebensgestaltung, die als solche eine Lebenserhöhung zu bedeuten scheint. Die Kunstwerke sind sämt­ lich von idealer Form, weil sie das, was sie ausdrücken wollen, durchaus

wesensgemäß zur Darstellung bringen.

Sie sind beherrscht vom Gesetz

einer reinen Selbstbestimmung, einer vollkommenen immanenten Zweck­

mäßigkeit und damit Symbole der wahren Freiheit. Während die wirk­ lichen Gestaltungen des Lebens stets fragmentarisch, verkümmert, einseitig

sind, weisen die ästhetischen Schöpfungen eine durchaus reine Fügung auf. Sie sind vom organischen Standpunkt aus betrachtet schlechthin vollendet. Diese Idealität der Formbildung und des inneren Lebensausdrucks

aber wird nur deshalb erreicht, weil die künstlerischen Gebilde von der wirklichen Welt abgehoben und in das Reich des schönen Scheins hinein versetzt sind. Die Welt der Kunst ist eine Welt für sich. Sie liegt aus einer besonderen Ebene oberhalb der gemeinen Wirklichkeit. Rur indem die Erscheinungen des gewöhnlichen Seins in die ideale Sphäre der ästhe­

tischen Illusion hineinprojiziert werden, erreichen sie jene spielerische Frei­ heit der Selbstvollendung, die das Wesen des Künstlerischen ausmacht. So

gehört die ästhetische Transzendenz und der Scheincharakter zur künst­ lerischen Formbildung mit Notwendigkeit dazu. Es handelt sich also bei der ästhetischen Lebensgestaltung nicht um „echtes" Leben, sondern um das verklärte Bild, um den „farbigen Abglanz" des Lebens. Daß wir hiermit auf rechtem Wege sind, dafür spricht die Interessen­ losigkeit des ästhetischen Gestaltens und Genießens. Interessenlos ist die

Kunst zunächst hinsichtlich des objektiven Seins des von ihr Dargestellten. Es kommt ihr durchaus nicht darauf an, ob ihre Gebilde wahr sind im

Sinn effektiver Realität, sie fragt einzig nach der ästhetischen Lebenswahr-

heit. Für sie ist das ästhetische Objekt auch nicht ein Gegenstand des Be­ gehrens. Der Wille wird angesichts des ästhetisch Geschauten nicht in Be­ wegung gesetzt. Drängen sich objektive Seinsfragen ein, wird die Begierde

wachgerufen, so erfährt die eigentlich ästhetische Geisteshaltung eine Trü­

bung. vor dem Kunstwerk sollen also wichtige Funktionen des Lebens, der nach Wirklichkeitserfassung strebende Intellekt und der praktische Wille schweigen. Vie Kunst wendet sich mit ihren Gebilden einzig an das

ästhetisch wirkende Gefühl oder den Geschmack. So ist die Kunst mit ihrer idealen Formung, ihrem illusionären Cha­ rakter und ihrer Interessenlosigkeit von dem „wirklichen Leben" weit

abgerückt. Blanche Philosophen, vorab Schopenhauer, haben gerade wegen des schönen Scheins, den sie erzeugt, in ihr ein Mittel der Erlösung, der

Aufhebung des Lebenswillens und der intellektuellen Problematik gesehen und sie deshalb gefeiert. Die Religion verhält sich in allen diesen Stücken doch wesentlich an­

ders. Gewitz will auch sie einen höheren Lebenstqpus verwirklichen. Aber nicht so, daß sie ihn in einer idealen Illusionssphäre zur Entfaltung brächte, sondern so, daß sie ihn in das wirkliche Leben hineinarbeitet. Ihr Stoff­ gebiet ist der Mensch, wie er ist, mit seinen Fehlern und Schwächen, seinen Halbheiten und Mängeln. Ja gerade am Sünder erprobt sie ihre höchste Gestaltungskraft, indem sie (Quellen schöpferischen Lebens in ihm erschließt,

die ihn von innen her erneuern und prägen. Bei diesem durchaus „realen" Formakt ist die Religion in keiner Weife „interesselos" wie die Ästhetik.

Sie wendet sich im höchsten Grad an den praktischen Willen, an das ethische Gefühl und auch an den mit dem Objektiven rechnenden verstand. Es ist der Religion durchaus nicht gleichgültig, ob ihre Lehrsätze objektiv wahr sind oder nicht, vielmehr vertritt sie höchste Objektivität. Schon der geringste Schein von Illusion wäre für sie tödlich.

So ergibt sich also: Lebensgestaltung im echten und eigentlichen Sinn der persönlichen Geistesorganisation ist allein die Religion. In diesem

höchst praktischen Geschäft der Selbstbildung kann ihr die aufs Interessenlos-Schöne gerichtete Kunst in keiner Weise Konkurrenz machen. Dies hat übrigens Goethe durchaus richtig gefühlt, wenn er sagt, daß die Muse das

Leben zu begleiten, doch zu leiten nicht verstehe.

2. Unsere Ergebnisse werden endgültig bestätigt, wenn wir zum Schluß ganz kurz den Künstler mit dem religiösen Propheten oder heiligen ver­ gleichen. Der Künstler ist einzig verantwortlich für sein Werk. In ihm muß er die Gesetze des Schönen in Form und Lebensdarstellung einhalten

und rein verwirklichen. Seine persönliche Lebensführung, sein Charakter

ist gegenüber der objektiven Leistung völlig gleichgültig.

(Es hat in der Tat Künstler von genialer Gestaltungskraft gegeben, deren persönliches

Sein in vieler Beziehung schwächlich und, sittlich gemessen, fragwürdig war. Gewitz ist es richtig, datz praktisch die grötzere Persönlichkeit auch die be­

deutenderen Kunstwerte schaffen wird. Sie hat einen reicheren Bestand, aus dem sie schöpft. Aber prinzipiell ist der Künstler hinsichtlich seines Privatlebens nicht haftbar zu machen. Er wirkt und lebt einzig durch

die Leistung. Ganz anders das religiöse Genie, der heilige. Dieser setzt sich persönlich für seine Sache ein, da sein Leben selbst das Werk ist, das

er schafft. Ein Eharakterfehler des heiligen macht seine ganze Erscheinung verdächtig, offenbare menschliche Schwächen zerstören seine Gestalt, wenn

nicht die Glut der Lebensentfaltung so stark ist, datz sie diese Flecken tilgt.

Man sieht also: die religiöse Gestaltung ist viel enger mit dem persön­ lichen Sein verflochten als die ästhetische. Der Künstler objektiviert seine Gesichte, Ideen, Gefühle und kann, wenn er nur über Gestaltungskraft

verfügt, daneben ein Tor oder „Sünder" sein. Der heilige wächst als Persönlichkeit ins Objektiv-Typische hinauf.

wir sagten oben, datz zarte Übergänge zwischen Religion und Ästhetik beständen. Dies gilt auch hinsichtlich der praktischen Gestaltung. (Es gibt ästhetische Schöpfer, die auch durch ihre Menschlichkeit vorbildlich geworden sind. Wir denken hier an Goethe, dessen Werk in unmittelbarster Weise aus seinem persönlichen Sein herausflotz. Wenn er von gewisser Seite

als Meister und Lebensführer gefeiert wird, so nicht in erster Linie des­ halb, weil er klassische Kunstwerke aus sich heraussetzte, sondern weil sein Leben selbst ein Kunstwerk war, weil er sich zum typischen Menschen

hinan entwickelte, hierbei handelt es sich, wie man sieht, nicht mehr um blotz ästhetische, sondern um echte Lebensgestaltung, also um ein religiöses Phänomen. c. Die Ethik. Ernsthafter scheint für die Religion die Konkurrenz der Ethik in Be­

tracht zu kommen. Diese geht doch offensichtlich auf praktische Organisa­ tion der Persönlichkeit aus. Darin besteht allem Anschein nach ihr eigent­ licher Zweck. (Es sieht also so aus, als ob sie ohne weiteres an Stelle der Religion treten und sie ersetzen könnte. Und doch erweist sich auch diese Anschauung bei näherem Zusehen als

unrichtig. Auch die Ethik hält einer schärferen Prüfung ihrer „Ganzheit" nicht Stich. Sie hat keine Beziehung zum vollen Leben und ist eine durch­ aus einseitige Geistesbildung.

Wenn wir hier von Ethik sprechen, so

dürfe» wir nicht an die praktische Lebenslehre denken, die aus jeder Weltanschauung folgt und eine metaphysische Idee zur Voraussetzung hat.

In diesem $all handelt es sich nicht um selbständiges Ethos, sondern um die praktische Nutzanwendung einer „religiösen" Geistesbildung. Wir denken an die Ethik als einen besonderen geistigen Zweig, als Gesetz­

gebung, die ihre Regeln den Verhältnissen des sozialen oder individuellen Lebens entnimmt, also ganz „empirisch" ist. Diese „wissenschaftliche", die

„Erfahrung" verwertende und sich in irgend einem Sinn als „autonom" gebende Ethik, sei sie nun individualistisch, altruistisch, utilitaristisch,

eudämonistisch oder wie immer geartet, ist jedenfalls nicht ganzheitlich. Und zwar deshalb, weil sie die objektive Weltanschauung, die Stellung des Menschen im Sein, seine metaphysische Bedeutung nicht berücksichtigt

und weil sie kein universales Lebensgefühl zum Hintergrund hat. Sie ist „praktisch" im engeren Sinn. Sie betrachtet den Menschen in seiner engen

sozialen Bindung. Sie wägt seine Interessen und die der Gesellschaft mit­ einander ab und sucht einen Ausgleich zwischen beiden zu finden. Aber sie ist sich bei dieser kurzen Perspektive über den tieferen Sinn des Lebens

nicht klar, da sie die kosmischen Belange außer Acht läßt. Eine gesetz­ gebende Instanz jedoch, die die weltanschauliche Gedankenwelt auf sich be­

ruhen läßt, die die tragenden Weltgefühle nicht für ihre Gestaltungen be­ nutzt, kann nicht als eine die Gesamtpersönlichkeit formende Bildungs­ macht anerkannt werden. Sie ist nur eine technische Regelung des prak­

tischen Verhaltens. Doch abgesehen von dieser Begrenzung des Wirkungsfeldes liegt noch

etwas im wesen der Ethik selbst darin, was sie für eine einheitliche Prä­

gung des Lebens ungeeignet macht. Dies ist ihr abstrakter Eharakter,

durch den sie in die Nähe der Wissenschaft rückt. Die Ethik stellt Grund­

sätze auf.

Sie arbeitet mit Vernunftprinzipien und „Maximen".

Der

Mensch soll unter die Herrschaft abstrakter Gesetze und Pflichtgebote gestellt werden. Dies aber ist tatsächlich nicht möglich. Denn das volle, runde, plastische Leben wird durch einige konsequent ausgesponnene Prin­

zipien gar nicht gedeckt. Diese Normen sind viel zu allgemein, um orga­ nische Gestaltungskraft zu haben. Das Leben quillt durch sie hindurch, strömt an ihnen vorbei, wird trotzdem der versuch einer radikalen Mo-

ralisierung gemacht, so verkümmert das Leben. Es wird beschnitten und künstlich gepreßt. Es trocknet ein und verhärtet sich. Es verliert seine Unbefangenheit, seine Naivität und natürliche Einfalt. (Es wird reflek­ tiert und selbstbewußt. Der Stoiker mit seiner kalten, lebensfernen, ab­ strakten Haltung ist der Typus des reinen Moralisten.

Ganz anders die Religion. Diese ist lebendige Schöpfung. Sie erläßt, wenigstens auf ihrer Gipfelhöhe als geistige Erlösungsreligion, keine Moralvorschriften.

Ihr praktisches Tun fließt ungezwungen und

in

freier schöpferischer Duellkraft aus einer lebendigen Gesinnung heraus. „Liebe Gott und tue, was du willst." hier liegt also eine ganz andere,

viel unmittelbarere und lebendigere Haltung vor als bei der steifen Prin­ zipienfestigkeit des abstrakten Lthikers. Bei dieser verschiedenartigen Ein­

stellung ist -ie Religion im Lauf ihrer Geschichte denn auch des öfteren mit -em Moralismus zusammengestoßen, zumal dann, wenn er selbst in

der Form einer religiösen Lebensgestaltung auftrat. Jesus und die Phari­ säer, Paulus und das Gesetz, Rugustin und der pelagianismus, Luther

und die Werkheiligkeit sind solche Beispiele für das entschiedene Front­

machen des schöpferischen Geisteslebens gegen überwuchernden Moralis­

mus. Vie Religion wollte immer „mehr" fein als Ethik. Sie hat sich denn

auch nicht gescheut, den sittlich Gesunkenen, den sozial Boykottierten, den Sünder, an dem die Moral nichts mehr vermochte, zu sich zu ziehen. Nicht freilich, indem sie ihm moralische Regeln und Prinzipien vorhielt, sondern indem sie ihm ein neues Leben einhauchte und ihn zu einem neuen

Menschen machte.

d. Vie Philosophie.

Sämtliche Geistesbildungen, die wir bis jetzt betrachtet haben, sind als partiale Bewußtseinserscheinungen gegen die universale Lebensmacht „Religion" abgefallen. Es gibt jedoch eine geistige Schöpfung, die in dich­

teste Nähe der Religion rückt und sie sowohl dem Umfang wie dem Gehalt

nach zu erreichen scheint: die Philosophie. Es ist immer der Ehrgeiz der großen konstruktiven Philosophie gewesen, sich zu einer geistigen Totalität auszuwachsen, die das Theoretische wie praktische gleicherweise umspannt, die mit der Weltanschauung eine konkrete Lebensgestaltung verbindet.

Alle großen philosophischen Systeme haben diesen ganzheitlichen Zug. Da­ mit ist gesagt, daß sie keine bloß abstrakten Gehirn-Destillate sind, sondern -er lebendigen Gesamtpersönlichkeit ihrer Schöpfer entstammen. Der Phi­ losoph, -er sein persönliches Leben in seine Schöpfung hineingießt, nähert

sich damit -em Typus des religiösen Genius, des Propheten. Und doch, so richtig dies alles ist — die Philosophie hat den Ehrgeiz, wissenschaftlich zu sein. Sie schleppt ihre lebendig geborenen Wahrheiten vor das Forum des Verstandes und läßt diesen über sie aburteilen. Ver­

wissenschaftlichung aber bedeutet mit Notwendigkeit Abstrahierung. Die

organisch gewachsene Idee wir- zu einem dürren Begriffsgespinst aus-

gefasert und restlos durchlogifiziert. Damit aber verliert sie ihre pla­ stische Bildkraft. Abstraktes ist, wie für unsere organische Auffassung unweigerlich feststeht, zur Formung individuellen Lebens, persönlichen Seins nicht geeignet. So ist die Philosophie, gerade weil sie sich der Ab­

straktion verschreibt, als gestaltgebende Lebensmacht unzulänglich. Mit

bloßen Doktrinen packt, prägt, entwickelt man konkrete, schöpferisch be­ wegte Lebensfülle nicht, llberpersönliche Ideen können konkreter Indi­

vidualität niemals so auf den Leib geschnitten werden, daß eine organische Vermählung, eine echte Durchdringung und wirkungskräftige verleib-

lichung entsteht. Sie schweben meistens ohne Beziehung zum wirklichen Leben in der Luft. Vie Geschichte gibt diesen apriorischen Einsichten un­ bedingt recht. Spinoza hat versucht, von seiner abstrakten philosophischen

Dies mag rein logisch angesehen seine Reize haben. Eine positive, ins Leben greifende

Position aus die Moral geometrisch zu konstruieren.

Wirkung wird eine solche geometrische Moral jedoch immer nur bei wenigen erzielen. Hegel hat alle konkrete Wirklichkeit, so vor allem den Staat, von seiner idealen Perspektive aus bestimmen wollen. Eine

positive Förderung des Gesellschaftslebens ist dabei nicht herausgekommen,' vielmehr setzte teils eine Vergötterung des Bestehenden ein, teils ent­

wickelte sich ein noch gefährlicherer doktrinärer Fortschrittsglaube. Auf das Leben wirkt letzthin nur Lebendiges. Da die Philosophie dem Ab­ strakten zuliebe den unmittelbaren Zusammenhang mit dem Leben auf­

gibt, ist sie keine konkret wirkende Gestaltungsmacht. Demgegenüber unterstellt die Religion ihre Wahrheit niemals der abstrakten Zwangsläufigkeit. Sie bleibt mit der schöpferischen Lebens­

tiefe unmittelbar verbunden und kann deshalb persönliches Sein viel unmittelbarer, innerlicher, wesenhafter beeinflussen als die Philosophie. Der Unterschied zwischen logifizierter und „echter" Lebensdarstellung

wird in vieler Beziehung praktisch deutlich. Zunächst am vergleich zwischen Philosophen undHeiligen. Für den Philosophen genügt es vollständig, daß er Bücher schreibt. Vie Gedanken, die er erzeugt, wirken wie alles Wissen­ schaftliche rein objektiv nach dem Gesetz der Allgemeingültigkeit. So hat

der größte deutsche Philosoph, Kant, persönlich das Leben eines Stuben­ gelehrten mit einem leisen Einschlag von Pedanterie geführt. Der un­ geheuren Wirkung seiner Gedanken tat diese etwas kleinbürgerliche Exi­

stenzweise keinen Abtrag. Es gibt sogar Philosophen, zwischen deren Leben und Lehre ein fühlbarer Zwiespalt klafft. Schopenhauer wußte die Genüsse des Lebens trotz seines theoretischen Pessimismus durchaus zu

II. Die Religion und die übrigen Geistesbildungen

43

schätzen, und Nietzsche war ungefähr das Gegenteil eines Herrenmenschen

mit Raubtierinstinkten.

Ruch das ist gegenüber dem Selbstwert ihrer

Systeme belanglos, von dem heiligen erwartet man jedoch, wie bereits

oben gezeigt, Übereinstimmung zwischen Lehre und Wandel, d. h. der heilige bringt das, was er meint, den „Sinn des Lebens", durch seine persönliche Existenz zur Darstellung. Allerdings gibt es auch hier wieder

Übergangserscheinungen, Philosophen, die ins Prophetisch-Religiöse hinauf­ ragen, wie etwa Plato, Platin, einige Stoiker, Giordano Brutto. Solche

Philosophen sind dann nicht nur Denker und Begriffskünstler, sondern mehr. Sie bewegen sich auf dem Grenzgebiet zwischen Philosophie und

Religion. Damit sind jedoch die praktischen Unterschiede zwischen Religion und Philosophie noch nicht erschöpft. So hat die Philosophie als gelehrte An­

gelegenheit immer nur in gebildeten Kreisen, die die nötigen intellek­ tuellen Voraussetzungen mitbrachten, eine Rolle gespielt. Die Religion

dagegen ist immer Volkssache gewesen, eine soziale Macht ersten Ranges. Sie wandte sich nicht an die gelehrten Interessen, an die theoretische Ein­ sicht, sondern wühlte die elementaren Lebenstiefen selbst auf. So bildet die Philosophie Zirkel und Schulen, die Religion Kirchen. Die Philosophie

hat Schüler, Anhänger, Liebhaber, die Religion Jünger, Bekenner, Mär­ tyrer. (Es ist durchaus normal und die Regel, daß ein gebildeter Mensch unserer Tage seine philosophischen Ansichten mehrfach wechselt. Der Stu­

dent ist im ersten Semester Schopenhauerianer, im zweiten Nietzscheaner, im dritten vielleicht Positivist usw. Seine geistige Struktur, sein Cha­ rakter wird durch diesen Systemwechsel kaum verändert. Ein Glaubens­

wechsel dagegen hat, wenn er echt ist, doch viel einschneidendere, tiefer gehende Folgen für das persönliche Sein. Ruch das Verhältnis zur Zeit ist recht verschieden. Die Philosophie ist wegen ihres rationalen Einschlags auf Gedeih und verderb an die Entwicklung des wissens gebunden und bricht zusammen, wenn ihre theore­ tischen Bestandteile wissenschaftlich überholt werden. Die Religion ruht schöpferisch in sich selbst und steht dem wechsel der wissenschaftlichen

Theorien, die sie ab und zu wohl als Einkleidung ihres Lebensbesitzes be­ nützt, viel gleichgültiger gegenüber. Die philosophischen Systeme pflegen

sich daher — einzelne Ausnahmen abgerechnet — in außerordentlich raschem Tempo abzulösen. In der neueren Zeit besonders ist die Lebens­ dauer oder der Mode-Einfluß eines philosophischen Gefüges außerordent­

lich kurz, die Religion dagegen wächst durch die Jahrhunderte.

2. Vas Verhältnis zwischen der Religion und den

geistigen Teilmächten. a. Fruchtbare Wechselwirkung.

1. Die Religion als Nutznießerin der geistigen Einzelgestaltungen. Die Religion hat zum Ziel die Selbstorganisation des Geistes, die ganzheitliche Durchbildung der Persönlichkeit, die Formung des Lebens. Nur die Religion bringt eine solche Eharakterprägung und Durchstilisie­ rung des Geistes zustande. Sie allein stammt aus dem Born des Lebens,

in ihr erschließt sich der Sinn des geistigen Seins, in ihr objektiviert sich die seelische Entelechie. Alle anderen geistigen Äußerungen sind „funk­

tioneller Art", vom Leben für äußerlich-technische Zwecke geschaffen. Doch kann die Religion die Arbeit der geistigen Einzelfunktionen benutzen. Sie nimmt ihre guten Dienste für die Verwirklichung ihres eigenen, höheren

Gestaltungszweckes an. So kann die Wissenschaft zwar nie den Sinn des Seins finden,- aber ihr Erkennen beeinflußt, erweitert, vertieft die reli­ giöse Sinnschöpfung und regt ihre plastische Kraft zu immer erneuter Die durch die Wissenschaft bewirkte Veränderung des

Betätigung an.

Weltbildes zieht eine neue Einstellung des Menschen zur Wirklichkeit und damit eine neue Ausprägung der Lebensauffassung selbst nach sich. So ist

die christliche Weltanschauung und Lebenshaltung durch die kopernikanische und darwinistische Theorie doch nachdrücklich beeinflußt worden.

Abge­

sehen von dieser unmittelbaren Beziehung des wissenschaftlichen Erkennens zum religiösen verstehen dient die Wissenschaft der Religion, wie schon oben bemerkt, auch als Stütze und Snterpretationsmittel ihres geistigen

Gehalts. Die Religion baut ihr Sinn-Gefüge, ihre Glaubensschöpfung vielfach mit rationalen Mitteln aus; ab und zu sucht sie ihre Lebenswahr­ heit — was allerdings ein Fehler ist — auch zu.beweisen; in jedem Fall

aber stellt sie durch Eingehen auf die wissenschaftlich-philosophischen Denk­ richtungen den Zusammenhang mit dem allgemeinen Geistesleben ihrer

Zeit her. So hat die Wissenschaft für die Religion einerseits die Bedeutung einer anregenden, die Sinnentfaltung fördernden Geistesmacht;

ander­

seits dient sie ihr als brauchbares Arbeitsmittel. Auch aus der künstlerischen Tätigkeit schöpft die Religion reichen Gewinn. Ihr eigenes Lebensgefühl ist durch künstlerische Gestaltungen und Strömungen vielfach vertieft, gesättigt, geläutert worden. Welcher

bedeutungsschwere Stimmungsgehalt ist durch den deutschen Idealismus in die protestantische Religiosität eingeflossen, wie befruchtend hat die Romantik auf den christlichen Geist gewirkt!

vor allen Dingen aber

liefert gerade die Kunst der Religion die angemessensten symbolischen Ausdrucksmittel. Weil die Kunst selbst. Lebensgestaltung ist, kann die religiöse Innerlichkeit ohne Brechung und Überleitung ins Abstrakte in

die ästhetischen Formen eingehen, wie denn auch die großen religiösen Schöpfer mit Vorliebe in Bildern und Gleichnissen gesprochen haben. Aus den selbständigen Regungen des ethischen Lebens sind der Religion

nicht weniger bedeutsame Vorteile erwachsen. Sie hat oft genug im natür­ lich oder philosophisch gewachsenen Ethos einen mächtigen Bundesgenossen, wohl gar ein unmittelbares Organ ihres eigensten praktischen Wesens« gehaltes gefunden. Dem modernen Protestantismus ist die Grundlegung der autonomen Ethik durch Kant höchst willkommen gewesen, heutzutage ist die Kirche im Begriff, aus Nietzsches heroischer Willenslehre Wesent­ liches zu erheben.

Ruch die sozial-ethische Problemstellung gibt neue

Gesichtspunkte, wirkt anregend, lockt schlummernde Kräfte aus dem reli­ giösen Lebensschatz hervor. Ganz neue Kläglichkeiten der religiös-ethischen

Selbstdarstellung tauchen in der modernen Welt des Kapitals und der

sozialen Organisationen auf. Kurzum — die Religion nimmt auch am ethischen Werden lebendigen Anteil und leitet auch diesen Fluß in ihr breites Bett.

2. Vie Befruchtung der geistigen Einzelschöpfungen durch die Religion. Rian darf aber nicht meinen, einzig die Religion sei die Nutznießerin der geistigen Sonderschöpfungen, sie allein lebe von fremden Beiträgen

und zehre andere Gebilde in parasitischer Weise aus. So einseitig ist das Verhältnis nicht, vielmehr verdanken auch die geistigen Teilmächte der Religion außerordentlich viel, vielleicht mehr, als sie ihrerseits geben können, hierüber noch ein paar Worte.

Zunächst läßt sich behaupten, daß der Charakter des religiös be­ dingten Geisteslebens auch den Charakter der Wissenschaft bestimmt. Asiatische Wissenschaft ist anders geartet und gerichtet als europäische, weil sie von einer anderen religiösen Geisteshaltung abhängt. Auf luthe­ rischem Boden gedeiht eine andere Art intellektueller Einstellung als auf reformiertem. So sind Wesensart und Richtung des wissenschaftlichen Denkens weitgehend durch den religiösen Typus mitgesetzt, entscheidende Bedingungen für seine gesamte Entwicklung von Anfang an gegeben. Darüber hinaus läßt sich bemerken, daß schöpferisches Aufflammen im

religiösen Leben sich auch dem wissenschaftlichen Denken mitteilt, von dem Zentralfeuer des Geistes fallen Funken auch in die geistigen Einzel­ gebiete. Welche Anstöße auf das Denken sind nicht von der Lebensbewegung

der Reformation ausgegangen! Noch heute zittert jene Erschütterung in den Gefachen der Wissenschaft nach. Wollte man die Frage weiter ver­

folgen, so würde sich zeigen, daß viele wissenschaftlichen Begriffe und venkinethoden ursprünglich religiöser Herkunft sind und ihre Abstammung

aus bestimmten religiösen Anschauungsweisen nicht verleugnen. Zahlreiche Grundkategorien der Wissenschaft wie Substanz, Ursache, Gesetz, Entwick­

lung tragen von Haus aus religiösen Stempel und sind erst mit der Zeit immer mehr „verwissenschaftlicht", d.h. abstrakt, dünn, schattenhaft ge­

macht worden. Doch wollen wir diesen Dingen in unserem Zusammenhang nicht weiter nachgehen.

Auch die Kunst, und sie erst recht, ist weitgehend von der Religion abhängig. Vie Kunst braucht ein kraftvolles Welt- und Lebensgefühl als

Mutterboden, wenn sie blühen soll. Sie muß Ausdrucksform eines tiefen metaphysischen Sinngehalts sein. Viesen aber empfängt sie einzig von der Religion. Jede große Kunst, die die Geschichte zeigt, ist religiös verankert gewesen. Fehlt der Kunst die Verwurzelung im religiösen Lebensgrund, verfügt sie über Leinen metaphysischen, ihr von der Religion dargebotenen

Bedeutungsgehalt, so wird sie farblos und flach und entartet zu ideen­ losem Virtuosentum. vaß die Ethik von der Religion abhängig ist, braucht nicht besonders

betont zu werden. Es liegt ohne weiteres auf der Hand. Die von uns gezeichnete selbständige „Fach-Ethik" ist in Wirklichkeit eine künstliche Abstraktion. Ursprünglich ist jede ethische Lebenseinstellung durch die Religion bedingt. Vie Ethik vermag sich wohl von der Religion zu eman­

zipieren und eine Zeit lang selbständig zu halten. Aber auch in diesem

Stadium ist der inhaltliche Zusammenhang mit der religiösen Lebens­ grundlage, auf dem die ethischen Anschauungen gewachsen sind, nach wie

vor unzertrennbar. Kant, der Vertreter einer autonomen, von der Reli­

gion unabhängigen Ethik, hat doch inhaltlich durchaus die überkommene protestantische Auffassung vom Sittlichen fortgesetzt. Selbst in der posi­ tivistischer; Ethik lebt inhaltlich die religiöse Tendenz auch nach Wegfall des „dogmatischen" Gerüsts weiter. So ist ein starkes Abhängigkeitsverhältnis

der ethischen Einstellung von der lebendigen religiösen Gesamthaltung

wahrnehmbar.^) 3. Zusammenfall der Zwecke. So besteht ein Verhältnis fruchtbarer, organischer Wechselwirkung zwischen der Religion auf der einen und den übrigen geistigen Bildungen *) Vgl. über das Verhältnis religiöser Weltanschauung und Ethik: E. w. Mayer, Ethik, Ehristliche Sittenlehre. Gießen, 1922.

auf der anderen Seite. Vie Religion läßt die Teile frei gewähren, so lange sie sich nicht gegen ihre synthetische Lebensschöpfung wenden, und

zieht gerade aus ihrer Selbstbetätigung den größten Nutzen. Wissenschaft, Kunst und Ethik verfolgen funktionelle Sonderausgaben, beschränken sich streng auf ihr Fachgebiet, erkennen jedoch über sich die einheitliche

Lebensmacht der Religion an. wird dieses echt organische Verhältnis ge­ wahrt, dann entsteht Harmonie, fruchtbare Wechselwirkung, gegenseitiger Kräfteaustausch. (Es herrscht die sogenannte „Koinzidenz", der Zusammen­

fall der Zwecke. Gesamtzweck und Sonderzwecke schließen sich nicht aus, sondern bedingen sich gegenseitig.

So liegen die Dinge ja auch auf anderen organischen Gebieten: Der Staat läßt seine einzelnen Gruppen sich frei entfalten und gibt ihnen den

nötigen Spielraum. Rber diese Teilformationen halten sich in ihren natür­ lichen Grenzen und verlangen nicht an Stelle des Ganzen zu treten oder ihre Zwecke als die einzigen durchzusetzen. In diesem Fall herrscht ein gesundes organisches Leben, so wie es normalerweise im Körper besteht,

wo jedes Drgan im Dienst des Ganzen eine besondere Funktion verrichtet, b. Mißverhältnis zwischen der Religion und den

geistigen Einzelmächten. 1. Starrer Rutoritätszwang der religiösen Einheitsform. Tatsächlich zeigt es sich jedoch, daß das organische Gleichgewicht immer

wieder verschoben wird und tiefe Spannungen zwischen der Religion und den übrigen Geistesmächten entstehen. Ein solches Mißverhältnis ist z. B. gegeben, wenn die Religion als Vertreterin der geistigen Einheitsidee die einzelnen Lebensäußerungen zu vergewaltigen und an ihr Gesetz zu binden

sucht. Sie hält den Wesensausdruck, den sie gefunden hat, für so absolut und endgültig, daß sie sämtlichen übrigen Geistessunktionen nur einen einzigen Zweck zugestehen kann: Snterpretationsorgane des religiösen

Lebenssinns zu sein, ihm in jeder weise als Stütze und beweiskräftige Helfer zu dienen, ihm auf ihre weife zum Ausdruck zu verhelfen und Recht zu geben. Dieses Streben bfer Religion, vor allem die geistige Ein­ heit zu wahren und die lebendige Sinn-Kristallisation vor Vernichtung zu schützen, ist an sich natürlich und vom organischen Standpunkt aus durchaus verständlich. Venn die Seelenstruktur, die auf religiöser Le­

bensauffassung beruht, ist wichtiger als jede wissenschaftliche Erkennt­ nis, ästhetische Dekoration und moralische Regel. (Es besteht jedoch die Gefahr, daß die Religion in ihrer Sinngebung erstarrt, daß sie mit ihren Formulierungen ihr eigentlich wesenhaftes nicht mehr sachgemäß aus-

-rückt, -atz das Recht -es fortschreitenden und rastlos weiterdrängenden

Lebens bei den geistigen Linzelsunktionen ist. Venn so eine überlieferte religiöse Zinnbildung die geistigen Triebe dauernd festzuhalten und zu

bevormunden sucht, treten die schwersten geistigen Spannungen ein. Das sich verhärtende katholische System ist wohl nicht ganz von dem Vorwurf freizusprechen, daß es im scheinbaren Interesse der seelischen Einheit

lähmend gewirkt und wertvolle geistige Tendenzen unterbunden hat.

Eine wahrhaft lebendige, ihrer plastischen Schöpferkraft gewisse Re­ ligion ist -en Regungen der Teilfunktionen gegenüber nicht ängstlich. Sie weiß, -aß sie innerlich mit allen Geistestendenzen fertig wird, ja, sie be­ grüßt jede Auseinandersetzung als Mittel neuer Sinnentfaltung.

Dies

schließt natürlich nicht aus, daß sie gegen einzelne Behauptungen, Ge­ staltungen, Forderungen der organischen Teilfunktionen ganz entschieden Stellung nimmt und sie aufs äußerste bekämpft. Selbstverständlich vor

allem solche Bestrebungen, die gegen ihre eigene Existenz gerichtet sind, die den Sinn des Lebens selbst bedrohen und den Glauben an den schöp­ ferischen Geist zerstören wollen. Materialismus, Mechanismus und Ato­ mismus, die sich aus der Stellung dienender methodischer Hilfsprinzipien zu weltanschaulicher Stellung emporzuschwingen suchen, sind die Todfeinde

der aus schöpferischer Lebensentfaltung hervorgegangenen Religion. . Ist eine religiöse'Reimanlage, eine Sinn-Potenz, eine Lebens-Idee

nicht mehr imstande, die positiven Ergebnisse der auf den geistigen Einzel­

funktionen ruhenden Rulturarbeit organisch zu bewältigen und ihrer Simu (Organisation einzuverleiben, so zeigt sie, daß sie alt und rückständig geworden ist.

Sie fällt der Zersetzung anheim.

Es gibt einen ganzen

Rirchhof von Religionen, die auf diese Art gestorben sind.

2. Emanzipation der Teile. Roch schlimmer jedoch ist das Mißverhältnis, wenn sich die geistigen

Einzelsunktionen in überspannter Selbstüberhebung von der übergreifen­

den religiösen Gesamtform zu emanzipieren und zu verabsolutieren suchen. In diesem Fall tritt entweder ein geistiges Thaos ein, indem sämtliche geistige Tendenzen sich eigensüchtig auszuleben suchen, oder es kommt zu

einseitiger Verkümmerung, indem ein geistiges Teilelement in beherr­ schende Stellung gelangt und alle anderen von seinem Standpunkt aus vergewaltigt. Zerfall oder Verengerung, das sind die Folgen einer Zer­

sprengung des religiösen Seelenrahmens. Die Gegenwart mit ihrer Fülle van „Bestrebungen", mit ihrem parteidagmatismus und Spezialistentum bietet das typische Bild eines steril, d. h. «religiös gewordenen Seelenlebens.

II. Die Religion und die übrigen Geistesbildungen

49

3. Notwendige Spannungen; das Ideal.

wie im organischen Leben überhaupt, so werden auch innerhalb der persönlichen Geistesorganisation Spannungen die Regel sein. (Es kommt

ja auch im sozialen Leben so gut wie gar nicht vor, daß sich die Belange So werden Grenzstreitig­

-es Ganzen und seiner Teile restlos decken.

keiten und Friktionen zwischen der Religion aus der einen, und den geistigen Sonderbildungen auf der anderen Seite zu einer immer wieder auftretenden Erscheinung -es Vewußtseinslebens gehören. Dieser Wett­

bewerb und Spannungszustand hat vielleicht sein Gutes, da er zu bestän­ diger Selbstprüfung und Höchststeigerung der Kräfte antreibt.

Geistige

Trägheit kann, solange polare Tendenzen herrschen, nicht aufkommen. Dennoch bildet die allseitige Harmonie, die innere Ausgeglichenheit, der

Zusammenfall der Zwecke das organische Ideal. Dies ist jedoch nur auf seltenen Höhepunkten des Lebens verwirklicht, vornehmlich dann, wenn die schöpferische Lebenskraft derart intensiv aufschäumt, daß sie alle

geistigen (Elemente mit sich reißt und einheitlich abzweckt. Das Heißt aber in synthetisch-religiösen Epochen.

3. Genetisches. wir stehen als Anhänger -er organischen Betrachtungsweise auf dem

Standpunkt, daß das Ganze früher ist als der Teil, das Konkrete fun­ damentaler als das Abstrakte, das Schöpferisch-Lebendige wirklichkeitstiefer

als das Rlechanische. Diese grundlegende Einsicht, deren Bedeutung in -en

verschiedensten Fällen sichtbar wird, schicken wir dieser Betrachtung voraus,

a, Die Religion als organische Grundlage des geistigen Lebens. Die Religion ist ganzheitliche organische Bildung von konkreter Ge­ stalt und schöpferischer Lebendigkeit. Damit bewährt sie sich als fun­ damentale geistige wacht, die auch genetisch betrachtet den frühsten und urtümlichsten Bestand hat. Die Religion ist die Uroffenbarung des Lebens, in dem sich dieses vor aller Spezifizierung und Funktionszerlegung seine

unmittelbare Form gibt. Sie ist als Ganzheitsbildung das frühste geistige Phänomen, so wie etwa auf sinnlichem Gebiet die Allgemeinempfindung den differenzierten Sonderempfindungen zeitlich vorangeht. Alle geistigen Teilgestaltungen sind erst nach und nach, durch innere organische Gliede­

rung geworden.

Sie sind entstanden, als das ursprünglich religiös ge­

bundene Geistesleben daranging, verschiedene Sonderfunktionen für be­ stimmte Zwecke auszubilden. Rdolph, Organische Grundlagen der Religion.

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Der historische Tatbestand gibt dieser in organischer Hinsicht a priori

feststehenden Annahme Recht. «Es läßt sich mit Händen greifen, daß die Religion immer und überall am Anfang der Geistesgeschichte steht. Sie ist als geistige Totalschöpfung und ganzheitliche Lebensäußerung immer zuerst vorhanden. Alle anderen geistigen Betätigungsformen wie Wissen­

schaft, Kunst, Ethik, Staatsleitung sind ursprünglich von der organischen Lebensmacht der Religion einbeschlossen.

Erst nach und nach vollzieht

sich vor unseren Augen und im Hellen Licht der Geschichte der Prozeß der

Herausdifferenzierung der geistigen Linzeldisziplinen. Sie lösen sich all­

mählich vom religiösen Rlutterschoß los und gewinnen langsam Selb­ ständigkeit. Dieser Gang der Dinge dauert bis in die Gegenwart an. Er

ist so bekannt, daß wir hier nur an ihn zu erinnern brauchen.

b. Die Religion als dauernde organische Einheitsmacht. Bei allem schärferen und bestimmteren heraustreten der ursprüng­

lich Keimhaft befangenen Einzelelemente bleibt jedoch die einheitliche or­ ganische Lebensform erhalten. Das ist bei aller organischen Entwicklung so. Aus der Eichel wird die Eiche. Diese ist ein ungleich differenzierteres

Gebilde als ihr Same. Aber sie stellt trotz alledenr ein in sich zusammenhängendes Ganzes dar. Die soziale Gemeinschaft spezialisiert sich in zu­ nehmender Weise in Stände, Schichten, Wirtschaftsgruppen. Aber das organische Banb, das alle diese Einzelglieder zusammenhält, bleibt. Die Bindung der immer einseitiger werdenden Teilelemente an das Ganze wird sogar straffer. Die organische Entwicklung vollzieht sich somit auf die Art, daß wachsende Differentiation (Gliederung) eintritt, daß jedoch

mit ihr eine zunehmende Integration (Linheitsbeziehung) Hand in Hand

geht. Analytisches und synthetisches Prinzip, zentrifugale und zentri­ petale Tendenz halten sich die Wage. Die organische Entwicklung strebt dahin, beide Richtungen so weit als möglich durchzuführen und in har­ monische Wechselbeziehung zu setzen. Straffe Einheitsbeziehung bei reicher und buntiger Gliederung, das ist das Ideal. Die Zersetzung der einheit­ lichen Bildungsform bedeutet Aufhebung des (Organismus, Tod. Diese Verhältnisse treffen auch für die geistig-religiöse Entwicklung

zu. Am deutlichsten läßt sich hier das wachsende hervortreten der geistigen

Einzelzweige und die bei ihnen selbst wieder statthabende Gliederung be­ obachten. Gerade die Gegenwart zeigt uns eine schier beängstigende Zu­

nahme der Spezialisierung. Auf allen Gebieten: im sozialen, beruflichen, wissenschaftlichen, ästhetischen Bezirk wirkt sich das Gesetz der fortschrei­ tenden Arbeitsteilung mit unerbittlicher Schärfe und in einem erstaun-

lichen Eiltempo aus. Der oberflächliche und organisch nicht geschulte, in mechanischen Ideengängen befangene Betrachter könnte dabei auf den

Gedanken kommen, die geistige Einheit würde von den aus ihr hervor­

gehenden Einzelfunktionen immer mehr aufgesogen und gleichsam unter sich verteilt. Vie Religion würde, um konkret zu sprechen, von der Philo­ sophie, Wissenschaft, Kunst, Ethik, Soziologie in je einem Wesenszug er­ setzt, und damit überflüssig gemacht. Das Erbe der verstorbenen Mutter

befindet sich — so stellt man es dar — in den Händen der Töchter. Nichts entspräche weniger dem wirklichen Sachverhalt.

Organischer Grundsatz

ist, daß die einheitliche Lebensform niemals durch ihre Teile ersetzt, ver­ treten oder aufgehoben werden kann, sondern, daß sie hinter ihren Teil­ funktionen, mögen diese sich noch so sehr entwickeln, nach wie vor als tragendes Ganzes beharrt. Das Leben verlangt nach einheitlichem Bus­

druck. Es will keineswegs in einer Summe von Linzelverrichtungen auf­ gehen, sondern sich in geschlossener Ganzheit darstellen. So ist das Recht der Religion, der objektiven Erscheinungsform des Lebens, grundsätzlich

gesichert und keine geistige Sonderleistung kann es im geringsten antasten. Lei aller geistigen Zersplitterung behält die Religion als einheitliche geistige Lebensmacht ihre Stellung. Ihre Bedeutung wächst sogar, je mehr sich die Einzelfunktionen zerspalten und beziehungslos auseinander­ streben. Sie wird immer notwendiger als wesenhafter Ausdruck der

seelischen Substanz selbst, die über dem vordrängen und Auseinander­

streben der Einzelorgane nicht verkümmern darf, wenn nicht das Leben in seiner Wurzel geschädigt und damit auch die Einzelzweige zum verdörren verurteilt sein sollen.

c. Die Religion als ideales Bildungsziel. Die Religion ist der organische Urgrund aller geistigen Teilentfal­ tungen. Deshalb ist sie auch ihr einheitliches Ziel. Im organischen Form­ leben verhält es sich so, daß die tiefste Wesensanlage immer auch die

letzte teleologische Bestimmungsmacht ist. Alle geistigen Teildisziplinen müssen letzthin doch den Rlenschen in seiner Ganzheit ausbilden und be­ reichern helfen. Um die geistige Lebensgestaltung dreht sich schließlich

alles. Auf diesem Zweck sind, wenn auch mittelbar, selbst die rein tech­ Ihren objektiven Ausdruck aber findet die persönliche Selbstvollendung in der Religion. Diese bildet also nischen Leistungen irgendwie bezogen.

den geheimen Pol, um den alles geistige Leben kreist, das zentrale synthe­

tische Ziel, in das alle geistigen Sonderbestrebungen einmünden.

Zusatz: Das Gesetz der drei Stadien. Es gibt eine Anschauung, nach der die Religion nach und nach von den geistigen Einzeldisziplinen verdrängt und aufgezehrt wird. August

dornte hat als erster das Gesetz der sogenannten drei Stadien aufgestellt.

Darnach sieht die Sache so aus, als folge auf das theologische Zeitalter, das mit anthropomorph gedachten Göttergestalten arbeitet, die meta­ physische Epoche, welche die göttlichen Personaleinheiten zu abstrakten Prinzipien und Begriffen verdünnt. Die metaphysische Periode werde dann wieder abgelöst durch die wissenschaftliche, die sich aus rein gesetz­

mäßige Naturbeobachtung ohne jede metaphysische Spekulation beschränkt. Gleichzeitig mit dieser Entwicklung weiche -er absolute Erkenntnisanspruch einem blaß relativen. Nach Comte steht also am Anfang die Religion,

am Ende die Wissenschaft, am Anfang der Gott, am Ende das Gesetz. Dazwischen die Zwittergestalt einer philosophischen Metaphysik. Da jede folgende Epoche die frühere mit Notwendigkeit aufhebt, wäre also heut­

zutage, im wissenschaftlichen Zeitalter, kein Platz mehr für die Religion. Es kann nun nichts falscher sein als das Entwicklungsbild, wie Comte

es zu zeichnen beliebt. Recht hat er freilich, wenn man das wissenschaft­ liche Denken allein ins Auge faßt, hier mag sich der Gang der Dinge in dem Sinn vollzogen haben, wie es der schematisierende Geschichtsphilosoph

sich vorstellt, hier sind anthropomorphe Betrachtungsweisen durch philo­ sophische Spekulationen und schließlich rein gesetzliche Forschungsprinzipien

abgeläst worden. Aber die Wissenschaft ist nicht das Geistesleben über­ haupt. Der Weg eines geistigen Teilelements ist niemals schon der Weg des Ganzen. Wenn sich der Intellekt zu einem immer besseren Erkenntnis­ organ ausbildet und Forschungsmethoden anwenden lernt, die die Natur­ beherrschung immer sicherer gewährleisten, so ist dies eine erfreuliche Er­

scheinung. Aber es wäre tödlich für den geistigen (Organismus, wenn das Leben selbst radikal intellektualisiert und die Wissenschaft zum Daseins­ prinzip überhaupt erhoben werden sollte. Neben und über der fort­ laufenden Drganausbildung — und der Intellekt ist nur ein (Organ des

Lebens — muß die Erhaltung, ja die Vertiefung des Lebens selbst einher­

gehen. So halten wir das Gesetz der drei Stadien, als allgemeines Entwick­ lungsprinzip gedacht, für falsch. Fortschreitende Intellektualisierung und Verwissenschaftlichung des Verstandes — das mag angehen. Der verstand

wird durch einen solchen Prozeß nur seiner eigenen Bestimmung entgegen­ geführt. Aber hinter der Verstandesentwicklung vollzieht sich die schöp-

ferische Entfaltung des Lebens, die Vergeistigung und Vertiefung der Religion, die ihren eigenen Gesetzen folgt und mit der Ausbildung der

wissenschaftlichen Methode an sich überhaupt nichts zu tun hat.

III. Organische Formgesetze. Allgemeines.

wir haben bis jetzt darzustellen gesucht, daß die Religion eine or­ ganische Schöpfung ist, die auf dem Lebenswillen selbst beruht. Und zwar geschah dies in rein beschreibender Weise. Ein konkreter, leicht nachprüf­ barer Sachverhalt: die ganzheitliche Beschaffenheit der Religion und ihr

Verhältnis zu den geistigen Teilgebieten wurde vorgeführt.

Nun wird

die Betrachtung mehr in die Tiefe gehen, wir wollen einige prinzipielle Fragen aufwerfen. Und zwar soll gezeigt werden, daß die Religion eine „vernünftige" Schöpfung ist, daß sie in den synthetischen Grundgesetzen

des Geistes verankert ist, ja, daß in ihr die organische Urvernunft selbst

zum Ausdruck kommt. Vie Religion nicht willkürliches Geschehen, sondern Entfaltung tiefster geistigster Notwendigkeiten, elementarster Bildungs­ tendenzen — das ist das Thema dieses Abschnitts. Um im Folgenden verständlich zu werden, müssen wir voraus­

schicken, was wir unter Vernunft verstehen, wie wir sie im Rahmen einer organischen Bewußtseinslehre unterbringen, was sie uns als synthe­ tisch-organisches Phänomen bedeutet, wir beginnen mit dem Satz, daß „Vernunft" und organische „Form" bezw. „Leben" aufs engste Zusammen­

hängen. Alles, was geformt ist, ist auch vernünftig, wo planmäßig ge­ ordnete, in sich selbst teleologisch veranlagte Gestaltung vorliegt, da

wir verstehen also unter Vernunft organische Bildkraft, sinnwirkende Entelechie. Vernunft ist dies ein Zeichen, daß „Vernunft" im Spiel war.

in diesem absichtlich weitgefaßten Sprachgebrauch ist selbstverständlich etwas viel umfassenderes und tieferes als die intellektuelle ratio, die in

der menschlichen Reflexion zum Ausdruck kommt. Vernunft ist auch in den konkreten Bildungen ästhetischer Art wirksam. Ja, sie waltet bereits

im Unbewußten, hier besonders rein und kräftig. Vie lebendige Vernunft

ist am Werk im tierischen Instinkt, im Netz- und Wabenbau der Insekten, sie entfaltet sich in den Gestaltungsgesetzen der leiblichen (Organismen, im Leben und weben der Pflanzen. Im Nlenschengeist kommt dieselbe bild­ nerische Energie nur zum Selbstbewußtsein, die überall da tätig ist, wo

Lebendiges sich regt.

Indem wir nun daran gehen, den vernünftigen Charakter der Religion darzutun, beginnen wir zweckmäßigerweise mit der Betrachtung der vernünftigen Teilgesetze des Geistes, die mehr an der Oberfläche des

Bewußtseins liegen und ziemlich genau durchforscht sind.

Es wird sich

dabei zeigen, daß alle vernünftigen Linzelvollzüge in dem vernünftigen Urwillen des Lebens selbst verankert sind. Viesen Grundwillen werden

wir dann des näheren zu erfassen suchen: er ist die sich in der Religion entfaltende organische Totalvernunft.

1. Vie geistigen Teilgesetze. a. Logisches.

Wir wollen zunächst das Formgesetz des Verstandes untersuchen. Drei Ziagen gilt es zu behandeln: Organische Form und Evidenz, Or­

ganismus und Mechanismus, Denken und lebendiger Schöpferdrang. Rn diesen drei Punkten kann deutlich werden, daß alles, was den Vernunft­ charakter des Verstandes begründet, was an ihm normativ und schöp­ ferisch ist, sich als organischer Herkunft erweist und somit auf das

„Leben" — dessen Funktion der verstand ja ist — zurückgeht. 1. Das organische Phänomen -er Evidenz. Der organische Formwille des Geistes offenbart sich auf intellek­

tuellem Gebiet am schärfsten im logischen Denkakt. Die wichtigsten er­

kenntnistheoretischen Schulen werden der organischen Grundlage

des

Denkprozesses insofern gerecht, also sie von einer ursprünglichen „Syn­ thesis" als Voraussetzung jeder beziehenden Linzeltätigkeit reden. Rlle einzelnen Denkformen und Beziehungsmittel sind nur Sonderäuberungen der fundamentalen synthetischen Einheitsform. Wir stimmen dieser An­ schauung durchaus bei. Dem Denken ist eine organische Bildungsgesetzlichkeit immanent.

Es bedeutet seinem tiefsten Wesen nach die aktive

Entfaltung eines organischen Formprinzips. Das Denken besteht in der Herstellung organischer Bildungszusammen­ hänge. Ein organisches System ist dadurch gekennzeichnet, daß in ihm die

Teile in gegenseitiger Wechselbedingtheit so ineinander greifen, daß ein

teleologisches Ganzes entsteht.

3n dem organischen Beziehungskomplex

entfaltet sich ein durchgreifender Plan, jedes Element steht mit Notwendige keit an seinem Grt und hat dort eine bestimmte Funktion im Dienst des Ganzen zu verrichten. Kommt es zu einer Verschiebung, so ruht der or­ ganische Linheitswille nicht eher, als bis er die planmäßige Ordnung wieder hergestellt hat. Fällt ein Glied der Arbeitsgemeinschaft aus, so wird es,

wenn möglich, durch ein gleichwertiges ersetzt. So wirkt sich ein einheit­ liches Zormgesetz mit immanenten Zwang aus. Die innere Grünung der

Elemente ist durch das Ganze mit Notwendigkeit bedingt.

In einem

Sandhaufen dagegen herrscht eine solche Bedingtheit der Teile keines­ wegs. hier besteht „zufällige" Lagerung, jedoch keine notwendige Grü­ nung. Notwendiger, ganzheitlicher Zusammenhang ist nur den organischen Gebilden eigen. Ist die organische Durchgestaltung eines logischen Denkgebildes ge­

glückt, so empfindet das Bewußtsein die erzielte Grganisationseinheit als ihm selbst wesensgemäß, es fühlt sich dadurch befriedigt und reagiert

auf das Geschaffene mit dem Lvidenzgefühl. Dies ist ein Zeichen dafür, daß dem organischen Zormwillen genug getan ist, daß er seinen Zweck

erreicht hat. Letzten Endes ist also die Evidenz ein Erlebnis der Identität. Die organische Bewußtseinsgrundlage erkennt an, daß ein Bild gestaltet

ist, das ihr gleich ist, das, wie sie selbst, organisches Gepräge besitzt.

2. Organische und mechanische Denkbeziehung. a. Philosophische Urteile über das Wesen des Verstands.

Wenn man die Urteile der heutigen Philosophie über Wesen und Leistung des Verstandes ins Auge faßt, so lassen sich drei Richtungen

herausheben. Der Rantische Idealismus sieht in dem verstand den Gesetz­ geber der Natur, der das konstitutive Rahmengefüge des Seins aus eigener Machtvollkommenheit setzt und über schöpferische Spontaneität verfügt.

Der verstand ist Herr und Gebieter der Rlaterie, souverän in sich selbst ruhend und (Quelle aller Gestaltung. Das merkwürdige ist nur, daß die einzelnen Denkformen, bezw. Naturgesetze, die aus dem verstand heraus­ fließen, alle mechanischer Art sind. Das quantitativ Meßbare und mathe­ matisch Zormulierbare hat allein objektive Bedeutung. Der Zweckgedanke

spielt die Rolle einer bloß regulativen Idee.

So stehen wir vor dem

sonderbaren Schauspiel, daß Kant aus etwas, was unmöglich mechanisch

sein kann, aus der schöpferischen Synthesis des Geistes, lauter mechanische

Beziehungsakte hervorgehen läßt — eine Spannung, die sich durch die ganze idealistische Schule hindurchzieht.

Demgegenüber hat Bergfon mit klassischer analytischer Meisterschaft den Dualismus unserer intellektuellen Leistungen aufklaffen lassen und

gezeigt, daß wir über zwei ganz verschiedene vermögen verfügen: Uber die Intuition und den mechanischen verstand. Der verstand ist kein eigentliches Grgan der Erkenntnis, sondern ein Werkzeug der Stoff­

beherrschung. Er zerschneidet die Dinge und setzt sie dann wieder mecha-

nisch zusammen.

Aber dieses Verfahren ist künstlich und roh, fabrik­

mäßiger Konfektionsarbeit vergleichbar. (Es zwingt die Wirklichkeit in

ein abstraktes Schema hinein, mittels dessen wir sie beherrschen können.

Aber es tötet damit das Konkrete, das Ganzheitliche, das Lebendige.

Zum inneren Verständnis des Seins führt uns nur die Intuition, durch

die wir uns in -en Gegenstand hinein versetzen, durch die wir ihn in seiner Totalität unmittelbar erfassen. (Es ist hier nicht unsere Absicht, Bergson weitläufig darzustellen oder zu kritisieren.

Wir wollen nur

zeigen, wie er den verstand zu Gunsten einer höheren Fähigkeit degra­

diert, wie er den mechanischen Intellektualismus als unzulänglich für echtes Wirklichkeitsverständnis erweist und damit zum Trfüller aller romantischen Tendenzen wird, denen er die wissenschaftliche Schärfe seines Geistes geliehen hat.

Vie positivistische Richtung erkennt außer dem Rlechanischen über­ haupt nichts an. Auch nicht im Geiste. Vie schöpferische „Synthesis" der idealistischen Philosophie mit ihrer geheimnisvollen, unanalysierbaren

Formtätigkeit wird als „mythologisch" über Bord geworfen. Was bleibt, sind die rein quantitativen Beziehungen der Bewußtseinselemente. Vie

Grundgesetze des Geistes spiegeln sich wieder in den einfachen assoziativen Verknüpfungen. Die Logik wird auf die Psychologie zurückgeführt. Ihren „absoluten" Charakter muß sie selbstverständlich aufgeben. ß. Unsere Auffassung.

i. Organisches Denken. Viesen drei Standpunkten gegenüber möchten wir unsere eigene organische Auffassung kurz umreißen. Wir halten mit Kant (und Berg­ son) an der synthetischen Tätigkeit des Denkens fest, das Wort in der

vollen Bedeutung des „Schöpferischen" genommen.

Jebe Sinnbildung,

jede Erzeugung eines Geistesinhaltes beruht unserer Ansicht nach auf

einem übermechanischen Akt. Bei der „Apperzeption" werden nicht nur

Elemente mechanisch aneinander gereiht und zu bloßen Summenaggrrgaten angehäuft: sie werden so aufeinander bezogen und in Form gestellt, daß aus ihrer Verbindung ein höheres Ganzes: der Bedeutungsgehalt, das „Gemeinte" entspringt. Der „Sinn" stellt sich zwar in seinen Kom­ ponenten dar, er baut sich aus ihnen gleichsam seinen Leib, aber er geht nicht in ihnen auf, er ist nicht mit ihrer Summe identisch. Er bedeutet etwas, was vorher nicht da war, was weder in den Einzelteilen noch in ihrer mechanischen Akkumulation darin lag. Insofern der Sinn etwas

ganz anderes ist, als die mechanische Zusanunenfügung der Elemente,

insofern etwas Schöpferisches in ihm steckt, ist er übermechanisch. Venn der Mechanismus kann nichts wahrhaft Neues erzeugen, sondern nur das ewig Alte in anderen Lagerungen wiederholen. — In der bei der Ideen­ bildung wirksamen schöpferischen Synthese kommen somit Prinzipien zur Auswirkung, die wir auch sonst im organischen Formbereich antreffen. So wenig ein biologisches Lebensganzes als mechanisches Aggregat seiner Teile begriffen werden kann, so wenig ein Kunstwerk die Summe seiner

Teile bildet, so wenig stellt ein geistiges Sinnganzes ein mechanisches

Konglomerat dar.

Ts walten hier, und zwar ganz besonders deutlich,

entelechiale Mächte?) Vie Sinnbildung ist ein übermechanischer Akt.

Sie entsteht, wenn

Gedankenelemente zu einem zweckvollen Arbeitssystem zusammengeschlossen

werden und nun gleichsam den „Sinn" als gemeinsames Arbeitsprodukt erzeugen. Jeder synthetische Gestaltungsakt setzt eine schöpferische Be­

wegung des Lebens voraus. So ist auch die intellektuelle Sinnschöpfung nicht ohne ein spontanes Aufquellen lebendiger Energie möglich. Am deutlichsten tritt dies selbstverständlich beim genialen Schaffen zutage. Ein neuer, im Bestand des objektiven Geistes noch nicht vorhandener „Sinn" kann nur aus plastischer Lebensfülle, aus genialer Intuition

heraus geboren werden?)

Aber wir wollen uns nicht mit Ausnahme-

E. Brunner in „(Erlebnis, Erkenntnis und Glaube". Tübingen 1921 sucht das „Fußfassen" des Glaubens „jenseits, auf der anderen Seite, im Un­ bedingten" durch die Analogie der logischen Sinnerfassung deutlich zu machen. Der Sinn steht jenseits alles psychologisch - mechanischen Getriebes. Auch zu ihm kommt man nur durch einen „Sprung". Nun kann man den Übergang vom mechanischen Sinn-Gerüst zum organisch-geistigen Sinn-Gehalt wohl als Sprung bezeichnen. (Es ist aber im Auge zu behalten, daß dieses Transzedieren nicht nur beim logischen verstehen, sondern überall da vorkommt, wo es sich um das Er­ fassen eines Organischen „hinter" oder „über" dem organischen Material handelt. Der „Sinn" eines Kunstwerkes baut sich wohl aus Kaum- und Farbenteilen auf, aber er geht nicht in der mechanischen Ordnung auf. Das Verständnis eines anderen Menschen, eines fremden Volkstums ist nur so zu gewinnen, daß man durch die mechanischen Niederschlagsprodukte des Lebens in die schöp­ ferische Geistigkeit selbst vordringt. Der Fall, daß die Ebene des rein Mecha­ nischen verlassen und der Aufschwung zum Organischen vollzogen werden muß, ist also nicht auf die logische Intention beschränkt, sondern gehört zu den all­ gemeinen Bedingungen organischen Erlebens. *) Lehrreich sind die Darlegungen des französischen Mathematikers h. poinkarck. vergl. „Wissenschaft und Methode" (Wissenschaft und Hypothese Bb. XVII) Leipzig und Berlin 1914, S. 35 ff.

erscheinungen befassen, sondern den alltäglichen Fall der Sinn-Über­

tragung oder Sinn-Aufnahme betrachten. Vie Sinn-Erfassung vollzieht sich im „verstehen". Der Sinn ist niemals rein mechanisch übertragbar. Auch wenn die Sinn-Elemente systematisch und in möglichster Vollständig­ keit bereitgestellt werden und der Rristallisationsprozeß der Sinnbildung

bis an den äußersten Punkt angebahnt wird, derart, daß er sich schließlich wie „von selbst" zu vollenden scheint, so muß doch der, welcher verstehen will, das Letzte aus eigenem dazutun. Der Lehrende kann den Lernenden

bis unmittelbar an die Pforte führen, durch die Tür des Verständnisses muß dieser selbst eintreten, d. h. er muß einen letzten Schöpferakt von sich aus unternehmen, sich geistig entfalten und lebendig hingeben! Anders

bleibt das ganze Sinngerüst, das vor ihm aufgebaut ist, tot. So verlangt

also jeder Sinn von dem ihn aufnehmenden Geiste ein Nachschaffen. Daß sich das meiste Sinn-Verstehen automatisch vollzieht und der schöpferische Akt der inneren Lebensanteilnahme kaum mehr zum Bewußtsein kommt, liegt daran, daß bei weitem der größte Teil des menschlichen Sinn-Gutes durch die häufige Übertragung mittels der Sprache Allgemeinbesitz ge­ worden ist und die Sinnbildungs-Geleise ausgefahren sind. Wo es sich

aber um verstehen eines neuen Sinns handelt, da wird das innere Mit­ arbeiten, das Auffluten des Lebens, die leidenschaftliche Anteilnahme sehr deutlich fühlbar.

2. Mechanisches Denken.

Neben dem organischen Denken, das entweder Sinneinheiten schöpfe­ risch bildet oder sie auffassend nacherlebt, gibt es das mechanische Denken. Dies haben Bergfon und die Antiintellektualisten aller Schattierungen

im Auge, wenn sie gegen den toten, starren, lebensfremden verstand eifern. Dieses Denken zweiter Natur können wir als mechanisch bezeichnen, weil es in der Hauptsache in einem mechanischen Beziehen von Bewußtseins­ elementen besteht. Mag es sich um das Ineinssetzen, das vergleichen und

Unterscheiden, das Zerschneiden und Zusammensetzen (Analyse und Syn­ these), das Abspalten und verbinden (Abstraktion), das Aneinanderreihen von Einzelfällen und das herausheben des Gleichen (Induktion), um das

Zeststellen von gleichen funktionellen Abhängigkeitsverhältnissen (Kau= salität), um die Zwangsläufigkeit von Schlußketten handeln, die Gleiches

an Gleichem messen, immer dreht es sich hierbei um etwas verhältnis­ mäßig Äußerliches, um quantitative Relation, um eine Verbindungsform von Vorstellungselementen, wie wir sie auch den mechanischen Dingen zuschreiben. Das Trennen des Ungleichartigen, das Zusammenstellen des

Gleichartigen spielt im methodischen Denken, besonders dem naturwissenschaftlichen, eine große, allerdings nur vorbereitende Rolle.

3. Verhältnis von organischem und mechanischem Denken. Vas Denken ist als synthetisches Beziehen, als verstehen und schöp­

ferische Jdeenbildung „organisch", und das Denken ist als analytische Zer­

legung, quantitative Zusammensetzung und Gleichheitsbeziehung „mecha­

nisch". wie verträgt sich beides miteinander? Ein einheitlicher Zusammen­ hang muß ja bestehen. Denn der Intellekt bewegt sich zweifellos in beiden Richtungen, wir glauben die Losung wiederum vom organischen Standpunkt aus finden zu können. Jeder Organismus, einerlei welcher Art, ist im ganzen ein über­ mechanisches Gebilde, das sich in plastischer Lebensentfaltung befindet,

aber es trägt einen Mechanismus in sich, der sich in zahlreichen Einzel­ prozessen betätigt. Dieser Sachverhalt tritt uns bereits beim Körper ent­ gegen. Hile biologischen Einzelfunktionen lassen sich mechanisch auffassen.

Aber das Ganze ist übermechanisch. Es bedient sich des mechanischen Appa­ rats nur als Instrument für seine höheren biologischen Zwecke. Der

Mechanismus ist wirklich „^y/avy". Ähnliches kehrt auf sozialem Gebiet wieder, wo sick das staatliche Leben auf einer ganzen Reihe mechanischer Strukturen und Prozesse aufbaut. Dem Kunstwerk, das im Ganzen eine

lebendige Formschöpfung bildet, ist doch ein mechanisches Gefüge imma­ nent. 3m Seelenleben beobachten wir — etwa beim ungeregelten Lr-

innerungs- und Phantasiespiel — ein Dahintreiben wesentlich mechanisch, d. h. äußerlich, verknüpfter Vorstellungen. Anders wird die Sache, wenn ein synthetischer Gestaltungsakt eingreift und die Assoziationskomplexe zu sinnvollen Ganzheiten ausformt: dann breitet sich gleichsam ein höheres Grdnungsprinzip über das mechanische Gewebe und zwingt die roh ge­

fügten Elemente in die Form. So liegen die Dinge auch beim eigentlichen Denken. Vie sinnvolle Ideenbildung ist ein schöpferischer Prozeß, der höchste, über den der Geist verfügt. Aber dieser Prozeß bedient sich mecha­

nischer Mittel und stellt sich, wenn er gelungen ist, auch wieder mittels mechanischer Strukturprinzipien dar. Die Auffindung einer wissenschaft­ lichen 3dee bedarf weitläufiger mechanischer Vorbereitungen. Das Ma­

terial muß herbeigetragen, gesichtet, analysiert, kombiniert werden, bis dann der schöpferische Funke überspringt und aus bloßen Aggregaten

Ganzheiten schafft. Aber der gewonnene Ideengehalt gibt sich dann wieder ein mechanisches Gerüst, der ihm Halt und Festigkeit verleiht.

So greifen beide Gestaltungsweisen aufs engste ineinander. Sie durch-

wirken und bedingen sich gegenseitig. Man kann fragen, ob beide Denk­

bewegungen ohne einander möglich wären. Selbst die äußerlichste wissen­

schaftliche Arbeit wird doch von einem „Sinn", den das ganze Tun haben soll, geleitet, ein geheimer Plan liegt vor, ein übermechanischer Form­

zweck waltet.

Anderseits bedarf die Idee der Verkörperung, des festen

mechanischen Ausbaus, der Verankerung in einem gesicherten Gefüge. Wie im organischen Formleben überhaupt synthetisches Ganzes und me­ chanisches Gliedsystem sich wechselweise voraussetzen, so ist es auch im Geist.

Nur, daß das schöpferische Denken die Führung hat und das eigentliche Leitprinzip ist. Das mechanische Denken kann immer nur Mittel zum

Zweck sein.

3. Lebendiges Streben.

Schon aus der Betrachtung der Sinnbildung hat sich ergeben, daß ein

geistiger Bedeutungsgehalt ohne den Einschlag organischer Formkraft, d. h. lebendiger Energie nicht möglich ist. Der bloße Mechanismus ist nicht schöpferisch, er bringt nichts Neues hervor, sondern wiederholt in unab­ sehbarer Folge bereits Gewesenes. So steht die Einwirkung des schöp­

ferischen Lebensgrundes in das intellektuelle Gebiet fest. Nicht minder offenbart sich der schöpferische Impuls des Geistes in dem unaufhörlichen vorwärtsstreben des Denkens. Die intellektuelle Geistesarbeit rastet nicht. Sie begnügt sich nicht mit dem Erreichten, sondern strebt, über mechani­ sierte Schichten hinwegsteigend, immer neuen, höheren Zielen zu. Es gibt

keinen ergreifenderen Beweis des vorwärts stürmenden Lebensdrangs als den Lrkenntniswillen. Ein bloßer Mechanismus „strebt" nicht. Er untersteht dem Gesetz der Trägheit. Daß der Geist jedoch in faustischer Wissensgier unersättlich vorwärts drängt, daß er sich in immer neue Gefahren hineinstürzt und immer neue Lasten auf sich nimmt, das spricht für seine ursprünglich lebendige Natur.

Wir sahen also: Die formale Struktur der Denkzusammenhänge, deren „Richtigkeit" sich im Evidenzerlebnis ankündigt, die schöpferische Tatsache der Sinnbildung, -er rastlose Entwicklungsdrang des Denkens

weisen auf eine organische Unterlage hin. Der verstand könnte das, was er leistet, nicht zustande bringen, wenn nicht die organische Formgesetz­

lichkeit in ihn hineinwirkte, wenn er nicht von einem hauch des „Geistes" durchweht und nicht selbst eine Funktion des Lebens wäre, vieles im verstand ist mechanisiert. Das Übergewicht der mechanischen Gesetz­ lichkeit bedeutet die Gefahr des „Intellektualismus". Aber diese Gefahr braucht nicht wirklich zu werden. Auch der verstand ist ein Zweig des

organisch verfaßten und von innerer Lebensfülle beseelten Bewußtseins.

b. Ästhetische Normgesetzgebung.

1. Vie ästhetische Vernunft. Der organische Formwille wirkt sich auch durch das Gefühl hindurch aus, das es zu wertvollen Geistesgestaltungen objektiver Hrt bringt. Wir denken hier vor allem an die Schöpfungen der Kunst, die unter un­ mittelbar gefühlsmäßiger Leitung geschaffen werden.

das eigentlich

ästhetische Normgebiet.

Das Gefühl ist

Vie letzten Entscheidungen über

schön und häßlich ruhen bei ihm. Hn die Vielt der künstlerisch-ästhetischen Gestaltung werden wir uns daher zu halten haben, wenn wir die Form­ gesetzgebung des Gefühls in ihrer reinsten Gestalt kennen lernen wollen. Fassen wir die Kunstwerke nach ihrer formalen Seite ins Nuge, so bemerken wir, daß sie organische Gebilde im ausgesprochenen Sinn des Wortes sind. Sie besitzen individuelle Struktur. Sie stellen Einheiten

dar, in denen eine durch das Gesetz der Arbeitsteilung bedingte Wechsel­ wirkung aller Glieder und eine allgemeine Nbzweckung auf das Ganze herrscht. Vie Merkmale des Organischen sind somit in formaler Be­

ziehung vollständig gegeben. Ja, die Kunstwerke bilden, wie bereits oben

gezeigt, ideale, von einem einheitlichen Formprinzip schlackenfrei durch­ waltete Organismen. Zudem sind sie belebt, mit geistigem Gehalt gefüllt,

von einer ästhetischen Idee beseelt. Da sie dem schöpferischen Geist des Künstlers entstammen, tragen sie dessen Lebensgefühl weiter und können,

wieder Leben zeugend, aus andere wirken.

Die künstlerischen Schöpfungen sind dem Geiste, oder, wie wir in diesem Zusammenhang richtiger sagen, der „Vernunft" des Künstlers ent­ sprungen. Der Künstler schafft bei seinen Gestaltungen objektiv-zweck­

mäßig, d. h. „vernünftig". Eine innere Norm, die sich ihm nicht logisch­ abstrakt, sondern instinktiv-gefühlsmäßig vermittelt, leitet ihn bei feinem Bilden. Sie führt seine Hand bei der Naumanordnung und Farben­ verteilung- sie mahnt ihn, wenn er in einem Drama eine Nebenfigur etwa allzu gewichtig behandelt hat oder wenn in einer Komposition die Einleitung zu lang geworden sein sollte. Überall wacht die organische Vernunft über das organische Gleichgewicht, die innere Proportion, die

Zweckmäßigkeit der künstlerischen Schöpfungen. Aber mit diesen for­ malen Normakten allein ist es noch nicht getan. Ein Mathematiker ver­ mag vielleicht „rein sachlich", nach den Gesetzen einer unpersönlichen Logik einen Beweis richtig durchzukonstruieren, vom Künstler verlangt man mehr: unmittelbaren Lebensausdruck, Beseelung seines Werkes.

Seine

Normen dürfen keine abstrakten Prinzipien sein, die sich mechanisch Hand-

haben lassen: sie müssen die formale Auskleidung eines schöpferischen Impulses, einer lebendigen „Idee" bilden, die in ihnen ihren organischen Ausdruck findet, die sich in ihnen ihre objektive Gestalt gibt. Erst dann,

wenn sich Form und Leben decken, wenn die Norm dem seelischen Leben

als Gewand sozusagen auf den Leib geschnitten ist, ist das Kunstwerk das, was es sein soll: ein echter (Organismus, bei dem die Gestaltung unmittel­ bar aus schöpferischen Lebenskräften hervorgegangen ist. was aber so von dem künstlerischen Gestalten gilt, trifft auch für

das ästhetische Aufnehmen und Genießen zu. Nicht der „versteht" ein Kunstwerk wahrhaft, der seine Form- und Stilmittel kennt, und allerlei

Theoretisches über seine Entstehung und dergleichen auszusagen weiß, son­

dern der, der das innere Leben des Werkes erfaßt hat. Dazu aber ist selbst ein Lebensausschwung, eine seelische Hingabe, ein Mitfühlen not­ wendig. Venn Leben wird nur vom Leben verstanden.

2. Die ästhetische Allgemeingültigkeit.

Der Künstler schafft individuelle Gebilde, die er mit seinem eigenen Leben füllt. Die ästhetischen Formen sind nun keineswegs zufälliger, willkürlicher, bloß „subjektiver" Art, so wie die Natur wahllos Gebilde

von wohlgeratener, aber auch kümmerlicher und verfehlter Gestalt aus sich heraussetzt. vielmehr ist die Individualität der Kunstwerke eigentüm­ lich gesteigert und zu einer Art Allgemeingültigkeit erhoben. Sie bilden individuelle Schöpfungen, die doch für zahllose Einzelgestalten, -Dinge

und -Ereignisse repräsentativen Eharakter Haben. Sie besitzen die Fähig­ keit, im Besonderen das Allgemeine, im Individuellen das Generelle

darzustellen. Die charakteristischen Eigentümlichkeiten einer ganzen Gat­ tung sind in den ästhetischen Einzelgebilden ihrem tiefsten Wesen nach er­ faßt und in vorbildlicher Idealität verwirklicht. So bekommen die künst­ lerischen Schöpfungen „typische" Bedeutung.

3. Die Anerkennung der ästhetischen Normschöpsungen. Typische (Objektivität bedeutet Allgemeingültigkeit. Zwar wird es richtig sein, daß der Geltungsbezirk des Schönen enger ist als der des wahren. Auch läßt sich das ästhetisch wertvolle nicht mit gleicher Sicherheit

andemonstrieren wie das logisch Korrekte. Aber eine zwingende Gewalt

wohnt. aud) dem wahrhaft Schönen, dem Klassischen, dem Dollenbeten inne. Das Bewußtsein sieht sich zur Anerkennung des Echten genötigt, weil in ihm dieselben Formprinzipien, die es selbst in sich trägt, rein aus­ geprägt und ideal vollendet sind. Das, was jeder einzelne sein sollte:

ein vollkommenes Ganzes, ist das Kunstwerk tatsächlich. Daher der Swang

zur Zustimmung. Wie man sieht, handelt es sich auch beim normativen Erleben des Schönen letzthin wieder um ein Erlebnis der Identität. c. Ethische Gestaltung.

Die organische Formtendenz sucht auch den praktischen Bestand des geistigen (Organismus zu vereinheitlichen. Letzthin kommt es auf ganz­ heitliche Veranlagung des Willenssystems heraus, wenn auch die Bildung

einer klaren Wertordnung und einer richtigen Einsicht in das Gute und

Richtige vorausgegangen sein muß. halten wir uns an die eigentlich willensmäßige Eharakterprägung, so nimmt auch hier wieder ein nor­

mativ synthetischer Vildungsvollzug seinen Gang.

Das Gewissen, die

sittliche Norminstanz, scheidet alles das als unerlaubt aus, was dem ein­

heitlichen Wesenszusammenhang der Motive und Wallungen widerspricht, was sich nicht in das System dessen, was als „gut" anerkannt ist, einreihen läßt, was gegen die letzten einheitschaffenden Ziele verstößt. Ruf weiteres wallen wir uns hier nicht einlassen. Genug, daß die synthetische Grund­ lage auch der ethischen Willensbildung deutlich wird.

2. Gegenseitiges Verhältnis der normativen

Teilgesetze. a. Das gemeinsame synthetische Moment aller Normen, überblicken wir die verschiedenen Normgesetze, so fällt in die Rügen, daß sie sämtlich synthetischer Art sind. Sie gehen auf Einheitsgestaltung aus, sie bezwecken die Bildung in sich geschlossener Beziehungszusammen­ hänge, sie verwirklichen eine ideale organische Zweckmäßigkeit. Mag es sich um die Fügung abstrakter Denksysteme, konkreter ästhetischer Schöp­ fungen, ethischer Wesensgestaltung handeln: das synthetische Moment

liegt überall zu Grund. Rlle in Betracht kommenden Normen sind ganz­ heitlicher Rrt. b. Verschiedenheiten. Neben der formalen Verwandtschaft der geistigen Normgesetze macht

sich selbstverständlich auch eine Verschiedenheit der Normgestaltung geltend. Das synthetische Prinzip schlägt zwar überall durch. Aber es prägt sich der verschiedenen Rbzweckung entsprechend, verschieden aus. Das Denken ist seiner elementarsten Bedeutung nach ein Mittel zur

Stoffbeherrschung.

Das Leben will die Wirklichkeit geistig bewältigen

und in seinen Dienst zwingen, hierbei kommt es darauf an, möglichst

große Massen zu umspannen, möglichst weite Strecken zu überblicken

und einheitlich in die fjanö zu bekommen. Wichtig sind für den verstand,

das spezifische Grgan der Stoffbeherrschung, überall die durchgreifenden Gesamtbezüge, die Gesetze, die tausend Dinge binden, die Allgemein­

begriffe, in denen sich viele Beziehungslinien zusammenfassen lassen. So wird gerade das Abstrakte praktisch bedeutsam. Diese Prinzipien werden auch beibehalten, wenn das Denken nicht mehr dem unmittel­

baren Nutzen dient, wenn es ihm nicht mehr darauf ankommt, sich in der Wirklichkeit zurechtzufinden und sie zu beherrschen, sondern wenn es selbstzwecklich geworden ist.

Ja, sie treten jetzt erst in ihrer ganzen

Schärfe und methodischen Zuspitzung hervor. Auch die rein theoretische

Gedankenbildung zielt vor allem auf festen gesetzmäßigen Zusammenhang, auf allgemeine Beziehungen und abstrakte Einheitsbildung ab. Alle Einzelerkenntnisse haben nur so weit Bedeutung, als sie einen allge­ meinen Wissenszusammenhang bereichern helfen und sich widerspruchslos

in ihn einfügen lassen. Sie empfangen ihre Legitimation erst durch ihre Einstellbarkeit in das allgemeine Gewebe der logisch fundierten Denk­ beziehungen. So ist die auf die Grundformen der theoretischen Vernunft

aufgebaute Gesamtordnung alles, der Einzelfall nichts. Er ist nur ein Mittel für den idealen Wissenschaftszweck: die gesetzliche Gesamtspnthese.

Gerade umgekehrt verhält es sich in der Kunst, hier ist nicht Stoff­ beherrschung der letzte Zweck, sondern ideale Lebensdarstellung.

(Es kommt also nicht auf abstrakte Beziehung, sondern auf individuelle For­

mung an. Diesem Gestaltungsziel ist die ästhetische Normgesetzgebung an­ gepaßt. Sie will vor allem ein rein gefügtes Individualgebilde schaffen. Gewiß soll dieses auch Verkörperung eines Allgemeinen sein und somit

typische Bedeutung gewinnen. Aber damit es einen allgemeinmenschlichen Ideengehalt ungetrübt wiedergeben kann, muß es vor allem in seiner Besonderheit plastisch herausgearbeitet sein. So waltet im Reich der Kunst nicht die abstrakte Allgemeinbeziehung, sondern die Formgesetz­ lichkeit des individuellen Lebens.

In der Ethik sind die beiden Merkmale des allgemein Gesetzmäßigen und der individuellen Bildung offenbar verbunden. Jede Ethik hat all­ gemeine Prinzipien, abstrakte Normen, überpersönliche Gestaltungsziele, die es zu erfüllen gilt. Doch werden sie gerade durch individuelle Lebens­ darstellung verwirklicht. Die Ethik nähert sich also durch ihre Allgemein­ gültigkeit der Wissenschaft. Aber es ist nicht so, als sei das ethische Einzel­

element, die Persönlichkeit, nur Mittel für den höheren Zweck einer allgemeinen Gesetzesverwirklichung. Das ethisch durchgebildete Indivi­ duum, der autonome Charakter, der seiner sittlichen Würde bewußte

Nlensck hat auch selbstzweckliche Bedeutung.

Ls kann gewiß zu Span­

nungen zwischen den Forderungen des allgemeinen, abstrakten Sitten­ gesetzes und den normativen Eigenzielen der Linzelpersönlichkeit kommen. Aber sie können doch auch zu begrifflicher und praktischer Deckung gebracht

werden. Und zwar in dem Ideal einer konkret verwirklichten Allgemein­ gesetzlichkeit oder eines zu typischer Allgemeingültigkeit empor gestei­ gerten sittlichen Personenlebens.

c. Vie gemeinsame Formgrundlage. Unsere Betrachtung hat uns zu folgendem geführt: Vie geistigen Formgesetze oder Normen sind unter sich verwandt. Venn sie sind alle

synthetischer Natur. Sie sind jedoch auch verschieden- denn das synthetische

Prinzip formt sich, je nach der Abzweckung, die es erfährt, verschieden aus. Es handelt sich also um eine relative Verwandtschaft, bezw. Verschieden­ heit, Verschiedenheit in aller Verwandtschaft. Solche Verhältnisse sind nur möglich bei einer gemeinsamen Formgrundlage, die sich im einzelnen verschieden ausprägt. Sie sind gegeben im organischen System. Für uns

in diesem Zusammenhang heißt das: hinter der in Wissenschaft, Kunst, Ethik zum Ausdruck kommenden Vernunft steht die eine organische Grund­

vernunft, hinter den Teilnormen steht die synthetische Gesamtnorm,

hinter den einzelnen Formgesetzen der besonderen Funktionsgebiete steht das Formgesetz des Lebens selbst. Kitt dieser letzten einheitlichen Instanz

werden wir uns nun noch zu befassen haben.

Wir fragen hier vorläufigerweise: wie muß die von uns erschlossene

Lebensvernunft auf Grund der bis jetzt hervorgetretenen Bildungshinweise aussehen? E i n Merkmal steht von allem Anfang an fest: ihr synthetischer

Eharakter. Alle einzelnen Vernunftarten erwiesen sich als „synthetischer" Art,' folglich muß auch die organische Grundvernunft, in der die ver­ schiedenen Vernunftzweige letztlich wurzeln sollen, „ganzheitlich" gebildet

sein. Darüber ist ein Zweifel nicht möglich. Nicht minder sicher ergibt sich jedoch die konkrete Natur der organischen Zentralvernunft. Nach dem Satz, daß der Bedingungsgrund niemals ärmer an Merkmalen fein darf

als die von ihm getragenen Bildungen, steht die konkrete Beschaffenheit

der organischen Urvernunft mit Sicherheit fest. Allein die ästhetische Ver­ nunft macht eine konkrete Bildung des organischen Vernunftgrundes er­

forderlich. Lin abstraktes Bildungsgefüge, wie das der Logik, aus einem konkreten Bildungsschoß abzuleiten, verursacht durchaus keine Schwierig­

keiten, da wir diesen Fall fortwährend im Bewußtsein beobachten. Da­ gegen ist es unmöglich, das Abstrakte als Träger eines Konkreten anzuRdolph, Organische Grundlagen der Religion.

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setzen. Vas letzte Wesensmerkmal der organischen Urvernunft muß in ihrer Lebendigkeit liegen, da jede Vernunftleistung schöpferische Spon­

tanität voraussetzt. So erscheint denn die organische Lebensvernunft, rein in Folge eines Schlusses, einer von den beiden Teilen auf das Ganze gehenden Reduktion, als ganzheitliches, konkretes, lebendiges Gebilde,

wir brauchen uns jedoch nicht mit dem theoretischen Postulat einer Diese liegt in ihren Gbjektivationen praktisch vor. Und zwar in der religiösen Vernunftschöpfung. organischen Lebensvernunft zu begnügen.

Vie „vernünftige" Formgesetzmäßigkeit der religiösen Bildung wollen wir nun im folgenden auf ihre Hauptwesenszüge hin kurz betrachten. 3. vieorganischeLebensvernunft.

Die organische Lebensvernunft, die allen normativen Teilgesetzlich­ keiten zugrunde liegt, wirkt sich in der Religion aus. Daß es sich bei

der religiösen Formung des Geisteslebens um einen Vernunftakt handelt, geht aus folgenden Gründen hervor. a. Synthetische Bildung.

Jede Vernunftleistung besteht in Synthesenbildung. Rn der synthe­ tischen Gefügeart hängt der „Sinn". Vieser ist untrennbar an die orga­ nische Form als seine Grundlage gebunden. So erzeugt die logische Ver­

nunft, indem sie Gedankenelemente einheitlich verknüpft, den logischen

Sinn; die ästhetische Vernunft schafft durch organische Zweckbeziehung den ästhetischen, die „praktische" Vernunft vermittels der ihr eigentümlichen Grdnungsprinzipien den ethischen Sinn.

Die Religion will den Sinn

des Lebens finden und zur Darstellung bringen. Um ihn zu verwirklichen, muß sie das gesamte geistige Sein nach einem einheitlichen Plan synthetisch

veranlagen. Das ganze Ich ein in sich geschlossenes Sinn-System: Das ist das Leitziel der organisch arbeitenden Lebensvernunft. Insofern die or­ ganische Grundvernunft alle Lewutztseinsgebiete ergreift und einheitlich bezieht, erweist sie sich als ganzheitlicher Rrt. (Es besteht kein Zweifel, daß zur Erreichung der umfassenden geistigen Sinngestaltung ein Maß

von organischer Formenergie nötig ist, wie es bei keiner der partialen Einheitsbeziehungen verlangt wird. Die religiöse Vernunft muß, ihrer gewaltigen Rufgabe entsprechend, ein Höchstmaß organischer Bildungs­ intensität einsetzen. Die vernünftige Tätigkeit, die zur Bildung einheitlicher, in sich zweckvoller Sinnzusammenhänge führt, nennt man normativ. Ruch die organische Lebensvernunft arbeitet nach Normen.

So gut es logische,

ästhetische, ethische Normen gibt, gibt es Normen der Lebensgestaltung. Eine immanente Formgesetzlichkeit des Lebens wirkt sich mit unerbitt­ lichem Zwang aus. Es wäre ganz verfehlt, anzunehmen, die individuelle

Lebensform entfalte sich willkürlich, den zufälligen Anforderungen des Augenblicks nachgebend.

Tief in der organischen Bildungsanlage der

Persönlichkeit liegt ein Plan, der nach wesensgemäßer Verwirklichung verlangt.

Eine geheime Lebensnotwendigkeit waltet, vielen unbewußt,

hinter den einzelnen Geschehnissen und Formakten des geistigen Werdens. Zwar schlägt die gestalt- und richtunggebende Formtendenz der Lebens­ vernunft nicht in jedem Menschenleben kraftvoll und bestimmend durch.

Dies liegt daran, daß die Widerstände für ihre normativen Grganisationsabsichten zu groß oder ihre bildnerische Energie gegenüber den jeweiligen Anforderungen zu schwach ist. So gibt es ja auch Naturen mit sehr gering

entwickelter logischer oder ästhetischer Vernunft. Daß aber eine das ge­ samte persönliche Sein normativ durchformende und sich nach einem idealen Gestaltungsziel richtende Lebensvernunft am Werk ist, das zeigt

gerade das Vorhandensein der religiösen Persönlichkeiten, vornehmlich der religiösen Heroen. Deren Leben ist dadurch gekennzeichnet, daß es

auf Grund einer tiefen immanenten Notwendigkeit verläuft, daß sich in ihm ein „Müssen" kundgibt, dem nicht widersprochen werden kann, daß ein idealer Gestaltungszweck über alle persönlichen Neigungen und Wal­ lungen hinweg mit innerstem Zwang in die Wirklichkeit umgesetzt

wird. Es ist das Wesen des religiösen Menschen, unter der Leitung einer das ganze Ich erfassenden und in ihren Formplan hineinziehenden Lebens­

vernunft zu stehen, die, metaphysisch betrachtet, wohl wie jede Vernunft, in überpersönlichen Geistesgründen wurzelt und von dem ihr als Stoff­ gebiet dienenden Menschen als „Vorsehung" empfunden wird.

Alle Vernunft ist normativ nicht nur in dem Sinn, daß ein einzelnes, von ihr durchwirktes Gebilde feiner idealen Zweckgesetzlichkeit gemäß rein veranlagt wird, sondern daß es, gerade wegen seiner vollkommenen Syn­ thesis, auch Allgemeingültigkeit erlangt. Bei den Schöpfungen der or­ ganischen Lebensvernunft, deren Stoffgebiet die individuell besonders und qualitativ stets eigenartige Persönlichkeit ist, kann, ähnlich wie bei den ästhetischen Bildungen, nur die typische Allgemeingültigkeit in Betracht kommen. Die Bedingungen der Allgemeingültigkeit sind mit der reinen

organischen Durchformung und dem unbedingt echten Wesensausdruck

von selbst gegeben. Lin Kunstwerk wirkt dann typisch, wenn die geistige „Formidee" den Stoff vollständig durchdrungen hat und sich in ihm ohne jede Trübung darstellt. Genau so liegen die Verhältnisse bei der Seelen» 5*

gestaltung. Der religiöse Genius, der ganz Organ seiner Idee geworden ist, der eine kristallklare Geistesform bildet, in dem sich ein organisches

Formgesetz rein verkörpert, wirkt allgemeingültig.

Ein verworrener,

chaotischer Charakter, dessen trübes Rohmaterial nicht bezwungen und geistig geklärt ist, kann niemals allgemeingültige Bedeutung erlangen. Er kann nicht Vorbild und Rluster für viele sein.

hier erhebt sich nun auch die Frage nach der Absolutheit der Religion,

auf die wir in diesem Zusammenhang allerdings nur Hinweisen wollen. Gibt es eine absolute, für alle verbindliche Religion? Um hierauf eine Rntwort geben zu können, muß zunächst eine Vorfrage gelöst sein: Gibt

es eine allgemeine Seelenform „Mensch" oder haben wir mit ganz ver­

schiedenen Gattungstypen zu rechnen?

Sind z. B. der europäische und

asiatische Mensch nach Form und (Qualität wesenhaft verschieden? Nimmt man an, daß die Menschenseele trotz aller gattungsmäßigen Variationen im tiefsten doch dieselbe Grundstruktur besitzt und unter denselben Lebens­

notwendigkeiten steht, so ist der Gedanke einer allgemeinen, die organischen

Grundbedingungen erfüllenden Religion nicht von der Hand zu weisen. In ihr käme das Menschentum schlechthin zu seiner idealen Bestimmung.

Das Christentum vertritt die Rnsicht, daß die Seele Jesu die Ver­ wirklichung des idealen Menschheitsbildes bedeutet, daß Christus, der „Mensch an sich" und demnach das Christentum, das Christi Seelentyp fortpflanzt, die absolute Religion ist. b. Konkretheit. Die religiöse Vernunft ist als ganzheitliche Bildungstendenz selb-

verständlich konkret.

Sie hat es nicht mit der Fügung abstrakter Ge­

dankengebilde, mit der Formung anschaulicher ästhetischer Elemente oder der Veranlagung ethischer Willenstrebungen, sondern mit der Bildung des lebendigen Menschen selbst zu tun. Dazu gehört plastische Gestaltungs­

fülle, organische prägsamkeit, bildnerische Potenz im körperhaften Sinn. Ruch das ideale Normziel der organischen Lebensvernunft ist nicht abstrakt, sondern konkret. Dies ist schon aus dem Vorhandensein der „typischen"

Rllgemeingültigkeit hervorgegangen.

c. Lebendigkeit.

Jede Vernunftleistung verlangt, wenn sie wirklich schöpferisch sein und nicht in toten, mechanischen Verknüpfungen leer laufen soll, eine erhöhte synthetische Ronzentration, eine Verdichtung der geistigen Energie,

einen Einsatz lebendiger Kraft. Und nicht nur die vernünftige Sinn-Er-

Zeugung, auch das Sinn-verstehen erfordert eine spontane Regung der geistigen Vitalität. Diese Mitwirkung des plastisch gestaltenden Lebens

ist nun bei den religiösen Bildungsakten, die ja in jeder Weise die inten­

sivste Vernunftbetätigung

zur Voraussetzung haben, zur Vollendung

gebracht. Zur ganzheitlichen Synthese des geistigen Organismus kommt es selbstverständlich nur da, wo der volle Druck des Lebens hinter den

Formprozessen steht.

Mit bloß mechanischen Beziehungen, Aggregat­

bildungen, Rausalverknüpfungen ist gar nichts getan, obwohl auch in solchen eine formale Vernunft walten kann. Die Religion verlangt durch und durch lebendige Vernunft. Und nicht nur das schöpferische Gestalten,

auch das Begreifen einer religiösen Bildung ist ohne lebendige Anteil­

nahme nicht möglich.

Die logische Interpretation erfaßt niemals das

Wesen einer religiösen Seelengestalt oder eines religiösen Seelenausdrucks. Lebendiges Nachschaffen, intuitives Miterleben ist hier zu einem wirk­ lichen Verständnis unerläßlich.

Abschluß. Blicken wir zurück, so ergibt sich nun ein einigermaßen vollständiges

Bild der religiösen Vernunft. Sie ist ganzheitlicher Art. Sie vollbringt die einheitliche Gestaltung des geistigen Seins Kraft der elementaren Norm­

gesetzlichkeit des Lebens und erhebt dieses Leben zu allgemeingültiger Be­ deutung.

Typisch ist die Allgemeingültigkeit der religiösen Seelenstruk-

tur, weil es sich hier um konkrete Gestaltung handelt. Nur dort kommt

es zu vernünftiger religiöser Schöpfung, wo das Leben in unmittelbarer Impulsivität die Form schafft bezw. nacherschafft. Die Merkmale ver­ nünftiger Einheitsbeziehung sind damit in der Hauptsache umrissen. Unsere Übersicht war kurz, aber sie hat doch bestätigt, was wir eingangs aus­

sprachen: die religiöse Vernunft ist Lebensvernunft.

IV. psychologisches. 1. Die religiöse Einheitsbildung. Der Träger der religiösen Geistesbildung ist die Entelechie. Wir haben sie zuletzt nach ihrer normativ-gesetzlichen Gestaltungstendenz be­ trachtet. Nun soll sie noch unter psychologischen Gesichtspunkten kurz ins Auge gefaßt werden.

Die Entelechie, der einheitliche Grundwille des Lebens, bewirkt mittels der religiösen Bewußtseinsorganisation seelische Ganzheit. Jede religiöse

Formschöpfung geht auf die Entelechie als ihren letzten Ursprung zurück.

Daß die religiöse Geistesbildung bei jedem Menschen eine andere Ge­ stalt annimmt, hängt daran, daß die geistige Entelechie, abgesehen davon, das; sie selbst individuell verschieden ist, in verschiedenem psychologischem Material arbeitet, daß die seelische Anlage sowohl ihrer for­

malen Struktur wie qualitativen

Ausprägung und Lebensintensität

nach die größten Unterschiede aufweist. Weil die menschlichen Charaktere außerordentlich stark voneinander abweichen, deshalb entfaltet sich das religiöse Leben in einer Fülle von Spielarten. AIs persönlichste Schöpfung ist die Religion selbstverständlich immer dem psychologischen Grundtyp

angepaßt, sie ist dessen intimste Ausdrucksform. Charakter und Tem­ perament bedingen gerade die religiöse Lebensgestaltung, weil diese die unmittelbarste ist, am tiefsten. So erscheint die organische Grundentelechie, die das ganze Seelengebäude trägt, immer wieder in verschiedenartiger

konkreter Ausprägung. Es mag Sache der Religionspsychologie sein, die verschiedenen Seelen­ typen nach ihrer religiösen Ausformung festzustellen und womöglich voll­

ständig zu klassifizieren. Unsere Aufgabe kann in einer solchen erschöp­ fenden Aufzählung nicht bestehen. Wir betonen nur, daß in jeder religiösen Bildung, auch psychologisch angesehen, eine ganzheitliche Formgestaltung

vorliegt; wie diese, der jeweiligen Individualität entsprechend, im einzel­ nen geartet ist, muß hier unerörtert bleiben. Nur einige Hinweise seien

gegeben. In einfach gefügten Bewußtseinsformen hat es der organische Grundwille des Lebens verhältnismäßig leicht, zu einer ganzheitlichen

Bildung zu kommen. Die innere Einheit ergibt sich für Uaturen, die von Haus aus harmonisch angelegt sind, fast von selbst, das religiöse Erleben

erblüht in frischer Unbefangenheit und wird von der klaren und rein gebildeten Geisteszelle immer neu erzeugt, viel schwerer ist die Arbeit des synthetischen Formwillens in komplizierten, mit zwiespältigen An­ lagen belasteten, stark differenzierten Geistern, hier gestaltet sich die

Einheitsbildung zum Problem, da zahllose Widerstände überwunden, Ab­ gründe ausgefüllt, Spannungen gelöst werden müssen. Die innere Ganz­ heit wird vielleicht erst am Ende eines Kampfreichen, durch schwere Er­

schütterungen hindurchgegangenen Lebens und selbst dann nicht immer vollständig erzielt. Für solche problematischen Uaturen ist die religiöse Haltung, die sinnvolle Seinsdurchbildung durchaus keine Selbstverständ­

lichkeit, sondern eine schmerzvolle Frage. Die Religion erscheint mehr in der Form der Sehnsucht als des Besitzes, der Gespanntheit als der Be­ friedigung, des Wartens als der Erfüllung. So bildet der Gegensatz der

„Naiven" und der „Reflektierten" ein charakteristisches Beispiel vom gleichen Lebenswillen getragener, jedoch verschiedenartig geformter seeli­ scher Ganzheit. Unterschiede, auch qualitativer Art, ergeben sich weiterhin

aus der Lage des seelischen Schwergewichts. 3m vorwiegend intellektuell veranlagten Bewußtsein werden sich auch die Gestaltungsprozesse, die

zur ganzheitlichen Seinsbildung führen, vornehmlich im Intellekt ab­ spielen 3n diesem Gebiet fallen die Entscheidungen. Erkenntnisfragen gewinnen einen außerordentlich starken Einfluß auf die seelische Gesamt­ einstellung. Zwar kann der verstand, wie wir wissen, niemals den Sinn

des Seins finden. Dieser muß aus schöpferischer, einzig in sich selbst ruhender Lebensentfaltung, aus „Glaube" heraus geboren sein. Aber der

Intellekt spricht doch sehr stark mit.

Er kann dem nach Ausdruck ver­

langenden Sinn die Seelentore gleichsam verschließen, oder sie ihm öffnen. Das religiöse Verden des Verstandesmenschen wird in jedem Fall unter

starker intellektueller Betonung vor sich gehen.

Ganz anders wieder

liegen die Dinge bei emotionalen Naturen, für die Gefühlserlebnisse den Ausschlag geben, oder bei Willensmenschen, die sich von der Tat bestimmen lassen. Schließlich noch ein Beispiel für die Mitwirkung des energetischen

Temperaments bei der religiösen Geisteshaltung. Es gibt vulkanische Charaktere, in deren Innerem sich alle Lebensvorgänge im höchsten Affekt vollziehen. Auch das religiöse Leben entlädt sich stoßweise in heftigen Zuckungen,

die von starken Reaktionen abgelöst werden.

sprunghaft,

gespannt,

gewaltsam.

Alles

ist

Demgegenüber stehen die beschau­

lichen Seelen, deren religiöses Leben sanft dahin fließt und die im „Frie­ den" und im „Stillehalten" höchste Beglückung finden. So ließen sich die charaktereologischen Einteilungen weiter durchführen und verfeinern. Das Gesagte genügt aber zur Rennzeichnung des Tatbestandes, daß die religiöse

Bildung immer ganzheitlich, jedoch individuell verschieden geprägt ist. Die neuere Religionspsychologie, insbesondere die amerikanische, hat religiösen Erlebnisformen eingehend beschäftigt und zumal an Berichten religiös Bekehrter ein reiches Beobachtungsmaterial ge­

sich mit

wonnen.

Die mit dem Bekehrungsakt verbundenen, ihm unmittelbar

vorangehenden oder auf ihn folgenden Vorgänge werden festgestellt, mit­

einander verglichen, klassifiziert und somit psychologisch ausgewertet. Womöglich sucht man ein allgemeines Gesetz aus ihnen abzuleiten. Diese ganze Statistik ist selbstverständlich von Interesse. Doch darf man nie aus dem Auge lassen, daß die psychologischen Begleiterscheinungen der Be­ kehrung noch nicht die Sache selbst, sondern etwas verhältnismäßig

Äußerliches, individuell Bedingtes, in gewissem Grade Zufälliges sind.

Die Hauptsache bleibt immer das Wirken der Lntelechie, das sich, wie gesagt, in den tiefsten Gründen des persönlichen Lebens vollzieht. Dieses Wirken kann jahrelang im Geheimen angebahnt sein, ehe es, vielleicht auf Grund eines „zufälligen" Anlasses, zum Durchbruch kommt. Die innere Umgestaltung kann aber auch unter dem jähen Aufflammen plötzlich erregter Schöpferkräfte vor sich gehen. Ganz verschieden ist öie Rolle, die äußere Erlebnisse dabei spielen. So sind also die psychologischen Ausdrucksmittel der seelischen Ganzheitsbildung nicht belanglos, aber auch nicht entscheidend. Sie haben die Bedeutung von Symptomen. Und es ist die Kunst der seelischen Diagnose, durch die Symptome hindurch auf die zugrunde liegenden funktionellen Vorgänge durchzudringen. Trotz der Ausbildung der psychoanalytischen Methode ist die die tieferen Bedingungen erkennende seelische Diagnose ein außerordentlich schwieriges Geschäft, bei dem gerade auch die Nächstbeteiligten mancher Täuschung ausgesetzt sein mögen, indem sie bloße Begleiterscheinungen für Wesentliches halten. Die besten Unterlagen zum psychologischen Verständnis des religiösen Werdens dürften immer noch die Selbstaussagen der religiösen Genies bilden, die ihre geistige Entwicklung, wie es Augustin in seinen Konfessionen tut, mit intuitivem Scharfblick und überlegener Kritik zu meisterlicher Darstellung bringen. 2. Die einzelne religiöse Seelenlage. Wir haben bis jetzt die seelische Gesamtstruktur des religiösen Men­ schen, insbesondere das Wirken der Entelechie betrachtet. Nun wollen wir die einzelne religiöse Bewußtseinslage ins Auge fassen. Auch sie, dem Zu­ sammenhang entsprechend, unter dem Gesichtspunkt der formalen Ganz­ heit. (Es wird sich zeigen, daß jeder religiöse Seelenzustand einen „um­ fassenden" Tharakter hat, daß das religiöse Erlebnis in alle Bewußtseins­ bezirke gleichmäßig ausstrahlt und so den ganzen Menschen ergreift. Darin besteht seine Besonderheit gegenüber jeder anderen Einstellung, deren der Geist fähig ist. Begründet ist diese „totale" Beschaffenheit der religiösen Haltung darin, daß in jedem religiösen Erlebnis der entelechiale Grund­ wille des Lebens zum Ausdruck kommt, der sich als Zentralfunktion aller einzelnen Seelenfunktionen als (Organe bedienen und sie zu seiner Ver­ wirklichung heranziehen kann. Religiöses Erleben kann stets in dreifacher Form nach außen treten: intellektuell, gefühlsmäßig, praktisch. Cs kann sich in die Form religiöser Meditationen kleiden, gefühlsmäßig ausschwingen oder zum praktischen Entschluß reifen. Alle diese Ausdrucksformen sind gleichwertig, sie

Können das, was innerlich gemeint ist, wenn auch mit verschiedenen Mitteln, so doch der Sache nach gleichmäßig wesenhaft wiedergeben. Gb der religiöse Mystiker sich in Reflexionen über die Gottheit bewegt, in ekstatischen Gefühlen schwelgt, oder sich zu glühender Liebestat antreiben

läßt, ist für den innersten Zustand seiner Seele verhältnismäßig gleich­ gültig. 3n allen diesen Formen kann er Entladungsmöglichkeiten für seine

tiefsten Intentionen finden. Dementsprechend macht es dem religiösen Bewußtsein keine Schwierigkeit, die Einstellung zu wechseln und von einer Seelenfunktion zur anderen überzugehen, intellektuelle Meditationen durch

Gefühlsandacht abzulösen und diese in einen Entschluß auslaufen zu lassen. Ruch der Fall ist selbstverständlich denkbar, daß im religiösen Bewußtsein

ein Funktionselement dauernd im Vordergrund steht, während die übrigen

lauter oder leiser Mitschwingen.. Kurz, die Religion schaltet mit sämt­ lichen Bewußtseinsorganen frei. Sie spielt gleichsam aus allen Tasten der seelischen Rlaviatur, schlägt volle Akkorde an, verbindet mehrere Töne

miteinander oder läßt auch nur eine einzelne Saite klingen. Sie kann es,

weil sie unmittelbare Rußerungsform der seelischen Entelechie ist, die hinter allen Seelenfunktionen steht und sich jeder nach Belieben zu be­ dienen vermag. Diese Fähigkeit der Religion zu allseitiger seelischer Ausprägung ist

einzigartig. Rlle anderen geistigen Lebensäußerungen können sich weder „total" ausdrücken, noch von einer Seelenfunktion auf die andere über­ springen. Sie sind streng an einen einzigen, ihnen besonders zugehörenden

Funktionsbezirk gebunden. Vas wissenschaftliche Denken z. 8. kommt vom verstand niemals los. Zwar ist die wissenschaftliche Arbeit, psychologisch

betrachtet, auch von starken Gefühlen begleitet, wie sie weiterhin von dem, der sie betreibt, stärksten Willenseinsatz fordert. Aber der Denkende ver­ mag das Geleise der intellektuellen Verknüpfung nie zu verlassen. (Es ist

unmöglich, einen wissenschaftlichen Gedankeninhalt etwa in ästhetischer weise konform auszudrücken. Die Sprache der Themie läßt sich nicht in die der Musik übertragen.

Ebensowenig geht es an, eine Melodie in der

Tonart der Wissenschaft weiterzuspielen oder ins Ethische hinüberzuführen. Rur gleichnishaft könnte hier eine gegenseitige Stellvertretung der Funk­ tionen stattfinden. Im übrigen fehlt ihnen der natürliche, organische Rontakt. Die seelischen Teilleistungen sind eben aus einer geistigen Speziali­ sierung hervorgegangen und können die damit verbundene funktionelle

Einseitigkeit niemals verleugnen. Die Religion dagegen als ursprüngliche

Ausdrucksform des Lebens hat ihren Sitz im geistigen Zentrum, von dort aus steht ihr der Zugang zu allen seelischen Teilgebieten offen.

So ergibt sich auch von dieser Betrachtung aus, daß die Religion

ganzheitliches seelisches Erleben ist.

3. Einzelelemente.

Den ganzheitlichen Charakter der Religion können wir auch daran nachweisen, daß wir einzelne religiöse Bewußtseinselemente untersuchen und ihre Beziehung zum einheitlichen seelischen Lebensgrund bloßlegen, a. Vie religiösen Vorstellungen.

1. Lebensfülle. Vie religiösen Vorstellungen sind wie alle anderen auf ein Objekt bezogen. Sie sollen ihre gegenständliche Welt durchaus richtig wieder­ geben und somit „wahr" sein. Es ist ein Hauptanliegen der Religion, mög­ lichst genaue Kongruenz zwischen ihren Verstandeszeichen und der von diesen gemeinten Wirklichkeit herzustellen. Rber die religiösen Vorstel­ lungen erschöpfen sich nicht in ihrer sachlichen Bezogenheit aufs Objekt.

Sie bilden darüber hinaus stärkste Assoziationszentren für Gefühle, Ge­ fäße, in die das unmittelbare Leben einströmt, symbolische Rusdrucksmittel innersten seelischen Seins.

Die religiöse Gegenstandsintention ist stets

irgendwie emotional betont. Der „ganze Mensch", nicht nur das Denken fließt in sie ein. AIs Mündungsstellen des seelischen Lebens sind die reli­ giösen vorstellungeen somit selbst lebendig.

Ganz anders der wissenschaftliche Begriff. Er ist Arbeitsmittel und nichts anderes als das, ein Instrument, mit dem Stoff bewältigt werden

soll. Seelisches Leben wohnt ihm nicht ein. Rein sachlich ist er auf die empirische Wirklichkeit bezogen. Die Vorstellung „Maria" löst bei dem frommen Katholiken eine Fülle zartester persönlicher Empfindungen aus.

Bei dem wissenschaftlichen Begriff H2O ist von solchem seelischen Gehalt

nichts zu merken. 2. konkrete Anschaulichkeit.

Aus diesem Grundunterschied: „Lebenssymbol — Handwerkszeug" ergeben sich nun weitere Abweichungen. Die religiöse Vorstellung ist als ein der unmittelbaren seelischen Lebenswirklichkeit entsprungenes Gebilde anschaulich. Sie nähert sich, auch wenn sie Seiendes möglichst kongruent zu erfassen sucht, dem ästhetischen Symbol. Je kraftvoller die Religion

ist, desto höheren Wert legt sie darauf, ihre Vorstellungen plastisch aus-

zuprägen und anschaulich zu unterbauen.

Nur das Anschauliche wirkt unmittelbar, dringt durch das Zachwerk des Verstandes in das Gefühl

und beeinflußt die lebendigen Grundkräfte.

(Es ist ein Zeichen hoher

pädagogischer Weisheit, daß die katholische Kirche der Masse die religiösen

Gegenstände durch anschauliche Vorstellungen (Heiligenbilder) nahe zu bringen sucht, während sich der Protestantismus mehr in einem, nur den

Gebildeten erreichbaren Ideenäther zu bewegen pflegt. Vie Beziehung zum Leben fehlt allerdings auch hier nicht, oder sie sollte wenigstens nicht fehlen,

wird die religiöse Vorstellung zu einem abstrakten Begriffs­

skelett, das nur noch mittels des Verstandes zu begreifen ist, jedoch nicht mehr zu der Seele selbst spricht, so ist dies ein bedenkliches Zeichen

greisenhafter Entartung. Die Meinung Hegels, daß die Religion gegen­ über der Philosophie eine niedere Geistesstufe darstelle, weil sie, statt mit Begriffen, mit Vorstellungen arbeite, ist also nur bedingt richtig, von unserem Standpunkt aus liegt darin sogar ein Vorzug. Vie religiöse Vor­ stellung ist lebensnäher als der abstrakte Begriff. Vie wissenschaftlichen Begriffe dagegen sind abstrakt und müssen es sein. Rur so erweisen sie sich fähig, Stoff zu meistern, große Massen zu bewältigen, mächtige konstruktive Perspektiven zu eröffnen. Ist es in der Religion ein Zeichen von Erstarrung, wenn der unmittelbar anschau­

liche Gehalt einer Vorstellung entflieht und einem nur noch rational faß­ baren Inhalt Platz macht, so gehört es zum Wesen des wissenschaftlichen Begriffs dazu, daß er immer abstrakter, allgemeiner, weltumspannender wird. In beiden Fällen walten also gerade entgegengesetzte Tendenzen.

3. plastische Veränderlichkeit. Schließlich ein Letztes. Vie religiöse Vorstellung ist als organisch­ lebendiges Gebilde in beständiger Verwandlung begriffen. Nichts Leben-, diges beharrt. Wachstum, Entwicklung sind das Zeichen gesunden, unver­ brauchten Schöpferdrangs. Vie organische Grundform bleibt wohl be­

stehen, aber sie entfaltet sich, sie bringt ihre potentiellen Elemente zu voller Erscheinung. Vieser organische Prozeß ist bei sämtlichen religiösen

Vorstellungen nachweisbar. Denken wir allein an die Wandlungen der Vorstellung „Gott", an die plastische Kraft, mit der sich die Vorstellung „Ehristus", immer neue Wesenszüge aus sich herausstellend, im Laus der Geschichte entfaltet hat! So ist es aber mehr oder weniger sämtlichen reli­ giösen Vorstellungsgebilden ergangen. Ihren inneren Reichtum haben sie — mit der Religion selbst — erst nach und nach enthüllt. Dies ist durchaus

in Ordnung. Nur so, durch beständige Selbsterneuerung, zeigen die reli­ giösen Vorstellungen, daß sie lebendig sind?)

Gerade das Umgekehrte zeigt sich wieder bei den wissenschaftlichen Begriffen. Diese sind eindeutig festgelegt, klar umrissen und streben, wenn ihnen noch etwas Schwankendes und Unklares anhaften sollte, nach

immer größerer Präzision. Ls ist klar, daß man nur dann mit ihnen arbeiten kann, daß sich nur dann mit ihrer Hilfe logische Allgemeingültig-

keit erzielen läßt, wenn sie aufs strengste fixiert sind. Die Mathematik, als die exakteste Wissenschaft, arbeitet mit Begriffszeichen, die sich zu einer völlig abstrakten, ohne genaue technische Kenntnis gar nicht mehr

verständlichen Formelsprache entwickelt haben.

Also: die religiösen Vorstellungen sind gefühlsbetont, anschaulich, lebendig-wandelbar, die wissenschaftlichen Begriffe dagegen rein sachlich, abstrakt, starr. Die religiösen Vorstellungen sind organische Gebilde, die

wissenschaftlichen Begriffe künstliche Mechanismen. Die religiösen Vor­ stellungen enthalten geistiges Leben und sind somit — wie alles Leben­ dige — selbstzwecklich- die wissenschaftlichen Begriffe haben die Bedeutung

bloßer Arbeitsmittel. b. Die religiösen Gefühle. 1. Ganzheit.

Wir haben bereits oben darauf hingewiesen1 2), daß die durch die Religion erzielte Formung des geistigen Organismus die Bildung eines einheitlichen Lebensgefühls zur Folge hat. Alle religiösen Einzelgefühle sind Differenzierungen dieses organischen Grundgefühls, das sich im Wechsel

des Lebens nach den verschiedensten Seiten hin auskristallisiert und auf verschiedene Reize jeweils verschieden antwortet. Ls gibt keine Gefühlsgualität, in der es sich nicht auszuprägen vermöchte, kein seelisches Ele­

ment intellektueller, emotionaler oder voluntaristischer Art, mit dem es» keine Verschmelzungen eingehen könnte. So ist die Welt der religiösen

1) Die Dogmengeschichte hat den lebendig-wandelbaren Charakter der reli­ giösen Vorstellungen erkannt. Eine ihrer wichtigsten Bestrebungen ist darauf gerichtet, die zeitgeschichtlich bedingten, vom Leben aus sich herausgesetzten und allmählich starr gewordenen Formen von dem schopferkräftigen, in immer neue Gestaltungen eingehenden Lebens-Plasma selbst zu unterscheiden. Der Durch­ führung dieses fruchtbaren Gesichtspunktes verdankt sie ihre bedeutsame Ergebnisse, gebnisse. 2) Siehe Seite 13.

Einzelgefühle außerordentlich differenziert, ja schlechthin unübersehbar.

Sämtliche religiösen Gefühle jedoch, wie sie im einzelnen auch beschaffen sein mögen, sind dadurch gekennzeichnet, daß sie Entfaltungen des einen organischen Lebensgefühls, d. h. der tiefsten und fundamentalsten Gefühls­

lage des Bewußtseins darstellen, daß sie eine unmittelbare Beziehung

zum organischen Lebensgrund haben und ihn stärker oder schwächer be­ rühren. Durch diese zentrale Bezogenheit auf die Ich-Einheit selbst unter­ scheiden sich die religiösen Gefühle von allen andern. Es gibt zahllose Einzelgefühle peripherischer Art, die sich an der Oberfläche des Bewußt­ seins halten und die innerste geistige Wesenstiefe nicht erreichen. So etwa körperliche Schmerz- oder Lustgefühle, aber auch leichtere ästhetische. Ge­

fühle, Freude am Angenehmen, Nützlichen u. s. f. Die religiösen Gefühle

dagegen dringen stets in Innere. Durch sie wird der Spiegel des Lebens­ brunnens selbst bewegt. Auch wenn sie sich nur in Form zartester Ge­ mütsstimmung äußern, fehlt nie die Beziehung zum innersten Wesens­ grund des Ich. Religiöse Gefühle sind daher in ganz besonderer Weise

stets „persönlicher" Art. Ist jedes religiöse Gefühl eine Ausprägung des organischen Lebens­ gefühls, so kann umgekehrt jedes beliebige Gefühlserlebnis religiösen Charakter annehmen, wenn es nur tief genug dringt, um das organische

Grundgefühl selbst in Bewegung zu setzen. Eine leise ästhetische Stimmung nimmt religiöse Färbung an, wenn sie sich von der Peripherie der bloß

ästhetischen Einstellung aus bis ins Zentrum des Bewußtseins verbreitet

und den Seelennerv selbst berührt. So kann das Bild einer herbstlandfchaft rein ästhetisch aufgefaßt werden. Dringt der Eindruck jedoch tiefer,

wird das Gemüt in persönliche Mitleidenschaft gezogen, so entsteht sehr leicht ein religiöses Gefühl, in unserem Falle etwa das der Vergänglichkeit.

Sittliche Gefühlserlebnisse wachsen zu religiöser Höhe empor, wenn sich

das Ich dadurch in seinem innersten Wesensgrund schöpferisch beeinflußt weiß. Meistens sind es besonders tief einschneidende, den ganzen Menschen erschütternde Erlebnisse, die eine religiöse Empfindung auslösen: gewaltige Schicksalsschläge, übermächtige Liebe, patriotische Begeisterung, bohrendes

Schuldgefühl, aufquellender Dank. Oft wird dabei nicht nur das geistige, sondern auch das biologische Lebensgefühl getroffen und der Organismus

so bis in seine Grundlagen zum Beben gebracht. Mag sich nun das Lebensgesühl auf diese Weise von innen heraus

entfalten oder durch äußere Anlässe in Bewegung gesetzt werden, wenn es in Schwingung gerät, ist der Mensch religiös gestimmt. Religiös fühlen heißt: im Lebensgefühl getroffen fein.

2. (Qualität.

Was die (Qualität der religiösen Linzelgefühle betrifft, so wird man bemerken, daß diese „tiefer" und „dunkler" sind, daß sie mehr „Relief"

besitzen als die übrigen Gefühle.

Religiöse Furcht etwa ist von viel

tieferem Gefühlsgehalt gesättigt, viel schwerer und düsterer und mit qual­

vollerem Grausen gemischt als gewöhnliche Furcht.

Dies liegt daran,

daß bei jeder einzelnen religiösen Gefühlsäußerung der organische Unter­ grund des Bewußtseins in Mitleidenschaft gezogen wird und dem religiösen Erlebnis Nachdruck und Tiefe verleiht. Die religiösen Gefühle haben eine ungeheuere seelische Resonanz, die Totalität des seelischen Seins steht hinter ihnen und die dunkle Lebenstiefe des Geistes tönt in sie hinein.

3. Intensität. Der Stärkegrad der religiösen Gefühle ist wie der aller seelischen

Funktionen einer reichen Abstufung fähig. (Es gibt religiöse Gefühle von der höchsten Intensität, bei denen der Mensch auf Gipfelhöhen des Er­ lebens hinaufgeworfen wird, und dann wieder solche, die wie ein hauch

über die Seele streichen. Bei keiner anderen Gefühlsklasse ist die Inten­ sitätsspannung so groß wie bei der religiösen. (Es dürfte richtig sein, daß die religiösen Gefühle den höchsten Inten­ sitätsgrad aller geistigen Erlebnisse erreichen. Der religiöse Kauschtanz

der Bacchanten und Derwische, die ekstatischen Derzückungen des Mystikers und Märtyrers, -er Fanatismus der Glaubenskämpfer sind Formen höchst möglicher Gefühlsspannung.

(Es scheint sogar, daß alle Gefühle,

wenn sie einen gewissen Höchstgrad der Steigerung erreichen, religiösen

Charakter annehmen, so wie etwa sämtliche Farben bei äußerster Inten­ sität sich dem „Weiß" annähern. So wird gesteigerter Patriotismus ganz von selbst religiös, die Liebe kann zu ekstatischer und damit religiöser höhe hinauflodern uff. Die Region der höchsten Gefühlsgrade ist recht eigentlich die religiöse Region. Im übrigen hängt die Stärke eines Gefühls nicht von seiner zu­

fälligen Intensitätssteigerung, sondern von seiner Stetigkeit ab. Die lang­ andauernden Gefühle sind die eigentlich energetischen. Aber auch in dieser

Beziehung marschieren die religiösen Gefühle an -er Spitze. Sie sind die konstantesten von allen. Das religiöse Fühlen nimmt da, wo es echt ist, zuständlichen Tharakter an. (Es beharrt als gleichmäßige Gefühlslage im

Hintergrund der Seele und begleitet als solche sämtliche im Bewußtsein auftauchenden Einzelgefühle. Und zwar kann das religiöse Gefühl diesen zuständlichen Charakter gewinnen und alle anderen Gefühle von da aus

bedingen, weil es letzten Endes Lebensgefühl ist. Vas Lebensgefühl aber

ist, roo es gesund und kräftig quillt, das tragende Allgemeingefühl. c. Vie religiösen Willensstrebungen.

hinter den religiösen Strebungen steht der „ganze Mensch". Sie stellen

keine zufällig wachgewordenen, wohl gar von äußeren Reizen bedingten Einzelfunktionen dar, sondern sind der Ausfluß des organisch zusammen­

gefaßten geistigen Seins. Sie entstammen der innersten Lebenstiefe. Es ist der einheitliche Lebenswille selbst, der sich durch sie ausdrückt und der je­

weiligen Bewußtseinslage entsprechend, in ihnen besondere Sprossen treibt.

Zweiter Teil: Die Wirklichkeit. Allgemeines. wir haben den geistigen Organismus bis jetzt nach seiner formalen

Innenkonstruktion beschrieben. Vie organische Form kommt jedoch in Wirklichkeit als isolierte Größe nicht vor. Sie steht vielmehr in Wechsel­

wirkung mit einer Umwelt, auf die sie angelegt ist und mit der zusammen sie ihr Leben führt. Alles Lebendige braucht diese Bezogenheit auf eine

Umgebung. So wesenhaft es für den Organismus ist, ein in sich selbst zusammenhängendes Zormgebilde zu sein, genau so wesensnotwendig

ist es für ihn, einen Kreis um sich herum zu haben, auf den er sich bei seiner lebendigen Tätigkeit richtet, wenn wir in dieser Arbeit oom Or­ ganismus handeln, so kann das Vorhandensein der die organische Einheit

umgebenden Seinssphäre nicht unberücksichtigt bleiben. wir haben es hier mit der Umwelt des geistigen Organismus zu tun,

mit der Sphäre, die der Geist Kraft der ihm verliehenen Organisation aus dem Wirklichen ausschneidet und gestaltet. (Es ist ja nicht so, als ob alle Grganisationsformen von der gleichen Wirklichkeit umgeben wären' jede lebt in der Welt, die ihr gemäß ist, zu der sie mit ihren Organen den Zugang findet, die sie sich mittels ihrer funktionellen Werkzeuge er­ öffnet. Vie geistige Sphäre nun ist das Sein, welches sich um das mit

bestimmten geistigen Organen ausgestattete Bewußtsein herum auf­ baut. Also die Welt der Gesetzmäßigkeiten, die sogenannte „Natur" der

Wissenschaft, die Welt der ästhetisch geschauten Bilder und der ethischen

Zusammenhänge. Schließlich die Welt der Religion. Mit diesen vom Geiste selbst getragenen Seinsbezirken haben wir zu rechnen. Ein Ving an sich,

schlechthin abgesondert von jeder Ichbeziehung, gibt es, wie wir seit Kant wissen, für uns nicht. Es gibt nur eine Welt in Bezug auf das Bewußtsein. Bei dieser genauen Entsprechung von Ich und Umwelt ist es nicht

verwunderlich, daß wir die gesamte Zormgesetzlichkeit des Subjekts im Objekt wiederfinden. Das Bewußtsein drückt dem Stoff seine Kate-

gorien auf, es prägt ihn entsprechend den in ihm angelegten Struktur­ prinzipien. So werden uns also in diesem zweiten Teil dieselben formalen Verhältnisse, die wir an der geistigen Organisation kennen gelernt haben,

wieder begegnen. Nun allerdings nach außen verlegt und dadurch doch wieder ganz anders.

I. Das religiöse Weltbild. 1. Die geistigen Teil ansichten der Wirklichkeit, wir gehen von dem Grundsatz aus, daß die Welt dem Bewußtsein

nur so weit erscheint, als dieses Organe hat, sie zu fassen. (Es besteht eine genaue Korrelation zwischen funktioneller Bewußtseinsausstattung und

Wirklichkeitsbild. Vie Seins-Ansicht ist immer die „Schöpfung" der auf die gegenständliche Welt gerichteten Organisation. Das Ich holt aus der Wirklichkeit immer nur so viel heraus, als es seine technischen Mittel

gestatten.

(Es kann dabei den Kreis des von ihm geistig Perzipierten

selbst verengern oder erweitern,

wird nur ein geistiges Teilorgan in

Bewegung gesetzt, richtet sich das Ich nur mit einer seelischen Sonder­

funktion auf die äußere Wirklichkeit, nimmt es einseitig Stellung, so erscheint auch das Sein nur von einer bestimmten Seite her. (Es öffnet

sich so weit, als seelische Instrumente vorhanden sind, um es zu erschließen, a. Die Einseitigkeit der „funktionellen" Seinsauffassungen.

1. Die wissenschaftliche Weltansicht. Vieser Tatbestand tritt recht deutlich zu Tage, wenn wir die wissen­ schaftliche, d. h. die allein von der intellektuellen Funktion, dem verstand,

getragene Weltansicht ins Huge fassen. Der verstand arbeitet mit Be­ griffen und Gesetzen. Deshalb bekommt er ein durchaus „abstraktes" Bild vom wirklichen. Die Wirklichkeit erscheint als ein Gewebe von Funk­ tionsbeziehungen, als ein schattenhafter Atomentanz, als sinnloses Zu­ fallsgebilde. Alles Individuelle ist ausgelöscht und in quantitative Be­

standteile zerlegt, alles Konkrete in mechanische Aggregate verwandelt,

alles Lebendiges auf Totes zurückgeführt. Die Welt ist ein Mechanismus.

(Es ist nun unbestreitbar, daß diese mechanische Weltansicht insofern

„richtig" ist, als sie objektive Beziehungstatsachen offenbar sehr genau „trifft" und wiedergibt. Die Wirklichkeit läßt sich — wenigstens in ihrem unorganischen Bestand — mittels der wissenschaftlichen Auffassungsweise berechnen und beherrschen. Insofern hat das gesetzmäßig-abstrakte Welt­

bild einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Wirklichen. Aber auch Rdolph, Organische Grundlagen der Religion.

6

das ist sicher, daß die mechanische Weltansicht nicht das ganze Sein dar­ stellt und restlos erschöpft. (Es ist nur so weit wiedergegeben, als die stuf»

sassungsmittel des Verstandes zureichen, als es mit Hilfe von abstrakten Begriffen bewältigt werden kann.

Der verstand hat nur die ihm zu­

gängliche! und faßbaren Wesenszüge des Seins fixiert und herauspräpa­

riert. (Er hat gleichsam nur das anatomische Gerüst der Wirklichkeit sicht­ bar gemacht. So bietet die Wissenschaft nicht ein falsches, aber auch nicht ein volles Bild des Seins, sondern nur seine verstandesmäßige Inter­

pretation. Wir sehen die Welt vor uns, wie sie erscheint, wenn sich ihr das Ich mit dem Teilorgan des Intellekts zuwendet, wenn es einseitig „wissen­ schaftlich" zu ihr Stellung nimmt. Daß das Weltbild des Verstandes einseitig ist, erkennt man vor allen

theoretischen Erwägungen schon daraus, daß es auf die unmittelbare, lebendige Empfindung einen gespensterhaften Eindruck macht.

Zechner

hat von der „Nachtansicht" der Wissenschaft gesprochen. Die Welt der abstrakten Gesetze, Mechanismen, Rtome ist nicht unsere Welt, vor allem will sich das lebendige Bewußtsein nicht ausreden lassen, daß das Reich

des Individuellen, Konkreten, Lebendigen nur ein sekundäres Bildungs­ produkt und gegenüber der „eigentlich" wirklichen Welt der Ntome ein Unwirkliches oder nur ein Wirkliches zweiten Ranges fei. Zür die naive Empfindung ist das Konkrete etwas durchaus Wesenhaftes, ja die ganze Welt erscheint ihr als ein einmaliges Ding mit bestimmter, individueller Gestalt. Wir wissen heute, daß der sogenannte gesunde Menschenverstand

recht hat. Die wissenschaftliche Welt ist eine künstliche Konstruktion, die

über dem Sein errichtet ist, eine begriffliche Maschinerie, um den Stoff zu formen und technisch zu bemeistern. Eine wirkliche „Erkenntnis" im

tiefsten Sinn, eine unmittelbare, erschöpfende Wiedergabe der Wirklichkeit

wird damit nicht gewonnen. 2. Das ästhetische Weltbild.

Statt des Verstandes kann das Ich jedoch auch sein ästhetisches Grgan, das ästhetisch wertende Gefühl, vorschicken und durch seine Vermittlung

zum Sein Stellung nehmen. Dann entsteht ein ästhetisches Weltbild. Dieses ist nun ganz anders geartet als das wissenschaftliche, ihm in vieler Beziehung sogar entgegengesetzt. Statt der abstrakten Gesetzeszusammen­ hänge erscheinen individuelle Zormen, statt toter Stoffaggregate beseelte Einheiten, statt sinnloser Zufallsprodukte sinnvolle Zweckgebilde. Streicht die Wissenschaft das Konkrete als unwesentlich, so spielt dieses für die ästhetische Weltbetrachtung gerade die Hauptrolle. Erscheint die gesamte

Welt für den verstand als ein großer Mechanismus, so erhebt sich die

ästhetische Weltanschauung zur genialen Intuition eines im Urgrund der Dinge waltenden kosmischen Genies, dessen schöpferische Entfaltungen alle Einzelgestalten des Seins sind. Uber auch die ästhetische Weltansicht ist nicht ganzheitlich. Mag die Welt als eine Brutstätte erotischer Schöpferkräfte, als schiefermäßiges

Idyll, als ein Schauplatz dramatisch abrollender Prozesse, als launisches Spiel eines überlegenen Geistes oder wie immer erscheinen — alle diese ästhetischen Auswertungen und Deutungen sind irgendwie einseitig und

erschöpfen nicht das Ganze. Die Welt erscheint im Zauberlicht der Illusion, sie liegt gleichsam in bengalischer Beleuchtung, ein farbiger Schleier ist über sie geworfen; aber gerade dadurch ist manches an ihr überdeckt, ge­ schminkt, verklärt.

Das Realistische im derben Sinn tritt nicht scharf

genug hervor. Der Ernst und der unerbittliche Zwang der Wirklichkeit

scheint übersehen. Alles, was mit schicksalsmäßiger Gewalt über den Menschen hereinbricht, was ihn zum Kampf nötigt und praktisch-sittliche Forderungen an ihn stellt, kommt irgendwie zu kurz. Die ästhetische Welt­ anschauung achtet eben nur auf das, was der künstlerischen Phantasie und dem Schönheitsgefühl gemäß ist. Alles weitere existiert für sie nicht.

So ist auch das ästhetische Weltbild eine einseitige, von bestimmten Or­

ganen getragene Geistesschöpfung. 3. Die ethische Weltbetrachtung.

Ähnlich liegen die Dinge bei einer ethischen Weltbetrachtung, deren funktioneller Träger recht eigentlich der sittliche Wille ist. Für chn er­ scheint die Wirklichkeit als ein Reich mit sittlichen Ordnungen, Gesetzen,

Zielen. Wo immer sich sittliche Zusammenhänge im Sein zeigen, da werden sie herausgehoben, systematisch bezogen und als das eigentliche Wesen der Welt gefaßt. Ls ist jedoch klar, daß auch das ethische Weltbild nur

eine Art Auslese, eine einseitige Konstruktion des Wirklichen darstellt,

b. Die „oberflächliche" Beschaffenheit der partialen Weltdeutungen. Die Organe des geistigen Lebens sind partialer Art, sie verfügen nur

über spezifische Mittel und können daher auch nur einen Teil der Wirk­ lichkeit erfassen, nur einen Ausschnitt von ihr geben. Aber noch mehr. Sie sind in gewisser Hinsicht „oberflächenhaft". Das Leben hat sie für einen bestimmten, verhältnismäßig äußerlichen Zweck aus sich heraus­ gesetzt; so etwa den verstand, um den Stoff zu beherrschen. Diesem

funktionellen Arbeitszweck kommen die seelischen Einzelorgane denn auch 6*

nach, stuf das Sein angewandt erzeugen sie nur solche Bilder, die mit

ihrer technischen Bestimmung Zusammenhängen. Die Wirklichkeit bis ins

Innerste zu ergründen, sie ihrem tiefsten Wesensgehalt nach zu erschöpfen, das ist nicht ihre Sache. In den letzten Weltengrund, in das Metaphysische dringen sie nicht ein.

1. Der wissenschaftliche Positivismus. •

Die mechanistisch betriebene Wissenschaft ist mit methodischer Absicht­

lichkeit oberflächlich. Sie behauptet in ihrer positivistischen Lndgestalt, daß die empirisch faßbare, der sinnlichen Anschauung und begrifflichen Reflexion zugängliche Wirklichkeit das Ganze und Letzte der Dinge sei, und daß

überhaupt nichts dahinter stecke. Das Sein erschöpft sich für sie in dem gesetzmäßigen Kausalzusammenhang, den sie konstituiert. Anderes „ob­ jektives" Sein gibt es in ihren stugen nicht.

Rur subjektives Meinen,

Gefühlsschwärmerei und phantastisches Begehren können ihrer Ansicht

nach eine Hinterwelt aufbauen. Für sie, als exakte Seinsbetrachtung, ist jede Metaphysik erledigt. Schon die Frage nach einem „stn sich" hinter den Erscheinungen, nach dem „Wesen" der Dinge, nach der „eigentlichen" und „letzten" Wirklichkeit erscheint ihr verboten. Sie beschränkt sich mit

vollem Bewußtsein auf den induktiv faßbaren Stoff. Sie ist aus Prinzip und Methode oberflächlich eingestellt. 2. Die ästhetische Wirklichkeitsdeutung. Wie verhält es sich nun mit der ästhetischen Wirklichkeitsbetrachtung?

Kann sie das „wesen" der Dinge erfassen und zu voller Darstellung bringen? Zwei Gründe hindern sie daran, bis in den innersten Seinskern

vorzudringen und das Letzte über die Wirklichkeit auszusagen. Einmal ihre bereits öfter erwähnte Bindung an das Individuelle. Die ästhetische

Weltbetrachtung ist heimisch in der Welt des Besonderen, wo das „principium individuationis“ herrscht. Die Sphäre der individuellen Zer­ stückelung, der schönen, aus der gestaltlosen Seinsmasse herausgehobenen und" organisch umrahmten Sonderformen kann in ihrer Bedingtheit nie­

mals das „Letzte" sein. Dies weiß die Mystik, die durch alle Teilbildung hindurch zum „Einen" hindurchdringt, in dem alle Schranken der Abson­ derung, die für die Ästhetik wesensnotwendig erscheinen, hingefallen sind. Eine Kunst, die den Rahmen des Individuellen sprengt, die, statt sich mit der Anschauung des Besonderen zu begnügen, das „Absolute" anschauen wollte, gäbe sich damit selbst auf. Das Unbedingte ist für die Kunst, die auf das Konkrete angewiesen bleibt, nicht darstellbar, was sie aber nicht

darstellen kann, das ist transzendent zu ihr.

Und nun kommt noch etwas hinzu, was den verhältnismäßig meta­

physikfernen Charakter der ästhetischen Einstellung zum Sein verstärkt: sie ist durchaus an die Erscheinung im äußerlichsten Sinn, an den Stoff, gebunden. Das ästhetische bedarf stets der Materie zur Verwirklichung.

Sei es, daß es Laute und Buchstaben, Farben oder Töne, Holz oder Stein

als Darstellungsmittel wählt, es braucht immer einen „Körper", um sich zu verleiblichen, es wird nur wirklich als materielles Gebilde — Materie

hier im weitesten Sinn genommen. Das organische Leben aber steht hinter dem Stoff, der Geist erscheint in materiellen Ausdrucksmitteln, aber er

selbst ist durchaus immateriell. Die methaphysische Wirklichkeit — wenn

es eine gibt — ist jedenfalls eine Größe, die allem Stofflichen trans­ zendent ist, zu der man durch den Stoff hindurch Vordringen muß. Dies aber vermag die mit dem Stoff unwiderruflich verbundene Ästhetik nicht,

oder doch nicht völlig. Sie bleibt im Reich der Erscheinungen hängen. Sie

kann wohl den Schleier der Gottheit fassen, doch nicht diese selbst. So ist die ästhetische Weltanschauung an den Schein gebunden: an die Welt der individuellen Einzelqualitäten und der stofflichen Ausprägung.

Sie erreicht weder den letzten Zusammenhang noch die letzte Tiefe des

Seins. 3ns Wesen dringt sie nicht hinein. 3. Die ethische Weltkonstruktion.

Die Welt als ethisches Phänomen kann schon deshalb nichts „Letztes" und „Wesenhaftes" fein, weil der Ethik die kosmischen Bezüge fehlen. Das Ethische zeigt sich durchaus auf die menschliche Sphäre beschränkt. Es

ist letztlich ein soziales Ergebnis, das schon an den Grenzen des Tierreichs endet und in der unorganischen Natur überhaupt keine Stätte mehr hat. Kann man in einer Erscheinung von solch schmaler Basis die spezifische und wesensgemäße (Offenbarung des Weltengrundes sehen, der alles Ge­ schaffene tragen soll? Aber es kommt noch mehr hinzu. Das bloß Mora­

lische deckt sich, wie schon oben dargetan wurde, niemals mit -der vollen schöpferischen Lebenstiefe. Das Genie, in dem sich die Gewalt meta­ physischer Wirklichkeit wohl am reinsten enthüllt, ist mit bloß moralischen Formeln nicht zu fassen. Es steht in gewisser Beziehung, genau wie der religiöse heilige — so seltsam dies letztere auch Klingen mag — „jenseits von Gut und Böse". Auch bleibt das Moralische als bloßes „Gesetz" dem

Leben fern, genau so gut wie das Naturgesetz. Die „sittliche Weltordnung" in ihrer abstrakten Zwangsläufigkeit wirkt doch wie ein starrer Mechanis­ mus, der das konkrete Sein vergewaltigt und seine freie schöpferische Fülle

nicht verständlich machen kann. So läßt sich das Wesen der Wirklichkeit

vermittels einer moralischen Konstruktion nicht heben. Vie Welt ist zu tief, um ein bloßes Moralphänomen zu sein. In dieser Beziehung hat Nietzsche zweifellos recht. c. Der symbolische Charakter der organischen Teilausfassungen

des Wirklichen.

Den Anspruch der wissenschaftlichen, ästhetischen und ethischen Welt­ ansichten, den tiefsten Gehalt des Wirklichen zu erschöpfen, muß man

zurückweisen. Wenn jede einzelne dieser Weltanschauungen, wie es immer wieder geschieht, verselbständigt und zu metaphysischem Höchstrang hinauf­ gesteigert wird, ist jede Aussicht versperrt, die Wirklichkeit völlig zu er­

gründen. (Es kommt dann immer nur zu oberflächenhasten Ausbeutungen.

Anders wird die Sache, wenn man den vorläufigen Charakter dieser bloß funktionellen Veutungsversuche erkennt. Dann werden sie zu wichtigen

Etappen auf dem Weg zum wahren Sein. Dann bekommen sie den Wert

symbolischer Hilfsmittel, die über sich hinausweisen auf eine von ihnen nicht voll erschlossene, aber angedeutete Seinstiefe.

1. Die metaphysische Vertiefung des wissenschaftlichen Weltbilds. Vas Gesagte gilt selbst schon für das Weltbild der Wissenschaft. Frei­

lich nicht für das der kausalgesetzlich-mechanischen. los metaphysikfeindlich und oberflächenhaft.

Diese ist hoffnungs­

Aber es gibt auch eine

Wissenschaft — und sie ist neuerdings in gewaltigem Vormarsch begriffen — die die ganzheitlichen Gebilde nicht zerstört und in elementare Letzt­ bestandteile quantitativer Art auflöst, sondern in der „Form" etwas Letztes, ein selbständiges Seinsprinzip sieht. Wir denken hier vor allem an die Biologie, die den Begriff der Lntelechie und der Dominante ge­ schaffen hat, an die Psychologie, die wieder mit Gestaltqualitäten arbeitet,

an die Geschichtsphilosophie, die lebendig wachsende historische oder kul­

turelle Lebensformen annimmt, an die Soziologie, die im Staat einen Organismus sieht, und dergleichen. Zahlreich sind die Philosophien, die den Kosmos selbst als eine organische Wirklichkeit zu bestimmen suchen. Und zwar ist es nicht nur die intuitive Philosophie, die sich gefühlvoll

in wesenhafte Einheit versenkt oder das Wesen „schaut". Methodisch fort­

schreitendes Denken, das von der Empirie herkommt und sich an ihr ge­ schult hat, fordert die Annahme letzter metaphysischer Formganzheiten,

Personeinheiten, Entelechien. Ist aber erst die „Form" in der vollen or­ ganischen Bedeutung des Begriffs als methaphysifches Prinzip aufgestellt,

dann öffnen sich transzendente Lebenstiefen. Venn die organische Form ist

ja immer Ausdrucksmittel des Lebens. Wo aber als metaphysischer Seins-

gründ nicht ein Gesetz, ein ästhetisches Prinzip, eine Dränung, sondern

echtes Leben erscheint, da ist die Grundlage für sinnvolle und schöpferische Weltgestaltung gewonnen. Die Wissenschaft kann „Gott" nicht beweisen,

aber sie kann, indem sie die Wirklichkeit organisch deutet, in seine Nähe führen?) 2. Vie symbolische Bedeutung der ästhetischen Erscheinungswelt. Dasselbe trifft nun, und zwar in noch höherem Maße, für die ästhe­ tische Weltansicht zu.

Gewiß kann das Absolute im Individuellen nicht

voll erscheinen. Gewiß reicht die konkrete Einzelgestaltung nicht aus, um

die letzte Weltentiefe zu erschöpfender Darstellung zu bringen. Aber wir können sie durch die ästhetischen Lebensformen hindurch ahnen.

Kile

künstlerischen Gebilde sind letzten Endes untereinander verwandt.

Sie

stellen typisch erhöhte Formen dar und weisen gerade damit hinter sich

zurück auf den göttlichen Archetypus, von dem sie abstammen. Dieselbe

methaphysische Lebenstiefe spricht uns durch sie hindurch an. wir haben den unmittelbaren Eindruck, daß in allen genialen Kunstwerken, bei aller räumlicher,

zeitlicher und

qualitativer

Verschiedenheit

zuletzt derselbe

lebendige Grundsinn zum Ausdruck kommt. Auch die ästhetischen Natur­

gebilde zeugen von einer einzigen, schöpferischen Wirklichkeit, die hinter

ihnen steht. Insofern hat der wesentlich ästhetisch normierte Pantheismus,

der die Einzelgestaltungen auf einen einheitlichen göttlichen Urgrund zurückführt, recht,

was nun schließlich die stoffliche Erscheinungsweise

anlangt, so bleibt es dabei, daß die Kunst an die Materie gebunden ist.

Aber durch die materielle Bildung strahlt ein Geistiges hindurch und redet zu uns, ein geheimnisvolles Leben teilt sich mit. Und gerade weil in den

Kunstwerken das Ideelle mit dem Stoff restlos vermählt ist, ihn völlig durchdringt und vergeistigt, kann dieser zum Grgan durch ihn hindurch x) vergleiche Hans Driesch, Philosophie des Organischen. 2 Bände. Leip­ zig 1909. „weist nun aber nicht diese hypothetische statische Harmonie auf ge­ wissen Gebieten der Natur zurück auf eine ursprüngliche primäre Entelechie, welche sie gemacht hat, ganz ebenso wie ein Künstler einen Gegenstand der Kunst macht? (Es scheint mir, daß wir trotz der Möglichkeit eines unendlichen zeitlichen Regresses, dem wir hier begegnen, gezwungen sind anzunehmen, daß diese primäre Entelechie im Universum — ich sage nicht „des" Universums — existiert, sobald wir eine universelle Naturharmonie überhaupt annehmen." — (Bd. II, S. 390). „3m Sinne einer primären Entelechie der Bauordnung der Welt... also im Gegensatz zu bloßem „Material", tritt der Begriff Gott als eine ewige Aufgabe der Wissen­ schaft auf,- unerkennbar, wie auch alle Religionen behaupten, und nur, wie alles Absolute, durch Analogien erreichbar." (Bk II, S. 391.)

leuchtender Lebenswirklichkeiten werden. So schafft die Kunst zwar immer nur Symbole des Metaphysischen. Hber das letzte Wirkliche findet — ab­

gesehen

dop.

den religiösen Gestaltungen — vielleicht keine besseren Inter­

pretationsmittel als die ästhetisch verklärten Formen. 3. Die sittliche Weltanschauung und das letzte Wirkliche. Auch die moralische Wirklichkeitsauffassung leitet zu letzten Welten­

tiefen hin. Gewiß besteht Moral in Normen, Prinzipien, pflichtgeboten,

und insofern ist sie etwas Äußerliches. Man kann das Ethische, wie dies

im Protestantismus die Regel ist, jedoch auch als Gesinnung, als schöp­

ferische Lebensentfaltung, als innersten, geistigen Wesensausdruck verstehen.

In diesem Fall gewinnt die „Moral" unmittelbaren Anschluß an das Tiefste, was es für uns gibt, an das Leben. Und wenn nun die ethischen Phänomene der Wirklichkeit in dieser lebendigen Weise aus einem schöp­ ferischen Geistesgrund abgeleitet werden, wenn sich eine metaphysische

„Gesinnung" in ihnen enthüllt, dann werden entscheidende Wesenszüge des wesenhaft Göttlichen erfaßt. 2. Der synthetische versuch der Philosophie.

Die Einseitigkeit und Dberflächenhaftigkeit der bis jetzt geschilderten Weltbilder, die über sich hinaus auf Tieferes Hinweisen, sucht die Philo­ sophie zu überwinden. Sie will eine ganzheitliche Weltkonzeption liefern,

in den innersten Kern des Seins dringen, den Sinn der Wirklichkeit finden und von da aus alles Einzelne verstehen. In der Tat gelingt ihr eine solche ganzheitliche Bewältigung des Seins in genialen, aus der tiefsten Lebenswirklichkeit intuitiv geborenen Geistesschöpfungen. Die großen

Philosophien sind keine bloße Verstandessache, ihr Weltbild ist nicht rein rationaler Art, es ist aus dem Geiste gezeugt. Das Leben selbst, nicht eins seiner (Drgane, hat an ihm gewoben. Die Persönlichkeit des Philosophen

mit ihrer schöpferischen Totalität, mit ihrer tiefen Verwurzelung im Lebensgrund ist der (Quell der machtvollen philosophischen Weltdeutungen.

Aber die Philosophie verdirbt sich ihre genialen Intuitionen gewöhn­ lich durch begriffliche Abstraktion. Die Verwissenschaftlichung der geist­ vollen Weltdeutung setzt ein, die blanke ratio siegt und saugt der leben­ digen Urschöpfung — die oft viel besser eine mythisch-dichterische Dar­

stellung erfahren hätte, — das Blut aus. So sind denn die philosophischen Weltbilder letzten Endes wie die wissenschaftlichen wieder „begrifflicher" Natur. Ein abstraktes Weltprinzip

wird angesetzt, von dem aus alles Empirische abgeleitet werden soll, das

sich aber selbstverständlich nicht mit der Fülle des konkreten Seins deckt. Wir führen einige dieser Weltprinzipien, die im Lauf der Geschichte als „letzte" gedient haben, auf: der Geist, das Ich, die Monade, die Form, die Idee, der Wille, die Empfindung, das Unbewußte, das Absolute, die

Substanz, die Materie, das Atom, die Energie, das Gesetz u. s. s. Sie sind

alle angekränkelt von des Gedankens Blässe und deshalb nicht wirklich ganzheitlick und wesenhafter Art.

3. Das ganzheitliche, religiöse Weltbild.

a. Die Icheinheit als Träger der religiösen Weltanschauung.

Zu einer wirklich synthetischen Gesamtauffassung des Seins bringt es allein die Religion. Und zwar deshalb, weil sie bei ihrer Wirklichkeits­ organisation nicht von einem seelischen Einzelorgan, sondern der orga­ nischen Ich-Form selbst ausgeht. Deshalb ist sie, wie sie sich als umfassende Lebensgestaltung erwies, auch ganzheitliche Weltanschauung. Eine seelische Teilfunktior. kann immer nur Teilbilder des Wirklichen liefern. Richtet

sich die geschlossene Ich-Form, die hinter allen ihren Funktionsgebieten steht,

in ungeteilter Einheitlichkeit auf das Sein,

so werden die gei­

stigen Einzelbilder der Wirklichkeit erfaßt und in einem Gesamtbild auf­ gehoben. Das Verhältnis der Weltbilder entspricht ganz dem der seelischen Funktionen. Wie das Ich seine einzelnen tvrgane umgreift und abschließt,

so faßt auch das Weltbild des Ich die funktionellen Linzelaspekte des Seins in einer letzten übergreifenden Synthesis zusammen. Das Ich ist aber nicht nur die formale Einheit seiner Teilgebiete, sondern auch Lebens­

form. In ihm entfaltet sich die geistige Lebenssubstanz in ungebrochener Ganzheit. Die seelischen Einzelsunktionen sind peripherischer, oberflächenhafter Art. Das Leben selbst, das als Urgrund hinter seinen Verzwei­

gungen steht, ist wesenhaft und tief. Die geistigen Außenorgane machen an der Wirklichkeit nur äußerliche Erfahrungen und erzeugen oberfläch­

liche Weltbilder. Das Leben jedoch dringt mit intuitiver Kraft durch alle Außenansichten hindurch ins Wesenhafte. Es bemüht sich um eine er­ schöpfende Deutung des Seins. Es findet Anschluß an die Tiefe der Dinge. So ist das religiöse Weltbild als Schöpfung der organischen Lebensform sowohl ganzheitlich wie wesenhaft. Es bildet mit einem Wort die Er­ füllung der organischen Wirklichkeitsauffassung überhaupt. Soweit das

Sein vom menschlichen Bewußtsein ergründet werden kann, geschieht dies

in der Religion.

b. Organische Gestaltung des religiösen Weltbilds. wie sieht nun das Weltbild der Religion aus? In formaler Beziehung kann man bei Beschränkung auf die einfachsten Wesenszüge zunächst fol­

gendes aussagen: Vie Religion läßt die Einzelbilder des Wirklichen un­ angetastet stehen. So streicht sie das Weltbild der Wissenschaft keineswegs.

Der Gesetzesmechanismus ist ihr eine durchaus sachentsprechende Rusdrucksform der Wirklichkeit. Aber er ist nicht das Ganze. Vas Gleiche gilt von

der ästhetischen Weltgestaltung. Ruch diese kann in ihrer konkreten Bunt­ heit bestehen bleiben. Rber sie bedeutet nicht mehr als eine besonders aus­ geprägte Teilentfaltung des Seins. In gleicher Weise behält die sittliche Weltordnung ihre Berechtigung. Nur drückt auch sie wiederum bloß eine

einzelne Seite des Wirklichen aus. Dieses Wirkliche selbst geht in keiner

der hier dargestellten Weltaspekte auf. (Es trägt sie als bloße Momente in sich, wächst über sie hinaus und hebt sie in seiner übergreifenden Einheit auf. Rls organische „Synthesis" ist dieses „Ganze" selbstverständlich nicht

mit der Summe der einzelnen Weltgestaltungen identisch, sondern „mehr" als sie und damit „ganz anders".

Die empirischen Weltbilder erscheinen der Religion jedoch nicht nur als Ausschnitte des Seins, die die Seele mittels ihrer verschiedenen Organe

aus der Wirklichkeit herausholt, sondern auch als Dberflächenbilder. Vie Religion macht mit der symbolischen Auffassung der Welt Ernst. Sie sieht sowohl in dem von der Wissenschaft festgestellten mechanischen Gerüst, wie im ästhetischen Bilderkreis und der ethischen Ordnung bloß äußerliche Er­

scheinungsformen eines wirklichen, das wie durch einen Schleier hindurch­ schimmert, jedoch durch diesen mehr verhüllt als offenbart wird, von diesem Wirklichen, das als „Wesen" hinter den Dingen steht, läßt sich in

formaler Hinsicht so viel aussagen, daß es den gemeinsamen Grund der empirisch faßbaren Wesenszüge des Seins abgeben muß. Es muß für eine organische Betrachtungsweise so beschaffen sein, daß es die Merkmale des Mechanischen, schöpferisch Ästhetischen und zweckvoll Ethischen gleicher­

weise an sich trägt. Dazu aber ist eine lebendige Wesensgestaltung

erforderlich. Nur das Ronkret-Lebendige kann, wie die Analogie des Be­ wußtseins deutlich zeigt, Grund und Boden so vieler verschiedener 8eziehungsformen sein, wie es die mechanische, ästhetische und ethische Ord­

nung sind. Dieses Lebendige-wesenhafte der Welt wird nun von der Re­

ligion keinesfalls, wie wir es hier tun, formal erschlossen, sondern un­ mittelbar intuitiv erlebt. Vie letzte Lebenstiefe des Bewußtseins findet in der Religion unmittelbaren Anschluß an die lebendige Seinstiefe der

Wirklichkeit.

Ls handelt sich hier um einen schlechthin eigenartigen

Lrlebnisakt. Ihn näher zu beschreiben ist in dieser Arbeit, bei der wir uns bewußt auf formale Linienführung beschränken, nicht unseres Amts. Vie Religion nennt das letzte wirkliche, das alle Weltgestaltungen

umfassend in sich trägt und allen Erscheinungen wesenhaft zu Grunde liegt: „Gott". Gott ist Ganzheit und Ursprung. Lr ist die letzte organische Seinstiefe.

II. Lrkenntnistheoretisches. Wir haben uns in dieser Arbeit die Aufgabe gestellt, zu beschreiben,

nicht zu begründen. Diese Aufgabe ist mit der Hervorhebung der ganzheit­ lichen Wesenszüge des religiösen Weltbildes an sich erledigt, wir wollen jedoch noch einige erkenntnistheoretische Anmerkungen machen, aus denen ersichtlich wird, daß die religiöse Weltanschauung nicht auf Willkür oder

Phantasie beruht, sondern in dem Vernunftsystem des Bewußtseins recht­ mäßig begründet ist und die fundamentalste Form der geistigen Wirklich­

keitsorganisation überhaupt darstellt. Freilich kann der hierbei in Be­

tracht kommende Fragenkomplex nicht seinem ganzen Umfang nach be­ handelt werden. (Es muß genügen, einige formale Umrißlinien zu zeichnen, die die ganzheitliche Struktur des religiösen Apriori betreffen.

1. Die Kantische Einstellung. Der erkenntnistheoretische Idealismus kantischer Herkunft kann eine

„wahre Wirklichkeit" hinter dem empirischen Sein nicht als möglichen Gegenstand einer wissenschaftlichen Weltbetrachtung gelten lassen. Wenn er auch das Vorhandensein eines „Ving an sich" anerkennen mag und dieses als Grenzbegriff stehen läßt, so hat doch die Frage nach seiner näheren Beschaffenheit keinen Sinn, da „wirklich" für die Wissenschaft

nur die von der Vernunft gesetzte und logisch aufgebaute Welt ist.

Im

Rahmen der verstandesmäßig faßbaren Natur kann sich der Geist bis an die äußersten Grenzen ergehen und immer tiefere Erkenntnisse zu ge­

winnen hoffen. Aber darüber hinaus reicht seine Zuständigkeit nicht. Soll die Frage nach Gott überhaupt aufgeworfen werden, so könnte es nur

so geschehen, daß man eine religiöse Kategorie im Verstandessystem auf­ zuweisen trachtete, der die Gottes i d e e entspränge. (Es gälte ein religiöses Apriori bloßzulegen. Dies wäre wohl das Äußerste, wozu man es vom

Standpunkt des wissenschaftlichen Idealismus bringen könnte.

Vie Kantische Behauptung ist nun so, wie sie sich gibt, zweifellos im Recht

$ür den verstand besteht keine Möglichkeit, aus der Welt heraus­

zukommen, die er sich selbst gebaut und deren Grenzen er von allem An­

fang an abgesteckt hat. Vie Wissenschaft vermag Gott niemals zu finden. $ür sie ist er kein möglicher Erkenntnis-Gegenstand. Sie trifft überall

nur auf die Gesetze, die der verstand in die Wirklichkeit hineinsieht. Aber

der verstand ist nicht das Bewußtsein und die wissenschaftliche „Natur" nicht die Wirklichkeit überhaupt. Wie, wenn es andere Wege neben oder

über deni wissenschaftlichen gäbe, in das „An sich" einzudringen, wenn andere funktionelle Möglichkeiten beständen, über die verstandesmäßigen Kategorien hinaus Wirkliches zu erfassen und auf diese Weise zu „Gott" zu kommen? Kant selbst hat versucht, ein Loch in die Kerkerwand der

Verstandeswelt zu schlagen und mittels des sittlichen Willens dahin ein­ zudringen, wohin der bloße verstand nicht zureicht. Im Erlebnis des „Du

sollst" strömte ihm die intelligible Welt in die Erfahrungswelt ein. In diesem versuch liegt wenigstens ein Fingerzeig vor, daß es außer der verstandesmäßigen noch andere Stellungnahmen zum Sein gibt, hierüber gilt es nun, wenn möglich, prinzipielle Klarheit zu schaffen. Mit Postulatentheorien allein ist jedenfalls nichts getan.

2. Organische Erkenntnistheorie. a. Vie formale Ganzheit der „konkreten Synthesis".

1. Der Ort des religiösen Apriori. Um eine geeignete Grundlage für eine religiöse Erkenntnistheorie zu gewinnen, gilt es, sich der konstitutiven organischen Formtatsache zu

erinnern, daß das Ganze früher ist als die Teile. Aufs Bewußtsein ange­ wandt, bedeutet dieser elementare Satz, daß das Ich nicht die nachträgliche

Summe seiner Elemente, kein bloßes Epiphänomen ist, sondern daß es wurzelhafte, seinen Teilen gegenüber originale Selbständigkeit hat. So

steht hinter dem verstand die fundamentale Ichform oder hinter der Ver­ standesfunktion die Jchfunktion, d. h. die Funktion des ungebrochenen, unmittelbaren Lebens. Erkenntnistheoretisch gewandt heißt das: hinter der abstrakten Gesetzlichkeit des Verstandes gibt es die Gesetzlichkeit der organischen Lebensform, hinter der abstrakten Synthesis der Logik die konkrete Synthesis des Ich. Wir hätten damit — von organischem Gesichtspunkt aus „apriori" — die Erkenntnis gewonnen, daß die abstrakt-logische Synthesis des Ver­

standes nicht ein Letztes ist, sondern daß etwas dahinter steht: die konkrete

Synthesis der Ichganzheit selbst.

Mit dieser organischen Zormkenntnis

ausgerüstet, wollen wir nun das Kantische Vernunftsystem betrachten. Kant hat bekanntlich neben der Gesetzmäßigkeit der Wissenschaft auch die der Ästhetik und Ethik untersucht. Neben dem logischen bildete er ein ästhetisches und ethisches Rpriori.

Bei seinen drei Kritiken leitete ihn

immer der Gesichtspunkt, bis in die letzte vernünftige Grundgesetzmäßig­

keit, hinter der es nichts mehr gäbe, durchzudringen. So muß der Emp­ findungsstoff erst durch die Rnschauungsformen des Raums und der Zeit hindurchgehen, sich von den Kategorien prägen lassen und dann von der

grundlegenden Synthesis einheitlich-gesetzmäßig bezogen werden, ehe wirk­ liches wissen oder wissenschaftliche Erfahrung entsteht. Die logische Syn­ thesis aber ist dann das Letzte, sie trägt das gesamte theoretische Vernunft­ system, das aus ihr als seiner Quelle gleichsam entspringt.

Ruch in

ästhetischer und ethischer Hinsicht werden die synthetischen Grundgesetz­ lichkeiten aus dem Erfahrungsstoff als letzte apriorische Prinzipien heraus­ analysiert. Wir führen dieses Drängen Kants nach dem tiefsten Vernunft­ grund, nach der tragenden Formgesetzlichkeit nur weiter, wenn wir hinter die Linzelzentren der Teilsynthesen ihrerseits zurückgehen auf eine Ur­ synthesis, aus der sich die Teilgesetzlichkeiten abgezweigt haben. Einen solchen Rückgang können wir an der Hand der bereits bekannten orga­

nischen Bewußtseinsstruktur ohne Schwierigkeit vornehmen. Bei der Rbleitung der organischen Lebensvernunft sind die maßgebenden Gesichts­ punkte bereits erörtert worden.

Das Vorhandensein und der Grt einer konkreten Synthesis wäre somit dargetan. Wir sehen in ihr das ursprüngliche Zormgefüge der geistigen Ganzheit selbst, das die tiefste immanente vernunstgesetzlichkeit des Be­ wußtseins in sich schließt.T)

2 Die Beschaffenheit der ganzheitlichen Synthesis. Wie ist nun diese ursprüngliche Synthesis beschaffen? Es ist nicht leicht, sie ihrer spezifischen Gestaltungsart nach zu beschreiben. Gerade auch unter dem organischen Gesichtspunkt, daß sie auf keinen Zall die Summe der gesetzlichen Teilsynthesen, sondern als höheres Ganzes etwas

schlechthin Eigenartiges ist. Zunächst läßt sich feststellen, daß die grund­ legende synthetische Bildungsform die verschiedenen Vernunftgesetzlich­ keiten besonderer Rrt als „Momente" in sich trägt, daß sie also sowohl *) Wir befinden uns beim Suchen nach einem letzten, zentralen Rpriori in Übereinstimmung mit Troeltsch. Nur, daß wir, über ihn hinausgehend, bewußt die ganzheitliche Ich-Zorm als synthetischen Urgrund ansetzen.

über die objektivierende Kraft der logischen Synthesis wie über die kon­

krete Bildungsform der ästhetischen und die teleologische Beziehungsweise der ethischen Vernunft verfügt. Alle diese Gestaltungsarten sind in der

Zormtätigkeit des ganzheitlichen flpriori aufgehoben. Dieses erweist sich

damit gleichzeitig als konkreter Natur. Denn nur ein konkretes Bildungs­

ganzes kann Einheitsgrund und Sammelstelle so verschiedenartiger Ver­ nunftformen sein, wie sie die organische Grundkategorie in sich schließt. AIs aktives Bildungszentrum trägt die ursprüngliche organische Synthesis

ihre eigene ganzheitlich-konkrete Zormstruktur in die Wirklichkeit hinein: sie betrachtet die Welt unter dem Gesichtspunkt der organisch-personalen Einheit, sie setzt organisch-personale Ganzheitsformen, sie „personifiziert".

Die abstrakte Synthesis des Verstands faßt die Wirklichkeit nach den Regeln logisch-kausaler Gesetzesbeziehung auf, die ästhetische Synthesis gestaltet sie nach dem Bild der zweckmäßig veranlagten anschaulichen Form, die ethische Vernunft konstituiert sie nach den Prinzipien des sitt­ lichen Zusammenhangs. Die ganzheitlich-konkrete Synthesis betrachtet das

Sein unter dem Gesichtspunkt vollorganischer, d. h. ganzheitlich-konkreter Formgestaltung. Die Beziehungsform des „Ganzheitlichen" oder „Person­ haften" ist weiter und umfassender als alle anderen Gestaltungsarten. Sie besitzt innere Geräumigkeit genug, um sämtliche übrigen Systeme und Ordnungen in sich aufzunehmen und die letzte Beziehungsstelle für alle

nur denkbaren Formzusammenhänge abzugeben. Die gesamte mechanische Gesetzesordnung z. B., die selbst die Zusammenfassung zahlloser Einzel­

erscheinungen darstellt, kann doch ihrerseits wieder auf die zu Grunde liegende organische Linheitsform zurückbezogen werden. Desgleichen die ästhetisch und ethisch gestalteten Wirklichkeitssysteme. Sie alle finden

Uhren einheitlichen Grund und Zusammenhalt in der kategorialen Urform des „Ganzheitlichen". Die Welt mit Hilfe dieser apriorischen Grund­ kategorie betrachten, heißt also: die letzte Beziehungsordnung finden,

auf die alle anderen zurückgeführt werden können und damit das Sein endgültig konstituieren. Die Religion nun wendet die ursprüngliche Kategorie des Ganzheit­ lich-Personalen auf die Wirklichkeit an. Sie beruhigt sich nicht bei Teil­

systemen, die in sich geordnet sind, sondern ist erst befriedigt, wenn sie die

gesetzmäßigen Linzelregionen des Seins auf den letzten Grund aller Ge­

staltung, auf die objektive personale Gegenstandsform oder „Gott" be­ zogen hat. Somit erweist sich die Religion, wie sie umfassende Lebens­ gestaltung war, auch als ganzheitliche Wirklichkeitsorganisation. Dieses

Durchdringen bis auf den organisch-personalen Weltgrund ist keine will-

Kür, sondern tiefste, mit der Struktur des Bewußtseins selbst gegebene Vernunftnotwendigkeit. Vie Kategorie des Personhaften ist durch die synthetisch-ganzheitliche Grundform des Geistes, auf der alle „Vernunft"

beruht, wesenhaft bedingt. — Allerdings ist auch das religiöse Hpriori,

wie alle anderen, an sich rein formal und bedarf, um im vollen Sinne

wirklich zu werden, der materialen Erfüllung mit konkretem Erfahrungs­ und Erlebnisstoff. Auch macht es, wie die übrigen Geistesformen, eine

Entwicklung durch. Mit der geistigen Spannweite wächst auch die Form der Gottesauffassung.

Es besteht ein großer Unterschied zwischen dem

primitiven Bewußtsein, das zahllose einzelne Gotteseinheiten seht, und

dem reif gewordenen Geist, der alles Wirkliche auf die eine umfassende

Gottpersönlichkeit bezieht. b. Vie konkrete Synthesis und das Schöpferische. Nun ist noch ein zweiter Punkt zu berücksichtigen, der nicht mit der „Form", sondern mit dem „Schöpferischen" der ganzheitlichen konkreten Synthesis zusammenhängt. Vie naturgesetzlich bestimmte Wirklichkeit ist für das Bewußtsein im allgemeinen ein mechanisch festliegendes Ganzes. Vie theoretische Vernunft berechnet und beherrscht die gesetzmäßig be­ stimmte Welt. Nur da, wo es auf neue Eroberungen im Reich des theore­

tischen Geistes ankommt, oder wo es sich darum handelt, machtvolle Seins­

komplexe unter höheren gesetzlichen Gesichtspunkten zusammenzufassen, da geht es nicht im mechanischen venkgeleise weiter, da sind vielmehr schöpferische Anstrengungen nötig. Auch die Natur lebt in ihrer mecha­ nischen Konstitution zuletzt doch von dem sie schöpferisch organisierenden und erweiternden Geist, auch wenn dies im allgemeinen nicht sehr deutlich wird. Sichtbarer tritt die Mitwirkung schöpferischer Lebenskräfte bei der ästhetischen Weltgestaltung zutage. Auch hier ist eine allgemeingültige,

Alle ästhetischen Gebilde sind irgendwie einheitlich-teleologisch bezogen, verlebendigt werden diese formale Gesetzmäßigkeit wahrzunehmen.

Schemata jedoch erst, wenn seelische Empfindungskraft die apriorischen Gestaltungsformen durchströmt und ihre Fügungen plastisch füllt, hierin liegt der Grund, daß, entsprechend der jeweiligen Lebensqualität, sehr verschiedenartige Auffassungen der ästhetischen Wirklichkeit möglich sind.

Während der ästhetisch Oberflächliche für den tieferen Bedeutungsgehalt

der ästhetischen Wirklichkeit gar keinen Sinn hat, während der trockene Traditionalist nur die hergebrachten Formtypen auffaßt, schöpft der

originelle und tiefe ästhetische Gestalter das Sein ganz anders aus. Er entdeckt in den synthetisch gleichgesetzlich konstruierten Formen eine Le-

bensfülle und -Innigkeit, die andere gar nicht ahnten. Was wir also sagen

wollen, ist dies: es kommt bei der ästhetischen Weltbetrachtung nicht nur auf die Anwendung allgemeiner, in jedem Bewußtsein vorhandener apriori­

scher Strukturprinzipien, sondern auch auf ihre Ausfüllung mit Leben an. Vas Gleiche gilt hinsichtlich der ethischen Stellungnahme zum Wirklichen.

Auch hier genügt nicht die Anlegung apriorischer Formprinzipien, sie müssen mit seelischer Intensität gesättigt sein. Strömt also bereits in diese apriorischen Teilformen die plastische Kraft unmittelbarer Lebens­ wirklichkeit ein, um den Gegenstand wirklich konkret zu konstituieren oder zu erfassen, so ist dies in ganz besonders hohem. Grade bei dem reli­

giösen Apriori der Fall. Dieses liegt, wie wir wissen, am tiefsten im Bewußtseinsgefüge, es liegt im Zentrum der Persönlichkeit, wo die (Quellen des Lebens rauschen, wo die Tinbruchstelle des Lebens aus dem Meta­ physischen her ist. Werden die religiösen Vernunftformen rein formal an­

gewandt, so bleiben sie tot und nichtssagend. Zu konkreter Gestalt und damit zu lebendig-geschichtlicher Wirklichkeit kommen sie erst, wenn das

Leben, und zwar in ungebrochener persönlicher Ganzheit, in sie einfließt. Je plastischer und reicher das individuelle schöpferische Leben strömt, desto

reicher und tiefer wird auch die Gottesanschauung sein. Vie Erkenntnis, daß das religiöse Apriori die Gesetzlichkeit der un­ mittelbaren Lebensform selbst ist, behütet uns vor einer allgemeinen ab­ strakten Vernunftreligion. Da die organische Form stets mit Leben gefüllt werden muß, um wirklich zu werden, und da das Leben seiner (Qualität

und Intensität nach die größten Verschiedenheiten aufweist, so sind die mannigfaltigsten geschichtlichen Ausgestaltungen der formalen Grundanlage

des Religiösen nicht nur möglich, sondern notwendig. Übrigens liegt hier, in der Verbindung von allgemeiner Vernunftform und individueller Lebensfülle, von Rationalem und Irrationalem, auch der Grund für die Da unserer Anschauung nach alles

Möglichkeit einer „(Offenbarung".

Lebendige letzthin aus methaphysischen (Quellen fließt, kann eine Er­ neuerung und schöpferische Weiterbildung des lebendigen Plasmas stets

durch Einbruch metaphysischer Kräfte vor sich gehen. Das religiöse Apriori, das, wie wir sagten, an dem tiefsten (Quellort des Lebens liegt, ist damit der Möglichkeit schöpferischer Belebung jederzeit ausgesetzt. Als unmittelbare Ausdrucksform des schöpferischen Lebens ist das religiöse Apriori das äußerste Gegenteil zu jeder Art von Mechanismus.

Es kann daher auch niemals mechanisch gehandhabt werden. Die religiöse Weltbetrachtung erfordert, wenn sie echt sein soll, stets einen Aufschwung des Lebens. (Obwohl also die Religion ihrer formalen Anlage nach die

elementarste Bewußtseinsgesetzlichkeit ist, verlangt sie, wenn sie wirklich werden soll, die höchste persönliche Initiative. Sie ist in keiner Weise eine

Selbstverständlichkeit. c. Die konkrete Synthesis als Lebensform.

Rückblickend können wir feststellen, daß die religiöse Synthesis nicht nur ganzheitlicher Art ist, sondern auch die unmittelbare Ausprägung des

schöpferischen Lebens selbst darstellt. Beides hängt selbstverständlich aufs engste zusammen. Die Verstandesgesetzlichkeit, die die einseitigste, am weitesten spezialisierte und äußerlichste des Bewußtseinssystems ist, ist

gleichzeitig auch die mechanischste. Rach ihr erscheint die Welt als ein starres

Bewußtseinssystem, in dem sich Atome verlagern, das aber durchaus tot ist. Die ästhetische Gesetzlichkeit, die als Vernunftäußerung des Gefühls, des „unmittelbarsten" vermögens, lebensnäher ist als der verstand, gibt ein lebendigeres Bild der Wirklichkeit. Bei der Ethik besteht ein Schwanken, jenachdem, ob sie starre Prinzipien- oder lebendige Gesinnungsethik ist, ob sie sich vom Mittelpunkt des geistigen Lebens mehr oder weniger ent­

fernt. Die religiöse Kategorie faßt die Welt nicht nur ganzheitlich, sondern auch durchaus schöpferisch auf. „Gott", das dem religiösen Apriori ent­ sprechende Objekt, ist das den Weltsinn tragende Ganze und das Gegen­ teil von jedem Mechanismus. 3e mehr die geistigen Gestaltungsformen sich somit der Oberfläche des Bewußtseins nähern, desto einseitiger und mechanischer werden sie, desto mehr nehmen die entsprechenden Gegen­

standssphären abstrakten Charakter an. Je mehr die Kategorien an den schöpferischen Urgrund des Bewußtseins heranrücken, desto ganzheitlicher

und konkreter gestalten sie sich, desto plastischer erscheint die von ihnen gefaßte Wirklichkeit. Die religiöse Synthesis, die man recht eigentlich auch als „produktive Einbildungskraft" bezeichnen kann, fällt mit dem

schöpferischen Geisteszentrum selbst zusammen und führt so in das Zen­ trum der Wirklichkeit hinein. 3. Die personalistische Erkenntnistheorie^) Wir sind von der organischen Lebensform ausgegangen, um in ihr das

religiöse „Apriori" zu verankern, das als Gegenstandswirklichkeit die konkrete Ganzheit des Göttlichen „setzt". Dieses „personale" Apriori

lag für uns hinter dem Apriori des Verstandes. Nun möchten wir hier darauf aufmerksam machen, daß es eine Erkenntnistheorie gibt, die, vom verstand selbst ausgehend, zu einer konkret-ganzheitlichen, „personalisti­ schen" Wirklichkeitsgestaltung kommt. W. Stern vertritt in seinem *) w. Stern, a. a. ®. S. 91 ff. Adolph, Organische Grundlagen der Religion.

7

bereits zitierten Werk „Person und Sache" die Auffassung, daß die theore­

tische Synthesis des Verstands nicht, wie Kant meint, imperfonalistischsachlich, sondern „personalistisch" sei. Also, mit unseren Worten: nicht mechanisch sondern organisch. Vie drei Grundkategorien Individualität,

Substanz. Kausalität, die sich übrigens untrennbar durchdringen, sind über­ mechanisch-personalistisch-teleologischer Art und konstituieren eine Wirk­

lichkeit, die durchaus nicht in der Form abstrakter Mechanismen, sondern konkreter Personeinheiten aufgefaßt werden muß. Nicht das Gesetz ist

das Grundlegende, sondern die personale Form. — wir würden hinsicht­ lich der Anlage des Kategoriensystems wohl etwas anders verfahren als

Stern; auch ist nicht zu verkennen, daß die personalistische Erkenntnis­

theorie nie zum Gott der Religion führen kann — bei Stern ergibt sich aus seinen Ansätzen eine panentheistische, sich in Personaleinheiten über­ einander staffelnde Weltanschauung. Aber der geistreiche versuch Sterns ist doch sehr lehrreich. (Er zeigt mit eindringender Deutlichkeit und höchster kritischer Umsicht, daß der mechanische verstand nie das Letzte ist,

daß vielmehr auch der verstand seine organische Natur, seine Ver­ wurzelung im Leben nicht verleugnen kann.

III. Die unmittelbare religiöse Erfahrung. 1. Der Gegen st and der religiösen Erfahrung. Die religiöse Erkenntnistheorie bereitet gewisse Schwierigkeiten, da der Grt, an dem das religiöse Apriori im Vernunftsystem unterzubringen ist, nicht ohne weiteres auf der Hand liegt und auch die Struktur und be­ sondere Leistung der religiösen Synthesis erst erschlossen werden muß.

Klarer werden die Verhältnisse, wenn wir den Loden der Psychologie betreten, hier stoßen wir vor allem auf eine feststehende und immer wieder neu bestätigte Tatsache: Gott wird vom religiösen Bewußtsein als eine Wirklichkeit erlebt. Vas Gotteserlebnis ist, psychologisch betrachtet,

genau so etwas Wirkliches wie das Erlebnis der Außenwelt oder des eigenen Ich. Und wenn eine gewisse Art „idealistischer" Philosophie dekre­ tiert, daß sich das Dasein einer Außenwelt nicht beweisen lasse und ihre Existenz damit fragwürdig sei, so wird sie psychologisch trotzdem ununter­

brochen erlebt. Das Ich hat in den Augen der atomistischen Psychologie keine ExistenZberechtignug, es wird als Schein und Illusion hinwegerklärt. Trotzdem härt die Icherfahrung nicht auf, die unmittelbarste und der

Grund aller anderen Erfahrungsmöglichkeiten zu sein. Ähnlich geht es mit der Gotteserfahrung. Gott ist oft genug wegdekretiert und wegbe-

wiesen worden. Vie Gotteserfahrung bleibt aber als eine der mensch­

lichen Urphänomene neben der Erfahrung des Ichs und der Außenwelt unverwüstlich bestehen. Mit dieser Gotteserfahrung und ihrer besonderen Eigenart gegenüber anderen Erfahrungsweisen beschäftigt sich die Keligionspsychologie.

Wir wollen hier einige Bemerkungen dazu machen,

die mit unserem Thema Zusammenhängen. Die religiöse Erfahrung ist vor allem ausgezeichnet durch ihren Gegen­ stand und die Art ihrer Gegenstandsbeziehung. Der Gegenstand der reli­ giösen Erfahrung ist Gott. Dieser liegt nicht in derselben Ebene wie die

Gegenstände der „gewöhnlichen"

Erfahrung, sondern

„dahinter".

Er

erscheint gegenüber dem Fragmentarischen und Zerstückelten der Empirie als das Ganze, gegenüber dem Oberflächlichen als das Wesen, gegenüber dem Bedingten als das Unbedingte, gegenüber dem Sinnlos-Zufälligen als der Sinn. Die religiöse Erfahrung unterscheidet sich also von der

übrigen dadurch, daß sie an dem gegebenen, sinnlich wahrnehmbaren Ob­ jekt nicht halt macht und dieses nicht als letztes nimmt, sondern durch es hindurchdringt auf ein tieferes, das durch die Erscheinung zum Ich reden und sich ihm mitteilen will. Der empirische Gegenstand, der die religiöse

Erfahrung vermittelt, erscheint, wie oben bemerkt, als bloßes Symbol. Er

wird, wie man auch zu sagen pflegt, für das religiöse Bewußtsein „trans­ parent". Gerade in neuerer Zeit ist die besondere Ligenart der religiösen

Gbjektbeziehung näher untersucht und aufgehellt worden. Scholz^) macht auf das akosmistische Moment aufmerksam, das bei allem religiösen Er­ leben hereinspielt. G t t o2) hat in seiner bahnbrechenden Phänomenologie des heiligen die über die gewöhnliche rationale Erfahrungsweise hinaus­ liegenden religiösen Erlebnisbestandteile scharf analysiert. wobber-

mitt3) betont nachdrücklich den transzendenten Charakter der religiösen Eindrücke. Überall wirkt bei dem religiösen Erleben eine hinter der hand­ greiflichen Empirie waltende Wirklichkeit auf das Bewußtsein ein. Selbst­ verständlich wird Gott nicht in seinem „An sich" erkannt. Kein irdischer Geist vermag das Absolute zu fassen, vielmehr ist Gott, wie gerade die Religion aufs stärkste betont, nur so weit erlebbar, als er sich offen­ baren und erkennen lassen will.

Wie die Erfahrung zeigt, kann jedes Stück Wirklichkeit zum Ver­ mittler göttlicher Wesenhaftigkeit, zum Organ der Gottesoffenbarung *) Heinrich Scholz, Religionsphilosophie. 2. Aust Berlin 1922. ’) Rudolf Gtto, Der heilige. 11. stuft Breslau 1923. •) Georg Wobbermtn, Aufgabe und Bedeutung der Religionrpsychologie ($ünfter Weltkongreß für freies Christentum und religiösen Fortschritt). Berlin 1911.

7*

werden: ein Stein, ein brennender Busch, ein geschichtliches Ereignis, ein Mensch, Da Golt hinter der gesamten Wirklichkeit steht, vermag er sich

durch alle ihre Elemente hindurch kundzutun. Doch gibt es eine Rang­ ordnung der Symbole. Nicht alle Weltbestandteile sind gleichmäßig ge­

eignet, das Göttliche wesensgemäß auszudrücken, vielmehr erweisen sie sich umso brauchbarer für diesen Zweck, je mehr sie sich der hohe voller

organischer Entfaltung nähern, je mehr sie zur reinen geistigen Indivi­

dualität hinaufwachsen, die Gott selbst eignet. So redet Gott im allge­ meinen durch die Geschichte deutlicher zu uns als durch die Natur und

durch das Lebendige klarer als durch das Tote. Vas Christentum ist der Überzeugung, in einer individuellen Gestalt, der Persönlichkeit des Stif­ ters, die volle wesenhafte Offenbarung Gottes zu besitzen. Über welcher Art auch die Symbole der Gottesnähe seien: bei der religiösen Einstellung ist das Objekt immer transparent, gestattet es stets einen Durchblick ins Metaphysische. ver Fetischanbeter erfaßt durch den ihn sinnlich gegenwärtigen Fels, vor dem er kniet, das Unsinnliche

in seiner Art genau so gut, wie der andächtige Katholik durch das Heiligenbild dem Göttlichen nahetritt oder ein moderner Goetheomane durch die Gestalt seines Meisters hindurch das Wirken metaphysischer Kräfte zu spüren glaubt. So ist die religiöse Erfahrung immer ganzheit­

licher, wesenhafter Art, weil sie vom Einzelelement zum Ganzen, vom

Schein ins Wesen hindurchdringt.

2. Vas religiöse Erleben. Wenden wir den Blick vom religiösen Objekt zum Subjekt, so muß

auch hier wieder von ganzheitlicher Einstellung die Rede sein. Die Gott­ heit, die dem Menschengeiste durch den Schleier der Erscheinungswelt hin­

durch nahe tritt, wird selbstverständlich nicht allein vom verstand er­ griffen. Es mag sein, daß der verstand als Aufnahmeorgan des Gött­ lichen zu dienen vermag, so wie die religiösen Erlebniseindrücke auch

ästhetisch oder ethisch vermittelt sein können. Zu wirklich religiöser Er­ griffenheit kommt es jedoch immer erst dann, wenn die Wirkung durch alle Seelengefache hindurch bis ins innerste Mark geht, den Seelennerv

trifft, den Grund des geistigen Lebens aufrührt. Ohne ein Erschauern in den innersten Lebenstiefen, ohne ein Erzittern der geistigen Substanz ist das religiöse Gotteserlebnis nicht wirklich echt. Einerlei, welche Dualität

das religiöse Leben hat, ob es niederschlagend oder aufrichtend, beugend

oder erhebend, einengend oder erlösend wirkt: es ist immer ganzheitlich

und fundamental.

Man bezeichnet die religiöse Erfahrung mit Recht als „persönliche" Erfahrung. Zwar gilt der Begriff der Person und des persönlichen bis

jetzt nicht eigentlich als wissenschaftlicher Begriff, sondern als Ausdruck des gewöhnlichen Sprachgebrauchs. Der Begriff der Person ist der Wissen­ schaft zu unbestimmt und mit allzu vielen Fragezeichen umgeben. Deshalb

vermeidet sie ihn lieber. Wir befinden uns nicht in der gleichen Lage. Für uns ist die „Person" etwas ganz Klares und Festumrissenes, nämlich die einheitliche geistige Ichform, im Gegensatz zu ihren Teilen. Wenn wir also von „persönlicher" Erfahrung sprechen, so meinen wir eine solche, an der die geistige Ganzheit unmittelbar beteiligt ist. Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff des „Erlebens". Vieser Ter­

minus ist lange Zeit ein Lieblingsausdruck der modernen Theologie ge­ wesen. Dann ist er durch allzuhäufigen Gebrauch und eine weitgehende

Popularisierung abgenutzt worden und, wie es scheint, in Mißkredit ge­ kommen. Auch diesen Begriff kann man ganz klar fassen. Wenn wir vom „Leben" sprechen, so meinen wir die ungebrochene organische Grund­ funktion, die alle Teilfunktionen erst aus sich herausgesetzt hat, jedoch

nach wie vor ihren Wurzelstock bildet. Erleben heißt also: einen Gegen­

stand nicht mit einer seelischen Teilfunktion, sondern mit der organischen Ganzheitsfunktion ergreifen. Insofern die religiöse Erfahrung bis auf

den untersten Lebeusgrund des geistigen Seins zurückgeht, kann man sie mit vollem Recht als „Erleben" bezeichnen.

Dritter Teil: Beziehungen zwischen Organismus und Wirklichkeit. Wir wollen uns in diesem letzten Teil kurz fassen, schon um Wieder­

holungen zu vermeiden. (Es kommt in der Hauptsache darauf an, die einzelnen Ergebnisse zusammenzuziehen und vollständig auszuschöpsen.

I. Lebensgestaltung und Weltanschauung. Ein Verhältnis hat sich ganz klar herausgestellt: Lebensgestaltung und Weltanschauung entsprechen einander. Nur der Mensch, der eine Persönlichkeit in der organischen Bedeutung des Wortes ist, wird über­ haupt fähig sein, eine Weltanschauung zu bilden. Selbstorganisation und Weltorganisation gehen Hand in Hand. Nur dem Lebendigen, der aus den Tiefen seines geistigen Seins schöpft, erschließen sich die Tiefen der Wirklichkeit, nur er blickt in jene letzten Gründe, von denen aus sich die vielfältig zerstückelte Erscheinungswelt organisch begreifen läßt. Einzig

derjenige, dem aus dem eigenen Unbewußten heraus ein Sinn feines per­ sönlichen Seins zugewachsen ist, wird in der Lage sein, „draußen" einen Sinn zu entdecken. Mit genau demselben Recht aber wird man sagen

müssen: nur derjenige, der im Besitz einer Weltanschauung ist, hat die

Gewähr, daß er zu einer Persönlichkeit heranreift. Für manchen, der von Natur chaotisch veranlagt war oder über geringe persönliche Bildkraft verfügte, ist es ein Glück gewesen, daß er in den Rahmen einer starken und festgefügten Weltanschauung hineinwuchs, hier fand er die Form, die sein Innenleben prägte, die Ordnung in das Gestaltlose hineinbrachte und den geistigen Rohstoff zu einem „Ich" allererst schuf. Das organisch vollkommene Verhältnis besteht selbstverständlich dann, wenn Lebensge­

staltung und Weltanschauung sich gegenseitig befruchten und steigern, wenn das quellende Leben in immer neue Tiefen der Wirklichkeit hinein­

findet und die Weltanschauung vermittels der ihr innewohnenden schöp­ ferischen Konsequenz immer neue Wesenselemente aus dem Geist hervor-

lockt und zur Entfaltung bringt. Dann schwingt das Leben in erhöhtem

Rhythmus, dann bann von wirklichem „Ausleben" die Rede sein. Vas formale Wechselverhältnis zwischen Selbst- und Weltgestaltung

prägt sich dann auch qualitativ aus. Art und Zuständlichkeit des Lebens sind bestimmend für die inhaltlich gefärbte Ausbeutung des Seins. Der Intellektualist ist geneigt, das Weltprinzip als eine logische Idee auf­

zufassen. Der (Quietist träumt von einem ruhenden Weltengrund, in dem er seinen Frieden findet. Der Energische glaubt an den Willen als letzte Wirklichkeitsinstanz. So haben Scholastiker, Mystiker, Tatnaturen das Letzte-Wirkliche immer wieder etwas anders geschaut. Dies ist nicht ver­

wunderlich, da das individuelle Leben das Interpretationsorgan des Seins

ist, da das Sein, um gedeutet zu werden, durch das Medium der eigenen Persönlichkeit hindurchgehen muß. Man darf jedoch auch den Einfluß der objektiven, auf jeden einzelnen autoritativ einwirkenden Weltanschauung

nicht unterschätzen. In Indien fällt es auch dem Willensmenschen schwer, seine natürliche Aktivität zu betätigen. Vas Bleigewicht der buddhistischen Welt- und Lebenslehre drückt jede tatfrohe Kraftentfaltung nieder. Um­

gekehrt wird im Calvinismus auch der Schlaffe zu energischem handeln hingerissen, da ihn der Geist der allgemeinen Weltanschauung treibt.

Da es aber der Genius der Rasse, des Volkes ist, der die überpersönlichen,

das Einzelleben bestimmenden Weltbilder erzeugt, so ist es letzthin immer wieder das Leben, das hinter den geistigen Seinsgestaltungen steht. Auch in rein intensiver Hinsicht besteht eine Entsprechung zwischen Ich und Welt. Solange die Lebensenergie, die schöpferische Kraft, der Glaube eines Einzelnen, eines Volkes, eines Kulturkreises jugendlich und geschwellt ist, so lange steht die Weltanschauung in Blüte. Vergreisung des Lebens zieht Welkwerden der Weltanschauung nach sich. Gegen senile Weltanschauungen sind Völker und Menschen immun, solange jugendfrisches

Blut durch ihre Adern rinnt. So hätte der Buddhismus in der mittelalter­ lich-germanischen Menschheit niemals Fuß fassen können. Daß sich ihm

heute so viele zuwenden, ist ein bedenkliches Zeichen dafür, daß das europäische Leben anfängt, matt zu werden. Alterserscheinungen des Geistes bestehen entweder in einer unbezwinglichen Sehnsucht nach Ruhe oder in einem versagen der synthetischen Kraft. Mystizismus und Skep­ tizismus sind gleicherweise Vorboten des Todes, und es ist nur eine Frage

zweiten Ranges, gewissermaßen eine Frage der Todes art, welcher von beiden überwiegt. So zeigt sich noch einmal zum Schluß ganz deutlich, daß für Form, (Qualität und Intensität der Weltanschauung alles auf das

Leben und feine Verfassung ankommt.

II. Ich und Gott. Lebensgestaltung und Weltanschauung entsprechen einander, persön­

liche Ganzheitsbildung und organische Gesamterfassung des Seins stehen in engster Wechselwirkung. Man kann das noch schärfer so formulieren:

das organische Einswerden des Geistes hat das Aufblühen des Gotteserleb­

nisses zur Folge. „Ich" und „Gott" bilden zwei in unauflöslicher Korre­ lation stehende Pole. Bei der wissenschaftlichen Einstellung ist der verstand auf eine äußere Gesetzeswirklichkeit bezogen. Vie Kräfte des Gefühls und Willens liegen brach. So werden auch die ästhetischen und ethischen Tiefen des Seins nicht ausgeschöpft. 3n gleicher Weise läßt die ästhetische Welt­

ansicht die intellektuellen und ethischen Energien unbenutzt und übersieht

die Majestät des Objektiven, d. h. des überpersönlichen Gesetzeszusammen­ hangs und der überpersönlichen sittlichen Weltordnung. Auch die Ethik wird

nicht dem ganzen persönlichen Sein gerecht: die intellektuellen und ästheti­ schen werte gehen zum Teil verloren. Die Welt als „Kosmos", als Ouellort genialer Schöpferkraft bleibt unentdeckt. Zur vollen Entfaltung kommt

das Bewußtsein allein in der Religion. 3n ihr fangen alle Töne zu klingen

an. Sie bilden einen vollen Akkord und eine rauschende Synphonie. Alle (Quellen brechen auf und vereinigen ihre Fluten im großen Strom des religiösen Lebens. Die Religion allein bedeutet eine ganze und erschöp­

fende Hingabe.

3hr offenbaren sich somit auch alle weiten und Tiefen

der Wirklichkeit, um in den letzten Linheitsgrund Gott einzumünden.

Der organisch Ganzheitliche erlebt das Göttliche mit Notwendigkeit. 3hm, der in sich selbst einheitlich kristallisiert ist, schließt sich auch die Wirklichkeit im Gott zusammen. Der Zerrissene oder Oberflächliche hat

kein Organ zum Erfassen der göttlichen Weltentiefe. Er bleibt im Bruch­ stückhaften und Äußerlichen hängen, wo das Gotterlebnis rein erblüht, da ist dies ein Zeichen, daß der Mensch organisch gesund und zu sich selbst

gekommen ist.

III. Die Religion als ganzheitliche Beziehung. So ist die Religion, die das 3ch in seiner ganzen Breite mit der voll­ erfaßten Wirklichkeit in ein Verhältnis setzt, selbst eine ganzheitliche Be­

ziehung. Man kann sie einem Seil vergleichen, das, aus verschiedenen Fäden gedreht, doch ein einheitliches Ganzes bildet, während die wissen­ schaftlichen, ästhetischen, ethischen Beziehungen bloßen Einzelfäden ver­

gleichbar sind. Allerdings ist das Bild nicht völlig ausreichend, da orga-

nische Verhältnisse durch einen mechanischen Sachverhalt erläutert werden sollen. Kber es wird doch deutlich, worauf es ankommt: daß in der religiösen Beziehung alle Einzelverhältnisse, die das Ich mit dem Sein

verknüpfen kann, organisch zusammengefaßt sind, daß es sich in der Reli­ gion um die lebendige Grundbeziehung der geistigen Ganzheitsform zum

Wirklichen handelt.

Schluß. wir hatten uns die Rufgabe gestellt, die organische Beschaffenheit

der Religion zu begründen. Dieses Ziel ist nun erreicht. Zunächst galt es, das religiöse Bewußtsein nach seiner organischen Gestaltung, Form­

gesetzlichkeit und psychologischen Bildung als ganzheitlich zu erweisen.

Dann wurde die religiöse Weltorganisation nach denselben Prinzipien untersucht und zuletzt die religiöse Beziehung kurz ins Rüge gefaßt. Line

Fülle von Problemen tauchte bei diesem Gang durch die religiöse Formen­ welt auf. Vie meisten konnten nur kurz berührt werden. lRethodisch leitete uns bei allen Betrachtungen der Gesichtspunkt, nicht das Ganze

von den Teilen, sondern umgekehrt die Teile vom Ganzen aus zu begreifen. Indem wir das selbständige Recht der organischen Gestalteinheit ver­ treten, befinden wir uns in Zusammenhang mit einer organischen Rn-

schauungsweise, die immer mächtiger vordringt und offenbar einen Rück­ schlag gegen den reinen Rlechanismus darstellt. Vas Bestreben, dem or­ ganisch Geformten, lebendig Gewordenen gerecht zu werden, macht sich auf

den verschiedensten Gebieten bemerkbar. So auf dem der Psychologie, Geschichtsphilosophie, Soziologie. Ulan sieht allmählich: es gibt unauf­ lösliche Gestaltqualitäten im Bewußtsein, es gibt lebendiges Werden in der Geschichte, es gibt die überpersönlichen Einheiten der sozialen Organis­ men. Vie Theologie tut gut, diese organische Ruffassung der Dinge zu

beachten, weil sie es selbst mit dem wichtigsten Organismus, dem der geisterfüllten Persönlichkeit, zu tun hat. Unsere Arbeit ist ein versuch, einige der organischen Formprinzipien für das Verständnis der religiösen Lebenserscheinungen nutzbar zu machen.

Dabei sind wir uns bewußt, im Rahmen einfachster formaler Er­ wägungen geblieben zu sein. Vas Gebiet der religiösen Gestaltung ist lange nicht ausgeschöpft, sondern höchstens im Grundriß abgesteckt.

Vie

organischen Formen immer klarer herauszuarbeiten, die schöpferischen Lebensgründe immer tiefer zu erforschen, bleibt eine lohnende Aufgabe.

Die Religion ist ein lebendiges Gebilde. Sie wird umso besser verstanden, je deutlicher ihre organischen Grundlagen bloßgelegt werden.

Inhalt Seite

Einleitung ...........................................................................

i

Begriffliche Vorbereitung: das Wesen der organischen Zarin................................................................................................. 1. Die formalenHauptbegriffe............................................ a. Die Form.................................................................................

3 3 3

Einheit —

Arbeitsteilung—Teleologie — Ubermechanische Synthese

b. Das Leben.................................................................................

5

Leben und Lebensfunktion — Selbsterhaltung — Selbstentfaltung

c. Lebensform................................................................................. 2. Der geistige Organismus....................................................

6 7

Ganzheit — Lebendige Schöpferkraft — Konkrete Bildung

3. Ausblick.......................................................................................

9

Erster Teil: Per (Organismus ................................. 10 I. Die Religion als organische Schöpfung........................... io Eingang.................................................................................................... 10 1. Vie religiöse Bewußtseinsorganisation ....................... 11 a. Organische Gestaltung................................................................. 11 1. Formale Ganzheit...................... 11 Die organische Zormstruktur des religiösen Bewußtseins — Korre­ lation des theoretischen und praktischen Bewußtseinsgebiets — Organi­ sierung des Intellekts, Gefühls, Willens

2. Lebensdarstellung .....................................................................14 Das Leben als Ouellpunkt der religiösen Bewußtseinsorganisation — verschiedene Ausprägung des Lebenssinns — Einheitliche Bedingtheit aller religiösen Bewußtseinsinhalte

3. Zusammenfassung............................................................... - 15 b. Organische Zelbsterhaltung...........................................................16 Organische Abwehr - Assimilations- und Adaptionsmaßnahmen des religiösen Bewußtseins

c. Organische Entwicklung.............................................................. 18 Erweiterung und Vertiefung des religiösen Formbestands — Außere Anlässe der organischen Lebensentfaltung

2. Die objektive Religion

19

a. Universalität...................................................................................... 20 Formale Ganzheit — Umfassender Lebensausdruck — Sinnschöpfung

b. Der Kampf ums Dasein................................................................. 20 Wettbewerb mit anderen 'Religionen und Geistesströmungen — Assimilation fremder Geisteselemente — Anpassung — Ausscheiden krankhafter Tendenzen

c. Vie Selbstverwirklichung..................................................................22 Allmähliche Selbstentfaltung der Religion — Das „Zeitgemäße" der religiösen Entwicklung — Formale Werdegesetze

3. Typische Gestaltungen..................................................................25 a. Religiöse Typen............................................................................... 25

1. Der religiöse Genius..................................................................25 Klassische Seelenform — Beharrungsstreben des idealen Typs — Seine organischen Wandlungen

2. Synthetische Bildung religiöser Epochen............................... 27 Der gotische Mensch

3. Die gegenwärtige Lage.............................................................. 28 Zusammenhang zwischen Unganzheit und Areligiosität

b. Areligiöse Bildung............................................................................28

1. Die Unschöpferischen..................................................................29 Die Philister — Die Oberflächlichen — Die Stumpfen

2. Die Einseitigen............................................................................30 Der Fachmensch

3. Die Relativisten.........................................................................31 Die Skeptiker — Asthetizisten — Abenteuerer

c. Zwischenformen...................................................................................32 Abschluß

.................................................................................................33

II. Die Religion und die übrigen Geistesbildungen.... 34 1. Das Unganzheitliche der geistigen Teilbildungen

34

a. Vie Wissenschaft............................................................................... 34 Der lebensfremde Charakter der Wissenschaft: das Unganzheitliche, Abstrakte, Tote ihrer Bildungen — Mangelnde Fähigkeit zur Lebens­ gestaltung — Der Fehlversuch des Monismus

b. Vie Kunst........................................................................................ 36 Die Art des ästhetischen „Lebens": ideale Formbeziehung, Schein­ charakter, Interesselosigkeit — Die echte Lebensgestaltung der Religion — Künstler und Prophet

c. Vie Ethik......................................................................................... 39 Einseitiger Charakter — Abstraktheit — Spannung mit der Religion

d. Die Philosophie............................................................................... 41 Verderbnis der echt ganzheitlichen Bildung durch Rationalisierung — Philosoph und Prophet — Philosophie und Religion

2. Das Verhältnis zwischen der Religion und den geistigen Teilmächten.......................................................... 44 a. Fruchtbare Wechselwirkung................................................... 44

1. Die Religion als Nutznießerin der geistigen Linzelgestaltungen..................................................................................44 ftnregungsroert und technischeBedeutung derWissenschaft — Die Kunst als belebendes Element und Symbol —Das Reizvolleethischer Problemstellungen

2. Die Befruchtung der geistigen Einzelschopfungen durch die Religion...................................................................................... 45 Materiale und formale Abhängigkeit der Wissenschaft von der Religion — Vie Religion als Mutterboden der Kunst — Die religiöse Bedingt­ heit der Ethik

3. Zusammenfall der Zwecke....................................................... 46 b. Mißverhältnis zwischen der Religion und den geistigen Einzel­ mächten .............................................................................................47

1. Starrer Rutoritätszwang der religiösen Einheitsform ....

47

Lähmende Wirkung eines erstarrten religiösen Systems — plastische religiöse Lebensfülle und Freiheit der geistigen Einzelfunktionen — Tote Religionen

2. Emanzipation der Teile...........................................................48 Folgen einer Zerstörung der religiösen Geistesform: Verkümmerung

Chaos oder

3. Notwendige Spannungen; das Ideal...................................... 49 Polarität und Harmonie als gleichwertige Lebensprinzipien

3. Genetisches..........................................................................................49 a. Die Religion als organische Grundlage des geistigen Lebens

49

„Das Ganze vor den Teilen"

b. Die Religion als dauernde organische Einheitsmacht ....

50

„Die Teile innerhalb des Ganzen"

c. Die Religion als ideales Bildungsziel..........................................51 „Das Ganze, Zweck der Teile"

Zusatz: Das Gesetz der drei Stadien.................................................52

III. Organische Formgesetze......................................... 53 Allgemeines.................................................................................................53

1. Vie geistigen Teilgesetze...........................................................54

a. Logisches.............................................................................................54 1. Das organische Phänomen der Evidenz................ : . . . 54 2. Organische und mechanische venkbeziehung............................ 55 a. Philosophische Urteile über dasWesen des Verstands 55 Kant — Vergson — Positivisten

ß. Unsere Auffassung..................................................................56

1. Organisches Denken....................................................... 56 Vie übermechanisch« Bildung der Sinngefüge — Ihre schöpferische Grundlage 2. Mechanisches Denken....................................................... 58 Sein Wesen: quantitative Vergleichung

j. Verhältnis von organischem und mechanischem Denken

59

Das mechanische Denken als Mittel organischer Zweckschöpfung

3.

Lebendiges Streben..................................................................... 60

b. Ästhetische Normgesetzgebung...........................................................61

1. Die ästhetische Vernunft...........................................................61 Der organische Charakter der Kunstwerke — Ihre Beseeltheit — Das ästhetisch« „verstehen"

2. Die ästhetische Allgemeingültigkeit......................................... 62 Der „Typus"

3. Die Anerkennung der ästhetischen Normschöpfungen ....

62

Das „Zwingende" vollendeter ästhetischer Gestaltung

c. Ethische Gestaltung............................................................................63

2. Gegenseitiges Verhältnis der normativen Teil­ gesetze ....................................................................................................65 a. Das gemeinsame synthetische Moment aller Normen .... 63 b. Verschiedenheiten............................................................................... 63 Abstrakt« Allgemeingültigkeit der logischen Normen — Konkrete Typik der ästhetischen Normen — Abstrakt - individueller Tharakter der ethischen Normen

c. Die gemeinsame Formgrundlage.................................................... 65 Ihr« Erschließung — Ihr ganzheitlicher, konkreter, Tharakter — Ihre Entfaltung in der Religion

lebendiger

3. Die organische Lebensvernunft............................................. 66 a. Synthetische Bildung.........................................................................66 Ganzheitlicher Tharakter — Normativ« Gestaltungstendenz — Der Drang zum Objektiven

b. Konkretheit...................................................................................... 68

c. Lebendigkeit...................................................................................... 68

Abschluß....................................................................................................69

IV. psychologisches............................................................... 69 1. Die religiöse Einheitsbildung............................................. 69 Ganzheit bei individueller Verschiedenheit — Formen der ganzheit­ lichen Bildung — Zur seelischen Diagnose

2. Die einzelne religiöse Seelenlage . . ................................72 verschieden« Ausdrucksmöglichkeiten des religiösen Erlebens — Einzig­ artige Stellung der religiösen Zentralfunktion

3. Einzelelemente............................................................................... 74 a. Die religiösen Vorstellungen........................................................... 74 1. Lebensfülle.................................................................................. 74

2. Konkrete Anschaulichkeit........................................................... 74

3. plastische Veränderlichkeit......................................................... 75 b. Die religiösen Gefühle..................................................................... 76 1. Ganzheit...................................................................................... 76

2. (Qualität...................................................................................... 78 3. Intensität...................................................................................... 78

c. Die religiösen Willensstrebungen.................................................... 79

Zweiter Teil: Die Wirklichkeit..............................so Allgemeines.................................................................................................80

I. Das religiöse Weltbild........................................................... 81 1. Die geistigen Teilansichten der wirlichkeit ....

81

a. Die Einseitigkeit der „funktionellen" Seinsauffassungen ....

81

1. Die wissenschaftliche Weltansicht.................................................81 Die technischen Mittel des Verstandes — Die Wirklichkeit als begriff­ liche Abstraktion — Unzulänglichkeit des Verstands zur Erkenntnis

2. Das ästhetische Weltbild ........................................................... 82 Das ästhetische Organ — Die Bedeutung des Konkreten — Das ästhetische Weltbild als „Auslese"

3. Die ethische Weltbetrachtung.................................................... 83 Abstrakter Charakter des ethischen weltgesüges

b. Die „oberflächliche" Beschaffenheit der partialen Weltdeutungen

83

1. Der wissenschaftliche Positivismus............................................. 84 Bewußte Ablehnung der Metaphysik — Der Kausalzusammenhang als das einzig wirkliche

2. Die ästhetische Wirklichkeitsdeutung.......................................84 Bindung an das Individuelle und an den Stoff

3. Die ethische Weltkonstruktion.................................................... 85 Schmale kosmische Basis des Ethischen — Leben tiefer als Moral

c. Der symbolische Charakter der organischen Teilauffassungen des wirklichen...................................................................................86

1. Die metaphysische Vertiefung des wiffenschaftlichen Weltbilds

86

Die „Form" als mechanisch unauflösliches Grundprinzip — Die Form als Zugang zur metaphysischen Lebenrtiefe

2. Die symbolische Bedeutung der ästhetischen Erscheinungs­ welt ............................................................................................. 87 Die ästhetische Form als Drgan des metaphysischen Wirklichkeits­ grundes — Archetypus — Durchschimmern der „Idee"

3. Die sittliche Weltanschauung und das letzte wirkliche ....

88

2. Der synthetische versuch der Philosophie..................... 88 Intuitive Weltkonzeption — Rationalisierung — Unzulänglichkeit abstrakter Weltprinzipien

3. Das ganzheitliche religiöse Weltbild........................

89

a. Vie Icheinheit als Träger der religiösen Weltanschauung ... b. Organische Gestaltung des religiösen Weltbilds.................

89 90

Ganzheit — Wesenhaftigkeit

II. Erkenntnistheoretisches....................................................

91

1. Die Kantische Einstellung....................................................

91

Die Schranke der Verstandeswelt — Durchbruchsversuch ins Meta­ physische

2. Organische Erkenntnistheorie......................................

92

a. Die formale Ganzheit der konkreten Synthesis.................

92

1. Der Grt des religiösen ctpriori.........................................

92

Das Ganze früher als die Teile — Rückgang durch die synthetischen Teilzentren Kants auf eine ursprüngliche organische Synthesis

2. Die Beschaffenheit der ganzheitlichen Synthesis..............

93

Ganzheit, Konkretheit, personaler Charakter — Endgültige Gegen­ standssetzung — Das Göttliche als Objekt der personalen Kategorie

b. Vie konkrete Synthesis und das Schöpferische.....................

95

Form und Leben — Religiöse Vernunft und historische Konkretisierung — Religiöse Gestaltung und persönliche Initiative

c. Die konkrete Synthesis als Lebensform...............................

97

Das Bewußtseinsgefüge: schöpferische Ganzheit im Zentrum, mecha­ nische Einseitigkeit an der Peripherie — Übergänge — Die religiöse Synthesis als Zentralform

3. Vie personalistische Erkenntnistheorie.....................

97

III. Die unmittelbare religiöse Erfahrung.......................

98

1. Der Gegenstand der religiösen Erfahrung..............

98

Gott als transempirische Wirklichkeit — Die Welt als Symbol — Rangordnung der Symbole — Transparenz der Symbole

2. Das religiöse Erleben............................................................. 100 Durchdringen der religiösen Impression bis auf den Seelengrund — „persönliche" Erfahrung — „Erleben"

Dritter Teil: Beziehungen zwischen Organis­ mus und lvirklichkeit.................................... 102 I. Lebensgestaltung undWeltanschauung........................102

II. Ich und Gott...................................................................104 III. Die Religion als ganzheitlicheBeziehung............. 104

Schluß........................................................... 105

vrucksehlerberichligung. S. 18 3. 14 d. o. lies „unkräftig" statt urkräftig. S. 19 3. 6 v. u. lies „durchformende" statt durchformte. S. 38 3. 17 v. o. lies am Ende „Komma" statt Punkt. S. 67 3. 8 v. u. ergänze nach besonders „gestaltete". S. 82 3. 17 v. o. lies „einreden" statt ausreden. S. 83 3. 6 v. o. lies „schäfermätziges" statt schieferrnätziges. $. 104 3. 18 v. o. lies „Symphonie" statt Synphonie.